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Full text of "Handwörterbuch der Mineralogie, Geologie und Palæontologie [microform]"

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G   h-O.  D. 


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fk 


I. 


1 


I 


ENCYKLOPiEDIE 


DER 


NATURWISSENSCHAFTEN 


HERAUSGEGEBEN 
VON 


Prof.  Dr.  G.  JÄGER,  Prof.  Dr.  A.  KENNGOTT, 

Prof.  Dr.  LADENBURG,  Prof.  Dr.  von  OPPOLZER, 

Prof.  Dr.  SCHENK,  Geh.  Schulrath  Dr.  SCHLÖMILCH, 

Prof.  Dr.  G.  C.  WITTSTEIN,  Prof.  Dr.  von  ZECH. 


IL  ABTHEILUNG. 
I.  THEIL: 

HANDWÖRTERBUCH  der  MINERALOGIE, 
GEOLOGIE  UND  PALÄONTOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN 

VON 


Prof.  Dr.  A.  KENNGOTT. 


BRESLAU. 
VERLAG  VON  EDUARD  TREWENDT. 

i88a. 


HANDWÖRTERBUCH 


DER 


MINERALOGIE, 

GEOLOGIE 


UND 


PALÄONTOLOGIE 

HERAUSGEGEBEN 
VON 

Prof.  Dr.  A.  KENNGOTT 

UNTER  MITWIRKUNG 

VON 

Prof.  Dr.  von  LASAULX  und  Dr.  F.  ROLLE. 


MIT  HOLZSCHNITTEN  UND  LITHOGRAPHISCHEN  TAFELN. 


ERSTER  BAND. 


BRESLAU, 
VERLAG  VON  EDUARD  TREWENDT. 

1882. 

/ 


Das  Recht  der  Uebersetzung  bleibt  vorbehalten. 


VORWORT. 


Wenn  der  erste  Theil  der  zweiten  Abtheilung  der  »Encyklopaedie  der 
Naturwissenschaftenc  drei  Disciplinen,  die  Mineralogie,  die  Geologie  und 
die  Palaeontologie  umfasst,  so  soll  damit  nicht  ausgedrückt  werden,  dass  diese 
drei  naturwissenschaftlichen  Disciplinen  ein  Ganzes  bilden,  welches  in  diese  drei 
Theile  zerfällt,  wie  man  dies  in  früherer  Zeit  aufTasste,  sondern  es  wurden  die- 
selben in  einem  Theile  der  Encyklopaedie  zusammengestellt,  weil  sie  als  be- 
stimmt getrennte  Disciplinen  einen  inneren  Zusammenhang  haben.  Dieser  Zu- 
sammenhang hat  wesentlich  darin  seinen  Grund,  dass  die  Mineralogie,  welche 
als  Wissenschaft  neben  die  Botanik  und  Zoologie  zu  stellen  ist,  die  Minerale  als 
ihre  zu  behandelnden  Objecte  umfasst,  wie  die  Botanik  die  Pflanzen  und  die 
Zoologie  die  Thiere,  die  Minerale  unsere  Erde  zusammensetzen  und  die  Mineralogie 
in  dieser  Beziehung  die  stofflich  wichtige  Grundlage  der  Geologie  ist.  Da  jedoch 
in  der  Geologie  die  sedimentären  Formationen  nicht  allein  durch  ihre  relativen 
Lagerungsverhältnisse  unterschieden  werden,  sondern  die  in  ihnen  vorkommenden 
Versteinerungen  das  Mittel  zur  genauen  Unterscheidung  derselben  bieten  und  das 
Studium  und  die  Kenntniss  der  Versteinerungen  zugleich  die  Entwickelungs- 
geschichte  der  Erde  begründet,  so  erschien  es  zweckmässig,  auch  die  Palaeonto- 
logie der  Mineralogie  und  Geologie  (mit  Einschluss  der  Petrographie  und  G^o- 
gnosie)  anzureihen  und  alle  drei  Wissenschaften  in  einem  Theile  zu  behandeln. 
Was  die  Bearbeitung  dieses  Theiles  selbst  betrifft,  so  haben  sich  die  Ver- 
fasser der  bezüglichen  Artikel  darin  geeinigt,  von  einer  strengen  detaillirten 
lexikologischen  Anordnung  abzusehen,  um  nicht  durch  überaus  zahlreiche  Artikel 
den  Stoff  zu  sehr  zu  zersplittern,  wodurch  das  Verständniss  sehr  beeinträchtigt 
würde  und  Wiederholungen  unvermeidlich  wären.  Sie  zogen  es  demnach  nach 
reiflicher  Ueberiegung  vor,  den  Inhalt  der  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeonto- 
logie in  einer  relativ  geringen  Anzahl  von  Artikeln  zu  behandeln,  wonach  jeder 
Artikel  ein  abgeschlossenes  Ganzes  bildet.  Die  in  ihnen  enthaltenen  Einzelheiten, 
wie  namentlich  emzelne  Minerale,  Gesteinsarten  und  Versteinerungen  können 
daim  durch  ein  am  Schlüsse  beigefügtes  alphabetisches  Register  leicht  aufgefunden 
werden. 


VI  Vorwort.  " 

Da  aber  die  drei  Disciplinen  selbständige,  wenn  auch  untereinander  verwandte 
und  zusammenhängende  sind,  so  ist  das,  was  für  jede  einzehie  zur  allgemeinen 
Orientirung  dienlich  anzugeben  noth wendig  erschien,  von  den  einzelnen  Ver- 
fassern am  geeigneten  Orte  ausgesprochen.  So  enthält  der  Artikel  »Arten  der 
Minerale«  in  dem  ersten  Hefte  die  für  die  Mineralogie  nöthigen  allgemeinen 
Angaben.  Ein  eigener  Artikel  »Geologie«  wird  in  diesem  Sinne  auch  für  diese 
die  allgemeinen  Erörterungen  enthalten,  nur  ist  vorläufig  darüber  zu  bemerken, 
dass,  wie  schon  oben  hervorgehoben  wurde,  auch  bezüglich  der  Geologie  jeder 
Artikel  als  ein  möglichst  selbständiges  Ganzes  erscheinen  soll,  dass  aber  auch 
alle  Artikel,  in  einer  entsprechenden  Reihenfolge  gebracht,  sich  zu  einer  zu- 
sammenhängenden und  systematischen  Geologie  zusammenfügen.  Bezüglich  der 
Palaeontologie  enthält  der  erste  Artikel  dieses  ersten  Heftes  »Allgemeine  Einleitung 
in  die  Palaeontologie«  das,  was  zur  allgemeinen  Orientirung  über  die  nachfolgenden 
Artikel  und  über  den  Inhalt  überhaupt  nothwendig  ist. 

Die  so  in  geringer  Anzahl  gegebenen  Artikel  sind  alphabetisch  angeordnet 
nacli  leitenden  Gesichtspunkten,  welche  aus  den  Ueberschriften  ersichtlich  sind. 

Die  Verfasser  haben  es  sich  zur  Aufgabe  gestellt,  den  Inhalt  der  einzelnen 
Disciplinen  entsprechend  den  bis  jetzt  gemachten  Erfahrungen  möglichst  um- 
fassend zur  Darstellung  zu  bringen  und  dabei  an  dem  von  Anfang  an  ausge- 
sprochenen  Grundsatze  festgehalten,  das^  die  »Encyklopaedie  der  Naturwissen- 
schaften« Hir  jeden  allgemein  gebildeten  Leser  zur  Belehrung  dienen  soll,  um  so 
die  Resultate  der  Forschungen  in  den  einzelnen  Disciplinen  auch  in  weiteren 
Kreisen  2u  verbreiten. 

Zürich,  im  Februar  1882. 

A.  Kenngott. 


Inhaltsverzeichniss. 

Seite. 

Vorwort I 

Allgemeine  Einleitung  in  die  Palaeontologie  von  Dr.  Fr.  Rolle i 

Amphibien  von  Dr.  Fr.  Rollb 14 

Aoidiosoen  von  Dr.  Fr.  Rolle 32 

Anchniden 43 

Archaeisches  System  (laurentisches,   huronisches  und  carobrisches  System,    krystallinisches 

Schiefergebirge)  von  Dr.  Fr.  Rolle 46 

Arten  der  Minerale  von  Prof.  Dr.  Kenngott 50 

Atmosphäre,  Die,  und  ihre  geologische  Bedeutung  von  Prof.  Dr.  A.  von  Lasaulx       .     .  68 

Blenden  von  Prof.  Dr.  Kenngott 81 

Bryozoen  von  Dr.  Fr.  Rolle 89 

Carbonate  von  Prof  Dr.  Kenngott 92 

Carbontsches  System  von  Dr.  Fr.  Rolle iio 

Chemis;che  Processe  in  der  Geologie  von  Prof  Dr.  von  Lasaulx 127 

Cohasion  oder  Cohäsions-Eigenschaften  der  Minerale  von  Prof.  Dr.  Kenngott    .     .     .     .  156 

Contineiite,  Die,  von  Prof  Dr.  von  Lasaulx 167 

Cnxstaceen  von  Dr.  Fr.  Rolle 185 

Deltabildungen,  Die,  von  Prof.  Dr.  von  Lasaulx 201 

Devonisches  System  von  Dr.  Fr.  Rolle * 213 

Dimorphismus  von  Prof  Dr.  Kenngott 227 

Echinodermen  von  Dr.  Fr.  Rolle 230 

Edelsteine  von  Prof  Dr.  Kenngott 250 

Erdball,   Der,  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit  von  Prof  Dr.  von  Lasaulx    .     .     .     .  256 

Erdbeben,  Die,  von  Prof  Dr.  von  Lasaulx ....  295 

Ene  von  Prof.  Dr.  Kenngott *     .     .     .     .  366 

Fische  von  Dr.  Fr.  Rolle 405 

Fluorverbindungen  von  Prof  Dr.  Kenngott 431 

Formeln«  chemische,  der  Minerale  von  Prof.  Dr.  Kenngott 438 

Gange,  Die,  von  Prof.  Dr.  von  Lasaulx 452 

Gase  von  Prof.  Dr.  Kenngott    .     .     * 514 

Gebirge,  Die,  und  ihre  Entstehung  von  Prof  Dr.  von  Lasaulx 515 


Allgemeine  Einleitung  in  die  Palaeontologie 


von 


Dr.  Friedrich  Rolle. 

Die  Palaeontologie  (vom  griechischen  palaios  alt,  on  onia  Wesen,  logos 
Lehre)  oder  Petrefactenkunde  (von  Petrefact  oder  Petrification,  Ver- 
steinerung) ist  die  Wissenschaft  von  den  im  Verlaufe  der  geologischen  Epochen  in 
Ablagerungen  des  Meeresbodens,  der  süssen  Gewässer  oder  des  Festlandes  einge- 
schlossenen und  bis  auf  unsere  Tage  erhaltenen  Resten  von  Pflanzen  und  Thieren, 
welche  ehedem  die  Meeresgewässer,  die  Binnenseen  und  Flüsse  und  die  Ober- 
fläche des  Festlandes  bewohnten  und  mehr  oder  minder  von  den  Formen  der 
heutigen  Pflanzenwelt  oder  Flora  und  der  heutigen  Thierwelt  oder  Fauna  ab- 
weichen, in  den  jüngsten  Epochen  aber  meistens  unmerklich  in  letztere  verlaufen. 

Fossilien      (vom    spätlateinischen    fossilis    vergraben,    ausgegraben)    oder 
Versteinerungen    (petrefacta,    Petrificationen)    sind    die   aus  den  älteren  geo- 
logischen Bodenabsätzen  oder  Gesteinen  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  gebliebenen 
Pflanzen-    und    Thierreste    der    verschiedensten    Art    und    des   verschiedensten 
Erhaltungszustandes.     Die  Art  der  Erhaltung  kann  dabei  —  je  nach  der  mine- 
ralischen Zusammensetzung,  sowie  auch  nach  der  mehr  oder  minder  weit  gegangenen 
Umgestaltung  der  Form  —  fiir  die  Erkennbarkeit  des  naturgeschichtlichen  Charakters 
und  des  feineren  anatomischen  Bau's  des  Fossils  in  den  mannigfachsten  Formen 
schwanken.     Holzstämme  flnden  wir  in  Braunkohle  oder  Steinkohle  umgewandelt 
oder    die  organische  Substanz  ist  durch  Kalk,  durch  Kieselsäure  oder  Schwefel- 
kies verdrängt.      Conchylien  sind  meist  verkalkt,  auch  wohl  verkieselt.     Häufig 
ist  aber    die  Kalkschale  ganz  aufgelöst  und  nur  der  äussere  Abdruck  und  der 
innere  Ausguss  (Steinkem,  nucleus)  noch  erhalten.     Ein  Harz  von  Nadelhölzern 
der    Tertiärepoche,    der    Bernstein   (succinum)    umschliesst   Insekten    und    zarte 
Pflanzentheile  in  einer  so  vollständigen  Erhaltung,  als  sei  der  Einschluss  erst  in 
allemeuester   Zeit  erfolgt.     (Die  Erhaltung  beruht  hier  auf  Abschluss  von  Luft, 
Wasser  und  Verwesung.) 

Zu  den  Fossilien  gehören  endlich  auch  noch  die  mit  Haut,  Haar  und  Muskel- 
fleisch in  gefromem  Boden  (sogen,  ewigen  Eis)  Sibiriens  erhaltenen  Leichen  er- 
loschener Elephanten  und  Nashörner.  Von  einem  an  der  Lena -Mündung 
(70°  nördl.  Breite)  erhaltenen  Elephanten  oder  Mammuth  (Elephas  pritnigenius 
Blum.)  sammelte  man  noch  über  15  Kilogr.  Haare,  kurzes  Wollhaar  gemischt  mit 
langem  steifem  Grannenhaar.  Mit  seinem  Fleische  fütterten  die  Jakuten  noch 
ihre  Hunde.  Auch  diese  in  dem  seit  Jahrtausenden  vereisten  Boden  Sibiriens 
erhaltenen  Thierleichen  sind  noch  als  Fossilien  zu  betrachten  und  stammen  von 
erloschenen  Arten  ab.  Die  Bezeichnung  »Versteinerungen«  ist  freilich  für 
sie  nicht  mehr  zutrefiend,  denn  sie  sind  keineswegs  in  Stein  umgewandelt. 

Kjccncott,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  X 


2  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Je  unvollständiger  die  Erhaltung  der  Pflanzen  und  Thiere  älterer  Epochen  vor 
sich  ging,  je  mehr  die  erhaltenen  Theile  derselben  unter  Einfluss  von  Verwesung 
und  weiter  fortschreitender  chemischer  und  mechanischer  Umbildung  litten, 
desto  geringer  ist  der  Aufschluss,  den  die  betreffenden  Fossilien  von  Bau  und 
Verrichtungen  der  Lebensformen  geben,  von  denen  sie  abstammen,  desto 
dürftiger  ist  ihr  Werth  für  die  allgemeine  Geschichte  des  Lebens  auf  Erden. 

Eine  Menge  von  weichen  Gewebetheilen  von  Pflanzen  und  Thieren  sind  zur 
fossilen  Erhaltung  so  gut  wie  gar  nicht  geeignet.  Weiches  Zellgewebe  (Parenchym) 
der  I'flanzen,  weiche  Häute  und  Eingeweide  der  Thiere  fallen  rasch  der  Zer- 
setzung anheim,  Haut  und  Haare  folgen  ihnen  in  den  meisten  Fällen  wenige 
Jahre  später  nach.  Es  ist  auch  kein  Zweifel,  dass  in  den  älteren  geologischen 
Ej)ochen  zahllose  Pflanzen-  und  Thierarten  im  Wasser  und  auf  dem  Festlande 
gelebt  haben,  von  denen  sich,  da  ihre  Gewebe  nur  aus  weicher,  leicht  zer- 
flicHKcndcr  Materie  bestanden,  keine  Spur  erhalten  hat.  Dies  gilt  z.  B.  von  den 
Na<!ktschnccken,  den  Milben,  den  meisten  Seequallen,  den  Infusorien  u.  s.  w. 
Viele  Ordnungen  der  Pflanzen-  und  Thierwelt  sind  daher  aus  den  älteren 
Epochen  entweder  gar  nicht  bekannt,  oder  es  haben  sich  von  ihnen  nur  in  sehr 
Hj)ärlichcn  Fällen  und  unter  der  Gunst  besonders  geeigneter  Erhaltungs- 
bcdingungen  deutliche  Reste  oder  auch  nur  dürftige,  unerhebliche  Andeutungen 
erhalten  können. 

Ein  Beispiel  geben  die  Milben,  Spinnen,  Fliegen  u.  s.  w.  Man  kennt  aus 
den  sandigen,  thonigen  und  kalkigen  Ablagerungen  der  verschiedenen  geo- 
logischen Epochen  entweder  keine  Spur  oder  doch  nur  äusserst  selten  erkenn- 
bare Ueberbleibsel  von  solchen  zarten  und  rasch  der  Zerstörung  anheimfallenden 
Organismen.  Sie  haben  zur  Zeit  dieser  Ablagerungen  sicher  in  grosser  Zahl 
schon  gelebt,  sind  aber  wieder  verschwunden,  ohne  Reste  zu  hinterlassen.  Anders 
ist  es  schon  in  gewissen  feinerdigen  blättrigen  Braunkohlenschichten  (Blätter- 
kohlen, Papierkohlen).  Hier  finden  wir  schon  in  günstigen  Fällen  einzelne  Reste 
von  Spinnen  und  Fliegen.  Noch  günstiger  lagen  die  Bedingungen  der  Er- 
haltung im  Bernstein  und  aus  diesem  kennen  wir  eine  reichliche  Fauna  von 
Spinnen,  Milben  und  'Fliegen.  Aber  die  Erhaltung  der  Insekten  im  Bernstein 
gehört  nur  einer  einzigen  von  den  zahlreichen  Schichtengruppen  an,  welche  die 
Reihenfolge  der  geologischen  Bodenbildungen  darstellen. 

In  zahlreichen  anderen  Fällen  haben  sich  feste  zur  fossilen  Erhaltung  ge- 
eignete Körpertheile  oder  Umhüllungen,  Gehäuse  u.  s.  w.  in  mancherlei  sandigen, 
thonigen  oder  kalkigen  Ablagerungen  in  mannigfachen  Formen  und  oA  in  zahl- 
losen Exemplaren  abgesetzt  und  forterhalten.  Aber  oft  sind  diese  erhaltenen 
festen  Theile  von  solcher  Art,  dass  sie  üb^r  Bau  und  Verrichtungen  des  ehe- 
maligen Lebewesens  nur  kärgliche  Aufschlüsse  zu  gewähren  vermögen.  Dies 
gilt  namentlich  von  den  Conchylien  oder  harten  Gehäusen  der  Mollusken,  die 
oft  mächtige  Lager  in  der  Reihenfolge  der  geschichteten  Formationen  darstellen 
und  überhaupt  vorzugsweise  in  überraschender  Mannigfaltigkeit  der  Formen, 
namentlich  in  Meeresabsätzen,  fossil  auftreten.  Aber  von  der  Organisation  der 
Thiere,  denen  sie  entstammen,  vermögen  sie  im  Allgemeinen  nur  geringe  Auskunft 
zu  gewähren  und  lassen  viele  Einzelnheiten  des  Baus  derselben  in  Zweifel. 

In  anderen  Fällen  sind  die  zur  fossilen  Erhaltung  geeigneten  festen  Theile  der 
Organismen,  namentlich  das  der  grossen  Mehrzahl  der  Wirbelthiere  zukommende 
Knorhenskelett  und  Gebiss  zwar  reich  an  bezeichnenden  für  Verfolgung  von  Bau 
und  Verrichtungen  wohlgceigncten  Merkmalen.     Aber  die  dem  besonderen  gco- 


Allgemeine  Einleitung  in  die  Palaeontologie.  3 

logischen  Vorkommen  entsprechenden  Erhaltungsbedingungen  haben  meist  einen 
guten  Theil  dieses  Vorzugs  wieder  aufgehoben,  indem  siie  zu  einer  Zerstreuung 
der  zusammengehörigen  Theile  führten.  Wenige  Skelette  finden  sich  in  voll- 
ständigem Zusammenhang,  am  häufigsten  noch  bei  Fischen,  viel  seltener  bei 
Reptilien  und  Säugethieren. 

In  der  Regel  finden  sich  Knochen  und  Zähne  nur  vereinzelt.  Der  eine 
Fund  ergiebt  einen  Schädeltheil,  ein  anderer  Rückgratstücke,  ein  dritter  nur  Bein- 
cxier  Fuss-Knochen.  Von  Walen  kennt  man  oft  nichts  weiter  als  das  Felsenbein 
(os  petrosum  oder  iympanicutn) ,  also  den  dichtesten  Schädelknochen.  Von  Hai- 
fischen kennt  man  gewöhnlich  nur  zerstreute  Zähne  und  Flossenstacheln  (Ichthyo- 
dorulithen).  Dann  müssen  die  Untersuchungen  der  vereinzelten  Stücke  sich  ein- 
ander ergänzen.  Allgemeine  Grundsätze  der  vergleichenden  Anatomie  treten  in 
Anwendmig,  um  über  die  Zusammengehörigkeit  der  getrennten  Fundstücke  zu 
entscheiden.  Und  dabei  sind  oft  Fehlgriffe  nicht  zu  vermeiden,  deren  Nach- 
wirkungen auf  einen  oder  den  anderen  Theil  der  Wissenschaft  sich  zuweilen  Jahr- 
zehnte lang  forterhalten,  bis  ein  besserer  Fund  bessere  Aufschlüsse  bringt. 

So  gleichen  die  Zähne  des  pflanzenfressenden  Iguanodon  in  dem  Grade  den 
Zähnen  mancher  grasfressenden  Säugethiere,  namentlich  denen  des  Rhiuoceros, 
dass  der  Meister  in  vergleichender  Anatomie,  Cuvier,  die  ersten  ihm  zu  Gesicht 
gekommenen  Iguanodon-Zähne  für  Rhinoceros-Zähne  nahm.  Aber  bald  stellten 
bessere  Funde  eine  andere  Herkunft  heraus. 

Eine  andere  Unvollständigkeit  des  geologischen  Archivs  beruht  auf  dem 
Gegensatz  von  Ocean  und  Festland,  der  vielleicht  schon  so  alt  ist,  wie  die 
erste  Entstehung  lebender  Wesen  und  sich  durch  die  ganze  Reihe  der  Epochen 
fortzieht 

Während  die  grösste  Masse  der  geologischen  Formationen  aus  Meeresabsätzen 
mit  mehr  oder  minder  reichlichem  .Einschluss  von  Meeres-Algen  und  mancherlei 
Formen  von  Meeres-Thieren  hervorging,  treten  Süsswasser-Absätze  und  Festland- 
Schichten  gewöhnlich  nur  in  dünnen  Zwischenschichten  auf.  Sie  erscheinen  mit 
grösserer  Mächtigkeit  nur  in  der  Steinkohlen-Formation,  in  der  Wealden-Formation 
und  in  gewissen  Theilen  der  Tertiärformation.  Es  findet  das  in  der  Jetztwelt  noch 
seine  Erklärung  darin,  dass  Binnenseen  und  Torfmoore  im  Verhältniss  zum  Ocean 
nur  einen  sehr  geringen  Theil  der  Erdoberfläche  einnehmen.  Aehnlich  wird  auch 
das  Verhältniss  in  den  verschiedenen  Perioden  der  Urwelt  gewesen  sein. 

Wir  kennen  in  Folge  dieses  Gegensatzes  von  Ocean  und  Festland  bald  nur  die 
meerischen,  bald  auch  mit  Sicherheit  nur  die  festländischen  Absätze  eines  gewissen 
Theils  einer  geologischen  Epoche.  In  der  Regel  herrschen  die  ersteren  vor  und 
oft  haben  wir  daher  reichliche  Kenntniss  von  der  ehemaligen  Bevölkerung  des 
Meeres,  während  aus  der  gleichen  Epoche  vom  Festland  und  Süsswasser 
mit  ihrer  besonderen  Flora  und  Fauna  uns  wenig  oder  gar  nichts  bekannt 
geworden  ist. 

Ueberhaupt  ist  im  ganzen  Bereiche  der  Palaeontologie  der  Betrag  von  dem, 
wras  wir  wissen,  noch  gering  gegen  den  Betrag  dessen,  was  noch  zu  erforschen 
bleibt  Viele  vorweltlichen  Organismen  gelangten  nicht  zur  fossilen  Erhaltung 
in  Gesteinsablagerungen.  Aber  auch  viele  Ablagerungen  wurden  nachträglich 
wieder  abgespült  und  noch  andere  sind  uns  durch  spätere  Auflagerungen  ent- 
zogen oder  liegen  unter  dem  Ocean  verborgen,  der  etwa  \  der  Oberfläche  unseres 
Planeten  einnimmt 

Die  Palaeontologie    stützt    sich   einerseits  auf  die  Geologie  in  allen  ihren 


4  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Verzweigungen,  andererseits  auf  Botanik  und  Zoologie,  auf  Anatomie  und 
Physiologie,  auf  Pflvizen-  und  Thiergeographie.  Sie  benützt  alle  diese 
Hilfswissenschaften  bald  mehr,  bald  minder  eingehend,  je  nachdem  die  Art  der 
fossilen  Funde  eine  tiefere  Forschung  erlaubt  oder  erheischt.  Sie  wirkt  aber  in 
demselben  Grade  auch  ergänzend  und  umgestaltend  auf  ihre  Hilfswissenschaften 
wieder  ein  und  verbindet  überhaupt  die  sonst  getrennten  Doctrinen  in  erfolg- 
reichster Weise.  Damit  wächst  —  trotz  aller  Lücken  des  geologischen  Archivs  — 
die  Bedeutung  der  Palaeontologie  fiir  die  Erkenntniss  der  Vorgänge  und  Gesetze 
der  allgemeinen  Lebewelt  ins  Unbegrenzte  und  Unabsehbare,  wie  es  denn  über- 
haupt eine  häufige  Erfahrung  ist,  dass  die  Verknüpfung  benachbarter,  aber  bisher 
getrennt  gebliebener  Doctrinen  die  raschesten  Fortschritte  der  Wissenschaft  mit 
sich  bringt. 

Bei  diesem  weit  verzweigten  Zusammenhang  der  Palaeontologie  mit  allen  den 
Bau  und  die  Geschichte  der  Erde  —  den  Bau,  die  Verrichtungen  und  den  ge- 
gesammten  Lebensgang  der  Pflanzen-  und  Thierbevölkerung  unseres  Planeten  von 
ihrem  ersten  geologisch  constatirten  Anfang  bis  zum  Stande  der  Dinge  des 
heutigen  Tages  —  behandelnden  Fächern  der  Naturwissenschaft  wächst  denn  auch 
die  Aufgabe  der  Palaeontologie  wieder  nach  allen  den  Richtungen,  aus  denen 
sie  Unterstützung  bezieht.  Aber  es  wächst  auch  damit  die  Gefahr,  mit  der  Deu- 
tung ihres  mehr  oder  minder  unvollständigen  Materials  die  Grenzen  der  sicheren 
Schlussfolgerung  zu  überschreiten,  z.  B.  Analogien  mit  Affinitäten  zu  ver- 
wechseln und  daraufhin  aus  äusserlicher  Aehnlichkeit  zweier  Erscheinungen  eine 
innere  Verwandtschaft  zu  statuiren,  die  schliesslich  —  mit  wachsender  besserer 
Erkenntniss  —  in  anderen  Regionen  gefunden  wird.  Die  Geschichte  der  Palaeon- 
tologie ist  reich  an  solchen  Fehlgriffen,  aber  auch  reich  an  Ausmerzungen  ver- 
fehlter Hypothesen. 

Die  erste  Aufgabe  der  Palaeontologie  ist  demnach  die  Ermittelung  der  Reste 
ehemaliger  Pflanzen-  und  Thierarten  der  verschiedenen  geologischen  Epochen,  die 
Beziehung  spärlich  erhaltener  Stücke  des  Pflanzen-  und  Thierköq^ers  auf  das  mehr 
oder  minder  erschliessbare  in  fossiler  Erhaltung  nicht  vorliegende  Ganze  desselben, 
die  Einbeziehung  derselben  in  das  System  der  heutigen  Lebewelt  und  die  Er- 
gänzung dieses  letzteren  zur  schliesslichen  Gesammt-Umfassung  aller  von  jeher 
vertreten  gewesenen  Formen  des  Lebens.  Schon  diese  erste  Aufgabe  ist  in  ihrer 
Ganzheit  unerreichbar.  Aber  auch  schon  der  theilweise  Fortschritt  fuhrt  mit 
jedem  neuen  Anlauf  zu  mancherlei,  bald  hier  bald  da  mächtig  eingreifenden  Er- 
folgen. Vieles  in  diesem  fortschreitenden  Gang  verfällt  nach  besseren  Funden 
früher  oder  später  wieder  der  Ausmerzung  und  der  Neubau  leidet  fortwährend 
durch  die  Ruinen  kaum  erst  aufgeführter  Bautheile.  Glückliche  neue  Funde 
machen  alsbald  ganze  Capitel  unserer  Lehrbücher  zu  veralteter  Literatur. 

Eine  zweite  Aufgabe  der  Palaeontologie  ist  die  Ermittelung  der  Beziehungen 
der  fossilen  Pflanzen-  und  Thierreste  zur  geotektonischen  und  chronologischen 
P'olge  der  im  Meer,  in  Binnensee'n  und  auf  dem  Festland  seit  den  ältesten  geo- 
logischen Zeiten  vor  sich  gegangenen  Bodenabsätze  —  und  die  Einordnung  der 
einen  mit  Hülfe  der  anderen  in  das  chronologisch  geordnete  System  der  strati- 
grapliischen  Geologie,  welche  erstlich  in  besonderen  Schichten  besondere  fossile 
Organismen  aufzählt,  und  zweitens  vereinzelt  abgelagerte  Schichten  auf  Grund 
von  theilweiser  oder  vollständiger  Ueberein Stimmung  ihrer  Pflanzen-  und  Thierreste 
in  den  synchronistischen  Verband  einschaltet.  Auch  diese  Aufgabe  bietet  mancher- 
lei Klippen. 


Allgemeine  Einleitung  in  die  Palacontologie.  5 

Eine  Anzahl  weit  von  einander  abgelagerter  Schichten  können  einer  und  der- 
selben Epoche  angehören  und  völlig  gleichzeitiger  Entstehung  sein,  aber  unter 
sehr  verschiedenen  Bedingungen  sich  abgelagert  haben  und  daher  auch  sehr 
verschiedene  Pflanzen-  und  Thierreste  beherbergen.  Die  eine  Ablagerung  kann 
im  Meer,  die  andere  in  einem  Süsswassersee,  die  dritte  in  einem  festländischen 
Morast  entstanden  sein.  Die  Fossil-Einschlüsse  weichen  dann  gewöhnlich  sehr  ab. 
Es  wird  dann  oft  schwer,  ihre  Gleichzeitigkeit  darzuthun  und  öfter  scheitert  bei 
Dürftigkeit  oder  völligem  Mangel  der  Fossil-Einschlüsse  jede  Bemühung.  Aber 
der  Fund  von  einem  oder  dem  anderen  Gehäuse  einer  Schneckenart  —  oder  dem 
Gebiss  eines  Wirbelthieres  —  oder  dem  Holz  oder  Laubwerk  derselben  Land- 
pflanzen-Vegetation in  den  räumlich  getrennten  und  verschieden  gearteten  Ab- 
Ligerungen  genügt,  die  Gleichzeitigkeit  darzulegen  und  den  getrennten  Ab- 
lagenmgen  die  richtige  Stelle  im  System  des  Ganzen  anzuweisen.  Die  Ver- 
steinerungen spielen  in  dieser  Hinsicht  die -Rolle  der  Münzen  und  Inschriften, 
die  der  Alterthumsforscher  aus  den  Ruinen  verschütteter  Städte  ausgräbt  und  zur 
Zettbestimmung  benutzt. 

So  erweist  sich  z.  B.  das  sogenannte  »ewige  Eis«  —  richtiger  der  gefrorene 
Boden  —  des  nördlichen  Sibiriens  als  wesentlich  gleichzeitig  mit  einem  Theile 
des  Lehms  oder  Lösses  von  Mittel-Europa  auf  Grund  des  gemeinsamen  Vor- 
kommens des  sibirischen  Mammuths  (Elephas  primigenius  Blum.)  und  des  sibirischen 
Nashorns  (Rhinoceros  tichorhinus  Cuv.).  Die  Reste  derselben  im  deutschen  Löss 
sind  aber  mürb  und  stark  zersetzt,  während  das  Eis  Sibiriens  darin  noch  die 
organische  Substanz,  bisweilen  auch  Haut  nnd  Haar  conservirt  hat. 

Aus  der  Aufeinanderfolge  der  geologischen  Schichtenreihe  und  der  in  dieser 
aufbewahrten  mit  der  Schichtenablagerung  gleichzeitigen  Pflanzen-  und  Thierreste 
erwächst  femer  der  Palaeontologie  die  Aufgabe  einer  Geschichtsschreibung  des 
organischen  Lebens  auf  Erden  von  der  Ablagerung  der  ältesten  fossilführenden 
Schichten  an  bis  zur  Schwelle  des  geschichtlichen  Zeitalters. 

Die  Faunen  und  Floren  der  geologischen  Reihen  bilden  mit  diesen  zusammen 
chronologische  Reihen  mit  gewissen  Verschiedenheiten  und  gewissen  Ueberein- 
stimmungen,  die  zusammen  eine  stetig  fortlaufende  Umbildung  und  vielfach  auch 
eine  höher  ansteigende  Ausbildung  der  Lebensformen  ergeben.  Damit  machen 
sich  Stammbäume  und  mannigfache  Verzweigungen  geltend. 

So  fehlen  den  Ablagerungen  der  ältesten  geologischen  Epochen  noch  alle 
und  jede  Vertreter  des  Wirbelthierreichs.  Dann  erscheinen  die  ersten  Fische. 
Bald  folgen  auch  Amphibien  und  Reptilien.  Erst  später  ~  spärlich  und  zerstreut 
—  treten  auch  die  ersten  Funde  von  Vögeln  und  Säugethieren  auf,  dann  aber 
folgen  beide  letzteren  Klassen  und  zwar  besonders  von  den  unteren  Tertiär- 
schichten an  in  reichlicher  Fülle  der  Familien,  Gattungen  und  Arten,  bisweilen 
auch  der  Individuen.  Zuletzt  erscheint  auch  der  Mensch  —  die  am  höchsten 
organisirte  Form  des  Lebens,  aber  offenbar  auch  als  Abzweigung  aus  einem 
älteren  Stammbaum. 

Das  Wirbelthierreich  ergiebt  also  im  Verlaufe  der  geologischen  Epochen  eine 
Reihenfolge  von  zunehmender  Organisationshöhe.  Dieselbe  Erscheinung  zeigt 
sich  auch  bald  mehr  bald  minder  auffallig  in  manchen  anderen  Verzweigungen  der 
Pflanzen-  und  Thierwelt.  Gewöhnlich  ändern  in  den  Stufen  der  Reihenfolge  die 
Arten  rasch  ab.  Die  Gattungen  reichen  Öfter  durch  mehrere  Epochen,  eine 
Brachiopoden-Gattung,  Lingula,  reicht  vielleicht  selbst  von  der  ältesten  fossil- 
fiihrcnden  Schichte  im  cambrischen  System  ununterbrochen  bis  in  die  Meere  der 


6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Jetztwelt.     Das  Alles  sind  wohlausgeprägte  Erscheinungen,  die  eine  angemessene 
Erkläning  erheischen. 

Der  Palaeontologie  erwächst  damit  die  Aufgabe,  die  chronologische  Folge,  in 
welcher  Klassen  und  Ordnungen,  Familien,  Gattungen  und  Arten  der  Pflanzen- 
und  Thierwelt  im  Verlaufe  der  geologischen  Epochen  hervortauchen,  in  allen 
Einzelheiten  zu  verfolgen  —  Ursachen  und  Wirkungen  in  dieser  chronologischen 
Reihenfolge  der  Lebensformen  zu  ergründen  —  und  die  Lücken  des  geologisch- 
palaeontologischen  Archivs  nach  allgemein  gültigen  Grundsätzen  theoretisch  zu 
überbrücken. 

Auch  diese  Aufgabe  ist  —  angesichts  der  mangelhaften  Erhaltung  der  urwelt- 
lichen Pflanzen-  und  Thierformen  und  der  oft  um  so  mangelhafteren  Ermittelung 
der  Lebensbedingungen,  unter  denen  sie  gediehen  und  der  Lebensverrichtungen, 
mittelst  deren  sie  ihr  Dasein  erkämpften  und  ihre  Fortpflanzung  bewerkstelligten  — 
in  ihrer  Gesammtheit  unerreichbar.  Aber  auch  schon  der  bis  dahin  erreichte  Be- 
trag ergiebt  die  reichlichsten  Aufschlüsse  ftir  die  Erkenntniss  des  Zusammenhanges 
der  Lebensformen  auf  Erden  von  dem  einfachsten  einer  fossilen  Erhaltung  nicht 
fähigen  Lebewesen  an  bis  hinauf  zum  Menschen  und  von  dem  geologisch 
ältesten  Funde  von  Organismen  bis  zum  Beginn  der  geschichtlichen  Epoche. 

Für  die  chronologische  Aufeinanderfolge  vieler  Verzweigungen  der  Lebewelt 
ist  ein  Entwicklungsgang  erweisbar,  welcher  den  verschiedenen  Stufen  der  indivi- 
duellen Entwicklung  entspricht,  den  noch  heute  eine  Thierform  desselben  Zweiges 
vom  Ei  bis  zur  Reife  durchläuft. 

Hiermit  tritt  die  geologische  Entwicklungsgeschichte  einer  Lebensform  mit 
der  individuellen  der  heutigen  Vertreter  derselben  in  Parallele  und  die  Embry- 
ologie wird  damit  zu  einem  wichtigen  Ausgangspunkte  der  vergleichenden  Palaeon- 
tologie. 

Systematik  und  Entwicklungsgeschichte  der  lebenden  Pflanzen-  und  Thierwelt 
ergeben  uns  bereits  Reihenfolgen  vom  einfacheren  und  ursprünglicheren  zu 
einem  zusammengesetzteren  Bau  und  einer  reichlicheren  Ausstattung,  die  von  jeher 
in  die  Augen  gefallen  sind. 

Es  kann  dabei  auch  kein  Zweifel  sein,  dass  das  Einfachere  wirklich  das  Ur- 
sprünglichere ist,  das  Zusammengesetztere  und  reichlicher  organisirte,  —  die 
höhere  Organisation  —  erst  aus  ihm  hervorgeht  und  auch  von  jeher  aus  unvoll- 
kommnerer  die  vollkommnere  Stufe  hervorging.  Die  Entwicklungsgeschichte 
der  höheren,  d.  h.  reichlicher  zusammengesetzten  und  höher  organisirten  I^ebe- 
wesen  wiederholt  fortwährend  —  und  unter  unsem  Augen,  —  diesen  aufsteigenden 
Gang.  Sie  zeigt  uns,  dass  die  Nachkommen  eines  Lebewesens  unter  Conti- 
nuität  der  materiellen  Grundlage  nicht  nur  dieselben  Kräfte  und  Organe  fort- 
erben, sondern  dass  sich  auch  in  einer  ftir  jede  Art  feststehenden  Stufenfolge  die 
besonderen  dem  vollkommneren  Bau  und  den  vollkommneren  Lebensverrichtungen 
entsprechenden  Organe  ausbilden. 

Dieser  in  bestimmten  Stufen  aufsteigende  Entwicklungsgang  des  Einzelwesens 
ist  aber  offenbar  nichts  Anderes  als  ein  Nachklang  der  innerhalb  der  geologischen 
Epochen  vor  sich  gegangenen  Entwicklungsfolge  vom  einfacheren  und  ursprüng- 
lichen zum  zusammengesetzteren  und  höher  ausgebildeten  Bau.  Es  ist  ferner 
auch  aus  zahlreichen  Thatsachen  zu  entnehmen,  dass  sich  in  den  aufeinander- 
folgenden Entwicklungszuständen  der  heute  lebenden  Einzelwesen  im  Allgemeinen 
die  im  Verlaufe  der  geologischen  Epochen  vor  sich  gegangenen  Entwicklungs- 
stufen der  älteren  Vorfahren,  mit  denen  sie  die  Continuität  der  materiellen  Grund- 


I  Allgemeine  Einleitung  in  die  Palaeontologie.  7 

I  läge  verknüpft,    wiederholen  und  mehr  oder  minder  bestimmt  wieder  erkennen 

lassen.     In  manchen  Fällen  ist  dies  aus  fossilen  Funden  treffend  zu  belegen. 

So  durchläuft  bei  den  Wirbelthieren  die  Ausbildung  der  Wirbelsäule  eine 
Reihenfolge,  die  einerseits  im  Entwicklungsgang  des  einzelnen  Thieres  vom  Ei  zur 
Reife  sich  verfolgen  lässt,  andrerseits  in  der  geologischen  Folge  der  fossil  ge- 
fundenen Gattungen  und  Familien  bald  hier  bald  da  deutlich  hervortritt. 

Bei  allen  höheren  Wirbelthieren  und  beim  Menschen  ist  in  einer  der  frühesten 
Embryonal-Stufen  die  Körperachse  noch  durch  einen  einfachen  vorn  und  hinten 
zugespitzten  Knorpelstrang,  die  c hör  da  dorsaliSf  vertreten,  wie  dies  bei  den 
niedersten  Wirbelthieren  zeitlebens  der  Fall  ist  (z.  B.  bei  AmpMoicus  und  Myxitu). 
Um  diese  knorpelige  Achse  bildet  sich  erst  später  bei  den  höheren  Wirbelthieren 
die  gegliederte  Wirbelsäule  und  diese  tritt  nur  stufenweise  in  Verknöcherung, 
wobei  die  chorda  mehr  oder  minder  verdrängt  und  umgebildet  wird.  So  ist 
auch  die  Wirbelsäule  der  ältesten  fossil  auftretenden  Wirbelthiere  entweder  noch 
knorpelig  oder  erst  unvollkommen  verknöchert.  An  fossilen  Skeletten  vertritt  hier 
ihre  Stelle  meist  ein  leerer  Raum. 

Eine  Reihenfolge  in  der  Ausbildung  der  Wirbelsäule  *  ist  häufig  bei  fossilen 
Formen  zu  verfolgen. 

Sie  ist  z.  B.  bei  den  Krokodiliem  vom  Lias  bis  zur  Jetztwelt  ausge- 
sprochen. 

Die  älteste  Familie  derselben,  in  Lias  und  Jura  verbreitet,  sind  die  Ämphicoeli 
(AfyslriosauruSf  Tekosaurus)  mit  biconcaver  oder  amphicoeler  Wirbelbildung,  wie 
sie  bei  den  Fischen  und  den  fischartigen  Amphibien  herrscht  und  wie  sie  der 
Embryo  der  heutigen  höher  organisirten  Krokodile  vorübergehend  noch  durch- 
läuft. 

Aber  in  der  Kreide-Formation  beginnt  die  höher  stehende  Familie  der 
Crocodilii  procoeli  oder  prosthocoeli,  deren  Wirbel  wie  die  der  Säugethiere  an  der 
Vorderseite  concav,  an  der  Hinterseite  convex  sind.  Dahin  gehören  die  heute 
noch  lebenden  Gattungen  der  Krokodile,  während  die  Amphicoelier  längst  ausge- 
storben sind.  Es  erscheint  hier  also  eine  genealogische  Reihe  in  der  geologi- 
schen Aufeinanderfolge. 

Unter  den  fossilen  Formen  der  Pflanzen-  und  Thierwelt,  namentlich  in  den 
älteren  Formationen  findet  man  zahlreiche  CoUectiv-Typen  (generalized  forms) 
d.  h.  Formen,  welche  in  ihrem  Bau  Charaktere  zeigen,  die  bei  den  Verwandten 
in  den  späteren  Formationen  und  in  der  heutigen  Lebewelt  nicht  wieder  ver- 
einigt auftreten,  sondern  in  dieser  nur  noch  für  engere  Gruppen  bezeichnend  sind. 
I  Ein  bekanntes  Beispiel  eines  Collectiv-Typus  sind  die  thecodonten  Lacertilien 

des  permischen  Systems,  namentlich  der  sehr  vollständig  überlieferte  in  mehreren 
Skeletten  erhaltene  Frotorosaurus  Speneri  Mev.  des  Kupferschiefers  von  Thüringen. 

Es  ist  ein  nach  Art  der  echten  Eidechsen,  namentlich  der  Monitoren  be- 
schupptes Reptil.  Aber  die  Rtickgratbildung  und  die  Bezahnung  weicht  von  der 
der  Monitoren  und  aller  übrigen  heute  noch  lebenden  wahren  Eidechsen  ab. 
Die  Wirbel  der  Protorosauren  sind  noch  biconcav  wie  die  der  Fische  und  der 
fischartigen  Amphibien.  Die  Kiffern  aber  führen  in  Alveolen  eingekeilte  Zähne, 
wie  sie  heute  bei  Eidechsen  nicht  mehr,  wohl  aber  bei  Krokodilen  vorkommen. 
Man  schliesst  daraus,  dass  die  thecodonten  Lacertilien  des  permischen  Systems 
erstens  in  entlegener  Linie  von  Fischen  abstammen  und  zweitens,  dass  die  Nach- 
kommenschaft der  älteren  Formen  sich  in  zwei  heute  scharf  getrennte  Ordnungen 
—  Eidechsen  und  Krokodile  —  gesondert  hat. 


^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Jhcyc  Coilectiv-Typen  lassen  sich  embryonalen  Stufen  höherer  Typen  ver- 
f-rkrien-  Sie  sind  noch  allgemeinere  Ausdrücke  einer  gewissen  organischen 
f-onn,  Vorläufer  von  mehr  oder  weniger  auseinandertretenden,  erst  später  folgenden 
«^pecialisiiten  Typen.  Auch  die  Form  der  Embryonen  ist  anfangs  genereller 
Art  und  specificirt  sich  weiterhin  mit  wachsender  Ausbildung  und  erst  mit  der 
Reife  folgt  die  am  genauesten  specificirte  Form.  So  ist  das  menschliche  Ei 
wesentlich  dem  aller  anderen  Säugethiere  gleich.  In  den  späteren  Entwicklungs- 
stufen des  menschlichen  Embryos  treten  erst  die  genaueren  Charaktere  der 
Ordnung  und  der  Art  auf.  Im  dritten  Monat  unterscheidet  sich  der  menschliche 
Embrvo  noch  nicht  merklich  von  dem  der  nächst  verwandten  Affen.  Erst  im 
vierten  oder  fünften  Monat  seines  Alters  hat  der  Mensch  die  mit  den  Affen  ge- 
meinsame Embryonalstufe  znrtickgelegt  und  überwunden. 

Dies  alles  ergiebt  bedeutsame  Parallelen  für  die  richtige  Erfassung  der  geo- 
logisch-palaeontologischen  Entwickelungsgeschichte  der  gesammten  Lebewelt. 

