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G h-O. D.
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fk
I.
1
I
ENCYKLOPiEDIE
DER
NATURWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. Dr. G. JÄGER, Prof. Dr. A. KENNGOTT,
Prof. Dr. LADENBURG, Prof. Dr. von OPPOLZER,
Prof. Dr. SCHENK, Geh. Schulrath Dr. SCHLÖMILCH,
Prof. Dr. G. C. WITTSTEIN, Prof. Dr. von ZECH.
IL ABTHEILUNG.
I. THEIL:
HANDWÖRTERBUCH der MINERALOGIE,
GEOLOGIE UND PALÄONTOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. Dr. A. KENNGOTT.
BRESLAU.
VERLAG VON EDUARD TREWENDT.
i88a.
HANDWÖRTERBUCH
DER
MINERALOGIE,
GEOLOGIE
UND
PALÄONTOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. Dr. A. KENNGOTT
UNTER MITWIRKUNG
VON
Prof. Dr. von LASAULX und Dr. F. ROLLE.
MIT HOLZSCHNITTEN UND LITHOGRAPHISCHEN TAFELN.
ERSTER BAND.
BRESLAU,
VERLAG VON EDUARD TREWENDT.
1882.
/
Das Recht der Uebersetzung bleibt vorbehalten.
VORWORT.
Wenn der erste Theil der zweiten Abtheilung der »Encyklopaedie der
Naturwissenschaftenc drei Disciplinen, die Mineralogie, die Geologie und
die Palaeontologie umfasst, so soll damit nicht ausgedrückt werden, dass diese
drei naturwissenschaftlichen Disciplinen ein Ganzes bilden, welches in diese drei
Theile zerfällt, wie man dies in früherer Zeit aufTasste, sondern es wurden die-
selben in einem Theile der Encyklopaedie zusammengestellt, weil sie als be-
stimmt getrennte Disciplinen einen inneren Zusammenhang haben. Dieser Zu-
sammenhang hat wesentlich darin seinen Grund, dass die Mineralogie, welche
als Wissenschaft neben die Botanik und Zoologie zu stellen ist, die Minerale als
ihre zu behandelnden Objecte umfasst, wie die Botanik die Pflanzen und die
Zoologie die Thiere, die Minerale unsere Erde zusammensetzen und die Mineralogie
in dieser Beziehung die stofflich wichtige Grundlage der Geologie ist. Da jedoch
in der Geologie die sedimentären Formationen nicht allein durch ihre relativen
Lagerungsverhältnisse unterschieden werden, sondern die in ihnen vorkommenden
Versteinerungen das Mittel zur genauen Unterscheidung derselben bieten und das
Studium und die Kenntniss der Versteinerungen zugleich die Entwickelungs-
geschichte der Erde begründet, so erschien es zweckmässig, auch die Palaeonto-
logie der Mineralogie und Geologie (mit Einschluss der Petrographie und G^o-
gnosie) anzureihen und alle drei Wissenschaften in einem Theile zu behandeln.
Was die Bearbeitung dieses Theiles selbst betrifft, so haben sich die Ver-
fasser der bezüglichen Artikel darin geeinigt, von einer strengen detaillirten
lexikologischen Anordnung abzusehen, um nicht durch überaus zahlreiche Artikel
den Stoff zu sehr zu zersplittern, wodurch das Verständniss sehr beeinträchtigt
würde und Wiederholungen unvermeidlich wären. Sie zogen es demnach nach
reiflicher Ueberiegung vor, den Inhalt der Mineralogie, Geologie und Palaeonto-
logie in einer relativ geringen Anzahl von Artikeln zu behandeln, wonach jeder
Artikel ein abgeschlossenes Ganzes bildet. Die in ihnen enthaltenen Einzelheiten,
wie namentlich emzelne Minerale, Gesteinsarten und Versteinerungen können
daim durch ein am Schlüsse beigefügtes alphabetisches Register leicht aufgefunden
werden.
VI Vorwort. "
Da aber die drei Disciplinen selbständige, wenn auch untereinander verwandte
und zusammenhängende sind, so ist das, was für jede einzehie zur allgemeinen
Orientirung dienlich anzugeben noth wendig erschien, von den einzelnen Ver-
fassern am geeigneten Orte ausgesprochen. So enthält der Artikel »Arten der
Minerale« in dem ersten Hefte die für die Mineralogie nöthigen allgemeinen
Angaben. Ein eigener Artikel »Geologie« wird in diesem Sinne auch für diese
die allgemeinen Erörterungen enthalten, nur ist vorläufig darüber zu bemerken,
dass, wie schon oben hervorgehoben wurde, auch bezüglich der Geologie jeder
Artikel als ein möglichst selbständiges Ganzes erscheinen soll, dass aber auch
alle Artikel, in einer entsprechenden Reihenfolge gebracht, sich zu einer zu-
sammenhängenden und systematischen Geologie zusammenfügen. Bezüglich der
Palaeontologie enthält der erste Artikel dieses ersten Heftes »Allgemeine Einleitung
in die Palaeontologie« das, was zur allgemeinen Orientirung über die nachfolgenden
Artikel und über den Inhalt überhaupt nothwendig ist.
Die so in geringer Anzahl gegebenen Artikel sind alphabetisch angeordnet
nacli leitenden Gesichtspunkten, welche aus den Ueberschriften ersichtlich sind.
Die Verfasser haben es sich zur Aufgabe gestellt, den Inhalt der einzelnen
Disciplinen entsprechend den bis jetzt gemachten Erfahrungen möglichst um-
fassend zur Darstellung zu bringen und dabei an dem von Anfang an ausge-
sprochenen Grundsatze festgehalten, das^ die »Encyklopaedie der Naturwissen-
schaften« Hir jeden allgemein gebildeten Leser zur Belehrung dienen soll, um so
die Resultate der Forschungen in den einzelnen Disciplinen auch in weiteren
Kreisen 2u verbreiten.
Zürich, im Februar 1882.
A. Kenngott.
Inhaltsverzeichniss.
Seite.
Vorwort I
Allgemeine Einleitung in die Palaeontologie von Dr. Fr. Rolle i
Amphibien von Dr. Fr. Rollb 14
Aoidiosoen von Dr. Fr. Rolle 32
Anchniden 43
Archaeisches System (laurentisches, huronisches und carobrisches System, krystallinisches
Schiefergebirge) von Dr. Fr. Rolle 46
Arten der Minerale von Prof. Dr. Kenngott 50
Atmosphäre, Die, und ihre geologische Bedeutung von Prof. Dr. A. von Lasaulx . . 68
Blenden von Prof. Dr. Kenngott 81
Bryozoen von Dr. Fr. Rolle 89
Carbonate von Prof Dr. Kenngott 92
Carbontsches System von Dr. Fr. Rolle iio
Chemis;che Processe in der Geologie von Prof Dr. von Lasaulx 127
Cohasion oder Cohäsions-Eigenschaften der Minerale von Prof. Dr. Kenngott . . . . 156
Contineiite, Die, von Prof Dr. von Lasaulx 167
Cnxstaceen von Dr. Fr. Rolle 185
Deltabildungen, Die, von Prof. Dr. von Lasaulx 201
Devonisches System von Dr. Fr. Rolle * 213
Dimorphismus von Prof Dr. Kenngott 227
Echinodermen von Dr. Fr. Rolle 230
Edelsteine von Prof Dr. Kenngott 250
Erdball, Der, als Ganzes und seine Beschaffenheit von Prof Dr. von Lasaulx . . . . 256
Erdbeben, Die, von Prof Dr. von Lasaulx .... 295
Ene von Prof. Dr. Kenngott * . . . . 366
Fische von Dr. Fr. Rolle 405
Fluorverbindungen von Prof Dr. Kenngott 431
Formeln« chemische, der Minerale von Prof. Dr. Kenngott 438
Gange, Die, von Prof. Dr. von Lasaulx 452
Gase von Prof. Dr. Kenngott . . * 514
Gebirge, Die, und ihre Entstehung von Prof Dr. von Lasaulx 515
Allgemeine Einleitung in die Palaeontologie
von
Dr. Friedrich Rolle.
Die Palaeontologie (vom griechischen palaios alt, on onia Wesen, logos
Lehre) oder Petrefactenkunde (von Petrefact oder Petrification, Ver-
steinerung) ist die Wissenschaft von den im Verlaufe der geologischen Epochen in
Ablagerungen des Meeresbodens, der süssen Gewässer oder des Festlandes einge-
schlossenen und bis auf unsere Tage erhaltenen Resten von Pflanzen und Thieren,
welche ehedem die Meeresgewässer, die Binnenseen und Flüsse und die Ober-
fläche des Festlandes bewohnten und mehr oder minder von den Formen der
heutigen Pflanzenwelt oder Flora und der heutigen Thierwelt oder Fauna ab-
weichen, in den jüngsten Epochen aber meistens unmerklich in letztere verlaufen.
Fossilien (vom spätlateinischen fossilis vergraben, ausgegraben) oder
Versteinerungen (petrefacta, Petrificationen) sind die aus den älteren geo-
logischen Bodenabsätzen oder Gesteinen bis auf unsere Tage erhalten gebliebenen
Pflanzen- und Thierreste der verschiedensten Art und des verschiedensten
Erhaltungszustandes. Die Art der Erhaltung kann dabei — je nach der mine-
ralischen Zusammensetzung, sowie auch nach der mehr oder minder weit gegangenen
Umgestaltung der Form — fiir die Erkennbarkeit des naturgeschichtlichen Charakters
und des feineren anatomischen Bau's des Fossils in den mannigfachsten Formen
schwanken. Holzstämme flnden wir in Braunkohle oder Steinkohle umgewandelt
oder die organische Substanz ist durch Kalk, durch Kieselsäure oder Schwefel-
kies verdrängt. Conchylien sind meist verkalkt, auch wohl verkieselt. Häufig
ist aber die Kalkschale ganz aufgelöst und nur der äussere Abdruck und der
innere Ausguss (Steinkem, nucleus) noch erhalten. Ein Harz von Nadelhölzern
der Tertiärepoche, der Bernstein (succinum) umschliesst Insekten und zarte
Pflanzentheile in einer so vollständigen Erhaltung, als sei der Einschluss erst in
allemeuester Zeit erfolgt. (Die Erhaltung beruht hier auf Abschluss von Luft,
Wasser und Verwesung.)
Zu den Fossilien gehören endlich auch noch die mit Haut, Haar und Muskel-
fleisch in gefromem Boden (sogen, ewigen Eis) Sibiriens erhaltenen Leichen er-
loschener Elephanten und Nashörner. Von einem an der Lena -Mündung
(70° nördl. Breite) erhaltenen Elephanten oder Mammuth (Elephas pritnigenius
Blum.) sammelte man noch über 15 Kilogr. Haare, kurzes Wollhaar gemischt mit
langem steifem Grannenhaar. Mit seinem Fleische fütterten die Jakuten noch
ihre Hunde. Auch diese in dem seit Jahrtausenden vereisten Boden Sibiriens
erhaltenen Thierleichen sind noch als Fossilien zu betrachten und stammen von
erloschenen Arten ab. Die Bezeichnung »Versteinerungen« ist freilich für
sie nicht mehr zutrefiend, denn sie sind keineswegs in Stein umgewandelt.
Kjccncott, Min., Geol. u. Pal. I. X
2 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Je unvollständiger die Erhaltung der Pflanzen und Thiere älterer Epochen vor
sich ging, je mehr die erhaltenen Theile derselben unter Einfluss von Verwesung
und weiter fortschreitender chemischer und mechanischer Umbildung litten,
desto geringer ist der Aufschluss, den die betreffenden Fossilien von Bau und
Verrichtungen der Lebensformen geben, von denen sie abstammen, desto
dürftiger ist ihr Werth für die allgemeine Geschichte des Lebens auf Erden.
Eine Menge von weichen Gewebetheilen von Pflanzen und Thieren sind zur
fossilen Erhaltung so gut wie gar nicht geeignet. Weiches Zellgewebe (Parenchym)
der I'flanzen, weiche Häute und Eingeweide der Thiere fallen rasch der Zer-
setzung anheim, Haut und Haare folgen ihnen in den meisten Fällen wenige
Jahre später nach. Es ist auch kein Zweifel, dass in den älteren geologischen
Ej)ochen zahllose Pflanzen- und Thierarten im Wasser und auf dem Festlande
gelebt haben, von denen sich, da ihre Gewebe nur aus weicher, leicht zer-
flicHKcndcr Materie bestanden, keine Spur erhalten hat. Dies gilt z. B. von den
Na<!ktschnccken, den Milben, den meisten Seequallen, den Infusorien u. s. w.
Viele Ordnungen der Pflanzen- und Thierwelt sind daher aus den älteren
Epochen entweder gar nicht bekannt, oder es haben sich von ihnen nur in sehr
Hj)ärlichcn Fällen und unter der Gunst besonders geeigneter Erhaltungs-
bcdingungen deutliche Reste oder auch nur dürftige, unerhebliche Andeutungen
erhalten können.
Ein Beispiel geben die Milben, Spinnen, Fliegen u. s. w. Man kennt aus
den sandigen, thonigen und kalkigen Ablagerungen der verschiedenen geo-
logischen Epochen entweder keine Spur oder doch nur äusserst selten erkenn-
bare Ueberbleibsel von solchen zarten und rasch der Zerstörung anheimfallenden
Organismen. Sie haben zur Zeit dieser Ablagerungen sicher in grosser Zahl
schon gelebt, sind aber wieder verschwunden, ohne Reste zu hinterlassen. Anders
ist es schon in gewissen feinerdigen blättrigen Braunkohlenschichten (Blätter-
kohlen, Papierkohlen). Hier finden wir schon in günstigen Fällen einzelne Reste
von Spinnen und Fliegen. Noch günstiger lagen die Bedingungen der Er-
haltung im Bernstein und aus diesem kennen wir eine reichliche Fauna von
Spinnen, Milben und 'Fliegen. Aber die Erhaltung der Insekten im Bernstein
gehört nur einer einzigen von den zahlreichen Schichtengruppen an, welche die
Reihenfolge der geologischen Bodenbildungen darstellen.
In zahlreichen anderen Fällen haben sich feste zur fossilen Erhaltung ge-
eignete Körpertheile oder Umhüllungen, Gehäuse u. s. w. in mancherlei sandigen,
thonigen oder kalkigen Ablagerungen in mannigfachen Formen und oA in zahl-
losen Exemplaren abgesetzt und forterhalten. Aber oft sind diese erhaltenen
festen Theile von solcher Art, dass sie üb^r Bau und Verrichtungen des ehe-
maligen Lebewesens nur kärgliche Aufschlüsse zu gewähren vermögen. Dies
gilt namentlich von den Conchylien oder harten Gehäusen der Mollusken, die
oft mächtige Lager in der Reihenfolge der geschichteten Formationen darstellen
und überhaupt vorzugsweise in überraschender Mannigfaltigkeit der Formen,
namentlich in Meeresabsätzen, fossil auftreten. Aber von der Organisation der
Thiere, denen sie entstammen, vermögen sie im Allgemeinen nur geringe Auskunft
zu gewähren und lassen viele Einzelnheiten des Baus derselben in Zweifel.
In anderen Fällen sind die zur fossilen Erhaltung geeigneten festen Theile der
Organismen, namentlich das der grossen Mehrzahl der Wirbelthiere zukommende
Knorhenskelett und Gebiss zwar reich an bezeichnenden für Verfolgung von Bau
und Verrichtungen wohlgceigncten Merkmalen. Aber die dem besonderen gco-
Allgemeine Einleitung in die Palaeontologie. 3
logischen Vorkommen entsprechenden Erhaltungsbedingungen haben meist einen
guten Theil dieses Vorzugs wieder aufgehoben, indem siie zu einer Zerstreuung
der zusammengehörigen Theile führten. Wenige Skelette finden sich in voll-
ständigem Zusammenhang, am häufigsten noch bei Fischen, viel seltener bei
Reptilien und Säugethieren.
In der Regel finden sich Knochen und Zähne nur vereinzelt. Der eine
Fund ergiebt einen Schädeltheil, ein anderer Rückgratstücke, ein dritter nur Bein-
cxier Fuss-Knochen. Von Walen kennt man oft nichts weiter als das Felsenbein
(os petrosum oder iympanicutn) , also den dichtesten Schädelknochen. Von Hai-
fischen kennt man gewöhnlich nur zerstreute Zähne und Flossenstacheln (Ichthyo-
dorulithen). Dann müssen die Untersuchungen der vereinzelten Stücke sich ein-
ander ergänzen. Allgemeine Grundsätze der vergleichenden Anatomie treten in
Anwendmig, um über die Zusammengehörigkeit der getrennten Fundstücke zu
entscheiden. Und dabei sind oft Fehlgriffe nicht zu vermeiden, deren Nach-
wirkungen auf einen oder den anderen Theil der Wissenschaft sich zuweilen Jahr-
zehnte lang forterhalten, bis ein besserer Fund bessere Aufschlüsse bringt.
So gleichen die Zähne des pflanzenfressenden Iguanodon in dem Grade den
Zähnen mancher grasfressenden Säugethiere, namentlich denen des Rhiuoceros,
dass der Meister in vergleichender Anatomie, Cuvier, die ersten ihm zu Gesicht
gekommenen Iguanodon-Zähne für Rhinoceros-Zähne nahm. Aber bald stellten
bessere Funde eine andere Herkunft heraus.
Eine andere Unvollständigkeit des geologischen Archivs beruht auf dem
Gegensatz von Ocean und Festland, der vielleicht schon so alt ist, wie die
erste Entstehung lebender Wesen und sich durch die ganze Reihe der Epochen
fortzieht
Während die grösste Masse der geologischen Formationen aus Meeresabsätzen
mit mehr oder minder reichlichem .Einschluss von Meeres-Algen und mancherlei
Formen von Meeres-Thieren hervorging, treten Süsswasser-Absätze und Festland-
Schichten gewöhnlich nur in dünnen Zwischenschichten auf. Sie erscheinen mit
grösserer Mächtigkeit nur in der Steinkohlen-Formation, in der Wealden-Formation
und in gewissen Theilen der Tertiärformation. Es findet das in der Jetztwelt noch
seine Erklärung darin, dass Binnenseen und Torfmoore im Verhältniss zum Ocean
nur einen sehr geringen Theil der Erdoberfläche einnehmen. Aehnlich wird auch
das Verhältniss in den verschiedenen Perioden der Urwelt gewesen sein.
Wir kennen in Folge dieses Gegensatzes von Ocean und Festland bald nur die
meerischen, bald auch mit Sicherheit nur die festländischen Absätze eines gewissen
Theils einer geologischen Epoche. In der Regel herrschen die ersteren vor und
oft haben wir daher reichliche Kenntniss von der ehemaligen Bevölkerung des
Meeres, während aus der gleichen Epoche vom Festland und Süsswasser
mit ihrer besonderen Flora und Fauna uns wenig oder gar nichts bekannt
geworden ist.
Ueberhaupt ist im ganzen Bereiche der Palaeontologie der Betrag von dem,
wras wir wissen, noch gering gegen den Betrag dessen, was noch zu erforschen
bleibt Viele vorweltlichen Organismen gelangten nicht zur fossilen Erhaltung
in Gesteinsablagerungen. Aber auch viele Ablagerungen wurden nachträglich
wieder abgespült und noch andere sind uns durch spätere Auflagerungen ent-
zogen oder liegen unter dem Ocean verborgen, der etwa \ der Oberfläche unseres
Planeten einnimmt
Die Palaeontologie stützt sich einerseits auf die Geologie in allen ihren
4 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Verzweigungen, andererseits auf Botanik und Zoologie, auf Anatomie und
Physiologie, auf Pflvizen- und Thiergeographie. Sie benützt alle diese
Hilfswissenschaften bald mehr, bald minder eingehend, je nachdem die Art der
fossilen Funde eine tiefere Forschung erlaubt oder erheischt. Sie wirkt aber in
demselben Grade auch ergänzend und umgestaltend auf ihre Hilfswissenschaften
wieder ein und verbindet überhaupt die sonst getrennten Doctrinen in erfolg-
reichster Weise. Damit wächst — trotz aller Lücken des geologischen Archivs —
die Bedeutung der Palaeontologie fiir die Erkenntniss der Vorgänge und Gesetze
der allgemeinen Lebewelt ins Unbegrenzte und Unabsehbare, wie es denn über-
haupt eine häufige Erfahrung ist, dass die Verknüpfung benachbarter, aber bisher
getrennt gebliebener Doctrinen die raschesten Fortschritte der Wissenschaft mit
sich bringt.
Bei diesem weit verzweigten Zusammenhang der Palaeontologie mit allen den
Bau und die Geschichte der Erde — den Bau, die Verrichtungen und den ge-
gesammten Lebensgang der Pflanzen- und Thierbevölkerung unseres Planeten von
ihrem ersten geologisch constatirten Anfang bis zum Stande der Dinge des
heutigen Tages — behandelnden Fächern der Naturwissenschaft wächst denn auch
die Aufgabe der Palaeontologie wieder nach allen den Richtungen, aus denen
sie Unterstützung bezieht. Aber es wächst auch damit die Gefahr, mit der Deu-
tung ihres mehr oder minder unvollständigen Materials die Grenzen der sicheren
Schlussfolgerung zu überschreiten, z. B. Analogien mit Affinitäten zu ver-
wechseln und daraufhin aus äusserlicher Aehnlichkeit zweier Erscheinungen eine
innere Verwandtschaft zu statuiren, die schliesslich — mit wachsender besserer
Erkenntniss — in anderen Regionen gefunden wird. Die Geschichte der Palaeon-
tologie ist reich an solchen Fehlgriffen, aber auch reich an Ausmerzungen ver-
fehlter Hypothesen.
Die erste Aufgabe der Palaeontologie ist demnach die Ermittelung der Reste
ehemaliger Pflanzen- und Thierarten der verschiedenen geologischen Epochen, die
Beziehung spärlich erhaltener Stücke des Pflanzen- und Thierköq^ers auf das mehr
oder minder erschliessbare in fossiler Erhaltung nicht vorliegende Ganze desselben,
die Einbeziehung derselben in das System der heutigen Lebewelt und die Er-
gänzung dieses letzteren zur schliesslichen Gesammt-Umfassung aller von jeher
vertreten gewesenen Formen des Lebens. Schon diese erste Aufgabe ist in ihrer
Ganzheit unerreichbar. Aber auch schon der theilweise Fortschritt fuhrt mit
jedem neuen Anlauf zu mancherlei, bald hier bald da mächtig eingreifenden Er-
folgen. Vieles in diesem fortschreitenden Gang verfällt nach besseren Funden
früher oder später wieder der Ausmerzung und der Neubau leidet fortwährend
durch die Ruinen kaum erst aufgeführter Bautheile. Glückliche neue Funde
machen alsbald ganze Capitel unserer Lehrbücher zu veralteter Literatur.
Eine zweite Aufgabe der Palaeontologie ist die Ermittelung der Beziehungen
der fossilen Pflanzen- und Thierreste zur geotektonischen und chronologischen
P'olge der im Meer, in Binnensee'n und auf dem Festland seit den ältesten geo-
logischen Zeiten vor sich gegangenen Bodenabsätze — und die Einordnung der
einen mit Hülfe der anderen in das chronologisch geordnete System der strati-
grapliischen Geologie, welche erstlich in besonderen Schichten besondere fossile
Organismen aufzählt, und zweitens vereinzelt abgelagerte Schichten auf Grund
von theilweiser oder vollständiger Ueberein Stimmung ihrer Pflanzen- und Thierreste
in den synchronistischen Verband einschaltet. Auch diese Aufgabe bietet mancher-
lei Klippen.
Allgemeine Einleitung in die Palacontologie. 5
Eine Anzahl weit von einander abgelagerter Schichten können einer und der-
selben Epoche angehören und völlig gleichzeitiger Entstehung sein, aber unter
sehr verschiedenen Bedingungen sich abgelagert haben und daher auch sehr
verschiedene Pflanzen- und Thierreste beherbergen. Die eine Ablagerung kann
im Meer, die andere in einem Süsswassersee, die dritte in einem festländischen
Morast entstanden sein. Die Fossil-Einschlüsse weichen dann gewöhnlich sehr ab.
Es wird dann oft schwer, ihre Gleichzeitigkeit darzuthun und öfter scheitert bei
Dürftigkeit oder völligem Mangel der Fossil-Einschlüsse jede Bemühung. Aber
der Fund von einem oder dem anderen Gehäuse einer Schneckenart — oder dem
Gebiss eines Wirbelthieres — oder dem Holz oder Laubwerk derselben Land-
pflanzen-Vegetation in den räumlich getrennten und verschieden gearteten Ab-
Ligerungen genügt, die Gleichzeitigkeit darzulegen und den getrennten Ab-
lagenmgen die richtige Stelle im System des Ganzen anzuweisen. Die Ver-
steinerungen spielen in dieser Hinsicht die -Rolle der Münzen und Inschriften,
die der Alterthumsforscher aus den Ruinen verschütteter Städte ausgräbt und zur
Zettbestimmung benutzt.
So erweist sich z. B. das sogenannte »ewige Eis« — richtiger der gefrorene
Boden — des nördlichen Sibiriens als wesentlich gleichzeitig mit einem Theile
des Lehms oder Lösses von Mittel-Europa auf Grund des gemeinsamen Vor-
kommens des sibirischen Mammuths (Elephas primigenius Blum.) und des sibirischen
Nashorns (Rhinoceros tichorhinus Cuv.). Die Reste derselben im deutschen Löss
sind aber mürb und stark zersetzt, während das Eis Sibiriens darin noch die
organische Substanz, bisweilen auch Haut nnd Haar conservirt hat.
Aus der Aufeinanderfolge der geologischen Schichtenreihe und der in dieser
aufbewahrten mit der Schichtenablagerung gleichzeitigen Pflanzen- und Thierreste
erwächst femer der Palaeontologie die Aufgabe einer Geschichtsschreibung des
organischen Lebens auf Erden von der Ablagerung der ältesten fossilführenden
Schichten an bis zur Schwelle des geschichtlichen Zeitalters.
Die Faunen und Floren der geologischen Reihen bilden mit diesen zusammen
chronologische Reihen mit gewissen Verschiedenheiten und gewissen Ueberein-
stimmungen, die zusammen eine stetig fortlaufende Umbildung und vielfach auch
eine höher ansteigende Ausbildung der Lebensformen ergeben. Damit machen
sich Stammbäume und mannigfache Verzweigungen geltend.
So fehlen den Ablagerungen der ältesten geologischen Epochen noch alle
und jede Vertreter des Wirbelthierreichs. Dann erscheinen die ersten Fische.
Bald folgen auch Amphibien und Reptilien. Erst später ~ spärlich und zerstreut
— treten auch die ersten Funde von Vögeln und Säugethieren auf, dann aber
folgen beide letzteren Klassen und zwar besonders von den unteren Tertiär-
schichten an in reichlicher Fülle der Familien, Gattungen und Arten, bisweilen
auch der Individuen. Zuletzt erscheint auch der Mensch — die am höchsten
organisirte Form des Lebens, aber offenbar auch als Abzweigung aus einem
älteren Stammbaum.
Das Wirbelthierreich ergiebt also im Verlaufe der geologischen Epochen eine
Reihenfolge von zunehmender Organisationshöhe. Dieselbe Erscheinung zeigt
sich auch bald mehr bald minder auffallig in manchen anderen Verzweigungen der
Pflanzen- und Thierwelt. Gewöhnlich ändern in den Stufen der Reihenfolge die
Arten rasch ab. Die Gattungen reichen Öfter durch mehrere Epochen, eine
Brachiopoden-Gattung, Lingula, reicht vielleicht selbst von der ältesten fossil-
fiihrcnden Schichte im cambrischen System ununterbrochen bis in die Meere der
6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Jetztwelt. Das Alles sind wohlausgeprägte Erscheinungen, die eine angemessene
Erkläning erheischen.
Der Palaeontologie erwächst damit die Aufgabe, die chronologische Folge, in
welcher Klassen und Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten der Pflanzen-
und Thierwelt im Verlaufe der geologischen Epochen hervortauchen, in allen
Einzelheiten zu verfolgen — Ursachen und Wirkungen in dieser chronologischen
Reihenfolge der Lebensformen zu ergründen — und die Lücken des geologisch-
palaeontologischen Archivs nach allgemein gültigen Grundsätzen theoretisch zu
überbrücken.
Auch diese Aufgabe ist — angesichts der mangelhaften Erhaltung der urwelt-
lichen Pflanzen- und Thierformen und der oft um so mangelhafteren Ermittelung
der Lebensbedingungen, unter denen sie gediehen und der Lebensverrichtungen,
mittelst deren sie ihr Dasein erkämpften und ihre Fortpflanzung bewerkstelligten —
in ihrer Gesammtheit unerreichbar. Aber auch schon der bis dahin erreichte Be-
trag ergiebt die reichlichsten Aufschlüsse ftir die Erkenntniss des Zusammenhanges
der Lebensformen auf Erden von dem einfachsten einer fossilen Erhaltung nicht
fähigen Lebewesen an bis hinauf zum Menschen und von dem geologisch
ältesten Funde von Organismen bis zum Beginn der geschichtlichen Epoche.
Für die chronologische Aufeinanderfolge vieler Verzweigungen der Lebewelt
ist ein Entwicklungsgang erweisbar, welcher den verschiedenen Stufen der indivi-
duellen Entwicklung entspricht, den noch heute eine Thierform desselben Zweiges
vom Ei bis zur Reife durchläuft.
Hiermit tritt die geologische Entwicklungsgeschichte einer Lebensform mit
der individuellen der heutigen Vertreter derselben in Parallele und die Embry-
ologie wird damit zu einem wichtigen Ausgangspunkte der vergleichenden Palaeon-
tologie.
Systematik und Entwicklungsgeschichte der lebenden Pflanzen- und Thierwelt
ergeben uns bereits Reihenfolgen vom einfacheren und ursprünglicheren zu
einem zusammengesetzteren Bau und einer reichlicheren Ausstattung, die von jeher
in die Augen gefallen sind.
Es kann dabei auch kein Zweifel sein, dass das Einfachere wirklich das Ur-
sprünglichere ist, das Zusammengesetztere und reichlicher organisirte, — die
höhere Organisation — erst aus ihm hervorgeht und auch von jeher aus unvoll-
kommnerer die vollkommnere Stufe hervorging. Die Entwicklungsgeschichte
der höheren, d. h. reichlicher zusammengesetzten und höher organisirten I^ebe-
wesen wiederholt fortwährend — und unter unsem Augen, — diesen aufsteigenden
Gang. Sie zeigt uns, dass die Nachkommen eines Lebewesens unter Conti-
nuität der materiellen Grundlage nicht nur dieselben Kräfte und Organe fort-
erben, sondern dass sich auch in einer ftir jede Art feststehenden Stufenfolge die
besonderen dem vollkommneren Bau und den vollkommneren Lebensverrichtungen
entsprechenden Organe ausbilden.
Dieser in bestimmten Stufen aufsteigende Entwicklungsgang des Einzelwesens
ist aber offenbar nichts Anderes als ein Nachklang der innerhalb der geologischen
Epochen vor sich gegangenen Entwicklungsfolge vom einfacheren und ursprüng-
lichen zum zusammengesetzteren und höher ausgebildeten Bau. Es ist ferner
auch aus zahlreichen Thatsachen zu entnehmen, dass sich in den aufeinander-
folgenden Entwicklungszuständen der heute lebenden Einzelwesen im Allgemeinen
die im Verlaufe der geologischen Epochen vor sich gegangenen Entwicklungs-
stufen der älteren Vorfahren, mit denen sie die Continuität der materiellen Grund-
I Allgemeine Einleitung in die Palaeontologie. 7
I läge verknüpft, wiederholen und mehr oder minder bestimmt wieder erkennen
lassen. In manchen Fällen ist dies aus fossilen Funden treffend zu belegen.
So durchläuft bei den Wirbelthieren die Ausbildung der Wirbelsäule eine
Reihenfolge, die einerseits im Entwicklungsgang des einzelnen Thieres vom Ei zur
Reife sich verfolgen lässt, andrerseits in der geologischen Folge der fossil ge-
fundenen Gattungen und Familien bald hier bald da deutlich hervortritt.
Bei allen höheren Wirbelthieren und beim Menschen ist in einer der frühesten
Embryonal-Stufen die Körperachse noch durch einen einfachen vorn und hinten
zugespitzten Knorpelstrang, die c hör da dorsaliSf vertreten, wie dies bei den
niedersten Wirbelthieren zeitlebens der Fall ist (z. B. bei AmpMoicus und Myxitu).
Um diese knorpelige Achse bildet sich erst später bei den höheren Wirbelthieren
die gegliederte Wirbelsäule und diese tritt nur stufenweise in Verknöcherung,
wobei die chorda mehr oder minder verdrängt und umgebildet wird. So ist
auch die Wirbelsäule der ältesten fossil auftretenden Wirbelthiere entweder noch
knorpelig oder erst unvollkommen verknöchert. An fossilen Skeletten vertritt hier
ihre Stelle meist ein leerer Raum.
Eine Reihenfolge in der Ausbildung der Wirbelsäule * ist häufig bei fossilen
Formen zu verfolgen.
Sie ist z. B. bei den Krokodiliem vom Lias bis zur Jetztwelt ausge-
sprochen.
Die älteste Familie derselben, in Lias und Jura verbreitet, sind die Ämphicoeli
(AfyslriosauruSf Tekosaurus) mit biconcaver oder amphicoeler Wirbelbildung, wie
sie bei den Fischen und den fischartigen Amphibien herrscht und wie sie der
Embryo der heutigen höher organisirten Krokodile vorübergehend noch durch-
läuft.
Aber in der Kreide-Formation beginnt die höher stehende Familie der
Crocodilii procoeli oder prosthocoeli, deren Wirbel wie die der Säugethiere an der
Vorderseite concav, an der Hinterseite convex sind. Dahin gehören die heute
noch lebenden Gattungen der Krokodile, während die Amphicoelier längst ausge-
storben sind. Es erscheint hier also eine genealogische Reihe in der geologi-
schen Aufeinanderfolge.
Unter den fossilen Formen der Pflanzen- und Thierwelt, namentlich in den
älteren Formationen findet man zahlreiche CoUectiv-Typen (generalized forms)
d. h. Formen, welche in ihrem Bau Charaktere zeigen, die bei den Verwandten
in den späteren Formationen und in der heutigen Lebewelt nicht wieder ver-
einigt auftreten, sondern in dieser nur noch für engere Gruppen bezeichnend sind.
I Ein bekanntes Beispiel eines Collectiv-Typus sind die thecodonten Lacertilien
des permischen Systems, namentlich der sehr vollständig überlieferte in mehreren
Skeletten erhaltene Frotorosaurus Speneri Mev. des Kupferschiefers von Thüringen.
Es ist ein nach Art der echten Eidechsen, namentlich der Monitoren be-
schupptes Reptil. Aber die Rtickgratbildung und die Bezahnung weicht von der
der Monitoren und aller übrigen heute noch lebenden wahren Eidechsen ab.
Die Wirbel der Protorosauren sind noch biconcav wie die der Fische und der
fischartigen Amphibien. Die Kiffern aber führen in Alveolen eingekeilte Zähne,
wie sie heute bei Eidechsen nicht mehr, wohl aber bei Krokodilen vorkommen.
Man schliesst daraus, dass die thecodonten Lacertilien des permischen Systems
erstens in entlegener Linie von Fischen abstammen und zweitens, dass die Nach-
kommenschaft der älteren Formen sich in zwei heute scharf getrennte Ordnungen
— Eidechsen und Krokodile — gesondert hat.
^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Jhcyc Coilectiv-Typen lassen sich embryonalen Stufen höherer Typen ver-
f-rkrien- Sie sind noch allgemeinere Ausdrücke einer gewissen organischen
f-onn, Vorläufer von mehr oder weniger auseinandertretenden, erst später folgenden
«^pecialisiiten Typen. Auch die Form der Embryonen ist anfangs genereller
Art und specificirt sich weiterhin mit wachsender Ausbildung und erst mit der
Reife folgt die am genauesten specificirte Form. So ist das menschliche Ei
wesentlich dem aller anderen Säugethiere gleich. In den späteren Entwicklungs-
stufen des menschlichen Embryos treten erst die genaueren Charaktere der
Ordnung und der Art auf. Im dritten Monat unterscheidet sich der menschliche
Embrvo noch nicht merklich von dem der nächst verwandten Affen. Erst im
vierten oder fünften Monat seines Alters hat der Mensch die mit den Affen ge-
meinsame Embryonalstufe znrtickgelegt und überwunden.
Dies alles ergiebt bedeutsame Parallelen für die richtige Erfassung der geo-
logisch-palaeontologischen Entwickelungsgeschichte der gesammten Lebewelt.
Auch das geistige Leben auf Erden hat in der Reihenfolge der geologischen
Formationen zugenommen, \vie das Grössen- Verhältniss des Gehirns, des Haupt-
trägers der Geistesverrichtungen der Thierwelt erkennen lässt.
Die Reptilien, die bis zum Schluss der Kreide-Epoche an Mannigfaltigkeit
der Formen und an Körpergrösse die unbestrittene Hegemonie behaupten, stehen
in relativer Grösse und besonderer Ausbildung des Gehirns den Säugethieren
nach, die erst später vereinzelt auf dem geologischen Schauplatz hervortreten und
— soviel bis jetzt bekannt — erst mit Beginn der Tertiär-Epoche — als Nach-
folger der Reptilien die Hegemonie antreten.
Auch unter den Säugethieren giebt sich ein ähnliches Verhältniss kund. Die
Beutel thiere fMarsußia/ia, Didelphen), die in spärlichen Resten kleinerer Arten
schon für die Zeit der Ablagerung des Keuper- oder Lias-Bonebeds und die
ganze jurassische Epoche nachgewiesen sind, stellen noch in ihren heute leben-
den Gattungen und Arten eine Abtheilung mit unvollkommenerer Ausbildung des
Gehirns dar, als die placentalen Säugethiere oder Monodelphen, die vom Beginn
der Tertiär-Epoche an nach Formen-Mannigfaltigkeit und Körpergrösse die Haupt-
rolle spielen. Erst spät — zu Anfang der pleistocäiien Epoche oder bald darnach
— folgt in Europa und zwar vermuthlich als Einwandrer aus Asien oder Afrika
der Mensch mit der höchsten Ausbildung (Verschiedentlichung und Vervoll-
kommnung) des Gehirns und des auf dieses gegründeten Geisteslebens.
Während so die übereinander abgelagerten fossilführenden Schichten der
geologischen Formationen uns stufenweise die Aufeinanderfolge zusammenge-
setzterer, höher organisirter Lebewesen des Pflanzen- und Thierreichs erkennen
lassen, sind wir berechtigt, in ihnen auch die successiven Stufen der Entwicklung
des organischen Lebens unter steter Continuität der materiellen Grundlage an-
zunehmen. Die Palaeontologie würde dann, wenn ihr Archiv vollständig wäre,
den Stammbaum der organischen Formen des Lebens in allen seinen Ver-
zweigungen ergeben. Ihr Archiv ist aber keineswegs vollständig und wird es
auch nie werden. Es lässt uns namentlich über den ersten Ursprung des orga-
nischen Lebens im Dunkeln und wir können dies nur durch die Annahme er-
gänzen, dass die ursprünglichsten Formen des Lebens weiche, leicht zersetzbarc
und zu fossiler Erhaltung nicht geeignete, zudem mikroskopisch kleine Organismen
waren. Aber auch auf dem günstigsten Felde geologischer Erhaltung lässt unser
Archiv die mannigfachsten Lücken bald in Bezug auf einzelne Organe urwelt-
licher Lebensformen, bald für ganze Gesellschaften von Pflanzen und Thieren, die
Allgemeine Einleitung in die Palaeontolngie. 9
unzweifelhaft die Erdoberfläche bewohnten, aber in den bis auf unsere Zeit erhal-
tenen Ablageningen nicht vertreten erscheinen.
Die Palaeontologie muss daher, um ihr Gebäude zu ergänzen, immer wieder
auf die Systematik und Entwicklungsgeschichte der lebenden Pflanzen- und Thier-
welt zurückgreifen und ist daher auch nicht im Stande sich jemals von Hypo-
thesen ganz unabhängig zu machen.
Ein anderes wichtiges Feld der Forschung eröffnet sich der Palaeontologie
mit der Einbeziehung der Pflanzen- und Thier-Geographie der heutigen Zeit
und der älteren geologischen Epochen einerseits, — des vielfach wiederholten
Wechsels der Gestaltung von Meer und Festiand und der gleichzeitigen fort-
schreitenden Abkühlung des Erdkörpers andrerseits.
Die Geologie zeigt uns, wie im Laufe der geologischen Epochen Meeres-
gebiet und Festland häufig gewechselt hat, bald in sanften und häufigen Oscilla-
tionen, deren Betrag wir zuweilen örtlich noch zu ermitteln im Stande sind, bald
in heftigen Gegensätzen, deren näheren Verlauf wir überhaupt noch nicht er-
messen können.
Meerische Tiefseebildungen, wie der Dachsteinkalk der Alpen, stellen jetzt
steile Rücken und Gipfel des Hochgebirges dar. Andrerseits ziehen sich an der
Küste von England und Frankreich Morastbildungen mit Wurzelstöcken von
Waldbäumen — das Forest-Bed der Engländer mit den sogen, untermeerischen
Waldungen — weit unter dem heutigen Spiegel der Nordsee hinab und das Netz
des Fischers bringt daraus nicht selten Schädel und Gebeine des Ur und seiner
Zeitgenossen vom Meeresboden herauf.
So hat Meer und Festland mannigfach im Laufe der geologischen Epochen
um den bleibenden Meeresspiegel geschwankt und die heutige Continental-
Gestaltung ist nur die Summe einer grossen Reihe von Umgestaltungen, deren
Einzelheiten erst wenig ermittelt sind und die noch lange die Forscher beschäftigen
werden.
Hebungen und Senkungen des scheinbar festen und unerschütterlichen Erd-
bodens sind noch jetzt dem Meeresstrand entlang an zahlreichen Stellen in all-
mählichem Verlaufe zu beobachten und haben offenbar von jeher auf Erden
gewechselt. Sie haben ihren Einfluss auf die Pflanzen- und Thierwelt von Festland
und Meer in mannigfacher Weise geäussert und die Untersuchung dieser Verläufe
fällt theilweise in das Gebiet der Palaeontologie.
Es ist dabei als sicher zu nehmen, dass während aller Hebungen und
Senkungen, welche der starre Felsboden erlitt, der Ocean seinen in geringen
Maassen fortwährend schwankenden, im grossen Durchschnitt aber in gleicher
Höhe verharrenden Spiegel fortbehauptete und dass sein heutiger Stand einen
festen Pegel für Abmessung aller der Schwankungen abgiebt, die auf dem Meeres-
boden und auf dem Festland vor sich gingen. So ist für den Geologen das
Meer eine feste unveränderliche Schicht, der starre Felsboden des Festlandes
aber ein bewegliches Element, das in allmählichem Verlaufe und fiir die Dauer
vieler Jahrtausende bald auf, bald ab steigt.
Mächtige Schichtenfolgen von Kalkstein, Mergel, Schieferthon und Sandstein,
welche hohe Gebirge zusammensetzen, in den Alpen 8000 und 10 000 Fuss
Meereshöhe erreichen, im Himalaya noch höher ansteigen, verkünden durch ihre
Einschlüsse von Ueberresten ehemaliger Meeresbewohner und namentlich Meeres-
Conchylien — die Ablagenmg aus früheren Meeresbecken und die nachmalige
Emportreibung des Meeresbodens zu hohen Gebirgsmassen — wahrscheinlich in
lo Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
P'olge der allmählichen Abkühlung und Zusammenziehung der Erdrinde, die sich
besonders in Falten-Aufwürfen, aber auch wohl in Einsenkung langer und breiter
Prismen des Erdkörpers äusserte.
Im Hügellande sind diese Anzeichen mannigfachen Wechsels von Unter-
tauchung einer und derselben Gegend unter den Meeresspiegel und nachmaliger
Emi)orhebung üb6r dessen Niveau noch viel reichlicher und Wechsellagerungen
von Meeresabsätzen mit Schichten, die in Morästen und Süsswassersee'n des
Festlandgebiets entstanden, eine allgemein verbreitete Erscheinung.
Mit dem Verfolgen der über einander gelagerten — bald aus dem Meer,
bald auf continentalem Boden abgesetzten — Schichten des heutigen Festland-
gebiets sehen wir sowohl in Meeres- als in Süsswasser-Absätzen ältere Pflanzen-
und Thierarten verschwinden, neue Arten auftreten, bald vereinzelt, bald in grossen
Gesellschaften. Dabei nähert sich mehr und mehr der Charakter der Pflanzcn-
und Thierwelt jener des heutigen Tages und von einer gewissen Grenze an
erscheinen auf europäischem — in ähnlicher Weise auf amerikanischem — Boden
auch die Säugethierarten des Festlandes, die das betreffende Continental-Gebiet
noch heute bewohnen.
Offenbar sind diese in einer neuen Bodenablagerung zum ersten Mal im
geologischen Archiv auftauchenden Ankömmlinge keine neuen Erzeugnisse aus
unbelebter Materie, keine neu erschaffenen Wesen — sondern eher Einwanderer
aus anderen Gegenden der Erdoberfläche, in denen sie sich aus anderen aber nahe
verwandten Arten hervorbildeten. Und vielfach mögen sie aus alten Festland-
gebieten stammen, die seither wieder unter den Meeresspiegel eingesunken sind.
Mit dem Wechsel in der Vertheilung von Festland und Meer, der allmählichen
Abkühlung der Erdrinde und der entsprechenden Verschiedentlichung der ört-
lichen Klimate hpt also auch ein mannigfacher Wechsel in der Pflanzen- und
Thierbevölkerung stattgefunden und es erwächst damit für die Palaeontologie die
schwierige Aufgabe, zu unterscheiden, welcher Betrag in der Aenderung der
Lebewelt auf Rechnung der äusseren Einflüsse innerhalb eines gegebenen Gebiets
zu setzen ist und was davon auf Einwanderung einer fremden Flora und Fauna
auf neu eröffneten Verbindungswegen — z. B. neu aufgetauchten Isthmen —
beruhen mag.
Australien bietet ein Beispiel des ersteren Falles. Dieser Continent ist seit
langer Zeit — vielleicht seit der Jura-, vielleicht seit der Kreide-Epoche — von
allen andern Festländern getrennt geblieben. Seine Säugethier-Fauna besteht —
ausser zugeflogenen Chiropteren — nur aus weiter fortgebildeten Abkömmlingen
einer Beuteltliier-Fauna, die in der Jura-Epoche Europa und Nord-Amerika, viel-
leicht überhaupt alle Continente jenes Zeitalters bevölkerte.
Mit dem Wechsel der Gestaltung von Festland und Meer, hat aber gleich-
zeitig in anderen Fesdand- und Inselgebieten auch das Verbreitungsgebiet der
Pflan/en- und Thierwelt sich zu wiederholten Malen geändert und jede solche
Verandening machte sich auch zugleich in Eröffnung neuer Einwanderungen und in
mehr inicr minder tief eingreifender Umgestaltung der Lebensbedingungen geltend.
Festländer wurden durch Senkungen in Inselgebiete getrennt, Inselgebiete
dunli spätere Hebungen wieder mit anderen Festlandgebieten zusammengefügt.
1 >amit war der Ansti)ss /u mancherlei Wanderungen und weiteren Umgestaltungen
der Laiuhhiortamwi gegeben.
In grossem Mnssstnbe tritt dies namentlich in der I.and-Fauna von Amerika
hervor.
Allgemeine Einleitung in die Palaeontologie. II
Nord- Amerika zeigt von der älteren Tertiär-Epoche aneineLandthierbevölkening
von einem cirkumpolaren Charakter, der einen damaligen Festlandverband von
Europa, Asien und Nord-Amerika verkündet. So erscheinen schon in den älteren
oder eocänen Tertiärschichten von Nord-Amerika Hufthiere, Raubthiere u. s. w.
die denen der gleichzeitigen Tertiärbevölkerung von Europa sehr nahe stehen,
z. Th. dieselben Gattungen erkennen lassen.
Noch ausgeprägter tritt dies Verhältniss in der späteren Zeit der Vereisung
des Nordpolargebietes hervor. Ein oft genanntes Beispiel ist der Fund des
amerikanischen Moschusochsen, musc-ox (Bos moschatus Lin.) auf dem Kreuzberg
bei Berlin, dem seither andere Funde derselben Art bei London und in Frank-
reich folgten. Der musc-ox bewohnt heute nur noch den äussersten Norden von
Nord-Amerika, so weit überhaupt nur die Vegetation noch Nahrung für Heerden
grosser Vierfüsser bietet.
Aber in beiläufig derselben Epoche tritt eine ganz anders geartete Landthier-
bevölkerung, in welcher Eden taten, reich an Gattungen, Arten und Individuen
vertreten sind, in Süd-Amerika in den Vordergrund und ihre Abkömmlinge sind
noch heute bezeichnend für die Lebewelt dieses Gebietes. Sie erfüllen nament-
lich in reichlicher Menge die sogen. Pampas-Thone von Buenos Ayres und
Paraguay.
Man hat darnach angenommen, zweierlei Thierbevölkerungen, die eine von
arktischer und die andere von antarktischer Herkunft sandten in Amerika damals
weithin ihre Ausläufer vor. Sie traten in Berührung, schoben einander ihren
Vortrab entgegen. Riesige Edentaten, — wie Megatherium und Mylodon —
wanderten aus dem antarktischen Gebiet bis Mexiko und ins südliche Unions-
gebiec ein. Mastodonten der europäisch-asiatischen Fauna drangen gleichzeitig
aus dem Norden bis in die Anden und in die Pampas-Ebene von Süd-
Amerika vor.
Seitdem sind viele der aus den entgegengesetzten Polar-Regionen vor-
geschobenen Einwanderer wieder erloschen, aber noch behauptet sich ein nam-
hafter Rest der beiden Faunen im ehemaligen Gebiete der Mischung und Durch-
dringung arktischer und antarktischer Abkömmlinge. Noch erkennt man in der
heutigen Fauna Süd-Amerika's Abkömmlinge der Einwanderung aus der alten
Welt und vielleicht auch in den südlichen Unionsstaaten und in Mexiko ver-
einzelte Nachkommen antarktischer Einwanderung.
So stand die Deutung noch vor wenigen Jahren. Seitdem haben die Ent-
deckungen der amerikanischen Geologen in den Tertiärschichten beiderseits der
Rocky Mountains zu ganz anderen Annahmen geführt. Marsh lernt uns aus
den mittleren Tertiärschichten des Westens neue Edentaten-Gattungen, die
Moropiden, kennen und leitet von ihnen die späteren z. Th. riesenhaften Eden-
taten des Unionsgebiets und Süd-Amerika's ab.
Damit ist eine neue und ganz andere Grundlage zur Erklärung des Sachver-
halts gegeben. Das nordamerikanische Festlandgebiet erscheint jetzt als der
Ausgangspunkt der Edentaten-Fauna, die man bis dahin als Einwanderer aus
einer unbekannten antarktischen Region ansah. Die heutigen Edentaten Süd-
Amerika's sind darnach Abkömmlinge von Einwanderern aus Nord-Amerika.
Aber noch ist die Frage nicht spruchreif. Zu ihrer schliesslichen Entscheidung
bedarf es noch besserer Kenntniss der fossilen Säugethier-Vorkommnisse in den
älteren und mittleren Tertiärschichten Süd-Amerika's — vor der Eröffnung der
Landbrücke von Panama, die gegen Ende der Pliocän-Epoche angenommen wird.
12 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Aus dem heute vollständig vereisten Festland des Südpols wird man wohl nie
dahin einschlägliche Aufschlüsse erhalten.
Mit der wechselnden Vertheilung von Festland und Meer im Laufe der un-
messbar langen Zeiträume , welche die verschiedenen übereinander gelagerten
Schichten der Gebirge mit ihren zahlreichen Einschlüssen vorweltlicher Meeres-,
Süsswasser- und Festlandbewohner verkünden, — aber mehr' ahnen als be-
rechnen lassen — lat auch eine allmähliche Abkühlung der Erdrinde und
schliesslich eine wachsende Verschiedentlichung der örtlichen Klimate statt-
gefunden. Die Abkühlung begann an den Polen und rückte von diesen aus den
äquatorialen Regionen näher. Diese Aenderung der Klimate in den höheren und
mittleren Breiten hat offenbar auf die Gestaltung der Pflanzen- und Thierwelt,
namentlich auf die der Flora und Fauna des Festlands einen tiefgehenden Ein-
fluss geäussert. Arktische und antarktische Pflanzen und Thiere folgten soweit als
die Bahn der Wanderung ihnen frei war, dem sich verschiebenden kühleren
Klima. Vor ihnen zog sich eine ältere Flora und Fauna näher dem Aequator
oder starb aus, wo ihr kein Ausweg gegeben war. Andere Floren und Faunen
wanderten ihnen nach. Um den Aequator aber sammelten sich die fortlebenden
Reste der verschiedenen Lebewelten höherer Breiten, wie auf gemeinsamer Zu-
fluchtsstätte.
Schon BuFFON lehrte in seinem Werke »Die Epochen der Natur« (1780) das
in früheren Epochen allgemeine Vorkommen einer üppigen tropischen Pflanzen-
und Thierbevölkerung in allen Theilen der Erdoberfläche und ihre nachmalige
Einengung durch die fortschreitende polare Abkühlung unseres Planeten. Die
einem heissen Klima entsprechenden Pflanzen- und Thierformen verloren sich zu-
erst in den Polargegenden. Etwas später noch lebten sie in mittleren Breiten
und sie erscheinen nunmehr bei dem gegenwärtig zonenweise abgestuften Klima
der Erdkugel auf die Aequatorial-Zone beschränkt. Diese Hypothese von
BuFFON ist durch den neueren Entwickelungsgang der Geologie und Palaeonto-
logie auf das Mannigfachste bestätigt worden. Es ist sicher, dass eine Menge
von Pflanzen- und Thierformen im Verlauf der polaren Erkaltung gegen den
Aequator hin vorgeschoben wurden und nur hier noch ihr Dasein fristen,
z. B. um einen der auffallendsten Fälle zu nennen, die beiden Tapir- Arten,
der des heissen Süd-Amerika und der von Sumatra und Malakka. Noch zu Ende
der Tertiärepoche bewohnte der Tapir das mittlere und südliche Europa und
die entsprechenden Breiten von Nord-Amerika. Es ist wenig gewagt, die Schluss-
folgerung anzufügen, dass der Tapir beiläufig gegen die Mitte der Tertiärepoche
ein Bewohner der arktischen Regionen gewesen sein muss und seither sowohl in
Amerika als in Asien gegen den Aequator zu wanderte.
Die Einzelheiten dieses sehr zusammengesetzten Vorgangs beschäftigen die
Geologen und Palaeontologen aller I Ander in unausgesetzter Weise. Die arktische
Seite liefert neuerdings reichliche Aufschlüsse. Die antarktische Flora und Fauna
bietet noch meist Räthsel und das Südpol-Gebiet wird wohl kaum je einen Ein-
blick gewähren. Nur allmählich und unter zunehmender Verknüpfung vereinzel-
ter Ermittelungen rückt die Wissenschaft der Lösung der vielen Räthsel näher,
welche der Wechsel von Festland und Meer, die Veränderung der Klimate, die
Ausbildung und mannigfache Wandenmg der Festlandbevölkerung noch darbieten.
Neue Funde werfen ihr Licht auf ganze Reihen bereits bekannter, aber erbt
dürftig verknüpfter Thatsachen und das letzte entscheidende Wort wird gleichwohl
wieder auf fernere Zeiten, künftige Funde und festere Deutung hinausgeschoben.
Allgemeine Einleitung in die Palaeontologie. 13
Zu ihrem letzten und alle Räthsel umfassenden Schluss aber wird die Geologie
und Palaeontologie allein darum schon nicht kommen, weil drei Viertel des Schau-
platzes der vorM'eltlichen Begebenheiten das unerbittliche Meer überdeckt und
der geologischen Forschung vorenthält.
DaJfür eröffnen sich gelegentlich neue erfolgreiche Bahnen der Forschung
und werfen ihr Licht in einer zuvor ungeahnten Weise auf neue Gebiete der
Wissenschaft.
In den letzten Jahrzehnten hat namentlich die Untersuchung der Tiefsee-
Bildungen und die Ermittelung ihrer Entstehung aus theils schwimmenden, theils
im tiefen Meeresgrunde lebenden Organismen unerwartet reiche Ergebnisse ge-
liefert und der Einfluss dieser neuen Aufschlüsse auf die Umgestaltung der
Geologie und Palaeontologie ist noch nicht ganz abzusehen.
Um das Jahr 1868 beschrieb Huxley seinen Bathybius als eine die Tiefen
aller Oceane zu drei Viertel der Erdoberfläche umspannende teppichartig ver-
filzte Anhäufung von nieder organisirten schleimigen hüllenlosen Lebewesen.
Von ihm gingen fortwährend neue Kalkbildungen aus, welche mächtige Lager
von kalkigem Schlamm auf dem Meeresboden erzeugen. Der Batlvybius lagerte
auch schon in den älteren geologischen Formationen ausgedehnte Kalkbildungen
ab, wie namentlich den Dachsteinkalk der Alpen und die weisse Kreide. Von
ihm schien überhaupt der grösste Theil aller Meereskalk -Gebilde sämmtlicher
geologischer Epochen ausgegangen zu sein.
Aber schon 1875 ist mit der Weltumseglung des »Challenger« der unge-
lieuerliche Meeresbewohner- und Kalklager-Erzeuger Bathybius wieder von der
Tagesordnung der Wissenschaft verschwunden. Der Bathybius existirt nicht in
jener Gestalt. Dafür ergab sich mit besserer Beobachtung der Vorgänge in
scheinbar unergründlicher Meerestiefe der Oceane ein fortwährender und unaus-
gesetzter »Regen« (sit venia verbo) — ein beständiges Niedersinken fester und
schleimiger organischer Stoffe, namentlich kalkiger Theile, von theils pflanzlicher
theils thierischer Abkunft. Dieser erzeugt auf \ des Erdumfangs den kalkigen
Tiefseeschlamm voll mikroskopischer Reste. Er hat auch den Dachsteinkalk
und die weisse Kreide und viele andere Kalklager älterer Epochen abgesetzt.
Und mit ihm ergiebt sich eine Continuität der oceanischen Schichtenablagerung,
von der man früher keine Ahnung hatte. Viele Theile des Oceans scheinen jetzt
— einmal gebildet — für immer Ocean geblieben zu sein. Zum Neuesten gehört
namentlich die Entdeckung, dass die feinsten geformten Bestandtheile, die Kok-
kolithen des Tiefseeschlamms (Ehrenbergs Kry stall oi de der weissen Kreide)
kalkige Abscheidungen aus Meeres- Algen sind. Dadurch sind die Meeres-Algen,
denen man bisher diese Rolle anzuweisen keinen Anlass gehabt hatte, mit einem
Male in die Reihe der am ausgedehntesten wirkenden Agentien der Bodenbildung
getreten und wirken in dieser Weise über \ der oceanischen Erdoberfläche un-
unterbrochen fort.
Mit dieser Continuität durch vielleicht alle geologischen Epochen — mindestens
vom Dachsteinkalk an — ergab sich ferner die Fortdauer jurassischer und creta-
ceischer Typen, die man als längst erloschen betrachtete, in den kalten finsteren
Regionen von 10000—15000 Fuss Meerestiefe. Was man aus der Kreide-Formation
in unseren Gebirgen fossil in grosser Häufigkeit kannte und nach unvollständiger
Kenntniss des Meeresgrundes längst ausgestorben wähnte, taucht mit der Sonde
des Seefahrers plötzlich und in wenig veränderter Gestalt als lebendes Wesen
wieder auf. So die erloschen geglaubten Ananchytiden der Kreide-Epoche in
14 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
wenig veränderten Abkömmlingen, welche die bisher der Forschung unzugänglich
gewesenen Tiefen des Oceans bewohnen und jetzt einen neuen Faden der Conti-
nuität des organischen Lebens ergeben.
Dazu kommen selbst specifische Identitäten. Eine Anzahl Organismen aus
grösseren Meerestiefen sind entschieden dieselben Arten, .die man aus älteren
geologischen Formationen bereits fossil kannte. So leben in den oceanischen Tiefen
noch Arten von Foraminiferen, die schon in der Kreideformation fossil auftreten,
Arten von Sternkorallen und Schnecken, die man bis dahin nur aus Tertiär-Ab-
lagerungen kannte.
Der Einfluss dieser ganz neuen Entdeckungen auf die demnächstige Umge-
staltung der Geologie und Palaeontologie ist zur Zeit noch nicht nach seinem
vollen Betrage abzusehen. Mit der wachsenden Kenntniss der mannigfachen Vor-
gänge in den heutigen • grössten Meerestiefen wird sich auch wieder das Be-
dürfniss einer entsprechenden Umgestaltung in den anstossenden Fächern der Geo-
logie und Palaeontologie herausstellen — und mancher alte Plunder, der längst
das Heimathrecht erworben zu haben schien, wieder ausgeräumt, manche bisher
unangefochtene Anschauungsweise geändert werden müssen.
Amphibien
von
Dr. Friedrich Rolle.
Die Amphibien oder Lurche und die Reptilien oder Schleicher,
zusammen Linn£s Klasse Amphibia darstellend, begreifen zwei in manchen
Charakteren nahe verwandte, aber in anderen, namentlich anatomischen und phy-
siologischen (embryologischen) Charakteren weit auseinander gehende Klassen,
von denen die Lurche sich noch nahe an die Lurchfische oder Doppelathmer
(Dipneusta) und durch diese in entfernterer Linie an die Fische, nämlich an die
Selachier anknüpfen. Die Reptilien stehen nach ihrer Organisation im ausge-
reiften Zustande und nach ihrer Entwicklungsgeschichte schon um eine beträcht-
liche Stufe höher, knüpfen nicht an die Fische, sondern eher an die fischförmigen
Amphibien an und sind andrerseits besonders den Vögeln verwandt, kommen in
einzelnen Stücken auch den Säugethieren schon etwas nahe. Jedenfalls stellen
sie eine höhere Form mit ausgesprochnerem Land- und Luftleben dar, gleichviel,
ob man eine oder zwei Klassen annimmt.
Die geologische Geschichte beider Klassen zeigt, dass beide auch schon in
sehr früher Zeit aus einander gingen und in wohl geschiedenen Formenreihen
durch die verschiedenen geologischen Epochen nebeneinander verliefen. Diese
fossilen Vertreter lassen sich auch meistens mit grosser Bestimmtheit einer der
beiden Klassen zuweisen. Nur die der Abzweigung der älteren Reptilien aus
den dem Amphibien-Stamm angehörigen Formen können noch Zweifel zulassen,
welclier Seite man sie zuzutheilen habe, wie dies auch sonst in der Lebewelt bei
vermittelnden (vliedem au.seinander gehender Abtheihmgen vorkommt
Das Haupt-Kriterium in diesem Gebiet ist die Athmung und zwar sowohl
bei jüngeren Kntwickelungsstufen als bei erwachsenen Thieren. Die echten
Fische athmen zeitlebens nur durch Kiemen, sie entwickeln ihre Schwimmblase
noch nicht zum Organ der Luftathmung. Zeitlebens durch Kiemen und durch
Lungen zugleich — d. h. je nach dem Aufenthalt abwechselnd — athmen die
Amphibien. 1 5
Lurchfische oder Doppelathmer (Dipneusta) und die fischartigen Lurche {Amphibia
khthyoidea) wie der Proteus oder Hypochthon der Krainer Höhlen. Andere Am-
phibien athmen in der Jugend — in dem mehr oder minder lang dauernden
Larvenzustand — noch durch Kiemen, verlieren sie aber später mehr oder
minder und athmen dann nur noch durch Lungen. So die Tritonen, Salamander,
Frösche und Kröten, wahrscheinlich auch die Cäcilien. Dagegen sind alle Rep-
tilien von ihrer Geburt an bereits echte I^ungenathmer.
Wäre der Unterschied zwischen Amphibien und Reptilien auf die verschiedene
Athmungsweise begrenzt geblieben, so würde es mit der Eintheilung der fossilen
Reste aus beiden Klassen misslich stehen, denn weder Kiemen noch Lungen
sind fossiler Erhaltimg fähig und nur ausnahmsweise — bei Archegosaurus —
sind verknöcherte Kiemenbogen erhalten. Aber mit der Ablösung der Kiemen-
durch Lungen-Athmung und dem entschiedenen Eintritt in das Land- und Luft-
leben stellen sich noch mannigfache andre Kriterien in den festen zu fossiler Er-
haltung geeigneten Körpertheilen ein, welche bald hier bald da zur Entscheidung
führen. In den Vordergrund tritt hier die Art der Gelenkverbindung zwischen
Hinterhauptsbein (os occipitale) und vorderstem Halswirbel (Atlas), Die Reptilien
haben hier nur einen Gelenkknopf. Bei den Amphibien trägt dagegen das
Hinterhaupt zwei solche Kugelgelenke (condyli occipitales). Dieser Unterschied
entscheidet bei fossilen Resten in vielen sonst mehr oder minder zweifelhaften
Fällen. Auch hier bleibt eine Lücke. Bei gewissen Fossilien, wie bei Archego-
saurus lässt sich überhaupt keine Gelenkverbindung zwischen Schädel und
Wirbelsäule erkennen. Der äusserste Theil des Hinterhaupts ist bei dieser
Gattung gar nicht erhalten und war bei Lebzeiten des Thieres vermuthlich knorpelig
und weich. Aber gerade hier gewährt die Erhaltung verknöcherter Kiemenbogen
jene Auskunft, die der knorpelig verbliebene Theil des Hinterhaupts vermissen
lässt. Wir können daraus schliessen, dass eben diese im permischen System
fossil auftretende Form, die Goldfuss 1847 Archegosaurus y das ist »Stammvater
der Saurier« nannte, ein Amphibium mit beginnender Verknöcherung des Skeletts
war, das in der Jugend nur durch Kiemen athmete und später — zu theilweiser
oder ausschliesslicher — Lungenathmung überging und die Vermuthung daran
knüpfen, dass von ähnlichen anderen Amphibien älterer Epoche mit knorpelig-
weichem Hinterhaupt die ersten Reptilien sich abzweigten.
In der heutigen Lebewelt gehören zu den Amphibien die schon gedachten
Kiemenmolche oder Ichthyoden, die Tritonen, Salamander, Frösche
und Kröten, femer die weit von vorigen abstehenden Cäcilien, die man lange
den Schlangen zuzutheilen pflegte.
Aus älteren Epochen kommen dazu noch die Ganocephalen oder
Schmelzköpfe mit Archegosaurus und andern Gattungen und die Labyrintho-
donten oder Wickelzähner, mit Mastodonsaurus u. s. w.
Mit ihrer Einbeziehung in das System der Amphibien wird auch die im
System der lebenden Fauna sehr vereinsamte Stellung der Cäcilien einiger-
maassen ausgeglichen und erläutert.
Wir unterscheiden darnach — mit E. Häckel — folgende theils lebend theils
fossil vertretene Ordnungen und Familien der Amphibien.
L NackteAmphibien, Lissamphibia, mit nackter glatter schlüpfriger Haut.
Es sind die Batrachier im weitern Sinne des Worts (vom griechischen batrachos
Frosch, batracheios frosch artig.)
Dahin gehören
ify Mmeralo^e, Geologie und Palaeontologie.
I. Die Ichthyodcn, Fischmolche oder Kiemenmolche, Amphibia soto-
branchia oder Ichthyoidea^ u. a., der Proteus der Krainer Höhlen, der
Axolotl von Mexiko u. s. w.
a. Die Tritonen und Salamander, Amphibia sozura,
Sic werden mit vorigen auch als geschwänzte Batrachier, Molche,
Amphibia caudata zusammengefasst, eine Bezeichnung, die insofern in der Palaeon-
tologie ihre (»eltung behauptet, als man bei fossilen Formen wohl die Schwanz-
biUhmg unterscheiden kann, aber über die Art der Athmungsorgane in der Regel
nichtM zu ermitteln vermag.
^. Die Frösche und Kröten, die Batrachier im engern Sinne des Worts,
Anura oder Amphibia ecaudata. Es sind die ungeschwänzten Formen, bei
denen der Schwanz mit der Reife des Thieres verkürnmert.
11. Ocpanzerte Amphibien. Phractamphibia oder Panzerlurche. Sie
weichen von vorigen mannigfach ab und sind ausgezeichnet durch die Bedeckung
(Ich KörpcrM mit harten Knochenplatten oder Schuppen.
Puhin gehören die Schmelzköpfe oder Ganocephalen, mit den Gattungen
Ar(hfi^osaun4$% Dtndrerpcton u. s. w., die man nur aus der carbonischen und der
prrniiM<'hcn Kpoche kennt, femer die nach Art der Panzer -Ganoiden und der
Krokodile mit kräftigen Knochentafeln bepanzerten Labyrinthodonten, die
mit SchluMH der Triasepoche vom Schauplatz abtreten und gleich den vorigen
rrloM'hcn nind.
Kndlich zählt man hierher auch die im System der Lebewelt seltsam ver-
rlii/rltcn Cäcilien mit cykloidischen Schuppen, denen der Fische ähnlich. Sie
Mind wahrscheinlich eine kümmerliche vereinsamte Nachkommenschaft der
< »uncMcplmlcn, aber es fehlt auch hier — wie so oft im Archiv der Palaeonto-
loutr noch die Kcnntniss der Mittelglieder durch eine lange Reihe von Forma-
lionrn.
Reich an denkwürdigen Aufschlüssen, wie auch an brennenden Räthseln ver-
llttilt «Uc Formenreihe der Amphibien von der Steinkohlen-Epoche bis in die
|rl/twrlt. Aber Funde im jurassischen und im cretaceischen System gehen uns
$\\\ Zeit noch ganz ab, was mit der Seltenheil von Süsswassergebilden in dem-
orllicn /uMnmmenhängt.
Kbcnso lehlt es an positiven Autschlüssen über die erste Abkunft der Am-
iihlbicn. Pan/crhnrho erscheinen bereits wohl ausgebildet in der Steinkohlen-
litiination, nackte Molche auch im Rothliegenden. Aber das devonische wie das
Mthntst hc System lassen deren ältere Vorläufer noch vermissen.
l'\ kann damals wt>hl Amphibien im süssen Wasser, in Sümpfen und See-
Mi i und 1 aguncu M*hon gegeben haben, hcr\orgegangen aus Meeresbewohnem,
dir un»» Festland stiegen, hier eine neue Lebensweise antraten imd der Luft
ril Innung Mih anpasstcn, .\ber \on diesen ältesten Amphibien sind keine Ueber-
lililbüil IosmI oiholtou, was nicht aufteilen kann, wenn man in Rechnung bringt.
ilitüM dus Mlunstho Sxstcm tust gar keine, das de\onische S\*sicm nur wenige
Abl»»H''^*''^M**'^ *^*'' liuul- und susswavserl>ewohnenden Pflanzen- und Thierformen
I iliitnnon Ut«st
\x\\\\ tMmt»«mis»l\en und ph\MoK\i;»vc*^en Gründen ist anzunehmen, dass die
\ui|»lül»hMi «»uh |iMli*hlrtlW ent\\\^lci \on Fischen SeUchiem'^ oder von Lurch-
hmltin , /^/^•*»«»»Af luMliMton HuMubcr wud .tinh u"ohl kaum jemals etwas
N(4li» Uü »MUÜ((l*U Nsvidvn
Amphibien. 1 7
Wir beginnen mit den nackten Amphibien, Lissamphibia. Sie sind mit
nackter schlüpfriger Haut bedeckt, ohne Schuppen und ohne Knochenpanzer.
Alle, sowohl die geschwänzten als die ungeschwänzten lebenden Arten sind
Land- und Süsswasserbewohner. Kein Amphibium bewohnt das Meer und dies
scheint auch auf sämmtliche fossil gefundenen Formen sich ausgedehnt zu haben,
soweit die bisherigen Funde darüber urth eilen lassen. Namentlich sind in der
Steinkohlenepoche die Amphibien schon Süsswasser- und Landbewohner.
Wir unterschieden bereits oben geschwänzte Batrachier mit bleibenden
äusseren Kiemen, geschwänzte mit mehr oder weniger weit gehender Ver-
kümmerung der Kiemen, endlich ungeschwänzte Batrachier mit vorwiegender
Lungenathmung.
Diese Stufen bilden eine noch sehr nahe zusammenhängende Reihenfolge
mit manchen Mittelformen, ja mit individuellen Sprüngen aus dem einen in den
anderen Rahmen, die sehr überraschender Art sind. Die terminale Stufe ergiebt
sich mit den Anuren oder ungeschwänzten Batrachiern, den Fröschen und Kröten,
und diese wiederholen in ihrer individuellen Entwicklungsgeschichte die Organi-
sationshöhen der niedriger stehenden Abtheilungen in mehr oder minder zutreffen-
der Parallele.
Wir müssen hier einen Blick auf den Entwicklungsgang der Frösche werfen,
da er für die geologische Geschichte der Lissamphibien von entscheidender Be-
deutung ist.
Die Froschlarve zeigt in einer ihrer frühen Ausbildungsstufen — schon
wenige Tage nach der Befruchtung des Eies — Kopf und Rumpf in Form eines
gedrungenen Kopf-Rumpfs und dieser verläuft nach hinten in einen langen seit-
lich zusammengedrückten Ruderschwanz mit zwei senkrechten unpaaren, oben
und unten fast gleichen Haut-Flossen, gleichsam einer zusammenhängenden
Rücken-, Schwanz- und Afterflosse. Gliedmaassen fehlen noch. In dieser Stufe
wiederholt die Froschlarve in unverkennbarer Weise die Körpergestalt und den
Organisations-Typus eines Knorpelfisches der niedersten Ausbildung, aber auch
die Form der Embryonen der höheren Fische, noch mehr die der Ichthyoden-
Larve. In einer zweiten Stufe sprossen beiderseits in der Halsgegend freie ver-
zweigte Kiemen hervor, verschwinden aber bald wieder. In dieser zweiten Stufe
erinnert die Froschlarve an Doppelathmer (Protopterus) und an Ichthyoden (Proteus^
Sinn u. s. w.) — noch mehr wohl an deren Larven. Während des Verschwindens
der äusseren Kiemen entwickelt sich ein System von inneren Kiemen. In der
nächsten Stufe athmet die Froschlarve durch innere Kiemen und entwickelt Hinter-
gliedmaassen. In der vierten Stufe treten auch Vordergliedmaassen hinzu. Nun
hat die Larve eine an Tritonen erinnernde Körpergestalt. Der Schwanz erhält
sich dabei noch längere Zeit als Ruderorgan.
Die fünfte Stufe ist durch die allmähliche Verkürzung des Schwanzes be-
zeichnet. Das Thier verlässt nun mit vier Beinen und einem kurzen Schwanz-
Stummel das Wasser und hüpft auf dem Lande umher, um zur Insekten-Jagd
überzugehen. Bald darnach schwindet der Schwanz — in Folge von Verabsäumung
des Gebrauchs vollständig. Damit ist die ausgebildete Froschform erreicht.
Diese Entwicklungs-Phasen der Frösche mit unverkennbaren Anklängen an
Gestalt und Organisation der Fische, dann der Ichthyoden, dann der Tritonen
und mit schliesslicher Ausbildung der ausgereiften Frosch-Form erläutert die
geologische Geschichte und in entfernterer Linie auch die hypothetische Ab-
stammung der Klasse der Amphibien. Die Ichthyoden- und Tritonen-Gestalt er-
KcNNGOTT, Min., Geol. u. Pal. 1. 2
l8 Mineralogie. Gcolojjie und Palaeontologie.
scheint fossil schon im Rothliegenden (permisches System) vertreten, die Frosch-
gestalt kennen wir in fossilen Resten erst aus tertiären Ablagerungen.
Aehnliche Entwicklungsreihen ergiebt die Gestaltung des Embryos der
lebendig gebärenden Salamander. Die I^arve behält hier ihre frei hervortretenden
verzweigten Kiemen bis zur Geburt und geht dann in raschem Sprung zur Luft-
athmung über. Wir müssen uns mit dieser kurzen Andeutung begnügen.
Wir gehen zu den Kiemenmolchen oder Ich t hy öden, Amphibia ichihyol-
dea über. Es sind geschwänzte Batrachier, die während des ganzen reifen Alters-
zustandes durch Kiemen und Lungen athmen. Die meisten von den wenigen
lebenden Gattungen dieser Abtheilung besitzen äussere Kiemen — die an beiden
Seiten des Halses dicht hinter dem Kopfe als verästelte Büschel frei hervor-
hängen. Die meisten behalten diese freien Kiemen auch zeitlebens. Diese
Thiere leben fast stets im Wasser und athmen fast nur durch die Kiemen, sie
haben nicht nöthig an die Oberfläche des Wassers zu kommen, um Luft zu
schöpfen. Sie gehen nur spärlich auf das feste Land, ihre Lungen bleiben klein
und werden nur wenig benutzt. Bei allen sind die Wirbelkörper biconcav, wie
bei den Fischen, aber die Gelenkfortsätze des Hinterhaupts schon doppelt, wie
bei allen Amphibien. Das Hinterhauptsbein besteht nur aus zwei in Ringforni
das Hinterhauptsloch umfassenden gepaarten Knochen (ossa occipitaiia lateralla).
von denen jeder nach hinten in einen Condylus ausgeht.
Durch die zeitlebens bleibenden frei hervorragenden Kiemen bezeichnet ist
die Familie Sirenidae.
Hierher gehören:
Siren iacerüna Lin. in Sümpfen von Carolina.
Dann der Proteus oder Olm, Hypochthon anguineus Laur. der Kraincr
Kalksteinhöhlen (Adelsberger Grotte).
Femer der Axolotl, Siredon pisciformis der See'n von Mexiko.
Von diesen Sireniden ist noch kein fossiler Vertreter bekannt geworden, aber
es ist gleichwohl zu vermuthen, dass sie in älteren Epochen in zahlreichen Arten
und Gattungen die süssen Gewässer der Continente bewohnten. Ob von den
fossilen Molchen einer oder der andere hierher gehört, ist noch nicht abzu-
machen.
Aber auch davon abgesehen sind die Sireniden von grossem Interesse fiir
geologische Entwicklungsgeschichte, namentlich da von einer der oben auf*xe-
führten Arten, dem Axolotl, ein seltsames individuelles Hervorspringen aus dem
Rahmen seiner Familie bekannt geworden ist.
Der Axolotl, Siredon pisciformis bewohnt See'n und Sümpfe im höheren
Theile von Mexiko und erreicht 30 — 40 Centim. Länge.
Die gewöhnliche Form des Axolotl verbleibt im Wasser, behält zeitlebens
ihre freien äusseren Kiemen und pflanzt sich in dieser Gestalt auch fort, wie ein
echter Ichthyode.
Aber im Jardin des plantes zu Paris ergab es sich, dass einzelne Thiere auf
das Land stiegen und ihre freien Kiemen verloren, um zur Lungenathmung über-
zugehen. Sie traten damit in die Stufe der Tritonen und Salamander.
Hier überspringen also einzelne Individuen einer Art unerwarteter Weise den
Rahmen der Familie, den die übrigen einhalten.
Dieser Vorgang ist von grossem Interesse fiir Begründung der Abstammung^•
lehre und Erläuterung der geologischen Geschichte der Lebcwelt älterer Perioden.
Er ist gewiss auch in älteren Epochen in ähnlicher Weise oft eingetreten.
Amphibien. 19
Bei der Familie Amphiumidae verlieren sich die jederseits des Halses frei
heraushängenden Kiemen regelmässig mit dem Alter, es bleibt aber ein deutliches
Kiemenloch (orificium branchiaie) zu jeder Seite des Halses offen.
Hierher gehören:
Amphiuma iridcutylumy der Aalmolch in Sümpfen und stehenden Gewässern
des südlichen Theils von Nord-Amerika.
Salamandrops alUghaniensts (Menopoma giganteum) in Sümpfen und See'n
von Nord-Amerika, besonders am Alleghany-Gebirge.
Von den Amphiumiden gilt flir das fossile Vorkommen, was von den Sire-
niden gesagt ist.
An die Amphiumiden schliesst sich eine wieder um eine neue Stufe vorge-
rückte Form an, der sogenannte japanische Riesensalamander, Cryptohranchus
japonkus van der Hoeven, die grösste aller lebenden Ichthyoden-Arten. Diese
hat bei ansehnlicher Grösse noch eine offene Kiemenspalte beiderseits des Halses,
die sich aber mit dem höheren Alter verliert.
Wir können nun zu den fossilen Funden von Molchen übergehen.
Aus dem bituminösen Schiefer des mittleren Rothliegenden vom Münsterappel
bei Kreuznach (zusammen mit Falaeoniscus Duvernoy Ag.) kennt man ein kleines
kurzgeschwänztes molchartiges Thier, 3^ Centim. lang, Apatcon pedestris Meyer.
Es gewährt wenig Aufschluss, gehört aber gewiss den geschwänzten Batrachiern
an. Vielleicht war es ein Ichthyode, aber von seinem Athmungssystem ist nichts
zu entnehmen.
Frotriton aus dem bituminösen Schiefer des Rothliegenden von Autun ist ein
nacktes molchartiges Thier, kurz geschwänzt, mit unvollkommen verknöchertem
Skelett und langen vierzehigen Beinen.
Vom Rothliegenden an ist im geologischen Archiv eine lange Lücke in der
fossilen Vertretung der Molche wie der Batrachier überhaupt. Weder Trias noch
Jura noch Kreide haben bis jetzt Reste von solchen geliefert. Erst im Verlaufe
der an Süsswasser- Ablagerungen reichen Stufen des Tertiärsystems stellen sich
auch wieder Vertreter der Batrachier und zwar zugleich der geschwänzten und
der ungeschwänzten ein.
Wir müssen hier auf den sogen, japanischen Riesensalamander
Cryptohranchus japonicus Hoev., Salamandra maxima Schlegel zurückgreifen.
Er lebt auf Japan in *Gebirgssee'n und kommt wie die Tritonen von Zeit zu
Zeit an die Oberfläche des Wassers, um Luft einzuathmen. Er geht aber auch an
feuchten Orten zeitweise auf das Land. Er gleicht an Gestalt einigermassen einem
Salamander, seine Haut ist nackt, der Rumpf endet in einen kurzen hinten abge-
nmdeten wie bei den Tritonen comprimirten Schwanz, der etwa ein Drittel der
ganzen Körperlänge ausmacht. Der Schädel ist flacher und breiter als bei den
landbewohnenden Salamandern. Die Vorderfüsse haben vier, die Hinterfusse fünf
Zehen. Beide Gliedmaassen sind kurz und plump. Die Handwurzel (carpus)
und die Fusswurzel (tarsus) sind knorpelig. Die Wirbel sind biconcav wie bei
anderen Ichthyoden und bei den Fischen. Zwischen Schädel und Becken zählt
man 20 Wirbel. Der 21. Wirbel trägt das Becken, ist also ein Kreuzbein
(os sacrum).
Diese Art erreicht eine Länge von etwa ein Meter.
Sehr nahe verwandt mit der japanischen Art ist der nordamerikanische
Salamandrops alleghaniensis, der eine Länge von höchstens 63 Centim. erreicht.
Die Skelettbildung ist die gleiche. Aber 5. alleghaniensis behält zeitlebens eine
2»
20 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
offene Kiemenspalte, während sich dieselbe bei C. japonicus im höheren Alter
ganz schliesst
Wichtig für palaeontologische Zwecke ist die Erörterung der Schädelunterseite
oder des knöchernen Gaumens dieser beiden grössten lebenden Molcharten und
kommt namentlich bei den nur in fossilen Resten bekannten Ganocephalen und
Labyrinth odonten in Betracht.
Das Hinterhaupt geht in zwei deutliche Gelenkhöcker oder condyli occipitales
aus. Davor liegt das breit entwickelte Keilbein, os sphenoideum, und nimmt gegen
zwei Drittel der Länge des ganzen Schädels ein.
Davor liegt ein aus zwei symmetrischen Theilen bestehender dreiseitiger vom
halbkreisförmiger Knochen, über dessen Deutung unter den Anatomen lange die
Meinungen getheilt waren. Nach R. Owen, auch Quenstedt und Anderen ist es
das Pflugscharbein, vomer, ein bei den Säugethieren und dem Menschen vorzugs-
weise bei Bildung der knöchernen Nasenscheidewand betheiligter medianer Knochen
über der Gaumennaht (sutura palatina). welcher hier ins Gaumengewölbe (palatum
durum) nicht herabsteigt. Andere Anatomen erklären jene zwei paarig stehenden
Knochen für Gaumenbeine {ossa palatina). Noch Andere, um jeder An-
schauung Rechnung zu tragen, bezeichnen sie mit dem Namen ossa vomero-palatina.
Dieser paarige im knöchernen Gaumen der Amphibien vor dem Keilbein
auftretende Knochen, gleichviel welche Deutung man ihm geben möge, trägt an
seinem halbkreisförmigen Vorderrand eine Reihe zahlreicher kleiner spitzer
Zähne. Vor ihm verläuft der halbkreisrunde Oberkieferrand und trägt eine eben
solche noch ausgedehntere Reihe kleiner Zähne. Er besteht aus zwei paarigen
Knochen, vorn den beiden in der Mediane zusammenstossenden Hälften des
Zwischenkiefers, Os intermaxillare, zur Rechten und zur Linken einem Oberkiefer-
knochen, OS maxillare.
Oberkiefer und Gaumen des Cryptobranchus — und überhaupt der meisten
Amphibien — tragen also zwei parallel im Halbkreis gestellte Zahnreihen, eine
äussere auf den Zwischenkiefer- und Oberkieferbeinen, eine innere auf dem iwmer
oder dem os vomero-palatinum.
Wir können nun einen Schritt weiter gehen. Aus der oberen Süsswasser-
Molasse von Oeningen am Bodensee (oberes Miocän) kennt man seit dem
Jahr 1726 eine Anzahl von sehr vollständig erhaltenen grossen Skeletten eines
salamanderartigen Thieres (welches der Züricher Naturforscher Scheuchzer für einen
vorsündfluthlichen Menschen, Homo diluvii testis^ nahm). Cuvifji zeigte seine nahe
Uebereinstimmung mit dem nordamerikanischen Menopoma giganteum^ aber noch
näher kommt die fossile Form mit dem erst seither durch Sieboij) 1829 aus
Japan lebend nach Europa gebrachten Cryptobranchus japonicus tibercin.
Das Oeninger Fossil, Cryptobranchus primigenius Hoev. (Andrias Scheuch-
zeri TscMiDi), ist fast nach allen Skeletttheilen bekannt und erreichte nach CuviKR'h
Abschätzung eine Länge von wenig über i Meter, also um ein Geringes mehr aN
sein in Japan noch lebender nächster Verwandter. Das weite, die ganze Vorderseite
des Küpfes im Hall)kreis einnehmende Maul mit zahlreichen kleinen spitzen
Zähnen in den Zwischenkiefer- und Oberkieferbeinen und die weiten Augen-
höhlen lassen gleich einen Wassersalamander erkennen. Der Kopf ist verhältniss-
mässig breiter als bei den wahren landbewol nenden Salamandern und erreicht
17 Ccntini. Breite auf 11,5 C'entim. Länge. An den 21. ^oder 19.?) Wirbelköq>er
ist das Becken befestigt. Schwanzwirbel kräftig entwickelt, 15 oder mehr, etwas
Amphibien. 21
zusammengedrückt und zum Tragen einer senkrechten Ruderflosse gebaut, was
den Wasserbewohner andeutet. Rippen sehr unbedeutend. Die Wirbelkörper
sind tief biconcav. Die Ftisse waren klein, vielleicht vierzehig. Die Hand und
die Fusswurzel knorpelig. Vom Athmungsorgan ist, wie im Voraus zu erwarten
war, nichts fossil erhalten.
Die sehr breiten paarigen Pflugscharbeine (ossa vomero-palaüna) trugen am
Vorderrande, wahrscheinlich gleichwie die lebenden Verwandten, eine ähnliche
Reihe kleiner spitzer Zähncl.en, wie die Zwischenkiefer- und Oberkieferbeine.
(Auf gegentheilige Annahme gründet sich die Unterscheidung einer eigenen Gattung
Ancnas,)
Merkwürdig ist es, diesen grossen Ichthyoden im oberen Miocän von
Europa fossil, seine beiden nächsten Verwandten lebend in derselben gemässigten
Zone von Japan und Nord-Amerika anzutreffen. Es lässt schliessen, dass in der
miocänen oder auch schon der zunächst vorausgegangenen Epoche verwandte
Ichthyoden über die ganze circumpolare Region der nördlichen Halbkugel ver-
breitet waren und dass deren Flusssysteme bald hier bald da im Zusammenhang
standen und später erst abgetrennt wurden.
Wir wenden uns zu den Tri tonen und Salamandern, Amphibia caudata
oder Sozura mit frühe schon verschwindenden äusseren Kiemen und stärker
hervortretender Luftathmung, die namentlich bei den das Festland bewohnenden
Salamandern mit der Geburt schon eintritt.
Sie haben noch die äussere Gestalt der Ichthyoden, unterscheiden sich aber
von ihnen dadurch, dass sie im erwachsenen Zustande weder äussere frei hervor-
ragende Kiemen noch off"ene Kiemenspalten oder Kiemenlöcher haben. Eine
Mittelstellung nimmt, wie wir oben sahen, in letzterer Hinsicht Cryptobranchus
ein. Dazu kommt die merkwürdige Beobachtung, dass man Tritonen zwingen
kann, ihre Kiemen zeitlebens beizubehalten, indem man sie veranlasst, beständig
unter Wasser zu bleiben. Sie erreichen dabei ihre volle Grösse und pflanzen
sich auch fort, ohne ihre Kiemen zu verlieren. Diese seltsame Verschiebbarkeit
des Naturells trifft in bezeichnender Weise mit dem ähnlichen Verhalten des
Axolotl zusammen.
Die Tritonen sind noch Bewohner des süssen Wassers, sie leben in Sümpfen,
auch in Quellen, besonders von Gebirgsgegenden, kommen nach Zurücklegung
des Larvenzustandes von Zeit zu Zeit an die Oberfläche des Wassers empor,
um Luft zu schöpfen, betreten aber nur spärlich das Festland und nur feuchte
Stellen desselben.
Die grössten europäischen Arten erreichen nur gegen 15 Centim. Länge, auch
in anderen Erdtheilen werden sie nicht viel grösser. Ihrem Aufenthalt im Wasser
entsprechend ist ihr Schwanz lang, etwas comprimirt und von einer senkrechten
Schwimmflosse (Flossenhaut) umsäumt.
Die Stellung der lebenden Tritonen zu den im Rothliegenden fossil auftretenden
geschwänzten Batrachiem ist, wie oben bereits angedeutet, noch nicht recht fest-
gestellt
Echte Tritonen erscheinen fossil erst in tertiären Süsswasserablagerungen.
Dahin gehört z. B. Triton noachicus Goldf. aus der Braunkohle von Orsberg
am Niederrhein (oberes Oligocän).
Während die Tritonen noch vorwiegend im Wasser leben, erscheinen die
Salamander bereits als entschiedene Festlandbewohner, sie halten sich unter Steinen
und Moos, besonders in feuchten Gebirgsgegenden auf und kommen nur bei
22 Mineralogie, (leologie und Palaeontologie.
feuchtem Wetter hervor, um auf Insekten u. dgl. Jagd zu machen. Sie gebären
lebendige Junge, was sie sowohl von Ichthyoden als Triton en unterscheidet. Die
Embryonen behalten frei hervorragende büschelförmige Kiemen bis zur Geburt
und gehen mit dieser rasch zum Land- und Luftleben über. Ihrem Landleben
entsprechend ist ihr Schwanz drehrund und ohne Flossensaum« Dazu kommt,
dass bei einigen Landsalamandem mit dem Alter an der Vorderseite der Wirbel-
körper ein Gelenkhöcker sich entwickelt. Die Hinterseite bleibt concav (vertehnu
opisthocoeliae).
Die Salamander zeigen sich zusammen mit den Tritonen erst in tertiären
Süsswasser-Ablagerungen, wo sie in mehreren Arten fossil bekannt sind.
Dahin gehört Salamandra ogygia Goldf., aus der feinschieferigen Braunkohle
oder Papierkohle von Orsberg unweit Bonn.
Wir kommen nun zu den Fröschen und Kröten oder ungeschwänzten
Batrachiern (den Batrachiem im engem Sinne des Worts), Anura^ Amphibia
ecaudata.
Die Thiere dieser dritten Ordnung der nackten Amphibien bewohnen als
Larven oder sogen. Kaulquappen Sümpfe und Lachen und durchlaufen, wie wir
oben schon erörterten, in unverkennbarer Parallele die Stufenfolge der Fische,
der Ichthyoden und der Tritonen, Sie erreichen erst darnach in einer gewissen
Altersstufe die eigentliche Froschlurchen-Gestalt ohne Schwanz, ohne Kiemen,
auch ohne Kiemenspalte. Sie athmen nun nur noch durch Lungen, treiben sich
meist an feuchten Stellen des Festlandes umher und machen Jagd auf In-
sekten u. dergl.
Damit treten auch im Knochenskelett bemerkenswerthe Umgestaltungen ein.
Die Wirbelkörper der ausgewachsenen Anuren articuliren durch Kugelgelenke
und Pfannen. Rana und andere froschartige Gattungen haben an der Vorder-
seite der Wirbel Pfannen, hinten Kugelgelenke (vertebrae procoeliae). Bei der
Krötengattung Fipa sind die Kugelgelenke an der Vorderseite, während die
hintere Hälfte des Wirbelkörpers concav bleibt (vertebrae opisthocoeliae).
Die Wirbelsäule der Frösche hat 9 Wirbel, der vorderste Wirbel oder Atlas
hat zwei concave Gelenkflächen zur Articulation mit den zwei Gelenkfortsätzen
des Hinterhauptes (condyli occipitales). Er trägt keine Querfortsätze. Die übrigen
8 Wirbel sind durch verlängerte Querfortsätze (Fleurapophyses) ausgezeichnet.
Dagegen fehlen hier die Rippen. Der 9. Wirbel stellt das Kreuzbein (os seuntm)
dar, an ihn befestigen sich die Beckenknochen. Er trägt noch lange Querfortsätze.
Dahinter folgt dann noch ein langer dünner von den Seiten her zusammen-
gedrückter Knochen, der aber hinter das gleichfalls sehr ausgedehnte Becken
nicht hinausragt. Es ist das Schwanzbein. (Zusammen 10 Wirbel.) So viel im
Allgemeinen von den Fröschen und Kröten.
Fossil treten sie — zusammen mi> den Tritonen und Salamandern — erst in
den Süsswasserablagerungen der Tertiär-Epoche auf. Bronn 1858 zäl)lt von unge-
scliwänzten Batrachiern bereits 1 2 Genera mit 24 Species aus tertiären Schichten
auf, danmter die Gattungen Rana^ Bu/o, Fipa u. s. w., nebst mehreren bereitN
wieder erloschenen Gattungen.
Rana dilmnana Goldf. aus der oberoligocänen Papierkohle von Orsberg um'
a. O. bei Bonn ist ein Frosch mit auffallend grossem breitem Schädel und ]angt*n
HinterfÜssen. Merkwürdig sind die mit diesem Frosch zusammen in verschiedenen
?2nt Wicklungsstufen vorkommenden Kau](]uappen.
Nach TscHini soll Rana diluviana der Typus einer eigenen erloschenen
Amphibien. 23
Gattung Palaeobatrachus sein, P, Goldfussi Tschudi (elf Wirbel, sechs zwischen
Kopf und Kreuzbein, drei zum Kreuzbein verwachsen, zwei in die Bildung des
Schwanzbeins eingehend).
Falaeophrynos Gessneri Tschldf aus der Süsswassermolasse von Oeningen
(oberes Miocän) wird etwas über fünf Centim. lang. Das Maul ist zahnlos, wie bei
den Kröten, und die HinterfÜsse sind kurz.
Mit den Fröschen und Kröten schliesst die Entwicklungsreihe der Lissam-
phibien oder der Batrachier im weitern Sinne des Wortes, wie sie in der indi-
viduellen Metamorphose der Frösche heute noch in Zusammenhang sich ab-
spiegelt.
Eine andere Entwicklungsreihe stellt sich mit den Panzer- Lurchen oder
gepanzerten Amphibien, Phractamphibia, ein. Ihr Schädel trägt einen zu-
sammenhängenden Panzer von Knochentafeln. Auch die Kehle war bei manchen
gepanzert. Der Rumpf trug theils Schuppen, theils mag er nackt gewesen sein.
Die Charaktere des inneren Skeletts deuten auf Amphibien. Diese zweite Ent-
wicklungsreihe beginnt fossil in der Steinkohlenformation und schliesst mit den
letzten Fossilfunden bereits bei dem Abschluss der Keuper-Epoche. Man hat
aber allen Grund zur Annahme, dass die ältesten fossilen Panzerlurche aus noch
älteren, bisher noch nicht fossil gefundenen Ichthyoden hervorgingen und dass
andererseits ein vereinsamter Zweig dieser sonst nur fossil vertretenen Entwicklungs-
reihe in den wurmartig verkümmerten Cäcilien wärmerer Erdtheile spärlich
noch fortlebt.
Zu den Panzerlurchen gehören zunächst die Schmelzköpfe, GanocephcUa
mit den Gattungen Archegosaurus , Dendrerpeion u. s w. (Min. 1.)
Es sind gepanzerte Molche, die man nur aus der car-
bonischen und permischen Epoche kennt. Ferner die eben-
falls nach Art der Ganoiden und Krokodile mit kräftigen
Knochentafeln bepanzerten Wickelzähner oder Laby-
rinthodonten, die neben vorigen bereits in Steinkohlen-
Schichten beginnen und mit Schiuss der Triasepoche bereits '^'
vom Schauplatz abtreten. Beide Abtheilungen der Panzer- ^rchegosaurusjatirostris
^ * Jordan, Schädel eines
lurche sind gänzlich erloschen. Aber es hat vieles für sich, jungen Thieres in natur-
dass ein seitlicher Zweig der Ganocephalen in Oertlichkeiten, hcher Grösse. Aus dem
, • 1 • r 'imt. j c 1 • i_^ 1 • V Eisenstein des Rothlie-
aujj denen wir kerne fossilulhrenden Schichten kennen, sich senden von Lebach.
unter weiterer Umgestaltung forterhielt und in der Cäcilien- (Nach H. v. Meyer.)
Form heute noch lebt.
üeberhaupt haben Jura- und Kreide-Formation bis jetzt noch keine Amphibien-
Reste geliefert und es ist gleichwohl annehmbar, dass Amphibien, nackte wie
gepanzerte auch damals in Sümpfen hausten oder an feuchten Stellen des Fest-
landes sich umhertrieben und dass nur die Ablagerungen, in denen ihre Reste
niedergelegt wurden, inzwischen wieder abgetragen wurden oder unter jüngeren
Decken verborgen liegen. Der Zusammenhang ist unterbrochen, aber die Unter-
brechung ohne Zweifel nur von geologischen Vorgängen nachträglich bewirkt
worden.
Bei den Ganocephalen oder gepanzerten Molchen ist der ganze Schädel
mit glänzenden, auf der Oberfläche sculpirten Knochenplatten (Ganoidplatten)
bepanzert Auch die Kehle erscheint von besonderen — theils medianen, theils
lateralen — Knochenplatten geschützt. Der Rumpf trug ein Schuppenkleid von
kleinen, schmalen, ebenfalls mit einer glänzenden Lage bedeckten Schuppen.
24 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Das Hinterhaupt war noch weich und knorpelig, von den Hinterhauptsgelenken
(Condyli occipitaies) ist nichts erhalten. Die chcrda dorsalis erhielt sich zeitlebens,
aber die Wirbelbogen und peripherischen Elemente verknöcherten. Pleura-
pophysen kurz und gerade, Vorder- und Hintergliedmaassen klein, theils zum
Schwnmmen, theils zum Gehen und Klettern gebaut. Der Rachen trug Kegel-
zähne mit sternförmig gefalteter äusserer Schichte der Basalhälfte und ähnlich
in Falten ausgezogener Keimhöhle.
Hierher gehört vor allen Dingen die in zwei Arten in den Thoneisensteinen
des mittleren Rothliegenden der Gegend von Lebach bei Saarbrücken vertretene,
nach zahlreichen Skeletten sehr genau bekannte Gattung Archegosaurus Goldf.
Die häufigste Art ist A. Decheni Goldf. Sie mag eine Länge von etwa
1—1,25 Meter erreicht haben. Der Schädel allein wird bereits 26 Centim. lang.
Die Körpergestalt war im Allgemeinen krokodilartig und auch manche
Einzelheiten des Schädelbaues präludiren mehr den späteren Sauriern als
den heutigen Ichthyoden und anderen Batrachiem, z. B. das geschlossene
Schädeldach.
Der Schädel ist stark niedergedrückt. Er war bei jungen Thieren fast
halbkreisrund, also ähnlich wie bei Fröschen. Mit dem Alter streckte
sich der Schnauzentheil desselben und er gleicht nun mehr dem der Krokodile
und anderer Saurier.
Die kleinen Naslöcher liegen nahe am Vorderende der Schnauze.
Etwas hinter der halben Schädellänge liegen die grossen, etwas länglich
gestreckten Augenhöhlen. Auch ist von dem Auge noch etwas erhalten. Es
war im Umfang durch einen — aus etwa 24 radial stehenden festen Täfelchen
zusammengesetzten — Ring verstärkt. Dieser peripherische Ring stützte den
vorderen Rand der faserigen weissen Augenhaut (sclerotica) und umgab die
durchsichtige Hornhaut (cornea) ähnlich wie noch heute bei manchen Reptilien
und Vögeln.
Hinter den Augen in der Mediane des hinteren Schädels — in dem durch
eine mediane Naht getheilten Scheitelbein (os parietale) erkennt man ein kleines
rundes Scheitelloch (foramen parietale)^ ähnlich wie bei manchen Sauriern (z. B.
Monitor niloticus).
Ein grosser Theil des Schädels scheint aus dem primären Knorpelschädel
bestanden und die verknöcherte Schädeldecke an dessen äusserer Fläche
sich gebildet zu haben (ossificationes dermales). Das Hinterhauptsbein mit
der Gelenkverbindung zwischen Schädel und Rückenachse war beim lebenden
Thiere wohl weich und knorpelig, es ist an fossilen Exemplaren nicht erhalten.
Die Rückenachse zeigt noch keine ringsum ausgebildeten Wirbelkörper.
Wahrscheinlich erhielt sich die c hör da dorsalis zeitlebens und auch die chorda-
Scheide blieb wohl meist knorpelig. Man erkennt aber über und unter diesem
Rückenstrang verknöcherte obere und untere Wirbelbogen. Von ihnen tragen
die oberen oder Neurapophysen kurze breite Domen (Processus spinosi, obere
Domfortsätze).
Dem Hals und Rumpf entlang gehen von der Rückenachse kurze, flache,
meist gerade Querfortsätze oder Pleurapophysen aus (Rippen).
Am Schwanz setzen sich unter der Rückenachse in Dornen ausgehende
untere Bogen oder Hämatapophysen an, die wie bei den Fischen einen unteren
Kanal (unter der chorda dorsalis) für den Durchgang starker Blutgefässe
bildeten.
Amphibien. 25
Die Gliedmaassen waren klein und die Füsse etwas flossenartig, denen der
Iclithyoden (namentlich des Proteus) ähnlich, nach R. Owen wahrscheinlich vier-
zehig. Mittelhand (carpus) und Mittelfuss (tarsus) waren knorjjelig wie bei den
lebenden Ichthyoden, erstcre bei ganz ausgewachsenen Thieren verknöchert.
Owen vermuthet Schwimmflossen.
Ober- und Unterkiefer waren mit einer reichlichen Menge einfacher zuge-
spitzter kegelförmiger Zähne bewaffnet. Der Oberkiefer trug nach R. Owen eine
vordere Zahnreihe auf den Zwischenkieferbeinen und den Oberkieferbeinen. Die
innere Zahnreihe sass auf dem vordersten Gaumenknochen oder dem Vomer
(vomtrine bone). Die gestreifte Basal-Hälfte dieser Zähne war von der Pulpa-
Höhle aus bis zur äusseren Rindenschichte sternförmig gefaltet. Jeder Zahn
sass mit einfacher Wurzel in einer eigenen flach becherförmigen Alveole.
Der Schwanz ist nicht vollständig bekannt, aber die kräftigen, mit oberen
und unteren Domfortsätzen versehenen vordersten Schwanzwirbel, namentlich die
deutliche Ausbildung unterer zur Beherbergung starker Blutgefässe dienender
Bogen (Hämatal-Bogen) mit unteren Domfortsätzen erweisen zur Genüge ein
langes, kräftiges, wie bei Fischen und Tritonen seitlich comprimirtes Ruder-
Organ.
Die äussere Körperdecke bestand theils aus starken mit einer dünnen Schmelz-
lage bedeckten Knochenplatten, theils aus kleineren länglichen, harten, gekielten
Schuppen.
Besonders auffallend ist die Bekleidung der Kehle und der Vorderbrust mit
einer grossen, unpaaren, symmetrischen, rhombischen Knochenplatte und zwei
seitlichen Platten. Darüber liegt ein längliches Zungenbein mit einem vorderen
und einem hinteren Paare kleinerer Anhänge. Diese entsprechen nach R. Owen
am meisten dem Zungenbeinsystem der heutigen Ichthyoden wie Amphsuma,
Die Kehlplattengruppe hat der Deutung anfangs viele Schwierigkeiten geboten.
Sie wiederholt sich ähnlich bei gewissen Ganoiden.
Den Rumpf bedeckte ein geschlossener Schuppenpanzer. Die Schuppen
waren länglich, schmal und gekielt, dachziegelförmig angeordnet, im Allgemeinen
denen der eckschuppigen Ganoiden (Ganoides rhombiferi) vergleichbar.
Besonders merkwürdig ist noch an einigen wenigen Exemplaren des Archego-
saurus die Erhaltung von ein paar feinen gleichlaufenden Knochenbogen, die an.
den Seiten des Nackens — neben dem Zungenbeingerüste — frei liegen. Sie
bestehen aus einer Reihe kleiner an der innern Seite kammförmig gezackter
Blättchen. Goldfuss und R. Owen erkennen darin verknöcherte Theile der
Kiemenbogen. Diese deuten darauf hin, dass die Thiere während eines langen
Entwicklungszustandes durch Kiemen athmeten und nachmals zur Lungenathmung
übergingen.
Nach diesem allem waren die Archegosauren sumpfbewohnende gepanzerte
Molche, die neben dem vorherrschenden Gepräge der Ichthyoden auch manche
Saurier-Charaktere trugen, jedenfalls aber sich den Molchen viel näher als den
Krokodilen anschlössen, worauf namentlich die fossile Erhaltung unverkennbarer
Kiemenbogen deutet.
Sie waren entschiedene Raubthiere, die wohl namentlich Fischen, vielleicht
auch Jungen ihrer eigenen Art nachstellten. Man findet auch in den Eisenstein-
Knollen derselben Schichten grössere etwa 8 — 11 Centim. Länge erreichende
26 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
Koprolithen oder fossile Excremente, die wohl von Archegosauren herrühren und
unverdaute Reste von Fischen u. dergl. erkennen lassen.
Was ihre Athmung betrifft, so ist anzunehmen, dass sie in erster Jugend wohl
freie Kiemen besassen, dann aber mittelst innerer Kiemen athmeten und diese
länger behaupteten.
Lungen mögen sie wohl früher erhalten haben, aber nach dem Bau ihrer
Gliedmaassen und der vorderen Schwanzwirbel zu schliessen, waren sie echte
Wasserbewohner, die das Festland wohl nur wenig betraten, wie dies auch bei
den heutigen Ichthyoden und Tritonen der Fall ist, und um ihren Lungen Lutt
zuzuführen, von Zeit zu Zeit an die Oberfläche kamen.
Den Archegosauren schliessen sich in der Steinkohlenformation und dem
Rothliegenden noch eine ganze Reihe von Ganocephalen-Gattungen an, die theils
Süsswasserbewohner, theils echte Landthiere darstellen.
Dendrerpeton acadianum Ow. fand sich in der Steinkohlenformation von Neu-
Schottland (Nova scoHa, Canada) in einer von Schlamm erfüllten Höhlung eine^
aufrecht stehenden Stammes einer Sigillaria und zwar in Gesellschaft verschie-
dener Pflanzenreste, ferner eine Landschnecke (Pupa) und eines Myriapoden
(Xyiobius),
Dendrerpeton ist nach dem Bau des Schädels und der ausgefurchten Sculptur
der Knochenplatten desselben ein dem Archegosaurus nahe verwandter Ganoce-
phale. Auch die Zähne sind ähnlich gebaut. Auch die Langknochen der Glied-
maassen gleichen denen der Ichthyoden und der Archegosauren. Die Füsse sind
noch unbekannt, mögen aber der luftathmenden und landbewohnenden Lebens-
weise gemäss mit wohlentwickelten Zehen ausgestattet gewesen sein.
Die Wirbelsäule ist vollständiger ausgebildet als bei Archegosaurus. Die
Wirbel sind schon vollständig verknöchert, sie sind länglich und biconcav.
Den Rumpf deckte ein Schuppenkleid von dünnen gekielten Schuppen.
Das Thier mag mit Einrechnung des Schwanzes gegen 63 Centim. Länge
erreicht liaben.
Ueberhaupt kennt man aus den Süsswasser- und Sumpfablagerungen der car-
bonischen und permischen Epoche bald nur in Schädeln, bald in mehr oder
minder vollständigen Skeletten eine grössere Anzahl von Amphibien, die bald
mehr den Ichthyoden, den Tritonen und Salamandern sich anreihen, bald eine
Bepanzerung des Schädels und der Kehle mit kräftigen Knochenplatten und über
dem Rumpf ein Schuppenkleid zeigen. Mit ihnen zeigen sich auch schon die
ersten Labyrinthodonten-Gattungen, wie Baphetes aus der Steinkohlenformation
von Pictou in Neu-Schottland.
Durch ausgezeichnet wohl erhaltene Reste vertreten erscheint die Gattung
Branchiosaurus Fritsih im unteren und mittleren Rothliegenden von Böhmen
(Gaskohle von Nyrschan bei Pilsen), Sachsen (Niederhässlich) und Thüringen.
Es sind kleine 5—8 Centim. lange, geschwänzte Süsswasser-Amphibien vun
der Gestalt der Erd Salamander, namentlich mit einem breiten, vom abgerundeten
Kopf, zwei paar kräftigen mit 4 (oder vielleicht 5) Zehen versehenen Gliedmaassen
und einem ziemlich langen Schwanz, wahrscheinlich einem Ruderschwanz.
Die Schädelknochen zeigen auf der Oberfläche zarte Grübchen. Die Su-
praoccii)ital-Knochen sind noch gut verknöchert. Die übrigen Theile des Hinter-
haupts waren knorpelig und sind nicht erhalten.
Die Augenhöhlen sind gross, oval und reichen weit nach vom. Der Sclero-
Amphibien. 27
tical-Ring ist erhalten. Er besteht aus viereckigen Blättchen, wahrscheinlich
20 bis 22.
Die beiden Scheitelbein-Hälften (parietalia) zeigen in der Median-Naht ein
ovales Scheitelbeinloch (foramen parietale).
Die kleinen Zähne sind glatt und zeigen eine grosse Pulpa-Höhle, die Zahn-
substanz ist un gefaltet.
An jeder Seite des Nackens zeigen sich wie bei den Archegosauren Reste
von ein paar Kiemenbogen , es sind verknöcherte in eine Spitze ausgehende
Höckerchen, deren Verlauf den der Kiemenbogen wiedergiebt.
Die Brust zeigt nur eine einzige fiinfseitige Kehlbrustplatte. Die Haut zeigt
an der Bauchseite ein Schuppenkleid. Der übrige Körper scheint nackt gewesen
zu sein.
Die Wirbelsäule enthält 20 Rumpfwirbel, dazu kamen noch mindestens
13 Schwanzwirbel.
Die des Rumpfes bilden schwache peripherische Knochenhülsen, welche die
starke chorda dorsaiis umfassen. Die chorda mit ihrer knorpeligen Scheide zeigt
eine intravertebrale Erweitenmg und ist zuweilen als Steinkem erhalten.
Die Rumpfwirbel gehen in Querfortsätze (Processus transversi) aus, an welchen
Rippen sassen. Rippen kurz und gerade.
Die Gliedmaassen lassen je 4 Finger und 4 Zehen erkennen.
Die Handwurzel (carpus) war knorpelig und ist nicht erhalten.
Dasselbe gilt von der Fusswurzel (tarsus).
Zu JBratuhtosaurus gehört wahrscheinlich auch Frotriton petrolei Gaudry,
ein ähnlicher nackter Molch aus dem bituminösen Schiefer der permischen For-
mation von Millery bei Autun (Bourgogne), ebenfalls mit je 4 Fingern und
4 Zehen.
Die Labyrinthodonten gehören- nach ihren Hauptformen der Trias an
und sind namentlich im Buntsandstein und im Keuper durch grosse Arten ver-
treten, die gegenüber den Ganocephalen bereits ausgesprochene Fortschritte in
fler Organisation, besonders aber in der vollständigeren Verknöcherung des Ske-
letts zeigen. Leider kennt man von ihnen nur einzelne Schädel, zerstreute Stücke
des Rückenskeletts und der Gliedmaassen, sowie lose Knochenplatten, welche
vielleicht Rücken und Kehle bekleideten. Zusammenhängende Skelette hat man
von ihnen noch nicht kennen gelernt.
Nach dem, was sich aus Schädeln und zerstreuten anderen Skelett-Theilen ent-
nehmen lässt, waren die Labyrinthodonten der Triasepoche grosse Sumpf- und
I^Andbewohner von gedrungenem Körperbau, nach Owens Deutung mit hohen
Gliedmaassen, von denen die hinteren vielleicht beträchtlich länger waren, und
muthmasslich mit kurzem oder nach Art der Frösche ganz verkümmertem Schwänze.
Hier ist vieles noch sehr problematisch.
Der Schädel war bei allen breit und stets abgeplattet, von gerundet-drei-
j»eitigem Uniriss, mehr oder weniger gestreckt, mit harten, aussen glänzenden
und grubig oder furchig sculpirten Knochenplatten bedeckt, die ähnlich wie bei
Archegosaurus ein geschlossenes Schädeldach — mit kleinen Nasenlöchern, auf-
fallend grossen Augenhöhlen und weiter gegen hinten einem kleinen Scheitel-
loch — darstellen. Von einem knöchernen Augenring ist bei ihnen nichts er-
balten. Dagegen ist das Hinterhaupt bei ihnen vollständig verknöchert und zeigt
zwei wohl ausgebildete weit von einander abstehende condyli occipitalesy die ent-
schieden für ihre Stellung zu den Amphibien sprechen.
28 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Das Gebiss ist ausnehmend kräftig entwickelt und deutet auf räuberische
Fleischfresser, die Fischen und kleineren Amphibien nachstellten. Der Unterkiefer
trägt eine, der Oberkiefer zwei Reihen kräftiger in besonderen Alveolen sitzender
iZähnc. Einzelne Fangzähne von mächtiger Grösse überragen die übrigen.
Diese Zähne, von deren labyrinthisch verschlungenem Bau die Labyrintho-
donten den Namen haben, sind bis nahe zur glatten glänzenden Spitze stark längs-
gestreift und die Iservortretenden Streifen entsprechen vorgewölbten Ausfaltungen
der inneren Zahnsubstanz, wogegen in den dazwischen gelegenen Furchen die
äussere Schicht der Zahnbasis oder das Cäment tief ins Innere des Zahnes sich
einfaltet. Diese Radialfalten des Zahns sind mannigfach hin und hergewunden
und ergeben auf den Querschnitten eine vielstrahlige mäandrische Stemzeichnung.
Die Mitte des Zahnes nimmt die — bei Lebzeiten des Thieres vom gefässreichen
Zahnkeim (Pulpa) erfüllte Zahn-Höhle ein, die an der Zahnbasis zahlreichere,
gegen die Spitze des Zahnes abnehmende Falten aussendet.
Dieser Zahnbau ist ähnlich wie bei Archegosaurus, auch wie bei der lebenden
Ganoiden-Gattung Lepidosteus, aber die Faltenbildung weit gedrängter und ver-
wickelter. Sehr ähnlichen labyrinthischen Bau zeigen auch Zähne von devonischen
Ganoiden (Ganoides cycliferi).
Die Wirbelkörper erscheinen bei den Labyrinthodonten vollständig verknöchert
und biconcav. Dazu kommen verknöcherte Wirbelbogen und an den Rumpf-
wirbeln lange gebogene Pleurapophysen.
Weniger unterrichtet ist man über die Beschaffenheit der Gliedmaassen.
R. Owen schreibt ihnen — nach vereinzelten Knochenfunden — kurze Vorder-
beine und längere Hinterbeine zu, wie sie bei Fröschen vorkommen und daran
reiht sich die Vermuthung, dass bei den Labyrinthodonten der Schwanz in älin-
lieber Weise im Verlaufe der individuellen Ausbildung zu einem kurzen Stummel
verkümmerte.
Aller Vermuthung nach waren sie im erwachsenen Zustand auch ausschliess-
lich lungenathmende Thiere. Verknöcherte Kiemenbogen, wie man sie von
Archcgosauren kennt, hat man bei ihnen noch nicht gefunden.
Wichtige Trias-Labyrinthodonten sind Tranatosaurus und Mastodonsaurus,
Von Trematosaurus Bräunt Burm. kennt man einen sehr vollständigen
Schädel von 31 Centim. Länge mit Oberkiefer, Unterkiefer und Zähnen aus dem
Buntsandstein von Bernburg — und zwar aus der Mittelregion, die an anderen
Orten die Chirotherien-Fährten enthält.
Der Kopf ist flach, länglich-dreiseitig, in eine lange Schnauze ausgezogen.
Er zeigt zwischen beiden Nasenlöchern und beiden Augenhöhlen ein in mehreren
Biegungen sich hin und her windendes Paar Furchen, die sogen. Brille, die
auch für andere Trias-Labyrinthodonten bezeichnend ist.
Die Augenhöhlen liegen etwas vor der Mitte der Schädellänge.
Der Oberkiefer zusammen mit dem knöchernen Gaumen trägt — ähnlich
wie beim Cryptobranchus und anderen lebenden Amphibien, vergl. oben pag. 20. —
zwei Reihen spitzer Kegelzähne. Die äussere Reihe sitzt auf dem Zwschen-
kiefer und den beiden Oberkieferbeinen und besteht aus kleineren Zahnen. Die
innere Zahnreihe führt eine spärlichere Anzahl von Zähnen, die aber von hinten
gegen vom fast gleichmässig an Grösse zunehmen.
Der Unterkiefer trägt nach Burmkister gegen hinten ein paar grosser Fang
Zähne, die bei geschlossenem Mund in den Oberkiefer eingreifen mussten.
BuRMEiSTER bildet auch drei radial furch ige Knoc^enplatten ab, eine un
Amphibien. 29
paare und zwei seitliche, die den Kehlplatten des Archegosaurus sehr nahe
kommen. Aber vieles ist hier noch problematisch. Während Owen die Laby-
rinthodonten für kurzgeschwänzte Thiere nimmt, vermuthet Burmeister bei Trema-
totauruSy wie bei den Archegosauren einen schlanken Körperbau mit langem
Schwanz und nimmt auch eine äussere Bekleidung mit feinen hornigen ziegelartig
angeordneten Schuppen an.
Mastodonsaurus giganteus Quenst. (M, Jaegeri Hüll) ist in einem vollständig
erhaltenen Schädel aus der Lettenkohle (Unterregion des Keupers) von Gaildorf
in Württemberg bekannt, ausserdem kennt man Zähne und einzelne Skelett-Theile,
sowie Knochenplatten.
Der Schädel ist flach und abgenmdet dreiseitig, fast froschähnlich, über
65 Centim. lang, am Hinterrand fast ebenso breit. Die zwei Gelenkknöpfe am
Hinterhaupt sind deutlich entwickelt.
Die beiden kleinen Nasenlöcher liegen nahe dem vordersten Schnauzen-
rande, die grossen Augenhöhlen ein wenig hinter der Mitte der Schädellänge.
Drei grosse Fangzähne sitzen in der Vorderreilie des Oberkiefers, zwei
andere im Unterkiefer. Die grössten erreichen bis 8 Centim. Länge und darüber,
an der Basis 4 Centim. Dicke.
Mastodonsaurus robustus Quenst. (Capitosaurus robustus Mev.) ist ebenfalls
nach vollständigen Schädeln und anderen vereinzelten Körpertheilen bekannt. Der
Schädel ist gegen 63 Centim. lang und am Hinterrand 47 Centim. breit. Die
Augenhöhlen sind etwas kleiner als bei M. giganteus und liegen weiter nach
hinten als bei letzterer Art. Mit dem Schädel zusammen kommen auch vereinzelte,
theils mediane, theils seitliche Panzerplatten vor, die theils an der Kehle, theils
am Rücken gesessen haben mögen. M. robustus stammt aus dem grünen Keuper-
sandstein (mittlerem Keuper) von Stuttgart.
Mit ihm verschwinden die Labyrinthodonten vom Schauplatz, sie fehlen
schon im oberen Keuper (Rhätische Stufe).
Obschon wir bei Betrachtimg der Labyrinthodonten-Reste schon viel mit pro-
blematischen Dingen zu ringen hatten, können wir doch nicht umhin, hier ein
in noch höherem Grade problematisches Feld zu betreten, das der Labyrintho-
donten-Fuss fährten. Man kennt schon auf Sandsteinschichten der Stein-
kohlenformation von Neu-Schottland und Pennsylvanien solche vierzählige Fuss-
abdrücke.
Noch verbreiteter und deutlicher sind grosse Fussfährten vierfüssiger ftinf-
zehiger Thiere in der Mittelregion des Buntsandsteins von Nord- und Mittel-
Deutschland. Man kennt sie seit 1834 von Hessberg bei Hildburghausen und
hat sie in demselben geologischen Horizont inzwischen auch zu Kissingen und
anderen Orten nachgewiesen. Sie sind von auffallend händeartigem Ansehen und
unter dem Namen Chirotherium Barthi Kaup bekannt. Kauf bezog sie auf ein
grosses Beutelthier.
Aber mit Rücksicht auf die OwENsche H)rpothese einer froschartigen Gestalt
der Mastodonsauren und anderer triasischer Labyrinthodonten (kurze Vorderbeine,
lange Hinterbeine und verkümmerter Schwanz) bezieht man sie jetzt allgemein
und auch mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit auf Fusstapfen eines
grossen landbewohnenden Thieres aus der Ordnung der Labyrinthodonten mit
händeartigen fünfzehigen Vorder- und Hinterfüssen.
Die Fusstapfen der rechten und der linken Seite folgen einander in
^rader Linie. Die kleineren Vorderfüsse traten leichter auf und deuten auf
%o Mineralngpe, Geologie und Palaoontolof*ie.
k lindere Vorderdiedmaassen. Das Thier war ungeschwänzt oder mindestens
kurz gevrvanzt, jedenfalls schleifte es beim Gehen keinen Schwanz nach.
liie einzelnen Fussabdrücke haben die Gestalt einer breiten rundlichen
Hand mit kurzen breiten Zehen und kurzem breitem abstehendem Daumen.
Dieser Daumen steht unter rechtem Winkel von den übrigen Zehen ab,
aber er ist kein wahrer Vertreter des Daumens des Menschen und der
Säugethiere. Er steht an der äusseren Seite des Kusses, und ist also die
zur Daumengestalt ausgebildete äusserste (fünfte, gemeiniglich kleinste) Zehe.
Dies unterscheidet das Chirotherium Barthi von der Fussgestalt aller lebenden
Wirbelthiere, von den Ichthyoden an bis herauf zum Menschen.
Die vier inneren Zehen sind kurz und fleischig, gerade ausgestreckt und man
will an ihnen vorn den Abdruck einer vorstehenden spitzen Kralle erkennen.
Der Hinterfuss ist 21 Centim. lang und 13 Centim. breit, der Vorderfuss fast
halb so gross. Der Hinterfuss erscheint beim Gang des Thieres dicht an den
Vorderfuss gerückt, wie wenn der Rumpf desselben kurz und gedrungen ge-
wesen wäre. Die Schrittweite wird von einem halben Meter an bis fast zu einem
ganzen angegeben. Das Thier mag mindestens 2 bis 3 Meter lang gewesen sein.
Merkwürdig ist der Umstand, dass auch schon in Sandsteinen der
Steinkohlenformation von Nordamerika solche vierzählige Fussabdrücke mit
daumenartig vergrösserter äusserer Zehe vorkommen, wie z. B. Batrachopus
primaevus Kino im Kohlensandstein von Greensburg in Pennsylvanien. Hier
zeigt der Hinterfuss eine zur Daumengestalt ausgebildete äusserste Zehe,
{'the oukrmost /of^) und ähnlich wie bei Chirotherium nach aussen abstehend.
Ueberhaupt erscheint also diese Fussform — 5 kurze breite Zehen mit
einem abstehenden falschen Daumen — bezeichnend fiir eine Anzahl von
Kussfährten von der carbonischen bis zur triasischen Epoche und eben dieses
macht es um so wahrscheinlicher, dass man sie von Amphibien überhaupt und
wohl vorzugsweise von landbewohnenden, luftathmenden, kurz geschwänzten
I ,nbyrinthodonten herzuleiten hat. So begegnet eine Hypothese der anderen auf
halbem Wege und steigert die Wahrscheinlichkeit.
Sicher ist, dass die Fussföhrten sich auf Schichtungsflächen von Sand-
Htcinen finden, besonders wo dünne thonige Zwischenschichten den Sand-
nbsät/.cn sich einschalteten, überhaupt aber in Ablagerungen, die man ohnehin
einer flachen Kcstlandküste zuzuschreiben Anlass hat. Dazu kommt, dass die
KuHsfährten zugleich mit der sie beherbergenden Gesteinsschicht von netzförmig
«ich durchkreuzenden Sprüngen durchsetzt erscheinen, wie sie noch jetzt bei
Austrocknung frisch entstandener schlammiger Strandabsätze erscheinen. Die
Kussfährton rilhren also von landbewohnenden luftathmenden Vierftissem her»
<lie am feuchten Strande von Binnensee'n oder Strandlagunen sich umher-
trieben. Ihre Kährten drückten sich im frisch abgesetzten, noch feuchten
sandigen Schlamme concav ab. Die darüber abgelagerte Schicht wiederholt
deren Gestalt dann in convexem Abguss. Die ganze Ciesteinsablagerung aber
kann nur einem in allmäh liger Senkung begriffenen (iebiet zugeschrieben werden
dessen Strandlinie in landeinwärts gehender Verschiebung begriflfen war.
Wir betrachten als Anhang zu den gepanzerten Amphibien noch die
wenigen lebenden beschuppten Cäcilien, die, obschon sie noch keine
fossilen Reste geliefert haben, doch kaum wohl anders als eigenthümlich umge-
staltete und in mancher Hinsicht verkümmerte Nachkommen der palaeozoischen
Panzer-Lurche gedeutet werden können.
Amphibien. 31
Die Cäcilien oder Bli nd wühlen, früher auch »nackte Schlangen« genannt,
sind seltsame Amphibien mit walzigem, wurmförmigem, geringeltem Körper.
Sie entbehren der Gliedmaassen, auch das innere Skelett zeigt keine Spur von
solchen mehr. Auch Brustbein und Becken fehlen. Gleichwohl weichen die
Cäcilien von den Schlangen, denen man sie früher unterordnete, weit ab und
sind echte Amphibien. Aber auch von den heute lebenden Batrachiern
weichen sie weit ab, z. B. schon durch die geschlossene Schädeldecke, die mehr
an Archegosauren und andere ältere Panzerlurche erinnert.
Der Schädel ist ausgezeichnet durch feste Verwachsung der Schädelknochen,
namentlich aber durch das Vorhandensein zweier seitlich gestellter .Gelenk-
höcker oder condyli occipitaks zur Articulation mit dem ersten Halswirbel oder
Atlas, ein Charakter, der allein schon genügt, die Cäcilien von den Schlangen
und Eidechsen auszuschliesscn und den Amphibien zuzuweisen.
Der Oberkiefer mit dem harten Gaumen — also dem vomer oder dem os
vomero'palatinum — trägt zwei halbkreisförmige gleichlaufende Reihen starker
spitzer, zirrück gekrümmter Hackenzähne (Fangzähne). Davon gehört — wie bei Cryp-
tobranchus^ (pag- 20) die äussere Reihe dem Oberkiefer und dem Zwischenkiefer,
die innere Reihe dem vordersten Gaumenknochen oder vomer an. Der Unter-
kiefer trägt eine einzige Reihe ähnlicher Hackenzähne.
Die Zähne sind einfach, ungefaltet und in besondere Alveolen eingepflanzt.
Die Wirbel sind rudimentär entwickelt und biconcav, wie die der Fische
und der Ichthyoden, unter einander durch eine Knorpelscheibe verbunden, sehr
zahlreich (bei Caecilia 230).
Die Rippen stellen kurze Stummeln dar.
Die Haut ist weich und schlüpfrig, wie bei Würmern, quer geringelt. In den
RJngfalten zeigen sich aber kleine Hornschuj)pen, welche sowohl die concentrischen
Anwachslinien als die Radialfurchen gewöhnlicher (cykloidischer) Fischschuppen
theilen.
Dip Cäcilien leben in mehreren Gattungen (Caecilia^ Siphonops u. s. w.) in
tropischen Gegenden beider Hemisphären (Brasilien, Java, Ceylon u. a. O.) in
Erdlöchem im feuchten Boden, stellen Würmern, Insektenlarven u. dgl. nach und
erreichen 60 Centim. Länge und darüber.
JOH. Müller entdeckte an jungen Cäcilien das Kiemenloch, orificium branchiale.
Es zeigt sich auf jeder Seite des Halses ein solches Kiemenloch, welches zu den
Kiemenbogen fuhrt. In frühester Jugend athmen also die Cäcilien gleich anderen
Amphibien durch Kiemen. Im Verlaufe der weiteren Metamorphose verlieren sich
diese, bleiben aber immer noch durch drei Bogenpaare des Zungenbeins ange-
deutet. Sie werden dann durch eine einfache Lunge ersetzt.
Bedeutsam ist die Beziehung der Cäcilien zu den erloschenen Formen der
!\'inzerlurche.
Die Cäcilien haben mit Ganocephalen und Labyrinthodonten gemeinsam:
1. Die feste Verwachsung der Schädelknochen.
2. Die doppelte Bildung der seitlichen Gelenkhöker des Hinterhaupts, die
wenigstens bei Labyrinthodonten bekannt sind, während bei Archegosaurus
dasselbe knorpelig verblieb.
3. Die Einkeilung der Zähne in eigene Alveolen.
4- Die zwei Zahnreihen im Oberkiefer, von denen die äussere dem Oberkiefer-
rand, die andere dem vordersten Gaumenknochen oder vomer angehört.
Sie unterscheiden sich von den urweltlichen Panzerlurchen durch schlangen-
31 Jf-r/t-si'-'gt*- O<*>log-e and i*a]aeontolo^e.
iT^irt *,»*?«ij: — CETch ecrr.zcrc Grosse — Veriust derGliedmc.ssen — schleimige
Hi'X n.-r Ci't-ii'id-Schrypen — endlich durch kleine Augenhöhlen und einfache
Sr^jcT^ 5eT Zi^-^e. L>:c meisten dieser Unterschiede können auf Rechnung der
j j^:»tzi-v ^1*^ IT- Erdbohien gesetzt werden. Nur das Auftreten von cykloidischen
S'-'.-:.:#eT ko'ir.*jc einen tiefer gehenden Unterschied begründen.
Man karji also annehmen, da5> die von der Steinkohlenformation an bis in
d* cbere Trias reichlich durch Arten und Gattungen vertretene Ordnung der
Parizerl-Tche, ob^chon sie gegen Schiuss der Triasepoche vollständig — und
Äcre-Fibar ohne Nachkommen zu hinterlassen — vom geologischen Schauplatz
abtritt, doch nicht in allen ihren Zweigen spurlos erlosch.
Ein einzelner Zweig, — an die älteren Ganocephalen zunächst sich anschliessend,
vielleicht auch nach seinen cykloidischen Schuppen in irgend einer verwandt-
schaftlichen Beziehung mit den ältesten cykliferen Ganoiden stehend, — erhielt
sich auf dem feuchten Festland unter Bedingimgen, die für fossile Erhaltung keine
günstige Gelegenheit boten, durch eine lange Reihe von Epochen am Leben und
fristet in einigen Gattungen noch sein Dasein als verkümmerter Bewohner feuchter
Erdlöcher. Das sind die heutigen Cäcilien. Und zu so weiten Umschweifen
muss die Palaeontologie ihre Zuflucht nehmen, wenn sie den continuirlichen Ver-
band der heutigen Lebewelt mit den vorausgegangenen urweltliclien Formen
erklären will. Dabei kann schliesslich nocii ein neuer glücklicher Fund <;e-
nügen, ein mühsam ersonnenes Gebäude von Hypothesen wieder über den
Haufen zu werfen. Aber auch in anderen Wissenschaften ist das Bessere melir
oder minder des Guten Feind.
Anthozoen
von
Dr. Friedrich Rolle.
Die Klasse der Anthozoen oder Blumenthiere, Korallen (Anthozoa.
Zoant/iaria, Corallia) begreift — nach Ausscheidung der sehr ähnlichen Hy-
droiden oder Quallenpolypen — strahlig gebaute Meeresbewohner von glocken-
oder walzenförmiger Gestalt, einer mit eigenen Wandungen versehenen trichter-
förmig eingestülpten Magenhöhle und einem den Mund umgebenden Kram
hohler Fühler oder Tentakeln.
Der Körper besteht aus gleichartigen Hauptabschnitten^ den sogen. Gegen-
stücken oder Antimeren, welche in Strahlenform die mitdete Hauptachse des-
selben umstehen. Diese Hauptabschnitte erscheinen bei den Anthozoen in ver-
schiedener, für die besonderen Ordnungen sehr constanter Zahl. Es giebt vier-
zählige Korallen, TetracoralUa ^ sechszählige oder HexacoraUia und achtzählige
oder OctocoraUia,
Dieser strahligc Bau des Körpers äussert sich namentlich im Auftreten
von Längsfalten der inneren Leibeshöhle oder Mesenterialfalten, welche diwse
in eben ho viele («ef^cher oder Kammern abtlieilen, dann auch in der Zahl der
den Mund umstehenden Tentakeln.
So zeigen die achtstrahl igen Anthozoen, Octactinia oder OctocoraUia z. B.
Vfretillum, acht häutige Blätter oder Scheidewände, septüy der Leibeshöhle und
einen Fltldcrkranz von acht den Mund umstehenden Tentakeln oder Fühlern.
Bei vielen Anthozoen vermehrt sich mit dem Alter die 2^hl der Leiber-
Anthozoen. 33
falten und der Fühler mehr oder minder reichlich, wobei meist bei ersteren
die Vervielfältigung der zu Grunde liegenden Antimerenzahl deutlich bleibt und
die primären Strahlen an ihrer grösseren Dicke und Höhe von den später
gebildeten zu unterscheiden sind. In anderen Fällen wird mit wachsendem
Alter das primäre Zahlenverhältniss undeutlicher.
Nur ein Theil der Anthozoen stellt einfache Individuen dar, die sich durch
Eier vermehren. Andere Arten und zwar zahlreiche Gattungen bilden zusammen-
gesetzte Stöcke, deren Individuen sich entweder durch Selbsttheilung (Gabelung
im Längswachsthum) oder durch Knospung vermehren, wobei auch die Fort-
pflanzung durch Eier noch fortdauert. Die Gestalt der Stöcke ändert dabei je
nach der besonderen Art der Individuen und dem besonderen Verlauf der
Theilung sehr ab, manche stellen kugelige Knollen, andere flache Rasen, noch
andere bäum- oder strauchartige Gestalten dar.
Sämmtliche Anthozoen sind Wasser- und zwar Meeresbewohner, mehr oder
minder verbreitet in allen Meeren, besonders zahlreich aber in denen der
tropischen Zone. Einige, namentlich mit Arten tertiärer Schichten idente Arten,
bewohnen auch die grösseren Meerestiefen.
Die meisten stellen pflanzenähnliche Stöcke dar, die auf dem Meeresboden —
auf Steinen oder Conchylien — sich festsetzen und nur noch durch Ausgabe
von Eiern neue Wohnsitze besiedeln können.
Nur wenige höher ausgebildete Formen, wie namentlich die Actinien oder
See-Anemonen, leben frei und kriechen langsam auf dem Meeresboden, nament-
lich an felsigen Rändern der Küste umher. Sie entwickeln kein geschlossenes
Kalk-Skelett und sind daher auch in fossilem Vorkommen nicht bekannt.
Die Anthozoen erlangen zum Theil durch Ausscheidung eines festen Kalk-
gerüstes eine grosse geologische und palaeontologische Bedeutung. Diese finden
sich in sämmthchen geologischen Meeresformationen und oft in besonderen
Schichten reichlich vertreten, namentlich vom oberen Silur-Systeme an. Andere
Anthozoen sitzen auf einer hornigen Achse, die sich nur sehr wenig zur fossilen
Erhaltung eignet. Noch andere stellen nur eine weiche Sarkode-Masse dar, diese
kennt man nicht aus älteren Ablagerungen erhalten.
Die Ausscheidung der hornigen oder kalkigen Substanz geschieht theils durch
die äussere Haut (Epidermis), theils im Inneren der Sarkode-Schichten des Thieres
und zwar besonders im unteren (oder hinteren) Theile desselben, und gewährt
namentlich den kleinen Thierindividuen der grossen Stöcke eine. Zuflucht, in die
sie die obere Körperscheibe oder den Kelch mit den Fühlern zurückziehen können.
Der Mund mit der Tentakel-Scheibe bleibt weich. Namentlich scheiden die
Fühler niemals feste Substanz aus und sind daher auch bei fossilen Funden nie
erhalten. Die Ausscheidung der kalkigen Substanz geschieht von verschiedenen
Köipertheilen aus und in sehr mannigfacher, schwer zu übersehender Weise.
In manchen Fällen wird nur im Inneren der gemeinsamen Achse von baum-
oder strauchfbrmigen Stöcken hornige oder kalkige Masse abgeschieden, die
Abscheidung ist aber nur scheinbar eine innere. Sie geht von der Oberhaut
der Grundfläche aus und schreitet nach oben und innen vor. Dies ist nament-
lich bei Alcyonarien der Fall.
In anderen Fällen bildet sich im Inneren der Körperhaut ein röhrenförmiges
Kalkgerüst, Gemäuer (muraille), welches wenig oder nichts von den Fächern
der Leibeshöhle erkennen lässt. So bei den Tubiporen und anderen sogen.
Röhren-Korallen.
Kimmgott, Min., Geol. u. Pal. I. ^
34 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Am wichtigsten ist die gleichzeitige Abscheidung von Kalksubstanz im Inneren
der Körperhaut und der aus dieser in die innere Leibeshöhle hervortretenden
Falten. Im Verlaufe dieses Vorganges verkalken Gemäuer und Septen in ver-
schiedenen Abstufungen.
Die Verkalkung beschränkt sich bald auf die Ausscheidung loser Kalk-
partikeln, bald entsteht auch ein lockeres poröses Kalknetz, bald endlich er-
scheint ein geschlossenes oder nur von einzelnen Canälen durchbrochenes Kalk-
gerüst, welches die Gestalt der Leibeswandungen und der von diesen nach
innen ausstrahlenden Falten wiedergiebt.
In diesem letzteren Falle stellt das Kalkskelett eine mehr oder minder kegel-
förmige oder walzige Röhre mit innem Stemlamellen oder Septen dar und diese
Art der Verkalkung der Anthozoen ergiebt die fiir Deutung der fossilen Formen
und deren Vergleichung mit den nächstverwandten lebenden Arten am besten
geeigneten Exemplare. Dies ist namentlich bei Tetrakorallien und Hexakorallien
in ausgezeichneter Weise der Fall.
Die Verkalkung der häutigen Falten, welche in das Innere der Leibes-
höhle hereinragen, bildet nun die Strahlen oder Stemlamellen, septa^ deren Zahl
und successive Vervielfältigung die reichsten Aufschlüsse über Bau und syste-
matische Stellung des Thieres gewährt, dessen Körperwand und Strahlenfalten
sich durch die bei Lebenszeiten vorgehende Versteinerung gleichsam verewigten.
Die besondere Gestaltung ist dabei sehr mannigfaltig. Bald sieht man im
Innern der verkalkten Körperwand nur schmale kurze Stemleisten hervortreten,
die zum Theil selbst nur als schwach vorragende Streifen erscheinen können.
Bald auch und zwar in der Mehrzahl der Fälle treten die Septen stark ins
Innere der Wohnzelle vor. Jüngere Septen schalten sich dann zwischen den
älteren ein, die primären Septen rücken dann mit dem Wachsthum des Thiers
gegen die Achse vor und schmelzen auch wohl in dieser mit einander zusammen,
während secundäre nachfolgen und ebenfalls successiv gegen die Achse zu
herantreten.
So haben die Hexakorallien zu Anfang der Verkalkung sechs Septen,
welche die Wohnzellen in sechs Gefächer abtheilen. Dies sind die Septen erster
Ordnung oder der erste Cyklus. Mit dem Heranwachsen des Thieres beginnen
sechs secundäre Septen sich einzuschalten, anfangs sind es noch schwache
Streifen, später treten sie weiter in die Leibeshöhle vor. Die Wohnzelle hat jetzt
6 -f- 6 = 12 Septen. (Zwei Cyklen).
In der Folge schalten sich die tertiären Septen ein, eine tertiäre Lamelle
je zwischen einer primären und einer secundären, zusammen 12 tertiäre Septen.
Die Wohnzelle hat in dieser Altersstufe 24 Septen, nämlich 6 primäre, 6 secun-
däre und 12 tertiäre*. (Drei Cyklen.)
Dieser Vorgang geht bei manchen Anthozoen, z. B. bei den Fungiden, noch
weiter und das Zahlenverhältniss wird dann immer schwerer zu übersehen,
namentlich da zugleich oft die späteren Septen sich eng zusammendrängen und
unregelmässig werden, hin und wieder auch verkümmern.
Man muss dann zur Ermittelung des primären Zahlenverhältnisses der Septen
auf Jugendformen zurückgehen.
Bei CycioIites'Art^T\ der Kreideformation geht die Zahl der Septen zu
300 — 400 und dartiber.
Noch weiter verwickelt sich der Vorgang mit dem Zusammenstossen der
Septen in der Achse der Wohnzelle. Es entsteht dadurch oft eine Säule, r^Ä/-
Anthozoen. 35
melia. Bald besteht sie nur aus zusammengewundenen Theilen der Septen, bald
gestaltet sie sich als eine eigene poröse (schwammige) Masse.
Zuweilen wachs diese Säule in Form einer längeren Spitze über die Septen
hinaus und stellt ein vorragendes Stäbchen dar. In anderen Fällen wachsen auch
noch von der vorragenden Säule aus den Septen oder Stemlamellen besondere
Blätter entgegen, die also in Strahlenform die Säule umgeben. Wir können
nicht alle Einzelheiten im mannigfach sich verwickelnden Bau der Stern-
Korallen und ihre schwierige Nomenclatur hier erörtern, müssen aber noch
der Querböden (tabulae) gedenken, die besonders bei palaeozoischen Korallen
eine wichtige Rolle spielen und daher nicht übergangen werden können.
Manche Anthozoen heben sich, wenn das Gemäuer der Wohnzelle im Ver-
laufe des Wachsthums eine gewisse Höhe erreicht hat, in derselben etwas empor
und scheiden dann gegen unten eine Kalkplatte ab, welche zwischen den Septen
quer (bezw. horizontal) verläuft. Dies kommt besonders bei Asträiden z. B. Stylina
vor. Werden die queren Platten zu vollständigen Scheidewänden, die vom Ge-
mäuer ununterbrochen zur Achse fortsetzen, so heissen sie Böden (tabulae, französ.
planchers). Sehr ausgebildet und zahlreich erscheinen diese queren Böden bei
den palaeozoischen Favosites-hiten, die mit einigen verwandten Gattungen darnach
auch als Tabulaten bezeichnet wurden.
Ebenso erscheinen die Böden bei den palaeozischen Cyathophyllen und anderen
verwandten Gattungen der Tetrakorallien sehr ausgebildet. Die Gattung Cysti-
phyllum zeichnet sich durch eine zusammengesetztere Auffüllung des Grundes der
Wohnzelle aus. Die Septen stellen nur wenig vortretende Streifen dar und der innere
Raum füllt sich von unten nach oben durch flache blasenförmige Abscheidungen
aus, welche die Bedeutung von Böden haben.
Auch die Aussenseite des Gemäuers der Wohnzelle zeigt besondere Charaktere.
Namentlich sind viele Korallen der Länge nach gerippt und die Rippen ent-
sprechen dann oft der Zahl der Septen oder sie fallen, wo das Gemäuer nur
dürftig ausgebildet ist, ganz mit letzteren zusammen.
Dazu kommt bei manchen Korallen noch eine äussere (epidermidale) Kalk-
Rinde, welche sich übei Gemäuer und Rippen ansetzt. Dieselbe heisst Epithek.
Sie bildet gern querlaufende Runzeln. Bisweilen verlängert sie sich auch in
wurzelartige Ausläufer, mittelst welcher sich das Thier auf Steinen oder anderen
festen Gegenständen anheftet.
Um eine neue Stufe verwickelt sich Bau und Nomenclatur der Anthozoen
mit dem Auftreten zusammengesetzter Stöcke, namentlich wenn dabei die Thier-
Individuen der Stöcke sich nur unvollständig von einander trennen und mit dem
oberen Körpertheil (und dem Kelch der Wohnzelle) in Zusammenhang bleiben.
Die wenigsten Anthozoen bleiben immer einfache Individuen, welche nur durch
Eier sich fortpflanzen. Weit häufiger ist die Bildung zusammengesetzter Stöcke
durch Knospenbildung (getnmation) oder eine mehr oder minder weit gehende
Selbsttheilung (fissipariti) der Individuen.
Am einfachsten ist noch die Stockbildung auf dem Wege der Knospung.
Es entsteht dabei an dem oberen Rand des Thiers eine knospenartige Anschwellung,
die allmählich zu einem neuen röhrenförmigen Thier heranwächst, welches sich je-
doch vom mütterlichen Stamme nicht mehr ablöst. Die Individuen hängen dann
nur am Grunde zusammen und bleiben von da und namentlich mit dem Kelch-
rande frei. So ist es z. B. mit der noch lebenden Cladocora caespitosa Lam. des
3*
36 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
9
Mittelmeers, ebenso verhält sich Cyathophyllum caespitosum Goldf. aus dem devo-
nischen Kalke der Eifel.
Bei anderen Stöcken bleiben die Individuen bis gegen den Kelchrand hin in
beständiger Verbindung z. B. durch Poren des Gemäuers. So ist es z. B. bei
den palaeozoischen Favosites- oder Calamoporch Krtexi,
In noch anderen Fällen hängen die Individuen eines Stockes in Folge unvoll-
ständiger Sonderung des Kelchs in Längsreihen (Calicial-Serien) zusammen und
stellen dann oft mäandrische Zeichnungen auf der Oberfläche des Stockes dar.
So bei der lebenden Gattung Maeandrina und einer Anzahl verwandter fossil
vorkommender Gattungen.
Bei den Korallenstöcken wiederholen sich dann die Gebilde der Einzel-
korallen, aber oft in viel verwickelterer Weise. Bei manchen Stöcken ist das
Gemäuer der Individuen unausgebildet oder sehr porös durch Sarkode-Stränge,
welche die einzelnen Individuen in Verbindung erhielten. Bei anderen Formen
gehen auch von einem Thierindividuum die Septen ununterbrochen durch das Ge-
mäuer, von einer Wohnzellen-Achse zur anderen (septa confluentia) z. B. bei den
TAamnasfraea-Aiten des Jura und der Gosau.
In anderen Fällen entwickelt sich zwischen den Gemäuern benachbarter Wohn-
zellen eines Stockes ein blättriges oder poröses Kalkgewebe, das sogen. Cönen-
chym (Gemeingewebe). Ausgezeichnet ist dieses z. B. bei Heliolites porosus Goldf.
aus dem devonischen Kalke der Eifel, wo es Längsröhren und quere'Böden zeigt
und einen breiten Zwischenraum zwischen den Wohnzellen ausfüllt. Gemeinsame
Bildung äusserer Rippen und über diesen noch ein gemeinsamer Absatz einer
äusseren runzeligen Kalkschichte (Epithek) kommt ebenfalls bei Korallen-Stöcken
vor. Bisweilen setzt sich auch wieder die äussere Kalkrinde in wurzelartige Ver-
längerungen fort, mittelst welcher der ganze Stock sich auf einer festen Grund-
lage anheftet, wie dies namentlich bei der Gattung Michelinia aus dem Kohlen-
kalk von Tournay ausgezeichnet vorkommt.
Wir können nicht alle diese mannigfaltigen Einzelheiten erschöpfen. Wir
gehen zur Bildung der Korallen-Riffe über.
Ein Theil der Anthozoen erlangt besondere geologische Bedeutung durch den
allmählichen Aufbau der sogen. Korallen-Riffe (engl, reefs, coral-banks)^ die in
tropischen Meeren sich wie vorgeschobene Mauern weithin entlang der Küsten
erstrecken (z. B. an der Nordost-Küste von Australien auf mehr als 200 deutsche
Meilen) oder vereinzelt aus dem Meere hervorragende Inseln umziehen, auch wohl
als hohe Oberbauten noch die Stelle versunkener Inseln oder Inselgruppen an-
zeigen.
Der Riffbau beruht darauf, dass das aus dem Mutterthier durch Knospung
oder Selbsttheilung hervorgehende neue Individuum mit demselben in Verbindung
bleibt, gleich demselben ein festes Kalk-Skelett abscheidet und entsprechend zum
Aufbau des gemeinsamen Felsgeflechtes beiträgt. Diese Art des Wachsthums
geschieht nur bei verhältnissmässig wenigen Arten in solcher Massenhaftigkeit, dass
daraus ein geschlossener Riffbau hervorgehen kann.
Eine Menge anderer Korallen, wie auch Anneliden, Mollusken, See-Igel u. s. w.
siedeln sich dann unter dem Schutze der emporwachsenden Mauer an, während
Fische mit harten Mahlzähnen dieselben umkreisen, um die weichen belebten
Theile abzuweiden.
Korallen-Riffe entstehen heutzutage nur in Meeren der tropischen oder auch
wohl noch der subtropischen Zonen. Am verbreitetsten sind sie zwischen
Anthozoen. 37
28** nördl. und 28° südl. Breite. Die riff bildenden Arten erfordern eine
mittlere Meerestemperatur von 25 — 30° C, nur wenige derselben leben noch bei
20 oder 16° mittlerer Wärme. Im atlantischen Meere hat Florida mit den
Bahama-Inseln und den Bermudas (32° 51') die nördlichsten Korallen-Bauten.
Das Vorkommen ansehnlicher Korallenriffe in älteren Ablagerungen — vom
Süur-System bis zur oberen Kreide — spricht also für die wärmere Temperatur
des Meeres der früheren geologischen Epochen. Die Riffbildung in der Kreide-
Epoche geht noch bis 55° und 56° nördl. Br. (Faxoe auf Seeland.)
Die riffbauenden Korallen leben auch in den tropischen Meeren nur vom
mittleren Wasserspiegel bis zu einer Tiefe von 30 bis etwa 40 Meter.
Die Riffbauten im grossen Senkungsgebiete des indisch-pacifischen Oceans
reichen mit jähen Mauerabfällen in weit grössere Tiefen, bestehen aber unter-
halb der tiefsten Zone, in welcher die Thiere noch leben können, aus abgestorbenen
Stöcken.
Es erweist dies die fortdauernde allmähliche Senkung der betreffenden
Meeresregionen. Sie geht so langsam vor sich, dass die riffbauenden Korallen
im Laufe von Jahrtausenden Zeit fanden, an den oberen Rändern des sinkenden
Riffs nachzubauen und dessen Scheitel fortwährend im Spiegel des Meeres zu
erhalten.
Die erste Stufe des Vorganges ist eine von dem vorragenden Berg-Gipfel
eines der Senkung verfallenden Festlandes bedingte Insel, umsäumt von einem
an dem Abhang derselben entstandenen Korallenriffe, einem normalen. Saum -
Riff. Im weiteren Verlaufe des Vorganges verfallt auch der Gipfel des betreffen-
den Berges der Versenkung. Es bleibt dann unter beständigem Nachwachsen nur
der Scheitel der Korallenbauten in der Spiegelhöhe, wobei gewöhnlich noch eine
von Meereswasser erfüllte Lücke der Mitte die Stelle der längst verschwundenen
Bergspitze andeutet. Dies sind die sogen. AtolTs oder ringförmigen Korallen-
Inseln, Lagunen-Riffe, deren man hunderte kennt (im tropischen Theil des Stillen
Meeres allein 290). Jedes Atoll des indopacifischen Oceans entspricht einer Berg-
spitze eines versunkenen Festlandgebiets.
Man kennt Korallenriffe, deren äusserer Mauerabfall eine Höhe von 600 Meter
ergiebt, auch noch darüber. Das Nachwachsen der rifFbildenden Madreporen
wird zu höchstens 2 Centim. im Jahre veranschlagt. Es ist also offenbar, dass
zahlreiche Riffe seit vielen Jahrtausenden im Nachwachsen begriffen sind.
Man kann darnach auch annehmen, dass Korallen-Lager älterer geologischer
Epochen, besonders wenn sie grosse Mächtigkeit zeigen, einem allmählicher Senkung
verfallenen Meeresgebiete angehören, dessen Senkung so langsam erfolgte, dass
die riff bildenden Thiere fortwährend nachwachsen konnten.
Die Klasse der Anthozoen ist vom unteren Silur-System an in den Meeres-
absätzen aller geologischen Formationen vertreten. In den ältesten sedimentären
Schichten sind die Funde noch zweifelhaft. Sicher werden sie in der zweiten
Silur-Fauna und im oberen Silur-System (dritte Silur-Fauna) treten sie in reicher
Formen-Mannigfaltigkeit auf. Sie bilden hier schon riffartige Lager, z. B. auf der
Insel Gothland. Aehnliche Riffe bilden sie im devonischen Kalke der Eifel, z. B.
zu Gerolstein und zu Bensberg bei Cöln.
Vorherrschend in diesen älteren Ablagerungen sind die Tetracorallia mit
Cyathophylium , Cystifhylium u. s. w. vertreten. Mit ihnen mehrere Tabulaten,
namentlich die Gattimgen Calamopora oder Favosites und Aiveolites, die man jetzt
unter die Hexacoraüia stellt. Femer eine Anzahl von Röhrenkorallen wie Haly-
38 Mineralogie, Geologie und PaUeontologie.
Sites, Syringopora und Auiofora, die man neuerdings den lebenden Tubiporiden
(Octocoraüia) zuzählt. Femer die in ihrer systematischen Stellung schwankenden
HelioiiteS'ATtm. Aehnlich ist auch noch die Korallen-Fauna des Kohlenkalks
und die sehr spärliche des permischen Systems (Zechstein). Aber darnach tritt
eine bedeutende Aenderung ein.
Wo diese palaeozoischen Korallen ihren Ursprung nahmen, ist aus dem
geologischen Archive nicht zu ersehen. Aus anatomisch-physiologischen Gründen
leitet E. Haeckel die Anthozoen zusammen mit den Hydroiden von den Spon-
gien her. Unter diesen treten nämlich schon ähnliche strahlig gebaute Gestalten
(aber noch mit schwankendem Zahlenverhältniss der Antimeren) auf, die eine
gewisse vermittelnde Stellung einnehmen und die Abstammung der Korallen von
strahligen Spongienformen älterer Epochen wahrscheinlich machen.
Nach Ablagerung des Zechsteins erlitt die Anthozoen-Fauna der Meere eine
beträchtliche Umgestaltung — zusammen mit anderen Ordnungen der Pflanzen-
und Thierwelt — durch Einfluss geologischer Verhäitnisse, deren Natur wir zu
durchschauen zur Zeit noch vergeblich trachten.
Im Jurakalk z. B. zu Nattheim in Schwaben und in der Kreideformation,
besonders in der Gosau (Salzburg) erscheinen wieder mächtige Korallen-Ab-
lagerungen, aber sie enthalten ganz andere Anthozoen-Gattungen, als die, welche
wir im silurischen und im devonischen System herrschend trafen. Statt dieser
herrschen in den Korallen-Riffen der Jura- und der Kreide-Formation Hexa-
korallien von sechszähligem Septal- Apparat, namentlich aus den Gattungen
Thamnastraea (und Synastraea), Isastraea, Maeandrina, Stylina, AstrocoeniOy MofU-
livaltia (oder Anthophyüum), Thecosmilia^ Calamophyllia, Cyclolites u. s. w.
Die Hexakorallien bilden auch die Hauptmasse der heutigen tropischen
Korallen-Riffe, aber meist wieder in anderen Gattungen, namentlich Mctdrepora,
Porites, Astraea, Maeandrina, Milkpora u. s. w. Gewisse heute lebende Ibrites-
Arten können für sich allein in den Tropen Stöcke von 8—9 Meter Durchmesser
aufbauen.
Wir gehen nun zum System der Anthozoen über. Diese KUasse zerfällt in
zwei Hauptordnungen Alcyonaria öder Octactinia, OctocoraUia mit herrschender
Achtzahl und Zoantharia,
Die Alcyonarien, OctocoraUia^ sind Anthozoen mit stets acht regelmässig
gefiederten Tentakeln, die Eingeweidehöhle (caviti viscerale) ist durch acht
Mesenterialfalten in ebenso viele Gefächer abgetheilt.
Unter diesen achtzähligen Korallen zeichnen sich die Gattungen Isis, Coral-
lium und Mopsea durch eine feste, theils kalkige, theils homige Achse des Stockes
aus, die aber nur scheinbar ein inneres Gebilde ist, in Wirklichkeit aus einer
epidermalen Ausscheidung besteht, die dem Epithek anderer Korallen entspricht
Der Stock beginnt an der Unterseite, wo er auf einer festen Grundlage sich an-
geheftet hat, mit einer festen, epidermalen Ausscheidung, über der dann eine
Reihe neuer Schichten sich ablagern, so dass eine feste Säule entsteht (colonnt
sclerenchymateuse), die dem baumförmig fortwachsenden Stock einen innem Halt
ertheilt. An der Oberfläche dieser von unten nach oben nachwachsenden Achse
sitzen die Thierindividuen, deren gemeinsame Basal-Epidermis das gemeinsame
Skelett des Stockes erzeugt und an der Spitze von Stamm und Zweigen fortbildet.
Einige wenige Arten kommen fossil vor, namentlich in tertiären Meeres-
schichten.
Corallium pcUlidum Michelin aus dem Miocän von Turin (CorcUlium rubrum
Anthozoen. 39
MiCHBLOTTi) Steht der heute im Mittelmeer lebenden rothen Edelkoralle (Coral-
lium rubrum Lam.) (Isis nobüis L.) nahe, unterscheidet sich aber durch feinere
Oberflächen-Streifung der verzweigten Stock-Achse.
Die PennatuUden oder Seefedem bilden ähnliche Stöcke mit gemeinsamer
fester Stockachse, die Stöcke sind aber nicht fest gewachsen, sondern stecken
mit der stabförmig verlängerten Stock-Basis in Sand oder Schlamm, treiben auch
wohl gelegentlich im Meere frei umher. Von Virgularia und Pavonaria werden
fossile Funde erwähnt.
Interessanter sind die Tubiporiden des indisch-australischen Meeresgebietes.
Tubipora bildet grosse kalkige Stöcke von cylindrischen, gedrängt stehenden,
fast parallel emporwachsenden Wohnzellen. Sie zeigen auf der Innenseite keine
Septen, wohl aber erscheinen sie absatzweise von queren Böden (tabulae) durch-
setzt, die dem Emporsteigen des anwachsenden Thieres entsprechen. Aehnliche
quere Böden bilden sich auch ausserhalb der Wohnzellen und verbinden die
einzelnen Röhren derselben zu einem festen Stockwerksbau. Hiervon der Name
Oigelkoralle. Linnä vereinigte alle ihm bekannten Formen unter der Bezeich-
nung Tubipora musica. Es giebt aber in den tropischen Meeren eine viel grössere
Anzahl von Arten.
Aus Europa kennt man keine fossilen Tubiporen, wohl aber aus den palaeo-
zoischen Formationen aller Erdtheile eine Reihe von Gattungen schwer zu deu-
tender Röhrenkorallen, die man — wie seinerseits schon Linn£ — nach mancherlei
Deutungen — neuerdings wieder den Tubiporiden anreiht.
Es gehören dahin namentlich die Gattungen: Halysitcs Fisch. (CaUnipora
Lam.); Syringopora Goldf.; Aulopora Goldf.
Beide ersteren wurden ehedem den Tabulaten zugezählt.
Haly Sites (Catenipora) bildet Stöcke von langprismatischen, etwas an den
Seiten zusammengedrückten, neben einander emporwachsenden Wohnzellen. Sie
hängen mit den schmäleren Seiten zusammen, so dass auf der Scheitelfiäche des
Stockes die Mündungen die Gestalt zusammenhängender Ketten darstellen. Im
Innern zeigen die Wohnzellen zahlreiche horizontale Querböden (tabuUu^ planchers)
sowie schwach ausgebildete Septen (angeblich 12).
HalysiUs catenularia Lam. (Catenipora escharoides Goldf., Tubipora catenu-
laria LiN.) ist häufig im obem Silur von Gotland, Dudley in England u. a. O.
Die jungen Röhren setzen sich zur Seite einer älteren oder zwischen je zwei
älteren an.
Die Gattung Syringopora bildet ähnliche Stöcke, aber die Wohnzellen sind
drehrund und hängen nur in bestimmten Höhenabständen durch feine horizon-
tale Röhren mit einander zusammen. Tafeln ausgebildet, Septen schwach ange-
deutet, Arten im silurischen, devonischen und carbonischen System.
Hierzu kommt noch aus dem devonischen System die in ihrer zoologischen
Stellung sehr schwankende Gattung Aulopora, Sie zeigt ein röhrenförmiges Ge-
mäuer, das statt der Septen nur eine Längs-Streifung der Innenseite erkennen
lässt Auch fehlen hier die Böden. Die Vermehrung geschieht durch seitliche
Rnospung.
Aulopora repens Walch. (Tubiporites serpens Schloth.) ist eine häufige und
bezeichnende Röhrenkoralle des devonischen Kalks (z. B. zu Gerolstein in der
Eifel und Bensberg bei Cöln). Der Stock kriecht in Netzform auf anderen Ko-
rallen umher und vermehrt sich reichlich durch Sprossen, die dicht neben den
Röhren-Mündungen hervorbrechen und mit dem Mutterthier in Verbindung bleiben.
40 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Die Gattung Aulopora ist in sicheren Arten nur aus dem devonischen System
bekannt, aber in zoologischer Hinsicht eine schwer unterzubringende Fonu.
(Manche Bryozoen sind sehr ähnlich und zu diesen rechnet man jetzt auch die
den Auloporen ähnlichen Fossilien des Jura-Systems, Alecto Lamx.)
Mannigfache Deutung fand die in den heutigen tropischen Meeren lebende
Gattung Heliopora Blainv., ausgezeichnet durch Stemlamellen der Wohnzellen
und reichliches röhriges Cönenchym. Die Thiere fuhren acht Tentakeln.
Ebenso zweifelhaft im System ist die der vorigen ähnliche palaeozoische
Gattung Heliolites Dana. Bei dieser zeigen die Wohnzellen der grossen knolligen
oder rasenförmigen Stöcke ausgezeichnet deutliche Stemlamellen, septa, in der
Zwölfzahl. Querüber verlaufen horizontale Böden oder iabulae, Sie tragen in der
Mitte eine kleine Säule. Zwischen den Wohnzellen erscheint eine feinröhren-
förmige epidermale Ausscheidung mit quer durchstreichenden Böden, sie nimmt
einen breiten Zwischenraum zwischen den Wohnzellen ein. Dies ist das Cönen-
chym oder Gemeingewebe.
Heliolites insterstincta Linnä ist häufig in den Korallen-Bänken des oberen
Silur von Dudley in England und auf der Insel Gothland.
Heliolites porosa Edw. (Astraea porosa Gou)F.) erscheint häufig und wohl-
erhalten im devonischen Kalk von Gerolstein mit ausgezeichnet 12 zähligem
Septal-Apparat. Diese devonische Art schliesst sich unmittelbar der silurischen
an. Das Cönenchym der devonischen ist stärker entwickelt.
Man stellt neuerdings Heliolites zusammen mit Heliopora zu den Oktokorallien.
Wir kommen zur zweiten Hauptordnung Zoantharia.
Sie begreift Thiere mit einer verschiedenen, oft sehr grossen Anzahl von
Tentakeln (6 — 12 und mehr), die bald einfach bald unregelmässig verästelt sind.
Die Mesenterialfächer und mit ihnen auch die kalkigen Septen erscheinen bald
in Vervielfachung der Vierzahl, bald der Sechszahl.
Dahin gehören wieder eine Reihe sehr verschieden gearteter Formen, theils
von weichem Körper, theils mit hornigen, theils, und dies in den meisten Fällen,
kalkigen Skelettbildungen.
Zoantharien von weichem Körper ohne Skelett-Bildung sind die an den
Meeresküsten häufigen Actinien oder See-Anemonen. Sie sitzen mittelst einer
Fussscheibe an Felsen und können mittelst derselben fortkriechen. Sie eignen
sich nicht wohl zu fossiler Erhaltung und sind darnach aus älteren Formationen
nicht bekannt.
Eine hornige Stockachse bilden die Antipathiden oder Stauden- Korallen.
Sie ist denen gewisser Alcyonarien ähnlich und ebenfalls eine von der Basis
zum Gipfel des Stockes aufwachsende (scheinbar innere) Epidermal-Ausscheidung,
aber die auf ihrer Aussenfläche sitzenden Tbierindividuen haben sechs einfache
Tentakeln.
Man kennt fossile Reste als Seltenheit, wie Leiopathes vetusta Micht. aus
Miocänschichten von Turin.
Weit wichtiger sind von den Zoantharien die mit festem verkalkendem
Skelett ausgestatteten Madreporarien {Zoantharia sclerodermata) , Sie erscheinen
bald als freilebende vereinzelt bleibende Individuen, bald zu mannigfach gestalteten
Stöcken vereinigt, zeigen in der Regel einen wohl ausgebildeten Septal-Apparat
und erscheinen in zalilreichen Arten, Gattungen und Familien vom unteren Silur-
System an fossil. Zu ihnen gehören auch die Mehrzahl der Riff-Korallen der
älteren Epochen und die der heutigen tropischen Meere.
Anthozoen. 41
Die Madreporarien zerfallen in zwei grosse Abtheilungen, Tetracoraüia mit
vierzähligem Septal -Apparat (Typus tetrameralis) und Hexacorallia mit sechs-
£ähligem Septal-Apparat (vom typus hexameralis.)
Von ihnen herrschen dieTetracorallien (Zoantharia rugosa Milne Edwards)
in den palaeozoischen Epochen, werden im permischen System (Zechstein) selten
und erscheinen in den späteren Formationen, nur noch in vereinzelten Arten.
Der Septal-Apparat der Tetrakorallien zeigt bei manchen Gattungen die
Grundzahl vier in ausgezeichneter Weise erhalten. Bei anderen gestaltet er sich
mehr bilateral-symmetrisch. Oder es erscheint auch eine von einem stärker aus-
gebildeten Haupt-Septum ausgehende fiederartige Stellung der benachbarten
Septen. Endlich kann auch eine regelmässig radiäre Anordnung der Septen
eintreten, in welcher die primäre Grundzahl vier sich scheinbar verloren hat.
Hierher gehören namentlich die in den Korallenlagem des silurischen und
des devonischen Systems reichlich vertretenen Cyathophyllen oder Becher-
Korallen, an die sich eine ganze Reihe Subgenera anschliessen.
Ein ausgezeichneter Vertreter ist Cyathophyllum helianthoides Goldf. Diese
Art erscheint bald in einzeln bleibenden Individuen von flacher Kegelform und
kreisrundem Umriss der Oberseite. Bald entstehen auch durch seitliche Knospen-
bildung ausgebreitete plattenförmige Individuen-Stöcke, deren Individuen sich an
der Oberfläche polygonal zusammendrängen. Die Septalsteme zeigen bei der
einen wie bei der anderen Gestaltung sehr zhlBreiche (60 — 80) und unter einander
fast gleich starke Septen, die bis zum Mittelpunkte reichen, wo sie etwas unregel-
mässig werden und sich krümmen.
Diese Art ist häufig im devonischen Kalke zu Gerolstein u. a. O. in der Eifel.
Auch Cyathopkyllutn caespitosum Goldf. ist im Eifeler Kalke gemein und tritt
oft z. B. zu Bensberg bei Cöln als Riff'-Bilder auf. Die Individuen sind bei
dieser Art schlank-walzenförmig, vermehren sich durch Knospung an der Seite
des Kelches, gabeln sich dann und bleiben von da an mehr oder minder frei,
ohne sich gegenseitig polygonal zu drücken. Die Septen sind dünn und er-
scheinen zu 40 bis 50.
Die Gattung Cystiphyüum Lonsd. steht den Cyathophyllen nahe, zu welchen
sie GoLDFUSS noch zählte. Der Septal-Apparat verkümmert hier sehr und zeigt
sich nur noch in Gestalt von schwach hervortretenden Längsstreifen. Dafür zeigt
sich eine im Verlaufe des Wachsthums immer höher ansteigende Aufftillung der
Wohnzelle durch zahlreiche flache blasenförmig aufgewölbte Kalk-Blätter, welche
den Querböden (tabulae) anderer Korallen entsprechen.
Cyst vesiculosum Goldf. bildet grosse, walzenförmige Individuen von 2 bis
10 Centim. Durchmesser und ist häufig mit vorigen zu Gerolstein u. a. O.
Zu den Tetrakorallien zählt man neuerdings auch ein wichtiges palaeozoisches
Fossil, die Gattung Calceola Defr, die aber in der Gestalt des festen Skeletts
seltsam abweicht. Man zählte die Calceolen lange zu den Brachiopoden, denen
sie durch ein mit einem Deckel versehenes gehäuseartiges, bilateral-gleichseitiges,
ungleichklappiges Kalkgebilde ähneln, wiewohl immer Bedenken dagegen ver-
lauteten. Neuere Palaeontologen betrachten Calceola als eine Deckelkoralle der
Ordnung Tetracorallia.
Die Wohnzelle ist pantoffelförmig oder eher noch einer Schuhspitze ähnlich,
>ehr dickschalig, mit ziemlich tiefem Kelche. Die Aussenseite ist mit einet
ninzeligen Schicht (Epithek) belegt. Die Septen sind sehr schwach entwickelt
und nur durch mehr oder minder erhabene Längslinien angedeutet. Das Haupt-
42 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Septum Hegt in der Mediane des Kelchs, an der mit dem Deckel articulirenden
flacheren Seite und wurde früher, als man CaUeola zu den Brachiopoden zählte,
für einen Theil des Schloss-Apparates genommen.
CaUeola sandalina Lam. wird 26 — 52 Millim. lang und findet sich häufig und
wohlerhalten zu Gerolstein in der Eifel, wo sie die untere Region der mittleren
Abtheilung des Devon-Systems auszeichnet.
Die Hexacorallia oder sechszähligen Anthozoen, ausgezeichnet durch die im
Septal- Apparate mehr oder minder hervortretende Sechszahl {typus hexanuraüs)
sind in den palaeozoischen Formationen durch eine Reihe von minder typisch
ausgeprägten Formen vertreten, die zum Theil noch von schwankender syste-
matischer Stellung sind. Wohlausgeprägt, in einer ganzen Reihe von Familien,
Poritidae^ Fungidae^ Astnuidae, Oculimdaej Turbinolidae u. s. w. erscheinen sie
in der Jura- und der Kreide-Formation, stellen hier die Haupt-RiflF-Erzeuger dar
und erscheinen in ähnlicher Weise auch noch in den heutigen Meeren, namentlich
wärmerer Zonen, vertreten. Der Typus hexameraüs ist bei den Anthozoen über-
haupt am zahlreichsten in Arten, Gattungen und Familien.
Ein Beispiel einer ausgezeichneten Hexakorallie ist Tfucosmilia trUhoioma
GoLDF. (Familie Astraeidae)^ eine im oberen Jura von Nattheim in Schwaben sehr
häufige Art Die Wohnzellen sind schlank-walzenförmig und theilen sich im Ver-
laufe des Wachsthums durch Bildung neuer Mittelachsen (Selbsttheilung,*y£fÄJ^tfrfift!y
in zwei, drei oder auch mehr neue Aeste, was sich in gewissen Abständen öfter
wiederholen kann, so dass daraus grosse meist dreitheilig-doldenartig verzweigte
staudenformige Stöcke entstehen. Die Wohnzellen haben meist 13—26 Millim.
Durchmesser und zeigen gegen 30 starke, gedrängte am freien Rande fein ge-
zähnelte Septen, zwischen denen sich unvollständig ausgebildete quere Blätter
(traversn) ansetzen, welche nicht bis zur Achse reichen. Das kräftige geschlossene
Gemäuer zeigt Längsrippen, die den Septen entsprechen und oft ist über den
Rippen noch eine äussere runzelige Schichte (ein Epithek) erhalten.
In grossen scheibenförmigen Individuen erscheint die Gattung CycloUtes (Familie
Fungidae), die für die Kreide-Formation, besonders die Gosau-Ablagenmgen der
Ostalpen bezeichnend ist. Der Septalapparat besteht aus äusserst zahlreichen
dicht gedrängten Septen. Man zählt deren bis 300 und 400 oder noch darüber.
Die flache Unterseite zeigt eine starke concentrisch-runzlige Aussenschicht (Epi-
thek). Die grösseren Arten erreichen 7 bis 8 Centim. Durchmesser.
Reichlich vertreten in den palaeozoischen Meeresablagerungen und oft an
Riffbildungen betheiligt erscheinen die Favositiden oder Tabulaten (Zoantharia
tabulaia Milne Edwards nach Auschluss der Röhrenkorallen). Ihre Stöcke be-
stehen aus dicht zusammengedrängten, durch das gegenseitige Drängen prismatisch
gedrückten Wohnzellen mit zahlreichen stark hervortretenden queren Böden
(tabulat^ planchers). Ihr Septalapparat ist nur schwach angedeutet. Das Gemäuer
der einzelnen aneinander grenzenden Wohnzellen ist dicht und innig mit den
Nachbarzellen verwachsen, aber von einer Anzahl regelmässig gestellter Poren
durchbrochen, dutch welche die Thier-Individuen mit einander in I^bensverband
standen.
Neuerdings stellt man die Favositiden in die Nähe der Poritiden (Htxa-
CQralUaj, Wo sie einigermassen deutliche Septen bilden, zeigt sich die Sech^-
oder die Zwölf-Zahl.
Favcsites Goihianduus Lin. ist häufig im obersilurischen Kalke der Insel
Gothland, ebenso häufig eine nur wenig davon abweichende Art FaoosUes Goldjusu
Anchniden. 43
d'Orb. (Calamopora Gothlandica Goldf.) im devonischen Kalke von Gerolstein.
Beide bilden hochgewölbte, kugelige oder knollenförmige Stöcke mit ungleich-
grossen Kelchen (Wohnzellen- Ausmündungen) von drei Millimeter Durchmesser
oder etwas darüber. Die Stöcke erreichen oft 30 Centim. Grösse.
Ein anderer Favositide ist Alveolites suborbiciUaris Lam. (Calamopora spongites
GoLDF. zum Theil). Die Stöcke werden 6 und mehr Centim. gross, bestehen aus
zahlreichen kleinen Wohnzellen und überwuchern in schwammähnlichen Gestalten
andere Korallen. Die Mündungen der Wohnzellen sind unregelmässig verbreitert,
etwas dreiseitig. Ein einzelnes Septum ist deutlich entwickelt. Diese Art ist in
devonischen KorallenrifTen zu Gerolstein und Bensberg häufig.
Zu den Favositiden gehören auch die im Kohlenkalke reichlich auftretenden
Gattungen Chaetetcs und Michtliniay erstere beginnt schon im unteren Silur-System.
Michelinia bildet wabenartige Stöcke, deren äussere Kalkrinde (oder Epithek)
sich in wurzeiförmige Verlängerungen fortsetzt und mittelst dieser die ganze
Gesellschaft auf einer festen Unterlage befestigt. Michelinia favosa Kon. hat
seichte durch blasenartige Querböden aufgefüllte Kelche von 6 — 8 Millim. Breite
und findet sich in wohlerhaltenen verkieselten Exemplaren im Kohlenkalke von
Toumay in Belgien. Diese Koralle sieht auf den ersten Anblick wie ein Wespen-
nest aus (favuSy die Wabe).
Arachniden
von
Dr. Friedrich Rolle.
Die Spinnen und spinnenartigen Thiere, Arachniday Arachnoiäea, sind acht-
beinige Gliedfüsser, in der grossen Mehrzahl auf dem Lande lebend und durch
eigenthümliche Luftröhren oder Tracheen (tracheM), Luft athmend, Arthropoda
tracluata.
Hierher gehören die Skorpione und ihre Verwandten , die eigentlichen
Spinnen, Arane<u^ und die Milben, Acari^ aber auch noch besondere ab-
weichende Gruppen, wie die Asselspinnen oder Pycnogoniden, die im Meere
leben und keine besonderen Athemorgane erkennen lassen.
Sie erscheinen zusammen mit den ihnen zunächst verwandten Myriap öden
und Insekten schon in einer sehr frühen geologischen Epoche — der Stein-
kohlenformation — fossil vertreten. Ihre älteren Stammesverwandten sind aus
dem geologischen Archiv nicht zu ersehen. Jedenfalls waren es Crustaceen.
E. Haeckel erkennt in der heute im wärmeren Asien und an der Wolga
lebenden Skorpionsspinne oder Walzenspinne, Solifuga oder Solpuga (GaUodes
araneoides)^ bei welcher Kopf, Brust und Hinterleib noch deutiich geschieden
sind, der Kopf mehrere beinartige Kieferpaare, die Brust an drei Ringstücken
.Segmenten), drei wahre Beinpaare trägt, einen nur wenig veränderten Nach-
kommen, der ältesten Arachniden, was um so mehr zulässig ist, als auch
die Skorpione der Steinkohlenformation nur wenig von heute lebenden
Gattungen sich unterscheiden.
Die Solifugen leitet Haeckel von Cnistaceen ab, die der heutigen Dekapoden-
I^rve oder Zoea ähnlich gebaut gewesen sein mögen. Aber von diesen
präsumtiven Gliedern der Ahnenreihe der Arachniden und überhaupt der Arthro-
poda tracheata ist bei dem heutigen Stande unserer palaeontologischen Sammlungen
noch kein thatsächlicher En^'eis beizubringen.
44 Mineraloge, Geologie und Palaeontologie.
Den Solifugen (Soüfugae) schliessen sich demnächst die Phryniden (Phrynidae,,
die Skoq)ione und die Bücherskorpione an. Endlich folgen in weiterem Abstand
die Spinnen und Milben, beide letztere erst aus viel jüngeren geologischen
Formationen bekannt und offenbar tiefer umgewandelte Stammesverwandte der
vorigen darstellend.
Die Skorpione, Scorpionidae, fuhren an dem schildförmigen Kopfbruststück
(Cephalothorax) vier Paar gleich gestaltete Beine, deren letztes Glied in ein
Krallenpaar ausgeht.
Von den Mundwerkzeugen (Tastern, palpi) ist das vorderste Paar ungewöhnlich
stark ausgebildet, viergliedrig und läuft in eine breite Scheere aus, die denen
der Krebse ähnlich ist, sich aber dadurch unterscheidet, dass der äussere Ast
beweglich ist, überhaupt mit den scheerenfiihrenden Beinpaaren der Krebse nicht
morphologisch identisch ist, eher mit den Fühlern (antennae) der Krebse. Hinter dem
Kopf brustschild folgt ohne besondere Einschnürung der breite, lange, aus vielen
(12) Segmenten bestehende Hinterleib (abdomen). Er läuft in einen spitzen
hakenförmigen Stachel aus, der in Verbindung mit einer Giftdrüse steht
Das Kopfbruststück trägt auf der Oberseite gegen vom zwei grosse Augen,
die auf einer besonderen Erhöhung stehen, und davor noch eine Anzahl (zwei
bis fünf Paar) kleinerer Augen, im Ganzen also 6 bis 12.
Die Skorpione bewohnen die warmen und heissen Regionen von Asien und
Afrika, wo sie bis gegen 15 Centim. Länge erreichen. Der nordafrikanische An-
droctonus hat zwei grosse und 5 Paar kleinere Augen.
Der kleine europäische Skorpion, Scorpio eurapaeus L., lebt in Italien noch
bis zum Fuss der Alpen und bei Triest.
Man kennt Skorpione als seltene Funde schon in der Steinkohlenformation.
Cyclophthalmus senior Corda aus einer Steinkohlenschicht von Chomle bei
Radnitz in Böhmen ist ein echter Skorpion, zunächst verwandt mit der in Nord-
afrika heute lebenden Gattung Androctonus,
Er stimmt namentlich mit ihr im Auftreten von 12 Augen, die aber beider
fossilen Form im Kreise stehen. Die Hauptaugen erscheinen bei ihr auch vor
den Nebenaugen.
Cyclophthalmus senior war eine grosse Art. Obschon die Schwanzspitze nicht
erhalten ist, erreicht der vorliegende Theil des Thieres doch 7 Centim. I^änge.
An die Skorpione schliessen sich die Pseudoskorpione oder Bücher-
skorpione an (Chelifer und OdisiumJ, sehr kleine Thiere mit breitem Hinter-
leib ohne schwanzfbrmige Streckung und ohne Giftstachel. Sie treiben sich bei
uns an bemoosten alten Bäumen und in Häusern umher, und machen Jagd auf
Milben u. dgl. Sie besitzen aber zuvörderst gleich den echten Skorpionen ein
Paar langer, viergliedriger Greiforgane, deren viertes Glied ebenfalls in eine
mächtige Scheere endigt.
Microiabis Sternbergi Corda, ebenfalls aus der Steinkohlenformation von
Chomle in Böhmen ist ein Pseudoskorpion, der lebenden Gattung Chelifer nahe
stehend, aber viel grösser als alle verwandten lebenden Arten (33 Millim. langV
Kleine Pseudoskorpione (Chelifer) kennt man auch aus dem Bernstein des
Samlandes.
Die eigentliclien Spinnen, Araneae, sind eine ausgebildetere Form der
Arachniden, von den verwandten Ordnungen der Myriapoden und Insekten bereit>
weiter abstehend als die Solifugen und Skorpione, hauptsächlich durch die weiter
Arachniden. 45
vorgeschrittene Verschmelzung der Leibesringe (Segmente, Metameren), die den
urprünglichen Arthropoden-Charakter um einen neuen Grad versteckt.
Die Verschmelzung der ursprünglich dem Stamm aller Arachniden zu Grunde
liegenden Ringe ist hier schon so weit gegangen, dass der Rumpf nur noch aus
zwei Hauptstücken zusammengesetzt erscheint, der Kopfbrust oder dem Cepha-
ktkorax, der die Kieferörgane und die vier Paar Beine trägt, und dem Hinter-
leib, Abdomen^ der durch eine stielförmige Einschnürung von der Brust geschieden
erscheint, am äussersten Ende die Spinnwarzen trägt und gleichfalls keine Segmente
mehr erkennen lässt. Das vorderste Mundorgan, entsprechend den scheeren-
tragenden Kieferbeinen der Skorpione und den Fühlern (antennae) der Krebse,
fuhrt hier ein Krallenpaar mit je einer Giftdrüse.
Die Spinnen sind heutzutage in zahlreichen Arten, Gattungen und Familien
über den grössten Theil der Erdoberfläche verbreitet, spärlich in kalten, reichlicher
in wärmeren und heissen Regionen vertreten. Mächtigere Arten erscheinen in den
Tropen, wie die Vogelspinnen, Mygaie, die mit ausgebreiteten Beinen oft einen
handgrossen Raum überspannen und selbst kleineren Vögeln gefahrlich werden
sollen. (In Süd-Amerika 4 — 8 Centim. lang).
Ihrem geologischen Auftreten nach gehören die Spinnen, wie es auch ihren
hoch ausgebildeten Eigenthümlichkeiten entspricht, zu den erst spät auftretenden
Gestalten der Thierwelt. Man hat zwar schon aus dem oberen Jura (Solenhofen
in Bayern) fossile Spinnen aufgeführt, aber sie haben sich als Phyllosomen, I^arven
von zehnfüssigen Krebsen (Palinuriden) herausgestellt.
Auch die Kreideformation hat noch keine fossilen Spinnen geliefert. Sehr
zahlreich aber sind ihre Fossilreste in einigen tertiären Ablagerungen, wie im Süss-
wassermergel von Aix in der Provence und namentlich im Bernstein der Ostseeküste.
Der Bernstein allein lieferte über loo Arten von Spinnen in mehr als
50 Gattungen, von welchen letzteren einige erloschen sind.
Es sind darunter auch Kreuzspinnen (Epeira), femer Springer oder Jagd-
spiimen, welche ihre Beute im Laufe oder im Sprunge erhaschen.
An die Spinnen schliessen sich die Milben, Acari, an, aber nicht als höhere
Form. Sie stellen einen weit abweichenden Seitenzweig dar, der durch Anpassung
an besondere Lebensweise zurückgegangen ist. Es sind meist Parasiten, bei denen
vieles, was die Stammesvorfahren besessen haben mögen, in Folge von Einstellung
der Benutzung verkümmert zu sein scheint.
Bei ihnen verschmelzen Kopf, Brust und Hinterleib zu einer einzigen un-
gegliederten Rumpf-Masse. Sie setzen in dieser weiter gegangenen Verschmelzung
die Reihenfolge der Solifugen, Skorpione und Spinnen fort.
Man kennt fossile Milben neben Spinnen zuerst aus tertiären Ablagerungen.
Aber auch hier bedurfte es zur Erhaltung ihrer winzigen und meist weichen
Leiber sehr günstiger Bedingungen, wie sie selten ausser beim Einschluss in
Bernstein eingetreten sind.
Man kennt eine grössere Anzahl von Milben im Bernstein der Ostseeküste,
anter anderem I-and- oder Erdmilben, Trombidium, und Zecken, Ixodes, welche in
Waldungen lebenden Säugethieren auflauerten, um sich in ihre Haut einzubohren.
Auf einem Weidenblatt aus der mitteltertiären Braunkohle von Salzhausen
(Wettcrau) fanden sich Gallen an Blattrippen sitzend, wie sie heute lebende
Blatt-Milben der Gattung Phytoptus noch jetzt auf Weidenblättem erzeugen
{Phftoptus antiqum Heyd.)
46 Mineralogie, Geologie imd Palacontologie.
Archaeisches System,
(laurentisches, huronisches und cambrisches System, krystallinisches
Schiefergebirge),
von
Dr. Friedrich Rolle.
Reste von Pflanzen und Thieren — Versteinerungen, Petrefacten.
Fossilien — finden wir in der Regel nur in Gesteinen eingeschlossen, welche
schichtenweise als Schlamm oder Sand aus Meereswasser oder aus süssem
Wasser abgelagert wurden und darnach als geschichtete — sedimentäre —
neptunische — Gesteine bezeichnet werden. In anderenFällen haben organische
Reste für sich in solcher Menge sich abgelagert, dass sie besondere Boden-
schichten erzeugten. Dahin gehören z. B. Lager von Torfmooren oder von
Baumstämmen, von Korallen, Conchylien u. s. w. In seltneren Fällen finden
sich in der Reihenfolge der geschichteten Gesteine auch Dammerde-Lager des
Festlandes mit eingeschlossenen wurzelnden Baumstämmen.
Die Ablagerung solcher geschichteten Gesteine konnte selbstverständ-
licher Weise erst beginnen, nachdem im Verlaufe der Ausbildung der festen
Erdrinde Niederschläge von atmosphärischem Wasser begonnen hatten
und ein Gegensatz zwischen Ocean einerseits — Festland und Inseln mit
Flüssen und Süsswasserseen andrerseits — eingetreten war. Diese Zeiten und
Zustände der Erdoberfläche sind nur mit Hilfe mehr oder minder schwebender
Hypothesen zu erläutern — und oft gut davon das Sprichwort >So viel Köpfe,
so viel Sinne.«
Um diese Zeit mag auch die Entstehung des ersten organischen
Lebens — der ersten muthmasslich noch mikroskopisch kleinen Pflanzen- und
Thier-Formen — stattgefunden haben. * Wir können uns diese Zeiten und Vor-
gänge nach Maassgabe heutiger Vorgänge und nach unserer mehr oder minder
vollständigen Kenntniss der Gesetze der unbelebten und der belebten Natur bei-
läufig versinnlichen. Aber es bleibt in dieser Hinsicht der persönlichen Meinung
noch viel überlassen und die aus der Kenntniss der ältesten Absätze der Gewässer
und der ältesten Pflanzen- und Thierreste hervorgehenden positiven Aus-
gangspunkte sind noch spärlich, wenn auch mit den Fortschritten der
Beobachtung und Deutung in erfreulichem Zunehmen begriffen.
Es kommen hier zwei Umstände wesentlich in Betracht. Erstens: Mit dem
Eintritte des Gegensatzes zwischen fester Erdrinde und fliessendem oder
stehendem Wasser und mit der ersten Ablagerung geschichteter Gesteine
begann auch die verändernde Einwirkung von Wasser und Kohlensäure, von
oxydirenden und reducirenden Agentien auf dieselben. Die Absätze von
Schlamm und Sand wurden umgewandelt und gingen schliesslich in mehr oder
minder krystallinische Gebilde — wie Gneiss, Glimmerschiefer u. s. w. —
über, die nur noch wenige Spuren einer Ablagerung aus Gewässern zeigen und
deren Entstehung daher auch noch Gegenstand sehr verschiedener Deutung ist —
und auch wohl lange noch bleiben wird. Im Allgemeinen gilt die Regel, dass
je krystallinischer ein Gestein geworden, um so mehr seine organischen Ein-
schlüsse undeutlich geworden oder ganz geschwunden sind. Dies nimmt man um
so mehr für die ältesten krystallinischen Schichten an, als auch in der Reihen-
folge der jüngeren fossilflihrenden Formationen hin und wieder krystallinisch
Archaeisches System. 47
gewordene Lager auftreten, in denen die organischen Einschlüsse undeutlich ge-
worden oder ganz aufgelöst sind.
Zweitens: Die ältesten Formen des Pflanzen- und Thierlebens können,
wenn wir den nachweisbaren Entwicklungsverlauf der Pflanzen- und Thierwelt von
den ältesten uns erhaltenen Funden bis zum Stande des heutigen Zeitalters in
Betracht ziehen, nur nieder organisirte mikroskopische Formen gewesen
sein, die der festen erhaltungsfahigen Theile — wie Holz, Gehäuse, Knochen,
Zähne u. s. w. — ermangelten und keiner deutlichen Erhaltung fähig waren,
daher rasch wieder dem Kreislauf der Elemente verfielen, ohne Spuren ihres
Daseins zu hinterlassen.
Wir kennen daher weder die ältesten Absätze der Gewässer mit Bestimmt-
heit, noch die ersten Anfange der Pflanzen- und Thierwelt. Wir vermögen nur
mit Zuhilfenahme anderweiter wissenschaftlicher Kenntnisse jene Lücke durch
Theorien und Hypothesen — so gut es geht — auszufüllen und überlassen die
hessere Begründung der Zukunft.
Der nächste Ausgangspunkt ist die Zusammensetzung und Lagerungsfolge
des krystallinischen Schiefergebirges.
Archaeisches System ist die neuere Benennung der krystallinischen
Schieferformationen (Urgebirge, oder primitive, azoische Schichten.)
Es ist eine sehr ^mächtige Schichtenfolge von mancherlei krystallinischen,
meist schieferigen Gesteinen.
Man unterscheidet in der archaeischen Abtheilung weiterhin das laurentische,
das huronische und das cambrische System. Beide letzteren sind kaum
zu trennen.
Das laurentische System ist eine sehr mächtige Schichtenfolge von vor-
waltend feldspathigen und grobfaserigen Gesteinen. Die Hauptmasse ist Gneiss,
mehr untergeordnet erscheinen darin Homblendeschiefer, Quarzit, kömiger Kalk-
stein u. s. w.
Höher oben folgt das huronische System, ebenfalls eine sehr mächtige
Schichtenfolge, die aber im Allgemeinen mehr feldspatharme und mehr schieferige
Gesteine fuhrt Hier erscheinen besonders Glimmerschiefer, aber auch Chlorit-
schiefer, Talkschiefer, Thonschiefer u. s. w.
Kalksteine und graphitische Schichten finden sich sowohl im lauren-
tischen als im huronischen System eingelagert, ebenso auch schon Conglomerate
mit mehr oder weniger deutlich erhaltenen Gerollen, die man als Küsten-
Gebilde betrachtet.
Das cambrische System folgt über dem huronischen und wird auch als
obere Abtheilung desselben aufgefasst. Es besteht besonders aus Conglomeraten,
Sandsteinen, Quarziten, und Thonschiefem und führt die ältesten bekannten —
sicheren und deutlich erkennbaren — Pflanzen- und Thierreste.
Darüber folgen die unteren Schichten des silurischen Systems mit der
bereits sehr fossilreichen Primordial -Zone.
Uns interessiren vom laurentischen System und dem huronischen
System zunächst nur die Einlagerungen von Kalkstein und graphitischen
Schichten und das Vorkommen des Eozoan canadense.
Der 2^itpunkt des ersten Erwachens des organischen Lebens ist zwar unbe-
kannt und in undurchdringlichen Schleier gehüllt. Aber das Vorkommen von
^Iksteinen imd von graphitischen Schichten im laurentischen und im huronischen
Systeme scheint über einige der frühesten Phasen desselben einiges Licht zu verbreiten.
4^ Minendogie, Geologie und Palaeontologie.
Die Häufigkeit der Lager von kömigem Kalk (Marmor, Urkalk) in den
krystallinischen Schiefem — und der Umstand, dass Ralklager in den jüngeren
Formationen hauptsächlich aus Anhäufungen kalkhaltiger Pflanzen- und Thier-
Substanzen entstanden sind — lassen vermuthen, dass auch in den ältesten
Meeresgewässera schon sehr frühzeitig kalkabscheidende Pflanzen und Thiere
lebten und durch Anhäufung ihrer Absonderungen Kalklager aufbauten.
Man hat daher Grund, auch alle Lager von kömigem Kalk, die in den
krystallinischen Schichten eingelagert auftreten, obschon sie keine erkennbaren
Fossilien beherbergen, auf umgewandelte Reste organischer Abstammung zu
beziehen, so gut wie die ganz ähnlichen kömigen Kalkbildungen, die örtlich in
viel jüngeren Formationen auftreten, als solche anerkannt sind. Jedenfalls rühren
alle Kalklager der jüngeren geologischen Epochen sicher von Absätzen organischer
Reste her, die bald noch deutlich erhalten, bald wenigstens mit Hilfe des Mi-
kroskops nachweisbar sind. Kalkablagerungen, die deutliche Fossilien enthalten,
ergeben sich als Erzeugnisse von Foraminiferen , Spongien, Korallen u. s. w.
Aehnliches ist auch für archaeische Kalklager zu vermuthen. Die Kokkolithen,
welche die Hauptmenge des heutigen Tiefseeschlamms darstellen, gelten als
Erzeugnisse kalkabsondemder Meeresalgen und deren können schon in der
archaeischen Epoche vorhanden gewesen sein. Das alles hat eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit für sich. Sicher ist jedenfalls der Beweis durch Negation. Es
steht fest, dass Absätze von Kalkgebilden durch rein chemische Vorgänge —
ohne wesentliche Mitwirkung von Pflanzen- und Thierleben — auch heutzutage
nur in geringem Maasse und in Örtlicher Ausdehnung stattfinden z. B. am Austritt
kalkhaltiger Sauerquellen und in Höhlen von Kalksteingebirgen. Es ist dies
offenbar auch in älteren Epochen so schon gewesen.
Das Vorkommen von Graphit im krystallinischen Schiefergebirge gestattet
ähnliche Schlüsse auf die ältesten Vorgänge des organischen Lebens auf Erden.
Graphit erscheint häufig in besondem Flötzen — bald als verhältnissmässig
reine Kohlenstoffmasse, bald mehr mit thonigen Substanzen, Glimmer, Quarz u. s. w.
gemengt — in Gneis und in Glimmerschiefer untergeordnet. Es ist aber nach
der ähnlichen Art des Auftretens von Anthracit in den darauf folgenden silurischen
und devonischen Schichten sehr wahrscheinlich, dass die eine wie die andere
Form des Kohlenstoffs der letzte Rest von ehemaligen, der Zersetzung anheim-
gefallenen Lagern von Pflanzensubstanzen ist, deren Gehalt an Sauerstoff,
Wasserstoff und Stickstoff unter Einfluss der atmosphärischen und subterrestrischen
Agentien schwand, während der Kohlenstoff grössere Widerstandsfähigkeit gegen
dieselben Einflüsse äusserte und daher in geschlossener Substanz hinterblieb.
Welcher Art die Flora war, aus deren abgelagerten Resten die Graphit-
Lager und graphithaltigen Gesteine hervorgingen, ist allerdings nicht mehr /u
ermitteln, wahrscheinlich gehörte sie dem Meere an und bestand aus Algen
oder Tangen, die sich im Laufe vieler Jahrtausende anhäuften.
Die Gesteine dieser ältesten Abtheilung in der Reihenfolge der geologischen
Formationen sind überhaupt unter dem Einflüsse von Wasser, Kohlensäure.
Alkalien und überhaupt einer ganzen Reihe von chemischen und physikalischen
Einwirkungen in krystallinisch -körnigen oder krystallinisch- schieferigen Zustand
übergegangen und gestatten nur noch wenige Schlüsse auf die Zusammensetzung,
welche sie bei ihrer ursprünglichen Ablagerung hatten. Namentlich lassen die
vorherrschenden ältesten Gesteine — Gneiss und Glimmerschiefer — von
Archaeisches System. 49
organischen Einschlüssen keinerlei deutliche Spuren mehr erkennen und enthalten
auch nur in seltenen Fällen noch Gerolle anderer älterer Felsarten.
Nur die regelmässige Lagerungsweise lässt in diesem Gebiete im Allgemeinen
die Absätze der Gewässer von den Erzeugnissen des Feuers unterscheiden,
welche gleichzeitig mit ihnen statt hatten und zum Theil durch ihr gangförmiges
die geschichteten Gesteine quer durchsetzendes Vorkommen sich als ein Produkt
anderer Kräfte verkünden.
Noch aber verbleibt uns die Aufgabe einer Erörtenmg des problematischen
Fossils Eozoon, dessen Deutung seit 1858 die Geologen und Palaeontologen
lebhaft beschäftigt hat und noch jetzt Gegenstand getheilter Ansichten ist.
Eozoon canadense Dawson aus den krystallinischen Kalksteinen des laurentischen
Systems der Ottawa-Gegend in Canada gilt als Rest des ältesten fossilen Lebe-
wesens. Es bildet in jenen Kalksteinen ansehnliche Nester, zum Theil von mehr
als ein Cubikfuss Grösse und zeigt dicke parallellaufende, auch etwas wellig auf
und ab gebogene Lagen von Serpentin, Grammatit u. s. w., die mit ähnlichen
Lagen von kömiger Kalkmasse wechseln, so dass auf dem Querbruche grüne und
weisse Bänder in vielfachem Wechsel hervortreten. Man erkennt den besonderen
Bau dieser Kalk- und Serpentin -Knollen auf polirten Flächen und in Dünn-
schliffen, femer in Exemplaren, deren Kalkgehalt man mittelst Salzsäure ausge-
zogen hat, so dass ein wabiges Serpentin-Skelett hinterblieb.
Dawson, Carpenter und Andere erkennen im Eozoon die Reste einer
riesigen zu grossen Stöcken anwachsenden Foraminifere, welche durch das
successive Nachwachsen flacher und unregelmässiger über einander folgender
Kammern sich vergrösserte. Die Kammern waren durch Kalklagen von einander
getrennt, standen aber zugleich noch vermittelst regellos vertheilter Canäle und
fein verzweigter Röhrensysteme in Verbindung. Man vergleicht sie den H e 1 i -
costegiern und anderen vielfach geschichteten Foraminiferen-Stöcken.
Die Kalklamellen entsprechen nach dieser Deutung den Scheidewänden der
einzelnen Kammern, sind also eine mineralische Abscheidung des ehemaligen
Bewohners. Die Serpentin- und Grammatit- Einlagerung aber entspricht der
Kammer oder dem Wohnraum des Thieres, den Communicationscanälen und den
Scheidewandröhrchen, mittelst welcher die einzelnen Thierindividuen des Stockes
iich miteinander in organischem Zusammenhang erhielten. Sie waren bei Leb-
ieiten des Thieres von schleimiger Sarkode (Protoplasma, Eiweisssubstanzen) ein
genommen. Extrahirt man den Kalk- und Serpentinknollen mit einer Säure, so
hinterbleibt ein Serpentin-Skelett, welches je nach dem besonderen Erhaltungs-
zustande mehr oder minder genau die Gestalt der gesammten thierischen Särkode
des Stockes wiedergiebt. Diese Räume wurden bei der Fossilisation, als die Sar-
kode zerfloss, durch eingedrungene Silicate ausgefüllt, während die Kammer-
wandungen Kalkabsonderungen des Thieres waren und noch jetzt kömige Kalk-
masse darstellen.
Jedenfalls sind in einer so frühen Stufe der geologischen Reihenfolge orga-
nische Reste aus der nieder organisirten Ordnung der Foramini feren oder
Rhizopoden — deren ganzer Leib noch eine structurlose Protoplasma-Masse
ist — am ersten zu erwarten gewesen. Der organische Charakter und Ursprung
des Eozoon ist übrigens zur Zeit noch zweifelhaft und wird von mehreren ge-
wichtigen Beobachtern bestritten. Das Weitere bleibt abzuwarten.
Das cambrische System — oder die obere Region des huronischen
Systems — also genannt nach den Cambrern, den alten Bewohnern von
ILewicott, Min., Geol. u. Pal. I. 4
5© Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Wales — besteht in Wales, Irland und anderen Gegenden aus einer Schichten-
folge von Conglomeraten, Sandsteinen, Quarziten und Thonschiefern.
Es führt in Wales, Irland, Böhmen u. a. Orten die ältesten deutlichen
Fossilreste. Es sind Meeresfucoiden, Anneliden, Mollusken, namentlich
Brachiopoden, femer mancherlei Reste thierischer Abkunft, deren nähere Deutung
mehr oder minder noch in Zweifel steht.
So wichtig die organischen Charaktere dieses ältesten deutlichen Blattes des
palaeontologischen Archivs auch sind, so schwierig ist zur Zeit noch die nähere
Deutimg des systematischen Charakters der meisten Funde und so schwankend
das Ergebniss ihrer allgemeinen Zusammenfassung.
Am meisten in den Vordergrund tritt die Gattung Oldhamia mit mehreren
Arten (O, antiqua^ O. radiata u. s. w.), ein gegliedertes an den Abgliederungen
hin und her geknicktes Fossil mit gliedweise über einander folgenden facher-
artigen Ausstrahlungen dünner gerader Zweige. Die Deutung dieser offenbar
organischen Form ist noch sehr im Schwanken. Einerseits glaubt man darin
Stöcke von Hydroiden (Quallenpolypen) zu erkennen, andererseits hat man sie
auf Meeresalgen bezogen. Am wahrscheinlichsten sind es homartige (chitinöse,
Reste von Hydroiden-Stöcken — also Verwandte der in den Silur-Schichten
ihnen nachfolgenden Graptolithen und Dictyonemen.
Sicher ist nur nach diesem allen, dass zur Zeit der Ablagerung der Schichten
des cambrischen Systems schon eine reichliche Meeresfauna wirbelloser Thiere
cxistirte, die ihre Nahrung in einer ebenso reichhchen Flora von zarten Meeres-
algen gefunden haben mag. Von einer Festlandbevölkerung zeigt sich noch
keine Andeutung.
Auf das cambrische System folgt das silurische System, dessen untere
Region — die Primordialzone — bereits eine weit reichere Entfaltung des
Thierlebens im Meere erkennen lässt, aber auch von Festlandbewohnem noch
keine Spur bietet.
Arten der Minerale,
von
Prof. Dr. Kenngott.
Da in der Mineralogie ähnlich wie in der Zoologie und Botanik einzelne
Minerale in Arten zusammengefasst werden, erscheint es nothwendig, bevor der
Begriff Mineralart erörtert wird, vorerst einiges Allgemeines über die Minerale
und die Mineralogie als Wissenschaft vorauszuschicken, was gleichzeitig als Ein-
leitung für die mineralogischen Artikel dienen kann.
Die Minerale, auch Mineralien genannt, bilden in ihrer Gesammtheit das
Mineralreich, welches als eines der drei gewöhnlich aufgestellten Naturreiche
neben dem Thier- und Pflanzenreich angesehen wird. Es erschien von Anfang
an durch die natürlichen Verhältnisse unserer Erde angezeigt, das Material,
welches unseren Erdkörper zusammensetzt, den Thieren und Pflanzen gegenüber
zu stellen, und der Name Mineral, Minerale, abgeleitet von dem proven^a-
lischen Worte » J//;/<7«, wovon der Name Mine für einen unterirdischen Gang im
Berg- und Festungsbau, ftir einen Schacht oder eine Höhle oder Grube in Gebrauch
kam, für die die Erde zusammensetzenden unterscheidbaren Körper behielt den
Vorzug in den verschiedenen Sprachen. Der Name Fossilien, von >/ossai
Gnibe, Graben, ^/ossiiisK ausgegraben, welcher auch eingeführt wurde, kam
Arten der Minerale. 51
nicht zu devselben allgemeinen Geltung, zumal auch Versteinerungen damit
belegt wurden. Es wird auch das Mineralreich oft Steinreich genannt, die
Minerale schlichthin Steine, doch ist dieser letztere Ausdruck nicht ganz gleich-
bedeutend, insofern man mit dem Namen Steine nur feste Körper bezeichnen
kann, während der Name Minerale auch auf flüssige (tropfbare und gasige) aus-
gedehnt wurde. Er eignete sich als fremder in der deutschen Sprache besser
und erinnert seiner Abstammung nach an den Bergbau, durch welchen doch die
Melirzahl der Minerale zu Tage gefördert wird. Auch seine Aufnahme in anderen
Sprachen empfiehlt seinen Gebrauch.
Obgleich nun die Ausdrücke Thiere, Pflanzen und Minerale, Thier-, Pflanzen-
und Mineralreich ganz geläufige und allgemein gebrauchte sind, so ist doch der
Begriff des Wortes Mineral nicht allgemein derselbe. Unsere Erde als Ganzes
oder als Weltkörper betrachtet, der Wohnort der Menschen, der Thiere und
Pflanzen lässt nämlich im Grossen die Atmosphäre als eine Dünsthülle unter-
scheiden, welche den als fest erscheinenden Erdkörper umgiebt, welcher selbst
wieder grösstentheils mit Wasser bedeckt ist. Der fest erscheinende Erdkörper
Hess sich aus sehr verschiedenen festen Körpern zusammengesetzt erkennen,
welche als von einander, namentlich durch das Auge unterscheidbare natürliche
Zusammensetzungstheile Minerale genannt wurden. Bei dem Graben in der Erd-
rinde, dem äussersten Theile des anscheinend festen Erdkörpers, durch den Berg-
bau oder sonstige Veranlassungen, in den Erdkörper durch Graben einzudringen,
ttTjrden die Minerale als natürliche Zusammensetzungstheile desselben ihrer Zahl
und Art nach als sehr mannigfache erkannt. Durch ihre wissenschaftliche Er-
forschung entstand die Mineralogie als Wissenschaft, deren Objecte die
Minerale sind.
Wenn man nun auch anfanglich mit dem Worte Mineral, wie mit dem
Worte Stein den Begrifi" des Festen verband, 'so zeigte sich in der Folge, dass
man dabei nicht stehen bleiben konnte, die Minerale nur als feste Körper zu
betrachten oder nur die festen natürlichen Zusammensetzungstheile der Erde oder
der Erdrinde Minerale zu nennen. Man fand nämlich, dass in der Rinde des
Erdkörpers auch tropfbarflüssige Körper vorkommen, wie das Metall Mercur
(Quecksilber), die als Brennstoff wichtige Naphtha (das Erd- oder Steinöl) und
das Wasser.
Obgleich man nun das Wasser, wie es auf dem grössten Theile der Erdrinde
als Meerwasser vorkommt, nicht zu den Mineralen rechnen wollte, desshalb auch
nicht das in der Erdrinde anzutreffende Wasser, so wie das Wasser der Bäche
und Flüsse, sondern lieber eine eigene Wissenschaft, die Hydrologie (Wasser-
lehre) aufstellte, so musste man doch das Mercur und die Naphtha in das
Mineralreich aufnehmen. Die Consequenz führte sachgemäss dazu, die Hydro-
logie als eigene Wissenschaft neben der Mineralogie aufzugeben, das Wasser
gleichfalls den Mineralen zuzuzählen, zumal auch das Eis als festes Wasser
local wie andere Minerale an der Zusammensetzung des Erdkörpers Theil nimmt
und in diesem Zustande unbestritten ein Mineral ist. Somit waren die Minerale
als die natürlichen Zusammensetzungstheile des Erdkörpers nicht allein feste
Körper, sondern einige tropfbarflüssige.
Man fand aber auch durch den Bergbau Gase, welche im Bereiche der
festen Erdrinde Höhlungen ausfüllen und beobachtete, dass an gewissen Orten
Gase aus der Erdrinde ausströmen, wie z. B. Wasserstoffjgas, Kohlenwasserstoff-
gas, Schwefelwasserstoflgas, Kohlensäure u.a.m., woraus man nothwendig schliessen
4*
$2 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
musste, dass solche Gase als natürliche Zusammensetzungstheile dejr Erde in das
Gebiet der Mineralogie gehören. Die Mehrzahl der Mineralogen ignorirt zwar
diese Gase als Minerale, denn es erschien die Concession, tropfbare Körper ab
Minerale zuzulassen, genügend, weil man von Alters her gewöhnt war, nur feste
Körper Steine zu nennen, daher die Minerale feste Körper sein sollten. Die
nothwendige Zulassung aber einzelner tropfbarflüssiger Minerale fiihrt consequent
zur Zulassung der natürlich vorkommenden Gase. Diese nun als Atmosphäri-
lien zu trennen, während selbst die Atmosphäre oder die Dunsthülle, welche
unseren Erdkörper umgiebt, im Grossen und Ganzen zur Erde gehört, wenn man
sie als Ganzes, als Weltkörper betrachtet, erscheint nicht zweckmässig und folge-
richtig, es erscheinen im Gegentheil diese, wie die Atmosphäre als in das Gebiet
der Mineralogie gehörig. Dass man derartige Stoffe in anderen Disciplinen, >*-ie
in der Physik und Chemie genügend erledigt, ist kein ausreichender Grund fiir
ihren Ausschluss aus dem Gebiete der Mineralogie.
Man ersieht aus dem Vorangehenden, dass, wenn es sich um die Erde als
Ganzes, als Weltkörper handelt, das Mineralreich sämmtliche sie zusammensetzende
Theile als unterscheidbare natürliche Körper umfassen soll, es wissenschaftlich
geboten ist, sowohl die Atmosphäre, als auch die Gase in der Erdrinde in da>
Mineralreich aufzunehmen, zumal dieselben auch in geologischer Beziehung als
wichtige Köiper erscheinen. Hierdurch wird thatsächlich und wissenschaftlich
das Mineralreich in seinem ganzen Umfange erfasst, unbekümmert um das, was
die Erdrinde umschliesst. Es steht thatsächlich fest, dass die Erde als Ganzes
betrachtet, als ein Weltkörper, welcher die Wohnstätte der Menschen, Thiere und
Pflanzen ist, auch ohne diese als Weltkörper existiren könnte, aus festen, tropf-
baren und gasigen Körpern zusammengesetzt wäre, welche wir als ihre natürlichen
Zusammensetzungstheile durch unsere Sinne, namentlich durch das Auge w^ahr-
nehmen und unterscheiden und mit einem umfassenden Namen zu benennen
haben. Dass dafür der Name »Minerale« gewählt worden ist, welcher früher
eine beschränktere Anwendung fand und in einem weiteren Sinne gebraucht
werden soll, ist nicht unrichtig, denn der einmal vorhandene Name erhält seine
Bedeutung durch den richtigen Gebrauch, sobald er nebenbei in keiner anderen
Bedeutung gebraucht wird. Es erscheint nicht nothwendig, fiir die gesammten
natürlichen Zusammensetzungstheile unserer Erde einen anderen Namen auszu-
denken, wenn der früher beschränkter gebrauchte Name in weiterer, dem ersten
Gebrauche entsprechender Weise gebraucht werden kann. Man darf nur de^
Vergleiches wegen an den Namen Krystall erinnern, welcher ursprünglich nur
das Eis bezeichnete, während jetzt alle unorganischen Individuen Krystalle ge-
nannt werden.
Die Minerale sind in der oben angedeuteten Weise aufgefasst, soweit unsere
gegenwärtige Kenntniss reicht, weil ja die Erdrinde nur bis zu einer sehr geringen
Tiefe erforscht ist, bis auf verhältnissmässig wenige Ausnahmen feste Körper, durcl
welche die Erdrinde als solche, als eine Rinde um ein uns noch unbekanntc^
Inneres ihren festen Zusammenhang und Bestand hat, in sich wenige tropfbare
und gasi^'e Körper birgt, an der Überfläche zum grössten Theile von den Mineralen
Wasser und Eis bedeckt ist, während die Atmosphäre als gasige Hülle wesentlich
durch gastörmige Körper gebildet wird, welche gleichfalls, wie in der Erdrinde
vui kommende Gase, dem Mineralreiche angehören. Alle diese festen, troptl>aren
und gasigen Kör))er sind demnach die Objecte der Mineralogie, wesshalb aucl.
der Name Uryktologie oder Oryktognosie für Mineralogie, hergeleitet \on
Arten der Minerale. 53
dem griechischen Worte %orUktos<s> gegraben, nicht Platz greifen konnte, weil er sich
zu eng an den Begriff des Festen anschliesst, als müsste das Graben besonders
hervorgehoben werden. Der Name Mineral, wenn er auch nicht griechischen Ur-
sprunges ist, erscheint auch selbst bei dieser Berücksichtigung bequemer, wesshalb
er sich eines allgemeineren Gebrauches erfreut
Alle Minerale sind unorganische (anorganische, nicht organisirte, nicht
mit unterscheidbaren Organen versehene) Körper, im Gegensatz zu den
organischen (organisirten), den Thieren und Pflanzen, mit welchen wir sie
vergleichen müssen, so gross auch der Unterschied sonst ist. Keineswegs
aber sind alle unorganische Körper, welche zur Kenntniss des Menschen
gelangen, Minerale, sondern nur diejenigen, welche ihrem Vorkommen
nach Minerale, d. h. natürliche Zusammensetzungstheile unserer Erde sind. Es
kann daher auch nicht die Anorganologie, welche als Wissenschaft alle natür-
lichen unorganischen Körper umfassen soll, die Mineralogie aufheben, selbst
wenn man die Mineralogie als einen Theil der Anorganologie auffassen möchte.
Die Mineralogie verliert dadurch nicht ihren selbständigen Charakter, weil sie
nur diejenigen unorganischen Körper umfasst, welche die natürlichen Zu-
sammensetzungstheile der Erde bilden. Dagegen finden sich aber auch
Minerale, welche als solche, als nicht organisirte Körper unverkennbar von
organischen Körpern, Pflanzen oder Thieren abstammen, da sie jedoch nur Reste
oder Umwandlungsproducte organischer Körper sind oder als von solchen ausge-
schiedene Stoffe erkannt werden können und jetzt natürliche Zusammensetzungs-
theile der Erdrinde bilden, so sind sie als Minerale nur bezüglich des Urspnmges
als phytogene (von Pflanzen abstammende) und als zoogene (von Thieren ab-
stammende) benannt worden. So ist beispielweise der vielbekannte Bernstein
(Succinit) ein phytogenes Mineral, er ist ein von verschiedenen Coniferen ab-
stammendes Harz, welche in einer sehr frühen Zeitperiode unserer Erde existirten
und das Harz lieferten, wie noch heute Nadelhölzer solches liefern. So ist z. B. die
zum Opal gerechnete Kieseiguhr ein zoogenes Mineral, sie bildet höchst fein-
erdige Massen, welche substantiell eine Verbindung der Kieselsäure mit Wasser
darstellen, durch mikroskopische Untersuchung aber sich formell als Kieselpanzer
sogen. Diatomeen erweisen, welche in einer sehr frühen Zeit existirten, wie
solche auch heute lebend beobachtet werden.
Als unorganische Körper zeigen die Minerale ausser dem Unterschiede des
allgemeinsten Aggregatzustandes, wonach man sie als feste, tropfbare und gasige
unterscheidet, im festen Zustande auch die Ausbildung unorganischer Individuen,
bilden Krystalle, finden sich krystallisirt, sind krystallinisch, oder es
finden sich feste Minerale ohne irgend welche Spur solcher individueller Bildung,
sind unkrystallinisch. Ausser diesen gestaltlichen, formellen oder morpholo-
gischen Verhältnissen lassen alle Minerale gewisse physikalische und chemische
Eigenschaften erkennen, welche zur Unterscheidung dienen.
Jedes einzelne Mineral in irgend welchem gestaltlichen Verhältnisse, sei es
fest, tropfbar oder gasig, sei es als festes krystallisirt, krystallinisch oder un-
krystallinisch, verhält sich demnach in physikalischer und chemischer Beziehung
*ie ein nicht als Mineral vorkommender unorganischer Körper gleicher Beschaffen-
heit und wenn alle unorganischen natürlichen Körper in einer naturwissenschaft-
lichen Disciplin, der Anorganologie behandelt würden, so würden sich die
Minerale von den anderen nur durch die Art des Vorkommens unterscheiden,
<JAdurch, dass sie die nattirlichen Zusammensetzungstheile unserer Erde sind. Alle
54 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
unorganischen Körper als Objecte der Anorganologie würden den Unterschied
des Vorkommens erkennen lassen und man häite die nicht mineralischen von
den mineralischen zu unterscheiden. Die mineralischen gehören als Minerale in
das Gebiet der Mineralogie.
Eine Probe z. B. des Wasserstoffgases, wie es aus der Erdrinde strömt, und
eine Probe des Wasserstoffgases, welche durch Zersetzung des Wassers erhalten
wird, zeigt eine Uebereinstimmung in allen wesentlichen Eigenschaften, welche
das Wasserstoffgas von anderen Gasen unterscheiden lassen, nur ist das erstere
nach der Art des Vorkommens als ein Mineral aufzufassen, während das andere
nicht mineralisches Wasserstoffgas ist. Beide gehören in die Anorganologie, das
erstere in die Mineralogie. Ausserdem kann auch das Wasserstoffgas als ein
Object der Chemie behandelt werden. — Kleine kugelige Tropfen des Mercur
oder Quecksilber genannten Metalles, wie sie in Zinnober oder in Gestein ein-
gewachsen vorkommen und kleine Kugeln desselben Metalles, wie sie etwa bei
irgend einem physikalischen Experiment auf den Tisch rollen, zeigen genau die-
selben wesentlichen Eigenschaften, durch welche sich dieses Metall von anderen
unterscheidet, aber nur das erstere ist als Mineral aufzufassen, weil es als solches
in der Erdrinde gefunden wurde. — Hexaedrische Steinsalzkrystalle auf Mergel
z. B. von Bex im Canton Waadt in der Schweiz oder von irgend einem anderen
Fundorte und Krystalle gleicher Gestalt desselben Salzes, welche six:h in einem
Gefasse aus einer Lösung des Steinsalzes im Wasser nach allmählicher Ver-
dunstung des Wassers bildeten, sind als Krystalle des Chlornatrium in allen wesent-
lichen Eigenschaften übereinstimmend, welche das Chlornatrium von anderen
Chlorverbindungen unterscheiden lassen. Die hexaedrischen Krystalle aber von
Bex oder einem anderen Fundorte sind Krystalle des Minerales Steinsalz, während
die anderen Krystalle aus der Lösung Krystalle desselben Stoffes, aber als
nicht mineralische aufzufassen sind.
Diese Beispiele zeigen, dass die Minerale Gegenstand der Mineralogie und
der Anorganologie sind, wogegen die Anorganologie noch sehr viele unorganische
Körper umfasst, welche nicht in die Mineralogie gehören. Hätte die Anorgano-
logie in ihrer vollen Bedeutung aufgefasst, als naturwissenschaftliche Disciplin
neben der Zoologie und Botanik gestellt bis jetzt schon ihre gebührende Aus-
bildung erlangt, so würden in ihr auch alle Minerale als natürliche unorganische
Körper zur Behandlung kommen, wie andere nicht mineralische. Sie würde
selbst die Mineralogie ersetzen, weil in dieser nur diejenigen Körper aus dem
Gebiete der Anorganologie behandelt werden, welche Minerale sind, als solche
unsere Erde zusammensetzen und in dieser Weise nach der Art des Vorkommens
in ihren Eigenschaften beeinflusst werden. Immer also ist mit dem Begriffe
Mineral die Art des Vorkommens in Verbindung, durch welche das Mineral
als solches erscheint, während die Eigenschaften des bezüglichen unorganischen
Stoffes, durch welche er als solcher von anderen unterschieden wird, die-
selben sind.
Diese gemeinsamen Eigenschaften des als Mineral vorkommenden oder
auf andere Weise gewonnenen Stoffes, die Eigenschaften der Minerale über-
haupt, werden als morphologische, physikalische und chemische unter-
schieden und ihrer Art nach in der Terminologie, einem eigenen Theile der
Mineralogie, behandelt.
Es handelt sich hier nicht darum, in welche Theile überhaupt die Mineralogie
getrennt werden kann und getrennt worden ist, weil eine solche Eintheilung nach
Arten der Minerale. 55
allgemein geltenden Ansichten oder nach Bedarf vorgenommen werden kann,
weil aber die Minerale nach ihren Eigenschaften von einander unterschieden
werden müssen, nicht allein nach ihren räumlichen, sondern auch nach ihren
physikalischen und chemischen, so muss man zunächst in der Mineralogie alle
Eigenschaften kennen lernen, um die Minerale dadurch unterscheiden zu können
und darum trennte man die Terminologie oder Kennzeichenlehre als einen all-
gemeinen vorbereitenden Theil, gegenüber der Physiographie, in welcher die ein-
zelnen Mineralarten in einer gewissen systematischen Reihenfolge nach allen ihnen
zukommenden Eigenschaften beschiieben werden.
Die Terminologie zerfällt nach der angeführten Verschiedenheit der Eigen-
schaften, welche zur Erkennung und Unterscheidung der einzelnen Minerale dienen,
in drei Theile, in die Mineralmorphologie, Mineralphysik und Mineral-
chemie, in denen entsprechend den Namen die gestaltlichen oder morphologi-
schen, die physikalischen und chemischen Eigenschaften behandelt werden. Von
der Physiographie kann die Systematik getrennt oder als ein allgemeiner Theil
derselben hingestellt werden, in welcher die Grundsätze besprochen werden, nach
welchen die einzelnen Minerale in Arten zusammengefasst werden und nach
welchen man die Mineralarten systematisch anordnet. Da jedoch in dieser Ency-
klopädie die Mineralogie nicht wie in einem Lehrbuche behandelt werden soll,
sondern nur der ganze Inhalt der Mineralogie in einer beschränkten Anzahl
einzelner grösserer Artikel zu besprechen ist, so werden die Theile der Mineralogie
nicht in bestimmter Reihenfolge abgehandelt, sondern es wird nur am geeigneten
Orte aus dem Inhalte derselben das auseinander gesetzt, was dem vorgesteckten
Ziele und Zwecke der Encyklopädie entspricht.
Von der Mineralogie getrennte und nothwendig zu trennende Wissenschaften
sind die Geologie und Palaeontologie, welche insofern mit der Mineralogie
zusammenhängen, als in der Geologie auch einzelne Minerale, ja sogar
eine beträchtliche Anzahl von Arten Gegenstand dieser Wissenschaft werden,
weil sie die Gesteinsarten bilden, und die Palaeontologie, auch Petrefacten-
oder Versteinerungskunde genannt, die Versteinerungen behandelt, die in
mineralischen Massen ausgeprägten organischen Körper früherer Zeiten, welche
sich innerhalb der Gesteinsarten finden. — Wenn auch somit beide Wissen-
schaften in dieser und noch anderer Weise in einem gewissen Zusammenhange
mit der Mineralogie stehen, sind sie keineswegs besondere Theile der Mineralogie,
wie man sie bisweilen früher auflfasste. Diese Auffassung rührte nur davon her,
dass der Zusammenhang dieser drei Wissenschaften dazu führte, sie in einem
Studienbereich zusammenzufassen, früher an Hochschulen diese drei Wissen-
schaften in einer Professur vereinigt wurden. In diesem Sinne trennte der Professor
der Mineralogie sein Gebiet des Forschcns und Lehrens in drei Theile und stellte
die Mineralogie im engeren Sinne, die Geologie und Palaeontologie als Theile
der Mineralogie im weiteren Simie hin. Die Fortschritte aber in diesen Wissen-
schaften führten dazu, die thatsächlich verschiedenen Disciplinen in den Professuren
zu trennen, wodurch die Mineralogie in ihrer Selbständigkeit bestimmter hervor-
tritt Diese kurze Andeutung der selbständigen Stellung der Geologie und
Palaeontologie gegenüber der Mineralogie erschien hier nöthig, weil diese drei
Wissenschaften in der Encyklopädie in einem Bande vereinigt wurden.
Wenn nun die Mineralogie in ihrer richtigen Bedeutung die einzelnen
Minerale zu behandeln hat, wie sie als natürliche Zusammensetzungstheile der
Erde von einander unterschieden und einzelne Minerale in Arten zusammenge-
56 Mineraloge, Geologie und Palacontologie.
fasst werden, so erfordert der Ausdnick einzelnes Mineral noch eine nähere
Erörterung. In der Zoologie und Botanik sind als organische Individuen die
einzelnen Thiere und Pflanzen Gegenstand der Betrachtung, in der Mineralogie
aber muss man von einzelnen Mineralen sprechen, ohne dass damit durchgehends
der Begriff der Individualität verbunden ist. Allerdings sind im Vergleiche mit den
Thieren und Pflanzen die einzelnen Krystalle der Minerale als unorganische In-
dividuen einzelne Minerale, da jedoch auch Minerale ohne bestimmte krystallinische
Gestaltung vorkommen und als einzelne Minerale von einander zu unterscheiden
sind, so muss man bei ihnen von der gestaltlichen Einheit absehen und die
materielle, stoffliche Einheit genügend erachten. In diesem Sinne ist z. B. ein
Stück Marmor, wie es von einem Marmorblocke abgeschlagen zur Beurtheilung
kommt, ein einzelnes Mineral und kann mit einem Stücke Kalkstein oder mit
einem Stücke Kreide verglichen werden, welche auch als einzelne Minerale an-
zunehmen sind. Auf die Grösse und Gestalt der zufalligen Bruchstücke kommt
es hier nicht an. In einem Stücke Granit kann man oft ohne Schwierigkeit er-
kennen, dass dasselbe nicht eine stoffliche Einheit zeigt, sondern dass dasselbe
aus drei verschiedenen Mineralen zusammengesetzt ist, welche sich von einander
trennen lassen. Jeder materielle oder stofflich einheitliche abgetrennte Theil des
Granitstückes ist ein einzelnes Mineral. Ein Feuersteinknollen, aus Kreide heraus-
geschlagen, ist ein einzelnes Mineral, aber auch jedes Bruchstück des Knollen
wird als einzelnes Mineral betrachtet, welches unabhängig von seiner zufalligen
Form nach den anderen ihm zukommenden Eigenschaften als solches bestimmt
werden kann, um es mit anderen in eine Mineralart zusammen zu stellen oder
von anderen Mineralen zu unterscheiden.
Man ersieht hieraus, wie man von einzelnen Mineralen sprechen kann, weim
man Minerale zu vergleichen hat und dass bei der Vergleichung einzelner
Minerale nicht gleichzeitig alle Eigenschaften berücksichtigt werden können,
welche an den Mineralen überhaupt wahrgenommen werden. Wir können zwei
einzelne Krystalle derselben Mineralart oder zweier verschiedener Mineral-
arten bezüglich der Krystallgestalt, der physikalischen und chemischen Eigen-
schaften vollständig beschreiben und vergleichen und diese zwei Krystalle sind
als unorganische Individuen in der Mineralogie analog aufzufassen wie zwei
Thiere oder zwei Pflanzen. Wir müssen aber auch zwei Bruchstücke vollständig
beschreiben und mit einander vergleichen und betrachten, diese als zwei einzelne
Minerale, natürlich nicht als zwei Individuen, denn dieser Begriff der Individualität
kommt hier nicht in Betracht. Die Gestalt hat also hier keinen Einfluss auf die
Bezeichnung »einzelnes Mineral«, nur die Einheit oder Einerleiheit des Stoffes
lässt das Bruchstück als ein einzelnes Mineral auffassen, während z. B. bei einem
Bruchstücke von Granit die Flinerleiheit des Stoffes nicht bemerkt werden kann.
Wollte man in diesem Sinne nicht von einzelnen Mineralen sprechen, so würde
überhaupt nicht der Begriff der Einerleiheit oder Verschiedenheit klar gemacht
werden können, wenn man Minerale mit einander zu vergleichen hat.
Es tritt in dieser Erscheinung der Minerale der grosse Unterschied hervor,
welchen sie zeigen, wenn man sie im Vergleich mit Thieren und Pflanzen als
einzelne aufzufassen hat. Jedes einzelne Mineral kann nach seinen Eigenschaften
vollständig besclirieben werden und die Vergleichung der Eigenschaften einzelner
Minerale führte dazu, nicht nur die Uebereinstimmung einzelner Minerale zu
erkennen, sondern auch Mineralarten aufzustellen und es fragt sich nur, in
welchen Eigenschaften einzelne mit einander zu vergleichende Minerale Ueberein-
Arten der Minerale. 57
Stimmung zeigen müssen, um sie in eine Art (Species) zusammenstellen zu
können.
Es versteht sich hierbei von selbst, dass in der Mineralogie von demjenigen
Artbegriff, wie er in der organischen Welt eine Rolle spielt, keine Rede sein
kann, dessen ungeachtet aber muss man in der Mineralogie Mineralarten oder
Species aufstellen und zwar nicht deshalb, um gewissen Unbequemlichkeiten zu
entgehen, sondern weil die Wissenschaft diesen Begriff fordert, ohne ihn eine
wissenschaftliche Behandlung der Mineralogie unmöglich ist. Man muss hierbei
durchaus nicht den Artbegriff der Zoologie und Botanik als übereinstimmend
auffassen, sondern der Mineralogie das Recht zukommen lassen, ihren Objecten
entsprechend die Arten festzustellen. Wenn auch z. B. Berzelius es aussprach,
dass in der Mineralogie nichts vorhanden ist, was dem Begriff von Species ent-
spricht, so ist dies nur insofern richtig, als der Begriff von Thier- und Pflanzen-
species nicht auf die Minerale übertragen werden kann. Die zur Vergleichung
kommenden Objecte, die einzelnen Minerale, erfordern nur eine andere Be-
:»timmung des Artbegriffes. Mit wenigen Worten lässt sich dieser Begriff nicht
klar machen, wenn auch der Mineralog versteht, was in den wenigen Worten
zusammengefasst ist. Es liegt hier der Zweck vor, klar zu machen, warum eine
Anzahl einzelner Minerale in eine Mineralart zusammengestellt werden können,
zusammengestellt worden sind, warum, um nur allgemein bekannte Namen zu
gebrauchen, die Bergkrystalle, Rauchquarze, Amethyste, Chalcedone, Achate,
Feuerstein, Jaspis u. a. m. als der Mineralart Quarz zugehörig angesehen werden.
Die kurze Angabe, wie z. B. A. Breithaupt in seinem yollständgen Hand-
buche der Mineralogie, Band I, pag. 404, sie hinstellt: »Alle diejenigen Mineral-
Abänderungen, welche absolut oder relativ identisch sind, machen eine Species
ausi, reicht nicht aus, weil vorerst erörtert werden muss, was man unter absoluter
und relativer Identität versteht und weil schon in dieser Definition der Ausdruck
Mineral- Abänderungen gebraucht wird, welcher ohne die Feststellung des Art-
begriffes doch nicht verständHch ist, indem sich der Begriff Minera^Abänderungen
erst aus dem Artbegriff entwickelt.
Wenn ferner z. B. Mohs in seinen leichtfasslichen Anfangsgründen der
Naturgeschichte des Mineralreiches, Band I, pag. 362, sagt: »Ein vollständiger,
nach aussen schart begrenzter, im Innern geordneter und zusammenhängender,
das ist systematischer Inbegriff gleichartiger Individuen wird eine Species oder
Art genannt,« so ist sofort zu fragen, was Mohs unter Individuen verstand.
Hierbei stossen wir aber auf einen Widerspruch, denn er hat einen doppelten
Begriff von Individuum. Er sagt in der vorausgehenden Erläuterung der Begriffe
P^- 347- »Der Begriff von dem Individuo im Mineralreiche, welcher der
Terminologie zu Grunde gelegen, da es das einfache Mineral ist, genügt nicht
für die Systematik. In dieser ist das Individuum eine bestimmte Verbindung
einzelner, ungleich massiger naturhistorischer Eigenschaften, welche die Natur selbst
hervorgebracht hat.« Der Terminologie lag also ein anderer Begriff des Indivi-
duum zu Grunde, für diese sagt er pag. 25: »Das Individuum der unorganischen
Natur ist ein Mineral, welches einen von ursprünglichen Begrenzungen ein-
geschlossenen Raum einnimmt, und denselben mit einer homogenen Materie
stetig erfüllt. 4 Eine solche doppelte Bestimmung kann nicht verfehlen, Missver-
i»tändnisse zu erzeugen und doch stellte Mohs, wie Breithaupt ein Mineral-
system auf, in welchem die Mineralarten getrennt in systematischer Reihenfolge
beschrieben wurden. — L. Hausmann, welcher auch ein Mineralsystem aufstellte,
5^ Bfineralogie, Geologie und Palaeontolc^c
sagt pag. 593 in seinem Handbuche der Mineralogie, i. Theil: >Wenn gleich das
Ordnen der Naturköq>er in Hinseht auf das System als das Hauptgeschäft er-
scheint, so ist doch von ungleich grösserer Wichtigkeit für das Studium der
Naturkörper überhaupt die Bestimmung der Species, oder desjenigen, was sich
uns in der Natur als etwas Gleichartiges und vor allem Übrigen wesentlich Ver-
schiedenes darstellt« pag. 656, nach Besprechung der Eigenschaften sagt er:
vAllgemein ausgedrückt ist die anorganologische Species der Inbegriff derjenigen
Mineralkörper, welche bei einer gleichen oder gleichmässigen chemischen
Constitution ein gleiches Krystallisationensystem besitzen, oder bei dem Mangel
der Krystallisation, in anderen mit der Mischung im genauen Verhältnisse stehen-
den, äusseren Eigenschaften übereinstimmen.«
Aus diesen und ähnlichen Äusserungen über die Bestimmung der Art oder
Species würde man zu dem Schlüsse berechtigt erscheinen, dass die Arten in
der Mineralogie nicht mit der nothwendigen Bestimmtheit aufgestellt werden
könnten, während doch im Grossen und Ganzen die Mehrzahl der bis jetzt be-
kannten Mineralarten in den verschiedenen Systemen in ihrem Umfange Ueber-
eiastimmung zeigt, viel seltener zu beobachten ist, dass die Arten nicht überein-
stimmen. Die scheinbare Unsicherheit in der Bestimmung des Artbegriffes liegt
mehr in der Definition, weil, wie die nachfolgende Betrachtung zeigen wird, die
der Bestimmung der Arten zu Grunde liegende Idee sich nicht in wenige Worte
zusammenfassen lässt.
Wenn die einzelnen Minerale es nothwendig machen, dass man ausser dem
Stoff der Minerale, das ist ausser ihren chemischen und physikalischen Eigen-
schaften auch noch gewisse Gestaltsverhältnisse zu berücksichtigen hat, so zeigte
schon die obige Besprechung des Inhaltes des Mineralreiches, dass die Gestalten
der Minerale bei der Bestimmung der Art nur dann zur Geltung kommen
können, wenn die zu vergleichenden einzelnen Minerale Krystalle bilden, als
unorganische Individuen vorkommen. Diese Gestalten allein sind wesentliche,
immerhin aber in ganz anderer Weise, als dies bei den Thieren und Pflanzen der
Fall ist. Die Gestalten der Krystalle sind geometrische, sie sind Polyeder der
verschiedensten Art und die genaue Bestimmung derselben hat dazu geführt, die
ücgrenzungselemente der Krystalle, die Flächen, Kanten und Ecken auf gewisse
Linien zu beziehen, welche man sich in die Krystallgestalt hinein denkt Durch
solche Linien (Achsen genannt), welche sich in einem gemeinschaftlichen Mittel-
punkte schneiden, gleiche oder verschiedene Winkel mit einander bilden und
bestimmte Längenverhältnisse zeigen, gruppirt man, wie indem Artikel iKry stall-
gestalten« ausführlich gezeigt werden wird, dieselben und erhält dadurch die
Systeme der Krystallgestalten (Krystallsysteme).
Krystalle derselben Mineralart müssen nun in erster Linie demselben Krystall-
system angehören, ihre Gestalten müssen durch dieselben Achsen bestimmt werden
köimen. Hierbei ist aber nicht erforderiich, dass die einer Mineralart angehorigen
Krystalle in der Gestalt übereinstimmen, es können dieselben sehr verschieden
sein, sie müssen nur auf dieselben Achsen bezogen werden können. So sind
/. B. im sogen, tcsseralen Systeme, welches drei rechtwinklige gleichlange Achsen
erfordert, das Hexaeder und das Oktaeder zwei ganz verschiedene Gestalten,
Krystalle aber derselben Art sind, wenn sie als Hexaeder oder Oktaeder vor-
kommen, deshalb nicht der Art nach verschieden, wenn auch die Gestalten ganz
verschieden sind, sie werden zu derselben Art gezählt, weil sie auf dieselben Ach>en
iurücktührbar sind. Man umfasst daher mit dem Ausdnicke Krystallisation einer
Arten der Minerale. 59
Mineralart alle Gestalten, welche sich durch dieselben Achsen bestimmen lassen
und fordert so für die Feststellung der Art, dass alle ihre Krystallgestalten auf die-
selben Achsen zurückgeführt werden können, und darum stimmen sie in der
Kr>'stallisation überein.
Alle Krystallgestalten, welche auf diese Weise zusammengefasst werden, um
die Uebereinstimmung in der Krystallisation festzustellen, lassen sich auf eine
Krystallgestalt zurückfuhren, welche die zu Grunde gelegten Achsen so enthält,
wie sie zur Bestimmung der übrigen zu Grunde gelegt werden, und diese Gestalt
heisst die Grundgestalt. Daher kann man auch sagen, dass alle Krystall-
gestalten derselben Art auf dieselbe Grundgestalt zurückführbar sein müssen.
Ihre Angabe allein genügt, um die Krystallisation einer Mineralart festzustellen.
Es ist hierbei nicht erforderlich, dass die durch Messung der Krystalle zu er-
mittelnde Grundgestalt einer Mineralart wirklich an irgend einem Krystalle
dieser Art vorkommen müsse, sie dient nur dazu, zu bestimmen, dass die vor-
handenen Krystallgestalten einer Mineralart zusammengehörige sind. Dieser Zu-
sammenhang aller Krystallgestalten derselben Mineralart wird auch dadurch
nicht aufgehoben, dass, wie es bisweilen vorkommt, für dieselbe Mineralart von
verschiedenen Forschem eine verschiedene Grundgestalt gewählt wird. Man ver>
meidet dies in der Regel, weil grosse Unbequemlichkeiten damit verbunden sind,
es entsteht aber kein wirkliches Missverständniss, Art bleibt Art, insofern die ver-
schieden gewählten Grundgestalten selbst wieder auf einander bezügliche Gestalten
sind. An Stelle der Grundgestalt mit ihren Kantenwinkeln kann man auch die
zur Bestimmung derselben und der anderen Krystallgestalten zu Grunde gelegten
.\chsen ihrer Lage und Länge nach angeben.
Wenn auf diese Weise morphologisch die Mineralart begrenzt wird, die vor-
kommenden Krystallgestalten als zur Art gehörige bestimmbar sind, so ist
damit allein die Art nicht bestimmt, weil die Gestalten allein nicht zur Be-
stimmung der Art ausreichen. Es kommen nämlich viele Arten vor, welche nicht
allein in dasselbe Krystallsystem gehören, sondern auch auf dieselbe Grundgestalt
zurückgeführt werden können. So ist z. B. für alle Krystalle des tesseralen
Systems die Grundgestalt, das Oktaeder, dieselbe, deshalb gehören aber nicht
alle tesseralen Krystalle derselben Mineralart an, sondern sie können nur der
Gestalt nach als zusammengehörig aufgefasst werden. Es müssen bei der Beur-
theilung der Art auch die anderen Eigenschaften beurtheilt werden.
Ausser der äusseren Gestalt der Krystalle, durch welche sie räumlich als
unorganische Individuen begrenzt sind, und welche in sehr verschiedenem Grade
der Vollkommenheit oder der Unvollkommenheit ausgebildet sein kann, muss
noch bei der Aufstellung der Arten eine eigenthümliche Gestaltserscheinung in
Betracht gezogen werden, welche in dem Artikel ^Cohäsion« besprochen werden
wird, nämlich dieSpaltungsflächen. Diese werden als innere krystallinische
Gestalten den äusseren an die Seite gestellt und sind für die Bestimmung der
Art von grosser Bedeutung. Die Krystalle nämlich, welche als unorganische
Individuen in der Regel in allen Theilen dieselbe Substanz zeigen, in ihrem
Inneren homogen sind, haben die Eigenthümlichkeit, dass sie sich nach gewissen
Richtungen spalten lassen, in diesen Richtungen eine mindere Cohäsion als in
anderen zeigen. Die dadurch entstehenden Spaltungsfiächen gehen bestimmten
Ki}'stallflächen parallel, welche in die Reihe der Krystallisationsgestalten einer Art
gehören.
Es ist hierbei nicht nothwendig, dass an den Krystallen, welclie man spaltet,
6o Mineralogie, Geologie und Palaeontologic.
diese Flächen äusserlich sichtbar sind, so spaltet z. B. ein Hexaeder des Steinsalz
genannten Minerals parallel den Flächen des Hexaeders, während ein Hexaeder
der Fluorit genannten Mineralart parallel den Flächen des Oktaeders spaltet, auch
selbst, wenn keine Spur von Oktaederflächen äusserlich an dem Krystalle bemerk-
bar ist.
Für die Bestimmung der Arten sind diese Spaltungsflächen von grösster Be-
deutung, weil man gefunden hat, dass alle Krystalle derselben Art, so verschieden
auch ihre äussere Gestalt sein mag, in den Spaltungsflächen übereinstimmen,
wodurch dieselben selbst in Ermangelung äusserer bestimmbarer Krystallgestalten,
wie dies bei der unvollkommenen Ausbildung der Individuen oft vorkommt, zur
Bestimmung der Art dienen können. Es wird somit morphologisch die Art nicht
nur durch die äusseren Gestalten der Krystalle festgestellt, sondern auch durch
diese inneren Gestaltungsverhältnisse, und wenn nicht besondere Umstände
hinderlich sind, kann man in morphologischer Beziehung sagen, dass diejenigen
einzelnen Minerale derselben Art angehören können, welche in demselben
Krystallsysteme krystallisiren, in der Krystallisation übereinstimmen und dieselben
Spaltungsflächen zeigen. Ja es giebt selbst Mineralarten, deren Krystallisation bei
Mangel an bestimmbaren Krystallen durch die Spaltungsflächen allein bekannt ist.
Was die physikalischen Eigenschaften im Allgemeinen betrifft, so sind
bei der Reichhaltigkeit derselben nur wenige für die Bestimmung der Art wesent-
lich. Die zunächst an den einzelnen Mineralen in das Auge fallenden optischen
Eigenschaften sind in ihren Einzelnheiten, Farbe, Glanz, Durchsichtigkeit, Strahlen-
brechung und Polarisation nur in beschränkter Weise für die Feststellung der
Art wichtig und es können selbst die von der Krystallisation abhängigen Er-
scheinungen der Strahlenbrechung und Polarisation ausser Acht gelassen werden.
Sie können gewissermassen zur ControUe der Krystallisation dienen, aber nicht
so genau bestimmt werden, wie diese. Es ist allerdings hervorzuheben, dass
diese optischen Eigenschaften von eminenter wissenschaftlicher Bedeutung sind,
doch können verschiedene äussere Ursachen in einzelnen Fällen so störend auf
die Feststellung derselben einwirken, dass es besser erscheint, ohne ihre grosse
Bedeutung herabzusetzen, sie nur controllirend für die Art zu verwenden.
Farbe, Glanz und Durchsichtigkeit ergeben zusammengefasst das Aussehen der
einzelnen Minerale, und weil in dieser Beziehung die Minerale verschieden er-
scheinen, im Allgemeinen als solche von metallischem Aussehen oder als solche
von unmetallischem Aussehen unterschieden werden können, so ist es fiir die
einzelnen einer Art angehörigen Minerale mit der Beschränkung maassgebend,
als das Aussehen ein übereinstimmendes sein soll, entweder ein metallisches
oder ein unmetallisches. Wenn dies nicht der Fall ist, das Aussehen ein
wechselndes ist, verliert es seine wesentliche specifische Bedeutung.
Wichtig für die Art oder Species ist das darnach benannte specifische
Gewicht, worin alle Glieder einer Art übereinstimmen müssen. Welche be-
sonderen Umstände dabei zu berücksichtigen sind, wird in dem bezüglichen
Artikel über das specifische Gewicht angegeben werden. Dasselbe gilt auch von
der Härte, welche in dem Artikel Cohäsionseigenschaften der Minerale be-
sprochen werden wird.
Andere physikalische Eigenschaften kommen nur in besonderen Fällen bei
der Bestimmung der Art zur Geltung, so dass im Allgemeinen nur für die ein-
zelnen Vorkommnisse einer Art Uebereinstimmung im Aussehen, im specifischen
Gewicht und in der Härte erforderlich ist, wobei jedoch immer zu berücksichtigen
Arten der Minerale. 6i
sein wird, dass die Uebereinstimmung nur relativ ist, auf besondere Vorkommnisse
bezüglich, welche mit einander verglichen werden, weil die physikalischen Eigen-
schaften als solche der Masse sehr häufig durch Nebenumstände bedeutend
beeinflusst werden.
Viel wichtiger und einflussreicher fiir die Bestimmung der Arten ist die
chemische Beschaffenheit des Stoffes geworden, wie wohl von vornherein
daraus ersichtlich ist, dass vom Stoffe oder der Materie des Minerales die ge-
sammte Existenz desselben abhängig ist. Die Mineralchemie hat daher auf die
Mineralogie den grössten Einfluss, und wenn ein Mineral nicht in chemischer
Beziehung genügend erforscht ist, so ist seine specifische Selbständigkeit nicht
ausser allem Zweifel gesetzt. Die Mineralchemie hat zu der Erfahrung geführt,
dass die einer Art zugehörigen Minerale im Stoffe übereinstimmen müssen, dessen
Qualität und Quantitätsverhältnisse in der chemischen Formel ihren Ausdruck
finden. Im Zusammenhange damit stehen die chemischen Reactionen,
welche von dem durch die Formel ausgedrückten Stoffe abhängig sind und
später in einem eigenen Artikel besprochen werden. Nur in einzelnen Fällen
% Artikel Dimorphismus) zeigen die Reactionen bei gleicher chemischer
Formel Abweichungen von der Regel, wesshalb dann bei der Bestimmung der
Art diese zu berücksichtigen sind, wodurch aber die allgemeine Anforderung an
eine Art, Übereinstimmung in der chemischen Formel und in den Reactionen
nicht beeinträchtigt wird.
Wenn nun aus dem' Gesagten hervorgeht, in welchen Eigenschaften und in
welchem Sinne Uebereinstimmung für diejenigen einzelnen Minerale erforderlich
ist, welche derselben Art zugehören sollen, so ergiebt sich aus der Art des Vor-
kommens der Minerale überhaupt, dass nur diejenigen der angeführten Eigen-
schaften zur Vergleichung und zur Entscheidung über die Zugehörigkeit dienen
können, welche das einzelne Mineral zeigt. So können bei gasigen und tropf-
baren Mineralen nur die physikalischen und chemischen Eigenschaften über die
Art entscheiden, desgleichen auch bei den festen, wenn diese unkrystallinische
Gestalten zeigen ; daraus folgt aber nicht, dass die Vergleichung der krystallinischen
Gestaltsverhältnisse für die Entscheidung über die Art überflüssig erscheinen
könnte, selbst wenn darüber allein durch die physikalischen und chemischen
Eigenschaften zu entscheiden möglich wäre. Es werden häufig diese letzteren
durch besondere Umstände nicht sicher genug erscheinen und deshalb ist es
nöthig, alle Eigenschaften zu benützen, welche den Zweck erreichbar machen.
Ist nun durch die Uebereinstimmung in der chemischen Constitution, welche
durch die chemische Formel des Stoffes ausgedrückt wird, in den chemischen
Reactionen, im Aussehen, im specifischen Gewicht, in der Härte, in den
Spaltungsflächen und in der Krystallisation eine Art (Species) festgestellt, so
dienen diese Eigenschaften zur Charakteristik der Art und die aufgestellte
Art wird mit einem bestimmten Namen benannt. Innerhalb der Art werden
ahnlich wie in der Zoologie und Botanik Varietäten oder Abänderungen
unterschieden, deren Zahl je nach der Reichhaltigkeit des Vorkommens und der
Mannigfaltigkeit für die Artbestimmung unwesentlicher Eigenschaften sehr ver-
schieden sein kann und es können den Varietäten auch besondere Namen ge-
geben werden oder sind gegeben worden. So sind z. B. in dem pag. 57 angeführten
Beispiele die Bergkrystall, Rauchquarz, Amethyst, Chalcedon, Achat, Feuerstein,
Jaspis genannten Minerale Varietäten der Species Quarz.
Was die Namen betrifft, so hat die allmähliche Entwickelung der Mineralogie
62 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
einen gewissermaassen störenden Einfluss ausgeübt, abgesehen davon, dass bezüg-
lich der Arten und Varietäten, wie in der Zoologie und Botanik nicht immer
Uebereinstimmung herrschen kann. Die Nomenclatur in der Mineralogie hat
sogar zu vielen Klagen geführt und den Schein erregt, als sei das Verfahren bei
der Benennung der Minerale weniger wissenschaftlich als in den anderen natur-
historischen Disciplinen. Es handelt sich nämlich zunächst um die Frage, welche
Methode der Nomenclatur vorzuziehen sei, die systematische oder die specifische
Nomenclatur, und man hat sich im Allgemeinen in der Mineralogie für die speci-
fische entschieden, ohne dabei den wissenschaftlichen Werth der systematischen
Nomenclatur zu verkennen. Es wurden von Anfang an den Mineralen specifische
Namen oder überhaupt Namen gegeben, bevor noch die eigentliche Bedeutung
der Species Platz gegriffen hatte, bevor überhaupt Grundsätze über den Begriff Species
ausgesprochen wurden. Als man die einzelnen Arten als solche unterschied und
systematische Ordnung in die Mineralogie zu bringen begann, wurden auch
systematische Namen gegeben. Bei der Verschiedenheit aber der Ansichten über
die systematische Anordnung entstanden verschiedene Systeme und bei dem
persönlichen Rechte, die Minerale nach dem autgestellten Systeme systematisch
zu benennen, mussten nothwendig dieselben Arten von verschiedenen Autoren
der Systeme verschieden systematisch benannt werden. Hierdurch wurde das
Studium der Mineralogie sehr erschwert und man zog die specifische Nomen-
clatur vor, weil sie von den Systemen unabhängig ist.
W. Haidinger äusserte sich in seinem Handbuche der bestimmenden Mine-
ralogie, in welchem er das MoHs'sche System und dessen systematische Nomen-
clatur aufnahm, pag. 464, über die specifische Nomenclatur in folgender Weise:
>Das Bedürfniss, welches die systematische Nomenclatur befriedigt, ist der
Ausdruck der naturhistorischen Ähnlichkeit in einem Systeme durch die Be-
nennung. Es ist aber ein eben so dringendes und wahres Bedürfniss, für jede
Species einen eigenen bestimmten specifischen Namen zu haben, der einfach,
nicht zusammengesetzt ist, daher auch sich weder auf ein vollständiges Mineral-
System, noch auf ein Systemfragment bezieht, wie dieses letztere bei einem
jeden zusammengesetzten Namen der Fall ist, wenn er nicht in die Kategorie
von wirklichen systematischen Namen oder Benermungen gehört. Dieses Be-
dürfniss wird durch die specifische Nomenclatur befriedigt.«
F. V. KoBELL begann die Einleitung seines Buches: »Die Mineralnamen
und die mineralogische Nomenclatur« mit folgenden Aeusserungen über die Namen:
»Die Nomenclatur, sagt Mohs, giebt einen gedrängten Abriss von der
Wissenschaft selbst und von ihrem Zustande in den verschiedenen Perioden
ihrer Ausbildung. Sie ist der Spiegel, in welchem die ganze Wissenschaft sich
abbildet — Es sind dieses sehr wahre Worte und wir erkennen an den Namen
auf dem kürzesten Wege die verschiedenen Ansichten, die sich geltend gemacht
haben oder geltend machen wollen, wir unterscheiden leicht die Krystallo-
graphen mit denjenigen, welche die sogen, naturhistorische Methode für sich
in Anspruch genommen und je nach den Umständen verschieden gemodelt
haben, von den Chemikern, die in anderer Richtung strebend sich wie die
ersteren zuweilen ins Extrem verloren, wir ersehen aus der Geschichte der
Namen ebenso die Unzulänglichkeit einer aller Speculation entbehrenden
Empirie, wie die Verschrobenheit jener Philosophieen, die es nur mit einer
eingebildeten Natur zu thun haben, wir erkennen die Schwierigkeiten der
Forschung, die Nachtheile des Abschliessens von anderen Wissenschaften uiid
Arten der .Minerale. 63
der erwähnte Spiegel liefert für die Mineralogie ein so buntes und unharmo-
nisches Bild, wie wohl bei keiner anderen Naturwissenschaft. In der That,
wer von der gegenwärtigen mineralogischen Nomenclatur auf den künftigen
Entwicklungsgang und die Behandlung der Wissenschaft schliessen wollte, der
möchte unwillkürlich an den babylonischen Thurmbau erinnert werden, der am
Ende eingestellt werden musste, weil keiner mehr den andern verstand. Frei-
lich war immer einigen nicht sowohl um den grossen mineralogischen Thurm
zu thun, als um einen Erker daran, welchen sie nach Wissen und Geschmack
zur eigenen Wohnung sich ausbauten und nach Bequemlichkeit einrichteten
und das zuweilen auf eine so seltsame Weise, dass man sich kaum des Ge-
dankens erwehren kann, es sei darauf abgesehen gewesen, die Neugier rege
zu machen, wer denn da wohne, wer denn diese Curiosität geschaffen habe.
Diese Vorkommnisse sind zwar für denjenigen nicht so gefahrlich, der sie
durch lange Dienstzeit kennen und beurtheilen gelernt und sich in Geduld darein
gefunden hat, den Tornister der Synonymen fortwährend herumzuschleppen,
fiir den neu eintretenden Jünger der Wissenschaft sind sie aber ein Verhau
des Weges, ein zurückschreckendes Hindemiss für alles Fortkommen.«
>Um das Gesagte mit einem Beispiele zu erläutern, will ich ein allgemein
gekanntes und wohl untersuchtes Mineral, das molybdänsaure Bleioxyd, an-
führen. Ein Schüler von Mohs würde, um es zu bezeichnen, vom pyramidalen
Bleibaryt sprechen, ein Schüler Breithaupt's aber vom tautoklinen Xanthin-
spath, ein Schüler Hausmann's würde es Bleigelb nennen, während es die
Wemerianer Gelbbleierz genannt haben, ein Schüler Haidinger's nennt es
Wulfenit, bei Brocke heisst es Carinthit, bei Beudant Melinose und nun
kommen noch die lateinischen Namen dazu: Pyramidites tautoclinus, Wulfe-
nitcs pentatomus, Cronalus pyramidalis , Flumbum molybdänicum,€
Aus solchen Äusserungen über die Benennung der Minerale ersieht man,
dass die vorhandenen überaus zahlreichen S)monyme wirklich eine grosse Be-
schwerde sind und dass man den specifischen Namen den Vorzug einräumen
muss, weil bis jetzt kein Mineralsystem mit systematischer Nomenclatur sich
einer allgemeinen Aufnahme erfreuen konnte. Die spezifischen Namen aber
lassen sich nicht nach allgemein giltigen Vorschriften geben, weil dies der Natur
der Sache nach nicht gut möglich ist und deshalb entstanden oft verschiedene
Namen für ein und dieselbe Art. Man findet darum in der Regel in den Hand-
und Lehrbüchern der Mineralogie neben dem vom Autor gewählten specifischen
Namen ein oder mehrere Synonyme angegeben, weil dies des Verständnisses
wegen nothwendig ist, vermeidet aber nach Möglichkeit, bekannten Species neue
Namen zu geben, weil bereits gegebene zur genügenden Auswahl vorhanden sind.
Von den Regeln oder leitenden Grundsätzen, nach welchen Namen gegeben
werden sollen, kann hier nicht weiter die Rede sein, dies würde zu weit führen
und man ersieht nur aus einer Regel, welche Haidinger (a. a. O. pag. 465)
voranstellt, wie unsicher solche Regeln sind. Er sagt, die Namen sollen ein-
fach, nicht zusammengesetzt sein, führt dabei einige Zeilen weiter den Namen
Pharmakolith als gut gewählten an mit der Bemerkung, ist ein zusammenge-
setztes Wort, aber griechisch, und gilt im Deutschen für einfach. In diesem
Sinne kann man unmöglich die Bezeichnung einfach verstehen, wenn man
auch gern griechische oder lateinische Namen wählt. Dies geschieht nicht, um
den Namen als einen einfachen hinzustellen, sondern deshalb, um Namen zu
haben, welche in anderen modernen Sprachen als wissenschaftliche eben so un-
64 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
abhängig von der Muttersprache gebraucht werden können, wie von der deutschen.
Wenn z. B. anstatt des deutschen Namens Kupferkies der griechisch ausge-
drückte Name Chalkopyrit allgemeiner brauchbar erscheint, so ist darum nicht
der Name Chalkopyrit ein einfacher, weil er griechisch ist und der Name Kupfer-
kies ein zusammengesetzter, weil der Deutsche sofort weiss, dass der Name-
Kupferkies ein zusammengesetzter ist. Durch die Uebersetzung in das Griechische
oder Lateinische werden sie nicht einfache Namen, sondern nur in gewissem
Sinne zugänglicher für verschiedene Sprachen.
Jede Mineralart kann, durch die oben angegebenen Eigenschaften bestimmt,
durch die möglichst kürzeste Angabe dieser charakterisiri werden, während die
Beschreibung einer Mineralart länger oder kürzer gegeben werden kann, je nach
dem Umfange, welchen ein Werk haben soll. In einer vollständigen Beschreibung
müssten alle Eigenschaften enthalten sein, welche die bis anhin bekannt gewordenen
Vorkommnisse ergeben haben, die als der Art angehörig betrachtet werden.
Später aufzufindende Vorkommnisse können zur Vervollständigung der Beschreibung
beitragen, während die Charakteristik der Art, die Art als solche ihre Geltung be-
hält. So können z. B. die in den Umfang der Krystallisation gehörigen Krystall-
gestalten durch neue Vorkommnisse vermehrt werden, können die Farben mannig-
faltiger werden, können durch neue Analysen unwesentliche Bestandtheile gefunden
werden, welche noch nicht bekannt waren u. s. w. wodurch besonders die Zahl
der Varietäten vermehrt wird. Wenn daher vorgesteckten Zielen eines Werkes
entsprechend Beschreibungen der Mineralarten ungleich umfangreich werden, so
erwächst daraus kein Nachtheil, wenn nur der einem Werke zu Grunde liegende
Zweck erfüllt wird. Auch erscheint es meist nicht nöthig, alle Mineralarten auf-
zuführen, wie dies in diesem Werke auch nicht geschehen soll. Es sollen hier
nur eine ausgewählte Anzahl von Mineralen mit ihren wichtigsten und bekanntesten
Varietäten beschrieben werden, ohne dass dabei jedesmal die Charakteristik der
Art vorangestellt wird, welche in jedem einzelnen Falle aus der Beschreibung
entnommen werden kann.
Um an einem Beispiele diese doppelte l^arstellung zu zeigen, wählen wu
dazu die allgemein bekannte Mineralart Schwefel.
Für die Charakteristik des Schwefels genügen folgende Angaben:
Schwefel, orthorhombisch, Grundgestalt die Pyramide P, deren Endkanten-
winkel = 85" 4'und 106^ 30', die Seitenkantenwinkel = 143^ ig' sind; unvollkommen
spaltbar parallel den Basisflächen oP und dem Prisma 00 P; das Aussehen ist
unmetallisch, Härte = 1,5 — 2,5, specif. Gewicht =1,9 — 2,1 • S; schmelzbar bei
112° C, verbrennt angezündet mit blauer Flamme zu schwefliger Säure.
An Stelle der Winkel der Grundgestalt kann man auch nur ihr Achsen-
verhältniss angeben, Hauptachse zur Querachse zur Längsachse ^ 2,34192
: 1,23169 : I, wobei gewöhnlich die Achsen nur mit bestimmten Buchstaben be-
zeichnet werden (s. Artikel Krystallgestalten). Die Winkel der Grundgestalt,
sowie das entsprechende Achsenverhältniss findet man aber nicht immer gleich
angegeben, weil die Messungen immer etwas von einander abweichen und aus
denselben ein Mittelwerth zu entnehmen ist.
Aus der Charakteristik der Art geht, wie oben angegeben worden ist, henor,
dass alle vorkommenden Krystalle derselben Gestalten zeigen, welche von der
Grundgestalt ableitbar sind, während alle Vorkommnisse der Art überhaupt in
physikalischer und chemischer Beziehung in das Bereich der angegebenen Be-
stimmungen fallen.
Arten der Minerale. 65
Wird der Schwefel als Mineralart beschrieben, so kann die Beschreibung in
nachfolgender Weise gegeben werden, wobei ausdrücklich hervorzuheben ist, dass
diese Beschreibung keine vollständige sein soll, sondern nur als Beispiel ausge-
führt wird.
Schwefel. Derselbe findet sich sehr häuüg krystallisirt, orthorhombisch,
meist holoedrisch, selten sphenoidisch-hemiedrisch. Die Krystalle sind fast immer
aufgewachsen, vorherrschend pyramidal, zeigen die als Grundgestalt gewählte
Pyramide P mit den Endkantenwinkeln = 85^4' und 1 06^30', den Seitenkanten-
winkeln= 143° 19' für sich allein, gewöhnlich aber erscheint dieselbe mit anderen
Gestalten in Combination, deren bis jetzt schon über 20 gefunden wurden, wie
mit den Basisflächen oP, der stumpfen Pyramide ^P (Endkantenwinkel = 113° 12'
und 126° 54')» der noch stumpferen Pyramide ^P (Endkantenwinkel = 132^ 43'
und 142°), dem Prisma 00 P (dessen stumpfe Kanten = 101° 11' sind), dem Längs-
doma P 00 (Endkantenwinkel =55° 29'), dem Querdoma P^ (Endkantenwinkel
= 46° 15'), den Längsflächen 00 P^, den Querflächen 00P55 u. a. m. Die
Combinationen sind z. Th. flächenreiche. Ausser gewöhnlich vorkommenden Un-
regelmässigkeiten, welche die aufgewachsenen und in Drusenräumen reichlich vor-
kommenden Krystalle zeigen, flnden sich auch tafelartige Bildungen durch Vor-
herrschen der Basis- oder Querflächen, in Sicilien, wie bei Cianciana beobach-
tete man ausgezeichnet sphenoidisch-hemiedrische Entwickelung der Pyra-
miden P und \ P. Bemerkenswerth ist das Vorkommen von Zwillingen nach dem
Prisma 00 P, oder nach dem Längsdoma Poo, oder nach dem Querdoma P00.
Der Schwefel ist unvollkommen spaltbar parallel den Basisflächen und parallel
den Prismaflächen 00 P, der Bruch ist muschlig, uneben bis splittrig.
Die Krystalle sind verschieden gross bis sehr klein, zeigen bisweilen reihen-
formige oder homologe pyramidale Gruppirung, desgleichen auch radiale, welche .
bis zu kugligen Gruppen mit drusiger oder rauher Oberfläche führt; an diese
reihen sich nierenförmige und andere stalaktitische Gestalten bis krustenförmige
Ueberztige. Die Verwachsung der Individuen lässt sich dabei im Inneren mehr oder
weniger deutlich erkennen. Ausserdem findet er sich in individualisirten Massen,
gross-, grob-, klein- bis feinkörnig, meist mit undeutlicher Absonderung, auch
dnisig-kömig, stenglig bis fasrig, dicht, dabei bisweilen eigenthümliche knollige bis
kuglige Gestalten bildend, feinerdig (als sog. Mehlschwefel). Die Krystalle und
Gruppen sind fast immer aufgewachsen, die anderen Varietäten finden sich derb,
dabei oft ausgedehnte Lager oder wechselnde Lagen zwischen anderen Mineralen,
Ausfüllungen von Klüften und Hohlräumen bildend, eingewachsen bis eingesprengt,
als Ueberzüge und Anflüge. Nach der verschiedenen Ausbildung kann man
als Varietäten den krystallisirten, krystallinischen, dichten und erdigen Schwefel
unterscheiden.
Die wesentliche Farbe des Schwefels ist ein eigenthümliches helles Gelb mit
einem Stich ins Grüne, welche als Schwefelgelb von anderen gelben Farben unter-
schieden wird, übergehend bis in zeisiggrün, andererseits und zwar häufiger in
andere gelbe Farben, in citronengelb, orangegelb, honiggelb, strohgelb, bräunlich-
gelb, röthlichgelb bishyazinthroth, in gelblich bis rötlichbraun; auch ist er graulichgelb
bis gelblich weiss, die dichten unreinen Knollen sind graulichbraun, leberbraun bis
bräunlichgrau. Das Strichpulver ist gelblichweiss oder graulichweiss. Der Glanz
ist glas- bis diamantartiger Wachsglanz, besonders bei dem krystallisirten und
krystallinischen, bis reiner Wachsglanz und in der Stärke wechselnd, am stärksten
auf glatten 'Krystall- und muschligen Bruchflächen, abnehmend bis zum matten
KjDiMCOTT, Min., Gcol. u. Pal. I. e
66 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
oder glanzlosen Mehlschwefel. Er ist durchsichtig bis an den Kanten durch-
scheinend, der erdige undurchsichtig. Vollkommen durchsichtige Krystalle zeigen
doppelte Strahlenbrechung; die Doppelbrechung ist positiv, die optischen Achsen
liegen im Längsschnitt, die spitze Bisectrix fällt in die Hauptachse.
Der Schwefel ist wenig spröde aber leicht zersprengbar, hat die Härte
= 1,5 — 2,5; der feinkörnige und erdige ist leicht zerreiblich, das spec. Gew. ist
= 1,9 — 2,1. Durch Reiben wird er negativ elektrisch.
Chemisch ist der Schwefel ein elementarer Stoff, mit S bezeichnet, doch meist
mehr oder weniger verunreinigt durch fremdartige Beimengungen, welche selbst
bei geringer Menge, besonders auf die Farbe Einfluss haben, wie Schwefelarsen
und Selen orangegelbe, Bitumen bräunliche, erdiger Thon oder Mergel graue
oder grauliche Färbung veranlassen.
Schwach erwärmt, schon in der warmen Hand knistert er, im Kolben
erhitzt schmilzt er, bei 112° C- zu einer gelben beweglichen Flüssigkeit, welche
bei höherem Erhitzen dunkler bis hyacinthroth oder granatroth und dicker wird, bei
250° so zähe, dass sie sich nicht mehr aus dem Gefasse ausgiessen lässt. Ueber
300° wird der Schwefel wieder dünnflüssig, siedet bei 440° und verwandelt sich
in orangegelben Dampf, welcher sich am Glase als Sublimat absetzt. An einer
Flamme angezündet verbrennt der Schwefel mit blaulicher Flamme zu schwefliger
Säure SOj, welche durch ihren erstickenden Geruch leicht erkenntlich ist.
Der geschmolzene Schwefel ergiebt beim Abkühlen den sogen, klinorhom-
bischen Schwefel, eine besondere Modiflcation des Elementes S, welches dimorph
ist, als Mineral sich aber nur orthorhombisch krystalHsirt flndet.
In Wasser und den gewöhnlich als Lösungsmittel für Minerale angewendeten
Säuren ist der Schwefel unlöslich, dagegen ist er vollständig löslich im Schwefel-
kohlenstoff CSj, einer farblosen Flüssigkeit, welche bei 22° C. in 100 Theilen
46 Theile Schwefel auflöst. Bei langsamem Verdunsten bilden sich aus der Lösung
orthorhombische Krystalle, wie sie das Mineral zeigt. — Mit Kali- oder Natron-
lauge gekocht ergiebt der Schwefel eine bräunlichrothe Lösung, aus welcher sich
beim Verdampfen Schwefelkalium oder Schwefelnatrium abscheiden. Bei Zusatz
von Salzsäure entwickelt sich aus ihr Schwefelwasserstoffgas.
Der Schwefel findet sich vorzüglich im Gebiete der Tertiärformationen in der
Nachbarschaft von Gyps in Kalk, Mergel und Thon, besonders reich und schön
bei Girgenti, Cattolica, Lercara, Raculmuto, Cianciana, Caltanisetta u. a. O. in
Sicilien, auf welcher Insel allein jährlich für über 20 Millionen Lire Schwefel ge-
wonnen wird, bei Conilla unweit Cadix in Spanien, bei Czarkow und Swoszowice
in Galizien, in Croatien, Polen, Mähren u. s. w., ohne dass man mit Sicherheit
angeben kann, wie er sich gebildet habe; ausserdem gewöhnlich in der Nälie
von Vulkanen, in Kratern und Solfataren als Sublimat oder aus Schwefelwasser-
stoffexhalationen entstanden, als Absatz aus sogen. Schwefelquellen, welche Schwefel-
wasserstoff enthalten, durch Zersetzung von Schwefelmetallen auf Gängen und
Lagern verschiedener Formationen, durch Einwirkung verkohlender Pflanzenreste
und faulender thierischer Substanzen auf schwefelsaure Verbindungen von Metall-
oxyden und deshalb untergeordnet in den jüngsten bis zu älteren Formationen.
Trotz des Vorkommens an sehr vielen Fundstätten und in verschiedenen
Formationen unter verschiedenen Verhältnissen und trotz der grossen Mengen,
welche an einzelnen Fundorten gewonnen werden, tritt der Schwefel nicht als
Gesteinsart auf, spielt aber als unserer Erde angehörender Stoff eine grosse
Rolle, insofern er in Verbindung mit Metallen und Metalloiden und in einer
Arten der Minerale.
67
Verbindung mit Sauerstoff als Schwefelsäure (s. Sulfate) zahlreiche und weit ver-
breitete Minerale bildet, welche zum Theil als Gesteinsarten auftreten, wie z. B.
der Gyps imd Anhydrit.
Die Verwendung des Schwefels ist eine sehr ausgedehnte, wie namentlich
zur Darstellung des Schiesspulvers, in der Feuerwerkerei, bei der Bereitung der
Zündhölzer, zur Darstellung von Schwefelverbindungen, wie von Schwefelsäure,
Zinnober, Auripigment u. a., zum Schwefeln und Bleichen von Seide, Wolle und
Stroh, zum Schwefeln von Fässern, als Mittel gegen die Traubenkrankheit und
überhaupt als Arzneimittel, zur Darstellung von Schwefelabgtissen von Statuen,
Münzen u. a., zu Elektrisirmaschinen und vielen anderen Zwecken.
Bei den Beschreibungen der einzelnen Mineralarten kann man auch Ab-
bildungen von Krystallen beifügen, welche sich gewöhnlich auf häufig vorkommende
einfache Gestalten und Combinationen beziehen, wie z. B. die beifolgenden:
(Min. 2-10.)
Fig. 2.
Fig. 4.
Fig. 5-
Fig. 8.
Fig. I. Die als Grundgestalt gewählte Pyramide P. Fig. 2. die Combina-
äon der Basisflächen oP mit dieser. Fig. 3. die tafelartige Combination oP • P;
Fig. 4. die Combination der stumpferen Pyramide ^P mit P; Fig. 5. dieselbe
mit den Basisflächen. Fig. 6. die Combination des Längsdoma Poo mit der
Grundgestalt; Fig. 7. dieselbe mit den Basisflächen. Fig. 8. dieselbe noch mit
der P3nramide ^P; Fig. 9. das sphenoidische Hemieder von P bezeichnet mit
L In Betreff solcher Abbildungen ist zu bemerken, dass in der Regel auf die
bei Riystallen vorkommenden Unregelmässigkeiten der Bildung nicht Rücksicht
genommen ist
Wenn somit die einzelnen Mineralarten in der angegebenen Weise nur durch
5*
68 Mineralogie, Geologie und PaUeontologie.
ihre Charakteristik bestimmt oder wemi sie mehr oder weniger vollständig be-
schrieben werden können, so ist dann jedenfalls in Folge der Vergleichung die
Möglichkeit gegeben, die Mineralarten nach gewissen ihrer Eigenschaften in
(Jruppen zusammenzustellen, welche so verwandte Mineralarten enthalten. Solche
Gruppen können wieder nach gewissen Eigenschaften verglichen werden imd er-
geben umfassendere Abtheilungen und es ergiebt sich daraus die Erstellung von
Mineralsystemen, deren Zahl und Verschiedenheit in gewissem Sinne auffallend
erscheint.
Da jedoch die Systematik und die Systeme der Minerale in einem eigenen
Artikel besprochen werden sollen, so wurde hier nur die Zusammenstellung von
Mineralarten in Gruppen deshalb berührt, weil in der Folge die wichtigeren
Minerale in Gruppen zusammengefasst beschrieben werden, ohne dass dabei
die Gruppen einem bestimmten der vorhandenen Mineralsysteme entnommen
werden. Die anzuftihrenden Gruppen haben lediglich nur den Zweck zu erfüllen,
eine mehr oder minder grosse Anzahl einzelner Mineralarten in dem Zusammen-
hange besprechen zu können, welcher durch die Gnippirung geboten ist.
Die Atmosphäre und ihre geologische Bedeutung
von
Professor Dr. A. v. Lasaulx.
Die Atmosphäre ist die gasförmige Umhüllung, welche die Erde allseitig
umgiebt. Hierdurch ist sie von allen an der Erdoberfläche wirksamen Agenden
das von der gleich massigsten Verbreitung und kein Punkt der äusseren Erdrinde
kann sich den von ihr ausgehenden Einwirkungen entziehen. Die Art und In-
tensität dieser letzteren ist sehr verschieden.
Mit dem Körper der Erde hat die elastische Hülle der Atmosphäre zunächst
die Gestalt gemeinsam, sie ist abgeplattet wie jene. Die höchste Höhe hat die
Atmosphäre über dem Aequator, niedriger ist sie über den Polen. Die Höhe
derselben ist jedoch nicht genau festzustellen. Die noch am meisten zuver-
lässigen Bestimmungen ergeben Werthe, die von 8 — lo Meilen schwanken; nach
ScHNiror hat sie 7,7 Meilen Höhe am Aequator, etwa ^ des Erdhalbmessers, an
den Polen 5,8 Meilen. Jedenfalls übersteigt die Abplattung nicht den NVerth
von ein Drittel ihrer Höhe.
Die wesentlichen oder Hauptbestandtheile der Atmosphäre sind Sauerstofi.
Stickstoff und Kohlensäure. Unter Lull schlichthin versteht man das Gemenge
von 21 Theilen Sauerstoff und 79 Theilen Stickstoff. Diesen sind auf etwa
loooo Theile 3 — 4 Theile Kohlensäure und etwas Wasserdampf beigemengt, beide
in wechselnden Mengen. Besonders der Gehalt an Kohlensäure ist oft auffallend
schwankend, über dem Festlande grösser als über dem Meere. Zufallige oder
Nebenbestandtheile der Atmosphäre sind: Wasserstoffgas, Kohlenwasserstoffe.
Schwefelwasserstoff, Chlorwasserstoff, Ammoniakgas. Auf dem Gehalte an
wcbenilichen und zufälligen Bestandtheilen beruht die chemische Einwirkung.
der Atmosphäre auf die Erdrinde.
Sauerstoff und Kohlensäure sind es, die in stetem Wechsel die wichtigster
Vorgange dieser Art bedingen. Die Lufl zeigt stets einen gleichbleibenden Ge-
halt an Sauerstoff, weil Thiere und Pflanzen zur Kohlensäure in einer Wech.sel
l>eziehung stehen, die Lufl genau entgegengeseute Stoffe aufnimmt und abgiebt.
Die Atmosphäre und ihre geologische Bedeutung. 69
Thicre und Pflanzen athmen und nehmen dabei Luft auf, aber die l'hiere nehmen
vorzüglich Sauerstoff auf und geben dafür Kohlensäure ab und verwenden ihn zu
den Zwecken ihres Lebens, die Pflanzen im Gegentheile nehmen vorzüglich Kohlen-
säure ein und geben Sauerstoff ab.
So sind diese beiden Gase in steter Erneuerung und immer gleichem Ge-
halte in der Luft vorhanden. Kohlensäure entsteht ausserdem bei jeder Ver-
brennung, bei den Verwesungs- und Fäulnissprocessen und bei der Gährung; sie
steigt namentlich auch in grossen Mengen aus dem Inneren der Erde bei vulka-
nischen Aeusserungen zu Tage. So enthält denn auch alles Wasser auf der Erde
Kohlensäure in wechselnder meist allerdings nur geringer Menge.
Sauerstoff und Kohlensäure werden der Atmosphäre zu mineralischen Bil-
dungen fortdauernd entzogen. Der Sauerstoff dient zur Oxydation von Mineral-
körpem, so z. B. ganz besonders der an der Erdoberfläche sich findenden Eisen-
oxydulhaldgen Gesteine und Minerale. Die weit verbreitete Rostfarbe an den
Gesteinen, die gelbe Farbe so vieler Sande, die Brauneisensteinbildung in den
oberen Theilen von Spatheisensteinablagerungen, die Bildung schwefelsaurer
Salze aus schwefelhaltigen Schichten oder Erzen sind die Folge dieser Oxydations-
wirkungen des Sauerstoffs. Wo z. B. auf alten Erzhalden Schwefelmetalle an der
Luft der Verwitterung ausgesetzt sind, da zeigen sehr bald die durch sie hindurch-
sickemden Wasser den scharfen ätzenden Geschmack schwefelsäurehaltiger
Lösungen und üben ihren zerstörenden Einfluss auf organische Stoffe aus. Ist
Kalk vorhanden, so erfüllen sich die leeren Zwischenräume zwischen den
Trümmern einer solchen Halde oft mit zierlichen kleinen Krystallen von wasser-
haltiger schwefelsaurer Kalkerde in der Form des Gypses. Wo in Mineral-
sammlungen Eisenkies (die Verbindung von 2 Molekülen Schwefel und einem
Molekül Eisen) an feuchter Luft liegt, da bedecken sich seine Krystalle sehr bald
mit weissen Flocken eines schwefelsauren Salzes und die weissen Papierkästen
werden von der gebildeten Schwefelsäure gebräunt und sehr schnell durchge-
fressen. Das ist dieselbe Wirkung, die der Sauerstoff der Luft im Grossen auf
eisenkieshaltige Thone oder Braunkohle ausübt. Die gebildete Schwefelsäure
verbindet sich mit Thonerde und Alkalien zu Alaui^en und anderen Salzen.
Wasser, sei es in Quellen oder in den atmosphärischen Niederschlägen ist in der
Regel der Vermittler dieser Oxydationsprozesse. Wir verweisen wegen dieser und
anderer Vorgänge auf den Artikel: Chemische Processe in der Geologie.
Nicht minder wichtig für die Geologie sind die Processe, bei denen die Kohl en-
säure der Luft die Hauptrolle spielt. Denken wir nur an die ungeheuren Massen
von kohlensaurer Kalkerde und kohlensaurer Magnesia, die in den Kalk-
stein- und Dolomitgebirgen angesammelt sind, denen sich noch viele andere
Carbonate von minderer Verbreitung anfügen. Alle Kohlenlager, von den
jungen unter unseren Augen sich vollziehenden Torfbildungen an, bis zu den an-
thracitischen Kohlen der ältesten Formationen sind aus der Kohlensäure hervor-
gegangen, die pflanzliche Organismen der Atmosphäre entzogen.
Der dritte Bestandtheil der Luft, der Stickstoff, ist ftir die Erdrinde von ganz
untergeordneter Bedeutung. Wir kennen nur wenige Stickstof!verbindungen im
Mineralreich und diese sind grösstentheils von zersetzten organischen Substanzen
herzuleiten. Der Natronsalpeter (es kommt ausserdem als Mineral ein Kali- und
Kalksalpeter vor) findet sich in sehr bedeutenden Mengen in den Küstendistricten
von Süd-Peru bis Nord-Chile, namentlich in Atacama. Die Bildung dieser Ab-
70 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
lagerungen ist nach Nöllner^) in der Weise zu erklären, dass gewaltige Massen
von Seetang, der immer stickstoffhaltig ist, durch die Fluth an die allmählich auf-
steigenden Küsten geworfen wurden; wenn durch die Hebung die Ufer ins
Trockene gekommen waren, bildete sich durch langsame Oxydation an der Luft
das Nitrat. Für die Betheiligung des Meeres würde dann auch der Jodgehalt des
Chilesalpeter sprechen. Wenn also auch nur indirekt, wieder unter der Ver-
mittelung pflanzlicher Lebensprocesse, ist doch hier der Stickstoff aus der Luft
im Grossen zur Mineralbildung verwendet. Nur zwei Mineralverbindungen giebt
es, die ihren Stickstoff nicht aus organischen Substanzen herleiten, beide aber
sind vulkanische Produkte: der Salmiak und das von Silvestri beschriebene,
am Aetna vorkommende Stickstoffeisen. Gewisse Quellen, welche mit Gasemana-
tionen verbunden sind, entwickeln vorzüglich Stickstoff. Dass dieser aus organi-
schen Stoffen hervorgegangen sei, ist wenigstens dort kaum anzunehmen, wo diese
Emanationen direkt als vulkanische Aeusserungen anzusehen sind. So sind einige
der Quellen am Aetnafusse ganz auffallend stickstoffreich z. B. die Acqua santa bei
Limosina unfern Catania: der Gehalt an Stickstoff schwankt je nach den Jahres-
zeiten von 88 — 98^ der überhaupt vorhandenen Gase.^) Auch die über den
thätigen Fumarolen der ätnaischen Lavaströme befindliche atmosphärische Luft
ist auffallend stickstoffreicher, als die gewöhnliche Luft, was gleichfalls auf das
Hervortreten vulkanisch gebildeten Stickstoffes schliessen lässt. Dass wenigstens
ein Theil des im Inneren des Central-Kraters der Vulkane gebildeten Salmiaks
nicht direkt auf organischen Ursprung zurückzuführen ist, scheint ebenso gewiss.^)
Freilich anderer vulkanischer Salmiak bildet sich auch dort, wo die glühende Lava
Pflanzen tiberströmt und verbrennt.
Die zufalligen Bestandtheile der Atmosphäre kommen für geologische Vor-
gänge kaum weiter in Betracht. Sie sind meist die Folge localer Processe.
Schwefelwasserstoff und Kohlenwasserstoffe werden mit mineralischen
und jwarmen Quellen aus dem Inneren der Erde an die Oberfläche derselben
gebracht. Zersetzungen organischer Substanzen sind in der Regel die Ursache
der Bildung der Kohlenwasserstoffe, obgleich es andererseits nicht wohl zweifelhaft
sein kann, dass unter gewissen Bedingungen solche Verbindungen auch durch
lediglich anorganische Processe, aus direkter Vereinigung der in vulkanischen
Gebieten aufsteigenden gasförmigen Elementarstoffe entstehen können.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Schwefelwasserstoff. Ein grosser Theil
desselben in den Wässern erklärt sich durch Reduction schwefelsaurer Salze
unter Einwirkung organischer Substanz. Wenn ein Mineralwasser, das schwefel-
saures Salz enthält, mit organischer Substanz, z. B. nur einem Strohhalm in Be-
rührung kommt, so entwickelt sich sogleich der Geruch nach Schwefelwasserstoff.
Ein Beispiel, das solche Vorgänge trefflich erklärt, kam vor einer Reihe von
Jahren zu Detmold vor.*) Ein 30 Fuss tiefer Brunnen lieferte anfangs gutes
Wasser, bald aber wurde dasselbe so übelriechend, dass man es nicht mehr
trinken konnte. Es ergab sich, dass unter dem Einflüsse einer hölzernen Pumpen-
röhre in dem Wasser, welches reichlich gelösten Gyps enthielt, sich Schwefel-
wasserstoff bildete. Die hölzerne Röhre wurde durch eine metallene ersetzt und
nun blieb das Wasser gut. Die Entwickelungen von Schwefelwasserstoffgas treten
^) Joum. f. prakt. Chemie 1867. 102.459. vergl. auch J.Roth, Geologie, Bd. L pag. 603.
^ Vergl. Sartorius-Lasaulx: Der Aetna. Bd. n. pag. 539 u. 533.
>) ibid. n. pag. 503.
^) Ann. Chem. Phannac. (2} Bd. LXVn. pag. 41.
Die Atmosphäre und ihre geologische Bedeutung. 71
aber auch in vulkanischen Gebieten auf; hier ist ebenfalls die Bildung eine
unmittelbare, nicht immer durch organische Substanzen eingeleitete. Andere
Beispiele dieser Art werden noch in den Kapiteln Vulkane, chemische Geologie
und Quellen erörtert werden.
Ausser den chemischen Wirkungen sind aber nun auch die physi-
kalischen Wirkungen der Atmosphäre von grosser geologischer Bedeutung.
Eine gewisse unmittelbare Wirkung übt dieselbe schon durch ihre Schwere aus.
Die Schwere der Atmosphäre drückt man bekanntlich dadurch aus, dass man
sie gleich setzt dem Gewichte einer Flüssigkeitssäule, der sie das Gleichgewicht
hält Eine Quecksilbersäule von 28 Zoll Höhe, eine Wassersäule von 32 Fuss,
so belehren uns Barometer und Pumpen, thun dieses. Mit dem Gewichte, welches
gleich ist einer solchen Säule, drückt also die Luft auf alle Punkte an der Ober-
fläche der Erde. Nun wissen wir aus den Schwankungen des Barometers, dass
dieser Druck innerhalb gewisser Grenzen auf und ab geht. Mit vermindertem
Druck oder mit niedrigerem Barometerstande treten aber mancherlei Erscheinungen
ein, die sonst nicht möglich sind. Es mag hier nur daran erinnert werden, dass
die EntWickelung der so verderblichen Grubengase und der sogen, schlagenden
Wetter immer dann am heftigsten auftritt, wenn plötzlich ein niedriger Barometer-
stand auf einen hohen folgt. In gleicher Weise hängen auch die durch Gas-
entwickelung hervorgerufenen explosiven Aeusserungen der Vulkane in etwas
mit dem Luftdrücke zusammen. Die Gasentwickelung, das Ausströmen der Lava,
die Explosionen erfolgen mit gesteigerter Intensität bei niedrigem Luftdrucke. So
ist die von Fumarolen gebildete Dampf kappe des Aetna, die Thätigkeit des
Stromboli für die Umwohner von der Bedeutung eines Barometers.
Ganz besonders aber ist der Luftdruck für das Meer von Einfluss. Eine
Verminderung des Luftdruckes aus irgend einer Ursache an einer Stelle der
grossen Wasserflächen hat hier ein Aufsteigen derselben unter dem seitlichen
Dmcke zur Folge. Eine Schwankung von nur einem Zoll in der Quecksilbersäule
des Barometers entspricht einer solchen von 13,4 Zoll einer Wassersäule. Der
Ausgleich dieser localen Erhebung des W^assers bedingt gewaltige Wellengänge
und aussergewöhnliche Flutherscheinungen, meist vonden verderblichsten Wirkungen
an den Küsten. Unter iWasser» werden diese Vorgänge noch weiter erörtert
werden.
Unter dem Einflüsse sehr gesteigerten oder verminderten Barometer- oder Luft-
dmckes sind sogar Bewegungen in den einzelnen Theilen der Erdveste selbst recht
wohl denkbar, die ihrerseits wieder Einstürze, Erderschütterungen, Schlammaus-
biiiche im Gefolge haben, bezüglich derer auf die einzelnen Artikel zu verweisen ist
Die wichtigsten geologischen Veränderungen der Erdveste werden aber durch
mittelbare physikalische Wirkungen der Atmosphäre, durch die Niederschläge
und die Winde hervorgebracht. Beide hängen auf das Innigste zusammen und es
lassen sich ihre Wechselwirkungen kurz in folgenden Sätzen ausdrücken.
Die Bewegungen in der Atmosphäre sind die Folge eines unaufhörlichen
Gleichgewichtsausgleiches. Unter dem Einfluss der Sonne erwärmt sich die Luft
über den tropischen Gebieten, kühlt sich ab in den aussertropischen Zonen und
so entstehen die Lüftströmungen, wie sie uns die Kerzenflamme in der Thüre
«nes warmen Zimmers ausdrückt, die auf einen kalten Corridor hinausführt:
Abströmen der warmen Luft oben. Einströmen der kalten Luft unten.
In dem Systeme der Luftströmungen in der Atmosphäre bewegt sich die
Luft vom Aequator zu den Polen, von den Polen zum Aequator; von der nörd-
72 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
liehen Halbkugel zur südlichen und umgekehrt, von der westlichen zur östlichen
und entgegengesetzt. Die äquatoriale Zone, wo die Luft emporsteigt; nennt man
den Gürtel der Calmen. Die in geringer Höhe von den Polen dem Aequator
zuströmenden Luftmassen geben Veranlassung zur Bildung der sogen. Passatwinde.
Die Zone der Calmen trennt also als ein ruhiger Gürtel die von beiden Polen
herströmenden Winde, die je näher am Aequator um so mehr in Ostwinde über-
gehen. Die Gegenden der Calmen sind durch dieses Zusammentreflfen, ganz be-
sonders durch den tückischen Wechsel von Ruhe und gewaltigen Stürmen den
Schiffern furchtbar.
Die Luft bei ihrer Cirkulation beladet sich mit Dämpfen und strahlender,
von der Sonne empfangener Wärme, jene über den Meeren, diese über den
Continenten gesammelt. So vertheilt sie Wasserdämpfe und Wärme, indem sie
an andere Stellen der Erdoberfläche die angesammelten wieder abgiebt.
Die Meere stellen bei diesem Kreislaufe gewissermassen die Dampfkessel, die
Continente dagegen die Condensatoren vor, über denen die Dämpfe wieder
tropfbar flüssig werden. Je näher am Aequator die ersteren, je näher an den
Polen oder je höher über dem Meere die letzteren liegen, um so wirksamer ist
ihre Thätigkeit. Nur die Landstriche bilden eine Ausnahme und wirken nicht
mehr condensirend, deren Temperatur eine höhere ist als die, welche die Con-
densation der Dämpfe erfordert, sie strahlen nur Wärme aus. Sie wirken ganz
besonders auf den Ausgleich der atmosphärischen Strömungen ein, indem sie
die normalen Ströme ablenken und eine besondere Vertheilung von Feuchtigkeit
und Wärme bestimmen.
Das jedesmalige Klima einer Gegend, darunter nach Humboldt^) alle
Modiflcationen der Atmosphäre verstanden, von denen die menschlichen
Organe auf merkliche Weise berührt werden (Temperatur, Feuchtigkeit, Baro-
meterdruck, Winde, elektrische Spannung, Klarheit der Luft etc.) ist an die
Vertheilung der Festlande und Meere durch ihren Einfluss auf die genannten
Vorgänge in der Atmosphäre gebunden. So findet jede Gegend der Erde
die Bedingungen des eigenen Klimas auch wieder in den klimatischen Ver-
hältnissen eines andern Theiles der Erdoberfläche. Von dem Klima hängt das
organische Leben, Thier- und Pflanzenreich ab, mittelbar dieses also auch von den
Gleichgewichtsbewegungen der Atmosphäre.
Aus der vorhin genannten Condensation der Wasserdämpfe entstehen zu-
nächst die Wolken, Anhäufungen von Wasserbläschen, dann volle Wassertropfen,
die aus den Wolken zur Erde fallen. So entsteht der Regen, der wichtigste von
den atmosphärischen Niederschlägen auch in geologischer Beziehung. Bei
niedriger Temperatur gefrieren die Nebelbläschen und Tropfen zu krystallisirtem
Wasser: dem Schnee. Nur von untergeordneter geologischer Bedeutung sind
Hagel, Graupen, Thau und Reif.
Die Menge des an einem Punkte der Erdoberfläche fallenden Regens oder
Schnees ist der wichtigste Faktor der geologischen Arbeiten, denn dadurch ist zu-
nächst die Thätigkeit der irdischen Wasserläufe und Seebecken, auf die Umwandlungen
der Erdveste in mannigfachster Weise gerichtet, am meisten beeinflusst Zu der
Bestimmung über die Menge des an einem Orte gefallenen Regens bedient man
sich der sogen. Regenmesser, die die Höhe angeben, welche das auf diesen
Ort innerhalb eines bestimmten Zeitraumes niedergegangene Regenwasser er-
reichen würde, wenn es weder in die Erde sickern, noch verdunsten könnte.
^) Kosmos I. 340.
Die Atmosphäre und ihre geologische Bedeutung. 73
Da der Wasserdampf in der Atmosphäre von der durch die Wärme be-
günstigten Verdunstung abhängt, so sind für die wärmeren Länder stärkere
Niederschläge natürlich, als flir die kälteren. Der Niederschlag des Wasser-
dampfes zu Regen, d. h. die eigentliche Condensation, erfordert aber ein Sinken
der Temperatur. Dort, wo der häufigste Temperaturwechsel eintritt, wird es
also auch am meisten regnen. Dadurch erklärt sich, dass die regenreichsten
Gegenden der äquatorialen oder Calmen-Zone angehören, dass aber die kalten und
polaren Regionen die meisten Regentage aufweisen: in Südeuropa hat man im
Durchschnitt 120, im nördlichen 180 Regentage im Jahre.
Dann ist aber auch die Oberflächengestaltung eines Landes hierbei von
wesentlichem Einflüsse. Hohe Berge üben einen abkühlenden und daher con-
densirenden Einfluss auf die Wasserdämpfe der Atmosphäre aus. Daher sind auch
die Seiten der Gebirge, welche den herrschenden, vorzüglich die Wasserdämpfe
herbeiführenden Strömungen in der Atmosphäre, den Winden, abgewendet liegen,
soviel ärmer an Niederschlägen als die entgegengesetzten Seiten. So sind z. B.
in Irland die südwestlichen und westlichen Winde herrschend, und da sie über
das unter der Einwirkung des Golfstromes stehende atlantische Meer streichen,
ganz besonders reich an Wasserdampf. Die durchschnittliche Regenmenge für
Irland ist daher eine der höchsten in Europa und beträgt etwa 40 Zoll, aber
die Vertheilung ist eine sehr ungleiche. Auf der Westseite der 3000 Fuss hohen
Randgebirge der centralen irischen Ebene fallen bis zu 60 Zoll und mehr, da-
gegen auf der Ostseite dieser Berge an einigen Orten nur 15 Zoll im Jahre.
Die Gebirge wirken hier wie Wind-, und in gewissem Sinne auch wie Regen-
schirme. Daher sind aber auch die Hochgebirge die Reservoirs für die atmo-
sphärischen Niederschläge: Regen und Schnee. Von ihnen aus erhalten die
Ebenen umher ihre Versorgung an fliessenden Wassern. Hierdurch leiten also
die atmosphärischen Niederschläge die ganze Reihe der zerstörenden und wieder-
aufbauenden Wirkungen ein, welche die mechanische Thätigkeit des Wassers
an der Erdoberfläche unter so vielgestaltigen Formen ausübt.
In den Hochgebirgen sind die Ansammlungen von Schnee die erste Be-
dingung zur Bildung der Gletscher, die wiederum ein geologisches Werkzeug
genannt werden können, dessen Arbeit besonders in früheren Zeiten z. B. denen
des Diluviums die grossartigsten Umgestaltungen der Erdoberfläche zur Folge
hatte.
Endlich macht sich der Einfluss des Klimas und der Temperaturverhältnisse
auch in der Weise geltend, dass Kälte und Frost zerstörend auf die Gesteine
und Felsenwände wirken, und ebenso grosse Hitze und Trockenheit. Diese
üben zunächst einen auflockernden Einfluss auf die Gesteine aus, der sich dann
besonders kräftig erweist, wenn schnelle Abkühlung oder heftige Niederschläge
nachfolgen, aber andererseits schliessen sie auch eine Menge Zersetzungs-
erscheinimgen aus, die eine regelmässige Durchfeuchtung der Gesteine voraus-
setzen. So hängt denn die Intensität und die Art der Verwitterung jedenfalls
in erster Linie von dem Klima eines Gebietes ab.
Soweit nun aber auch die Vegetation als das Produkt der atmosphärischen
Verhältnisse eines Landes gelten kann, leiten diese durch jene noch andere
wichtige geologische Processe ein. Es mag hier nur an die heutigen Torf-
bildungen erinnert werden, denen in älteren geologischen Zeiten die Braun-
und Steinkohlenbildungen entsprachen. Sie alle sind ganz wesentlich bedingt
durch eine Vegetation, die ihrerseits wieder besondere Verhältnisse der Atmo-
74 Mineralogie, Geologie und Palaeontologic.
Sphäre voraussetzt. Auch der regelnde und vertheilende Einfluss, den die Be-
waldung auf die atmosphärischen Niederschläge ausübt, gehört hierhin. Die
Wirkungen der Erosion hängen damit enge zusammen. Ein einziger Ausbruch
eines Hochgebirgswassers, eine einzige Ueberschwemmung eines Flusses zerstört
und ändert mehr an der Oberfläche der Erde, als sonst die stetig, aber langsam
wirkende Erosion in langen Zeiträumen zuwege bringt. Auch in dem Schutze,
den die Vegetation gegen die Fortfuhrung des Bodens durch fliessendes Wasser
oder durch den Wind gewährt, äussert sich eine geologische Wirksamkeit
der Atmosphäre.
Ein ganz besonders wirksames geologisches Agens aber sind die Winde.
Mit den mehr oder weniger gewaltsamen Bewegungen, die als Winde die
Temperaturgegensätze in der Atmosphäre ausgleichen, werden auch die sand-
und staubartigen losen Gesteinsfragmente der Erdoberfläche an der einen Stelle
fortgenommen, an einer anderen niedergelegt. Die bewegende Kraft der Winde
wirkt daher an der Oberfläche der Erde hier zerstörend, abtragend, an anderer
Stelle aufbauend, erhöhend.
Allbekannt sind die Erfahrungen, dass die Winde staubförmige Massen oft
über ungeheure Entfernungen hin transportiren. Im Jahre 1875 fiel an der
norwegischen Küste und bis nach Schweden hinein in grosser Menge ein feiner
Staub nieder, den die mikroskopische Untersuchung i) auf das Unzweifelhafteste
als eine vulkanische Asche erkaimte. Dieselbe war durch die herrschenden
Westnordweststürme vom Herde der vulkanischen Eruptionen, der isländischen
Südostküste 160—170 geogr. Meilen weit getragen worden. Dass die Aetnaaschen bb
an die calabrische Küste bei Reggio, immerhin auch eine Strecke von 80 — 90 Kilom.
getragen werden, ist eine ganz gewöhnliche, fast bei allen Eruptionen wieder-
kehrende Erscheinung, wenn nur grade der geeignete Südwestwind weht Freilich
steigen die vulkanischen Aschen auch aus dem Krater oft mehrere Tausend
Fuss in die oberen Luftschichten empor, wo sie von sehr starken Strömungen
erfasst werden mögen.
Aber auch der Staub der Flachländer, Steppen und Wüsten wird von Stürmen
aufgewirbelt, in die Höhe gerissen und bis in grosse Entfernungen fortgeführt
Dass feiner Sand, den man auf die Sahara zurückführt, bis an die Küsten von
Nord-Italien, die Riviera, ja sogar bis in das südliche Frankreich hinein gelangt,
(z. B. bis Lyon 1846) ist mehrfach beobachtet worden. In Sicilien sind solche
Staubregen oft mit gewaltigen Süd- und Südoststürmen verbunden, zuweilen so dichte,
dass die Lufl ihre Durchsichtigkeit verliert und mit rothgelber Farbe getrübt er-
scheint. Der Staub fallt dann entweder trocken nieder oder auch von reich-
lichen Regengüssen begleitet.2)
Ueberraschend sind die Mengen feinvertheilten Staubes, die auch bei ruhiger
Atmosphäre in der Luft schweben. Dass diese immer eine gewisse Menge sus-
pendirter Staubtheilchen enthält, zeigt sich bei jedem Niederschlag, bei Regen
oder Schnee. Regentropfen, auf weissem Papier unmittelbar bei ihrem Nieder-
fallen aufgesammelt, hinterlassen nach ihrem Verdunsten stets schmutzige, staubige
Flecken und bekannt ist dieselbe Erscheinung beim Schnee, der in Folge all-
mählichen Abschmelzens immer mehr seine reine weisse Farbe verliert und
schmutzig wird und endlich unter Zurücklassung eines Staubrückstandes ver-
<) ZoiKEL, Jahrb. f. Min. 1875. pag. 399.
*) SiLVESTRi, Sopra le pioggie rosse e le polveri meteoriche della Sicflia. Cataoia 1877.
Atti dell' Accad. Gioenia. Serie 3, XU u. Reale Accad. d. Lincei IV. Serie 3.
Die Atmosphäre und ihre geologische Bedeutung. 75
schwindet. Dass hierbei nicht immer der Einfluss der durch die rauchenden
Schlote und das Getriebe grosser, verkehrsreicher Städte an solchen suspendirten
Staubtheilchen besonders angereicherten Luftschichten über jenen anzimehmen ist,
das zeigen die Beobachtungen Nordenskjölds, der weit im skandinavischen
Norden, inmitten grosser Waldungen und fern von allen Städten nach Schnee-
fallen solche Staubmassen sammelte, ja sogar solche Staube tief im Inneren der
Eisfelder Grönlands wiederfand. Nach den Untersuchungen von Tissandier be-
trägt die Menge des in der Atmosphäre über Paris schwebenden Staubes soviel,
dass eine über das Marsfeld, also 500000 Quadratmeter ausgebreitete Luftschicht
von 5 Meter Höhe, 15 Kilogr. feste Masse enthalte.
An solche Staube, deren Herkunft z. Th. schwer verständlich erschien, knüpfte
sich dann auch die Annahme, dass dieselben ganz oder z. Th. meteorischer Her-
kunft seien, also nichts anderes, als staubförmig niederfallende Theilchen von
Meteorsteinen. Ganz besonders haben dieses neuerdings Nordenskjöld, Silvestri,
Tissandier u. a. noch näher zu erweisen versucht Jedoch ergab die genaue mikro-
skopische Untersuchung einer Anzahl solcher aus der Atmosphäre niedergefallenen
Staube durch v. Lasaulx, dass dieselben keinerlei eigentlich meteorische Minerale
enthalten, dass nicht einmal in allen Stauben wirklich gediegen Eisen, auf dessen
Nachweis von den Anhängern der kosmischen Herkunft dieser Staube am meisten
Gewicht gelegt wurde, vorhanden sei und dass das etwa vorhandene sich eben-
falls leicht als aus seinen Verbindungen reducirtes, terrestrisches Eisen erklären
lasse. Es sind sonach alle diese Staube wirklich nichts anderes, als von den
Luftströmungen emporgeftihrte, durch die Verwitterung zermalmte Theilchen
irdischer Gesteine. Auch ist an der Zusammensetzung derselben in der Regel
das Material vorherrschend betheiligt, welches den Gesteinen naheliegender
Gebiete entstammt Oft allerdings sind es auch sehr weit hergekommene und
dann allerdings kaum auf ihren Ursprung zurückzuführende Mineralpartikel. Stets
ünden sich in den Stauben mehr oder weniger reichliche organische Reste, Blüthen-
staub, Diatomaceen u. a. sowie aus der Fäulniss dieser hervorgehende bituminöse
Verbindungen. ^)
Jedenfalls darf die Bedeutung, die solchen Stauben zugeschrieben wurde, indem
Doan aus ihrer kosmischen Herkunft weittragende Schlüsse z. B. auf eine daraus
hervorgehende VergrÖsserung unserer Erdmasse zog u. a., durchaus nur von dem
Gesichtspunkte aus beurtheilt werden, dass durch dieselben einfach eine Trans-
location von Bestandtheilen der Erdoberfläche stattfindet; was an einer Stelle ge-
nommen, wird an einer andern niedergelegt. Gleichwohl können auch daraus
im Laufe vielfach wiederholter, durch lange Zeiten fortgesetzter Vorgänge recht
grosse Veränderungen an der Erdoberfläche sich herleiten lassen.
Dort aber, wo die Sand- und Staubmassen lagern, deren Spuren der Wind
weit hinausträgt, da sind dieselben in immer sich erneuernder Bewegung und die
aufgewirbelten Sandmassen rücken förmlich über die Länder fort, alles bedeckend,
was sie erreichen. Schon Herodot erzählt uns, dass eine Expedition, die nach
der Oase des Jupiter Ammon durch die Sahara zog, von einem Sandsturm ver-
nichtet worden sei und die Dünen dieser und anderer Wüsten sind so häufig und
beweglich, wie wir sie an den Meeresküsten sehen. Wir kennen die Dünen-
<) VergL auch beztigL der übrigen Literatur: von Lasaulx, Ueber sog. cosmischen Staub
TscHEUiAKS Mittheilungen m. 1880. pag 517.
76 Mineralogie! Geologie und Palaeontologie.
Züge der afrikanischen Sandwüsten aus den Schilderungen von Rohlfs,^) Mar-
tins 2) u. a.
Die Dünen der Wüste gleichen in ihrer Form den Wogen und Wellen des
Meeres, sie spitzen sich zu zackigen Kämmen zu, oder erscheinen als eine sanft
wellige, gekräuselte Oberfläche. In der Sahara liegen sie senkrecht zur herrschen-
den Windrichtung, dem Nordostpassat, und streichen darum von NW nach SO.
Langsam, oft unmerklich rücken sie von Osten nach Westen vor.
Ganz ähnlich in Entstehung, Erscheinung und Bewegung sind die längs der
Meeresküste sich hinziehenden Stranddünen. Bedingungen ihrer Entstehung sind
vor allem grössere Mengen losen Sandes, die besonders dort an den Meeresküsten
sich finden, wo der starke, durch Ebbe und Fluth oder auch durch häufige Stürme
erregte Wellengang über eine flache Küste hingeht. Hier wirft das Meer immer
aufs Neue fein zerriebene Sandmassen ans Ufer. Flache Küsten und beständige
oder doch vorherrschende Seewinde sind weitere Bedingungen zur Dünenbildung.
An Steilküsten oder auch stark geneigten Küsten tritt eine Dünenbildung eben-
sowenig ein, wie dort, wo dichte, schnell wurzelnde Vegetation die losen Küsten-
sande bedeckt, oder wo sie durch schnell wirkende Cämentirungsprocesse ver-
festigt und ihrer freien Beweglichkeit beraubt werden.
(Min. 11.)
7t^fndrichUi4ta-wi^ 1^ Hofieti^
"i
Meer
Fortbewegung der Dtinen. Die Pfeile deuten die Bewegung des Sandes an.
Es erfasst der landwärts gerichtete Seewind die losen feinen Sande imd treibt
sie über den flach ansteigenden Boden der Küste vor sich her. Wo ein
Hindemiss sich ihm entgegenstellt, häuft er ihn auf, mehr und mehr, mit flacher
Steigung des so entstehenden Sandhügels nach der Wind- und Seeseite, mit
steilerem Abfalle binnenwärts. So bilden sich nackte, lang längs der Küsten-
säume sich hinziehende Hügelketten, oft mehrere hintereinander. Immer neue
Sandmengen führt der Wind auf der flachen Böschung zum Gipfel des Hügels
empor, immer höher steigt dieser, so lange die Menge des Sandes und die Kraft
des Windes ausreicht. So bilden sich Hügel von 30, 40 ja auch 100 Meter Höhe
(z. B. zwischen Kap Bojador und Kap Verde 120 — 180 Meter hoch). Nicht immer
ist der Sand von gleicher Komgrösse. Heftige Stürme bewegen auch noch
gröbere Sande, der gewöhnliche Seewind nur den feinsten Staub. So zeigen die
Dünenhügel wechselnde Schichten übereinander und können dadurch oft ein
recht deutlich geschichtetes Aussehen erlangen. Aber so lange eine Düne nicht
durch Vegetation geschützt wird, fegt der Wind den Sand von ihrem Gipfel
immer weiter landeinwärts, es wird der dem Lande zugewendete steilere Abhang
immer vergrössert auf Kosten des seewärts gewendeten, der Fuss des Hügels
rückt landeinwärts vor, die Düne wandert. 3) Und bei diesem Vorwärtswandero
widersteht ihnen nicht Baum, nicht Haus, nicht Kirchthurm ; sie überschütten und
begraben meilenweite Strecken: oft mit grosser Geschwindigkeit, oft nur sehr
^) Ausland 1872. pag. 1059.
*) Ch. Martins, Von Spitzbergen zur Sahara. Jena 1864. II. 287.
^) Der Mechanismus dieser Vorwärtsbewegung wird aus obigem Schema verständlich werden.
Die Atmosphäre und ihre geologische Bedeutung. 77
langsam, aber darum nicht minder unerbittlich. An den Dünen der west-
holsteinischen Küste, auf den Inseln Rom, Sylt, Amerum ergiebt sich die Ge-
schwindigkeit, mit der sie vorrücken, auf jährlich ungefähr 7 Meter, aber an der
Westküste Frankreichs schreiten die Dünen sogar um 20 — 25 Meter vorwärts und
zweitausend Jahre würden genügen, das ganze Gebiet bis nach Bordeaux zu
begraben.^)
So sind denn die Verheerungen in einigen Gegenden recht bedeutend und
namenüich die Abholzung der mit Wäldern bestandenen Dünen hat an manchen
Küsten aufs Neue die Versandung entfesselt. Wo die Natur nicht selbst durch
eine genügsame, auch auf diesen Sandflächen wuchernde Vegetation ihrer Be-
weglichkeit ein Ziel setzt, da müssen durch künstliche und entsprechende An-
pflanzungen die Dünen festgelegt werden. Dass dieses mit Erfolg geschehen
kann, zeigen die Küsten von Holland und die Versuche, die zur Wiederbewaldung
der Landes in Frankreich gemacht worden sind.
Eine der grossartigsten geologischen Bildungen, die im Wesentlichen durch
die Fortbewegung der Staubmassen durch die Stürme bewirkt wurden, ist der
sogen. Löss vorzüglich in Asien, Nord- und Süd-Amerika. Unter Löss versteht
man die in allen Ländern sich findenden Anhäufungen äusserst fein zerriebenen
Sandes, die durch einen Kalkgehalt ausgezeichnet sind und Kalkconcretionen, die
sogen. Lösskindchen, Lössmännchen (in Skandinavien Marleker genannt), und
ausserdem Landsäugethierreste und Landschnecken enthalten.
In ganz ausserordentlicher Mächtigkeit und Ausdehnung erscheinen Löss-
ablagerungen im nördlichen China, über die uns die unübertrefflichen Schilde-
nmgen Richthofen's Nachricht geben.2) Der Löss tritt hier in Wänden von
1500 Fuss Höhe auf, ohne jede Spur einer Schichtung, nur Andeutungen einer
Absonderung in Bänken durch reihenweise horizontal eingeschaltete Lösskindchen,
recht bezeichnend von den Chinesen Stein-Ingwer genannt. Tiefe, steile Schluchten
schneiden in die Lössablagerungen ein und die den Flüssen, sich beimengenden
Lössbestandtheile geben diesen eine gelbe Färbung und ihren Namen: gelber Fluss
und gelbes Meer. Mit unverändertem Charakter fand Richthofen den Löss bis
IM mehreren 1000 Fuss über dem Meere : überall erst abgelagert, nachdem das
Land im Allgemeinen seine jetzige Oberfläche erhalten hatte. Eine Ablagerung des-
selben aus Süsswasserbecken erscheint daher ausgeschlossen, und Richthofen
hält daher diese ganzen Lössmassen für eine direkte atmosphärische Bildung,
wie die Formation der Pampas in Süd-Amerika. Damit stimmt denn auch das
Vorkommen von Landschnecken und Landsäugethierresten, das gänzliche Fehlen
von Süsswasserfossilien vollkommen überein.
Zu der sehr langsam, ausserordentlich lange Zeiträume erfordernden Bildung
dieser Lössmassen haben folgende Agenden wesentlich beigetragen: i. das Regen-
wasser, das von den höheren nach den tieferen Theilen fliessend, die aus der
Zersetzimg naher Gebirge hervorgehenden festen Bestandtheile mitführte. 2. Der
Wind, dessen ausserordentliche Mitwirkung an der Anhäufung staubförmig ver-
theilten festen Materials man in jenen Gegenden fortdauernd zu beobachten Ge-
legenheit hat und 3. der Einfluss der Vegetation, welche mineralische Bestand-
theile aus der Tiefe emporzieht, um sie bei ihrer Verwesung zurückzulassen.
So ist denn der Löss in ganz eminentem Maasse eine atmosphärische Bildung.
') £. RCCLUS, La Terre II., pag. 171.
^ China, l. Bd., Berlin 1877. Kap. U.
78 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Auch in Nord-Amerika erreicht der Löss eine sehr grosse Ausdehnung und
ganz besonders ausgezeichnet treten die Verhältnisse dieser subaSrischen, d. h.
atmosphärischen Bildung in den Pampas der Argentinischen Republik auf. Das
Terrain Pampden, welches d'Orbigny zuerst beschrieb, besteht aus einer äusserst
feinkörnigen, thonig-sandigen Erde, vollkommen ungeschichtet, ein Gebilde,
welches auf das lange Bestehen trockenen Klimas und einen gleichen Zustand
der Abflusslosigkeit hindeutet, wie er auch für die central-asiatischen Länder von
RiCHTHOFEN nachgewiesen wurde.
Freilich giebt es ^enn auch andere Lössablagerungen, die nicht als solche
bloss trockene, subaerische Bildungen gelten können: so z. B. der Löss im Rhein-
thale, der Thallöss bei Würzburg und in Sachsen, in den Thälem der Zschoppau
und Mulde, deren Entstehung aus dem Schlamm von Wasserhochfluthen erfolgte, u.a-
Lössbildungen, die als ebenfalls fluviatile oder lacustrische Ablagerungen ange-
sehen werden müssen. Nicht aller Löss, so gleichartig er auch in den verschiedenen
Gebieten erscheint, besitzt nach Lagerung und Beschaffenheit ein ganz gleiches
Verhalten und sonach ist er wohl auch nicht überall auf gleiche Weise entstanden.
Endlich mögen hier noch einige andere Erscheinungen Erwähnung finden,
welche gleichfalls den direkten Einfiuss der Atmosphäre auf geologische Vorgänge
und zwar vornehmlich in den zerstörenden Wirkungen der Winde darthun.
Die von den Sandwehen, die unausgesetzt gegen sie gerichtet waren, blind
gewordenen Fensterscheiben der Strandhütten mögen wohl zuerst die Aufmerk-
samkeit auf die mechanische Arbeit gelenkt haben, die hier der Wind vermittelst
des Sandes als Werkzeug ausübt. An Gesteinen und Felsen fanden sich später
Spuren gleicher Arbeit. Fraas^) beobachtete, dass die Nummulitenkalke des
östlich von Kairo gelegenen Mokatham Gebirges vom Wüstensande glatt ge-
scheuert worden sind und die Sandcuttings, ähnlich den Gletscherschliffen, wurden
dann auch anderweitig in trockenen, sandigen Ländern gefunden. Die Sande der
Wüste Gobi schleifen Quarz und Chalcedongeschiebe ganz so glatt und runden
sie ab, wie sonst die Meereswellen. Ausgezeichnete Furchungen und eigenthüm-
lich geformte Erosionserscheinungen bringt der Sand an den Felsen der halb-
wüsten Hochplateaus von Nord-Amerika in den Territorien von Nevada, Utah,
Wyoming anscheinend in grosser Verbreitung zuwege, lieber dem Boden dieser
Steppen liegen zahlreiche Geschiebe, Mandelsteine, aus zerstörten Eruptivge-
steinen herrührend, den bekannten Scotch Pehbles*^ vergleichbar, ausgestreut,
die vorzüglich aus Chalcedon und anderen Quarzvarietäten bestehen. Viele der-
selben zeigen eine gerippte, tief wie von kleinen Wasserrinnen durchzogene Ober-
fläche, die mit nichts anderem in ihrer Ausbildung verglichen werden konnte,
als mit der vielumstrittenen Furchung an der Oberfläche der Hochburger Porphyr-
kuppen bei Würzen in Sachsen. Auch diese mögen daher wohl am wahrschein-
lichsten als Sandcuttings gedeutet werden müssen.^) Hier liegt also im eigent
liehen Sinne eine trockene Erosion vor. Auch eigenthümlich regelmässig geformte
Geschiebe, die sich z. B. an den Küsten der Ost- und Nordsee und auch in den
diluvialen Sanden des norddeutschen Flachlandes finden, dürften vielleicht am
ehesten sich als Produkte der abschleifenden Wirkung des trockenen vom Winde
bewegten Ufersandes deuten lassen. An der einen Seite sind sie von flach-
1) Aus dem Orientf pag. 200.
') Diese werden in Edinburg zu Schmucksteinen verarbeitet, stammen aus den Trapps.
3) Jahrb. f. Min. 1870, 608; 74, 337, 953; 75, 519. Die Gesteine aus Wyoming befinden
sich im Besitze von Prof. Karsten in Kiel.
Die Atmosphäre und ihre geologische Bedeutung. 79
pyramidenförmig angeordneten Flächen begrenzt 3, 4 oder mehr, die sich in
ziemlich regelmässigen Kanten und Ecken begrenzen, an der anderen Seite be-
sitzen sie die gewöhnliche flache Rundung der Geschiebe. Seltener sind sie
auch beiderseitig polyedrisch gestaltet. Die Sandmassen, je nach der Richtung
des Windes über einen halb über den Boden aufragenden Stein anhaltend hinglei-
tend, griffen ihn an und polirten ihn in entsprechend gelegenen Flächen. Auch
gab der Stein, wenn er in Folge veränderter Lage seines Schwerpunktes sich um-
zudrehen vermochte, zumal dadurch, dass et einseitig seiner Unterlage beraubt
wurde, selbst Veranlassung zur Bildung anders gelegener Schlifflächen. Und wenn
auch die anscheinende Regelmässigkeit mancher dieser Geschiebe auffallend ist,
so tritt doch, wenn man eine grössere Zahl derselben betrachtet und vergleicht,
die wirkliche Regellosigkeit in der Lage der polyedrischen Flächen hervor.
Melleicht hat auch die Meereswelle den Ufersand bei dieser Arbeit unterstützt.
Als eine solche atmosphärische trockene Erosion kann femer füglich die Fort-
führung des Bodens bis auf die festen Gesteine darunter bezeichnet werden, die
an den nackten Felsen der Provence und den öden, trostlosen Rücken des Karst-
gebirges durch die heftigen Sturmwinde der Bora und des Mistrals fortdauernd
bewirkt wird. Die kahlen Höhen der Rücken bei Marseille, z. B. von Notre Dame
de la Gardette, sind sprechende Zeugnisse für die abtragende Wirkung dieser
NW-Stürme.
Aber in vielleicht noch höherem Maasse sind die Winde für die geologische
Umgestaltung der Erdoberfläche von Einfluss, wenn das Wasser, vor allem das
Meer als mächtiger Vermittler ihrer Wirkungen sich geltend macht.
Die herrschenden Winde rufen in den Meeren gewisse Strömungen hervor,
die man die Windtriften nennt und die von den eigentlichen Meeresströmungen
sich dadurch unterscheiden, dass sie nur oberflächlich und in einfachem, nicht
cirkulirendem Laufe über das Meer sich hinziehen. Sind dieselben in erster
Linie für das Verhalten des Meerwassers, z. B. seine Temperatur und den lokalen
Salzgehalt von Bedeutung, die sie von einem Gebiete auf ein benachbartes zu
übertragen vermögen, so wirken sie dann auch bezüglich der im Meere sich
vollziehenden Sedimente z. Th. kräftig ein. Unter dem Einflüsse der wechselnden
Triften werden die im Meerwasser schwebenden fein vertheilten Sandtheilchen über
weite Strecken verbreitet und grossartig ausgedehnte Sedimente gebildet. Diese
ändern auch manchmal mit der Richtung der nach den Jahreszeiten verschieden
einsetzenden Windtriften ihre Richtungen und Erstreckungen. Die Lage mancher
Sandbänke ist auf diese Weise geradezu von den herrschenden Winden abhängig.
Auch auf die Vertheilung der Thier- und Pflanzenwelt, endlich auch der Treibeis-
massen sind diese Triften von Einfluss.
Ganz besonders intensive Wirkungen aber rufen die Winde durch die
von ihnen erregten und bewegten Wellen des Meeres hervor. Die alltäg-
liche Brandung des Meeres wird natürlich von den herrschenden Winden
mit einer ganz besonderen Kraft unterstützt. An den Küsten der Ostsee,
2. B. in den schönen Buchten des östlichen Holsteins, fehlt dem Meere, das
hier nicht durch die Gezeiten bewegt wird, jede lebendige Brandung. Nur mit
dem Einsetzen starker Ostwinde, welche die Wellen gegen die Küste treiben,
tritt auch ordentliche Brandung ein. Unausgesetzt arbeitet diese darm, rucht nur
an den Flachküsten, sondern in noch stärkerem Maasse an den felsigen Steilküsten
der Länder. Die zerrissenen und in die vielgestaltigsten Inselgruppen und Fjord-
büdungen ausgefransten Westküsten von Irland, Schottland und Norwegen, gegen
8o Mineralogie, Geologie ond Palaeontologie.
welche die Meereswellen unter der treibenden Einwirkung der herrschenden
westlichen Winde g^nz besonders heftig anprallen, sind eines der vielen deut-
lichen Beispiele dieser combinirten Wirkung von Wind und Wellen.
Ins Unmessbare steigern sich diese Erscheinungen, wenn die Wellen durch
die vereinte Wirkung von Fluth und Wind in der Gestalt von Hoch- oder Sturm-
fluthen gegen die Küsten getrieben werden. In ihrem Gefolge schreiten lieber-
schwemmung und Verwüstung über ganze Küstenstrecken dahin. Solcher Bei-
spiele kennt man zahlreiche: die Sturmfluthen an den Küsten der Nordsee in
Friesland und an der Westküste von Holstein haben weite Festlandstrecken voll-
kommen auseinandergerissen und in mehr und mehr der Gefahr vollständiger
Vernichtung anheimfallende Inselketten aufgelöst. In gleicher Weise sind viele
Küstengebiete, so z. B. auch die Küste von Koromandel und die Niederungen
der Gangesmündungen gewaltigen und häufigen Verheerungen ausgesetzt.
Was aber an der einen Seite durch Zerstörung vernichtet wird, das er-
setzen in gewissem Sinne die Wirkungen der Winde auf die Meere an anderer Stelle
wieder. Indem die vom Winde erregten Wellen einer Küste entgegenströmen,
bewirken sie, dass die in das Meer aus dem Lande durch die Zuflüsse hinausge-
langenden Sedimente schneller niederfallen und nicht so weit in das Meer ge-
langen können; sie üben also gerade die entgegengesetzte Wirkung aus, wie die
vorhin erwähnte, welche die Sedimente weiter und gleichmässiger durch die Wind-
triften über den Meeresboden ausbreitet. So werden in der Küsteimähe Un-
tiefen und Sandbänke gebildet, die sich im Laufe der Zeit zu landfesten oft
weit ausgedehnten Küstengebieten aneinanderfügen. Hierhin gehören auch die
Uferwälle und Sandbarren vor der Mündung der Flüsse, die wiederum fiir die
Deltabildungen von Wichtigkeit sind. An ihnen lässt sich manchmal Richtung
und Stärke des Windes an den wechselnden aus Fluss- und Meeresprodukten
bestehenden Alluvialschichten noch deutlich erkennen.
So ist der Wind, so unheilstiftend an vielen Küsten, an anderen gleichsam
landbauend und um mit Czerny zu reden, die launische Windwelle nimmt an
einer Stelle, um an der anderen zu geben, zerstört und schafft fort, um dafür
anderswo ganze Areale aus den oceanischen Tiefen ins Trockene zu legen.
Wahrlich, verdanken die Winde ihre mannigfachen Störungen in ihrer Ver-
theilung und Richtung der horizontalen Gliederung der Continente, so muss man
mit Reclus auch das Entgegengesetzte zugeben: die Bewegungen der Atmosphäre
sind es, durch welche man die äussere Gestaltung der Continente zu erläutern
hat. Und in einem gewissen, wenn auch etwas beschränkten Maasse hat dieser
Ausspruch jedenfalls Recht.
Literatur: Maurv, Geographie physique de la mer. V. Edit. Paris 1861. Deutsch von
BöTTGER. 2. Aufl. Leipzig 1859. Kämtz, Lehrbuch der Meteorologie. Leipzig 1856, übers, xon
Ch. Martins. Paris 1858. Mohn, Grundztige der Meteorologie. Deutsche Originalausgabe. Berlin
1875. E. Reclus, La Terre. Paris 1869. Vol. II. A. Mühry, Beiträge zur Geophysik und
Klimatologie. Leipzig 1863. Hann, Hochstktter und Pokorn^', AUgem. Erdkunde. Wien
1880. Peschel-Leipoldt, Physik. Erdkunde (Kap. über Dünen). Bd. L Leipzig 1S79. Ab-
handlungen über meteor. Staubfälle von Ehrenberg, Arago, Quetelet, Baumhaiter, Dait.r.:j.
Phipson, Nordenskjöld, Tissandier, Silvestri, PAL.MERI u. a. V. Lasaulx, Ueber so^on.
kosmischen Staub, Tschermaks Mitteil. 1880. Stoppani, Corso di Geologia. Milano iS/i.
Cap. n — IV ausführlich über Atmosphäre, v. Richthofen, China, Berlin 1877. (Ueber L6^-.)
Czerny, Die Wirkungen der Winde auf die Gestaltung der Erde in Petermanns MittheiL Er-
gäiuungsband 1876.
Beenden. St
Blenden
von
Professor Dr. Kenngott.
Bei der Verschiedenheit von Verbindungen, welche die Minerale zeigen, sind
gewisse zahlreicher als andere und nächst den SauerstofTverbindungen spielen
die Schwefelverbindungen eine hervorragende Rolle. Unter diesen wurden die
sogenannten Blenden schon lange als eine kleine Gruppe von Mineralen zusammen-
gestellt, welche sich von anderen Schwefelverbindungen durch ihr Aussehen
unterscheiden und es bilden die sogen. Blenden in einzelnen Mineralsystemen
eine Ordnung. An Stelle des Namens Blenden gebrauchte man auch die Namen
Cinnabarite und Sphalerite, entlehnt von Namen ausgezeichneter Repräsen-
tanten der Gruppe. Die Mehrzahl nämlich der Verbindungen des Schwefels mit
gewissen Metallen und Metalloiden hat metallisches Aussehen und die Blenden
haben unmetallisches. Da jedoch zwischen den metallischen und unmetallischen
Mineralen Übergänge stattfinden, beziehungsweise bei Mineralen der Metallglanz
Uebergänge in unmetallischen Glanz zeigt, wofür man den Ausdruck halb-
metallischen Glanz gebraucht, so zeigen sich auch bei den Blenden derartige
Uebergänge, so dass im Allgemeinen die Blenden als Schwefelverbindungen un-
metallische Farben und farbigen Strich, unmetallischen bis halbmetallischen
Glanz zeigen, durchsichtig bis undurchsichtig sind und eine geringe Härte haben,
etwa bis 4 hinauf. Bezüglich ihrer mit dem Schwefel verbundenen Stoffe hat
man sie auch noch neben anderen Namen nach dem wesentlichen mit Schwefel
verbu:^. denen Stoffe benannt, wie die Namen Zink-, Mercur-, Silber-, Antimon-
und Arsen-Blende zeigen. Die wichtigeren Blenden sind nachfolgende:
I. Der Sphalerit, auch Zinkblende, selbst ausschliesslich Blende ge-
nannt Der zunächst auf den starken Glanz bezügliche Name Blende soll dem
Minerale in dem Sinne gegeben worden sein, insofern es früher durch den
starken Glanz den Bergleuten auffiel und doch nicht als nutzbar erschien. Als
Zinkblende wurde es benannt, weil es sich durch den Zinkgehalt von anderen
der Gruppe Blenden zugezählten unterscheidet und der Name Sphalerit, entlehnt
von dem griechischen Worte itsphaUros^ täuschend, soll an die frühere Ansicht
über die Blende erinnern
Der Sphalerit krystallisirt tesseral und zwar tetraedrisch-hemiedrisch. So
zeigen z. B. die Krystalle desselben gewöhnlich die Combination zweier Gegen-
tetraeder, ö • O (Fig. i) indem die Flächen des einen Tetraeders vorherrschen,
können jedoch als Tetraeder (Fig. 2) allein oder als Oktaeder (Fig. 3) vor-
kommen, an denen dann aber noch die tetraedrische Bildung durch Unter-
schiede in der Flächenbeschaffenheit hervortreten kann. Die abwechselnden,
dem einen Tetraeder entsprechenden Flächen sind dann glatt, die anderen
drusig oder rauh, wie auch in den Combinationen der beiden Tetraeder,
ohne dass immer solche Unterschiede bemerkbar sein müssen. Unter-
geordnet sind das Hexaeder 00 O 00 und Rhombendodekaeder oa O (Fig. 4.)
Andererseits ist auch das Rhombendodekaöder vorherrschend ausgebildet, daran
die Tetraeder (Fig. 5) und andere tesserale Gestalten untergeordnet, welche dann
als tetraedrische Hemieder desselben Gesetzes auftreten, wie gewisse Trigon-
dodeka^der, besonders «Q», welches bisweilen ziemlich ausgedehnt mit dem
Rhombendodeka^der verbunden vorkommt (Fig. 6).
Sehr häufig sind Zwillinge nach O, meist mit vielfacher Wiederholung, wobei
KcNsiGOTT, Min., Geol. u. Pal. I. 6
82
Mineralogie, Geologie und Pdaeontologie.
(Uli. 12-17.)
Figl.
Fig. 2.
Fig. 3-
Fig. 4- Fig. 5. Fig. 6.
die einzelnen Individuen zwillingsartxg wechselnd bis sehr dünne Lamellen bilden
und durch Streifung auf den Aussenflächen erkenntlich sind. Solche Zwillings-
bildungen erschweren bisweilen die Bestimmung der Krystalle sehr, wenn sie
auch im ersten Augenblicke als solche deutlich ausgebildet zu sein scheinen.
Die Krystalle sind fast immer aufgewachsen, selten eingewachsen, ausserdem findet
sich das Mineral häufig derb mit krystallinisch gross-, grob-, klein- bis feinkörniger
Absonderung, bisweilen in grossen Massen, selbst mächtige Lager bildend, wie
im Gneiss bei Ammeberg am Wettersee in Schweden, in verschiedenen Gebirgs-
arten eingewachsen bis eingesprengt. Selten findet sich der Sphalerit krystallinisch
dünnstenglig bis feinfasrig, bis ins Dichte übergehend, dabei knollige, nieren-
förmige, kuglige und traubige Gestalten bildend, die bei radialer Anordnung
der Fasern z. Th. noch eine krummschalige Absonderung nach den Aussen-
flächen zeigen (die sogen. Schalen- und Leberblende).
Die Spaltbarkeit ist vollkommen, die Spaltungsflächen sind parallel den
Flächen des Rhombendodekaeders, daher der Bruch als solcher selten bestimm-
bar ist, bei sehr feinkörnigen oder feinfasrigen ins Dichte übergehenden Varietäten
flachmuschlig und splittrig erscheint Der Sphalerit ist meist braun bis schwarz
gefärbt, auch gelb (wachsgelb, weingelb, schwefelgelb) grün (öl- bis grasgrün'
roth (hyacinth- bis bräunlichroth), selten weiss bis farblos (der sogen. Kleiophan
von Franklin in New-Jersey), diamantartig glänzend bis wachsartig, bei schwarzer
Farbe in halbmetallischen Glanz neigend, mehr oder weniger durchscheinend
bis fast undurchsichtig, bei heller Färbung auch halbdurchsichtig und kleine
Krystalle selbst durchsichtig. Das Strichpulver ist entsprechend der helleren und
dunkleren Färbung graulichweiss, gelblichweiss bis braun. Das Mineral ist spröde,
hat die Härte — 3»5 — 4»o, das specifische Gewicht = 3,8 — 4,2 und phosphoresctrt
durch Reiben.
Blenden. 83
Wesentlich ZnS, Einfach-Schwefelzink mit 67 J Zink und 33 Schwefel, doch
selten ganz rein, worauf die wechselnden Farben hinweisen, gewöhnlich als
Stellvertreter FeS, also Eisen einen Theil des Zinkes ersetzend, von geringer
Menge an bis zu 23^ Schwefeleisen enthaltend, welcher hohe Eisengehalt
dazu führte, gewisse eisenreiche als besondere Species zu trennen, wie den
Marmatit von Marmato bei Popayan in Columbien und den schwarzen
Christophit von der Grube St. Christoph bei Breitenbrunn in Sachsen,
welcher gegen 30^ Schwefeleisen enthält. Bisweilen findet sich auch Cadmium,
selbst die seltneren Stoffe Indium, Thallium und Gallium in einzelnen Sphale-
ritcn. Bei dem häufigen Vorkommen des Galenit in Begleitung des Sphalerit
zeigen sich bisweilen beide so innig mit einander verwachsen, dass es den
Schein hat, als habe man ein eigenes Mineral vor sich, weil die Farbe und der
Glanz des bleigrauen metallisch glänzenden Galenit in dem innigen Gemenge
das unmetallische Aussehen des Sphalerit bedeutend unterdrücken.
Vor dem Löthrohre auf Kohle erhitzt zerknistert der Sphalerit meist sehr
heftig, ist unschmelzbar oder ein wenig an den Kanten schmelzbar, im Zusammen-
hange mit dem zunehmenden Eisengehalte, durch welchen auch die eisenreicheren
V. d. L. etwas magnetisch werden. Auf der Kohle setzt sich ein Beschlag
von Zinkoxyd ab, welcher heiss gelb, nach dem Erkalten weiss ist und mit
Kobaltsolution befeuchtet und erhitzt grün wird. Diese Reaction des entstandenen
Zinkoxydes sieht man recht deutlich, wenn man Sphalerit in der Achatschale zu
feinem Pulver zerreibt, dasselbe mit etwas Kobaltsolution befeuchtet, in das Oehr
eines Platindrahtes streicht und vor dem Löthrohre erhitzt Mit Soda auf
Kohle geschmolzen entsteht Hepar und starker Zinkoxydbeschlag. In Salzsäure
ist der Sphalerit löslich, Schwefelwasserstoffgas entwickelnd, desgleichen in Sal-
petersäure, Schwefel abscheidend.
Der Sphalerit ist ein häufig vorkommendes Mineral, welches sowohl in
Gängen, Nestern und Lagern, besonders in älteren Formationen, als auch in ver-
schiedenen Gebirgsarten eingewachsen bis eingesprengt vorkommt, früher zur Dar-
stellung von Zinkvitriol, Schwefel und Schwefelsäure verwendet wurde, jetzt
aber auch zur Gewinnung des Zinkes benützt wird.
Das Einfach-Schwefelzink ZnS, welches als Sphalerit ein lange bekaimtes
und reichlich vorkommendes Mineral bildet, ist dimorph, wie man dies an nicht
mineralischen Krystallen desselben gefunden hatte und es fand sich auch in
neuerer Zeit hexagonal krystallisirt als Mineral bei Oruro in Bolivia. Es wurde
Wurtzit genannt und zu diesem gehört auch ein früher als strahlige Blende
oder Strahlenblende bezeichnetes Vorkommen von Przibram in Böhmen,
welchem der Name Spiauterit gegeben wurde. Beide enthalten auch wie der
Sphalerit nebenbei etwas Schwefeleisen.
Da bisweilen Sphalerit CdS in geringen Mengen enthält, dasselbe als
isomorpher Vertreter von Zns anzusehen ist, auch im Spiauterit etwas Cadmium
enthalten ist, so ist es von Interesse, dass, wenn auch selten, Schwefelcadmium
CdS als ein hexagonal krystallisirendes Mineral, isomorph mit Wurtzit vorkommt,
eine Cadraiumblende, welche den Namen Greenockit erhalten hat.
2. Der Alabandin MnS, auch Manganblende genannt, krystallisirt auch
tesseral und tetraödrisch-hemiedrisch, die beiden Tetraeder in Combination mit-
einander wie bei Sphalerit, oder diese mit dem Hexaeder oder Rhombendodekaeder
combinirt zeigend und vollkommen hexaedrisch spaltbar; gewöhnlich krystallinisch-
kömig derb und eingesprengt. Eisenschwarz bis dunkelstahlgrau, halbmetallisch
6^
84 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
glänzend, undurchsichtig, läuft bräunlich an und wird matt, Strich schmutziggiün;
wenig spröde, hat Härte = 3,5 — 4,0 und specifisches Gewicht ^ 3#9— 4,i. Ent-
hält 63,2^ Mangan und 36,8 Schwefel. Bleibt im Glaskolben erhitzt unverändert,
entwickelt im Glasrohre etwas schwefelige Säure und wird graulichgrün, schmilzt
auf Kohle sehr schwer zu einer braunen Schlacke, und diese reagirt mit Borax
geschmolzen stark auf Mangan, das Boraxglas violblau färbend; in Salzsäure auf-
löslich, Schwefelwasserstoffgas entwickelnd. Der Alabandin ist ein seltenes Mineral
und kommt auch nicht in grösserer Menge vor, beispielsweise bei Kapnik, Nagyag
und Offenbanya in Siebenbürgen, bei Gersdorf in Sachsen, bei Alabanda in Carien
(woher der Name Alabandin entlehnt wurde), am Fusse des Orizaba in Mexiko
und in Brasilien.
Eine andere Manganverbindung Mn S^ mit 46,2^ Mangan und 53,8 Schwefel
ist der auch zu den Blenden gehörige tesseral und parallelflächig-heroiediisch
krystallisirende seltene Hau er it von dem Schwefelwerke Kaiinka bei V^gles
unweit Neusohl in Ungarn, welcher dunkelröthlichbraun bis bräunlichschwarz ist,
bräunlichrothen Strich, metallartigen Diamantglanz hat und in dünnen Blättchen
etwas durchscheinend ist.
3. Der Co V eil in, benannt nach dem italienischen Mineralogen Covelli,
ist eine Kupferblende, welche auch Kupfer indig wegen des Kupfergehaltes und
der indigoblauen Farbe genannt wurde. CuS mit 66,5 § Kupfer und 33,5 Schwefel.
Derselbe findet sich selten deutlich krystallisirt und bildet sehr kleine tafel-
artige hexagonale Krystalle, durch die vorherrschenden Basisflächen mit einer oder
zwei stumpfen hexagonalen Pyramiden und ist vollkommen basisch spaltbar.
Dünne Spaltungsblättchen sind biegsam. Die Kryställchen sind gewöhnlich in
Gruppen gehäuft aufgewachsen; meist ist er derb und eingesprengt mit feinkörniger
Absonderung bis dicht und erdig, bildet Platten, nierenformige Gestalten, Ueber-
züge und Anflüge. Er ist dunkel indigoblau bis schwärzlichblau, hat wachs-
artigen bis halbmetallischen Glanz, auf den Spaltungsflächen perlmutterartigen
Diamantglanz, ist undurchsichtig, im Striche schwarz und glänzend, milde, hat
Härte = 1,5 — 2,0 und spec. Gewicht = 4,59 — 4,64. Brennt vor dem Löthrohrc
auf Kohle erhitzt mit blauer Flamme, schmilzt mit Aufwallen und Spritzen und
giebt mit Soda ein Kupferkom. In Salpetersäure ist er löslich.
Er ist nicht häufig zu finden, auf Gängen und Lagern, z. B. bei Leogang in
Salzburg, Sangerhausen in Thüringen, Badenweiler in Baden, auf Laven am
Vesuv. Massenhaft kommt er auf der Insel Kawau bei Neuseeland und in den
(ioldfeldcm von Victoria in Australien vor. Er entsteht z. Th. aus Chalkosin,
dmlkopyrit, Tetraedrit und anderen Kupfer enthaltenden Mineralen und wird,
wenn er in grosser Menge vorkommt, zur Darstellung von Kupfer benützt.
4. Der Zinnober, auch Cinnabarit und Mercurblende genannt. Die
cfhtcn beiden Namen sollen von dem griechischen i^kinnabarUf Drachenblut ab-
Ntammcn, wegen der rothen Farbe. Er krystallisirt hexagonal, rhomboedrisch, die
(irumigcstalt ist ein spitzes Rhomboeder mit den Endkantenwinkeln = 71*^48'.
Die Krystalle sind meist klein, doch bisweilen sehr flächenreicb, vorherrschend
durch Rhomboeder, bis dicktafelig durch die Basisflächen, selten nadelfbrmig, in
optischer Kc/iehung durch starke Circularpolarisation ausgezeichnet Gewöhnlich
ist er kiystallinisch klein- bis feinkörnig, dicht bis erdig, bildet Knollen, findet
sich derb bis eingesprengt, aucli ITeberzüge bis Anflüge bildend Er ist ziemlich
vollkommen hexagonal prismatisch spaltbar, der Bruch ist uneben, splittrig bis
erdig.
Blenden. 85
Koscheniilroth, z. Th. ins Bleigraue neigend, bis scharlachroth (der erdige),
diamantglänzend, schimmernd bis matt, mehr oder weniger durchscheinend bis
undurchsichtig; Krystalle bis halbdurchsichtig. Das Strichpulver ist scharlachroth.
Er ist milde, hat Härte «= 2,0 — 2,5 und spec. Gew. = 8,0 — 8,2.
HgS mit 86, 2 J Mercur und 13,8 Schwefel. In Königswasser auflöslich,
nicht löslich in Salpeter- oder in Salzsäure, auch nicht in Kalilauge. Im Kolben
erhitzt giebt er, schweflige Säure entwickelnd, Sublimat von Zinnober und Mercur,
mit Soda gemengt, ein Sublimat von Mercur. Vor dem Löthrohre auf Kohle
erhitzt verflüchtigt er sich und es entsteht bei vorsichtigem Blasen auf der Kohle
ein grauer Beschlag von Mercur.
Der Zinnober findet sich meist auf Lagern, weniger auf Gängen, in älteren
und mittleren Formationen, nicht selten, aber gewöhnlich nicht sehr reichlich, wie
beispielsweise bei Almaden und Almadenejos in Spanien, Idria in Krain, sehr
reichlich bei Neu-Almaden unweit San Josd in Kalifornien, im Staate Chihuahua
in der Sierra Madre in Mexiko, in Japan, China ; auch bemerkenswerth die Fund-
orte Wolfsberg und Moschellandsberg in Rheinbayem, Horzowitz in Böhmen,
Rosenau und Szlana in Ungarn, Ripa und Levigliana in Toscana. Bei Idria findet
sich das sogen. Quecksilberlebererz, ein Gemenge von Zinnober mit einem
Idrialin genannten fossilen Harze, Kohle und erdigen Theilen, z. Th. rundliche
Gestalten mit krummschaliger Absonderung bildend, die an der Oberfläche durch
Einwirkung von Druck und Verschiebung glänzen. Dasselbe ist dunkelroth bis
schwarz, hat aber rothen Strich; das spec. Gew. = 6,8 — 7,6 ist in Folge der
Beimengungen geringer als das des reinen Zinnobers. Beim Zerreiben oder Zer-
schlagen zeigt es einen eigenthümlichen hepatischen Geruch.
Der Zinnober wird hauptsächlich zur Darstellung des Mercur (auch Queck-
silber) genannten Metalles benützt.
Die Substanz HgS ist dimorph, wie sie es als chemisches Produkt zeigt, indem
man sie durch Fällen einer Lösung von M^rcuroxydsalzen mit Schwefelwasserstoff
als schwarzen Niederschlag erhält und so wurde auch Schwefelmercur HgS als
dichtes schwarzes Mineral mit schwarzem Striche und dem spec. Gew. = 7,7 in Lake
County in Califomien gefunden. Dasselbe erhielt den Namen Metacinnabarit.
5. Das Realgar (ein von den Alchimisten gebrauchter Name, auch das
risigallum derselben), die rothe Arsenblende. Klinorhombisch, die KrystaUe
kurz bis lang prismatisch, aufgewachsen, gewöhnlich die Combination zweier
künorhombischer Prismen bildend, von 00 P, dessen klinodiagonale Kanten =74° 26'
zugeschärft sind durch das Prisma 00 P 7 mit den klinodiagonalen Kanten = 1 13^ j6' ;
am Ende begrenzt durch die Basisfläche oP, welche gegen die klinodiagonale
Kantenlinie vonooPr unter 113° 55' geneigt ist, das Längsdoma P5o, welches
die Combinationsecken von oP und 00 P schief abstumpft und mit der Basisfläche
die stumpfen Co»binationskanten = 156^ i', bildet. Dazu kommen noch die
Langsflächen und an flächenreicheren Krystallen noch verschiedene andere Ge-
stalten. Ausser krystallisirt findet sich das Realgar krystallinisch-kömig, derb bis
eingesprengt, als Ueberzug und Anflug. Ziemlich vollkommen spaltbar parallel
den Basis- und Längsflächen, im Bruche muschlig bis uneben und splittrig.
Dunkel- bis hellmorgenroth oder feuerroth, wachsglänzend, auf gut ausgebildeten
Krystallflächen bis diamantartig glänzend, halbdurchsichtig bis kantendurch-
scheinend. Das Strichpulver ist orangegelb. Milde, leicht zersprengbar, hat
H. = 1,5 — 2,0 und das spec. Gew. = 3,4 — 3,6; sehr stark doppeltbrechend,
negativ; durch Reiben negativ elektrisch.
86 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
AsS mit 70,1^ Arsen und 29,9 Schwefel. In Königswasser lösHdi, Schwefel
abscheidend, sonst von Säuren wenig angreifbar; in heisrer Kalilauge löslich und
dabei ein braunes Pulver bildend. Im Glasrohre erhitzt verflüchtigt es sich,
arsenige Säure als Sublimat absetzend, im Kolben bildet sich ein rothes bis
schwarzes Sublimat. Vor dem Löthrohre auf Kohle leicht schmelzbar und mit
Weissgelber Farbe und den an Knoblauch erinnernden Arsengeruch entwickelnd
verbrennbar. Bemerkenswerth ist der Einfluss des Tageslichtes, indem durch
dasselbe das Realgar allmählich in ein gelbrothes bis orangegelbes Pulver zerfallt,
wesshalb das Mineral nicht in Schausammlungen aufgestellt werden darf, sondern
nur in geschlossenen Schubladen aufzubewahren ist
Das Realgar findet sich auf Gängen, zuweilen auf Lagern, auch eingewachsen
bis eingesprengt in Dolomit, Kalkstein, Gjrps und Thon, selten in Laven und an
Kraterwänden. Als Fundorte sind beispielsweise anzuführen: Kapnik und
Nagyag in Siebenbürgen, Felsöbanya und Tajowa in Ungarn, Andreasberg am
Harz, Joachimsthal in Böhmen, Schneeberg in Sachsen, das Binnenthal im Canton
Wallis in der Schweiz und die Solfatara der phlegräischen Felder bei Neapel. —
Das Mineral wird, weil es zu spärlich vorkommt, selten benützt, dagegen
das durch Zusammenschmelzen von Schwefel und Arsen dargestellte AsS (rother
Arsenik oder Arsenikrubin genannt) als Malerfarbe, zum Entfärben des
Glases und in der Feuerwerkerei zur Darstellung des blendenden sogen, indischen
Weissfeuers.
6. Das Auripigment (benannt von aurum, Gold und pigmentum, Farbe
wegen seiner gelben Farbe), gelbe Arsenblende, Rauschgelb.
Krystallisirt orthorhombisch, bildet gewöhnlich nur kleine und undeutliche
prismatische Krystalle, an denen das Prisma 00 PT vorherrscht, dessen brachy-
diagonale Kanten «=79^20' oft durch das Prisma 00 P (11 7^49') zugescharft
sind. Dazu kommen die Längsflächen, ein Querdoma P00, dessen Endkanten-
Winkel = 83^37' sind, selten die Pyramide P und die Querflächen. Die Flächen
der Krystalle sind oft gekrümmt. Gewöhnlich findet sich das Auripigment
derb und eingesprengt, krystallinisch-kömig bis blättrig und stenglig, z. Th.
stalaktitisch nierenförmig, kuglig und traubig mit krummschaliger Absonderung,
dicht bis erdig, als Anflug. Vollkommen spaltbar parallel den Längsflächen, die
Spaltungsflächen sind vertikal gestreift, die Spaltungsblättchen biegsam.
Citronen* bis orangegelb, wachsglänzend, auf den Spaltungsflächen perlmutter-
artig, durchscheinend bis undurchsichtig, Strichpulver wenig heller. Milde, hat
H. = 1,5 — 2,0 und spec. Gew. == 3,4 — 3,5, wird durch Reiben negativ elektrisch. —
AS| S3 mit 6ij( Arsen und 39 Schwefel. In Königswasser und in Salpetersäure
auflöslich, desgleichen in kochender Kalilauge. Im Glasrohr erhitzt verflüchtigt
es sich, schweflige Säure entwickelnd und arsenige Säure als Sublimat absetzend,
schmilzt leicht im Kolben, schweflige Säure und gelbe Dämpfe entwickelnd, ein
gelbes, rothes bis schwarzes Sublimat absetzend, das letztere wird nach dem Er*
kalten roth. Wenn es nicht ganz verflüchtigt wird, bleibt schlackiges Einfach*
Schwefelarsen übrig. Vor dem Löthrohre auf Kohle sich mit Geruch nach
schwefliger Säure und Arsen verflüchtigend oder mit weisser Flamme ver-
brennend; mit Soda gemengt zu Arsen reducirbar. Beim Liegen an der I-uft
oder noch mehr im Tageslicht verliert er an der Oberfläche seinen Glanz und
lässt einen feinen Beschlag erkennen.
Das Auripigment findet sich in ähnlicher Weise, wie das Realgar, auch mit
diesem und selbst damit verwachsen, wobei aber nicht, wie das Gelbweiden des
Blenden 87
Realgar vermuthen lassen könnte, ein Uebergang des Realgar in Auripigment
stattfindet, weil beide Minerale vollkommen frisch nebeneinander gefunden werden.
Als Fundorte sind beispielsweise Tajowa bei Neusohl in Ungarn, Kapnik in Sieben-
bürgen, Moldawa im Banat, Andreasberg am Harz und der Vesuv in Italien zu
nennen, besonders reich scheint sein Vorkommen in Natolien, in Kurdistan in
Persien und in Mexiko zu sein.
Das Mineral wird selten, gewöhnlich das nicht mineralische, chemisch dar-
gestellte As^S, als Malerfarbe verwendet.
Dem Auripigment analog zusammengesetzt ist der Antimonit als Sb| S3,
welcher aber zu den sogen. Glänzen (s. d.) wegen des metallischen Aussehens
gerechnet wird, dagegen gehört zu den Blenden der Pyrantimonit, auch
Pyrostibit oder Rothspiessglanzerz genannt, als eine eigenthümliche An-
timonblende, welche selten vorkommend nadeiförmig bis feinfasrig krystallisirt
ist, kirschrothe Farbe und Diamantglanz hat und in der Zusammensetzung be-
merkenswerth, Schwefel und Sauerstoff gleichzeitig mit Antimon in Verbindung ent-
haltend, der Formel 2 SbjSj -|-Sb|Os entspricht. Derartige Doppelverbindungen
des Schwefels und Sauerstoffes sind selten, wie auch als solche der sehr selten
£u den Blenden zu rechnende Voltzin 4ZnS + ZnO zu nennen ist.
7. Der Pyrargyrit (der Name aus den griechischen Worten »/jt« Feuer,
^argyros€ Silber, wegen der rothen Farbe und des Silbergehaltes gebildet), auch
Antimonsilberblende oder dunkles Rothgiitigerz genannt, krystallisirt
hexagonal, rhomboedrisch-hemiedrisch, ähnlich wie Calcit, s. pag. 93, und die
Gnindgestalt ist ein stumpfes Rhomboeder, dessen Endkanten = 108^42' sind.
Die Krystalle dieses Minerals, gewöhnlich Combinationen, z. Th. sehr flächen-
reiche, Hessen bis jetzt schon über 80 einfache, in den Combinationen auftretende
Gestalten finden. Sie sind gewöhnlich prismatisch oder skalenoedrisch ausge-
bildet; bei den ersteren ist das hexagonale normale Prisma 00 R oder das hexa-
gonale diagonale Prisma Roo oder beide zugleich mit verschiedenen Rhomboedem,
namentlich ^R', R und 2R' und anderen, den Basisflächen oR und Skalenoedem,
darunter das häufigste, das spitze R3 combinirt; bei den vorherrschend skale-
noedrisch ausgebildeten ist gewöhnlich R3 zu bemerken und andere Gestalten,
wie Rhomboeder, Prismen- und Basisflächen untergeordnet i) Häufig finden sich
auch Zwillinge nach verschiedenen Gesetzen und z. Th. mit mehrfacher Wieder-
holung. Die Krystallflächen sind häufig gestreift und oft gekrümmt. Ausser
krystallisirt findet er sich derb bis eingesprengt, dendritisch, traubig, als Ueber-
zug und Anflug. Spaltbarkeit ziemlich vollkommen parallel den Flächen der
Gnmdgestalt R, der Bruch ist muschlig, uneben bis splittrig.
Er ist dunkel koschenillroth bis schwärzlich-bleigrau, auch colombinroth, oft
schwarz, blau oder bunt angelaufen, durchscheinend bis fast undurchsichtig, hat
Diamantglanz, welcher bei dunkler Farbe bis halbmetallisch wird, hat koschenill-
bis kirschrothen Strich, ist wenig milde bis etwas spröde, hat Härte = 2,0—2,5
und spec Gew. = 5,75 — 5,85 und phosphoresirt stark beim Erhitzen. —
sAgjS-SbiSj mit 60,0^ . Silber, 22,2 Antimon und 17,8 Schwefel, bisweilen
etwas Arsen enthaltend, welches als Stellvertreter von Antimon oder als Folge
von homologer Verwachsung mit Proustit oder von begleitendem Proustit herrührt.
') AmnerlniDg: Zur Vergleichung dienen die auf den beiden Tafeln für Calcit gegebenen
Figuren, weil die RrystaUe des Calcit (s. pag. 93) denen des Pyrargyrit in den Winkeln und in
der Ausbildung sehr nahe stehen, nur noch reichhaltiger an Gestalten sind.
88 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
In Salpetersäure löslich, Schwefel und Antimonoxyd ausscheidend; Kalilauge zieht
Schwefelantimon aus, welches aus der gelblichbraunen Lösung durch Säure orange-
gelb gefällt wird. Im Glasrohre erhitzt entwickelt er schweflige Säure und es
bildet sich ein weisses Sublimat von Antimonoxyd; im Kolben zerknistert er, schmilzt
und giebt rothes bis braunes Sublimat; vor dem Löthrohre auf Kohle schmilzt
er leicht, entwickelt schweflige Säure und Antimonrauch, welcher die Kohle weiss
beschlägt; die durch Schmelzen erhaltene schwarze Kugel ergiebt mit Soda leicht
ein Silberkom.
Der Pyrargyrit findet sich besonders auf Gängen in krystallinischcn Schiefem
und in der Uebergangsformation, oft in Begleitung von anderen Silber enthalten-
den Mineralen und ist nicht selten. Als Fundorte sind beispielsweise anzuführen :
Schemnitz, Kremnitz und Hodritsch in Ungarn, Przibram, Altwoschitz und Ratie-
borzits in Böhmen, Freiberg, Schneeberg, Annaberg und Johanngeorgcnstadt in
Sachsen, Gonderbach bei Laasphe in Westphalen, Andreasberg am Harz, Maar-
kirchen im Elsass, Kongsberg in Norwegen und Chafiarcillo in Chile; reichlich
kommt er auch in Mexiko vor und ist ein sehr geschätztes Mineral, welches zur
Gewinnung des Silbers benützt wird.
8. Der Proustit (benannt nach dem französischen Chemiker I. I. Proust)
auch Arsensilberblende, Rubinblende und lichtes Rothgiltigerz ge-
nannt, krystallisirt hexagonal, rhomboedrisch-hemiedrisch, isomorph mit dem
Pyrargyrit, mit welchem er im Allgemeinen in den Gestaltsverhältnissen überein-
stimmt, weniger reichlicher vorkommend nicht so mannigfaltige Formen zeigt.
Die Grundgestalt desselben ist ein stumpfes Rhomboeder R mit den Endkantcn-
winkeln ^ 107^50', welchem auch die Spaltungsflächen entsprechen. Er ist,
worauf sich auch der Name lichtes Rothgiltigerz, sowie Rubinblende bezieht, meist
heller gefärbt als der Pyrargyrit, das dunkle Rothgiltigerz, koschenill- bis karmin-
roth, diamantglänzend, halbdurchsichtig bis kantendurchscheinend und hat helleren
bis Scharlach- und morgenrothen Strich, ist wenig milde bis etwas spröde, hat
Härte = 2,0 — 2,5 und etwas geringeres spec. Gew. =s 5,5 — 5,6.
3 Ag, S. As, Sj mit 65;5|f. Silber, 15,1 Arsen und 19,4 Schwefel. Ist
in Salpetersäure löslich, Schwefel und arsenige Säure abscheidend. Kalilauge
zieht Schwefelarsen aus, welches aus der Lösung durch Säure citronengelb gefällt
wird. Im Kolben erhitzt ist der Proustit leicht schmelzbar zu dunkelbleigrauer
Masse, wenig Sublimat von Schwefelarsen bildend, im Glasrohre erhitzt entwickelt
er schweflige Säure und giebt Sublimat von arseniger Säure ; vor dem Löthrohre
auf Kohle giebt er bei Geruch nach schwefliger Säure und Arsen ein sprödes
Metallkom, welches sich schwierig zu Silber reduciren lässt
Im Vorkommen und in der Benützung verhält sich der Proustit wie der
Pyrargyrit und als Fundorte sind Freiberg, Annaberg, Schneeberg, Marienberg und
Johanngeorgenstadt in Sachsen, Joachimsthal in Böhmen, Wolfach und Wittichen
in Baden, Maarkirchen im Elsass, Challanches in der Dauphin^ in Frankreich,
Guadalcanal in Spanien, Chanarcillo und Copiapo in Chile und die Veta negra
bei Sombrerete in Mexiko zu nennen.
In qualitativer Beziehung verwandt ist dem Pyrargyrit der klinorhombiscl'
krystallisirende, dunkelgraue undurchsichtige Miargyrit, welcher metallischen
Diamantglanz und kirschrothen Strich hat, dem Proustit dagegen der seltene
rhomboedrische dtinn-tafelartig krystallisirende Xanthokon, welcher orangegelb
bis gclblichbraun, diamantglänzend und stark durchscheinend ist, gelben Strich
hat. Der Miargyrit enthält weniger Silber als der Pyrargyrit, worauf sich sein
Bryoroen. ^9
Xame bezieht, ist AgjS • Sb^ S,, der Xanthokon aber enthält etwas mehr Schwefel
als der Proustit, ist vielleicht 2(3 Ag,S • AsjSj) 4- 3 Ag,S • AsjS^ und erhielt
seinen Namen wegen der gelben Farbe des Striches. Die gleichfalls seltene
Feuerblende dagegen, orangegelbe bis röthlichbraune, durchscheinende, diamant-
glänzende feinblättrige Krystalle bildend enthält Schwefelsilber und Schwefelantimon
in bis jetzt nicht bestimmtem Verhältniss.
Bryozoen
von
Dr. Friedrich Rolle.
Die Bryozoen oder Moosthiere, Bryozoay zuerst 1828 durch Ehrenberg
von den Anthozoen abgetrennt, sind Wasser- und zwar meistentheils Meeres-
bewohner, welche den Anthozoen und Hydroiden äusserlich einigermassen ähn-
lich erscheinen, namentlich ebenfalls Stöcke von mehr oder weniger pflanzen-
artiger Gestalt bilden, aber im inneren Bau weit von den vorigen abweichen. Sie
bilden eher eine vermittelnde Stufe zwischen niederorganisirten Würmern einer
seits, Tunicaten und Brachiopoden andererseits.
Die Bryozoen sind kleine weiche Thiere von bilateral-symmetrischem Körperbau,
namentlich mit umgebogener Verdauungsröhre, deren beide Enden, Mund und
After, neben einander auf der Oberseite liegen und die Mediane des Körpers
bezeichnen.
Den Mund umsteht ähnlich wie bei Anthozoen und Hydroiden, denen sie
von den älteren Zoologen beigeordnet wurden, ein Fühlerkranz. Die Fühler
oder Tentakeln, 8 — 16 und mehr, sind einfach und fadenförmig, mit Wimpern
besetzt Die Verdauungshöhle besteht aus Speiseröhre (Magen) und Darm und
zeigt nichts, was an die dem strahligen Bau entsprechenden durch Mesenterial-
falten abgetheilten Organe der Anthozoen erinnern könnte.
Alle Bryozoen bilden Stöcke, welche bald mehr bald weniger denen der An-
thozoen und der Hydroiden ähneln, so zwar, dass manche fossile Formen, z. B.
die Auloporen nach ihrer systematischen Stellung verschiedene Deutung zulassen
können. (Die palaeozoischen Auloporen stellt man zu den Anthozoen — die
jurassischen Auloporen, AUcto Lamx., dagegen zu den Bryozoen, ein Unterschied
kann in der Art der Knospung und in der Form der Ausmflndungen gefunden
werden.)
Die Bryozoen zerfallen nach der Gestaltung des den Mund umstehenden
Tentakelkreises und nach ihrem Vorkommen — im Meer oder im Stisswasser —
in zwei Ordnungen (Stemmatopoda und Lophopoda),
Wir beginnen mit den marinen Bryzoen, die auch allein kalkige Stöcke
erzeugen und allein in fossilem Zustand auftreten. Es sind die Bryozoen ohne
Fühler-Kragen (Gymnolaema ^ Stemmatopoda), Bei ihnen stehen die Fühler in
einfachem Kreise um den Mund, ohne auf einem besonderen Gestell aufzusitzen.
Die äussere Hautdecke ist stark entwickelt und zerfallt in zwei Theile.
Der äussere Theil bildet den Stock mit der Wohnzelle des Thieres. Er bleibt
bald weich oder lederartig, bald erhärtet er homartig, bald wird er durch kalkige
Ausscheidungen steinhart und ist dann der fossilen Erhaltung ausgezeichnet fähig
der innere Theil der Haut bleibt immer weich.
9^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Die Individuen sitzen in längeren oder kürzeren Röhren des Stockes und
vermehren sich besonders durch seitliche Knospung, wobei sie theils — wie bei
Es£hara, CeUepora und Lunulites — durch sogen. Sprossencanäle in unmittelbarer
Verbindung bleiben, theils durch nachträgliche Verkümmerung derselben unab-
hängig von einander werden. Selbsttheilung der Individuen kommt nie vor.
Durch diese Vermehrung mittelst seitlicher Knospung erzeugen die meer-
bewohnenden Bryozoen mannigfache, oft sehr zierlich zusammengesetzte Stöcke.
Manche bilden einschichtige oder mehrschichtige Ueberzüge auf Steinen,
Muscheln, Seepflanzen und anderen festen Grundlagen. Andere bauen erhöhte
baumförmig verzweigte, noch andere moosartige Stöcke oder auch netzförmige
Fächer oder breite Lappen darstellende Stöcke, die nur mit ihrem Grunde auf
einer festen Unterlage ansitzen.
Die Stöcke sind bezüglich der Gestalt der sie zusammensetzenden Individuen
theils isomorph — d. h. sie zeigen nur gleichwerthige, im Wesentlichen gleich-
gestaltete Personen — theils auch wohl polymorph und enthalten dann einzelne
abweichende Individuen, die zum blossen Organ des Stockes umgestaltet sind.
In letzterer Hinsicht kommen namentlich die sogen. Avicularien oder
Vogelkopf-Individuen in Betracht. Sie finden sich bei Cellaria und einigen
anderen Gattungen.
Es sind am Stock angelenkte bewegliche Organe, die aus einem Stiel und
einer die Gestalt eines Vogelkopfs nachahmenden Zange bestehen. Bei Cellaria
stehen sie unterhalb vom Vorderrand der gewöhnlichen Stock-Individuen. Sie
sind in beständiger Bewegung, öffnen und schliessen abwechselnd die beiden
Arme der Zange. Man sieht in ihnen verkümmerte Individuen, die zur Rolle von
Vertheidigungsorganen des gemeinsamen Individuen-Stockes herabgesunken sind.
Avicularien hat man zwar noch nicht fossil gefunden. Sie erscheinen aber auch
für die Palaeontologie bedeutsam, da sie in der äusseren Gestalt mit manchen
Brachiopoden, namentlich manchen Teredratula-Aiten nahe übereinkommen.
Die Brachiopoden zeigen nun auch in anderer Hinsicht^nahe Beziehungen zu den
Bryozoen, namentlich sind ihre Jugendformen denen der letzterea ähnlich. Man
vermuthet darnach, dass die Brachiopoden in einer sehr frühen geologischen
Epoche sich von Bryozoen — oder diesen sehr nahe stehenden Verwandten —
abgezweigt haben und die Aehnlichkeit zwischen den Vogelkopf-Individuen der
Bryozoen und dem Gehäuse mancher Terebratulen noch einen späteren Nachklang
der uralten Stammesabzweigung der Brachiopoden von den Bryozoen darstellt.
Die Bryozoen leben in den heutigen Meeren noch häufig in mittleren und
geringen Tiefen. Die als rindenartige Ueberzüge auf Corallen und Conchylien
vorkommenden Arten finden sich selbst noch in der Brandung. In der Tiefsec
finden sich aber noch einige Bryozoen bis zu 2000 und 3000 Faden Tiefe, z. B.
in den Meeres-Abgründen an Japan und bevölkern hier für sich die sonst lebens-
armen Bodenstrecken.
Bryozoen mit kalkig erhärteten Stöcken finden sich von den ältesten fossD-
führenden Ablagerungen an und in einzelnen Schichten in grosser Mannigfaltig-
keit abgelagert. Im cambrischen Systeme glaubt man schon Reste von Bryozoen
erkannt zu haben und in der Primordialzone oder unteren Region des unteren
Silursystems sind sie bereits sicher vertreten. Zahlreich sind sie im mittleren und
oberen Jura und in allen Etagen des Kreide-Systems, sowie des Tertiär-Systems.
Vorwiegend aus Bryozoen-Resten besteht namentlich ein Lager der oberen Kreide.
Bryozoen. 91
die sogen, tuffartige Kreide von Mastricht in Holland. Die flach ausgebreiteten
blattartigen Stöcke von Eschara sind hier besonders häufig.
Man thcilt die meerbewohnenden Bryozoen oder Stemmatopoden (Kranz-
fiissler) in zwei Ordnungen, die sich in der Länge und Mündungsform der Wohn-
zelle, sowie nach dem Vorhandensein oder Fehlen eines Deckels, mit dem das
Thier seine Zelle verschliessen kann, unterscheiden, Cheilostoma und Cychstonia,
Die erste Ordnung, die Cheilostomen oder Meeresbryozoen mit Deckel,
Bryozoa opercuüfera (Flustraceen) begreifen Formen mit kurzer Wohnzelle, deren
Mündung aus dem gemeinsamen Stocke nur wenig hervorragt. Die lebenden
Arten besitzen einen beweglichen Deckel , mit dem das Thier die Mündung
seiner Wohnzelle verschliessen kann. Diese Deckel finden sich aber leider bei
den fossil vorkommenden Formen nicht erhalten. Die Gestalt des Stockes ist
bei ihnen verschieden, doch kommen besonders blattförmige oder unregelmässig
lappige oder maschenformig vernetzte und flächenhafl aufsteigende Stöcke vor,
wie z. B. bei Fhistra^ Eschara, Membranipora, Retepora u. s. w. Aber auch ge-
drängte scheibenförmige Stöcke treten auf, z. B. bei Lunulites, Cupularia u. a.
Die zweite Ordnung der meeresbewohnenden Bryozoen begreift die Cy-
clostomen, auch Tubuliporinen genannt. Sie«besitzen keinen Deckel. Die
Wohnzellen der einzelnen Individuen sind verlängert und treten über die Ober-
fläche des gemeinsamen Stockes hervor. Die Mündung der Wohnzelle ist meist
kreisrund. Aufrechte walzenförmige verästelte Stöcke treten hier häufig auf
Retepora Lam. aus der Ordnung Cheilostomata mit aufgerichtetem, blatt-
förmigem, maschenartig vemetztem Stocke, der nur auf der einen Seite Wohn-
zellen trägt, findet sich mit vielen Arten lebend in den heutigen Meeren, sowie
auch in tertiären Schichten vertreten.
Retepora ceüulosa Lam. (Die Neptuns-Manschette) lebt im Mittelmeer und
der Nordsee und ist auch fossil vertreten in der mittleren Tertiärformation zu
Turin, im Wiener Becken u. s. w.
Eine Menge mit Retepora nahe verwandter Gattungen mit maschig ver-
netztem Stocke finden sich schon in palaeozoischen Schichten, z. B. Fenestelia
in devonischen und permischen Ablagerungen.
Durch besonders seltsame Gestalt ausgezeichnet ist Archimedipora Archi-
^lEDES Lesueur., aus dem Kohlenkalk von Kentucky. Der blattförmig ausgebreitete
Stock dreht sich in zahlreichen Windungen schraubenförmig um seine Achse.
Alecto Lamx. (Stomatopora Bronn), Ordnung der Cyclostomen, besteht aus
längeren oder kürzeren kegelförmigen, gegen vom sich verdickenden, röhren-
förmigen Zellen, die auf fester Unterlage (kriechend) aufwachsen. Die Zellenmündung
ist oval und nicht aufgerichtet, wie bei der sehr ähnlichen, aber von Milne Edwards
den Röhren-Corallen zugewiesenen devonischen Gattung Aulopora Goldf.
AUcto dichotofna Lamx. ist eine kleine Bryozoe, im mittleren und oberen Jura
nicht selten. Die nur etwa i — 2 Millim. langen aufgewachsenen, sonst aber frei
verlaufenden Röhrenzellen knospen je zwei oder drei hinter einander, je eine
Tochterzelle aus dem vor der Mündung gelegenen vorderen und unteren Rande
der Mutterzelle, dann gabelt sich die zweite oder dritte Generation an derselben
Stelle in zwei Tochterzellen. Häufig in den Spongitenkalken des oberen Jura
von Franken und Schwaben.
Lunulites Lam. aus der Ordnung der Cheilostomen hat einen — wahrschein-
lich in der Jugend aufgewachsenen, vielleicht an Seepflanzen sitzenden, im Alter
92 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
freien — Scheiben- oder flach kegelföimigen Stock mit flach ausgehöhlter
Unterseite. An der flach gewölbten Oberseite öffnen sich die viereckig-runden
Mündungen der vom Mittelpunkt in Radien regelmässig ausstrahlenden, zugleich
aber auch concentrische Kreise bildenden Wohnzellen, sie stehen durch Sprossen-
Canäle miteinander in Verbindung. Lunuätes- Alten finden sich in der oberen
Kreide und in Tertiär-Schichten. Die Gattung Cupularia Lamx., ebenfalls ein
Cheilostome, ist ähnlich, aber die Zellenmündungen stehen auf der Oberseite in
mehreren vom Scheitel des Stockes ausstrahlenden Spiralreihen. Arten ebenfalls
in der oberen Kreide und in Tertiärschichten.
Wir müssen mit den Meeres-Bryozoen abschliessen. Bronn (1858) führt 1442
fossil bekannte Arten auf. Seither ist ihre 2^hl noch weiter angewachsen.
Barrande (1872) kennt allein in der silurischen Formation schon 478 Arten.
Es giebt in der heute lebenden Fauna auch einige Gattungen Süsswasser-
Bryozoen (Plumatella^ Cristatella, Alcyonella) y die in stehenden und langsam
fliessenden Gewässern an Wasserpflanzen, an Steinen und an Holzstücken sitzen.
Sie bilden gleich den Meeresbryozoen Stöcke, in denen die röhrenförmigen In-
dividuen sich durch Knospung vermehren, aber die Hautdecke bleibt weich oder
lederartig, scheidet keinen Kalk ab und eignet sich daher nicht zur fossilen
Erhaltung. Bei diesen Süsswasser -Bryozoen (Lophopoda^ Plumatelliden oder
Federbusch-Bryozoen) stehen die zahlreichen Fühler auf zwei armartig vortretenden,
den Mund in Hufeisenform umgebenden Hervorragungen, die an die ähnlichen
Organe bei Brachiopoden und bei Acephalen erinnern. Dies ist das sogen.
Lophophor oder der Fühlerträger.
Die einzigen hartschaligen Theile der Lophopoden sind die verhältniss-
massig grossen mit Stacheln, die in ein paar kurze Widerhaken enden, be-
setzten überwinternden Eier oder sogen. Wintereier (Statoblasten). Sie haben
äusserlich grosse Aehnlichkeit mit den überwinternden Conjugations-Sporen der
Desmidiaceen (einzellige Algen). Aehnliche Körperchen kommen fossil in Feuer-
steinen der oberen Kreideformation vor, Ehrenberg beschrieb sie als Desmidia-
ceen, TuRPiN hielt sie flir hartschalige Bryozoen-Eier. Sonst ist von Lophopoden
noch keine Spur fossil vorgekommen. Wahrscheinlich waren sie aber in den
früheren Perioden reichlich vertreten und ihre zwei den Mund umstehenden
Arme deuten auf uralten Stammesverband mit den ältesten Ursprüngen der
Brachiopoden und Acephalen.
Carbonate
von
Professor Dr. Kenngott.
Die Kohlensäure, auch Kohlendioxyd genannt, CO^ aus 27,27} Kohlen-
Ktoff und 73,73 1( Sauerstoff bestehend, gehört als Bestandtheil von Mineralen zu
denjenigen wenigen Stoffen, welche allgemein verbreitet sind und in sehr grosser
Menge* vorkommen, während sie flir sich als Gas in der Erdrinde vorkommend
i»inc* ufitrr^,#'«;nlnctc Rolle spielt. Die Verbindungen der Kohlensäure mit gewissen
^»gcnMiifiirn MM«irn, Saucrstoflverbindungen verschiedener Metalle, werden im
AU|(CMi«'iii<'ri i Mrboniilc genannt (von dem lateinischen Namen Carhonmm des
KohlrnM«/fft»; lind dicNc sind entweder wasserfreie oder wasserhaltige.
IJcticrMu» WM htig uU Minerale sind die wasserfreien Carbonate, von denen die
Kenn^oll, Uinenloji« "Ml L.
Tij.l.
K*.3.
Kenngötr. Mmenlo^ie l^IL
R*Ä.
Rj.;iO.
H^. 28.
Fi^. 19.
«R
m, 22.
•efR
Äfr 26,
n§.23
?i^.24.
Fig. 29.
Rg. 27.
Fig. 30
Hit. 31.
Tig. 32.
Fig. 33
Carbonate. 93
wichtigsten hier beschrieben werden sollen, während die wasserhaltigen, bis auf
wenige Ausnahmen untergeordnete Bedeutung haben.
Die wasserfreien Carbonate sind Verbindungen der Kohlensäure mit Basen,
deren allgemeine Formel RO ist, wie mit Kalkerde (Calciumoxyd, CaO),
Magnesia (Bittererde, Magnesiumoxyd, MgO), Strontia (Strontiumoxyd, SrO),
Baryterde (Baryumoxyd, BaO), Eisenoxydul (FeO), Manganoxydul (MnO),
Kobaltoxydul (CoO), Zinkoxyd (ZnO) und Bleioxyd (PbO). Alle diese Ver-
bindungen sind nach der allgemeinen Formel RO • CO^ (wofür neuerdings RCO3
geschrieben wird) gebildet und zwar in der Weise, dass in solchen Verbindungen
entweder nur eine Basis allein auftritt, oder dass darin auch zwei oder mehr zu
gleicher Zeit als basische Bestandtheile enthalten sind, wodurch die einzelnen
Mineralarten in der Reihe der Carbonate in ihrer Abgrenzung gegeneinander nicht
immer scharf genug geschieden werden können. Es sind hierbei die Arten nach
den in der Verbindung als wesentlich hervortretenden Basen zu trennen. In
kiystallographischer Beziehung sind diese Verbindungen RO • CO^ bis auf eine
Ausnahme darin bemerkenswerth, dass sich zwei Reihen aufstellen lassen, näm-
lich hexagonale Species mit rhomboedrischer Hemiedrie und orthorhom-
bische. Unter allen diesen Carbonaten ist die wichtigste Verbindung die
kohlensaure Kalkerde CaO • COj (das Calciumcarbonat CaCOj), welche
zugleich dimorph ist, zwei krystallographisch verschiedene Arten bildet, den hexa-
gonalen Calcit und den orthorhombischen Aragon it.
I. Der Calcit (so benannt als Carbonat des Calciumoxydes, der Kalkerde),
auch schlichthin Kalk genannt, ist eine durch ihre weite Verbreitung und
mxissenhafte Ausbildung mineralogisch und petrographisch höchst wichtige Species,
welche unter allen bis jetzt bekannten Mineralen die grösste Mannigfaltigkeit der
Ausbildung zeigt, wesshalb viele Varietäten unterschieden wurden.
Er findet sich zunächst ausserordentlich häufig krystallisirt und die Krystalle
sind fast immer aufgewachsene, in den verschiedensten Hohlräumen von Gebirgs-
arten, in Gängen, Adern, Drusen, Nestern und in Blasenräumen, von sehr ver-
schiedener Grösse, Schönheit und Vollkommenheit der Ausbildung, sehr gross
bis mikroskopisch klein. Die Krystalle zeigen gegenüber anderen Arten die
grösste Zahl verschiedener Gestalten, einfache und zahlreiche Combinationen.
Unter den bekannt gewordenen Gestalten sind besonders zahlreich die Rhom-
boeder (über 50) und die Skalenoeder (über 150). Unter den Rhomboedem ist
als Gnindgestalt, von welcher alle anderen Gestalten ableitbar sind, das Rhom-
boeder R mit dem Endkantenwinkel = 105° 5' ausgewählt worden; parallel den
Flächen desselben sind die Krystalle und der krystallinische Calcit überhaupt
vollkommen spaltbar und wegen dieser vollkommenen Spaltbarkeit wurde der
trystallisirte und der deutlich krystallinische Calcit Kalkspath (späthig soviel
als spaltbar) genannt, dieser Name auch als Speciesname gebraucht.
Das als Grundgestalt gewählte Rhomboeder R^) findet sich verhältnissmässig
selten für sich als Krystallgestalt, häufig dagegen in Combinationen, öfterer aber
iiir sich das stumpfere Rhomboeder in der Gegenstellung ^R' mit dem Endkanten-
i^-inkel = 134^57' und das spitzere Rhomboeder in der Gegenstellung 2R' mit
dem Endkantenwinkel = 78° 51'. Ausser diesen drei Rhomboödern sind noch
beispielsweise zu nennen das spitzere Rhomboc^der ^R' mit dem Endkantenwinkel
') (Siehe die auf Tafel I und II angegebenen wichtigsten einfachen Gestalten, denen auch
einige Combinationen beigefügt sind, welche als solche, oder als Träger fiächenreicherer Com-
binationen vorkommen.)
94 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
= 95° 28', das spitze |R' mit den Endkanten = 88°i2', das spitzere 4R mit den
Endkanten = 65° 48', das spitze Rhomboeder 8R' mit den Endkanten = 60^33'»
das spitze Rhomboeder 16 R mit den Endkanten =s 60° 20', das stumpfe Rhom-
boeder |R mit den Endkanten = 156° 2'. In Betreff der" angegebenen Winkel
ist zu bemerken, dass der Endkantenwinkel der Grundgestalt R 105^5' ein Mittcl-
werth ist, im Allgemeinen die Messungen verschiedener Vorkommnisse um 105"
herum schwanken, worauf besonders stellvertretende unwesentliche Bestandtheile
Einfluss haben. Auf den Mittelwerth 105^5' beziehen sich die übrigen Winkel-
angaben der von R abgeleiteten Gestalten und für die Rhomboeder wrd gewöhn-
lich nur der Endkantenwinkel angegeben, während der Seitenkantenwinkel der
Ergänzungswinkel des Endkantenwinkels zu 180° ist.
Häufig finden sich die Schlussglieder der Rhomboederreihe, die Basisfläche
oR in Combination, sowie das normale hexagonale Prisma 00 R, oft beide mit-
einander, desgleichen auch das diagonale hexagonale Prisma Rex>, das Endglied
der spitzen Skaleno^der. Unter den Skalenoedem findet sich am häufigsten das
spitze Skalenoeder R3 (oft für sich allein); es hat die Endkanten winkel 144^24'
und 104° 38', die Seitenkantenwinkel = 132^59', häufiger sind die spiteen, weniger
häufig die stumpfen Skalenoeder; als Beispiele sind nachfolgende anzuführen: R2,
desser^ Endkanten = i55°'50 und io2°ii', die Seitenkanten = ii3°45', R5 mit
den Endkanten = 134° 28' und 109°!', den Seitenkanten = 150^44'; JR3 mit den
Endkanten = 154° 24' und 138^5', den Seitenkanten 64^54' und 2R'2 mit den
Endkanten = 153^16' und 92^9' und den Seitenkanten = 135° 18'. Seltene Ge-
stalten sind die dodekagonalen Prismen und diagonale hexagonale P3rramiden.
Die Zahl der Combinationen, von denen oft sehr flächenreiche beschrieben
worden sind, ist überaus gross, indem bereits über 800 bekannt sind und immer
wieder neue gefunden werden. Nach der Ausbildung der vorherrschenden Ge-
stalten sind sie stumpf- oder spitz- rhomboedrische, spitz- oder stumpf-skalenot-
drische, prismatische, lang- oder kurz-prismatische und basische oder tafelartige.
Die grosse Mehrzahl der Combinationen zeigt das normale hexagonale Prisma 00 R,
oder das Rhomboeder JR' oder das Rhomboeder 2R' oder das Skalenoeder Rü
als vorherrschende Gestalt. Die Krystalle zeigen ausser unregelmässiger Aus
bildung, welche bei einem so vielfach krystallisirten Minerale nicht auffallen kann,
die Flächen einzelner Gestalten häufig gestreift, auch drusig bis rauh, selbst ge-
krümmt und sogar die Spaltungsflächen sind bisweilen gestreift oder gekrümmt,
obwohl sie im Allgemeinen vollkommen sind. Bei der starken Krystallisations-
tendenz des Minerals beobachtet man oft interessante Wachsthumsverhältnisse,
wie z. B. Ueberwachsungen in bestimmter Form ausgebildeter Krystalle mit Wechsel
in der Gestalt, wodurch die durch Ueberwachsung gebildeten Individuen eine
andere Combination zeigen, als der von der vergrössemden Substanz umschlossene
Krystall. Solche über\vachsene Krystalle sieht man bisweilen deutlich im Inneren
und kann sie mitunter herauslösen. In der Regel findet man dann auf der Ober-
fläche des überwachsenen Krystalles kleine Kry ställchen eines anderen Mineralen
oder pulverulente Substanz als Ueberzug, welcher die Vergrösserung der IndiNi-
duen nicht hinderte, dagegen Einfluss auf den Wechsel der Form ausgeübt zu
haben scheint.
Die Krystalle enthalten auch oft andere Minerale als zufällige Einschlüsse,
welche Erscheinung sowohl hier, wie bei anderen Mineralen insofern von Interesse
ist, als man dadurch auf gewisse genetische Verhältnisse schliessen kann. Solche
Einschlüsse anderer Minerale haben im Allgemeinen keinen besonderen £influ$>
Carhonate. 95
auf die äussere Fonn, zumal die Krystallisationstendenz des Calcit eine so emi-
nente ist, dass selbst grosse Mengen eingeschlossener fremder Substanz vorhanden
sind und die Calcitkrystalle doch ihre bestimmte Gestalt haben. Das interessan-
teste Beispiel dieser Art sind die mit feinem Sand erfüllten spitzen Rhomboeder 2R'
von Bellecroix bei Fontainebleau böi Paris, welche krystallisirter Sandstein
genannt wurden, weil sie wie Sandstein aussehen. Die quantitative Untersuchung
ergab 50 bis 80^ Sand. Solche Krystalle fanden sich auch an anderen Orten,
wie bei Sievring unweit Wien, bei Brilon in Westphalen u. a. m. Wie hier der
Sand, so können auch andere Mineralsubstanzen in grosser Menge in Calcit-
krystallen eingeschlossen sein, wie z. B. feinschuppiger Chlorit in Skalenoedem RS
im Tavetschthale in der Schweiz.
Oft bilden die Calcitkrystalle Zwillinge und zwar nach verschiedenen Gesetzen,
so nach den Flächen des Rhombo^ders R Contactzwillinge, wobei die Hauptachsen
beider Individuen unter 90^48' gegeneinander geneigt sind, femer nach den Flächen
des Rhombo^ders ^R', wobei die Hauptachsen beider Individuen unter i27°3o' gegen
einander geneigt sind, und nach dem normalen Prisma 00 R, wobei aber die Basis-
fläche Verwachsungsfläche ist und die Hauptachsen beider Individuen zusammen
faDen. Solche besonders bei dem Skalenoöder R3 (Fi«^. 32 u. 33 auf Tafel II) und
damit zusammenhängenden Combinationen ausgebildet bilden Contact- und auch
Penetrationszwillinge. Besonders häufig erscheinen die Krystalle gruppirt, z. Th.
mit homologer Stellung der verwachsenen Individuen, so reihenförmige, treppen -
förmige, oder pyramidale Gruppen bildend, z. Th. mit divergirender Stellung, so
büschelige, garbenförmige, rosettenförmige oder kugelige Gruppen bildend. Solche
Grappen gehen bei undeutliche4r Ausbildung der nach aussen sichtbaren Krystall-
theile über in kuglige, konische, zapfen- und röhrenförmige, plattenförmige u. a.
Gestalten, welche im Inneren eine stenglige bis fasrige krystallinische Absonderung
zeigen. Hierbei sind besonders zu erwähnen die sogen. Tropfsteinbildungen
des Calcit, welche in den sogen. Tropfsteinhöhlen sehr häufig und z. Th. in
grossartigem Maassstabe auftreten. Durch das an den Wänden oder von der
Decke durchsickernde Wasser, welches das Kalkcarbonat aufgelöst enthält und
zwar als Bicarbonat, mit doppelt soviel Kohlensäure, setzt den Calcit ab, indem
die Hälfte der Kohlensäure an der Luft entweicht und es entstehen dadurch
krammfiächige Ueberzüge an den Decken und Wänden, an denen sich durch
weitere Absätze aus dem fortwährend durchsickernden Wasser stalaktitische Ge-
stalten der verschiedensten Form ansetzen, von denen die konischen, zapfen-
förmigen bis säulenförmigen im Inneren und Aeusseren am regelmässigsten gestaltet
sind, von den Decken und schrägen Wänden einzeln oder miteinander verwachsen
herabhängen. Solche Gestalten bauen sich auch vom Boden aus durch herab-
tropfendes Wasser auf und werden im Gegensatze zu den herabhängenden, den
Stalaktiten, Stalagmiten genannt. Auf diesen Unterschied ist indess kein grosser
Werth zu legen, weil man bei anderen Mineralen, welche auch ähnlich gebildete
Absätze aus Wasser bilden, auf diesen Unterschied der Stellung nicht Rücksicht
nimmt, sie allgemein stalaktitische Gebilde nennt. Durch Verwachsung der ein-
zelnen stalaktitischen Gestalten entstehen andere zusammengesetzte krummßächige
Gestalten und alle solche Vorkommnisse werden als Kalksinter oder Sinter-
kalke benannt, wozu dann noch Absätze aus abßiessendem Quellwasser gerechnet
werden, welche lagenweise übereinander gebildet, z. Th. mächtige Massen bilden.
Dieselben haben auch, wie die Tropfsteinbildungen dies oft deutlich zeigen, eine
der Oberfläche entsprechende krummschalige Absonderung, während in der Rieh-
96 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
tung des Aufbaues stengiige bis fasrige Absonderung zu bemerken ist, weniger
wie bei grossen stalaktitischen Gebilden krystallinisch-kömige bis blättrige.
Bevor noch andere Varietäten des Calcit erwähnt werden, ist in Betreff der
Eigenschaften des Calcit überhaupt anzuführen, dass derselbe vollkommen un-
metallisches Aussehen hat. Er ist, wenn e/ ganz rein ist, weiss, und bei voll-
kommener Durchsichtigkeit farblos. Das in dieser vollkommensten Reinheit aus-
gezeichnetste Vorkommen ist als sogen, isländischer Doppelspath bekannt
Dieser findet sich als grosskrystallinisch-körnige Ausfüllung einer etwa i Meter
breiten und gegen 8 Meter langen Spalte am nördlichen Ufer des Rodefjordcs
auf der Ostküste von Island vor, welche in Dolerit bis zu unbekannter Tiefe
fortsetzt. Dieser durch seine Reinheit und Klarheit ausgezeichnete Kalkspath
wurde Doppelspath genannt, weil man durch ihn die Gegenstände doppelt
sieht und diese Eigenschaft, die doppelte Strahlenbrechung, an ihm entdeckt
wurde. Kalkspath von anderen Fundorten zeigt übrigens diese Eigenschaft auch,
wenn er durchsichtig genug ist.
Ausser weiss, beziehungsweise farblos, findet sich der Calcit gefärbt, grau,
gelb, roth, braun, schwarz, grün, blau und lila und die Farben sind gewöhnlich
durch Beimengungen bedingt, er ist durchsichtig bis undurchsichtig, hat glas-
artigen Glanz, bisweilen in Wachsglanz geneigt oder bis perlmutterartigen, be-
sonders auf den Basisflächen. In der Stärke wechselt der Glanz von spiegel-
flächig glänzenden Krystall- oder Spaltungsflächen an bis zum Matten. Das Stiich-
pulver ist weiss oder wenig gefärbt, bei Varietäten, welche durch Pigmente, vne
Kohlenstoff, Eisenoxyd, Eisenoxydhydrat u. a. stark gefärbt sind. Er ist wenig
spröde und hat eine geringe Härte, welche als H. = 3 als dritter Härtegrad bei
der Bestimmung anderer Minerale bezeichnet wird, wie sie am krystallisirten
Calcit und an deutlich spaltbaren krystallinischen gefunden wird, während ge-
wisse Varietäten, wie der dichte und erdige weniger hart sind. Das spec. Gew.
im Mittel «= 2,7, variirt wenig, zwischen 2,6 — 2,8, selten werden diese Grenzen
durch besondere Umstände überschritten.
Die chemische Formel des Calcit ist CaO • CO, oder CaCO, entsprechend
56^ Kalkerde und 44^ Kohlensäure, doch ist damit nur die wesentliche Zusammen-
setzung ausgedrückt. Kein Calcit ist absolut reine kohlensaure Kalkerde in dem
angegebenen Verhältnisse, selbst nicht der isländische Doppelspath, in welchem
von Stromeyer in 100 Theilen 56,15 Kalkerde, 43,70 Kohlensäure und 0,15 Eisen-
und Manganoxyd gefunden wurden. Die Abweichungen von der wesentlichen
Mischung und Formel werden entweder durch sogen, stellvertretende Bestand*
theile hervorgerufen, indem weniger oder mehr geringe Mengen anderer Basen
einen Theil der Kalkerde ersetzen, wie namentlich oft Magnesia, oder Eisen-
oxydul, Manganoxydul, Bleioxyd (in der Plumbocalcit genannten Varietät\
Zinkoxyd (in der Spartait genannten Varietät), Baryterde (in der Neotyp ge-
nannten Varietät), durch welche stellvertretende Basen zum Theil Winkel-
difTerenzen, sowie Unterschiede im Gewicht und in der Härte bedingt werden.
Oder es finden sich, was noch häufiger der Fall ist, fremdartige Substanzen bei-
gemengt, wie sehr oft Eisenoxydhydrat, Eisenoxyd, Manganverbindungen. Kohlen-
stoff, Bitumen, Kieselsäure, Thon u. s. w.
Der Calcit ist in kalter verdünnter Salzsäure mit starkem Aufbrausen löslich.
wobei die Kohlensäure entweicht und wenn man der Lösung etwas Schwefel-
säure zuscUt. so entsteht ein meist teinkrystallinischer weisser Niederschlag >«»n
Clyps. Vor dem Löthrohre erhiut verliert er die Kohlensäure und die Kalkcrde
Gurbonate. 97
bleibt zarttck, (er brennt sich kaustisch), welche bei dem starken Erhitzen
leachtet (phosphorescirt). An der Luft ist er beständig, dagegen wird er im
Inneren der £rde sehr langsam durch Wasser, besonders Kohlensäure enthaltendes
aufgelöst, welche Lösung zur Bildung der Krystalle in Hohlräumen, der Tropf-
steine und Sinterkalke und anderer Varietäten Veranlassung giebt.
Als Varietäten des Caldt sind noch nachfolgende anzuführen, welche meist
in grossen Massen als Gebirgsarten (Gesteinsarten, s. d. Artikel) vorkommen und
deshalb hier nur in Kürze erwähnt werden:
Der krystallinisch -körnige Kalk oder Marmor. Derselbe zeigt in der
Grösse des Kornes grosse Verschiedenheit, ist gewöhnlich grob-, klein- bis fein-
körnig und zeigt auf den frischen Bruchßächen der Stücke die glänzenden
Spaltungsflächen der miteinander verwachsenen Krystallkömer. Aus diesem Grunde
entstand von dem griechischen Worte ^marmaireint glänzen oder schimmern, oder
*marmaros€ glänzend, schimmernd, der Name Marmor, weil die schon in alten
Zeiten von Griechen und später von Römern zu Statuen, Tempeln u. s. w. ver-
wendeten klein- und feinkörnigen Kalke, selbst verarbeitet, immer diesen eigen-
thümlichen Glanz bis Schimmer zeigen. Dadurch lassen sich die krystallinisch-
kömigen Kalke jederzeit als solche leicht erkennen und unterscheiden, weshalb
es zweckmässig ist, wenigstens mineralogisch diese Varietät ausschliesslich Marmor
zu benennen, abgesehen von dem viel weiter gehenden Gebrauche (oder vielmehr
Missbrauche) des Namens Marmor. Die klein- und feinkörnigen, wenn sie weiss
sind, heissen im Besonderen Statuenmarmor wegen der bevorzugten Ver-
wendung. Als solche waren schon im Alterthum bekannt und berühmt der
pari sehe Marmor, das Material der griechischen Künstler in ihrer höchsten
Blüthe, von der Insel Faros, der pentelische Marmor im Norden von Athen
vorkommend, woraus die Akropolis gebaut ist, der seit der römischen Kaiserzeit
geschätzte lunensische oder carrarische Marmor, welcher auf der Westseite
der appeiminischen Alpen bricht, die im Golf von Spezzia steil an das Meer treten
und bis zum Gipfel von 1570 Meter Höhe dieses herrliche Gestein bilden. Es
zeichnet sich durch grosse Reinheit aus. Als Statuenmarmor erfordert der Marmor
zum künstlerischen Gebrauche überhaupt diese Reinheit und eine gewisse Gleich-
massigkeit der Ausbildung, um möglichst grosse Blöcke davon gewinnen zu
können^ während die Farbe des Marmors durchaus nicht immer die weisse ist.
Geringe Mengen beigemengter fremder Substanzen verändern die Farbe, wodurch er
wie die Krystalle des Calcit ins Graue, Gelbe, Braune, Blaue, Rothe und Schwarze
übergeht Solche gefärbte Marmore werden auch vielfach gebraucht, auch eigens
benannt, wie der schwarze wegen des Kohlenstoffgehaltes Anthrakolith, der
mit Glimmerblättchen durchwachsene Ci polin, der mit Serpentin durchzogene
Ophicalcit, der mit Brucit durchwachsene von Predazzo in Tyrol Predazzit
u. a. m. Die weissen oder hell gefärbten Marmore sind an den Kanten durch-
scheinend, dunkel geerbte bis undurchsichtig. Der Glanz verliert sich allmählich
mit der Abnahme der Grösse des Kornes, mit welcher der Marmor in dichten
Kalk übergeht
Der krystallinisch-blättrige Kalk (Schieferspath genannt) ist selten
und wird als feinschuppiger auch Schaum erde genarmt
Der dichteKalk, gewöhnlich Kalkstein genannt, bei plattenfbrmiger Ab-
sonderung auch Kalkschiefer, erscheint unkrystallinisch dicht, hat im Grossen
moschligen bis fast* ebenen Bruch und die Bruchflächen sind dabei oft splittrig.
Derselbe bildet massenhaft vorkommend ein wichtiges Gebirgsgestein, ist nie ganz
KxvNCOTT, Min., Gcol. u. Pal. L 7
9B Mineralogie, Geologie and Palaeontologie.
rein, daher nicht weiss, sondern immer gefärbt, bisweilen schwach, gewöhnlich
grau bis schwarz, gelblichgrau, graulichgelb bis braun, röthlichbraun bis roth.
Die Färbung ist einfach oder bunt, bisweilen mit verschiedenartiger Farben-
zeichnung, aus welchem Grunde solche Kalksteine auch geschnitten und ge-
schliffen verarbeitet ein schönes Aussehen haben und bunter Marmor heissen.
Der Kalkstein ist wenig durchscheinend bei heller Färbung, kantendurchscheinend
bis undurchsichtig, wenig schimmernd bis matt. Nach den Beimengungen führt er
auch verschiedene Namen, wie krystallinische Kalke, so heisst Anthrakolith oder
Anthrakonit, auch Kohlenkalk der graue bis schwarze, durch Kohlenstoff ge-
färbte, Siderokonit der durch Eisenoxydhydrat gelb bis braun gefärbte, Stink-
kalk der mit kohlig-bituminösen Substanzen erfüllte, welcher beim Zerschlagen
oder Reiben unangenehmen Geruch entwickelt, Kieselkalk der mit Kieselsäure
gemengte, Mergel- oder Thonkalk der mit Thon gemengte u. a. m. Als Ge-
birgsgesteine enthalten die Kalksteine sehr häufig Versteinerungen, nach denen sie
in geologischer Beziehung Namen führen, wie z. B. Enkrinitenkalk, Nummuliten-
kalk, Orthoceratitenkalk, Muschelkalk u. dergl. Ein solcher Muschelkalk ist auch
der triasische M u sehe Im arm or vom Bleiberge in Kämthen, welcher als dunkel-
grauer Kalkstein viele Muscheln und Schaalentrümmer von Ammoniten enthält,
welche letzten besonders wie Perlmutter die schönsten bunten Farben zeigen.
Aus diesem Grunde wird er vielfach verarbeitet, indem durch das Schleifen und
Poliren die Farbeneffecte erhöht werden.
Der erdige Kalk, mächtige Gebirgsmassen bildend, Kreide genannt, fast
schneeweiss, doch immer etwas ins Gelbe ziehend, bis gelblich- oder graulich-
weiss mit fiachm uschiigem Bruche, wegen der feinerdigen Beschaffenheit abfärbend
und zum Schreiben benützt, matt, undurchsichtig und mehr oder minder fest,
besonders wenn Kieselsäure fein vertheilt die erdigen Theilchen etwas bindet,
auch oft Feuersteinknollen enthaltend. Dieser eigenthümliche Kalk besteht bei
300 maliger Vergrösserung aus rundlichen oder elliptischen Kömchen, zwischen
denen mikroskopische Schalen von Foraminiferen liegen. Die Kömchen wurden
für amorphe kohlensaure Kalkerde gehalten und in diesem Sinne die Kreide von
G. Rose als eine eigene Species betrachtet, während diese Kömchen auch mit
den Kokkolithen des Bathybius in Verbindung gesetzt wurden. — Als erdiger
Kalk schliesst sich der Kreide die sogen. Bergmilch an, welche sich in
Höhlungen von Kalkstein als feinerdiger weisser lockerer Absatz findet, wie am
Pilatus in der Schweiz und anderen Orten. Mit Wasser durchfeuchtet bildet
sie eine schmierige Masse und aus den Höhlungen sickerndes Wasser kann durch
sie weiss gefärbt sein, wovon vielleicht der Name Bergmilch (Montmilch)
herrührt.
Der oolithische Kalk, Rogenstein genannt, weil die kleinen runden ver-
wachsenen Kömer an Fischrogen erinnern, früher für versteinerten Fischrogen
gehalten wurden, gleichfalls eine wichtige Gesteinart Derselbe besteht aus kleinen
Kugeln, welche dicht gedrängt mehr oder minder fest miteinander verwachsen
sind, höchstens bis Erbsengrösse haben und bis zur Kleinheit der Mohnsamen
herabgehen. Diese kugligen Gebüde sind bei mikroskopischer Betrachtung
radialfasrig und concentrisch-schalig und deuten dadurch eine mikrokrystallinische
Bildung an.
Der Tuffkalk (auch Kalktuff genannt) gleichfalls als Gebirgsgestein vor-
kommend, ist ein eigenthümlicher, mehr oder weniger löcheriger, zelliger oder
poröser erdiger Kalk, welcher sich in gewissem Sinne mit dem Sinterkalk ver-
Carbonate.
09
gleichen lässt, indem er durch Absatz aus kalkhaltigem Wasser gebildet wird,
welches über mit Moosen und anderen kleinen Pflanzen bewachsene Gestein-
flächen sickert, wobei der an der Luft sich absetzende Kalk die pflanzlichen
Bildungen incnistirt Bei fortgesetzter Bildung unter Erneuerung der Vegetation
wachsen diese Massen zu mächtigen Gesteinen an und werden anfangs locker und
zerbrechlich, allmählich fester und weniger löcherig, weil das die entstandenen
Massen durchdringende Wasser nach Entfernung der pflanzlichen Theile durch
Verwesung auch in den leer gewordenen Räumen Kalk absetzt.
Andere besondere Bildungen, wie der Tuten- oder Nagel kalk werden bei
den Gesteinsarten besprochen werden.
Die Verwendung der verschiedenen Varietäten des Calcit ist eine sehr
vielseitige und ausgedehnte, wie nur erwähnt werden darf, dass die Marmore in
der Bildhauerei und bei Bauten, zur Anfertigimg von Platten, die Kalksteine (ge-
brannt) zur Darstellung des Mörtels, zum Düngen, diese und die Tuflkalke als
Bausteine, die Kreide zum Schreiben, die plattenförmig abgesonderten Kalksteine
in der Lithographie (besonders ausgezeichnet die von Solenhofen an der Altmühl
in Bayern), der sogen. Doppelspath zu optischen Zwecken benützt werden.
2. Der Aragonit (benannt nach dem Vorkommen der zuerst bekannt ge-
wordenen Krystalle in Gyps und Mergel von Molina in Aragonien in Spanien,
am Südabhange der Pyrenäen) krystallisirt orthorhombisch , die Krystalle sind
meist aufgewachsen in Gängen, Adern, Drusenräumen und Nestern, bisweilen
auch eingewachsen. Die Krystalle bilden verschiedene Combinationen, die ge-
wöhnlichste und einfachste Combination, wie sie beispielsweise die Krystalle von
Horschentz bei Bilin in Böhmen zeigen, ist die des orthorhombischen Prisma,
3o P, dessen brachydiagonale Kanten = ii6°io' sind, mit den Längs-Flächen
oc P ^, wodurch ein sechsseitiges Prisma entsteht, in welchem zwei gegenüber-
liegende Kanten = ii6°io' sind, während die vier Combinationskanten des Prisma
(Min. 18-20.)
/
n
\
Pm
/
CP
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«»JP
\
A
y
Jk«
\
Fig. I.
Fig. 2.
Fig. 3.
mit den Längsfiächen 121^55' betragen. Diese Krystalle sind gewöhnlich be-
grenzt (Fig. I.) durch das iJLngsdoma P 00, dessen Endkanten = 108° 26' sind.
Dazu treten auch (Fig. 2.) die Grundgestalt P, die Basisflächen, verschiedene,
besonders scharfe Längsdomen und spitze Pyramiden, wodurch die Krystalle in
der Richtung der Hauptachse ausgedehnt spitz -pyramidal ausgebildet sind,
spiessig bis nadeiförmig. Gewöhnlich sind die Krystalle Zwillinge nach (Fig. 3.)
« P, meist mit mehrfacher Wiederholung, wodurch lang- und kurzprismatische
Krystalle entstehen, welche als sechsseitige an hexagonale erinnern, wobei jedoch
7*
loo Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
die Winkel des sechsseitigen Prisma mehr oder weniger von 120° abweichen.
Solche prismatische Elrystalle sind entweder durch die den einzelnen Individuen
gemeinsame Basisfläche begrenzt oder es erscheint dieselbe durch die Längs-
domen der verwachsenen Krystalle vielfach eingeschnitten. Auch die prismatischen
Flächen sind mit vielen verticalen Einschnitten versehen. Der Aragonit ist deut-
lich spaltbar parallel den Längsflächen 00 P 00, weniger deutlich parallel dem
Prisma cx> P und dem Längsdoma P 00 , die Spaltungsflächen treten wegen der
Zwillingsbildung weniger deutlich hervor; der Bruch ist muschlig bis uneben.
Ausser einzelnen Krystallen bildet der Aragonit stenglige bis fasrige Aggregate,
welche eingewachsene Platten, aufgewachsene Ueberzüge und Krusten bilden oder
Stalaktiten. Die letzteren, ähnlich den Stalaktiten des Caldts, bilden zapfenförmige,
konische oder keulenförmige Gestalten, welche mit einander verwachsen ästige
und dendritische Gebilde darstellen, wie solche in ausgezeichneter Weise die
sogen. Eisenblüthe zeigt, benannt wegen des Vorkommens in Klüften des
Eisenspath genannten Siderit vom Erzberge bei Eisenerz in Steiermark. Die
aus warmen Quellen abgesetzten Krusten und Ueberzüge, aus Krystallfasem zu-
sammengesetzt, z. Th. mit schalenförmiger Absonderung, bilden allmählig grössere
Massen, wie die sogen. Sprudelsteine von Karlsbad in Böhmen. Eine ähnliche
Bildung ist der wolkige honiggelbe durchscheinende sogen. Onyxmarmor von
Oran in Algerien, welchen schon die Römer bearbeiteten. Zu diesen Bildungen
von Absätzen aus warmen kalkhaltigen Quellen gehört auch der sogen. Erbsen-
stein von Karlsbad in Böhmen, welcher ähnlich dem Oolith oder Rogenstein
des Calcit Aggregate von Kugeln darstellt, welche zerschlagen eine concentrisch
schalige Absonderung zeigen und von verschiedener Grösse vorkommend gewöhn-
lich von Erbsengrösse sind, aber auch grösser und kleiner vorkommen. Diese
kugeligen Gestalten zeigen im Innern gewöhnlich einen fremdartigen Kern, um
welchen sich das Kalkcarbonat absetzte und weitere Absätze folgten.
Der Aragonit ist farblos bis weiss, durch Beimengungen gelb bis braun, auch
roth, grün, blau, grau, auf den Krystallflächen glasartig glänzend, der fasrige
seidenartig, sonst schimmernd bis matt, durchsichtig bis fast undurchsichtig. Er
ist spröde, hat die Härte = 3,5 — 4,0, ist entschieden etwas härter als der Calcit
und specifisch schwerer, sein spec. Gew. = 2,8 — 3,0.
Er ist substantiell gleich dem Calcit, kohlensaure Kalkerde, entsprechend der
Formel CaO • CO2» wonach die Substanz CaO • CO^ dimorph ist und nur der Ara-
gonit gegenüber dem Calcit bei Absatz aus wässrigen Lösungen eine höhere Tempera-
tur erfordert. Stellvertretend zeigen manche Aragonite anstatt Kalkerde etwas
Strontia oder andere Basen RO, wie PbO im sogen. Tarnowitzit von Tamowitz in
Oberschlesien. Die Krystalle desselben sind etwas abweichend von denen des
Aragonit, immerhin aber lässt sich derselbe nur als eine Varietät des Aragonit
auffassen.
Das chemische Verhalten des Aragonit ist nahezu dasselbe, wie bei dem
Calcit, indem er auch vor dem Löthrohre unschmelzbar ist und sich bei Verlust
der Kohlensäure kaustisch brennt, desgleichen in kalter verdünnter Salzsäure sich
mit starkem Brausen auflöst Dagegen zeigt er bei dem Erhitzen eine aufiallende,
vom Calcit verschiedene Erscheinung. Erhitzt man nämlich einen Krystall oder
ein Bruchstück eines solchen in einem Glassrohre oder auf einem Platinblechc
langsam, so zerfallt er zu einem bröckligen Pulver oder in kleine unbestimmt
eckige Stückchen, ohne zu zerknistem. Diese Eigenthümlichkeit giebt ein gutes
Unterscheidungszeichen und lässt sich selbst noch in dem Sinne verwerthen, dasb
Carbonate. loi
man bei Varietäten, welche wegen ihrer Beschaffenheit das Zerfallen weniger deut-
lich zeigen, die Probe in der Achatschale zu feinem Pulver zerreibt und dieses
auf einem Platinblech erhitzt. Dann zeigt dasselbe eine Vergrösserung des
Volumens und bleibt ganz locker, während eine Probe von Calcitpulver in
gleicher Weise erhitzt im Volumen etwas schwindet und einen gewissen festeren
Zusammenhang der Theilchen zeigt. Dass dies nicht vom Entweichen der
Kohlensäure allein abhängt, ersieht man am besten, wenn man Pulver des Ara-
gonit und Calcit nebeneinander erhitzt.
Der Aragonit ist nicht selten, findet sich aber nicht als Gesteinsart, sondern
kiystallisirt auf Gängen und Lagern, oder in Blasenräumen vulkanischer Gesteine
in Klüften und Nestern, bisweilen auch eingewachsen, wie in Thon, Mergel und
Gyps, der stalaktitische in Höhlen tmd Klüften, auf Gesteinsoberflächen, der
fasrige als Ausfüllung von Klüften und Spalten, auch als Absatz aus dem ab-
fliessenden Wasser heisser Quellen, wie der Sprudelstein bei Karlsbad in Böhmen,
wo auch der sogen. Erbsenstein vorkommt Als Fundorte schöner krystallisirter
Vorkommnisse sind Molina und Valencia in Spanien, Leogang in Salzburg,
Herrengrund in Ungarn, Cianciana in Sicilien, Horschenz bei Bilin in Böhmen,
Bastennes bei Dax an der Nordseite der Pyrenäen in Frankreich, Dognaczk im
Banat und Offenbanya in Siebenbürgen zu nennen. Eine Verwendung haben
nur die sogen. Sprudelsteine und Erbsensteine bei Karlsbad in Böhmen gefunden,
woraus kleine Ornamente und Utensilien geschnitten werden. Man benützt auch
daselbst den raschen Absatz des Aragonit aus dem heissen Sprudel zur Incrusta-
tion verschiedener Gegenstände.
Den beiden Species, welche die kohlensaure Kalkerde, GaO • CO^ bildet,
dem hexagonalen rhomboedrischen Calcit und dem orthorhombischen Aragonit
schliessen sich die anderen Carbonate der allgemeinen Formel RO • COg an, in-
sofern dieselben hexagonal, rhomboedrisch entsprechend dem Calcit oder ortho-
rhombisch, entsprechend dem Aragonit krystallisiren. Während jedoch die kohlen-
saure Kalkerde CaO • CO3 dimorph ist, zeigen die anderen Carbonate sich ent-
weder nur hexagonal rhomboedrisch oder nur orthorhombisch, bilden mithin zwei
Reihen von Species, von denen die eine sich dem Calcit, die andere dem Aragonit
anschliesst
Die Mehrzahl der Verbindungen RO • CO^ schliesst sich dem Calcit an
und dieselben bilden untereinander verschiedene Reihen von Vorkommnissen,
welche als Species sich nicht scharf von einander abscheiden lassen. Dies
hängt nämlich davon ab, dass wie schon oben erwähnt wurde, nicht allein andere
Basen Species wie die Kalkerde bilden, so die Magnesia den Magnesit,
MgO • CO), das Eisenoxydul den Siderit, FeO • COj, das Manganoxydul den
Rhodochrosit, das Zinkoxyd den Smithsonit und das Kobaltoxydul den
Kobaltspath CoO • COj, sondern dass Species vorkommen, welche zwei solche
Basen, selbst drei als wesentliche Bestandtheile auffassen lassen. Schon der
Calcit und Aragonit, besonders der erstere zeigte, dass neben der kohlensauren
Kalkerde, als der wesentlichen Substanz der Species geringe Mengen anderer
Basen als Stellvertreter der Kalkerde im Calcit und Aragonit aufzufassen sind
und so ist es auch bei den vorhin genannten im Folgenden zu beschreibenden
Arten der Fall. Man beobachtete dabei, dass solche stellvertretende Basen auf
die Winkelverhältnisse und andere Eigenschaften Einfluss haben können und
dass bei der allmählichen Zunahme der stellvertretenden Basen wesentliche
Unterschiede hervorgerufen werden. Wenn z. B. der Calcit CaO • CO^ als
z^2 Mineralogie, Geologie nnd Palaeontologie.
Gnindgestalt das Rhomboeder R mit dem Endkantenwinkel = los"* 5' feststellen
licss, der Magnesit MgO -CO, als Grandgestalt ein Rhomboeder R mit dem
Endkantenwinkel = 107*^28' hat, so zeigen Vorkommnisse des Calcit neben
CaO • CO, einen geringen Gehalt an MgO • CO,, welcher als unwesentlich für
die Art betrachtet wird, desgleichen der Magnesit neben MgO • CO, geringe
Mengen von CaO • CO,, welche gleichfalls als unwesentlich gelten. Wenn da-
gegen der Gehalt an MgO • CO, im Calcit zunimmt, und mit dieser Zunahme
der Endkantenwinkel des Rhomboeder R grösser wird, auch andere Eigenschaften
sich ändern, so bilden Vorkommnisse dieser Art eine fortlaufende Reihe zwischen
den beiden Endgliedern Calcit und Magnesit In solchen Fällen fand man sich
veranlasst, eine Mittelspecies aufzustellen, wie hier den Dolomit, welcher Kalk-
erde und Magnesia als wesentliche Basen enthält, dessen Grandgcstalt das
Rhomboeder R mit dem Endkantenwinkel = 106° 18' ist Die drei Species
Calcit I [ Dolomit j [ Magneat
CaO-CO, } .... |ca,MgO.CO, > .... < MgO • CO,
R 105** 5' ) I R 106° 18' I ' I R 107° 28'
sind aber nicht so scharf geschieden, da.ss der Dolomit genau der Fonncl
CaO • CO, -h MgO • CO, entsprechen mtisste^ wenn auch einzelne Dolomite
genau diese Formel ergeben, sondern es finden allmähliche Uebergänge statt,
welche der einen oder der anderen Species zugezählt werden. So muss man
dolomitischen Calcit und calcitischen Dolomit als Varietäten unterscheiden,
welche einander bei einem gewissen Grenzverhältniss zwischen Calcit und Dolomit
berühren, welches man als der Formel 3 (CaO • CO,) -H MgO • CO, ent-
sprechend feststellen kann. Derartige Uebergänge zwischen gewissen Arten
zeigen, wie schwierig es unter Umständen werden kann, Mineralarten gegen-
einander abzugrenzen und dies findet nicht allein hier bei den Carbonaten,
sondern auch bei anderen Verbindungen statt.
Durch derartige Uebergänge zwischen Species entsteht gewissermaassen ein
Cyklus von Vorkommnissen, welche in der allgemeinen Zusammensetzung und
im Allgemeinen in der Form Verwandschaft zeigen und in ein Geschlecht ver-
einigt werden können, wie hier die rhomboedrisch krystallisirten Carbonate der
Formel RO • CO,. Die noch vorhandenen Lücken stören das Verhältniss der
Verwandtschaft nicht, finden ab und 2u durch neuere Vorkommnisse ihre Erle-
digung, sowie es nicht nothwendig ist, dass die Reihen überall durch gleich
reichlich auftretende Uebergänge vermittelt werden. Dies sind Verhältnisse,
welche mit der Zeit und dem forgesetzten Studium ihre Erledigung ünden, zu-
nächst aber den Beweis liefern, dass die Mineralarten noch lange nicht durch
die bis jetzt bekannten in ihrer Zahl erschöpft sind.
Die Carbonate bieten in dieser verwandtschaftlichen Beziehung ein reiches
Bild, wie man am besten aus nachfolgender Zusammenstellung ersieht, wobei
die Mittelglieder durch zwei wesentliche Basen ausgedrückt sind. Diese rhom-
boedrisch krystallisirenden Carbonate der allgemeinen Formel RO • CO, gehen
vom Calcit aus, welcher in jeder Beziehung allen anderen voransteht, sowohl in
der Reichhaltigkeit der Formen, als auch in der Mannigfaltigkeit des Vorkommens
bei allgemeinster Verbreitung.
Carbonate.
103
Calcit
• CaOCOj •
Dolomit
Ca, MgO . CO3
I
Magnesit
MgO . CO,
Ankerit
Ca, FeO • CO2
Röpperit
Ca, MnOCOj
Siderit
FeOCOjj
Rhodochrosit
MnO . CO2
I
Mesitin , Oligonit
Mg, FeO. CO, ' Fe,MnO.COa
Kapnit
Fe, ZnO • CO,
Smith sonit
ZnO . CO2
Kobaltspath
CoOCO,
Von diesen Species sind einzelne, namentlich wegen der Verwendung wich«
tig, während andere von untergeordneter Bedeutung sind. Im Hinblick auf den
oben beschriebenen Calcit können bei der Beschreibung auch die Vorkommnisse
mit jenem verglichen werden.
3. Der Dolomit (zu Ehren des französischen Geologen Dolo^ueu benannt,
welcher zuerst gewisse krystallinisch-kömige als Gesteinsart vorkommende Dolo-
mite vom Marmor unterschied, mit welchem sie viel Aehnlichkeit haben), auch
Bitterkalk genannt gegenüber dem Namen Kalk des Calcit wegen der zweiten
wesentlichen Basis, der Magnesia, welche auch Bittererde heisst. Diese Speoies
krystallisirt wie das Calcit hexagonal-rhomboedrisch und als Grundgestalt wurde
das Rhomboöder R mit dem Endkanten winkel = 106^18' aufgestellt, wobei
gleichfalls zu bemerken ist, dass dies nur ein mittlerer Winkel ist, um welchen
herum die Messungen schwanken, was zum Theil in den Schwankungen der Zu-
sammensetzung beruht, z. Th. auch in der Schwierigkeit der Winkelbestimmungen
wegen der Ausbildung der Flächen. Die meist wie bei Calcit in Hohlräumen ver-
schiedener Art aufgewachsenen, bisweilen auch eingewachsenen Krystalle sind
weit ärmer an einfachen Gestalten und Combinationen. Bermerkenswerth ist
hierbei das häufige Auftreten der Grundgestalt fUr sich, weshalb nach diesem
Rhombenflächner der krystallisirte Dolomit auch Rautenspath genannt wurde,
ausser diesem finden sich noch andere Rhomboeder wie ^R', 2R', 4R, z. Th.
iür sich oder in Combinationen, wozu auch die Basisflächen und das normale
hexagonale Prisma 00 R kommen, selten Skalenoeder, wie R3. Die Krystall-
flächen sind häufig concav und convex gekrümmt, die Rhomboeder R meist am
besten ausgebildet, häufig rauh und drusig durch homologe Verwachsung vieler
kleiner Krystalle zu grösseren. Auch Zwillinge kommen vor, wie nach ^R' und
bei tafeiartiger Bildung auch solche, deren Verwachsungsfläche die Basis ist.
Die Krystalle sind oft gruppirt, radial, garbenförmig, und die Gruppen gehen in
kugelige, traubige, nierenförmige Gestalten über. Er findet sich auch stenglig
bis fasrig, besonders als Ausfüllung von Spalten und Klüften. Selten ist er
oolithisch ausgebildet, wie zu Zepce in Bosnien und Rakoväc in Slavonien.
Massenhaft ist das Vorkommen des krystallinisch-körnigen Dolomit als Ge-
I<H Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Steinsart, wie in Tyrol, in der Schweiz und der schwäbischen Alp, welches dem
Marmor entspricht, im Allgemeinen aber ist derselbe klein- bis feinkörnig, übei-
gehend in dichten, wozu auch der kieselhaltige Gurhofian von Gurhof, EU und
Karlstätten in Oest^rreich und der kieselhaltige Konit von Frankenhain am
Fusse des Meissner in Hessen gehört. Der krystallinisch-kömige ist oft dnisig*
kömig, zellig bis löcherig oder porös, bisweilen auch locker-kömig, durch dessen
Zerfallen sogen. Dolomitsand gebildet wird.
Der Dolomit ist vollkommen bis deutlich parallel der Gmndgestalt spaltbar,
bisweilen sind die Spaltungsflächen gekrümmt. Im Bruche ist er muschlig, un-
eben bis splittrig. Der vollkommen reine ist weiss oder farblos, wenn er durch-
sichtig ist, gewöhnlich wenig gefärbt, grau, gelb bis braun (sogen. Braunspath),
roth, grün und schwarz, durchsichtig bis undurchsichtig, glasglänzend, oft auch
perlmutterartig glänzend (daher der Name Perlspat h) oder wachsartig, schimmcrad
bis matt. Das Pulver ist weiss oder blass gefärbt. Die Härte ist = 3,S'~4f5»
also entschieden höher als bei Calcit, desgleichen auch das spec. Gew. = 2,8—3,0.
Er wird durch die Formel Ca, MgO • CO3 bezeichnet, um auszudrücken,
dass die beiden wesentlichen Basen in ihrem gegenseitigen Verhältnisse wechseln.
Manche Dolomite ergaben das Verhältniss CaO • CO,-l-MgO • CO, und werden
als Normal-Dolomit bezeichnet. Sie enthalten 54,3 J kohlensaure Kalkerde und
45,7 kohlensaure Magnesia oder 30,4}} Kalkerde, 21,8 Magnesia, 47,8 Kohlensäure.
Andere Dolomite und zwar die grosse Mehrzahl der Vorkommnisse schwanken
innerhalb gewisser Grenzen, welche gegen den Calcit hin mit 43,75 J Kalkeide,
10,42 Magnesia und 44,83 Kohlensäure, gegen den Magnesit mit 15.91 f Kalk-
erde, 34,09 Magnesia und 50,0 Kohlensäure fixirt werden können. Ausser den
beiden wesendichen Basen Kalkerde und Magnesia enthalten die Dolomite sehr
häufig als stellvertretend noch Eisenoxydul, auch Manganoxydul, durch deren An-
wesenheit, besonders des Eisenoxydul in Folge von Veränderung des Eisenoxydul
carbonates und Bildung von Eisenoxydhydrat oder durch Anwesenheit desselben als
Beimengung die Dolomite gelb bis braun gefärbt vorkommen (daher Braunspatb
genannt).
Der Dolomit ist in kalter verdünnter Salzsäure 'schwach brausend langsam lös-
lich, rascher wenn die Säure erwärmt und das Mineral vorher pulverisirt worden ist
Aus der Lösung wird durch Zusatz von Schwefelsäure sichtlich Gyps als Nieder-
schlag gefällt und nach Entfernung desselben durch Filtriren giebt ein Zusatz von
phosphorsaurem Natron unter Beifügung von Ammoniak einen krystallinischen
weissen Niederschlag von phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia. Vor dem Löth*
röhre erhitzt ist er unschmelzbar und brennt sich kaustisch. Das Pulver auf
Platinblech erhitzt zeigt einige Vergrösserung seines Volumens.
Er findet sich häufig, als krystallinisch-kömiger Gebirgsmassen bildend, für
den krystallisirten sind als Fundorte beispielsweise zu nennen: Campe longo bei
Da/io grande im Canton Tessin in der Schweiz, der Brenner und Greiner in
Tyrol, Traversella in Piemont, Schweinsdorf bei Dresden, Freibeig in Sachsen.
Joa« himsthal, Przibram und Koloseruk in Böhmen, Schemnitz in Ungarn, Kapnik
in Siebenbürgen, Hall in Tyrol, Kittelsthal bei Eisenach in Thüringen» ComiK>-
htclla und Cabo de Gata in Spanien, Miemo in Toscana u. a. m.
4. Der Magnesit, MgO • CO, mit 47i6J Magnesia und 52,4 Kohlensäure,
gewöhnlich, namentlich der krystallisirte und krystallinische etwas FeÖ enthaltend
(z. Th. Breunnerit genannt), oder CaO, MnO oder Beimengungen, bisweilen
Kieselsäure (sogen. Kieselmagnesit) findet sich krystallisirt, hexagonal rhombo*
Carbonate. 105
edrisch, die Krystalle auf- und eingewachsen; die gewöhnlichste Gestalt ist das
als Gnindgestalt gewählte Rhomboeder R mit dem Endkantenwinkel = 107^ 28^
selten ist er prismatisch R ex» - OR. Meist krystallinisch-kömig» ähnlich Marmor
als Gesteinsart vorkommend, auch eingesprengt, krystallinisch-stenglig bis fasrig,
oft dicht, bisweilen erdig. Er ist vollkommen spaltbar parallel R, weiss, bisweilen
farblos» gelblichweiss bis ochergelb, graulich weiss bis dunkelgrau, glasglänzend
bis matt, durchsichtig bis undurchsichtig, wenig spröde, hat Härte = 3,5 — 4,5 und
spec- Gew. = 2,85 —3,1. In erwärmter Salzsäure ist er als Pulver mit Brausen
auflöslich. Vor dem Löthrohre ist er unschmelzbar, leuchtend, wird grau bis
schwarz in Folge von Eisen und Mangangehalt^ der durch Borax oder Soda
erkenntlich jwird. Mit Kobaltsolution befeuchtet und geglüht wird er, wenn er
rein ist, nanientlich der dichte blassroth.
Man findet bisweilen den Magnesit in dem Sinne getrennt, dass der krystal«
lisirte und krystallinische als Magnesitspath wegen der Spaltbarkeit, auch
Talkspath wegen des wesentlichen Gehaltes an Talkerde (Magnesia) genannt
wird, wie der vom St Gotthard in Talk eingewachsene, der am Greiner, im Ziller-
Pfitsch- und Ultenthale in Tyrol, von Vermont in Nord-Amerika, von Snarum in
Norwegen, von Brück, Flachau, Mariazell, aus dem Tragösthale u. a. O. in Steier-
mark. Im Gegensatz zu diesem wird der dichte bis erdige, wie die Vorkommnisse
von Baumgarten und Frankenstein in Schlesien, von Hrubschitz in Mähren, von
Kraubat in Steiermark und von Baidissero in Piemont ausschliesslich Magnesit
genannt, welche Unterscheidung und verschiedene Benennung den Namen Kalk-
spath und Kalkstein des Calcit entspricht. Die letzteren besonders, weil sie sehr
rein sind, werden zur Darstellung von Bittersalz und Kohlensäure benützt, zur
Bereitung Kohlensäure enthaltender Wasser, bei der Porzellanbereitung und
neuerdings in Steiermark zur Fabrikation feuerbeständiger Ziegel.
5. Der Siderit, von dem grieschischen Worte siäeros Eisen, oder Eisen-
spat h wegen des wesentlichen Gehaltes an Eisenoxydul benannt, ist ein besonders
£ur Darstellung von Eisen und Stahl benutztes Mineral, wenn es in grossen
Massen vorkommt, die auch Spatheisenstein genannt werden. Derselbe findet
sich oft krystallisirt, in Drusenräumen, Nestern und Klüften aufgewachsen, hexa-
gonal, rfaomboedrisch, gewöhnlich in Form der Grundgestalt, des stumpfen Rhom-
boeders R mit dem Endkantenwinkel = 107^ Die Krystalle zeigen auch bis-
weilen andere Gestalten, wie ^R', 2R', die hexagonalen Prismen 00 R und R 00
mit den Basisflächen OR, das Skalenoeder R3 u. a. Die Flächen sind oft, wie bei
dem Dolomit concav und convex, sattelförmig gekrümmt, bis linsenförmig, bisweilen
finden sich kugel- bis nierenförmige und traubige Gestalten (Sphäro siderit), die
im Inneren stenglig bis radialfasrig sind. Er bildet als krystallinisch-kömiger
Siderit mit wechselnder Grösse des Kornes derbe Massen, die als Gesteinsart
vorkommen, bis ins Dichte übergehen, mit Thon gemengt den thonigen Siderit
(Pelosiderit) bildend, der bisweilen rundliche oder ellipsoidische Massen, auch
ausgedehnte Lagen bildet.
Der Siderit ist vollkommen spaltbar parallei R, spröde, hatHärte = 3,5 — 4,5 und
das spec Gew. = 3,7—3,9, wodurch er sich wesentlich von den vorher beschriebenen
Arten unterscheidet, ist gewöhnlich gelblichgrau bis gelb und braun, während er
arsprünglich weiss bis farblos ist, wie dies kleine in Bergkrystallen der Schweiz
eingeschlossene Krystalle zeigen, welche so von allem Luft- und Wasserzutritt ab-
geschlossen keine Veränderung erlitten haben. Er hat Glas- bis Perlmutterglanz,
ist mehr oder weniger durchscheinend bis undurchsichtig und hat weissen bis
io6 Minefalogie, Geologie und Palaeontologpe.
gelblichweissen Strich. Er ist wesentlich FeO • CO, mit 62,1 Eisenoxydul und
37,9 Kohlensäure, enthält häufig als stellvertretende Basen MnO, MgO und CaO
oder Beimengungen, wie Thon und Kohlenstoff (der sogen. Kohleneisenstein).
Vor dem Löthrohre ist er unschmelzbar, wird schwarz und magnetisch, reagirt
mit Borax oder Phosphorsalz stark auf Eisen, mit Soda oft auf Mangan, ist in
Säure mit Brausen auflöslich, leichter wenn die Säure erwärmt wird. Durch den
Einfluss von Luft und Wasser wird er im Laufe der Zeit mehr oder weniger ver-
ändert, dunkler gefärbt bis schwarz, bisweilen roth, je nachdem sich Eisenoxyd-
hydrat, Eisenoxyduloxyd oder Eisenoxyd bildet. So gehen Kiystalle und krystal-
linische Massen allmählich in Brauneisenerz über und bilden Pseudomorphosen
desselben nach Siderit.
Er findet sich ziemlich hänfig und bisweilen in grossen Massen, auf I^agem,
in Gängen, Stöcken, Nestern und Spalten, der Sphärosiderit in Hohlräumen von
Basalt und Dolerit, der dichte thonige Lager und rundliche Massen bildend, die
nach der Form auch Sphärosiderit genannt wurden, doch von dem krystallinischen
in Hohlräumen zu unterscheiden sind, wie bereits oben angegeben wurde. Als
Fundorte sind beispielsweise Lobenstein in Reuss, Musen in Westphalen, Eisenerz
in Steiermark, HUttenberg in Kämthen, Freiberg in Sachsen, Neudorf und
Clausthal am Harz, Dienten in Salzburg, Przibram, Horzowitz und Joachimsthal
in Böhmen, Traversella in Piemont, Comwall in England zu nennen.
Zwischen dem Siderit und Calcit steht der Ankerit (benannt nach dem
steiermärkischen Professor Anker) oder Eisenkalk, welcher im Allgemeinen dem
Siderit sehr ähnlich ist, etwas heller gefärbt ist, aber auch braun verwittert, in
grossen krystallinisch-körnigen Massen ähnlich dem Siderit vorkommt, wie bei
Admont und Eisenerz in Steiermark und am Rathhausberg in Salzburg. Er ist
leichter als Siderit, hat das spec. Gew. = 2,9 — 3,1 und enthält wesentlich kohlen-
saures Eisenoxydul mit kohlensaurer Kalkerde in wechselnden Verhältnissen, oft
auch etwas Magnesia und Manganoxydul. Vor dem Löthrohre zerknistert er
heftig, ist unschmelzbar, wird schwarz und magnetisch, löst sich mit Brausen in
Säure, schwieriger als Calcit, leichter als Dolomit und aus der Lösung in Salz-
säure lässt sich durch Zusatz von Schwefelsäure Gyps fallen, die Anwesenheit der
Kalkerde nachweisen.
In ähnlicher Weise steht zwischen Siderit und Magnesit der Mesitin, be-
nannt von dem griechischen Worte i^mesiUs* Vermittler, weil er ein Mittelglied
zwischen Siderit und Magnesit bildet. Derselbe erscheint krystallisirt, die Grund-
gestalt, das Rhomboeder R mit dem Endkantenwinkel = 107^14' darstellend, bei
Traversella in Piemont und Werfen in Salzburg, krystallinisch grosskömig und
deutlich nach der Grundgestalt spaltbar, im Winkel ein wenig abweichend bei
Flachau unweit Radstadt bei Salzburg. Das Aussehen ist das des gelben bis
braunen Siderit oder Dolomit und das spec. Gew. = 3,3 — 3,55 unterscheidet ihn
von beiden. Er enthält kohlensaure Magnesia und kohlensaures Eisenoxydul, der
Formel Mg, FeO • CO, entsprechend in wechselnden Verhältnissen, die es nic^t
nothwendig machen, ähnlich wie bei den Dolomiten dem Normal-Dolomit ent-
sprechend, Vorkommnisse wie das von Flachau als eigene Species zu unter-
scheiden und Pistomesit zu nennen, von dem griechischen ypistos*^ zuverlaÄ>ig
und '»mesün€ Mitte, und als das wirkliche Mittelglied zu trennen.
6. Der Rhodochrosit, benannt von dem griechischen Worte '^rhodochroos^
rosenfarbig, nach der ofl vorkommenden rosenrothen Farbe, auch Mangan-
spath genannt, gegenüber dem Namen Kalkspath in Bezug auf den wesent-
Carbonate. 107
liehen Gehalt an Manganoxydul. Derselbe ündet sich kiystallisirt, hexagonal,
rhomboedrisch , nahe stehend dem Siderit, indem das häufig vorkommende
Rhomboeder R, die Grundgestalt, den Endkantenwinkel im Mittel ^= 106° 56'
angeben lasst. Andere Gestalten sind selten, wie ^R^ OR, Roo, R3. Die
Kiystalle in Drusenräumen aufgewachsen, wie die des Siderit, Mesitin und
Dolomit oft mit gebogenen Flächen, bilden bisweilen halbkugelige Gruppen
übergehend in kugelige, nierenförmige und traubige Gestalten, (daher Himbe er -
spath nach Form und Farbe genannt), welche im Inneren radial-stenglig bis
fasrig sind. Ausserdem findet er sich in derben Massen, krystallinisch-kömig
bis dicht. Die Spaltbarkeit parallel R ist deutlich, die Härte = 3,5 — 4,5, das
spcc. Gew. = 3,3 — 3,6. Er ist gewöhnlich roth gefärbt, rosenroth, himbeerroth,
fleischroth, bräunlichroth, röthlichgrau bis weiss (durch Verwitterung braun bis
schwarz), glas- bis perlmutterglänzend, mehr oder minder durchscheinend, und
hat weisses oder röthlichweisses Strichpulver.
Er ist wesentlich MnO • CO2 mit 61,7^ Manganoxydul und 38,3 Kohlen-
säure, enthält als stellvertretende Basen auch FeO, CaO und MgO. Er ist in
Säuren mit Brausen auflöslich, leichter in erwärmten; vor dem Löthrohre ist er
unschmelzbar und zerknistert meist heftig, wird grünlich, grau oder schwarz,
giebt mit Borax oder Phosphorsalz auf Platindraht in der Oxydationsflamme
ein amethystfarbiges Glas, welches in der Reductionsflamme farblos wird; mit
Soda auf Platinblech in der Oxydationsflamme geschmolzen wird die Soda-
schlacke blaugrün.
Er ist ziemlich selten und findet sich bei Kapnik und Nagyag in Sieben-
burgen, Freiberg in Sachsen, Felsöbanya in Ungarn, Horhausen in Nassau,
Vieille in Frankreich, Ilefeld am Harz, Sargans in der Schweiz und einigen
anderen Orten.
Als Mittelglied zwischen Rhodochrosit und Siderit ist der seltene Oligonit,
benannt von dem griechischen '»oiigost wenig, wegen der geringen Abweichung
im Winkel der Grundgestalt und im spec. Gew. von Siderit, von Ehrenfrieders-
dorf in Sachsen zu nennen, dem sich ein kleinkugeliges Vorkommen von Felsö-
banya und Kapnik in Ungarn anschliesst. Als Mittelglied zwischen Calcit und
Rhodochrosit ist der krystallinische Röpperit, benannt nach dem amerika-
nischen Mineralogen Röpper, der ihn zuerst vor Kurzem bekannt machte, von
Stirling in Sussex County in New Jersey ein interessantes Vorkommen.
Bei der chemischen Verwandtschaft des Kobalt mit Eisen ist auch anzu-
zufuhren, dass bei Schneeberg in Sachsen ein Kobalts path genanntes Mineral
gefunden wurde, welches wesentlich CoO • CO3 ist, kugelige Gebilde darstellend
vdamach auch Sphärocobaltit genannt), welche im Inneren radial stenglig
^ind und an der Oberfläche Rhomboeder erkennen lassen.
7. Der Smith sonit (benannt nach dem englischen Chemiker Smithson)
oder Zinkspath (analog den Namen Kalk-, Eisen-, Manganspath), ein wegen des
Zinkgehaltes bei seinem Vorkommen in grossen Massen sehr wichtiges und ge-
schätztes Mineral, krystallisirt hexagonal, rhomboedrisch und hat als Grundgestalt
ein stumpfes Rhomboeder R mit dem Endkantenwinkel = 107° 40'. Die in
Dnisenräumen, Nestern, Klüften und Gängen aufgewachsenen Krystalle sind ge-
wöhnlich klein bis sehr klein, arm an Flächen und zeigen oft die Gestalten R,
4R und R3, auch kennt man OR, ^R', 2R' und Roo. Ausser krystallisirt bildet
er nierenförmige, traubige, kugelige und andere stalaktitische Gestalten, welche
im Inneren radialstenglig bis fasrig sind, auch bisweilen krummschalige, der
io8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
äusseren Form entsprechende Absonderung zeigen. Meist findet er sich derb,
krystallinisch, klein- bis feinkörnig, bis dicht, zellig und löcherig. Er ist deutlich
spaltbar parallel R.
Er ist weiss bis farblos, meist gefärbt, grau, gelb, braun, roth, grün, hat
Glas- bis Perlmutterglanz, ist oft matt, durchscheinend bis undurchsichtig, spröde,
hat weissen Strich, Härte = 5, spec. Gew. = 4,1 —4,5. Als kohlensaures Zink-
oxyd entspricht er der Formel ZnO • CO, mit 64,8 J Zinkoxyd und 35,2 Kohlen-
säure und enthält meist als stellvertretende Basen noch Eisenoxydul, Mangan-
oxydul, Kalkerde oder Magnesia, oft fremdartige Beimengungen, besonders in den
derben mikrokrystallischen bis dichten Massen Eisenoxydhydrat, wodurch er gelb
bis braun gefärbt erscheint. Mit Säuren ist er leicht mit Brausen auflöslich,
auch in Kalilauge, aber ohne Brausen. Vor dem Löthrohre erhiut ist er un-
schmelzbar, verliert die Kohlensäure, giebt auf der Kohle einen -heiss gelben,
nach dem Erkalten weissen Beschlag von Zinkoxyd, wird mit Kobaltsolution
befeuchtet und geglüht grün, den Zinkgehalt dadurch anzeigend.
Er findet sich auf Gängen und Lagern, nicht häufig, stellenweise aber sehr
reichlich, in welchem Falle er zur Zinkgewinnung ausgebeutet wird und führt
den Namen Galmei, welcher jedoch auch auf andere zur Zinkgewinnung
dienende Vorkommnisse, wie auf das kieselsaure Zinkoxyd ausgedehnt wird,
weshalb man dann den Smithsonit als Kohlengalmei gegenüber dem Kiesel-
galmei unterscheidet. Als bemerkenswerthe Fundorte sind der Altenberg bei
Aachen, Tamowitz in Oberschlesien, Chessy bei Lyon in Frankreich, Wiesloch in
Baden, Dognaczka und Rezbanya im Banat in Oesterreich, Nertschinsk in Sibirien,
Mendip und Matlock in England, Temesvar in Ungarn, Reibel und Bleiberg in
Kämthen zu nennen.
Als Mittelglied zwischen Smithsonit und Siderit ist der Kapnit anzuführen,
sowie auch gewisse manganhaltige Vorkommnisse auf ein Mittelglied zwischen
Smithsonit und Rhodöchrosit hinweisen.
Wenn sich so an den rhomboedrisch krystallisirenden Calcit eine Reihe
von Vorkommnissen anschliesst, welche dieselbe Krystallisation , nur mit ge-
wissen WinkeldifTerenzen in der Grundgestalt zeigen, so wäre zu erwarten, dass
auch die zweite Modification der kohlensauren Kalkerde, der Aragonit, in den
Verbindungen der Kohlensäure mit Basen RO nach der Formel RO • CO, ver-
wandte Species aufweise. Dies ist in der That der Fall, aber in gleichem
N^aasse, wie der Aragonit gegenüber dem Calcit viel seltener auftritt, zeigen sich
ai)ch seltener der Formel RO • CO, entsprechende Verbindungen orthorhombisch
Krystallisirt. In dieser Richtung sind es vorwaltend nur die Basen Bar>terde.
^aO, Strontia SrO, und Bleioxyd PbO, welche in Verbindung mit Kohlensäure
orthorhombisch krystallisirende Species ergeben.
8. Der Witherit, benannt zu Ehren des Engländers Dr. Withering, die Ver-
bindung der Baryterde mit Kohlensäure BaO - CO, mit 77,66} Baryterde und
22,34 Kohlensäure krystallisirt orthorhombisch, isomorph mit Aragonit, selten
Krystalle bildend, welche gewöhnlich scheinbar hexagonale Pyramiden (ähnlich
Fig. I auf pag. iio) darstellen. Dieselben werden als Combination der ortho-
rhombischen Pyramide P mit dem Längsdoma 2 P 00, auch mit den Basisfiachen
verbunden gedeutet, sind aber nach anderer Auffassung Drillinge oder Sechslinge.
Gewöhnlich bildet er kugelige, traubige oder nierenförmige Gestalten mit drusiger
Oberfläche, welche im Inneren radialstenglig bis fasrig sind, auch findet er Mch
derb mit krystallinisch-kömiger Absonderung. Die deutlichen Spaltungsfiachen
Carbonate.
10^
entsprechen einem dem Aragonit verwandten Prisma ooP mit 1 18^30', während
aach undeutliche Spaltungsflächen nach den Längsflächen und dem Längsdoma
2Poo vorkommen sollen. Er ist weiss bis farblos, meist hell graulich oder
gelblich und grünlich gefärbt, glasartig glänzend bis schimmernd, mehr oder
weniger durchscheinend, hat die Härte = 3,0—3,5 und das spec. Gew. = 4,2 — 4,3,
wodurch er sich wesentlich vom Aragonit unterscheidet. Vor dem Löthrohre
erhitzt schmilzt er zu einem klaren Glase, welches nach der Abkühlung emaill-
artig wifd und färbt die Löthrohrflamme gelblichgrün. Mit Soda auf Platinblech
schmilzt er zu einer klaren Masse; auf Kohle kommt er nach einiger Zeit zum
Kochen, wird kaustisch (durch Verlust der Kohlensäure) und verhält sich dann
wie reine Baryterde. In Säuren ist er mit Brausen auflöslich.
Als Fundorte dieses seltenen Minerals sind Aiston in Cumberland, Anglesark
in Lancashiie, Fallowfield und Hexham in Northumberland in England, Leogang
in Salzbuig und Peggau in Steiermark anzuführen.
Bei diesem Isomorphiosmus mit Aragonit ist es von Interesse, dass auch eine
>Iittelspecies zwischen Aragonit und Witherit vorgekommen ist, der sogen.
Alstonit von Bromley-Hill bei Aiston in Cumberland und von Fallowfield bei
Hexham in Northumberland, welche der Formel CaO • CO, -+- BaO • CO^
entspricht. Ihre Krystalle sind ähnlich denen des Witherit, scheinbar hexagonal
und spaltbar parallel dem Prisma 00 P und den Längsflächen 00 P 00, dürften
jedoch auch durch Zwillings- beziehungsweise Drillingsbildung erzeugt sein.
Er ist weiss bis graulichweiss, schwach wachsglänzend, durchscheinend, hat Härte
= 4»o— 4»5 «nd spec. Gew. = Sf^S-^Sfl^-
Um so anffallender ist das Vorkommen derselben Verbindung mit klino-
rhombischer Kristallisation, von Aiston in Cumberland und Langban in Schweden,
welches Barytocalcit genannt wurde. Derselbe bildet ein klinorhombisches
Prisma 00 P mit dem kHnodiagonalen Kantenwinkel = 84° $2', combinirt mit
einer Hemipyramide P' und dem hinteren Querhemidoma P' 50 und anderen unter
geordneten Flächen. Die Hemipyramide hat den kHnodiagonalen Endkantenwinkel
= 106^ 54' und das Querhemidoma, welches die klinodiagonalen Endkanten von
P' gerade abstumpft, ist gegen die Hauptachse unter 61° geneigt. Er ist nach
der Hemipyramide deutlich spaltbar, weniger deutlich nach dem Querhemidoma;
gelblichweiss, glasglänzend, durchscheinend, hat Härte = 4,0 und spec. Gew.
= 3»63— 3»66.
9. Der Strontianit, benannt nach dem Vorkommen bei Strontian in
Schottland, woher auch die in ihm enthaltene Basis, die Strontia oder Strontian-
erde ihren Namen erhalten hat. Derselbe ist eine Verbindung der Strontianerde,
der Strontia, des Strontiumoxydes SrO mit Kohlensäure, entsprechend der Formel
SrO . CO, mit 70,2 Strontia und 29,8 Kohlensäure. Er krystallisirt orthorhombisch,
isomorph mit Aragonit; die vorherrschend prismatisch ausgebildeten Krystalle
bilden die Combination des orthorhombischen Prisma 00 P 117° 19' mit den
Basisflächen, dem Längsdoma Poo mit dem Endkantenwinkel = 108° 12', der
Pyramide P und anderen Gestalten. Sie bilden Zwillinge nach 00 P wie der
Aragonit, sind nadelfbrmig imd spiessig wie dieser und zu büschelförmigen
Gruppen verwachsen. Auch bildet er derbe Massen mit dick- oder dürmsteng-
liger bis fasriger oder mit kömiger Absonderung. Er ist unvollkommen spalt-
bar parallel dem Prisma 00 P und dem Längsdoma 2 P 00, hat Härte = 3 und
^c. Gew. = 3,6—3,8. Er ist weiss bis farblos (selten), gewöhnlich etwas
gefärbt, meist hell, grau, blassgelb, blassgelblichgrün, «hat Glasglanz, auf den
HO
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
ßruchflächen bis wachsartigen, ist mehr oder minder durchscheinend bis durch-
sichtig (die kleinen farblosen Krystalle).
V. d. L. schmilzt er schwierig an den Spitzen oder Kanten, zu blumenkohl-
ähnlichen Formen anschwellend, leuchtet stark und färbt die Löthrohrfiamme in-
tensiv karminroth. In Säuren ist er leicht mit Brausen auflöslich; wird die salz-
saure Lösung eingedampft und der Rückstand mit Alkohol Übergossen, so brennt
dieser mit karminrother Flamme. — Das seltene Mineral, welches meist etwas
Kalkerde als stellvertretende Basis enthält, wird bisweilen zur Darstellung der
Strontia und ihrer Salze verwendet. Als Fundorte sind beispielsweise Strontian in
Schottland, Leogang in Salzburg, Bräunsdorf bei Freiberg in Sachsen, Clausthal
am Harz und Hamm in Westphalen zu nennen; an dem letzteren Orte bildet er
Gänge in Kreidemergel.
Magnesia, Eisenoxydul und Manganoxydul bilden mit Kohlensäure bis jetzt
keine orthorhombischen Species, können aber als solche noch gefunden werden
und in Betreff des Manganoxydul ist nur des Manganocalcit von Schemnitz
in Ungarn zu gedenken, welcher fleischrothe bis röthlichweisse nierenfbrmige bis
traubige Gestalten mit rauher oder drusiger Oberfläche bildet, im Inneren radial-
stenglig bis fasrig ist und Spaltungsflächen wie bei Aragonit erkennen liess.
Er enthält vorwaltend kohlensaures Manganoxydul mit erheblicher Menge von
Kalkerdecarbonat oder Magnesiacarbonat.
lo. Der Cerussit, dessen Name von dem lateinischen Namen cerussa de^
bekannten Bleiweiss wegen der qualitativ gleichen Zusammensetzung enüehnt
wurde, ist PbO •CO, mit 83,6^ Bleioxyd und 16,4 Kohlensäure. Er ist auch
isomorph mit Aragonit und zeichnet sich durch seine bisweilen sehr schönen
Krystalle aus. Dieselben sind z. Th. flächenreich, pyramidal, prismatisch, doma-
tisch oder tafelartig ausgebildet. Die als Grundgestalt gewählte P3rramide F
(deren Endkantenwinkel «= 130^0' und 92^19', deren Seitenkantenwinkel = 108'' 28'
sind) bildet in Verbindung mit dem Längsdoma 2Poo (Fig. i) scheinbar hexa-
gonale Pyramiden, wozu auch noch das Prisma 00 P (117^14') und die I^ngb-
ttächen treten (Fig. 2), die Aehnlichkeit mit hexagonalen Krystallen vermehrend,
(MiB 91 -»0
F«. I. Fij t. Rg. 3.
w jahrein) dieselben Gestalten als Träger von Combinationen auch prismatij^hc
Kn^uUe vFiij. 3^ und durch Ausdehnuiuc in der Richtung der Längsachse oder
der lan)s%Aäihen und l>ci Vcrkuriung in der Richtung der Haupuchse doma
UMhr Ki\>taUc bilden« Ausser den genannten Gestalten finden sich in den
l\m\luna(u>ncn mn^h nuinche ainlece. >fcTe die Längsdomen Poo (mit der Endkantc
— i\>»' ift> jr;^.» 4 IV^ die BasisAacKe oP. die Querilachen, das Prisma ooPTu. -1. m.
Carbonisches System. in
Der Cerussit ist wie der Aragonit auch zur Zwillingsbildung geneigt und die
Krystalle nach demselben Gesetze verwachsen bilden sowohl Berührungs- als auch
Durchkreuzungszwillinge, Drillinge und mehrfache Wiederholung. Ausser deutlich
kiystallisirt bildet er besonders Krystallstengel, Spiesse, Nadeln und Aggregate
mit stengliger, schaliger oder kömiger Absonderung. Bisweilen ist er dicht oder
erdig, selten stalaktitisch. Die Spaltungsflächen sind ziemlich deutlich parallel
dem Prisma oo P und dem Längsdoma 2 P oo. Der Bruch ist muschlig bis uneben.
Der Cerussit ist farblos bis weiss (deshalb auch Weissbleierz genannt, zum
Unterschiede von anderen wesentlich Bleioxyd enthaltenden Mineralen), grau bis
schwarz (Schwarzbleierz), braun, gelb, selten roth, grün oder blau gefärbt
darch Beimengungen verschiedener Art; durchsichtig bis undurchsichtig, hat
diamantartigen Glanz oder Wachsglanz, weissen Strich, Härte = 3,0 — 3,5 und
spec Gew. = 6,4 — 6,6. Er ist in Salpetersäure löslich mit Brausen, zerknistert
vor dem Löthrohre erhitzt, weniger oder nicht der dichte und erdige, wird
gelb und schmilzt leicht auf Kohle, sich zu Blei reducirend und die Kohle gelb,
in grösserer £«ntfemung von der Probe weiss beschlagend.
Er kommt ziemlich häufig vor, auf Gängen und Lagern, oft in Begleitung
von Galenit, PbS, durch dessen Zersetzung er meist gebildet erscheint und sich
noch bildet, schön krystallisirt bei Przibram, Mies und Bleistadt in Böhmen, Blei-
berg in Kämthen, Johanngeorgenstadt in Sachsen, Zellerfeld und Clausthal am
Harz, Badenweiler in Baden, Braubach und Ems in Nassau, sonst noch bei Tar-
nowitz in Oberschlesien, Leadhills in Schottland, Poullaouen in Frankreicli,
Kertschinsk in Sibirien, Beresowsk am Ural, am Altai, bei Kirlibaba in der Buko-
wina u. s. w. Der dichte und erdige (Blei erde genannt) bei Kall in der Eifel,
Nertschinsk in Sibirien, Phönixville in Pennsylvanien, Monteponi in Sardinien. Er
wird, wenn er reichlich vorkommt, zur Gewinnung von Blei benützt.
Ausser den wasserfreien Carbonaten finden sich auch wasserhaltige, z. Th.
mit den angeführten, z. Th. mit anderen Basen. Einige dieser wasserhaltigen
Carbonate sind reichlich vorkommende Mineralarten, welche an anderen Orten
besprochen werden sollen, wie die Natron- Verbindungen bei den Salzen, die
Knpferoxyd-Verbindungen bei den Malachiten. Andere sind selten und ohne
grosse Bedeutung, wie der Hydromagnesit (Magnesia-Verbindung), derTexa-
sit (Nickel-Verbindung), Bismutit (Wismuth-Verbindung), Lanthanit (Lanthan-
Verbindung) Parisit (Cer-Verbindung) und der Hydroz in kit (Zink- Verbindung)
nach der Formel 2(H,O.ZnO) 4- ZnO- COg, welcher ausser anderen minder
wichtigen Fundorten reichlich bei Cumillas und Udlas in der Provinz Santander
in Spanien vorkommt, stalaktitisch mit radialfaseriger Absonderung, dicht bis erdig
in ansehnlichen derben Massen, eingesprengt und als Ueberzug.
Carbonisches System
von
Dr. Friedrich Rolle.
Auf die obersten Schichten des devonischen Systems (namentiich die Cypri-
dinenschiefer, Clymenienkalke u. s. w.) folgt eine Schichtenreihe, die gewöhnlich
durch mehr oder minder mächtige, oft in überraschendem Reichthum über ein-
ander folgende Steinkohlenlager ausgezeichnet ist und in ihren Fossil-EinschlUssen
überhaupt eine reichliche Vertretung des Land- und Luftlebens zeigt. Dies ist
112 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
das Steinkohlensystem oder carbonische System, Hauptsteinkohlen-
gebirge (Etage carhonifirien).
Die Gesteine dieses Systems bestehen, gleichwie die der vorausgegangenen
silurischen und devonischen Ablagerungen, theils aus Sandsteinen, Conglomeraten
und Schieferthonen, theils aus Kalksteinen, welche letzteren oft auch zu Dolomit
umgewandelt erscheinen (Kohlenkalk oder Bergkalk.) In manchen Gebieten
wird diese Schichtenfolge mehrere tausend Meter mächtig. In ihrem Hangenden
folgt das pennische Systeip oder die Dyas, in Nord- und Mittel-Deutschland zu-
nächst das Rothliegende.
Die Steinkohlenformation trägt ihren Namen nach dem fast über alle Theile
der Erdoberfläche nachgewiesenen Auibreten zahlreicher zum Theil mächtiger
und weit ausgedehnter Lager oder Flötze von Steinkohlen im Wechsel mit Sand-
steinen und Schieferthonen. Allerdings kommen auch SteinkohlenflÖtze in
manchen jüngeren Formationen, z. B. im Rothliegenden, in der Lettenkohle der
Trias und im Wealden vor, aber ihre Mächtigkeit und Ausdehnung ist weit ge-
ringer. Dies beruht auf einer Reihe von Vorgängen in der Umgestaltung der
Erdoberfläche, die in keiner anderen Epoche der Ausbildung unseres Planeten in
demselben Grade ausgeprägt erscheinen, wiewohl sie in ähnlicher, aber schwächerer
Weise vielleicht zu allen späteren Zeiten stattfanden. Diese Vorgänge bestanden
in erster Linie in zahlreichen successiven Schwankungen der Erdrinde um das
bleibende Niveau des Meeresspiegels. Ihre stärkere Ausprägung im Verlaufe der
Steinkohlenepoche aber beruht auf besonderen Eigenthümlichkeiten der damaligen
Festlandflora, die wir näher zu erörtern haben.
Die Ablagerungen der Steinkohlenepoche zeigen zunächst im Gegensatz zu
denen der devonischen Formation eine mehrfache Wechsellagerung von Meeres-
und Süsswasserabsätzen, eine Erscheinung, die in den uns bis jetzt bekannten
devonischen Schichten nur in leichten Spuren angedeutet erscheint Aber
während der Steinkohlen-Epoche müssen zahlreich wiederholte, wie es scheint«
meist sehr allmählige Hebungen und Senkungen auf weite Gebiete hin die Ge-
stalt von Festland und See verändert haben. Diese Vorgänge sind nicht alle
gleicher Weise ins Klare zu bringen, wir sehen aber öfter, dass an flachen Fest-
landküsten ein häuflger Wechsel zwischen seichter Meeresbedeckung und flachem
morastigem Festlandgebiet statt hat. Das Festland scheint dabei mehr und mehr
an Ausdehnung gewonnen, aber vorwiegend niedere wellige Flächen gebildet zu
haben, welche die Entwicklung einer üppigen Sumpiflora begünstigten. Wir
können vermuthen, dass im Continentalgebiete damals auch schon Gebirge vor-
handen waren, wissen aber nichts Näheres von ihrer Gestaltung und ihrer
Vegetationsdecke.
Die tiefere Region des Steinkohlensystems nehmen im Allgemeinen meerische
Absätze ein, in der höheren Region erscheinen vorzugswebe Festland- und Sü^s-
wasser- Ablagerungen. Aber es tritt auch an anderen Orten das Umgekehrte ein.
so dass wir annehmen müssen, dass Meer und Festland immer zugleich damals
schichtenbildend wirkten. Wir haben also zunächst beide bald successiven, bald
gleichzeitigen Gestaltungen der Schichtenbildung mit ihrer Fossil-Einschliessung
ins Auge zu fassen.
Die Ablagerungen der Steinkohlenformation zerfallen, je nachdem sie aus
dem Meere oder auf dem zwischen Hebung und Senkung schwankenden Fesdande
abgesetzt wurden, in zwei - bald in demselben Gebiet an Alter verschiedenen —
bald aus der Vergleichung getrennter Gebiete als gleichzeitig sich herausstellenden
Carbonisches System. 113
Schichten-Reihen, einerseits Meeresabsätze, andererseits limnische oder Festland-
und Sumpf-Ablagerungen. Manche Theile der Erdoberfläche waren unter Meeres-
bedeckung, aus der sich nur eine Reihe meerischer Ablagenmgen bildete, indem
hier keine Hebung über den Meeresspiegel eintrat So war es im grössten
Theile des weit ausgedehnten Gebietes der Steinkohlenformation im europäischen
Russland, auch in einem grossen Theile von Nord-Amerika. In anderen Theilen
der Erdoberfläche wurden Meeresabsätze — Kohlenkalk und Culm — allmählich
über den Meeresspiegel emporgehoben und zu niederem Festlande umgebildet, auf
welchem dann limnische Schichten mit Kohlenflötzen abgelagert wurden. Letzteres
ist in der Regel der Fall, wie in England, Belgien und Westphalen. Hier be-
steht darnach die Steinkohlenformation aus einer älteren vorwiegend meerischen
Ablagerung — Kohlenkalk und Culm — und aus einer jüngeren vorwiegend
limnischen Ablagerung, oder der eigentlichen in bergmännischer Hinsicht pro-
ductiven Steinkohlenbildung.
Ueberhaupt tritt in der Steinkohlenformation weit bedeutender als im Silur
und im Dievon die Verschiedenheit von Gesteinsablagerungen mit organischen
Einschlüssen nach der besonderen Art der Ablagerungs- und Lebensbedingungen
in verschiedenen geographischen Gebieten in den Vordergrund.
Während in mehr oder minder tiefen oceanischen Gebieten sich kalkige
Ablagerungen mit zahlreichen Rhizopoden, Korallen, Brachiopoden u. s. w. ab-
setzten, die jetzt den Kohlenkalk darstellen, konnten gleichzeitig in flachen
Meeresgebieten in der Nähe des Festlandes unter Mitwirkung einmündender
Flüsse, die Sand und Schlamm zuführten, thonige und sandige Gesteine ent-
stehen, die vorwiegend Acephalen einschliessen und jetzt die Culm-Schichten
darstellen.
In der gleichen Zeit entstanden aber auch auf niederen morastigen Strecken
des Festlandes — unter häuflgen Oscillationen der Meereshöhe desselben —
Sandsteine und Schieferthone mit Kohlenlagern. Diese schlössen dann neben
zahlreichen Pflanzenresten auch limnische Conchylien, Süsswasserflsche, land- und
"^umpfbewohnende Amphibien ein und stellen die limnische Facies mit der pro-
ductiven Steinkohlenbildung dar.
Für alle Gegenden, in welchen das Steinkohlensystem zu unterst aus Meeres-
talk — Kohlenkalk — darüber aus Conglomeraten und Sandsteinen, zu oberst
aus Sumpf-Absätzen mit Kohlenflötzen besteht — also einen grossen Theil von
Europa, namentlich England, Belgien, Westphalen — und einen Theil von Nord-
Amerika — bedeutet diese Reihenfolge eine zunehmende, wahrscheinlich meist
alhnähliche Hebung des Meeresgrundes, auf welchem sich anfanglich Kohlenkalk
und Culm ablagerten — später Sand und Gerolle des Meeresstrandes ab-
setzten — worauf sich dann in Oscillationen unter- und oberhalb des Meeres-
spiegels Absätze aus Sümpfen und Strandlagunen, wohl meistens in der Nähe der
Meeresküsten bildeten.
Aber in anderen Gegenden nimmt die limnische Facies oder die productive
Steinkohlenformation die ganze Reihenfolge der Absätze ein. So im Kohlen-
becken von Saarbrücken. Die untere Schichtenreihe gehört hier der durch das
zahlreiche Auftreten grosser Lepidodendren ausgezeichneten Zone an, die man
^s Aequivalent von Kohlenkalk und Culm anzunehmen Gnmd hat. In diesem
Falle hat man zu schliessen, dass in örtlicher Ausdehnung durch die ganze Ab-
iagenmg der Steinkohlen-Folge ein unter successiven Oscillationen fortgehendes
Einsinken des Bodens, auf dem die kohlenbildende Vegetation wuchs, statthatte.
KciQiGOTr, Min., Geol. u. Pal. I. 8
114 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Das Steinkohlengebirge ist — wenn auch nicht die einzige, doch bei weitem
— die vorzüglichste Lagerstätte der Steinkohlen. Dir Substrat waren meisten*
theils Gefasskryptogamen , besonders SigiUarien, Lepidodendren , Famen und
Calamiten. In anderen Lagern erscheinen viele Coniferen (Araucariten). Ihre
ausserordentlich reiche Ablagerung in der carbonischen Epoche beiuhte vorzugs-
weise auf der grossartigen Entwicklung einer in Festland-Sümpfen wuchernden
und grosse Holzmassen anhäufenden Baum-Vegetation, wie sie weder in einer
der späteren geologischen Epochen, noch irgendwo in der Jetztwelt sich wieder-
holt i).
Die Hauptrolle spielten dabei die Sigillarien, mächtige Bäume, deren
weit ausstrahlenden Rhizome (kriechende Wurzelstöcke) oder die sogen. Stig-
marien ein filzartig geschlossenes Netz in Sümpfen und Morästen bildeten —
und analog den heutigen Torfmoosen (Sphagnum-ßiXttn) mehr Cellulose auf-
sammelten, als gleichzeitig und nachfolgend durch die zersetzende Wirkung der
Atmosphärilien u. s. w. aufgelöst oder verflüchtigt werden konnte. Das ab-
sterbende und zu Boden sinkende Pflanzen-Material häufte sich zu mächtigen
Schichten. Senkungen des Bodens folgten dann, neue Lager von Sand und
Schlamm wurden daiüber während der Senkungszeit ausgebreitet und diese ver-
langsamten ihrerseits noch weiter den Zersetzungsprozess im vegetabilischen
Lager.
Alle Steinkohlenflötze — oder soweit unsere Kenntniss reicht, wenigstens die
überwiegende Mehrzahl derselben, sind an der Stelle entstanden, wo die Baum-
vegetation, aus deren Material sie hervorgingen, gewachsen ist. Erwiesen wird
dies in zahlreichen Fällen erstens durch einzelne oberhalb der Kohlenflötze in
Sand und Schlamm vergrabene aufrecht stehende Baumstämme, häufiger nocli
zweitens durch die Auflagerung der Kohlenflötze auf einer durch Wurzelfasem
(Zasem oder Blattfibrillen) von Sigillarien-Rhizomen (oder Stigmarien) durch-
zogenen alten Dammerde-Schicht Dies sind die sogen* Stigmarienthone, die
ausser Sigillarien-Wurzelwerk selten andere Fossilreste liefern. Jeden Stigmarien-
thon überlagert ein Steinkohlenflötz. Ueber diesem FlÖtz folgt dann oft eine
Sandstein-Schicht mit aufrechten Sigillarien-Stämmen. Die sandige Schicht ent-
spricht dann einer Senkungsepoche. Die aufrecht stehenden Stämme sind meist
solche von SigiJlaria oder von Lepidodendroriy selten von Caiamites. Damach
pflegte wieder eine Hebungsepoche einzutreten, das nä<!hste ist dann wieder die
Ablagenmg eines Stigmarien-Thones (d. h. Morastboden) und demnächst die
eines Kohlenflötzes (d. h. einer Morastvegetation). Dieser Turnus wiederholt
*) Gewöhnlich nimmt man an, dass die Atmosphäre unseres Planeten durch die hochge-
steigerte Massenhaftigkeit der Vegetation während der Steinkohlen-Epoche eine wesentliche N'cr-
änderung erfuhr und bis dahin reicher an KohlensHurc war, als sie heute erscheint. Man kann
auch als sicher annehmen, dass der ganze Kohlenstoff-Gehalt der mächtigen Massen der Stein-
kohle vor der carbonischen Epoche sich in Form von Kohlensäure in der Atmosphäre befan<l
ja sogar dass der ganze Kohlensäuregehalt der verschiedenen älteren und jüngeren Kalkstein-
Formationen aus derselben Quelle stammt. Indessen vermögen wir Über den Zustand der At-
mosphäre in den ältesten Epochen der Ausbildung unseres Planeten nur hypothetische Vor>
Stellungen zu fassen (z. B. nach astronomischen Analogien) — und was die carbonischc E|H>che
betrifft, so war der damalige Kohlensäuregehalt der Atmosphäre (wenn er auch am ein Be-
trächtlichem grösser als jetzt angenommen werden darf) doch immer noch so gering, üa^^
Insekten, Scorpione und luftathmende Amphibien berciL<i darin zu gedeihen vermochten. Em
Mehrere« iKt mit Bestimmtheit kaum noch zu ermitteln.
Carbonisches Systeii.. 115
sich in vielen Kohlenrevieren zu mehreren Malen je nach der Zahl der Boden-
Osciliationen, die das betreffende Gebiet erlitt. So kennt man in der Provinz
Neu-Schottland (Nova Scotia) 76 aufeinander folgende Kohlenflötze, jedes mit
einem Liegenden von Wurzel-Thon, häufig auch in der Hangendschicht mit auf-
rechten Baumstämmen. An der Küste der Fundy-Bay in Neu-Schottland hat
man 18 durch Baumstämme bezeichnete Zonen oberhalb von je einem Kohlen-
flötz beobachtet.
Wenige Steinkohlenflötze mögen aus Baumstämmen entstanden sein, die
Flüsse in Lagunen oder seichten Becken des Meeresstrandes ablagerten. Es ist
wohl kein einziges sicheres Beispiel von wirklich mariner Steinkohle bekannt
Seetange können unter gewissen Umständen sich anhäufen, aber sie haben, soviel
man weiss, keinen ersichtlichen Antheil an der Massenbildung der mächtigen
Steinkohlenflötze genommen.
In der Folge ging in den Kohlenlagern eine Zersetzung vor sich, die Cellu-
lose gab Kohlensäure, Wasser und Kohlenwasserstoff ab. Dazu kam die Zu-
sammenpressung der Lager durch die darüber folgende Last jüngerer Schichten.
Sie machte sich um so mehr geltend, als durch die entweichenden Gase ein
Schwund in der Pflanzenmasse stattfand, der eine Abplattung des zurückbleiben-
den Materials begünstigte. Darüber ging die organische Form des vegetabilischen
Materials mehr und mehr verloren und ist oft nur noch für mikroskopische
Untersuchung in nachweisbarer Erhaltung vorhanden. Besser und oft überraschend
^ut erhielt sie sich in den die Steinkohlen begleitenden besonders im Hangen-
den der Flötze aufb'etenden feinerdigen Schieferthonen, deren Schichtenablösungen
gewöhnlich dicht mit wohlerkennbaren Blättern, Stengeln und Rindenabdrücken
bedeckt erscheinen.
Die Kohle ist theils echte Steinkohle, theils Anthracit. Die echte Steinkohle
tührt noch einen mehr oder minder grossen Bitumengehalt, der dann gewöhnlich
durch die fortdauernde Zersetzung und Gasentweichung sich kundgiebt. Ver-
hängnissvoll fUr den Bergbau ist namentlich die Entwicklung entzündlichen
Kohlenwasserstoffgases in den Kohlengruben von England und Belgien (Schlagende
Welter). In anderen Kohlenlagern ist der Verkohlungsvorgang weiter vorgerückt.
Das Bitumen ist zersetzt und abgedunstet. Dies bemerkt man besonders, wo die
Lager nachträglich starke Störungen und Zerklüftungen erlitten haben. Die
Kohle erscheint dann als Anthracit. Diese Umbildung der bituminösen Kohle
2u Anthracit hat in grossem Maassstabe in den atlantischen Staaten von Nord-
Amerika, namentlich in Pennsylvanien stattgefunden, ebenso auch in Steiermark
(Turrach), im Canton Wallis u. a. a. O.
Die Steinkohle überhaupt ist eine stark umgewandelte »mehr oder minder
einem Minerale ähnlich gewordene Pflanzenmasse. Aber in allen Sorten, nament-
lich aber der noch mit einem gewissen Bitumengehalt versehenen und noch Gase
entbindenden echt&n Steinkohle ergeben mikroskopische Untersuchungen nach
einer oder der andern Methode noch die zellige Structur des holzigen Substrat' s.
Die bitumenreichste Sorte ist die Cannelkohle (CancUe-coal oder Kerzenkohle der
Engländer) von scheinbar dichter Masse und flachmuscheligem Bruch. Sie ent-
hält 5j Wasserstoff und ist zufolge ihres starken Bitumengehalts leicht entzünd-
lich. Sie ist besonders in England verbreitet. — Dawson fand in gewissen
Cannelkohlen von Nord-Amerika zahlreiche Sporangien und Sporen, die er von
Lepidüdendron ableitet. Er nimmt an, dass die Cannel-coal besonders aus seichten
Gewässern in der Nähe von Lepidodendron-WoXdtm entstand, während die übrigen
8*
1 1 6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Kohlensorten mehr aus verschlungener Morastvegetation hervorgingen und beson-
ders von Sigillarien (nebst Stigmarien), Calamiten u. s. w. abstammen.
Fragen wir nach dem Fortschritt in der Organisation der Lebewdt der
Steinkohlen-Epoche im Gegensatz zum Stande der Diiige in den vorhergegangenen
Epochen, so wird zunächst eine mächtige Veränderung offenbar, welche nach
Abschluss der Devon-Epoche das Land- und Luftleben nach seiner Ausbreitung
erfahren hat, weiterhin aber macht sich auch ein Fortschritt im Auftreten neuer zu
einer höheren Organisation gelangten Lebensformen der Continente bemerkbar.
Weit weniger haben sich die Bewohner des Meeres geändert, wiewohl auch sie
im Kohlenkalk meist andere Arten als im devonischen System darstellen.
Die im oberen Silur und im Devon erst spärlich und namendich in meist
geringer Individuen-Anhäufung vertretenen Gefass-Kryptogamen wuchern nunmehr
in einer während keiner anderen geologischen Epoche wieder erreichten Riesen-
haftigkeit des Wuchses und Ueppigkeit der Vegetation in Morästen und feuchten
Strecken des Binnenlandes. Sigillarien, Lepidodendren, Famen und Calamiten
überziehen in mächtigen Stämmen und dicht gedrängten Waldungen die Niedenmgen
und Sümpfe, namentlich der Meeresküste entlang, aber auch wohl in abgelegenen
Becken der Continente.
Coniferen treten auch schon in grossem Reichthum auf und mögen trocknere
höher gelegene Strecken des Festlandes vorzugsweise über^'aldet haben. Cycadeen
und Monocotyledonen werden schon aufgeführt, unter ihnen ist namentlich die
yielgedeutete Pflanzenform Noeggerathia hervorzuheben. Dicotyledonen fehlen
noch. Zellen-Kryptogamen, z. B. Algen und moosartige Gewächse müssen in
Fülle der Arten vorausgesetzt werden, ihre Substanz erhielt sich aber entweder
gar nicht oder doch nicht in deutlichen Resten.
Gestützt auf die Fülle der Land- und Süsswasser- Vegetation treten nun auch
die landbewohnenden und luftathmenden Thiere nebst Süsswasserbewohnem in
überraschender Zahl der Familien und Ordnungen auf, wiewohl die Häufigkeit der
individuellen Funde gewöhnlich meist gering bleibt.
Im Süsswasser zeigen sich die ersten Süsswassermuscheln, namentlich Arten
der Gattung Anthracosia^ den heutigen Unionen unserer Flüsse und Bäche ver-
wandt. Mit ihnen erscheinen Süsswasserfische, meist den eckschuppigen Ganoiden
angehörig, die damals, wie es scheint, aus dem Meere in Flüsse und Süsswasser-
seen aufstiegen. Mit ihnen und in manchen Schichten häufig erscheinen muschel-
tragende Phyllopoden, wie Estheria und Leaia, ferner zahlreiche kleine Ostracoden
oder Cyproiden, auch wohl schon andere Süsswasserkrebse höherer Ordnung.
Dazu kommen eine Menge vereinzelter Funde von Scorpionen {Cyclophthal-
mus und Microlabis)^ Tausendfiissem (Xylobius) Termiten, Schaben, Käfern
u. s. W; Auch der erste Fund einer Landschnecke ist zu verzeichnen (Pufa
vetusta Daws.).
Die Amphibien erscheinen in einer Reihe von Süsswasser und Land be-
wohnenden Formen, meist Ganocephalen, vielleicht auch schon Labyrinthodonten.
Unter ihnen sind schon Baumbewohner, die muthmasslich schon auf Insekten
Jagd machten. Vielleicht lebten in Flussmündungen auch schon luflathmende
schwimmende Reptilien, aber man kennt von solchen bis jetzt noch nichts weiter
als ein paar Wirbelkörper (Eosaurus Acadianus Marsh.)
Ueberhaupt war also die Fauna des Festlandes, der süssen Gewässer und der
Strandsümpfe des Meeres schon in zahlreichen Familien und Ordnungen während
der carbonischen Epoche vertreten. Namentlich hat Nord-Amerika reichliche
Carbonisches System. 117
Beiträge geliefert. Fast mit jedem Jahr werden neue merkwürdige Funde zur
Kenntniss gebracht. Die ersten Anfänge dieser carbonischen Binnen-Fauna mögen
schon in die devonische Epoche fallen, sind uns aber nicht bekannt
Das Meer der Steinkohlen-Epoche war ähnlich wie in der devonischen Zeit
bevölkert, doch nehmen Gattungen hier Abschied, um anderen den Platz zu
räumen und die Arten sind meistens andere geworden.
Foraminiferen erscheinen in lagerbildender Häufigkeit. Anthozoen in zahl-
«
reichen Gattungen, meist von den devonischen verschieden, erscheinen in Riff-
Bauten angesammelt, meist sind es noch Tetracorallia (Zoantharia rugosa) und
Favositiden (Tabulaten). Reichlich vertreten erscheinen die Crinoideen und Blastoi-
deen. Ebenso die Brachiopoden, unter denen hier namentlich die Gattung
Productus durch grosse Zahl der Arten in den Vordergrund tritt. Acephalen und
Gastropoden des Meeres bieten im Allgemeinen wenig Auffallendes im Vergleich
mit der devonischen Fauna. Durch zahlreiche Arten vertreten ist Bellerophon,
Die Cephalopoden erscheinen als Nautilen, Orthoceren und Goniatiten. Im
Erlöschen sind die Trilobiten und nur durch wenige Arten noch vertreten.
Häufig sind Zähne und Flossenstacheln von Knorpelfischen im Kohlenkalk,
aber ihre systematische Stellung ist auch hier oft schwierig zu ermitteln. Hybo-
donten und Cestracionten sind in unverkennbaren Resten zu unterscheiden. Bei
Pflasterzähnen wird oft die Deutung zwischen Cestracionten und Chimäroiden
schwierig, ebenso die Frage, ob darunter schon Lurchfische anzunehmen sind.
Dazu kommen wieder zahlreiche Flossenstacheln von sehr problematischer Deutung.
Besser steht es mit den Ganoiden, von denen man viele Formen in mehr oder
minder vollständig erhaltenen Skeletten kennt. Sie sind alle noch ungleichlappig
geschwänzt Fast verschwunden sind die gepanzerten Ganoiden, mächtig ver-
treten die Cycliferen und Rhombiferen, welche letztere (mit Ambfypterusy Rhab-
doUpis und Acanthodes) auch in die Flüsse und Süsswasserseen aufstiegen. Amphi-
bien wurden schon bei der Land- und Süsswasser-Fauna erwähnt. Aber das Meer
der Steinkohlenepoche hat bis jetzt weder von Amphibien noch von Reptilien
bestimmte Reste geliefert.
Für die silurische und die devonische Epoche nimmt man ein gleichmässig
tropisches Klima fiir die ganze Erdoberfläche an, ebenso flir die Steinkohlen-
Epoche, aber flir letztere 6rst liegen einigermassen reichlichere Ausgangspunkte
der Abschätzung vor. Organisches Leben in wässerigem Mittel kann überhaupt
nach Bronn's Zusammenstellung für gewisse Pflanzen schon bei 80° oder selbst
85^ für Thiere bei 75°C. begonnen haben. Sehen wir aber auch davon ab, so
crgiebt sich jedenfalls für das carbonische Zeitalter noch ein entschieden heisses
Klima.
Die Steinkohlen-Formation erscheint mit fast identer Flora und Fauna fast
in allen Erdtheilen und unter allen zugänglichen Breitengraden. So im arktischen
Gebiet — sowohl mit Kohlenkalk als mit produktiver Kohlenbildung — auf Spitz-
bergen, der Bären-Insel, Novaja Setnlja u. s. w. Auch aus der Südspitze Amerikas
kennt man Meeresthier-Reste der Steinkohlenformation, die theils ganz ident,
theils nahezu ident mit denen der übrigen Gebiete sind. Die üppige Baumvege-
tation der Steinkohlen-Epoche, ihre Zusammensetzung aus riesenhaften Gefäss-
kryptogamen, namentlich l-,ycopodiaceen, Sigillarien, Baumfamen u. s. w. erweist
zur Genüge ein feucht-heisses Klima. Seine Temperatur ist nicht bestimmt zu
«mittcln, aber man schätzt sie jedenfalls zu über 20 und 25° C Namentlich
aber ist als sicher anzunehmen, dass dieses Klima Frost ausschloss.
Ii8 Mineralogie, Geologie und Palacontolog'ic.
Die Verbreitung der carbonischen Flora und ihrer Steinkohlenilötze über fast
alle bekannten Breiten der Erdoberfläche — sowohl die Aequatorialzone als die
arktische Zone — erweist zur Genüge, dass ein solches feuchtes heisses Klima sich
in wesentlich gleichförmiger Weise über die ganze Erdoberfläche ausdehnte und
dass die Erde noch keine merkliche polare Abkühlung erlitten hatte. Das Klima
der Polarregionen kann damals nur unerheblich — wenn überhaupt — von der
des Aequators verschieden gewesen sein.
Es erübrigt uns nun noch, einen Blick auf die stratigraphischen Unterab-
theilungen der Steinkohlenformation zu werfen, deren oben schon gelegentlich ge-
dacht wurde.
Die tiefere Abtheilung nehmen im Allgemeinen meerische Absätze ein. Da-
hin gehört namentlich der Kohlenkalk (carboniferous ünustone) oder Bergkalk der
Engländer (mountain limestone) mit reicher Fauna von Corallen, Foraminiferen,
Crinoideen, Brachiopoden u. s. w. Er beherbergt niemals Steinkohlenflötze
meerischen Ursprungs (d. h. aus Anhäufung blosser Meeresalgen entstanden). Da-
hin gehört femer der Culm, meerische Absätze von Thon und Sand mit vor-
herrschenden Acephalen. Der Kohlenkalk oder Bergkalk bildet vorzugsweise
die untere Abtheilung des Steinkohlengebirges, namentlich in England, Belgien,
bei Aachen u. a. O. Es ist eine kalkige rein meerische Ablagerung, ausserordent-
lich reich an Meeresthier-Resten, besonders an Corallen (Lithostrotion, Cyathaxo-
nia u. s. w.), Crinoideen (Cyathocrinus, AcHnorinus u. s. w.), Blastoiden (Pentremi-
tesjt Brachiopoden (wie namentlich JF^oäuctus-Arten), Cephalopoden {Orthoceras^
Goniatites u. s. w.). An Fischzähnen ist er besonders in England und Irland reich.
Dies ist eine rein marine Fauna theils von Corallenriffen, theils aus tieferen
Meeresregionen, sehr analog dem Eifeler Kalk des devonischen Systems.
Den Kohlenkalk vertritt in manchen Gegenden, besonders in Nassau und
Westphalen, in Schlesien u. s. w., der Culm mit dem Posidonomyenschiefer, vor-
wiegend schlammige und sandige Absätze, wie Thonschiefer, Kieselschiefer,
Sandstein u. s. w. Der Culm ist reich an Meeresfauna, doch besteht diese vor-
züglich aus Zweischalera (Posidonomya Becheri)^ wozu auch einige Cephalopoden
(Goniatites sphaericus, Orthoceras striatulum) kommen. Er entstand aus seichteren
Meeresgebieten nahe dem Festlande und ist auch reich an Einschlüssen von
Landpflanzen (z. B. Calamites transitionis und Knorria imbricata). Der Culm
enthält fast nie Korallen, noch Crinoideen, auch nur wenige Brachiopoden.
In manchen Gegenden beherbergt die Unterregion des carbonischen Systems
auch schon Steinkohlenflötze. Die Kohlenmulde von Hainichen und Ebersdorf
in Sachsen ist eine kohlenführende Ablagerung der subcarbonischen Zone. Sie
besteht zu unterst aus Conglomeraten. Die obere Abtheilung sind Sandsteine und
Schieferthone mit 5 Kohlenflötzen. Diese Mulde ftihrt von Pflanzenresten
besonders Calamites transitionis, Sphenopteris distans, Sßgenaria Velthiimiana^
Knorria imbricata.
Die Oberregion der Steinkohlenformation besteht in den meisten Gebieten
vorwiegend aus Süsswasserabsätzen. Sandsteine und Schieferthone wechseln mit
Steinkohlenflötzen und oft zu sehr wiederholten Malen, wobei das unmittelbare
Liegende der Kohle sich gewöhnlich als Stigmarienthon d. h. als deutlicher
bewurzelter Morastboden herausstellt. Die ganze Mächtigkeit der oberen kohlen-
flihrenden Region ist stellenweise noch sehr beträchtlich und die Kohlenflötze
folgen darin zahlreich auf einander. In Westphalen zählt man deren bis über
130. Bei Saarbrücken, wo die productive Steinkohlenbildung schon in der Unter-
Carbonisches System. 1 19
region (Lycopodiaceen-Zone) anhebt, zählt man sogar über 230 Flötze mit einer
gesammten Kohlenmächtigkeit von 127 Meter, wovon auf einzelne Flötze 2 bis
4 Meter kommen.
Diese limnische Facies der Oberregion des carbonischen Systems entstand
theils in morastigen Festlandniederungen oder seichten Binnenbecken, theils in
flachen Lagunen des Meeresstrandes und in letzterem Fall zeigt sich auch bis-
weilen noch eine Wechsellagerung mit Meeresabsätzen, die Goniatiten und an-
dere Meeresbewohner beherbergen.
Dass das productive Kohlengebirge überhaupt aus ausgedehnten Binnen-
morästen oder ausgesüssten Seestrandlagunen hervorging, erweisen einerseits die
zahlreichen Land- und Sumpfpflanzen, deren Reste das Material der Kohle
lieferten und für sich vereinzelt in den begleitenden Schieferthonen eingestreut
liegen, andererseits der Mangel echter Meeresfossilien, an deren Stelle andere
Fossilien wie Anthracosiay Estheria, Leaia u. s. w. auftreten, die sowohl an sich
als noch mehr in ihrer Vergesellschaftung nur auf eine Süsswasser-Fauna be-
zogen werden können.
Den Gegensatz zwischen Meeres- u. Süsswasserablagerungen erläutert auch
der Umstand, dass in mehreren Gegenden namenüich in Belgien (Lüttich) West-
phalen (Ruhrgebiet) und Oberschlesien in der unteren Region der produktiven
Steinkohlenformation nochmals einzelne Schichten mit Meeresfossilien namentlich
Goniatiten erscheinen. Es geht daraus hervor, dass nach der Emporhebung der
betreffenden Gebiete aus der Meeresbedeckung und der ersten Bildung von
Land- und Süsswasserschichten mit Kohlenflötzen, auch noch vorübergehende
Senkungen unter den Meeresspiegel statthatten, während die meisten späteren
Oscülationen nur in geringeren Beträgen um den Meeresspiegel schwankten und
wieder limnische Ablagerungen bedingten.
Es giebt aber auch Erdtheile, in welchen während der ganzen carbonischen
Epoche die Meeresbedeckung anhielt und selbst bis in die permische Epoche
ununterbrochen fortdauerte. Hier ist die ganze Reihe der Schichtenabsätze
marin, Festlandhebungen fehlen, das productive Steinkohlengebirge einerseits, das
Rothliegende andererseits sind durch meerische Kalkablagerungen vertreten.
So ist es in einem Theile von Russland, auf Spitzbergen und in einem Theile
von Nord-Amerika (namentlich in Kansas, Nebraska und Neu-Mexiko) der Fall.
Hier ist die Oberregion des carbonischen Systems noch ein mariner Kohlenkalk
and dieser verfliesst sogar nach oben — ohne irgend eine scharfe Trennung und
onter allmählicher Aenderung der Meeresfauna — in perraischen Meereskalk, der
das Aequivalent des deutschen Rothliegenden und Zechsteins ist.
Nach dieser allgemeinen Erörterung des Steinkohlen- oder carbonischen
Systems betrachten wir im Einzelnen die in demselben vertretenen Klassen und
Ordnungen der pflanzlichen und der thierischen Lebewelt.
Die Tang-Flora des Meeres bietet nichts Bemerkenswerthes. Die Land-
Flora erscheint grossartig entwickelt in Fülle der Individuen und allgemeiner
Ueppigkeit der Vegetation, oft auch in der Riesenhaftigkeit des Wuchses. Sie
<ragt das Gepräge eines tropischen Klimas und erinnert namentlich an die heutige
Vegetation feuchtwarmer Ktistenniederungen und Delta-Inseln tropischer Re-
gionen, z. B. des Ganges in Bengalen. Sie mag theils feuchte Flächen des Fest-
landes, theils seichte Binnenbecken, theils seichte Strandlagunen der Meeres-
testen überwuchert haben. Das damalige Klima ist nicht mehr genau festzustellen,
überschritt aber allem Anschein nach 20 oder 25° C. Auch nimmt man für die
I20 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
damalige Zeit eine kohlensäurereichere Atmosphäre an, — letzteres eine ein-
leuchtende aber gleichwohl nicht völlig erweisbare Hypothese. Sicherer ist, dass
die Hauptmasse der Vegetation, welche die Steinkohlenflötze aufhäufte, an der-
selben Stelle emporwuchs, an der wir jetzt ihre umgewandelten und mehr oder
minder stark mineralisirten Reste finden. Beweise davon geben die Liegend-
schichten (Stigmarien-Thone) der Kohlenflötze, die gewöhnlich von Wurzel-
werk (besonders blattartigen Wurzel-Fibrillen) der die Steinkohle erzeugenden
Baumvegetation, namentlich der Sigillarien, durchzogen sind. Zum weiteren
Beweis dienen aufrechtstehende Baumstämme, ebenfalls meist von Sigillarien, die
in vielen Kohlenrevieren häufig sind und die Kohlenflötze überragen.
Was die Ordnungen und Unterordnungen der carbonischen Flora betriflft, so
sind es im Wesentlichen die Tjrpen, die schon in der devonischen, ja theilweise
schon in der obersilurischen Formation fossil gefunden werden. Der Haupt-
gegensatz besteht darin, dass die Landflora des devonischen Systems nur in
spärlichen zerstreuten Funden auf unsere Zeit erhalten ist, während sie in der
Steinkohlenformation — zufolge besonderer physisch-geographischer Bedingungen
— in grosser Ueppigkeit vegetirte und in grossen Massen fossil erhalten wurde.
Fast die ganze fossil vorliegende carbonische Flora besteht noch aus Geföss-
kryptogamen und aus Ordnungen, die schon der devonischen angehörten. Die
Hauptvertreter sind: Calamiten, den heutigen Equiseten mehr oder minder nahe
verwandt (Calamophyta) nebst den ihnen zugezählten Asterophylliten , femer
Sigillarien, einer erloschenen, von den Botanikern sehr mannigfach gedeuteten
Ordnung angehöng; Lycopodiaceen und Lepidodendren, die in den heutigen
Bärlapp-Gewächsen in unansehnlicher Vertretung noch fortleben; endlich Farnen,
namentlich Baumfamen (FiliceSy Geopterides) , den baumartigen Formen der
heutigen tropischen und subtropischen Gegenden nahe verwandt. Diese Geiäss-
kr3rptogamen bildeten in der carbonischen Periode die Hauptmasse der Land-
vegetation.
Von landbewohnenden Zellen-Kryptogamen oder Thallophyten weiss man
noch fast gar nichts. Sie mögen schon reichlich vertreten gewesen sein, ihre
Reste fielen aber der Zersetzung und Auflösung anheim.
Die Phanerogamen sind in der Steinkohlenflora — wie schon in der voraus-
gegangenen devonischen — bestimmt und verhältnissmässig reichlich vertreten
durch Coniferen (Araucariten). Man kennt von ihnen verkieselte Stämme und
beblätterte Zweige (Walchien). Auch erscheinen sie in manchen Kohlenflötzen
in Form von sogen. Faserkohle. Wahrscheinlich nahmen Nadelholzwaldungen
die trockneren sandigen Gebiete und vielleicht auch die Gebirge der carbonischen
Continente ein. Ausserdem war die phanerogamische Klasse in der Steinkohlen-
formation noch durch eine Anzahl zweifelhafter Pflanzenformen vertreten, die von
den Botanikern bald den Cycadeen, bald den Monocotyledonen zugetheilt wurden.
Dahin gehören namentlich die durch Stengel, Laubwerk und Blüthenstand ver-
tretenen Nöggerathien und eine Anzahl nussartiger dreiklappiger Früchte (Tri-
gonocarpum), die man bald letzteren zutheilt, bald für Verwandte der Palmen
nimmt. Reste von Pflanzen, die man mit grösserer Bestimmtheit auf Cycj-
deen oder auf Monocotyledonen bezieht, sind noch eine seltene Erscheinung.
Dicotyledonen-Reste fehlen noch.
Die carbonische Flora war also ungeachtet aller üppigen und riesenhaften
Vegetation doch in Bezug auf die Zahl der in ihr vertretenen Ordnungen.
Familien und Gattungen des Pflanzenreiches noch sehr einförmig im Vergleich
Carbonisches System. 121
TM der der späteren geologischen Perioden und der Jetztwelt. Man kennt bis
jetzt etwas über 800 wohl bestimmte Pflanzeharten aus der Steinkohlenformation,
wovon über 700 auf die Gefasskyptogamen kommen.
Rhizopoden oder Foraminiferen treten in der meerischen Schichtenfolge des
Steinkohlensystems zum ersten Male in sicheren Gattungen und in felsbildender
Häufigkeit auf. Im Kohlenkalk spielt die Gattung Fusulina^ aus der Abtheilung
der Helicostegier, mit spiral eingerolltem, meist in die Quere verlängertem, oft
spindelförmigem Gehäuse, eine wichtige Rolle. Die Fusulinen treten oft in un-
geheurer Zahl der Individuen auf und bilden namentlich den sogen. Fusulinen-
Kalk in der oberen Region des Kohlenkalkes von Russland. Mit Fusulina zeigen
sich auch die ersten Arten von Textularia, Nodosaria u. s. w.
Die Anthozoen des Kohlenkalkes tragen im Allgemeinen noch den Chai akter
der devonischen Korallen-Fauna. Die Artenzahl ist noch beiläufig gleich gross
geblieben. Vorwiegend sind noch immer die Tetracorallia (Zoantharia rugosa,
vom iypus tetrameraiis) und die Tabulaten.
Von letzteren zeichnet sich Chaetetes radians Fisch, durch grosse kugelige
oder knollige Stöcke aus, die von langen, schmalen, polygonal-säulenförmigen
Wohnzellen zusammengesetzt werden. Häufig im Kohlenkalk von Russland.
Michelinia Kon., ebenfalls eine Tabulate, bildet einen flachen, einer Bienen-
wabe nicht unähnli<::hen Stock, dessen Unterseite mit einem runzeligen Epithek
bekleidet ist und wurzelartige Ausläufer absendet. Die Böden (tabulae) sind
blasenfönnig und unregelmässig. Die Septen nur in Form schwacher Streifen
ausgebildet Arten devonisch und im Kohlenkalk. Michelinia favosa Kon. findet
sich sehr wohlerhalten im Kohlenkalk von Toumay.
Die Echinodermen bieten in der meerischen Fauna des Kohlenkalkes beiläufig
noch dieselbe Entfaltung der Ordnungen wie in der devonischen Epoche.
Die Crinoideen sind im Kohlenkalk noch häufig und artenreich vertreten,
namentlich durch die Gattungen Cyathocrinus, ActinocrinuSy Poteriocrinus, Platy-
crinus u. s. w. fast alle der Abtheilung der getäfelten Crinoideen (Crinoidea tesse-
lata) angehörend.
Die Blastoideen, ausgezeichnet durch fünf vom Munde ausstrahlende quer
gestreifte Felder, die eine täuschende Aehnlichkeit mit den Ambulacren der
Echiniden zeigen, erreichen im Kohlenkalk den Gipfel ihrer Entwickelung. Sie
sind namentlich auch insofern sehr charakteristisch für die Meeresfauna des car-
bonischen Systems, als sie im permischen schon erloschen erscheinen.
Die Echiniden sind im Kohlenkalk wie im devonischen System nur durch
Palechiniden vertreten, aber reichlicher an Gattungen und Arten. Bei diesen
palaeozoischen Echiniden sind die Tafelreihen der Interambulacral-Felder noch
viel zahlreicher als bei den echten Echiniden, die erst mit der Trias nachfolgen.
So hat Paiechinus eUgans Mac Coy aus dem Kohlenkalk von Irland — ausser
je zwei Tafelreihen in den Ambulacralfeldern — nocli je ftinf Tafelreihen in den
fünf interambulacralen Feldern, also 5 mal 2 = 10 und 5 mal 5 = 25, zusammen
35 vom Scheitel des Gehäuses zum Munde verlaufende Tafelreihen.
Die Mollusken des Steinkohlengebirges zeigen im allgemeinen Gepräge
wenige Züge, die von denen der devonischen Mollusken - Fauna abweichen.
Brachiopoden und Cephalopoden treten unter den fossilen Funden entschieden
nirück. Neu ist das Auftreten von Land und Süsswässer bewohnenden Formen.
Die Brachiopoden des Kohlenkalkes, obwohl im Vergleich zu denen des
122 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
devonischen Systems schon vermindert, bieten doch noch zahlreiche und be-
zeichnende Formen.
Durch Artenreich thum und Individuenmenge tritt die Gattung Froductus in
den Vordergrund. Es sind Brachiopoden ohne festes Armgerüst, ohne deutlichen
Schlossapparat und ohne Schlossfeld. Der Schnabel der gewölbteren Klappe ist
noch ziemlich eingewölbt, aber nicl t durchbohrt. Der Schlossrand ist gradlinig.
Das Gehäuse wird oft unregelmässig, besonders mit dem Alter. Viel verbreitet
ist Froductus setnireticulatus Flem. Die grössere Klappe ist gewölbt, im Alter
oft rasch umgebogen, die kleinere Klappe deckelartig und etwas eingesenkt.
Zahlreiche starke vom Wirbel ausstrahlende Streifen bedecken die Aussenflächc
des Gehäuses. Im jungen Zustande zeigen beide Klappen auch eine ebenso staiie
concentrische Runzelung, welche die Radialstreifung durchkreuzt. Auf jeder Seite
des Wirbels der grösseren Klappe stehen dem Schlossrande entlang lange röhren-
förmige Stacheln, die aber leicht abbrechen. Diese Art wird mit dem Schloss-
rand 3 — 5 Centim. breit und ist eine der wichtigsten Muscheln des Kohlenkalkes
(Visd in Belgien, Ratingen, Irland u. s. w).
Die Gattung Spirifer zeigt im Kohlenkalke noch einige bezeichnende Arten.
Spirifer glaber Sow. ist eine glatte Art mit sehr feinen Anwachsstreifen, njehr
oder minder gewölbt, meist etwas breiter als lang. Die grössere Klappe mit
breiter medianer Einsenkung oder Bucht, die kleinere Klappe mit entsprechend
breitem, sanft gewölbtem Wulst. Vorkommen häufig mit voriger Art, auch schon
im devonischen Kalke. Spirifer striatus Sow. wird der Schlosslinie entlang 13 bis
15 Centim. breit, hat zahlreiche starke Radialstreifen und ist in der allgemeinen
Form den devonischen Arten 5. speciosus und macropterus ähnlich, aber durch
zahlreichere feinere Radialsculptur von ihnen verschieden. Vorkommen häufig
im Kohlenkalke von Belgien, Ratingen, England u. a. O.
Die Acephalen treten in der Meeresfauna besonders des Kohlenkalkes stärker
hervor als im devonischen System. Häufig vertreten sind die Gattungen Pectcn,
Aviculay Conocardiumy Posidonomya u. s. w.
Posidonomya (Posidonia) Becheri Bronn ist eine wichtige Art in den Schiefer-
lagem des Culm. Das Gehäuse ist papierdünn, stark concentrisch gefaltet
Diese Art, meist flach gedrückt, bedeckt häufig die Schichten des sogen. Posi-
donomyen-Schiefers von Herborn in Nassau, Westphalen u. s. w. (Culm-Schichtcn;.
In den Schieferthonen der limnischen Steinkohlenbildung finden sich häufig
kleinere Schalen von Süsswasser-Acephalen aus der Verwandtschaft der heutigen
Unionen. Man bezeichnet sie als Anthracosien. Die Arten sind aber nur schwer
zu unterscheiden.
Pteropoden zeigen sich nur selten im Kohlenkalke. Von Heteropoden ist
Beilerophon — mit ungekammerter symmetrisch eingerollter Schale — im Kohlen-
kalke reichlich vertreten. Die Gasteropoden des Kohlenkalkes entsprechen nach
den Gattungen fast genau denen des devonischen Systems. Vorherrschend sind
Pieurotomaria^ Turbo^ Natica^ Euomphalus, Die Landschnecken erscheinen in
der limnischen Steinkohlen-Bildung durch das erste Vorkommen einer /V/«i
(Dendropupa) angemeldet Man fand sie in Neu-Schottland (Nova Scotia) zu-
sammen mit Landamphibien, einem Tausendfuss (Xylobius) u. s. w. im Schlamm
einer Höhlung eines Sigillarien-Stammes, der im Hangenden eines Kohlcnflötzes
in aufrechter Stellung erhalten wurde. Dies ist das älteste Vorkommen einer
luftathmenden Landschnecke.
Unter den Cephalopoden des Kohlenkalkes sind die Nautiken besonder^
♦ Carboniscbes System. 123
durch Orthoceras und Nautilus vertreten. Erloschen sind bereits die Clymenien,
Die Orthoceren erreichen hier noch ansehnliche Grösse.
Die Ammoneen sind im Kohlenkalke und in den Meeresschichten des Culm
durch eine Anzahl von Goniatiten vertreten. Goniatites sphaericus Haan — mit
kugeligem enggenabeltem Gehäuse, stark übergreifenden Windungen, spitzwinkelig
auf- und abgebogenen Lobenlinien — ist häufig im Kohlenkalke. Dieselbe Art
(G. crenistria Phil.) findet sich auch oft in den Posidonomyen-Schiefem des Culm.
Reste von Würmern sind in der Steinkohlenformation unerheblich, aber sehr
bedeutsam die der Crustaceen und der Insekten.
Unter den Phyllopoden verschwinden mit dem Kohlenkalke und dem Culm
die Trilobiten vom Schauplatze des Lebens. Es sind nur noch wenige kleine
.\iten vorhanden, meistens der Gattung Phülipsia angehörig. Mit Abschluss des
Kohlenkalkes ist die ganze in den älteren Formationen so reichlich vertretene
Abtheilung der Trilobiten erloschen.
Ein seltsamer Phyllopode des Kohlenkalkes ist Dithyrocaris Scouleri Mac
CoY aus Irland. Das Thier hat überraschende Aehnlichkeit mit dem lebenden
Apm, £^ trägt über dem Kopfe und dem vorderen Rumpftheile einen nieder-
gedrückten kreisrunden Rückenschild. Der Hinterleib ragt hinter dem Schilde
frei hervor und endet in drei lange borstenförmige Anhänge.
Esiheria begreift zweischalige Phyllopoden (Familie Limnadidtu)^ deren con-
centrisch gerunzelte Schalen denen der Posidonomyen und anderer Acephalen sehr
ähnlich sehen und früher fiir solche genommen wurden. Die Schalenoberfläche
üt aber netzförmig punktirt. Sie kommen in meerischen, brackischen und lim-
nischen Ablagerungen vor, am meisten in Schieferthonen. Sie dürften aber vor-
zugsweise dem Süsswasser und dem Brackwasser angehört haben, wie dies bei
den lebenden Estherien der Fall ist. Estkeria tenella Jordan findfet sich in der
Steinkohlenregion und im Rothliegenden.
Leaia ist eine mit Estheria nahe verwandte Gattung zweischaliger Phyllo-
poden. Es sind kleine hornige, unregelmässig-vierseitige gleichklappige Schalen,
denen gewisser Conchiferen ähnlich. Zwei Kiele strahlen vom Wirbel aus. Z.
Baentschiana findet sich in der oberen Steinkohlenformation zu Ottweiler bei
Saarbrücken in Lettenschichten zu Tausenden.
Ostracoden mit kleinen zweischaligen Gehäusen finden sich in der Stein-
kohlenbildung häufig mit den Estherien, sind aber im Uebrigen unerheblich.
Grössere Aufmerksamkeit erheischen die Belinuriden, nahe Verwandte der
I.imulen der heutigen wärmeren Meere. Man kennt mehrere Arten Belinurus aus
Eisenstein-Nieren (Lawer coal measures) von Coalbrookdale in England. Sie be-
stehen aus einem breiten halbmondförmigen, nach hinten in zwei längliche
spitzen auslaufenden Kopfschilde und einem beweglich damit verbundenen in
«eben, gleichfalls bewegliche Segmente gegliederten Rumpfschilde, welches
vrhliesslich in einen langen gespitzten Schwanz-Stachel ausläuft. Diese äussere
^iestaltung bietet eine gewisse Analogie mit der der vorausgegangenen Trilobiten,
DJJt denen die Belinuriden gleichwohl nicht in unmittelbarer Stammesverwandt-
^laft stehen mögen. Wahrscheinlich waren sie die nächsten Verwandten der
heute noch lebenden Limu/us-Arten, aber vielleicht Brackwasser-Bewohner.
Ein noch seltsamerer Gast ist der nur in einem einzigen Exemplare aus dem
Posidonomyenschiefer von Herborn in Nassau bekannte Bostrichopus antiquus
fK)LDF. Der eigentliche Thierkörper ist von ovalem Umriss und nur 3,3 Millim.
lang. Er besteht aus einem Kopfbnist-Stück, von dem vier Paar Füsse ausgehen
124 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
und einem segmentirten Hinterleib. Die vier Fusspaare gehen in gegliederte h\^
2 2 Millim. lange Borsten aus, die 2 vorderen Fusspaare theilen sich in je 5 Fäden,
das dritte Fusspaar in je 4 Fäden, das vierte Paar in je 16 Fäden, was zusammen
2 mal 30 Fäden ergiebt. Diese in der ganzen fossilen wie in der lebenden Fauna
vereinsamt stehende Form gehört vielleicht einem Entomostraken an, der nach
Art der heutigen Cirrhipedier sich mit einer gewissen Lebensstufe festsetzte und
eine rückschreitende Metamorphose erlitt. Man zählt dalier auch ßostrUhopus
vorläufig zu den Ciirhipediem, wiewol er der Vertreter einer Unterordnung sein
kann, von der sonst nichts erhalten wurde.
Eine wichtige Erscheinung im Steinkohlengebirge ist das plötzliche Henor-
treten einer verhältnissmässig reichlichen Anzahl von landbewohnenden Arthropoden
(Gliedfüssem). Wie mit einem Schlage erscheinen auf dem Schauplatze Scor-
pione (Cyclophthalmus und Murolabis)^ Tausendfiisse (Xylobius)^ Schaben (Biattinat
Käfer u. s. w. Diese Funde beruhen z. Th. nur auf einzelnen Individuen, die
sich unter besonders günstigen Umständen erhielten. So sind die Myriapoden,
Ordnung Diplopoda^ in der Steinkohlenformation nur durch einen einzigen runden
Tausendfuss, (Xylohius Sigillariae) vertreten, welchen Dawson aus Neu-Schottland
beschreibt. Er fand sich in einer von Schlamm und Laubwerk erfüllten Höhlung
eines Sigillarienstammes. Viele carbonische Funde von Arthropoden beschränken
sich auf unica. Die Funde sind im Zunehmen.
Die Fische des carbonischen Systems setzen die Reihen fort, die in der ober-
silurischen und der devonischen Formation eröffneten, nur sind die gepanzerten
Ganoiden in rascher Abnahme, die eckschuppigen in reichlicher Zunahme. Dazu
kommt das häufige Auftreten von Süsswasserfischen, aber diese sind erst als be-
sondere Arten von denen der Meeresfauna verschieden. Es sind besonders klein-
schuppige Rhombiferen, die aus dem Meere in die süssen Gewässer aufstiegen
und hier zu besonderen Formen sich umgestalteten.
Von Selachiern oder Knorj^elfischen haben sich auch in den Meeresah-
lagerungen der Steinkohlenepoche gewöhnlich nur vereinzelte Zähne und Flosscn-
stacheln erhalten, deren systematische Stellung mehr oder minder schwielig zu
ermitteln ist Namentlich ist der Kohlenkalk (Bristol in England, Armragh in Ir-
land) reich an solchen Resten. Man erwähnt Gattungen der Cestracionten, Hybo-
donten, Rochen und Chimäroiden.
Häufig sind unter Anderen im Kohlenkalke flache breite, mehr oder minder
gefaltete, oft abgekaute Mahlzähne, deren Kronen bisweilen noch auf ausgebrei-
teten Sockeln sitzen, seltener sind ganze Unterkiefern mit zusammenhängendem
Zahnpflaster. Man zählt die meisten dieser Funde den Cestracionten zu. Da-
hin gehört namentlich die Gattung Cociüiodus Ac. aus dem Kohlenkalke. Man
kennt von ihr den kurzen und breiten Unterkiefer. Beiderseits stehen einige
wenige rhomboidale gekrümmte und seitlich gewundene Mahlzähne, die ein fast
ineinander verfliessendes Kaupflaster darstellen. Jeder dieser Mahlzähne ent-
spricht einer der schiefen mehrzähligen Zahnreihen der lebenden Cestracm-
Arten, gleich als ob bei der carbonischen Form je eine Zahnreihe von älteren
vielzähnigen Cestracioniden in einem einzigen Mahlzahne verflossen wäre. Goch-
üodus contortus Ag. findet sich im Kohlenkalke von Bristol und Armagh.
Dahin gehören noch eine grosse Anzahl ähnlicher Formen von Mahlzähnen
aus dem Kohlenkalke, die man auf besondere Gattungen von carbonischen
Cestracioniden bezieht. Erwähnung unter ihnen verdient Fsammodus Ag. Hs
sind wulstige, abgekaute Kronplatten ohne besonderen Basaltheil. Die Kaufläche
Carbonisches System. 125
zeigt zahlreiche feine Punkte, die dem Hohlräume der Zahnröhrchen oder Den-
tin-Kanälchen entsprechen. Psammodus porosus Ag. ist häufig im Kohlenkalke
von Bristol in England. Die Psammodus-Zähne haben aber so grosse Aehnlich-
keit mit denen der Gattung Ceratodus aus der Trias, dass es sich sehr fragt, ob
nicht auch erstere schon auf Lurchfische oder Dipneusten zu beziehen sind.
Hybodonten (Squalitien mit mehr oder minder stumpfen Zahnspitzen) er-
scheinen wie im devonischen System so auch im Kohlenkalk.
Ausgezeichnet ist die Gattung Cladodus Ag. mit devonischen und car-
lK)nischen Arten. Es sind Haifisch-Zähne mit grossem längsgestreiftem an der
Spitze abgerundetem Hauptkegel und jederseits einem oder zwei niedrigeren
Seitenkegeln, von denen der äussere der grössere ist. Diese Zähne stehen auf
einer breiten knochigen Wurzel und zeigen schon ganz den Typus der später
erscheinenden Hybodonten. CL marginatus Ag. findet sich im Kohlenkalk von
Armagh.
Die Gattung Orodus Ag. aus dem Kohlenkalk weicht schon weiter ab. Der
nur wenig die zahlreichen Seit^nkegel überragende Hauptkegel bildet mit diesen
zusammen eine sägenartig ausgezackte Firste.
Die nmdschuppigen Schmelzfische, Ganoides cycliferi^ sind wie im devonischen
io auch im carbonischen System durch ausgezeichnete Cölacantheq und Holop-
tychier vertreten. Dahin gehört u. a. Holoptychius Hibberti Ag., von Owen zur
Gattung Rhizodus gezählt. Man kennt von Bourdiehouse bei Edinburg Unter-
kieferhälften mit starken spitzkegeligen Reihenzähnen und vereinzelten viel
längeren und dickeren Fangzahnen, die an Zähne der Labyrinthodonten und
Saurier späterer Formationen erinnern.
Die eckschuppigen Schmelzfische, Ganoides rhombiferi, setzen in einigen
•^chon devonisch vertretenen Familien im carbonischen System fort Neu und
reichlich beginnen die Palaeonisciden, bereits schon unverkennbare Verwandte der
heutigen Knochenhechte (LepidosUus) der Flüsse von Nord- Amerika. Die Familie
Pülatoniscidae zeig^ eine Körperbekleidung mit rhomboidischen Schmelzschuppen
und eine heterocerke Schwanzbildung. Die Kiefern sind bewaffnet mit zahl-
reichen kleinen dicht gedrängt stehenden und ziemlich stumpfen Zähnen (sogen,
liürstenformiges Gebiss). Typische Gattungen sind Palaeoniscus und Atnblypterus
mit carbonischen und permischen Arten. Amblypterus ist ausgezeichnet durch
die Grösse der Flossen. Einige Arten sind Süsswasserfische. Die Familie der
Acanthodier mit kleinen fast kömerartigen Schuppen und mit starken Flossen-
>tacheln liefert ebenfalls carbonische und permische Arten in Süsswasser-
ablageningen. Auch Saurichthyiden (Sauroiden) werden aus carbonischen
Schichten aufgeführt, ebenso die ersten Platysomen, die Vorläufer der späteren
Pycnodonten.
Eine neue Erscheinung im Steinkohlensystem ist die Klasse der Amphibien,
von welcher man aus der devonischen Epoche noch keine Spur kennt.
Mit der reichen Ausbreitung der Land- und Süsswasserflora in der carbo-
nis»chcn Epoche, dem Auftreten von Süsswasser-Accphalen und Süss wasserfischen,
dem Auflauchen luftathmender Insekten, Scorpione, Tausendftisser u. s. w. treten
ebenso unvorbereitet die Amphibien auf und alsbald mit einer ganzen Reihe von
(Gattungen, deren besondere systematische Stellung noch mehr oder minder pro-
blematisch bleibt. Es stellen sich damit bereits verschiedene Typen heraus, die
einerseits den älteren Fischen und Lurchfischen (Dipneusten) in gewissen
Charakteren sich noch anschliessen, andererseits den Land- und Süsswasser be-
126 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
wohnenden Molchen — Ichthyoden und Tritonen — schon natie entsprechen.
Darunter sind auch schon baumbewohnende mit einem Schuppenpanzer bekleidete
eidechsenartige Gestalten, wie Dendrerpttorij dessen Reste sich zuerst in einer
Höhlung eines aufrecht stehenden Sigillarien-Stammes fanden.
Im allgemeinen Gepräge präludiren diese ältesten fossil gefundenen Am-
phibien den Tritonen und Salamandern einerseits, den Labyrinth odonten anderer-
seits, auch schon, wiewohl in entfernterem Grade den Eidechsen. Aber frosch-
artige Gestalten sind unter ihnen noch nicht vertreten. R. Owen fasst die meisten
in der Ordnung Ganocephala oder Schmelzköpfe zusammen und diese Be-
nennung erinnert an ihre schon bei Ganoiden in ähnlicher Weise auftretende
Bepanzerung des Kopfes mit glänzenden emaiüirten Knochenplatten. Aber nicht
alle die zahlreichen bis jetzt schon fossil gefundenen Formen lassen sich mit
einem einzigen Rahmen umspannen. Bei allen oder doch den meisten ist die
Chorda der Wirbelsäule noch knorpelig und nicht fossil erhalten. Ebenso fehlt
aus dem gleichen Grunde der hinterste Schädeltheil mit den Gelenkköpfen
(condyli occipitaks). Alle oder die meisten trugen über den Kopf einen Panzer
von Ganoidplatten. Die Brust war durch besondere Knochenplatten beschult
Dazu kam bei einigen ein leichterer beweglicher Schuppenpanzer, während
andere nackt gewesen zu sein scheinen. Wo man die Zähne kennt, sind deren
äussere Schichten mehr oder weniger eingefaltet, ähnlich wie bei Holoptychiem
und bei Labyrinthodonten. Einige Fussßlhrten aus den gleichen Schichten sollen
sehr denen von Eidechsen gleichen. Unsere Kenntniss von dieser ältesten Am-
phibien-Fauna ist noch so im Wachsen und Schwanken, dass sich erst wenig
allgemein Gültiges darüber aussagen lässt.
Dendrerpeton Acadianum Owen aus einem aufrecht stehenden hohlen
Sigillarien-Stamme von Neu-Schottland hatte die Gestalt einer Baumeidechse und
besass schon verknöcherte längliche biconcave Wirbel,.
Baphetes raniceps Owen aus der Steinkohlenformation von Pictou in Neu-
schottland gründet sich auf ein Schädelbruchstück, das nach R. Owen schon
ganz den Bau des Labyrinthodonten-Schädels zeigt.
Allein aus der productiven Kohlenbildung oder den coal measures von Nord-
Amerika fühlt Marsh (1877) 12 gener^r von Amphibien auf, abgesehen von un-
sicheren Skelett-Bruchstücken, die von den ersten noch sehr problematischen
Reptilien herrühren sollen.
Dazu kommt aus den carbonischen Schichten (coal measuresy estuary sedh
ments) von Neu-Schottland noch ein Fund von grossen flachen stark biconcaven
Wirbelkörpem, ähnlich denen der Ichthyosauren und anderer flossenftissiger
Reptilien der Trias- und Jura-Epoche. Marsh hat sie unter dem Namen Eosaurus
beschrieben. Sie deuten auf grosse mit FlossenfUssen versehene Schwimm-Sauricr
(Enaliosauriiy Hydroiaurii) y aber es bedarf noch weiterer Funde, um es ge\*ivN
zu machen, dass diese Reptilien -Ordnung schon in der Steinkohlen -Epoche
anhub.
Chemische Processe in der Geologie. 127
Chemische Processe in der Geologie
von
Prof. Dr. V. Lasaulx.
Ad der Zusammensetzung der Gesteine, soweit diese als selbständige und
nach ihren Dimensionen als bedeutende Glieder der Gebirge und der Erdveste
überhaupt erscheinen, soweit sie also in den uns zugänglichen, allerdings nur
peripherischen Theilen des Planeten eine geologische Rolle spielen, nehmen aus
der grossen Zahl der vielen hundert bis jetzt bekannten Minerale und aus der
ganzen Reihe der in ihnen vorkommenden Elementarstoffe nur sehr wenige einen
regelmässigen Antheil. Weitaus die Mehrzahl der Elemente und Minerale
findet sich in den Gesteinen nur als vereinzelte, lokale, zufallige Bildungen.
Ist daher ihr Vorkommen und die Umstände ihrer Entstehung und Umwandlung
immerhin für geologische Fragen von einem gewissen Interesse, so kann man
ihnen doch keine grosse und allgemeine geologische Bedeutung zusprechen.
Eine solche besitzen von den chemischen Elementen eigentlich nur sieben:
Silicium, Aluminium, Calcium, Magnesium, Eisen, Kohlenstoff und der stets in
Verbindungen mit den ftinf ersteren erscheinende Sauerstoff. Schon untergeordneter
erscheint die Bedeutung der beiden Alkalimetalle, des Kalium und Natrium,
wenngleich deren Verbreitung in kleineren Mengen in den Gesteinen eine sehr
grosse ist. Noch seltener spielen Baryum, Strontium, Mangan, Chrom, Lithium,
Fluor, Phosphor, Schwefel eine eigentlich geologische Rolle.
Vorzugsweise sind es die Sauerstoffverbindungen der fünf erstgenannten
Elemente, die in den Gesteinen vorherrschen: die Kieselsäure, die Thonerde,
Kalk, Magnesia und die Oxyde des Eisens. Auch die Alkalimetalle treten meist
in Verbindung mit Sauerstoff als Kali und Natron auf, von Bedeutung ist jedoch
auch die Haloidverbindung, das Chlomatrium. Von Säuren ist die Phosphorsäure
und die Schwefelsäure in Verbindung mit Kalkerde, -Thonerde u. a , von Haloidsalzen
noch das Fluorcalcium zu nennen; auch die Schwefelverbindungen des Eisens
und einiger anderen Metalle sind häufig. Eine selbständige Stellung und Be-
deutung als Element hat unter den Gesteinen nur der Kohlenstoff, in der Form
^er Kohle, weit untergeordneter auch der Schwefel.
Bezüglich ihrer Verbreitung nehmen die erste Stelle die Quarz- und Silicat-
gesteinc ein, in denen also die Kieselsäure der herrschende Bestandtheil ist; die
zweite Stelle die Carbonate, vor allem der Kalkerde und der Magnesia; diesen
gegenüber erscheint die Verbreitung aller übrigen Verbindungen in den Gesteinen
iberhaupt nur als eine unbedeutende.
So mnfasst denn auch die Chemie der grossen geologischen Processe
'unachst nur ein eng begrenztes Gebiet, indem vorzüglich die genannten Elementar-
^ffe und Verbindungen in den Kreis ihrer Betrachtung fallen. Die grosse
Mannigfaltigkeit und die vielfachen Wechselbeziehungen chemischer Vorgänge,
die für die Erkenntniss der Entstehung und Umwandlung der Minerale Be-
dingung sind, kommen die für Erklärung geologischer Vorgänge nur ver-
einzelt und nur sehr theilweise zur Erörterung.
Nach der Art ihrer Wirksamkeit lassen sich die chemischen Processe in der
Geologie in 3 Abtheilungen bringen: i. die Neubildungen, 2. die Umwand-
lungen, 3. die Auflösungen. Die auf dem Wege feurigen Schmelzflusses
fxler der Sublimation aus hohen Temperaturen gebildeten Produkte sind von
I
128 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
vornherein überhaupt aus dem Kreis der Betrachtung auszuschliessen. Wenn sie
auch in den früheren Phasen des Entwicklungsganges, den die Erde durchlaufen
hat, in ausgedehnterer Weise aufgetreten sein mögen, so entziehen sie sich doch
grösstentheils einer sicheren Beurtheilung. Auch sind die Vorgänge in den noch
heute sich bildenden schmelzflüssigen Massen, z. B. der von den Vulkanen zutage
geförderten Laven in ihren eigentlich chemischen Wechselwirkungen nur sehr un
genau bekannt Die mit der Temperatur allmählich zunehmenden Zersetzungen,
die man als die Erscheinungen der Dissociation bezeichnet, treten darin ganz ge
wiss mit in Wirksamkeit, aber die Erklärung und die Bedeutung derselben in geo-
logischen Processen ist immer noch eine mehr oder weniger bloss hypothetische.
Die Sublimationsprodukte haben überhaupt nur eine lokale und fast ausschliesslicli
mineralogische Bedeutung: Beider Bildungen wird ausserdem in dem Kapitel:
»Vulkane« eines Näheren Erwähnung gethan.
So bleiben hier ausschliesslich solche Verhältnisse zu erörtern, wie sie in
Lösungen eintreten. Das sind mit Rücksicht auf die oben gegebene Eintheilung
Abscheidungen aus der Lösung, Wechselwirkungen gleichzeitig gelöster Substanzen
aufeinander, Auflösung fester Bestandtheile in Flüssigkeiten.
Als der wesentliche Träger aller dieser Vorgänge in der Natur ist das Wasser
zu bezeichnen, dessen chemische Wirksamkeit durch darin gelöste feste, flüssige
oder gasförmige Körper verschiedener Art vielfach geändert werden und mehr
oder weniger intensiv sich gestalten kann. Das reinste natürliche Wasser ist da^
atmosphärische im Regen oder Schnee niederfallende, es enthält aber doch gegen
3 Volumprocente Gase: Sauerstoff", Stickstoff' und Kohlensäure. Alle Fluss- und
Quellwasser enthalten in loooo Theilen i — 40 Theile gelöster, fester Bestandtheile
und vor allem auch grössere Mengen von Kohlensäure. Das Meerwasser enthalt
gegen 3 — 4^^ Salze, hauptsächlich Chlornatrium. Das kohlensäurehaltige Wasser
der Atmosphäre und der Quellen ist für die Mehrzahl der chemischen Processe
in der Geologie an erster Stelle, von Bedeutung.
L Neubildungen. Entstehung von Gesteinen als Präcipitate aus»
Lösungen.
Bei diesen Processen bleiben ausser Betracht die eigentlichen Sediment-
bildungen, d. h. solche Gesteine, die durch blossen mechanischen Absatz
der im Wasser suspendirten festen Körpertheilchen gebildet sind. Freilich giebi
es nur sehr wenige Bildungen, die ganz ausschliesslich als solche mechanische
Sedimente bezeichnet werden können. In den meisten Fällen ist mit dem
mechanischen Absatz auch eine chemische Ausscheidung geradezu gleichzeitig.
In anderen Fällen bildet sich ein Cäment, ein Bindemittel, welches mechanische
Sedimente verkittet und durchdringt, erst nachdem der Absatz erfolgt ist. Der
Natur der Sache nach kommen auch in allen rein chemischen Präcipitaten mehr
oder weniger reichlich mechanisch beigemengte Theile vor, sowie sich auch im
Becherglase, das eine chemische Lösung enthält, aus der sich eine Substanz ab*
scheidet, zufallige Staubtheilchen hinzugesellen, wenn jenes nicht sorgsam davor
behütet wird.
In gleicher Weise wird es ganz von der Beschaffenheit und dem Verhalten
einer Lösung abhängen, ob sich aus derselben nur ein einfaches oder ein zu-
sammengesetztes Präcipitat abscheidet. Beide Arten koipmen bei den Gesteinen
vor; denn auch diese bestehen nur aus einem oder aus mehreren verschiedenen
mineralischen Gemengtheilen und werden hiemach in einfache oder gemengte
Chemische Processe in der Geologie. 129
Gesteine unterschieden. Die in einfacher Weise als Präcipitate gebildeten Ge-
steine gehören allerdings grösstentheils der ersten Klasse an.
Niederschläge und somit auch Gesteinspräcipitate können überhaupt auf ver-
schiedene Art bewirkt werden, nämlich: i. Durch Concentration des Lösungs-
mittels, sei es durch Zufuhr der gelösten Stoffe oder durch Verdunstung; 2. durch
Abkühlung des Lösungsmittels oder Verminderung des Sättigungsgrades; 3. durch
chemische Veränderung des Lösungsmittels oder der gelösten Substanzen
(Reduction, Oxydation); 4. durch Fällung unter Bedingungen chemischer Ver-
wandtschaft, durch die Gegenwart eines Fällungsmittels; 5. durch combinirte
>\lrkung mehrerer der genannten Vorgänge; 6. durch direkte Einwirkung von
Organismen.
Von diesen Arten der chemischen Gesteinsbildung erscheint die einfachste
die erste, durch Concentration oder Verdunstung der Lösung. Sie scheint
in der Natur auch heute noch am häufigsten vorzukommen und ist wohl auch
in den älteren geologischen Epochen in gleicher Weise vorherrschend gewesen.
Die in Wasser oder kohlensäurehaltigem Wasser am leichtesten löslichen
mineralischen Bestandtheile und daraus bestehende Gesteine sind auch am ehesten
als Niederschläge auf diese Weise zu erhalten; es sind dieses vor allem die ver-
schiedenen Carbonate, die Sulfate und Chloride, von denen wiederum als Gesteine
die Kalksteine, Dolomite, Magnesit, Spatheisenstein, Gyps und Anhydrit, Stein-
salz und seine Begleiter von geologischer Bedeutung sind. Allerdings sind auch
noch viele andere Minerale in Wasser löslich, wenn auch in weit geringerem
Maasse, so z. B. sogar der Quarz. In der Natur dienen vorzüglich die Alkali-
carbonate als Lösungsmittel für die Kieselsäure und diese findet sich daher auch
im Quell-, Fluss- und Meerwasser in geringen Mengen. Auch den Oxyden des
Eisens: dem Eisenoxyd oder Rotheisenstein, den Hydraten oder Brauneisensteinen
&Dd dem Oxyd-Oxydul, dem Magneteisen kommt ein geringer Grad von Löslich-
keit im Wasser zu. Alle diese können daher auch als Absätze aus wässriger
Losung erhalten werden.
Druck und Temperatur sind stets von Einfluss auf die Löslichkeit dieser
ond anderer Substanzen im Wasser. Während die Wirkungen gesteigerten
Dnickes noch nicht allgemein feststehen, ist ohne Zweifel eine gesteigerte
Temperatur in allen Fällen ein sehr wirksames Beförderungsmittel der Löslich-
keit. Hierdiu-ch vereinigt sich in vielen Fällen mit der grösseren Concentration
einer Lösung und dadurch bewirkter Abscheidung auch die Verminderung des
Sättigungsgrades durch Abkühlung. Die ist ganz besonders bei allen warmen
Quellen der Fall, in denen sich Niederschläge bilden.
Einer der am weitesten verbreiteten und gewöhnlichsten Absätze aus
Lösungen ist das Kalkcarbonat, entweder in der Form des Kalkspathes oder
des Aragonites.
Wenn gleich die Frage, unter welchen Umständen sich die rhomboädrisch
kiystallisirende Form des Kalkspathes und wann die rhombische des Aragonites
bildet y noch keineswegs endgültig entschieden ist, so lässt doch das häufige
gemeinsame Vorkommen beider an denselben Stellen darauf schliessen, dass
sehr feine Nüancirungen in den Bedingungen der Lösung das eine Mal die eine,
das andere Mal die andere Form des Kalkcarbonates zur Abscheidung zu bringen
\ennogen. Hiemach schon erscheint es wenig wahrscheinlich, dass die Bei-
mengung einer fremden Substanz die Formänderung bedinge. Im Gegentheil
iber vermögen der Grad der Concentration und Temperatur der Lösung, die
KtsatCTTT, Min., Geol. u. Pal. I. Q
130 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
beide leicht geringen und oft wiederholten Schwankungen unterworfen sem können,
sehr wohl die Erklärung auch in Uebereinstimmung mit dem eng verbundenen
Vorkommen in der Natur zu bieten. Aragonit scheint vor allem einen höheren
Temperaturgrad des Lösungsmittels zu seiner Abscheidung vorauszusetzen, kh
Gestein spielt er nur eine untergeordnete Rolle, wenngleich die aus Aragonit
bestehenden Absätze thermaler Quellen oft eine ziemliche Mächtigkeit imd Aus-
dehnung erlangen.
Eine der interessantesten und bestgekannten Ablagerungen dieser Art sind
die Sprudelsteine und Sinterbildungen zu Karlsbad in Böhmen. Das Wasser des
Sprudels besitzt eine Temperatur von 73° C. Eine grössere Zahl von Analysen
hat uns die Kenntniss der im Wasser gelösten Bestandtheile verschafft Am vor-
herrschendsten sind darunter die Sulfate von Natron und Kali, während dit
Kalk- und Magnesiasulfate gänzlich fehlen, dann Chlomatrium und kohlensaures
Natron. In viel geringerer Menge, nur 0,29 J (die gelösten Bestandtheile betragen
überhaupt 5,4 f) ist Kalkerdecarbonat vorhanden, noch weniger die anderen Carbo*
nate. Jedoch zeigt die Analyse gerade des Karlsbader Sprudels, wie zahlreich die in
einer Quelle in minimalen Mengen gelösten Bestandtheile überhaupt sein können.
Es wurden folgende Verbindungen und Stoffe gefunden: Kohlensäure, Schwefel-
säure, Phosphorsäure, Kieselsäure, Thonerde, Kalkerde, Magnesia, Natron, Kali.
Baryterde, Strontia, Eisen, Chlor, Jod, Brom, Fluor, Selen, Bor, Antimon, Arsen,
Gold, Kupfer, Chrom, Zink, Kobalt, Nickel, Titan, Lithion und organische Sub-
stanz: also nicht weniger wie 30 Elemente in dieser einen Quelle.
Trotz der geringen Menge des vorhandenen Kalkerdecarbonates scheidet sidi
dieses sofort mit der Erkaltung des Sprudelwassers ab, wozu freilich vielleicht
in noch höherem Maasse das Entweichen der Kohlensäure und damit eine
bedeutende Erniedrigung des Sättigungsgrades der Lösimg für die Carbonate
beiträgt.
Der gebildete Sprudelstein besteht aus Aragonit oder aus Aragonit xnit|
Kalkspath gemengt. Die bald weisse, bald lederbraune, meist in abwechselnden:
Lagen auftretende Färbung ist dadurch bedingt, dass bei Zutritt des Sauerstoffes
der Luft aus dem gelösten Eisenoxydulcarbonat im Augenblicke der Abscheidun^
durch Oxydation sich Eisenoxydhydrat bildet, welches die braunen 2k>nen färbt,
die weissen sind frei davon, enthalten dann aber das Eisenoxydulcarbonat Der
Sprudelstein enthält übrigens 96 — 97^ Kalkerdecarbonat, der eisenreiche etwa^
weniger, eine Spur von Kieselsäure ist vorhanden.
Die charakteristische Form der Sprudelabsätze, die daher den Namen Erbsen^
stein erhalten haben und aus kleineren oder grösseren, aus concentrischen I^cH
bestehenden Kügelchen zusammengesetzt sind, verdankt ihre Entstehung dem Um
Stande, dass das aufwallende Wasser des Sprudels kleine Sandkömchen so laiigtl
in auf und ab tanzender Bewegung erhält und sie dabei fortwährend dreht, bis $1^
durch Inkrustation mit Aragonit und Kalkspath so schwer geworden sind, dasi
sie der Sprudel nicht mehr emporzuheben vermag. Dieselbe Ablagerung \ot
Kalkerdecarbonat bildet sich aber auch um Gas- oder Luftbläschen und in solches
Erbsen findet sich in der Mitte eine Höhlung.
Im Laufe der Zeit ist über der Ausflussöffhung des Sprudels eine dick^
Schaale aus Sprudelstein abgesetzt worden, die von Hochsteiter ') auf mehr all
200 Quadratklafter Oberfläche berechnet wird. Derselbe giebt auch an, dass des
*) Karhbad, «eine gengnoM. VerhKltni«!te und «eine Quellen. Karbb«d 1836.
Chemische Processe in der Geologie. 131
Sprudel täglich 2880 Pfund, jährlich etwas über eine Million Pfund Sinter liefern
könne. Aehnliche Sinter wie die Karlsbader u. a. setzen auch die zu Aedepsos
an der Westseite von Nordeuböa hervorbrechenden 75 — 80° heissen Sprudelquellen
ab, faserige Aragonitlagen z. Th. mit feinfasrigem Kalkspath wechselnd. Jede
Quelle baut aus dem Sinter den Kegel auf, aus dem sie hervorquillt^). Ein
bis 200 Meter hoher Bergzug besteht ganz aus dem von den Quellen abgesetzten
Kalkstein.
Gerade die Absätze der Mineralquellen zeigen am besten, wie geringe
Aendeningen in der Concentration, der Temperatur oder auch den vorhandenen
gelösten Bestandtheilen auffallende Verschiedenheiten der Niederschläge hervor-
zurufen vermögen. So wechseln an manchen Quellen Kalksinter sogar mit Kiesel-
Sinter ab.
Warme Quellen mit reichem Kalkgehalte, aber nur wenig Eisen enthaltend,
änd vorzugsweise Kalktuff bildend. Enthält das Quellwasser nebenbei Schwefel-
wasseistoffgas, so kaim sich gleichzeitig auch Gyps und Schwefel bilden. Das ist
z.B. der Fall bei den 47 — 50° heissen Quellen von S. Filippo am Monte Amiata
in Toscana. Hier hat sich in einem kleinen Sammelteich in ca. 20 Jahren eine
10 Meter starke Kalktuffschicht gebildet. Das milchige Wasser setzt in den
Leitungen neben Kalkerdecarbonat vorzüglich Gyps ab, dem jedoch auch Bitter-
salz und Schwefel beigemengt ist.
Die weite Verbreitung der Stalaktiten aus Kalkspath und Aragonit in fast
allen Höhlungen der Kalkgebirge lässt sowohl die Leichtlöslichkeit dieses Carbo-
nales als auch die Leichtigkeit seiner Ausscheidimg aus der verdunstenden Lösung
erkennen. Unter gewölbten Brückenbogen, durch welche Wasser hindurchsickem,
^ht man die Kalkstalaktiten fast wachsen; oft noch eine weiche, weisse Masse,
^gen sie von der Decke und erlangen schon nach kurzer Zeit ansehnliche
i^ge und Härte. Hier ist es natürlich nur die Verdunstung, welche die Ab-
^heidung des vom Wasser im Mörtel des Mauerwerkes gelösten Kalkes be-
'rtt So entstehen auch manchmal in dem Mauerwerke von Ruinen, so
^ B. zu Blankenburg a. d. Sieg, wie Nöggerath mittheilt, sehr starke schnee-
'Qsse, schalig abgesonderte Kalksinterrinden und in gleicher Weise dieselben
^ Th. auch in vollkommen ausgebildeten Krystallen von Kalkspath noch immer-
fort als Ausfüllung der Fugen zwischen den Prismen mancher rheinischen
B^tkuppen« Bekannt sind auch die Kalksintermassen, die in dem Inneren der
romischen Wasserleitung zwischen Cöln und Trier zur Abscheidung kamen, die
^ bedeutend sind, dass daraus stattliche Säulen für Kirchen herausgeschnitten
*trden konnten.
Die chemischen Verhältnisse, die bei der Abscheidung mariner Kalke ob-
i^ewaltet haben, sind keineswegs ebenso einfach. Das Meerwasser setzt erst
«^ Kalkerdecarbonat ab, wenn das Wasser durch Verdunstung fast auf die Hälfte
eine sehr starke Concentration erlangt hat Das könnte eigentlich nur in abge-
^Wossenen und austrocknenden Meeresbuchten der Fall sein, in denen dann aber
«ne ganze Reihe anderer Salze z. Th. mit, z. Th. nach den Carbonaten sich aus-
scheiden würden. Nur dort ist eine direkte Abscheidung von Kalkerdecarbonat
lüs dem Meere denkbar, wo reichlich mit diesem beladene Bach- oder Fluss-
*as8er eine grosse Zufuhr in das Meer bringen und dadurch eine bedeutende
*} RcsBGGKR, Jahrb. f. Mineral 1839. ^91 u* C'- Rose, Abb. Berl. Akad. d. Wissen-
'bheo 1856. pog. 63.
9*
132 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Concentration desselben an Carbonat bewirken. Tritt dann gleichzeitig bei ge-
ringer DifRision der concentrirten Lösung in das Meerwasser eine starke Ver-
dunstung ein, so findet eine Ausfällung des Kalkerdecarbonates statt So bilden
sich z. B. Kalksteine an den sicilianischen Küsten bei Messina und an der Nord*
küste bei Palermo noch heutigen Tages, denn die Bedingung zeitweise sehr starker
Verdunstung bei reichlicher Zufuhr concentrirter Carbonatlösung ist dort erfüllt
Bei der Bildung des eigentlichen Tiefsee-Kalkes ist jedenfalls der Mitwirkung der
Organismen auf die Ausscheidung der grösste Einfluss zuzuschreiben. Der Tief
seeschlamm und auch die Kreide besteht zum grossen Theil aus leeren, mikros-
kopischen Kalkschalen abgestorbener Organismen. So bildete sich auch wohl der
grösste Theil der marinen Kalksteine erst durch Wiederlösung, Infiltration und
Neuabsatz aus dem Kalke heraus, den Organismen zuerst aus dem Meerwasser
abgeschieden hatten.
Aus einer Lösung von Kalkerde- und Magnesiacarbonat in kohlensäurebaltigeni
Wasser fällt bei einfacher Verdunstung der Lösung zuerst das leichter lösliche Kalk-
erdecarbonat als krystallinischer Niederschlag mit etwa 9 — 10)^ Magnesiacarbonat
und dann erst wasserhaltiges Magnesiacarbonat; ähnlich verhält sich auch die
Lösung beim Erwärmen; auch da entsteht kein eigentlicher Dolomit, das Doppel-
salz der beiden Carbonate. Auch eine Lösung von Magnesiacarbonat in kohlen
saurem Wasser setzt bei Verdunstung, auch in höherer Temperatur, keinen den in
der Natur vorkommenden Magnesiten ähnlichen Niederschlag ab. Diese scheinen
tiberall nur als das Resultat mehr oder weniger complicirter Verwitterungsvorgänge
z. B. aus Serpentin zu entstehen. Magnesiacarbonat in Verbindung mit anderen
Carbonaten kommt allerdings als Absatz aus Quell- und anderen Wassern vor
und so findet sich auch eigentlicher Dolomit. Solcher verkittet z. B. nad-
Breithaupt Geschiebe im Flussbett des Neckars, wo doch wohl nur Verdunstung
die Abscheidung bewirkt haben kann. Die Quelle von St Nectaire im Mont
Dore setzt einen an Magnesiacarbonat ziemlich reichen Kalksinter ab. Manche
dolomitische Süsswasserkalkbildungen sind direkte Absätze, in denen allerding>
das Verhältniss der beiden Carbonate ein sehr variabeles ist. Diese Bei-
spiele zeigen, dass also auch bei gewöhnlicher Temperatur und unter einfachen
Verhältnissen Dolomit sich bilden kann. In höheren Temperaturen und bei der
Wechselwirkung von Magnesiasulfat und Kalkerdecarbonat kann allerdings leicht
Dolomit erhalten werden. In der Natur mag dies aber wohl kaum so geschehen
sein. Die meisten Dolomite sind erst aus der Umwandlung von Kalksteinen
hervorgegangen; davon wird nachher die Rede sein.
Einzelne Thatsachen beweisen auch den wirklichen einfachen Absatz von
Eisenoxydulcarbonat oder Spatheisenstein aus Quellen, wobei dann allerdings
Ausschluss des Sauerstoffes vorausgesetzt werden muss. 'Sonst wird das Eisen-
oxydul des Carbonates in wässeriger Lösung schnell höher oxydirt und als Eisen-
oxydhydrat ausgeschieden. In der Stein- und Braunkohlenformation lässt siel
die Entstehung der Sphärosiderite unter Mitwirkung der kräftig redudrend wirken-
den Kohlenwasserstoffe erklären. Eisenoxyd wird von denselben zu Oxydul
reducirt und dieses von der dadurch entstehenden und das Kohlenwasserstoffgas
begleitenden Kohlensäure in das Carbonat umgewandelt. Die Brauneisensteine
sind z. Th. umgewandelte Carbonate, entstehen jedoch auch, wie die Rasen
und Sumpferze beweisen, durch direkte Abscheidung aus dem Wasser mit un»!
ohne die Thcilnahmc von Organismen, welche durch Production freien Sauer
Stoffes die Oxydation des gefällten Oxyduls bewirken.
Chemische Processe m der Geologie. 133
Eine der wichtigsten geologischen Bildungen aus verdunstenden Lösungen
ist das Steinsalz und seine Begleiter. Einfach tritt der Process in allen Salinen
und in den Salzlagunen so vieler Meeresküsten uns entgegen; bei der Bildung
der Steinsalzlagerstätten sind die Vorgänge sehr viel complicirter, wenn auch
im Ganzen chemisch die gleichen gewesen. Bei keiner der durch chemische
Ausscheidung bewirkten Gesteinsbildungen zeigen sich die Beziehungen des Lös-
lichkeitsgrades zu der Reihenfolge der Niederschläge aus einer und derselben
Losung, wie sie in diesem Falle ein Salzwasserbecken, eine verdunstende Salz-
lagune darstellt, deutlicher.
Im Meerwasser finden sich 32 Elemente, und die Verbindungen derselben,
darunter allerdings überwiegend die Chlorverbindungen der Alkalimetalle, des Cal-
dom, des Magnesium und deren schwefelsaure Salze. Vielleicht sind in Spuren
noch viel mehr, oder gar alle Elemente vorhanden. Jedenfalls sind dadurch die
Bedingungen zu den vielfachsten Wechselwirkungen chemischer Verwandtschaften
gegeben. Da der Gehalt des Meerwassers an Carbonaten nur ein sehr geringer
i^ so spielt die Abscheidung derselben keine Rolle, sie würden sonst als erste
und unterste Glieder iil der Reihe der Niederschläge erscheinen, allerdings auch
erst nach bedeutender Concentration des Meerwassers etwa auf die Hälfte seines
Volumens. Dann folgt die Abscheidung von Kalkerdesulfat und erst bei einer
weiteren Concentration auf etwa -^ des ursprünglichen Volumens beginnt die
Fällung des Chlomatriums imd der begleitenden Salze. Daraus ist schon zu
erkennen, dass lange Zeiträume erforderlich sein müssen, um die Verdunstung
^ gewaltiger Wassermengen zu bewirken, als nöthig sind, um einigermaassen
bedeutende Steinsalzlager daraus zu präcipitiren.
Während die schwerer löslichen Sulfate: Anhydrit und Gyps also eigentlich
als die regelmässigen Unterlagen der Steinsalzmassen erscheinen müssen, scheiden
ach nach diesen nur noch die sogen. Mutterlaugensalze: Chlormagnesium,
Magnesiasulfat, Bromnatrium und Chlorkalium, viele andere Salze und Reste von
Steinsalz selbst aus.
Wäre in irgend einem Falle in der Natur die vollständige Verdunstung
eines Meeresbeckens in ungestörter, gleich massiger Weise verlaufen, so würde
aae solche Steinsalzlagerstätte auch ein einfaches, leicht verständliches Bild ihrer
Z^isammensetzung ergeben. In Wirklichkeit ist aber dieser, lange Zeiträume um-
fassende Process vielfach gestört und unterbrochen worden. Es hat sich die
Concentration der Lösung häufig geändert, indem z. B. die Süsswasserzuflüsse in
ein solches verdunstendes Salzbecken ab und zu sich steigerten oder andererseits
aoch erneute Einbrüche des Meeres selbst in jenes stattfanden. So zeigen alle
Steinsalzlagerstätten lokale Verschiedenheiten: gewisse Salze sind in den einen
Ablagerungen nicht zur Ausscheidung gekommen, in anderen besonders reichlich.
Das ist z. B. mit den technologisch so überaus wichtigen Mutterlaugensalzen,
ganz besonders den sogen. Kalisalzen der Fall, die nur in einigen bevorzugten
^lagerstätten über dem eigentiichen Steinsalze ungestört zur Ausscheidung
gelangt zu sein scheinen. Neue Einbrüche des Meeres verhinderten in den
sacisten Fällen die zu ihrer Abscheidung nöthige Concentration der Salzbecken,
oder aber die Hebung des Meeresbodens legte diese trocken, ehe die Möglichkeit
der Bildung dieser Überaus leicht löslichen Salze durch fortgesetzte Verdunstung
der Lösung eingetreten war.
Emes der vollständigsten Bilder einer Steinsalzablagerung bietet die Mulde
'on Stassfiirt. Ihr zur Unterlage dienen jedenfalls Gyps und Anhydritgesteine;
134 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
das eigentliche Liegende der Lagerstätte ist aber noch nicht erreicht Die
tiefsten bekannten Parthien des Steinsalzes zeigen sich aber noch mit zahlreichen
Schichten und Schnüren von Gyps und Anhydrit durchzogen.
Ueber dem eigentlichen Salzlager folgt die sogen. Polyhalitregion in
einer Mächtigkeit von 63 Meter, nicht mehr reines Steinsalz sondern mit
Schnüren und mehr oder weniger bedeutenden Parthien von Polyhalii
(K«0-SO»-+-MgO.SO»H-2CaO-S08H-2aq) und anderen begleitenden Salzen,
vorzüglich Sulfaten durchzogen.
Darüber folgt die Kieseritregion, 56 Meter mächtig, worin das Magnesia-
sulfat (Kieserit = MgO*SO' + aq) wesentlich als Beimengung des Steinsalzes er-
scheint. Darüber endlich die Camallitregion, 30 Meter mächtig, ein Gemenge von
Steinsalz z. Th. mit Sulfaten, aber vorzüglich mit den leicht löslichen Chloriden.
Camallit =KCl-+-MgCl>-+-6aq; Sylvin =KCl; Kainit =MgO.SO»H-KCl-i-2aq
Tachydrit = CaCP -+- 2MgCl> H- 12aq; Schönit oder Pikromerit K«0 • S0>
MgO-SO* -+- 6aq; endlich auch die Borverbindungen, der Boradt =MgCl'
2Mg'B*0** und einige aus diesem hervorgegangene wasserhaltige Um-
wandlungsprodukte. Die Folge der Ausscheidungen entspricht im Allgemeinen
dem Löslichkeitsgrade der Salze: die leichtest löslichen erscheinen in der Reihe
zu oberst, die schwerstlöslichen zu unterst. Als Decke der Ablagerung tritt eir
noch mit Salzen gemengter Thon auf, der auch die unter ihm liegenden Mutter-
laugensalze gegen die Wiederauflösung schützte.
Mit den abgeschiedenen Salzen vereinigen sich in allen Steinsalzlagerstatten
mehr oder weniger reichliche mechanische Sedimente, die sich aus den im Meer-
wasser suspendirten festen Bestandtheilen, thoniger oder kalkiger Beschaffenheit
bilden. Sie verunreinigen das Salzgebirge und durchziehen es oft in vielfach
wiederholten Lagen: die sogen. Haselgebirge.
Die beiden Sulfate: Anhydrit und Gyps sind überall als Abscheidungen
aus der Lösung charakterisirt, aber dennoch nicht überall unter gleichen Um
ständen gebildet. Anhydrit ist künstlich nur schwer zu erhalten, er scheint nnr
in hoher Temperatur und unter Druck sich abzuscheiden. Die in Dampfkesseln
gebildeten sogen. Kesselsteine haben zuweilen eine dem Anhydrit sich nähemde
wasserfreie Zusammensetzung. Der am Boden tiefer Meere, z. B. als Unterlage
mächtiger Steinsalzlager gebildete Anhydrit mag wohl hier den nöthigen Dnici
in der aufruhenden Wassersäule selbst gefunden haben, wenn nicht dort aucV
Wechselbeziehungen zu den anderen mit in Lösung befindlichen Salzen wirksam
wurden. Gyps mit gesättigter Chlomatriumlösung und etwas Chlomatrium in
einer Glasröhre erhitzt giebt Krystalle von Anhydrit Lässt man dieselbe Lösung
bei gewöhnlicher Temperatur stehen, so scheidet sich Gyps ab. Daraus scheint
hervorzugehen, dass bei gewöhnlicher Temperatur die wasserfreie schwefelsaurt
Kalkerde aus einer gesättigten Chlomatriumlösung Wasser aufnimmt, bei höherer
Temperatur dagegen dieselbe Lösung dem Gyps Wasser entzieht Dass solche
Einflüsse in den tiefsten Theilen der sich bildenden Steinsalzlagerstätten wirksair
gewesen seien, ist durchaus nicht unwahrscheinlich.
Gyps ist im Gegentheile sehr leicht und in sehr verschiedener Weise ;•
erhalten: sowohl durch einfaches Verdunsten einer Gypslösung als auch dun^
Wechselwirkungen, z. B. aus einer erwärmten Lösung von Kalkerdecarbonat unti
Magnesiasulfat, worin sich Gyps bildet und Magnesiacarbonat in Lösoqg bleibt.
oder auch durch die Einwirkung von Schwefelmetallen, die bei ihrer Zeisetxung
Chemische Processc in der Geologie. 135
and Verwitterung Schwefelsäure liefern ^ welche dann auf Kalkerdecarbonate,
kalkerdehaltige Minerale, auch solche Silicate, einwirkt und Gyps liefert.
Wie leicht und schnell aus Gypslösung die Bildung von Gypskrystallen er-
folgt, zeigt sich schon dann, wenn man solche Lösung durch einen mit losem
Quarzgms erfüllten Topf hindurchsickem lässt. Durch die Verdunstung der
Lösung erfüllen sich schon nach wenigen Tagen alle Höhlungen zwischen den
Quaxzkömem mit kleinen Gypsnädelchen. Zahlreiche sehr grosse, wohlgebildete
Kiystalle von Gyps fand Dronke im Juli 1867 bei Abtragung der aus dem Jahre
1828 stammenden Thonbedeckung eines Forts der Festung Ehrenbreitstein.
Dieselben hatten sich also in weniger als 40 Jahren gebildet.
Bei den mannigfachen Wechsellagerungen ' von Gyps mitten zwischen Kalk-
steinen und Mergeln, lässt sich derselbe aber dennoch nicht immer als eine ein-
fache Abscheidung erklären* Wir müssen für die Meere, aus denen sich so mäch-
äge Gypsbänke ausschieden, wie sie z. B. im Zechsteine sich finden, jedenfalls
dne höhere Concentration an Kalkerdesulfat annehmen, als sie unsere heutigen
Meere besitzen ; aus diesen würden wohl kaum solche Gypsabscheidungen erfolgen
können. Hier mögen Wechselwirkungen, wie sie oben angeführt wurden, die
im Wesentlichen auf einem Austausche der Kohlensäure des Carbonates gegen
Schwefelsäure beruhen, mit gewirkt haben. Es gehören diese Processe dann
aber in das Kapitel der Umwandlungen.
Als Absatz aus Quellen und Gewässern, die freie Schwefelsäure enthalten,
die von zersetzten Metallsulfureten herrührt und gleichzeitig aus der Einwirkung
auf Kalksteine gelösten Kalk enthalten, kann ebenfalls Gyps sich niederschlagen.