Auch  das  geistige  Leben  auf  Erden  hat  in  der  Reihenfolge  der  geologischen 
Formationen  zugenommen,  \vie  das  Grössen- Verhältniss  des  Gehirns,  des  Haupt- 
trägers der  Geistesverrichtungen  der  Thierwelt  erkennen  lässt. 

Die  Reptilien,  die  bis  zum  Schluss  der  Kreide-Epoche  an  Mannigfaltigkeit 
der  Formen  und  an  Körpergrösse  die  unbestrittene  Hegemonie  behaupten,  stehen 
in  relativer  Grösse  und  besonderer  Ausbildung  des  Gehirns  den  Säugethieren 
nach,  die  erst  später  vereinzelt  auf  dem  geologischen  Schauplatz  hervortreten  und 

—  soviel  bis  jetzt  bekannt  —  erst  mit  Beginn  der  Tertiär-Epoche  —  als  Nach- 
folger der  Reptilien  die  Hegemonie  antreten. 

Auch  unter  den  Säugethieren  giebt  sich  ein  ähnliches  Verhältniss  kund.  Die 
Beutel thiere  fMarsußia/ia,  Didelphen),  die  in  spärlichen  Resten  kleinerer  Arten 
schon  für  die  Zeit  der  Ablagerung  des  Keuper-  oder  Lias-Bonebeds  und  die 
ganze  jurassische  Epoche  nachgewiesen  sind,  stellen  noch  in  ihren  heute  leben- 
den Gattungen  und  Arten  eine  Abtheilung  mit  unvollkommenerer  Ausbildung  des 
Gehirns  dar,  als  die  placentalen  Säugethiere  oder  Monodelphen,  die  vom  Beginn 
der  Tertiär-Epoche  an  nach  Formen-Mannigfaltigkeit  und  Körpergrösse  die  Haupt- 
rolle spielen.    Erst  spät  —  zu  Anfang  der  pleistocäiien  Epoche  oder  bald  darnach 

—  folgt  in  Europa  und  zwar  vermuthlich  als  Einwandrer  aus  Asien  oder  Afrika 
der  Mensch  mit  der  höchsten  Ausbildung  (Verschiedentlichung  und  Vervoll- 
kommnung) des  Gehirns  und  des  auf  dieses  gegründeten  Geisteslebens. 

Während  so  die  übereinander  abgelagerten  fossilführenden  Schichten  der 
geologischen  Formationen  uns  stufenweise  die  Aufeinanderfolge  zusammenge- 
setzterer, höher  organisirter  Lebewesen  des  Pflanzen-  und  Thierreichs  erkennen 
lassen,  sind  wir  berechtigt,  in  ihnen  auch  die  successiven  Stufen  der  Entwicklung 
des  organischen  Lebens  unter  steter  Continuität  der  materiellen  Grundlage  an- 
zunehmen. Die  Palaeontologie  würde  dann,  wenn  ihr  Archiv  vollständig  wäre, 
den  Stammbaum  der  organischen  Formen  des  Lebens  in  allen  seinen  Ver- 
zweigungen ergeben.  Ihr  Archiv  ist  aber  keineswegs  vollständig  und  wird  es 
auch  nie  werden.  Es  lässt  uns  namentlich  über  den  ersten  Ursprung  des  orga- 
nischen Lebens  im  Dunkeln  und  wir  können  dies  nur  durch  die  Annahme  er- 
gänzen, dass  die  ursprünglichsten  Formen  des  Lebens  weiche,  leicht  zersetzbarc 
und  zu  fossiler  Erhaltung  nicht  geeignete,  zudem  mikroskopisch  kleine  Organismen 
waren.  Aber  auch  auf  dem  günstigsten  Felde  geologischer  Erhaltung  lässt  unser 
Archiv  die  mannigfachsten  Lücken  bald  in  Bezug  auf  einzelne  Organe  urwelt- 
licher  Lebensformen,  bald  für  ganze  Gesellschaften  von  Pflanzen  und  Thieren,  die 


Allgemeine  Einleitung  in  die  Palaeontolngie.  9 

unzweifelhaft  die  Erdoberfläche  bewohnten,  aber  in  den  bis  auf  unsere  Zeit  erhal- 
tenen Ablageningen  nicht  vertreten  erscheinen. 

Die  Palaeontologie  muss  daher,  um  ihr  Gebäude  zu  ergänzen,  immer  wieder 
auf  die  Systematik  und  Entwicklungsgeschichte  der  lebenden  Pflanzen-  und  Thier- 
welt  zurückgreifen  und  ist  daher  auch  nicht  im  Stande  sich  jemals  von  Hypo- 
thesen ganz  unabhängig  zu  machen. 

Ein  anderes  wichtiges  Feld  der  Forschung  eröffnet  sich  der  Palaeontologie 
mit  der  Einbeziehung  der  Pflanzen-  und  Thier-Geographie  der  heutigen  Zeit 
und  der  älteren  geologischen  Epochen  einerseits,  —  des  vielfach  wiederholten 
Wechsels  der  Gestaltung  von  Meer  und  Festiand  und  der  gleichzeitigen  fort- 
schreitenden Abkühlung  des  Erdkörpers  andrerseits. 

Die  Geologie  zeigt  uns,  wie  im  Laufe  der  geologischen  Epochen  Meeres- 
gebiet und  Festland  häufig  gewechselt  hat,  bald  in  sanften  und  häufigen  Oscilla- 
tionen,  deren  Betrag  wir  zuweilen  örtlich  noch  zu  ermitteln  im  Stande  sind,  bald 
in  heftigen  Gegensätzen,  deren  näheren  Verlauf  wir  überhaupt  noch  nicht  er- 
messen können. 

Meerische  Tiefseebildungen,  wie  der  Dachsteinkalk  der  Alpen,  stellen  jetzt 
steile  Rücken  und  Gipfel  des  Hochgebirges  dar.  Andrerseits  ziehen  sich  an  der 
Küste  von  England  und  Frankreich  Morastbildungen  mit  Wurzelstöcken  von 
Waldbäumen  —  das  Forest-Bed  der  Engländer  mit  den  sogen,  untermeerischen 
Waldungen  —  weit  unter  dem  heutigen  Spiegel  der  Nordsee  hinab  und  das  Netz 
des  Fischers  bringt  daraus  nicht  selten  Schädel  und  Gebeine  des  Ur  und  seiner 
Zeitgenossen  vom  Meeresboden  herauf. 

So  hat  Meer  und  Festland  mannigfach  im  Laufe  der  geologischen  Epochen 
um  den  bleibenden  Meeresspiegel  geschwankt  und  die  heutige  Continental- 
Gestaltung  ist  nur  die  Summe  einer  grossen  Reihe  von  Umgestaltungen,  deren 
Einzelheiten  erst  wenig  ermittelt  sind  und  die  noch  lange  die  Forscher  beschäftigen 
werden. 

Hebungen  und  Senkungen  des  scheinbar  festen  und  unerschütterlichen  Erd- 
bodens sind  noch  jetzt  dem  Meeresstrand  entlang  an  zahlreichen  Stellen  in  all- 
mählichem Verlaufe  zu  beobachten  und  haben  offenbar  von  jeher  auf  Erden 
gewechselt.  Sie  haben  ihren  Einfluss  auf  die  Pflanzen-  und  Thierwelt  von  Festland 
und  Meer  in  mannigfacher  Weise  geäussert  und  die  Untersuchung  dieser  Verläufe 
fällt  theilweise  in  das  Gebiet  der  Palaeontologie. 

Es  ist  dabei  als  sicher  zu  nehmen,  dass  während  aller  Hebungen  und 
Senkungen,  welche  der  starre  Felsboden  erlitt,  der  Ocean  seinen  in  geringen 
Maassen  fortwährend  schwankenden,  im  grossen  Durchschnitt  aber  in  gleicher 
Höhe  verharrenden  Spiegel  fortbehauptete  und  dass  sein  heutiger  Stand  einen 
festen  Pegel  für  Abmessung  aller  der  Schwankungen  abgiebt,  die  auf  dem  Meeres- 
boden und  auf  dem  Festland  vor  sich  gingen.  So  ist  für  den  Geologen  das 
Meer  eine  feste  unveränderliche  Schicht,  der  starre  Felsboden  des  Festlandes 
aber  ein  bewegliches  Element,  das  in  allmählichem  Verlaufe  und  fiir  die  Dauer 
vieler  Jahrtausende  bald  auf,  bald  ab  steigt. 

Mächtige  Schichtenfolgen  von  Kalkstein,  Mergel,  Schieferthon  und  Sandstein, 
welche  hohe  Gebirge  zusammensetzen,  in  den  Alpen  8000  und  10 000  Fuss 
Meereshöhe  erreichen,  im  Himalaya  noch  höher  ansteigen,  verkünden  durch  ihre 
Einschlüsse  von  Ueberresten  ehemaliger  Meeresbewohner  und  namentlich  Meeres- 
Conchylien  —  die  Ablagenmg  aus  früheren  Meeresbecken  und  die  nachmalige 
Emportreibung  des  Meeresbodens  zu  hohen  Gebirgsmassen  —  wahrscheinlich  in 


lo  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

P'olge  der  allmählichen  Abkühlung  und  Zusammenziehung  der  Erdrinde,  die  sich 
besonders  in  Falten-Aufwürfen,  aber  auch  wohl  in  Einsenkung  langer  und  breiter 
Prismen  des  Erdkörpers  äusserte. 

Im  Hügellande  sind  diese  Anzeichen  mannigfachen  Wechsels  von  Unter- 
tauchung einer  und  derselben  Gegend  unter  den  Meeresspiegel  und  nachmaliger 
Emi)orhebung  üb6r  dessen  Niveau  noch  viel  reichlicher  und  Wechsellagerungen 
von  Meeresabsätzen  mit  Schichten,  die  in  Morästen  und  Süsswassersee'n  des 
Festlandgebiets  entstanden,  eine  allgemein  verbreitete  Erscheinung. 

Mit  dem  Verfolgen  der  über  einander  gelagerten  —  bald  aus  dem  Meer, 
bald  auf  continentalem  Boden  abgesetzten  —  Schichten  des  heutigen  Festland- 
gebiets sehen  wir  sowohl  in  Meeres-  als  in  Süsswasser-Absätzen  ältere  Pflanzen- 
und  Thierarten  verschwinden,  neue  Arten  auftreten,  bald  vereinzelt,  bald  in  grossen 
Gesellschaften.  Dabei  nähert  sich  mehr  und  mehr  der  Charakter  der  Pflanzcn- 
und  Thierwelt  jener  des  heutigen  Tages  und  von  einer  gewissen  Grenze  an 
erscheinen  auf  europäischem  —  in  ähnlicher  Weise  auf  amerikanischem  —  Boden 
auch  die  Säugethierarten  des  Festlandes,  die  das  betreffende  Continental-Gebiet 
noch  heute  bewohnen. 

Offenbar  sind  diese  in  einer  neuen  Bodenablagerung  zum  ersten  Mal  im 
geologischen  Archiv  auftauchenden  Ankömmlinge  keine  neuen  Erzeugnisse  aus 
unbelebter  Materie,  keine  neu  erschaffenen  Wesen  —  sondern  eher  Einwanderer 
aus  anderen  Gegenden  der  Erdoberfläche,  in  denen  sie  sich  aus  anderen  aber  nahe 
verwandten  Arten  hervorbildeten.  Und  vielfach  mögen  sie  aus  alten  Festland- 
gebieten stammen,  die  seither  wieder  unter  den  Meeresspiegel  eingesunken  sind. 

Mit  dem  Wechsel  in  der  Vertheilung  von  Festland  und  Meer,  der  allmählichen 
Abkühlung  der  Erdrinde  und  der  entsprechenden  Verschiedentlichung  der  ört- 
lichen Klimate  hpt  also  auch  ein  mannigfacher  Wechsel  in  der  Pflanzen-  und 
Thierbevölkerung  stattgefunden  und  es  erwächst  damit  für  die  Palaeontologie  die 
schwierige  Aufgabe,  zu  unterscheiden,  welcher  Betrag  in  der  Aenderung  der 
Lebewelt  auf  Rechnung  der  äusseren  Einflüsse  innerhalb  eines  gegebenen  Gebiets 
zu  setzen  ist  und  was  davon  auf  Einwanderung  einer  fremden  Flora  und  Fauna 
auf  neu  eröffneten  Verbindungswegen  —  z.  B.  neu  aufgetauchten  Isthmen  — 
beruhen  mag. 

Australien  bietet  ein  Beispiel  des  ersteren  Falles.  Dieser  Continent  ist  seit 
langer  Zeit  —  vielleicht  seit  der  Jura-,  vielleicht  seit  der  Kreide-Epoche  —  von 
allen  andern  Festländern  getrennt  geblieben.  Seine  Säugethier-Fauna  besteht  — 
ausser  zugeflogenen  Chiropteren  —  nur  aus  weiter  fortgebildeten  Abkömmlingen 
einer  Beuteltliier-Fauna,  die  in  der  Jura-Epoche  Europa  und  Nord-Amerika,  viel- 
leicht überhaupt  alle  Continente  jenes  Zeitalters  bevölkerte. 

Mit  dem  Wechsel  der  Gestaltung  von  Festland  und  Meer,  hat  aber  gleich- 
zeitig in  anderen  Fesdand-  und  Inselgebieten  auch  das  Verbreitungsgebiet  der 
Pflan/en-  und  Thierwelt  sich  zu  wiederholten  Malen  geändert  und  jede  solche 
Verandening  machte  sich  auch  zugleich  in  Eröffnung  neuer  Einwanderungen  und  in 
mehr  inicr  minder  tief  eingreifender  Umgestaltung  der  Lebensbedingungen  geltend. 

Festländer  wurden  durch  Senkungen  in  Inselgebiete  getrennt,  Inselgebiete 
dunli  spätere  Hebungen  wieder  mit  anderen  Festlandgebieten  zusammengefügt. 
1  >amit  war  der  Ansti)ss  /u  mancherlei  Wanderungen  und  weiteren  Umgestaltungen 
der  Laiuhhiortamwi  gegeben. 

In  grossem  Mnssstnbe  tritt  dies  namentlich  in  der  I.and-Fauna  von  Amerika 
hervor. 


Allgemeine  Einleitung  in  die  Palaeontologie.  II 

Nord- Amerika  zeigt  von  der  älteren  Tertiär-Epoche  aneineLandthierbevölkening 
von  einem  cirkumpolaren  Charakter,  der  einen  damaligen  Festlandverband  von 
Europa,  Asien  und  Nord-Amerika  verkündet.  So  erscheinen  schon  in  den  älteren 
oder  eocänen  Tertiärschichten  von  Nord-Amerika  Hufthiere,  Raubthiere  u.  s.  w. 
die  denen  der  gleichzeitigen  Tertiärbevölkerung  von  Europa  sehr  nahe  stehen, 
z.  Th.  dieselben  Gattungen  erkennen  lassen. 

Noch  ausgeprägter  tritt  dies  Verhältniss  in  der  späteren  Zeit  der  Vereisung 
des  Nordpolargebietes  hervor.  Ein  oft  genanntes  Beispiel  ist  der  Fund  des 
amerikanischen  Moschusochsen,  musc-ox  (Bos  moschatus  Lin.)  auf  dem  Kreuzberg 
bei  Berlin,  dem  seither  andere  Funde  derselben  Art  bei  London  und  in  Frank- 
reich folgten.  Der  musc-ox  bewohnt  heute  nur  noch  den  äussersten  Norden  von 
Nord-Amerika,  so  weit  überhaupt  nur  die  Vegetation  noch  Nahrung  für  Heerden 
grosser  Vierfüsser  bietet. 

Aber  in  beiläufig  derselben  Epoche  tritt  eine  ganz  anders  geartete  Landthier- 
bevölkerung,  in  welcher  Eden  taten,  reich  an  Gattungen,  Arten  und  Individuen 
vertreten  sind,  in  Süd-Amerika  in  den  Vordergrund  und  ihre  Abkömmlinge  sind 
noch  heute  bezeichnend  für  die  Lebewelt  dieses  Gebietes.  Sie  erfüllen  nament- 
lich in  reichlicher  Menge  die  sogen.  Pampas-Thone  von  Buenos  Ayres  und 
Paraguay. 

Man  hat  darnach  angenommen,  zweierlei  Thierbevölkerungen,  die  eine  von 
arktischer  und  die  andere  von  antarktischer  Herkunft  sandten  in  Amerika  damals 
weithin  ihre  Ausläufer  vor.  Sie  traten  in  Berührung,  schoben  einander  ihren 
Vortrab  entgegen.  Riesige  Edentaten,  —  wie  Megatherium  und  Mylodon  — 
wanderten  aus  dem  antarktischen  Gebiet  bis  Mexiko  und  ins  südliche  Unions- 
gebiec  ein.  Mastodonten  der  europäisch-asiatischen  Fauna  drangen  gleichzeitig 
aus  dem  Norden  bis  in  die  Anden  und  in  die  Pampas-Ebene  von  Süd- 
Amerika  vor. 

Seitdem  sind  viele  der  aus  den  entgegengesetzten  Polar-Regionen  vor- 
geschobenen Einwanderer  wieder  erloschen,  aber  noch  behauptet  sich  ein  nam- 
hafter Rest  der  beiden  Faunen  im  ehemaligen  Gebiete  der  Mischung  und  Durch- 
dringung arktischer  und  antarktischer  Abkömmlinge.  Noch  erkennt  man  in  der 
heutigen  Fauna  Süd-Amerika's  Abkömmlinge  der  Einwanderung  aus  der  alten 
Welt  und  vielleicht  auch  in  den  südlichen  Unionsstaaten  und  in  Mexiko  ver- 
einzelte Nachkommen  antarktischer  Einwanderung. 

So  stand  die  Deutung  noch  vor  wenigen  Jahren.  Seitdem  haben  die  Ent- 
deckungen der  amerikanischen  Geologen  in  den  Tertiärschichten  beiderseits  der 
Rocky  Mountains  zu  ganz  anderen  Annahmen  geführt.  Marsh  lernt  uns  aus 
den  mittleren  Tertiärschichten  des  Westens  neue  Edentaten-Gattungen,  die 
Moropiden,  kennen  und  leitet  von  ihnen  die  späteren  z.  Th.  riesenhaften  Eden- 
taten des  Unionsgebiets  und  Süd-Amerika's  ab. 

Damit  ist  eine  neue  und  ganz  andere  Grundlage  zur  Erklärung  des  Sachver- 
halts gegeben.  Das  nordamerikanische  Festlandgebiet  erscheint  jetzt  als  der 
Ausgangspunkt  der  Edentaten-Fauna,  die  man  bis  dahin  als  Einwanderer  aus 
einer  unbekannten  antarktischen  Region  ansah.  Die  heutigen  Edentaten  Süd- 
Amerika's  sind  darnach  Abkömmlinge  von  Einwanderern  aus  Nord-Amerika. 

Aber  noch  ist  die  Frage  nicht  spruchreif.  Zu  ihrer  schliesslichen  Entscheidung 
bedarf  es  noch  besserer  Kenntniss  der  fossilen  Säugethier-Vorkommnisse  in  den 
älteren  und  mittleren  Tertiärschichten  Süd-Amerika's  —  vor  der  Eröffnung  der 
Landbrücke  von  Panama,  die  gegen  Ende  der  Pliocän-Epoche  angenommen  wird. 


12  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Aus  dem  heute  vollständig  vereisten  Festland  des  Südpols  wird  man  wohl  nie 
dahin  einschlägliche  Aufschlüsse  erhalten. 

Mit  der  wechselnden  Vertheilung  von  Festland  und  Meer  im  Laufe  der  un- 
messbar  langen  Zeiträume ,  welche  die  verschiedenen  übereinander  gelagerten 
Schichten  der  Gebirge  mit  ihren  zahlreichen  Einschlüssen  vorweltlicher  Meeres-, 
Süsswasser-  und  Festlandbewohner  verkünden,  —  aber  mehr'  ahnen  als  be- 
rechnen lassen  —  lat  auch  eine  allmähliche  Abkühlung  der  Erdrinde  und 
schliesslich  eine  wachsende  Verschiedentlichung  der  örtlichen  Klimate  statt- 
gefunden. Die  Abkühlung  begann  an  den  Polen  und  rückte  von  diesen  aus  den 
äquatorialen  Regionen  näher.  Diese  Aenderung  der  Klimate  in  den  höheren  und 
mittleren  Breiten  hat  offenbar  auf  die  Gestaltung  der  Pflanzen-  und  Thierwelt, 
namentlich  auf  die  der  Flora  und  Fauna  des  Festlands  einen  tiefgehenden  Ein- 
fluss  geäussert.  Arktische  und  antarktische  Pflanzen  und  Thiere  folgten  soweit  als 
die  Bahn  der  Wanderung  ihnen  frei  war,  dem  sich  verschiebenden  kühleren 
Klima.  Vor  ihnen  zog  sich  eine  ältere  Flora  und  Fauna  näher  dem  Aequator 
oder  starb  aus,  wo  ihr  kein  Ausweg  gegeben  war.  Andere  Floren  und  Faunen 
wanderten  ihnen  nach.  Um  den  Aequator  aber  sammelten  sich  die  fortlebenden 
Reste  der  verschiedenen  Lebewelten  höherer  Breiten,  wie  auf  gemeinsamer  Zu- 
fluchtsstätte. 

Schon  BuFFON  lehrte  in  seinem  Werke  »Die  Epochen  der  Natur«  (1780)  das 
in  früheren  Epochen  allgemeine  Vorkommen  einer  üppigen  tropischen  Pflanzen- 
und  Thierbevölkerung  in  allen  Theilen  der  Erdoberfläche  und  ihre  nachmalige 
Einengung  durch  die  fortschreitende  polare  Abkühlung  unseres  Planeten.  Die 
einem  heissen  Klima  entsprechenden  Pflanzen-  und  Thierformen  verloren  sich  zu- 
erst in  den  Polargegenden.  Etwas  später  noch  lebten  sie  in  mittleren  Breiten 
und  sie  erscheinen  nunmehr  bei  dem  gegenwärtig  zonenweise  abgestuften  Klima 
der  Erdkugel  auf  die  Aequatorial-Zone  beschränkt.  Diese  Hypothese  von 
BuFFON  ist  durch  den  neueren  Entwickelungsgang  der  Geologie  und  Palaeonto- 
logie auf  das  Mannigfachste  bestätigt  worden.  Es  ist  sicher,  dass  eine  Menge 
von  Pflanzen-  und  Thierformen  im  Verlauf  der  polaren  Erkaltung  gegen  den 
Aequator  hin  vorgeschoben  wurden  und  nur  hier  noch  ihr  Dasein  fristen, 
z.  B.  um  einen  der  auffallendsten  Fälle  zu  nennen,  die  beiden  Tapir- Arten, 
der  des  heissen  Süd-Amerika  und  der  von  Sumatra  und  Malakka.  Noch  zu  Ende 
der  Tertiärepoche  bewohnte  der  Tapir  das  mittlere  und  südliche  Europa  und 
die  entsprechenden  Breiten  von  Nord-Amerika.  Es  ist  wenig  gewagt,  die  Schluss- 
folgerung anzufügen,  dass  der  Tapir  beiläufig  gegen  die  Mitte  der  Tertiärepoche 
ein  Bewohner  der  arktischen  Regionen  gewesen  sein  muss  und  seither  sowohl  in 
Amerika  als  in  Asien  gegen  den  Aequator  zu  wanderte. 

Die  Einzelheiten  dieses  sehr  zusammengesetzten  Vorgangs  beschäftigen  die 
Geologen  und  Palaeontologen  aller  I Ander  in  unausgesetzter  Weise.  Die  arktische 
Seite  liefert  neuerdings  reichliche  Aufschlüsse.  Die  antarktische  Flora  und  Fauna 
bietet  noch  meist  Räthsel  und  das  Südpol-Gebiet  wird  wohl  kaum  je  einen  Ein- 
blick gewähren.  Nur  allmählich  und  unter  zunehmender  Verknüpfung  vereinzel- 
ter Ermittelungen  rückt  die  Wissenschaft  der  Lösung  der  vielen  Räthsel  näher, 
welche  der  Wechsel  von  Festland  und  Meer,  die  Veränderung  der  Klimate,  die 
Ausbildung  und  mannigfache  Wandenmg  der  Festlandbevölkerung  noch  darbieten. 

Neue  Funde  werfen  ihr  Licht  auf  ganze  Reihen  bereits  bekannter,  aber  erbt 
dürftig  verknüpfter  Thatsachen  und  das  letzte  entscheidende  Wort  wird  gleichwohl 
wieder  auf  fernere  Zeiten,  künftige  Funde  und  festere  Deutung  hinausgeschoben. 


Allgemeine  Einleitung  in  die  Palaeontologie.  13 

Zu  ihrem  letzten  und  alle  Räthsel  umfassenden  Schluss  aber  wird  die  Geologie 
und  Palaeontologie  allein  darum  schon  nicht  kommen,  weil  drei  Viertel  des  Schau- 
platzes der  vorM'eltlichen  Begebenheiten  das  unerbittliche  Meer  überdeckt  und 
der  geologischen  Forschung  vorenthält. 

DaJfür  eröffnen  sich  gelegentlich  neue  erfolgreiche  Bahnen  der  Forschung 
und  werfen  ihr  Licht  in  einer  zuvor  ungeahnten  Weise  auf  neue  Gebiete  der 
Wissenschaft. 

In  den  letzten  Jahrzehnten  hat  namentlich  die  Untersuchung  der  Tiefsee- 
Bildungen  und  die  Ermittelung  ihrer  Entstehung  aus  theils  schwimmenden,  theils 
im  tiefen  Meeresgrunde  lebenden  Organismen  unerwartet  reiche  Ergebnisse  ge- 
liefert und  der  Einfluss  dieser  neuen  Aufschlüsse  auf  die  Umgestaltung  der 
Geologie  und  Palaeontologie  ist  noch  nicht  ganz  abzusehen. 

Um  das  Jahr  1868  beschrieb  Huxley  seinen  Bathybius  als  eine  die  Tiefen 
aller  Oceane  zu  drei  Viertel  der  Erdoberfläche  umspannende  teppichartig  ver- 
filzte Anhäufung  von  nieder  organisirten  schleimigen  hüllenlosen  Lebewesen. 

Von  ihm  gingen  fortwährend  neue  Kalkbildungen  aus,  welche  mächtige  Lager 
von  kalkigem  Schlamm  auf  dem  Meeresboden  erzeugen.  Der  Batlvybius  lagerte 
auch  schon  in  den  älteren  geologischen  Formationen  ausgedehnte  Kalkbildungen 
ab,  wie  namentlich  den  Dachsteinkalk  der  Alpen  und  die  weisse  Kreide.  Von 
ihm  schien  überhaupt  der  grösste  Theil  aller  Meereskalk -Gebilde  sämmtlicher 
geologischer  Epochen  ausgegangen  zu  sein. 

Aber  schon  1875  ist  mit  der  Weltumseglung  des  »Challenger«  der  unge- 
lieuerliche  Meeresbewohner-  und  Kalklager-Erzeuger  Bathybius  wieder  von  der 
Tagesordnung  der  Wissenschaft  verschwunden.  Der  Bathybius  existirt  nicht  in 
jener  Gestalt.  Dafür  ergab  sich  mit  besserer  Beobachtung  der  Vorgänge  in 
scheinbar  unergründlicher  Meerestiefe  der  Oceane  ein  fortwährender  und  unaus- 
gesetzter »Regen«  (sit  venia  verbo)  —  ein  beständiges  Niedersinken  fester  und 
schleimiger  organischer  Stoffe,  namentlich  kalkiger  Theile,  von  theils  pflanzlicher 
theils  thierischer  Abkunft.  Dieser  erzeugt  auf  \  des  Erdumfangs  den  kalkigen 
Tiefseeschlamm  voll  mikroskopischer  Reste.  Er  hat  auch  den  Dachsteinkalk 
und  die  weisse  Kreide  und  viele  andere  Kalklager  älterer  Epochen  abgesetzt. 

Und  mit  ihm  ergiebt  sich  eine  Continuität  der  oceanischen  Schichtenablagerung, 
von  der  man  früher  keine  Ahnung  hatte.  Viele  Theile  des  Oceans  scheinen  jetzt 
—  einmal  gebildet  —  für  immer  Ocean  geblieben  zu  sein.  Zum  Neuesten  gehört 
namentlich  die  Entdeckung,  dass  die  feinsten  geformten  Bestandtheile,  die  Kok- 
kolithen  des  Tiefseeschlamms  (Ehrenbergs  Kry stall oi de  der  weissen  Kreide) 
kalkige  Abscheidungen  aus  Meeres- Algen  sind.  Dadurch  sind  die  Meeres-Algen, 
denen  man  bisher  diese  Rolle  anzuweisen  keinen  Anlass  gehabt  hatte,  mit  einem 
Male  in  die  Reihe  der  am  ausgedehntesten  wirkenden  Agentien  der  Bodenbildung 
getreten  und  wirken  in  dieser  Weise  über  \  der  oceanischen  Erdoberfläche  un- 
unterbrochen fort. 

Mit  dieser  Continuität  durch  vielleicht  alle  geologischen  Epochen  —  mindestens 
vom  Dachsteinkalk  an  —  ergab  sich  ferner  die  Fortdauer  jurassischer  und  creta- 
ceischer  Typen,  die  man  als  längst  erloschen  betrachtete,  in  den  kalten  finsteren 
Regionen  von  10000—15000  Fuss  Meerestiefe.  Was  man  aus  der  Kreide-Formation 
in  unseren  Gebirgen  fossil  in  grosser  Häufigkeit  kannte  und  nach  unvollständiger 
Kenntniss  des  Meeresgrundes  längst  ausgestorben  wähnte,  taucht  mit  der  Sonde 
des  Seefahrers  plötzlich  und  in  wenig  veränderter  Gestalt  als  lebendes  Wesen 
wieder  auf.     So  die    erloschen   geglaubten  Ananchytiden    der  Kreide-Epoche    in 


14  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

wenig  veränderten  Abkömmlingen,  welche  die  bisher  der  Forschung  unzugänglich 
gewesenen  Tiefen  des  Oceans  bewohnen  und  jetzt  einen  neuen  Faden  der  Conti- 
nuität  des  organischen  Lebens  ergeben. 

Dazu  kommen  selbst  specifische  Identitäten.  Eine  Anzahl  Organismen  aus 
grösseren  Meerestiefen  sind  entschieden  dieselben  Arten,  .die  man  aus  älteren 
geologischen  Formationen  bereits  fossil  kannte.  So  leben  in  den  oceanischen  Tiefen 
noch  Arten  von  Foraminiferen,  die  schon  in  der  Kreideformation  fossil  auftreten, 
Arten  von  Sternkorallen  und  Schnecken,  die  man  bis  dahin  nur  aus  Tertiär-Ab- 
lagerungen kannte. 

Der  Einfluss  dieser  ganz  neuen  Entdeckungen  auf  die  demnächstige  Umge- 
staltung der  Geologie  und  Palaeontologie  ist  zur  Zeit  noch  nicht  nach  seinem 
vollen  Betrage  abzusehen.  Mit  der  wachsenden  Kenntniss  der  mannigfachen  Vor- 
gänge in  den  heutigen  •  grössten  Meerestiefen  wird  sich  auch  wieder  das  Be- 
dürfniss  einer  entsprechenden  Umgestaltung  in  den  anstossenden  Fächern  der  Geo- 
logie und  Palaeontologie  herausstellen  —  und  mancher  alte  Plunder,  der  längst 
das  Heimathrecht  erworben  zu  haben  schien,  wieder  ausgeräumt,  manche  bisher 
unangefochtene  Anschauungsweise  geändert  werden  müssen. 


Amphibien 


von 


Dr.  Friedrich  Rolle. 

Die  Amphibien  oder  Lurche  und  die  Reptilien  oder  Schleicher, 
zusammen  Linn£s  Klasse  Amphibia  darstellend,  begreifen  zwei  in  manchen 
Charakteren  nahe  verwandte,  aber  in  anderen,  namentlich  anatomischen  und  phy- 
siologischen (embryologischen)  Charakteren  weit  auseinander  gehende  Klassen, 
von  denen  die  Lurche  sich  noch  nahe  an  die  Lurchfische  oder  Doppelathmer 
(Dipneusta)  und  durch  diese  in  entfernterer  Linie  an  die  Fische,  nämlich  an  die 
Selachier  anknüpfen.  Die  Reptilien  stehen  nach  ihrer  Organisation  im  ausge- 
reiften Zustande  und  nach  ihrer  Entwicklungsgeschichte  schon  um  eine  beträcht- 
liche Stufe  höher,  knüpfen  nicht  an  die  Fische,  sondern  eher  an  die  fischförmigen 
Amphibien  an  und  sind  andrerseits  besonders  den  Vögeln  verwandt,  kommen  in 
einzelnen  Stücken  auch  den  Säugethieren  schon  etwas  nahe.  Jedenfalls  stellen 
sie  eine  höhere  Form  mit  ausgesprochnerem  Land-  und  Luftleben  dar,  gleichviel, 
ob  man  eine  oder  zwei  Klassen  annimmt. 

Die  geologische  Geschichte  beider  Klassen  zeigt,  dass  beide  auch  schon  in 
sehr  früher  Zeit  aus  einander  gingen  und  in  wohl  geschiedenen  Formenreihen 
durch  die  verschiedenen  geologischen  Epochen  nebeneinander  verliefen.  Diese 
fossilen  Vertreter  lassen  sich  auch  meistens  mit  grosser  Bestimmtheit  einer  der 
beiden  Klassen  zuweisen.  Nur  die  der  Abzweigung  der  älteren  Reptilien  aus 
den  dem  Amphibien-Stamm  angehörigen  Formen  können  noch  Zweifel  zulassen, 
welclier  Seite  man  sie  zuzutheilen  habe,  wie  dies  auch  sonst  in  der  Lebewelt  bei 
vermittelnden  (vliedem  au.seinander  gehender  Abtheihmgen  vorkommt 

Das  Haupt-Kriterium  in  diesem  Gebiet  ist  die  Athmung  und  zwar  sowohl 
bei  jüngeren  Kntwickelungsstufen  als  bei  erwachsenen  Thieren.  Die  echten 
Fische  athmen  zeitlebens  nur  durch  Kiemen,  sie  entwickeln  ihre  Schwimmblase 
noch  nicht  zum  Organ  der  Luftathmung.  Zeitlebens  durch  Kiemen  und  durch 
Lungen  zugleich  —  d.  h.  je  nach  dem  Aufenthalt  abwechselnd  —  athmen  die 


Amphibien.  1 5 

Lurchfische  oder  Doppelathmer  (Dipneusta)  und  die  fischartigen  Lurche  {Amphibia 
khthyoidea)  wie  der  Proteus  oder  Hypochthon  der  Krainer  Höhlen.  Andere  Am- 
phibien athmen  in  der  Jugend  —  in  dem  mehr  oder  minder  lang  dauernden 
Larvenzustand  —  noch  durch  Kiemen,  verlieren  sie  aber  später  mehr  oder 
minder  und  athmen  dann  nur  noch  durch  Lungen.  So  die  Tritonen,  Salamander, 
Frösche  und  Kröten,  wahrscheinlich  auch  die  Cäcilien.  Dagegen  sind  alle  Rep- 
tilien von  ihrer  Geburt  an  bereits  echte  I^ungenathmer. 

Wäre  der  Unterschied  zwischen  Amphibien  und  Reptilien  auf  die  verschiedene 
Athmungsweise  begrenzt  geblieben,  so  würde  es  mit  der  Eintheilung  der  fossilen 
Reste    aus   beiden  Klassen  misslich  stehen,    denn  weder  Kiemen   noch  Lungen 
sind  fossiler  Erhaltimg  fähig  und  nur   ausnahmsweise  —  bei   Archegosaurus  — 
sind  verknöcherte  Kiemenbogen  erhalten.     Aber  mit  der  Ablösung  der  Kiemen- 
durch  Lungen-Athmung  und  dem  entschiedenen  Eintritt  in  das  Land-  und  Luft- 
leben stellen  sich  noch  mannigfache  andre  Kriterien  in  den  festen  zu  fossiler  Er- 
haltung geeigneten  Körpertheilen  ein,  welche  bald  hier  bald  da  zur  Entscheidung 
führen.     In  den  Vordergrund  tritt  hier  die  Art  der  Gelenkverbindung  zwischen 
Hinterhauptsbein  (os  occipitale)  und  vorderstem  Halswirbel  (Atlas),    Die  Reptilien 
haben    hier    nur   einen    Gelenkknopf.     Bei    den   Amphibien   trägt   dagegen  das 
Hinterhaupt    zwei    solche  Kugelgelenke  (condyli  occipitales).    Dieser  Unterschied 
entscheidet   bei  fossilen  Resten  in  vielen  sonst  mehr  oder  minder  zweifelhaften 
Fällen.    Auch  hier  bleibt  eine  Lücke.     Bei  gewissen  Fossilien,  wie  bei  Archego- 
saurus   lässt    sich   überhaupt    keine    Gelenkverbindung    zwischen    Schädel    und 
Wirbelsäule    erkennen.     Der    äusserste    Theil    des   Hinterhaupts    ist   bei   dieser 
Gattung  gar  nicht  erhalten  und  war  bei  Lebzeiten  des  Thieres  vermuthlich  knorpelig 
und  weich.    Aber  gerade  hier  gewährt  die  Erhaltung  verknöcherter  Kiemenbogen 
jene  Auskunft,  die    der  knorpelig  verbliebene  Theil  des  Hinterhaupts  vermissen 
lässt.    Wir  können  daraus  schliessen,    dass    eben    diese    im    permischen   System 
fossil  auftretende  Form,  die  Goldfuss  1847  Archegosaurus y  das  ist  »Stammvater 
der  Saurier«  nannte,  ein  Amphibium  mit  beginnender  Verknöcherung  des  Skeletts 
war,  das  in  der  Jugend  nur  durch  Kiemen  athmete  und  später  —  zu  theilweiser 
oder  ausschliesslicher  —  Lungenathmung  überging  und  die  Vermuthung  daran 
knüpfen,   dass  von  ähnlichen  anderen  Amphibien  älterer  Epoche  mit  knorpelig- 
weichem Hinterhaupt  die  ersten  Reptilien  sich  abzweigten. 

In  der  heutigen  Lebewelt  gehören  zu  den  Amphibien  die  schon  gedachten 
Kiemenmolche  oder  Ichthyoden,  die  Tritonen,  Salamander,  Frösche 
und  Kröten,  femer  die  weit  von  vorigen  abstehenden  Cäcilien,  die  man  lange 
den  Schlangen  zuzutheilen  pflegte. 

Aus  älteren  Epochen  kommen  dazu  noch  die  Ganocephalen  oder 
Schmelzköpfe  mit  Archegosaurus  und  andern  Gattungen  und  die  Labyrintho- 
donten  oder  Wickelzähner,  mit  Mastodonsaurus  u.  s.  w. 

Mit  ihrer  Einbeziehung  in  das  System  der  Amphibien  wird  auch  die  im 
System  der  lebenden  Fauna  sehr  vereinsamte  Stellung  der  Cäcilien  einiger- 
maassen  ausgeglichen  und  erläutert. 

Wir  unterscheiden  darnach  —  mit  E.  Häckel  —  folgende  theils  lebend  theils 
fossil  vertretene  Ordnungen  und  Familien  der  Amphibien. 

L     NackteAmphibien,  Lissamphibia,  mit  nackter  glatter  schlüpfriger  Haut. 
Es  sind  die  Batrachier  im  weitern  Sinne  des  Worts  (vom  griechischen  batrachos 
Frosch,  batracheios  frosch artig.) 
Dahin  gehören 


ify  Mmeralo^e,  Geologie  und  Palaeontologie. 

I.    Die  Ichthyodcn,   Fischmolche  oder  Kiemenmolche,   Amphibia  soto- 
branchia   oder  Ichthyoidea^   u.  a.,  der    Proteus   der  Krainer   Höhlen,    der 
Axolotl  von  Mexiko  u.  s.  w. 
a.    Die  Tritonen  und  Salamander,  Amphibia  sozura, 

Sic  werden  mit  vorigen  auch  als  geschwänzte  Batrachier,  Molche, 
Amphibia  caudata  zusammengefasst,  eine  Bezeichnung,  die  insofern  in  der  Palaeon- 
tologie ihre  (»eltung  behauptet,  als  man  bei  fossilen  Formen  wohl  die  Schwanz- 
biUhmg  unterscheiden  kann,  aber  über  die  Art  der  Athmungsorgane  in  der  Regel 
nichtM  zu  ermitteln  vermag. 

^.    Die  Frösche  und   Kröten,  die  Batrachier  im  engern  Sinne  des  Worts, 

Anura  oder  Amphibia  ecaudata.    Es  sind  die  ungeschwänzten  Formen,  bei 

denen  der  Schwanz  mit  der  Reife  des  Thieres  verkürnmert. 

11.     Ocpanzerte  Amphibien.     Phractamphibia  oder  Panzerlurche.     Sie 

weichen  von  vorigen  mannigfach  ab  und  sind  ausgezeichnet  durch  die  Bedeckung 

(Ich  KörpcrM  mit  harten  Knochenplatten  oder  Schuppen. 

Puhin  gehören  die  Schmelzköpfe  oder  Ganocephalen,  mit  den  Gattungen 
Ar(hfi^osaun4$%  Dtndrerpcton  u.  s.  w.,  die  man  nur  aus  der  carbonischen  und  der 
prrniiM<'hcn  Kpoche  kennt,  femer  die  nach  Art  der  Panzer -Ganoiden  und  der 
Krokodile  mit  kräftigen  Knochentafeln  bepanzerten  Labyrinthodonten,  die 
mit   SchluMH  der  Triasepoche  vom  Schauplatz  abtreten  und  gleich  den   vorigen 

rrloM'hcn  nind. 

Kndlich  zählt  man  hierher  auch  die  im  System  der  Lebewelt  seltsam  ver- 
rlii/rltcn  Cäcilien  mit  cykloidischen  Schuppen,  denen  der  Fische  ähnlich.  Sie 
Mind  wahrscheinlich  eine  kümmerliche  vereinsamte  Nachkommenschaft  der 
< »uncMcplmlcn,  aber  es  fehlt  auch  hier  —  wie  so  oft  im  Archiv  der  Palaeonto- 
loutr       noch  die  Kcnntniss  der  Mittelglieder  durch  eine  lange  Reihe  von  Forma- 

lionrn. 

Reich  an  denkwürdigen  Aufschlüssen,  wie  auch  an  brennenden  Räthseln  ver- 

llttilt   «Uc  Formenreihe    der  Amphibien    von    der  Steinkohlen-Epoche    bis  in  die 

|rl/twrlt.     Aber  Funde  im  jurassischen  und  im  cretaceischen  System  gehen  uns 

$\\\  Zeit  noch  ganz  ab,   was  mit  der  Seltenheil  von  Süsswassergebilden  in  dem- 

orllicn  /uMnmmenhängt. 

Kbcnso  lehlt  es  an  positiven  Autschlüssen  über  die  erste  Abkunft  der  Am- 
iihlbicn.  Pan/crhnrho  erscheinen  bereits  wohl  ausgebildet  in  der  Steinkohlen- 
litiination,  nackte  Molche  auch  im  Rothliegenden.  Aber  das  devonische  wie  das 
Mthntst  hc  System  lassen  deren  ältere  Vorläufer  noch  vermissen. 

l'\  kann  damals  wt>hl  Amphibien  im  süssen  Wasser,  in  Sümpfen  und  See- 
Mi  i  und  1  aguncu  M*hon  gegeben  haben,  hcr\orgegangen  aus  Meeresbewohnem, 
dir  un»»  Festland  stiegen,  hier  eine  neue  Lebensweise  antraten  imd  der  Luft 
ril Innung  Mih  anpasstcn,  .\ber  \on  diesen  ältesten  Amphibien  sind  keine  Ueber- 
lililbüil  IosmI  oiholtou,  was  nicht  aufteilen  kann,  wenn  man  in  Rechnung  bringt. 
ilitüM  dus  Mlunstho  Sxstcm  tust  gar  keine,  das  de\onische  S\*sicm  nur  wenige 
Abl»»H''^*''^M**'^  *^*''  liuul-  und  susswavserl>ewohnenden  Pflanzen-  und  Thierformen 
I  iliitnnon  Ut«st 

\x\\\\  tMmt»«mis»l\en  und  ph\MoK\i;»vc*^en  Gründen  ist  anzunehmen,  dass  die 
\ui|»lül»hMi  «»uh  |iMli*hlrtlW  ent\\\^lci  \on  Fischen  SeUchiem'^  oder  von  Lurch- 
hmltin    , /^/^•*»«»»Af     luMliMton      HuMubcr    wud    .tinh    u"ohl     kaum   jemals  etwas 

N(4li»  Uü   »MUÜ((l*U    Nsvidvn 


Amphibien.  1 7 

Wir  beginnen  mit  den  nackten  Amphibien,  Lissamphibia.  Sie  sind  mit 
nackter  schlüpfriger  Haut  bedeckt,  ohne  Schuppen  und  ohne  Knochenpanzer. 

Alle,  sowohl  die  geschwänzten  als  die  ungeschwänzten  lebenden  Arten  sind 
Land-  und  Süsswasserbewohner.  Kein  Amphibium  bewohnt  das  Meer  und  dies 
scheint  auch  auf  sämmtliche  fossil  gefundenen  Formen  sich  ausgedehnt  zu  haben, 
soweit  die  bisherigen  Funde  darüber  urth eilen  lassen.  Namentlich  sind  in  der 
Steinkohlenepoche  die  Amphibien  schon  Süsswasser-  und  Landbewohner. 

Wir  unterschieden  bereits  oben  geschwänzte  Batrachier  mit  bleibenden 
äusseren  Kiemen,  geschwänzte  mit  mehr  oder  weniger  weit  gehender  Ver- 
kümmerung der  Kiemen,  endlich  ungeschwänzte  Batrachier  mit  vorwiegender 
Lungenathmung. 

Diese  Stufen  bilden  eine  noch  sehr  nahe  zusammenhängende  Reihenfolge 
mit  manchen  Mittelformen,  ja  mit  individuellen  Sprüngen  aus  dem  einen  in  den 
anderen  Rahmen,  die  sehr  überraschender  Art  sind.  Die  terminale  Stufe  ergiebt 
sich  mit  den  Anuren  oder  ungeschwänzten  Batrachiern,  den  Fröschen  und  Kröten, 
und  diese  wiederholen  in  ihrer  individuellen  Entwicklungsgeschichte  die  Organi- 
sationshöhen der  niedriger  stehenden  Abtheilungen  in  mehr  oder  minder  zutreffen- 
der Parallele. 

Wir  müssen  hier  einen  Blick  auf  den  Entwicklungsgang  der  Frösche  werfen, 
da  er  für  die  geologische  Geschichte  der  Lissamphibien  von  entscheidender  Be- 
deutung ist. 

Die  Froschlarve  zeigt  in  einer  ihrer  frühen  Ausbildungsstufen  —  schon 
wenige  Tage  nach  der  Befruchtung  des  Eies  —  Kopf  und  Rumpf  in  Form  eines 
gedrungenen  Kopf-Rumpfs  und  dieser  verläuft  nach  hinten  in  einen  langen  seit- 
lich zusammengedrückten  Ruderschwanz  mit  zwei  senkrechten  unpaaren,  oben 
und  unten  fast  gleichen  Haut-Flossen,  gleichsam  einer  zusammenhängenden 
Rücken-,  Schwanz-  und  Afterflosse.  Gliedmaassen  fehlen  noch.  In  dieser  Stufe 
wiederholt  die  Froschlarve  in  unverkennbarer  Weise  die  Körpergestalt  und  den 
Organisations-Typus  eines  Knorpelfisches  der  niedersten  Ausbildung,  aber  auch 
die  Form  der  Embryonen  der  höheren  Fische,  noch  mehr  die  der  Ichthyoden- 
Larve.  In  einer  zweiten  Stufe  sprossen  beiderseits  in  der  Halsgegend  freie  ver- 
zweigte Kiemen  hervor,  verschwinden  aber  bald  wieder.  In  dieser  zweiten  Stufe 
erinnert  die  Froschlarve  an  Doppelathmer  (Protopterus)  und  an  Ichthyoden  (Proteus^ 
Sinn  u.  s.  w.)  —  noch  mehr  wohl  an  deren  Larven.  Während  des  Verschwindens 
der  äusseren  Kiemen  entwickelt  sich  ein  System  von  inneren  Kiemen.  In  der 
nächsten  Stufe  athmet  die  Froschlarve  durch  innere  Kiemen  und  entwickelt  Hinter- 
gliedmaassen.  In  der  vierten  Stufe  treten  auch  Vordergliedmaassen  hinzu.  Nun 
hat  die  Larve  eine  an  Tritonen  erinnernde  Körpergestalt.  Der  Schwanz  erhält 
sich  dabei  noch  längere  Zeit  als  Ruderorgan. 

Die  fünfte  Stufe  ist  durch  die  allmähliche  Verkürzung  des  Schwanzes  be- 
zeichnet. Das  Thier  verlässt  nun  mit  vier  Beinen  und  einem  kurzen  Schwanz- 
Stummel  das  Wasser  und  hüpft  auf  dem  Lande  umher,  um  zur  Insekten-Jagd 
überzugehen.  Bald  darnach  schwindet  der  Schwanz  —  in  Folge  von  Verabsäumung 
des  Gebrauchs  vollständig.     Damit  ist  die  ausgebildete  Froschform  erreicht. 

Diese  Entwicklungs-Phasen  der  Frösche  mit  unverkennbaren  Anklängen  an 
Gestalt  und  Organisation  der  Fische,  dann  der  Ichthyoden,  dann  der  Tritonen 
und  mit  schliesslicher  Ausbildung  der  ausgereiften  Frosch-Form  erläutert  die 
geologische  Geschichte  und  in  entfernterer  Linie  auch  die  hypothetische  Ab- 
stammung der  Klasse  der  Amphibien.    Die  Ichthyoden-  und  Tritonen-Gestalt  er- 

KcNNGOTT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.     1.  2 


l8  Mineralogie.  Gcolojjie  und  Palaeontologie. 

scheint  fossil  schon  im  Rothliegenden  (permisches  System)  vertreten,  die  Frosch- 
gestalt kennen  wir  in  fossilen  Resten  erst  aus  tertiären  Ablagerungen. 

Aehnliche  Entwicklungsreihen  ergiebt  die  Gestaltung  des  Embryos  der 
lebendig  gebärenden  Salamander.  Die  I^arve  behält  hier  ihre  frei  hervortretenden 
verzweigten  Kiemen  bis  zur  Geburt  und  geht  dann  in  raschem  Sprung  zur  Luft- 
athmung  über.     Wir  müssen  uns  mit  dieser  kurzen  Andeutung  begnügen. 

Wir  gehen  zu  den  Kiemenmolchen  oder  Ich t hy öden,  Amphibia  ichihyol- 
dea  über.  Es  sind  geschwänzte  Batrachier,  die  während  des  ganzen  reifen  Alters- 
zustandes durch  Kiemen  und  Lungen  athmen.  Die  meisten  von  den  wenigen 
lebenden  Gattungen  dieser  Abtheilung  besitzen  äussere  Kiemen  —  die  an  beiden 
Seiten  des  Halses  dicht  hinter  dem  Kopfe  als  verästelte  Büschel  frei  hervor- 
hängen. Die  meisten  behalten  diese  freien  Kiemen  auch  zeitlebens.  Diese 
Thiere  leben  fast  stets  im  Wasser  und  athmen  fast  nur  durch  die  Kiemen,  sie 
haben  nicht  nöthig  an  die  Oberfläche  des  Wassers  zu  kommen,  um  Luft  zu 
schöpfen.  Sie  gehen  nur  spärlich  auf  das  feste  Land,  ihre  Lungen  bleiben  klein 
und  werden  nur  wenig  benutzt.  Bei  allen  sind  die  Wirbelkörper  biconcav,  wie 
bei  den  Fischen,  aber  die  Gelenkfortsätze  des  Hinterhaupts  schon  doppelt,  wie 
bei  allen  Amphibien.  Das  Hinterhauptsbein  besteht  nur  aus  zwei  in  Ringforni 
das  Hinterhauptsloch  umfassenden  gepaarten  Knochen  (ossa  occipitaiia  lateralla). 
von  denen  jeder  nach  hinten  in  einen  Condylus  ausgeht. 

Durch  die  zeitlebens  bleibenden  frei  hervorragenden  Kiemen  bezeichnet  ist 
die  Familie  Sirenidae. 

Hierher  gehören: 

Siren  iacerüna  Lin.  in  Sümpfen  von  Carolina. 

Dann    der  Proteus   oder  Olm,    Hypochthon  anguineus  Laur.  der  Kraincr 

Kalksteinhöhlen  (Adelsberger  Grotte). 
Femer  der  Axolotl,  Siredon  pisciformis  der  See'n  von  Mexiko. 

Von  diesen  Sireniden  ist  noch  kein  fossiler  Vertreter  bekannt  geworden,  aber 
es  ist  gleichwohl  zu  vermuthen,  dass  sie  in  älteren  Epochen  in  zahlreichen  Arten 
und  Gattungen  die  süssen  Gewässer  der  Continente  bewohnten.  Ob  von  den 
fossilen  Molchen  einer  oder  der  andere  hierher  gehört,  ist  noch  nicht  abzu- 
machen. 

Aber  auch  davon  abgesehen  sind  die  Sireniden  von  grossem  Interesse  fiir 
geologische  Entwicklungsgeschichte,  namentlich  da  von  einer  der  oben  auf*xe- 
führten  Arten,  dem  Axolotl,  ein  seltsames  individuelles  Hervorspringen  aus  dem 
Rahmen  seiner  Familie  bekannt  geworden  ist. 

Der  Axolotl,  Siredon  pisciformis  bewohnt  See'n  und  Sümpfe  im  höheren 
Theile  von  Mexiko  und  erreicht  30 — 40  Centim.  Länge. 

Die  gewöhnliche  Form  des  Axolotl  verbleibt  im  Wasser,  behält  zeitlebens 
ihre  freien  äusseren  Kiemen  und  pflanzt  sich  in  dieser  Gestalt  auch  fort,  wie  ein 
echter  Ichthyode. 

Aber  im  Jardin  des  plantes  zu  Paris  ergab  es  sich,  dass  einzelne  Thiere  auf 
das  Land  stiegen  und  ihre  freien  Kiemen  verloren,  um  zur  Lungenathmung  über- 
zugehen.    Sie  traten  damit  in  die  Stufe  der  Tritonen  und  Salamander. 

Hier  überspringen  also  einzelne  Individuen  einer  Art  unerwarteter  Weise  den 
Rahmen  der  Familie,  den  die  übrigen  einhalten. 

Dieser  Vorgang  ist  von  grossem  Interesse  fiir  Begründung  der  Abstammung^• 
lehre  und  Erläuterung  der  geologischen  Geschichte  der  Lebcwelt  älterer  Perioden. 
Er  ist  gewiss  auch  in  älteren  Epochen  in  ähnlicher  Weise  oft  eingetreten. 


Amphibien.  19 

Bei  der  Familie  Amphiumidae  verlieren  sich  die  jederseits  des  Halses  frei 
heraushängenden  Kiemen  regelmässig  mit  dem  Alter,  es  bleibt  aber  ein  deutliches 
Kiemenloch    (orificium  branchiaie)  zu  jeder  Seite  des  Halses  offen. 

Hierher  gehören: 
Amphiuma  iridcutylumy  der  Aalmolch  in  Sümpfen  und  stehenden  Gewässern 

des  südlichen  Theils  von  Nord-Amerika. 
Salamandrops  alUghaniensts  (Menopoma  giganteum)  in  Sümpfen  und  See'n 
von  Nord-Amerika,  besonders  am  Alleghany-Gebirge. 

Von  den  Amphiumiden  gilt  flir  das  fossile  Vorkommen,  was  von  den  Sire- 
niden  gesagt  ist. 

An  die  Amphiumiden  schliesst  sich  eine  wieder  um  eine  neue  Stufe  vorge- 
rückte Form  an,  der  sogenannte  japanische  Riesensalamander,  Cryptohranchus 
japonkus  van  der  Hoeven,  die  grösste  aller  lebenden  Ichthyoden-Arten.  Diese 
hat  bei  ansehnlicher  Grösse  noch  eine  offene  Kiemenspalte  beiderseits  des  Halses, 
die  sich   aber  mit  dem  höheren  Alter  verliert. 

Wir   können  nun  zu  den  fossilen  Funden  von  Molchen  übergehen. 

Aus  dem  bituminösen  Schiefer  des  mittleren  Rothliegenden  vom  Münsterappel 
bei  Kreuznach  (zusammen  mit  Falaeoniscus  Duvernoy  Ag.)  kennt  man  ein  kleines 
kurzgeschwänztes  molchartiges  Thier,  3^  Centim.  lang,  Apatcon  pedestris  Meyer. 
Es  gewährt  wenig  Aufschluss,  gehört  aber  gewiss  den  geschwänzten  Batrachiern 
an.  Vielleicht  war  es  ein  Ichthyode,  aber  von  seinem  Athmungssystem  ist  nichts 
zu  entnehmen. 

Frotriton  aus  dem  bituminösen  Schiefer  des  Rothliegenden  von  Autun  ist  ein 
nacktes  molchartiges  Thier,  kurz  geschwänzt,  mit  unvollkommen  verknöchertem 
Skelett   und  langen  vierzehigen  Beinen. 

Vom  Rothliegenden  an  ist  im  geologischen  Archiv  eine  lange  Lücke  in  der 
fossilen  Vertretung  der  Molche  wie  der  Batrachier  überhaupt.  Weder  Trias  noch 
Jura  noch  Kreide  haben  bis  jetzt  Reste  von  solchen  geliefert.  Erst  im  Verlaufe 
der  an  Süsswasser- Ablagerungen  reichen  Stufen  des  Tertiärsystems  stellen  sich 
auch  wieder  Vertreter  der  Batrachier  und  zwar  zugleich  der  geschwänzten  und 
der  ungeschwänzten  ein. 

Wir  müssen  hier  auf  den  sogen,  japanischen  Riesensalamander 
Cryptohranchus  japonicus  Hoev.,  Salamandra  maxima  Schlegel  zurückgreifen. 

Er  lebt  auf  Japan  in  *Gebirgssee'n  und  kommt  wie  die  Tritonen  von  Zeit  zu 
Zeit  an  die  Oberfläche  des  Wassers,  um  Luft  einzuathmen.  Er  geht  aber  auch  an 
feuchten  Orten  zeitweise  auf  das  Land.  Er  gleicht  an  Gestalt  einigermassen  einem 
Salamander,  seine  Haut  ist  nackt,  der  Rumpf  endet  in  einen  kurzen  hinten  abge- 
nmdeten  wie  bei  den  Tritonen  comprimirten  Schwanz,  der  etwa  ein  Drittel  der 
ganzen  Körperlänge  ausmacht.  Der  Schädel  ist  flacher  und  breiter  als  bei  den 
landbewohnenden  Salamandern.  Die  Vorderfüsse  haben  vier,  die  Hinterfusse  fünf 
Zehen.  Beide  Gliedmaassen  sind  kurz  und  plump.  Die  Handwurzel  (carpus) 
und  die  Fusswurzel  (tarsus)  sind  knorpelig.  Die  Wirbel  sind  biconcav  wie  bei 
anderen  Ichthyoden  und  bei  den  Fischen.  Zwischen  Schädel  und  Becken  zählt 
man  20  Wirbel.  Der  21.  Wirbel  trägt  das  Becken,  ist  also  ein  Kreuzbein 
(os  sacrum). 

Diese  Art  erreicht  eine  Länge  von  etwa  ein  Meter. 

Sehr  nahe  verwandt  mit  der  japanischen  Art  ist  der  nordamerikanische 
Salamandrops  alleghaniensis,  der  eine  Länge  von  höchstens  63  Centim.  erreicht. 
Die  Skelettbildung  ist  die  gleiche.     Aber  5.  alleghaniensis  behält  zeitlebens  eine 

2» 


20  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

offene  Kiemenspalte,  während  sich   dieselbe  bei  C.  japonicus  im  höheren  Alter 
ganz  schliesst 

Wichtig  für  palaeontologische  Zwecke  ist  die  Erörterung  der  Schädelunterseite 
oder  des  knöchernen  Gaumens  dieser  beiden  grössten  lebenden  Molcharten  und 
kommt  namentlich  bei  den  nur  in  fossilen  Resten  bekannten  Ganocephalen  und 
Labyrinth odonten  in  Betracht. 

Das  Hinterhaupt  geht  in  zwei  deutliche  Gelenkhöcker  oder  condyli  occipitales 
aus.  Davor  liegt  das  breit  entwickelte  Keilbein,  os  sphenoideum,  und  nimmt  gegen 
zwei  Drittel  der  Länge  des  ganzen  Schädels  ein. 

Davor  liegt  ein  aus  zwei  symmetrischen  Theilen  bestehender  dreiseitiger  vom 
halbkreisförmiger  Knochen,  über  dessen  Deutung  unter  den  Anatomen  lange  die 
Meinungen  getheilt  waren.  Nach  R.  Owen,  auch  Quenstedt  und  Anderen  ist  es 
das  Pflugscharbein,  vomer,  ein  bei  den  Säugethieren  und  dem  Menschen  vorzugs- 
weise bei  Bildung  der  knöchernen  Nasenscheidewand  betheiligter  medianer  Knochen 
über  der  Gaumennaht  (sutura  palatina).  welcher  hier  ins  Gaumengewölbe  (palatum 
durum)  nicht  herabsteigt.  Andere  Anatomen  erklären  jene  zwei  paarig  stehenden 
Knochen  für  Gaumenbeine  {ossa  palatina).  Noch  Andere,  um  jeder  An- 
schauung Rechnung  zu  tragen,  bezeichnen  sie  mit  dem  Namen  ossa  vomero-palatina. 

Dieser  paarige  im  knöchernen  Gaumen  der  Amphibien  vor  dem  Keilbein 
auftretende  Knochen,  gleichviel  welche  Deutung  man  ihm  geben  möge,  trägt  an 
seinem  halbkreisförmigen  Vorderrand  eine  Reihe  zahlreicher  kleiner  spitzer 
Zähne.  Vor  ihm  verläuft  der  halbkreisrunde  Oberkieferrand  und  trägt  eine  eben 
solche  noch  ausgedehntere  Reihe  kleiner  Zähne.  Er  besteht  aus  zwei  paarigen 
Knochen,  vorn  den  beiden  in  der  Mediane  zusammenstossenden  Hälften  des 
Zwischenkiefers,  Os  intermaxillare,  zur  Rechten  und  zur  Linken  einem  Oberkiefer- 
knochen, OS  maxillare. 

Oberkiefer  und  Gaumen  des  Cryptobranchus  —  und  überhaupt  der  meisten 
Amphibien  —  tragen  also  zwei  parallel  im  Halbkreis  gestellte  Zahnreihen,  eine 
äussere  auf  den  Zwischenkiefer-  und  Oberkieferbeinen,  eine  innere  auf  dem  iwmer 
oder  dem  os  vomero-palatinum. 

Wir  können  nun  einen  Schritt  weiter  gehen.  Aus  der  oberen  Süsswasser- 
Molasse  von  Oeningen  am  Bodensee  (oberes  Miocän)  kennt  man  seit  dem 
Jahr  1726  eine  Anzahl  von  sehr  vollständig  erhaltenen  grossen  Skeletten  eines 
salamanderartigen  Thieres  (welches  der  Züricher  Naturforscher  Scheuchzer  für  einen 
vorsündfluthlichen  Menschen,  Homo  diluvii  testis^  nahm).  Cuvifji  zeigte  seine  nahe 
Uebereinstimmung  mit  dem  nordamerikanischen  Menopoma  giganteum^  aber  noch 
näher  kommt  die  fossile  Form  mit  dem  erst  seither  durch  Sieboij)  1829  aus 
Japan  lebend  nach  Europa  gebrachten  Cryptobranchus  japonicus  tibercin. 

Das  Oeninger  Fossil,  Cryptobranchus  primigenius  Hoev.  (Andrias  Scheuch- 
zeri  TscMiDi),  ist  fast  nach  allen  Skeletttheilen  bekannt  und  erreichte  nach  CuviKR'h 
Abschätzung  eine  Länge  von  wenig  über  i  Meter,  also  um  ein  Geringes  mehr  aN 
sein  in  Japan  noch  lebender  nächster  Verwandter.  Das  weite,  die  ganze  Vorderseite 
des  Küpfes  im  Hall)kreis  einnehmende  Maul  mit  zahlreichen  kleinen  spitzen 
Zähnen  in  den  Zwischenkiefer-  und  Oberkieferbeinen  und  die  weiten  Augen- 
höhlen  lassen  gleich  einen  Wassersalamander  erkennen.  Der  Kopf  ist  verhältniss- 
mässig  breiter  als  bei  den  wahren  landbewol  nenden  Salamandern  und  erreicht 
17  Ccntini.  Breite  auf  11,5  C'entim.  Länge.  An  den  21.  ^oder  19.?)  Wirbelköq>er 
ist  das  Becken  befestigt.    Schwanzwirbel  kräftig  entwickelt,   15  oder  mehr,  etwas 


Amphibien.  21 

zusammengedrückt  und  zum  Tragen  einer  senkrechten  Ruderflosse  gebaut,  was 
den  Wasserbewohner  andeutet.  Rippen  sehr  unbedeutend.  Die  Wirbelkörper 
sind  tief  biconcav.  Die  Ftisse  waren  klein,  vielleicht  vierzehig.  Die  Hand  und 
die  Fusswurzel  knorpelig.  Vom  Athmungsorgan  ist,  wie  im  Voraus  zu  erwarten 
war,  nichts  fossil  erhalten. 

Die  sehr  breiten  paarigen  Pflugscharbeine  (ossa  vomero-palaüna)  trugen  am 
Vorderrande,  wahrscheinlich  gleichwie  die  lebenden  Verwandten,  eine  ähnliche 
Reihe  kleiner  spitzer  Zähncl.en,  wie  die  Zwischenkiefer-  und  Oberkieferbeine. 
(Auf  gegentheilige  Annahme  gründet  sich  die  Unterscheidung  einer  eigenen  Gattung 
Ancnas,) 

Merkwürdig  ist  es,  diesen  grossen  Ichthyoden  im  oberen  Miocän  von 
Europa  fossil,  seine  beiden  nächsten  Verwandten  lebend  in  derselben  gemässigten 
Zone  von  Japan  und  Nord-Amerika  anzutreffen.  Es  lässt  schliessen,  dass  in  der 
miocänen  oder  auch  schon  der  zunächst  vorausgegangenen  Epoche  verwandte 
Ichthyoden  über  die  ganze  circumpolare  Region  der  nördlichen  Halbkugel  ver- 
breitet waren  und  dass  deren  Flusssysteme  bald  hier  bald  da  im  Zusammenhang 
standen  und  später  erst  abgetrennt  wurden. 

Wir  wenden  uns  zu  den  Tri  tonen  und  Salamandern,  Amphibia  caudata 
oder  Sozura  mit  frühe  schon  verschwindenden  äusseren  Kiemen  und  stärker 
hervortretender  Luftathmung,  die  namentlich  bei  den  das  Festland  bewohnenden 
Salamandern  mit  der  Geburt  schon  eintritt. 

Sie  haben  noch  die  äussere  Gestalt  der  Ichthyoden,  unterscheiden  sich  aber 
von  ihnen  dadurch,  dass  sie  im  erwachsenen  Zustande  weder  äussere  frei  hervor- 
ragende  Kiemen  noch  off"ene  Kiemenspalten  oder  Kiemenlöcher  haben.  Eine 
Mittelstellung  nimmt,  wie  wir  oben  sahen,  in  letzterer  Hinsicht  Cryptobranchus 
ein.  Dazu  kommt  die  merkwürdige  Beobachtung,  dass  man  Tritonen  zwingen 
kann,  ihre  Kiemen  zeitlebens  beizubehalten,  indem  man  sie  veranlasst,  beständig 
unter  Wasser  zu  bleiben.  Sie  erreichen  dabei  ihre  volle  Grösse  und  pflanzen 
sich  auch  fort,  ohne  ihre  Kiemen  zu  verlieren.  Diese  seltsame  Verschiebbarkeit 
des  Naturells  trifft  in  bezeichnender  Weise  mit  dem  ähnlichen  Verhalten  des 
Axolotl  zusammen. 

Die  Tritonen  sind  noch  Bewohner  des  süssen  Wassers,  sie  leben  in  Sümpfen, 
auch  in  Quellen,  besonders  von  Gebirgsgegenden,  kommen  nach  Zurücklegung 
des  Larvenzustandes  von  Zeit  zu  Zeit  an  die  Oberfläche  des  Wassers  empor, 
um  Luft  zu  schöpfen,  betreten  aber  nur  spärlich  das  Festland  und  nur  feuchte 
Stellen  desselben. 

Die  grössten  europäischen  Arten  erreichen  nur  gegen  15  Centim.  Länge,  auch 
in  anderen  Erdtheilen  werden  sie  nicht  viel  grösser.  Ihrem  Aufenthalt  im  Wasser 
entsprechend  ist  ihr  Schwanz  lang,  etwas  comprimirt  und  von  einer  senkrechten 
Schwimmflosse  (Flossenhaut)  umsäumt. 

Die  Stellung  der  lebenden  Tritonen  zu  den  im  Rothliegenden  fossil  auftretenden 
geschwänzten  Batrachiem  ist,  wie  oben  bereits  angedeutet,  noch  nicht  recht  fest- 
gestellt 

Echte  Tritonen    erscheinen    fossil  erst   in  tertiären  Süsswasserablagerungen. 

Dahin  gehört  z.  B.  Triton  noachicus  Goldf.  aus  der  Braunkohle  von  Orsberg 
am  Niederrhein  (oberes  Oligocän). 

Während  die  Tritonen  noch  vorwiegend  im  Wasser  leben,  erscheinen  die 
Salamander  bereits  als  entschiedene  Festlandbewohner,  sie  halten  sich  unter  Steinen 
und  Moos,    besonders    in  feuchten    Gebirgsgegenden    auf  und  kommen  nur  bei 


22  Mineralogie,  (leologie  und  Palaeontologie. 

feuchtem  Wetter  hervor,  um  auf  Insekten  u.  dgl.  Jagd  zu  machen.  Sie  gebären 
lebendige  Junge,  was  sie  sowohl  von  Ichthyoden  als  Triton en  unterscheidet.  Die 
Embryonen  behalten  frei  hervorragende  büschelförmige  Kiemen  bis  zur  Geburt 
und  gehen  mit  dieser  rasch  zum  Land-  und  Luftleben  über.  Ihrem  Landleben 
entsprechend  ist  ihr  Schwanz  drehrund  und  ohne  Flossensaum«  Dazu  kommt, 
dass  bei  einigen  Landsalamandem  mit  dem  Alter  an  der  Vorderseite  der  Wirbel- 
körper ein  Gelenkhöcker  sich  entwickelt.  Die  Hinterseite  bleibt  concav  (vertehnu 
opisthocoeliae). 

Die  Salamander  zeigen  sich  zusammen  mit  den  Tritonen  erst  in  tertiären 
Süsswasser-Ablagerungen,  wo  sie  in  mehreren  Arten  fossil  bekannt  sind. 

Dahin  gehört  Salamandra  ogygia  Goldf.,  aus  der  feinschieferigen  Braunkohle 
oder  Papierkohle  von  Orsberg  unweit  Bonn. 

Wir  kommen  nun  zu  den  Fröschen  und  Kröten  oder  ungeschwänzten 
Batrachiern  (den  Batrachiem  im  engem  Sinne  des  Worts),  Anura^  Amphibia 
ecaudata. 

Die  Thiere  dieser  dritten  Ordnung  der  nackten  Amphibien  bewohnen  als 
Larven  oder  sogen.  Kaulquappen  Sümpfe  und  Lachen  und  durchlaufen,  wie  wir 
oben  schon  erörterten,  in  unverkennbarer  Parallele  die  Stufenfolge  der  Fische, 
der  Ichthyoden  und  der  Tritonen,  Sie  erreichen  erst  darnach  in  einer  gewissen 
Altersstufe  die  eigentliche  Froschlurchen-Gestalt  ohne  Schwanz,  ohne  Kiemen, 
auch  ohne  Kiemenspalte.  Sie  athmen  nun  nur  noch  durch  Lungen,  treiben  sich 
meist  an  feuchten  Stellen  des  Festlandes  umher  und  machen  Jagd  auf  In- 
sekten u.  dergl. 

Damit  treten  auch  im  Knochenskelett  bemerkenswerthe  Umgestaltungen  ein. 
Die  Wirbelkörper  der  ausgewachsenen  Anuren  articuliren  durch  Kugelgelenke 
und  Pfannen.  Rana  und  andere  froschartige  Gattungen  haben  an  der  Vorder- 
seite der  Wirbel  Pfannen,  hinten  Kugelgelenke  (vertebrae  procoeliae).  Bei  der 
Krötengattung  Fipa  sind  die  Kugelgelenke  an  der  Vorderseite,  während  die 
hintere  Hälfte  des  Wirbelkörpers  concav  bleibt  (vertebrae  opisthocoeliae). 

Die  Wirbelsäule  der  Frösche  hat  9  Wirbel,  der  vorderste  Wirbel  oder  Atlas 
hat  zwei  concave  Gelenkflächen  zur  Articulation  mit  den  zwei  Gelenkfortsätzen 
des  Hinterhauptes  (condyli  occipitales).  Er  trägt  keine  Querfortsätze.  Die  übrigen 
8  Wirbel  sind  durch  verlängerte  Querfortsätze  (Fleurapophyses)  ausgezeichnet. 
Dagegen  fehlen  hier  die  Rippen.  Der  9.  Wirbel  stellt  das  Kreuzbein  (os  seuntm) 
dar,  an  ihn  befestigen  sich  die  Beckenknochen.    Er  trägt  noch  lange  Querfortsätze. 

Dahinter  folgt  dann  noch  ein  langer  dünner  von  den  Seiten  her  zusammen- 
gedrückter Knochen,  der  aber  hinter  das  gleichfalls  sehr  ausgedehnte  Becken 
nicht  hinausragt.  Es  ist  das  Schwanzbein.  (Zusammen  10  Wirbel.)  So  viel  im 
Allgemeinen  von  den  Fröschen  und  Kröten. 

Fossil  treten  sie  —  zusammen  mi>  den  Tritonen  und  Salamandern  —  erst  in 
den  Süsswasserablagerungen  der  Tertiär-Epoche  auf.  Bronn  1858  zäl)lt  von  unge- 
scliwänzten  Batrachiern  bereits  1 2  Genera  mit  24  Species  aus  tertiären  Schichten 
auf,  danmter  die  Gattungen  Rana^  Bu/o,  Fipa  u.  s.  w.,  nebst  mehreren  bereitN 
wieder  erloschenen  Gattungen. 

Rana  dilmnana  Goldf.  aus  der  oberoligocänen  Papierkohle  von  Orsberg  um' 
a.  O.  bei  Bonn  ist  ein  Frosch  mit  auffallend  grossem  breitem  Schädel  und  ]angt*n 
HinterfÜssen.  Merkwürdig  sind  die  mit  diesem  Frosch  zusammen  in  verschiedenen 
?2nt Wicklungsstufen  vorkommenden  Kau](]uappen. 

Nach  TscHini    soll  Rana   diluviana   der  Typus  einer  eigenen  erloschenen 


Amphibien.  23 

Gattung  Palaeobatrachus  sein,  P,  Goldfussi  Tschudi  (elf  Wirbel,  sechs  zwischen 
Kopf  und  Kreuzbein,  drei  zum  Kreuzbein  verwachsen,  zwei  in  die  Bildung  des 
Schwanzbeins  eingehend). 

Falaeophrynos  Gessneri  Tschldf  aus  der  Süsswassermolasse  von  Oeningen 
(oberes  Miocän)  wird  etwas  über  fünf  Centim.  lang.  Das  Maul  ist  zahnlos,  wie  bei 
den  Kröten,  und  die  HinterfÜsse  sind  kurz. 

Mit  den  Fröschen  und  Kröten  schliesst  die  Entwicklungsreihe  der  Lissam- 
phibien  oder  der  Batrachier  im  weitern  Sinne  des  Wortes,  wie  sie  in  der  indi- 
viduellen Metamorphose  der  Frösche  heute  noch  in  Zusammenhang  sich  ab- 
spiegelt. 

Eine  andere  Entwicklungsreihe  stellt  sich  mit  den  Panzer- Lurchen  oder 
gepanzerten  Amphibien,  Phractamphibia,  ein.  Ihr  Schädel  trägt  einen  zu- 
sammenhängenden Panzer  von  Knochentafeln.  Auch  die  Kehle  war  bei  manchen 
gepanzert.  Der  Rumpf  trug  theils  Schuppen,  theils  mag  er  nackt  gewesen  sein. 
Die  Charaktere  des  inneren  Skeletts  deuten  auf  Amphibien.  Diese  zweite  Ent- 
wicklungsreihe beginnt  fossil  in  der  Steinkohlenformation  und  schliesst  mit  den 
letzten  Fossilfunden  bereits  bei  dem  Abschluss  der  Keuper-Epoche.  Man  hat 
aber  allen  Grund  zur  Annahme,  dass  die  ältesten  fossilen  Panzerlurche  aus  noch 
älteren,  bisher  noch  nicht  fossil  gefundenen  Ichthyoden  hervorgingen  und  dass 
andererseits  ein  vereinsamter  Zweig  dieser  sonst  nur  fossil  vertretenen  Entwicklungs- 
reihe in  den  wurmartig  verkümmerten  Cäcilien  wärmerer  Erdtheile  spärlich 
noch  fortlebt. 

Zu  den  Panzerlurchen  gehören  zunächst  die  Schmelzköpfe,  GanocephcUa 
mit   den  Gattungen  Archegosaurus ,   Dendrerpeion   u.  s    w.  (Min.  1.) 

Es  sind  gepanzerte  Molche,  die  man  nur  aus  der  car- 
bonischen und  permischen  Epoche  kennt.  Ferner  die  eben- 
falls nach  Art  der  Ganoiden  und  Krokodile  mit  kräftigen 
Knochentafeln  bepanzerten  Wickelzähner  oder  Laby- 
rinthodonten,  die  neben  vorigen  bereits  in  Steinkohlen- 
Schichten  beginnen  und  mit  Schiuss  der  Triasepoche  bereits  '^' 

vom  Schauplatz    abtreten.     Beide  Abtheilungen  der  Panzer-    ^rchegosaurusjatirostris 

^  *  Jordan,   Schädel  eines 

lurche  sind  gänzlich  erloschen.    Aber  es  hat  vieles  für  sich,    jungen  Thieres  in  natur- 

dass  ein  seitlicher  Zweig  der  Ganocephalen  in  Oertlichkeiten,    hcher  Grösse.  Aus  dem 

,  •     1     •        r      'imt.        j        c  1  •   i_^        1  •  V      Eisenstein  des  Rothlie- 

aujj  denen  wir  kerne  fossilulhrenden  Schichten  kennen,  sich    senden    von    Lebach. 

unter  weiterer  Umgestaltung  forterhielt  und  in  der  Cäcilien-      (Nach  H.  v.  Meyer.) 
Form  heute  noch  lebt. 

üeberhaupt  haben  Jura-  und  Kreide-Formation  bis  jetzt  noch  keine  Amphibien- 
Reste  geliefert  und  es  ist  gleichwohl  annehmbar,  dass  Amphibien,  nackte  wie 
gepanzerte  auch  damals  in  Sümpfen  hausten  oder  an  feuchten  Stellen  des  Fest- 
landes sich  umhertrieben  und  dass  nur  die  Ablagerungen,  in  denen  ihre  Reste 
niedergelegt  wurden,  inzwischen  wieder  abgetragen  wurden  oder  unter  jüngeren 
Decken  verborgen  liegen.  Der  Zusammenhang  ist  unterbrochen,  aber  die  Unter- 
brechung ohne  Zweifel  nur  von  geologischen  Vorgängen  nachträglich  bewirkt 
worden. 

Bei  den  Ganocephalen  oder  gepanzerten  Molchen  ist  der  ganze  Schädel 
mit  glänzenden,  auf  der  Oberfläche  sculpirten  Knochenplatten  (Ganoidplatten) 
bepanzert  Auch  die  Kehle  erscheint  von  besonderen  —  theils  medianen,  theils 
lateralen  —  Knochenplatten  geschützt.  Der  Rumpf  trug  ein  Schuppenkleid  von 
kleinen,  schmalen,   ebenfalls  mit  einer  glänzenden  Lage    bedeckten  Schuppen. 


24  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Das  Hinterhaupt  war  noch  weich  und  knorpelig,  von  den  Hinterhauptsgelenken 
(Condyli  occipitaies)  ist  nichts  erhalten.  Die  chcrda  dorsalis  erhielt  sich  zeitlebens, 
aber  die  Wirbelbogen  und  peripherischen  Elemente  verknöcherten.  Pleura- 
pophysen  kurz  und  gerade,  Vorder-  und  Hintergliedmaassen  klein,  theils  zum 
Schwnmmen,  theils  zum  Gehen  und  Klettern  gebaut.  Der  Rachen  trug  Kegel- 
zähne mit  sternförmig  gefalteter  äusserer  Schichte  der  Basalhälfte  und  ähnlich 
in  Falten  ausgezogener  Keimhöhle. 

Hierher  gehört  vor  allen  Dingen  die  in  zwei  Arten  in  den  Thoneisensteinen 
des  mittleren  Rothliegenden  der  Gegend  von  Lebach  bei  Saarbrücken  vertretene, 
nach  zahlreichen  Skeletten  sehr  genau  bekannte  Gattung  Archegosaurus  Goldf. 

Die  häufigste  Art  ist  A.  Decheni  Goldf.  Sie  mag  eine  Länge  von  etwa 
1—1,25  Meter  erreicht  haben.     Der  Schädel  allein  wird  bereits  26  Centim.  lang. 

Die  Körpergestalt  war  im  Allgemeinen  krokodilartig  und  auch  manche 
Einzelheiten  des  Schädelbaues  präludiren  mehr  den  späteren  Sauriern  als 
den  heutigen  Ichthyoden  und  anderen  Batrachiem,  z.  B.  das  geschlossene 
Schädeldach. 

Der  Schädel  ist  stark  niedergedrückt.  Er  war  bei  jungen  Thieren  fast 
halbkreisrund,  also  ähnlich  wie  bei  Fröschen.  Mit  dem  Alter  streckte 
sich  der  Schnauzentheil  desselben  und  er  gleicht  nun  mehr  dem  der  Krokodile 
und  anderer  Saurier. 

Die  kleinen  Naslöcher  liegen  nahe  am  Vorderende  der  Schnauze. 

Etwas  hinter  der  halben  Schädellänge  liegen  die  grossen,  etwas  länglich 
gestreckten  Augenhöhlen.  Auch  ist  von  dem  Auge  noch  etwas  erhalten.  Es 
war  im  Umfang  durch  einen  —  aus  etwa  24  radial  stehenden  festen  Täfelchen 
zusammengesetzten  —  Ring  verstärkt.  Dieser  peripherische  Ring  stützte  den 
vorderen  Rand  der  faserigen  weissen  Augenhaut  (sclerotica)  und  umgab  die 
durchsichtige  Hornhaut  (cornea)  ähnlich  wie  noch  heute  bei  manchen  Reptilien 
und  Vögeln. 

Hinter  den  Augen  in  der  Mediane  des  hinteren  Schädels  —  in  dem  durch 
eine  mediane  Naht  getheilten  Scheitelbein  (os  parietale)  erkennt  man  ein  kleines 
rundes  Scheitelloch  (foramen  parietale)^  ähnlich  wie  bei  manchen  Sauriern  (z.  B. 
Monitor  niloticus). 

Ein  grosser  Theil  des  Schädels  scheint  aus  dem  primären  Knorpelschädel 
bestanden  und  die  verknöcherte  Schädeldecke  an  dessen  äusserer  Fläche 
sich  gebildet  zu  haben  (ossificationes  dermales).  Das  Hinterhauptsbein  mit 
der  Gelenkverbindung  zwischen  Schädel  und  Rückenachse  war  beim  lebenden 
Thiere   wohl  weich  und  knorpelig,   es  ist  an  fossilen  Exemplaren  nicht  erhalten. 

Die  Rückenachse  zeigt  noch  keine  ringsum  ausgebildeten  Wirbelkörper. 
Wahrscheinlich  erhielt  sich  die  c  hör  da  dorsalis  zeitlebens  und  auch  die  chorda- 
Scheide  blieb  wohl  meist  knorpelig.  Man  erkennt  aber  über  und  unter  diesem 
Rückenstrang  verknöcherte  obere  und  untere  Wirbelbogen.  Von  ihnen  tragen 
die  oberen  oder  Neurapophysen  kurze  breite  Domen  (Processus  spinosi,  obere 
Domfortsätze). 

Dem  Hals  und  Rumpf  entlang  gehen  von  der  Rückenachse  kurze,  flache, 
meist  gerade  Querfortsätze  oder  Pleurapophysen  aus  (Rippen). 

Am  Schwanz  setzen  sich  unter  der  Rückenachse  in  Dornen  ausgehende 
untere  Bogen  oder  Hämatapophysen  an,  die  wie  bei  den  Fischen  einen  unteren 
Kanal  (unter  der  chorda  dorsalis)  für  den  Durchgang  starker  Blutgefässe 
bildeten. 


Amphibien.  25 

Die  Gliedmaassen  waren  klein  und  die  Füsse  etwas  flossenartig,  denen  der 
Iclithyoden  (namentlich  des  Proteus)  ähnlich,  nach  R.  Owen  wahrscheinlich  vier- 
zehig.  Mittelhand  (carpus)  und  Mittelfuss  (tarsus)  waren  knorjjelig  wie  bei  den 
lebenden  Ichthyoden,  erstcre  bei  ganz  ausgewachsenen  Thieren  verknöchert. 
Owen  vermuthet  Schwimmflossen. 

Ober-  und  Unterkiefer  waren  mit  einer  reichlichen  Menge  einfacher  zuge- 
spitzter kegelförmiger  Zähne  bewaffnet.  Der  Oberkiefer  trug  nach  R.  Owen  eine 
vordere  Zahnreihe  auf  den  Zwischenkieferbeinen  und  den  Oberkieferbeinen.  Die 
innere  Zahnreihe  sass  auf  dem  vordersten  Gaumenknochen  oder  dem  Vomer 
(vomtrine  bone).  Die  gestreifte  Basal-Hälfte  dieser  Zähne  war  von  der  Pulpa- 
Höhle  aus  bis  zur  äusseren  Rindenschichte  sternförmig  gefaltet.  Jeder  Zahn 
sass  mit   einfacher  Wurzel  in  einer  eigenen  flach  becherförmigen  Alveole. 

Der  Schwanz  ist  nicht  vollständig  bekannt,  aber  die  kräftigen,  mit  oberen 
und  unteren  Domfortsätzen  versehenen  vordersten  Schwanzwirbel,  namentlich  die 
deutliche  Ausbildung  unterer  zur  Beherbergung  starker  Blutgefässe  dienender 
Bogen  (Hämatal-Bogen)  mit  unteren  Domfortsätzen  erweisen  zur  Genüge  ein 
langes,  kräftiges,  wie  bei  Fischen  und  Tritonen  seitlich  comprimirtes  Ruder- 
Organ. 

Die  äussere  Körperdecke  bestand  theils  aus  starken  mit  einer  dünnen  Schmelz- 
lage bedeckten  Knochenplatten,  theils  aus  kleineren  länglichen,  harten,  gekielten 
Schuppen. 

Besonders  auffallend  ist  die  Bekleidung  der  Kehle  und  der  Vorderbrust  mit 
einer  grossen,  unpaaren,  symmetrischen,  rhombischen  Knochenplatte  und  zwei 
seitlichen  Platten.  Darüber  liegt  ein  längliches  Zungenbein  mit  einem  vorderen 
und  einem  hinteren  Paare  kleinerer  Anhänge.  Diese  entsprechen  nach  R.  Owen 
am  meisten  dem  Zungenbeinsystem  der  heutigen  Ichthyoden  wie  Amphsuma, 
Die  Kehlplattengruppe  hat  der  Deutung  anfangs  viele  Schwierigkeiten  geboten. 
Sie  wiederholt  sich  ähnlich  bei  gewissen  Ganoiden. 

Den  Rumpf  bedeckte  ein  geschlossener  Schuppenpanzer.  Die  Schuppen 
waren  länglich,  schmal  und  gekielt,  dachziegelförmig  angeordnet,  im  Allgemeinen 
denen  der  eckschuppigen  Ganoiden  (Ganoides  rhombiferi)  vergleichbar. 

Besonders  merkwürdig  ist  noch  an  einigen  wenigen  Exemplaren  des  Archego- 
saurus  die  Erhaltung  von  ein  paar  feinen  gleichlaufenden  Knochenbogen,  die  an. 
den  Seiten  des  Nackens  —  neben  dem  Zungenbeingerüste  —  frei  liegen.  Sie 
bestehen  aus  einer  Reihe  kleiner  an  der  innern  Seite  kammförmig  gezackter 
Blättchen.  Goldfuss  und  R.  Owen  erkennen  darin  verknöcherte  Theile  der 
Kiemenbogen.  Diese  deuten  darauf  hin,  dass  die  Thiere  während  eines  langen 
Entwicklungszustandes  durch  Kiemen  athmeten  und  nachmals  zur  Lungenathmung 
übergingen. 

Nach  diesem  allem  waren  die  Archegosauren  sumpfbewohnende  gepanzerte 
Molche,  die  neben  dem  vorherrschenden  Gepräge  der  Ichthyoden  auch  manche 
Saurier-Charaktere  trugen,  jedenfalls  aber  sich  den  Molchen  viel  näher  als  den 
Krokodilen  anschlössen,  worauf  namentlich  die  fossile  Erhaltung  unverkennbarer 
Kiemenbogen  deutet. 

Sie  waren  entschiedene  Raubthiere,  die  wohl  namentlich  Fischen,  vielleicht 
auch  Jungen  ihrer  eigenen  Art  nachstellten.  Man  findet  auch  in  den  Eisenstein- 
Knollen    derselben   Schichten    grössere    etwa  8 — 11    Centim.   Länge   erreichende 


26  Mineralogie,   Geologie  und  Palacontologie. 

Koprolithen  oder  fossile  Excremente,  die  wohl  von  Archegosauren  herrühren  und 
unverdaute  Reste  von  Fischen  u.  dergl.  erkennen  lassen. 

Was  ihre  Athmung  betrifft,  so  ist  anzunehmen,  dass  sie  in  erster  Jugend  wohl 
freie  Kiemen  besassen,  dann  aber  mittelst  innerer  Kiemen  athmeten  und  diese 
länger  behaupteten. 

Lungen  mögen  sie  wohl  früher  erhalten  haben,  aber  nach  dem  Bau  ihrer 
Gliedmaassen  und  der  vorderen  Schwanzwirbel  zu  schliessen,  waren  sie  echte 
Wasserbewohner,  die  das  Festland  wohl  nur  wenig  betraten,  wie  dies  auch  bei 
den  heutigen  Ichthyoden  und  Tritonen  der  Fall  ist,  und  um  ihren  Lungen  Lutt 
zuzuführen,  von  Zeit  zu  Zeit  an  die  Oberfläche  kamen. 

Den  Archegosauren  schliessen  sich  in  der  Steinkohlenformation  und  dem 
Rothliegenden  noch  eine  ganze  Reihe  von  Ganocephalen-Gattungen  an,  die  theils 
Süsswasserbewohner,  theils  echte  Landthiere  darstellen. 

Dendrerpeton  acadianum  Ow.  fand  sich  in  der  Steinkohlenformation  von  Neu- 
Schottland  (Nova  scoHa,  Canada)  in  einer  von  Schlamm  erfüllten  Höhlung  eine^ 
aufrecht  stehenden  Stammes  einer  Sigillaria  und  zwar  in  Gesellschaft  verschie- 
dener Pflanzenreste,  ferner  eine  Landschnecke  (Pupa)  und  eines  Myriapoden 
(Xyiobius), 

Dendrerpeton  ist  nach  dem  Bau  des  Schädels  und  der  ausgefurchten  Sculptur 
der  Knochenplatten  desselben  ein  dem  Archegosaurus  nahe  verwandter  Ganoce- 
phale.  Auch  die  Zähne  sind  ähnlich  gebaut.  Auch  die  Langknochen  der  Glied- 
maassen gleichen  denen  der  Ichthyoden  und  der  Archegosauren.  Die  Füsse  sind 
noch  unbekannt,  mögen  aber  der  luftathmenden  und  landbewohnenden  Lebens- 
weise gemäss  mit  wohlentwickelten  Zehen  ausgestattet  gewesen  sein. 

Die  Wirbelsäule  ist  vollständiger  ausgebildet  als  bei  Archegosaurus.  Die 
Wirbel  sind  schon  vollständig  verknöchert,  sie  sind  länglich  und  biconcav. 

Den  Rumpf  deckte  ein  Schuppenkleid  von  dünnen  gekielten  Schuppen. 

Das  Thier  mag  mit  Einrechnung  des  Schwanzes  gegen  63  Centim.  Länge 
erreicht  liaben. 

Ueberhaupt  kennt  man  aus  den  Süsswasser-  und  Sumpfablagerungen  der  car- 
bonischen und  permischen  Epoche  bald  nur  in  Schädeln,  bald  in  mehr  oder 
minder  vollständigen  Skeletten  eine  grössere  Anzahl  von  Amphibien,  die  bald 
mehr  den  Ichthyoden,  den  Tritonen  und  Salamandern  sich  anreihen,  bald  eine 
Bepanzerung  des  Schädels  und  der  Kehle  mit  kräftigen  Knochenplatten  und  über 
dem  Rumpf  ein  Schuppenkleid  zeigen.  Mit  ihnen  zeigen  sich  auch  schon  die 
ersten  Labyrinthodonten-Gattungen,  wie  Baphetes  aus  der  Steinkohlenformation 
von  Pictou  in  Neu-Schottland. 