Die sogen. Domsteine der Salinen bestehen je nach der Zusammensetzung der
Todunsteten Salzsoolen entweder aus Kalkerdecarbonat oder aus deren Sulfat.
Auch Kieselsäure und die Verbindungen derselben (Quarz- und Silicat-
gesteine) vermögen sich als directe Niederschläge aus Lösungen zu bilden.
Hdsse und kalte Quellen, welche die in Gesteinen unter Mitwirkung von Alkali-
carbonat gelöste Kieselsäure enthalten sind gar nicht selten. Es giebt vielfach
sogen, versteinernde Bäche, in denen Holzstücke schnell von abgesetzter Kiesel-
säure imprägnirt und silicifirt werden. Die warmen Quellen scheiden, beim Ver-
dampfen und wenn sich ihr Wasser über grössere Flächen verbreitet und schnell
?erdunstet, die Kieselsäure ab. Die so gebildeten Absätze enthalten die Kiesel-
säure in verschiedener Form: als Quarz, Chalcedon, Kieselsinter, Kieseltuff, Opal.
Die verschiedenen Formen pflegen mit einander vorzukommen.
In den Kieselsäureabscheidungen aus Thermen pflegen Kalk und Eisen-
oxydulcarbonat meist gänzlich zu fehlen oder nur in geringer Menge vorhanden
zu sein; die alkalischen Salze (Carbonate und Sulfate) sind viel leichter löslich,
bleiben daher in Lösung und scheiden sich erst später und an anderen Orten
aas. Die Absätze von Kieselsäure nehmen oft recht bedeutende Dimensionen an.
Der grosse Geysir in Island hat aus seinen Sintern und Tuffen, die aus ver-
kieselten Pflanzenresten bestehen, einen weisslich grau gefärbten, flachgewölbten
Kegel von ca. 10 Meter Höhe und fast 70 Meter Durchmesser aufgebaut. Das
ganze Quellsystem, zu welchem er gehört, hat mit solchen Kieselsäureabsätzen
eine Fläche von 1000 O Meter bedeckt. Die Gesammtheit der dortigen Bildungen
dieser Art umfasst ein Areal von 2 französ. Stunden Länge und ^ Stunde Breite.
Aehnliche Absätze von Kieselsäure kennt man in grosser Verbreitung auf den
Azoren, den Canarischen Inseln, Madeira, in Califomien, Nevada, Montana
Wyoming in Nord-Amerika, auf den Phillippinen, in Grönland u. a. O. Ganz
136 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
besonders merkwürdig sind die durch von Hochstetter näher beschriebenen
Kieselsinterablagerungen in dem Geysirgebiete der Seen im Mittelpunkte der
Nord-Insel von Neu-Seeland, vor allem jene von Rotorua. In Nord-Amerika hat
besonders das Geysirgebiet des Yellowstonerivers auf der Grenze der beiden
Staaten Montana und Wyoming eine grosse Berühmtheit erlangt.
Hier liegt etwa 8 Kilometer oberhalb der durch ihre groteske Scencrie aus-
gezeichneten Wasserfälle des grossen Caüon dieses Flusses eine Gruppe von
Dampf- und Schlammquellen, z. Th. erloschen, z. Th. aber noch in lebhafter
dampfkesselartiger Thädgkeit. Eine Quelle führt den bezeichnenden Namen
»Lokomotive yet«. Alle haben Schornsteine oder thurmartige Kegel aus schnee-
weissem oder von Schwefel gelb gefärbtem Kieselsinter aufgebaut. Die Quellen
zählen nach Hunderten, einige ihrer Becken haben bis zu 40 sogar 70 Meter
Durchmesser, die gebildeten Sinterkegel bis zu 1 5 Meter Höhe. Die Temperatur
der Quellen schwankt von 50° C. bis 90° C. Es scheint, dass nur die heissesten
Quellen reinen, blendend weissen Kieseisinter ausscheiden, während in den-
jenigen, deren Temperatur unter 65^ beträgt, das gleichzeitig sich abscheidende
Eisenoxyd die Sinter röthlich färbt.
Die zahlreichen Mineralbildungen in den Hohl- und Blasenräumen der
Gesteine, unter denen gleichfalls die Kieselsäure in verschiedenen Formen eine
hervorragende Rolle spielt, sind meist durch blosse Verdunstung kieselsäure-
haltiger Lösungen entstanden. Die Mannigfaltigkeit ist durch das Hinzutreten
anderer gelöster Substanzen und durch kleine Aenderungen in der Beschaffenheit
der Lösung eine sehr grosse, wie dieses am besten die vielfarbigen Achate be-
weisen, welche die Mandelerfüllungen mancher Gesteine, besonders z. B. der Mela-
phyre bilden. Die Infiltrationsöffnungen sind an vielen deutlich zu erkeimcn;
die zahlreichen, oft äusserst dünnen Lagen, die durch eine meist nur ganz mini-
male Beimengung verschiedene Farben erhalten, zeigen, wie vielfache kleine
Wechsel in dem Gehalte der Lösung und gleichzeitig auch Intervalle in der Ab-
scheidung eintraten. Die Verdunstung geschah ebenso langsam, wie die tropfen-
weise durch feine Haarspalten sich vollziehende Zufuhr. Lange Zeiträume um-
fasst die Bildung einer solchen Mandel, in der Hunderte verschiedener Lagen
von Chalcedon übereinander sich folgen. Jede Achatmandel hat eine eigene Ge-
schichte, kaum bei zweien ist der Verlauf der Bildung ein gleicher.
Eine gewisse, den Löslichkeitsverhältnissen entsprechende Folge in der Ab-
scheidung der in den Mandelräumen durch blosse Verdunstung sich bildenden
Minerale ist auch hier zuweilen zu erkennen. Chloritartige Produkte, die un-
mittelbar durch Auslaugung und Umwandlung der Gesteinsmasse selbst entstehen,
sitzen unmittelbar auf der Wandung des Hohlraumes auf, dann folgen Quarz und
Silicate, besonders die wasserhaltigen Silicate der Zeolithgruppe und zuletzt die
Carbonate der Kalkerde und der Magnesia, die sich dann büdeten, wenn <&c
zutretende Lösung durch ihren Gehalt an Kohlensäure auch gelöstes Kalkerde-
carbonat mitbrachte. Dass die Lösungen die Stoffe, die sie enthalten, zum
grössten Theile dem Gesteine selbst entnommen haben, in welchem sie auch
die Absätze bilden, ist oft unzweifelhaft nachzuweisen. Nur seltener mag eine
Zufuhr auch von weiter her stattgefunden haben.
Dass auch der Absatz einer Reihe der Silicate, die vorzüglich als gcstdns-
bildende vorkommen, in ähnlicher Weise aus Lösungen erfolgte, ist nach ihrem
Auftreten gewiss, wenngleich uns noch die genaue Kenntniss der z. Th. com-
Chemische Processc in der Geologie. 137
pücirten Verhältnisse der Zusammensetzung dieser Lösungen und der Wechsel-
wirkungen der gelösten Substanzen aufeinander fehlt
Solche Minerale sind z. B. Orthoklas, Albit, Plagioklas, Glimmer, Epidot,
Tormalin u. a. Die meisten dieser Minerale sind zwar in Kohlensäure haltigem
Wasser nur sehr schwer löslich, aber keineswegs ganz unlöslich. Das zeigen
an vielen derselben die deutlichen Verwitterungserscheinungen.
Ein Theil der gesteinsartigen KJufterfÜllungen oder Gangbildungen ist auf
selche Weise entstanden, so z. B. granitartige Aggregate aus Quarz und Feld-
spath mit oder ohne Glimmer, wie sie in krystallinischen Gesteinen häufig sind.
Sie zeigen z. Th. auch ganz analoge Structurverhältnisse wie die eigentlichen
Mineralgänge und sind auch wie diese oft von einer ErzfÜhrung begleitet.
Die Mineral gänge sind an verschiedenen Mineralen reich. Sie führen ent-
weder nur Kalkspath und diesen wieder am häufigsten, daneben Quarz, Schwer-
5path, Flussspath u. a. oder es kommen mit diesen zusammen noch metallische
>iinerale oder Erze darin vor. Sie erhalten dann als Erzgänge eine besondere
Dichtigkeit
Auch in die Gangspalten gelangen die darin zum Absatz kommenden Bestand-
iheile z. Th. mit Lösungen, die auslaugend auf die Nebengesteine gewirkt haben,
i. Th. werden sie von weit her zugeführt.
Schwerspath (BaO • SO') kann sich direkt aus der Lösung abscheiden,
kann jedoch auch aus solcher, die Baryterdecarbonat enthält, unter Einwirkung
löslicher Sulfate zum Ausfallen kommen. Er kann aus Schwefelbaryum durch
Oxydation gebildet werden oder endlich aus einer Chlorbaryumlösung bei Gegen-
vait von Kalkerde- oder Magnesiasulfat sich abscheiden.
Auch Flussspath ist in Wasser löslich und kann sonach durch blosse Ver-
dunstung einer Lösung entstehen, wie das auch die zahlreich von ihm umschlossenen
Reste von Mutterlauge, Einschlüsse wässriger, kohlen Wasserstoff haltiger Lösung
bereisen.
Auch zu den Gangmineralen gesellen sich die wasserhaltigen Silicate der
Zeolithgruppe häufig hinzu.
Die Abscheidung der Erze in den Gangspalten ist gleichfalls aus Lösungen
^olgt, welche lösliche Metallsalze zuführten. Durch blosses Verdunsten der
Lösung oder das Zusammentreffen mit andern Substanzen, die als Fällungsmittel
«^^kten, wurden sie niedergeschlagen.
Wiederum war die Lösung entweder durch einen direkten Auslaugungs-
process des Nebengesteins mit verschiedenen Stoffen beladen worden, oder aber
^fineralquellen, die aus der Tiefe emporstiegen, brachten von dort die gelösten
Metallsalze mit Manche Quellen sind daran ganz ausserordentlich reich (pag. 128).
Manche Metallsilicate, z. B. von Kupfer, Zink, Silber, Blei u. a. sind in
Wasser, das kohlensaures Alkali oder Baryt enthält, löslich und können daher
auf diese Weise direkt aus Gesteinen, in denen sie in feiner Vertheilung vor-
^den sind, ausgelaugt werden.
Die Absätze der Schwefelmetalle, die in den Erzgängen im Allgemeinen
überwiegen, können aus sehr verschiedenartigen Lösungen erfolgen: aus Lösungen
von Schwefelmetallen bei Gegenwart schwefelsaurer Alkalien oder alkalischer Erden;
aus lx)sungen von Carbonaten, Sulfaten u. a. der schweren Metalle, wenn diese
Usungen mit Sulfiureten der Alkalien oder alkalischen Erden zusammentreffen
>'a*S, CaS); endlich auch aus Lösungen von Metallsulfaten, welche durch orga-
nische Substanz zu Metallsulfuriden reducirt werden. Ebenso können Sulfosalze
138 Mineralog^ie, Geologie und Palaeontologie.
sich bilden. In einer Lösung von Schwefelalkalien sind sie löslich und fallen
daraus durch Verdunstung oder durch Fällung mit Schwefelwasserstoff.
Solche Schwefelverbindungen sind z. B. Sulfurete: Blende (ZnS), Bleiglaru
(PbS), Silberglanz (Ag» S), Pyrit(FeS2), Kupferglanz (Cu^S), Kupferkies (CuS-f- Fe S);
Sulfosalze: Rothgültigerz (3 Ag »S -+- As[Sb]» S»), Kupferantimonglanz (Cu>S-|-Sb> S*),
Zinkenit (PbS -+- Sb»S») und v. a.
So liefert z. B. Eisenoxydhydrat mit einer Lösung von Schwefelkalium oder
mit Schwefelwasserstoff behandelt Schwefeleisen. Schwefelzink (Blende) und Schwefel-
blei (Bleiglanz) erhält man nach Senarmont als krystallinische Abscheidung aus
einer Lösung dieser Schwefelmetalle in erwärmtem schwefelwasserstofihaltigein
Wasser. Dass auch die Arsen- und Antimonverbindungen der Schwermetalle als
Absatz aus der Lösung in Sulfureten der Alkalien oder alkalischen Erden,
vielleicht auch als Fällung aus einer Lösung mittelst Arsenwasserstoff sich bil-
deten, ist sehr wahrscheinlich.
Schwefel wird ebenfalls z. Th. durch direkte Abscheidung aus schwefel-
wasserstofFhaltigen Quellen gebildet Viele Thermen, die wesentlich Kalktuff
absetzen, scheiden mit diesem auch Schwefel ab, so die schon erwähnte Quelle
von St Filippo in Toscana, die Thermen in der römischen Campagna u. A.
Auch der Travertin der schwefel wasserstofFhaltigen 'Seen, z. B. des Lago sulfu-
reo u. a. eben daselbst enthält ziemlich viel Schwefel. Auch ein Theil der
älteren Schwefelablagerungen ist aus schwefelwasserstoffhaltigen, Seebecken nieder-
geschlagen, so z. B. die Schwefellagerstätte von Swosczowice bei Krakau. Die
miocänen Thon- und Mergelkalkschichten sind innig von Schwefel durchdrungen
und dieser bildet darin auch derbe, krystallinische Aggregate und ellipsoidische
Concretionen.
Nach den Untersuchungen von Mottxjra sollen die Schwefelablagerungen
von Sicilien, die über ein sehr grosses Gebiet vorzüglich der südlichen Hälfte der
Insel sich erstrecken, ihren Ursprung der Abscheidung aus Wasserbecken ver-
danken, in denen Seh wefelcalcium, Schwefelwasserstoff und Kalkerdecarbonat sich in
Lösung befanden. Diese sollen aus den unterliegenden Gypsen durch organische
Substanzen reducirt worden und in die aufsteigenden Quellen gekommen sein.
Freilich sind die Verhältnisse des Vorkommens der sicilianischen Schwefellager
mit denen von Swosczowice so vollkommen analog, dass auch die Annahme ein-
facher Abscheidung aus Schwefelwasserstoff haltigen Quellen, die in isolirten Becken
zu Tage treten, in denen Kalkerdecarbonat als wesentliche Bildung producirt
wird, durchaus nicht ausgeschlossen scheint Die in Kalksteinen abgelagerten
von Gyps umgebenen Schwefellager von Kchiuta, nördl. vom Dorfe Tschirgal in
Ost-Turkestan sind ebenfalls blosse Niederschläge schwefelwasserstoflfhaltiger
Quellen; der Gyps ist erst das Produkt der Einwirkung des oxydirten Schwefels
auf Kalkerdecarbonat. So möchten auch die sicilianischen Gypse eher das
sätere Produkt der Einwirkung der aus den schwefelhaltigen Schichten gebildeten
Schwefelsäure auf ursprüngliche Kalksteine sein.
Auch noch für eine grosse Zahl anderer Mineralbildungen, die aber als geo-
logische oder gesteinsbildende keine besondere Bedeutung haben, ist es zweifel-
los, dass sie als direkte Abscheidung aus Lösungen entstehen können; deren
Beschaffenheit und die Wechselwirkungen der darin gleichzeitig in Lösung be-
findlichen Stoffe sind aber unbekannt. Die Möglichkeit der Combinationen ist
eben unendlich gross. Aus dem Abgesetzten lässt sich nicht auf die Natur der
Chemische Proccsse in der Geologie. 139
Lösung schliessen und das aus irgend einer Lösung Abgeschiedene ist nicht
nothwendig in derselben Lösung auch wieder löslich.
Eine besondere Stellung unter den als Niederschläge gebildeten Gesteinen
nehmen noch die durch den Einfluss organischer Substanzen oder lebender Orga-
nismen eingeleiteten Abscheidungen ein. Soweit hierbei die Beschaffenheit oder
Tbätigkeit der Organismen, Thiere oder Pflanzen, eine auf die Production wirk-
samer Agentien gerichtete ist, gehören diese Bildungen doch wohl richtig in die
Gruppe chemischer Processe.
Aus verwesenden Thier- und Pflanzenresten entsteht eine ganze Reihe orga-
nischer Säuren, z. B. Humussäure, Quellsäure u. a., welche als Lösungsmittel flir
mineralische Stofle dienen können, durch Oxydation entstehen aus diesen
Lösungen wieder Niederschläge. In Torfmooren oder Sümpfen wird von den
organischen Säuren und der Kohlensäure lösliches Eisenoxydulsalz gebildet, das
skh zu Eisenoxydhydrat oxydirt und als solches niederfällt. Die sogen. Rasen-
and Sumpferze, die in grosser Verbreitung vorkommen, sind auf diese Weise
entstanden. Die mit irisirenden, eigenthümlich fettig erscheinenden Häuten von
Eisenoxydhydrat überzogenen Wassertümpel in sumpfigen Wiesen, zeigen den
Beginn dieses Processes.
Ein grosser Theil der Schwefelmetalle, so ganz besonders das Schwefeleisen
FeS*, Pyrit, entsteht als Absatz aus Quellen, die solche lösliche Eisenverbindungen
organischer Säuren und gleichzeitig Sulfate enthalten. Viele Thermal- und auch
kalte Quellen setzen Schwefeleisen ab, wenn sie neben den Carbonaten von Kalk-
«de und Eisenoxydul Gyps enthalten und dann mit organischen Substanzen in Be-
rührung kommen. So enthalten manche dunkel gefärbte Kalkschlämme Schwefel-
dsen als färbende Substanz, die Absätze der Eisenwasser von Stolypin z. B. so-
gar über 25^. Auch parallel den Spaltungsflächen (Rhomboederflärhen) grosser
Kalkspaltkrystalle findet sich zuweilen Pyrit in feinen, kömigen Lagen einge-
schaltet, der in ähnlicher Weise gebildet sein muss.
n. Chemische Umwandlung von Mineralen und Gesteinen.
Auch bei allen in dieser Gruppe zusammenzufassenden Processen ist Wasser
oder kohlensäurehaltiges Wasser der Träger und Vermittler der eintretenden
Reactionen. Die verschiedenartige Beschaffenheit der Lösungen hängt einmal
davon ab, welche Minerale dieselben schon an anderen Stellen zu lösen ver-
mochten und dann von denen, die sie in Association dort vorfinden, wo sie ihre
umwandelnden Wirkungen ausüben. Carbonate, Silicate, Sulfate, Schwefelmetalle,
Oxyde, organische Stoffe kommen hierbei in verschiedener Weise iil Betracht.
In dem Zusammentreffen vieler gleichzeitig in Lösung beflndlichen Substanzen
cröffiiet sich die Möglichkeit vielartiger Wechselwirkungen chemischer Ver>^'andt-
schaften.
Die besten Beispiele liefeni die sogen. Pseudomorphosen der Minerale,
bei denen sich im Kleinen die gleichen Processe vollziehen, die im Grossen
auch ganze Gesteinsmassen zu ergreifen vermögen. Man könnte darum füglich
fiir beide Vorgänge auch den gleichen Namen wählen. Umwandlungen von
Gesteinen pflegt man aber als Metamorphosen zu bezeichnen. Eine ganz besondere
Alt der Metamorphose, die unter der direkten Einwirkung eines Gesteines auf
ein anderes benachbartes, beiderseitige Veränderungen zu Wege bringt, die sogen.
Contaktmetamorphose soll hier aus der Betrachtung ausgeschlossen bleiben. Von
ibr soll in einem eigenen Kapitel die Rede sein. (S. Metamorphismus.) Der
"*** Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Vorgang der Umwandlung von Mmeralen imH r- , •
Fällen einfach durch FoLeln ^hr^ ^hl^Sr^ ^Jn^n^
lauterung chemischer Reactionen verwendet w^rH-i J^f ****^ ""'^^
Wandlung eines Gesteines durch hiLTetenlT" "^""^ ^«^ ^ ^^
Reagentien in Lösung sind darnacrüt^, «" ^"^^"«^-^
1. Em Gestein A nimmt aus einer Lösung B auf u„H k.j
phartere Verbindung. Aufnahme von BestandtheH """ '^^ ""
-l-2aq; CaO.CO>+MgO- "" «estandtheilen: z.B.aoS0'
2. Ein Gestein AB giebt B ab; Veränderung durch K.
eines Bestandtheiles: z. B ßCaO cnttx^^ blossen Aastrh;
= cao . CO» + Mgo . cS» ^ ' "^ ^^ • co>) - ao-co«
3- Eine mit A zusammentreffende Lösung B giebt B ah . -^ -
A auf: einfacher Austausch von lest^fd.? ^ ** «»«nnit dafür a::
. D T -,'^^ = ^^ • ^^' - Mgo CO '^'^''^"^ ^- «- «^OCC
4. Das Mineral oder Gestein AB und eine Lösunir rn ■ ,
dass D gegen A ausgetauscht in Lösu"t geTlc ahrV° '^ '^''^'
Subsunz ausgeschieden zurückbleibt. ^Tese kln 7 f "^^^"^ '^
Lösung EF in der gleichen Weise umsetzen und 'rpr T^' ™' ^
gar kein Besundtheil des ursprünglic!::; Se" lISp^T t^ " ::'^
ist. Comphcirter Austausch von Bestandth^r/^ ^ ''°'*"^
CaO^ao« : K.O • CO» = CaO Co" + K.o"V;.f '
CaO^CO» : PbO • SO» = cTöT^gr^ ?J^ ' ^'O«;
Be. den Gesteinen kommen die einfacheren vtr^^"^^^
wandlungsprocesse am häufigsten vor bd dT I ^T^ ^^"^ ^ «^'*» L-.
complicirteren Veränderungen der i?t^;genaL,te„ A^ä'" ^^'"^ ^^^ ^
fiir ganze Gesteine Bedeutung gewinnen „nH! '. ^ '° selteneren Falte
" rr r""- ""^' ^-^^-^-^x^^-^jr
I- Aufnahme von Bestandtheilen ^««leitend auftreten
der A^iht s: wrrh"Vrr:r^^^^^^^ —
stö^chiometrischen Verhältnisferrchersfhr« 7 ''" ""^ ^«^wass^r „^
z. B. der Fall mit dem Wassei^eralte d ' °* '"'"=*«"• Das ersterT^
•n wasserfreier Beschaffenheit^ebi Sten gL''^^^^ ^*^^« und^^^
zunimmt. Dieser Vorgang ist' n^^tof^rvl" ""' ^ ""'' «-^« ^
Wasseraufnahme gewissennaassen die eSLh ^'^" ^^^«"^?. als diese
erschemungen chemischer Art, die in^ einem G^^ "' '" ""'" Umwandlungs-
Weit bedeutender ist der andere Tn ''°' ''"^ «''''«°-
Anhydrit (CaO • SO») durch wZ "1^ ' T"" '• ^- ^"^ d«™ wasseifreien
wird, oder aus dem Eisengla^ r» " "^ ^^P^ (^^^ . SO» + 2aq) geWd«
(2Fe»0» + 3aq) hervorgeht ^^" ""^ ^^ ^senoxydhydrat, B^Sne^
Gerade das eiste dieser K */i
grosser Wichtigkeit; ganze ScWchTenTom^'''" ^'T''*' ''' ^~'°«^'> «>» sehr
worden oder noch in der Umwa^df^g "Sen ^"'" '^'^^ ^**'<»-«
Die durch eine wlirfelähnliche Soahh, i, •. '
verwandeln sich von den Spaltungsfuge^ ™1 Tr'f^^'^ Anhydritstücke
zur Wasseraufnahme schnell in matt!? ^"'«*.''<^"'* ^« ^er sehr grossen Neigun«
"»atten, pulvngen Gyps und blättern sich^^
Chemische Processe in- der Geologie. 141
auf. Wenn man Anhydritpulver befeuchtet, so bedeckt es sich unter dem
\fikroskope schnell mit winzigen Nädelchen von Gyps.
Ueberall dort, wo Anhydrit auf den Halden der Gruben liegt, in denen er
gewonnen wird, verliert er bald seine blaugraue Farbe und seinen Glanz, wird
bröcklich, matt weiss, pulverig und geht äusserlich in G3rps über, während er im
Inneren noch unverändert bleibt. Dabei findet eine Volumvermehrung statt: i Vol.
.\nhydrit giebt = 1,6 Vol. Gyps. Daher auch das Aufblättern und Ausbiegen der
Stücke längs der Spaltungsfugen. Etwa vorhandene leere Räume in den Anhydrit-
massen werden bei der Umwandlung vollkommen zugedrückt und so schliessen
sich z. B. die Stollen in den Anhydritbergwerken der Gegend von Bex im
Canton Wallis unaufhaltsam wieder zusammen, indem die Masse von allen Seiten
durch die Volumvermehrung nach der Mitte vordringt. Ganze Anhydritstöcke,
die den Schichtensystemen der Dyas, Trias und Tertiärformation eingeschaltet
liegen, wandeln sich auf diese Weise in G3rps um; dabei haben die durch
ihre Ausdehnung bedingten dislocirenden Wirkungen auf die aufgelagerten und
benachbarten Gesteine ebenfalls grosse Dimensionen angenommen. Diese Ge-
>t£ine werden zum Ausweichen gezwungen und erscheinen gehoben, vielfach ge-
fialtet, zerbrochen und überstürzt, kurz in ihren Lagerungsverhältnissen in viel-
facher Weise gestört.
Die andere oben als Beispiel angeführte Umwandlung durch Wasseraufnahme
vollzieht sich an den Oxyden des Eisens. Blöcke von Rotheisenstein oder Eisen-
glanz überziehen sich mit bunt irisirenden Häuten von Eisenoxydhydrat und
wandeln sich nach und nach bis tief ins Innere hinein und endlich ganz in Braun-
eisenstein um.
So verändern sich denn auch die von der atmosphärischen Feuchtigkeit und
durchsickernden Wassern erreichbaren Theile von Eisenerzlagerstätten und gehen
in Brauneisenstein über. An den berühmten Eisenglanzlagem der Insel Elba ist
diese Umwandlung schon tief ins Innere vorgedrungen.
Wird mit dem Wasser gleichzeitig Kohlensäure aufgenommen, so kann sich
auch das Eisenoxydulcarbonat, Spatheisenstein, bilden, ein jedoch seltener und
nur in thermalen Quellen beobachteter Vorgang.
Eine andere Art der Umwandlung der weit verbreitet in der Natur vor-
kommenden Eisenoxyde beruht in der Aufnahme von Sauerstoff. So kann z. B.
aus Magneteisen (Fe^O^ -FeO) durch Oxydation des Eisenoxyduls sich Eisenoxyd,
d. i. Rotheisenstein bilden. Die Belege Air diesen Vorgang sehen wir in den
nicht selten gefundenen Pseudomorphosen von Eisenoxyd nach Magneteisen. Auf
diese Weise mögen auch gewisse Roth- oder Brauneisensteinlager in krystallini-
nischen Schiefergesteinen z. B. Chlorit- und Talkschiefern als solche durch Oxy-
dation und nachherige Wasseraufnahme aus Magneteisen hervorgegangene Um-
wandlungsprodukte gelten können. In ihnen kommen oft die drei Minerale noch
gleichzeitig neben einander vor. Dieselbe Umwandlung durch Sauerstoff und
^asseraufhahme zeigen auch die Magneteisenkrystalle und Kömer in vielen
Gesteinen, die mit brauner Zone umhüllt oder auch gänzlich mit brauner Farbe
durchscheinend geworden sind. Auch hier lassen sich alle Stadien des Processes
nebeneinander nachweisen.
Eine Umwandlung der Kalksteine in Dolomite, also des Kalkerdecarbonates
in das Doppelsalz, wäre, da das Magnesiacarbonat schwerer löslich ist, als Kalk-
^ecarbonat theoretisch auch in der Weise denkbar, dass den Kalksteinen Mag-
nesia zugeführt würde, wie es der pag. 138 sub i gegebenen Formel entspräche. In
142 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
der Natur ist das aber wohl nur in ganz seltenen Fällen erfolgt. Die Bildung
der Dolomite vollzog sich immer durch Abgabe von Kalkerde oder gleichzeitige
Aufnahme d. i. also Austausch von Kalkerde gegen Magnesia.
Aufnahme von Wasser erfolgt auch sogar beim Quarze und damit dessen
oberflächliche Umwandlung in amorphe Kieselsäure von opalartiger Beschaffen-
heit. Dieser Vorgang kann füglich auch als die Einleitung der Umwandlung
des Quarzes in wasserhaltige Silicate z. B. Speckstein angesehen werden.
Eine ähnliche Umwandlung ist auch die Hydratisirung der Feuersteine
und Achate^). Sie werden undurchsichtig, weisslich, erdig und sogar weich. Zu-
nächst handelt es sich um eine Wasseraufnahme, jedoch auch eine gleichzeitige
Lösung und WegfUhrung der Opalsubstanz in der äusseren Kruste. So wenigstens
ist nach Friedel's Untersuchungen die Erscheinung zu erklären. Auch die weisse
Rinde der aus der Kreide stammenden Feuersteine, ist keineswegs eine durch
blosse Hydratisirung hervorgerufene Umwandlung, sondern eine durch die Mit-
wirkung des Kalkerdecarbonates verursachte Auslaugung und eine der äusseren
Rinde durch beigemengten Kalk verliehene milchweisse Färbung.
2. Abgabe von Bestandtheilen.
Soweit es sich nicht um Minerale, sondern um Gesteinsumwandlungen von
geologischer Bedeutung handelt, ist diese Art von Processen keineswegs sehr
häufig.
Es kann durch Abgabe von Wasser Brauneisenstein in Rotheisenstein zunick-
verwandelt werden, auch Gyps sogar wieder in Anhydrit tibergehen. Das be-
weisen z. B. die Pseudomorphosen von Gyps in Anhydrit von Sulz am Neckar
Wenn Chlomatrium gegenwärtig ist (vergl. pag. 133), vollzieht sich die Umwandlung:
von Gyps in Anhydrit auch schon bei gewöhnlicher Temperatur. So entstanderj
u. a. nach Haidinger die Vorkommen von Hall in Tyrol, wo Anhydrit in körniger^
Aggregaten die Räume ehemaliger Steinsalzwürfel erfüllt, an deren Stelle zuerst
Gyps getreten war.
Von grösserer Ausdehnung erscheinen nur die Umwandlungen von Kalk-
steinen, denen durch blosse auflösende Wirkung der kohlensäurehaltigen Wasser
Kalkerdecarbonat entzogen wird. Sind diese Kalksteine unrein und enthalten z. 6.
Magnesiacarbonat, Quarz, Thon oder Silicate, so bleiben diese ungelöst zunick
und werden natürUch im Reste immer mehr angereichert. So können durch
allmähliche Auslaugung nur wenig Magnesia haltender Kalksteine wirkliche
Dolomite gebildet werden. Durch Entfernung des leichter löslichen Kalkes au>
magnesiahaltigen Kalksteinen werden diese zellig, porös und bröcklich. Her
Dolomit bleibt endlich allein zurück und füllt in krystallinischer Neubildung
z. Th. die entstandenen Hohlräume wieder aus. Bleibt der Dolomit hingegen
in lockerer, körniger Gestalt übrig, so bilden sich die so oft vorkommenden
dolomitischen Sande oder sogen. Aschen.
Versuche unter Anwendung von kohlensäurehaltigem Wasser auf magne^ii-
haltige Kalksteine ergeben die Richtigkeit des angenommenen Umwandlung>-
weges. Der dolomitische Kalkstein verliert zunächst nur Kalkerdecarbonat. Au^
einem Dolomit der Marmolata in Südtyrol, der 13,94} kohlensaure Magnesia
neben Kalkerdecarbonat enthielt, zeigte sich nach 48 stündiger Einwirkung nur eine
Spur von Magnesia gelöst*). Auch das Vorkommen von Rollstücken von di>l<>-
M KiUKUiu., Compt rcnd. 81, 979.
') DuLTKK u. lloRNKs. Jfthrb. d. geolog. ReichsanstalU Wien 1875« 318.
Chemische Processe in der Geologie. 143
mitischeni Kalkstein in Dolomitasche eingebettet, wie sie unter den alpinen Ge-
rollen vorkommen, beweisen diese Umwandlung.
So können nun auch ganze Schichtencomplexe, die aus nur schwach dolo-
midschen Kalksteinen bestanden, in Dolomite umgewandelt worden sein. Die
Kalksteinmulden der Kohlenformation im Grenzgebiete zwischen Belgien und
Deutschland in der Gegend von Aachen, die u. A. die bekannten Galmeierzlager-
stätten des Altenberges fuhren, erscheinen in dieser Weise z. Th. in Dolomite
umgeändeit Die oberen und ausgehenden Theile einer Mulde bestehen aus
Thonen, z. Th. reichlich mit Eisenoxyd imprägnirt, oft vollkommen fette Röthel.
Das sind die unlöslichen Rückstände der ursprünglichen Kalksteine, aus denen
die Carbonate gänzlich entfernt sind. Unter diesen liegen Dolomite, aus denen
das ursprünglich überwiegende Kalkerdecarbonat fortgeführt wurde und diese wieder
liegen den noch fast unveränderten und nur wenige Procent Magnesiacarbonat ent-
iiaitenden Kalksteinen auf. Die analytische Untersuchung der in immer grösserer
Entfernung von dem unveränderten magnesiahaltigen Kalksteine entnommenen
Dolomitproben ergiebt dieses auf das Unzweifelhafteste. In dem Kalksteine be-
sagt der Gehalt an Magnesiacarbonat nur 4^ ; die Dolomite weisen im Maximum
einen Gehalt von 38,89^ Magnesiacarbonat und 52,64^ Kalkcarbonat auf und
zwischen beiden liegen alle möglichen in diesen Grenzen schwankenden Mischungen
beider Carbonate in den Kalksteinen vor^).
In den durch die Umwandlung und die damit verbundene Volumen-
verminderung zerklüfteten und mit grösseren Hohlräumen erfüllten Dolomit-
nmlden hat sich der Absatz der Zinkerze vollzogen. Ob diese lediglich durch Zu-
fuhr des Zinkoxydcarbonates, oder durch einen Austausch desselben gegen Kalk-
und Magnesiacarbonat sich gebildet haben, also gewissermassen als pseudomorph
nach jenen anzusehen seien, ist nicht ganz leicht zu entscheiden. Da hier ein
abnehmender Gehalt an Zinkoxydcarbonat den Dolomiten gegen die Kalksteine
eigenthümlich ist, so würde daraus wohl eine grössere Wahrscheinlichkeit für den
Proccss des Austausches sich folgern lassen. Auch die Nester von Brauneisen-
stein in jener Gegend, die in Klüften und Höhlungen des dolomitischen Kalk-
^ktdnes meist [nur oberflächlich auftreten, verdanken ihre Entstehung ähnlichen
Vorgängen. Es sind z. Th. neu abgesetzte Residua der Auflösungsprocesse der
Carbonatgesteine.
Ganz ähnliche Verhältnisse wiederholen sich in den mehr oder minder
dolomitischen devonischen Stringocephalenkalken der Lahngegend und bei Iser-
lohn, wo überall Thone auf Dolomit und Kalksteinen aufliegen, die in letzterer
G^end auch Zinkerze führen. Auch diese Thone können als die unlöslichen
Rückstände der in Lösung fortgeführten Carbonate des Kalkes und der Magnesia
gelten. Hierauf soll später noch einmal zurückgekommen werden.
3. Umwandlung durch Austausch.
Weitaus die verbreitetesten chemischen Processe, die eine geologische Be-
deutung haben, bestehen in einer austauschenden Wechselwirkung von Lösungen
auf Gesteine oder Mineralaggregate, wie sie unter 3 pag. 138 schematisch er-
läutert wurde.
Ein einfacher Austausch bewirkt die in grossem Maassstabe geschehene
ümvrandlung der Kalksteine in Dolomite. Magnesiahaltige kohlensaure Lösungen
*) ▼. Lasaulx, de Dolomito calaminaegue sede in nionte altenberg etc. Bonn 1865. Inaug.
Disscit pag. 23.
144 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
wirken auf das Kalkerdecarbonat in der Weise ein, dass sie einen Theil desselben
in Lösung aufnehmen und dagegen das schwerer lösliche Magnesiacarbonat ab-
setzen und so das Doppelsalz bilden. Diese Art der Umwandlung beweisen
zahlreich vorkommende Pseudomorphosen von Dolomitspath nach Kalkspath,
deren Kern z. Th. noch unveränderten magnesiafreien Kalkspath zeigt. Die-
selben sind stets mehr oder weniger hohl, zellig, porös; die Folge der bei der
Umwandlung eintretenden Volumverminderung, die aber nicht in gleichem Maasse
bedeutend ist, wie bei der oben pag 141 angeführten Dolomitbildung durch blosse
Abgabe des Kalkcarbonates aus magnesiahaltigen Kalksteinen. In letzterem Fall
würde der Dolomit im Minimum nur etwa \ der Masse des umgewandelten
Kalksteines einnehmen, wenn dieser ursprünglich ca. 10 ^ Magnesiacarbonat ent-
halten hätte und zu dem einfachen Doppelsalze umgewandelt worden wäre; im Falle
des Austausches aber würde das aus gleichen Aequivalenten gebildete Doppel-
salz nur etwa ^ an Volumen verloren haben, also {^ der ursprünglichen Masse
des Kalksteines einnehmen. Andere Verhältnisse der Zufuhr und Auflösung be-
dingen natürlich andere Werthe. Immer aber bleibt die Volumverminderung
hinter der jenes früheren Processes weit zurück.
Wir haben sonach 3 Arten der Dolomitbildung kennen gelernt: direkter
Absatz von Dolomit aus der Lösung und die beiden Arten der Umwandlung
aus Kalksteinen. Nicht fLir alle Dolomitvorkommen ist es leicht, eine Ent-
scheidung zu geben, in welcher Art sie gebildet wurden. Dort, wo Kalk- und
Dolomitschichten, oft in dünnen Lagen mit einander wechseln und dabei scharf
und ohne vermittelnde Uebergänge von einander geschieden sind, können nur
direkte ursprüngliche Absätze vorliegen. Wo aber das Aeussere der Gesteine
tiefgreifende Umänderung erkennen lässt, wodurch die Schichtung verwischt ist
und die im Gestein eingeschlossenen Fossilien grösstentheils verschwunden sind,
wo gleichzeitig eine bedeutende Lockerung und Cavemosität des Gesteines vor-
liegt, da ist ein aus Kalkstein umgewandelter Dolomit anzunehmen. Ist er durch
allmähliche Uebergänge mit einem magnesiafreien Kalksteine verbunden, so ist
noth wendig die Umwandlung durch Austausch geschehen. In dieser Weise ge-
bildete Dolomite besitzen auch als besonders charakteristische Beschaffenheit
eine reinere, von fremden Bestandtheilen freie Mischung; während im Gegentheile
bei den durch blosse Auslaugung des Kalkerdecarbonates gebildeten eine be-
deutende Anreicherung der nicht löslichen Stoffe stattfand und damit eine stärkere
Verunreinigung durch Quarz, Thon u. s. w. vorhanden sein muss.
Aus der Gesammthei^ der Erscheinungen, wie sie in einem Dolomitgebirge
vorliegen, wird sich erst erkennen lassen, wie es entstanden ist. Vielleicht dürfte
in Wirklichkeit der umständlichere Vorgang des Austausches auch der seltenere
Weg zur Dolomitbildung gewesen sein, während man früher vielmehr geneigt
war, mehr oder weniger alle Dolomite auf diesen zurückzuführen.
Ganz analog verlaufen die Umwandlungsprocesse des Kalkerde- oder Kalkerde-
magnesiacarbonates in Zinkoxydcarbonat, Zinkspath.
Wo kohlensaure Wasser, die das Zinkcarbonat in Lösung enthalten, auf
Kalksteine oder Dolomite einwirken, tritt das schwerer lösliche Zinkcarbonat an
die Stelle der beiden anderen, in Lösung übergeführten. Das beweisen die be-
kannten Pseudomorphosen von Zinkspath nach Kalkspath. So können aucbiganze
Schichten oder Schichtentheile von Kalksteinen in Zinkerze umgewandelt werden.
In den Zinkerzlagerstätten der Gegend von Iserlohn, die in den Kalken der mittleren
devonischen Formation auftreten, erscheinen die für die ursprünglichen Kalk-
Chemische Processe in der Geologie. * 145
steine charakteristischen Schalen der Stringocephalen in Zinkcarbonat umge-
wandelt.
Die Zinkerze finden sich auf Klüften und Rissen oder grösseren Ausbuch-
tungen, die mehr oder weniger tief und ausgedehnt in die Kalksteine hineingreifen.
Ganz die gleichen Erscheinungen bieten die Zinkerzvorkommen der Umgegend
von Bergisch Gladbach und PafFrath in der Rheinprovinz. Das Hauptvorkommen
der Erze besteht in der Ausfüllung von Mulden und Trichtern, die sich von der
Oberfläche in den Kalkstein und Dolomit hineinziehen. Ueberall sind die Zink-
erze von fetten Thonen begleitet, die als die Residua der Auslaugung der Kalk-
steine in gleicher Weise zurück geblieben sind, wie es schon pag. 142 angeführt
vurde.
Die mit dem Zinkcarbonat in diesen Lagerstätten auftretenden Kieselzink-
erze sind durch einen weiteren Process des Austausches der Kieselsäure gegen
die Kohlensäure unter der Einwirkung gelöster Silicate entstanden. Die beglei-
tenden Eisenerze sind ebenfalls Reste der ausgelaugten Kalksteine, ursprünglich
Eisenoxydulcarbonat, das sich dann in Brauneisenstein umgewandelt hat.
Die bedeutenden Zinkerzlagerstätten der spanischen Provinz Santander, die
der Juraformation eingeschaltet sind, scheinen nach den ausführlichen Beschrei-
bungen von O'Reilly und Sullivan^) ihre heutige Zusammensetzung ähnlichen,
vielartigen Umwandlungsprocessen zu verdanken.
Das Zinkcarbonat, das hier die Hauptrolle spielt, ist ebenfalls aus Kalk-
*^teinen und Dolomiten hervorgegangen. Es finden sich zahlreiche Kalkspath-
knstalle in Zinkspath umgewandelt und viele nieren-, erbsen-, kugelförmigen und
stalaktitischen Gestalten, in denen die Zinkblüthe, basisches Zinkcarbonat (ZnO •
UO* -+- 2H*Zn02) im Thale von Udias in der Provinz Santander erscheint,
ahmen in der auflfallendesten Weise die Gestalten des Aragonites, z. B. der sogen.
Kisenblüthe und der Erbsensteine nach. An manchen Stellen geht das Zinkcar-
Itonat ganz allmählich in Kalkstein oder Dolomit über, so z. B. in den Gruben
von Venta und Vicenta in derselben Provinz. Wo die Zinkcarbonate durch
Kisen-roth gefärbt sind, stammen sie aus umgewandelten Dolomiten, in denen
^chon durch die Dolomitisirung der Eisengehalt concentrirt wurde; die weissen
Ente stammen direkt aus Kalksteinen ab. Durch die Einwirkung schwefelsäure-
haltiger Lösungen auf die Carbonate werden aus diesen Metallsulfurete gebildet,
aus Zinkcarbonat: Blende, aus Bleicarbonat: Bleiglanz. Diese können hinwieder-
-im in Carbonate zurückverwandelt werden. So folgen sich vielfach wechselnde,
Jormlich altemirende Umwandlungsprocesse. Aus dem Zinkcarbonat entsteht auch
tlaa Silicat des Kieselzinkerzes; da aber auch dieses in kohlensäurehaltigem
Wasser löslich ist, so kann es auch wieder in Zinkspath zurückgehen, während
d!e dabei ausgeschiedene Kieselsäure als Quarz oder Opal zum Absätze
kommt. So überrindet z. B. auch auf der früher schon erwähnten berühmten
Zinkerzlagerstätte des Altenberges gar nicht selten eine Hülle von Zinkspath in
Krystallen die Krystalle von Kieselzinkerz, und Aggregate jener erscheinen ge-
radezu in den tafelförmigen Gestalten dieser.
Eine sehr gewöhnliche und in weiter Verbreitung vorkommende Umwandlung
w die des Spatheisensteines (FeO'CO^) in Eisenoxydhydrate (2¥e^O^ -h 3aq
= Brauneisenstein, oder Fe^O^ -i- aq = Göthit) oder auch in Rotheisenstein
l'e*0*). Das Wasser treibt die Kohlensäure aus ihrer Verbindung mit dem
') Notes on the Geol. and Mineralogy of the prov. Santander and Madrid. London i 863.
K».s<G**rT, Min., GcoI. u Pal. I. lO
14^ * Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Eisen aus, das Eisenoxydul geht durch Aufnahme von Sauerstoff d. i. Oxydation
in das Oxyd über.
Die Umänderung beginnt damit, dass die Oberfläche des Spatheisensteins
dunkelbraun oder schwärzlich gefärbt wird, Glanz und Spaltbarkeit gehen verloren.
Dennoch bleibt in dem gebildeten Brauneisenstein die Structur des Spathes noch
lange sichtbar und unveränderte Reste desselben zeigen sich im Inneren.
Viele Spatheisensteingänge und Stöcke sind in ihren oberen Theilen aU
Brauneisensteinlager bekannt: so die vielen Gänge, die im Gebiete der devonischen
Formation im Bergrevier von Siegen und im Nassau'schen auftreten, die Spath-
eisensteinstöcke in Kämthen, so vor allem der sogen. Hüttenberger Erzberg, ^-^
alle Stadien der Umwandlung gleichzeitig vorhanden sind. Die in den oberen
Bausohlen der Bergwerke vorkommenden Eisenoxydhydrate, die in der Tieie
Spatheisen steine und die oft mit diesen zusammen einbrechenden Blei- und
Silbererze verrathen, nennt der deutsche Bergmann: den eisernen Hut und dan *
gründet sich der alte Bergmannsspruch: Kein Bergbau ist gut, der nicht hat den
eisernen Hut.
Auch die Mangancarbonate unterliegen einer ähnlichen Umwandlung zu IVro-
lusit (MnO*) und anderen Oxyden. Diese finden sich in krystallinischen oJct
nierenformigen Aggregaten in den Hohlräumen des umgewandelten Eisenspathe>
mit dem sie auftreten, begleiten und bedecken ihn als Psilomelan oder Wad. -
Die auf Erzlagerstätten in grosser Verbreitung vorkommenden NfetalUi .
furide haben wieder andere Umwandlungsprocesse veranlasst. Die Schwefelsaurt
bildung durch Oxydation wandelt das Sulfurid in Sulfat um, wie schon fnihc
angegeben (pag. 136) wurde. Aber da die Metallsulfate zu den leichtlöslichsten Ver-
bindungen gehören, so werden sie grösstentheils in Lösung fortgefiihrt und wrkcr
auf andere Stoflfe ein, mit denen sie zusammentreffen. Die Einwirkung einer
solchen schwefelsäurehaltigen Lösung auf Kalkstein wurde ebenfalls schon im
Vorhergehenden erwähnt, es geht daraus Gyps hervor; wenn Baryum vorhander
war, entsteht auch Baryt (BaO • SO'). Trifft eine solche Lösung Magnesiacarbon.r.
so bildet sich Bittersalz, das in krystalllinischen , haarförmigen Ausblühungen
ziemlich verbreitet ist. Die Metalle hingegen gehen aus der Sulfatlösung bei «ior
Gegenwart von Carbonaten als Metallcarbonate her\or.
Wo die aus Metallsulfuriden gebildeten Sulfatlösungen auf Silicate, besonders
auf Thonerde haltige, einwirken, entstehen sehr verschiedenartige schwefeUaure
'Fhonerdeverbindungen. Diese wieder vereinigen sich mit Alkali- oder Meta'I-
sulfaten zu sogen. Alaunen. Ihre Zusammensetzung entspricht der allgemeinm
Formel: RO-SO» -+- A1»0» • SO» -h 24 aq., wo RO = Kali, Natron, Ammoni.K.
Magnesia, Manganoxydul, Eisenoxydul u. a. So entstehen denn auch die in i\t'r
Tertiärformation weit verbreiteten Alaunschiefer und Alaunsteine.
Nur locale Bedeutung und eine solche nur für die ErzAihrung der Erzganc^
hat eine Reihe weiterer Umwandlungen solcher Metallsulfuride. Aus Blende /n*^5
geht Zinkspath hervor, daraus Kieselzinkerz (pag. 145), aus dem verbreiteten Kupler-i
erzen, dem Kupferkies (CuS-hFeS) entstehen Sulfate und daraus die Carh»ma*e
Kupferlasur und Malachit, wo mit dem Sulfat Silicate zusammentreten, aurh
Kieselkupfer. Auch kann durch Fortfiihning des gebildeten Kupfersuirate> ii^'f
Kupferkies in Eisenkies oder Pyrit Fe S* und dieser wieder durch einen jrleirltn
Process in Brauneisenstein Fe*0* umgewandelt werden.
Der letztere Process verläuft etwa folgendermassen : FeS* geht über in Fe«'«
SO^ -h aq durch Wasscraufnahme und Oxydation, zugleich wird auch freie SihveJcl*
Chemische Processe in der Geologie. 147
säure gebildet: SO^ -haq. Ist nun, wie in den atmosphärischen Wassern, Kohlensäure
vorhanden, so bildet sich FeO-COj und die Schwefelsäure geht an andere Basen
z. B. Kalkerde und bildet Gyps. Das Eisencarbonat wird zu Eisenoxydhydrat umge-
wandelt und diesem endlich auch noch das Wasser entzogen. Damit endet der
Process der Umbildung von FeS^ in Fe^O^. Die Pseudomoqihosen dieser Art
gehören zu den allerhäufigsten. Das Vorkommen der verschiedenen Erze auf
Lagerstätten nebeneinander wird gleichfalls dadurch erklärt.
So verlaufen neben und nacheinander ganze Reihen chemischer Processe,
die zu den verschiedensten Produkten fuhren, wie sie sich in der Reihe der so
ausserordentlich mannigfaltigen metallischen Minerale wiederfinden.
Von ganz hervorragender geologischer Bedeutung sind aber die Umwandlungs-
])rocesse der Silicate, die einen so grossen Theil der Gesteine, ganz besonders
der sogen, krystallinischen zusammensetzen. Wenn gleich auch hier z. Th. ein-
fachere Processe sich vollziehen, sind dieselben doch zum grösseren Theile mehr
oder weniger complicirte.
Die Wichtigkeit der Processe hängt natürlich von der Verbreitung ab, die
cm Silicat in den Gesteinen besitzt und von der Bedeutung, die ihm als
Gemengtheil derselben zukommt. Der Olivin [2(Mg, Fe)0 • SiO^] ist ein Mi-
neral, das für sich ganze Gesteine zusammensetzt und wahrscheinlich in der
Tiefe der Erdrinde in grosser Verbreitung vorhanden ist, das aber auch in der
Reihe aller basischen Eruptivgesteine eine grosse Rolle spielt, so in den Basalten,
Melaphyren, Pikriten, Gabbros. Die schnelle Verwitterbarkeit dieses Silicates
macht es besonders geeignet, seine Umwandlungsprocesse zu studiren, die auch
in der Regel einfacher Art sind. In dem Silicat des Olivin überwiegt stets die
Magnesia, der Gehalt an Eisen neben dieser kann aber mehr oder weniger bedeu-
tend sein. Darnach ändern sich manchmal die hervorgehenden Produkte in Etwas
um, der Verlauf der Umwandlung im Ganzen bleibt wesentlich derselbe. Sie
besteht in der Aufnahme von Wasser unter Abgabe von Magnesia- und Eisen-
oxydulsilicat d. i. in der Bildung von Serpentin 3MgO-2SiO^ 4- 2HaO, wobei aller-
dings ein Theil des Wassers als basisches anzusehen ist, oder auch in der gänz-
lichen Fortführung des Magnesiasilicates und gleichzeitiger Oxydation des Eisen-
oxyduls d. i. Bildung von Magneteisen oder Eisenglanz, aus denen die Wasserauf-
nahme Brauneisen bildet, oder endlich beide Processe vollziehen sich gleichzeitig,
es werden Serpentin und Eisenminerale gebildet, alles oft mit Beibehaltung von
Structur und Form des Olivin. Die frei werdende Kieselsäure scheidet sich
anderweitig aus. Aus dem Magnesiasilicat kann aber auch durch Umwandlung
das Carbonat hervorgehen, das Eisen wird frei und bildet seine Verbindungen.
Bei den Pseudomorphosen von Eisenglanz nach Olivin ist eine Zufuhr von Eisen-
oxyd anzunehmen. In anderen Fällen sind auch mit den umwandelnden
Lösungen Kalkerde, Thonerde oder Alkali zugeführt und dadurch noch andere
l'mwandlungsprodukte des Olivin veranlasst worden.
An Olivin reiche Gesteine können darnach zu verschiedenartigen Endprodukten
umgewandelt werden, unter denen allerdings Serpentine die häufigsten sind. Dass
die Mehrzahl der bekannten Serpentingesteine aus Olivingesteinen stan\men, ist
nachgewiesen. Aber auch gewisse Dolomite und Magneteisenlager mögen als
gänzlich umgewandelte Olivinmassen gelten dürfen. Die einzelnen Stadien der
Umwandlung lassen sich am besten in den basaltischen Gestemen jüngerer und
alterer geologischer Entstehung studiren und bieten hier auch m den Ver^eUeden-
148 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
heiten der erst beginnenden oder weit fortgeschrittenen Umwandlung ein grosses
Interesse.
Mit dem Olivin erscheint in denselben Gesteinen fast regelmässig Augit
assodirt. Die Augite sind nach ihrer Zusammensetzung entweder thonerdehahl^e
oder thonerdefreie Silicate, die im Allgemeinen der Formel entsprechen: (CaMgFe'
OSiO».!)
Der Beginn der Umwandlung der Augite besteht wieder in der Aufnahme
von Wasser, sie werden dabei faserig, asbestartig. Die Diopside in den Gesteinen
fransen sich manchmal an ihren Rändern aus und gehen in feinfaserigen Asbest
über, während der Kern noch deutlich krystalline kömige Beschaffenheit besitzt.
Der Kalkerdegehalt des Augit geht mit der Wasseraufnahme zuerst verloren, es folgt
daraus eine Anreicherung des Magnesiasilicates, die den Uebergang zur Serpeiitin-
bildung begründet. Ist der Augit thonerdehaltig, so werden wasserhaltige Mag-
nesia-Thonerdesilicate gebildet, das Eisenoxydul geht durch höhere Oxydation
und Wasseraufnahme in Eisen oxydhydrat über und färbt die gebildeten Thone.
Pseudomorphosen von Speckstein oder Chlorit nach Augit, sowie auch die Umwand-
lung augitreicher Basalte in fette, eisenschüssige Thone, sogen, basaltische Wackcn
zeigen diesen Process. Das Vorkommen von ged. Kupfer in solchen Wackcn
z. B. im Siebengebirge am Rhein und in Böhmen zeigt die reducirende Wirkung
dieser Umwandlung auf Metallsalze. Auch die Bolusarten mancher Basalte z. B.
die sogen, terra sigiÜata von Striegau in Schlesien gehören hierher.
Ein sehr häufiges Produkt thonerdehaltiger Augite ist die sogen. Grünerde,
deren Zusammensetzung zwar sehr wechselnd zu sein scheint, die aber im Wesent-
lichen ein wasserhaltiges Eisenoxydul-Thonerde-Alkalisilicat und von grosser atrro-
nomischer Bedeutung ist. Sie ist in der Regel mit Kalk- und Magnesiacarbonat
gemengt, das aus der Umwandlung der Silicate im Augit hervorging.
Bei fortschreitender Verwitterung pflegt der Gehalt an Kalkcarbonat in den
augithaltigen Gesteinen z. B. den Diabasen zuzunehmen und so entstehen voll-
ständige Pseudomorphosen von Kalkspath nach Augit; augitreiche (iesteinc
können sich in Kalksteine umwandeln. Manche alte, in den kn^stallini sehen
Schiefem eingeschaltete Kalksteine oder auch Dolomite, besonders solche, in
denen gleichzeitig Serpentin- und Olivlnreste sich finden, gingen aus Augit-Olivin-
gesteinen hervor. Durch Oxydation des frei werdenden Eisenoxyduls wird Magnet-
eisen oder Eisenoxydhydrat als begleitendes Produkt geschaffen.
Eine ebenso verbreitete Umwandlung ist die der Augite in chloritische Sub-
stanzen, überwiegend von grüner Farbe, die in der Gruppe der (Jrün steine her-
vortritt. Die Chloritbildung erfolgt in ganz ähnlicher Weise wie die des Ser-
pentin von aussen nach innen und von den Rissen und Sj)rüngen ausgehend.
Die Zusammensetzung der chloritischen Produkte, fiir welche der Sammelname
Viridit (auch grüne serpentinartige Bildungen umfassend) eingeführt ist, ist ge\vis>
eine sehr wechselnde, immer aber sind es wasserhaltige Silicate von Thonerdc,
Eisenoxyd und Oxydul, Magnesia, bald die eine, bald die andere dieser Sub-
stanzen vorherrschend. Die weitverbreiteten z. Th. als Delessit bezeichneten
Produkte in den Hohlräumen der Melaphyre und Basalte, mit Quarz, Kalkspath
und Zeolithen zusammen gehören auch hierhin.
') Für die Betrachtungen der Umwandlung genüjjt die Anführung dieser allgenictuen
Formel. Eine Berücksichtigung der neueren, unzweifelhaft richtigen Ansichten Tschermak»
u. A. über die Mischungsverhiiltnissc der Silicate in den Augiten erscheint daher hier niclit
nothwendig.
Chemische Processe in der Geologie 149
-Als Endprodukte der fortgesetzten Umänderung der Augitgesteine durch die bei
allen vorher angeführten Processen frei werdende Kieselsäure und Eisenoxyde,
welche durch Wasseraufnahme zu Hydraten werden, erscheinen manchmal ge-
radezu kieselige, zuweilen auch kalkige Brauneisensteine.
Auch Epidot entsteht aus der Umwandlung der Augite, vorzüglich der thon-
erdehaltigen und eisenoxydulreichen. Hierbei wird die Magnesia des Augit fast
g:anz entfernt, die Kalkerde angereichert und in Lösung zugeftihrt, Thonerde und
die Eisenoxyde bleiben oder werden auch noch zugeführt. Die Zufuhr der Thon-
erde, deren Gehalt in den Augiten immer nur ganz gering ist, erfolgt wohl vor-
züglich aus den gleichzeitig vorhandenen und umgewandelten Feldspathen.
Die Hornblende unterliegt im Allgemeinen ähnlichen Umwandlungsprocessen
y»ie die Augite. Bei der Uebereinstimmung der in ihre Zusammensetzung ein
tretenden Verbindungen erscheint dies natürlich. Auch die Hornblende ist ent-
weder thonerdefrei und dann ROSiO«; R = (Mg, Ca, Fe) oder thonerdehaltig
imR0.SiO»-+-nR«08; R^ = Fe«, AI«.)
Auf der Wasseraufnahme beruht die Bildung der Asbeste, Bergkorke u. a.
^'ie bei den Augiten. Wird gleichzeitig die Kalkerde durch Magnesia ersetzt, so
bildet sich auch Talk, das wasserhaltige Magnesiasilicat. Auch thonerdehaltige
Afagnesiasilicate: Steatit, Saponit u. a. pflegen aus der Hornblende hervorzu-
gehen. Ebenso entsteht aus ihr Serpentin, der Thonerdegehalt giebt noch
Veranlassung zur Bildung von Chlorit. Oft ist die Hornblende mit einer Rinde
von aus ihr hervorgegangenem Chlorit umhüllt. Die Eisenoxyde sind der Aus-
gang zur Bildung von Magneteisen. Dieses ist besonders bei den eisenreichen
sogen, basaltischen Hornblenden häufig. Das Magneteisen bildet zuerst voll-
kommene Rinden um die Hornblende, ersetzt aber später auch die ganze Masse
derselben und geht durch Oxydation und Wasseraufnahme in Brauneisenstein
über. Vollendete Pseudomorphosen von Brauneisenstein nach Hornblende finden
sich in einigen Gesteinen z. B. Dioriten.
Wird bei der Umwandlung der Hornblende Alkali zugeführt und Kalkerde aus-
gelaugt, so kann auch Glimmer entstehen; er ist sogar ein häufiges Umwandlungs-
produkt. Die neugebildeten Glimmerblättchen haben sich auf und in der Horn-
blende oft in gesetzmässiger Stellung angesiedelt.
Vielleicht noch häufiger als aus Augit geht aus der Hornblende Epidot her-
hervor, Magnesia wird entfernt, Quarz aus freigewordener Kieselsäure und da-
neben Kalkcarhonat ausgeschieden. Die Bildung von chloritischen Produkten
unter Ver^vendung freiwerdender Magnesia, Thonerde und Eisenoxydul pflegt mit
der Epidotbildung gleichzeitig vor sich zu gehen.
Wie aus den Augitgesteinen, so können also auch aus homblendehaltigen
Gesteinen Epidot- und Chloritgesteine und endlich auch mehr oder weniger
kicselige Brauneisensteine hervorgehen. Da die Hornblenden stet« weniger
Kalkerde enthalten als die Augite, dagegen etwas mehr Magnesia, so
müssten sie für sich allein zur Epidot- und auch zur Kalkspathbildung weniger
«geeignet sein, als der Augit, hingegen könnten aus ihnen leichter Magnesia-
carbonate oder Dolomite entstehen. Die Magnesite, die zu Frankenstein in
Schlesien, zu Kraubat in Steiermark u. a. a. O. mit Serpentinen in VerbiiMhir^r
"stehen, sind wie diese aus olivin-, augit- oder homblendehaltigen Gesteinen her-
vorgegangen. Aus vorzüglich homblendehaltigen entstanden manche altkiro^J-
linischen Gesteinen eingeschaltete Dolomite, z. B. solche in den Pyrcnäcr i--^~
Alpen, wie u. a. vielleicht die mineralreichen Dolomite südlich vom Sc_ C^^
150 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
hard und im Binnenthal. Die Kalkglimmerschiefer, die Kalkpistacitschiefer, die
Kalktalkschiefer, Dolomitglimmerschiefer haben wohl grösstentheils ihren Gehalt
an Carbonaten der Umwandlung von ursprünglich vorhandenem Augit oder
Hornblende zu danken.
Ueberhaupt aber finden sich Augit und Hornblende in vielen älteren
krystallinischen Gesteinen so regelmässig nebeneinander, dass hierdurch eine
Trennung der Produkte ihrer Umänderung geradezu unmöglich wird. Auch giebt
es direkte Uebergänge von Augit in Hornblende, die sogen. Uralite, die als ein
erstes Umwandlungsstadium mancher Augite zu bezeichnen sind. Mit der Form
des Augit erscheint dann Spaltbarkeit, Structur und optisches Verhalten der
Hornblende; im Inneren finden sich oft noch unveränderte Kerne von Augit mit
einer Hülle von Uralit, der oft mit ersterem bezüglich der Hauptachse parallel
gestellte Fasern aufweist. Bei der Entstehung der uralitischen Hornblende aus
Augit scheint meist mit der Aufnahme von etwas Wasser ein Austritt von Kalk-
erde und Eisen zu erfolgen, wodurch Kalkspath und Magneteisen neugebildet
werden.
Dass die Hornblende im Verlaufe ihrer Umwandlung sich oft mit einem
Rande von neugebildetem Magneteisen umsäumt, ist «ine weit verbreitete Er-
scheinung in vielen Gesteinen, während dieses bei dem Augit sehr selten der
Fall ist. Dies dürfte wohl vorzüglich darauf beruhen, dass die thonerdehaltigen
Hornblenden im Allgemeinen reicher an Eisenoxydul sind.
Auch Glimmer, besonders die eisenreichen Arten der Magnesiaglimmer er-
leiden leicht Umwandlungen. Eine der häufigsten besteht in der Ausscheidung
von Eisenoxyd als Ocker oder auch der Neubildung von Magneteisen auf den
Fugen der Glimmerblätter. Sie erscheint oft so dicht, dass sie dem Glimmer eine
allgemeine Rostfarbe verleiht, so z. B. in dem sogen. Rubellan. Auch giebt es voll-
endete Pseudomorphosen von Magneteisen nach Glimmer. Solche finden sich
z. B. ausgezeichnet nach einem schwarzen lepidomelanartigen Glimmer in den
Graniten von Königshayn in Schlesien. Die Umwandlung beginnt mit einer
schwachen Rostförbung, auf der Oberfläche der Glimmerblätter bilden sich zu-
nächst vereinzelte Magneteisenkörnchen und Kryställchen. Endlich ist unter voll-
ständiger Beibehaltung der Form und theilweise sogar der blättrigen Structur
der ganze Glimmerkrystall in ein Aggregat von Magnetit verwandelt Glimmer-
schiefer, deren Gemengtheil ein eisenreicher Glimmer ist, vermögen auf die>c
Weise zu Magneteisenschiefem sich umzuändern. Die den krystallinischen
Schiefem in einigen Gegenden eingeschalteten sogen. Magnetitgneisse, soune die
Magneteisenlager zwischen Glimmerschiefern mögen in dieser Weise entstanden
sein. Da aber der Magnetit durch weitere Umwandlung in Eisenoxyd übergehen
kann, so ist schliesslich auch die Bildung von Eisenglanzglimmerschiefer auf diese
Weise denkbar.
Ausserdem bilden sich aus den Glimmern chloritische Produkte, Kalkspat)..
Quarz, Speckstein oder Serpentin in ähnlicher Weise wie aus den vorher en^ ahnten
Mineralen. Die hellen Kaliglimmer sind im Allgemeinen widerstandsfähiger .iN
die dunklen, eisenhaltigen Magnesiaglimmer.
Von ganz besonderer Wichtigkeit aber sind die Umwandlungserscheinunger
der ganzen Gruppe derFeldspathe, da die verschiedenen Arten derselben m
der grössten Mehrzahl der krystallinischen Gesteine als die wesentlichsten Gerocnj
theile auftreten. Nach ihrer chemischen Zusammensetzung, die ftir diese Be-
trachtung allein von Wichtigkeit ist, kann man die Feldspathe in einfache oder
Chemische Processe in der Geologie. 151
in Mischlingsfeldspathe unterscheiden. Der ersteren giebt es 3 Arten: Den
Kalifeidspath (Orthoklas und Mikroklin) von der Zusammensetzung: K'Al^Si^O^*
oder K>0 -h Al^O^ n- ÖSiO^; der Natronfeldspath (Mbit): Na>Al»Si6 0i« oder
Na»0-hAl»03-h6SiO> und der Kalkfeldspath (Anorthit) = CaAlÄSiaO^ oder
CaO H- Al*03 -+- -iSiO^. Mischlingsfeldspathe giebt es zwei Arten: solche die
gleichzeitig Kali und Natron besitzen, z. B. einige Sanidine, und die demnach
zwischen Orthoklas und Albit in der Mitte stehen, und solche, die Kalkerde und
Xanron gleichzeitig in wechselnden Mengen enthalten und sonach zwischen Albit
und Anorthit in der Mitte liegen. Nur diese letzteren haben für geologische Vor-
gange grössere Bedeutung. Diese Kalk-Natronfeldspathe entsprechen im Allge-
meinen der Formel : n Albitsubstanz auf m Anorthitsubstanz, oder also
n ^Na* AI* Si^ O^ ®) -4- m(Ca AP Si* O*), wobei dann m^n, und darnachdie Mischung
entweder mehr Anorthitsubstanz oder mehr Albitsubstanz enthält, also z. B.
entweder Ab -h 6 An oder 6 Ab -h An und die zwischen diesen Grenzen liegenden
Möglichkeiten.
Während der Natronfeldspath mit 69^ und der Kalifeidspath mit 65 ^Kieselsäure
eine ziemlich saure Mischung besitzen, hat der Kalkfeldspath mit nur 43^ Kieselsäure
eine sehr basische Zusammensetzung. An Thonerde enthalten der Kalifeidspath 18^,
der Natronfeldspath 19^, der Kalkfeldspath dagegen 37 J. Der Gehalt an Alkalien
beträgt in den ersteren ly^K^O resp. i2^Na*0; der an Kalkerde in letzterem
20JtCaO. Bei den Kalknatronfeldspathen schwanken die Werthe natürlich nach
ihrer Mischung, die mehr Albitsubstanz enthaltenden sogen. Oligoklase haben
62—65^ SiO*, die mehr Anorthitsubstanz enthaltenden sogen. Labradorite dagegen
nur 50 — 56J SiO*. Diese Verhältnisse der chemischen Constitution der Feld-
spathe sind für die Umwandlungserscheinungen und die aus ihnen hervorgehenden
Neubildungen am wichtigsten. Wenn sie auch die Gemeinsamkeit einer grossen
Zahl von Umwandlungsprodukten bedingen, so erklären sie doch auch anderer-
seits die vielfachen Verschiedenheiten.
Ein allen alkalireichen Feldspathen, also dem Orthoklas und den Oligoklasen
vor allem eigenthümliches Umwandlungsprodukt sind die wasserhaltigen Thon-
erdesilicate: der Kaolin oder die Porcellanerde und andere Silicate von ähn-
licher Zusammensetzung. Die Veränderung beginnt mit der Aufnahme von Wasser
und der Auflösung der Kieselsäure in dem Silicate unter dem Einflüsse der gleich-
zeitig gebildeten Alkalicarbonate. Diese gehen in Lösung, auch Kieselsäure
ft-ird fortgeführt und setzt sich meist in der Nähe auf Klüften und Hohlräumen
des Gesteines wieder ab. Die Thonerde wird angereichert und bildet dann mit
dem Reste der Kieselsäure und dem Wasser Kaolin, dessen normale Zusammen-
setzung etwa 46^ Kieselsäure, 40 J Thonerde und 14 g Wasser erfordert. Schon bei
dem Orthoklas, aber natürlich mit dem wachsenden Kalkgehalte in höherem Maasse
bei dem Oligoklas wird neben Kaolin gleichzeitig auch Kalkcarbonat gebildet. Be-
dingung zur Kaolinbildung ist jedenfalls die Möglichkeit zur Bildung des auf die Sili-
i ate wrksamen Alkalicärbonates. Wo diese fehlt, kann auch kein Kaolin entstehen.
Daher vollzieht sich bei den kalkreichen und alkaliarmen Feldspathen dem
Anorthit und den ihm nahestehenden Labradoriten auch die Umwandlung ohne
eine Kaolinbildung. Durch Aufnahme von kohlensäurehaltigem Wasser wird Kalk-
erde gelöst und als Kalkcarbonat abgeschieden. Kieselsäure und Thonerde bilden
mit den Produkten aus den mit den Feldspathen associirten Mineralen, vorzüglich
Augit und Hornblende, neue Verbindungen. Der Beginn der Carbonatbildung giebt
sich bei diesen Feldspathen alsbald durch Brausen bei der Behandlung mit Säuren
152 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
ZU erkennen. Die fortgeführte kohlensaure Kalkerde wird oft durch Alkaliea
Magnesia und Eisen vollständig ersetzt, während in dem ursprünglichen Verhält-
nisse von SiO^ zu APO^ keine Aenderung eintritt.
Im Allgemeinen zeigen alle Feldspathe beim Beginn ihrer Umwandlung durd.
Oxydation der geringen Mengen von Eisenoxydul röthliche Färbungen, bei für-
gesetzter Umwandlung geht diese wieder verloren und die Kaoline werden blendend
weiss. Ein wenn auch sehr geringer Gehalt an Eisen ist ihrer Verwendung zu:
Porcellanfabrikation schädlich, da sie sich dann roth brennen.
Zu Kaolin umgewandelt erscheinen grosse Massen besonders Orthokla-
enthaltender Gesteine, z. B. Granite und Porphyre, zunächst und oft bis zur vol
kommenen Umwandlung mit Beibehaltung ihrer Structur, indem der Quarz z. ^
noch unverändert in der Kaolinsubstanz liegt. Solche Umänderungen von (Jrani
in situ finden sich in grossartigem Maassstabe bei Carlsbad in Böhmen, bei Strehbn
in Schlesien, Limoges in Frankreich; Porphyrite mit oligoklasartigen FeldspatK^r
finden sich in gleicher Weise kaolinisirt, z. B. im Vicentinischen in der Gegend
von Schio.
Von anderen wasserhaltigen Thonerdesilicaten, die aus Orthoklas und alkali
haltigen Feldspathen hervorgehen, ist noch der demPinit ähnlichen Produkte, der m»:
Pinitoide Erwähnung zu thun, in denen neben Alkalien auch Eisen und Magnes^i
in die neuentstandene Verbindung eingetreten sind. Wenn die Alkalien gan;
fortgeführt werden, so entstehen auch magnesiareiche Thonerdesilicate, endlirb
geradezu Magnesiasilicate: Serpentin und talkartige Produkte, in denen die wer-
selnden Verhältnisse von Kieselsäure zu Magnesia und Wasser eine grosse Vcr-
srhiedenartigkeit bedingen. Zu diesen gehört auch ein Theil der als Saussnn:
bezeichneten Verwitterungsprodukte der Feldspathe ; serpentinartige Gemenge vo-
Kömchen, verschieden gestalteten Nädelchen und Fasern mit Quarz vermischt
Oft sind die Aggregate vollkommen verworren faserig, oft zeigen sie blumige,
federartige Anordnung und sind maschenförmig gruppirt, in seltneren Fällen er-
scheint auch eine parallelfasrige Structur. Diese Produkte, wasserhaltige Magne>ia
thonerdesilicate, hat man auch als Pseudophit bezeichnet
Eintritt von Magnesia und Eisenoxydul mit Wasser, vollständige Entfemiini:
der Alkalien und eines grossen Theiles der Kieselsäure bedingen die Bildung \on
chloritischen Mineralen aus den Feldspathen.
Auch die Neubildung von Epidot auf Kosten verwitternder Feldspathsubsiap/
und ofl geradezu in dieselbe hinein, ein echter Schmarotzer auf Feldspath, ist ucr
verbreitet. Bedingung dazu ist vor allemein ziemlich hoher Gehalt an Kalkerde dt-
sich umwandelnden F'eldspathes selbst oder die Zufuhr desselben aus der Nahe.
nie Alkalien treten aus, mit ihnen \ie\ Kieselsäure; Kalkerde und Eisen müssen zu-
geführt werden. Augit und Hornblende, wenn sie mit Feldspathen Gesteine bilden,
sowohl mit Orthoklas in den Syeniten als auch mit Kalknatronfeldspathen in ilci^
sogen. Grünsteinen, scheinen sich in der Regel ganz besonders zur Epidotbildiir^-
/.u ergänzen. In solchen Gesteinen erfolgt sie am regel massigsten und häufigNte«.
In vielen Fällen ist gewiss geradezu diese Mineralassociation und nicht "das ein-
zelne Mineral als die Quelle zur Epidotbildung zu bezeichnen.
Manche Kpidosite, die fast ganz aus kömigen oder stengiigen Aggregaten
von Epidot bestehen, sind lediglich gän/lich umgewandelte Feldspathge>teine
oder haben wenigstens solclien dius Material zu ihrer Bildung entnommen, m
\u A, besonders die mit (Kranit und Serpentin in Verbindung auflretenden £piil(.>t
Chemische Processc in der Geologie. 153
gesteine auf Elba, der Epidotfels im Syenit von Blansko in Mähren, die Epidot-
^änge und Adern in den Grünsteinen Nassaus und manche andere.
Der Natrongehalt der Orthoklase dient auch zur Neubildung von Albit. Der-
selbe siedelt sich geradezu auf jenem an und durchwächst ihn mehr und mehr;
auch die zerbrochenen Stellen verdrückter und gebogener Orthoklaskrystalle
in Graniten werden durch Albit wieder verheilt und verkittet, so z. B. sehr schön
in den grosskömigen Parthien der Granite von Königshayn bei Görlitz in
Schlesien.
Andererseits ist der Natrongehalt der Feldspathe im Verbände mit der Wasser-
aufnahme die Ursache zur Bildung von Zeolithen, besonders der natronreichen
Mesotype.
Auch die Bildung von Glimmer aus dem Orthoklas ist von einiget Bedeutung:
das Thonerdesilicat ist geblieben, aber Kieselsäure und ein Theil des Alkalige-
haltes ist entfernt, Eisen zugeführt worden. Der Glimmer ist immer ein hell ge-
färbter Kaliglimmer oder bildet schuppige glimmerähnliche Produkte von einer
dem Margarit sich nähernden Wasser und Kalkerde enthaltenden Verbindung.
Auch für die Feldspathe gilt dann eine gleiche Bemerkung, wie sie oben für
Augit und Hornblende gemacht wurde. Das sehr verbreitete Zusammenvor-
kommen verschiedenartiger Feldspathe, so des Kalifeldspathes und der Kalknatron-
feldspathe in denselben Gesteinen, bedingt in der Regel eine Ausgleichung der
Verschiedenheiten für die Umwandlungsprodukte und die Möglichkeit gemein-
schaltlicher Neubildungen.
Keine anderen Minerale haben bezüglich ihrer Umwandlungserscheinungen
eine so allgemeine Bedeutung für geologische Vorgänge wie die vorhergehenden.
Bekannt sind allerdings, aber immer nur von einer mehr localen Wichtigkeit, noch
eine ganze Reihe recht charakteristischer anderer Umwandlungsprodukte. Nephe-
lin ist vor allem, mit den anderen ihn begleitenden echt vulkanischen Mineralen
,Leucit, Nosean, Sodalith) als ein zeolithbildendes Mineral zu nennen. Der Beginn
der Umwandlung von Aussen, das zonenweise Fortschreiten derselben, die Bildung
fasriger Aggregate und endlich bestimmbarer Nadeln von Natrolith ist hier vor-
trefflich zu verfolgen.
Granat scheint sich häufig in Chlorit umzuwandeln, dabei wird die Kalkerde
l>i:» auf geringe Mengen entfernt, der Magnesiagehalt nimmt entsprechend zu,
Eisen und Kieselsäure gehen z. Th. fort, Wasser wird aufgenommen, Thonerde
bleibt unverändert oder wird zum kleineren Theile entfernt. Durch Oxydation
des Eisenoxyduls wird oft als Nebenprodukt Magneteisen gebildet.
Zahlreiche verschiedene Umwandlungsprodukte liefert der Cordierit
v2MgO, 2R»03 -h5Si02, R2 = Aia, Fe»); alle enthalten Wasser und Alkali, Kiesel-
säure, Thonerde, Eisen oxydul und Magnesia. Darunter ist besonders der Pinit
^K'O-H 2A1^0* -+- öSiO») -I- 3aq zu nennen, durch Wasseraufnahme und Aus-
tausch der Magnesia gegen Alkali gebildet.
Andalusit (APO^ • SiO») wandelt sich in Glimmer und Speckstein um; Aus-
tausch der Thonerde gegen Magnesia und Wasseraufnahme, Aenderung des
Kieselsäuregehaltes ist dabei wesentlich.
So könnte noch eine Reihe weiterer auf Lösung und Austausch von Be-
^tandtheilen durch die Einwirkung gebildeter Mineralsolutionen beruhende Um-
wandlungen aufgeführt werden. Auf specielle Werke über Pseudomorphosen,
oder chemische Geologie, mag bezüglich weiterer Beispiele verwiesen werden.
Die wichtigsten der überhaupt vorkommenden chemischen Processe dieser
154 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Art, für welche z. Tb. im vorhergehenden einzelne Beispiele angeführt wurden,
sind in kurzer Aufzählung die folgenden:
1. Kohlensaure Alkalien zersetzen Kalksilicate , es werden Kalkcarbonat
und kieselsaure Alkalien gebildet. Kieselsaure Magnesia unterliegt dieser Um-
wandlung nicht, daher auch die Häufigkeit mit der gerade wasserhaltige
Magnesiasilicate als Endprodukte der Umwandlungsprocesse auftreten.
2. Kohlensaure Alkalien zersetzen Fluorcalcium, es entstehen leichtlösliche
Fluoralkalien und Kalkcarbonat: so die Pseudomorphosen von Kalkspath nach
Flussspath.
3. Die kieselsauren Alkalien zersetzen doppeltkohlensaure Magnesia, es ent-
steht kieselsaure Magnesia und kohlensaure Alkalien. Das ist der Fall bei eini-
gen Umwandlungsprocessen der Feldspathe, deren kieselsaure Alkalien, wenn bie
mit Wassern in Berührung kommen, die das Magnesiabicarbonat enthalten, durch
kieselsaure Magnesia ersetzt werden z. B. bei der Serpentin- oder Chloritbildung
aus Feldspath.
4. Die kieselsauren Alkalien zersetzen kohlensaures Eisenoxydul, es entstellt
kieselsaures Eisenoxydul und kohlensaure Alkalien gehen in Lösung. Darauf be-
ruht die Bildung der Grünerde und der chlorophäitähnlichen Silicate, die in der
sogen. Grünsteinen u. a. Gesteinen, in denen Eisenoxydulcarbonat in Lösung eni-
enthaltende Wasser circuliren und kieselsaure Alkalien in den Peldspathen zugegen
sind, so überaus häufig sich finden.
5. Wenn eine Lösung von kieselsaurem Natron mit Kalkbicarbonat in Be-
rührung tritt, so bildet sich kohlens. Natron und kohlensaure Kalkerde und die freie
Kieselsäure wird in irgend einer Form abgeschieden. Darauf beruhen die Pseudo-
morphosen von Quarz oder Homstein nach Kalkspath.
6. Kiesels. Thonerde wird durch schwefelsaure Magnesia oder Chlormagne
sium und schwefelsaure Thonerde oder Chloraluminium zersetzt. Auch das ist
ein Weg, der zur Umwandlung von Feldspath, Augit, Hornblende u. a. in
Serpentin, Speckstein, Talk fuhren kann. Die leicht lösliche schwefelsaure Thon-
erde und das Chloraluminium werden fortgeführt, die kieselsaure Magnesia bleibt
zurück.
7. Eisenoxydhydrat wirkt zersetzend auf kieselsaure Thonerde. Kommen
Gewässer, in denen doppelt kohlensaures Eisenoxydul gelöst ist, in Berührung mit
Mineralen, die kieselsaure Thonerde enthalten und wird aus diesen durch Wasser-
aufnnhme und Oxydation Eisenoxydhydrat ausgeschieden, so entzieht dieses dem
Silicate der Thonerde einen Theil der Kieselsaure und bildet damit das Ei^en-
oxydsilicat. Es bilden sich dann Doppelsilicate von Thonerde und Eisenoxyd
so z. B. Delessit, Strigovit und ähnliche Produkte.
8. Schwefels. Alkalien und schwefelsaure alkalische Erden werden durch
faulende organische Substanzen zu Schwefelalkalien und Schwefel Verbindungen
der alkalischen Erden zersetzt so z. B. Gyps durch sumpfige Wasser in Schwefel-
calcium übergeführt. Diese Schwefel Verbindungen zersetzen kohlensaures Eisen-
oxydul, sowie auch Eisenoxydhydrat und es bildet sich Schwefeleisen,
Q. Kalkbicarbonat, wie es durch Auslaugen z. B. aus Kalkfeldspath fon|;c-
Itlhrt wird, bildet mit den schwefelsauren Salzen der Metalle Blei, Eisen, Kupier.
Zink einerseits schwefelsaure Kalkerde, andererseits die Carbonate der MeiaH-
oxyde. So entstehen Malachit, Kupferlasur, Weissbleierz, Zinkspath u. A. als
Umwandlungsprodukte der Kupferkiese, Zinkblende, Bleiglanz u. A. auf En*
Chemische Processe in der Geologie. ' 155
gangen. Durch Aufnahme von Sauerstoff hatten sich diese in die Sulfate um-
gewandelt.
10. Kiesels. Zink-, Blei-, Kupfer- u. a. Oxyde, ebenso die kohlens. Salze
derselben und auch das Eisen- und Manganoxydul, werden durch Schwefelwasser-
stoff zersetzt. Es bilden sich die entsprechenden Schwefelmetalle und freie
Kieselsäure wird abgeschieden. Dieser Process ist fllr die Auslaugung der
Metalloxj'de aus den Gesteinen und ihre Neubildung in den Gangspalten ganz
besonders wichtig gewesen.
III. Auflösung der Gesteine.
Wenn auch die meisten auflösenden Processe schon bei den im Vorhergehenden
besprochenen Erscheinungen Erwähnung finden mussten, da sie in gewissem
Sinne Bedingung zur Neubildung und Umwandlung sind, so sollen sie doch hier
am Ende noch einmal kurz angeführt werden, weil mit ihnen manche Stoffe zu-
nächst der sichtbaren Erdoberfläche entzogen werden.
Es sind die Processe vornehmlich als auflösende bezeichnet, die in der Weise
einfach verlaufen, dass ein Mineral in Lösung übergeführt wird und verschwindet,
ohne dass eine andere Substanz, die aus diesem Processe hervorgeht, an seine
Stelle tritt: es sind also die eigentlichen Verwitterungsprocesse. Auf ihnen, und
mit ihnen verbunden auf der mechanischen Auflockerung durch atmosphärische
Agentien und die fliessenden Wasser der Erdoberfläche beruht der grösste Theil
der Erscheinungen, die wir, ohne sie in chemische und mechanische zu trennen
als Erosion bezeichnen. Die mechanischen Wirkungen sind allerdings meistens
die sichtbareren.
Es giebt nur sehr wenige Minerale, die gar nicht von Wasser, Sauerstoff,
Kohlensäure und anderen Säuren angegriffen werden, wie z. B. die Edelmetalle
oder Diamant und Graphit. Die grösste Mehrzahl bietet im Gegentheil die Er-
scheinung, unter der Einwirkung der genannten Lösungsmittel sich ohne Rest
voUständig zu lösen. Vor allem sind dieses die Carbonate, Sulfate, Chloride,
in geringerem Maasse auch die Phosphate u. A., endlich sogar die Silicate und
der Quarz.
Für die Carbonate ist die I^slichkeit eine sehr verschiedene; immerhin aber
werden ungeheure Mengen, besonders von Kalkcarbonat aus Kalksteinen aufge-
löst. Die Verwitterungsformen so mancher Kalksteine, ihre höhlerreiche Be-
i^chaffenheit, die Schutthalden am Fusse von Dolomitfelswänden beweisen die
Urossartigkeit dieser Wirkungen.
Von Sulfaten ist besonders die Auflösung von Gypsgesteinen die Veran-
lassung zu geologischen Vorgängen. Die Gypsgebirge sind ebenfalls von ver-
^hiedenartigen Höhlungen erfüllt, die durch Auswaschung entstanden, durch ihr
Zusammenbrechen Dislocationen oft ausgedehnter Art hervorrufen. Die zahl-
reichen Soolquellen rühren von aufgelöstem Steinsalz her.
Die Löslichkeit der Silicate und des Quarzes wurde schon im Vorhergehen-
den mehrfach betont. Die Anwesenheit gelöster Kieselsäure in so vielen Quellen
u-t darauf zurückzuführen. Die Gegenwart von Alkalicarbonat erhöht die Löslich-
teit sehr wesentlich.
In geringem Maasse sind auch die Eisenoxyde und das Magneteisen löslich.
Dass der grösste Theil der Minerale in Lösung übergeführt wird, beweist
die Zusammensetzung mancher Mineralquellen, des Fluss- und vor allem des
Meerwassers.
156 Mineralogve, Geologie und Palaeontologie.
Allen diesen Aiiflösiingsprocessen liegt nicht so sehr eine schnelle, energische
Einwirkung, als vielmehr eine lange ununterbrochene Fortdauer zu Grunde. Hier
gilt wörtlich der alte lateinische Spruch : Gutta cavat lapideniy non visedsaepe cadendo.
Literatur: Bischoff, G., Lehrbuch der ehem. und physicalischen Geologie. II. Aufl. Bonn 1803
Blum, J. R., Die Pseudomorphosen des Mineralreiches. Stuttgart 1843, und vier Nachträge 1844
1852, 1863, 1879. Credner, H, .Elemente der Geologie. IV. Aufl. Leipzig 1878. Roth, Jrsr '
Allgem. und ehem. Geologie. 1. Bd. Berlin 1879. VüLüer, Ü., Studien zur Entvricklung^gc-
schichtc der Mineralien. ZUrieh 1854.
Cohäsion oder Cohäsions-Eigenschaften der Minerale
von
Professor Dr. Kenngott
Von der Cohäsion, dem Zusammenhange der kleinsten materiell gleichen
Theilchen der Körper hängen bei den Mineralen verschiedene Erscheinungen ah,
welche dazu fllhrten, gewisse Eigenschaften zu unterscheiden, durch welche sie-
die Minerale unterscheiden lassen. Dieselben sind z. Th. sehr wichtige, insofern
sie auf die Bestimmung der Arten Einfluss haben.
Wie schon im Artikel »Arten der Minerale« pag. 59 erwähnt wurde, zeiger
die Krystalle die Eigenthümlichkeit, sich nach gewissen Richtungen leichter al-
in anderen zertheilen (spalten) zu lassen und die dadurch hervorgehenden (le-
stalten werden als innere krystallinische Gestalten den äusseren entgegen-
gesetzt. Weil somit diese von der Cohäsion oder von der Cohärenz der kleinsten
Massentheilchen abhängige Erscheinung an den Krystallen, den Individuen de-
Mineralreiches oder überhaupt an Krystallen, auch den nicht mineralischen m\\
den äusseren Formen in Zusammenhang steht und sich selbst an solchen Indi-
viduen zeigt, welche keine äussere Form bestimmen lassen, die mathematische
Bestimmung der Krystallgestalten unterstützt, so kann sie allen anderen von der
Cohäsion abhängigen Eigenschaften vorangestellt werden.
Die Spaltbarkeit der Krystalle oder der unorganischen Individuen i;>t eine
allgemeine Eigenschaft, sie zeigt, dass die Krystalle, so vollkommen oder unvid!
kommen sie äusserlich ausgebildet sein mögen, nach bestimmten mit der Kjybtalli-
sation in Zusammenhang stehenden Richtungen eine mindere Cohäsion haben
Wenn man einen Gypskrystall, welcher z. B. wie die von Shotowerhill in
Sussex in England oder von Rundiana bei Modena in Italien die oft vorkommende
Combination (Fig. i) des klinorhombischen Prisma 00 P (dessen klinodiagonalc
Kanten = 1 1 1 ° 30' sind) mit den I^ngsflächen 00 P^ und der vorderen klim-
rhombischen Hemipyramide P (deren klinodiagonale Kanten = 143^30' sind
bildet, in die Hand nimmt und ein Messer mit seiner Schärfe auf eine Henri-. -
]>yramidenfläche in der Richtimg der Combinationskante derselben mit der Lanp^
fläche ^^Fig. 2) aufsetzt und zwar so, dass die Breitseite der Klinge parallel der
I^^ngsfläche ist, so genügt ein massiger Druck, um den Krystall parallel de*
Längsfläche zu spalten. Das abgetrennte Stück (Fig. 3) und der übrig bleibende*
Theil des Krystalles (Fig. 4) zeigen parallel der Längsfläche eine ebene glän/end«.
Fläche, die Spaltungsfläche und man sieht, dass der Gypskrystall parallel der
Längsfläche spaltbar ist. Man kann den Gypskrystall in dieser Richtung und
Weise weiter fort spalten und erhält lamellare Spaltungstücke, Spaltungsblancr,
welche immer dünner und dünner hergestellt werden können, so lange es über-
L
Cohäsion oder Cohäsions-Eigenschaften der Minerale.
157
(Min. 24-27.)
Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4.
haupt noch möglich ist, mit dem Messer die erhaltenen Blätter oder Lamellen
7.U spalten. Diese Spaltbarkeit parallel der Längsfläche ist allen Gypskry stallen
;;emeinsam, auch wenn die Längsflächen äusserlich nicht vorhanden sind. Die
ii>jjskrystalle haben also in der Richtung der Längsfläche die geringste Cohäsion,
Ho\on uns der Versuch, einen Gypskrystall in einer anderen Richtung zu spalten,
leicht überzeugen würde.
Weil durch dieses Spalten in der angegebenen Richtung ein Gypskrystall in
Umellen (Blätter) zerlegt werden kann, spricht man von einem Blätterdurch-
.^ange des Gypses, weil man ihn nach dieser Richtung in Blätter bis zur grössten
Feinheit spalten kann.
Legt man ein Hexaeder (einen Würfel) des Steinsalzes auf den Tisch, setzt
<üe Schneide des Messers parallel einer Hexaederkante auf die obere Fläche
auf und zwar so, dass die Klinge senkrecht auf der Hexaederfläche stellt oder
[arallel einer verticalen Hexaederfläche, so genügt ein massiger Schlag mit einem
Hammer auf den Rücken des Messers, den Steinsalzkrystall parallel einer Hexaeder-
iäcbe zu spalten. Weitere Versuche werden zeigen, dass man das Hexaeder in
iiieser Richtung weiter spalten kann und dass sich Steinsalzhexaeder so nach
icder beliebigen Hexaederfläche in gleicher Weise spalten lassen. Somit sind
iie Steinsalzkrystalle parallel den Flächen des Hexaeders spaltbar, haben drei
^lJaltungs^ichtungen, drei gleich vollkommene Blätterdurchgänge.
Würde man diesen Versuch mit einem Hexaeder des Fluorit oder Flussspath
genannten Minerales machen wollen, so wird man wohl das Hexaeder zersprengen,
aber nicht parallel den Hexaederflächen spalten können. Dabei wird man aber
«»cobacbten, dass nach anderen Richtungen Spaltungsflächen entstehen und zwar
parallel den Oktaederflächen, welche oft an Fluoritkry stallen mit dem Hexaeder
jn Combination vorkommen, die Ecken desselben gerade abstumpfen. Setzt
man daher auf ein Fluorithexaeder die Schärfe des Messers parallel einer
Diagonale der Quadratfläche auf, das Messer selbst ein wenig schief haltend in
ier Richtung der Oktaederflächen, wie sie in Combination mit dem Hexaeder
vorkommen, so genügt ein massiger Schlag mit dem Hammer auf den Rücken
les Messers, um die Hexaederecke abzuspalten. Weitere Versuche werden
zeigen, dass die Fluoritkrystalle, gleichviel welche Form sie zeigen, parallel don
Machen des Oktaeders spaltbar sind, vier Blätterdurchgänge haben.
Bei fielen Mineralarten genügt die Anwendung des Messers nicht, honvUnh
158 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
man muss sich eines scharfen stählernen Meiseis bedienen und es ist dann auch
zweckmässig, den Krystall nicht unmittelbar auf den Tisch, sondern auf eine
Unterlage von Tuch, lieder oder mehrfach gefalteten Papiers zu legen. Es \\v
hier nämlich die auch zu den Cohäsionseigenschaften gehörige Härte Einflus^,
indem das Messer fiir harte Minerale zu schwach ist.
Gestützt auf die bisher gemachten zahlreichen Erfahrungen über die Spalt-
barkeit der Krystalle und krystallinischen Individuen, welche unvollkommen aus-
gebildete Krystalle sind, kann man zunächst sagen, dass alle Krystalle spaltbar
sind. Diese Behauptung könnte im Augenblicke unrichtig erscheinen, insofern i
es Mineralarten giebt, deren Krystalle bis jetzt keine Spaltungsflächen auffinden
Hessen, man muss aber dabei bedenken, dass unsere Methode und das Mittel
(das Messer oder ein Meisel) eine nicht in allen Fällen ausreichende ist unJ
man bezeichnet daher bei Krystallen, welche man bisher nicht spalten, an denen
man keine Spaltungsflächen finden konnte, die Spaltbarkeit als eine verstcck'.c <
und muss noch erwarten, auf welche Weise man sie an denselben entdecken |
oder sichtbar machen kann. So hat man z. B. beobachtet, dass bei gewissen |
Krystallen eine rasche Temperaturveränderung Spaltungsflächen sichtbar, das I
Spalten ermöglichen kann. Den Einfluss einer solchen sieht man z. B. ar
Fluoritkrystallen, deren oktaedrische Spaltbarkeit bereits erwähnt wurde, in der
Weise, dass Sprünge parallel den Oktaederflächen im Inneren entstehen, wenn
man sie in heisses Wasser legt. So ist der Quarz, beispielsweise der farblo-c
krystallisirte, der sogen. Bergkrystall, selten deutlich spaltbar; die Anwendur.i:
eines Meiseis bringt selten eine deutliche Spaltungsfläche zum Vorschein, el.cr \
der zufallige Schlag mit einem Hammer, wenn man die Spitze eines solcher»
Krystalls abschlägt. Wenn man dagegen einen solchen Krystall vorsichtig unt-
langsam erhitzt, wobei gewöhnlich schon Sprünge entstehen, bis zum Glühen.'
und dann den Krystall in kaltem Wasser rasch abkühlt, so zeigen die abspringen^ ;
den Stücke oft deutliche Spaltungsflächen parallel den Pyramidenflächen. \N ei
überhaupt Erhöhung der Temperatur, Erhitzen der Krystalle, auf die Spaltun!r>
flächen Einfluss hat, die Spaltung selbst vollzieht, sieht man an gewissen sogcr:
Glimmern, die wenn sie als lamellare oder tafelförmige Krystalle vor dem rötl-
röhre erhitzt werden, bisweilen mit grosser Schnelligkeit sich aufblättern.
Da man überhaupt nicht mit Erfolg spalten kann, wenn man die Lage der;
Spaltungsflächen nicht kennt, das Messer oder den Meisel nicht in der richtigen,
Stellung aufsetzt, so muss man Mittel anwenden, durch welche Sprünge erzeuirt
werden, wenn nicht schon solche da sind, welche auf Spaltungsflächen hindeuten. / ..
diesen Mitteln gehört nicht allein das einfache Zerschlagen eines Kr^-stalie-.
sondern auch das Erzeugen von sogen. Schlag figuren, von denen w^eiter untem
die Rede sein wird. Es handelt sich stets darum, auf irgend welche Wei>e ihti
Cohärenz der kleinsten materiell gleichen Massentheilchen zu erschüttern. \\i-..i
man auch daraus ersieht, dass bei dem Zerschlagen krystallinischer AggreguTi*
besonders kömiger, blättriger und stengliger, welche aus unvollkommen aus^<.
bildeten Krystallen bestehen, in Folge der Spaltbarkeit der verwachsenen Ino-
viduen, glänzende Flächen sichtbar werden. Darum zeigt, wie früher bei dcii 1
Calcit angegeben wurde, ein Stück Marmor, krystallinisch-kömiger Calcit, chJi.*.'
ein Stück krystallinisch-kömigen Steinsalzes auf der Bruchfläche riele klci*i^i
glänzende Spaltungsflächen, Spaltungsflächen der verwachsenen Individuen, u « - <
durch man die krystallinische Bildung erkennt, und bei grösseren IndiviJr c ■ 1
Cohäsion oder Cohäsions-Eigenschaften der Minerale. 159
•
solcher Aggregate kann man dann auch die Lage der entstandenen Spaltungs-
flächen beurtheilen.
Aus dem Gesagten geht her\'or, dass man die Spaltungsflächen aufsuchen
muss und dass daraus, dass keine gefunden worden sind, nicht zu schliessen ist,
dass keine Spaltbarkeit bei gewissen Arten existirt; man hat eben nicht das
richtige Mittel gefunden, sie zu entdecken; dagegen kann man mit Recht aus allen
Erfahrungen schliessen, dass die Spaltbarkeit eine gemeinsame Eigenschaft aller
Kn'stalle ist. Aus dem Gesagten geht ferner hervor, dass man auch Grade
der Spaltbarkeit unterscheiden kann, das heisst, man vergleicht die grössere
oder geringere Leichtigkeit, mit welcher man Spaltungsflächen erhalten kann,
sowie auch die erhaltenen Spaltungsflächen nach ihrer Ebenheit und Glätte. In
diesem Sinne werden die Spaltungsflächen oder die Spaltbarkeit als vol Ikommene,
«
als ziemlich vollkommene, als deutliche, als undeutliche (im Besondem
als unterbrochene und unvollkommene) benannt, oder es können nur Spuren
gefunden werden, schliesslich keine (die Spaltbarkeit ist eine versteckte, ver-
borgene).
Bezüglich des Zusammenhanges der verschiedenen Abstufungen von den voll-
kommensten an bis zu den versteckten Spaltungsflächen mit den Kry stallgestalten,
parallel deren Flächen ein Krystall oder die Krystalle einer Species spaltbar sind,
kann man im Allgemeinen feststellen, dass die krystall ographisch gleichen Flächen
entsprechenden Spaltungsfläehen gleichen Grad der Vollkommenheit haben, so
dass, wenn an einem Krystalle gleichzeitig Spaltungsflächen vorkommen, welche
verschiedenen Grad der Vollkommenheit zeigen, man daraus schliessen kann,
dass sie kr)''sallographisch verschiedenen Flächen entsprechen, sowie dass gleich
vollkommene Spaltungsflächen den Krystallflächen einer einfachen Gestalt zu-
gehoren. Es lassen sich stets die den Flächen einer einfachen Gestalt parallelen
Spaltungsflächen als gleich vollkommene erkennen, während verschiedener Grad
der Vollkommenheit auf verschiedene einfache Gestalten hinweisst.
Was schliesslich die Zahl der Spaltungsrichtungen, beziehungsweise der
ßlätterdurchgänge und ihre Lage betriffit, so zeigen sich dieselben sehr verschieden ;
es giebt Species, deren Krystalle nur nach einer Richtung spaltbar sind, einen
Blätterdurchgang haben, andere, deren Krystalle nach 2, 3, 4 oder mehr
Richtungen spaltbar sind, einen zwei-, drei-, vier- oder mehrfachen Blätterdurch-
gang zeigen. So sind z. B. die hexagonalen Krystalle des Chlorit in einer
Richtung vollkommen spaltbar, parallel der hexagonalen Basisfläche, haben einen
einfachen Blätterdurchgang; so sind z. B. die tesseralen Krystalle des Steinsalzes
nach drei Richtungen, parallel den Flächen des Hexaeders spaltbar, haben
einen dreifachen Blätterdurchgang; so sind die Krystalle des hexagonalen
Calcit, Dolomit, Siderit und Magnesit nach drei Richtungen, parallel den Flächen
eines stumpfen Rhomboeders spaltbar, haben einen dreifachen Blätterdurchgang.
Bei dem dreifachen Blätterdurchgange des Steinsalzes schneiden sich die Spaltungs-
rtächen rechtwinklig, ergeben hexaedrische Spaltungsstücke, während bei dem
dreifachen Blätterdurchgange des Caleit, Dolomit, Siderit und Magnesit die
Spaltungsflächen sich unter gleichen, stumpfen und spitzen Winkeln schneiden,
welche sich zu 180° ergänzen, bei dem Calcit sich unter Winkeln von 105^5'
und 74*^ 55' schneiden. So sind z. B. die Krystalle des Fluorit nach vier
Richtungen spaltbar, haben einen vierfachen Blätterdurchgang parallel der Flächen
des Oktaeders und die vier Blätterdurchgänge schneiden sich unter Winkeln von
109^28' 16" und 70" 31' 44".
l6o MiDeralogie, Geologie und Palaeontologie.
Gleich vollkommene Spaltimgsflächen entsprechen einer einfachen Kiystall*
gestalt, ungleich vollkommene weisen auf verschiedene Krystallgestalten hin. So
spaltet z. B. der Galenit oder Bleiglanz gleich vollkommen nach drei auf ein-
ander rechtwinkligen Richtungen, wie das Steinsalz, und die Spaltungsflächen
entsprechen einem rechtwinkligen Parallelepipedon mit gleichen Flächen, dem
Hexaeder, einer einfachen Gestalt des tesseralen Systems. So spaltet z. B.
der Apophyllit nach drei auf einander senkrechten Richtungen, in einer voll-
kommen, in den zwei anderen in gleicher Weise unvollkommen, also entsprechend
einem rechtwinkligen Parallelepipedon, welches auf die Combination zweier
quadratischen einfachen Gestalten hinweist, auf die der Basisflächen und ilcs
quadratischen diagonalen Prisma ooPoo. So spaltet auch der Anhydrit in drei
auf einander senkrechten Richtungen, jedoch ist die Spaltbarkeit in den drei
Richtungen von verschiedener Vollkommenheit. Hieraus muss man schliessen.
dass diese drei Blätterdurchgänge auf die orthorhombische Combination der
Längs-, Quer- und Basisflächen führen, welche als Spaltungsgestalt hervorgeht.
So spalten die Krystalle des Baryt nach drei Richtungen, haben drei Blätter-
durchgänge, von denen zwei gleich vollkommene sich schiefwinklig schneiden,
während der dritte vollkommenere rechtwinklig gegen diese beiden geneigt ist.
Die ersten beiden entsprechen dem Querdoma Pöö, der letztere den orthorhom-
bischen Längsflächen.
Gewöhnlich sind wenig Blätterdurchgänge vorhanden und diese entsprechen
den gestaltlich einfachsten Gestalten der Systeme. So sind z. B. bei tesseralen
Krystallen die Spaltungsflächen parallel dem Hexaeder oder dem Oktaeder oder
dem Rhombendodekaeder; bei quadratischen Krystallen parallel den Basisflächen»
oder parallel den Flächen des normalen oder des diagonalen quadratischen Prisma
oder parallel den Flächen einer normalen oder einer diagonalen quadratischen Pyra-
mide, bei orthorhombischen parallel den Quer-, Längs- oder Basisflächen, parallel
den Flächen eines orthorhombischen Prisma oder Querdoma oder Längsdomn,
oder parallel einer orthorhombischen Pyramide u. s. f., wobei, >vie die voran-
gehenden Beispiele zeigten, die Spaltungsflächen eines Krystalles oder der
Krystalle einer Species gleichzeitig nach einer oder nach zwei oder drei- unti
mehr einfachen Krystallgestalten gefunden werden können.
Abgesehen davon, dass man einen Krystall nach einer Spaltungsfläche in
Blätter zertheilen kann, Spaltungsblätter entstehen, ergeben die Krystalle bei
zwei und mehr Spaltungsflächen prismatische, domatische, hexaedrische, oktatr-
drische, pyramidale, rhomboedrische u. a. Spaltungsstücke und die überein-
stimmende Gestalt der Sjialtungsstücke bei Krystallen derselben Art ftthrte den
französischen Krystallographen Rena Juste Hauv (dessen Trait<f de cristalK»-
graphie, Paris 1822) zu der Annahme (Hypothese), dass die materiell gleichen
kleinsten Theile eines Krystalls gleiche Gestalt und Grösse haben, durch deren
Vereinigung der Krystall aufgebaut sei. Er nannte diese durch die SpaJfunp^s-
flächen zu erschliessenden kleinsten materiell gleichen Massentheilchen gleicher
Grösse und Gestalt »moltJcules int<5grantes< (integrirende Molecule). Das von den-,
lateinischen Worte moles, Masse gebildete Verkleinerungswort molecule (molecula,
Massentheilchen), im Deutschen auch Molekel genannt, bezeichnet also hier di^
auf Spaltbarkeit begründeten kleinsten gleichen Massentheilchen eines Krj^stallo-*
und diese sind nicht mit den chemischen Moleculen zu verwechseln.
Wenn auch die hypothetische Gestalt dieser Krystall -Molecule als eine
gleiche angenommen werden konnte, so ist doch die Grösse derselben nit*J»t
Cohäsion oder Cohäsions-Eigenschaften der Minerale. i6i
zu bestimmen. So kann z. B. ein Krystall des Galenit oder Bleiglanz ge-
nannten Minerales durch fortgesetztes Spalten in sehr kleine hexaedrische
Spaltungsstücke zertheilt werden und wenn man diese durch Zerstossen
weiter verkleinert, bis zu feinem Pulver zerreibt, so erkennt man unter dem
Mikroskope noch hexaedrische G^staltimg. Man konnte also annehmen, dass
die Krystall-Molecule des Galenit Hexeader sind, durch welche die Krystalle
des Galenit aufgebaut gedacht werden können, die Grösse aber ist nicht be-
stimmbar. Wie man aus gleichgestalteten Bausteinen Gebäude der verschieden-
iten Form aufbauen kann, so zeigte Haüy, wie man nach gewissen Gesetzen der
Aneinander-Lagerung der mol^cules intdgrantes die verschiedenen Gestalten der
Knstalle derselben Art aufbauen könne und wenn auch die Auflassung dieses
Aufbaues, die Gestalt und Grösse der Krystall-Molecule eine hypothetische ist,
gleichsam eine logische Folgerung der Spaltbarkeit, so hat doch diese Hypo-
these eine grosse Wahrscheinlichkeit für sich und dient zur Erklärung der gleichen
Spaltbatkeit bei verschiedener Gestaltung der Krystalle derselben Species.
Diese stofflich gleichen, gleichgestalteten und gleichgrossen Krystall-Molecule
werden selbst wieder durch die Atome gebildet, die »mol^cules widmen taires«,
welche in jedem der »moldcules int^grantes« in gleicher Zahl und Anordnung
anzunehmen sind, um die gleiche Gestalt und Grösse derselben bei derselben Art
/u ermöglichen.
Mit einem solchen Aufbau der Krystalle durch die Krystall-Molecule, welche
durch die Cohäsion zusammengehalten werden, könnte man auch eine eigen-
rhümliche Erscheinung von Flächen in Zusammenhang bringen, welche als
itleitflächen, gegenüber den Spaltungsflächen bezeichnet worden sind und in
ausführlicher Weise von E. Reusch (Ann. d. Phys. u. Chem. 132, 441; 136, 130;
auch in den Monatsber. der Berliner Akademie der Wissenschaften 1872, 242
und 1873, Mai) ermittelt und beschrieben worden sind. Es giebt nämlich in
Kristallen gewisse Flächen (Richtungen), welche dadurch ausgezeichnet sind, dass
parallel denselben ein Gleiten der kleinsten Massentheilchen stattfinden kann und
das Gleiten durch einen entsprechenden Druck hervorgerufen wird.
Werden z. B. an einem hexaedrischen Spaltungsstücke von Steinsalz zwei
diametral gegenüberliegende Kanten so abgefeilt, wie wenn eine Rhombendode-
bcderfläche als gerade Abstumpfung der Hexaederkante vorhanden wäre und
dann das Spaltungsstück zwischen diesen beiden durch das Anfeilen hervor-
gebrachten Abstumpfungsflächen gepresst, so entsteht in dem Spaltungsstticke
eine Trennungsfläche, welche der in der Richtung des Druckes liegenden Rhom-
bendodekaederfläche parallel ist. — Oder, wenn an einem durchsichtigen rhom-
Wdrischen Spaltungsstücke des Calcit zwei diametral gegenüberliegende scharfe
Kanten, welche den Seitenkanten des Rhomboeders R entsprechen, so abgefeilt
werden, dass diese Abfeilungsflächen als gerade Abstumpfungsflächen der Seiten-
Jcanten den Flächen des diagonalen hexagonalen Prisma Roo entsprechen, so
bliuen, wenn das Spaltungsstück zwischen diesen beiden Prismenflächen stark
zasammengepresst wird, Trennungsflächen auf, welche den Flächen des stumpferen
Rhomboeders | R' in der Gegenstellung i) entsprechen, welche als Krystallflächen
die stumpfen Endkanten des Rhomboeders R gerade abstumpfen. Aus diesen
Erscheinungen der Gleitflächen geht hervor, dass sie durch Verminderung der
*) Man vergleiche wegen dieser Gestalts-Angaben das, was bei Calcit (pag. 93) über die
(Gestalten desselben angegeben wurde.
KvtHQ<m, Min,, Geol. u. Pal. I. ' '
i62 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Cohärenz der kleinsten Massentheilchen in Folge des Druckes hervorgehen und
in die Reihe der Cohäsions -Eigenschaften ^der Krystalle gehören.
Schliesslich sind auch noch die bereits oben erwähnten Seh lag f ig uren an-
zuführen, welche dadurch entstehen, dass man auf eine Krystall- oder Spaltuncs-
fläche einen stumpfen konisch zugespitzten Stahlstift (den Kömer der Metall-
arbeiter) senkrecht aufsetzt und auf denselben einen kurzen leiehten Schlag mit
einem Hammer ausführt. Es entstehen dadurch von dem Aufsatzpunkte des
Stahlstiftes ausgehende feine Sprünge, welche sich auf gewisse Krystallflächen be-
ziehen, denen entsprechend durch den Schlag die Cohäsion vermindert oder
aufgehoben wurde.
Sowie durch solche mechanische Mittel der natürliche Zusammenhang der
kleinsten gleichen Massentheilchen in gewissen Richtungen aufgehoben werden
kann, können auch chemische Agentien angewendet werden, um die Verhältnisse
des Zusammenhanges zu ermitteln. Man erzeugt auf Krystall- oder Spaltuni^s-
flächen die sogen. Aetzfiguren.
Bei der verschiedenen Beschaffenheit der Krystallflächen überhaupt, welche
bei vollkommener Ausbildung der Kryütalle ebene Flächen sein sollen, bemerkt
man auch verschiedene Abstufungen unvollkommener Ausbildung, wonach Kr}'stall-
flächen als gestreifte und andere als rauhe bezeichnet werden. Bei letzteren
namentlich bemerkt man bisweilen, dass in der Ausdehnung der Krj'stall flächen
als Ebenen kleine Vertiefungen vorkommen, welche z. Th. eine regelmässige Ge-
staltung zeigen und, wie man zu schliessen berechtigt war, oft von einem äusseren
Angriffeines chemischen Agens, eines Auflösungsmittels herrühren. Dasselbe machte
die Krystallflächen rauh, erzeugte gewisse regelmässige Vertiefungen. Es lag nun der
Gedanke nahe, durch Auflösungsmittel schwach auf Krystallflächen einzuwirken,
sie anzuätzen und beobachtete nun ähnliche Erscheinungen, wie sie an gewissen
rauhen Flächen vorkommen. Man erzeugt Aetzfiguren, welche bei ihrer Kleinheit mei>t
mikroskopisch untersucht durch ihre Gestaltung und T-age einen Zusammen-
hang mit der Krystallgestalt zeigen und somit auch die Mittel bieten, über die
Krystallisation zu entscheiden, wenn Zweifel über die Gleichartigkeit der Flächen
oder über das System vorliegen, in welchem die bezügliche Species krystallisirt.
Den Spaltungsflächen stehen femer als eine Cohäsionserscheinung die Bruch-
flächen gegenüber. Wird z. B. ein dichtes Mineralstück mit einem Hammer
zerschlagen, so entstehen Bruchstücke desselben und die dasselbe begrenzenden
Flächen heissen Bruchflächen. Man spricht vom Bruche der Minerale, welcher
sich in dieser Weise nicht allein bei dichten Varietäten zeigt, sondern auch nel>en
den Spaltungsflächen an Krystallen.
Diese Bruchflächen hängen mit der Cohäsion zusammen und entstehen duri->:i
die Erschütterung der Masse in Folge des Schlages mit dem Hammer. Von der
Stelle aus, wo der Hammer aufschlägt, wird die Masse erschüttert und der Zu^
sammenhang der kleinsten Massentheilchen gestört. Ist der Schlag staik genii^-,
dass ein Stück abgeschlagen wird, so zeigt sich nicht oder nur in seltenen Fällen
eine Ebene. Die normale Gestalt einer solchen Bruchfläche ist in Folge de«
vom Angriffspunkte des Hammers ausgehenden Erschütterung, besonders bei
dichten gleichartigen Massen eine concave, beziehungsweise convexe Fläche^
welche man mit der Concavität und Convexität einer Muschelschale verglichen
und muschelige Bruchfläche genannt hat. Solche Flächen sieht man z. U
an einem Stücke Glas oder an einem Stücke Obsidian, einem natürlichen GUs^o
oder an dichten Mineralen überhaupt, ebenso an gewissen Krysullen, besonder i
CohäsioD oder Cohäsions-Eigenschaften der Minerale. 163
an solchen, welche nicht vollkommen spaltbar sind. Die Aehnlichkeit mit der
Concavität und Convexität der Muschelschalen wird bisweilen noch dadurch er-
höht, dass in der gekrümmten Bruchfläche, wahrscheinlich in Folge innerer
Hindemisse concentrische schwache wellenförmige Erhöhungen und Vertiefungen
wechseln.
Auch hier kann man, wie bei der Erzeugung der Schlagfiguren sich von der
regelmässigen, vom Angriffspunkte ausgehenden Erschütterung und Trennung
der kleinsten Massentheilchen überzeugen. Wenn man z. B. ein Stück durch-
scheinenden Chalcedon hat, welcher angeschliffen und polirt eine ebene, glatte
und glänzende Schlifffläche zeigt, so kann man sich, wie bei der Erzeugung der
Schlagüguren eines stumpfen conisch zugespitzten Stahlstiftes bedienen, diesen auf
der Schliffiläche senkrecht aufsetzen und darauf einen leichten kurzen Schlag
ausfuhren. Dann sieht man vom Angriffspunkte aus einen hemisphärischen
Sprang sich in das Innere erstrecken, dessen Tangentialebene die Schlifffläche ist.
Der muschelige Bruch kann als der normale betrachtet werden und man
unterscheidet nach der Tiefe der Concavität oder der Höhe der Convexität gegen-
über der Ausdehnung (Grösse) der Bruchfläche den muscheligen Bruch als
liefmuscheligen oder flachmuscheligen Bruch, welcher letztere so flach
werden kann, dass daraus der ebene Bruch hervorgeht, wobei die Bruchflächen
nahezu eben sind, das Extrem des flach muscheligen Bruches bilden. Im Gegen-
satz dazu steht der unebene Bruch, wenn die Bruchflächen nicht in bestimmter
(Gestaltung hervortreten, sondern nur unregelmässige Erhöhungen und Vertiefungen
zeigen.
Bruchflächen, wie sie bei dem muscheligen bis ebenen Bruche entstehen,
können auch ihrer Beschaffenheit nach als glatte oder splittrige oder erdige
unterschieden werden, je nachdem sie glatt sind oder in der Ausdehnung der
Bnichflächen sich ablösende Splitter des Minerales sich nicht ganz ablösen, sondern
noch mit der Masse zusammenhängend und auf der Fläche aufliegend in Folge der
Durchscheinbeit der Splitter, soweit sie abgelöst sind, sichtbar werden, wie man
solche Splitter bei Hom sehen kann. Erdig werden die Bruchflächen oder der
Brach erdig genannt, wenn auf denselben sich kleine pulverulente Theilchen
zeigen, welche bei der Trennung sich von der Masse ablösten und den Bruch -
dächen adhäriren.
Als eine besondere Art des Bruches ist schliesslich der hakige Bruch bei
dehnbaren Metallen, z. B. Eisen, Kupfer oder Zink unterschieden worden, indem
hei diesen durch die bedeutende Cohärenz der Massentheilchen beim Zerreissen
oder Zerbrechen sich auf den Trennungsflächen kleine drahtähnliche Spitzen zeigen,
welche am Ende gewöhnlich etwas gekrümmt sind.
Als dritte Haupterscheinung in Folge der Cohärenz ist die Härte der Mine-
rale anzuführen. Man bezeichnet mit dem Ausdrucke Härte der Minerale den
^^Iderstand, welchen sie zeigen, wenn man sie zunächst mit einem Messer schneiden
oder ritzen will, wenn man sie mit einer Feile anfeilt oder wenn man sie für ge-
viise Zwecke der Verwendung schleift. So zeigt z. B. das Schneiden des
Glases vermittelst des Glaserdiamanten, dass die Härte des Glases geringer ist
als die des Diamant.
Diese von der Cohäsion der Masse, von der Cohärenz der kleinsten Massen-
theilchen abhängige Härte der Minerale war z. Th. schon in den ältesten Zeiten
der Grand, warum gewisse Minerale als Edelsteine vor anderen bevorzugt wurden,
II*
164 Mineralogie, Geologie und Palaeontologic.
sie ist jetzt noch der Grund, warum z. Th. Edelsteine nicht durch die schönsten
geschliffenen Gläser überflüssig gemacht werden.
Es handelte sich zunächst darum, diesen Widerstand in irgend welcher Weise
zu bestimmen, weil man beobachtete, dass die Minerale sich sehr verschieden
hart erweisen und dass Minerale derselben Art eine gewisse Uebereinstimmung
in der Härte zeigen Wenn man z.B. einen Gypskrystall oder eine Spaltungslamelle des
Gypses mit dem Fingernagel ritzen will, so bemerkt man, dass dies leicht geschehen
kann, während ein Calcitkrystall oder ein Spaltungsstück des Calcit vom Finger-
nagel nicht geritzt wird. Versucht man dagegen das Ritzen bei diesen letzteren
mit dem Messer, so geschieht dies sehr leicht. Mit einer Diamantspitze kann
man sehr leicht das Glas ritzen oder auch einen Bergkrystall, während dieser
das Glas ritzt aber nicht vom Glase geritzt wird.
Als man die Minerale wissenschaftlich zu bestimmen begann, wurde auch die
Härte als eine wichtige Eigenschaft derselben erkannt, durch welche sie sich unter
scheiden lassen ; es stellte sich das Bedürfhiss heraus, die Härte zu prüfen. Man
versuchte mit dem Fingernagel zu ritzen oder wenn dies nicht gelang, mit
einem stählernen Messer, oder wo dieses nichts ausrichtete, mit einer englischen
Feile das Mineral anzufeilen, überzeugte sich aber bald, dass diese Mittel.
Minerale zu ritzen, um ihre Härte zu prüfen, für wissenschaftliche Bestimmung
unzureichend sind. Man benützte daher und benützt noch jetzt als Mittel
zur Bestimmung der Härte der Minerale die Minerale selbst und es wurde zu-
nächst von F. MoHS eine Reihe von Mineralen ausgewählt, welche zum Ritzen
der anderen geeignet erschienen. Er wählte 10 durch Härte verschiedene Minerale
aus, welche nach zunehmender Härte in eine Reihe gestellt, eine Härtescala
für die Beurtheilung der Härte aller anderen bilden und hatte somit ein weit
sicheres Mittel, die Minerale bezüglich der Härte vergleichen zu können.
Die zehn ausgewählten Minerale sind nach der aufsteigenden Härte geordnet
nachfolgende:
1. Talk (blättriger Steatit). 6. Orthoklas (ein Feldspath).
2. G)q)s. 7. Quarz.
3. Kalkspath (krystallinischer 8. Topas.
Calcit). 9. Korund.
4. Fluorit. IG. Diamant.
5. Apatit.
Die zehn Glieder der Härtescala sind aber nicht beliebige Stücke der ver-
schiedenen Varietäten der genannten Arten, sondern man wählt zur HärteK-
Stimmung entweder Krystalle oder Kr)'stallstücke (wie Spaltungsstücke), weil diese
den vollkommensten Zustand, den normalen der Minerale darstellen. Nicht jede
beliebige Varietät einer der genannten Arten eignet sich zur Bestimmung, denn
wenn z. B. bei Calcit (S. 98) angeführt wurde, dass zu der Species Calcit aucli
die Kreide als erdiger Calcit gerechnet wird, so versteht sich von selbst, da^>
man die Kreide nicht anwenden könnte, weil sie als erdiger Calcit viel weicher
ist, sich von jedem krystallinischen Calcit wegen des lockeren Zusammenhalten^
ihrer kleinsten Theilchen ritzen lässt. Ebenso würde bei Gyps der faserige Gv]>>
sich weicher erweisen als der krystallisirte.
MoHs gab (pag. 331 seiner leichtfasslichen Anfangsgründe der Naturgeschichte
des Mineralreiches, Wien 1832) eine genaue Vorschrift für die Auswahl der zur
Härtescala tauglichen Stücke, bezüglich welcher nur in Betreff des zweiten Hanc-
grades anzuführen ist, dass er eine etwas unvollkommene spaltbare, nicht ^oll
Cohäsion oder Cohäsions-Eigenschaften der Minerale. 165
kommen durchsichtige und nicht krystallisirte Varietät ausgewählt wissen wollte,
weil Krystalle gewöhnlich zu weich sind. An die Stelle dieser Varietät Hesse
sich auch das Steinsalz setzen, oder wenigstens anwenden. W Haidinger (pag. 399
seines Handbuches der bestimmenden Mineralogie, Wien 1845) setzte das spalt-
bare Steinsalz als zweiten Härtegrad in die Scala mit der Bemerkung: »die
Gypsvarietät, welche genau den Härtegrad besitzt und deren sich Mohs anfang-
lich bediente, ist weniger leicht zu haben.« Trotz dessen zieht man den Gyps
vor, weil das Steinsalz hygroskopisch ist, durch feuchte Luft an der Oberfläche
angegriflfen und etwas weicher wird, während Spaltungsstücke des Gyps, z. B.
des krystaUisirten vom Montmartre bei Paris genau die gewünschte gleichmässige
Härte haben.
Die Härte eines Minerales prüft man nun in folgender Weise: Man ver-
sucht mit einer Ecke eines Krystalles, eines Spaltungs- oder Bruchstückes die
Glieder der Härtescala zu ritzen, wobei man von den höheren zu den niederen
herabsteigt. Findet man so z. B. dass die zu bestimmende Probe den Orthoklas
nicht, aber den Apatit ritzt, so ist ihre Härte höher als die des Apatit. Sie kann
nun die Härte des Orthoklas haben oder in der Härte zwischen dem Apatit und
Orthoklas stehen, sich dem einen oder dem anderen Härtegrade mehr nähern.
Dies findet man weiter, wenn man das fragliche Mineral mit dem Orthoklas zu
ritzen versucht, ist dies der Fall, wird es vom Orthoklas geritzt, dann ist seine
Härte zwischen beiden Härtegraden. Wird das Mineral nicht vom Orthoklas
geritzt, so ist seine Härte gleich der des Orthoklas. Um noch genauer darüber
zu entscheiden, ritzt man mit dem Orthoklas und der in Frage stehenden Probe
den Apatit und kann dabei keineil oder einen geringen Unterschied finden. Be-
merkt man keinen Unterschied, so ist die Härte gleich der des Orthoklas, während
ein etwaiger geringer Unterschied zeigt, dass die Härte wenig über der des Ortho-
klas oder unter derselben ist.
Hat man so die Härte ermittelt, so bezeichnet man sie mit der Zahl 6, schreibt
H. = 6, wenn sie gleich der des Orthoklas ist, mit 5,5, wenn sie zwischen der des
Apatit und Orthoklas liegt, wobei aber durch die Decimale nur der Ausdruck
in Worten, wie bei H. = 6 erspart, eine Abkürzung erzielt wird. Eine nähere
Bezeichnung, wie etwa H.= 5,25 oder H.= 5,75 ist nicht zu empfehlen, es ge-
nügt die Angabe H. = 5,5 — 6,0, wenn die Härte der des Orthoklas näher steht
als der des Apatit. Man kann überhaupt nicht die Härte so haarscharf be-
stimmen und es ist der Zahlenausdruck immer nur ein annähernder, zumal bei
der Angabe der Härte einer Mineralart, wenn man auch dabei nur die krystal-
linischen oder vollkommen dichten Varietäten berücksichtigt; denn es finden
immer kleine Unterschiede bei den Varietäten statt, wie schon oben in Betreff
des Gypses bemerkt wurde, dessen Krystalle oft weicher sind als die zur Scala
gewählten Spaltungsstücke des krystaUisirten Gypses vom Montmartre bei Paris.
Aus der Wahl von 10 Gliedern der Härtescala gegenüber den zahlreichen
Mineralarten, aus den grossen Unterschieden der Härte zwischen den Extremen
und aus der Art, die Härte durch Vergleichung möglichst annähernd zu be-
stimmen, geht hervor, dass die Bestimmung nur eine annähernde ist, kein numeri-
sches Maass erzielt, wie die Bestimmung des in Zahlen ausgedrückten specifischen
Geunchtes. Man hatte daher daran gedacht, die Zahl der Glieder der Härte-
scala zu vermehren, was in der That zunächst zweckmässig erscheinen möchte.
So hat z. B. A. Breithaupt (pag. 377 seines vollständigen Handbuches der Minera-
logie, Dresden und Leipzig 1836 I. Theil) eine i2theilige Härtescala aufgestellt.
l66 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Er hob hervor, dass die Mohs' sehen Bestimmungen nach lo Graden bei weitem
alle anderen übertreffen, welche man vorher kannte. Nur zu mehrer Gleich-
förmigkeit und um also die gar zu fühlbaren Lücken vermeiden zu können,
dehnte er die lo MoHs'schen Grade auf 12 aus, unter welchen der dritte und
siebente neue Zugaben sind. Seine Scala ist nun folgende:
1. Talk, blättriger.
2. Gyps, blättriger, z. B. aus Thüringen (der gelbe vom Montmartre ist etwa>
zu hart.
3. Glimmer, namentlich der von Zinnwald (der sog. Zinnwaldit).
4. Kalkspath.
5. Fluorit.
6. Apatit.
7. Sodalith (in dessen Ermangelung Strahlstein vom Greiner in Tyrol oder
Wernerit von Arendal in Norwegen.
8. Orthoklas.
9. Quarz.
10. Topas.
11. Korund (nicht der aus Piemont).
12. Diamant.
Diese Scala fand aber nicht allgemeine Aufnahme, verdrängte nicht die
MoHs'sche, weil sich der Uebelstand herausstellte, dass man genöthigt ge-
wesen wäre, bei der Angabe stets beizufügen, nach welcher Scala die Härte be-
stimmt wurde, wie etwa bei den Temperaturangaben, ob Celsius, Rdaumur oder
Fahrenheit. Der angedeutete Uebelstand hätte sich vermehrt, wenn ein anderer
Mineralog wieder eine Scala aufgestellt hätte und so ist bis jetzt die MoHs'sche
Scala die allgemein angewendete geblieben, wenn man auch recht gut weiss, dass
die Bestimmung manches zu wünschen übrig lässt.
Es wurden sogar auch mehrere sinnreich ausgedachte Apparate als Sklero-
meter (Härtemesser) construirt, um die Härte besser als durch die MoHs'schc
Scala bestimmen zu können, sie erwiesen sich aber stets als nur in sehr be-
schränkter Weise anwendbare Apparate, welche nicht gestatten, die Härte emcr
beliebigen Mineralprobe zu bestimmen, indem immer gewisse Vorkehrungen zu
treffen sind, während das Resultat doch nicht das gewünschte ist. Man überzeugt
sich durch solche Skierometer, dass bei den Krystallen gewisse Unterschiede in
der Härte vorkommen, welche man durch das gewöhnliche Ritzen nicht gut
unterscheiden kann, dass selbst auf einer und derselben Krystallfläche Unter-
schiede beobachtet werden können, welche von der Richtung abhängen, in
welcher man ritzt und dass diese Richtungen mit der Lage der Flächen gegen
die Krystallachsen und mit den Spaltungsfiächen zusammen hängen. Auf di
charakteristische Härte der Arten haben sie keinen besonderen Einfluss. Bisweilen
treten Härte-Unterschiede an denselben Krystallen oder an Krystallen derselben
Art in bestimmten Richtungen auf, welche so gross sind, dass man sie durch die
Härtescala wahrnehmen kann. So sind z. B. die Krystalle des Disthen (s. Sili-
cate) durch solche Unterschiede ausgezeichnet, dass man nicht allein beim Ritzen
mit den Ecken oder Kanten desselben und bei dem Ritzen auf den Krystallflächen.
sondern auch auf derselben Krystallfläche in verschiedenen Richtungen erhebliche
Unterschiede wahrnimmt.
Schliesslich zeigt der Zusammenhang der kleinsten Theilchen gewisse Er-
scheinungen, welche man zum Theil schon beim Ritzen wahrnehmen kann, wo-
Die Continente. 167
nach man Minerale als spröde, mildCi geschmeidige, biegsame und
dehnbare benennt. Wenn man z. B. Glas mit einem Diamant ritzt, so bemerkt
man, dass bei dem langsamen Einschneiden längs des Schnittes kleine Splitter des
Glases sich ablösen oder abspringen und man nennt das Glas spröde. Dasselbe
bemerkt man, wenn man Bergkrystalle mit dem Diamant ritzt. Ritzt man dage-
gegen Gyps mit einem Messer, so trennen sich längs des Schnittes feine erdige
1 heilchen ab, welche liegen bleiben und man nennt den Gyps milde. Ritzt
man dagegen den Argentit (Silberglanz, s. Glänze) mit einem Messer, so lösen
iiich keine Theilchen ab, sondern es erscheint der Einschnitt als eine glänzende
Linie; man nennt desshalb den Argentit geschmeidig. Lassen sich dünne
Blättchen eines Minerals, wie sie durch das Spalten erhalten werden können,
biegen, ohne dass sie zerbrechen, so heissen sie biegsam und man unterscheidet
sie als elastisch biegsam, wenn nach der Biegung das Blättchen seine frühere
Lage eiimimmt, und als gemein-biegsame, wenn nach der Biegung das Blätt-
chen gebogen bleibt. Dehnbar endlich nennt man geschmeidige Minerale, wenn
abgeschnittene Späne sich zu Draht ausziehen lassen, wie bei Gold, Silber, Platin
oder Kupfer, oder sich unter dem Hammer strecken lassen, wesshalb man sie
auch hämmerbar nennt. Alle diese zuletzt angeführten Erscheinungen, wonach
man die Minerale als spröde, milde u. s. w. unterscheidet, bezeichnet man auch
als Erscheinungen der Tenacität, während sie im Grossen und Ganzen eben-
falls Cohäsions-Erscheinungen sind.
Die Continente
von
Professor Dr. von Lasaulx.
Die Gestaltung der Erdoberfläche ist im Grossen bedingt durch die Conturen
der Festlandsmassen, d. h. durch deren Grenzen gegen die Meeresflächen. Das
ist das Verhältniss, das uns beim Anblick einer Erdkarte entgegentritt, während die
Reliefformen der Festlande, oder die in Verticalebenen liegenden Begrenzungen
gegen die Atmosphäre nur wenig sichtbar werden. Es entgeht dann dem Blicke
das viel bedeutendere Relief, das sich darbieten würde, wenn wir uns die Meere
trocken, die ganze Erdoberfläche als eine landfeste vorstellen. Wir würden er-
kennen, dass die Unterschiede in der Reliefbildung der Erdoberfläche zwischen
dem Meeresboden und der sichtbaren Basis der Continente oder dem Meeres-
niveau, der Ebene, in welcher die Conturen der Continente sich zeichnen, viel
bedeutendere sind, als die Reliefunterschiede der Festlande über jenem Niveau
für sich betrachtet. Das geht aus einer Vergleichung der Verhältnisse von Land
und Meer, aus einer Berechnung der mittleren Tiefe der Oceane und der mitt-
leren Höhe der Continente auf das Unzweifelhafteste hervor.
Das Oberflächenverhältniss der Festlande oder des Trockenen überhaupt auf
der Erde zu dem Meere, lässt sich nach unseren neuesten geographischen Er-
fahrungen Über das Vorhandensein und die angenäherte Ausdehnung der beiden
Polarlandmassen am besten in runden Zahlen wie i: 2,75 ausdrücken.
Ueber die Tiefenverhältnisse der verschiedenen Oceane sind wir auf Grund
zahlreicher, in den letzten Jahrzehnten ausgeführten Lotbungen wesentlich besser
unterrichtet, wie vorher. Mit der Erfindung verbesserter Tiefealothe wurde auch
die Genauigkeit der Messungen eine immer grössere. Wir wissen nun, dass die
i68 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
alte Annahme, dass auch der Meeresboden eine den Festlanden entsprechende
Gliederung in Seegebirge und Seethäler besitze, durchaus nicht zutretend ist,
sondern dass im Allgemeinen der Boden der Oceane als eine Ebene anzusehen
ist, auf welcher nur wenige und ganz flach verlaufende Bodenanschwellungen
sich finden. Wenn unsere Nordsee trocken gelegt würde, so würde ihre Sohle
wij eine Steppe mit sanften Hügelwellen von der Grösse nur massiger Dünen
erscheinen,^) und auch die Boden der grossen Oceane, des atlantischen, des in-
dischen und des Grossen Oceans würden überall nur ähnliche flache Undula-
tionen zeigen.
Krümmel hat neuerdings in seiner vergleichenden Morphologie der Meeres-
räume ^) unter Benutzung des umfangreichsten Materials filr alle Oceane die
mittlere Tiefe berechnet und es ergiebt sich nach ihm, dass man den offenen
Meeren eine mittlere Tiefe von 1880 Faden zuschreiben darf, oder wenn man
diesen Werth, unter Berücksichtigung des etwas vermindernden Einflusses der
wenig tiefen Theile der Meere längs der continentalen Küsten abrundet, dass
die mittlere oceanische Tiefe gleich 2000 Faden sei.
Auch bezüglich der mittleren Höhe der Continente haben durch erneuerte
Berechnung die früher allgemein angenommenen Zahlen Humboldt's bedeutende
Correctionen erfahren. Leipoldt^ hat die mittlere Höhe Europa*s auf Grund
reichen Materiales und unter Anwendung verschiedener Rechnungsmethoden neu
berechnet und dafür den Werth: 296,8 Meter gefunden, um mehr als 90 Meter
mehr als Humboldt angab (205 Meter). Nach neueren Erfahrungen modifictrt
Leipoldt auch die Werthe flir die mittlere Höhe der anderen Continente und
erhält so die runden Zahlen:
Europa = 300 Meter
Asien = 500 „
Afrika = 600 „ (580 Meter).
Amerika =410 „
Australien =250 „
Es ergiebt sich hieraus die mittlere Höhe sämmtlicher Continente auf
412 Meter.
Es ist sonach diese mittlere Höhe nahezu 8 mal geringer als die mittlere
Tiefe der Weltmeere. Schon ein Meeresbecken wie das atlantische vermöchte
in seiner Höhlung mehr als das doppelte aller über den Meeresspiegel aufragen-
den Festländer in sich aufzunehmen. Wollte man die Sockel der Festlande unter
dem Meeresspiegel soweit entfernen, dass sie durch die Einschüttung mit der
Sohle des atlantischen Oceans eine Ebene darstellten, so würde der übrige hohle
Raum doch noch genügen für einen Ocean, der über die nordatlantische Ober-
fläche und über die verschwundenen Festlande immerhin noch mit einer Tiefe
von 440 Meter, also genau fünfmal tiefer als durchschnittlich die Nordsee, sich
ausbreiten würde. ^)
Aus diesen Betrachtungen erhellt am besten die Bedeutung der Continente
im Verhältniss zum Meeresboden: es sind gewaltige Plateaus, die über diesem
aufragen, denen die Festlandsgebirge nur als oberflächliche Unebenheiten auf-
gesetzt erscheinen. Zwischen diesen continentalen Hochlanden liegen die tiefen
und breiten Thäler der trennenden Meere.
*) Otto Krümmel; Leipzig 1879. pag. 70 — 10 1.
*) Pbschel-Leipoldt. 432.
^ Peschel-Leipoldt. pag. 424.
'^«■
Die Continentc. 169
Nun erscheint es uns schon verständlich, dass die Continente uralte Fest-
Imdsschollen sind, die keineswegs abhängig sind von dem Baue der Gebirge,
die sie tragen. Das bestätigt uns wiederum die Geologie, die uns gezeigt hat,
we viele und gerade die mächtigsten und höchst aufragenden Gebirge erst in
verhältnissmässig jungen geologischen Zeiten zu ihren heutigen ReliefTormen em-
porgetrieben worden sind, während andererseits uralte geologische Formationen
seit der Zeit ihrer Entstehung nicht wieder vom Meere überfluthet wurden. Fest
steht heute die Thatsache, dass in den Alpen noch nach der Ablagerung eines
Theiles der mittleren tertiären Schichten eine bedeutende Aufwärtswölbung statt-
gefunden hat, dass auch in den Pyrenäen, dem Appenin, dem Kaukasus die
grossen, diese Gebirge bildenden Bewegungen so nahe an die Gegenwart heran-
reichen, dass wir dieselben kaum als abgeschlossen ; sondern noch als fortdauernd
annehmen müssen, wie es denn auch das immer wiederholte Spaltenwerfen der
Erdrinde und die damit in Verbindung auftretenden Erderschütterungen docu-
rnentiren.^)
Nun aber liegen im Gegensatze hierzu in den Continentalmassen auch grosse
Gebiete an der Oberfläche, welche bei dem höchsten geol. Alter kaum Ver-
änderungen ihrer Lage erlitten haben und jedenfalls stets landfest geblieben,
nicht mehr auf längere Zeitdauer vom Meere bedeckt worden sind. Die in den
westlichen Theilen des europäischen Russlands bis an den Ural hin an der
Oberfläche grosser Ebenen ausgebreiteten paläozoischen silurischen Schichten
sind durchaus in fast ungestörter, flacher Lagerung und auch im östlichen
Galizien an den Ufern des Dniester und seiner Zuflüsse finden sich obersilurische
und devonische Ablagerungen in gleicher Weise. Nicht später wieder vom
Meere bedeckt, also eine uralte continentale Landmasse ist auch das Granit-
plateau von Central-Frankreich, das hierdurch auf die geologische Entwicklung
aller umgebenden jüngeren Formationen und auf die orographische Gestaltung
des Landes selbst einen wesentlichen Einfluss ausgeübt hat.
Diese Beispiele genügen, um zu zeigen, dass die Bildung der continentalen
Massen eine ältere ist, als die Gebirgsbildung, dass sie eine von diesen auch
verschiedene gewesen sein muss, dass nicht dieselben Bewegungen in der Erd-
rinde das Aufsteigen der Gebirge und mit ihnen der Continente bewirkt haben
können, sondern dass vielmehr längst gebildete und fertige continentale Schollen
in ihren oberflächlichen, peripherischen Theilen erst eine Faltung erlitten, die zu
den Relieflormen der heutigen Landmassen führte.
Wenngleich nun auch, trotz vielfach aufgestellter, verschiedener Theorien,
«ne allseitig befriedigende Lösung der Frage, welche Ursachen die erste Diffe-
lenzining in die hohen Theile der jetzigen Continente und in die Tiefen des
jetzigen Meeresbodens veranlasst haben können, noch nicht zu erreichen war,
I w hat sich doch immer mehr und mehr ergeben, dass die Ausdehnung und Be-
grenzung beider Theile gegeneinander in der That auf bestimmte Gesetze zurück-
zufuhren sein wird.
Wir werden hierbei zunächst eine nähere Betrachtung der continentalen
^jliedening nöthig haben.
Eigentlich giebt es, wenn wir von den beiden Polarländern absehen, nur
^ci grössere zusammenhängende Areale von Land, das eine auf der östlichen
Hemisphäre, das andere auf der westlichen. Das erstere wird gebildet aus den
') Vergi. Artikel: Erdbeben.
ijo Mineralogie, Geologie und Palaeontologie
3 alten Welttheilen, zu welchen man noch Australien hinzurechnen darf, da
es fast wie eine vom altasiatischen Continente jetzt getrennte Insel sich ver-
hält und zwischen ihm und der südasiatischen Spitze auch nur Meerestiefen von
keineswegs grossoceanischer Bedeutung sich finden. Die beiden Amerika's bilden
das westliche Landareal.
Wie dieses so eben schon fiir Australien ausgesprochen wurde, so gilt es
auch fUr alle übrigen Theile der Continentalmassen : ihre eigentlichen Begrenzungen
gegen die Meerestiefen fallen nicht mit den Conturen zusammen, die uns in den
Orenzlinien von Land und Meer heute erscheinen. So liegt an den nordwest-
lichen Küsten von Europa der eigentliche Grenzcontur der conönentalen Er-
hebung nicht so wie ihn die formenreichen Küsten von Schottland und Irland
und der tiefe Einbruch des Aermelcanals mit Nord- und Ostsee zeigen, sondern
eine einfach verlaufende Linie, die von der Spitze Jütlands im Bogen rings um
die britannischen Inseln herumzieht und dann gerade abwärts nach der Nord-
küste von Spanien sich wendet, würde der continentalen Grenze entsprechen. Das
ergeben die Tiefenlothungen, die erst westwärts jener Linie oceanische Tiefen
finden, das ergiebt auch die Uebereinstimmung, das Hinübergreifen derselben
geognosdschen Formationen von der Nordküste Frankreichs bis zu den Kreide-
felsen von Dover und andererseits von den Graniten von Cap Landsend und der
diesem vorliegenden Scilly Inseln bis zu den Küsten der Normandie und den
nördlich und westlich von diesen zerstreuten Inseln bis zu der von Quessant,
die mit den englischen einst durch einen gemeinsamen Ufersaum verbunden, hier
an der Grenzmarke des eigentlichen Continentes liegen. Ebenso vereinfachen
sich die Linien der continentalen Grenzen ungemein, wenn wir sie unabhängig
von den heutigen Festlandsconturen verfolgen, fast überall.
Die Gliederung der Festländer erscheint uns ungemein verschieden und die
Grenzlinien Überaus wechselnd; aber das sind Erscheinungen lediglich von
oberflächlicher Bedeutung und ohne Einfiuss auf die eigentliche continentale Be-
grenzung.
Man pflegt die Grösse der horizontalen Gliederung eines Festlandes in dem
Verhältnisse der Oberfläche zur Küstenlänge auszudrücken. Hiemach spricht
sich die grosse Verschiedenheit der einzelnen Landmassen in einfachen Zahlen
aus. Für den europäisch-asiatischen Continent, der als ein Ganzes angesehen
werden kann, ist das Verhältniss des Oberflächenareals zur Länge der Küsten
wie 80 Quadratmeter Land auf i Meter Strand. Für Europa und Asien allein
und für die übrigen Continente stellt sich dieses Verhältniss:
Europa • . . 37 Quadratmeter Land : i Meter Strand
Nord-Amerika .56 „ „ : i „
• T
• > I» • * ff
»I f» • * I»
Süd-Amerika
. 94
Australien .
. 73
Asien . . .
• 105
Afrika . .
• 152
»» I» • • ff
»f ff • * ff
Ks sind hiemach die südUchen Erdtheile weniger stark gegliedert, Afnka
und Sud-Amerika vor allem zeigen ein bedeutendes Vorherrschen des Rumpfe^,
keine grösseren selbständigen Glieder, keine ausgedehnteren Halbinseln, no<i
tict'c Mcoicsbuchten, sondern nur viele kleine Ein- und Ausschnitte. An den
nördlichen Krdthcilen dagegen treten grosse selbständige Halbinselländer uii«i
Hinnenmeere auf und vermitteln eine grosse Küstenent\k'icklung.
(;an/ auflallend ist die Viclgestaltigkeit derKüstengliedening in einigen Gebteieo.
Die Continente. 171
In Europa zeigt die stärkste Gliederung die Halbinsel Morea, auf 3 Quadratmeter
Fläche I Meter Strand, auch die Westküste von Irland (10 : i), Schottland und Skan-
dinavien zeigen stark zertrümmerte. Küstenconturen. Aber wo wir den Ursachen
solcher Erscheinungen nachforschen, da ftnden wir allenthalben, dass dieselben
localer Natur oder in dem zufälligen Zusammentreten gewisser wirksamer Agen-
tien zu suchen sind, die keineswegs als continentale bezeichnet werden können.
Einen wesentlichen Unterschied in den Conturen zeigen im Allgemeinen
Steilküsten und Flachlandsküsten. Während die ersteren vorherrschend zer-
störenden Einflüssen unterliegen, vollziehen sich an letzteren häufig Neubildungen;
beide bedingen besonders gestaltete Küstenformen.
Eine der interessantesten Erscheinungen der ersteren Art sind die Fjord-
bildungen, eine vollständige Ausfransung des Ktistenconturs in tiefe, steil ein-
^'eschnittene Meeresbuchten und zwischen diesen liegende schmale Landisungen.
Nur an gewissen Stellen der Continente finden sich dieselben, dort aber in
dichter Häufung. Die schon vorhin erwähnten Westküsten von Skandinavien,
Schottland und Irland sind in Europa durch solche Fjordbildungen ausgezeichnet,
in Amerika finden sie sich an der Westküste von Grönland und an der Südspitze
von Südamerika von der Insel Chiloö bis zum Gap Hom. Sie liegen überall
entweder im hohen Norden oder tief im Süden, in der ganzen tropischen Zone
und den ihr beiderseitig anliegenden Grenzzonen der gemässigten Gürtel fehlen
b\e an den Küsten der Continente.
So wird es klar, dass sie mit den klimatischen Verhältnissen in Zu-
sammenhang stehen müssen. Sie fallen in die Gebiete der andauernden
Niederschläge, dort wo auch die Wirkungen der hierauf gegründeten Erosion
besonders intensiv sich zu gestalten vermögen. Es kommen aber noch an-
dere Bedingungen hinzu. Die geologische Beschaffenheit der Küsten muss die
Eigenartigkeit der Fjordbildung unterstützen. Der Wechsel von härteren, gegen
die Erosion widerstandsfähigen Gesteinen mit weicheren, leicht verwitternden und
zerfallenden wird der Gestaltung der Fjorde ganz besonders günstig sein. Recht
auffallend tritt dieses Verhältniss an der Südwestküste von Irland hervor. Jede
ausgestreckte fingerförmige Landzunge der dortigen Küstenfransen besteht aus
den wetterfesten quarzigen Sandsteinen der devonischen Formation, des Old Red
und alle die tief eingeschnittenen Buchten sind ausgehöhlt in den leicht auflösbaren
Kalksteinen der Kohlenformation. Dort, wo weiter nördlich an der Küste der
Wechsel dieser beiden Gesteine aufhört, verschwindet auch die Fjordenbildung
ind in einförmig verlaufendem Bogen geht die Küstenlinie weiter. Erst oben an
der Nordküste, wo wieder der Wechsel krystallinischer Gesteine hier der Erosion
geringeren, dort grösseren Widerstand entgegenstellt, tritt auch die Vielgestaltigkeit
m der Zertrümmerung der Küste wieder hervor, wenn gleich nicht in derselben
Regelmässigkeit wie im Gebiete der geschichteten Formationen südwärts.
Ganz ähnlich scheint auch an der Westküste von Feuerland die Fjordenbildung
nur da aufzutreten, wo granitische und basaltische Gesteine wechseln; dagegen ver-
laufen in der dortigen Thonschieferformation die Küstenlinien gerade und ein-
förmig. An den irischen Küsten ist femer noch die stets von Südwesten her
?egcn dieselben anstürmende Brandung des Golfstromes ohne Zweifel von
mächtiger Wirkung und so tritt uns hier in der Fjordbildung das Resultat mehrerer
«ombinirt und nach einander thätigen Factoren entgegen. An der langsam
sinkenden Küste hat die entgegengetriebene Fluth von Zone zu Zone weiter ge-
arbeitet; die nach ihrer Gesteinsbeschaffenheit gegliederten Landzungen fügten
172 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
sich bei eingetretener Erhebung aus den zertrümmerten Felsenklippen wieder an-
einander und länger und länger schieben sich zwischen dieselben die einwärts-
gerichteten Fjorde ein.
Dass in den Thälem, welche durch die Scliichtenfaltung vorgebildet waren,
auch Gletscher später sich bildeten, die Thäler ausfeilend und vertiefend und
das Material der Erosion und eigenen Arbeit in regelmässigen Wällen niederlegend,
das ist für diese irischen Fjorde erwiesen. Ganz gleichartig mag aber die Bildung
der skandinavischen und grönländischen Fjordküsten erfolgt sein: starke Nieder-
schläge und kräftige Erosion, einschneidende Wirkung brandender Meeresströmung
auf Steilküsten, die in auf- und absteigender Bewegung und aus verschieden
harten Gesteinen gebaut sind, endlich schleifende, glättende, polirende Wirkun?
des Gletschereises längs der Wandungen dieser Thäler, das sind die Agentien
der Fjordbildungen.
Aber auch dort, wo eine eigentliche Fjordbildung nicht eintritt, bezeichnet
im Allgemeinen Zerstörung und Zertrümmerung den Verlauf der Steilküsten.
Freilich wo eine geologisch einheitliche und geschlossene Gebirgsmasse die
Küste bildet, kann dieselbe auch im Grossen ungegliedert, geradlinig verlaufen,
wenn gleichmässig an allen Punkten die Thätigkeit des Meeres fortzuschreiten
vermag. Aber im Detail tritt doch auch hier die Zertrümmerung hervor.
Ganz andere Formen und Vorgänge zeigen sich an den flachen Küsten.
Hier sind es vor allem Neubildungen und Uferbauten die den Küstencontur um-
gestalten. Langgestreckte, schmale dem Verlauf der Küste parallel sich hin-
ziehende Halbinseln pflegt man an der Ostsee Nehrungen zu nennen, in Italien
Lidi, im südl. Russland Peressips. Sie entstehen durch die Ablagerung von
Sedimenten, welche die Flüsse aus dem Inneren ins Meer führen, die an der
Stelle zu Boden sinken, wo die Bewegung des Flasswassers, sei es unter der
Gegenströmung der Fluth, oder auch durch irgend eine seitliche Strömung im
Meer aufgehoben wird. So ist Gestalt und Entfernung dieser Ablagerungen vom
Ufer verschieden je nach localen Verhältnissen. Auch ändern die gebildeten
Uferwälle ihre Form und Lage. Die hinter ihnen liegenden, oft durch diese
Nehnmgen ganz vom Meer abgeschlossenen Wasserbecken, die Hälfe oder La-
gunen, werden durch die Sedimente der in sie einmündenden Flüsse erfüllt, oder
es flndet ein erneuerter Durchbruch und Einbruch des Meeres statt. So ist der
Lym Fjord in Jütland im Laufe von looo Jahren viermal mit Süsswasser und
viermal wieder mit Meerwasser gefüllt gewesen. Die Inseln Usedom und Wollin
sind Anschwemmungen, welche die Oder an die Landseite solcher Uferwälle gelegt
hat, durch deren Wachsthum die hinterliegenden Haffe nach und nach erfüli*.
werden.
Ausgezeichnete Beispiele solcher Uferwälle umsäumen in lang hinziehen-
dem Bogen die ganze nordamerikanische Ostküste des Staates New Jersey von
der Rnriton Bay bis zur Mündung des Delaware und weiter südlich an den
Küsten von Maryland und Nord Carolina, wo ganze grosse Strecken alluvialen
Festlandes hinter alten Uferwällen sich gebildet haben und noch bilden und wu
am Kap Hatteras besonders die Kette der Nehrungen wohl gegliedert hervortritt
Auch die Landzunge von Arabat an der Krim, welche das Faule und Asowschc
Meer von einander scheidet, besitzt eine recht charakteristische Form.
Eine andere Erscheinung, die ebenfalls wesentlich zur Veränderung des
Küstenconturs der Continente beizutragen vermag und sich in dem Grenzgebiete
zwischen Land und Meer vollzieht, ist die Deltabildung. (S. diesen Artikel.) Pas
Die Continente. 173
Mississippi-Delta am Golf von Mexiko, das Delta der Lena an den Nordküsten
Sibiriens, das der chinesischen Ströme am gelben Meere u. a. zeigen, in welchem
Maasse diese Delta's litorale Umgestaltungen hervorbringen.
Gleichwohl kann die continentale Küste dort, wo sie flach an das Meer an-
^nzt, auch durch den zerstörenden Einfluss desselben verändert werden. Die
gewaltigen Einbrüche der Nordsee in die Gebiete der holländischen, friesischen
und westholsteinschen Küstenstrecken bieten dafür zahlreiche Belege.
Aber alle diese vielfachen Veränderungen, denen der heutige Contur der
Continente unterworfen ist, ändern an der Gestalt ihres Rumpfes eigentlich nichts.
S<3 treten die uralten Gesetzmässigkeiten ihrer Formen und Vertheilung dennoch
immer noch deutlich hervor. Ganz besonders ist es die Erbreiterung der con-
dnentalen Massen gegen Norden, die Ausspitzung nach Süden. Es convergircn
daher die Küstenlinien nach Norden und divergiren nach Süden, wie es so
auffallend zwischen Nord-Amerika und Asien hervortritt, die sich an der Behrings-
^trasse fast berühren. Nach Süden zu liegen die meisten Inseln und zeigen auch
die einzelnen Continente ihre stärkste Gliederung, wie besonders Asien; an den
West- und Südwestseiten der Continente liegen weite und tiefe ostwärts gerichtete
Einbuchtungen.
Die grösste Ausdehnung der östlichen Continentalmasse von Westen nach
Osten beträgt 2300 Meilen; nur den dritten Theil hiervon misst die westliche
Landmasse. In gleicher Weise nahezu stellt sich das Verhältniss der zwischen-
liegenden Oceane, der pacifische ist mehr als doppelt so breit wie der atlantische.
Wenn man den Verlauf der äquatorialen Linie verfolgt, so erkennt man,
daüs dieselbe im Allgemeinen über die Theile der Continente hinführt, welche
die geringste Erhebung über Meer besitzen, nördlich und südlich steigen die
Landmassen zu grösseren Höhen empor. Für Asien und Amerika ist dieses auf
jeder Karte ersichtlich, aber auch für Afrika trifft es zu, hier liegen allerdings
die grössten Depressionen ca. 15° nördlich von der äquatorialen Linie, von der
Mündung des Senegal über den Tsadsee bis zum Nil. Auch ist der Aequator
im Zusammenhang hiermit die Linie, welche mit Ausnahme der Linien höchster
[x>larer Breitegrade, in ihrem Verlaufe die geringste Menge von Festland trifft.
Das Verhältnis von Land zu Meer auf dieser Linie ist gleich: 4 : 14. Schon der
20 ' südL Breite, trotzdem die Länder sich nach Süden zuspitzen, zeigt ein höheres
Verhältnis von 5:13 und der 20° nördl. Breite noch weit mehr, nämlich 7:11. Von
der heissen Zone durchschneidet also die äquatoriale Linie das wenigste Festland.
Eine nicht gerade, sondern in Auf- und Abwärtsbiegungen verlaufende Linie,
welche durch das Mittelmeer über die Landenge von Suez und von hier im
Bogen, zwischen Neu Guinea und Australien durch, der Landenge von Panama
sich zuwendet und dann zum Ausgangspunkte zurückkehrt, würde nur in dem
kleinen, im Mittelmeer gelegenen Theile ihres Verlaufes aus der heissen Zone
' leraustreten und im Ganzen nur wenige Meilen Land berühren. So kann man
<ieiin wohl sagen, dass der äquatoriale Gürtel wie eine trennende Zone zwischen
die Continentalmassen der nördL und der südl. Halbkugel sich einschiebt, ge-
wissermaassen eine Bruchlinie der alten Festlandsschollen darstellend. Es würde
das ein Zurückschieben der Festlandsmassen nach den Polen andeuten.
Dass diese Bruchlinie eine dynamische Bedeutung hat und enge mit der
theologischen Entwicklung der Erde zusammenhängt, das scheint man auch aus
^cm Umstände folgern zu dürfen, dass derselbe Gürtel der minimalen Land-
maisen genau durch die Gebiete der intensivsten vulkanischen Aeusserungen ver-
174 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
läuft: auf ihm liegen die central-amerikanischen Vulkane, die süd-asiatiscbt!n
Inselvulkane, die erloschenen Vulkane des abessinischen Hochlandes und der
Küstengebiete des rothen Meeres.
Und wenn wir auch heute, wie vor 5 Jahrzehnten Humboldt, die Grüntie
dieser unverkennbaren Gesetze in der Morphologie der continentalen Massen
noch nicht zu enthüllen vermögen, das eine wird uns doch klar, dass es nicin
blosse Zufälligkeiten sind, die uns hier entgegentreten.
Deutlicher noch als die Conturen lassen aber die Reliefs der Continente,
ihre verticale Oberflächengliederung, gewisse Gesetzmässigkeiten erkennen.
Die Oberfläche der Festlande lässt sich unterscheiden in Tiefland, Hocm
land oder Plateaus und in Gebirgsland.
Das Tiefland ist entweder Küstentiefland und umsäumt die Continente ;
in meist lang gestreckten, schmalen Gebieten oder es ist continentales Tiefland \
im Inneren der Continente oft weit ausgedehnt oder quer durch ganze Erdlhcile ^
sich hindurchziehend. Solche continentale Tiefländer liegen z. B. zwischen Urai
und Kaukasus, die sarmatischen und turanisch-sibirischen Ebenen. Nord-Amehka I
wird von einem Tieflande durchzogen, das von Süden nach Norden, von den j
Mündungen des Mississippi bis zu den Hudsonbailändem sich erstreckt Zwischcr
die Hochebenen und Hügelländer, die einerseits mit immer höherem Aufstieg / :
dem Felsengebirge, andererseits zu den Alleghanies hinaufführen, ist das Tieflam:
des Mississippi wie ein Keil hineingeschoben, dessen Spitze im Norden bis /l
dem Hochebenenrande an der Missouri-Mündung reicht. Der atlantische Saum '
dieses Tieflandes am mexikanischen Meerbusen ist ein Gebiet, das zwischen Mcc \
und Festland noch in geologisch neuen Zeiten strittig gewesen. In gleicher \
Weise wird Südamerika durch ein Tiefland getheilt, das zwischen den Anden |
und den brasilianischen Gebirgen von Patagonien aus bis an die Mündung de>
Amazonas hinaufreicht. 1
Während die Küstentiefländer meist als ziemlich vollkommen horizontale 1
Ebenen ausgebildet erscheinen, pflegen die continentalen Tiefländer in der Rc^cl '
mit langsam aufsteigendem Rande umgeben zu sein, oft stufenartig aufsteigend. !
sodass man ganz allmählich über solche auf Hochlande hinaufgeführt ynrd.
Eine Hochebene oder ein Plateau ist eine wenig vertical gegliederte, geschlossen
verlaufende Erhebung von mehr oder weniger bedeutender Oberflächenerstreckun^
Der Charakter der Oberfläche ist der der Einförmigkeit, nur wenige dem Plateai.
aufgesetzte, über dessen gemeinsames Niveau aufragende Höhen, nur wenige umi j
meist nicht sehr bedeutend eingeschnittene Thalbildungen unterbrechen dioo \
Nivellirung. Begrenzt werden Plateaus entweder durch Randgebirge, die natur-
lich einen bedeutend höheren äusseren Abhang besitzen, als der innere dem
Plateau zugewendete, oder durch Tief lande, gegen welche gewöhnlich stufen-
weise die Hochebene niedersinkt. Auch giebt es Plateau's, die als die hoch-
liegende Basis aufsitzender Gebirgsketten, die jene durchziehen, angesehen werdei^
können und hierdurch in zwei oder mehrere getrennte Theile zerfallen.
Ein derartiges Hochland ist Thibet zwischen demHimalaya und dem Kwen-
Luen Gebirge gelegen, auf das weiter unten noch zurückgekommen wird. \on
4000 Meter mittlerer Erhebung; eine grosse Ausdehnung besitzt auch weiter norü
wärts das Plateau der Wüste Gobi mit 1 200 Meter mittlerer Höhe. Der Llano Esta
cado in Neu-Mexiko und Texas, südöstlich von Santa F6 ist ein 1500 Meter hohc>^
Plateau von bedeutender Erstreckung.
Aber ein noch ausgezeichneteres Beispiel bietet das ungeheure menkanische
Die Continente. 175
Hochland von Anahuac. Aus den Hochebenen von Puebla, Mexiko, Queretaro
und Michoacan sich zusammenfUgendy erscheint es fast als eine meeresgleichc
Fläche, durchrissen von zahlreichen oft 2 — 300 Meter tiefen, spaltengleichen
Thälem »Barancos« in einer Ausdehnung von 700 Kilom. von O. nach W. und
über 800 Kilom. von S. nach N. ; in einer durchschnittlichen Höhe von über
2000 Meter. Die Landschwellen, welche das Plateau durchziehen, verschwinden
in ihren Höhen von nur 150 — 200 Meter gegen dieses. Aber die Einförmigkeit
der Oberflächengestaltung ist unterbrochen durch die zahlreichen, gewaltigen
vulkanischen Kegel, die diesem Hochlande aufgesetzt erscheinen.
Hochländer und Plateau' s füllen auch den ganzen inneren Raum des afrikani-
schen Continentes besonders nach Süden zu aus und steigen hier in terrassen-
förmig entwickelten Stufen empor bis zu dem südafrikanischen Hochplateau, das
eine mittlere Seehöhe von fast 1200 Meter besitzt.
Gebirge unterscheiden sich sehr wesentlich, je nachdem sie nur aus Gruppen
einzelner, mehr oder weniger dicht gedrängter Berge bestehen, die der Unter-
lage nur aufgesetzt erscheinen und daher auch mit dieser eine geologische Zu-
sammengehörigkeit nicht besitzen oder wenn sie aus der Aufwölbung solcher
Schichten entstanden sind, die auch die Basis des Gebirges bilden, sodass sie
mit dieser wie aus einem einzigen Stücke geformt scheinen, dessen einzelne
Glieder aber durch spätere Vorgänge mehr oder weniger ausgearbeitet, getrennt
und scheinbar aus der Gemeinsamkeit herausgelöst wurden. Ein Beispiel der
eriteren Art bieten die vulkanischen Kegelgebirge, die lediglich durch Auf-
schüttung aus dem Inneren der Erde heraus auf beliebiger Basis sich bildeten.
Auf den Schichten der devonischen Formation liegt so die Gebirgsgruppe des
Siebengebirges am Rhein, auf Granit liegen die zahlreichen, fast zu einer Kette
vereinigten Kegel der Auvergne, auf tertiärem Boden stehen die Kegel der ba-
saltischen Kuppen des Val di Noto in Sicilien. Auch einzelne Berge dieser Art können
von solchen Dimensionen werden, dass sie in Folge starker, durch die Erosion
bewirkter Gliederung das Aussehen eines Gebirges erhalten, so z. B. der Mont
Dore in Frankreich.
Beispiele der zweiten Art sind alle eigentlichen Gebirge, d. h. mehr oder
weniger lang sich hinziehende hohe Rücken, deren Gliederung durch Thäler und
Höhen geschieht, die abwechselnd in ein geologisch als ein Ganzes charakterisirtes
continentales Massiv hineingebildet erscheinen. Die Gestalt der Glieder, ihre An-
ordnung in centraler oder lateraler, reihenförmiger Gruppirung, die Beschaffenheit
und Neigung des äusseren Abfalles des Gebirges gegen die Tieflande bedingen
mancherlei Verschiedenheiten.
Meist zeigen die Gebirge eine bestimmt ausgesprochene Längsrichtung, es
Mnd dann Gebirgsketten und die Achse ihrer Erstreckung pflegt in bestimmter Be-
ziehung zu ihrem geologischen Bau zu stehen. Gerade dieser letztere ist für die
richtige Auflassung und genetische Deutung eines Gebirges weitaus das wichtigste.
Erst dann tritt vor Allem das richtige Verhältniss der Gebirge zu ihren con-
tinentalen Grundlagen hervor, wenn man beide in ihren inneren tektonischen
und geologischen Beziehungen zu verstehen vermag. (Vergl. auch Artikel:
Gebirge.)
Tiefland, Hochland und Gebirge bedingen in der Art ihres wechselvollen
Auftretens die oberflächliche Physiognomie eines Continentes, ihre Bedeutung für
den Qiarakter desselben ergiebt sich erst, wenn ihre inneren geologischen
Eigenschaften erkannt sind.
17^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Unverkennbar tritt eine an allen Continenten sich wiederholende Gesetz-
mässigkeit in der Vertheilung jener Oberflächenformen hervor. Es kann im All-
gemeinen als Regel gelten, dass die Lage und Streichrichtung oder die Achsen
der Gebirge durch die Grenzen der continentalen Massen beeinflusst sind. Hier-
bei ist wiederum das schon im Vorhergel «enden einmal bemerkte hervorzuheben,
dass der eigentliche Rumpf eines Continentes nicht durch die heute sichtbare,
über der Meeresebene gelegene Landmasse allein gebildet wird, sondern das^
nur der äussere Steilabfall gegen die oceanischen Tiefbecken ohne Rücksicht
auf die randliche Gliederung der jetzigen Küsten, als die Grenze einer continen-
talen Masse gelten darf.
Die Abhängigkeit der Gebirgsketten von den Grenzen der continentalen
Massen tritt am einfachsten bei den beiden Amerika's zu Tage. Mit der auf-
fallenden Längserstreckung der Continente in meridionaler Richtung hängt auch
die im Allgemeinen nordsüdiiche Streichrichtung der grossen Gebirgsketten zu-
sammen. Aber wie im nordamerikanischen Continent eine Convergenz der
Continentalmasse nach Süden sich unverkennbar ausprägt, so convergiren auch
die Gebirge. In den pacifischen Gebirgsketten der Coast Range, Sierra Nevada.
Cascade Range, Wahsatsch, Rocky Mountains geht die Streichlinic des Gebirges
und des Schichtenbaues von NNW — SSO und darnach ist die Richtung, in der
die faltenwerfende und gebirgsbildende Kraft gewirkt hat, eine ON-östliche. In
den Ketten der atlantischen Seite, den AUeghanies, Blue Mountains, Cumber-
land Mts. ist das Streichen ein nach NNO gerichtetes und die Falten erscheinen
nach WNW oder NW zusammengeschoben. In beiden Fällen aber entspricl t
der Lauf der Ketten den Grenzen der continentalen Landmasse und die
Richtung des Gebirgsschubes zeigt nach dem Inneren des Festlandes.
In gleicher Weise findet man bei Afiika fast überall den Biegungen und
Windungen der Küste folgend, den Rand des inneren Hochlandes bedeutend
erhöht und hier eigentliche Gebirgszüge bildend. Am südlichen und südöstlichen
Rande ist dieses besonders deutlich ausgeprägt. Hier zieht sich, am rothen Meere
beginnend, zunächst das mächtige abessinische Hochland nach Südwesten, gekrönt
von einer Gebirgskette, deren Gipfel bis über 4000 Meter Höhe erreichen,
Daran schliessen sich weiter in SS-westlicher Richtung die gewaltigen Berg-
zixge, in deren Mitte etwa der Ukerewesee gelegen ist, die in den Höhenzügen
um den Tanganjika und den Nyassasee (bis zu 2400 Meter Höhe) ihre Fort-
setzung zeigen. Ihr Ende finden diese Bergketten endlich im Süden in den Ge-
birgen zwischen Zambesi und Vaal, in den Drakenbergen und den Hochlanden
der Capcolonie, den Tafelbergen und an der Westküste haben wir ihren Nord-
rand in der Sierra Lingi-Lingi (1780 Meter hoch) in der Breite von Benguela zu
sehen, die von hier noch als Sierra Camingua in meridionalem Zuge sich bis zum
Flusse Quanza erstreckt. Diesem gehobenen Südostrande entspricht an der
nordwestlichen Küste von Afrika das Gebirgssystem des Atlas, eine Kette, die
in der Richtung von Westsüdwest nach Ostnordost, vom Gap Nun am atlantischen
bis zum Cap Bon am mittelländischen Meere in einer Länge von 2300 Kilom.
sich hinzieht, deren Culminationspunkte südöstlich von Marokko fast auf 4000 Meter
emporragen.
Eine ganz ähnliche Anordnung der Gebirgszüge giebt endlich dem asiatisch-
europäischen Continent die Grundlage seiner Gestaltung. Hier erkennt man da:»
grosse Gesetz in der aus einzelnen geradlinig verlaufenden Theilen zusammenge-
setzten Kette von Gebirgszügen, die in ihrer Gesammtheit eine bogenförmige
Die Continente. 177
Anordnung ergiebt, die mit den Nordwestketten beginnend, nach Südost über-
geht, die convexe Krümmung nach Süden kehrt und im östlichen Asien sich
über ONO nach NO und endlich NNO wendet.^) Während die Gebirge des
nordöstl. Asiens, die Stanowoi- und Jablonoiketten von SSW nach NNO streichen,
entfernen sich die beiden Hauptglieder des asiatischen Continentes nur um wenige
(10—15) Orade von der Richtung der Parallelkreise: Das Tien-schan-System
mit der Streichrichtung WzS— OzN und das Kwen-Luen-System mit der Richtung
WzN — O2S. Das Himalaya-System endlich im östlichen Theile fast meridional
verlaufend, geht in regelmässiger Umbiegung im westlichen Theile in eine fast
nordwestliche Streichrichtung über. Das ist die Richtung, die fast durchweg in
den Gebirgen des westlichen Asiens herrschend wird, im ganzen Altai-System,
Tarbagatai, Karatau, Nuratau, in dem Gebirge von Khorrassan, im ^Iburz, den
perasch- armenischen Gebirgszügen und im Kaukasus. Die gleiche Richtung
dominirt dann auch noch im südlichen Europa.
So stellt sich uns denn in allen Continenten insofern eine gewisse Analogie
in der Architectur heraus, dass den eigentlichen inneren Körper derselben um-
randend Gebirgszüge verlaufen, an die nach aussen mehr oder weniger ausge-
bildete Glieder sich anfügen, die im Allgemeinen unabhängig erscheinen von
dem Gebirgsbau im Inneren. Während solche äussere Glieder z. B. in N.- Amerika
nur sparsam vorhanden sind, die Halbinsel Florida ist das einzige von einiger
Bedeutung, und in S.-Amerika und Afrika dieselben nur in schmalen Küsten-
Tiefländern bestehen, erscheinen sie im Gegentheil an dem europäisch-asiatischen
Continent in ganz besonderer Entwicklung.
Der Gegensatz der durch die emporgehobenen Gebirgszüge getrennten neu-
tralen inneren und der peripherischen äusseren Theile ist ein sehr scharfer und
charakteristischer. Ganz vortrefflich schildert denselben an einem der gross-
artigsten Beispiele F. v. Richthofen, der berühmte Erforscher China*s.2)
Das zusammenhängende continentale Gebiet der alten abflusslosen Wasserbecken
Central-Asiens mit seinen gewaltigen Rändern, die bis zum Meere ausgebreiteten
peripherischen Theile und die zwischen beiden liegende Uebergangszone werden
als ein ganz besonders entwickeltes und durch die lichtvolle Darstellung des
Autors auch ganz besonders klares Beispiel dieser Verhältnisse gelten können.
Um der Lage nach das Centrum des asiatischen Continentes zu erkennen,
n^uss man die Grenze des continentalen Rumpfes weit nach Süden und Osten
, «hieben, wo sie erst von der javanischen Kette von Bomeo, den Philippinen
wd den japanischen Inseln gebildet wird. Dort erst liegt in der That der eigent-
liche Steilabfall gegen den Boden der oceanischen Tiefe. Es erscheint im
^itgensatze hierzu das nordasiatisch-sibirische Tiefland, daz jetzt mit dem Con-
tinent ein Ganzes bildet, nur als eine spätere Dependenz. Bei dieser Abgrenzung
^It das Centnim des Continentes auch räumlich in den Theil Asiens, in dem es
«ch orographisch und geologisch wiedererkennen lässt. Es liegt dann dort, wo
die gewaltigsten Hochebenen der Erde von den gewaltigsten Gebirgsketten um-
fandet sind.
Diese centrale Stelle des Continentes fällt auch auf einer Gebirgskarte
*on Asien zuerst ins Auge: es ist jener merkwürdige Knotenpunkt, wo die
^omgebiete des Indus, des Yarkand und des Oxus am nächsten aneinander
') V. Richthofen, China, pag. 194.
') China. Bd. I. pag. 8 ff.
^«JiooTT, Min., Gcol. u. Pal. I. ^*
lyS Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
kommen, von dem die drei mächtigsten Bodenanschwellungen der Welt aus-
laufen, die thibetische, die pamirische und die eranische, sowie drei zwischen
jenen annähernd symmetrisch angeordnete Ebenen, die indische, die ost-tur-
kestanische und die turanische.^) Das Hochland von Thibet drängt sich nach Westen
in den Winkel keilförmig hinein, den die Gebirgsketten des Himalaya und des
Kwen-lün einschliessen, hier ist es Steppenland; im Osten aber schliesst sich an
dasselbe eine bis nach Hinterindien und in das südliche China fortsetzende Ge-
birgskette an.
Nördlich vom Kwen-lün liegt das Tarym-Becken, dessen gegenüberliegende
Wand durch Ketten des Tien-shan-Systems gebildet wird. Weiter nach Nord-
osten geht diese Einsenkung bis in die östliche Mongolei hinüber. In ihr liegen
die weiten Strecken der sandigen Wüsten, welche die Chinesen »Gobi« nennen.
Dort endlich, wo der Kwen-lün an die östlichen Enden des Hindukusch
stösst und dieser an die Altai -Kette des Tien-shan - Systems sich anschliehst,
liegt' das Plateau von Pamir, wie eine feste Hochburg zwischen thürmenden Ge-
birgen, das Dach der Welt, Bam-i-duniah, der in jenen eisigen Gefilden umher-
ziehenden Kirgisen. Südlich des Hindukusch beginnt das eranische Hochland
nach Osten vom Indus begrenzt, nach Westen zwischen dem kaspischen Meere
und dem Busen von Oman sich ausdehnend.
Unter den Gebirgen, die hier die innere Structur des Continentes bedingen,
ist der Kwen-lün das bedeutendste. Richthofen bezeichnet ihn als den Rückgrat
der östlichen Hälfte Asiens. Wenn auch nicht an Höhe der einzelnen Gipfel,
so doch an Erhebung des Kammes übertrifft er den Himalaya und Tien-shan;
im westlichen Theile beträgt dieselbe ungefähr 6000 Meter. Auch in Bezug auf
sein Alter und geologische Selbstständigkeit, ist er den andern Gebirgen über-
legen. Schon in der silurischen Periode ragte er als ein bedeutendes Gebirge
auf und ist nicht wieder vom Meere bedeckt worden. Alle Gebirgsfaltungen uro
ihn her sind nach seiner Erhebung erfolgt und haben seinen Bau nicht becin-
% flusst, sondern sind selbst von demselben abgelenkt tmd umgebogen worden.
Der Himalaya ist als Gebirge viel jünger. Erst während der Tertiärperiode stieg
er zu seiner jetzigen Höhe empor, wie das Vorkommen der Eocänformation bi>
zu einer Meereshöhe von über 3500 Meter bei Leh beweist^
> Starr und öde dehnt sich dieses weite Gebiet Centralasiens aus, ein Con-
tinent im Continent ; lebensvoll und in unendlicher Mannigfaltigkeit der Gestaltun*;
lagern sich herum die peripherischen Gebilde.«
Nichts charakterisirt aber das centrale Gebiet Asiens besser, als seine zwischen
diesen Gebirgen eingefassten, flachen Depressionen: alte abflusslose Becken, die
mit allmählich wachsender Böschung zu den Höhen der Randgebirge empor-
steigen und nur bei grösserer Ausdehnung auch noch von Höhenzügen durch-
quert werden, deren Boden vorwiegend Steppencharakter besitzt und zwar sind
es nach dem hohen Salzgehalte: Salzsteppen. Das Schutt- und Trümmermaterial,
das den Boden dieser Depressionen bedeckt, ist verschieden: nahe dem Gebirgv
rande und in diesem selbst sind es Schutt- oder Steinsteppen, mehr im Inneren
Kies- und Sandsteppen, die weitverbreiteteste Form aber sind die I^össsteppen, m
deren Hervorbringung subaerische Agentien vorzüglich mitgewirkt haben, (s. Artikel:
Atmosphäre pag. 77).
*) RicHTHOFKN, China, pag. 195. ,
') Richthofen, China. I., 104.
Die Continente. 179
Soweit der Steppencharakter und damit die Grenzen der alten abflusslosen
Becken reichen, soweit sind auch die Grenzen des eigentlichen Centralasiens zu
ziehen: vom Hochlande von Thibet im Süden bis zum Altai im Norden, von der
Wasserscheide des Pamir im Westen, bis zu derjenigen der chinesischen Riesen-
Strome und dem Gebirge Rhingan im Osten.
Die Bedeutung dieser alten Depressionen für die Entwicklung eines Conti-
nentes lässt sich am besten und kürzesten dadurch aussprechen, dass wir sie mit
den oceanischen Becken vergleichen, die von den Continenten so umgürtet werden,
wie jene von ihren Randgebirgen. Viele dieser Depressionen zeigen auch noch
deutlich die Spuren alter Meeresbedeckung. So erfüllte einst den grössten Theil
der turkestanischen Depression ein altes Mittelmeer, das Han-hat, dessen genauere
Begrenzung und Verhältnisse uns ebenfalls Richthofen geschildert hat. Es fand
seinen Abfluss nach Westen in die erst viel später dem Meer entstiegene aralo-
bispische Niederung. Dabei blieb dann zuletzt immer noch ein Binnenmeer
zurück, das durch Verdunstung nach und nach verschwand, bis zu den kleinen
Salzsee'n jener Steppen.
So erläutern uns die Verhältnisse in diesen Depressionen die ersten Phasen
der continentalen Entwicklung.
Eine Festlandsscholle auf dem Rücken sich erhebender Gebirge auftauchend,
hatte zuerst die Gestalt einer flachen Mulde mit aufgestülptem Rande. Das scheint
in der heutigen Gestaltung aller Continente noch ziemlich deutlich erkennbar zu
sein. Im Innern des Randes befand sich, über dessen niederste Stelle mit dem
.\ussenmeere verbunden, ein Mittelmeer. Bei weiterer Erhebung des Festlandes
wurde dieses isolirt und stellte dann ein abflussloses Meeresbecken dar.
Alles, was die Zerstörungsprocesse von dem höheren Rande desselben ab-
tragen, ist gezwungen im Inneren des abflussloscn Beckens zu bleiben. Hierdurch
wird der Boden desselben immer mehr erhöht und so die Differenz zwischen
dem aufragenden Rande und der Bodentiefe des Beckens mehr und mehr
verringert
Auch alle Niederschläge der Atmosphäre sammeln sich im Inneren des ab-
flusslosen Beckens. Das Verhältniss dieser zu der durch Verdunstung bewirkten
Wasserentziehung bedingt die Möglichkeit des Fortbestandes eines solchen Mittel-
meeres. Uebersteigt die Verdunstung über einem solchen Gebiete das Maass der
Niederschläge, so nimmt die Ausfüllung mit Wasser in einem solchen Becken
ab und es entsteht endlich ein trockenes, abflussloses Becken, in dem nur einzelne
Salzsee'n oder Salzsümpfe inmitten weiter Steppenwüsten übrig geblieben sind,
wie 2. B. der Lop nor im Tarimbecken als letzter Rest des alten Han-hai-
Meeres. Salzreicher Steppenboden, vielfach bedeckt mit riedbewachsenen Sumpf-
flächen, abwechselnd mit vollkommenen Sandwüsten, charakterisirt solche Becken:
im grossen Ganzen das Bild mächtiger, wellenförmiger Sandebenen, auf denen
das Pferd knietief in die Oberfläche einsinkt, und auf den Menschen der aufge-
wirbelte Staub erstickend, der Glanz schneeweisser Salzfelder blendend wirkt.i)
Auf diesen trockenen Meeresflächen beginnen nun vor allem die Processe
der subaerischen Wirkungen, an denen Wind, Regen, Eis und Insolation betheiligt
and. Sie wirken gleichmässig an der Verflachung und Ausebnung der Becken. Wie
bedeutend ihre Wirkungen sein können, das zeigen uns wiederum am besten
die weiten Lössgebiete.
0 FoRSYTH' Mission in Ost-Turkestan. Petenn. Mittheil. Erg. Bd. XI. 1876—77- pag. 55-
I2»
i8o Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Würde die abtragende Wirkung an dem hohen Rande und die aufschüttende
von dem Boden des Beckens aus so weit gedeihen können, dass sie sich in einem
bestimmten Niveau begegneten, so würde damit die volle Ausgleichung der alten
Niveaudifferenz erreicht werden. In Wirklichkeit aber werden, ehe dies ge-
schieht nach und nach einzelne Theile eines solchen abflusslosen Beckens in
abfliessende verwandelt und treten damit in die Reihe der peripherischen Theile
einer Festlandscholle. Das hierzu nöthige Durchbrechen des Beckenrandes H-ird
vielleicht weit weniger den Wirkungen der blossen Erosion zugeschrieben werden
dürfen, als vielmehr grossartigen Dislocationen der einzelnen Theile gegeneinan-
der, Spalten- und Thalbildungen in Folge dieser, also gebirgsbildenden Vorgängen.
In den peripherischen Theilen eines Continentes ist das fliessende Wasser das
wirksamste Agens, seine Arbeit ist vornehmlich darauf gerichtet, die im Inneren
angesammelten Anhäufungen abzuführen und ins Meer zu tragen, den Gebirgs-
rand mehr und mehr zu zerstören und aufzulösen. Je mehr aber die alte Um-
wallung des abflusslosen continentalen Beckens durchschnitten und geöffnet wird,
um so mehr wird auch die im Innern zur Ausfüllung und Ausebnung dienende
Ablagerung zerrissen und vernichtet. Die Lösslandschaflen von Central-Asien, die
RiCHTHOFEN SO meisterhaft geschildert hat, bieten in ihren tiefen Schhichten und
Erosionsfurchen hierfür die schönsten Beispiele.
Verläuft daher in dem alten, abflusslosen Becken der continentale Ent-
wicklungsprocess in der Weise, dass der Gegensatz der Wände des Randes gegen
die Ebene des Beckens mehr und mehr durch Verflachung ausgeglichen wird, zu
der Form flacher Depressionen mit flach gerundetem Rande, so ist im Gegentheile
in den peripherischen Gebieten das Ziel wiederum die Herstellung schroflfercr
(vegensätze, die Thäler tiefen sich aus und ihre Gehänge werden steiler: nicht
treffender kann dieses bezeichnet werden, als es Richthofen thut, indem er sagt:
Die centripetale Entwicklung der alten continentalen Becken geht in eine centri-
fugale nach den Rändern des Continentes gerichtete über.
Wenn wir aber in der Ausdehnung der mächtigen Lössablagerungen eine^
der charakteristischsten Anzeichen für die Ausdehnung des alten centralasiatischcn
abflusslosen Beckens gesehen haben, so vermögen wir dann auch in den anderen
Continenten in gleichen oder analogen Bildungen die Dokumente eines in gleicher
Weise verlaufenen, wenn auch jetzt bis zu verschiedenen Phasen gelangten F.ni-
wicklungsganges wieder zu erkennen. Auch für Europa lässt sich die einstige
Existenz einer grossen centralen Depression, die den Charakter eines abflussloscn
Beckens noch heute wicderspiegelt, unzweifelhaft erkennen.
Der Löss ist in Europa über ein weites Gebiet verbreitet, dessen wesiliclc
(irenzc dort in Frankreich in fast meriditinaler Richtung verläuft, wo die Vorläufer
der Pyrenäen ein allmähliches Ansteigen des lindes bewirken. Besser ist die sud-
liche Grenze bezeichnet. Sie folgt dem nördlichen Fusse der alpinen Kelten.
um dann sudlich der Donau am Nordrande der Balkangebirge bis zum schwär/ cn
Meere zu verlaufen. Nach Norden ist die Grenze zwar nicht genau feslgestdit,
CS erstreckt sich aber hier der Löss jedenfalls bis in die Diluvialebene hinein
Dass er nach Osten bis in das südliche Russland fortsetzt ist sehr wahr
Hchcinlich.
Aber die gan^e Fläche der central europäischen Lössverbrettung ist nun schon
Ittngnt kein abfluNsloses Ctcbiet mehr und die Wirkungen der abfliessenden Ge-
wässer haben an der Zerstörung und Trennung der einst zusammenhängenden
Die Continente. i8i
subaerischen Ablagerung bis zu dem Maasse gearbeitet, dass die alte Zusammen-
^^ehörigkeit kaum an den einzelnen Theilen noch wiedererkannt wird.
In Nord-Amerika liegt zwischen den beiden Kämmen der Sierra Nevada
und des Wahsatsch-Gebirges das grosse, salzige Hochland von Utah mit allen
Charakteren eines abflusslosen Steppenbeckens. Weithin ist der Boden dieser
Depression von einer feinen, gelben, lössartigen Erde gebildet. Seit der Lias-
periode war das Great-Basin nicht mehr vom Meere bedeckt und hat so durch
die lang andauernden Wirkungen der Erosion vielfache Umgestaltungen erlitten.
Aber auch über seine Grenzen hinaus, wenn auch unmittelbar an das abfluss-
lüse Gebiet anschliessend, finden sich in Nord-Amerika nach Lössablagenmgen.
In Süd-Amerika liegen die abflusslosen Hochlande zwischen der Doppelkette
der Anden lang sich hinziehend, und dann nach Osten in die argentinischen
Pampas übergehend. In dem von d'Orbignv zuerst erkannten Terrain Pampden
liegen ausgedehnte, ganz lössähnliche Bildungen vor. Ihre Verbreitung im alten
Centralgebiete von Süd-Amerika lässt wiederum erkennen, wie erst durch spätere
Umgestaltung der grössere Theil des Continentes zu peripherischen Gebieten um-
gestaltet wurde.
Auch im Inneren des afrikanischen Continentes kennen wir zwei noch heute
abfiusslose Gebiete.
Das erste ist die ziemlich in der Mitte des Sudanplateau' s gelegene Depres-
sion des Tsadsee's. Das jetzt trockene Rinnsal des Bhar el Ghazal, des einstigen
Al)flusses des Tsadsees bildet in seinen beckenartigen Verzweigungen die tiefsten
Theile der weit ausgedehnten und rings von z. Th. mächtigen Gebirgsansch wellun-
gen umsclilossenen Mulde. Das tiefste Niveau erreicht dieselbe in der Land-
schaft Bodele bei Bir Tungur. An vielen Theilen der Randgebirge ist das aus
alt kiystallinischen Gesteinen bestehende Gerüste, welches diese Mulde trägt,
nun schon nachgewiesen.
Das zweite abflusslose Gebiet liegt auf dem Plateau des südafrikanischen
Hochlandes gerade in der Mitte zwischen der Ost- und Westküste des Continentes,
NUdlich von dem Stromgebiete des Zambesi, von dessen Nebenflusse Tschobe es
nur durch eine massige Bodenschwelle getrennt ist. Es ist das Depressionsgebiet
des Ngamisee's und des Salzpfannenbeckens. Das ganze fast ringsum von sehr
bedeutenden Hochgebirgen umschlossene Depressionsgebiet nimmt einen Flächen-
raum von ca 46000 Quadratkilom. ein. Der tiefste Punkt an der Soasalzpfanne
liegt in ca. 740 Meter Höhe. Das allerdings noch von einigen Bodenanschwellun-
;:en durchquerte Gebiet dieser Depression bildet im Ganzen eine flache Mulde
mit alhnählich ansteigendem Rande. Grosse Strecken in derselben haben durch-
aus den Charakter der Wüsten oder salziger Steppen, so die Wüste Kalahari.
Weit verbreitet erscheint hier ein röthlicher mit Sand vermischter Thon an der
Oberfläche, der in der trockenen Jahreszeit hart gebranntem Lehme gleicht und da-
her von den Hottentotten Karroo d. i. hart genannt wurde.^) Dieser sandige
Thon verbreitet sich ebenfalls weit über die Grenzen der Depression selbst, z, B.
nach Süden über die grosse Karroofläche, die von ihm ihren Namen hat. Dieses
Hochland umfasst ca 80,000 Quadratkilom. und ist in seinem mittleren Theile
auf Tausende von Quadratkilometern eine fast vollkommene Ebene, die von diesem
Thone gebildet wird. Hier liegt es ausserordentlich nahe, diesen für eine löss-
ähnliche und ebenfalls subaerische Bildung zu halten.
^) L Chavanne, Afrika pag. 106.
l82 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Ganz zu peripherischen Gebieten umgestaltet sind die Hochgebirge der Ostktistc
Afrika's, in denen die gewaltigen Seebecken des Tanganiika und des Nyassa sich ein-
senken. Das Hochland zwischen diesen beiden See*n stellt eine jetzt von zahlreichen
Wasserläufen durchfurchte Ebene dar. Nyassa und Tanganiika haben beide« wie wir
jetzt wissen, ihre Abflüsse; der erstere fliesst durch den Schire nach Osten in die
Meeresenge von Mozambique, der andere durch den Lukuja dem gewaltigen Strom-
gebiete des Congo zu. Noch ohne Abfluss liegen in der Nähe der beiden grossen
Seebecken die kleineren Becken des Schirwa und des Hikwa. Darin zeigt sich
einigermaassen, dass die peripherische abfliessende Gestaltung der grossen See-
depressionen noch keine geologisch sehr alte sein kann. Auch die hohen nach
W. von den grossen See'n gelegenen Terrassen sind noch nicht lange in peripherische
Glieder des Continentes verwandelt. Das lehrt der Oberlauf des Congo» der in
43 Wasserfällen vom Westrande des Gebirges niedersteigt. Ebenso unvermittelt
vollzieht sich auf der Ostseite der Abstieg des Zambesi vom Hochplateau über
die Victoriafälle in das Küstentiefland hinunter.
Spricht sich sonach in der verticalen Gliederung der Continente die &•
scheinung deutlich aus, dass ihnen allen gewissermaassen als Kern ihrer Gestaltung
eine einfache oder auch combinirte Beckenform zu Grunde liegt, so lässt sich
dann ferner nicht verkennen, dass die Höhe der Beckenränder in einer Beziehung
steht zu der Grösse des anliegenden Oceans. Die höchsten continentalen Ge-
birge liegen jedesmal an der Seite des grössten Oceans.
In Amerika ist das am auffallendsten, wo an der westlichen, pacifischen
Seite des Continentes hoch von Norden bis zum Süden die mächtigen Gebirgs-
ketten der Rocky Mountains und der Cordilleren eine fast ununterbrochene Reihe
bilden, während an der östlichen, atlantischen Seite in Nord-Amerika nur die
weit weniger hohen Ketten der Appalachischen Gebirge, in Süd-Amerika der
brasilianischen Gebirge verlaufen.
Afrika, das zu den Meeren in entgegengesetzter Lage sich findet, prägt
auch ebenso scharf das umgekehrte Verhältniss aus.
Die Hochgebirge des südöstlichen Küstenrandes, der dem grossen indischen
Oceane zugewendet ist, steigen in gewaltiger Terrassirung vom abessinischen Hoch-
lande an bis zu den Drackenbeigen zu Höhen empor, die häufig über 4500 Meter
betragen; die durchschnittliche Kammhöhe dieser Gebirge übersteigt auf grosse
Strecken hin 3500 Meter. Am Westrande des Continentes hingegen, dem atlanti-
schen Meere zugekehrt liegt im Norden das Atlasgebiige, dessen durchschnittliche
Kammhöhe nicht über 2000 Meter beträgt, wenn auch die einzelnen aufgesetzten
Gipfel darüber hinausgehen und erst bei ca. 3900 Meter culminiren. Nicht
über 1500 Meter ist die Kammhöhe der Gebirge an der südlichen West-Küste
von Afrika.
Auch in Australien liegen die höchsten Beigzüge am Rande des grössten
Oceans, an der Ostküste: die australischen Alpen und die blauen Berge in Neu-
Sild-Wales,
In Asien liegen nach Süd -Osten und schauen somit wieder nach dem
grössten Ocean hin die gewaltigen Bergzüge des Himalaya und Kwen-lün, deren
Verlauf und 7Aisammenhang im Vorhergehenden schon näher erörtert wurde.
Ni»rdwcslwÄrts von der grossen centralasiatischen Depression nehmen die Gebirgs-
ketten allmühHih an Höhe ab; im Altai, welcher der aralo-kaspischen und nord-
sibirischen Nicilcrung zugewendet steht, erreichen sie fast nur noch die Hälfte
der Höhe jener südlichen C^ebirge.
Die Contincnte. 183
Als östliches Randgebirge Europa's gegen das erst in jüngster geologischer
Vergangenheit trocken gewordene aralo-kaspische Meer hin kann der Ural gelten.
Nach Westen, dem schmalen atlantischen Meere zugewendet, liegen die Gebirgszüge
der skandinavischen Halbinsel, der grossbritanischen Inseln und der iberischen
Halbinsel. Freilich erscheinen auf den ersten Blick die südeuropäischen Gebirge vom
Kaukasus beginnend über den Balkan und die Alpensysteme bis zu den Pyrenäen
hin sich nicht diesem Gesetze zu fügen. Betrachtet man aber den Verlauf der
Gebirge in den drei alten Continenten als einem einzigen Ganzen, so tritt dann
doch das Verhältniss wieder bestimmt hervor: nach Süden und Süd-Osten liegen
die gewaltigeren, die centralen Depressionen der Continente säumenden Ränder,
einer an den anderen mit allmählich übergehenden Richtimgen sich anfügend,
alle nach der Seite des grössten der oceanischen Becken; nach N. und N.-W.
liegen die weniger gehobenen Ränder, die Grenzen gegen den atlantischen Ocean
und die arktischen Meere bildend, dazu noch sich erniedrigend nach N. zu,
wohin auch die Breite des atlantischen Kanales sich verringert.
Endlich tritt in dem Verlaufe gerade einiger der grössten und über weite
Strecken hin mit festhaltendem Streichen sich fortsetzender Gebirgsketten auch
noch das Vorwalten nordwestlicher oder nordöstlicher Richtungen, also ein
von der meridianalen nur wenig nach der einen oder anderen Seite hin ab-
weichende Stellung der Gebirgsachsen hervor. Es spiegelt sich das in dem Ver-
laufe der continentalen Umrisse wieder, auf den wir schon früher verwiesen haben.
Die Convergenz des atlantischen und pacifischen Oceans nach N., ihre Divergenz
nach S., ist durch den Verlauf der grossen continentalen Gebirgszüge vorgezeichnet.
Auch die im grossen Ocean gelegenen Inselgruppen, in denen wir mit Dana die
einzelnen aufragenden Gipfel untergetauchter continentaler Gebirgsketten zu sehen
vermögen, zeigen in ihrer Anordnung vorzüglich die eine oder andere der beiden
genannten Richtungen.
Alle diese Beziehungen der verticalen Gliederung der continentalen Hoch-
landsmassen zu ihren horizontalen Conturen und zu den tiefen, sie umgebenden
Becken der Oceane gewinnen aber dadurch vor allem den Charakter durch-
greifender Gesetzmässigkeiten, dass sie nicht nur vorübergehend für die heutige
Phase der Erdoberflächengestaltung Gültigkeit haben, sondern dass sie auch von
den grossen Veränderungen in der Oberflächengestaltung der continentalen
Massen, die wir seit früheren geologischen Zeiten, z. B. seit der Tertiärepoche,
verfolgen können, keineswegs alterirt worden sind.
Eine innere Regel beherrschte in ganz gleicher Weise auch die ältesten Con-
tinente. Es war sowohl nach Relief als auch nach dem Contur, von der ursprüng-
lichen, allen gemeinsamen Beckenform ausgehend, der uralte Gegensatz zwischen
den inneren centralen und den äusseren peripherischen Theilen, der alle Ver-
änderungen der continentalen Gestaltung beherrschte. So vollzogen sich die Ver-
änderungen entweder im centralen Becken, oder sie gestalteten den das Becken
umschliessenden Rand um, oder endlich sie betrafen die aus dem Becken selbst
heraus sich entwickelnden peripherischen Glieder. Aber die alten Grenzen dieser
drei Glieder gegeneinander wurden hierdurch im Grossen und Ganzen nicht um-
gelegt, wenn dieselben auch im Einzelnen vielfach verwischt und undeutlich
wurden.
Träger der ältesten continentalen Mulden sind überall die altkrystallinischcn
Gesteine; dort wo sie nicht von jüngeren Sedimenten bedeckt wurden, Hegt ur-
alter continentaler Boden zu Tage. Die ganze Folge jüngerer Sedimente kann
184 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
nur als Folge der Zerstörung und Fortführung solcher alter continentaler Gebiete
gelten und besitzt zu diesen Centren demnach nur peripherische Bedeutung.
An den weiteren Veränderungen der Continentalmassen haben dann aber, sowohl
in horizontaler, wie in verticaler Richtung ganz vorzüglich diese äusseren Gebiete
Antheil genommen. Der alte centrale Theil ist davon nur weniger berührt
worden. Im Inneren der alten continentalen Schollen liegen daher vielfach auch
die Schichten in fast nicht oder nur wenig gefalteter I^gerung, wofür schon
vorher einige Beispiele angeführt wurden. Je weniger aber der alte Kern
eines Continentes in sich selbst der nach dem Inneren seiner Masse gerichteten
Druckkraft nachgab oder davon betroffen wurde, um so mehr mussten die
äusseren Ränder sich aufstauen und zu steil gestellten hoch aufgerichteten Falten-
systemen sich zusammenschieben. Auch deshalb sind es dann die peripherischen
Glieder, die bei dieser Aufstauung der continentalen Ränder vornehmlich mit in
Bewegung gezogen wurden. Aber sie zeigen in ihrem Verlaufe und in ihrer
Stellung, sowie in dem Baue ihrer Falten immer die Abhängigkeit von den alten
Randgebirgen der ursprünglichen continentalen Mulden. Mit anderen Worten,
alle jüngeren Gebirgsaufwölbungen haben die alten Anschwellungen ohne Aen-
derung ihrer Richtungslinien erhöht oder ihnen parallele Gebirgszüge und Falten-
systeme zugesellt; nur an der hemmenden Kraft jener wurde auch die Richtung
dieser abgelenkt oder gestört
So liegen dem alten Gerüste des Kwen-lün die jüngeren gewaltigen Falten
des Himalaya vor, so laufen parallel zu den Appalachischen Gebirgen die Ketten-
gebirge der östlichen Staaten und an der pacifischen Seite ist die ganze Richtung
aller Gebirgszüge bedingt durch die Rocky Mountains. Und die äusseren Schichten-
ablagerungen zeigen dabei in einem grösseren Maassstabe sich gehoben, gefaltet
und dislocirt als die inneren.
Die Veränderungen in den Continenten zeigen ebenfalls gewisse Regel-
mässigkeiten: die östlichen und südlichen Seiten derselben sinken ein und lösen
sich auf, die westlichen und nördlichen heben sich aus und fügen sich zu V^cr-
grösserungen aneinander. Die Ostküste Asiens zeigt die Zertrümmerung und die
Auflösung in Inseln und ganz besonders auch die Südseite., ebenso ist die Ost-
küste Amerika's von Inseln begleitet, während das nördliche Europa und Asien
um das ganze sibirische Flachland gewachsen erscheinen. Im Ganzen und Grossen
mag sich seit den tertiären Zeiten Wachsthum und Verlust an continentalem Fest-
lande das Gleichgewicht gehalten haben. Auf diese und andere Verhältnisse
wird in dem Artikel »Säkulare Schwankungen der Erdrinde c noch zurückzu-
kommen sein.
Die vorhergehenden Betrachtungen lassen sich in folgende kurze Sätze
resumiren:
1. Die nördl. und südl. Continentalmassen sind durch eine Depressionszone
getrennt, deren dynamische Bedeutung auch durch die ihr folgenden vulk. Er-
scheinungen charakterisirt ist
2. Die centralen Theile der Continente sind im Allgemeinen schon in den
frühesten geol. Zeiten vorgebildet gewesen.
3. Die Continente stellen in diesen centralen, ältesten Theilen Mulden mit
gehobenen Rändern dar, die z. Th. noch jetzt abflusslose Becken sind.
4. Der höchste Rand derselben liegt dem breitesten Ocean zugewendet
5. Ausserhalb der alten centralen Mulden liegen die dem grössten Wechsel
unterworfenen peripherischen Theile. Den eigentlich centralen Theilen wohnt
Crustaceen. 185
im Gegensatze zu jenen eine gewisse Constanz inne. Die Veränderungen der
äusseren Glieder erfolgen im Grossen und Ganzen parallel den alten Mulden-
rändem und sind jedenfalls in ihrem Verlaufe durch diese bedingt.
6. Die Veränderungen der continentalen Conturen werden entweder durch all-
gemeine, alle Condnente gleichmässig betreffende und abwechselnde Vorgänge
bewirkt: säculare Erhebung und Senkung; oder sind die Folge localer zerstörender
oder neubildender Wirkungen.
Die Entstehung der Continente in ihrer heutigen verticalen Gliederung und
geologischen Gestaltung hängt mit der Frage nach der Erhebung der Gebirge
enge zusammen und in dem Artikel über diese werden manche darauf bezüg-
liche Punkte noch eines Näheren erörtert werden.
Literatur: Dana, Manuel of Geology II. ed., New-York and Chicago. Naumann, C. F.,
Lehrbuch der Geognosie. I. Bd. II. Aufl. Leipzig 1858. PESCHEL, O. u. Leipoldt, G., Physische
Erdkunde. Bd. I. Leipzig 1879. Rkclus, 15use, La terre, Tome II. Paris 1869. Streffleur,
Die Entstehung der Continente und Gebirge. Wien 1847. Studer, B., Lehrbuch der phy-
sicaL Geogr. und Geologie. Bd. 11. Bern, Chur, Leipzig 1847.
Crustaceen
von
Dr. Friedrich Rolle.
Die Crustaceen oder Krustenthiere, Crustacea, auch Krebse und krebs-
artige Thiere genannt, stellen eine zahlreiche und höchst vielgestaltige Klasse der
Gliedfüsser, Arthropoda^ dar, welche einerseits an die Gliedwürmer anknüpft,
andererseits in den Arachniden, Myriapoden und Insekten ihre Fortsetzung
findet. Sie sind um so schwieriger zusammen zu charäkterisiren, als bei ihnen
^ele mit dem Alter seltsam verkümmernde und die Klassencharaktere einbüssende
Formen auftreten, deren genauere systematische Stellung erst die vergleichende
Entwickelungsgeschichte ergiebt.
Im Allgemeinen kann man die Crustaceen als kiemenathmende Glied-
füsser, Arihropoda bratuhiata, bezeichnen. Sie athmen Wasser durch Kiemen
und sind meist Meeresbewohner. Auch im Süsswasser sind sie noch reichlich
vertreten. Wenige bewohnen das trockene Land, wie die Kellerasseln, Omscidae,
die an feuchten Stellen leben und deren Kiemen in eigenthümlicher Weise
bereits zur Luftathmung vorgerichtet sind und die Landkrabben oder Turluru's,
^ie zeitweise auf dem Festlande, als Larven, immer im Meere leben.
Alle Crustaceen mit Ausnahme des ausgebildeten Thieres der einer rück-
^reitenden Metamorphose verfallenden Formen sind mit echten gegliederten
Beinen versehen, aber die Anzahl derselben schwankt sehr nach den besonderen
Ordnungen. 11 — 60 Fusspaare haben die Kiemenfusser oder Phyllopoden, 7 Paar
die Asseln, 5 Paar die eigentlichen Krebse oder Decapoden.
Dazu kommen zwei, seltener ein- Paar gegliederte Fühler (antennae) am
vorderen Kopfrand und zwischen diesen und den Beinen eine Anzahl sehr viel-
gtttaltiger bald zum Kauen, bald zugleich auch zum Betasten dienender Mund-
organe (Kaufüsse, Kiefern und Taster), beim gemeinen Flusskrebs 6 Paare.
Die Crustaceen gehören zu den ältesten Thierklassen, sie sind im unteren Silur-
system schon durch zahlreiche Phyllopoden, die Eurypteriden und Pterygoten,
einige Ostracoden und Cirrhipedier vertreten. Ihre älteren Vorfahren sind un-
^Hjkannt. Es kann aber kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass die ältesten
l86 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Crustaceen sich von Räderthierchen (Rotatorien) oder diesen zunächst stehen-
den Glied Würmern (etwa den Anneliden verwandten Formen) abzweigten.
Namentlich ist die Larve der niederen Crustaceen formen oder der Entomostraken,
der Nauplius, den Rotatorien sehr ähnlich gebaut und £. Häckel nimmt darnach
an, dass von einem vor der Silur-Epoche schon lebenden .A^ii/Z/W-artigen ge-
gliederten Wurm die verschiedenen Ordnungen der Entomostraken abstammen und
von dieser Grundform ausgehend nach verschiedenen Richtungen sich entwickel-
ten, wie auch, dass sie ihrerseits die Stammväter der höheren Krebse, der
Arachniden, Myriapoden und Insekten darstellen.
Die meisten Crustaceen sind mit einer harten krustenartigen (chitinösen)
Körperbedeckung ausgestattet, die ihrer ersten Anlage nach aus Chitin besteht,
aber auch mehr oder minder grosse Beträge von Kalk enthält Sie ist ein
wahrer Ausssenpanzer und wird von der Epidermis als äussere Schicht (cuticuhj
ausgeschieden, wie sich besonders bei der periodischen Häutung unseres Fluss-
krebses erkennen lässt. Diese feste Kruste ist zu fossiler Erhaltung trefflich
geeignet. In Folge dessen sind die Crustaceen von der Silur-Epoche an reich-
lich im Schatz des geologischen Archivs vertreten und von manchen wie von der
silurischen Sao hirsuta Barr., kennt man selbst ganze Reihenfolgen individueller
Entwickelungszustände. Bereits aus der silurischen Formation kennt man allein
schon über 2000 Arten von Crustaceen, wovon drei Viertel auf die Trilobitcn
kommen, die übrigen sind andere Phyllopoden, Ostrakoden, Cirrhipedier, sowie
Pterygoten und Eurypteriden. Die höheren Krebsformen, namentlich die Panzer-
krebse, folgen erst allmählich in den successiven jüngeren Formationen, nament-
lich die Krabben erst im oberen Jura und in der Kreide.
Die Ordnungen der Crustaceen sind sehr mannigfaltig gebaut. Sie ändeni
in der Zahl der Körper-Segmente ab, ebenso in dem Grade der Abscheidung
von Kopf, Brust und Hinterleib, in der Beschaffenheit der Mundorgane und der
Beine u. s. w. Manche sind ausschliessliche und zwar meistens schwimmende
Wasserthiere, andere sind Landbewohner, noch andere führen eine parasitische
Lebensweise und diese letzteren erleiden durch rückschreitende Metamorphose die
mannigfachsten Umbildungen, wobei sie eine Reihe von Organen einbüssen und
zum Theil die äussere Gestalt von Eingeweide- Würmern annehmen. Auch manche
nicht parasitische, aber in einer gewissen Altersstufe sich festsetzende Crustaceen.
wie die Lepaden und Balanen, erleiden mit dem Heranwachsen eine tief ein-
greifende Umgestaltung.
E. Haeckel theilt die Crustaceen in zwei Hauptordnungen: Entomostraken
und Malakostraken.
Die Entomostraken oder niederen Crustaceen, Gliederkrebse.
Entomostraca, zeigen die grösste Mannigfaltigkeit der Gestaltung, namentlich
aber noch sehr schwankende Zahlenverhältnisse der Körpersegmente und der
Beinpaare, oft selbst bei nahe verwandten Gattungen. Der Kopf ist gewöhnlich
von der Brust getrennt, mit Fühlern und sitzenden Augen versehen. Brust und
Hinterleib mehr oder weniger deutlich geringelt. Die äussere Gestalt ändert
dabei auf das mannigfachste ab. Manche sind mit einer zweiklappigen Schale
versehen, die denen der Muscheln sehr ähnlich ist. Allen Entomostraken liegt
die JVäup/hdS'haLTve zu Grund, deren Gestalt sich bei den meisten noch heute in
einem der dem Ausschlüpfen aus dem Ei zunächst folgenden Entwickelungszu-
stände wiederholt. Es ist dies eine sehr einfach gebaute gegliederte Thierform.
die sich zunächst an die Rotatorien anschliesst. Es deutet dies darauf hin, dass
Crustaceen. 187
überhaupt die Entomostraken in einer sehr weit entlegenen geologischen Epoche
von gegliederten Würmern von beiläufig der Gestalt der NaupliasAjdx^t, und der
Rotatorien ihren Ursprung genommen haben. Doch werden die geologischen
Funde kaum jemals den Weg näher bezeichnen, den die ihnen weit vorauseilende
Hypothese in voraus ahnen lässt.
Zu den Entomostraken gehören namentlich die Ordnungen der Ostrakoden,
der Cirrhipedier, der Phyllopoden und der Pöcilopoden, sowie eine Anzahl von
Schmarotzerkrebsen.
Die Ostrakoden oder Muschelkrebse, Ostracoda (Lophyropoda), sind
kleine wasserbewohnende Entomostraken, deren Kopf mit der Brust verwachsen
ist und 2 Paar gegliederte in Borsten ausgehende Fühler trägt, welche als Ruder-
Organe verwendet werden. Die 2 oder 3 Paar Beine endigen theils in einfachen
Krallen, theils in Borsten. Kopf und Rumpf sind von einer zweiklappigen
muschelähnlichen Schale umschlossen, welche nur mittelst einer kleinen Stelle
am Rücken des Thieres befestigt ist. Sie zeigt weder das Schloss noch das
Schlossband der Acephalen-Schale, dafür aber oft in der Vorderhälfte eine Er-
höhung, die der Lage des Auges entspricht. Aus dieser Muschelschale ragen
nur die gegliederten borstigen Fühler und 2 oder 3 Paar Beine hervor.
Die Ostrakoden bewohnen namentlich das süsse Wasser, Moräste, Pfützen
und selbst Quellen, wo sie oft in ungeheuren Mengen beisammen leben. Andere
Ostrakoden leben im Meer oder in brackischen Strandlagunen.
Die Ostrakoden finden sich in limnischen und meerischen Schlammabsätzen
fast aller geologischen Epochen fossil erhalten, auch hier oft in ungeheuren
Mengen vergesellschaftet. Bisweilen überdecken sie alle Schichtungsflächen aus^
gedehnter, thoniger oder kalkiger Schiefergesteine. Sie erscheinen sowohl in
Meeres- als in Süsswasser-Ablagerungen und zwar schon im silurischen und de-
?onischen System, hier aber wohl nur in meerischen Schichten. Aus der Primor-
dialzone kennt man sie noch nicht, wohl aber aus der zweiten Silur-Fauna schon
in mehreren Gattungen und im paläozoischen System überhaupt in ungewöhnlich
grossen Arten.
Häufig im obersilurischen Kalk von Gothland ist Leperditia oder Cytherina
bdtka His. eine ungewöhnlich grosse glatte Art. Sie erreicht eine Grösse von
nahe 20 Millim. Die Schale ist länglich, bohnenförmig, fast symmetrisch, mit
geradem Schlossrand imd glatt.
Hierher gehört auch die Gattung Beyrichia, deren bohnenformige, fast halb-
kreisrunde Schalen auffallende gekömelte Erhabenheiten (bis 6) zeigen. Beyrichia-
Arten sind im obersilurischen Gebiet reichlich vertreten und reichen bis dicht
an die Unterregion des devonischen Systems.
Im devonischen System sind in gewissen thonigen oder mergeligen Schichten
die Ostrakoden wieder in zahllosen Mengen vertreten. Cypridina serrato-striata^
eine Entomis-Artt wimmelt auf den Schichtungsflächen der oberen devonischen
Schiefer z. B. zu Weilburg und Dillenburg in Nassau. Es sind sehr kleine bohnen-
förmige Schalen, deren Oberfläche punktirte Längsstreifen zeigt. Ein jederseits
vor der Mitte der Schale stehendes Höckerchen deutet die Lage der zwei
Augen an.
SQsswasser-Ostrakoden erscheinen zahlreich in schiefrigen Thonen der Stein-
kohlenformation und des Rothliegenden. Ebenso in den Süsswasserschichten
des Wealden von England und Nord-Deutschland. Gross ist die Mannigfaltigkeit
der meerischen, brackischen und limnischen Ostrakoden in verschiedenen Etagen
l88 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
des Tertiär-Systems. Manche Süsswasser-Kalksteine verdanken ihre Entstehung
hauptsächlich der massenhaften Anhäufung winziger Ostrakoden-Schalen.
Die Cirrhipedier oder Ranken füsser, Cirrhipedia^ schliessen sich den
Ostrakoden unmittelbar an, nicht in der Gestalt des erwachsenen Thieres, wohl
aber nach dem Bau der I^arve, wie sie nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei sich
darstellt. Das junge Thier ist noch ganz ein unverkennbarer Entomostrake,
ähnlich den Larven von Cyclops, Daphnia u. s. w. Es hat einen deutlichen Kopf
mit einem einfachen Auge und zwei Fühlerpaaren. Dahinter stehen zwei Paar
gespaltene in Borsten auslaufende Füsse oder Schwimmftisse. Es schwimmt eine
Zeitlang frei umher. Aber bald giebt diese Cirrhipedier-Larve ihre frei umher-
schweifende Lebensweise auf, setzt sich, mit der Rückenseite des Kopfes nach
unten gewendet, auf einen fremden Gegenstand z. B. ein Conchyl fest und er-
leidet nun eine seltsame rückschreitende Metamorphose. Der Kopf wird mit dem
Alter undeutlich und erscheint mit der Brust verwachsen. Augen und Fühler
sind bald geschwunden. Der Rumpf zeigt nun das äussere Ansehen eines Mol-
lusk's. Aber an der Bauchseite zeigen sich sechs Fusspaare von eigenthümlicher
Gestalt. Es sind fleischige Stiele, die je in zwei vielgegliederte chitinöse Ranken
(Cirrhi) auslaufen, wie sie bei Mollusken nie vorkommen. Während Kopf und
Hinterleib verkümmern und der Brusttheil des Körpers molluskenähnlich wird,
scheidet er ein festes kalkiges Aussenskelett ab, welches weit von der zwei-
klappigen Schale der Ostrakoden, aber auch von der der Mollusken abweicht.
Die Cirrhipedier stammen offenbar von älteren Verwandten der Ostrakoden
ab. Sie beginnen zusammen mit denselben fossil in der zweiten Silurfauna.
Barrande macht aus dieser schon mehrere Gattungen namhaft.
Die heute lebenden Cirrhipedier sind alle Meeresbewohner und zerfallen in
zwei Familien: Lepadidae und BaJanidtu,
Die Lepadiden besitzen im erwachsenen Zustande einen fleischigen zu-
sammenziehbaren hohlen Stiel, mittelst dessen das Thier sich an schwimmendem
Holz und dergl. befestigt erhält. Darüber folgt der eigentliche Thierkörper, der
von keilförmiger Gestalt ist und ein knorpliges oder kalkiges Aussenskelett ab-
geschieden hat. Gewöhnlich besteht dasselbe aus zwei Paar seitlichen Stücken
und einem unpaarigen den Rücken des Thiers deckenden, zusammen 5 Stücken,
wie namentlich bei der Gattung Lepas, Diese Kalkschalen der Lepadiden eignen
sich vortrefflich zur fossilen Erhaltung und sind schon aus den älteren geolo-
gischen Formationen bekannt, namentlich schon im Silur-System von Böhmen
(Plumulites Barr.) und im Jura. Sie sind besonders in der Neocomien- und
Kreideformation durch zahlreiche Arten der Gattung Poüicipes vertreten. Fiir
diese sind 5 Schalenstücke und noch einige kleinere bezeichnend.
Die Balaniden oder Seetulpen, Balanidae, sind breit aufsitzende Cirrhi-
pedier. Das Thier setzt sich gleich den Lepadiden an festen Gegenständen an,
aber nicht mittelst eines fleischigen Stiels, sondern mit breiter Basis, die eine
eigene kalkige Bodenplatte abscheidet. Darüber bildet es ein abgestutzt kegel-
förmiges oder auch etwas walzig gestrecktes aus sechs Schalenstücken zusammen-
gesetztes Gehäuse, dessen Scheitel offen steht, aber mittelst zwei oder vier Deckcl-
stücken geschlossen werden kann. Hierher gehört namentlich die artenreiche
Gattung Baianus, Ihre Gehäuse überziehen zahlreich den felsigen Rand des
Meeres in der Ebbe-Linie und steigen wohl auch noch etwas höher an, da das
Thier unter Verschliessung des Gehäuses ein paar Stunden lang die nächste
Fluth abwarten kann. So finden sich die Balanen auch in Litoralablageningen
Crustaccen. 189
des Meeres der tertiären Epochen noch häufig fossil, an Felsen, Gerollen oder
Conchylien festsitzend.
Baianus iintinnabulum L. eine grosse 5 — 6 Centim. lange im atlantischen
Meer noch lebende Art ist häufig in miocänen Schichten des Wiener Beckens,
ebenso in den oberen Glacialablagerungen von Scandinavien, namentlich im
sogen, gehobenen Strand von Uddevalla im südlichen Schweden.
Die Balaniden überhaupt beginnen in der geologischen Folge erst viel später
als die Lepadiden. Sie sind nur in tertiären Ablagerungen fossil vertreten, in
oligocänen Meeresschichten noch spärlich, zahlreicher in miocänen.
Eine ganz abweichende Lebensform aus älterer geologischer Zeit sind die
ßostrichopoden, die man in Ermanglung besserer Kenntniss (man kennt nur
ein einziges Exemplar) vorläufig den Cirrhipediem anreiht, wiewohl es auch
schmarotzende Crustaceen gewesen sein können. Bostrichopus antiquus Goldf.
stammt aus dem Posidonomyenschiefer (Carbonisches System) von Herborn in
Nassau. Der Körper des Thieres ist von ovalem Umriss und nur 3,3 Millim. lang.
Er besteht aus einem Kopfbruststück, von dem vier Paar Füsse ausgehen und
einem in 6 Ringe segmentirten Hinterleib. Die vier Fusspaare gehen in gegliederte
bis 22 Millim. lange Borsten aus. Die zwei vorderen Fusspaare theilen sich in
je 5 Fäden, das dritte Fusspaar in je 4 Fäden, das vierte Paar in je 16 Fäden,
was zusammen zweimal 30=60 Fäden ergiebt Diese Thierform steht gegenüber allen
anderen aus der heutigen Welt und aus den älteren Epochen bekannten Crustaceen-
Arten vereinsamt. Jedenfalls hat das Thier von einer gewissen Lebensstufe an
sich festgesetzt und eine der geänderten Lebensweise entsprechende Umbildung
erlitten, vielleicht hatte es eine weiche Hülle oder lebte als Parasit auf anderen
Meeresthieren. Man kann es als Vertreter einer besonderen Familie der Cirrhi-
j)edier betrachten.
Eine andere Ordnung der Entomostraken sind die Phyllopoden oder Blatt-
fiisser (Branchicpoday Kiemenfüsser), die in der heutigen Lebewelt durch
einige wenige fast nur dem süssen Wasser angehörige, seltner im Meere (bes.
in Strandlagunen) lebende Gattungen und Familien vertreten erscheinen, in älteren
Epochen aber in viel zahlreicheren Formen im Meere lebten und namentlich im
paläozoischen System eine grossartige Rolle spielen.
Es sind Entomostraken, die am Bruststück oder Thorax zahlreiche blatt-
tom)ige und gewimperte KiemenfÜsse (platte zu Kiemen umgebildete Endglieder)
führen. Es sind deren mindestens 1 1 Paare, bei anderen Formen bis 60. Brust-
stück (thorax) und Hinterleib (abdomen) sind immer getrennt und gegliedert,
der Hinterleib ohne Füsse. Im Uebrigen ändern sie sehr ab. Der Kopf ist bei
einigen angewachsen, bei anderen frei. Manche fuhren am Munde starke zangen-
lonnige Kiefern. Ein Theil ist über den Rücken nackt, andere tiagen über dem
Rücken einen breiten häutigen Schild, noch andere besitzen ähnlich wie die
Ostrakoden eine zweiklappige muschelartige Schale. Bei manchen läuft der
Hinterleib in lange Borsten oder in flossenartige Blätter aus.
Hierher gehören namentlich die in unseren Süsswassem besonders in Teichen
und Flusslachen lebenden, aber nur selten zu beobachtenden Gattungen Branchi-
pus und Apus. Branchipus stagnalis L. wird gegen 2,5 Centim. lang, ist über den
Rücken nackt, hat einen freien Kopf und ein aus 11 Segmenten bestehendes
Bniststück mit 11 Paar Blattfiissen. Der Hinterleib hat 9 Segmente und endet
in zwei flossenartige Anhänge. Apus cancriformis Leach wird 2,5 — 5 Centim.
gross, hat einen mit dem Bruststück verwachsenen Kopf, am Bruststück 60 Paar
190 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
KiemenfÜsse und am Ende des Hinterleibes zwei lange gegliederte Borsten.
Den Rücken von Kopf und Brust bedeckt ein grosses ovales hinten ausgerandetei
häutiges Rückenschild, das den Hinterleib unbedeckt lässt.
An den lebenden Apus schliesst sich eine Anzahl sehr alter urweltltcher
Lebensformen, theils der lebenden Form schon nahe ident, theils in seltsamen
fremdartigen Gestalten entwickelt. Im oberen Buntsandstein von Sulzbad im
Elsass findet sich eine Apus-h^^ die dem heute in Pftitzen und Teichen noch
lebenden Apus cancrifortnis fast gleich kommt
Fremdartigere Gestalten erscheinen im paläozoischen System. Hynunocar'n
(Min. 28.) vermicauda Salter ist ein in vielen Stücken wohlerhaltencr
Phyllopode aus den Lingula-flags oder der sogen. Primordial-
zone von Nord -Wales in, England. Er zeigt einen den
Kopf verbergenden grossen Rückenschild, der an den ähn-
lichen aber Kopf und Brust überdeckenden häutigen Schild
des Apus cancriformts erinnert. Dahinter liegen acht freie
Hymenocans. Rumpfsegmente, deren letztes in vier kräftige Steuerborsten
ausläuft. Es war offenbar ein schwimmender meeresbewohnender Phyllopode.
Dem lebenden Apus ähnlich ist auch Dithyrocaris Scoukri Mac Cov aus
dem Kohlenkalk von Irland. Dieses Thier trug über Kopf und Brust ein fast
kreisrundes vom und hinten etwas ausgerandetes Rückenschild. Der Hinterleib
ragt aus dem Schild frei hervor und endet in drei lange borstenförmige Anliänge,
die ofifenbar zur Steuerung dienten.
Zu den mit zweiklappiger muschelartiger Schale versehenen Phyllopoden ge-
hört die Familie Limnadidae. Limnadia Herrmanni Brogn. (Daphnia gigas
Herrm.) ist ein 13 Millim. Länge erreichender, seltener, in Pfützen und Sümpfen
lebender Muschelkrebs mit 22 Paar blattförmigen KiemenfUssen. Fossil noch
nicht nachgewiesen.
An die Limnadiden schliessen sich die Estherien an, kleine Muschelkrebs-
chen, die heute in süssen, seltner in salzigen und brackischen Gewässern leben.
Die Gattung Estheria erscheint schon in devonischen und carbonischen Schichten
fossil vertreten und zeigt sich namentlich aut^h in den feinen Schiefeithonen der
Trias noch zahlreich erhalten. Sie erscheint auch in Meeresschichten, scheint
aber meist brackischen oder limnischen Ablagerungen anzugehören. Sie zeigt
sich neben Ostrakoden besonders in feinschlammigen Absätzen. Estheria begreift
zweiklappige concentrisch gerunzelte Schalen, denen der Posidonomyen und
anderer Acephalen sehr ähnlich. Sie wurden früher für Posidonomyen gehalten.
die Schalenoberfläche ist aber netzförmig punkdrt E, membranacea Pacht
findet sich im old red sandstone von Schottland. Estheria minuta Ajlb. {Fbit-
donia minuta) ist häufig in Lettenschichten des Buntsandsteins und Keupen» in
Deutschland, Frankreich und England und bedeckt die Schichtenflächen oft xu
Tausenden. Es sind kleine flache concentrisch gerunzelte Muschelschalen , nur
4 — 7 Millim Länge erreichend, von rundlich eiförmigem Umrisse.
Leaia ist eine mit Estheria nahe verwandte aber erloschene Gattung zwei-
schaliger Phyllopoden. Es sind kleine hornige unregelmässig vierseitige gleich-
kl^pige Schalen, die denen mancher Muscheln (z. B. Cypricardien) ähneln. Zwei
Kiele strahlen vom Wirbel aus. Leaia Baentschiana findet sich in den oberen
(limnischen) Schichten der Steinkohlenformation zu Ottweiler bei Saarbiücken in
einem feinen Schieferthon zu Tausenden angehäuft.
An die PhyUo|>oden schliesst sich die längst erloschene an Arten, Gattungen
Crustaceen. 191
und Familien reiche Abtheilung der Trilobiten, Triiobiiae, Man weiss nicht
ob als eigne Ordnung oder als blosse Unterabtheilung der Phyllopoden, da sie
nur im silurischen, devonischen und carbonischen System fossil auftritt, darnach
vollständig erlischt und nur nach ihren festen Körpertheilen bekannt ist. Von
ihren Gliedmaassen ist nichts erhalten und es ist darnach wahrscheinlich, dass
sie weiche häutige Kiemen darstellten.
Die Trilobiten haben ihren Namen vom griechischen tri lobos, dreilappig.
Ihr Körper besteht aus dem Kopfschild, dem aus mehr oder minder zahlreichen
(2—26) Segmenten bestehenden Rumpf (thorax) und einem bald dem Kopfschild
ziemlich ähnlichen, bald mehr eigenthümlich gestalteten Schwanzschild (pygidium)
welches den Hinterleib (abdomen) verdeckt. Ausser dieser querübergehenden Drei-
iheilung des Körpers zeigen sie noch eine durch Furchen des Rumpftheiles ge-
wöhnlich am deutlichsten ausgesprochene symmetrische Dreitheilung, die zugleich
über Kopf, Rumpf und Schwanzschild verläuft. Ihre Grösse geht von ein paar
Millim. bis zu 30 oder 50 auch wohl an 65 Centim. Ausser dem hornigen (chitinÖsen)
wahrscheinlich mehr oder minder verkalkten Panzer der Rückenseite kennt man
von diesen Thieren nur sehr wenig, dieses Wenige aber gewöhnlich in trefflicher
Erhaltung und reich an Art- und Gattungs-Merkmalen. Ausser dem Panzer kennt
man noch die oft ausgezeichnet wohl erhaltenen meist zahlreich facettirten Augen
und das Hypostom, einen auch beim lebenden Apus cancriformis vorkommenden
unteren nach hinten gewendeten besonders ausgebildeten Anhang des vorderen
Kopfrandes. Beine und Fresswerkzeuge sind nicht in fossilem Zustande erhalten.
Auch von Fühlern ist nichts bekannt.
Alle Trilobiten waren Meeresbewohner. Manche konnten sich in ähnlicher
Weise wie die heutigen Asseln (Isopoden) vollständig zusammenkugeln. Sie zer-
fallen in die eigentlichen Trilobiten mit 5 — 26 Rumpfsegmenten und mehr oder
minder ausgesprochener Verschiedenheit des Kopf- und des Schwanzschildes und
die Agnostiden mit nur zwei Rumpfsegmenten und geringer Formverschieden-
heit von Kopf- und Schwanzschild.
Eine der merkwürdigsten Gattungen der eigentlichen Trilobiten ist Parodoxides
Brogn. ausgezeichnet durch die zurückgewendeten dornförmigen Fortsätze des
Aussenrandes des Kopfschildes und der Rumpfsegmente.
Das Kopfschild ist gross, ebenso der langgestreckte aus 21 Segmenten be-
stehende Rumpf (thorax), auffallend klein der Schwanzschild. Von Augen ist
nichts zu bemerken.
Paradoxides Tessini Brogn. aus dem Alaunschiefer von Westgothland (Primor-
dialzone), eine schon von LiNNfi abgebildete Art, erreicht 10—12 Centim. Länge.
Der Kopfrand und die seitlichen Spitzen der Rumpfsegmente sind breiter als bei
der ähnlichen böhmischen Art.
Paradoxides bohemicus Boeck aus dem Thonschiefer von Ginetz bei Beraun
in Böhmen (Primordialzone) wird gegen 16 Centim. lang. Der Kopfsaum und
die zugespitzten Ausläufer der Rumpfsegmente sind schmaler als bei voriger Art.
Sao hirsuta Barr, ist eine zu Skrey in Böhmen (Primordialzone) nicht selten
vorkommende Art, die bis etwa 2,5 Centim. lang wird und ovalen Körperumriss
zeigt, Sie ist als erster Beweis einer den Trilobiten zustehenden Metamorphose
zu einer gewissen Berühmtheit gelangt. Corda und Barrande haben sie unter
»2 Gattung», und 23 Artnamen beschrieben, aber der letztere erkannte bald dar-
nach, dass alle die zahlreichen Formen, welche Anlass zur Aufstellung von so
^iel Gattungen und Arten gegeben hatten, weiter nichts als successive Kntwicklungs.
I9>
(HiB.m}
Mineralogi«, Geologie und Ftlaeontologie.
/
zustände ein«i und denct-
ben Art sind, (Ur vekhc
die Bezeichnung Sae Ur-
sufa beibehalten wutde.
Der früheste belcannteiEm-
bryonal zustande slelhnoc!.
eine fast kreisrunde Scheibe
von } Millim. Länge dar.
Die Oberfläche isl dann
nochglatt, KopfundRuni|<i
sind noch nicht deuüicli
von einander geschieden,
der Hintertheil des Schil-
des zeigt erst eine An-
deutung der späteren Seg-
mentirung. Weiter kennt
man eine vielgestaltige
Reihenfolge der Entwicke-
lung, die von der frühesten
bekannten Larven-Fom
zum Zustande des au^-
wachsenen Thicres leitet.
Die ausgewachsene Sm
hirsuta zeigt eine Ungc
von 26 Millimeter (1 Zoll)
Sie zeigt nun 17 Rum|ir-
Segmente und eine tni:
feinen Domen dicht be-
seUte Oberfläche. Mit
Recht betrachtet man da-
her auch Barrakoe's .Ar-
beiten über San kirsHJ
als einen der wichtigsten
Fortschritte der Palaeonio-
logie und um so bereit-
williger als ihr Ergebnis'
der allgemein Wissenschaft
liehen Anforderung, dass alle Vielheit im Verlauf der Forschung auf eine Einheit
zurück zu (Uhren sei, in ausgezeichneter Weise entspricht.
Die Trilobiten erscheinen in der frimordialzone des unteren Silur-Systenn
alsbald in grosser Mannigfaltigkeit der Arten und bisweilen auch in grosscu-
Individuenreichtlium. Sie spielten in diesem Zeitalter die erste Rolle unter alkr
Lebewesen des Meeres. Barkande zählte 1S73 in der primordialen Fauna nithi
weniger als 154 Arten. Noch zahlreicher erscheinen sie in den darauf folgen Jen
Ablagerungen des silurischen Systems, aus dem man überhaupt zur Zeit 1581 Tnl"
biten-Arten kennt. Aber mit dem ersten Erscheinen der K.lasse der Fische get.cn
die Trilobiten in aufl'allender \\'eise zurück, vielleicht zum Theil in Ful^e
räuberischer Lebensweise der letzteren, im devonischen System bemerkt man
Crustuceeh. tpj
schon eine starke Verminderung der Zahl der Trilobiten-Arten, noch mehr ist
dies im Kohlenkalk der Fall und nach diesem erloschen sie spurlos.
Die häufigste Trilobiten-Art im devonischen System ist Phacops latifrons
Bronn, häufig im mitteldevonischen Kalk von Gerolstein in der Eifel, auch in
den rheinischen Dachschiefem. Diese Art wird 2 — 2,5 Centim. lang, sie zeigt auf
den Seiten des Kopfschildes je ein grosses facettirtes Auge oder Netzauge mit
50—100 und mehr Facetten oder Hornhaut-Feldern. Elf Rumpfsegmente. An
der Unterseite des Kopfes ist oft das }typostoma deutlich erhalten. Diese Art
findet sich auch bisweilen in zusammengekugelten Individuen.
Ausschliesslich silurisch und zum Theil der Primordialfauna angehörig er-
scheinen die nur mit zwei Rumpf- Segmenten versehenen Agnostiden, von
denen man nur eine einzige Gattung Agnostus Brogn. (Bathis Dalm.) kennt.
Sie tritt besonders im untersilurischen Alaunschiefer und Kalk von Andrarum
u. a. O. in Schweden in mehreren Arten und grosser Zahl der Individuen auf.
Die Agnostiden stehen von den übrigen Trilobiten ziemlich weit ab, ihr
Thorax ist nur zweigliedrig, der Schwanzschild ist so gross als der Kopf seh ild
und in der allgemeinen Form diesem in einer (nicht nur bei Trilobiten sondern
bei Crustaceen überhaupt) auffallenden Weise ähnlich gestaltet. Gleichwohl stehen
sie den Trilobiten näher als jeder anderen Abtheilung der Crustaceen. Es sind
kleine Thiere, höchstens 10 — 12 Millim. lang. Alle sind blind. Kopf und Schwanz
and oft nur schwer zu unterscheiden.
Wir können nicht umhin, bevor wir die merkwürdige Ordnung der Trilobiten
verlassen, einen Blick auf die Organisation ihres Auges zu werfen, da dasselbe
in einer so frühen Epoche des Lebens auf Erden als erster Beweis des Daseins
von Siimesorganen und Sinneswahrnehmung von jeher Gegenstand besonderer
Aufmerksamkeit war.
Ein Theil der Trilobiten zeigt auf dem Kopfschild (in den Seitentheilen oder
Wangen) grosse sitzende zusammengesetzte Augen (Netzaugen, oculi composUt) in
oft wunderbar deutlicher Erhaltung und genau von demselben Bau, wie ihn die
Augen vieler heute noch lebender Crustaceen zeigen. Dies ist nicht bei allen
s:leichmässig der Fall.
Bei einer Anzahl von Gattungen, wie Phacops, Dalmanites, Bronttus u. s. w.
•aber noch nicht bei primordialen Trilobiten) bildet das Auge eine flache nieren-
fonnige Hervorragung, deren Oberfläche eine mehr oder minder zahlreiche in
Längs- und Querreihen geordnete Anhäufung von regelmässigen Körnern zeigt.
Sie deuten die Hornhaut (Cornea) und die Linse (Uns crystallina) von eben so
Melen kleinen kegelförmigen Aeuglein oder Ocellen (stemmata) an, deren jedes
ein Lichtbild an einem besonderen Zweig des Sehnerven abgab.
Bei anderen, namentlich den meisten primordialen Trilobiten, läuft die ge-
meinsame chitinöse Hautdecke des Kopfpanzers über die Augen weg, ohne be-
andere Ocellen erkennen zu lassen. Noch andere Trilobiten, wie namentlich
die ^inos/uS'Aiten lassen keine Spur von Augen erkennen und waren offenbar
blind und zwar durch Verkümmerung der Augen in Folge von besonderer Lebens-
*eise und Mangel an Gebrauch. Sie setzen ältere mit Augen ausgestattete Vor-
tahrcn voraus, ähnlich wie noch jetzt manche Crustaceen in erster Jugend Augen
l>esitzen, die sie mit dem Alter verlieren. Dies geht auch daraus noch hervor,
dass bei gewissen Gattungen der Trilobiten augenlose neben augenfllhrenden
Arten vorkommen. '
Uebcrhaupt, wenn auch die organischen Reste sämmtlich es erweisen, dass
Kewkiott. Min., G«ol. u. Pal. I. ' 3
194 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
schon in den ältesten paJaeontologisch documendrten Epochen die natürlichen
Dinge nach denselben ewigen Gesetzen sich vollzogen, die noch jetzt evideni
herrschen, so ist dies doch beim Auge der Trilobiten, wo organische Gebilde mit
optischen Verrichtungen auftreten, in besonders ausgesprochener Weise der Fall
und macht sich um so mehr bemerklich, als die Trilobiten — abgesehen von
den spärlichen und wenig bekannten Fossilien des archaeischen Systems — zu den
ältesten Documenten des organischen I^ebens gehören. Dass das Licht von jeher
nach denselben Gesetzen auf lebende Organismen einwirkte, ist zwar apriori
schon anzunehmen, aber gut ist es gleichwohl, dafiir schon aus den ältesten geo-
logischen Epochen den positiven Beweis beibringen zu können.
Einer anderen sehr merkwürdigen erloschenen Ordnung der Entomostraken
gehören die Familien Eurypteridcu und Pterygotidae an, die nur aus dem siluri-
schen und dem devonischen System bekannt sind. Es sind grosse Gliederkrebse
mit verhältnissmässig kleinem Kopfbruststück (Cephalothorax) und sehr lang ge-
streckten aus 12 oder 13 Segmenten bestehendem Hinterleib (abdomen). Die
Kopfbrust trägt eine verschiedene Zahl von Beinen, die theils als gegliederte
Fühler (Taster), theils als scheerentragende Füsse (Greiforgane), theils als kräftige
RuderfUsse (Schwimmorgane) entwickelt sind.
Eurypterus trägt auf dem Rücken des kurzen vierseitig-halbmondförmigen
Kopfbruststückes ein Paar nierenförmige Augen. Von den am Kopfbruststück
stehenden Beinen sind drei oder vier Paare als Fühler oder Taster ausgebildet,
dahinter folgt ein Paar sehr verlängerter kräftig gebauter Ruderfiisse oder Schwimm-
organe. Die Thiere erreichten gegen 0,3 Meter Länge und darüber. Nord-Amerika
hat schöne Exemplare geliefert.
Pterygotus zeigt einen ähnlichen Bau von Kopibruststück und Hinterteil».
Von den an der Unterseite des ersteren ausgehenden Beinen ist das vorderste
Paar stark verlängert und endet in ein kräftiges Scheeerenpaar (ähnlich wie bei
den Scorpionen). Dahinter stehen kürzere Taster. Das hinterste Beinpaar i>t
wie bei Eurypterus in Form von kräftig gebauten, stark verlängerten Ruderfüssen
oder Schwimmorganen entwickelt. Pterygotus soll bis zwei Meter lünge erreicht
haben.
Bruchstücke von Thieren dieser riesenhaft gestalteten Entomostraken aus deir
old red sandstone von Schottland wurden anfanglich ftir Fischreste genominen, bi:>
bessere Funde ihnen ihre Stellung unter den Crustaceen anwiesen. In der That
haben die Ruderfiisse von Eurypterus und Pterygotus eine auffallende Analope
mit den in Form gepanzerter Ruderorgane entwickelten Brustflossen der in den-
selben geologischen Epochen vertretenen Fischgattung Pterichthys (Ordnung der
gepanzerten CianoidenV Aber diese Analogie ist nur ein täuschendes Gewand,
wie auch die vorderen ScheerenfÜsse des Pterygotus und der Scorpione nur der
ähnlichen Ausbildung zu ähnlicher Verrichtung entsprechen. Der eigentliche
morphologische Bau der Eurypteriden und Pterygoten stellt sie eher 2wis<hen
Ostrakoden und Limulen, wie auch eine Ven%'andtschaft mit der Z^i'a-Lar> e der
heute lebenden höheren Krebse schon zu erkennen ist. Mit Scorpionen» Panier
>;anoiden u. s. w. bestehen bloss theilweise Analogien (keine Affinitäten).
An die Eurypterus- und Pter>'gotus-Form schliesst sich die in den heuti^n,
n*imentlith den tn>pischen Meeren noch lebend vertretene, aber im System «Ici
li'biMulcn K»uma seltsam \erein/elte Drdnung der Pöcilopoden oder Limi.
liilen. JWtiu^/^'Jii mler A'///*.>jjmi zunächst an und l)eide Ordnungen haben sit?
Crustaoeen. 195
offenbar aus einer gemeinsamen Wurzel abgezweigt, die in fossilem Zustand noch
nicht erwiesen ist.
Von den Pöcilopoden lebt nur noch die Gattung Limulus mit einigen
wenigen Arten. Limulus moluccanus Latr.. im indischen Ocean (Philippinen) wird
an zwei Fuss lang. Z. polyphemus L. an Florida und den Antillen ist ähnlich
und wird noch etwas grösser.
Der Kopf ist bei den lebenden Limuliden mit der Brust verwachsen und
beide bedeckt ein gerundeter, dreiviertelkreisförmiger harter kalkig-chitinöser Kopf-
bnistschild. An seinem ausgerandeten Hinterende setzt sich das beweglich ein-
gelenkte Abdominal -Schild an und trägt bewegliche Stacheln an den Seiten-
rändem. Es endet gegen hinten in einen langen beweglich angelenkten dolch-
artigen Schwanz -Stachel. An der Unterseite des Kopfbruststückes stehen um
den Mund herum sechs Paar meist in kleine Scheeren ausgehende Füsse, von
denen die vier inneren Paare Gangbeine (mit kleinen Scheeren) darstellen. Die
fiinf hinteren Paare sind zugleich Geh organe und Mundorgane. Ihre gezähnelten
den Mund umgebenden Basalglieder dienen zum Zerkauen der Nahrung, wie denn
überhaupt die Kauorgane der Crustaceen morphologisch die Bedeutung von
unteren Segment-Anhängen (Beinen oder Füssen) haben. Diese sozusagen sehr
altmodischen Thierformen, die sich überaus seltsam in der lebenden Fauna aus-
nehmen, sind offenbar wenig umgewandelte Nachkommen eines uralten Stammes,
der wohl schon neben den Eurypteren und Pterygoten in den Meeren der si-
lurischen und der devonischen Epochen gelebt haben mag, hier aber noch nicht
fossil gefunden ist. Mehrere Limulus -htXjtxi^ den lebenden Formen sehr nahe
stehend, kennt man aus dem oberen Jura von Solenhofen in Bayern.
Eine besondere Familie derselben Ordnung ist in der Steinkohlenformation
besonders in den Eisensteinknollen von Coalbrookdale in England durch mehrere
Arten vertreten. Es sind die Belinuriden, die von den Limuliden durch die
bewegliche Gliederung des Abdominal-Schilds abweichen. Sie scheinen meerisch
und brackisch gewesen zu sein. Belinurus aus den lower coal measures (oder
dem unteren produktiven Steinkohlengebirge) zeigt einen breiten halbmondförmigen
nach hinten in zwei längliche Spitzen auslaufenden Kopfbrustschild und einen
beweglich damit verbundenen in sieben gleichfalls bewegliche Segmente abge-
gliederten Abdominal* Schild, welcher schliesslich — wie z. B. bei Belinurus
belbäus KOEN. in einen langen zugespitzten Schwanzstachel ausläuft. Dieser Bau
des Panzers der Belinuriden ist schon fast ganz der der lebenden Limuliden, nur
dass der abdominale Theil bei den Belinuriden beweglich gegliedert, bei den
lebenden Verwandten aber in eine einzige Platte verwachsen ist. Die Belinuriden
mögen also den Eurypteren und Pterygoten näher verwandt als die heutigen
Limulus-Arten gewesen sein. Eine gewisse äussere Analogie der Belinuriden mit
Trilobiten fälllt zwar in die Augen, mag aber blosse Folge gemeinsamer Lebens-
bedingungen sein. (Analogie nicht Affinität.)
Wir gehen zu den höheren Crustaceen — den Panzerkrebsen, Malaco-
sfraca — über, die namentlich die Ordnungen der Stomatopoden, Decapoden,
Amphipoden und Isopoden begreifen und von einer gemeinsamen Grundform,
der unter dem Namen Zoia bekannten Krebslarve ausgehen. Diese Larvenform
besiut eine länglich-ovale Kopfbrust mit hochwölbigem Rückenschild, welches
auf dem Rücken und am Vorderrand lange gebogene Ausläufer aussendet. Sie trägt
vom zwei grosse gestielte Augen, unten zwei Paar in Borsten ausgehende Schwimm-
fusse. Nach hinten verlängert sie sich in einen länglichen mehrgliedrigen Hinter-
'3*
196 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
leib, der in Schwimmborsten ausläuft Diese Larve knüpft die Panzerkrebse an
die Entomostraken, namentlich ist auch die Analogie ihres Baues mit den Eu-
rypteren und Pterygoten des silurischen und devonischen Systems in die Augen
fallend.
Die Panzerkrebse; Malacostraca, stellen sich gegenüber den Entomostraken»
als eine höher organisirte Abtheilung heraus, namentlich treten die Zahlenver-
hältnisse der Segmente und die Gang- oder SchwimmfUsse bestimmter her\'or
und dieselben erreichen nicht mehr die übermässige Vervielfachung wie z. B. bei
den Phyllopoden. Der Hinterleib zeigt meist 7 Segmente. Die Zahl der Gan^-
flisse oder Schwimmfüsse beträgt zusammen. meist 5 oder 7 Paare, seltener 8 Paare.
Dabei erscheinen die Malacostraken etwas später auf dem Schauplatz des Lebens.
Sie tauchen in der Steinkohlenformation erst spärlich hervor, im Muschelkalk
zeigen sie sich schon etwas reichlicher, gewinnen aber erst in der Jura- und Kreide-
Epoche entschieden den Vorrang über die Entomostraken. Namentlich beginnen
hier erst die Krabben, eine der am höchsten difTerenzirten Krebsformen. Unter
den Malacostraken erscheinen auch die einzigen landbewohnenden zeitweise
oder lebenslänglich Luft athmenden Formen, offenbar die höheren Abstufungen
ihres Typus wie die Landkrabben und die I^andasseln (Oniscidac)^ welche letztere
zugleich den landbewohnenden Myriapoden schon sehr ähnlich (analog) werden.
Stomatopoden und Decapoden stellen zwei einander nahe verwandte
Ordnungen dar, denen beweglich gestielte Netzaugen gemeinsam sind. Den
Kopf und den Thorax bedeckt ein geschlossener harter Rückenschild, aus dem
hinten der geringelte Hinterleib frei hervortritt, auch wohl noch ein Theil de>
Thorax.
Bei den Stomatopoden (Maulfüssern, Squillen) ist die Zahl der FU>vc
gewöhnlich grösser als bei den Decapoden. Sie haben meist 8 Fusspaare
(S(iuillidcn), seltener nur 4 oder 6 Paare (Mysiden) und am Hinterleib noch besondere
l)lattartige Abdominalftisse, /u hinterst einen starken Flossenföcher. Die Fiis>c
gehen nie in Scheeren aus, wohl aber bei den echten Squillen in scheerenariii
zurückschlagbare Krallen. Vor dem Kopfbrustschild steht hier noch ein be-
sonderer frei beweglicher Ring, der die Augen und die Fühler trägt Aber der
eigentliche hintere Kopftheil ist mit der Brust verwachsen und oben mit dieser
von einem gemeinsamen Kopfbrustschild bedeckt, der bei den Squillen noc!
die Hinterbrust frei lässt. Dahinter folgt der ziemlich lang gestreckte siel>cn-
gliedrige Hinterleib mit blattförmigen abdominalen Füssen.
Die Stomatopoden sind schwimmende Meeresbewohner und leben theils in
grösserer Tiefe, theils in Schwärmen im weiten Ocean. Sie sind in den heutiger
Meeren nur durch wenige Gattungen und Arten vertreten, meist in wärmerer
Meeren, doch auch noch im Mittelmeer. Die Stomatopoden gehören zu der
spät auftretenden Ordnungen. Bis zum Jura bleiben die Funde zweifelhaft .\ii>
dem oberen Jura von Solenhofen hat Graf Münster eine Anzahl von Gattungen
beschrieben, die man als Stomatopoden gedeutet hat Ein unzweifelhafter St«>.
matopode ist Squilla antiqua Münst. aus dem unteren Eocän des Monte Bolca
bei Vicenza und dem lebenden Heuschreckenkrebs, Squilla mantis LiN. des Mittel
mcers schon nahe stehend, näher noch der Sq, scabruauäa Lam.
Eine wichtigere, weit formenreichere Ordnung sind die Decapoden ixier
zehnfüssijjjen Krebse, Decapoda, die von der Trias an fossil erscheinen. Bct
ihnen ist der Kopf mit der Brust zu einem einzigen Ctphalothorax verwachsen
und beide sind oben von einem einzigen harten unbeweglich geschlossenen K«S'-
Crustacecn. 197
brustschild oder Rückenschild bedeckt. Zu beiden Seiten des Kopfes sitzen die
zwei beweglich-gestielten Augen. Es sind grosse Facetten-Augen mit vier- oder
sechseckigen Facetten. Die Kopf- und Brustanhänge stellen zu vorderst Fühler,
um den Mund herum verschieden gestaltete bald kieferförmige, bald tasterformige
Mundorgane dar und dahinter folgen in 5 Paaren die zehn Gangfüsse, die vorderen
meist in Scheeren endend, die hinteren oft mit Krallen versehen.
Beim gemeinen Flusskrebs, Astacus fluviatiiis, stehen zu vorderst die zwei
Fühlerpaare. Die Mundorgane sind äusserst mannigfaltig. Der Mund eröffnet
mit einer unpaaren symmetrischen Oberlippe (labrum). Dahinter folgt ein Paar
Kiefern mit kräftiger gezähnelter Kaufläche und einem Taster-Anhang. Dahinter
zwei Paar ähnliche kieferartige Fress Werkzeuge. Dahinter noch drei Paar Kaufiisse,
jedes mit tasterartigen Anhängen. Das Alles (sechs Paare) sind zum Kauen und
Betasten der Nahrung umgestaltete Segment Anhänge (Beine, Füsse). Dahinter
folgen die fünf Paar Gehfiisse mit Scheeren oder mit Krallen. Das vorderste
Paar ist ausserordentlich lang und kräftig gebaut, zu Greiforganen — ähnlich wie
bei Pterygoten und Scorpionen — entwickelt und endet in mächtige Scheeren,
deren beweglicher Arm an der Innenseite steht. Die übrigen vier Paar Füsse
sind wahre Gehfiisse, das zweite und das dritte Paar endet in kleinere Scheeren,
das vierte und das fiinfte Paar je in eine einzelne Kralle. Aehnlich sind die
Kopf- und Brustanhänge der übrigen Decapoden gebaut, aber je nach der Lebens-
weise besonders umgebildet, z. B. die hinteren Fusspaare oft sehr verkürzt.
Hinter dem Cephalothorax folgt der sieben-ringelige Hinterleib. Er ist stark
entwickelt bei den langschwänzigen Krebsen, beim gemeinen Fiusskrebs nur wenig
kürzer als ersterer, aber stark verkürzt oder zu einem winzigen Körperanhang
verkümmert bei den Krabben oder kurzschwänzigen Krebsen, bei denen auch
die Siebenzahl der Segmentirung nicht immer erreicht wird.
Die Langschwänze, Decapoda macroura, sind meist Meeres-, seltener Fluss-
wasserbewohner. Sie sind schwimmende Thiere mit einer fächerförmigen End-
flosse, die als Steuerruder dient. Der Hinterleib ist gross und grade ausgestreckt,
meist eben so lang als das Koptbrusststück oder auch länger. Er besteht aus
sieben Segmenten. Er trägt am Hinterende fünf flache flossenartige Anhänge,
die als Schwimmorgane dienen. Der mittlere Theil dieses Endfachers besteht
aus dem siebenten Abdominal-Segment, die beiden seitlichen Paare sind blosse
Anhänge des sechsten und siebenten Segments.
Die langschwänzigen Krebse sind im Muschelkalk durch mehrere Gattungen
schon in ausgezeichneter Weise vertreten. Die Gattung Pemphix ist im deutschen
Muschelkalk nicht selten in ausgezeichneter Erhaltung vertreten, z. B. zu Crails-
heim in Württemberg und nach der Gestaltung von Kopfbrust, Hinterleib und
Schwanzflossen der heutigen Gattung Astacus schon nahe verwandt. Man kennt
aber die Beine derselben noch nicht genau. Zwei Paar Fühler, das äussere Paar
fast von der Länge des Körpers. P. Sueuri Desm. wird 4 Zoll (10 Centim.) lang
und findet sich im Muschelkalk von Franken, Schwaben und Lothringen.
Vom Jura an sind die Langschwänze reichlich vertreten, namentlich unge-
wöhnlich reich an Arten und Gattungen in dem fossilreichen lithographischen
Kalkschiefer des oberen Jura von Solenhofen in Bayern.
Eryon ist eine ausgezeichnete jurassische Gattung, verwandt dem lebenden
Bärenkrebs (Scyllarus arctus des Mittelmeeres). Der Kopfbrustschild ist breit
und flach, abgerundet fiinfseitig, breiter als lang, schon an Krabben erinnernd.
Der 7gliedrige Hinterleib ist fast von der Länge der Kopf brüst. Von den
198 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
5 Beinpaaren ist das vorderste länger und endigt in längliche schmächtige
Scheeren. Das 2. 3. und 4. Paar führt noch zartere Scheeren und das 5. Paar
endet in einem einfachen graden Dom. Zwei Paar kurze Fühler. E, arctiformis
ScHLOTH. ist eine im oberen Jura von Solenhofen häufige Art und wird 13 Centim.
lang, 8 Centim. breit. An jeder Seite des Kopfbrustschildes drei stachelförmige
Fortsätze.
Die Phyllosomen sind Larven von gepanzerten Langschwänzen und kommen
zu Solenhofen auch fossil vor. Man hat sie früher für Spinnen gehalten, die
aber in der Jura-Epoche noch nicht fossil vorkommen.
An die Langschwänze schliessen sich die eine Mittelform darstellenden
Anomuren an. Bei ihnen ist der Hinterleib noch ausgestreckt, von der I^Ängc
der Kopfbrust oder kürzer als diese und bereits nicht mehr als Schwimmorgan
ausgebildet, in der Regel nicht mehr am Hinterende mit einem FlossenfMcher
versehen. Die Anomuren sind Meeresbewohner und beginnen fossil im oberen
Jura mit den Prosoponiden, von denen man aber nur den Rückenschild
kennt
Hierher gehören auch die sogen. Einsiedlerkrebse oder Paguriden, welche
ihren weichen Hinterleib in Schneckenschalen verbergen, u. a. der an Küsten
von Europa lebende Pagurus Bernhardus Lin. mit zwei ungleich grossen Scheeren
am vorderen Fusspaar. In den Tropen kommen auch ähnliche grössere Paguri-
den vor, die bereits das Festland betreten. Ein ähnlicher Anomure, Mescsiyius
Faujasi Desm. ist häufig in der oberen Kreide z. B. zu Mastricht, findet sich
aber nur in Gestalt zweier scheerentragender Vorderbeine. Sie sind von ungleicher
Grösse, je eine rechte und eine linke Scheere, ähnlich wie beim lebenden Pagurus
Bernhardus, Der übrige Körper war vermuthlich weich. Vollständige Individuen
sind noch nicht fossil gefunden.
An die Anomuren reihen sich die eigentlichen kurzschwänzigen Krebse oder
Krabben an, Decapoda brachyura. Bei ihnen gewinnt das Kopfbruststück noch
mehr die Oberhand. Es ist breit, meist breiter als lang, bisweilen nach vom
schnabelförmig ausgezogen. Nur das vorderste längere Fusspaar trägt Scheeren,
diese sind aber auch kräftig gebaut. Die 4 hinteren Fusspaare enden in einfache
gespitzte Krallen. Sehr klein und verkümmert ist der Hinterleib, er wird nach
vorn gegen die Brust eingeschlagen, dient nicht mehr als Bewegungswerkzeug,
endet nie in eine Fächerflosse.
Die Krabben sind Meeresbewohner, sie leben namentlich an der seichten
Küste, andere auch in grösseren Tiefen. Einige Arten besuchen auch das nahe
Festland, besonders in West-Indien und Mittel-Amerika, wo sie Erdhöhlen be-
wohnen und nur auf ein paar Wochen jährlich ins Meer gehen, um ihre Eier al>-
zulegen. So der Turluru, Geocarcinus ruricola L., der zu tausenden auf den
westindischen Inseln sich umhertreibt Diese Landbewohner zeichnen sich auch
im Trockenen durch Raschheit der Bewegungen aus.
Die eigentlichen Brachyuren beginnen in der Kreide-Formation, nach dem
mit den Anomuren schon in der Jura-Epoche eine sie mit den bereits von der
Trias an vorkommenden Macrouren verknüpfende Mittelform vorausging. Zahl-
reich vertreten sind sie in der Kreide-Formation, noch zahlreicher an Arten und
Gattungen in den verschiedenen Stufen des Tertiär-Systems, namentlich in gTOs>en
ansehnlichen Arten in der Eocän-Formation von Vicenza, Verona, dem Kressenl^er',:
in Bayern, dem London-Thon der Insel Sheppey bei London u. s. w.
Wir haben also in den drei Ordnungen der Decapoden eine bemerkenswcrthc
Crustaceen. 199
geologische Reihenfolge. In der Trias beginnen die Decapoden, im Jura die
Anomuren und in der Kreide-Formation erst die eigentlichen ausgebildeten
Brachyuren. Alle drei Ordnungen sind in den Meeren der Jetztwelt reichlich
vertreten, die Macrouren auch spärlich im süssen Wasser, die Anomuren auch
spärlich auf dem Festland, die Brachyuren im Meer und reichlich auf dem Fest-
land nahe der Meeresküste.
Mit den Brachyuren erreicht die Decapoden-Ordnung ihren Gipfel in Bezug
auf vorwiegende Ausbildung der Kopfbnist und Verkümmerung des Hinterleibes,
sowie auf mehr oder minder weitgehende Anpassung der Organisation an das
Land- und Luft-Leben.
Einen anderen Entwickelungsgang nehmen die beiden verwandten durch sitzende
Augen, sowie durch das Vorherrschen der Siebenzahl in der Segmentirung be-
zeichneten Ordnungen der Amphipoden und Isopoden, die von den Ento-
mostraken ausgehend eine von den Squillen und Decapoden unabhängige Ab-
zweigung des Malacostraken-Stammes darstellen. Sie besitzen keinen besonderen
Rückenschild. Der Rücken trägt bewegliche Panzerringe.
Die Amphipoden, auch Flohkrebse genannt, Amphipoda, sind kleine
Krebschen, Wasserbewohner, meist von seitlich zusammengedrückter Körpergestalt,
die auf der Seite schwimmen und kriechen. Einige wie Gammarus^ bewohnen Flüsse
und Bäche, andere, wie Talitrus und Orchestia das Meer. Von letzteren lebt ein Theil
am äussersten Küstensaum und hüpft hier mittelst besonderer SprungHisse zu
Tausenden im feuchten Sand zwischen Ebbe- und Fluth-Linie umher. (Sogen.
Tangfiöhe oder Strandflöhe, Saltatoria). Der Kopf der Amphipoden ist frei, vom
Bruststücke deutlich geschieden, mit zwei Paar meist langen Fühlern versehen.
Das Bruststück oder der Thorax ist meist siebengliederig und trägt meist 7 Paar
Fusse, die nie in Scheeren enden, wiewohl die vorderen Paare oft grosse einge-
krümmte Krallen fuhren. Der kräftig ausgebildete ebenfalls meist siebengliederige
Hinterleib trägt meist eine Anzahl in borstenförmige Ausläufer gegabelter fuss-
artiger Anhänge (Abdominal-Füsse). Bei manchen Gattungen erscheinen diese
auch am letzten Segment als kräftige mehrgliederige Stiele oder Springfiisse,
mittelst deren sie wie die Flöhe sich emporschnellen können.
Die Amphipoden mögen sich frühzeitig von den Entomostraken abgezweigt
haben, ihre Reste gehören aber sowohl in älteren, als auch in jüngeren Formationen
zu den seltneren Funden.
Zu den Amphipoden zählt man die sehr vereinzelt im System der Crusta-
ceen stehende Gattung Gampsonyx aus der permischen Formation. Wenigstens
uird sie mit Sicherheit den Malacostraken zugerechnet, sei es nun als Wurzel -
form der Amphipoden oder der Isopoden oder beider Ordnungen zusammen.
Gampsonyx fimbriatus Jord. aus dem Eisenstein des mittleren Rothliegenden der
Gegend von Lebach bei Saarbrücken begreift kleine langgestreckte Süsswasser-
krebschen von 8— 11 Linien (20—25 Millim.) Länge. Der Kopf trägt zwei Paar
Fühler, welche sich in je ein Paar lange Borsten gabeln. Auf den Kopf folgen
Brust und Hinterleib, ohne hervortretenden Gegensatz, zusammen mit mindestens
12. vielleicht 14 Segmenten. Die Beine scheinen sogen. Gehfüsse gewesen zu
sein, das vorderste Paar ist länger als die übrigen, fünfgliedrig und das letzte
(ilied endet in einen spitzen Hacken. Der Hinterleib endet mit fünf in Fächer-
Tonn geordneten Flossenblättem, von denen das mittlere vermuthlich vom letzten
Körpersegment dargestellt wird. Gampsonyx mag also wohl dem gemeinsamen
ältesten Stamm der Amphipoden und Isopoden angehören und von älteren Eu-
200 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
tomostraken abstammen. Der Schwanzfächer erinnert an den der heutigen lang-
schwänzigen Decapoden.
Auf Gampsonyx folgt eine lange Lücke im System der Fossilien. Einige
wenige Amphipoden werden aus dem Bernstein des Samlandeä erwähnt, Küsten-
flöhe, Amphipoda saüatoria, die durch starken Bau des Hinterleibes und lange
Springfllsse sich kennzeichnen.
Die Ordnung der Isopoden oder Asseln, Isopoda^ schliesst sich den
Amphipoden in mehreren Hinsichten an, namentlich durch die sitzenden Augen»
den freien Kopf, die frei auf dem Rücken articulirenden Brust- und Leibcs-Scg-
mente, die herrschende Siebenzahl. Aber die Körpergestalt der Isopoden ist
meist breit und flach niedergedrückt (während die der Amphipoden seitlich zu-
sammengedrückt erscheint) und der Hinterleib mehr oder minder verkürzt. Der
Kopf ist frei, nicht mit der Brust verwachsen und trägt zwei Paar Fühler. Die
Brust oder der Thorax besteht aus 7 frei entwickelten Segmenten, Brustringen.
Diese 7 Segmente tragen 7 Paar unter einander fast gleiche Füsse, die in krallen*
förmige Endglieder — nie in Scheeren — ausgehen. Der Hinterleib ist mehr oder
minder verkürzt, meist sechsgliederig.
Die meisten Asseln leben im Meer, wie Sphaeroma, Idothca u. A. Andere
bewohnen das süsse Wasser wie Asellus, Dazu kommen unter den Wasserasseln
auch eine Anzahl von Parasiten, die, wie gewöhnlich die Thiere von dieser
Lebensweise, eigenthümliche mehr oder minder weit vom Ordnungstypus ab-
gehende Charaktere angenommen haben. Dazu kommen endlich noch eine
Anzahl landbewohnender Asseln oder Keller-Asseln, wie Oniscus, POrcelliOy Arma-
diüo u. A. Diese bewohnen feuchte, schattige Stellen des Festlandes, wie Moos,
vermodernde Baumstämme und Felsritzen. Ihre Kiemen zeigen — dem Aufenthalt
an feuchten Stellen des festen Landes entsprechend — eine eigene Umbildung, die
vorderen Kiemen des Hinterleibes sind nämlich zu geräumigen Lufthöhlen aus-
geweitet, in welche die Kiemenblättchen vorragen. Dies ist eine Art von Ueber-
gang der Kiemenathmung der Crustaceen zur Tracheen-Athmung der Arachniden.
Myriapoden und Insekten, wie er in ähnlicher Weise auch bei den unbekannten
palaeozoischen Wurzelformen der drei letzten Klassen stattgefunden haben mag.
Ueberhaupt erkennt man eine ausgesprochene Analogie zwischen Isopoden und
Myriapoden. Viele Zoologen haben daher auch die Myriapoden neben ersterc
in das System der Crustaceen eingereiht, aber die Abzweigung der Myriapoden
ist eine uralte und geht vielleicht eher von Entomostraken aus, bevor noch Iso-
poden ausgebildet waren.
Die fossilen Funde von Isopoden sind spärlich. Gampsonyx aus dem i>cr-
mischen System mag wohl der gemeinsamen Wurzel der Isopoden und Amphipoden
angehören. Im Jura-System sind die Isopoden zum ersten Male sicher vertreten.
Archaeoniscus Brodici Edw. ist ein echter Isopode aus Süsswasser-Ablagerungen
des oberen Jura und häufig auf Schichtungsflächen des Purbeck-Limestone \un
England. Auch Meer- Asseln werden aus dem Jura aufgeflihrt, namentlich von
Solenhofen. In tertiären Schichten sind fossile Reste von Isopoden sicher, aber
auch noch selten. Aus dem Bernstein des Samlandes kennt man eine Anzahl
von Land-Asseln.
Die Deltabildungen. 201
Die Deltabildungen
von
?rof. Dr. von Lasaulx.
Mit dem Namen Delta wurde ursprünglich, lediglich wegen der Formähnlich-
keit mit dem gleichnamigen griechischen Buchstaben A, das Mündungsgebiet des
Nilstromes und ähnliche von den Armen eines sich nahe seiner Mündung
gabelnden Flusses umschlossene dreieckige Landstücke bezeichnet. An die Ent-
stehung dieser Mündungsgebiete wurde dabei nicht gedacht. Heute aber be-
zeichnen wir mit diesem Namen nicht nur die Form der an der Mündung von
Flüssen liegenden Landstrecken, sondern verbinden damit auch den ganz be-
stimmten Gedanken einer Entstehung aus den Anschwemmungen des Flusses
selbst. Dieses letztere genetische Kriterium ist jetzt sogar das bedeutungsvollere
geworden. Es sind daher unter Delta alle vor der Mündung eines Flusses
durch dessen Sinkstofife gebildete Ablagerungen zu verstehen, die im Meere,
einem Binnensee oder auch einem anderen Flusse die Tiefe der Wasserbecken
veimindem oder vollkommen bis über das Niveau des Wassers emporsteigen und
hierdurch eine Vergrössemng des Festlandes auf Kosten der Wasserbedeckung her-
vorrufen.
Solche Gabelungen der Flüsse, die in der Nähe ihrer Mündungen in
einem Gebiete eintreten, das nicht aus den Anschwemmungen der Flüsse selbst
gebildet ist, nennen wir also nicht mehr Delta. Die 50 Meilen von der Mündung
stromaufwärts gelegene Gabelung der Wolga schliesst einen dreieckigen, auch
von vielen Wasserläufen durchzogenen Landstrich ein, der jedoch keineswegs aus
tluviatilen Ablagerungen besteht und daher nicht als Delta bezeichnet werden
kann. Vor der Wolgamündung hat sich allerdings auch eine echte Deltabildung
angesetzt
Andererseits wird es auf die Gestalt der fluviatilen Ablagerungen vor
der Mündung eines Flusses gar nicht ankommen: es giebt eine Menge echter
Deltabildungen, an denen wir vergeblich die Gabelung des Flusses und die
A Gestalt des Mündungsgebietes suchen.
Auch das macht nach der vorhergehenden Definition keinen Unterschied,
ob die Ablagerungen vor der Flussmündung wirklich über dem Wasser sichtbar
werden oder nur in Untiefen sich bemerklich machen. Man könnte hiernach
fiiglich zwei Arten der Delta's unterscheiden: sichtbare und latente Delta's.
In Wirklichkeit aber sind die beiden Arten nur verschieden fortgeschrittene
Phasen desselben Processes.
Ob bei einer Deltaablagerung das aufnehmende Wasserbecken das Meer,
ein Binnensee oder ein Fluss ist, das macht genetisch und auch für die Einzeln-
^•citen im Verlaufe der Bildung keinen wesentlichen Unterschied. Selbst die
•»tarke Strömung des eine Deltaablagerung, die ein Nebenfluss zuflihrt, auf-
nehmenden Hauptflusses, die die Gestaltung jener wesentlich beeinflusst, findet
ihre vollkommene Analogie in den längs der continentalen Küsten verlaufenden
Strömungen in den Oceanen. Für die Betrachtung der bei Deltabildungen ob-
waltenden Verhältnisse ist demnach eine Trennung nach der Art der aufnehmenden
^Vasseransammlungen nicht nöthig.
Fassen wir also die Delta's in dem oben ausgesprochenen ganz bestimmten
Smne auf, dass sie nämlich vor den Mündungen eines Flusses gebildete Ab-
gerungen desselben sind, so sind dann natürlich die sichtbaren Delta's die
202
Mineralogie, Geologie und Palaeontologic.
lit
einzigen, die uns zunächst Über die Verschiedenheiten der äusseren Form, inneren
Gestaltung und geographischen Verbreitung Aufschlüsse zu geben vermögen.
Die Begrenzung oder äussere Gestalt der Delta's erscheint in erster Linie
abhängig von der Form oder dem Contur der Küste, an welcher die Flussmündung
gelegen ist.
Mündet ein Fluss an einer geradlinig verlaufenden oder gar mit convexer
Biegung in das Meer vortretenden Küste, so werden die von ihm abgelagerten
Sedimente die vorspringenden Küstenausbiegungen verlängern und auf Kosten
des Meeres fortsetzen oder aber, wenn der Contur ein gerader gewesen, an dem-
selben hinausgreifende Protuberanzen bilden.' Es erscheinen daher diese Delta's
ganz besonders auffallend auch auf den Karten und können recht passend als
»vorgeschobene Delta's« bezeichnet werden.
Ein ausgezeichnetes Beispiel dieser Art ist das Delta der Lena an der nord-
sibirischen Küste. In
einem flachen nach
NNO nur wenig vor-
tretenden Bogen ver-
läuft hier die mit
schwachen Höhenzü-
gen besetzte Küste
östlich von Cap Kees-
towski. In einem trich-
terförmig erweiterten
Thale tritt die I.ena
ins Meer. Nach NAV
und nach Osten den
Conturen der Küste
folgend, hat sich au^
den Senkstoflen de^
Flusses die Insel Chan-
galskij-Chrebet gebil-
det, weit vorspringend
in das Meer, nach W
vom Festlande getrennt durch den schmalen Arm der Anardamislja, nach Osten durch
die breitere Bykowskaja-Mündung. Die ganze flache Deltainsel ist von zahlreichen
Wasserarmen durchschnitten. Genau auf ihre Mitte ist die Stromrichtung der Lena
selbst gerichtet, sodass hier die von ihr zugeführten Sedimente fast ganz gleich-
massig nach allen Seiten sich im Meere ausgebreitet und vorgelagert haben, wie
es einem vollkommen regelmässig und ohne störenden Einfluss einer seidichen
Strömung im Meere sich vollziehenden Sedimentbildung entspricht Auch da>
Delta des Vang-Tse-Kian ist ein vorgeschobenes Delta, das die Bogenlinie der
Küste, die durch den Verlauf des Schantung-Gebirges bedingt wird, als ein lang-
gestrecktes, ebenso halbmondförmig vorgebogenes Flachland umzieht
Auch der Kbro bildet vor seiner Mündung bei Tortosa ein vorgeschobene»
Delta. Der Küstencontur, durch den Verlauf der Gebirge bedingt, ist ein fast in
gerader Linie von NO — SW gerichteter. Scharf vorspringend tritt uns hier auf der
Karte die Deltabildung des Flusses als ein Küstenauswuchs entgegen, der die
gerade Linie der Küstengebirge von der Serra Montsia im Süden bis zur Serra
de Balaguer im Norden der Flussmündung unterbricht Auch hier ist die Ab-
n
(Min. 80.)
Fig. 1
Die Deltabildungen. 203
lagening des Delta's auf beiden Seilen der Flussmündung fast gleichmässig er-
folgt, so dass dieser mitten durch das Deltaland hindurchfliessend, sein eigenes
Bett immer weiter vor sich herbaut.
Als ein bis zur vollkommenen Abschnürung des Lago di Mezzola vom Lago
dl Como in das einst vereinigte Seebecken vorgeschobenes Delta muss die Ebene
von Colico vor der Mündung der Adda aufgefasst werden und ähnliche Bei-
spiele im kleineren Maassstabe finden sich in allen Binnensee'n. Recht scharf vor-
springend in den durch die Bergwände der Ufer bedingten Contur des Lago
d'Iseo schiebt sich in diesen das kleine Delta des Borlezzaflüsschens vor.
Wesentlich anders gestaltet sich der plastische Eindruck, den eine Delta-
biidung in kartogrg-phischer Abbildung hervorbringt, wenn die Flussmündung
an einer einwärts, also concaven Küstenstelle gelegen ist, wenn also eine
mehr oder weniger offene Meeresbucht zunächst die Sedimente des Flusses auf-
nimmt. Die Ausfüllung der Bucht w^ird dann das erste Ziel der Deltabildung
sein und dieses also in seiner Form durch die Gestalt der Meeresbucht be-
dingt werden. Selbst bei einer vollkommenen Erfüllung der Bucht wird dabei
im Veriaufe der allgemeinen Küsten conturen keine auffallende Aendenmg er-
folgen; die Thätigkeit dieser Deltaablagerungen, die wir als ausfüllende oder
Ausfüllungs delta's bezeichnen können, erzielt eine Vereinfachung der Küsten-
linien, eine Vermindenmg der Küstengliederung, während die vorgeschobenen
Delta's eine grössere Gliederung, eine Zerlegung des Conturs bewirken. Freilich
erkennen wir auf den ersten Blick, dass bei einer fortdauernden Deltabildung
jedes Ausfiillungsdelta, wenn es das erstere eigentliche Ziel erreicht hat, nun in
die Phase der vorgeschobenen Delta's übergehen muss. Und so liegt eben bei
den meisten Delta's eine Combination beider Formen vor. Von der Grösse
der anfanglich auszufüllenden Bucht wird es abhängen, ob schneller und be-
deutender die vorschiebende Phase in der Deltabildung eintritt.
Als ein Ausfiillungsdelta erscheint z. B. das Nildelta. Zwischen das ca.
150 Meter hoch erhobene Plateau der Libyschen Wüste, das mit steiler Stufe
meePÄ'ärts niedergeht und der auf der gegenüber liegenden Seite des Nil gelegenen,
fast ebenso hohen Fläche der arabischen Wüste schob sich wie ein Keil, dessen
spitze etwa bei Kairo gelegen ist, einst eine Meeresbucht in Unter-Egypten hin-
ein. Sie ist jetzt ganz von dem fruchtbaren Bodengeschenke des Nil erfüllt, der
aber mit seinem Delta über den allgemeinen Contur der Küste, den wir vom
Oolf von Gatta bis zur Rhede von Ascalon in leicht gebogener Linie uns er-
gänzen köimen, nur so wenig vorspringt, dass die Phase des vorgeschobenen
I>elta's uns auf einer Karte von Unter-Egypten nur wenig auffallend hervortritt,
auf einer Karte von Afrika im Maasstabe von i: 30000000 aber fast verschwindet.