Durch  ausgezeichnet  wohl  erhaltene  Reste  vertreten  erscheint  die  Gattung 
Branchiosaurus  Fritsih  im  unteren  und  mittleren  Rothliegenden  von  Böhmen 
(Gaskohle  von  Nyrschan  bei  Pilsen),  Sachsen  (Niederhässlich)  und  Thüringen. 

Es  sind  kleine  5—8  Centim.  lange,  geschwänzte  Süsswasser-Amphibien  vun 
der  Gestalt  der  Erd Salamander,  namentlich  mit  einem  breiten,  vom  abgerundeten 
Kopf,  zwei  paar  kräftigen  mit  4  (oder  vielleicht  5)  Zehen  versehenen  Gliedmaassen 
und  einem  ziemlich  langen  Schwanz,  wahrscheinlich  einem  Ruderschwanz. 

Die  Schädelknochen  zeigen  auf  der  Oberfläche  zarte  Grübchen.  Die  Su- 
praoccii)ital-Knochen  sind  noch  gut  verknöchert.  Die  übrigen  Theile  des  Hinter- 
haupts waren  knorpelig  und  sind  nicht  erhalten. 

Die  Augenhöhlen  sind  gross,  oval  und  reichen  weit  nach  vom.    Der  Sclero- 


Amphibien.  27 

tical-Ring  ist  erhalten.  Er  besteht  aus  viereckigen  Blättchen,  wahrscheinlich 
20  bis  22. 

Die  beiden  Scheitelbein-Hälften  (parietalia)  zeigen  in  der  Median-Naht  ein 
ovales  Scheitelbeinloch  (foramen  parietale). 

Die  kleinen  Zähne  sind  glatt  und  zeigen  eine  grosse  Pulpa-Höhle,  die  Zahn- 
substanz ist  un  gefaltet. 

An  jeder  Seite  des  Nackens  zeigen  sich  wie  bei  den  Archegosauren  Reste 
von  ein  paar  Kiemenbogen ,  es  sind  verknöcherte  in  eine  Spitze  ausgehende 
Höckerchen,  deren  Verlauf  den  der  Kiemenbogen  wiedergiebt. 

Die  Brust  zeigt  nur  eine  einzige  fiinfseitige  Kehlbrustplatte.  Die  Haut  zeigt 
an  der  Bauchseite  ein  Schuppenkleid.  Der  übrige  Körper  scheint  nackt  gewesen 
zu  sein. 

Die  Wirbelsäule  enthält  20  Rumpfwirbel,  dazu  kamen  noch  mindestens 
13  Schwanzwirbel. 

Die  des  Rumpfes  bilden  schwache  peripherische  Knochenhülsen,  welche  die 
starke  chorda  dorsaiis  umfassen.  Die  chorda  mit  ihrer  knorpeligen  Scheide  zeigt 
eine  intravertebrale  Erweitenmg  und  ist  zuweilen  als  Steinkem  erhalten. 

Die  Rumpfwirbel  gehen  in  Querfortsätze  (Processus  transversi)  aus,  an  welchen 
Rippen  sassen.     Rippen  kurz  und  gerade. 

Die  Gliedmaassen  lassen  je  4  Finger  und  4  Zehen  erkennen. 

Die  Handwurzel  (carpus)  war  knorpelig  und  ist  nicht  erhalten. 

Dasselbe  gilt  von  der  Fusswurzel  (tarsus). 

Zu  JBratuhtosaurus  gehört  wahrscheinlich  auch  Frotriton  petrolei  Gaudry, 
ein  ähnlicher  nackter  Molch  aus  dem  bituminösen  Schiefer  der  permischen  For- 
mation von  Millery  bei  Autun  (Bourgogne),  ebenfalls  mit  je  4  Fingern  und 
4  Zehen. 

Die  Labyrinthodonten  gehören- nach  ihren  Hauptformen  der  Trias  an 
und  sind  namentlich  im  Buntsandstein  und  im  Keuper  durch  grosse  Arten  ver- 
treten, die  gegenüber  den  Ganocephalen  bereits  ausgesprochene  Fortschritte  in 
fler  Organisation,  besonders  aber  in  der  vollständigeren  Verknöcherung  des  Ske- 
letts zeigen.  Leider  kennt  man  von  ihnen  nur  einzelne  Schädel,  zerstreute  Stücke 
des  Rückenskeletts  und  der  Gliedmaassen,  sowie  lose  Knochenplatten,  welche 
vielleicht  Rücken  und  Kehle  bekleideten.  Zusammenhängende  Skelette  hat  man 
von  ihnen  noch  nicht  kennen  gelernt. 

Nach  dem,  was  sich  aus  Schädeln  und  zerstreuten  anderen  Skelett-Theilen  ent- 
nehmen lässt,  waren  die  Labyrinthodonten  der  Triasepoche  grosse  Sumpf-  und 
I^Andbewohner  von  gedrungenem  Körperbau,  nach  Owens  Deutung  mit  hohen 
Gliedmaassen,  von  denen  die  hinteren  vielleicht  beträchtlich  länger  waren,  und 
muthmasslich  mit  kurzem  oder  nach  Art  der  Frösche  ganz  verkümmertem  Schwänze. 
Hier  ist  vieles  noch  sehr  problematisch. 

Der  Schädel  war  bei  allen  breit  und  stets  abgeplattet,  von  gerundet-drei- 
j»eitigem  Uniriss,  mehr  oder  weniger  gestreckt,  mit  harten,  aussen  glänzenden 
und  grubig  oder  furchig  sculpirten  Knochenplatten  bedeckt,  die  ähnlich  wie  bei 
Archegosaurus  ein  geschlossenes  Schädeldach  —  mit  kleinen  Nasenlöchern,  auf- 
fallend grossen  Augenhöhlen  und  weiter  gegen  hinten  einem  kleinen  Scheitel- 
loch —  darstellen.  Von  einem  knöchernen  Augenring  ist  bei  ihnen  nichts  er- 
balten. Dagegen  ist  das  Hinterhaupt  bei  ihnen  vollständig  verknöchert  und  zeigt 
zwei  wohl  ausgebildete  weit  von  einander  abstehende  condyli  occipitalesy  die  ent- 
schieden für  ihre  Stellung  zu  den  Amphibien  sprechen. 


28  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Das  Gebiss  ist  ausnehmend  kräftig  entwickelt  und  deutet  auf  räuberische 
Fleischfresser,  die  Fischen  und  kleineren  Amphibien  nachstellten.  Der  Unterkiefer 
trägt  eine,  der  Oberkiefer  zwei  Reihen  kräftiger  in  besonderen  Alveolen  sitzender 
iZähnc.     Einzelne  Fangzähne  von  mächtiger  Grösse  überragen  die  übrigen. 

Diese  Zähne,  von  deren  labyrinthisch  verschlungenem  Bau  die  Labyrintho- 
donten  den  Namen  haben,  sind  bis  nahe  zur  glatten  glänzenden  Spitze  stark  längs- 
gestreift und  die  Iservortretenden  Streifen  entsprechen  vorgewölbten  Ausfaltungen 
der  inneren  Zahnsubstanz,  wogegen  in  den  dazwischen  gelegenen  Furchen  die 
äussere  Schicht  der  Zahnbasis  oder  das  Cäment  tief  ins  Innere  des  Zahnes  sich 
einfaltet.  Diese  Radialfalten  des  Zahns  sind  mannigfach  hin  und  hergewunden 
und  ergeben  auf  den  Querschnitten  eine  vielstrahlige  mäandrische  Stemzeichnung. 
Die  Mitte  des  Zahnes  nimmt  die  —  bei  Lebzeiten  des  Thieres  vom  gefässreichen 
Zahnkeim  (Pulpa)  erfüllte  Zahn-Höhle  ein,  die  an  der  Zahnbasis  zahlreichere, 
gegen  die  Spitze  des  Zahnes  abnehmende  Falten  aussendet. 

Dieser  Zahnbau  ist  ähnlich  wie  bei  Archegosaurus,  auch  wie  bei  der  lebenden 
Ganoiden-Gattung  Lepidosteus,  aber  die  Faltenbildung  weit  gedrängter  und  ver- 
wickelter. Sehr  ähnlichen  labyrinthischen  Bau  zeigen  auch  Zähne  von  devonischen 
Ganoiden  (Ganoides  cycliferi). 

Die  Wirbelkörper  erscheinen  bei  den  Labyrinthodonten  vollständig  verknöchert 
und  biconcav.  Dazu  kommen  verknöcherte  Wirbelbogen  und  an  den  Rumpf- 
wirbeln lange  gebogene  Pleurapophysen. 

Weniger  unterrichtet  ist  man  über  die  Beschaffenheit  der  Gliedmaassen. 
R.  Owen  schreibt  ihnen  —  nach  vereinzelten  Knochenfunden  —  kurze  Vorder- 
beine und  längere  Hinterbeine  zu,  wie  sie  bei  Fröschen  vorkommen  und  daran 
reiht  sich  die  Vermuthung,  dass  bei  den  Labyrinthodonten  der  Schwanz  in  älin- 
lieber  Weise  im  Verlaufe  der  individuellen  Ausbildung  zu  einem  kurzen  Stummel 
verkümmerte. 

Aller  Vermuthung  nach  waren  sie  im  erwachsenen  Zustand  auch  ausschliess- 
lich lungenathmende  Thiere.  Verknöcherte  Kiemenbogen,  wie  man  sie  von 
Archcgosauren  kennt,  hat  man  bei  ihnen  noch  nicht  gefunden. 

Wichtige  Trias-Labyrinthodonten  sind  Tranatosaurus  und  Mastodonsaurus, 

Von  Trematosaurus  Bräunt  Burm.  kennt  man  einen  sehr  vollständigen 
Schädel  von  31  Centim.  Länge  mit  Oberkiefer,  Unterkiefer  und  Zähnen  aus  dem 
Buntsandstein  von  Bernburg  —  und  zwar  aus  der  Mittelregion,  die  an  anderen 
Orten  die  Chirotherien-Fährten  enthält. 

Der  Kopf  ist  flach,  länglich-dreiseitig,  in  eine  lange  Schnauze  ausgezogen. 
Er  zeigt  zwischen  beiden  Nasenlöchern  und  beiden  Augenhöhlen  ein  in  mehreren 
Biegungen  sich  hin  und  her  windendes  Paar  Furchen,  die  sogen.  Brille,  die 
auch  für  andere  Trias-Labyrinthodonten  bezeichnend  ist. 

Die  Augenhöhlen  liegen  etwas  vor  der  Mitte  der  Schädellänge. 

Der  Oberkiefer  zusammen  mit  dem  knöchernen  Gaumen  trägt  —  ähnlich 
wie  beim  Cryptobranchus  und  anderen  lebenden  Amphibien,  vergl.  oben  pag.  20.  — 
zwei  Reihen  spitzer  Kegelzähne.  Die  äussere  Reihe  sitzt  auf  dem  Zwschen- 
kiefer  und  den  beiden  Oberkieferbeinen  und  besteht  aus  kleineren  Zahnen.  Die 
innere  Zahnreihe  führt  eine  spärlichere  Anzahl  von  Zähnen,  die  aber  von  hinten 
gegen  vom  fast  gleichmässig  an  Grösse  zunehmen. 

Der  Unterkiefer  trägt  nach  Burmkister  gegen  hinten  ein  paar  grosser  Fang 
Zähne,  die  bei  geschlossenem  Mund  in  den  Oberkiefer  eingreifen  mussten. 

BuRMEiSTER    bildet   auch  drei  radial  furch  ige   Knoc^enplatten    ab,    eine   un 


Amphibien.  29 

paare  und  zwei  seitliche,  die  den  Kehlplatten  des  Archegosaurus  sehr  nahe 
kommen.  Aber  vieles  ist  hier  noch  problematisch.  Während  Owen  die  Laby- 
rinthodonten  für  kurzgeschwänzte  Thiere  nimmt,  vermuthet  Burmeister  bei  Trema- 
totauruSy  wie  bei  den  Archegosauren  einen  schlanken  Körperbau  mit  langem 
Schwanz  und  nimmt  auch  eine  äussere  Bekleidung  mit  feinen  hornigen  ziegelartig 
angeordneten  Schuppen  an. 

Mastodonsaurus  giganteus  Quenst.  (M,  Jaegeri  Hüll)  ist  in  einem  vollständig 
erhaltenen  Schädel  aus  der  Lettenkohle  (Unterregion  des  Keupers)  von  Gaildorf 
in  Württemberg  bekannt,  ausserdem  kennt  man  Zähne  und  einzelne  Skelett-Theile, 
sowie  Knochenplatten. 

Der  Schädel  ist  flach  und  abgenmdet  dreiseitig,  fast  froschähnlich,  über 
65  Centim.  lang,  am  Hinterrand  fast  ebenso  breit.  Die  zwei  Gelenkknöpfe  am 
Hinterhaupt  sind  deutlich  entwickelt. 

Die  beiden  kleinen  Nasenlöcher  liegen  nahe  dem  vordersten  Schnauzen- 
rande, die  grossen  Augenhöhlen  ein  wenig  hinter  der  Mitte  der  Schädellänge. 

Drei  grosse  Fangzähne  sitzen  in  der  Vorderreilie  des  Oberkiefers,  zwei 
andere  im  Unterkiefer.  Die  grössten  erreichen  bis  8  Centim.  Länge  und  darüber, 
an  der  Basis  4  Centim.  Dicke. 

Mastodonsaurus  robustus  Quenst.  (Capitosaurus  robustus  Mev.)  ist  ebenfalls 
nach  vollständigen  Schädeln  und  anderen  vereinzelten  Körpertheilen  bekannt.  Der 
Schädel  ist  gegen  63  Centim.  lang  und  am  Hinterrand  47  Centim.  breit.  Die 
Augenhöhlen  sind  etwas  kleiner  als  bei  M.  giganteus  und  liegen  weiter  nach 
hinten  als  bei  letzterer  Art.  Mit  dem  Schädel  zusammen  kommen  auch  vereinzelte, 
theils  mediane,  theils  seitliche  Panzerplatten  vor,  die  theils  an  der  Kehle,  theils 
am  Rücken  gesessen  haben  mögen.  M.  robustus  stammt  aus  dem  grünen  Keuper- 
sandstein  (mittlerem  Keuper)  von  Stuttgart. 

Mit  ihm  verschwinden  die  Labyrinthodonten  vom  Schauplatz,  sie  fehlen 
schon  im  oberen  Keuper  (Rhätische  Stufe). 

Obschon  wir  bei  Betrachtimg  der  Labyrinthodonten-Reste  schon  viel  mit  pro- 
blematischen Dingen  zu  ringen  hatten,  können  wir  doch  nicht  umhin,  hier  ein 
in  noch  höherem  Grade  problematisches  Feld  zu  betreten,  das  der  Labyrintho- 
donten-Fuss fährten.  Man  kennt  schon  auf  Sandsteinschichten  der  Stein- 
kohlenformation von  Neu-Schottland  und  Pennsylvanien  solche  vierzählige  Fuss- 
abdrücke. 

Noch  verbreiteter  und  deutlicher  sind  grosse  Fussfährten  vierfüssiger  ftinf- 
zehiger  Thiere  in  der  Mittelregion  des  Buntsandsteins  von  Nord-  und  Mittel- 
Deutschland.  Man  kennt  sie  seit  1834  von  Hessberg  bei  Hildburghausen  und 
hat  sie  in  demselben  geologischen  Horizont  inzwischen  auch  zu  Kissingen  und 
anderen  Orten  nachgewiesen.  Sie  sind  von  auffallend  händeartigem  Ansehen  und 
unter  dem  Namen  Chirotherium  Barthi  Kaup  bekannt.  Kauf  bezog  sie  auf  ein 
grosses  Beutelthier. 

Aber  mit  Rücksicht  auf  die  OwENsche  H)rpothese  einer  froschartigen  Gestalt 
der  Mastodonsauren  und  anderer  triasischer  Labyrinthodonten  (kurze  Vorderbeine, 
lange  Hinterbeine  und  verkümmerter  Schwanz)  bezieht  man  sie  jetzt  allgemein 
und  auch  mit  einem  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  auf  Fusstapfen  eines 
grossen  landbewohnenden  Thieres  aus  der  Ordnung  der  Labyrinthodonten  mit 
händeartigen  fünfzehigen  Vorder-  und  Hinterfüssen. 

Die  Fusstapfen  der  rechten  und  der  linken  Seite  folgen  einander  in 
^rader  Linie.      Die    kleineren  Vorderfüsse    traten    leichter    auf    und  deuten  auf 


%o  Mineralngpe,  Geologie  und  Palaoontolof*ie. 

k lindere    Vorderdiedmaassen.      Das    Thier    war    ungeschwänzt    oder    mindestens 
kurz  gevrvanzt,  jedenfalls  schleifte  es  beim  Gehen  keinen  Schwanz  nach. 

liie  einzelnen  Fussabdrücke  haben  die  Gestalt  einer  breiten  rundlichen 
Hand  mit  kurzen  breiten  Zehen  und  kurzem  breitem  abstehendem  Daumen. 
Dieser  Daumen  steht  unter  rechtem  Winkel  von  den  übrigen  Zehen  ab, 
aber  er  ist  kein  wahrer  Vertreter  des  Daumens  des  Menschen  und  der 
Säugethiere.  Er  steht  an  der  äusseren  Seite  des  Kusses,  und  ist  also  die 
zur  Daumengestalt  ausgebildete  äusserste  (fünfte,  gemeiniglich  kleinste)  Zehe. 
Dies  unterscheidet  das  Chirotherium  Barthi  von  der  Fussgestalt  aller  lebenden 
Wirbelthiere,  von  den  Ichthyoden  an  bis  herauf  zum  Menschen. 

Die  vier  inneren  Zehen  sind  kurz  und  fleischig,  gerade  ausgestreckt  und  man 
will  an  ihnen  vorn  den  Abdruck  einer  vorstehenden  spitzen  Kralle  erkennen. 

Der  Hinterfuss  ist  21  Centim.  lang  und  13  Centim.  breit,  der  Vorderfuss  fast 
halb  so  gross.  Der  Hinterfuss  erscheint  beim  Gang  des  Thieres  dicht  an  den 
Vorderfuss  gerückt,  wie  wenn  der  Rumpf  desselben  kurz  und  gedrungen  ge- 
wesen wäre.  Die  Schrittweite  wird  von  einem  halben  Meter  an  bis  fast  zu  einem 
ganzen  angegeben.  Das  Thier  mag  mindestens  2  bis  3  Meter  lang  gewesen  sein. 
Merkwürdig  ist  der  Umstand,  dass  auch  schon  in  Sandsteinen  der 
Steinkohlenformation  von  Nordamerika  solche  vierzählige  Fussabdrücke  mit 
daumenartig  vergrösserter  äusserer  Zehe  vorkommen,  wie  z.  B.  Batrachopus 
primaevus  Kino  im  Kohlensandstein  von  Greensburg  in  Pennsylvanien.  Hier 
zeigt  der  Hinterfuss  eine  zur  Daumengestalt  ausgebildete  äusserste  Zehe, 
{'the  oukrmost  /of^)  und  ähnlich  wie  bei  Chirotherium  nach  aussen  abstehend. 

Ueberhaupt  erscheint  also  diese  Fussform  —  5  kurze  breite  Zehen  mit 
einem  abstehenden  falschen  Daumen  —  bezeichnend  fiir  eine  Anzahl  von 
Kussfährten  von  der  carbonischen  bis  zur  triasischen  Epoche  und  eben  dieses 
macht  es  um  so  wahrscheinlicher,  dass  man  sie  von  Amphibien  überhaupt  und 
wohl  vorzugsweise  von  landbewohnenden,  luftathmenden,  kurz  geschwänzten 
I  ,nbyrinthodonten  herzuleiten  hat.  So  begegnet  eine  Hypothese  der  anderen  auf 
halbem  Wege  und  steigert  die  Wahrscheinlichkeit. 

Sicher  ist,  dass  die  Fussföhrten  sich  auf  Schichtungsflächen  von  Sand- 
Htcinen  finden,  besonders  wo  dünne  thonige  Zwischenschichten  den  Sand- 
nbsät/.cn  sich  einschalteten,  überhaupt  aber  in  Ablagerungen,  die  man  ohnehin 
einer  flachen  Kcstlandküste  zuzuschreiben  Anlass  hat.  Dazu  kommt,  dass  die 
KuHsfährten  zugleich  mit  der  sie  beherbergenden  Gesteinsschicht  von  netzförmig 
«ich  durchkreuzenden  Sprüngen  durchsetzt  erscheinen,  wie  sie  noch  jetzt  bei 
Austrocknung  frisch  entstandener  schlammiger  Strandabsätze  erscheinen.  Die 
Kussfährton  rilhren  also  von  landbewohnenden  luftathmenden  Vierftissem  her» 
<lie  am  feuchten  Strande  von  Binnensee'n  oder  Strandlagunen  sich  umher- 
trieben. Ihre  Kährten  drückten  sich  im  frisch  abgesetzten,  noch  feuchten 
sandigen  Schlamme  concav  ab.  Die  darüber  abgelagerte  Schicht  wiederholt 
deren  Gestalt  dann  in  convexem  Abguss.  Die  ganze  Ciesteinsablagerung  aber 
kann  nur  einem  in  allmäh  liger  Senkung  begriffenen  (iebiet  zugeschrieben  werden 
dessen  Strandlinie  in  landeinwärts  gehender  Verschiebung  begriflfen  war. 

Wir  betrachten  als  Anhang  zu  den  gepanzerten  Amphibien  noch  die 
wenigen  lebenden  beschuppten  Cäcilien,  die,  obschon  sie  noch  keine 
fossilen  Reste  geliefert  haben,  doch  kaum  wohl  anders  als  eigenthümlich  umge- 
staltete und  in  mancher  Hinsicht  verkümmerte  Nachkommen  der  palaeozoischen 
Panzer-Lurche  gedeutet  werden  können. 


Amphibien.  31 

Die  Cäcilien  oder  Bli nd wühlen,  früher  auch  »nackte  Schlangen«  genannt, 
sind  seltsame  Amphibien  mit  walzigem,  wurmförmigem,  geringeltem  Körper. 
Sie  entbehren  der  Gliedmaassen,  auch  das  innere  Skelett  zeigt  keine  Spur  von 
solchen  mehr.  Auch  Brustbein  und  Becken  fehlen.  Gleichwohl  weichen  die 
Cäcilien  von  den  Schlangen,  denen  man  sie  früher  unterordnete,  weit  ab  und 
sind  echte  Amphibien.  Aber  auch  von  den  heute  lebenden  Batrachiern 
weichen  sie  weit  ab,  z.  B.  schon  durch  die  geschlossene  Schädeldecke,  die  mehr 
an  Archegosauren  und  andere  ältere  Panzerlurche  erinnert. 

Der  Schädel  ist  ausgezeichnet  durch  feste  Verwachsung  der  Schädelknochen, 
namentlich  aber  durch  das  Vorhandensein  zweier  seitlich  gestellter  .Gelenk- 
höcker oder  condyli  occipitaks  zur  Articulation  mit  dem  ersten  Halswirbel  oder 
Atlas,  ein  Charakter,  der  allein  schon  genügt,  die  Cäcilien  von  den  Schlangen 
und  Eidechsen  auszuschliesscn  und  den  Amphibien  zuzuweisen. 

Der  Oberkiefer  mit  dem  harten  Gaumen  —  also  dem  vomer  oder  dem  os 
vomero'palatinum  —  trägt  zwei  halbkreisförmige  gleichlaufende  Reihen  starker 
spitzer,  zirrück  gekrümmter  Hackenzähne  (Fangzähne).  Davon  gehört — wie  bei  Cryp- 
tobranchus^  (pag-  20)  die  äussere  Reihe  dem  Oberkiefer  und  dem  Zwischenkiefer, 
die  innere  Reihe  dem  vordersten  Gaumenknochen  oder  vomer  an.  Der  Unter- 
kiefer trägt  eine  einzige  Reihe  ähnlicher  Hackenzähne. 

Die   Zähne   sind  einfach,  ungefaltet  und  in  besondere  Alveolen  eingepflanzt. 

Die  Wirbel  sind  rudimentär  entwickelt  und  biconcav,  wie  die  der  Fische 
und  der  Ichthyoden,  unter  einander  durch  eine  Knorpelscheibe  verbunden,  sehr 
zahlreich  (bei  Caecilia  230). 

Die  Rippen  stellen  kurze  Stummeln  dar. 

Die  Haut  ist  weich  und  schlüpfrig,  wie  bei  Würmern,  quer  geringelt.  In  den 
RJngfalten  zeigen  sich  aber  kleine  Hornschuj)pen,  welche  sowohl  die  concentrischen 
Anwachslinien  als  die  Radialfurchen  gewöhnlicher  (cykloidischer)  Fischschuppen 
theilen. 

Dip  Cäcilien  leben  in  mehreren  Gattungen  (Caecilia^  Siphonops  u.  s.  w.)  in 
tropischen  Gegenden  beider  Hemisphären  (Brasilien,  Java,  Ceylon  u.  a.  O.)  in 
Erdlöchem  im  feuchten  Boden,  stellen  Würmern,  Insektenlarven  u.  dgl.  nach  und 
erreichen  60  Centim.  Länge  und  darüber. 

JOH.  Müller  entdeckte  an  jungen  Cäcilien  das  Kiemenloch,  orificium  branchiale. 
Es  zeigt  sich  auf  jeder  Seite  des  Halses  ein  solches  Kiemenloch,  welches  zu  den 
Kiemenbogen  fuhrt.  In  frühester  Jugend  athmen  also  die  Cäcilien  gleich  anderen 
Amphibien  durch  Kiemen.  Im  Verlaufe  der  weiteren  Metamorphose  verlieren  sich 
diese,  bleiben  aber  immer  noch  durch  drei  Bogenpaare  des  Zungenbeins  ange- 
deutet.    Sie  werden  dann  durch  eine  einfache  Lunge  ersetzt. 

Bedeutsam  ist  die  Beziehung  der  Cäcilien  zu  den  erloschenen  Formen  der 
!\'inzerlurche. 

Die  Cäcilien  haben  mit  Ganocephalen  und  Labyrinthodonten  gemeinsam: 

1.  Die  feste  Verwachsung  der  Schädelknochen. 

2.  Die   doppelte    Bildung   der    seitlichen    Gelenkhöker  des    Hinterhaupts,    die 

wenigstens  bei  Labyrinthodonten  bekannt  sind,  während  bei  Archegosaurus 
dasselbe  knorpelig  verblieb. 

3.  Die  Einkeilung  der  Zähne  in  eigene  Alveolen. 

4-  Die  zwei  Zahnreihen  im  Oberkiefer,  von  denen  die  äussere  dem  Oberkiefer- 
rand,  die   andere  dem  vordersten  Gaumenknochen  oder  vomer  angehört. 
Sie  unterscheiden  sich  von  den  urweltlichen  Panzerlurchen  durch  schlangen- 


31  Jf-r/t-si'-'gt*-  O<*>log-e  and   i*a]aeontolo^e. 

iT^irt  *,»*?«ij:  —  CETch  ecrr.zcrc  Grosse  —  Veriust  derGliedmc.ssen  —  schleimige 
Hi'X  n.-r  Ci't-ii'id-Schrypen  —  endlich  durch  kleine  Augenhöhlen  und  einfache 
Sr^jcT^  5eT  Zi^-^e.  L>:c  meisten  dieser  Unterschiede  können  auf  Rechnung  der 
j  j^:»tzi-v  ^1*^  IT-  Erdbohien  gesetzt  werden.  Nur  das  Auftreten  von  cykloidischen 
S'-'.-:.:#eT  ko'ir.*jc  einen  tiefer  gehenden  Unterschied  begründen. 

Man  karji  also  annehmen,  da5>  die  von  der  Steinkohlenformation  an  bis  in 
d*  cbere  Trias  reichlich  durch  Arten  und  Gattungen  vertretene  Ordnung  der 
Parizerl-Tche,  ob^chon  sie  gegen  Schiuss  der  Triasepoche  vollständig  —  und 
Äcre-Fibar  ohne  Nachkommen  zu  hinterlassen  —  vom  geologischen  Schauplatz 
abtritt,  doch  nicht  in  allen  ihren  Zweigen  spurlos  erlosch. 

Ein  einzelner  Zweig,  —  an  die  älteren  Ganocephalen  zunächst  sich  anschliessend, 
vielleicht  auch  nach  seinen  cykloidischen  Schuppen  in  irgend  einer  verwandt- 
schaftlichen Beziehung  mit  den  ältesten  cykliferen  Ganoiden  stehend,  —  erhielt 
sich  auf  dem  feuchten  Festland  unter  Bedingimgen,  die  für  fossile  Erhaltung  keine 
günstige  Gelegenheit  boten,  durch  eine  lange  Reihe  von  Epochen  am  Leben  und 
fristet  in  einigen  Gattungen  noch  sein  Dasein  als  verkümmerter  Bewohner  feuchter 
Erdlöcher.  Das  sind  die  heutigen  Cäcilien.  Und  zu  so  weiten  Umschweifen 
muss  die  Palaeontologie  ihre  Zuflucht  nehmen,  wenn  sie  den  continuirlichen  Ver- 
band der  heutigen  Lebewelt  mit  den  vorausgegangenen  urweltliclien  Formen 
erklären  will.  Dabei  kann  schliesslich  nocii  ein  neuer  glücklicher  Fund  <;e- 
nügen,  ein  mühsam  ersonnenes  Gebäude  von  Hypothesen  wieder  über  den 
Haufen  zu  werfen.  Aber  auch  in  anderen  Wissenschaften  ist  das  Bessere  melir 
oder  minder  des  Guten  Feind. 


Anthozoen 

von 

Dr.  Friedrich  Rolle. 

Die  Klasse  der  Anthozoen  oder  Blumenthiere,  Korallen  (Anthozoa. 
Zoant/iaria,  Corallia)  begreift  —  nach  Ausscheidung  der  sehr  ähnlichen  Hy- 
droiden  oder  Quallenpolypen  —  strahlig  gebaute  Meeresbewohner  von  glocken- 
oder  walzenförmiger  Gestalt,  einer  mit  eigenen  Wandungen  versehenen  trichter- 
förmig eingestülpten  Magenhöhle  und  einem  den  Mund  umgebenden  Kram 
hohler  Fühler  oder  Tentakeln. 

Der  Körper  besteht  aus  gleichartigen  Hauptabschnitten^  den  sogen.  Gegen- 
stücken oder  Antimeren,  welche  in  Strahlenform  die  mitdete  Hauptachse  des- 
selben umstehen.  Diese  Hauptabschnitte  erscheinen  bei  den  Anthozoen  in  ver- 
schiedener, für  die  besonderen  Ordnungen  sehr  constanter  Zahl.  Es  giebt  vier- 
zählige  Korallen,  TetracoralUa ^  sechszählige  oder  HexacoraUia  und  achtzählige 
oder  OctocoraUia, 

Dieser  strahligc  Bau  des  Körpers  äussert  sich  namentlich  im  Auftreten 
von  Längsfalten  der  inneren  Leibeshöhle  oder  Mesenterialfalten,  welche  diwse 
in  eben  ho  viele  («ef^cher  oder  Kammern  abtlieilen,  dann  auch  in  der  Zahl  der 
den  Mund  umstehenden  Tentakeln. 

So  zeigen  die  achtstrahl  igen  Anthozoen,  Octactinia  oder  OctocoraUia  z.  B. 
Vfretillum,  acht  häutige  Blätter  oder  Scheidewände,  septüy  der  Leibeshöhle  und 
einen  Fltldcrkranz  von  acht  den  Mund  umstehenden  Tentakeln  oder  Fühlern. 

Bei  vielen  Anthozoen  vermehrt  sich  mit  dem  Alter  die  2^hl  der  Leiber- 


Anthozoen.  33 

falten  und  der  Fühler  mehr  oder  minder  reichlich,  wobei  meist  bei  ersteren 
die  Vervielfältigung  der  zu  Grunde  liegenden  Antimerenzahl  deutlich  bleibt  und 
die  primären  Strahlen  an  ihrer  grösseren  Dicke  und  Höhe  von  den  später 
gebildeten  zu  unterscheiden  sind.  In  anderen  Fällen  wird  mit  wachsendem 
Alter  das  primäre  Zahlenverhältniss  undeutlicher. 

Nur  ein  Theil  der  Anthozoen  stellt  einfache  Individuen  dar,  die  sich  durch 
Eier  vermehren.  Andere  Arten  und  zwar  zahlreiche  Gattungen  bilden  zusammen- 
gesetzte Stöcke,  deren  Individuen  sich  entweder  durch  Selbsttheilung  (Gabelung 
im  Längswachsthum)  oder  durch  Knospung  vermehren,  wobei  auch  die  Fort- 
pflanzung durch  Eier  noch  fortdauert.  Die  Gestalt  der  Stöcke  ändert  dabei  je 
nach  der  besonderen  Art  der  Individuen  und  dem  besonderen  Verlauf  der 
Theilung  sehr  ab,  manche  stellen  kugelige  Knollen,  andere  flache  Rasen,  noch 
andere  bäum-  oder  strauchartige  Gestalten  dar. 

Sämmtliche  Anthozoen  sind  Wasser-  und  zwar  Meeresbewohner,  mehr  oder 
minder  verbreitet  in  allen  Meeren,  besonders  zahlreich  aber  in  denen  der 
tropischen  Zone.  Einige,  namentlich  mit  Arten  tertiärer  Schichten  idente  Arten, 
bewohnen  auch  die  grösseren  Meerestiefen. 

Die  meisten  stellen  pflanzenähnliche  Stöcke  dar,  die  auf  dem  Meeresboden  — 
auf  Steinen  oder  Conchylien  —  sich  festsetzen  und  nur  noch  durch  Ausgabe 
von  Eiern  neue  Wohnsitze  besiedeln  können. 

Nur  wenige  höher  ausgebildete  Formen,  wie  namentlich  die  Actinien  oder 
See-Anemonen,  leben  frei  und  kriechen  langsam  auf  dem  Meeresboden,  nament- 
lich an  felsigen  Rändern  der  Küste  umher.  Sie  entwickeln  kein  geschlossenes 
Kalk-Skelett  und  sind  daher  auch  in  fossilem  Vorkommen  nicht  bekannt. 

Die  Anthozoen  erlangen  zum  Theil  durch  Ausscheidung  eines  festen  Kalk- 
gerüstes eine  grosse  geologische  und  palaeontologische  Bedeutung.  Diese  finden 
sich  in  sämmthchen  geologischen  Meeresformationen  und  oft  in  besonderen 
Schichten  reichlich  vertreten,  namentlich  vom  oberen  Silur-Systeme  an.  Andere 
Anthozoen  sitzen  auf  einer  hornigen  Achse,  die  sich  nur  sehr  wenig  zur  fossilen 
Erhaltung  eignet.  Noch  andere  stellen  nur  eine  weiche  Sarkode-Masse  dar,  diese 
kennt  man  nicht  aus  älteren  Ablagerungen  erhalten. 

Die  Ausscheidung  der  hornigen  oder  kalkigen  Substanz  geschieht  theils  durch 
die  äussere  Haut  (Epidermis),  theils  im  Inneren  der  Sarkode-Schichten  des  Thieres 
und  zwar  besonders  im  unteren  (oder  hinteren)  Theile  desselben,  und  gewährt 
namentlich  den  kleinen  Thierindividuen  der  grossen  Stöcke  eine. Zuflucht,  in  die 
sie  die  obere  Körperscheibe  oder  den  Kelch  mit  den  Fühlern  zurückziehen  können. 
Der  Mund  mit  der  Tentakel-Scheibe  bleibt  weich.  Namentlich  scheiden  die 
Fühler  niemals  feste  Substanz  aus  und  sind  daher  auch  bei  fossilen  Funden  nie 
erhalten.  Die  Ausscheidung  der  kalkigen  Substanz  geschieht  von  verschiedenen 
Köipertheilen  aus  und  in  sehr  mannigfacher,  schwer  zu  übersehender  Weise. 

In  manchen  Fällen  wird  nur  im  Inneren  der  gemeinsamen  Achse  von  baum- 
oder  strauchfbrmigen  Stöcken  hornige  oder  kalkige  Masse  abgeschieden,  die 
Abscheidung  ist  aber  nur  scheinbar  eine  innere.  Sie  geht  von  der  Oberhaut 
der  Grundfläche  aus  und  schreitet  nach  oben  und  innen  vor.  Dies  ist  nament- 
lich bei  Alcyonarien  der  Fall. 

In  anderen  Fällen  bildet  sich  im  Inneren  der  Körperhaut  ein  röhrenförmiges 
Kalkgerüst,  Gemäuer  (muraille),  welches  wenig  oder  nichts  von  den  Fächern 
der  Leibeshöhle  erkennen  lässt.  So  bei  den  Tubiporen  und  anderen  sogen. 
Röhren-Korallen. 

Kimmgott,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  ^ 


34  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Am  wichtigsten  ist  die  gleichzeitige  Abscheidung  von  Kalksubstanz  im  Inneren 
der  Körperhaut  und  der  aus  dieser  in  die  innere  Leibeshöhle  hervortretenden 
Falten.  Im  Verlaufe  dieses  Vorganges  verkalken  Gemäuer  und  Septen  in  ver- 
schiedenen Abstufungen. 

Die  Verkalkung  beschränkt  sich  bald  auf  die  Ausscheidung  loser  Kalk- 
partikeln, bald  entsteht  auch  ein  lockeres  poröses  Kalknetz,  bald  endlich  er- 
scheint ein  geschlossenes  oder  nur  von  einzelnen  Canälen  durchbrochenes  Kalk- 
gerüst, welches  die  Gestalt  der  Leibeswandungen  und  der  von  diesen  nach 
innen  ausstrahlenden  Falten  wiedergiebt. 

In  diesem  letzteren  Falle  stellt  das  Kalkskelett  eine  mehr  oder  minder  kegel- 
förmige oder  walzige  Röhre  mit  innem  Stemlamellen  oder  Septen  dar  und  diese 
Art  der  Verkalkung  der  Anthozoen  ergiebt  die  fiir  Deutung  der  fossilen  Formen 
und  deren  Vergleichung  mit  den  nächstverwandten  lebenden  Arten  am  besten 
geeigneten  Exemplare.  Dies  ist  namentlich  bei  Tetrakorallien  und  Hexakorallien 
in  ausgezeichneter  Weise  der  Fall. 

Die  Verkalkung  der  häutigen  Falten,  welche  in  das  Innere  der  Leibes- 
höhle  hereinragen,  bildet  nun  die  Strahlen  oder  Stemlamellen,  septa^  deren  Zahl 
und  successive  Vervielfältigung  die  reichsten  Aufschlüsse  über  Bau  und  syste- 
matische Stellung  des  Thieres  gewährt,  dessen  Körperwand  und  Strahlenfalten 
sich  durch  die  bei  Lebenszeiten  vorgehende  Versteinerung  gleichsam  verewigten. 

Die  besondere  Gestaltung  ist  dabei  sehr  mannigfaltig.  Bald  sieht  man  im 
Innern  der  verkalkten  Körperwand  nur  schmale  kurze  Stemleisten  hervortreten, 
die  zum  Theil  selbst  nur  als  schwach  vorragende  Streifen  erscheinen  können. 
Bald  auch  und  zwar  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  treten  die  Septen  stark  ins 
Innere  der  Wohnzelle  vor.  Jüngere  Septen  schalten  sich  dann  zwischen  den 
älteren  ein,  die  primären  Septen  rücken  dann  mit  dem  Wachsthum  des  Thiers 
gegen  die  Achse  vor  und  schmelzen  auch  wohl  in  dieser  mit  einander  zusammen, 
während  secundäre  nachfolgen  und  ebenfalls  successiv  gegen  die  Achse  zu 
herantreten. 

So  haben  die  Hexakorallien  zu  Anfang  der  Verkalkung  sechs  Septen, 
welche  die  Wohnzellen  in  sechs  Gefächer  abtheilen.  Dies  sind  die  Septen  erster 
Ordnung  oder  der  erste  Cyklus.  Mit  dem  Heranwachsen  des  Thieres  beginnen 
sechs  secundäre  Septen  sich  einzuschalten,  anfangs  sind  es  noch  schwache 
Streifen,  später  treten  sie  weiter  in  die  Leibeshöhle  vor.  Die  Wohnzelle  hat  jetzt 
6  -f-  6  =  12  Septen.     (Zwei  Cyklen). 

In  der  Folge  schalten  sich  die  tertiären  Septen  ein,  eine  tertiäre  Lamelle 
je  zwischen  einer  primären  und  einer  secundären,  zusammen  12  tertiäre  Septen. 
Die  Wohnzelle  hat  in  dieser  Altersstufe  24  Septen,  nämlich  6  primäre,  6  secun- 
däre und  12  tertiäre*.     (Drei  Cyklen.) 

Dieser  Vorgang  geht  bei  manchen  Anthozoen,  z.  B.  bei  den  Fungiden,  noch 
weiter  und  das  Zahlenverhältniss  wird  dann  immer  schwerer  zu  übersehen, 
namentlich  da  zugleich  oft  die  späteren  Septen  sich  eng  zusammendrängen  und 
unregelmässig  werden,  hin  und  wieder  auch  verkümmern. 

Man  muss  dann  zur  Ermittelung  des  primären  Zahlenverhältnisses  der  Septen 
auf  Jugendformen  zurückgehen. 

Bei  CycioIites'Art^T\  der  Kreideformation  geht  die  Zahl  der  Septen  zu 
300 — 400  und  dartiber. 

Noch  weiter  verwickelt  sich  der  Vorgang  mit  dem  Zusammenstossen  der 
Septen  in  der  Achse  der  Wohnzelle.     Es  entsteht  dadurch  oft  eine  Säule,  r^Ä/- 


Anthozoen.  35 

melia.    Bald  besteht  sie  nur  aus  zusammengewundenen  Theilen  der  Septen,  bald 
gestaltet  sie  sich  als  eine  eigene  poröse  (schwammige)  Masse. 

Zuweilen  wachs  diese  Säule  in  Form  einer  längeren  Spitze  über  die  Septen 
hinaus  und  stellt  ein  vorragendes  Stäbchen  dar.  In  anderen  Fällen  wachsen  auch 
noch  von  der  vorragenden  Säule  aus  den  Septen  oder  Stemlamellen  besondere 
Blätter  entgegen,  die  also  in  Strahlenform  die  Säule  umgeben.  Wir  können 
nicht  alle  Einzelheiten  im  mannigfach  sich  verwickelnden  Bau  der  Stern- 
Korallen  und  ihre  schwierige  Nomenclatur  hier  erörtern,  müssen  aber  noch 
der  Querböden  (tabulae)  gedenken,  die  besonders  bei  palaeozoischen  Korallen 
eine  wichtige  Rolle  spielen  und  daher  nicht  übergangen  werden  können. 

Manche  Anthozoen  heben  sich,  wenn  das  Gemäuer  der  Wohnzelle  im  Ver- 
laufe des  Wachsthums  eine  gewisse  Höhe  erreicht  hat,  in  derselben  etwas  empor 
und  scheiden  dann  gegen  unten  eine  Kalkplatte  ab,  welche  zwischen  den  Septen 
quer  (bezw.  horizontal)  verläuft.  Dies  kommt  besonders  bei  Asträiden  z.  B.  Stylina 
vor.  Werden  die  queren  Platten  zu  vollständigen  Scheidewänden,  die  vom  Ge- 
mäuer ununterbrochen  zur  Achse  fortsetzen,  so  heissen  sie  Böden  (tabulae,  französ. 
planchers).  Sehr  ausgebildet  und  zahlreich  erscheinen  diese  queren  Böden  bei 
den  palaeozoischen  Favosites-hiten,  die  mit  einigen  verwandten  Gattungen  darnach 
auch  als  Tabulaten  bezeichnet  wurden. 

Ebenso  erscheinen  die  Böden  bei  den  palaeozischen  Cyathophyllen  und  anderen 
verwandten  Gattungen  der  Tetrakorallien  sehr  ausgebildet.  Die  Gattung  Cysti- 
phyllum  zeichnet  sich  durch  eine  zusammengesetztere  Auffüllung  des  Grundes  der 
Wohnzelle  aus.  Die  Septen  stellen  nur  wenig  vortretende  Streifen  dar  und  der  innere 
Raum  füllt  sich  von  unten  nach  oben  durch  flache  blasenförmige  Abscheidungen 
aus,  welche  die  Bedeutung  von  Böden  haben. 

Auch  die  Aussenseite  des  Gemäuers  der  Wohnzelle  zeigt  besondere  Charaktere. 
Namentlich  sind  viele  Korallen  der  Länge  nach  gerippt  und  die  Rippen  ent- 
sprechen dann  oft  der  Zahl  der  Septen  oder  sie  fallen,  wo  das  Gemäuer  nur 
dürftig  ausgebildet  ist,  ganz  mit  letzteren  zusammen. 

Dazu  kommt  bei  manchen  Korallen  noch  eine  äussere  (epidermidale)  Kalk- 
Rinde,  welche  sich  übei  Gemäuer  und  Rippen  ansetzt.  Dieselbe  heisst  Epithek. 
Sie  bildet  gern  querlaufende  Runzeln.  Bisweilen  verlängert  sie  sich  auch  in 
wurzelartige  Ausläufer,  mittelst  welcher  sich  das  Thier  auf  Steinen  oder  anderen 
festen  Gegenständen  anheftet. 

Um  eine  neue  Stufe  verwickelt  sich  Bau  und  Nomenclatur  der  Anthozoen 
mit  dem  Auftreten  zusammengesetzter  Stöcke,  namentlich  wenn  dabei  die  Thier- 
Individuen  der  Stöcke  sich  nur  unvollständig  von  einander  trennen  und  mit  dem 
oberen  Körpertheil  (und  dem  Kelch  der  Wohnzelle)  in  Zusammenhang  bleiben. 

Die  wenigsten  Anthozoen  bleiben  immer  einfache  Individuen,  welche  nur  durch 
Eier  sich  fortpflanzen.  Weit  häufiger  ist  die  Bildung  zusammengesetzter  Stöcke 
durch  Knospenbildung  (getnmation)  oder  eine  mehr  oder  minder  weit  gehende 
Selbsttheilung  (fissipariti)  der  Individuen. 

Am  einfachsten  ist  noch  die  Stockbildung  auf  dem  Wege  der  Knospung. 
Es  entsteht  dabei  an  dem  oberen  Rand  des  Thiers  eine  knospenartige  Anschwellung, 
die  allmählich  zu  einem  neuen  röhrenförmigen  Thier  heranwächst,  welches  sich  je- 
doch vom  mütterlichen  Stamme  nicht  mehr  ablöst.  Die  Individuen  hängen  dann 
nur  am  Grunde  zusammen  und  bleiben  von  da  und  namentlich  mit  dem  Kelch- 
rande  frei.     So  ist  es  z.  B.  mit  der  noch  lebenden  Cladocora  caespitosa  Lam.  des 

3* 


36  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

9 

Mittelmeers,  ebenso  verhält  sich  Cyathophyllum  caespitosum  Goldf.  aus  dem  devo- 
nischen Kalke  der  Eifel. 