In ganz ähnlicher Weise hat das Po-Delta den alten Ober-italienischen Meer-
busen vollständig erfüllt und bildet nun schon einen seit Römerzeiten erst ent-
standenen, Über die allgemeine Küstenlinie hinausrückenden Vorsprung.
Der Nigir strebt mit seinem Delta die Einbuchtung des Meerbusens von
Guinea auszufüllen und hat in der That arx Stelle der einspringenden Biegung
ijanz im Inneren desselben schon eine sichtbare Protuberanz zu Wege gebracht,
l^^er Gedis Tschai an der West-Küste von Klein-Asien schiebt sein Delta in den
Golf von Smyma hinein, an dessen Nord-Küste er mündet. Bei fortgesetztem
Ausfüllen der gerade an seiner Mündung schmalen Stelle dieses Golfes wird
^ dessen landwärts gelegenen Theil abschnüren und damit den Hafen von
JJmyma in einen Binnensee verwandeln. So ist fast vom Meere getrennt und
204 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
nur noch durch einen schmalen Wasserarm mit ihm verbunden die Turtle Bay,
Stid-Ktiste von Texas, durch einen Deltariegel, den der Trinityriver, in die Galves-
ton Bay mündend, vor jenen Theil derselben geschoben.
Von innen regelmässig nach aussen vorschreitend erfüllt der Mackenzie River
mit seinem Delta eine schmale fast fjordartig gestaltete Meeresbucht, die sich
zwischen hohen Gebirgen südlich vom nördl. Eismeer in das Land hineinzieht,
an der Grenze von russisch und britisch Amerika. Aber noch hat die Delta-
bildung den eigentlichen Küstensaum nicht erreicht und die Mündung des ge-
waltigen Stromes wird auf der Karte noch durch eine tiefe Bucht bezeichnet, an
der man das Vorhandensein eines ausgedehnten Deltagebietes kaum zu erkennen
vermag. Ebensowenig tritt uns auf einer Karte die Deltabildung des Sacramento
vor Augen, die tief im innersten Theile der vielgewundenen Bay von St. Francisco,
der Suisun Bay versteckt liegt. Ehe diese Delta's in die Phase der in das Meer
vorgeschobenen Delta's treten, sind noch unmessbare Zeiträume nöthig.
Im Gegensatz zu allen angeführten Beispielen hat aber der Mississippi schon
längst die Phase einer ausfüllenden Deltaablagerung hinter sich und erscheint nun
in ganz besonders charakteristischer Weise mit weit vorgeschobenem Delta ver-
sehen. Das ganze untere Mississippi-Thal aufwärts bis zu der Mündung des Ohio
war in der Tertiärzeit ein tiefer nordwärts gerichteter Meeresgolf, der von tertiären
Ablagerungen erfüllt wurde. Es blieb nur das breite Rinnsal des Stromes übrig,
das sich beiderseitig allmählich mit breiten Streifen von Alluvionen auf sein heuti-
ges Maass einschränkte. Bis zur Ohiomündung hinauf können wir füglich den
Anfang des Flussdelta's verlegen. Als ein Ausfüllungsdelta schob es sich und
mit sich das Bett des Flusses immer weiter südwärts vor bis es die Mündung der
alten Meeresbucht erreichte, etwa dort, wo von Westen her der Red River dem
Mississippi zufällt. Nun rückte das Delta, nicht mehr gehemmt durch die seit-
lichen Schranken der Meeresbucht und sich beiderseitig erbreitemd, als vorge-
schobenes Delta in die Bucht von Mexico hinaus. Der Boden, der heute die
Stadt Neu-Orleans trägt, ist Deltaboden und liegt schon weit über den ehemali-
gen Küstencontur hinaus. Von dort aber bis zum Ende des wie ein vorge-
streckter Arm mit vierfingeriger Hand hinausgreifenden Delta's liegen heute nocli
ca. 20 geogr. Meilen lange Alluvionen.
So ergiebt sich denn aus den angeführten Beispielen, dass die Form und Be-
grenzung der Deltagebiete keineswegs eine bestimmte und charakteristische i^^t,
sondern dass dieselbe vielmehr ausserordentlich verschieden und wechselnd sein
kann, jedesmal in erster Linie abhängig von dem Küstencontur an der Mündung
des Deltabildenden Flusses.
Da treten denn noch andere wirksame Agenden hinzu, diese Gestalt /u
ändern. Dort, wo eine Strömung im Meer«.
vor der Flussmündung vorüberführt, wenien
auch die Sinkstoflfe in dieser Richtung weiter
getragen und die Deltaablagerung zeigt ein ett -
seitiges, der Strömung folgendes Wachsthum
Auch das zeigt sich deutlich am Mi<si>^
sippi-Delta. Vor seiner Mündung geht eine
von W — O gerichtete starke Meeresströmung
(Min. 8t.) Fig. 2. vorüber und dieser folgend schieben sich
die Allu\'ionen des Flusses immer mehr ostwärts und haben hierdurch auch \on
der Stelle an, wo das Delta ein vorgeschobenes geworden, von der Mündung dc^
Die Deltabildungen. lo;
Red River an, eine östliche Umbiegung des Flussbettes im Gefolge gehabt, die
fast einen rechten Winkel beträgt.
In dieser Weise können auch die Delta's den Nehrungen oder Lido's ähnliche
Ges(alten annehmen. Ein Theil der an der Süd-Küste von Texas sich aneinander-
reihenden Bildungen dieser Art müssen gewiss nicht als eigentliche Nehrungen
aufgefasst, sondern als echte seitlich verschobene Deltabildiingen angesehen
weiden, deren Fuss oder Anfangspunkt dann auch jedesmal an einer Flussmündung
gefunden wird. Dass das auch f\ir einen Theil der ostpreussischen Nehrungen
gilt, in deren Haffe die bedeutenden Ströme, wie Weichsel, Pregel, Memel
münden, bedarf kaum einer besonderen Erwähnung, sowie ganz allgemein alle
Nehrungen und Lido's vor der Mündung von Flüssen nur als eine besondere Art
der Deltabildung gelten können. Denn wenn von der Form der Deltaablagerungen
ibstrahirt wird, besitzen sie sonst das wesentliche Kriterium der Delta's, vorzüglich
AUuvionen der von den Flüssen zugeführten SinkstoSe vor deren Mündungen
lu sein.
Auch die Oberfläche nbeschaffenheit und Grösse der Detu's ist ausserordent-
lich verschieden. Die Kerngestalt, die ihnen allen zu Grunde liegt, ist die eines
sehr flachen Kegels auf breiter mit dem Meere einsinkender Basis, dessen Ober-
Bäcbe fast als eine horizontale und meist vollkommen flache Ebene erscheint.
Nur in dem ganz ruhigen Wasser der Binnensee'n wird sich die einfache und
t)pische Gestalt ungestört entwickeln können. CMin. 82-m.)
Die Fortsetzung des Flussbettes erfolgt
dann einfach durch die Mitte des Delta's
hindurch, das sich gleichmässig auf beiden
Seiten ausbreitet (Fig. 3). Sehr oft führt
allerdings die Ablagerung der Sinkstoffe ge-
rade vor der Flussmündung zu einer von die-
^r Stelle begiimenden einfachen oder mehr-
fachen Gabelung des Flussbettes (Fig. 4).
Da aber die flache und nur wenig über ^'S- 3-
das Wassemiveau aufragende Oberfläche der
Delta's diese sowohl den Hochwassern der
Flüsse, als auch den Fluthen des Meeres
ganz besonders zugänglich und dadurch den
Wirkungen derUeberschwemmungen vielfach
unterworfen sein lässt, so ist in Bezug auf
die Lage, Zahl und Richtung der Wasser-
anne, in die sich ein Flusslauf in seinem
eigenen Delta zersplittert, ein steter Wechsel ^'^' *'
und die grösste Verschiedenartigkeit obwaltend. Von 19 Armen, aus denen
sich der Ural früher in das kaspische Meer ergoss, sind gegenwärtig nur
noch fünf wasserführend. Die Angaben über die Mündungsarme der Rhone
schwanken zu allen Zeiten und einen ähnlichen Wechsel zeigen die Mün-
dungen des Rheines, des Nils, des Yang-Tse-Kiang und Mississippi und vieler
anderer Delta-bildender Flüsse. In zahllosen Wasserläufen, ein vollkommenes Netz-
werk bildend, durchrieseln einzelne Flüsse ihr Delta so z. B. Lena, Nil, Donau U.A.,
in gleichmässige, kräftige aber nur wenige Wasserarme zerlegen sich andere Flüsse
in ihrem Delta, so z. B. der Rewa auf Viti-Levu, einer der Fidschi-Inseln und
der Mississippi in seinen 4 äussersten Pässen; endlich ungetheilt mit regelmässi-
2o6
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
ger Fortführung des einen Bettes durchqueren wieder andere Flüsse ihr Delta
so z. B. der Ebro. Kurz, soviele Deltas, soviele Verschiedenheiten zeigen sieb
in ihrer Oberflächenbeschaffenheit. Das zeigt schon, dass locale, mehr oder
weniger zufallige Einflüsse im Einzelnen die Gestaltung bedingen.
So ist auch gänzlich verschieden die Grösse und die Mächtigkeit der
Deltaablagerungen. Der Flächeninhalt des Ganges- und Bramaputra-Delta*s l>e-
trägt 8 Millionen Hektaren, die des Mississippi 3 Millionen. Dagegen verschwin-
den die Delta's der Rhone, des Ebro und die kleinen Alluvionen in den Seen
der Schweizer Alpen oder auch den grossen Binnenmeeren der aralo-kaspischen
Niederung.
Die Mächtigkeit der Delta's ist natürlich nicht überall bekannt Sie hängt
ab von der Tiefe des die Flussalluvionen aufnehmenden Meeres oder Seebeckens
und wächst mit der Entfernung von der Flussmündung. Dass sie in mancher
Fällen mehrere 100 Meter beträgt, zeigen Tiefbohrungen die z. B. im Nil-, MibM>-
sippi-, Rhonedelta u. a. ausgeführt worden sind.
Ausser den mechanisch mitgefiihrten Bestand th eilen, dem Detritus, der au>
der gesteinzerstörenden Thätigkeit der fliessenden Wasser in den Gebirgen vor-
nehmlich herrührt, sind es chemisch gelöste, anorganische Bestandtheile, die sie'
wieder abscheiden, pflanzliches und thierisches Material, das sich miteinander
vermengt und in mehr oder weniger regelmässiger Folge übereinander schichtet
Im ruhigen Wasser eines Binnensee's werden auch hier die Verhältnisse sich ein-
facher, regelmässiger gestalten als in dem viel bewegten in Ebbe und Fluth Inn
und her strömenden Wasser eines Meeres.
Aber das Bild einer aus vielfach verschiedenen und wiederholten Ablagerun-
gen gebildeten Schichtenfolge, mit nahezu horizontaler oder wenigstens nur weniz
nach auswärts geneigter Stellung wird doch bei allen Delta's im Allgemeinen /^i
erkennen sein, so sehr auch die Einzelheiten in den Sedimentbildungen an deni
verschiedenen Delta's und sogar an verschiedenen Stellen eines und dessellHrn
Delta's von einander abweichen. Die gröberen Materialien pflegen in steilerenl
Schichten abgelagert zu sein, die feineren Sand- und Schlammartigen Absätze ii^
flacher Böschung den äusseren Abfall des Deltakegels zu bilden.
Einige Delta's produciren in Folge der Zersetzung der in ihnen abgelagerte?^
organischen , faulendexi
Jj^fiW^ und verwesenden SuI*h
stanzen, auffallende C^a^i
exhalationen. Im 1\»'
Delta sind es Kohlen
Wasserstoffe, die miteine^
gewissen Heftigkeit auH
Oeffnungen hervorbre-
chen; im Simeto-Delta erscheinen ähnliche Kohlenwasserstoffexhalationen mr
salzigen Wassern zugleich empordringend, und hierhin gehören ohne Zweifel al'ci
sogen. Schlammvulkane, die erweislich auf Delta-artigen KüstenanschwemmuncvTii
aufgesetzt erscheinen: so die Schlammvulkane an den Ufern des Caspischer«!
Meeres z. B. auf der Naphta-Insel, die zum Delta des alten Flusses von Am::i
Deri gehört und ebenso die auf der Westseite gelegenen Bildungen dieser Ar*
bei Baku. Auch die Schlammvulkane von Kertsch und Taman, z\iischen den«
Schwarzen und Asow'schen Meere gelegen, stehen auf alten Deltaanschwemmun^c n.
die noch heute vor der Mündung des Kubanflusses sich fortsetzen.
t4isM9Mgmiir§au
Die Deltabildungen. 207
Als das augenscheinlichste Beispiel dieser Art aber können die sogen.
Mud-Iumps oder Schlammkegel an den Mündungen der Pässe des Missis-
sippi Deltas angeführt werden. Durch das heftige Empordringen der aus der
Zersetzung angehäufter organischer Substanzen gebildeten Gase (Kohlensäure,
Kohlenwasserstoffe z. Th. brennnbar, Stickstoff) werden Schlammassen und
salzige Wassermengen mit emporgetrieben, die um die Austrittsöffnung kleine
flache Kegel mit vollkommen kratergleichen Vertiefungen bilden. Diese bleiben oft
Jahre lang in wiederholten Eruptionen thätig. Das Innere der in der Regel nur
wenige Meter über den Meeresspiegel aufragenden Kegel bildet eine kreisförmige
Lagune. Der zu einer sehr festen Masse sich verhärtende Schlamm, aus dem
die Kegel sich bilden, giebt ihnen eine gewisse Dauerhaftigkeit. Jedenfalls ist
die Analogie der bei den Eruptionen dieser Schlammsprudel beobachteten Vor-
gänge und des gesammten Mechanismus ihres Kegelaufbaues mit denen an den
eigentlichen sogen. Schlammvulkanen beobachteten, eine so vollständige, dass
man selbst für die nicht auf einem Delta gelegenen Ausbruchsquellen dieser Art,
doch einen Untergrund vorauszusetzen gezwungen ist, der in seiner Beschaffenheit
einer Deltaablagerung einigermassen gleicht. Das Wesentliche wird sein, dass er
ebenfalls reichlich abgelagerte organische Materie enthält, die durch ihre Zer-
setzung zu einer starken Gasentwickelung Veranlassung zu geben vermag.
Bei vielen dieser Schlammsprudel wird sich eine solche Annahme als zu-
treffend erkennen lassen. Die Maccaluba in Sicilien, der am längsten bekannte
Schlammvulkan, der seinen eigenen arabischen Namen als Gattungsnamen auf
alle Quellen dieser Art übertragen hat, liegt auf dem Boden tertiärer Ab-
lagerungen, für welche eine littorale, Delta-ähnliche Entstehung sowohl aus ihrer
Lage als auch ihrer Beschaffenheit unschwer zu erkennen ist.
So ist femer mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass auch auf
manchen anderen, älteren Delta- ähnlichen oder jedenfalls littoralen Ablagerungen,
die jetzt z. Th. als Glieder aufgerichteter Schichtensysteme erscheinen mögen,
in früheren geologischen Zeiten solche Schlammsprudel ihre Ursache und ihre
Thätigkeit gefunden haben. Bekanntlich hat man für gewisse Schichten und
Erscheinungen in der sogen. Argila scagliosa der Apenninenformation die Thätig-
keit solcher Schlammeruptionen als Erklärung herangezogen und besonders hat
Th. Fuchs die Entstehung der Flysch- oder Macignoschichten in solcher Weise
erklärt
Ob man aber den Wirkungen blosser Mud-lumps oder Schlammsprudel so
ausgedehnte Bildungen zuschreiben dürfe, das muss doch wohl noch für fraglich
gelten. Da ist es jedenfalls wahrscheinlicher, dass diese Bildungen zwar mit
solchen Schlammeruptionen in Verbindung standen, aber nur indem sie den Unter-
grund für jene abgaben und hierzu durch eine Delta-ähnliche, littorale Ablagerung
befähigt waren. Dem Flysch z. B. verleihen unter anderen die so überaus zahl-
reich in demselben gefundenen Wurmröhren, die sogen. Hieroglyphen, durchaus
den Charakter brackischer, an organischen Bestandtheilen reicher AUuvionen, die
ganz einem heutigen Deltaboden entsprechen würden Wenn sie daher auch
nicht durch Schlammeruptionen ausschliesslich gebildet wurden, mochten sie
doch sehr günstige Bedingungen und die geeignete Unterlage für solche dar-
bieten und die erkermbaren Produkte derselben finden sich daher in diesen
Schichten wieder.
Freilich tritt bei vielen sogen. Schlammvulkanen in der hohen Temperatur
der Gas- und Wassermengen ihrer Ausbrüche ein echt vulkanischer Umstand hin-
2o8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
zu. Dieser hängt z. Th. direkt von einem in der Nähe befindlichen vulkanischen
Herde ab, ist aber auch die einzige Beziehung zu wirklichen Vulkanen; denn die
wesentliche Bedingung bleibt immer die an organischen Produkten reiche Be-
schaffenheit des Untergrundes dieser Schlammquellen.
Schon aus dem Vorhergehenden ergab sich, dass die Deltabildungen keines-
wegs auf die Gegenwart beschränkt sind, sondern dass auch in früheren geo-
logischen Epochen* sich solche vollzogen. Je älter aber die Periode ihrer Ent-
stehung, um so schwieriger werden sich dieselben noch heute als solche wieder
erkennen lassen. Aber manche alte Schichtencomplexe, die als locale littorale
Ablagerungen charakterisirt sind, z. B. Conglomerate, die mit feinkörnigen Sanden
und feinschlammigen Phylliten wechsellagem, erinnern doch auch in dieser ihrer
Structur recht auffallend an Deltabildungen. So ohne Zweifel die littorale Facicb
in vielen Gebieten der Steinkohlenformation und der Wealden im Südwesten von
England; auch gewisse conglomeratartige Bänke, reich an zusammengeschwemmten
Pflanzen und Muschelschalen, die in den Sanden der Kreideformation der Um-
gegend von Aachen auftreten und viele andere Schichten mögen wohl z. Th. aus
alten Deltaablagerungen bestehen.
Eine wesentlich andere Frage ist die, wie weit liegen die Anfange
der noch heute im Bau begriffenen Deltaablagerungen hinter uns zurück?
Schon die so sehr verschiedene Grösse der Areale, welche durch Delta-
bildungen geschaffen worden sind, lässt uns wohl vermuthen, dass nicht
alle gleiche Zeiträume zu ihrer Bildung verwendet haben. Welch ein Abstand
von dem nur etwa 75 Tausend Hektaren Fläche besitzenden Delta der Rhone
bis zu den Deltaniederungen des Mississippi mit über 3 Millionen oder des
Ganges und Bramaputra mit über 8 Millionen Hektaren Oberfläche 1 Und wieder-
um von jenem abwärts bis zu den nur wenige Hektaren umfassenden Delta's in
den alpinen See'nl
Aber die Grösse allein giebt uns keineswegs einen Maassstab zur rich-
tigen Schätzung des Alters; denn das Maass des Wachsthums ist bei den
verschiedenen Delta's dazu ein allzu sehr verschiedenes. Selbst fiir ein und
dasselbe Delta haben die Versuche, ein jährliches mittleres Wachsthuni zu
berechnen, zu Resultaten geführt, die durchaus von einander abweichen. So
ist denn im Allgemeinen den hierfür gewonnenen Zahlen keine grosse Beweis-
kraft zuzusprechen. Aber dass das Maass des Wachsthums im Jahre für die
verschiedenen Delta's ein ganz anderes ist, hat doch unzweifelhaft sich erkennen
lassen.
In beispiellos raschem Fortschreiten ist das Delta des Terek im kaspischen
Meere begriffen, so dass das Meer in 30 Jahren um 2 volle deutsche Meilen
zurückgedrängt und eine grosse Strecke landfest gemacht wurde. Das Maass
des jährlichen Vorrückens würde sich hiernach auf ca. 500 Meter berechnen.
Auch am Mississippi ist das Vorrücken ein sehr schnelles, wenngleich es sehr
verschieden angegeben wird, von einigen Beobachtern nur auf 20 oder 80 Meter,
von anderen auf 350 Meter im Jahre. Ein Beispiel sehr schnellen Wachsthurob
bietet auch das Po-Delta, an dem sich das Maass der Zurückdrängung vom Meere
in der Geschichte der davon betroffenen Orte deutlich verfolgen lässt. Die Stadt
Hadria jetzt 35 Kilom. vom Meere entfernt, war noch unter den ersten römischen
Kaisern ein Hafenplatz. Ravenna, einst ebenso ein Seehafen, ist jetzt durch
6^ Kilom. Küstenland vom Meere getrennt Das Wachsthum des Po-Delta scheint
in den letzten Jahrhunderten sogar wieder zuzunehmen und mag jetzt im Jahre
Die DellabildungeD. 209
OL 70 Meter betragen. Nur wenige Meter (1—5) beträgt das Wachsthum vieler
anderer Delta's z. B. der Donau, des Nil, des Tiber, des Simeto in Sicilien u. A,
So gewinnen natürlich nun auch die Zahlen, die sich berechnen lassen, wenn
man einer Altersbestimmung diese Werthe für das jährliche Wachsthum zu Grunde
legt, eine selbst für ein und dasselbe Delta sehr schwankende Grösse. Ohne
Zweifel sind bei einzelnen Altersberechnungen grosse Uebertreibungen die Folge
davon. FUr den Mississippi stehen sich Werthe gegenüber wie die folgenden;
Das Alter des Delta's soll betragen
4400 Jahre nach Humphrevs.
33000 „ „ V. Kl.ÖDE(J.
67000 „ „ Lyell.
136000 „ „ Vogt.
Der Unsicherheit dieser Resultate gegenüber, die sich in ganz gleicher Weise
t- B. auch für die Altersbestimmungen des Nildelta ergiebt, erscheint es jeden-
Ulis nicht gestattet, ohne Weiteres die höchsten Werthe zu geologischen Specu-
ladonen zu verwenden, im Gegentheile scheint uns die Geologie, wenn alle
hjnzelheiten wohl erwogen werden, eher davon zurückzuhalten, gerade an den
iJelta's so schwindelnde Zahlen abzulesen.')
Man wird sich für die Delta's mit ganz allgemeinen, relativen Alters-
l'cstimmungen in der Regel begnügen müssen, so wie sie sich aus den Lagerungs-
verliältnissen und dem Studium der in den ältesten und tiefsten Ablagerungen
«ines Delta's eingeschlossenen organischen Reste ergeben. Dann findet man
als ganz allgemeines Resultat, dass wohl bei keinem Delta die ersten Anfänge
seiner Bildung über die Schwelle der Gegenwart, geologisch gesprochen, hinaus-
reichen, sondern dass sie alle auf Unterlagen aufgeschüttet sind, die den jüngsten
/leiten der diluvialen Epoche oder sogar älterem Alluvium angehören und dass
die in ihnen begrabenen Pflanzen und 'Jhiere noch jetzt an jenen Stellen leben-
den, kaum veränderten Gattungen angehören.
Wenn es auch im Vorhergehenden mehrfach ausgesprochen wurde, dass alle
fJekabildungen auf die gemeinsame Ursache der Ablagerung fluviatiler Sinkstoffe
\or der FlussmUndung zurückgefUhn werden müssen, so ist doch damit allein
ihre Entstehungsweise keineswegs ganz erklärt: Die ^'eTschiedenheite^ in der
litstaltung , dem Wachsthum der Delta's lassen noch andere mitwirkende
Factoren erkennen. Ganz besonders erscheint es auflallend, dass nicht alle Flüsse
deltabildend sind, sondern sehr viele jeder vorgelagerten Deltaablagerung zu ent-
iiehren scheinen, obschon man doch keinem Flusse den gänzlichen Mangel an
binkstoffen zuschreiben kann.
So erscheint denn die Möglichkeit der Delubildung an gewisse Bedingungen
geknüpft zu sein, die unabhängig sind von der blossen sedimenlirenden Thätig-
leit. die allen fliessenden Wassern in wechselndem Grade gemeinsam ist.
Am nächsten liegt es, ein gewisses Maass an suspendirten Bestandthejlcn,
einen grösseren Reichthum an Sinkstoffen als erste Bedingung zur Delubildung
uizunehmen, so dass die daran ärmeren Flüsse nicht deltabildend werden könnten.
Ircilich ist der Betrag an mitgefiihrten Bestandtheilen bei den Flüssen, die ganz
l*sondeis schnell wachsende und grosse Delta's besitzen, auch ein ungewöhnliiO»
[.oher. So ist es gewiss richtig, das Maass des VVachsthums in Abhängigkeit zu setzet)
'; Veigl. Th. KjERULFt Einige Chronometer der Geologie. U1«T>eUl »un Dr. R. Loot^^v
Shtha 1S80. C HabeL
t^>'.<i<^n. Min., Gcol. u. PaJ. [. 14
2IO Mineralogie, Geologie und Pftlaeontologie.
von dem Maasse der Sinkstofie. Bei anderen Flüssen mag auch die Annuth an
Sedimentmaterial die Bildung eines Delta's verhindern, z. B. bei der Themse.
Es giebt aber viele au suspendirtem Material ganz ausserordentlich reiche Flüsse,
die dennoch keine Delta's bilden und hinwiedenim andere daran sehr arme, die
solche Ablagerungen vor ihre Mündung legen. Es kann daher der Sediment*
reichthum allein nicht die Bedingung zur Deltabildung sein.
Ebenso wenig ist es die grössere oder geringere Stromgeschwindigkeit, der
ein bedingender Einüuss auf die Deltabildung zugeschrieben werden kann. rDer
pfeilschnell dahinschiessende Mississippi, der träge dahinschleichende Nil, beide
bauen Delta's auf.«
Eine sehr wesentliche Aenderung im Maasse der bis zur Mündung eine^
Flusses gelangenden suspendirten, besonders gröberen SedimentstofTe bewirken
allerdings Binnensee'n, durch welche ein Fluss hindurchströmt. Es erscheint
wohl denkbar, dass durch den hier sich vollziehenden Klärungsprocess, die
Möglichkeit zu einer Deltabildung vor der Mündung aufgehoben werde. Dass
auch dieses aber nicht durchgreifend der Fall ist, beweist u. A. die Rhone, die
im Genfer See ein Delta bildet und doch auch ein solches vor ihre Mündung
legt, der Rhein, der trotz des Bodensee's sein Delta gebaut hat, die Newa, die
nur 60 Kilometer lang aus dem Ladogasee ins Meer fliesst und doch deltabauend
ist und manche andere.
Dass aber dennoch unter besonderen Verhältnissen, wo eben dieser Klärungv
j)rocess mehrfach sich wiederholt und dadurch sehr intensiv wirksam wird, wie
z. B. an den Flüssen von Schweden, die eigentlich nur eine Reihe verbundener
Seebecken darstellen, die Deltabildung hierdurch unmöglich gemacht ^ird, da>
ist durchaus annehmbar.
Eine Bedingung zur Deltabildung ist dann femer gewiss die nicht allzugrosse
Tiefe des aufnehmenden Wasserbeckens vor der Mündung eines Flusses. Die
mit Gerollen übermässig beladenen und zur Regenzeit mit reissendem Gefalle
ins Meer stürzenden Fiumaren an der ganzen Nordküste Siciliens bilden keine
Schuttkegel und Delta's im Meere, da hier die Küstenabfälle steil in grosse Tiefen
hinabgehen und daher die Sedimente spurlos verschwinden und auf dem Meere>-
boden ausgebreitet werden. In der That zeigen auch die meisten delta-bildenden
Flüsse vor ihren Mündungen einen seichten, wenig geneigten Meeresgrund: so djc
Flüsse der Ostsee, des adriatischen Meeres, Nil, Mississippi, Ganges und Welt-
andere. Freilich giebt es auch hier wieder Ausnahmen, so die Küstenfiumaren
an der Riviera, die trotz grosser Meerestiefen Schuttdelta's aufrichten und die trotz
flachem Meeresgrunde deltafreien Mündungen der Elbe und der Themse.
Auch das Vorhandensein vorausgebildeter Uferwälle ist nicht eine allgemeiner
Bedingung zur Deltabildung, sondern kann auch nur als ein begünstigender Um
stand gelten; gerade an den ins offene Meer hinaus mündenden und deltabilder>
den Flüssen fehlen diese Uferwälle oder Nehrungen ganz. Die Delta's wachsen
aber selbst dort, wo solche vorhanden sind, später ruhig über den Strandwa'
hinaus.
Auch der Einfluss der Gezeiten auf die Deltabildungen ist weder in be-
stimmter Weise als so störend, noch als so fbrdemd zu erkennen, dass nir die
Deltaentstehung als irgendwie von ihnen abhängig anzunehmen vermöchten.
Dass gewisse Strömungen im Meere auf die Gestaltung der Deltabildun|:en
Kinfluss haben, sowie natürlich die in Flüssen sich ablagernden Delu's immer
al>wärts der Mündung des Seitenflusses und nicht gerade vor derselben ihre Hau)»t
Die Deltabildungen. 21 1
Sedimente aufweisen, wurde schon im Vorhergehenden erwähnt Dass aber solche
Strömungen in höherem Maasse überhaupt als begünstigend oder verhindernd für
Deltabildungen gelten dürfen, das hat sich aus den bis jetzt vorliegenden Beob-
achtungen keineswegs ergeben. An Küsten, welche der Einwirkung derselben
Meeresströmung ausgesetzt sind, liegen oft nahe bei einander deltafreie und
deltabildende Mündungen : Amazonas und Orinoco ; und in gleicher Weise liegen
Delta's an solchen Küsten, die kaum einer erheblichen Stromwirkung ausgesetzt
sind und an solchen, bei denen diese Strömung ausserordentlich kräftig erscheint :
Mississippi, Nil.
Aber auf die Gestaltung und die Grösse und ganz besonders auch auf die
Richtung des Wachsthums der Delta's üben Meeresströmungen einen sehr viel-
artigen Einfluss aus, zu dem sich in ähnlicher Weise wirkend auch noch die
Thätigkeit der Winde hinzugesellt: diese besonders durch die von ihnen bewegten
Meereswellen zerstörend und aufbauend, aber immer umgestaltend, und in
manchen Fällen wol auch die Gestalt bedingend. Denn dass durch sehr vor-
herrschende Küstenwinde auch die Richtung der Ablagerungen vorgeschrieben
V. erden kann, das ergiebt sich schon daraus, dass durch diese Winde auch gleich-
sinnige W^asserströmungen hervorgerufen werden. So schiebt sich nach E. Reclus
unter dem heftigen Blasen des Mistrals das Rhone-Delta mehr und mehr nach
«ilen.
Aber keinem dieser einer Deltabildung günstigen oder ungünstigen Einflüssen
kann eine allgemeine bedingende und daher die geographische Vertheilung der
Delta's vollständig erklärende Bedeutung zuerkannt werden. Erst R. Credner hat
dieses in einer ausfuhrlichen Arbeit nachgewiesen und dann gleichzeitig es sehr
wahrscheinlich gemacht, dass dieser allgemeine bedingende Einfluss auf die
Deltabildung in den Niveauveränderungen des Festlandes, in dem Steigen und
Fallen des Meeresspiegels gesucht werden müsse. In der That scheint es von
vornherein vollkommen verständlich, dass eine noch so intensive Ablagerung von
Sedimenten vor der Mündung eines Flusses nicht dazu führen kann, dass ein
sichtbares, landfestes Delta entsteht, wenn der Boden des aufnehmenden Meeres
in einem stärkeren Maasse einsinkt, als die durch die Sedimentirung bewirkte
Erhöhung desselben beträgt. Nur dann, wenn die Sedimentirung eine so starke
ist, dass sie das Maass der Senkung zu überwinden vermag, ist auch die Bildung
von Delta's nicht ausgeschlossen. Nur an wenigen Küstenstellen scheint aber
dieses der Fall zu sein und eine von Credner in der eben angeführten Ab-
handlung gegebene tabellarische Zusammenstellung aller sinkenden und aus-
hebenden Küsten mit den ihnen zugehörigen Delta's constatirt auf das Auf-
fallendste, dass die Küstenstrecken, an denen Senkungserscheinungen nachweisbar
sind, ausnahmslos deltafreie, weit geöffnete und trichterförmige Flussmündungen
aufweisen, dagegen die in Hebung begriffenen Küsten auch ebenso mit den delta-
bildenden Flüssen zusammenfallen.
Bei einigen Flüssen ist der ursächliche Zusammenhang von Hebungs- und
Senkungserscheinungen mit der Deltaentstehimg ganz besonders deutlich. Der
Rhein hat in früheren Zeiten ein sehr ausgedehntes Delta gebildet, dessen land-
wärts gerichtete Spitze etwa bis in die Nähe von Emmerich verlegt werden kaim,
dort wo die Dreitheilung in Waal, Leck und Yssel sich vollzieht. Jetzt baut der
Rhein sein Delta nicht weiter, im Gegentheil sind seine und der Maas und Scheide
Mündungen weite trichterförmige Buchten oder latente Delta's. Zahlreiche
Sachen und besonders die wiederholten Einbrüche des Meeres documentifen
14*
212 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
gleichzeitig die noch fortdauernde einsinkende Bewegung der ganzen niederiändi-
schen Küsten.
Alle Flüsse des mexicanischen Meerbusens sind ganz besonders deltabildend
und die Versandung der Häfen und die Bildung von Inseln und Nehrungen ist
dort schnell fortschreitend. Gerade hier aber sind auch allenthalben andere
deutliche Beweise für die aufsteigende Bewegung dieser Küsten vorhanden.
Ganz besonders beweisend aber erscheinen die durch v. Richthofen*) mit-
getheilten Erscheinungen an der Ost-Küste von China. Hier grenzen in der in
den Tshusan- Inseln auslaufenden Gebirgskette ein nördliches Hebungs- und ein
südliches Senkungsgebiet aneinander, dadurch haben die ungeheuren Anschwem-
mungen der Riesenströme des Nordens eine landfeste Ebene erzeugt, während
die allerdings geringeren der südlichen Flüsse unter Wasser bleiben.
»An der neutralen Stelle in der Mitte umsäumen breite Schlammbänke im
Niveau der Flut das Land. Sollte sich die Bewegung umkehren, so würde die
nördliche Ebene unter dem Meere verschwinden, im Süden aber ein Küstenstrich
von Alluvialland geschaffen werden.«
So lässt sich das Gesetz der Deltabildung etwa so in allgemeinster Fassung
und Kürze ausdrücken:
AlVe Flüsse lagern vor ihren Mündungen Sedimente ab, deren Ge-
staltung, Anordnung und Beschaffenheit durch locale Einflüsse sehr
verschieden werden kann. In den ersten Phasen sind alle Ab-
lagerungen dieser Art latent, d. h. vom Meere oder aufnehmenden
Wasser bedeckt. Ob sie aus der Phase latenten Bestehens in die des
eigentlichen, sichtbaren Delta's übergehen, das hängt in erster Linie
davon ab, ob die Küste in auf- oder abwärts gerichteter Bewegung be-
griffen ist. Einsinkende Küsten oder aufsteigendes Meeresniveau ge-
statten nur die Bildung latenter All u vi onen; an Stelle sichtbarer Deltas
erscheinen hier die trichterförmig erweiterten Flussmündungen oder
Aestuarien, daher mit Recht auch als negative Delta's bezeichnet.
Sichtbare oder positive Delta's sind nur an aufsteigenden Küsten
d. h. mit sinkendem Meeresniveau möglich.
Hierdurch gewinnt denn auch die Eintheilung der Deltabildungen in latente,
oder negative und sichtbare oder positive ihre genetische Begründung.
Die geologische Bedeutung der Deltaablagerungen für die Gestaltung und
Verändenmg der Festlandsmassen geht aus der Betrachtung der Grösse und
Mannigfaltigkeit der sichtbaren Delta's vor allem hervor, wenngleich auch die
latenten Ablagerungen sowohl in der Erhöhung und Ausebnung des Meeresbodens,
als auch in der erhöhten Belastung desselben geologische Arbeit leisten. Von
dieser wird noch an anderer Stelle die Rede sein.
Die wesentlichsten Veränderungen in den Reliefs und Conturen der Conti-
nente durch sichtbare Delta's sind: Erhöhung der Uferdämme und nach und
nach ganzer Uferlandschafben im Unterlaufe deltabildender Ströme; Vereinigimg
vorliegender Insel gnippen durch vorrückende Delta's mit dem Festlande; Ver-
schmelzung mehrerer Delta's und der ihnen zugehörigen Flussgebiete zu einem
einzigen; Ausfüllung von See'n und Binnenmeeren; Theilung von See'n und Ab
schnürung von Meeresbuchten und hierdurch erfolgende Neubildung abgeschlossener
Seebecken.
•) Zeitsch. d. Deutsch, geolog. Gesch. 1874. pag. 957; auch bei Credner, l. c. pcg. 71
Devonisches System. 213
In dem Nachweise und der Erforschung deltaähnlicher Ablagerungen und
ihrer Verhältnisse in den älteren Formationen eröffnet sich noch ein vielfache
Resultate versprechendes Gebiet geologischer Untersuchung.
Literatur: Crrdner, R.. Die Deltabildungen in Petermann's Mittheilungen 1878, Er-
ginznngsband. Lyell, Ch., Principles of Gcology. Cap. 18 u. 19. 10. Edit. London 1874.
Reclüs, Eusee, La terre. Tome ü. Paris 1869. Stoppani, Antonio, Corso die Geologia,
Cip. Xm. Vol. L Milano 1871. Vogt, C, Geologie. Bd. 11. III. Aufl. Braunschweig 1876.
Devonisches System
von
Dr. Friedrich Rolle.
Unter dem Namen devonisches System begreift man eine bis zu ein paar
Tausend Meter mächtige Schichtenfolge, welche das silurische System über-
lagert und gleichwie dieses vorwiegend aus thonigen oder sandigen Ablagerungen,
besonders Thonschiefer, Sandstein, Grauwackenschiefer, Conglomeraten u. dergl.
besteht imd dazwischen noch Lager von Kalkstein oder Dolomit eingeschaltet
enthält, seltener auch wohl geringere Flötze und kleinere Nester von Alaunschiefer
Anthracit, Rotheisenstein u. s. w. beherbergt. Ueberlagert wird dies Schichten-
system von den unteren Schichten der Steinkohlenformation oder des carbonischen
Systems und zwar in der Regel vom meerischen Kohlenkalk (Mountain Lime-
^tone). Seinen Namen hat das devonische System von seinem Vorkommen in
der englischen Grafschaft Devonshire.
Hierher gehört namentlich der sogen, alte rothe Sandstein (old red sand-
stone) der Engländer, welcher in Süd-Wales und in Schottland entwickelt erscheint.
Dann das rheinische Grauwackenschiefer-Gebiet, welches der Rhein in einer tiefen
Rinne zwischen Bingen und Bonn durchbricht, femer der fossilreiche Eifeler Kalk-
stein, die Rotheisensteine von Nassau und Westphalen u. s. w.
Für die Abgrenzung des devonischen vom silurischen System ist vor Allem
das massenhafte Auftreten der Graptolithen im Silur und das vollständige Fehlen
derselben im Devon ein entscheidendes Merkmal. Gleichwohl bleibt eine ge-
wisse Schichtenfolge an der Grenze der beiden Formationen noch einigermassen
in Zweifel. Die Grenze nach oben bestimmen Trilobiten, z. B. das letzte Vor-
kommen von Phacops latifrons Bkonn und anderer Arten.
Die in der Silurformation schon ausgesprochene Ablösung der jeweiligen Lebe-
welt einer Zone durch eine neue Flora und Fauna in der darüber folgenden Zone
vetzt sich im devonischen System fort. Eine grosse Anzahl in der silurischen
Lcbewelt vertretener Arten, Gattungen und Familien sind im devonischen System
bereits erloschen z. B. die Graptolithen, die Cystideen, die Lituiten, eine Anzahl
von Trilobiten-Gattungen wie Calymme und AgtiostuSy auch einige Korallen, z. B.
Hdysites. Nur die Minderzahl reicht in dieses fort, namentlich nur wenige
Arten, z. B. von Brachiopoden, Airypa reticularis, Strophotnena depressa u. s. w.
Neue Arten, oft auch neue Gattungen und Familien treten an die Stelle der
erloschenen Formen und mit ihnen macht sich eine ausgesprochene Ausbildung
böher organisirter Lebewesen geltend. Namentlich tritt das Land- und Luftleben
mit einer bereits formenreich entwickelten Landflora auf den Schauplatz und es
mag auch damals schon eine gewisse Thierbevölkerung das Festland bewohnt
baben, deren Reste uns allerdings bis jetet in fossiler Erhaltung noch nicht bc-
i^aont geworden sind.
214 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Im Grossen und Ganzen sind für die gestiegene Ausbildung der organischen
Welt im devonischen Zeitalter folgende documentirte Erscheinungen bezeichnend:
In der Landflora werden die Vertreter häufiger. Die Gefasspflanzen sind in
wachsender Entwicklung. Hier erscheinen bereits Calamiten, Famen, Lycopodia-
ceen und Coniferen. In der Meeresfauna zeigen sich namentlich die Fische in
entschiedener Zunahme an Zahl der Arten, der Gattungen und der Familien, da-
bei erscheinen die Ganoiden hier in einigen riesenhaften Gestalten. Eckschuppige
Ganoiden erscheinen hier zum ersten Male. Amphibien und Reptilien sind hier
noch nicht bekannt. Vieles im Fortschritt der Lebensformen entgeht uns noch
zufolge unserer geringen Bekanntschaft mit der Lebewelt des damaligen Festlandes.
Es ist aus guten Gründea anzunehmen, dass im devonischen Zeitalter das Fest-
land ausser einer reichlich entfalteten Landflora auch schon Landthiere und Süss-
wasserthiere z. B. Würmer, Insekten, Krebse und Amphibien besass. Die Land-
fauna des nachmals folgenden Steinkohlensystems reizt uns zu einer solchen Ver-
muthung. Ihre Reste sind aber noch nicht gefunden. Auch mögen die Mehr-
zahl von zartem Bau und zu weich ftir fossile Erhaltung gewesen sein.
Jedenfalls war in der devonischen gleich wie in der silurischen Zeit das Meer
vorwiegend. Die devonischen Ablagerungen gehören alle noch dem Meere an
und selbständige Land- und Süsswasser-Schichten sind noch nicht beobachtet.
Doch ist im Meeresgebiet des devonischen Systems der Gegensatz der besonderen
Facies schon beträchlicher als im Silur-System. Absätze aus tieferem und aus
seichterem Meer treten in grösserem Maassstabe hervor.
Korallenreiche RifFbildungen, welche neben zahlreichen Stern- und Röhren-
Korallen auch Reste von Crinoideen, Brachiopoden, Trilobiten u. s. w. führen,
lassen sich in vielen devonischen Kalklagem — in ausgezeichneter Weise nament-
lich in den Kalksteinen der Eifel — erkennen und stellen die Absätze aus seich-
teren Meeresgewässem dar. Nehmen wir unsere heutigen tropischen Riff-Korallen
zum Ausgangspunkt, so werden wir auf 30, 40, 50 Meter Tiefe geführt Auch
muss die Riffbildung ausserhalb des Einflusses grösserer Festland-Ströme ange-
nommen werden. Aber auch eine Region der offenen See mit grösseren Meeres-
tiefen muss damals schon bestanden haben und in ihr mag die Hauptheimath der
devonischen Pteropoden und Cephalopoden gesucht werden.
Gleichen Alters, aber unter anderen Ablagerungsbedingungen entstanden ist
die in Schottland und Süd-Wales weit ausgedehnte Schichtenfolge des old red
sandstone. Sie ist von der mehr pelagischen Facies der Devonformation ver-
schieden in Gestein und in Fossileinschlüssen. Es ist eine Schichtenreihe von
Conglomeraten und Sandsteinen mit zahlreichen Resten von gepanzerten Ganoiden
'.Pterickthfs, Coccosfeus, Cephalaspis) sowie von Dipterinen (Dipterus^ OsttoUpts
und «inderen Ganoiden-Formen. Hier fehlen die Korallen und Brachiopoden fast
gani. ebenso auch die Cephalo[>oden und Trilobiten. Offenbar ist der old red
eine Ablagerung aus einem flacheren Meeresgebict in der Nähe eines Festlandes,
dessen Flüsse eine reichliche Zufuhr von Sand, Lehm und Gerollen hereinbrachten.
Der old red ist also das litorale. Welleicht selbst brackische Aequivalent der mehr
pelagischen übrigen Ablagerungen der Devon-Formation. Das Fehlen der .\n-
thojrocn und der Brachiopoden kann auf theilweise durch festländisches Fluss-
wasser ausgesussie seichtere Meeresbecken oder Buchten bezogen werden, aber
eine si^eciüsche Hrackwasserfauna ist hier ^ne überhaupt in allen älteren Forma-
tionen noch nicht ausgebildet.
Fs gab sicher in der de^onischen F|KM:he schon Festlander und Inseln. Sic
Devonisches System. 215
beherbergten stellenweise SUsswassersümpfe und einen vielleicht hier und da sehr
reichlich entfalteten Pflanzenwuchs, der auch schon Kohlenlager erzeugt haben
kann. Einschlüsse von Calamiten, Famen, Sigillarien, Lepidodendren und Coni-
feren in devonischen Schichten verkünden die Vegetation des nahen Festlandes.
Es treten auch schon in der devonischen Schichtenreihe — wenn gleich nur
selten und geringmächtig z. B. im Cypridinen-Schiefer von Nassau — Flötzchen und
Nester von Anthracit auf. Wir wissen aber nichts Näheres über die Art ihrer
Entstehung.
Man gliedert gewöhnlich die devonische Formation in drei engere Schichten-
gruppen ab, die sich auch über grosse Gebiete hin ziemlich sicher verfolgen
lassen.
Das untere Devon besteht in Deutschland vorwiegend aus Sandsteinen, Sand-
schiefem (oder Grauwackenschiefem) Thonschiefem (u. a, Dachschiefer). Dahin
gehört namentlich der rheinische Grauwackenschiefer mit zahlreichen Brachiopoden
besonders Spirifer macropttrus Goldf.) zahlreichen Abdrücken und Steinkemen
von Crinoideen-Stielen (oder sogen. Entrochiten), femer Steinkemen von Pleuro'
dicfyum prohlematicum Gf. (eine Koralle von zweifelhafter Stellung) hie und da
auch Trilobiten (besonders Homalonotus)^ endlich auch oft mit Zweischalem, wie
PUrmea, sowie vielen Brachiopoden- Arten.
Das mittlere Devon ist in Deutschland besonders durch Kalksteine vertreten,
zu denen namentlich der Eifeler Kalk gehört, an anderen Stellen durch thonig-
sandige Ablagemngen, wie namentlich in Westphalen. An vielen Stellen, wie zu
Gerolsteb in der Eifel und zu Villmar in Nassau führt der Devonkalk (oder
Stringocephalenkalk) zahlreiche wohlerhaltene Meeresfossilien. So namentlich
Korallen, wie CyathophyUum helianthoidts ^ C, caespitosum , Favosites cervicornis
AheciUes suborbicularis , Aulopora repens u. s. w. Ferner Brachiopoden, wie
StringccepheUus Burtini, Uncites gryphus, Spirifer specidsus, Orthis umbraculum.
Auch manche Acephalen, Gasteropoden (wie Murchisonia und Macrocheilus) und
Cephalopoden (besonders Arten von Orthoceras und Cyrtoceras) sind häufig. Die
Trilobiten kommen noch in mehreren Gattungen vor. Von ihnen ist Phacops ia-
tifrons Bronn zu Gerolstein häufig und oft vortrefflich erhalten. Fischreste sind
hier eine Seltenheit. Aber Crinoideen in armtragenden Kelchen wohlerhalten und
häufig zu Gerolstein wie selten an einem andem Ort. So namentlich die grossen
geschlossenen Kelche der CupressocrinuS' Arten.
Das obere Devon besteht in Deutschland aus wechselnden Lagem von
Schiefem, Kalksteinen imd Sandschiefem. Hier treten Goniatiten und Clymenien
besonders in den Vordergnmd. In anderen Schichten von feinem Thon sind
Cypridinen-Gehäuse in zahllosen Mengen ausgestreut (Weilburg, Dillenburg).
Es giebt endlich auch eine Brachiopoden-Facies des oberen Devon und für diese
ist Spirifer Vemeuili (S. disjunctus) bezeichnend.
In Südwales und in Schottland, auf den Orkneys und den Shetlands-Inseln
ist die devonische Formation vorzugsweise durch Sandsteine und Conglomerate
vertreten, die meist eine braunrothe ocherige Färbung zeigen. Dies ist der alte
rothe Sandstein oder old red sandstone der Engländer. Er wird ein Paar tausend
Meter mächtig. Dies ist ein eigenthümlich geartetes Aequivalent der drei Stufen
des Devon zusammen. Hier fehlen Korallen, Brachiopoden, Cephalopoden,
Trilobiten so gut wie ganz. Dafür treten hier die Fische in bemerkenswerther
Häufigkeit hervor, nur von Estherien und sehr wenig anderen Fossilien begleitet.
Hier ist die Hauptlagerstätte der gepanzerten Ganoiden, namentlich des Ctphalas-
2i6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
pis Lyeilt Ac. und des Coccosteus decipiens Ag. — die ypiscina närabiÜS' von
Cacthness wie R. Owen sagt.
Bei Dorpat und anderen Orten in Russland erscheint das obere Devon in
derselben Facies wie das ganze Devon oder der old red sandstone in Schottland.
Auch die Ostseeprovinzen sind reich an Resten grosser gepanzerter Ganoiden.
Die Knochen und Panzerplatten von Asterolepis und Bothriolepis aus diesem Gebiet
deuten auf Thiere von etwa 6 bis lo Meter Länge. Dies sind rundschuppige
Ganoiden (Cycliferi),
Nach dieser allgemeinen Erörterung des devonischen Systems betrachten
wir im Einzelnen die in demselben fossil vertretenen Klassen und Ordnungen
der Pflanzen- und Thierwelt.
Die Meeres-Algen oder Fucoideen treten in den devonischen Ablagenmgen
so reichlich wie im silurischen System auf, sind aber auch hier meist nur un-
deutlich erhalten imd gewöhnlich so gut wie unbestimmbar, übrigens auch hier
in manchen Schichten in grosser Menge der Exemplare abgelagert. Gattungs-
namen haben hier nur annähernde Bedeutung. H€Uiserites Dechenianus Goefp.
ist in gewissen Lagen des rheinischen Thonschiefers und Grauwackenschiefers in
reichlichen Mengen erhalten. Das Laub ist bandförmig und trägt in der Mitte
eine erhabene Rippe. Die Spitzen sind eingerollt, was sonst bei Algen nicht vor-
kommt. Chofidrites antiquus Goepp. (angeblich nicht zu unterscheiden von si-
lurischen Funden) ist an vielen anderen Stellen in den rheinischen Schiefem in
grosser Zahl zu erkennen, u. A. bei Coblenz. Der Thallus dieser Art ist ähnlich
wie bei der heutigen Gattung Chondria in drehrunde Aeste und Aestchen ver-
zweigt, aber generische Merkmale sind auch hier nicht erhalten.
Die Landvegetation der Devon-Epoche ist in fossilen Resten überhaupt nur
spärlich in den Meeresablagerungen vertreten, aber diese spärlichen Funde er-
weisen schon eine grosse Anzahl von Gattungen, Familien und Ordnungen. Die
Landvegetation ergiebt sich darnach — im Vergleich mit den vorausgegangenen
sehr wenigen Funden aus dem oberen silurischen System — in beträchtlicher
Zunahme begriffen. Mehrere devonisch beginnende Gattungen und Familien sind
schon dieselben, die nachfolgend in der Steinkohlenformation in weit reicherer
Vertretung an Arten imd Individuen-Menge sich wiederholen und hier da>
Material zur reichlichen Aufspeicherung von pflanzlichem Kohlenstoff geliefen
haben. Von letzterem zeigt das devonische System, wie oben schon bemerkt
wurde, nur dürftige Spuren. Besonders reich an Resten von Landpflanzen sind
die Cypridinen-Schiefer (oberes Devon) von Thüringen und einige devonische
Schichten in Nord-Amerika.
Die Gefasscryptogamen sind bereits durch Calamarien, Farnen und LycojH^-
diaceen vertreten.
Die Calamarien oder Calamophyten, deren Vertreter in der Flora des heu-
tigen Tages die Equiseten sind, erscheinen in devonischen Schichten mit ver-
schiedenartigen Calamiten und verwandten Gattungen, die man aber erst in zer-
streuten schwer nach ihrer Zusammengehörigkeit zu ordnenden Fossilresten kennt
Unger beschrieb aus Thüringen seltsame Calamophyten-Gattungen, von denen
er den anatomischen Bau des Strunkes oder Stengels beschrieb, ohne die übric«. i
Theile des Pflanzenköq)ers ermitteln zu können. Dahin gehören Haplocalamu^,
Kaiymma, Caiamopteris ; femer Caiamopitys, eine calamitenartige Holzpflanzc nr»
centralem Holzkörper, der die Mitte eines Markes oder Parenchyms einnimmt.
Ausser diesen Strünken und Stämmen kennt man auch schon beblätterte Zwcikt
Devonisches System. 217
me Asttrophyllites, die man theils als Arten einer eigenen Ordnung betrachtete,
fheils (und neuerdings) für Zweige und Blätter grosser baumartiger Calamophyten
nimmt. Dies alles gewährt erst einen knappen Einblick in eine devonische Cala-
mophyten-Flora, die von sehr eigentümlicher Organisation gewesen sein mag und
imithmaassltch Stammformen später erst in engerem Rahmen specificirter Familien
und Ordnungen enthält.
Von Famen kennt man aus dem devonischen System nach Wedeln und
Wedelstielen (Rhachiden) eine ganze Reihe von Arten und Gattungen, wie
Cyciopteris, Neuropkris, Sphenopteris^ Pecopteris u. a.
Reichlich vertreten müssen in der devonischen LandHora auch die Lycopo-
diaceen oder Lepidophyten — die Stamm-Formen der heutigen Bärlapp-Ge-
wächse — gewesen sein. Man kennt eine ganze Reihe von solchen, die sehr
verschiedene Familien andeuten. Lepidodendrotiy schon im oberen Silur nach-
gewiesen, ist auch in devonischem Vorkommen bekannt, erreicht aber den Gipfel
seiner Entwickelung erst in der Steinkohlenformation. Mehrere LycopoditeS'kxX&n^
den heutigen Lycopodien schon sehr ähnlich, werden aus devonischen Schichten
aufgeführt, bald als beblätterte Zweige, bald in Form von rohen Aststücken, über
deren Charakter erst die mikroskopische Untersuchung von Dünnschliffen einiger-
maassen Auskunft giebt.
Sehr wohlerhalten und gut bekannt ist eine devonische Lycopodiaceen-
Gattung Pstlophyton^ die Dawson aus Nord-Amerika (New- York und Canada) be-
st h rieb. Es sind kriechende Stämmchen (Rhizome), welche aufsteigende beblätterte
Zweige tragen. Man kennt von ihnen auch die klappig aufspringenden Frucht-
kapseln (Sporangien), die schon ganz denen der heutigen I^ycopodien entsprechen.
Im Devonischen System beginnen auch die Phanerogamen, Man kennt schon
Stengel mit Laub von Noeggerathia, einer den heutigen Cycadeen mehr oder
minder nahe stehenden Gattung. Die Coniferen oder Nadelhölzer sind in devoni-
schen Schichten von Nord-Amerika bereits durch eine Anzahl von Araucariten
(Dadüxylon) vertreten. Unger beschrieb aus dem Cypridinen-Schiefer von Saal-
feld in Thüringen Stammstücke und Aeste einer sehr merkwürdigen Conifere,
Apcroxyion prhnigenium, nach mikioskopischen Dünnschliffen. Sie zeigt einen
centralen Markcylinder und um diesen einen geschlossenen Holzcylinder mit
Markstrahlen, aber ohne Abtheilung in besondere Jahreslagen oder Jahresringe.
Merkwürdiger Weise fehlen dieser devonischen Conifere die Poren (Tüpfel) des
Proscnchyms, die sonst bei allen Coniferen auftreten.
Die devonische Landflora ist darnach im Wesentlichen als der Beginn der
Landflora der Steinkohlen-Epoche zu bezeichnen. Viele Gattungen und Familien
>ind beiden gemeinsam. Die fossil bis jetzt aus devonischen Schichten nachge-
'viesenen vegetabilischen Reste erweisen schon das damalige Vorhandensein einer
reichlich gegliederten Land- und Süsswasser-Vegetation, die bereits schon Nadel-
hölzer -und andere Phanerogamen enthielt. Nachfolgend in der Steinkohlen-
Epoche gewann diese Flora eine mächtige Fülle mit ausgesprochener Riesen-
haftigkeit des Wuchses. Im devonischen Zeitalter scheint dies noch nicht der
Fall gewesen zu sein, sei es nun, dass die maassgebenden äusseren Bedingungen
des Festlandes (z. B. feuchte Niederungen) noch nicht gegeben waren, oder dass
die damaligen pflanzenreichen Bodenbildungen nachmals wieder abgetragen
ATirden. Wir kennen die devonische Festland -Flora nur aus spärlichen Funden,
welche aber eine reichlich entwickelte von den Algen bis zu den Coniferen aus-
gebildete Vegetation verkünden. Von ihr ist uns sicher erst der geringste Betrag
2i8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
bekannt und namentlich liefern die Fundstätien von Nord-Amerika noch neue
Aufschlüsse.
Dieselben Klassen imd Ordnungen nieder organisirter wirbelloser Thiere,
die im silurischen System nachgewiesen sind, pflegen auch in den devonischen
sich zu wiederholen oder ihre Vertreter fehlen auch wohl durch Ungunst beson-
derer minder geeigneter örtlicher Erhaltungsbedingungen.
Recepiaculites Neptuni Defr. ist ein wichtiges Leitfossil der devonischen
Schichten, aber von unsicherer Beziehung zum System der heutigen Thierwrek
Es sind 12 — 22 Centim. Durchmesser erreichende kalkige Thierstöcke, manchen
Seeschwämmen scheinbar ähnlich, aber bei genauerer Untersuchung kcineswe^
mit denselben übereinstimmend. Vielleicht ist es ein grosser Rhizopoden-Stock,
Hierauf deutet ein System feiner Kanälchen, welches die Wandungen der im
Stock eingeschlossenen Kammern mit der äusseren Oberfläche desselben ver-
bindet.
Reichlich wie im silurischen sind auch im devonischen System die Antho-
zoen vertreten und bilden auch in diesem, wie namentlich in den Kalklagem
der Eifel ansehnliche Korallen-Riffe. Wie im silurischen System sind es wieder
meist vierzäh lige Korallen, Zoantharia rugosa vom typus tetratneraUs oder Tetrü-
corallia und Tabulaten, sowie Röhrenkorallen von unsichrer systematischer
Stellung. Viele der Gattungen sind überhaupt beiden Formationen gemeinsam,
auch manche Arten fast speciflsch ident.
Am häufigsten in den devonischen Kalklagern ist von Tetrakorallien die
Gattung Cyathophyllum mit einer Anzahl Subgenera. Ein ausgezeichneter Vertreter
ist Cyathophyllum helianthoides Goldf. Diese Art erscheint bald in einzeln
bleibenden Individuen, die kreisrund und flach kegelförmig sind, bald in ausge-
breiteten plattenförmigen Individuen-Stöcken, deren Individuen sich an der Ober-
fläche polygonal zusammendrängen. Die Sterne zeigen bei der einen wie bei derande-
ren Gestaltung sehr zahlreiche (60 — 80) und unter einander fast gleich starke Septen,
die bis zum Mittelpunkt reichen, wo sie etwas unregelmässig werden. Diese Art
ist häufig im Eifeler Kalk zu Gerolstein u. a. O. Auch Cyathophyiium caespüc-
sum Goldf. ist gemein im Eifeler Kalk und tritt oft z. B. zu Bensberg bei Cöln
als HauptrifflDilder auf. Die Individuen sind bei dieser Art walzenförmig, ver-
mehren sich durch gabiige Theilung (gtmmation calkinale) und bleiben mehr
oder minder frei, ohne sich zusammen zu drängen. Septen dünn, 40 — 50.
Cystiphyüum Lonsd. steht den Cyathophyllen nahe, ist aber ausgezeichnet
durch die im Verlaufe des Wachsthums vor sich gehende blasenförmige Auf*
flülung des Kelchs, wobei der Septalapparat verkümmert und nur randlich
bleibt. Cyst. vesiculosum Goldf. bildet grosse walzenförmige Individuen von
2 — IG Centim. im Durchmesser und ist häufig mit den vorigen zu Gerolstein u. a. 0.
Zu den Tetrakorallien zählt man neuerdings auch ein wichtiges palaeozoische^
Fossil, die Gattung Cakcola Defr., die lange den Brachiopoden, denen sie durch
ein mit einem Deckel versehenes ungleichklappiges aber gleichseitiges gehjuisear-
tiges Kalkgebilde ähnelt, zugezählt wurde, wiewohl immer Bedenken verlauteten
Neuere Palaeontologen betrachten Calceola als eine Deckel-Koralle der Ordnunc
TetracoraUia, Die Wohnzelle ist pantoflelförmig, eher noch einer Schuhsiäuc
ähnlich, mit sehr tiefem Kelch, aussen mit einer runzlichen Schichte (Epiil^.ek
belegt. Die Septen sind schwach entwickelt und mehr oder minder als erhabene
Längslinien zu erkennen. Das Hauptseptum liegt in der Mittellinie des Kelche?-
und wurde früher, als man Calceola zu den Brachiopoden zählte, für einen Theil
Devonisches System. 219
des Schlossapparats genommen. Calceola sandalina Lam. wird 2,5 — 5 Centim. lang
und findet sich häuüg und in guter Erhaltung zu Gerolstein n. a. O. in der Eifel,
ferner in Abdrücken und Steinkernen in dem mit dem Eifeler Kalk gleich alten
Grauwackeschiefer von Westphalen. Andere Calceola- Arttn kennt man im oberen
Silur und im Kohlenkalk.
Die Tabulaten (fypus hexameralis) treten ähnlich wie im obersilurischen Kalk,
häufig auch im Eifeler Kalk oder der Mittelregion des devonischen Systems auf.
Favosites Gold/ussi d'Orb. von Gerolstein weicht nur wenig vom silurischen
Favosites Gothlandicus Lin. von Gothland ab. Favosites cervicornis Blainv.
fCalamopora polymorpha Goldf. zum Theil) bildet walzige Stöcke mit walzigen
dicht an einander gedrängten, durch reihenständige Poren mit einander verbun-
denen Wohnzellen. Gemein im Eifeler Kalk zu Bensberg bei Cöln und zu
Gerolstein. Alveoliies suborbicularis Lam. (Calamopora spongites Goldf. zum
Theil) bildet mehrere Centim. grosse Stöcke mit zahlreichen kleinen Wohnzellen
und überwuchert lagenweise andere Korallen. Die Mündungen der Wohnzellen
bind unregelmässig verbreitert, etwas dreiseitig, ein einzelnes Septum ist deutlich
ent^^ickelt. Diese schwammähnlichen Korallenstöcke sind mit voriger Art häufig
zu Bensberg und Gerolstein.
Hierzu kommen im devonischen Kalk eine Anzahl Röhrenkorallen von pro-
blematischer Stellung im System. Aulopora ist eine dem devonischen System allein
eigene Gattung. Aulopora repens Walch (Tuhiporites serpens Schloth.) ist eine
häufige und bezeichnende Röhrenkoralle des Eifeler Kalkes von Bensberg und
Gerolstein. Der Stock kriecht auf Alveoliten, Favositen, Cyathophyllen in Netz-
form umher und vermehrt sich reichlich durch Sprossen, die dicht neben den
Röhrenmündungen (dem freien Austritt der Thierindividuen des Stockes) hervor-
brechen. Man stdlt die Auloporen neuerdings zu den Tubiporiden (typus octo-
rmralis,)
Häufig und schön erhalten erscheint zu Gerolstein die mit ausgezeichnetem
12 zähligem Septalapparat versehene Astraea porosa Goldf., Heliolites. Diese Art
<chliesst sich dem silurischen Heliolites interstincta unmittelbar an. Man zählt
beide neuerdings zu den Helioporiden (typus octomeralis.)
Noch bleibt uns ein wichtiges Leitfossil des rheinischen Grauwackenschiefers
'u erörtern, dessen systematische Stellung sehr problematischer Art ist. Pleuro-
d'utyon problematicum Gf. ist ein beiläufig 2,5 Centim. Länge erreichendes flaches
elliptisch kreisförmiges, fast nur in Gestalt von Steinkernen und Abgüssen vor-
konnmendes Petrefact, welches man — nach langem Schwanken auf einen
Korallenstock bezogen hat und bei den Poritiden {typus hexameralis) unterzu-
bringen pflegt. Der Stock besteht aus prismatischen polygonalen Wohnzellen,
deren Hohlraum versteinert erhalten ist und seitliche Ausläufer zeigt — welche
letztere man dahin deutet, dass sie Poren in den Wandungen der Wohnzellen
entsprechen. Die flache Unterseite zeigt eine starke concentrische Runzelung,
welche man durch Annahme eines entwickelten Epitheks des gesammten Stockes
erklärt. Damach hatte der Stock von Pleurodictyum beiläufig die Gestalt von
yfulinia unter den Favositiden des Kohlenkalkes. Die problematische Natur
dieses merkwürdigen Fossils wird nun noch dadurch gesteigert, dass man fast
•bne Ausnahme an der runzligen Grundfläche des Stockes den Steinkem eines
wurmartigen im Uebrigen vielgestaltigen Fossils findet, den man anfänglich als
einen Theil von Pleurodictyum nahm. Neuerdings nimmt man aber an, dass der
H-umiartige Körper der Steinkem einer Anneliden-Röhre (oder einer Serpula) ist,
220 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
•
auf der das Heurodictyum in der Regel sich festsetzte. Gleichviel, wie man das
Fossil erklärt, ist jedenfalls PUurodictyum problematicum ein wichtiges vielgenannte^
Leitfossil des devonischen Systems, untere Abtheilung, häufig zu Kohlen/
Ems u. a, O.
Hydroiden (Quallenpolypen) kannte man lange nicht aus dem devonischen
System. Jetzt stellt man zu ihnen die in den Eifeler Kalken reichlich verbreitete
Gattimg Stromatopora. deren schwammähnlicher Stock vordem gewöhnlich bei der
Seeschwämmen untergebracht wurde, wofür ihr unregelmässiges Maschengewebc
zu sprechen schien.
Strcmatopora besteht aus knolligen oder halbkugeligen Massen mit concen-
trisch blätterigem Bau. Zwischen den dünnen Blättern stehen feine Pfeiler, die
ein Blatt mit dem anderen in Verbindung bringen, so zwar, dass ein maschen-
weiser Hohlraum frei bleibt, der wohl von thierischer Sarkode eingenommen war.
Stromatopora concehtrica Goldf. bildet zu Gerolstein in der Eifel grosse, bis über
ein Meter Durchmesser erreichende Stöcke von parallelen meist wellig verbogenen
Kalklamellen, auf denen sich auch oft sternförmige Furchungen bemerken lassen
Ein Theil der heutigen meerischen Hydroiden bildet eine zahlreichen Polypen-
Individuen gemeinsame weiche Grundfläche, die eine kalkige Basalmasse ab-
scheidet. Auf solche an der gemeinsamen Stockbasis kalkabscheidende Hydroiden
wird von neueren Palaeontologen auch die devonische Gattimg Stromatopora Xn-
zogen. Doch kann sie auch von anderen niederen Lebewesen der älteren Meere
die zwischen Spongien und Hydroiden mitten inne standen, herrühren (E, Hackti
leitet die Hydroiden von den Spongien ab.)
Die Echinodermen sind im devonischen System — ähnlich wie im >ilun-
sehen — durch Agelacrinen, ächte Crinoideen, Blastoideen, Echiniden und See-
Sterne vertreten. Wichtig ist das vollständige Fehlen der Cystideen, die im Silur
eine Hauptrolle .spielten. Nur die den Cystideen zunächst verwandten, aber mit
der g2inzen RUckenseite angewachsenen Agelacrinen sind noch im Devonsystcir.
durch eine Art (Agelacrinus rhenanus Roem.) vertreten.
Am meisten in den Vordergrund treten die eigentlichen Crinoideen mit
becherförmigem Körper (Kelch), ausgezeichneter Entwickelung gegliederter Arme
und stark ausgebildeter gegliederter Säule, deren Glieder (Entrochiten) in Kalk-
steinen und Grauwackenschiefern oft in zahllosen Mengen abgelagert erscheinen,
im Grauwackenschiefer aber nur in Form von Abdrücken und Steinkemen er-
halten zu sein pflegen. Hier — wie im palaeozoischen System überhaupt — m'>4
fast ausschliesslich nur getäfelte Crinoideen (Crinoidea tesselata) vertreten.
Eine ausgezeichnete devonische Crinoideen-Gattung, deren Arten, wie c*
scheint, nur im devonischen System auftreten, ist CupressocrinuSt mit kräftig g^
bautem fllnfzähligem schüssel- oder becherförmigem Kelch und fünf kräftigen
gegliederten, aber ungetheilten Armen, die in Form einer Pyramide zusammen-
neigen. Ausgezeichnet schön erhaltene Cuprasocnnus-Kelche, oft noch mit der
darauf sitzenden geschlossenen Pyramide der fünf mit gerader Fuge zusammen-
schliessenden Arme, liefert der Kalk von Gerolstein, der überhaupt für woHcr-
hattene Crinoideen eine klassische Fimdstätte ist.
Die Ordnung der Blastoideen ist im Devon, wie schon im Silur, nur ^;«:.f-
lieh vertreten und erreicht eine reichliche Entfaltung erst im Kohlenkalk.
Die Echiniden erscheinen im Devon wie schon im Silur nur durch cmtce
Palechiniden vertreten.
LipidourUrus Ei/etianus Müll, mit schuppenfbrroig übereinander gcschobenefl
Devonisches System. 221
Täfelchen kommt zu Gerolstein vor. Die Täfelchen tragen zum Theil perforirte
Gelenkknöpfe, auf denen kleinere und grössere Stacheln articulirten. Das Ge-
häuse scheint eine gewisse Beweglichkeit der Täfelchen besessen zu haben.
Die Klasse der Mollusken oder Weichthiere ist im devonischen wie zu-
vor schon im oberen silurischen System durch das auffallende Vorherrschen der
Brachtopoden, wie auch der Cephalopoden ausgezeichnet, aber auch die Acephalen,
Pteropoden und Gasteropoden sind mehr oder minder reichlich vertreten.
Die gewöhnlich als Ausgangsform der Mollusken-Klasse betrachteten Bryozoen
oder Moosthiere spielen im devonischen System dieselbe Rolle wie im siluri-
s<:hen. Sie erscheinen in zahlreichen gewöhnlich netzartig verzweigten flächen-
haft ausgebreiteten Stöcken mit zahlreichen kleinen Wohnzellen der Thierindi-
viduen, aber der genauere Bau der Individuen-Zellen ist bei den devonischen
Funden meist nicht mehr zu erkennen.
Die Brachiopoden sind im Devon, wie schon im oberen Silur, ausnehmend
reichlich an Gattungen und Arten, gewöhnlich auch an Menge der Individuen
vertreten, u. a. im Kalk von Gerolstein und in der Eifel überhaupt. Viele
Gattungen sind dem Silur und dem Devon gemeinsam, auch manche Arten wie
Atryfa reticularis und Strophomena depressa,
Spirifer ist reich an Arten und liefert einige wichtige Leitfossilien. Spiri/er
speciosus GoLDF. ist häufig im Eifeler Kalk (mittleres Devon) von Gerolstein u. a. O.
Das Gehäuse ist stark in die Breite gezogen und wiid am Schlossrand 5 — 8 Centim.
breit. Vier bis sechs flach genmdete vom Wirbel ausstrahlende Falten erheben
sich jederseits der Mittelfurche der grösseren und des Mittelwulstes der kleineren
Klappe. Spirifer macropterus Goldf. ist voriger Art ähnlich, aber mit zahl-
reicheren Falten, jederseits etwa 15 oder 16. Diese letztere.Art ist bezeichnend
für den Grauwackeschiefer (unteres Devon) der Rheingegend, aber gewöhnlich
nur in Form von Steinkemen und äusseren Abdrücken erhalten.
Ein wichtiges devonisches Leitfossil ist Stringocephabts Burtini Defr. eine
grosse glatte Terebratuliden-Art mit fast kugeligem Gehäuse und oft stark ver-
längertem Schnabel der grösseren Klappe — in der seitlichen Ansicht fast einem
Eulenkopf ähnlich (woher der Name). Das Loch fiir den Muskelaustritt ist rund
und liegt in der Nähe der Schnabelspitze in einem wagrecht gestreiften Deltidium
m der grossen senkrecht gestreiften Area. Stringocephalus Burtini wird 7 — 10 Centim.
I^Toss und ist ein ausgezeichnetes Leitfossil für die mittlere Abtheilung des Devon -
^>ystenis und in schöner Erhaltung häufig zu Pafirath bei Cöln.
Ebenfalls für das mittlere Devon bezeichnend ist Uncites gryphus Defr., ein
Spiriferide mit spiralem Arm-Gerüste. Das Gehäuse ist bei dieser Art gewöhn-
lich et)i^'as unsymmetrisch, die grössere Klappe lang geschnäbelt.
Die Acephalen sind im devonischen System in vielen Gattungen und Arten
vertreten, die im Allgemeinen denen des oberen Silur einerseits, denen des
Kohlenkalkes andererseits sich nahe anschliessen.
Bemerkenswerth ist das Auftreten vieler Fterifiea-Arttn im rheinischen Grau-
^^ackeschiefer (unteres Devon) u. a. zu Koblenz, Unkel, Ems, Singhofen. Die
Pterinecn sind ungleichklappige und ungleichmuskelige Zweischaler, Aviculaceen.
Mtgalodon cucuiiatus Goldf. ist eine ausgezeichnete, grosse dickschalige Art,
die zusammen mit Stringocephalus im Devonkalk zu Paffrath bei Cöln in schöner
Erhaltung vorkommt Sie wird an 10 Centim. gross und gleicht in der allgemeinen
Fonn sehr den lebenden Isocardien.
222 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Grammysia Hamüionensis (Pholadomya anomala Goldf.) ist eine der ausge-
zeichnetsten Arten des mittleren Devon (Hamilton-Gruppe) von New York.
Die Pteropoden sind im Devon durch die stellenweise in zahllosen Mengen
auftretenden kleinen schlankkegelförmigem Gehäuse der TentaculUeS'\rXti\ \ er-
treten. Spärlicher erscheinen die schön gezeichneten grossen, vierseitig pyramidalen
Gehäuse der Gattung Conularia,
Auf Heteropoden bezieht man die in einer Ebene eingerollten symmetri-
schen Gehäuse von BelUrophon^ die zu Gerolstein nicht selten sind.
Die Gasteropoden oder eigentlichen Schnecken sind im Devon reichlich
vertreten, vermitteln die obersilurische Fauna mit der des KohlenkaJkes und reicher
mit ihren meisten Gattungen durch alle drei Etagen. Häufig sind Arten ><>:.
PUurotomaria, Murchisonia, Turbo, Capulus (Fiieopsis), Loxonema u. s. w.
Ausgezeichnet durch treffliche Erhaltung ist die grosse schöne Art Macro-
cheilus arculatus Schloth. (Buccinum arculatum) aus dem Kalkstein von Paffratb
Das spiralaufgewundene spitzkegelig-ovale Geliäuse wird 5 — 7,5 Centim. lang und
hat am Grunde der Mündung eine Andeutung eines flachen Auschnitts, der aber
von dem der Buccinen und anderer Canaliferen noch weit entfernt ist Al.e
devonischen Gasteropoden sind, gleichwie die silurischen, noch Holostomen \m'
ganzrandigem Mundsaum).
Die Cephalopoden sind im Devon wie im Silur reichlich durch Gattunger.
aus der Abtheilung der Vierkiemer oder Tetrabranchiaten vertreten. Es sind hier
aber theils Nautileen, nähere Verwandte der lebenden NautiluS'hrtQWf theils Am-
moneen, die von vorigen in mehreren Charakteren — Scheidewänden, Loben und
Sipho — abgehen.
Von Nautileen erscheinen die schon aus dem Silursystem bekannten Gattungot
wie Orthoceras^ CyrtoccraSy Phragmoceras u. a.
Wichtiger ist die nur in devonischen Schichten vorkommende Gattung Cly
nunia Münst., die ebenfalls noch [den Nautileen zugezählt wird. Das Gehaust
der Clymenien ist scheibenförmig, spiralgerollt, mit zahlreichen Umgängen» dit
gewöhnlich nur sehr allmählich an Dicke zunehmen. Die Kammerscheidewände
sind gegen vom, wie bei den Nautileen concav, ihre Anhefl;ungslinien meist nur
sanft gebogen, bei anderen auch zum Theil in eckiger Form abgeknickt. Der
die Kammern verbindende Sipho liegt an der Nabelseite des Gehäuses (endo
gastrische Einrollung). Die Arten sind häufig in der oberen Region des de-
vonischen Systems und reichen nicht in den Kohlenkalk. Clymenia lofi'ig^^
Münst. hat eine sehr fein gestreifte, fast glatte Schale, die Windungen (et^i'a sech>
sind flach zusammengedrückt und berühren sich fast nur an der Naht. Vorkommen
in Kalkschichten zu Schübelhammer u. a. O. im Fichtelgebirge, auch zu Siein-
bergen bei Gratz in Steiermark.
Eine wichtige Erscheinung der devonischen Fauna ist das erste Auftreter
der Ammoneen oder gekammerten Cephalopoden mit einem an der gewölbter
Seite des Spiralgehäuses gelegenen Sipho. (Exogastrische Einrollung). Hierher
gehören namentlich die Goniatiten, die Vorläufer der in den mesozoischen Ab
lagerungen nachfolgenden Ceratiten und Ammoniten, deren Nachkommenschaf:
erst mit Schluss der Kreide-Epoche erlischt.
Die Gattung Goniaiiies begreift gekammerte spiral eingerollte Gehäuse mit
bald frei aneinander liegenden, bald mehr oder minder übergreifenden ümgänger
Der Sipho liegt an der Wölbung der Schale. Die Anheftungslinien der Scheide-
wände an die Schale — Loben und Sättel — verlaufen mehr oder minder stark
Devonisches System. 223
hin und her gebogen, je nach den Arten in sanfter Biegung oder in schärferer
Knickung. Sie sind — im Gegensatz zu den Ammoneen der mesozoischen For-
mationen — immer ungezähnt. Zahlreiche Goniatiten-Arten finden sich nament-
lich in den rothen Goniadtenkalken und Roiheisensteinen von Nassau und We&t-
phalen, mehrere sind vielgenannte Leit-Fossilien.
GomatUes retrorsus Buch hat sanft gebogene Loben und Sättel. Die Schale
ist fein gestreift, die Streifen wenden sich in der Nähe der Schalenwölbung stark
nach vom und in der Mitte derselben wieder zurück. Die Windungen greifen
oft so stark über, dass vom älteren Gewinde nur ein enger Nabel offen bleibt.
Häufig in der oberen devonischen Schichtengruppe z. B. zu Büdesheim in der
Eifel
Bactrites begreift Ammoneen mit gerade ausgestrecktem Gehäuse, im allge-
meinen Umriss den Orthoceren täuschend ähnlich. Bactrites -Arien erscheinen
besonders auch zu Büdesheim.
Reste von gegliederten Würmern spielen in der devonischen Meeresfauna
nur eine sehr untergeordnete Rolle. Serpuia omphaiodes (Spirorbis) bildet kleine
Spiral eingerollte Kalkgehäuse auf Eifeler Korallen und Conchylien.
Wichtiger sind die Blattfüsser oder Phyllopoden, wiewohl sie hier sclion
nicht mehr in der überwiegenden Fülle der Gattungen und Arten wie im Silur
vorkommen.
Die muscheltragenden Phyllopoden (F axnilie LimnaätdaeJ sind in der Devon-
fomiation zum ersten Male durch Estherien vertreten.
Die übermächtig reiche Entwicklung, welche die Trilobiten von der Pri-
mordialzone an bis ins obere Silur (dritte Silurfauna Barrande's) zeigen, ist mit
Beginn des Devon rasch geschwunden. Die Trilobiten sind von der silurisch-
devonischen Grenze an sichtlich in Abnahme nach Arten und Gattungen. Die
Ursache dieser Erscheinung, wie so vieler anderen Vorgänge der Urwelt liegt fiir
uns verborgen. Vielleicht ist die Abnahme der Trilobiten eine Folge des Zu-
nehmens räuberischer Fisch-Familien, die ihnen jedenfalls heftig nachgestellt haben
mögen. Das devonische System zeigt übrigens immer noch eine namhafte Zahl
von Gattungen und Arten der Trilobiten. Vertreten sind besonders die Gattungen
Phacops, ProetuSy Homalonotus, Bronteus,
Eine der devonischen Arten verdient nach Häufigkeit der Individuen und
gutem Erhaltungszustand erwähnt zu werden. Phacops latifrons Bronn ist häufig
im devonischen Kalk (Mittelregion des Devon) zu Gerolstein u. a. O. in der Eifel,
auch (besonders in Abdrücken und Steinkernen) in den rheinischen Dachschiefem.
Diese Art zeigt grosse facettirte Augen mit 50 — 100 und mehr Facetten. An der
Unterseite des Kopfes ist meist auch noch das Hypostom erhalten. Elf Rumpf-
segmente. Die Frage, ob die Trilobiten wirklich keine gegliederten Beine be-
sassen — oder wenigstens Spuren von Ansätzen solcher erkennen lassen — ist
besonders an Eifeler Exemplaren dieser Art zur Erörterung gelangt.
Die häufigsten Vorkommen von Entomostraken im Devon-System bestehen
in den Kalkgehäusen kleiner Ostracoden oder Schalenkrebse, die in manchen
besonders thonigen oder mergeligen Schichten wimmeln. Cypridina serrato-striata
(eine Entanus-hj^ ist eine sehr kleine nieren- oder bohnenförmige Schale, die
im oberen devonischen System z. B. zu Weilburg und Dillenburg in Nassau zu
Tausenden die Schichtenflächen eines feinerdigen Thonschiefers bedeckt. Ober-
fläche mit punktirten Längsstreifen. Augen durch zwei vor der Mitte der Schale
224 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Stehende erhabene Höcker angedeutet. Cypridina nitida ist eine etwas grössere
Art, die in gleicher Häufigkeit im schwarzen Kalk von Altenau im Harz auftritt
Die Eurypteriden erscheinen im devonischen wie bereits im siluribchen
System in sehr merkwürdigen grossen Arten mit grossen gegliederten zum Thcil
mit Scheeren bewaffneten Beinen. Pterygotus wird mehrere Fuss gross und sein
knochenähnlicher Panzer veranlasste anfangs zur Stellung zu den gepanzerten
Ganoiden.
Die Fische, im Silursystem erst durch spärliche Reste vertreten, unter denen
die gepanzerten Ganoiden (Ganoides tabuliferi) am besten charakterisirt sind,
folgen im devonischen System unter zunehmender Zahl der Arten, Gattungen und
Familien. Es sind auch hier nur Selachier und Ganoiden, aber in beiden ürd
nuhgen macht sich eine wachsende Entfaltung der Organisation im Hervor-
treten einiger neuer Familientypen geltend, die aus dem oberen Silursystem noch
nicht bekannt sind.
Reste von Selachiern, Verwandte der heutigen Haie und Rochen, finden sicK
auch hier in Form zerstreuter Zähne und Flossen-Stacheln (Ichthyodorulithcn
häufig und deuten auf eine reichliche Vertretung derselben im Meer des devo
nischen Zeitalters, gewähren aber, da die Zusammengehörigkeit der in besondere:
Funden vorliegenden Zähne und Stacheln gewöhnlich problematisch bleibt, nur
wenig entscheidenden Aufschluss. Man nimmt namentlich das Vorhandcnscjr
von Squaliden, und Cestracionten an, auch wohl schon das von Chimaroidcn
und vielleicht sind darunter auch schon Reste von Lurchfischen oder Dipneu>tcn
zuzulassen.
Die Cestraocionten, in den heutigen Meeren nur durch die Gattung Cestra-
' cion (besonders den Port-Jackson-Hai, Cestracion Philipi an Australien und Japan
vertreten, sind Knorpelfische mit zwei Rückenflossen, deren vorderster Strahl cinec
gezähnelten Stachel darstellt und mit einem merkwürdigen pflasterartigen Gc-
biss, welches zum Zermalmen harter Schalen von Crustaceen und Mollusken ge-
eignet ist. Es besteht in der Mittel- und der Hinterregion der beiden Kiefern
aus schrägen Reihen von breiten flachen Mahlzähnen. In der vorderen Region
sind die Zähne spitz und denen der gewöhnlichen Haie noch ziemlich ähnlich
Der Rachen trägt also sehr verschiedene Zahnformen. Cestracioniden sind in
allen älteren Epochen vom Kohlenkalk an fossil vertreten, im silurischen System
noch zweifelhaft, im devonischen System schon wahrscheinlicher. Ctenodu^ A«;
aus dem old red sandstone begreift Zähne, die man vorläufig zu den Cestracioniden
stellt. Viele Flossenstacheln, darunter die silurisch und devonisch vertretenf
Gattung Onchus sollen derselben Familie entsprechen.
Auf Squaliden oder Haie, Familie der Hybodonten, werden ebenfalls Zal-nc
und Flossenstacheln aus devonischen Schichten bezogen. Reste von Chimäroidcr
werden aus dem Devon-System von Nord- Amerika aufgeführt. Die amerikanischen
Palaeontologen vermuthen hier auch schon den Beginn der Gattung Ceratod^i
deren in Australien heute noch lebender Vertreter (Ceratodus ForsteH) ein Lunri
fisch mit Kiemen und Lungen ist.
Alle diese Funde von Selachier-Resten des Devon-Systems ergeben zwar lan^:.
Verzeichnisse von Gattungen und Arten, ihre genauere Erkenntniss lässt aber roei-J
noch viel zu wünschen übrig.
Weit besser charakterisirt und zum Theil nach mehr oder \\ eniger vollständiger
Skeletten bekannt sind die Ganoiden der devonischen Ablagerungen. Sic rr
scheinen namentlich im old red sandstone von England und Schottland reichl.^J
Devonisches System. 225
vertreten, sowohl als gepanzerte, wie auch als beschuppte Formen. Wir haben ge-
panzerte Ganoiden (Ganoides tabuliferi)^ Verwandte der heutigen Störe — rund-
schuppige Ganoiden (Cycliferen) die den heutigen Amiaden entsprechen — und
eckschuppige Ganoiden (Rhombiferen), welche heute in Nord-Amerika noch durch
Upidosteus und in Afrika durch Folypierus vertreten sind, in der devonischen
Meeresfauna zu unterscheiden. Alle in dieser auftretenden fossilen Formen ge-
hören noch der Abtheilung der ungleichlappig geschwänzten Ganoiden (Ganoides
hcUroccrci) an, bei denen das Hinterende der Wirbelsäule sich in den oberen
Lappen der Schwanzflosse fortsetzt, so dass diese letztere eine in die Augen
fallende Ungleichlappigkeit zeigt, eine Bildungsform, welche übrigens auch noch
alle Ganoiden des Steinkohlen- und des permischen Systems charakterisirt
Die gepanzerten Ganoiden (Ganoides tabuli/eri) bieten im devonischen System,
wie schon im obersilurischen die seltsamsten Formen, einen theils nur den Kopf,
theils auch noch den vorderen Rumpf bedeckenden Panzer von kräftigen, mit
einer Emaildecke überzogenen Hautknochen (Ganoid-Platten oder Dermal-Knochen)
und ein erst theil weise verknöchertes Innenskelett, von dem namentlich die
Wirbelsäule noch eine weiche, zu fossiler Erhaltung nicht geeignete Knorpelmasse
fckorda dorsalis und ^^^rrtHti-Scheide) war, wie letzteres auch bei ihren heutigen
nächsten Verwandten, den Stören, noch der Fall ist. Man kennt eine Anzahl
ziemlich vollständiger Panzer dieser devonischen Knorpel - Ganoiden , aber die
ersten noch unvollständigen Funde gaben zu sehr abweichenden Deutungen Anlass.
Namentlich rieth man auf Schildkröten. Andererseits zählte man längere Zeit
den Panzerganoiden auch die Pterygoten des old red sandstone zu, die sich
nachmals als Reste kräftig gepanzerter Entomostraken (Crustaceen) erwiesen.
Durch einen fast geschlossenen Panzer von Ganoid-Platten über den Kopf
und den vorderen Rumpf bezeichnet sind die Gattungen Pterichthys und Coccosteus.
Pterichthys begreift kleine Panzerfische mit seltsamen bepanzerten Vorder-
gliedmaassen, die den Brustflossen anderer Fische entsprechen, aber in der be-
sonderen Bildung von allem abweichen, was man sonst von paarigen Flossen oder
Oliedmaassen lebend oder fossil kennt. Der Kopfpanzer articulirt mit dem Rumpf-
l>anzer. Aus letzterem tritt die Hinterhälfte des Rumpfes mit dem Schwanz frei
hervor, er trägt einen beweglichen Panzer dünner polygonaler Täfelchen und
einige nur selten wahrnehmbare unansehnHche Schwimmflossen. Man kennt
einige Arten von Pterichthys, die meisten aus dem old red sandstone von Caithness
u. a. O. in Schottland. Die am besten bekannte Art ist Pterichtys Miller i Ac.
Anders, aber ebenfalls noch höchst seltsam organisirt ist die devonische
Gattung Coccosteus. Ein geschlossener Panzer von meist an den Nähten unbe-
weglich verbundenen Knochenplatten mit körneriger Oberfläche überzieht den
Kopf und die Vorderhälfte des Rumpfes. Der Kopf war mit dem Rumpf von
einem geschlossenen Panzer, einem Kopfrückenpanzer bedeckt, der aber mit dem
entsprechenden Bauchpanzer nur locker verbunden war. Der Hinterrumpf mit
dem Schwanz tritt frei aus den beiden Vorderpanzem hervor und scheint nackt
gewesen zu sein. Die Anlage zur Wirbelsäule war noch knorpelig, trug aber
oben und unten schon verlängerte Domfortsätze oder Gräten (obere und untere
Processus). Die steifbepanzerten Vordergliedmaassen, die Pterichthys bezeichnen,
fehlen bei Coccosteus, aber der Hinterrumpf und wahrscheinlich auch der Schwanz
waren mit Schwimmflossen versehen. Diese Thiere waren schon bessere
Schwimmer. Coccosteus erscheint in obersilurischen und devonischen Schichten.
K.eM(«KnrT, Min., Geol. u. Pal. I. 15
226 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Die am besten gekannte Art C. decipicUns Ag. wird über \ Meter lang und stammt
aus dem old red sandstone der Orkney-Inseln.
Viel näher der normalen Fisch-Gestalt als Pterichthys und Coccosteus kommen
schon die Cephalaspiden oder Schildköpfe. Bei ihnen verfliessen die Platten
an der Oberseite des Schädels zu einem breiten flachen Kopfschild, der zu beiden
Seiten in rückwärts gerichtete Ausläufer ausgezogen erscheint. Bemerkensverth
ist die Analogie in der äusseren Gestalt dieses Kopfschildes mit dem mancher
silurischen und devonischen Trilobiten — eine Analogie, die aber hier nicht auf
Affinität (Stammesverwandtschaft) zu beziehen ist. Auf diesem Schild etwas vor
der Mitte gewahrt man zwei kleine einander genäherte länglich -runde Löcher.
Man nimmt sie fUr Augenhöhlen. Kleine schmale dünne Zähne erscheinen am
Kieferrand. Der grösste Theil des Rumpfes mit dem Schwänze lag frei und tnig
nur einen beweglichen Panzer von dünnen Schuppen, zugleich auch stark ausge-
bildete Schwimmflossen.
Die Cephalaspiden erscheinen mit den Gattungen Cephalaspis und Fteraspü
in ziemlich vielen Arten obersilurisch und devonisch. Sie verschwinden alsbald
darnach zusammen mit den übrigen Panzerganoiden. Wahrscheinlich erhielt sich
aber irgend ein Zweig dieses Stammes durch die ganze Formationenreihe und lebt
heute noch in der mit ähnlichen Knochentafeln ausgestatteten Familie der Störe
(Sturionidae)f die heute vorzugsweise Bewohner des Süsswassers sind.
Eine zweite Abtheilung der Ganoiden sind die Cycliferen oder Ganoiden mit
gerundeten Schmelzschuppen, Ganoides cycliferi. Schon in einigen Arten im
oberen Silur-System vertreten erscheinen sie reich an Gattungen und Arten im
devonischen System mit zwei nahe verwandten Familien Coelacanihidae und Hohf^
tychidae. Es sind hohlgrätige Ganoiden, Coeloscohpes oder Cölacanthen. Sie haben
ihren Namen von ihren innen hohlen Gräten und Flossenstacheln. Den Ko;»f
deckt ein Plattenpanzer, der Rumpf trägt dünnere cycloidische Schmelzschup])en.
Sie erscheinen devonisch mit mehreren Gattungen. Asterolepis hat gröblich pe-
körnelte strahlig gezeichnete Kopfplatten. Bei Bothriolepis erscheinen statt der
erhabenen Tuberkeln vertiefte Gruben. Reste beider Gattungen sind häufig in
den oberdevonischen Schichten von Dorpat u. a. O. in Livland. Nach der
Grosse und Dicke der Kopf-Panzerplatten schliesst man auf Thiere von 6 bi>
9 Meter Länge.
Besser bekannt sind die Holoptychier, Holoptychidae^ deren kräftig entwickelte
Glanzschuppen zum Theil mit starker Sculptur versehen sind. Die Zähne er-
scheinen in zweierlei Gestalt. Zwischen zahlreichen kleineren in Reihen gestelhen
Zälmchen stehen vereinzelte grosse Kegelzähne. Diese Zähne, die kleineren wie
die grossen, zeigen auf dem Querschnitt des Basaltheils labyrinthische Einfaltungen
der Zahnsubstanz, ähnlich wie sie in späteren Epochen bei den Archegosauren und
Labyrinthodonten (Amphibien) sich wiederholt — ein Charakterzug, der schon
als Affinität gedeutet worden ist, hier aber wahrscheinlich nur auf Analogie be-
ruht. Die Holoptychier sind aus den devonischen Schichten mit einer Reihe %'ün
Gattungen und Arten fossil bekannt. Die Krone aller dieser Funde ist ein
76 Centim. langes fast vollständiges Exemplar von Hohptychius nobiässhmn
An. aus dem old red sandstone von Clashbinnie bei Perth in Schottland. E^
zein:t die Bauchseite mit den durch starke Knochenplatten beschüUten Kiefern.
(Britisches Museum in London). Die Schmelzschuppen sind gross und zeigen eine
kräftige längsfaltige Sculptur.
Neu auf dem Schauplatz der geologischen Geschichte erscheinen mit dem
Dimorphismus. 227
devonischen System die Eckschupper oder eckschuppigen Ganoiden, Ganoides
rhombiferiy die im obersilurischen Gebiet noch nicht nachgewiesen sind. De-
vonisch sind die Familien der Dipteriden oder Dipterychier und der Acanthodier.
Die Dipteriden sind schlank gebaute £ckschupper mit zwei hintereinander
gelegenen Rückenflossen, was behende Schwimmer andeutet. DipteruSy Osteolepis
u. s. w. sind Dipteriden aus dem old red sandstone von England und Schottland.
Mit ihnen erscheinen auch Gattungen aus der Familie der Acanthodier,
welche das Auftreten eines starken Stachels am Vorderrande der Flossen aus-
zeichnet Die Schuppen sind bei ihnen klein, oft kömerartig und das Schuppen-
kleid erinnert hier einigermaassen an die sogen. Chagrin-Haut der Haie.
Mit den rundschuppigen und eckschuppigen Ganoiden haben wir die höchsten
Vertreter des organischen Lebens im Meere der devonischen Epoche erreicht.
Von Amphibien ist noch nichts zu bemerken. Es kann deren wohl auf dem
Festland und in Sümpfen schon gegeben haben — hervorgegangen aus Meeres-
bewohnem, die auf das Festland stiegen, eine neue Heimath sich zu erobern.
Aber von diesen ältesten problematischen Amphibien sind keine Ueberbleibsel
fossil erhalten, sowie von festlandbewohnenden Thieren überhaupt die Funde im
devonischen Schichtengebiet noch nichts erkennen Hessen.
Dimorphismus
von
Professor Dr. Kenngott.
In dem Artikel »Arten der Minerale« wurde pag. 66 angeführt, dass der ge-
schmolzene Schwefel beim Starrwerden klinorhombisch krystallisirt, während der
als Mineral vorkommende Schwefel, so wie der aus einer Lösung des Schwefels
in Schwefelkohlenstoff beim Verdunsten des Lösungsmittels krystallitirende ortho-
rhombisch krystallisirt. Hieraus folgt, dass das Element Schwefel zwei verschiedene
Arten bildet, welche sich durch ihre KrystaUisation unterscheiden, wonach es
dimorph (von dem griechischen Worte »dimorphos« von doppelter, zweifacher
Gestaltung) ist Mit dieser doppelten Gestaltung hängen auch gewisse Unterschiede
in den physikalischen und chemischen Eigenschaften zusammen.
Diese Erscheinung, dass ein und derselbe Stoff, für welchen dieselbe chemische
Formel aufgestellt werden kann, auf zweierlei Weise krystallisirt, zwei ver-
schiedene Arten bildet, wurde als Dimorphismus bezeichnet und Stoffe, welche
Dimorphismus zeigen, heissen dimorphe.
Sowie der Schwefel dimorph ist, zwei Arten bildet, wovon jedoch nur die
eine, der orthorhombische Schwefel als Mineral vorkommt, sind auch noch andere
Stoffe als dimorphe gefunden worden. So ist auch das Element C, der Kohlen-
stoff dimorph und beide Arten kommen als Minerale vor, der tesseral krystalli-
sirende Kohlenstoff als Diamant, der hexagonal krystallisirende als Graphit,
welche beiden Minerale sich sonst noch in ihren Eigenschaften als sehr ver-
schiedene erweisen. — Auch das Metall Palladium ist dimorph, krystallisirt
hexagonal oder tesseral.
Als weitere Beispiele des Dimorphismus im Mineralreiche sind anzuführen:
Das Einfach-Schwefelzink ZnS, welches den tesseral kiystallisirenden Sphale-
rit (s. pag. 81) und den hexagonal krystallisirenden Wurtzit (s. pag. 83) bildet;
»5«
228 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
das Halb-Schwefelsilber Agj S, welches tesseral krystallisirend den Argen-
tit, orthorhombisch krystallisirend den Akanthit bildet; (s. Artikel »Glänze*)
das Zweifach-Schwefeleisen, FeSj, welches den tesseral krystallisirenden
Pyrit (Gelbeisenkies) und den orthorhombisch krystallisirenden Mark asit (Grau-
eisenkies) bildet;
das Zweifach-Arsenkobalt, CoASj, tesseral als Smaltit, orthorhombisch ak
Safflorit; das Zweifach-Arsennickel NiAs,, tesseral als Chloanthit, orthorhom-
bisch als Rammelsbergit;
das Zweifach-Schwefel- und Arsenkobalt, Co As, 4- CoSj, tesseral als Kobal-
tin, orthorhombisch als Glaukodot;
die arsenige Säure AsjOj, tesseral als Arsenit, orthorhombisch als Clau-
detit; das Antimonoxyd SbjOj, tesseral als Senarmontit, orthorhombisch als
Valentinit;
die Titansäure, TiO,, welche auf dreierlei Weise kr3rslallisirt, drei ver-
schiedene Mineralspecies bildet, nämlich den quadratisch krystallisirenden Rutil
und Anatus (deren Formen, obgleich in dasselbe S)'stem gehörig, nicht auf die-
selbe Grundgestalt zurückführbar sind) und den orthorhombisch krystallisirenden
Brookit. Somit ist die Titansäure dreigestaltig, trimorph, zeigt Trimorphis-
mus. Dieses Vorkommen eines Stoffes in dreierlei Krystallisation war auch der
Grund, die Bezeichnung Dimorphismus (oder Dimorphie) nicht allgemein zupassend
zu finden und die Erscheinung verschiedener Gestaltung allgemein aufgefasst ab
Pleomorphismus oder Polymorphismus oder Heteromorphismus zu be-
zeichnen. So richtig dies ist, spricht man doch meist von Dimorphismus und
dimorphen Substanzen, weil die meisten derartigen Vorkommnisse Dimorphismus
zeigen, wogegen dann trimorphe sich den dimorphen anreihen.
Als eine solche trimorphe Substanz ist die Kieselsäure, SiO^ anzuführen,
welche als hexagonal krystallisirende den Quarz bildet, während ausserdem ah
Mineralart der Tridymit vorkommt, dessen Krystalle wohl auch als hexagonale.
aber auf eine andere Grundgestalt bezügliche bestimmt wurden, neuerdings für
anorthische erklärt worden sind. Ausser diesen beiden verschiedenen Arten,
welche als Minerale vorkommen, wurde orthorhombisch krystallisirte Kieselsaure
in einem Meteorstein von Breitenbach in Böhmen gefunden und Asmanit ge-
nannt, wonach die Kieselsäure trimorph ist.
Trimorph ist auch das Thonerde-Silicat Al^Oj^SiO^, welches zwei von ein-
ander verschiedene orthorhombische Species, den Andalusit und den Sillimanit,
und eine anorthische, den Disthen bildet.
Als weitere Beispiele des Dimorphismus sind anzuführen:
Das Kalkerde -Carbonat, CaO-CO^, welches hexagonal krystallisirend den
Calcit (s. pag. 93) und orthorhombisch krystallisirend den Aragonit (s. pag. gu)
bildet; das Kalk-BaryterdeCarbonat CaO-COj-t-BaO.COj, welches die oriho-
rhombischeSpecies Alstonit (s. pag. 109) und die klinorhombische, Baryt ocalcii
(s. pag. 109) genannte bildet;
das Wismuthoxyd-Silicat 2Bi,03-3Si02i welches tesseral als Eulytin.
klinorhombisch als Agricolit vorkommt;
das Kalithonerde- Silicat K^AljO^ -SißOj,, welches den klinorhombischen
Orthoklas und den anorthischen Mikroklin bildet;
das Kalkerde -Silico-Titanat CaO-2SiO, -h Ca0.2TiO,, welches den
klinorhombisch krystallisirenden Titanit und den orthorhombisch en Guarinii
bildet;
Dimorphismus. 229
das tantalsaure Eisenoxydul FeO-Ta,05, welches den orthorhombischen
Tantalit und den quadratrischen Tapiolit bildet;
das Kupferarsen-Sulfid SCugS-AsjS,^, welches den tesseralen Dufrenoysit,
den orthorhombischen Enargit und den klinorhombischen Clarit bildet, mithin
das vierte Beispiel von Trimorphismus ist;
das Silberbleiantimon-Sulfid SAgjS-SbjSg -+- 2(2PbS.;Sb,S3), welches klino-
rhombisch als Freieslebenit, orthorhombisch als Diaphorit vorkommt;
das wasserhaltige Eisenoxydulsulfat HgO-FeO -h GH^O-SOg, welches den
klinorhombischen Melanterit und den orthorhombischen Taurisc it bildet.
Diese und noch einige andere Fälle verschiedener krystallinischer Gestaltung
bei gleicher chemischer Constitution zeigen, dass Elemente und mehr oder minder
zusammengesetzte Verbindungen diese Erscheinung zeigen können, und da wir
diese nicht nur als eine feststehende Thatsache hinzunehmen haben, sondern
auch nach Ursachen geforscht werden muss, so kann man zunächst nur annehmen,
dass gewisse äussere Ursachen, gewisse Bedingungen bei der Entstehung der
Krystalle vorliegen müssen, wie namentlich die Temperatur einen Einfluss aus-
zuüben scheint. Das Auftreten dimor^^her Stoffe war so auffallend, dass man
unzweifelhaft bestimmte Bedingungen voraussetzen musste, welche aber nicht
allein in äusseren Umständen begründet sein können, sondern es müssen auch
die Stoffe in sich selbst Eigenthümlichkeiten zeigen, welche durch äussere Ur-
sachen geändert werden können. In diesem Sinne muss man wieder, wie pag. 160
in dem Artikel >Cohäsion« angedeutet wurde, auf die kleinsten materiell gleichen
Theile der Krystalle, auf die Krystallmolecule zurückkommen, welche wie man
aus der Spaltbarkeit zu schliessen berechtigt war, vollkommen untereinander
gleiche sind.
Die Krystallmolecule einer und derselben Art in diesem Sinne als die
kleinsten stofflich gleichen, gleichgestalteten und gleichgrossen Massentheilchen
angenommen, müssen durch die Atome gebildet werden, deren Zahl und Lage
die bestimmte Gestalt bedingt. Bei elementaren Stoffen muss man annehmen, dass
jedes derselben Species zugehörige Krystallmolecul gleichviel und in gleicher Weise
aneinander gelagerte Atome enthält, ohne dass es nothwendig erscheint, über die
wirkliche Gestalt der Atome sich irgend eine Vorstellung zu machen, flir welche man
wohl als die wahrscheinlichste die Kugelform annehmen könnte. Bei einer solchen
Vorstellung ist keine Schwierigkeit vorhanden, dass derselbe elementare Stoff unter
verschieden äusseren Bedingungen verschieden gestaltete Krystallmolecule bilden
kann, wenn er aus dem gasförmigen oder tropfbaren Zustande in den starren
übergeht und dabei krystallisirt. — Bei zusammengesetzten Stoffen, deren
chemische Constitution durch eine bestimmte chemische Formel ausgedrückt
werden kann, zeigt die chemische Formel an, dass Atome verschiedener Elemente
in einem bestimmten Zahlenverhältnisse vorhanden sind und man kann daher,
ohne sich zu sehr in Hypothesen zu vertiefen, annehmen, dass in jedem Krystall-
molecule eines so und so zusammengesetzten Stoffes gleichviel Atome der in der
Formel angegebenen Elemente und zwar in dem Zahlenverhältnisse zueinander
enthalten sind, welches die chemische Formel ausdrückt.
Ist so z. B. die Formel des Calcit (s. pag. 96) CaO-COj oder CaCOj, so
können die Krystallmolecule des Calcit die Atome Calcium, Kohlenstoff und
Sauerstoff nur in dem Zahlenverhältnisse enthalten, welches die Formel ergiebt,
auf ICa IC und 30, gleichviel aus wieviel chemischen Moleculen CaO-COg
man sich ein Krystallmolecul des Calcit bestehend vorstellen mag, um dadurch
230 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
die Gestalt eines stumpfen Rhomboeders zu construiren. Alle Krystallmolccule
des Calcit müssen aber dann als aus derselben Anzahl chemischer Molecule
CaO'CO, zusammengesetzt angenommen werden und von der gleichroässigen
Anordnung der Atome hängt dann die gleiche Gestalt der Krystall molecule des
Calcit ab. — Da nun der Aragonit (s. pag. 100) als eine verschieden von Calcit
kiystallisirende Species dieselbe chemische Formel wie der Calcit bat, so ent-
halten die Krystallmolecule des Aragonit auch die Atome von Calcium, Kohlen-
stoff und Sauerstoff in dem Verhältnisse, welches die chemische Formel ausdriickt,
auf 1 Ca IC und 30, und müssen als untereinander gleiche aus gleichviel chemischen
Moleculen CaO'COj zusammengesetzt sein. Die verschiedene Krystallisation
aber des Aragonit und Calcit erfordert verschiedene Krystallmolecule und es muss
somit die Gruppirung der Atome in den Krystallmoleculen des Aragonit eine
andere sein als in den Krystallmoleculen des Calcit, während beide auch ver-
schiedene Spaltungsgestalten haben.
Unter solchen Voraussetzungen gewinnt man die Ueberzeugung, dass die
chemische Analyse des Calcit und des Aragonit dieselbe chemische Formel er-
geben muss, dass aber der Stoff CaO'CO^ dimorph sein kann und dass der
Dimorphismus von der Anordnung, der Aneinanderlagerung der Atome abhängt
Man legt ja auch bei den sogen, organischen Verbindungen, welche nach der
Analyse procentisch gleich zusammengesetzt sind, auf die Anordnung, auf die
Aneinanderlagerung der Atome ein grosses Gewicht, um dadurch die eventuell
hervortretenden verschiedenen chemischen Eigenschaften zu erklären. In dieser
Beziehung zeigen auch dimorphe Stoffe, wenn sie zwei krystallographisch ver-
schiedene Arten bilden, ausser der Verschiedenheit in der Form gewisse Unter-
schiede in den physikalischen Eigenschaften und in den chemischen Reactionen.
Aus diesen Andeutungen über die Möglichkeit einer verschiedenen krystalii-
nischen Gestaltung durch die Verschiedenheit der Anordnung der Atome in den
Krystallmoleculen ergiebt sich, dass mit der Zeit noch mehr derartige Stoffe l>e-
kannt werden werden und dass man die verschiedene Gestaltung in der durch die An-
einanderlagerung der Atome bedingten Gestaltung der Krystallmolecule liegen <I
annehmen könne, wodurch auch die physikalischen Eigenschaften und chemischen
Reactionen bedingt sind. Die Bedingungen der verschiedenen Gruppirung der
Atome sind jedenfalls in äusseren Umständen zu suchen, welche bei der Fnt-
stehung der Krystalle obwalteten und unter diesen tritt wahrscheinlich die Tem-
peratur in den Vordergrund, welche bei dem Uebergang der gasigen oder irupt-
baren Stoffe in den starren Zustand herrschte.
Echinodermen
von
Dr. Friedrich RoUe.
Die Echinodermen oder Stachelhäuter, Echinodermata^ begreifen eine
vielgestaltige Reihe von strahlig gebauten Meeresthieren, bei denen meist die
FUnfzahl herrscht und z. Th. in so hervorragender Weise auftritt, als ob ihr
Körper ein Stock sei, aus der Verwachsung von fünf besonderen Personen oder
Individuen hervorgegangen. Letzteres nimmt namentlich auch E. HAckki an.
der die am ausgezeichnetsten aus Strahl-Individuen zusammengesetzten Seestemc
(Asteroidea) als einen strahligen Stock von fUnf den Würmern zunächst verwandten
Echinodermen. 231
Thieren betrachtet und von den Seesternen die übrigen Klassen der Echinodermen,
namentlich aber die Seeigel (Echinoidea) und die Stemwürmer (Holothurioidea)
unter Nachweisung stufenweise vorgerückter Centralisation der Stock-Individuen
ableitet.
Diese Abtheilung des Thierreichs ist eine der formenreichsten und sie erlangt
durch die in der unteren Hautschichte oder sogenannten Lederhaut (cutis) in
mehr oder minder gedrängter Weise vor sich gehende Abscheidung von ver-
schiedengestalteten Kalk-Täfelchen — oder eines aus Kalktäfelchen zusammenge-
setzten festen, der fossilen Erhaltung fähigen sogenannten Aussen-Skelett's oder
Gehäuses oder eigentlich eines inneren Panzerkleides — besondere Bedeutung
in Geologie und Palaeontologie. Zahlreiche oft trefflich erhaltene Fossilien ver-
künden den geologischen Entwicklungsgang der verschiedenen Klassen der Echino-
dermen und lassen z. Th. ihr Auftreten bis in die Primordialzone (wenn nicht
selbst in die noch älteren cambrischen Schichten) zurück verfolgen.
Die sternförmige aus meist fiinfStrahltheilen oder Antimeren zusammengesetzte
Körpergestalt der Echinodermen hat lange dahin geführt, die Echinodermen als höhere
Stufe an die Pflanzenthiere oder Cölenteraten (Hydroiden, Anthozoen u. s. w.) anzu-
reihen, wie dies in Cüvier's Thiersystem noch der Fall war. Seither aber hat die bessere
Eikenntniss ihres Baues und namentlich ihrer Entwickelungsgeschichte ihnen eine an-
dere Stellung im System angewiesen und im Besonderen gezeigt, dass sie näher an
die Gliedwürmer (z. B. an die Gephyreen und Anneliden) sich anschliessen und
daher von ihnen auch unter Vermittelung von Stockbildung und nachmaliger
Centralisation abstammen mögen.
Die Echinodermen zerfallen nach ihrer Vertretung in der heutigen Meeres-
Fauna in vier Klassen, Seesteme (Asieroidea), Crinoideen oder Seelilien (Crinoiäea),
Seeigel (Echinoidea) und See walzen oder Stemwürmer (Hotkurioidea). Dazu kommen
noch in palaeozoischen Formationen die erloschenen Abtheilungen der Cystideen
und Blastoideen, die den Crinoideen am nächsten sich anschliessen und bald als
Ordnungen derselben, bald als eigene Klassen betrachtet werden.
Körperform und innerer Bau sind bei diesen verschiedenen Klassen sehr
verschiedengestaltig, die Nomenclatur sehr verwickelt, um so mehr als im Verlaufe
von Stockbildung und nachmaliger Centralisation eine Ausbildung symmetrischen
Baues eintritt und mit den Psoliden bis zur Gestalt eines auf dem Bauch kriechen-
den Wurms geht
Da die Echinodermen bald wie die Crinoideen mit dem Mund nach oben
festsitzen, bald wie die Asteroiden und Echinoiden mit dem Mund nach unten
gerichtet umherkriechen, bald wie die Holothurien sich in Walzenform strecken
und den Mund an der Vorderseite führen, ist die Unterscheidung von Ober- und
Unterseite, Rücken- und Bauchseite, Vorder- und Hinterseite mannigfach im
Schwanken. Was bei einem Crinoiden oben liegt, liegt bei einem Echinoiden
unten und bei einer Holothurie vorn. Eine sichere Orientirung ergiebt nur der
Mund-Pol des Thieres mit dem central gelegenen Mund i. auf der Oberseite
bei Crinoideen (so wie Cystideen, Agelacrinen und Blastoideen), 2. auf der Unter-
seite bei Asterien, Ophiuren und Echinoiden, 3. auf der Vorderseite bei Holothu-
riden (Holothurien, Psoliden und Synapten). 'Der After steht dem Mund diametral
gegenüber bei regulären Echinoiden, Palechiniden, Holothurien. Der After liegt
seitlich bei Crinoideen, Cystideen, symmetrischen Echinoiden, vielen Asterien.
Während bei den symmetrischen Echinoiden der After die polare Lage verlässt,
bleibt dem Mund diametral gegenüber noch ein Scheitel (Apex) mit einer Rosette
232 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
von Ovarial- und Ocellartafeln. Der After fehlt ganz bei Ophiuren, bei einigen
Asterien, auch bei einigen Cystideen.
Wir müssen uns bestreben, die äusserst zusammengesetzte Organisation der
Echinodermen überhaupt und die ihrer einzelnen Klassen kurz abzuhandeln und
müssen vieles in dieser Hinsicht aus Zoologie und Anatomie als bekannt vor-
aussetzen.
Am wichtigsten flir den Palaeontologen ist die Kenntniss der im Hautsj'stero
und zwar in der unterhalb der Epidermis gelegenen Bindeschicht oder soge-
nannten Lederhaut (cutis) in verschiedenen Graden vor sich gehenden Kalkaus-
scheidungen, da diese für die fossile Erhaltung von Roten der Thiere entscheidend
sind und die Weich theile sich so gut wie gar nicht dazu eignen. Unvollständig
ist sie bei den Holothuroiden, die daher auch in fossilem Zustande nur sehr
spärlich bekannt sind. Bei ihnen bleibt das Hautsystem vorwiegend weich und
beweglich, die Kalkausscheidung vereinzelt. Sie erzeugt hier z. Th. einen Kalkrins;
um den Schlund oder vereinzelte Platten in der Haut. Reichlicher drängen sich
die Tafeln der Kalkausscheidung bei Asterien und Ophiuren zusammen. Sic
verdrängen hier schon einen grossen Theil der weichen Haut und bilden mit
den beweglich bleibenden Resten derselben ein nach mehreren Richtimgen noch
bewegliches Tafelskelett oder Panzerkleid, welches gewöhnlich als Aussenskelett
bezeichnet wird, aber nicht der Epidermis, sondern der darunter gelegenen Leder-
haut angehört, also streng genommen kein äusseres Skelett ist, sondern ein unter
der Oberhaut entwickelter Unterpanzer.
Sehr ausgebildet ist auch dieses sogenannte Aussenskelett der Crinoideen
und hier erreicht die Vielzahl der einzelnen untereinander articulirenden festen
Kalktäfelchen ihren höchsten Betrag. Man hat z. B. berechnet, dass bei dem an
Westindien lebenden Pentacrinus capui Medusae und bei dem im Lias von Eng-
land fossilen Pentacrinus Briareus die Zahl der gesonderten mittelst Gelenk-
flächen unter einander — und meist beweglich — verbundenen Kalktheile oder
Täfelchen — der Säule und ihrer Ranken, des Kelchs und seiner Decke, der
Arme und ihrer Fiedern oder Pinnulae — auf mehr als 150,000 sich belauft
Ein Abzählen der einzelnen Skelett-Theile ist hier schon unmöglich und auch
die Abschätzung auf ein paar tausend — mehr oder minder — annähernd.
Am weitesten geht die Verkalkung des Hautsystems bei dem eigentlichen
Körper (oder Kelch) der Crinoideen und dem Kalk-Gehäuse der Mehrzahl der
Echinoideen. Bei ihnen entsteht in der Regel ein unbeweglich geschlossenes
Gehäuse, welches auch zusammenhängend in den älteren P'ormationen erhalten
zu sein pflegt. Es ist ein sogenanntes Aussen-Skelett, das die Unterhaut bis attf
sehr geringe Reste verdrängt. Die ursprünglich weiche Haut ist hier durch wett-
gehende Verkalkung vorwiegend starr und unbeweglich geworden. Um Mund
und After sind oft grössere Partien weicher Haut übrig geblieben, so dass hier
nach dem Absterben des Thieres gewisse Kalkplatten sich leicht ablösen.
Nur bei wenigen in der Tiefsee lebenden Echinoideen der heutigen Lei«-
weit bleibt ein noch beträchtlicherer Theil der weichen Haut erhalten und ein
entsprechender Theil der Täfelung als bewegliches Panzerkleid. Aehnlich ist
die bewegliche Täfelung des Gehäuses bei der im devonischen System fossil au;-
tretenden Echinoiden-Gattung Lepidocentrus ^ deren Tafeln sich schuppenartic
folgen.
Von den Weichtheilen der Echinodermen interessiren den Palaeonlolo;:i n
neben den Mündungen der Eierstöcke, die bei den Seeigeln in einer meist fünf-
Echinoderroen. 233
zähligcn Rosette am Scheitel stehen und besondere Täfelchen (Eiertäfelchen,
Genital- Asseln) durchsetzen — und den Augen, welche bei den Seeigeln mit
vorigen altemiren und eigene Täfelchen (Ocellar-Täfelchen, Augentäfelchen) durch-
brechen — noch die Füsschen (Ambulacralflisschen, Pedicellen), welche meist in
besonderen Reihen oder Ambulacren stehen. Die Füsschen sind weiche musculose
Fortsätze der inneren Haut- und Muskelschicht, welche aus besonderen Poren
der Epidermis hervortreten, weit vorgestreckt und zurückgezogen werden können.
Bei Echinoiden und Holothurien enden sie in Scheiben, die als Saug- und Haft-
Organe verwendet werden können und dem Thiere zur Ortsbewegung dienen.
Sie sind hohl und können von dem im Inneren des Thieres verlaufenden Wasser-
getässsystem mit Wasser erfiillt und wieder entleert werden. Bei den Echinoiden
sitzen sie in Reihen, die vom Scheitel zum Mund verlaufen und in (äusserlich ge-
doppelten an der Innenseite einfachen) Poren besondere Täfelchen oder Ambulacral-
Täfelchen durchbrechen. Bei manchen Ästenden sind die Füsschen pfriemen-
förmig, ohne Saugscheibe und scheinen nur als Fühler oder Tastorgane zu dienen.
Ganz fehlen sie den Synaptiden, bei welchen sie durch verkalkte ankerförmige
Gebilde vertreten sind.
Nach dem Auftreten der Füsschen-Reihen (ambulacra) unterscheidet man
ambulacrale und interambulacrale Theile des Körpers, eine Unterscheidung, die
besonders bei den Seeigeln oder Echinoiden von grosser Wichtigkeit wird. Die
Ambulacren der Echinoiden entsprechen dem medianen Theil der Arme der
Asterien. Von den Interambulacren der Echinoiden entspricht je eine Hälfte
der Randplattenreihe eines Asterien-Armes.
Hiernach stellt also jedes Ambulacrum eines Echinoiden zusammen mit der
angrenzenden Hälfte des rechten und des linken Interambulacrums desselben das
Aequivalent eines Asterien-Arms mit medianem Ambulacrum und zwei randlichen
Tafelreihen dar — und entspricht einer Person des dem ganzen Echinodermen-
Körper zu Grunde liegenden fünfzähligen Thier-Stocks.
Wir müssen betreffs der übrigen vielgestaltigen Einzelheiten des Baues der
Echinodermen auf die zoologischen, anatomischen und physiologischen Gnmd-
lagen der Palaeontologie verweisen und gehen über zu den besonderen Klassen
AsUroidea (mit den Asteriden, Ophiuriden und Euryaliden), Crinoidea (mit den
Crinoideen und Comatulen), Cystidea und Blastoidea (beide letztere vielleicht nur
Hauptordnungen der Crinoideen), Echinoidea und Holothuroidea (mit den Holo-
thuriden und Synaptiden).
Die Seesterne Asteroidea (Stelleridae) bilden den Beginn des Echinodermen-
Reichs in systematischer Hinsicht, namentlich nach ihrem primitiven Bau, der
noch deutlich Elemente erkennen lässt, die bei den übrigen Klassen schon weiter
umgebildet erscheinen. Muthmaasslich entsprechen sie auch der gemeinsamen
genealogischen Wurzel, von der die übrigen divergirend ausgingen, am nächsten.
Ihr Körper ist meist ftinfstrahlig, doch wird bei manchen Arten die Fünfzahl
überschritten, was sowohl schon bei silurischen als auch bei heute noch lebenden
Arten vorkommt.
Jeder Seestem besteht i. aus einer kleinen mittleren Körperscheibe mit einer
central gelegenen Mundöffnung. Das Thier kriecht auf dem Meeresgrund den
Mund nach unten gewendet (Mundseite oder Bauchseite ist hier Unterseite) 2. Am
Umkreis der Mittelscheibe und in der gleichen Ebene strahlen fünf oder mehr
Anne aus. Die letzteren sind gegliedert und haben eine gewisse Aehnlichkeit
im Bau mit Gliedwürmem (Colelminthen) und diese ist keine bloss täuschende
2 34 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Analogie, wie die mit den Strahltheilen der Korallen, von welcher sich die
älteren Zoologen leiten Hessen, die aber von unerheblicher Art ist, sondern sie
lässt sich in der anatomischen Grundlage verfolgen.
Die Asteroidea zerfallen in Asteriadae, Ophiuridae und Euryalidae, namentlich
nach der Gestaltung von Mittelscheibe und Armen.
Die Asteriaden oder eigentlichen Seesteme sind durch einen strahlenförmig
ausgezogenen Magen ausgezeichnet, von dem soviel lange Blindsäcke auslaufen
als Strahlen oder Antimeren vorhanden sind. Auch die Genital-Organe reichen
mit Fortsetzungen in die Strahl-Arme. Gewöhnlich ist die Mittelscheibe nicht
deutlich von den Armen abgesetzt. Auf der Unterseite der Arme verläuft vom
Munde aus eine breite tiefe Furche oder Ambulacral-Furche. In ihrem Grund
verläuft ein Arm des Wassergefasssystems und trägt zahlreiche in Reihen stehende
Ambulacralfiisschen.
So hat jeder Arm der echten Seesteme seinen Antheil am Magen, den Geni-
talien, dem Wassergefasssystem und den Füsschen. Gemeinsam allen Armen
ist der Mund. Es erscheint auch an der Spitze der Arme noch ein Auge al>
kleiner rother Fleck.
Darnach betrachtet E. Häckel die Seesteme als erblich gewordene Stock-
form strahlig verwachsener Personen, die vielleicht durch verwachsene Knospen-
bildung aus einem älteren von wurmartigen Gliederthieren gebildeten Thierstock
abstammen. Nicht nur zeigt der Bau des Armes oder Strahltheiles eines See-
sterns grosse Analogie mit dem einzelnen Individuum von gewissen Glieder-
Würmern (z. B. Gephyreen und Anneliden), sondern auch die aus dem Ei de:^
regulärstrahlig gebauten Seesterns hervorgehende Larve hat keine Aehnlichkeit
mit ihrem Mutterthier, sondern zeigt eine bilateral-symmetrische Gestalt und ist
überhaupt der Larve von Gliedwürmern, namentlich Gephyreen und Ringelwümnem.
auffallend ähnlich. Aus dieser ganz abweichend gebauten Larve geht erst durch
Knospung der mehrstrahlige Seestern hervor.
Diese HÄCKEL*sche Hypothese vom ersten Ursprung der Asterien und damit
überhaupt aller Echinodermen durch strahlenförmige Verwachsung von einer An
zahl von zusammen auf einem gemeinsamen Stock knospenden Personen schwebt
nicht ganz in der Luft. Der Fall steht nicht geradezu vereinzelt im Thierreicl.
ganz abgesehen von Analogien im Pflanzenreich. Er erscheint auch an den
Stöcken von Botryllus^ Klasse der Tunicaten. Hier kennt man ähnliche strahlige
Verwachsungen von Personen. Sie sind mit dem Hinterende verwachsen, sie
besitzen am freien Ende jede noch ihre eigene MundöfFnung, dem Personen-
Kranz gemeinsam ist der After. E. Häckel nimmt an, dass die ältesten Aste
riden gleichfalls am freien Strahlenende ursprünglich einen Mund besassen, der
aber nachmals verkümmerte und beruft sich darauf, dass dieses Strahlenende
noch jetzt bei den Seesternen zusammengesetzte Augen trägt, welche den anr.
Kopfe der Gliedüisser (Anthropoden) sitzenden Augen entsprechen. JedentnlN
steht fest, dass weder die lebenden noch die fossil bekannten Seesteme in Orga-
nisation und Entwicklungsgeschichte sich an die Pflanzen thiere oder Zoophytcn
(Hydroiden und Anthozoen) anschliessen — und allem Vermuthen nach sind mc
auch von anderer Abkunft.
Die Asteriaden treten frühe in fossilen Resten auf und reichen in den Meert^
ablagcrungen vom Silur-Systeme bis zu den jüngsten Formationen, leben am!-
noch zahlreich in allen Meeren. Die reichliche Kalktafeln-Bildung in ihrer l^er
haut (cutis), die ein fast geschlossenes aber noch nach mehreren Richtungen b^
Echinodeimen. 235
wegliches Panzerkleid erzeugt, befähigt sie zu vortrefflicher Fossil-Erhaltung, doch
sind in vielen Funden die maassgebenden Theile der Bauchseite von Scheibe und
Armen nicht deutlich erhalten, in anderen Fällen ist das Kalkskelett ganz in lose
Täfelchen zerfallen, so dass viele fossile Formen nur annähernd sich in das zoo-
logische System einreihen lassen.
Im palaeozoischen Schichten-Systeme eröffnen die Asteriaden mit einer An-
zahl von eigenthümlichen Gattungen, welche von denen der jüngeren Formationen
und der heutigen Meere mannigfach abweichen und zum Theil die Körperform
der heutigen Ophiuren mit der ambulacralen Armfurche der Asterien verknüpfen.
Dahin gehören namentlich die Encrinasteriae, bei denen die Ambulacral-Platten
die Ambulacral-Furche der Arme wechselständig einfassen, während deren Stellung
bei den typischen Asterien gegenständig ist.
Eine ausgezeichnete Gattung ist Aspidosoma, Die äussere Körpergestalt ist
die einer Ophiure, eine flache gerundet ftinfseitige Mittelscheibe, von der fünf
schmale, deutlich abgesetzte Arme ausstrahlen. Die Unterseite der Arme zeigt
jederseits eine einfache Reihe glatter Randplatten, welche die mediane Ambula-
cral-Furche unmittelbar einfassen. A, Arnoldi Goldf. aus den unteren devonischen
Schichten (Dach schiefer) von Winningen bei Coblenz hat eine Mittelscheibe von
14 — 25 Millim. Durchmesser und fünf schlanke bis 20 Millim. lange Arme.
Zahlreich sind die Gattungen und Arten der Asterien in den mittleren und
jiingeren Formationen. In manchen Sandsteinlagern liegen sie häufig auf den
Schichtenflächen ausgebreitet, oft zusammen mit Ophiuren, aber gewöhnlich in
unbefriedigendem Erhaltungszustande. Lose Täfelchen sind häufig im oberen
Jurakalk und in der weissen Kreide.
Die Ophiuriden oder Schlangensterne, Ophiuridae^ schliessen sich den
Asteriaden nahe an und namentlich treten unter den palaeozoischen Formen
schwankende zwischen der einen und der anderen Ordnung vermittelnde Gat-
tungen auf. Im Allgemeinen weichen die Ophiuriden um einen beträchtlichen
Schritt weiter als die Asterien von dem zu Grunde liegenden fiinfzähligen Pei-
sonenstock ab, die Centralisation der Strahl-Personen ist weiter vorgerückt, sie
haben namentlich ihren besonderen Antheil am Magen verloren und spielen nur
noch die Rolle von Bewegungsorganen des ausgeprägteren Individuums der Körper-
schetbe, welches die übrigen Organe aus den Armen an sich gezogen hat.
Körperscheibe und Arme sind bei den typischen Ophiuren deutlich von ein-
ander abgesetzt Die Körperscheibe ist flach scheibenförmig, rundlich oder fünf-
eckig. Der fünfstrahlige Mund steht in der Mitte der Unterseite, er führt zu
einem in Blindsäcke gestrahlten Magen, aber die Blindsäcke setzen sich nicht
mehr in die Arme fort, wie bei den Asterien. Die fiinf langen schlanken ein-
fachen stets unverästelten Arme entbehren einer offenen medianen Ambulacral-
Furche und sind mit besonderen Rücken-, Bauch- und Rand-Schuppen besetzt.
Die Ophiuren leben zahlreich in allen Meeren, auch noch in grossen Meeres-
tiefen, sie kriechen wie die Asterien auf dem Meeresboden umher, wozu ihnen
besonders ihre schmalen gegliederten schlangenartig biegsamen Arme behilf-
lich sind.
Die Ophiuren beginnen zusammen mit den Asteriaden schon im silurischen
System, aber hier wie auch noch im Kohlenkalk mit schwankenden Gattungen.
Ihre Arme zeigen an der Bauchseite noch Charaktere, die an die ambulacrale
Gestaltung der Asterien Arme erinnern. Die Mediane derselben scheint noch
236 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
nicht durch besondere Ventral-Schilder bedeckt zu sein. Dahin gehört ProttnUr
FoRB. mit obersilurischen und carbonischen Arten.
Echte typische Ophiuriden zeigen sich von der Trias an. Aspidura scuteUata
Blumenb. {Ophiura loricata Goldf.) ist eine kleine Art aus dem Muschelkalk
von Villingen (Baden), Göttingen u. a. O. Die rundliche flache Mittelscheibc
hat 2 — 3 Millim. Durchmesser und zeigt auf der Unterseite den centralen Mund
von zehn Täfelchen im Kreise umgeben. Die kurzen breiten Arme zeigen auf
der Rückenseite drei Tafelreihen, auf der Bauchseite eine von jederseits einer
Tafelreihe eingefasste mediane Furche.
Die Euryaliden oder Medusenhäupter, Euryaiidae, sind Ophiuriden mit viel-
facher Gabelung der fünf auf der Rückenseite gerundeten biegsamen Arme. Die
Haut der Arme ist einfach gekörnelt. Die Euryaliden erlangen durch die mehr-
fache Gabelung der Arme ein den Comatulen sehr nahe kommendes Ansehen. Sic
schwimmen nicht, sondern kriechen wie die Ophiuren auf dem Meeresboden
einher.
Wenige Gattungen und Arten leben in den Meeren, namentlich der wärmeren
Breiten, andere in grossen Tiefen des arktischen Meeres, wie Astrophyton Litukii
Müll. Trosch. im I.ancaster-Sund in mehr als 1500 Meter Tiefe.
Man kannte lange keine fossilen Reste von Euryaliden, neuerdings werden
Funde, die aber noch näherer Bestätigung bedürfen, aus dem oberen Silur, dem
Kohlenkalk und dem unteren Lias aufgeführt.
Die Klasse der Crinoideen oder Seelilien, Haarsterne, Crinoidea^ steht
von den Seesternen ziemlich weit ab. Die Crinoideen scheinen sich schon sehr
frühe von der gemeinsamen aus der verwachsenen Knospung von ftlnf Personen
entstandenen Grundform der Echinodermen abgezweigt zu haben, denn es werden
schon aus dem cambrischen Systeme Crinoidenstiele aufgeführt und in der zweiten
Silurfauna (Oberregion des unteren Silur) sind sichere Crinoideen schon reichlicr
bekannt. Die weitere Umbildung geschah hier unter Anwachsung auf einem fester.
Gegenstand mittelst eines gegliederten biegsamen Stieles, wobei sich der Körper
becherförmig gestaltete, Mund und After sich nach der abgeplatteten Oberseite
wandten, die Arme aber den Charakter von Organen des centralisirten Thiers an-
nahmen und sich über dei Mundseite desselben als schützender Busch zusammen-
neigten.
Jedes Crinoid besteht im Allgemeinen aus i. einer gegliederten Säule, die oft
noch von gegliederten Ranken oder Hilfsarmen, cirrhi^ wirtelförmig umgeben
erscheint, 2. aus einem becher- oder knospenförmigen radial getäfelten Körper,
dem Kelch, calix und 3. aus gegliederten Armen, die oft noch gegliederte Fieticr
arme oder Seitenarme, Pinnulae, tragen. Manche Formen lösen sich auch, uic
die Comatulen in einer gewissen Altersstufe vom Stiele ab und schwimmen oder
kriechen dann frei umher, diese sind dann leicht mit Euryaliden zu verwechseln.
Meist ist ein gegliederter Stiel, columna, vorhanden, der oft eine ansehnhc>'<r
Länge erreicht, in der Mitte von einem gemeinsamen Strang (Nahrungscana^
durchsetzt wird und auf den Gelenkflächen der einzelnen Glieder (Entrochitcp
meist eine strahlige oder blumenkronenförmige Zeichnung führt Die verkalkten
Stielglieder setzen in den älteren Formationen oft mächtige Kalkbänke fast iTir
sich allein zusammen. Selten ist der Kelch des Thieres mit der ganzen Unterseite
(Rückenseite) unmittelbar auf einer festen Unterlage aufgewachsen, wie bcm*.
lebenden Holopus Rangii d'Orb.
Der Körper oder Kelch der Crinoideen besteht aus einer Anzahl von KaJi-
Echinodermen. 237
täfeichen in radialer Anordnung, gewöhnlich in der Fünfzahl. Meist ist ihre Zahl
massig, oft sehr gering. An das oberste Säulenglied schliessen sich räch oben
ftinf Täfelchen an, die den untersten Tafelkreis bilden, sie heissen Becken-Täfel-
chen oder Basaiia, Darauf folgen nach oben noch ein oder mehrere Tafelkreise.
Die auf die Basalien nach oben anschliessenden Tafeln heissen Radialia (in erster,
zweiter und dritter Ordnung sich folgend). Zwischen ihnen schalten sich ge-
wöhnlich noch Zwischentafeln, Interradialia ein (zum Theil ebenfalls in mehreren
Onlnungen über einander folgend.) Auf der meist verbreiterten Oberseite (Peri-
soma) liegt der centrale Mund, oft in Ambulacral-Furchen auslaufend. Seitlich
auf der Oberseite liegt der After in einem von zwei der letzteren eingefassten
Zwischenfelde. Meist ist die Oberseite des Kelches durch ein zahlreiches Ge-
täfel kleiner vielgestaltiger Kalktäfelchen geschützt. Bei einigen fossilen Formen
(Cupressocrinus) fehlt ein kalkiges Kelchdach. Die Oberseite scheint hier häutig
geblieben zu sein.
Den Rand der Kelchoberseite umstehen die Arme, meist in der Fünfzahl,
den 5 Armen der Asteroideen entsprechend oder am Rand schon verdoppelt. Sie
zeigen sehr verschiedene Gestalt. Bald sind sie einfach, nur aus wenigen Gliedern
susammengesetzt und schliessen in Pyramidenform gegen oben zusammen, wie bei
Cupressocrinus, Bald sind sie gabelförmig verästelt, zahlreich gegliedert mit zahl-
reichen ebenfalls gegliederten Pinnulen besetzt und bestehen dann oft wie bei
lebenden und fossilen jPentacrinus- Äxten aus vielen tausenden einzelner articu-
lirender Kalk-Stücke.
Wir können nicht in alle Einzelheiten des mannigfach zusammengesetzten
Baues des Crinoiden-Körpers eingehen.
Die Crinoiden sind in den älteren und mittleren Formationen ausserordent-
lich reich an Arten und Gattungen vertreten. Die zweite und dritte Silurfauna
hat allein nach Barrande's Rechnung (vom Jahr 1872) schon 353 Arten ge-
liefert. So sind die Crinoiden auch noch im Jura zahlreich vertreten, in der Kreide-
Formation vermindert sich die Zahl ihrer Arten merklich und in den verschiedenen
Stufen des Tertiär-Systems sind sie sehr selten.
Lange galten sie ftir eine erloschene Klasse der Thierwelt, bis 1755 Guettard
den ersten lebenden Vertreter derselben aus der Tiefe des Meeres an Cuba be-
schrieb, dies ist Fentacrinus caput medusae Mill. Dazu kam im Jahr 1827 die
Lntdeckuug eines zweiten Pentacrinen an der Küste von Irland, Fentacrtnus euro-
pacus Thompson. Diese zweite Art hat sich aber als Jugendform einer Comatula
herausgestellt. Der Thierkörper löst sich hier in einem gewissen Alter vom
Sdel ab, schwimmt als freies Thier davon und stellt nun eine Comatula dar.
r>ieser Fentacrinus ist also nur ein vorübergehender Jugendzustand einer Comatula,
Aber das auffallende Zurücktreten der Crinoiden mit £nde der Kreideforma-
tion, ihre Seltenheit in der heutigen Meeresfauna hat sich inzwischen ebenfalls
als etwas bloss scheinbares herausgestellt. Die neueren Tiefseeforschungen
zeigten, dass noch ein ungeahnter Reichthum von Arten und Gattungen der
Crinoideen in grossen Meerestiefen (von 80 bis zu 2800 Faden), fortlebt. Sars
fand 1864 den Rhizocrinus Loffotensis in mehreren hundert Faden Tiefe an den
Loflfoden (Norwegen). Eine Menge anderer Funde reihen sich daran. Die in der
Jugend auf einem Stiel sitzenden, dann sich loslösenden Comatulen wurden an
Japan in der mächtigen Tiefe von 2800 Faden (1000 Faden=i829 Meter) nach-
gewiesen. Dabei ist die Individuen-Menge der in der Tiefe lebenden Crinoiden
oft beträchtlich. A. Agassiz erhielt auf Felsgrund bei Sand Key das Netz so
23$ Mineraloge, Geologie und Palaeontologie.
voll Rhizocrinen, als sei es durch einen Wald von Crinoiden gegangen. Diese
Ergebnisse der Tiefsee-Forschungen sind in Bezug auf die Kenntniss der noch
lebenden Crinoiden und ihrer Wohnsitze noch so neu und zugleich so Über-
wältigend reichlich, dass man zur Zeit noch nicht alle Consequenzen fUr Geologie und
Falaeontologie daraus zu gewinnen im Stande ist Eines leuchtet aber schon
mit Evidenz daraus hervor, nämlich dass die grosse Seltenheit der Crinoiden in
den verschiedenen Meeres schichten des Tertiär-Systems nur scheinbar ist, sich
nur auf die seither allein gehobenen Ablagerungen aus seichteren Meeresgebieten
beschränkt und fUr die tertiären Tiefsee- Ablagerungen nicht gilt Diese sind un-
bekannt, sie liegen noch unentwegt in den Tiefen des Oceans, aus dem sie ent-
standen. Ihre Fauna kennen wir nicht. Sie erweist sich im System der l*a-
laeontologie als eine Lücke, deren Ergänzung wir nur aus Vergleichung zwisclien
der fossilen Meeresfauna der Kreide-Formation einerseits, der abyssischen Fauna
der heutigen Meeres- Abgründe andererseits erhalten können. Und diese l.Ucke
wird wahrscheinlich nie vollständig ausgefüllt werden und immer Gegenstaril
der Speculation bleiben.
Die echten mit Armen versehenen Crinoiden (Crineiäea braekiaiaj zerfallen
in getafelte (Tessela/aJ und gegliederte (Articulaia). In beiden Abtheilungen
können gestielte, mit breitem Kelchgrunde aufgewachsene und frei lebende
vorkommen. Dazu kommt noch eine dritte etwas zweifelhafte Ordnung (Casiaia'i.
die nur fossil gefunden ist.
Die getäfelten Crinoiden oder Tesselaten (Crinoidea brathiata UsseiataJ ge-
hören meist der palaeozoischen Fauna an und sind alle erloschen. Ihr Kelcli
besteht aus hohen aber dünnen Täfelchen, die aufrecht ohne besondere Aiticu-
lirung überein and erfolgen. Die Oberseite (Mundseite) zeigt meist ein feines \\e\-
zähliges Tafelwerk oder Mosaik ohne Ambulacral-Fu rohen. Es ist wahrschein lii!
ein äusseres Schutzdach des eigentlichen Ptrisomds. Die Arme sind bald mein
bald weniger entwickelt, im ersteren Fall verästelt, immer ohne ambulacrale RJnivc.
Der Stiel ist in der Regel vorhanden, gewöhnlich cytindrisch, fast immer ohne
seitliche Hilfsarme oder cirrhi.
Hierher gehören eine grosse Anzahl von Gattungen, die von der oberen
Region der unteren Silurformaiiin'-
(zweite Silurfauna) an bis in der.
Kohlenkalk mit einer Menge «i>n
I Arten aufboten, wie Poteriacrim^i.
Rkodccrinus, Piiäytrmus, OcMt-,
crinui u. s. w. Im Zechstcirj
(permisches System) sind di«-:
Tesselaten schon selten und imi
^ "1 ganzen mesozoischen System blci-i
' ben sie selten. Die letzten cr-i
scheinen in derKreidc-Fonmuitin.
mit der sie edöschen.
(Mia.su.) Fig. 3. Eine merkwürdige Crinoiden-.
CyatluKrinut fbumsyiw-x^ Tüfel- Gattung des devonischen System*!
(Min.S5.) Flfi. I. '^''*" ^^ Kelches. i^t Cupratocrinmi, wahrschein lü-hi
Cyaikotrinui fkimi ein Tesselate, aber eigentliümlich abweichend. Der Lraiti-,-;
me. Au« dem Kohlen- 8*'*autc flinfzählige Kelch ist becher- oder schüsseißinnig um)
kUk von EngUod. besteht aus dem obersten fUnfseitigen Säulenglicd, darUbc-t
Echinodermen. 239
fünf Beckentäfelchen oder Basalia von fiinfseitiger Gestalt und über diesen und
mit ihnen altemirend fünf ebenfalls pentagonalen Radialien. Zu oberst folgen
noch fünf schmale niedere Tafeln (Radialien zweiter Ordnung), die dazu dienen,
die Articulation der fünf Arme mit dem Kelch zu vermitteln. Die Cupressocrinen
besitzen nicht die getäfelte Kelchdecke der Tesselaten, wahrscheinlich blieb bei
ihnen die den Mund umgebende Haut zeitlebens weich, ohne Kalktäfelchen aus-
zuscheiden. Statt dessen zeigt sich etwas tiefer im Kelch ein eigenthümliches
kalkiges Innengerüste in Form einer fünfblättrigen Blume. Es enthält Oeffiiungen
für den Durchgang der Speiseröhre zu Mund und Afler, sowie fünf randliche
Locher für die Ausmtindung der Eierstöcke u. s. w. lieber dem Kelch, mit
dem obersten der drei Platten-Kreise articulirend, erheben sich die fünf kräftigen,
aus mehreren Platten (2 bis 20) bestehenden einfache (nicht verästelte) Arme, die
zum Schutz des Thieres sich in Form einer fünfseitigen Pyramide zusammenlegen
konnten. Die Stielglieder (Entrochiten) zeigen einen mittleren Canal und vier um-
gebende kleinere, für den Durchgang musculoser Stränge. Die Säule trug wirtel-
weise gestellte Hilfsarme (Ranken, cirrhi), die den Mangel der Pinnulae der Arme
ersetzten.
Cupnssocrinus erscheint mit mehreren Arten im devonischen System nament-
lich im mitteldevonischen Kalk der Eifel. Gerolstein liefert prachtvolle Kelche,
oft noch mit der darauf sitzenden fünfseitigen Arm-Pyramide.
In der Kreide erscheint noch ein merkwürdiger ungestielter Tesselat Marsu-
pites^ Familie Marsupitidcte, welcher gleichsam die Comatulen vertritt. Der Kelch
besteht aus fünf- oder sechseckigen radial gestreiften grossen Platten. Auch die
das Centrum der Unterseite (Rückenseite) einnehmende und die Anheflungssäule
vertretende Kelchtafel ist eine fünfeckige gestreifte Platte ohne Spur einer An-
heftung. Darauf folgt der erste Tafelkreis von fünf fünfeckigen Tafeln (Basalien).
Der zweite Kreis besteht aus sechseckigen Tafeln. Der dritte Kreis zeigt fünf
ausgeschnittene Gelenkfiächen für den Ansatz der fünf Arme. Das Kelchdach
besteht aus kleinen Täfelchen. Die Arme waren nach Mantell's idealisirter
Darstellung dreimal gegabelt und nur von der Länge des Kelchs, sodass das
Thier wohl nicht schwamm, sondern mit dem Mund nach unten umhergekrochen
sein mag. Marsupites kommt mit drei Arten in der Kreide vor, M, ornatus
Mant. findet sich in der weissen Kreide von Lewes, Brighton u. a. O. in Eng-
land. Dies ist der letzte Tesselat.
Mit der Grenze des palaeozoischen gegen das mesozoische Zeitalter macht
sich ein merkwürdiger Umschwung in der Klasse der Crinoideen geltend. Die
}>alaeozoischen Tesselaten treten zurück und sind von da an selten, erlöschen
auch in der Kreide-Epoche oder mit deren Schluss. Die articulirten Crinoideen
(assulis artkulatione conjunctis) die im palaeozoischen System nur spärlich ver-
treten sind, treten an Stelle der vorigen in [die Hegemonie ein und leben mit
ziemlich vielen Vertretern noch in den grösseren Tiefen des heutigen Oceans
bis zu 1000, 2000 ja 2800 Faden.
Die Articulaten oder jüngeren Crinoideen, Crinoidea brachiata articulata^
zeigen einen dickwandigen Kelch, in welchem für die Eingeweide des Thieres nur
ein geringer Hohlraum frei blieb. Die Tafeln des Kelches sind niedrig und liegen
mit breiten gelenkartig in einander eingreifenden oder strahlig gezeichneten
Flächen übereinander. Das Kelchdach ist dünnwandig und schwach verkalkt.
Vom centralen Mund gehen ambulacrale Rinnen nach den Armen aus und setzen
in diesen bis zur Spitze fort.
240 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Die Arme sind verschiedenartig gestaltet, einfach oder stark verzweigt Sic
sind stark und in Pyramidenfomi zusammengeneigt bei Encrinus (in der Trias\
Eugeniacrinus und Apiocrinus (beide in Jura und Kreide). Bei der Familie Pen-
tacrinidaCf meist in Jura und Kreide, aber auch tertiär und lebend vertreten, er-
scheinen sie lang, vielfach verästelt, schlagen nicht in einer geschlossenen P>Ta-
mide zusammen, sondern bleiben in Buschform geöffnet. Den Pentacriniden
schliessen sich die im Jura fossil beginnenden und noch fortlebenden Comatuliden
an, die in einem gewissen Alter sich von ihrer Säule loslösen und von da an
frei umherschweifen.
Encrinus liliiformis Lam. ist im Muschelkalk reichlich vertreten. Seine dicken
walzigen, auf den Gelenkflächen grob gestrahlten Stielglieder (entrochiiat) sind
— gleichwie auch sonst die Kalkpartien der fossilen Echinodermen in spiegelnden
Kalkspath verwandelt — häufig und in manchen Bänken in ungeheuren Mengen
abgelagert. Vollständige Kelche mit den Armen sind gleichwohl selten. Der
Kelch ist niedrig und besteht aus dem obersten, etwas erweiterten fünfeckigen
Säulenglied, fünf kleinen, versteckten Basalplatten, (Infrabasalien) und darül>er
zwei höheren Tafel-Kreisen, (fünf Parabasalien und fünf Radialien.) Der dritte
Tafelkreis trägt die zehn Arme. Sie stellen, sobald sie zusammengeschlagen
sind, eine zehnseitige Pyramide dar, die einem Maiskolben ähnelt. An der Innen*
Seite sind sie mit Pinnulen besetzt, die bei den zusammengeklappten Exemplaren
der Beobachtung entgehen.
Aehnlich sind die Apiocrinus- Kvttn der Jura-Formation mit ungewöhnlicli
massigen Kelchtafeln und auffallender Verdickung der den Kelch tragenden
obersten Säulenglieder, durch welclie die Säule scheinbar in den Kelch übergeht.
Es wird hier schwer, den oberen Theil der Säule und den unteren des Kelche-»
zu unterscheiden. Die zehn Arme finden sich nur selten erhalten. Die A|>t«^
crinen vertritt in der Kreide-Formation die Gattung Bourgueticrinus, bei der diw
Säule von elliptischem Querschnitt erscheint. Der Kelch ist bei dieser sehr klein
und bimförmig, der freie Kelchraum sehr seicht und eng.
Eine sehr wichtige Gattung der Crinoidea articulcUa, namentlich im Lias uml
Jura in zahlreichen Arten verbreitet, ist Pentctcrinus mit langen vielfach verästelten
und seitliche Pinnulae tragenden Armen, die einen aufrechten offen bleibenden
Schopf um den Kelch rand bilden. Der kleine Kelch besteht wie gewöhnlich
aus dem obersten Säulenglied, darüber fünf Basaltafeln, sowie fünf Radialien
Der oberste Tafelkreis trägt die zehn mächtig entwickelten, äusserst viel/ahl:.^
zusammengesetzten Arme. Der Stiel ist gegen den Gipfel zu nicht verdickt, l>a]o
walzenförmig, bald fUnfkantig. Die Gelenkfläche der Glieder ergiebt eine fünr-
blättrige Zeichnung um den centralen Canal oder sogen. Nahrungscanal. iMc
Säule trägt hier auch in gewissen Abständen Wirtel von je fünf gegliedencr.
Hilfsarmen oder Ranken, cirrhi, die zuweilen den kleinen Kelch scheinbar vci
stecken. Die Stielglieder oder Entrochiten finden sich in Lias- und Jura-Schichteri
oft zahlreich abgelagert. Die vollständigen Exemplare des Thiercs, Kelch n.:
ausgedehntem Busch vielfach verzweigter Arme, mittelst des langen gegliederten
Stieles fest sitzend, kommen in schöner Erhaltung im unteren Lias von Engl:*!) J
vor (Pentacrinus Briareus Mill. im unteren Lias von Lyme Regis u. a. C). in
Dorsetshire), andere im mittleren Lias von Württemberg (Posidonomyen-Schieicf
von Boll u. a. O.) Spärlicher ist die Gattung /V»/<zrri>ii/i in der Kreideformatior.
und den tertiären Meeresablagerungen vertreten, lebt aber noch in mehrerci)
Arten, von denen Pentacrinus caput Mtdusae Mill. zuerst gegen 1755 *** Cub.-.
Echinodermen. 241
entdeckt wurde, in grösseren Meerestiefen, an den Philippinen in 300 — 400 Faden,
an Portugal in 1095 Faden Tiefe (1000 Faden = 1829 Meter).
Die durch Joh. Müller zuerst gründlich durchgeführte Untersuchung der
Organisation des lebenden P, caput Medusae ergiebt reichliche Aufschlüsse, die
aus fossilen Funden nicht zu erreichen sind. Die Säule hat keine eigene lenkbare
Muskelschicht, sondern hängt nur durch elastische Längsfaserbündel zusammen.
Die Kelchdecke des lebenden Pentacrinus besteht aus einer Haut mit einem
.Mosaik zahlreicher kleiner polygonaler Kalktafelchen. Diese Mundseite des Thiers
oder das Perisoma zeigt den Mund, den After und die Ambulacral-Furchen. Der
Mund ist central, sternförmig, in fiinf Strahlen ausgezogen, die den zwei mal fiinf
.Annen entsprechen. Vom Mund gehen fünf Rinnen aus, gabeln sich noch auf
dem Perisoma und gehen dann in die Arme über. Sie beherbergen zahlreiche
weiche Fühler (Ambulacral-Fäden). Der After liegt excentrisch, zwi.schen dem
Mund und dem Perisomarand in der Mitte eines von zwei Ambulacral-Rinnen
eingefassten fünfseitigen Feldes. Der Nahrungscanal zieht sich aus der (dorsalen)
Basis des Kelchs in die Säule und erhält diese in organischem Zusammenhang
mit dem Thier.
An die Pentacrinen schliessen sich unmittelbar die mehrfach schon erwähnten
Comatuliden an. Das junge Thier giebt früh seine frei umherschweifende Lebens-
weise auf, setzt sich an eine feste Stelle des Meeresbodens oder an Tange, treibt
einen gegliederten Stiel und bildet sich zur Gestalt eines Pentacrinus aus. Es
hat dann schon zweimal fünf Arme mit seitlichen Pinnulen. Später löst es sich
vom Stiel ab und schwimmt oder kriecht frei umher.
CotmUula Lam. (Alecto Leach) lebt in zahlreichen Arten in allen Meeren,
namentlich in grösseren Tiefen (an Japan noch in 2800 Faden). Das Thier hat
ursprünglich fiinf Arme, sie gabeln sich aber zu zwei oder mehreren Malen.
Ausserdem führt es noch an der Rückenseite der pentagonalen Körperscheibe
einen Wirtel von gegliederten Hilfsarmen (Ranken, ctrrhi)^ die ursprünglich der
Oberregion der Säule oder des Stiels angehören. Mittelst dieser Organe kriecht
das Thier (auf dem Rücken) umher. Die Comatulen beginnen fossil schon im
Jura, Comatula pinnata Goldf. (Pterocoma pinnata Ag.) aus dem oberen Jurakalk
von Solenhofen hat einen kleinen fünfzähligen Kelch und zehn bis 16 Centim.
lange kurzgegliederte Arme, die an der Mund- oder Ventralseite eine mediane
Fühlerfurche (Ambulacralrinne) zeigen und seitlich lange gegliederte Fiedern oder
Pinnulae tragen.
Solanocrinus mit mehreren Arten im oberen Jura, die durch einen sehr kräftig
gebauten Kelch sich auszeichnen, steht den Comatulen sehr nahe, zeigt aber an
der Rückenseite einen kurzen dicken fünfseitigen Knopf, den obersten Säulen-
thcil mit den Gelenkgruben, an denen zahlreiche Hilfsarme (cirrhi) angelenkt
hassen.
Den Comatuliden schliessen sich die sehr vereinzelt stehenden, nach ihrer
systematischen Stellung ziemlich problematischen Saccocomen an, die Joh. Müller
unter dem Namen Costata als eigene Ordnung der Crinoiden absonderte, während
andere Vermuthungen ihnen ihre Stellung bei den Euryaliden (gabelarmige Ophiu-
ridae) anweisen möchten. Saccocoma erscheint in mehreren, angeblich 4 Arten,
liäufig im oberen Jura (lithographischen Schiefer) von Solenhofen und Eichstedt
in Bayern. Die vier Formen sind aber vielleicht nur Entwicklungszustände der-
^Iben Art.
Saccocoma zeigt einen freien halbkugeligen Kelch ohne Spur einer voraus^
KfMifGOTT, Min., Geol. n. PaL I. i(r
242 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
gegangenen Anheftung, ohne Säule und ohne Dorsal-Cirrhen. Das Thier war
offenbar ein Schwimmer. Den Kelch setzen ein winziges Basal und fünf dünne
innig verbundene Radialien zusammen, die äusserlich mit zehn radialen Rippen
verziert erscheinen. Der Kelch trägt fünf Arme, von denen jeder schon am Kelch-
rand in zwei Aeste sich theilt. Die Armglieder sind gestreckter als bei den
Comatulen und abwechselnd mit ungegliederten einfaclien Domen oder Stäbchen
versehen. Letzteres ergiebt gegenüber von den gegliederten Pinnulen der Coma-
tulen und anderer Crinoideen einen bezeichnenden Unterschied und erinnert an
die ähnlichen Domen des Armrands bei Euryalen und Ophiuren. Das ganze
Kalkskelett der Saccocoma ist nicht dicht, sondem weitmaschig gegittert, ähnlich
wie das der jungen Comatula und anderer Jugendzustände von Echinodermen.
Nach diesem allem steht Saccocoma den Crinoideen im Allgemeinen noch am
nächsten, weicht aber von Comatula^ wozu Goldfuss die fossilen Arten zählte,
weit ab und bleibt im Uebrigen von sehr problematischer Stellung.
An die Klasse der Crinoideen schliesst sich die nur durch palaeozuische
Fossilien vertretene Abtheilung der Cystideen oder Cystidea entweder als be-
sondere Klasse oder als Ordnung. Es ist nicht bestimmt darüber zu urtheilcn.
da alle ihre Vertreter erloschen und ihre fossil erhaltenen Organe nur nach mehr
oder minder entfemten Analogien zu deuten sind.
Der Körper (Kelch) der Cystideen ist kugelförmig oder etwas in die iJinge
gestreckt. Er besteht aus mehr oder minder vielen, ofl sehr zahlreichen \-icl-
eckigen Tafeln. Diese bilden von 2 — 20 über einander folgende Kreise von ra-
dialer Anordnung, aber letztere wird undeutlich sobald die Zahl der Täfelchcn
50 überschreitet. An diesem Körper unterscheidet man gewöhnlich noch Mund
und Arme, After und Ovarlal-Mündung, endlich einen kurzen Stiel. Aber nicht
immer sind alle diese Organe vollständig nachzuweisen. Sie sind bisweilen ver-
kümmert oder fehlen ganz. Ueberhaupt ist hier Vieles im Schwanken.
Der Mund steht der Anheflungsstelle des Körpers wie bei den Crinoideen
diametral gegenüber, auf der Mitte der Oberseite oder etwas excentnsch. Den
Mund umstehen meist eine Anzahl von Armen, sie sind gegliedert, einfach oder
ästig, meist unansehnlich, in Zahl und Anordnung sehr schwankend. Bei manchen
Gattungen fehlen sie wohl ganz. Vom Mund zu den Armen verlaufend erkennt
man Spuren von Ambulacral-Rinnen, denen der Crinoidea articuJaia ähnlich.
die wohl Ambulacral-Fühler getragen haben mögen. Dies verbindet die Cystideen
nahe mit den Crinoidea articulata, während der Bau des Kelchs mehr mit dem
der Crinoidea tesselata übereinkommt. Der Afler ist klein und steht excentriM:}>
auf der Oberseite des Körpers, dem Munde genähert. Etwas entfernter vom Murdc.
noch an der Oberseite des Körpers aber seitlich von der Mund- und After-Linie steht
ein ausgezeichnetes Organ, das man als Genital-Oeffhung, Ovarial-Ausmündun^
betrachtet. Es ist eine grosse Oeffnung im Körperskelett, überdeckt von fiin?*
oder sechs besonders gestalteten Tafeln, die zu einer Pyramide zusammen
schliessen. Wahrscheinlich waren dies bei Lebzeit desThieres bewegliche Klappen
Diese eigenthümliche Ovarial-Pyramide scheidet die Cystideen von den Crinoideen
— sowohl den Tesselaten als den Articulaten. Den Körper der Cystideen tra^t
in der Regel ein kurzer gegliederter Stiel, der biegsam war. In anderen Fällen
ist der Cystideen-Körper mit schmaler oder breiterer Basis aufgewachsen, so l»ei
Jichinosphaerites. Dazu kommen bei den Cystideen noch eigenthümliche Organe
in Form von Porenpaaren, welche einzelne Kelchtafeln durchsetzen. Bald er-
scheinen sie an allen Kelchthcilen, bald nur an einzelnen Stellen oder fehlen aucl.
Echinodennen. 243
ganz. Man bezeichnet sie als Athmungsporen. (Es sind jedenfalls keine Ambu-
lacralporen.)
Nach allem diesem begreifen die Cystideen wahrscheinlich eine sehr vielge-
staltige Abtheilung von Echinodermen, die in einigen wesentlichen Charakteren
mit den Crinoideen Übereinkamen. In andern weichen sie entschieden ab und
unter sich begreifen sie in weitem Umfang schwankende Formen.
Die Cystideen (abgesehen von den Agelacrinen) beginnen in der Primordial -
Zone und sind in den beiden darauf folgenden silur. Faunen reich an Arten
und Gattungen vertreten, u. a. häufig in den obersiluri sehen Orthocerenkalken
(Vaginaten-Kalken) von Schweden und den russischen Ostsee-Provinzen. Mit Be-
ginn des devonischen Systems sind sie bereits ganz erloschen.
Eine der am einfachsten gebauten Cystideenformen ist Stephanocrinus (S,
angulatus Conr. aus dem obersilurischen Kalk von Lockport im Staat New-York)
mit nur acht Kelchtafeln, nämlich drei Basalien und einem darüber folgenden
Cyclus von *fünf in der Höhe gabelförmig getheilten Radialien. Zwischen den
vorragenden Spitzen der letzteren liegt ein sternförmiges Feld eingesenkt, die
Kelchoberseite mit centralem Mund und excentrisch aus fünf Täfelchen bestehender
Ch'arialp3rramide. Fünf Furchen (Ambulacral-Furchen) strahlten vom Mund aus
und führen nach fünf Gelenk-Gruben, die wohl die Mitte der fünf Arme bezeichnen.
After und Athmungsporen fehlen. Bei andern Cystideen ist die Zahl der Täfel-
chen ausserordentlich gross und soll bis 300 gehen.
Eehinosphaerites Wahlenb. hat einen kugeligen ungestielten mit kurzer ausge-
zogener Basis festgewachsenen Körper, der aus zahlreichen, fast regellos an-
geordneten dünnen meist sechseckigen Täfelchen besteht. E, aurantium His.
erreicht die Grösse einer Wallnuss und sass mit kurzer Basis an festen Gegen-
ständen aufgewachsen. Vorkommen in untersilurischen Lagern (Vaginaten-Kalk)
von Pulkowa u. a. O. bei Petersburg.
Caryocrinus ornatus Say aus dem obersilurischen Kalk von Lockport im
Staat New-York ist eine den Crinoideen in der äusseren Form ungemein nahe-
stehende mit einem kurzen cylindrischen Stiele festsitzende und mit zahlreichen
gefiederten Armen versehene Cystideen-Form. Der gestreckt-kugelige Kelch ist
sechszählig und besteht aus vier Basalien und darüber zwei sechszähligen Ra-
dialien-Kreisen, deren pberer neun Arme (drei Paare und drei einzelne) trägt.
Mund auf der Oberseite sehr excentrisch, Ovarial-Pyramide am oberen Kelch-
rand zwischen zwei Armen, After nicht vorhanden, Athmungsporen zahlreich.
Den Cystideen schliessen sich die Agelacrinen an, die mit der ganzen
Unterseite (Rückenseite) auf Conchylien u. dgl. breit aufgewachsen sind und in
der äusseren Gestalt sehr von vorigen abweichen. Die mit zahlreichen polygo-
nalen Täfelchen besetzte Oberseite des flachen kreisrunden Körpers zeigt einen
centralen Mund, der durch vier dreieckige Tafeln verschliessbar ist. Vom Mund
mm Rande der Scheibe strahlen fünf gebogene von besonders ausgebildeten Tafel-
reihen eingefasste Ambulacral-Felder aus, die an Ophiuren-Arme erinnern, aber
im Getäfel der Oberseite eingebettet liegen. Zwischen zwei ambulacralen Feldern
liegt eine grosse mittelst fünf oder zehn Klappen verschliessbare Ovarial-Pyramide.
After fehlt Weder Ambulacral- noch Athmungs-Poren vorhanden. Agelacrinus
erscheint mit mehreren Arten im silurischen System besonders zu Cincinnati (Ohio)
auf Conchylien festsitzend. Agelacrinus rhenanus Roem. kommt noch unterde-
vonisch im Grauwackenschiefer zu Unkel bei Bonn vor.
Diese seltsamen aufgewachsenen Cystideen zeichnen sich durch die arm-
|6»
244 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
ähnliche Gestaltung der Ambulacral-Segmente aus und ahmen in dieser Hinsicht
in täuschender Weise die äussere Form der Ophiuren nach. Ihre systematische
Stellung ist problematisch, sie stehen vielleicht den Ophiuren näher als die übrigen
Cystideen.
Eine ähnliche Stellung wie die Cystideen nehmen neben den Crinoideen die
ebenfalls nur in palaeozoischen Formationen vertretenen Blastoideen oder
Knospenlilien, Blastoidca, ein und bieten — als längst erloschene Lebensformen —
der Deutung ebenso viele Räthsel. Ihr kugeliger oder knospenförmiger, bald ge-
streckter, bald etwas niedergedrückter Körper (Kelch) sitzt z. Th. oder immer
mittelst eines kurzen gegliederten Stieles fest und trägt zahlreiche kurze gegliederte
Arme, die aber nicht so ausgebildet wie die der Crinoideen sind und in buschiger
Gestalt den Scheitel umfassten.
Der Körper besteht bei der artenreichen Blastoideen -Gattung Pentrtmites
aus drei geschlossenen Platten-Kreisen, jeder der beiden oberen aus fünf Platten
oder Tafeln bestehend. Eine Anzahl schwer zu deutender Organe drängen sich um
den Scheitel oder die Oberseite des Körpers. In der Mitte steht der kleine
kreisrunde Mund, bei wohlerhaltenen Exemplaren durch eine Decke von kleinen,
beim lebenden Thier offenbar beweglich gewesenen Täfelchen geschützt. Den
Mund umgeben fünf kleinere Oeffnungen. Eine davon ist etwas grösser und
gilt als After. Die vier anderen Oeffnungen stellen sich bei guter Erhaltung
jede als ein Porenpaar heraus. Sie gelten als Ovarial-Löcher oder Ausmün-
düngen des Genital-Apparates, können aber zugleich auch einem Athmungs-Apparat
(Wassergefass-System) gedient haben. Am meisten in die Augen fallen fiinJ*
grosse blumenblattförmige quergestreifte Felder. Sie stellen die dritte Tafel-
reihe des Körpers dar. Sie gleichen in täuschender Weise den Arabulacral-
Feldern der Echinoiden, namentlich aber den blumenblattformigen Ambulacren
von Cfypeaster, Indessen erkennt man auch an den am besten erhaltenen Funden
keine wahren Füsschen-Poren und bezeichnet daher die fünf blattförmigen vom
Scheitel ausstrahlenden Felder als Pseudoambulacren. Genauere Untersuchung
ergiebt an jedem Rand eines solchen Feldes eine Reihe von Gelenkgruben, auf
denen die kurzen gegliederten Aermchen sassen. Vielleicht entsprechen die
Pseudoambulacralfelder den Armen der Crinoideen, die Aermchen den Pinnulen
der letzteren.
Die Blastoideen haben je nach ihrem Erhaltungszusfand schon mannigfacl e
Deutungen veranlasst, namentlich auch schon als Stammformen der Echinoiden
gegolten, eher schalten sie sich zwischen den ältesten Ursprungsformen der
Asteroiden, Crinoiden und Cystideen ein. Jeder neue Fund guterhaltener Exem-
plare kann hier die ältere Deutung über den Haufen stossen.
Die Blastoideen sind längst erloschen. Sie beginnen mit wenigen Arten im
oberen silurischen System, nehmen im devonischen merklich zu und ent\(ickeln
im Kohlenkalk einen grossen Artenreich thuni, worauf sie dann alsbald ver-
schwinden.
Die bekannteste und verbreitetste Gattung ist Ptntremites Sav (PenkUremaÜirs
Die Pentremitcn erreichen den Gipfel ihrer Entwickelung im Kohlenkalk, nament
lieh in dem von Nord-Amerika und sind für die Meeresfauna des carbonisch<:n
Systems um so mehr bezeichnend, als sie schon im permischen System fehlen
und also wohl schon unmittelbar vor diesem ein für alle Mal erloschen. J^,
florealU Sav ist in verkieseltem Zustand häufig im Kohlenkalk von Nord-Amerika.
Die Klasse der Echinoiden. Seeigel oder EcMnoidea, knüpft weder an
Echinodermen. 245
die Seesteme, Asteroidea an, aus deren Ursprungsformen sie schon in einer sehr
frühen geologischen Epoche durch Centralisation und namentlich durch Umge-
staltimg der Strahlsegmente oder Antimeren hervorging. Die fünf Strahlpersonen
des primitiven Thierstockes der Asterien sind hier der weiter vorrückenden Cen-
tralisation erlegen und durch Verkürzung in die Centralscheibe eingetreten. Die
Scheibe hat sich hier zu einem Sphäroid aufgebläht und die gegliederten Arme
in sich hereingezogen. Sie stellen nunmehr nur noch fünf von der Mund-After-
Achse ausstrahlende Felder dar, von denen jedes ein medianes Ambulacrum und
zwei randliche Felder (je eine Hälfte eines interambulacralen Feldes) begreift.
Die Analogie des Bau's ist in die Augen springend. Aber die Bestätigung der
Hypothese (E. Häckel) aus fossilen Funden ist noch nicht beizubringen, was um
so weniger befremden kann, als die Asteroideen und die Echinoideen bereits im
süurischen System in ausgebildeten Typen fossil auftreten und ihr Auseinander-
gehen daher noch in viel ältere Perioden zurückreichen mag, aus denen wir über-
haupt nur wenige und dürftige Echinodermen-Formen fossil erhalten kennen.
Bei den Echinoiden geht die Verkalkung der Haut, genau gesagt die stufen-
weise Kalkausscheidung in der Unterhaut oder Cutis soweit, dass daraus ein vor-
wiegend unbeweglich geschlossenes Gehäuse oder sogen. Aussenskelett, eigentlich
ein starrer Unterpanzer entsteht, wobei bis auf geringe Reste die weiche Haut
verloren geht. Zwischen den Kalktäfelchen bleibt ein Netzwerk der belebten
Haut, welches deren weiteres Wachsthum vermittelt. Oft bleiben auch zwischen
den Mund und After umgebenden Tafeln noch so beträchtliche Reste, dass diese
beweglich verbleiben, selten ist der ganze Schuppenpanzer noch beweglich.
Das feste Skelett der Echinoiden überhaupt ist kugelig oder etwas in die
l^nge gestreckt und alsdann zur Symmetrie neigend. Kugelig ist das Gehäuse
bei den regulären Echinoiden (Palechiniden und Cidariden), der Mund central
auf der Unterseite, der After ihm diametral gegenüber auf der Oberseite, um-
geben von zehn Asseln, filnf von der Ei-Leitung durchbohrten und flinf damit
altemirenden, welche Augen tragen. Hier laufen die fiinf Ambulacralfelder mit
den auf (innen einfachen, aussen gedoppelten) Poren stehenden in Saugnäpfe
endenden Füsschen (Ambulacralftisschen), als fünf fast gleichbreite Bänder vom
Mundpol zum Afterpol. Aber von diesen regulären Echinoiden geht eine viel-
gestaltige Reihe mehr und mehr zur bilateralen Symmetrie hinneigender Formen
aus, bei denen der After aus der polaren Lage heraustritt und sich dem Mund
nähert, um mit diesem in eine symmetrische Lage zu treten, in welcher schliess-
lich auch der Mund nach vom sich verschiebt. So ist der aus einem ftlnfzäh-
ligen Thierstock unter Durchlaufung der Asterienform entstandene reguläre
kugelige Körper des Echinoiden-Typus auf dem Wege durch symmetrische Ge-
staltung wieder in die bilaterale Symmetrie zurückzufallen, der seine primitiven
Personen angehörten. Am weitesten vorgerückt sind in dieser Hinsicht die
Spatangiden. Bilateral-symmetrisch ist auch noch bei den Echinoiden gleichwie
bei den Asteroideen die aus dem Ei hervorgehende Larve, aus der das strahlige
Echinoid erst durch ftinfzählige Knospung hervorgeht.
Der starre Echinoiden-Körper, soweit er für Geologie und Palaeontologie in
Betracht kommt, besteht im Wesentlichen aus folgenden Stücken: 1. Das Gehäuse
oder die Schale, eigentlich ein Unterpanzer des Thieres, besteht aus zweimal
fiinf longitudinalen Feldern, die vom Mund zum After, oder wo letzterer in der
s)iDmetrischen Linie durchbricht, vom Mund zum Scheitel (Apex, Rücken) ver-
laufen. Es sind die Ambulacral -Felder, die meist aus zwei Reihen zahlreicher
246 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
niedriger von den Poren zum Durchtritt der Saugflisschen durchbohrten Tafeln
bestehen und die Interambulacren, die zwischen vorigen sich einschalten und
meist aus zwei Längsreihen grösserer Tafeln bestehen. Dazu kommen 2. am
After oder, wo dieser ausweicht, am Scheitel zehn Täfelchen, abwechselnd fiir
den Austritt der Eileitung und den der Augen. Dazu kommen 3. zahlreiche auf
Warzen der Interambulacren sitzende kalkige Stacheln, bei den meisten Ecbi-
noiden klein und gespitzt, bei Cidaris, Echinometra und manchen Palechiniden
mächtig entwickelt, oft keulen- oder kolbenförmig. Dazu kommt endlich noch
4. bei den Cidariten, Echinen, Palechiniden, Clypeastriden ein von den Mund-
häuten abgesondertes zusammengesetztes kalkiges Gebiss von Gestalt einer fiinf-
seitigen Pyramide, welches Aristoteles schon kannte (Laterne des Aristoteles\
Die zahlreichen übrigen Einzelheiten müssen wir dem zoologischen und zootomischen
Studium überlassen.
Die Echinoiden beginnen schon in der Silur-Formation mit typischen, aber
durch seltsame Unbestimmtheit der Zahlenverhältnisse in den Tafelreihen aus-
gezeichneten Formen. Sie zerfallen nach morphologischen Charakteren und nach
chronologischer Folge in drei natürliche Ordnungen, die regulären Palechiniden,
die regulären Autechiniden und die symmetrischen Autechiniden. Die ersten
beginnen im Silur, die zweiten in der Trias, die dritten erst im Jura. Beide
letztere leben* noch zahlreich in unseren Meeren, wo sie mittelst ihrer lang vor-
gestreckten Saugflisschen auf festem Boden kriechen, manche nahe der Ebbe-
Linie, andre in grossen Meerestiefen, wo sie bis 1000 Faden (1829 Meter) zahl-
reich und mannigfaltig noch leben. Pourtalesia, dem Ananchyies der Kreide
verwandt, fand sich an Schottland und bei Japan noch in 2800 Faden Tiefe,
Die Palechiniden, Palechinoidea, oder älteren Seeigel beginnen im untren
Silursystem, sind — gleich den Blastoideen — im Kohlenkalk am reichsten ver-
treten und erlöschen mit den letzten Arten schon im permischen System. Manche
zeigen das Mund-Gebiss der heutigen Cidariden, mit denen sie auch den regular-
tUnfzähligen Körperbau schon gemeinsam haben. Aber sie weichen seltsam ab
durch die schwankenden Zahlenverhältnisse in den longitudinalen Plattenreihen,
besonders den Interambulacral-Reihen. Ihre Zahl erreicht oft hohe Beträge und
im Gegensatz dazu kommt eine Gattung vor, deren Interambulacrum nur
eine einzige Tafelreihe zeigt. Dieses schroffe Schwanken in der Zahl der gleich-
namigen oder homonymen Körpertheile haben die Palechiniden mit den Cysti-
deen gemeinsam. (Analogie, nicht Affinität).
Palechirtus elegans Mac Coy im Kohlenkalk von Irland hat ein kugelfbrmigeb
Gehäuse — und ausser je zwei Tafelreihen in den fiinf Ambulacralfeldem — noch
je fünf Tafelreihen in den ftinf Interambulacralfeldem. Also fünfmal zwei und
fünfmal fünf, zusammen 3 5 longitudinale vom Mund zumAfter verlaufende Tafelrcihen.
Meloniies multipora Norwood und Owen, eine sehr grosse Art, häufig im
Kohlenkalk von St. Louis im Staat Missouri, zeigt je 8 Tafelreihen in den funi
Ambulacralfeldem und je 7 Tafelreihen in den Interambulacralfeldem. Also
fünfmal acht und fünfmal sieben, zusammen 75 longitudinale Tafelreihcn. Sic
sind um den Aequator der Kugel am zahlreichsten, gegen die Pole zu verringern
sich die interambulacralen Reihen auf 4 und 2, gegen den Aequator zu schalten
sich neue ein, so dass hier ihre Zahl 7 bis 8 oder noch mehr beträgt.
In grellem Gegensatz zu dieser Vielzahl der Längstafelreihen zeigt dio
Gattung Bothrioridaris im untersilurischen System von Estland nur 15 Tafelreihcn
(a mden fünf ambulacralen und nur je eine in den fünf interambulacralen Feldern
Echinodennen. 247
Eine besondere Familie Lepidocentridae ergiebt sich mit der Palechiniden-
Gattung Lepidocentrus, die nur in Arten aus dem devonischen System bekannt
ist. Lepidacentrus Eifelianus Müll, zeigt schuppen förmig tibereinander geschobene
Interambulacraltafeln, was auf eine gewisse Beweglichkeit des Panzerkleides deutet,
wie sie in der lebenden Echinoidenfauna selten — und nur noch bei Arten, die
grosse Meerestiefen bewohnen — vorkommt. Diese Art kommt im mitteldevoni-
Mrhen System zu Gerolstein in der Eitel vor. Z. rhetianus Müll, aus einer gleich
alten Schicht (Grauwacke) von Wipperfürth in Westphalen hat den Mund mit der
Kieferpyramide kennen gelernt. Die Interambulacralfelder fiihren in der Nähe
des Mundes 3, näher dem Aequator 5 Tafelreihen.
Mit Ende des palaeozoischen Zeitalters tritt bei den Echinoiden gleichwie bei
den Asteroideen, den Crinoiden und vielen anderen Klassen der Meeresthiere —
eine auffallende Veränderung ein. Die Palechiniden zeigen sich im permischen
System zuletzt und erlöschen mit diesem in nur noch spärlichen Vertretern. An
ihre Stelle treten — zuerst in der Trias und zwar im Muschelkalk hervortauchend
— die echten Seeigel oder Autechinida, die noch zahlreich fortleben. Sie zeigen
20 I^ngs-Tafelreihen, fünfmal zwei ambulacrale und flinf mal zwei interambula-
<'rale, zusammen 20 Tafelreihen.
Die regulären Autechiniden mit den Familien Cidaridae, Salenidae u. a. sind
gleich den Palechiniden nach dem regulären fünfzäh ligen T)q)us gebaut, mit dem
Mund im unteren, dem After im oberen Pol. Die Antimeren oder Strahltheile
ziehen als fünf fast gleich breite Bänder in longitudinalem Verlauf vom einen zum
andern Pol. Sie sind offenbare Abkömmlinge der Palechiniden, mit denen sie
das Gebiss oder den verkalkten Mundhaut-Apparat gemeinsam haben, nur sind
bei ihnen die Zahlenverhältnisse der Plattenreihe schon streng geordnet.
Sie eröffnen im Muschelkalk, erscheinen besonders in den Korallen- und
Schwaramlagem von Jura und Kreideformation zahlreich und leben in vielen Arten
noch in den heutigen Meeren, wo sie von der seichten Strandregion bis zu
grossen Tiefen niedergehen.
Am häufigsten in wohlerhaltenen Exemplaren findet sich Cidaris coronata
GoLDF. im oberen Jura besonders in den Spongiten-Schichten der Schwäbiscl^en
Alp, namentlich in losen keulenförmigen Stacheln, aber auch in geschlossenen
Körpergehäusen von 3 bis 5 Cendm. im Durchmesser mit 4-t-*5 oder 5-1-6 grossen
alteroirenden Asseln in jedem Interambulacralfelde.
Bei den symmetrischen Echinoiden entwickelt sich dadurch, dass der Afler
unterhalb vom After-Pol zwischen beiden Reihen eines der Interambulacren —
bald noch über dem Rande der Unterseite, bald im Rande selbst, bald noch
daninter — durchbricht, eine Anlage zu symmetrischem Körperbau, der bald auch
andre Organe sich anpassen, wie denn auch bei vielen Formen der Mund seine
centrale Lage verlässt und auf der Unterseite nach vom rückt Die Scheitel-
rosette verbleibt. Hierher gehören eine grössere Anzahl von Familien, die meist
ichon im Juras)rstem anheben und nach verschiedenen Richtungen sich gestalten.
Die Clypeastriden führen noch den verkalkten Kiefer-Apparat der Palechi-
niden und der regulären Autechiniden und der Mund hält sich noch mittelständig.
Die Körpergestalt streckt sich in der Mediane, die mit dem randlichen Durch-
brach des Afters entsteht. Die sogen. Fühlergänge bilden einen von der Scheitel-
rosette ausstrahlenden fUnfzähligen einer Blume ähnlichen Stern, werden am
Rand des Körpers undeutlich nnd entwickeln sich erst darunter gegen den Mund
zu wieder deutlich. Die Clypeastriden erlangen ihre reichlichste Entfaltung erst
248 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
in den mittleren Tertiärschichten und leben noch sehr zahlreich in den wärmeren
und tropischen Meeren, wie es scheint, ohne in die grossen kühlen Mecresab-
gründe niederzugehen.
Die übrigen Familien der symmetrischen Echinoiden entbehren das verkalkte
feste Gebiss der vorigen.
Bei den Galeritiden des Jura*s und der Kreide liegt der Mund genau central
auf der Unterseite, der After an der Hinterseite, im Rand oder noch etwas dar-
unter. Die Fühler sind bandförmig und strahfen vom Scheitel zum Munde noch
so regelmässig aus wie bei den regulären Fxhinoiden.
Bei den in der Kreide reichlich vertretenen, heute in tiefen Meeresabgrunden
(Pourtaiesia in 2800 Faden Tiefe) noch lebenden Ananchytiden rückt auch der
Mund schon aus der centralen Lage dem After median gegenüber, an die
vordere Region der Unterseite.
Bei Disaster oder Dysaster in Jura- und Kreideschichten stehen nicht nur
Mund und After an der Unterseite in der Mediane einander gegenüber, auch der
Scheitel des Rückens ist in der Mediane in einen vorderen und einen hinteren
Theil auseinandergezogen. Drei Ambulacralgänge strahlen noch vom Scheitel
aus, den auch noch vier Ovarialtafeln bezeichnen. Die zwei anderen Ambulacren
strahlen von vorigen getrennt von einer hinter dem Scheitel gelegenen Stelle au^.
Bei der an Arten und Gattungen zahlreichen vom Neocomien und der Kreisle
an reichlich vertretenen Familie der Spatangiden wird die Köq)ergestalt mehr
oder minder herzförmig. Vom Scheitel läuft eine Furche über die Vordersevc
bis zum Munde, eine oft kielartige Anschwellung vom Scheitel nach hinten 7\:n>
After. Bei den Spatangiden allein kommen glatte Bänder (Fasciolen) vor, a-:
deren besonderen Bau wir hier nicht näher eingehen können.
In geologischen Funden sehr spärlich vertreten, aber gleich wohl wichtig iVir
die geologische Geschichte der Lebe weit ist die Klasse der Seewalzen (aiirh
Stemwürmer genannt) Holothurioidea, Die Verkalkung der Unterhaut oder Leder-
haut, cutis, bleibt bei dieser Abtheilung der Echinodermen unvollständig und
wird nie zum geschlossenen Unterpanzer. Das Hautsystem bleibt hier vorwiegend
weich und beweglich und darunter erhält sich eine mächtige Muskelschich*
Kalkkömer werden nur vereinzelt ausgeschieden, höchstens treten sie um den
Schlund zu einem geschlossenen Kalkring zusammen.
Die Holothuroiden stellen die am weitesten ungestaltete, am weitesten vom
primitiven Typus sich entfernende Klasse der Echinodermen dar. Es sind gleich
den Echinoiden, namentlich den Palechiniden, von deren ältesten fossil vielleicht
nicht erhaltnen Formen sie abstammen mögen, armlose erst gründlich centralisirte
dann in die Länge gestreckte Individuen, die von den fiinf Personen des r:.
Grunde liegenden Individuen-Stockes der Asteroideen nur noch versteckte Spuren
erkennen lassen.
Ihr Körper ist lang gestreckt, walzenförmig und wurmähnlich, äusserlich dem
von gewissen Würmern, den Gephyreen (welche ältere Zoologen auch unter dem
Namen Stemwürmer noch mit ihnen vereinigten) täuschend ähnlich. Aber funi
oder sechs Radialsegmente, der Länge nach vom Mund zum After verlaufen«),
sind bei ihnen noch mehr oder minder deutlich nachzuweisen, naroentiich lun-
giebt auch noch den Mund ein Strahlenkranz von weichen Fühlern, oft in der
Fünf, oder Sechszahl. Der Mund und After stehen sich wie bei Palechiniden un«{
regulären Autechiniden diametral gegenüber, aber der Mund bezeichnet hier nicht
mehr eine untere Seite, sondern gemäss der wurmförmigen Körpergestalt und der
Echinodermen. 249
frei umherschweifenden Lebensweise die Vorderseite und dazu kommen Formen,
bei denen der Körper auf einer besonderen Abplattung (Bauch oder Fuss) um-
herkriecht, also wieder eine Neigung zur Ausbildung von bilateraler Symmetrie
hervortritt, die eine gewisse Parallele mit den symmetrisch gewordenen Formen
der Autechiniden ergiebt.
Die Holothuroiden zerfallen, je nachdem sie noch AmbulacralfÜsschen be-
sitzen oder auch diese verschwunden sind, in Holothurioidea pedicellata und
apoda.
Zu den Pedicellaten gehören die Holothuriden und die Psoliden, die beide
noch mit deutlichen aus eignen Poren der weichen Oberhaut hervortretenden und
in Saugscheiben ausgehenden Ambulacralftisschen versehen sind, also regulären
Echinoiden noch am nächsten stehen.
Bei den Holothuriden stehen die Ambulacral-Füsschen meist der Mund-After-
Achse entlang in Längsreihen, bald in fünf bald in sechs Reihen, die evident
noch dem Ambulacralfeld der Echinoiden entsprechen. Den Schlund umgiebt
ein geschlossener Kalkring von 1 5 (3 mal 5) kalkigen Platten, also ein Rest vom
festen Perisoma älterer Stammformen. In der Lederhaut des übrigen Körpers
beschränkt sich die Kalk aussch ei düng auf vereinzelte Kalktäfelchen von ver-
schiedener Gestalt. Fossile Reste von Holothuriden sind bei der vorherrschend
weichen zur fossilen Erhaltung wenig geeigneten Körperbeschaffenheit selten und
schwer erweisbar.
Bei den Psoliden kriecht das Thier — ähnlich wie eine Schnecke — auf
einer flachen Bauchscheibe und trägt dabei das Vorder- und das Hinterende des
Körpers erhöht. AmbulacralfÜsschen stehen hier nur noch auf der Bauchscheibe,
wo sie drei Reihen bilden. Psolus squamatus Müll, lebt in der Nordsee, besonders
an Norwegen. Den gewölbten Rücken bedeckt ein Panzerkleid von dachziegel-
aitig angeordneten Kalkschuppen. Solche feste Kalktheile vom Schuppenkleid
eines Psolus sind in Ablagerungen der nordischen Drift fossil gefunden worden.
Zu den fusslosen Holothuroiden gehört die Familie Synaptidae mit walzen-
fbraiigem Körper ohne Ambulacralreihen und ohne Gegensatz einer Ober- und
Unterseite. Sie leben besonders in wärmeren Meeren, eine Art Synapta Dnvcrnoyi
QcATR. an der Küste des Kanals (Saint Malo) im Sand. Bei ihnen erscheinen
als Vertreter der Saugfüsschen eigenthtimliche zweiarmige langgestielte Kalk-Anker,
welche die weiche Oberhaut (Epidermis) rauh machen, nach Belieben bewegt
werden und dem Thiere beim Kriechen im Sand u. s. w. dienen. Bei 5. Duver-
noyi werden sie höchstens ^ Millim. lang. Solche Kalkankerchen von Synapten
finden sich im oberen Jura fossil. Graf Münster fand sie im Scyphienkalk von
Streitberg in Franken und beschrieb sie 1843 unter dem Namen Synapta Sieboldi.
Sie werden gegen 2—3 Millim. lang und gehören offenbar einer sehr grossen
Synapta an, wie deren heute noch in wärmeren Meeren leben, wo sie 0,5 — i Meter
lang werden. Diese Synapta- ^nV^r finden sich verkieselt neben zahlreichen viel-
gestaltigen aber leicht davon zu unterscheidenden Schwamm-Nadeln auch in der
Korallenbank des oberen Jura von Nattheim in Schwaben.
Rädchen mit radialen Speichen sind im mittleren und oberen Jura von Schwaben
gefunden worden und werden auf Chirodota oder eine verwandte Gattung fuss-
loscr Holothuroiden bezogen.
250 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Edelsteine
von
Professor Dr. Kenngott.
Gewisse Minerale werden Edelsteine, auch Schmucksteine genannt,
doch sind diese Benennungen nicht gleichbedeutend, insofern alle Edelsteine
Schmuck steine, aber nicht alle Schmucksteine Edelsteine sind. Schon seit alten
Zeiten fanden in diesem doppelten Sinne gewisse Mineralvorkommnisse eine weit
verbreitete Verwendung und weil dem Zwecke entsprechend verschiedene Minerale
zu dem Range von Edelsteinen erhoben, viele als Schmucksteine verwendet
wurden, so entstand eine gewisse Schwierigkeit, die Edelsteine von den Schmuck -
steinen zu trennen.
Eine Definition der einen oder der anderen ist schwierig, weil die Abgrenzung
der Edelsteine von den Schmucksteinen nicht Sache der Mineralogen ist. So
sagte z. B. R. Blum (pag. 190 in seiner Lithurgik, Stuttgart 1840): >Im Allge-
meinen versteht man unter Edelsteinen alle diejenigen Minerale, welche sich durch
schöne und lebhafte Farben oder Farblosigkeit, bedeutenden Glanz (Feuer), Durch-
sichtigkeit, Reinheit und einen hohen Grad von Härte auszeichnen, unterscheidet
jedoch eigentliche Edelsteine und Halbedelsteine von einander, je nach-
dem denselben nämlich die eben erwähnten Eigenschaften alle oder nur einige
mehr oder minder ausgezeichnet zustehen. Die Halbedelsteine kommen meist
halbdurchsichtig oder durchscheinend und in grösseren unförmlichen Massen
vor, auch besitzen sie eine geringere Härte, während den eigentlichen Edel-
steinen bei Hervortretung aller jener Eigenschaften, gewöhnlich ein kleiner
Körperinhalt eigen ist. Indessen herrscht bei dieser Eintheilung viele Willkur,
da man manche Steine bald zu dieser, bald zu jener Klasse zählt«. Zu den
eigentlichen Edelsteinen werden nach Blum im Handel gewöhnlich folgende ge-
zählt: Diamant, Korund (Sapphir und Rubin), Chrysoberyll, Smaragd und Ber>'ll,
Topas, Zirkon, Granat, Turmalin, Dichroit, Amethyst, edler Opal und Chrysolith.
Hier zeigt sogleich die Angabe »im Handel«, dass die Unterscheidung nich:
in der Hand der Mineralogen liegt und dass die mineralogischen Eigenschaften
nicht allein den Ausschlag geben.
Vergleicht man hiermit, was E. Kluge (in seinem Handbuche der Edelstein-
kunde, Leipzig 1860) in § i, Begriff der Edelsteine, sagt: >Mit dem Worte
Edelstein (pierre pr<$cieuse; precious stone, gem) bezeichnet man ein jede<
Mineral, welches sich durch Härte, Glanz, Schönheit der Farbe oder Farblosig-
keit, sowie in den meisten Fällen durch grössere Seltenheit und Durchsichtigkeit
auszeichnet und deshalb in der Bijouterie verarbeitet wird. Man theilt sie gc
wohnlich in eigentliche Edelsteine, ganz edle, oder Juwelen (gemmae
und Halbedelsteine, couleurte oder farbige Steine (lapides pretiosi) ein.
Zu den ersteren rechnet man die selteneren Minerale, die sich durch bald leb-
hafte, bald sanfte und liebliche Farben, Durchsichtigkeit, bedeutende Stärke des
Glanzes (Feuer), grosse Härte und Polirßihigkeit auszeichnen. — Die sogen.
Halbedelsteine zeigen alle diese Merkmale nur in weit geringerem Grade und
kommen häufiger und in grösseren Massen vor. Indessen findet bei dieser Ein
theilung eine grosse Willkür statt, da manche Steine bald zu dieser, bald zu jener
Abtheilung gezählt werden. Auch hinsichtlich des mercan tili sehen Werthes la.s>t
sich eme scharfe (Jrenzlinie nicht zwischen beiden Klassen ziehen, da dieser
durch verschiedene zufällige Umstände, Schliff, besondere Schönheit oder Selten-
Edelsteine. 251
heit der Farbe, Fehlerlosigkeit und durch die Mode bedingt ist, so dass nicht
selten manche der Halbedelsteine den Juwelen vorgezogen werden«, so ersieht
man ebenfalls, dass die Eigenschaften der bezüglichen Minerale allein nicht zur
Begriffsbestimmung ausreichen.
Derelbe gab nun (pag. 167) nach eingehender Erörterung aller zu berück-
sicbügenden Verhältnisse, der mineralogischen Eigenschaften, der Bearbei-
tung u. s. w. eine Anordnung, wobei, soweit diese thunlich war, der reelle Werth,
den die Edelsteine als Schmucksteine haben, in Verbindung mit der Härte, den
optischen Eigenschaften und der Seltenheit des Vorkommens als Maassstab an-
genommen worden ist.
I. Juwelen oder eigentliche Edelsteine. Ausgezeichnet durch grosse
Härte (die härtesten irdischen Stoffe) und PohturfKhigkeit, hohes specifisches Ge-
richt, prächtige Farben und Klarheit, verbunden mit starkem Glänze (Feuer) und
Seltenheit des Vorkommens in schleifwtirdigen Exemplaren.
A. Schmücksteine ersten Ranges. Härte zwischen 8 und 10; speci-
fisches Gewicht über 3,5; hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung entweder
reiner Kohlenstoff oder reine Thonerde, oder Verbindungen der Thonerde mit
anderen Erden; im Allgemeinen ist die Thonerde vorherrschend. Sehr seltenes
Vorkommen in schönen Exemplaren und höchster Werth. — Diamant, Korund
,Rubin und Sapphir), Chrysoberyll, Spinell.
B. Schmuck steine zweiten Ranges. Härte zwischen 7,5 und 8,0 (mit
Ausnahme des edlen Opals); specifisches Gewicht meist über 3; hinsichtlich der
chemischen Zusammensetzung ist die Kieselsäxire vorherrschend. Vorkommen
schon häufiger und in grösseren Exemplaren als bei den vorhergehenden; Werth
im Allgemeinen geringer als bei den Schmucksteinen ersten Ranges, in ausge-
zeichneten Exemplaren aber immer noch sehr bedeutend und dann geringere
Sorten der vorigen übertreffend — Zirkon, Beryll (Smaragd), Topas, Turmalin,
Granat (Pyrop), edler Opal.
C. Schmucksteine dritten Ranges. Bilden schon den Uebergang zu
den Halbedelsteinen, da sie selten alle specifischen Merkmale der Edelsteine ver-
einigt zeigen. Härte zwischen 5,5 und 7,5; specifisches Gewicht meist über 2,5;
Kieselsäure ist vorherrschend (mit Ausnahme von Türkis). Werth im Allgemeinen
nicht sehr bedeutend; nur sehr schöne Exemplare von einigen (Dichroit, Chrysolith,
Türkis) aus dieser Gruppe werden noch ziemlich theuer bezahlt. Vorkommen
der meisten ziemlich häufig, jedoch selten in schleifwürdigen Exemplaren. —
Dichroit, Vesuvian, Chrysolith, Axinit, Disthen (Cyanit), Staurolith, Andalusit mit
Chiastolith, Epidot (Pistazit), Türkis.
IL Sogenannte Halbedelsteine. Sie zeigen die bei den Juwelen ange-
führten ausgezeichneten Eigenschaften in weit geringerem Grade oder nur einige
derselben. Diese bilden die Schmucksteine vierten und fünften Ranges.
Wenn so gewöhnlich die Edel- und Schmucksteine mit einander zusammen-
gestellt werden, so ergiebt sich doch, dass, so wenig übereinstimmend die
Trennung durchgeführt wird, die eigentlichen Edelsteine (Juwelen) durch Jahr-
hunderte, ja Jahrtausende hindurch ihre Geltung behielten, dass diese Mineral-
vorkommnisse besonders durch hohe Härte und ein schönes Aussehen ihren Rang
behauptet haben und dass man auch das schöne Aussehen allein so hoch an-
schlug, den minder harten edlen Opal noch zu den eigentlichen Edelsteinen zu
ahlen. Die Schmucksteine dritten Ranges können besser den Halbedelsteinen
zugezählt werden, deren Zahl verhältnissmässig gross ist.
253 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Da nun sachgemäss nur diejenigen Vorkommnisse einer Mtneralart als Edel-
stein aufgeführt werden können, wenn sie zur dem Zwecke entsprechenden Ver-
wendung sich eignen, nicht deshalb die Mineralart selbst zu den Edelsteinen zu-
rechnen ist, so würde eine Beschreibung der Edelsteine in diesem beschränkten
Sinne, eine Beschreibung der tauglichen Varietäten hier nicht am Platze sein,
weshalb es hier nur genügte, die Arten oder Varietäten zu nennen, von denen
schöne Vorkommnisse als Edelsteine dienen. Die bezüglichen Mineralarten selbst
werden in anderen Artikeln beschrieben werden und es gentigt dann nur der
Hinweis bei der Angabe des Gebrauches, dass sie als Edelsteine Verwendun;;
finden. So wurden eine gewisse Anzahl von Mineralen, welche sich durch hohe
Härte auszeichnen, als Sklerite (Sklerolithe von dem griechischen Worte skleros,
hart) zusammengefasst, unter denen die Species Diamant, Korund, Chrysober\'ll.
Beryll, Spinell, Zirkon, Topas, Granat, Olivin und Turmalin Edelsteine liefern, wah
rend der edle Opal als minder hart, bei der Species Opal erwähnt werden wird.
Dergleichen wird auch bei anderen Species, von denen gewisse Varietäten al^
Schmucksteine Verwendung finden am geeigneten Orte darauf verwiesen werden
Dies ist z. B. der Fall bei anderen Varietäten des Opal (s. dens.) bei verschie
denen Varietäten des Quarz (s. dens.), bei mehreren Silicaten (s, diesen Artikc'
u. s. w.
Bei den Edel- und Schmucksteinen ist, um sie zweckmässig zu verwenden,
nöthig, sie zu schneiden und zu schleifen, ihnen eine bestimmte Form zu geben
und das Aussehen durch Politur der SchlifÜlächen zu erhöhen. Je nach den^
Zwecke, zu welchem namentlich die Edelsteine verwendet werden sollen, Mnrd
ihnen eine bestimmte Form gegeben und wenn auch in älteren Zeiten dies weniger
der Fall gewesen ist, so ersieht man doch aus den verschiedenen Schriften, welche
von Edelsteinen handeln, dass Edelsteine geschliffen wurden. In neuerer Zeit
hat die Bearbeitung der Edelsteine einen hohen Grad von Vollkommenheit er
langt und es spielen die Ausdrücke für die Schnittformen eine grosse Rolle.
welche ausser dem Zwecke der Verwendung (ob zu Ringsteinen, zu Ohrgehängen,
Broschen, Hals- und Armbändern, Nadeln u. s. w.) in ihrer Verschiedenheit be-
sonders dazu dienen, das schöne Aussehen zu heben.
Bei den meisten Schnittformen, welche die Edelsteine durch die Bearbeitung
erhalten, kann man zunächst ohne Rücksicht auf die weitere Ausführung folgende
Theile unterscheiden: a) (Fig. i) den Obertheil (Oberkörper, Krone, Pa\'inon.
dessus)^ das ist derjenige Theil des Steines, welchen man nach der Fassung aK
den hervorr«igenden sieht. — b) den Untertheil (Unterkörper, Cülasse, dessus ,
das ist derjenige Theil, welcher nach der Fassung nach unten zu liegen kommt,
bei gewissen Fassungen nicht gesehen werden kann. — c) den Rand (Rundtste.
Einfassung, Gürtel, feuiliet), das ist der breiteste Theil des Steines, an welchem
die Befestigung beim Fassen stattfindet. Die Durchschnittsfläche, welche m;i^
sich durch die Rundiste oder den^Rand gelegt denkt, trennt den Obertheil v«*n
dem Untertheile.
Bei manchen Schnittformen fehlt der Untertheil, bei manchen erscheint der
Stein nur tafelförmig.
Die Rundiste darf nicht zu schmal, nicht zu dick sein, weil in jenem K.i ^*
der Stein beim Fassen leicht brechen, in dem letzten Falle nicht sicher befe^tict
werden kann.
Die verschiedenen Schnittformen erhielten besondere Namen und biswcilm
wird der Name der Schnittform einfach auf den Edelstein selbst übertragen, >v*
Edelsteine.
253
z. B. nennt man schlichthin nach dem Brillantschnitt oder Rosettenschnitt die so
geschnittenen Diamante Brillanten, Rosetten u. dergl.
Die wichtigsten Schnittformen sind folgende:
1. Der Brillantschnitt, nach welchem, beiläufig bemerkt, Cardinal Mazarin
(Min. 37-39.)
Fig. I.
Fig. a.
zuerst den Diamant schleifen Hess, ist für Edelsteine im Allgemeinen der günstigste
Schnitt, um Glanz und Feuer am besten hervortreten zu lassen. Er zeigt Ober-
iheil, Rundiste und Untertheil, ersterer nimmt etwa ein Drittel, letzerer etwa zwei
Drittel der ganzen Höhe des Steines ein. Beide Theile sind mit verschiedenen
Flächen (Facetten) versehen, welche nach ihrer Lage verschiedene Benennungen
erhalten haben. Diejenige Fläche des Obertheiles, welche die Facetten nach
oben begrenzt (Fig. 2, a, welche den Obertheil des dreifachen Brillantschnittes
von oben gesehen darstellt) heisst Tafel, die entgegengesetzt liegende Fläche
des Untertheiles, welche die Facetten desselben nach unten begrenzt (Fig. 3,
S, welche den Untertheil des dreifachen Brillantschnittes von unten gesehen dar-
stellt), nennt man Callette (culasse ou point du brillant). Beide gehen der
Rundistenebene e parallel. Die Facetten b^ welche mit einer Seite die Tafel
a berühren, mit ihr Kanten bilden, heissen Sternfacetten; Querfacetten d
heissen diejenigen Facetten des Ober- und des Untertheiles, welche mit einer
Seite die. Rundiste e berühren, mit ihr Kanten bilden. Nach der Zahl der Fa-
cetten unterscheidet man:
a) den dreifachen Brillantschnitt oder dreifachen Brillant. (Fig. 2,
3 und 4, in Fig. 2 den Stein von oben, in Fig. 3 von unten, in Fig. 4 von der
Seite gesehen.) Bei diesem zeigt der Obertheil (Fig. 2) ausser der Tafelfläche a
52 Facetten, welche in drei Reihen so angeordnet sind, dass die 8 Sternfacetten b
und die 16 Querfacetten d Dreiseite bilden, die zwischen ihnen liegenden 8 Fa-
cetten c Vierseite bilden. Auf dem Untertheile (Fig. 3) sind ausser der Calette g
24 Flächen in zwei Reihen vorhanden, an denen die 16 Querfacetten dreiseitig
(Min. 40-42.)
Fig. 6.
sind, während die anderen 8 an die Calette stossenden Flächen / abwechselnd
Fünf- und Vierseite darstellen. Diese Schnittform zeigt also 58 Flächen.
b) den zw«ifachen Brillantschnitt oder zweifachen Brillant (Fig. 5, den
254
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Stein von oben, Fig. 6, den Stein von der Seite gesehen darstellend). Derselbe
zeigt am Obertheile (Fig. 5) die Tafelfläche a und 16 dreiseitige Facetten, welche
zwei Reihen bilden, davon sind 8 (V) Stemfacetten, 8 {d) Querfacetten. Am
Untertheile sind ausser der Calette g 8 oder 1 2 Facetten, von denen die Quer-
facetten d dreiseitig, die anderen fiinfseitig sind. Hierher gehört auch der zwei-
fache englische Brillant, der zweifache Brillant mit Stern. Die Grundform dc^
Brillantschnittes ist quadratisch, kann aber auch oblong, rhombisch, rund «der
oval (bimförmig) sein, auch wechseln bisweilen die Facetten in der Zahl ihrci
Seiten. Ueberhaupt wechseln die Verhältnisse der Höhe und Breite, je nachdem
die Steine farblos oder gefärbt sind, wenn auch gewisse Verhältnisse der Dimen-
sionen als normale angenommen werden, wie sie für den farblosen Diamant am
zweckmässigstdn erschienen. Diese Verhältnisse sind: Die Höhe des Obertheiles
gleich \ der ganzen Höhe; die Höhe des Untertheiles gleich f der ganzen Höhe,
der Durchmesser der Tafel gleich f des Durchmessers der Rundiste; die Fläcl;e
der Calette gleich \ der Tafel.
An den Brillantschnitt reiht sich der von A. Caire erfundene sternformii;«;
Schnitt (taille ä Atolle), welcher au.sserordentlich genau ausgeführt werden muvN
dagegen vom Gewicht der rohen Steine möglichst wenig wegnimmt
Brillonetten oder Halbbrillanten heissen Steine, die nur den Oberthcil
im Brillantschnitt zeigen, während der Untertheil ganz fehlt.
2. Der Rosettenschnitt (Rose, Rosette, Rosenstein, Raute, Rautenstein
seit 1520 im Gebrauch, ein Schnitt, welcher angewendet wird, wenn der Stein
nur mit grossem Massenverlust zum Brillant geschliffen werden könnte. Die
Hauptform ist eine j)yramidale. Dieser Schnitt zeigt nur einen Obertheil, während
der Untertheil, wie hei den Brillonetten ganz fehlt. Es zeigt der allein vorl an
dene Obertheil zwei Reihen Facetten. Die 6 Facetten der oberen Reihe (Stern-
facetten genannt) enden in eine Spitze und sind dreiseitige; die der unteren
Reihe heissen Querfacetten und sind dreiseitig oder vierseitig und an Zahl ver-
schieden. Man giebt den Rosetten eine runde, längliche (elliptische^ oder ei-
förmige (ovale Form, am effectvollsten ist die kreisrunde Form der Grundflache.
Man unterscheidet verschiedene Abändenmgen:
a) die holländische Rosette (gekrönte, eigentliche), (Fig. 7, den Stein
von oben gesehen, Fig. 8, denselben von der Seite gesehen darstellend). Sit
haben ausser der Grundfläche 6 Sternfacetten und 18 dreiseitige Querfacetten
b) die Brabanter Rosetten mit ebensoviel dreiseitigen und gleichvertheilie'.
Facetten, wobei die Sternfacetten sich weniger hoch erheben, die pyramidale
Form gedrückter erscheint, während bei den eigentlichen wohlgeschlifienen Rl^
(Min. 48-46)
r^
'y -- —
V-,
^
^
Fig. 7.
Fig. 8.
Fig. 9.
Fig. 10.
selten die Höhe des Steines die Hälfte vom Durchmesser der Grundfläche
haben soll.
Edelsteine. 255
c) die von den Holländern Vlackke Moderoözen genannten Rosetten,
Welche 6 dreiseitige Sternfacetten und nur 6 vierseitige Querfacetten haben.
Brioletten oder Pendeloquen (wie bei Ohrgehängen) werden auch hier-
her gezählt, indem sie die Form zweier mit der Grundfläche vereinigten hol-
ländischen Rosetten besitzen.
3. der Tafelsteinschnitt, bei Steinen von geringer Dicke angewendet.
Ober- und Untertheil sind vierseitig (quadratisch oder oblong) pyramidal, die
Spitzen der beidseitigen Pyramide sind stark abgeschnitten, im Obertheile durch
die Tafel, im Untertheile durch die Calette (Fig. 9, a, den Stein von oben gesehen,
0, b, von der Seite gesehen darstellend), weshalb die Steine flach sind. Bis-
weilen werden auch noch, wie die Figuren zeigen, die Kanten zwischen der
Tafel und den 4 Facetten des Obertheiles abgeschliffen, oder man legt an die
Tafel oder an die Rundiste willkürlich dreiseitige Facetten an. Sehr flache
Tafelhteine werden Dünnsteine genannt, halbgrundige Tafelsteine dagegen
solche, bei welchen die Calette grösser ist als die Tafel.
4. der Dicksteinschnitt oder der sogen, indische Schnitt. Er nimmt
in der Hauptform den Umriss des Brillantschnittes an, wie Fig. i zeigt, hat Ober-
theil und Untertheil. Der Obertheil hat ausser der Tafel nur 4 vierseitige Fa-
cetten in der Gestalt von Paralleltrapezen, oder es werden die vier von der Tafel
zur Rundiste laufenden Kanten abgeschnitten, wodurch er im Obertheile 8 vier-
seitige Facetten hat. Am Untertheile sind auch 4 eine Pyramide bildende Fa-
cetten mit oder ohne Calette und bisweilen werden auch die 4 von der Rundiste
auslaufenden Kanten weggeschnitten.
5. Der Treppenschnitt, welcher besonders bei farbigen Steinen ange-
wendet wird. Er zeigt Ober- und Untertheil. Die Form der Steine ist quadra-
tisch oder achtseilig, sechsseitig oder zwölfseitig. Zwischen der Tafel und Rundiste
liegen gewöhnlich zwei Reihen vierseitiger Facetten, welche Paralleltrapeze bilden
(Fig. IG, a, den Stein von oben gesehen, 10, b, von der Seite gesehen darstellend).
Am Untertheile sind 3 oder 4 Reihen solcher Flächen zwischen Rundiste und
Calette, welche letztere meist fehlt, wobei die bezüglichen Flächen der von der
Rundiste entferntesten Flächen in eine Spitze auslaufen, Dreiseite bildend.
6. Der gemischte Schnitt, auch bei gefärbten Steinen besonders in Ge-
brauch. Der Obertheil zeigt Brillantschnitt, der Untertheil Treppenschnitt. Daran
reiht sich der Schnitt mit verlängerten Brillantfacetten und der Schnitt mit
doppelten Facetten.
7. Der muschlige oder mugelige Schnitt (en cabochon), wobei die
Steine an beiden Theilen convex geschliffen werden oder nur der convexe Ober-
theil mit ebener Grundfläche vorhanden ist. Dieser Schnitt wird bei Steinen
angewendet, welche Farbenwandelung, Opalisiren, Irisiren oder einen Lichtschein
2eigen (s. optische Eigenschaften), um diese Eigenschaft möglichst hervortreten
zu lassen. Auch werden am Obertheile oberhalb der Rundiste Facetten ange-
bracht oder der Obertheil wird ganz facettirt
Ausser diesen angeführten Schnitten giebt es noch verschiedene andere zum
Theil willkürliche, welche oft von der Grösse abhängen, sowie auch bei grossen
Steinen die Zahl der Facetten und der Facettenreihen beliebig vermehrt wird,
namentlich, wenn die Steine zu besonderen Zwecken verwendet werden.
In Betreff der Namen der Edelsteine ist schliesslich zu bemerken, dass die
Juweliere nicht immer die Steine mit den mineralogischen Namen der Arten oder
Varietäten benennen. Es nennen z. B. die Mineralogen den blauen Korund
256 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Sapphir, den rothen Rubin, andere Varietäten nicht besonders nach der Farbe,
während bei den Juwelieren der farblose Korund weisser Sapphir, der gelbrothe
Korund orientalischer Hyacinth, der schwach violblaue orientalischer Amethyst,
der hochgelbe, citronen- oder weingelbe Korund orientalischer Topas, der dunkel-
grüne Korund orientalischer Smaragd, der grünlichblaue Korund orientalischer Aqua-
marin, der gelblich grüne Korund orientalischer Chrysolith genannt werden un<i
doch die Namen Hyacinth, Amethyst, Topas, Smaragd, Aquamarin und Chr)->i*-
lith mineralogische Namen für andere Mineralarten oder Varietäten sind.
Es ist damit keineswegs eine Täuschung beabsichtigt, wenn werthvoile Steine
mit Namen weniger werth vollerer Mineralarten benannt werden, wie man 2. B.
im Gegentheil Bergkrystalle rheinische, marmoroscher, savoyische, böhnns* I e
u. s. w. Diamanten benannt findet, indem solche von den mineralogischen Namen
verschiedene Namen nur als Handelsnamen in Gebrauch sind.
Der Erdball als Ganzes und seine Beschafifenheit.
von
Professor Dr. von Lasaulx.
Die Erde besitzt die Gestalt eines an den Polen abgeplatteten kurzachbigen
aber unregelmässigen Ellii)soides und beschreibt als Planet eine fast kreisförmige
Bahn um die Sonne.
Zur Erkenntniss der wirklichen Gestalt der Erde führten die Versuche, ihre
Grösse zu bestimmen. Von der angenommenen Kugelgestalt derselben auN-
gehend, war dieses möglich nach dem Satze: Der Durchmesser einer Kugel im
bekannt, wenn der Winkel und die Länge des Bogenstückes eines grössten Kreis<r-
der Kugel gegeben sind. Um diese zu ermitteln, wurden die Gradmessungen
begonnen. Diese hatten schon zu Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahr-
hunderts das durch zahlreiche spätere Messungen immer genauer begründete
Resultat, dass die Erde eine abgeplattete Kugel sei. Es ging dieses vornehmlich
aus zwei Thatsachen hervor, die man schon bei den ersten Arbeiten dieser Art
beobachtete, einmal die Ungleichheit der Secundenpendel an den Polen
und am Aequator und zweitens die ungleiche Länge der Meridtanbogen-
stücke von gleichem Winkel wiederum an den Polen und am Aequator.
Die erste Bestätigung der ersteren schon von Picard (dieser maass 166g- 70
einen Meridianbogen von Malvoisine bis Amiens) ausgesprochenen Thatsache
gab im Jahre 1672 Richer, der in Cayenne die nothwendige Verkürzung do^
Secundenpendels genau nachwies. Newton und Huv(;hens erklärten dann dicv?
Erscheinung durch die Abplattung.
Die Schwingungen eines Pendels d. h. die absolute Dauer der üsdllationen
ändert sich mit der Intensität der Schwerkraft. Da am Aequator ein Pendel
langsamer schwingt, daher verkürzt werden muss, um Secundenpendel zu bleiben,
so ist also die Anziehung der Schwerkraft hier eine geringere als an den Polen,
wie Schwerkraft nimmt ab mit dem Quadrate der Entfernung vom Anziehun.v-
femte^""- folglich muss am Aequator dieser letztere von einem Pendel eni
J^sem, als an den Polen, d. h. die Erde muss an den Polen abgeplattet sein.
Punkte d^er f\ T^ ^^^ Rotation der Erde nocii mit im Spiele. An jeden.
Centrifuealkr/rH e''.^'' ""'"'^^ "^'^ ''''" ^^'' Schnelligkeit der Rotation abhän^iie
s ran der Sch^^erkraft in gewissem Sinne entgegen. Auch diese Flieh-
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 257
kraft lässt sich für jeden Theil der Erdoberfläche bestimmen; denn sie ist ab-
hängig von dem Bogen» den ein Punkt in einer gewissen Zeit -beschreibt. Diese
Bogen können wir an der Erdoberfläche messen. Dabei ergiebt sich, dass die
Centrifugalkraft keineswegs überall dieselbe ist, sondern dass sie von den Polen
nach dem Aequator stetig zunimmt. Das beweist, dass jeder Punkt am Aequator
in gleicher Zeit eine grössere Bahn durchläuft, einen grösseren Bogen beschreibt,
als an den Polen. Auch hieraus folgt also die abgeplattete Gestalt der Erde.
Aus der Beobachtung der Ungleichheit der Meridianbogenstücke, wie sie die
berühmte französische Gradmessung in den Jahren 1735 und 36 in Peru und
I^ppland ergab, folgt die ellipsoidische Gestalt der Erde in vollkommener Ueber-
einstimmung mit jenen Messungsresultaten nach dem Satze: Ein Bogen von
gleichem Winkel ist um so länger, je näher er der kleinen, um so kürzer, je
näher er der grossen Achse einer Ellipse gelegen ist. Für Peru ergaben die
Messungen die Länge eines Meridiangrades zu 56753 Toisen (i 10609 Meter) für
Lappland zu 57437 Toisen (11 1949 Meter) mithin ein Unterschied von 316 Toisen
(600 Meter).
Spätere Messungen bestätigten auch die Unregelmässigkeit des Ellipsoides,
da sich nach diesen ergab, dass die Grösse der Meridiangrade selbst unter
gleicher Breite an verschiedenen Stellen der Erde eine verschiedene ist^)
Zahlreiche spätere Versuchsreihen hatten die Bestimmung des numerischen
Werthes der Abplattung zum Gegenstande. Zu ganz übereinstimmenden Resultaten
fahrten dieselben nicht und hierzu wird es ohne Zweifel noch vieler sorgsamer
Gradmessungen bedürfen.
Die ausgedehnteste Reihe von Beobachtungen rührt von dem Engländer
Edward Sabine her, der an 13 Punkten sehr verschiedener Breite, vom Aequator
bis zum 80. Breitengrade Pendelmessungen ausführte. Ausser ihm haben eine
ganze Reihe anderer Forscher ähnliche Beobachtungen angestellt. Neuerdings
hat J. B. Listing*) alle bisherigen Messungen und darauf basirte Berechnungen
einer eingehenden Revision und theilweisen Neuberechnung unterworfen. Die
von ihm erhaltenen Werthe können augenblicklich wohl für die der Wahr-
heit am nächsten kommenden gelten. Für die Abplattung der Erde nimmt er
den Werth ^-j an, d. h. also dieselbe beträgt den 288. Theil des Erddurch-
messers. Diese Zahl stimmt mit dem von Sabine gefundenen Werthe nahezu Über-
ein. Die von Bessel aus zehn verschiedenen Gradmessungen berechneten Werthe für
die Langen der Erdachsen sind: die Polarachse = 17 13 geogr. Meilen, die Aequatorial-
achse = 1719 Meilen; der Aequatorialhalbmesser: 6 Million 377397 Meter, der
Polarhalbmesser: 6Million 356078 Meter, die Differenz beider gleich 21 319 Meter
oder 4^ mal so viel als die Höhe des Montblanc. Der Werth für die Abplattung,
der sich hieraus ergiebt, ist ^|^.
Zwischen den beiden angegebenen Werthen ,|^ — -^ schwankt also noch
heute die Annahme für die Abplattung; denn auch den BESSEL'schen Bestimmungen
^ird ganz besonders von Astronomen eine grosse Zuverlässigkeit zuerkannt und
mit dem von Airv berechneten Werthe stimmen sie fast vollkommen überein,
obwohl beide Astronomen, von verschiedenen Grundlagen ausgehend, verschiedene
Methoden der Rechnung in Anwendung gebracht hatten.
*) Die Abplattung der Erde lässt sich auch noch auf einem dritten Wege erkennen, näm-
lich durch astronomische Berechnung aus der Mondbewegung. Es erschien nicht nöthig, darauf
hier näher einzugehen.
*) Gestalt und Grösse der Erde. Göttingen 1872. pag. 10 ff.
KusuGorr, Min.« Geol. u. Pal. I. ly
258 Mineralogie, Geologie und Palaeontologte.
Ebenso entbehrt auch die Feststellung der Grösse des Erdkörpers und
der Erdoberfläche noch der vollkommenen Sicherheit und Genauigkeit. Da die
Länge eines Erdhalbmessers noch nicht bis auf ein Kilometer genau festgestellt ist» so
sind natürlich die Werthe für das Oberflächenareal ebenfalls noch sehr ungenau.
Nach Listing beläuft sich diese Unsicherheit unserer Kenntniss des Areals der
Erdoberfläche immerhin noch auf den fünffachen Flächeninhalt der Insel Sicilien.
Die Oberfläche der Erde beträgt aber angenähert 51000 Millionen Hektxuren
und ihr Volumen 1082 841 Millionen Kubikmeter.
Von weit grösserer Bedeutung fiir die Geologie und die Entwickelungsge-
schichte der Erde ist die Kenntniss ihrer Dichte oder ihres specifischen
Gewichtes. Man versteht hierunter bekanntlich den Quotienten aus Masse und
Volumen, d. h. die Dichte ^ = — .
V
Gleichartig zusammengesetzte oder homogene Körper sind für alle einzelnen
Theile gleich dicht, ungleichartig zusammengesetzte besitzen ein durchschnittliches
oder mittleres spec. Gew., das nicht mit dem der einzelnen Theile übereinstimmt.
Sind aber für einen solchen Körper bekannt: die Dichtigkeit einzelner Theile und
auch seine durchschnittliche oder mittlere Dichte, so lässt sich daraus die Dichte
der fehlenden Theile berechnen, sowie andererseits auch aus dem bekannten
spec. Gewichte aller einzelnen Theile sich das mittlere spec. Gewicht des zu-
sammengesetzten Körpers ergiebt.
Darauf beruht zunächst die Wichtigkeit der Bestimmung der mittleren
Dichte der Erde, deren oberflächliche Theile uns bekannt sind, dass daraus
Schlüsse auf das unbekannte Innere gezogen werden können.
Die zur Bestimmung der mittleren Dichte der Erde angewendeten Methc»den
sind verschieden; sie beruhen aber alle darauf, dass die Anziehung d. h. die
Schwerkraft der Erde verglichen wird mit der Anziehung von Körpern von genau
bekannter Dichtigkeit. Es kommt hierbei der Satz zur Anwendung, dass die An-
ziehungen zweier Körper sich direkt verhalten wie ihre Massen, umgekehrt
wie die Quadrate der Entfernungen und ferner, dass die Massen sich ver-
halten wie die Produkte aus Volumen und Dichte.
Wenn wir mit A und a die Anziehungskraft zweier Körper auf einen dritten,
mit E und e die Entfernungen derselben von diesem und mit Mund m ihre Massen
bezeichnen, so drücken sich diese Gesetze in folgenden Gleichungen aus:
A\a = MiPL
Aus dem oben gegebenen Begriff der Dichte </ = — folgt aber, dass Af =
n
• F und m -
= ä'V
daher
A:
a = £> Vidv
und auch
M\m
— DV\
diK
Da aber auch
A
:^ = ^« :
E\
so
ist endlich
auch
A\a
d - V
Ist also in einem Falle die Anziehung A und a bestimmt, die Masse des
einen der beiden Körper und die Entfernung beider von einem dritten bekannt,
so lässt sich die Masse des zweiten berechnen. Aus der Kenntniss des Vohimcns
folgt dann die Dichte. Im vorliegenden Falle ist die gesuchte Dichtigkeit D die
der Erde.
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 259
Vier verschiedene Wege sind eingeschlagen worden, um die Anziehungskraft
der Erde mit der eines anderen Körpers von bekannter Masse, Dichtigkeit und
Volumen zu vergleichen. Die erste Methode beruht auf der Bestimmung der
Ablenkung des Bleilothes aus der Verticalstellung unter der seitlich wirkenden
Anziehung eines Berges, der aus bekannten Gesteinen von bestimmtem spec.
Gewicht zusammengesetzt und seinem Volumen nach zu berechnen ist
Das Verdienst, auf diese Weise zuerst die Dichtigkeit der Erde bestimmt
zu haben, kommt dem bekannten Geologen Hutton zu, der auch für die richtige
Erkenntniss der vulkanischen und plutonischen Vorgänge bahnbrechend gewesen
ist. In Vereinigung mit seinem Landsmann Maskelvne stellte er in den Jahren
1774 — 76 Beobachtungen über die Ablenkung an, die der Berg Shehallien in
Peitshire (Schottland) auf das Bleiloth ausübte. Das Verhältniss des Winkels,
um welchen das Loth abgelenkt wird, zum rechten Winkel ist gleich dem Ver-
hältnisse der Anziehung der Masse des Berges zu der der Masse der Erde. Wird
Volumen und mittlere Dichte des Berges berechnet (gerade diese Werthe waren
bei der Gestalt und Gesteinszusammensetzung des Shehallien gut zu erhalten),
so kann man bei bekanntem Volumen der Erde nach dem obigen Satze ihre
Dichte entwickeln. Hutton erhielt auf diese Weise den Werth 4,7 für />, den
er später aber auf 5 erhöhte. Playfair und Sevmons haben ebenfalls später die
Berechnung unter möglichst eingehender und genauer Feststellung aller örtlichen
Verhältnisse erneuert und dann das Resultat D = 4,867 erhalten.
Eine zweite Methode gründet sich auf die Anwendung der sog. Drehwaage.
Man versteht darunter im Allgemeinen ein von Coulomb erfundenes Instrument,
mittelst dessen man sehr geringe Kräfte zu messen vermag; sie dient gewöhnlich
zur Messung schwacher elektrischer und magnetischer Ströme. In einfachster Form
besteht sie aus einem in horizontaler Lage im Schwerpunkte an einem Faden
aufgehängten Holzstäbchen, an dessen beiden Enden sich zwei gleichgrosse
Metallkugeln befinden. Vermöge seiner Schwere kommt der horizontale Balken
zur Ruhe, die Schwere ist aber die Anziehungskraft der Erde.
Nähert man den Kugeln des Stabes einen Körper von bekannter Masse und
Dichte, so zieht dieser dieselben an, bringt den Balken aus seiner Lage und ver-
setzt ihn in Schwingungen, deren Ausschlag die Grösse der Anziehung bestimmen
lässt Aus dieser kann man wie oben wieder auf die Dichte der Erde schliessen.
Es erheischt nun die Ausftihrung solcher Versuche einen mit ganz besonderen
Vorsichtsmaassregeln versehenen Apparat, um jeden störenden Einfluss auszu-
schliessen. Wegen der näheren Beschreibung eines solchen mag auf die Lehr-
bücher der Physik verwiesen werden, i)
Versuche mit der Drehwaage wurden zuerst von Michell und Cavendish
ausgeführt; bei Anwendung von Bleikugeln ergaben dieselben für /> = 5,48.
Reich erhiel t später bei sehr sorgfaltig ausgeführten Versuchsreihen unter Anwen-
dung gusseisemer Kugeln D = 5,49. Ebenso berechnete Baily als Mittel aus
über 2000 Beobachtungen D = 5,66. Im Jahre 1872 unternahmen Cornu und
Baille eine fernere grosse Zahl erneuerter Bestimmungen nach dieser Methode
und erzielten für die in den Sommer fallende Beobachtungsreihe D = 5,56, für
den Winter den etwas kleineren Werth D = 5,50.^
Die Anwendung der Drehwaage hat vor den anderen Methoden ziemlich
*) Z. 6. BiARBACH's physik. Lexicon, Artikel Erde, Bd. II., pag. 909.
*) PESCHEL-LEn>OLDT, Phys. Erdkunde, p. 181. Compt rend. LXXVI. 1873. P« 9S4*
17*
26o Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
wesentliche Vorzüge. Einmal kann man dabei von Kugeln aus verschiedenen
Materien ausgehen und muss doch übereinstimmende Resultate erhalten, dann
aber hat man nicht nöthig, hypothetische Annahmen über die Zusammensetzung
und Gestaltung eines zur Berechnung in Betracht kommenden Theiles der Erd-
rinde zu machen. Und so sind die so erhaltenen Werthe Hir die Dichte der
Erde auch die zuverlässigsten und stimmen untereinander am nächsten überein.
Eine dritte Methode zur Bestimmung der Erddichte geht wieder von Pendel-
beobachtungen aus: sie vergleicht die wirkliche Länge eines Secundenpendels
auf dem Gipfel eines hohen Berges mit der von irgend einem Punkte am Meere
ausgehend theoretisch berechneten Länge eines solchen Pendels in der gleichen
Höhe jenes Berges, aber in freier Luft. Die Differenz zwischen der wirklich
gefundenen Länge des ersteren Pendels und der berechneten Länge des anderen
ist die Folge der anziehenden Wirkung der Masse des Berges, die wieder an-
nähernd bekannt sein muss. Caruni erhielt nach dieser Methode auf dem Mont
Cenis den später von Schmtot neu berechneten Werth D = 4,837.
Nahe verwandt ist die vierte Methode. Die Pendelschwingungen gleich langer
Pendel oder die verschiedenen Längen von Secundenpendel in sehr tiefen Berg-
werken und an der Erdoberfläche werden mit einander verglichen. Hieraus ist
der Einfluss des Theiles der Erde auf die Pendel zu bestimmen, der zwischen
den beiden Beobachtungsstationen liegt. Dieser ist gleichzeitig durch den Berg-
bau erschlossen und daher bezüglich seiner Masse ziemlich gut bekannt. Arev
stellte solche Versuche in der Kohlengrube Harton bei Newcastle an, die Re-
sultate derselben, durch Haughton einer erneuerten Berechnung unterworfen,
ergaben D = 5,48. Ebenso berechnete Drobisch nach Beobachtungen in den
Gruben von Dolcoath in Comwall für Z? == 5,43.
Es kann somit unter Zugrundelegung der meist übereinstimmenden und
zuverlässigsten Versuchsreihen der Werth 5,5 als der mittleren Dichte der Erde ent-
sprechend angenommen werden. Jedenfalls ist dieselbe grösser als die Dichte des
Magneteisens, die auf rund 5 angenommen werden kann (4,9 — 5,2). Da nun aber
die oberen Theile der Erdfeste soweit uns dieselbe zugänglich ist und wir die
Gesteine kennen, die dieselbe zusammensetzen, nur eine durchschnittliche
Dichte von 2,5 besitzen, ein Werth, der sich bis auf 1,5 herabsetzt, werm wir in
Betracht ziehen, dass der grösste Theil der Erdoberfläche von Wasser bedeckt
ist, das nur das spec. Gewicht i hat, so ist also der Schluss ein vollkommen
gerechtfertigter, dass die Erde in ihrem Inneren eine sehr viel grössere Dichte
besitzen müsse, um den hohen durchschnittlichen Werth des spec. Gewichte.-»
erhalten zu können.
Dass die Dichte nach dem Centrum der Erde zunehme, kann somit als ge-
wiss gelten; das Gesetz der Zunahme ist noch unbekannt, wenngleich es nicht
an Versuchen fehlt, es zu bestimmen. L£g£NDRE hat zuerst ein Gesetz dieser
Zunahme aufgestellt, das auch Laplace in seiner M^canique Celeste adoptirt hat.
Hiernach ist die Dichte von dem Druck abhängig und zwar in der Weise, dass
die durch eine bestimmte Druckzunahme erfolgende Compression um so geringer
ist, je grösser die vorhandene Dicke bereits ist: d. h. die Zunahme der Dichte
durch Vermehrung des Druckes um den Betrag einer Atmosphäre ist umgekelm
proportional der schon vorhandenen Dichte. Hiemach würde, an der Oberfläche
der Erde 2,5 angenommen, die Dichte der Erdmasse in der Mitte des Halb-
messers ■= 8,5 sein, im Mittelpunkte = 11,3. Auf Grund eines anderen Gesetzes»
Der Erdball als Games und seine BeschafTenheit. 261
kam E. Roche ^) durch theoretische Betrachtungen zu ähnlichen Resultaten. An
der Erdoberfläche fand er die Dichte = 2,1; in der Mitte des Erdradius = 8,5,
im Centrum = 10 • 6, also ungefähr die Dichte des ged. Silbers (nach G. Rose
= 10,5).
Man darf freilich solchen theoretischen Speculationen nur bedingungsweise
eine Bedeutung beimessen. Denn die grosse Verschiedenartigkeit der Bestand-
theile, die gänzlich unbekannte Rolle, welche möglicher Weise Gase von enormer
Tension im Inneren der Erde spielen, endlich die in ihren Wechselwirkungen
sowenig wie in ihren gegenseitigen Grenzen bestimmbaren physikalischen Vor-
gänge, die mit der stetigen Zunahme des Druckes und der gleichzeitigen
Steigerung der Temperatur im Inneren der Erde eingeleitet werden, erschweren
jedenfalls die Erkenntniss der Gesetze, nach welchen die Zunahme der Dichtig-
keit fortschreitet.
Das gilt ebenso für die Gesetze, nach denen die Wärme im Erdkörper
vertheilt ist.
Als Quelle der Wärme auf und in der Erde kommt zweierlei in Betracht,
einmal die Wärme, welche der Erde von Aussen zugeführt wird und die-
jenige, welche sie durch die in ihrer eigenen Entwickelung bedingten Vorgänge
als Eigenwärme besitzt. Für die erstere ist nur eine Quelle hier in Betracht zu
ziehen, die Sonne; denn von der Wärme, welche noch auf anderem Wege aus
dem Welträume der Erde zustrahlt, kann man füglich absehen, da darüber
noch keinerlei sichere und vollkommen bestätigte Beobachtungen vorliegen.
Während in der Atmosphäre und bis in die Oberfläche der Erde hinein die
von der Sonne der Erde zustrahlende Wärme vorherrscht, hat im Inneren des
Erdkörpers die Eigenwärme das Uebergewicht. Beide Zonen sind, wie im
Folgenden gezeigt wird, durch eine bestimmte Grenzlinie getrennt.
Die von der Sonne der Erde zugeführte Wärmemenge erscheint als eine sehr
grosse, wenn ihrer Bestimmung die Betrachtungen Pouillet's zu Grunde gelegt
werden. Nach diesem entsendet die Sonne in der Minute auf jeden Quadratcentimeter
1,76
normal zu den auffallenden Sonnenstrahlen eine Zahl von Wärmeeinheiten =
1000*
2
Eine erneuerte Berechnung durch M. Crova bringt diese Zahl auf .^)
Daraus würde sich für die ganze von den Strahlen betroffene Oberfläche in der
Minute der Werth berechnen
2irra
100
worin r der Erdradius ist, in Centimetern ausgedrückt.
Ist nun eine Wärmeeinheit gleich 425 Kilogrammmeter d. h. = einer mecha-
nischen Kraft, gleich derjenigen, die 425 Kilogramm um i Meter zu heben und
eine Wärmeeinheit zu erzeugen vermag, unter letzterer die Wärmemenge ver-
standen, die I Kilogramm Wasser um 1° C. zu erwärmen ausreicht, so hat man
dann für die Minute:
2itr«»425
1000
dieses noch durch 60 dividirt für die Secunde. Hieraus ergiebt sich durch Divi-
sion mit 75 die Zahl der Pferdekräfle Dampf, denen die Wärme Wirkung der
*) Radau, Constitution Interieure de la terre. Paris 1880.
*) Comptes rendus LXXXI. 1205.
262 Mineralogiei Geologie und Palaeontologie.
Sonne gleichkommt. Hiernach würde diese nur auf unsere Erde die Summe von
200 Trillionen Pferdekräfte Dampf betragen.^)
Es würde diese Wärme, in einem Jahre gleichmässig vertheilt, ausreichen,
um eine Eisschicht von 31 Meter Dicke über die ganze Erdoberfläche hin zum
Schmelzen zu bringen. Dennoch ist der Einfluss der von der Sonne der Erde
zustrahlenden Wärme nur ein ganz geringer und nur oberflächlich an derselben
in den Schwankungen der Temperaturen der Atmosphäre und des Bodens wahr-
zunehmen.
Die Sonnenstrahlen werden auf ihrer Bahn zur Erde zum Theil von der
Atmosphäre absorbirt und diese dient hierdurch sowohl als ein Reservoir für die
in ihr sich ansammelnde Wärme, als auch regulirt sie die Vertheilung der Wärme
an der Erdoberfläche.
Die Schwankungen in der Temperatur der Atmosphäre, wie sie von der
Stellung der Sonne nach den Tages- und Jahreszeiten abhängig sind, theilen sich
der Erdoberfläche mit und diese empfangt ausserdem einen Theil der durchge-
lassenen Wärmestrahlen direkt. Das lässt sich in der That überall beobachten.
Die Atmosphäre erhitzt sich je nach der geographischen Lage des Ortes bis
zu 30 und mehr Grad, dagegen steigt die Temperatur des Bodens unter der Ein-
wirkung der Insolation bis zu 75° und sogar noch höher. Die Schwankungen in
den Bodentemperaturen sind daher weit grösser wie in der Atmosphäre; weniger
variabel wie diese ist dagegen das Meer, dessen thermische Verhältnisse später
noch besonders betrachtet werden sollen.
In Folge der guten Wärmeleitungsfahigkeit des Bodens strahlt dieser in der
Nacht die empfangene Wärme schneller wieder aus und kühlt sich in Folge
dessen auch bedeutend ab. So lassen sich in demselben sehr wohl die täglichen
und auch die jährlichen TemperaturdiflTerenzen unterscheiden.
Sowie man aber von der Oberfläche in den Erdboden eindringt, nimmt diese
Variabilität in der Temperatur ausserordenüich schnell ab, es wird sehr bald eine
Zone erreicht, in der die täglichen Schwankungen nicht mehr fühlbar sind.
Nach QuETELET hören dieselben z. B. in Brüssel schon in 1,23 Meter Tiefe auf.
In nicht sehr grosser Tiefe hören auch die Difterenzen der Jahreszeiten auf, Man
erreicht dann eine Zone, in der die Temperatur constant ist, und auch in grösseren
Tiefen für jeden Ort der Tiefe constant bleibt. Diese Zone der Erdrinde be-
zeichnet man als die invariabele Erdschicht. Unterhalb der oberen Grenze
der invariabelen Erdschicht tritt das umgekehrte Verhältniss ein, wie über der-
selben. Während hier von der Erdoberfläche aus eine Abnahme der Tempera-
turen sich ergiebt, nimmt dort die Temperatur nach der Tiefe hin zu.
Die obere Grenze der invariabelen Erdschicht ist für die verschiedenen
Gegenden und Orte in verschiedener Tiefe gelegen Ihre Lage hängt ab von
den Differenzen der maximalen und minimalen Jahrestemperaturen für jeden Ort
und von der Beschaffenheit und vorzüglich der Leitungsfahigkeit des Bodens
unter diesem. Sie ist wohl nirgendwo tiefer als ca. 30 Meter und nirgendwo riel
weniger tief als i Meter. In den Kellern des Observatoriums von Paris befindet
sich in 28 Meter Tiefe ein Thermometer, das schon seit 100 Jahren unverändert
dieselbe Temperatur 11,83° C. zeigt
In den Gegenden, wo die Differenzen zwischen den höchsten Somrocr-
und niedrigsten Winter - Temperaturen nur gering sind, liegt die Zone der
') Lapparent, Traite de geognosie. p. 85.
Der Erdball als Ganxes und seine Beschaffenheit. 263
Constanten Temperatur ebenfalls in geringer Tiefe. Im Allgemeinen ent-
spricht die Temperatur der Grenzzone der invariabelen Erdschicht der mittleren
Jahrestemperatur für den Ort. So erklärt es sich, dass unter dem Aequator die
constante Temperatur schon in i — 2 Meter Tiefe sich findet und da die mittlere
Jahrestemperatur eine sehr hohe ist, dass daher auch in dieser Tiefe noch die
entsprechende hohe Temperatur herrscht und somit die aus der Tiefe auf-
steigenden Quellwasser nirgendwo eine erfrischende Kälte besitzen, wie es in den
gemässigten Zonen der Fall ist. Das umgekehrte Verhältniss waltet in den Polar-
gegenden ob. Auch hier sind die Differenzen der Jahrestemperaturen nur sehr
gering und die invariabele Erdschicht beginnt daher schon in 3 — 4 Meter Tiefe;
die mitüere Jahrestemperatur aber liegt dem Nullpunkte nahe oder sogar unter
demselben und so erscheinen z. B. schon in Island alle Quellen von einer con-
stanten eisigen Temperatur, die der im Sommer spärlich sich entwickelnden
Vegetation nur schädlich wird, wenn die Wasser unmittelbar damit in Be-
rührung kommen^).
Wo die mittlere Jahrestemperatur den Nullpunkt nicht erreicht, da muss also
auch in der oberen Zone der constanten Temperatur dasselbe der Fall sein. Je
liefer unter Null die Jahrestemperatur gelegen ist, um so tiefer wird auch, trotz
der unter der Grenze der invariabelen Schicht eintretenden Zunahme der Tempe-
ratur noch der gefrorene Boden in die Tiefe hinab reichen müssen. Damit
stimmen auch die in Sibirien gemachten Erfahrungen vollkommen überein.
Am weissen Meer fanden im Jahre 1873 die Gebrüder Aubel kurz nach dem
höchsten Stande der Sonne an einem recht heissen Tage in i Meter Tiefe unter
dem mit Vegetation bedeckten Boden eine Eisschicht. Ebenso besitzt nach diesen
auch die Halbinsel Kanin einen bis tief in's Innere gefrorenen Boden 3). Die
volle Bestätigung dieser Thatsache war schon früher im Jahre 1836 durch den
dieserhalb viel genannten Pumpenschacht des Fedor Schergin zu Jakutsk in
Sibirien gegeben worden. Im Jahre 1828 begonnen, hatte dieser Bnmnen 1837
eine Tiefe von 116^ Meter erreicht, ohne dass man die Grenze des Bodeneises
fand; die hier von Schergin beobachtete Temperatur war — 0,6°. Später im
Jahre 1844 wurde der Brunnen von v. Middendorff im Auftrage der Peters-
burger Akademie durch eine Reihe von Temperaturbestimmungen sorgfaltigst
untersucht *<*). Hierbei ergab sich, dass schon in einer Tiefe von 6 Meter die
mittlere Jahrestemperatur von Jakutsk mit — 10,15° C. erreicht wurde. Von hier
an nahm die Temperatur stetig zu und am Boden des Brunnens zeigte das
Thermometer noch — 3°. Es würde hiernach die Wärmezunahme auf je 15,4 Meter
i** C. betragen haben. Die Tiefe der unteren Grenze des gefrorenen Erdbodens
berechnete v. Middendorff auf 186,5 — 195,7 Meter. Erst in dieser Tiefe würde
man also wohl das Wasser erreicht haben. Jedoch sind diese Resultate unzweifel-
haft zu hoch und der ursprünglich gefundene Werth von — 0,6° in 116 Meter Tiefe
entspricht mehr der Wirklichkeit, wie das auch der Umstand beweist, dass zu
derselben Zeit ein in der Steppe Katchongin abgeteufter Brunnen das Wasser in
einer Tiefe von 126 Meter thatsächlich erreichte.
Die Grenzlinie, von der nördlich die Gebiete gelegen sind, in denen die mittlere
Jahrestemperatur unter 0° bleibt, bezeichnet sonach auch die Ausdehnung der ewig
0 Dove, Arch. der königl. Akad. d. W. Berlin 1846, 368.
^ H. u. K. AUBEL, Ein Polarsommer. Leipzig 1874. pag. 191, 292.
^ Vergl. Humboldt, Kosmos Bd. IV. 46.
264 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
gefrorenen invariabelen Bodenschicht nach Süden zu; diese Linie verläuft rings
um die polaren Regionen im Allgemeinen zwischen dem 56 und 64® N. B.
schwankend.
Von der oberen Grenze der Zone der constanten Temperatur im Erdinneren
an, nimmt aber mit der Tiefe die Temperatur stetig zu, wie dieses aus zahllosen,
verschiedenartigen Beobachtungen ganz übereinstimmend sich ergeben hat.
Da die obere Grenze der invariabelen Erdschicht in verschiedener Tiefe ge-
legen und die in derselben herrschende constante Temperatur je nach der geogr.
Lage eine sehr ungleiche fiir die verschiedenen Gegenden ist, so folgt daraus,
dass wenn man durch alle Punkte in gewisser Tiefe unter der Oberfläche der
Erde, an denen die gleiche constante Temperatur herrscht, sich Ebenen gelegt
denkt, diese sehr unregelmässig gestaltete und keineswegs in irgend einer Be-
ziehung zur sphäroidischen Gestalt der Erde verlaufende Flächen sein müssen.
Diese Flächen nennt man Ch tonisothermen oder besser Isogeothermen.
Dass dieselben mit der grösseren Tiefe ihre unregelmässige Gestalt immer mehr
verlieren, einen mehr und mehr concentrischen Verlauf annehmen und sich der
ellipsoidischen Gestalt der Erde selbst nähern, ist sehr wahrscheinlich.
An der Erdoberfläche ist der Verlauf der Isogeothermen wesentlich beein-
flusst durch das Relief jener und die Temperatur der Atmosphäre.
Von der Erdoberfläche aus, z. B. von dem Nullpunkte der Niveauscalen, d, h.
der Meereshöhe anfangend, zeigt sich aufwärts in der Atmosphäre eine allmähliche
Abnahme der Temperatur. Die Grösse in Meter ausgedrückt, um welche man in
die Höhe steigen muss, um 1° Temperatur ab nähme zu erhalten, bezeichnet man
als die aerothermische Höhenstufe. In gleicher Weise wird innerhalb der
Erdfeste die Grösse in Metern, um welche man nach dem Mittelpimkte der Erde
fortschreiten muss, um 1° Temperatur zu nähme zu erhalten, geo thermische
T i e f e n s t u f e genannt. Die aerothermischen Höhenstufen (nach Bischoff im Mittel
542 P. F= 175 Meter) sind nach den bisherigen Erfahrungen ungefähr 5 — 6 mal
grösser als die geothermischen Tiefenstufen.
Nun wird die mittlere Temperatur der oberflächlichen Bodenschichten wesent-
lich durch die mittlere Temperatur der Luft bestimmt, man kann beide annähernd
gleich setzen. Folglich ist auch die Temperatur der Oberfläche höher gelegener
Bergtheile abhängig von den aerothermischen Höhenstufen. Da diese aber
5 — 6 mal so gross sind, wie die geothermischen Tiefenstufen, so müssen die Iso-
geothermen innerhalb eines Berges zwar nothwendig auch aufwärts steigen, alKr
in viel geringerem Maasse als der im Profil sich ausdrückende Contur des Berges :
die Isogeothermen stellen daher flachere Sättel dar, als die Bergformen selbst.
So erhalten auch die Isogeothermen unter den grossen Wasserbecken der Erde zwar
eine concave Form wie diese, aber wiederum sind die Tiefenstufen in der Erde
kürzer als im Wasser, d. h. die Muldengestalt jener Linien ist ebenfalls eine flachere
als die der Wandungen jener Becken.
Für die Beobachtungen über die Temperaturzunahme im Inneren der Erde
geht hieraus das schon von Cordier erkannte, von Bischoff und Herschel dann
aber erst bestimmt ausgesprochene Gesetz hervor, dass die geothermische Tiefen-
stufe nur in der Normalen der Terrainböschung richtig gemessen werden kann.
In grossen Ebenen ist dieses die Verticale, im Gebirge aber und auf stark ein-
seitig geneigten Plateau's müssen die unterirdischen Beobachtungspunkte jcdc^maI
mit dem Durchschnittspunkte der auf die nächste Böschung gezogenen Normalen
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 265
in Vergleichung gestellt werden. Erst in grösserer Tiefe ist ein allgemein in der
Verticalen verlaufender Ausfluss der Wärme anzunehmen^).
Dass ausserdem locale Einflüsse und Störungen den regelmässigen Verlauf
der Temperaturzunahme in der Erde sehr wesentlich zu beeinträchtigen vermögen,
das zeigt die ganze Reihe der vorliegenden Beobachtungen, die eine grosse Ver-
schiedenheit der geothermischen Tiefenstufen je nach der lieitungsfähigkeit der
Gesteine, dem im Beobachtungsfelde obwaltenden Drucke der Gebirgsschichten,.
dem Contacte mit wärmeren oder kälteren Wasserströmungen im Inneren der Erde
ergeben haben. Für verschiedene Gesteine erkennt man dieses schon aus der
ungleichen Tiefe der invariablen Erdschicht überhaupt, die z, B. im Sandstein i^mal
so tief gelegen ist, als im Basalt. Auf andere Verhältnisse wird noch im Folgenden
einzugehen sein.
Die grösste Tiefe, bis zu welcher man überhaupt mit Bergwerken, Bohr-
löchern oder artesischen Brunnen in das Innere der Erde hat eindringen und
die Zunahme der Temperatur beobachten können, ist allerdings kaum 1300 Meter,
also nur den flinftausendsten Theil des Erdhalbmessers. Es ist zudem nicht
wahrscheinlich, dass diese Grenze noch um ein Erhebliches wird überschritten
werden können, selbst wenn die Technik weitere Fortschritte macht. In grösseren
Tiefen setzt der gesteigerte Druck, die hohe Temperatur und die grosse Schwierig-
keit der Luftversorgung dem weiteren Eindringen des Bergbaues unüberwindliche
physikalische Schrank cn.^)
Daher haben alle Beobachtungen über die Wärmezunahme doch nur eine
ganz peripherische Bedeutung. Nur unter Zuhülfenahme hypothetischer Voraus-
setzungen kann aus den Erfahrungen in diesem kleinen Erdrindentheile, emj)irisch
auf die Gesetze im Inneren geschlossen werden. Dass das Gebiet der Beobachtung
aber mit diesem nicht angenähert solche Analogien besitzt, um eine empirische
Deduction zu gestatten und die Gültigkeit empirischer Gesetze in der oberen
Erdrinde auch für die grösseren Tiefen zu gewährleisten, das erscheint gewiss.
Und aus diesem Gesichtspunkte sind alle Beobachtungen über die Zunahme der
Temperatur nach dem Erdinneren, sowie die bisher sich daraus ergebenden Werthe
für die Tiefenstufe und deren Gesetze zu beurtheilen.
Zahlreiche Beobachtungen über die Zunahme der Temperatur liegen zunächst
aus Bergwerken vor, Temperaturbestimmungen sowohl an der Grubenluft, dem
Gnibenwasser oder auch dem festen Gesteine angestellt. Letztere erscheinen als
die zweckmässigsten, weil hierbei die durch die Circulation der beiden ersteren
bedingten schädlichen Einflüsse vermieden werden. Auch die Beobachtungen
im festen Gesteine erfordern alle möglichen Vorsichtsmaassregeln und den
Ausschluss störender Einwirkungen.^) Daher ist auch ohne Zweifel eine grosse
Zahl der überhaupt vorliegenden Beobachtungen nicht von so zuverlässigem
Werthe, um daraus die geotherm. Tiefenstufe und die Gesetze der Wärmezunahme
l.erzuleiten. Ueberall ergaben die Beobachtungen eine auffallende Variabilität
der geothermischen Tiefep'otufen oft in denselben oder nahe gelegenen Bergwerken.
Eine der ersten init Berücksichtigung aller Vorsichtsmaassregeln unter der
umsichtigen Leitung von Reich angestellten Beobachtungsreihen in den vielen
*) PoGGEN'>ORFF Und BiscHOF haben die aus einer Vernachlässigung dieser Regel sich er-
gebenden FeKicrqueDen durch Rechnung genauer festzustellen versucht. PoGGD. Ann. Bd. 38.
1836. pag. 600. BiCHOF, Lehrb. d. ehem. Geol. I. 136.
*) E. Hüll; The coal fields of great Britain. V. Edit. London, Stanford i88i. pag. 505.
') VcTgl. Naumann, Geognosie. Bd. i. pag. 43.
266 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie
Gruben des sächsischen Erzgebirges stellte zwar die Zunahme der Temperatur
nach der Tiefe entschieden fest, sowie auch die Constanz der Temperaturen fiir
jede Tiefenstufe; aber ein allgemein gültiges Gesetz der Wärmezunahme war dar-
aus ebensowenig abzuleiten, wie ein bestimmter Werth für die geothermische
Tiefenstufe. Die hierfür erhaltenen Werthe schwankten sehr bedeutend und ge-
statten nur die Annahme eines angenäherten Mittels von 130 Fuss = 40,4 Meter.
Nach zahlreichen Beobachtungen in Preussen beträgt die geothennische
Tiefenstufe im Mittel = 54,25 Meter, sie schwankt überhaupt zwischen den Ex-
tremen 15,5 und 115,5 Meter,
Von der Wiederaufzählung älterer Versuchsreihen wird hier Abstand ge-
nommen, dieselben finden sich in früheren Lehrbüchern z. Th. vollständig zu-
sammengestellt, i) Nur einige neuere Beobachtungsreihen mögen hier erwähnt werden.
Im Districte der Gruben von Schemnitz in Ungarn hat neuerdings Schwaki?
die Wärmezunahme bestimmt. In 33 verschiedenen Baustrecken der dortigcni
Gruben wurden Quecksilberthermometer in Bohrlöcher von ca. ^ Meter Tiefe einge-i
senkt. Das Gestein bestand grösstentheils aus einem HomblendeandesiL Da dici
Lage der verschiedenen Gruben über dem Meere eine sehr ungleiche war, sni
umfasst die Verticale der Beobachtungen 1587 Meter und der mittlere Werth ftir
die geothermische Tiefenstufe ergab sich zu 41,40 Meter, d. h. eine totalei
Wärmezunahme von 38,3^ für die ganze Höhe. Den Grund zu sehr bedeutendeni
localen Abweichungen glaubt Schwartz in der Zersetzung der rfeichlich \ori
handenen Kiese sehen zu dürfen,^)
In Folge zahlreicher Beobachtungen in englischen und amerikanischen Er/^
gruben kam Henwood zu einem Resultate, das ebenfalls den Mittelwerthen det
sächsischen und preussischen Beobachtungen sehr nahe liegt. Er fand die geuth^
Tiefenstufe zu 53 Meter, mit Schwankungen zwischen den Extremen von 19 Metir^
und 86 Meter.3)
Im Allgemeinen ergaben die Beobachtungen in Kohlengruben niedrigen^
Werthe als die in Erzgruben. Ganz auffallend niedrig erscheint der Werth de^
Tiefenstufe, wie ihn Mateucci in einer Steinkohlengrube bei Monte Massi in To>^
cana erhielt. Der dortige Schacht ist 342 Meter tief und zeigt in dieser TieiVi
die überraschend hohe Temperatur von 39,2° C. während die mittlere Jahrestemi
peratur an der Erdoberfläche und in 25 Meter Tiefe nur 16*^ C. beträgt. Somit i^^
die geothermische Tiefenstufe hier =13,7 Meter. ^) Der Schacht steht im tertuircri
Gebirge, dem auch die Kohlen angehören; vulkanische Aeusscrungen in der Nah-j
machen den Einfluss warmer Quellen oder Gase hierbei nicht unwahrscheinitcri
Zu Anzin fand de Marsilly folgende Resultate:*)
Schacht I. Chabaud Latour, Tiefe 200 Meier, Tiefenstufe 26,73 Meter.
n II. „ 185 „ „ 20,67 „
Renard 135 „ „ 15,45
Auch diese Werthe bleiben unter denen in Erzgruben gefundenen zurück.
Ausgedehnte Beobachtungen fanden auch in den englischen Steinkohlend t>
tricten statt. Hüll theilt in seinem Werke über die englischen Steinkohlenfeldct
0 Vcrgl. r. B. Naumann, Bischof u. A.
*) Schwartz: Nature. April 1878.
') Ausland 1867. pag. 48.
*) Compt. rendus. XVI. 1843. 937-
») Revue de Giologie. Xm. 7. Paris, Savy, 1877.
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 267
eine Reihe derselben mit.i) Beim Abteufen der Schächte der Rose Bridge Grube
zu Ince, bei Wigan, jetzt die tiefste Grube in Grossbritanien überhaupt, fand der
leitende Ingenieur Mr. Bryham folgende Reihe:
Tiefe
Art ^pr Scliiclitf*n
Temperatur
Temperatur
in Meter.
XXA % UV-1 ^\#l»t\irUtVAl«
der Luft.
des Gesteins.
146,8
Blauer Schiefer
...
64,5 °F-
i7i»4
Fester Letten
...
66°
501,6
Blauer Schiefer
...
78°
547i2
Letten
. • .
80°
574,5
Steinkohle
73°
83°
606,4
Fester Schiefer
75°
85°
623,7
Steinkohle
76°
86°
638,4
Fester Stein
76°
87°
672,2
,1
76°
88i°
682,2
Schiefer
77°
89°
694,9
fester Schiefer
78°
90,5°
705,8
„
80°
91.5°
713,2
blauer Stein
79°
92°
730,5
fester blauer Schiefer
79°
93°
736,9
Steinkohle
79°
93i°
Wird die Temperatur der Oberfläche zu 94° F. angenommen, so erhält man
also auf die ganze Tiefe von 737 Meter eine Zunahme von 44,5 ^F. oder eine
geothermische Tiefenstufe von nur 16,1 Meter für i°F., was für einen GradC. um-
gerechnet = 29,8 Meter ergiebt. Eine andere ebenfalls bei Hüll mitgetheilte
grössere Beobachtungsreihe von der Dukinfield -Grube, Cheshire, ergab als geo-
thermische Tiefenstufe = 26,7 Meter für i°F. oder für i°C. = 48 Meter.
Als Ursache für den Umstand, dass in den Kohlengruben demnach die
Tiefenstufen im Allgemeinen geringere sind, können verschiedene Verhältnisse in
Betracht kommen und zum Theil gleichzeitig wirksam sein.
Die Lagerungsverhältnisse der Steinkohlenformation zeigen einen oft wieder-
holten Wechsel verschiedener Gesteine : Schiefer, Sandsteine und Kohlenflötze. In
diesen ist die Leitungsfahigkeit ohnehin eine sehr geringe, sie wird aber noch um
ein ganz Bedeutendes vermindert, durch den oftmaligen Intervall in den Schichten ;
denn jeder Uebergang aus einem Medium in ein anderes ist auch Rir die Verhält-
nisse der Wärmeleitung gleich einer Verzögerung oder einer Steigerung des Wider-
Ntandes. Durch viele horizontale über einander liegende Schichten hindurch muss
also die Leitungsfahigkeit in verticaler Richtung eine geringere sein, als z. B.
durch steil gestellte Straten, in denen die Fortpflanzungsrichtung auf grosse
Strecken in dasselbe Medium fällt. Die aus dem Inneren der Erde aufdringende
Wärme wird also hiemach verschiedene Stufen zu zeigen vermögen. Die Zunahme
der Temperatur ist umgekehrt proportional der Fortpflanzung und Abgabe der
Hitze nach oben, der grösseren Leitungsfahigkeit entspricht ein höherer Werth
der geothenn. Tiefenstufe. Dafür war schon ein älteres Beispiel ganz besonders
instructiv. Cordier fand in zwei Steinkohlengruben bei Carmeux im Depart.
Tarn in Frankreich, den Gruben von Ravin und Castillan, die nur 2 Kilom. von
einander entfernt liegen, sehr wesentliche Unterschiede ihrer geotherm. Tiefen-
Stufen: in der ersteren 42 Meter, in der letzteren nur 28 Meter für 1° C. Cordier
erklärte dieses durch das grosse Leitungsvermögen eines mächtigen Kupfererz-
0 HuLL, 1. c. pag. 485 ff.
268
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
ganges, in dessen Strich rieb tiing die Grube Ravin gelegen ist. Ganz ähnliche Beob-
achtungen liegen auch aus den Erzrevieren von Comwall vor, wo die Erzgänge eine
um I — 2,8° C. höhere Temperatur aufweisen als erzfreies Gestein, wo in den
Kupfererzgängen eine höhere Temperatur als in den Zinnerzgängengefunden wirdJ}
Andererseits kommen in den Kohlengruben die Einflüsse des Druckes
ganz gewiss auch bei der localen Temperatur mit zur Geltung. Der Bergmann
weiss den Unterschied, der in dieser Beziehung oft in derselben Grube obwaltet,
ganz genau zu schätzen. An den einen Stellen widersteht das zum Stützen der
unterirdischen Baue verwendete Grubenholz lange und ausdauernd dem Druck,
an anderen ist eine Arbeitsstrecke kaum im Holze zu erhalten, so wird es unter
dem Drucke zermalmt. Dazu kommt dann die Erfahrung, dass stets 'm
den Grubenbauten dieser grössere Druck im Gebirge örtlich mit den höheren
Temperaturen zusammenfallt.
Endlich aber sind die in den Kohlenflötzen stattfindenden chemischen Z<fr-
setzungsvorgänge ohne Zweifel ein ferneres wirksames Agens zur Erhöhung der
Temperatur, wie das wiederum in der Beobachtung eine Stütze findet, dass auch
die Entwicklung der sog. schlagenden Wetter gerade in sehr heissen Sti ecken
der Flötze mit Vorliebe zu erfolgen scheint. '
Auch aus zahlreichen Beobachtungen in artesischen Brunnen und Bohr-i
löchern sind fernere Werthe flir die geotherm. Tiefenstufe gewonnen worden,
von denen manche ganz besondere Zuverlässigkeit besitzen. Auch hier schwanken ^
allerdings die Werthe in weiten Grenzen.
Einige der werthvolleren dieser Zahlen sind:
Rüdersdorf (Berlin) . . . totale Tiefe = 290 Meter, Tiefenstufe 30,00 Meter,
Neusalz werk (Westphalen) „ „ 644
Mondorf (Luxemburg) . . ,', „ 502
Pitzbühl (Magdeburg) . . „ „ 151
Artem (Thüringen) ... „ „ :i:i:i
La Rochelle (Frankreich) . „ „ 126
Saint Andrd (Eure) ... „ „ 253
Mouillelonge (Creusot) . . ,, „ 816
Torcy (Creusot) .... „ „ 554
Sowohl die Beobachtungen in den Bergwerken als in den artesischen Brunnen
und Bohrlöchern haben aber ausser der allgemeinen Zunahme auch rn*c^
übereinstimmend ergeben, dass die geothermischen Tiefenstufen mit der Tiefe
erheblich zunehmende Werthe erhalten.
Arago hatte schon zusammen mit Dulong und Walferdin darauf bezügliche
Beobachtungen an dem Bohrloche von La Grenelle gemacht.^ Bestimmter er
giebt sich dieses aus den drei hier folgenden Beobachtungsreihen.
Sperenberg. Rüdersdorf. Neusalzwerk.
tt
>t
»I
>i
fi
»»
»
M
f>
»»
ft
tt
tt
99
II
II
2<),20
3I1O4
26,50
40,00
20,1
30,95
30.7
30,7
Tiefe ,j,
in Meter. ^ ^'
ratur.
Q° C.
Tiefcnstufc. Tiefe.
Tempe-
ratur.
26,7
3i3i9
627,7
941,6
1268,6
23i2
33°
43°
48°
)2o,2 Meter
}32
3ii4
64,1
99
99
26 8,50*^ c.
123,4 17,12°
212,8 19,75°
285»9 23,50°
Stufe.
11,3 Meter
34 II
19.5 n
Tiefe. '^™P*-
ratur.
26 8,7° c
188,4 i9i7''
417,4 27,5°
628,6 31,4°
69Ö1S 33.6°
Stufe.
14,8 Meter
54.1 ,,
>) PoGGD. Ann. XIII. 367.
•) Arago, Notes scientifiques. 111. p. 370.
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 269
Bei der durchweg im Ganzen unverkennbar hervortretenden Zunahme der
Werthe für die geothermischen Tiefenstufen sind die im Einzelnen auffallenden
Anomalien ohne Zweifel auf Störungen in der Beobachtimg zurückzuliihren, wie
sie sowohl in der Zufuhr kälterer und schwererer Wasser in die Tiefe oder auch
in dem Vorhandensein besonders beschaffener Schichten beruhen können.
Auch die Beobachtungen in den grossen Tunnels haben wichtige Beiträge
zur Lehre der Geothermik geliefert. Sie dringen, wenn auch nicht in verticaler
Richtung, so doch tiefer in das Innere der Gebirgsmassen ein, als es vorher
möglich gewesen.
Der Tunnel durch den Mont Cenis hat seine höchste Sohlenstelle fast
genau unter dem höchsten Gebirgskamme. Dieser misst 2905 Meter über
Meer, jene 1296 Meter, so dass die Differenz in der Verticalen nmd 1600 Meter
beträgt. In folgender Tabelle sind die Resultate der Beobachtungen von Giordano
zusammengestellt. 1)
Tiefe unter der
Oberfläche.
520 Meter
I.
Entfernung
vom Sudportal.
500 Meter
2.
1000
ft
3-
2000
4-
3000
5-
4000
6.
7-
5000
6000
8.
9-
6450
6662
IG. 7000
Die höchste beobachl
tete '
910
1370
1609
If
II
Luft-
Gesteins-
Temperatur.
Temperatur.
10.5°
14,2°
15.3°
17°
17,8°
19,5°
20,3°
22,8°
23°
23,6°
24,5°
27,5°
26,8°
28,8°
30,1°
29,5°
28°
25°
27°
M47
tete Temperatur entspricht der Mitte des Tunnels: 29,5.
Ueber diesem Punkte in der nach der Oberfläche gezogenen Verticalen mag im
.\usgangspunkte der letzteren, die hier ziemlich die Sattelhöhe des Gebirges
trifft, eine mittlere Jahrestemperatur von — 3° herrschen. Daraus ergiebt sich
iiir die geothermische Tiefenstufe ein Werth von 49,5 Meter.
Bei dem Fortschreiten von der Stufe 7 bei 1370 Meter unter der Oberfläche bis
zu 8 mit 1609 Meter, also bei einer Differenz von 239 Meter ergiebt sich gleich-
wohl, wie aus der Tabelle ersichtlich, nur eine Zunahme von 0,7°; und vorher-
gehend entspricht der verticalen Differenz zwischen 6 und 7 von 460 Meter nur
eine Temperaturzunahme von 1,3°. Daraus scheint sich zu ergeben, dass für
Höhen, die die ewige Schneegrenze erreichen, eine Vermehrung der Höhe der
Berge um einige hundert Meter eine wesentliche Aenderung der Gesteinstempe-
ratur im Inneren in der Verticalen jener Höhe nicht zur Folge hat.2)
Zieht man nun von der Gesammtsumme der Wärmezunahme vom Berggipfel
bis zun) Tunnelmittelpunkt = 32,5^ die beiden Grad, die durch die Erhöhung
der aufliegenden Bergmasse um zusammen 699 Meter bewirkt scheinen, ab, so
erhält man als Zunahme 30,5° die sich auf 910 Meter Verticalhöhe vertheilen.
Hiemach würde die geothermische Tiefenstufe 30 Meter betragen.
Der erkaltende Einfluss der an hohen Bergen ins Innere hinein wirkt, ist
nach dem Vorhergehenden so bedeutend, dass in diesen oberen Theilen die
geothermische Tiefenstufe den grossen Werth von über 300 Meter erhält, und
*) Revue de Geologie. IX. 158, vergl. auch Lapparent, Traiti de Geologie, pag. 378.
*) LoMMEL, Archives des sciences etc. de Geneve IV. 364.
270 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
dass ein Bergmassiv von fast 700 Meter die Temperatur darunter doch nur um
2° emporzudrängen vermag.
Ganz ähnlich sind die Resultate, die der Tunnel durch den St. Gotthard ge*
liefert hat Die Bergform ist noch geschlossener und überragt in ihrer Höhe um
100 Meter den M. Cenis. Das Maximum der beobachteten Temperatur war 3o,S^
also nur 1,3° mehr als im anderen Tunnel. Für die geothermische Tiefenstufe
ergab sich im Mittel ein Werth von 48,4 Meter. Auch dieser würde sich ohne
Zweifel auf fast 30 Meter vermindern, wenn man eine ähnliche Correction an-
wenden wollte wie für den Mont Cenis. Wenn man die Temperaturen des
Tunnels und die der Luft in denselben Verticalen vergleicht, so findet man, dass
unter der Ebene von Andermatt die Tiefenstufe etwa 20,5 Meter sein würde, da-
gegen ist sie unter dem starken Gehänge von Wannelen schon 42,6 Meter. Eben-
so ist auf der südlichen Seite unter der Fläche des See*s von Sella die Tiefen-
stufe 45 Meter, dagegen unter dem scharf geschnittenen Gipfel der Cima Ix>ita-
misura schon 62,30 Meter. Der abkühlende Einfluss der aufragenden isolirten
Bergkegel ist also auch hier unverkennbar. Die Beobachtungen am St. Gotthard
haben auch die früher schon erörterte Regel wieder erwiesen, dass die Vergleichung
der Temperaturen in der Normalen zur Böschung und nicht in der Verticalen
erfolgen muss, um die richtigen Werthe zu erhalten^).
Folgende Sätze aber lassen sich aus den bisherigen Beobachtungen als all-
gemein gültig für die Temperaturzunahme nach dem Erdinneren aufstellen:
1. Unterhalb der invariabelen Zone, deren obere Grenze in verschiedener
Tiefe gelegen ist und deren Temperatur abhängig erscheint von der mittleren Jahres-
temperatur des Ortes, erfolgt überall eine Zunahme der Temperatur nach der Tiete.
2. Das Gesetz der Zunahme ist noch nicht erkannt. Die grosse Zahl \0c2J:
die Regelmässigkeit störender Einflüsse, Druck, Zersetzungen, kalte und wanne
Quellen und die fortwährende Aenderung dieser Einflüsse macht die Bestimmung
schwierig.
3. Mit grösserer Tiefe nehmen diese Einflüsse ab und das Gesetz der Zu-
nahme wird constant.
4. Die geothermischen Tiefenstufen sind in grösseren Tiefen jedenfalls sehr
viel grösser als an der Oberfläche d. h. die Wärmezunahme wird endlich ver-
schwindend klein.
Die wichtigen Beobachtungen, die Dunker an dem Bohrloche von Speren-
berg gemacht hat, hatten denselben zuerst zu der Annahme einer Formel ur
das Gesetz der Temperaturzunahme geführt, die in der That bei einer Tiefe
von 1621 Meter das Maximum der Temperatur ergiebt, dann wird die Zonalmie
gleich Null bis zu der Tiefe von 3420 Meter und darüber hinaus erhält sie s^v
gar einen negativen Werth. Henrich hat später die Anwendbarkeit der vi»n
Dunker zu Grunde gelegten Formel bestritten 2) und dieser selbst aus einer ver-
gleichenden Betrachtung der auch in anderen Bohrlöchern erhaltenen Resultarc
die Ansicht gewonnen, dass doch die Zunahme der Wärme als eine const.in!
fortschreitende angenommen werden müsse und dass sie sonach, wenn auch erst
in sehr viel grösseren Tiefen als man früher glaubte, doch im Innern der Krdc
eine ausserordentliche, die Schmelztemperaturen der Gesteine noch übertreffende
Höhe erreichen könne.
*) Stapf, Revue universelle des mines, Li^e 1879 — 80. Vergl. auch 1. Hans, Zcit-^hi
Österreich. Ges. für Mineralogie. 1878. XHI. 2. u. Lapparent, Traite de G^go. 377.
^ N. Jahrb. f. Min. 1876. 716 und 1878. 897.
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 271
Bis zu welchen Temperatiirgraden aber die Steigerung fortschreitet und
welche Wirkungen dieselben im Inneren der Erde haben, darüber ist gar keine
bestimmte Entscheidung bis heute zu geben. Mit der Temperatur steigert sich
auch der Druck, und wenn daher auch jene eine ganz excessive Höhe haben
mag, so ist doch nur dann die Annahme eines geschmolzenen oder gar gas-
föraiigen Zustandes des Erdinneren zu machen, wenn das Wechselverhältniss von
Temperatur und Druck genau bekannt wäre, d. h. wenn es sich entscheiden liesse,
ob die Zunahme der Temperatur in stärkerem Maasse erfolge, als das durch
den Druck bewirkte Hinaufrticken der Schmelz- und Siedepunkte oder nicht.
Im Gegentheile scheint dafiir eine grössere Wahrscheinlichkeit sich zu ergeben,
(lass diese letzeren unter dem aufliegenden Drucke schneller aufwärts rücken als
die Temperaturzunahme.
Da mit der überall erkannten Steigerung der Wärme nach dem Erdinneren
zu auch der Druck überall in gleicher Weise zunimmt, so hat man bei der
Frage nach der Ursache der inneren Erdwärme auch wohl versucht, dieselbe als
eine blosse Folge des zunehmenden Druckes anzusehen. Dazu sollten sich
als weitere Wärmequellen die Reibung der festen Theile und des fliessenden
Wassers und die chemischen Vorgänge durch den Stoffumsatz unter dem Ein-
flüsse der Atmosphärilien hinzu gesellen .i) Aber sowohl der Druck, als auch die
genannten beiden anderen Vorgänge sind in Wirklichkeit keineswegs zu einer
auch nur annähernd ausreichenden Wärmeproduktion, wie sie als Quelle der inneren
Erdwärme nöthig ist, geeignet. In ausführlicher Weise ist dieses von Pfaff erörtert
und nachgewiesen worden und mag auf dessen Auseinandersetzung hier verwiesen
werden.2) Als Resultat derselben ist der Satz zu bezeichnen, dass die Erde
in ihrem Inneren einen nach der Tiefe zunehmenden Wärmeschatz
birgt, der nicht aus äusseren noch jetzt wirksamen Vorgängen hervor-
geht oder sich erneuert, nicht erst jetzt in derselben erzeugt wird,
sondern als Rest einer noch höheren Wärmemenge aus früheren
Entwicklungsstadien im Erdkörper vorhanden ist. Diese hat mehr und
mehr das Bestreben, sich von Innen nach Aussen durch Ausstrahlung zu ver-
mindern und die der abkühlenden Aussenwelt nächst gelegenen peripherischen
Theile der Erde müssen diesen Wärmeverlust am deutlichsten erkennen lassen.
Gleichviel, welchen Maassstab der Temperaturerhöhung und welche Tem-
fieraturgrade wir im Inneren der Erde voraussetzen mögen, die Verhältnisse ent-
sjirechen solchen, wie sie an Kugeln, die aus dem Schmelzfluss erstarren, aut
experimentellem Wege erkannt worden sind.
In dieser Beziehung haben besonders die Versuche von G. Bischoff grosse
Wichtigkeit. An geschmolzenen Basaltkugeln von 0,75 m Durchmesser beobachtete
er 48 Stunden nach dem Guss derselben, die Vertheilung der Temperaturen in
verschiedenen Tiefen im Inneren. Er fand
1. im Mittelpunkte 193° C.
2. 0,114 m von demselben entfernt 170°
3. 0,185 m „ „ „ 156'
4. 0,247 m „ „ „ 137*
Hiernach beträgt die Differenz von i und 2 = 23° für 0,114 m, oder gleich
') Diese Theorie ist vorzüglich von Volger aufgestellt und eingehend erörtert worden in
de«<i«n: Erde und Ewigkeit, p. i$5 If.
') Pfaff, Allgemeine Geologie. Leipzig, Engelmann, 1873. p. 10 undGrundriss der Geo-
logie ebd. 1876. p. 15.
.0
272 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
0,0052 fiir 1° C. Der Unterschied zwischen 2 und 3 beträgt 14° für 0,071 m
d. i. 0,00507 m fiir 1°, zwischen 3 und 4: 19° auf 0,062 m, oder 0,00326 für
1°. Das Vcrhältniss der Tiefenstufen würde hiernach also von oben nach unten
sich durch die Zahlen ausdrücken:
32 : 50 • 52
d. h. in der durch Wärmeleitung und Wärmeausstrahlung sich abkühlenden Basalt
Kugel werden die geoth. Tiefenstufen nach dem Centrum zu immer grosser.
Andere Versuche über die Art der Wärmeverth eilung in einer erkaltenden Ge-
steinskugel rühren von Perrv und Ayrton her;^) ebenso haben auch Thomson
und Tait theoretische Betrachtungen über die Art der Abkühlung der Erdkugel
angestellt. 2) Beide, wenn auch in etwas abweichender Weise, erhalten als Re-
sultat das Grösserwerden der geothermischen Tiefenstufen nach dem Inneren zu,
die ersteren auch die Zunahme derselben mit der fortschreitenden Abkühlung.
Sonach ergiebt sich aus der Gesammtheit der bisher über die Temperatur-
verhältnisse des Erdinneren bekannten Thatsachen, dass man berechtigt ist, diel
Phasen des früheren Entwicklungsganges des Planeten mit denen zu
vergleichen, wie sie aus dem Schmelzfluss erstarrende, abkühlende
Körper zeigen.