Bei  anderen  Stöcken  bleiben  die  Individuen  bis  gegen  den  Kelchrand  hin  in 
beständiger  Verbindung  z.  B.  durch  Poren  des  Gemäuers.  So  ist  es  z.  B.  bei 
den  palaeozoischen  Favosites-  oder  Calamoporch Krtexi, 

In  noch  anderen  Fällen  hängen  die  Individuen  eines  Stockes  in  Folge  unvoll- 
ständiger Sonderung  des  Kelchs  in  Längsreihen  (Calicial-Serien)  zusammen  und 
stellen  dann  oft  mäandrische  Zeichnungen  auf  der  Oberfläche  des  Stockes  dar. 
So  bei  der  lebenden  Gattung  Maeandrina  und  einer  Anzahl  verwandter  fossil 
vorkommender  Gattungen. 

Bei  den  Korallenstöcken  wiederholen  sich  dann  die  Gebilde  der  Einzel- 
korallen, aber  oft  in  viel  verwickelterer  Weise.  Bei  manchen  Stöcken  ist  das 
Gemäuer  der  Individuen  unausgebildet  oder  sehr  porös  durch  Sarkode-Stränge, 
welche  die  einzelnen  Individuen  in  Verbindung  erhielten.  Bei  anderen  Formen 
gehen  auch  von  einem  Thierindividuum  die  Septen  ununterbrochen  durch  das  Ge- 
mäuer, von  einer  Wohnzellen-Achse  zur  anderen  (septa  confluentia)  z.  B.  bei  den 
TAamnasfraea-Aiten  des  Jura  und  der  Gosau. 

In  anderen  Fällen  entwickelt  sich  zwischen  den  Gemäuern  benachbarter  Wohn- 
zellen eines  Stockes  ein  blättriges  oder  poröses  Kalkgewebe,  das  sogen.  Cönen- 
chym  (Gemeingewebe).  Ausgezeichnet  ist  dieses  z.  B.  bei  Heliolites  porosus  Goldf. 
aus  dem  devonischen  Kalke  der  Eifel,  wo  es  Längsröhren  und  quere'Böden  zeigt 
und  einen  breiten  Zwischenraum  zwischen  den  Wohnzellen  ausfüllt.  Gemeinsame 
Bildung  äusserer  Rippen  und  über  diesen  noch  ein  gemeinsamer  Absatz  einer 
äusseren  runzeligen  Kalkschichte  (Epithek)  kommt  ebenfalls  bei  Korallen-Stöcken 
vor.  Bisweilen  setzt  sich  auch  wieder  die  äussere  Kalkrinde  in  wurzelartige  Ver- 
längerungen fort,  mittelst  welcher  der  ganze  Stock  sich  auf  einer  festen  Grund- 
lage anheftet,  wie  dies  namentlich  bei  der  Gattung  Michelinia  aus  dem  Kohlen- 
kalk von  Tournay  ausgezeichnet  vorkommt. 

Wir  können  nicht  alle  diese  mannigfaltigen  Einzelheiten  erschöpfen.  Wir 
gehen  zur  Bildung  der  Korallen-Riffe  über. 

Ein  Theil  der  Anthozoen  erlangt  besondere  geologische  Bedeutung  durch  den 
allmählichen  Aufbau  der  sogen.  Korallen-Riffe  (engl,  reefs,  coral-banks)^  die  in 
tropischen  Meeren  sich  wie  vorgeschobene  Mauern  weithin  entlang  der  Küsten 
erstrecken  (z.  B.  an  der  Nordost-Küste  von  Australien  auf  mehr  als  200  deutsche 
Meilen)  oder  vereinzelt  aus  dem  Meere  hervorragende  Inseln  umziehen,  auch  wohl 
als  hohe  Oberbauten  noch  die  Stelle  versunkener  Inseln  oder  Inselgruppen  an- 
zeigen. 

Der  Riffbau  beruht  darauf,  dass  das  aus  dem  Mutterthier  durch  Knospung 
oder  Selbsttheilung  hervorgehende  neue  Individuum  mit  demselben  in  Verbindung 
bleibt,  gleich  demselben  ein  festes  Kalk-Skelett  abscheidet  und  entsprechend  zum 
Aufbau  des  gemeinsamen  Felsgeflechtes  beiträgt.  Diese  Art  des  Wachsthums 
geschieht  nur  bei  verhältnissmässig  wenigen  Arten  in  solcher  Massenhaftigkeit,  dass 
daraus  ein  geschlossener  Riffbau  hervorgehen  kann. 

Eine  Menge  anderer  Korallen,  wie  auch  Anneliden,  Mollusken,  See-Igel  u.  s.  w. 
siedeln  sich  dann  unter  dem  Schutze  der  emporwachsenden  Mauer  an,  während 
Fische  mit  harten  Mahlzähnen  dieselben  umkreisen,  um  die  weichen  belebten 
Theile  abzuweiden. 

Korallen-Riffe  entstehen  heutzutage  nur  in  Meeren  der  tropischen  oder  auch 
wohl    noch    der   subtropischen    Zonen.     Am    verbreitetsten    sind    sie    zwischen 


Anthozoen.  37 

28**  nördl.  und  28°  südl.  Breite.  Die  riff bildenden  Arten  erfordern  eine 
mittlere  Meerestemperatur  von  25 — 30°  C,  nur  wenige  derselben  leben  noch  bei 
20  oder  16°  mittlerer  Wärme.  Im  atlantischen  Meere  hat  Florida  mit  den 
Bahama-Inseln  und  den  Bermudas  (32°  51')  die  nördlichsten  Korallen-Bauten. 

Das  Vorkommen  ansehnlicher  Korallenriffe  in  älteren  Ablagerungen  —  vom 
Süur-System  bis  zur  oberen  Kreide  —  spricht  also  für  die  wärmere  Temperatur 
des  Meeres  der  früheren  geologischen  Epochen.  Die  Riffbildung  in  der  Kreide- 
Epoche  geht  noch  bis  55°  und  56°  nördl.  Br.  (Faxoe  auf  Seeland.) 

Die  riffbauenden  Korallen  leben  auch  in  den  tropischen  Meeren  nur  vom 
mittleren  Wasserspiegel  bis  zu  einer  Tiefe  von  30  bis  etwa  40  Meter. 

Die  Riffbauten  im  grossen  Senkungsgebiete  des  indisch-pacifischen  Oceans 
reichen  mit  jähen  Mauerabfällen  in  weit  grössere  Tiefen,  bestehen  aber  unter- 
halb der  tiefsten  Zone,  in  welcher  die  Thiere  noch  leben  können,  aus  abgestorbenen 
Stöcken. 

Es  erweist  dies  die  fortdauernde  allmähliche  Senkung  der  betreffenden 
Meeresregionen.  Sie  geht  so  langsam  vor  sich,  dass  die  riffbauenden  Korallen 
im  Laufe  von  Jahrtausenden  Zeit  fanden,  an  den  oberen  Rändern  des  sinkenden 
Riffs  nachzubauen  und  dessen  Scheitel  fortwährend  im  Spiegel  des  Meeres  zu 
erhalten. 

Die  erste  Stufe  des  Vorganges  ist  eine  von  dem  vorragenden  Berg-Gipfel 
eines  der  Senkung  verfallenden  Festlandes  bedingte  Insel,  umsäumt  von  einem 
an  dem  Abhang  derselben  entstandenen  Korallenriffe,  einem  normalen.  Saum - 
Riff.  Im  weiteren  Verlaufe  des  Vorganges  verfallt  auch  der  Gipfel  des  betreffen- 
den Berges  der  Versenkung.  Es  bleibt  dann  unter  beständigem  Nachwachsen  nur 
der  Scheitel  der  Korallenbauten  in  der  Spiegelhöhe,  wobei  gewöhnlich  noch  eine 
von  Meereswasser  erfüllte  Lücke  der  Mitte  die  Stelle  der  längst  verschwundenen 
Bergspitze  andeutet.  Dies  sind  die  sogen.  AtolTs  oder  ringförmigen  Korallen- 
Inseln,  Lagunen-Riffe,  deren  man  hunderte  kennt  (im  tropischen  Theil  des  Stillen 
Meeres  allein  290).  Jedes  Atoll  des  indopacifischen  Oceans  entspricht  einer  Berg- 
spitze eines  versunkenen  Festlandgebiets. 

Man  kennt  Korallenriffe,  deren  äusserer  Mauerabfall  eine  Höhe  von  600  Meter 
ergiebt,  auch  noch  darüber.  Das  Nachwachsen  der  rifFbildenden  Madreporen 
wird  zu  höchstens  2  Centim.  im  Jahre  veranschlagt.  Es  ist  also  offenbar,  dass 
zahlreiche  Riffe  seit  vielen  Jahrtausenden  im  Nachwachsen  begriffen  sind. 

Man  kann  darnach  auch  annehmen,  dass  Korallen-Lager  älterer  geologischer 
Epochen,  besonders  wenn  sie  grosse  Mächtigkeit  zeigen,  einem  allmählicher  Senkung 
verfallenen  Meeresgebiete  angehören,  dessen  Senkung  so  langsam  erfolgte,  dass 
die  riff  bildenden  Thiere  fortwährend  nachwachsen  konnten. 

Die  Klasse  der  Anthozoen  ist  vom  unteren  Silur-System  an  in  den  Meeres- 
absätzen aller  geologischen  Formationen  vertreten.  In  den  ältesten  sedimentären 
Schichten  sind  die  Funde  noch  zweifelhaft.  Sicher  werden  sie  in  der  zweiten 
Silur-Fauna  und  im  oberen  Silur-System  (dritte  Silur-Fauna)  treten  sie  in  reicher 
Formen-Mannigfaltigkeit  auf.  Sie  bilden  hier  schon  riffartige  Lager,  z.  B.  auf  der 
Insel  Gothland.  Aehnliche  Riffe  bilden  sie  im  devonischen  Kalke  der  Eifel,  z.  B. 
zu  Gerolstein  und  zu  Bensberg  bei  Cöln. 

Vorherrschend  in  diesen  älteren  Ablagerungen  sind  die  Tetracorallia  mit 
Cyathophylium ,  Cystifhylium  u.  s.  w.  vertreten.  Mit  ihnen  mehrere  Tabulaten, 
namentlich  die  Gattimgen  Calamopora  oder  Favosites  und  Aiveolites,  die  man  jetzt 
unter  die  Hexacoraüia  stellt.    Femer  eine  Anzahl  von  Röhrenkorallen  wie  Haly- 


38  Mineralogie,  Geologie  und  PaUeontologie. 

Sites,  Syringopora  und  Auiofora,  die  man  neuerdings  den  lebenden  Tubiporiden 
(Octocoraüia)  zuzählt.  Femer  die  in  ihrer  systematischen  Stellung  schwankenden 
HelioiiteS'ATtm.  Aehnlich  ist  auch  noch  die  Korallen-Fauna  des  Kohlenkalks 
und  die  sehr  spärliche  des  permischen  Systems  (Zechstein).  Aber  darnach  tritt 
eine  bedeutende  Aenderung  ein. 

Wo  diese  palaeozoischen  Korallen  ihren  Ursprung  nahmen,  ist  aus  dem 
geologischen  Archive  nicht  zu  ersehen.  Aus  anatomisch-physiologischen  Gründen 
leitet  E.  Haeckel  die  Anthozoen  zusammen  mit  den  Hydroiden  von  den  Spon- 
gien  her.  Unter  diesen  treten  nämlich  schon  ähnliche  strahlig  gebaute  Gestalten 
(aber  noch  mit  schwankendem  Zahlenverhältniss  der  Antimeren)  auf,  die  eine 
gewisse  vermittelnde  Stellung  einnehmen  und  die  Abstammung  der  Korallen  von 
strahligen  Spongienformen  älterer  Epochen  wahrscheinlich  machen. 

Nach  Ablagerung  des  Zechsteins  erlitt  die  Anthozoen-Fauna  der  Meere  eine 
beträchtliche  Umgestaltung  —  zusammen  mit  anderen  Ordnungen  der  Pflanzen- 
und  Thierwelt  —  durch  Einfluss  geologischer  Verhäitnisse,  deren  Natur  wir  zu 
durchschauen  zur  Zeit  noch  vergeblich  trachten. 

Im  Jurakalk  z.  B.  zu  Nattheim  in  Schwaben  und  in  der  Kreideformation, 
besonders  in  der  Gosau  (Salzburg)  erscheinen  wieder  mächtige  Korallen-Ab- 
lagerungen, aber  sie  enthalten  ganz  andere  Anthozoen-Gattungen,  als  die,  welche 
wir  im  silurischen  und  im  devonischen  System  herrschend  trafen.  Statt  dieser 
herrschen  in  den  Korallen-Riffen  der  Jura-  und  der  Kreide-Formation  Hexa- 
korallien  von  sechszähligem  Septal- Apparat,  namentlich  aus  den  Gattungen 
Thamnastraea  (und  Synastraea),  Isastraea,  Maeandrina,  Stylina,  AstrocoeniOy  MofU- 
livaltia  (oder  Anthophyüum),  Thecosmilia^  Calamophyllia,  Cyclolites  u.  s.  w. 

Die  Hexakorallien  bilden  auch  die  Hauptmasse  der  heutigen  tropischen 
Korallen-Riffe,  aber  meist  wieder  in  anderen  Gattungen,  namentlich  Mctdrepora, 
Porites,  Astraea,  Maeandrina,  Milkpora  u.  s.  w.  Gewisse  heute  lebende  Ibrites- 
Arten  können  für  sich  allein  in  den  Tropen  Stöcke  von  8—9  Meter  Durchmesser 
aufbauen. 

Wir  gehen  nun  zum  System  der  Anthozoen  über.  Diese  KUasse  zerfällt  in 
zwei  Hauptordnungen  Alcyonaria  öder  Octactinia,  OctocoraUia  mit  herrschender 
Achtzahl  und  Zoantharia, 

Die  Alcyonarien,  OctocoraUia^  sind  Anthozoen  mit  stets  acht  regelmässig 
gefiederten  Tentakeln,  die  Eingeweidehöhle  (caviti  viscerale)  ist  durch  acht 
Mesenterialfalten  in  ebenso  viele  Gefächer  abgetheilt. 

Unter  diesen  achtzähligen  Korallen  zeichnen  sich  die  Gattungen  Isis,  Coral- 
lium  und  Mopsea  durch  eine  feste,  theils  kalkige,  theils  homige  Achse  des  Stockes 
aus,  die  aber  nur  scheinbar  ein  inneres  Gebilde  ist,  in  Wirklichkeit  aus  einer 
epidermalen  Ausscheidung  besteht,  die  dem  Epithek  anderer  Korallen  entspricht 
Der  Stock  beginnt  an  der  Unterseite,  wo  er  auf  einer  festen  Grundlage  sich  an- 
geheftet hat,  mit  einer  festen,  epidermalen  Ausscheidung,  über  der  dann  eine 
Reihe  neuer  Schichten  sich  ablagern,  so  dass  eine  feste  Säule  entsteht  (colonnt 
sclerenchymateuse),  die  dem  baumförmig  fortwachsenden  Stock  einen  innem  Halt 
ertheilt.  An  der  Oberfläche  dieser  von  unten  nach  oben  nachwachsenden  Achse 
sitzen  die  Thierindividuen,  deren  gemeinsame  Basal-Epidermis  das  gemeinsame 
Skelett  des  Stockes  erzeugt  und  an  der  Spitze  von  Stamm  und  Zweigen  fortbildet. 

Einige  wenige  Arten  kommen  fossil  vor,  namentlich  in  tertiären  Meeres- 
schichten. 

Corallium  pcUlidum  Michelin  aus  dem  Miocän  von  Turin  (CorcUlium  rubrum 


Anthozoen.  39 

MiCHBLOTTi)  Steht  der  heute  im  Mittelmeer  lebenden  rothen  Edelkoralle  (Coral- 
lium  rubrum  Lam.)  (Isis  nobüis  L.)  nahe,  unterscheidet  sich  aber  durch  feinere 
Oberflächen-Streifung  der  verzweigten  Stock-Achse. 

Die  PennatuUden  oder  Seefedem  bilden  ähnliche  Stöcke  mit  gemeinsamer 
fester  Stockachse,  die  Stöcke  sind  aber  nicht  fest  gewachsen,  sondern  stecken 
mit  der  stabförmig  verlängerten  Stock-Basis  in  Sand  oder  Schlamm,  treiben  auch 
wohl  gelegentlich  im  Meere  frei  umher.  Von  Virgularia  und  Pavonaria  werden 
fossile  Funde  erwähnt. 

Interessanter  sind  die  Tubiporiden  des  indisch-australischen  Meeresgebietes. 
Tubipora  bildet  grosse  kalkige  Stöcke  von  cylindrischen,  gedrängt  stehenden, 
fast  parallel  emporwachsenden  Wohnzellen.  Sie  zeigen  auf  der  Innenseite  keine 
Septen,  wohl  aber  erscheinen  sie  absatzweise  von  queren  Böden  (tabulae)  durch- 
setzt, die  dem  Emporsteigen  des  anwachsenden  Thieres  entsprechen.  Aehnliche 
quere  Böden  bilden  sich  auch  ausserhalb  der  Wohnzellen  und  verbinden  die 
einzelnen  Röhren  derselben  zu  einem  festen  Stockwerksbau.  Hiervon  der  Name 
Oigelkoralle.  Linnä  vereinigte  alle  ihm  bekannten  Formen  unter  der  Bezeich- 
nung Tubipora  musica.  Es  giebt  aber  in  den  tropischen  Meeren  eine  viel  grössere 
Anzahl  von  Arten. 

Aus  Europa  kennt  man  keine  fossilen  Tubiporen,  wohl  aber  aus  den  palaeo- 
zoischen  Formationen  aller  Erdtheile  eine  Reihe  von  Gattungen  schwer  zu  deu- 
tender Röhrenkorallen,  die  man  —  wie  seinerseits  schon  Linn£  —  nach  mancherlei 
Deutungen  —  neuerdings  wieder  den  Tubiporiden  anreiht. 

Es  gehören  dahin  namentlich  die  Gattungen:  Halysitcs  Fisch.  (CaUnipora 
Lam.);  Syringopora  Goldf.;  Aulopora  Goldf. 

Beide  ersteren  wurden  ehedem  den  Tabulaten  zugezählt. 

Haly Sites  (Catenipora)  bildet  Stöcke  von  langprismatischen,  etwas  an  den 
Seiten  zusammengedrückten,  neben  einander  emporwachsenden  Wohnzellen.  Sie 
hängen  mit  den  schmäleren  Seiten  zusammen,  so  dass  auf  der  Scheitelfiäche  des 
Stockes  die  Mündungen  die  Gestalt  zusammenhängender  Ketten  darstellen.  Im 
Innern  zeigen  die  Wohnzellen  zahlreiche  horizontale  Querböden  (tabuUu^  planchers) 
sowie  schwach  ausgebildete  Septen  (angeblich  12). 

HalysiUs  catenularia  Lam.  (Catenipora  escharoides  Goldf.,  Tubipora  catenu- 
laria  LiN.)  ist  häufig  im  obem  Silur  von  Gotland,  Dudley  in  England  u.  a.  O. 
Die  jungen  Röhren  setzen  sich  zur  Seite  einer  älteren  oder  zwischen  je  zwei 
älteren  an. 

Die  Gattung  Syringopora  bildet  ähnliche  Stöcke,  aber  die  Wohnzellen  sind 
drehrund  und  hängen  nur  in  bestimmten  Höhenabständen  durch  feine  horizon- 
tale Röhren  mit  einander  zusammen.  Tafeln  ausgebildet,  Septen  schwach  ange- 
deutet, Arten  im  silurischen,  devonischen  und  carbonischen  System. 

Hierzu  kommt  noch  aus  dem  devonischen  System  die  in  ihrer  zoologischen 
Stellung  sehr  schwankende  Gattung  Aulopora,  Sie  zeigt  ein  röhrenförmiges  Ge- 
mäuer, das  statt  der  Septen  nur  eine  Längs-Streifung  der  Innenseite  erkennen 
lässt  Auch  fehlen  hier  die  Böden.  Die  Vermehrung  geschieht  durch  seitliche 
Rnospung. 

Aulopora  repens  Walch.  (Tubiporites  serpens  Schloth.)  ist  eine  häufige  und 
bezeichnende  Röhrenkoralle  des  devonischen  Kalks  (z.  B.  zu  Gerolstein  in  der 
Eifel  und  Bensberg  bei  Cöln).  Der  Stock  kriecht  in  Netzform  auf  anderen  Ko- 
rallen umher  und  vermehrt  sich  reichlich  durch  Sprossen,  die  dicht  neben  den 
Röhren-Mündungen  hervorbrechen  und  mit  dem  Mutterthier  in  Verbindung  bleiben. 


40  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  Gattung  Aulopora  ist  in  sicheren  Arten  nur  aus  dem  devonischen  System 
bekannt,  aber  in  zoologischer  Hinsicht  eine  schwer  unterzubringende  Fonu. 
(Manche  Bryozoen  sind  sehr  ähnlich  und  zu  diesen  rechnet  man  jetzt  auch  die 
den  Auloporen  ähnlichen  Fossilien  des  Jura-Systems,  Alecto  Lamx.) 

Mannigfache  Deutung  fand  die  in  den  heutigen  tropischen  Meeren  lebende 
Gattung  Heliopora  Blainv.,  ausgezeichnet  durch  Stemlamellen  der  Wohnzellen 
und  reichliches  röhriges  Cönenchym.     Die  Thiere  fuhren  acht  Tentakeln. 

Ebenso  zweifelhaft  im  System  ist  die  der  vorigen  ähnliche  palaeozoische 
Gattung  Heliolites  Dana.  Bei  dieser  zeigen  die  Wohnzellen  der  grossen  knolligen 
oder  rasenförmigen  Stöcke  ausgezeichnet  deutliche  Stemlamellen,  septa,  in  der 
Zwölfzahl.  Querüber  verlaufen  horizontale  Böden  oder  iabulae,  Sie  tragen  in  der 
Mitte  eine  kleine  Säule.  Zwischen  den  Wohnzellen  erscheint  eine  feinröhren- 
förmige epidermale  Ausscheidung  mit  quer  durchstreichenden  Böden,  sie  nimmt 
einen  breiten  Zwischenraum  zwischen  den  Wohnzellen  ein.  Dies  ist  das  Cönen- 
chym oder  Gemeingewebe. 

Heliolites  insterstincta  Linnä  ist  häufig  in  den  Korallen-Bänken  des  oberen 
Silur  von  Dudley  in  England  und  auf  der  Insel  Gothland. 

Heliolites  porosa  Edw.  (Astraea  porosa  Gou)F.)  erscheint  häufig  und  wohl- 
erhalten im  devonischen  Kalk  von  Gerolstein  mit  ausgezeichnet  12  zähligem 
Septal-Apparat.  Diese  devonische  Art  schliesst  sich  unmittelbar  der  silurischen 
an.     Das  Cönenchym  der  devonischen  ist  stärker  entwickelt. 

Man  stellt  neuerdings  Heliolites  zusammen  mit  Heliopora  zu  den  Oktokorallien. 

Wir  kommen  zur  zweiten  Hauptordnung  Zoantharia. 

Sie  begreift  Thiere  mit  einer  verschiedenen,  oft  sehr  grossen  Anzahl  von 
Tentakeln  (6 — 12  und  mehr),  die  bald  einfach  bald  unregelmässig  verästelt  sind. 
Die  Mesenterialfächer  und  mit  ihnen  auch  die  kalkigen  Septen  erscheinen  bald 
in  Vervielfachung  der  Vierzahl,  bald  der  Sechszahl. 

Dahin  gehören  wieder  eine  Reihe  sehr  verschieden  gearteter  Formen,  theils 
von  weichem  Körper,  theils  mit  hornigen,  theils,  und  dies  in  den  meisten  Fällen, 
kalkigen  Skelettbildungen. 

Zoantharien  von  weichem  Körper  ohne  Skelett-Bildung  sind  die  an  den 
Meeresküsten  häufigen  Actinien  oder  See-Anemonen.  Sie  sitzen  mittelst  einer 
Fussscheibe  an  Felsen  und  können  mittelst  derselben  fortkriechen.  Sie  eignen 
sich  nicht  wohl  zu  fossiler  Erhaltung  und  sind  darnach  aus  älteren  Formationen 
nicht  bekannt. 

Eine  hornige  Stockachse  bilden  die  Antipathiden  oder  Stauden- Korallen. 
Sie  ist  denen  gewisser  Alcyonarien  ähnlich  und  ebenfalls  eine  von  der  Basis 
zum  Gipfel  des  Stockes  aufwachsende  (scheinbar  innere)  Epidermal-Ausscheidung, 
aber  die  auf  ihrer  Aussenfläche  sitzenden  Tbierindividuen  haben  sechs  einfache 
Tentakeln. 

Man  kennt  fossile  Reste  als  Seltenheit,  wie  Leiopathes  vetusta  Micht.  aus 
Miocänschichten  von  Turin. 

Weit  wichtiger  sind  von  den  Zoantharien  die  mit  festem  verkalkendem 
Skelett  ausgestatteten  Madreporarien  {Zoantharia  sclerodermata) ,  Sie  erscheinen 
bald  als  freilebende  vereinzelt  bleibende  Individuen,  bald  zu  mannigfach  gestalteten 
Stöcken  vereinigt,  zeigen  in  der  Regel  einen  wohl  ausgebildeten  Septal-Apparat 
und  erscheinen  in  zalilreichen  Arten,  Gattungen  und  Familien  vom  unteren  Silur- 
System  an  fossil.  Zu  ihnen  gehören  auch  die  Mehrzahl  der  Riff-Korallen  der 
älteren  Epochen  und  die  der  heutigen  tropischen  Meere. 


Anthozoen.  41 

Die  Madreporarien  zerfallen  in  zwei  grosse  Abtheilungen,  Tetracoraüia  mit 
vierzähligem  Septal -Apparat  (Typus  tetrameralis)  und  Hexacorallia  mit  sechs- 
£ähligem  Septal-Apparat  (vom  typus  hexameralis.) 

Von  ihnen  herrschen  dieTetracorallien  (Zoantharia rugosa Milne Edwards) 
in  den  palaeozoischen  Epochen,  werden  im  permischen  System  (Zechstein)  selten 
und  erscheinen  in  den  späteren  Formationen,  nur  noch  in  vereinzelten  Arten. 

Der  Septal-Apparat  der  Tetrakorallien  zeigt  bei  manchen  Gattungen  die 
Grundzahl  vier  in  ausgezeichneter  Weise  erhalten.  Bei  anderen  gestaltet  er  sich 
mehr  bilateral-symmetrisch.  Oder  es  erscheint  auch  eine  von  einem  stärker  aus- 
gebildeten Haupt-Septum  ausgehende  fiederartige  Stellung  der  benachbarten 
Septen.  Endlich  kann  auch  eine  regelmässig  radiäre  Anordnung  der  Septen 
eintreten,  in  welcher  die  primäre  Grundzahl  vier  sich  scheinbar  verloren  hat. 

Hierher  gehören  namentlich  die  in  den  Korallenlagem  des  silurischen  und 
des  devonischen  Systems  reichlich  vertretenen  Cyathophyllen  oder  Becher- 
Korallen,  an  die  sich  eine  ganze  Reihe  Subgenera  anschliessen. 

Ein  ausgezeichneter  Vertreter  ist  Cyathophyllum  helianthoides  Goldf.  Diese 
Art  erscheint  bald  in  einzeln  bleibenden  Individuen  von  flacher  Kegelform  und 
kreisrundem  Umriss  der  Oberseite.  Bald  entstehen  auch  durch  seitliche  Knospen- 
bildung ausgebreitete  plattenförmige  Individuen-Stöcke,  deren  Individuen  sich  an 
der  Oberfläche  polygonal  zusammendrängen.  Die  Septalsteme  zeigen  bei  der 
einen  wie  bei  der  anderen  Gestaltung  sehr  zhlBreiche  (60 — 80)  und  unter  einander 
fast  gleich  starke  Septen,  die  bis  zum  Mittelpunkte  reichen,  wo  sie  etwas  unregel- 
mässig werden  und  sich  krümmen. 

Diese  Art  ist  häufig  im  devonischen  Kalke  zu  Gerolstein  u.  a.  O.  in  der  Eifel. 

Auch  Cyathopkyllutn  caespitosum  Goldf.  ist  im  Eifeler  Kalke  gemein  und  tritt 
oft  z.  B.  zu  Bensberg  bei  Cöln  als  Riff'-Bilder  auf.  Die  Individuen  sind  bei 
dieser  Art  schlank-walzenförmig,  vermehren  sich  durch  Knospung  an  der  Seite 
des  Kelches,  gabeln  sich  dann  und  bleiben  von  da  an  mehr  oder  minder  frei, 
ohne  sich  gegenseitig  polygonal  zu  drücken.  Die  Septen  sind  dünn  und  er- 
scheinen zu  40  bis  50. 

Die  Gattung  Cystiphyüum  Lonsd.  steht  den  Cyathophyllen  nahe,  zu  welchen 
sie  GoLDFUSS  noch  zählte.  Der  Septal-Apparat  verkümmert  hier  sehr  und  zeigt 
sich  nur  noch  in  Gestalt  von  schwach  hervortretenden  Längsstreifen.  Dafür  zeigt 
sich  eine  im  Verlaufe  des  Wachsthums  immer  höher  ansteigende  Aufftillung  der 
Wohnzelle  durch  zahlreiche  flache  blasenförmig  aufgewölbte  Kalk-Blätter,  welche 
den  Querböden  (tabulae)  anderer  Korallen  entsprechen. 

Cyst  vesiculosum  Goldf.  bildet  grosse,  walzenförmige  Individuen  von  2  bis 
10  Centim.  Durchmesser  und  ist  häufig  mit  vorigen  zu  Gerolstein  u.  a.  O. 

Zu  den  Tetrakorallien  zählt  man  neuerdings  auch  ein  wichtiges  palaeozoisches 
Fossil,  die  Gattung  Calceola  Defr,  die  aber  in  der  Gestalt  des  festen  Skeletts 
seltsam  abweicht.  Man  zählte  die  Calceolen  lange  zu  den  Brachiopoden,  denen 
sie  durch  ein  mit  einem  Deckel  versehenes  gehäuseartiges,  bilateral-gleichseitiges, 
ungleichklappiges  Kalkgebilde  ähneln,  wiewohl  immer  Bedenken  dagegen  ver- 
lauteten. Neuere  Palaeontologen  betrachten  Calceola  als  eine  Deckelkoralle  der 
Ordnung  Tetracorallia. 

Die  Wohnzelle  ist  pantoffelförmig  oder  eher  noch  einer  Schuhspitze  ähnlich, 
>ehr  dickschalig,  mit  ziemlich  tiefem  Kelche.  Die  Aussenseite  ist  mit  einet 
ninzeligen  Schicht  (Epithek)  belegt.  Die  Septen  sind  sehr  schwach  entwickelt 
und  nur  durch  mehr  oder  minder  erhabene  Längslinien  angedeutet.    Das  Haupt- 


42  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Septum  Hegt  in  der  Mediane  des  Kelchs,  an  der  mit  dem  Deckel  articulirenden 
flacheren  Seite  und  wurde  früher,  als  man  CaUeola  zu  den  Brachiopoden  zählte, 
für  einen  Theil  des  Schloss-Apparates  genommen. 

CaUeola  sandalina  Lam.  wird  26 — 52  Millim.  lang  und  findet  sich  häufig  und 
wohlerhalten  zu  Gerolstein  in  der  Eifel,  wo  sie  die  untere  Region  der  mittleren 
Abtheilung  des  Devon-Systems  auszeichnet. 

Die  Hexacorallia  oder  sechszähligen  Anthozoen,  ausgezeichnet  durch  die  im 
Septal- Apparate  mehr  oder  minder  hervortretende  Sechszahl  {typus  hexanuraüs) 
sind  in  den  palaeozoischen  Formationen  durch  eine  Reihe  von  minder  typisch 
ausgeprägten  Formen  vertreten,  die  zum  Theil  noch  von  schwankender  syste- 
matischer Stellung  sind.  Wohlausgeprägt,  in  einer  ganzen  Reihe  von  Familien, 
Poritidae^  Fungidae^  Astnuidae,  Oculimdaej  Turbinolidae  u.  s.  w.  erscheinen  sie 
in  der  Jura-  und  der  Kreide-Formation,  stellen  hier  die  Haupt-RiflF-Erzeuger  dar 
und  erscheinen  in  ähnlicher  Weise  auch  noch  in  den  heutigen  Meeren,  namentlich 
wärmerer  Zonen,  vertreten.  Der  Typus  hexameraüs  ist  bei  den  Anthozoen  über- 
haupt am  zahlreichsten  in  Arten,  Gattungen  und  Familien. 

Ein  Beispiel  einer  ausgezeichneten  Hexakorallie  ist  Tfucosmilia  trUhoioma 
GoLDF.  (Familie  Astraeidae)^  eine  im  oberen  Jura  von  Nattheim  in  Schwaben  sehr 
häufige  Art  Die  Wohnzellen  sind  schlank-walzenförmig  und  theilen  sich  im  Ver- 
laufe des  Wachsthums  durch  Bildung  neuer  Mittelachsen  (Selbsttheilung,*y£fÄJ^tfrfift!y 
in  zwei,  drei  oder  auch  mehr  neue  Aeste,  was  sich  in  gewissen  Abständen  öfter 
wiederholen  kann,  so  dass  daraus  grosse  meist  dreitheilig-doldenartig  verzweigte 
staudenformige  Stöcke  entstehen.  Die  Wohnzellen  haben  meist  13—26  Millim. 
Durchmesser  und  zeigen  gegen  30  starke,  gedrängte  am  freien  Rande  fein  ge- 
zähnelte  Septen,  zwischen  denen  sich  unvollständig  ausgebildete  quere  Blätter 
(traversn)  ansetzen,  welche  nicht  bis  zur  Achse  reichen.  Das  kräftige  geschlossene 
Gemäuer  zeigt  Längsrippen,  die  den  Septen  entsprechen  und  oft  ist  über  den 
Rippen  noch  eine  äussere  runzelige  Schichte  (ein  Epithek)  erhalten. 

In  grossen  scheibenförmigen  Individuen  erscheint  die  Gattung  CycloUtes  (Familie 
Fungidae),  die  für  die  Kreide-Formation,  besonders  die  Gosau-Ablagenmgen  der 
Ostalpen  bezeichnend  ist.  Der  Septalapparat  besteht  aus  äusserst  zahlreichen 
dicht  gedrängten  Septen.  Man  zählt  deren  bis  300  und  400  oder  noch  darüber. 
Die  flache  Unterseite  zeigt  eine  starke  concentrisch-runzlige  Aussenschicht  (Epi- 
thek).    Die  grösseren  Arten  erreichen  7  bis  8  Centim.  Durchmesser. 

Reichlich  vertreten  in  den  palaeozoischen  Meeresablagerungen  und  oft  an 
Riffbildungen  betheiligt  erscheinen  die  Favositiden  oder  Tabulaten  (Zoantharia 
tabulaia  Milne  Edwards  nach  Auschluss  der  Röhrenkorallen).  Ihre  Stöcke  be- 
stehen aus  dicht  zusammengedrängten,  durch  das  gegenseitige  Drängen  prismatisch 
gedrückten  Wohnzellen  mit  zahlreichen  stark  hervortretenden  queren  Böden 
(tabulat^  planchers).  Ihr  Septalapparat  ist  nur  schwach  angedeutet.  Das  Gemäuer 
der  einzelnen  aneinander  grenzenden  Wohnzellen  ist  dicht  und  innig  mit  den 
Nachbarzellen  verwachsen,  aber  von  einer  Anzahl  regelmässig  gestellter  Poren 
durchbrochen,  dutch  welche  die  Thier-Individuen  mit  einander  in  I^bensverband 
standen. 

Neuerdings  stellt  man  die  Favositiden  in  die  Nähe  der  Poritiden  (Htxa- 
CQralUaj,  Wo  sie  einigermassen  deutliche  Septen  bilden,  zeigt  sich  die  Sech^- 
oder  die  Zwölf-Zahl. 

Favcsites  Goihianduus  Lin.  ist  häufig  im  obersilurischen  Kalke  der  Insel 
Gothland,  ebenso  häufig  eine  nur  wenig  davon  abweichende  Art  FaoosUes  Goldjusu 


Anchniden.  43 

d'Orb.  (Calamopora  Gothlandica  Goldf.)  im  devonischen  Kalke  von  Gerolstein. 
Beide  bilden  hochgewölbte,  kugelige  oder  knollenförmige  Stöcke  mit  ungleich- 
grossen  Kelchen  (Wohnzellen- Ausmündungen)  von  drei  Millimeter  Durchmesser 
oder  etwas  darüber.     Die  Stöcke  erreichen  oft  30  Centim.  Grösse. 

Ein  anderer  Favositide  ist  Alveolites  suborbiciUaris  Lam.  (Calamopora  spongites 
GoLDF.  zum  Theil).  Die  Stöcke  werden  6  und  mehr  Centim.  gross,  bestehen  aus 
zahlreichen  kleinen  Wohnzellen  und  überwuchern  in  schwammähnlichen  Gestalten 
andere  Korallen.  Die  Mündungen  der  Wohnzellen  sind  unregelmässig  verbreitert, 
etwas  dreiseitig.  Ein  einzelnes  Septum  ist  deutlich  entwickelt.  Diese  Art  ist  in 
devonischen  KorallenrifTen  zu  Gerolstein  und  Bensberg  häufig. 

Zu  den  Favositiden  gehören  auch  die  im  Kohlenkalke  reichlich  auftretenden 
Gattungen  Chaetetcs  und  Michtliniay  erstere  beginnt  schon  im  unteren  Silur-System. 
Michelinia  bildet  wabenartige  Stöcke,  deren  äussere  Kalkrinde  (oder  Epithek) 
sich  in  wurzeiförmige  Verlängerungen  fortsetzt  und  mittelst  dieser  die  ganze 
Gesellschaft  auf  einer  festen  Unterlage  befestigt.  Michelinia  favosa  Kon.  hat 
seichte  durch  blasenartige  Querböden  aufgefüllte  Kelche  von  6 — 8  Millim.  Breite 
und  findet  sich  in  wohlerhaltenen  verkieselten  Exemplaren  im  Kohlenkalke  von 
Toumay  in  Belgien.  Diese  Koralle  sieht  auf  den  ersten  Anblick  wie  ein  Wespen- 
nest aus  (favuSy  die  Wabe). 


Arachniden 

von 

Dr.  Friedrich  Rolle. 

Die  Spinnen  und  spinnenartigen  Thiere,  Arachniday  Arachnoiäea,  sind  acht- 
beinige  Gliedfüsser,  in  der  grossen  Mehrzahl  auf  dem  Lande  lebend  und  durch 
eigenthümliche  Luftröhren  oder  Tracheen  (tracheM),  Luft  athmend,  Arthropoda 
tracluata. 

Hierher  gehören  die  Skorpione  und  ihre  Verwandten  ,  die  eigentlichen 
Spinnen,  Arane<u^  und  die  Milben,  Acari^  aber  auch  noch  besondere  ab- 
weichende Gruppen,  wie  die  Asselspinnen  oder  Pycnogoniden,  die  im  Meere 
leben  und  keine  besonderen  Athemorgane  erkennen  lassen. 

Sie  erscheinen  zusammen  mit  den  ihnen  zunächst  verwandten  Myriap öden 
und  Insekten  schon  in  einer  sehr  frühen  geologischen  Epoche  —  der  Stein- 
kohlenformation —  fossil  vertreten.  Ihre  älteren  Stammesverwandten  sind  aus 
dem  geologischen  Archiv  nicht  zu  ersehen.  Jedenfalls  waren  es  Crustaceen. 
E.  Haeckel  erkennt  in  der  heute  im  wärmeren  Asien  und  an  der  Wolga 
lebenden  Skorpionsspinne  oder  Walzenspinne,  Solifuga  oder  Solpuga  (GaUodes 
araneoides)^  bei  welcher  Kopf,  Brust  und  Hinterleib  noch  deutiich  geschieden 
sind,  der  Kopf  mehrere  beinartige  Kieferpaare,  die  Brust  an  drei  Ringstücken 
.Segmenten),  drei  wahre  Beinpaare  trägt,  einen  nur  wenig  veränderten  Nach- 
kommen, der  ältesten  Arachniden,  was  um  so  mehr  zulässig  ist,  als  auch 
die  Skorpione  der  Steinkohlenformation  nur  wenig  von  heute  lebenden 
Gattungen  sich  unterscheiden. 

Die  Solifugen  leitet  Haeckel  von  Cnistaceen  ab,  die  der  heutigen  Dekapoden- 
I^rve  oder  Zoea  ähnlich  gebaut  gewesen  sein  mögen.  Aber  von  diesen 
präsumtiven  Gliedern  der  Ahnenreihe  der  Arachniden  und  überhaupt  der  Arthro- 
poda tracheata  ist  bei  dem  heutigen  Stande  unserer  palaeontologischen  Sammlungen 
noch  kein  thatsächlicher  En^'eis  beizubringen. 


44  Mineraloge,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Den  Solifugen  (Soüfugae)  schliessen  sich  demnächst  die  Phryniden  (Phrynidae,, 
die  Skoq)ione  und  die  Bücherskorpione  an.  Endlich  folgen  in  weiterem  Abstand 
die  Spinnen  und  Milben,  beide  letztere  erst  aus  viel  jüngeren  geologischen 
Formationen  bekannt  und  offenbar  tiefer  umgewandelte  Stammesverwandte  der 
vorigen  darstellend. 

Die  Skorpione,  Scorpionidae,  fuhren  an  dem  schildförmigen  Kopfbruststück 
(Cephalothorax)  vier  Paar  gleich  gestaltete  Beine,  deren  letztes  Glied  in  ein 
Krallenpaar  ausgeht. 

Von  den  Mundwerkzeugen  (Tastern,  palpi)  ist  das  vorderste  Paar  ungewöhnlich 
stark  ausgebildet,  viergliedrig  und  läuft  in  eine  breite  Scheere  aus,  die  denen 
der  Krebse  ähnlich  ist,  sich  aber  dadurch  unterscheidet,  dass  der  äussere  Ast 
beweglich  ist,  überhaupt  mit  den  scheerenfiihrenden  Beinpaaren  der  Krebse  nicht 
morphologisch  identisch  ist,  eher  mit  den  Fühlern  (antennae)  der  Krebse.  Hinter  dem 
Kopf  brustschild  folgt  ohne  besondere  Einschnürung  der  breite,  lange,  aus  vielen 
(12)  Segmenten  bestehende  Hinterleib  (abdomen).  Er  läuft  in  einen  spitzen 
hakenförmigen  Stachel  aus,  der  in  Verbindung  mit  einer  Giftdrüse  steht 

Das  Kopfbruststück  trägt  auf  der  Oberseite  gegen  vom  zwei  grosse  Augen, 
die  auf  einer  besonderen  Erhöhung  stehen,  und  davor  noch  eine  Anzahl  (zwei 
bis  fünf  Paar)  kleinerer  Augen,  im  Ganzen  also  6  bis  12. 

Die  Skorpione  bewohnen  die  warmen  und  heissen  Regionen  von  Asien  und 
Afrika,  wo  sie  bis  gegen  15  Centim.  Länge  erreichen.  Der  nordafrikanische  An- 
droctonus  hat  zwei  grosse  und  5  Paar  kleinere  Augen. 

Der  kleine  europäische  Skorpion,  Scorpio  eurapaeus  L.,  lebt  in  Italien  noch 
bis  zum  Fuss  der  Alpen  und  bei  Triest. 

Man  kennt  Skorpione  als  seltene  Funde  schon  in  der  Steinkohlenformation. 

Cyclophthalmus  senior  Corda  aus  einer  Steinkohlenschicht  von  Chomle  bei 
Radnitz  in  Böhmen  ist  ein  echter  Skorpion,  zunächst  verwandt  mit  der  in  Nord- 
afrika heute  lebenden  Gattung  Androctonus, 

Er  stimmt  namentlich  mit  ihr  im  Auftreten  von  12  Augen,  die  aber  beider 
fossilen  Form  im  Kreise  stehen.  Die  Hauptaugen  erscheinen  bei  ihr  auch  vor 
den  Nebenaugen. 

Cyclophthalmus  senior  war  eine  grosse  Art.  Obschon  die  Schwanzspitze  nicht 
erhalten  ist,  erreicht  der  vorliegende  Theil  des  Thieres  doch  7  Centim.  I^änge. 

An  die  Skorpione  schliessen  sich  die  Pseudoskorpione  oder  Bücher- 
skorpione an  (Chelifer  und  OdisiumJ,  sehr  kleine  Thiere  mit  breitem  Hinter- 
leib ohne  schwanzfbrmige  Streckung  und  ohne  Giftstachel.  Sie  treiben  sich  bei 
uns  an  bemoosten  alten  Bäumen  und  in  Häusern  umher,  und  machen  Jagd  auf 
Milben  u.  dgl.  Sie  besitzen  aber  zuvörderst  gleich  den  echten  Skorpionen  ein 
Paar  langer,  viergliedriger  Greiforgane,  deren  viertes  Glied  ebenfalls  in  eine 
mächtige  Scheere  endigt. 

Microiabis  Sternbergi  Corda,  ebenfalls  aus  der  Steinkohlenformation  von 
Chomle  in  Böhmen  ist  ein  Pseudoskorpion,  der  lebenden  Gattung  Chelifer  nahe 
stehend,  aber  viel  grösser  als  alle  verwandten  lebenden  Arten  (33  Millim.  langV 

Kleine  Pseudoskorpione  (Chelifer)  kennt  man  auch  aus  dem  Bernstein  des 
Samlandes. 

Die  eigentliclien  Spinnen,  Araneae,  sind  eine  ausgebildetere  Form  der 
Arachniden,  von  den  verwandten  Ordnungen  der  Myriapoden  und  Insekten  bereit> 
weiter  abstehend  als  die  Solifugen  und  Skorpione,  hauptsächlich  durch  die  weiter 


Arachniden.  45 

vorgeschrittene  Verschmelzung  der  Leibesringe  (Segmente,  Metameren),   die  den 
urprünglichen  Arthropoden-Charakter  um  einen  neuen  Grad  versteckt. 

Die  Verschmelzung  der  ursprünglich  dem  Stamm  aller  Arachniden  zu  Grunde 
liegenden  Ringe  ist  hier  schon  so  weit  gegangen,  dass  der  Rumpf  nur  noch  aus 
zwei  Hauptstücken  zusammengesetzt  erscheint,  der  Kopfbrust  oder  dem  Cepha- 
ktkorax,  der  die  Kieferörgane  und  die  vier  Paar  Beine  trägt,  und  dem  Hinter- 
leib, Abdomen^  der  durch  eine  stielförmige  Einschnürung  von  der  Brust  geschieden 
erscheint,  am  äussersten  Ende  die  Spinnwarzen  trägt  und  gleichfalls  keine  Segmente 
mehr  erkennen  lässt.  Das  vorderste  Mundorgan,  entsprechend  den  scheeren- 
tragenden  Kieferbeinen  der  Skorpione  und  den  Fühlern  (antennae)  der  Krebse, 
fuhrt  hier  ein  Krallenpaar  mit  je  einer  Giftdrüse. 