Nun ergiebt sich aber femer, dass der Mittelpunkt der Erde auch mit ihrem
Schwerpunkt zusammenfallt, wie das durch die astronomischen Beobachtungen
über die Erdbahn und die Erdbewegung als unzweifelhaft gelten kann. Es mub>
sonach auch im Grossen und Ganzen die Vertheilung der Dichtigkeit der Erdei
um diesen Mittelpunkt eine allseitig symmetrische sein, d. h. es müssen vom
Mittelpunkte aus concentrische Schichten, der abgeplatteten ellipsoidischen Gestalt
der Erde conform verlaufend, aufeinander folgen, die nach dem spec. Gevinchtc
in einer nach der Peripherie abnehmenden Scala sich ordnen. In noch be-
stimmterer Weise ist diese Annahme durch eine astronomische Erscheinung zu
prüfen, nämlich durch die Präcession der Tag- und Nachtgleichen. j
Diese Erscheinung wird dadurch hervorgerufen, dass Sonne und Mond aiii'i
die ihnen zugekehrte Hälfte des Erdsphäroides stärker anziehend wirken, als auf i
die abgekehrte. Wäre die Erde eine vollkommen gleich massig geschichtete ,
Kugel, so würde die Präcession nicht vorhanden sein. In Folge der ab^'o-
platteten sphäroidischen Gestalt aber haben Sonne und Mond das Bestreben. |
die Erde um eine in der Ebene des Aequators liegende Achse umzukippen und \
den Pol des Aequators mit dem Pol der Ekliptik zum Zusammenfallen /i.
bringen. Diese Kippbewegung, der eines Kreisels, wenn seine Rotation abnimmt,
vergleichbar, ruft eine Bewegung des Erdpoles um den Pol der Ekliptik hervor,
ein Umkreisen desselben, das in 26000 Jahren einmal vollendet wird, sodass aui'
I Jahr ein Fortschritt von 50,24" kommt. Die Grösse der Präcession steht m
ganz bestimmter Beziehung zur Dichtevertheilung im Inneren der Erde. Damit die
theoretisch berechnete Präcession mit der beobachteten übereinstimme, ist es i."
der That erforderlich, dass der Schwerpunkt der Erde im Erdmittelpunkt gelegen
sei und da.ss die Dichte der Erde von aussen nach innen stetig zunehme. Ware
die Massenvertheilung eine andere, so müssten daraus sehr wesentliche Differenzen
für die Präcessionsbeobachtungen sich ergeben, was seit der Zeit des Hippakoi
(200 V. Chr), der diese Erscheinung schon kannte, aber keineswegs der Fall ist.
Eine solche regelmässige Anordnung nach dem spec. Gewicht setzt aber
») John Mu.nk, Geolog. Magazine. 1880. p. 90.
^ Ebenda». 1880. 99.
Der Erdball als Ganzes un«1 seine Beschaffenheit. 273
wederum für die früheren Phasen der Erdentwickelung eine Beweglichkeit der
Schichten voraus, die nicht wohl anders als in einem ursprünglich flüssigen Zu-
stande gefunden werden kann.
Endlich ist auch die abgeplattete sphäroidische Gestalt der Erde eine solche,
dass dieselbe nur in der Annahme ihre Erklärung findet, dass sie die Folge ist
der Rotation einer noch nicht in den festen Zustand übergegangenen Sphäre.
Keine der aiuleren bis jetzt versuchten Erklärungen, welche von einem früheren
flüssigen Zustand der Erde Abstand nahmen, z. B. diejenige, welche die Ab-
plattung wesentlich als das Werk der Verwitterung darzustellen versucht, haben
sich als stichhaltig erwiesen, i) Am einfachsten erklärt sich die Abplattung in der
folgenden Weise:
Denkt man sich durch eine polare und eine äquatoriale Halbachse einer
Kugel zwei im Mittelpunkte communicirende Röhren gelegt, die demnach recht-
winkelig aufeinander stehen, und beide mit Flüssigkeit bis zur Hälfte gefüllt.
Die ursprünglich die beiden gleichen Arme bis zu derselben
CMiD. 47.}
Höhe füllende Flüssigkeit wird bei einer Rotation der Kugel
um die Achse ac einer sehr verschiedenen Einwirkung aus-
gesetzt. Auf den Arm ^r wirkt die grösste Centrifugalkraft
am Aequator, hier wird die Flüssigkeit vermöge dieser nach
b zu getrieben werden. Es muss demnach, wenn das *
Gleichgewicht in den beiden Wassersäulen hergestellt werden
boU, die Wassersäule des Armes bc genau um so viel länger
werden als die des Armes ac, der senkrechten, polaren
Röhre, als die Kraft mit der ein Körper an dem Aequator
nach dem Kugelmittelpunkte gezogen wird, in Folge der Fliehkraft kleiner ist
als an den Polen. Das ist aber, wie sich durch Rechnung ergiebt, wenn man
die Dimensionen und Bewegung der Erdkugel zu Grunde legt, um etwa ^^ der
Fall. Mitbin muss die Flüssigkeit in dem Arm bc um ^^ länger sein, als in
der Röhre ac. War die Erde einst eine flüssige Kugel, so müssen also der
polare und äquatoriale Halbmesser dasselbe Grössenverhältniss in Folge der
Rotation angenommen haben, d. h. die Erde muss eine Abplattung von ^1^ zeigen.
Dieser Werth stimmt mit denen, welche die direkte Bestimmung der Erdab-
plattung durch Messung ergab (pag. 228) vollkommen überein.
Dass in der That eine flüssige Kugel in dieser Weise als das Urbild unserer
Erde angesehen werden kann, das zeigen auch in ganz besonders sinnreicher
und anschaulicher Weise Versuche mit dem Apparate von Plateau.
Derselbe senkte mit Hülfe einer Pipette einen Tropfen Olivenöl in eine
Mischung von Wasser und Alkohol ein, die auf das spec. Gewicht des Olivenöls
gebracht war. Wenn ein allmählich vergrösserter Tropfen dieser Art, der frei
^»chwebend vollkommene Kugelgestalt besitzt, durch Einfügen einer kleinen, mit
einer Scheibe versehenen Achse zur Rotation gebracht wird, so plattet sich die
Kugel an beiden Polen ab.
So stimmen denn alle Erscheinungen der Gestalt, der Dichte und der Wärme
an der Erde vollkommen mit der Annahme überein, dass dieselbe ein aus dem
gasförmigen und flüssigen Zustand durch allmähliche Abkühlung und Verdichtung
ganz oder theilweise fest gewordener Planet ist.
Diese Theorie wurde zuerst von dem grossen Philosophen Immanuel Kant
*) Vergl. Pfaff, Grundriss d. Geol. pag. 10. u. Allg. Geol. pag. 3.
K.J'Ssojtt, Min., (Icol. u. Pal. I. 18
a74 Mineralogie, Geologie itnd PaUeonlologie.
in »einer Naturgeschichte und Theorie des Himmels im Jahre 1755 ood erst 40 Jahre
später, aber ganz unabhängig von jenem durch den fnmzosiscfaen Astronomen
liAPLACR (Exposition du Systeme du monde 1795) ausgesprochen. Man pflegt sie
daher auch jetzt als die KANT-LAPLACE'sche Hypothese kurzweg zu bezeichnen.
I )ie8elbe erklärt in der That alle vorhergehend besprochenen Erscheinungen
in einfachster und übereinstimmendster Weise; sie hat aber auch durch die Er-
gebnisse aller neueren astronomischen Forschungen immer bessere Unter
Ntütr.ung und Beweise ihrer Giltigkeit gefunden. Man hat in den letzten Jahr*
xclmten in den anderen Himmelskörpern vermittelst der Spectralanalyse mehr und
mehr dieselben Stoffe wieder zu finden vermocht, die auch auf der Erde vor-
handen sind z. Th. sogar in einer Vertheilung und Beschaffenheit, wie sie auch
dicHcr eigenthUmlich sind. Das unterstützt die Annahme, dass alle Himmel!»-
kürpcr, HO auch die Erde, durch die allmähliche Verdichtung einer ursprünglich
durch den ganzen Weltraum gasformig vertheilten Masse entstanden seien.
1 .ange schon \var durch die Astronomie ein anderer Beweis für die Gemein-
Miintkcit der Entstehung auch in der Harmonie der Bewegungen des Planeten-
Hy)«tcn)s gegeben; denn die Lage und die Form der Bahnen der Planeten i^t
ttusNOiH>nlcntUch nahe übereinstimmend.
KndUch hat die Astronomie in den verschiedenen Planeten die Stadien ver
Hclucdcncr Phasen dieses Verdichtungsprocesses und der damit verbimdenen £r-
Hc))cin\uv|S[t>n t\i erkennen vermocht, sowie dieselben z. Th. auch durch das Pla-
rK.W'Vchc Experiment nachzuahmen sind. Wenn man die Rotation derOlivenöl-
kU|^ol \^r>it^rkt^ $0 l<>$cn sich Ringe und kleinere Kugeln ab und rotiren um die
ci^tciv hemm» vollkammen analog den Ringen des Saturn und den Trabanten
K\ iNt kaum n\Hrh emem Zweifel unterworfen, dass die uns sichtbaren Fiz-
vt\Mi\r in ihtt^n Äiivscrcn Si^hichten noch aus gasförmigen Körpern bestehen. Der
WMMtuoxWwt' V^har^ktifr tier Sterosi^ectra rührt jedenMls grösstentheils von der
\ ciM hu\l<'nhon de» IVmiKTÄttir der Sieme her, diese wieder von den Fortschritten,
\U'U \Um AbkuhUux^v- uih) Vci\iichtungs|)roces5 in ihnen gemacht hat. Auch die
\ t'ik^UuiivNO dci S^MM>e erscheinen hieitur ganz besonders lehrreich. Die hohe
IVmivu'^tuu \he in ihr hcrrsach;« erkennen «ir direkt an der uns zustrahlenden
Wäuwc IVivs An doi vM^rdjK^he ein Abkühlung^rocess vor sich geht, zeigt die
\ \\\ \<^\\Wx\\\\\\$:, \h< Vaxxxxx Arocr^ auttuusaen ist, als ein an der Oberflüche be-
)iMM>c^\xK^i l o«sH^>^)\^ Au^ \k^Ya ^:aj>>i>rm^$:en Agsregatzustand in den Aussen, eine
Nav h , nN^ 4 \VK U>^a(Hi^ :!4ch f«.?u^ Kxmnckelui^rsphasea der aus ur^rlinglichen
\**vs%vA»'vn >K^ xvi\;N ^ U'^rKk^?^ Wc-ikvVper unterscbciden:
I^Wtx' ^^A^< \%^,So^«xi $4NN>rm^4!er Jostand. repriscntiit durch die plane-
«^»i'WV' ^^A^<' 0:,*)^/^^ ^^«.-3$$^?« .'^ä^afid, » «fiesem befinden sich die
)>mU^ r>>Axc A.'.wvi^WS^ ScV*ack»^xliiai^ cnd fintslclMii^ einer festen,
^r. * \ %\.^>\\ V»Nv^»x^.vk^ v^S^^-ftiN^V .«K ¥«(^:mT. ^Kaer Fliase sieben die Fixsterne
*^^«* >NSAfsK', .H X^*« •v'^;j:m»%,v * -v", Wi«: n**:!»«, ^ksa Rod^lrtth- Zustande cnt
Sf 'NN ■•>'*st^ < t\ :sN ;'v \ o *A, o'vr^--' i'liast «'icoc eskibc^ cm Fixstern allnühlivi
.',»*.. \>4» A*^ ♦ A^4««H>V *V
NX» , ^tJ-C^ f^^^
Der Erdhall als Ganzes und seine BeschafTenheit. 275
Vierte Phase: Gewaltsame Zerberstung der bereits fest gewordenen Ober-
fläche durch die innere Gluthmasse, dadurch bedingte Eruptionen der letzteren;
ein Ereigniss, welches sich durch das plötzliche Aufleuchten eines neuen Sternes
offenbart
Fun fte Phase: Fortschreitende Verdickung der Erstarrungskruste und schliess-
lich vollständige Erkaltung des Himmelskörpers : Erd- und Mondphase ; in dieser
befindet sich die Erde und noch etwas weiter vorgeschritten auch der Mond;
beide haben in ihrem Entwickelungsgange die vier ersten Phasen bereits durch-
gemacht.
So fügt sich denn eine Kette wichtiger Glieder zu dem Schlüsse zusammen,
dass in der That die KANT-LAPLACE'sche Theorie der Gesammtheit der an der
Erde selbst und den anderen Himmelskörpern erkannten physikalischen Zustände
in ziemlich vollkommener Weise entspricht und sie erklärt.
Freilich ist damit ftir die uns am [meisten interessirende Frage über die
jetzige Beschaffenheit des Erdinneren noch kein entscheidendes Urtheil ge-
fallt. Denn keine der im Vorhergehenden angeführten und erörterten Beobach-
tungen fuhrt, auch unter Zugrundelegung der KANT-LxPLACE'schen Theorie, mit
Xoth wendigkeit auf die Annahme eines bestimmten Aggregatzustandes im Inneren
der Erde hin. Wir werden im Verlaufe unserer Betrachtung sehen, dass selbst
die flüssige Form der geschmolzenen Laven, die aus dem Erdinneren an die
Oberfläche treten, doch nicht die Annahme eines flüssigen Aggregatzustandes des
gesammten Erdinneren oder auch nur einzelner Theile nothwendig macht, so wenig
vie gasförmige Emanationen einen solchen Zustand des Inneren erweisen. Beide
können sehr wohl unter gewissen Bedingungen local aus dem festen Aggregat-
zustande wieder hervorgehen.
Folgende Möglichkeiten können aber a priori für die Beschaffenheit des Erd-
inneren aufgestellt werden:
X. Die Erde ist durch und durch fest.
2. Die Erde hat einen flüssigen oder gasförmigen Kern und eine feste Rinde.
3. Die Erde hat einen festen Kern und eine feste Rinde, zwischen beiden
liegt eine flüssige oder theilweise dampfförmige Zone.
4. Die Erde- ist grösstentheils fest und nur einzelne Reste flüssiger oder
gasförmiger Masse finden sich im Inneren.
Lässt sich aus allgemeinen Gründen für die eine oder andere dieser Möglich-
keiten eine grössere Wahrscheinlichkeit a priori annehmen oder eine derselben
als geradezu unmöglich von vornherein eliminiren?
Man hat aus astronomischen Gründen die früher fast ausschliesslich herrschende
.\nnahme widerlegen zu können geglaubt, dass das Innere der Erde bis auf eine
verhältnissmässig dünne feste Rinde von ungefähr 10 — 15 Meilen Dicke in feurig-
fiussigem Zustande sich beflnde.
Der berühmte englische Geologe Hopkins versuchte hierzu die Erscheinungen
der Präcession der Tages- und Nachtgleichen zu benutzen, deren wir bereits im
Vorhergehenden gedacht haben ^). Er stellte den Satz auf, dass ein tropfbar
flüssiges Sphäroid eine wesentlich andere Präcession zeigen müsse als ein festes;
eine andere demnach auch ein nur von dünner Rinde bedecktes Sphäroid, eine
andere ein solches, dessen feste Schale bis in grosse Tiefen hinabreiche. Er
ging dabei allerdings von der in Wirklichkeit durchaus unwahrscheinlichen Vor-
*) Philos. Transact. 1839. 301. 1840. 193. 1842. 43.
18
276 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
aussetzung aus, dass zwischen der festen Rinde und dem flüssigen Kerne eine
scharfe Grenze bestehe. Im Gegentheil haben wir aus den Verhältnissen der
Dichte im Vorhergehenden erkannt, dass der Uebergang, wenn ein solcher vor-
handen ist, jedenfalls ganz allmählich sich vollziehen muss. Die feste Rinde
muss zunächst in einen weichen, viscosen Zustand, aus diesem ganz langsam in
den eigentlich flüssigen tibergehen. Das folgt aus der Vertheilung der Wanne
und Dichte unmittelbar. Es haben daher auch schon manche Forscher • früher
ihre Zweifel gegen die Zulässigkeit der Schlüsse Hopkin's aus diesem Gmnde
ausgesprochen, so Hennessy*), Delaunay*) und Mallet^). Bei dem allmählichen
Uebergange erhält sich das Sphäroid eben wie ein einziges Ganze, während die
Betrachtungen Hopkins vorzüglich darauf fussen, dass eine freie Beweglichkeit
des flüssigen Kernes längs der unvermittelt daran grenzenden festen Rinde
stattfinde.
Aus seinen Betrachtungen, auf die wir hier eines näheren nicht einzugehen
nöthig haben und in Folge sehr umständlicher und mühevoller Rechnungen glaubte
aber Hopkin's den Schluss ziehen zu dürfen, dass die Erde mindestens bis zu
einer Tiefe von 172 bis 215 geogr. M. oder bis zu einem Fünftel resp. Viertel ihres
Halbmessers starr sein müsse.*)
Allein nach den Fortschritten, welche die Behandlung solcher mechanischen
Probleme inzwischen gemacht hat, kann man heute mit Bestimmtheit sagen, dass
die Präcession eines ganz flüssigen Sphäroides von demjenigen eines festen von
der gleichen Gestalt nicht verschieden ist, dass aber freilich gewisse Erscheinungen
der Nutation d. h. der kleinen Schwankungen in der Stellung der Erdachse zur
Achse der Ekliptik, deren Periode nur 18^ Jahr dauert, etwas andere sein müssten,
falls die Erdkruste absolut starr wäre. Die Ursache der Nutation ist in der An-
ziehung des Mondes auf die abgeplattete Erde jzu suchen, indem sie bewirkt,
dnss die Rotationsachse der Erde kleine Verschiebungen ihrer Richtung im Räume
erleidet. In Folge der Nutation beschreibt der Pol des Aequators um den Pol
der Ekliptik keine reine Kreislinie, sondern eine wellenförmige Curve, derjenigen
ähnlich, welche der Mond um die Sonne beschreibt, indem er sich um die Erde
unil mit dieser gleichzeitig um die Sonne bewegt
Diese Schwankungen müssten allerdings verschieden sein, wenn die Erde
einen nur von dünner Rinde bedeckten, flüssigen Kern besässe und wenn jene
ab dem anziehenden Einflüsse des Mondes durchaus nicht unterworfen gelten
könnte. Wir werden noch im Folgenden zu erwähnen haben, dass dieses nicht der
Kall i\\ sein scheint. Jedenfalls ist aber die feste Erdmasse keineswegs absolut
starr. Sie würtle sich, auch >ft*enn die ganze Erde so fest wäre, wie ihre Ober-
fläche, dennoch abplatten» so>ft*ie sogar eine Kugel aus Stahl von der Grösse und
Umdrehungsjieschwindigkeit der Erde dieses thun würde ^. Daraus folgt umso-
mehr, d;\ss alsv^ eine Mvv?iie Kruste oiier Rinde von Gestein, welche von einer
^> rhilo*. 1>*n*A0t. 0\1J. 1S5K 405.
*) \\>W*nic Kwi^v. l^hiKvs. Vra&>;ict« 1S73. 147.
*^ /u c\ucm J^huhvKcn Resultat« kam auch rftATT duidi eine iDteressante Berechimn^
NAtuir \. .iS^ NAch (Km waivKe cti^ IVtornuiRon \i<r Cninnde nur am ca. 1 Meter Höhe unter
vlcm Kiurtuvx^ cu\CH HuvM|^\'« Kcru<« auI* etcK KicKl« \oii 100 g. M. Dicke schon das Aufboren
v!ifi K!utN »m oÄviMH^ iVtN*w »ttf K\»i^* hjibeti, v*Te Kniriade müsäc daher eine sehr Tid bcdeo-
bt«Klet< IV'ke beruu^u; <i i^tiv^ vl*bvM w^ der Vonuv$eczang Hopkixs
Der Erdball als Ganzes und seine BeschaflFenheit. 277
inneren Flüssigkeit getragen wird, die Deformationen mitmachen muss, welche
diese erleidet.
Das kommt auch noch bei einer anderen BeweisfUhnmg gegen den flüssigenKem
in dünner, fester Rinde zur Geltung, die von dem englischen Physiker W. Thomson
herrührt^). Die Anziehung der Sorme und des Mondes ist stärker auf die Theile
der Erde, die diesen näher sind, schwächer auf die entfernten Theile. So ändert
sich das Maass der Anziehung für jede Stelle der Erde und wenn dieselbe einen
überwiegenden flüssigen Kern besitzt, so muss dieser, vor allem diesen anziehenden
Wirkungen folgend, einen Druck auf die umhüllende Rinde ausüben, der in der
Linie der maximalen Anziehung und in der Richtung dieser liegt Wie stark
und fest müsste die Erdrinde sein, um diesem Drucke zu widerstehen, ohne nach-
weisbare oberflächliche Aufheibungen zu erleiden, wenn sie in der That diesen
flüssigen Kern besässe? Das ist das Problem, das W. Thomson erörtert. Er be-
rechnete, allerdings zunächst auf Grundlage der Annahme, dass die Erde aus
einer elastischen Hülle, mit einem nicht compressibeln, flüssigen Kern bestehe,
was ja auch nur hypothetisch ist, das Maass, bis zu welchem die anziehende Ein-
wirkung von Sonne und Mond sich geltend machen müsse.
Es ist nicht vorauszusetzen, dass dieses Maass der Verzerrung des Erdsphäroides
so gross sein wird, dass es auf dem Wege direkter Messung bestimmt werden
könne. Wohl aber giebt es ein Mittel es zu erkennen, nämlich aus den Ver-
hältnissen der Ebbe und Fluth, den Gezeiten.
Wenn die Erdrinde in dem gleichen Sinne wie das Meerwasser angezogen
iinirdc, d. h. wenn also auch die Erdfeste in gleicher Weise Gezeiten besässe
wie die Oceane, so lässt sich zeigen, dass dann die Gezeiten andere, geringere
sein müssten, als wenn die Erde vollkommen starr wäre. Kennt man die Höhe
der Gezeiten unter der letzteren Voraussetzung für irgend einen Punkt der Erd-
oberfläche, und ergiebt die Beobachtung, dass die wirklich vorhandene Höhe der
Gezeiten nur ein geringeres Maass erreicht, so ist diese Diflerenz die Folge davon,
dass auch die festen Theile der Erdrinde die Bewegung der Gezeiten unter dem
Einflüsse der Anziehung von Sonne und Mond mitmachen.
Nun zeigte Thomson, dass auch bei einer festen Beschaflenheit des Erd-
sphäroides, z. B. von der Dichte des Glases, dennoch ein Einfluss der Gezeiten
sich bemerkbar machen müsse; sie würden dann allerdings nur etwa f der Höhe
betragen, die sie haben müssten, wenn die Erde absolut starr wäre; besässe die
Erde die Dichtigkeit des Stahls, so würden sie } dieser Höhe messen. So kommt
er denn zu dem Schlüsse, dass eine verhältnissmässig dünne Erdrinde nicht das
Maass der Festigkeir oder Starrheit besitzen könne, dass aus der Höhe der wirk-
lich beobachteten Gezeiten gefolgert werden müsse. Das Minimum der Dicke
der Erdrinde glaubt er hiernach auf mindestens 2 — 300 g. Meilen annehmen zu
müssen.
Es bewirkt nun allerdings die Vertheilung von Land und Meer eine nicht
wohl zu berechnende Aenderung der angenommenen Verhältnisse. Es werden
M)nach die halbtäglichen und täglichen Gezeiten bezüglich ihrer Abweichungen
kaum eine Vergleichung mit den theoretisch für die Annahme berechneten Ge-
zeiten gestatten, dass der Erde ein hohes Maass der Starrheit zukomme. In
besserer Weise würden sich hierzu die halbmonatlichen und halbjährigen Ungleich-
heiten in den Gezeiten verwenden lassen, weil diese von der unregelmässigen
*) Philos., Transact. CLIU. 1863. $73. Vergl. auch Green, Geology, Part I. London.
Dality 1876. pag. 495.
278 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
Gestaltung der Meeresbecken weniger beeinflusst werden. Denken wir 2. B. an
die halbmonatliche Mondfluthwelle, welche acht Tage Zeit zu ihrer Ausbildung
hat, so ist einzusehen, dass, wie auch die Meeresbecken gestaltet sein mögen,
doch das leicht bewegliche Wasser binnen acht Tagen Zeit genug hat, sich zu
Fluthwellen zu sammeln und dass, wenn auch die genaue Eintrittszeit des Maximums
vielleicht etwas verzögert und die Wasserhöhe eine etwas andere ist, als es in
einem die Erdkugel völlig bedeckenden Ocean der Fall sein würde, doch die
zeitliche Verzögerung, sowie die Höhendifferenz nur kleine Bruchtheile der ganzen
Fluthgrösse sein können; während für die halbtägip:cn Fluthwellen, die binnen
sechs Stunden erzeugt werden müssen, die Verzögerungen und Höhenänderungen
sehr beträchtliche Bruchtheile der ganzen Perioden oder Fluthgrössen betrajren
können.
Man muss deshalb erwarten, dass vor Allem die Gezeiten von längerer
Periode in sehr naher Uebereinstimmung mit der Theorie zu Tage treten, wenn
die Voraussetzung erfüllt ist, dass die Unterlage, d. h. die Erdkugel eine starre
ist. Auf diese Theorie hat neuerdings, als ein geeignetes Mittel zu einer besseren
Kenntniss vom inneren Zustand der Erde zu gelangen, auch wieder R. Zöppritz
hingewiesen^). Nach ihm sind in den letzten zehn Jahren eine grosse Zahl me\<
mehrjähriger Fluthbeobachtungsreihen aus Häfen verschiedener Meere und unter
verschiedenen Breitegraden gelegen, mit den vollkommensten Mitteln analysirt
worden, ohne dass irgendwo mit unzweideutiger Bestimmtheit eine i4tägige Mond-
periode oder eine halbjährige Sonnenperiode hätte erkannt werden können. Zwar
macht sich in einigen Häfen eine halbjährige Periodicität bemerkbar, aber nur in
solcher Weise,dass man sie auf Rechnung der mit dem Sonnenstand wechselnden
Winde setzen muss. Die halbtägigen Fluthen hingegen zeigen sich überall und zwar
allerwärts später, als sie nach der Theorie kommen sollten, aber je nach der I^e des
Hafens um sehr verschiedene Grössen verzögert und in ihrer Höhe veränder.
So glaubt Zöppritz das Ausbleiben der Fluthen der langen Perioden nur daduKh
erklären zu können, dass die Unterlage, also der Meeresboden die periodische
Auf- und Abwärtsbewegung des Meeres mitmache, also dadurch, dass auch der
feste Erdkörper Gezeiten besitze.
Nun haben allerdings neuere Untersuchungen von G. H. Darwtn gezeigt,
wie dieses auch schon von Thomson angenommen worden war, dass auch eine
zähflüssige Kugel von der Grösse und Masse der Erde, auch wenn sie ein «»ehr
fester Körper sei, doch noch Gezeiten haben müsse, die von denen einer f^l^^i
gen Kugel nur um einen geringen Betrag verschieden sein würden, dass aber ein
Sphäroid von dem Flüssigkeitsgrade geschmolzener Lava, umschlossen von einer
ca. IOC Kilometer dicken Rinde, den gezeiterregenden Einflüssen fast genau -0
folgen würde, wie eine Wasserkugel. Auf einer solchen müssten auch die hal'»
tägigen Gezeiten fast unmerklich werden. Sind nun aber erfahningsgemäss die
Fluthen von langer Periode nicht zweifellos nachweisbar, dagegen die halbtägiger
und täglichen ganz sicher vorhanden, so kann demnach die Voraussetzung nitht
wohl richtig sein, dass die Erde in ihrer Hauptmasse aus flüssigem oder wf •
flüssigem Materiale bestehe. Es bleiben dann nur zwei Annahmen möglich, ent-
weder die Erde muss so fest sein, dass die langperiodischen Gezeiten in sehr
verkleinertem Maasse, die kurzperiodischen zwar auch in verkleinertem, al^r
durch die unregelmässige Gestaltung der Meeresbecken stark beeinflussten Gr^lt
*) Verh. d. I. deutsch. Geogr.-Tages. pag. 18.
Der Erdball als Ganzes und seine BeschafTenheit. 279
auftreten — und diesen Schluss ziehen Thomson und Darwin — oder es giebt einen
dritten, gasähnlichen Zustand des Erdinneren, dessen Eigenschaften die Verzöger-
ung und Veränderung der Fluthen zu erklären gestatten. Zöppritz glaubt sich
dieser letzteren Annahme zuwenden zu sollen. Allerdings kann auch er unter
Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse sich diesen gas-
förmigen Zustand nicht wohl anders vorstellen, als eine im überkritischen Zustande
befindliche, unter der ungeheuren Verdichtung aller freien Beweglichkeit der
Theilchen beraubte, d. h. also eigentlich absolut starre Masse. Trotzdem glaubt
er den Zustand einen gasähnlichen nennen zu können; denn beim Nachlasse des
Druckes reagirt die Masse ähnlich wie ein Gas und dehnt sich in jedem ihr ge-
botenen Räume aus. Auf dieses Verhalten des Erdinneren, das allerdings nicht
mit Nothwendigkeit einen gasförmigen Zustand voraussetzt, das aber jedenfalls flir
die vulkanischen Erscheinungen von ganz besonderer Bedeutung sein kann, werden
wir später noch zurückkommen.
Jedenfalls sind die Beobachtungen über alle Verhältnisse der Gezeiten nun
auch geologisch von dem höchsten Interesse.
Soweit heute schon die vorhandenen allerdings nur spärlichen Beobachtungs-
reihen Schlüsse gestatten, scheinen sie allerdings die Möglichkeit der Annahme
eines flüssigen nur von dünner Schale umschlossenen Erdkernes auszuschliessen.
Mancherlei andere Einwürfe mechanisch-physikalischer Art gegen die eine
oder die andere Annahme über die Beschaflenheit des Erdinnem werden sich am
besten dann noch erörtern lassen, wenn wir versuchen, unter Zugrundelegung der
KANT-LAPLACE*schen Theorie, von der wir im Vorhergehenden gezeigt haben,
dass sie durchaus die einzig annehmbare sei, die ersten Vorgänge in der Ent-
wickdung des Erdsphäroides im Einzelnen uns klar zu machen.
Wir müssen dabei bis auf die Fixstemphase unseres Planeten zurückgreifen.
Schon in dieser, wo die Erde nur eine glühende Gasmasse darstellte, besass sie
ohne Zweifel die abgeplattete Gestalt eines Sphäroides, dessen Durchmesser
natürlich ein sehr viel grösserer gewesen sein muss als heute. Der jetzige Erd-
mittelpunkt war aber auch damals schon der Schwerpunkt und der Attractions-
mittelpunkt für alle gasförmigen Theilchen. Dadurch musste auch im Inneren
dieses gasförmigen Sphäroides, da alle Theile desselben unter einem gewissen
Drucke der äusseren Gashülle standen, schon eine grössere Dichtigkeit herrschen
und eine regelmässige Zunahme der Dichtigkeit nach dem Mittelpunkte zu ob-
walten. Dieses war aber keineswegs verbunden mit einer Trennung oder
Differenzirung nach einzelnen elementaren Stoffen oder nach deren spec. Gewichte,
sondern ein durchaus gleichmässiges Gemenge aller Elemente in gasförmigem
Aggregatzustande lag vor. Mit diesem und der hohen Temperatur ist die An-
nahme so vollkommener Dissociationsverhältnisse nothwendig, dass eine stoffliche
Trennung der Elemente oder einzelner Verbindungen derselben nicht wohl mög-
lich erscheint Das Gasgemenge war bezüglich seiner Mischung überall ein
Gleiches, nur verschieden bezüglich des Dnickes, dem es in verschiedenen
Tiefen ausgesetzt war. Dieser Druck musste zwar durch die Tension des Gas-
gemenges contrebalancirt werden, aber ein kleiner Ueberschuss des Druckes war
nothwendig, um eine Auflösung der Gasmasse in den Weltraum zu verhindern.
Wäre dieses Uebergewicht des aus der Gravitation hergeleiteten Druckes nicht
vorhanden gewesen, so konnte eine weitere Entwickelung der Erde überhaupt
nicht erfolgen, dann wäre auch keine Contraction möglich geworden. Und dieses
gleiche Spiel der vorzüglich in Betracht kommenden physikalischen Kräfte: der
2 So Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Tension, die durch die Temperatur erhöht wird, und des Druckes, aus Gravitation
und Contraction, der die Temperatur steigert, während eine äussere allmähliche
Wärmeabgabe an den Weltraum erfolgte, muss auch durch den ganzen Ent-
wickelungsgang der Erde hindurch dasselbe geblieben sein. Gehen wir darauf
noch etwas näher ein.
Mit der Abgabe von Wärme an den Weltraum, d. i. mit Erkaltung von der
Oberfläche des gasförmigen Sphäroides aus, kam nothwendig zur Wirkung der
blossen Schwere oder Gravitation auch noch die der eintretenden Contraction
hinzu. Beide setzten sich in Wärme um und so entstand wieder eine Tempcranir-
erhöhung, deren Grösse sich jedoch nur schwer bestimmen lassen möchte.
Ist aber in einer gasförmigen Kugel, die bis zum Flüssigwerden erkaltet, der
Maximalwerth des Druckes kleiner als die Spannkraft der Dämpfe im Maximum
der Temperatur, so müsste eine solche Kugel von innen heraus wieder in Dampf
sich verwandeln, sich dilatiren und sieden. Ist aber umgekehrt der im Inneren
der Kugel herrschende maximale Druck grösser als die hier obwaltende Dampf-
spannung, so muss umgekehrt im Inneren der gasförmigen Kugel zuerst der Dam[)f
in den flüssigen Aggregatzustand übergeführt werden.
Wenn also auch im Erdsphäroide durch Erhöhung der Temperatur in Folge
der bei der Contraction geleisteten Arbeit im Mittelpunkte die grösste Dampf-
spannung herrschte, so musste dieselbe doch jedenfalls geringer sein, als der
hier herrschende maximale Druck, da thatsächlich eine Dilatirung des Erd-
späroides nicht erfolgte, vielmehr dasselbe fortschreitend durch den flüssigen Zu-
stand in den theilweise oder ganz festen überging. Es folgt hieraus nothwendig,
dass die Verdichtung der Gase im Inneren vor sich ging und sich also in dem
Sphäroide zuerst ein flüssiger Kern um den Mittelpunkt herumlagerte.
Mit der weiteren Abnahme der Temperatur nach aussen schritt die gleiche
Entwickelung fort. Wenn auch die Contraction fortdauernd wieder eine Temperatur-
erhöhung zur Folge haben musste, so konnte dieselbe doch nicht hoch genu^
sein, um die allgemeine Abnahme zu beeinflussen oder das oben aufgestellte
Verhältniss von Dampfspannung und Druck zu alteriren. In jedem Momente, wo
dieses umgekehrt sich gestaltet hätte, würde eine sofortige Auflösung des
Sphäroides in den Weltraum die Folge gewesen sein.
Da nun die Abgabe der Wärme von der Oberfläche aus erfolgte, so trat
der Uebergang aus dem gasförmigen in den flüssigen Zustand in Folge der blossen
Erkaltung hier eigentlich zuerst ein, sowie die Verdampfungstemperatur des Ga>-
gemenges erreicht und dann noch eine weitere Erniedrigung der Temperatur
erfolgt war. Dass möglicherweise hierbei die Verschiedenheit in der Höhe dc>
Verdampfungspunktes für einzelne Stoße mit in Betracht kam, davon wollen wir
hier absehen, jedenfalls trat dieser Umstand aber bei dem Uebergange aus dem
flüssigen in den festen Zustand in Wirksamkeit.
Das höhere spec. Gewicht d. i. die grössere Dichtigkeit der entstandenen
flüssigen Theile trieb diese von der Oberfläche aus dem Mittelpunkte zu. Mit
dieser Bewegung traten sie natürlich in die sich folgenden Zonen höheren I)nicke>
und höherer Temperatur ein. Sie hätten durch den Einfluss der letzteren nai'ir-
lieh wieder in den gasförmigen Zustand zurücksteigen müssen, wenn nicht der
gleichzeitig zunehmende Dnick ein grösserer gewesen wäre, als die durch die
höhere Temperatur bewirkte Spannung. Das war an keiner Stelle der Fall; m»
konnte der einmal flüssige Tropfen nicht wieder gasförmig werden, sondern ge
langte, stets dichter, als die ihn umgebenden Massen, mit denen er den gleichen
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 281
Dnick und die gleiche Temperatursteigerung durchmachte, bis zum Mittelpunkte
der Erde.
Der Uebergang aus dem gasförmigen in den flüssigen Aggregatzustand er-
folgte also im Grossen und Ganzen von Innen nach aussen; im letzten Stadium
dieses Processes war die Erde eine gluthfllissige von gasförmiger Hülle umgebene
Kugel ; das wäre also etwa die Sonnenphase unseres Planeten gewesen.
Bei einer bestimmten Temperatur, auf deren Höhe hier nichts ankommt, da
immer nur das gegenseitige Verhältniss von Temperatur- und Druckmaximis das
Bedeutungsvolle ist, begann der Process des Ueberganges aus dem flüssigen in
den festen Zustand.
Auch dieser verlief im Allgemeinen mit der regelmässig erfolgenden Temperatur-
abnahme ohne Störung trotz der durch die Contractionsbewegung erzeugten
Wärme. Nur die plötzliche Aufhebung des Druckes an einer Stelle des Inneren
hätte hier eine gewaltsame Aenderung in dem Gleichgewichte der Kräfte und
eine Unterbrechung der sich abspielenden Vorgänge hervorrufen können. In
einer gasförmigen und flüssigen Kugel aber erscheint dieses nicht wohl möglich.
Denn in allen Theilen bleibt die Gravitation und damit der Druck durch die
volle Beweglichkeit immer gleichmässig wirksam. Das konnte erst anders werden,
nachdem eine feste Rinde gebildet war, wenn diese die Kraft besass, im Ganzen
als selbsttragendes Gewölbe zu wirken, oder in einzelnen Theilen wenigstens,
wenn dieses auch im Ganzen nicht der Fall war, eine Aufhebung oder Ver-
minderung des Druckes gestattete.
Wir können nun aber nach den allgemeinen Erfahrungen der Physik wohl
annehmen, dass der Uebergang aus dem flüssigen in den festen Zustand nach
gleichen Gesetzen erfolgt, als der aus dem gasförmigen in den flüssigen. Seit-
dem selbst die sog. permanenten Gase durch Abkühlung und Verdichtung flüssig
und fest erhalten worden sind und damit ihre Condensirbarkeit erwiesen ist, kann
das physikalische Gesetz als ein allgemein giltiges bezeichnet werden: dass alle
Körper überhaupt die drei Aggregatzustände anzunehmen vermögen und dass
alle durch Abkühlung und Verdichtung aus dem gasförmigen in den flüssigen
und aus diesem in den festen übergehen. Die Verhältnisse von Druck und
Temperatur sind hierbei wieder die Hauptsache. Bestimmter drückt dies die
Physik in dem Satze aus : der Schmelzpunkt wird bei vermehrtem Drucke erhöht
bei allen den Substanzen, deren Volumen beim Schmelzen vergrössert wird,
dagegen wird der Schmelzpunkt erniedrigt, wenn die Substanz beim Schmelzen ihr
Volumen verkleinert. Das erstere gilt ohne Zweifel fiir die Mehrzahl aller be-
kannten Körper; Versuche beim Eise haben die Richtigkeit des letzteren gezeigt.
Waren aber in dem gasförmigen Sphäroide alle Stoffe in vollkommener
Dissociation vorhanden, so dass dieselben ein vollkommenes Gemenge von einem
gemeinsamen mittleren spec. Gewichte darstellten, aber nicht nach der
Eigenschwere jedes einzelnen zur Gruppirung kamen, so musste dieses Verhält-
niss in der flüssigen Kugel ein anderes geworden sein.
Dass auch bei dem Uebergange aus dem gasförmigen in den flüssigen Zu-
stand die Verschiedenheit der Verdampfungstemperaturen der einzelnen elemen-
taren Stoffe zur Geltung gekommen sei, dass also die Elemente mit den höchsten
Siedepunkten zuerst flüssig werden mussten, ist jedenfalls nicht unwahrscheinlich.
Aber bei dem Uebergange aus dem flüssigen in den festen Zustand lassen sich
diese Vorgänge besser verfolgen, da sie nunmehr, mit dem Aufhören der freien
282 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Beweglichkeit der einzelnen Theile zu dauerhaften, nicht leicht verwischbaren
Zustanden im Erdsphäroide führen mussten.
Der Siedepunkt ist allerdings in weit höherem Maasse von dem Drucke ab-
hängig als der Schmelzpunkt. Soweit unsere Kenntniss reicht, liegen die Siede-
punkte der Schwermetalle am höchsten (mit wenigen Ausnahmen) und auch
der Siedepunkt soviel höher als der Schmelzpunkt.
Nach den Erfahrungen bei den hierin bekannten Körpern kann man die
Annahme wohl auch verallgemeinern, dass die höchsten Schmelzpunkte auch der
höchsten Siedepunkten entsprechen. Wie sich diese Verhältnisse bei anderem
als dem gewöhnlichen Atmosphärendruck, zumal bei sehr gesteigertem Drucke
gestalten, wissen wir allerdings nicht.
Für das Ebengesagte mag die folgende kleine Tabelle als Erläuterung und
Beleg dienen:
Schmelzpunkt.
Siedepunkt.
Schwefel
iii^C.
448°
Cadmium
320°
720°
Zink
412^
1040**
Silber
1000°
Knallgasgebläse.
Die chemische Vereinigung mit einer anderen Substanz oder die Ix>sung m
einer anderen verändert auch die Lage des Siedepunktes. Dass solche Vorgange
auch im Erdsphäroide zur Geltung kommen, ist wohl gewiss; ihre Bedeutung
können wir im Einzelnen auch nicht annähernd erkennen und schätzen. Im
Ganzen können sie einen anderen Gang der allgemeinen Entwickelung aber nicht
herbeigeführt haben.
Die Annahme erscheint also den physikalischen Erfahrungen zu entsprechen,
dass auch die noch gasförmige Hülle des schon grösstentheils flüssigen Erd
sphäroides die Elemente in Gasform vorzüglich enthalten musste, deren Ver
dampfungstemperatur sowohl fiir die Oberfläche der Flüssigkeit und den don
herrschenden Druck, der natürlich bei dieser Atmosphäre ein >ieiraches un^cre^
heutigen Atmosphärendruckes war, als auch ftir jede Stelle im Inneren der
flüssigen Sphäre noch unterhalb der obwaltenden Temperatur und der Druck-
wirkungen gelegen war. Die permanenten Gase und alle Elemente von niedrij;er
Verdampfungstemperatur spielten in der damaligen Erdatmosphäre die Haupt-
rolle, sowie sie in der Sonnenatmosphäre und in glühenden, in einer einiger
maassen ähnlichen Phase befindlichen Himmelskörpern spectralanalytisch noih
heute erkannt werden.
Diese Verhältnisse gestalteten sich in dem weiter erkaltenden flüssigen'
Sphäroide nun immer bestimmter und mussten hier zu einer fortschreitenden
Diflerenzirung der einzelnen elementaren Stoflfe nach ihren Schmelz- und Siede-
punkten führen. Auch die Wirksamkeit der chemischen Vereinigimg und
Mischung trat nun mit der Abnahme der vollkommenen Dissociation immcri
mehr hervor.
Wir können daher wohl annehmen, dass bei dem Uebergange aus fitmi
flüssigen in den festen Zustand eine individuelle Gruppirung der Elemertarstolfe
und ihrer Verbindungen, trotzdem dieselben durch vielfache Strömungen im
Inneren und an der Oberfläche der flüssigen Sphäre in Mischung gehalten wurden»
doch nothwendig theilweise vorangegangen sein musste.
Die Emzelheiten und die Ursachen der eben genannten Strömungen können
wir hier ausser Acht lassen, wenngleich sich daran sowohl für die Art der Al>-
Der Erdball als Ganzes und seine BeschafTenheit. 283
kühlung als auch den Oberflächenort der ersten beginnenden Erstarrung wichtige
Erörterungen anschliessen lassen. Sie waren jedenfalls die Veranlassung, dass in
der flüssigen Sphäre, wenn auch bis zu einem gewissen Grade eine Differenzirung
in Elementarstüfle sich vollzogen hatte, dennoch eine regelmässige Anordnung
nach dem spec. Gewichte noch nicht erfolgt war. Das stimmt auch mit unseren
Erfahrungen über den Zustand flüssiger Gesteinsmagmen überein, in denen eben
falls die Differenzirung in einzelne Bestandtheile erst erfolgt, wenn die Erkaltung
bis nahe an den Erstarrungspunkt fortgeschritten und die freie Beweglichkeit der
einzelnen Theile des Magma's eine sehr beschränkte geworden ist. Wird diese
Orenze durch sehr schnelle Erkaltung zu schnell überschritten, so erstarrt das Magma
711 einem Glase, das nach Mischung und spec. Gewichte als das Mittel der Stoffe
und ihrer Eigenschwere angesehen werden muss, die sich bei langsamerer Ent-
\^ickelung gebildet haben würden. Gerade das Erhalten der dem Erstarrungs-
momente nahe liegenden Temperatur über längere Zeit hin, hat zur künstlichen
Darstellung der Minerale geführt, die vorzüglich auch in vulkanisch gebildeten,
aus dem Schmelzflusse erstarrten Gesteinen auff:reten.
Die flüssige Sphäre behielt also durch die in ihr bis zu einer gewissen
Periode erhaltene leichte Beweglichkeit aller Theile und die diese ergreifenden
Strömungen einmal das mittlere spec. Gewicht der Mischung aller in ihr vor-
handenen Elemente an der Oberfläche oder für jeden Punkt im Inneren selbst-
verständlich unter Anrechnung des Druckes. Aber auch für die Vertheilung der
Temperatur waren diese Strömungen von grosser Wichtigkeit. i)
Denken wir uns also nun ein Sphäroid, in dem alle Elemente und deren
Verbindungen in einer schmelzflüssigen Lösung gleichzeitig vorhanden waren, in der
aber, so wollen wir annehmen, ein gewisses chemisches Gleichgewicht hergestellt
war, so dass wir zunächst von einem vielfachen Wechsel in der Art der einzelnen
Stoffe und Verbindungen absehen können. (Thatsächlich wissen wir über diese
Verhältnisse nichts einigermaassen Wahrscheinliches.) Dieses schmelzflüssige
Sphäroid besass ein mittleres spec. Gewicht, das höher war, als das der leicliteren
darin in Mischung befindlichen, niedriger dagegen als das der schwereren Stoffe
und Verbindungen.
War die Oberfläche dieses Sphäroides durch Wärmeabgabe bis zu dem Punkte
der Erkaltung fortgeschritten, dass überhaupt eine Differenzirung und ein Fest-
werden einzelner Stoffe oder Verbindungen beginnen konnte, so mussten, wie vor-
her erörtert, diejenigen den Anfang machen, welche die höchsten Erstarrungs- und
Schmelzpunkte besassen. Für diese aber gab es bezüglich ihrer spec. Schwere und
der Volumveränderung beim Uebergang aus dem einen Aggregatzustand in den
anderen folgende Möglichkeiten: Entweder sie besassen:
1. Ein sehr hohes spec. Gewicht und einen hohen Contractions-
coefficienten, oder
2. ein hohes spec. Gewicht, dehnten sich aber beim Festwerden aus, oder
3. ein niedriges spec. Gewicht und hohen Contractionscoefficienten, oder
4. ein niedriges spec. Gewicht und dehnten sich aus.
Alle diese Fälle erscheinen auf den ersten Blick flir die Frage von Bedeutung,
üb die erstarrten Theile an der Oberfläche des Sphäroides eine feste Rinde zu
bilden im Stande oder aber unterzusinken gezwungen waren.
Von vornherein beschränken sich aber diese Möglichkeiten ungemein. Denn
*} Zöllner: Ueber die Natur der Cometen. pag. 486.
284 Mineralogie, Geologie und Falaeontologie.
da der erstarrte Körper, der gleichzeitig von dem Gesammtmagma auch stoflBicVi
sich difFerenzirt hatte, nun mit seiner Eigenschwere erscheint, so kommt es also
auf die Contractions- oder Ausdehnungsfähigkeit desselben nur in dem Falle an,
dass er nahezu das gleiche spec. Gewicht des gemeinsamen Magma's besass und
also durch Dilatation weniger dicht, durch Contraction dichter wie dieses werden
und darnach auf demselben schwimmen oder darin untersinken musste. Dieser
Fall ist aber jedenfalls fast ganz ausser Acht zu lassen, wie sich aus unserer
weiteren Betrachtung noch näher ergeben wird.
Die meisten zunächst nach ihren Schmelzpunkten in Betracht kommenden
Stoffe sind jedenfalls so viel schwerer, wie das gemeinsame Magma oder auch
so viel weniger dicht, dass auch ein hohes Maass von Contraction oder Dilata-
tion sie bezüglich ihrer Dichte dem Magma gar nicht zu näheren vermag.
Dieser Umstand scheint auch bei der Beurtheilung der geologischen Be-
deutung der Versuche über das Verhalten von Metallen oder künstlich erstarrten
Silicatschmelzilüssen, z. B. Glas, bisher nicht genügend betont worden zu sein.
Denn ob ein Metall oder ein Glasfluss einen hohen Contractionscoefficienten be-
sitzt, oder ob es sich im Gegentheile ausdehnt, das kann doch nur dann für das
Schwimmen oder Untertauchen der auf der erstarrenden Erdrinde sich bildenden
Schollen als eine Analogie gelten, wenn wir voraussetzen, dass erstarrte und ge-
schmolzene Masse stofflich identisch sind. Denn bei allen über jenes Verhalten
angestellten Versuchen ist immer nur dasselbe feste, erstarrte Metall auf dem
flüssigen zum Schwimmen oder zum Untertauchen gebracht worden.
Für die Verhältnisse, wie sie bei der Erstarrung der Erdrinde obwalteten,
war es ganz gleichgiltig ob, wie es Millar's^) Versuche, mit denen auch die
neuerdings von F. Nies und Winkelmann 2) angestellten übereinzustimmen scheinen,
wahrscheinlich machen, das Eisen beim Festwerden sich ausdehne oder sich
contrahire, wie es die Versuche von Mallet*) und Roberts*) ergeben hatten.
Der letztere fand, dass zwar das Eisen beim Abkühlen aus dem flüssigen Zustand
zum plastischen sich ausdehne und zwar schnell bis zu 6}, dann aber beim
Uebergang zum festen sich wieder um y^ contrahire. Alle diese Versuche
sind eben dadurch von der Wirklichkeit beim Erstarrungsprocesse der Erde
fundamental verschieden, dass in letzterem Falle der erstarrte Körper immer
ein ganz anderer war, als das übrigbleibende flüssige Magma. Hier kam
nicht Eisen mit Eisen, Wismuth mit Wismuth, erstarrte Glasmasse mit schmelzen-
dem Glase von gleicher Zusammensetzung zum Vergleiche, sondern ein Metall
also z. B. Eisen mit dem spec. Gewichte von 7—8 gegenüber einem Magma von
jedenfalls geringerem spec. Gewicht als 5 • 5, oder anderseits auch ein Silicat 2. B.
von dem spec. Gewichte des Granites 2,6 mit einem eben solchen, viel dichteren
Magma. Die so überaus unsicheren und keineswegs weder nach der einen noch
der anderen Seite hin entscheidenden Versuche und Ansichten über die Contrac-
tions- und Dilatationsvorgänge beim Uebergange flüssiger Körper in den festen
Aggregatzustand kommen also zunächst gar nicht in Betracht Wir werden sehen,
dass sie im Verlaufe der fortschreitenden Erstarrung allerdings später einmal von
Bedeutung im Processe der Erdentwicklung wurden, aber erst dann, als die
wesentliche Anordnung der erstarrten Theile schon erfolgt war.
>) MnjJiR, Naturc 18. 1878. pag. 464.
*) Annalen der Physik und Chemie 1881. Neue Folge XIII. pag. 43 ff-
^ Mallkt, Philos. Mag. (4) 49 1875. pag. 231.
*) Robert's Philos. Mag. it. 1881. pag. 295.
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit.
2S5
Die im Vorhergehenden aufgestellten 4 Fälle reduciren sich also flir den
Beginn des Erstarrungsprocesses der Erde dahin: haben die Stoffe, welche die
höchsten Schmelz- und Erstarrungspunkte besitzen, ein sehr hohes, oder ein sehr
niedriges spec. Gewicht oder endlich grösstentheils ein mittleres, das der mitt-
leren Dichte, die dem Gemenge aller Elemente eigen sein muss, sehr nahe ge-
legen ist?
In der nachfolgenden Tabelle sind die wichtigsten Elemente nach ihren be-
kannten Schmelzpunkten und ihren spec. Gewichten geordnet in zwei Reihen
neben einander gestellt.
Element.
Schmebpunkt. Dichte.
Element.
Schmelzpunkt.
Dichte.
Arsen
? 4,7 - 5 J
Gold
1100°
19,3
Iridium
2700** 23
Silber
1000 — 1100°
'o,5
Platin
2000° 21,5
Antimon
425°
6,7
Wolfram
1700° 16,6
Zink
412°
7 7,2
Nickel
1600'^ 8,8—9
Blei
325°
11,37
Mangan
1600" 7,2
Cadmium
320°
8,6
Cobalt
1400° 8,9
Wismuth
267°
9,9
Kupfer
13—1400'' 8—9
Zinn
225°
7,3
Kisen
I200° 7,6
Quecksilber — 39°
13,6
and andererseits die Nichtschwerinetalle und Metalloide:
Silicium 2000'
2,:
l — 2,6
Baryum Rothgluth
3,6
Aluminium „
2,56
Calcium „
hS
•
Magnesium, dunkle Rothgluth
i>75
Natrium 95 °
0,972
Kalium 62,5'
0
0,865
Phosphor 44° 1,8 — 2,1.
Aus dieser Tabelle geht eines mit Sicherheit hervor, dass die Körper mit
hohen Schmelzpunkten sich in zwei Gruppen zerlegen, einmal die schweren
Metalle, und zwar haben die schwersten Metalle auch ziemlich übereinstimmend
gerade die höchsten Schmelzpunkte und dann in die Elemente, die wesentlich
an der Bildung der Silicate betheiligt sind und das niedrige spec. Gewicht dieser
besitzen.
War also in der Phase der Erdentwicklung, wo die Temperatur an der
Oberfläche des flüssigen Sphäroides von einer mittleren Dichte soweit erniedrigt
war, dass sie sich den höchsten Schmelztemperaturen der uns bekannten Stofle
näherte, endlich der Moment eingetreten, wo eine Ausscheidung begann, so waren
es nach der Tabelle zunächst die schwersten Metalle einerseits, die Kieselsäure
und Silicate andererseits, welche die Erstarrung einleiten mussten. Auf die Grösse
der Werthe für die damalige Dichte der einzelnen Stoffe, die wir natürlich nicht
bestimmen können, da uns die Kenntniss des damals obwaltenden Druckes fehlt,
kommt es hierbei wiederum nicht an, sondern nur auf das gegenseitige Ver-
hältniss der Dichte, von dem wir wohl voraussetzen können, dass es unter gleichen
Bedingungen für alle Stoffe ein constantes bleibt.
Die zuerst ausgeschiedenen festen Theile waren also z. Th. von sehr viel
höherem spec. Gewichte als das gemeinsame feurigflüssige Magma z. Th. von
sehr viel geringerer Dichte. Selbst wenn alle Schwermetalle sehr beträchtlich
286 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
sich beim Erstarren ausgedehnt hätten, würden sie doch hierdurch das niedrige spec.
Gew. desMagma's ebenso wenig haben erreichen können, wie die Silicate, wenn diese
sich beträchtlich contrahirt hätten i). Für die Metalle aber nahm man grössten-
theils früher die grössten Contractionscoefficienten an, fiir die Silicate nur sehr
geringe oder im Gegentheil eine Ausdehnung. In keinem Falle wurde also
das Verhältniss alterirt, dass die vermöge ihrer hohen Schmelzpunkte aus dem
sich abkühlenden schmelzflüssigen Erdsphäroide an dessen Oberfläche zueist
sich bildenden festen Schollen, z. Th. vermöge ihres hohen spec. Gewichts in
demselben zum Untersinken kommen, z. Th. aber nothwendig auf demselben
schwimmend sich erhalten konnten. Die letzteren waren in der Lage nach nnd
nach eine feste, die ganze Erde umhüllende Rinde zu bilden, die zunächst aller-
dings nur von der unterliegenden Schmelzflüssigkeit getragen, keineswegs die
Beschaffenheit eines sich selbst tragenden Gewölbes annahm.
Die untersinkenden Schollen von hohem spec. Gewichte gelangten in Zonen
immer zunehmender Temperaturen und würden hier wieder zum Einschmelzen
gekommen sein, wenn nicht der proportional wachsende Druck auch successi>e
ihre Schmelzpunkte heraufgerückt hätte. Hier stehen wir wieder vor der aller-
dings unentschiedenen Frage, wie das Verhältniss der durch die Wärmezunahme
bedingten Tension zu dem durch die Gravitation bewirkten Druck gewesen sein
mag. Blieb dieses auch jetzt das Gleiche, wie in der ersten Phase der Erd-
bildung beim Uebergange aus dem gasförmigen in den flüssigen Zustand, und
es ist kein Grund gegen diese Annahme anzuführen, so musste jede untersinkende
Scholle in festem, immer dichter und starrer werdenden Zustande bis zum Gni%>
tationsmittelpunkte gelangen können.
So stellt sich der Erstarrungsprocess als ein zweifacher dar, einmal erfolgte
er von Aussen nach Innen, gleichzeitig dann aber auch von Innen nach Aussen
fortschreitend. Der feste Kern nahm immer mehr zu, indem sich ihm alle Schwer-
metalle in der Folge ihrer Erstarrungstemperaturen anlagerten, und die Rinde
wuchs durch Anlagerung an ihre Unterlage durch die weitere Erstarrung der
schwer schmelzbaren Stoffe von niedrigem spec. Gewichte, wie die Silicate.
Dass in beiden Theilen, sowohl in der äusseren Rinde als im inneren Kern,
aber auch von diesem abweichend sich verhaltende Körper durch mechanische*^
Umschliessen von den erstarrten Schollen festgehalten werden konnten und das»
sonach die Zusammensetzung beider Erstarrungszonen eine ungleiche, zusammen-
gesetzte werden musste, ist wohl keine unwahrsc^ieinliche Annahme. Jedenfalls
kamen auch die die Schmelzpunkte wesentlich modificirenden Verhältnisse >on
Legirungen, sowie die vielfachen Wirkungen chemischer Vorgänge, Verbindunger.
und Lösungen hierbei mit in Betracht, ohne dass wir in der I^age wären, die
selben im Einzelnen zu beurtheilen und zu schätzen.
Eins aber war nothwendig die Folge dieser in zwei Richtungen fortschreiten-
den Verfestigung der Erde. Je mehr die leichteren und schwereren Stoffe von
hohen Schmelzpunkten aus dem gemeinsamen Magma ausschieden, amsomehr
musste die Dichte desselben abnehmen und eine solche werden, dass sie Mch
der Dichte der einzelnen darin gemengten Stoffe näherte. Mehr und mehr
mochten für diesen Rest des Magma's dann die Verhältnisse der Contractivtn
oder Dilatation der erstarrenden Theile von Bedeutung werden. Da zudem die
I) Dass in der That die Silicate aber bei der Erstamuig sich ausdehnen, scheinen iIk
Versuche von Sikmens, Berl. Monatsber. 1878 pag. 570, entgegen früherer Annahme ron THomsok
Phil. Trans. 153. 1863. pag. 573 danuthun.
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit. 287
Rinde ein niedrigeres spec. Gewicht besass als das Magma, aus dem sie sich aus-
schied, so verminderte sich für dieses einigermaassen der Druck und dadurch
konnte ein Zurückweichen vom Erstarningspunkte in grössere Schmelzflüssigkeit
herbeigeführt werden, d. h. der Process der Erstarrung schritt schon durch den
geringen Druck langsamer fort bei dem gleichen Maasse der Wärmeabgabe.
Wir können uns nun a priori recht wohl vorstellen, dass die Erstarrung in
dieser Weise fortschreitend, endlich soweit gediehen war, dass nur eine verhältniss-
mässig dünne Zwischenzone zwischen dem festen Kerne und der festen Rinde
übrig blieb und dann fragen, welche Beschaffenheit muss nach dem Vorher-
gehenden dieser Zone, die wir als Median zone bezeichnen wollen, zukommen.
Die Antwort scheint hier auffallend mit geologischen Erfahnmgen über das wirk-
liche Vorhandensein einer ganz besonders gearteten Zone übereinzustimmen, der
sogen. Olivinzone.
Dass das spec. Gewicht dieser Medianzone ein etwas niedrigeres sein musste
als das mittlere des ursprünglichen Magma's und dass andererseits dasselbe dem
der einzelnen Stoffe, die an der Zusammensetzung sich betheiligten, sehr nahe
stehen musste, wurde vorhin schon bemerkt. Ausserdem aber müssen in dieser
Zone sowohl Silicate, d. h. Glieder der äusseren, als auch Schwermetalle, d. h.
Glieder der inneren Erstarrungs-Reihe in solchen Verbindungen überwiegen, dass
ihre spec. Gewichte eine Mittelstellung einnehmen.
Diesen Bedingungen scheint vorzugsweise die Olivingruppe zu entsprechen,
die einerseits mit dem Forsterit, dessen spec. Gew. nur 3,243 beträgt, an die
Silicate, andererseits mit dem eisenreichen Fayalit, dessen spec. Gewicht bis zu
4.3 sich steigert, unmittelbar an das Magneteisen sich anreiht. Sie entspricht
iber noch einer weiteren Bedingung, die sich für diese Medianzone zwischen der
iusseren Kinde und dem festen Kerne nach dem vorherigen von selbst ergiebt:
nämlich die, ein sehr basisches Silicat darzustellen. Je mehr die Silicate von
dem niedrigen spec. Gew. und hohen Schmelztemperaturen, als deren Durch-
schnittszusammensetzung wir etwa die des Granits gelten lassen können, in der
iusseren Rinde aus dem gemeinsamen Magma sich abschieden, um so basischer
musste natürlich dieses letztere werden. Das entsprach hinwieder dem Umstände,
dass es länger in flüssigem Aggregatzustande verharrte, denn die basischeren
Silicate, besonders die eisenreichen, haben niedrigere Schmelzpunkte.
Wir kommen auf diesem Wege zu der Annahme, dass Olivingesteine im
Inneren der Erde eine sehr bedeutende Rolle spielen und begegnen hier ganz
ähnlichen, wenn auch auf anderem Wege herbeigeführten Schlussfolgerungen, wie
sie Daubr£e aus seinen schönen Untersuchungen über die Meteoriten und deren
Vergleichung mit den tiefen Gesteinen der Erde gewann.^)
Kein Mineral tritt in den Meteoriten mit solcher Regelmässigkeit auf, wie der
Olivin. Dagegen fehlt dieses den eigentlich geschichteten Formationen der Erde
und ist auch den granitischen Gesteinen fremd.') Ganz besonders häufig und
») Daubr^e, Experimental-Geologie, Deutsche Ausgabe von Dr. Gurlt. Braunschweig 1880.
pag. 422.
*) Die so Überaus interessante Entdeckung des Olivins in der krystallinischen Schiefergnippe
Vorwegens, wo er in der That als ein unzweifelhaft dieser angehöriges Gebilde erscheint, ist iu
ihrer Bedeutung für die geol. Rolle des Olivin noch nicht ganz zu schätzen. Er erscheint hier
ra dem Theile der Erdrinde, den man als den ältesten anzusehen geneigt war. Die Entstehung
d« krystallin. Schiefer ist noch eine unentschiedene Streitfrage. Oliyinschiefer in ihnen scheinen
allerdings den Gedanken nahe zu legen, dass ihre Bildung von der der alten Eruptivgesteine kaum
288 Mioeralogie, Geologie oikI l'alaeontologie.
charakteristisch ist auf der Erde sein Vorkommen in solchen Eruptivgestemen
deren Sitz jedenfalls unter der granitischen Schicht zu liegen scheint. Er komnit
in diesen nicht allein als eingewachsene Krystalle und Kömer, sondern meist in
Gestalt von Bruchstücken vor, oft eckig und unregelmässig scharfkantig, soda^^
sie als Trümmer, von Gesteinen in der Tiefe losgerissen, anzusehen sind. Die^e
Olivinbomben sind in manchen Basalten bekanntlich überaus zahlreich. DerBabalr
der kleinen Kuppe des Finkenberges gegenüber Bonn am Rhein enthält so zahl-
reiche eckige Einschlüsse kömiger Olivinbruchstücke, dass er stellenweise Ta^t
einen breccienartigen Charakter annimmt. Die Olivinsubstanz ist theil weise ange-
schmolzen und aus der Schmelzmasse haben sich dieselben Minerale in kleinen
Kiystallen ausgeschieden, welche dem Basalte selbst eigenthümlich sind. Das wirft
auch auf die Annahme ein Licht, die Daubr]£e ausspricht, indem er sagt: l)er
Olivin, um von seinem ursprünglichen Sitze in der Tiefe an die ErdoberBäche
zu gelangen, hatte saure Gesteine von vielen Kilom. Mächtigkeit zu durchbrechen
Dabei musste er nothwendig auf diese einwirken und so konnten verschieden-
artige Gesteine gebildet werden«. Auf diese Vorgänge der VViederein- und Im-
Schmelzung wird noch an anderer Stelle zurückgekommen werden.
Hier genügt es, zu zeigen, dass der Olivin im Inneren der Erde ein weit ver-
breitetes Gestein ist, dass gewisse charakteristische Unterschiede ihn von allen
übrigen Silicatgesteinen unterscheiclen : die sehr basische Beschaffenheit, die gro^^e
Leichtigkeit der Bildung auf dem Wege einfacher Schmelzung und endlich die
grosse Dichtigkeit. Nach diesen Charakteren versetzt auch Daubr^ die Gii^in-
gesteine in die untersten Theile der Erdrinde, unterhalb der Schicht der granitisclicn
und der basischen Thonerdegesteine.
Auch das Zusammenvorkommen von Platinerzen, Chromeisen, Magnetei^jn
u. a. mit Olivingesteinen oder deren Umwandlungsprodukten, den Serpentin-
gesteinen, verweist auf einen gewissen Zusammenhang, in dem diese Gesteine mit
den inneren, schwereren Theilen der Erde stehen^).
Ob wir nun aber den Olivin als das oberste der Glieder bezeichnen wollen,
die den festen Kern durch Entwickelung von Innen nach Aussen gebildet haben,
oder üb wir ihm die tiefste Stelle der äusseren Erstarrungsrinde zuweisen, d.i>
erscheint nur dann von Bedeutung, wenn wir ihn nicht als den zuletzt erstarrten
Rest des Gesammtmagma's des Erdinneren ansehen. Das aber scheint aus unserer
Betrachtung ohne Weiteres und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit henorrj
gehen und steht auch mit der Erfahrung in einer gewissen Uebereinstimmunj:.
dass er gerade in den jüngsten Eruptivgesteinen die hervorragende Rolle spielt,
von der vorhin die Rede war.
Gleichwohl ist aus dem Emportreten schmelzflüssiger Laven nicht der Schlu>-
zu ziehen, dass in der Medianzone zwischen dem festen Kern und der festen
Rinde wirklich noch flüssige Massen von basischer oder saurer Mischung, a;v«
entweder von einer der Olivinzone oder der darüber befindlichen granitische"
Zone entsprechenden Beschaffenheit vorhanden seien.
Nehmen wir an, dass die Erstarrung der Erde eine ganz vollkommene ^e
worden, so ist nach unserer Annahme immerhin die Medianzone als die zulet.:
IcMl gewordene und die am leichtesten schmelzbare charakterisirt. Wenn aui:
nehr vemchicitcn gewesen sein kann. An dem Begriff eruptiver Gneisse halten auch au* andm:'
r.iUmten noch viele Korm:her fest. Vergl. Brögger. Ueber den Olivinfels von Söodmöre. N. ^^ <
I. Mm. 1M80. Rd. It. pag. 187.
') llicitKM natürlich von dem secundär gebildeten Magneteisen abgesehen.
Der Erdball als Ganzes und seine BeschafTenheit. 289
nach ihrer Erstarrung die weitere Erkaltung des Erdkörpers noch um ein Erheb-
liches fortgeschritten sein sollte, steht sie doch ihrem Schmelzpunkte noch am
nächsten. Eine verhältnissmässig geringe Temperaturzunahme würde sie wieder
in den Schmelzfluss zurückversetzen können.
Da aber der Schmelzpunkt der in der Medianzone befindlichen Massen unter
dem Drucke der aufliegenden festen Rinde um ein Bedeutendes höher liegen muss,
als für die gleichen Massen in einer weniger grossen Tiefe oder gar an der Erd-
oberfläche, so kann also auch ohne eine Temperaturerhöhung ein Zurückgehen
in den schmelzflüssigen Zustand unter zwei Bedingungen stattfinden, einmal, wenn
an irgend einer Stelle der herrschende Druck vermindert oder aufgehoben wird,
das andere Mal, wenn die Masse durch Bewegung an eine höhere Stelle mit
niedrigerem Druck gelangt.
Ganz analog liegen die Verhältnisse bei den sogen. Geysiren d. h. inter-
mittirenden heissen Wassersprudeln. Nur vollzieht sich bei ihnen das Spiel auf
der Grenze von flüssigem und dampfförmigem Zustande. Aber die physi-
kalischen Gesetze, die ihrer Thätigkeit zu Grunde liegen, sind doch wohl die
gleichen.
In der Quellröhre des Geysir befindet sich an irgend einer Stelle in der
Tiefe das Wasser unter dem Druck der aufliegenden Wassersäule noch flüssig
bei einer Temperatur, die um einige Grade über dem Siedepunkte desselben
d. i. 100^ C. liegt. Eine geringe Aufwärtsbewegung bringt dasselbe in eine Zone,
^0 der geringere Druck die Spannung durch die höhere Temperatur nicht mehr
zu überwinden vermag. Ein plötzliches Uebergehen des Wassers in Dampf, eine
£iplosion des Geysir ist die Folge davon.
Ganz ähnliche Vorgänge können wir an der Grenze zwischen flüssigem und
festem Zustande wenigstens physikalisch für möglich halten.
Unter den Vulkanen haben einige, z. B. der Stromboli, in der regelmässigen
Intermittenz ihier Explosionen eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Geysiren;
an sie erinnert auch der lythmische Gang der Dampfentwickelung während der
Eniptionen fast aller Vulkane.
Nun erscheint allerdings unter der Annahme, dass die Erde im Inneren durch-
aus fest ist, die Möglichkeit einer Aufwärtsbewegung der überhitzten Massen der
Mediaozone nicht so leicht wie in einer Flüssigkeitssäule. Aber immöglich ist
sie dennoch ebenso wenig, wie die Entlastung durch partielles Aufheben des
Dmckes.
Wir müssen hierbei noch von einer anderen Betrachtung ausgehen. Es ist
der Satz schon fiüher mehrfach ausgesprochen und auch der Versuch eines mathe-
matischen Beweises für denselben gemacht worden: Dass die äussere, feste Rinde
der Erde, wenn sie nicht unterstützt sei, nicht als eine gewölbeähnlich sich selbst
tragende angesehen werden könne, sondern dass sie durch die Wirkung der Gravi-
tation zusammenbrechen müsse^). Die wichtige Folge davon ist, dass wir auch
m der durchaus festen Erdrinde einen im Inneren auf alle Theile gleichmässig
virkenden Druck voraussetzen müssen. Es steht also jeder Punkt im Inneren der
Erde in der That unter dem Drucke der autlastenden festen Massen, in ganz
ahnlicher Weise wie das in einem flüssigen Sphäroide der Fall sein würde. Von
diesem Gesichtspunkte aus macht es sonach keinen Unterschied^ ob wir uns
unter der Rinde eine flüssige Medianzone vorstellen oder nicht.
1) Mallst; Vulk. Kraft, l. c. pag. 49 und Ball, PhUos. Magax. XXXGC. 1870 pag. 107.
Auch DE CONTS entwickelte diese Ansicht: Sujliman's Journ. m. Bd. IV. 345, 460.
Knomxfrr, Mm^ Geol. u. Pal. I. I9
290
Bimeralogie, Geologie und Palaeontologie.
Nun hat aber die fortschreitende Erkaltung der Erde noch einen anderen
Vorgang zur Folge: die Contraction; wenn das Maass derselben auch im Ganzei
nur einem geringen Contractionscoefficienten entsprechen mag, so ist sie immerhir
bedeutend genug, um die gesammten Niveaudifferenzen der Erdoberfläche in erstei
Linie hervorgerufen zu haben.
Die Contraction bedingt zunächst eine nach dem Mittelpunkt gerichtete 6e
wegung der einzelnen Theile. Da aber die festen Massen der äusseren Rinde
so wenig wie der feste Kern der centripetal gerichteten Bewegung Raum zu geber
vermochten, so war die Folge der Contraction ein Umsetzen in Bewegungen, die
einem tangentialen Drucke zu entsprechen scheinen. An der Oberfläche ca
Erde, die wir als Ebene für diesen Fall auffassen mögen, erscheint also dies«
Druck horizontal. So bewirkt derselbe nothwendig eine Spannung zwischen je zve
aneinander grenzenden Theilen, und wo endlich die feste Masse dieser Spannung
nachgiebt, da müssen einzelne Theile sich abwärts bewegen, andere, als seccc
däre Wirkung, aufwärts gedrückt werden und zwar durch den seitlichen Druci
der einsinkenden Theile, sowie man einen Keil zu einer verticalen aufwärts ge-
richteten Bewegung zu bringen vermag, wenn man ihn von zwei entgegengeseutec
Seiten einem horizontalen Drucke aussetzt Ungleichheiten in der Beschaffenhei
der einzelnen Theile werden auch die Wirkungen der Contraction ungleich ^
stalten. Entweder wird sich der seitliche Druck dadurch ausgleichen, dass ober-
flächliche Theile, der Pressung nachgebend, sich in Falten legen oder aber keiT
förmige Spaltung ermöglicht das Ausweichen gewisser Stücke nach oben ohne
eine erhebliche Faltung, oder endlich beides tritt in Combination ein.
In dem Artikel »Gebirge undGebirgsbildung« kommen wir auf die faltenwerfende
Wirkung der Contraction noch einmal ausführlicher zurück. Hier soll nur betont
werden, dass eine Auf- und Abwärtsbewegung einzelner Theile der Erdfeste, mehr
oder weniger keilförmiger Theile, auch ohne Faltenbildung längs gewaltiger Spalter
keineswegs in den Gebirgen unbekannt ist. So zeigen die mächtigen Plateaus 11
westlichen Nord-Amerika im Staate Utah zum Theil eine Structur, die keineswep
auf eine Faltung durch tangentialen Druck zurückzuführen ist^). Sie erscheinen in,
Gegentheil wie grosse, in ihren Niveau's allerdings auseinander gerückte Platteflti|
in denen aber die einzelnen Schichtensysteme, die diese zusammensetzen, ke:n<
wegs in Falten liegen, sondern nur eine einseitige Neigung oder fast horiront
Lage besitzen, getrennt durch geneigte, mehr oder weniger parallel verlaufend
ungeheure Spalten oder sogen. Verwerfungen. Der überwiegend plateauarti^
Charakter dieser Gebirgsländer, im Gegensatze zu den eigentlichen Ketten^l
birgen, mag wohl mit dieser Erscheinung im Zusammenhange stehen. Die eil
zelnen gegen einander bewegten Theile nehmen darnach die Gestalt keilibnni^^
Massen an. Die Abwärtsbewegung der einen muss nothwendig eine Aufwärts!
(Min. 48. 49.)
Fig. 2.
Fig. 3.
wegung der zwischenliegenden :i
Folge haben.
Wir können uns dieses <-*
matisch vorstellen (Fig. 2). Wci
in der nebenstehenden Figur
Theile a und d zum Niedersinkt
kommen, so heben sie venrn.-^
des damit auf c beiderseitig i^
1) C. £. Dutton: Geology of the high Plateaus of Utah. Washington l8to. p»i- 5J
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit 29 1
geübten Druckes diesen Theil nothwendig in die Höhe. Je weniger ein Aus-
weichen nach unten überhaupt möglich ist, um so bedeutender muss die Aufwärts-
bewegung von c werden. ' In den oberen Theilen von c tritt damit nothwendig
eine Ausdehnung nach beiden Seiten ein, eine Streckung, also der gerade Gegen-
satz einer Faltung. Von der Convergenz oder gegenseitigen Neigung der die ein-
zelnen Theile trennenden Spalten hängt das Maass der Bewegimg oder überhaupt
die Möglichkeit der Bewegung ab. Wenn diese parallel oder nur sehr gering
fegen einander geneigt sind, wird der seitliche Druck eher eine Ausbiegung des
Theiles r, eine oberflächliche Faltung als eine Aufwärtsbewegung im Ganzen zu
bewirken vermögen (Fig. 3).
Jedenfalls können wir uns vorstellen, wie im ersteren Falle, wo also durch
den tangentialen Druck eine Aufwärtsbewegung einzelner Stücke der Erdfeste in
ihren peripherischen Theilen stattfindet, der Druck auf den unter diesen be-
findlichen Massen vorübergehend aufgehoben oder wesentlich vermindert wird.
Befanden sich diese aber in einer Temperatur, die weit über ihrem Schmelz-
punkte liegt, und wurden sie trotzdem nur durch den auflastenden Druck, der
ihrer Tension entgegenwirkte, im festen Zustande gehalten, so trat mit der
Entlastung und dem Aufhören des Druckes ein plötzliches und gewaltsames
Uebergehen in den flüssigen Zustand ein. Mit diesem Uebergange verband sich
nothwendig auch eine Ausdehnung. Diese hatte ein Empordringen der flüssig
gewordenen Magmen auf den Wegen zur Folge, die sich als die natürlichsten
^boten, nämlich die Spalten, welche den Theil der Erdfeste begrenzen, der
M seine Aufwärtsbewegijng die Entlastung und hierdurch das Zurückgehen
^ den flüssigen Zustand bewirkt hatte.
Eine ganze Reihe der Erscheinungen, die mit dem Emporbrechen flüssiger
Gesteinsmassen aus dem Erdinneren in den vulkanischen Schloten zusammenhängen,
^st sich unter diesen Voraussetzungen recht gut erklären. Ganz besonders
&)det auch das Auftreten der vulkanischen Aeusserungen längs der weithin sich
^streckenden Spalten oder Bruchlinien hierin eine gewisse Begründung. Bei
dem Kapitel »Vulkane« soll darauf noch eines Näheren eingegangen werden.
Hier sollte nur die Möglichkeit derartiger Vorgänge hervorgehoben werden,
<^sie uns den Beweis liefern, dass keineswegs das Empordringen schmelz
Massiger Laven als ein Beweis für den flüssigen Zustand des Erd-
inneren gelten kann.
Der Uebergang einzelner Theile der Medianzone in den leicht flüssigen Zu-
stand kann natürlich noch leichter verstanden werden, wenn wir uns denken, dass
dieselbe nicht vollkommen fest geworden sei, sondern sich noch in dem sogen,
^^sen Zustande befinde, der der eigentlichen Erstarrung vorausgeht. In wie
^eit wir zu der Annahme berechtigt sind, dass ein solcher noch jetzt in der
Medianzone existire, das hängt lediglich von der Temperatur ab, die wir in der
%lben voraussetzen. In Wirklichkeit hat es kaum eine Bedeutung, ob wir den
finz festen oder viscosen Zustand aus der Interpretation der Temperaturzunahme
^•^h dem Inneren der Erde herleiten zu müssen glauben.
Dass aber der viscose Zustand in einem gewissen Stadium vorhanden sein
muss, das folgt aus zahlreichen Beobachtungen über das Verhalten verschiedener
Körper beim Erkalten und Festwerden. Für alle bekannten Stoffe erfolgt ein
•angeres oder kürzeres Zwischenstadium der Weichheit, resp. der Halbflüssigkeit,
«he der Körper bei Abnahme der Temperatur vollkommen fest, bei Erhöhung
d^r Temperatur vollkommen flüssig wird. Bei einzelnen Körpern ist dieser
19*
292 liittfiiliigit, Geolog und Patacontnlogic,
IntenraQ mir sehr kurz, z. B. bei dem Eise, bei anderen danen er sehr lange \ind
verlauft ganz allmählich z. B. beim Selen. Auch in den Verbindungen der
basischen und sauren Silicate, wie sie die künsdichen Schlacken und Glasflüs>e
darsteilen, dauert dieser viscose Zustand sehr lange und ist von ganz besonder»
eigenthumficher Art. Das zeigen u. a. auch die fliessenden Laven, die so na
sind, dass sie kaum mehr das Hineindrücken eines fremden Körpers gestattea
und dass auch sehr viel schwerere Körper nicht in ihnen unterzutauchen ver-
mögen, und doch fiiessen dieselben und bew^en ach noch mit einer gewissen
Schnelligkeit fort.
Dieser viscose Zustand ist jedenfalls am meisten geeignet, beim Narhiassei
des herrschenden Druckes so zu reagiren, wie wir es vorausgesetzt habca
Kdne directe Beobachtung irgend welcher Art steht der Annahme entgegen, cmm
die Medianzone ganz oder z. Th. in diesem Zustaiide sich befinde. Sind doch
auch gerade manche Physiker bei ihren Betrachtungen zu der Annahme ge-
kommen, dass unter der festen Rinde jedenfalls zunächst eine Zone von die&<;r
halbflüssigen Beschaffenheit sich finde ^).
Durch den Umstand endlich, in der Erstarrungsreihe die letzte gewesen ni
sein, müssen der Medianzone aber noch andere ganz besondere Eigenschaftcs
zugetheilt worden sein, die sich z. Th. ebenfalls in gewissen Erscheinungen an der
Erdoberfläche und bei den vulkanischen Eruptionen wiederspiegeln.
Eine ganze Reihe von Stoffen, die bei sehr niedrigen Temperaturen noch
in gasförmigem Aggregatzustand bestehen können oder die wenigstens einen so
niedrigen Schmelzpunkt besitzen, dass sie in der Medianzone nicht wohl ci
festem, sondern nur in flüssigem Zustande denkbar sind, müssen von den festen
oder viscosen Massen dieser Zone absorbirt, umschlossen und darin festgehalten
werden. Es ist eine bekannte Thatsache, dass gewisse Metalle, z. B. Silber, Ga»e
mit einer ganz besonderen Lebhaftigkeit absorbiren. Sonach ist es durcha'>
wahrscheinlich, dass Gase auch in grösseren Mengen in dieser oder ähnhchtf
Weise in der Medianzone gebunden sind. Von den Gasen, die bei vulkanischa
Emanationen eine Rolle spielen, kaim das u. a. für die Kohlensäure, die unter
36 Atmosphären Druck, verschiedene Kohlenwasserstoffe, den Chlorwasserst v£
der bei einem Druck von 40 Atmosphären, die Schwefelsäure, die erst bet
— 35° ^cst wird und schon bei 40° zu verdampfen begirmt, den Fluorwasser-
stoff, der nur bei — 20** wieder zur Flüssigkeit condensirt werden kann, bei
-H 19° C siedet, den Schwefel, dessen Schmelzpunkt bei 111° gelegen ir,
auch vielleicht noch für das Chlomatrium gelten, das in der Rothg^uth scJimil.?
und erst bei höherer Temperatur verdampft und gewiss noch für manche andere
Verbindungen. Aber auch das Wasser spielt darin eine hervorragende RoUe uci'
verleiht diesen Massen die Beschaffenheit, die man als einen hydrotheimaJen
Schmelzfluss bezeichnet hat Hier ist zunächst das Wasser gemeint, das in einer
besonderen Art inniger Bindung in diesen Massen vorhanden ist; dazu komni
noch die Einwirkung des von der Erdoberfläche, dem Meere aus, dem aui-
dringenden flüssigen Magma sich zugesellenden, bei der Berühnmg mit dieseir
heftig zu Dampf verwandelten Wassers hinzu ^.
Mit dem Wiedereintreten der Leichtflüssigkeit werden die in der Mediaruonr
mehr oder weniger festumschlossenen Gase entfesselt Mit der der hohen Ten»-
*) Z. B. Hopkins, Thomson, BCallet u, a.
*) Einen ähnlichen Zustand hydrothennalcn (vielleicht besser hydato-dialy tische 1
Schmebflusses ninunt auch P. Scnops fiir die Laven der Vulkane an. Vulcanoes. Ca|>. VD. 4
Der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit 293
peratur entsprechenden gewaltigen Tension treten sie dann äusserst heftig in
Wirksamkeit
Nur so lange vermögen die Processe der vulkanischen Thätigkeit zu dauern,
ils die Aufhebung des Druckes an irgend einer Stelle der Medianzone anhält.
^Vird aber imter der Einwirkung der Gravitation die ungleiche Wirkung der
Spannung in Folge des tangentialen Druckes, der aus der Contraction entstand,
nieder ausgeglichen, und wir haben gesehen, dass die Erdfeste dauernd in ihren
Theilen nicht selbsttragend zu verharren vermag (pag. 289), so hört damit auch
ier flüssige Zustand in der Medianzone auf und sie geht in den viscosen oder
esten, aber jedenfalls fast unbeweglichen Zustand zurück.
Zu im Grossen und Ganzen ähnlichen, wenn auch im Einzelnen abweichenden
annahmen über den Zustand des Erdinneren sind auch andere Geologen ge-
lommen. Ihren Schlüssen lagen allerdings z. Th. auch andere Prämissen zu
»runde.
Am nächsten stehen den im Vorhergehenden entwickelten Ansichten diejenigen
on PouiXET ScROPE, unter den Erforschem der Vulkane einem der verdienst-
oDsten.*) Er nimmt an, dass in einer gewissen Tiefe ganze Zonen oder Theile
ier Erdfeste in einem dem Schmelzpunkte sehr nahen Zustande sich befinden, so
lass nur eine geringe Zunahme der Temperatur, Abnahme des Druckes oder beides
nigleich den leichtflüssigen Zustand dieser Schichten herbeizuführen vermöge.
Die Zunahme der Temperatur, nimmt Scrope an, könne dadurch erfolgen, dass
nächtige Sedimente sich über gewissen Stellen der Rinde ablagern. Allerdings
«Tilde dadurch auch der Druck vermehrt, der ein Flüssigwerden wieder verhindern
könnte. Dagegen vermöge durch Aufheben des Druckes ein Zurückgehen in den
inssigen Zustand da stattzufinden, wo die aufliegenden festen Gesteinsmassen
zerspalten und gehoben würden (fissured and uplifted),
O. FiSHER^ nimmt nur die letztere Möglichkeit an, indem er ausführt, dass
dort, wo in Folge der Contraction eine Zone von Gesteinsschichten in Falten
gtpresst werde, die unterliegenden Schichten den Druck jener nicht mehr aus-
rahalten haben und daher, wenn sie nur in Folge des Druckes im festen Zu-
stande verharrten, wieder flüssig werden müssten.
Auch der amerikanische Geologe Sterrv Hunt^ nimmt eine feste Rinde
and einen festen Kern der Erde an: die erstere bestehe grösstentheils aus den
ktystallin. Schiefem und Sedimenten, der Kern sei wasserfrei und besitze eine
sehr hohe Temperatur ; zwischen beiden liege eine Zone, die aus Stoffen bestehe,
die theüs denen der äusseren Rinde, theils denen des Kernes entsprächen, in
einer ziemlich, aber keineswegs excessiv hohen Temperatur, durchdrungen von
Wasser, das zahlreiche gelöste Substanzen enthalte. Diese Zone befinde sich dem-
nach in einem Zustande, für den auch er den Ausdruck »hydrothermale Schmelzung«
annimmt Die erhöhte Thätigkeit vulkanischer oder metamorphischer Aeusserungen,
die aus dieser 2k)ne entspringen, leitet er wie Scrope und nach diesem auch
Babbage aus der Steigerung der Temperatur durch oberflächlich sich auflagernde
Sedimente ab.
Auch Hopkins, dessen Ansichten schon im Vorhergehenden erwähnt wurden,
nimmt an, dass in der festen Rinde noch einzelne Stellen in einem dem Schmelz-
*) Volcanoes. pag. 265 — 75.
^ Tnmsact Cambridge Phil. Soc XI.
^ SUlim. Joum. IL Scr. XXXVH. p. 255, XXXVm. p. 182, HI. Scr. V. p. 264.
294 Mineralogie, Geologie and Palaeontologie.
fluss nahen oder ganz flüssigen Zustande übrig geblieben seien. Das ist schon
die alte, von Leibnitz in seiner »Protogaeac aufgestellte Ansicht Auch von
CoNSTANT Prevost^), einem der Begründer unserer heutigen Ansichten über die
aus der Contraction der erkaltenden Erde herzuleitenden gebirgsbildenden Kräfte
und ebenso von Faye^, dem bekannten pariser Astronomen wurde die Ansicht
geltend gemacht, dass der grösste Theil des Erdinneren aus festen Massen bestehe,
dass aber zwischen diesem Kerne und der äusseren festen Schaale noch eme
feurigflüssige Zone übrig sei.
Nun haben freilich alle im Vorhergehenden entwickelten und angeföhrta
Beweise und Betrachtungen doch keine weitere Bedeutung, als die hypothetisdier
Speculationen. Aber auch abgesehen von dem Interesse, das sie bieten, lum
ihnen doch auch eine werthvoUe Seite insofern nicht abgesprochen werden, ali
sie ein Glied sind in der Kette von Beweisen, die nach und nach für die Kakt-
LAPLACE'sche Theorie sich zusammenfügen.
Der inductive Weg in der Entwicklung und Erkenntniss eines Naturgesetzes^
der mit der Hypothese beginnt und nach und nach alle Erscheinungen und Beob-
achtungen mit dieser in Einklang zu bringen sucht, ist zwar schwierig und seme
einzelnen Stadien dunkel und unsicher, aber für die Wissenschaft hat er seise
unbestreitbare Bedeutung. Die grössten Entdeckungen sind doch vielleicht nur
auf diesem Wege gemacht worden.
Fassen wir aber in wenigen kurzen Sätzen das Resultat der ganzen vorher-
gehenden Betrachtung über die Temperatur, die Dichte und die hypothetisch«
Beschaflienheit des Erdinneren zusammen, so ergiebt sich:
1. Das Innere der Erde enthält eine intensive Wärmequelle als
Rest eines früheren heissflüssigen Zustandes.
2. Die Dichte der Erde lässt eine zonenweise Zunahme derselben
nach dem Inneren, also die Folge immer schwererer Schichten
in der Erdfeste voraussetzen. Auch das ist die Folge einer nu:
im schmelzflüssigen Zustande möglichen Anordnung.
3. Die Erde ist demnach ein erkaltender Körper und in Folge
dessen ein sich contrahirender Körper.
4. Die Erde ist grösstentheils fest, d. i. erstarrt Zwischen der
festen äusseren Rinde und einem festen Kerne liegt eine zu-
letzt erstarrte oder vielleicht noch in dem viscosen Zustande
befindliche Medianzone.
5. Diese Medianzone befindet sich jedenfalls in einem über ihren
Schmelzpunkt um ein Bedeutendes überhitzten Zustande. Durch
Aufheben des auflastenden Druckes, kann sie stellenweise ir
den leichtflüssigen Zustand zurückgeführt werden. Das Empor-
treten flüssiger Laven ist kein Beweis für das Vorhandensein
eines flüssigen Erdinneren, das astronomisch und physikalisch
unwahrscheinlich ist
Literatur: die Specialwerke siod im Text citirt, hier nur allgemeinere: Bischof, G.» 1>i€
Wärmelehre des Innern unseres Erdkörpers. Leipzig 1837. Studer, B., Lehrbuch der phjsik.
Geographie und Geologie. Bern 1844. Bd. L Gap. I. Bd. II. I. Naumann, Lehrbuch der
') Quelques propositions relatives k l'etat originaire et actuel de la masse terrestre etc.
Comptes rendus. XXXI. 1850.
') In seinen Le^ns de cosmographie. Paris 1854. 11. Edit.
Die Erdbeben. 295
jeogDOsie. Bd. L Cap. i — 3. Leipzig 1858. PfafFi F., AQgem. Geologie. Leipzig 1873.
lip. 1—3, und Gnindriss der Geologie. Leipzig 1876. Cap. i. Vogt, Carl, Lehrbuch der
j«oIogie. TV. Aufl. Braunschweig 1876. Bd. L Cap. L Green, A. H., Geology Part L
iljyacal Geology. London 1876. Cap. XL Peschel-Leipoldt, Physische Erdkunde. Leipzig
1879. L Th. Cap. I— m. u. VI. Lapparent, A de, Traitc de Geologie. Paris 188 1. p. 366 ff.
Die Erdbeben
▼on
Prof. Dr. A. von Lasaulx«
I. Historisches.
Wer einmal eine einigermaassen intensive Erderschütterung gefühlt hat, dem
rird das Unheimliche des Eindruckes unvergesslich bleiben, den diese Natur-
nrscheinung auf den Beobachter ausübt. Darum ist dieselbe aber so unheim-
ich und drohend, weil das in's Wanken geräth, was man als den Ausdruck
Ics ewig festen, unbeweglichen anzunehmen gewöhnt ist, der Boden der uns
lagt, die Erdfeste. Der Mensch sieht sich einer plötzlichen, von keiner anderen
Insseren auffallenden Erscheinung begleiteten Kraftwirkung gegenüber, welche,
rie die Bibel sagt, die Berge hüpfen macht, wie die Widder und die Hügel, wie
JBDge Lämmer.
Wie ungewiss das Gefühl des Ursprunges dieser heftigen Bewegung der Erd-
rinde ist, das spricht der Psalmist in den Worten aus: »Vor dem Antlitze des
Herrn erbebt die Erde.« Die kindliche Anschauung der Naturvölker sieht daher
'^on den ältesten Zeiten an in den Erdbeben Aeusserungen des Zornes ihrer
Gottheiten. Die Erdbeben sind veranlasst durch das unmittelbare zürnende
Eingreifen eines Wesens, das den Schicksalen des Menschen gegenüber eine
feindliche, bösartige Stellung einnimmt. Die Chinesen bringen bei Erdbeben den
Dämonen grosse Opfer, um deren Zorn zu besänftigen.
Kaum eine andere Naturerscheinung ist bezüglich ihrer Ursache schon im
Mterthum und bis auf unsere Tage so vielfachen Deutungen und Speculationen
«terworfen gewesen, als die Erdbeben.
Ein grosser Theil der Ansichten, wie sie uns im Alterthum über dieses
Phänomen entgegentreten, hat keinerlei vernünftige Grundlage und ist nicht der
Irwähnung werth. Wenn das wellenförmige Fortschreiten der Erdbeben an
uJierische Bewegungen erinnert, so nahmen darum z. B. manche Völker, so noch
beute die Japanesen an, dass eine Schlange, eine Schildkröte, ein Wallfisch unter
^em Boden durchgekrochen und die Bewegung verursacht habe.
Aber einzelne der von den Philosophen des Alterthums über die Genesis der
trderschtitterungen ausgesprochenen Ansichten lassen doch schon, wenn auch
liür eine dunkle Vorahnung heutiger und richtiger Hypothesen erkennen.
Nur vereinzelt suchte man die Ursache der Erdbeben ausserhalb der Erde
^Ibst, also in dem Einflüsse gewisser Gestirne. Jedoch war diese Annahme bei
«n Babyloniem herrschend. Allerdings blieb die Art, wie die Gestirne einwirken
wüten, vollkommen unerklärt, i)
Auch in den Ansichten über die Entstehung der Erdbeben lassen sich im
Allerthume schon neptunistische und vulkanische Theorien unterscheiden. Die
^ UucK, B. M., die Ursachen der ErdbebexL Köln 1879. P^g- 5-
296 Mineralogie, Greologie und Palaeontologie.
meisten derselben finden wir in den naturphilosophischen Schriften von Aristo'
und Seneca angeführt.
Die in ägyptischen Schulen erzogenen Philosophen, Thales vor allen, b:
rein neptunistische Ansichten. Die Erde schwebe als eine Scheibe auf
Wasser und die bewegten Wellen des letzteren setzen auch die Erdscholle
Bewegung.
Andere, so z. B. Anaximenes und Anaxagoras hatten schon eine gewiss
Einsturztheorie entwickelt Die Erde, wenn sie durch lange Regen aufgewdcil
worden und dann durch anhaltende Trockenheit Risse bekommen habe, wcni^
bröcklich und stürze in einzelnen Theilen zusammen; hierdurch werde sie tr*
schüttert. Die Vorgänge dieser Einstürze werden eines Näheren erörtert und
schon der Versuch gemacht, einzelne Erscheinungen zu erklären. HohlIä^^»'^
die zum Theil durch Feuer erzeugt seien, gelten als erste Veranlassung zm
Einstürze. Nothwendig sei dann schon im Momente des Losreissens der ei
stürzenden Masse eine Erschütterung die Folge; wenn dieselbe auf dem Bod<
des Hohlraumes ankomme, könne sie wie ein zur Erde geworfener Ball mehrei
Mal auf und nieder springen ; so entständen die so oft bei Erdbeben beobacht«
schnell sich folgenden Stösse.
Eine genauere Unterscheidung der verschiedenen Arten der Bewegung mad
auch schon Pausanias. Die wellenförmige Bewegung wird von dem
störenden Stoss, der vorzüglich den Einsturz von Gebäuden bewirkt, gctrcni
Andere Philosophen, so z. B. auch Aristoteles dachten sich vorrügIi<
comprimirte, in unterirdischen Höhlungen eingeschlossene Luft oder Dam}«
als die Ursache der Erderschütterungen. Höhlenreiche Länder (Hellespor».
Achaja, Euböa, Sicilien) seien den Erdbeben am meisten ausgesetzt, weil da
Wind in die Erdhöhlen eindringe und dort, eingepresst und in Bewegung g^
bracht, Kraft genug besitze, die Erde zu erschüttern oder die Erddecke a-iv
einander zu treiben. Ueber die Art, wie die Luft oder die Dämpfe in Bewegizt
gerathen, wurden z. Th. die absonderlichsten Ansichten ausgesprochen. Me^
spielte dabei das vulkanische Feuer eine Rolle und solche Hypothesen hicltcr
gewissermaassen die Mitte zwischen den neptunistischen und rein vulkanischen
Theorien. Die Wirkung des Feuers auf die Ausdehnung des Wasserdampfes wa:
ja bekannt
Bei allen Philosophen, die nach der Schule des Herakut im Feuer den Vr-
Stoff und die Grundursache aller Dinge sahen, galten auch die Erdbeben au>-
schliesslich als vulkanische Erscheinungen« Strabo hebt die Thatsache gani
besonders hervor, dass in Süd-Italien die Erdbeben häufiger und heftiger seien
zu den Zeiten, wo der Aetna seinen Feuerschlund schliesse, dass sie aber selten«
einträten, wenn der Aetna und die liparischen Inseln Feuer speien.
Auch in den h. Schriften treten einzelne Schilderungen von Erdbeben, so
z. B. bei dem Propheten Amos des Erdbebens zur Zeit des Königs Usias. un?
mit Ausdrücken entgegen, die eine vulkanische Auffassung verrathen, wie sie iv.-
dem in Klein-Asien ganz natüriich war. Mit den Bildern, die uns lebendig da.-
Schwanken des Bodens darstellen: die Erde schwankt wie ein Trunkener und
wie eine vom Winde bewegte Hängematte, vereinigt sich die Erwähnung her-
vorbrechender Feuerflammen, welche den tiefen Abgrund, erfassen und das land
verzehren.
Nur einmal und zwar von Plinius wird auch das Erdbeben mit dem Gewitter
verglichen. Wie sich in den Wolken Donner und Blitz erzeuge, so entstehe auch
Die Erdbeben. 297
n der Erde ein Blitz, der sich unter Erschütterungen der Erdrinde und indem
T sie zerreisse, einen Ausweg suche.
Durch das ganze Mittetalter hindurch hat sich vornehmlich die aristotelische
Anschauung von den in Höhlen gespannten Dämpfen mit geringen Abänderungen
rhalten und selbst bis in unsere Zeit hinein noch Anhänger gefunden, wenn
luch in der veränderten Auffassung, dass die Erderschütterungen die Folge unter-
rdischer Explosionen gespannter Gase oder Dämpfe seien.
Gerade bei den Erdbeben spiegelt sich das Geheimnissvolle ihres Ursprunges
nch in unseren Tagen noch in den seltsamsten und phantastischsten Erklärungen
rieder.
Noch zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts fand der
kdanke allen Ernstes mehrfach Ausdruck, dass die Erdbeben, wie es wohl nur
sines bildlichen Vergleiches wegen von Plinius ausgesprochen wurde, unterir-
rdische Gewitter seien oder wenigstens mit galvanischen oder elektrischen Pro-
:c$sen im Inneren der Erde im Zusammenhang ständen.
Entweder glaubte man, dass sich die Erdelektricität an gewissen Stellen der
iirde zu ganz bedeutender Spannung anhäufe und gegen die Elektricität der
Atmosphäre, also z. B. gegen eine Wolke von entgegengesetzter Elektricität, aus-
deiche. Oder man nahm galvanische, im Inneren der Erde entstehende Strömungen
m, indem man die Erdrinde mit ihren verschiedenen übereinandergelagerten
^hichten gewissermaassen als eine riesige galvanische Säule ansah, in der die
Schächten die einzelnen Elemente darstellten. Noch im Jahre 1855 stellte Hofer
eine solche Gewitterhypothese für die Erdbeben auf.
Da alle diese Theorien eine mehr oder weniger grosse Anhäufung einer be-
stimmten Elektricität an gewissen Punkten der Erdrinde voraussetzen, so war
denn der Schritt auch kein allzugrosser, an die Ableitung dieser gefahrlichen An-
swnmlungen zu denken. So wurden von ganz besonders speculativen Erdbeben-
«»schera auch Vorschläge zu Paratremblements de terre gemacht, den Para-
tonntres im Princip ziemlich ähnlich, entweder gewaltige in den Boden einzu-
lassende Metallplatten, die mit vielen Spitzen die Elektricität gegen die Atmo-
^e ausstrahlten oder auch, wie es Windeborg meinte, grosse pyramidale
^tcn mit spitzer Endigung ^).
Eine gewisse Wechselbeziehung zwischen Erdbeben und elektrischen Spannun-
l«n in der Luft d. i. in den Gewittern, wie sie auch Humboldt für möglich hielt,
^öngt wohl nur mit der Deutung einer etwas trügerischen Statistik über die Vertheilung
<lcr Erdbeben nach den Jahreszeiten zusammen. Es soll keineswegs bestritten
'forden, dass die Unterschiede in klimatischen und barometrischen Verhältnissen
iDter gewissen Umständen bei dem Eintreten von Erderschütterungen betheiligt
*«m können. Es ist dieses aber immer nur in untergeordneter, begleitender, nie
^ ausschliesslich ursachlicher Weise der Fall.
Eine Theorie, die eigentlich zuerst auf den Boden exacter Beobachtung sich
^eHtc, war die alte Einsturztheorie. Scheuchzer, ein schweizer Naturforscher,
^kannt durch das von ihm als das Skelett eines Riesenmenschen beschriebene
^Itelett eines Sauriers aus den lithographischen Schiefem von Oeningen, des sogen.
Andrias Scheuchzeri, aber sonst doch ein für seine Zeit trefflicher Beobachter
und besonders genauer Kenner seines engeren Vaterlandes, der Schweiz, war
*) Vergl. hierüber u. a. seltsame Erdbebentheorieo: I^ersch 1. c. und auch Naumann,
^^«ognosie L pag. 272—74.
S98 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
wohl der erste, der nach Anaxagoras es wieder aussprach (171 8), dass durch den
Zusammensturz unterirdischer Höhlungen oder auch durch den oberflächlichen
Einsturz von Bergwänden Erdbeben entstehen können. Er hatte gerade in der
Schweiz vielfach Gelegenheit Erscheinungen zu beobachten, welche für die Richtig-
keit seiner Annahme sprachen. Bergstürze brachten ungeheure Felsmassen zu
Fall, begruben ganze Ortschaften und weithin fühlte man das Beben, dass sie
verursacht hatten. Ueberall fand er Höhlungen in dem Gebirge und so erschien
der Schluss auf die durch den Zusammenbruch derselben bewirkten Erschütterungen
naheliegend.
Aber eine andere Frage war es doch, ob diese für gewisse Erdbeben da
Schweiz durchaus zutreffende Erklärung auf alle oder wenigstens auf viele Erd-
beben in anderen Gegenden sich verallgemeinem lasse. In der That spräche
spätere Forscher diese Ansicht allgemeiner aus. Boussinggault schrieb dem
Einsinken einzelner Gebirgstheile unbedenklich alle grösseren Erderschüttemngen
zu und ebenso war Necker der Meinung, dass durch den Einbruch der Decke
von Höhlungen, die durch Auswaschung entstanden seien, die meisten Erdbeben
verursacht würden. Ganz besonders bezeichnete er als solche Einsturzbeben die
Erdbeben von Jamaika 1692, das Erdbeben von Calabrien 1783, das im Missis-
sippi Thale 181 2, das in Cutsch 18 19 und das von Murcia 1829.
In neuester Zeit hat Volger eine der Theorie Neckers ganz ähnliche auf-
gestellt. Auch er nimmt als Ausgang wiederum die Erdbeben der Schweiz^l
Die Auswaschung und Auflösung leicht löslicher Schichten z. B. der Gypsgesteine
durch die unterirdischen Wasserläufe, die z. Th. allerdings in grossartigem Bfaass-
Stabe erfolgt, bringt mit Wasser gefüllte Hohlräume hervor, die endlich plötzlich
zusammenbrechen und die Erschütterungen hervorrufen. In der That ist das eine
auch durch die Lagerungsverhältnisse mancher Gypsformationen auf das Unzwei-
deutigste sich aussprechende Thatsache, dass die auf Gypslagem ruhenden Schichten-
systeme z. B. Buntsandstein und Zechstein ganz besonders auffallende Störunge!
ihrer Lage zeigen, die nur dadurch erklärt werden können, dass ein Nachsinken
und Zusammenbrechen der aufliegenden Schichten stattfindet, je nachdena die
Wasser den unterliegenden Gyps lösen und fortführen. Wir werden sehen, dass
auch die neuesten Erdbebenforschungen allerdings die Möglichkeit und Wahr-
scheinlichkeit vieler Einsturzbeben durchaus ergeben haben, wenngleich denselben
immer nur eine beschränktere Ausdehnung zugesprochen werden kann.
Die vulkanischen Theorien nahmen auch in der neueren Zeit die W^irkung
hochgespannter Gase und Dämpfe, oder die plötzliche massenhafte Entwicklung:
solcher Dämpfe, vorzüglich Wasserdämpfe, als Ursache der Erderschtitterungen
an. Aus der unmittelbaren Beobachtung der Beben, wie sie in Begleitung \'ul-
kanischer Eruptionen auftreten, ergab sich zunächst als unzweifelhaft, dass es in
diesem Sinne vulkanische Erdbeben gebe. Die an den Vulkanen auftretenden
explosiven Erscheinungen sind immer mit dem Ausströmen mächtiger Daropf-
massen verbunden. Wer auf dem Kegel eines Vulkanes stehend, während einer
Eruption einmal gefühlt hat, wie das Erzittern des Berges, wie der Pulsschla^
rhythmisch erfolgt, genau in derselben Taktfolge mit dem Hervorbrechen der
Dampfwolken aus dem Kraterschlote, für den ist die Zulässigkeit des Schlusses nicht
zweifelhaft, dass diese Dämpfe mit ihrer mächtigen Tension die Ursache von Er-
schütterungen auch über weitere Zonen hin werden können.
<) Volger, Erdbeben der Schweiz. 1855. 3. Bde.
Die Erdbeben. 299
Aber* auch bei dieser Theorie bleibt doch die angenommene Ursache für
nele Erdbeben weit hinter der Grossartigkeit der Aeusserung zurück. War
diese in einigen Fällen, so z. B. bei dem Erdbeben von Lissabon eine über grössere
Theile des Planeten, fast über eine Hemisphäre sich ausbreitende, so konnte
jene Erklärung, auch wenn man die Wirkungen eines Vulkans ins Riesengrosse
sich gesteigert denkt, doch nicht als ausreichend gelten. Man musste bei solchen,
grosse Theile der Erde erfassenden Wirkungen, auch an planetarische Ursachen
in dem Sinne denken, dass ihr Sitz nicht durch vereinzelte, von einander unab-
hängige locale Einflüsse bedingt war.
Das hatte für die vulkanischen Theorien über die Genesis der Erdbeben zur
Folge, dass man auf das alte Centralfeuer des Pythagoras, auf den Andrang und
Anprall des feurig-flüssigen Inneren der Erde gegen eine äussere, verhältnissmässig
schwache Rinde zurückgriff.
An und für sich hätten solche Bewegungen nichts Unmögliches, so lange
eben die Grundlage derselben Gültigkeit behalten darf, dass ein flüssiges und
noch dazu in gewissen Grenzen leicht bewegliches Erdinnere von einer verhält-
nissmässig dünnen festen Rinde umschlossen sei und selbständig gegen diese zu
reagiren vermöge.
Sah man auch hier wieder die eigentlich erregende Ursache in äusserst heftig
explosiv wirkenden Dampfentwickelungen, wie sie durch das Eintreten von Wasser
von der Oberfläche aus bis zu dem flüssigen Kern eingeleitet werden sollten,
öder sah man sie in gewaltsamen Gasausscheidungen längs der der fortdauem-
<ien Erkaltung unterworfenen Grenzzone zwischen flüssigem Kerne und fester
Rinde, in beiden Fällen wurde gewissermaassen die planetarische, kosmische
Bedeutung der Ursache zu einer local und nur partiell aufb-etenden herabgedrückt
lind die Zulässigkeit derselben wiederum eingeschränkt.
Die kosmische Bedeutung in der Annahme des flüssigen, gegen die Erd-
rinde reagirenden Kernes als Ursache der Erdbeben hat nur eine H)rpothese in
ganzer Grossartigkeit gewahrt und es kann nicht bestritten werden, dass gerade
fce kosmische Bedeutung der Theorie etwas Verlockendes gewährt. Es ist das
& zuerst von Alexis Perrey in Dijon und neuerdings von R. Falb eifrigst ver-
fochtene Theorie, wonach die Bewegungen des Erdkernes veranlasst werden
»llen durch die Einwirkung von Sonne und Mond, die durch die verschiedenen
Möglichkeiten ihrer Constellation und die dadurch bedingten wechselnden Com-
Vmationen anziehender Kräfte auch am flüssigen Erdkerne Ebbe- und Fluth-
crscheinungen erzeugen sollen, wie sie es an den Meeren thun.
Diese und die anderen Theorien, die einen flüssigen und leichtbeweglichen
Wkem voraussetzen, fallen natürlich von selbst zusammen, wenn die Vor-
aussetzung sich als unhaltbar ergeben sollte, dass die Erde im Inneren die ver-
langte Beschaffenheit besitze; sie verlieren alle Wahrscheinlichkeit, wenn es im
^egentheile sich plausibel machen lässt, dass die Erdrinde jedenfalls nicht die
geringe Dicke besitze, die jene Theorie verlangt. Darüber vergleiche man Dasjenige,
^asimArtikel »Erdball u.s.w.« über die Beschaffenheit des Erdinneren entwickelt wurde.
Aber auch das scheinbare Zusammenfallen häufigerer ErschÜttenmgen mit
'Jen nach dieser Theorie günsrigen Constellationen von Sonne und Mond ist
^ Th. anders zu erklären, z. Th. nur ein trügerisches. Jedenfalls hat es nie die
Bedeutung eines fundamental ursachlichen Zusammenhanges, wohl aber bleibt
^c Möglichkeit vorhanden, dass auch bei einer ganz festen Erde, Einwirkungen
jener Art partielle Mitwirkung ausüben.
300 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
So gingen denn auch viele Erdbebenforscher schon vor länger^ 2^it bei
der Erklärung des Phänomens von Annahmen aus, die direkt mit der jetzigen
Beschaffenheit des Erdinneren nicht in Zusammenhang stehen. Die Entwickelung
dieser Theorien fand zunächst in den Ansichten ihren Ausgang und ihre Grund-
lage, die sich über die Entstehung der Gebirge Bahn brachen.
Schon die von Boussingault ausgesprochenen Ansichten zielten im Wesent-
lichen darauf hin, denn die Ursache der Erdbeben hing auch nach ihm schon
mit dem Zusammensetzen und Einsinken der gegeneinander aufgerichteten Thefte
der Gebirgsketten zusammen. Aber eine bestimmtere Gestalt nahmen aucfe
die Erdbebentheorien erst- dann an, als man mehr und mehr sich den zugs
von C. Prevost im Anfange des 3. Jahrzehntes unseres Jahrhunderts ausg^
sprochenen Ansichten zuwandte, dass die hebende Kraft in den Gebirgen nid-:
eine radial von unten nach oben gerichtete sei, sondern eine tangentiale, seit-
liche, hervorgehend aus der mit der fortschreitenden Erkaltung des Erdsphäroides
nothwendig folgenden Contraction desselben. In der Erkaltung des Planeten und
in den Wirkungen derselben ist, wie dieses sehr richtig auch Mallet als durch-
aus von hervorragender Bedeutung betont, eine kosmische Kraft gefunden, die in
allen Fällen der Grossartigkeit der Erscheinungen sich anpasst und deren Wirk-
samkeit vor Allem in den sicher bekannten festen, peripherischen Theilen des
Planeten sich äussert.
Die Verschiebungen der Erdrinde, die Bildung der Gebirgsfaltungen und alle
damit zusammenhängenden Erscheinungen sind darnach als die nächsten Ursachen
der Erderschtitterungen anzusehen. Dana war wohl der erste, der diese Ansicht
eines Weiteren erläutert und durchgeführt hat, mehr und mehr häufen sich durch
alle neueren Erdbebenuntersuchungen die Beweise, dass in der That ein grosser
Theil der Erschütterungen in einem durchaus nachweisbaren Causalzusammen-
hang mit der Gebirgsbildung stehe. Und so haben die meisten heutiges
Geologen auch dieser Theorie zugestimmt oder selbst zu ihrer Begründung nzi
mehr und mehr ins Einzelne gehenden Bestätigimg Beiträge geliefert, wie diese»
vornehmlich in den zahlreichen Arbeiten von Mallet, von Seebach, von Lasaulx.
SuESS, Credner, Höfer, Bittner, Hoernes, Toula u. A. geschehen ist. Im
Folgenden werden diese Arbeiten noch mehrfache Erwähnung finden und die
Theorie selbst auf Grund derselben eingehend dargelegt werden.
n. Beschreibung der Erscheinungen bei Erdbeben.
I. Theoretischer Theil.
Unter Erdbeben in der allgemeinen Bedeutung des Wortes versteht man
schwingende Bewegungen einzelner Theile der festen Erdmasse, deren Ursache,
in der Erde selbst liegend, direkter Wahrnehmung durch unsere Sinne sich ent-
zieht Erschütterungen von ganz ähnlicher Form, deren Ursache wir anmittel*
bar zu erkennen vermögen, bieten zwar z. Th. vollkommene Analogien zu
jenen schwingenden Bewegungen, gehören aber doch nicht zu den eigentlichen
Erdbeben, Das Niederfallen eines schweren Dampfhammers, die heftige Explo-
sion eines Dampfkessels, das Vorüberfahren eines schweren Eisenbahnzuges
bringen schwingende Bewegungen des Erdbodens und der Gebäude hervor und
können daher mit Erdbeben verwechselt werden, wenn jene Ursache uns ver-
borgen bleibt. Noch mehr stimmen solche Erschütterungen mit einem Erdbeben
überein, die durch den Zusammenbruch unterirdischer, durch den Beigbau ge-
Die Erdbeben. 301
schaflfener Hohlräume, das sogen. Zusammengehen abgebauter Felder oder Glocken
bewirkt werden, oder durch Felsstürze und Hereinbrechen von Bergwänden an
der Erdoberfläche entstehen. Für die Art und die Verbreitungsweise der Bewegung
ist die Vergleichung der Erdbeben mit solchen Erscheinungen von grosser
Wichtigkeit
Hierbei ergiebt sich von vornherein, dass die Art der Bewegung und die
Fortpflanzung derselben in beiden Fällen als physikalisch gleich angenommen
»erden kann und dass auch die Stärke der Bewegung für irgend einen Ort in
pnz bestimmter Beziehung steht zu der Stärke der erregenden Ursache und zu
der Entfernung des Ortes von dem Sitze der Erregung.
Wir gehen zur theoretischen Erörterung der Bewegungserscheinungen am
Besten von einem der genannten Vorgänge aus, die mit wirklichen Erdbeben die
allergrösste Analogie darbieten, nämlich dem Zusammenbruch grösserer Gesteins-
ioassen in einem abgebauten Grubenfelde.
Wenn in einer Steinkohlengrube ein Kohlenflötz auf grössere Strecken hin ab-
gebaut, d. h. die Kohle daraus entfernt und zu Tage gefördert worden ist, so werden
die das Flötz ursprünglich einschliessenden Gesteinswände nur noch durch künst-
liche Stützen in ihrer Lage gehalten, die während des Abbaues vom Bergmann zur
eigenen Sicherung eingestellt wurden. Hat das Flötz eine fast horizontale Lage
und eine bedeutende Mächtigkeit, so ist es also vornehmlich die Decke oder das
Higen. Hangende, das von dem eingebauten Holze getragen wiid. Wird zuletzt
ön solches Flötz als gänzlich ausgebaut verlassen, so wird das zu den Stützen
^OTendete Holz so weit als möglich noch entfernt, ausgeraubt und dann der
entstandene Hohlraum dem Einstürze überlassen. In der Regel besitzt das
Hangende soviel selbsttragende Kraft, dass das Zusammenbrechen desselben nur
io einzelnen Theilen und allmählich erfolgt und hierdurch der leere Raum aus-
geiuUt wird. In anderen Fällen kann jedoch auch wohl eine grössere Decke
dieser Art, eine Glocke, auf einmal zusammenbrechen und dann tritt eine heftige
Erschütterung des ganzen über demselben liegenden Erdbodens ein, die sich
»ach auf grössere Entfernungen hin fühlbar macht.
Im Sommer des Jahres 1875 erfolgte ein solcher plötzlicher Einsturz der
^bauten Glocke des zur Königsgrube gehörigen Krugschachtes zu Königshütte
io Ober-Schlesien. Die fast horizontal liegenden abgebauten Flötze besassen hier
fine Gesammtmächtigkeit von über 4 Lachten Ihr plötzlicher Einsturz verur-
ttchte eine mit heftiger Detonation verbundene Erschütterung, die in einem
Umkreise von fast einer Stunde deutlich als Erbeben des Bodens und dumpfer
Donner wahrgenommen wurde. Die Bewegung in der unmittelbaren Nähe des
Schachtes war eine solche, dass einzelne Gegenstände vollkommen in die Höhe
sprangen, wie ein Ball; in weiterer Entfernung in der Stadt schwankte der Boden,
^e ein Kahn auf dem Wasser. Ein Maschinenkessel wurde aus seinen Mauerlagem
«liporgehoben und um sich selbst drehend verschoben, Ueberall war der Ein-
dnick der Erscheinung ein solcher, dass man an ein heftiges Erdbeben glaubte.
Drei Arten der Bewegung treten uns hier von derselben Ursache ausgehend
^iitgegen, die aufstossende, succussorische Bewegung, wellenförmige
öder undulatorische und die drehende oder rotatorische, wie sie über-
einstimmend auch bei Erdbeben beobachtet werden. Dass sie der gleichen Er-
^egungsursache entstammen und dass sie sonach keinerlei genetische Verschieden-
Wen bei Erdbeben andeuten, ist nach dem Vorhergehenden klar. Wie sie
entstehen, ist ebenfalls aus dem Beispiele herzuleiten-
302
Mmeralogie, Geologie und PaUeontologie.
Die succussorische Bewegung tritt Tomehmlich in den Thetlen des er-
schütterten Bodens ein, die unmittelbar über der erregenden Ursache gelegeo
sind: ihre Richtung fallt mit der des Stosses zusammen, den der Niedergaro;
der Glocke bewirkte. Wir können sie gewissermaassen als direkte Stossäussening
bezeichnen. Nur soweit die eingestürzte Glocke im Untergrunde selbst sich erstreck
soweit xdso in diesem Falle Einsturzgebiet vorliegt, vermögen solche Stossäusseningcs
an die Oberfläche zu treten und werden als verticale Bewegung dort fühlbar sein.
Denken wir uns alle diese verticalen Stosslinien auf die Oberfläche der Enk
gezogen, so geben sie in ihren Fusspunkten eine vollständige Projection der
Fläche der eingestürzten Glocke. Das Bild des in dieser Weise umschriebner
succussorisch erschütterten Gebietes spiegelt die Gestalt des Erregungsco^
wieder.
Es wird aber die Erschütterung an der Erdoberfläche über die Grenza
dieses Gebietes um ein Bedeutendes hinaus gefühlt Aber es können natürlicb
die Stösse nicht mehr als verticale an die Oberfläche treten, sondern nur 3l>
schiefe, um so mehr von der senkrechten Stellung abweichend, je weiter der
Oberflächenpunkt ausserhalb der Zone des Einsturzgebietes liegt In Königshüne
wurde darum die Erschütterung als eine wellenförmige, wie die Schwankungen eino
Kahnes empfunden. Aber immerhin sind die schräg austretenden Stösse als
direkte Fortpflanzung vom Erregungsorte an die Oberfläche gekommen, b
unserem Beispiele lag die erregende Stelle nicht tiefer als 200 Meter, daher de:
Austritt der Bewegung an die Oberfläche schon in i Kilometer Entfernung em
recht flacher sein musste. Dort, wo die Bewegung steil, also z. B. unter eicer
Neigung von 60 — 80** an die Oberfläche gelangt, wird sie noch succussorisch er-
scheinen, weiter hin allmählicli mehr den Charakter einer nur undulatorischer
Bewegung annehmen.
Nun ist aber jeder an die Oberfläche gelangende Stoss auch der Ausgau
zu einer von diesem seitlich d. i. horizontal auslaufenden Bewegung, die i>'
auch in dem Theile undulatorisch verläuft, in welchem die direkten Stösse ic.
succussorisch wirken. Und so setzt sich demnach die ganze Bewegung 2:^»
direkter, succussorischer und indirekter, undulatorischer zusammen. In der
mittleren Zone werden beide Arten der Bewegung recht wohl zu unterscheiden
sein, je weiter wir von dieser uns entfernen, umsomehr werden die flach aus-
tretenden direkten und die horizontal verlaufenden indirekten Bewegungen sich
zu einer einzigen vereinigen.
Wir können uns dieses auch in allgemeiner Form schematisch klar machen.
Gehen wir von der einfachen
Annahme aus, dass cier Erregung^
ort ein Punkt sei, der in der Fi?uf ^
bei C liege. Von diesem aus »er-
läuft die Bewegung in der Veri-
calen CM an die als Ebene
MMi M2 gedachte Erdoberfläche.
CM ist dann die einzige wirklicl»
vertical d. i. succussorisch a«^'
tretende Bewegung. In dem Punkte
(Min. 60.) Fig. 4. j/^ in einer gewissen EntfcniuniZ
von M, bildet die Stossrichtung mit der Erdoberfläche einen Winkel der Uclr.cr
ist als 90°, noch mehr weicht er in M^, M^ u. s. f. davon ab. Für einen in der
Die Erdbeben. 303
nendiichkeit Moo gelegenen Ort würde der Stoss gar nicht mehr an die Ober-
äche gelangen, d. i. ihr parallel verlaufen. Wenn wir den Winkel, den die
tossrichtung mit der Erdoberfläche bildet, als Emergenzwinkel bezeichnen,
) können wir also sagen, der Emergenzwinkel wird um so kleiner, je weiter
in Punkt vom Erregungspunkte entfernt liegt, oder auch von M^ dem Fusspunkte
es aus dem Erregungspunkte errichteten Lothes, den wir auch als den Ober-
ichenmittelpunkt bezeichnen können. Eine rein undulatorische, d. i. hori-
mtale Bewegung, kann also an keinem Punkte J/^, J/j u. s. w. erfolgen. Die-
(Ibe wirkt succussorisch bei grossem Emergenzwinkel, undulatorisch, wenn dieser
irtnkel klein ist. Aber überall setzt sich die Bewegung aus Componenten
Qccussorischer und undulatorischer Wirkung zusammen.
Andererseits wird aber auch der Emergenzwinkel kleiner, wenn der
iiregungspunkt weniger tief liegt, z. B. bei C, wie das aus der Figur ohne
Weiteres hervorgeht. Jeder Punkt M^ M^^ ^2 ^^ ^^^ Oberfläche ist auch der
Ausgang einer wirklich horizontal verlaufenden Bewegung, und in der gleichen
('eise jeder Punkt zwischen C und M, z. B. m. Aber diese letztere Bewegung
ommt für uns nicht in Betracht, da gewöhnlich nur die Bewegung an der Erd-
»berfiäcbe wahrnehmbar wird.
So lassen sich denn für die Art der Bewegung einer Erderschütterung fol-
;ende Sätze aussprechen:
1. Die Bewegung eines Erdbebens besteht aus direkten Stosswirkungen und
as indirekten. Die direkten sind je nach der Lage des Beobachtungsortes zur
begungsstelle mehr succussorisch oder mehr undulatorisch; die indirekten,
oi>erflächlichen Bewegungen rein undulatorisch.
2. Die überwiegend succussorische Bewegung an einem Orte kennzeichnet
iessen Lage als über der Erregungsstelle befindlich ; das succussorisch erschütterte
jtbiet ist das Abbild der Gestalt des Erregungsortes.
3. Die überwiegend undulatorische Bewegung an einem Orte lässt auf dessen
^Össere Entfernung von der Oberflächenmitte schliessen.
4. Die Grösse des Emergenzwinkels der Bewegung an einem Orte steht in
»»gekehrtem Verhältnisse zu der Entfernung von der Oberflächenmitte, in
ÖTCktem Verhältnisse zn der Tiefe des Erregungsortes.
In allen diesen Fällen haben wir von der Intensität der bewegenden Ur-
sache ganz abgesehen, dieselbe als für diese Betrachtungen gleich und constant
vorausgesetzt Wir werden darauf demnächst noch zurückkommen.
Bei zahlreichen Erdbeben sind die Wirkungen succussorischer und undulato-
tischer Bewegung in grosser Deutlichkeit gleichzeitig und getrennt wahrgenommen
forden. Mehr oder minder klar finden wir Schilderungen dieser Bewegungen von
den furchtbaren Erdstössen, welche am i. Nov. 1755 die Zerstörung von Lissa-
^n nach sich zogen. Die Bewegungen der ELauptstösse scheinen immer als
zellenförmig und aufspringend zugleich empfunden worden zu sein. Für das
Erdbeben von Süd-Calabrien 1783 führt Dolomieu an, die Bewegung desselben
^nne man sich nicht wohl besser vergegenwärtigen, als indem man kleine
Würfel von zusammengeknetetem Sande nebeneinander auf eine Tischplatte lege
und diese dann von unten vertical in die Höhe stosse und sie gleichzeitig
Horizontal hin- und her bewege.^) Bei dem Erdbeben von Jamaica, 7. Juni 1692
^rden Menschen vollkommen vertical hoch emporgeschleudert.
^} HoFFMANN, Frid. Nachgelassene Schriften. Bd. IL 311.
304 Büneralogie, Geologie und Palaeontologie.
Auch die undulatorische Bewegung ist oft schon bd schwächeren Erdstösseo
recht stark. Bei dem Erdbeben von Herzogenrath vom 24. Juni 1877 sah ein
Beobachter durch ein schmales Fenster hindurch einen entfernt davor liegenden
Fabrikschomstein rechts und links aus dem Gesichtsfelde herausschwanken J*
Vielfach sind die Schwankungen der Bäume, ein vollständiges Hin- und Hemeigen,
wahrgenommen worden. In einzelnen Fällen steigerte sich die schaukehide Be-
wegung des Bodens so, dass bei den Beobachtern die Erscheinungen der See-
krankheit eintraten.^
Eine ganz besonders auffallende, ebenfalls in dem vorher erörterten Beispiele
angeführte, überhaupt wohl bei allen Erdbeben vorkommende Form der Bewegai^
ist die rotatorische, drehende oder wirbelnde. Während man früher uv
nahm, dass dieser eine besondere Art der Erdbeben zu Grunde liege, wissen
wir jetzt, dass dieses keineswegs der Fall ist, sondern dass dieselbe aus gerad-
linigen Stössen unter bestimmten Bedingungen hervorzugehen vermag.
Die einfache Art, wie sie entsteht, können wir leicht aus einem Veisuche
erkennen. Man lege ein cubisches Holzklötzchen, das an einer Stelle ausser-
halb des Mittelpunktes seiner Grundfläche eine kleine kurze Nadelspitze tragt.
auf einen festen Tisch und drücke die .Spitze in das Holz desselben ein. Eis
gegen die Tischplatte ganz geradlinig gerichteter Stoss wird die kleine Höh-
quader um den Fixirungspunkt drehend bewegen. Die Ursache liegt darin.
dass dieser Fixirungspunkt nicht in der Schwerpunktsachse des Körpers liegt
Wenn wir die Nadelspitze genau im Durchschnittspunkte der Diagonalen dtx
Grundfläche anbringen, würde unter sonst gleichen Bedingungen eine rotixende
Bewegung nicht erfolgen.
Ueberall da also, wo unter ähnlichen Verhältnissen an der Erdoberfläche
Körper so auf einer festen Unterlage ruhen, dass ihr Fixirungspunkt, oder auch
die Stelle der grössten Reibung, die in gleichem Sinne wirkt, nicht mit dem Fuss-
punkte der aus dem Schwerpunkte gezogenen Normalen zusammenfallt, wird eäc
geradlinig verlaufende Stossrichtung rotatorische Bewegung der Körper hervorrufest
So war es z. B. bei dem oft angeführten Beispiele der vor dem Kloster des
h. Bruno in der Stadt Stefano del Bosco stehenden vierseitigen Obelisken bei
dem Erdbeben von Calabrien 1783 der Fall, wo die pyramidenförmigen Quadern
gegen die feststehende Unterlage gedreht wurden. Zahlreiche Beispiele ähnlicher
Art sind seitdem bei allen Erdbeben beobachtet worden. Eine ganz besonders
starke Wirkung dieser Art beschreibt von Rath von dem Erdbeben von Belluno
am 29. Juni 1873, welches überhaupt reich war an drehenden Bewegimgen. Auf
dem 70 Meter hohen Thurm des Domes von Belluno stand ein 5 Meter hoher
geflügelter Engel aus Bronce. Der Engel hatte Stand gehalten, denn ein mächti-
ger verticaler Eisenstab verbindet die Bildsäule mit dem Thurmdach. Aber die
Flügel waren herabgeworfen worden, statt ihrer zeigte der Engel nur die beiden
seinen Schultern angehefteten 3 Meter langen Eisenstäbe, über welche mittelst
langer Scheiden die Flügel geschoben waren. Der Engel war durch die von
NO kommende Erschütterung so gewaltig um ca 20^ um seine verticale Achse
gedreht worden, dass die schweren Flügel von den etwas aufwärts gerichteten
Stäben abgeschoben und hinuntergeschleudert wurden.')
t) V. Lasaulx, Erdbeben 24. Juni 1877. Bonn 1878, pag. 26.
') Hoffmann 1. c. p.
3) N. Jahrb. f. Min. 1873.
Die Erdbeben. 305
Aber es sind diese drehenden Bewegungen keineswegs nur bei Erdbeben von
ossär Intensität, sondern auch bei schwächeren Beben möglich. Bei dem Erd-
htüf das am 26. August 1878 die Rheinprovinz und eine weite Zone der um-
wenden Länder erschütterte, sind die Wirkimgen nirgendwo über den Einsturz
n Schornsteinen hinausgegangen.
Die Fa^de des königl. Polytechnikums in Aachen war mit einer 3 Meter
hen Statue der Minerva, aus 3 Steinen gemeisselt, geschmückt, die in einer aus-
streckten Hand eine Lanze hielt. Durch das Erdbeben wurde die obere Hälfte
T Figur gegen die imtere so stark gedreht, dass ihr beide ausgestreckte Arme,
r eine mit der Lanze, abbrachen und herunterfielen. Alle 3 Stücke, aus denen
e Figur bestand, waren gegen einander drehend verschoben.
In gleicher Weise kann auch eine mit grossem Emergenzwinkel , also
Hxussorisch auftretende Bewegung, wenn sie schräg gegen einen Körper trifft,
ssen rotirende Ortsveränderung bewirken. Bei dem Erdbeben von Agram am
Nov. 1880 waren auf den Friedhöfen zahlreiche Verschiebungen an Grabstein-
atten zu sehen, die um 10 — 25° von N. nach W. gedreht erschienen, was durch
nen aus Südwest kommenden, schräg von unten nach oben wirkenden Stoss er-
äit werden konnte^).
Sonach ist auch die sogen, rotatorische Bewegung der Erdbeben keineswegs
ne genetisch verschiedene, besondere Form der Erschütterung, sondern nur eine
och verschiedene Umstände herbeizuführende Aeusserung geradliniger, succusso-
iitfeer oder undulatorischer Stösse. Auch schon F. Hoffmann hatte dieselbe
ßfi^ch als eine combinirte Wirkung sich kreuzender undulatorischer Bewegungen
00 verschiedener Richtung aufgefasst^).
Schon aus den vorhergehenden Betrachtungen ergiebt sich, dass wir alle
ewegung, wie sie in einem Erdbeben erscheint, nur als von einer Art ansehen
önnen und dass lediglich die Richtung, mit der sie in unsere Wahrnehmung
itt, eine Verschiedenartigkeit bedingt. Wir können sie als eine Schwingungs-,
ine Wellenbewegimg aufTassen; bei den succussorischen Stössen ist die Stellung
tt Beobachters zu den Wellenbergen eine andere, wie bei der undulatorischen
fc^egung und darin liegt der einzige Unterschied. Aber von dem Erregungs-
*K geht alle Bewegung in gleicher Weise in das umgebende Medium hinaus.
So können wir denn, um weitere theoretische Grundlagen zur Erkenntniss
lö Verhältnisse bei Erdbeben zu gewinnen, auch die Erscheinungen einer anderen
Wellenbewegung als Ausgang nehmen. Wir würden hierzu die Schwingungen
»les Resonanzbodens, eines Trommelfelles unter dem Schlage eines Hämmer-
^ns wählen können, aber der Verlauf der Wellen ist hier nicht unmittelbar zu
«ben. Wohl aber ist dieses der Fall bei der Wellenbewegung eines Wasser-
'*ckens, die an irgend einer Stelle erregt wird. Gerade das Bild eines in Kreisen
legten Wasserspiegels giebt uns das beste Bild von der fortschreitenden Be-
^«gung emer Erdbebenwelle. Hierbei macht es ftir die daraus herzuleitenden
««heinungen bei dem Erdbeben keinen Unterschied, dass die Wasserwellen an
Ȁh anderer Art sind, als die im festen Erdboden sich fortpflanzenden; letztere
^ sogen, stehende Schwingungen, während die Wasserwellen in der Physik
^ fortschreitende Wellen bezeichnet werden 3); bei jenen gehen die schwingenden
^ TouLA, Fr., Ueber den gegenwärtigen Stand der Erdbebenfirage. Wien 1881. pag. 9.
*) L c. pag. 310.
^VcTgl. Pfaundler: MüiXBR-Poun^LET, Physik Bd. I. pag. 400.
^«»«OTT, Mm., Geol. u. P«l. I. 20
3o6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Theilchen nur hin und her, während sie bei diesen in sich zurückkehrende Kreise
oder Curven beschreiben.
Denken wir uns auf einem anfangs ruhigen Wasserspiegel eine Anzahl von
Merkzeichen z. B. kleine Hollundermarkkügelchen schwimmend. Setzen wir
dann den Wasserspiegel an irgend einem Punkt durch Hineinwerfen eines Steines
in Bewegung. Wir sehen, wenn die erregte Welle unter einer der Marken durch
geht, diese auf und ab tanzen, in vielfach sich folgenden, abnehmenden
Schwingungen. Die von der Erregungsstelle weiter entfernt liegenden Marken
werden zuletzt bewegt Weim wir mit dem Momente, wo wir durch den Stein
die Wellen erregten, zu zählen beginnen, so können wir die Zeit in Zahlen am-
drücken, nach welcher die Bewegung die äussersten Marken erfasst; wir erkennen
daraus die Geschwindigkeit, mit der die Wellenbewegung fortschreitet, die Fort-
Pflanzungsgeschwindigkeit
Aber ein Weiteres, das für die Entwickelung der Erdbebenverhältnisse noch
wichtiger ist, ergiebt sich aus demselben Bilde. Denken wir uns den Punkt, in
welchem die Wellenerregung stattfindet für uns unsichtbar, etwa mit einer Brücke
überbaut, so würde uns doch die ganze Erscheinungsweise der Wellen und der
durch sie bewegten Marken unmittelbar diesen unsichtbaren Ausgangspunkt finden
lassen. Selbst wenn wir die Wellen nicht wahrnähmen, sondern nur die Be-
wegung der Hollunderkügelchen, würden die gleichzeitig bewegten uns gestatten,
die Kreise zu construiren, deren Mittelpunkt die Stelle der Erregung gewesen.
Wir werden aus der Schnelligkeit und Grösse der Bewegung sogar einen Schlus>
ziehen, auf die Intensität der erregenden Kraft
Das alles wiederholt sich in ganz analoger Weise bei einem Erdbeben, wenn
wir dabei zunächst nur die Oberfiächenerscheinungen im Auge haben. ^\v
werden den Eintritt einer Erschütterung für verschiedene, von dem Mittelpunkte
ungleich weit entfernte Orte zu verschiedenen Zeitmomenten erfolgen sehen.
es ergiebt sich hieraus die Geschwindigkeit, mit der die Bewegung an der Ober
fläche fortschreitet: die Oberflächengeschwindigkeit der Erdbebenwek
Liegen bei einem Erdbeben von mehreren oder gar vielen Orten Beobachtungea
über die Richtung vor, aus der die Bewegung gekommen, so ist der Durchschnitte
punkt dieser natürlich der Oberflächenmittelpunkt. In gleicher Weise könoeo |
wir diesen aber, wie in dem Bilde des Wasserspiegels, auch aus den gleichzeitif
erschütterten Kreislinien, die man Homoseisten genannt hat, finden. Die m
derselben Zeit erschütterten Orte liegen unter der theoretischen Voraussetzung des
Ausschlusses aller Verhältnisse, die andere sind wie bei dem Wasserspiegel, auf
Kreisen, deren Mittelpunkt der Oberflächenmittelpunkt ist
Greifen wir nun aber noch einmal auf das Bild von dem in Wellen bewegten
Wasserspiegel zurück. Es ist leicht einzusehen, dass die Form der Wellenlinien
nur dann eine kreisähnliche sein kann, weim die Stelle der Erregung mehr oder
weniger eine punkt- oder selbst kreisförmige gewesen ist In solchem Falle
können wir die Wellenbewegung als eine centrale bezeichnen.
Denken wir uns aber die Erregungsstelle als eine Linie, wie sie z. B. beim Wasse^
Spiegel durch einen hineinfallenden Stock entstehen kann, der mit seiner ganies
Länge gleichzeitig die Wasserfläche trifft, so werden die erregten Wellen auch kein«
Kreisform mehr besitzen, sondern eine der Länge des Stockes entsprechend lang
gezogene elliptische Gestalt erhalten. Wir können dann nicht mehr von einem
Mittelpunkte reden, sondern haben eine Mittellinie, eine Achse der Wellen-
bewegung vor uns. Wir können diese Form der Wellenbewegung daher auch
Die Erdbeben. 307
s eine axiale bezeichnen. Ist die elliptische Gestalt eine sehr gestreckte,
e eine Achse demnach eine sehr lange der zweiten Achse gegenüber, so hat
D solches Wellengebiet einen linearen Charakter.
Ganz in gleicher Weise ergeben nun auch bei den verschiedenen Erdbeben
B Beobachtungen ein centrales oder ein axiales Verhalten. Weisen die Wahr-
ihmungen, die über ein erschüttertes Gebiet hin bezüglich der Richtungen ge-
acht werden, aus denen man an den einzelnen Orten die Bewegung kommen
blte, alle oder doch in grosser Mehrzahl wie Radien eines Kreises auf einen
ittelpunkt hin oder führen wenigstens alle Richtungsstrahlen auf einen eng be-
enzten District der Oberfläche, so können wir ein solches Erdbeben ein cen-
ales nennen. Die gleichzeitig erschütterten Linien müssen sich dann, von
öningen im bewegten' Medium, dem Erdboden selbst, abgesehen, der Kreis-
nn nähern.
Ergiebt sich aber im Gegentheil, dass die Richtungsstrahlen auf eine Mittel-
sie fuhren oder dass die gleichzeitig erschütterten Linien auch nicht annähernd-
leise, sondern lang gestreckte elliptische Formen ergeben, so muss auch der
icrd der Erregung einer solchen Erschütterung als ein lang gestreckter ange-
ommen werden.
In beiden Fällen aber nehmen wir an, dass von dem erregenden Orte aus
ie Bewegung mit gleicher Kraft nach allen Seiten ausstrahle. Das ist nun nicht
Athwendig der Fall. Denken wir uns den Stein oder Stock nicht frei in's Wasser
i^nd, so dass er vertical sich bewegt, sondern von der Seite gegen die Wasser-
tee gestossen, so dass er dieselbe mit schiefer Incidenz trifft. Die stärkste
(Wellenbewegung wird dann in der Richtung des Stosses, d. h. vor dem erregen-
fen Gegenstande stattfinden. Hinter demselben nur eine schwache, in gewissem
>nuie als refiectorisch zu bezeichnende Wellenbildung. Es ist dann der erregende
M nicht mehr Mittelpunkt oder Mittellinie des ganzen bewegten Gebietes, son-
em die Ausdehnung und die Gestalt der erregten Wellen ist eine durchaus
inseitige oder laterale. Wir können eine Stossseite und eine Schattenseite
Btterscheiden. Wir werden sehen, dass wir in diesem Sinne auch laterale Erd-
Hben unterscheiden müssen, bei denen nicht eine sichtbare Convergenz der
kiegungsstrahlen nach einem Punkte oder einer Linie, sondern der fast parallele
Teilauf der Richtungen der Bewegung über ein ganzes erschüttertes Gebiet hin
»ch aus der Beobachtung ergiebt.
Wenn nun auch insoweit die Oberflächenerscheinungen oder mit anderem
Ä'orte bezeichnet, die Propagationsform der Erdbeben sich sehr wohl mit den
bellen eines Wasserspiegels vergleichen lassen, so besteht doch zwischen beiden
80 wesentlicher Unterschied.
Bei dem Wasser lag unserer Annahme nach die erregende Ursache im Ober-
fiachenmittelpunkte selbst, dort, wo der fallende Körper das Wasser trifft. Bei
^ Erdbeben ist dieses keineswegs der Fall. Hier liegt der Erregungsort in
^r Tiefe, im Inneren der Erdrinde, und wir kennen weder diese Tiefe noch die
^«talt und Ausdehnung des Erregungsortes.
So läuft denn auch die Bewegung nicht eigentlich horizontal über die Erdober-
«äcKe hm, sondern mehr oder weniger schief tritt sie an die Oberfläche und trifft
™ese unter einem Winkel, den wir den Em ergenz winkel (pag. 303) genannt haben.
öass von diesem die Art, wie die Bewegung an der Oberfläche in die Wahrnehmung
^% abhängt, haben wir im Vorhergehenden schon gesehen. Ist es möglich, an
^^cnd einem Orte des erschütterten Gebietes diesen Emergenzwinkel zu bestimmen,
20 ♦
3^9 Mmeralogie, Geologie and Pakeontologie.
SO wird dieser ohne Weiteres ergeben, in welcher Tiefe ungefähr der EiTegung>-
ort gelegen ist Ob das Erdbeben sich in seiner Propagationsform als ein cer
trales, axiales oder laterales in dem vorher von uns entwickelten Sinne zu er-
kennen giebt, das ist hierbei gleichgiltig. Denn mit der Bestimmung des £mer
genzwinkels ist ohne Weiteres auch das Azimuth der Bewegung d. i. die Richtim^
erkannt, aus der die Erschütterung aus der Tiefe an die Erdoberfläche gelanft
Aus der Vergleichung der Azimuthe wird sich in gleicher Weise wie aus de^
Construction der bloss oberflächlichen Richtungsstrahlen ein Schluss auf die Gt
stalt und Ausdehnung des erregenden Ortes ziehen lassen.
R. Mallet gebührt das Verdienst, die Tiefe des erregenden Ortes auf die^*
Weise zuerst bestimmt zu haben. Er benutzte dazu die Wirkungen des neapc>
tanischen Erdbebens vom 1 6. Dezember 1857, unter der Voraussetzung, dassdi«
Erdbeben ein centrales gewesen. Von Rissen und Spalten, die an Gebäcdtn
bewirkt wurden, ausgehend, zeigte er, wie die Ebene, welche durch gewisse Haup-
spalten gelegt werden kann, normal auf der Richtung der Wellenbewegung stehen
muss d. h. also mit andern Worten, das Einreissen der Spalten erfolgt unter de:
Einwirkung der directen Bewegungsstrahlen, senkrechte Absonderungsflächen iz
diesen hervorrufend. Werden die aus der genauen Bestimmung der L.age solcrs
Flächen erhaltenen Azimuthe von zwei oder mehreren Orten an der Erdobertlid»
construirt und bis zu ihrem Durchschnitt verlängert, so ist der Schnittpunk: de
gesuchte Erregungspunkt. Ein von diesem aus auf die Erdoberfläche errichte»
Loth ergiebt in seinem Fusspunkte den Oberflächenmittelpunkt. Der AbsuV.
jedes Ortes an der Erdoberfläche von diesem ist der Axialabstand oder die Cen*
tro-Distanz. Sind nun für einen oder mehrere Orte der Axixdabstand und nc!
Kmergcnzwinkel bekannt, so ist, die Erdoberfläche als Ebene gedacht,
h T= D . tang e
wo D die Centrodistanz, e der Emergenzwinkel und h die Tiefe des gesuciw
Krrcgungspunktes oder wahren Erdbebencentrums ist.
Bei der Anwendung seiner Methode stellte sich auch bei Mallet in nc
(IbcrraKchender Weise der wirklich centrale Charakter jenes Erdbebens her^
denn von den 78 Orten, an denen er im Ganzen 177 Azimuthbesdmmungen vomahx.
N( hneidcn sich die Stossrichtungen von 16 Orten in einem Punkte, d. h. innerhaft
eincN Kreises von nur 500 Yards = 456 Meter Radius und 32 weitere noch inncHul
einen Kreises von 2^ Seemeilen = 185 1 Meter Radius. Hier ergiebt sich a]4
(h>rh mit grosser Zuverlässigkeit, dass dieses Erdbeben keinenfalls einen
hcrrMc^hcnd axialen Charakter gehabt haben kann; wohl aber könnte die
dchnung des Krrcgungsortes in radialer Richtung angenommen werden,
(licNCH auch von Mallet selbst geschah. Der centrale Charakter der ober^ack
liehen Propagationsform wird dadurch nicht geändert. Mallet nahm als ReseM
hciner Hcrcchnungen eine mittlere Tiefe des Erdbebencentrums zu 10649 Meter jm
Imuo andere Methode schlug von Seebach ^) zur Ermittelung der Tiefe m
IsnrgungNortcH vor. Auch hierbei wird von der Grundbedingung ausgeganrca
d«KK ein Kitlhc))cn ein centrales ist und dass seine Fortpflanzungsgeschwindi^rVäl
Oh" nllc Thoilc des erschütterten Gebietes die gleiche bleibt. Auch die Xdr.cr^
Voirt\ih»ol/ung tritU funlich nie ganz zu, und die Methode selbst, auf wirklich centnir
l''nUiolion nuKowcndct. enthält ausserdem auch sonst mancherlei Schwierigkeirrc
Aber \\\x Iheoietisi hc llctrachtungen über die Erscheinungen der Erdbeber -•
») Diin mUtcUlvMUchc Krxtt^hcn %•««» 6. Min 1872. Leipzig 1873, pag. 169.
Die Erdbeben.
309
sie doch von grosser Bedeutung und ihrer Anwendung i) sind unzweifelhaft
hervorragende Resultate auf dem Gebiete seismischer Forschung zu verdanken.
Die theoretische Grundlage dieser Methode ist im Allgemeinen die folgende :
Wäre der Mittelpunkt eines Erdbebens zugleich der Mittelpunkt der Erde
und diese eine Kugel, so würde dann die Erschütterung gleichzeitig an allen
Punkten der Erdoberfläche empfunden werden müssen. Ist aber der Erdbeben-
mittelpunkt an irgend einer der Erdoberfläche näheren Stelle gelegen, so treten
fie Verhältnisse ein, wie sie sich mit Hülfe der folgenden Figur verstehen lassen.
Hierbei kann man sich die Erdoberfläche als eine Ebene, ihre Projektion als
fme gerade Linie denken, was
jei Erdbeben von kleinerem Ver-
)reihingsgebiete keinenfalls nen-
«nswerthe Unrichtigkeiten zur
^olge hat. Dann ist es klar, dass
iie Stosswelle, um von dem in
ler Figur mit C bezeichneten
^tmm der Bewegung aus an
len mit M bezeichneten Ober-
lachenmittelpunkt zu gelangen,
ib um die mit h bezeichnete
uüfemung zu durchlaufen, eine
gwisse Zeit gebraucht, die mit /
Zeichnet werden mag und die
iJeich ist der Entfernung A, divi-
frt durch die Geschwindigkeit c,
or jeden anderen Oberflächen-
«ffikt i/j, der sich in einer be-
tanmten Centrodistanz d^ von
Rg. 5.
(IfiiL 5L)
1^ befindet, ist der zu durchlaufende Weg um eine Strecke x länger, für
^x °ut der Centrodistanz d^ -h^t ^™ ^i» ^ ^z ^™ ^% ^' ^* ^- ^ werden also
^ die Zeiten, nach denen die Wellen an die Oberfläche gelangen, grösser;
•örn für Af die Tjcit /= — gewesen, so ist /j = ^, /, = u. s. f.
Wenn man nun bei gegebenem Oberflächenmittelpunkt auf die Absdssenachse
^es Coordinatensystems, dessen Nullpunkt im Oberflächenmittelpunkt gedacht
''ifd, die Centrodistanzen der Orte von diesem d^^dy -\- d^, d^ -hd^ + ^, u. s. f.
Q Meilen aufträgt, dagegen auf der Ordinatenachse mit dem gleichen Maassstabe
^e Zeitmomente /|, /j, /, in Minuten einschreibt, dann liegen die so gefini-
dcnen Punkte m^, «,, m^ u. s. f. auf einer HjrperbeL
Wenn man demnach in ein Netz von Quadraten, von irgend einem
^te anfangend, in die horizontal liegenden Linien die Meilen, in die
^eiticalen Linien die Minuten der 2^tangaben über den Eintritt des Eid-
^bens an jedem Orte einträgt und diese Punkte mit einander verbindet,
^ muss man bei absoluter Genauigkeit der in Betracht konunenden Weithe
^c Hyperbel erhalten. Aus ihr lassen sich die gesuchten Grössen ein-
^b ableiten. Der Scheitelpunkt der Hyperbel ist der Obeiflachcnmittel-
^f VON Lasaulz, Das Erdbeben von
H- 109.
Henogamtli am 22. Oktober 1873. Bom 1874,
3IO Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
punkt, der Durchschnittspunkt der Asymptote mit der Ordinatenachse ist
der Zeitpunkt der ersten Erregung des Erdbebens. Da sich nun femer dircct
ablesen lässt, wie viele Meilen die Bewegung in einer Minute durchlaufen hat,
so ergiebt sich dadurch die wahre Fortpflanzungsgeschwindigkeit Die Zeit
zwischen dem Zeitpunkte der ersten Erregung und dem Eintritte der Er-
schütterung im Oberflächenmittelpunkt durch den Werth der Fortpflanzungsge-
schwindigkeit dividirt, ergiebt die gesuchte Tiefe des Erdbebenherdes.
Allerdings ergeben sich bei der practischen Verwerthung dieser Methode
mancherlei Schwierigkeiten. Vor allem ist die Genauigkeit des Zeitetntrittes
der Erschütterung, die zu der Bestimmung nöthig ist, nur in ganz einzelnen fast
zufälligen Fällen zu erzielen. Gerade die angestellten Untersuchungen haben äe
UnZuverlässigkeit der Zeitbestimmungen in hohem Maasse ergeben^). Danöt
wird die Methode selbst aber sehr unzuverlässig. Andererseits wird die Brauch-
barkeit derselben auch durch das nicht Zutrefifen der anderen Prämissen sehr
bedeutend beeinträchtigt: das Medium des Erdbodens ist ein zu ungleiches, um
die genaue Constanz der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu gewährleisten und
endlich ist die Form des Erdbebenherdes stets mehr oder weniger von einem
Punkte oder Kreise abweichend. Allerdings würde sich dieses, wenn hur den
Zeitangaben Zuverlässigkeit zuerkannt werden könnte, aus der Constniction und
Betrachtung von selbst ergeben. Es würden dann die Homoseisten nicht als an-
genäherte Kreise sich herausstellen, sondern eine unregelmässige, mehr oder
weniger elliptische Gestalt annehmen. Immerhin bleibt die Methode ein sehr
werthvoUes Mittel für das Erdbebenstudium ; auf die mit ihr erreichten Resultate
kommen wir später noch zurück.
Ein anderer Umstand, der fllr die allgemeine Theorie der Erdbeben von
Wichtigkeit erscheint, ist die Grösse ihres oberflächlichen Verbreitungs-
gebietes und das Verhältniss desselben zur Intensität der Wirkung^en.
In dem vorhin mehrfach gewählten Bilde des bewegten Wasserspiegels k
die Kraft, mit der der Stein ins Wasser fallt, direct die Ursache einer kleinem
oder grösseren Verbreitung der Wellenkreise. Bei einem kleinen Steincho
werden dieselben nur auf eine Entfernung von wenig Fuss sichtbar bleiben, bd
einem grossen Steinblock auf hunderte von Füssen hin verlaufen. Das Ver-
breitungsgebiet ist also hier der directe Maasstab für die Intensität der erregen-
den Ursachen. Das würde wiederum bei Erdbeben dann ganz übereinstimmend
sich verhalten, wenn der Erregungspunkt in der Erdoberfläche gelegen wäre.
Wir dürften dann die Intensität geradezu durch
Gi> GxM 6's ^\^ den Werth des erschütterten Gebietes aus-
/•-"A
7-^; — 1 X»'"- ^ ^
A^^ , drücken, sei es durch den Radius bei einem
^ Kreise, die beiden Achsen bei einer EUlipst,
■/,
in complicirterer Weise bei unregelmässiger
f oberflächlicher Gestaltung des erschütterten
Gebietes. Da aber bei den Erdbeben der
Erregungspunkt in unbekannter Tiefe geleges
ist, so ist dieser Ausdruck der Intensität nicht
ohne Weiteres statthaft.
(Min. 53.) Fig* 6. Denken wir uns, dass an zwei Punktes
im Inneren der Erde mit gleicher Kraft eine Erregung stattfindet, aber der
eine Punkt liegt in 2, der andere dagegen in 4 Kilom. Tiefe. Der erstere
') VergL V. Lasaulx, 1. c.
Die Erdbeben.
3"
-/
ist in der Figur mit Cj, der andere mit C^ bezeichnet Sind dann an der
wiedenim als Ebene gedachten Erdoberfläche ^j und G^ die äussersten
Grenzen der wahrgenommenen Erschütterung, so ist der Radius C^G^^ die
wirkliche Ausdehnung der Wellenbewegung, die wir Elongation nennen
vollen. An der Oberfläche ist M der Mittelpunkt, MG^ und MG^ die
Elongationsradien; diese sind kürzer als C^G^, geben uns also nur ein
scheinbares Bild der wirklichen Elongation. Ist nun in C^ die Erregung mit der-
selben Kraft erfolgt, so können wir für dieses Centrum die Elongation durch
den gleichen Radius ausdrücken C^G^ = C^G^, Die Durchschnittspunkte des
mit diesem Radius um C^ beschriebenen Kreises auf der die Oberfläche dar-
stellenden Linie bezeichnen die scheinbare Elongation auf der Oberfläche, die
K^nach kleiner ist als die für das andere, weniger tiefe Centrum.
Dabei ist aber, bei der gleichen Intensität des Anstosses, im Oberflächenpunkte
ITfür Cj ebenfalls die Wirkung eine sehr viel geringere als für C^. Anderer-
seits aber ist natürlich die Emergenz der austretenden Bewegung für das tiefere
Centrum C^ überall eine grössere.
Wenn die steil austretenden, suc-
3Bsorisch wirkenden Wellen, wie
üeses von vielen Erdbeben that-
»chlich behauptet wird, die ver-
heerendsten sind, so köimte also
■oglicherweise ein tiefer gelegenes ^7^
Centnun trotz der nicht grösse-
ren Intensität des ersten An-
stosses, doch unter gewissen Be-
rgungen zerstörendere Wiikun- ^w, 7.
,'en an der Oberfläche ausüben.
Aus der vorhergehenden Betrachtung geht nun aber unmittelbar hervor, dass
^e Vergleichung der Intensitäten von Erdbeben aus ihren oberflächlichen Ver«
breitungsgebieten nur dann statthaft ist, wenn die Erregungsorte in der gleichen
Tiefe gelten sind. An sich ist also auch das Verbreitungsgebiet eines Erd-
kbens oder seine oberflächliche Elongation nur dann ein Ausdruck für die In-
tatsität, wenn die Tiefe des Herdes bekannt ist Diese ist allerdings in der
Kegel gerade die gesuchte Unbekannte.
Denken wir uns in einem weiteren Beispiele zwei Erschütterungen von
Reicher Tiefe, aber mit verschiedener Intensität des ersten Anstosses ausgehend,
(üc eine anderthalbmal so gross wie die andere. Wir werden dann die Ver-
keitungsgebiete an der Oberfläche wie in Fig. 7 darstellen können. Cg^ ist die
^kHche Elongation für das stärkere, Cg die für das schwächere Beben. An
^^ Oberfläche ist das Verbreitungsgebiet des ersteren ein sehr viel grösseres,
^ das des zweiten. Aber auch die Grösse der Wirkung im Oberflächenmittel-
pUQltte muss für das erstere eine bedeutend grössere sein. Die Abschwächung
<fet ursprünglichen Kraft, durch den durchlaufenen Weg C^ ausgedrückt, beträgt
fe das erstere nur 1^1 =x-, für das zweite aber schon ( o ) = 7 o^"* dem Satze,
^ die Intensität des Stosses abnimmt nach dem Quadrate der Entfernung vom
^tnim. Die weit geringere Wirkung im Oberflächenmittelponkte steht also
out dem geringeren Verbreitungsgebiete in Uebereinstimmnng. Hier ist also
^ Schluss auf die geringere Intensität der err^enden Ursache gerecfatfertigL
(MiiLfia)
312
Blineialogie, Geologie und Palaeontologie.
Wenn es sich also eigeben sollte, dass die Erdbebenherde alle in
Uebereinstinunung in einer bestimmten Zone oder nahezu gleichen Tiefe des Erd-
innem ihren Sitz hätten, dann würde die oberflächliche Verbreitung uod die k*
tensität der Wirkung im Obeiflächenmittelpunkte immer in gleichem Vertältniss
mit der Intensität der Erregung wachsen oder abnehmen. Dass dieses nicht dr
Fall ist, sondern dass wir grosse Verbreitungsgebiete mit schwachen Wiikung«r
und andererseits sehr intensive Wirkungen bei kleiner Verbreitung finden, daii
ab ein Beweis dafür gelten, dass die Tiefe der erregenden Ursache seh:
verschieden sein kann.
Wenn nun für die wenigen Erdbeben, für welche der Versuch einer Ic
Stimmung der Tiefe ihres Erregungsortes gemacht worden ist, die für diese Tk«
gefundenen Werthe auffallend geringe sind, so gering, dass sie gegenüber üc
oberflächlichen Elongation verschwindend klein erscheinen und es darnach fis
gestattet erscheinen könnte, die Tiefe überhaupt zu vernachlässigen und die h
tensität einfach durch den scheinbaren Elongationsradius auszudrücken, so düif«
wir dieses doch keineswegs allgemein thun, da die bisher gefundenen Tiefer
werthe doch immerhin hypothetische, in weiten Grenzen schwankende sine
Andere Umstände sprechen fiir noch grössere Differenzen in den Tiefen, als a
in jenen Werthen sich ausprägen.
Nun ist allerdings die wichtigere Frage die nach der Tiefe des erregen /s
Ortes, denn die Intensität ist wohl nur selten von genetischer Bedeutung. Könr«
wir aber aus den allein an der Erdoberfläche zu beobachtenden Verhältnissen 6<
Intensität der Wirkungen und der scheinbaren Elongation unter gewissen Uc
ständen Schlüsse auf die Tiefe ziehen? Das ist in der That der Fall.
Wenn nämlich für einen Erdbebenherd in sehr geringer Tiefe C\ Fig. 8 da
Intensität des Anstosses eine schwächere ist als für einen solchen in grtesers]
Tiefe C, so wird der Fall eintreten können, dass im Oberflächenmittclpunkt
oder in der centralen Zone
Wirkung des Bebens von der
und für sich geringeren Inten^'J
doch bedeutend stärker erschexl
Stehen z. B. wie dieses ^
der Fig. 8 angenommen, die I^
tensitäten der ersten Anstösse n
die beiden Erdbeben im Verhil
niss 5:8, d. i. C|^| s=s 5 un
C^ = 8, dagegen die Tiefen i^
Verhältniss 1 : 3, d. i. C, Äf= \ CM
so ergiebt sich für das Centm
C| an der Oberfläche in J/. «
die Bewegung f des Elongatt.«i
radius zurückgelegt hat, nach defl
Satze von der Abnahme der Iv
(MliL M.)
Fig. 8.
tensität im Quadrate der Entfernung noch ein Rest von Intensität = }| der lt
sprünglichen. In gleicher Weise erhält man für das Centnim C in Af einen Res
von ^. Da nun die Intensitäten sich wie 5 : 8 verhielten, so ergiebt sich dx
Verhältniss der Oberflächenwirkung in M für C^iC wie
21 7 ,
y : 2 oder 4,2 : 3,5
Die Erdbeben. 313
. h. die schwächere Intensität erzielt an der Oberfläche doch noch die stärkere
Virkung.
Das Verbreitungsgebiet C^g^ ist aber ein kleineres, als für das Beben von
er wirklich grösseren Intensität des ersten Anstosses, aber auch der grösseren
*iefe desselben. In diesem Falle steht also die Grösse der scheinbaren
Jongation für die beiden Erdbeben nicht in dem gleichen Verhält-
isse wie die Oberflächenwirkung.
Aus der Gesammtheit der Beispiele folgt aber für die Erforschung der Erd-
eben der wichtige Schluss, dass aus dem Verhältnisse der an der Oberfläche
rkennbaren Faktoren, der scheinbaren Elongadon und der oberflächlichen Stoss-
rirkung gewisse Folgerungen auf die Tiefe des Erregungsortes statthaft erscheinen.
ITiT können diese Beziehungen füglich in zwei Sätzen zusammenfassen:
1. Erdbeben von sehr heftiger Wirkung an der Oberfläche, aber
on nur sehr kleinem Verbreitungsgebiete können nur eine geringe
riefe des erregenden Herdes besitzen.
2, Erdbeben von schwacher Wirkung an der Oberfläche, aber
ongrossem Verbreitungsgebiete sind in bedeutenderer Tiefe erregt.
Nun kommt für das Verhältniss der oberflächlichen Verbreitung zur Inten-
iUt der Erregung noch eines in Betracht.
Durch wichtige Beobachtungen, welche vor wenig Jahren in einer ausführ-
Khen Arbeit General H. L. Abbot mittheilte, die er bei den mit grossen Mengen
wn Dynamit vorgenommenen Felsensprengungen bei Hallet's Point in der Nähe
TOB New-York zu machen Gelegenheit hatte, wurde das Verhältniss der Fort-
^üanzungsgeschwindigkeit der Erschütterungen zu der Kraft des erregenden
^to&ses festgestellt^). Er fand damals, dass mit 70 Ptund Dynamit in derselben
latfemung einmal eine Geschwindigkeit von nur 377,8 Meter, in zwei anderen
^ällen aber die auffallend hohen Werthe von 1693,8 und 2564 Meter pro Secunde
'^ ergab. Dabei war das erstemal die betreffende Ladung nur if Meter tief
"c^nkt und betrug die Dauer der Erschütterung nur einen Moment, im zweiten
Ai dritten Falle war die Ladung 10 Meter tief versenkt und währte die Er-
^tterung im zweiten Falle 4,8 Secunden, im dritten Falle aber 15,1 Secunden.
^T fasst die Ergebnisse in folgende Sätze zusammen:
I- Je heftiger der erste Stoss ist, um so grösser ist die Fortpflanzungsge-
«fcwindigkeit
2. Die Geschwindigkeit nimmt ab, je weiter die Welle vorrückt.
3- Die Bewegungen der Oberfläche der Erdkruste sind complicirt und be-
sWien aus vielen kurzen Wellen, die an Schwingungsweite erst zu- und dann
>l>nehmen.
Diese Gesetze stimmen also ziemlich mit denen überein, die für elastische
Körper gelten.
Dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit mit der angewandten Menge des
^prengmaterials wechselt und somit von der Intensität des ersten Anstosses ab-
°^gig ist, hatten auch die Versuche, die Mallet 1856 zu Holyhead angestellt
^^ schon ergeben.")
£s lassen sich aber für die Erdbebenerforschung aus den Angaben Abbot*s
Doch andere Schlüsse ziehen.
Wir dürfen nach den Gesetzen der Wellenbewegung anderer Art und in
0 Amcric Journ. of Sciences Ser. 3 Vol. XV. No. 87, pag. 178.
V Report od the 21. meeting of British association. L.ondon 1852. pag. 272 fi.
3t4 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
anderen Medien, z. B. (Ür Licht und Schall annehmen, dass die Fortpflanzungv
geschwindigkeit der Wellen im umgekehrten Verhältnisse steht zu der Weite der
einzelnen Schwingungen. Sonach würden die näher der Oberfläche erregter
Wellen bei einer kleineren Fortpflanzungsgeschwindigkeit, Wellen von grösserer
Amplitude sein müssen. Das scheint auch der Annahme einer grösseren Elasd-
cität in den oberflächlichen, als in den tieferen Schichten zu entsprechen. Nun
erscheint es femer durchaus wahrscheinlich, dass die grössere Schwingungswd!^
der Wellen auch eine zerstörendere Wirkung an der Oberfläche ausübt. Vfu
vermögen uns das durch ein einfaches Bild zu vergegenwärtigen. Stehen auf
einem angespannten, Trommelfelle kleine Figuren, so werden wir mit Gmat
kleinen niederfallenden Hämmerchen dieselben nicht zum Falle bringen, vor
das Fell ganz strafl* angezogen ist; sowie wir dasselbe aber nur schlafi* anspanno.
wird dasselbe Hämmerchen die Figuren alle umzustürzen vermögen. Das Vei-
hältniss des straflen und des schlaflen Trommelfelles ist auch das der tieferen
und der oberflächlichen Schichten des Erdbodens.
Es steht nun aber nach Abbot's angeführten Beobachtungen die Dauer der
Erschütterung auch mit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit in directem Veihält-
niss. Sonach würde sich nach dem Vorhergehenden die stärkere Wirkung,
kürzere Dauer, geringere Fortpflanzungsgeschwindigkeit vereinigen.
Schon Hoffmann betonte es in der That, dass es den Anschein habe, als ob
die Oberflächenwirkungen im umgekehrten Verhältniss zur Dauer stünden.^)
Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit bedingt nun aber hin¥äederumdie£longatioc
oder die grössere Verbreitung. Nimmt nun die Fortpflanzungsgeschwindigke»!
mit der tieferen Lage des erregenden Ortes zu, so ergiebt sich, dass wenn ein
Erdbeben lange Dauer mit grosser Fortpflanzungsgeschwindigkeit und
grosser Elongation verbindet, wir gleichfalls auf eine grössere Tiefe
des erregenden Herdes schliessen dürfen und andererseits, dass kurze Dauer,
sehr starke Wirkung an der Oberfläche, aber kleineres Oberfläche:
gebiet als Anzeichen geringer Tiefe gelten können.
Und so scheinen diese Betrachtungen als eine Stütze der vorher entwickeltet
Sätze gelten zu können.
Nun hängen aber endlich die Fortpflanzungsverhältnisse von der Natur der
Substanz ab, in welcher die Schwingungen erregt worden sind. So auch die
Schwingungen der Erdbeben von der Beschaffenheit und Structur der Gesteine,
welche die erschütterten Gebiete zusammensetzen. Würde eine Erschütterung in
einem ununterbrochen gleichartigen Gesteine, d. i. also in einem homogenen
Medium erregt werden, so würden sich die Wellen gleichmässig und allseitig
regelmässig fortpflanzen und verlaufen. Kein auch noch so kleines Gebiet der
Erdrinde kann aber auch nur annähernd in diesem Sinne als homogen gelten,
weder sind die Gesteine gleichartig in ihrer Zusammensetzung, noch frei von
mannigfaltigen Aenderungen und Unterbrechungen ihrer Structur und Lagenuir
Dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit und damit auch die Schwingnng^-
weite in verschiedenen Gesteinen verschieden ist, hat Mallet durch seine vor-
hin schon erwähnten Versuche (pag. 313) experimentell dargethan. Er fand die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erschütterung:
in Sand . . . . = 825' engl. == 251,5 Meter,
in lockerem Granit = 1306' engl. = 398 Meter,
in festem Granit . = 1665' engl. = 507,5 Meter.
*) 1. c. p. 326.
Die Erdbeben. 315
)as stimmt wieder tiberein mit dem im Vorhergehenden aufgestellten Satze, dass
lie Schwingungsweite von der Elasticität der Gesteine abhängt und im umgekehrten
/crhältnisse steht zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit. Weiter aber ist daraus der
khluss zu ziehen, dass auf festem Felsenboden die Wirkung einer Erschütterung,
Be wieder von der Schwingungsweite abhängt, minder intensiv und verheerend
em muss, ^s auf lockerem, nicht fest verbundenem Boden. Die Beobachtungen
iD einer grossen Zahl von Erdbeben haben die Richtigkeit dieses Schlusses
jeradezu erwiesen.
Andererseits wird aber eine Erschütterung in mächtigen Ablagerungen losen
iandes der geringen Fortpflanzungsgeschwindigkeit wegen schneller erlöschen
Bd nicht zu einer so ausgedehnten Verbreitung kommen können oder nur mit
ehr abgeschwächten Wirkungen an die Oberfläche treten. Das erklärt die
ieltenheit und Schwäche der Erdbeben der nordeuropäischen Flachlande.
Wo aber der lockere Boden nur eine dünne Decke bildet über unterliegcn-
b festen Gesteinen, da tritt die in diesen mit grosser Geschwindigkeit fort-
epflanzte Welle nun ganz besonders wirksam in die lockeren Massen ein, so
ass sie auf der festen Unterlage emporgeworfen und zusammengeschüttelt werden,
'ie der lose Sand auf einer Tischplatte die man durch einen Hammerschlag
nchüttert. Während in der festen Unterlage die Erschütterung nur sehr wenig
enpurt wird, steigert sie sich in der lockeren Oberfläche zu den heftigsten
^vegungen. Auch dafür finden wir in den thatsächlichen häufig gemachten
Icobachtungen die Bestätigung, dass heftige Erdbeben in den Gruben des er-
srfimerten Gebietes von den Bergleuten meist nur ganz unbedeutend oder gar
(Dcht direct wahrgenommen werden, dass sie aber auf den alluvialen, von felsigem
Untergründe getragenen Ablagerungen der Flussthäler weiterhin fühlbar werden,
»is auf den Gesteinen der Thalgehänge. ^)
Wo feste Felsmassen als Inseln in rings umgebenden lockeren Schichten
Uliragen, da bilden dieselben auch Erdbebeninseln inmitten des ringsum-
«r heftiger bewegten Wellenmeeres. Andererseits kommt es aber anch vor,
o^ss Oite, die von dem eigentlichen Erschütterungsgebiete abseits und isolirt
"^cn, gleichzeitig mit bewegt werden. Auch hier ist theilweise die Gesteins-
kschaflfenheit die Ursache; während in diesem FaUe in der Umgebung eines
Elchen Ortes die Bewegung nicht mehr fühlbar ist, tritt sie durch die grössere
Beweglichkeit der Gesteine im isolirt erregten Gebiete wieder deutlicher her-
vor. Eine eng umgrenzte Decke von Alluvionen in einem rings von festen
(Steinen umschlossenen Becken würde die geognostischen Bedingungen zu
einem solchen Falle liefern. Aber auch durch besonders günstige Lehungsver-
^Msse kann die Bewegung local einmal über ihr eigentliches Gebiet hinaus-
peifen.
So bedingt die Beschaffenheit der Gesteine im Untergründe also schon eine
S^nze Reihe von Unr^elmässigkeiten in den Erscheinungen eines Erdbebens an
^f Oberfläche. Von noch grösserer Bedeutung ist aber der Finflngc der Scinctnr
fe erschütterten Bodens.
Pur die rein theoretische Erörterung dieser Verhältnisse können vir von
^^^en experimentellen Versuchen ansehen.
l^enken wir uns einen Satz von Glasplatten so aufeinander gelegt nnd beider*
^^g mit Lagen von dickem Pappdeckel eingefasst und darch zwischcngdegte
'^apierlagen von einander getrennt, dass die ganze Reihe der schmalen aber
'; Ver^ V. LASAinjL L c Erdbebco 1873. pog. 52.
3i6 Aüneralogie, Geologie und Palaeontologie.
glatt geschliffenen Ränder der übereinander gelegten Scheiben in eine Flacbt
zusammenfallen, so haben wir damit die Zusammensetzung eines Schichte:
systemes nachgeahmt; die schmalen Ränder der Glasscheiben stellen die Schichtrw
köpfe dar.
Klemmen wir nun das Ganze zwischen zwei Brettern in einen Scbraubstoci
und bestreuen die Oberfläche dieses Glasschichtensystems mit feinstem gesiebCQ
Quarzpulver und erregen mit einer grossen Stimmgabel von irgend einer St£ii
der Glasplatten aus Schwingungen in denselben, so giebt uns die Bewegung dts
Quarzpulvers eine Andeutung über die Fortpfianzungsverhältnisse an der Ober-
fläche. Die Schwingungen bleiben in der einen Richtung immer in demselkg
Medium, in derselben Glasplatte, in der dazu senkrechten aber durchlaufen»
den ganzen Wechsel der verschiedenen Glasplatten. Der bewegte Quarzsaid
bildet unregelmässige und oft unterbrochene Figuren, die aber im AUgemeifis
über die ganze Fläche der Schichtenköpfe hin zu einer Ellipse sich zusaInm(^
fügen lassen, deren eine lange Achse parallel gerichtet ist zu den Trennucp-
fugen der Glassplatten, deren sehr kurze zweite Achse senkrecht hierzu h^.
Die Bewegung der Schwingungen hat sich quer zu den Glasplatten nur auf eax
kurze Entfernung fortgepflanzt, ist hier schnell durch den Wechsel und it
Unterbrechung im Medium vernichtet worden.^)
Derselbe Versuch lässt sich unter Zuhülfenahme einer anderen Bewegung oocb
deutlicher ausführen. Ueberzieht man die Fläche der Ränder der Glasplatten Tt
einer dünnen Wachs- oder Stearinhaut (am besten in der Weise, dass man Wachs odi:
Stearin in Aether löst und die Fläche mit der Lösung überstreicht; durch VcrdutJta
derselben bildet sich dann ein dünner gleichmässiger Ueberzug von Stearin) und
bringt durch Wärmezuleitung vermittelst eines Stiftes von irgend einem Pento
aus das Wachs zum Schmelzen, so bildet sich durch die von diesem Punkte a\
sich fortpflanzende Wärme eine Schmelzfigur, die beim Erkalten zurückbkkt
Diese zeigt eine lang elliptische Gestalt, die längere Achse liegt wieder» t
der Richtung der Glasplatten, die kürzere quer dazu. Die Fortpflanzung^
Wärmebewegung ist demnach in der Streichrichtung weiter erfolgt^ als qti« s
den Schichten.^ Ganz ähnliche Resultate erhielt neuerdings auch Jajimta;*
bei seinen Untersuchungen über die Wärmeleitung in Gesteinen und über dcßl
Einfluss der Gesteinsstructur auf dieselbe. Schiefrige Gesteine, senkrecht sJ
Schieferung geschnitten und auf der Schnittfläche mit Wachs überzogen, da&^
mittelst eines erhitzten Platindrahtes zum Schmelzen gebracht wird, eigeben fl»
nahmslos elliptische SchmelzEguren, deren lange Achse parallel der Schiefeitr«
geht, deren kurze Achse zur Ebene der Schieferung normal steht Der l'nc?-
schied in der Leitung parallel zur Schieferung gegenüber deijenigen noraol :•
derselben kann ein sehr bedeutender sein, im Maximum 3 : x.
Alle diese Versuche ergeben, dass der Einfluss der Structur eines bever^
Mediums auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit und die Elongation der Bewers:
ein ganz bedeutender ist
Die Erklärung dieser Erscheinung liegt darin, dass jede Wellenbcvcsrff.'
beim Uebergang aus einem Medium in ein anderes, oder beim Uebersch«*^
trennender Intervalle in einem Medium, die eine andere Dichtigkeit besitzen &-*
') V. Lasauijc, Erdbeben von Henogenrath <L 24. Juni 1877. Bonn 1878. pag. 4$
*) Die Methode tur DArsteUung der Wünnecurvcn rUbrt von S^narmont her, der dmut '■
WHrnieWItiing In KryntaUen bestimmte.
") Bull. Soc. 8^1. de Ftmnce, 3. S^e, Bd. IL p«g. 264.
Die Erdbeben. 317
enes, Ablenkungen und Reflexionen erleidet. Jede noch so kleine Unterbrechung,
m sie die feinen Zwischenräume zwischen den Glasplatten oder die Ab-
«nderungsfugen der Schiefer darstellen, wirken demnach wie ein Widerstand
jegen die Bewegung; diese erleidet eine Verzögerung und theilweise Ver-
lichtung.
Auch für die Erderschütterungen, die in Gebieten auftreten, welche einen
iialogen Bau besitzen, wie die in den vorstehenden Beispielen gewählten Medien,
aass die Ungleichheit in der Elongation sich in gleicher Weise ergeben. Der weit
erbreitete Bau der geschichteten Formationen ist aber ein Abbild jener Structur.
lus verschiedenartigen Gesteinen zusammengesetzte Schichtensysteme, in mehr
der weniger steil aufgerichteter Stellung, streichen auf grosse Entfernungen in
iner Richtung fort und ihre Schichtenköpfe bilden, wenn auch oft noch von
bedächlichen Bildungen bedeckt, die Fläche, auf der sich die Propagadons-
Km einer Erderschütterung projicirt. In der einen Richtung liegt der
erlauf der Bewegung im Streichen der Schichten und kann auf grosse
ntfemungen sogar in demselben Gesteine verbleiben. Die Fortpflanzung
rfolgt hier leichter und ungehemmter, als quer zu den einzelnen Schichten,
0 der häufige Wechsel der Gesteine und die trennenden Absonderungsfugen
Qd Zwischenlagen sehr stark verzögernd und abschwächend auf die Bewegung
irken müssen.
Dabei kommt Gestalt und Lage des erregenden Ortes wieder mit in Betracht.
Einfach gestalten sich die Verhältnisse bei der Annahme eines punktförmigen
Centrums. Nehmen wir aber an, die erregende Stelle habe die Gestalt einer
Jnie, so sind zwei Fälle denkbar. Entweder diese liegt im Sinne der Streich-
khtung der Schichten oder quer dazu, ist longitudinal oder transversal, in
er Bedeutung, die wir beim Gebirgsbaue diesen Worten geben.
Die Ellipse, die uns eine längs dieser Linie unter der Annahme eines homo-
eoen Mediums erregte Wellenbewegung darstellt, liegt das eine Mal mit ihrer
ingeren, das andere Mal mit ihrer kürzeren Achse im Streichen der Schichten.
n ersteren Falle wird die in der Streichrichtung erfolgende leichtere Fort-
iSaazung und grössere Elongation der Bewegung die elliptische Propagations-
OCD im Sirme der längeren Achse noch mehr strecken und so dieser eine stark
^re Gestalt geben, in welcher die Richtung der Bewegung grösstentheils
lormal steht auf der grössten Längserstreckung. Im zweiten Falle wird die
^ttne Achse verlängert und dadurch die elliptische Gestalt des erschütterten
'«bietes mehr der Kreisform genähert
Ob die Bewegung dabei nach den beiden Seiten der Linie, oder einer
Hache, die in ihrer Projectiön auf die Oberfläche diese Linie darstellt, die gleiche
^t oder nicht d. h. ob die Erschütterung eine axiale oder laterale ist in dem
iniher (pag. 307) definirten Sinne, das macht für die allgemeine Aenderung in
^er Gestalt der Propagationsform keinen Unterschied. Wir werden im folgenden
Abschnitte, wo die wirklichen Beobachtungen an Erdbeben aufgeführt werden,
Khen, dass in der That die hier theoretisch entwickelten Verhältnisse z. Th. mit
unverkennbarer Deutlichkeit aus den sorgsam gesammelten Erscheinungen vieler
Erdbeben sich wiederspiegeln.
Findet bei dem Uebergange einer Wellenbewegung an der Grenze zweier
Medien eine Reflexion statt, so erregt diese eine rücklaufende Bewegung. Dann
vermögen Wellen von entgegengesetzter Fortpflanzungsrichtung zur Interferenz
0 Humboldt, Relat histor. V. pag. 25.
3i8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
zu kommen und natürlich auch bei entsprechenden PhasendifTerenzen sieb zu
vernichten. So können inmitten bewegter Gebiete , durch locale Vemichtung
oder totale Reflexion an gewissen Stellen, unbewegte Zonen liegen, die man mit
der alten sinnreichen Bezeichnung der Eingeborenen Mexiko's^) als Erdbeben-
brücken bezeichnen mag. Der oberflächlichen Erscheinung, d. h. der Ruhe
nach, die bei einer Bewegung an diesen Stellen herrscht, sind sie nicht von den
früher (pag. 315) als Erdbebeninseln bezeichneten zu trennen. Ist aber in ge-
gebenen Fällen die Ursache der Ruhe zu erkennen, so mögen wir für die iosel-
formig durch die Beschaffenheit der Gesteine geschützten Theile, den Ausdnid
Erdbebeninseln, für die durch Absorption und Reflexion der Bewegung in Ruhe
verbliebenen, mehr in gestreckten Zonen ausgebildeten Stellen, den Naicen
Erdbebenbrücken vorziehen.
Jede Bewegung oder schwingende Erschütterung des Erdbodens hat and
eine Schallerregung zur Folge. Wir fühlen nicht nur das Erzittern des Bodeib,
wenn ein schwerer Eisenbahnzug vorüberfahrt, sondern wir hören es auch. Aud
bei dem Einstürze der Glocke der Königsgrube, den wir vorher pag. 301 ali
Beispiel wählten, wurde der dumpfe Donner vernommen, der mit der Enegung
der Erschütterung durch diesen Einsturz verbunden war. Wir können daher
wohl als ziemlich sicher annehmen, dass in allen ähnlichen Fällen der Schall
an derselben Stelle erregt wird, wie die Bewegung, dass der Ausgangspunkt für
beide demnach derselbe ist. Das nahm man schon früher an und auch F. Hoff-
MANN ist der Ansicht, dass die Fortpflanzung des Geräusches, welches die Erd-
erschütterungen zu begleiten pflegt, unterirdisch erfolge, weil man es oft m
ansehnlichen Tiefen unter der Erde, in Bergwerken, mit besonderer Stärke ver-
nommen habe.^)
Wir wissen, dass im Allgemeinen in festen Körpern der Schall sehr "ei
schneller sich fortpflanzt, als in der Luft, z. B. ist in Hölzern die Geschwind!^
keit II — 17, in gebranntem Thon 10 — 12 mal grösser als in der Luft und na'
Wertheim*s Untersuchungen dürften diese Verhältnisse sich noch steigern, w«c
es sich nicht blos um Stäbe dieser Medien handelt. Es erscheint daher k
Annahme wohl gerechtfertigt, dass auch im Erdboden, wenn wir uns denselben
als eine homogene Masse vorstellen, der Schall schneller sich fortpflanze als in
der Luft.
Es wird daher der an irgend einem Orte mehr oder weniger gleichzeitig
mit einer Erderschütterung vernommene Schall, wenn wir an dieser Annahme
festhalten, als lediglich durch die Erde selbst fortgepflanzt gelten müssen. Durcii
die Luft könnte eben nur der Schall an irgend einer Stelle vernommen werdeo.
der von einem anderen Orte von der erschütterten Oberfläche herrührt, wo er aus
dem Erdboden in die Luft überging. Er hätte dann den weiteren Weg z. Th.
mit einer sehr viel geringeren Geschwindigkeit zurücklegen müssen.
Nun ist es ausserdem eine bekannte Thatsache, dass der Schall, wenn er
aus einem dichteren in ein dünneres Medium übergeht, sehr bedeutend verzögeit
wird. Es müsste sonach der Schall an irgend einem Orte des erschüttertes
Gebietes, wenn wir annehmen wollten, dass er dort durch Fortpflanzung duic
die Luft wahrnehmbar geworden sei, sehr bedeutend verspätet nach der Fr
schütterung selbst eintreten. Sonach ist es ganz unwahrscheinlich, dass der a.n
irgend einer Stelle eines erschütterten Gebietes vernommene Schall, sofern der
selbe mit der Erschütterung so gut wie gleichzeitig oder doch nur durch gaiu*
0 l- c« P»ß- 329-
Die Erdbeben. 319
eine Zeitintervalle von derselben getrennt erscheint, ein anderer sei, als solcher,
r direct durch den Erdboden fortgepflanzt wurde. Er wird daher bei den
xibeben auch vorzüglich aus dem Boden, aus der Tiefe heraus vernommen.
Süd-Amerika ist es eine allgemeine Erfahrung, dass man das Erdbebengeräusch
m besonders stark aus den Oefihungen der Brunnen hervortönen hört.*)
ich dass das Geräusch sowohl im centralen Theile eines erschütterten Gebietes,
I auch in den äussersten Grenzzonen desselben nahezu in derselben Gleich-
Ügkeit mit der Erschütterung erscheint, ist ein Beweis gegen seine Fort-
hnzung durch die Luft
Nun sind die Verhältnisse der Schallbewegung keineswegs vollkommen
lemstiinmend mit denen der Erschütterung, sondern können nur als diesen an-
süherte bezeichnet werden. Schall und Erschütterung haben nicht genau die-
fte Fortpflanzungsgeschwindigkeit und vermögen in anderer Weise verzögert
id vernichtet zu werden.
Für das Erdbeben von Herzogenrath vom 24. Juni 1877 glaubte von Lasaulx
e Unterschiede in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erschütterung und des
klles bestimmen zu können. Er fand für jene 374,83 Meter in der Secunde,
r diese aber 485,96 Meter. Da aber der Schall in der Nähe des Oberflächen-
ittelpunktes der Erschütterung vorausging, in grösserer Entfernung davon aber
idifolgte, so ergiebt sich hieraus nothwendig ein grösseres Maass der Dämpfung
ier Verzögerung bei der Fortpflanzung durch den Erdboden für den Schall, als
s oie Bewegung. Ganz dasselbe Resultat ergab eine ähnliche Berechnung flir das
^eben vom 26. August 1878.*) Wenn sich auch nicht mit Sicherheit feststellen
es, dass der Schall im Centrum der Bewegung vorausging, in grösserer Ent*
mang von demselben aber nachfolgte, so zeigte sich doch die grössere Ge-
iivindigkeit des Schalles im centralen Theile mit Sicherheit darin, dass er hier
^ Schalle vorausging. Wenn diese grössere Geschwindigkeit sich bis zu Ende
eich geblieben wäre, so hätte mit der Entfernung vom Oberflächencentrum
IS btervall zwischen Geräusch und Bewegung immer grösser werden müssen.
'1 aber auch in den entferntesten Orten dasselbe durchaus als gleichzeitig mit
^Erschütterung erscheint, so muss auch flir dieses Erdbeben, wie für das vom
^e 1877 ^^^ Schluss gezogen werden, dass der Schall auf seiner Bahn eine
'•ttere Verzögerung erlitten habe, als die Bewegung. Den Verzögerungs-
''^cienten bestimmte v. Lasaulx flir das Erdbeben von 1877 ^^ ^»94» ^ <1^
Wbeben vom 26. Aug. 1878 ist derselbe nach Schumacher «= 0,98. Die Fort-
bnzungsgeschwindigkeit des Schalles beträgt flir dieses letztere Erdbeben
*^2 Meter in der Secunde, die der Bewegung 302,16 Meter in der Secunde.
So viel aber kann aus dem ohne Zweifel nachgewiesenen verschiedenen
^ erhalten von Schall und Bewegung gefolgert werden, dass dasselbe das nicht
^cr gleiche Wechselverhältniss beider vollständig zu erklären vermag, dass in
"ozelncn Fällen die Elongation beider eine wesentlich verschiedene sein kann,
^ dass sowohl das Geräusch ohne die Bewegung, als auch die Bewegung ohne
'^rausch in den äussersten Zonen des Erschütterungsgebietes wahrgenommen
^ Gleichwohl ist es der häufigere, nach dem Vorhergehenden auch natür-
0 HuMBouyr, Rd. hist IV. pag. 17.
) Die ansfilhriiche Beschreibong dieses Erdbebens, welche tod t. Lasaulx u. Dr. E. ScHU-
^'^^^^ «isgearbeitet woiden, ist noch nicht publictrt Verschiedene Resoltate derselben werden
'«•'•>ch hier schon mitgedieilt werden.
320 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
lichere Fall, dass das Geräusch nicht bis zu den äussersten Grenzen der Er
schütterung vorzudringen vermag.
Auf das Verhältniss von Schall und Erschütterung und das Intervall in der
Eintritt ^ beider für irgend einen Ort gründet sich auch noch eine Methode 12
Bestimmung der Tiefe des Erregungsortes einer Erderschütterung, die wir jedod
hier nicht näher zu erörtern brauchen.*)
Nicht ausgeschlossen ist endlich auch die Möglichkeit, dass der Austritt ir
Bewegung an die Oberfläche local eine Bewegung der Luft veranlasst, die 1^
ein Windstoss, als ein Rauschen oder dergl. vernommen wird.
Endlich ist noch einer Aeusserung der Erdbebenbewegung zu gedenken, dem
theoretische Erklärung ebenfalls keine Schwierigkeiten bereitet: die gleichzcir.
bedeutende Wellenbewegung des Meeres oder auch anderer Wasserbecka
im Bereiche erschütterter Gebiete der Erdoberfläche.
Die physikalischen Gründe für diese Erscheinung sind dieselben, die %i
schon pag. 314 für lockere Massen auf fester Grundlage angeführt haben
Wenn eine leichte Erschütterung z. B. durch einen vorüberfahrenden Lastvasen
ein Haus bewegt, so wird dieselbe sich an den mit Wasser gefüllten Gera&ien
im Hause ganz besonders sichtbar erweisen.
Bei dem Erdbeben vom 26. August 1878 ereignete sich ein Fall, der.^ier
ein ganz besonders sprechendes Beispiel abgiebt. Auf dem Gerüste am Doa'K
zu Köln befand sich in einer Höhe von ca. 120 Meter über dem Boden eind
Wasser gefülltes Fass, dessen obere Oeffiiung ca. i Meter weit war. Aus des-
selben wurde das Wasser bis zu einer Entfernung von 2 Meter herausgeschleudef.
und zwar in einer so mächtigen Welle, dass die dadurch folgende Entleeoc^
8 Centim. Höhe vom Rande aus betrug.^ Am Domgerüste erfolgte keineriff
Beschädigung.
Wir erkennen hieraus, wie sich die Bewegung in der Wassermasse uDj^^
heuer steigert und mit der Grösse des Wasserbeckens wird dieses Veib»"-
niss wachsen. Schon ein Becken von 300 Meter Durchmesser von der glek'ao
Intensität eines Stosses getroffen, wie jenes, würde eine Welle über seinen R^^
hinausgeworfen haben, die zurückfliessend die heftigsten Bewegungen der Wa>set
zur Folge gehabt hätte.
So erscheint es denn nun als eine mit den Dimensionen der Wi&>ef
becken sich immer vergrössemde aber ganz natürliche Wirkung, wenn i^:*
die Meere als Folge und in der Begleitung von Erderschüttenmgen, c<
die Wandungen dieser riesigen Wassergefässe bewegen, in heftige Erregung ^^
rathen, gewaltige Wellen über ihre Ufer hinauswerfen und dadurch verheercodiit
Wirkungen ausüben, als die Erschütterungen selbst. Bei dem Zusammenharx
und der vollkommenen Continuität des hierbei erregten leichtbeweglichen M^
diums, des Meeres, pflanzt sich die einmal entstandene Fluthwelle weit über ^<>
von der Erschütterung selbst betroffenen Oberflächengebiete fort und erschcirt
noch sehr stark oft an den von dem erschütterten Continent in äusserster Em
femung liegenden Küstenpunkten einer anderen Hemisphäre. Auf die Erscheinus«:'*
selbst kommen wir noch zurück.
Wie aber bei dem Gefässe auf dem Kölner Domgerüste die Richtung, s
>) Vergl. bezUgL derselben: Falb, Gedanken und Studien über den Valkmisniiis. ^*n^
1875, P^* '1^ ^"^^ ^' Lasaulx, Das Erdbeben 1877. 1. c, pag, 65, wo die Methode cm^^^!
erörtert und zum ersten Male praktisch verwendet wird. i
*) SchrifU. Mittheilung des Dombaumeisters Geh. Rath Voigtkl an t. Laiauul
Die Erdbeben. 321
welcher die 2 Meter lange Fluthwelle herausgeschleudert wurde, die Richtung der
durchgehenden Erschütterungswelle anzeigte, so können wir füglich auch für ein
Mecresbecken annehmen, dass sich Verschiedenheiten für die einzelnen Küsten-
riüider ergeben müssen, je nach der Richtung, mit der die Erschütterung diese
bewegt. Es wird hiemach lür den einen Rand ein Ueberströmen, für den an-
deren ein Zurückweichen der Meereswasser den Anfang der Bewegung bilden oder
auch umgekehrt Nur die Beziehung der Erscheinung zu der wahrgenommenen
Stossrichtung auf dem Uferrande wird in den einzelnen Fällen die Erklärung geben.
IL Statistischer Theil.
Das einzige Mittel, eine möglichst exacte Beantwortung der geologisch
wichtigsten Frage nach der Genesis der Erdbeben anzubahnen, besteht in der
allseitig umfassenden Beschreibung der bei Erdbeben überhaupt beobachteten
Eßcheinungen, d. h. in einer allgemeinen Erdbebenstatistik. Nur auf
Grundlage einer solchen wird man, frei von blos hypothetischer Speculation an
die genetische Deutung des Erdbebenphänomens herangehen können.
Die Wichtigkeit der Erdbebenstatistik ist längst erkannt worden und eine
ganze Zahl von Zusammenstellungen und Erdbebenchroniken liegen bereits vor. ^)
Erst seit Kurzem aber umfasst diese Statistik auch eine exactere Notirung der
gesammten physikalischen Erscheinungen eines Erdbebens und legt das Haupt-
gewicht auf die Feststellung der wichtigsten Umstände, die wir füglich als die
llemente dieses Phänomens bezeichnen können. Verstehen wir darunter alle
Fonnen und Umstände der Erscheinung, die für die Erkenntniss ihrer Genesis
gnindlegende Bedeutung haben, so können wir dieselben dann in zwei grosse
Abtheilungen bringen: i. Die inneren, physikalischen Erscheinungen der
Erdbebenbewegung selbst 2. Die äusseren Verhältnisse der Ver-
breitung und des Auftretens der Erdbeben in gewissen Gebieten und die
bloss begleitenden, aber mehr oder weniger wichtigen Erscheinungen, die nicht
mit der dgentlichen Bewegung direkt zusammenhängen.
Sonach hat eine Erdbebenstatistik sich zu erstrecken auf:
I. Innere Verhältnisse oder Erdbebenelemente insbesondere.
a) Art der Bewegung, Dauer, Zahl und Intervalle der einzelnen Oscillationen
oder Stösse.
b) Richtung der Bewegung: centraler, axialer, lateraler Charakter; Gestalt des
erregenden Herdes. f
c) Oberflächliche Propagation, Intensität, Verhältniss von Wirkung und Ver-
breitung.
d) Verhältniss der Lage der Propagationsform zum Schichten- oder Gebirgsbau:
longitudinales oder transversales Verhalten.
e) Emergenz der Bewegung; Tiefe und Lage des erregenden Ortes.
0 Schallphänomen.
g) Meeresbeben«
n. Aeussere Verhältnisse oder Erdbebenconjunctur.
h) Eintreten nach astronomischen Constellationen.
i) Vertheilung nach Jahreszeiten, klimatischen und barometrischen Einflüssen.
k) Auffallende begleitende, einen Causalzusammenhang verrathende Vorgänge.
') Siehe Literatur am Schlüsse des Artikels.
l^ttiNGOTT, Mb., Geol. u. Pal. I. 21
322 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
In derselben Reihenfolge sollen nun im Folgenden in der Künse & ^rich-
tigsten Resultate der praktischen Erdbebenerforschung zusammengestellt und atf
den im Vorhergehenden erörterten theoretischen Ergebnissen verglicheii werde».
a) Fttr die Art und Zusammensetzung der Bewegung aus undulatoiiscbca
und succussorischen Componenten sind schon früher pag. 303 einige Bcsfngk
angeführt worden, die aus der Beschreibung aller Erdbeben vermehrt «cfdci
können.
Die Anzahl der in einem einzelnen Falle gefühlten Oscillationen oderSUisc
ist eine sehr verschiedene und oft recht gross. Das Erdbeben, welches aD
26. März 1812 Caracas zerstörte, begann nach Humboldt mit einem 5— 6 Sets»-
den dauernden Stosse, der die Glocken bewegte; gleich darauf erfolgte i»
zweite Stoss, der doppelt so lange anhielt und den Boden in eine wallende B^
wegung versetzte, endlich trat ein senkrechter Stoss von 3 — 4 Secunden ein, dem
eine etwas längere undulatorische Bewegung folgte, worauf die Stadt zu mtm
Haufen von Trümmern und Leichen zusammenstürzte. Die ganze Zeit, wtldt
die Bewegung brauchte, umfasst also kaum mehr wie 20 Secunden, and troc
der deutlichen Intervalle in den Stössen ist doch kein Zweifel möglich, ds»
dieselben alle einer und derselben Erregung entstammten und dass ihre Ver
schiedenheit nur darin beruhte, dass direkte und indirekte Bewegung, succtss>
rische und undulatorische einander folgten.
Bei dem mitteldeutschen Erdbeben vom 6. März 1872 waren ebenfalls de«
lieh mehrere Erschütterungen wahrzunehmen; meist 2 Stösse oder OscilbticnÄ
von denen bald die erstere, bald die letzte als die stärkere empfunden wurde
Das Zeitintervall war jedenfalls ein ganz kurzes; denn die Dauer der gznicf
Erscheinung betrug nur ca. 5 Secunden. Auch diese Stösse sind nur als d^*
Resultat eines einzigen Anstosses anzusehen.
Das Erdbeben von Herzogenrath vom 22. Oktober 1873 zeigte ebciÄV
deutlich die Folge mehrerer getrennter Bewegungen; im centralen Theilc ^
selben beginnt es mit verticalen Stössen, denen mehrere horizontale OscillaüMtf
folgen. Die Dauer der ganzen Erschütterung betrug nur ca. 2^ Secunde.
Bei dem Erdbeben vom 24. Juni 1877 in derselben Gegend betrag äf
Dauer der Erschütterung nur ca. 3 — 4 Secunden und war gleichfalls aus mehreren
deuüich unterscheidbaren Momenten componirt: stärkere Stösse, die Wirkuc:
der direkt austretenden Bewegung, mit zwischenliegenden horizontalen OsdIU
tionen, die grösstentheils als die indirekte Bewegung angesehen werden dürrer
Auch bei dem westdeutschen Erdbeben vom 26. August 1878 war dieses seb*
bestimmt zu erkennen. Aus fast der Gesammtheit der darüber gesanunelter.
Nachrichten geht unzweifelhaft hervor, dass diese Erschütterung aus zwei Phi&tr
der Bewegung und jede wieder aus einer Reihe einzelner Oscillationen sich ti-
sammensetzt. Da meist der Anfang in einer stoss- oder ruckartig anftrccendcr
Bewegung bestand, der eine horizontal wellenförmige nachfolgte, so ist jene 3^^
die Folge der direkten Emersion, diese als indirekte Bewegung aulzufiissen. 1^<
Dauer der ganzen Erscheinung, die an vielen Orten mit schematischer Deuüic^
keit verlief, mochte ca. 20 Secunden betragen.
In allen diesen Fällen tritt die theoretisch entwickelte Beschaffenheit dcf
Erdbebenbewegung unzweifelhaft hervor. Trotz der Verschiedenartigkdt der B^
wegung in ihren einzelnen Phasen ist sie immer demselben Anstosse entqjnmfö»
Und nur in diesem Sinne kann man die Dauer eines Erdbebens bestimmen. Stäit
richtig ist es, wie es zuweilen geschieht, von monatclanger Daner etnes &d
Die Erdbeben. 323
)ebens zu sprechen; es liegt hierin eine Verwechselung mit einer Erdbeben-
>eriode. Nicht ein einziger Anstoss erregt die oft lange Zeit anhaltenden, in
läufiger Wiederholung auftretenden Beben einer solchen Periode; erneuerte, wenn
uich genetisch mit einander in Verbindung stehende Erregungen, nicht einmal
^on derselben Stelle ausgehend, veranlassen in diesen Fällen die oft ungeheuer
^osse Zahl einzelner Stösse.
Ausgezeichnete Beispiele solcher Erdbebenperioden sind viele bekannt. Die
zaorige Katastrophe, welche am 9. November 1880 Agram mit 30 schwerer Ver-
leerung betroffen, war ein besonders intensiver Erdstoss aus einer langen Reihe
on bald leichteren, bald stärkeren Erschütterungen, die vorausgingen und nach-
bigten und noch im März des Jahres 1881 nicht ganz zur Ruhe gekommen waren. ^}
\uch das Erdbeben vom i. März 1870 zu Klana im Karst war die stärkste Er-
sdi&tterung einer Periode, die schon mit dem 27. Februar 1870 begann und am
HL Juli 1870 abschloss.
Eine der an einzelnen Erdbeben ganz besonders reichen Perioden ist
iie von Gross -Gerau in Hessen, die in den Jahren 1869 und 70 sich ab-
•pielte. Die früheste Erschütterung wurde am 12. Januar 1869 beobachtet, aber
üe eigentliche und heftigere Periode begann erst mit dem 30. Oktober 1869
md dauerte bis in den Januar 1870, vereinzelte Nachwirkungen sogar bis 1873.
n dieser Zeit folgten die Erdbeben in oft ganz kurzen Zwischenräumen so
zahlreich hintereinander, dass z. B. allein am 31. Oktober 1869 von einem zu-
fcdissigen Beobachter 53 Stösse notirt wurden, von denen allerdings manche
m durch minutenlange Intervalle getrennt, bezüglich ihrer Selbstständigkeit
zweifelhaft erscheinen.^ Es ist ganz unmöglich, alle Stösse im Einzelnen nach
ihren Erschütterungsbezirken zu verfolgen. Aber soviel lässt sich doch aus den
Beobachtungen erkennen, dass nicht alle genau dasselbe erregende Centrum be-
iessen haben. War daher auch die eigentliche Ursache eine für die ganze Periode
gemeinschaftliche, einmal wirkende, so wird doch fiir die einzelnen Erdstösse die
Annahme einer getrennten, selbstständigen und ihren Ort verändernden Erregung
nothwendig. Uebrigens zählen die gesammten Erdbeben dieser Periode von ca.
4 Monaten Dauer nach Hunderten.
Auch die Erdbeben von Herzogenrath von 1873 und 77, sowie das west-
deutsche Erdbeben vom 26. August 1868 bezeichnen nur die Hauptstösse von ,
Erdbebenperioden. Im Jahre 1873 begann eine solche am 28. September
und dauerte bis in den Januar 1874 hinein. Sie erreichte ihre grösste Inten-
sität in dem Erdbeben vom 22. Oktober; diesem gingen fast ebensoviele £r-
schatterungen voraus, als ihm nachfolgten. Dem Erdbeben vom 26. August 1878
gingen nur schwache unbestimmte Bebungen voraus, es war die erste und zu-
gleich stärkste Aeusserung einer fast 9 Monate anhaltenden Erdbebenperiode.
Schon am 26. August selbst wiederholten sich die Erschütterungen und in den
nächst folgenden Tagen traten zahlreiche neue, leichte Beben ein. Erst nach
Mitte September werden sie seltener, am 10. December steigern sie sich noch
einmal zu einer gewissen Heftigkeit und treten dann in immer längeren Inter-
vallen bis in den Mai 1879 hinein auf, fortwährend in demselben Gebiete, z. Th.
auch um dasselbe Centrum herum.
Comrie, am südöstlichen Fusse des schottischen Hochlandes gelegen, Visp
in Wallis in der Schwe^iz, Desenzano, am südlichen Ufer des Gardasees 1866 bis
^) TouLA, Erdbebenirag^. pag. 14.
*) NöGGERATH, Vcrh. des naturhist. Ver. f. RheinL und Westph. XXVII. 1870, pag. 50 ff.
21»
324 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
1868, Montelone in Calabrien, wo im Jahre 1783 nicht weniger wie 949 Stösse
stattfanden u. a. Orte sind früher für solche, aus zahlreichen Erdbeben bestehende
Perioden bekannt geworden.*)
. Immer mehr zeigen aber auch alle in der neueren Zeit beobachteten Eid-
beben, dass das gesellige Auftreten dieser Erscheinungen wohl als die Regel be-
zeichnet werden kann. Die Erdbeben von Chios im Jahre 1881, die von Ischii
mit der zerstörenden Katastrophe am 4. März, die zahlreichen Erdbeben in der
Schweiz in den Monaten November und December 1881 und Januar 1882, das
Erdbeben vom 18. November 1881 in den westdeutschen Ländern mit voriier-
gehenden und nachfolgenden schwächeren Beben, alle bezeichnen Eidbebei^
rioden und keines derselben ist eine isolirte Erscheinung.
Die Stellung des stärksten oder Haupterdbebens in einer solchen Periode A
keineswegs zeitlich irgendwie übereinstimmend. Oft leitet der heftigste SCoss die
Bewegung ein, oft scheint er sie abzuschliessen. Meistens aber steigen schwädicrc
Erschütterungen bis zur stärksten Aeusserung hinan und folgen dieser mit allmab-
lieber Abschwächung nach.
Diese allgemein zu beobachtende Erscheinungsweise der Erdbebenperioden
schliesst von vornherein die Annahme solcher Ursachen aus, die nur eine ein-
malige gewaltsame Aeusserung zu erklären vermögen, wie es etwa bei gewaltigen
Dampfexplosionen der Fall sein würde.
b) Ganz übereinstimmend nimmt man jedesmal, wenn eine Erderschütterung
ein Gebiet bewegt, wahr, dass dieselbe einer bestimmten Richtung für jeden Oft
folgt. Aus einer grösseren Zahl solcher Beobachtungen, wenn man dieselben auf
einer Karte zu einem gemeinsamen Bilde einträgt, ergiebt sich der Charakter der
Bewegung, die Lage und die Gestalt des centralen Theiles des erschütterten
Oberflächengebietes. So ist denn bei einem Erdbeben in der Regel sehr bak)
die Gegend schon aus den wahrgenommenen Stossrichtungen erkannt, in der die
Oberflächenmitte gelegen ist. Die gesteigerte Intensität der Wirkung im centnkn
Gebiete macht dieses weiterhin kenntlich. Man pflegt den centralen Theil des
erschütterten Oberflächengebietes, in welchem die Wirkungen am stärksten ge-
wesen sind, auch die pleistoseiste Zone zu nennen. Da aber mit der ge-
steigerten Wirkung die äusseren Zeichen sich vermehren, aus denen die Be-
stimmung der oberflächlichen Verbreitung am zuverlässigsten erfolgen kann, so
ist die Gestalt und Lage der pleistoseisten Zone von ganz besonderer Bedeutung.
Sie ist meist mit grosser Genauigkeit zu umgrenzen und in ihr das direkte Ab-
bild des erregenden Ortes zu sehen.
So übereinstimmend in der Regel die Wahrnehmung einer Richtung ist, so
wenig zuverlässig lässt sich der wirkliche Sinn derselben an und für sich, ohne
helfende äussere Umstände fixiren. Es liegt das im Charakter der Wellenbe-
wegung begründet, die zwar die Linie des Hin- und Herschwankens, aber nicht
die Richtung sicher erkennen lässt, aus der die Welle kommt Das Umfallen von
Gegenständen, das Ueberlaufen gefüllter Wassergefasse u. dergl. m. gestatten eine
genauere Angabe der wirklichen Stossrichtung. Dazu sind auch Apparate er-
sonnen worden : Seismometer, deren wir später noch besonders gedenken werden.
Auch üben die Gebäude nach ihrer Lage und Beschaffenheit vielfach störende,
ablenkende Einflüsse auf die Wellenbewegung aus, die ein Erkennen der wirk-
1) Vergl. auch TouLA, 1. c. pag. 16, Fuchs, pag. 158 u. a.
*) Hoffmann, 1. c. pag. 316.
Die Erdbeben. 325
ichen Richtung erschweren. Am besten ist dieselbe im Freien und unmittelbar
m Erdbodon selbst zu beobachten.
Aber die Unzuverlässigkeit und Ungenauigkeit der Beobachtung am einzelnen
)rte wird fUr die Bestimmung eines Erdbebens durch die grosse Zahl von
(ichtungsangaben einigermaassen ausgeglichen, die über ein erschüttertes Gebiet
lin zu erlangen sind. Und so wird im Allgemeinen doch die Richtung das
rerthvollste topische Element bleiben, daraus die centrale Stelle der Oberflächen-
rirkimgen zu finden.
So ist denn auch für eine grosse Zahl von Erdbeben unzweifelhaft festge-
teilt worden, dass dieselben von einer engbegrenzten, im Verhältnisse zur Aus-
iehnung fast als punktförmig zu bezeichnenden Stelle aus, strahlenförmig, wie
lie Radien vom Centrum eines Kreises aus, sich fortgepflanzt haben. Die als
inien auf einer Karte des erschütterten Gebietes aufgetragenen Stossrichtungen
idmeiden sich, entsprechend verlängert, alle oder grösstentheils in einem kleinen
)beiflächenstücke.
Ueberaus schön Hess sich diese Thatsache schon in den Verbreitungsver-
oltnissen des grossen Erdbebens von Calabrien 1783 nachweisen.
Der Hauptsitz und auch der Zeit nach der Anfangspunkt dieser furchtbaren
Katastrophe war der südliche Theil von Calabrien. Die nächste Umgegend der
)tadt Oppido bezeichnet die centrale Stelle; rings um diese war in einem Um-
iLicis von 5J geogr. Meilen alles von Grund aus zerstört worden. Eine irgend-
^ auffallende Streckung der pleistoseisten Zone war ebensowenig nachzu-
lösen, wie eine solche der Propagationsform überhaupt, die einen deutlich
concentrisch kreisförmigen Verlauf genommen hat Dieses Erdbeben besass dem-
^ch in der That einen vollkommen centralen Charakter.
Ganz unzweifelhaft spricht sich ein solcher auch in einzelnen der neueren
E^rdbeben aus.
Das Erdbeben von Kamionka, welches am 17. August 1875 Galizien er-
schütterte, zeigt nach der kartographischen Darstellung von Professor F. Kreutz^)
einen so durchaus kreisförmigen Verlauf seiner pleistoseisten 2k>ne, eine so be-
stimmt auf ein eng begrenztes, centrales Gebiet verweisende radiale Anordnung
^er Richtungsstrahlen, dass der etwas unregelmässige äusserste Contur des ge-
^unmten Erschütterungsgebietes überhaupt hiergegen nicht entscheiden, den durch-
aus centralen Charakter nicht verwischen kann.
Auch von den westdeutschen Erdbeben sind einige durchaus central. Bei
^er grossen Zahl von Beobachtungen, die in diesen Gegenden zur statistischen
^'tststcllung der gesammten Verhältnisse zu erlangen waren,^ ei^aben sich auch
noch besondere Beziehungen. Es zeigte sich, dass die unsichersten und ab-
weichendsten Angaben über die Richtung gerade aus dem centralen Theile des er-
schütterten Gebietes stammen.
Das war z. B. ganz besonders auffallend bei den zahlreichen Erdstössen von
Oross-Gerau, die in diesem Orte selbst mit den allergrössten Schwankungen und
'^^weichungen bezüglich der Richtung von den Beobachtern geschildert wurden.^)
^^er Gnind dafür ist nach dem pag. 303 Gesagten einzusehen: es herrscht hier
^WaW die verticale Componente der Bewegung über die undulatorische vor.
^) polnische Abhandlang: Lemberg 1876«
^ VergL V. Lasaulx, Erdbeben 1873 u. 77 1. c.
*) NÖGGSKATH, 1. C. pftg 82.
326 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Aus grösserer Entfernung von der Mitte nehmen mit der mehr midulatoriictej
Bewegung auch die zutreffenden Richtungsangaben an Zahl zu.
Wenn auch die Form der Erschütterungsgebiete für die Erdbeben der Pc
riode von Gross- Gerau z. Th. sehr wesentlich von der Kreisform abwcicbl
ergiebt sich doch aus den Wirkungen, den Richtungen und Zeitangaben in
Fällen der durchaus centrale Charakter dieser Beben.
Trotz der sehr verschiedenen Intensität und Ausdehnung der erschüttti
Oberfläche, die bei dem heftigsten Stosse vom i. November 1869 ca. 830 Quj
Meilen umfasste, in anderen Fällen nicht über den Bereich des Ortes Gr<
Gerau selbst hinausgriff, blieb das Centrum unverändert in dem eng
Gebiete des genannten Ortes und mit überraschender Genauigkeit fügen
die Erschütterungsgebiete aller einzelnen Stösse vollkommen conccntrisch
einander. Meist liegt auch das Centrum in der That in der Mitte des Ol
flächengebietes, so dass von diesem aus die Elongation nach allen Seilen
nahezu gleiche ist.
Das westdeutsche Erdbeben vom 26. August 1878 ergiebt aus den
achtungen über die Stossrichtungen, deren 203 von ganz besonders vefbüi^
Beobachtern herrühren oder durch besondere äussere Wahrnehmungen unU
aus der ganzen grossen Zahl kritisch ausgelesen wurden, ebenfalls einen
entschieden centralen Charakter. Zieht man auf einer Karte diese 203 Stossricht
über das ganze Erschütterungsgebiet hin aus, so gehen die Verlängeningen
grössten Theiles derselben durch ein Gebiet, das mit einem Radius von
I geog. Meile zu umschreiben ist. Im Verhältnisse zu der grossen Vei
der Erschütterung, die von Paris bis Hannover einerseits, von Strassbarg
Amsterdam andererseits geftihlt wurde, kann dieses Verhalten als vollkoini
beweisend dafür gelten, dass der Erdbebenherd nur eine ganz geringe At
dehnung besessen habe und keinenfalls eine axiale Streckung demselben
thümlich gewesen sei. Das bestätigen denn auch in einer Weise die genau<
Beobachtungen über den Zeiteintritt der Erschütterung und der auf&llei
und mit grosser Sicherheit nachweisbare kreisförmige Verlauf der homosct?
Linien, dass keinerlei andere Deutung den einfachen und wohlbegniod<
Schluss zu ändern vermag. Der centrale Charakter spricht sich endlich a:
noch darin aus, dass in gleicher Weise wie bei der Erdbebenperiode von Gn^
Gerau> auch dem westdeutschen Erdbeben vom 26. August 1788, dessen
flächenmittelpunkt in die Nähe des kleinen Ortes Tollhausen, nahe der Rs^i
strecke Jülich-Elsdorf, im Reg.-Bezirke Aachen unter 50** 56* 49" nördl. Br, J»
24** 10' 56" östl. L. gelegen war, noch einige sich abschwächende ErschüttcninKtT
von geringer Ausdehnung folgten, deren Sitz genau in dasselbe Gebiet 6el.
Als echt centrale Erdbeben sind endlich auch die meisten der auf ^■
Abhängen thätiger vulkanischer Kegel während der Eruptionen eintretenden F*
Schütterungen charackterisirt, die allseitig als aus dem Schlote des Vulkin>
kommend empfunden werden und von diesem aus mehr oder weniger «^-^
radial sich ausdehnen.
Bei vielen Erdbeben ergaben aber sowohl die Richtungsbeobachtungen 1^
auch die ganze oberflächliche Verbreitungsfbrm und insbesondere die GesUlt tkr
pleistoseisten Zone die unzweifelhaft axiale Streckung des centralen Theiles.
Freilich, wenn wir bedenken, was pag. 316 über den Einfiuss der Schichter
Stellung auf die Propagation einer Erschütterung gesagt wurde, so werden *i'
nicht in allen Fällen bei nur geringen Abweichungen z. B. der plciatoseisicn
Die Erdbeben. 327
Sone von der Rreisform daraus den axialen Charakter des Bebens als sicher er-
wiesen annehmen können.
Das Erdbeben von Herzogenrath vom 24. Juni 1873 zeigte im Allgemeinen
90 recht aufTallend centrales Verhalten; jedoch Hess sowohl die pleistoseiste
^e als überhaupt das Oberflächengebiet unverkennbar eine elliptische Dehnung
roD SW. nach NO. erkennen. Diese liegt im Streichen der Schichten der
kohlenformation, in welcher das Erdbeben grösstentheils sich fortpflanzte. Es
nre daher immerhin möglich, dass die elliptische Gestalt seiner Propagation
ediglich in den Fortpflanzungsverhältnissen und nicht in der Gestalt des erregen-
ien Ortes ihren Grund habe.^)
So giebt es noch mehrere Beispiele, bei denen die Oberflächenbeobachtung
»cht ohne Weiteres als entscheidend für den Charakter eines Erdbebens gelten
kann. In manchen Fällen aber ist gewiss die lineare Erstreckung des er-
regenden Ortes nicht so bedeutend, dass bei grosser Oberflächenausdehnung
der Erschütterung dadurch sehr erhebliche Abweichungen von centralen Er-
scheinungen bewirkt werden.
Mit grosser Bestimmtheit tritt aber in anderen Fällen der axiale oder lineare
Charakter eines Erdbebens hervor.
Schon das Erdbeben vom 23. Februar 1828, das die westdeutschen Gebiete
und die Niederlande erschütterte, zeigte eine deutlich lang von W. nach O. ge-
dehnte elliptische Gestalt der pleistoseisten Zone, die zwischen Brüssel, Lüttich,
«d Mastricht gelegen war.
Von dieser aus pflanzten sich die Stösse strahlenförmig mit % Th. äusserst
deutlich beobachtbaren Richtungen fort, die Hauptiängenerstreckung lag eben-
Wls von W. nach O. im Allgemeinen dem Streichen des belgischen Thonschiefer-
febiiges folgend. Alle zwischen Namur und Aachen von diesem Erdbeben
^ttiger bewegten Orte liegen in derselben Richtung und auch die einzelnen Orte,
«n denen es auf dem rechten Rheinufer fortsetzend bemerkt wurde.')
Mit grosser Bestimmtheit ergab sich eine Erdbebenachse, von NNW. bis
^- gerichtet, für das niederösterreichische Erdbeben vom 3. Januar 1873, dessen
pleistoseiste Zone, sowohl wie die oberflächliche Propagation überhaupt eine ganz
^sgesprochen lang elliptische Gestalt besass.^ Hier erscheint die Annahme
tiner linearen Gestalt des Erregungsortes fast unerlässlich. Von dieser Linie gingen
«ich die Beben vom 12. Juni 1875 ^"s, sowie auch die älteren Erschütterungen
von 1590, sowie jene von 1768, welche über Leitmeritz bis nach Dresden ver-
^crepürt wurden.
Von den im Gebiete der österreichisch-ungarischen Länder in den letzten
Jahrzehnten aufgetretenen Erdbeben haben eine Reihe weiterer einen ebenso
ausgesprochen axialen Charakter ergeben, so dass es hiemach versucht worden
^^ eine grössere Zahl von Erdbebenlinien zu ziehen, die in ofhnaliger Wieder-
holung als Erdbebenachsen erscheinen, in der Weise, dass die eigentlichen Stoss-
punkte auf denselben Linien ein Wandern zeigen, das heisst, dass das einemal
"^^T> das anderemal dort die Erschütterung ihren Anfang nimmt, bis auch wohl
einmal wieder derselbe Punkt als Ausgang fUr eine solche dient.^) Ein solches
^^dern der Stosspunkte auf einer geraden Linie hatte wohl zuerst Dolomieu
0 V- Lasaulx, 1. c. pag. 44.
^ Egin, Poggend. Ann. Xm. 153, XXV. 68.
') Sdess, Denkschr. d. Kais. Akad. Bd. 33. pag. 61—98.
*) ToüLA, 1. c. pag. 62.
328 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
schon bei den grossen mehrfach erwähnten Erdbeben von Calabricn 1783 a»
statirt^) Wir kommen darauf später noch zurück.
In grossartigem Maassstabe und mit einer gewissen Constanz eTschona
axiale Erderschütterungen von grosser Längsdehnung in den Gebieten der
mächtigen Cordilleren -Kette des aequatorialen Amerika von Chili bis Mck
Mexico. Eine Reihe der furchtbarsten Erdbeben-Katastrophen sind aus jew
Gebieten bekannt und mit den Namen Lima, Callao, Riobamba, Quito, Pasus
Cumana, Caracas, Arica u. A. verknüpft. Alle diese Erdbeben folgten in ihm
Verbreitung den Richtungen der grossen Bergketten und betrafen sonach v»
züglich die Küstenstrecken. Das furchtbare Erdbeben, welches im Jahre itfi
Lima und die Hafenstadt Callao zerstörte, pflanzte sich von der Zone äx
grössten Zerstörungen aus nach den Aussagen der Wachtposten längs der Küste
linie von N. nach S. und von S. nach N. hin fort.^
Eines der ausgezeichnetesten Beispiele für ein axiales Erdbeben von grosse
Länge der Achse liefert dasjenige, welches am 4. Januar 1843 einen grosen
Theil der vereinigten Staaten -— von Natchez bis nach Jowa und von Sud-Oroüni
bis an die westlichen Staatengrenzen — erschütterte. Die Gebrüder Rogik •
haben eine Zusammenstellung aller über dieses Erdbeben bekannt gewordoci
Beobachtungen geliefert und gezeigt, dass die Achse der Erschütterung durc''
eine Linie bestimmt wurde, welche in der Richtung NNO. nach SSW. w»
Cincinnati über Nashville nach der westlichen Grenze von Alabama läuft. V*
dieser Achse aus pflanzte sich die Bewegung in lauter parallelen Linien beide
seitig fort, so« dass die homoseisten Linien parallel zu der Achse verliefen n«
überall von der Achse aus einerseits die Richtung nach OSO., andererseits Mci
WNW. zu beobachten war. Auch die For^flanzungsgeschwindigkcit war aJ
den beiden Seiten dieser Achse keine erheblich verschiedene; Rooiäs crhkk
dafür auf der Westseite der Achse 1816 Par. Fuss = 588,4 Meter in der Sccundt»
der Ostseite = 2724 Par. Fuss ~ 882,6 Meter. Die Verhältnisse entspreche
demnach genau denjenigen des im Vohergehenden gewählten (pag. 307) Beispi^
von einem ins Wasser fallenden Stocke.
Während bei den bisher angeführten Erdbeben die centrale Lage der Ob»
flächenachse ganz besonders darin sich aussprach, dass von ihr aus die äussentet
Erschütterungsgrenzen nach beiden Seiten in nahezu gleicher Entfernung ^
die pleistoseiste Zone auch wirklich oder doch nahezu in der Mitte des er-
schütterten Gebietes gelegen waren, ist bei anderen Erdbeben mit grosser Bcstimini
heit sowohl die excentrische I^ge der Oberflächenachse als auch die Ungle^^
heit in der Propagation zu beiden Seiten derselben erkannt worden. Es ^^
immer nur axiale Beben, die in dieser Weise auch zugleich eine einseitige«
laterale Ausbildung zeigen.
Ein recht charakteristisches Beispiel dieser Art ist vielleicht das Erdbebe:*
vom 8. Februar 1843 auf den Antillen, vornehmlich Guadeloupe gewesen, öa>
seine Wirkungen bis nach Cayenne verspüren liess. Dass es ein axiales Be^
war, ergaben die Untersuchungen von Deville und wird auch von Roc»s ^
stätigt.4)
pie Achse seiner Propagation war ungefähr von NW. nach SO. gcrichtrt
») Naumann, pag. 210.
") HopPMANN, 1. c. pag. 324.
*) SiLLiMAN, American Journal. Bd. 45, pag. 341.
♦) Naumann. 1. c. pag. 211.
Die Erdbeben. 329
erlief nach Rogers etwa von den Bermuda -Inseln bis nach Cayenne. So hat
as damalige Erdbeben auf den Antillen nur die auf der einen Seite der Achse
tattgefundenen Undulationen in sich begriffen. Wäre die Bewegung mit der
leichen Intensität auch nach der nordöstlichen Seite der Achse erfolgt, so hätte
ie gewiss in einem überaus heftigen Meeresbeben sich geäussert und nicht ver-
orgen bleiben können.
Wenn man auf die Unterschiede in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu
clden Seiten der Achse bei dem vorhin erwähnten nordamerikanischen Erdbeben
in grösseres Gewicht legen will, sq würde damit auch für dieses ein lateraler
iharakter nachgewiesen werden.
Das mitteldeutsche Erdbeben vom 6. März 1872 zeigt auffallend die excen*
fische Lage der pleistoseisten Zone und Seebach ^) deutet diese Erscheinung als
k Folge einer ungleichen Intensität auf beiden Seiten der übrigens kurzen Erd-
iwbeoachse. In diesem Falle bricht auch das Schallphänomen, das hier die Zone
vdter Stärke der Wirkungen charakterisirt, nach SW. zu so plötzlich und nahe
o Oberflächenmittelpunkte ab, dass hiemach diese dem pleistoseisten Gebiete
egenüberliegende Gegend im relativen Erdbebenschatten sich befunden zu haben
cbeint.
Das kleine Erdbeben, das am 5. Oktober 1877 die sächsische Amtshaupt-
wnnschaft Dippoldiswalde erschüttert hat, stellt nach Credner') in dem Er-
chütterungsgebiet eine gestreckte Ellipse dar, deren längere Achse etwa von
^en nach Zinnwald reichte. Die Zone der höchsten Wirkungen steht quer
u dieser Achse und liegt ganz am südlichen Rande des erschütterten Gebietes,
0 dass es den Anschein hat. als ob von einer Linie aus die Bewegung gleich-
citig ausgegangen wäre und parallel vorzüglich nach N. sich fortgepflanzt hätte.
Auch das etwas bedeutendere voigtländisch-erzgebirgische Erdbeben vom
3- Nov. 187s» ^^ gleichfalls Credner beschrieben hat^) und das er als linear-
Jnal bezeichnet, scheint eine vorherrschend einseitige Richtung und entsprechende
firkang gehabt zu haben.
Auch bei dem Erdbeben von Herzogenrath vom 24. Juni 1877 nimmt von
^ pleistoseisten Zone aus nach SW. die Intensität der Oberflächenerscheinungen
^ schnell ab, so dass die Bewegung sehr bald jenseits der belgischen Grenze
te Unmerkbare abgeschwächt ist, während nach NO. zu das Erschütterungs-
Tbict bis nach Westfalen hinein sich erstreckte.*)
£inen ganz entschieden einseitigen Verlauf zeigt die Propagation des Erd-
»cbcns von Sillein in Ungarn vom 15. Januar 1858.*) Die pleistoseiste Zone
*^ hier im Süden z. Th. ganz nahe der Grenze des überhaupt erschütterten
Nietes, das nicht über die Donau hinausreicht, während es nach Nordwesten
'cit bis nach Mähren, Böhmen und Schlesien bis über Breslau hinaus sich aus-
dehnte. Von dem bei Sillein gelegenen Oberflächenmittelpunkte aus war die
Propagation nach NW. eine mehr als dreimal so grosse wie nach S. Die
Wstoseiste Zone stellt eine von SSW.— NNO. gestreckte Ellipse dar. Wenn
"V hieraus eine in diesem Sinne gelegene Achse des Bebens annehmen, so
') Sekrach, 1. c. pag. 183.
*) Zdtsdir. der ges. Natnrwiss. 1878 I.
*) 1. c xLvra. 1876. XI.
') V. Lasaulx, 1. c. pag. 41.
^) L. H. JEITTELES, Sit£.-Ber. d. Kais. Akad. d. W. Wien 1859. Oktober.
330 Mineralogie, Geologie und Palaeontnlogie.
würde weitaus der grösste Theil des erschütterten Gebietes auf die vesükhe
Seite derselben zu liegen kommen.
Auch das Erdbeben von Klana im Karstgebirge vom i. März 1870 >) zdr/
eine durchaus einseitige Lage der meist erschütterten Zone, die als eine lii|
gestreckte von SO. — NW. gerichtete Ellipse sich darstellt Auf deren läogao
Achse lag der eigentliche Oberflächenmittelpunkt stark nach Südosten genck
so dass die stärkste Elongation des Bebens im pleistoseisteo Gebiete nach N^.
erfolgte. Die gesammte Propagadonsform ist in ihrem Verlaufe wegen de:
westlich nahe gelegenen adriatischen Küste nicht genau zu bestimmen.
Das japanische Erdbeben von Tokio vom 22. Februar 1880, über «dcb
eine ausführliche Arbeit von J. Milne vorliegt,^ scheint ebenfalls einen ab-
gesprochen lateralen Charakter besessen zu haben. Die meist erschütteite Zacc
stellt eine Ellipse von 9 Meilen Länge und 4^ Meilen Breite dar, deren laogen
Achse fast normal auf der die Städte Yeddo und Yokohama verbindenden Lioe.
also von W. — O. gelegen ist, nahe der Küste der nördlichen Kadzusa. Diese
Ellipse liegt aber zu dem Verbreitungsgebiet vollständig excentrisch, fast an do
südlichen Grenze desselben, das nach NW. zu in weiter Ausdehnung sidc-
streckt. In dieser Richtung und nach NNO. zu ist auch allenthalben die grossot
Intensität der Wirkung zu notiren gewesen.
Und so wird das genauere Studium der Erdbeben noch für eine grosses
Zahl ihren lateralen Charakter nachweisen lassen.
Uebrigens kommen auch laterale Erdbeben auf den Abhängen der Vü
kane selbst vor. Die mehr oder weniger heftigen Erschütterungen, vcIcik
im Sommer 1879 als Folge der letzten Eruption des Aetna vom 31. ^
die östlichen Abhänge des Vulkans bis an die Küste erschütterten, hatten l Th
ausgesprochen dieses Verhalten. Ein ganz besonders heftiger Stoss tiaf io ^
Nacht vom 16. zum 17. Juni die Gemeinden Acireale, Giarrei Zafierana Is^
mit heftiger Zerstörung. Das meist erschütterte Gebiet stellt eine Ellipse i:^
deren längere Achse die Stosslinie bezeichnet» welche aus denn Centralfa<B
entspringend in ostsüdöstlicher Richtung zum Meere sich fortpflanzte. In ätsc
Achse war die Bewegung so heftig und mit solcher Kraft aufstossend, da&sOK
Menschen vollkommen das Gefiihl hatten, emporgeschleudert zu werden.'^
c) Die Oberflächenwirkungen der Erdbeben sind bezüglich ihrer Intenstst
und Ausdehnung ausserordentlich verschieden. Keineswegs aber steht dx
Intensität der Wirkung im pleistoseisten Gebiete in einem bestimmten Verhalt
nisse zu der Elongation der Erschütterung.
Das Erdbeben von Lissabon vom i. Nov. 1755 war vielleicht das von de
grössten Verbreitung, bezüglich welcher überhaupt nur einigermaassen genaue Be-
richte aus jener Zeit bekannt sind. Wollte man dies*en vollen Glauben schenkea ^
würde es einen Flächenraum bewegt haben, der Europa an Grösse fast viermal übe
trifft, vielleicht den 13. Theil der Erdoberfläche nämlich 700000 geogr. oMeilfl»
Selbst wenn wir das Erschütterungsgebiet auf die Hälfte reductren, kommt docJ
diesem Erdbeben noch ein Elongationsradius von 4 — 500 geogr. Meilen .'•
Auch das durch vollständige Verheerung ganzer Ortschaften ausgczeichni:«^
pleistoseiste Gebiet besass eine grosse Ausdehnung, in Marokko gingen ^'
*) Stur, Jahrb. d. K. K. geol. Reichsanstalt 1871, pag. 231 — 65.
*) Transactions of the seisomlogical Society of Japan. Part. IL 1880, pag. i. tL
3) SiLVESTRi, Ropporto suUa doppia eruzione e i tcrremoti dell' Etna 1879. Catauüa tS;^
pag. 39.
Die Erdbeben. 351
)rtscbaften zu Grunde, Madrid und andere Orte im Binnenlande wurden noch
)ait mitgenomnien. Aber auch noch zu Brieg im Wallis geschah durch Einsturz
ron Häusern, Risse in den Mauern ai. dergl. viel Schaden. Turin bebte eben-
alls so stark, dass man seinen Einsturz befürchtete. Ganz besonders aber zeigte
ich die Propagation der Erschütterung an allen in ihrem Bereiche gelegenen
Binnenseen, so den norditalienischen, den Schweizer Seen, dem Wenem-See in
khweden und im ganzen oceanischen Gebiete bis an die Küsten von Gross-
mtannien, Pommern, Afrika und hinüber bis zu den Inseln und Küsten von
\merika.^)
Der ungeheuren Verbreitung entspricht also bei diesem Erdbeben auch die
Intensität und Ausdehnung der verheerenden Wirkungen.
Am 16. Nov. 1827 ereignete sich ein Erdbeben, dessen Oberflächenmitte zu
Bogota in Columbien gelegen war. Das Erdbeben ging von einer von Nordost
nach Südwest gerichteten Achse aus. Längs einer Linie von 70 geogr. Meilen
'rfolgten fast durchweg die zerstörendsten Wirkungen, auf dem 1 5 geogr. Meilen
angen Striche von Bogota bis Ibague soll kein Haus und keine Kirche unbe-
chädigt geblieben sein.^
Das Erdbeben vom 19. Nov. 1822 in Chile, der erste und heftigste Stoss
iner längeren Erdbebenperiode, zerstörte zum grössten Theil die Städte Val-
»aniso, Melipilla, Quiliotoa, Casablanca; nach Süden hin war Concepcion der
stferateste Punkt, wo man die Erschütterung empfand, sowie östlich von den
Mes noch zu Mendoza und S. Juan, also über 20 Breitegrade, bei einer Aus-
ielmung von N. nach S. von ca. 1 200 geogr. Meilen.^)
Auch die peruanischen Erdbeben im August 1868, eine zwei Monate um-
assende Periode, zeigten in einzelnen Stössen eine ganz ausserordentliche Aus-
lehnung. Der Stoss, der am 13. Aug. 1868 die Gegend von Arequipa und
Facna mit zerstörender Wirkung heimsuchte, pflanzte sich südlich bis Copiapo,
tordlich bis Lima und östlich bis Paz fort.
Das Erdbeben von Cutch in Ostindien, welches am 16. Juni 181 9 stattfand,
»tte einen Elongationsradius von ca. 180 geogr. Meilen, das von Nepaul vom
^^ 1833 sogar einen solchen von 250 geogr. Meilen.
Auch das japanische Erdbeben von Tokio 1880 dehnte sich über ein Gebiet
ivn ca. 120 geogr. Meilen Längserstreckung aus. Und doch ging in diesem
Falle die Wirkung im meisterschütterten Gebiete nicht über den Einsturz ohne-
hin baufälliger Mauern oder Kamine hinaus.
Das Erdbeben in den Rheinlanden vom 29. Juli 1846, eines der bedeuten-
deren für diese Gegend, besass eine pleistoseiste Zone von 6 Meilen Radius,
in welcher jedoch die Wirkungen nur im Einsturz von Schornsteinen, Herabfallen
^wi Schiefem und Ziegeln von den Dächern u. dergl. bestanden, während der
*«sserste Erschütterungskreis einen Radius von 35 geogr. Meilen und einen
Hächeninhalt von 384 geogr. D Meilen darstellt.*) Das Verhältniss der pleisto-
eisten Zone zum Erschütterungsgebiete ist daher wie i : 34.
Das mitteldeutsche Erdbeben vom 6. März 1872 besass nach Seebach*s
Berechnung eine Ausdehnung über wenigstens 3100 geogr. D Meilen. Die pleisto-
') Hopfmann, 1. c. pag. 397.
*) V. Hopf, Chronik II. pag. 273.
') eod. pag. 180.
*) NöGGiRATH, Das Erdbeben ▼om Juli 1846. Bonn 1847.
334 Minenlogie, Geologie und Maeontologie.
Aber die Beziehtiiigen zu den Verhältnissen des Gebiigsbaues und zu dem
geognostischen Verhalten sind bei einer ganzen Reihe von Erdbeben doch noch in
viel bestimmterer Weise erkannt worden.
Für die Erdbeben in den Pyrenäen hatte schon Palassou^) ansdiücUich
nachgewiesen, dass dieselben ganz gewöhnlich der deutlich ausgesprochenen
Richtung der Gebirgskette von WNW.— OSO. folgen und zwar am häufigsten an
der Südseite, seltener innerhalb der Kette und auf der Nordseite. Grav^ hatte
den gleichen Nachweis für englische Erdbeben insbesondere das vom i8. Nov.
1795 erbracht, dass auch diese der Hauptstretchungslinie der englischen Gebiigs-
reihen folgen. In gleicher Weise waren andererseits, wenn auch seltener, Eid-
beben bekannt geworden, die quer über eine Gebirgskette sich fortgepflanzt hatttn.
wie z. B. das Erdbeben vom 8. Oktober 1828, welches die Apenninenkette durcb-
querte und von Voghera über die Bochetta nach Genua die Richtung nahm.
Der Begriff der longitudinalen und transversalen Erdbeben stand also schon
längst in gewissem Sinne fest; aber erst die neuere Erdbebenforschung hat diesen
Bezeichnungen einen bestimmten Sinn gegeben.
SuESS^) war es, der durch seine Untersuchungen über die Erdbeben
von Nieder-Oesterreich und jener im südlichen Italien zuerst wieder auf die grosse
Bedeutung der Stosslinien bei den Erdbeben aufmerksam machte. Er wiess nach,
dass die niederösterreichischen Erdbeben immer gewissen Richtungen folgen, wdcbe
SuESs Erdbebenlinien nennt Diese verlauten entweder quer durch die Alpen
resp. ihre Ausläufer, das heisst sie stehen normal auf der Streichrichtung der
Gebirgskette und sind dann als transversale Erdbebenlinien zu bezeichnen, oder
sie sind der Streichrichtung parallel gerichtet und werden dann longitudinal ge-
nannt.
Im weiteren Verlauf der Erdbebenerforschung hat sich dann immer mehr
ergeben, dass diese Krdbebenlinien, die z. Th. auch mit dem zusammei»-
fallen, was wir im Vorhergehenden Erdbebenachsen genannt haben, nach Ufr
und Verlauf direkt auf solche Spalten oder Klüfte verweisen, längs deren in der
Gebirgen nachweislich mehr oder weniger bedeutende Verschiebungen, Bewegiui|;eß
Berstungen und Zerreissungen stattgefunden haben.
Eine solche Linie ist die Erschütterungsachse der niederösterreichischen Erd-
beben vom 3. Januar 1873, vom 12 Juni 1875 ^^^ älterer Beben von 1590 und
1768. Sie geht von Brunn am Steinfelde in der Nähe von Wiener-Neustadt aus
und verläuft über Altlengbach nach Hom, der Furche des Kampflusses folgend.
SuESS bezeichnet diese daher auch als die Kamplinte. Da sie die Ausläufer der
Alpen durchquert, ist sie eine transversale Linie, die gleichwohl tief in das
böhmische Massiv hineingreift^)
Einen ähnlichen Verlauf hat auch die ebenfalls transversale Achse des vorhin
schon einmal angeführten Erdbebens von Sillein an der oberen Waag; dieselbe
greift quer über die westlichen Karpathen bis nach Breslau hinüber.
Mit der vorhin genannten Kamplinie kreuzt sich in der Nähe von Wiener
Neustadt eine andere, die am östlichen Rande der Alpen von Gloggnitz bis Wien
gezogen werden kann und durch eine grössere Zahl von Erschütterungen, dereo
Achse in dieselbe fallen, charakterisirt ist. Zahlreiche Thermalquellen, die ibrem
^) Laonh, Taschenbuch iSaa, pag. 90.
^ GOBBRT'f AnnaL IV., pag. 59.
3) Denkichr. d. A. d. W. Wien 1873 u. 1873.
*) TouLA, 1. e. pag. 56.
Die Erdbeben. 333
n anderes Erdbeben bei einer so grossen Erschütteningsfläche ein gleich enge
ngrenztes Zerstöningsgebiet darbieten möge. Den Schluss, den jener Forscher
)er daraus ziehen zu dürfen glaubt, dass das erregende Centrum für dieses Erd-
^ben in nicht sehr grosser Tiefe gelegen habe, können wir nach unseren Er-
teningen pag. 312 durchaus nicht als zutreffend erachten. Eine geringe Tiefe
ärde nur aus grosser Zerstörung und kleiner Propagation oder wenigstens aus
nem richtigen Verhältnisse pleistoseister Wirkung und Gesammtoberfläche sich
Igern lassen.
Ein sprechendes Beispiel dieser Art liegt aus der jüngsten Vergangenheit
dem Erdbeben von Ischia vor, das am 4. März 188 1 um i Uhr 5 Min. Nach-
ittags Casamicdola in Trümmer warf und viele Menschen tödtete. Die Zone
et grössten Zerstörung stellt eine Ellipse dar, die kaum eine D Meile Ober-
«be umfasst, die Erschütterung überhaupt aber hat sich nur sehr wenig ausser-
aib der Insel fortgepflanzt, so dass auch die Erschütterungsfläche im Ganzen
s eine sehr geringe ist. In dem nahe gelegenen Neapel wurde sie nirgendwo
ehr gespürt. Das ist also der Charakter des Erdbebens von Ischia : ganz ausser-
wohnlich grosse Intensität bei einer auffallend geringen oberflächlichen Propa-
ttion. Daraus muss eine sehr geringe Tiefe des erregenden Ortes geschlossen
Jiden.i)
Die Beachtung dieser Verhältnisse für alle ferneren Erdbeben und die Ver-
dchung mit solchen, die durch gute Beobachtungen festgestellt sind, versprechen
och manche Aufklärung über die Genesis dieser Erscheinungen.
d) Die engen Beziehungen der Erdbebendistricte zu der orographischen und
iognostischen Gestaltung der Continente tritt schon in den älteren Schilderungen
^erkennbar hervor. ' Dass die vorzüglichen Erschütterungszonen der Erde ganz
'*wnders längs der Kettengebirge sich hinziehen, ist eine längst bekannte That-
cbe, sowie ebenso, dass sie den Bruchrändem der aus dem Meere aufragenden
isdandsmassen folgen. In diesem Sinne fallen sie auch mit den Zonen vul-
inischer Aeusserung zusammen. Die ganze Westküste von Amerika ist in dieser
insicht doppelt ausgezeichnet; dem continentalen Bruchrande folgt in nicht
iKser Entfernung ein mächtiges Kettengebirge. Die Küstendistricte Süd-Amerika's
Aören zu den meist und best erschütterten Ländern. Auch die Erdbeben in
H-Italien und Sicilien, die häufigen Erschütterungen am Süd- und Nordrande
fr Alpen, die zu Zeiten zahlreichen Erdbeben der Pyrenäen, die Erschütterungen
^ sfidl. Fusse der schottischen Hochlande oder am nördlichen Abhänge der
Kenner- und Eifelgebirgszüge gegen die Niederlande hin bestätigen alle diesen
Qsammenhang der Erdbeben mit den Grenzen der Kettengebirge gegen das
iefland oder das Meer hin, d. h. also mit den Bruchrändem, längs derer sich
fe Differenzirung in Hoch und Tief vollzogen hat.
Nur selten treten Erschütterungen dagegen in solchen Gebieten ein, wo die
^^ grosse Strecken hin tafelartige und ungestörte orographische Ausbildung,
>^stauch mit einer einfachen geologischstratigraphischen Entwicklung verbunden,
*rherrschen.
I)ie weiten Ebenen des nördlichen Europa von Nord-Deutschland durch
^Q^land bis in die Gegend des Baikalsees werden von Peschel ganz treffend
^ solche bezeichnet, in denen der tiefste Erdfriede herrscht, und auch Süd-
^^ka und Australien scheinen zu den friedfertigsten Stellen unseres Planeten
«^Technet werden zu dürfen.
'} V. Lasaulx, Das Erdbeben von Casamicdola. Zeitschrift «Humboldt« 1882. L i.
336 Mineralogie, Geologie und Palieontologie.
Erdbebenlinie als eine transversale, mit der grössteh hier bekannten Verwerioof
fast stets coincidirende, bezeichnet werden.
Für Erdbeben, deren Mittelpunkt weiter nach Westen in Belgien oderNoi^
Frankreich gelegen wäre, könnte füglich die grosse Verschiebung, die min ak
Faille du Midi bezeichnet, als Ort der Erregung gelten. Das Erdbeben vc?
1828 mag vielleicht hierhin gehören. Sonst sind Erdbeben in diesen Gebieter
überaus selten, so dass es nicht wohl möglich erscheint, eine longitudinale Sunit
Knie zu ziehen.
Eine andere weithin fortsetzende Erdbebenlinie ist dann aber weiter ösdici
jedenfalls vorhanden, die wir ihrem Verlaufe nach als die Rheinthallinie l»-
zeichnen können. Eine grosse Zahl von Erdbeben von grösserer und kleioRtt
Ausdehnung sind im Rheinthale abwärts von Bingen bis in die Gegend va
Düsseldorf in diesem Jahrhundert beobachtet worden. Die Mittelpunkte denn-
ben liegen alle ziemlich genau' oder doch sehr nahe auf einer Linie, die dorcN
die Punkte Bingen-Cleve bezeichnet wird.
Die genauer fixirten Erdbeben dieser Linie sind unter anderen:
1807, II. Sept Neuwied und Umgegend.
1807, 22. Dec. DOtseldorf und Umgegend.
1809, 2. Juli. DOsseldorf.
1812, 13. Mai. ZUlpich b. Köhi.
1823, December. Mtthlheim a. Rh.
1824, 22. December. Alfler b. Bonn.
182$, 2. Februar. Bonn.
1828, 27. Nov. Bonn.
1830, 28. Dec. Coblenx.
■834, 17. Dec. Andernach.
■837—38 mehrere Enchttnerungen um Coblenz heram.
1840, bei Obermendtg und Düsseldorf.
1841, 22. Mutz. Coblenz.
1841, Düsseldorf.
1842, 25. Mai. Bonn und Düsseldorf.
1842, 13. Oktob. Neuwied.
1845, 12. Oktob. St Goar.
18461 29. JulL Zwischen St. Goar u. Kochern.
1847, St Goar.
1853, 18. Febr. Bacherach.
1856, 6. Dec. Mehlem.
1868, 17. Nov. Bergheim.
1869, 17. Blibrz. Siegburg.
1878, 26, August Tollhausen h. Bergheim.
1881, 18. Nov. Gegend von Düsseldorf.
Diese Reihe ist keineswegs erschöpfend; die angegebenen Orte beicichiKs
jedesmal die Mittelpunkte der erschütterten, oft nur garu localen Bessit'f
numche Erdbeben hatten aber auch eine grössere Ausdehnung. I>ie gemeinsam«
Erdbebenlinie scheint aber auch schon durch die angeführten Beben hinlln^^
documentirt; das Wandern und zeitweise Zurückkehren zu denselben Blittdpun^
spricht sich ganz unverkennbar darin aus. Bezüglich des Streichens der C^^
schichten ist diese Erdbebenlinie als transversale zu bezeichnen; eine i)^ ^
sprechende, grosse Verwerfungskluft, die etwa die Bildung des Rheintluks <^
durch die Schichten hindurch in seinen ersten Anftngen bedingt hätte, i^^ ^
gnosttsch nicht nachgewiesen, wenngleich sie an und ftir sich nicht unwai»«^^
Die Erdbeben, 337
lieh ist Bemerkenswert!! erscheint noch, dass wenn man die grosse longitudinale
Verwerfung, die sog. faille du midi pag. 335, nach Osten zu sich verlängert denkt,
der Schnittpunkt derselben mit der h)T30thetischen Rh ein thalspalte in die Gegend
von Dtisseldorf-Bergheim fallt, in der ziemlich häufig Erdbeben sich ereignen.
Auch die beiden vorhin schon erwähnten (pag. 328) sächsischen Erdbeben
fallen in Gebiete, in denen die grossartigsten Verwerfungen und Verschiebungen
nachgewiesen sind. Das voigtländisch-erzgebirgische Erdbeben vom 23. Nov. 1875
bezeichnet Suess als ein longitudinales Erzgcbirgsbeben, weil seine Erschütterungs-
achse nach Nordnordost verläuft, also im Streichen des Erzgebirges liegt. i)
Von ganz besonderem Interesse sind die Untersuchungen, welche die
schweizerische Erdbebencommission an den zahlreichen in der Schweiz auftreten-
den Erderschtitterungen der Zeitperiode vom Nov. 1879 bis Ende 1880 angestellt
hat. Es fanden in diesen 14 Monaten 69 getrennte Beben statt, von denen einzelne
aus mehreren oft durch Stunden oder Tage getrennten Erschütterungen bestanden.
Neun dieser Erdbeben hatten eine grössere Ausdehnung, während die übri-
gen nur von lokaler Wirkung waren.2) Nur die ersteren gestatteten Beobachtungen,
die für die hier in Rede stehende Frage von Bedeutung sind.
Das Jurabeben bestand aus einer Reihe von Stössen, die vom 4. — 12. December
1879 dauerten. Die 3 heftigsten fielen auf den 4. und 5. December. Sie folgen
vorwiegend der Längsrichtung der Jurakette und der Stoss am 5. Dec. 2 Uhr 31 Min.
jo Sek. Nachmittags geht durch das ganze Gebirge hindurch. Die Stossrichtung
liegt gleichfalls vorherrschend im Streichen des Jura. Hiemach kann dieses Erd-
beben als ein jurassisches longitudinales Beben mit longitudinaler Stossrichtung
bezeichnet werden.
Das Erdbeben von Graubündten vom 7. Januar 1880 war ein Querbeben
mit zur Gebirgsrichtung transversal gestreckter Erschütterungszone und ebenfalls
transversaler Stossrichtung.
Das alpin-jurassische Beben vom 28. Juni 1880 bestand aus 3 getrennten an
demselben Tage sich folgenden Erderschütterungen. Deutlich Hess sich ein
inneres oval umgrenztes Gebiet erkennen, in welchem die Intensität am stärksten
war. Die iJlngsachse desselben war der Jurakette parallel gerichtet. Das ge-
sammte erschütterte Oberflächengebiet zeigt eine ähnliche Streckung; die Längs-
achse desselben mass ca. 65 Kilometer und war ebenfalls der Streichrichtung
von Alpen und Jura parallel. Dagegen wurden die Stossrichtungen überwiegend
transversal empfunden. Es ist dieses sonach ein Longitudinalbeben am Südrande
des Jura mit transversaler Stossrichtung.
Das Schweizerbeben vom 4. Juli 1880 durchsetzte quer die Alpen. Es war sonach
ein Transversalbeben. Auf weite Strecken wurde der Anfang der Erschütterung
gleichzeitig verspürt, daher deutlich axial. Ein von einem Centrum ausgehendes
radiales Ausstrahlen der Bewegung konnte daher auch nicht beobachtet werden.
Es sind sonach bei den Schweizer Erdbeben zu unterscheiden.
1. Longitudinale Beben (das erschütterte Gebiet bildet eine dem Streichen
parallel gestreckte Zone) mit longitudinaler Stossrichtung. (Die Richt-
tung des Stosses wird überwiegend parallel zum Streichen wahrgenommen).
2. Longitudinale Beben mit transversaler Stossrichtung.
3. Transversale Beben mit longitudinaler und
4. Transversale Beben mit transversaler Stossrichtung.
*) TouLA, 1. c. pag. 60.
^ A. Heim, Ausland 1882. No. 4.
IC«ci«yG</TT, Min., Geol. u. Pal. I. 22
33^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Während sich ein Theil der Erscheinungen durch die pag. 307 und 317 gege-
benen theoretischen Betrachtungen über die Stellung der Achse eines Erdbebens
zum Schichtenbau auch bei der Annahme einer grösstentheils nur durch elastische
Fortpflanzung geschehenen Verbreitung wohl erklären lässt, sind doch vornehm-
lich die Erdbeben der i. und 4. Art, d. h. solche, bei denen die Stossrichtung
der axialen Streckung parallel gerichtet ist, ohne Zweifel noch durch andere
Umstände bedingt Hier ist der überwiegende Einfluss, den die Achse der Er-
schütterung auf die Stossrichtung ausübt, ein solcher, dass Heim mit Recht darin
eine direkte Abbildung der Gestalt des Stossherdes erblickt und daher eine
primäre, nicht durch gewöhnliche Fortpflanzung bewirkte Ausdehnung eines
Bebens, neben der meist in geringerem Maasse eintretenden secundären, bloss
elastischen Fortpflanzung annehmen zu müssen glaubt.
Denken wir uns beispielsweise eine schmale, langgestreckte 2k>ne der Erd-
rinde auf irgend eine Weise in einer Richtung schiebend bewegt, so würde durch
diese Bewegung fast ausschliesslich eine solche primäre Erschütterungswirkung
hervorgebracht werden. Nur von den Rändern der bewegten Zone aus würden
untergeordnet auch elastische Erregungen ausgehen.
Wird demnach durch eine transversale Verschiebung ein Stoss bewirkt, so
liegt die primäre Erschütterung ebenfalls quer zur Schichtung, während die von
hier aus fortgepflanzte Bewegung in der Streichrichtung der Schichten und
Gebirgsfalten verläuft.
Uebrigens hat man nun auch schon an aussereuropäischen Erdbeben ähnliche
Beziehungen erkannt. Wynne hat in einem Bericht über das Erdbeben im
Pendschab am 2. März 1878 die Gleichzeitigkeit des Auftretens der Erschütterung
auf weite Strecken hin nachgewiesen und daraus den Schluss gezogen, dass die
Schwingungen längs einer ausgedehnten Linie ihren Anfang genommen hätten.'*
Für das Erdbeben von Tokio vom 22. Febr. 1880, das vorhin (pag. 330)
schon einmal angeftlhrt und als laterales Beben bezeichnet wurde, glaubt Masi
den Ursprung in eine neu gebildete Spalte verlegen zu sollen, welche von Ost
nach West parallel der Hügelkette ihren Verlauf nehme, die Kadzusa und Awa
durchzieht. Diese Spalte würde darnach auch parallel gestellt sein zu den zahl-
reichen in diesem Gebiete auftretenden Verwerfungen. Da die Stossrichtung eine
vorherrschend nach N. gerichtete war, so würde hiemach ein longitudinales Beben
mit transversaler Stossrichtung vorliegen. Die eigenthümlicheForm des erschütterten
Gebietes und auch das doch theilweise beobachtete Auseinandergehen der Stoss-
richtung in zwei auf einander normalen Richtungen, wie es in der von Milke
entworfenen Karte hervortritt, würde flir dieses Erdbeben fast den Gedanken
nahelegen, dass es ein combinirtes gewesen, d. h. dass gleichzeitig eine longi-
tudinale und eine transversale Spalte als erregender Herd anzusehen seien.
Dass auch solche Fälle in Wirklichkeit vorkommen und dass sonach dis
Schema, nach welchem die Erdbeben rubricirt werden können, noch ein an
Gliedern reicheres wird, als es oben für die Schweizer Beben aufgestellt wurde,
ist ganz gewiss. Um so bedeutungsvoller aber wird die genaue und in alle Detaib
mit der grössten Sorgfalt eindringende Untersuchung einzelner Erdbeben au'
Grund möglichst umfassender statistischer Erhebungen. Erst dann wird es mög-
lich werden, die gewonnenen Resultate zusammenfassend, ein System der Erd-
beben aufzustellen.
^) TouLA, 1. c. pag. 61.
t)ie Erdbeben. ^3^
Vor Allem ist hierbei die voreilige Verallgemeinerung der bisher immer nur
vereinzelt vorliegenden, wirklich exact und mit ausreichendem statistischem Mate-
rial begründeten Ergebnisse der Erdbebenerforschung zu vermeiden. Durch den
unzweifelhaft erkannten Zusammenhang vieler Erdbeben mit gewissen zum Gebirgs-
!>au in Beziehung stehenden Linien, wie er im Vorhergehenden an einer Reihe
von Beispielen dargethan wurde, ist man veranlasst worden, nun auch aus nur
lückenhaft, keineswegs sicher begründeten Beziehungen Erdbebenlinien zu con-
stTuiren und ist darin gewiss zu weit gegangen. Das dürfte z. B, ganz besonders
von einzelnen der zahlreichen Erdbebenlinien gelten, welche Höfer ^) quer durch
die Alpen und die österreichischen Länder hindurch zieht und mit erstaunlicher
Kühnheit auf weite Strecken hin verlängert, wo nur einmal erregte Gegenden
für solche von irgend einem anderen erschütterten Gebiete ausgehende Linien
Schnittpunkte darbieten. So werden Linien, welche z. Th. in der That beob-
achteten Verhältnissen entsprechen, in ihrem weiteren Verlaufe zu rein willkür-
lichen Constructionen. Die Laibacher Nordweststosslinie ist wohl be-
gründet und lässt sich auch im Schichtenbau der dinarischen Gebirgsfalten einiger-
maassen wahrscheinlich machen. Wenn aber nun daraus eine Erdbebenlinie
Laibach -Co In construirt wird, so fehlt für deren seismische Continuität noch
jeder Beweis, sie ist einstweilen eine blosse Luftlinie.
So stehen denn auch über Zulässigkeit eines grossen Theiles der Erdbeben-
linien, auch wenn sie nicht gerade so weit über den Boden der Beobachtung
hinausgreifen, die österreichischen Geologen untereinander noch sehr im Wider-
spruch. Dieselben scheinen in der That um so mehr eine noch exactere Be-
gründung zu erheischen, als die Theorie, auf welcher vorzüglich die Annahme
eines Theiles dieser Erdbebenlinien beruht, die Theorie einer stauenden Kraft,
welche innerhalb der östlichen Alpen im Allgemeinen von Süd nach Nord ge-
richtet und jetzt noch thätig sei, wonach also ein in diesem Sinne gerichteter
einseitiger Schub den Gebirgsbau der Alpen bedingt habe, durch die neuesten
Ergebnisse der geologischen Kartirungsarbeiten in den südlichen Alpen einst-
weilen keineswegs eine sichere Begründung findet.
Aber das eine Hoch bedeutsame für die Erdbebenlehre steht doch fest, dass
für viele Beben der Herd mit erkannten und nachweisbaren Spalten im Ge-
birgsbaue zusammenfallt
Bei andern Erdbeben ist dieses thatsächlich nicht nachgewiesen. Für die
Erdbeben von Gross-Gerau, lokale Erschütterungen in den norddeutschen Tief-
landen z. B. der Lüneburger Heide und der Gegend von Stassfurt, für viele
kleineren Erdbeben der Schweiz, für das vorhin erwähnte Erdbeben von Ischia
u. a. treten dagegen andere Beziehungen zu Tage.
Für diese liegt der Ausgangspunkt der Erschütterung in Gebieten, die aus
leichtlöslichen Gesteinen bestehen, in denen die Bildung von Hohlräumen durch
Auslaugung und Auswaschung durchaus plausibel erscheint. Der Zusammenbruch
sdcher, eine Zeitlang sich tragender unterirdischer Gewölbe, der entweder mit
plötzlicher Senkung oder mit allmählichem stossweise erfolgendem Zusammen-
rutschen erfolgen kann, ist die erregende Ursache flir Erdbeben. Volger hat
wohl zuerst die Möglichkeit der Bildung solcher unterirdischer Hohlräume für
gewisse Gebiete nachgewiesen.«) Allerdings hatte schon vor ihm G. Bischoff,
') Denkschrift d. k. k. Akad. d. Wissensch. 1880.
*) Untersachungen tiber das Phänomen der Erdbeben in der Schweiz, 3 Bände, Gotha 1856,
und Erde und Ewigkeit. Frankfurt 1857, pag. 260.
22*
34^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
die Auflösung und Fortführung von Gyps u. a. leichtlöslichen Gesteinen, wo-
durch die Unterlage ganzer Schichten weggewaschen werden kann, als Ursache
von Senkungen und Einstürzen hervorgehoben. i)
Für die Soolen des Lüneburger Steinsalzgebirges rechnet man aus, dass diese
pro Jahr etwa eine Million Centner Kochsalz dem Boden entführen, dass es ab«»
nicht Wunder nehmen könne, dass dort Erdfalle , Senkungen von Gebäu-
den u. dergl. nichts seltenes sind.
In ähnlicher Weise lassen sich für die Quellen, welche vornehmlich an ver-
schiedenen Stellen aus den Gebirgen hervorbrechen, welche das Becken »os
Mainz umsäumen, die Quellen von Nauheim, Homburg, Wiesbaden, Krcu-
nach u. a. die ungeheure Menge gelöster Bestandtheile berechnen, die deni
Boden mit dem Wasser entsteigen und sonach die Bildung von grossen Hohl
räumen in nicht allzugrosser Tiefe unter der Oberfläche wenigstens wahrschein-
lich machen. Besonders für die Schweiz, für welche Volger über zwölfhunder
Erdbeben notirte und Nachrichten darüber sammelte, glaubte er auf das B<>
stimmteste zu erkennen, dass erstens gewisse Gegenden vorzugsweise Erdbeben
in ihrem Schoosse erzeugen und dass an solchen diese Ereignisse von Zeit m
Zeit sich wiederholen. Zweitens, dass diese Oertlichkeiten sämmtlich den Gebieten
angehören, deren Schichtenbau vorzugsweise reich ist an Kalk- und Gjps^
gesteinen, während dagegen die Gebiete, welchen derartige auflöslichere Schichter
mangeln, nur selten Erderschütterungen erleiden und meistens nachweblich nur
von jenen gewohnheitsmässigen Stossgebieten aus in Mitleidenschaft gezogen
worden sind.
Die Grösse der Auflösung illustrirt er durch das Beispiel der Lorenz-Quelle
des Lenker Bades, diQ in einem Jahre über 200 Cubikmeter Gyps in Lösung 2u
Tage bringt und in der Zeit von 600 Jahren einen Hohlraum in die Gebirge
auszulaugen vermöge, der etwa bei einem Fuss Höhe eine Ausdehnung ^on
r^ Quadratmeile besitze. Da die über demselben lagernde Gebirgsmasse einen
ganz gewaltigen Druck ausübt, so sei es daher begreiflich, wenn in Wallis \on
Zeit zu Zeit Erdbeben sich ereignen, bald geringere, bald mächtigere. Neben
der einen Quelle laugen aber noch 19 andere die unterirdischen Gypslager aus.*'
Die Möglichkeit grossartiger Einstürze erhält in den Alpen aber auch durch
andere Beobachtungen noch neue Stützen. Für den am Fusse der Zugspit/e
gelegenen Alpensee hat A. Penk die überzeugenden Beweise erlangt, dass er
ein Einsturzbecken sei. Ohne Zweifel werden bei genauerer Detailerforschun;
ähnliche Thatsachen sich mehren.
Auch auf Ischia, das ebenfalls häuflg von Erdbeben heimgesucht wird» die
in gar keiner nachweislichen Beziehung stehen zu dem vulkanischen Centnic!
dieser Insel, dem M. Epomeo, liegen ähnliche Verhältnisse vor. Der Boden der
Insel besteht in einiger Tiefe aus starken Schichten thonigen Meigels der sog
Greta, einer nachtertiären Bildung, unter welcher die tertiären Kalksteine zu er-
warten sind, die wir im nahen Capri und anderswo aufragen sehen. Gerade an
ihnen zeigen sich aber auch die deutlichsten Anzeichen tiefgehender Auflösung
Die höhlenreichen Wände von Capri und die grotesk zerfressenen Felsen sind
dafür allbekannte Belege.
Sind aber einerseits leicht lösliche Gesteine als Basis von Ischta an/u
nehmen, so fehlen andererseits nicht die intensivsten Agentien zur Auslaugun^
1) Geologie. I. Aufl. Bd. I, pag. $42.
*) ToULA, 1. c. pag. 47.
Die Erdbeben.
341
Fast 20 heisse Quellen treten an verschiedenen Stellen der Insel zu Tage,
alle mehr oder weniger reichlich beladen mit aufgelösten Salzen. Die Quelle
von S. Restituta enthält in 100 Kubikzoll Wasser sogar 27,7 Gramm fester Be-
standtheile.i) Wenn also in einer Stunde nur 100 Kubikmeter Wasser aus dieser
Quelle entströmen, würden sie stündlich 77 Kilo aufgelöster Bestandtheile aus
der Tiefe emporbringen; zehntausend Kubikmeter Wasser also schon die an-
sehnliche Menge von 7700 Kilo oder 38^ Centner.")
Auch für Ischia liegt also wie für manche Beben der Schweiz die Coinci-
(lenz des Stossgebietes mit solchen Schichten vor, in denen der Zusammenbruch
von gebildeten Höhlungen nicht unwahrscheinlich ist
O. Fraas bringt auch die oft sehr verheerenden Erdbeben im Jordanthale
in Beziehung zu den zahlreichen Höhlen im Gebirge Juda, Ephraim und längs
des Flusslaufes.^
Auch das von Höhlen unterminirte Hochplateau des Karst wird häufig von
lokalisirten Erschütterungen heimgesucht.
Endlich aber ist für zahlreiche Beben, allerdings meist von geringerer In-
tensität und Verbreitung auch das erschütterte Gebiet in der nächsten Umgebung
eines thätigen Vulkanes gelegen, meist in concentrischen Zonen denselben um-
spannend und zeitlich zusammentreffend mit gewissen Erscheinungen einer vul-
kanischen Eruption. Der Umstand, der immer in erster Linie nachgewiesen sem
muss, dass der Mittel- und Ausgangspunkt der Erschütterung auch in das Centrum
der vulkanischen Action, den Schlot des Vulkanes selbst falle, ist dann häufig
unzweifelhaft festzustellen.
Da es Erdbeben giebt, in deren Bereich vulkanische Kegel liegen, ohne
dass sie in irgend einem direkten Zusammenhang mit jenen erscheinen; so ist
der ganz bestimmte Nachweis des gemeinschaftlichen Herdes durchaus unerläss-
Hch. Am Aetna werden häufig Erschütterungen beobachtet, deren Centrum im
Val di Noto gelegen ist; hier fehlt der centrale Connex, wenngleich das er-
schütterte Gebiet sich über die Flanken des Vulkanes erstreckt.
e) Nur von einer kleinen Zahl von Erdbeben liegen bis jetzt Beobachtungen
und Berechnungen über die Emergenz der Bewegung und die Tiefe des erregen-
den Herdes vor.
In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten derselben zugleich mit den
fiir sie berechneten Fortpflanzungsgeschwindigkeiten zusammengestellt.
Tiefe in Meter
Fortpflanzungs-
geschwindigkeit
Minim.
Mittel.
Maxim.
i. d. Min.
i.d.S<K:.
gtogr.M.
Meter.
1- Rhein. Erdbeben 29. Juli 1846 (Schmidt) . .
38806
4.59
567,6
2. Ncapolit. Erdbeben 15. Der. 1857, (Mallet)
$102
9275
15037
2,1
359,7
3. Erdbeben von Sillein 15. Jan. 1858 (Schmidt) .
26266
1,66
206
4' Mitteldeutsch. Erdbeben v. 6. März 1872 (v. Seebach)
14394
17956
21592
6
742
S- Erdbeben v. Herzogenrath 22. Okt 1873 (y- Lasaulx)
5045
11130
17214
2,67
360,2
6. Erdbeben v. Herzogenrath 24. Juni 1 8 7 7 (v. Lasaui Jc)
27113
3.8s
474,83
7. Westdeutsches Erdbeben vom 26. August 1878
(v. Lasaulx u. Schumacher)
8880
2,45
302,16
') C. W. C. Fuchs, Die Insel Ischia. Tschennaks Mitteilungen 1872, pag. 199 ff.
*) V. Lasaulx, Das Erdbeben von Ischia. Humboldt 1882. Heft I. 1.
*) Aus dem Orient Stuttgart 1867, pag. 78.
342 Mineialogie, Geologie und Palaeontologie.
Die angeführten Werthe sind nach den im theoretischen Theile erörterten
Methoden gefunden worden. Aus der Emergenz direkt sind die Werthe für die
Tiefe unter 2 und 4 bestimmt, die Werthe 5 — 7 nach der Methode der Zeitan-
gaben (pag. 308). Freilich gestattet diese nur dann eine Anwendung, wenn di&
Eidbeben ein centrales gewesen. Bei den unter 5—7 angeführten war dieses
in der That mehr oder weniger zutreffend; denn sowohl aus der Propagations-
form, aus den zahlreichen Richtungsangaben als auch der mit der allergrösster
Sorgfalt vorgenommenen Construction der gleichzeitig erschütterten Homoseisten,
die ganz besonders bei dem westdeutschen Erdbeben vom 26. August 1878 mit
auffallender und keinenfalls irgendwie anders zu deutender Regelmässigkeit al^
Kreise sich ergaben, folgte der centrale Charakter dieser Erdbeben. Es kann
daher eine gewisse Bedeutung diesen Werthen unter keinen Umstanden abge-
sprochen werden.
Für das letztgenannte Erdbeben ist zudem der angegebene Tiefenwerth noc!
durch eine trefflich begründete Angabe über die direkt beobachtete Emergenz
des Stosses unterstützt. Herr Prof. Dr. Luther, Director der Sternwarte z
Düsseldorf, giebt an, dass der Tiefenwinkel' der Erschütterung unter dem Hoiizos!
höchstens 10° betragen habe. Berechnet man hieraus nach der pag. 308 g^
gebenen Formel, indem 2?= 5 und ^=10 gesetzt wird, den Werth für h so er-
hält man 0,9 geogr. Meilen oder 4560 Meter; ein Maximal werth für die TietV
des Erregungsortes, der mit dem oben unter '7 angegebenen nach Seebach^
Methode berechneten doch ausserordentlich nahe übereinstimmt; dieser Ictztert
Werth setzt einen Emersionswinkel für Düsseldorf von 13^ voraus. Wäre dit
Tiefe h des Erregungsortes 5 Meilen gewesen, so hätte die Emergenz in Diis^el-
dorf schon 45° betragen.
Bei einem am 4. October 1870 zu Catania beobachteten Erdbeben schätzte
v. Lasaulx den Emersionswinkel des ilamals ebenfalls auffallend flach austretender
undulatorischeii Stosses auf höchstens 15°. Die späteren Feststellungen uicr
das Erdbeben ergaben, dass der Mittelpunkt desselben in der Nähe von Mine»
gelegen habe, welches von Catania in gerader Linie ca. 45 Kilometer entfeir:
liegt. Hiernach würde die Tiefe 12000 Meter (abgerundet) betragen haben.
Für das oben (pag. 330) angeführte Erdbeben von Tokio in Japan vuar
22. Februar 1880 giebt Milne an, dass der Winkel, unter dem die Beweg'ir.^
zu Yokohama austrat, etwa zwischen 10 — 18° gelegen habe, das würde für der
erregenden Ort eine Tiefe von 4500 bis höchstens 8800 Meter ergeben.
Nun kann man nach den pag. 313 angestellten theoretischen Betrachtunger
aber noch aus anderen Verhältnissen auf die geringe Tiefe des Herdes schlies^n
Die grosse Intensität der Wirkungen an der Oberfläche im Gegensatze z^
dem so überaus beschränkten Verbreitungsgebiete machen z. B. für das Erdbetw:!
vom 4. März 1881 auf Ischia eine ausserordentlich geringe Tiefe wahrscheinlich,
die vielleicht kaum 1000 Meter betragen möchte.^) In der gleichen Weise finde
ein solcher Schluss Anwendung auf die Erdbeben von 1783 in Calabrien.
Unzweifelhaft ergiebt sich aber auch aus allen jenen Beobachtungen nothwenuiv
eine nicht allzubedeutende Tiefe der erregenden Stelle, die in der obcrflächHcher
Propagation noch deutliche Anzeigen von der Gestalt des Herdes erkcnner.
lassen, die darin also gewissermaassen ein Abbild des letzteren conservircn. Denn
je tiefer der erregende Ort liegt, um so weniger erscheint es möglieb, dass di;
*) V. Lasaulx, L c.
Die Erdbeben. 343
primäre Stosswirkung unmittelbar an der Oberfläche zum Ausdruck kommt.
Durch die nothwendig hinzutretende elastische Fortpflanzung wird die Gestalt
des Herdes mehr und mehr verwischt werden.
Nach allen bisher an Erdbeben gemachten Beobachtungen kann das als das
übereinstimmende Resultat bezeichnet werden, dass alle Erderschütterungen
nach Ursache und Verlauf rein peripherische Erscheinungen des
Erdkörpers sind, dass ihr Sitz nur inGesteinenundSchichtensystemen
gelegen ist, die wir in ihren aufragenden und emporgefalteten Theilen
auch an der Erdoberfläche kennen.
f) Die Schallphänomene sind fast bei allen Erdbeben beobachtet worden und
wenn auch die Art derselben manchmal recht verschieden angegeben wird, so
ist doch überwiegend der Vergleich mit solchen Geräuschen, die auch an der
Erdoberfläche in Begleitung von erschütternden Vorgängen wahrgenommen
werden. Man bezeichnet es als donnerähnliches Rollen, als dumpfes Poltern,
ähnlich dem Rasseln eines schwer beladenen Lastwagens, der über Steinpflaster
dahinfahrtr Viele Wahrnehmungen sprechen dafür, dass auch die Stärke dieses
Schalles in geradem Verhältnisse steht zu der Stärke der Erschütterung, die es
begleitet. In allen an Erdbeben reichen Ländern ist es bekannt: die Italiener
nennen es rombo, in Süd-Amerika heisst es bramido, bei den Slowaken im Ge-
biete des Neutragebirges: Hucene.
An vielen Orten wird ein solches Geräusch auch ohne wahrnehmbare Er-
schütterung vernommen, so auf der Hochebene von Quito, in Mexico u. a.*)
Ein merkwürdiges Beispiel dieser Art waren die kanonenschussähnlichen Donner,
die im März 1822 an der dalmatischen Küste und auf den Inseln gehört wurden
und mehrere Jahre andauerten. Nur einige waren mit schwachen Erdstössen
verbunden.
In allen Fällen aber scheint dieses Geräusch die im vorhergehenden pag. 318
gemachten theoretischen Voraussetzungen zu bestätigen. Seinem Auftreten ist
bei der ferneren Beobachtung von Erdbeben ebenfalls eine grössere Aufmerksam-
keit zuzuwenden.
g) Ueber die in Begleitung von Erdbeben sich ereignenden Erdbebenfluthen
der Meere liegen ebenfalls schon ältere Beobachtungen vor. Während der mit
der Eruption des Monte nuovo bei Puzzuoli, am 27. Sept. 1538 verbundenen
Erdbeben zog sich das Meer soweit zurück, dass fast der ganze Golf von Bajä
trocken lag.
So erhob sich auch, etwa eine Stunde nach den ersten heftigen Stössen des
Erdbebens von Lissabon, das Meer plötzlich vor den Mündungen des Tajo, stieg
sehr rasch bis zu 12 Meter Höhe über den höchsten Fluthstand, stürzte sich in
die Strassen der Stadt und verursachte dort grosse Verwüstungen. Ebenso schnell
stürzte diese Fluthwoge wieder zurück, und noch drei bis vier Mal folgte ein
verheerendes Hin- und Herwogen. An zahlreichen Küstenstellen des Atlantischen
Oceans wurde dieselbe Erscheinung mehr oder weniger heftig beobachtet, so
namentlich bei Cadix, auf Madeira, den Azorischen Inseln, in Grossbritannien
und sogar auf den kleinen Antillen. Auf Barbados schwoll das Meer bis zu
6 Meter über seinen Mittelstand, auf Madeira fluthete es vier bis fünf Mal zu
4 Meter Höhe empor, an den Küsten von Comwall noch zu 2 — 3 Meter.')
*) Humboldt, Relat. hist. IL 289.
*) V. Hoff, Gesch. d. Verändeningen. Bd. IL, pag. 376.
344 Mmeralogie, Geologie und Palaeontologie.
Bei dem Erdbeben, welches am 20. Februar 1836 Chile fiirchterbch bem>
suchte und Valdivia und Conception zerstörte, zog sich das Meer zuerst zurück
und stürzte dann mit gewaltiger Hochfluth in die Küstengebiete.
Aehnliche Beispiele sind noch mehrere bekannt, aber erst die neueren Er-
scheinungen dieser Art eingehender studirt und in ihrem Verlaufe festgestellt
worden.
Das Erdbeben vom 13. August 1868, welches an der Westküste von Süd
Amerika erfolgte,, hat im pacifischen Ocean ein solches Fluthphänomen veran-
lasst, das sich über die ganze Oberfläche dieses ungeheuren Meeres, das fast
^ der gesammten Erdoberfläche einnimmt, ausdehnte.
V. HocHSTETTER hat diesen Vorgang näher untersucht und geschildert unc
dabei interessante Resultate erhalten.^)
Das Erdbeben erstreckte sich über ungefähr 14 Breitengrade und hatte so-
mit eine Elongation von ca. 100 geogr. Meilen (210 Meilen Durchmesser). Mit
der grössten Intensität wirkten die Stösse im Gebiete der unglücklichen Städte
Islay, Arequipa, Tracna, Arica und Iquique, welche in Schutthaufen 'verwandeh
wurden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass das Gebiet, welches diese Städte
umfasst, als das Abbild des Stossherdes gelten kann. Es ist das Erdbeben eic
axial-longitudinales (auf die Anden bezogen) aber mit transversaler Stossrichtimc
gewesen.
Die von der Achse des Bebens, deren Mitte etwa bei Arica gelegen ^-ar.
ausgehende Bewegung war Veranlassung zur Bildung concentrischer Wdlen-
kreise, die sich nach allen Richtungen gegen S. u. N. und ebenso gegen W. b>
zu den Küsten von Neuseeland, Australien und Japan fortpflanzten. Jede de-
3 Schwingungen des Erdbebens war mit einer Flutiiwoge verbunden.
Die Welle hatte in den verschiedenen Richtungen verschiedene Geschwind!;
keit der Fortbewegung. Folgende Tabelle zeigt deren genauere Werthe:
Weg der WeBe.
Von Aiica bis Valdivia .
„ „ bis New-Castie
„ „ nach den Chatsuninseln
„ f, nach der Insel Oparo 144^17 w. L.
tt. 27*40 s. Br.
M „ bis Honoluln
Entfieniung
*
der
Reise.
Gescfairiad-«k»
per StnB-ie r
Scenieiki: •
1420
5* 0«
284
7380
16* 2-
3«9
5520
l$* 19*»
360
4057
II*I1"«
362
5580 '
12*37«
44^
Die verschiedene Geschwindigkeit in den einzelnen Richtungen erklärt >-»"
aus den verschiedenen Meerestiefen, da die ganze Wassermasse an dersclU'
Theil nahm, nicht nur die Oberfläche, wie bei den Windw*ellen.
So stimmt denn auch die verschiedene Geschwindigkeit dieser Erdbebenfi'.tr
welle mit der Mondfluthwelle überein, die aus einer ganz ähnlichen Bewepn;
besteht. So braucht z. B. die Erdbebenwelle bis nach New-Casde, Samoa-Inselr
16* 2-, die Mondfluthwelle 16*; bis nach Honolulu 12*37, die Mondwelle ij*
Auch das Erdbeben von Simoda-Japan vom 23. December 1854 hatte schor
älmliche Resultate ergeben. Eine gewahige Woge überschwemmte dabei di>
I-and und kam nach 12^ Stunden an der caHfomischen Küste an. die 4810 See
h Sitiungsber. d. Kaiser!. ,^kad. d. \Viss. 1S6S Not. u. 1869 So. 4.
*) 4 Seemeilen = i gei>gT. Meile = 7420 Meter.
Die Erdbeben. 345
meilen entfernt ist; sie hatte demnach 360 Seemeilen in der Stunde zurück-
gelegt.!)
Aehnliche Ergebnisse lieferte die Untersuchung von E. Geinitz*^ an der
Fluthwelle, die im pacifischen Ocean durch das Erdbeben von Iquique am
9. Mai 1877 erregt wurde. Auch bei dieser Gelegenheit waren die durch das
wenige Minuten nach dem Erdbeben mit 20 Meter hohen Wellen erfolgende
Hereinbrechen des Meeres verursachten Zerstörungen und Verwüstungen furcht-
barer, als die durch das Erdbeben selbst angestifteten. Die von Hochstetter
gefundene Geschwindigkeits-Uebereinstimmung mit der Fluthwelle der Gezeiten
wurde bestätigt. Dieselbe ist von der Meerestiefe abhängig und variirt zwischen
165 Meter und 220 Meter pro Secunde. Auch in diesem Falle war, wie bei dem
Erdbeben vom 13. August 1868, zuerst eine gegen das Land eindringende Fluth-
welle beobachtet worden.
h i) Schon Humboldt that den Ausspruch, dass fast immerdar an irgend
einem Punkte die Erde erbebt; wie gross die Zahl der Erderschütterungen über-
haupt ist, geht aus den verschiedenen Zusammenstellungen hervor, die für
einzelne Zeiträume und Länder alle überhaupt beobachteten Erdbeben registriren.
In der Zeit von 7 Jahren 1850 — 57 ereigneten sich nach Dr. K. E. Kluce's Zu-
sammenstellung nicht weniger als 4620 Erderschütterungen, also fast zwei auf
den Tag.')
Aus solchen statistischen Erdbebentabellen haben sich dann aber auch
andere Beziehungen ergeben. Von den Erdbeben, die Kluge zusammenstellte,
sind 3818 auf der nördlichen, 802 auf der südlichen Erdhalbkugel verspürt worden.
Der Grund dieses auffallenden Unterschiedes liegt gewiss nur darin, dass ein
grosser Theil zumal der unbedeutenderen Erschütterungen der südl. Hemisphäre
nicht notirt wurden. Denn sonst sind ja besonders erdbebenreiche Gegenden
z. Th. gerade in dieser gelegen.
Kluge's Zusammenstellung bestätigte auch die schon von v. Hoff ge-
fundene Beziehung, wonach die Erdbeben zahlreicher in den VVintermonaten
Oktober bis März, als in den Sommermonaten von April bis September sich er-
eignen.
Die von v. Hoff für den zehnjährigen Zeitraum von 182 1 — 31 in dem nörd-
lich der Alpen gelegenem Theile Europa's aufgezeichneten Erdbeben 4) vertheilen
sich: für Herbst und Winter 77, für Frühling und Sommer 38, also für die Monate
Oktober bis März doppelt so viele als für die übrigen.
Nach Kluge stellt sich folgendes Verhältniss heraus:
Oktober-Märt April-Sept.
auf der nördl. Halbkugel 948 862
auf der südl. Halbkugel 337 300.
Dasselbe Ergebniss liefert auch der Erdbeben-Katalog von Rob. Mallet,*)
welcher die Erdbeben von 1606 — 1858 umfasst.
Merian hat alle Erdbeben zusammengestellt, die in Basel bis zum Jahre 1836
*) Fuchs, Erdbeben, pag. 169.
*) Petermann's geogr. Mitth. 1877, pag. 454.
^ Dr. K. E. Kluge, Ueber die Ursachen der in den Jahren 1850—57 stattgcf. Erdbeben.
pag- 74.
*) PoGGD. Annal. XXXIV. 104.
^) Earthquake Catalogue. London 1858.
346
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
r»
II
beobachtet wurden und findet daraus fUr die Wintermonate 80, Air die Sommer-
monate 40.
MiLNE hat eine Tabelle von 139 schottischen und 116 englischen Erdbeben
entworfen und als Durchschnitte gefunden:
Allgemeines monatl. Mittel 21,2 Erdbeben
Mittel der Sommermonate 16,1
Mittel der Wintermonate 26,3
VoLGER hat 1230 Erdbeben, welche er als in der Schweiz und ihren Nachbar-
ländern beobachtete aufgezeichnet hatte, nach den Jahreszeiten geordnet Dar-
nach ereigneten sich
im Winter 461, im Sommer 141,
im Frühling 315, im Herbst 313.
Nach LancasterI) wurden von 1638 bis 1870 in Neu-England 272 Erdbeben-
tage verzeichnet, von denen 178 auf die Wintermonate, dagegen nur 86 auf die
Sommermonate fallen. Die Maxima der Frequenz fallen in die Monate Febniar
und November, die Minima in die Monate April und September.
Die umfassendsten Zusammenstellungen dieser Art verdankt man dem uner-
müdlichen Eifer von Alexis Perrev in Dijon.
Er hat 182 vom 16. — 19. Jahrhundert im Bassin des Rhönethales, 529 vom
9. Jahrhundert bis zum Jahre 1844 im Rhein- und Moselbassin, 170 vom 5. Jahr-
hundert bis 1844 im Donaubecken, 1020 vom 4. — 19. Jahrhundert in Italien und
Savoyen und 656 vom 4. Jahrhundert bis zum Jahre 1843 in Frankreich, Belgien
und Holland beobachtete Erdbeben zusammengestellt, wobei sich folgende Yer-
theilung auf die Jahreszeiten ergab:
Frühling.
Sommer.
Herbst
Winter.
Frühliof
u. f^ommer.
HeriMt
a. VTwtB
I. Rhonebassin ....
32
35
53
62
67
"5
2. Rhein und Maas . .
103
"5
165
160
204
325
3. Donaubassin . . .
60
67
67
76
127
«43
4. Italien und Savoyen .
259
206
248
307
465
55S
5. Frankr., Belgien, Holland
133
137
186
200
270
386
Darnach ist unverkennbar der Winter diejenige Zeit, welche die grösste Zahl
von Erdbeben aufzuweisen hat.
Dasselbe Resultat folgt aus den allgemeineren von Perrev gegebenen Zu-
sammenstellungen. Damach ergiebt sich folgende Vertheilung nach den Jahres-
zeiten :
Erdbeben von
Frühling.
Sommer.
Herbst.
Winter.
Frühling
u. ScMnmer.
Heilist
u» Wmicr.
306—1844
1801—1843
646
169
673
224
784
230
876
291
I319
393
1660
5»«
Hiemach würde sich für die Menge der Erdbeben einestheils in Frühlinc
und Sommer, andemtheils in Herbst und Winter das Verhältniss ergeben wie 3:4-
Die 2979 Erdbeben der Zeit von 306 — 1844 vertheilen sich auf die meteo-
rologischen Jahreszeiten (21. März bis 21. Juni u. s. f.) folgendermaassen.
Frühling Sommer Herbst Winter
710 653 705 911«)
^) Ausland 1874, pag. 219.
*) Naumann's Geognosie. Bd. I., pag. 202.
Die Erdbeben. 347
Aehnliche Verhältnisse ergeben auch die verdienstvollen Erdbebenzusammen-
stellungen, welche C. W. C. Fuchs seit einer Reihe von Jahren jährlich publicirt.^)
Aus den Tabellen von Al. Perrev ergeben sich zum ersten Male die merk-
würdigen Beziehungen zu der Constellation des Mondes und der Sonne
zur Erde. Perrey gelangte schon zu den Resultaten:
1. Dass die Erdbeben häufiger um die Zeit derSyzygien, als um die Zeit der Qua-
draturen vorkommen (erstere Voll- und Neumond, letztere erstes und letztes Viertel).
2. Dass sie häufiger eintreten, wenn sich der Mond im Perigäo, als wenn
er sich im Apogäo befindet (Erdnähe und Erdferne).
3. Dass an jeder erschütterten Stelle die Stösse zahlreicher erfolgen, wenn
sich der Mond gerade im Meridian befindet.
Hieraus würde sich ein Einfluss der Mond-Constellationen auf die Erdbeben
folgern lassen, der mit dem ähnlichen Einflüsse auf die Gezeiten oder auf die
Ebbe und Fluth der Meere zusammenfallen würde.^)
Sonach erscheint es nach Perrey's Zusammenstellungen durchaus annehmbar,
dass einerseits ein alljährliches Maximum der Erdbeben in dem Winter und damit
in die Zeit des Perihel d. i. der Sonnennähe, andererseits ein allmonatliches in
die Zeit der Syzygien falle oder dass wenigstens die eintretenden Stellungs-
verhältnisse der Erde zur Sonne und zum Monde einen gewissen Einfluss auf die
grössere Frequenz der Erdbeben ausüben.
Auch neuerdings hat J. Schmidt durch Zusammenstellung zahlreicher Erd-
beben und vulkanischer Erscheinungen im griechischen Archipel diese Thatsache
durchaus bestätigt und seine Berechnungen und Resultate verdienen ein um so
grösseres Vertrauen, als sie vollständig von Speculationen und Hypothesen über die
Genesis der Erdbeben frei sind.^)
Schmidt findet, dass nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse zugegeben
werden muss, dass die mit der Entfernung veränderliche Gravitation des Mondes
sich, wenn auch in geringem Maasse in der veränderlichen Häufigkeit der Erdbeben
kundgebe, dass für die Periode von 1776 — 1873 die Erdbeben in den östlichen Mittel-
meergegenden in der Erdnähe unzweifelhaft häufiger waren, als in der Erdferne.
Femer fand er ein Maximum der Erdbeben um die Zeit des Neumondes, ein zweites
Maximum zwei Tage nach dem ersten Viertel, eine Abnahme der Häufigkeit um die
Zeit des Vollmondes und ein Minimum am Tage des letzten Viertels, dass also
auch die Stellung des Mondes gegen Erde und Sonne deutlich auf die Frequenz
der Erdbeben influire. Bei der Untersuchung der Orientbeben zwischen 1200
und 1873 ergab sich mit Bezug auf ihre Vertheilung in den einzelnen Monaten
ebenfalls, dass die grösste Häufigkeit auf die Zeit der Sonnennähe, die geringste
auf die der Sonnenferne fällt.
Femer leitet Schmidt aus 15jährigen Beobachtungen über 676 griechische
Erdbeben mit Bezug auf den Luftdruck ab, dass die Erdbeben bei einem Luft-
druck unter 335'" häufiger sind als bei höherem Barometerstande und dass ihre
Häufigkeit bei geringerem Luftdruck rascher zunimmt, als ihre Abnahme bei
stärkcrem Luftdruck. Auf diese Beziehung kommen wir nachher noch zurück.
Neuerdings hat bekanntlich auf die Beziehungen der Constellationen von Mond,
1) Tschermak's Mittheil., 1873 — 80. Vergl. auch Toüla, 1. c, pag. 23.
>) Vergl. über die ersten Forscher BAGLnn und Toaldo, welche einen solchen Einfluss
schon Bütte vorigen Jahrhunderts erkannten u. A. Naumann Geognosie I., pag. 202.
*) Schmidt, Studien über Erdbeben. 2. Ausgabe, Leipzig 1879. VergL auch N. Jahrber. f.
Min. 1849, Bd. IL, pag. 52 Referat v. Rosenbusch.
34^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Sonne und Erde auch R. Falb seine Ansichten über die Erdbebenentstehung ge-
gründet Seine Zusammenstellungen, wenn auch das allgemeine Resultat deiselber.
mit jenen durch Perrey und Schmidt erhaltenen im Grossen und Ganzen über-
einstimmt, sind doch nicht frei geblieben von willkürlichen Deutungen, und die
daraus gezogenen Schlüsse deshalb vorzüglich nicht ganz zutreffend, weil dem
Einflüsse der Gestimconstellation die alleinige und nicht eine nur begleitende
Bedeutung zugeschrieben wird.
HöRNES hat die FALB*sche Statistik einer freilich darin zu weit gehenden
Kritik unterworfen, dass er einen Unterschied in der Häufigkeit der Erdbeben
fUr die einzelnen Zeiten im Jahre und in den Monaten überhaupt als dann
verschwindend annehmen zu können glaubt, wenn genügendes Material zur
Untersuchung zu Gebote stehe. ^) Eine solche Annahme scheint den gründ-
lichen Betrachtungen Schmidt's und Perrev's gegenüber kaum mehr statthaft.
Dass aber den aus jener Erdbebenconjunctur gemachten genetischen Folgerungen
nicht das Gewicht alleiniger Beweiskraft zuerkannt werden darf, sondern
dass man in den aus der Constellation von Mond, Sonne und Erde sich
ergebenden Faktoren nur begleitende und begünstigende Wirkungen für den
Eintritt von Erdbeben, aber nicht in erster Linie und allein erregende sehen
darf, das beweist vor Allem der Umstand, dass auch eine Reihe von Erdbebenzu
sammenstellungen keineswegs diese Beziehungen irgendwie erkennbar wiederspiegelr.
Für die Erdbeben Nieder- Oesterreichs hat E. SuESS, für jene Kamthen>
H. Höfer eine chronologische Zusammenstellung geliefert.')
Die 120 Erdbeben, welche vom Jahre looo bis 1873 in Nieder-Oesterrcich
registrirt werden, vertheilen sich auf die einzelnen Monate wie folgt:
Jan. Febr. März. April. Mai. JunL Juli. Aug. Sept. Okt. Nov. I>cc.
191669815799967
Die grosse Zahl der Erdbebentage im Juni und das gänzliche Fehlen der
April« und Oktober-Maxima stimmt nicht mit der Annahme von Falb überein
Das grösste Maximum im Januar würde allerdings mit der Sonnennähe zusammen-
fallen, die jetzt am 2. Januar erreicht wird. Höfer') führt in seiner Zusammen-
stellung vom Jahre 1000 — 1877 180 Erdbebentage für Kämthen auf. Diese ver-
theilen sich auf die Monate folgendermaassen:
Jan. Febr. März. April. Mai. Juni. Juli. Aug. Sept Okt. Not. Dcc.
40 16 18 6 12 14 6 9 17 13 9 ao
Auch hier tritt das Januarmaximum unzweifelhaft hervor; dagegen scheint da>
Frühlingsäquinoctium ohne wesentliche Bedeutung, im April liegt grade das absolute
Minimum. Auch die nicht sehr hohe Oktoberzahl entspricht nicht der Voraussetzung
Noch mehr sprechen die Zusammenstellungen der einzelnen Erdbebentap?
und Stösse fUr längere Erdbebenperioden gegen einen bedingenden Einflu»
der monatlichen Mondphasen.
Hörnes^) vergleicht in dieser Beziehung auf Grund der detaillirten Be-
schreibung der Erdbeben von Klana (Oktober 1869 — Juli 1870) durch D. Srt k
die einzelnen Stösse und Erschütterungen. Es ereigneten sich in diesem Zeit-
raum an 36 Tagen 80 Erschütterungen in den Südalpen und im Karst Diesell^cn
vertheilen sich auf die einzelnen Monate wie folgt:
>) Höuns, Die Erdbebentheorie R. Falb's. Wien 1881, pag. 55.
*) £. SuBSS, L e. Abtchnitt IV.
*) HÖFEE, 1. c., auch HÖRNES, 1. c. pag. 65.
*} 1. c. pag. 68.
Die Erdbeben. 349
^869 18^
Okt, Nov. Dec. Jan. Febr. März. April. Mai. Juni. Juli.
Einzelne Stösse i — 2 6 5 21 4 37 3 i
Erdbebentage i — 152 ^3 14 31
Hiemach deckt sich die Häufigkeit der Erdbebentage und der einzelnen
Stösse nicht gradezu, sondern weicht oft beträchtlich ab. Eine Uebereinstimmung
zeigt sich in den im März und Mai erreichten Maximis. Wenn auch für den
ersten Hauptstoss i. März ein Zusammenfallen mit einem Syzygium stattfand (Neu-
mond 2. März), so wären doch die Tage des 17. oder 31. Januar weit geeigneter
gewesen, da die Syzygien mit Finsternissen verbunden waren und zu dem noch
die Sonnennähe wirksam war. Für die 2. Haupterschütterung vom 10. Mai fehlt
die Conjunctur. Auch bezüglich der einzelnen Stösse des Erdbebens von Belluno
.29. Juni 1873, mit mehrere Monate anhaltenden, nachfolgenden Erschütterungen)
ergibt sich keine Uebereinstimmung der Thatsachen mit den Anforderungen der
Theorie.
Recht lehrreich ist in dieser Beziehung auch die Erdbebenperiode in der
Schweiz in den letzten Monaten des Jahres 1881 und im Januar 1882. Die
Schweiz. Erdbebencommission unter dem Präsidium von A. Forster theilt darüber
folgendes mit:
Im Nov. 1881 fanden an 17 Tagen 28 zeitlich getrennte Erschütterungen mit
41 Einzelstössen statt. Im December an 6 Tagen 10 getrennte Erschütterungen.
Im Januar 1882 trat wieder verhältnissmässig Ruhe ein; nur an 4 Tagen wurden
4—5 Stösse beobachtet
Hier trifft also das Zusammenfallen mit dem Perihel nicht zu, welches eine
Zunahme grade gegen den Januar hin hätte erwarten lassen. Betrachtet man
aber die Vertheilimg der Erdbebentage nach den Mondphasen flir die Monate
Kov. und Dec. so ergiebt sich folgendes:
Von den 20 Erschütterungen im Nov. erfolgten nur zwei auf Bern lokalisirte
unbedeutende Stösse auf den Tag des Neumondes, dagegen das bedeutendste
Erdbeben vom 28. Nov. auf den Tag des ersten Viertels. Ueber die ganze zweite Hälfte
des Monates vertheilen sich die Erdbeben sehr gleichmässig ohne jede erkenn-
bare Beziehung zur Mondphase. Nennen wir diejenigen Erdbeben, welche einen
Tag vor, am Tage des, einen Tag nach dem Neumond oder Vollmond erfolgten
>mit der Theorie übereinstimmend«, diejenigen, welche einen Tag vor, am
Tage des, einen Tag nach dem ersten oder letzten Viertel stattfanden, »gegen
die Theorie sprechend« und diejenigen, welche an anderen Tagen erfolgten,
♦indifferent,« so finden wir unter den 16 Erdbebentagen:
Mit der Theorie übereinstimmend , 2 = 12,5^
Gegen die Theorie sprechend . . 2 = 12,5^^
Indifferent 12 = 75,0^
loof
Eigentlich hätte man die »indifferent« genarmten Stösse, da die Mehrzahl
den Quadraturtagen näher liegen als den Syzygien wohl als »nicht überein-
stimmend« bezeichnen können. Für den Monat Dec. erhalten wir an 6 Tagen
10 Erschütterungen. Von diesen sind
Mit der Theorie übereinstimmend i = 16,7 J (4. Dec, Vollmond 5. Dec.)
Gegen die Theorie sprechend . . 2 = 33,3^ (26. u. 28. Dec, Erstes Viertel 27.)
Indifferent 3 = SOi^Ä ('?• 24. 25. Dec, Neumond 21.,
Letztes Viertel 13.)
3$o Mineralogie, Geolc^e und Palaeontologie.
Im Allgemeinen können demnach die Erdbeben des Nov. und Dec. in der
Schweiz nicht als eine Bestätigung eines Zusammenhanges dieser Erscheinung^
mit den Mondphasen angesehen werden.
Was sich aus den im Vorhergehenden gegebenen Resultaten der statistischen
Vergleichung der Erdbebenconjunctur ergiebt, kann also wohl dahin kurz zusammen-
gefasst werden: Ein gewisser Einfluss von Sonne und Mond aufxiie
Häufigkeit der Erdbeben ist unverkennbar, jedoch kann er nichtah
bedingend gelten, denn es giebt auch viele Erdbebenperioden, die
davon unabhängig sind. Die Constellation von Sonne und Mond kann
daher nur als ein günstiger, aber keineswegs als ein ausschliesslich
erregender Umstand gelten.
Sind die Bedingungen irgend welcher Art für den Eintritt einer Erschütterung
vorhanden und soweit gediehen, dass es nur eines geringen Anlasses bedarf, das
Erdbeben reif werden zu lassen, wie Peschel sagt, so kann dieser Anlass aus
den Zugkräften von Sonne und Mond und ihren combinirten Wirkungen herge-
leitet werden.
Liegt doch der Annahme, dass selbst die festen Theile der Erde in einem
gewissen Grade an den durch jene Anziehungen hervorgerufenen Gezeiten sich
betheiligen, eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu Grunde. Man vergleiche, was
darüber in dem Artikel >Der Erdball u. s. w.c pag. 277 gesagt worden ist. Dass es
aber eine grosse Zahl von Erdbeben giebt, deren Eintritt unzweifelhaft nicht von der
genannten Conjunctur abhängig ist, darin wäre vielleicht schon ein Hinweis zu er-
kennen, dass nicht allen Erdbeben die gleiche erregende Ursache zu Grunde liegt
Ein Aehnliches gilt von dem Einflüsse des Luftdruckes auf die Elrdbebea
Auch darüber liegen ältere und neuere bestätigende und widersprechende An-
gaben vor. Schon Humboldt hatte gezeigt, was später von Boussingault be^
stätigt worden ist, dass der in den Tropenländem so regelmässige Gang der täg-
lichen Barometerschwankungen jedenfalls ganz unabhängig erscheint von dciTj
Eintritt der Erdstösse.
Egen hat die vor und während des Erdbebens in den Niederlanden am
23. Febr. 1828 beobachteten Barometerstände genau verglichen und gefunden,
dass dem Erdbeben ein Sinken des Barometers auf seinen tiefsten Stand vor-
ausging, dass dieses aber während des Erdbebens schon wieder im Steigen l^
griffen war.^) Bei einer am 22. März desselben Jahres folgenden Erschütteninc
hatte das Barometer grade vorher in Soest wieder seinen niedrigsten Stand
erreicht
Merian stellte ähnliche Betrachtungen für Schweizer Erdbeben an und kam
zu dem Resultate, dass wenigstens für lokale Erdbeben ein Zusammenhang mit
einem auffallend niedrigen Luftdruck anzunehmen sein dürfte.^
In anderen Fällen freilich sind solche Beziehungen gar nicht nachxuwetMm
gewesen.
Bei zahlreichen Erdstössen, die sich im Jahre 1808 in der Grafschaft Hnc-
rolo ereigneten, beobachtete Vasalli Eandi den Gang des Barometers, ohne
jedoch eine Beziehung irgend welcher Art für beide erkennen zu können.
Auch die Zusammenstellung von Fr. Hoffmann^ von 57 palermiUntschen
1) PoGGD. Annal. XIIL pag. 153.
*) Merian, Ueber den Zusammenhang der Erdbeben mit atmosphftr. Enchcinuacca N
Jahrb. f. Min. 1839. 581.
S) Hoffmann, 1. c. pa^. 371.
Die Erdbeben. 351
Erdbeben und Vergleichung der dabei nach den genauen Aufzeichnungen der
meteorologischen Journale herrschenden Barometerstände ergab kein irgendwie
entscheidendes Resultat Er fand zwar eine unleugbar etwas, wenngleich sehr
geringfügig vorhajidene Neigung des Barometers zum sinkenden Zustande beim
Eintritt von Erdbeben, aber sonst weder in dem Stande desselben noch in der
Grösse seiner Schwankungen etwas Eigenthümliches und Ausserordentliches.
Schmidt's vorhin schon angeführte (pag. 347) Beobachtungen bestätigen aber
wieder die Coincidenz der Erdbeben mit niedrigem Barometerstande. Nun kann
das Eine im Gegensatze zu früheren Anschauungen gewiss als feststehend gelten,
dass nicht erst die Barometerschwankungen eine Folge der Erdbeben sind, sondern
dass umgekehrt diese jenen nachfolgen und theilweise dadurch bedingt werden.
Sowie aber der Luftdruck unzweifelhaft auf Schwankungen des Meeresspiegels
und auf andere Vorgänge z. B. Gasentwicklung, Dampfbüdung bei den Vulkanen
(vergl. Artikel: Atmosphäre, pag. 71) einen Einfluss ausübt, ebensowohl können
wir uns vorstellen, dass er auch gewisse Bewegungen der Erdrinde unterstützen
und begünstigen kann. Er wirkt dann, wenn auch mit einer verschwindend
kleinen Kraft, doch im Allgemeinen in ähnlicher Weise ein wie die Zugkraft von
Sonne und Mond.
Der grösste Theil der Annahmen aber, die über das Zusammentreffen der
Erdbeben mit anderen meteorologischen Erscheinungen gemacht worden sind,
gleichzeitiges Eintreten von Stürmen, Gewittern, heiterem oder bewölktem Himmel,
Regengüssen, meteorischen Lichterscheinungen und dergl. sind wohl nur auf Zu-
fälligkeiten, aber keineswegs auf Gesetzmässigkeiten zurück zu führen. Jedenfalls
stehen diese Vorgänge nie in einem direkten genetischen Zusammenhange mit
Erdbeben. Und trotz der im Vorhergehenden als thatsächlich bestehend auf-
geführten Beziehungen der Erdbeben zu gewissen astronomischen und barome-
trischen Verhältnissen, muss dennoch das schon von Kries als Endresultat seiner
kritischen Zusammenstellungen ausgesprochene Wort auch heute noch als durchaus
gültig bezeichnet werden: dass es gar kein Merkmal giebt, welches als
ein siche-res Vorzeichen eines nahen Erdbebens gelten könnte.^)
k) Es giebt nun allerdings eine Reihe von Erscheinungen^ welche Erdbeben
zu begleiten pflegen, freilich nur so, dass sie erst als eine Folge derselben an-
gesehen werden können, denen ein gewisser Causalzusammenhang mit den Boden-
bewegungen nicht wohl abgesprochen werden kann und die deshalb einige Be-
deutung haben. Es sind dieses einmal die Ausbrüche von Gasen, Flammen, von
Wasser und Schlammsprudeln, dann die Bildung von Spalten, Erdtrichtem und
Rundlöchem, sowie erhebliche und dauernde Niveauveränderungen kleinerer oder
grösserer Theile der Erdoberfläche.
Die Erscheinungen der ersteren Art sind keineswegs vereinzelt, sie finden
sich schon ziemlich ausführlich bei Hoffmann und Naumann zusammengestellt
und mag darauf verwiesen werden.^) Aber auch in fast allen neueren Erdbeben-
beschreibungen finden sich Angaben über hierhin gehörige Beobachtungen.
In der Nähe von Arequipa brachen nach dem Erdbeben vom 13. August 1878
ganze Ströme von Wasser und Schlamm aus gebildeten Spalten hervor. Kurz vorher
am 4. April desselben Jahres waren bei einem Erdbeben auf der Insel Hawai
*) K&IBS, Von den Ursachen der Erdbeben. 1827, pag. 25 ff.
^ HoFFMAMN, 1. c, pag. 37$; Naumann, L, pag. 121.
35 2 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
solche Mengen von Schlamm aus dem Boden ausgeströmt, dass dadurch ein
ganzes Dorf verschüttet wurde.^)
Unter den neueren Erdbeben ist auch das von San Francisco in Califomien
im Oktober 1865 ganz besonders durch solche Vorgänge ausgezeichnet gewesen.
Am 6. und 8. Oktober bildeten die Springquellen eine lange Re*he am Ufer de^
Flusses hin; am 21. Oktober 1868 entstanden solche Wasserstrahlen sogar zwischen
den Häusern der Stadt.
Bei dem für Agram verhängnissvollen Erdbeben vom 9. November iSSoereignetci
sich gleichfalls Schlammausbrüche, über welche nähere Beobachtungen vorliegen*
Die Save-Ebene stellt ein weit ausgedehntes AUuvialgebiet dar, welches im
Norden vom Agramer Gebirge und im Süden vom Gebirgszuge Vukomericke
gorice begrenzt wird. Die Alluvialdecke trägt eine stellenweise mit Gesträuch
und Sümpfen bedeckte Ackerkrume, danmter liegt ein grau-blauer Thon, der
überall, wo sich die Save ein tieferes Bett gegraben, zu Tage tritt
Bei dem Dorfe Resnik, etwa eine Meile südöstlich von Agram gelegen, er-
folgten aus diesem Untergrunde die Schlammausbrüche auf eine rein mechanische
Weise. Es bildeten sich Spalten und Höhlungen unter dem genannten Thoa
diese füllten sich mit Wasser und der Druck der aufliegenden und z. Th. ein-
seitig gehobenen Schichten presste dieses empor. Das Wasser brachte Thoc
und einige Reste von Muschelschalen aus demselben (Helicina) mit zu Tage, be-
sonders aber war die Menge des aus dem Alluvium mitgeschleppten Sandes vor-
herrschend. Das so mit Schlamm resp. Sand beladene Wasser setzte die^c
Materialien ab und bedeckte Flächen von 15 — 18 Schritten Durchmesser mit einer
Sandschichte. Die Auswürfe folgten einer grossen Spalte, die mit südöstlichem
Verlaufe von Resnik über Drenje hinaus sich gebildet hatte. Dieser und ihrer»
Seitenspalten folgend, fand sich eine grosse Menge kleiner niedriger, abgestutzter
Kegel mit unverhältnismässig breiter Basis. Ihr oberer Theil besitzt eine trichter-
artige Vertiefung, die man füglich ihrer Form nach mit einem Krater vergleichen
kann. Einzelne davon haben eine ganz geringe Auswurfsöffnung, ihre Grösse i>:
verschieden, der grösste Trichter aber maass im Durchmesser nur 70 Cendm .
seine Tiefe bloss ca. 15 Centim. Der ausgetriebene Sand bedeckt jedoch eine
Fläche, deren Durchmesser 5 Meter beträgt.
Auch an anderen Orten hatten sich Spalten gebildet und war Wasser unu
Sand emporgepresst worden. Während der Schlammausbrüche wurde ziemlic:
allgemein die Entwicklung von Schwefelwasserstoff wahrgenommen, dessen Her-
kunft nicht ganz erklärt zu werden vermochte.^)
Diese Schlammausbrüche des Agramer Erdbebens sind also nichts weiter al-
die Folge der rein mechanischen Einwirkung der Erschütterung auf die ober-
flächlichen wasserführenden Schichten. Mit den eigentlichen sogen. Schlamm-
vulkanen haben sie eine unverkennbare Aehnlichkeit und auch die Mechamk
beider Erscheinungen dürfte in mancher Beziehung die gleiche oder eine ahn-
liche sein.
Wie hier sind auch in anderen Gebieten mit den Schlammausbrücben Inr:
*) Fuchs, 1. c, pag. 175.
*) Krambergkr, Mittheilung an v. Hochstetter. Monatsbltttter des wissensch. Chib in W >c?i
No. I. Jahrg. II. 1881.
') Diese SchlammausbrUche sind näher beschrieben und abgcbüdet von G. Pücn*
Agram 1880.
Die Erdbeben. 353
Erdbeben entstandene »Erdtrichterc verbunden, die oft noch längere Zeit, theils
trocken, theils mit Wasser gefüllt, sichtbar bleiben.
Eine weit verbreitete Erscheinung ist die Bildung von Spalten und Rissen
im Erdboden im Gefolge von Erdbeben. Entstehen sie in festem Gesteine, so
können sie lange Zeit sichtbar bleiben, in weichem und lockerem Boden aber
verschwinden sie bald. Oft sind sie sehr zahlreich und stehen in engem Ver-
bände mit einander, parallel verlaufend, sich vielfach durchkreuzend oder radial
von einem Punkte ausstrahlend. Nicht selten ist mit der Zerspaltung des Bodens
auch eine Verschiebung der zu beiden Seiten der Spalte liegenden Theile ver-
bunden, indem durch Senkung oder Hebung das Niveau der beiden. Seiten sich
geändert hat. Zahlreiche Beispiele dieser Art ftir ältere Erdbeben finden sich
schon bei Hoffmann u. Naumann angefUhrt^), auf die hier verwiesen werden
mag.
Bei dem schon erwähnten Erdbeben von San Francisco vom 21. Okt. 1868
entstanden in der Nähe der Stadt und sogar in den Strassen viele sehr lange
Spalten, von denen einige 40 — 50 Fuss breit waren.
Das Erdbeben von Belluno hatte bei Puos einen etwa i Meter breiten,
mehrere hundert Meter langen Erdspalt gebildet, der sich aber bald wieder
vollkommen schloss. Bei la Secca zerriss der etwas sumpfige Boden und aus
den Rissen drang schlammiges, schwefelwasserstoffhaldges Wasser hervor.^
Die bei dem Agramer Erdbeben gebildeten Spalten wurden vorhin schon
erwähnt Eine Hauptspalte war hier auf eine längere Strecke hin zu verfolgen.
Mit ihr z. Th. parallel, z. Th. radial von ihr austrahlend, waren andere Spalten
zu beobachten, die sich meist in Folge der lockeren Bodenbeschaffenheit schnell
wieder schlössen. Nach dem Erdbeben von Ischia (4. März 1881) war der Boden
in Casamicciola von zahlreichen Spalten z. Th. vollständig zerklüftet.
Aber selbst bei Erdbeben von viel geringerer Intensität werden solche Spalten-
bildungen beobachtet Bei dem westdeutschen Erdbeben vom 26. August 1878
bildete sich in der Nähe von Horrem zwischen Köln und Aachen auf dem Felde
eine Spalte von 10 — 13 Meter Länge und mehreren Zoll Weite. Mit solchen
Spaltenbildungen und ähnlichen auf die Bodenbewegung zurückzuführenden Vor-
gängen hängen unzweifelhaft auch die Störungen der Quellen, ihr Versiegen,
ihre Trübung und zahlreiche andere Veränderungen enge zusammen, die man
im Gefolge von Erdbeben beobachtet.
Von der grössten Bedeutung aber sind die durch Erdbeben veranlassten
Niveau verändenmgen, welche ausgedehntere oder beschränktere Gebiete der Erd-
oberfläche betroffen haben. Den grössten Theil der an den continentalen Küsten
wahrnehmbaren Hebungen des Festlandes brachte man früher mit den Erdbeben
in unmittelbaren genetischen Zusammenhang, indem man für einen Theil dieser
Hebungen eine sehr plötzliche Entstehung annehmen zu dürfen glaubte, die ge-
radezu als eine Folge der Erdbeben hingestellt wurde. Noch in diesem Sinne
finden sich die Hebungserscheinungen in den mehrfach angeführten trefflichen
Werken von Hoffmann und Naumann eingehend besprochen.
Aber die genauere und wiederholte Prüfung der meist als Beweise ange-
führten allbekannten Beispiele hat ergeben, dass entweder gar keine Hebmigen,
sondern vulkanische Aufschüttungen erfolgt waren, oder dass eine wirklich nach-
gewiesene Hebung nur in den Bereich der sogen, säcularen, im Laufe langer
*) L c.
^ V. Rath, L c. pag. 716.
KnoicoTT, Mia., Geol. u. Pal. I. 23
354 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie
Zeiträume sich vollziehenden Niveauverfinderungen des Festlandes geholte. In
beiden Fällen hatten demnach die Erscheinungen mit Erdbeben unmittelbar nichts
zu thun. Solche Hebungen grösserer Landstriche, die während eines Erdbebens
gewissermaassen mit einem Ruck erfolgt wären, sind bis jetzt thatsächlich nie be-
obachtet worden.
Bei allen neueren, auch den heftigsten Erdbeben z. Th. in denselben Ge
bieten, in denen die älteren Beobachtungen gemacht waren, hat nicht ein ein-
ziges Beispiel dieser Art festgestellt werden können, obgleich man darauf natür-
lich die volle Aufmerksamkeit gerichtet hatte. Gleichwohl würden locale Er-
scheinungen dieser Art keineswegs unwahrscheinlich sein, zumal wenn wir b^
denken, dass mit einer Spaltenbildung doch eine Dislocation der beiden em-
schliessenden Wände nothwendig verbunden sein muss, dass eine solche eine
allerdings äusserst minimale Aufwärtsbewegung wenigstens der einen Lippe sogar
geradezu voraussetzt.
Im Gegentheile sind nun plötzliche Senkungen in Folge von Erdbeben in
keineswegs kleiner Zahl wirklich beobachtet worden. Freilich wird man auch
beztlglich dieser nicht allen älteren Nachrichten ohne Weiteres die Bedeutung
zuschreiben dürfen, dass nun der Causalzusammenhang wirklich erwiesener
Senkungen mit einem Erdbeben dadurch unzweifelhaft feststeht
So ist das Versinken von Küstenlandstrichen nicht immer nothwendig
die Folge einer Senkung, sondern kann sehr wohl, zumal an nicht flach ins
Meer sich erstreckender Küste auch die Folge eines blossen Abnitschens sein,
ähnlich einem Bergsturze im Binnenlande. Allerdings wenn es sich um ein
Küstengebiet von 60 engl. Quadratmeilen Umfang handelt, wie es bei dem Erd-
beben von Bengalen 1862 versunken sein soll, ist diese Deutung schwierig. Aber
bei diesen älteren Angaben sind eben die Dimensionen auch keineswegs zuver-
lässig.
Gleichwohl sind auch in der neuesten Zeit mit gut beobachteten Erdbeben
zahlreiche Bodensenkungen verbunden gewesen. Eine grosse Zahl derselben
findet sich u. a. bei Fuchs aufgeführt.^) Nur einige der unzweifelhaftesten Er-
scheinungen mögen auch hier angeführt werden.
In dem Dorfe Rekow, bei Bütow in Pommern, spürte man am 27. Jan. i86(>
eine lebhafte Erderschütterung und vernahm unterirdisches Getöse. Gleichzeitig
senkte sich eine Erdmasse von 2 Morgen Land in den dicht bei dem Dorfe gt-
legenen See. Im Dorfe selbst entstanden zahlreiche Spalten im Boden. In diesem
Falle dürfte die Entscheidung schwer sein, ob das Erdbeben die Senkung, oder
diese die Erschütterung bewirkte; gerade darin drückt sich der innige Caasalni«
sammenhang beider Vorgänge aus.
Am 15. März 1867, Abends 6 Uhr fand ein Erdbeben am Lago Maggiore
statt, das am ganzen Ufer von Magadino bis Arona gemerkt wurde. Aach die
Dampfschiffe spürten die Stösse. Das Dorf Feriolo, an der Simplonstrasse ge-
legen, versank theilweise in den See, ebenso ein Theil der im Bau begriAmen
Strasse.
Am ersten December 1869 zerstörte ein Erdbeben die Stadt Onlah in Klein
asien; in Folge der Erschütterungen und Spaltenbildungen versank die Sta<it oikI
verschwand vom Erdboden. In ähnlicher Weise versank bei dem Erdbeben
^) Vulkane und Erdbeben, pag. 180.
Die Erdbeben. 355
von Arica 1868 die Stadt Cotocachi; an ihrer Stelle breitet sich jetzt ein
See aus.
Bei dem westdeutschen Erdbeben vom 26. August 1878 bildete sich in der
Nähe des Dorfes Schaufenberg ein allerdings nur wenig umfangreicher Tagebruch
(Einsenkung an der Erdoberfläche, bergmännisch auch Finge genannt) obschon
unter dieser Stelle kein Bergbau stattfindet. Solcher Beispiele von grösseren oder
geringeren Einsenkungen und Einstürzen im Gefolge von Erdbeben könnten noch
eine grosse Zahl namhaft gemacht werden.
Von anderen die Erdbeben begleitenden Ereignissen, von Lichterscheinungen,
von den Einwirkungen auf Menschen und Thiere u. a. m. mag nur im All-
gemeinen bemerkt werden, dass, je heftiger die durch den plötzlichen Eintritt
der Erschütterung bewirkten Schrecken sind, um so mehr die erregte Phantasie
der Menschen auch geneigt ist, absonderliche Dinge zu glauben, zu erzählen und
mit dem schrecklichen Ereignisse in Verbindung zu bringen. Die meisten haben
nicht einmal die Bedeutung bloss zufällig begleitender Erscheinungen.
Seismometer. Apparate und instrumenteile Vorrichtungen, um irgend welche
Beobachtungen über den Eintritt und die Umstände eines Erdbebens anzustellen
und zu registriren, werden Seismometer genannt
Ein sehr einfaches Instrument dieser Art besteht in einem i — i-}- Meter langen,
mit seinem oberen Ende befestigten Faden, an welchem unten ein Bleiloth mit
Spitze angebracht ist, die in die Oberfläche eines Sandbettes bei eintretenden
Schwankungen Furchen einschreibt.
Ebenso einfach ergiebt sich die Richtung des Stosses aus mit Wasser ge-
füllten, runden Becken, wo die Schwankungen des Wasserspiegels an den Wänden
des Gefasses oder ausserhalb auf irgend eine Weise sichtbar gemacht werden.
Darauf beruht auch das Seismometer von Cacciatore, welches aus einem
flachen kreisrunden Gefässe mit 8 gegenüber stehenden Ausflussrinnen besteht,
in welches Quecksilber gefüllt wird. Das bei den Schwankungen überfliessende
Metall wird in untergestellten Näpfchen aufgefangen. Daraus erkennt man, nach
der Stellung der Näpfchen, die Quecksilber aufgenommen haben, die Richtung
des vorangegangenen Erdbebens.
Kkeil^) hat ein Pendelseismometer angegeben, welches nach allen Richtungen
schwingen, aber sich um seinen Aufhängepunkt nicht drehen kann. Eine unten
angebrachte Spitze wird gegen die innere Wand eines Cylinders gedrückt, der
sich mit einem Uhrwerk in 24 Stunden einmal um seine Achse dreht. Hängt das
Pendel ruhig, so beschreibt der Stift eine Kreislinie, wird es bewegt, Linien von
unregelmässiger Gestalt.
Mehr oder weniger complicirte Pendel-Seismometer sind neuerdings auch von
I. A. EwiNG, Dr. G. Wagner und T. Gray construirt worden.^ Diese Apparate
haben grösstenthfeils den Zweck, ausser der Richtung auch die verticalen und
horizontalen Componenten der Bewegung einigermaassen zu bestimmen.
Andere Seismometer beruhen auf der Anwendung eines elastischen in vert;-
caler Stellung befindlichen im Boden befestigten Stabes, dessen Schwingungen
sich auf einer darüber durch ein Uhrwerk bewegten Papierrolle abzeichnen.
Auf der Anwendung sehr empfindlicher Spiralfedern, die aufgehängt mit
einer nach unten gewendeten Spitze einem Quecksilberspiegel so nahe sind, dass
>) Sitzimgsber. k. k. Akad. d. W. Wien XV. 1855. 370.
') Transactions of Seismol. Soc. of Japan. VoL I. pag. 38 ff.
23»
35^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
die geringste Wellenbewegung sie mit demselben in Berührung bringt, wodurch
dann die Stromschliessung einer elektrischen Batterie erfolgt, beruht im wesent-
lichen das sehr empfindliche Seismometer PALBOERfs. Es werden durch Signale
die Stösse angezeigt, aber auch durch Ingangsetzen einer Uhr und auf den
durch diese bewegten Papierstreifen selbstthätig registrirt.
Jedoch sind die Resultate, die mit diesem verhältnissmässig kostspieligen
Apparate bisher erzielt wurden, kaum von grosser wissenschaftlicher Bedeutung.
Mallet schlug im Jahre 1858 folgendes einfache Seismometer vor.^)
Dasselbe besteht aus zwei normal aufeinander stehenden Reihen von kleinen
Säulen von Marmor, Holz oder Gusseisen oder dergl., welche bei gleicher Höbe
an Durchmesser regelmässig ab- oder zunehmen (Höhe zu Durchmesser von 3 : i
bis 9:1) und somit auch von abnehmender Stabilität sind; dieselben stehen fest
auf einer festen Basis, sind aber sonst von lockerem Sand umgeben. Dieser ein-
fache Apparat genügt schon, um die wahre Richtung des Stosses und die grösste
Geschwindigkeit der schwingenden Punkte zu ermitteln.
Ein complicirteres, selbst registrirendes Instrument, welches ausser der
Richtung noch die Höhe und Amplitude der Erdwelle sowie die Dauer derselben
bestimmen soll, beschrieb derselbe ebenfalls.^) Dasselbe besteht im Wesentlichen
in einer schwebenden und um eine Achse beweglichen Trommel, auf Mrelche mit
Stiften, die mit einer Batterie in Verbindung gesetzt sind, Zeichen aufgeschrieben
werden, aus denen die gesuchten Elemente der Bewegung sich erkennen lassen.
Zur Erlangung von Fundamentalzeiten zur Berechnung der Herdtiefe nach seiner
Methode (pag. 308) brachte von Seebach folgende einfache Vorrichtung in Vor-
schlag.'^ Eine beliebige gut gehende Uhr, welche auch Secunden zeigt, wird auf
o Zeit gestellt. Das Pendel wird aus seiner Gleichgewichtslage gebracht und in
seiner Stellung dadurch festgehalten, dass der um ein Geringes schwerere eine
Arm eines Hebels hemmend in das Steigrad eingreift. An dem anderen leichteren
Hebelarm hängt an einem schlaffen Faden ein Gewicht, welches auf einer kleinen
Säule von geringer Stabilität aufliegt Bei einem Erdbeben wird diese Säule um-
gestürzt, das Gewicht ftUlt und löst den schwereren Hebelarm aus dem Steigrad
aus, wodurch dann das Pendel schwingen und die Uhr in Gang setzen kann.
Man kann nachher die Zeit des Eintrittes der Erschütterung auf astronomische
oder gut controlirte Zeit reduciren.
Ein anderes Seismometer gab von Lasaulx an. Er ging wesentlich von der
gleichen Absicht aus, eine grössere Zahl guter Fundamentalzeiten zur Berechnung
der Erdbebenelemente zu liefern, glaubte aber, es sei besser, eine stets gehende
und gut controlirte Uhr, wie sie auf Sternwarten und Telegraphenstationen vor-
banden ist, zum Stillstand zu bringen. Es werde dadurch die Gefahr ver-
mieden, dass die Vorrichtung bei Eintritt einer Erschütterung nicht in gutem
Stande sei.^)
Das Instrument, von einfacher und compendiöser Form ist dazu bestimmt, an
jeder im Gebrauche befindlichen Pendeluhr, am besten den sogen. Regulatoien
neben dem Pendel aufgehängt zu werden.
Eine kleine Büchse A Fig. 6 umschliesst eine Feder, welche in Verbindung
0 Rep. Brit Assoc. 1858. pag. 98.
*) Proceed. of. royal Irish Akad. XXI. i, pag. 50.
") l. c. pag. 187.
*) Erdbeben von Herzogenrath 1873, P*g» ^S^»
Die Erdbeben.
357
-O
Fig. 6. (Min. M.)
mit einem dünnen Messingstabe einen Hebelarm C, der am unteren Ende auf der
Rückwand des kleinen Apparates an drehbarer, horizontal liegender Achse befestigt
ist, dadurch in horizontale Stellung quer neben das Pendel der Uhr hinaufzieht,
dass sie den Messingstab aufwärts durch die Büchse emporhebt, so dass der be-
wegliche Theil der Messingführung bei e^ dann bei e zu
liegen kommt. Der Messingstab trägt oben ein kleines
flaches Tellerchen zur Aufnahme eines Gewichtes in Kugel-
oder Eiform. Wird das letztere auf das Tellerchen B ge-
legt, so drückt es die Feder zusammen und der Hebel-
arm C legt sich in verticaler Stellung abwärts an die
Rückwand und das Pendel kann nun vor demselben vor-
bei (d. h. also senkrecht zur Ebene der Zeichnung) seine
Schwingung ausführen. Das ist die gewöhnliche Stellung
des Apparates, wie die Figur sie darstellt. Wird nun die
Kugel durch ein Erdbeben abgeworfen, so schnellt die
Feder den Messingstab in die Höhe und der Hebelarm C
legt sich quer vor das Pendel, dieses augenblicklich arre-
tirend. Diese Stellung ist in den punktirten Theilen der
Figur angedeutet. Zur Aufnahme der abgeworfenen Kugel
dient ein runder, um die Büchse A herumgreifender
Teller mit 8 Fächern, so dass die Kugel, in eines
derselben hineinfallend, auch die Richtung des Stosses
markirt. Da nach der Erfahrung bei schwächeren Erdstössen die Schwerpunktslage
einer kleinen Messing kugel dieser noch zu viel Stabilität gewährt, so eignet sich
als Gewicht besser ein kleines Ei aus Messing, das mit seiner Spitze nach unten
auf das kleine Tellerchen bei B gestellt, nun hinlänglich labil ist, um auch bei ganz
schwachen Bewegungen zu Falle zu kommen. Es wird dadurch allerdings die
Sensibilität des Apparates eine so grosse, dass sie auch äusseren Erschütterungen
der Gebäude z. B. durch Thürzuschlagen, Vorbeirollen eines Wagens leicht nach-
giebt. Das setzt wieder voraus, dass dadurch keine Störungen verursacht werden,
oder dass die Uhr eigens zu diesem Zwecke allein dient und ihr Gang fort-
dauernd gut controlirt wird.
Solche Apparate sind ca. 150 an der Zahl auf verschiedenen kaiserl. deut-
schen Telegraphenstationen aufgestellt Da dieselben jedoch, um allzuhäufige
Störungen im Betriebe zu vermeiden, nur mit Kugelbelastung versehen sind, so
hat sich ihre Empfindlichkeit bei einigen Erdbeben als zu gering ergeben und sie
haben dieselben nicht markirt. Bei dem Erdbeben vom 26. August 1878 traten
aber eine Reihe von Apparaten in Wirksamkeit und lieferten brauchbare Zeit- und
Richtungsangaben.
Dort, wo die grosse Empfindlichkeit des Apparates mit eiförmiger Be-
lastung keine Bedenken wegen allzuhäufiger Arretirung der Uhr erregt, wird ohne
Zweifel derselbe sowohl für die Gewinnung von Zeit- als auch Richtungsangaben
gute Dienste thun.^)
Ohne Zweifel sind auf diesem Gebiete noch brauchbare und werthvolle Appa-
rate auch auf andere Weise herzustellen. Sollen aber dieselben wirklich in
grösserer Zahl zu Beobachtungen Verwendung finden, so ist ein erstes Erforder-
niss möglichste Einfachheit des ganzen Mechanismus.
^) Solche Apparate mit eiförmiger Belastung liefert F. W. Eschbaum, Mechaniker in
Boxm am Rhein.
358 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Von der allergrössten Bedeutung würden Instrumente sein, welche direkt (tie
Emergenz des Stosses zu registriren vermöchten, da hieraus am unmittelbarsten
und ganz abgesehen von theoretischen Voraussetzungen die Tiefe der enegenden
Stelle sich ergeben würde. Solche Apparate aber bieten der Natur der Sache
nach grosse technische Schwierigkeiten. Einen solchen construirte v. Lasaulx, indem
er eine Kugel von dem spec. Gewichte des Wassers, bei 15°, in einem in den
Erdboden eingelassenen gemauerten Gefässe frei schwebend ringsum mit beweg-
lichen Stäbchen, radial ausstrahlend, umgiebt, deren Ortsveränderung durch eine
Bewegung der Kugel in jedem Azimuth markirt wird, so dass sich hieraus er-
kennen lässt, in welcher Richtung, nicht nur horizontal, sondern auch von unten
nach oben, die durchgehende Erschütterung die Kugel erfasste und bewegte.
Solche Apparate, wie überhaupt Seismometer, können aber freilich den Be-
weis ihrer praktischen Brauchbarkeit erst dadurch liefern, dass ein Erdbeben über
dieselben hingeht.
Entstehung der Erdbeben.
Aus allen Betrachtungen, die wir im Vorhergehenden über die gesammtcn
Erscheinungen bei Erdbeben angestellt haben, ergiebt sich unzweifelhaft der
Schluss, dass dieselben sowohl nach ihrem Auftreten in bestimmten Gebieten
der Erdoberfläche, als auch nach ihrer Form und den Verhältnissen ihrer Propa-
gation und Wirkung keineswegs eine derartige Uebereinstimmung zeigen, dass
wir daraus auf eine allen gemeinsame einheitliche Ursache geführt würden.
Im Gegentheil, es lassen sich so grosse Verschiedenheiten feststellen, dass daraus
schon a priori auch eine Verschiedenheit der erregenden Ursache sich erwarten lässt,
so wie wir auch die künstlichen Erschütterungen an der Erdoberfläche, die wir
im täglichen Leben wahrnehmen, aus verschiedenen Erregungen entstehen sehen.
Ein Blick auf eine Erdkarte, auf welcher wir alle Gebiete besonders ver-
zeichnet haben, in denen vorzüglich Erderschütterungen einzutreten pflegen, zeigt
uns, dass bezüglich ihrer Verbreitung sich die Erdbeben in zwei Gruppen theilcn,
solche, die in vulkanischen Gegenden der Erde vorkommen und solche, die vor-
züglich die gebirgigen Theile der Erdoberfläche heimsuchen, auch wenn di^
selben frei sind von Vulkanen. Nur ausnahmsweise und meist nur in localer Aus-
dehnung werden auch die eigentlichen Tief- und Flachländer von Erdbeben betroffen.
Wir müssen sonach vor Allem die vulkanischen Erdbeben von den
nichtvulkanischen unterscheiden.
I. Vulkanische Erdbeben sind in allen Gegenden, in denen vulkanische
Aeusserungen überhaupt stattfinden, in denen vor Allem also thädge Vulkane
gelegen sind, überaus häufig.
Der unmittelbare zeitliche Zusammenhang mit Eruptionen und ganz beson-
ders der bestimmte Nachweis, dass das Centrum der Erschütterung auch mit dem
Centrum der vulkanischen Thädgkeit zusammenfällt, sind unerlässlich, um ein
wirklich vulkanisches Erdbeben zu charakterisiren. Der blosse örtliche Zusammen-
hang genügt nicht. Nicht selten treffen Erdbeben vulkanische Gebiete und er-
schüttern sogar die Wände der Vulkane selbst, ohne von diesen auszugehen.
Unter den Erdbeben, welche die Ostküste Siciliens oft und schwer heimgesucht
haben, sind nur die wenigsten vom Aetna ausgegangen. Die Erschütterungen
griffen in das vulkanische Gebiet des Aetna z. Th. vom jenseitigen Calabrien
herüber, z. Th. kamen sie aus den südlicher gelegenen Gebieten des Val di Nota
Die eigentlichen Aetnabeben sind meistens nur von ganz localer Wirkung ond
ihre Stossrichtung führt auf das Centrum des Vulkans.
Die Erdbeben. 359
Dasselbe gilt von den meisten anderen Vulkanen. Auch das Erdbeben von
Ischia vom 4. März 1881, obschon es geradezu auf den nördlichen Abhängen
des Epomeo sich ereignete, lässt doch keinen nachweisslichen Zusammenhang
mit diesem vulkanischen Centrum erkennen. Die ganze Art der Erscheinung
spricht im Gegentheil mit einiger Sicherheit dafür, dass die Zerstörung von Casa-
micciola nicht dem Vulkane zur Last fällt.
Ganz besonders hat der blosse örtliche Zusammenhang von Erdbeben mit
Gebieten erloschener vulkanischer Thätigkeit keinerlei beweisende Kraft für die
vulkanische Erregung derselben. Allerdings wissen wir, dass das Erloschensein
iür viele Vulkane nur eine beschränkte Bedeutung hat und es giebt Beispiele
genug, wo ein scheinbar erloschener Krater seine Thätigkeit plötzlich wieder
aufnahm. Aber da das Eintreten vulkanischer Erschütterungen, wie wir sehen
werden, doch immer mit gewissen Phasen gesteigerter Thätigkeit in den Vulkanen
zusammenhängt, so lässt sich wohl behaupten, dass kein Gebiet erloschener
Vulkane, es sei denn, dass eine Wiederaufnahme eruptiver Thätigkeit nahe bevor-
stehe, an den sich in demselben ereignenden Erdbeben unmittelbar die Schuld
trage. Die dem gewaltigen Ausbruche des Vesuv im Jahre 79 n. Chr. voraus-
gehenden vulkanischen Erdbeben deuteten eben das Wiedererwachen der lange
erloschenen vulkanischen Kraft in diesem Berge an.
Die Erdbeben aber, die nicht selten die Gebiete der alten Kratere in der
vulkanischen Eifel und die Umgebung des Laacher See's betroffen haben, sind
meist nur mit Unrecht zu diesen in genetische Beziehung gebracht worden. Sie
strahlten ihre Bewegung von auswärts in diesen vulkanischen Kreis hinein; aber
ihr Centrum lag vielleicht in keinem einzigen Falle wirklich auch in einem
vulkanischen Centrum. Es waren Rheinthalbeben (pag. 336), die dort fühlbar
wurden. Sorgsame Feststellung der beobachteten Stossrichtung und kritische Er-
wägung der ganzen Erscheinungsweise muss auch für vulkanische Gegenden erst
die vulkanische Entstehung der Erdbeben nachzuweisen versuchen.
Die vulkanischen Erdbeben bleiben ausschliesslich auf die nähere Umgebung
eines Vulkanes beschränkt und gehören z. B. nie zu den über grosse Flächen
ausgedehnten Erscheinungen. Diese Erdbeben tragen fast immer sehr deutlich
den Charakter von Explosionswirkungen an sich. Die grosse Intensität der
Wirkungen steht sehr oft bei ihnen im umgekehrten Verhältnisse zur Verbreitung.
Die heftigen vesuvischen Erdstösse im Jahre 63 n. Chr. warfen Herkulanum und
Pompeji in Schutt und Trümmer, ohne dass sie eine weitere Verbreitung gezeigt
hätten.
Die Alt der Entstehung dieser explosiven Erschütterungen erkennt man deut-
lich, wenn man auf dem Kegel eines thätigen Kraters die deutliche Coincidenz
der aus demselben ausgestossenen Dampf- und Aschenwolken mit dem Erbeben
des Bodens wahrnimait. So oft eine Dampfwolke hervorbricht, bebt der Berggipfel
und die schnelle Folge jener macht das Erzittern geradezu condnuirlich.
Die aus den schmelzflüssigen Laven sich entwickelnden Gase und vornehm-
lich der Wasserdampf, der in überhitztem Zustande und mit mächtiger Tension
begabt, eine ganz wesentliche KoUe in den vulkanischen Magmen spielt, sind
die Träger dieser Explosionen.
Nun erscheint es auch verständlich, warum mit dem Austritt der Lava in
der Regel die Erschütterungen ein Ende erreichen oder aufhören. Jedoch ist
dieses keineswegs immer der Fall. Der grossen Aetnaeruption des Jahres 1879
gingen nur ganz unbedeutende Erschütterungen voraus, erst nachfolgend traten
360 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
eine ganze Reihe zerstörender Stösse an den Flanken des Berges auf. Immerhin
aber ist es natürlich, dass die Dampfansammlungen mit dem Ausströmen der
Laven zugleich eine Ableitung finden. Es wird daher eine grosse Spannkraft
derselben nicht mehr eintreten können und die Erschütterungen müssen ab-
nehmen.
Die Zahl der vulkanischen Erdbeben ist eine ungeheuer grosse; gleichwohl
werden dieselben nur selten wahrgenommen, da sie auf den Kegel oder die
nächste Nähe des Vulkanes beschränkt bleiben, hier aber in den meisten Fällen
der Beobachter fehlt Unzählich sind die kleinen Beben und Erschütteningen,
die der PxLMiERi'sche Apparat auf dem Observatorium des Vesuv registiirt.
Die monatelang auf den Azoren 1866 — 67 eintretenden, fast täglich und ständ-
lich wahrnehmbaren Erschütterungen waren vulkanische, sie hingen mit einer am
I. Juni 1865 beginnenden submarinen Eruption zwischen den Inseln Terceira und
Graciosa zusammen und endigten auch bald nachher.
Auch die Erdbeben in der Fonseca-Bay in Central-Amerika, die am 11. Febniar
1868 anfingen und schon am 17. Februar 200 Erdstösse geliefert hatten, warea
vulkanische; die Eruption des Conchagua hing mit ihnen zusammen.
Auch auf den Flanken des gewaltigen Vulkanes Mauna-Loa auf Hawai, der
in fortdauernder Thätigkeit sich befindet, sind Erdbeben vulkanischer Elrregung
ungemein häufig; hier oft von grosser Heftigkeit, aber trotzdem immer nur von
localer Verbreitung.
Dass fem von Vulkanen und von vulkanischen Gebieten es Erdbeben gebe,
die noch mit jenen Aeusserungen genetisch verknüpft seien, Erdbeben, für welche
man früher auch wohl die Bezeichnung plutonischer Erdbeben gebrauchte, um
damit gewissermaassen ihre Herkunft aus dem feurigen Erdinneren auszudrflcken,
das muss nach dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft als durchaus onvahr-
scheinlich bezeichnet werden. Ein solcher Zusammenhang der Erdbeben mit
vulkanischen Erscheinungen auf Grundlage des für beide gemeinschaftKchen
Herdes, des sogen, feurig-flüssigen Erdinneren, so dass die Vulkane ihre Lava,
die Erdbeben ihre Anstösse unmittelbar daraus erhielten, existirt nicht Wir ver-
weisen bezüglich dieser Annahme auch auf den Artikel tErdball u. 5. w.c
Dass aber dennoch die Gegenden der Erde, in denen Erdbeben zu den häufigsten
Erscheinungen gehören, auch die Zonen der Verbreitung vulkanischer Thätigkeit
sind, das zeigt allerdings ein Blick auf die Erdkarte, bedarf aber noch einer Er-
klärung. Wir werden darauf eingehender im Artikel »Vulkanec zurückzukommen
haben. Hier mag nur hervorgehoben werden, dass das verbindende und beide
Erscheinungen bedingende Glied der planetarischen Vorgänge jedenfalls in der Ge-
birgsbildung zu sehen ist, sei es, dass diese den Vulkanismus ebenfalls erst erzeugt,
oder dass sie, als Ursache der grossartigsten Erdbeben, die vulkanische Thätig-
keit wenigstens begünstigt, indem in der Erdfeste Störungen «des Zusammenhanges
hervorgerufen werden, die das zu Tagetreten vulkanischer Processe erieicbtem.
2. Nichtvulkanische Erdbeben.
Bei allen Erdbeben, bei denen der im Vorhergehenden betonte Nachweis
eines ursächlichen Zusammenhanges mit Vulkanen nicht zu erbringen ist, wird
es zunächst darauf ankommen, den Ort des erregenden Herdes bezüglich seiner
geognostischen Lage zu erkennen. Wir haben das hierauf bezügliche in den
Betrachtungen unter d) (pag. 333 ff.) eingehend erörtert Von selbst leiteten uns
diese auf zwei verschiedene Ursachen. Einmal fiel die erregende Stelle in solche
Gebiete, in denen Einstürze unterwaschener Hohlräume nach der geognostischen
Die Erdbeben. . 361
Beschaffenheit fast mit Sicherheit vorausgesetzt werden durften, das andere Mal
lag sie auf Spaltenlinien im Gebirgsbaue, die für die weitere Entwicklung dieses,
somit für die Tektonik der Erde von Bedeutung sind. Beide Arten von Erdbeben
können füglich als Dislocationsbeben bezeichnet werden; die ersteren in's
Besondere als Einsturzbeben, die letzteren als Spaltenbeben oder wie Hörnes
sie treffend genannt hat: tektonische Beben.
a) Einsturzbeben.
Nach der Art der Vorgänge, die diese Erdbeben einzuleiten vermögen, kann
von vornherein eine sehr grosse Ausdehnung derselben nicht vorausgesetzt
werden. Es erscheint durchaus unwahrscheinlich, dass Einstürze eine andere
als bloss locale Erstreckung und Wirkung zu haben vermögen.
Wenn man aber die Gesteine in ihrer Verbreitung im Inneren der Erde, nach
ihrem Auftreten in der ganzen Folge der bekannten geognostischen Systeme zu
schätzen versucht, so wird man finden, dass die leicht löslichen Gesteine, die
hiemach am meisten zur Bildung von Hohlräumen geeignet scheinen und
dadurch Einsturzbeben zu prädisponiren vermögen, keineswegs vereinzelt oder
beschräxikt, sondern in sehr grosser Verbreitung vorkommen. Das lässt a priori
voranssetzen , dass auch die Einsturzbeben keineswegs vereinzelt sein mögen.
Ueberall, wo Kalkstein, Gyps oder Steinsalz im Inneren der Erde lagern, sind
die Bedingungen für jene gegeben.
Aber da es weitaus häufiger der Fall sein dürfte, dass der Zusammenbruch
gebildeter Hohlräume erst allmählich und stetig durch das Niedergehen vieler
kleiner Theile eines Auswaschungsgebietes erfolgt, als dass ein einziger oder nur
wenige grössere Einstürze die Erfüllung jener vollziehen, so werden die meisten
der hierdurch hervorgerufenen Erschütterungen in ihren Wirkungen kaum so intensiv
sich gestalten, dass man dieselben an der Erdoberfläche besonders beachtet.
Selbst die heftigen Erschütterungen haben nur locale Wirkungen.
Gleichwohl lässt eine charakteristische Eigenschaft der Einsturzbeben sich
aus der Art ihrer Entstehung herleiten. Da die Senkung oder der Einsturz der
Decke eines gebildeten Hohlraumes meist nicht mit einem Male, sondern in oft
wiederholtem Nachsinken, ruckweise, erfolgt, so muss ein mehr oder weniger engbe-
grenztes Gebiet die erregenden Stellen für eine ganze Erdbebenperiode umfassen.
Eine wesentlich veränderte Lage der Stossmittelpunkte wird entweder gar nicht an
der Oberfläche wahrnehmbar sein, oder, wenn dieselbe zu beobachten ist, wird
eine bestimmte Beziehung der Lage jener Stosspunkte zu einander sich nicht er-
geben. Sie werden nicht auf bestimmten Linien liegen, oder ein Fortschreiten
in einer Richtung erkennen lassen, sondern regellos innerhalb einer ziemlich eng
begrenzten Oberflächenzone, meist von geschlossener, rundlicher Gestalt werden
sie wandern, hier und da auftretend, ohne erkennbare Gesetzmässigkeit über
das centrale Gebiet der Erschütterungen ausgestreut. So war es in auffallender
Weise bei der Erdbebenperiode von Gross-Gerau der Fall.
Wenn wir an die im grossartigsten Maassstabe unterminirten Karstgebiete
mit ihren Höhlen, Grotten und Dollinen denken, wo man auf Schritt und Tritt
Felsstürzen und Felseinbrüchen begegnet, tritt uns das Bild solcher Erdbeben
recht deutlich entgegen. Denn jeder Felstrichter oder DoUine ist das Denkmal
eines Einsturzes, der mit einer Erschütterung verbunden gewesen sein muss.
HocHSTETTER hat sclbst ein Erdbeben, dass er zu dieser Kategorie rechnet, im
August 1880 zu St. Margarethen in Unter-Krain wahrgenommen.^)
^) HOCBSTBTTER, 1. C, pag. 9.
362 Mineralogie, Geologie und Falaeontologie.
Dass andauernde Nässe und grosse Regengüsse Erdbeben dieser Ait, deren
Ursache wohl niemals in sehr grosser Tiefe gelegen sein dürfte, vorzubereiten
und zu begünstigen vermögen^ natürlich nur an solchen Orten, an denen überhaupt
die Bedingungen für dieselben vorhanden sind, bedarf kaum einer näheren Aas-
fUhrung. Diese meteorologische Coincidenz, die uns aus der Erdbebenstatisdk
z. Th. entgegentritt, ist also vielleicht überhaupt in dieselbe nur durch die Ein*
sturzbeben hineingekommen.
Um die Statistik wirklich zu richtigen Resultaten zu bringen, dürften immer
nur Erdbeben einer und derselben Art mit einander zur Vergleichung kommen.
b) Spalten- oder tektonische Beben.
Dass zu dieser Kategorie die häufigsten, furchtbarsten und ausgedehntesten
Erdbeben zu rechnen sind, hat sich theilweise schon aus den Betrachtungen unter
d (P^S* 333) ergeben. Dort wurden auch die charakteristischen Eigenschaften dieser
Erdbeben hinlänglich hervorgehoben:
Axialer Charakter der Oberflächenpropagation; Lage der erregenden Herde
auf tektonischen Linien, Wandern der Stosspunkte auf diesen Linien u. A.
Es stehen diese Erdbeben mit der Gebirgsbildung im Zusammenbang; denn
die Spalten, auf welche ihre Stosslinien verweisen, sind Folgen der Gebirgsbildung.
Von der Annahme ausgehend, dass die Erde ein erkaltender und daher auch fort-
dauernd sich contrahirender Körper ist (Art. Erdball u. s. w.), fassen wir £e Gebirgs^
bildung als die Folge der durch diese Contraction hervorgerufenen Bewegungen
auf, die ein Faltenwerfen, ein Zerreissen, ein Verschieben der einzelnen Theile
gegen einander zur Folge haben. Ist die Wirkung der Contraction nicht glekh-
mässig über die ganze Oberfläche vertheilt, so wird auch das Faltenwerfen nur
an gewissen Stellen erfolgen. Wir erkennen dies in der That Grosse continentile
Flachlandsschollen liegen in unverändeter Horizontalität an einigen Slellen vor.
Um so grösser wird die faltende und zusammenschiebende Wirkung in den
zwischenliegenden Theilen. In diesem Sinne kann man füglich auch von einem
stauenden Einflüsse sprechen, den gewisse Theile auf die meist zusammenge-
schobenen ausgeübt haben. Im Artikel »Gebirge« werden diese Vorgänge eines
Näheren erörtert werden.
Der gewaltige Druck, der auf diese Weise entsteht, mag er nun in einer oder
auch in zwei sich zustrebenden Richtungen wirken, die Spannung, die hierdorcfa
bewirkt wird und die endlich ein Auslösen in irgend einer Weise voraussetzt.
sind eine hinlänglich grosse Kraft, um Bewegungen hervorzurufen, die über grosse
Theile des Planeten greifen. Die Ausgleichung der Spaimung erzeugt Veisdüe^
bungen, die entweder quer zu dem Drucke gerichtet, der Faltenlage entsprechen
oder dem Drucke parallel, aber quer zur Faltenlage gestellt sind. Klüfte und
Spalten, mit allen Anzeichen erfolgter Bewegung versehen, oftmals sich wieder
schliessend, öflhend und erweiternd, sind die Wege dieser Verschiebungen.
Wie bedeutend und tief eingreifend in den Gebirgsbau dieselben sein können,
dafllr mögen hier nur ein paar Beispiele angeführt werden, da diese uns wieder-
um einen Maassstab geben, darnach die Ausdehnungsfähigkeit der Erschütterungen
zu schätzen, die durch jene Spaltenbildungen oder erneuerte Bewegungen »va
bereits vorhandenen Spalten hervorgerufen werden.
H. V. Decken hat einige der grossen Dislocationsspalten genauer beschne^
ben, in ihrem Verlaufe festgestellt und erörtert^) Die eine derselben» io ihres
') V. Dechbn, Ueber grosse Dislokationen. Sitiber. der niederriiein. Ges. f. Nat. u. Heä
1881, Januar.
Die Erdbeben. 363
V^erlaufe fast überall durch Bergbau erschlossen und erkannt, begleitet den süd-
lichen Rand der belgischen Kohlenbecken von Lüttich und vom Hainaut auf
ihrer ganzen Längenerstreckung durch Belgien, von der preussischen bis zur
französischen Grenze, und lässt sich in der Richtung gegen W noch weiter in
Frankreich durch das Norddepartement und das Pas-de-Calais bis an das Meer
verfolgen. Wenn dieselbe, wie dieses nicht unwahrscheinlich ist, auch gegen O.
noch in die Rheinprovinz fortsetzt und zwischen den beiden Steinkohlenmulden
an der Inde bei Eschweiler und der Worm durchzieht, würde ihr eine Gesammt-
länge von 380 Kilom. zukommen.
Dass diese Spalte, wenn sich in ihr noch jetzt Bewegungen vollziehen, wie
sie in den Niveauunterschieden der beiderseitigen Gebirgstheile, die an einigen
Punkten bis zu 2000 Meter betragen, unverkennbar als vollzogen sich ausprägen,
wohl ausreicht, Erschütterungen zu erklären, wie z. B. die vom Jahre 1828, welche
einen ausgesprochen longitudinal-linearen Verlauf nahm und weithin bis auf die
rechte Rheinseite sich ausdehnte, ist eine keineswegs gewagte Voraussetzung.
In Nord-Amerika sind in den wesdichen Territorien von Colorado ebenfalls
zahlreiche Verwerfungsspalten bekannt, die auf viele Meilen durch die Gebirge
verfolgt werden können.
Eine derselben, die Hurricane fault, hat gewiss 200 engl. Meilen Länge und
die Grösse der Verschiebung der beiderseitigen Gebirgstheile misst mehrere
tausend Meter. ^)
Und solche Beispiele lassen sich zahlreich in allen Ländern und Gebirgen
nachweisen.
Die Wirkungen, welche den Erderschütterungen entstammen, die in solchen
Spalten und ihren Bewegungen erregt werden, überschreiten demnach keineswegs
das Maass, das sich aus der Grösse und Ausdehnung dieser Spalten herleitet.
Dass aber die Gebirgsfaltung und damit auch das Zerreissen und Verschieben
von in Spannung begrifienen Theilen der Erdfeste noch heute unter uns fortdauert,
dagegen lässt sich wohl kaum irgend ein plausibler Grund geltend machen.
Warum sollte die Gebirgsbildtmg, die zum grössten Theile in einer nachweislich
jungen geologischen Zeit sich vollzog und in den den alten Gebirgsfaltungen con-
form verlaufenden Biegungen junger diluvialer Gebilde fast bis an die Schwelle
der Gegenwart hinanreicht, plötzlich ihre Thätigkeit beendet haben? Jeder Fort-
schritt der Faltung, jede Auslösung der hierdurch entstehenden Spannung, macht
sich als ein Erbeben des Bodens bemerkbar.
Ja selbst wenn der Vorgang der Gebirgsfaltung nur mehr in ganz abge-
schwächter Form oder vielleicht gar nicht fortdauern sollte, so würden doch in
der Erdlinde durch Veränderungen in der Belastung der einzelnen Gebiete, durch
die Wirkungen der Erosion und Verwitterung nothwendig Bewegungen in den
Gebirgsschichten angebahnt werden, die in gleicher Weise längs Spaltenebenen
sich vollziehen und daher nur in der Intensität der Dislocation von den früheren
verschieden sein würden.
Findet in einem Gebiete eine Erderschütterung statt, so kann sie nachfolgende
neue Erschütterungen hervorrufen, indem die vorhandene Spannung durch die
von aussen hinzukommende Erregung ausgelöst wird. Sowohl Einsturzbeben, als
auch tektonische Beben vermögen auf diese Weise ausserhalb des Erschütterungs-
bereiches eines vorausgehenden Erdbebens, demselben aber mehr oder weniger
1) DUTTON, The high Plateau's of Utah. Washington 1880, pag. a8.
364 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
unmittelbar nachfolgend, gleichsam als Relaiswirkungen verursacht zu werden;
Relaisbeben würde daher vielleicht für solche Erschütterungen eine passende
Bezeichnung sein. Durch den innigen Zusammenhang, in dem die Spalten der
Gebirge oft über grosse Gebiete hin untereinander stehen, ist gerade bei den
tektonischen Beben die Möglichkeit für Relaisbeben eine sehr grosse.
Alle Gebirgsgegenden, namentlich aber die Gebirge mit kettenförmigem Ver-
lauf und diese wieder hauptsächlich an ihrer gegen das Meer oder tiefe Eid-
senkungen gerichteten Abdachungen, sind die Gebiete der tektonischen Erdbeben.
Man kann sie kurzweg als Erschütterungs- oder Schüttergebiete bezeichnen
Das ausgeprägteste und grossartigste Gebiet wurde schon mehrfach genannt Es
sind die meerwärts gerichteten Gehänge der südamerikanischen Cordilleren,
die östlichen Abhänge der Alleghanies und der centralamerikanischen Rette
Auch in den Alpen, in. denen allein in den Jahren 1850 — 57 über tausend
Erdbeben verzeichnet wurden, liegen die vorzüglichsten Schüttergebiete in dem
das adriatische Meer umschliessenden Bogen der cadorischen, kamischen
und dinarischen Alpen und es wird diese Erdbebenzone geradezu als die »Schütter-
zone der südlichen und südöstlichen Alpen« bezeichnet^) Verschiedene Be-
spiele dieser Erdbeben sind im Vorhergehenden schon angeführt worden.
Wenn wir bedenken, dass in manchen Gebieten die Klüfte und Spalten in
ausserordentlich grosser Zahl beisammen liegen, so dass sie vollkommene Neu-
werke darstellen mit zwischenliegenden gesteinserfÜUten Maschen und dass jede
einzelne Kluft und Spalte die Anzeichen stattgehabter Bewegung und Rutschonf
in polirten Rutschflächen, zerbrochener und wieder verkitteter Spaltenausfulltms
u. dergl. mehr, in sich trägt, so erscheint es geradezu wunderbar, dass in solchec
Gegenden die Erschütterungen nicht heute noch viel zahlreicher erfolgen. Aber
ein grosser Theil dieser Spalten und Klüfte ist nicht offen stehen geblieben.
sondern hat sich erfüllt mit Mineralbildungen und Erzen, die nun als Erzgänge
das Gebirge durchschwärmen. »Mancher Erzgang, sagt treffend Suess an irgend
einer Stelle "), kann als eine versteinerte und vererzte Quelle eines Erdbebens be-
zeichnet werden. € Je mehr aber diese Quellen versteinern, um so geiix^ger wird
die Wahrscheinlichkeit der Bewegungen. Und so können wir füglich solche Gebiete
als erlöschende Schüttergebiete bezeichnen, in denen nur hin und wieder
noch mit schwachem Aufleuchten eine Nachwirkung einstiger kräftiger and dauenh
der Erregung sich fühlbar macht In diesem Sinne scheinen Erzgebirge und
Riesengebirge, das Gebirge des rechtsrheinischen Devons u. a. als erlöschende
Schüttergebiete gelten zu können.
In jedem einzelnen Falle aber, wo irgend ein Theil der Erdoberfläche vus
einer Erschütterung betroffen wird, gestaltet sich im Allgemeinen die Frage luch
der Ursache derselben immer so: gestatten die gesammten Verhältnisse
der Propagation und die erkennbare Gestalt und Lage der centraler
Oberflächenzone, sowie die wahrscheinliche Tiefe des erregender
Herdes Schlüsse auf einen der drei vorhin genannten geologischer.
Vorgänge und schliesst sie die Annahme des einen oder anderer
derselben nicht mit Sicherheit aus?
Leichter wird man die eigentlich vulkanischen Erdbeben von den nicht
vulkanischen zu trennen vermögen, schwerer allerdings, weim nicht die Verfaalt-
*) HOCHSTETTXR, 1. C. pag. 9.
*) SuBSS, Zukunft des Goldes, ptg. 95.
Die Erdbeben. 365
nisse besonders deutlich und günstig sind, die beiden Arten der letzteren: die
Einsturzbeben von den tektonischen oder Spaltenbeben. Dass auch hier eine ge-
naue Prüfung und Vergleichung aller Erscheinungen eines Erdbebens, also eine
umfassende Erdbebenstatistik gewisse Unterscheidungsmerkmale an die Hand zu
geben vermag, ist aus dem Vorhergehenden zu entnehmen. So wird es gewiss
möglich werden, in nicht allzuferner Zeit jedem Erdbeben, das in solchen
Gegenden eintritt, wo hinlänglich Beobachter vorhanden sind, sein Ursprungs-
zeugniss durch zuverlässige Documente auszustellen.
Hierzu sind Erdbebencommissionen, die sorgsam alle bezüglichen, in
einzelnen Ländern zu sammelnden Beobachtungen mit wissenschaftlicher Belehrung
und praktischen Hülfsmitteln unterstützen und leiten, die gesammelten aber sichten
und verarbeiten, von der allergrössten Bedeutung. Schon sind einzelne Länder
z. B. die Schweiz, Oesterreich und Belgien in dem Einsetzen solcher Commissionen
mit rühmlichem Beispiele vorangegangen. Es ist zu hoffen, dass diesen noch viele
andere Staaten folgen werden. Vieles, was im Einzelnen für diese so überaus
wichtige geologische Erscheinung noch klar zu stellen und zu erforschen ist,
mjd dann ohne Zweifel eine einheitliche Förderung und Erleuchtung finden.
Literatur: Es sind bier nur die allgemeineren und neueren wiebtigeren Werke aufge-
führt, die Sondemrerke sind grösstentbeils im Text citirt. Falb, R., Grundzüge einer Theorie
der Erdbeben und VulkanausbrUche , Gratz 1871, und Gedanken und Studien Über den
Vulkanismus, Graz 1875. FüCHS, C. W. C. , Jährliche Uebersichten über Erdbeben, N. Jahrb.
t Min. 1866—72, und Tschermak's Mittheil. 1873 — 80; Derselbe: Vulkane und Erd-
beben. Leipzig 1875. HocHSTETTER, F. VON, Ueber Erdbeben. Beilage zu den Monats-
blattem des wissensch. Clubs, Wien 1880. Hoefer, H., Die Erdbeben, Kämthen's und
ihre Stosslinien. Denkschriften d. k. k. Akad. d. Wiss. Bd. 42. Wien 1880. Hoernes, H.,
Erdbebenstudien, Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanstalt, 1878, XXVm, und: Die Erdbeben-
theorie R. Falb's etc. Wien 1881. Hoff, K. E. A. von, Geschichte der natürl. Ver-
indenmgen der Erdoberfläche, Gotha 1822—34, 3 Bde. und Chronik der Erdbeben und Vulkan-
losbrüche, Gotha 1840, 2 Bde. Hoffmann, Fr., Nachgelassene Werke, Bd. II, Berlin 1838, von
den Erdbeben, pag. 308 fF. Kluge, K. E., Ueber die Ursache der in den Jahren 1850—57 statt-
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Das Erdbeben von Herzogenrath, 22. Okt 1873, Bonn 1874, u°d das Erdbeben von Herzogen-
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sische Erdkunde. Leipz. 1869, Cap. V, Erdbeben, pag. 244. Pfaff, F., allgem. Geologie, Leipz.
1^73* Kap. 12, pag. 224: Die Erdbeben und: Grundriss der Geologie, Leipz. 1876, pag. 125,
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rbendas. ToüLA, F., Ueber den gegenwärtigen Stand der Erdbebenfrage. Wien 1881. Volger, O.,
Untersuchungen über die Phänomene der Erdbeben in der Schweiz. 11. Bd. Gotha 1857 — 58.
366 Mineralogie, Geologie und Palaeontniogie.
Erze
von
Professor Dr. Kenngott.
Als Erze wurden im Allgemeinen gewisse Minerale benannt, welche ha
reichem Vorkommen dazu dienen, nützliche Metalle daraus hüttenmännisch dir-
zustellen. Es sind gewöhnlich sogenannte schwere unedle (gemeine) Metalle im
Gegensatz zu den schweren edlen und deshalb zeigen auch die Erze verglichen
mit anderen Mineralen ähnlicher Verbindungsweise durch ihr höheres specifisches
Gewicht an, dass sie solche schwere Metalle enthalten. So wurden z. B.
bei den Carbonaten RO-COj (s. d. Artikel Carbonate) einzelne angeführt
welche, wie der Siderit, Rhodochrosit, Smithsonit und Cerussit durch ihr höhere«
specifisches Gewicht auf die Anwesenheit schwerer Metalle in ihrer Verbinducc
hindeuten, wie hier auf die Anwesenheit von Eisen, Mangan, Zink und K6
während solche Carbonate, welche leichte Metalle in ihrer Verbindung enthaiien.
wie der Calcit, Aragonit, Dolomit und Magnesit, die leichten Metalle Calcium und
Magnesium enthaltend ein minderes specifisches Gewicht aufweisen. Wenn solche
specifisch schwerere Minerale in grossen Massen vorkommend gestatteten, aus ihn«:
schwere unedle Metalle, wie Eisen, Mangan, Zink oder Blei darzustellen, so
wurden sie zu den Erzen gerechnet, beziehungsweise zu den Eisen-, Mangan-,
Zink- oder Bleierzen.
Ausser dem höheren specifischen Gewichte zeigen andere als Ene dord
Bergbau gewonnene Minerale durch ihr halbmetallisches bis metallisches Aas-
sehen an, dass sie an gewisse schwere unedle Metalle erinnern, so dass sich die
Aufmerksamkeit auf das Aussehen und Gewicht richtete, um Minerale als Ene
zu erkennen, aus denen man Metalle gewinnen könnte.
Gewöhnlich sind die im Allgemeinen als Erze bevorzugten Minerale Ver-
bindungen gewisser schwerer, unedler Metalle mit Sauerstoff oder Schwefel und
da die Schwefelverbindungen, wie schon bei den Blenden bemerkt wurde, g^
statteten, sie miteinander vergleichend in gewissen Gruppen zusammenzufassen
wie die der Blenden, Kiese und Glänze, so stellte man auch vom mineralogischen
Standpunkte aus, Minerale als Erze (als oxydische Erze, Oxydolithe) in eine
Gruppe, wobei man in Rücksicht auf andere Arten, welche natürliche Gnippcr.
bilden, die Ordnung der Erze beschränkte, jedoch nicht im Stande war, ihnen
einen bestimmten allgemeinen unterscheidenden Charakter zuzuschreiben, durch
welchen sie als solche bestimmt von anderen Sauerstoffverbindungen unteischie
den werden könnten.
Wenn nun hier unter dem Namen Erze eine Reihe von Mineralen beschriebe!:
werden soll, so ist vorwaltend auf die technisch wichtigen Metalle Rücksicht ge-
nommen worden, welche aus solchen Erze genannten Mineralen gewonnen werden
Solche Metalle sind Eisen, Mangan, Chrom, Uran, Zink, Zinn, Blei, Kupfer u. a. m
wonach man Eisen-, Mangan-, Chrom- Uran- Zink- u. a. Erze angegeben findet Ein-
zelne der so hüttenmännisch als Erze aufgefassten Minerale werden jedoch in anderen
Gruppen beschrieben, weil gleichzeitig auch der mineralogischen Aufiassuxu:
Rechnung getragen werden soll.
L Eisenerze.
Das Eisen ist in unserer Erde ein allgemein verbreiteter Stoff; dasselbe finde*
sich jedoch nicht oder wenigstens nur höchst selten als Metall (^ sich — getise^
Erze.
367
gen — wie man in solchen Fällen sich bei Metallen auszudrücken pfiegt; da-
gegen sind einzelne Verbindungen, in grossen Massen und reichlich verkommend,
schon in frühen Zeiten zur Darstellung des Eisens benützt worden. Als solche
sind hier hervorzuheben:
Das Magneteisenerz, FeO'Fe^Oj,
das Rotheisenerz, Fe^O, und
das Brauneisenerz, 3 HgO-aFe^Oj,
während das auch zur Darstellung des Eisens äusserst wichtige kohlensaure Eisen-
oxydul FeO'CO) bereits unter den Carbonaten (s. S. 105) als Siderit (Eisen-
spat h) beschrieben wurde.
I. Das Magneteisenerz oder der Magnetit. Diese Mineralart erhielt
diese Namen wegen des ihr eigenthümlichen Magnetismus, wird auch Magnet-
eisenstein genannt. Der Magnetit krystallisirt tesseral, bildet in gewissen Ge-
steinsarten überaus zahlreich eingewachsene Krystalle, gewöhnlich Oktaeder
(Fig. i), welche oft Contactzwillinge nach einer Oktaederfläche (Fig. 2) bilden,
auch Rhombendodekaeder <» O (Fig. 3) oder Combinationen desselben mit dem
Oktaeder (Fig. 4), doch kommen auch bei den in Drusenräumen aufgewachsenen
OfiB. 56-&9.)
Fig. I. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4.
Krystallen andere tesserale holoedrische Gestalten in Combination mit jenen vor.
Die Spaltungsflächen parallel den Flächen des Oktaeders sind mehr oder weniger
deutlich, die Bruchflächen sind muschlig bis uneben. Die einzeln eingewachsenen
Krystalle sind bisweilen undeutlich ausgebildet, erscheinen als unbestimmt eckige,
selten abgerundete Krystallkömer. Wenn solche früher eingewachsene Krystalle
oder Kömer lose vorkommen, durch Wasser aus den zersetzten Gesteinen ausge-
waschen wurden und sich lose, bisweilen reichlich angehäuft finden, bilden sie
den sogen. Magneteisensand. Ausser krystallisirt findet sich der Magnetit in
derben Massen, welche als krystallinischkömige aus Krystallkömem zusammenge-
setzt sind und durch zunehmende Kleinheit der Kömer undeutlich krystallinisch
bis fast dicht sind. Der kiystallinisch-kömige Magnetit ist bisweilen dmsig-kömig.
Selten ist der Magnetit wirklich dicht und als solcher derb und eingesprengt;
sehr selten ist er feinerdig, als Ausfüllung von Hohlräumen oder als Ueberzug
vorkommend, als solcher Eisenmulm genannt.
Er ist eisenschwarz, zuweilen in stahlgrau, der kömige auch in bräunlich-
schwaiz geneigt, besonders durch Anlaufen, ist metallisch glänzend, oft nur unvoll-
kommen bis matt, undurchsichtig, hat schwarzes Strichpulver, ist spröde, hat
Härte = 5,5 — 6,5 und das specif Gewicht = 4,9 — 5,2. Ausgezeichnet ist er durch
seinen Magnetismus, immer stark auf die Magnetnadel einwirkend, oft polarisch
magnetisch (der natürliche Magnet). Auflallend ist hierbei die Erscheinung, dass
die einzelnen Krystalle gewöhnlich weniger stark magnetisch sind als die krystalli-
368 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
nisch feinkörnigen bis fast dichten Massen, die selbst schon stark mit £tsenox]rd-
hydrat durchzogen sind, daher bräunlichschwarz gefärbt erscheinen und fiist mitt
sind. Legt man ein Bruchstück solcher in Eisenfeilspäne, so werden diese vom
Magnetit angezogen und bleiben daran hängen. Wegen der For^flanzung des
Magnetismus reihen sich solche Späne aneinander, wie man dies auch sehen kann,
wenn man einen Magnetstab durch Eisenfeilspäne hindurchzieht, und bilden
Büschel, welche man als «Bart bezeichnet. Ist der Magnetit polarisch magnetisch,
so stehen an den entgegengesetzten Polen die den Bart bildenden Büschelfaseni,
(die linear geordneten Eisenfeilspäne) in entgegengesetzter Richtung. Hängt man
ein solches polarisch magnetisches Stück an einem Pferdehaar oder an einem ungt-
drehten Seidenfaden auf, so nimmt es eine Stellung, wie die Magnetnadel an,
desgleichen sieht man diese Stellung auch einnehmen, wenn man ein solches
Stück auf ein Holzschiffchen legt, welches auf Wasser in einem Gefässe schwimmend
sich leicht drehen kann. Die anziehende Kraft des Magnetit, des Magnes lapts
oder kurzweg des Magnet genannten Steines war schon den Griechen und Römern,
überhaupt den Alten bekannt und es soll, wie Plinius in seiner historia naturalis
berichtete, der Magnet seinen Namen nach einem Hirten erhalten haben, der ihn
auf dem Berge Ida entdeckte, weil die Nägel seiner Schuhe und die eiserne Spitze
seines Hirtenstabes daran hängen blieben. Abgesehen von der Zugkraft hatte
jedoch die polarische Richtung (die Richtkraft) den grössten Einfluss auf die ganxe
Menschheit, die von den Chinesen schon looo und mehr Jahre vor Chr. lur
Lenkung der Wagen in den grossen Steppen der Tartarei benützt wurde, während
sie in Europa über 2000 Jahre später zur Anwendung kam.
Als Verbindung des Eisenoxydul mit Eisenoxyd FeO-FejO, enthält der
Magnetit 31^ Eisenoxydul und 69^ Eisenoxyd oder 72,4^ Eisen und 27,6} Sauer>
Stoff und ist das eisenreichste Erz unter den Eisenerzen. Unwesentlich enthalt
er bisweilen etwas Titansäure TiO,, welche als titansaures Eisenoxydul FeO-
TiOg geringe Mengen des Eisenoxydes ersetzt, auch Magnesia an Stelle von Eisen-
oxydul oder Manganoxydul, wie besonders der oben angeführte Eisenmulm. Als
Pulver ist der Magnetit in concentrirter Chlorwasserstoffsäure vollkommen löslich;
vor dem Löthrohr ist er sehr schwer, nur an den Kanten schmelzbar. Mit Borax
oder Phosphorsalz geschmolzen zeigt die Perle starke Eisenreaction, indem sie
heiss dunkelroth ist, in der Oxydationsflamme behandelt beim Erkalten gelb, in
der Reductionsflamme behandelt beim Erkalten gelblichgrtin (oliven- bis berg-
grün, bouteillengrün) wird.
Er erleidet bisweilen eine Umwandlung in Eisenoxyd, wie die Martit ge-
nannten Pseudokrystalle von Hämatit nach Magnetit von San Paulo in Brasilien oder
von Kalinowkoi bei Beresowsk am Ural zeigen, wodurch auch derbe Massen von
Magneteisenerz in Rotheisenerz übergehen. Gewöhnlich tritt dazu Aufnahme von
Wasser, wodurch Brauneisenerz entsteht, doch scheinen derartige Umwandlungen
sehr langsam vor sich zu gehen.
Derbe Massen des Magnetit finden sich nicht selten, selbst in solcher Aus-
dehnung, dass sie als Gesteinsart aufgefasst werden könneh, mächtige Lager oder
Stöcke bildend, welche dem Gneiss, Glimmerschiefer, Amphibolit, Chlorit- und
Thonschiefer, den Grünsteinen, dem kömigen Kalk u. a. eingelagert sind, be-
sonders in nördlichen Ländern, wie in Norwegen (bei Arendal), Schweden (bei
Norberg in Westmanland, Filipstad in Wermland, am Grengesberge in Dalarae,
am Taberge in Smaland und bei Dannemora), Lappland (die Magneteisencrzbeigt
Kirunavara und Luossavara in Tomea-Lappmark, den mächtigen Magneteisen-
stoct am Gellivara m Lülea-Lappmark bildend), am Ural (cfie Magneteisenberge
von Wissokaja-Gora westlich von Nischne-Tagilsk, der Blagodat bei Kuschwinsk,
der Raschikanar bei Nischne-Turinsk), in Nord-Amerika am Oberen-See. In
Deutschland treten auch Lager von Magnetit auf, wie in Schlesien, am Harz, i»
Sachsen, Thüringen, Nassau, in Oesterreich (Steiermark, Böhmen, Mähren), welche
aber nicht so mächtig sind, wie die nördlichen Vorkommnisse; südlich sind
beispielsweise zu erwähnen die Magneteisenerzlager von Rio auf Elba, die im
südlichen Spanien und in Brasilien.
Eingewachsene Krystalle oder Kömer sind dagegen sehr häufig, wie in Chlorit-^
schiefem und Talkschiefem der Alpen oder in verschiedenen anderen Gebirgsarten,
namentlich vulkanischen, meist in verhältnissmässig grosser Menge und bisweilen
sehr klein, ja selbst so klein, dass man sie nicht mehr mit dem unbewaffneten
Auge erkennen kann, sondern nur durch starke Vergrösserung, wie in Trachyten,
Obsidian, Dolerit, Basalt u. a.
Schöne Krystalle finden sich beispielsweise bei Traversella in Piemont, am
Monte Mulatto in Süd-Tyrol, im Binnenthale im Canton Wallis in der Schweiz,
bei Achmatowsk am Ural, Kraubat in Steiermark, Schwarzenberg in Sachsen,
Morawicza im Banat u. a. m.
An den Magnetit schliessen sich an:
Das tesserale Titaneisenerz, wozu auch der sogen. Iserin von der
Iserwiese in Böhmen gerechnet wurde, mit verschiedenem Gehalte an Titansäure,
der bis zu 25^ ansteigend (in den im Nephelindolerit von Meiches in Hessen
eingewachsenen oktaedrischen Krystailen nach A. Knop) gefunden wurde.
Das tesserale Talkeisenerz von Sparta in New-Jersey und der Magne-
ferrit (Magnesioferrit) vom Vesuv, in welchem letzteren der Gehalt an Magnesia
(Talkerde) bis zur Formel MgO»Fe203 ansteigt
Das tesserale Zinkeisenerz oder der Franklinit, welches bei schwarzer
Farbe braunes Strichpulver hat, bis über 20^ Zinkoxyd enthält und vor dem
Lothrohre auf Kohle unschmelzbar einen Zinkoxydbeschlag absetzt. Dieses mit
Zinkit bei Franklin und Stirling in New-Jersey in Nord-Amerika vorkommende
Erz enthält auch neben dem Eisenoxydul, Zinkoxyd und Eisenoxyd noch Mangan-
oxydul und Oxyd. Die Zusammensetzung entspricht der Formel RO'RjOj, worin
RO wesentlich Fe und ZnO und RjO 3 wesentlich FejOj ist; MnO und Mn^O,
sbd als Stellvertreter vorhanden.
Das tesserale Manganeisenerz, Jacobsit genannt, am Jakobsberg in Werm-
and in Schweden, welches wesentlich der Formel MnO-FejOj entspricht
Das wichtige tesseraleChromeisenerz oder der C h r o m i t , welcher besonders
tur Darstellung gewisser Chromfarben benützt wird. Er enthält Chromoxyd in
wechselnden Mengen bis zu 60 f, nebenbei Eisenoxydul etwas Magnesia und
Phonerde und ist ausser der Chromreaction vor dem Lothrohre bei seiner bräun -
ichschwarzen Farbe durch einen braunen Strich vom ähnlich aussehenden Mag-
letit unterscheidbar.
Alle diese sich dem Magnetit anreihenden isomorphen Eisenerze sind
nehr oder weniger magnetisch und entsprechen in ihrer Zusammensetzung der
illgemeinen Formel RO^R^O,, welche nach dem beiden Skleriten anzufahrenden
»pinell die Spinellformel ist In diesem gleichfalls mit Magnetit isomorphen
rlinerale ist aber RO wesentlich Magnesia, R^O, wesentlich Thonerde und von
bm gehen eisenhaltige Varietäten aus, welche in die isomorphen Eisenerze
iberfiihrcn.
KMXHQoTTt Mia.« Geol. u. PaL I, 34
370
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
2. Das Rotheisenerz oder der Hämatit, benannt als Eisenerz nach der
rothen Farbe des Strichpulvers oder nach dem griechischen Namen luumaäUi,
Blutstein, einer fasrigen Varietät dieses Minerales, welche bisweilen noch als
Schmuckstein geschliffen wird, häufiger dagegen als Polir- und Putzmittel meuUcner
Gegenstände benützt wird.
Der Hämatit kiystallisirt hexagonal, rhomboedrisch-hemiedrisch. Als Grund-
gestalt wurde das wenig spitze Rhomboeder (Fig. 5) aufgestellt, dessen Endkanten-
Winkel = 86® ist. Dasselbe kommt auch für sich an Krystallen vor, oder
combinirt mit den Basisflächen oR (Fig. 6), welche weiter ausgedehnt (Fig.;
(Min. 60-68.)
Fig. 7.
Fig. 5-
Fig. 6.
i "Ti.
F!g. 8.
bis zu tafelartigen Krystallen (Fig. 8) führen, an denen die Rhomboederfläcbcn R
untergeordnet sind. In Combinationen treten auch noch andere Rhomboeder aui.
wie das sehr stumpfe Rhomboeder ^R (Fig. 9, an R dreiflächige Zuspitzung der
Endecken bildend, die Zuspitzungsflächen gerade auf die Rflächen aufgeseir
mit dem Endkantenwinkel = 142® 58', das stumpfe Rhomboeder ^R' mit des
Endkantenwinkel =115^9', welches die Endkanten von R gerade abstumpft, da^
spitze Rhomboeder 2R' mit dem Endkantenwinkel = 68^43'. Häufig findet sid
die hexagonale Pyramide diagonaler Stellung |^P2, deren Endkantenwinkel = k^
und deren Seitenkantenwinkel = 122^24^' sind, nicht für sich allein, sonden
combinirt mit den Basisflächen oR (Fig. 10), durch deren Vorherrschen auct
Min. 64-67.)
Fig. 9.
Fig. IG.
Fig. II.
Fig. la.
tafelartige Krystalle, hexagonale Tafeln mit zugeschärften Rändern entstehen
während auch am Hämatit hexagonale Tafeln mit geraden Randflächen vorkomroef
durch die Combination der Basisflächen mit dem diagonalen hexagonalen Pn>su
Roo. Selten sind prismatische Krystalle, denen die Combination Roo-oR .'-
Grunde liegt (z. B. Fig. 11 in Combination mit R). Die hexagonale P)Tanaide
4-P2 ist in Combination mit verschiedenen Gestalten verbunden, besonder mit
R und oR (Fig. 12) und anderen mehr. Die Krystalle sind im Allgemeinen wr
herrschend rhombo^drische, oder pyramidale, oder tafelartige, selten prismatöche
Erze. 371
Bisweilen finden sich auch Zwillinge. Spaltbarkeit unvollkommen parallel oR und
R; der Bruch ist muschlig oder uneben.
Die Krystalle sind meist aufgewachsen, selten eingewachsen, bilden auch
Gruppen, von denen die »Eisenrosen« genannten Gruppen (besonders schön
die von der Fibia am St. Gotthard in der Schweiz) hervorzuheben sind, welche
aus laniellaren Krystallen zusammengesetzt rosettenförmige Gruppen bilden. Sie
gehen von kurz -prismatischen polys)rnthetischen Krystallen aus, welche aus
kleinen homolog gruppirten hexagonalen Tafeln bestehen und gehen in abge-
stumpfte konische oder wulstige Formen über, die verschiedensten Stadien rosetten-
fbrmiger Gruppirung durchlaufend.
Ausser krystallisirt findet sich der Hämatit in derben Massen, welche als
krystallinisch'kömige oft drusig-körnig sind und bei abnehmender Grösse der
Individuen bis in dichten Hämatit übergehen. Sind die derben Massen aus
Krystall-Lamellen (Blättern bis Schuppen), welche im Aussehen bezüglich der
Form an die Glimmer genannten Minerale erinnern und daher Eisenglimmer
genannt wurden, zusammengesetzt, so sind sie als krystallinischblättrige bis
schuppige, durch parallele Anordnung der Lamellen schiefrig abgesondert und
werden als Gesteinsart vorkommend Eisenglimmerschiefer genannt. Ausser-
dem findet sich der Hämatit auch dicht (der sog. Rotheisenstein) und erdig
(als rother Eisenocher, Rotheisenocher).
Eine besondere Varietät bildet der fasrige Hämatit, dessen Fasern fest mit
einander verwachsen divergent oder radial gegeneinander gestellt nach aussen
in krummflächige (kugelige, halbkugelige, durch Verwachsung traubige bis nieren-
fbrmige) stalaktitische Gestalten übergehen, welche Glaskopf und im Gegen-
satz zu ähnlichen Gestalten anderer Minerale rother Glaskopf genannt wurden.
Sie sind von verschiedener Grösse je nach der Länge der Fasern, welche bis
über 20 Centimeter lang vorkommen und andererseits wenige, selbst nur bis
einen Millimeter Länge haben. Da diese knolligen, nierenförmigen bis traubigen
Gestalten äusserlich eine glatte Oberfläche haben, hat man die Entstehung des
Namens Glaskopf in der glatten Oberfläche gesucht, als wenn sie ursprünglich
Glatzkopf genannt worden wären. Diese krummflächigen Gestalten zeigen ausser
der fasrigen Absonderung auch oft eine krummschalige Absonderung, entsprechend
der äusseren Begrenzung.
Das Aussehen der verschiedenen Hämatit- Varietäten ist verschieden, indem
die Krystalle eisenschwarz bis stahlgrau-, metallisch glänzend und undurchsichtig
sind, also vollkommen metallisches Aussehen haben, wesshalb man sie als
Varietät Eisenglanz (Glanzeisenerz oder Eisenglanzerz) genannt hat.
Die Farbe des Striches ist aber roth, wenn auch bisweilen dunkel bis röthlich-
schwarz, wie bei den Basanomelan genannten Eisenrosen. Dieses metallische,
bei geringem Glänze bis halbmetallische oder unvollkommen metallische Aus-
sehen zeigen auch die krystallinisch-kömigen derben Rotheisenerze, welche be-
sonders als klein- bis feinkörnige röthlichgrau oder röthlichschwarz sind und im
Bruche wenig schimmern. Dieser Stich der Farbe in das Rothe wird zunächst
meist durch fein anhängende pulverulente Theilchen erzeugt, welche beim Zer-
schlagen entstehen. Bisweilen sind sehr dünne lamellare Krystalle oder Krystall-
schüppchen roth durchscheinend, welche zu lockeren, zerreiblichen, schaumigen
Parthien oder derben Massen verwachsen, oder als Ueberzug vorkommend roth er
Eisenrahm genannt worden sind.
Bei dem dichten Hämatit, dem Rotheisenstein, und bei dem fasrigen geht die
24*
372 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
eisenschwarze oder stahlgraue Farbe in röthlichgraue, bräunlichrotfae bis kiisch-
rothe über, sie sind wenig glänzend oder schimmernd, undurchsichtig und haben
blutrothen Strich. Der erdige (der sogen. Röthel) ist bräunlich- oder blutroth,
matt und undurchsichtig.
Der Hämatit hat die Härte = 5,5 — 6,5, welche bei den dichten, fasrigen
und erdigen Varietäten aber geringer erscheint, nur bei Krystallen und krystal-
linischgross- bis grobkörnigen in der normalen Höhe gefunden werden kann;
das spec. Gew. ist = S,i — 5,3; er ist schwach bis nicht magnetisch. Als Eisen*
oxyd Fe,Og enthält er 70^ Eisen und 30^ Sauerstoff, also nicht so viel Eisen wie
der Magnetit; bisweilen enthält er wie die sog. Eisenrosen, etwas Titansäure
TiOj, welche in Verbindung mit Eisenoxydul, als FeO-TiO, geringe Mengen
des Fe^Oj ersetzt, welche titanhaltigen Varietäten bei zunehmendem Gehalte an
FeO'TiO) in den Ilmenit, das mit Hämadt isomorphe rhomboedrische Titan-
eisenerz überführen. Fremde Beimengimgen sind besonders in den in grossen
Massen auftretenden Varietäten, den kömigen bis dichten und erdigen enthalten,
namentlich den dichten und erdigen, wonach üian solche als kieselige,
thonige, mergelige und kalkige Rotheisensteine unterschieden findet
In Säuren ist er langsam, leichter als Pulver auflöslich; vor dem Löthrohre ist
er unschmelzbar und wird in der Reductionsflamme stärker magnetisch; die
rothen Abänderungen werden dabei schwarz. Die Reactionen auf Eisen mit Borax
und Phosphorsalz sind dieselben wie bei dem Magnetit
Der Hämatit ist ein weit verbreitetes und häufig vorkommendes Mineral;
er findet sich als Eisenglanz genannte Varietät krystallisirt in Drusen und Nestem.
auf Klüften, Gängen und Lagern, in verschiedenen älteren und jüngeren kiystalli-
nischen Gesteinsarten eingewachsen und krystallinischkömig oder krystallinisch-
blättrig bis schuppig, auch selbst als Gesteinsart. Als Fundorte schöner Kiystaüe
sind zu nennen, die Insel Elba, der St. Gotthard, das Tavetsch- und Binnenthal
in der Schweiz, Traversella in Piemont, Framont in den Vogesen, Altenbuig in
Sachsen, Zinnwald in Böhmen, Salm Chäteau in den Ardennen, Katharinenbui^g
und Nischne-Tagilsk im Ural, der Vesuv, Aetna und die liparischen Inseln und
Capao in Brasilien. Kristallinische, z. Th. ausgedehnte Massen finden sich in
Brasilien, in Schweden, Lappland, Norwegen, am Harz, auf Elba und in anderen
Ländern. Die undeutlich krystallinischen, dichten und erdigen Varietäten finden
sich sehr häufig untergeordnet in sedimentären Formationen, die reineren in den
älteren, unreinere in den jüngeren. Der fasrige (der sog. rothe Glaskopf) findet
sich auf Gängen und Lagern, wie bei Zorge, Lauterber^ Andreasberg, Buchen-
berg und Ilfeld am Harz, Johanngeorgenstadt, Eibenstock, Schwarzenberg und
Schneeberg in Sachsen, Brilon in Westphalen, Eisenbach im Schwarzwalde.
Framont in den Vogesen, Platten in Böhmen, in Wales, Devonshire und Camber
land in England u. a. a. O.
Wie bereits oben erwähnt wurde, enthält der Hämatit bisweilen Titansäare
in Verbindung mit Eisenoxydul als FeO'TiOj das Eisenoxyd zum Theil er-
setzend und führt bei Zunahme der Titansäure über in
Ilmenit, das rhomboedrische Titaneisenerz, welches mit dem Hämatit
isomorph ist Diesem Titaneisenerz sind nach und nach verschiedene Namen
gegeben worden, wie Ilmenit ausschliesslich das im Miascit vom ümensee m
Sibirien, Crichtonit das von Bourg d'Oisans im Dauphin^ in Frankreich,
Kibdelophan das in Talk bei Gastein in Salzburg, Menacanit das lose im
aufgeschwemmten Lande bei Menacan in Comwall vorkommende, Washingtooit
Ewc. 373
das von Washington in Connecticut in Nord-Ainerika genannt wurde, während
unter diesen Namen der Name Ilmenit als Speciesname bevorzugt wird.
Der Dmenit findet sich krystallisirt und die auf- oder eingewachsenen
Krystalle sind ähnlich denen des Hämatit, nur im Allgemeinen weniger deut-
lich und gut ausgebildet als bei jenem; die Grundgestalt ist ein wenig spitzes
Rhomboeder R mit dem Endkantenwinkel nahe =86^ und die Krystalle sind
wie bei dem Hämatit entweder tafelartige oder rhomboedrische, wobei auch die
hexagonale Pyramide diagonaler Stellung ^ P2 in Combination mit den Basis-
flächen und dem Rhomboeder R auftritt. Die Combinationen sind aber weniger
flächenreich und mannigfaltig als bei dem Hämatit. Ausser krystallisirt findet
sich der Ilmenit derb, krystallinisch-kömig oder schalig abgesondert, eingesprengt
und lose Kömer bildend. Die Spaltbarkeit wie bei Hämatit parallel den Rhom-
boederflächen R oder parallel den Basisflächen, deutlich bis undeutlich, der
Bruch ist muschlig bis uneben. Der Ilmenit ist eisenschwarz, z. Th. ins Braune
oder Graue geneigt, unvollkommen metallisch glänzend bis halbmetallisch, un-
durchsichtig, hat schwarzen bis bräunlichschwarzen oder röthlichschwarzen Strich,
Härte = 5,5 — 6,5 und spec. Gew. = 4,5 — 5,0, ist wenig oder nicht magnetisch.
Er ist wesentlich titansaures Eisenoxydul FeO-TiOj mit 53^ Titansäure
und 47 Eisenoxydul, enthält aber meist etwas Eisenoxyd (Fe,Oj srsFeO-FeO,)
als isomorphen Vertreter des Titanates FeO'TiO^, wodurch der Gehalt an
Titansäure allmählich abnimmt und die Ilmenite in titansäurehaltigen Hämatit über-
fuhren. Ausserdem enthalten einzelne Vorkommnisse Mangan (Oxydul oder Oxyd
oder Hyperoxyd) und besonders Magnesia, deren Gehalt bei einem Vorkommen
von Layton's Farm in New-York so bedeutend ist, dass dieses nahezu der Formel
MgO'TiOj -h FeO'TiOj entspricht und eigentlich als besondere Species
getrennt werden müsste, da auch das spec. Gew. desselben bis auf 4,3 herab-
gehL
Er ist in Salz- oder Salpetersäure mehr oder minder schwer löslich, die
Titansäure ausscheidend; mit concentrirter Schwefelsäure erhitzt, ertheilt er
dieser eine blaue Farbe. Vor dem Löthrohre ist er unschmelzbar und zeigt mit
Borax und Phosphorsalz die Beaction auf Eisen und Titan. Durch Zusammen-
schmelzen mit saurem schwefelsaurem Kali wird er vollständig aufgeschlossen und
bei der Lösung der Schmelze in Wasser wird die Titansäure ausgeschieden.
Der Ilmenit findet sich in ähnlicher Weise wie der Hämatit, nur seltener
und nicht so massenhaft, um als Eisenerz zur Darstellung von Eisen benützt
werden zu können; überdies ist das Titaneisenerz wegen der grossen Streng-
flüssigkeit dazu nicht sonderlich brauchbar.
3. Das Brauneisenerz oder der Limonit. Der Name Brauneisenerz
bezieht sich auf die wesentliche braune Farbe dieses Eisenerzes, während der
Name Limonit, gebildet von dem griechischen Worte leimon, Wiese, sich auf
den Namen Wiese nerz bezieht, womit eine gewisse später anzugebende Varietät
belegt wurde.
Das Brauneisenerz oder der Limonit ist bis jetzt nicht krystallisirt gefunden
worden, es ist aber nicht amorph, indem es ausser dicht und erdig noch mit
eigenthümlicher mikrokrystallischer Bildung vorkommt, welche der des rothen
Glaskopfes, des fasrigen Hämatit entspricht. Es bildet wie dieser feinfasrige
Aggregate, deren Fasern divergent gegeneinander gestellt, gewöhnlich fest mit
einander verwachsen sind. Die fasrigen Aggregate sind stalaktitische Gebilde
und bilden krummflächige kuglige, traubige, nierenfbrmige, cylindrische und
374 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
conische Gestalten, oft mit krummschaliger Absonderung, welche an der
Oberfläche gewöhnlich glatt sind und desshalb wie bei dem fasrigen Hämadt zu
dem Namen Glaskopf führten, und die wegen der braunen Farbe des lnünerals
brauner Glaskopf genannt werden. Es ist jedoch schon im Voraus zu be-
merken, dass nicht alle derartig gestalteten braune Vorkommnisse dem Limonit
allein angehören, indem auch der Pyrrhosiderit, von welchem weiter unten
die Rede sein wird, solche Vorkommnisse bildet, und dass dann nur durch eine
chemische Untersuchung entschieden werden kann, ob sie dem Limonit oder dem
Pyrrhosiderit zugehören.
Ausser so mikrokrystallisch findet sich der Limonit dicht mit muschligem
bis unebenem Bruche oder erdig (als brauner bis gelber Eisenocher oder
Brauneisenocher). Der dichte Limonit erscheint meist in derben Massen,
welche z. Th. von mächtiger Ausdehnung, selbst als Gesteinsart (Brauneisenstein
genannt) aufgefasst werden, lagerartig vorkommen. Ausserdem bildet der dichte
Limonit selbständige kugelige, knollige, elliptische, niereniormige Gestalten, welche
als Concretionen gebildet der äusseren Gestalt entsprechend oft im Inneren
krummschalig abgesondert und gegen das Centrum zu lockerer bis erdig sind,
so dass ein erdiger Kern durch erdigen Limonit gebildet wird. Bisweilen sind
diese im Allgemeinen Eisennieren genannten kugligen, knolligen u. s. w. Ge-
bilde im Inneren hohl oder umschliessen fremdartige Minerale, wie Sandkörner
und kleine Quarzgeschiebe. Bemerkenswerth ist das massenhafte Vorkommen
solcher Eisennieren von geringer Grösse und in kugliger, z. Th. etwas plattge*
drückter Form, welche durchschnittlich Erbsengrösse haben, oder kleiner, oder
grösser sind und Bohnerz (Bohnenerz) genannt werden, auch Linsenerz, wenn
sie klein und flach sind, oder ohne Rücksicht auf diesen Unterschied Eisenoolith
heissen. Dieses Bohnerz bildet Lager oder Kluftausfüllungen und zeigt sich in
derben Aggregaten solcher verkitteten kleinen Eisennieren oder es sind solche
Gebilde in thonigen, mergeligen und kalkigen Gesteinen einzeln, aber sehr zahl-
reich eingewachsen, namentlich in der Juraformation. Wegen des massenhaften
Auftretens dienen sie zur Darstellung des Eisens, sind aber nicht reines Braun-
eisenerz, sondern besonders mit Thon gemengt.
Eine weitere Varietät des dichten Brauneisenerzes ist das gleichfalls unreine
Wiesenerz (woher der Name Limonit stammt), auch See-, Sumpf-, Morast-
erz oder Raseneisenerz genannt, welches grosse Massen bildend, gewöhnlich
löcherig, zellig oder porös ist und als Gesteinsart vorkommt
Wenn alle diese Vorkommnisse, mit Einschluss des erdigen Brauneiseoerzei
(des Brauneisenocher) derselben Species (dem Brauneisenerz oder Limonit) vi-
gezählt werden , so sind in Ermangelung bestimmter Kiystallisation die Eigen-
schaften dieser fasrigen, dichten und erdigen Varietäten nicht ganz überein-
stimmende, sondern es ent scheidet über die Zusammengehörigkeit wesentlich die
chemische Zusammensetzung. Charakteristisch ist die braune Farbe« welche
dunkel bis hell, einerseits von kastanien- und nelkenbraun bis zu schwärzlich
braun variirt, andererseits von gelblichbraun bis ins Ochergelbe übergeht, inden^
der Brauneisenocher oder das erdige Brauneisenerz bräunlichgelb bis gelb
(och ergelb) ist; bräunlichschwarz oder schwarz sind bisweilen die stalaktitischen
Gebilde des fasrigen Brauneisenerzes an der glatten Oberfläche. Diese zeigen
an der Oberfläche auch halbmetallischen Glasglanz, während sie im Inneren
durch die Faserbildung seidenartig glänzen, die dichten Varietäten sind gewor^n-
lieh glanzlos oder matt, bisweilen schimmernd bis gläiuend (wie der sog. Stiipoo-
Erze. 375
>iderit, von dem griechischen Worte sHlpnos, glänzend, benannt) mit einem
eigenthümlichen starken Wachsglanz, welcher bei der dunklen braunen Farbe das
beztlgliche dichte Brauneisenerz im Aussehen mit Pech vergleichen Hess; wesshalb
es auch Eisenpecherz genannt wurde. Aehnliche Vorkommnisse bietet auch
der dichte Pyrrhosiderit
Das Brauneisenerz ist undurchsichtig, hat gelblichbraunen bis ochergelben
Strich, die Härte =5,5 — 4,5 und das spec. Gew. =3,4 — 4,0. Es ist eine
Verbindung des Eisenoxydes mit Wasser nach der Formel Z'^^0*7,Y^^0^^
welche 85,6 Eisenoxyd und 14,4 Wasser erfordert, wonach ganz reines Braun-
eisenerz 60 Procent Eisen ergeben würde, während in Wirklichkeit der Gehalt
an Eisen wegen der verschiedenartigen Beimengungen erheblich geringer ist.
Ausser Manganoxyd, welches oft in geringer Menge das Eisenoxyd vertritt, ent-
halten die Brauneisenerze oft Thon und Kieselsäure oder Silicate als Beimeng-
ung, besonders die dichten und erdigen, wie das Bohnerz und das Wiesenerz,
in welchem letzteren auch Phosphate von Eisenoxydul oder Oxyd oder Schwefel-
Terbindungen vorkommen und auf die Verhüttung desselben einen erschwerenden
Einfluss ausüben. Vor dem Löthrohre ist das Brauneisenerz sehr schwer
schmelzbar, in der Oxydationsflamme wird es braunroth oder roth, in der Re-
ducdonsflamme schwarz und magnetisch. Im Glasrohre erhitzt giebt es reichlich
Wasser und wird gleichfalls geröthet. In Salz- oder Salpetersäure ist es auf-
löslich.
Es ist ein sehr häufiges Mineral, welches auf Lagern und Gängen in den
verschiedensten Formationen vorkommt, oft durch Umwandelung entsteht und
daher oft Pseudokrystalle, wie besonders nach Siderit, Mesitin, Pyrit und Markasit
bildet
Da bereits schon oben erwähnt wurde, dass dem fasrigen und dichten Braun-
eisenerz Vorkommnisse des Pyrrhosiderit ähnlich sind, so ist dieser hier auch
noch als eine zu den Eisenerzen zu rechnende Species anzuführen, obgleich sie
seltener und nicht so massenhaft auftritt wie der Limonit, daher für die Eisen-
gewinnung nicht so wichtig ist.
4. Der Pyrrhosiderit wegen der röthlichgelben und röthlichbraunen Farbe
mach dem griechischen fyrrhos^ röthlichgelb, und sideros, Eisen) benannt, wurde
früher nicht von dem Brauneisenerz unterschieden, weil er auch Eisenoxydhydrat
ist, jedoch Eisenoxyd und Wasser in anderen Verhältnissen enthält. Er ist
nämlich nach der Formel H^O'FejOj zusammengesetzt, 89,9 Procent Eisen-
oxyd und 10,1 Wasser enthaltend. Die nacheinander als verschieden vom Li-
monit befundenen Vorkommnisse erhielten verschiedene Namen, unter denen der
Name Pyrrhosiderit einer Varietät gegeben wurde, welche wegen ihrer röthlich-
gelben, gelblichroth und röthlichbraun durchscheinenden kleinen lamellaren
Krystalle und Blättchen auch Rubinglimmer genannt worden war und auch
den Namen Göthit erhalten hatte.
Der Pyrrhosiderit, wenn man so die Species benennt, krystallisirt orthorhom-
bisch, prismatisch bis nadeiförmig (daher auch Nadeleisenerz genannt); an
deatlichen, immerhin kleinen Krystallen, wie an denen von Lostwithiel in Com-
wall in England ist das Prisma 00 P (130° 40') combinirt mit dem Prisma 00 PV
(94^ 53) und der Längsflächen ooPoo, am Ende zugespitzt durch eine stumpfe
Pyramide jPY, deren Endkanntenwinkel =121° 5' und 126° 18' sind und von
denen die schärferen durch das Längsdoma 2P00 (117^ 30') gerade abgestumpft
sind. Die Krystalle sind vollkommen parallel den Längsflächen spaltbar. Die
376 MiDeralogie, Geologie und Palaeontologie.
nadelfbrmigen Kiystalle sind meist büschelförmig gnippht und gehen in (asrige
bis sehr zarte kurze haarförmige Krystalle über, welche leteteren sammtardge
Ueberzüge bilden (daher Sammteisenerz genannt, wie der von Przibram in
Böhmen und Hüttenberg in Kämthen). Nadel- bis haarförmige Krystalle kommen
auch eingewachsen in Amethyst und Bergkr3rstall vor, z. B. bei Oberstein im
Nahethal, auf der Wolfsinsel im Onega-See (daher Onegit genannt) im russischen
Gouvernement Olonetz, bei Dürrkunzendorf und Landeshut in Schlesien u. a. a. 0.
Durch Vorherrschen der Längsflächen werden die Krystalle tafelartig und gehen
in zarte Blättchen über (Rubinglimmer, wie der von der Eisenzeche bei Eiser-
feld im Siegenschen und auf dem Hollerter Zuge im Sa3mischen). Zarte Schüpp-
chen erscheinen auch linear gruppirt aus aneinander gereihten Schüppchen ge-
bildete Fasern darstellend, welche selbst wieder radial gruppirte Ueberzüge.
dünne Lagen und nierenförmige , knollige und traubige Gestalten bilden (der
sog. Lepidokrokit, wie bei Sayn und Siegen in Westphalen und Eastoo in
Pennsylvanien) während andere durch lineare Individuen gebildete fasrige Aggre-
gate ähnlich wie der bei Brauneisenerz erwähnte braune Glaskopf vorkommen,
oft zapfen-, keulen-, röhrenförmige, cylindrische und dergl. Gestalten bildend
Der dichte, z. Th. auch Stilpnosiderit (wie das ähnliche Brauneisenerz), findet
sich stalaktitisch, derb und eingesprengt, desgleichen als Pseudomorphose nach
P3rrit, Markasit und Siderit. Auch finden sich stenglige bis stenglig-kömige
Aggregate.
Bei so verschiedenen Varietäten ist das Aussehen verschieden, die Farbe ist
gelblichbraun, ochergelb, röthlichgelb, röthlichbraun, nelkenbraun, schwärzlich-
braun bis pechschwarz, die Krystalle sind diamantartig glänzend, der fasrige und
schuppigfasrige ist seidenartig glänzend, der dichte wachsglänzend bis matt,
Nadeln, Fasern und Blättchen sind durchscheinend, sonst ist er undurchsichtig.
Der Strich ist gelblichbraun bis bräunlichgelb, die Härte ist = 4,5 — 5,5, das
spec. Gew. = 3,7— 4,4. Er ist nicht magnetisch, hat die oben angegebene Zu-
sammensetzung und enthält oft etwas Manganoxyd, welches, wenn es nicht von
Beimengung abhängt, einen Theil des Eisenoxydes ersetzt. Bisweilen ist auch
Kieselsäure beigemengt Das Verhalten vor dem Löthrohre und in Säuren ist
dasselbe wie bei dem Brauneisenerz.
Ausser diesen zwei angeführten Verbindungen des Eisenoxydes mit Wasser
wurden auch noch andere als Species unterschieden, welche mehr oder weniger
Wasser enthalten, so wurde der Turgit, welcher dicht in den Turginskischen
Gruben bei Bogoslowsk am Ural und fasrig bei Salisbury in Connecticut vor-
kommt, als der Formel HjO-2Fe,03 entsprechend aufgestellt, derXanthosiderit
oder das Gelbeisenerz, welcher radialfasrig, gelblichbraun bis röthlichbraun
oder bräunlichroth bei Dmenau am Thüringer Wald, dicht und erdig an anderen
Orten vorkommt und der Formel ^211, O- Fe jOj entsprechend angegeben wurde
(Hausmann's Gelbeisenstein) und das meist erdige, liebte, ochcrgclbe
Quell erz 3H,0.Fe, Oj. Alle derartige Vorkommnisse bedürfen noch ge-
nauerer Bestimmungen, um sie als Species zu fixiren, wenn auch die Möglichkeil
vorliegt, dass das Eisenoxyd verschiedene Hydrate bilden kann.
IL Manganerze.
Bei den Eisenerzen wurde mehrfach bemerkt, dass Manganoxydul und Miß-
ganoxyd als Vertreter des Eisenoxydul und des Eisenoxydes in Verbbdungen
vorkommen und auch bei den Carbonaten (Siderit, Rhodochrosit, Oligonit u. ». s^
Erac. 377
pag. 103) konnte diese krystallograpbisch-chemische Verwandtschaft des Mangan
und des £isens beobachtet werden, auf die Verbreitung des Mangan in unserer
Erde hinweisend. Diese zeigt sich auch in anderen Verbindungen, wie Silicaten,
Sulfaten, Phosphaten und anderen, und wenn auf diese Weise die Manganver-
bindungen bemerkenswerth sind und Mangan in vielen Mineralen vorkommt, das
Mangan überhaupt ein weit verbreiteter Stoff ist, so hat es doch keine ausgedehnte
technische Verwendung gefunden. Trotz dessen spielen die Manganerze eine
wichtige Rolle und lassen sich zunächst mit den Eisenerzen vergleichen, jedoch
kommen dieselben nur an einzelnen Fundorten in grösserer Menge vor, um als
solche gewonnen werden zu können. In ihrer Verbindungsweise dagegen er-
scheinen sie in grösserer Mannigfaltigkeit als die Eisenerze. Die wichtigsten der-
selben sind folgende:
I. Der Hausmannit, auch Schwarzmanganerz oder Glanzbraunstein
genannt, die dem Magnetit analoge Verbindung des Mangan, das Manganoxydoxydul
MnO-Mn^Oj. In Betreff der Namen ist zunächst zu bemerken, dass Namen, wie
Schwarzmanganerz und Glanzbraunstein nicht bezeichnend genug für die einzelnen
Spedes sind, wie dies sogleich diese beiden Namen zeigen, indem fast alle Mangan-
erze schwarz sind und bei dem Namen Braunstein für mehrere Manganerze das
Braun ziemlich bedeutungslos für dieselben ist, der Glanz den Hausmannit weniger
aaszeichnet, als andere Manganerze, welche durch ihren Glanz viel mehr auffallen
als gerade dieser. Es wurde daher in neuerer Zeit nach genauerer Bestimmung
der verschiedenen Species nothwendig, andere Namen vorzuziehen, wie hier den
in Ehren des Göttinger Professor Johann Friedrich Ludmtig Hausmann gegebenen
Namen Hausmannit, zumal neben anderen Werken desselben Hausmannes Hand-
buch der Mineralogie in der mineralogischen Litteratur stets seine grosse Bedeutung
behalten wird.
Bei der dem Magnetit analogen Zusammensetzung des Hausmannit und bei
dem häufigen Auftreten des Manganoxydul und des Manganoxydes neben den
gleichen Verbindungen des Eisens, woraus man auf Isomorphismus des Magnetit
und Hausmannit schliessen könnte, ist hervorzuheben, dass der Hausmannit nicht
tesseral krystallisirt, sondern quadratisch. Die in krystallinisch-drusig-kömigen
Massen dieses ziemlich seltenen Manganerzes vorkommenden Krystalle bilden
entweder die als Grun^gestalt P gewählte spitze quadratische normale Pyramide,
deren Endkantenwinkel r=s 105° 51' und deren Seitenkantenwinkel =: 116*^59' sind,
oder diese mit vierflächiger Zuspitzung der Endecken durch die stumpfere
Pyramide ^P, wozu auch noch bisweilen die diagonale quadratische Pyramide
P 00, als gerade Abstumpfung der Endkanten von P kommt. Auch Zwillinge
wurden nach P 00 beobachtet. Spaltungsflächen parallel den Basisfiächen sind
ziemlich vollkommen, undeutliche auch nach P und Poo beobachtet; der Bruch ist
uneben. Gewöhnlich bildet der Hausmannit derbe krystallinisch-kömige Massen.
Er ist eisenschwarz, bisweilen bräunlichschwarz, metallisch glänzend, undurch-
sichtig, spröde, hat braunen Strich, Härte = 5,0—5,5 und spec. Gew. = 4,70 — 4,87.
Als MnO-Mn,Os enthält er 31^ Manganoxydul und 69^ Manganoxyd oder 72^
Mangan und 28^ Sauerstoff. Vor dem Löthrohre ist er unschmelzbar und zeigt
mit Borax, Phosphorsalz oder Soda starke Reaction auf Mangan, in Chlorwasser-
stofibäure ist er unter Chlorentwicklung löslich und färbt als Pulver concentrirte
Schwefelsäure lebhaft roth.
Er ist ziemlich selten, findet sich auf Gängen in Porphyren bei Ilfeld am
37^ Mineralogie, Geologie and Palaeontologie.
Harz und bei Oehrenstock unweit Ilmenau am Thüringer Wald, reichlich in
Dolomit bei Pajsberg, Nordmark, Langban und Grythytta in Schweden.
2. Der Braunit, nach dem Kammerrath Braun in Gotha benannt, auch als
Hartmanganerz unterschieden, obgleich andere Manganerze, wie der Psilomclan
und Polianit in der Härte nicht nachstehen, ist Manganoxyd und zeigt auffallender-
weise nicht rhomboedrische Kxystallisation wie das Eisenoxyd als Hämadt oder
die Thonerde als Korund, sondern krystallisirt quadratisch. Die kleinen bis sehr
kleinen Kxystalle, in drusig-kömigen Aggregaten desselben vorkommend bilden
gewöhnlich die als Grundgestalt P gewählte Pyramide, welche sehr ähnlich dem
Oktaeder ist, indem ihre Endkanten winkel = 109 ** 53' und die Seitenkanten-
winkel = 108^39' sind, auch treten dazu die Basisflächen als gerade Abstumpfung
der Endecken. Andere Gestalten sind selten; die ziemlich deutlichen Spaltungs-
flächen sind parallel P; der Bruch ist uneben.
Er ist auch eisenschwarz bis bräunlichschwarz, unvollkommen metallisch
glänzend mit Neigung in Wachsglanz, undurchsichtig, spröde, hat schwarzen
Strich, Härte = 6,0—6,5 "^^ spec. Gew. = 4,73— 4i9. Als Manganoxyd MnjO,
enthält er 69,6^ Mangan und 30,4 Sauerstoff. Vor dem Löthrohre ist er un-
schmelzbar und verhält sich gegen Reagentien wie der Hausmannit; von Chlor-
wasserstoffsäure wird er unter Chlorentwickelung aufgelöst
Dieses gleichfalls seltene Manganerz findet sich beispielsweise auf Gängen
in Porphyr bei Oehrenstock, Elgersburg und Friedrichsrode am Thüringer Wald
und bei Ilfeld am Harz. Das Vorkommen von St. Marcel in Piemont wurde
wegen wechselnden Gehaltes an Kieselsäure als Marcelin vom Braunit getrennt
und es wurde dieselbe als dem Minerale angehörig betrachtet. Es hatte auch
Hermann wegen der auffallenden Verschiedenheit der Krystallisation des Haus-
mannit vom Magnetit und des Braunit vom Hämatit die Zusammensetzimg anders
aufgefasst, indem er für den Hausmannit die Formel 2MnO*MnO) und für des
Braunit die Formel MnO'MnO^ aufstellte, bei welcher Auffassung der Marcclin
MnO-SiOj als Vertreter für einen Theil von MnO-MnOj enthalten würde,
3. Der Pyrolusit oder das Weichmanganerz, auch gewöhnlich Braun-
stein genannt, ein reichlich vorkommendes Manganerz, welches besonders bei
der Glasfabrikation gebraucht wird, um dem Glase die von Eisen herrührenden
grünen bis braunen Farben zu nehmen. Darauf bezieht sich der Name Pyrolusit.
von dem griechischen pyr^ Feuer und luo^ ich reinige, während der Name Weich-
manganerz sich auf die geringe Härte desselben bezieht.
Der Pyrolusit ist Manganhyperoxyd, MnO^ mit 63, 2 f Mangan und 36,8 Sauer-
stoff, eine Verbindung, welche bei den Eisenerzen kein Analogon hat und mh
Chlorwasserstoffsäure behandelt unter den Manganerzen am reichlichsten Chlor
entwickelt, dagegen mit Schwefelsäure gekocht Sauerstof) abgiebt, weshalb er
zur Darstellung von Sauerstoff, Chlor und Chlorcalcium gebraucht wird,' ausser-
dem in der Glas- und Emailmalerei, zur braunen Töpferglasur, zum Färben des
Steingutes u. s. w.
Er krystallisirt orthorhombisch und die in Drusenräumen aufgewachsenen^oder
zu drusigen Aggregaten verwachsenen Krystalle sind gewöhnlich nicht deutlich
ausgebildet. Die einfachste Form ist bei kurzprismatischer Ausbildung die Combi-
nation des Prisma 00 P (93° 40') mit den Quer- und Längsflächen, den Basisflächen
und einem stumpfen Querdoma P 00 (140''), die verticalen Flächen sind veftical ge-
streift und weisen auf homologe Verwachsung hin, welche sich auch darin zeigt,
dass die Enden bisweilen in viele feine Spitzen zerfasert erscheinen. Auch finden
sich tafclartige und spiessige Krystalle. Meist ist das Mineral derb und einge»
Erze. 379
sprengt, bildet aus stengligen, nadeiförmigen bis faserigen Individuen zusammenge-
setzte Aggregate, welche stalaktische, traubige, nierenförmige, Stauden- und knospen-
förmige Gestalten darstellen oder es sind derbe Massen aus unregelmässig mit
einander verwachsenen Fasern gebildet, bei grosser Kleinheit der Individuen
übergehend in dichten Pyrolusit; selten ist er erdig. Er ist mehr oder weniger
deutlich spaltbar parallel dem Prisma oo P, den Quer- und Längsflächen.
Der Pyrolusit ist eisenschwarz bis stahlgrau, unvollkommen metallisch glän-
zend, der faserige seidenartig, undurchsichtig, wenig spröde bis milde, hat
schwarzen Strich, Härte =: 2,5 — 2,0 und spec. Gew. = 4,7 — 5,0; vor dem Löth-
rohre ist er unschmelzbar und verwandelt sich durch Verlust von Sauerstoff bei
starkem Glühen auf der Kohle in braunes Manganoxydoxydul. Er findet sich auf
Gängen und Lagern, wie beispielsweise am Thüringer Wald, namentlich bei
Ilmenau, Elgersburg, Friedrichsrode, Schmalkalden, bei Ilfeld, Zellerfeld und
Goslar am Harz, bei Arnsberg, Hamm und Siegen in Westphalen, zu Vorder-
ehrensdorf bei Mährisch-Trübau, bei Johanngeorgenstadt in Sachsen, Platten in
Böhmen, Macskamezö in Siebenbürgen, Szaska im Banat u. a. O.
Da er oft durch Umänderung des Manganit entsteht, ist es bemerkenswerth,
dass bei Platten in Böhmen, Schneeberg; Johanngeorgenstadt und Geier in Sachsen,
auf der eisernen Haardt im Siegen'schen in Westphalen, in Nassau und Comwall
ein eigenthüroliches Manganerz vorkommt, welches von Breithaupt nach der
licht stablgrauen Farbe Polianit (von dem griechischen i^polianos^ grau) ge-
nannt wurde. Dasselbe krystallisirt sehr ähnlich dem Pyrolusit, ist faserig oder
kömig, metallisch glänzend, undurchsichtig, spröde, hat schwarzen Strich, die be-
deutend höhere Härte =6,5 — 7,0 und das spec. Gew. = 4,8 — 5,06 und ist eben-
falls wie der Pyrolusit Manganhyperoxyd. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich,
dass wie Breithaupt annahm, der Polianit durch Weicherwerden in Pyrolusit
umwandelt, eine Erscheinung, welche bei der Identität der Substanz schwierig zu
erklären ist, insofern das spec. Gewicht bei Pyrolusit und Polianit dasselbe und
die Härte so auffallend verschieden ist.
4. Der Manganit, auch Graumanganerz genannt. Derselbe entspricht
dem Pyrrshosiderit in der Reihe der Eisenerze, indem er das Manganoxydhydrat
H}0-Mn2 03 ist. Er krystallisirt auch orthorhombisch und man würde bei dem
Isomorphismus des Pyrrhosiderit Hj O • Fe^ O3 mit dem Diaspor Hj O • Alj Oj auch
voraussetzen können, dass der Manganit H^ O • Mn^ O3 mit jenen beiden isomorph
wäre, doch Hess sich dies noch nicht durch die Berechnung der Gestalten ge-
nügend feststellen. Er ist unter allen Manganerzen durch seine flächenreichen,
und bisweilen grossen Krystalle ausgezeichnet, welche auf Gängen und in Drusen-
räumen als aufgewachsene vorkommend lang- bis kurzprismatisch sind und in den
verschiedenen Combtnationen bis jetzt an fünfzig verschiedene Gestalten finden
liessen. Unter den Prismen ist ooP(99°4o'), ooPY(6i°i6'), ooP|'(76°36')ooPT
(134** 14') als häufig vorkommende anzuführen, auch finden sich in der verticalen
Zone die Längs- und Querflächen und die Spaltungsflächen parallel nach den
ersteren sind vollkommen, während die parallel dem Prisma os P deutlich, parallel
der Basis oP unvollkommen sind. An den Enden sind ausser der Basis besonders
verschiedene Querdomen zu beobachten, unter denen Pöö mit der Endkante
114** 19' hervorzuheben ist; sehr verschiedene Pyramiden, unter denen die als Grund-
gestalt ausgewählte Pyramide P die Endkantenwinkel = 130 49' und 120^54' hat,
aber weniger hervortritt, mehr die Pyramide PT mit den Endkantenwinkeln
i54°i3' und ii6°io',_und PT mit den Endkanten = 162^40' und ii5°io'.
380 Mioeralogie, Geologie und Palaeontologie.
Die verticalen Flächen sind meist vertical gestreift und die langprismatischen
bis über 5 Centim. langen Krystalle durch homologe Verwachsung polysynthedscb,
während kurzprismatische flächenreiche Krystalle knieförmige Contactzwillinge
nach dem Längsdoma Poo bilden, dessen Endkanten = 122^50' sind, die Haupt-
achsen der solche Zwillinge bildenden Individuen unter diesem Winkel gegen-
einander geneigt sind. Ausser deutlichen Kiystallen bildet der Manganit Stengel,
Nadeln bis Fasern, welche bei meist radialer oder divergenter (selten paralleler)
Stellung zu Aggregaten verwachsen sind; selten sind kömige Aggregate, welche
bis in scheinbar dichten Manganit übergehen.
Der Manganit ist stahlgrau bis eisenschwarz, bisweilen bräunlich oder bunt
angelaufen, metallisch glänzend, undurchsichtig, spröde, hat braunen oder bräim-
lichschwarzen Strich, Härte = 3,5 — 4,0 und spec. Gew. 4,3 — 4,4. Als H,O-Md,0,
enthält er 89,8 Manganoxyd und 10,2 Wasser und wandelt sich oft in Pyrolusit
um. Vor dem Löthrohre ist er unschmelzbar, in concentrirter Chlorwasserstoff-
säure auflöslich, Chlor entwickelnd. Er wird wie der Pyrolusit verwendet und
findet sich besonders ausgezeichnet bei Ilfeld am Harz, auch bei Ilmenau und
Oehrenstock am Thüringer Wald, Undenäs in Westgothland in Schweden, Chris-
tiansand in Norwegen, Graham in Aberdeenshire in Schottland u. a. a. O.
Ausser den vier angeführten durch ihre Krystallisadon und Zusammensetzimg
sicher bestimmten Arten von Manganerzen giebt es noch verschiedene Vorkomm-
nisse, welche wegen ihres wesentlichen Mangangehaltes als Manganerze aofge&sst
werden können, dagegen in chemischer Beziehung wegen der die Constitutira
ausdrückenden Formel Schwierigkeiten bieten, welche häufig von Beimengungen
beeinflusst werden, während auch mangelnde Kiystallisation die UnterschddaDg
erschwert Von solchen Vorkommnissen mögen zwei als Beispiele dienen,
nämlich:
5. Der Psilomelan, auch Hartmanganerz genannt Derselbe bildet meist
stalaktitische kuglige, traubige, nierenförmige, röhrenförmige, cylindrische und
verschiedene andere krummflächige Gestalten, welche sich zunächst in derFonn
mit denen des sogen, rothen und braunen Glaskopfes (s. pag. 370 u. 373) veigleichen
Hessen und daher in Rücksicht auf ihre Farbe als schwarzer Glaskopf
von jenen unterschieden werden. Diese sind an ihrer Oberfläche rauh bis gUtt
und auf diese bezüglich wurde der Name Psilomelan aus den griechischen Worten
'^psilost glatt und ^melas<i schwarz gebildet, während der Name Hartmanganen
sich auf die erhebliche Härte bezieht, welche dieses Vorkommen von anderen
ähnlich aussehenden Manganerzen unterscheidet. Die angeführten stalaktitischen
krummflächigen Gebilde sind aber nicht so deutlich krystallinische, wie bei dem
rothen und biaunen Glaskopf, indem sie selten eine Andeutung von radialfaseriger
Bildung erkennen lassen, meist nur krummschalige Absonderung zeigen. Ausser in
solchen -Gebilden findet er sich derb und eingesprengt und als Ueberzug, dicht
bis erdig. Der Bruch ist muschelig bis eben.
£r ist eisenschwarz, graulich- bis blaulich schwarz, schimmernd bis matt, un-
durchsichtig, spröde bis wenig spröde oder etwas mild, hat die Härte = 6,0— SiS
oder auch darunter, das spec. Gew. = 4,0 — 4,33. Die Zusammensetzung ist bis jetxt
nicht durch eine bestimmte Formel auszudrücken, indem er wohl wescndich
reichlich Mangan enthält, welches nach dem Sauerstofigehalt zu urtheüen mit
diesem Manganhyperoxyd MnOj und Manganoxydul MnO bildet, mithin wesent-
lich eine wasserhaltige Verbindung des Manganoxydul mit Manganhyperozyd an-
zunehmen ist In dieses scheint, wie die Analysen des Psilomelan von Elg^i^
Erze. 381
bürg, Ilmenau und Oehrenstock am Thüringer Wald, Schneeberg und Schwarzen-
berg in Sachsen, Heidelberg in Baden, la Roman^che in Frankreich und Skid-
berg in Schweden gezeigt haben, eine wechselnde Menge des Manganoxydul durch
Baryterde ersetzt, deren Menge bis auf 17} ansteigend gefunden wurde. Andere
Psilomelane, wie Analysen des Psilomelan von Bayreuth in Bayern, Nadabula in
Ungarn, Horhausen in Rheinpreussen, Olpe in Westphalen, Schneeberg in Sachsen
und Ilmenau am Thüringer Wald ergaben, enthalten auch Kali (bis 5^), wonach
man Baryterde und Kali enthaltende, Baryt- und Kali- Psilomelane als Varie-
täten unterschied. Einzelne enthalten Baryterde und Kali, desgleichen finden
sich auch geringe Mengen anderer Stoffe, wie von Kalkerde und Magnesia u. a.
Der Wassergehalt ist gering, wechselnd, etwa 3 — 6^,
Er ist vor dem Löthrohre unschmelzbar und verhält sich wie Pyrolusit, giebt
beim Glühen Sauerstoff ab, ist in Chlorwasserstoffsäure löslich, Chlor entwickelnd,
concentrirte Schwefelsäure wird durch das Pulver des Psilomelan roth gefärbt
Er findet sich oft mit anderen Manganerzen auf Gängen und Lagern und ent-
steht durch Zersetzung manganhaldger Minerale und bildet als Absatz aus
Wasser meist die angegebenen stalaktitischen Gebilde. Er wird wie der Pyrolusit
und Mfinganit benützt, besonders wenn er reichlich vorkommt.
6. Der Wad (nach dem englischen wad, Watte), auch Manganschaum
genannt, weil er meist sehr weiche, lockere, schaumartige Massen bildet, zeigt
nur Spuren krystallinischer faseriger oder schuppiger Bildung, bildet stalaktitische
nierenfbrmige, knollige, kolben- und staudenf<!)rmige u. a krummflächige Gestalten,
kommt auch derb oder als Ueberzug vor und ist dicht bis feinerdig, meist sehr
locker und schaumartig, hat muschligen bis ebenen Bruch und ist meist sehr
weich. Er ist nelkenbraun bis bräunlichschwarz, matt, schimmernd bis schwach
glänzend, halbmetallisch, der matte durch Streichen mit dem Fingernagel glänzend,
undurchsichtig, milde, hat gleichfarbigen Strich und färbt ab, indem sowohl bei
der Berührung oder beim Streichen über Papier die pulverulenten Theilchen
leicht hängen bleiben, die Härte ist bisweilen bei dichterem Vorkommen bis = 3,
gewöhnlich geringer und das spec. Gewicht ist = 3,2 — 3,7, erscheint dagegen ge-
wöhnlich viel geringer wegen der lockeren Beschaffenheit und grossen Porosität.
Aus den wenig übereinstimmenden Analysen geht hervor, dass der Wad ähnlich
dem Psilomelan zusammengesetzt ist, auch gewöhnlich, aber weniger Baryterde
oder Kali enthält, der Wassergehalt jedoch entschieden höher ist, etwa 10 — 15}
beträgt Er ist auch gewöhnlich nicht frei von fremden Beimengungen und scheint
zum Theil durch Umwandlung des Psilomelan entstanden zu sein. Er giebt im
Kolben erhitzt Wasser ab, ist vor dem Löthrohre unschmelzbar und verhält sich
meist wie Psilomelan oder Manganit. In Chlorwasserstoffsäure ist er unter Chlor-
entwickelung löslich.
Als Fundorte sind beispielsweise zu nennen: Elbingerode, Rübeland und
Iberg am Harz, Ilmenau am l'hüringer Wald, Hüttenberg in Kämthen, Krummau
in Böhmen, Schapbach in Baden, Wildbad Gastein in Salzburg, Kemlas und Arz-
berg in Franken, Upton Pyne in Devonshire in England, Kiechen in Rheinpreussen,
Groroi im Dep. Mayenne (sogen. Groroilit), Vicdessos im Dep. Arri^ge in Frank-
reich und Mossebo in Westgothland.
I An diese bezüglich der Zusammensetzung schwierig bestimmbaren unkrystalli-
nischen, meist stalaktitischen Vorkommnisse reihen sich der Kobaltoxydul enthal-
tende Asbolan (Kobaltmanganerz), das Kupferoxyd enthaltende Kupfer-
ttianganerz und einige andere.
382 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
in. Zinkerze.
Ausser den für die Gewinnung des Zink wichtigen Species, dem Smithsonit
oder Zinkspath (s. pag. 107) und dem Sphalerit oder der Zinkblende (s. pag. 81
ist hier noch der Hemimorphit als Kieselzinkerz anzuführen, dem sich der
Willem it anschliesst, während das Zinkoxyd für sich selten vorkommt, als Spedcs
in der Reihe der Erze Zinkit oder Rothzinkerz genannt wird.
I. Der Hemimorphit, benannt nach dem Hemimorphismus setner Krystalk,
einer eigenthümlichen seltenen Bildung, durch welche die Krystalle an den ent-
gegengesetzten Enden der Hauptachse verschiedene Bildung zeigen, wird auch
nach der Zusammensetzung Kieselzinkerz, Zinkkieselerz oder Kiesel zink ge-
nannt, insofern er ausser Wasser wesentlich Kieselsäure und Zinkoxyd entfaiii
Er kxystallisirt orthorhombisch und die meist kleinen in Dnisenräumen aufge-
wachsenen Krystalle sind bisweilen flächenreich. Sie sind gewöhnlich tafelarig
durch die Längsflächen, welche in Verbindung mit dem Prisma 00 P (i 03^50) in
der verticalen Zone^zu sehen sind. Dazu treten auch bisweilen die Querflächen,
welche selten breiter als die Längsflächen sind. Die Begrenzung an den
Enden dieser sechs- bis achtseitig prismatischen oder durch die Längsflächen
tafelartigen Krystalle ist fast immer insofern eine verschiedene, als an dem einen
Ende die Basisfläche mit dem Querdoma 3P5ö (57°2o'), oder mit diesem und
dem Querdoma Pöo (ii7°i4'), oder mit dem Längsdoma 3P 00 (69° 48') und dem
Längsdoma Poo (128° 55') vorkommt, auch Quer und Längsdomen ohne Basisflachc
vorkommen, während an dem anderen Ende gewöhnlich die Pyramide 2PT mit
den Endkantenwinkeln = 101^35' und 132° 26' als vierflächige Zuspitzung erscheint,
deren Flächen schräg auf die Prismenflächen 00 P aufgesetzt sind. Auch finden
sich bisweilen basische Contactzwillinge. Die Spaltungsflächen parallel 00 P sind
vollkommen, parallel dem Querdoma Pöö deutlich. Die tafelartigen Krystalle sind
oft fächerförmig gruppirt und bei grösserer Zahl radial gruppirter Individuen ent-
stehen kuglige, nieren förmige oder traubige Gestalten, welche meist an der Ober-
fläche drusig oder rauh durch die Enden der verwachsenen Krystalle oder Indi-
viduen sind. Im Inneren sind solche Gebilde radialstenglig bis faserig. Bis-
weilen bildet er feinkörnige Aggregate übergehend bis in dichte Massen, selten
ist er erdig.
Er ist farblos, weiss, grau, oft gefärbt, wie gelb, roth, braun, grün oder bUa
durch Beimengungen, glasartig glänzend (daher auch Zink glas genannt), bisweilen
in Diamantglanz geneigt, perlmutterartig auf den Längsflächen, durchsichtig bi;
undurchsichtig, spröde, hat Härte = 5,0 und spec. Gew. = 3,3 — 3,5, wird durch
Erwärmen polarisch-elektrisch entsprechend der entgegengesetzten verschiedenen
Ausbildung der Flächen an den Enden der Hauptachse, wonach der Hemimorphis-
mus mit der polaren Elektricität zusammenhängt. Als wasserhaltiges Zinkoxrd-
Silicat entspricht er der Formel HjO'ZnO -H ZnO«SiO| mit 25,0^ Kiesel-
säure, 67,5! Zinkoxyd und 7,5 Wasser. Im Kolben erhitzt giebt er Wasser, ist vor
dem Löthrohre zerknisternd unschmelzbar, giebt auf der Kohle für sich oder mit
Soda behandelt Zinkoxydbeschlag, färbt sich mit Kobaltsolution befeuchtet und
geglüht blau, stellenweise grün; ist in Chlorwasserstoflisäure löslich, Kieselgallcite
abscheidend.
Der Hemimorphit, welcher ofl mit Smithsonit, auch im Gemenge mit dtesen
und mit Brauneisenerz auf Lagern in Kalksteingebirgen und auf Gängen vorkonunL
ist ein fUr die Gewinnung des Zinkes wichtiges Mineral und^wird wie der Smith-
Erxc. 383
sonit Galmei genannt oder von jenem als Kieselgalmei unterschieden. Schöne
Krystalle finden sich am Altenberge bei Aachen, bei Bleiberg, Reuth und Raibel
in Kämthen, Tamowitz in Ober- Schlesien, Rezbanya in Ungarn, Nertschinsk in
Sibirien, Phönixville und Friedensville in Pennsylvanien.
Da das Zinkoxyd in Verbindung mit Kohlensäure als Carbonat ohne Wasser
(Smithsonit, s. pag. 107) und mit Wasser (Hydrozinkit, s. pag. 1 1 1) vorkommt, so
ist es auch von Interesse, dass ausser dem Hemimorphit, dem wasserhaltigen
Silicat des Zinkoxydes, dasselbe auch ohne Wasser mit Kieselsäure verbunden
vorkommt, den seltenen Wille mit bildend. Dieser ist ein Silicat der Formel
2ZnO-SiOj mit 72,97^ Zinkoxyd und 27,03 Kieselsäure, welches beispielsweise
auch mit dem Hemimorphit bei Aachen und bei Stirling und Franklin in New
Jersey vorkommt Er krystallisirt hexagonal, rhomboedrisch-hemiedrisch und
die gewöhnlich kleinen bis sehr kleinen Krystalle bilden die Combination des hexa-
gonalen Prisma 00 R mit einem stumpfen Rhomboeder, dessen Endkantenwinkel
= 128^30' sind. Ausserdem findet er sich derb, klein- bis feinkörnige Aggregate
bildend, auch nierenförmig. Die Krystalle sind deutlich basisch spaltbar, un-
deutlich parallel 00 R. Ei ist weiss, auch gelb, roth, braun, bisweilen grün gefärbt,
schwach wachsartig glänzend, mehr oder weniger durchscheinend bis fast undurch-
sichtig, hat Härte =5,5 und spec. Gew. = 3,9 — 4,2. Im Kolben erhitzt giebt er
kein Wasser, verhält sich aber sonst wie der Hemimorphit.
2. Der Zinkit, auch Rothzinkerz genannt, weil er gewöhnlich roth ge-
färbt ist. Dieses seltene, bei Sparta, Franklin und Stirling in New Jersey in
Nord-Amerika, gewöhnlich mit Franklinit vorkommende Mineral findet sich meist
derb, in individualisirten Massen oder grobkörnige, zum Theil dickschalige Aggre-
gate bildend, oder eingesprengt, ist vollkommen basisch und hexagonal prisma-
tisch spaltbar und nach der Basisfläche oft schalig abgesondert. Er ist blut- bis
hyazinthroth, selten orangegelb, diamantartig glänzend in Glasglanz neigend,
kantendurchscheinend, hat orangegelben Strich, Härte = 4,0 — 4,5 und spec. Gew.
= 5,4 — 5,7. Ist Zinkoxyd, ZnO mit geringen Beimengungen, von denen das
Manganoxyd die rothe Farbe bedingen soll, da das nicht mineralische Zinkoxyd,
welches als Hohofenprodukt erhalten wird, farblose hexagonale Krystalle bildet
und der Beschlag von Zinkoxyd bei zinkhaltigen Mineralen auf der Kohle weiss
ist. Vor dem Löthrohre ist der Zinkit unschmelzbar, giebt auf der Kohle, be-
sonders bei Zusatz von Soda, weissen Beschlag von Zinkoxyd und ist in Säuren
auflöslich.
IV. Kupfererze.
Da von denjenigen Mineralen, welche zur Kupfergewinnung benützt werden,
die Schwefelverbindungen bei den Glänzen und Kiesen angeführt werden, wie
bereits der Covellin als Kupferblende bei den Blenden (s. pag. 84) angeführt
wurde, die wasserhaltigen Carbonate des Kupferoxydes im Artikel Malachite
folgen werden, so ist hier nur das Vorkommen des Kupferoxydul als Cuprit
und das des Kupferoxydes anzuführen.
I. Der Cuprit oder das Rothkupfererz, Kupferoxydul Cu^O mit 88,8 Kupier
und 11,2 Sauerstofif. Der Cuprit krystallisirt tesseral, die selten eingewachsenen,
meist in Drusenräumen aufgewachsenen Krystalle sind gewöhnlich Oktaeder, Hex-
aeder oder Rhombendodekaeder oder Combinationen dieser mit einander, wozu
auch bisweilen andere Gestalten, wie 20, 30, 202, oo02 u. a. treten. Oft
findet er sich derb und eingesprengt, krystallinisch-kömig, drusig oder festkömig
bb dicht, selten erdig. Er ist ziemlich vollkommen oder deutlich oktaedrisch
384 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
spaltbar; spröde, cochenillroth, dabei bisweilen in bleigrau spielend, mehr oder
weniger durchscheinend bis undurchsichtig, hat metallartigen Diamantglanz,
bräunlichrothen Strich, Härte =3,5 — 4,0 und spec. Gew. = 5,8— 6,1. Vor dem
Löthrohre auf Kohle erhitzt wird er schwarz, schmilzt dann ruhig und lässt sich
zu einem Kupferkom reduciren. In der Zange erhitzt färbt er die Lötbrohr-
flamme schwach grün und mit Chlorwasserstoffsäure befeuchtet schön blau« In
Salpetersäure, Chlorwasserstoffsäure oder in Ammoniak ist er löslich. Er find«
sich bisweilen pseudomorph nach Kupfer oder wandelt sich selbst in Azurit und
Malachit um.
Eine selten vorkommende Varietät ist der sog. Chalkotrichit, benannt
(von dem griechischen chalkos, Kupfer und triche, Haar) wegen der sehr feinen
haarförmigen bis nadeiförmigen Krystalle, welche als abnorm verlängerte Hexaeder
betrachtet werden, zum Theil büschelig oder rechtwinklig, gitterförmig giuppiit
vorkommen, cochenill- bis karminroth, seidenartig glänzend mit Neigung in Dia-
mantglanz. Dieser fasrige Cuprit wurde früher für eine eigene Species ge-
halten. Der erdige Cuprit, röthlichbraun bis ziegelroth, Ziegelerz genannt, is:
gewöhnlich ein Gemenge des Cuprit mit Eisenocher und entsteht oft durch Zer-
setzung des Chalkop3rrit
Der Cuprit findet sich vorzüglich auf Gängen und Lagern, an einzelnen
Orten in grosser Menge, wo er zur Darstellung des Kupfers benützt wird, meist
in Begleitung von Kupfer und anderen Kupfer enthaltenden Mineralen. Als
Fundorte sind besonders Comwall in England, Gumeschewskoi, Nischne-Tagilsk
und Bogoslowsk am Ural, Moldawa im Banat, Chessy unweit Lyon in Frankreich,
Linares in Spanien, Siegen in Westphalen, Käusersteimel bei Sayn-Altenkirch am
Westerwald zu nennen, während er auch reichlich in Cuba, Chile, Peru und
Bolivia, im Damaraland in Afrika, und in Süd-Australien vorkommt Der üisiige,
Chalkotrichit genannte findet sich bei Rheinbreitenbach am Rhein, in Comwall,
bei Moldawa im Banat und bei Nischne-Tagilsk am Ural.
Von geringer Bedeutung ist
2. das Kupferoxyd CuO. Dasselbe war schon lange als Tenorit benannte
Species vom Vesuv bekannt, woselbst es, besonders oberhalb Tone del Gieco
auf Klüften und in poröser Lava vorkommend sehr zarte, schwarze, metalliscb
glänzende Blättchen bildet, auch feinschuppig bis erdig ist Die Blättchen wurden
als klinorhombische oder anorthische bestimmt. Später fand sich das Kupferoxyd
bei Kewenaw Point am oberen See in Nord-Amerika, derbe, dichte bis erdige
schwarze Massen bildend, auch tesseral krystollisirt, Hexaeder, ftir sich oder in
Combination mit dem Oktaeder und Rhombendodekaeder darstellend. Dasselbe
wurde Melakonit genannt und die Krystalle für Pseudomorphosen erklärt
Dazu gehört auch ein reichliches Vorkommen bei Copper Harbour in Michigan.
Neuerdings fanden sich deutiiche klinorhombische und basisch spaltbare Krystalle
mit Härte « 4 und spec. Gew. = 5,82 im Chlorit in Comwall und derbes, dichtes
Kupferoxyd. Hiemach ist es wahrscheinlich, dass das Kupferoxyd aU Spedes
genügend festgestellt ist, die Trennung des Melakonit vom Tenorit aufzu-
geben ist
V. Als Zinnerz
Kriech"». Species aniuftihren, der Kassiterit, baumnt nach dem
Bjcmschen >kassiteros< Zinn, welches Mineral schon seit den Zeiten Homen
PhöniQ^ h"r* **** ttbe«us wichtigen MetaUes Zbn benutzt wurde. Die
holten es schon von den Zinninseln (England und Irland) und
Erze.
385
von der iberischen Halbinsel, woselbst es nach Plinius in Lusitanien (Portugal)
und Gallicia reichlich vorkam. Ja, man vermuthete sogar, dass es schon im
Alterthume aus Ostindien (von der Halbinsel Malakka) in den Handel kam.
Der Kassiterit ist Zinnsäure SnO^ mit 78,4 Procent Zinn und 21,6 Sauer-
stoff, krystallisirt quadratisch und bildet oft gut ausgebildete Krystalle, welche
auf- und eingewachsen gefunden werden. Dieselben sind gewöhnlich prismatisch
bis p3rramidal ausgebildet und die einfachste Combination ist die des normalen
quadratischen Prisma 00 P (Fig. 13 und 14) mit der als Grundgestalt gewählten
stumpfen normalen quadratischen Pyramide P, deren Endkantenwinkel = 121°
41', der Seitenkantenwinkel =87° 7' ist. Oft treten dazu die Flächen des diago-
nalen quadratischen Prisma ooPoo (Fig. 15), die Kanten des normalen gerade
(MÜL 68-70.)
<*>/»
i<nP
cqß»
«i»
Fig. 13-
Fig. 14.
Fig. 15.
(Min. 71-72.)
abstumpfend und die diagonale quadratische Pyramide Poo mit den Endkanten
= »33'' 3*' ™^ den Seitenkanten = 67° 50', deren Flächen die Endkanten von
P gerade abstumpfen (Fig. 16). An flächenreicheren Krystallen finden sich auch
oktagonale Pyramiden und Prismen u. a. m. Häufig sind Zwillinge, Zinnzwitter,
Contactzwillinge nach Poo (Fig. 17), wobei sich die Hauptachsen der beiden In-
dividuen unter 112^10' schneiden, auch Drillinge und weitere Wiederholung der
Verwachsung. Die Spaltbarkeit parallel den beiden quadratischen Prismen 00 P
und 00 poo ist unvollkom-
men, der Bruch muschlig,
uneben bis splittrig. Ausser
krystallisirt und undeutlich
ausgebildet unbestimmt ecki-
ge Kömer bildend, findet er
sich kr3rstallinisch - kömig,
derb bis eingesprengt, häufig
lose, als Seifenzinn in den
sog. Zinnseifen, welche
namentlich in älterer Zeit
das Material für die Zinn-
gewinnung lieferten. Eine
Fig. 17.
Fig. 16.
besondere Varietät ist das sog. Holzzinnerz, fasriger Kassiterit, dessen radial-
fasrige Bildung an den bei Hämatit und Pyrrhosiderit angeführten Glaskopf
erinnert
Der Kassiterit ist gewöhnlich braun, dunkel bis hell, einerseits bis fast
schwarz, andererseits bis gelb, selten gelblichroth oder grau bis fast farblos,
diamantartig- bis wachsglänzend, halbdurchsichtig bis undurchsichtig, hat hell-
braunen bis weissen Strich, ist spröde, hat Härte = 6,0 — 7,0 und das spec. Gew.
IdoiMGOTT, Min., Geol. u. Pal. I. 2C
3S6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
= 6,8 — 7,0. Er ist meist etwas eisenhaltig, in Säuren unlöslich, vor dem Löth-
röhre unschmelzbar, auf Kohle in der Reductionsilamme, besser bei Zusatz von
Soda zu Zinn reducirbar.
Er findet sich nicht häufig, dagegen an einzelnen Fundorten gewöhnlich
sehr reichlich, von denen einige schon seit den ältesten Zeiten das Material
zur Darstellung des Zinn lieferten. Er findet sich in gewissen Gesteinsarten, wie
in Granit, Gneiss, Greisen, Syenit, Felsitporphyr, oder auf Gängen in diesen und
in Phyllit und Grauwacke, oder lose in Sanden und im aufgeschwemmten lande
Als Fundorte sind im Erzgebirge Zinnwald, Ehrenfriedersdorf, Geyer, Breiten-
brunn, Eibenstock, Johanngeorgenstadt in Sachsen, Zinnwald, Graupen, Platten,
Schlackenwald, Joachimsthal und Schönfeld in Böhmen zu nennen, ferner St Austie,
St. Agnes, St. Just, Redruth, Polgooth und Beacon in Comwall, Finbo in Schweden,
Pitkaranda am Ladogasee in Finnland, die Halbinsel Malakka und die Insem
Banqua und Junkceylon (Salang) in Ostindien; die reichen Vorkommnisse in
Siam, Australien, Bolivia, Califomien und Maine in Amerika. Das sog. Holz-
zinnerz findet sich besonders bei St. Austle in Comwall, in der Grafschan
Wickle w in Irland, bei Warwick in Queensland in Australien und Xeres in
Mexiko.
VI. Als Titanerze
sind verschiedene interessante Minerale zu nennen, unter denen drei die
der Zinnsäure in gewisser Beziehung verwandte Titansäure für sich vorkommend
darstellen, der Rutil, Anatas und Brookit. Ausserdem findet sich die Titar-
säure in Verbindung mit gewissen Basen (wie das bereits bei den Eisenerzen
angeführte Titaneisenerz zeigte), so mit Kalkerde als Perowskit CaO»TiOj.
gewöhnlich aber noch mit anderen Säuren Doppelverbindungen darstellend.
I. Der Rutil, TiOj. Derselbe ist unter den drei Mineralen, Rutil, Anata>
und Brookit, welche die Titansäure in dreifacher Krystallisation darstellen, wonach
dieselbe trimorph ist, das häufigste. Er findet sich meist krystallisiit und die
Krystalle, welche gewöhnlich in Drusenräumen, in Spalten und Klüften und aui
Gängen als aufgewachsene, oft auch in anderen Mineralen oder in verschiedenen
Gesteinsarten als eingewachsene vorkommen, sind quadratische, isomorph mit
denen des Kassiterit (s. pag. 385) und vorherrschend prismatische, lang- bis kurz-
prismatische. Die einfachste Combination (Fig. 14) ist die des normalen quadn-
tischen Prisma cx>P mit der stumpfen normalen, als Grundgestalt gewählten
quadratischen Pyramide P, deren Endkantenwinkel = 123^8' sind und welche mit
den Prismenflächen 00 P die Combinationskantenwinkel = 132^20' bilden.
Dazu treten auch (Fig. 15) die Flächen des diagonalen quadratischen Prisma ooP^.
welche die Kanten des Prisma <x> P gerade abstumpfen, sowie die der stumpferen
diagonalen quadratischen Pyramide Poo, welche die Endkanten der Grund-
gestalt P gerade abstumpfen und mit den Prismenflächen 00 poo die Combinatioav
kantenwinkel= 122° 47' 30" bilden. Oft zeigen auch die prismatischen Krystalle
vorherrschend oktogonale Prismen, z. B. 00 P2 oder 00 Ps, sowie auch an den
Enden oktogonale Pyramiden in Combination mit den quadratischen Pyramiden,
selbst vorherrschend auftreten. Er bildet oft knieförmige Contacuwillinge nach
Poo (Fig. 18), wobei die Hauptachsen der beiden zwillingsartig verwachsenen
Krystalle sich unter einem Winkel von 114° 25' schneiden. Auch wiederholt skh
diese Zwillingsbildung mehrfach und in verschiedener Weise, indem sich ein
drittes Individuum an das zweite knieförmig anreiht und entweder mit dem enrfen
in paralleler Stellung (Fig. 19) erscheint oder nicht.
Erze.
387
Fig. 18.
Fig. 19.
Die Krystalle sind in der Regel mehr langprismatisch, bei abnehmender
Dicke bis nadeiförmig, selbst faserig; die kurzprismatischen sind bisweilen gross,
bis über ein Pfund schwer, wie bei den mit Quarz in einem Gemenge von
Disthen und Pyrophyllit eingewachsenen (Min. 78-74.)
vom Graves Mount in Georgia in Nord-
Amerika. Nadelfoiviige Kxystalle bilden
in Folge der Zwillingsbildung und homo-
loger Verwachsung bisweilen eigenthüm-
liche trigonal-gitterfÖrmige und netzartige
Gruppen (der sogen. Sagenit, benannt
nach dem lateinischen Worte >sagum< ein
grobes Gewebe). Ausser krystallisirt findet
sich der Rutil auch derb und eingesprengt,
selbst krystallinisch-kömige Aggregate bil-
dend, auch lose als Geschiebe und Kömer.
Er ist vollkommen spaltbar parallel den Flächen des normalen, weniger
deutlich parallel den Flächen des diagonalen quadratischen Prisma; der Bruch
ist muschlig bis uneben. Röthlichbraun, bräunlich- bis gelblichroth (daher der
Name Rutil von dem lateinischen »rutilusc röthlich), blutroth, röthlichgelb bis
gelb, auch braun bis schwarz (solcher aus den Goldseifen von Ohlapian in Sieben-
bürgen Nigrin genannt, nach dem lateinischen »niger« schwarz), diamantartig-
bis halbmetallisch-glänzend, der fasrige bis seidenglänzend, halbdurchsichtig bis un-
durchsichtig, hat gelblichbraunen bis blassgelben und gelblichgrauen Strich, ist
spröde, hat H. = 6,o — 6,5 und spec. Gew. =4,2 — 4,3. Obgleich er wesentlich
TiOj ist, zeigt er fast immer einen kleinen Eisengehalt. Er ist in Säuren un-
löslich, als sehr feines Pulver in concentrirter Schwefelsäure etwas löslich; vor
dem Löthrohre unschmelzbar und unveränderlich, giebt mit Phosphorsalz in der
Oxydationsflamme geschmolzen ein farbloses Glas, in der Reductionsflamme ein
gelbes, welches beim Erkalten rotb, dann violett wird, woran man die Titansäure
erkennt. Wegen des unwesentlichen Eisengehaltes, welcher diese Farbe nicht
immer deutlich hervortreten lässt, ist es zweckmässig, der Probe etwas Zinn zu-
zusetzen, um die violette Färbung deuüich zu erhalten. Mit Soda schmilzt er
auf der Kohle wie die Kieselsäure unter Brausen zusammen und sammelt sich
über der Kohle zu einer schmutzigbraunen unklaren Perle, welche beim Abkühlen
etwas aufglüht. Mit Soda auf Platinblech behandelt zeigt er bisweilen Mangan-
reaction.
Der Rutil findet sich, oft mit krystallinischem Quarz und Hämatit und in
Krystallen dieser auch eingewachsen i) in den Alpen, wie dem Gebiete des
St. Gotthard, im Tavetsch- und dem Binnenthale in der Schweiz, im Pfitschthale
in T3rrol, am Bacher in Steiermark, auf der Saualpe bei Windischkappel in
Kämthen; in Gneiss, Granit, Diorit, Foyait, Glimmer- und Chloritschiefer, in
Dolomit, Marmor und anderen älteren krystallinischen Gesteinsarten eingewachsen
an zahlreichen Fundorten, wie bei Krummhennersdorf bei Freiberg in Sachsen,
Bämau und Aschaflenburg in Bayern, Rosenau in Ungarn, St. Yrieux bei Limoges
in Frankreich, Arendal und Krageroö in Norwegen, Buitrago in der Somosierra
in Spanien, Takewaya im Ural, Newton in New Jersey und Edenville und Amity
') Von besonderem Interesse sind die in Hämatitkrystallen, hexagonalen Tafeln, eingewachsenen
Rutükiystalle aus dem Tavctschthale in GraubUnden wegen der bestimmten krystallographischen
Aoordniing in ;enen.
25»
388
Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
(Min. 76-77.)
Fig. 20.
Fig. 21
Fig. 22.
in New York in Nord-Amerika, in Minas Geraes in Brasilien, bei River-Fort in
Tasmanien u. a. O.
2. Der Anatas TiOj, welcher auch quadratisch krystallisirt, jedoch eine
andere Grundgestalt und andere Spaltungsflächen hat. Als Grundgestalt dieses
bis jetzt nur krystallisirt gefundenen Minerales wurde die spitze quadratische
normale Pyramide P (Fig. 20) gewählt, deren Endkantenwiakd= 97°5i* und
deren Seitenkanten winkel = 136° 36' sind und welche oft nur allein an auf- und
eingewachsenen Kxystallen vorkommt. Auf diese spitze Pyramide bezüglich wurde
der Name Anatas von dem griechischen Worte i^anatasis^ Ausdehnung gebildet
gegeben. Sie findet sich
auch combinirt mit den Ba-
sisflächen oP (Fig. 21), wel-
che die Endecken gerade
abstumpfen, mit der diago-
nalen quadratischen Pjrra-
mide P c», welche die End-
kanten von P gerade ab-
stumpft (Fig. 22) und mit
anderen Gestalten. Die
Krystalle sind gewöhnlich
aufgewachsen und ausser
den vorherrschend spitz
pyramidalen finden sieb
auch stumpf pyramidale, z. Th. sehr flächenreiche oder tafelartige durch die vor-
herrschenden Basisflächen, selten prismatische durch das diagonale quadratische
Prisma ooPco. Er ist vollkommen spaltbar paiallel P und oP, der Bruch ist
muschlig bis uneben.
Der Anatas ist selten farblos (so lose im Diamanten ftlhrenden Sande in
Minas Geraes in Brasilien sich findende Krystalle), dabei diamantartig glänzend
auch grau, häufig schwarz bis indigoblau, gelb bis braun, röthlichgelb bis h]racinth-
roth, diamant- bis halbmetallisch glänzend, durchsichtig bis undurchsichtig, spröde,
hat weissen bis grauen Strich, die Härte = 5,0 — 6,0 und das spec Gew. ^
3,83 — 3,93. Beim Glühen verändert er das spec. Gew., welches sich bis zu dem
des Rutil erhöht. Sein chemisches Verhalten ist im Uebrigen das des Rutil.
Er findet sich wesentlich in Drusenräumen, in Spalten und auf Gängen, wie
in Granit, Gneiss, Diorit, Glimmer- und Chloritschiefer u. a. m., seltener als der
Rutil, besonders in den Alpen der Schweiz, im Binnenthale in Ober-Wallis (die
Alpe Lercheltiny durch Mannigfaltigkeit der Combinationen ausgezeichnet), im
Maggiathale in Tessin, im Tavetschthale in Graubünden, im Griesernthale in Uri
und am St. Gotthard, bei Bourg d'Oisans im Dauphin^ in Frankreich, bei Hof
in Bayern, bei Nil St. Vincent in Belgien, Liebecke bei Wettin unweit Halle a S
in der Provinz Sachsen (in Porphyr); bei Katharinenburg, an der Sanarka und
verschiedenen anderen Orten am Ural.
3. DerBrookit, TiO^, welcher noch seltener vorkommt und zu Ehren des
englischen Kiystallographen H. J. Brocke benannt wurde. Derselbe krystallisin
orthorhombisch und bildet gewöhnlich tafelartige Krystalle durch die vorherrschenden
Längsflächen 00 P 00 in Verbindung mit dem Prisma 00 PY und den Basisflachen
oP. Die brachydiagonalen Kantenwinkel des Prisma 00 PY sind = 80 '^ 10* und
die Combinationskanten desselben mit den Längsflächen ooPoo sind = 139* 55-
Erae. 3S9
Ausser diesen drei Gestalten, welche die einfachste Combination bilden, finden
sich oft noch andere Gestalten untergeordnet, Pyramiden, Längs- und Querdomen
und die Querflächen; bisweilen sind auch die Prismenflächen vorherrschend.
Eine eigenthümliche, oberflächlich betrachtet an eine hexagonale Pyramide er-
innernde Combination ist die der Pyramide P mit dem Prisma <x>PY. Die an
derselben sichtbaren Endkanten dieser Pyramide sind gleich 135° 37' und ioi°3'.
Diese eigenthümlich ausgebildeten eisenschwarzen Krystalle von Magnet-Cove in
Arkansas in Nord-Amerika wurden Arkansit genannt, sie sind aber nur eine
Varietät des Brookit
Der Brookit ist parallel den Längsflächen spaltbar, gelb, graulichgelb, röth-
lichgelb, hyacinthroth, röthlichbraun, graulichbraun bis schwarz gefärbt, diamant-
artig bis metallisch (der schwarze) glänzend, halbdurchsichtig bis undurchsichtig,
spröde, hat grauen bis weissen Strich, Härte = 5,5 — 6,0 und spec. Gew. = 3,8 — 4,1.
Durch Glühen erhält er das spec. Gew. des Rutil und verhält sich sonst v. d. Löthr.
und gegen Säuren wie dieser. Als Fundorte dieses seltenen Minerals sind besonders
Tremaddoc in Wales in England, Bourg d'Oisans im Dauphind in Frankreich,
die TÄte noire unweit Chamouni in Savoyen, das Maderanerthal in Uri in de
Schweiz, Miask am Ural, Magnet-Cove in den Ozark Mounts in Arkansas und
Ellen ville in Ulster County in New York zu nennen.
Die Titansäure tritt ausserdem in Verbindung auf, unter denen die einfachste
der Perowskit ist, welcher somit als ein Titanat zu den Titanerzen gehört. Diesem
reihen sich andere an, welche noch andere Säuren enthalten.
4. Der Perowskit, benannt nach dem russischen Grafen L. A. Perowskv
und zuerst auf Chloritschiefer bei Achmatowsk in den Nasjamsker Bergen am
Ural aufgefunden. Dieses seltene Mineral krystallisirt tesseral, bildet gewöhnlich
Hexaeder 00 O 00 oder T)ktaeder O, für sich oder in Combination dieser mit
einander oder mit dem Rhombendodekaeder 00 O; untergeordet wurden Tetra-
kishexaeder, Deltoidikositetraeder und Tetrakontaoktaeder daran gefunden. Die
Krystalle sind auf- oder eingewachsen, auch bildet er nierenförmige Gestalten
und findet sich derb. Er ist parallel dem Hexaeder spaltbar, graulichschwarz bis
eisenschwarz, röthlichbraun, hyacinthroth, orange- bis honiggelb, halbdurchsichtig
bis fast undurchsich, hat metallartigen Diamantglanz, graulichweissen Strich,
H,= 5,5 und spec. Gew. = 4,0 — 4,1. Er ist wesentlich CaO« TiOj mit wenig:
stellvertretendem Eisenoxydul, vor dem Löthrohre unschmelzbar, zeigt mit Borax
oder Phosphorsalz geschmolzen Titanreaction, wird durch Schmelzen mit saurem
schwefelsaurem Kali zerlegt, von Säuren wenig angegriffen. Als weitere Fund-
orte sind ausser dem oben angegebenen noch Zermatt in Ober-Wallis in der
Schweiz, das Wildkrenzjoch im Pfiischthale in Tyrol, Monte Lagazzolo im Malenco-
thale bei Sondrio in Ober-Italien und Magnet-Cove in Arkansas in Nord-Amerika
zu erwähnen.
Ausser dieser einfachen Verbindung finden sich noch verschiedene, zum Theil
seltene und meist noch nicht ganz sicher bezüglich der Verbindungsweise festge-
stellte Minerale, welche Verbindungen der Titansäure in Gemeinschaft mit anderen
Säuren schwerer Metalle darstellen und somit auch zu den Titanerzen gerechnet
werden, wie der früher flir Perowskit gehaltene Dysanalyt von Vogtsburg am
Kaiserstuhl im Breisgau in Baden, welcher schwarze undurchsichtige Hexaeder
in krystallinisch-kömigem Kalk bildet und wesentlich titansaure Kalkerde mit
niobsaurer Kalkerde enthält, mit etwas Cer- und Eisenoxydul, femer der norwe-
gische in Granit eingewachsene, schwarze undurchsichtige orthorhombisch krystalli-
390 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
sirende Polykras, welcher eine wasserhaltige Verbindung der Titan- und Niob-
säure mit Yttererde, Erbinerde u. a. darstellt; femer der auch bei Hittwoe in
Norwegen und bei Miask am Ural vorkommende eisenschwarze bis braune, ortho-
rhombisch krystallisirende Aeschynit, welcher ausser Titansäure Niob- und
Thorsäure in Verbindung mit Ceroxydul und anderen Basen RO enthält; feracr
der orthorhombische bräunlich schwarze Euxenit von Hitteroe, Tromoe u. a. Orten
in Norwegen, welcher Titan- und Niobsäure in Verbindung mit Yttererde, Uran-
oxydul und anderen Basen RO enthält; femer der eisen- bis sammtschwarze
orthorhombische, in Zirkonsyenit von Frederiksvärn in Norwegen vorkommend«
Polymignyt, welcher Titan- und Zirkonsäure mit Yttererde, Eisen- und Ccroxyd
enthält und der orthorhombische eisenschwarze Mengit von Miask am Ural und
von der Insel Groix im Departement Morbihan in Frankreich, welcher auch Titan-
und Zirkonsäure in Verbindung mit Eisenoxyd enthalten soll.
An diese Titansäure enthaltenden Minerale reihen sich andere, welche ausser
Titansäure noch Kieselsäure enthalten. Unter diesen ist als ausgezeichnete
und häufig vorkommende Species zu erwähnen:
5. Der Titanit, benannt wegen des Gehaltes an Titansäure. Er krystalli-
sirt klinorhombisch und bildet fast ausschliesslich auf- und eingewachsene Krystalle
welche durch eine sehr grosse Verschiedenheit in ihrer Ausbildung ausgezeichnet
sind. Die grösste Mannigfaltigkeit zeigen die in Drusenräumen, auf Klüften und
Gängen aufgewachsen vorkommenden Krystalle gegenüber den in verschiedenen
älteren und jüngeren krystallinischen Silicatgesteinen eingewachsenen Kjystallen,
weshalb sogar früher zwei Arten unterschieden, diese Sphen genannt wurden,
während sie in der That mit jenen zusammen nur eine Art bilden, welche als
Titanit benannte den S ph e n als Varietät enthält. Das Aussehen der aufgewachsenen
Krystalle ist nicht allein durch die sehr mannigfache^ Combinationen bedingt,
sondern ganz besonders durch die verschiedene Ausdehnung der Krystalle in
verschiedenen Richtungen, wodurch sie fiir krystallographische Studien von
grosser Bedeutung geworden sind. Die einfachsten Krystalle, wie sie am rothen
Boden bei Guttannen, am Steinhaushom und Sustenhom im Bemer Oberlande
in der Schweiz, auch z. Th. im Maderanerthale im Canton Uri vorkommen, er-
scheinen als dünne rhombische Tafeln mit schrägen Randflächen und bilden die
Combination des hinteren Querhemidoma ^P'öö mit dem Gmndprisma »P,
welches die schmalen schrägen Randflächen der Tafel darstellt Die klmodiaqo-
nalen Kanten des Prisma sind = 133 °54', die orthodiagonalen, seitlichen = 466
und die Querhemidomenflächen als die rhombischen Tafelflächen der Krystalle sin«j
gegen die klinodiagonalen Kantenlinien des Prisma cx>P unter 124*^27', und 55 33'
geneigt. Dazu tritt häufig das hintere Querhemidoma P'öö, welches die stumpfen
Combinationsecken von ^P'öö mit 00 P abstumpft, die Abstumpfungsflächen ge-
rade auf die klinodiagonalen Kanten von 00 P aufgesetzt Die Flächen dieses
Querhemidoma sind gegen die klinodiagonalen Kantenlinien des Prisma 00 P unter
H5°33' und 34°27' geneigt und bilden mit ip'55 eine Combinationskante
= i58°54'i deren Kantenlinie der längeren Diagonale des durch ^P' ^ gebildeten
Rhombus in der Combination ^P' 55 . 00 P parallel geht
In ähnlicher Weise wie durch P'55 werden auch die spitzen CombinationN-
ecken der stumpfen Prismenkanten von 00 P mit ^P'öB durch die Basisfiachen
oP abgestumpft, welche auf die stumpfen (klinodiagonalen) Kanten von o^P
gerade aufgesetzt sind und mit ihren Kantenlinien Winkel =94^54' und 85 0'
bilden, während die stumpfe Combinationskante von oP mit ^P'öS 140*^39' be-
Erze. 391
trägt. Die gegenseitige Breite der drei Flächen oP, ^P'öö und P'^ wechselt
und es kommen auch die Flächen ^P'öö sehr schmal vor oder sie sind ganz
verdrängt, wodurch dann oP und P'^ einander begrenzend sich unter 119° ^^'
schneiden. Neben dem Grundprisma cx>P findet sich auch noch ein anderes,
00 PY, welches die scharfen Kanten von 00 P zuschärft und in derselben Zone
finden sich die Längsflächen 00 p 00, welche die scharfen Kanten von 00 P gerade
abstumpfen. Durch diese Flächen wird die rhombische Tafel eine sechsseitige,
wogegen auch sechsseitige Tafeln mit schrägen Randflächen vorkommen, welche^
durch Hemipyi^midenflächen erzeugt werden. Durch solche entstehen, zugleich
mit den Längsflächen auch achtseitige, auch oblonge Tafeln. Derartige Combi-
nationen gehen von tafelartigen Krystallen in prismatische über, je nach dem
das Prisma 00 P oder Hemipyramiden vorherrschend ausgebildet vorkommen.
Unter diesen ist besonders die hintere Hemipyramide f P' T ausgezeichnet,
welche bei verticaler Stellung ihrer klinodiagonalen Endkanten ein rhombisches
Prisma von 136° 6' darstellt, an dessen Enden die Basisflächen und das hintere
Querhemidoma P'öö eine Zuschärfung von 60° 27' bilden. Diese Combination
|P'"2"-oP-P'öö von orthorhombischem Aussehen ist besonders bei den ein-
gewachsenen Krystallen zu beobachten und wegen der scharfen Endkanten der
scheinbaren Querdomen wurde diesen Krystallen der Name Sphen, von dem
griechischen Worte »spAent, Keil gegeben. Oft tritt zu dieser Combination das
Längsdoma Poo, wodurch das scheinbare orthorhombische Aussehen dieser
Krystalle aufgehoben wird und diese als klinorhombische erkenntlich sind.
Ebenso wie durch die vorherrschende Ausbildung der Hemipyramide fP'^
oder anderer Hemipyramiden sind auch Krystalle wirklich prismatisch ausgebildet
durch das Vorherrschen des Prisma 00 P. Ueberhaupt sind die Krystalle sehr
verschieden im Aussehen, je nach dem diese oder jene Flächen oder Gestalten
vorherrschend ausgebildet sind. Sehr häufig bilden die aufgewachsenen Krystalle
Zwillinge nach oP und zwar Berührungs- oder Durchkreuzungszwillinge; selten
sind Krystalle zu derben schaligen Aggregaten verwachsen.
Der Titanit zeigt entweder Spaltimgsflächen parallel dem Prisma 00 P oder
parallel dem oben erwähnten Längsdoma Poo, welches an eingewachsenen
Krystallen untergeordnet auftritt, die spitzen Combinationsecken der scheinbar
orthorhombischen Krystalle abstumpfend. Die Endkanten winkel dieses Längs-
doma betragen 1 13^30'. Der Bruch ist muschlig. Die Farben sind meist gelbe
bis braune (daher die Namen Gelb- und Braunmenakerz) besonders bei den
eingewachsenen Krystallen, während aufgewachsene auch oft grün sind, dabei so
blass, dass sie selbst farblos erscheinen, selten sind graue und rothe (der sogen.
Green o vi t), der Glanz ist glas- bis diamantartig, auf Bruchflächen bis wachs-
artig, die Durchsichtigkeit verschieden bis zur Durchscheinheit an den Kanten
herabsinkend. Die H. ist = 5,0—5,5, das spec. Gew. = 3,4 — 3,6.
Er ist eine Verbindung der Kalkerde mit Titan- und Kieselsäure nach der
Formel CaO-2Ti03 -+- Ca0.2Si02 oder kürzer Ca TiSiO 5 mit 28,3^ Kalkerde,
41,4 Titansäure und 30,3 Kieselsäure, wobei meist wenig Eisenoxydul die Kalk-
erde zum Theil ersetzt, die Farben bedingend. Selten ist etwas Manganoxydul
vorhanden, wie in dem fleisch- bis rosenrothen Greenovit von St. Marcel in Piemont.
Der Titanit ist in Chlorwasserstoffisäure unvollständig, in Schwefelsäure vollkommen
auflöslich, wobei sich in der Lösung Gyps bildet. Er ist v. d. L. an den Kanten
mit Anschwellen zu mehr oder minder dunklem Glase schmelzbar und zeigt mit
Phosphorsalz geschmolzen in der Reductionsflamme, besonders bei Zusatz von
392 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
etwas Zink oder Zinn Titanreaction, indem das Glas heiss gelb, beim Erkalten
violett wird.
Der Titanit findet sich in verschiedenen Gebirgsarten eingewachsen, wie in
Syenit, Diorit, Gneiss, Glimmer- und Chloritschiefer, im Trachyt, PhonoUth, Dolent
und Basalt, auch in Marmor, die einfacheren Combinationen bildend, an denen
die Hemipyramide f P' T vorherrscht, während die in Drusenräumen, auf KlüftcD
und Gängen vorkommenden aufgewachsenen Krystalle die mannigfachsten Combi-
nationen bilden, an denen bis über 50 einfache Gestalten bekannt wurden.
Durch schöne Krystalle ausgezeichnete Fundorte sind beispielsweise das Sl
Gotthardgebiet, das Vorderrhein thal und das Maggiathal in der Schweiz, der
Montblanc, das Dauphind in Frankreich, Obersulzbach im Pinzgau, das Pftmdcrs-
und Pfitschthal in Tyrol, Achmatowsk und Slatoust am Ural, Arendal in Nor-
wegen u. a. m. Bemerkenswerth ist bei dem häufigen Vorkommen des Titanil,
dass er meist kleine Krystalle bildet, grössere sich selten finden, die mehrere
Centimeter in einer Richtung der Ausdehnung zeigen. Schöne durchsichiige
grüne Krystalle werden bisweilen als Schmucksteine geschliffen.
Ausser dem Titanit giebt es noch einige andere Silico-Titanate, welche jedoch
nicht allein seltene Vorkommnisse sind, sondern auch deshalb noch nicht nach
jeder Richtung hin genügend untersucht werden konnten. Zu erwähnen sind als
solche der in der Form dem Titanit ähnliche Yttrotitanit von Buoe bei Arendal
und anderen Punkten zwischen Arendal und Krageroe in Norwegen, welcher bräur-
lichroth bis dunkelbraun gefärbt ist, ausser den wesentlichen Bestandtheilen des
Titanit SiOg, Ti02, und CaO besonders noch Yttererde, Thonerde und Eisen-
oxyd enthält und v. d. L. ziemlich leicht mit Blasenwerfen zu schwarzer Schlacke
schmelzbar ist; femer der klinorhombische röthlich- bis gelblichbraune Mosac-
drit im Syenit der Insel Lamoe bei Brevig in Norwegen und der kleinen Insel I^aven
im Langesundfjord, welcher wasserhaltig ist und ausser SiOj, TiO, und CaO reich-
lich Cer-Lanthan- undDidymoxyd enthält; femer der dichtesammtschwarzeTschew-
kinit im Granit des Ilmengebirges bei Miask und von der Küste Coromandel
welcher wasserfrei nicht allein Kiesel- und Titansäure, sondern auch Thorsäurc
und als Basen wesentlich Cer-Lanthan- und Didymoxyd, Eisenoxydul, wenig Kalk-
erde u. a. enthält. Derselbe erglüht vor dem Löthrohre schnell, bläht sich ausser-
ordentlich auf, wird schwammig und porös und schmilzt erst bei starker WeL«^
glüht. Schliesslich ist noch der dichte pechschwarze Schorlamit von Magner-
Cove in Arkansas in Nord- Amerika zu erwähnen, welcher wesentlich einSilico-Titana:
von Kalkerde und Eisenoxydul zu sein scheint.
VII. Als Wolframerze nach dem Gehalte an Wolframsäure au^efav^t
sind nur wenige Minerale bekannt, welche Verbindungen der in chemischer Be^
Ziehung interessanten Wolframsäure mit gewissen Basen RO bilden. Unter diesen
steht obenan:
hä fi^ ^^^ ^°^^^*'">*- I^ieses lange bekannte Mineral, welches bei seinem
aufigen Zusammenvorkommen mit dem Kassiterit frühzeitig beachtet, aber nich-
verwerthet wurde, imGegentheil als nachtheilig für die Zinngewinnung galt, dur^b
dam^t ^'^^^s^^^eit der Zinngehalt vermindert werden sollte und selbst der Name
Darst n ^"^''"'"'^'^^^ß gebracht wurde, dient jetzt als werthvoUes Material rxn
krvstTn rf '''^'■^''^'^^«"«r Farben und des Wolframstohles. Er findet sich oft
Krystalle 'T h ^^^""^ '''^^'' '^^"^^^^ ^"^"'^ ^'^ ^^^^' '° C^**^™" messende
derb stenJr* *"^' ""^ eingewachsen vorkommen, ausserdem ist er hiuh;;
K'ge, schalige oder grosskörnige krystalHnische Aggregate bildemi.
Erze. 393
wobei die Absonderungsflächen der verwachsenen Individuen gewöhnlich ge-
streift sind.
Früher wurden die Krystalle des Wolframit für orthorhombische gehalten,
an denen gewisse Combinationsgestalten eine hemiedrische Ausbildung zeigen,
während sie nach neueren Bestimmungen klinorhombische sind. Sie sind
meist prismatisch ausgebildet und zeigen als orthorhombische betrachtet in der
verticalen Zone gewöhnlich ein Prisma ooP, dessen brachydiagonale Kanten
= ioi°5' sind und durch die Querflächen gerade abgestumpft werden. Die
Combinationskanten dieser und der Prismenflächen ooP sind durch ein anderes
Prisma ooPT abgestumpft und diese Abstumpfungsflächen sind gegen die Quer-
flächen unter i57°38' geneigt, wonach die brachydiagonalenKanten des Prisma
<»P"5" =i35°i6' sind. Bisweilen sind die makrodiagonalen Kanten des Prisma
oo P, welche 78^55' messen, durch die Längsflächen gerade abgestumpft, denen
die vollkommenen Spaltungsflächen der Krystalle entsprechen. An ihren Enden
zeigen sie eine Begrenzung durch ein Querdoma, dessen Flächen ungleich breit
sind. Sie wurden gegen die Querflächen unter 11 7° 20' geneigt gefunden und
ihre horizontale Endkai^te = 125° 20'. Ausserdem bemerkt man oft an den
Enden ein Längsdoma Poo, dessen Flächen gerade auf die makrodiagonalen
Kanten des Prisma 00 P oder auch auf die Längsflächen, wenn diese da
sind, aufgesetzt erscheinen. Dazu kommen noch die Flächen einer Pyramide
P, bisweilen auch die einer zweiten Pyramide 2P Y und auch die P)rra-
miden sind entsprechend der ungleichen Grösse der Querdomenflächen wie
klinorhombische Hemipyramiden ausgebildet, als vordere und- hintere von un-
gleicher Grösse oder die hinteren bis zum Verschwinden zurückgetreten. Neuere
Bestiniftiungen haben geringe Winkelunterschiede der vorderen breiteren und
hinteren schmäleren Querdomenfläche gegen die Querfläche ergeben, wonach die
Langsachse und Hauptachse nicht rechtwinkelig aufeinander stehen, sondern um
etwa 40' vom rechten Winkel abweichen. Die Endkante des Querdoma, jetzt
Conabinationskante des vorderen und hinteren Querhemidoma wurde = 124^48'
und die Neigung zur Querfläche für das vordere = 118° 6', für das hintere
= 117*^6' gefunden. In gleicher Weise zeigten sich auch bei den anderen Ge-
stalten Unterschiede, welche die neue Auffassung bestätigen. Die verticalen
Flächen sind gewöhnlich vertical gestreift und die Krystalle, namentlieh die
grösseren zeigen oft ausser den vollkommenen Spaltungsflächen eine den äusse-
ren Flächen entsprechende schalige Absonderung. Zwillinge sind nicht selten,
besonders Contactzwillinge nach Querflächen, auch wurden solche nach Längs-
domenflächen beobachtet.
Der Wolframit ist bräunlichschwarz, graulich- bis eisenschwarz, wachsglänzend,
/.um Theil bis halbmetallisch, auf den vollkommenen Spaltungsflächen in Diamant-
glanz geneigt, undurchsichtig bis an den Kanten durchscheinend, der Strich ist
röthlich- bis schwärzlichbraun, die Härte = 5,0 — 5,5, das spec. Gew. =7,2 — 7,5.
LHe Zusammensetzung ist der Formel RO^WOg entsprechend und die beiden
durch RO ausgedrückten Basen FeO und MnO wechseln in den Mengenver-
hältnissen untereinander. Im Mittel enthält der Wolframit 11,86^ Eisenoxydul,
11,70 Manganoxydgl und 76,44 Wolframsäure und nach dem Wechsel der Basen
untereinander kann man eisenreiche und manganreiche Abänderungen unter-
scheiden, von denen die letzteren sich durch röthlichbraunen Strich und gerin-
geres spec. Gew. kennzeichnen. V. d. L. ist der Wolframit etwas schwierig zu
einer magnetischen Kugel schmelzbar, deren Oberfläche bei der Abkühlung
394 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
krystallinisch wird. Mit Flüssen reagirt er auf Mangan, Eisen und Wolfram.
Das Pulver wird in erwärmter Chlorwasserstoffsäure und an der Luft vollständü:
zersetzt, wobei ein gelblicher Rückstand bleibt, welcher sich in Ammoniak grössten-
theils löst; beim Erhitzen in concentrirter Schwefelsäure wird das Pulver blau;
auch giebt es mit Phosphorsäure stark eingekocht eine schöne blaue Flüssigkeit
von syrupähnlicher Consistenz.
Der Wolframit findet sich besonders auf Zinnerzlagerstätten» wie zu Geyer,
Altenberg und Ehrenfriedersdorf in Sachsen, Schlackenwald und Zinnwald in
Böhmen, sowie in Comwall. Auch trifft man ihn auf anderen Erzgängen an, wie
auf dem Pfaffen- und Meiseberge im Anhalt'schen, zu Strassberg und Hange-
rode am Harz, auf Quarzgängen wie bei Chanteloube bei Limoges u. a. 0. m
Frankreich. Ausserdem findet er sich in Cumberland, bei Nertschinsk, Aduni-
schilon, Bayewka bei Katharinenburg am Ural, auf der Hebriden-Insel Rona, am
Ceylon u. s. w.
Bei dem grossen Wechsel des Wolframit im Eisen- und Mangangehalt, wekbe
beiden Basen FeO und MnO als wesentliche Bestandtheile anzusehen sind, i^
es ersichtlich, dass als Extreme auch MnO-WOj und FeO-WOj vorkommen
können, denen sich die eisenarmen Wolframite einerseits und die xnanganarmen
andererseits anschliessen. So fand sich auch in der That isomorph mit Wolfiamit
im Mammoth-District in Nevada das Hübnerit genannte Manganwolframiit
MnO'WO^, dem sich eisenarme Vorkommnisse von Bayewka bei Kathaiinen-
burg und von Schlackenwald (der sogen. Blum it) anschliessen. Das andere Ex-
trem hat sich noch nicht gefunden, dagegen ist es interessant, dass sich bei
Kimbosan in Kai auf Japan Eisenwolframiat FeO'WOj gefunden hat, welches
quadratisch krystallisirt und Reinit genannt wurde und auf Dimorphismus der
Verbindung RO-WO, hinweist. Dieser Dimorphismus war schon aus zvei
anderen Species ersichtlich, nämlich aus den Wolframiaten der Kalkerde und des
Bleioxydes. Das letztere, der Stolzit, auch Wolfram bleierz genannt,
PbO'WOj ist ein seltenes Mineral, quadratisch krystallisirend mit der Grundgt*
stalt P, deren Endkantenwinkel := 99^46' sind. Das andere, der Scheelit, auch
Scheelerz genannt, CaO-WOs, ist mit jenem isomorph, und beiden ähnlich
ist die Gestaltung des Reinit.
2. Scheelit benannt nach dem schwedischen Chemiker K. W. Schkeij;
welcher die Wolframsäure und Molybdän säure, das Mangan, die Fluorwasserstolf-
säure, das Chlor, die Baryterde u. a. entdeckte und nach welchem auch da>
Metall Wolfram Scheelium und die Wolframsäii re Scheelsäure benannt wurde.
Gewöhnlich krystallisirt, auch derb und eingesprengt. Die Krystalle sind meist
pyramidal und haben Aehnlichkeit mit denen des Anatas, nur ist die als Grund-
gestalt gewählte spitze normale quadratische Pyramide P etwas weniger spitz,
ihr Endkantenwinkel in = 100 °4', der Seitenkanten winkel = 130 ^34'. Diese findet
sich auch für sich allein oder mit den Basisflächen oP, welche die Endecken und
mit der quadratischen Pyramide diagonaler Stellung Poo, welche die Endkanten
gerade abstumpft. Diese letztere, deren Endkantenwinkel = 107° 9' und deren
Seitenkantenwinkel = 113^53' ist, findet sich auch oft allein oder combinirt mit
^Poo, P und anderen Gestalten. Bemerkenswerth ist für den Scheelit das Auf-
treten der pyramidalen Hemiedrie, quadratischer Pyramiden verwendeter StcIIupg.
der Hemieder oktogonaler Pyramiden. Spaltungsflächen parallel P ziemlich voll-
kommen, parallel oP und Poo weniger deutlich; Bruch muschlig bis uneben.
Der Scheelit ist im Aussehen unmetallisch, gewöhnlich grau, gelb, braun.
Eree. 395
weiss bis farblos, bisweilen roth oder grün, wachsglänzend mit Neigung in Diamant-
glanz, halbdurchsichtig bis an den Kanten durchscheinend, wenig spröde, hat
H- = 4» 5 — 5>o und das spec. Gew. = 5,9—6,2 welches bei dem unmetallischen
Aussehen des Minerals besonders auffiel, weshalb ihm auch der Name Schwer-
stein gegeben wurde.
Nach der Formel CaO-WOj zusammengesetzt, enthält er 19,45 Kalkerde
und 80,55 Wolframsäure, welche 1781 von Scheele in dem grauen Scheelit von
Bispberg in Schweden entdeckt wurde. V. d. L. schwierig schmelzbar zu durch-
scheinendem Glase, mit Borax leicht zu klarem Glase, welches gesättigt nach
dem Erkalten milchweiss und krystallinisch wird, mit Phosphorsalz in der Oxy-
dationsflamme zu einem klaren farblosen, in der Reductionsilamme zu einem
gelben oder grünem Glase, welches beim Erkalten blau wird. In Chlorwasser-
stoff- oder Salpetersäure löslich, gelbe, in Alkaücn »üsliche Wolframsäure hinter-
lassend. Wird zu der Lösung in Chlorwasserstoffsäure etwas Zinn zugesetzt und
sie erwärmt, so wird sie tief indigoblau.
Der Scheelit findet sich gewöhnlich in Begleitung des Wolframit, besonders
auf Zinnerzlagerstätten, immerhin nicht so reichlich, um wegen des Wolfram und
der Wolframsäure Verwendung zu finden, wie das ausnahmsweise reiche Vor-
kommniss bei Monroe in Connecticut. Als Fundorte sind Zinnwald, Ehren-
friedersdorf und Fürstenberg in Sachsen, Schlackenwald und Zinnwald in Böhmen,
der Kiesgnind im Riesengebirge, Neudorf und Harzgerode am Harz, Traversella
in Piemont, Framont in den Vogesen, Caldbeckfell in Cumberland, Pengelly Croft
in Comwall in England, Oesterstorgrufvna in Wermland in Schweden und Katha-
rinenburg am Ural beispielsweise zu nennen.
Aehnlich wie die Wolframsäure bilden auch die beiden seltenen und in ge-
wisser Beziehung verwandten Säuren TajOs und Nb^Os, die Tantal- und
Ni ob säure einzelne in die Gruppe der Erze gehörige Minerale und zwar in
Verbindung mit Eisen- und Manganoxydul. Obgleich dieselben in krystallogra-
phischer und chemischer Beziehung recht interessante Arten sind, so sind sie
doch selten und sollen daher nur kurz erwähnt werden. Hierher gehören: der
orthorhombisch krystallisirende in Granit eingewachsene Tantalit, welcher eisen-
schwarz, halbmetallisch glänzend und undurchsichtig ist und vorwaltend tantal-
saures Eisenoxydul EeO-Ta^O.- ist, dabei aber noch nebenbei wechselnde Mengen
von Niobsäure und Manganoxydul enthält. Als Zinnsäure enthaltende Varietät
wird der Ixiolith betrachtet. Nahe steht dem Tantalit der Niobit (auch
Columbit genannt, welcher auch orthorhombisch krystallisirt und bei schwarzer
Farbe und halbmetallischen Aussehen im spec. Gew. jenem nachsteht, die Grenze
beider etwa 6,3 ist. Dieser ist vorwaltend niobsaures Eisenoxydul FeO'NbjOs
und enthält nebenbei noch wechselnde Mengen von Tantalsäure und Mangan-
oxydul. Beide Arten sind v. d. L. unschmelzbar und in Säuren wenig an-
greifbar.
Auch hier fehlt Dimorphismus nicht, welcher im quadratischen, mit Rutil
isomorphen Tapiolit von Sukkula im Kirchspiel Tammela in Finnland, wo auch
Tantalit vorkommt seinen Ausdruck findet und im quadratischen, gleichfalls mit
Rutil isomorphen Azorit aus trachytischem Gestein der azorischen Inseln eine
weitere Ausdehnung zeigt. Jener ist wesentlich FeO-Ta^O,^ mit etwas Niobsäure,
nährend dieser als Kalkerde-Tantalat sich zu dem Tantalit verhält wie der Scheelit
zum Wolframit
Unter anderen Basen, welche in den Tantalaten mit Niobaten vorkommeUi
39^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
zeigt sich auch wie bei den Titanaten die Yttererde, und besonders zwei seltene
Arten, der orthorhombische Yttrotantalit und der quadratische, mit ScheeJit
isomorphe Fe rgu so nit lassen wegen ihrer Krystallisation erwarten, dass sie sich
den mehrfach hervortretenden Beispielen von Isodimorphismus der Titan-, Wolfram-,
Tantal- und Niob-Verbindungen anreihen werden. Sie sind wesentlich Verbin-
dungen der Yttererde mit Tantal- und Niobsäure, von denen die Tantalsäure im
Yttrotantalit, die Niobsäure im Fergusonit überwiegt Die Zusammensetzung fiihne
aber noch zu keiner sicheren Formel, weil auch noch andere Säuren und Basen vor-
handen sind, wie Wolframsäure und Zinnsäure, Kalkerde, Eisenoxyde, Ceroxyd, Urar
u. s. w. und selbst die Yttererde noch nicht genügend bestimmt ist Auch der ortho-
rhombische Samarskit als Urantantalit, der dichte Hjelmit und Nohlit und
der tesserale Hatchettolith, in denen das Uran gleichfalls eintritt, zählen m
diesen noch in mancher Beziehung unsicheren Tantal- und Niob-Verbindungen.
Vin. Uranerze.
Wegen der technischen Bedeutung, welche das Uran und einige seiner Ver-
bindungen haben, indem sie Anwendung in der Emailmalerei [finden, zur Dar-
stellung des Urangelb und anderer Uranfarben, des Uranglases u. s. w. dienen»
sind hier zwei eigenthümliche Vorkommnisse zu erwähnen, welche sich im Acs-
sehen nicht unterscheiden und deshalb als Uranin oder Uranpecherz, Pecb-
uran, Pecherz vereinigt wurden, insofern sie in gleicher Weise nierenförmi^e
Parthien mit stenglicher und krummschaliger Absonderung bilden, auch derb nnd
eingesprengt vorkommen. Es wurden auch kömige Aggregate und Oktaeder
beobachtet. Der Bruch ist flachmuschlig, theils uneben. Sie sind grauHchschwan
bis eisenschwarz, pech- oder rabenschwarz, haben unvollkommenen Metallglanr.
welcher sich dem Wachsglanz nähert, sind undurchsichtig und haben grünlich-
schwarzen Strich. Der Hauptunterschied liegt in der Härte und im spec GcwichL
indem gewisse die H. = 5,0—6,0 und das spec. Gew. = 7,5—8,0, andere die
H. ^ 3,0 — 4,0 und das spec. Gew. = 4,8 — 5,5 haben, Unterschiede, welche Ver-
anlassung gaben, das schwerere Uranerz als Schweruranerz oder Nasturan
von dem leichteren, dem Pittinerz zu unterscheiden, welches letztere im Strich
mehr die grüne Farbe hervortreten lässt Qualitativ aber sind beide Sauersto^-
verbindungen des Uran (ungefähr bis 86 J) mit verschiedenen von Beimengung ab-
hängigen SubsUnzen, Blei, Eisen, Arsen, Schwefel, Kalkerde, Magnesia, Kiesel-
säure, Wasser u. a. und man nahm an, dass beide Vorkommnisse Uranoxydoxy
dul sind. Dasselbe wurde als UO-U,Oj bei dem Atomgewicht 120 des Uran
auigefasst, während bei der neueren Annahme des Atomgewichtes 240 für da5
Uran die Formel UO^-SUO^ geschrieben werden muss. Da in den Beimengunger
nicht der Grund der verschiedenen Härte und des Gewichtes liegen kann, so i<
der Unterschied um so auffallender. Der Uranin ist in verdünnter Salpeter- un*«
Schwefelsäure, nicht in ChlonÄ-asserstoffsäuie löslich; v. d. L. ist er unschmelzt^ar.
mu Borax oder Phosphorsalz geschmolzen giebt er in der Oxydadonsflamme etn
gelbes, in der Reductionsflamme ein griines Glas.
Das Vorkommen des Uranin ist im Ganzen ein riemlich beschranktes. Kr
findet sich auf einigen Silber- und Zinnerigängen wie zu Johanngcorgenstad»,
Wiesenthal, Marienberg. Annaberg und Schneeberg in Sachsen, zu Joachimsthi'
wnd l rnbram in Böhmen, bei Redroth in Com^-all, an der Noidküste des Oberrr
in !m^'^'^ *^"*^'^* ^'*^" ^'^^ Koracit genanntV Durch ZerseUung entstehtti
vtr»t Wedene Vran.'erbindungen.
Erze. 397
Verwandt, wenn nicht mit dem Schweniranerz zusammengehörig ist der
tesserale schwarze Cleveit von Garta bei Arendal in Norwegen, welcher bei
H«=5,s und spec. Gew. = 7,5 ausser Uranoxydoxydul noch Yttererde, Erbium-
sesquioxyd, Bleioxyd, Ceriumoxyd, Thoroxyd, Eisenoxyd und Wasser enthält.
Schliesslich ist der gelbe feinerdige bis fasrige Uranocher von Johanngeorgen-
stadt in Sachsen und Joachimsthal in Böhmen als Uranoxydhydrat zu erwähnen,
so wie die beiden amorphen dichten Minerale, der dunkelröthlichbraune E Ha-
st t von der Eliasgrube bei Joachimsthal in Böhmen und der röthlichgelbe bis
hyacinthrothe Gummit (Gummierz) von Johanngeorgenstadt und Schneeberg
in Sachsen, von Joachimsthal und Frzibram in Böhmen und von der Flat-rock-
\fine in Mitchel County in Nord-Carolina in Nord-Amerika, welche beide wesent-
lich Uranoxydhydrat, vielleicht BH^O-V^O^ sind und verschiedene Beimengungen
zeigen.
IX. Bleierze.
Als solche würden nach der gegenwärtigen mineralogischen Auffassung des
Begriffes Erze nur die sehr seltenen Vorkommnisse des Bleioxydes PbO, des Blei-
hyperoxydes PbOj und die Verbindung beider 2 PbO« PbO, gelten. Das Bleioxyd,
Bleiglätte genannt, ist feinschuppig-kömig, Schwefel-, wachs-, citronen- bis
orangegelb und hat das spec. Gew. nahe 8, das Bleihyperoxyd, Schwerbleierz
oder Plattnerit genannt, ist eisenschwarz, hat braunen Strich und das spec. Gew.
gegen 9,5 und scheint eine Pseudomorphose nach Pyromorphit zu sein, die Ver-
bindung 2PbO*Pb02y Mennige genannt, ist dicht bis erdig, morgenroth mit
orangegelbem Strich und hat das spec. Gew. = 4,6. In hüttenmännischer Be-
ziehung ist der Galenit oder Bleiglanz PbS das wichtigste Bleierz, welches
als Schwefelverbindung in der Gruppe der Glänze beschrieben werden wird,
während von den Verbindungen des Bleioxydes mit Säuren nur wenige bei
reichlichem Vorkommen zur Bleigewinnung benützt werden, in dieser Beziehung
Bleierze sind. Zu diesen gehört der Cerussit PbO'CO, oder das sogen.
Weissbleierz (im Artikel Carbonate pag. iio u. iii beschrieben), derAnglesit
PbO-SO, (s. Artikel Sulfate) und der Pyromorphit aCSPbO.PjOs)-^ PbCl,
oder das sogen. Grünbleierz (s. Artikel Phosphate), während andere derartige
Verbindungen des Bleioxydes auch in diesem Sinne Bleierze genannt wurden oder
werden könnten, weshalb sie hier am besten erwähnt werden können. Es sind
diese:
I. Der Krokoit, krystallisirt klinorhombisch und bildet aufgewachsene oder
aufliegende Krystalle in Drusenräumen und auf Klüften, welche durch mannig-
faltige Combinationen ausgezeichnet sind. Sie sind vorherrschend prismatisch
durch das klinorhombische Prisma 00 P, dessen klinodiagonale Kanten = 93° 42'
sind, oder durch die vorherrschende vordere Hemipyramide P, deren klino-
diagonale Endkanten s= 119° 12' sind. Letztere kommt meist untergeordnet an
00 P vor; auch zugleich mit der hinteren Hemipyramide P', deren klinodiagonale
Endkanten «= 107^38' sind, so dass in den einfacheren Combinationen am Prisma
entweder eine vierflächige Zuspitzung durch P-[P' oder eine schräge Zuschärfung
durch P entsteht; oder dasselbe ist auch durch ein sehr steiles hinteres Quer-
hemidoma 4P'öö begrenzt, wodurch die Krystalle einem spitzen Rhomboeder
ähneln. Oft sind die Combinationen viel flächenreicher, indem an diesem an sich
seltenen Minerale gegen 100 verschiedene einfache Gestalten beobachtet wurden.
Spaltungsflächen parallel den Flächen des Prisma 00 P ziemlich deutlich, parallel
den Quer- und Längsflächen unvollkommen.
39^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Der Krokoit ist hyacinth- bis morgenrotb, ist wegen der rothen Farbe auch
Rothbleierz genannt worden, diamantartig glänzend, mehr oder weniger durch-
scheinend, milde, hat orangegelben (safirangelben, daher der Name Krokoit von
dem griechischen Worte i^krokos^ Safiran) Strich, H.= 2,5 — 3,0 und spec Gew.
= 5,9 — 6,0. Er ist chromsaures Bleioxyd nach der Formel PbO-CrO, mit 60^
Bleioxyd und 31 Chromsäure, zerknistert beim Erhitzen v. d. L., wird dunkler,
und schmilzt auf der Kohle, sich dabei ausbreitend und giebt BleikÖmer in einer
graulichgrünen Schlacke. Mit Borax oder Phosphorsalz giebt er ein grünes Glas
mit Soda auf Flatinblech eine gelbe Salzmasse. Mit Chlorwasserstofisäure erhitzt ent-
wickelt er Chlor, giebt eine grüne Lösung, in welcher sich Chlorblei ausscheidet
In Salpetersäure ist er schwierig löslich, die Lösung ist grün. In Kalilauge wird
er zuerst braun und löst sich dann auf, die Lösung ist gelb.
Er findet sich zu Beresowsk, Mursinsk und Nischne-Tagilsk am Ural, bei
Rezbanya in Ungarn, Conhongas do Campo in Brasilien und bei Lobe auf der
Insel Luzon, einer der Philippinen, wo ihn die Eingebomen sammeln und Streu-
sand daraus machen. Im sibirischen entdeckte Vauquelin das Chrom.
Nahe verwandt ist der orthorhombische orangegelbe Jossait von Beresowsk
am Ural, welcher etwas Zink neben Blei enthält, und der cochenill- bis hyadnt^.-
rothe 'orthorombische Phönicit von Beresowsk, welcher ziegelrothen Strich bat
und nach der Formel 3PbO-2Cr03 zusammengesetzt ist
Mit dem Krokoit von Beresowsk am Ural und aus Brasilien, sowie mit dem
Pyromorphit von Wanlockhead und Leadhills in Schottland findet sich ein klino-
rhombisches dunkelgrünes Blcichromat mit Kupferoxyd, der Vauquclinit.
welcher vielleicht auch Phosphorsäure enthält, wie er in der Form mit dem
neuerdings aufgestellten Laxmannit von Beresewsk übereinstimmt. In dieseoi
wurde auch Phosphorsäure gefunden und vermuthet, dass diese bei der früheren
Analyse des Vauquelinit übersehen worden sei.
2. Der Wulfenit (benannt nach dem österreichischen Mineralogen
Wulfen). Derselbe findet sich krystallisirt und derb mit krystallinisch kömiger
Absondenmg, quadratisch, isomorph mit dem oben (pag. 394) erwähnten Stolzit
und Scheel it. Die Krystalle sind oft tafelartige durch die Basisflächen oF
mit der Grundgestalt P, deren Endkanten = 99° 40' und deren Seitenkanteii
= 131° 35' sind, oder mit einer stumpfen Pyramide ^P, deren Endkanten^ijo'^n'
und deren Seitenkanten = 73° 7' sind, oder mit beiden oder mit dem quadiafr
sehen Prisma ooP; auch achtseitige Tafeln durch die Combination oP-JP niit
der diagonalen quadratischen Pyramide ^Poo. Bisweilen ist auch die GnIndg^
stalt vorherrschend, daran untergeordnet oP und ooP, auch ohne oP. Andere
Gestalten in den Combinationen, wie Poo, f Poo, 00 P2 u. a. sind seltener.
Er ist ziemlich vollkommen spaltbar paiallel P, unvollkommen parallel oP.
im Bruche muschlig bis uneben. Meist gelb (daher auch Gelbbleierz genannt.
wachs-, Stroh-, honig- bis orangegelb, graulichgelb bis gelblichgrau, selbst bt^
farblos, aber selten, und morgenroth, wachs- bis diamantglänzend, durchsichd^
bis an den Kanten durchscheinend, wenig spröde, hat weissen Strich, H. = >°
und spec. Gew. = 6,3 — 6,9. Er ist molybdänsaures Bleioxyd PbO-MoOj "oitL
60,8 Bleioxyd und 39,2 Molybdänsäure, z. Th. mit etwas Chromsäure, auch
Vanadinsäure. V. d. L. auf Kohle heftig zerknistemd, schmelzbar und zu Blei
reducirbar, desgleichen mit Soda; mit Phosphorsalz leicht zu einem licht gelb-
lichgrünem Glase schmelzbar, welches in der Reductionsflamme dunkelgrJn
wird. Mit saurem schwefelsaurem Kali geschmolzen giebt er eine Masse, welche
Erae. 399
mit Wasser und bei Zusatz von etwas Zink eine blaue Flüssigkeit giebt. In er-
wärmter Salpetersäure ist er mit Ausscheidung gelblichweisser salpetersaurer
Molybdänsäure löslich, in Chlor^^serstofTsäure unter Bildung von Chlorblei; mit
concentrirter Schwefelsäure giebt er eine blaue Flüssigkeit.
Er findet sich nicht häufig und als Fundorte sind Bleiberg, Windischkappel
und Schwarzenbach in Kämthen» Rezbanya in Ungarn, Ruskberg im Banat,
Annaberg in Osterreich, Berggieshübel in Sachsen, Przibram in Böhmen, Baden-
weiler in Baden, la Bianca in Zacatecas in Mexiko, Phönixville in Pennsylvanien,
der Comstockgang in Nevada, die Takomah-Grube in Utah zu nennen. Lose
fand er sich im Goldsande des Rio Chica in der Provinz Antioquia in Co-
lumbien.
3. Der Mimetesit, sehr ähnlich dem Pyromorphit (s. Phosphate), daher
von dem griechischen i^minutesiL der Nachahmer der Name Mimetesit gebildet.
Krystallisirt hexagonal, isomorph mit Pyromorphit, die Krystalle sind lang- bis
kurzprismatisch durch das hexagonale normale Prisma 00 P, welches durch die
Basisflächen, oder durch die als Grundgestalt gewählte normale hexagonale
Pyramide P oder durch diese mit den Basisflächen begrenzt ist Der Endkanten-
winkel von P ist= 142^29', der Seitenkantenwinkel := 80° 4'. Ausserdem finden
sich noch dabei das diagonale hexagonale Prisma 00 Ps und die normalen Pyra-
miden ^P und 2P. Spaltungsflächen parallel P ziemlich deudich, parallel 00 P
selten deutlich. Die Krystalle sind aufgewachsen und verwachsen, bisweilen bei
homologer Stellung zu polysynthetischen Krystallen ooP-oP, welche durch con-
vexe Krümmung der prismatischen Flächen und concave Bildung der Basis-
Öächen fassförmig sind (die Kampylit genannte Varietät, von dem griechischen
Worte ykampylos'i gebogen, krumm) und in knospenförmige bis wulstige Gruppen
übergehen und krystallinisch-stalaktitische Ueberzüge bilden.
Er ist gewöhnlich gelb, graulichgelb, gelblichgrau bis farblos, orangegelb bis
röthlich- und gelblichbraun, gelblichgrün, selten lila, wachs- bis diamantglänzend,
mehr oder weniger durchscheinend bis an den Kanten, hat H. = 3,5 — 4,0 und
spec Gew. = 7,19—7,25. Er ist wesentlich arsensaures Bleioxyd nach der For-
mel 3(3PbO-As205) -h PbCla analog dem Pyromorphit und enthält oft ge-
ringe Mengen von Phosphorsäure. Er schmilzt v. d. L. ziemlich leicht, erstarrt
bei [der Abkühlung krystallinisch, Entwickelt auf der Kohle in der Reductions^
flamme behandelt Arsengeruch und giebt Bleikömer, ist in Salpetersäure und
Kalilauge löslich. Findet sich in ähnlicher Weise wie der P)Tomorphit, jedoch
viel seltener, so beispielsweise bei Johanngeorgenstadt in Sachsen, Zinnwald und
Przibram in Böhmen, Badenweiler in Baden, Caldbeckfell in Cumberland und auf
der Huel-Unity- Grube in Cornwall in England, bei Almodovar del Campo in
Morda in Spanien, im Preobraschenskischen Bergwerk in Sibirien, in Zacatecas
in Mexiko, bei Phönixville in Chester County in Pennsylvanien, St. Amaud in
Victoria in Australien. — Bei Langbanshyttan in Wermland in Schweden fand
sich auch ein krystallinisches Mineral, welches nicht nur nach der Formel des
Mimetesit zusammengesetzt etwas Phosphorsäure neben Arsensäure, sondern auch
Kalkerde, selbst Baryterde als Stellvertreter eines Theiles des Bleioxydes enthält,
es erhielt den Namen Hedyphan.
Aus dem Isomorphismus anderer arsen- und antimonhaltiger Minerale würde
man auch das Vorkommen von antimonsaurem Bleioxyd nach Art des arsensauren
erwarten; ein solches ist aber nicht bekannt, dagegen hat sich bei Nertschinsk
iD Sibirien, Lostwithiel in Cornwall und Horhausen in Rheinpreussen eine Blei*
400 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
niere (auch Bindheimit) genanntes Mineral in nierenförmiger Gestalt, derb, ein-
gesprengt und als Ueberzug gefunden, welches eine wasserhaltige Verbindung
der Antimonsäure mit Bleioxyd, entsprechend cjer Formel 3(H,O-Pb)O-HH,0-
SbjOB bildet
Eine weitere Verbindung des Bleioxydes mit Antimonsäure ist der quadn-
tische Monimolit aus den Mangangruben von Pajsberg in Wermland und von
Langban in Schweden, welcher gelbe Krystalle und Körner mit wachsartigem
bis halbmetallischem Glänze und dem spec. Gew. = 5,94 bildet. Er entsprich:
wesentlich der Formel öPbO-SbjOj, wobei aber Kalkerde, Magnesia, Eisen-
und Manganoxydul als Stellvertreter für etwa zwei Molecule PbO vorhanden
sind. Derselbe ist in Säuren unlöslich, vor dem Löthrohre auf Kohle zu eine:
hämmerbaren bleigrauen Kugel schmelzbar, welche in der Oxydationsflamme be-
handelt weissen Antimonoxydbeschlag und näher der Probe gelben Bleioxyd-
beschlag giebt.
Selbst das Antimonoxyd bildet mit Bleioxyd eine interessante Verbindung,
den Nadorit von Gebel Nador in der algerischen Provinz Constantine, welcher
nach der Formel PbO-SbgOj -t-PbCl, zusammengesetzt ist, tafelförmige bi>
gelblichbraune Krystalle mit dem spec. Gew. 7,02 bildend.
Schliesslich ist hier auch der quadratische Ekdemit von Langban in Wenn-
land in Schweden zu erwähnen, welcher deutlich basisch spaltbare hellgelbe,
grosse, blättrige Parthien in mangenhaltigem Kalk bildet und nach der Fonnei
5PbO*As503-+-2(PbCl2) zusammengesetzt ist
4. Der Vanadinit, isomorph mit Mimetesit und Pyromorphit, wie diese
hexagonal prismatische Krystalle ooP.oP, ooP.p oder auch noch dazu mitooPt,
^P und 3P u. a. bildend, ausserdem nierenförmige Aggregrate mit feinstengliger
bis faseriger Absonderung. Gelb bis braun, selten roth, wachsglänzend, undord-
sichtig, mit weissem Strich, H. = 3,0 und spec. Gew. = 6,8—7,2. Er ist nach der
Formel 3 (s Pb O • V j O 5) -h Pb Gl ^ zusammengesetzt, auch etwas Phosphorsäure ent-
haltend. V. d. L. zerknistert er, schmilzt auf der Kohle zu einer Kugel, welche
sich unter Funkensprühen zu Blei reducirt, während auf der Kohle sich ein
gelber Beschlag bildet; mit Phosphorsalz giebt er in der Oxydationsflamme ein
rothgelbes Glas, welches beim Abkühlen gelbgrün wird, in der Redactionsflanune
ein schön grünes. In Salpetersäure ist er leicht löslich. — Er ist ein seltenes
Mineral und findet sich am Berge Obir bei Windischkappel in Kärnthen, bei
Wanlockhead in Schottland, Bölet in Westgothland, Beresowsk in Sibirien ^hier
mit Pyromorphit homolog verwachsen), in Zimapan in Mexico, in der Sierra
de Cordoba in Argentinien.
An mehreren Punkten in der letzteren, auch am Obir in Kämthen fand
sich ein anderes, aber wasserhaltiges Vanadinat des Bleioxydes, der orthoihombisch
krystallisirte Descloizit, zusammengesetzt nach der Formel 3RO- VjOjH-HjO-
RO, bei welchem ausser dem vorherrschenden Bleioxyd wesentlich noch Zink-
oxyd gefunden wurde.
Diesem Zusammenvörkommen des Zinkoxydes mit Bleioxyd in Verbindung mit
Vanadinsäure, verwandt ist auch der kuglige bis traubige, im Inneren radialfasiige
gelblichrothe Eusynchit auf Quarz von Hofsgrund in Baden, sowie der ähnlich
gestaltete rothe Aräoxen auf Klüften des Buntsandsteines bei Dahn unfem
Niederschlettenbach in Rheinbayem und der rothe bis gelbe Decbenit von
da, von Zähringen bei Freiburg in Baden und von Kappel in Kämthen, weicHe
beiden wahrscheinlich zusammengehören. Sie wurden getrennt, weil der Vc-
Erze. 401
chenit kein Zinkoxyd enthalten sollte. An dem Vorkommen von Kappel wurde
an den nierenförmigen Aggregaten orthorhombische Krystallisation erkannt
Ein verwandtes Bleivanadinat von Mottram bei St Andrews in Cheshire in
England ist der Mottramit, welcher schwarz ist, gelben Strich und das spec.
Gew. = 5,89 hat Er enthält aber ausser Bleioxyd noch erheblich Kupferoxyd,
wenig Zinkoxyd und Kalkerde nebst Wasser.
Bei der grossen Mannigfaltigkeit der Verbindungen des Bleioxydes mit Säuren
ist hier auch noch anzuführen, dass das Chlorblei, welches in den Mineralspe-
cies P3rromorphit, Mimetesit, Vanadinit, Ekdemit u. a. untergeordnet als ein wesent-
licher Bestandtheil auftritt, auch für sich alsPbCU den seltenen orthorombischen
Cotunnit vom Vesuv bildet und gleichzeitig mit Bleioxyd verbunden zwei seltene
Minerale bildet, den quadratisch krystallisirenden Matlockit von Matlock in
Derbyshire in England, FbCl^ + PbO und den orthorhombischen Mendipit
PbCl2-t-2(PbO) von Churchill an den Mendip-Hills in Sommersetshire und von
der Grube Kunibert bei Brilon in Westphalen. Diesen reiht sich auch der
vielleicht rhomboedrisch krystallisirende Schwarzembergit aus der Wüste
Atacama an, welcher jedoch in der Zusammensetzung der Formel des Mendipit
entsprechend nicht allein Chlor, sondern auch Jod enthält, und zwar mehr Jod
als Chlor.
Schliesslich ist noch der Phosgenit (auch Bleihornerz genannt) zu er-
wähnen, welcher prismatische bis spitz pyramidale quadratische Krystalle bildet
imd ziemlich vollkommen parallel dem Prisma 00 P spaltbar ist. Er ist gelblich-
weiss bis gelb, grünlichweiss bis grün oder graulichweiss bis grau gefärbt, hat
wachsartigen Diamantglanz und ist mehr oder weniger durchscheinend. Das sehr
seltene Mineral entspricht der Formel PbCl2 •+• PbO-CO, und Krystalle des-
selben von der Grube Elisabeth von Michowitz bei Beuthen in Oberschlesien sind
bisweilen ganz in PbO^COg umgewandelt. Er wurde auch zu Matlock und Crom-
ford in Derbyshire in England und zu Gibbas bei St Vito und Monteponi in
Sardinien gefunden und kam z. Th. in ausgezeichneten grossen Krystallen vor.
X. Silbererze.
Als solche werden verschiedene Minerale in hüttenmännischer Beziehung
bezeichnet, aus denen. Silber gewonnen werden kann, selbst wenn sie dasselbe
nicht als wesentlichen Bestandtheil enthalten. Die wichtigsten sind in der Gruppe
der Glänze und Blenden (s. d. Artikel) enthalten, wesshalb hier nur die inter-
essanten Verbindungen des Silbers mit Chlor, Brom und Jod anzuführen sind,
welche, wo sie reichlich auftreten, wie in Süd-Amerika, als wichtige Silbererze
benützt werden. Unter ihnen ist voranzustellen:
Der Kerargyrit (auch Hornerz, Hornsilber, Silberhornerz genannt),
das Chlorsilber AgCl, mit 75,3^ Silber und 24,7 Chlor. Dasselbe krystallisirt
tesseral, meist Hexaeder bildend; die Krystalle sind klein, einzeln aufgewachsen
oder reihen- oder treppenförmig gruppirt, übergehend in Ueberzüge und Krusten.
Gewöhnlich findet er sich derb bis eingesprengt. Spaltbarkeit ist nicht bemerk-
bar. Der Bruch ist muschelig. Grau, bläulich-, gelblich-, grünlichgrau (durch
den Einfluss des Lichtes gelb, braun, violett und schwarz werdend), mehr oder
weniger durchscheinend bis an den Kanten, wachsartig glänzend mit Neigung in
Diamantglanz, im Striche oder beim Ritzen unverändert und glänzend, geschmeidig,
hatH. s=i,o — 1,5 und spec. Gew. = 5,5— 5,6. Wegen der geringen Härte und
Geschmeidigkeit lässt sich das Mineral mit dem Messer leicht schneiden und
KuiMGOTT, Min., Geol. u. Pal. I. 26
402 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
späneln wie Hom, worauf auch der Name Silbe rho merz bezogen wurde. Da-
von wurde nach dem griechischen Worte i^argyrost Silber und -»keras^ Hom,
der Name »Kerargyritt gebildet Schon Fabricius i 566 sprach von einem lebcr-
farbenen reichen Silbererze, was in Stücken gegen das Licht gehalten, einen
Schein wie Hom hat und Mathesius führt 1585 von ihm an, dass es durchsichtig
ist wie ein Hom in einer Laterne und am Lichte schmilzt. Auch wurde das
Chlorsilber, welches bei etwa 260° schmilzt und zu einer graulichweissen, halb-
durchsichtigen homähnlichen Masse erstarrt, Hornsilber genannt Dcsshall»
nannte Pabst v. Ohain das Mineral Hornerz und da auch andere ähnliche Ver-
bindungen mit z. Th. ähnlichen Eigenschaften, Hornerze genannt werden, so
unterscheidet man das Silberhornerz von Bleihomerz (s. pag. 401) und Queck-
silberhomerz (s. pag. 403).
Der Kerargyrit ist v. d. L. sehr leicht unter Aufkochen zu einer braunen
bis schwarzen Perle schmelzbar, welche in der Reducdonsflamme ein Silberkom
giebt; färbt mit Kupferoxyd geschmolzen die Flamme grün wegen des Chlorge-
haltes, wird von Säuren wenig angegriffen, ist dagegen in Ammoniak leicht löslich.
Elr findet sich hauptsächlich in den oberen Teufen der Silbergänge und war
im sächsischen und böhmischen Erzgebirge schon lange bekannt, wie zu Jo-
hanngeorgenstadt, Annaberg und Freiberg in Sachsen und Joachimsdiai in
Böhmen. In grosser Menge findet er sich in Peru, Chile und Mexiko. Er findet
sich auch in bedeutender Menge am Schlangenberge in Sibirien, von geringem
Belange ist das Vorkommen von Allemont im Dauphin^ in Frankreich, von Huel-
goet in der Bretagne, von St Marie aux mines im Elsass, Kongsberg in Norwegen
und am Harz. Hier findet sich und fand sich schon 1576 und 1627 auf der
Grube St Georg bei St Andreasberg ein Gemenge von Thon und Kerarg}Tit
welches als Ueberzug vorkommt, erdig, matt, im Striche wachsglänzend, hell
berggrün bis grünlichweiss, äusserlich bläulichgrau oder röthlichbraun ist Durch
Vertheilung im Stollenwasser macht es dasselbe milchig, worauf sich der Name
Buttermilchsilber bezieht
Weniger verbreitet als der Kerargyrit, aber doch auch refchlich in Chile und
Mexiko vorkommend, ist der Bromit, das Bromsilber auch Bromargynt genannt
AgBr, mit 57,5 f Silber und 42,5 Brom. Derselbe ist auch tesseral, kleine Kiys-
talle, 00 O 00, oder 00 O 00 . 0 bildend, oder Kömer, auch derb und eingesprengt
vorkommend. Er ist grün bis gelb, läuft grau an, mehr oder weniger durch-
scheinend, hat diamantartigen VVachsglanz, ist geschmeidig, hatH. = 1,0 — 2,0 und
das spec. Gew. = 6,2 — 6,3. Er ist v. d. L. leicht schmelzbar, in Säuren wenig
angreifbar, in concentrirtem Ammoniak in der Wärme langsam löslich.
Zwischen dem Bromit und dem Kerargyrit steht das Chlorbromsilber, welches
Embolit von dem griechischen Worte ^embolion^ das Eingeschobene genannt
wurde. Derselbe findet sich auch tesseral krystallisirt, wechselnde Combinationen
des Oktaeder und Hexaeder bildend, sowie derb und eingesprengt, in der Gegend
von Copiapo in Chile und bei St Arnaud in Victoria in Australien. Im Au^
sehen dem Bromit ähnlich und grau, braun bis schwarz anlaufend, ebenfalls ge>
schmeidig und weich wie dieser, im spec. Gew. aber zwischen Bromit und Ke-
rargyrit stehend, wechselnd nach der relativen Menge des Brom und Chlor
Wegen dieses Wechsels unterschied sogar Breithavpt Mikrobromit, Emboht
und Megabromit Im Mittel würde der Embolit 65 jj Silber mit 11 Chlor und
24 Brom enthalten, während die Grenze gegen bromhaltigen Keraigyrit dorrh
70g Silt>er, 17 Chlor und 13 Brom, die Grenze gegen Bromit durch 61 Silber.
Erze. 405
5 Chlor und 34 Brom bestimmt werden könnte. Der Bromgehalt wird bei Em-
bolit und Bromit beim Erhitzen durch den stechenden Geruch des Brom erkannt
An diese interessanten seiter c-a Verbindungen reiht sich auch der von A. von
Lasaulx in Höhlungen des eisenschüssigen Quarzit von Dembach in Nassau
entdeckte Jodobromit, welcher schwefelgelbe bis olivengrüne kleine tesserale
Kr}'stalle, Oktaeder undO-ooOoo, sowie Kömer bildet und wesentlich Jodbrom-
silber AgBrJ mit etwas Chlor darstellt Aus diesem Vorkommen und der Ver-
wandtschalt des Jod mit Brom und Chlor wi'^de man schliessen können, dass
auch Jodsilber AgJ als tesserale Species vorkommen könnte. Um so interessanter
aber ist es, dass sich wirklich Jodsilber als Mineralspecies bei Mazapil im Staate
Zacatecas in Mexiko auf Klüften von Hornstein, bei Chanarcillo in Chile auf
Kalkstein und bei Guadalajara in Spanien findet, welches aber nicht tesseral,
sondern hexagonal krystallisirt. Dies ist:
Der Jodit, isomorph mit Greenockit (s. pag. 83). Die seltenen Krystalle sind
tafelartige bis prismatische mit verschiedenen hexagonalen Pyramiden, auch hemi-
morph wie die des Greenockit, deutlich basisch spaltbar. Er bildet auch Blätt-
chen bis Platten, findet sich auch derb bis eingesprengt mit blättriger Absonderung.
Er ist grau, röthlichgrau, stroh-, Schwefel- bis citronengelb, wachsglänzend und
in Diamantglanz geneigt, durchscheinend, milde, hat H. = 1,0 — 1,5 und spec.
Gew. =5,5 — 5,7, Als AgJ enthält er 46^ Silber und 54 Jod. V. d. L. leicht
schmelzbar, färbt er die Flamme roth, giebt mit Soda ein Silberkorn, ist in Säuren
und Ammoniak unlöslich. Da das Jodsilber aus dem Schmelzflusse tesseral
krystallisirt, steht auch noch ein Vorkommen einer tesseralen Species in Aussicht
An diese Silbererze sich anschliessend kann noch die Species Kalomel,
das Chlormercur erwähnt werden, zumal auch ein Mittelglied zwischen Chlor-
silber und Chlormercur bekannt wurde, der Bordos it von Los Bordos in Chile.
Das Kalomel (auch Quecksilberhornerz oder Chlorquecksilber ge-
nannt) krystalhsirt quadratisch und bildet sehr kleine aufgewachsene und zu
Drasenhäuten vereinigte Krystalle. Sie sind kurzprismatisch bis langprismatisch
durch das diagonale oder normale Prisma mit pyramidaler oder basischer Endi-
gung; auch finden sich stumpfpyramidale. Ueberhaupt sind viele Gestalten des
Kalomel bekannt geworden, deren Bestimmung durch die schönen Krystalle des
nicht mineralischen Kalomel befordert wurde, wie solche z, B. in Altwasser bei
^hmölnitz in Ungarn beim Rösten der mercurhaltigen Fahlerze entstanden. Als
Grundgestalt wurde die spitze quadratische Pyramide P gewählt, deren Endkanten-
winkel = 98° 11' und deren Seitenkantenwinkel := 135^40' sind, welcher die deut-
lichsten Spaltungsflächen entsprechen. Bemerkenswerth ist auch die stumpfere
normale quadratische Pyramide ^P mit den Endkanten = 126° 48' und den Seiten-
kanten =t 78*^35', welche an Krystallen meist vorherrschend ausgebildet ist Das
Kalomel ist graulich- bis gelblich weiss, grünlich weiss, gelblichgrau, bräunlich
grau und wird durch den Einfluss des Lichtes dunkler, ist mehr oder weniger
durchscheinend, diamantartig glänzend, milde, hat H. = 1,0 — 2,0 und spec. Gew.
= 6,4 — 6,5. Als HgCl enthält es 85 J Mercur und 15 Chlor. Es sublimirt sich
im Kolben und giebt mit Soda Mercur; auf Kohle v. d. L. erhitzt verdampft es
vollständig; mit Phosphorsalz und Kupferoxyd gemengt färbt es die Flamme blau.
In Salzsäure nur wenig, in Salpetersäure nicht, dagegen in Salpetersalzsäure
leicht und vollständig auflöslich. — Als Fundorte dieses seltenen Minerals sind
der Landsberg bei Moschel in Rheinbayern, der Giftberg bei Horzowitz in
404 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Böhmen, Idria in Rrain, Almaden in Spanien und die Grube el Doctor bei San
Onofre in Mexiko anzuführen.
XI. Antimonerze.
In hüttenmännischer Beziehung gilt als Antimonerz der Antimonit oder
das Grauspiessglanzerz (s. Artikel Glänze), aus welchem das Antimon ge-
wonnen wird, während das sogen. Rothspiessglanzerz, der Pyrantimonit
(s. pag. 87) dazu zu selten ist. Dies ist auch bezüglich des Weissspiess-
glanzerzes der Fall, welches als Antimonoxyd zu den Antimonerzen ge-
zählt wird. Dieser Species wurde auch der Name Valentinit gegeben, zar
Erinnerung an Basilius Valentinus, dem Verfasser des um 1500 erschienenen
Bergbüchleins. Da aber das Antimonoxyd ausser dem Valentinit noch eine
zweite Species bildet, dimorph ist, so sind beide hier als Andmonerze zu er-
wähnen:
I. Der Valentinit. Derselbe krystallisirt orthorhom bisch, bildet meist
kleine aufgewachsene kurzprismatische Krystalle, welche das Prisma 00 P ohne
oder mit den Längsflächen ooPoo, begrenzt durch ein Längsdoma zeigen, wozu
auch noch andere Flächen kommen oder die Krystalle sind oblong-tafelaitige
durch das Vorherrschen der I.ängsflächen. Die Dimensionen sind nicht genau
bestimmt, der brachydiagonale Kantenwinkel von 00 P schwankt zwischen 136^58'
und 138^42', ist im Mittel etwa 138° 10', das gewöhnliche I^ängsdoma hat die
Endkanten = 70° 32', auch kommen stumpfere vor, sowie Pyramiden. Die tafcl-
artigen Krystalle bilden meist facherartige Gruppen, während bei mehr linearer
Bildung der verwachsenen Individuen garben-, btischel- bis sternförmige Gruppen
entstehen. Auch findet sich der Valentinit derb mit kömiger, stengliger oder
schaliger Absondenmg und bildet als Absatz aus heissen Quellen, erinnernd an
den Erbsenstein (s. pag. 100) reichliche Absätze, welche Aggregate bis erbsengrosser
Kugeln darstellen. Dieselben sind aber nicht concentrisch schalig abgesondert
wie die Erbsen des Aragonites, sondern aus radialgestellten Krystallfasem zu-
sammengesetzt
Er ist vollkommen parallel den Längsflächen spaltbar, weiss, gelblich weiss
bis gelblichgrau, graulichweiss bis dunkelaschgrau, hellochergelb, selten roth,
perlmutterartig glänzend auf den Längs- und den ihnen entsprechenden Spaltungv
flächen, auf anderen Krystallflächen in Diamantglanz geneigt» der fasrige seiden-
glänzend, halbdurchsichtig bis an den Kanten durchscheinend, milde, hat
H. = 2,0— 3,0 und spec. Gew. = 5,5— 5,6. Als Antimonoxyd Sb,0, enthalt er
83,6^ Antimon und 16,4 Sauerstoff. In Chlorwasserstoffsäure ist er löslich, die
Lösung giebt bei Zusatz von Wasser einen weissen Niederschlag. V. d. L. er-
hitzt wird er gelb, schmilzt sehr leicht, beschlägt die Kohle weiss und veidamptt ;
m der Reductionsflamme oder mit Soda reducirt er sich zu Antimon. Im Glas-
kolben erhitzt verdampft er und setzt sich an den kälteren Theilen als weisses
Pulver oder krystallinisch ab.
Er findet sich nicht häufig besonders auf Gängen, wie zu Przibram in Böhmeiw
Bräundorf in Sachsen, Wolfsberg am Harz, Horhausen in Rheinpreussen, ADc^
mont im Dauphin^ in Frankreich, Pemek bei Bösing und Felsöbanya in Ungarn,
Nertschinsk in Sibirien; der oben erwähnte kuglig-abgesonderte in der Nühe der
Quellen des Ain-el-Bebbuuch in der Provinz ConsUntine in Algerien.
2. DerSenarmontit (benannt nach dem französischen Mineralogen Rot
^KNARMONT, Welcher ihn zuerst bei Mimime unweit Sansa in Constantine in
Fische. 405
Algerien entdeckte) kiystallisirt tesseral und bildet Oktaeder, welche am ange-
gebenen Orte in Hohlräumen einer körnigen und dichten Varietät aufgewachsen,
auch lose im thonigen Boden gefunden wurden. In geringer Tiefe finden sich
warme giftige antimonhaltige Quellen, denen sowohl der Senarmontit, als auch der
pisolithische Valentinit seinen Ursprung verdankt. Die Krystalle sind oktaedrisch,
mehr oder weniger deutlich spaltbar, farblos, durchsichtig, glas- bis diamantartig
glänzend, der kömige und dichte ist weiss bis dunkelgrau, Härte ist =2,0—2,5;
spec. Gew. = 5,22 — 5,30. Das chemische Verhalten ist wie bei dem Valentinit.
Diese interessante Species fand sich auch, kleine farblose auf schwarzem
Grauwackenschiefer aufgewachsene Oktaeder bildend bei Perneck unweit Bösing
in Ungarn, femer bei Endellion in Cornwall und zu South-Ham in Ost-Canada.
Ausser diesen beiden Vorkommnissen des Antimonoxydes Sb^ O3 finden sich
noch Zersetzungsprodukte des Antimonit und anderer Schwefelantimon enthalten-
der Minerale, welche zum Theil Fseudokrystalle bilden, auch derb und einge-
sprengt oder Ueberzüge bildend vorkommen, dicht bis erdig, gewöhnlich weiss
bis gelb, wachsglänzend bis matt, undurchsichtig bis an den Kanten durch-
scheinend sind und im spec. Gew. variiren. Solche Zersetzungsprodukte wurden
früher gewöhnlich als Antimonocher benannt und ergaben bezüglich ihrer
Zusammensetzung keine Uebereinstimmung. Dies war sehr natürlich, weil der-
artige 2^rsetzungsprodukte eine Reihe von Umbildungen zeigen, welche in ein-
zelnen Fällen zu irgend einem bestimmten Endprodukte führen können. Sie ent-
halten Antimonoxyd oder Antimonsäure oder beide nebeneinander, mit oder ohne
Wasser und nach den einzelnen Analysen solcher von einzelnen Fundorten hat
man sogar bestimmte Arten unterscheiden wollen, welche als solche doch noch
immer zweifelhaft sind. Als solche wurden namentlich der Cervantit Sb^Oj •
Sb^Os von Cervantes in Galicien in Spanien, von Pereta in Toscana und von
Bomeo, der Stibilith Hg O • Sb^Oj -t- H^ O • Sbj O5 von Goldkranach in Bayern,
von Kremnitz und Felsöbanya in Ungarn, von Zacualpan in Mexiko, von Chios
und Boraeo, der Cumengit 2H2 0-Sb2 0j -f- SHgO-SbaOr, aus der Provinz
Constantine in Algerien unterschieden und können noch andere unterschieden
werden. Da sie gewöhnlich nicht homogen vorkommen und verschiedene Bei-
mengungen zeigen, so können sie nur als wahrscheinliche Arten aufgeftlhrt werden.
Fische
von
Dr. Friedrich Rolle.
Die Fische, Pisces, im weiteren Sinne des Wortes, eröffnen das Reich der
V er teb raten oder Wirbelthiere, Vertebrata. Aber die niedersten Formen
derselben ermangeln noch ausgebildeter Wirbel, vertehrae, spandylu
Abgesehen von den niedersten Formen der Fische sind die Wirbelthiere
besonders bezeichnet durch die in der Mediane, welche den Körper paarig halbirt,
gelegene Wirbelsäule oder den Rückgrat. Er bildet die Körperachse in der
Mediane, aber näher dem Rücken als dem Bauche. Daran schliessen sich die
übrigen Theile des festen Knochengerüstes, die fast ohne Ausnahme entweder
paarig und symmetrisch auftreten oder, wo sie wie z. B. das Bmstbein, sternum,
unpaar sind, wenigstens in der Mediane sich einschalten. Dieses feste symme-
4o6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
trische Knochengerüst oder Skelett hat namentlich für den Palaeontologen, da e^
meist in ausgezeichneter Weise zur fossilen Erhaltung sich eignet, das nächste
Interesse. Wir müssen uns aber fürs Erste damit begnügen, einen kurzen Blick
auf die Wirbelsäule oder den Rückgrat (coiumna vertehrarum) zu werfen.
Beim Menschen, dem am höchsten organisirten Vertreter des Wirbelthier-
Reiches sind 24 sogen, wahre Wirbel entwickelt, 7 Halswirbel, 12 Brust- oder
Rückenwirbel und 5 Lenden- oder Bauchwirbel. Dazu kommen 9 — 10 sogen,
falsche Wirbel, erstlich 5 im Kreuzbein (Htiligenbein, os sacrum) verwachsene
Wirbel, weiterhin 4 oder 5 unansehnliche zum Steissbein (os coccygis) ver-
wachsene Schwanz- Wirbel. Zusammen 33—34 wahre und falsche Wirbel. Aehn-
lich ist das Zahlenverhältniss bei manchen anderen Wirbelthieren. Bei einigen
Gattungen, namentlich bei Haifischen und Schlangen wächst aber die Zahl der
Wirbel weit stärker an, namentlich die der Schwanzwirbel. Bei Aalen geht die
Zahl der Wirbel bis 200, bei Haifischen bis 365, bei Schlangen auf 300 (bei
Python sogar auf 422). Wir müssen fiir die übrigen festen Skelett-Theile auf die
Handbücher der Zoologie und Anatomie verweisen.
Der Wirbel thierkörper zeigt ausser der symmetrischen (bilateralen) An-
ordnung der Theile noch eine mehr oder minder in die Augen fallende quere
Gliederung in Segmente (Metameren, Folgestücke). In der Wirbelsäule ist die
Gliederung am meisten ausgesprochen. Ausgebildete Querringe treten auf unii
ihnen schliessen sich die um Brust (und Bauch) vorgreifenden Rippen an. Nicht
minder in die Augen fallend ist die Erscheinung von Segment-Gruppen. Meist
ist der Wirbelthierkörper in Kopf, Hals, Rumpf und Schwanz geschieden, aber
diese Segmentgruppen sind bei den einzelnen Klassen der W^irbelthiere nicht
immer besonders entwickelt. Bei den Fischen fehlt ein deutlich ausgebildeter
Hals. Aniphioxus entbehrt sogar noch eines bestimmten vom Rumpf geschiedener.
Kopfes. Beim Menschen endlich ist der Schwanz bis auf einen unansehnlichen
Rest verkümmert.
Wir gehen zu den Fisciien über. Sie begreifen nach E. Haeckel ner
anatomisch und physiologisch sehr verschiedene, aber in der heutigen Lebewelt
nach Zahl der Arten und Gattungen sehr ungleich vertretene Klassen.
I. Schädellose, Acrania, Leptocardia.
II. Rundmäuler oder Unpaamasen, Cyclostoma^ Monorhina.
III. Echte Fische, Pisces oder Paarnasen, Amphirhina.
IV. Lungenathmende Fische oder Doppelathmer, Dipneusta.
Von diesen stehen die Acranier oder schädellosen Wirbel thiere von den
übrigen Klassen der Wirbelthiere offenbar weiter ab, als diese unter sich, mc
begreifen aber in der heutigen Lebewelt nur noch eine einzige Art, das Lanzct-
Thierchen, Amphioxiis lanceolatus Yarrel (Pallas sp.) ein nieder organisirten
Wirbelthier, welches aller harten zur fossilen Erhaltung geeigneten Körpertheile
ermangelt und in fossilen Funden nicht vertreten ist, gleichwohl aber als letzter
Nachzügler einer in den frühesten Epochen der Lebewelt allem Vermuthen nacb
reichlich entwickelten Klasse auch für Palaeontologie einen sehr wichtigen .^u^
gangspunkt der Forschuns; darstellt.
Amphioxus lanceolatus ist ein 5 Centim. langes weiches fast durchzieh tice-*
lanzettförmiges Thierchen, welches an seichten Küstenstrecken in der Nt>rdsee
(z. B. an Helgoland), im Mittelmoer u. s. w. im Sand vergraben lebt. P.\iJ *•.
der erste Entdecker, hielt es noch für eine Nacktschnecke und beschrieb es -n
Jahre 1778 unter dem Namen Limax lanceolatus. Yarrel zeigte 1831, dass Cb iS
Fische. 407
niederste Form zu den Wirbelthieren gehört, obschon ihm Wirbel noch abgehen.
Amphioxus entbehrt noch Kopf nebst Schädel und Gehirn. Es fehlt ihm noch
das gegliederte Rückenskelett (oder das secundäre Achsenskelett), ebenso noch
jede Spur von paarigen Gliedmassen. Es fehlt auch jede Spur einer Schwimm-
blase. Wohl aber ist schon in der Mediane des Körpers, näher dem Rücken
als dem Bauche ein primitives knorpliges Achsenskelett oder ein Rückenstrang,
Chorda dorsalis, vorhanden. Es ist eine feste aber biegsame und elastische
cylindrische Masse von Knorpelzellen. Ueber ihm, an der Rückenseite verläuft
ein ähnliches cylindrisches Organ, eine dickwandige Röhre, das Markrohr,
(Tubus medullaris), die einfachste Anlage des centralen Nervensystems der Wirbel-
thiere, aber bei Amphioxus noch nicht in Gehirn und Rückenmark geschieden —
wie letzteres bei allen übrigen Wirbelthieren der Fall ist. Beide Organe, die
Chorda dorsalis und das darüber gelegene Markrohr, umschliesst bei Amphioxus
ein dritter knorpeliger Rückenstrang, die Chorda-Scheide, aus der bei allen übrigen
Wirbelthieren durch quere Abtheilung oder Segment-(Metameren-)Bildung die ge-
gliederte Wirbelsäule (das secundäre Achsenskclett) hervorgeht. Bei Amphioxus
ist in der Skelett-Achse (Chorda-Scheide mit Chorda dorsalis und Tubus medul-
laris) noch keine Quergliederung ausgebildet. Wohl aber zeigt sich eine solche
bereits in der Muskelschicht. Amphioxus ist also nicht nur ein symmetrisch ge-
bautes, sondern auch schon mit dem ersten Beginn der queren Abgliederung ver-
«
sehenes Thier — das niederste Wirbelthier — aber noch ohne Spur von Wirbel-
Abgliederung» also ein Wirbelthier ohne Wirbel.
Kehren wir nun zur Betrachtung des Wirbelthier-Typus zurück, so charakteri-
sirt sich dieser mit Inbegriff des noch nicht zur Wirbelbildung vorgerückten
Amphioxus dadurch, dass er erstens eine feste Längsachse, die knorpelige chorda
dorsalis, besitzt und dass zweitens eine durch diese Längenachse gezogne senkrechte
Median-Ebene den Thierkörper symmetrisch halbirt (in zwei ganz gleiche, eine
rechte und eine linke Hälfte theilt.) Ausserdem lässt sich drittens durch die Längs-
achse eine wagrechte Mediane annehmen, die aber den Körper nicht in zwei
gleiche Hälften theilt (die kleinere Oberhälfte oder Rückenhälfte ist animal, die
grössere oder Bauchhälfte ist wesentlich vegetativ.) Dazu kommt eine quere Ab-
cheilung des Körpers in Metameren oder quer zur Längsachse geordnete Seg-
mente. Sie zeigt sich bei Amphioxus erst im Muskelsystem, noch nicht in der
Skelettachse. Sie beginnt in der letzteren erst allmählich bei den zunächst höher
stehenden Wirbelthierformen und erreicht ihre Vollendung mit der Ausbildung
der gegliederten Wirbelsäule. Damit ergiebt sich die Feststellung des Wirbel-
thiertypus mit Inbegriff der niedrigsten Anfangsformen, bei denen noch keine
Wirbel entwickelt sind.
Nachdem wir die Acranier mit der einzigen lebenden Gattung und Art
Amphioxus als niederste aller bekannten Wirbelthierformen erörtert haben, können
wir zur Frage übergehen, woher die Acranier — und als deren Akömmlinge, alle
höheren Wirbelthiere, den Menschen mit inbegriffen — in entfernterer Linie ab-
stammen mögen. Den leitenden Faden ergiebt der Rückenstrang, die Chorda
dorsalis, die bei Amphioxus als stützendes Organ in der Längsachse auftritt und
sich hier zeitlebens erhält, aber auch beim Embryo der Säugethiere in einer sehr
frühen Entwicklungsstufe in derselben Gestalt und Lagerung auftritt, demnächst
als Mittelstrang bei Bildung des gegliederten (secundären) Achsenskeletts dient
und im Verlaufe derselben mehr oder minder vollständig verkümmert. Eine
Chorda dorsalis findet sich auch bei gewissen wirbellosen Thieren, nämlich bei
4o8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
einem Theile der Mantelthiere oder Tunicata, die von den meisten Zoologen
zwischen Bryozoen und Mollusken eingeschaltet werden. E. Haeckel schliesst
sie als besondere Klasse den Würmern an. Es sind Meeresbewohner. In einem
frühen Jugendzustand — dem der frei umherschwimmenden Larve — kommen
bei gewissen Ascidien (Seescheiden) die Chorda dorsalis und über ihr der tubus
medullaris vor und zwar genau in derselben Lagerung, wie sie beim Ampkiüxui
zeitlebens vorhanden sind. Sie nehmen hier die mediane Stelle in einem Rodcr-
schwanze ein. Aber bald setzt die freie Larve sich an einem festen Gegenstand
an, geht eine rückschreitende Umwandlung ein und stösst nun den Ruderechwam
mit sammt der Chorda dorsalis — als überflüssig gewordene Organe — ab. — Bei
einer anderen Tunicaten-Gattung, Appendkularia, bleibt sogar der Ruderschwanz mit
der Chorda dorsalis — wenn auch in merklich verkümmerndem Zustand — zeit-
lebens erhalten. Wir können uns daraus den Schluss ziehen, dass in einer sehr
frühen geologischen Epoche die Acranier in irgend eine dem lebenden Amphwxus
nahestehende Form von Verwandten der heutigen Tunicaten, die bereits die
Chorda dorsalis besassen, sich abzweigten. So entstand — vielleicht in der silu-
rischen Epoche, wenn nicht schon viel früher, das erste Wirbelthier. Die syste-
matische Kennzeichnung demselben muss mit dem frühesten Beginn der queren
Segmentirung angenommen werden. Der lebende Amphioxus ist nachweissbar
segmentirt, d;e lebenden Tunicaten sind es nicht. Wir verlassen zunächst dieses
Feld der kühnsten Hypothesen, die aber zur Kenntniss des heutigen Standes Ats
Palaeontologie weiteren Sinnes und der Erörterung ihrer Probleme — gleichviel
welcher subjektiven Meinung man huldige — unerlässlich geworden sind.
Wir knüpfen hier einen specifisch palaeontologischen Gegenstand an, der aber
nicht minder problematischer Art ist und die grosse palaeontologische Bedeutung
der AmphioxuS'Yt?igt von einer anderen Seite zu beleuchten geeignet ist Unter
dem Namen Conodonten beschrieb Ch. H. Pander 1856 eine Anzahl kleiner
zahnförmiger Fossilien aus dem silurischen und devonischen System von Russ-
land, u. a. schon aus untersilurischen Lagern, aus denen man noch keine sicheren
Fischreste kennt Die Conodonten ähneln in ihrer äusseren Gestalt schlanken
Kegelzähnen von Haien, sie zeigen oft zweischneidige Gestalt und sind am Basal-
theil verbreitert und ausgehöhlt. Sie zeigen hier eine sogen. Pulpa-Höhle, die
auf einer weichen Haut aufgesessen zu haben scheint. Aber ihr mikroskopischer
Bau unterscheidet sie von den Zähnen der Selachier und überhaupt aller Fische.
Sie zeigen keine Spur von Dentinc-Röhrchen. R. Owen vennuthet eher ihre Ab-
kunft von nackten Würmern oder Weichthieren, sei es nun von der Mundhaut
oder von der äusseren Körperoberfläche. Es liegt also nahe zu vermuthen, die
Conodonten — wenn sie auch nicht von ächten Fischen herstammen — möchten
von einer der entlegeneren Formen ihres Stammes, wie ihn die Amphioxen und
Tunicaten in der heutigen Meeresfauna andeuten, herrühren.
Den Acraniem (dem Amphioxus) schliessen sich in der heutigen Lcbevelt
zunächst die bereits viel höher organisirten Cyclostomen oder Rundmäuler /l>-
ciostomata, Unpaamasen, Monorhina) an. Sie sind nur durch einige wenige Arten
und Gattungen vertreten, die allem Vermuthen nach ebenfalls verspätete Nach-
zügler eines in den älteren Epochen der Lebewelt formenreich vertretenen
Schwarmes sind, der aber auch keine fossilen Reste geliefert hat
Die Cyclostomen des heutigen Tages — mit zwei Familien, den Myrinoiden
und den Petromyzonten oder Lampreten, Pricken — stehen schon weit ab von
den Acraniem. Sic besiuen schon einen deutlich ausgebildeten Kopf mit selbst-
Fische. 409
Ständig ausgebildetem Gehirn und einem einfachen häutigen oder knorpeligen
Schädel (Primordial-Schädel.) Die Nase stellt noch ein einfaches unpaares Rohr
dar. Das Achsenskelett ist noch wie bei Amphioxus eine zeitlebens bleibende
Chorda dorsalis, aber in der Chorda-Scheide zeigt sich schon der erste Beginn
der Segmentirung oder die erste Anlage des secundären Achsenskeletts.
Die Cyclostomen bilden eine sehr bedeutsame Mittelstufe zwischen dem
Amphioxus einerseits — den niedersten Formen der echten Fische, nämlich den
Selachiem (Haien und Rochen) andrerseits. Sie sind von beiden in der heutigen
Lebewelt so weit verschieden, dass man sie mit gutem Recht als eigne Klasse
zwischen Acraniem und echten Fischen untersclieidet In älteren geologischen
Epochen aber — in der silurischen Epoche oder noch früher — mögen ihre
Vertreter in zusammenhängender Folge die Acranier mit den Selachiem ver-
bunden haben.
Wenn die Cylcostomen auch schon in ihrer Organisation hoch über den Acra-
niern stehen, so scheidet sie doch noch viel von den Selachiem und den übrigen
echten Fischen. Sie entbehren noch paariger Flossen, also der Anlage zur
Bildung der bei höheren Wirbelthieren hervortretenden Gliedmaassen. Sie ent-
behren ferner noch der Schwimmblase, also der Grundlage, aus der bei höheren
Wirbelthieren die Lunge hervorgeht. Sie entbehren femer noch fester Skelett-
Theile, sowie fester Schuppen oder Hautscbilder. Die einzigen festen der fossilen
Erhaltung fähigen Theile der heute lebenden Cyclostomen sind die spitzen kegel-
förmigen Zähne, mit denen ihr Rachen bewaffnet ist und die denen der Haie
schon sehr nahe kommen (zwei grosse breit kegelförmige Zähne an der oberen,
sieben kleinere keglige Zähne an der untem Seite des Rachens). Aber auch
von dieser festen Bezahnung ist bis jetzt nichts fossil gefunden worden.
Die Uebergangsstellung, welche die Cyclostomen zwischen den Acraniem und
den Selachiem einnehmen, lässt schliessen, dass in älteren Epochen, namentlich
aber vor Ablagemng der obersilurischen Schichten, in denen die Selachier durch
zerstreute 2^hne und Flossenstacheln schon ziemlich bestimmt vertreten sind —
die Cyclostomen bereits reichlich entwickelt waren, aber keine fossilen Reste
hinterliessen oder mindestens bis jetzt durch solche Reste in unseren Samm-
lungen noch nicht vertreten sind. Die wenigen heute noch lebenden Cyclostomen
sowohl die Myxinoiden als die Lampreten oder Fetromyzan-Axitvi sind saugende
Schmarotzer, welche sich an anderen Fischen anheften und selbst mit Hilfe ihrer
spitzen Zähne in diese einbohren. Diese Lebensweise ist für die ältesten Cyclos-
tomen nicht anzunehmen, sie werden wohl die räuberische Lebensweise der Haie
eingehalten haben.
Ein starker Absatz scheidet in der lebenden Welt von ihnen die Klasse der
Fische, iYfr« (Paamasen, Amphirhina.) Die jetzt vorhandene Lücke im S)rstem
mag in der silurischen oder in einer vorsilurischen Epoche durch Formen ver-
treten gewesen sein, bei denen sich die ersten paarigen Flossen und die erste
Anlage der Schwimmblase entwickelten, auch die Bildung der um die Chorda
dorsalis sich anlagernden secundären Skelett- Achse Fortschritte machte, die Haut
eine äussere Bewaffnung mit harten Körnem und Platten (Chagrin) erhielt, über-
haupt eine mehrfache höhere Ausbildung eintrat.
Die echten Fische begreifen drei Unterklassen:
L Die Selachier, Selachii.
n. Die Ganoiden oder Schmelzfische, Ganoides,
in. Die Knochenfische oder Teleostier, Teieostei,
4IO Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
von welchen die Selachier am nächsten an die Cyclostomen sich anscliliesser
und also wahrscheinlich die älteste Stammform der Fische überhaupt vertreten.
Die echten Fische — von den Selachiern an — begreifen nur noch aub-
schliesslich kiemenathmende Wirbelthiere und Wasserbewohner — mit ausge-
bildetem Kopf, Gehirn und Schädel, sowie einer paarigen Nasenröhre, die blind
endet, noch nicht mit der Mundhöhle in Verbindung tritt. Die Organisation M'I
bei ihnen schon mannigfach über die der Cyclostomen vorgeschritten, die Bildun:;
des secundären Achsenskeletts um die Chorda dorsalis in einer Reihe von Stufen
vorgerückt, die wir hier im Einzelnen nicht verfolgen können, endlich die äussere
Körperhaut in mannigfacher Weise durch vorragende feste Theile, bald Kömer,
bald Knochenplatten, bald dachziegelförmig sich deckende Schuppen beschütz
Von diesen und vielen anderen Charakteren höher vorgeschrittener Organisa-
tion können wir hier nur auf die Entwicklung der paarigen Flossen und der
Schwimmblase eingehen. Alle echten Fische besitzen — im Gegensatz n
Amphioxen und Cyclostomen, — paarige Flossen, — Brustflossen und Bauch-
flossen, — die ersten Anlagen zur Entwicklung der Vorder- und Hinterglied-
maassen der höheren Wirbelthiere. Aus den Brustflossen der Fische sind nach-
mals die Vordergliedmaassen der Amphibien, aus den Baucbflossen die Hinter-
gliedmaassen hervorgegangen. Aber beide paarige Organe behalten bei den
Fischen noch die urspiünghche Form von gestrahlten Flossen — platten Ruder-
organen — zur Unterstützung der Ortsbewegung im Wasser.
Alle echten Fische besitzen eine Schwimmblase, entweder in ausgebildeter
Form oder wenigstens in Anlage. (Bei manchen Fischen ist sie in Folge von
verabsäumtem Gebrauch verkümmert z. B. bei den Schollen, HeurorucUs^ F>
ist eine blasenförmige Ausstülpung des Schlunds oder des vorderen Darmkana!^
gleich der Lunge der luftathmenden höheren Wirbelthiere. Wo sie bei Fischer
ent^Ä'ickelt erscheint, dient sie nur als hydrostatischer Apparat und unterstützt in
ihrer wechselnden Ausdehnung die auf- und absteigende Bewegung im Wasser
Erst bei den Dipneusten oder Doppelathmern, bricht die Nasenhöhlung am
Gaumen durch und tritt damit die Schwimmblase in die Verrichtungen eines
Athemorgans ein d. h. sie wird zur Lunge. (Wir erörtern weiter unten die I>i-
pneusten anhangsweise nach den Fischen.)
Die Wurzel des Stammes der Fische, kann, wie schon berührt wurde, nur
von den Cyclostomen und weiterhin den Acraniern, endlich den Tunicaten her-
geleitet werden. Im Anschluss an die Cyclostomen können von den drei lebend
vertretenen Unterklassen der Fische nur die Selachier oder Haie und Rochen in
Betracht kommen und aus diesen leiten sich erst die Ganoiden und Teleosticr
als abweichend geartete Verzweigungen her.
Fossile Fische keimt man noch nicht aus der cambrischen Formation and
der unteren Hälfte der silurischen Formation. Sie erscheinen erst in der dritten
Silurfauna und zwar zuerst im Lower-Ludlow Horizont oder der Mittelregion der
dritten Silurfauna (nach Bakrande's Eintheilung), wo ein gepanzerter Ganoide
Fteraspis Ludensis Salt., gefunden worden ist. Reichlicher folgen sie bald m;
oberen Ludlow-Horizont und lieferten überhaupt bisher für die obersilurischc AV
theilung 66 oder 67 Arten (nach Barrande's Zusammenstellung vom Jahr 187:
Es sind darunter verhältnissmässig viele Gattungen der Selachier und der ge-
panzerten Ganoiden, aber .auch schon einige cyclifere Ganoiden. Diese FimtH
Formen der oberen Silur-Etage erscheinen plötzlich und fast gleichzeitig in den
Fundstätten von England, Russland, Böhmen u. a. O. und stellen einen Schuann
Fische. 41 1
von Einwanderern dar, der aus einer noch unbekannten Heimathstätte der Ent-
^vicklllng eintraf, vielleicht einer besonderen an Pflanzen- und Thiernahrung reichen
litoralen Meeresregion, aus der wir keine fossilführenden Ablagerungen kennen.
Sie mag der des old red sandstone ähnlich gewesen sein.
Süsswasserfische lassen sich schon in der Steinkohlenformation erkennen, wo
sie besonders durch eckschuppige Ganoiden vertreten erscheinen.
Die eigentlichen Knochenfische treten erst in der jurassischen Epoche hervor
und ihre frühesten Vertreter sind Uebergangsformen von den cycliferen Ganoiden
zu den Clupeaceen oder Häringen. Agassiz zählte sie noch zu den Ganoiden.
Die Selachier sind in den heutigen Meeren reichlich durch Haie oder
Squaliden und Rochen oder Rajiden vertreten, denen sich noch in wenig Arten
die abweichend gebildeten Chimären anreihen. Die Selachier oder Quermäuler
Plagiostomi^ sind Knorpelfische, bei denen zuerst Ober- und Unterkiefer in deut-
lichen Gegensatz treten, aber das Skelett noch mehr oder minder knorpelig bleibt
lind noch niemals so vollständig wie bei Teleostiern verknöchert. Namentlich
bleibt ihr Schädel noch eine einfache knorpelige Gehirn-Kapsel (ein Primordial-
schädel) und erscheint nach aussen noch nicht durch besondere Knochenplatten
geschützt. Die chorda dorsalis erhält sich mehr oder minder vollständig in den
Wirbeln, aber diese sind meist schon deutlich entwickelt und bilden bei vielen
Formen bereits doppeltbecherförmige (biconcave) unvollständig verknöcherte
Scheiben.