Die  Spinnen  sind  heutzutage  in  zahlreichen  Arten,  Gattungen  und  Familien 
über  den  grössten  Theil  der  Erdoberfläche  verbreitet,  spärlich  in  kalten,  reichlicher 
in  wärmeren  und  heissen  Regionen  vertreten.  Mächtigere  Arten  erscheinen  in  den 
Tropen,  wie  die  Vogelspinnen,  Mygaie,  die  mit  ausgebreiteten  Beinen  oft  einen 
handgrossen  Raum  überspannen  und  selbst  kleineren  Vögeln  gefahrlich  werden 
sollen.     (In  Süd-Amerika  4 — 8  Centim.  lang). 

Ihrem  geologischen  Auftreten  nach  gehören  die  Spinnen,  wie  es  auch  ihren 
hoch  ausgebildeten  Eigenthümlichkeiten  entspricht,  zu  den  erst  spät  auftretenden 
Gestalten  der  Thierwelt.  Man  hat  zwar  schon  aus  dem  oberen  Jura  (Solenhofen 
in  Bayern)  fossile  Spinnen  aufgeführt,  aber  sie  haben  sich  als  Phyllosomen,  I^arven 
von  zehnfüssigen  Krebsen  (Palinuriden)  herausgestellt. 

Auch  die  Kreideformation  hat  noch  keine  fossilen  Spinnen  geliefert.     Sehr 

zahlreich  aber  sind  ihre  Fossilreste  in  einigen  tertiären  Ablagerungen,  wie  im  Süss- 

wassermergel  von  Aix  in  der  Provence  und  namentlich  im  Bernstein  der  Ostseeküste. 

Der    Bernstein    allein    lieferte    über    loo  Arten    von  Spinnen    in  mehr  als 

50  Gattungen,  von  welchen  letzteren  einige  erloschen  sind. 

Es  sind  darunter  auch  Kreuzspinnen  (Epeira),  femer  Springer  oder  Jagd- 
spiimen,  welche  ihre  Beute  im  Laufe  oder  im  Sprunge  erhaschen. 

An  die  Spinnen  schliessen  sich  die  Milben,  Acari,  an,  aber  nicht  als  höhere 
Form.  Sie  stellen  einen  weit  abweichenden  Seitenzweig  dar,  der  durch  Anpassung 
an  besondere  Lebensweise  zurückgegangen  ist.  Es  sind  meist  Parasiten,  bei  denen 
vieles,  was  die  Stammesvorfahren  besessen  haben  mögen,  in  Folge  von  Einstellung 
der  Benutzung  verkümmert  zu  sein  scheint. 

Bei  ihnen  verschmelzen  Kopf,  Brust  und  Hinterleib  zu  einer  einzigen  un- 
gegliederten Rumpf-Masse.  Sie  setzen  in  dieser  weiter  gegangenen  Verschmelzung 
die  Reihenfolge  der  Solifugen,  Skorpione  und  Spinnen  fort. 

Man  kennt  fossile  Milben  neben  Spinnen  zuerst  aus  tertiären  Ablagerungen. 
Aber  auch  hier  bedurfte  es  zur  Erhaltung  ihrer  winzigen  und  meist  weichen 
Leiber  sehr  günstiger  Bedingungen,  wie  sie  selten  ausser  beim  Einschluss  in 
Bernstein  eingetreten  sind. 

Man  kennt  eine  grössere  Anzahl  von  Milben  im  Bernstein  der  Ostseeküste, 
anter  anderem  I-and-  oder  Erdmilben,  Trombidium,  und  Zecken,  Ixodes,  welche  in 
Waldungen  lebenden  Säugethieren  auflauerten,  um  sich  in  ihre  Haut  einzubohren. 
Auf  einem  Weidenblatt  aus  der  mitteltertiären  Braunkohle  von  Salzhausen 
(Wettcrau)  fanden  sich  Gallen  an  Blattrippen  sitzend,  wie  sie  heute  lebende 
Blatt-Milben  der  Gattung  Phytoptus  noch  jetzt  auf  Weidenblättem  erzeugen 
{Phftoptus  antiqum  Heyd.) 


46  Mineralogie,  Geologie  imd  Palacontologie. 

Archaeisches  System, 

(laurentisches,  huronisches  und  cambrisches  System,  krystallinisches 

Schiefergebirge), 

von 

Dr.  Friedrich  Rolle. 

Reste  von  Pflanzen  und  Thieren  —  Versteinerungen,  Petrefacten. 
Fossilien  —  finden  wir  in  der  Regel  nur  in  Gesteinen  eingeschlossen,  welche 
schichtenweise  als  Schlamm  oder  Sand  aus  Meereswasser  oder  aus  süssem 
Wasser  abgelagert  wurden  und  darnach  als  geschichtete  —  sedimentäre  — 
neptunische  —  Gesteine  bezeichnet  werden.  In  anderenFällen  haben  organische 
Reste  für  sich  in  solcher  Menge  sich  abgelagert,  dass  sie  besondere  Boden- 
schichten erzeugten.  Dahin  gehören  z.  B.  Lager  von  Torfmooren  oder  von 
Baumstämmen,  von  Korallen,  Conchylien  u.  s.  w.  In  seltneren  Fällen  finden 
sich  in  der  Reihenfolge  der  geschichteten  Gesteine  auch  Dammerde-Lager  des 
Festlandes  mit  eingeschlossenen  wurzelnden  Baumstämmen. 

Die  Ablagerung  solcher  geschichteten  Gesteine  konnte  selbstverständ- 
licher Weise  erst  beginnen,  nachdem  im  Verlaufe  der  Ausbildung  der  festen 
Erdrinde  Niederschläge  von  atmosphärischem  Wasser  begonnen  hatten 
und  ein  Gegensatz  zwischen  Ocean  einerseits  —  Festland  und  Inseln  mit 
Flüssen  und  Süsswasserseen  andrerseits  —  eingetreten  war.  Diese  Zeiten  und 
Zustände  der  Erdoberfläche  sind  nur  mit  Hilfe  mehr  oder  minder  schwebender 
Hypothesen  zu  erläutern  —  und  oft  gut  davon  das  Sprichwort  >So  viel  Köpfe, 
so  viel  Sinne.« 

Um  diese  Zeit  mag  auch  die  Entstehung  des  ersten  organischen 
Lebens  —  der  ersten  muthmasslich  noch  mikroskopisch  kleinen  Pflanzen-  und 
Thier-Formen  —  stattgefunden  haben.  *  Wir  können  uns  diese  Zeiten  und  Vor- 
gänge nach  Maassgabe  heutiger  Vorgänge  und  nach  unserer  mehr  oder  minder 
vollständigen  Kenntniss  der  Gesetze  der  unbelebten  und  der  belebten  Natur  bei- 
läufig versinnlichen.  Aber  es  bleibt  in  dieser  Hinsicht  der  persönlichen  Meinung 
noch  viel  überlassen  und  die  aus  der  Kenntniss  der  ältesten  Absätze  der  Gewässer 
und  der  ältesten  Pflanzen-  und  Thierreste  hervorgehenden  positiven  Aus- 
gangspunkte sind  noch  spärlich,  wenn  auch  mit  den  Fortschritten  der 
Beobachtung  und  Deutung  in  erfreulichem  Zunehmen  begriffen. 

Es  kommen  hier  zwei  Umstände  wesentlich  in  Betracht.  Erstens:  Mit  dem 
Eintritte  des  Gegensatzes  zwischen  fester  Erdrinde  und  fliessendem  oder 
stehendem  Wasser  und  mit  der  ersten  Ablagerung  geschichteter  Gesteine 
begann  auch  die  verändernde  Einwirkung  von  Wasser  und  Kohlensäure,  von 
oxydirenden  und  reducirenden  Agentien  auf  dieselben.  Die  Absätze  von 
Schlamm  und  Sand  wurden  umgewandelt  und  gingen  schliesslich  in  mehr  oder 
minder  krystallinische  Gebilde  —  wie  Gneiss,  Glimmerschiefer  u.  s.  w.  — 
über,  die  nur  noch  wenige  Spuren  einer  Ablagerung  aus  Gewässern  zeigen  und 
deren  Entstehung  daher  auch  noch  Gegenstand  sehr  verschiedener  Deutung  ist  — 
und  auch  wohl  lange  noch  bleiben  wird.  Im  Allgemeinen  gilt  die  Regel,  dass 
je  krystallinischer  ein  Gestein  geworden,  um  so  mehr  seine  organischen  Ein- 
schlüsse undeutlich  geworden  oder  ganz  geschwunden  sind.  Dies  nimmt  man  um 
so  mehr  für  die  ältesten  krystallinischen  Schichten  an,  als  auch  in  der  Reihen- 
folge   der  jüngeren   fossilflihrenden  Formationen   hin    und  wieder  krystallinisch 


Archaeisches  System.  47 

gewordene  Lager  auftreten,  in  denen  die  organischen  Einschlüsse  undeutlich  ge- 
worden oder  ganz  aufgelöst  sind. 

Zweitens:  Die  ältesten  Formen  des  Pflanzen-  und  Thierlebens  können, 
wenn  wir  den  nachweisbaren  Entwicklungsverlauf  der  Pflanzen-  und  Thierwelt  von 
den  ältesten  uns  erhaltenen  Funden  bis  zum  Stande  des  heutigen  Zeitalters  in 
Betracht  ziehen,  nur  nieder  organisirte  mikroskopische  Formen  gewesen 
sein,  die  der  festen  erhaltungsfahigen  Theile  —  wie  Holz,  Gehäuse,  Knochen, 
Zähne  u.  s.  w.  —  ermangelten  und  keiner  deutlichen  Erhaltung  fähig  waren, 
daher  rasch  wieder  dem  Kreislauf  der  Elemente  verfielen,  ohne  Spuren  ihres 
Daseins  zu  hinterlassen. 

Wir  kennen  daher  weder  die  ältesten  Absätze  der  Gewässer  mit  Bestimmt- 
heit, noch  die  ersten  Anfange  der  Pflanzen-  und  Thierwelt.  Wir  vermögen  nur 
mit  Zuhilfenahme  anderweiter  wissenschaftlicher  Kenntnisse  jene  Lücke  durch 
Theorien  und  Hypothesen  —  so  gut  es  geht  —  auszufüllen  und  überlassen  die 
hessere  Begründung  der  Zukunft. 

Der  nächste  Ausgangspunkt  ist  die  Zusammensetzung  und  Lagerungsfolge 
des  krystallinischen  Schiefergebirges. 

Archaeisches  System  ist  die  neuere  Benennung  der  krystallinischen 
Schieferformationen  (Urgebirge,  oder  primitive,  azoische  Schichten.) 

Es  ist  eine  sehr  ^mächtige  Schichtenfolge  von  mancherlei  krystallinischen, 
meist  schieferigen  Gesteinen. 

Man  unterscheidet  in  der  archaeischen  Abtheilung  weiterhin  das  laurentische, 
das  huronische  und  das  cambrische  System.  Beide  letzteren  sind  kaum 
zu  trennen. 

Das  laurentische  System  ist  eine  sehr  mächtige  Schichtenfolge  von  vor- 
waltend feldspathigen  und  grobfaserigen  Gesteinen.  Die  Hauptmasse  ist  Gneiss, 
mehr  untergeordnet  erscheinen  darin  Homblendeschiefer,  Quarzit,  kömiger  Kalk- 
stein u.  s.  w. 

Höher  oben  folgt  das  huronische  System,  ebenfalls  eine  sehr  mächtige 
Schichtenfolge,  die  aber  im  Allgemeinen  mehr  feldspatharme  und  mehr  schieferige 
Gesteine  fuhrt  Hier  erscheinen  besonders  Glimmerschiefer,  aber  auch  Chlorit- 
schiefer,  Talkschiefer,  Thonschiefer  u.  s.  w. 

Kalksteine  und  graphitische  Schichten  finden  sich  sowohl  im  lauren- 
tischen als  im  huronischen  System  eingelagert,  ebenso  auch  schon  Conglomerate 
mit  mehr  oder  weniger  deutlich  erhaltenen  Gerollen,  die  man  als  Küsten- 
Gebilde  betrachtet. 

Das  cambrische  System  folgt  über  dem  huronischen  und  wird  auch  als 
obere  Abtheilung  desselben  aufgefasst.  Es  besteht  besonders  aus  Conglomeraten, 
Sandsteinen,  Quarziten,  und  Thonschiefem  und  führt  die  ältesten  bekannten  — 
sicheren  und  deutlich  erkennbaren  —  Pflanzen-  und  Thierreste. 

Darüber  folgen  die  unteren  Schichten  des  silurischen  Systems  mit  der 
bereits  sehr  fossilreichen  Primordial -Zone. 

Uns  interessiren  vom  laurentischen  System  und  dem  huronischen 
System  zunächst  nur  die  Einlagerungen  von  Kalkstein  und  graphitischen 
Schichten  und  das  Vorkommen  des  Eozoan  canadense. 

Der  2^itpunkt  des  ersten  Erwachens  des  organischen  Lebens  ist  zwar  unbe- 
kannt und  in  undurchdringlichen  Schleier  gehüllt.  Aber  das  Vorkommen  von 
^Iksteinen  imd  von  graphitischen  Schichten  im  laurentischen  und  im  huronischen 
Systeme  scheint  über  einige  der  frühesten  Phasen  desselben  einiges  Licht  zu  verbreiten. 


4^  Minendogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  Häufigkeit  der  Lager  von  kömigem  Kalk  (Marmor,  Urkalk)  in  den 
krystallinischen  Schiefem  —  und  der  Umstand,  dass  Ralklager  in  den  jüngeren 
Formationen  hauptsächlich  aus  Anhäufungen  kalkhaltiger  Pflanzen-  und  Thier- 
Substanzen  entstanden  sind  —  lassen  vermuthen,  dass  auch  in  den  ältesten 
Meeresgewässera  schon  sehr  frühzeitig  kalkabscheidende  Pflanzen  und  Thiere 
lebten  und  durch  Anhäufung  ihrer  Absonderungen  Kalklager  aufbauten. 

Man    hat   daher  Grund,    auch    alle  Lager  von  kömigem  Kalk,    die  in  den 
krystallinischen  Schichten  eingelagert  auftreten,    obschon  sie  keine  erkennbaren 
Fossilien    beherbergen,    auf  umgewandelte   Reste   organischer   Abstammung  zu 
beziehen,  so  gut  wie  die  ganz  ähnlichen  kömigen  Kalkbildungen,  die  örtlich  in 
viel  jüngeren  Formationen  auftreten,  als  solche  anerkannt  sind.   Jedenfalls  rühren 
alle  Kalklager  der  jüngeren  geologischen  Epochen  sicher  von  Absätzen  organischer 
Reste  her,  die  bald  noch  deutlich  erhalten,  bald  wenigstens  mit  Hilfe  des  Mi- 
kroskops nachweisbar  sind.    Kalkablagerungen,  die  deutliche  Fossilien  enthalten, 
ergeben  sich  als  Erzeugnisse  von  Foraminiferen ,    Spongien,    Korallen  u.   s.  w. 
Aehnliches  ist  auch  für  archaeische  Kalklager  zu  vermuthen.     Die  Kokkolithen, 
welche   die  Hauptmenge   des   heutigen  Tiefseeschlamms   darstellen,    gelten   als 
Erzeugnisse    kalkabsondemder   Meeresalgen    und   deren   können   schon    in   der 
archaeischen  Epoche  vorhanden  gewesen  sein.    Das  alles  hat  eine  gewisse  Wahr- 
scheinlichkeit  für   sich.     Sicher   ist  jedenfalls  der  Beweis  durch  Negation.     Es 
steht   fest,    dass  Absätze  von  Kalkgebilden  durch  rein  chemische  Vorgänge  — 
ohne    wesentliche  Mitwirkung  von  Pflanzen-  und  Thierleben  —  auch   heutzutage 
nur  in  geringem  Maasse  und  in  Örtlicher  Ausdehnung  stattfinden  z.  B.  am  Austritt 
kalkhaltiger  Sauerquellen   und   in  Höhlen   von  Kalksteingebirgen.     Es    ist   dies 
offenbar  auch  in  älteren  Epochen  so  schon  gewesen. 

Das  Vorkommen  von  Graphit  im  krystallinischen  Schiefergebirge  gestattet 
ähnliche   Schlüsse  auf  die  ältesten  Vorgänge  des  organischen  Lebens  auf  Erden. 

Graphit  erscheint  häufig  in  besondem  Flötzen  —  bald  als  verhältnissmässig 
reine  Kohlenstoffmasse,  bald  mehr  mit  thonigen  Substanzen,  Glimmer,  Quarz  u.  s.  w. 
gemengt  —  in  Gneis  und  in  Glimmerschiefer  untergeordnet.  Es  ist  aber  nach 
der  ähnlichen  Art  des  Auftretens  von  Anthracit  in  den  darauf  folgenden  silurischen 
und  devonischen  Schichten  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  eine  wie  die  andere 
Form  des  Kohlenstoffs  der  letzte  Rest  von  ehemaligen,  der  Zersetzung  anheim- 
gefallenen Lagern  von  Pflanzensubstanzen  ist,  deren  Gehalt  an  Sauerstoff, 
Wasserstoff  und  Stickstoff  unter  Einfluss  der  atmosphärischen  und  subterrestrischen 
Agentien  schwand,  während  der  Kohlenstoff  grössere  Widerstandsfähigkeit  gegen 
dieselben  Einflüsse  äusserte  und  daher  in  geschlossener  Substanz  hinterblieb. 

Welcher  Art  die  Flora  war,  aus  deren  abgelagerten  Resten  die  Graphit- 
Lager  und  graphithaltigen  Gesteine  hervorgingen,  ist  allerdings  nicht  mehr  /u 
ermitteln,  wahrscheinlich  gehörte  sie  dem  Meere  an  und  bestand  aus  Algen 
oder  Tangen,  die  sich  im  Laufe  vieler  Jahrtausende  anhäuften. 

Die  Gesteine  dieser  ältesten  Abtheilung  in  der  Reihenfolge  der  geologischen 
Formationen  sind  überhaupt  unter  dem  Einflüsse  von  Wasser,  Kohlensäure. 
Alkalien  und  überhaupt  einer  ganzen  Reihe  von  chemischen  und  physikalischen 
Einwirkungen  in  krystallinisch -körnigen  oder  krystallinisch- schieferigen  Zustand 
übergegangen  und  gestatten  nur  noch  wenige  Schlüsse  auf  die  Zusammensetzung, 
welche  sie  bei  ihrer  ursprünglichen  Ablagerung  hatten.  Namentlich  lassen  die 
vorherrschenden    ältesten   Gesteine  —  Gneiss   und  Glimmerschiefer  —  von 


Archaeisches  System.  49 

organischen  Einschlüssen  keinerlei  deutliche  Spuren  mehr  erkennen  und  enthalten 
auch  nur  in  seltenen  Fällen  noch  Gerolle  anderer  älterer  Felsarten. 

Nur  die  regelmässige  Lagerungsweise  lässt  in  diesem  Gebiete  im  Allgemeinen 
die  Absätze  der  Gewässer  von  den  Erzeugnissen  des  Feuers  unterscheiden, 
welche  gleichzeitig  mit  ihnen  statt  hatten  und  zum  Theil  durch  ihr  gangförmiges 
die  geschichteten  Gesteine  quer  durchsetzendes  Vorkommen  sich  als  ein  Produkt 
anderer  Kräfte  verkünden. 

Noch  aber  verbleibt  uns  die  Aufgabe  einer  Erörtenmg  des  problematischen 
Fossils  Eozoon,  dessen  Deutung  seit  1858  die  Geologen  und  Palaeontologen 
lebhaft  beschäftigt  hat  und  noch  jetzt  Gegenstand  getheilter  Ansichten  ist. 

Eozoon  canadense  Dawson  aus  den  krystallinischen Kalksteinen  des  laurentischen 
Systems  der  Ottawa-Gegend  in  Canada  gilt  als  Rest  des  ältesten  fossilen  Lebe- 
wesens. Es  bildet  in  jenen  Kalksteinen  ansehnliche  Nester,  zum  Theil  von  mehr 
als  ein  Cubikfuss  Grösse  und  zeigt  dicke  parallellaufende,  auch  etwas  wellig  auf 
und  ab  gebogene  Lagen  von  Serpentin,  Grammatit  u.  s.  w.,  die  mit  ähnlichen 
Lagen  von  kömiger  Kalkmasse  wechseln,  so  dass  auf  dem  Querbruche  grüne  und 
weisse  Bänder  in  vielfachem  Wechsel  hervortreten.  Man  erkennt  den  besonderen 
Bau  dieser  Kalk-  und  Serpentin -Knollen  auf  polirten  Flächen  und  in  Dünn- 
schliffen, femer  in  Exemplaren,  deren  Kalkgehalt  man  mittelst  Salzsäure  ausge- 
zogen hat,  so  dass  ein  wabiges  Serpentin-Skelett  hinterblieb. 

Dawson,  Carpenter  und  Andere  erkennen  im  Eozoon  die  Reste  einer 
riesigen  zu  grossen  Stöcken  anwachsenden  Foraminifere,  welche  durch  das 
successive  Nachwachsen  flacher  und  unregelmässiger  über  einander  folgender 
Kammern  sich  vergrösserte.  Die  Kammern  waren  durch  Kalklagen  von  einander 
getrennt,  standen  aber  zugleich  noch  vermittelst  regellos  vertheilter  Canäle  und 
fein  verzweigter  Röhrensysteme  in  Verbindung.  Man  vergleicht  sie  den  H  e  1  i  - 
costegiern  und  anderen  vielfach  geschichteten  Foraminiferen-Stöcken. 

Die  Kalklamellen  entsprechen  nach  dieser  Deutung  den  Scheidewänden  der 
einzelnen  Kammern,  sind  also  eine  mineralische  Abscheidung  des  ehemaligen 
Bewohners.  Die  Serpentin-  und  Grammatit- Einlagerung  aber  entspricht  der 
Kammer  oder  dem  Wohnraum  des  Thieres,  den  Communicationscanälen  und  den 
Scheidewandröhrchen,  mittelst  welcher  die  einzelnen  Thierindividuen  des  Stockes 
iich  miteinander  in  organischem  Zusammenhang  erhielten.  Sie  waren  bei  Leb- 
ieiten  des  Thieres  von  schleimiger  Sarkode  (Protoplasma,  Eiweisssubstanzen)  ein 
genommen.  Extrahirt  man  den  Kalk-  und  Serpentinknollen  mit  einer  Säure,  so 
hinterbleibt  ein  Serpentin-Skelett,  welches  je  nach  dem  besonderen  Erhaltungs- 
zustande mehr  oder  minder  genau  die  Gestalt  der  gesammten  thierischen  Särkode 
des  Stockes  wiedergiebt.  Diese  Räume  wurden  bei  der  Fossilisation,  als  die  Sar- 
kode zerfloss,  durch  eingedrungene  Silicate  ausgefüllt,  während  die  Kammer- 
wandungen Kalkabsonderungen  des  Thieres  waren  und  noch  jetzt  kömige  Kalk- 
masse darstellen. 

Jedenfalls  sind  in  einer  so  frühen  Stufe  der  geologischen  Reihenfolge  orga- 
nische Reste  aus  der  nieder  organisirten  Ordnung  der  Foramini feren  oder 
Rhizopoden  —  deren  ganzer  Leib  noch  eine  structurlose  Protoplasma-Masse 
ist  —  am  ersten  zu  erwarten  gewesen.  Der  organische  Charakter  und  Ursprung 
des  Eozoon  ist  übrigens  zur  Zeit  noch  zweifelhaft  und  wird  von  mehreren  ge- 
wichtigen Beobachtern  bestritten.     Das  Weitere  bleibt  abzuwarten. 

Das  cambrische  System  —  oder  die  obere  Region  des  huronischen 
Systems  —   also   genannt    nach    den     Cambrern,    den    alten    Bewohnern    von 

ILewicott,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  4 


5©  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Wales  —  besteht  in  Wales,  Irland  und  anderen  Gegenden  aus  einer  Schichten- 
folge von  Conglomeraten,  Sandsteinen,  Quarziten  und  Thonschiefern. 

Es  führt  in  Wales,  Irland,  Böhmen  u.  a.  Orten  die  ältesten  deutlichen 
Fossilreste.  Es  sind  Meeresfucoiden,  Anneliden,  Mollusken,  namentlich 
Brachiopoden,  femer  mancherlei  Reste  thierischer  Abkunft,  deren  nähere  Deutung 
mehr  oder  minder  noch  in  Zweifel  steht. 

So  wichtig  die  organischen  Charaktere  dieses  ältesten  deutlichen  Blattes  des 
palaeontologischen  Archivs  auch  sind,  so  schwierig  ist  zur  Zeit  noch  die  nähere 
Deutimg  des  systematischen  Charakters  der  meisten  Funde  und  so  schwankend 
das  Ergebniss  ihrer  allgemeinen  Zusammenfassung. 

Am  meisten  in  den  Vordergrund  tritt  die  Gattung  Oldhamia  mit  mehreren 
Arten  (O,  antiqua^  O.  radiata  u.  s.  w.),  ein  gegliedertes  an  den  Abgliederungen 
hin  und  her  geknicktes  Fossil  mit  gliedweise  über  einander  folgenden  facher- 
artigen Ausstrahlungen  dünner  gerader  Zweige.  Die  Deutung  dieser  offenbar 
organischen  Form  ist  noch  sehr  im  Schwanken.  Einerseits  glaubt  man  darin 
Stöcke  von  Hydroiden  (Quallenpolypen)  zu  erkennen,  andererseits  hat  man  sie 
auf  Meeresalgen  bezogen.  Am  wahrscheinlichsten  sind  es  homartige  (chitinöse, 
Reste  von  Hydroiden-Stöcken  —  also  Verwandte  der  in  den  Silur-Schichten 
ihnen  nachfolgenden  Graptolithen  und  Dictyonemen. 

Sicher  ist  nur  nach  diesem  allen,  dass  zur  Zeit  der  Ablagerung  der  Schichten 
des  cambrischen  Systems  schon  eine  reichliche  Meeresfauna  wirbelloser  Thiere 
cxistirte,  die  ihre  Nahrung  in  einer  ebenso  reichhchen  Flora  von  zarten  Meeres- 
algen gefunden  haben  mag.  Von  einer  Festlandbevölkerung  zeigt  sich  noch 
keine  Andeutung. 

Auf  das  cambrische  System  folgt  das  silurische  System,  dessen  untere 
Region  —  die  Primordialzone  —  bereits  eine  weit  reichere  Entfaltung  des 
Thierlebens  im  Meere  erkennen  lässt,  aber  auch  von  Festlandbewohnem  noch 
keine  Spur  bietet. 


Arten  der  Minerale, 


von 


Prof.  Dr.  Kenngott. 

Da  in  der  Mineralogie  ähnlich  wie  in  der  Zoologie  und  Botanik  einzelne 
Minerale  in  Arten  zusammengefasst  werden,  erscheint  es  nothwendig,  bevor  der 
Begriff  Mineralart  erörtert  wird,  vorerst  einiges  Allgemeines  über  die  Minerale 
und  die  Mineralogie  als  Wissenschaft  vorauszuschicken,  was  gleichzeitig  als  Ein- 
leitung für  die  mineralogischen  Artikel  dienen  kann. 

Die  Minerale,  auch  Mineralien  genannt,  bilden  in  ihrer  Gesammtheit  das 
Mineralreich,  welches  als  eines  der  drei  gewöhnlich  aufgestellten  Naturreiche 
neben  dem  Thier-  und  Pflanzenreich  angesehen  wird.  Es  erschien  von  Anfang 
an  durch  die  natürlichen  Verhältnisse  unserer  Erde  angezeigt,  das  Material, 
welches  unseren  Erdkörper  zusammensetzt,  den  Thieren  und  Pflanzen  gegenüber 
zu  stellen,  und  der  Name  Mineral,  Minerale,  abgeleitet  von  dem  proven^a- 
lischen  Worte  » J//;/<7«,  wovon  der  Name  Mine  für  einen  unterirdischen  Gang  im 
Berg-  und  Festungsbau,  ftir  einen  Schacht  oder  eine  Höhle  oder  Grube  in  Gebrauch 
kam,  für  die  die  Erde  zusammensetzenden  unterscheidbaren  Körper  behielt  den 
Vorzug  in  den  verschiedenen  Sprachen.  Der  Name  Fossilien,  von  >/ossai 
Gnibe,    Graben,    ^/ossiiisK    ausgegraben,    welcher  auch    eingeführt  wurde,    kam 


Arten  der  Minerale.  51 

nicht  zu  devselben  allgemeinen  Geltung,  zumal  auch  Versteinerungen  damit 
belegt  wurden.  Es  wird  auch  das  Mineralreich  oft  Steinreich  genannt,  die 
Minerale  schlichthin  Steine,  doch  ist  dieser  letztere  Ausdruck  nicht  ganz  gleich- 
bedeutend, insofern  man  mit  dem  Namen  Steine  nur  feste  Körper  bezeichnen 
kann,  während  der  Name  Minerale  auch  auf  flüssige  (tropfbare  und  gasige)  aus- 
gedehnt wurde.  Er  eignete  sich  als  fremder  in  der  deutschen  Sprache  besser 
und  erinnert  seiner  Abstammung  nach  an  den  Bergbau,  durch  welchen  doch  die 
Melirzahl  der  Minerale  zu  Tage  gefördert  wird.  Auch  seine  Aufnahme  in  anderen 
Sprachen  empfiehlt  seinen  Gebrauch. 

Obgleich  nun  die  Ausdrücke  Thiere,  Pflanzen  und  Minerale,  Thier-,  Pflanzen- 
und  Mineralreich  ganz  geläufige  und  allgemein  gebrauchte  sind,  so  ist  doch  der 
Begriff  des  Wortes  Mineral  nicht  allgemein  derselbe.  Unsere  Erde  als  Ganzes 
oder  als  Weltkörper  betrachtet,  der  Wohnort  der  Menschen,  der  Thiere  und 
Pflanzen  lässt  nämlich  im  Grossen  die  Atmosphäre  als  eine  Dünsthülle  unter- 
scheiden, welche  den  als  fest  erscheinenden  Erdkörper  umgiebt,  welcher  selbst 
wieder  grösstentheils  mit  Wasser  bedeckt  ist.  Der  fest  erscheinende  Erdkörper 
Hess  sich  aus  sehr  verschiedenen  festen  Körpern  zusammengesetzt  erkennen, 
welche  als  von  einander,  namentlich  durch  das  Auge  unterscheidbare  natürliche 
Zusammensetzungstheile  Minerale  genannt  wurden.  Bei  dem  Graben  in  der  Erd- 
rinde, dem  äussersten  Theile  des  anscheinend  festen  Erdkörpers,  durch  den  Berg- 
bau oder  sonstige  Veranlassungen,  in  den  Erdkörper  durch  Graben  einzudringen, 
ttTjrden  die  Minerale  als  natürliche  Zusammensetzungstheile  desselben  ihrer  Zahl 
und  Art  nach  als  sehr  mannigfache  erkannt.  Durch  ihre  wissenschaftliche  Er- 
forschung entstand  die  Mineralogie  als  Wissenschaft,  deren  Objecte  die 
Minerale  sind. 

Wenn  man  nun  auch  anfanglich  mit  dem  Worte  Mineral,  wie  mit  dem 
Worte  Stein  den  Begrifi"  des  Festen  verband,  'so  zeigte  sich  in  der  Folge,  dass 
man  dabei  nicht  stehen  bleiben  konnte,  die  Minerale  nur  als  feste  Körper  zu 
betrachten  oder  nur  die  festen  natürlichen  Zusammensetzungstheile  der  Erde  oder 
der  Erdrinde  Minerale  zu  nennen.  Man  fand  nämlich,  dass  in  der  Rinde  des 
Erdkörpers  auch  tropfbarflüssige  Körper  vorkommen,  wie  das  Metall  Mercur 
(Quecksilber),  die  als  Brennstoff  wichtige  Naphtha  (das  Erd-  oder  Steinöl)  und 
das  Wasser. 

Obgleich  man  nun  das  Wasser,  wie  es  auf  dem  grössten  Theile  der  Erdrinde 
als  Meerwasser  vorkommt,  nicht  zu  den  Mineralen  rechnen  wollte,  desshalb  auch 
nicht  das  in  der  Erdrinde  anzutreffende  Wasser,  so  wie  das  Wasser  der  Bäche 
und  Flüsse,  sondern  lieber  eine  eigene  Wissenschaft,  die  Hydrologie  (Wasser- 
lehre) aufstellte,  so  musste  man  doch  das  Mercur  und  die  Naphtha  in  das 
Mineralreich  aufnehmen.  Die  Consequenz  führte  sachgemäss  dazu,  die  Hydro- 
logie als  eigene  Wissenschaft  neben  der  Mineralogie  aufzugeben,  das  Wasser 
gleichfalls  den  Mineralen  zuzuzählen,  zumal  auch  das  Eis  als  festes  Wasser 
local  wie  andere  Minerale  an  der  Zusammensetzung  des  Erdkörpers  Theil  nimmt 
und  in  diesem  Zustande  unbestritten  ein  Mineral  ist.  Somit  waren  die  Minerale 
als  die  natürlichen  Zusammensetzungstheile  des  Erdkörpers  nicht  allein  feste 
Körper,  sondern  einige  tropfbarflüssige. 

Man  fand  aber  auch  durch  den  Bergbau  Gase,  welche  im  Bereiche  der 
festen  Erdrinde  Höhlungen  ausfüllen  und  beobachtete,  dass  an  gewissen  Orten 
Gase  aus  der  Erdrinde  ausströmen,  wie  z.  B.  Wasserstoffjgas,  Kohlenwasserstoff- 
gas, Schwefelwasserstoflgas,  Kohlensäure  u.a.m.,  woraus  man  nothwendig  schliessen 

4* 


$2  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

musste,  dass  solche  Gase  als  natürliche  Zusammensetzungstheile  dejr  Erde  in  das 
Gebiet  der  Mineralogie  gehören.  Die  Mehrzahl  der  Mineralogen  ignorirt  zwar 
diese  Gase  als  Minerale,  denn  es  erschien  die  Concession,  tropfbare  Körper  ab 
Minerale  zuzulassen,  genügend,  weil  man  von  Alters  her  gewöhnt  war,  nur  feste 
Körper  Steine  zu  nennen,  daher  die  Minerale  feste  Körper  sein  sollten.  Die 
nothwendige  Zulassung  aber  einzelner  tropfbarflüssiger  Minerale  fiihrt  consequent 
zur  Zulassung  der  natürlich  vorkommenden  Gase.  Diese  nun  als  Atmosphäri- 
lien zu  trennen,  während  selbst  die  Atmosphäre  oder  die  Dunsthülle,  welche 
unseren  Erdkörper  umgiebt,  im  Grossen  und  Ganzen  zur  Erde  gehört,  wenn  man 
sie  als  Ganzes,  als  Weltkörper  betrachtet,  erscheint  nicht  zweckmässig  und  folge- 
richtig, es  erscheinen  im  Gegentheil  diese,  wie  die  Atmosphäre  als  in  das  Gebiet 
der  Mineralogie  gehörig.  Dass  man  derartige  Stoffe  in  anderen  Disciplinen,  >*-ie 
in  der  Physik  und  Chemie  genügend  erledigt,  ist  kein  ausreichender  Grund  fiir 
ihren  Ausschluss  aus  dem  Gebiete  der  Mineralogie. 

Man  ersieht  aus  dem  Vorangehenden,  dass,  wenn  es  sich  um  die  Erde  als 
Ganzes,  als  Weltkörper  handelt,  das  Mineralreich  sämmtliche  sie  zusammensetzende 
Theile  als  unterscheidbare  natürliche  Körper  umfassen  soll,  es  wissenschaftlich 
geboten  ist,  sowohl  die  Atmosphäre,  als  auch  die  Gase  in  der  Erdrinde  in  da> 
Mineralreich  aufzunehmen,  zumal  dieselben  auch  in  geologischer  Beziehung  als 
wichtige  Köiper  erscheinen.  Hierdurch  wird  thatsächlich  und  wissenschaftlich 
das  Mineralreich  in  seinem  ganzen  Umfange  erfasst,  unbekümmert  um  das,  was 
die  Erdrinde  umschliesst.  Es  steht  thatsächlich  fest,  dass  die  Erde  als  Ganzes 
betrachtet,  als  ein  Weltkörper,  welcher  die  Wohnstätte  der  Menschen,  Thiere  und 
Pflanzen  ist,  auch  ohne  diese  als  Weltkörper  existiren  könnte,  aus  festen,  tropf- 
baren und  gasigen  Körpern  zusammengesetzt  wäre,  welche  wir  als  ihre  natürlichen 
Zusammensetzungstheile  durch  unsere  Sinne,  namentlich  durch  das  Auge  w^ahr- 
nehmen  und  unterscheiden  und  mit  einem  umfassenden  Namen  zu  benennen 
haben.  Dass  dafür  der  Name  »Minerale«  gewählt  worden  ist,  welcher  früher 
eine  beschränktere  Anwendung  fand  und  in  einem  weiteren  Sinne  gebraucht 
werden  soll,  ist  nicht  unrichtig,  denn  der  einmal  vorhandene  Name  erhält  seine 
Bedeutung  durch  den  richtigen  Gebrauch,  sobald  er  nebenbei  in  keiner  anderen 
Bedeutung  gebraucht  wird.  Es  erscheint  nicht  nothwendig,  fiir  die  gesammten 
natürlichen  Zusammensetzungstheile  unserer  Erde  einen  anderen  Namen  auszu- 
denken, wenn  der  früher  beschränkter  gebrauchte  Name  in  weiterer,  dem  ersten 
Gebrauche  entsprechender  Weise  gebraucht  werden  kann.  Man  darf  nur  de^ 
Vergleiches  wegen  an  den  Namen  Krystall  erinnern,  welcher  ursprünglich  nur 
das  Eis  bezeichnete,  während  jetzt  alle  unorganischen  Individuen  Krystalle  ge- 
nannt werden. 

Die  Minerale  sind  in  der  oben  angedeuteten  Weise  aufgefasst,  soweit  unsere 
gegenwärtige  Kenntniss  reicht,  weil  ja  die  Erdrinde  nur  bis  zu  einer  sehr  geringen 
Tiefe  erforscht  ist,  bis  auf  verhältnissmässig  wenige  Ausnahmen  feste  Körper,  durcl 
welche  die  Erdrinde  als  solche,  als  eine  Rinde  um  ein  uns  noch  unbekanntc^ 
Inneres  ihren  festen  Zusammenhang  und  Bestand  hat,  in  sich  wenige  tropfbare 
und  gasi^'e  Körper  birgt,  an  der  Überfläche  zum  grössten  Theile  von  den  Mineralen 
Wasser  und  Eis  bedeckt  ist,  während  die  Atmosphäre  als  gasige  Hülle  wesentlich 
durch  gastörmige  Körper  gebildet  wird,  welche  gleichfalls,  wie  in  der  Erdrinde 
vui  kommende  Gase,  dem  Mineralreiche  angehören.  Alle  diese  festen,  troptl>aren 
und  gasigen  Kör))er  sind  demnach  die  Objecte  der  Mineralogie,  wesshalb  aucl. 
der  Name  Uryktologie  oder  Oryktognosie  für  Mineralogie,   hergeleitet   \on 


Arten  der  Minerale.  53 

dem  griechischen  Worte  %orUktos<s>  gegraben,  nicht  Platz  greifen  konnte,  weil  er  sich 
zu  eng  an  den  Begriff  des  Festen  anschliesst,  als  müsste  das  Graben  besonders 
hervorgehoben  werden.  Der  Name  Mineral,  wenn  er  auch  nicht  griechischen  Ur- 
sprunges ist,  erscheint  auch  selbst  bei  dieser  Berücksichtigung  bequemer,  wesshalb 
er  sich  eines  allgemeineren  Gebrauches  erfreut 

Alle  Minerale  sind  unorganische  (anorganische,  nicht  organisirte,  nicht 
mit  unterscheidbaren  Organen  versehene)  Körper,  im  Gegensatz  zu  den 
organischen  (organisirten),  den  Thieren  und  Pflanzen,  mit  welchen  wir  sie 
vergleichen  müssen,  so  gross  auch  der  Unterschied  sonst  ist.  Keineswegs 
aber  sind  alle  unorganische  Körper,  welche  zur  Kenntniss  des  Menschen 
gelangen,  Minerale,  sondern  nur  diejenigen,  welche  ihrem  Vorkommen 
nach  Minerale,  d.  h.  natürliche  Zusammensetzungstheile  unserer  Erde  sind.  Es 
kann  daher  auch  nicht  die  Anorganologie,  welche  als  Wissenschaft  alle  natür- 
lichen unorganischen  Körper  umfassen  soll,  die  Mineralogie  aufheben,  selbst 
wenn  man  die  Mineralogie  als  einen  Theil  der  Anorganologie  auffassen  möchte. 
Die  Mineralogie  verliert  dadurch  nicht  ihren  selbständigen  Charakter,  weil  sie 
nur  diejenigen  unorganischen  Körper  umfasst,  welche  die  natürlichen  Zu- 
sammensetzungstheile der  Erde  bilden.  Dagegen  finden  sich  aber  auch 
Minerale,  welche  als  solche,  als  nicht  organisirte  Körper  unverkennbar  von 
organischen  Körpern,  Pflanzen  oder  Thieren  abstammen,  da  sie  jedoch  nur  Reste 
oder  Umwandlungsproducte  organischer  Körper  sind  oder  als  von  solchen  ausge- 
schiedene Stoffe  erkannt  werden  können  und  jetzt  natürliche  Zusammensetzungs- 
theile der  Erdrinde  bilden,  so  sind  sie  als  Minerale  nur  bezüglich  des  Urspnmges 
als  phytogene  (von  Pflanzen  abstammende)  und  als  zoogene  (von  Thieren  ab- 
stammende) benannt  worden.  So  ist  beispielweise  der  vielbekannte  Bernstein 
(Succinit)  ein  phytogenes  Mineral,  er  ist  ein  von  verschiedenen  Coniferen  ab- 
stammendes Harz,  welche  in  einer  sehr  frühen  Zeitperiode  unserer  Erde  existirten 
und  das  Harz  lieferten,  wie  noch  heute  Nadelhölzer  solches  liefern.  So  ist  z.  B.  die 
zum  Opal  gerechnete  Kieseiguhr  ein  zoogenes  Mineral,  sie  bildet  höchst  fein- 
erdige Massen,  welche  substantiell  eine  Verbindung  der  Kieselsäure  mit  Wasser 
darstellen,  durch  mikroskopische  Untersuchung  aber  sich  formell  als  Kieselpanzer 
sogen.  Diatomeen  erweisen,  welche  in  einer  sehr  frühen  Zeit  existirten,  wie 
solche  auch  heute  lebend  beobachtet  werden. 

Als  unorganische  Körper  zeigen  die  Minerale  ausser  dem  Unterschiede  des 
allgemeinsten  Aggregatzustandes,  wonach  man  sie  als  feste,  tropfbare  und  gasige 
unterscheidet,  im  festen  Zustande  auch  die  Ausbildung  unorganischer  Individuen, 
bilden  Krystalle,  finden  sich  krystallisirt,  sind  krystallinisch,  oder  es 
finden  sich  feste  Minerale  ohne  irgend  welche  Spur  solcher  individueller  Bildung, 
sind  unkrystallinisch.  Ausser  diesen  gestaltlichen,  formellen  oder  morpholo- 
gischen Verhältnissen  lassen  alle  Minerale  gewisse  physikalische  und  chemische 
Eigenschaften  erkennen,  welche  zur  Unterscheidung  dienen. 

Jedes  einzelne  Mineral  in  irgend  welchem  gestaltlichen  Verhältnisse,  sei  es 
fest,  tropfbar  oder  gasig,  sei  es  als  festes  krystallisirt,  krystallinisch  oder  un- 
krystallinisch, verhält  sich  demnach  in  physikalischer  und  chemischer  Beziehung 
*ie  ein  nicht  als  Mineral  vorkommender  unorganischer  Körper  gleicher  Beschaffen- 
heit und  wenn  alle  unorganischen  natürlichen  Körper  in  einer  naturwissenschaft- 
lichen Disciplin,  der  Anorganologie  behandelt  würden,  so  würden  sich  die 
Minerale  von  den  anderen  nur  durch  die  Art  des  Vorkommens  unterscheiden, 
<JAdurch,  dass  sie  die  nattirlichen  Zusammensetzungstheile  unserer  Erde  sind.    Alle 


54  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

unorganischen  Körper  als  Objecte  der  Anorganologie  würden  den  Unterschied 
des  Vorkommens  erkennen  lassen  und  man  häite  die  nicht  mineralischen  von 
den  mineralischen  zu  unterscheiden.  Die  mineralischen  gehören  als  Minerale  in 
das  Gebiet  der  Mineralogie. 

Eine  Probe  z.  B.  des  Wasserstoffgases,  wie  es  aus  der  Erdrinde  strömt,  und 
eine  Probe  des  Wasserstoffgases,  welche  durch  Zersetzung  des  Wassers  erhalten 
wird,  zeigt  eine  Uebereinstimmung  in  allen  wesentlichen  Eigenschaften,  welche 
das  Wasserstoffgas  von  anderen  Gasen  unterscheiden  lassen,  nur  ist  das  erstere 
nach  der  Art  des  Vorkommens  als  ein  Mineral  aufzufassen,  während  das  andere 
nicht  mineralisches  Wasserstoffgas  ist.  Beide  gehören  in  die  Anorganologie,  das 
erstere  in  die  Mineralogie.  Ausserdem  kann  auch  das  Wasserstoffgas  als  ein 
Object  der  Chemie  behandelt  werden.  —  Kleine  kugelige  Tropfen  des  Mercur 
oder  Quecksilber  genannten  Metalles,  wie  sie  in  Zinnober  oder  in  Gestein  ein- 
gewachsen vorkommen  und  kleine  Kugeln  desselben  Metalles,  wie  sie  etwa  bei 
irgend  einem  physikalischen  Experiment  auf  den  Tisch  rollen,  zeigen  genau  die- 
selben wesentlichen  Eigenschaften,  durch  welche  sich  dieses  Metall  von  anderen 
unterscheidet,  aber  nur  das  erstere  ist  als  Mineral  aufzufassen,  weil  es  als  solches 
in  der  Erdrinde  gefunden  wurde.  —  Hexaedrische  Steinsalzkrystalle  auf  Mergel 
z.  B.  von  Bex  im  Canton  Waadt  in  der  Schweiz  oder  von  irgend  einem  anderen 
Fundorte  und  Krystalle  gleicher  Gestalt  desselben  Salzes,  welche  six:h  in  einem 
Gefasse  aus  einer  Lösung  des  Steinsalzes  im  Wasser  nach  allmählicher  Ver- 
dunstung des  Wassers  bildeten,  sind  als  Krystalle  des  Chlornatrium  in  allen  wesent- 
lichen Eigenschaften  übereinstimmend,  welche  das  Chlornatrium  von  anderen 
Chlorverbindungen  unterscheiden  lassen.  Die  hexaedrischen  Krystalle  aber  von 
Bex  oder  einem  anderen  Fundorte  sind  Krystalle  des  Minerales  Steinsalz,  während 
die  anderen  Krystalle  aus  der  Lösung  Krystalle  desselben  Stoffes,  aber  als 
nicht  mineralische  aufzufassen  sind. 