Vorzugsweise zur fossilen Erhaltung geeignet erscheinen bei ihnen die harten
sehr v':jrschiedenartig gestalteten Zäline, ferner die harten Flossenstacheln, die
namentlich an der Vorderseite der Rückenflossen auftreten. Zähne und Stacheln
finden sich von der oberen Silur-Formation an in grosser Menge und Formen-
Mannigfaltigkeit erhalten. Sie verkünden die ehemalige ausserordentlich reiche
Entwickelung der Arten, Gattungen und Familien von Selachiern, welche die
Meere der Vorwelt bevölkerten, finden sich aber meist nur vereinzelt und geben
daher nur wenig Aufschluss über Gestalt und Organisation der Thiere, Dazu
kommen in späteren Formationen auch knochige Körner oder verdickte Schuppen
und Platten der Haut, auch wohl vereinzelte halb verknöcherte Wirbel. Aber
MC finden sich nicht so allgemein verbreitet wie Zähne und Flossenstacheln.
Sehr selten sind einigermaassen vollständige Exemplare mit erhaltner Körper-
form, zusammenhängender Wirbelsäule, Flossen u. s. w., wie man deren nament-
lich von der Gattung Xenacanthus aus dem Roth. liegenden, ferner von einer
Anzahl von Rochen aus dem oberen Jurakalk kennt. Diese ergeben den
reichsten Aufschluss.
Die primitivste Form der Selachier sind die Haie, Squaiidae^ die allem
Vermuthen nach in der Silur-Epoche aus der Umbildung von Cyclostomen
hervorgingen. Ihre Körpergestalt ist noch vorwiegend walzen- oder spindel-
förmig, das Maul mit mehreren Reihen oft beweglicher meist kegelförmiger
Zahne bewaffnet. Sie sind flinke Schwimmer und gefrässige Räuber. In den
1 eutigen Meeren sind sie in zahlreichen zum Tl.eil mächtig entwickelten Formen
vertreten und erreichen eine Länge von 6 bis 10 wenn nicht 13 Meter. Ihre
Wirbelsäule enthält z. Th. eine grosse Menge von einzelnen W^irbeln (bis 365). So
grosse Haie sind auch schon durch einzelne grosse Zähne in tertiären Schichten
angedeutet Man kennt hier Zähne, die mit Einrechnung der Wurzel 10 oder
1 2 Centim. Länge erreichten und Haie andeuten, die den grössten heutigen Arten
an Grösse wohl nichts nachgaben. Uebrigens stehen Körperlänge der Haie und
412 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Zahnlänge nicht immer in gleichem Verhältniss. Die paarigen Flossen gewisser
Haie, namentlich in einem früheren Jugendzustand, zeigen noch eine mehr od«r
minder deutlich gefiederte Form (wie sie bei Doppelathmern, Ctraiodus vor-
kommt) und diese mag wohl bei den Haien der palaeozoischen Epoche allgemeiD
herrschend gewesen sein. Im Rothliegenden erscheint sie bei Xenacanthus.
Die ältesten der oberen Silur-Etage angehörenden Reste von Selachiem sind
zerstreute Zähne (Thelodus) und Flossenstacheln oder sogen. Dorulithen (Omkuu
Ctenacanthus u. s. w.) aus denen nicht viel zu entnehmen ist
Bedeutsamer sind die Zähne der Cestracionten oder der Haie mit mehr oder
minder tafelförmig verbreiterten und in mehr oder minder zahlreiche Reihen ge-
ordneten Zähnen, die zusammen ein zum Zermalmen von harter Nahrung
(Crustaceen, Conchylien u. s. w.) trefflich geeignetes Pflaster darstellen.
Die Cestracionten, in den heutigen Meeren nur durch die Gattung CestracwK
(besonders den »Port- Jackson -Shark« der Engländer, Cestracion Phili^i an
Australien und an Japan) vertreten, sind Knorpelfische mit pfiasterähnlichem
Gebiss und mit zwei Rückenflossen, deren vorderster Strahl einen gezahnelten
Stachel darstellt. Beim lebenden Cestracion besteht das Gebiss in der Mittd-
und der Hinterregion der beiden Kiefern aus schrägen von der Mediane aus-
strahlenden Reihen von breiten flachen Mahlzähnen. In der vorderen Region
sind die Zähne zugespitzt und denen der gewöhnlichen Haie noch ziemlich
ähnlich. Der Rachen trägt also sehr verschiedene Zahnformen.
Cestracionten erscheinen durch vereinzelte 2^hne und Flossenstadieln in
allen älteren Formationen von der devonischen an vertreten, namentlich sehr
ausgezeichnet im Kohlenkalk, auch noch in der Kreideformation. In europaischen
Tertiärschichten sind sie schon fast verschwunden.
Häufig im Kohlenkalk, besonders in England und Irland sind breite flache
mehr oder minder gefaltete, oft schon abgekaute Mahlzähne, deren Kronen bis-
weilen noch auf ausgebreiteten Sockeln (Wurzeln) sitzen. Seltener sind ganrc
Unterkiefer mit zusammenhängendem Zahnpflaster, die man mit grosser Wahr>
scheinlichkeit auf Cestracionten bezieht. Dahin gehört namentlich die Gatturu:
Cochliodus Ag. Man kennt von ihr den kurzen breiten Unterkiefer. Beiderseits
stehen vier ungleiche, beiläufig rhomboidale, aber etwas gekrümmte und seitlich
gewundene Mahlzähne, die zusammen ein festes, fast in einander verfliessende^
Kaupflaster darstellen. Jeder dieser Mahlzähne entspricht, wie es scheint, einer
der schiefen mehrzähligen Zahnreihen des lebenden Cestracion^ vielleicht in Folge
eines Verfliessens mehrerer Zähne einer Reihe zu einer einzigen Zahnplatse
Cochliodus contorius Ag. findet sich im Kohlenkalk von Bristol und Armagh.
Dahin gehört noch eine ganze Reihe von Funden ähnlicheri meist mnzelii:
sculpirter Mahlzähne aus den mesozoischen Formationen, wie Acrodus aus Tria^
und Jura-Schichten, femer die breiten vierseitigen auf der Krone quergenmzelten
Mahlzähne von Ptychodus, die für die Kreideformation sehr charakteristisch sind
Diese Zähne finden sich meist nur vereinzelt Fundstücke, welche mehrere
Zähne in der natürlichen Lage neben einander zeigen, sind grosse Seltenheiten.
Flossenstacheln, die zu denselben Arten oder Gattungen zu zählen sind, finden
sich gewöhnlich mit den Zähnen in der gleichen Schichte abgelagert
Haifische mit mehr oder weniger stumpf kegelförmigen, kurzen, an den
Seiten wenig oder nicht zugeschärften Zähnen unterschied Agassiz unter dem
Namen Hybodonten. Sie finden sich besonders reichlich in den älteren Formationen,
namentlich sehr ausgezeichnet im Kohlenkalk. Neben Zähnen finden sieb aoc/
Fische. 413
wieder Flossenstacheln. Dahin gehört z. B. die Gattung Clcuiodus mit devonischen
und carbonischen Arten. Es sind Hybodonten-Zähne mit grossem längsgestreiftem
an der Spitze abgerundetem Hauptkegel und jederseits einem oder zwei Neben-
kegeln, von denen der äussere etwas den inneren überragt. Diese Zähne stehen
auf einer breiten knochigen Wurzel. C7. marginatus Ao. findet sich im Kohlen-
kalk von Armagh. Die Hybodonten reichen von der devonischen bis in die
Kreide-Formation. Sie verlieren sich in letzterer allmählich und sind erloschen.
Die eigentlichen Squaliden mit schärfer zugespitzten, an den Seitenrändem
bald scharfschneidigen bald gezähnelten, glatten Kegelzähnen treten erst später
als die Hybodonten in der geologischen Reihenfolge auf, namentlich von der
Jura-Formation an. Doch sind die vereinzelten Zähne und Flossenstacheln oft
nicht bestimmt unter Hybodonten und Squaliden einzutheilen.
Eine seltsam vereinzelte Stellung unter den Selachiem nimmt die im per-
misclien System vertretene, ausnahmsweise nach fast allen Skelett-Theilen be-
kannt gewordene Gattung Xenacanthus ein. Es ist ein Süsswasser-Hai aus dem
Rothliegenden mit zwei- oder dreispitzigen Zähnen, die vordem unter dem
Namen Diplodus den Hybodonten zugezählt wurden. Xenacanthus ist nach dem
fast vollständig erhaltenen Skelett, dessen Wirbelsäule im Vorderriimpf schon in
beginnender Verknöcherung begriffen ist, den Squaliden zunächst verwandt. Be-
sonders charakteristisch für diese Gattung ist ein langer grader im Nacken ein-
gepflanzter Stachel, der an Gestalt dem Schwanzstachel einiger lebenden Rochen
ähnelt. Die paarigen Flossen sind gefiedert oder sogen. Archipterygien, wie bei
manchen lebenden Haien und dem lebenden Doppelathmer Ceratodus Forsteru
Besonders erschwert wird die genauere systematische Deutung der Xenacanthen
durch die mangelhafte Kenntniss aller unmittelbar älteren und jüngeren Squaliden,
von denen man in der Regel wenig mehr als vereinzelte Stacheln und Zähne
keiuit R. Kner hebt einige Analogien der Xenacanthen mit den heutigen fluss-
bewohnenden Welsen (Siluriden) hervor, aber eine Abstammung letzterer von
ersteren ist nicht zu erweisen, eher darf Xenacanthus als Vertreter einer ohne
Nachfolger wieder erloschenen Familie der Selachier gelten. Xen, Decheni Goldf.
mit dreispitzigen gestreiften Zähnen findet sich zu Ruppersdorf in Böhmen in
einem Kalkschiefer des Rothliegenden. Er ist über 50 Centim. lang.
Die Chimären, Chinuieridae, Holocephali stellen eine in früher Zeit — viel-
leicht schon in der devonischen oder in der Steinkohlen-Epoche — sich von
den Haien abzweigende Ordnung dar, die in zwei Gattungen Chimaera und
Caüorhynckus in der heutigen Meeresfauna noch vertreten ist und in den mittleren
geologischen Epochen auch nie sehr formenreich auftritt.
Die Chimären unterscheiden sich von den übrigen Selachiem durch das
erste Auftreten eines Kiemendeckels unter der Haut. Schädel und Gebiss sind
eigenthümlich gebaut Die Körperform ist gestreckt wie die der Haie, der
Schwanz lang und hinten fadenförmig ausgezogen. Das Gebiss besteht nicht aus
Zähnen in zahlreichen Reihen, sondern aus einigen wenigen Schneidezähnen und
Zahnplatten. Es sind deren bei den lebenden Chimären sechs, nämlich vom im
Zwischenkiefer zwei zugeschärfte gestreckte Schneidezähne, dahinter vier (im Ober-
kiefer zwei und im Unterkiefer ebenfalls zwei) flache wulstformige Kauplatten.
Der Kronentheil erscheint punktirt (durch das obere Ende der dickwandigen
Zahnröhrchen oder Dentine-Kanälchen.)
Der fossilen Erhaltung fähig ist ausser dem starken Gebiss der lange starke
im Nacken des Thieres sitzende Stachel der vorderen Rückenflosse. Das Innen-
414 Mineralogict Geologie und Palaeontologie.
Skelett ist noch knorpelig. Gebiss und Flossenstachel von Chimären finden sich,
abgesehen von problematischen Vorläufern in devonischen und carbonibchcn
Schichten, mit Sicherheit vom Lias an in fossiler Erhaltung. Quexstedt er-
wähnt aus dem Solenhofener Schiefer (oberer Jura) auch ein vollständig erhaltene^
Skelett mit chagrinirter Haut, einem langen im Nacken sitzenden Flossensiachel
und einem stark verlän geilen Schwanz mit hunderten von kleinen Wirbelrinpen.
Aus Tertiär- Schichten, namentlich aus dem eocänen London -Clay der Inbcl
Sheppey bei London kennt man noch Gebisse von Chimäriden. Am reichlichsten
sind diese aber in Trias, Jura und Kreideformation vertreten. Jetzt leben nur
noch zwei Chimären -Arten, Chimaera monstrosa L. in der Nordsee und Irr.
Mittelmeer, Callorhynchus australis im Australischen und im Chinesischen Meer.
Die Rochen, Rajidae^ stellen eine andere Ordnung der Selachier dar, die
sich von den Squaliden schon in einer frühen Epoche, vielleicht schon in der
Steinkohlen-Epoche — jedenfalls bereits vor dem Lias — abgezweigt hat und in
den heutigen Meeren noch reich an Arten und Gattungen vertreten ist Sie l.ai
ausnahmsweise auch Süsswasserbe wohner geliefert. In Süd- Amerika giebt es
noch heute liussbewohnende Rochen.
Die typischen Rochen der heutigen Meeresfauna sind Thiere von eD^'as
träger Bewegung, flachem scheibenförmigen Körper mit rundlichem oder rauten-
förmigem Umriss. Die grossen Brustflossen sind dicht hinter dem Kopfe an-
gewachsen und werden auch meist in breit ausgespannter Lage getragen. Der
Rachen ist meist mit flachen tafelförmigen in Reihen geordneten Zähnen ge-
pflastert. Der Schwanz ist od lang, verdünnt, vielwirbelig. Dazu kommt bei
einigen lebenden Rochen (Trygon, Myliohates u. a.) ein am Rücken des Schwanzc>
sitzender langer an beiden Seiten widerhackig gezähnter Stachel von harter
dichter Substanz.
Auf Rochen bezieht man schon Flossenstacheln aus dem devonischen und
carbonischen System, die Agassiz unter dem Namen Pleuracanthus beschrieb,
aber sie kommen auch mit dem grossen Stachel, den Xenacanthus im Nacken
trägt, überein. Ganz bestimmt erwiesen wird das Auftreten von Rochen durch
einige fast vollständige Skelette mit halbknöchemer fester Wirbelsäule in der
Jura-Formation.
Thaumas alifer Münst. aus dem jurassischen Kalkschiefer von Solenhofen
ist in einem last vollständigen Exemplare bekannt und stellt eine Mittelfonn
zwischen Rochen und Haien (besonders Squatind) dar, 48 Centim. (i^ Fuss) lang,
mit feiner Chagrinhaut bekleidet.
Aehnlich ist Spathohatis hugesiacus Thiol. aus dem oberen Jura von Cirin
bei Lyon, ein 75 Centim. (2^ par. Fuss) langer mit körniger Haut bekleidete;
Roche vom rautenförmigen Körperumriss der lebenden Rhinobatus-Xnen, r>ie
Schnauze springt stark vor und der Rachen trägt kleine Zähne, die ein Pflaster
in schiefen Reihen bilden. Die Wirbel, besonders am Rumpf sind verknöchcr
und ihre ganze Zahl ist etwas mehr als 150. Die Erhaltung zu Cirin ist so auv
gezeichnet, dass man noch die Kiemenbögen gut erkennt. (Fünf lineare Kiemen -
spalten an der Bauchseite). Flache tafelfönnige oft sechseckige Kauplatten au*
dem Rachen von mehreren Rochen-Gattungen, bald aus dem Zusammenhang
gelöst, bald in geschlossenen Längs- und Querreihen znsammenhängend erhalten,
sind häufig in meerischen Tertiär- Ablagerungen , namentlich von der G.^ttuPl:
Myliohatis und mehr oder minder den heute noch lebenden Arten bereits nahe-
Fische. 415
stehend. Auch grössere knochige Haut-Scheiben von jRa/a-Arten finden sich in
tertiären Meeresablagerungen.
Ein Süsswasser-Roche, Heliobatis, wird aus einer oberen eocänen Binnensee-
Ablagerung des westlichen Nord- Amerika aufgeführt.
Eine sehr abweichende Rochen-Gattung von schlanker, den Haifischen ähn-
licher Körpergestalt ist der Sägefisch Pristis antiquorum Lath. (Squaius pristis
LiN.), lebend an Europa. Der Oberkiefer verlängert sich bei ihm in einen 1 — 2 Meter
langen schwertförmigen beiderseits mit 18 — 24 eingekeilten Zähnen besetzten
Fortsatz. Diese Gattung ist durch sichere Fossilreste im eocänen London-Thon
der Insel Sheppey nachgewiesen. Man kennt von hier Bruchstücke der sogen.
Sä-'e.
Einen Torpedo oder Zitterrochen (T, gigantea Ag.) kennt man aus dem
eocänen Plattenkalk des Monte Bolca, nördl. von Verona.
Wir wenden uns zur zweiten, in den geologischen Formationen äusserst zahl-
reich und mannigfaltig vertretenen, für Geologie und Palaeontologie in hohem
(irade wichtigen Unterklasse der echten Fische, den Ganoiden oder Schmelz-
fischen, Ganoides^ denen der älteste positiv nachgewiesene Fisch, Pteraspis
Ludensis Salt, aus dem oberen Silursystem von England (Lower Ludlow Beds)
angehört.
Die Ganoiden sind in der heutigen Lebewelt nur noch durcli wenige in
geographischer Hinsicht weit zersprengte Gattungen vertreten, deren Arten theils
Flüsse und Binnensee'n bewohnen, theils Meeresbewohner sind, welche periodisch
in die grossen Flüsse aufsteigen. Die älteren Ganoiden stellten vom Silursystem
bis zur Kreide-Formation beiläufig die Hälfte des Betrages der meerischen Fisch -
Fauna. In das Süsswasser stiegen sie schon in der Steinkohlen -Formation.
Fast ganz aus der Meeresfauna entschwunden erscheinen sie schon mit Beginn
der tertiären Periode. Sie räumen hier im Meere einestheils den mächtig heran-
wachsenden Knochenfischen das Feld, andrerseits den in der Tertiär-Epoche
bereits riesige Dimensionen gewinnenden Haifischen. Ein ähnliches Asyl im
Süsswasser fanden Krokodile, Dipneusten, Phyllopoden u. s. w. Der Vorgang ist
also sehr allgemeiner Art. Zu Grunde liegt ein ununterbrochener Verlauf von
Schieben und Geschobenwerden, wobei der aus irgend einem Grunde schwächere
Theil sich eine neue Heimath sucht und in der älteren mehr oder weniger voll-
ständig erlischt.
Die wenigen heute noch lebenden genera der Ganoiden — Lepidosteus, Pofyp-
UruSf Accipenser, Spatularia und Amia haben nach Jon. Müller's Untersuchung
einen wichtigen Charakter des Blutgefäss-Systems (zahlreiche in Reihen geordnete
Klappen des Arterien-Stiels) gemeinsam, welcher gleich wie auch eine Anzahl
anderer Beziehungen ihnen eine Mittelstellung zwischen Selachiern und Teleostiern
anweist. Im Uebrigen weichen die wenigen geographisch versprengten Nachzügler
des erloschenen grossen Heeres der Ganoiden auch nach Körpergestalt, Ent-
wicklung des festen inneren Skeletts und Gestaltung der äusseren Körperfläche
weit von einander ab.
Bei Accipenser ist das Skelett noch fast ganz knorpelig, namentlich erhält
sich die chorda dorsalis und verknöcherte peripherische Wirbel fehlen noch. Die
äussere Haut trägt entfernt stehende Längsreihen von strahlig gezeichneten
Knochenschildein. Bei Lepidosteus und Polypterus dagegen ist das Wirbel-Skelett
in ähnlicher Weise wie bei echten Knochenfischen vollständig verknöchert, die
äussere Körperdecke aber ein geschlossenes Panzerkleid von ziemlich grossen
4l6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
und starken, rautenförmigen Email-Schuppen, die durch besondere Fortsätze ar-
ticuliren. Noch anders sind die Charaktere der Gattung Amia^ welche zwischen
Ganoiden und Häringen (Clupecueae) vermittelt. Sie hat cycloidische Schuppen
mit sehr dünner Schmelzlage, ähnlich denen der Häringe. Die Wirbelsäule ist
auch hier wohlentwickelt.
Diese drei Haupt-Typen lebender Ganoiden treten aber erst in volleres Licht
durch die Einbeziehung der zahlreichen fossilen Reste, die von der oberen Süur-
Etage an durch die ganze Reihe der geologischen Formationen reichen und Dank
einer festen Hautdecke — bald knochiger Schilder, bald rhomboidischer und
bald cycloidischer Schmelzschuppen — in der Regel in mehr oder minder voll-
ständiger Erhaltung bekannt sind.
Wir haben darnach drei Ordnungen der Ganoiden zu unterscheiden.
1. Gepanzerte Ganoiden, Ganoides taduJiferL Sie fuhren ein mehr oder mind&
vollständiges Panzerkleid von knochenartigen Hautschildem. Ihre lebenden Ver-
treter sind die Störe (Accipenser) und die LöfTelstöre (Spatularia), Es sind
Knorpelfische, die an Selachier anknüpfen. Ihre Wirbelsäule ist noch knorpelig.
der Schädel aber theilweise verknöchert
2. Die eckschuppigen Ganoiden oder Eckschupper, Ganoides rhombiferL Ihre
lebenden Vertreter sind Lepidosteus und Fofypterus, zwei Gattungen mit vollständig
verknöcherter Wirbelsäule und einem Panzerkleid von kräftigen rautenförmigen
Schmelzschuppen.
3. Die Cycliferen oder rundschuppigen Ganoiden, Ganoides cycUferi, Dir
lebender Vertreter ist Amia, eine zwischen Ganoiden und Häringen vermittelnde
Gattung mit cycloidischen nur dünn emaillirten Schuppen, die von den Zoologen
gewöhnlich neben den Häringen aufgeführt wird, aber genauer untersucht alb ein
Ganoide sich herausstellt.
Diese drei in der lebenden Fischfauna nur noch mit den letzten Nachzüglern
vertretenen Ganoiden-Ordnungen erscheinen mit wohlausgeprägtem Typus neben-
einander schon in der silurischen und der devonischen Epoche. Ihre älteren
Vorläufer sind in positiven Funden nicht erhalten, können aber problematiscb
nur in Uebergangsformen von Selachiem zu gepanzerten Ganoiden (Tabuliferen*
gesucht werden, worauf namentlich die bei letzteren fast stets knorpelig ver-
bleibende Wirbelsäule hindeutet
Wir beginnen also mit den gepanzerten Ganoiden, Ganoides tabuUferi. Sie
tragen ein mehr oder minder vollständiges Panzerkleid von knochenartigen mit
einer dünnen Schmelzschicht überzogenen, oft durch Nähte mit einander ver-
bundenen Hautschildem, wogegen das innere Achsenskelett stets mehr oder minder
knorpelig bleibt und auch bei den lebenden Vertretern noch nicht vollständi|:
verknöchert erscheint. Die chorda dorsalis spielt darin noch eine Hauptrolle.
Die gepanzerten Ganoiden sind offenbar die primitivste und allem Vermuthen
nach auch die älteste Ordnung ihrer Klasse. Sie schliessen sich näher als die
beiden anderen Ordnungen den Selachiem an und sind wahrscheinlich in der
älteren silurischen Epoche, wenn nicht schon früher, aus Selachiem hcrvorge-
gangen.
Sie zeigen sich schon in der ältesten bis jetzt bekannt gewordenen fisch*
führenden Schichte. Fteraspis Ludensis Salt, aus den unteren Ludlow-Schichten
(Lower Ludlow beds) des oberen Silursystems von England ist der älteste über-
haupt fossil gefundene Fisch. In den oberen Ludlow-Schichten von England um:
den darauf folgenden zwischen dem silurischen und dem devonischen Sy^xm
Fische. 4.17
schwankenden Schichten (Passage-beds) von England und den gleich alten Schichten
von Böhmen, Russland u. s. w., kommen noch mehrere andere Arten und Gattungen
gepanzerter Ganoiden vor, wie Ciphalaspis Murchisoni Egert., Fieraspis truncatus
HuxL. u. a.
Reichlicher sind die Panzer -Ganoiden im devonischen System vertreten.
Nach diesem verschwinden sie, im Kohlenkalk sollen sie schon sehr selten sein.
Sie bieten im obersilurischen und im devonischen S3rstem seltsame Fischge-
stalten mit einem theils nur den Kopf, theils auch noch den vorderen Rumpf
bedeckenden Panzer von kräftigen mit einer Schmelz-Lage überzogenen ELaut-
knochen (Dermal-Platten). Man kennt eine Anzahl ziemlich vollständiger Panzer
dieser devonischen Knorpel-Ganoiden, aber die ersten noch unvollständigen Funde
gaben Anlass zu sehr abweichenden Deutungen. Namentlich hielt man sie an-
fangs für Reste von Schildkröten. Andererseits zählte Agassiz den gepanzerten
Ganoiden anfangs noch ähnliche gepanzerte Fossilien zu, die sich nachmals als
Reste mächtig grosser Crustaceen erwiesen. Soviel nur als Beleg für das fremd-
artige Kleid der ältesten gepanzerten Ganoiden. Nähere Untersuchungen er-
wiesen sie als wahre, wenngleich seltsam vermummte Fische, die sich am nächsten
noch den heutigen Stören {Sturionidae^ Accipenstridae) vergleichen lassen und
muthmaasslich deren ältere Stammesvorfahren darstellen. Ihr inneres Skelett ist
namentlich auch noch wie bei den heutigen Stören erst theilweise verknöchert.
Die Wirbelsäule war noch eine weiche zur fossilen Erhaltung nicht geeignete
Knorpelmasse. Sie fehlt auch den am besten erhaltenen Exemplaren. Die leere
Stelle in diesen deutet die chorda dorsalis und die weiche Chorda-Scheide an.
Durch einen fast geschlossenen Panzer von Hautknochen über den Kopf und
den vorderen Rumpf bezeichnet sind die Gattungen Pterichthys und Coccosteus,
PUrichthys begreift kleine Panzerfische von flach spindelförmiger Gestalt und
kurzem vom gerundetem Kopf. Der Kopfpanzer articulirt mit dem Rückenpanzer.
Aus letzterem tritt die Hinterhälfte des Rumpfes mit dem Schwänze frei hervor.
Diese hintere Körperhälfte trägt einen beweglichen Panzer dünner polygonaler
Platten, femer kleine nur selten erhaltene Flossen. Seltsam gestaltet und mit
starken Panzerstücken bekleidet sind die Vordergliedmaassen, die den Bmstflossen
anderer Fische entsprechen, aber in der besonderen Ausbildung von Allem ab-
weichen, was man sonst von Gliedmaassen oder paarigen Flossen lebender und
fossiler Wirbelthiere kennt. Es sind gegliederte Ruderorgane, die dem Median-
stab oder Carpus-Strahl der gewöhnlichen Fischflosse entsprechen. Der Hinter-
körper war auch mit Flossen versehen, die aber nur an seltenen Fundstücken er-
halten sind. Ueberhaupt bleibt hier gar manches noch räthselhaft. Jedenfalls
war das Thier ein unbeholfener Schwimmer, der sich auf dem Boden umher
trieb und vielleicht mehr kroch als schwamm. Man kennt einige Arten von
Pterichthys, die meisten aus dem old red sandstone von Caithness u. a. O. in
Schottland. Die am besten bekannte Art ist Pterichthys Miileri Ag.
Die Gattung Coccosteus ist ähnlich, aber etwas anders und ebenfalls noch
höchst seltsam gebaut. Den Kopf und die Vorderhälfte des Rumpfes überzieht
hier ein geschlossener Panzer von meist an den Nähten unbeweglich verbundenen
Knochenplatten mit kömiger Oberfläche. Kopf und Rücken tmgen eine ge-
schlossene Panzerabtheilung, einen Kopfrückenpanzer. Ihm entsprach an der
Unterseite des Körpers ein Bauchpanzer, der mit dem oberen Panzer nur locker
und ofienbar beweglich verbunden war. Der hintere Rumpftheil mit dem Schwanz
trat frei aus den beiden Vorderpanzera hervor und scheint nackt gewesen zu
KsioiGorrr, Bfin., Geol. u. Pal. L 27
4i8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
sein, jedenfalls ohne stärkere Panzerplatten. Das Achsenskelett war knorpelig
und ist nicht fossil' erhalten. Es trug aber nach oben und nach unten deutliche
verlängerte Fortsätze (oben die Neurapophysen oder Processus spinosi^ unten die
Hämatapophysen). Diese waren bereits verknöchert wie sie es auch bei den
heutigen Stören sind. Die steif bepanzerten Vordergliedmaassen, welche PUrük-
thys bezeichnen, sind von Coccosteus nicht bekannt und scheinen nur genng ent-
wickelt — oder rudimentär — gewesen zu sein. Der Hintemimpf und der Schwanz
waren mit Flossen besetzt Rücken- und Afterflosse waren kräftig entwickelt und
deuten auf behendere Schwimmer als die Fterichtfys'Axttn waren. Coccosteus
erscheint in obersilurischen und devonischen Schichten. Die am besten bekannte
Art, C. decipiens Ag., wird über einen Fuss lang und stammt aus dem cid red
sandstone der Orkney's.
Viel näher als Pierichthys und Coccosteus kommen der normalen Fischge-
stalt schon die Cephalaspiden oder Schildköpfe. Bei ihnen verfliessen die an
der Oberseite des Kopfes entwickelten Platten zu einem breiten flachen Kopf-
Schild, der zu beiden Seiten — in Nachahmung des Kopfschildes mancher Trilo-
biten — in rückwärts gerichtete Fortsätze ausgezogen erscheint Auf diesem
Schild etwas vor der Mitte zeigen sich zwei kleine einander genäherte länglicb-
runde Löcher, die man als Augenhöhlen annimmt Am Kieferrand erkennt man
kleine schmale und dünne Zähne. Der grösste Theil des Rumpfes mit dem
Schwänze lag frei und trug nur einen beweglichen Panzer von dünnen Schuppen.
Gut erhaltene Exemplare lassen die paarigen Brustflossen, eine Rückenflosse
und eine stark ausgebildete ungleich-lappige (heterocerke) Schwanzflosse erkennen.
Die Cephalaspiden erscheinen mit den Gattungen Cephalaspis und Fttraspis
in ziemlich vielen Arten obersilurisch und devonisch. Die Cephalaspiden und däe
übrigen gepanzerten Ganoiden verlieren sich alsbald darnach. Im Kohlenkalk
sollen einige wenige Reste solcher noch vorkommen.
Wahrscheinlich aber erhielt sich der Stamm der gepanzerten Ganoiden durch
die ganze Reihe der geologischen Formationen und lebt noch heute in der mit
ähnlichen Knochentafeln bekleideten Familie der Störe (Accipenser und Späht-
iaria), die jetzt aber theils Flussfische, theils auch in Flüsse periodisch aufsteigende
Seefische sind. Ihr Achsenskelett ist noch knorpelig und entbehrt harter Ring-
Wirbel. Den Schädel und zum Theil auch den Rumpf bekleiden kömig imd
strahlig gezeichnete Knochenschilder. Namentlich erscheint von diesen jüngeren
gepanzerten Ganoiden — als bis jetzt fast einziger Fund in der ganzen mesozoi-
schen Formationen-Reihe — ein Stör, Chondrosteus, im unteren Lias von Ei^-
land und zeigt, dass der Zusammenhang zwischen den Panzerganoiden des de%-o-
nischen Zeitalters und den Stören der tertiären Epoche und der heutigen Ftuss-
fauna nur scheinbar — durch Ungunst der Bedingungen der fossilen Erhaltung —
unterbrochen ist und durch vereinzelte glückliche Funde zusehends sich tf-
gänzen lässt.
Die gepanzerten Ganoiden scheinen sich frühe in Flüsse zurückgezogen xq
haben, von denen uns keine fossilführenden Ablagerungen vorliegen. yf\x kennen
aus den mesozoischen Formationen nur zwei hierher gehörige Funde aus Meeres«
ablagerungen. Chondrosteus aus dem unteren Lias von England verbindet Charak-
tere von Accipenser mit solchen von Spatuiaria, Saurorhamphus aus der Kitide>
formation von Comen in Istrien vertritt eine besondere Familie der Stöie. Der
Rachen führt kleine Kegelzähne und die Körperachse trägt peripherisch ausge-
bildete Wirbelkörper. Aber die Körpergestalt und die äussere Bekleidung mit
Knochenschildem erweist gleichwohl einen Stör.
Die ächten Störe, Accipenser, sind durch eine Art A. toliapuus Ag. im eocänen
Thon von Sheppey in England nachgewiesen.
Wir kommen zur zweiten Ganoiden-Ordnung, den Eck schuppern, Ganoi-
des rhofnbiferi, ausgezeichnet durch ein geschlossenes Panzerkleid von ziemlich
grossen, oft sehr grossen mit einer äusseren Schmelzlage überzogenen rhombischen
oder rhomboidischen Schuppen, die in Längsreihen und zugleich in schiefen Quer-
reihen stehen und durch besondere Fortsätze articuliren.
Von ihnen leben noch zwei Gattungen, der Knochenhecht Lepidosteus in
Flüssen und Binnenseen von Nord-Amerika und der Flösselhecht Polypterus in
Flüssen von Afrika (Gambia, Niger, oberer Nil). Bei beiden ist das Wirbelskelett,
gleichwie bei echten Knochenfischen, bereits vollständig verknöchert
Die eckschuppigen Ganoiden beginnen fossil mit dem devonischen System
und hier alsbald in mehreren Familien. Sie reichen von da in grosser Anzahl
der Gattungen und Arten bis zur Wealden-Stufe. Von da an werden sie selten
und verlieren sich aus der Meeresfauna, um schliesslich nur noch im Süsswasser
mit rasch verminderter Formenzahl ihr Dasein zu fristen. In Tertiärschichten sind'
sie schon sehr selten und namentlich nur in Nord-Amerika reichlicher vertreten.
Während dieses langen geologischen Zeitraumes tritt bei den Eckschuppem eine
Vervollkommnung des Skelettbaues ein, die besonders in der Entwicklung von
Wirbelringen um die Chorda dorsalis sich äussert Die älteren fossilen Formen
namentlich die des palaeozoischen Systems, zeigen, wie alle wohl erhaltene Exem-
plare erweisen, noch eine knorpelige Achse oder nur halb verknöcherte Wirbel.
Namentlich zeigen sie oft eine Leere an der Stelle der weichen knorpligen Chorda
und darüber und darunter die verknöcherten oberen Domfortsätze (Neurapophysen)
und unteren Domfortsätze (oder Hämatapophysen). Bei anderen beginnt auch schon
eine knochige Ringbildung um die Chorda hemm. Dagegen zeigen die noch
heute im Süsswasser fortlebenden Gattungen Lepidosteus und Fölypterus ein voll-
standig verknöchertes Skelett, bei Lepidosteus sogar Wirbelkörper mit Kugel- und
Pfannen-Gelenken.
Ebenso macht sich bei den Eckschuppem, namentlich von der Trias-Epoche
an — und gleichzeitig bei den Rundschuppem — eine bemerkenswerthe Ver-
änderung in der Gestaltung des Schwanzendes und der Schwanzflosse bemerk-
bar, wie denn im Zeitalter der Trias überhaupt beträchtliche Umgestaltungen der
organischen Formen in verschiedenen Klassen der Lebewelt vorgingen. Die eck-
schuppigen Ganoiden der älteren Formationen zeigen heterocerke Gestalt, das
Wirbelsäulen-Ende verlängert sich als deutlicher Strang in den oberen Schwanz-
lappen und bildet den Träger der ganzen ungleich gelappten Schwanzflosse. Die
Schwanzwirbel sind hier zahlreicher (Zahl der homonymen Theile grösser, Analogie
mit Selach^em bemerkbar). So ist es noch bei allen Eckschuppem der palaeozoi-
schen Formationen. Eine Mittelform zeigen in der Trias und im Lias die nur
wenig heterocerken Ganoiden, wie Catopterus und Ischypterus^ im Keuper von
Nord-Amerika, Verwandte der Palaeonisciden des palaeozoischen Systems. Aechte
Homocerken erscheinen erst vom Lias an. Das hintere Ende der Wirbelsäule
ist bei ihnen verkürzt (Zahl der homonymen Theile verringert). Die Schwanzflosse
ist bei ihnen gewöhnlich gleichlappig. Heterocerke Fische (Pisces heterocerci von
heUros, verschieden, ungleich und kerkost Schwanz), sind in der heutigen Lebe-
welt nur noch die Selachier, die Störe und der Knochenhecht, Lepidosteus.
27*
420 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie
Die Eckschupper zerfallen in eine grössere Anzahl von Familien, die zom
Theil im Grade der Skelettverknöcherung und im Uebergang von der ungleichen
zur gleichmässigen Ausbildung der Schwanzflosse aufsteigende Reihenfolge eikennen
lassen. So die Dipteriden, Acanthodier, Paläonisciden, Pycnodonten u. s. w.
Die Dipteriden, Dipteridae (Dipterii) sind besonders im devonischen System
vertreten. Es sind schlank gebaute Eckschupper mit zwei hintereinander gelegenen
Rückenflossen, was behende Schwimmer andeutet Die Wirbelsäule ist knorpelig,
die Schwanzbildung heterocerk. Das Gebiss zeigt kegelförmige ziemlich gleich
grosse Zähnchen. Dipterus und Osteolepis sind Dipteriden aus dem old red sand*
stone von England und Schottland.
Mit den Dipteriden erscheinen im devonischen System auch schon Gattungen
aus der Familie der Acanthodier, welche ein ungewöhnlich stark entwickelter
Stachel am Vorderrande der Flossen, namentlich der stark entwickelten paaiigen
Brustflossen auszeichnet. Die Schuppen sind klein und fast kömerartig, Üieüs
auch deutlich eckig, quadratisch oder rhombisch. In der Steinkohlenformatio]}
und im Rothliegenden liefert die Familie der Acanthodier bereits Süsswasserb^
wohner. Am wichtigsten ist die Gattung Acanthodes^ die namentlich in denthonigen
Schichten des Rothliegenden reichlich vertreten ist, aber oft nur die kräftigen
langen Stacheln vom Vorderrande der grossen Brustflosse hinterlassen hat Da
die Skelettachse weich, die Hautdecke kleinschuppig war, sind hier wohlerhaltene
Individuen selten.
Die Familie der Palaeonisciden, Palaeoniscidae ^ begreift Eckschupper der
carbonischen und der permischen Ablagerungen, und zwar sowohl Meeres- als
Süsswasserbewohner. Die Haut ist mit ziemlich grossen' ausgezeichnet emaflirten
rhomboidischen Schuppen bekleidet, die Schwanzbildung heterocerk, die Skelett-
achse war noch knorpelig. Die Kiefern trugen zahlreiche kleine dicht g^
drängte ziemlich stumpfe Zähnchen (sogen, bürstenförmige Bezahnung.)
Die Gattung Palaeoniscus beginnt in der Steinkohlenformation und liefert hier
und im Rothliegenden wie auch im Zechstein zahlreiche Arten. Die letzten
Palaeonisken flnden sich in der Trias. Die Körpergestalt ist schlank, die Flossen
sind ziemlich klein. Die häufigste und bekannteste Falaeoniscus-Axt ist F. FrHis-
leheni Blainv. Sie findet sich in zahllosen Mengen im Kupferschiefer von Nord-
und Mittel-Deutschland zu Eisleben, Riecheisdorf u. a. O., wird 15—20 Centim.
lang und ist in trefflichen Exemplaren in allen Sammlungen verbreitet Diese
Art war schon im vorigen Jahrhundert ein Gegenstand der Aufmerksamkeit der
Naturforscher und ihre Häufigkeit, ihre oft krampfhafte Verkrümmung in kupfer-
haltigen Schichten ist ein vielfach schon erörtertes Problem der Geologie.
Ambfypterus ist eine verwandte Gattung des Steinkohlen-Gebirges und des
Rothliegenden und liefert namentlich Süsswasserbewohner. Auszeichnend ist die
Grösse der Flossen, ihre vordersten Strahlen sind aber nicht stark entwickelt
A, macropterus Ag. ist eine Art von etwas gedrungener Körpergestalt mit sehr
grosser Rückenflosse auf der Mitte des Rückens. Häufig und wohlerhaltcn in
den Eisenstein-Nieren des mittleren Rothliegenden der Gegend von BirkenfeJd
und Lebach.
Mit dem Zeitalter der Trias tritt die schon gedachte Umgestaltung im Bau
der Eckschupper ein. Die Ossification des Achsenskeletts macht hier Fortschrittt
und im Lias erscheinen schon Ganoiden mit mehr oder minder ausgcbüdctcn
knochigen Wirbeln. Die Schwanzbildung, bis dahin heterocerk, wird nun bd
einem Theile der Gattungen homocerk. Ein Beispiel davon giebt Semm^
Fische. 42 1
Btrgeri aus der Familie Dapedidae, Es ist ein ziemlich schlank gebauter Eck-
schuppeii der im mittlem Keuper von Coburg in guter Erhaltung vorkommt. Die
Achse zeigt noch keine ringförmig geschlossenen Wirbelkörper, die Schwanzbildung
ist noch heterocerker Art, aber nicht mehr in dem Grade wie bei den palaeo-
zoischen Ganoiden, das Hinterende der Wirbelsäule setzt noch in den oberen
Schwanzlappen fort, aber nicht mehr bis an ihr Ende und der Strahltheil beider
Flossenlappen erscheint schon fast gleich gross.
Die Pycnodonten, Pycnodontes, sind eine von der Steinkohlen-Formation an
bis zur unteren Tertiärformation verbreitete Familie der Eckschupper, ausgezeichnet
durch kurze und hohe zusammengedrückte Körperform und das mit breiten ge-
rundeten Mahlzähnen besetzte, auf harte Nahrung deutende Gebiss, femer durch
das Auftreten eines eigenthtimlichen durch Verdickung des Vorderrandes der
Schuppen hervorgehenden Hautreifen-Systems, das bei anderen Familien der
Fische sich nicht wiederholt. Die Anlage zur Wirbelsäule bleibt noch bei allen
knorplig, doch beginnt mit den jurassischen Arten eine unvollständig abge-
schlossene Wirbelbildung, die von den oberen und unteren Bögen der Domfort-
sätze ausgeht. Der Schwanz ist bei den älteren Gattungen heterocerk, bei den
jüngeren homocerk.
Die Gattung Hatysomus beginnt in der Steinkohlenformation. Jfafysomus
gibbosus Ag. erscheint im Zechstein (magnesian limestone) von England. Bei den
Platysomen ist die Schwanzbildung noch heterocerk, die chorda dorsalis blieb
noch weich und knorplig und ward oben und unten umfasst von der basalen
Gabel verknöcherter Domfortsätze.
Die Gattung Pycnodus enthält homocerke Arten, die vom Lias bis in die
Eocän-Schichten verbreitet erscheinen. Mehrere Arten sind in fast vollständigen
Exemplaren bekannt und zeigen, dass das in der Haut eingeschaltete ganz unge-
wöhnliche Knochensystem zur Stütze des Schuppenkleids diente und aus vorderen
Leisten der Schuppen hervorging. Dem Zwischenraum zwischen je zwei Haut-
rippen oder Reifen entspricht je eine Schuppemeihe, aber bei manchen Arten
sind die Schuppen ganz zart oder gar nicht fossil erhalten, wobei dann die Reifen
allem stehen und gleichsam ein zweites äusseres Skelett darstellen, was dem Fossil
ein befremdendes Aussehen ertheilt.
P, plcUessus Ag. eine kleine Art, von der keine Schuppen erhalten sind, er-
scheint noch fossil im eocänen Flattenkalk des Monte Bolca bei Verona. Eine
andere PycnoduS'Krt erscheint noch im eocänen Thon von Sheppey in England.
(P, tolipiacus Ag.). Im Miocän ist Pycnodus schon nicht mehr sicher nachweis-
bar und in der heutigen Fauna jedenfalls erloschen. Dieses Hereinragen einer in
den mesozoischen Epochen reichlich verbreiteten Ganoiden-Gattung in die Meeres-
absätze der Eocän-Formation ist eine bemerkenswerthe Erscheinung und steht
fast vereinzelt In der mittleren Tertiärformation scheinen die Pycnodonten be-
reits erloschen zu sein.
Die Familie Lepidotidae begreift homocerke Eckschupper mit bereits wohlver-
luiöcherten, erst von zwei Halbringen gebildeten, dann peripherisch geschlossenen
Wirbeln. Der Kopf ist vom stumpf abgerundet. Das Gebiss zeigt starke theils
halbkugelige, theils kegelförmige Zähne. Die Gattung LepidoiuSy besonders aus-
gezeichnet durch sehr grosse und sehr kräftig gebaute stark glänzende Schmelz-
schuppen, ist im Jura in zahlreichen Arten verbreitet. Sie spielt auch noch eine
wichtige Rolle (mit Lepidotus Mantelli Ag. u. a. A.) in der Süss- und Brackwasser-
422 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Fauna der Wealdenstufe und erlischt mit der letzten Art (Lepidoius Maximiliani
Ag.) in der Eocänformation des Pariser Beckens.
Die Familie Caturidae begreift grosse homocerke Eckschupper mit zahlretchen
starken Regelzähnen, die auf ausgeprägt räuberische Lebensweise deuten. Die
Wirbelsäule ist in stufenweiser Verknöcherung begriffen. EMe Schwanzbildnng
homocerk. Die Caturiden sind mit Cäturus, P€ukycarwiuSy SauropsL und anderen
Gattungen in jurassischen Meeresablagerungen zahlreich verbreitet, die letzten
Arten erscheinen in der oberen Kreide. An sie schliessen sich unmittelbar die
Lepidosteus-Axt/tn an, nur sind die Caturiden homocerk und ihre Wirbel z. Th.
noch von Halbringen gebildet, z. Th. auch schon peripherisch geschlossen und
biconcav.
Die Familie LepidosUidae lebt mit der Gattung Lepidostcus in Flüssen und
Binnensee'n von Nord- Amerika noch fort. Lepidosteus osseus, der Knocbenhecht,
von Linn£ schon als Esox osseus beschrieben, wird über i Meter lang und zeigt
eine ausgeprägt räuberische Lebensweise. Der Körper ist schlank und fast walzen-
förmig. Ober- und Unterkiefer sind in eine längliche Schnauze ausgezogen und
mit Reihen von grösseren und kleineren spitzkegelförmigen Sehnen bewaffinet
Die Schwanzbildung ist noch deutlich heterocerk — wenn auch nicht mehr in
so ausgeprägter Weise wie bei palaeozoischen Ganoiden. Das Skelett ist voll-
ständig verknöchert und die Wirbelkörper sind mit Kugel- und Pfannengelenken
versehen, eine Bildung, die in dei ganzen Klasse der Fische einzig dasteht. Jeder
Wirbel ist an der Vorderfläche mit einem vortretenden Gelenkkopfe versehen,
der in einer Pfanne der Hinterseite des zunächst vorhergehenden Wirbelkörpen
articulirt. Dies ist der einzige Fall dieser Art bei lebenden, wie fossilen Fischen.
Der Lepidosteus ist in fossilen Resten nur aus Nord-Amerika bekannt, wo er
auch allein und zwar in etwa einem Dutzend Arten in Flüssen und See*n noch
lebt In den ältesten eocänen Süsswasserablagerungen und in den zunächst darauf
folgenden des Nordwestens sind Lepidosteus -Alten häufig, die den heute noch
lebenden desselben Gebietes schon sehr nahe stehen.
Wir kommen nun zur dritten Ordnung, denCycliferen oder rundschuppigen
Ganoiden, Ganoides cycliferi, die bereits im oberen Silur-System fossil anheben,
im Jura-System durch die Leptolepiden zu den echten Knochenfischen, Teltcstei^
überleiten und in der Jetztwelt nur noch in der nordamerikanischen Süsswasser-
Gattung Amia^ Kahlhecht, fortleben.
Sie tragen ein Schuppenkleid von rundlichen (cycloidischen), auf der äusseren
Seite mit mehr oder minder dicker Schmelzschicht belegten Schuppen» die wie
die der Teleostier in Dachziegelform angeordnet sind. Bei den palaeozoischen
Cycliferen sind diese oft gross, sehr verdickt, und mit starker venchiedentlich
verzierter Schmelzschicht bedeckt. In den jüngeren Formationen zeigen die
Cycliferen dünnere Schuppen mit schwächer entwickelten Schmelzlagen. Sie
werden damit denen der Teleostier allmählich ganz ähnlich und jm Jura-System
erscheinen schon die verbindenden Mittelformen. Ebenso wie die Eckschupper
lassen auch die Rundschupper in dem Grade der Verknöcherung des inneren
Skeletts und in der zuerst heterocerken, später homoceri^en Schwanzbildung
Stufenfolgen erkennen, die allmählich zu den Teleostiem überleiten, so dass die
geologisch gleichzeitigen Eckschupper und Rundschupper oft ausgezckhoete
Parallelen der organischen Umgestaltung darbieten. Der Hauptwendepunkt bei
den einen, wie bei den anderen fällt beiläufig in das triasische Zeitalter.
In den älteren geologischen Formationen sind die Ganoidis eyeitfai durch
Fische. 423
hohigrätige Formen, Coelacanthier oder Coeloscolopes (scolops, Gräte) vertreten. Die
Gräten und die stärkeren Stacheln der Flossen zeigen sich bei den fossilen Funden
hohl, d. h. sie waren bei den lebenden Thieren nur äusserlich'verknöchert Das
Innere blieb mit der primitiven Knorpelmasse erfüllt und erscheint nachträglich
als Höhlung. Hierher gehören die Familien Holoptichidae und Coelacanthidae,
Die Holoptychiden gehören namentlich dem devonischen und carbonischen
Schichtensystem an. Die ältesten Arten zeigen sich schon in obersilurischen
Lagern als spärliche Funde. Es sind schwergepanzerte Formen mit grossen
dicken Schmelzschuppen und einem mittelmässigen Flossen-Apparat. Die Schuppen
zeigen, soweit sie nicht von den vorausgehenden bedeckt erscheinen, eine aus-
gezeichnete erhabene Sculptur. Das Gebiss zeigt einzelne grössere gestreifte
Kegelzähne (Fangzähne) und zwischen diesem noch zahlreich eingestreute viel
kleinere spitze Zähnchen. Bei einigen Gattungen zeigt die Zahnsubstanz der
grossen Zähne sehr zusammengesetzte Einfaltungen, sodass der Querschnitt des
Zahns eine strahlig-labyrinthische Zeichnung ergiebt In dieser labyrinthischen
Faltenbildung der grösseren Fangzähne präludiren die Holoptychier den von der
Steinkohlen-Formation bis zur Trias verbreiteten amphibischen Labyrinthodonten
oder gepanzerten Amphibien. Es ist eine bemerkenswerthe Analogie, die man
aber nicht als Affinität oder nähere Stammesverwandtschaft zu nehmen hat
Holoptychius nobilissmus Ag. ist in einem ausgezeichnet wohlerhaltenen
Exemplar aus dem old red sandstone von Clashbinnie bei Perth bekannt Es be-
findet sich im Britischen Museum und hat 80 Centim. Länge. Das vollständige Thier
mag I Meter lang oder darüber gewesen sein. Der Körper ist flach und läng-
lich. Er liegt auf dem Rücken und zeigt die Bauchfläche mit dem aus starken
kömerig verzierten Knochen bestehenden Ober- und Unterkiefer und der eben-
falls mit starken gekömelten Knochenplatten bepanzerten Kehle. Der Bauch ist
mit grossen in Längs- und Querreihen geordneten strahlig sculpirten Schmelz-
schuppen bedeckt. Die grössten Schuppen erreichen 5 Centim. Breite und
darüber. Die paarigen Bauchflossen sind gerundet und ziemlich klein. Der
nicht vollständig erhaltene, mit etwas kleineren Schmelzschuppen bepanzerte
Schwanz lässt einen Theil der grossen Rücken- und der grossen Afteiflosse er-
kennen.
Rhizodus Hihberti Ow. früher als ein Holoptychius beschrieben, aus der Stein-
kohlenformation {cocU meatsures) von Bourdiehouse bei Edinburg zeigt grosse,
schlanke gestreifte Fangzähne, die an der mit dem Kieferknochen verwachsenen
Basis labyrinthische Structur zeigen.
Am verwickeltsten ist der labyrinthische Bau bei den Dendrodus-TJihxien aus
devonischen Schichten. Owen bezeichnet sie als wahrscheinliche Holoptychiden.
Mit den Falten dringt die äusserste Zahnschicht tief ins Innere des Zahnes ein
und verzweigt sich dabei in zahlreiche verwickelte Seitenfalten.
Mehr oder minder in die Nähe der Holoptychiden stellt man noch die Reste
der Gattungen Aster oUpis und BothrioUpis^ die durch eine Bepanzerung des
Kopfes mit grossen dicken und stark sculpirten Knochen-Platten ausgezeichnet
sind Man kennt von ihnen noch keine vollständigen Thiere. Knochenplatten,
2ähne u. s. w. sind von beiden Gattungen häufig in den oberdevonischen Schichten
von Dorpat u. a. O. in Livland. Sie deuten zum Theil auf Thiere von 6 bis
10 Meter Länge.
Besser bekannt sind die Charaktere der Familie Coelacanihidae. Es sind
mehr oder minder schlank gebaute Fische mit zwei Rückenflossen und überhaupt
424 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Stark entwickelten senkrechten (unpaarigen) Flossen, mehr oder minder ähnlich
(analog) der Familie der Dipteriden (Eckschupper, Ganoides rhombiferi). Bei
manchen Formen, wie bei der besonders im Steinkohlengebiige vertretenen Gattung
Coelacanthus ragt das Hinterende der Körperachse (Wirbelsäule) in die Schwanz-
flosse vor, so dass diese dreilappig erscheint. Die Achse selbst war noch knorpelig.
Die palaeozoischen Coelacantiiiden sind heterocerke, die mesozoischen aber homo-
cerke Formen. Die Familie beginnt mit mehreren Gattungen schon in devo-
nischen Schichten, die letzte ist Macropama, so genannt nach der Grösse des
Kiemendeckels (pama Deckel) in der Kreideformation.
Macropama ManUUi Ag. ist ein bis 65 Centim. Länge erreichender Fisch
von beiläufig karpfenförmigem Körper, aber mit zwei Rückenflossen. Man kennt
aus der oberen Kreide von England (Kent und Sussex) ausgezeichnet vollständig
erhaltene Exemplare (sogar mit Schwimmblase, Darmkanal und Darminhalt) Man
kennt femer von derselben Art Koprolithen, das heisst fossile Excremente. Sie
sind 2,5 — 5 Centim. lang, haben im Allgemeinen die Gestalt eines Lärchen-
Zapfens und galten auch anfänglich flür fossil erhaltene Lärchen-Zapfen, bis Man-
TELL und Buckland ihre wahre Abkunft nachwiesen. Diese Koprolithen zeigtn
Eindrücke einer Spiralfalte des Darmkanals und bestehen aus einer spiral um
die Axe gewickelten Kothmasse. Macropoma Mantelü ist der letzte bekannt ge-
wordene Coelacanthide. Mit ihm erlischt die Familie.
Im Jura-System erscheinen eine Anzahl dünnschuppiger Cycliferen, welche einer-
seits der in Flüssen von Nord-Amerika noch lebend vertretenen Ganoiden-Gattnng
Atnia, andererseits den Häringen und anderen Teleostiem sich anschliessen. Diese
jurassischen Uebergangsformen betrachtete Agassiz noch als Ganoiden. Neuere
Ichthyologen erkennen in ihnen eine indifferente Mittelstufe zwischen cycliferen
Ganoiden (namentlich der Gattung Amia und ihrer mesozoischen Vorläufer) einer-
seits, den ebenfalls cycliferischen Teleostiem namentlich den Häringen oder Qu-
peiden andererseits.
Um so bedeutsamer wird die einzige heute noch lebende Gattung der Ga-
noides cycliferif die nur noch in Flüssen und Binnensee'n von Nord-Amerika an-
getroffen wird. Amia calva L., der Kahlhecht, lebt in Flüssen von Carolina. Es
ist ein kleinerer Fisch mit gerundeten homartigen Schuppen, die nur eine sehr
dünne Schmelzlage tragen, mit symmetrischer fächerfbrmiger Schwanzflosse und
vollständig verknöcherter (aus peripherisch geschlossenen Scheiben bestehender"^
Wirbelsäule. Die Kiefern tragen ähnlich wie bei vielen fossilen Ganoiden kleine
kegelförmige Zähne. Cuvier stellte Amia noch zu den Clupeiden, aber die Be-
schaffenheit der Klappen des Arterienstieles weist dieser Gattung noch ihre
Stellung bei den Ganoiden — im Uebergang zu den Teleostiem. Amia ist gleich
Lepidosteus und Polypterus in Europa weder lebend noch in jüngeren Tertiär-
schichten fossil vertreten. (Vielleicht kommt Amia noch in Eocänschichten von
Europa fossil vor, wenigstens zieht Heckel zwei von Agassiz aufgestellte genen
zu obiger Gattung). Aber nach Marsh erscheinen schon in den unteren Eodbb
schichten des Westens von Nord-Amerika Arten von Amia und Lipidatiems fossil
erhalten, die von den heute in Flüssen und Binnensee'n Nord-Amerika's lebenden
Abkömmlingen so wenig abweichen, dass nur die genauere Untersuchung Ver-
schiedenheiten herausstellt
Damit sind wir zum Schlüsse der naturgeschichtlichen Darstellung und da
geologischen Entwicklungsgeschichte der drei Ordnungen der Ganoiden, — der
Panzerganoiden, der Eckschupper und der Rundschupper angelangt Sie rcigt
Fische. 425
sicher manche bemerkenswerthe zur theoretischen Verallgemeinerung einladende
Eischeinungcn. Namentlich gehört dahin der oft hervortretende parallele Ver-
lauf der organischen Gestaltung in der geologischen Reihenfolge z. B. in der Os-
sificaiion des festen Achsenskeletts und dem VerhSltnlss zwischen Wirbelsäule
und Schwanzflosse. Nicht minder in die Augen fallend ist der plötzliche Anfang
des fossilen Auftretens der drei Ordnungen in der silurischen und der devonischen
Meeresfauna, der schon in der carbonischen und permischen Epoche beginnende
Uebergang ins süsse Wasser und die schliesslich fast allgemeine Flucht der letzten
Ganoiden in dasselbe Asyl, die besonders mit Beginn der Eocän>Epoche auf-
filllig wird.
Wir gehen nun von den Ganoiden über 2U den Teleostiern oder echten
Knochenfischen, Teieostei. Aus ihnen besteht das Hauptheer der Fische der
heutigen Lebewelt, sowohl im Meere als auch in den süssen Gewässern. Bronn
veranschlagte im Jahr 1858 die Zahl der lebenden Knochenfische auf 7740 Arten
(legenüber von 30 Arten von Ganoiden und 230 Arten von Selachiem mit Ein-
schluss der niedriger stehenden Knorpelfische).
OUa.m)
MekUa sardmitit Keck. Familie der Clupeiden. (Abhandl. der k. Ak. A. Wissenscb.
I. Jahrg. Taf. XXIV. Fig. B.) MiocSn. Radoboj, Croatien.
Ungeachtet einer grossen Anzahl von Arten, Gattungen und Familien er-
halten sich die Knochenfische in den wesentlichen Grundztigen ihres Körper-
baus, noch auf einer ziemlich einförmigen Stufe und schwanken innerhalb der-
selben verhältnissmässig — namentlich im Hinblick auf die Ganoiden und
Selachier — nur um geringfügige Beträge.
Alle Knochenfische zeigen ein vollständig ausgebildetes Achsensketett, das
auch in der Regel vollkommen verknöchert ist. Es besteht aus peripherisch ge-
schlossenen biconcaven Wirbeln. Allerdings kommen unter den Knochenfischen
auch eine Art von Knorpelfischen vor, bei denen die Verknöcherung der Wirbel
nicht eintritt, allein auch bei diesen sind die Wirbel in knorpeliger Gestalt schon
deutlich ausgebildet und die Abscheidung von Knochenkörperchen im Knorpel
schon theilweise eingetreten.
Die Hautbedeckung der Knochenfische ist zwar verschieden, in der Regel
finden sich aber dünne homartige Schuppen von rundlicher Form mit con-
centrischen Anwachslinien, wie die der jüngeren Ganoiäes cyeltftri mit der
Gattung Amia. Diese sind auch im Allgemeinen zur fossilen Erhaltung geeignet
und hnden daher auch in der Falaeontologie besondere Berücksichtigung, Agassiz
unterschied in Bezug auf die Gestalt der Schuppen erstlich Cyclotden oder Fische
mit ganzrandigen Schuppen, deren freier Hinterrand entweder vollkommen ge-
nutdet oder nur von wenig hervortretenden Strahlen unterbrochen erscheint —
und zveitens Ctenoiden oder Kammschupper. Bei leuteren z«gt der fireic
426 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Hinterrand der Schuppen entweder eine kammartige Zähnelung oder kleine
aufgesetzte Stacheln, welche wie beim Barsch, JPtrca, dem ganzen Schuppenkleid
eine rauhlige Beschaffenheit ertheilen. Es giebt aber auch Knochenfische, deren
Haut grössere, mit einer dünnen Schichte von Zahnsubstanz bedeckte Knochen-
tafeln trägt. So ist Ostradon (der sogen. Kofferfisch des indischen Oceans) mit
einem geschlossenen Panzer von regelmässig angeordneten sechseckigen knochen-
artigen Tafeln bedeckt. Dies erinnert an gepanzerte Ganoiden, aber die Stxuctur
der harten Hautabscheidungen ist eine verschiedene. Es liegt eine blosse Ana-
logie vor.
So wichtig auch die Einzelheiten der Form und des Baus der einer fossikn
Erhaltung fähigen harten Körpertheile der Knochenfische fllr die Classification
der lebenden und der nur fossil bekannten Arten und Gattungen werden, fiber-
bietet sie doch an durchgreifender Bedeutung für Classification und geologische
Entwicklungsgeschichte der gesammten Abtheilung der Knochenfische die be-
sondere Gestaltung der Schwimmblase und deren Verhältniss zum DarmkanaL
Bei den fossilen Fischen ist allerdings von diesen Weichtheilen gar nichts oder
im günstigsten Falle nur eine geringe Spur erhalten, aber die bei den lebenden
Fischen zu beobachtenden Verhältnisse gestatten immerhin noch genügend an-
nähernde Schlüsse auf die ehemalige Gestaltung derselben bei den nur fossil
bekannten Arten, Gattungen und Familien.
Die Schwimmblase ist ursprünglich eine blasenförmige Ausstülpung des
Schlundes oder des vorderen Theiles des Darmcanals tmd erscheint in weiterer
Linie als erste Anlage der Lunge der höheren luflathmenden Wirbelthiere. Alle
echten Fische von den Selachiem an, auch alle Ganoiden besitzen eine Schwimm-
blase, sei es nun in ausgebildeter Form oder wenigstens in einer zurückge-
bliebenen Anlage. (Bei manchen Fischen ist sie zufolge von Verabsäumung des
Gebrauches verkümmert, z. B. bei den Schollen, FUurotuctes) . Wo sie ba
Fischen entwickelt erscheint, dient sie nur als hydrostatisches Organ und unter-
stützt durch wechselnde Ausdehnung und Zusammenpressung die auf- und ab-
steigende Bewegung im Wasser.
Sieht man von den Fällen sporadischer (verhältnissmässig zufUliger, für
Classification jedenfalls unerheblicher) Verkümmerung der Schwimmblase ab, so
zerfallen nach der Beziehung derselben zum Darmcanal die echten Teleosder in
zwei Hauptabtheilungen, TeUostei physostomi und physoclisti.
Die Physostomen sind Knochenfische, deren Schwimmblase mit dem Schlünde
noch durch einen Luflgang (analog der Luftröhre der höheren M^rbelthiere) ver-
bunden erscheint. Dahin gehören die grosse Mehrzahl der heute lebende»
Flussfische, wie die Lachse, Karpfen, Welse, Aale u. s. w., femer einige Meeres^
bewohner, wie die Häringe, Clupeidae, Auch alle lebenden Ganoiden sind
Physostomen und dies wirft schon ein charakteristisches Licht auf diese Ah-
theilung der Knochenfische. In der That stellen die Physostomen die primi-
tivere und in geologischer Hinsicht ältere Form dar, aus der erst nachfolgend
die abweichenden Formen sich abgezweigt haben.
Die TeUostei physocUsH sind Knochenfische, deren Schwimmblase des ver-
bindenden Luftganges ermangelt Die Schwimmblase hat sich hier vom Dann-
canal abgesondert Sie ist ein selbständiges vom Schlünde unabhängiges Oigan
geworden. Dahin gehören die grosse Mehrzahl der heutigen das Meer be*
wohnenden Knochenfische. Femer einige wenige Flussbewohner wie der Bancb
(Perca) und der Stichling (Gasterosieus), Diese zweite Abtfaeilung der Knochen-
Fische. 427
fische hat sich erst später von der ersten durch Umgestaltung des hydrostatischen
Organs abgesondert und zwar allem Vermuthen nach im Meer, dem ihre meisten
heutigen Vertreter angehören, und wahrscheinlich im Zeitalter der Kreide-
formation.
Nach dieser Erörterung können wir die geologische Entwicklungsgeschichte
der Teleostier, die wir bei den cycliferen Ganoiden schon ins Auge fassten, um
einen neuen Gesichtspunkt bereichert, weiter verfolgen.
Die Knochenfische oder Teleostier sind wahrscheinlich um die Mitte der
mesozoischen Epoche aus rundschuppigen Ganoiden hervorgegangen und zwar
aus Verwandten der heutigen Ganoiden -Gattung Amia^ welche den Häringen
schon sehr nahe steht und von Cuvier noch unter die Clupeaceae gezählt wurde»
aber sicher noch den Ganoiden angehört. Die Leptolepiden der Jura-Formation
mit Leptokpis und einigen anderen Gattungen sind homocerke Cycliferen, mit
kleinen gerundeten dünnen Schuppen, die an der äusseren Seite nur noch eine
sehr dünne Schmelzlage tragen. Die Wirbelsäule ist vollständig ossificirt
Agassiz stellte Leptokpis noch zu den Ganoiden, neuere Ichthyologen erkennen
darin eine Mittelform, welche von den Ganoides cycliferi zu den Teleostei pJty-
loitami überleitet Die entscheidenden Kriterien — Arterien-Stiel und Schwimm-
blase — sind leider nicht in fossiler Erhaltung nachzuweisen — und werden
wohl auch nie bekannt werden. Leptokpis beginnt im Lias mit marinen Arten,
ist aber auch in der Süss- und Brackwasserbildung der Wealden-Stufe noch mit
ein paar Arten vertreten. Leptokpis sprattiformis Ac. eine im oberen Jura von
Solenhofen häufige Art wurde von Blainville unter dem Namen Clupea spratti-
formis noch zu den Häringen gezählt, was kein grosser Fehler war.
Von da an erscheinen in den jüngeren Formationen die Knochenfische in
immer mehr anwachsender Zahl der Arten, Gattungen und Familien, in den
mannen Ablagerungen der mittleren und oberen Kreide schon reichlich, aber in
den verschiedenen Stufen des Tertiärsystems, in welchen die Ganoiden erst bis
auf wenige Arten das Meer verlassen, dann auch in wenige Flussgebiete sich
zurückziehen, noch weit reichlicher vertreten.
Die Tekostei physoclisti sind eine jüngere Abtheilung der Knochenfische und
erscheinen erst während der Kreide-Epoche. Sie entstanden durch Verwachsung
des Luflganges der Schwimmblase, die dadurch vom Darmcanal (bezw. Schlund)
ganz abgeschieden wurde. Während der Ablagerung der Tertiärschichten ent-
wickelten sie die grösste Mannigfaltigkeit der Formen in der Meeresfauna und
stellen dermalen noch die grosse Mehrzahl der Seefische dar. Nur wenige von
ihnen sind in die Flüsse aufgestiegen.
Unter die Physoclisti gehören auch *die von den übrigen Teleostiern in der
Gestaltung der Kiemen abweichenden Lophobranchii (Büschelkiemer). Man kennt
von ihnen einige Arten fossil in Tertiärschichten, z. B. eine Seenadel, Syngnaihus
im unteren Eocän des Monte Bolca in Ober-Italien. Ferner die JPkctogncUhi
(Haftkiefer) bei denen Oberkiefer und Zwischenkiefer unbeweglich verbunden er-
scheinen und der Schädel eine besondere Festigkeit erlangt, auch die Hautbedeckung
i mannigfach schwankt und oft feste Platten entwickelt. Diese beginnen schon in
der Kreideformation, z. B. mit Dercetis elongatus Ao. einer in vollständigen
Exemplaren bekannten Art aus der weissen Kreide von Lewes in England. In
dieselbe Ordnung der Teleostier gehört auch der von einem festen unbeweg-
lichen Panzer von sechseckigen Knochenplatten umschlossene Ostracion (Koffer-
fisch) mit einigen in tropischen Meeren lebenden bis ins rothe Meer reichenden
4^8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Arten. O, micrurus Ag. erscheint fossil im eocänen Plattenkalk vom Monte
Bolca in Gesellschaft anderer Arten von tropischem > besonders indischeiD
Charakter.
Wir können auf weitere Einzelnheiten bei den Teleosdem nicht eingehen.
Bronn 1858 schätzte die Zahl der bis dahin in fossilem Zustand bekannt ge-
wordenen Arten der Teleostier auf 538, wovon beiläufig f aus Teitiänchicfateo
stammen.
Anhangsweise betrachten wir noch bei der Klasse der Fische die in Besag
auf ihre Stellung im System der Thierwelt verschieden gedeutete Klasse der
Dipneusten oder Doppelathmer, Dipneusta^ auch Molchfische und Luichfiscbe
genannt. Manche Zoologen betrachten sie nach ihrer fischformigen Körperge-
stalt als lungenathmende Fische (Fisces dipnoi), andere nach ihrer Doppelathmnng
als fischfbrmige Amphibien Amphibia ichthymorpha). Sie sind aber jeden&Us eine
eigene Klasse Dipneusta (E. Häckel), die zwischen die Selachier und die kiemen-
und lungenathmenden Molche (Ichthyodea) sich einschaltet. Gleichwohl wird
man in der Palaeontologie wohlthun, sie als Anhang bei den Fischen abzuhandeb,
da ihre fossilen Reste schwer von denen der Selachier zu scheiden sind.
Die Doppelathmer sind — in ähnlicher Weise wie die Ganoiden — in der
lebenden Fauna nur durch einige in geographischer Hinsicht weit aus einander
gesprengte SUsswasserbewohner vertreten, während sie in den älteren geologischen
Epochen weit verbreitete Meeresbewohner darstellten. Es gehören dahin &
erst 1835 u^^ 1^70 entdeckten Species Lepidcsiren paradoxa Natt. in Russen
und Sümpfen von Süd-Amerika, Protapterus anneciens Ow. in Flüssen von Afiika,
Ceraiodus Forstert in Sümpfen von Australien.
Diese drei lebenden Arten stellen die Typen zweier Ordnungen dar i. Ein-
lunger, Monopneumones, Die Lunge ist einfach bei Ceratoäus. 2. Zweilnnger,
Dipneumones, Die Lunge ist doppelt vorhanden bei Lepidcsiren und Frciopitrmi
gleich wie bei allen höheren Wirbelthieren.
Die Lungenbildung bei Ceratodus ist die primitivere Form, ein ein&cher
unpaarer Sack. So ist auch die früheste Anlage zur Bildung der Lunge bciin
Embiyo des Menschen — und aller höheren Wirbelthiere, eine einfache anpaart
Blase und sie theilt sich erst nachträglich in zwei paarige Theile, eine rechte
und eine linke Lunge. Die Nasenlöcher der Doppelathmer öffiien sich in die
Mundhöhle wie bei Amphibien und höheren Luftathmem. Zu den Lungen
kommen noch bleibende Kiemen und diese besorgen auch vorwiegend die Ath-
mung, wogegen die Lungen nur aushülfsweise in Verrichtung treten.
Die Körpergestalt ist fischförmig, bei Lepidcsiren und Pr^^cpierus aalihnbch.
bei Ceratodus mehr karpfenartig. Die paarigen Gliedmaassen sind denen der
Fische am meisten ähnlich, die von Ceratodus kommen am nächsten den Fkissen
gewisser Selacliier, die von Lepidcsiren und Frotcpterus stellen &deiifönnigc
Körperanhänge dar. Die Körperachse (Wirbelsäule) bleibt knorpdig, trägt aber
verknöcherte Fortsätze. Die Körperoberfläche ist beschuppt, wie bei cydoidiscben
Teleostiem. Die Schuppen sind ziemlich gross, cycloidisch, am fireien Hinser*
rand breit abgerundet und dachziegelförmig übereinandergelageit. Das Gebiss
besteht bei Lepidosiren aus zwei kleinen kegeligen Zähnen im Zwischenkiefer
und hinter diesen einem Paar grosser Schneidezähne im Oberkiefer nnd eincir
ebensolchen Paar im Unterkiefer, zusammen sechs.
Die beiden Molchfische von Süd-Amerika und Afrika führen eine wahrhaft
amphibische Lebensweise, sie leben während der nassen Tahreszdt in FlQsseii
Fische. 429
•
und Sümpfen und athmen dabei Wasser durch Kiemen. Mit Beginn des Sommers
vergraben sie sich in Schlamm, bereiten sich darin eine Art von Nest und ver-
bringen darin die trockene Jahreszeit, während welcher Lebensperiode sie wie
Amphibien durch Lungen athmen. Lepidosiren hat nur innere Kiemen, dicht
hinter dem Kopf öfifhet sich eine kleine senkrechte Kiemenspalte. Protcpterus
hat innere und äussere Kiemen; drei kleine federartige gefranzte äussere Kiemen
treten jederseits hinter dem Kopfe und vor den Brustfiossen hervor — eine
Kiemenbildung, wie nie eine bei wahren Fischen, wohl aber bei einigen Ichthyoden
(Amphibien) vorkommt. Protopterus erreicht f , Lepidosiren ca. i Meter Länge.
Wichtiger für Palaeontologie ist Ceraiodus Forsteri, ein in Sümpfen des süd-
lichen Australiens (Sidney) noch lebender, aber erst seit 1870 bekannt gewordner
einlungiger Doppelathmer, der eine Länge von fast zwei Meter erreicht.
Er zeigt eine längliche Fischgestalt mit einem Schuppenkleid von grossen
cydoidischen dachziegelartig angeordneten Schuppen, stark entwickelten sehr
eigenthümlich gebauten paarigen Flossen und einem Gebiss von wenigen breiten
Zahnplatten.
Sehr bedeutsam ist der Bau der paarigen Flossen. Es sind platte ovale
Ruderschaufeln von gefiederter Zusammensetzung. Diese stellen die eigentliche
Gnmdfonn der paarigen Flossen der Fische und der Gliedmaassen der höheren
Wirbelthiere dar, das Archipterychium, das in ähnlicher Gestalt sich auch bei ge-
wissen Selachiem nachweisen lässt. Die Brustflossen und Afterflossen von Gera-
todus bestehen nämlich erstens aus einem starken gegliederten Flossenstab oder
Mittelstamm, der die Flosse vom Grunde bis zur Spitze durchzieht Dazu
kommt beiderseits von dieser Flossen-Achse je eine Reihe von dünnen gegliederten
Flossenstrahlen oder Radien, die ähnlich wie die JPinnulae eines gefiederten Blattes
sich in einer Ebene dem Flossenstab anreihen. Bei gewissen Selachiem, nament-
lich in einem früheren Jugendzustand findet sich* diese primitive Fiederflosse
noch in mehr oder minder ähnlicher Form vor und man kann daraus entnehmen,
dass dieselbe bei den ältesten Selachiem der palaeozoischen Periode allgemein
verbreitet war, wie sie denn auch bei Xenacanthus im Rothliegenden fossil er-
halten scheint. Von dieser ersten Urform der paarigen Flossen und der Glied-
maassen geht die Flossenform der übrigen Fische aus. Schon bei der Mehrzahl
der heute lebenden Selachier erscheinen die Strahlen an der einen Seite (der
vorderen oder äusseren Seite) des Flossenstabes theilweise oder ganz verloren.
So entsteht die halbgefiederte oder einzeilige Fischflosse. Sie hat sich von den
Selachiem auf die übrigen Fische, in erster Linie auf die Ganoiden, in zweiter
auf die Teleostier vererbt Die ältesten Doppelathmer behaupteten das Archipte-
rychium der älteren Selachier. Aber weiterhin ging aus derselben Fiederflosse
durch Vermittelung der halbgefiederten Form und weitere Umbildung der fünf-
zehige Fuss der Amphibien hervor. Erst verloren sich die Strahlen an der
äusseren oder vorderen Seite des Flossenstabes ganz, dann auch ein grosser Theil
der Strahlen der anderen Seite. Aus dem terminalen Theile des Flossenstabes ent-
stand dann die erste oder grosse Zehe, aus den vier benachbarten Strahlen aber
die vier übrigen Zehen — die also Strahlen der inneren oder hinteren Seite des
Archipterychium entsprechen.
Für Palaeontologie von grosser Bedeutung ist auch die Bezahnung des in
Sümpfen Australiens noch lebenden Ceraiodus Forsteri, Der Unterkiefer trägt
zwei flächenhaft ausgebreitete, gegen aussen in sechs vorspringende Falten aus*
gezogene, einer Geweihschaufel ähnliche Zahnplatten, die dicht hinter der Sym-
430 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
physe stehen und an der gegen die Mediane des Kiefers gewendeten Innenseite
das schwammige Gewebe der Knochensubstanz oder der Zahnwurzel hervortreten
lassen. Ein zweites Paar steht im Oberkiefer. Diese Zähne des lebenden
Ceratodus zeigen eine überraschende Aehnlichkeit mit den schon viel früher be-
kannt gewordenen, namentlich in Trias-Schichten fossil auftretenden 1,25 — sCentiin.
grossen Zähnen derselben Gattung Ceratodus Ag.
Die drei noch lebenden Doppelathmer, drei genera^ jedes nur mit einer
einzigen noch lebenden Art, sind also allem Anschein nach die letzten in geo-
graphischer Hinsicht weit versprengten und in Bezug auf den Aufenthalt in dis
Süsswasser relegirten Nachkommen ehedem zahlreich vertretener Thierfoimen,
welche in früher Epoche zahlreiche Arten und Gattungen darstellten und vielleicht
andererseits die Stammväter der ältesten Atnphibia ichthyodea oder doch jedenfiUs
deren nächste Verwandte waren. Sie mögen gleich den noch lebenden Aiteo
alle ein knorpeliges Skelett besessen haben und konnten in fossiler Erhaltung
nur spärliche feste Theile — Zähne und höchstens Kieferbruchstücke — hinterlassen.
Ihre Reste finden sich fossil in Meeresablagerungen, in der Trias auch wohl
in brackischen Schichten.
Der Ursprung der Dipneusten mag in eine sehr frühe geologische ^wdie
zurückreichen und beruht auf der Umbildung eines Selachiers, der aum thcü-
weisen Landleben überging und unter Beibehaltung der Kiemen -Athmung ein
besonderes luftathmendes Organ ausbildete. Die noch in offener Verbindung mit
dem Schlund verbliebene Schwimmblase passte sich der Luft-Athmung an und
wurde im Verlauf derselben zur Lunge. Mit demselben Vorgang war eine Um-
bildung der Nase verbunden. Während bei den Selachiem und allen übrigen
echten Fischen die Nase nur ein paar blinde Gruben an der Vorderseite des
Kopfes bildet, trat jetzt eine offene Verbindung derselben mit der Mundhöhle
ein. Es bildete sich jederseits in der Nase ein offener Kanal. Damit entstand
die paarige Verbindung der Nasengrube mit der Mundhöhle. Sie konnte nun —
auch bei geschlossenem Munde — die zur Athmung nöthige atmosphärische Luft
der Lunge zuführen. So entstand der erste Doppelathmer. Seine Lunge war
noch ein einzelner unpaarer Sack, wie sie es noch jetzt beim lebenden Ctrat9diu
ist. Die Gliedmaassen dieses primitiven Dipneusten waren Archipterychien, wie
sie bei Ceratodus und auch noch bei gewissen lebenden Selachiem vorkommen.
Die ältesten fossilen Selachier-Reste kennt man aus obersilurischen Schichten.
Die ersten Reste von Amphibien kennt man fossil schon in einer Anzahl von
Gattungen in der Steinkohlen-Formation und im Rothliegenden. Die verbinden-
den Glieder, mehr oder minder nahe Verwandte der lebenden Dipneusten-Arten,
namentlich aber des Ceratodus, vielleicht mit Ausnahme der Zähne fester SkelcU-
Theile noch ermangelnd, mögen also schon in der silurischen oder spätestens
in der devonischen Epoche sich ausgebildet haben. Sie sind entweder nicht
fossil erhalten oder nur in zerstreuten Resten, namentlich vereinzelten Zähnen,
auf uns gekommen, die über die Ausbildung der Athmungsorgane des Thieres,
dem sie angehörten, keinen unmittelbaren Aufschluss gewähren können. Soviel
nach Haeckel — über den hypothetischen Vorgang der ersten Ausbildung eines
lungenathmenden Wirbelthieres aus einem kiemenathmenden Selachier. Die Zähne
der primitiven Dipneusten können noch mannigfach von denen des lebenden
Ceratodus Forsteri abgewichen sein. Marsh 1877 f^hrt aus dem devonischen
System von Nord-Amerika schon eine muthmaassliche Ceratodus-Ait an. Im
Kohlenkalk erscheinen häufig wulstige abgekaute Kronplatten ohne beMMuieien
FluoTverbindungen. 431
Basaltheil. Agassiz hat sie als besondere Gattung Rammodus beschrieben. Die
Kaufläche zeigt zahlreiche feine Punkte, die dem Hohlraum der Zahn-Röhrchen
oder Dentine-Kanälchen entsprechen. P, porosus Ag. ist häufig im Kohlenkalk
von Bristol in England. Man hat bisher die Psammodus-Zishnt auf Cestracionten
bezogen, sie kommen aber in der Structur den Ceratodus-Ui^ntTi der Trias schon
so nahe, dass es fraglich wird, ob sie nicht etwa einer besondern Dipneusten-
Gattung zuzuschreiben sind.
In der Trias sind Ceratodus-TJihnQ häufig. Sie treten zuerst im unteren
Keuper oder der Lettenkohlen-Gruppe in den Vordergrund. Es sind breite ge-
faltete Zahnplatten, deren Falten gegen die Aussenseite des Kiefers ausgezogen
erscheinen. Sie bestehen aus Zahnsubstanz (Dentine) ohne besondere Schmelz-
schicht. Die Zahnröhrchen (Zahnkanälchen, canalicuii denHum)^ treten in senk-
rechter Stellung zur Oberfläche und erscheinen auf der abgenutzten Kaufläche
in Form von Punkten. Vergrössert zeigen sie Durchschnitte sechsseitiger Pris-
men, deren Mitte ein sehr feiner cylindrischer Kanal einnimmt. Seltener sitzen
diese Mahlzähne noch auf einer Wurzel von schwammigem knochenartigem Ge-
webe. Wahrscheinlich standen auch bei den triasischen Ceratoden nur vier
grosse Zähne im Maule, zwei im Oberkiefer und zwei im Unterkiefer. Ihre
Grösse ändert von 1,25 bis gegen 5 Centim. Man hat sie anfänglich auf Selachier
— bald auf Cestracionten, bald auf Chimäriden — bezogen und erst die Ent-
deckung des in Sümpfen Australiens noch lebenden Ceratodus Forsteri hat ihnen
die richtige Stelle im System der lebenden und erloschenen Thierformen an-
gewiesen. Sie gehörten Lungenfischen an und mögen in der Triaszeit noch
theilweise das Meer bewohnt haben, theilweise auch in das Brackwasser und
Süsswasser gestiegen sein, auf welches letztere namentlich ihr Vorkommen in der
Lettenkohle neben Brack- und Süsswasserbewohnem deutet. Man kennt etwa
sechs Arten von Ceratodus-UäkiVL^xv in der Trias. Sie erscheinen auch noch in
der Zahn- und Knochen-Breccie an der Grenze von Keuper und Lias (Rhätische
Stufe zu AustclifT bei Bristol und Tübingen).
Die jüngste Art, Ceratodus Philippsi Ag. erscheint im mittleren Jura von
Stonesfield in England und kann, da sie mit Resten landbewohnender Säuge-
thiere und Landpflanzen zusammen vorkommt, auch von einem ins Meer einge-
schwemmten Süsswasserbewohner herrühren. Jedenfalls scheinen die Ceratoden
sich frühzeitig aus dem Meer ins süsse Wasser zurückgezogen zu haben. Vom
mittleren Jura an fehlt jede weitere Spur von ihnen auf europäischem Gebiet.
Zwischen die letzte jurassische Art und die heute in Australien noch lebende
Art fällt eine weite Lücke.
Fluorverbindungen
von
Professor Dr. Kenngott.
Das Fluor, welches mit den Elementen Chlor, Brom und Jod eine Reihe
verwandter Stoffe bildet
F Gl Br J
deren Verbindungsweise grosse Aehnlichkeit hat, ist nach seinen Eigenschaften
wenig bekannt, weil es in freiem Zustande nicht dargestellt werden konnte, da
es alle Gefässe, auch Platin angreift. Es findet sich nicht selten in verschiedenen
Mineralen untergeordnet und mehrere sind Verbindungen gewisser Metalle mit
432 Hineraloeie, Geologie und Palaeontologie.
Fluor. Das wichtigste und verbreiteste unter allen ist der Fluorit, dis Fluot-
calcium, und diesem reihen sich noch einige an, in welchen das Fluor einen
Hauptbestandtheil bildet i
I, Der Fluorit, schon lange von den Bergleuten gekannt und benüto, j
weil er bei gewissen Schmekprocessen das FÜessen, den Fluss {latdnisch /iwr; \
befördert, daher Fluorit genannt, auch schlichthin Fluss, oder Flussspath i
wegen seiner Spaltbarkeit, Spätigkeit, ist in jeder Beziehung ein ausgeieichiicib
Mineral, welches besonders in Drusenräumen, auf Klüften, Spalten, Gängen und
Lagern, doch weniger als Gesteinsart vorkommt i
Er krystallisirt tesseral und seine fast immer aufgewachsenen Kiystalle sini .
in den Formen sehr mannigfaltig und bisweilen von erheblicher Grösse, lö |
Über ^ Meter im Durchmesser, sehr oft schön und regelmässig ausgebildet aa& I
bilden daher, zumal wegen der Mannigfaltigkeit der Farben eine Zierde is ,
Sammlungen. Die Krystalle zeigen meist das Hexaeder i»0<» für sich, ancli I
das Oktaeder O, weniger das Rhombendodekaeder ooO oder diese in maaniE' i
fachen Combinationsverhältnissen mit einander verbunden. Dazu treten andcK
holoedrische tesserale Gestalten, so namentlich verschiedene TetrakisbexaederacOo,
welche Gestalten sogar HAroiNCER wegen ihres häufigen Vorkommens am Fluoiil
Fluoroide nannte, Tetrakontaoktaeder mOn, weniger ofl TriakisoktaedetisODHl
Deltoidikositetraeder mOm, von denen bisweilen Tetrakishexaeder («»03, oo03),
das Tetrakontaoktaeder 402 und das Triakisoktaeder 40 für »ch vorkoounai
Nach Klocke fanden sich bis jetzt ausser den drei Formen oo O ■», O und acO
acht Tetrakishexaeder, sieben Tetrakonteoktaeder, fünf Deltoidikositetraeder und
drei Triakisoktaeder und die Combinationen sind bisweilen sehr reich an Flädien.
Ausser einzelnen Krystallen, welche gewöhnlich zahlreich in den Dnura-
räumen oder auf Kluftflächen ohne bestimmte Anordnung neben einander und
unregelmässig miteinander verwachsen vorkommen, finden sich an einielnoi
Fundorten, wie in Cumberland und bei Weardalc in Durham in England Durdi-
(MIb.to.) dringungszwillinge des Hexaeders nach O (s. Fig.).') Bede
Hexaeder haben eine trigonale Zwischenachse geoidD-
schaftlich, welche in der Figur aufrecht gestellt ist, dt di(
sich durchkreuzenden Hexaeder rhomboedrisch gestdl'-
sind. Gewöhnlich sind die beiden sich durchkrcuieoden
Individuen von ungleicher Grösse und es ragen auf dffl
Hexaederflächen des einen die Ecken des anderen melii
oder weniger hervor. Hierbei erscheinen die Hexaedn-
flächen, welche von keiner Ecke durchbrochen werden,
glatt und glänzend, während die von Ecken dnrchbrodK-
nen eine vierfache Streifung parallel den HexaederkanWi
zeigen und die so vierfach gestreiften Hexaederflächen nicht eben sind, sondetn
an Stelle dieser Hexaederflächen eine sehr stumpfe vierseitige Pyramide sich er-
hebt, so ein Tetrakishexaeder ooOn mit grossem Werthe von n gebildet wird
Es finden sich auch z. B. auf dem Dreifaltigkeits-Erbstollen bei Zschopaa
in Sachsen eigenthümlich verbildete und nur parriell ausgebildete Tetrakisheiiedo
•>o03; an denen die an den beiden gegenüberliegenden Enden einer trigciula
Zwischenachse anliegenden Flächen der symmetrisch sechskantigen Ecken vor-
') In obiger Figur sind die FUlchen de» einen Hexaeders »cbtafErt, um die heiJm «
wacbienen Hexaeder besser unterscheiden tu können.
Fluorverbindungen. 433
herrschend bis zum Verschwinden der anderen Flächen ausgebildet sind und
die Krystalle ein skalenoedrisches Aussehen erlangen. Auch eigen thümlich
bauchig gekrümmte Hexaederflächen an Krystallen aus dem Teufelsgrunde im
Münsterthale in Baden erinnern an Rhomboeder, wie auch die oben erwähnten
Hexaederzwillinge bei verticaler Stellung der gemeinschaftlichen trigonalen
Zwischenachse an rhomboedrische Durchdringimgszwillinge mit gemeinschaftlicher
Hauptachse erinnern.
Die Kiystallflächen des Fluorit sind ausser glatt und eben ausgebildet oft
gestreift, so öfter die Hexaederfiächen vierfach federartig nach den Hexaeder-
kanten, oder achtfach nach den Combinationskanten mit einem Tetrakontaokta-
eder; oder getäfelt, so besonders die Hexaederflächen, oder rauh, so besonders
die Oktaederflächen oder auch die Hexaederflächen, und es finden sich z. Th.
auf jenen regelmässig gestellte dreiseitige, auf diesen regelmässige vierseitige
pjnramidale Vertiefungen, Erosionsfiguren. Auch finden sich Krystalle mit con-
vex gekrümmten Flächen und es erscheinen selbst solche bei Abrundung der
Ecken und Kanten als aufgewachsene kugelige Gestalten.
Bemerkenswerth sind polysynthetische Krystalle, welche durch kleine regel-
mässig angeordnete Krystalle aufgebaut sind, z. B. Oktaeder, welche durch kleine
hexaedrische Krystalle gebildet werden, wie bei Ehrenfriedersdorf in Sachsen.
Ausser krystallisirt findet sich der Fluorit derbe Massen z. Th. von grosser
Mächtigkeit bildend, welche gross-, grob- bis kleinkörnig abgesondert sind oder
auch, aber selten in stengligen Aggregaten. Sehr selten ist er dicht wie bei
Stollberg auf dem Unterharz oder selbst erdig. Er ist vollkommen parallel den
Flächen des Oktaeders spaltbar, weshalb der muschlige Bruch nicht häufig hervor-
tritt; der dichte hat splittrigen Bruch.
Der Fluorit ist wesentlich farblos, aber nicht häufig (z. B. in Cumberland
und Derbyshire in England, bei Gerfalco in Toscana, in Drusenräumen des
Buntsandsteines bei Waldshut in Baden), bis weiss, meist gefärbt, durch Mannig-
faltigkeit der Farben ausgezeichnet (daher von den alten Bergleuten Erzblume
genannt), so gelb, grün, blau, lila, roth und grau ; besonders weingelb bis honig-
gelb, grasgrün, lauchgrün bis fast smaragdgrün (am Säntis im Canton Appenzell),
lila bis dunkelviolett, himmelblau, sapphirblau, indigoblau bis schwärzlichblau
(Hall in Tyrol), rosenroth (im St Gotthardgebiet) bis fast rubinroth. Die Farben-
arten beginnen mit den blassesten Nuancen und gehen in dunklere über. Oft
werden an den einzelnen Krystallen zwei oder drei Farben bemerkbar, dabei
mit regelmässiger Vertheilung der Farbe nach den Krystalltheilen, wie z. B. das
Innere anders gefslrbt als die äusseren Theile, die Ecken oder Kanten des
Hexaeders anders als der übrige Krystall. Besonders interessant ist Verschiedenheit
der Färbung je nach der Stellung, wie an Krystallen aus Cumberland und aus
den Weardale-Gruben in Durham, was aber kein Dichroismns (s. optische Eigen-
schaften) ist. So sind z. B. Hexaeder beim durchfallenden Lichte grün, bei auf-
fallendem Lichte blau, was dadurch hervorgebracht wird, dass die grünen Krystalle
sehr dünne blaue Farbenschichten parallel den Hexaederflächen zeigen. Sieht
man daher senkrecht auf die Hexaederflächen durch den Krystall. so ist er grün
und die blauen Schichten als sehr feine treten nicht hervor; wenn man dagegen
schräg auf die Flächen sieht, so wird die blaue Farbe sichtbar.
Der Fluorit ist durchsichtig bis fast undurchsichtig, glasglänzend, bisweilen
von einem eigenthümlichen feuchten Aussehen, spröde, hat H. = 4,0 (das vierte
Glied der Härtescala bildend, s. pag. 164) und das spec. Gew. = j,i — 3,2. Durch
Kbqigott, Bftnu, Geol. 11. Päd. L 28
434 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Erwärmen phosphorescirt er mit grünen, gelben und anderen Farben, bisweilen
in ausgezeichneter Weise (daher Chlorophan genannt, von dem griechiscben
-i chlor OSK gelbgrün und T^phainomai^ scheinen, auf den farbigen Lichtschein Ik-
züglich) und verliert, wenn er gefärbt ist, bei stärkerem Erhitzen, was bis zum Glähen
vorsichtig gesteigert werden kann, seine Farbe. Dieses Verschwinden der Faibc,
verbunden mit einem minimen Gewichtsverlust beruht darauf, dass fast alle
gefärbten Fluorite ihre Farbe einer äusserst geringen Menge gewisser Kohlen-
wasserstofTverbindungen verdanken, welche durch das Erhitzen ausgetrieben wird,
wie WvRUBOFF durch qualitative und quantitative Bestimmungen nachwies, b
seltenen Fällen scheint auch ein gewisser Geruch damit zusammenzuhängen, welcher
bemerkt wird, wenn Fluorit zerschlagen oder zerrieben wird. Als ein solcher
erlangte der gangförmig in Granit vorkommende Fluorit von Wölsendorf, südiich
von Naabburg in Bayern eine gewisse Berühmtheit, indem er einen starken eigen*
thümlichen unangenehmen Geruch entwickelt (daher Stinkfluss genannt) welcher
an den Geruch unterchloriger Säure erinnert. Schafhäütl vermuthete daher
neben dem Fhiorcalcium einen geringen Gehalt von Chlorcalcium , während
Schönbein, der Entdecker des Ozon und Antozon den Geruch durch die
Anwesenheit einer geringen Menge von Antozon erklärte und diesen Fluorit
als Varietät mit dem Namen Antozonit belegte. Wvruboff dagegen führte
auch hier den Geruch auf eine KohlenwasserstofTverbindung zurück, welche sich
durch Aether extrahiren lässt. Auch im Staate Illinois und in Grönland kommt
solcher durch Friction Geruch entwickelnde Fluorit vor, während man bei anderen
beim Glühen im Glaskolben nur sehr schwachen brenzlichen Geruch bemerkt.
Bei den sehr sehönen farblosen und gleichzeitig rosenrothen und blauge&rbten
Krystallen vom Galenstock am Rhonegletscher und benachbarten Fundstätten in
der Schweiz, dessen Krystalle Combinationen des Oktaeder und Hexaeder mit
dem Rhombendodekaeder sind, ist sogar Asphalt als Einschluss und als dünner
Ueberzug bemerklich. Vollkommen farbloser, wie z. B. der aus Cumberland
zeigt beim Glühen keinen Gewichtsverlust, ist also vollkommen rein, phospho-
rescirt aber doch, sodass die Phosphorescenz und der Gehalt an färbenden
Kohlenwasserstoffverbindungen nicht in Zusammenhang steht
Der Formel CaF, entsprechend enthält der Fluorit 51,3^ Calcium und
48,7 Fluor und an farblosem aus Derb3rshire konnte sogar Louyet das At0IDg^
wicht des Fluor bestimmen. Sogen, stellvertretende Bestandtheile, wie sie so
häufig bei viel verbreiteten Mineralen gefunden werden, zeigt der Fluorit nicht
Ausser den die Farben hervorrufenden Kohlenwasserstoffverbindungen » welche
jedoch quantitativ sehr gering sind, zeigen die Fluoritkiystalle sehr häufig fremd-
artige Einschlüsse, Krfstalle verschiedener Minerale, welche bei der Durchsichtig-
keit des Fluorit ihrer Art nach leicht bestimmbar sind und auf die Genesis der
Minerale einflussreich sind, bisweilen sogar Wassertropfen. Die Gestaltung der
Fluoritkiystalle wird durch solche Einschlüsse nicht beeinflusst, ein Beweb der
grossen Krystallisationstendenz des Minerales, die sich wie bei dem Calcit» welcher
viel Sand in den Krystallen ohne Störung der Form enthalten kann (s« pag. 05
die Angabe über den sogen, krystallisirten Sandstein) zeigt, wenn Krystalle, wie
die Hexaeder von Buxton in Derbyshire thonige Substanz bis^zu 5of enthaUen
Auch der sogen. Ratofkit aus der Gegend von Moskau ist blauer mit Meigel
imprägnirter Fluorit. So scheint auch der sogen. Fluobaryt aus Derbyshire.
welcher als eigene Species unterschieden wurde, nur Fluorit zu sein, welcher etwa
«»n Häme Baryt innig beigemengt enthält
Fluorverbindungen. 435
Vor dem Löthrohre erhitzt zerknistert er oft stark, phosphorescirt und
schmilzt in dünnen Splittern, die Flamme gelblichroth färbend zu einer unklaren
Masse, welche in stärkerem Feuer unschmelzbar wird und sich wie Kalkerde
verhält Mit Gyps gemengt schmilzt er zu einer klaren Perle, welche bei der
Abkühlung unklar wird. Schmilzt man das Pulver des Fluorit mit vorher ge-
schmolzenem Phosphorsalz im Glasrohre, so wird Fluorwasserstoffsäure entwickelt,
welche das Glas ätzt. Von concentrirter Schwefelsäure wird er unter Ent-
wickelung von Fluorwasserstoffsäure HF (auch Flusssäure genannt) vollständig
zersetzt, worauf die Darstellung der Flusssäure im Grossen beruht, welche zum
Aetzen des Glases benützt wird. Von Chlorwassersstoffsäure und von Salpeter-
säure wird er schwierig gelöst.
Der Fluorit ist ein häufiges Mineral, findet sich aber selten in grosser Menge
nicht als wesentlicher Gemengtheil in Gesteinsarten, und nur untergeordnet als
Gesteinsart, wenn man so besonders mächtige Ablagerungen desselben auffassen
will, wie z. B. bei Stollberg am Unterharz, wo er eine stockartige Erweiterung*
von 14 — 16 Lachter Mächtigkeit erlangt und wo jährlich an 50000 Centner ge-
wonnen werden, die als Zuschlag auf den Mansfelder Kupferhütten verwendet
werden; häufig findet er sich auf Lagern in krystallinischen Schiefergebirgen, am
häufigsten auf Gängen in älteren Formationen, besonders mit Baryt und verschiedenen
metallischen Mineralen. Unter den zahlreichen Fundorten sind durch schöne
Kystalle ausgezeichnet: Schlackenwald, Zinnwald und Joachimsthal in Böhmen,
Marienberg, Annaberg, Gersdorf, Ehrenfriedersdorf und Freiberg in Sachsen,
Andreasberg, Stollberg und Lauterberg am Harz, der Teufelsgnmd im Münster-
thal, Grube Friedrich Christian im Schapbachthal, Grube Herrenseegen im
Schwarzwalde und Grube Hausbaden bei Baden weiler in Baden, Waldshut in
Baden, Striegau in Schlesien, der Galenstock am Rhonegletscher, der Bächi-
gletscher am Räterichsboden, das Jöchli im Ober-Haslethal im Canton Bern,
der Lauchernstock bei Wolfenschiess in Unterwaiden, die Oltschenalp zwischen
Brienz tmd Meiringen, der Zinkenstock am Unteraargletscher, das St. Gotthard-
gebiet, das Maggiathal in Tessin, der Säntis in Appenzell in der Schweiz, Moldawa
im Temesvarer Banat, Baveno in Ober-Italien, Hall in Tyrol, Kongsberg in Nor-
wegen, St. Agnes in Comwall, Matlock in Derbyshire, Beeralstone in Devonshire,
Cumberland, die Weardale-Gruben in Durham in England, Chamouny im Depart.
der Saone und Loire in Frankreich und Nertchinsk in Sibirien.
Man benützt ihn wesentlich als Zuschlag bei metallurgischen Processen, in
der Probirkunst, zur Darstellung der Flusssäure und anderer Fluorverbindungen,
zum Aetzen des Glases, zur Bereitung von Glasuren und Emails u. a. m. Schön
gefärbte Varietäten werden als unechte Edelsteine verwendet, kömige und be-
sonders bunt gef^bte stenglige in England zu allerlei Ornamenten und Utensi-
lien und lieferten vielleicht schon den Alten das Material für die sog. murrhinischen
Gefässe.
3. Der Sellait, benannt zu Ehren des italienischen Mineralogen und Staats-
mannes QuiNTiNO Sella, ist trotz der Seltenheit seines Vorkommens eine in jeder
Beziehung ausgezeichnete Fluorverbindung des Magnesium, Mg F^. Zunächst war
es bei der Häufigkeit des Vorkommens der Magnesia in Verbindungen analog
denen der Kalkerde, wie schon bei den Carbonaten (s. diesen Artikel) dies her-
vortrat, auf&Uend, dass Fluormagnesium nicht wie Fluorcalcium für sich als
Mineral bekannt war, während in mehreren Mineralen Fluormagnesium als unter-
geordneter Bestandtheil vorkam. In neuerer Zeit fand sich nun in der That
43^ Mineralogie^ Geologie und Palaeontologie.
am Gletscher von Gerbulaz unweit Moutiers in Savoyen diese erwartete Spedes.
Diese, der Sellait zeigte jedoch in seiner Krystallisation eine bemerkenswcrthc
Eigenthümlichkeit, indem er nicht tesseral, wie Fluorit, sondern quadratisch
krystallisirt. Die Krystalle in den Gestalten an Kassitcrit oder Rutil erinnend
haben als Grundgestalt eine stumpfe normale quadratische Pyramide P mit
den Endkantenwinkeln = 122° 13' und den Seitenkantenwinkeln = 86^ 13'
und zeigen in der Combination das normale und diagonale quadratische
Prisma mit P und der diagonalen quadratischen Pyramide P 00, deren Endkanten-
winke! = 134*^3' und die Seitenkantenwinkel = 67° sind. P bildet mit dem
Prisma 00 P die Combinationskanten = 133° 6^' und Po© bildet mit 00 P 00 die
Combinationskanten = 123° 30'. Untergeordnet sind noch einige andere Ge-
stalten. Auch finden sich Contactzwillinge nach Poo und die Krystalle sind
vollkommen spaltbar parallel 00 P und cx>Poo. Sie sind farblos, durchsichtig und
glasglänzend, haben die H. = 5 und das spec. Gew. = 2,972. Er ist v. d. 1-
• mit Aufblähen leicht schmelzbar zu weissem Email, und dann unschmelzbar
werdend und stark leuchtend; mit Kobaltsolution befeuchtet und geglüht wird die
Masse rosa, das Kennzeichen der Magnesia, welche beim Schmelzen und Glühen
entsteht. In Phosphorsalz ist er leicht auflöslich.
3) Der Kryolith von Evigtok (Ivigtut) am Arksut (Arsuk-)fjord in Süd-
Grönland, woselbst er ansehnliche Lager verschiedener Mächtigkeit in einem
Kassiterit führenden Gneisse bildet, oft andere Minerale, wie Pyrit, Chalkop>'nt,
Galenit, Siderit, Quarz, Niobit, Kassitent u. a. einschliessend, ist in seinem
massenhaften Vorkommen wesentlich krystallinisch grosskömig, und an den Ab*
Sonderungsstücken zeigten sich drei deutliche bis vollkommene Spaitungsflächcn.
welche als rechtwinklige gegeneinander geneigt bestimmt wurden und bei der
Verschiedenheit der Vollkommenheit das Mineral als orthorhombisch auflassen
Hessen. Die drei Spaltungsflächen entsprechen somit den Basis-, Quer- und
Längsflächen. Messungen konnten an den Spaltungsstücken nicht so genau
gemacht werden, um kleine Unterschiede fest zu stellen, wie sie sich in neuester
Zeit durch Messungen an sehr kleinen Krystallen ergaben. Es zeigen sich
nämlich, aber doch sehr selten auf der Oberfläche von Klüften in den Kryolith-
massen kleine aufliegende und mit dem Kryolith fortlaufend verwachsene
Kryställchen, anscheinend vorherrschend quadratisch tafelartig gebildet» erinnernd
an die auf getäfelten Hexaederflächen des Fluorit hervortretenden tafelartigen
Gebilde. Diese kleinen Kryställchen haben finden lassen, dass sie dem anorthischen
Systeme angehören und die 3 Achsenwinkel anstatt 90*^ zu sein, Differenzen ton
3, 16 und 18 Minuten zeigen. Auch zwillingsartige Verwachsung liess sich be-
merken, besonders bei mehr dickschaliger als kömiger Absonderung.
Der Kryolith ist gewöhnlich weiss, bisweilen gelblich- und röthlich-graulich'
weiss, hellgrau bis dunkelgrau und nach der Tiefe der Lager an Dunkelheit so
zunehmend, dass er fast schwarz wird, welche Farbe nach G. Rose von or-
ganischer Substanz herrührt. Beim Erhitzen verschwindet diese Farbe. Er bJ
schwach glasartig glänzend, auf der vollkommensten Spaltungsfiäche in Perl-
mutterglanz geneigt, mehr oder weniger durchscheinend. Er hat die H. =2.5— 3.0
und das spec. Gew. = 2,95— «»97- Nach der Formel 6NaF.Al,F, zusammen-
gesetzt enthält er 59,86^^ Fluornatrium und 40,14 Fluoraluminium oder 32,78 Na-
trium, 13,07 Aluminium und 54,15 Fluor.
Er schmilzt v. d. L. sehr leicht zu weissem Email, die Flamme röthlich^U»
farUcnd, auf Kohle eine Kruste von Thonerde hinterlassend, welche mit
Fluorverbindungen. 437
Kobaltsoludon befeuchtet und geglüht blau wird. Auf die leichte Schmelz-
!)arkeit bezüglich, da er sogar schon in der einfachen Kerzenflamme zu schmelzen
beginnt, wurde der Name Kryolith gegeben, von dem griechischen i^kryos^ Kälte,
Eis und ^Uihosfi Stein. Im [Glasrohr erhitzt zeigt er die Reacdon auf Fluor.
Von concentrirter Schwefelsäure wird er unter Entwicklung von Fluorwasserstoff-
säure vollständig zersetzt, in Chlorwasserstoffsäure wird er nur theilweise gelöst,
mit Aetzkalk und Wasser gekocht wird das feine Pulver vollständig zersetzt,
indem sich Fluorcalcium und Natronhydrat bildet, in welchem letzteren die Thon-
erde aufgelöst bleibt. In Wasser wird er stärker durchscheinend.
Der in grosser Menge vorkommende Kryolith wird besonders zur Darstellung
von Natronlauge für die Seifensiederei, von Aetznatron, kohlensaurem Natron
und schwefelsaurer Thonerde benützt, auch zeigte H. Rose, dass aus ihm das
Metall Aluminium am leichtesten in grosser Menge dargestellt werden kann. Er
findet sich ausser in Grönland auch mit Chiolith bei Miask am Ural, hier jedoch
in unbedeutender Menge.
4. Der Chiolith, dem Kryolith nahe verwandt und wegen seines Vor-
kommens in derben feinkörnigen schneeweissen Massen Chiolith genannt (von
dem griechischen Worte Ttchiont^^ Schnee und ^üthos^ Stein) auch Chionit,
zeigt in den derben Massen bisweilen kleine quadratische Krystalle, welche eine
stumpfe quadratisclie Pyramide P, deren Seitenkanten = 1 1 1 ^ 44' sind, combinirt
mit einer sehr stumpfen okto^onalen Pyramide darstellen, welche die Endecken
achtflächig zuspitzt. Die vollkommenen Spaltungsflächen sind parallel den Flächen
von P. Er ist schneeweiss, glasglänzend, mehr oder weniger durchscheinend, hat
H. = 4,0 und das spec. Gew. as 2,84 — 2,90. Er enthält nach der Formel
6NaF*2Al)F9 zusammengesetzt 23,4^ Natrium, 18,6 Aluminium und 58,0 Fluor
oder 42,7 Fluomatrium und 57,3 Fluoraluminium; ist gleichfalls v. d. L. sehr
leicht schmelzbar, noch leichter als der Kryolith und zeigt dieselben Reactionen.
Mit diesem bei Miask am Ural vorkommenden Minerale flndet sich auch der
ihm ganz ähnliche, nur wenig schwerere Chodnewit (auch N i p h o 1 i t h genannt),
welcher nach der Formel 4NaF*Al)Fg zusammengesetzt ist. Sein spec. Gew.
ist =3,0 — 3,006. Auch hat sich ein kömiges, Arksutit genanntes Mineral mit
dem grönländischen Kryolith gefunden, welches etwas Chlorcalcium enthält. An
diesen reihen sich noch der mit Kryolith vorkommende Pachnolith und Thom-
senolith, welche wasserhaltige Verbindungen von Fluomatrium, Fluorcalcium und
Fluoraluminium sind.
Ausser obigen Fluoi Verbindungen ist der sehr seltene Flu ellit zu erwähnen,
welcher zu Stenna-Gwyn in Comwall in England auf Quarz aufgewachsene kleine
durchscheinende, weisse, spitze orthorhombische Pyramiden bildet, welche Fluor-
aluminium sein sollen; femer der zu Broddbo und Finbo bei Fahlun in Schweden
vorkommende hexagonale Fluocerit, welcher prismatische Krystalle ooP*oP
oderooP2*oP bildet, auch plattenformig abgesonderte derbe Massen. Derselbe
ist blass ziegelroth bis gelb, wenig glänzend, undurchsichtig, bis an den Kanten
durchscheinend, hat gelblichweissen Strich, H. = 4,0 — 5,0 und das spec. Gew.
==4i7- Er ist v. d. L. unschmelzbar und soll der Formel CeF^-Ce^Fg ent-
sprechen. Demselben nahe verwandt ist der Hydrocerit von Finbo bei Fahlun
in Schweden, auch Fluocerin genannt, welcher krystallinisch derb mit mehr-
facher Spaltbarkeit, gelb, röthlichgelb, bräunlichgelb und gelblichroth ist, und
wasserhaltiges Ceroxyd mit Fluorcerium enthält.
Schliesslich ist noch der dem Fluorit nahe stehende Yttrocerit von Finbo
43S Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
und Broddbo in Schweden zu nennen, welcher in Quarz eingewachsene deibe
Farthien von dunkelviolblauer, rother, grauer und weisser Farbe mit dem spec
Gew. = 3;36— 3,45 bildet. Er ist auch v. d. L. unschmelzbar und enüiält ausser
vorherrschendem Fluorcalcium Fluorverbindungen von Cerium, Yttrium, T Anthan,
Didymium und Erbium mit wenig Wasser und bedarf, wie die vorangehend ge-
nannten Cerverbindungen noch weiterer Bestimmung.
Formeln, chemische, der Minerale
von
Prof. Dr. Keimgott
Wie schon im Artikel »Arten der Mineralec pag. 61 bemerkt wurde, wird
die chemische Constitution einer jeden Mineralspecies, wenn sie als solche sicher
festgestellt ist, durch eine chemische Formel ausgedrückt. Man fand nämlich,
dass es nicht ausreichend ist, allein anzugeben, welche Stoffe eine Mineralait ent-
hält und in welchen procentischen Verhältnissen. Die Analysen der Minerale
ergeben für jedes einzelne Vorkommen, welche Stoffe dasselbe enthält und wie-
viel Gewichtseinheiten jedes einzelnen Stoffes in 100 Gewichtseinheiten des ana-
lysirten Minerales enthalten sind. Dadurch aber allein konnte nicht festgestellt
werden, welche Vorkommnisse zu einer Mineralart gehören, weil bei der Ana-
lyse nicht allein die dem einzelnen Minerale wirklich zugehörigen Stoffe gefunden
werden, sondern auch Stoffe, welche einerseits dem Minerale gar nicht angehören,
nur beigemengt sind, andererseits aber in dem Sinne wechselnde, dass sie dem
Minerale zwar angehörig, nicht Beimengungen bilden, doch nicht zu den wesent-
lichen Bestandtheilen desselben gehören.
Wenn z. B. in der Chemie festgestellt ist, dass die Kohlensäure mit der
Kalkerde eine chemische Verbindung bildet, in welcher 100 Gewichtseinheitco
derselben 56 Gewichtseinheiten Kalkerde und 44 Gewichtseinheiten Kohlensäuie
enthalten sind, diese Verbindung durch die chemische Formel CaO^CO^ ausge-
drückt wird, die Mineralart Calcit als eine solche Verbindung dieser beiden
Stoffe in den angegebenen Verhältnissen aufgefasst und ihre chemische Constitii-
tion durch die Formel CaO* CG, ausgedrückt wird, so zeigen die vielen Ana-
lysen der einzelnen Vorkommnisse des Calcit, dass auch nicht eine einzige genau
in 100 Theilen 56 f Kalkerde und 44^ Kohlensäure finden Hess. Es wurden näm-
lich ausser Kalkerde und Kohlensäure noch andere Stoffe gefunden, welche un-
bedingt als Beimengung anzunehmen sind, z. B. Eisenoxyd, Wasser, Kieselsäure,
Thonerde u. a. m. oder andere, z. B. Magnesia, Eisenoxydul, Manganoxydul u. a. m.,
welche auch mit Kohlensäure verbunden in den betreffenden Vorkommnissen des
Calcit vorhanden sind. Es zeigt sich dann, dass nicht die gesammte Kohlensäure
zu der gefundenen Kalkerde in dem Verhältnisse 44 zu 56 Gewichtseinheiten
(Procenten) steht, sondern die Kohlensäure relativ mehr beträgt und dass das
Mehr an Kohlensäure an solche Stoffe gebunden ist, wie an Magnesia, Eisenozy-
dul, Manganoxydul u. a.
Würde man also nur die Resultate der Analysen mit einander vergleichen
wollen, die Mengen der bezüglichen Stoffe in der einen mit denen in den anderen,
so würde es schwierig sein, dadurch die Zusammengehörigkeit der analysiiten
Vorkommnisse einer Art zu erkennen. Man musste daher, wie bei den chemischen
Formeln, chemische, der Minerale. 439
Verbindungen überhaupt, nach einem anderen Ausdruck suchen, welcher die
wesentliche chemische Constitution einer Art ausdrückt, und dieser Ausdruck ist
die chemische Formel.
Durch die Chemie ist festgestellt, dass gewisse Stofife nicht in andere zer-
legt werden können, und solche Körper oder Stoffe sind elementare oder die
Elemente. Femer wurde festgestellt, dass die grosse Mehrzahl von Körpern oder
Stoffen aus Elementen zusammengesetzt sind, welche in bestimmten Mengenver-
hältnissen mit einander verbunden sind, chemische Verbindungen bilden, deren Ver-
bindungsweise durch die chemische Formel ausgedrückt wurde, und endlich, dass ge-
wisse Körper bei der Zerlegung verschiedene Elemente wahrnehmen lassen, welche
aber keine bestimmten Verhältnisse mit einander zeigen; diese bilden dann Ge-
menge.
Im Mineralreiche finden sich nun elementare Körper, chemische Verbindungen
und Gemenge; diese letzteren werden aber nicht als Mineralarten aufgeführt,
sondern als Mineralarten oder als einzelne Minerale nur diejenigen Vorkommnisse,
welche entweder Elemente oder chemische Verbindungen sind, jene sind der Zahl
nach nur sparsam, diese kommen in grosser Anzahl vor.
Für die chemisch einfachen Minerale, wie Schwefel, Kupier, Gold, Mercur,
Antimon, Arsen, Graphit, Diamant u. a. wird das chemische Symbol der bezüg-
lichen Elemente S, Cu, Au, Hg, Sb, As, C u. a. als Ausdruck der chemischen
Constitution angegeben.
Für die chemisch zusammengesetzten Minerale, welche ebenso wie die chemisch
einfachen einzelne Minerale und Mineralarten bilden, wird die chemische Ver-
bindung, wie in der Chemie überhaupt die chemischen Verbindungen, durch eine
chemische Formel ausgedrückt und es ist bei den einzelnen Mineralen, welche zu
einer Art vereinigt werden, festzustellen, welche chemische Verbindung diese
Art darstellt, welche Stoffe als Beimengungen ausser Acht zu lassen sind, und
welche Stoffe als unwesentliche Bestandtheile neben den wesentlichen durch die
chemische Formel ausgedrückten Bestandtheilen aufzufassen sind.
Was nun zunächst die chemischen Formeln selbst betrifft, welche die chemische
Constitution der Mineralarten auszudrücken bestimmt sind, so wurde schon bei
der Species Calcit (pag. 93 und 96) bemerkt, dass die Formel dieser Mineralart
CaO-CO, oder CaCOj sei, woraus ersichtlich war, dass dieselbe chemische
Constitution auf verschiedene Weise durch chemische Formeln ausgedrückt werden
könne, so z. B. der Calcit auch durch die Formeln CO^Ca oder OmC— q— Ca.
Aus diesen vier verschiedenen Formeln ergiebt sich aber keine Verschieden-
heit der wesentlichen chemischen Constitution, sondern sie zeigen alle vier an,
dass im Calcit auf je ein Atom Calcium ein Atom Kohlenstoff und drei Atome
Sauerstoff enthalten sind und dass, wenn man aus diesen Atomen die procentische
Zusammensetzung berechnen will, diese aus jeder der vier Formeln übereinstimmend
hervorgehen muss.
Die Atomgewichtszahlen 40 für i Ca
12 für I C
48 für 3 O ergeben für das chemische Molecul
CO,Ca die Gewichtszahl 100, und daher für 100 Gewichtstheile des Calcit 40^
Calcium, 12 Kohlenstoff und 48 Sauerstoff oder wenn man nach der Formel CaO-
CO, die Verbindung als bestehend aus Kalkerde und Kohlensäure auffasst 56}
Kalkerde und 44^ Kohlensäure.
440 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Dieses Beispiel zeigt, dass für dieselbe chemische Verbindung verschiedene
chemische Formeln gegeben werden können, ohne dass dadurch die proccn-
tische Zusammensetzung beeinflusst wird. Die Verschiedenheit oder die ver-
schiedene Schreibweise chemischer Formeln rührt einfach daher, dass im Laufe der
Zeit auf Grund verechiedener theoretischer Ansichten sich die Schreibweise der For-
meln ändert und es entsteht noth wendig die Frage, welche chemischen Formeln die
richtigen sind und ob es bei solcher Verschiedenheit der Formeln überhaupt in
der Mineralogie nothwendig sei, die chemische Constitution durch eine Fonnel
auszudrücken, anstatt nur die procentische Zusammensetzung anzugeben.
Die letztere Frage ist unbedingt zu bejahen, weü es allein nur möglich ist, aus
'der chemischen Formel zu erkennen, welche Stoffe ein Mineral oder die in emcr
Species vereinigten einzelnen Vorkommnisse derselben enthalten und in welchem
Verhältnisse, denn die chemische Formel ist das Resultat der Berechnung und
Vergleichung der Analysen der verschiedenen Vorkommnisse einer Art und zeigt,
wie man nach einer theoretischen Ansicht die Verbindungsweise aufiasst. So
konnte der Calcit bei der Formel CaO-COj als eine Verbindung der Kohlen-
säure mit der Kalkerde aufgefasst werden, insofern man durch Glühen aus dem
Calcit die Kohlensäure entfernen kann und die Kalkerde als Rest übrig bleibt
oder bei der Formel C03Ca als eine Verbindung COjHj, welche aus der nor-
malen Kohlensäure C(0H)4 durch Ausscheidung eines Moleculs Wasser entsteht
I II
und in welcher 2 Atome H durch ein Atom Ca ersetzt sind, oder es wird in
der Formel
OHCZlQllCa
die theoretische Ansicht über die Lagening der Atome mit Berücksichtigung
ihrer Valenzen ausgedrückt.
Die Frage, welche chemischen Formeln die richtigen sind, ist zunächst in
dem Sinne für die Mineralogie gleichgildg, als die verschiedenen chemischen
Formeln einer Art auf keine Verschiedenheit der Stoffe und ihrer Mengenverhält-
nisse führen, dagegen nicht gleichgiltig, wenn man berücksichtigt, dass die Fort-
schritte der Chemie auch da ihren Einfluss haben müssen, wo man die Chemie
als Hilfswissenschaft benutzt. Da jedoch in Folge der Fortschritte in der Chemie
verschiedene Theorieen entstehen und mehr oder weniger zur allgemeinen Geltung
gelangen, so erscheint es in der Mineralogie nicht geboten oder nicht zweck-
mässig, den wechselnden theoretischen Ansichten in gleichem Sinne Rechnuni:
zu tragen. Der Hauptzweck ist in der Mineralogie, die chemische Constitution
durch eine Formel auszudrücken und wenn für dieselbe Species Seitens der Chemiker
verschiedene Formeln aufgestellt worden sind, von denen jede als richtig ange-
sehen worden ist oder angesehen wird oder angesehen werden kann, so hat die
Verschiedenheit der Schreibweise keinen störenden Einfluss, insofern durch jede
Schreibweise das dem Mineralogen wichtige Resultat erreicht wird, die Ucberein-
stimmung der zu einer Mineralart gehörenden Vorkommnisse aus der Fonnel lu
beurtheilen.
In Betreff der chemisch zusammengesetzten Minerale, deren Analysen ivl
chemischen Formeln führen, durch welche die Zusammengehörigkeit verschiedener
Vorkommnisse einer Mineralart constatirt wird, ist zunächst zu bemerken, dass
gewisse Stoffe in bestimmten Mengenverhältnissen vorhanden sind, und wenn wir
von den einfachsten Verbindungen ausgehen, welche nur aus zwei Elementen be-
stehen, so ist ftlr diese die aufgestellte Formel in bisher üblicher Weise in ihrer
Formeln, chemische, der Minerale. 441
Schreibweise sehr einfach. Man stellt die Symbole der beiden mit einander ver-
bundenen Elemente nebeneinander und hat nach dem elektrochemischen Verhalten
der Elemente untereinander die Stellung der Symbole bezüglich der Reihenfolge
so angenommen, dass das elektropositive zuerst geschrieben wird. So sind z. B.
NaCl MgO ZnS NiAs
die chemischen Formeln des Steinsalzes, des Periklas, des Sphalerit und des
Nickelin und die Formel drückt durch die beiden einfach nebeneinander ge-
stellten Symbole der Elemente aus, dass im Steinsalz auf je i Atom Natrium
1 Atom Chlor, im Periklas auf je i Atom Magnesium i Atom Sauerstoff, im
Sphalerit auf je i Atom Zink i Atom Schwefel und im Nickelin auf je i Atom
Nickel I Atom Arsen enthalten ist.
Ausser solchen einfachen Verhältnissen der Verbindungen zweier elementaren
Stoffe kommen solche vor, wo auf je i Atom des einen Elementes 2 Atome eines
anderen Elementes, oder auf je 2 Atome eines Elementes 3 Atome eines anderen
Elementes oder auf i Atom eines Elementes 3 Atome eines anderen Ele-
mentes u. s. w. enthalten sind. In solchen Fällen setzt man rechts unten an
das Symbol desjenigen Elementes, von welchem Vielfache vorhanden sind, eine
Zahl, welche das mehrfach vorhandene Atom andeutet. So sind z. B.
Cu^O SiOj FeS, Fe^Oj Sb,Sj M0O3 CujAs
die chemischen Formeln des Cuprit, des Quarzes, des Pyrit, des Hämatit, des An-
timonit, des Molybdänocher und des Domeykit und man ersieht sogleich aus der
Formel, dass der Cuprit auf je 2 Atome Kupfer i Atom Sauerstoff, der Quarz
auf je I Atom Silicium 2 Atome Sauerstoff, der Pyrit auf je i Atom Eisen
2 Atome Schwefel, der Hämatit auf je 2 Atome Eisen 3 Atome Sauerstoff, der
Antimonit auf je 2 Atome Antimon 3 Atome Schwefel enthält u. s. f.
Man hat auch diese Vielfache der Atome in den Verbindungen in der Weise
ausgedrückt, dass man die die mehrfachen Atome ausdrückende Zahl rechts
oben schreibt, demnach an Stelle obiger Formeln die Formeln
Cu^O SiO« FeS« Fe^O» Sb^S^ MoO» Cu^As
geschrieben findet, was eben nur eine andere Schreibweise ist.
Ausserdem hatte man auch bei der Häufigkeit der Sauerstoff- und der Schwefel-
verbindungen für zweckmässig erachtet, einen kürzeren Ausdruck dadurch zu
geben, dass man an Stelle des Symbols O fiir den Sauerstoff einen Punkt ge-
braucht, bei. 2 Atomen O zwei Punkte, bei 3 Atomen O drei Punkte u. s. f. und
diese Punkte über das Symbol des mit Sauerstoff verbundenen Elementes setzte.
So wurde anstatt MgO SiOj M0O3
. * • ...
Mg Si Mo
geschrieben und wenn 2 Atome des anderen mit Sauerstoff verbundenen Elementes
vorhanden sind, so wird das Symbol desselben mit einem horizontalen Strich
durchstrichen geschrieben und über dieses jetzt 2 Atome ausdrückende Symbol
werden dann die den Sauerstoff andeutenden Punkte geschrieben. So entstanden
beispielsweise für
CuaO FegOj A\^0^
die Formehi G» j^e Äi
Bei den Schwefelverbindungen bediente man sich anstatt der Sauerstoffpunkte
kleiner verticaler Striche, welche in gleicher Weise über das Symbol des mit
Schwefel verbundenen Elementes gesetzt wurden. So entstanden fiir
ZnS FeSj CujS SbjS^
die Formeln '" J i Hl
Zn Fe e» J^
442 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Auf andere elektronegative Elemente dehnte man diese abkürzende Schreib-
weise nicht aus und ist gegenwärtig geneigt, diese Schreibweise weniger zu ge-
brauchen, weil sie doch nur bei gewissen Verbindungen, bei den Sauerstoff- und
Schwefelverbindungen gebraucht werden kann und bei ihrer Anwendung die all-
gemeine Schreibweise als solche nicht durchgeführt werden kann.
Solche Verbindungen je zweier verschiedenen Elemente, welche z. Th. wie
die angeführten Beispiele zeigten, als Mineralarten vorkommen imd als solche
ihren Speciesnamen haben, wie sie oben angeführt wurden, erhielten auch als
chemische Verbindungen entweder eigene Namen, wie man z. B. die Verbindung
MgO Magnesia oder Bittererde, die Verbindung CaO Kalkerde, die Verbindung
AljOj Thonerde, die Verbindung SiOj Kieselsäure u. s.w. benannte. Auch er-
hielteh sie Namen, wie Einfach-Schwefelzink tür ZnS, Zweifach-Schwefeleisen ftir
FeSj, Halbschwefelkupfer für Cu^S, Anderthalb-Schwefelantimon SbjS,, Zwei-
fach Arsenkobalt für Co As 2 u. s. w. um so die verbundenen Stoffe und ihre re-
lativen Mengen auszudrücken, oder man nannte Sauerstoflverbindungen im All-
gemeinen Oxyde, mit weiteren Unterabtheilungen wie Eisenoxydul ftir Fe O, Man-
ganoxydul für MnO, Eisenoxyd für Fe^Oj, Manganhyperoxyd für MnO, und
dergleichen weitere Benennungen, welche sehr oft gebraucht werden, wie über-
haupt die Nomenclatur in der Chemie eine sehr mannigfaltige ist.
Die Verbindungen, welche durch Atome zweier verschiedenen Elemente ge-
bildet werden, konnten, wie auseinandergesetzt wurde, wohl auf verschiedene
Weise durch Formeln ausgedrückt werden, doch kamen bei diesen Formeln
weniger die theoretischen Ansichten zur Geltung, weshalb man im Allgemeinen
eine gewisse Uebereinstimmung bemerken kann. Sie gelten als die einfachsten
und wurden deshalb auch als Verbindungen erster Ordnung benannt
Wenn dagegen in chemischen Verbindungen zwei solche Stoffe, wie z. B.
MgO und SiOji oder wie CaO und CO3 oder wie Ag^S und Sb^S^ miteinander
verbunden vorkommen, so pflegte man solche complicirten Verbindungen in der
Weise durch eine Formel auszudrücken, dass man die zwei Formeln der mitein-
ander verbundenen Molecule so nebeneinander stellte, wie die Atomzeichen der
Elemente und sie durch einen Punkt trennte. So entstanden z. B. die Formeln
MgOSiOa CaOCOa AggSSb^Sj AljOj-SiO,
für den Enstatit, Calcit, Miargyrit und Disthen, wenn auf ein Molecul der einen
Verbindung ein Molecul einer zweiten Verbindung in der neuen Verbindung ent-
halten ist. Auch stellte man im Anklänge an die durch das elektrochemiscfae
Verhalten gegebene Reihenfolge der Elemente die so verbundenen Molecule in
der Reihenfolge, dass der basische Antheil der Verbindung in der Formel voran-
steht. Wenn dagegen in solchen Doppelverbindungen auf i Molecul der einen
Verbindung 2 oder mehr Molecule der anderen, oder auf 2 Molecule der einen
3 Molecule der anderen, oder überhaupt Vielfache der Molecule in Verbindung
treten, so setzte man vor den Ausdruck des Moleculs eine Zahl, welche die Viel-
fachen ausdrückt.
So entstanden z. B. die Formeln
2MgO«SiO, für den Olivin, welcher auf 2 Molecule Magnesia i Molecul
Kieselsäure enthält, im Gegensatz zum Enstatit MgO*Si02y welcher auf i Mo-
lecul Magnesia i Molecul Kieselsäure enthält;
CaO'2TiOa für den Titanomorphit, welcher auf i Molecul Kalkerde 2 Mo-
lecule Titansäure enthält, im Gegensatz zu dem Perowskit CaO'TiOj, welcher auf
i Molecul Kalkerde nur i Molecul Titansäure enthält;
Formeln, chemische, der Minerale. 443
dAgjS'SbjSj für den Pyrargyrit, welcher auf 3 Molecule Halbschwefclsilber
I Molecul Anderthalb-Schwefelantimon enthält, im Gegensatz zu dem Miargyrit
AgjS'SbjSj, welcher auf i Molecul Halbschwefelsilber i Molecul Anderthalb-
Schwefelantimon enthält;
3Cu,S-2Bi2S3 für den Klaprothit, welcher auf 3 Molecule Halb-Schwefel-
kupfer 2 Molecule Anderthalb- Seh wefelwismuth enthält, im Gegensatz zu dem
Emplektit Cu2S'Bi2S3, welcher auf i Molecul Halbschwefelkupfer nur i Molecul
Anderthalb-Schwefelwismuth enthält;
4PbS-3Sb,S8 für den Plagionit, welcher auf 4 Molecule Einfach-Schwefel-
blei 3 Molecule Anderthalb-Schwefelantimon enthält im Gegensatz zu dem Zin-
kenit PbS'SbjSj, welcher auf i Molecul Einfach-Schwefelblei i Molecul Andert-
halb-Schwefelantimon enthält.
Bei der Anwendung der oben angeführten Punkte für die Sauerstoffatome
und die Striche für die Schwefelatome Hess man den die beiden Molecular-
zeichen trennenden Punkt weg und schrieb anstatt
MgOSiOa CaOCO, FeGFegOg Ag,S.Sb,S,
die Formeln MgSi CaC Fe Fe Ag»
und bei mehrfachen Moleculen setzte man die das Mehrfache ausdrückende Zahl
rechts oben an das Molecularzeichen. So schrieb man anstatt
2MgO-SiOa SAgcS-Sb-S, 4PbS.3Sb,S3
I III i III
die Formeln Mg^ Si ^3 ^ Pb« «^s
Aus allen diesen Formeln ersieht man leicht die relativen Mengen der in
den Verbindungen enthaltenen Atome oder Molecule.
Dass in neuerer Zeit für die beispielsweise angeführten Formeln in Folge
geänderter Ansichten über die Verbindungsweise andere Formeln in Gebrauch
kamen, während die oben erörterte Schreibweise noch vielfach Anwendung findet,
ist die einfache Folge der Fortschritte in der Chemie, doch ist hier nicht der
Ort, auf die so hervorgehende Mannigfaltigkeit der Schreibweise näher einzu-
gehen, zumal in dem gleichzeitig erscheinenden Handwörterbuch der Chemie (in
der II. Abtheilung der Encyklopädie) diese Verhältnisse ausführlich besprochen
werden.
Die zuletzt erörterten Verbindungen von zweierlei Moleculen (die früher als
Verbindungen der zweiten Ordnung benannt wurden) wurden^ wie die einfacheren
vom Standpunkte der Chemie aus verschieden benannt. Darauf beziehen sich
die Namen Salze und Hydrate. Der erstere Ausdruck wird überhaupt in sehr
verschiedener Bedeutung gebraucht, indem auch bei der Gruppirung von Mine-
ralen eine ansehnliche Zahl von Mineralarten als Salze zusammengefasst werden,
welche wie das schlichthin Salz genannte Steinsalz, das Ciilomatrium, im Wasser
auf löslich sind und einen bestimmten Geschmack zeigen. Vom Steinsalze aus-
gehend wurden auch in chemischer Beziehung die Verbindungen der Halogene
genannten Elemente Fluor, Chlor, Brom und Jod mit gewissen Metallen Salze
genannt, welche aber nicht sämmtlich in die mineralogische Gruppe der Salze
gehören. Ausserdem wurden, insbesondere Sauerstoffsalze Verbindungen der-
jenigen Stoffe genannt, welche als Sauerstoffverbindungen bezüglich ihres beson-
deren chemischen Verhaltens als Basen und Säuren unterschieden wurden, wie
z. B. die Carbonate RO'COj, in welchen die unter RO zusammengefassten Ver-
bindungen die Basen, die Kohlensäure diejenige Säure ist, welche mit diesen
Basen Salze bildet. Nur in der Schreibweise ist bei diesen Verbindungen der
444 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Kohlen-, Schwefel-, Salpeter-, Phosphor-, Arsen-, Antimon-, Wolfram-, Chrom- u. a.
Säuren mit Basen der allgemeinen Formeln RjO, RO und R^O, ein Unterschied
durch die neuen Begriffsbestimmungen der Säuren und ihrer Anhydride eingetreten.
Es wurde auch der Name Salze von den Sauerstoflverbindungen auf analoge
Schwefelverbindungen übertragen, welche in diesem Sinne als Sulfosalzc den
SauerstofTsalzen zur Seite gestellt werden konnten, wie z. B. Verbindungen, wie
AgjS'SbgSj, dAgjS-As^Sj, Cu2S-Bi2S3 u. a., in denen der eine Theü der
Verbindung den Basen der Sauerstoffsalze analog ist (die Basen Ag^S und ü];>S
in obigen Formeln) der andere mit den Säuren verglichen wurde, daher die Sulfo-
salze aus Sulfobasen und Sulfosäuren bestehen.
Hydrate wurden im Gegensatz zu den Salzen die in der Formel analogen
Verbindungen von zweierlei Moleculen genannt, in welchen das Wasser H,ü
mit einem anderen Molecul verbunden ist, welches entweder in Salzen als Basis
oder als Säure vorkommt. So ist z. B. der Diaspor H^O-Al^O, ein Thonerd^
hydrat, Schwefelsäure HjO-SOj ein Schwefelsäurehydrat. So giebt es auch
Hydrate der Halogenverbindungen, wie z. B. der als Mineralspecies eingeführte
Hydrohalit, welcher Chlomatrium und Wasser enthält und der Bischofit,
welcher aus Chlormagnesium und Wasser besteht.
Sehr häufig finden sich auch im Mineralreiche complicirtere Verbindungen,
bei denen schon früher in Betreff der Formeln verschiedene Ansichten sich
geltend machten und jetzt in Folge neuer Theorien noch grössere Verschieden-
heiten in der Formulirung hervortreten. Wenn es gestattet ist, die Ausdrücke
Verbindungen erster und zweiter Ordnung für die beiderlei oben besprochenen
Verbindungen zu gebrauchen, so bilden solche mit einander Verbindungen höherer
Ordnungen. Die Erörterung derselben ist Sache der Chemie und es sollen nur
einige allgemeine Verhältnisse hervorgehoben werden, welche zum Verständnis^
der bei Mineralen dieser Art angeführten Formeln dienen sollen.
Bei den Verbindtmgen der zweiten Ordnung als Verbindungen zweier ver-
schiedenen Molecule wurde nicht der seltene Fall erwähnt, dass ein Mineral, w^e
der Matlockit aus zwei Moleculen besteht, welche nicht in dem Verhältniss wie
Säure zu Basis stehen. Der Matlockit z. B. besteht aus einem Molecul Blei-
oxyd PbO und aus einem Molecul Chlorblei PbClj und man drückte die Ver-
bindung einfach dadurch aus, dass man die beiden Molecule durch das Additions-
zeichen in Verbindung setzte und so für den Matlockit die Formel PbO-i-PbCl,
oder PbCl, -^ PbO schreibt
Eine gewisse Aehnlichkeit damit haben solche Species, welche wie der
Phosgenit aus einem Sauerstoffsalz und einem Halogensalz bestehen. Es ist der-
selbe in ähnlicher Weise formulirt worden, dass man die beiden Bestandtheile.
das Bleicarbonat und das Chlorblei mit dem Additionszeichen in Verbindung
setzte, seine Formel PbO -CO, -^ PbCl, oder PbCl^-H PbO-CO, schrieb. Eine
bestimmte Reihenfolge in der gegenseitigen Stellung ist hierbei nicht eingeführt
worden.
Derartige Verbindungen, welche sich zunächst den Verbindungen der zwei-
ten Ordnung anreihen, kommen bisweilen vor, wie noch als Beispiele anzu-
führen sind:
Der Apatit, SCSCaO-PaO-J-^ CaFj, welcher auf drei Molecule des Kalkertlc
Phosphates SGaO-P^Oj ein Molecul Fluorcalcium enthält
Der Pyromorphit, 3(3PbO.P,05)-f- PbClj.
Der Mimetesit, 3(3PbO.As,05)-f. PbCl,.
Fonneln, chemische, der Minerale. 445
Der Durangit, Al^Oj-AsjOg -f- 2(NaF) und
der Amblygonit, AljOj.PjOg-i- 2(LiF).
Bei ihrer eigenthümlichen Constitution liegt es auf der Hand, dass man sie
in der angegebenen Weise formuliren muss, insofern sie aus zwei ganz ver-
schiedenen Verbindungen bestehen. Auch in anderer Richtung giebt es noch
hin und wieder vereinzelte Fälle, deren bei den Silicaten Erwähnung geschehen
wird.
Ausserdem ünden sich, wenn auch wieder nur vereinzelt, Minerale, welche
zwei ganz verschieden constituirte Säuren enthalten, wie der bei den Erzen ange-
führte Dysanalyt, welcher aus einem Titanat und Niobat besteht und einige
andere, in deren Formeln die beiderlei Verbindungen zweiter Ordnung ebenfalls
mit dem Additionszeichen verbunden neben einander gestellt werden.
Weitaus häufiger aber kommen Verbindungen vor, bei welchen eine gewisse
Säure neben verschieden constituirten Basen auftritt. In dieser Weise zeigt
besonders die Kieselsäure mannigfaltige Verbindungen, welche bei den Silicaten
besprochen werden, ausserdem bieten auch andere Säuren wie die Schwefelsäure,
Phosphorsäure, Arsensäure u. a. solche Verbindungen höherer Ordnung, welche
noch complicirter werden, wenn ein gewisser Wassergehalt vorhanden ist. Alle
diese Verbindungen werden als aus verschiedenen einfacheren zusammengesetzte
betrachtet und die die ganze Verbindung zusammensetzenden gewöhnlich durch
das Additionszeichen verbunden. Da aber keine allgemeine Regel für ihre
Schreibweise gegeben werden kann und auf Grund neuer Theorien die Schreib-
weise mannigfach geworden ist, so würde es hier unthunlich sein, auf dieselben
näher einzugehen, zumal in den Artikeln Silicate, Phosphate, Sulfate, Malachite,
Glimmer, Opaline, Zeolithe und Salze Gelegenheit sein wird, ihre Formeln zu
erörtern, welche durch die bezüglichen Minerale verständlicher werden.
Schliesslich ist noch hervorzuheben, dass in den Formeln stets nur die
wesentlichen Bestandtheile einer Art aufgenommen werden, wogegen in Folge
der Erscheinung des Isomorphismus (s. d. Artikel) gewisse bei der Analyse ge-
fundene Bestandtheile als Stellvertreter der wesentlichen Bestandtheile vorhanden
sind. So wurde z. B. bei der Species Calcit (pag. 96) angeführt, dass die Formel
desselben CaO*C02 ist, dass aber nebenbei noch geringe Mengen von Magnesia
MgO, Eisenoxydul FeO, Manganoxydul MnO, Zinkoxyd ZnO, Bleioxyd PbO
oder Baryterde BaO in diesen oder jenen Vorkommnissen des Calcit ver-
einzelt vorkommen, welche in Verbindung mit Kohlensäure als Carbonate
FeOCOj, MgOCO,, MnOCOj, ZnO.CO.i, PbOCO,, BaOCO, ge-
lingt Mengen des Carbonates CaO*C02 ersetzen, immerhin aber in ihrer pro-
centischen Menge nur als untergeordnet aufzufassen sind. Derartige Bestand-
theile werden nicht in die Formel der Art aufgenommen, sondern als unwesentliche
aufgefasst
Wenn dagegen die Species Dolomit (s. pag. 102 und 103) vom Calcit ge*
trennt wird und dieselbe als wesentliche Bestandtheile kohlensaure Kalkerde und
kohlensaure Magnesia enthält, so kann man dies in der Formel dadurch aus-
drücken, dass dieselbe Ca, MgO-CO^ geschrieben wird. Man ersieht aus ihr,
dass Calcium und Magnesium als wesentliche Bestandtheile zusammengefasst
werden, um mit soviel Sauerstoff verbunden, wie es das neutrale Carbonat er-
fordert, also mit der Hälfte des Sauerstoffes der Kohlensäure eine Verbindung
zu geben, in welcher der an Calcium und an Magnesium gebundene Sauerstoff
sich zu dem Sauerstoff der Kohlensäure verhält, wie 1 : 2.
44^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Derartige Mineralarten kommen oft vor, von den Elementen an bis zu den
complicirtesten Verbindungen. So enthält z. B. die Species Gold, deren Formel
Au ist, sehr häufig Silber als stellvertretenden unwesentlichen Antheil. Wenn
dagegen der Silbergehalt bedeutend genug ist, um ihn als wesentlich zu be-
trachten, so ist dann die Species Elektrum durch die Formel Au, Ag auszu-
drücken. So steht die Species Allemontit Sb, As neben der Species Antimon Sb
und Arsen As und es handelt sich in allen solchen Fällen nur darum, die Arten
von einander bei einer gewissen Grenze abzuscheiden. So steht z. B. der Aant
NiSb, As zwischem dem Nickelin NiAs und dem Breithauptit NiSb, weil in ihm
Antimon und Arsen einander vertretend als wesentliche Bestandtheile vorkommen,
dabei aber in dem Verhältnisse dass >» Atome Sb und »Atome As mit m-^n
Atomen Nickel verbunden sind. So ist der pag. 392 angeführte Wolframit durch
die Formel Fe, MnO-WO, auszudrücken, worin Eisen und Mangan als wesent-
liche Bestandtheile mit Sauerstoff verbunden Eisen- und Manganoxydul bilden,
und wobei der Sauerstoff des Eisenoxydul und des Manganoxydul zusammen den
dritten Theil des Sauerstoffes der Wolframsäure ausmacht.
Man kann die Formeln auch anders schreiben, es muss aber immer aus
ihnen das erforderliche Mengenverhältniss hervorgehen. So könnte man z. B.
den Wolframit auch (FeMn)O.WO, formuliren oder m(FeO- WO3) -H n(MnO-
WOj) nur handelt es sich immer darum, die Grenzen zu fixiren, wie weit sich
die Werthe m und n erstrecken, um den Wolframit abzugrenzen.
Bei allen derartigen Species, in welchen stellvertretende Bestandtheile als
wesentliche in wechselnden Mengen enthalten sind, ist die Abgrenzung g^n
andere Species in gewissem Sinne schwierig, insofern durch die abwechselnde
Zu- und Abnahme des einen oder des anderen der wesentlichen einander er-
setzenden Bestandtheile Uebergänge erzeugt werden, trotz welcher doch die
Species eine Grenze haben müssen. Man kann in dieser Beziehung nur theore-
tisch die Grenzen bestimmen und diese sind deshalb nöthig, weil sonst durch
die Analysen eine grössere Anzahl von Species hervorgehen würden, wenn man
nach den speciellen Formeln, welche aus den Vorkommnissen verbreiteter
Species hervorgehen, besondere Arten unterscheiden wollte. Wie man dabei
verfahren könne, ersieht man aus den beispielsweise zu betrachtenden Specic>
Calcit, Dolomit und Magnesit.
Wenn der Calcit CaO-COj wesentlich ein Kalkerde-Carbonat ist, inwdichem
stellvertretend geringe Mengen anderer Carbonate der allgemeinen Fonrri
RO»CO, vorkommen und hier besonders die kohlensaure Magnesia in den
verschiedensten procentischen Verhältnissen neben der wesentlichen kohlensauren
Kalkerde in Betracht kommt, so erzeugt die Zunahme der kohlensauren Magnesii
allmählich einen Uebergang in den Dolomit. Der Dolomit selbst enthält nach
der Formel Ca, MgO-COg Kalkerde und Magnesia als wesentliche Bestandtlicile
und wenn auch verschiedene Vorkommnisse desselben, welche man als Normal-
Dolomit betrachtet, die beiden Carbonate im Gleichgewicht enthalten, weshalb
man für sie die Formel GaO-CGj-hMgOCG, aufsteUen konnte, so ist bei
dem Vorkommen anderer Dolomite der Gehalt an kohlensaurer Kalkeide grösser
und so geht er einerseits in den Calcit über, welcher zunehmenden Magnesia-
gehalt enthält.
Bei solchem Verhältnisse der beiden einander vertretenden Basen kann man
nun theoretisch als Grenze zwischen Calcit und Dolomit das Verhlltni»<
3(CaO.CO,)-+.MgO.CO, festsetzen.
Formeln, chemische, der Minerale. 447
Der Calcit enthält nach der Formel CaO-CO^ wesentlich 56^ Kalkerde
und 44* Kohlensäure, der Normal -Dolomit CaO-CO,-l- MgO-CO, enthält
S4f3Si kohlensaure Kalkerde und 45,65^ kohlensaure Magnesia, oder 30,43^
Kalkerde, 21,74^ Magnesia und 47,83 f Kohlensäure. Bezeichnet man Magnesia
enthaltende Calcite als dolomitische und Dolomite, welche mehr als 54,35^
kohlensaure Kalkerde enthalten als calcitische Dolomite, so würden diese beiden
bei dem Verhältnisse 3(CaO'COj)4- MgO-COg einander begrenzen. Dieses
Verhältniss erfordert 78,12 S kohlensaure Kalkerde und 21,88 t kohlensaure
Magnesia oder 43,75^ Kalkerde, 10,42 Magnesia und 45,83 Kohlensäure.
Andererseits zeigt als Species der Magnesit, welcher der Formel MgO^CO^
entsprechend 47,62 Magnesia und 52,38 Kohlensäure enthält, kohlensaure Kalk-
erde als stellvertretend für gewisse Mengen der kohlensauren Magnesia und
wenn in gleicher Weise, wie gegen den Calcit der Dolomit bei grösserem Ge-
halte an kohlensaurer Magnesia als die Formel CaO • CO3 + MgO • CO^ des Normal-
Dolomites erfordert, als magnesitischer Dolomit an den dolomitischen Magnesit
grenzt, so kann als Grenze beider die Formel CaO-COj -H 3(MgO«C02) auf-
gestellt werden. Diese erfordert 28,41} kohlensaure Kalkerde und 71,59 kohlen-
saure Magnesia oder 15,91 1 Kalkerde, 34,09 Magnesia und 50^ Kohlensäure.
Somit würde der Dolomit diejenigen Vorkommnisse umfassen, welche wesent-
lich kohlensaure Kalkerde und kohlensaure Magnesia enthalten und bei denen
der Gehalt an kohlensaurer Kalkerde zwischen 78,12 und 28,41 schwankt, der
Gehalt an kohlensaurer Magnesia zwischen 21,88 und 71,59^. Oder es schwankt
bei ihnen der Gehalt an Kalkerde zwischen 43,75 ^"^ i5>9if> der Gehalt an
Magnesia zwischen 10,42 und 34,09 und der Gehalt an Kohlensäure zwischen
45,83 nnd 50,0 f, während der mittlere Gehalt des als Normal-Dolomit be-
zeichneten die bereits oben angegebenen Mengen der wesentlichen Bestand! heile
enthält. Die vielen analysirten Vorkommnisse dieser Reihe von Carbonaten ent-
halten dann auch noch andere Carbonate in untergeordneten Mengen, wie nament-
lich kohlensaures Eisenoxydul, Manganoxydul u. a., weshalb dann bei der Be-
rechnung auf diese insofern Rücksicht genommen werden muss, als man sie wieder
als Stellvertreter des Magnesiacarbonates in Rechnung bringt.
Die durchgeführte Berechnung hatte den Zweck zu zeigen, wie man die all-
gemeine Formel einer solchen Species zu deuten habe, welche zwischen zwei
anderen liegt und wie die Species in einander übergehen, ihren procentischen
Verhältnissen nach aber doch getrennt werden müssen. Bei so überaus mannig-
faltigen Vorkommnissen, wie sie die beiden Verbindungen der kohlensauren Kalk-
erde und Magnesia zeigen, könnte es unter Umständen angezeigt erscheinen,
die Gliederung in einzelne Species noch zahlreicher zu machen, dies erscheint
jedoch nicht zweckmässig und steht dann nicht im Einklang mit dem Verfahren
bei anderen Arten mit stellvertretenden wesentlichen Bestandtheilen.
Dass man in der angeführten Weise auch bei anderen, im Gegensatz zu
jenen Carbonaten selten vorkommenden Species verfahren könne, soll noch ein
Beispiel zeigen.
Der tesseral krystallisirende Spinell ist eine Verbindung der Magnesia mit
Thonerde, entsprechend der Formel MgO^AlgO, mit 28t Magnesia und 72 Thon-
erde. Pleonast werden tesseral krystallisirende Vorkommnisse genannt und
zum Theil dem Spinell zugezählt, welche Eisenoxydul als Stellvertreter gewisser
wechselnder Mengen der Magnesia enthalten und Hercynit wurde ein seltenes
tesserales Mineral genannt, dessen Formel wesentlich Fe O-Al^O, ist, wonach es
44^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
41,14 Eisenoxydul und 58,86 Thonerde enthält Spinell und Hercynit bilden die
Endglieder und die Pleonaste stehen zwischen beiden. Ihre Formel ist Mg,FeO-
AljOj. Im Mittel würden sie, wenn für dieses Mittel die Formel MgO-Al|0j
-h FeO- AljOji gewählt würde, 12,58 Magnesia, 22,64 Eisenoxydul und 64,78 Thon-
erde enthalten. Diesem' Mittel nahe steht ein von A. Erdmann analystrter Pleonast
von Tunaberg in Schweden mit 13,03 Magnesia 23,46 Eisenoxydul und
62,95 Thonerde. Einige andere Pleonaste, deren Analysen überhaupt sparsam
sind, ergaben andere Verhältnisse.
Nach obiger Besprechung der Carbonate würde den Grenzwerth des eisen-
ärmeren Pleonast gegen Spinell das Verhältniss 3(MgO«Al,Og) -H FeO-Al,0,
erfordern, eisenreichere den Grenzwerth gegen Hercynit bei dem Veihaltniss
MgO.AljjOj H- SCFeO.AlgOs) haben.
Der Grenzwerth gegen Spinell ergiebt 19,87 Magnesia 11,92 Eisenoxydul und
68,21 Thonerde, welche fast ganz genau ein von Rammelsberg analysirter Pleonast
von Ramos in Mexiko zeigt, während zwei andere, der eine von Härmala im
Kirchspiel Lajo in Finnland, analysirt von Thoreld; der andere von Barsowskoi
bei Kyschtimsk am Ural, analysirt von Abich ihm nahe stehen. Der Grenzwerth
gegen den Hercynit erfordert 5,99 Magnesia, 32,33 Eisenoxydul und 61 ,58 Thon-
erde.
Da nun auch andererseits in Spinell das Eisenoxyd als Stellvertreter der
Thonerde vorkommen kann, oft Pleonast genannte Vorkommnisse gleichzeitig
Eisenoxydul als Stellvertreter der Magnesia und Eisenoxyd als Stellvertreter der
Thonerde enthalten, so konnte man die Formel des Pleonast in dem Sinne er-
weitern, dass sie Mg.FeO-Alj, Fe^Oa geschrieben beide Stell vertetungen umfas>:.
wobei dann natürlich die Grenzwerthe schwieriger zu bestimmen sind, um Spinellc
vom Pleonast zu trennen.
Was die Berechnung betrifft, um aus den Analysen der Minerale die
Formeln zu berechnen, so ist zu bemerken, dass zunächst nur aus den Analysen
die relative Zahl der verbundenen Atome oder der Molecule berechnet werden
kann, während die weitere Verwerthung dieser relativen Zahlen zur Aufiitellun^
der Formeln auf den theoretischen Ansichten beniht, nach welchen dieder2^bl
nacli aus den Analysen berechneten Atome oder Molecule zusammengestellt
werden. Wenige Beispiele werden genügen, das an sich einfache Verfaliren daran
zu erkennen.
Sind durch die Analysen die Elementarbestandtheile einer Verbindung in der
Weise angegeben, dass man daraus ersieht, wieviel Gewichtseinheiten eines jeden
Elementarbestandtheiles in 100 Gewichtseinheiten der analysirten Substanz ent*
halten sind, wieviel Procent jeder Elementarbestandtheil beträgt, so dividiit nun
diese Procentzahl d|irch die Atomgewichtszahl des bezüglichen Elementes. Die
erhaltenen Quotienten drücken die relative Anzahl der enthaltenen Atome au^
und müssen demnach in einfachen Verhältnissen zu einander stehen. Sind di-
gegen in der Analyse nicht die Elementarbestandtheile angegeben, sondern die
einfachsten Verbindungen der Elementarbestandtheile, z. B. wieviel Proccnte
Kalkerde, Magnesia, Eisenoxyd, Kohlensäure, Schwefelsäure u. s. w. in einer ana-
lysirten Substanz gefunden wurden, so dividirt man in die Zahl der Procente mit
der Molcculargewichtszahl, welche diese einfachste Verbindung durch die an-
gegebenen Atome ergiebt, z. B. für die soeben angegebenen mit den Zahlen 50
(für Kalkerde CaO), 40 (für Magnesia MgO), 160 (für Eisenoxyd Fc,0,) 44
(für Kohlensäure CQ^), 80 (für Schwefelsäure SO3) u. s. w. Die erhaUenen
Formeln, chemische, der Minerale. 449
Quotienten drücken dann ebenso die relative Anzahl der erhaltenen Molecule
aus und müssen gleichfalls in einfachen Verhältnissen stehen, wobei man dann
auch auf die stellvertretenden Bestandtheile in der Weise Rücksicht zu nehmen
hat, dass man ihre Quotienten, wo es nothwendig ist, addirt
Einem einfachen Verhältnisse, wie es die Formel erfordert, entsprechen die
Zahlen einer Analyse niemals ganz genau, jedoch dürfen die Abweichungen nur
so geringe sein, dass das wahre Verhältniss durchaus nicht zweifelhaft sein kann.
Der Grund dieser Abweichungen liegt einerseits in Fehlem der Analyse,
andererseits in den Atomgewichtszahlen selbst, welche wohl aus möglichst ge-
nauen Versuchen abgeleitet sind, trotzdem aber nicht durchgehends als absolut
richtig angesehen werden können. Auch kann oft die Beschaffenheit analysirter
Mineralproben die Ursache solcher Abweichungen sein, weil, wenn auch die
Proben als möglichst reine ausgewählt worden sind, Beimengungen vorkommen,
welche man als solche nicht sehen und sicher beurtheilen kann, sowie auch aus
der Berechnung allein nicht immer mit Sicherheit hervorgeht, ob gewisse Stoffe
als Beimengung oder als stellvertretende Bestandtheile vorhanden sind.
Als Beispiele für die Berechnung mögen die nachfolgenden genügen: Ber-
ZELTUS fand in 100 Theilen einer Probe des Pyrit 46,08 Theile Eisen und
53,92 Theile Schwefel. Dividirt man mit der Atomgewichtszahl des Eisens, mit
56 in 46,08 und mit der Atomgewichtszahl des Schwefels, mit 32 in 53,92, so er-
hält man die Quotienten 0,8229 und 1,6850. Setzt man den ersten gleich i, so
erhält man für den zweiten 2,0476. Für die letzte Zahl kann man ohne Bedenken
2 setzen und es enthält der analysirte Pyrit auf ein Atom Eisen zwei Atome
Schwefel, seine Formel ist deshalb FeS^. Berechnet man aus der Formel die
Procente, so erhält man
lFe= 56
2S = 64
120
und bei der Umrechnung von 120 auf 100 46,67 Eisen
53,33 Schwefel
100,00
Stellt man die Zahlen der Analyse neben die der Formel entsprechenden
Zahlen
gefunden herechnet Differenz
46,08 46,67 ~ 0,59
53,92 53,33 -h 0,59
so sieht man, dass 0,59 Eisen weniger, 0,59} Schwefel mehr gefunden wurden,
als die Formel erfordert.
Strome YER fand in 100 Theilen einer Probe des isländischer Doppelspath
genannten Calcit 43,70^ Kohlensäure, 56,15 Kalkerde, 0,15 Eisen- und Mangan-
oxyd. Die beiden letzteren Oxyde sind als Beimengung zu betrachten, weü der
Calcit eine Verbindung der Kohlensäure mit Kalkerde ist, man kann sie also
ganz ausser Acht lassen, zumal ihre Menge äusserst gering ist. Dividirt man mit
dem Molecularge wicht der Kalkerde 56 in 56,15 und mit dem Molecularge wicht
der Kohlensäure 44 in 43,70, so erhält man die Quotienten 1,00268 und 0,99318,
wofür man ohne Bedenken die Zahlen i und i setzen kann. Der analysirte
Calcit ergab demnach ein Molecul Kalkerde CaO und ein Molecul Kohlen-
säure CO2 und seine Formel ist CaO'COj.
Berechnet man aus der Formel die Procente, so enthält der Calcit 56 f Kalk-
KmicoTT, Min., Geol. u. Pal. I. 29
450 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
erde und 44^ Kohlensäure. Berücksichtigt man bezüglich der angeführten Ana-
lyse die 0,15 # beigemengtes Eisen- und Manganoxyd, so wurden
gefunden berechnet Differenz
56,15 Kalkerde 55,92 -f- 0,23
43,70 Kohlensäure 43»93 —0,23
0,15 Eisen- und Manganoxyd 0,15
100,00 100,00
wonach die Differenz eine sehr geringe ist.
Hessert fand (um noch eine Analyse zur Vergleichung anzuführen) in dem
isländischen Calcit 44,07 Kohlensäure und 55,89 Kalkerde. Die Division mit 44
und 56 in die Procentzahl der Kohlensäure und Kalkerde ergiebt 1,00159 Atome
Kohlensäure, 0,99804 Atome Kalkerde, also noch genauer CaO-CO^.
H. Rose fand im Chalkopyrit vom Ramberge im Saynischen in Westphalen
33,4o# Kupfer, 30,47 Eisen, 35,87 Schwefel und 0,27 Quarz, zusammen 101,01.
Der letztere ist als Beimengung nicht in Betracht zu ziehen. Dividirt man mit
den Atomgewichtszahlen 63,3 für Kupfer, 56 für Eisen und 32 für Schwefel in
die bezüglichen gefundenen Procentzahlen, so erhält man die Quotienten
0,54344 für Kupfer,
0,54411 für Eisen,
1,12094 für Schwefel,
und wenn man sie so umrechnet, dass für Eisen die Zahl i genommen wird, *<
ergeben sich 0,99877 für Kupfer,
1,00000 für Eisen,
2,06014 für Schwefel,
woraus man sicher entnehmen kann, dass im Chalkopyrit auf ein Atom Eiser
1 Atom Kupfer und 2 Atome Schwefel enthalten sind. Man könnte daraus die
Formel Cu S -h Fe S als die einfachste entnehmen, doch veranlasst die Berück-
sichtigung anderer Schwefelkupfer enthaltender Minerale und der Verhältnisse des
Kupfers und Eisens der Formel CujS-FejSj den Vorzug zu geben, welche auf
2 Atome Kupfer 2 Atome Eisen und 4 Atome Schwefel vereinigt enthält Hier-
nach würde der Chalkopyrit in 100 Theilen 34,54} Kupfer, 30,55 Eisen \md
34,91 Schwefel enthalten und wenn die analysirte Probe 0,27} Quarz beigemcnct
enthält, so würde sie in Berücksichtigung dieser ergeben haben müssen
34,45 Kupfer,
30,47 Eisen,
34,81 Schwefel,
0,27 Quarz
100,00.
Da nun 34,40 Kupfer, 30,47 Eisen, 35,87 Schwefel und 0,27 Quarz gefun-
den wurden, so ersieht man, dass in der Bestimmung des Schwefels eine Dificren:
von 1,06 vorliegt, welche den Ueberschuss in der Analyse über loo henonic:,
während der Eisengehalt keine, der Kupfergehalt nur die minime Differenz »oi
0,05 zeigt.
W. Hampe fand in Gyps von Osterrode am Harz 46,61 Scbwefclsanrt,
32,44 Kalkerde, 20,74 Wasser, 0,15 Eisenoxyd und Thonerde, zusammen 00,04-
Die 0,15 Eisenoxyd und Thonerde sind als Beimengung zu betrachten. Wvidi't
man mit den Moleculargewichtszahlen 80, 56 und 18 für Schwefelsäure, Kalt
erde und Wasser in die bezüglichen Zalilen der Analyse, so erhält man du-
Quotienten
Fonneln, chemische, der Minerale. 451
0,58262 oder 1,0057 für SO3
0,57929 „ 1,0000 „ CaO
1,15222 „ 1,9890 „ H,0
nach Umrechnung auf ein Molecul CaO. Hieraus ergeben sich ohne Bedenken
2H,0, 1 CaO und 1 SO3, woraus man für den Gyps die Formel CaO-SOj -f-2HjO
aufstellte, an Stelle deren man auch die Formel HjO-CaO -f- H^O-SO, auf-
stellen kann, den Gyps als bestehend aus Kalkerdehydrat und Schwefesäurehydrat
betrachtend. Nach neuerer Auffassung kann man auch dafür schreiben Ca(0H)2
+ SO4H2, wonach der Gyps aus einem Molecul Calciumhydroxyd und einem
Molecul Schwefelsäure bestünde (wobei SO3 als Schwefelsäureanhydrid bezeich-
net wird).
Berechnet man nun die Zusammensetzung des Gypses nach den Verhält-
nissen 2H5O, ICaO und ISOj, so enthält er in 100 Theilen 46,51 Schwefel-
säure SO3, 32,56 Kalkerde und 20,93 Wasser. Berücksichtigt man die 0,15} Bei-
mengung, welche die Analyse ergab, so wurden
gefunden berechnet Differenz
46,61 46,44 Schwefelsäure -1-0,17
32.44 32,51 Kalkerde -1-0,17
20,74 20,90 Wasser — 0,16
wobei sich nur sehr geringe Differenzen ergeben, wie sie bei den besten Ana-
lysen vorzukommen pflegen.
Als letztes Beispiel möge die Analyse Berthier's der Adular genannten
Varietät des Orthoklas dienen. Er fand in demselben 64,2} Kieselsäure,
18,4 Thonerde und 16,9 Kali, zusammen 99,5. Dividirt man mit den Molecular-
gewichtszahlen 60, 102,6 und 94 der Kieselsäure, Thonerde und des Kali in die
bezüglichen Pro centzahlen der Analyse, so erhält man die Quotienten
1,07000 oder 5,9663 für SiO,
0,17934 ff I I, AljO,
0,17979 ff '»0025 „ KjO
nach Umrechnung derselben auf i Molecul Al^O, und man muss daraus ent-
nehmen, dass der Orthoklas auf 6 Molecule Si02 i Molecul Al^Oj und i Mole-
cul K^O enthält, wonach man KjAlsO^-Si^Oj) als Formel desselben aufstellen
kann, in welcher die beiden Basen Kali und Thonerde der Kieselsäure gegenüber
gestellt sind und aus welcher man sofort ersieht, dass bei dem Verhältniss des
Sauerstoffes der Basen zu dem Sauerstoff der Kieselsäure 4:12=1:3 das den
Orthoklas darstellende Silicat ein anderthalbfach saures ist. Bei der Trennung
der beiden Basen würde die Formel des Doppelsalzes 2K20'3SiOj-l- 2Al,0,•
9Si02 sein.
Die Ausdrücke KjAl^Si^Oj^ oder KAlSijOg für die chemische Constitution
des Orthoklas sind nur eine kürzere Schreibweise an Stelle der Angabe, dass
die Berechnung der Analyse zu den Moleculen IK^O, lAl^Oj und 6SiO}
führt. Als rationelle Formel, welche die Zusammensetzung als ein saures Silicat
angiebi, wurde z. B. die Formel
gegeben, oder abgekürzter die Formel
29*
452 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
^'}.0«.(4SiO)l
02.(2SiO)j
während als Beispiel einer der Constitutionsformeln des Orthoklas die Formel
O
OZISi— O— Si— O— AlZIn^Si— O— K
I I
0 o
1 o •
0=Si— O — Si— O-AlZlQ^Si— O—K
O
dienen kann.
Aus allen diesen Formeln, welche auf dem Resultat der Analysen, dass der
Orthoklas auf 6 Molecule SiO^ i Molecul AI3O3 und i Molecul K,0 enthalt,
basiren, ersieht man nur die Verschiedenheit theoretischer Ansichten über die
Formulirung.
Berechnet man nach den oben angegebenen Zahlen der Moleculargewichte
die procentische Zusammensetzung des Orthoklas, um die bei der Analyse ge-
fundenen Zahlen mit den berechneten vergleichen zu können, so erhält man:
gefunden berechnet
64,2 Kieselsäure 64,68 oder 64,7
18.4 Thonerde 1^,43 „ 18,4
16,9 Kali 16,89 ff i^i9
99.5 100,00 100,00.
Schliesslich ersieht man auch, dass die Berechnungen durch die Atomge-
wichtszahlen in dem Sinne etwas differiren können, insofern auch die Atomge-
Wichtszahlen etwas differiren können. Wird nämlich die Atomgewichtszahl
des Aluminium 27,5 gewählt (es wurde dieselbe auch = 27,4 gefunden), so
würde die procentische Zusammensetzung 64,63 Kieselsäure, 18,49 Thonerde
und 16,88 Kali oder kürzer ausgedrückt 64,6 Kieselsäure, 18,5 Thonerde und
16,9 Kali ergeben.
Die beispielsweise durchgeführten Berechnungen zeigen, dass gute Analysen
zu einfachen Verhältnissen der mit einander verbundenen Atome oder Molecule
führen und dass die Verschiedenheit für dasselbe Mineral aufgestellter Formein
von den theoretischen Ansichten über die Verbindungsweise abhängt, welche in der
Chemie erörtert werden.
Die Gänge
von
Professor Dr. von Lasaulx.
Gänge sind mit Mineralsubstanz ganz oder grösstentheils ausge-
füllte Spalten, welche in den verschiedensten Gesteinen der Erdrinde
auftreten.
Nach dieser Definition ergeben sich von selbst die verschiedenen Gesichts-
punkte, von denen aus die Gänge in der Gesammtheit ihrer Erscheinungen xo
bettachten sind. Damach zerfällt die Lehre von den Gängen, die Ganglehre, m
folgende Abschnitte: i. Die Topographie der Gänge, d. i die Beschieiboog
Die Gänge. 453
der Verhältnisse ihrer Form, ihres Auftretens und der Beziehungen ihrer Lage
zu einander und zum Nebengestein. 2. Mineralogie der Gänge, d. i. Be-
schreibung der Art und Beschaffenheit ihres Ausftillungsmateriales und 3. Geo-
logie der Gänge, d. i. die Lehre von der Entstehung derselben und zwar sowohl
der Spalten- oder Gangräume, als auch der Ausfüllung derselben.
Die Ganglehre ist von grosser Wichtigkeit, nicht nur weil die durch nutzbare
Minerale, besonders durch die Erze ausgezeichneten Gänge eine so grosse tech-
nische Bedeutung haben und die Gewinnung dieser Erze auf einer genauen
Kenntniss der Gangverhältnisse überhaupt beruht, sondern auch, weil gerade die
Gänge für die allgemeinen geologischen Verhältnisse der Erdrinde und für die
Vorgänge der Mineralbildung und Umbildung das beste und reichhaltigste
Beobachtungsmaterial liefern. Bezeichnete doch Haidinger die Erzgänge als den
wahren Schauplatz der Mineralpseudomorphosen, die für die Theorie der Bildung
unseres Planeten von unendlicher Wichtigkeit seien; denn wie uns in den Formen
der organischen Wesen der verschiedenen geologischen Perioden ein Fort-
schreiten, so trete uns in den Pseudomorphosen ein Kreislauf von Ver-
änderungen entgegen.
L Topographie der Gange.
a) Form, Ausdehnung, Stellung oder Lage der Gänge.
Von der auf den ersten Blick einleuchtenden und durch alle bisherige
Erfahrung bis ins einzelne bestätigten Definition ausgehend, dass alle Gänge nur
erfüllte Spalten sind, ergiebt sich zunächst, dass die allgemeine Gestalt von Spalten
als bedingend für die Formentwicklung der Gänge gelten muss. Grösse und
Ausdehnung der gebildeten Spalten kommen hierbei ebenso wenig in Betracht, wie
die Art ihrer Entstehung. Ausgefüllte Spalten, die auf mehrere Meilen mit grosser
Breite ihrer Masse durch ganze Gebirgsformationen hindurchsetzen, verdienen
den Namen eines Ganges darum nicht mehr, als kleine, nur local auf wenige
Fuss hin sich erstreckende, mineralerfüllte Risse oder Klüfte.^)
Jedoch bedient man sich für die kleineren, unbedeutenden mit Mineralen
erfüllten Risse gern der Bezeichnung Trümmer oder Adern. Freilich entspricht
dieser letztere vielgebrauchte Ausdruck nicht ganz dem Bilde, das wir uns von
einem Gange machen] müssen. Eine Ader im menschlichen oder thierischen
Körper zeigt einen runden oder elliptischen Querschnitt, während eine Gangader
immer eine mehr oder weniger plattenförmige , langgestreckte Gestalt besitzt
Aber da doch zwischen dem Verlaufe des Netzwerkes der Adern im Körper,
wenn wir uns dasselbe auf ein Blatt Papier projicirt denken und dem Verlaufe
der Gänge in den Gesteinen, wenn wir diesen in ähnlicher Weise durch eine
Zeichnung zur Darstellung bringen, so wie er sich uns oft auch an Gesteins-
wänden ohne Weiteres zeigt, eine ganz unverkennbare Aehnlichkeit besteht, so
hat der Ausdruck »Aderc etwas Sprechendes und ist darum gerechtfertigt.
Dachte man sich doch zudem auch im ganzen Mittelalter nach der alten aristo-
telischen Lehre in der That das Innere der Erde mit seinen zahlreichen Erz-
adem in gewissem Sinne als einen lebendigen, gährenden Organismus, dessen
pulsirende Thätigkeit die metallischen Lösungen und Producte durch das Adem-
netzwerk hindurchtreibt. Auch dem Bergmann, der den Schätzen der Metalle,
^) Eine Classification der in der Erdrinde überhaupt vorkommenden Spalten ist nicht wohl
möglich ohne Beziehung auf ihre Genesis. Daher hierauf erst im 3. Theile dieses Artikels tu-
Tückgekoromen wird.
454 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie,
die auf den Gängen niedergelegt sind, nachspürt, ist es ein willkommenes, ver-
ständliches Bild von den Adern der Erze zu sprechen, die ihm zur Freude in
edlen Anbrüchen erbluten.i)
Im Allgemeinen ist die plattenförmige Gestalt der Gänge die der Natur der
Spalten entsprechende. Hierbei ist nicht so sehr die Regelmässigkeit der Be-
grenzungsebenen, als vielmehr das bedeutende Ueberwiegen zweier Dimenaonen
vor der dritten das charakteristische; d. h. Höhe und Länge überwiegt gegen die
Dicke. Die Unregelmässigkeiten der Begrenzungen, d. h. also der Ebenen,
welche die Gangspalte einschliessen, sind dabei im Allgemeinen nicht so be-
deutend, dass man nicht füglich im Ganzen davon absehen kann. So spricht
man denn von Gangplatten. Lage und Abstand der begrenzenden Ebenen
bezeichnen die Stellung und die Dimensionen eines Ganges.
Die beiden Begrenzungsflächen eines Ganges werden die Salbänder ge-
nannt, die den Gang einschliessenden Wände des Nebengesteines die Gang-
stösse oder Ulmen.
Der senkrechte Abstand der beiden Salbänder, die hierbei als parallele
Ebenen gedacht werden, ergiebt die Mäjchtigkeit des Ganges. Da die Salbander
in Wirklichkeit auch im Ganzen ziemlich parallel verlaufen und demnach ohne
grossen Fehler als parallel angenommen werden dürfen, so kann man sich die-
selben auf eine Ebene reducirt denken, die Gangebene.
Die Lage und Stellung des Ganges ist die der Gangebene, sie bestimmt sich
nach dem Verhältniss zur Horizontalebene und zur Mittagslinie, dem Meridian.
Die Neigung der Gangebene zur Horizontalebene ergiebt sich einfach aus dem
Winkel eines Lothes gegen jene; man nennt sie das Fallen oder Einfallen
eines Ganges. Es wird dabei die Himmelsrichtung in der Regel mit angegeben,
ip welcher das Einfallen erfolgt.
Der Winkel, den die in der Horizontalebene gelegene Durchschnittslinie
der Gangebene mit dem Meridian bildet, giebt das Streichen eines Ganges an.
Dieses wird durch den Compass ermittelt.
Die Ebene des Einfallens steht auf der Ebene des Streichens senkrecht, jene
vertical, diese horizontal. Es ist daher klar, dass man, um die Ergebnisse der
Bestimmung dieser beiden Verhältnisse eines Ganges graphisch darzusteMen, zweier
Zeichnungsebenen bedarf, die ebenfalls aufeinander senkrecht anzunehmen sind.
Das ergiebt zwei Arten der Darstellung: die eine, wo die Projectionsebene oder
die Ebene der Zeichnung die vertical stehende Fallebene ist, pflegt man Profil,
Saiger- oder Verticalriss zu nennen (dem Aufriss in der Architectur ent-
sprechend) die andere, wo die Ebene der Zeichnung die Horizontalebene ist,
nennt man Grundriss.
Da man in vielen Fällen aus einem Profile ausser dem Einfallen, der Mächtig-
keit doch auch die allgemeine Streichrichtung, die senkrecht zur Ebene der
Zeichnung liegt, entnehmen kann, so sind Profile meist wichtiger und reichen
allein aus. Nur wo Aenderungen und Unregelmässigkeiten im Streichen darge-
stellt werden sollen, oder wo die Verschiedenheit des Gangstreichens zum
Streichen des Nebengesteins anzugeben ist, muss auch der Grundriss hinzukommen.
Es sind diese Verhältnisse im Allgemeinen dieselben, wie sie auch bei
der Bestimmung der Schichtenstellung zur Anwendung kommen und wird
daher im Artikel »Schichtenlehrec darauf noch einmal zurück zu kommen sein.
) Dieser Ausdruck besonders von den silberreichen Rothgültigeraen gebraucht
Die Gänge. 455
Nach der Verschiedenheit des Fallens unterscheidet man: Saigergänge,
mit verticaler (oder fast) Stellung, steile oder tonnlägige Gänge mit einer
Neigung von 45 — 80°, flache Gänge mit einer Neigung von o — 45°.
Das Streichen drückt sich am einfachsten nach den Graden des Compasses
aus, um welche die Streichlinie von der mit o bezeichneten Linie des Meridians
abweicht Jedoch hat alter Bergmannsgebrauch den Compass auch in 2x12 Stun-
den, den Tageszeiten entsprechend, eingetheilt, und die Streichrichtung wird
dann in Stunden ausgedrückt: ein Gang streicht hora 6 bedeutet also, dass
er genau von W. — O. streicht, ^.12 ist die Meridianlinie selbst. Damach kann
man auch von Morgengängen sprechen, d. h. solchen, deren Streichlinie nahe-
zu von W. — O. geht, und von Mittagsgängen, die von N. — S. streichen. Zwischen
diesen liegen die zu den Haupthimmelsrichtungen diagonal streichenden Gänge,
die am einfachsten nach der Windrose bezeichnet werden z. B NNO.-Gänge. Die
Art der Bezeichnung ist natürlich nicht von Bedeutung; aber da im Englischen
und Französischen ebenfalls die Beziehung auf die Windrose oder den einfachen
Gradbogen üblich ist, so würden wir auch im Deutschen am besten die alte An-
gabe nach Stunden aufgeben.^)
Die Längenerstreckung eines Ganges liegt im Streichen, seine Tiefenerstreckung
im Fallen. Beide sind von ganz verschiedener Ausdehnung bei den verschiedenen
Gängen. Man nennt dieses das Aushalten eines Ganges.
Streichen und Fallen sind keinesweges constant bei demselben Gange.
Aendert er sein Streichen, so sagt man, er wendet sich, er kommt aus der
Stunde, ändert er sein Fallen, so richtet er sich auf oder legt sich.
Gänge, die bis an die Oberfläche der Erde empor reichen, beissen aus;
es thun das bei weitem nicht alle. Die an der Oberfläche sichtbaren Theile
eines Ganges heissen: das Ausgehende. Das Ausgehende von Gängen macht
sich an der Erdoberfläche in sehr verschiedener Weise bemerklich. Besteht die
Gangmasse aus einem schwerer zerstör- und verwitterbaren Gesteine als das
Nebengestein, so ragt das Ausgehende mauerähnlich über die Umgebung empor.
Das ist der Fall bei sehr vielen, aus harten, quarzreichen Gesteinen bestehenden
Gängen z. 6. Quarziten, Porphyren, auch bei Basalten und Laven. Bekannt sind
die vollkommen mauerartig aufragenden Basaltgänge im südlichen Schottland,
die bei grosser Mächtigkeit oft gewaltige Rücken darstellen. Ganz besonders
ausgezeichnet sind auch in dieser Beziehung die Erscheinungen der Gänge in der
Valle del Bove am Aetna, wo aus dem mehr verwitterten Mantel des Berges
dieselben, zahlreich bei einander stehend, oft wie die Coulissen eines gigantischen
Theaters als ebene Wände mit grotesken Conturen emporsteigen. In seinem
Aetna-Atlas hat Sartorius von Waltershausen solche Gangbildungen gezeichnet,
die zu den merkwürdigsten Formen dieser Art gehören.^
Quarzgänge, oft von grosser Mächtigkeit, die auf weite Strecken aus dem
Gebirge aufragende, klippenreiche Kämme bilden, sind ziemlich häufig. Ein
schönes Beispiel dieser Art bietet der Quarzitgang des sogen. Pfahl im ost-
hayrischen Waldgebirge, der zwischen Gneissgranit und schiefriger Hälleflinta imd
Gneiss gelagert, als ein aufragender durch seine Formen auflallender Felsenkamm
über 30 Stunden weit sich hinzieht. In ganz ähnlicher Weise erstreckt sich
ein solcher Quarzitzug im Böhmerwald auf 12 Meilen weit von Vollmann bis in
') Bezüglich der Methoden zur genaueren Ausführung dieser Messungen muss auf eine Berg-
baukunde verwiesen werden, z. B. Alb. Sxrlo, Leitfaden zur Bergbaukunde. Berlin 1878.
*) Siehe auch Sartorius-Lasaulx, Der Aetna, Bd. ü. Taf.
45^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
die Gegend von Hals. Wenn auch hier nicht von eigentlichen Gängen, son-
dern von mächtigen Quarz lagern die Rede ist, so sind die Verhältnisse doch
ganz die gleichen auch bei echten quer durch die Schichtensysteme aufsetzenden
Gangausgehenden.
BuRAT beschrieb den Quarzgang llnglesita bei dem Dorfe El-Hoyo in der
Sierra de los Santos; derselbe bildet einen 200 Meter langen Ausstrich, der
einerseits vertical, andererseits geneigt abfällt und bis 10 Meter hoch ist.
Durch die weissen Kreidekalke der Euganäischen Berge bei Padua ziehen
rothgefarbte Feuersteintrtimmer hindurch, die stets aufragende Leisten bilden,
oft quer über die Strassen hinübergreifend und an den Steilwänden wie Gesimse
vorspringend.
Auch bei Erzgängen ist diese Erscheinung keinesweges selten. Auf den
flach abgerundeten Rücken der devonischen Formation im Gebiete der oberen
Sieg, sieht man häufig die dort zahlreich vorhandenen Gänge ihre Ausgehenden
durch die weisse Farbe der Gangminerale, Quarz und Kalkspath, deutlich
weithin auf dem braungrauen Schiefergesteine markiren, auch ohne dass dieselben
gerade bedeutend aufragen.
Die Veta Cantera bei Zacatecas in Mexico, ein fast 2 Meilen weit foit-
setzender Gang, ist nach Burkart durch sein Ausgehendes merkwürdig, welches
in hohen Felskämmen von festem dichtem Quarze aufragt.^)
Auf der Landenge von Panama setzen nach Boucard im Porphyr sehr viele
goldführende Quarzgänge auf, welche ebenfalls in Folge der Zerstörung des
Nebengesteins wie Mauern hervorstehen, weithin sichtbar sind und cresi^ues ge-
nannt werden.
Auch der umgekehrte Fall tritt ein, dass die Ausfüllungsmasse eines Ganges
leichter zerstörbar ist, wie das Nebengestein. Das Ausgehende eines solchen
Ganges wird dann durch eine geradlinig, grabenförmig verlaufende Vertiefung
bezeichnet
Zahlreiche Gesteinsgänge verschiedener Art, Porphyr, Melaphyr, Basalt
setzen durch die Sandsteinplatten und Terrassen hindurch, welche besonders an
der westlichen Küste die Ufer der Insel Arran in Schottland bilden. Die ver-
schiedene Härte der Ganggesteine bewirkt, dass einige dem erodirenden Einfloss
der Meereswellen einen grösseren Widerstand bieten, als die rothen Sandsteine,
andere dagegen schneller aufgelöst werden. Mauerartige Ausgehende der
ersteren wechseln daher mit canalartig vertieften der letzteren Gänge ab. Auf
einer nur halbstündigen Wanderung längs der Küste, welche immer über die fa»t
horizontalen Bänke des Sandsteines hinführt, kann man von beiden Arten wohl
einige Dutzend überklettern oder überspringen.
In vielen Fällen ist aber auch die Begrenzung von Gängen an der Erdober-
fläche dadurch noch eine besonders eigenthümliche, dass sie mit Decken.
Strömen oder Kuppen desselben Gesteines oder von ähnlicher Mineralzusammcn-
setzung in Verbindung stehen. Dieses ist besonders bei den Eruptivgesteinen
eine häufige Erscheinung.
Jedoch kommt eine solche, gewissermaassen überfliessende Gangbildung auch
bei Erz- und Mineralgängen vor. Naumann führt in seiner Geognosie*) einige
Beispiele dieser Art an, von denen nur eins hier wiederholt sein mag.
^"^ ^^^ griechischen Insel Mykone wird der aus arkoseähnlichem Sandstein
*) Naumann. Geognosic. Bd. m. Lief. HI. pag. 535.
■) l- c. pag. 537.
Die Gänge. 457
zusaminengesetzte Berg bei Maurospilia von mehreren aus Brauneisenerz und Baryt
bestehenden, ostwestlich streichenden Gängen durchsetzt; der mächtigste der-
selben, welcher 'am ganzen Gipfel des langgestreckten Berges hinläuft, besteht
an beiden Salbändern fast i Fuss breit aus Brauneisenerz, in der Mitte ^ Fuss
breit aus Baryt. An ihren Ausgehenden hängen alle diese Gänge ganz stetig mit
einer bis 6 Zoll dicken, aus Brauneisenerz und etwas Baryt bestehenden Decke
zusammen, welche über die obere Region des Berges mantelförmig ausgebreitet
liegt ViRLET, der diese Erscheinung beschrieb, erkannte darin ein interessantes
Beispiel des Ueberfliessens von Erzgängen.^)
Die Teufe, bis zu welcher Gänge hinuntergehen, ist in vielen Fällen unbe-
kannt, für den Bergmann gehen sie dann in die ewige Teufe. Jedoch wird bei
vielen Gängen auch die Grenze dieser Dimension erreicht.
Ihre Begrenzung in der Längserstreckung, im Streichen finden die Gänge in
verschiedener Weise: sie keilen aus, wenn sie nach und nach an Mächtigkeit
abnehmen und sich endlich ganz verlieren, sie setzen ab, wenn ein anderer Gang
oder eine andere Gebirgsmasse sie durch Vorlegen plötzlich abschneidet.
Die Mächtigkeit der Gänge ist sehr verschieden; sie beträgt oft nur wenige
Zoll, manchmal viele Meter. Unter den Gängen am Aetna finden sich solche
von 30 und mehr Meter Mächtigkeit, welche in unverändert geradlinigem
Streichen bis zu 10 und 15 Kilom. aushalten. Die Basaltgänge im südlichen Schott-
land, von denen einige im Streichen auf viele Stunden verfolgt werden können,
haben oft 10 und mehr Meter Mächtigkeit. Auch bei eigentlichen Erzgängen ist
sowohl die Mächtigkeit als auch das Aushalten im Streichen oft ein sehr bedeu-
tendes. Der goldführende Muttergang (Mother lode) in Califomien erstreckt sich
nach Burkart ^ vom Mont Ophir in Mariposa bis an den Consumnes river in
Amador über 70 engl. Meilen weit bei einer Mächtigkeit, die zwischen ^ und
IG Meter schwankt Die Gänge des sog. Holzappler Zuges an der Lahn er-
erstrecken sich auf ca. 7 geogr. Meilen von Peterswalde bis Holzappel und über-
schreiten bei St. Goar den Rhein. Dabei ist die Mächtigkeit der Gänge selten
mehr als 30 — 60 Centimeter. Die Erzgänge des Oberharzes erreichen ebenfalls oft
eine Mächtigkeit von 10 — 20 Lachtern, jedoch sind es dann mehr gedrängte
Gangzüge als wirkliche Einzelgänge, denen diese Mächtigkeit zukommt.
Ueberhaupt darf bei allen Angaben über die Dimensionen der Erzgänge
nicht vergessen werden, dass sich dieselben in vielen Fällen nur auf die Theile
eines Ganges beziehen, die durch ihren Erzreichthum bauwürdig sind; daher in
vielen Fällen das Aushalten eines Ganges besonders auch nach der Teufe grösser
ist, als die Angaben, die der Bergbau liefert. Wenn man so oft hört, dass nach
der Tiefe zu ein Gangbergbau eingestellt worden ist, so hat dieses keinesweges
die Bedeutung, dass der Gang selbst dort sein Ende gefunden; es hat entweder
seine Erzführung sich geändert und ungünstiger gestaltet oder aber die weit be-
deutenderen Kosten der tieferen Bauten, oder andere technische Schwierigkeiten
z. B. bedingt durch die übermässig gesteigerten Zuflüsse an Grnbenwassern, haben
das Aufhören des Bergbaues zur Folge gehabt; der Gang als solclier setzt in die
Teufe fort.
Zu den tiefsten noch betriebenen Grubenbauten auf Erz^än^en gehören die
von Clausthal und Andreasberg im Harz, die nahezu 1000 Meter Tiefe erreicht
*) Bull, de la Soc. geol. t. m. 1832/33. pag. 202.
*) N. Jahrb. f. Min. 1870. pag. 41.
45^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
haben. Auch hier ist in keinem Falle ein eigentliches unteres Ende der Gänge
erreicht worden.
Sehr gewöhnlich ist bei den Gängen ein häufiger Mächtigkeitswechsel in
ihrem Verlaufe. Sie werden schmäler, d. h. die Salbänder rücken einander
näher, der Gang verdrückt sich, oder er wird breiter, er thut sich au£
Die Beschaffenheit der Salbänder, die keinesweges immer scharf ausgesprochene
Begrenzungsflächen darstellen, erschwert in manchen Fällen die genaue Ab-
grenzung einer Gangmasse.
Die vollkommene Verdrückung eines Ganges führt zur Auskeilung. Wieder-
holt sich eine solche mehrmals im Verlaufe des Gangstreichens, so wird der
Gang zu einem System aneinander gereihter ellipsoidischer oder linsenförmiger
Stücke und solche Gänge heissen Lenticulargänge.
Mit zunehmender Mächtigkeit nimmt ein Gang mehr und mehr den Charakter
eines Stockes oder Stockwerkes an, bei welchem die Verhältnisse der 3 Di-
mensionen nahezu die gleichen sind.
Besonders häufig ist die Erscheinung der Theilung oder Zertrümmerung einer
Gangspalte und darnach auch der Gangmasse selbst Ein Gang gabelt sich, d. h.
er zweigt sich in einzelne kleinere Gänge oder Trümmer auseinander. Diese
Abzweigungen haben meist nur ein unbedeutendes Aushalten, sie keilen sich
bald wieder aus oder vereinigen sich, schaaren sich wieder mit dem Haupt-
gange. Solche Vereinigungsstellen oder Schaarungslinien sind oft für die Erz-
führung von Bedeutung.
Zu einer Hauptgangspalte gehören in der Regel auch parallel ver-
laufende, begleitende Nebenspalten, Seiten- oder Paralleltrümmer. Sie
hängen in ihrer Entstehung von der Hauptspalte unmittelbar ab, wie das im
Folgenden noch eines Näheren erörtert werden wird und zeigen dieses meist auch
durch die Uebereinstimmung in ihrer Ausfüllung. Solche Gefährten sind oft zu
beiden Seiten eines Ganges zahlreich vorhanden, immer nur untergeordnet an
Erstreckung und Mächtigkeit. So entstehen Uebergänge zu den zusammen-
gesetzten Gängen.
Diese, die oft als solche, im Gegensatze zu den einfachen, eigent-
lichen Gängen, unterschieden werden, bestehen nur aus einer Ansamm-
lung meist dicht nebeneinander in einem besonderen Gestein aufsetzender
Trümmer; der eigentliche Gang wird in diesem Falle durch das Gestein
gebildet. Die Grenze desselben gegen das Nebengestein ist oft durch scharte
Salbänder bezeichnet, dagegen sehr oft eine Grenze besonders deshalb nicht
genau zu ziehen, weil die kleinen Gangtrümmer in das Nebengestein hinüber-
greifen und sich darin erst allmählich verlieren. Manchmal ist bei solchen zu<
sammengesetzten Gängen das Ganggestein auch nur ein mehr oder weniger ver-
ändertes Nebengestein. In solchen Fällen ist es natürlich nicht ganz zutreffend,
die Schaar der aufsetzenden Trümmer als einen Gang zu bezeichnen..
Die Erzgänge von Kremnitz in Ungarn bestehen aus Klüften, welche den ter-
tiären Grünsteintrachyt durchsetzen. Viele solcher Klüfte, parallel neben einander
liegend, werden als ein zusammengesetzter Gang aufgefasst und in diesem Sinne
ist auch die Angabe über die bis zu 20 und mehr Meter betragende Mächtigkeit
der dortigen Gänge zu verstehen. Die kleinen Trümmer setzen in einer Zone
des zu thonigen Massen aufgelösten Gesteines auf und ftihren Quarz resp. Horo-
stein mit Gold und Silber enthaltenden Kiesen. Der Ausdruck »Gangzone«
würde daher ftiglich richtiger sein. Auch die Gangtrümmerzone der Grube Alt-
Die Gänge. 459
glück unfern Uckerath zwischen Rhein und Sieg gelegen, wird in diesem Sinne
als ein zusammengesetzter Gang bezeichnet, der sich auf eine Länge von
600 Meter im Streichen bauwürdig verfolgen lässt.i)
Jedenfalls lässt sich der Unterschied solcher sogen, zusammengesetzter
Gänge gegen eigentliche Gangzüge wohl nur schwer feststellen und besteht nur
in den geringeren Dimensionen der Trümmerzüge bei den ersteren; wenn daher
diese Unterscheidung in einfache und zusammengesetzte Gänge, wie sie zu-
erst von CoTTA aufgestellt wurde, wohl für die bergmännische Praxis einige Be-
deutung haben mag, so ist sie doch geologisch und genetisch keinesweges durch-
greifend und nicht gerechtfertigt.
Liegen vollends, wie das bei einigen der als zusammengesetzte Gänge
geltenden der Fall ist, die einzelnen erzführenden Trümmer in einem beson-
deren Ganggesteine, so ist dieses natürlich selbst als der einfache Gang anzu-
sehen, indem die Trümmer eben nur eine besonocre Art der Ausfüllung darstellen.
Wichtiger, besonders auch mit Rücksicht auf die geologisch-genetischen
Verhältnisse, erscheint es, isolirte Einzelgänge von Ganggruppen oder
Gesellschaften zu unterscheiden. Das Charakteristische in der geologischen
Verschiedenheit beider ist nicht ganz von den Betrachtungen über ihre Ent-
stehung loszulösen, bei einigen Beispielen aber tritt sogleich die Bedeutung dieser
Unterscheidung hervor.
Der durch seine ausgezeichnete Erzführung berühmte Comstock Lode bei
Virginia City in Nevada ist ein gutes Beispiel eines solchen Einzelganges. Er
tritt theils ganz in sogen. Propyliten, älteren trachytähnlichen Gesteinen auf, theils
an der Grenze dieser gegen den Syenit. Ihn begleiten auf beiden Seiten Trach)rt
und Andesit, aber keinerlei mit ihm parallele andere Gänge. Seine Entstehung
ist nicht durch Vorgänge veranlasst worden, die gleichzeitig andere Gangspalten
in der Nähe öffneten und erfüllten
In etwas anderem Sinne kann als Beispiel eines Einzelganges der Blei-
erz- und Blendeführende Gang des sogen, belgischen Bleiberges bei Montzen,
nahe der deutsch-belgischen Grenze gelten. Nicht in der Art der Entstehung
seiner Spalte oder in der Mineralerfüllung liegt hier der Grund seiner isolirten
Stellung. Sie ist vielmehr in seinem Verhalten zu den Formationsgliedem zu
sehen, in denen er auftritt.
Er ist der einzige bekannte belgische Gang, der durch den Kohlenkalk und
ebenso durch die unteren Schichten der kohlenführenden Schiefer mit gleicher
Erzführung hindurchsetzt.
Der Kohlenkalk bildet zwischen den Dörfern Moresnet und Sippenaeken
eine etwa 2 Kilom. breite Zone zu schönen Sätteln und Mulden gefalteter
Schichten, die in ihrer ganzen Breite von dem von NW. — SO. streichenden Gange
durchsetzt werden. Der Gang ist dann noch auf 5 Kilom. in dem Gebiete der
kohlenführenden Schichten bekannt, die sich weiter westlich an die Kalkstein-
zone anlegen und nach Holland sich fortsetzen. Am Contact zwischen Kohlenkalk
und Kohlenschiefer ist der Gang zu einem mächtigen Lager erweitert.
Kleinere oder grössere begleitende Gänge sind nicht in dem Gebiete bekannt,
dennoch kann nicht die Spaltenbildung als Ursache der Isolirtheit dieses Ganges
gelten. Denn mit parallelen Streichen treten sowohl auf der belgischen Seite
bis in die Gegend von Philippeville, als auch auf der preussischen Seite von
*) Groddeck, Lagerstätten der Erze. Leipzig 1879. P^* 33-
460 Mineralogie, Geologie und Palaeontologic
Aachen in der Gegend von Stollberg zahlreiche Bleierz- und Blendeführende
Gänge auf. Jedoch sind alle diese an den Kohlenkalk gebunden, und wo die
Fortsetzung einer Gangspalte in das eigentliche Kohlengebirge nachzuweisen ist,
da erscheint sie nicht mehr als Erzgang, sondern nur als eine mit taubem Ge-
steins- und Trümmermaterial erfüllte Verwerfungskluft.
Nur durch den Umstand erhält also der Gang des belgischen Bleiberges den
Charakter als Einzelgang, dass er eben seine Erzführung auch in den kohlen-
führenden Schichten beibehält Wenn es aucii nicht möglich ist, hierfür einen
bestimmten Grund anzugeben, so müssen doch gewisse geologische Vorgänge
dieses Ausnahmeverhalten bedingt haben.
In anderen Fällen kann auch die besondere Beschaffenheit der ausfüllenden
Minerale für einen Gang eine Einzelstellung bedingen.
In gleichem Sinne sind auch viele Gesteinsgänge als Einzelgänge anzusehen,
wenn auch in demselben Gebiete noch andere Gänge von Gesteinen auftreten,
die aber genetisch mit jenen nichts zu thun haben. Jeder Gang von Lava, der
durch den Mantel des Aetna hindurchsetzt — in der Valle del Bove, dem be-
rühmten Flankenthale dieses Vulkanes zählt man solcher Gänge mit Hunderten —
sofern er nicht von Seitentrümmem begleitet ist, kann als ein solcher Einzelgang
bezeichnet werden, denn der Vorgang seiner Entstehung erzeugt eben nur den
einen Gang ; ein erneuerter Prozess ist nöthig, um einen anderen hervorzubringen.
Freilich wird man auch bei den Einzelgängen nur in wenigen Fällen einzelne
abzweigende oder parallel verlaufende Trümmer vermissen, aber ihre unterge-
ordnete Grösse und die Abhängigkeit vom Hauptgange, die Gemeinsamkeit ihrer
Mineralführung mit diesem wird doch auch äusserlich dessen Charakter als iso-
lirten oder Einzelgang nicht beeinträchtigen.
Wesentlich anders ist das Verhältniss der Gruppengänge oder Gangge-
sellschaften.
b) Gänge in ihrem Verhältniss zu einander und zum Nebengestein.
Es ist weitaus die gewöhnliche Erscheinung, dass die Gänge sich in gewissen
Gebieten zahlreicher zusammenfinden und die Beziehungen derselben sowohl in
ihrer gegenseitigen I^age als auch in Bezug auf die Gemeinsamkeit oder Ver-
schiedenheit ihrer Mineralausfüllung ist dann von grosser Wichtigkeit
Während in einzelnen Gebieten die Gänge in überaus grosser Zahl bekannt
sind, und auch in deutlich zusammengehörige Gruppen sich vertheilen, erscheinen
sie in anderen Gebieten nur seltener, fehlen oft fast ganz. Freilich ist auch hier-
Ih^i tu bemerken, dass ja vorzüglich nur die Erzführung oder wenigstens die Aus-
füllung mit einem nutzbaren Minerale die Aufmerksamkeit auf eine Gangspalte
leitet. Nicht alle Gebiete, in denen keine Erzgänge bekannt sind, sind danim
frei von Ciängen. Nur ist ihre Ausfüllungsmasse nicht verwendbar und ihr Vor-
kommen daher nicht gesucht und beachtet
Eine Ganggruppe oder eine Gesellschaft zusammengehöriger Gänge be-
stimmt sich ausser durch den localen Verband ihres Auftretens, durch die Be-
ziehungen ihrer l^age und endlich auch durch die Gemeinsamkeit ihrer AnslÜllting:-
minemle.
Streichen und lallen in einem Gebiete mehrere Ginge parallel, so neimt man
sie Tarallel^ange oder einen Gangiug. Sie kommen dann natürlich unter-
euvinilcr nicht iwr Berührung, liefen jedoch oft so nahe, d. h. also durch cme
$0 wenig dicke Zwischenwand des Nebengesteins geciennl. dass nur geringe Ab-
Die Gänge.
461
lenkungen des einen derselben, sei es im Fallen oder Streichen, dennoch eine
solche Berührung zu Wege bringt. Sie schaaren sich, nennt dies der Berg-
mann. Bleiben sie, ehe sie wieder auseinander gehen, eine Zeitlang in Be-
rühniDg, so heisst dies, sich schleppen. Parallelgänge oder Gangzüge ge-
hören in den meisten Fällen auch zu einer genetisch und mineralogisch gleich
charakterisirten Ganggruppe.
Gänge, die kein paralleles Fallen oder Streichen besitzen und einander be-
nachbart sind, müssen sich durchschneiden.
Sind zwei Gänge im Streichen parallel, aber von entgegengesetztem Einfallen,
so durchfallen sie sich, sie bilden ein Durchfallkreuz. Wenn sie aber im
Streichen, d. h. also in der Längserstreckung sich durchkreuzen, so bilden sie
ein Gang- oder Schaarkreuz. Dasselbe kann entweder mehr rechtwinkelig
sich gestalten oder sehr spitze Winkel bilden. Im letzteren Falle macht es fiir
die Wechselverhältnisse der beiden Gänge noch einen Unterschied, ob sie nach
derselben Richtung einfallen oder nicht, d. h. gleichsinnig oder widersinnig
fallen. Diese Verhältnisse werden vor Allem von Bedeutung, wenn Gänge bei
der Durchkreuzung sich gegenseitig aus ihrem regelmässigen Weiterstreichen ab-
lenken oder in den einzelnen Theilen verschieben, d. h. sich verwerfen.
(Mio. 80-82.)
Fig. I.
Fig. 2.
Fig. 3.
Störungen, die ein Gang durch einen anderen erleidet, der ihn im Streichen
oder Fallen durchkreuzt, kann man in Gangablenkungen und Verwerfungen
unterscheiden.
Erscheinungen dieser Art gehören zu den allerhäufigsten und bieten die viel-
artigsten Verhältnisse dar. Oft schleppt ein Gang, der einen anderen durchsetzt,
diesen auf eine Strecke weit mit, ehe derselbe dann in seine alte Richtung
übergeht und zwar kann dieses sowohl im Streichen als auch im Fallen erfolgen.
Fig. I u. 2.
Oft ist eine Gangablenkung mit einer Zertrümmerung verbunden Fig. 3.
Auch kommt der Fall vor, dass beide sich durchkreuzende Gänge zugleich eine
Ablenkung erfahren.
Alle Verhältnisse dieser Art lassen sich an kleinen Handstücken von schwarzem
Kieselschiefer, der oft von zahlreichen feinen Trümmern weissen Quarzes durch-
zogen wird, auf das schönste verfolgen und studiren. Da finden sich auf kleinem
Raum und in kleinem Maassstabe alle Erscheinungen copirt, die wir im Grossen
an den Gangklüften in den Gesteinen wahrnehmen. Darin erkennen wir zu-
gleich, dass die mechanische Zertrümmerung und Zerspaltung in den Gesteinen
die gemeinsame Ursache von beiderlei Erscheinungen ist.
462 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Die Gangablenkung ist ein Vorgang, der in der ursprünglichen Spaltenbildung
bedingt war. Die schon vorhandene Gangspalte oder Kluft, war dieselbe schon
erfüllt oder nicht, wirkte ablenkend auf eine später aufreissende Spalte. Nur so
erklären sich die häufigen Erscheinungen vollkommener Verschmelzung und
gleichzeitiger Ausftillungsmasse beider Gänge an solchen Ablenkungen und dk
nur an der einen Spalte erfolgende Zertrümmerung bei der Annäherung an die
andere, bereits vorhandene. Endlich vor Allem die oft nach entgegengesetzten
Richtungen erfolgende Umbiegung der einzelnen Gangtrümmer, die nicht auf
eine in gewisser Richtung erfolgte gemeinsame Verschiebung zurückgeführt werden
kann, sondern nur in den die Richtung der aufreissenden einzelnen Spaltendieüe
bedingenden ablenkenden Einflüssen der schon vorhandenen anderen Spalte und
der damit im Zusammenhange stehenden verschiedenen Widerstandskraft dts Ge-
steines, indem die abgelenkte Gangspalte aufreisst, ihren Grund haben kann.
Es ist sonach das Charakteristische für die Gangablenkungen, dass der
abgelenkte Gang der jüngere, der ablenkende der ältere ist. Darin beruht
der Unterschied derselben gegen die Verwerfungen, die bezüglich ihrer Er-
scheinungen allerdings mit jenen die grösste Aehnlichkeit haben und früher auch
mit ihnen fast durchweg zusammengeworfen wurden.
Eine Verwerfung ist ebenfalls die Folge der Durchkreuzung zweier Gang-
spalten oder Klüfte, wobei jedoch der in seinen Theilen auseinandergeschobene d. L
also abgelenkte Gang der ältere, dagegen der ablenkende oder verwerfende
Gang der jüngere ist. Bei einer Verwerfung fand also eine Bewegimg der
beiden Gebirgstheile gegeneinander statt, die durch eine neu aufreissende Spalte
getrennt wurden, während dieses bei der Gangablenkung nicht noth wendig der
Fall war. Die Anzeichen der stattgehabten Bewegung zeigen sich bei der Ver-
werfung darum auch in Rutschflächen, in den durch die Bewegung geschrammten
oder glatt polirten Harnischen oder Spiegeln. In der Lage der Schrammen auf
den gegeneinander gleitend bewegten Gesteinswänden erkennt man die Richtung
des Gleitens und oft die Wiederholung ungleichartiger Bewegung.
Die Bewegung der beiden Stösse einer verwerfend wirkenden Spalte be-
dingt natürlich ein Verschieben der beiden Wände des Nebengesteines und der
darin etwa vorhandenen Gänge. Es entsprechen sich die nach der Bewegung
einander gegenüberliegenden Theile des Nebengesteines nicht mehr und ebenso-
wenig passen die beiden vorher zusammengehörigen Gangebenen noch aufein-
ander. Es kann die Verschiebung der beiden Theile entweder nur in der Ver
ticalebene oder nur im Grundriss oder in beiden zugleich zum Ausdruck kommen.
Das hängt von der Stellung des verwerfenden Ganges und dem Verhältniss seiner
Lage zu der verworfenen Schicht oder dem verworfenen Gange ab.
Es unterscheiden sich in diesen Verhältiüssen die Gangverwerfungen in nichts
von den Schichtenverwerfungen; in dem Kapitel über die Schichtenlchre vv^
daher eingehender über dieselben zu sprechen sein. Hier mag nur kurz wenigsteas
das Allgemeine Erwähnung finden.
Die Verschiedenheiten in der Erscheinung einer Verwerfung, wie sich die-
selbe in einer Profil- oder Grundrisszeichnung darstellt, hängen von dem Ver-
hältnisse des Fallens und Streichens des verwerfenden zu dem verworfenen
Garige ab. Haben zwei Gänge, von denen der eine den anderen verwirft, ein
gleiches Streichen, so nennt man die Verwerfung eine streichende, die statt-
gehabte Verschiebung liegt natürlich nur in der Fallebene und kann daher auch nur
Die Gänge.
463
im Profile zur Darstellung kommen, gleichgiltig, ob die beiden Gänge gleiches
oder wiedersinniges Einfallen besitzen. Fig. 4.
Steht aber das Streichen der beiden Gänge aufeinander senkrecht (quer-
schlägige Verwerfung) so tritt die stattgehabte Verschiebung nur in einer Grund-
risszeichnung deutlich hervor (Fig. 5). Ebenso dann, wenn die beiden Gänge unter
spitzen Winkeln sich durchsetzen (spiesseckige Verwerfung) (Fig. 6). Stehen
(Min. 88-a5.)
i
i
i
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 6.
(Min. 86.)
9m\z»nkale
Fig. 7.
die Gänge dabei vertical, so giebt der Grundriss ein ganz vollkommenes Bild;
bei tonnlägigen oder flachen Gängen aber werden die Verhältnisse nur durch per-
spectivisch schematische Darstellung vollkommen deutlich gemacht werden können.
Dazu dienen recht zweckmässig Modelle, die aus verschiebbaren Glasplatten zu-
sammengesetzt werden. (Fig. 7, in
welcher die auf ihre Gangebene re-
dudrten Gänge perspectivisch als
Glasplatten gezeichnet sind).
Dass endlich auch die I^age der
verworfenen Gangstticke zum Verwer-
fer noch Unterscheidungen bedingen,
je nachdem der im Hangenden oder
Liegenden des letzteren sich befin-
dende Theil des ersteren in der
höheren oder tieferen Lage sich findet,
das mag hier ebenfalls nur erwähnt sein, und wird des Näheren wegen auf den
Artikel » Schichtenlehre c verwiesen.
Verwerfungen haben oft die Bildung neuer Hohlräume in den Gangspalten
zur Folge, auf denen eine veränderte Mineralausfüllung Platz findet. Das kann
besonders dann eintreten, wenn die Salbänder der Gänge eine unregelmässige,
wellige Gestaltung haben und darnach bei einer Verschiebung die gegenüber-
liegenden Theile nicht aufeinender passen.
Die Beziehungen der Gänge zum Nebengestein, die sich im Verhältnisse des
Gangstreichens zum Streichen der Schichten oder zu den Grenzen besonders ab-
geschlossener Gesteinsmassen aussprechen, sind gleichfalls von geologischer
Wichtigkeit und hängen meistens mit genetischen Vorgängen innig zusammen.
Die Gänge besitzen entweder ein mit den Schichten gemeinsames Streichen
oder sie setzen quer, recht- oder schiefwinkelig durch dieselben hindurch. In
ersterem Falle kann ihr Charakter als Gang oft nur schwierig erkannt werden
und sie nehmen dann geradezu den Charakter von Schichten an, wenn sie mit
diesen auch ein gemeinsames Einfallen besitzen. Das ist z. B. oft der Fall bei
Gängen von Eruptivgesteinen, die schichtengleich als parallele Platten einem
464 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
einem Schichtensysteme eingeschaltet erscheinen, die sogen. Intrusivgänge. Oft
biegt auch ein quer durch die Schichten hindurchsetzender Gang in dieselben um
und lagert sich zwischen dieselben. Zahlreiche der als parallele Platten den
Tuffen des Aetnamantels eingeschaltete Lavamassen sind als solche intrusire
Gänge anzusehen. Das kommt ebenfalls bei anderen Gesteins- und auch bei
Mineral- und Erzgängen nicht selten vor. Die schichtenähnlichen Basaltinjectionec,
wie sie z. B. auf den Inseln Coli und Barra im Gneiss, auf der Insel Skye in
den Schichten der Juraformation und nach Geikie in ausgedehntem Maasse auch
auf den Inseln Raasay, Mull und Eigg auftreten, wo an einer Localität mehr als
20 theils sehr schmale, theils 2 — 3 Meter mächtige Lager von Dolerit, Anamesit,
und Basalt zwischen die Gesteine der Juraformation eingeschaltet sind^) und viele
andere vulkanische Gegenden liefern hierzu Beispiele. Solche streichende Gänge,
die mit gleichsinnigem Fallen einem Schichtensysteme eingeschaltet erscheinen,
pflegt man im Allgemeinen als Lagergänge zu bezeichnen.
Meist zeigen die Ganggruppen oder Zonen eines an Gängen reichen Gebietes,
eines Gangnetzes, wie dieses treffend bezeichnet wird, wenn die Gänge zahl-
reich sich durchkreuzen, eine auch in ihrer Ausfüllung sich ausprägende Ver
schiedenheit, je nachdem sie zu dem allgemeinen Streichen der Gebirgsscbichten
gestellt sind. Die Querspaltengänge zeigen ein anderes Verhalten, als die Längs-
spaltengänge. Zur Unterscheidung der Gänge und Ganggruppen bezüglich dieser
Stellung zu dem Streichen der Gebirgsscbichten erscheint die auch für andere
Verhältnisse (z. B. Thäler) allgemein gebräuchliche Bezeichnung: Tran s versa 1-
und Longitudinalgänge wohl zweckmässig. Dass aus dieser Stellung nicht immer
unmittelbar ein Schluss auf die Genesis der Gänge gezogen werden kann, dass aber
dennoch dieselbe und besonders die der Ganggnippen zu den Schichtensystemen
von genetischen Verhältnissen abhängt und dass daher auch in Gebieten von
gemeinsamen Schichtenbau, gewisse Gangrichtungen immer die vorherrschenden
sind, das ist durch viele Beispiele festgestellt und wird im Folgenden noch eines
Näheren erläutert werden.
In dem an Gängen, sowohl Gesteinsgängen, vorzüglich Basalten, als auch Erz-
gängen ganz aussergewöhnlich reichen Gebiete der unterdevonischen Formation
in der Gegend von Siegen, und namentiich zwischen den Flüssen Sieg und
Heller tritt ein solches Verhältniss auf das deutlichste hervor.
Das Gangnetz dieser Gegend ist so reich, wie es kaum anderwärts im rttei-
nischen Schiefergebirge vorkommt Die Gänge setzen meistens in Querspalten
auf, sind demnach Transversalgänge, stellenweise aber auch auf Längssp<en.
Gerade diese letzteren, die Longitudinalgänge, sind bezüglich ihres Aushaltens im
Streichen ausgezeichnet und bedingen die allgemeine Richtung der Hauptgang-
Züge dieses Gebietes. Diese geht von NO. — SW. also nahezu übereinstimmend
mit dem Streichen |der Bänke der Devongnippe, das zwischen Stunde 4 und 5
mit einem südsüdöstl. Einfallen liegt In diesem Streichen nahezu liegen die
Gangzüge des Hollerterzuges, Erz- und Basaltgänge in innigem Verbände, tbech
so der Ohligerzug. der aus dem Thale von Daaden hinüber streicht bis in das
Hellerthal bei Stnithhütte u. a. Es gehören diese auch bezüglich ihrer Mächtig-
keit und Ergiebigkeit zu den bedeutendsten des ganzen rechtsrheinischen Erz
reviers.
In sich aber sind diese Gangzüge, die zugleich die trefflichsten Beispiele von
») QttÄrt. Jou«. of geol. See. XXVIL 187 1. 297.
Die Gänge. 465
zusammengehörigen Ganggruppen bieten, ausser durch den Parallelismus im
Streichen und Einfallen auch durch eine gleichartige Beschaffenheit der Gangaus-
füllongsmasse charakterisirt.^) In beiden spricht sich der innige genetische Zu-
sammenhang aus, der diese Gruppen verbindet.
Ausser den im Vorhergehenden aufgeführten beiden Arten der Gruppirung
der Gänge in einem Gebiete bezüglich ihres Streichens, Parallelgänge oder sich
durchquerende Netzgänge, kommen auch solche Ganggruppen vor, bei denen die
Gänge von einem Punkte aus strahlenförmig oder fächerförmig verlaufen:
Strahlengänge. Sehr ausgezeichnet soll nach von Groddeck dieser Fall am
Oberharze ausgeprägt sein, wo die Gänge nach drei Richtungen, unter denen
zwei besonders stark entwickelt sind, von einem Punkte ausstrahlen.^
Die ausgezeichnetsten Beispiele einer solchen strahlenförmigen Gruppirung
von Gängen liefern aber die Vulkane, bei denen von dem Eruptionscentrum aus
die Lavagänge mit genau radialer Richtung nach allen Seiten durch den Kegel
des Berges hindurchziehen, wie dieses ganz besonders schön an den Gängen des
Aetna zu sehen ist. Die auf einen gemeinsamen Mittelpunkt verweisende ra-
diale Stellung der Gänge einer gewissen Eruptionsepoche hat Sartorius von
Waltershausen sogar benutzt, um die Lage der jedesmaligen Eruptionscentren
daraus zu berechnen.
Auch in Gebieten längst erloschener vulkanischer Thätigkeit, bei denen das
alte Centrum in der Oberflächenconfiguration nicht mehr wieder zu erkennen ist,
pflegt die radiale Convergenz der Gesteinsgänge dessen Lage noch anzudeuten.
So vermag man im Mont Dore, einem heute seiner Form nach kaum noch zu
erkennenden Centralvulkane, aus der. Anordnung der strahlenförmig in den Um-
gebungen des Puy de Sancy in den Trachyttuffen und Conglomeraten auftretenden
und hier in grosser Zahl als aufragende, mauerähnliche Klippen sichtbaren Trachyt-
gänge fast mit Sicherheit zu schliessen, dass die Vallde de la Cour, unmittelbar
am Fusse des Puy de Sancy, der einstige Mittelpunkt dieser vulkanischen Thätig-
keit gewesen sei.
n. Mineralogie der Gänge.
i.^Ausfüllungsmaterial und Structur.
Eine scharfe Eintheilung der Gänge lediglich nach ihrem Ausfüllungsmaterial
ist nicht leicht durchzuführen. Es müssen noch andere leitende Gesichtspunkte
hinzukommen. Gewöhnlich ist dieses die technische Bedeutung der in der Gang-
ausfüllung vorkommenden Minerale. Man pflegt die Gänge als taube und erz-
führende Gänge zu unterscheiden, unter den ersten alle Gesteins- und Mineral-
gänge verstanden, die keine nutzbaren Minerale enthalten, unter den letzteren
alle eigentlichen Erzgänge.
Dabei ist streng genommen der Begriff »Erz« nicht auf echt me-
tallische Minerale allein beschränkt, sondern er wird auch auf andere nutzbare,
aber nicht metallische ausgedehnt. Der Bergmann macht darin keinen Unter-
schied, sondern nennt eben kurzweg Erz, was der Gegenstand der Gewinnung
ist, nicht nur gediegen Gold, Silber, Kupfer, Oxyde der Metalle oder Schwefel-
verbindungen, sondern auch z. B. die Carbonate des Eisens, Spatheisenstein, den
Zinkspath, Manganspath, Strontianit u. a.
Erzgänge und taube Gänge sind entweder Gesteins- oder Mineralgänge.
^) A. RiBBENTROFP, Beschreibung d. Bergreviers Daaden-Kirchen. Bonn 1882. pag. 33 u. a.
*) Nach LossEN wäre freilich dieses Verhältsiss nicht wirklich vorhanden.
KmiGOTT, Mm., G«ol u. PaL L 30
466 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Unter Gesteinen versteht man solche Mineralgemenge, wie sie auch in
grösseren, selbständigen Ge.birgsgliedem als Gestein vorkommen. Gesteine)
sehr ähnlich können auch Mineralgänge durch besondere, meist nur locale Ans-
bildung werden, aber die Constanz in der Zusammensetzung, die die Gesteine
charakterisirt, pflegt dann doch zu fehlen. Da Gesteinsgänge gar nicht selten en-
führend sind, so kann also nicht in erster Linie der Umstand als Eintheüung»-
princip gelten, ob die Gangausfliliung ein Gestein oder ein anderes Mineralge-
menge sei, wenn man einmal von dem technisch -bergmännischen Gesichts-
punkt ausgeht. Auch die Erzgänge, die nicht Gesteinsgänge sind, sind alle
Mineralgänge und keinesweges durch irgend welche gemeinsame Kennzeichen
ausgezeichnet als gerade durch die Erzführung, durch die technische Verwendbar-
keit eines Theiles ihrer Mineralführung.
Mit dem Fortschreiten der chemischen Wissenschaften kann jeden Augen-
blick für ein Mineral eine technische Verwendung sich erschliessen, die man
früher nicht gekannt hat. Dann tritt ein solches Mineral in die Reihe der nutz-
baren über. So ist z. B. der Strontianit erst in neuester Zeit, wo seine Verwendung
in der Zuckerindustrie als werthvoll erkannt worden ist, Gegenstand ausge-
dehnter bergmännischer Gewinnung geworden, so besonders in der Gegend von
Hamm in Westphalen. Gänge dieses Minerals würde man jetzt zu den Erzganges
zu rechnen haben.
Ganz besonders hat aber die Eintheilung der Gänge nach der Eizfühniii|!
keinerlei geologische Bedeutung. Eine solche kann nur von dem Gesichts-
punkte genetischer Beziehungen aus geschehen.
Dieser bietet sich in der Erfahrung, dass bei den einen Gängen das Au5-
füllungsmaterial ein ursprüngliches d. h. in der Gangspalte selbst ausschliesslich
gebildetes, entstandenes, bei anderen Gängen aber ein solches ist, welches als
Trümmermaterial schon früher bestandener Mineralmassen durch beson-
dere Vorgänge erst in die Gangspalte geführt wurde.
Freilich ist auch hiemach eine scharfe Trennung keinesweges möglich. E>
kann der Natur der Sache nach nicht in allen Fällen die Ursprünglichkeit der
Mineralerfüllung mit Sicherheit erkannt werden. Ganz besonders aber fehlen
auch da, wo eine ursprüngliche ErfuUung vorherrscht, die Trümmer- und Bnich-
stücke zerstörter älterer Bildungen nicht ganz, sowie andererseits auch bei über-
wiegender Erfüllung durch klastisches Material doch auch für den Gang auto-
gene Minerale sich damit vereinigen. Eine breite Mittelzone verbindet daher
die beiden in ihren äusseren Gliedern wohl getrennten Abtheilungen.
Es wird vor Allem die überwiegende Menge der einen oder anderen Bestand-
theile entscheiden, zu welcher der beiden Gruppen ein Gang zu rechnen ist
In diesem Sinne würden also die Gänge einzutheilen sein in: I. Autogene,
d. h. solche mit überwiegend in der Gangspalte selbst entstandener Ausfüllung
und zwar a) Gesteins- und b) Mineralgänge und II. Allogene Gänge, solche
mit überwiegend klastischem Material als Ausfüllung. Für diese würde auch
die Bezeichnung Conglomeratgänge gebraucht werden können, wenn man dx>
Wort nicht in der üblichen beschränkteren, geologischen Bedeutung, sondern in
dem erweiterten Sinne des überhaupt Zusammengehäuftseins anwenden will. Es
würden darunter ebensowohl feinkörnige Sedimente, Zusammenhäufungen
gröberer abgerundeter, als auch scharfkantiger Bruchstücke (Breccien) zu irer-
stehen sein. Für die Rolle, die diese Trümmermateriale in den Gängen spielen,
macht das keinen Unterschied.
Die Gänge. 467
Auch für den Bergmann, der lediglich die Erzgänge in den Kreis seiner
Betrachtung zieht, erscheint eine solche Eintheilung nicht unzweckmässig. Die
darin hervortretende genetische Beziehung hat auch für ihn Werth. Das werden
am Besten die im Folgenden angeführten besonderen Beispiele ergeben.
I. Autogene Gesteinsgänge.
Gesteinsgänge sind keinesweges immer autogen in dem oben entwickelten
Sinne. Wir lernen im Folgenden Gänge kennen, deren Material der Beschaffen-
heit nach durchaus Gesteinen entspricht, z. B. Sandsteinen, Thonschiefem und
die dennoch nur in die Gangspalte conglomerirt wurden.
Die grösste Mehrzahl der wirklich autogenen Gesteinsgänge besteht aus Ge-
steinen, die den Charakter der sogen, krystallinischen, massigen Gesteine an sich
tragen und ihrer Entstehung nach als Eruptivgesteine bezeichnet werden. Es
sind dieses vornehmlich: Granit, Porphyr, Diorit, Diabas, Melaphyr, Basalt und
Trachyt, ohne hierbei die feinere Unterscheidung der Gesteinsarten, wie sie die
neuere Gesteinslehre durchzuführen vermochte, zu berücksichtigen.
Gesteinsgänge dieser Art stehen daher auch in der Regel mit grösseren zu-
sammenhängenden Gebirgsmassen desselben Gesteins in örtlichem Zusammen-
hang. Ofl sind sie sogar direkt als Abzweigungen, Ausläufer (auch Apophysen
genannt) von solchen Massivs erkannt worden.
So sind die von manchen Granitkemen in Gebirgen auslaufenden Apophysen,
die in die den Granit umgebenden Schichtensystemen fortsetzen und endigen,
dort als Gänge anzusehen.
Zahlreiche, oft sehr mächtige Granitgänge setzen durch die breite Zone
silurischer Formationsglieder hindurch, welche die centralen Granite der südlich
von Dublin gelegenen Gebirgskette von Wicklow bis Waterford umsäumen. Wenn
auch nur an wenigen Stellen der direkte Zusammenhang mit dem Granitcentrum
zu Tage liegt, so kann doch kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass die zahl-
reichen granitischen Gänge Apophysen jenes sind.
Es pflegen daher auch Gesteinsgänge in gewissen Gegenden in ganz be-
sonders dichter Häufung aufzutreten. Ueberall dort z. B., wo basaltische Kuppen
oder Decken als die Anzeichen stattgehabter vulkanischer Durchbrüche erscheinen,
da sind die Formationen, durch welche jene hindurchbrachen und welche sie nun
bedecken, auch von basaltischen Gängen durchschwärmt. An Basaltgängen ganz
ausserordentlich reich ist das rheinische Schiefergebirge, soweit demselben Basalt-
kuppen aufliegen, nach Osten bis in die Gegend von Dillenburg und nach Süden
bis an die Mosel. Noch in der Gegend von Wittlich sind Basaltgänge bekannt
Weiter südlich zwischen Nahe, Saar und Mosel durchsetzen die Schichten
der devonischen Formation zahlreiche Diabas- und Dioritgänge, mehr nach der
Nahe zu, in den Schichten der Kohlenformation und der Dyas treten Melaphyr-
und Porphyrgänge auf.
Zahlreiche Gänge, meist Grünsteine, Diabase und Diorite durchziehen die
verschiedenen Etagen der silurischen Formation im südlichen Norwegen in der
Umgegend von Christiania, oft von sehr geringer Mächtigkeit, meist von i — 3 Meter.
Zahllose Beispiele aus den verschiedensten Ländern und Formationen könnten
diesen noch angereiht werden.
Auf alle Gesteinsgänge passen die topographischen Verhältnisse, wie sie im
vorigen Abschnitte für die Gänge im Allgemeinen erörtert worden sind. Gesteins-
gänge sind oft durch ganz besondere Regelmässigkeit und scharfe Ausprägung
30*
468 Mineralogie, Geologie and Palaeontologie.
ihrer Salbänder ausgezeichnet Freilich bieten sich auch sehr unregelmassige,
seltsam gebogene und verzweigte Formen dar.
Die Structur ihrer AusfUUungsmasse zeigt nicht selten eine gewisse Ab-
hängigkeit von den Dimensionen und Verhältnissen der Gangspalte. In sehr
engen Spalten pflegen die Granitgänge oft eine besonders feinkörnige oder didte,
porphyrähnliche Beschaffenheit anzunehmen. Fast übereinstimmend ist in aUen
Gebieten die Beobachtung, dass die Ganggranite feinkörniger und manchmal
auch von einer anderen petrographischen Entwicklung sind als die Granite dei
grösseren Ablagerungen. Ganz besonders pflegen Granitgänge und Adern im
Granit feinkörniger zu sein, als dieser. Jedoch kommen, freilich seltener, audi
grobkörnige Ganggranite vor.
Während oft im Inneren der Gangmasse ein Gestein grosskömige, kiystalli-
nische Ausbildung besitzt, wird nach den Salbändern zu dieselbe feinköniigci
und dicht. Bei den Granitgängen tritt eine dichte felsitische Ausbildung, bei
Basalten und Trachyten eine glasreichere, oft geradezu obsidianardge Bescbafiü»-
heit der Salbänder auf. Die im Inneren deutlich krystallinischen, oft grosse
Leucite enthaltenden Lavagänge am Vesuv im Mantelgebirge der Somma und
die doleritischen Gänge der Valle del Bove am Aetna zeigen mehrfach die ob-
sidianartigen Rinden ihrer Salbänder.
Mit der im Inneren der Gänge sich entwickelnden grosskömigen Beschaftih
heit ist auch die Ausbildung von Drusenräumen mit wohlgebildeten KiystaU-
gruppen verbunden. Die im Centralgranite des Riesengebirges aufsetzenden
Gänge enthalten im Inneren solcher Drusen oft mehrere Fuss grosse Kiysrall-
gruppen der schönsten Orthoklase und Bergkrystalle. Auch die schönen und
durch den Reich thum an verschiedenen Mineralen ausgezeichneten Granitgänge
auf der Insel Elba verdanken diesen ihrer grosskömige und drüsige Beschaffen-
heit im Inneren.
Nicht mit echten Gesteinsgängen zu verwechseln ist die oft in beiderseitig
ziemlich scharf begrenzten und geradlinig verlaufenden Zonen erfolgte ab-
weichende Ausbildung einer Gesteinsmasse. In den Graniten von Striegau in
Schlesien, die im Allgemeinen eine ziemlich gleichmässige mittelkömige Stmctur
besitzen, erscheinen oft solche Streifen von dichter, granulitartiger Beschaffenheit
Dadurch treten sie anscheinend mit scharfen Grenzen gegen den umgebenden
Granit hervor. Jedoch zeigen zahlreiche allmähliche Uebergänge ihrer Masse a
diesen, sowie die stets vollkommene innige Verwachsung und Verflössung, dass
es keinesweges später erfüllte Spalten sein können. Entweder sind es nur weit-
hin sich erstreckende Schlieren von anderer Ausbildung, aber gleichzeitig ent-
standen mit dem ganzen Gesteine oder es sind mit der schon theilweise erfolgten
Verfestigung des Gesteines geöffnete Risse in diesem, die unmittelbar durch
Nachschub aus den noch flüssigen Theilen sich wieder erfüllten. Das nur zähe,
keinesweges ganz feste Nebengestein schmolz dann mit ihnen wieder mehr oder
weniger zusammen. Aehnliche Vorgänge lassen sich wohl bei erstarrenden Law-
strömen beobachten. Dann allerdings würden jene Einlagerungen mit echten
Gängen eine gewisse Verwandtschaft besitzen.
Gesteinsgänge finden sich in allen Formationen von den ältesten archäischen
Schiefem an bis zu den jüngsten sedimentären Bildungen. Geologisch hat das Sc
Bedeutung, dass die Bedingungen zu ihrer Entstehung im Allgemeinen also >'on
den ältesten Zeiten an vorhanden gewesen sein müssen.
Gar nicht selten sind echte Gesteinsgänge durch eine ErzfÜhning auch En-
Die Gänge. 469
gänge. Sie enthalten die Erze in sehr verschiedener Weise. Entweder treten
dieselben in der Form von Nestern, Trümmern, Adern oder in gleichmässigerer
Vertheilung eingesprengt auf, in anderen Fällen ist die Umwandlung und
Verwitterung der Ganggesteine die Veranlassung zur Ausbildung derselben in
ihrer ganzen Masse als Erzgänge. Das ist besonders bei gewissen Eisenstein-
gängen der Fall, die geradezu als die Residua umgewandelter Gesteinsgänge an-
zusehen sind. Der Gehalt an Eisen war in den Mineralen bedingt, die das Ge-
stein zusammensetzten. So steht die Bildung von Eisenerzen in ganz besonderer
Beziehung zu Grünstein-, Melaphyr- und auch Basaltgängen. Brauneisenerz ist
das Product, das bei der Umwandlung und Verwitterung dieser Gesteine resultirt.
Der Florentingang zu Zezic bei Przibram ist ein treffliches Beispiel eines
solchen Eisenerzganges. Er ist ein Diabasgang und enthält Brauneisenerz in
Knollen, Nieren und rundlichen Körpern von verschiedener Grösse, oft zu mehreren
Kubikfussen anwachsend. Dieselben liegen mehr oder weniger dicht beisammen
und verlaufen z. Th. in die umgebende Gesteinsmasse. Soweit diese erzführend
ist, erscheint der Diabas sehr zersetzt z. Th. zu einer eisenschüssigen Thonmasse
umgeändert. Am Hangenden und Liegenden des Ganges erscheinen 2 — 3 Fuss
breite Parallelzonen von Brauneisenstein mit Kalkspath.
Andere Beispiele eines Zusammenhanges der Eisensteinführung bei Grünstein-
gängen mit deren fortschreitender Verwitterung kommen zahlreich im Gebiete
des iheinischen Devons an der oberen Lahn vor. Auch im Harz erscheint das
Eisenoxyd auf mannigfaltige Weise in den Diabasgängen und Lagern und giebt
diesen dadurch eine besondere Wichtigkeit. An anderen Orten ist auch das
Magneteisenerz ein Begleiter von Grünsteingängen.
Augitgranatfelsgänge sind zu Arendal die Träger des dortigen Magneteisen-
vorkommens. Zu Woodspoint in Victoria ist ein Grünsteingang goldführend.^) Er
enthält goldhaltigen Pjrrit und ist von Quarztrümmem durchsetzt Da er aber
neben einem goldführenden Quarzgange emporgedrungen ist, so ist anzunehmen,
dass das Gold und der Tyrit aus diesem herstammen. Pyritführend erscheinen
sonst sehr viele Grünsteingänge. Pyritreiche Diorite hängen in der Colonie
Queensland mit der Goldfühnmg zusammen. Auch das altberühmte, jetzt leider
nicht mehr gefundene rothe Gold Irland's stammt wahrscheinlich aus Grünstein-
gängen in der silurischen Formation der Grafschaft Wicklow. Der Felsitporphyr-
gang des Goldfeldes Kilkiwan in Australien, der alte Schiefer und Sandsteine
durchsetzt, enthält auf vielen feinen bis 2 Millim. mächtigen Spalten Quarz, Pjrrit
und Gold.^ Sehr zersetzte jüngere granitische Gänge im Granit und Gneiss sind
die Träger der ziemlich berühmten Bleierze von Pontgibaud bei Clermont-Ferrand
in der Auvergne. Auch in diese Gänge scheinen die Erze aber erst später ein-
gedrungen zu sein und damit hängt wohl die starke Umwandlung des Gang-
granites auch zusammen.
Die Granitgänge des Erzdistrictes von Tellemarken, westlich von Kongsberg
in Norwegen enthalten Kupfererze. Die Gänge treten in Quarzit und Quarzit-
scbiefem auf und sind Ausläufei* eines grösseren Granitmassivs. Sie enthalten
das Kupfer (Kupferglanz) in nesterformigen, massigen Ausscheidungen z. Th. der
Art, dass eine gleichzeitige Bildung des Granites und der Erze wahrscheinlich
cRcheint *
^ G. WoLFF, Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. 1877. XXIX. 139 u. 155.
*) G. WoLFF, 1. c. pag. 82.
470 Mineralogie, Geologie iin<T Palaeontologie.
Das in verschiedenen basaltischen Gebieten auf zersetzten Basalten Tor-
kommende ged. Kupfer, z. B. bei Rheinbreitbach am Rhein und in Böhmen,
rührt wahrscheinlich aus benachbarten Kupfererzgängen her. Immerhin ist di?
Möglichkeit einer lursprünglichen Anwesenheit nicht ausgeschlossen. Die Basdte
enthalten geringe Mengen Kupfer und die mit der Verwitterung möglich werdcadc
Concentradon und gleichzeitige Reduction vermochte die Anhäufung des ged
Metalls auf den Gesteinsklüften zu bewirken.
Zu erwähnen sind hier auch die erzführenden Gänge vom M. Calvi bei Cam-
piglia maritima in der toscanischen Maremme. Diese Bleiglanz, Blende imd Kupfer-
kies mit verschiedenartigem Pyroxen enthaltenden Gänge sind nach vom Rath^
von Quarzporphyr- und Augitporphyrgängen in einer Weise durchsetzt und be-
gleitet, dass auf eine gleichzeitige Entstehung der Erzmassen und der Eraptiv-
gesteinsgänge geschlossen, werden muss.
Sehr viel seltener als Eruptivgesteine treten in der Form von Gängen aacb
andere Gesteine auf, die ihrer Mineral-Zusammensetzung nach gewissen hydito
genen Gesteinen gleichen, nach ihrer Ausbildung aber für autogen in den Gang-
spalten gelten müssen. Es sind also nicht eigentlich sedimentäre Gesteine.
Hierher gehören vor Allem die Quarzite und kömigen Kalksteine.
Die meisten, aus einem mehr oder weniger innigen Gemenge von Quan
bestehenden Gänge sind nach ihrer ganzen Structur als Mineralgänge aufzufassen
Jedoch giebt es auch solche, deren Beschaffenheit so sehr den Quarzgesteiner^
den eigentlichen Quarziten gleichen, dass man sie fiiglich als Gesteinsgänge lu
bezeichnen hat. Ganz besonders werden bei diesen die geognosdsche Stellung, die
Lagerungsverhältnisse zu entscheiden haben, ob ein wirklicher Gang vorliegt
Den Schichtensystemen conform eingeschaltete Lager dieser Art gehören natürlich
nicht hierher.
Sehr kleine, locker -kömige Quarzgänge setzen in den aus umgewandelten
Hornblende- und Pyroxengesteinen hervorgegangenen Serpentinmassen in der
Nähe von Frankenstein in Schlesien auf. Die einzelnen Körner zeigen oft voll-
kommen die dihexaedrischen oder prismatischen Krystallformen. Diese kleinen
mit der Serpentinbildung entstandenen Gänge oder Trümmer, die netzartig das
Gestein durchschwärmen, sind also unzweifelhaft autogen. Keilhau beschrieb von
Vardöen in Finmarken einen 2 — 3 Fuss mächtigen Gang von grünlichem sand-
steinartigem Quarz, welcher 70° in Südwest fallend, die unter 30** nach Xori
einfallenden Thonschiefer und Quarzitschiefer scharf durchschneidet Seine Masse
gleicht diesen Quarziten durchaus.
Auch autogene mit Kieselschiefer erfüllte Gänge dürften hierher gehören.
Die Brauneisensteingänge bei Lichtenberg in Thüringen führen ofk Kieselschiefer
und Alaunschiefer ununterbrochen in grossen Distanzen und sind mit demselben
ganz regelmässig, meist von einem Salbande bis zum anderen erfüllt. Es handelt
sich also hier um wahre Gangmasse, nicht um Trümmer des Nebengesteines
Auch unterscheidet sich der Kieselschiefer des Ganges von dem Kiesclschiefer
recht auffallend, der als Einschaltungen in den Grauwacken und ThonscWcfcni
dieses Gebietes vorkommt. Ganz besonders überzeugend für das autogene gang-
förmige Vorkommen dieses Kieselschiefers sind daher gerade solche Stellen, »*>
er ein Kieselschieferlager durchsetzt*).
») G. VOM Rath, Zeitschr. d. deutsch. gcoL Ges. 1868, XX. 307.
*) Naumann, Gcogn. Bd. m. pag. 568.
Die Gänge. 471
Keilhau beobachtete bei Brevig in Norwegen ebenfalls Kieselschiefergänge
und beschrieb einen dergleichen Gang ausführlich.^)
Auch bemerkt sehr richtig Naumann, dass der Kieselschiefer ein Quarz-
gestein seiy welches sich gewissermassen als ein palaeozoischer Vorläufer der späteren
Chalcedon- und Achatbildungen, des Flintes und des Kieselschiefers betrachten
lässt; daher kann sein Auftreten als Ganggestein einestheils und als Schichten-
gestein anderentheils nicht befremden.*)
Gewissermaassen ein Mittelding zwischen Quarzit- und Kalksteingang scheinen
die Gänge zu bilden, die Strickland von Ethie in Rosshire, Schottland, beschreibt.
Sie setzen im Liasschiefer auf, dessen Schichten anfangs nur wenig geneigt sind,
sich aber allmählich aufrichten und zuletzt nahe vor dem Gneisse fast senkrecht
stehen. Zwei der Gänge sind den Schichten parallel und daher nur fragliche
Gänge. Aber zwei andere, i — 2 Fuss mächtig, verzweigen sich in das Neben-
gestein. Alle bestehen aus einem Quarzsandstein, der mit Kalkspath in der Weise
imprägnirt scheint, wie dieses bei den sogen, krystallisirten Sandsteinen von
Fontainebleau u. a. O. der Fall ist Auf den Gesteinsbruchflächen treten die
Spaltungslamellen der Kalkspathkömer glänzend hervor. Sind die durch den
Kalkspath verkitteten Quarzkömer Bruchstücke, so würde das Ganggestein nicht
hierher, sondern zu den klastischen, allogenen gehören.
Auch die kömigen Kalksteine, die in Gängen auftreten, erscheinen in solchen
Formen und mit solchen Eigenschaften, dass man an einer ursprünglichen Ent-
stehung derselben in den Spalten nicht zweifeln kann. Manche Geologen sind
sogar zu der Ansicht veranlasst worden, dieselben geradezu für eruptive Kalk-
steine zu halten. Nach ihrem Material unterscheiden sie sich von den krystallinisch-
kömigen Kalken nicht, welche als Lager oder Schichtenglieder erscheinen. Um
so mehr wird auch hier aus ihrer Stellung die wirkliche Gangnatur vor Allem
festgestellt werden müssen.
Lagergänge werden nur unter ganz bestimmten Verhältnissen hierher gerechnet
werden dürfen, d. h. wenn das Vorhandensein einer Spalte unzweifelhaft er-
kannt wird.
KjERULF und T. Dahll beschreiben von der kleinen Insel Fredsöe am west-
lichen Hellesund unweit Arendal einen 10 Fuss mächtigen Lagergang von weissem,
marmorartigem Kalkstein, der von ihnen für einen wirklichen Eruptivgang ge-
halten wird.
Auch der bekannte kömige Kalkstein von Auerbach an der Bergstrasse im
Grossherzogthum Hessen-Darmstadt dürfte ein mächtiger (30 — 50 Fuss) Gang sein.
In dem oft grosskömigen, eigenthümlich bläulichen Kalksteine kommen Blätt-
chen von Graphit, schöne Krystalle von Granat, Vesuvian, Pistazit u. a. Mineralen
vor. Auch diesen Gang hielt C. v. Leonhard für eine eruptive Bildung, während
C. Fuchs in einer im Jahre 1860 erschienenen Abhandlung die Bildung des Kalkes
durch Auslaugung aus dem umgebenden Syenite, die spätere Bildung der Silicate
aber durch die Einwirkung kieselsäurehaltiger Quellen erklärte.^
Dass aus gewissen Gesteinen, z. B. Dioriten, als Endproducte einer gänzlichen
Umwandlung auch Kalksteine hervorgehen können, ist kaum zu bezweifeln.
(Vergl. Artikel: Chem. Processe in der Geologie, pag. 148). So mögen manche
') Gaea Norvegica, pag. 71.
') Naumann, m, pag. 569.
*) Naumann, L c. m, pag. 557.
472 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
der kömigen Kalksteingänge in krystallinischen Gesteinen ebenfiüls als das
Product der Umwandlung augitreicher Gesteine gelten können.
2. Autogene Mineralgänge.
Wenn auch nicht gerade verbreiteter, so doch jedenfalls interessanter, be-
sonders für den Mineralogen, sind die Mineralgänge, die aus einem in der Gan^-
spalte gebildeten Gemenge krystallinischer Minerale bestehen, das nach Zu-
sammensetzung und Structur von Gesteinen wesentlich verschieden und in
höchstem Maasse wechselnd und ungleichartig erscheint. Selbst da, wo nur eines
oder nur wenige Minerale an der Ausfüllung eines Ganges theilnehmen, vaiiin
die Beschaffenheit desselben auf geringe Distanzen oft sehr bedeutend. Daiia
ist/ wie schon vorher hervorgehoben wurde, ein wesentlicher Unterschied gega
die Gesteinsgänge ausgeprägt.
In grosser Verbreitung kommen eigentlich nur wenige Minerale als Gang-
ausfüllung vor, Quarz, Calcit, Baryt, Fluorit sind am häufigsten, schon seltener
Dolomitspath, Strontianit, Gyps, Phosphorit u. A. Während in den GetteiDen
als Gemengtheile von diesen eigentlich nur Quarz und Kalkspath und in den
eigentlich krystallinischen Gesteinen nur der erstere eine hervorragende Rolle
spielt, erscheinen die Feldspathe, nächst dem Quarz in jenen die wichtigsten irad
Verbreitetesten Gemengtheile, als Bestandtheile von Mineralgängen nur ganz unter-
geordnet und nur ein Theil von ihnen. Albit erscheint häufiger und unzweifd-
haft als Mineral auf Gängen, ob es aber Mineral -Gänge g^ebt, in denen Orthoklas
und Oligoklas Bestandtheile sind, selbstverständlich von Gesteinsgängen abgesehen,
das ist noch eine offene Frage.
Gewisse allerdings sehr gesteinähnliche Gänge, die aus Feldspath, Qnan,
Glimmer, Turmalin u. a. Mineralen bestehen, sind z. Th. für blosse Mineralaus-
scheidungen gehalten worden, während andere Forscher sie für eruptive, wirkliche
Gesteinsgänge ansehen.
Die granitischen Gänge von S. Piero auf der Insel Elba, ausgezeichnet
durch den grossen Reichthum vieler z. Th. seltener und schön kiystallisirter
Minerale hält vom Rath für Absätze und Krystallisationsproducte aus auf-
steigenden Mineralquellen^).
Femer hat z. B. Credner^ für die ihrem Mineralgemenge nach vollkommen
granitähnlichen Gänge im sächsischen Granulitgebirge eine Entstehung acs
wässrigen Lösungen, ganz analog jedem gewöhnlichen Mineralgange angenommen.
Der Gehalt an den gelösten Substanzen ist nach ihm vorzüglich auf Lateral-
secretion, d. i. also eine Auslaugung des Nebengesteines, zurückzuführen« Diese
Gänge sind sehr reich an Mineralen, es nehmen an ihrer Zusammen-
setzung Theil: Quarz, Orthoklas, Oligoklas, Albit, verschiedene Glimmer, Tur-
malin, Granat, Orthit, Epidot, Titanit, Eisenglanz, Pyrit, Topas, Zirkon, An-
dalusit, Kalk- und Braunspath u. a. im Ganzen- 27 verschiedene Minerale. Für
einen Theil ist die lediglich wässerige, secundäre Entstehung kaum zweifelhaft, so
z. B. für den Albit, einen Theil der Glimmer, den Epidot, Titanit und die Eisen-
minerale. Ganz besonders aber ist das Vorkommen der Orthoklase* dasjenige,
worauf bei der Entscheidung der Frage das grösste Gewicht liegt Die allerdings
in sehr vielen Einzelheiten, die Credner ausserordentlich eingehend beschreibt
und abbildet, den Mineralgängen vollkommen «analogen Structurverhfiltnisse dieser
*) Zeitsch. d. deutsch- geolog. Ges. 1870. XXIL
") Zeitsch. d. dcutech. geol. Ges. 1875. XXVII, pag. 104.
Die Gänge. 473
Gänge sind es, die vornehmlich für jenen Forscher keine andere Deutung als die
einfacher wässenger Bildung zulassen.
Zwar sind später von anderer Seite, so z. B. von Kalkowskv^) grosse Be-
denken gegen diese Auffassung geltend gemacht worden, ohne dass es diesem
gelang, eine auch nur einigermaassen plausible Erklärung dieser Gänge an die
Stelle zu setzen. Es bleibt, wenn man sie nicht für secundäre, aus wässriger
Lösung gebildete, blosse Mineralgänge ansehen will, eigentlich nur die Deutung
übrig, die im Vorhergehenden (pag. 468) für die gangähnlichen Schlieren in den
Graniten Schlesiens angenommen worden ist. In ausgedehntem Maasse nimmt
auch Sterrv Hunt für die zahlreichen Ganggranite von Canada die Entstehung aus
wässriger Lösung in Anspruch.
Nach der Analogie mit den angeführten Gängen würde dann aber unzweifel-
haft eine grosse Anzahl von Ganggraniten verschiedener Gebiete ebenso als eigent-
liche Mineralgänge anzusprechen sein.
Dass aber auch andere Feldspathe als Albit in der That auf secundärem
Wege gangähnlich sich bilden können, das zeigen Adern und Schnüre eines
eigenthümlichen Feldspath-Quarzgemenges, auch mit Epidot, Vesuvian und Granat,
das in den Serpentinen von Frankenstein in Schlesien vorkommt und früher für
einen besonderen Feldspath gehalten wurde, den Glocker wegen seiner zucker-
kömigen Beschaffenheit: Saccharit genannt hatte. Für ihn ist nach seiner ganzen
Erscheinung und dem Zusammenvorkommen mit den vorhin schon erwähnten
lockeren Quarzgängen (pag. 470) eine secundäre Bildung durchaus wahrscheinlich.
Sehen wir aber zunächst von diesen noch zweifelhaften Gängen ab, so
bleiben eben nur die oben genannten 4 Minerale als die häufigeren Gangminerale
übrig. Die grossartige Mannigfaltigkeit und das hohe mineralogische Interesse,
das sich an die Gänge knüpft, besteht also darnach nicht in dem Reichthum,
der die eigentliche Gangmasse bildenden Minerale, sondern nur in der Viel-
artigkeit der Structur und in den nur zufällig vorkommenden, sehr oft wechseln-
den und zahlreichen begleitenden oder accessorischen Mineralen. Solche
sind eigentlich auch die Erze, deren Vorhandensein allerdings, wenn auch oft
quantitativ nur sehr gering, doch den erzführenden Mineralgängen eine ungleich
höhere Beachtung zugewendet hat, als den erzfreien, tauben. Daher gründet sich
auch bei den Mineralgängen der grösste Theil unserer Erfahrungen auf die in
den Erzgängen gesammelten Beobachtungen.
Nur selten ist ein Mineralgang ganz ausschliesslich mit einem einzigen Mi-
neral erfüllt Gänge dieser Art haben in der Regel keine grossen Dimensionen,
*cder im Streichen, noch in der Mächtigkeit. Quarzadem in den verschiedensten
Gesteinen, Kalkspathschnüre in den Kalksteinen würden hierher gehören.
Meist betheiligen sich an der Gangausfüllung mehrere Minerale. Die An-
ordnung derselben, auf welcher die Structur der Gangmasse beruht, ist von be-
sonderem Interesse, weil sie uns in ihrer Eigenartigkeit und Vielfachheit ein
deutiiches Bild gewährt von dem Wechsel der Vorgänge, die zur Erfüllung einer
Gangspalte geführt haben.
Die Art der Ausfüllung ist meistens nur dann eine einfache, wenn ein
Mineral überwiegend die Gangmasse bildet, begleitende Minerale nur in ge-
nnger Menge vorhanden sind, ohne dass eine bestimmte Succession in den Aus-
föllungsprocessen auch in der Structur hervortritt. Diese kann eine verschieden-
0 Zeitschrift d. deutsch, geol. Ges. 1881. XXXm. pag. 629.
474 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
artige sein, eine massige, körnige oder dichte, d. d. gleichmässig nach allen
Richtungen, oder eine lagen- oder schalenförmige, eine stenglige, faserige, a-
vemöse u. a. m.
Quarzgänge bestehen meist *aus deutlich krystallinischem Quarze und b6
sitzen eine massige Structur. Die einzelnen Individuen sind in der Regel ohne
jede bestimmte Anordnung durcheinander gewachsen. Wo leere Räume zwbcbct
ihnen übrig bleiben, zeigen sich wohlausgebildete Krystallenden und Gnippep,
häufig von der amethystartigen Beschaffenheit. Hier treten auch begleitende
Minerale auf, z. B. Eisenglanz u. a. Jedoch kommen auch stenglige Quan-
gänge vor. Im Granit von Saint Jaques d'Ambre, Auvergne, treten Quarzganze
von wenigen bis zu 20 Centim. Mächtigkeit auf, in denen die einzelnen Quarzirr
dividuen alle senkrecht auf die beiden Salbänder der Gänge gestellt scheinen
und ihre wohl ausgebildeten Spitzen in der nicht vollkommen geschlossener.
Mitte einander zuwenden. Quarzgänge sind weit verbreitet und erlangen z. Th.
bedeutende Mächtigkeit.
Auch die Kalkspathgänge im Gebiete von Kalksteinfonnationen zeigen
oft eine ähnliche stenglige oder feinfaserige Structur.
Solche Gänge, die ganz oder grösstentheils aus Fluorit bestehen, konuDcn
schon weit seltener vor und enthalten in der Regel noch andere Minerale oder
Erze.
Bei Rottleberode, südlich von Stollberg am Harze, setzt im Grauwactca-
schiefer senkrecht ein 8 Lachter mächtiger Gang auf, welcher nur ganz vereinreit
Quarz führt und sonst aus reinem grünem oder weissem Fluorit besteht, der als
Zuschlag zu dem Mansfelder Hüttenbetriebe gewonnen wurde. Auch bei Snas-
berg nordöstlich von Stollberg findet sich ein ähnlicher, fast reiner Fluoritgan^
von 4 — 5 Lachter Mächtigkeit.
Andere Fluoritgänge zeigen schon einen reichlicheren Gehalt an Quarz, w
der Gang am Flossberge bei Liebenstein im Thüringer Wald, der am Abhänge
des Berges in hohen Felsenkämmen aus dem Gneiss aufragt
Eine eigenthümliche Verwachsung von Fluorit und Quarz zeigt der durch
seine Fluoritkrystalle in vielen Mineralsammlungen vertretene Gang von der
Roche- Vieille bei dem kleinen Dorfe Cornet, unweit Pontgibaud in der Auvergne
Der Quarz bildet rundliche, achatartige, aus vielen Lagen bestehende Concr^
tionen, deren Kern aus grünem, seltener auch violettem Fluorit besteht Ic
Inneren zeigt der Fluorit oft schöne, flächenreiche Krystalle, um welche racr.
selten der Quarz in der Gestalt dünner Hüllen sich gelagert hat Andere ahtv
liehe Gänge kommen in der nächsten Umgebung z. B. zu Martineiche vor. Aucr
weiter südlich im Canton Rochefort, nahe bei dem Dorfe Herment tritt ein ahn-
licher Fluoritgang im Glimmerschiefer auf.
Barytgänge sind zwar häufiger als Fluoritgänge, jedoch noch seltener frei
von Quarz und meistens auch Fluorit, sie enthalten in der Regel auch metallische
Minerale.
Vorwaltend aus Baryt besteht der Gang von Schriesheim unweit Heidelberg.
Er ist 2—3 Meter mächtig, setzt nach Cohen auf der Grenze zwischen Granit
und verkieseltem Porphyr auf und enthält etwas Quarz, Fluorit und in der TieJc
Eisenkiesel.
Im Granit setzen in den Cantons von Jumeaux und Vic-le-Comtc zahlreiche
Barytgänge auf. Bei Four-la-brouque kommen ausserordentlich grosse 3 — 5 ICl^ >
schwere, flächenreich ausgebildete Krystalle vor. Die Gänge haben nur
Die Gänge. 475
Mächtigkeit von wenigen Zoll. Andere viel mächtigere Gänge führen nur derben,
vollkommen dichten Baryt Zahlreiche Barytgänge finden sich auch im Granit
des Dep. Haute-I.oire im Canton Allegre und im Ard^che. Hier ist stets etwas
Quarz und Fluorit in ihnen vorhanden.
Gypsgänge sind recht selten. Violet und Boblaye sahen bei Polamos
im Thale der Kelephina in Lakonien mächtige Gänge weissen, feinkörnigen
Gypses im alten Schiefergebirge.^)
Strontianit, das Strontiumcarbonat, ist an und für sich ein seltenes Mineral
und auch auf den meisten Fundstätten, wo es vorkommt, keinesweges in grösseren
Mengen vorhanden. So muss es denn als eine recht auffallende Erscheinung
bezeichnet werden, dass es in einem einzigen Gebiete in so überaus reichlicher
Weise gangförmig auftritt. Das ist der Fall in dem Münsterlande in Westphalen,
vorzüglich in der Nähe von Drensteinfurt bei Hamm. Schon in den vierziger
Jahren wurde der Strontianit hier in kleinen Mengen gewonnen, er gelangte erst
mit dem neuen Verfahren, den Zucker aus der Melasse durch Strontian zu ge-
winnen, eine erhöhte Bedeutung. Die Production, welche früher 4—500 Ctr.
jährlich nicht überstieg, beträgt heute über 60000 Ctr. Der Strontianit bildet die
Ausfüllung zahlreicher kleiner Spalten, die kaum tiefer in den Kreidemergel der
Mucronaten-Abtheilung niedersetzen als i — 4 Meter und die meist nur wenige
Zoll mächtig sind. In ihrem Verlaufe zeigen sie keine Regelmässigkeit, obgleich
im Allgemeinen eine nordsüdl. Richtung vorherrscht.
Erzgänge zeigen überaus selten eine einfache, nur aus einem Minerale gebildete
Erfüllung. Ein Beispiel dieser Art sind die Eisenglanzgänge von Rio albano und
Terra nera auf der Insel Elba.*) Hier tritt der Eisenglanz gangförmig den Talk-
schiefer durchbrechend empor und breitet sich in der Höhe zu Lagen aus, welche
10 — 30 Meter mächtig die Oberflächen der Berge bedecken. Die Eisenglanz-
gänge, welche zahlreiche Verzweigungen in das Nebengestein aussenden und
auch viele Stücke des Nebengesteines einschliessen, verhalten sich vollkommen
wie eruptive Gesteinsgänge. Eine solche Annahme ihrer Entstehung ist freilich
nicht zulässig. Es ist wahrscheinlicher, dass es gänzlich umgewandelte alte Ge-
steins-, vielleicht Diabasgänge seien, oder auch ursprünglich mit Spatheisenstein
erfüllte Spalten, aus welchem das Eisenoxyd hervorging.
Eine ähnliche Erscheinung bietet der Magneteisenerzgang am Gap Galamita,
der viel verzweigt durch Kalkstein emporsteigt. Das Magneteisenerz ist in den
oberen Theilen des Ganges in Rotheisenstein umgewandelt, als untergeordnet
begleitende Minerale erscheinen Lievrit, Aktinolith und grüner Granat.
Auch manche Späth eiseiisteingänge sind fast reine, sehr grosskömige,
krystallinisch massige Aggregate dieses Carbonates, mit wenig begleitendem Kalk-
und Magnesiacarbonat und Quarz. Durch das reichlichere Auftreten begleitender
anderer z. B. geschwefelter Erze erhält die Gangmasse meist eine complicirtere
Zusammensetzung
In allen einfachen Mineralgängen finden sich überhaupt Uebergänge zu
den Gängen mit complicirter Erfüllung. Durch untergeordnet eingelagerte
Bruchstücke des Nebengesteines zeigt' sich ausserdem der Zusammenhang mit den
Conglom erat gangen.
Eine complicirte Ausfüllung ist bei den Mineralgängen und namentlich
>) Bull, de la Soc. geol. (2) I. 844.
*) V. Rath. Verh. d. naturhist. Ver. d. preuss. Rheinl. u. Westf. 1864. XXI. 92. u^
Groddeck, L c. pag. 186.
47^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
bei den eigentlichen Erzgängen die gewöhnliche Erscheinung. Im Gegensatze
zu der einfachen Ausfüllung verstehen wir darunter eine solche, die durd die
Theilnahme mehrerer oder vieler verschiedener Minerale bewirkt wird, deren
Gruppirung in der Gangmasse die deutlichen Anzeichen einer zeitlichen SuccessioD,
einer regelmässigen Folge in der Bildung der Ausflillungsmasse erkennen ^js<
Darauf beruht vor allem auch die Mannigfaltigkeit in der Structur dieser Giii|-
massen. Das was man als Gangstructur insbesondere zu bezeichnen \/^
ist eben durch die complicirte Ausfüllung bedingt.
Eine regelmässig, oft symmetrisch lagenformige Structur ist der deutlidjte
Ausdruck der Succession der Bildungen. Von den Salbändern des Ganges «d
folgen sich abwechselnde Lagen oder Schalen der verschiedenen Minerale a-.
sich beiderseitig entsprechender d. i. also symmetrischer Folge. Es ist diese
Structur ein so einfacher Ausdruck der Vorgänge der Gangausfüllung, da&s ihre
Betrachtung von genetischen Beziehungen nicht zu trennen ist. Die einzebe!)
Minerallagen sind nach und nach aus den in der Spalte circulirenden Lösunger.
ausgeschieden worden. , Die Verschiedenartigkeit der einzelnen Lagen nach ihre:
Stärke ist entweder bedingt von dem verschiedenen Verhalten bezüglich der
Adhäsion der circulirenden Lösung an den Spaltenwänden, oder auch von der
Dauer der Circulation einer gleichartigen Lösung. Ein Wechsel in dem Cod
centrationsgrade einer Lösung oder noch mehr in der Zusammensetzung, de?
Gehalte an gelösten Bestandtheilen bedingt eine Aenderung der mineralogisd^
Beschaffenheit der auskrystallisirenden Stoffe.
Die S3rmmetrie in der Folge der Lagen ist oft nur eine einfache, d. h. die-
selbe Minerallage kommt nur einmal vor. Es würde also z. B. die Ansfüllinu:
eines einfach symmetrischen Ganges bestehen aus
Quarz, Flussspath, Blende, Schwerspath
einerseits und weiter
Schwerspath, Blende, Flussspath, Quarz
bis zum anderen Salbande hin.
Sehr oft ist aber die Symmetrie der Lagen eine sich wiederholende, so di>>
mehrfach eine Lage desselben Minerals sich folgt GangerfÜUungen» welche 6t<
Structur zeigen, bestehen oft aus zwanzig und mehr Lagen. Von den Salbänder:
nach der Mitte zu zeigt sich auf beiden Seiten dieselbe Anordnung, aUe Lif^r
sind von wechselnder Mineralsubstanz und hiemach scharf getrennt, i^'
dennoch innig mit einander verwachsen durch krystallinischen Verband.
In der Mitte lassen die Lagen oft einen freien Raum übrig, die Ganp-^
füllung ist keine ganz geschlossene. Hier pflegen die Dnisenräume, erfüllt t.-*
Gruppen schön krystallisirter Minerale sich zu finden. Die hier gebtidetr
Krystalle erlangen oft eine ganz bedeutende Grösse. Auf dem in den Schichten
des devonischen Systems auftretenden, an Bleiglanz reichen Gange von Blcialf i*
der Eifel finden sich auf den Hohlräumen der z. Th. noch ziemlich weit geöffneter
Spalte, Bleiglanzwürfel von einer Kantenlänge von ca. 40 Centimeter und mehrere
Centnem Gewicht.
Unzweifelhaft spielen die Löslichkeitsverhältnisse der einzelnen Mineral
Substanzen bei der Folge der in den einzelnen I.Agen der Gänge sich n:*
sprechenden Succession die wichtigste Rolle. BRErrHAtna* hat wohl zuerst di^
Zusammenvorkommen und die reihenweise Entwicklung der Minerale in ^^^
»Paragenesis der Mineralien«, Freiberg 1849, sorgfältig und ausführlich bchancr'
und darin eine grosse Zahl von Thatsachen zusammengestellt, welche auf ^
Dfb Gänge. 477
»uccession von Mineralen in Erzgängen und Drusenräumen Bezug haben.
'OTTA und Tröger haben später die Resultate in übersichtlicher Weise zusammen-
;estellt und discutirt.^)
Wenn auch bei der ausserordentlichen Mannigfaltigkeit in Textur und Be-
itandtheilen und bei der Verschiedenartigkeit der mitwirkenden Ursachen die
heils chemische, theils aber auch geologische sind, ein bestimmtes auf alle Vor-
Lommnisse gleichmassig passendes Gesetz der Succession unmöglich hergeleitet
irerden kann, so ergeben sich doch einige unzweifelhaft gesetzmässige Er-
cheinungen.
Ganz unverkennbar ist, dass Quarz und Fluorit in den überwiegend meisten
fällen zu den ältesten Bildungen in den Gangräumen gehören, dass dagegen die
i^bonate: Kohlens. Kalkerde, Magnesia u. a. zu den jüngsten Bildungen zu
echnen sind. Das steht auch mit den Löslichkeitsverhältnissen dieser Minerale
vollkommen im Einklang.
Sehr häufig sind auf den Gängen Störungen in der regelmässigen und sym-
metrischen Anordnung der einzelnen Minerallagen zu beobachten. Eine unsymme-
trische d. h. bloss einseitige Folge der Lagen kann durch die Lage der Spalte oder
auch durch den nur von einer Seite erfolgenden Zutritt der Lösung bedingt worden
sein. Durch wiederholtes Aufreissen werden Verdoppelungen und Unterbrechungen
in den Lagen herbeigeführt. Ist mit dem erneuerten Aufreissen auch eine Ver-
schiebung verbunden, so wird die Structur der Ausfüllungsmasse eine noch un-
regelmässigere. Die häufigere Wiederholung solcher mechanischer Zerreissung
kann zu vollständiger Zertrümmerung der autogenen Ausfüllungsmasse eines
Ganges führen. Er gewinnt dann das Aussehen eines mit Trümmermaterial er-
füllten Conglomeratganges, von dem er jedoch dadurch verschieden ist, dass die
Trümmer nur aus eigener Ausfüllungsmasse und nicht aus Material bestehen, dass
von aussen in die Gangspalte gekommen ist. Neuere Gangmasse pflegt dann die
Bruchstücke der älteren Ausfüllung wieder zu verkitten.
Eines der ausgezeichnetsten Beispiele dieser Art liefert der Gang des be-
kannten Trümmerachat von Schlottwitz im Mürglitzthale. Grössere und kleinere
Bruchstücke des aus lagenförmig gebildetem Bandachat bestehenden älteren Gang-
gliedes sind durch jüngeren Quarz tind Amethyst zu einer festen Breccie ver-
bunden.
Auf der Grube Segen Gottes zu Gersdorf bei Rosswein in Sachsen ist gleich-
falls auf einem der dortigen Gänge auf eine Strecke weit ein Trümmergestein
vorgekommen, bestehend aus Bruchstücken von Baryt als der älteren Gangaus-
fttllung, welche durch Fluorit als der jüngeren Ausfüllungsmasse verkittet
waren.')
Auch der berühmte goldführende Quarzgang von la Gardette, unfern Bourg-
d'Oisans im Departement Is^re, aus dem die zahlreich in den Sammlungen ver-
breiteten herrlichen Quarzdrusen stammen, bietet ein sehr lehrreiches Beispiel
einer durch mechanische Wirkungen beeinflussten Structur. Er besteht aus 10
einzelnen Lagen ohne Symmetrie, die alle durch deutliche Reibungsflächen oder
Gangspiegel von einander getrennt sind. Die Streifung auf den Spiegeln ver-
läuft horizontal. Es ist also entweder die Verschiebung beim jedesmaligen Auf-
reissen in diesem Sinne erfolgt oder aber eine vollständige Umkippung der
^) CoTTA, Gangstudien. Bd. n. pag. 216.
^ Naumann, 1. c. in. pag. 565.
47^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Schichten hat die ursprünglich in der Fallrichtung des Ganges liegenden S&ciftf.
in die horizontale Lage gebracht i)
Beispiele ähnlicher Störungen in der Stnictur der Gangau sfüllung gefcoftt
keinesweges zu den Seltenheiten, sondern finden sich mehr oder weniger tis toi
allen Gängen wieder.
Sie tragen vor Allem dazu bei, die ursprünglich gewiss sehr viel einfad^eren
Verhältnisse der Ausfullungsmasse zu compliciren und erschweren die ricbü;c
Erkenntniss der Mineralsuccession natürlich ungemein.
3. Allogene Conglomeratgänge.
Das Charakteristische dieser Art von Gängen ist nach dem im Vorhergehen-
den schon Gesagten darin zu sehen, dass ihre Gangmasse fast ganz oder du'
grösstentheils aus Bruchstücken fremder, nicht ziu* Gangmasse gehöriger Mineizle
oder Gesteine besteht, die mit neu gebildeten Mineralen verbunden oder tod
ihnen in wechselnder Menge durchwachsen sind.
Gänge, die fast nur mit Trümmermaterial eHüllt sind, so dass neugebildete
Minerale nur untergeordnet auftreten, erscheinen als echte Sedimentgänge.
Hierhin gehören zunächst alle durch Sand und Gerolle von der Obcrfart«?
aus erfüllte Gangspalten, wie sie freilich nicht sehr häufig vorkommen. Ander
Pulkovka setzen im silurischen Kalksteine ein paar verticale, etwa 2 Fuss mächtife,
aus Sand und Geschieben bestehende Gänge auf.
Eines der grossartigsten Beispiele dieser Art erwähnt Steininger*) aus dex
Gebiete der Ardennen an der belgisch-deutschen Grenze. Hier sind i^ti
mächtige Spalten mit einem aus groben Geschieben, grösstentheils von Quam;
bestehenden Conglomerat erfüllt Die eine durchschneidet östlich von Mahnte
bei Xherdomont das Schiefergebirge senkrecht und zieht sich über Recht bis s
die Gegend von Viel Salm. Sie ist ein paar hundert Fuss breit und mit ^t^
festen Quarzconglomerat erfüllt, dessen sehr zerklüftete Felsen an einigen Stelk'
hoch aufragen. Der andere, nur 30 Fuss mächtige Gang von gleicher Bescbafier
heit durchschneidet das Grauwackengebirge bei dem Orte Pepinster und setrt !' ^
in die Gegend von Theux fort
Von den sogen. Sandsteingängen, welche in mehreren Gebieten bcobachw
worden sind, gehören wohl viele auch hierher. So gewiss die Sandstein^^».-'
des südlichen Ungarn bei Turcz Tama und Visk unweit Nagy-Szöllös, <k *
einer Mächtigkeit von i — 3 Lachter vorherrschend aus lockeren Quartkcnrtr
bestehen, die stets in dünne Lagen geschichtet sind und der Molasse der duru^"
Gegend ganz gleichen.^ Sie durchsetzen die dort auftretenden Erzgänge js*
verwerfen sie.
Viele sogen. Verwerfungsspalten sind mit einem lockeren, nicht vcrboodecer
Haufwerke aller möglichen Gesteinstrümmer angefüllt, zwischen welchen urc.
stehende, die Circulation der Wasser leicht vermittelnde Zwischenräume Iiq:cr.
Die Steinkohlenmulde des sogen. Wormreviers bei Aachen wird durch cn^*
grosse Verwerfung, den »Feldbiss«, welcher als die nördliche Fortsetzung der -
der südlicheren Eschweiler Steinkohlenmulde bekannten »Münsteigewandc ini.
sehen ist, durchschnitten und in zwei Theile getheilt. Die Höhe der Vcrwenwr^
um welche das östliche Gebiet tiefer liegt, als der westliche Thcil, ist bi< *-
*) Groddeck, 1. c ptg. 17a
*) Geogr. Beschr. d. EifeL 1853. pag. 8.
') GöTTMANN, Mitth. Ton Haidinger. Bd. IIL 1848. 3.
Die Gang«. 479
. 170 Meter ermittelt worden. Die Spalte ist von ca. 12 Meter Mächtigkeit
id mit verschiedenartigen Bruchstücken der Nebengesteine und mit Letten,
»er auch mit Quarzgeröllen z. Th. von unbekannter Herkunft erfüllt. Die
iheren Versuche, diese Spalte mit dem Bergbau «zu durchfahren, lieferten den
iweis, dass ^dieselbe in hohem Maasse wasserführend sei. Jetzt ist sie in ver-
hiedenen Teufen durchörtert.^)
Die sogen, faulen Ruschein, taube Gangklüfle, die in einer nahen Beziehung
1 den Erzgängen des Harzes stehen, sind ebenfalls von Thonschieferbruchstücken
id Letten erfüllte, oft bis zu 60 Meter mächtige Spalten. Aehnliche mit blau-
auem oder gelblichem Letten erfüllte Gänge kennt man auch im Gebiete des
leinischen Devons.
Ueberhaupt spielen Lettengänge, d. h. mit einem durch Eisenoxyd, Eisen-
cydhydrat oder auch durch kohlige u. a. Substanzen gefärbten Thone erfüllte
palten in sehr vielen Erzrevieren eine wichtige Rolle, da sie nicht selten als
ie jüngste unter den vorkommenden Gangbildungen erscheinen und daher alle
indcren Gänge durchsetzen, verwerfen oder abschneiden.
Von eigentlichem Interesse werden die Conglomeratgänge aber erst dann,
»cnn die in ihnen zusammengehäuften Bruchstücke und Trümmer durch neuge-
»ildete in der Spalte autogene Minerale und Erze verbunden oder von ihnen
f'enigstens in einigermaassen reichlicher Menge begleitet sind. Zwischen den
igentUchen Mineralgängen und jenen erst beschriebenen reinen Sedimentgängen
tehen diese dann in der Mitte.
Die eigentlich charakteristische Structur dieser Art ist die sogen. Cokarden-
der Sphärenstructur. Jedes Bruchstück des Nebengesteines, das in die Gang-
palte gerathen ist, ist der Mittelpunkt für eine um dasselbe concentrisch lagen-
önnig sich gruppirende Mineralbildung gewesen. Oft mehrfache, auch aus ver-
chiedenen Mineralen bestehende Zonen pflegen die Bruchstücke zu umhüllen.
)abei ist es eine ganz gewöhnliche Erscheinung, dass die umhüllten Bruchstücke
inander gar nicht berühren, sondern oft ziemlich weit von einander abstehen
nd durch die neugebildeten Mineralzonen getrennt erscheinen. Da die Bruch-
tücke jedoch nicht wohl frei schwebend in der Gangspalte sich befinden konnten,
Is diese sich mit den ausscheidenden Mineralen erfüllte, so muss die Ursache
ier auffallenden Anordnung anderweitig zu suchen sein. Die Bruchstücke ruhten
utürlich auf einer aus anderen Bruchstücken gebildeten Unterlage und wurden
on dieser getragen. Als aber die Ausscheidung der Minerale aus der Lösung
tattfand, schob sich die auskrystallisirende Substanz zwischen die einzelnen sich
ose berührenden Bruchstücke ein. Die Krystallisationskraft war gross genug,
ie auseinander zu schieben, zu heben. Dieses setzte sich solange fort, als Raum
Whanden war. So erscheinen jetzt alle Bruchstücke wie frei schwebend in der
IbhüUenden Mineralmasse. Diese Sphären oder Cokardentextur ist von der vor-
jb besprochenen Lagentextur natürlich nur in der Form unterschieden. In un-
Hlkommener Weise dürfte sie sich auf fast allen Gängen finden, auf denen
rossere Fragmente des Nebengesteines vorkommen.
I Bei allen Gängen, die in diese Abtheilung gehören, ist dies, wenn auch in
ifechselndem Maasse der Fall. Eine sehr grosse Zahl gerade der durch ihre Erz
Pining bekannten und daher genauer erforschten Gänge sind in unserm Sinne
fcnglomeratgänge.
Auf manchen der Kobaltgänge bei Schneeberg im sächsischen Erzgebirge
j 0 H.WAGNSR, Beschreibung des Reviers Aachen. Bonn, Marcus, 1881. pag. 24.
480 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
bilden grössere und kleinere Schollen und Bruchstücke des Nebengestemes m
grosser Ausdehnung die vorherrschende Ausfiillung.
Der Bleierz führende Gang zu Mittelacher bei Eckenhagen in der Rbeiii^vO'
vinz ist mehrfach auf mehrere- Lachter weit mit regellos durcheinander licgeodeo.
grossen scharfkantigen Grauwackenstücken ausgefüllt, welche oft nur durch daen
ganz dünnen krystallinischen Quarzüberzug verkittet sind, sodass man mck
selten lachterweit zwischen diesen Stücken in den grösstentheils offen stebeoden
Gangraum hineinsehen kann. Dabei wurden oft dünne und lange Sptitter der
Grauwacke von einzelnen Barytkrystallen gestützt und getragen; die zieiüchstcn
Kiystalle von Bleiglanz haben sich beiderseitig auf solchen Scheiben tob Gno-
wacke ausgebildet.^)
Die Erzvorkommnisse von Totos bei Sigeth in der Marmaros finden sich uf
einem im Grünsteintrachyt aufsetzenden mächtigen Gange, der von einer giobea
Breccie des Nebengesteines erfüllt ist. Thon, Quarz und Erze bilden das Bindemittel
der Breccie. Unter den Erzen herrscht Kupferkies vor. Er durchzieht oder bildet
eigentlich das Bindemittel der Breccie. Im ersteren Falle liegen zahlreiche Köhmt
desselben in einer Art Thon, der aus der Zersetzung des Nebengesteins hervorge-
gangen ist, oder im Quarz; im letzteren Falle bildet er derbe Linsen, Wüste
oder Adern von mehreren Centimeter Mächtigkeit'^
Die sogen. Glauchgänge in dem Gebiete von Nagyag im südwestlichen Tleü
des siebenbürgischen Erzgebirges zwischen den Flüssen Maros und Aranyos srnd
bis zu I Meter mächtig, mit Eruptivgesteinsmassen und mit eckigen Fragmenten
des Nebengesteines, eines eigenthümlichen Schiefers, selten auch mit nussgrossen
Quarzkugeln erfüllt. Sie streichen wie die dortigen Erzgänge, auf deren Metall-
gehalt sie einen günstigen Einfluss ausüben.