Diese  Beispiele  zeigen,  dass  die  Minerale  Gegenstand  der  Mineralogie  und 
der  Anorganologie  sind,  wogegen  die  Anorganologie  noch  sehr  viele  unorganische 
Körper  umfasst,  welche  nicht  in  die  Mineralogie  gehören.  Hätte  die  Anorgano- 
logie in  ihrer  vollen  Bedeutung  aufgefasst,  als  naturwissenschaftliche  Disciplin 
neben  der  Zoologie  und  Botanik  gestellt  bis  jetzt  schon  ihre  gebührende  Aus- 
bildung erlangt,  so  würden  in  ihr  auch  alle  Minerale  als  natürliche  unorganische 
Körper  zur  Behandlung  kommen,  wie  andere  nicht  mineralische.  Sie  würde 
selbst  die  Mineralogie  ersetzen,  weil  in  dieser  nur  diejenigen  Körper  aus  dem 
Gebiete  der  Anorganologie  behandelt  werden,  welche  Minerale  sind,  als  solche 
unsere  Erde  zusammensetzen  und  in  dieser  Weise  nach  der  Art  des  Vorkommens 
in  ihren  Eigenschaften  beeinflusst  werden.  Immer  also  ist  mit  dem  Begriffe 
Mineral  die  Art  des  Vorkommens  in  Verbindung,  durch  welche  das  Mineral 
als  solches  erscheint,  während  die  Eigenschaften  des  bezüglichen  unorganischen 
Stoffes,  durch  welche  er  als  solcher  von  anderen  unterschieden  wird,  die- 
selben sind. 

Diese  gemeinsamen  Eigenschaften  des  als  Mineral  vorkommenden  oder 
auf  andere  Weise  gewonnenen  Stoffes,  die  Eigenschaften  der  Minerale  über- 
haupt, werden  als  morphologische,  physikalische  und  chemische  unter- 
schieden und  ihrer  Art  nach  in  der  Terminologie,  einem  eigenen  Theile  der 
Mineralogie,  behandelt. 

Es  handelt  sich  hier  nicht  darum,  in  welche  Theile  überhaupt  die  Mineralogie 
getrennt  werden  kann  und  getrennt  worden  ist,  weil  eine  solche  Eintheilung  nach 


Arten  der  Minerale.  55 

allgemein  geltenden  Ansichten  oder  nach  Bedarf  vorgenommen  werden  kann, 
weil  aber  die  Minerale  nach  ihren  Eigenschaften  von  einander  unterschieden 
werden  müssen,  nicht  allein  nach  ihren  räumlichen,  sondern  auch  nach  ihren 
physikalischen  und  chemischen,  so  muss  man  zunächst  in  der  Mineralogie  alle 
Eigenschaften  kennen  lernen,  um  die  Minerale  dadurch  unterscheiden  zu  können 
und  darum  trennte  man  die  Terminologie  oder  Kennzeichenlehre  als  einen  all- 
gemeinen vorbereitenden  Theil,  gegenüber  der  Physiographie,  in  welcher  die  ein- 
zelnen Mineralarten  in  einer  gewissen  systematischen  Reihenfolge  nach  allen  ihnen 
zukommenden  Eigenschaften  beschiieben  werden. 

Die  Terminologie  zerfällt  nach  der  angeführten  Verschiedenheit  der  Eigen- 
schaften, welche  zur  Erkennung  und  Unterscheidung  der  einzelnen  Minerale  dienen, 
in  drei  Theile,  in  die  Mineralmorphologie,  Mineralphysik  und  Mineral- 
chemie, in  denen  entsprechend  den  Namen  die  gestaltlichen  oder  morphologi- 
schen, die  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften  behandelt  werden.  Von 
der  Physiographie  kann  die  Systematik  getrennt  oder  als  ein  allgemeiner  Theil 
derselben  hingestellt  werden,  in  welcher  die  Grundsätze  besprochen  werden,  nach 
welchen  die  einzelnen  Minerale  in  Arten  zusammengefasst  werden  und  nach 
welchen  man  die  Mineralarten  systematisch  anordnet.  Da  jedoch  in  dieser  Ency- 
klopädie  die  Mineralogie  nicht  wie  in  einem  Lehrbuche  behandelt  werden  soll, 
sondern  nur  der  ganze  Inhalt  der  Mineralogie  in  einer  beschränkten  Anzahl 
einzelner  grösserer  Artikel  zu  besprechen  ist,  so  werden  die  Theile  der  Mineralogie 
nicht  in  bestimmter  Reihenfolge  abgehandelt,  sondern  es  wird  nur  am  geeigneten 
Orte  aus  dem  Inhalte  derselben  das  auseinander  gesetzt,  was  dem  vorgesteckten 
Ziele  und  Zwecke  der  Encyklopädie  entspricht. 

Von  der  Mineralogie  getrennte  und  nothwendig  zu  trennende  Wissenschaften 
sind  die  Geologie  und  Palaeontologie,  welche  insofern  mit  der  Mineralogie 
zusammenhängen,  als  in  der  Geologie  auch  einzelne  Minerale,  ja  sogar 
eine  beträchtliche  Anzahl  von  Arten  Gegenstand  dieser  Wissenschaft  werden, 
weil  sie  die  Gesteinsarten  bilden,  und  die  Palaeontologie,  auch  Petrefacten- 
oder  Versteinerungskunde  genannt,  die  Versteinerungen  behandelt,  die  in 
mineralischen  Massen  ausgeprägten  organischen  Körper  früherer  Zeiten,  welche 
sich  innerhalb  der  Gesteinsarten  finden.  —  Wenn  auch  somit  beide  Wissen- 
schaften in  dieser  und  noch  anderer  Weise  in  einem  gewissen  Zusammenhange 
mit  der  Mineralogie  stehen,  sind  sie  keineswegs  besondere  Theile  der  Mineralogie, 
wie  man  sie  bisweilen  früher  auflfasste.  Diese  Auffassung  rührte  nur  davon  her, 
dass  der  Zusammenhang  dieser  drei  Wissenschaften  dazu  führte,  sie  in  einem 
Studienbereich  zusammenzufassen,  früher  an  Hochschulen  diese  drei  Wissen- 
schaften in  einer  Professur  vereinigt  wurden.  In  diesem  Sinne  trennte  der  Professor 
der  Mineralogie  sein  Gebiet  des  Forschcns  und  Lehrens  in  drei  Theile  und  stellte 
die  Mineralogie  im  engeren  Sinne,  die  Geologie  und  Palaeontologie  als  Theile 
der  Mineralogie  im  weiteren  Simie  hin.  Die  Fortschritte  aber  in  diesen  Wissen- 
schaften führten  dazu,  die  thatsächlich  verschiedenen  Disciplinen  in  den  Professuren 
zu  trennen,  wodurch  die  Mineralogie  in  ihrer  Selbständigkeit  bestimmter  hervor- 
tritt Diese  kurze  Andeutung  der  selbständigen  Stellung  der  Geologie  und 
Palaeontologie  gegenüber  der  Mineralogie  erschien  hier  nöthig,  weil  diese  drei 
Wissenschaften  in  der  Encyklopädie  in  einem  Bande  vereinigt  wurden. 

Wenn  nun  die  Mineralogie  in  ihrer  richtigen  Bedeutung  die  einzelnen 
Minerale  zu  behandeln  hat,  wie  sie  als  natürliche  Zusammensetzungstheile  der 
Erde  von  einander  unterschieden  und  einzelne  Minerale  in  Arten  zusammenge- 


56  Mineraloge,  Geologie  und  Palacontologie. 

fasst  werden,  so  erfordert  der  Ausdnick  einzelnes  Mineral  noch  eine  nähere 
Erörterung.  In  der  Zoologie  und  Botanik  sind  als  organische  Individuen  die 
einzelnen  Thiere  und  Pflanzen  Gegenstand  der  Betrachtung,  in  der  Mineralogie 
aber  muss  man  von  einzelnen  Mineralen  sprechen,  ohne  dass  damit  durchgehends 
der  Begriff  der  Individualität  verbunden  ist.  Allerdings  sind  im  Vergleiche  mit  den 
Thieren  und  Pflanzen  die  einzelnen  Krystalle  der  Minerale  als  unorganische  In- 
dividuen einzelne  Minerale,  da  jedoch  auch  Minerale  ohne  bestimmte  krystallinische 
Gestaltung  vorkommen  und  als  einzelne  Minerale  von  einander  zu  unterscheiden 
sind,  so  muss  man  bei  ihnen  von  der  gestaltlichen  Einheit  absehen  und  die 
materielle,  stoffliche  Einheit  genügend  erachten.  In  diesem  Sinne  ist  z.  B.  ein 
Stück  Marmor,  wie  es  von  einem  Marmorblocke  abgeschlagen  zur  Beurtheilung 
kommt,  ein  einzelnes  Mineral  und  kann  mit  einem  Stücke  Kalkstein  oder  mit 
einem  Stücke  Kreide  verglichen  werden,  welche  auch  als  einzelne  Minerale  an- 
zunehmen sind.  Auf  die  Grösse  und  Gestalt  der  zufalligen  Bruchstücke  kommt 
es  hier  nicht  an.  In  einem  Stücke  Granit  kann  man  oft  ohne  Schwierigkeit  er- 
kennen, dass  dasselbe  nicht  eine  stoffliche  Einheit  zeigt,  sondern  dass  dasselbe 
aus  drei  verschiedenen  Mineralen  zusammengesetzt  ist,  welche  sich  von  einander 
trennen  lassen.  Jeder  materielle  oder  stofflich  einheitliche  abgetrennte  Theil  des 
Granitstückes  ist  ein  einzelnes  Mineral.  Ein  Feuersteinknollen,  aus  Kreide  heraus- 
geschlagen, ist  ein  einzelnes  Mineral,  aber  auch  jedes  Bruchstück  des  Knollen 
wird  als  einzelnes  Mineral  betrachtet,  welches  unabhängig  von  seiner  zufalligen 
Form  nach  den  anderen  ihm  zukommenden  Eigenschaften  als  solches  bestimmt 
werden  kann,  um  es  mit  anderen  in  eine  Mineralart  zusammen  zu  stellen  oder 
von  anderen  Mineralen  zu  unterscheiden. 

Man  ersieht  hieraus,  wie  man  von  einzelnen  Mineralen  sprechen  kann,  weim 
man  Minerale  zu  vergleichen  hat  und  dass  bei  der  Vergleichung  einzelner 
Minerale  nicht  gleichzeitig  alle  Eigenschaften  berücksichtigt  werden  können, 
welche  an  den  Mineralen  überhaupt  wahrgenommen  werden.  Wir  können  zwei 
einzelne  Krystalle  derselben  Mineralart  oder  zweier  verschiedener  Mineral- 
arten bezüglich  der  Krystallgestalt,  der  physikalischen  und  chemischen  Eigen- 
schaften vollständig  beschreiben  und  vergleichen  und  diese  zwei  Krystalle  sind 
als  unorganische  Individuen  in  der  Mineralogie  analog  aufzufassen  wie  zwei 
Thiere  oder  zwei  Pflanzen.  Wir  müssen  aber  auch  zwei  Bruchstücke  vollständig 
beschreiben  und  mit  einander  vergleichen  und  betrachten,  diese  als  zwei  einzelne 
Minerale,  natürlich  nicht  als  zwei  Individuen,  denn  dieser  Begriff  der  Individualität 
kommt  hier  nicht  in  Betracht.  Die  Gestalt  hat  also  hier  keinen  Einfluss  auf  die 
Bezeichnung  »einzelnes  Mineral«,  nur  die  Einheit  oder  Einerleiheit  des  Stoffes 
lässt  das  Bruchstück  als  ein  einzelnes  Mineral  auffassen,  während  z.  B.  bei  einem 
Bruchstücke  von  Granit  die  Flinerleiheit  des  Stoffes  nicht  bemerkt  werden  kann. 
Wollte  man  in  diesem  Sinne  nicht  von  einzelnen  Mineralen  sprechen,  so  würde 
überhaupt  nicht  der  Begriff  der  Einerleiheit  oder  Verschiedenheit  klar  gemacht 
werden  können,  wenn  man  Minerale  mit  einander  zu  vergleichen  hat. 

Es  tritt  in  dieser  Erscheinung  der  Minerale  der  grosse  Unterschied  hervor, 
welchen  sie  zeigen,  wenn  man  sie  im  Vergleich  mit  Thieren  und  Pflanzen  als 
einzelne  aufzufassen  hat.  Jedes  einzelne  Mineral  kann  nach  seinen  Eigenschaften 
vollständig  besclirieben  werden  und  die  Vergleichung  der  Eigenschaften  einzelner 
Minerale  führte  dazu,  nicht  nur  die  Uebereinstimmung  einzelner  Minerale  zu 
erkennen,  sondern  auch  Mineralarten  aufzustellen  und  es  fragt  sich  nur,  in 
welchen  Eigenschaften  einzelne  mit  einander  zu  vergleichende  Minerale  Ueberein- 


Arten  der  Minerale.  57 

Stimmung    zeigen    müssen,    um    sie    in    eine  Art  (Species)    zusammenstellen    zu 
können. 

Es  versteht  sich  hierbei  von  selbst,  dass  in  der  Mineralogie  von  demjenigen 
Artbegriff,  wie  er  in  der  organischen  Welt  eine  Rolle  spielt,  keine  Rede  sein 
kann,  dessen  ungeachtet  aber  muss  man  in  der  Mineralogie  Mineralarten  oder 
Species  aufstellen  und  zwar  nicht  deshalb,  um  gewissen  Unbequemlichkeiten  zu 
entgehen,  sondern  weil  die  Wissenschaft  diesen  Begriff  fordert,  ohne  ihn  eine 
wissenschaftliche  Behandlung  der  Mineralogie  unmöglich  ist.  Man  muss  hierbei 
durchaus  nicht  den  Artbegriff  der  Zoologie  und  Botanik  als  übereinstimmend 
auffassen,  sondern  der  Mineralogie  das  Recht  zukommen  lassen,  ihren  Objecten 
entsprechend  die  Arten  festzustellen.  Wenn  auch  z.  B.  Berzelius  es  aussprach, 
dass  in  der  Mineralogie  nichts  vorhanden  ist,  was  dem  Begriff  von  Species  ent- 
spricht, so  ist  dies  nur  insofern  richtig,  als  der  Begriff  von  Thier-  und  Pflanzen- 
species  nicht  auf  die  Minerale  übertragen  werden  kann.  Die  zur  Vergleichung 
kommenden  Objecte,  die  einzelnen  Minerale,  erfordern  nur  eine  andere  Be- 
:»timmung  des  Artbegriffes.  Mit  wenigen  Worten  lässt  sich  dieser  Begriff  nicht 
klar  machen,  wenn  auch  der  Mineralog  versteht,  was  in  den  wenigen  Worten 
zusammengefasst  ist.  Es  liegt  hier  der  Zweck  vor,  klar  zu  machen,  warum  eine 
Anzahl  einzelner  Minerale  in  eine  Mineralart  zusammengestellt  werden  können, 
zusammengestellt  worden  sind,  warum,  um  nur  allgemein  bekannte  Namen  zu 
gebrauchen,  die  Bergkrystalle,  Rauchquarze,  Amethyste,  Chalcedone,  Achate, 
Feuerstein,  Jaspis  u.  a.  m.  als  der  Mineralart  Quarz  zugehörig  angesehen  werden. 
Die  kurze  Angabe,  wie  z.  B.  A.  Breithaupt  in  seinem  yollständgen  Hand- 
buche der  Mineralogie,  Band  I,  pag.  404,  sie  hinstellt:  »Alle  diejenigen  Mineral- 
Abänderungen,  welche  absolut  oder  relativ  identisch  sind,  machen  eine  Species 
ausi,  reicht  nicht  aus,  weil  vorerst  erörtert  werden  muss,  was  man  unter  absoluter 
und  relativer  Identität  versteht  und  weil  schon  in  dieser  Definition  der  Ausdruck 
Mineral- Abänderungen  gebraucht  wird,  welcher  ohne  die  Feststellung  des  Art- 
begriffes doch  nicht  verständHch  ist,  indem  sich  der  Begriff  Minera^Abänderungen 
erst  aus  dem  Artbegriff  entwickelt. 

Wenn    ferner    z.    B.    Mohs   in    seinen   leichtfasslichen    Anfangsgründen    der 
Naturgeschichte  des  Mineralreiches,   Band  I,  pag.  362,   sagt:    »Ein  vollständiger, 
nach   aussen   schart  begrenzter,   im  Innern  geordneter  und  zusammenhängender, 
das  ist  systematischer  Inbegriff  gleichartiger  Individuen  wird  eine  Species  oder 
Art    genannt,«    so    ist    sofort    zu    fragen,    was  Mohs  unter  Individuen  verstand. 
Hierbei  stossen  wir  aber  auf  einen  Widerspruch,   denn  er  hat  einen  doppelten 
Begriff  von  Individuum.    Er  sagt  in  der  vorausgehenden  Erläuterung  der  Begriffe 
P^-    347-      »Der   Begriff   von    dem    Individuo   im    Mineralreiche,    welcher   der 
Terminologie  zu  Grunde   gelegen,  da  es  das  einfache  Mineral  ist,   genügt  nicht 
für  die  Systematik.     In  dieser  ist  das  Individuum  eine   bestimmte  Verbindung 
einzelner,  ungleich  massiger  naturhistorischer  Eigenschaften,  welche  die  Natur  selbst 
hervorgebracht  hat.«     Der  Terminologie  lag  also  ein  anderer  Begriff  des  Indivi- 
duum zu  Grunde,  für  diese  sagt  er  pag.  25:     »Das  Individuum  der  unorganischen 
Natur   ist   ein    Mineral,    welches    einen    von    ursprünglichen    Begrenzungen  ein- 
geschlossenen   Raum    einnimmt,    und    denselben  mit   einer  homogenen    Materie 
stetig  erfüllt. 4     Eine  solche  doppelte  Bestimmung  kann  nicht  verfehlen,  Missver- 
i»tändnisse    zu    erzeugen    und  doch   stellte  Mohs,    wie  Breithaupt  ein   Mineral- 
system  auf,    in  welchem  die  Mineralarten  getrennt  in  systematischer  Reihenfolge 
beschrieben  wurden.  —  L.  Hausmann,  welcher  auch  ein  Mineralsystem  aufstellte, 


5^  Bfineralogie,  Geologie  und  Palaeontolc^c 

sagt  pag.  593  in  seinem  Handbuche  der  Mineralogie,  i.  Theil:  >Wenn  gleich  das 
Ordnen  der  Naturköq>er  in  Hinseht  auf  das  System  als  das  Hauptgeschäft  er- 
scheint, so  ist  doch  von  ungleich  grösserer  Wichtigkeit  für  das  Studium  der 
Naturkörper  überhaupt  die  Bestimmung  der  Species,  oder  desjenigen,  was  sich 
uns  in  der  Natur  als  etwas  Gleichartiges  und  vor  allem  Übrigen  wesentlich  Ver- 
schiedenes darstellt«  pag.  656,  nach  Besprechung  der  Eigenschaften  sagt  er: 
vAllgemein  ausgedrückt  ist  die  anorganologische  Species  der  Inbegriff  derjenigen 
Mineralkörper,  welche  bei  einer  gleichen  oder  gleichmässigen  chemischen 
Constitution  ein  gleiches  Krystallisationensystem  besitzen,  oder  bei  dem  Mangel 
der  Krystallisation,  in  anderen  mit  der  Mischung  im  genauen  Verhältnisse  stehen- 
den, äusseren  Eigenschaften  übereinstimmen.« 

Aus  diesen  und  ähnlichen  Äusserungen  über  die  Bestimmung  der  Art  oder 
Species  würde  man  zu  dem  Schlüsse  berechtigt  erscheinen,  dass  die  Arten  in 
der  Mineralogie  nicht  mit  der  nothwendigen  Bestimmtheit  aufgestellt  werden 
könnten,  während  doch  im  Grossen  und  Ganzen  die  Mehrzahl  der  bis  jetzt  be- 
kannten Mineralarten  in  den  verschiedenen  Systemen  in  ihrem  Umfange  Ueber- 
eiastimmung  zeigt,  viel  seltener  zu  beobachten  ist,  dass  die  Arten  nicht  überein- 
stimmen. Die  scheinbare  Unsicherheit  in  der  Bestimmung  des  Artbegriffes  liegt 
mehr  in  der  Definition,  weil,  wie  die  nachfolgende  Betrachtung  zeigen  wird,  die 
der  Bestimmung  der  Arten  zu  Grunde  liegende  Idee  sich  nicht  in  wenige  Worte 
zusammenfassen  lässt. 

Wenn  die  einzelnen  Minerale  es  nothwendig  machen,  dass  man  ausser  dem 
Stoff  der  Minerale,  das  ist  ausser  ihren  chemischen  und  physikalischen  Eigen- 
schaften auch  noch  gewisse  Gestaltsverhältnisse  zu  berücksichtigen  hat,  so  zeigte 
schon  die  obige  Besprechung  des  Inhaltes  des  Mineralreiches,  dass  die  Gestalten 
der  Minerale  bei  der  Bestimmung  der  Art  nur  dann  zur  Geltung  kommen 
können,  wenn  die  zu  vergleichenden  einzelnen  Minerale  Krystalle  bilden,  als 
unorganische  Individuen  vorkommen.  Diese  Gestalten  allein  sind  wesentliche, 
immerhin  aber  in  ganz  anderer  Weise,  als  dies  bei  den  Thieren  und  Pflanzen  der 
Fall  ist.  Die  Gestalten  der  Krystalle  sind  geometrische,  sie  sind  Polyeder  der 
verschiedensten  Art  und  die  genaue  Bestimmung  derselben  hat  dazu  geführt,  die 
ücgrenzungselemente  der  Krystalle,  die  Flächen,  Kanten  und  Ecken  auf  gewisse 
Linien  zu  beziehen,  welche  man  sich  in  die  Krystallgestalt  hinein  denkt  Durch 
solche  Linien  (Achsen  genannt),  welche  sich  in  einem  gemeinschaftlichen  Mittel- 
punkte schneiden,  gleiche  oder  verschiedene  Winkel  mit  einander  bilden  und 
bestimmte  Längenverhältnisse  zeigen,  gruppirt  man,  wie  indem  Artikel  iKry stall- 
gestalten« ausführlich  gezeigt  werden  wird,  dieselben  und  erhält  dadurch  die 
Systeme  der  Krystallgestalten  (Krystallsysteme). 

Krystalle  derselben  Mineralart  müssen  nun  in  erster  Linie  demselben  Krystall- 
system  angehören,  ihre  Gestalten  müssen  durch  dieselben  Achsen  bestimmt  werden 
köimen.  Hierbei  ist  aber  nicht  erforderiich,  dass  die  einer  Mineralart  angehorigen 
Krystalle  in  der  Gestalt  übereinstimmen,  es  können  dieselben  sehr  verschieden 
sein,  sie  müssen  nur  auf  dieselben  Achsen  bezogen  werden  können.  So  sind 
/.  B.  im  sogen,  tcsseralen  Systeme,  welches  drei  rechtwinklige  gleichlange  Achsen 
erfordert,  das  Hexaeder  und  das  Oktaeder  zwei  ganz  verschiedene  Gestalten, 
Krystalle  aber  derselben  Art  sind,  wenn  sie  als  Hexaeder  oder  Oktaeder  vor- 
kommen, deshalb  nicht  der  Art  nach  verschieden,  wenn  auch  die  Gestalten  ganz 
verschieden  sind,  sie  werden  zu  derselben  Art  gezählt,  weil  sie  auf  dieselben  Ach>en 
iurücktührbar  sind.  Man  umfasst  daher  mit  dem  Ausdnicke  Krystallisation  einer 


Arten  der  Minerale.  59 

Mineralart  alle  Gestalten,  welche  sich  durch  dieselben  Achsen  bestimmen  lassen 
und  fordert  so  für  die  Feststellung  der  Art,  dass  alle  ihre  Krystallgestalten  auf  die- 
selben Achsen  zurückgeführt  werden  können,  und  darum  stimmen  sie  in  der 
Kr>'stallisation  überein. 

Alle  Krystallgestalten,  welche  auf  diese  Weise  zusammengefasst  werden,  um 
die  Uebereinstimmung  in  der  Krystallisation  festzustellen,  lassen  sich  auf  eine 
Krystallgestalt  zurückfuhren,  welche  die  zu  Grunde  gelegten  Achsen  so  enthält, 
wie  sie  zur  Bestimmung  der  übrigen  zu  Grunde  gelegt  werden,  und  diese  Gestalt 
heisst  die  Grundgestalt.  Daher  kann  man  auch  sagen,  dass  alle  Krystall- 
gestalten derselben  Art  auf  dieselbe  Grundgestalt  zurückführbar  sein  müssen. 
Ihre  Angabe  allein  genügt,  um  die  Krystallisation  einer  Mineralart  festzustellen. 
Es  ist  hierbei  nicht  erforderlich,  dass  die  durch  Messung  der  Krystalle  zu  er- 
mittelnde Grundgestalt  einer  Mineralart  wirklich  an  irgend  einem  Krystalle 
dieser  Art  vorkommen  müsse,  sie  dient  nur  dazu,  zu  bestimmen,  dass  die  vor- 
handenen Krystallgestalten  einer  Mineralart  zusammengehörige  sind.  Dieser  Zu- 
sammenhang aller  Krystallgestalten  derselben  Mineralart  wird  auch  dadurch 
nicht  aufgehoben,  dass,  wie  es  bisweilen  vorkommt,  für  dieselbe  Mineralart  von 
verschiedenen  Forschem  eine  verschiedene  Grundgestalt  gewählt  wird.  Man  ver> 
meidet  dies  in  der  Regel,  weil  grosse  Unbequemlichkeiten  damit  verbunden  sind, 
es  entsteht  aber  kein  wirkliches  Missverständniss,  Art  bleibt  Art,  insofern  die  ver- 
schieden gewählten  Grundgestalten  selbst  wieder  auf  einander  bezügliche  Gestalten 
sind.  An  Stelle  der  Grundgestalt  mit  ihren  Kantenwinkeln  kann  man  auch  die 
zur  Bestimmung  derselben  und  der  anderen  Krystallgestalten  zu  Grunde  gelegten 
.\chsen  ihrer  Lage  und  Länge  nach  angeben. 

Wenn  auf  diese  Weise  morphologisch  die  Mineralart  begrenzt  wird,  die  vor- 
kommenden Krystallgestalten  als  zur  Art  gehörige  bestimmbar  sind,  so  ist 
damit  allein  die  Art  nicht  bestimmt,  weil  die  Gestalten  allein  nicht  zur  Be- 
stimmung der  Art  ausreichen.  Es  kommen  nämlich  viele  Arten  vor,  welche  nicht 
allein  in  dasselbe  Krystallsystem  gehören,  sondern  auch  auf  dieselbe  Grundgestalt 
zurückgeführt  werden  können.  So  ist  z.  B.  für  alle  Krystalle  des  tesseralen 
Systems  die  Grundgestalt,  das  Oktaeder,  dieselbe,  deshalb  gehören  aber  nicht 
alle  tesseralen  Krystalle  derselben  Mineralart  an,  sondern  sie  können  nur  der 
Gestalt  nach  als  zusammengehörig  aufgefasst  werden.  Es  müssen  bei  der  Beur- 
theilung  der  Art  auch  die  anderen  Eigenschaften  beurtheilt  werden. 

Ausser  der  äusseren  Gestalt  der  Krystalle,  durch  welche  sie  räumlich  als 
unorganische  Individuen  begrenzt  sind,  und  welche  in  sehr  verschiedenem  Grade 
der  Vollkommenheit  oder  der  Unvollkommenheit  ausgebildet  sein  kann,  muss 
noch  bei  der  Aufstellung  der  Arten  eine  eigenthümliche  Gestaltserscheinung  in 
Betracht  gezogen  werden,  welche  in  dem  Artikel  ^Cohäsion«  besprochen  werden 
wird,  nämlich  dieSpaltungsflächen.  Diese  werden  als  innere  krystallinische 
Gestalten  den  äusseren  an  die  Seite  gestellt  und  sind  für  die  Bestimmung  der 
Art  von  grosser  Bedeutung.  Die  Krystalle  nämlich,  welche  als  unorganische 
Individuen  in  der  Regel  in  allen  Theilen  dieselbe  Substanz  zeigen,  in  ihrem 
Inneren  homogen  sind,  haben  die  Eigenthümlichkeit,  dass  sie  sich  nach  gewissen 
Richtungen  spalten  lassen,  in  diesen  Richtungen  eine  mindere  Cohäsion  als  in 
anderen  zeigen.  Die  dadurch  entstehenden  Spaltungsfiächen  gehen  bestimmten 
Ki}'stallflächen  parallel,  welche  in  die  Reihe  der  Krystallisationsgestalten  einer  Art 
gehören. 

Es  ist  hierbei  nicht  nothwendig,  dass  an  den  Krystallen,  welclie  man  spaltet, 


6o  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologic. 

diese  Flächen  äusserlich  sichtbar  sind,  so  spaltet  z.  B.  ein  Hexaeder  des  Steinsalz 
genannten  Minerals  parallel  den  Flächen  des  Hexaeders,  während  ein  Hexaeder 
der  Fluorit  genannten  Mineralart  parallel  den  Flächen  des  Oktaeders  spaltet,  auch 
selbst,  wenn  keine  Spur  von  Oktaederflächen  äusserlich  an  dem  Krystalle  bemerk- 
bar ist. 

Für  die  Bestimmung  der  Arten  sind  diese  Spaltungsflächen  von  grösster  Be- 
deutung, weil  man  gefunden  hat,  dass  alle  Krystalle  derselben  Art,  so  verschieden 
auch  ihre  äussere  Gestalt  sein  mag,  in  den  Spaltungsflächen  übereinstimmen, 
wodurch  dieselben  selbst  in  Ermangelung  äusserer  bestimmbarer  Krystallgestalten, 
wie  dies  bei  der  unvollkommenen  Ausbildung  der  Individuen  oft  vorkommt,  zur 
Bestimmung  der  Art  dienen  können.  Es  wird  somit  morphologisch  die  Art  nicht 
nur  durch  die  äusseren  Gestalten  der  Krystalle  festgestellt,  sondern  auch  durch 
diese  inneren  Gestaltungsverhältnisse,  und  wenn  nicht  besondere  Umstände 
hinderlich  sind,  kann  man  in  morphologischer  Beziehung  sagen,  dass  diejenigen 
einzelnen  Minerale  derselben  Art  angehören  können,  welche  in  demselben 
Krystallsysteme  krystallisiren,  in  der  Krystallisation  übereinstimmen  und  dieselben 
Spaltungsflächen  zeigen.  Ja  es  giebt  selbst  Mineralarten,  deren  Krystallisation  bei 
Mangel  an  bestimmbaren  Krystallen  durch  die  Spaltungsflächen  allein  bekannt  ist. 

Was  die  physikalischen  Eigenschaften  im  Allgemeinen  betrifft,  so  sind 
bei  der  Reichhaltigkeit  derselben  nur  wenige  für  die  Bestimmung  der  Art  wesent- 
lich. Die  zunächst  an  den  einzelnen  Mineralen  in  das  Auge  fallenden  optischen 
Eigenschaften  sind  in  ihren  Einzelnheiten,  Farbe,  Glanz,  Durchsichtigkeit,  Strahlen- 
brechung und  Polarisation  nur  in  beschränkter  Weise  für  die  Feststellung  der 
Art  wichtig  und  es  können  selbst  die  von  der  Krystallisation  abhängigen  Er- 
scheinungen der  Strahlenbrechung  und  Polarisation  ausser  Acht  gelassen  werden. 
Sie  können  gewissermassen  zur  ControUe  der  Krystallisation  dienen,  aber  nicht 
so  genau  bestimmt  werden,  wie  diese.  Es  ist  allerdings  hervorzuheben,  dass 
diese  optischen  Eigenschaften  von  eminenter  wissenschaftlicher  Bedeutung  sind, 
doch  können  verschiedene  äussere  Ursachen  in  einzelnen  Fällen  so  störend  auf 
die  Feststellung  derselben  einwirken,  dass  es  besser  erscheint,  ohne  ihre  grosse 
Bedeutung  herabzusetzen,  sie  nur  controllirend  für  die  Art  zu  verwenden. 
Farbe,  Glanz  und  Durchsichtigkeit  ergeben  zusammengefasst  das  Aussehen  der 
einzelnen  Minerale,  und  weil  in  dieser  Beziehung  die  Minerale  verschieden  er- 
scheinen, im  Allgemeinen  als  solche  von  metallischem  Aussehen  oder  als  solche 
von  unmetallischem  Aussehen  unterschieden  werden  können,  so  ist  es  fiir  die 
einzelnen  einer  Art  angehörigen  Minerale  mit  der  Beschränkung  maassgebend, 
als  das  Aussehen  ein  übereinstimmendes  sein  soll,  entweder  ein  metallisches 
oder  ein  unmetallisches.  Wenn  dies  nicht  der  Fall  ist,  das  Aussehen  ein 
wechselndes  ist,  verliert  es  seine  wesentliche  specifische  Bedeutung. 

Wichtig  für  die  Art  oder  Species  ist  das  darnach  benannte  specifische 
Gewicht,  worin  alle  Glieder  einer  Art  übereinstimmen  müssen.  Welche  be- 
sonderen Umstände  dabei  zu  berücksichtigen  sind,  wird  in  dem  bezüglichen 
Artikel  über  das  specifische  Gewicht  angegeben  werden.  Dasselbe  gilt  auch  von 
der  Härte,  welche  in  dem  Artikel  Cohäsionseigenschaften  der  Minerale  be- 
sprochen werden  wird. 

Andere  physikalische  Eigenschaften  kommen  nur  in  besonderen  Fällen  bei 
der  Bestimmung  der  Art  zur  Geltung,  so  dass  im  Allgemeinen  nur  für  die  ein- 
zelnen Vorkommnisse  einer  Art  Uebereinstimmung  im  Aussehen,  im  specifischen 
Gewicht  und  in  der  Härte  erforderlich  ist,  wobei  jedoch  immer  zu  berücksichtigen 


Arten  der  Minerale.  6i 

sein  wird,  dass  die  Uebereinstimmung  nur  relativ  ist,  auf  besondere  Vorkommnisse 
bezüglich,  welche  mit  einander  verglichen  werden,  weil  die  physikalischen  Eigen- 
schaften als  solche  der  Masse  sehr  häufig  durch  Nebenumstände  bedeutend 
beeinflusst  werden. 

Viel  wichtiger  und  einflussreicher  fiir  die  Bestimmung  der  Arten  ist  die 
chemische  Beschaffenheit  des  Stoffes  geworden,  wie  wohl  von  vornherein 
daraus  ersichtlich  ist,  dass  vom  Stoffe  oder  der  Materie  des  Minerales  die  ge- 
sammte  Existenz  desselben  abhängig  ist.  Die  Mineralchemie  hat  daher  auf  die 
Mineralogie  den  grössten  Einfluss,  und  wenn  ein  Mineral  nicht  in  chemischer 
Beziehung  genügend  erforscht  ist,  so  ist  seine  specifische  Selbständigkeit  nicht 
ausser  allem  Zweifel  gesetzt.  Die  Mineralchemie  hat  zu  der  Erfahrung  geführt, 
dass  die  einer  Art  zugehörigen  Minerale  im  Stoffe  übereinstimmen  müssen,  dessen 
Qualität  und  Quantitätsverhältnisse  in  der  chemischen  Formel  ihren  Ausdruck 
finden.  Im  Zusammenhange  damit  stehen  die  chemischen  Reactionen, 
welche  von  dem  durch  die  Formel  ausgedrückten  Stoffe  abhängig  sind  und 
später  in  einem  eigenen  Artikel  besprochen  werden.  Nur  in  einzelnen  Fällen 
%  Artikel  Dimorphismus)  zeigen  die  Reactionen  bei  gleicher  chemischer 
Formel  Abweichungen  von  der  Regel,  wesshalb  dann  bei  der  Bestimmung  der 
Art  diese  zu  berücksichtigen  sind,  wodurch  aber  die  allgemeine  Anforderung  an 
eine  Art,  Übereinstimmung  in  der  chemischen  Formel  und  in  den  Reactionen 
nicht  beeinträchtigt  wird. 

Wenn  nun  aus  dem'  Gesagten  hervorgeht,  in  welchen  Eigenschaften  und  in 
welchem  Sinne  Uebereinstimmung  für  diejenigen  einzelnen  Minerale  erforderlich 
ist,  welche  derselben  Art  zugehören  sollen,  so  ergiebt  sich  aus  der  Art  des  Vor- 
kommens der  Minerale  überhaupt,  dass  nur  diejenigen  der  angeführten  Eigen- 
schaften zur  Vergleichung  und  zur  Entscheidung  über  die  Zugehörigkeit  dienen 
können,  welche  das  einzelne  Mineral  zeigt.  So  können  bei  gasigen  und  tropf- 
baren Mineralen  nur  die  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften  über  die 
Art  entscheiden,  desgleichen  auch  bei  den  festen,  wenn  diese  unkrystallinische 
Gestalten  zeigen ;  daraus  folgt  aber  nicht,  dass  die  Vergleichung  der  krystallinischen 
Gestaltsverhältnisse  für  die  Entscheidung  über  die  Art  überflüssig  erscheinen 
könnte,  selbst  wenn  darüber  allein  durch  die  physikalischen  und  chemischen 
Eigenschaften  zu  entscheiden  möglich  wäre.  Es  werden  häufig  diese  letzteren 
durch  besondere  Umstände  nicht  sicher  genug  erscheinen  und  deshalb  ist  es 
nöthig,  alle  Eigenschaften  zu  benützen,  welche  den  Zweck  erreichbar  machen. 

Ist  nun  durch  die  Uebereinstimmung  in  der  chemischen  Constitution,  welche 
durch  die  chemische  Formel  des  Stoffes  ausgedrückt  wird,  in  den  chemischen 
Reactionen,  im  Aussehen,  im  specifischen  Gewicht,  in  der  Härte,  in  den 
Spaltungsflächen  und  in  der  Krystallisation  eine  Art  (Species)  festgestellt,  so 
dienen  diese  Eigenschaften  zur  Charakteristik  der  Art  und  die  aufgestellte 
Art  wird  mit  einem  bestimmten  Namen  benannt.  Innerhalb  der  Art  werden 
ahnlich  wie  in  der  Zoologie  und  Botanik  Varietäten  oder  Abänderungen 
unterschieden,  deren  Zahl  je  nach  der  Reichhaltigkeit  des  Vorkommens  und  der 
Mannigfaltigkeit  für  die  Artbestimmung  unwesentlicher  Eigenschaften  sehr  ver- 
schieden sein  kann  und  es  können  den  Varietäten  auch  besondere  Namen  ge- 
geben werden  oder  sind  gegeben  worden.  So  sind  z.  B.  in  dem  pag.  57  angeführten 
Beispiele  die  Bergkrystall,  Rauchquarz,  Amethyst,  Chalcedon,  Achat,  Feuerstein, 
Jaspis  genannten  Minerale  Varietäten  der  Species  Quarz. 

Was  die  Namen  betrifft,  so  hat  die  allmähliche  Entwickelung  der  Mineralogie 


62  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

einen  gewissermaassen  störenden  Einfluss  ausgeübt,  abgesehen  davon,  dass  bezüg- 
lich der  Arten  und  Varietäten,  wie  in  der  Zoologie  und  Botanik  nicht  immer 
Uebereinstimmung  herrschen  kann.  Die  Nomenclatur  in  der  Mineralogie  hat 
sogar  zu  vielen  Klagen  geführt  und  den  Schein  erregt,  als  sei  das  Verfahren  bei 
der  Benennung  der  Minerale  weniger  wissenschaftlich  als  in  den  anderen  natur- 
historischen Disciplinen.  Es  handelt  sich  nämlich  zunächst  um  die  Frage,  welche 
Methode  der  Nomenclatur  vorzuziehen  sei,  die  systematische  oder  die  specifische 
Nomenclatur,  und  man  hat  sich  im  Allgemeinen  in  der  Mineralogie  für  die  speci- 
fische entschieden,  ohne  dabei  den  wissenschaftlichen  Werth  der  systematischen 
Nomenclatur  zu  verkennen.  Es  wurden  von  Anfang  an  den  Mineralen  specifische 
Namen  oder  überhaupt  Namen  gegeben,  bevor  noch  die  eigentliche  Bedeutung 
der  Species  Platz  gegriffen  hatte,  bevor  überhaupt  Grundsätze  über  den  Begriff  Species 
ausgesprochen  wurden.  Als  man  die  einzelnen  Arten  als  solche  unterschied  und 
systematische  Ordnung  in  die  Mineralogie  zu  bringen  begann,  wurden  auch 
systematische  Namen  gegeben.  Bei  der  Verschiedenheit  aber  der  Ansichten  über 
die  systematische  Anordnung  entstanden  verschiedene  Systeme  und  bei  dem 
persönlichen  Rechte,  die  Minerale  nach  dem  autgestellten  Systeme  systematisch 
zu  benennen,  mussten  nothwendig  dieselben  Arten  von  verschiedenen  Autoren 
der  Systeme  verschieden  systematisch  benannt  werden.  Hierdurch  wurde  das 
Studium  der  Mineralogie  sehr  erschwert  und  man  zog  die  specifische  Nomen- 
clatur vor,  weil  sie  von  den  Systemen  unabhängig  ist. 

W.  Haidinger  äusserte  sich  in  seinem  Handbuche  der  bestimmenden  Mine- 
ralogie, in  welchem  er  das  MoHs'sche  System  und  dessen  systematische  Nomen- 
clatur aufnahm,   pag.  464,   über  die  specifische  Nomenclatur  in  folgender  Weise: 
>Das  Bedürfniss,  welches  die  systematische  Nomenclatur  befriedigt,  ist  der 
Ausdruck  der  naturhistorischen  Ähnlichkeit  in  einem   Systeme  durch  die  Be- 
nennung.    Es  ist  aber  ein  eben  so  dringendes  und  wahres  Bedürfniss,  für  jede 
Species  einen  eigenen  bestimmten  specifischen  Namen  zu  haben,   der  einfach, 
nicht  zusammengesetzt  ist,  daher  auch  sich  weder  auf  ein  vollständiges  Mineral- 
System,   noch  auf  ein   Systemfragment  bezieht,   wie  dieses  letztere   bei  einem 
jeden  zusammengesetzten  Namen  der  Fall  ist,  wenn  er  nicht  in  die  Kategorie 
von  wirklichen  systematischen  Namen  oder  Benermungen  gehört.     Dieses  Be- 
dürfniss wird  durch  die  specifische  Nomenclatur  befriedigt.« 

F.  V.  KoBELL  begann  die  Einleitung  seines  Buches:  »Die  Mineralnamen 
und  die  mineralogische  Nomenclatur«  mit  folgenden  Aeusserungen  über  die  Namen: 
»Die  Nomenclatur,  sagt  Mohs,  giebt  einen  gedrängten  Abriss  von  der 
Wissenschaft  selbst  und  von  ihrem  Zustande  in  den  verschiedenen  Perioden 
ihrer  Ausbildung.  Sie  ist  der  Spiegel,  in  welchem  die  ganze  Wissenschaft  sich 
abbildet  —  Es  sind  dieses  sehr  wahre  Worte  und  wir  erkennen  an  den  Namen 
auf  dem  kürzesten  Wege  die  verschiedenen  Ansichten,  die  sich  geltend  gemacht 
haben  oder  geltend  machen  wollen,  wir  unterscheiden  leicht  die  Krystallo- 
graphen  mit  denjenigen,  welche  die  sogen,  naturhistorische  Methode  für  sich 
in  Anspruch  genommen  und  je  nach  den  Umständen  verschieden  gemodelt 
haben,  von  den  Chemikern,  die  in  anderer  Richtung  strebend  sich  wie  die 
ersteren  zuweilen  ins  Extrem  verloren,  wir  ersehen  aus  der  Geschichte  der 
Namen  ebenso  die  Unzulänglichkeit  einer  aller  Speculation  entbehrenden 
Empirie,  wie  die  Verschrobenheit  jener  Philosophieen,  die  es  nur  mit  einer 
eingebildeten  Natur  zu  thun  haben,  wir  erkennen  die  Schwierigkeiten  der 
Forschung,  die  Nachtheile  des  Abschliessens  von  anderen  Wissenschaften  uiid 


Arten  der  .Minerale.  63 

der  erwähnte  Spiegel  liefert  für  die  Mineralogie  ein  so  buntes  und  unharmo- 
nisches Bild,  wie  wohl  bei  keiner  anderen  Naturwissenschaft.  In  der  That, 
wer  von  der  gegenwärtigen  mineralogischen  Nomenclatur  auf  den  künftigen 
Entwicklungsgang  und  die  Behandlung  der  Wissenschaft  schliessen  wollte,  der 
möchte  unwillkürlich  an  den  babylonischen  Thurmbau  erinnert  werden,  der  am 
Ende  eingestellt  werden  musste,  weil  keiner  mehr  den  andern  verstand.  Frei- 
lich war  immer  einigen  nicht  sowohl  um  den  grossen  mineralogischen  Thurm 
zu  thun,  als  um  einen  Erker  daran,  welchen  sie  nach  Wissen  und  Geschmack 
zur  eigenen  Wohnung  sich  ausbauten  und  nach  Bequemlichkeit  einrichteten 
und  das  zuweilen  auf  eine  so  seltsame  Weise,  dass  man  sich  kaum  des  Ge- 
dankens erwehren  kann,  es  sei  darauf  abgesehen  gewesen,  die  Neugier  rege 
zu  machen,  wer  denn  da  wohne,  wer  denn  diese  Curiosität  geschaffen  habe. 
Diese  Vorkommnisse  sind  zwar  für  denjenigen  nicht  so  gefahrlich,  der  sie 
durch  lange  Dienstzeit  kennen  und  beurtheilen  gelernt  und  sich  in  Geduld  darein 
gefunden  hat,  den  Tornister  der  Synonymen  fortwährend  herumzuschleppen, 
fiir  den  neu  eintretenden  Jünger  der  Wissenschaft  sind  sie  aber  ein  Verhau 
des  Weges,  ein  zurückschreckendes  Hindemiss  für  alles  Fortkommen.« 

>Um  das  Gesagte  mit  einem  Beispiele  zu  erläutern,  will  ich  ein  allgemein 
gekanntes  und  wohl  untersuchtes  Mineral,    das  molybdänsaure  Bleioxyd,   an- 
führen.   Ein  Schüler  von  Mohs  würde,  um  es  zu  bezeichnen,  vom  pyramidalen 
Bleibaryt  sprechen,  ein  Schüler  Breithaupt's  aber  vom  tautoklinen  Xanthin- 
spath,    ein  Schüler  Hausmann's    würde   es  Bleigelb  nennen,    während  es  die 
Wemerianer  Gelbbleierz   genannt   haben,    ein  Schüler  Haidinger's   nennt    es 
Wulfenit,    bei  Brocke   heisst   es  Carinthit,    bei  Beudant  Melinose   und   nun 
kommen  noch  die  lateinischen  Namen  dazu:     Pyramidites  tautoclinus,    Wulfe- 
nitcs  pentatomus,  Cronalus  pyramidalis ,  Flumbum  molybdänicum,€ 
Aus   solchen   Äusserungen   über  die  Benennung   der  Minerale  ersieht  man, 
dass   die    vorhandenen  überaus  zahlreichen  S)monyme  wirklich  eine  grosse  Be- 
schwerde   sind  und  dass  man  den  specifischen  Namen  den  Vorzug  einräumen 
muss,    weil  bis  jetzt  kein  Mineralsystem    mit   systematischer  Nomenclatur  sich 
einer    allgemeinen   Aufnahme    erfreuen   konnte.     Die    spezifischen   Namen    aber 
lassen  sich  nicht  nach  allgemein  giltigen  Vorschriften  geben,  weil  dies  der  Natur 
der  Sache  nach  nicht  gut  möglich  ist  und  deshalb  entstanden  oft  verschiedene 
Namen  für  ein  und  dieselbe  Art.    Man  findet  darum  in  der  Regel  in  den  Hand- 
und  Lehrbüchern  der  Mineralogie  neben  dem  vom  Autor  gewählten  specifischen 
Namen    ein  oder  mehrere  Synonyme  angegeben,    weil  dies  des  Verständnisses 
wegen  nothwendig  ist,  vermeidet  aber  nach  Möglichkeit,  bekannten  Species  neue 
Namen  zu  geben,  weil  bereits  gegebene  zur  genügenden  Auswahl  vorhanden  sind. 
Von  den  Regeln  oder  leitenden  Grundsätzen,  nach  welchen  Namen  gegeben 
werden  sollen,  kann  hier  nicht  weiter  die  Rede  sein,  dies  würde  zu  weit  führen 
und  man  ersieht  nur   aus  einer  Regel,    welche  Haidinger  (a.  a.  O.    pag.  465) 
voranstellt,  wie  unsicher  solche  Regeln  sind.     Er  sagt,  die  Namen  sollen  ein- 
fach, nicht  zusammengesetzt  sein,   führt  dabei  einige  Zeilen  weiter  den  Namen 
Pharmakolith  als  gut  gewählten  an  mit  der  Bemerkung,  ist  ein  zusammenge- 
setztes Wort,    aber  griechisch,    und  gilt  im  Deutschen  für  einfach.     In  diesem 
Sinne    kann    man   unmöglich   die    Bezeichnung   einfach    verstehen,    wenn    man 
auch  gern  griechische  oder  lateinische  Namen  wählt.     Dies  geschieht  nicht,  um 
den  Namen  als  einen   einfachen  hinzustellen,   sondern  deshalb,  um  Namen  zu 
haben,  welche  in  anderen  modernen  Sprachen  als  wissenschaftliche  eben  so  un- 


64  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

abhängig  von  der  Muttersprache  gebraucht  werden  können,  wie  von  der  deutschen. 
Wenn  z.  B.  anstatt  des  deutschen  Namens  Kupferkies  der  griechisch  ausge- 
drückte Name  Chalkopyrit  allgemeiner  brauchbar  erscheint,  so  ist  darum  nicht 
der  Name  Chalkopyrit  ein  einfacher,  weil  er  griechisch  ist  und  der  Name  Kupfer- 
kies ein  zusammengesetzter,  weil  der  Deutsche  sofort  weiss,  dass  der  Name- 
Kupferkies  ein  zusammengesetzter  ist.  Durch  die  Uebersetzung  in  das  Griechische 
oder  Lateinische  werden  sie  nicht  einfache  Namen,  sondern  nur  in  gewissem 
Sinne  zugänglicher  für  verschiedene  Sprachen. 