Die sogen, stehenden Gänge bei Graupen, am Südabfall des sächsischen
Erzgebirges gegen Böhmen, die im grauen Gneiss aufsetzen und mit den anderer
sogen. Hauptgängen und den Gefahrteln den Zinnerzbergbau dieser G^end b^
dingen, sind bis zu 7 Centim. mächtig, stehen steil bis 69 und 79^ und wen^?
von einer Quarzbreccie mit kieseligem und steinmarkartigem Bindemittel erfoLt,
das Zinnerz und häufig Kiese in einzelnen Nestern enthält, und noch von
manchen anderen Mineralen begleitet wird.^)
Der mächtige Brauneisensteingang von Bergzabern an derHaardt duichsef?
ziemlich senkrecht den Buntsandstein, seine Mächtigkeit schwankt von etwa i l»
22 Meter und seine Ausfüllung besteht vorherrschend aus einer groben Bitcck
des Nebengesteines, deren Stücke durch einen sandigen Brauneisenstein veikittts
sind.*)
Eine ganz besondere Art der Ausfüllungsmasse von Gängen entstdit in
manchen Fällen dadurch, dass das in dieselben geführte Trümmermatcrial sieb
im Zustande äusserster Zerkleinerung befindet, sodass aus der Verfestigung dem-
selben Thonschiefer ähnliche Gesteine hervorgehen.
Ein recht charakteristisches Gebilde dieser Art ist der sogen. Gangthon-
schiefer des Oberharzes bei Clausthal, Zellerfeld und Lautenthal. Die
dortigen Erzgänge bestehen vorwaltend aus einem eigenthümlichen vom Neba^
gestein verschiedenen Thonschiefer und kleineren und grösseren, z. Th. colot-
') Schmidt, Beitrttge zur Lehre von den Gingen, pag. 15.
*) V. COTTA, Berg.- u. hUttenmXnn. Zeitung. 1862. pag. 9.
>) Geoddsck, l c pag. 141.
*) CoTTA, EnlagersUtten IL, 170 und 397.
Die Gänge. 48 1
salen Fragmenten des Nebengesteines, Grauwacke, Grauwackenschiefer und Thon-
schiefer. Gewöhnlich ist es ein milder, fettig anzufühlender, bituminöser und
glänzend schwarz gefärbter Thonschiefer, der äusserst fein aber verworren ge-
schiefert, im Ganzen aber den Salbändern der Gänge parallel geschichtet ist,
und zahllose glänzende Quetschflächen enthält, durch welche er sehr ofl in krumm-
flächige, linsenförmige Massen abgesondert wird.
Nach A. V. Groddeck^) entstand der feine Thonschieferschlamm innerhalb
der Spalte dadurch, dass die Trümmer des Nebengesteines zu feinstem Pulver
mechanisch zerkleinert wurden, in Folge der Bewegungen der Spaltenwände.
Durch die einsickernden Tagewasser wurde dieses Pulver zu Schlamm umge-
wandelt und unter dem Drucke des auflastenden Hangenden der offenen
Spalte zu schiefrig abgesonderten Massen umgebildet. Es liegt also eine wirk-
liche Gesteinsbildung im Gange vor.
Diese Erklärung dtirfle wohl auch vollkommen zutreffend sein. Bischof
hatte geglaubt, es sei die Erfüllung der Spalte lediglich durch von der Ober-
fläche her zugefuhrten Thonschieferschlamm entstanden. Es ist freilich nicht
ausgeschlossen, dass ein Theil der Schlammmasse, besonders in oberen Teufen,
auch eine fremde ist, der grössere Theil aber rührt gewiss von den Wänden des
Nebengesteines her.
Aehnliche schwarze Thonschiefer kommen nach Gericke auf den Verwerfungs-
kJüften des westphälischen Steinkohlengebirges und nach v. Groddeck auf der
grossen Lettenklufl vor, welche die Erzgänge von Przibram abschneidet.^)
E. TiETZE hat schwarze, plastische, thonige Massen, die sich in den Gängen
von Maidanpeck in Serbien und Vöröspalak in Ungarn finden und von den Berg-
leuten Glamm genannt werden, mit den Oberharzer Gangthonschiefem verglichen.
Er meint, dass sich Gangthon schiefer zu dem Glamm verhalten möge, wie
lertige Thonschiefer zu einem Thon. Die Schlammmassen im Glamm sind noch
nicht durch den Druck schiefrig geworden. Da sich im Glamm von Vöröspa-
tak Bruchstücke von Gesteinen finden, die nicht dem Nebengestein angehören,
sondem z. Th. weither transportirt worden sein mussten, so spricht dies für die An-
nahme, dass sich in solchen Gangmassen mit den lediglich durch Zerreibung
der Wände gebildeten Trümmern und Schlammmassen auch fremde von oben
zugeführte zu mischen pflegen, wie das auch an und für sich durchaus natürlich
erscheint.
Grösstentheils aus zugeführtem fremden Material bestehen z. B. die Gang-
massen der Gänge von Derbyshire. Es sind mergeHge, sandige, conglomeratische
Massen, die sogen. Lowky, in denen Gh. Moore nicht nur Versteinerungen des
Kohlenkalkes, in dem die Gänge netzförmig aufsetzen, sondem auch solche der
rhätischen Formation und des I.ias entdeckte.^
Die sogen. Bestege d. h. fortlaufende Einfassungen an einem oder beiden
Salbändern eines Ganges sind ebenfalls grösstentheils nichts anderes als ein me-
chanisch aufgelockertes, zerriebenes und in Folge dessen zersetztes, weiches und
bröckliches Nebengestein. Dass sich dasselbe in einem Zustande sehr starker
Compression befindet, zeigt sich auch darin, dass es, wenn es auf der einen Seite
freigelegt und dadurch aus der Spannung losgelöst ist, oft mit grosser Kraft sich
ausdehnt und anschwillt, namentlich wenn es Wasser aufnimmt; es vermag dann
*) Zeitschr. d. deutsch, geol Ges. 1866, XVUI. pag. 693 u. pag. 1869, XXI. 499.
*) Naumann, 1. c. pag. 571.
^ Groddeck, 1. c. pag. 245.
Kbcncott, Min., Geol. u. Pal. I. 31
482 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
die stärkste Zimmerung zu zerdrücken, wie Fournet von den Gängen bd Poot-
gibaud angiebt.^)
2. Vertheilung der Mineralmassen auf den Gängen, Wechsel-
beziehungen von Gängen und Nebengestein zueinander.
Da unter den Gängen die Erzgänge, d. h. solche, die wenigstens stellenlose
Erz in einer die Gewinnung lohnenden Menge enthalten, gerade hierdurch da»
hervorragendste Interesse erregen, so sind die Verhältnisse der Vertheilung und
der Ungleichartigkeit in der Mineralausbildung fast ausschliesslich bezüglich der
Erzgänge genauer untersucht und festgestellt worden.
Man pflegt die Ausflillungsmasse dieser Gänge geradezu in Gangmasse oder
Gangarten und in die Erze zu unterscheiden. Im Vorhergehenden sind die ver-
schiedenen Arten der ersteren ausführlich behandelt worden, das Verhältniss der
Vertheilung der Erze zu der übrigen Gangmasse ist dabei zunächst ausser Acht
geblieben.
Ausser den Gangarten und Erzen finden sich auf den Gängen in unter-
geordneten Mengen und mehr zufallig eine Reihe ande rer Minerale, grösstentheüs
solche, die aus den Umwandlungsprocessen, die in der Gangspalte sich absptder,
hervorgehen. Hierzu gehören vor Allem die wasserhaltigen Silicate, die Zeolithc,
aber auch die steinmark- und kaolinähnlichen Substanzen u. a.
Diese spielen jedoch bei den Betrachtimgen über die Vertheilung der Mine-
rale auf den Gängen gar keine Rolle, da ihr Vorkommen überhaupt nur al>
sporadisches, in gewissem Sinne auch zufalliges zu bezeichnen ist
Bei der Vertheilung der Gangarten und Erze aber sind eine Reihe wieder-
kehrender Regelmässigkeiten und Gesetzmässigkeiten erkannt worden.
Nach dem herrschenden oder dem werthvollsten Erze werden in der Rege
die Gänge benannt. Man spricht in diesem Sinne von Gold- und Silbeigangen.
von Bleierzgängen, Antimongängen, Eisenerzgängen u. s. w. ohne dass damit be-
zeichnet werden soll, dass die Gänge ausschliesslich oder auch nur überwiegend
jene Erze führen. Aber auch bei der Vertheilung der Erze werden doch die
wichtigsten Erze in erster Linie in Betracht gezogen und darnach sind auch die
Angaben über diese Verhältnisse zu beurtheilen.
Die Bergleute haben immer die Erfahrung gemacht, dass die Erze innexiuib
der Gänge durchaus nicht regelmässig vertheilt sind. Erzreiche Stellen wechsele
mit erzarmen oder erzleeren ab. Die erzführenden Stellen nennt der Beigmacr
»Erzmittel,« die erzleeren »taube Mittel,« der Uebergang von einer en-
reichen Stelle in eine erzarme oder taube daher auch Vertaubung oder Ver-
unedelung, das Gegentheil Veredelung. Dass die Erkenntniss der Ver-
theilung der Erzmittel und der Ursachen oder wenigstens der begleitenden l*in-
stände von Veredelung oder Vertaubung für den Bergmann von der gidssten
Wichtigkeit ist, liegt auf der Hand. Nur sehr gering sind aber allgemeiner
giltige Erfahrungssätze auf diesem Gebiete ; was man darüber kennt, ist meist nur
von localer Bedeutung.
Bezüglich der Form unterscheidet man:
1. Nesterförmige Erzmittel: unregelmässig gestaltete Anhäufungen von
Erz in verschiedenen Thcilen der Gangräume.
2. Erzfälle oder Adelsvorschübe: lang zonenfbrmig ausgedehnte Eri<
*) BuRAT, Traite de g^ognosie m. pag. 540.
Die Gänge. 483
mittel, die in der Gangebene diagonal zwischen Streichen und Fallen zu verlaufen
pflegen. Als typisch bezeichnet von Groddeck^) das von J. Trinker beschriebene
Vorkommen am ELleinkogl bei Brixlegg in T)n:ol. Innerhalb der höchst complicirt
zusammengesetzten von N. — S. streichenden und ca. 55° nach Ost einfallenden
Gänge bilden die Adelsvorschübe Zonen die unter 36** nach Norden einschiessen.
Die Erzfälle der hintereinander liegenden Gänge sind selbst wieder in einer be-
stimmten Richtung geordnet, welche J. Trinker den generellen Adelsvor-
schub genannt hat.
3. Erzsäulen: schmale aber lange Erzmittel, deren Längenerstreckung mit
der Falllinie steil stehender Gänge zusammenfällt. In Gängen sind sie noch ver-
breiteter als die Erzfalle.
VON RiCHTHOFEN giebt an, dass in den Goldquarzgängen Californiens die
Erzmittel immer ganz regelmässig säulenförmig sind.
Solche Erzsäulen haben u. a. der Comstock Lode in Nevada (pag. 459), die
Gänge von Pontgibaud in Frankreich (pag. 469) u. a.
Von besonderem Einflüsse auf die Mineral- und Erzführung ist auch die
Weite der Gangspalte, man hat z. B. im Harze gefunden, dass die Gänge dort
erzleer werden, wo sie eine sehr grosse Mächtigkeit erlangen.
Beispiele, dass an verschiedenen Stellen im Streichen und Fallen der Gänge
eine ganz andere Erzführung besteht, liefern die Bergbaue in Comwall in England.
Viele Gänge, welche in den oberen Teufen Zinkblende führen, haben in der
Tiefe Kupfererze. Zu Potosi in Süd-Amerika beherbergt ein Gang in den oberen
Bausohlen Zinnerze, in der Tiefe Silbererze.^
Die für den Bergbau allerdings sehr wichtige Frage, ob die Gänge überhaupt
mit der Tiefe edler oder unedler werden, ist noch nicht zu beantworten. Die
Angaben aus den verschiedensten Gebieten theilen z. Th. ganz widersprechende
Thatsachen mit. Nur so viel steht fest, dass durchweg der Unterschied in der
Teufe auch Unterschiede in der Erzführung bedingt. Zum Theil können diese
mit der ursprünglichen Erfüllung schon herbeigeführt, wie es z. B. in den eben
angeführten Beispielen der Fall ist, z. Th. aber auch erst nach der Erfüllung
durch Umwandlungsvorgänge eingeleitet und ausgebildet worden sein, die ihre
Unterstützung vorzüglich durch Einwirkungen erhielten, die von der Oberfläche
der Erde kamen.
Solche secundäre Teufenunterschiede in der Erzführung von Gängen sind
es z. B. wenn an Stelle der geschwefelten Erze, die Oxyde oder Haloidver-
bindungen oder auch ged. Metalle in den oberen Teufen erscheinen.
An den reichen Kupfergängen in Chile, die in der Teufe aus Buntkupfererz
und Kupferkies bestehen (bronces)^ welche sehr .. usgedehnte und reine Erzmittel
bilden, sind die Ausgehenden bis zu 59 Meter tief in oxydische Kupfererze
(meial de color) umgewandelt*)
Der Atacamit (eine Verbindung von Kupferchlorid mit Kupferhydroxyd) in
den im Diorit und Syenit aufsetzenden Gängen an der Algodon Bay in Bolivia,
im Küstenlande der Wüste Atacama, ist ohne Zweifel durch die Einwirkung des
Meerwassers auf die in der Teufe sich findenden Kupfererze entstanden.
Eine der verbreitetsten Erscheinungen dieser Art ist der sogen, eiserne Hut,
») L c. pag. 77.
*) Grimm, Die Lagerstätten der nutzbaren Mineralien. Prag 1869. pag. 120.
^ Groddeck, 1. c, pag. 81.
*) L .LiPFKKN, Berg- und hUttenm. Zeit. 1877. pag. 129.
31»
484 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
der deutschen Silberbergleute (pag. 146). Viele silberhaltige Bleierze und andere
Silbererze führende Gänge beherbergen in den geringeren Teufen und am Ausg^
henden Eisenerze: Eisenoxydhydrate, die Umwandlungsproducte von den in der
Tiefe mit den edleren Erzen einbrechenden Eisenkiesen oder Eisenspath.
Unter der Bezeichnung »Pacoerae« versteht man in Bolivia und Chile die
am Ausgehenden der Gänge oft bis zu 100 Meter tief liegenden, erdigen Ins
pulverigen, schwefelfreien, meist sehr silberreichen, manchmal auch zinnoxyd*
haltigen, oxydischen Erze, die nach der Tiefe zu zunächst in einfache Schwcfel-
verbindungen« die sogen. Mulatto's und dann in mehrfache Schwefelverbindungeo,
die Negrillos übergehen.^)
Von ganz besonderem Interesse ist das Verhalten von Gängen zu einander
bezüglich der Erzführung an den Schar- oder Durchfallkreuzen. Auch be-
züglich dieser sind die Erfahrungen durchaus verschieden, es kommen solche
Kreuze vor, die entschieden eine ganz erhebliche Veredelung zeigen, aber auch
solche, die gänzlich taub und erzleer sind.
Beispiele grösseren Erzreichthums auf den Scharkreuzen liefern u. a. die
Bergbaue von Przibram. Hier ist die Scharung des Mariaganges mit dem Adalbert-
hangendgange jederzeit von edler Beschaffenheit und mit reicheren Silberenen
gesegnet als andere Stellen der Gänge. Solche edele Scharkreuze kannte man
auch in besonderer Schönheit auf der Grube Morgenstern bei Freiberg. Anderer-
seits haben z. B. die Scharkreuze der Gänge in den Grtinsteintrachyten Ungarns
und Siebenbürgens z. B. zu Nagyag fast durchweg eine taube und Jettige Er-
füllung. Auch zu Andreasberg am Harz pflegen die Scharkreuze taub zu sein.
Eine verändernde Einwirkung anderer Art pflegen manchmal Gänge von Eruptiv-
gesteinen auf die Erzführung von Gängen auszuüben, mit denen sie sich kreuzen
oder schleppen; Mehrere der Spatheisensteingänge im devonischen Schiefer-
gebirge der Gegend von Siegen werden von Basaltgängen durchsetzt oder treten
mit ihnen in Berührung. Am Contact ist der Spatheisenstein in Magneteisen«
der Brauneisenstein in harten Thoneisenstein verwandelt.
Andererseits treten auch aus den Erzgängen in die sonst erzleeren ErupüT-
gänge manchmal Erze über. Ein Basaltgang in der Nähe des berühmten Kupfer-
erzganges des Vimeberges bei Rheinbreitbach am Rhein ist mit ged. Kupfer in
dünnen Blättchen durchsprengt, die durch Reduction aus den Oxyden des £n-
ganges entstanden sein können. Derselbe Basaltgang enthält auch Bleiglanz und
daraus durch Reduction entstandenen Schwefel.
Von der grössten Wichtigkeit, besonders auch für die daraus sich ergeben-
den Aufklärungen über die genetischen Verhältnisse, sind die gegenseitigen Be-
ziehungen der Gänge und der Nebengesteine bezüglich ihrer Mineral- und £12-
führung. Auch hierbei sind allerdings die Verhältnisse der Erzführung vor Allem
bekannt und beachtet, während analoge Einflüsse auf die als Gangarten oder
accessorisch auftretenden Minerale meist übersehen wurden, obschon auch diese
geologisch von nicht minderer Bedeutung sind.
Die Erfahrung hat in fast allen Bergbaudistricten gelehrt, dass die Gesteine,
in denen Gänge autsetzen, keinesweges alle eine gleiche Beschaffenheit der Gang-
ausfüllung bedingen, sondern dass gewisse Gesteine eine reichere, andere eine
ärmere Erzführung des Ganges in sich beherbergen. Die günstigen Gesteine,
werden von dem Bergmanne auch gutartig und höflich genannt, dagegen die
ungünstigen, wilde Gesteine oder Erzräuber.
^) Groddeck, L c. pag. 83.
Die Gänge. 48$
Groddeck,^) der die verschiedenen Typen der Gänge, die er auflührt,
geradezu nach ihrem Auftreten in massigen und geschichteten Gesteinen in zwei
Abtheilungen trennt, fiihrt zahlreiche Beispiele an, welche zeigen, dass Erzgänge
aus den krystallinisch-massigen Gesteinen in benachbarte Schichtgesteine über-
setzen und in diesen entweder sofort oder gar nicht weit von der Grenze taub
werden. Die Eisenerzgänge am Harz, die in den Diabasen auftreten, setzen nur
selten in die angrenzenden Kieselschiefer und Grauwacken hinein und werden
dort taub. Dagegen ist bei den Gängen am Südharz eine ähnliche Beziehung
zum Nebengestein nicht aufzufinden. Man glaubte früher, dass dieselben inner-
halb der in ihrem Gebiete auftretenden Diabasmassen immer vertauben. Das
hat sich jedoch neuerdings als ein Irrthum herausgestellt.^)
In dem fast ganz in Serpentin umgewandelten Olivinaugitgestein (Palaeopikrit)
der Grube Hülfe Gottes bei Nanzenbach unweit Dillenburg in Nassau setzen
Kupferkies und Nickelerze führende Gänge auf, die ebenfalls nur innerhalb des
Serpentins erzführend waren, beim Uebergang in den benachbarten Schalstein
taub wurden.')
Die in den Melaphyren am oberen See in Nord-Amerika auftretenden echten
Spaltengänge sind nach Credner^) nur in diesen erzführend und enthalten ged.
Kupfer, seltener oxydische und geschwefelte Kupfererze; sie verdrücken sich,
wenn sie in feste Diorite, die mit dem Melaphyr zusammen vorkommen, hinein-
treten und vertauben vollständig, ' oft bei grosser Mächtigkeit, sobald sie in die
angrenzenden Conglomerate und Sandsteine übersetzen.
Auch die goldführenden Gänge von Beresowsk am Ural bieten ein inter-
essantes Beispiel für den Einfluss des massigen Nebengesteines. Eine breite Zone
von Granit zieht sich in der Nähe von Katherinenburg durch krystallinische
Schiefer hindurch. Quer durch diese Granitzone setzen zahlreiche nicht sehr
mächtige Quarzgänge, die nur erzführend sind, soweit sie im Granit liegen.
Der Granit selbst ist in der Nähe der Gänge mit in Brauneisenstein umgewan-
deltem Pyrit imprägnirt. Diese besondere Granitvarietät hat den Namen Beresit
erhalten. Sehr interessant ist der Einfluss des Nebengesteines auf die Art der
Erzführung auch bei den Gängen von Nagyag in Siebenbürgen (pag. 480). Sie
durchsetzen den Grtinsteintrachyt und die von diesem umschlossenen grossen
Scheuen tertiärer Sandsteine und Conglomerate. Aber im Trachyt findet man:
Nagyagit, Manganblende, Manganspath und untergeordnet Bleiglanz, Zinkblende,
Silberfahlerz und Quarz. Dagegen in den Conglomeratschollen: Sylvanit, Quarz
und Kupferfahlerz.
In allen diesen Fällen lag der Hauptsitz der Erze immer in den krystallinisch-
massigen oder Eruptivgesteinen und diese konnten daher füglich als die Erz-
bringer bezeichnet werden.
Jedoch besteht eine solche Beziehung keinesweges immer; denn viele Erzgänge
treten gänzlich unabhängig von massigen Gesteinen in Schichtsystemen auf.
Jedoch auch bei diesen zeigen sich dann günstige und ungünstige Einwirkungen
gewisser Schichten. Auf Neuseeland treten goldführende Gänge theils in Schiefer,
theils in mächtigen Sandsteinschichten auf; die Erzführung ist in den beiden Ge-
steinen ziemlich verschieden. Im Schiefer sind es wenig mächtige Lagergänge
*) Lagerstätten, pag. 152 u. 183.
*) Groddeck, 1. c pag. 219.
') V. KoENEN, Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. 1863. XV. pag. 14.
*) N. Jahrb. f. Mineral. 1869. pag. i.
486 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
mit weissem Quarz, ged. Gold, Pyrit und Markasit, im Sandstein bis zu 18 Meter
mächtige Gänge, mit zerklüftetem Quarz, vielen Kiesen, die Antimon und Arsen
enthalten, Fahlerz und Zinkblende; das ged. Gold ist meist krystallinisch blättiij:
und silberhaltiger als in den Gängen im Schiefer. i)
Die Gänge von Chanarcillo in der chilenischen Provinz Atacama treten ia
einem regelmässig geschichteten graublauen und blauschwarzen thonigen Kalkstdo
oberjurassischen Alters auf. Die edlen Erze: gediegen Silber und die Haloid-
Verbindungen des Silbers, Silberglanz, Rothgiltigerz, Blende, Bleiglanz u. a. sind
an gewisse Schichtenniveaus gebunden. Jede Gesteinsschicht nennt der chilenische
Bergmann manto; mantos pintadores sind solche, die selbst erzHlhrend sind oder
veredelnd auf die durchsetzenden Gänge wirken, diese sind entweder Schicht-
gesteine oder intrusive Grtinsteine, mantos broceadores sind solche, die dieses
nicht thun. Wo zwei Veredelungszonen sich kreuzen, pflegen ganz besonders
reiche Erzmittel abgelagert zu sein.
Die zahlreichen Gänge im Kohlenkalk zwischen Aachen und Philippcville in
Belgien haben alle das gemeinsam, dass sie im Kalksteine als reiche Bleiglanz*
und Blendegänge entwickelt sind, dagegen in das productive Steinkohlengebirge,
in die Grauwacken und Schiefer nur als taube Klüfte hinübersetzen. Einer der
Gänge der Grube Breiniger Berg bei Stollberg ist in der nahen Steinkohlenmulde
des Indereviers als Verwerfungskluft unter dem Namen Münstergewand bekannt
(vergl. pag. 459).
Es Hessen sich so noch eine grosse Menge weiterer Beispiele über den Ein-
fluss der Nebengesteine auf die Erzftihrung der Gänge anführen.
Die allgemeine Frage, welche Gesteine und vor Allem, welche geol. Systeme
am reichsten an Erzen seien, ob die Eruptiv- und massigen Gesteine oder die
geschichteten Gesteine, lässt sich dahin beantworten, dass vorzüglich die älteren
krystallinischen Schiefer und ältesten sedimentären Formationen an Erzen reich
sind, dass aber ausserdem auch die eruptiven massigen Gesteine vielfach Erzgange
enthalten. Dagegen sind in den jüngeren und jüngsten Schichtgesteinen die Erze
weit seltener.
Aber die Erzgänge üben auch auf ihr Nebengestein sehr oft einen deutlich sicht-
baren Einfluss aus, wenngleich derselbe manchesmal nur gering ist. In den festen
quarzigen Nebengesteinen, den Grauwacken von Przibram ist selbst an den
Stellen, die sehr erzreich sind, kaum eine Veränderung neben den Gängen iu
bemerken. Andere Gesteine dagegen, besonders die feldspathreicheren, die
Granite, Grünsteine, Trachyte zeigen in der Nähe der Erzgänge und oft auch auf
grössere Entfernungen eine aufgelöste, lockere Beschaffenheit und sind mit
erzigen Theilchen mehr oder weniger imprägnirt. Schon im Vorhergehenden
war bei den Gängen von Beresowsk (pag. 485) ein solches Beispiel angeführt
Die Gänge bei Grauj)en in Sachsen (pag. 480) zeigen das liegende Nebengestein
bis zu 7 Centimeter mit Zinnerz imprägnirt, während das Hangende erztrci ist
Bei Marienberg sind die Silbererz ftihrenden Gänge selbst frei von Zinnen, da-
gegen ist das Nebengestein mit solchem imprägnirt.
Ein anderes Beispiel liefern die Gold- und Telluradem im Maria Loretto-
Bergbau zu Faczebay in Siebenbürgen. Die nur ein bis mehrere Centim. mäcbögen
Klüfte setzen in einem sehr quarzreichen Sandsteine und Conglomerate des Kar-
pathensandsteines auf. Sie enthalten ged. Gold, ged. Tellur, sehr goldreichen
*) Groddeck, 1. c. pag. 207.
Die Gänge. 487
Pyrit mit Quarz und Hörn stein. Die Conglomerate und Sandsteine sind in ihrem
Bereiche zu einem sehr festen, stellenweise zelligen Quarzit umgewandelt, der
von kleinen Nestern von Kies und ged. Tellur durchzogen wird und in dem
Tellur auch eingesprengt und in kleinen Drusen auskrystallisirt vorkommt. Weiter
entfernt von den Gangkltlften verliert sich die ErzfÜhrung des Nebengesteins. i)
Und so tritt formell in sehr vielen anderen Beispielen eine unverkennbare
Wechselbeziehung zwischen der Gangausftillung und der Beschaffenheit der Neben-
gesteine hervor, ohne dass damit bestimmte genetische Beziehungen gegeben
wären. Denn in vielen der angeführten Beispiele bleibt es unentschieden, ob
von den Gängen aus die ErzfÜhrung dem Nebengesteine mitgetheilt oder ob nicht
vielmehr dieselbe aus dem letzteren erst der Gangspalte zugeführt wurde. Dass
beides stattfinden kann und stattfindet, wird noch im folgenden Abschnitte zur
Sprache kommen.
nL Geologie der Gänge.
I. Entstehung der Gangspalten.
Spalten setzen zunächst die Entstehung von Rissen d. i. Discontinuitäten in
der Masse der Gesteine voraus, die durch Ueberwindung der in diesen herrschenden
Cohäsion unter Einwirkung irgend einer Kraft sich bilden.
Da die Cohäsion der verschiedenen Gesteinsarten eine wesentlich verschiedene
ist, so wird es natürlich auch einer verschiedenen Stärke der wirksamen Kraft
bedürfen, um die gleichen Risse in ihnen hervorzubringen oder es wird bei einer
und derselben Kraft in den verschiedenen Gesteinen das Maass der eintretenden
Discontinuitäten ein anderes werden. Für diese Thatsache lassen sich die zahl-
reichsten Belege aus der Beobachtung an den Gesteinen beibringen. Wir wissen,
dass oft in ein und demselben Schieb teiicompl exe die einen Schichten eine über-
aus rissige, zerklüftete Beschaffenheit besitzen, während die anderen von Rissen
fast ganz frei geblieben sind.
Die Disposition der Gesteine zur Spaltenbildung ist also keinesweges immer
die gleiche und manche Verschiedenheit in den Spalten und Gängen ist hierauf
zurückzuführen.
Die Kräfte, welche die Cohäsion in festen Massen aufzuheben im Stande
sind, können ganz im Allgemeinen zweierlei Art sein. Entweder sie sind innere,
moleculare Kräfte, die von der Art und Zusammensetzung der Masse selbst
abhängen und ausgehen, oder es sind äussere, der Masse selbst fremde Kräfte.
Für jene könnte man die Bezeichnung entokine tische, für diese exokinetische*)
Kräfte wählen. Die entokinetischen Kräfte sind im Allgemeinen durch den Aus-
gleich von Spannungen erzeugt, die durch moleculare Veränderungen und Um-
lagerungen in der Masse hervorgerufen werden.
Solcher Vorgänge kennen wir vor Allem dreierlei in der Natur, die auch für
die Bildung von Rissen in Gesteinen von Bedeutung werden können.
Durch chemische Molecularumlagerung können in einer Substanz
Risse entstehen, indem die Dichtigkeit derselben eine Aenderung erleidet. Anhy-
dritkrystalle und krystallinische Aggregate von Anhydrit, die sich m Gyps um-
wandeln (vergl. pag. 140) dehnen sich dabei aus und werden von zahlreichen
Rissen durchzogen, die in diesem Falle den krystaUographischen Spaltungsdurch-
gängen entsprechen.
^) Grimm, 1. c. pag. 130.
A'v % # • IfBt
') ivrdc innen, l&o aussen^ xcv^ bewegen.
4^8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Ein anderes Beispiel bietet die mehrfach beobachtete moleculare Ver-
änderung beim Zinn, dessen Blöcke in grosser Kälte aufreissen und zerfallen.
Die ursprünglich reguläre Form des Zinns mit dem spec. Gew. 7,29 geht hierbei
nach der Ansicht einiger Forscher in die quadratische mit dem spec Gew. 7,14
über. Nach Lewald^) freilich wäre die genannte Eigenschaft des Blockzinns vj
in einer durch das Giessen und rasches Abkühlen verursachten Spannung der
äusseren Theile zu suchen, welche mit Abnahme der Temperatur wächst und
ein Zerreissen zur Folge hat. Dann gehörte die Erscheinung zu den folgenden.
Zwei fernere andere Arten innerer Kräfte, die zur Bildung von Rissen führer.
sind nämlich in der Contraction zu sehen, die entweder durch Austrocknen aus
dem Zustande der Durchfeuchtung oder durch Erkaltung aus hoher Temperatur
bewirkt wird; wir sehen diese Vorgänge alltäglich antrocknenden Schlammmassen
und an erstarrenden Schlackenkuchen.
Die exokinetischen Kräfte, die eine Masse zum Zerrreissen bringen könnet:,
sind ebenfalls verschiedener Art: Zug, Druck, Biegung und Torsion.
Bei der Zugkraft ist in der Natur d. i. also bei Ausschluss künstlicher
Mittel immer nur die Gravitation, die Schwere, die erregende Ursache. Eine
Masse z. B., die nur einseitig unterstützt ist, kommt dadurch zum Einreibscn.
dass der nicht unterstützte Theil sich durch seine Schwere loslöst, abwärts ge-
zogen wird und so die Discontinuität in der Masse bewirkt. So entstehen die
Risse z. B. bei Gebäuden, deren Fundamentirung ein Ausweichen und Nach-
geben nach einer Seite gestatten. So bilden sich auch Erdrisse an abwärts
gleitenden Berggehängen.
Durch Druck oder bestimmter ausgedrückt durch Pressung, können eben-
falls Risse in festen Massen hervorgebracht werden. Auch hier wirkt in der
Natur wiederum nur die Schwere, d. h. also z. B. die hohe Belastung, die eine
Masse auf eine unter ihr liegende ausübt, die dadurch zum Auseinanderweichen
kommt. Aber wie auch in gewissen mechanischen Vorrichtungen der verticai
gerichtete Druck der Schwere in seitliche Pressungen umgesetzt werden kann,
z. B. beim Keil, beim Gewölbe, so bewirkte auch in der Erdrinde die radul
wirkende Gravitation oft einen Umsatz in horizontal, tangential wirkende Kriütc.
(Vergl. Artikel Erdball pag. 290.)
Durch Biegung und Torsion, beides nahe verwandte Vorgänge, entstehen
endlich ebenfalls Risse in festen Körpern, sobald die Masse über das Maa^^
ihrer Nachgiebigkeit d. i. Elasticität in ihren einzelnen Theilen aus der natür-
lichen Lage gebracht wird. Bei der einfachen Biegung, die endlich zur Zu-
sammenfaltung führt, erfolgt die Veränderung der Lage der Theilchen eme>
Körpers in einer Ebene, in der auch die Druckrichtung liegt, bei der Torsion
erfolgt die Lageveränderung an den beiden gegenüber liegenden Enden eine*»
festen Körpers im entgegengesetzten Sinne, die Folge ist eine schraubenförmige
Anordnung der Theile. Daubr^e hat interessante Versuche über die Wirkunger
beider Arten von Biegungen an festen Substanzen angestellt, auf die wir sjvtfer
noch einmal zu veru^eisen haben werden.^)
Dass auch in der Natur ftir beide Arten von Rissen sich Beispiele finden,
werden wir im Verlaufe sehen. In allen angeführten Fällen ist mit dem Momente
des Einreissens auch schon eine, wenn auch nur minimale Dislocadon der
') DiNGLER's Polyt. Journ. pag. 196, 369.
•) DAüBRitE, Synthetische Studien zur Expcrimentalg«ologie, UberseUt von Dr. A. CttiT
Braunschweig i88o. pag. 221 ff.
Die Gänge. 489
einzelnen Theile der vorher zusammenhängenden Masse erfolgt. Setzt sich die
Bewegung fort, so geht daraus eine Spalte hervor, deren Weite abhängig ist von
dem Maasse der Bewegung.
Diese kann aber eine zweifache sein, entweder nur zur Ebene des ent-
standenen Risses normal oder gleichzeitig parallel zu derselben Ebene, also nach
oben oder unten gerichtet, erfolgen. Im ersteren Falle weichen die Stösse der
Spalte einfach auseinander. Das ist z. B. der Fall bei den durch entokinetische
Kräfte bewirkten Zerreissungen , so lange nicht besondere Umstände eine Ab-
weichung bedingen. In dem zweiten Falle findet eine Verschiebung der beiden
Spaltwände in der Fallrichtimg des gebildeten Risses statt, die sonst in einer
Höhe gelegenen Theile der beiden Seiten erscheinen dann in mehr oder weniger
verschiedenen Niveau's.. Das ist meist der Fall bei den durch exokinetische
Kräfte bewirkten Zerreissungen.
Aus diesen allgemeinen, theoretischen Betrachtungen ergeben sich schon von
selbst die Gesichtspunkte für eine Classification der in den verschiedenen Ge-
steinsformationen der Erdrinde auftretenden Spalten, soweit hierbei ihre Genesis
als entscheidendes Merkmal gelten soll.
Dabei sollen alle solche Discontinuitäten , die lediglich die Folge der
Lagerungsverhältnisse sind, also z. B. Schichtenfugen, Ablösungsklüfte an der
Grenze zweier Gesteine u. a. ausser Betracht bleiben.
Daubr£e, dessen mechanische Versuche zur Klärung aller dieser Fragen
so überaus wichtige Beiträge geliefert haben, die er in dem im Vorhergehenden
schon einmal citirten Werke *) veröffentlicht hat, stellte in der Folge 2) eine Classi-
fication von Spalten auf. Er führt für Spalten den allgemeinen Namen: Litho-
klase') ein, die erste Abtheilung derselben nennt er: Leptoklase*) und fasst
darunter nur solche Spalten von sehr geringer Ausdehnung in beiden oder
wenigstens einer Richtung zusammen.
Diese zerfallen in zwei Gruppen:
1. die Synklase,*) die entweder durch Contraction beim Erkalten oder beim
Austrocknen gebildet werden: hierzu gehört die Absonderung in Prismen, wie sie
bei Basalten und anderen Eruptivgesteinen vorkommt, die prismatische Absonderung
gewisser Gypse, die griffeiförmige Absonderung vieler Mergel und Thone u. a. m.
Im Kleinen ist die Erscheinung ganz besonders ausgezeichnet bei den sogen. Septanen,
(las sind linsenförmige Mergel-Concretionen, welche säulenförmig zerklüftet sind.
2. Die zweite Gruppe nennt Daubr£e Piesoklase,^ sie umfasst die
Pressungsklüfte. Zu diesen rechnet Daubri^e vor Allem die vielen kleinen gerad-
linig oder gebogen verlaufenden Spalten in den verschiedensten Gesteinen, welche
die.se in viele kleine, meist unregelmässige Theile zerlegen. Die Concretions-
adern verschiedener Minerale, welche durch Ausfüllung dieser Spalten ent-
stehen, machen dieselben vor Allem sichtbar, so die Adern von Quarz in den
Schiefem, von Kalkspath in den Kalksteinen u. dergl. Deutliche Anzeichen der
stattgehabten Pressung sind die sogen. Quetschflächen oder Spiegel, die ebenfalls
in vielen Gesteinen vorkommen.
') 1. c. Band L, Abschnitt II.
') Bull. Soc. geolog. de France. Ser. III. Band X, 1881 — 82. pag. 136.
^ X^doc = Stein, xXdot ^ zerreissen.
*) Xc7Ct6c = fein, klein.
^) otiv im Sinne des lateinischen cum in contrahere.
•) iRiCtt> = pressen.
49^) Mmeralogie, Geologie und Palaeontologie.
Eine Trennung dieser Piesoklase von einem Theile der folgenden Spalten
dürfte sehr schwierig sein. Man muss dann das Kriterium festhalten, dass die
Dimensionen nur sehr unbedeutend sind und dass keinerlei bedeutende Ver-
schiebung der getrennten Theile gegeneinander 'stattfand. Daubr£e legt di>
Hauptgewicht auf die Theilung in parallel angeordnete, parallelopipedische Stücke
des Gesteines zwischen den Piesoklasen.
Die zweite Hauptabtheilung nennt Daubr£e Diaklase.^) Darunter versteht ei
Spalten, welche die geschichteten Formationen in fast ebenen Flächen durchschneiden,
meist mit grosser Ausdehnung, sowohl in horizontaler als auch verticaler Richtung
bei horizontaler Lage der Schicht, im Allgemeinen in zwei nahe auf einander senk-
recht stehenden Richtungen, von denen die eine in der Regel die Fallebene ist
Auch in massigen Gesteinen treten diese Diaklase auf, z. B. bei den Graniten.
Die eigenthümlichen ruinenartigen Verwitterungsformen vieler Gesteine z. B.
der Sandsteine beruhen darauf, sowie auch das Zerfallen von GranidLuppen
in quaderförmige, oder wollsackähnlich abgerundete Blöcke hierdurch einge-
leitet wird. Manche Granite z. B. sehr deutlich die flachen Kuppen in der
Ebene östlich der Gebirge von Schlesien bei Striegau und Strehlen sehen fast wie
geschichtet aus in Folge dieser zahlreichen Spalten, von denen das eine System*
das die schichtenähnlichen Bänke absondert, parallel den Oberflächencontouren,
das andere senkrecht dazu verläuft. Das was sonst als parallelopipedische oder
quaderförmige Absonderung bezeichnet wird, deckt sich im Allgemeinen mit
dem, was Daubr£e unter den Diaklasen versteht. Die bei den Piesoklasen her-
vorgehobene parallele Anordnung der Absonderungsstücke, das Fehlen einer
Verschiebung ist auch für die Diaklase zutreffend. Zwischen diesen beiden
Gruppen scheint die scharfe Grenze zu fehlen.
Als dritte Hauptabtheilung endlich bezeichnet Daubr^ die Paraklase,^
Spalten, welche sich, stets mit einer Verschiebung verbunden, durch die grösstcn
horizontalen und Tiefenetstreckungen auszeichnen. In diese Klasse gehören nach
ihm vorzüglich die grossen Verwerfungsspalten.
Ein wesentlicher Unterschied der Diaklase und der Paraklase, den allerdings
Daubri^e selbst nicht hervorhebt, dürfte doch wohl vor Allem auch darin zu sehen
sein, dass die Diaklase in ihrem Verlaufe auf ein Gestein beschränkt bleiben,
d. h. in einem benachbarten Gestein ist die Zahl, der^Abstand, die Anordnung
derselben wieder eine andere. Sie sind eben abhängig von der Natur des Ge
Steines. Die Paraklase dagegen setzen ohne Rücksicht auf den Gestdnswcchsel
durch ganze Schichtencomplexe und ganze Formationen hindurch.
Schematisch zusammengefasst stellt sich also die Classifikation Daubr£e'>
wie folgt dar;
Lithoklase.
j durch Abkühlung.
^ l durch Austrocknung.
1. Leptoklase <
' Piesoklase durch Pressung.
2. Diaklase.
3. Paraklase.
Wie sich ergiebt, ist das Eintheilungsprincip nicht ganz consequent; bei de«
Leptoklasen ist ihre Ausdehnung, bei den Piesoklasen die Art der Entstehung,
») (tttessquer hindurch.
■) mtp« SS» vorbei, um an die erfolgende Verschiebung tu erinnern.
Die Gänge. 491
bei den Diaklasen und Paraklasen, die Art der Erscheinung das Charakteristikon.
Nach Daubräe würden freilich die beiden letzten Gruppen nach ihrer Entstehung
eigentlich nicht zu trennen sein, dieselbe Ursache kann füglich beide Arten von
Spalten hervorrufen, sie setzen nur eine andere Intensität der wirkenden Krafl voraus.
Daubr^e hat durch seine experimentellen Versuche erwiesen, dass sowohl
Druck, Faltung als auch Torsion beiderlei Bildungen nachzuahmen vermögen.
Aber eines wird man doch wohl annehmen dürfen, dass flir die gross-
artigere Wirkung auch die gewaltigere Ursache noth wendig gewesen und dass für
die Paraklase die Natur des Gesteines nicht direct in Betracht kommt. Bei
Druck und Torsion wird wesentlich die Natur der Masse, des Gesteines, die
Wirkung bedingen und die in der einen Substanz entstehenden Risse werden bei
gleicher Pressung und gleicher Torsion dennoch sehr verschieden ausfallen
müssen als bei der anderen. Werden Complexe ungleicher Gesteine derselben
Torsion unterworfen, so ist nicht wohl denkbar, dass die entstehenden Risse in
allen Schichten so gleichartig werden, dass sie nur als ein System erscheinen.
Jedes Gestein wird ein eigenes System von Spalten erhalten, je nach dem Maasse
seiner Elasticität. Bei einer Faltung oder einem Zerreissen durch Zug d. i. Ein-
sinken eines Theiles der Masse, werden aber die Risse trotz der Verschiedenheit
der zu einem Complex vereinigten Schichten, dennoch gleichmässig durch die-
selben hindurchsetzen müssen, höchstens die Weite und Form der entstehenden
Spalten kann verschieden werden, in dem einen Gesteine ebenflächig und glatt-
wandig, in dem anderen unregelmässig und krummlinig, aber der allgemeine Ver-
lauf der entstehenden Spalten erscheint unabhängig von der Natur der Schichten
oder Gesteine.
Wenn nun als Charakteristikon für die Diaklase zu der DAUBRÄE*schen De-
finition noch hinzugefügt wird, dass sie in gleicher Ordnung und in einem Ge-
steine auftreten und in jener nicht in die Nachbargesteine übergreifen, dann
wird auch der wahrscheinliche genetische Unterschied der beiden Arten von
Spalten in der Classification sichtbar werden.
Die Diaklase sind die Folge von Druck und Torsion, ohne dass eine tek-
tonische Aeusserung, d. h. eine die Schichtenstellung ändernde Dislocatioh da-
mit sichtbar verbunden sein muss, während die Paraklase eben nur die Folge
ausgeprägter tektonischer Vorgänge sind, der Faltung der Schichten, des Ein-
sinkens, des Aufberstens. Daher zeigen auch Gesteine in anscheinend unge-
störter ursprünglicher Lagerung, wo also eine Faltung nicht erfolgt ist, dennoch
die Absonderungserscheinungen der Diaklase. Dass aber Paraklase von gleicher
Formentwicklung dennoch durch ganz verschiedene Ursachen entstehen können,
das kommt in der Classification Daubräe's gar nicht zum Ausdruck.
So dürfte denn eine andere ganz consequent aus genetischen Gesichtspunkten
hergeleitete Classification, wie sie Groddeck^) in seiner Lagerstättenlehre auf-
stellt, den Vorzug verdienen. In wieweit sich dieselbe mit Daubräe's Eintheilung
deckt, ist ohne Weiteres aus der Vergleichung zu erkennen. Groddeck unter-
scheidet:
I. Contractionspalten
a) Abkühlungs-, b) Austrocknungsspalten.
IL Dislocationsspalten.
a) Einsturz- und Aufbruchsspalten.
*) 1. c pag. 313.
49^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologic.
(a. streichende,
ß. spiesseckige und querschlägige.
7. Aufblättenmgsspalten.
c) Pressungsspalten.
( Jedoch scheint auch diese Classification nicht ganz scharf und nicht umfassend.
Einsturz- und Aufbruchsspalten sind zu wesentlich verschieden, als dass sie in
eine Gruppe gehören. Torsionsspalten kennt Groddeck noch nicht.
Wenn wir versuchen, auf Grundlage der vorausgegangenen theoretischen Be-
trachtungen und gewissermaassen die beiden vorerwähnten Eintheilungen com-
binirend, ein System der Spalten nur nach genetischen Gesichtspunkten aufiu-
stellen, so würde sich dann etwa folgendes Schema ergeben, das im Einzelnen
zu erörtern und mit Beispielen zu belegen sein wird.
Gesteinsspalten.
(a) durch Dilatation
, . , , ^ o. beim Erkalten
b) durch Contraction a , • * * 1
^ ß. beim Austrocknen.
II. Exokinetische Spalten.
1. Einsturzspalten
2. Aufbruchsspalten i a, Bruchspalten.
Ia. Faltungsspaltei) < a. Schubspalten.
I a, Aufblätteningsspalten.
ß. Torsionsspalten.
4. Pressungsspalten
I. Die Spalten dieser Hauptabtheilung bedürfen nach dem Vorhergehenden
keiner weiteren Erörterung. Als Gänge sind sie, wenn erfüllt, schon nach ihr«
Dimensionen stets nur von untergeordneter Bedeutung. Dass es auch Spalten
geben kann, die durch Dilatation gebildet sind, ist nach dem Vorhergehenden
pag. 487. theoretisch unzweifelhaft. Dieselben dürften unter den Gesteinen, ausser
m dem dort schon angeführten Beispiele des in Gyps sich umwandelnden Anhy-
drites, vielleicht nur noch bei Dolomiten sich finden, wenn dieselben durch blosse
Aufnahme von Magnesiacarbonat aus Kalksteinen entstanden sind, also eine be-
deutende Volumvermehrung erlitten haben.
Auf den durch Contraction beim Erkalten entstandenen Rissen und Fugen
finden sich in den Eruptivgesteinen MineralausfUUungen, die also wirkliche kleine
Gänge darstellen. Auf den Fugen zwischen den Basaltsäulen am Dattenberg bei
Lmz am Rhein haben sich bis zu 3 Centiro. dicke Krusten von Kalkcarbonas
als Aragonit und Calcit gebildet Auf den Spalträumen zwischen den Basalt-
prismen am Steinrother Kopf bei BeUdorf an der Sieg findet sich fast reiner
Phosphorit.
Als Beispiel eines Erzganges, in dem die Räume zur Aufnahme der Er«
wesentlich durch Contraction gebildet sind, kann der Kupfererz führende Granit-
gang der Näsmarkgrube in Tellemarken gelten. *) Durch den mächtigen Gram:-
gang setzen in ganz regelmässigen Abständen, beinahe querschlägig, d. i. nomu:
tu den Gangsalbändem verlaufende Klüfte, die mit Quarz, Kupferglanz und Buni-
kupfererz erfüllt sind.
^^^^ ^*s Vorkommen von gediegen Kupfer auf einigen Basaltgängen darf
*) Nach Groodbck, L c pag. 199.
Die Gänge. 493
hierhin gerechnet werden, da wesentlich die Contractionsspalten den Zutritt der
erzführenden Lösungen gestatteten.
Die durch Austrocknung entstandenen Spalten erlangen gleichfalls selten
eine bedeutende Ausdehnung. Als Gangräume sind sie daher ebenfalls nur von
geringer Wichtigkeit. Der Erfiillungsprocess zeigt sich recht schön bei den Sep-
tarien, bei den Adern faserigen Gypses in den Mergeln der Tertiärformation, den
I^en von Cölestin in den Schichten der Trias in Thüringen, namentlich an der
Domburg u. a.
Auch das schon pag. 475 erwähnte Vorkommen von Strontianit in der
Gegend von Hamm in Westphalen gehört ohne Zweifel hierhin. Die zahlreichen,
nicht tief in den Kreidemergel niedersetzenden Spalten, die mit Strontianit erfüllt
sind, entstanden nach der Trockenlegung des westphälischen Kreidegebirges in
dem thonigkalkigen Gestein durch Austrocknen. In diese Spalten setzten sich
kohlens. Kalkerde und Strontianit ab, während die Spalten noch unbedeckt an
die Oberfläche mündeten, daher auch Trümmerstücke, Versteinerungen u. dergl.
von oben in dieselben hineinstürzen konnten.^)
Ein anderes recht schönes Beispiel erfüllter, durch Austrocknung entstandener
Spalten bilden die schmalen und kurzen Trümmer von Faserkalk in dem grauen
durchaus etwas kalkhaltigen, mergeligen Schiefer von Montiers in der Tarantaise
in Savoyen. Die Trümmer, parallel und gerade und senkrecht zu den Thon-
schieferlagen gerichtet, sind oft nur 3 — 5 Centim. lang, selten länger. Mit dem
Thonschiefer wechseln Lager von splitterigem Kalkstein; an diesem schneiden
die Trümmer immer scharf ab und setzen nicht in diesem fort. Auch die
Trümmer der verschiedenen Thonschieferlager passen nach Zahl, Lage und
Mächtigkeit gar nicht aufeinander, jede Thonschieferschicht hat ihr eignes System
von Spalten. Darin zeigt sich deutlich, dass die Ursache ihrer Entstehung inner-
halb der Schicht selbst gelegen haben muss.^)
Solche durch Austrocknung entstandene Spalten finden sich auch in grosser
Zahl in manchen Steinkohlenflötzen. Dass sie hier durch eine andere Ursache
als die Pressung entstanden sind, zeigt sich darin, dass sie die schieferige Ab-
sonderung der Kohle, die auf jene zurückgeführt werden muss, mehr oder weniger
schiefwinklig durchschneiden. Auf diesen oft nur winzig kleinen Spältchen ist
Kalkspath, Gyps, Pyrit sehr häufig abgelagert und so erscheinen jene als feine
gangartige Körper in der Kohle. Zuweilen sind dieselben auch erzführend, es
finden sich als Ausfüllung Blende, Bleiglanz, Kupfererze u. a. Auch diese
Spalten sind immer nur auf die Kohlenflötze beschränkt. Sie sind daher gleich-
falls als eine entokinetische Bildung anzusehen. Wenn man nicht die Austrocknung
als Ursache annehmen will, bleibt nur noch die Annahme übrig, dass die in der
Kohle fortdauernden Umwandlungsprocesse, moleculare Veränderungen sie her-
vorgerufen haben. Auch dann gehören sie in diese Gruppe.
Ob hierher nicht vielleicht auch ein grosser Theil der Quarztrümmer in Grau-
wacken, der Calcitschnüre in Kalksteinen, der Gypsadem im Gyps gehören,
das dürfte nur schwer zu entscheiden sein.
Diese, ganz besonders aber alle derartigen Erscheinungen in krystallinischen
Schiefem,, wie z. B. die von Groddeck,^) allerdings auch nur als zweifelhaft
^) V. D. Mark, Verh. d. naturhist. Ver. Bonn 1874. Corr.-Blatt 100.
^) V. Wkissenbach in Cotta's Gangstudien. Bd. L pag. 68.
*) L c. pag. 32.
494 Mineralogie, Geologie und PaUteontologte.
hierher gehörig, angeführten feinen erzführenden Gangadem im TalVschiefer vor
Ruosina, im Kalkstein von Miltitz, in den chloritischen Schiefem vom Südabhange
der Calanda in Graubünden gehören wohl eher zu den durch exokinetische
Kräfte, Pressung oder Druck entstandenen Spalten. Auch Daubr£e scheiTir
dieselben alle zu seinen Piesoklasen zu rechnen.
II. I. Einsturzspalten.
Einsturzspalten, die wir füglich auch Senkungsspalten nennen können, da
keinesweges der plötzliche Eintritt des Ereignisses Bedingung ist, sehen wir in
Bergbaurevieren gar nicht selten in unwillkommener Weise vor unseren Äuget
entstehen. Mächtige Risse und klaffende Spalten durchziehen den Boden in Folge
der Senkungen, die der Bergbau hervorruft, der den Boden durch geschaffene
Hohlräume unterminirt.
Vollkommen analog entstehen in der Erdrinde auch natürliche Spalten, wenn
Hohlräume im Inneren der Gebirge sich zu bilden vermögen, in welche die daiiiber
liegenden Schichten entweder mit plötzlicher Ablösung und starker Zertnimmenmg
oder auch langsam und allmählich, aber auch dann nicht ohne Zerreissung ein-
sinken.
Hohlräume im Inneren der Gebirge entstehen vornehmlich dadurch, das>
leicht lösliche Gesteine vom Wasser gelöst und fortgeführt werden oder dzss
durch Umwandlung eines Gesteines, also durch chemische Vorgänge eine Volani-
verminderung bewirkt wird. In grossem Maasstabe vollziehen sich Vorgänge de*
ersten Art bei Kalk- und Gypsgesteinen, die der letzteren Art z. B. bei der Um-
bildung von Kalksteinen zu Dolomiten (vergl. pag. 143).
Bei dem Niedersinken ganzer Gebirgsglieder werden dieselben in sich ge-
lockert und zerrissen werden müssen, da eine vollkommen regelmässige an allen
Theilen gleichmässige Senkung kaum denkbar ist. Vollkommenes Ablösen lan^
grosser Spalten muss aber erfolgen, wenn nur einzelne Theile einer Schicht ein-
sinken, die anderen dagegen in ihrer ursprünglichen Lage verharren. Es bilden sich
dann Ver\('erfungs, d. i. Dislocationssp alten, die in ihrem Verlaufe und in ihre:
Ausdehnung abhängig sind von den unter der sinkenden Schicht liegender
Hohlräumen.
Ein recht schönes Beispiel dieser Art hat v. Seebach mitgetheilL^) Kir
Profil durch Muschelkalk und Keuper, enlblösst durch die hohe Steilwand dc>
rechten Ulers der Werra unterhalb Kreuzburg in Thüringen, legt die Verhältnisse
unzweideutig dar. Im mittleren Muschelkalk ist ein kleiner Gypsstock eingelager.
den man der Länge nach im Profile sieht Soweit derselbe reicht, liegen die
Schichten des Nodosenkalkes und Keupers vollständig ungestört übereinander,
wo der Gyps aber fehlt, da ist alles was über dem mittleren Muschelkalk gclcger
war, verworfen, und zwar ist die I^agerung der verworfenen Massen so, wie wenn
sie in eine Höhlung eingesunken wären.
Noch grossartiger sind Verwerfungen dieser Art, die neuerdings M. Baitj
aus der nächsten Umgebung von Gotha, vom Seeberge beschrieben bat.*) Hier
grenzen längs einer Verwerfungsspalte Gjps, Keuper und mittlerer Muschelka.1
aneinander. Die Höhe der Veiwerfung müsste also dem ganzen Betrag do
oberen Muschelkalkes und der Lettenkohle entsprechen, ein Einsinken an der
einen Seite der Spalte um ungef^r 80 Meter stat^fimden haben.
*) Du minddctttscbe Enlbebcn vom 6w UBn 1872, |ag. 18$.
*) Di« gtoL VerbiltDisse der S««bcice etc. bei Gotha. JabrK d. k. piviiss. Uod»^
•MlaiL 1881. |Mg. 39.
Die Gänge. 495
Nicht sehr weit von dieser Localität kommen in der l'hat im mittleren
Muschelkalk Steinsalz und Anhydriteinlagerungen von mindestens dieser Mächtig-
keit vor. Wenn diese Schichten fortgeführt wurden, war die Bildung jener Ver-
werfung also möglich. Bauer ist geneigt, einen grossen Theil der Verwerfungen
nördlich vom Thüringer Wald auf eine gleiche Ursache zurückzuführen.
Die Existenz von Einsturzspalten, gebildet wie die angeführten Analoga, ist
nun theoretisch allerdings in grosser Verbreitung vorauszusetzen. Wenn die Be-
schreibungen der amerikanischen Forscher aus den Plateauländem von Utah und
anderen Staaten im Westen uns das Auftreten gewaltiger Verwerfungsspalten
zwischen den einzelnen Theilen dieser Gebirge melden, ohne dass die zwischen-
liegenden geschichteten Formationen aus der ursprünglich horizontalen Lage dis-
locirt wurden, ohne dass sie demnach gefaltet erscheinen, so müssen wir doch
solche Spalten auch in die Gruppe der Einsturzspalten stellen. Aber schwierig
wird es, zumal in älteren Formationen, dieselben als solche zu erkennen und so-
mit besonders mineralerfuUte Gänge als Einsturzspalten nachzuweisen.
2. Aufbruchsspalten.
Das allgemeine Charakteristikon dieser Spalten ist darin zu sehen, dass die
Kraft, der Druck, der eine Gesteinsmasse zum Einreissen und Aufbersten brachte,
aus der Tiefe, von innen heraus nach oben gerichtet war.
Wir kennen in der Natur zwei Vorgänge, die einen solchen Druck, einen
bis zum Bersten der aufliegenden Schichten gesteigerten Hub hervorzubringen
veraiögen: einmal empordringende Eruptivgesteine und dann metamorphische
Vorgänge, die mit einer Volumvermehrung der sich umwandelnden Gesteine ver-
bunden sind.
Die einfachsten typischsten Aufbruchsspalten erster Art zeigen sich an den
thätigen Vulkanen. • Die im Inneren des vulkanischen Kegels aufsteigende Lava,
unterstützt von hoch gespannten Dämpfen, bringt den Mantel des Kegels zum
Auf bersten t die Lava erftillt unmittelbar die gebildete Spalte und fliesst als
Lavastrom über die oberen Ränder derselben über. Die erfüllte Spalte aber
setzt als Gesteinsgang durch den Mantel des Vulkanes hindurch. Wir können
hier nicht näher auf den Mechanismus solcher Spaltenbildung eingehen, im
Kapitel Vulkane kommt derselbe näher zur Sprache.^) Es bildet sich auf diese
Weise meist ein System von Spalten, eine Hauptspalte und zu beiden Seiten
derselben Compensationsspalten. Diese letzteren dienen häufig den Gasen
und Dämpfen zum Ausweg und finden ihre Erfüllung durch Sublimationsproducte.
So entstehen z. B. gangartige Anhäufungen von Eisenglanz.
Auch das Empordringen aller älteren Eruptivgesteine ist im Allgemeinen in
ähnlicher Weise vor sich gegangen. Die Erfüllung durch die flüssige Gesteins-
masse erfolgte unmittelbar nach dem Aufreissen der Spalte; dieselbe Kraft, welche
die Lava emporhebt, veranlasst auch das Aufbersten der Decke. Ein grosser
Theil der auftretenden Eruptivgänge gehört also ohne Zweifel in die Gruppe der
Aufbruchsspalten, aber keinesweges alle. Wir werden sehen, dass das Nach-
dringen des eruptiven Magma's in vielen Fällen gewiss erst in der Folge der
Spaltenbildung durch Faltung eintrat. Erst die gebildete, durch eine von dem
Magma ganz unabhängige Kraft gebildete Spalte, gab jenem die Möglichkeit in
ihr emporzudringen. Da liegen keine eigentlichen Auf bruchsspalten vor.
Auch dort, wo Eruptivgesteine in horizontaler Richtung in geschichtete For-
*) Vergl. darüber: Sartorius-Lasauex, Der Aetna. Bd. H. Die GangbildUngen. pag. 351.
49^ Mineralogie, Geologie und PaUeontologie.
mationen eindringen und zwischen denselben die sogen. In trusionslager bilden,
ist für die aufliegenden Schichten eine Erhebung die nothwendige Folge, wie
dieses widerum am Mantel des Aetna in schönen Beispielen zu sehen isL^) Na:
von der Ausdehnung und Mächtigkeit der intrudirten Masse wird es abhängen.
in welchem Maasse hierbei die aufliegenden, gehobenen Schichten auch zer-
spalten werden. Von den intrusiven Eruptivgesteinen, die man in vielen Gebietn
nun schon unzweifelhaft nachgewiesen hat, pflegen gar nicht selten nach oben
Ausläufer auszugehen und sich mehr oder weniger weit quer durch die Schiebten
fortzusetzen. Das sind erfüllte Aufbruchsspalten.
Die amerikanischen Geologen, besonders G. R. Gilbert in seiner geologischen
Beschreibung der Henry Mountains,*"^) glauben die Existenz ausgedehnter, voll-
kommen kuppenförmiger Intrusionen von Eruptivgesteinen in die Schichten an-
nehmen zu dürfen, für welche sie den Namen Laccolite') eingeführt haben. E:n
Laccolit entsteht, indem von einem im Inneren einer geschichteten Formation
mündenden Canal aus, der nicht bis an die Erdoberfläche durchzubrechen ver-
mag, eine Anhäufung von Lava in ähnlicher Weise sich bildet, wie das sonst
auf der Erdoberfläche geschieht: es bildet sich ein unterirdischer Kegel: Der
Laccolit ist ein unterirdischer Vulkan. Die über dem gebildeten Laccolit
liegenden Schichten werden natürlich bedeutend gehoben und gebogen und so
bilden sich in denselben Systeme von Aufbruchsspalten, die radial zu dem Ge-
wölbe des Laccoliten selbst gerichtet sind.
Die Erscheinungen entsprechen also im Allgemeinen solchen, wie wir die-
selben auch an centralen Granitmassivs kennen, von denen Apophysen in die
umgebenden Schichtengesteine auslaufen. Für manche dieser Granitstöcke ist e^
nicht unwahrscheinlich, dass sie erst durch die Verwitterung und Abtragung der
umgebenden Gebirgsschichten zu Tage getreten sind; ursprünglich waren es dann
Laccolite. Die von ihnen auslaufenden Gänge sind Aufbruchsspalten. So wird
es auch durch mancherlei Umstände mehr und mehr wahrscheinlich, dass manche
der jetzt über dem Gebirge des rheinischen Devons gelegenen Basaltkuppen, b^
sonders die seitlich am Rheinthale vorspringenden, ursprünglich im Inneren der
Schichten gelegen haben und erst nach und nach herausgelöst wurden. Die über
ihnen etwa gebildeten Aufbruchsspalten sind mit der Umhüllung verschwunden,
nur seitliche Zweige können noch erhalten sein.
Man kennt aber auch hin und wieder noch in dem Inneren der Schichten
steckende, kuppenartige Basaltmassen. Ein Beispiel dieser Art, wo die Erfüllung
der umgebenden Aufbruchsspalten einen Erzgang hervorgerufen hat, dürfte in dem
Rotheisensteinvorkommen von Willmannsdorf bei Jauer in Schlesien zu sehen
sein. Ein mehrere Meter mächtiger Gang, auch von Seitentrümmem begleitet
der von Ost nach West quer durch die Urthonschiefer und grünen Schiefer de>
Gebietes hindurchsetzt, führt vornehmlich Rotheisenstein, Eisenglanz, Quan,
Schwerspath und Brauneisenerz. Dieser Gang stösst im Osten an einen unterirdischen
Basaltkegel, der an der Tagesoberfläche nicht mehr sichtbar ist, dagegen nach
der Teufe an Ausdehnung zuzunehmen scheint. Am Basalt hat der Gang seine
grösste Mächtigkeit, nach Westen verliert er sich allmählich im zersetzten Neben-
gestein; überhaupt hat er nur eine Länge von etwa loo Meter. Im Fortstreichen
1) Sartorius-Lasaulx^ 1. c. Bd. II. pag. 356.
>) Report on the Geology of the Heniy Mountains. Washington 1877.
') Xdxxoc Cisteme, daher Gesteinscisteme gewissermaassen.
Die Gänge. 497
des Ganges auf der Östseite deutet die rothe Färbung der Thönschiefer an, dass
dort ebenfalls eine Gangspalte zu suchen sei.
Nach der Beschreibung kann man hier an einen Laccoliten denken, der
durch seine Intrusion in die Schiefer beiderseitig Spalten in diesen aufgesprengt hat.
Dass das Aufsprengen auch in der Richtung der Schichtenfugen gescheheri,
also in einem Aufblättern bestehen kann, ist leicht einzusehen.
Eine andere Art der Bildung von Aufbruchsspalten wird durch die bei der
Umwandlung mancher Gesteine erfolgende Volumvermehrung bewirkt.
Eine solche zeigt sich in ganz ausgezeichneter Weise z. B. bei der Umwandlung
von Anhydrit in Gyps (vergl. pag. 141). Wo diese in grösserer Ausdehnung an
Anhydritstöcken sich vollzog, da sind die erhebenden Wirkungen auf die über-
liegenden Schichten ebenfalls in grossem Maasstabe zu erkennen. In der deutschen
Trias sind die gewundenen, aufgerichteten, zertrümmerten, in der mannigfaltigsten
Weise von Spalten durchzogenen Schichten überall in der Nähe des Gypses eine
ganz gewöhnliche Erscheinung. Die Spaltenbildung ist freilich eine durchaus
unregelmässige, die Erfüllung derselben nur in seltenen Fällen bis zur eigent-
lichen Bildung gangartiger Gebirgsglieder fortgeschritten.
3. Biegungspalten, a. Faltungsspalten.
Das grossartige Maass der Faltung der ursprünglich horizontal gebildeten
geschichteten Gesteine können wir überall in den Gebirgen wahrnehmen. Wir
bringen es mit der Bildung der Gebirge in direkten ursächlichen Zusammen-
hang, die wir uns durch einen seitlichen Druck oder Schub emporgewölbt
denken.
Dieser seitliche Druck wird durch die Contraction der Erde erklärt, wonach
die von der äusseren Peripherie radial nach der Mitte sich bewegenden, also ein-
sinkenden Schichtensysteme in einen immer verkürzten Raum einzutreten gezwungen
werden und sich demnach gegenseitig in einander schieben, falten und aufstauen
müssen.
Welche Vorgänge es möglich machen, dass die uns jetzt starr erscheinenden
Gesteine, diese Faltungen mitzumachen vermögen, anscheinend ein hohes Maass
plastischen Verhaltens besitzen, das ist hier zunächst für uns nicht von Bedeutung.
Darauf wird in dem Artikel über die Gebirgsbildung eines Näheren eingegangen
werden.
Für die Erklärung der Genesis der Gangspalten genügt die unzweifelhafte
l'hatsache, dass in vielen Fällen eine starke, oft bis zu vollkommener Schlingen-
bildung fortgeschrittene Faltung der Schichten stattgefunden hat. Wir vermögen
uns dann schon rein theoretisch die verschiedenen Möglichkeiten zu entwickeln,
die in Folge einer Faltung zur Bildung von Rissen und Spalten führen.
Wenn die Faltung regelmässig durch einen längs einer Linie normal zu dieser
gleich massig wirkenden Druck erfolgte, so wie wir etwa ein Blatt Papier mit beiden
Händen zu einer Falte auf dem Tische gegeneinander schieben, so mussten in
dem Augenblicke, wo die Elasticitätsgrenze der sich biegenden Schicht über-
schritten wurde, Risse, Brüche, Spalten entstehen, die ihrer Längsrichtung nach
quer zu der Richtung des Druckes standen, also parallel verliefen dem Streicher
der Schicht. So vermögen die sogen, streichenden Gangspalten erklärt zu werden.
Die Regelmässigkeit ihrer streichenden Lage hängt von der Gleichmässigkeit
der schiebenden Kraft und des Widerstandes, der Elasticität des Gesteines ab,
welches zusammengeschoben wurde.
KLkkmcott, &Gn., Geol. u. P«l. I. 32
49^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologte.
Sowie einer dieser beiden Factoren ungleiche Intensität längs jener Linie
besass, ward der Verlauf der Spalten dadurch beeinflusst. Dieselben mussten
aus der streichenden Lage in eine spiesseckige übergehen« d. h. sie liegen nicht
mehr parallel, sondern unter schiefen Winkeln, diagonal, zum Streichen der
Schicht.
Je mehr die Druckkraft oder die Nachgiebigkeit der Schichten in zwei an-
grenzenden Theilen der zur Faltung kommenden Schichten differiren, um so mehr
müssen sich die gebildeten Spalten der zur Druck rieh tung, zur Bewegung
parallelen Stellung nähern. So entstehen die querschlägigen Spalten, deren Ver-
lauf normal zum Streichen der Schichten steht.
In diesen liegt nothwendig auch eine Verschiebung der Theile der ge
falteten Gebirgsmasse in der Richtung des Druckes vor und solche Spalten können
daher als durch Schub, nicht durch blossen Bruch entstanden gelten.
Solche durch Schub entstandene Spalten liegen auch da vor, wo ein durch
blossen Bruch gebildeter, streichender Riss , bei der fortgesetzten Wirkung des
Druckes zu einer Uebereinanderschiebung der beiden Stösse sich weiter bildet.
Der Riss lag natürlich in dem Scheitel, d. i. der meist gebogenen Stelle der
Falte; diese ist in ihrer Zusammengehörigkeit nicht mehr vorhanden; der eine
Flügel liegt im Fallen der Spalte höher als der andere. Die zahlreich in Stein-
kohlenbecken bekannten streichenden Ueberschiebungen sind Beispiele dieser Art
Bei der Faltung dünngeschichteter Gesteine, deren einzelne Lagen aber einen
festen Zusammenhang bieten, kann auch ein Aufblättern derselben erfolgen. Es
entstehen Spalten, welche in den Schichten liegen ; nach der Erfüllung wären sie
als Lagergänge zu bezeichnen.
Sonach ergeben sich also bei der Faltung im Wesentlichen die oben aufge-
stellten 3 Arten von Spalten: Die Bruchspalten, Schub- und Aufblätterungsspaltcn.
Weitaus die Mehrzahl der durch Mächtigkeit und ein bedeutendes Aushalten in
Streichen und Fallen ausgezeichneten Gangspalten gehört zu den Faltungsspalten.
Die Abhängigkeit von einer in der Stellung der gebildeten Falten meist wohl
zu erkennenden Druck- oder Schubrichtung und die hierdurch bewirkte parallele
Lage der in einem Gebiete entweder streichend, spiesseckig oder querschlagit;
zu den Schichten auftretenden Gänge untereinander, endlich auch das unbeime
Fortsetzen solcher Spalten durch die verschiedenartigsten Gesteine eines Gebirges
charakterisirt dieselben ganz besonders.
Das Verhältniss, die Zusammengehörigkeit und Stellung der Gangspalten in
den Schichten ist besonders im Harze neuerdings durch die verdienstvollen
Arbeiten von v. Groddeck, Lossen, Kavser u. A. genauer erforscht und festge-
stellt worden. Es ergab sich hierbei zunächst, dass alle Theorieen, welche die
Entstehung der Oberharzer Gangspalten mit dem Aufdringen der Granitmassen
des Brockens und des Kellwasserthales in Zusammenhang bringen wollten, gänz-
lich unhaltbar sind. Dieses gilt sowohl fiir die Gänge von Andreasberg, wie
für die Clausthaler. Beide Ganggruppen stehen durch gemeinsame Spalten im
innigsten Zusammenhang, das ganze Spaltensystem westlich des Brockens er-
scheint als ein durchaus einheitliches. Alle diese Spalten sind gleichzeitig Ver-
werfer und viele durchsetzen und verschieben in der evidentesten Weise auch
den Granit.^)
Die Mehrzahl der zum Theil recht bedeutenden Spalten streichen in einer
^) Kayser, Ueher das Spaltensystem am S.W.-Abfall des Brockenmassivs. Jalirb. der kgl
preuss. LandesaDStalt i88i. Berlin 1882.
Öie Gänge. 4199
der Oe&irgsachse parallelen Richtung, andere so vor Allem die grosse Oderspalte
mehr nach NNW. bis N. Alle diese Spalten sind Querspalten. Eine Gruppe
anderer Bruchlinien und Gänge, deren wichtigste die Andreasberger Ruschein
sind, haben ungefähr ostwestliche Richtung und sind Diagonalsprünge. Alle
diese Spalten und Gänge sind demnach als Schubspalten in unserem Sinne
charakterisirt und so ist es natürlich, dass sie alle auch verwerfende Wirkungen
ausgeübt haben. Echte Längs- oder streichende Spalten und Verwerfungen
kommen nur in ganz beschränktem Maasse in dem Gebiete vor. Dass ein Theil,
vielleicht die Mehrzahl der Gangspalten auch als Torsionsspalten aufgefasst werden
kann, darauf kommen wir sogleich noch zurück.
Ganz besonders deutlich tritt in diesem Gebiete auch der Umstand hervor,
dass die Art der Erfüllung vollkommen unabhängig ist von der Lage der Spalten
zu den Schichten: Ob es Eisensteingänge, Quarzgänge, kupfererzführende Schwer-
spathgänge, silberreiche und bleiglanzführende Gänge oder die tauben, sogen,
faulen Ruschein sind, das hat bezüglich des Parallelismus ihres Aufbretens keinen
Einfluss. Die Spaltenbildung ist ein Process fUr sich und die Erfüllung davon
zunächst ganz unabhängig. Eine und dieselbe Spalte nimmt in ihrem Verlaufe
bezüglich ihrer MineralfUhrung eine sehr wechselnde Beschaffenheit an.
Auch die in dem rheinischen Schiefergebirge auftretenden Gangspalten zeigen
dieselbe unverkennbare Abhängigkeit von den Faltensystemen des Gebirgsbaues.
Die meisten derselben setzen als Querspalten, einige jedoch auch als spiesseckige
oder streichende Spalten auf. Viele parallele Gänge vereinigen sich zu Gang-
gruppen und Zügen, den grossen Hauptgängen schaaren sich oft kleinere Gang-
trümmer zahlreich an und liegen ihnen parallel., aber auch häufige Quertrümmer
sind mit den Hauptgängen verbunden. Dort wo nicht die Erzführung ganz be-
sonders die Aufmerksamkeit auf die Gänge gelenkt hat, sind sie gleichwohl als
taube Quarzgänge oder Verwerfungsklüfte vorhanden. Auch die meisten Gänge der
rheinischen Gebirge sind Verwerfer.
Gleichwohl treten auch bedeutende streichende Gänge auf, solche wenigstens,
welche der Haupterstreckung nach mit dem Streichen der Schichten zusammen-
fallen. Der Gangzug von Holzappel und die Hauptgänge des Emser Gang-
zuges gehören hierher. Der letztere erstreckt sich von Braubach am Rhein über
das Lahnthal bei Ems bis nach Dembach westlich von Montabaur. Die zwischen
den Schichten liegenden eigentlichen Hauptgänge sind taub, die Erzmittel liegen
immer auf den Querklüften, welche an den Hauptgängen abschneiden.^)
Auch die Erzgänge in den devonischen Gesteinen der Halbinsel Cornwall,
die vorzugsweise aus Thonschiefern bestehen, die dort Killas genannt werden,
gehören grösstentheils zu den Faltungsspalten. Sie durchsetzen den Granit, der
hier in mehreren kleineren Massiv's aus den Schiefem emporragt, die von diesem
als Ausläufer ausgehenden Felsitporphyre, die sogen. Elvans und die Schiefer in
gleicher Weise. Während die Elvangänge, die z. Th. ebenfalls erzführend werden,
als Auf bruchsspalten vom Granite aus bezeichnet werden müssen und als solche
nur in den Schiefem rings um die Granite auftreten, sind alle die übrigen
Spalten in den Bewegungen der Faltenbildung bedingt und durchsetzen daher
alle Gesteine des Gebirges ohne Unterschied. Verwerfungen sind auch hier über-
all mit den Gängen verbunden. Die meisten derselben, sowie auch die nur mit
Quarz, Thon und Letten erfüllten tauben Gänge, die cross courses der englischen
Bergleute, gehören zu den querschlägigen und diagonalen Gangspalten.
1) Groddkck, 1. c. pag. 228.
32»
Joo Mineralogie, Geologie und Palaeontologte.
ß. Torsionsspalten.
Schon bei der Faltenbildung zeigen sich vielfach Erscheinungen, die er-
kennen lassen, dass keinesweges in allen Fällen ein constant in gerader Richtung
wirkender Druck vorhanden gewesen sein kann. Das zeigen z. B. ganz evident
die flir ganze Ganggruppen und Züge sich vollziehenden Aenderungen im
Streichen, zugleich verbunden mit einer analogen Umbiegung in der StTdcb-
richtung der Schichtensysteme selbst. Je mehr hier die richtige Erkenntniss von
genauer und detaillirter Einzelbeobachtung abhängt, um so mehr wird ein aus
sorgsamer, vielseitiger Erforschung festgestelltes Beispiel, die Basis allgemeiner
Schlussfolgerung bieten müssen.
Recht deutlich treten solche Uebergänge auf der schönen geognosdschen
Uebersichtskarte des Harzes von K. A. Lossen^) auch schon äusserlich hen'or
In einigen überaus interessanten und scharfsiimigen Abhandlungen erörtert
derselbe aber auch die inneren Ursachen, die Mechanik der Vorgänge bei der
Spaltenbildung im Harz.^) Getragen sind seine Folgerungen zugleich von der
vorausgehenden und gleichzeitigen detaillirten Erforschung des Gebietes durch
die Arbeiten Kaysiü(*s, v. Groddeck's u. A.
Die früher angenommene Vorstellung von einem durch den ganzen Han
fast ausnahmslos herrschenden südwestnordöstÜchen Generalstreichen der Schichten
wurde durch die Arbeiten der geologischen Landesunlersuchung widerlegt Der
Harx, zwischen dem rheinisch-westphäiischen Schiefergebirge mit südwestnord-
östlichem Streichen und den hercynisch-sudetischen Gebirgen mit stidostnordwest*
lichem Streichen in der Mitte gelegen, ist äusserlich und innerlich ein Gebirgs-
knotcn, in dem sich die beiden einseitig von S.O und von S.W. her zusammen-
geschobenen Faltensysteme kreuzen und vereinigt finden.
Das niederrheinische Faltens}'stem ist das ältere, das hercynische das jüngere.
Die l*mbiegung des älteren einseitigen Faltensystems in Folge der jüngeren ber-
cynisoh gerichteten el^enfalls an sich einseitigen Zusammenschiebung ist dergeol.
N'oruang» der nach I.ossex wesentlich als die Ursache der Spaltenbildung ange-
sehen werden kann. Das Alter der meisten Gänge dürfte in die jüngere Carbon
#eit, einij;:e Zeit >x^r Antang der Penn|)eriode verlegt werden, in dieser Zeit be-
gannen aUo auch die Hebungen und Zusammenschiebungen in hercynischer
Kichtui\<.
Die G^n^vilten im Hane verlaufen in der That nicht eigendich quer-
MhlA^V^* >Äic es e»nom einseitigen Schübe entsprechen würde, sondern meist
x)xu^vx<s^V\3t^ thAgv^nau Nach I \>ssrx hangen aber solche Brüche nicht so sehr
\\\u ou\cm Ivi der Fa*,t;:ng «^nkrech;. aber ni^ieich gegen das Streichen der
S^hnhu^^n >Äirie^v^,cr. l^T\xke a^.> ^>ein>e*^r ^^ etnem solchen ab, der schief gegen
v*^\M\ mc-^r vvk^r ^tr^xger getalTe«e Sch>r-tcn wirkt: sie sind meist die Aus-
jiVuh\>^>^vn c^ivr S^^vAr.rurviu ^-er^o-ixier.::«! duich Dnick oder Zug, welcher die
livSMxtv« S^>v^:v'^*" *^Tor S:T^v'^>,'^>e *.icV. i^amibacfcn oder zu knicken und xc
ulwn *s^x:tv^\: \v; V :v vtv v.>s. r,.\c*v> rie^Ser^JuM&ch von SO. nach N>J\'. ge-
M^VwMC^ |A\oyi w o>< S«v^^^V !jux rz bnngeii, die sie im nondöstücben
\'o>V \K^x >U v*v rv^^x"^. r^^^J^c;-* s-»e ^tt cB>en rechten Winkel umgebogen
WxMN^xi^ Ww*. XX%N"V>v^^ "J^ Ov*>7 Fj^V-Ty^rv:-?:»^ kam nur durdi eine Spiral-
Die Gänge. 501
drehung der Schichten, eine Torsion bewirkt werden, wie man sich dieses leicht
mit einem zu einer Falte gebogenen Papierstreifen klar machen kann. Diese
Torsion also war die Ursache der meisten Spaltenzerreissungen.
Wenn man die Gangtheorie nur unter Berücksichtigung des Oberharzes an-
sieht, der im Buchberg und der Acker ein kleines Kettengebirge für sich dar-
stellt, dann kann man sich die Spalten allerdings nur durch einen aus einer
Richtung rechtwinklig aber ungleich wirkenden Massenschub herleiten. Aber es
erscheint doch richtiger, die beiden gleichzeitig vorhandenen Faltungssysteme
des Harzes, das niederrheinische und hercynische ebenmässig zu berücksichtigen
und als wirksam anzunehmen.
Mit der Umbiegung der Faltensysteme waren gleichzeitig auch Einrenkungen
verbunden, welche bewirkten, dass die Spiraldrehung in Wirklichkeit nicht nur
im horizontalen, sondern auch im verticalen Sinne stattfinden musste.
So zeigt in der That die Tanner Grauwacke, die unterste Etage des si-
lurischen Systems im Harz, im Fallen und Streichen hin und her, auf und nieder-
gebogene »Korkzieherfalten« in der Umgebung des Rammberges.^)
Von ganz besonderer Bedeutung erscheint eine weithin fortsetzende Spalte,
die dem Oderthale entsprechend verläuft und daher als Oderspalte bezeichnet
wird. Sie weicht in ihrer Richtung von allen grösseren Spalten und Gängen des
Oberharzes ab, denn sie streicht fast nördlich. Sie entspricht der Sehne- oder
Drehungsachse zu dem Bogen, der aus der Umbiegung des niederländischen
Faltensystems in das hercynische gebildet wird und zerspaltet den Granit von
St. Andreasberg in Folge des Wechsels in der Faltungsrichtung im Sinne des
hercynischen Systems.
Aber auch die Harzer Gangspalten und die meisten sogen, tauben Ruschein
oder spiesseckigen Faltenverwerfungen lassen sich als Torsionsspalten erkennen.
Ihre Streich-, Fall- und Verwerfungsrichtung ist leicht verständlich im Sinne des
Ausgleiches der bei der Schichtenverbiegung entstehenden Spannungen.
»Es steht aber die Grossartigkeit dieses Gangspaltensystems im umgekehrten
Verhältnisse zu der relativ geringen Deformirung des in niederländischer Richtung
gefalteten Devonsattels. Je weniger der hercynische Faltendruck zur Umgestaltung
der älteren niederländischen, schon zu sehr versteiften Falten fähig war, um so
mehr musste er sie brechen.«
Welch' geringes Maass wirklicher Torsionsbiegung aber nöthig ist, um in
einigermaassen spröden Körpern Systeme zahlreicher Spalten hervorzurufen, das
haben, wenn auch nur im Kleinen, die lehrreichen experimentellen Versuche
Daubr£e's gezeigt.*)
Die von jenem Forscher in einfachster Weise in Glasplatten erzeugten Netze
von Sprüngen zeigen in Anordnung und Verhalten eine überraschende Aehnlich-
keit mit der Gruppirung und den Verhältnissen der Gang- und Verwerfungsspalten
in stark zerrissenen Gebirgstheilen. Derselbe angenäherte Parallelismus der
Spaltengruppen, strahlen- oder fächerförmig von einzelnen Punkten auslaufende
Systeme, die einzelnen Spalten sich kreuzend und verschiebend; derselbe ab-
lenkende Einfluss der einen Spalten auf die anderen, dasselbe Umbiegen im
Streichen und Fallen.
So unterstützt diese experimentelle Erfahrung mit vollem Rechte die An-
^) LossEN, Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. XXIV. pag. 177.
^ Ezperimentalgeologie. pag. 236.
502 Mineralogie, Geologie und PaUieontologie.
nähme, dass Torsionsspalten in den Gebirgen häufiger sind, als man es bis jetzt
wusste.
Bei seinen mathematischen Untersuchungen über die Elasticität der Erd-
kruste gelangte Lam£ zu dem Schlüsse, dass diese Hülle unter der Einwirkung
einer starken inneren Pressung der Schwere und eines äusseren Druckes Tor-
sionen unterworfen gewesen sein muss.
Die zahllosen Formveränderungen, welche die Erdkruste während langer
Zeiträume erlitten hat, haben sich ebenfalls wohl kaum vollziehen können, ohne
dass in vielen Theilen Torsionen haben stattfinden müssen. Die seitlichen oder
horizontalen Schübe, deren gewaltige, gebirgsbildende Wirkungen man überall
deutlich wahrnimmt, haben sich nie mit der im Allgemeinen vorausgesetzten.
geradlinigen Regelmässigkeit vollziehen können, als dass nicht ungleiche Bewegung
Torsionen hätte erzeugen müssen.
Freilich mögen Beispiele von Torsionswirkungen in so grossem Maasstabe, wie
das vorhin am Harze erörtert wurde, nicht häufig sein. Es fehlen zur Erkenntniss
und richtigen Beurtheilung ähnlicher Fälle in anderen Gebieten die genauen, bis
ins kleine Detail fortgeschrittenen Localerforschungen. Jedenfalls erforden solche
grossartigen Torsionswirkungen das Zusammentreffen ganz besonderer tektonischer
Bedingungen.
Schon im Vorhergehenden wurde hervorgehoben, dass eine Torsionswirkung
wohl nur schwierig gleichmässig durch verschiedene Gesteine hindurchsetzende
Systeme von Spaltenrissen hervorzurufen vermöge. Die grossen Differenzen in
den Elasticitätsverhältnissen der Gesteine, machen für jedes eigene Systeme von
Torsionsspalten wahrscheinlicher.
Aber unter den auf einzelne Schichten oder gleichartige Schichtencoroplcxe
beschränkten Spalten und Gängen darf man Torsionsspalten um so mehr erwarten;
ganz besonders überall dort, wo die Schichten complicirte Biegungen erlitten
haben. Das ist im höchsten Maasse dort der Fall, wo die Schichten nicht nur
im Grossen zu Sätteln und Mulden gefaltet sind, sondern auch im Kleinen
wieder aus zahlreichen Falten bestehen. Wir kennen diese vielfachen Biegungen,
Windungen, Stauchungen am besten aus den Steinkohlenbecken, sie sind jedoch
keinesweges auf diese allein beschränkt.
Jede Umbiegung eines Sattels zur Mulde, womit gleichzeitig der bei gerad-
linigem Schübe nicht gestörte Parallelismus der Flügel in eine oft bedeutende
Convergenz umgewandelt wird, setzt nothwendig starke Torsionswirkungen
voraus.
Die in den meist gebogenen Theilen der Mulden und Sattellinien in grosser
Zahl, bis zur vollständigen Zertrümmerung auftretenden kleineren und grösseren
Verschiebungsklüfte sind gewiss zum grossen Theile durch Torsion entstanden.
In solchen stark gefalteten Gebirgstheilen ist es ohne Zweifel schwer, einfache
Faltungs- oder Bruchspalten von Torsionsspalten zu unterscheiden, die mit jenen
stets zugleich sich gebildet haben. Sie sind so nahe verwandt» dass es vieUeicht
in der Natur überhaupt eigentliche Faltungs- oder Bruchspalten, mit deren Bildung
nicht auch Torsionen verbunden waren, gar nicht giebt.
Wie die Versuche Daubr£e's gezeigt haben, genügt eine nur sehr schwache
Biegung, um zahlreiche Risse und Spalten hervorzubringen. Wenn also x. R
die Unterseite einer horizontal oder wenig geneigt liegenden Gesteinsschicht doxch
Nachgeben ihrer Unterlage nur zu einer minimalen seitlichen Bewegung oder
Die Gänge. 503
Wendung gezwungen wird, der die Oberseitei fest im Gebirgsbau eingefügt, nicht
zu folgen vermag, so ist Torsion die Folge.
Eine dem Auge des Geologen kaum sichtbare Deformirung der Schichten
genügt demnach, um dieselben mit Spaltensystemen zu durchziehen.
Es mögen überhaupt einsinkende Bewegungen von Schichten, wie sie durch
die Fortführung leicht löslicher Schichten im Liegenden bewirkt werden, ganz be-
sonders geeignet sein, Torsionen zu erzeugen. Die Fortführung der Unterlage kann
nicht als eine gleichmässige gedacht werden. Gewisse Stellen werden zuerst ein
Ausweichen gestatten. In den gebildeten Raum drängt die aufliegende Schicht
hinein. Es müssen fast strudelähnliche Bewegungen und Umformungen in den
festen Massen entstehen, die ohne Ausgleich der ^dabei erzeugten Spannungen
gar nicht denkbar sind.
So kann man also nicht überrascht sein, auch ausserhalb der stark gefalteten
und zusammengeschobenen Schichtensysteme, Zerreissungen und Verschiebungen,
Spalten und Gänge zahlreich in ungestörten, fast horizontal gelagerten Schichten
zu finden, die nur geringe, kaum wahrnehmbare Dislocationen erlitten.
Der grösste Theil der Spalten, die Daubr£e als Diaklase bezeichnet hat,
darf zu den Torsionsspalten gerechnet werden. Durch Erfüllung mit Mineralen
und Erzen sind dieselben gar nicht selten zu echten Gängen geworden.
Die Querklüfte im Muschelkalk von Wiesloch in Baden gehören hierher. Sie
durchsetzen in nahezu verticaler Stellung die Schichten und sind mit Galmei,
Brauneisenstein und Bleiglanz erfüllt. Von diesen Rissen und Klüften aus ist
die Umwandlung des Kalksteines in Galmei erfolgt, wie viele in Galmei umge-
wandelte Versteinerungen beweisen.
Die an Kalksteine oder Dolomite verschiedenen Alters gebundenen Blei-
Zinkerzlagerstätten von Raibl, I.aurion, Mississippi u. a. sind ähnlich gebildet.
Die Erze sind meist an Klüfte und Spalten gebunden, welche die Kalksteine in
verschiedenen Richtungen netzförmig durchziehen. Durch Erweiterung der Spalten
zu grösseren Hohlräumen werden die Erzlager besonders bedeutend. Groddeck
hat unter seinem Typus Raibl eine ganze Reihe weiterer hierher gehöriger Vor-
kommnisse beschrieben.^)
4. Pressungsspalten.
Wo in den Gesteinen eine mechanische Kraft in irgend einer Richtung zur
Wirkung kommt, sei es durch Belastung, Hub, seidichen Druck oder Torsion, da
müssen in derselben Pressungen entstehen. Erscheinungen, die solche Pressungen
verrathen, gehören daher zu den häufigen in allen Gesteinen. Absonderungs-
flächen, Fugen, sog. Spiegel und Quetschflächen finden sich in den stark ge-
bogenen und dislocirten Schichten sowohl wie in den von Biegungen kaum be-
troffenen. Polirte, wenig ausgedehnte Quetschflächen sind häufig in der Kreide,
eine Pressungserscheinung sind die sog. Stylolithen in jungen, noch ungestört ge-
lagerten Mergeln und in grossem Maasstabe ist die blättrige Absonderung, die
clivage oder Schieferung, über ganze Zonen gleichmässig verbreitet, die Folge
innerer Pressungen in den Gebirgen.
Solche Pressungen bewirken manchmal eine vollkommene Zertrümmerung
eines Gesteines oder ganzer Schichtencomplexe in einzelne, gegen einander
verschobene Brüchstücke. Der sog. Ruinenmarmor von Florenz, die pietra
paesina, ist ein bekanntes Beispiel solcher Zertrümmerung. Die gefalteten Grau-
') L c. pag. 236. ff.
504 Mineralogie, Geologie und Palacontologie.
wacken und Schiefergesteine zeigen nicht selten trotz eines bestehenden äusseren
Zusammenhanges eine vollständige innere Zerbrechung. Eine solche erwähnt
Kayser u. a. auch von den grossen Diabasmassen im Süden von Andreasberg
am Harz, wo das Gestein aus lauter kleinen polytom-prismadschen, gegen einander
verschobenen Fragmenten besteht, welche in Folge der stattgehabten Gleitung
allenthalben kleine Rutschilächen, Harnische und Spiegel erkennen lassen. Der
gewaltige Druck, den die bis in's Kleinste gefalteten Schichten des Harzes ans-
gehalten haben, erklärt auch diese Erscheinung.
Die so entstehenden Risse und Spalten besitzen stets nur geringe Dimensionea
Ein Theil des feinen Adernwerkes, das die Gesteine durchzieht, gehört hierher.
Kleine Spalten und Fugen, welche in der Begleitung grösserer Mineral- und £n-
gänge fast nie fehlen, oft im Inneren derselben sich finden, sind durch Pressung
entstanden. Solche mit Psilomelan und Eisenocher erfüllte Klüfte kennt man
im Trachyt des Siebengebirges; in dem grobkörnigen Granit bei Wittichen im
Schwarzwald sind die Kluftflächen mit einer dünnen Braunitschicht bedeckt
Bleiglanz-, Kupferkies-, Rotheisensteinspiegel sind weit verbreitet auf den Erzgängen
verschiedener Gebiete. Der Porphyr am Rumpeisberg und Mittelberg bei Elgcrs-
burg in Thüringen ist der Träger der bedeutenden Manganerzvorkommen. Ihn
durchziehen sowohl regelmässig von Südost nach Nordwest streichende Gang-
spalten mit steilem Einfallen, die als Torsionsspalten angesehen werden können,
als auch zarte netzartig sich durchkreuzende Braunsteintrümmer, die ihn wie ein
Stockwerk durchschwärmen und am wahrscheinlichsten durch die Pressung ent*
standen sind. So auch die in den Sandsteinen, Thonschiefern und Letten der
Quecksilberlagerstätten der Pfalz, besonders am Landsberge bei Obermoschel mit
Zinnober überkleideten kleinen Klüfte, auf denen Quetschflächen mit Ztrmober
oder Amalgam bedeckt, nicht selten sind.
Je mehr aber im Allgemeinen Pressungsspalten mit den durch tektonische
Wirkungen hervorgerufenen verschiedenartigen Zerreissungen vereint vorkommen,
um so schwieriger wird es, in einzelnen Fällen die äusserlich ähnlichen Bildungen
auseinander zu halten.
2. Ausfüllung der Gangspalten.
Die Vorgänge, welche zur Erfüllung der Spalten geführt haben, lassen sich
aus drei verschiedenen Getiichtspunkten betrachten und ordnen.
Man kann dabei vorzüglich berücksichtigen i. die eigentlichen Ent-
stehungsprocesse der ausfüllenden Gangmassen, 2. den zeitlichen Zu-
sammenhang und die Folge der verschiedenen Mineralbildungen und 3. den
Ursprung, die Herkunft der zur Erfüllung verwendeten MineralstofTe.
I. Die eigentlichen Ausfüllungsprocesse können wieder dreierlei Art sein:
mechanische» chemische und polygene.
Die mechanisch gebildeten Gangmassen sind vorzüglich die sog. Gang-
gesteine, dieselben bestehen aus verschiedenartigen Gesteinsbruchstücken und
mehr oder weniger, oft bis zu feinstem Schlamm zerriebener Gesteinsmasse.
Die Bruchstücke rühren meist unmittelbar vom Nebengestein her, nur seltener
stammen sie auch von entfernter gelegenen Gesteinen ab.
Die im ersten Abschnitte eingehend beschriebenen Conglomeratgänge bieten
verschiedene Beispiele dieser mechanischen Erfüllung, ipag. 478.)
Die chemisch gebildeten Gangmassen können überhaupt nur durch solche
Processe entstehen, die auch bei der Bildung der einzelneii Miaerale beobachtet
Die Gänge. 505
werden oder denkbar sind. Solcher Processe giebt es drei: 1. Die Erstarrung
aus dem Schmelzflüsse: 2. die Abscheidung aus Lösungen und 3. die Sublimation,
Verfestigung aus dem gasförmigen Zustande.
Künstliche Mineraldarstellung, ^) die Beobachtung der bei chemischen und
Hüttenprocessen zufällig entstehenden Minerale, die noch heutigen Tages sich
vollziehenden, also »jugendlichen Mineralbildungen ,^ endlich das Vorkommen,
die Associationsverhältnisse der auf den Gängen als Ausfüllung sich findenden
Minerale selbst müssen die Anhaltspunkte liefern zur Beurtheilung der jedes-
maligen Processe, die einer GangerfUllung zu Grunde lagen.
Durch Erstarrung aus dem Schmelzflusse sind die Eruptivgänge entstanden.
Die künstliche Darstellung der meisten und wichtigsten von den Mineralen,
die als Gemengtheile der sogen. Eruptivgesteine vorkommen, durch die über-
raschenden Versuche von F. FouQUfi and Michel Lew 3) haben nun auch experi-
mentell für diese Gesteine ihre Entstehung aus dem Schmelzflusse dargethan und
so das noch fehlende Schlussglied in der Reihe von Beweisen geliefert, die schon
früher, vornehmlich aus geognostischen Thatsachen für diese Annahme erbracht
waren. Die näheren Umstände der Bildung sind darnach ohne Zweifel ganz
ähnliche, wie sie in den heute sich bildenden Laven, die die Spalten der Vul-
kane erfüllen, unserer direkten Wahrnehmung sich bieten.
Dass für gewisse Mineralgänge die Frage ihrer eruptiven Entstehung noch
keineswe^es ent chieden ist, sie sogar trotz ihrer Aehnlichkeit mit Eruptivgesteinen
wahrscheinlicher aus wässriger Lösung auskrystallisirt sind, darauf wurde schon
im Vorhergehenden näher eingegangen (pag. 472).
Da auch auf Eruptivgängen Erze vorkommen, so ist der ebenfalls durch
vielerlei Beobachtungen erbrachte Beweis von Wichtigkeit, dass eine ganze Reihe
der auf Gängen häufigen Minerale, besonders metallische Verbindungen, aus
Schmelzflüssen erhalten worden sind. Durch direktes Zusammenschmelzen der
Bestandtheile hat man dargestellt: Bleiglanz, Kupferglanz, Buntkupfererz, Roth-
giltigerz, Magnetkies und verschiedene Antimonverbindungen u. a.
Die Bildung von Mineralen als Gangerfüllung durch Sublimation hat nur
eine geringere Bedeutung. Nur in vulkanischen Gebieten können dieselben er-
wartet werden, da sie eine hohe Temperatur zur Bedingung haben. Spalten-
erftillungen in den Lavafeldern, die mannigfache interessante Minerale enthalten
z. B. Eisenchlorid, Kupferchlorid, Chlorblei, Aurripigment, Salmiak, Chlomatrium
u. a. gehören hierher. Ein Theil der Spalten ausfüllung in den schwefelführenden
Schichten z. B. in den sicilianischen Districtcn besteht auch aus sublimatorisch
gebildetem Schwefel. Auf künstlichem Wege ist die Bildung einer grossen Zahl
von Mineralen durch Sublimation, durch Zersetzung von Dämpfen in hoher
Temperatur oder durch Einwirkung von Dämpfen auf andere Körper im glühenden
Zustande gelungen, ohne dass für die Mineralgänge hierdurch im Allgemeinen
Bildungsanalogien gewonnen worden wären. Nur für den Nachweis, dass fast
alle Minerale in verschiedener Weise entstehen können, sind auch diese Methoden
der Darstellung von Wichtigkeit geworden.
Die Ausfüllung der meisten Gänge ist durch Bildung von Mineralen durch
Ausscheidung aus Lösungen geschehen.
') Hierüber ru vergleichen: C. W. C. Fuchs, die kfinsüich dargestellten Mineralien. Haariem
1872 und F. FouQUE u. Michel Lew. Synthese des Mineraiix et des Roches. I'aris 1882.
') Groddeck, 1. c pag. 280.
») L c
5o6 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
In dem Artikel »chemische Processe in der Geologiec ist eine Reihe von
Fällen erörtert, die für Mineral- und Erzgänge Anwendung finden und mag daher
auf dieselben zurückverwiesen werden, (pag. 136 ff.)
Von ganz besonderem Interesse sind die Beobachtungen Daubräe's über dk
Absätze aus Mineralquellen.^) Für die Bildung der Gangmassen haben sie deshalb
besondere Bedeutung, weil sie die Gleichzeitigkeit der Bildung sehr verschiedener
Minerale und Erze aus einer und derselben Quelle durch Einwirkung derselben
auf verschiedene Stoffe darthun.
In dem schon zu Römerzeiten hergestellten Beton der Bäder von Plombi^res
in den Vogesen bilden sich aus den Thermalwassern, welche durch den Kalk-
mörtel und die Ziegelsteine allmählich hindurchsickem und dieselben angreifen
folgende Minerale: Opal, Chalcedon, Kalkspath, Aragonit, Harmotom, Apophyllit,
Mesotyp, Skolezit, Gismondin (?) Chabacit, also vornehmlich solche Minerale, die
auch in den Gesteinen als natürliche Ausfüllung vorhandener Hohlräume häufig
sind. Sie zeigten grösstentheils Krystallformen, die den gewöhnlich in der Natur
vorkommenden für diese Minerale ganz entsprechen.
Diese Beobachtung blieb nicht vereinzelt; auch im römischen Mauerwerk zu
Luxeuil (Haute Säone), Bourbonne-les-Bains (Haute Marne), in der Umgegend von
Oran in Algier fanden sich die gleichen Neubildungen aus den Mineralwässern.
Die aus dem Becken der Thermalquellen von Bourbonne-les-Bains gebildeten
Producte gewähren durch die gleichzeitige Entstehung der schon angeführten
Minerale und metallischen Mineralspecies noch ganz besonderes Interesse. Der
Einwirkung der Thermalwasser auf die Bleiröhren, auf Bronze und Eisenge-
räthe ist die Entstehung der letzteren zuzuschreiben. Aus dem Kupfer der
Bronze (Münzen, Nägel) bildete sich Rothkupfererz, Kupferglanz, Kupferschwärze,
Kupferindig, Kupferkies, Buntkupferkies, Fahlerz, Atacamit, Kieselkupfer, Carbonate
von Kupferoxyd seltener; aus der I^ösung der Bleirohre ging Bleiglanz, Bleihomerz,
Bleioxyd oder Glätte, Weissbleierz, Vitriolblei hervor; das Eisen gab Veranlassung
zur Bildung von Eisenkies oder Pyrit. Das Zusammenvorkommen aller dieser
metallischen Minerale mit Kalkspath und Zeolithen vervollständigt das Bild einer
Mineralassociation, wie sie auf vielen Erzgängen gefunden wird.
Bei der grossen, fast allgemeinen Verbreitung des Pyrit auf Erzgängen ist
dessen wiederholt beobachtete Entstehung aus Mineralwassem besonders bedeu-
tungsvoll. Derselbe wurde u. a. gefunden in den Absätzen aus den Quellen von
Aachen, Burgbrohl, Bourbon-Lancy, Bourbon l'Archembault, Saint-Nectaire u. a.
Die Thermalquellen von Hamman-Meskoutine bei Constantine in Algerien setzen
Erbsensteine ab, denen von Carlsbad und Tivoli vergleichbar, die oftmals mit
Eisenkies überzogen und in denen, wenn man sie zerschlägt, feine Lagen von
Eisenkies concentrisch eingeschaltet sind. In ganz ähnlicher Weise erscheinen
auf Erzgängen in der Nähe von Brilon in Westphalen die grossblättrigeo,
krystallinischen Massen von Kalkspath in der Weise mit fein vertheiltem Eisen-
kies imprägnirt, dass dieser in der Form feiner Pünktchen concentrische Zonen
bildet, die den Spaltungsebenen, den Rhomboederflächen, parallel liegen.
Zu Bourbon- l'Archembault, wo der Eisenkies sich auf Kosten einer Elisen-
Stange bildete, die verschwunden ist und deren Stelle er einnimmt, ist er noch
von einem anderen Minerale begleitet, das nicht weniger Interesse verdient, nämlich
^) Experimentalgeologie. pag. 138. ff.
Die Gänge. 507
Spatheisenstein. In der Natur ist die Vergesellschaftung gerade dieses mit Eisen-
kies ganz besonders häufig.
Dass die eigenthümliche Stnictur der Gangmassen meist gar nicht anders
erklärt werden kann, als durch eine allmähliche Krystallisation der Minerale aus
wässrigen Lösungen, darauf wurde ebenfalls schon oben hingewiesen.
Auch die Vertheilung von tauben Mitteln und Erzmitteln innerhalb der
Spaltenräume lässt sich durch Sie Circulation von Lösungen und die Verbreitung
der Niederschlagsmittel erklären. Als eines der Hauptmittel zum Ausfallen der
Metalle aus Lösungen wird der Schwefelwasserstoff anzusehen sein, sei es, dass
derselbe aus der Tiefe fertig emporsteigt oder aus schwefelsauren Salzen durch
organische Substanz reducirt wird.
Sind die Metallsalze und ihr Fällungsmittel überall in der Spalte gleich-
massig vertheilt und gegenwärtig, so ist auch die Vertheilung der Erze in der Gangi
ausfiillung eine gleichmässige, werden die Metallsalze nur sparsam zugeführt und
wirken die Fällungsipittel nur an einzelnen Stellen, so erscheinen die Erze un?
gleichmässig, nesterförmig, strichweise.^)
Für die Bildung der Minerale in geschichteten Gesteinen ist die Möglichkeit
einer anderen Bildung als die durcli Abscheidung aus Lösungen geradezu ausge-
schlossen. Aber selbst von den in Eruptivgesteinen auftretenden Gängen ist
wenigstens ein grosser Theil auf dieselbe Weise erfüllt worden.
Freilich ist nun die Ausfüllungsraasse sehr vieler Gänge und besonders auch
der Erzgänge eine mehrfache, es mischen sich mechanisch in die Spalte geführte
Trümmer und Bruchstücke mit neugebildeten Mineralen, autogene Bestandtheile
mit allogenen (pag. 466). In diesem Sinne ist die Erfüllung der grossen Mehr-
zahl der bedeutenderen Gänge eine polygene zu nennen.
2. Bezüglich des zeitlichen Zusammenhanges und der zeitlichen Folge, die
zwischen dem Aufreissen der Spalte und ihrer Erfüllung einerseits, andererseits
zwischen den verschiedenen Ausfüllungsstadien obgewaltet haben, ist zweierlei
zu unterscheiden.
Entweder die Erfüllung erfolgte gleichzeitig mit dem Aufreissen der Spalte
oder sie fand erst nach einem gewissen Intervall statt und dann entweder in
einem einzigen, sich gleich bleibenden Processe oder in einer Folge ein-
zelner, zeitlich getrennter und auch stofflich verschiedener Processe.
Die gleichzeitige Erfüllung der gebildeten Spalte vollzog sich wohl nur bei
den Gängen von Eruptivgesteinen.
Aber wenn schon bei den Laven der Vulkane nicht eigentlich die Lava
selbst die Trägerin der Kraft ist, welche die Wände des Berges zum Aufbersten
bringt, sondern sie selbst getragen wird von einer anderen Kraft, gespannten
Dämpfen z. B., so gilt dieses jedenfalls in noch höherem Maasse von den älteren
Eruptivgesteinen, denen auch die äusseren Erscheinungen der heutigen Vulkane
z. Th. ganz fehlen.
Nicht das Eruptivgestein war die zerreissende, Spalten aufberstende Kraft,
sondern diese lag in den tektonischen Vorgängen in der Erdrinde begründet.
Die durch Bruch, Schub und Torsion gebildeten Spalten waren nur die Wege,
auf denen die Eruptivgesteine empordrangen. Und wenn wir an das denken,
was pag. 290 im Artikel über das Innere der Erdrinde ausgeführt wurde, so
Itönnte man vielleicht noch weiter gehend äuch behaupten, dass der Proccss der
*) OiLODDSCK, 1. c. pag. 307.
5o8 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Spaltenbildung nicht nur dem flüssigen Eruptivmagma die Bahn zur Erdoberfläche
öffnete, sondern auch Bedingung war für den flüssigen Zustand des emporge-
pressten Gesteines.
In diesen Fällen aber muss immer die Ausfüllung des entstandenen Rissen
mit seiner Entstehung zusammenfallen.
In allen anderen Gängen aber, deren ErRillung namentlich auf chemische
Processe zurückzufuhren ist, auch wenn sich dahiit polygene, mechanische Aus-
füllung verbindet, war der Erfüllungsprocess zeitlich getrennt von der Bildung der
Spalte und dauerte durch mehr oder weniger lange Zeiträume mit oder ohne
Unterbrechung fort.
Die Gangmasse selbst und ihre Structur zeigt uns dieses unwiderleglich an
In der symmetrisch, lagenformigen Structur der meisten Erzgänge, wo die
einzelnen Lagen auch aus wechselnden Mineralen bestehen (pag. 475), in den in
allen Theilen einer Gangspalte von den gebildeten Mineralen umhüllten Bruch-
stücken der Nebengesteine, in deutlich unterscheidbaren älteren und jüngeren
Mineralbildungen, von denen die ersteren z. Th. wieder zerstört erscheinen und
mit Hinterlassung ihrer charakteristischen Form von den jüngeren umhüllt oder
gänzlich verdrängt sind (Pseudomorphosen), in den Anzeichen wiederholter er-
neuerter Eröffiiung und Erweiterung der schon theilweise oder ganz erfüllten
Gangspalten, endlich auch in dem Umstände, dass noch heute manche Gänge
theilweise offene, nicht erfüllte Räume aufweisen, spiegeln sich deutlich die lang
andauernden vielfachen Vorgänge wieder, die zu einer endlichen Ausfüllung von
Spalten geführt haben. ^
Selbst bei den anscheinend einfachen, überwiegend nur aus einer Minenl-
species bestehenden Gängen fehlen nur selten die Anzeichen, dass dieselben
zeitlich getrennte Ausfüllungsphasen durchlaufen haben. Die vorhin erwähnten
Strontianitgänge im Kreidemergel Westphalens (pag. 493) bestehen zwar grössten-
theils aus dem Carbonate des Strontiums, jedoch ist das Salband der Gänge
häuflg durch Kalkspath gebildet, der auch nach den Löslichkeitsverhältnissen der
beiden Carbonate zuerst zur Ausscheidung kommen musste. Die so überaus
verbreiteten Quarzgänge in den krystallinischen Gesteinen, die Kalkspathadem in
den Kalksteinen zeigen trotz ihrer geringen Mächtigkeit die deutlichen Zeichen
allmählichen Wachsthums. Wenn irgend eine färbende Substanz vorhanden ist,
z. B. Eisenoxyd, so heben sich die einzelnen Lagen schärfer von einander ab;
die Folge der Bildungen wird durch Unterschiede in der Färbung sichthax.
Ausgezeichnet schön zeigen dieses Kalkspathgänge in den Kalksteinen der Gegend
von Stollberg bei Aachen, die aus zahlreichen abwechselnd rothen und weissen
Lagen von stengligem Kalkspath bestehen. Auch die Structur der einzelnen
Lagen ist verschieden, fein- und grobstenglige wechseln ab, wie bei den
Achaten.
Besonders beweisend für die lange Zeitdauer, die die endliche vollkommene
Ausbildung eines Ganges in Anspruch nahm, sind die Beispiele, wo ein wieder
hohes Aufreissen, eine Erweiterung der schon theilweise erfüllten Gangspalte, eine
Zertrümmerung und erneuerte Verkittung der gebildeten Bruchstücke mit Mine-
ralen stattfand. Gar nicht selten sind die jüngeren Mineralbildungen von gini
anderer Art, wie die älterer Erfüllung. Der Gang des bekannten Trümmerachate^
von Schlottwitz in Sachsen, die Gänge von Gersdorf, der Quarzgang von l-a
Gaidette sind Beispiele dieser Art, die schon im Vorhergehenden angefühlt
worden sind (pag. 477). Interessante Vorkommen dieser Art bietet auch der
FonnelD, chemische, der Minende. 509
Adalbertgang zu Przibram in Böhmen. Auf diesem und anderen dortigen Gängen
kann man z. B. Bleiglanz von verschiedenem, zwei auch dreierlei Alter unter-
scheiden, mehrere Schwerspath- und Kalkspathbildungen und sogar fünferlei ver-
schiedene Quarzbildungen. Die Cocardenstructur ist theilweise ganz ausgezeich-
net. Grünsteinbrocken sind mit successiven Lagen von Blende und Bleiglanz
concentrisch umhüllt, diese alle von Eisenspath umgeben.
Der in den devonischen Schichten aufsetzende Gang der Grube Louise bei
Asbach östlich vom Siebengebirge zeigt auf der alten Gangspalte wesentlich
Blende und Bleiglanz mit Quarz und Kalkspath als ErHillung. Fast in demselben
Verlaufe mit dieser älteren Gangspalte riss eine zweite auf, die sich z. Th. ganz
parallel an die ältere anfügt, aber vorzüglich Spatheisenstein als Ausfüllung erhielt.
So setzen die jüngeren Spatheisensteintrümmer bald in der Mitte, bald auf den
Seiten, bald quer in der älteren Gangmasse auf.
Wenn das erneuerte Aufreissen zwischen den älteren Gangkörpem und dem
Nebengestein nur enge, wenige Zoll weite Räume schuf und diese sich mit einem
mechanisch gebildeten Reibungsproducte erfüllen, so gehen daraus die sogen.
Beste ge hervor, die den Gang auf der einen oder auf beiden Seiten einfassen
und durch ihre meist wenig feste, milde Beschaffenheit die bergmännische Ge-
winnung der Gangmasse erleichtem.
Auch das Vorkommen von stalaktitischen und stalagmitischen Gebilden in
den Hohlräumen, den nicht erfüllten Theilen von Gangspalten, ist ein Beweis
sowohl ihrer Erfüllung durch Abscheidung aus Lösungen, als auch der langsamen
und durch lange Zeit ruhig fortdauernden Processe, die jene bewirkten. So kennt
man nicht nur Kalkspath und Aragonit, sondern auch Erze in stalaktitischen
Formen: Bleiglanz in Siebenbürgen und zu Raibl in Kämthen, gediegen Arsen
und Kieselmanganerz in überaus zierlichen Bildungen zu Nagyag, Grünbleierz zu
Przibram, die feinsten fransenartigen Gestalten von Pyrit und Markasit auf dem
belgischen Bleiberg, Braun- und Rotheisensteine im Siegen'schen, zu Holzappel
und in weiter Verbreitung.
Bei vielen Gängen ist in Folge der verschiedenen Vorgänge, die sich in der
Spalte bis zu ihrer Erfüllung abgespielt haben, die Structur derselben eine so
verwickelte, mosaikartige geworden, dass die Altersfolge der verschiedenen Lagen
und Theile nur sehr schwer mehr erkannt werden kann.
3. Bezüglich der Herkunft der zur Ausfüllung der Gangspalten ver-
wendeten Mineralmassen sind verschiedene Theorien aufgestellt worden.
V. Weissenbach ^) und später v. Herder haben die Gänge nach diesem Gesichts-
punkte eingetheilt und mehr und mehr ergiebt sich, dass alle einzelnen Möglich-
keiten innerhalb gewisser Grenzen und für gewisse Gänge ihre Berechtigung
haben.
Groddeck2) unterscheidet, unter Zugrundelegung der HERDER'schen Aus
drücke für die einzelnen Arten, folgende Gänge:
1. Congenerationsgänge oder Auscheidungsgänge.
2. Lateral-Secretionsgänge oder Sickergänge. •
3. Descensionsgänge oder Sedimentärgänge.
4. Ascensionsgänge und zwar
') Gangstttdien, Bd. I. pag. 1.
•) L c. pag. 332.
5IO fifineralogie, Geologie und Palaeontologfe.
a) Injectionsgänge (Eruptivgänge).
b) Sublimationsgänge.
c) Infiltrationsgänge (Quellengänge).
1. Die Congenerationsgänge sollen gleichzeitig mit ihrem Nebengestein ent-
standen sein. Wenn auch die durch Contraction in den Gesteinen entstandenen
Spalten als gleichzeitig mit diesen gelten können, so ist doch die Ausfüllung der
Spalten in allen Fällen ein späterer Process. Gänge dieser Art sind also kaum
vorhanden. Nur die pag. 468 erwähnten, ihrer Entstehung nach immerhin noch
fraglichen, aber wenigstens sehr gangähnlichen Ausscheidungen in Eruptivge-
steinen, die aber wohl richtiger nach Credners Annahme zu den Lateral-Secretions-
gängen gerechnet werden müssen, dürften in gewissem Sinne als gleichzeitig mit
den Gesteinen gelten, in denen sie auftreten.
2. Die Lateralsecretion, das Hineinsickem der |Mineralstofie in die Gang«
spalten aus den Nebengesteinen kann für eine grosse Zahl von Gängen als er-
wiesen gelten und dürfte bei fortgesetzten Untersuchungen einer immer grösseren
Zahl sich anpassen.
Für die Ausfüllung der Contractionsspalten in Basalten u. a. Gesteinen unter-
liegt es keinem Zweifel, dass das Material nur aus der Auslaugung des nächsten
Nebengesteines eingeführt worden sein kann. Die hier vorkommenden Minerale
sind meist nur solche, die durch die Sickerwasser aus dem Nebengesteine gelöst
und frei gemacht werden. Ebenso gilt das für die Austrocknungs-, Faltungs-
und Pressungsspalten, wenn das ausfüllende Material die direkten Beziehungen zu
dem umgebenden Gesteine unverkennbar verräth. Die mit kohlensaurer Kalkerde
erfüllten Gänge und Adern in den Kalksteinen, die mit faserigem Gyps erfüllten
Gänge in Gypsgesteinen zeigen diese Abstammung auf das Einfachste. Auch die
vielverbreiteten Quarzgänge in kieselsäurereichen Silicatgesteinen sind in den
meisten Fällen durch Secretion aus dem Nebengestein gebildet.
Bei den selteneren Mineralen und den Erzen sind solche Beziehungen ver-
steckter und manchmal nur durch sehr sorgsame und mühevolle Untersuchungen
aufzudecken.
F. SandbergerI) ijat durch eine Reihe von Untersuchungen und sorgfältige
analytische Prüfungen der Nebengesteine für die Erzgänge des Schwarzwaldes
und des Spessart's die Lateralsecretion nachzuweisen versucht und in den meisten
Fällen auch durchaus plausibel gemacht.
Schon vor langer Zeit hatte auch Delius in seiner Bergbaukunde diese
Theorie aufgestellt und ganz besonders hatte sie in den Arbeiten Bischoff's^
über die verschiedenartigsten Zersetzungen, Auflösungen, Wegführungen der B^
standtheile von Gesteinen und dem Wiederabsatz der Minerale aus so erhaltenen
Lösungen wichtige Vorarbeiten und Grundlagen erhalten.
Sandberger zeigte, dass in dem Granit von Achem bis zum Kinzigtha] im
Schwarzwald nur sehr wenig Schwerspath als Gangmaterial erscheint. Der Feld-
spath in diesem Granit enthält nur sehr geringe Mengen von Baryt und verwittert
schwer, während der Granit von Schapbach, Wittichen, Schiltach u. a. O. einen
an Bar)rt reicheren (0,22^) leicht verwitterbaren Feldspath enthält und überall
dort von Schwerspathgängen durchzogen wird, wo sich das Gestein in verwitter-
tem Zustande befindet. Die bedeutendsten Schwerspathgänge aber schliesst im
^) Zahlreiche Abhandlungen im N. Jahrb. f. Min.
3) Bischoff, Chem. Geologie. Cap. Gänge. Bd. IIL pag. 651-
l)ie Gänge. 511
Schwarzwald der Gneiss ein, weil sein leicht verwitterbarer Feldspath auch den
höchsten Barytgehalt 0,8^ besitzt.
Sehr verbreitet sind in den verschiedensten Gebieten Kupfererzgänge, welche
Eniptivgesteine: Diabase, Melaphyre, Diorite u. a. durchsetzen. Dazu gehören
u. a. auch die grossartigen Vorkommen von ged. Kupfer am oberen See in Nord-
Amerika (pag. 485). Andererseits ist es für Nickel- und Kobalterze verschiedener
Art, die, ebenfalls von Kupfererzen u. a. Mineralen begleitet, vorkommen,
charakteristisch, dass die Gänge derselben so häufig an Olivingesteine und an
Gabbro's gebunden sind.
Auch das hat nach Sandberger in der Lateralsecretion seinen Grund. Die
Augite und Olivine enthalten geringe Mengen von Kupfer, Kobalt und Nickel.
In den Diabasen und Schaalsteinen Nassau's tritt Kupferkies um so reichhaltiger
auf, je mehr diese Gesteine zersetzt, also durch die Sickerwasser ausgelaugt sind.
Der Nickelerzgang der Grube Hülfe Gottes bei Nanzenbach in Nassau war nur
innerhalb eines zersetzten Augitolivingesteines eriftihrend.
In ganz ähnlicher Weise ist das Vorkommen der Arsenerze im südöstlichen
Schlesien an das Auftreten von serpentinisirten Olivinaugitgesteinen, echten Olivin-
gabbro's zum Theil, geknüpft. So das bekannte Vorkommen von Reichenstein.
Aber auch weiter nach Ostreich. Schlesien und Mähren hinein darf man fast
sicher sein, überall in den meist dunkel gefärbten Serpentinen, die aus der Um-
wandlung ähnlicher Gesteine hervorgingen, die Gegenwart von Arsenerzen zu
finden, z. B. in der Olivingabbrokuppe bei Sörgsdorf zwischen Jauernig und Friede-
berg, in den Serpentinen des Altvaterstockes, z. B. bei Goldenstein und Wilhelms-
thal u. a. O. Da erscheint es gewiss bedeutsam, dass auch die Glimmerschiefer,
denen diese Serpentine eingeschaltet sind, einen geringen Arsengehalt erkennen
lassen.
Das Nebengestein der Erzgänge von Wittichen, ein Granit, enthält nach
F. Sandberger alle Stoffe, welche zur Bildung der auf den Gängen vorkommenden
Minerale erforderlich sind; aus den Kiesen der Hombl endeschiefer, die in der
Nähe der Erzgänge abgelagert sind, leitet derselbe den Nickel- Kobalt- und
Arsengehalt der Erzgänge ab; auch den Schwefel, der im Granit nicht in ge-
nügender Menge nachzuweisen ist, um daraus die Bildung des Schwerspathes und
der vorhandenen geschwefelten Erze zu erklären.
Woher das Silber stammt, ist, trotzdem ein kleiner Gehalt dieses und anderer
Metalle im Glimmer des Granites entdeckt ist, doch noch zweifelhaft. ') Auch
Beziehungen zwischen dem Metallgehalt des Glimmers in den Gneissen und
Graniten des Spessarts und Schwarzwaldes und den dasalbst aufsetzenden Erz-
gängen hat F. Sandberger nachgewiesen. Dieselben sind im höchsten Grade be-
deutsam für die Lateralsecretionstheorie.
Der dunkle Glimmer im Gneiss des Spessart's enthält kleine Mengen von
Kobalt, Arsen, Kupfer, Wismuth, aber kein Blei. Dem entsprechend führen die
in diesem Gneiss auftretenden Gänge Kobalterze, Kupferkies, Buntkupferkies, aber
keinen Bleiglanz. In dem Glimmer des Granites von Wittichen im Schwarzwald
ist etwas Silber, Arsen, Wismuth, Kobalt, Nickel, wenig Kupfer und ebenfalls
kein Blei vorhanden; die Gänge von Wittichen enthalten vorwiegend arsen-
haltige Silber-, Kobalt- und Nickelerze und wiederum keinen Bleiglanz. Da-
gegen enthält der Glimmer im Gneiss von Schapbach Blei, Kupfer, Kobalt, Wis-
^) Groddeck, 1. c. pag. 327.
$12 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
muth und die Gänge dem entsprechend auch Bleierze und nur Spuren arsen-
haltiger Erze.
Dieses Zusammentreffen ist gewiss nicht eine blosse Zufälligkeit und wenn
auch bisher derartige Beziehungen nur für wenige Gebiete bekannt sind, so liegt
das gewiss zum Theil auch daran, dass die in den Gesteinen nachzuweisenden
Mengen der Erze nur ausserordentlich minimale sind.
Eine ganze Menge von Erscheinungen an den Gängen wird ohne Zweifel durch
die Annahme einer Lateralsecretion am befriedigendesten erklärt. Ganz besonders
gilt dies von dem Einflüsse des Nebengesteines auf die Minerale und Erzfübmng
der Gänge. Es sind dafür im Vorhergehenden Beispiele angeführt worden.
Wie soll man sich diesen Einfluss, der sich darin zeigt, dass ein Gang inner-
halb eines Gesteines Erze enthält, mit dem Uebergange in ein anderes Gestt in
aber plötzlich taub wird, anders erklären, als dadurch, dass durch chemische
Auslaugung gerade dieses Nebetvgesteines die Erzführung bedingt ist? \Vie oft
kommt es vor, dass ein Gang Im verwitterten Gesteine erzführend ist, dagegen
seinen Erzreichthum verliert, sowie er in frisches, unverwittertes Gestein tibertritt
Der überaus günstige Einfluss, den innerhalb geschichteter Gesteine einzelne
Schichten auf die Erzführung der Gänge ausüben, erklärt sich ebenfalls dadurch
am einfachsten, dass ein Auslaugen gerade dieser günstigen Gesteine stattge-
funden habe und dadurch entweder direkt die Minerale zur Erfüllung der Spalten
geliefert wurden oder wenigstens solche Stoffe, die als Fällungsmittel für die auf
andere Weise z. B. in aufsteigenden Quellen zugeführten Erzlösungen dienen
konnten.
Das würde dann allerdings eine polygene Bildung der Gangausfüllung sein,
die ohne Zweifel in vielen Fällen stattgefunden hat.
So dürfte es kaum selbständige Descensions- oder Sedimentärgänge geben,
sondern auf diesen stets mit einer Mineralerfüllung, die durch Quellen oder
durch Auslaugung entstanden ist, sich solche von oben in die Gänge hineinge-
rathene Bruchstücke, Sand- und Schlammmassen mischen.
Unter den als Ascensionsgängen zusammengefassten bedürfen die Injections-
gänge und die Sublimationsgänge hier keiner weiteren Erklärung mehr, schon auf
pag. 505 sind Beispiele dafür angeführt worden. Sie sind fast stets unzweifelhaft
als solche zu erkennen.
Die Quellengänge sind ohne Zweifel die in der Natur verbreitetsten. Im Vor-
hergehenden wurde schon des auffallenden Zusammenhanges gedacht, der zwischen
Mineralquellen und Erzbildung an vielen Orten sich nachweisen lässt. Und auch
dort, wo ein direkter Nachweis der erzspendenden Quellen jetzt nicht mehr mög-
lich ist, sprechen doch die Verhältnisse der Structur und der Reichthum so vieler
Gangspalten an Mineralen und Erzen dafür, dass eine intensivere Zufuhr der
Stoffe stattgefunden habe, als sie durch blosse Auslaugung möglich gewesen wäre.
Sehr richtig hebt Groddeck dies z. Th. für die Gänge von Clausthal im Han
hervor, indem er sagt, dass selbst, wenn es gelänge, kleine Mengen von Blei,
Kupfer und Zink in den Culmgrauwacken und Thonschiefern aufzufinden, es doch
unbegreiflich bleiben müsse, dass darauf allein der Erzreichthum der Gänge be-
ruhen solle, denn die neben den Gängen liegende Zersetzungszone, die also die
ausgelaugte Zone darstelle, stehe in keinem Verhältniss zu den in den Gängen
liegenden Erzmassen.
Nur der vereinten Arbeit aufquellender Mineral- und Thermalquellen und
auslaugender, die Gesteine durchdringender Sickerwasser mag wohl die Aus-
Die Gange. 513
Rillung der meisten Mineral- und Erzgänge gelungen sein. Den Kalkspath-
reichthum der Andreasberger Gänge darf man nach Lossen wohl auf die Be-
rührung der aus der Tiefe emporgestiegenen Thermalwasser mit den Diabas-
massen beziehen, aus welchen die kalkspäthigen Zersetzungsproducte zugeHlhrt
wurden.
Und dass die Mischung dieser beiden Processe auch heute noch in gleicher
Weise, wenn auch vielleicht mit viel geringerer Intensität der Wirkung fortgeht,
und sie also keinesweges alle versiegt sind »die erzespendenden Thermen^, dafür
bietet uns die Beschreibung einer noch jetzt in der Entstehung begriffenen Gang-
formation zu Sulphur Bank in Califomien ein treffliches Beispiel .1)
In der califomischen Küstenkette liegt das Gebiet des Clear Lake, den vul-
kanische Kegel, z. Th. bis zu 1200 Meter hoch, umgeben. Hier finden sich
reiche Schwefelablagerungen ganz besonders in der sogen. Sulphur Bank, einer
Bank sehr zersetzten Augidandesites. Auf allen Klüften dieser Bank, die in der
Tiefe eine quaderförmige Absonderung besitzt, erscheint Schwefel, in den grösseren
Tiefen mit Zinnober; Eisenglanz und Magnetit gesellen sich dazu in den oberen
Teufen, Pyrit in den unteren.
Unter dieser Andesitbank lagern steil stehende Sandsteine und Schiefer. In
breiten Klüften derselben findet sich eine Breccie, in der Schiefer und Sandstein-
bruchstücke mit feinem Schlamm und Thon verkittet sind. Der Schlamm ist
noch warm, von alkalischen und solfatarischen Thermalwassem durchdrungen.
Dämpfe reich an Schwefelwasserstoff, Kohlensäure imd Borsäure steigen daraus
auf. Diese schlammerfüllten Breccien sind ganz besonders reich an Zinnober und
Pyrit. Diese umhüllen in regelmässigen Lagen die Gesteinsbruchstücke in
dem Schlamm und bilden eine ganz ausgezeichnete cocardenförmige Structur.
Alle Verhältnisse entsprechen denen echter Mineralgänge mit conglomeratartiger
Erfüllung.
Diese Breccie bildete den Weg für aufsteigende Quellwasser von thermaler
Beschaffenheit: alkalisch und schwefelwasserstoffreich. Sie erzeugten durch Lösung
von Kieselsäure in der Tiefe, die sie dann aufwärts führten, Thon und freie,
wieder als Opal und Quarz abgesetzte Kieselsäure. In Lösung enthielten sie
Schwefelquecksilber und setzten daher Zinnober ab. Durch die Reaction von al-
kalischen Sulphiden auf Eisenoxydulsilicat bildete sich der Pyrit; der Schwefel
wurde direkt aus der Quelle abgeschieden.
Mit dieser Wirkung der aufsteigenden Quellwasser vereinigte sich aber sicht-
barlich auch die der von der Oberfläche niedersteigenden Sickerwasser. Diese
wurden durch Vereinigung mit den aufsteigenden und Oxydation der letzteren
sauer und bildeten Eisenvitriol, Eisenoxyd, Magneteisen. Sie bewirkten die Aus-
laugung des Andesites, Eisen, Thonerde und Alkalien wurden fortgeführt, die
Kieselsäure blieb als schneeweisses Pulver zurück. Die ganze Oberfläche der
Andesitbank ist in dieses verwandelt, in der weissen Asche liegen noch unzer-
setzte Blöcke des Gesteines inne.
So liegt denn hier die doppelte Art der Gangerfüllung im Werden vor, wie
sie gewiss nur selten beobaclitet werden kann. Die Bildung der Erze, des Zinnobers
und Pyrits, geschah vornehmlich durch die aufsteigenden Quellwasser, die Zufuhr
der Thonerde, sowie die Bildung der schlammartigen Thonmasse als Bindemittel
') J. Leconte u. W. B. Rising: The Phenomena of metaüiferous Vein-fonnation now in
progress at Snlplitur Bank, California. Sillim. Journ. HL Ser. Vol. XXIV. 1882. Jtily.
Kjdimgott, Min., Geol. u. Pml. L ^j
514 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
der Gesteinsbruchstücke in der Gangspalte, die Zufuhr des Eisens und des
Sauerstoffs wurde durch die niedergehenden, das Nebengestein auslaugenden
Sickerwasser bewirkt. Der Schwefel war in der Tiefe ein direkter Absau ans
der Thermalquelle. Der in oberen Spalten sich findende Schwefel und Eisenglaaz
kam dorthin auch durch Sublimation in Folge vulkanischer Emanationen.
In ähnlicher Weise mögen die meisten Erzgänge als polygene Bildungen auf-
zufassen und in ihren Einzelnheifen zu erklären sein.
Literatur: Bischoff, G., Chem. Geologie. Bd. m. Bonn 1866. Cap. Ginge, pag. 651.
CoTTA, B. V., Die Lehre von den Erslagerstätten. 2. Aufl. Freiberg 1859 — 61, und Gtng-
Studien, m Bde. Darin verschiedene wichtige allgemeinere und specielle Abhandlungen von Cotta.
Müller, Vogelgesang, v. Wsissenbach u. A., von denen besonders zu nennen: v. Wkissknbacr
Theoretische Betrachtungen über Erzgänge. DAUBSiE, A. Synthetische Studien zur Experimenta]-
Geologie. Deutsche Ausgabe von A. Gurlt. Braunschweig 1880. Grdim, Joh., Die taga-
Stätten der nutzbaren Mineralien. Prag 1869. Groddeck, A. v.. Die Lehre von den Lager-
stätten der Erze. Leipzig 1879. Naumann, C. F., Lehrbuch der Geognosie. II. Aufl. 3. Bd.
Leipzig 1872. Unvollendet. Vogelgesang, H., Zur Theorie der Gangbildungen. N. Jahrb. ftir
Mineral 1863. pag. 30 ff.
Gase
von
Prof. Dr. Kenngott
Wenn schon im Artikel: »Arten der Minerale« pag. 51 darauf aufmerksam
gemacht wurde, dass im Inneren der Erde Gase vorkommen und dass man diese
als natürliche Zusammensetzungstheile der Erde aufzufassen und in das Gebiet
der Nfineralogie aufzunehmen habe, wie schon die Atmosphäre darauf hinweist,
welche als Gashülle auch zu unserer Erde gehört, so wurden und werden doch
gewöhnlich nicht die Gase zu den Mineralen gezählt. Die Mehrzahl der Mine-
ralogen überlässt sie auch anderen Disciplinen, was namentlich darin seinen
Grund hat, dass man gewöhnt war, Minerale nur die festen Zusammensetzungs^
theile unserer Erde zu nennen, trotzdem aber doch gezwungen wurde, das tropf-
barflüssige Mineral Mercur, die tropfbarflüssige Naphtha und das Wasser als Mine-
rale zuzulassen.
Da jedoch die Gase in ihrer Erscheinungsweise nicht wie andere Minenk
gesehen und unterschieden werden können, so war es natürlich, dass besonder»
ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften bestimmt werden mussten und
dass sie auf diese Weise Gegenstand der Chemie geworden sind. Immerhin
bleiben sie Minerale im ausgedehntesten Sinne dieses Namens und Begriffes, weil
sie wie andere Minerale an der Zusammensetzung unserer Erde Theil nehmen.
HiniBOLDT sagt z. B. in seinem Kosmos, Band I, pag. 225: >Wir sehen am
dem Boden ausströmen: Wasserdämpfe und gasförmige Kohlensäure, mdst öei
von aller Beimengung von Stickstoff; gekohltes Wasserstoffgas (in der chtnesiscken
Provinz Sse-tschuan seit Jahrtausenden, in dem nordamerikanischen Staate New-
York im Dorfe Fredonia ganz neuerdings zum Kochen und zur Beleuchtung be-
nützt), Schwefelwasserstoffgas und Schwefeldampf, seltener schweflige und Hydro-
chlor-Säure« und es ist ersichtlich, dass sie der Erde als natürliche Zusammen-
setzungstheile angehören.
Darum sollen wenigstens nur ganz kurz diejenigen Stoffe angelUhit werden.
Die Gebirge und ihre Entsteliimsf. $i$
welche als Gase vorkommen, während die genaue Bestimmung anderen Disci-
plinen überlassen bleibt» namentlich der Chemie.
Obenan stehen die beiden elementaren Gase, das Sauerstoffgas (der
Sauerstoffe) und das Stickstoffgas (der Stickstoff N), welche die Atmosphäre
(s. diesen Artikel) bilden, insofern dieselbe ein nahezu constantes Gemenge dieser
beiden Gase darstellt, von unwesentlichen anderen Stoffen abgesehen aus 2 1 Vo-
lumtheilen Sauerstoff und 79 Stickstoff oder nahezu aus 23^ Sauerstoff und 77^
Stickstoff besteht
Ebenso wchtig ist das Wassergas H^O, welches auch in der Atmosphäre
enthalten ist, aiusserdem aber in der Erde vorkommend bei vulkanischen Processen
eine bem erkenswerthe Rolle spielt.
Noch andere Gase, welche in der Erde vorkommen, durch gewisse chemische
Processe entwickelt werden und local von grosser Bedeutung werden können,
sind das Kohlenwasserstoffgas Grubengas, Methan H^C, welches in Kohlen-
gniben die sogen, schlagenden Wetter veranlasst, bei Schlammvulkanen beobachtet
wird und an einzelnen Orten, wie bei Baku in Kaukasien, in China, in Pennsyl-
vanien, in Modena, bei Chatillon in Savoyen u. a. O. m. in grosser Menge und seit
langen Zeiten ausströmend zur Beleuchtung und zum Kochen und Heizen be-
nützt wird; das Wasserstoffgas H, die Kohlensäure CO^t welche vielfach
durch Zersetzung sie enthaltender Minerale entwickelt wird, das Sehwefel-
wasserstoffgas HjS, das Chlorwasserstoffgas HCl, das Fluorwasser-
stoffgas HF und die schweflige Säure SO3.
Die Gebirge und ihre Entstehung
Prof. Dr. A. von Lasaulx.
Die vollkommene Nivellirung der Oberfläche eines Landes bedingt den
Charakter desselben als Flachland oder Ebene. Mehr oder weniger be-
deutende Unterschiede im Niveau der einzelnen Theile charakterisiren dagegen
ein Gebirgsland.
Das Maass der Höhendifferenzen kommt dabei eigentlich nicht in Betracht.
Nur die Höhe unterscheidet Hochgebirge von Mittelgebirgen und Hügelland;
aber dieser Unterschied ist nur ein ganz unwesentlicher und äusserer, keinesweges
hängen damit stets auch innere Unterschiede zusammen.
Der allgemeine Begriff »Gebirge« umfasst daher gleichmässig die sanften
Wellen eines Hügellandes und die gewaltigen Felsenriesen der Alpen und Cor-
dilleren.
Auch die absolute Höhe d. i. die Erhebung über das Meeresniveau be-
dingt keinesweges die Bedeutung eines Gebirgslandes. Der Thurmberg, der höchste
der Gruppe der sog. Schönberger Berge bei Danzig ist bei 334 Meter absoluter
Höhe ein ganz ansehnlicher Berg, der über den ganzen Landrücken von Preussen
emporragt und München liegt mit 519 Meter Höhe doch in einer weiten, fast
ganz ebenen Fläche.
Ebene oder Flachland ist also nicht immer auch Tiefland; Hochländer sind
oft zugleich auch Hochebenen oder Plateau's. Die Differenzen in den relativen
Höhen unterscheiden Flachland und Gebirgsland.
33*
5i6 Mineiulogie, Geologie und PaUeontologie.
Das Tiefland ist meistens auch Flachland oder wenigstens nur durch geringe
Höhendifferenzen davon abweichend. Beispiele der verschiedenen Alten der
ReliefTonnen der Festlande wurden schon in dem Artikel »Continente« pag. 167
angeführt.
Hochland setzt sich in der Regel aus Hochebenen und aus eigentüchen
Gebirgsland zusammen. Sind die Plateau*s geschlossene Erhebungen des Landes,
die in sich ein nahezu gleiches oder fast constantes Niveau, jedenfalls aber inner-
halb grosser Distanzen nur kleine Höhendifferenzen aufweisen, so ist für
das Gebirgsland der stete Wechsel von hohen und tiefen Th eilen, von Beig und
Thal, rasch und unvermittelt oder auch mit allmählichen Uebergängen das Charak-
teristische d. h. also, es zeigen sich im Allgemeinen innerhalb kleiner Distanzen
grosse Höhendifferenzen.
Dadurch, dass diese Gegensätze nebeneinander vorkommen, lassen sich
Grenzen der verschiedenartigen Theile der Continente gegeneinander ziehen.
Die Gebirgsländer werden von Ebenen, die Hochländer von Tiefländern um-
geben; sie werden dadurch als zusammengehörige Gebirgsgruppen von einander
geschieden. Im kleineren Maassstabe werden auch die einzelnen Theile einer
Gruppe oder eines einzelnen Gebirges durch dieselben Gegensätze wieder aus-
einander gehalten.
Man unterscheidet aber an einem Gebirge eine doppelte Art der Gliederung:
eine äussere, orographische und eine innere, geognostische oder strati-
graphische.
Der Gesammtcharakter eines Gebirgslandes wird durch die besonderen
Verhältnisse der einzelnen hohen oder tiefen Theile nach beiden Arten der
Gliederung bedingt, der Charakter eines Gebirges in gleicher Weise durch die
Beschaffenheit seiner Glieder.
Die äussere, orographische Gliederung ist ohne Weiteres sichtbar, dagegen
ist die innere, geognos tische Gliederung meistens nicht so leicht zu erkennen:
jene unterliegt der unmittelbaren Anschauung, diese ergiebt sich erst aus der
sachverständigen Combination der wenigen sichtbaren Aufschlüsse über die
innere Structur. Daher ist die Darstellung der ersteren meist objectiv d. h. frei
von persönlicher Deutung, während die letztere kaum ohne subjective d. h. nach
persönlichen Ansichten gebildete Erklärung denkbar ist. Ist jene daher eine fest-
stehende, so ist diese in vielen Fällen noch als schwankend zu bezeichnen.
Die Physiognomie eines Gebirges hängt von der äusseren Gliedeiunx
ab. Im Einzelnen ist diese bedingt durch die Verhältnisse der Satte liinie des
Gebirges, des Gebirgs -Kammes oder Scheitels, durch die Beschaffenheit und
Gliederung der Abfälle oder der Gehänge und des Gebirgsfusses.
Der Wechsel von einzelnen Gipfeln, den höchsten Funkten des Gebiigs-
kammes und von Pässen, den tiefsten Theilen desselben, gestaltet das Pro61
der Sattellinie. Je grösser die Differenzen in den Höhen jener sind, um so aus-
geprägter erscheint ihre orographische Gliederung.
Querschnitte nach verschiedenen Richtungen durch ein Gebirge gelegt, stellen
die Gliederung desselben dar. Profile geben die Gestalt des Kammes und die
Neigungsverhältnisse der Gehänge an; Grundrisse gestalten ein Bild von der
orographischen Zusammengehörigkeit eines Gebirges, von dem Verlaufe, der
Richtung, der Erstreckung der einzelnen Glieder. Reliefkarten, sowie Karten mit
aequidistanten Horizontallinien oder Höheneu rven sind die besten Mittel, beide
Verhältnisse gleichzeitig zur Darstellung zu bringen. Diese geben sonach das
Die Gebirge und ihre Entstehung. 517
Bild von dem Relief und der Physiognomie d. h. der Gesammtplastik eines
Gebirges. *
Wenn ein Gebirge eine vorherrschende Längserstreckuug zeigt, pflegt man
es als Gebirgszug oder Gebirgskette zu bezeichnen. Längenprofile und
Querprofile sind dann zu unterscheiden. Auch die Gliederung solcher Gebirge
ist transversal und longitudinal, meistens eine der beiden Richtungen in
der Anordnung überwiegend.
Fehlt dem Gebirge eine vorwaltende Längserstreckung, so nennt man es
einen Gebirgsstock oder ein Massiv. Die Anordnung der Glieder eines
solchen ist in der Regel mehr oder weniger radial.
Da die Gliederung durch die Niveaudifferenzen, also durch den Wechsel
hoher und tiefer Theile bedingt ist, so sind also stets Rücken und Thäler die
wesentlichsten Gebirgsglieder. Auch für diese, wie für das ganze Gebirge, geben
Längs- und Querprofile ein Bild ihrer Gestaltung, zeigen die Neigungen ihrer
Sohle oder ihres Kammes und die Böschungsverhältnisse ihrer Gehänge an.
Jeder einzelne Rücken hat wieder seine Gliederung und schliesslich lösen
sich als letzte Glieder in der Dismembration der Gebirge einzelne Berge heraus.
Die geognostische Gliederung der Gebirge ist in dem Schichtenbau be-
gründet, man bezeichnet sie daher auch als die Stratigraphie oder die Tek-
tonik der Gebirge. Auch von diesen können wir durch kartographische Dar-
stellungen ein Bild erhalten. Geognostische Karten stellen gewöhnlich nur die
Verbreitung gewisser Formationen und Systeme d. i. Schichtencompleze von
gleicher Gesteinsbeschaffenheit oder gleichem Alter der Entstehung, an der Erd-
oberfläche dar. Aber über die Lage der Schichten, ihre Neigung gegen die
Oberfläche und gegeneinander, über die Folge derselben unterhalb der oberen
Schicht können wir natürlich aus solchen Karten unmittelbar nichts entnehmen.
Um auch diese Verhältnisse des Schichtenbaues aufzuklären, müssen zu den
Karten wieder Profile sich hinzugesellen, die in verschiedenen Richtungen
durch das Innere eines Gebirges oder seiner einzelnen Theile gelegt werden.
Das setzt voraus, dass man an einer grösseren Zahl einzelner Stellen Aufschlüsse
über die innere Tektonik erhalten hat. Da aber die meisten Gebirge mit Vege-
tation, mit Schutthalden, mit Schnee und Eis an ihrer Oberfläche bedeckt sind,
so sind Schlüsse auf die Beschaffenheit des Untergrundes in der Regel nur spär-
lich zu begründen.
Die Thaleinschnitte und ihre Gehänge, an denen die Gesteine mehr oder
weniger entblösst zu Tage treten, geben die werthvoUsten Aufschlüsse über die
stratigraphischen Verhältnisse ; Steinbrüche, Bergwerke, Bauten verschiedener Art
unterstützen die Beobachtung. Immerhin aber bleibt das Bild des inneren Ge-
birgsbaues, das man aus den Karten und Profilen seiner einzelnen Glieder zu-
sammenfügt, in vielen Theilen ein hypothetisches. Aber im Grossen und Ganzen
ist doch die Art des Baues, die vorherrschende Regel desselben aus solchen
Darstellungen zu entnehmen.
Die orographische und geognostische Gliederung sind in ihrer Gesammtheit
das Product der Gebirgsentstehung, das Resultat der allmählichen Summirung
aller einzelnen Wirkungen, die eine Niveaudifferenzirung der äusseren und eine
gewisse Anordnung der inneren Glieder zur Folge hatten.
Die orographische Gliederung zeigt in manchen Fällen eine unverkennbare
Abhängigkeit von dem stratigraphischen Baue eines Gebirges. Jedoch ist das
nicht immer der Fall. Sogar in den meisten Fällen tritt eine solche nur sehr
5i8 Mineralogie, Geologie und Palaeootologie.
wenig hervor, ist überhaupt nicht nachzuweisen oder auch in Wirklichkeit nicht
vorhanden.
Das Rheinthal durchschneidet von Bingen abwärts das oberrheinische Ge-
birgsland und gliedert es in zwei Gebirge: den Hundsrücken auf seiner linken,
den Taunus auf seiner rechten Seite. Orographisch ist diese Gliederung in die
beiden Gebirge bei der Tiefe des trennenden Thaies vollkommen gerechtfertigt,
geognostisch aber existirt sie nicht. Geognostisch ist das ganze von der rhei-
nischen Grauwacke, den Schichten der unteren Abtheilung des devonischen
Systemes eingenommene Land als ein Ganzes zu betrachten, das gleichmässig
Taunus und Westerwald, Hundsrücken und Eifel umfasst. Auch in der Tektonik
der einzelnen Theile treten keinerlei Unterschiede hervor. Hier fällt die oro-
graphische Gliederung demnach mit der geognostischen nicht zusammen, ist davon
vollkommen unabhängig.
Der Harz im Gegentheile ist ein Gebirge, dessen orographische Ausbildung
in engster Beziehung steht zu seiner geognostischen Structur. Er ist ein trefiliches
Beispiel eines Gebirgsstockes oder MassiVs. Eine Längserstreckung oder eine
durchweg parallele Anordnung seiner einzelnen Glieder fehlt ihm ganz. Geog-
nostisch ist der Kern des Gebirges ein Granitmassiv, das in dem höchsten
Scheitel desselben, dem Brocken gipfelt. Und der orographisch gebräuchliche
Ausdruck »ein Gebirgsknoten«, der für den Harz zutreffend erscheint, hat auch
geognostisch für ihn volle Giltigkeit. Denn in ihm treffen die einerseits nach
Südwesten, andererseits nach Südosten streichenden Gebirgszüge mit ebenso ge-
richteter geognostischer Gliederung zusammen.^)
In etwas anderer Weise bietet uns der Schweizer Jura das Bei^iel
eines Gebirges, dessen orographische Gestaltung durchaus von seiner inneren
stratigraphischen Gliederung abhängt. Nicht in der Art, dass er in seiner Er-
streckung auch auf den Bereich ihm ganz besonders eigenthümlicher geologischer
Formationen beschränkt wäre. Das Rheinthal zwischen SchafThausen und Basel
trennt das Juragebirge von der Rauhen Alp, die geognostisch zusammengehören.
Aber der Verlauf des Juragebirges, die charakteristische Art seiner Thalbildang
und die dadurch bedingte Gestaltung seines Kammes sind die unmittelbare Folgt
seines geognostischen Baues. Das wird an späterer Stelle noch eines Näheren
zu erörtern sein.
Wie also im Ganzen orographische Begrenzung und Gestaltung eines G^
birges nicht immer und nicht nothwendig von dem inneren Baue abhängt, so
zeigt sich auch die Form, die Erstreckung, die Zahl der einzelnen Glieder in
vielen Fällen nicht durch geognostische Structurverhältnisse bedingt Betrachten
wir den Verlauf der einzelnen Thäler, Schluchten, Wasserrisse und Schrunden,
so wird es nur in den wenigsten Fällen möglich werden, einen bestimmten Zu-
sammenhang in ihrer Anordnung mit dem geognostischen Baue, in den sie eb-
schneiden, zu erweisen. Selbst da, wo ein Thal im Allgemeinen nach seiner
Lage und seiner Richtung in stratigraphischen Verhältnissen seinen Grund finden
mag, ist die detaillirte Ausbildung der Thalprofile, wie sie heute erscheinen,
doch von jener wieder unabhängig, oder nur durch ganz locale, mehr oder
weniger sogar zufällige Umstände bedingt.
Aus diesen Betrachtungen vermögen wir als Resultat daher wohl den Sati
auszusprechen: Die orographische Gliederung der Gebirge und ihre
geognostische, stratigraphische Structur sind nicht nothwendig voo
>) VergL auch Artikel: Gitnge pag. 50a
Die Gebirge und ihre Entstehung. 519
einander abhängig, sondern im Gegentheile meist die Folge selbst-
ständiger Vorgänge.
Wenn wir also die Frage nach der Entstehung der Gebirge in ihrer heutigen
Gestalt aufwerfen, so muss die Beantwortung derselben auch zweierlei getrennt
berücksichtigen: Die Tektonik, d. i. den geognostischen Schichtenbau und die
orographische Gliederung oder die Plastik der Gebirge.
Wir können dann aber femer aus der täglichen Beobachtung der einfachsten
Verhältnisse, die gewisse Analogien zur Gebirgsbildung liefern, auch den weiteren
Schluss ziehen: Die Tektonik der Gebirge ist im Allgemeinen das Resultat auf-
wärts gerichteter, centrifugaler Bewegung, der Differenzirung eines ursprünglich
als Ebene gedachten Erdoberflächenabschnittes in aufwärts gehobene und in nicht
gehobene Theile, die orographische Gliederung ist wesentlich die Folge abwärts
gerichteter, centripetaler Bewegung, d. h. von Zerstörungsprocessen, die in ein-
zelne Theile tiefer eindringen, als in andere. Die erstere liefert gewissermaassen
die rohen Modellklötze zu der nachfolgenden feineren Ausarbeitung und
Modellirung durch die letztere.
Naturgemäss muss also auch in der Darlegung der Entstehung der Gebirge
die Behandlung der Ausbildung ihres inneren Baues, die Bildung der eigentlichen
Gebirgskerne, der Erörterung ihrer orographischen Gliederung vorausgehen.
Unter dem Kerne eines Gebirges wollen wir dann die Gesammtheit der
geognostischen Bildungen verstehen, die durch ihre höhere Lage das Aufragen
dieses Theiles der Erdrinde über die umgebenden Regionen bewirken.
Theoretisch kann man, von der Ebene ausgehend, drei Arten von Vorgängen
und nur diese drei sich vorstellen, die eine Niveaudifferenzirung der Ebene be-
wirken, so dass auf derselben höhere und tiefere Theile sich gestalten.
Denken wir an eine Holztafel von ebener Oberfläche. Um das Niveau der-
selben zu brechen, d. h. um höhere und tiefere Theile auf derselben hervorzu-
bringen, können wir entweder i. fremde, verschieden hohe Körper, z. B. Holz-
kegel, Steinquadern oder dergl. aufsetzen oder solche Kegel durch lose Massen,
z. B. Sand aufschütten; oder 2. wir können die Platte in Stücke zerschneiden
und dann die einzelnen Stücke gegen einander verschieben und so in eine höhere
oder tiefere Lage bringen, sie heben oder senken oder beides zugleich und 3. wir
können die Platte, indem wir sie von den Seiten zusammenpressen oder auch
von unten gegen dieselbe einen Druck ausüben, zum Biegen und zum Falten
bringen, wodurch ebenfalls höhere und tiefere Lage ihrer einzelnen Theile her-
vorgerufen wird.
Die verschiedenen Arten der Gebirge, die in diesem Bilde angedeutet worden,
lassen sich in der Natur in der That nachweisen; auch hier sind die Ursachen
und die Unterschiede der Niveaudifferenzirung in der Regel im Ganzen ebenso
einfach und in die Augen springend, wie in dem gewählten Bilde. Das wird im
Einzelnen noch zu erweisen sein.
Entsprechend den drei Vorgängen, die experimentell die Niveaudifferenzirung
einer Fläche gestatten, unterscheidet man drei Arten von Gebirgen, die wir nunmehr
als: I. Accumulations- oder Aufschüttungsgebirge, 3. Disjunctions-
oder Schollengebirge und 3. Plications- oder Faltengebirge^) bezeichnen
können.
I. Accumulationsgebirge. Das Charakteristische dieser Art vop Gebirgen
') acatmuktre = anhäufen; disjungtre ^= verschieben; pUeart =: falten.
520 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
besteht darin, dass sie ihrer Unterlage nur aufgesetzt, aufgeschüttet eischeinen,
ohne mit derselben irgend eine stoffliche oder stratigraphische Beziehung zu be-
sitzen. Sie verhalten sich demnach genau wie die auf der Tischplatte auijg;eiegten
Holzkegel oder aufgehäuften Sandmassen.
Gebirge dieser Art gibt es zweierlei, ihrer Entstehung nach durch ganz ver-
schiedene Vorgänge bedingte, aber dennoch beide der oben ausgesprochenen
Voraussetzung sich fügend. In dem einen Falle sind die Materiale, aus denei
sie bestehen, eruptive Gesteinsmassen, das heisst also aus dem Inneren der Eide
durch vulkanische Frocesse an die Oberfläche gefördert und dort über einander
gehäuft, im anderen Falle sind es von Wind und Wellen bewegte Schuttmassen,
aus der Zerstörung älterer Gesteine hervorgegangen und an gewisse Orte zu-
sammengetragen und zu Bergen aufgeschüttet. In beiden Fällen ist die Be-
schafifenheit und die Tektonik der Unterlage ganz unabhängig von den Producten
der Accumulation; die gleiche Bildung der Berge geht auf ganz verschiedenem
Boden vor sich.
Die Gebirge der ersteren Art sind die vulkanischen Berggruppen, meist als
Kuppengebirge charakterisirt; die der letzteren Art die Dünen an den Küsten
und in den Sand wüsten; ihre Physiognomie kann durch den Ausdruck Wellen-
gebirge bezeichnet werden.
Die vulkanischen Kegel und Ablagerungen von Central-Frankreich smd un-
mittelbar der Oberfläche des Granit-Gneissplateau's aufgesetzt, die Basalt- und
Trachytberge der Rheingegenden ruhen auf den Schichten der devonischen
Formation, die in steilen, vielfach gefalteten Stellungen darunter lagern; auf den fast
horizontal liegenden Schichten der Kreidekalke stehen die basaltischen Bildungen
der berühmten Grafschaft Antrim in Irland. Hinlänglich wird durch diese Bei-
spiele die Unabhängigkeit dieser Berggruppen von der Gesteinsbeschaffenheit, der
stratigraphischen Lage, dem geologischen Alter ihrer Unterlage documentiit Dass
gleichwohl die orographische Beschaffenheit der Unterlage von Einfluss sein kann
auf die Ausbildungen der Formen der vulkanischen Aufschüttungen, das ist selbst-
verständlich und dafür werden Beispiele in dem Artikel »Vulkanec angeführt
werden. Wir brauchen nur die Tischplatte uns stark geneigt zu denken, so
werden wir durch das Experiment der Aufschüttung die einfache Erläuterung für
solche Vorgänge finden.
Auch die Dünen der Küstenländer schreiten über die verschiedensten Ge-
steine fort, nicht bedingt durch deren Beschaffenheit und Wechsel, sondern nur
durch die möglichst flache, im Meeresniveau verlaufende Oberfläche derselben
und durch bestimmte atmosphärische Verhältnisse der Küstengebiete.
Bei den durch vulkanische Accumulation gebildeten Gebirgen ist Maass und
Anordnung der Aufschüttungen verschieden. Entweder zeigen sie eine regel-
mässige Anordnung oder sind regellos gruppirt
Es ist eine bei den Vulkanen längst bekannte, weit verbreitete und an-
zweifelhaft feststehende Erscheinung, dass der Aufbruch der eruptiven Gesteins-
massen längs Spalten erfolgt, die in der Erdrinde durch tektonische Voigäoge
geschaflen wurden. Die an der Oberfläche aufgeschütteten Berge gnippiren ^
in Folge dessen in reihenfbrmiger Anordnung, oft zahlreich in geraden Linien
hintereinander liegend.
Sind sie so dicht gestellt, dass der Fuss des einen Kegels den des anderen
z. Th. deckt, mit ihm zu einem Ganzen zusammengefügt scheint, so macht eise
Reihe solcher Kegel den Eindruck einer zusammenhängenden Kette. Es ist aber
Die Gebirge und ihre Entstehung. 531
dennoch jeder Kegel ein für sich isolirter, mit dem benachbarten nicht innerlich
zusammenhängend. So bilden sich orographisch Gliederungen, die einem lang-
gestreckten GebirgskamAe mit aufragenden Gipfeln und zwischenliegenden
Thälem und Pässen gleichen.
Da auch die Lavenströme, die mit den zu einzelnen Kegeln aufgehäuften
Auswurfsmassen zu Tage treten, die vulkanischen Aschen und Tuffe, die in mehr
oder weniger weiten Zonen um jene sich ablagern, in ihrer Anordnung an die-
selbe Spalte gebunden erscheinen, also von dieser aus zunächst nach beiden
Seiten eine nach Aussen abnehmende Erhöhung des Landes bewirken, so wird
dadurch die Vereinigung der in der Achse der Gesammtaufschtittung stehenden
Kegel zu einer anscheinend auch stratigraphisch einheitlichen Kette nur noch
erhöht. Prägnanter tritt solche Einigung in den Centralkegeln hervor, auf die
weiter unten zurückgekommen wird.
Die lange Kette der vulkanischen Kegel, der sogen. Puys, in der Auvergne,
deren höchster, der Puy de D6me dem Departement den Namen giebt, in welchem
sie gelegen sind, ist ein ausgezeichnetes Beispiel dieser Anordnung. In einer von
Nord nach Süd gerichteten, meist doppelt gegliederten Reihe, aber genau gerad-
linig hintereinander, liegen über 80 Kegel auf einer Strecke von 35 Kilometern.
Der Puy de D6me ragt immerhin noch ca. 600 Meter über das Granitplateau
auf, dem die Kegel aufgesetzt sind. Von beiden Seiten sind die Kegel von
mächtigen Lavaströmen und Tufifmassen umgeben. Die ersteren ergiessen sich
auf grosse Strecken in die im Granit ausgetieften Thäler abwärts, die somit vor
diesen Ausbrüchen schon gebildet waren. Die Granitunterlage ist. von den vul-
kanischen Producten rings um die Kegel vollständig bedeckt und so erscheint
auf einer geologischen Karte die ganze Gruppe wie aus einem Stücke geformt.
Mehr oder weniger tief sind die Kegel in diesen vulkanischen Massen eingesenkt.
So erscheint von Westen z. B. von Pontgibaud aus gesehen oder auch von Osten
z. B. vom kleinen Puy de la Poix im Allierthale aus, die Reihe der Puys wie
eine echte Gebirgskette mit tief eingeschnittenen, die einzelnen Gipfel trennenden
Pässen.
Wenn das Hervorbrechen der vulkanischen Producte nicht wie in diesem
Falle längs einer langen Spalte erfolgte, auf der die Eruptionspunkte hin und her
wandern, sondern durch lange Zeiträume an einer und derselben Stelle die
Aeusserungen haften, so entstehen dann durch die Accumulation der Auswurfs-
massen Gebirge von centraler Gestalt, die man deshalb auch Central-Vulkane
genannt hat. Da hier stets aus demselben Schlote heraus die Ausbrüche erfolgten
und also um diesen die Aufschüttung sich herum legte, so sind diese centralen
Gebirgsbaue meistens mächtiger und höher als die einzelnen Kegel einer vul-
kanischen Reihe. Bei diesen breitete sich die Accumulation nebeneinander, bei
jenen grösstentheils übereinander aus.
In den noch heute thätigen Vulkanen dieser Art ist die Gestalt der Central-
kegel am ursprünglichsten erhalten. Vesuv und Aetna sind wohlbekannte Bei-
spiele; an Dimensionen der letztere ungleich bedeutender; überhaupt einer der
mächtigsten vulkanischen Gebirgsbauten der Erde.
Auf einer Basis, die eine Fläche von 1287 Quadrat-Kilom. einnimmt,
steigt dieses Kegelgebirge in dem centralen Gipfel bis zu der Höhe von
3317 Metern empor. Mit allmählich ansteigender, aber nach allen Seiten an-
nähernd gleicher Böschung hebt sich das Profil des Berges ab, eine flache
Pyramide darstellend,
522 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Mit der gleichen Neigung heben im Inneren des Berges die vielfach fiber>
einander gelagerten Tuff- und Lavenschichten nach dem Centrum des Beiges
aus. Sie bilden ringsum einen aus zahllosen einzelnen, Zwiebelschalen ähnlich
übereinander liegenden, an den Rändern gegenseitig übergreifenden Straten be-
stehenden Mantel.
In radialer Anordnung durchsetzen dieses Schichtengebäude Gangspahec
auf denen, in Reihen hintereinander liegend, hunderte von sogen. Lateralkegete
sich aufschütteten. Diese z. Th. über 300 Meter hoch, gestalten die Obeiflidie
des Berges in der That zu einem reich gegliederten Gebirge; das gewaltig
Flankenthal der Valle del Bove schneidet auf der Ostseite tief in den Bet^tgd
ein. Dass auch bei dem Aetna der Einfluss einer seinen ganzen Bau fundamoiti^
bedingenden Spalte sich mit Sicherheit nachweisen lässt, dass er trotz södcs
Kegels einer gewissen linearen Erstreckung nicht ganz entbehrt, darauf wird im
Kapitel »Vulkanet einzugehen sein. Dort wird auch eines Näheren ao^eföhrt
werden, dass man früher diese Kegel als Erhebungsgebirge ansah, gewisser-
maassen wie riesige Blasen durch einen radial nach der ErdoberHädie ge^
richteten Druck emporgetrieben. Diese Erhebungstheorie ist durch alle Dcnercn
Forschungen über die Vulkane in allen Ländern endgiltig widerlegt worden
Alle, auch die grössten vulkanischen Gebirge sind nur durch Accumuladon ot-
standen. Eigentlich hebende Wirkungen werden an ihnen nur in localer tmd e
Ganzen fast verschwindender Ausdehnung durch die horizontalen Intnisionen v«
Lavagängen zwischen die Schichten des Kegels hervorgerufen.
Nicht mehr so unmittelbar und deutlich tritt der einheitliche centrale Chaiakicr
eines solchen Gebirges vor die Augen, wenn die vulkanische Thätigkeit in dus
längst erloschen ist. Das ist z. 6. der Fall bei dem Mont-Dore Gebirge in
Centralfrankreich, wie die vorhin erwähnte Kette der Puys, der GranitplaBc
dieses Gebietes aufgesetzt. Die Höhe des Puy de San^y, des höchsten Gipfeb
des Mont-Dore beträgt 1886 Meter, das Granitplateau hat durchschnittlid!
1000 Meter Höhe. Fast 900 Meter bleiben also für die vulkanische AufschnttOBg
übrig. Dieser Bau ist wie ein Mantel um ein gemeinsames Centrum gelagert und
besteht aus Trachyt- und Basaltströmen, ungeheuren Straten vulkanischer Btncb-
stücke, Aschen, Tuffe, die theilweise zu festen Conglomeraten und Brecden ver-
kittet sind, vielfach übereinander gelagert. Durch diese hindurch treten zahl-
reiche Trachyt-, Basalt- und Phonolithgänge zu Tage, deren radiale Anordnung aar'
das Centrum des Gebirges verweist Aber dieses alte Kegelgebirge ist im Luk
langer Zeiträume in manchen Theilen durch die Erosion zerstört worden and so
ist eine ihm eigentlich fremde Gliederung hineingekommen, die den urspronf^
liehen Typus der Bergform in hohem Grade verwischt hat.
Auch das im Departement Haute -Loire, südösdich von Le Puy gelegene
Gebirge des Mont Mezenc gewährt das Beispiel eines central gestalteten Accu-
mulationsgebirges, in dem phonolithische Gesteine besonders vorherrschen. Um
den höchsten Punkt der Gruppe liegen in mehr oder weniger radialer Anordnnng
die anderen einzelnen Kegel ausgebreitet Das ganze Gebirge ruht kheihrase
unmittelbar auf Granit und Gneiss, theilweise auf den Schichten der Joiafor-
mation.
Nun finden sich aber auch vulkanische Kuppengebirge, bei denen keinerlei
Regelmässigkeit in der Anordnung zu erkennen ist. Regellos liegen über die aus
den Schichten des devonischen Systems bestehenden Plateaus die Basak- und
Trachytberge am Rheine ausgestreut, bald zu dicht gedrängten Gruppen in-
Die Gebirge und ihre EDtstehung. 523
sammengeschoben, vne im Siebengebirge, bald einzeln und vollkommen isolirt,
wie die Basalt-, Trachyt- und Phonolithkegel der Eifel und des Westerwaldes.
Das schöne Högau, in dem Winkel zwischen Donau und Rhein nördlich von
Schaffhausen gelegen, die basaltischen Kegel der Eibgebirge in Sachsen und
Böhmen, in der Lausitz und bis zur oberschlesischen Ebene hinein, und viele
andere Gebiete wären hier als Beispiele anzuführen.
Nicht selten nehmen die vulkanischen Accumulationsgebirge noch andere be-
sonders eigenartige, orographische Gestaltung an, als unmittelbare Folge der be-
theiligten Ausbruchsmassen der Laven. Diese bilden stromartig sich über weite
Flächen ausbreitende mächtige Ablagerungen, die ursprünglich mit ebener Ober-
fläche als* plateauartige Erhöhungen erscheinen. Auch dafür bietet das ausge-
zeichnete Gebiet von Centralfrankreich schöne Beispiele. Das eigenthümliche
Profil des Cantalgebirges, das vom Centrum allmählich abfallende, lang hinge-
zogene mauerähnliche Rücken zeigt, beruht darauf, dass weite Decken trachy-
tischer Laven von eben solchen Decken von Basalt überströmt wurden. Auch das
über der Juraformation ausgebreitete Basaltplateau des Coiron auf der Grenze
der Departements Haute -Loire und Ard^che zeigt diese, wie mit gewaltigen
Festungsmauem gekrönten Formen.
So ist auch das sogen. Basaltplateau der Grafschaft Antrim in Irland gebildet.
Von einem eigentlichen Plateau ist hier nicht die Rede, denn Thäler und Berg-
reihen bilden eine starke Gliederung. Auch eine einheitliche Basaltdecke ist
nicht vorhanden. Eine grosse Zahl einzelner Ströme und Decken, von ver-
schiedenen Eruptionspunkten ausgehend, fügen sich aneinander und haben ein
scheinbares Ganze zu Wege gebracht, das über den horizontalen Kreideschichten
sich ausbreitet. An den Rändern und besonders längs den Meeresküsten liegt
der Basalt als obere, ebene Terrasse da.
Für solche Gebirge dürfte die Bezeichnung Mauer- oder Wallgebirge das
Charakteristische ihrer Physiognomie und Plastik ausdrücken. Wie sich auch diese
in Folge der Zerstörung durch die abwärts gerichtete Erosion wieder in einzelne
Kegel, sogen, secundäre Kegel aufzulösen vermögen, die dann der orographischen
Fomi nach wohl mit primären Aufschüttungskegeln verwechselt werden können,
das gehört in das zweite Stadium der Gebirgsbildung.
Bei der anderen Klasse von Gebirgen, die durch Accumulation gebildet
werden und die wir als Dünen im weitesten Sinne bezeichnet haben, herrscht
stets eine Regelmässigkeit der Anordnung vor, die ihren Grund in der stets vor-
herrschend einseitig wirksamen Ursache der Winde und der Wellen findet, welche
die Anhäufung bewirken. Im Allgemeinen sind es wellenförmig erscheinende
Höhenzüge von ungleicher Böschung, einer steileren Rückseite, einer flacheren,
der wirksamen Ursache zugewendeten Vorderseite. (Vergl. auch Artikel Atmos-
phäre: pag. 76). Durch Erstreckung der Anhäufungen über grosse horizontale
Flächen können aber auch plateauförmige Erhöhungen gebildet werden.
Im Allgemeinen büden die Dünenzüge keine sehr hohen Gebirge, wenn
gleich unter denen der grossen Sandwüsten doch schon recht beträchtliche Di-
mensionen vorkommen.
Der westlich des Meridians von Tripolis gelegene Theil der Wüste Sahara
^st besonders durch seine Dünenlandschaften ausgezeichnet. In der Areg-Region,
•
»ni Westen der Hammada el homra, des Erzeugungsheerdes dieser Dünencom-
P^exe, erreichen diese Dünen nach den übereinstimmenden Berichten der
524 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Forschungsreisenden selbst im Libyschen Sandmeere bisher unbekannte Dirnen-
sionen.i)
So weit auch der Blick reichen mag, sieht das Auge nichts als Sandmassen,
die in der Anordnung ihrer Oberfläche einem vom Sturm gepeitschten, mit bcif-
hohen, riesigen Wogen erfüllten Ocean gleichen. Bald sind es lange Retten
parallel laufender Dünen, welche den Wüstenplan durchkreuzen und mit den da-
zwischen liegenden Thälern einem riesig vergrösserten, frisch gepflügten Acker
gleichen, bald aber wieder bunt durcheinander gewürfelte bis 200 Meter und auch
höher angehäufte Dünenberge, zwischen welchen sich kleine Thäler hinschlängeln.
Je weiter man in die Areg-Region eindringt, um so chaotischer wird die Bildung
und die Formweise der Dünen und desto höher diese selbst.
Die Bewohner dieser Regionen unterscheiden unter den zahllosen Nuancen
der Dünenformen vier bestimmte Charaktere und zwar: Gara, als eine An
stummer Zeugen erdiger, zuweilen felsiger Natur, die das ursprüngliche Boden-
niveau markiren; Ghurd. der wirkliche Sandberg, die Maximalhöhe der Däne er-
reichend; Semla, eine regelmässige langgestreckte Düne, dem Rücken eines
Esels vergleichbar, mit beiderseitig normalem Abfall; Sif, einer Säbelklinge na
vergleichen mit scharfer Kante und fast verticalem Abfalle auf der einen Seite.
Die Dünen sind im Allgemeinen nach der Windseite convex, auf der htc-
Seite concav, mit gleicher Böschung, bei den Ghurds so steil, dass kein Men^db
und Thiei sie erklimmen kann, während bei einigen Semlas der Abfall auf der
Leeseite zu überwinden ist.
Welche Bedeutung solche Accumulationen für die Gebirgsbildung erlangen
können, das zeigt sich auch in den ungeheuren Lössablageningen von Chitu,
deren an anderer Stelle schon gedacht wurde. (Artikel: Atmosphäre pag. 77.^
2. Disjunctionsgebirge.
Wenn wir wiederum auf das Vorbild der Holztafel zurückgreifen, können «ir
für diese Art von Gebirgen als charakteristisch hervorheben, dass ein gewisser
Zusammenliang der tieferen und höheren Theile in der Weise nachweisbar ist,
dass dieselben Schichten in verschiedenen Niveaus nebeneinander li^ender
Theile, aber unvermittelt vorkommen und dass diese Schichten in horizontaler
oder einseitig geneigter I^age sich finden und nicht zusammengeschoben oder ge-
faltet erscheinen. Weil demnach ein Verhalten vorliegt, wie es durch verticaie
Verschiebung ursprünglich zusammengehöriger, in einer Ebene gelegener Platiec
oder Schollen erklärt werden kann, ist auch die Bezeichnung Schollenge biree
passend.
Bedingung zu der die Niveaudifferenzirung bewirkenden verricalen Bewegiug s:
demnach zunächst die Trennung in einzelne Schollen. Discondnuitäten in der Erd-
rinde werden durch Spalten hervorgerufen. Diese zerl^en einzelne Theile jener
in gesonderte Stücke. Die erkannten Verschiebungen, besonders an den sogen
Verwerfungen, erweisen die sUttgehabte Bewegung. Im Artikel »Gänge« pag. 492 f f
ist hierüber Näheres nachzusehen.
Wenn also für ein Gebirge, in dem besonders gut charakterisiite Schichteo
oder Formationen in den verschiedenen Theilcn in höherer und tieferer Lage
sich nachweisen lassen, bei horizontaler oder nur wenig einseitig geneigter
Lagerung dieser Schichten, die Gegenwart von Spalten zu ericennen ist, die da»
Gebirge durchkreuzen, so ist für dieses die disjunctive Bildung die einzig inog>
*) Chavanne, Afrika, pag. 47.
Die Gebirge und ihre Entstehung. 525
liehe. Nur darüber kann noch ein Zweifel obwalten, ob eine Erhebung der in
höheren Niveaus liegenden Schollen oder eine Einsenkung der tiefer gelegenen
oder beides zugleich stattfand. Dass diese Fälle alle möglich sind und dass
sie in der That in den Gebirgen vorkommen, dafür bieten die folgenden Beispiele
Belege.
Der Natur der Sache nach müssen die in höherer Lage befindlichen Schollen
ursprünglich eine plateauartige Beschaffenheit besitzen. Wo diese unverändert
sich erhalten hat, wird auch der Typus dieser Gebirge am deutlichsten ausgeprägt
sein. Dann weist auch die orographische Gestaltung auf die Bildungsvorgänge
hin. Ist aber durch die nachfolgende Zerstörung die Gliederung und feinere
Modellirung dieser Schollen eine weit vorgeschrittene, dann wird die Plastik des
Gebirges die ursprüngliche Schollenverschiebung nicht mehr erkennen lassen,
sondern nur die innere Tektonik dieselbe noch unzweifelhaft feststellen.
Unter den Plateaugebirgen sucht man also zunächst am besten nach Reprä-
sentanten dieser Art.
Ein ausgezeichnetes Tafelland ist der südliche Theil der Capkolonie in der
Spitze des afrikanischen Continentes. Auf einer Unterlage von Granit oder auf
Thonschiefer ruhen in grossartiger Entwickelung petrefactenleere Sandsteine und
Quarzite. Diese, welche zwischen der Küste und der eigentlichen Hochfläche
fast durchgängig die zwei- und dreifachen Randketten der Terrassen bilden,
geben dem ganzen Cap-Districte und der Colonie das eigenthümliche Gepräge.
HocHSTETTER benennt den Sandstein dieser Gebirge, da er im Tafelberge in be-
sonders schöner Entwicklung auftritt, Tafelbergsandstein. Er lagert Über dem
Thonschiefer-Grundgebirge, theils horizontal über den steil aufgerichteten, viel-
fach gefalteten Thonschiefem, theils in stark geneigten Platten. Diese aufgerichteten,
aber nicht gefalteten Bänke bilden zackige Berggipfel, die horizontal gelagerten
Bänke aber Tafelberge. Die Sandsteinmassen sind vielfach von langen Bruchlinien,
Spalten, durchzogen, welche zu breiten Thälem ausgewaschen sind, in denen die
Unterlage, der Thonschiefer, zu Tage tritt.
Wenn hier auch in den älteren Theilen des Gebirges, in dem Thonschiefer,
vielfache Faltung sichtbar wird, so ist doch die jüngere Niveaudifferenzirung in
diesem Gebirge, soweit sie die Sandsteine betroffen hat, ohne eine solche Faltung
vor sich gegangen und lediglich durch disjunctive Schollenbewegung bewirkt worden.
In kleinerem Maassstabe, aber in den Einzelnheiten um so deutlicher erkannt,
treten uns Schollenbewegungen in den Bergen östlich von Gotha, den Seebergen,
und in dem Galberge westlich dieser Stadt entgegen. Hier liegen verschieden
alte Formationen in demselben Niveau z. B. Gypskeuper neben mittlerem
Muschelkalk.
Es muss also eine Verschiebung um mindestens die ganze Höhe der
Mächtigkeit des oberen Muschelkalkes und der Lettenkohle vor sich gegangen
sein, die eine Parthie demnach um ungefähr 80 Meter höher liegen als die
andere. M. Bauer, der eine genaue Beschreibung 4er Lagerungsverhältnisse
dieser Berggruppe geliefert hat,^) gliedert in seinen Profilen diese Berge in 6—7
durch Verwerfungsspalten getrennte Schollen, die in ganz verschiedener Höhen-
lage sich finden, denn es liegen von Süd nacli Nord nebeneinander: Gypskeuper,
unterer Lias, Lettenkohle, mittlerer Muschelkalk, Rhät, wieder unterer Lias, Rhät,
Steinmergelkeuper und wieder Gypskeuper. Bei der fast horizontalen oder nur
*) Jahrb. d. kgl. preass. geol. Landesanstalt. 1881.
526 Minecalogie, Geologie und Palaeontologie.
sehr wenig geneigten Lagerung der einzelnen wohl charakterisirten Schichten ist
die Wiederkehr derselben durch Faltung nicht zu erklären.
Nur eine Schollenbewegung giebt hierfür die Erklärung. Bauer ninunt an,
dass sie mit einer Einsenkung der tieferen Theile erfolgt sei (vergl. pag. 494 des
Artikels Gänge). Die weite Verbreitung ähnlicher Schollenbewegungen im ganxen
Thüringer Wald ist durchaus wahrscheinlich.
Die grossartigsten Beispiele dieser disjunctiven Gebirgsbildung scheinen aber
in den Flateaugebirgen des westlichen Nordamerika's, in den Districten, welche
dem Staate Utah angehören, und den diesen benachbarten vorzuliegen. Der
District der Hochplateaus von Utah ist der südlichere Theil der Wasatch-Berge,
mit denen aber eigentlich jene nicht mehr zusammengehören. Sie sind ein voll-
ständig von diesen verschiedenes, selbständiges Gebirge. Drei Reihen von
Plateaus, jede wieder aus drei getrennten Tafelbergen bestehend, setzen dasselbe
zusammen.
Das grösste dieser Plateaus, der Aquarius, hat etwa 35 engl. Meilen Lange
und eine Höhe von 3300 Meter. Ganz besonders charakteristisch erscheint für
den Bau dieses Gebirges das Auftreten zahlreicher grossartiger Verwerfungsspalten.
Dieselben gewinnen für den ganzen Gebirgsbau jener Gebiete Bedeutung, da sie
sich als die Fortsetzungen grosser Spalten erkennen lassen, welche weiter süd-
lich den Colorado und den grossen Caiion durchkreuzen. Die Höhe der Ver-
werfung, welche die Gebirgsstücke längs dieser Spalten erlitten haben, beträgt m
einigen Fällen bis zu fast 2000 Meter. Von Interesse ist es, die in den Hoch-
plateaus durch diese Verschiebungen bewirkte Structur mit dem Bau anderer Ge-
birge und anderer Theile der Felsengebirge zu vergleichen.
Von dem östlichen Fusse der Sierra Nevada bis zu den grossen Ebenen
liegen zahlreiche Gebirgsketten, die man früher ebenfalls fUr gefaltete Gebirge
gehalten hatte. Aber die fortschreitenden Untersuchungen der amerikanischen
Geologen haben im Gegentheile für diese alle das Fehlen eigentlicher Faltung
ergeben. Keines dieser Gebirge besitzt eine Analogie mit der Tektonik, wie sie
so ausgezeichnet in den Falten der Apalachischen Gebirge zu Tage tritt.
Freilich kommen auch in den Gebirgen östlich von Sierra Nevada, in denen
also keine gefaltete Structur an der eigentlichen Gebirgsbildung betheiligt ist,
Biegungen und Zusammenschiebungen der Schichten vor. Aber diese sind
wiederum einer viel älteren Zeit angehörig, als die der Entstehung der Gebiife
Diese ist aus einer Niveaudifferenzirung von Schollen längs Spalten hervoi^
gangen, die eine Ebene, eine Platform durchkreuzten, die in sich lange voiha
gefaltet war, wo aber die Unebenheiten der Oberfläche, die diese frühere Faltung
bewirkt hatte, nahezu vollständig durch die Erosion wieder nivellirt waren. ^) Diese
frühere Faltung mag durch spätere Bewegungen vielleicht noch vermehrt worden
sein, aber unzweifelhaft ist mit der späteren gebirgsbildenden Bewegung nichts
verbunden gewesen, das man als eine neue, selbständige Faltung bexeichnen
könnte.
Auch charakteristische Querschnitte durch die Park-Gebirge von Colorado
zeigen nur eine Reihe flacher Platformen, mit einseitiger Neigung gehoben und
von Spalten an beiden Seiten begrenzt Die einseitige Erhebung dieser SchoOen
hat nichts mit einer eigentlichen Faltung gemeinsam. Ein Schichtenblock ist
immer für sich gehoben und in einseitige Neigung gebracht worden, aber er
i ) DUTTON, Geology of the High Plateaus of Utah. Washington i8te, pag. 47.
Die Gebirge nnd ihre EDtstehung. 527
l>eiderseitig durch Spalten aus der Continuität mit den anderen Schichtenschollen
herausgelöst.
Eine Wiederholung der Tektonik der Park-Gebirge bietet sich in den Uintas
und in dem Systeme der Hochplateau's. Ganz besonders tritt in der Structur
der letzteren die Horizontalität der Schichten auffallend hervor. Gewisäe charak-
teristische Schichten gestatten aber, die Niveaudifferenzen festzustellen, in denen
dieselben im Gebirge erscheinen. Die Shinärumpschichten'), entweder zum Perm
oder zur unteren Trias gehörig, sind vielleicht eine der merkwürdigsten, con-
stantesten und bestcharakterisirten Schichtencomplexe der Welt Ihre tief braunen,
purpurrothen, braunrothen Farben heben sie überall leicht kenntlich hervor.
Schieferthone und Sandsteine setzen die Serie zusammen.
Die Identität der Shinärumpschichten von Utah und Arizona und der unteren
rothen Sandsteine von Colorado und Wyoming ist kaum noch zu bezweifeln und
so bedeckt diese Formation ein Areal von beiläufig 250 Tausend engl. Quadrat-
meüen.
Wenn man über dieses Gebiet hin die fast stets horizontalen oder nur wenig
einseitig geneigten Schichten verfolgt, so gewinnt man einen klaren Ueberblick
über die grossen Unterschiede in den Niveau's, in denen dieselben in den Ge-
birgen erscheinen. An der einen Stelle treten sie in der Sohle tief einge-
schnittener Thäler zu Tage, so z. B. im Rabbit-Thale, an anderen Stellen, so
südwestlich von Markägunt-Plateau steigen sie hoch empor. Die grosse Hurricane-
Verwerfung hat sie hier aufwärts geschoben. Nach den Verwerfungen zu er-
scheinen die Schichten umgebogen und diese Stellen sind die einzigen, wo die
horizontale Lagerung verloren ging. Aber auch diese Biegungen sind nirgendwo
mit eigentlichen Faltungen zu verwechseln.
Auch aus den meisterhaften Schilderungen, die uns v. Richthofen in dem
2. Bande seines Werkes über China von dem Gebirgsbaue des nördlichen Theiles
dieses Landes entwirft, tritt uns das Bild der disjunctiven Gebirgsbildung in be-
stimmten Zügen entgegen.
Richthofen nennt das Kwen-lun-Gebirge eine grosse Scheidelinie des Landes.
Vom Westrande des Tarym-Beckens an bis in das östliche China hinein, in der
ganzen Erstreckung, gleichviel ob das Gebirge nur aus einem mächtigen Stamme
besteht, oder in mehrere Parallel-Ketten aufgelöst ist, bildet die nördliche Fuss-
linie eine scharfe Grenze zwischen zwei Klassen von Erdräumen, welche in' oro-
graphischer Beziehung die denkbar grössten Verschiedenheiten darbieten. Die im
Norden vorgelagerten Gebiete haben seit dem Beginn des cambrischen Zeitalters
nur regionale Bewegungen im verticalen Sinn, niemals aber Zusammenschiebungen
und Faltungen in grösserer Ausdehnung erlitten. Die Differenzirung in den
Niveauveränderungen, welche die alte cambrische Scholle des nördlichen China
in ihrer Gesammtheit oder in grossen Theilen erlitten hat, wird durch grosse
Brüche und ihrem Verlauf folgende Normalverwerfungen angezeigt Orographisch
stellen sich diese nördlichen Gegenden entweder als grosse, flache Einsenkungen
mit jungen Bildungen ausgefüllt, oder als älteres Schichtungstafelland dar.
Diejenigen Bewegungen, welche darauf gerichtet waren, die Gesteine eines
Areals auf einen geringeren Raum zusammen zu drängen, die Schichten in Falten
zu werfen und die Falten Über einander zu schieben, haben sich seit der Zeit der
Ablagerung der- untercambrischen Sedimente fast ausschliesslich auf der Südseite
<) Indianischer Name, der soriel bedeutet als: Waffen des Wolfisgottes.
$28 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
der gangen Linie documentirt und hier im Gegensatze zu den nördbch angren-
zenden Gebieten die gebirgigsten Länder der Erde geschaffen.
Im Einzelnen findet diese Darstellung in der Beschreibung der geognostischen
Structur der einzelnen Provinzen des nördlichen China ihre Begründung. Von
besonderem Interesse ist hiervon unter Anderem die Tektonik der wesdidien
Provinz Shantung. Diese besteht darin, dass das ganze Gebirgsland in eine An-
zahl von Schollen zerfallt, die gegen einander verworfen sind, ohne dass eine
Schichtenfaltung damit verbunden gewesen ist. Im Ganzen scheint eine Tendenz
nach einer radialen Anordnung der Bruchspalten vorhanden zu sein, jedoch
fügen sich dieser Regel keinesweges alle Spalten. Wohl aber erscheint als ein
deutlich erkennbares und durchgreifendes Gesetz die einseitige nach Norden g^
richtete Neigung der sämmtlichen Schollen.
Im Osten dieses Gebirgslandes ist die Tektonik wiederum eine ganz andere
Es ist eine merkwürdige Thatsache, dass der innere Bau zweier Hälften desselben
Gebirgslandes, welche zudem aus beinahe genau einander entsprechenden
geognostischen Formationen aufgebaut sind, auf eine so verschiedenartige tekto-
nische Geschichte führt. Im Westen fand ein Zerbersten in Schollen nach vecig
regelmässigen Linien statt und die verticale Verschiebung erreicht in wenigen
Fällen eine Amplitude von mehr als looo Meter; diese Verschiebung ist denic;
geschehen, dass alle Schollen eine Neigung in nördlicher Richtung haben. Ic
Osten hingegen vollzog sich ein Zusammenschieben des in der Streichrichtua^
NNW. — SSO. gefalteten Gneiss durch eine Kraft, welche rechtwinklig auf ät
Richtung der daraus entstandenen, von WSW.— ONO. streichenden Höhende
wirkte.
Die Wesdiälfte dieses Gebirgslandes ist der Prototyp für die Tektonik grosser
Theile des nordwestlichen China, die Osthälfte ebenso für den Grundbaa des
Nordostens» wahrscheinlich bis nach Korea hinein.
Welche Kraft diese Schollenbewegung veranlasst und wie wir uns den
Meihanismus derselben etwa vorzustellen haben, darauf kann erst im Zusamoen-
hang mit den Vorgängen der Gebiigsfaltung eingegangen werden.
3. Plications- oder Faltungsgebirge. Die Gebirge dieser Art sind un-
streitig die merkwürdigsten und für den Gebirgsbau im Allgemeinen wichtigsten
Die gewaltigsten Gebirge der Erde, die grossen Kettengebirge» Alpen» Pyrenäen,
Cordilleren gehören in diese Gruppe.
Das charakteristische Kenrueichen derselben ist die mehr oder weniger t«^
deutende Biegung der Schichten im Inneren dieser Gebirge, sowie der UmsunL
dass diese gebogenen Schichten in unmittelbarem Zusammenhange mit denselben
nicht oder nicht so stark gebogenen Schichten ausserhalb des Gebirges stehen
Das ausgedehnte Schichtensystem ist das ursprüngliche, dieses erscheint spater
in eintelnen Theilen gefaltet Das Gebirge selbst und seine Unterlage sind ils
ein eintiges Ciante aniusehen» das durch die bewirkten Biegungen in seinen
Obrrrtiichenntveau diäenmsirt wurde. Während bei den Accumulationsgebiigen
die iicbiriT^l^Uiun^ lugleich mit einer Neubildung von Gesteinen verbunden vir,
besteht die Faltung nur in einer Oftsverimderung schon längst gebildeter Gesteine.
Von den S^^t^^Uengelnrtren unterscheiden sich die Faltungsgebiige durch Sc
Stelhu^ der Schiebten, aber auch dadurch, dass bei jenen die Bildung der Ihs-
c\^)tuuutaten der ur^vrun$:lH:h luzsammenhduigenden Erdrinde der Niveaudifieren-
<ir\n\>: >vvrausj:in^, deren Möglichkeit erst durch die Spalten bedingt wurde.
>ikAhreiKl l<i den kuteit^n die Spalten selbst erst die Folge der durch dk
Die Gebirge und ihre Entstellung« $^9
Biegung bewirkten Niveauveränderungen waren. Bei den Faltengebirgen lassen
sich die dislocirten Theile, auch wenn sie durch spätere Gebirgszerstörung ganz
aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst erscheinen, durch Construc-
tion der fehlenden Theile wieder in Verbindung setzen, während bei den Schollen-
gebirgen nur die verticale Rückwärtsbewegung um den Betrag der Disjunction
die alte Lage wieder herzustellen vermag. Daher werden die Profile, welche
durch ein Faltengebirge gelegt werden, erst dann verständlich, wenn durch Luft-
constructionen über der heutigen Kammlinie des Gebirges selbst und durch ent-
sprechende Ergänzung der in der Tiefe unsichtbaren, aber dorthin fortsetzenden
Schichten, der ganze Verlauf und die Zusammengehörigkeit der einzelnen Faltungen
unterhalb des Kammes in ihrer alten Continuität reconstruirt werden. Das wird aus
den im Folgenden angeführten Beispielen noch klarer werden.
Das Maass der Biegung der Schichten ist ein sehr verschiedenes. Oft er-
scheinen dieselben nur einfach beiderseitig zu einem gewölbeähnlichen Baue
aufgerichtet, oft zeigen sie die vielfachsten, wiederholten stark zusammengebogenen
Faltensysteme.
Als Beispiel eines einfachen Faltenbaues kann der Schwarzwald gelten. Der
innere Bau desselben lässt ihn als eine brefte, sanft gewölbeförmige Erhebung
der Erdrinde erkennen, als deren Kern krystallinische Schiefer, Gneiss mit
Graniten und Porphyren erscheinen. Auf diesen lagern jüngere Sedimente, theils
Süsswasserbildungen, theils Meeresabsätze, dem System der Trias angehörig, die
von seinem Fusse aus mit allmählicher Erhebung bis auf seine Hochflächen hinauf-
reichen. Dieser gewölbeartige Bau, in dessen Achse die krystallinischen Schiefer
auftreten, war der Grund, dass man den diesen eingeschalteten Eruptivgesteinen
auch die Hebung der sedimentären Schichten zuschrieb. Aber da die Sandsteine
der Hochflächen Bruchstücke der Eruptivgesteine einsch Hessen, so mussten diese
letzteren längst fest gewesen sein, ehe die Sandsedimente sich bildeten. Die
Hebung des Schichtengewölbes konnte aber erst eintreten, nachdem die Sedi-
mente der Hochflächen sich in See- und Meeresbecken abgelagert hatten. Daher
sind die Eruptivgesteine älter, die Hebung jünger als die Bildung der Sedimente.
Es kann somit die Hebung nicht durch die Eruptivgesteine verursacht worden
sein. Die dislocirenden Kräfte haben das ganze vorher gebildete Erdrindenstück
gleichmässig miterfasst, emporgehoben und gebogen, die Eruptivgesteine so gut
wie die krystallinischen Schiefer und die Sedimente.^) Keines der vorhandenen
Eruptivgesteine hat eine active Rolle bei der Aufbiegimg des Schic.htengewölbes
gespielt, sie haben sich passiv verhalten, wie alle anderen.
Einen ähnlichen, wenngleich schon etwas stärker gefalteten Bau zeigen die
südöstlichen Hochlande von Irland, die Gebirge der Grafschaften Wicklow und
Waterford, südlich von Dublin. Die ganze Kette, die geologisch und orographisch
als ein einziges Ganzes aufzufassen ist, trägt im Allgemeinen den Charakter eines
flach gerundeten Walles mit aufsitzenden runden Höckern und flachen, weiten
Thälern. Der Kern des Gebirges besteht aus Granit, dem nach beiden Seiten
krystallinische Schiefer und cambrische und silurische Schichten angelagert sind.
Trotz der regelmässig centralen Lage des Granites in diesem Gebirge kann der-
selbe keinesweges als der Träger der erhebenden Kraft für dasselbe angesehen
werden. Aus dem Verbände der geschichteten Gesteine auf beiden Seiten des
C^ranitkemes ergiebt sich, dass der Bau keinesweges ein symmetrischer ist, sondern
^) A. Heim, Die Gebirge. Basel 1881. pag. la
KiNMCOTT, Min., G«ol. u. Paü. L 3^
53Ö Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
dass eine, nicht von unten aufwärts, aber einseitig in horizontaler Richtnof
wirkende Kraft die Aufwölbung durch Zusammenschieben hervorbrachte. Dit
cambrischen Gesteine, rothe und grüne Sandsteine mit Schiefem und gdber
Quarziten wechsellagemd und ebenso die silurischen Schichten sind zu ^ielfaudim
Falten auf beiden Seiten dislocirt, die aber im Allgemeinen in aufsteigenden
Biegungen zu der Hochfläche des Granitkemes hinaufführen. AUe erscheiner
gewissermaassen nur als Detailbiegungen des einen gemeinsamen Schichtenge-
wölbes, das auch in dem wallförmigen Relief des Gebirges sich wiedeispegeh.
Wenn auch nicht in dem gleichen Sinne einfach, wie der 'Schwarzwald, d h.
nur aus einer gewölbeähnlichen Centralbiegung bestehend, so ist doch der
schweizer Jura eines der leichtverständlichsten und klarsten Beispiele eines Fähen*
gebirges. An seinem Südrande richten sich die Schichten aus horizontaler Up
hoch in steile Stellung auf, in der Höhe biegen sie sich flach um und sinken,
nachdem sie einen langen Bergrücken gebildet haben, wieder hinab, um äch
dann auf's Neue noch in mehrfacher Folge wieder auf- und abzubiegen. Die
Falten des Juragebirges sind 500 — 1500 Meter hoch. In ihrer Mehrzahl neif:er.
sie gegen Norden über. Während das ganze Juragebirge 320 Kilometer lang bt
streichen einzelne Falten 12 — 90, eine sogar 162 Kilometer weit Auf jedem
Wege quer durch das Juragebirge muss man mehrere etwa 10—12 Falten durc>
schneiden, die parallel hinter einander liegen. Im westlichen Theü ist das Gt
birge breiter, im östlichen drängen sich die Falten und auch die daraus gebiidc<o
Rücken dichter aneinander. Im Ganzen besteht der Jura aus etwa 160 Falten
der Erdrinde.*)
So ist denn der Jura der Prototyp eines gefalteten Gebirges, dessen Ketten-
form und Gliederung wesentlich durch die innere Tektonik bedingt wird. Die
concaven, d. i. abwärts gekrümmten Biegungen der Schichten nennt man Mulden,
die convexen, aufwärts gebogenen Sättel oder Gewölbe. Die vollkofDinene
Uebereinstimmung der Schichtenlage mit der orographischen Gestaltung eine»
Faltengebirges erfordert demnach, dass die Gebirgsrücken oder Kämme audi
durch Schichtensättel, die Thäler durch Schichtenmulden gebildet werden. n2>
ist im Jura in der That der Fall, seine Längsthäler liegen zwischen den eimchiec
Ketten, dem Verlaufe derselben parallel und sind überwiegend Muldenthaler.
Aber gerade wegen der Regelmässigkeit des Baues lassen sich auch die
nicht normalen, nicht in der Tektonik begründeten Verhältnisse der Glicdeniw
am Jura gut studiren. Es kommen auch bei ihm Fälle vor, wo die iüsstn
Form und der innere Bau sich zu widersprechen scheinen.
Wir können uns die Beziehungen zwischen der orographischen Gestalturu:
eines Faltengebirges und der inneren Faltung selbst auf Grund der nebenstebeo
den schematischen Darstellung klar machen. Dass die Falten sich aus Sitteln
und Mulden zusammenfügen, wurde oben schon erwähnt. Im Profile d. h. ü^
einem normal zur Streichrichtung der gefalteten Schichten gelegten Querschnittr
tritt die Stellung und das Maass der Faltung vor Augen. Die Figur stellt ein
solches Profil dar.
Die Falten stehen entweder gerade, so dass die beiden Schenkel odci
Flügel der entsprechenden Sättel und Mulden in symmetrischer IjLgc gcg^
den Scheitel der Biegung geneigt sind, wie bei a in der Figur oder siod
schief, die Neigung ihrer Flügel ist ungleich. Wenn die beiden Schenkel
nicht mehr nach entgegengesetzter Richtung geneigt sind, sondern der eine voil-
*) HuM, 1. c. pag. 14.
t>ie Gebirge und ihr« Cnbtehuiig.
53'
kommen Ubergebogen, übergekippt erscheint und gleichzeitig die Neigung gegen
den Horizont eine geringe ist, wird eine Falte als liegend bezeichneL Bei
solchen liegenden Falten, die aus einem Schichtencom|^exe bestehen, erscheinen
die Schichten in pa-
!P
il^il
5 s §^
i ».K uäi.
st
3^
ralleler I^age und
es folgen in der
Verticallinie mehr-
mals dieselben
Schichten in ver-
wendeter Folge Über-
einander. (In der
Figur rechts bei c.)
DieSattelstellung
der Schichten, wo-
durch dieselben von
einer Linie (im Pro-
file ein Punkt) beider- ^
seits abfallen, nennt ,'
man auch Antilcli- \
nale(a,i.d.Fig.)die '
MuldenstellungSyn-
klinale(a,,i.d.Fig.)
Ist hierbei die Nei-
gung beider Sattel-
oder Mulden fiUgel
eine gleichsinnige,
so nennt man sie
isoklinal, also wie
bei c in (}er Figur,
im entgegengesetz-
ten Falle hetero-
klinal (beia u. a,).
Bei isoklinaler Stel-
lung der Schiebten
müssen die einen
FlUgel noth wendig
Uberbogen sein. Be-
finden sich beide
Mulden- oder Sattel-
ffUgel in Uberkippter
Stellung, so nehmen
die Falten fächer-
lärmige Structur an.
(In der Figur bei d).
Mit dieser, sowie
aucb mit den dicht zusammengeschobenen liegenden Falten ist nicht selten eine
vollständige Verdrtlckung der inneren Glieder einer Schichten falte verbunden, so
in der Figur rechts bei c.
Bei den Faltengebirgen tritt der Unterschied von Längs- und Querthiüem
34'
■g 5-g g 5 .-•5 g
g tili ^■=■«3
läsl plji s
ijiii|if
532 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
ganz besonders hervor. Jene liegen in der iJingsrichtung der Falten, meist
zwischen zwei Sätteln oder Gewölben, während die Querthäler die Falten duich-
schneiden. Aus der gleichen Lage der Längsthäler folgt auch, dass sie in ihien
Anfängen die gleichen Bildungsursachen haben, wie die Falten selbst. Die Quer-
thäler hingegen müssen auf andere Ursachen zurückgeführt werden; sie sind, wie
Heim sagt, der Faltung zum Trotze modellirt. Längsthäler können bezügtich
ihrer Lage zur Schichtenstellung verschiedenartig sein; es spricht sich in der-
selben meist auch der genetische Zusammenhang mit der Faltung deutlich aus
Der natürlichste und einfachste Typus ist das Muldenthal oder Synkünalthal.
das überwiegend durch die blosse Faltung gebildet wird, auch ohne Hinzutreten
von Zerreissungen und Erosion. Ist das Thal in der Kammlinie eines Sattels,
einer Antiklinale eingesenkt, so ist dasselbe durch Aufreissen der stark gebogenen
Schichten im Scheitel des Sattels und durch Erosion gebildet (a, in der Fig.). Aber
das Aufreissen ist die direkte Folge der Faltung. Liegt ein Thal zwischen Sattel
und Mulde eingesenkt, so ist es wesentlich durch Erosion entstanden. In beiden
Thalgehängen zeigen die Schichten gleichsinnige Neigung. Daher heisst ein
solches: Isoklinalthal (g u. f, in der Fig.). Von den Vorgängen der Faltung sind
diese fast ganz unabhängig.
Thäler und Kämme können aber auch in ihrer Richtung zwischen Quer-
und Längsthälem in der Mitte stehen d. h. also schief zur Faltung veiiaufen
In einigen Fällen mögen sie, wie manche Querthäler, in diesem Verlaufe durch
die Existenz von Spalten bedingt sein, die in Folge der Schichtenfaltung ent-
standen sind. Vorwiegend aber sind sie nur das Resultat der Erosion.
Neben den Falten treten aber noch andere Dislocationsformen aui, in
ihrer Entstehung allerdings von jenen abhängig oder durch die gleichen Be-
wegungen erzeugt, die jene hervorriefen: die Bruchspalten oder Verwerfungen.
Wo sie durch Aufreissen einer Falte entstanden und durch Ueberschiebung der
Faltentheile ausgebildet sind und in der Längsrichtung der Schichten verlaufen,
heissen sie Längsspalten oder Falten Verwerfungen, wenn sie die Falten
durchschneiden, Querspalten. Das Nähere hierüber ist im Artikel »Gänge*
pag. 497 nachzusehen.
Der Grad der Faltung oder der dazu nothwendigen Zusammenschiebung be-
dingt auch durchaus den Charakter der Falten und deren Gliederung. Li^ende
Falten sind stets das Zeichen intensiveren Zusammenschubes, als regelmässige,
stehende Falten. Wenn eine ganze Reihe von liegenden Falten nebeneinander
liegt, muss eine sehr starke Zusammenquetschung stattgefunden haben, alle
Thäler und Kämme erhalten dann isoklinalen Charakter. Die Wiederholung
der gleichen Schichten, die oben schon hervorgehoben wurde ist dann der
Nachweis einer wirklich vorhandenen Faltung, aucii wenn durch oberflächliche
Zerstörung und durch unerreichbare Tiefe die Falte selbst nicht im Ganzen
sichtbar erscheint. Eine jüngste, daher ursprünglich obere Schicht, auf deren
beiden Seiten ältere in symmetriscl.er Reihe folgen, ist der zusamroengepresste
Kern einer Mulde; eine älteste Schicht, von der aus symmetrisch nach beiden
Seiten jüngere folgen, ist der Kern eines Sattels (bei c in der Fig.). Solche
mehrfache Faltung mit paralleler Stellung der Schichten ist im Inneren der
Kettengebirge bei tieferen Schichtencomplexen häufiger zu beobachten, :\)s in
den äusseren Randfalten: hier äusserten sich die faltenden Kräfte mit grösserer
Intensität.^)
^) Haim, n. pag. 197.
Die Gebirge und ihre Entstehung. 533
Zu den interessantesten Formen der Gebirgsfaltung, die allerdings auch am
schwierigsten zu deuten sind, da sie ein fast unbegreiflich hohes Maass der Zu-
sammenschiebung voraussetzen, gehören die zu Doppelschlingen zusammenge-
bogenen Falten, wie sie bei c in der Figur dargestellt sind. Solche liegende
Doppelfalten sind in den Alpen, in Skandinavien und anderwärts an zahlreichen
Stellen nachgewiesen.
Bei ihnen erscheinen die Mittelschenkel d. h. die zwischen Sattel und Mulde
als gemeinsame Flügel liegenden Theile einer Falte stets stark reducirt, ausge-
waJzt oder ganz zerquetscht, so dass in der Regel ganze Schichten oder Schichten-
folgen fehlen.
Heim hat in seinem mehrfach citirten Werke, I. pag. 220, eingehend die ver-
schiedenen Möglichkeiten solcher Bildungen und ihre Erklärung erörtert und zwar
an einem besonders auffallenden Beispiele aus den Alpen, an der sogen. Glamer
Doppelfalte. Auf seine Erörterungen mag hiermit verwiesen werden. Auch auf
die Beziehungen dieser liegenden Falten mit steigender Verquetschung der Mittel-
schenkel zu Verschiebungen und Verwerfungen hat Heim aufmerksam gemacht.
In der That haben der Erscheinung nach solche Falten, filr welche die
Wiederholung derselben Schichten in fast paralleler Lage übereinander charak-
teristisch ist, grosse Aehnlichkeit mit Verschiebungen längs gewöhnlicher Spalten,
durch welche ebenfalls gleiche Schichten anscheinend sich wiederholend neben-
einander zu liegen kommen. In vielen Fällen ist die Entscheidung schwer, ob
die eine oder die andere Deutung den beobachteten Verhältnissen am besten
entspricht
Eine Reihe überaus belehrender Profile theilte neuerdings auch Brögger
aus der silurischen Formation des Gebietes von Christiania in Norwegen mit.^)
Auch in diesen deuten sich viele der parallelen Wiederholungen wohl cha-
rakterisirter, gleicher Schichten nebeneinander unzweifelhaft als Doppelfalten
mit gänzlich verquetschtem Mittelschenkel, als Falten Verwerfung und nicht als
gewöhnliche Spalten Verwerfung. In anderen Fällen ist dieses keinesweges so
ohne Weiteres nachzuweisen und es ist wohl zu beherzigen, was hierüber Brögger
im Einzelnen ausführt.^
So lange man sich eine einzelne Schicht für sich gefalten denkt, wie
man das etwa mit einem Bogen Papier experimentell nachzuahmen vermag,
dann hat das Eintreten überschobener Doppel falten keine Schwierigkeit. Man
versteht dann auch vollständig, dass für diese Fälle die Deutung Heim's zu-
treffend erscheint: Der Gewölbeschenkel (Sattelflügel), der nach oben der seit
liehen Pressung ausgewichen ist, überschiebt sich oben, der Muldenschenkel
unterschiebt sich in der Tiefe nach entgegengesetzter Richtung. Gewölbe-
srhenkel und Mulden Schenkel erleiden Stauung, der Mittelschenkel da-
zwischen liegt zwischen zwei in entgegengesetzter Richtung sich bewegenden
Schichtmassen eingeklemmt, enorm belastet durch den Gewölbeschenkel and
Gewölbekem und wird zudem noch durch eine Componente der stauenden Kraft
gequetscht Der Mittelschenkel erfahrt dadurch eine mechanische Wirkung, die
am passendsten als ein Auswalzen bezeichnet wird, er muss dabei länger und
schmäler werden. Es gleiten femer die geologisch jüngeren Schichten des
*) W. C. Brögger, Die silurischen Etagen 2 u. 3 im Christianiagebiet u. auf Ecker.
Christiania 1882. pag. 176 ff.
*) 1. c. pag. 206.
534 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
faltenden Systems auf der Unterseite des Mittelschenkels nach unten, die älteren
auf der Oberseite desselben nach oben. Auch hierdurch wird der Mittelschenkel
stets dünner ausgezogen und ausgewalzt, zerreisst auch dabei zuweilen in einzelne
Fetzen. Durch fortgesetzte Bewegung dieser Art wird endlich Gewölbetheil und
Muldentheil von einander abgescheert. An die Stelle des Mittelschenkels ist
eine Verschiebungsfläche getreten, es ist eine Falten Verwerfung entstanden.
Das erscheint allerdings alles einfach und plausibel, so lange wir es mit
einer isolirten Schicht zu thun haben, die überall fiir die ausweichenden Be-
wegungen der gebildeten Falten Raum findet und die eine grosse Cohäsion der
Masse besitzt, so dass sie nicht zerreisst, sondern in der That sich biegt, aus-
zieht und allmählich verquetscht In der Natur aber trefiFen diese Voraus-
setzungen wohl nicht immer ganz zu und die Bedenken, die Pfaff aus diesem
Umstände gegen die Erklärungen Heim*s hergeleitet hat, verdienen doch wohl
einige Beachtung.^)
Die Thatsache, dass solche Faltenverwerfungen mit reducirten oder fehlenden
Mittelgliedern sich finden, kann freilich nicht weggeleugnet werden. Nur die
Deutung der Erscheinung wird vielleicht noch eine andere sein müssen. Ein
Umstand scheint in der That noch ganz besonders in Betracht gezogen werden
zu müssen, nämlich der, dass es sich in der Natur immer um die gleichzeitige
Faltung ganzer Schichtenfolgen handelt.
Denken wir uns in der Figur pag. 531. die Schichten 5, 6, 7 u. 8 zunächst ein-
mal für sich aus dem in der Figur dargestellten idealen Profile herausgelöst und zu
einer Falte zusammengebogen, so ist es klar, dass in der nach oben geöfifoeten
Mulde, wie z. B. bei b die jüngeren Schichten 5 u. 6 die inneren werden
müssen, dagegen bei dem Sattel die ältere Schicht 8, wie bei a. In der Mulde
können die beiden Flügel derselben z. B. der Schicht 7, deren einer gleichzeitig
Sattelflügel ist, wenn die Mächtigkeit der Straten intact bleiben soll, nicht weiter
durch ^ie Faltung sich genähert werden, als bis zur Entfernung um die doppelte
Mäclitigkeit der Schichten 5 u. 6, die in. der Mulde doppelt nebeneinander
liegen. Ebenso müssen im Sattel die beiden Flügel der Schicht 7 um die
doppelte Entfernung der Mächtigkeit von 8 im Maximum der Faltung noch aus-
einanderstehen. Je mehr aber ganze Schichten complexe d. h. aus vielen, be-
deutende Mächtigkeit besitzenden Einzelschichten bestehende Folgen durch eine
Kraft zusammengeschoben und zur Faltung gezwungen werden, um so weniger
kann diese bis zur Bildung wirklich liegender Falten fortschreiten, da die inneren
Schichten der Faltenmulden und Sättel, die Kerne, mit ihrer Gesammtmächtigkeit
dem Zusammenschieben ein Hinderniss setzen. Die Entfernung dieser ist also
die erste Bedingung der intensiven Faltung.
Jedenfalls verhalten sich aber die über einer mittleren Schicht gelegenen
Straten, also z. B. 5 u. 6, da sie auch von ganz anderer petrographischer Be-
schaffenheit sein können, dem Bestreben, sie zu entfernen, gegenüber anders, vie
die Schichten unter 7, also z. B. 8. Gleichartige Bewegung und gleichmässtges
Auswalzen im Sinne Heim's setzt eine gleichmässige Beschaffenheit, eine gleich-
massige Cohäsion und Beweglichkeit beider Kerne voraus. In der Natur möchte
diese nur in ganz seltenen Fällen wirklich vorhanden sein.
Aber es wird in Wirklichkeit immer eine Schicht in gefalteten Systemen sich
finden, die wie in unserer Figur die Schicht 7 nicht nur als eine Leitschicht ftir
') F. Ppaff, Der Mechanismus der Gebirgsbildusg. Heidelberg l88a pag. 138.
Die Gebirge und ihre Entstehung. 535
die richtige Erkennung der stratigraphischen Anordnung, sondern gewissermaassen
auch als Trägerin der Faltenbildung angesehen werden kann, in dem Sinne, dass
sie nach ihrer petrographischen Beschaffenheit ganz besonders geeignet ist, die
Faltung durchzumachen, ohne dabei in irgend einer Weise reducirt, auffallend
verquetscht oder unkenntlich gemacht zu werden. In den Profilen, die Brögger ^)
mittheilt, tritt dieses mehrfach deutlich hervor. Für die überaus lehrreiche Falte
in den Silurschichten von Grundvick, zwischen Stemmestad und Närsnäs in Röcken
im südl. Norwegen, die an der Steilküste entblösst ist, spielen unzweifelhaft die
dicken Bänke des Orthocerenkalksteines die Rolle der wesentlichen, die Faltung
leitenden und tragenden Schicht. Ihre Oberfläche erscheint auch als die Ebene,
auf der die Faltenverwerfung erfolgt ist. Ganz ähnlich tritt der Einfluss derselben
Orthocerenkalksteine auch in anderen Falten hervor; sie erscheinen mehrfach
auch wie eine schützende Decke für die unterliegenden Schichten.
So bezeichnet denn auch Brögger diese dicken, festen Kalksteinbänke als
die Grundbedingung der in dieser silurischen Etage so häufigen Bildung von
Ueberfaltungen und Faltenverwerfungen. Als vorzüglich verschwunden und fort-
gequetscht erscheinen die weichen, ductilen Schiefer. Sie glitten auf den Kalk-
steinbänken aus ihrer Lage. In den Alaunschieferetagen, in denen die Kalksteine
fehlen, fehlen auch die grossen Falten, welche von den Kalksteinbänken ge-
tragen wurden; hier äusserte sich der Zusammenschub durch eine kleine, oft
scharf geknickte Fältelung und wird hierdurch compensirt. So wird also die
Art der Zusammensetzung einzelner Schichtencomplexe ganz gewiss als maass-
gebend gelten können für die Ausbildung bestimmter Art von Faltung. Die Zu-
sammensetzung eines Schichtencomplexes aus einer als Trägerin der Faltung
ganz besonders geeigneten, mächtigen, festen und widerstandsfähigen Schicht
und vielen anderen über und unter dieser liegenden dünneren, weicheren, ver-
drückbaren Schichten scheint die günstigsten Bedingungen zu bieten für die
Ausbildung starker Ueberfaltungen und Faltenverwerfungen. Hieraus kann man
dann auch folgern, dass, sowie die eine mächtigere Bank als Trägerin der
Faltung gilt, so die anderen Schichten in erster Linie als die ausweichenden,
sich verquetschenden Schichten anzusehen sind.
Gehen wir also nun bei der Betrachtimg der Vorgänge einer Ueberfaltung
von einer solchen Schicht aus, die von ductileren bedeckt und unterlagert wird,
so kann diese Schicht gewissermaassen als das Gefäss gelten, in welchem bei
einer Faltung der Complex der jüngeren Schichten als Muldenkem, der der
älteren als Sattelkem gefasst und getragen wird. Erst durch Entfernung der
Kerne wird, wie vorhin gezeigt wurde, eine Ueberfaltung möglich werden. Durch
die Zusammenpressung werden also zunächst die Schichten im Muldenkeme auf-
wärts geschoben, die im Sattelkeme abwärts. Nur hier hindern die Wände des
Gefässes das Ausweichen nicht. Ein Theil des Ausweichens erfolgt vielleicht
auch durch Streckung in der Richtung des Streichens, davon wollen wir hierbei
absehen, da es nicht die Art, sondern nur das Maass der noch auf andere Weise
nöthigen Verkürzung beeinflusst. Die Aufwärtsbewegung der Schichten im
Muldenkeme beim Zusammenpressen der Gefässwände ist ohne Weiteres denkbar,
dagegen kann die Abwärtsbewegung des Sattelkemes eigentlich nicht angenommen
werden, da nach unten ein Nachgeben nicht möglich erscheint. Es muss dem-
nach die Wand des Gefässes in der entgegengesetzten Richtung d. h. aufwärts
') L c. pag. 190 ff.
53^ Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
bewegt werden. Es resultirt also aus der Zusammenpressung eine Aufwärtsbe-
wegung der Hauptschicht von der Mitte des Mittelschenkels an und mit ihr aller
über ihr liegenden Schichten, den ganzen Muldenkem eingeschlossen. Das isi
aber gleichbedeutend mit einer Ueberschiebung des Sattels über die Mulde, einer
Faltenverwerfung. Denken wir dann eine Horizontale durch die Mitte der Mulde
gelegt, so trifft diese natürlich die Sattelschichten nicht mehr, dieselben erscheinen
reducirt, verquetscht, z. Th. verschwunden. An eine wirkliche mechanische Ver-
quetschung ist dann aber nicht immer nothwendig zu denken, wenngleich sie
nicht ausgeschlossen ist. In vielen Fällen erscheint das Fehlen der Schicht in
einem bestimmten Niveau eben nur ein scheinbares, sie ist in einer höheren
Niveaulage zu suchen.
Da die höheren Theile am meisten der Denudation unterliegen, so sind in
vielen Fällen die aufwärts bewegten Theile nicht mehr nachzuweisen. Bei
den Faltenverwerfungen im Gebiete von Christiania sind die weicheren Schiefer
theils vorwiegend aus dem Mittel Schenkel und dem Muldenkeme weggequetscht,
die Muldenbiegung dagegen z. Th. bewahrt, während hingegen von der Gewölbe-
oder Sattelbiegung keine Spur mehr vorhanden ist, dagegen der Sattelkem dn
geringeres Maass der Raumverkürzung zeigt. Das scheint mit unseren Voraus-
setzungen übereinzustimmen.
Aber wie man sich auch im Einzelnen die Vorgänge dieser intensiven
Faltungen, Ueberfaltungen und Faltenverwerfungen denken mag, wie man sich
das Verhalten der Gesteine selbst bei dieser Faltung, ihre plastische oder nicht
plastische Beschaffenheit, vorstellt, das eine lässt sich nicht mehr bestreiten: die
Faltung selbst und also ein gewissermaassen plastisches Verhalten ist keine
Hypothese mehr, sondern eine Beobachtung.^)
Darin beruht nun aber die andere Hälfte der Lösung des Problems der
Faltenbildung: wie war es möglich, dass Gesteine, die wir als feste, harte, spröde
Massen kennen, solche Biegungen, Fältelungen und Verquetschungen durch-
machten und doch noch als zusammenhängende, anscheinend nicht zerstückelte
Straten erscheinen und endlich, welches war die gewaltige Kraft, welche diese
Faltungen und Zusammenschiebungen bewirkte und woraus ist diese Kraft her-
zuleiten?
Aus zahlreichen Beobachtungen geht unzweifelhaft hervor, dass die Gesteine
der Gebirge, als sie die Biegungen und Faltungen erlitten, in festem, hartem Zu-
stande sich befanden wie heute. Ein plastisches Verhalten kann ihnen daher
ohne Weiteres nur innerhalb der Grenzen zuerkannt werden, innerhalb deren
wir auch heute an Gesteinen eine gewisse Biegsamkeit wahrnehmen. Wir sehen
Kalksteinplatten auf Oefen, die einer oftmaligen Erwärmung und Abkühlung aus-
gesetzt sind, sich krumm ziehen. Lange Granitsäulen, die sich längere Zeit in
horizontaler Lage, nur an den beiden Enden unterstützt, befinden, bi^en sich
durch ihre eigene Schwere in der Mitte ein u. dergl. Aber dabei handelt es
sich immer nur um ganz minimale Bewegungen. Grössere Biegungen können vir an
Gesteinen nicht ausführen, ohne dass ein Uebersch reiten ihrer engen Elastidtäts-
grenzen stattfindet d. h. dass sie zerbrechen.
Und doch sollte man nach den Erscheinungen der Faltung annehmen, dasis
die Gesteine weich gewesen seien, wie plastischer Thon.
Heim kam zu der Annahme, dass Gesteine unter hohem Druck wirklich eine
0 Bröggek, 1. c. pag. 224.
Die öebirge und ihre Entstehung. 537
Art molecularer Plasticität erhalten. In einer gewissen Tiefe unter der Erd-
oberfläche, so lautet in der Kürze seine Theorie, sind die Gesteine weit über ihre
Festigkeit hinaus belastet Dieser Druck pflanzt sich nach allen Richtungen fort,
so dass ein allgemeiner, dem hydrostatischen Drucke entsprechender Gebirgs-
druck allseitig auf die Gesteinstheilchen einwirkt. Dadurch sind dort die
sprödesten Gesteine in einen latent plastischen Zustand versetzt. Tritt eine
Gleichgewichtsstörung durch eine neue Kraft — den gebirgsbildenden Horizontal-
schub — hinzu, so tritt die mechanische Umformung in dieser Tiefe ohne
Bruch, in zu geringen Tiefen bei den spröderen Materialen mit Bruch ein.
Bei der Umformung ohne Bruch denkt Heim sich in der That die Molecüle
selbst spröder Gesteine verschiebbar, wie diejenigen plastischer Massen. Während
die Umformung durch Bruch nur an einzelnen Stellen die Starrheit in der Lage
der Theilchen überwindet und zu wirklicher Trennung, wenn auch nur im mini-
malsten Maassstabe, der einzelnen Theile von einander ftihrt, geschieht die Um-
formung ohne Bruch an einer im Vergleich damit unendlich grossen Zahl von
Stellen, wenn auch in etwas anderer Weise.
Pfaff^) hat gegen die Theorie auf experimentellem Wege Einwände zu
führen versucht. Es gelang ihm niclit durch Anwendung starker Druckwirkungen
auf Gesteine, dieselben plastisch zu erhalten; auch bei einem 7 Wochen lang
fortgesetzten Drucke von 9970 Atmosphären. P2inen solchen Druck würde man
aber nach Pfaff erst in einer Tiefe von 36 Kilometern im Inneren der Erde an-
treffen. Heim nahm an, dass schon ein Druck einer Gesteinsmasse von 2600 Meter
ausreiche, um das völlige Plastischwerden zu bewirken. Dieser Druck würde
aber nur 703 Atmosphären entsprechen.
Damit stimmen allerdings in gewissem Sinne auch die Resultate der über-
aus interessanten Versuche von Spring*) überein, der die Einwirkung sehr hohen
Druckes auf das Verschweissen und Legiren von Metallen, auch auf die Mög-
lichkeit chemischer Reactionen unter Druck geprüft hat. Metalle nehmen in der
That unter einem Druck von 5—7500 Atmosphären eine der flüssigen ähnliche
Beschaffenheit an; sie seh weissen zusammen, legiren sich, feines Pulver wird zu
festen Blöcken vereinigt, Wie sie durch Schmelzen erhalten werden. Blei ent-
weicht bei 5000 Atmosphären durch die Fugen der Apparate wie eine dünnflüssige
Masse.
Auch der Thon wird bei einem Drucke von 5000 Atmosphären plastisch
und fängt an zu gleiten. Vollkommen negativ aber waren die Versuche mit der
Kieselsäure, oflenbar weil die Härte derselben zu gross ist. Da nun aber gerade
diese als wesentlichster Bestandtheil der meisten Gesteine eine Hauptrolle spielt,
so scheint daraus in der That gefolgert werden zu dürfen, dass ein Plastisch-
werden an Kieselsäure reicher Gesteine auch unter sehr hohem Drucke nicht zu er-
warten ist Andererseits freilich sind die Versuche Spring's dadurch von grosser
Bedeutung, als sie zeigen, dass wenigstens für weichere Substanzen, also z. B.
Thone und vielleicht auch Kalksteine ein Plastischwerden nicht so ganz un-
möglich erscheint. Dass ferner unter hohem Drucke chemische Reactionen ein-
treten, ist ebenfalls von Wichtigkeit. Sie sind ohne Zweifel Übersoll auch bei der
Faltung und Zusammenpressung der Gesteine durch den mechanischen Druck
eingeleitet oder dadurch unterstützt worden und mögen ganz besonders. Überall
im unmittelbaren Gefolge der Faltung auftretend, die damit eingetretenen Bruch-
*) 1. c pag. 4.
^ Bullet, de TAcad. royale Beige 1880. a. Ser. XLIV. pag. 333.
53S Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Wirkungen unsichtbar gemacht oder wenigstens so ausgeheilt haben, dass sie nar
schwer zu erkennen sind.
Zu ähnlichem Schlüsse kam auch Stapf ^) in theoretischen Betrachtungen
über die Mechanik der Schichtenfaltungen. Auch nach ihm dari flir den
Faltungsprocess starrer Schichten durch Seitenschub keine eigentliche Plasticität
derselben vorausgesetzt werden; der Faltungsvorgang ist vielmehr mit 2^nnalmung
des Gesteines verkntipft, dessen Scherben und Pulver aber nachmals verkittet
werden, und zwar vornehmlich auf nassem Wege.
Auch Brögger scheint in Folge seiner Untersuchungen im Silurgebiete von
Christiania mehr zu der Ansicht gekommen zu sein, dass, trotzdem die Schichten
an einzelnen Stellen so gestaut erscheinen, als ob sie ein weicher Thonbrei
gewesen wären, sie dennoch nicht wirklich molecular-plastisch waren, als sie
sich falteten, sondern nur ein scheinbar plastisches Verhalten vorlag, derart
dass die festeren Gesteine einer bis ins Kleinste gehenden Zermalmmig unter-
lagen und auch die verquetschten Schichten nicht im molecular plastischen Zu-
stande auswichen, sondern nur durch die reibende und gleitende Bewegung der
gepressten und gestreckten Massen bis zu den kleinsten Partikelchen aufgerieben
wurden.
In der That lassen alle die Erscheinungen, die ganz besonders der Ausdruck
eines gewissermaassen plastischen Verhaltens der Gesteine sind: Streckungser-
scheinungen, z. B. langgezogene Belemniten, plattgedrückte Ammoniten, gestreckte
Geschiebe, Biegungen von Krystallen u. dergl. in den Gesteinen, die Schieferung
oder sogen. Clivage, die zur Schichtung transversal gestellt ist, doch in ihrer Be-
gleitung, wenn auch manchmal erst in mikroskopischer Kleinheit zahllose kleine
Brüche, Gleitflächen, Verschiebungen wahrnehmen, die auf eine Umformung
durch Ueberschreitung der Elasticitätsgrenze an unendlich vielen Stellen, also
doch mit Bruch hinweisen.
Freilich ist die stets mit der mechanischen Umformung innig verbundene
Mineralneubildung in vielen Fällen die Ursache, dass jene winzigen Discontinut-
täten wieder ausheilen und der Eindruck vollkommen bruchloser Faltung in den
Gesteinen erhalten wird. Werden doch auch auf die mechanische Einwirkung die
sogen, metamorphischen Umwandlungsvorgänge, die Contactmetamorphose, zu-
rückgeführt, wie in dem Artikel : Metamorphismus nachzusehen ist Baltzer^ hat
das Verdienst, das merkwürdige Ineinandergreifen von Gneiss und Kalk in den
Alpen, wofür bisher eine befriedigende Erklärung fehlte, als das Resultat derge-
birgsbildenden Gesteinsfaltungen sicher nachgewiesen und gleichzeitig auf die da«
durch bedingten metamorphischen Processe aufmerksam gemacht zu haben.
Auch J. Lehmann,^) der eingehende Untersuchungen über die Umformungs- und
Faltungserscheinungen an den sächsischen Granuliten angestellt hat, kommt in
einer allerdings nur vorläufigen Mittheilung über die Resultate seiner auf ausge-
dehnter mikroskopischer Durchforschung jener und vieler anderer Ges^ne basiiteo
Studien zu dem Schlüsse, dass das plastische Verhalten der Gesteine bei ihrer
Faltung doch nur ein scheinbares gewesen, dass man dabei keinesweges an einen
vorübergehend weichen Zustand der Gesteine zu denken habe, sondern dass
sie während der Umformung ebenso fest und starr waren, wie sie uns jetzt er-
^) N. Jahrb. f. Min. 1879. pag. 292 u. 792.
^ Der mechanische Contact von Gneiss und Kalk im Bemer Obcriand, mit Atlas und
Karte. 20. Lief, der Beiträge cur geol. Karte der Schweix.
>) Sitzungsber. der niederrhein. GtB. für Natur- und Heükunde. XXXVL 1S79. pag. Ji'-
Die Gebirge und ihre Entstehung. 539,
scheinen. Eine wenn auch im Kleinsten sich vollziehende wirklicheLockerung
und Zerreissung hat in allen Fällen stattgefunden, und nur die gleichzeitig
durch den Druck hervorgerufenen stofflichen Umänderungen und Neubildungen
lassen es später so erscheinen, als ob eine bruchlose Umformung im Sinne
Heim's sich vollzogen hätte.
Aber dahin wird man die etwas abweichenden Ansichten über den Zustand
der Gesteine bei ihrer Faltung doch zusammenfassen dürfen: Die Faltung
wurde ermöglicht durch ein gewissermaassen plastisches Verhalten
der starren Gesteinsschichten.
Welches war aber nun die Kraft, welche die gewaltigen Faltenbiegungen der
Gebirgsschichten bewirkte und wodurch wurde diese Krafl erregt?
Es giebt überhaupt nur 3 Möglichkeiten, um eine ebene flache Schicht zu
biegen: eine hebende Kraft kann von unten nach oben gegen dieselbe wirken
und so die Schicht zum Gewölbe umbilden: Erhebungstheorie; eine beider-
seitig unterstützte Schicht, die in der Mitte der Unterlage beraubt wird« sinkt
ein und bildet eine Mulde: Einsenkungstheorie; oder eine Schicht wird von
einer Seite gegen ein Hinderniss oder gleichzeitig von beiden Seiten zusammen-
geschoben: Theorie des Horizontalschubes oder der tangentialen
Pressung.!)
Es wurden schon im Vorhergehenden Beispiele angedeutet, bei denen er-
hebende, radial aus dem Inneren der Erde nach der Oberfläche gerichtete Be-
wegungen vorkommen können, sowie ebenso solche, die in der That das Vor-
handensein von Dislocationen durch Einsenkung documentiren. Aber beide
Arten haben nur locale Bedeutung oder die Tektonik der Stellen ist eine gänz-
lich abweichende von der in den Faltengebirgen . Dass im Grossen die Theorie
der Hebungen ebensowenig wie die der Senkungen die Erscheinungen der
Faltengebirge zu erklären vermag, das folgt' in erster I^inie aus dem Bau dieser
Gebirge selbst.
Eine Erhebung der Schichtencomplexe von unten würde die Ausbildung
eines einzigen grossen Sattels erfordern, dem alle anderen Biegungen nur als
untergeordnete Details sich einfligten. Zu der Achse der Erhebung müssten
nothwendig die gehobenen Schichten eine beiderseitig symmetrische Stellung
zeigen. Kettengebirge, die aus einer einzigen Schichtenwölbung, einer einzigen
Falte bestehen, sind ebenso wenig bekannt wie solche, die einen symmetrischen
Bau besitzen.
Es wurde schon vorher ftir den Jura angegeben, dessen Tektonik genauer
als die eines anderen Gebirges bekannt ist, dass in ihm im Ganzen ungefähr
160 Falten nachzuweisen sind. In der Querrichtung, dort wo das Gebirge seine
Hauptentwicklung hat, liegen 10 — 1 2 Parallelfalten hintereinander. In den Alpen,
selbst wenn man nur die kettenbildenden Hauptfalten rechnet, würde in einem
Querprofll die Zahl derselben gewiss 20—30 betragen. Und so erscheinen auch
alle anderen Kettengebirge aus mehr oder weniger zahlreichen Parallelfalten zu-
sammengesetzt Dieselben erscheinen als selbständige Falten hintereinander.
Nur bei den Faltungen der grossen Steinkohlenmulden, wo die Hauptmulde
aus zahlreichen kleineren, sogen. Specialsätteln und Mulden sich zusammenfügt,
könnte fliglich daran gedacht werden, dass diese durch eine Einsenkung eines in
bestimmter Richtung langgestreckten Areales entstanden seien, wobei die beiden
') BezUgl. der histor. Entwicklung der verschiedenen Theorieen sei auf SUESS, Entstehung
der Alpen, Wien 1875, pag. i, verwiesen.
540 Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Hauptflügel der Mulde durch Zusammenschieben in sich die Specialfaltung er-
litten haben.
Bei den Kettengebirgen aber mit ihrem regelmässigen Wechsel von unab-
hängigen Sätteln und Mulden ist an eine Entstehung durch Einsenkung auch
dann nicht zu denken, wenn man die Möglichkeit zugeben wollte, dass die Vor-
bedingungen zu solcher in allgemeinerer und nicht nur localer Ausdehnung in
der Erdrinde sich fänden.
Die Annahme einer gewissen Symmetrie im Baue der Kettengebirge fand
vornehmlich darin eine Stütze, dass man als Kern derselben alte kiystallinische
Schiefer und Granite fand, die sogen. Centralmassive, und diesen die active Rolle
der erhebenden Kraft zuwies. Aber schon das Fehlen solcher CentralmassivV
in vielen ausgezeichneten Faltengebirgen ist der unwiderlegliche Beweis, dass die
Faltung eine von diesen unabhängige Erscheinung ist. Die Alpen, Cevcnncn,
Ural, die östlichen Pyrenäen sind Kettengebirge mit Centralmassiv's, dagegen be-
sitzen der Jura, die rheinischen Schiefergebirge, der Teutoburgerwald, die West-
Pyrenäen keine solche.
Schon in dem vorhin angeführten Beispiele des Schwarzwaldes wurde erörtert,
(pag. 529) wie das Centralmassiv unabhängig sein müsse von der Aufwärtsbiegung
der Schichten. Diese Erfahrung kann nun als eine ganz allgemeine bezeichnet
werden. In allen Kettengebirgen hat man erkannt,, dass den Centralroassiv's
keinesweges eine active, hebende Rolle zugetheilt werden kann, sondern dass sie
sich passiv verhalten haben, wie die gefalteten und zusammengeschobenen
Schichten.
In der Tiefe hängen die Gesteine der Centralmassive zusammen, ganz ähn-
lich wie ältere gefaltete Sedimente aus jüngeren Ablagerungen auftauchen, die
ihren Rändern aufgelagert sind. Nur oberflächlich sind die Centralniassiv*s ge-
trennt durch die zwischen dieselben muldenförmig eingeklemmten jüngeren Ge-
bilde. Nur da, wo die Faltung der jene bedeckenden Formationen eine sehr in-
tensive ist oder wo die Erosion die bedeckenden Falten bis auf den Centralkem
zerstört hat, werden sie überhaupt sichtbar.
Kettengebirge mit Centralmassiven sind die intensiver gefalteten Stellen»
solche ohne Centralmassive die etwas weniger stark gefalteten Stücke der Erd-
rinde; oft ist es nicht einmal die Intensität der Faltung, sondern nur das höhere
Maass der Verwitterung, das die Verschiedenheit von Kettengebirgen bezüglich
eines Centralkemes bedingt.
Ganz besonders aber tritt die Unabhängigkeit der Faltung von einem cen-
tralen Kerne in der meist unsymmetrischen I^age dieses selbst zum Gebirge her^'or
und dort, wo ein solcher fehlt, in der unsymmetrischen, durchaus einseitigen
Ausbildung der Kettengebirge überhaupt.
Dana und andere amerikanische Geologen haben die Einseitigkeit der Ge-
birgsketten schon längst erkannt und ausgesprochen, sowohl, dass die Falten eines
solchen Gebirges nicht beiderseits zu einer Mittellinie symmetrische Stellung be
sitzen, als auch dass die zu beiden Seiten eines Centralmassiv's liegenden 2^nen
jüngerer Ablagerungen nicht gleichwertig in Bau und Entwicklung sind.
SuEss hat in seiner balinbrech enden Schrift: »Die Entstehung der Al}>en«
dann ftir fast alle einigermaassen bezüglich ihrer geog;nostischen Structur be-
kannten Kettengebirge den Beweis geführt, dass sie einen einseitigen Bau auf-
weisen. Er geht noch einen Schritt weiter. Indem er aus der Tektonik der
Faltengebirge den Schluss zieht, dass Bewegungen der Erdrinde im horixonulcn
Die Gebirge und ihre Entstehung. 241
Sinne, also ein Zusammenschub, die Grundlage zur Gestaltung derselben gegeben,
leitet er aus besonderen, sich in auffallender Regelmässigkeit wiederholenden
Formen der Kettengebirge auch die Richtung her, aus der die faltende Bewe-
gung gekommen. Ganz besonders ist es die Ueberstürzung der äusseren Falten
der Kettengebirge nach der Richtung des stauenden Hindernisses, welche recht
auffallend erscheint. Tritt doch auch schon in der ganzen Anordnung der Falten
die Richtungslinie auf das Bestimmteste hervor, in welcher der Zusammenschub
w^irkte. In den westlichen Gebirgsketten von Nord-Amerika, der Coast Range
und Sierra Nevada ist die Richtung der Bewegung nach Ostnordost, in den
parallelen Ketten der atlantischen Seite, den AUeghanies, dagegen nach Nordwest
gelegen. In Europa sind die Gebirgszüge kürzer, aber die einseitige Richtung
der Bewegung ist dieselbe. In den Pyrenäen deutet sie gegen Nordnordost, im
appenninischen Zweige des Alpen-Systems nach Nordost, in den Westalpen nach
West, nach Nordwest und dann nach Nord, im Juragebirge nach Nordwest.
Deutlich treten die einseitigen Bewegungen in den rheinischen Gebirgen auf, wo
vom Taunus und Hundsrück bis zum rheinischen Kohlengebirge und durch die
Eifel bis zu den Ardennen und den belgischen Kohlenfeldem hin alle Gebirge
als eine ziemlich einseitige Folge nordöstlich streichender Falten angesehen
werden können. Das hatten die Arbeiten von Dechen's, Dümont's, Baur's schon
mit aller Sicherheit nachgewiesen.
Auch für die gewaltigen Gebirge Central-Asiens hebt Suess die Einseitigkeit
des Baues hervor, aber während in Nord-Amerika und Europa die Richtungen
des Zusammenschubes vorherrschend nach Norden verweisen, scheinen in Central -
Asien die Bewegungen nach Süd oder Südwest zu streben. i)
Ueberall aber tritt unverkennbar die Thatsache hervor, dass die Kettenge-
birge durch einen Zusammenschub gefaltete Gebiete der Erdrinde sind, dass
nirgendwo eigentliche Verticalbewegung, sondern nur horizontale, tangentiale Be-
wegung diesen Zusammenschub bewirkt hat.
Eine überaus einfache Betrachtung fiihrt uns nun unmittelbar auf die Ursache
dieser tangentialen Bewegung.
Denken wir in irgend einem Kettengebirge die sammtlichen vorhandenen
Falten wieder ausgeebnet und glatt in eine Ebene gelegt, so würden natürlich
die Schichtencomplexe einen sehr viel bedeutenderen Oberflächenraum bean-
spruchen als im gefalteten Zustande. Wir erhalten, wie Heim dieses passend aus-
drückt, ein Zu -viel von Erdrinde. Dieser Zustand konnte nur entstehen, indem
entweder die Rinde sich ausdehnte oder der Kern der Erde zusammenschrumpfte.
Für beide Vorgänge können wir ein Beispiel wählen. Ein mit Papierüberzug
bedeckter Globus, dessen Kern aus Gyps besteht, werde äusserlich befeuchtet.
Das Papier dehnt sich aus und wirft über den Kern hin Falten. Den anderen
Vorgang zeigt uns ein austrocknender Apfel, hier schwindet der Kern und die
Schale wird zu gross und runzelt sich zusammen.
Für die Erde haben wir aber keinerlei Anzeichen, dass die Rinde derselben
gewachsen sei und kaum erscheint es möglich, eine Erklärung ftir eine solche
Hypothese zu finden. Es muss demnach im Schwinden der Kemmasse der Erde
die Ursache der Faltung ihrer Oberfläche liegen. Daftir aber giebt uns die all-
gemein angenommene Theorie ihrer Entwicklung ohne Weiteres die Erklärung.
Die Erde ist ein erkaltender und darum ein sich contrahirender Körper. (Vergl.
Artikel: »Der Erdbälle)
^) Suess, L c. pag. 144.
542 Minenlogie, Geologie and Palaeontologie.
* Hierbei ist dann freilich ein Umstand von grosser Bedeutung. Ist das Maass
der Zusammenschiebung, das wir an genauer bekannten Ketten-Gebirgen aus der
Ausglättung ihrer Falten annähernd berechnen können und woraus weiterbin das
Maass der Verkürzung des Erdradius durch Contraction sich ergeben wird, das
nothwendig war, um jene Schrumpfung zu erzeugen, ist dieses Maass in der That
mit unseren theoretischen Annahmen über die Abkühlung der Erde und ihre
Contraction in Uebereinstimmung zu bringen?
Das Maass der anzunehmenden Schrumpfung ist allerdings ein überaus bedeu-
tendes. Heim berechnet aus genauen Profilen durch den Jura den Zusammen-
schub, der dieses Gebirge bildete, auf etwa 5000 Meter. Für die Alpen betragt
er ungefähr 120000 Meter. Das heisst, ein Punkt südlich der Alpen (z, B. die
Stelle, wo jetzt Como liegt) und ein Punkt nördlich (z. B. wo jetzt Zürich btchr)
liegen einander jetzt um 120 Kilometer näher, als zu der Zeit, da die Alpen
noch nicht waren. Die Alpenfaltung hat demnach eine Erdrindenzone von dieser
Breite verschlungen. Eine Schrumpfung des Erddurchmessers um etwa j^ bis
■^jf genügte hiernach, um die Erdrinde zur Faltung der Alpen zu zwingen; eine
solche um if reicht zur Erklärung sämmtlicher Gebirge der Erde aus.^)
Gegen diese Berechnung wendet sich Pfaff^) vornehmlich mit zwei Gründen.
Einmal hebt er das geringe Maass der Contraction saurer Silicate und dann die
Langsamkeit der Abkühlung hervor. Daraus kommt er zu dem Schlüsse, dass
die zur Faltung der Alpen erforderliche Abkühlung einen Zeitraum von mehr
als f Billionen Jahren in Anspruch genommen hätte und doch musste dieselbe
in der Zeit zwischen Unter- und Mitteltertiär erfolgt sein, also in einem geok)-
gisch wenigstens als kurz zu bezeichnenden Intervall.
Ferner glaubt er, dass eine Zusammenschrumpfung durch Contraction gleich-
massig die ganze Erdrinde und nicht nur ihre oberflächlichen Theile betreffen
müsse. In der Faltung liege aber eine rein peripherische Erscheinung vor.
In einem gewissen Sinne erscheint dieses Letztere allerdings zutreffend und
wird auch von SuESS ausdrücklich anerkannt. Wie weit aber die Faltung von der
Oberfläche in das Innere der Erde hinein zu verfolgen ist, das wissen wir nicht
Nirgendwo ist die untere Grenze gefalteter Systeme wirklich erreicht worden.
Da aber die untersten Glieder der uns zugänglichen Schichten der Erdrinde, die
krystallinischen Schiefer, die Gneisse und die Granite dem Zusammenschube
noch mit unterworfen waren, so darf die untere Grenze jedenfalls erst unteihalh
dieser ältesten Erstarrungszone gesucht werden. Eine peripherische Erscheinung
bleibt darum die Faltimg immerhin. Ihre untere Grenze fällt, und das er-
scheint in gewissem Sinne bedeutungsvoll, mit dem Anfange der Medianzone tu-
sammen, deren Existenz in unserem Artikel »Der Erdball« als wahrscheintich au%
der Entwicklung der Erde sich ergebend aufgestellt wurde. Das Gebiet der ge-
falteten Erdrinde liegt also durchweg über der Medianzone. Ist diese noch
flüssig, oder war sie in einer nicht allzufemen geologischen Veigangenhett
flüssig, denn sie ist jedenfalls der zuletzt erstarrte Theil des Erdinneren, so bot
sich darin von selbst die Möglichkeit, dass die über ihr liegenden Rindentheüe
eine selbständige Faltung in sich durchzumachen vermochten. Die Versuche mit
geschmolzenen und erstarrenden Kugeln von VVallrath, wie sie Pfaff anstellte.
^) Bröggkr berechnete den absoluten Zusaromenschub in der Nähe von Christiaiiia attf Se
kurze Strecke zwischen Häkevik und Toie auf i^ Kilometer, den relativen Zusammenschiih au<
ungeHthr f , was von einer ganz bedeutenden Stauung zeugt. 1. c. pag. 244.
*) 1. c pag. 98.
t)ie Gebirge und ihre Entstehung. 543
bieten daher keinerlei Analogie und beweisen mit ihrer faltungslosen Contrac-
tion nichts.
Nun kommt noch ein zweiter Umstand hier in Betracht. Die Contraction
und also auch das Maass der Erkaltung des eigentlichen Erdkernes und nicht
die Contraction der Rinde selbst, die nach unserer Auffassung als von dem Erd-
kerne vollkommen unabhängig und selbständig erscheint, ist die Ursache der
Faltung der peripherischen Rinde. Nach unserer Annahme, wonach über der
Medianzone vorzüglich die kieselsäurereichen Gesteine, die Silicate als Erstarrungs-
rinde liegen, unter der Medianzone die metallischen Zonen (pag. 287), kommt
also bei der Faltung jener der ihnen zukommende Contractionscoefficient nicht
so sehr in Betracht, als der der letzteren. Dass dieser aber ein weit höherer ist,
als der der Silicate, kann als feststehend gelten. Das Maass der Schrumpfung
des Kernes berechnet sich demnach hieraus auf einen erheblich höheren Betrag.
Gerade weil der Kern bei dem gleichen Maasse des WärmeveHustes wie die
ganze Kugel ungleich mehr contrahirt wird, muss die von ihm durch die Median-
zone getrennte Rinde ein grösseres Maass der Faltung erleiden. Dass sie dieselbe
beim Nachsinken auch ohne Hindemiss auszuführen vermag, beruht eben in ihrer
Beweglichkeit Über der Medianzone.
Und nun endlich kommt noch ein dritter Punkt hinzu, der das hohe Maass
der Faltung in den einzelnen Erdrindentheilen zu erklären vermag.
Wenn die Summe des durch die Abkühlung und Contraction bedingten Zu-
sammenschubes der Erdrinde ganz gleichmässig über die Oberfläche derselben
sich vertheilte, so würde dieselbe ein bestimmtes Maass erreichen für eine be-
stimmte Zeit. Nehmen wir die oben pag. 542 angeführte Zahl von 120 Kilo-
meter als Maassstab für den Zeitraum der Faltung des Alpengebirges an. Die-
selbe vertheilt sich dann auf einen grössten Kreis gleichmässig. Denken wir uns
aber durch irgend einen Umstand die ganze eine Hälfte des grössten Kreises von
einer solchen Beschaffenheit, dass sie an dem Zusammenschub nicht Theil zu
nehmen vermag, davon gänzlich unberührt bleibt, so würde der Zusammenschub,
der im Ganzen nothwendig erfolgen muss, auf die eine Hälfte als doppelter Be-
trag zur Wirkung kommen.
Je mehr daher von den über der Medianzone liegenden Rindentheilen aus
dem Bereich der die Schrumpfung compensirenden Zusammenschiebung oder
Faltung gezogen werden, ein um so höheres Maass der Faltung müssen die übrigen
Rindentheile erleiden, um die Compensirung zu vollenden.
Versuche mit einem aufgeblähten Caoutschucballon, der mit einer nicht
elastischen Hülle von erhärteter Gelatine umgeben ist, wie Daubr^e sie zu geist-
reichen Versuchen, um die Faltung der Gebirgsschichten nachzuahmen, an-
wandte^), würden auch hierfür als Belege dienen. Wenn man auf einem Streifen von
Caoutschuc einen Gelatineüberzug anbringt und dann den Streifen zusammen-
schrumpfen lässt, so wirft die Gelatine Falten. Wenn man aber einen Theil des
Cuoutschucs mit einem Stückchen Pappdeckel unterklebt, so dass dieser Theil
nicht an der Contraction theilnimmt, hier auch die Gelatine nicht zum Faltenwerfen
kommt, so ist die Einwirkung in dem übrigen Theile der Gelatinezone nur um
so auffallender. Es kann daher wohl der folgende Satz für das Maass der zur
Compensirung einer gewissen Contraction nothwendigen Zusammenschiebung der
Rinde Giltigkeit erhalten: Das Maass der Faltung steigert sich mit der
*) Geologie experimentale. I. pag. 386.
544 Mineralogie, Geologie and Palaeontologie.
Abnahme der an der Faltung theilnehmenden Rindenstücke. Nartir>
lieh Hir die gleiche Zeit und die gleiche Gesammtcontraction des Kernes.
Dass aber zu jeder Zeit gewisse Theile der Erdrinde nicht an dem Zu-
sammenschub sich betheiligt haben, der andere Theile betroffen, ist eine schon
längst bekannte Erfahrung. Auch Suess hebt das Vorhandensein solcher Schollen,
»Archibolen«, wie er sie genannt hat, hervor und sagt ausdrücklich, >dass V re
Anordnung und Form entscheidend sei für den Verlauf der Falten, welche d>
Contraction der*) zwischen ihnen liegenden, biegsameren Theile der Erdoberfläche
erzeugt.« Wir können nun hinzufügen, dass auch die Ausdehnung dieser
nicht gefalteten Schollen das Maass der Faltung bedingt.
Die weit ausgedehnten silurischen Gebiete in Russland sind frei von Faltungen»
so dass C. V. Buch die Meinung äusserte, es müsse eine grosse Tafel irgend
einer Felsart in der Tiefe sich vorgeschoben liaben, welche spätere Störungen
femhielt.2)
Auch die von uns im Vorhergehenden (pag. 525) angeführten Beispiele von
Schollenbewegungen ohne Zusammenschub und Faltung, wie sie von v. RiCHi-
HÖFEN aus dem nördlichen China, von Duiton aus dem westlichen Nordamerika
beschrieben werden, zeigen deutlich, dass die Faltung keinesweges gleichzeitig
und gleichmässig über die ganze Erdrinde sich ausbreitet, sondern nur gennsse
Theile derselben erfasst.
Auch ergab sich aus den angeführten Beispielen, dass nicht i/nmer dieselben
Stellen als Faltende im Laufe der Entwicklung der Erdrinde erhalten blieben.
Dort wo die älteren, tieferen Formationen starke Faltung zeigen, sind die jüngeren
Bildungen nur durch Schollenbewegung ohne Faltung differenzirt.
Nur aus der Kenntniss aller gleichzeitig in nicht zusammenschiebender
Schollenbewegung befindlichen Theile der Erdrinde und dem Vergleiche de^
durch diese eingenommenen Oberflächenareales der Erdrinde mit dem in Faltung
begriffenen übrigen würde sich demnach das wirkliche Maass des Zusammen-
schubes für diese Theile annähernd berechnen lassen. Freilich i^t gerade diese
Kenntniss noch eine sehr lückenhafte und vor Allem entziehen sich die ganzen
grossen Meeresräume einer Beurtheilung bezüglich ihrer Theilnal me an diesen
Vorgängen. Dann würde gewiss der theoretisch annehmbare Wärmeverlust der
Erde und das daraus sich ergebende Maass der Contraction mit der Intensität
des tangentialen Schubes in Einklang gefunden werden.
Welches aber der Grund ist, warum in allen geologischen Perioden wie es
scheint, einzelne Theüe der Erdrinde nur in auf- und abwärts gerichteter SchoÜen-
bewegung sich befinden, andere durch seitliche Pressungen zu Falten zusammen
geschoben werden, darüber können wir uns heute noch keine bestimmte \ or-
stellung machen.
Theoretisch lässt sich eine Erklärung aus der l^e der grossen Spalten her-
leiten, die die Erdrinde durchsetzen und jedenfalls eine ^hr bedeutsame Rolle
bei den gebirgsbildenden Processen spielen. Ein solcher Zusammenhang wurde
bereits in dem Artikel: Der Erdball, pag. 290 angedeutet und schematisch darge-
stellt. Physikalisch würde die Theorie des Keiles, in einigen Fällen vielleicht
auch die der Schraube, uns die Erklärung dieser Vorgänge bieten können. Audi
') Es niUsste hier correcter heissen: die Contraction an den Theüen. Nicht ihfe «igcD«.
sondern die Contraction des Kernes unter ihnen ist das Wetendiche.
*) SiJMs. l. c. pag. 157.
Die Gebirge und ihre Entstehung. 545
die Bewegung der einzelnen Rindentheile würde dann aus den tangentialen
Pressungen herzuleiten sein.
Andererseits ist es aber keinesweges ausgeschlossen, dass auch aus dem
Inneren der Erde heraus wirkende Vorgänge, die von den Contractionsspannungen
in der Rinde direct unabhängig sind, vorzüglich oder doch zum Theile an den
aut- und abwärts gerichteten Bewegungen in der Erdrinde betheiligt sind. Die
Beantwortung solcher Fragen führt auf noch allzusehr hypothetischen Boden, als
dass hier näher darauf eingegangen werden könnte.
Eines der am Besten gekannten und in seinen Formen vielgestaltigsten
Kettengebirge sind die Alpen. Sid entsprechen vollkommen dem Schema,
das man fiir den Bau grösserer Kettengebirge aufzustellen vermag.^) An den
Rändern steigen die jüngeren Schichten gegen das Gebirge auf: sie bilden dort
einen Isoklinalkamm. Gegen das innere Gebirge weisen sie einen durch Ab-
witteruiig entstandenen Steilabfall. Darunter, weiter alpeneinwärts steigen stets
ältere Sedimentbildungen aus der Tiefe auf. Die einwärts folgenden, stets höher
steigenden Ketten bestehen in ihrer Hauptmasse aus immer älteren Schichten.
In der mittleren Zone tritt endlich das krystallinische Gnmdgebirge, das Central-
massiv, zu Tage. Von Aussen nach Innen folgen also in der Streichrichtung des
Gebirges Zonen stets älterer Gesteine. Alle die einzelnen Zonen sind nicht so
einfach gebaut, sondern wieder gefaltet und bilden z. Th. durch Faltung wieder
zahlreiche Ketten. Zwischen den Gewölben, die aus älteren Gesteinen gebildet
sind, liegen fetzenfbrmig in den Mulden die noch erhaltenen Reste von jüngeren
Schichten, die früher jedenfalls in grösserer Ausdehnung vorhanden gewesen sein
müssen.
Die äusseren, aus jüngeren Gesteinen bestehenden Zonen bilden die nie-
drigeren Ketten, nach Innen nehmen die Ketten an Höhe ihrer Culminations-
punkte zu. Wenn auch durch Gedrängtheit und Ueberliegen der Falten die
Schichten gegen das Gebirge einfallen und- bald hoch ansteigen, bald tief unter-
tauchen, im Ganzen steigen die Formationen doch gebirgseinwärts empor.
Die in der centralen Zone der Alpen auftauchenden krystallinischen Schiefer
zeigen in der nördlichen Centralreihe gewöhnlich Fächerstellung ihrer Schichten
(Mont Blanc, Finsteraarhom, Gotthard). Die südlicheren sind einfacher gebaut,
nicht selten regelmässige Sattelbildungen, wie im Jura, nur viel gewaltiger (Adula-
gebirge, Simplon).
So gewinnen wir denn in dem ganzen Gebäude eines solchen Kettengebirges
den Eindruck, dass der Process der Faltung ein langsam und stetig fortschrei-
tender gewesen sein muss, dass er lange andauernd und wiederholt thätig war,
und an alte gebildete Falten sich wieder neue jüngere anzuschaaren vermögen.
Aus dem genauen Studium der Verhältnisse der Alpen, der Vertheilung der
Formationen an ihren Abhängen geht hervor, dass die äussersten Alpenketten
sich erst nach-miocän, die weiter einwärts gelegenen jedenfalls schon vor-miocän,
die innersten vielleicht schon zur Eocän- oder Kreidezeit zu falten begonnen
haben. Ob aber damals der Kern des Centralmassiv's nicht schon eine ältere
Faltung besass, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls waren die innersten Falten
die ersten und schon um einen ganz erheblichen Betrag älter, als die Faltung
der äusseren Schichten.
Ob die Faltung in der Jetztzeit noch fortdauert, das lässt sich direct ebenso
wenig entscheiden. Es ist nach der Geschichte der Vergangenheit kaum zweifel-
^) Heim, 1. c. pag. 204.
Kbkmcott, Min., Geol. u. Pal. I. ßC
S46 Mineralogie, Geologie and Palaeontologie.
haft, dass dieselben Processe auch in der Gegenwart sich abspielen. In den
Erdbeben sehen wir z. Th. die Aeusseningen der noch heute in den Gebirgen
sich vollziehenden Bewegungen. (Vergl. Art. Erdbeben, pag. 363). Die zahl-
reichen Erderschtitterungen in den Alpen lassen sogar eine gewisse Intensität der
gebirgsbildenden Bewegungen voraussetzen.
Eine besondere Art der Gebirgsbildung mag hier anhangsweise noch er-
wähnt werden, welche neuerdings amerikanische Geologen für gewisse Kuppen-
gebirge nachweisen zu können glauben, die nicht zu Accumulationsgebirgen zu
rechnen sind, sondern im eigentlichen Sinne als Erhebungs- oder vielleicht
richtiger alsProtrusionsgebirgezu bezeichnen sein würden. Gilbert ^) hat die-
selben in seinem Report über die Geologie der Henry Mountains, im südlichen
Utah, am rechten Ufer des Colorado zwischen dessen Zuflüssen Dirty Devil und
Escalante gelegen, eingehend beschrieben.
Der Charakter dieser» aus eigenthümlich kuppenförmigen Bergen bestehenden
Gruppe ist der, dass verschiedenartige sedimentäre Straten zu rund umlaufenden,
kuppelartigen Gewölben emporgehoben sind, unter welchen durch die theilweisc
oder gänzliche Erosion dieses gewölbten Mantels von Sedimentschichten ein aus
jüngeren Eruptivgesteinen, aus Trachjrten gebildeter domförmiger Kern auftaucht,
der als die hebende Ursache der Aufwölbung jener Schichten angesehen wird.
Die eruptiven Gesteine, aus der Tiefe emporsteigend, statt an die .Oberfläche
der Erde durchzubrechen und hier durch Accumulation einen Kegel zu bilden,
machten in einem tieferen Niveau unter einer Schichtendecke Halt, drangen
zwischen die Straten ein und schaff'ten sich hier zur Anhäufung eines Kegels
Raum, indem sie die oberen Schichten emporhoben. Sie bildeten hier nach ihrer
Erstarrung also eine unterirdische Gesteinskuppe, gewissermassen eine Gesteins-
cisteme. Daher giebt Gilbert diesen Bildungen den Namen: I..accolit (Xixxo;
= Cisteme). Es ist klar, dass die Intrusion eines solchen T^accoliten an |der
Oberfläche eine Aufwölbung her\'omifen muss, die im Verhältnisse steht zu den
Dimensionen der unterirdischen Kuppe und ebenso, dass, wo die aufliegenden
Schichten in horizontaler I.^e sich befanden, sie nun über dem Laccolit selbst
bis zum Aufbersten emporgewölbt werden müssen.
Mit den I^iccoliten sind auch unterirdische, schichtenförmig gebildete In-
tnisionen der Eruptivgesteine und gangförmige Apophysen in die umgebenden
Gesteine verbunden.
Die Vertheilung der I^accolite ist eine ebenso unregelmässige, wie die der
vulkanischen Kegel in manchen Gebieten. Es kommen Gewölbe vor, in denen
nur ein laccolit den Kern bildet, aber auch solche mit zwei oder gar drei
Laccoliten. Einige sind zwischen die Schichten der Kreideformation, andere
zwischen die des Jura und der Trias, endlich andere auch zwischen die Schichten
der Steinkohlenformation intrudirt.
Wegen der eingehenden Erörterung der Bildungsbedingungen dieser Lacco-
lite muss auf die Abhandlung selbst verwiesen werden. Der Verfasser führt noch
eine Reihe >ii*citerer Berggruppen an, unter denen er ähnliche Bildungen vermathet.
Dass dieselben, wenn auch vielleicht nicht in dem gleichen Maasse, wie in
Jenen Gebieten, doch auch gewisse Analoga in unseren europäischen Gebirgen
finden, das wurde schon an anderer Stelle (.Artikel Gänge, pag. 496) hervoige^
hoben und daiUr Beispiele angeführt
*) G. M. GnjLUT, Report on the G^logy of the Hemy Mountains, Washington 1877.
Die Gebirge und ihre Entstehung. 547
Was aber nun den Gebirgsbau im Ganzen noch mehr complicirt, das ist das
Zusammenwirken der verschiedenen Arten der Gebirgsbildung in einem und dem-
selben Gebirge. Schon im Vorhergehenden wurde mehrfach angeführt, dass mit
der Faltung der Schichten auch eine verticale Auf- und Abwärtsbewegung ver-
bunden gewesen sei.
In manchen Gebirgen finden wir in verschiedenen Theilen gleichzeitig die
eine oder die andere dieser Bewegungen vorherrschend, in denselben Theilen
nach einander zu verschiedenen Zeiten in Wirksamkeit. Mit den durch Faltung
emporgewölbten Stücken und in den Thälern zwischen den Gewölben brechen
Eruptivgesteine hervor, bilden dort ihre Aufschüttungskegel, legen ihre Ströme
als fremde Glieder in diesen Gebirgen nieder, durchqueren als mehr oder weniger
mächtige Gänge die gefalteten Schichten und nehmen so an der Gesammtge-
staltung der Gebirge Theil.
So wird denn aus jedem Gebirgsbaue endlich ein vielgestaltiges Ganzes, das
uns als einheitlich und gewissermaassen aus einem Stücke geformt scheint, das
aber aus der Folge und dem Zusammenwirken lang andauernder, im Einzelnen
verschiedener und oh von einander unabhängiger Processe hervorgegangen ist.
Und einen sehr wesentlichen, bisher nur andeutungsweise besprochenen Einfluss
auf die äussere Gestaltung haben dazu auch noch die zerstörenden Wirkungen
der Verwitterung, der Erosion ausgeübt.
Denn wenn wir auch im Vorhergehenden vielfach einen auch heute noch
sichtbaren Zusammenhang in der Gliederung der Gebirge und ihrer äusseren
Formen mit den Vorgängen erkennen und nachzuweisen vermochten, die den
eigentlichen Kern der Gebirge, ihre innere Tektonik erzeugten, so haben wir
doch auch schon Beispiele für den Satz gefunden: dass die orographische Glie-
derung von der Tektonik z. Th. ganz unabhängig und die Folge selbständiger
zerstörender Processe ist.
Betrachten wir ein durch centrale Aufschüttung gebildetes Gebirge, wie den
Mont Dore, ein durch blosse Disjunction einzelner Schollen entstandenes Gebirge,
wie die Hochplateau's von Utah oder ein Kettengebirge, wie die Alpen, überall
finden wir nur noch die Reste eines einst vollkommenen Baues, nur in Ruinen
sehen wir die alten ursprünglichen Gestaltungsformen durchschimmern.
Dass aber die Zerstönmg, vornehmlich durch die Wirkungen des Wassers
geführt, je nach der alten Gestaltungsform, besondere von dieser abhängige Wege
einschlägt, ist natürlich.
Die radial zum Centrum des Mont Dore Gebirges verlaufenden Thäler, die
tief in das Gebirge eingeschnitten sind, haben mit dem ursprünglichen Kegelbaue
nichts gemein, waren in demselben keinesweges ihrer Lage nach vorgebildet.
Aber dass sie radial der Achse des Gebirgsbaues zustreben, ist eben doch nur
bei einem centralen Baue denkbar. Parallelität der Thäler, wenn auch in einem
Gebirge zu verschiedenen sich kreuzenden Systemen geordnet, charakterisirt die
alten disjunctiven Gebirge und die Kettengebirge; eine überwiegende Rolle spielen
die Längs- und Querthäler bei den letzteren, und doch sind auch diese nur in ihrer
allgemeinen Anlage abhängig von dem Gebirgsbaue, keinesweges immer durch
Mulden oder Querspalten bedingt und wenn auch einmal dieses, dann doch in
ihrer grössten Austiefung und eigenthchen Modellirung lediglich Folge der Erosion.
Wo uns die innere Tektonik einen mehrere 1000 Meter hohen Rücken er-
warten lässt, finden wir ein tiefes Thal, dort wo die Schichten zu einer Mulde
zusammenrücken, liegt eine Wasserscheide, ein Gebirgskamm. Allem Faltenbau
35*
548 Mineraloge, Geologie und Palaeontologie.
und aller Streichrichtung der Schichten zum Trotze sind zwischen Querthälem
Querkämme stehen geblieben, quer aus mehreren Falten herausgeschnitten und
auch die Querthäler fallen nicht mit tektonischen Gebirgsrissen zusammen. I>ie
normalen Gebirgsketten sind von zahlreichen Breschen durchbrochen, von Quer-
thälem schief und quer durchschnitten, völlig zerhackt. Oft steht nur noch die
Flanke eines Gewölbes; nur in einzelnen unzusammenhängenden Fetzen sind
zwischen den Thalfurchen einst zusammenhängende, mächtige Schieb tencompl exe
übrig geblieben.
»Aus einförmigen, massigen Gebirgskörpem haben Verwitterung und Erosion
die herrlichen, mit reichen schwungvollen Linien gezeichneten, bald erdrückend
gewaltigen, bald schlanken schmalen, von schaurig tiefen Thälern umgebenen und
vielgliederigen Gestalten herausgeschält, deren unvergleichliche Mannigfaltigkeit
und Schönheit kein Künstler im Bilde wiederzugeben vermag.^)
Und so verändern sich die Gestalten der Gebirge noch fortwährend und
wir haben überall den Zerstörungsprocess mehr oder weniger intensiv vor Augen.
Von den Bächen und Flüssen wird der Schutt aus den Gebirgen abwärts geführt,
in den Thälern und Ebenen als Sand-, Kies- und Thonablagenmgen niedergelegt.
Und doch ist dieser Zerstörungsprocess nicht so schnell wirksam, dass die
ganze Geschichte der Menschheit nicht im Stande gewesen wäre, andere als nur
locale Veränderungen zu constatiren. Die Höhe der Alpen, die Tiefe ihrer Thälcr
hat sich nicht so geändert im Laufe von Jahrhunderten, dass dieses auffallend 21:
bemerken wäre oder eine wesentliche Aenderung in der Gebirgsconfiguradon her-
beigeführt hätte.
• Wird damit das Maass der stattgehabten Erosion, wie sie aus den fehlenden
Gliedern und abgewitterten Ruinen der Gebirgsbaue sich ergiebt, welche nach
Mächtigkeit und Ausdehnung, nach Stellung und Höhenlage aus dem noch Vor-
handenen sicher zu ergänzen sind, verglichen, so giebt dies einen annähernden
Begriff von den Zeiträumen, mit denen man in diesen Fällen zu rechnen hat.
DuTTON*-') berechnet die Höhe der durch Abwitterung entfernten Schichten
in den Hochj)lateaus von Utah seit dem Abschlüsse der dortigen Eocänperiode
annähernd auf 6000 Fuss engl, und ähnliche Zahlen nimmt auch Gilbert an.
In einigen Districten steigert sich diese Höhe sogar auf nahezu 12000 Fuss. In
den eigentlichen Hochplateaus ist die Denudation am geringsten, weil hier die
ungeheuren Decken junger Lavaergüsse sich schützend über die Schichten ausge*
breitet haben.
In den Alpen sind die innersten, von der Denudation am stärksten er-
niedrigten, weil ältesten Alpenkämme doch noch die höchsten, die äusseren,
weniger denudirten, die niedrigeren. Von dem 4275 Meter hohen Finsteraarhom
sind wenigstens 1000 Meter Sedimente und dazu eine nicht zu bestimmende Höhe
von krystallinischen Schiefern abgewittert; auf dem 3239 Meter hohen 15 Kilo-
meter weiter randwärts gelegenen Titlis fehlen etwa 600 Meter Sedimente; der
1920 Meter hohe, um eine 30 Kilometer breite Zone vom Finsteraarhom rand-
wärts entfernte Niederbauenstock wäre 300 Meter höher, wenn die Denudation
ihn nicht erniedrigt hätte; und vom Gipfel des 1223 Meter hohen Rhonen, der
um eine 50 Kilometer breite Zone vom Finsteraarhom getrennt ist, sind nur
wenige Schichten abgewittert. Wenn daher auch an jeder Stelle das hohe und
nach dem Inneren des Gebirges zunehmende Maass der Denudation hieraus her
*) Heim, Die Gebirge, pag. 24.
*) l. c. pag. 23.
Die Gebirge und ihre Entstehung. 549
vorgeht, so zeigt sich auch andererseits, dass die allgemeine Höhe der Culmina-
tionspunkte mehr von der Hebung durch die Faltung als durch die Verwitterung
bedingt ist.
Ein Bild der ungeheuersten Abwitterung geben uns auch die meisterhaften
Schilderungen v. Richthofen's über die Erscheinungen der Abrasion im nörd-
lichen China.i) Unter Abrasion ist die zu einer der Ebene sich nähernden
Fläche ausgeführte Abwitterung, Abhobelung eines hochgebirgigen Landes ver-
standen, die von der über einen ganzen Continent allmählich fortschreitenden
Brandung des Meeres ausgeführt wird. In dem Artikel *Meer« wird näher darauf
eingegangen.
Die eigentlichen inneren Zusammenfaltungen der ältesten Formationen waren
vor der Sinischen Periode schon vollendet und das Grundgerüst im geologischen
Bau des nördlichen China bestand fertig gebildet und hat Umgestaltungen in
seinem eigentlichen Wesen nicht mehr erlitten.
Die erste Abrasion, die auf die Zusammenfaltung folgte, räumte ganze Zonen
von Glimmerschiefem und krystallinischen Kalksteinen, Quarziten, Sandsteinen
schwarze Quarzite und Homblendeschiefer, die groben Conglomerate und Quar-
zite und die grünen Schiefer der Wutai-Schichten in ganzen Gebieten hinweg und
griff auch die Grundlage derselben, den Urgneiss an. Ueber diese ganze Abra-
sionsfläche, in der nur die Quarzite z Th. in Klippen aufragten, haben die
sinischen Schichten ihre horizontale ungestörte Ablagerung genommen.
Dieser ersten Phase der Abrasion folgten weitere nach. Die dadurch ge-
bildeten Formen kann man als Abrasionsplateaus bezeichnen im Gegensatz zu
Schichtungsplateaus oder eigentlichen Tafelländern (pag. 525).
Auch die Gebirge der silurischen, devonischen und carbonischen Systeme,
welche von den belgischen Steinkohlenablagerungen bei Dinant und Namur an
bis über das ganze rheinische Schiefergebirge hinaus nach Osten greifen, sind durch
Abrasion zu dem plateauartigen Lande geworden. Ueber der Steinkohlenforma-
tion an der Maass sind die angeführten Schichtmassen in einer Höhe von 5 bis
6000 Meter hinweggehobelt worden, wie aus der Mächtigkeit jener Systeme ge-
schlossen werden muss.
Wo jetzt eine von Erosionsthälem durchschnittene Terrasse, meist in Meeres-
höhen von 400 bis 500 Metern, ein Areal von beinahe tausend Quadratmeilen
einnimmt, nur in einzelnen Theilen der Ardennen, der Eifel, des Hundsrück,
des Westerwaldes und des Taunus von sanft gewölbten Rücken um weitere
3 — 400 Meter überragt wird, da muss in einer früheren Fesüandsperiode ein be-
deutendes, in vielen parallelen Rücken aufragendes hohes Faltungsgebirge be-
standen haben. Seine nicht mehr erhaltenen Thalsohlen lagen wahrscheinlich
in höherem Niveau als die gegenwärtige Oberfläche.-)
So vermag die Abrasion die vollkommenste Einförmigkeit der Gebirgsplastik
dort zu schaffen, wo der innere Bau in seiner alten Anlage eine überaus glieder-
reiche Reliefgestaltung vorbildete.
Sie ist das beste Beispiel, in welchem Maasse die Zerstörung die Gebirgsbaue
ergreift und ihre Bildungsformen verwischt.
Aus allen angeftihrten Beispielen folgen aber für die Gesammtbildungsvor-
gänge de^ Gebirge mit Nothwendigkeit Zeiträume, die fast über das Maass mensch-
licher Fassbarkeit hinausgehen.
*) 1. c. pag. 710.
') V. RlCHTHOFEN, 1. c. pag. 777.
$$o Mineralogie, Geologie und Palaeontologie.
Nicht minder ergeben sich auch (Ür die Zeiträume, welche die Entstehung
grosser Accumulationsgebirge erforderte, ungeheure 2^hlen. Als Durchschnittv
werth z. B. für das Alter des Aetna kann die Zahl von 50000 Jahren gelten, die
jedenfalls eher hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, als übertrieben hoch ge-
nommen ist.^)
Freilich erscheinen diese Zahlen gegenüber denen, die wir für die Bildungs-
dauer der Kettengebirge uns vorstellen müssen, dann noch klein und unbedeutend.
Die Erfahrung, die wir aus dem Vorhergehenden gewonnen, dass die Ge-
birge das Resultat verschiedener, nacheinander durch lange Zeitperioden hindurch
wirksamer Kräfte sind, lässt sich auch in dem Satze ausdrücken: Die Bildung
eines jeden Gebirges ist nicht ein einzelner Vorgang in der Ge-
schichte der Erde, sondern eine Phase ihres Entwicklungsganges.
Literatur: Heim, Alb. Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirt^sbildung
2 Bände mit Atlas, Basel 1878. Derselbe: Ueber die Stauung und Faltung der Erdrinde.
Basel 1878. Derselbe: Ueber die Verwitterung im Gebirge, Basel 1879 und: Die Gebirgt
(Vortrag) Basel 1881. HÖRNES, R., Die Veränderungen der Gebirge und ihre BeobachtuDg.
Zcitschr. des Touristen-Clubs. Wien 1880. Naumann, C. F., Lehrbuch der Geognosie. Bd. I
P^' 305—380. Pfaff f. Der Mechanismus der Gebirgsbildung. Heidelberg 1880. Set««, t
Die Entstehung der Alpen. Wien 1875. Stapf, F. M. Zur Mechanik der Schichtenfaltungeo.
N. Jahrb. f. Min. 1879, pag. 292 und 792, 1881 I. pag. 185. TouLA Fr., Ueber den Bau uixi
die Entstehung der Gebirge. Wien 1877.
') Sartorius-Lasaulx, Der Aetna. Bd. II. pag. 418.
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II
oben
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Cestracionten anstatt Cestraocionten.
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II
II
II
Querflächen anstatt Längsflächen.
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14
11
II
II
Congonhas anstatt Conhongas.
II
399
• II
10
II
II
II
Chico anstatt Chica.
11
400
II
3
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II
•1
PbO) anstatt Pb)0.
II
435
II
12
II
11
schreibe , hinter Menge.
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438
11
21
II
unten
schreibe in vor 100.
II
468
11
24
1»
II
lies
grosskömigen und drusigen.
M
494
II
4
II
11
II
Gypskeuper anstatt Gyps, Keuper.
Breslau, Eduard Treweadt's Buchdruckerei (SeuerinneiiBchttle).