Jede  Mineralart  kann,  durch  die  oben  angegebenen  Eigenschaften  bestimmt, 
durch  die  möglichst  kürzeste  Angabe  dieser  charakterisiri  werden,  während  die 
Beschreibung  einer  Mineralart  länger  oder  kürzer  gegeben  werden  kann,  je  nach 
dem  Umfange,  welchen  ein  Werk  haben  soll.  In  einer  vollständigen  Beschreibung 
müssten  alle  Eigenschaften  enthalten  sein,  welche  die  bis  anhin  bekannt  gewordenen 
Vorkommnisse  ergeben  haben,  die  als  der  Art  angehörig  betrachtet  werden. 
Später  aufzufindende  Vorkommnisse  können  zur  Vervollständigung  der  Beschreibung 
beitragen,  während  die  Charakteristik  der  Art,  die  Art  als  solche  ihre  Geltung  be- 
hält. So  können  z.  B.  die  in  den  Umfang  der  Krystallisation  gehörigen  Krystall- 
gestalten  durch  neue  Vorkommnisse  vermehrt  werden,  können  die  Farben  mannig- 
faltiger werden,  können  durch  neue  Analysen  unwesentliche  Bestandtheile  gefunden 
werden,  welche  noch  nicht  bekannt  waren  u.  s.  w.  wodurch  besonders  die  Zahl 
der  Varietäten  vermehrt  wird.  Wenn  daher  vorgesteckten  Zielen  eines  Werkes 
entsprechend  Beschreibungen  der  Mineralarten  ungleich  umfangreich  werden,  so 
erwächst  daraus  kein  Nachtheil,  wenn  nur  der  einem  Werke  zu  Grunde  liegende 
Zweck  erfüllt  wird.  Auch  erscheint  es  meist  nicht  nöthig,  alle  Mineralarten  auf- 
zuführen, wie  dies  in  diesem  Werke  auch  nicht  geschehen  soll.  Es  sollen  hier 
nur  eine  ausgewählte  Anzahl  von  Mineralen  mit  ihren  wichtigsten  und  bekanntesten 
Varietäten  beschrieben  werden,  ohne  dass  dabei  jedesmal  die  Charakteristik  der 
Art  vorangestellt  wird,  welche  in  jedem  einzelnen  Falle  aus  der  Beschreibung 
entnommen  werden  kann. 

Um  an  einem  Beispiele  diese  doppelte  l^arstellung  zu  zeigen,  wählen  wu 
dazu  die  allgemein  bekannte  Mineralart  Schwefel. 

Für  die  Charakteristik  des  Schwefels  genügen  folgende  Angaben: 

Schwefel,  orthorhombisch,  Grundgestalt  die  Pyramide  P,  deren  Endkanten- 
winkel =  85"  4'und  106^  30',  die Seitenkantenwinkel  =  143^  ig'  sind;  unvollkommen 
spaltbar  parallel  den  Basisflächen  oP  und  dem  Prisma  00  P;  das  Aussehen  ist 
unmetallisch,  Härte  =  1,5 — 2,5,  specif.  Gewicht  =1,9 — 2,1  •  S;  schmelzbar  bei 
112°  C,  verbrennt  angezündet  mit  blauer  Flamme  zu  schwefliger  Säure. 

An  Stelle  der  Winkel  der  Grundgestalt  kann  man  auch  nur  ihr  Achsen- 
verhältniss  angeben,  Hauptachse  zur  Querachse  zur  Längsachse  ^  2,34192 
:  1,23169  :  I,  wobei  gewöhnlich  die  Achsen  nur  mit  bestimmten  Buchstaben  be- 
zeichnet werden  (s.  Artikel  Krystallgestalten).  Die  Winkel  der  Grundgestalt, 
sowie  das  entsprechende  Achsenverhältniss  findet  man  aber  nicht  immer  gleich 
angegeben,  weil  die  Messungen  immer  etwas  von  einander  abweichen  und  aus 
denselben  ein  Mittelwerth  zu  entnehmen  ist. 

Aus  der  Charakteristik  der  Art  geht,  wie  oben  angegeben  worden  ist,  henor, 
dass  alle  vorkommenden  Krystalle  derselben  Gestalten  zeigen,  welche  von  der 
Grundgestalt  ableitbar  sind,  während  alle  Vorkommnisse  der  Art  überhaupt  in 
physikalischer  und  chemischer  Beziehung  in  das  Bereich  der  angegebenen  Be- 
stimmungen fallen. 


Arten  der  Minerale.  65 

Wird  der  Schwefel  als  Mineralart  beschrieben,  so  kann  die  Beschreibung  in 
nachfolgender  Weise  gegeben  werden,  wobei  ausdrücklich  hervorzuheben  ist,  dass 
diese  Beschreibung  keine  vollständige  sein  soll,  sondern  nur  als  Beispiel  ausge- 
führt wird. 

Schwefel.  Derselbe  findet  sich  sehr  häuüg  krystallisirt,  orthorhombisch, 
meist  holoedrisch,  selten  sphenoidisch-hemiedrisch.  Die  Krystalle  sind  fast  immer 
aufgewachsen,  vorherrschend  pyramidal,  zeigen  die  als  Grundgestalt  gewählte 
Pyramide  P  mit  den  Endkantenwinkeln  =  85^4'  und  1 06^30',  den  Seitenkanten- 
winkeln=  143°  19'  für  sich  allein,  gewöhnlich  aber  erscheint  dieselbe  mit  anderen 
Gestalten  in  Combination,  deren  bis  jetzt  schon  über  20  gefunden  wurden,  wie 
mit  den  Basisflächen  oP,  der  stumpfen  Pyramide  ^P  (Endkantenwinkel  =  113°  12' 
und  126°  54')»  der  noch  stumpferen  Pyramide  ^P  (Endkantenwinkel  =  132^  43' 
und  142°),  dem  Prisma  00  P  (dessen  stumpfe  Kanten  =  101°  11'  sind),  dem  Längs- 
doma  P  00  (Endkantenwinkel  =55°  29'),  dem  Querdoma  P^  (Endkantenwinkel 
=  46°  15'),  den  Längsflächen  00  P^,  den  Querflächen  00P55  u.  a.  m.  Die 
Combinationen  sind  z.  Th.  flächenreiche.  Ausser  gewöhnlich  vorkommenden  Un- 
regelmässigkeiten, welche  die  aufgewachsenen  und  in  Drusenräumen  reichlich  vor- 
kommenden Krystalle  zeigen,  flnden  sich  auch  tafelartige  Bildungen  durch  Vor- 
herrschen der  Basis-  oder  Querflächen,  in  Sicilien,  wie  bei  Cianciana  beobach- 
tete man  ausgezeichnet  sphenoidisch-hemiedrische  Entwickelung  der  Pyra- 
miden P  und  \  P.  Bemerkenswerth  ist  das  Vorkommen  von  Zwillingen  nach  dem 
Prisma  00  P,  oder  nach  dem  Längsdoma  Poo,  oder  nach  dem  Querdoma  P00. 
Der  Schwefel  ist  unvollkommen  spaltbar  parallel  den  Basisflächen  und  parallel 
den  Prismaflächen  00  P,  der  Bruch  ist  muschlig,  uneben  bis  splittrig. 

Die  Krystalle  sind  verschieden  gross  bis  sehr  klein,  zeigen  bisweilen  reihen- 
formige  oder  homologe  pyramidale  Gruppirung,  desgleichen  auch  radiale,  welche  . 
bis  zu  kugligen  Gruppen  mit  drusiger  oder  rauher  Oberfläche  führt;  an  diese 
reihen  sich  nierenförmige  und  andere  stalaktitische  Gestalten  bis  krustenförmige 
Ueberztige.  Die  Verwachsung  der  Individuen  lässt  sich  dabei  im  Inneren  mehr  oder 
weniger  deutlich  erkennen.  Ausserdem  findet  er  sich  in  individualisirten  Massen, 
gross-,  grob-,  klein-  bis  feinkörnig,  meist  mit  undeutlicher  Absonderung,  auch 
dnisig-kömig,  stenglig  bis  fasrig,  dicht,  dabei  bisweilen  eigenthümliche  knollige  bis 
kuglige  Gestalten  bildend,  feinerdig  (als  sog.  Mehlschwefel).  Die  Krystalle  und 
Gruppen  sind  fast  immer  aufgewachsen,  die  anderen  Varietäten  finden  sich  derb, 
dabei  oft  ausgedehnte  Lager  oder  wechselnde  Lagen  zwischen  anderen  Mineralen, 
Ausfüllungen  von  Klüften  und  Hohlräumen  bildend,  eingewachsen  bis  eingesprengt, 
als  Ueberzüge  und  Anflüge.  Nach  der  verschiedenen  Ausbildung  kann  man 
als  Varietäten  den  krystallisirten,  krystallinischen,  dichten  und  erdigen  Schwefel 
unterscheiden. 

Die  wesentliche  Farbe  des  Schwefels  ist  ein  eigenthümliches  helles  Gelb  mit 
einem  Stich  ins  Grüne,  welche  als  Schwefelgelb  von  anderen  gelben  Farben  unter- 
schieden wird,  übergehend  bis  in  zeisiggrün,  andererseits  und  zwar  häufiger  in 
andere  gelbe  Farben,  in  citronengelb,  orangegelb,  honiggelb,  strohgelb,  bräunlich- 
gelb, röthlichgelb  bishyazinthroth,  in  gelblich  bis  rötlichbraun;  auch  ist  er  graulichgelb 
bis  gelblich  weiss,  die  dichten  unreinen  Knollen  sind  graulichbraun,  leberbraun  bis 
bräunlichgrau.  Das  Strichpulver  ist  gelblichweiss  oder  graulichweiss.  Der  Glanz 
ist  glas-  bis  diamantartiger  Wachsglanz,  besonders  bei  dem  krystallisirten  und 
krystallinischen,  bis  reiner  Wachsglanz  und  in  der  Stärke  wechselnd,  am  stärksten 
auf  glatten 'Krystall-  und  muschligen  Bruchflächen,  abnehmend  bis  zum  matten 

KjDiMCOTT,  Min.,  Gcol.  u.  Pal.    I.  e 


66  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

oder  glanzlosen  Mehlschwefel.  Er  ist  durchsichtig  bis  an  den  Kanten  durch- 
scheinend, der  erdige  undurchsichtig.  Vollkommen  durchsichtige  Krystalle  zeigen 
doppelte  Strahlenbrechung;  die  Doppelbrechung  ist  positiv,  die  optischen  Achsen 
liegen  im  Längsschnitt,  die  spitze  Bisectrix  fällt  in  die  Hauptachse. 

Der  Schwefel  ist  wenig  spröde  aber  leicht  zersprengbar,  hat  die  Härte 
=  1,5 — 2,5;  der  feinkörnige  und  erdige  ist  leicht  zerreiblich,  das  spec.  Gew.  ist 
=  1,9 — 2,1.     Durch  Reiben  wird  er  negativ  elektrisch. 

Chemisch  ist  der  Schwefel  ein  elementarer  Stoff,  mit  S  bezeichnet,  doch  meist 
mehr  oder  weniger  verunreinigt  durch  fremdartige  Beimengungen,  welche  selbst 
bei  geringer  Menge,  besonders  auf  die  Farbe  Einfluss  haben,  wie  Schwefelarsen 
und  Selen  orangegelbe,  Bitumen  bräunliche,  erdiger  Thon  oder  Mergel  graue 
oder  grauliche  Färbung  veranlassen. 

Schwach  erwärmt,  schon  in  der  warmen  Hand  knistert  er,  im  Kolben 
erhitzt  schmilzt  er,  bei  112°  C-  zu  einer  gelben  beweglichen  Flüssigkeit,  welche 
bei  höherem  Erhitzen  dunkler  bis  hyacinthroth  oder  granatroth  und  dicker  wird,  bei 
250°  so  zähe,  dass  sie  sich  nicht  mehr  aus  dem  Gefasse  ausgiessen  lässt.  Ueber 
300°  wird  der  Schwefel  wieder  dünnflüssig,  siedet  bei  440°  und  verwandelt  sich 
in  orangegelben  Dampf,  welcher  sich  am  Glase  als  Sublimat  absetzt.  An  einer 
Flamme  angezündet  verbrennt  der  Schwefel  mit  blaulicher  Flamme  zu  schwefliger 
Säure  SOj,  welche  durch  ihren  erstickenden  Geruch  leicht  erkenntlich  ist. 

Der  geschmolzene  Schwefel  ergiebt  beim  Abkühlen  den  sogen,  klinorhom- 
bischen  Schwefel,  eine  besondere  Modiflcation  des  Elementes  S,  welches  dimorph 
ist,  als  Mineral  sich  aber  nur  orthorhombisch  krystalHsirt  flndet. 

In  Wasser  und  den  gewöhnlich  als  Lösungsmittel  für  Minerale  angewendeten 
Säuren  ist  der  Schwefel  unlöslich,  dagegen  ist  er  vollständig  löslich  im  Schwefel- 
kohlenstoff CSj,  einer  farblosen  Flüssigkeit,  welche  bei  22°  C.  in  100  Theilen 
46  Theile  Schwefel  auflöst.  Bei  langsamem  Verdunsten  bilden  sich  aus  der  Lösung 
orthorhombische  Krystalle,  wie  sie  das  Mineral  zeigt.  —  Mit  Kali-  oder  Natron- 
lauge gekocht  ergiebt  der  Schwefel  eine  bräunlichrothe  Lösung,  aus  welcher  sich 
beim  Verdampfen  Schwefelkalium  oder  Schwefelnatrium  abscheiden.  Bei  Zusatz 
von  Salzsäure  entwickelt  sich  aus  ihr  Schwefelwasserstoffgas. 

Der  Schwefel  findet  sich  vorzüglich  im  Gebiete  der  Tertiärformationen  in  der 
Nachbarschaft  von  Gyps  in  Kalk,  Mergel  und  Thon,  besonders  reich  und  schön 
bei  Girgenti,  Cattolica,  Lercara,  Raculmuto,  Cianciana,  Caltanisetta  u.  a.  O.  in 
Sicilien,  auf  welcher  Insel  allein  jährlich  für  über  20  Millionen  Lire  Schwefel  ge- 
wonnen wird,  bei  Conilla  unweit  Cadix  in  Spanien,  bei  Czarkow  und  Swoszowice 
in  Galizien,  in  Croatien,  Polen,  Mähren  u.  s.  w.,  ohne  dass  man  mit  Sicherheit 
angeben  kann,  wie  er  sich  gebildet  habe;  ausserdem  gewöhnlich  in  der  Nälie 
von  Vulkanen,  in  Kratern  und  Solfataren  als  Sublimat  oder  aus  Schwefelwasser- 
stoffexhalationen  entstanden,  als  Absatz  aus  sogen.  Schwefelquellen,  welche  Schwefel- 
wasserstoff enthalten,  durch  Zersetzung  von  Schwefelmetallen  auf  Gängen  und 
Lagern  verschiedener  Formationen,  durch  Einwirkung  verkohlender  Pflanzenreste 
und  faulender  thierischer  Substanzen  auf  schwefelsaure  Verbindungen  von  Metall- 
oxyden und  deshalb  untergeordnet  in  den  jüngsten  bis  zu  älteren  Formationen. 

Trotz  des  Vorkommens  an  sehr  vielen  Fundstätten  und  in  verschiedenen 
Formationen  unter  verschiedenen  Verhältnissen  und  trotz  der  grossen  Mengen, 
welche  an  einzelnen  Fundorten  gewonnen  werden,  tritt  der  Schwefel  nicht  als 
Gesteinsart  auf,  spielt  aber  als  unserer  Erde  angehörender  Stoff  eine  grosse 
Rolle,   insofern  er  in   Verbindung  mit   Metallen  und  Metalloiden  und   in   einer 


Arten  der  Minerale. 


67 


Verbindung  mit  Sauerstoff  als  Schwefelsäure  (s.  Sulfate)  zahlreiche  und  weit  ver- 
breitete Minerale  bildet,  welche  zum  Theil  als  Gesteinsarten  auftreten,  wie  z.  B. 
der  Gyps  imd  Anhydrit. 

Die  Verwendung  des  Schwefels  ist  eine  sehr  ausgedehnte,  wie  namentlich 
zur  Darstellung  des  Schiesspulvers,  in  der  Feuerwerkerei,  bei  der  Bereitung  der 
Zündhölzer,  zur  Darstellung  von  Schwefelverbindungen,  wie  von  Schwefelsäure, 
Zinnober,  Auripigment  u.  a.,  zum  Schwefeln  und  Bleichen  von  Seide,  Wolle  und 
Stroh,  zum  Schwefeln  von  Fässern,  als  Mittel  gegen  die  Traubenkrankheit  und 
überhaupt  als  Arzneimittel,  zur  Darstellung  von  Schwefelabgtissen  von  Statuen, 
Münzen  u.  a.,  zu  Elektrisirmaschinen  und  vielen  anderen  Zwecken. 

Bei  den  Beschreibungen  der  einzelnen  Mineralarten  kann  man  auch  Ab- 
bildungen von  Krystallen  beifügen,  welche  sich  gewöhnlich  auf  häufig  vorkommende 

einfache  Gestalten   und  Combinationen   beziehen,    wie  z.  B.  die   beifolgenden: 

(Min.  2-10.) 


Fig.  2. 


Fig.  4. 


Fig.  5- 


Fig.  8. 


Fig.  I.  Die  als  Grundgestalt  gewählte  Pyramide  P.  Fig.  2.  die  Combina- 
äon  der  Basisflächen  oP  mit  dieser.  Fig.  3.  die  tafelartige  Combination  oP  •  P; 
Fig.  4.  die  Combination  der  stumpferen  Pyramide  ^P  mit  P;  Fig.  5.  dieselbe 
mit  den  Basisflächen.  Fig.  6.  die  Combination  des  Längsdoma  Poo  mit  der 
Grundgestalt;  Fig.  7.  dieselbe  mit  den  Basisflächen.  Fig.  8.  dieselbe  noch  mit 
der  P3nramide  ^P;  Fig.  9.  das  sphenoidische  Hemieder  von  P  bezeichnet  mit 
L  In  Betreff  solcher  Abbildungen  ist  zu  bemerken,  dass  in  der  Regel  auf  die 
bei  Riystallen  vorkommenden  Unregelmässigkeiten  der  Bildung  nicht  Rücksicht 
genommen  ist 

Wenn  somit  die  einzelnen  Mineralarten  in  der  angegebenen  Weise  nur  durch 

5* 


68  Mineralogie,  Geologie  und  PaUeontologie. 

ihre  Charakteristik  bestimmt  oder  wemi  sie  mehr  oder  weniger  vollständig  be- 
schrieben werden  können,  so  ist  dann  jedenfalls  in  Folge  der  Vergleichung  die 
Möglichkeit  gegeben,  die  Mineralarten  nach  gewissen  ihrer  Eigenschaften  in 
(Jruppen  zusammenzustellen,  welche  so  verwandte  Mineralarten  enthalten.  Solche 
Gruppen  können  wieder  nach  gewissen  Eigenschaften  verglichen  werden  imd  er- 
geben umfassendere  Abtheilungen  und  es  ergiebt  sich  daraus  die  Erstellung  von 
Mineralsystemen,  deren  Zahl  und  Verschiedenheit  in  gewissem  Sinne  auffallend 
erscheint. 

Da  jedoch  die  Systematik  und  die  Systeme  der  Minerale  in  einem  eigenen 
Artikel  besprochen  werden  sollen,  so  wurde  hier  nur  die  Zusammenstellung  von 
Mineralarten  in  Gruppen  deshalb  berührt,  weil  in  der  Folge  die  wichtigeren 
Minerale  in  Gruppen  zusammengefasst  beschrieben  werden,  ohne  dass  dabei 
die  Gruppen  einem  bestimmten  der  vorhandenen  Mineralsysteme  entnommen 
werden.  Die  anzuftihrenden  Gruppen  haben  lediglich  nur  den  Zweck  zu  erfüllen, 
eine  mehr  oder  minder  grosse  Anzahl  einzelner  Mineralarten  in  dem  Zusammen- 
hange besprechen  zu  können,  welcher  durch  die  Gnippirung  geboten  ist. 


Die  Atmosphäre  und  ihre  geologische  Bedeutung 


von 


Professor  Dr.  A.  v.  Lasaulx. 

Die  Atmosphäre  ist  die  gasförmige  Umhüllung,  welche  die  Erde  allseitig 
umgiebt.  Hierdurch  ist  sie  von  allen  an  der  Erdoberfläche  wirksamen  Agenden 
das  von  der  gleich  massigsten  Verbreitung  und  kein  Punkt  der  äusseren  Erdrinde 
kann  sich  den  von  ihr  ausgehenden  Einwirkungen  entziehen.  Die  Art  und  In- 
tensität dieser  letzteren  ist  sehr  verschieden. 

Mit  dem  Körper  der  Erde  hat  die  elastische  Hülle  der  Atmosphäre  zunächst 
die  Gestalt  gemeinsam,  sie  ist  abgeplattet  wie  jene.  Die  höchste  Höhe  hat  die 
Atmosphäre  über  dem  Aequator,  niedriger  ist  sie  über  den  Polen.  Die  Höhe 
derselben  ist  jedoch  nicht  genau  festzustellen.  Die  noch  am  meisten  zuver- 
lässigen Bestimmungen  ergeben  Werthe,  die  von  8 — lo  Meilen  schwanken;  nach 
ScHNiror  hat  sie  7,7  Meilen  Höhe  am  Aequator,  etwa  ^  des  Erdhalbmessers,  an 
den  Polen  5,8  Meilen.  Jedenfalls  übersteigt  die  Abplattung  nicht  den  NVerth 
von  ein  Drittel  ihrer  Höhe. 

Die  wesentlichen  oder  Hauptbestandtheile  der  Atmosphäre  sind  Sauerstofi. 
Stickstoff  und  Kohlensäure.  Unter  Lull  schlichthin  versteht  man  das  Gemenge 
von  21  Theilen  Sauerstoff  und  79  Theilen  Stickstoff.  Diesen  sind  auf  etwa 
loooo  Theile  3 — 4  Theile  Kohlensäure  und  etwas  Wasserdampf  beigemengt,  beide 
in  wechselnden  Mengen.  Besonders  der  Gehalt  an  Kohlensäure  ist  oft  auffallend 
schwankend,  über  dem  Festlande  grösser  als  über  dem  Meere.  Zufallige  oder 
Nebenbestandtheile  der  Atmosphäre  sind:  Wasserstoffgas,  Kohlenwasserstoffe. 
Schwefelwasserstoff,  Chlorwasserstoff,  Ammoniakgas.  Auf  dem  Gehalte  an 
wcbenilichen  und  zufälligen  Bestandtheilen  beruht  die  chemische  Einwirkung. 
der  Atmosphäre  auf  die  Erdrinde. 

Sauerstoff  und  Kohlensäure  sind  es,  die  in  stetem  Wechsel  die  wichtigster 
Vorgange  dieser  Art  bedingen.  Die  Lufl  zeigt  stets  einen  gleichbleibenden  Ge- 
halt an  Sauerstoff,  weil  Thiere  und  Pflanzen  zur  Kohlensäure  in  einer  Wech.sel 
l>eziehung  stehen,  die  Lufl  genau  entgegengeseute  Stoffe  aufnimmt  und  abgiebt. 


Die  Atmosphäre  und  ihre  geologische  Bedeutung.  69 

Thicre  und  Pflanzen  athmen  und  nehmen  dabei  Luft  auf,  aber  die  l'hiere  nehmen 
vorzüglich  Sauerstoff  auf  und  geben  dafür  Kohlensäure  ab  und  verwenden  ihn  zu 
den  Zwecken  ihres  Lebens,  die  Pflanzen  im  Gegentheile  nehmen  vorzüglich  Kohlen- 
säure ein  und  geben  Sauerstoff  ab. 

So  sind  diese  beiden  Gase  in  steter  Erneuerung  und  immer  gleichem  Ge- 
halte in  der  Luft  vorhanden.  Kohlensäure  entsteht  ausserdem  bei  jeder  Ver- 
brennung, bei  den  Verwesungs-  und  Fäulnissprocessen  und  bei  der  Gährung;  sie 
steigt  namentlich  auch  in  grossen  Mengen  aus  dem  Inneren  der  Erde  bei  vulka- 
nischen Aeusserungen  zu  Tage.  So  enthält  denn  auch  alles  Wasser  auf  der  Erde 
Kohlensäure  in  wechselnder  meist  allerdings  nur  geringer  Menge. 

Sauerstoff  und  Kohlensäure  werden  der  Atmosphäre  zu  mineralischen  Bil- 
dungen fortdauernd  entzogen.  Der  Sauerstoff  dient  zur  Oxydation  von  Mineral- 
körpem,  so  z.  B.  ganz  besonders  der  an  der  Erdoberfläche  sich  findenden  Eisen- 
oxydulhaldgen  Gesteine  und  Minerale.  Die  weit  verbreitete  Rostfarbe  an  den 
Gesteinen,  die  gelbe  Farbe  so  vieler  Sande,  die  Brauneisensteinbildung  in  den 
oberen  Theilen  von  Spatheisensteinablagerungen,  die  Bildung  schwefelsaurer 
Salze  aus  schwefelhaltigen  Schichten  oder  Erzen  sind  die  Folge  dieser  Oxydations- 
wirkungen des  Sauerstoffs.  Wo  z.  B.  auf  alten  Erzhalden  Schwefelmetalle  an  der 
Luft  der  Verwitterung  ausgesetzt  sind,  da  zeigen  sehr  bald  die  durch  sie  hindurch- 
sickemden  Wasser  den  scharfen  ätzenden  Geschmack  schwefelsäurehaltiger 
Lösungen  und  üben  ihren  zerstörenden  Einfluss  auf  organische  Stoffe  aus.  Ist 
Kalk  vorhanden,  so  erfüllen  sich  die  leeren  Zwischenräume  zwischen  den 
Trümmern  einer  solchen  Halde  oft  mit  zierlichen  kleinen  Krystallen  von  wasser- 
haltiger schwefelsaurer  Kalkerde  in  der  Form  des  Gypses.  Wo  in  Mineral- 
sammlungen Eisenkies  (die  Verbindung  von  2  Molekülen  Schwefel  und  einem 
Molekül  Eisen)  an  feuchter  Luft  liegt,  da  bedecken  sich  seine  Krystalle  sehr  bald 
mit  weissen  Flocken  eines  schwefelsauren  Salzes  und  die  weissen  Papierkästen 
werden  von  der  gebildeten  Schwefelsäure  gebräunt  und  sehr  schnell  durchge- 
fressen. Das  ist  dieselbe  Wirkung,  die  der  Sauerstoff  der  Luft  im  Grossen  auf 
eisenkieshaltige  Thone  oder  Braunkohle  ausübt.  Die  gebildete  Schwefelsäure 
verbindet  sich  mit  Thonerde  und  Alkalien  zu  Alaui^en  und  anderen  Salzen. 
Wasser,  sei  es  in  Quellen  oder  in  den  atmosphärischen  Niederschlägen  ist  in  der 
Regel  der  Vermittler  dieser  Oxydationsprozesse.  Wir  verweisen  wegen  dieser  und 
anderer  Vorgänge  auf  den  Artikel:     Chemische  Processe  in  der  Geologie. 

Nicht  minder  wichtig  für  die  Geologie  sind  die  Processe,  bei  denen  die  Kohl  en- 
säure  der  Luft  die  Hauptrolle  spielt.  Denken  wir  nur  an  die  ungeheuren  Massen 
von  kohlensaurer  Kalkerde  und  kohlensaurer  Magnesia,  die  in  den  Kalk- 
stein- und  Dolomitgebirgen  angesammelt  sind,  denen  sich  noch  viele  andere 
Carbonate  von  minderer  Verbreitung  anfügen.  Alle  Kohlenlager,  von  den 
jungen  unter  unseren  Augen  sich  vollziehenden  Torfbildungen  an,  bis  zu  den  an- 
thracitischen  Kohlen  der  ältesten  Formationen  sind  aus  der  Kohlensäure  hervor- 
gegangen, die  pflanzliche  Organismen  der  Atmosphäre  entzogen. 

Der  dritte  Bestandtheil  der  Luft,  der  Stickstoff,  ist  ftir  die  Erdrinde  von  ganz 
untergeordneter  Bedeutung.  Wir  kennen  nur  wenige  Stickstof!verbindungen  im 
Mineralreich  und  diese  sind  grösstentheils  von  zersetzten  organischen  Substanzen 
herzuleiten.  Der  Natronsalpeter  (es  kommt  ausserdem  als  Mineral  ein  Kali-  und 
Kalksalpeter  vor)  findet  sich  in  sehr  bedeutenden  Mengen  in  den  Küstendistricten 
von  Süd-Peru  bis  Nord-Chile,  namentlich  in  Atacama.     Die  Bildung  dieser  Ab- 


70  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

lagerungen  ist  nach  Nöllner^)  in  der  Weise  zu  erklären,  dass  gewaltige  Massen 
von  Seetang,  der  immer  stickstoffhaltig  ist,  durch  die  Fluth  an  die  allmählich  auf- 
steigenden Küsten  geworfen  wurden;  wenn  durch  die  Hebung  die  Ufer  ins 
Trockene  gekommen  waren,  bildete  sich  durch  langsame  Oxydation  an  der  Luft 
das  Nitrat.  Für  die  Betheiligung  des  Meeres  würde  dann  auch  der  Jodgehalt  des 
Chilesalpeter  sprechen.  Wenn  also  auch  nur  indirekt,  wieder  unter  der  Ver- 
mittelung  pflanzlicher  Lebensprocesse,  ist  doch  hier  der  Stickstoff  aus  der  Luft 
im  Grossen  zur  Mineralbildung  verwendet.  Nur  zwei  Mineralverbindungen  giebt 
es,  die  ihren  Stickstoff  nicht  aus  organischen  Substanzen  herleiten,  beide  aber 
sind  vulkanische  Produkte:  der  Salmiak  und  das  von  Silvestri  beschriebene, 
am  Aetna  vorkommende  Stickstoffeisen.  Gewisse  Quellen,  welche  mit  Gasemana- 
tionen verbunden  sind,  entwickeln  vorzüglich  Stickstoff.  Dass  dieser  aus  organi- 
schen Stoffen  hervorgegangen  sei,  ist  wenigstens  dort  kaum  anzunehmen,  wo  diese 
Emanationen  direkt  als  vulkanische  Aeusserungen  anzusehen  sind.  So  sind  einige 
der  Quellen  am  Aetnafusse  ganz  auffallend  stickstoffreich  z.  B.  die  Acqua  santa  bei 
Limosina  unfern  Catania:  der  Gehalt  an  Stickstoff  schwankt  je  nach  den  Jahres- 
zeiten von  88 — 98^  der  überhaupt  vorhandenen  Gase.^)  Auch  die  über  den 
thätigen  Fumarolen  der  ätnaischen  Lavaströme  befindliche  atmosphärische  Luft 
ist  auffallend  stickstoffreicher,  als  die  gewöhnliche  Luft,  was  gleichfalls  auf  das 
Hervortreten  vulkanisch  gebildeten  Stickstoffes  schliessen  lässt.  Dass  wenigstens 
ein  Theil  des  im  Inneren  des  Central-Kraters  der  Vulkane  gebildeten  Salmiaks 
nicht  direkt  auf  organischen  Ursprung  zurückzuführen  ist,  scheint  ebenso  gewiss.^) 
Freilich  anderer  vulkanischer  Salmiak  bildet  sich  auch  dort,  wo  die  glühende  Lava 
Pflanzen  tiberströmt  und  verbrennt. 

Die  zufalligen  Bestandtheile  der  Atmosphäre  kommen  für  geologische  Vor- 
gänge kaum  weiter  in  Betracht.  Sie  sind  meist  die  Folge  localer  Processe. 
Schwefelwasserstoff  und  Kohlenwasserstoffe  werden  mit  mineralischen 
und  jwarmen  Quellen  aus  dem  Inneren  der  Erde  an  die  Oberfläche  derselben 
gebracht.  Zersetzungen  organischer  Substanzen  sind  in  der  Regel  die  Ursache 
der  Bildung  der  Kohlenwasserstoffe,  obgleich  es  andererseits  nicht  wohl  zweifelhaft 
sein  kann,  dass  unter  gewissen  Bedingungen  solche  Verbindungen  auch  durch 
lediglich  anorganische  Processe,  aus  direkter  Vereinigung  der  in  vulkanischen 
Gebieten  aufsteigenden  gasförmigen  Elementarstoffe  entstehen  können. 

Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Schwefelwasserstoff.  Ein  grosser  Theil 
desselben  in  den  Wässern  erklärt  sich  durch  Reduction  schwefelsaurer  Salze 
unter  Einwirkung  organischer  Substanz.  Wenn  ein  Mineralwasser,  das  schwefel- 
saures Salz  enthält,  mit  organischer  Substanz,  z.  B.  nur  einem  Strohhalm  in  Be- 
rührung kommt,  so  entwickelt  sich  sogleich  der  Geruch  nach  Schwefelwasserstoff. 

Ein  Beispiel,  das  solche  Vorgänge  trefflich  erklärt,  kam  vor  einer  Reihe  von 
Jahren  zu  Detmold  vor.*)  Ein  30  Fuss  tiefer  Brunnen  lieferte  anfangs  gutes 
Wasser,  bald  aber  wurde  dasselbe  so  übelriechend,  dass  man  es  nicht  mehr 
trinken  konnte.  Es  ergab  sich,  dass  unter  dem  Einflüsse  einer  hölzernen  Pumpen- 
röhre in  dem  Wasser,  welches  reichlich  gelösten  Gyps  enthielt,  sich  Schwefel- 
wasserstoff bildete.  Die  hölzerne  Röhre  wurde  durch  eine  metallene  ersetzt  und 
nun  blieb  das  Wasser  gut.    Die  Entwickelungen  von  Schwefelwasserstoffgas  treten 

^)  Joum.  f.  prakt.  Chemie  1867.  102.459.  vergl.  auch  J.Roth,  Geologie,  Bd.  L  pag.  603. 

^  Vergl.  Sartorius-Lasaulx:     Der  Aetna.     Bd.  n.  pag.  539  u.  533. 

>)  ibid.  n.  pag.  503. 

^)  Ann.  Chem.  Phannac.     (2}  Bd.  LXVn.    pag.  41. 


Die  Atmosphäre  und  ihre  geologische  Bedeutung.  71 

aber  auch  in  vulkanischen  Gebieten  auf;  hier  ist  ebenfalls  die  Bildung  eine 
unmittelbare,  nicht  immer  durch  organische  Substanzen  eingeleitete.  Andere 
Beispiele  dieser  Art  werden  noch  in  den  Kapiteln  Vulkane,  chemische  Geologie 
und  Quellen  erörtert  werden. 

Ausser  den  chemischen  Wirkungen  sind  aber  nun  auch  die  physi- 
kalischen Wirkungen  der  Atmosphäre  von  grosser  geologischer  Bedeutung. 
Eine  gewisse  unmittelbare  Wirkung  übt  dieselbe  schon  durch  ihre  Schwere  aus. 

Die  Schwere  der  Atmosphäre  drückt  man  bekanntlich  dadurch  aus,  dass  man 
sie  gleich  setzt  dem  Gewichte  einer  Flüssigkeitssäule,  der  sie  das  Gleichgewicht 
hält  Eine  Quecksilbersäule  von  28  Zoll  Höhe,  eine  Wassersäule  von  32  Fuss, 
so  belehren  uns  Barometer  und  Pumpen,  thun  dieses.  Mit  dem  Gewichte,  welches 
gleich  ist  einer  solchen  Säule,  drückt  also  die  Luft  auf  alle  Punkte  an  der  Ober- 
fläche der  Erde.  Nun  wissen  wir  aus  den  Schwankungen  des  Barometers,  dass 
dieser  Druck  innerhalb  gewisser  Grenzen  auf  und  ab  geht.  Mit  vermindertem 
Druck  oder  mit  niedrigerem  Barometerstande  treten  aber  mancherlei  Erscheinungen 
ein,  die  sonst  nicht  möglich  sind.  Es  mag  hier  nur  daran  erinnert  werden,  dass 
die  EntWickelung  der  so  verderblichen  Grubengase  und  der  sogen,  schlagenden 
Wetter  immer  dann  am  heftigsten  auftritt,  wenn  plötzlich  ein  niedriger  Barometer- 
stand auf  einen  hohen  folgt.  In  gleicher  Weise  hängen  auch  die  durch  Gas- 
entwickelung hervorgerufenen  explosiven  Aeusserungen  der  Vulkane  in  etwas 
mit  dem  Luftdrücke  zusammen.  Die  Gasentwickelung,  das  Ausströmen  der  Lava, 
die  Explosionen  erfolgen  mit  gesteigerter  Intensität  bei  niedrigem  Luftdrucke.  So 
ist  die  von  Fumarolen  gebildete  Dampf  kappe  des  Aetna,  die  Thätigkeit  des 
Stromboli  für  die  Umwohner  von  der  Bedeutung  eines  Barometers. 

Ganz  besonders  aber  ist  der  Luftdruck  für  das  Meer  von  Einfluss.  Eine 
Verminderung  des  Luftdruckes  aus  irgend  einer  Ursache  an  einer  Stelle  der 
grossen  Wasserflächen  hat  hier  ein  Aufsteigen  derselben  unter  dem  seitlichen 
Dmcke  zur  Folge.  Eine  Schwankung  von  nur  einem  Zoll  in  der  Quecksilbersäule 
des  Barometers  entspricht  einer  solchen  von  13,4  Zoll  einer  Wassersäule.  Der 
Ausgleich  dieser  localen  Erhebung  des  W^assers  bedingt  gewaltige  Wellengänge 
und  aussergewöhnliche  Flutherscheinungen,  meist  vonden  verderblichsten  Wirkungen 
an  den  Küsten.  Unter  iWasser»  werden  diese  Vorgänge  noch  weiter  erörtert 
werden. 

Unter  dem  Einflüsse  sehr  gesteigerten  oder  verminderten  Barometer-  oder  Luft- 
dmckes  sind  sogar  Bewegungen  in  den  einzelnen  Theilen  der  Erdveste  selbst  recht 
wohl  denkbar,  die  ihrerseits  wieder  Einstürze,  Erderschütterungen,  Schlammaus- 
biiiche  im  Gefolge  haben,  bezüglich  derer  auf  die  einzelnen  Artikel  zu  verweisen  ist 

Die  wichtigsten  geologischen  Veränderungen  der  Erdveste  werden  aber  durch 
mittelbare  physikalische  Wirkungen  der  Atmosphäre,  durch  die  Niederschläge 
und  die  Winde  hervorgebracht.  Beide  hängen  auf  das  Innigste  zusammen  und  es 
lassen  sich  ihre  Wechselwirkungen  kurz  in  folgenden  Sätzen  ausdrücken. 

Die  Bewegungen  in  der  Atmosphäre  sind  die  Folge  eines  unaufhörlichen 
Gleichgewichtsausgleiches.  Unter  dem  Einfluss  der  Sonne  erwärmt  sich  die  Luft 
über  den  tropischen  Gebieten,  kühlt  sich  ab  in  den  aussertropischen  Zonen  und 
so  entstehen  die  Lüftströmungen,  wie  sie  uns  die  Kerzenflamme  in  der  Thüre 
«nes  warmen  Zimmers  ausdrückt,  die  auf  einen  kalten  Corridor  hinausführt: 
Abströmen  der  warmen  Luft  oben.  Einströmen  der  kalten  Luft  unten. 

In  dem  Systeme  der  Luftströmungen  in  der  Atmosphäre  bewegt  sich  die 
Luft  vom  Aequator  zu  den  Polen,  von  den  Polen  zum  Aequator;  von  der  nörd- 


72  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

liehen  Halbkugel  zur  südlichen  und  umgekehrt,  von  der  westlichen  zur  östlichen 
und  entgegengesetzt.  Die  äquatoriale  Zone,  wo  die  Luft  emporsteigt;  nennt  man 
den  Gürtel  der  Calmen.  Die  in  geringer  Höhe  von  den  Polen  dem  Aequator 
zuströmenden  Luftmassen  geben  Veranlassung  zur  Bildung  der  sogen.  Passatwinde. 
Die  Zone  der  Calmen  trennt  also  als  ein  ruhiger  Gürtel  die  von  beiden  Polen 
herströmenden  Winde,  die  je  näher  am  Aequator  um  so  mehr  in  Ostwinde  über- 
gehen. Die  Gegenden  der  Calmen  sind  durch  dieses  Zusammentreflfen,  ganz  be- 
sonders durch  den  tückischen  Wechsel  von  Ruhe  und  gewaltigen  Stürmen  den 
Schiffern  furchtbar. 

Die  Luft  bei  ihrer  Cirkulation  beladet  sich  mit  Dämpfen  und  strahlender, 
von  der  Sonne  empfangener  Wärme,  jene  über  den  Meeren,  diese  über  den 
Continenten  gesammelt.  So  vertheilt  sie  Wasserdämpfe  und  Wärme,  indem  sie 
an  andere  Stellen  der  Erdoberfläche  die  angesammelten  wieder  abgiebt. 
Die  Meere  stellen  bei  diesem  Kreislaufe  gewissermassen  die  Dampfkessel,  die 
Continente  dagegen  die  Condensatoren  vor,  über  denen  die  Dämpfe  wieder 
tropfbar  flüssig  werden.  Je  näher  am  Aequator  die  ersteren,  je  näher  an  den 
Polen  oder  je  höher  über  dem  Meere  die  letzteren  liegen,  um  so  wirksamer  ist 
ihre  Thätigkeit.  Nur  die  Landstriche  bilden  eine  Ausnahme  und  wirken  nicht 
mehr  condensirend,  deren  Temperatur  eine  höhere  ist  als  die,  welche  die  Con- 
densation  der  Dämpfe  erfordert,  sie  strahlen  nur  Wärme  aus.  Sie  wirken  ganz 
besonders  auf  den  Ausgleich  der  atmosphärischen  Strömungen  ein,  indem  sie 
die  normalen  Ströme  ablenken  und  eine  besondere  Vertheilung  von  Feuchtigkeit 
und  Wärme  bestimmen. 

Das  jedesmalige  Klima  einer  Gegend,  darunter  nach  Humboldt^)  alle 
Modiflcationen  der  Atmosphäre  verstanden,  von  denen  die  menschlichen 
Organe  auf  merkliche  Weise  berührt  werden  (Temperatur,  Feuchtigkeit,  Baro- 
meterdruck, Winde,  elektrische  Spannung,  Klarheit  der  Luft  etc.)  ist  an  die 
Vertheilung  der  Festlande  und  Meere  durch  ihren  Einfluss  auf  die  genannten 
Vorgänge  in  der  Atmosphäre  gebunden.  So  findet  jede  Gegend  der  Erde 
die  Bedingungen  des  eigenen  Klimas  auch  wieder  in  den  klimatischen  Ver- 
hältnissen eines  andern  Theiles  der  Erdoberfläche.  Von  dem  Klima  hängt  das 
organische  Leben,  Thier-  und  Pflanzenreich  ab,  mittelbar  dieses  also  auch  von  den 
Gleichgewichtsbewegungen  der  Atmosphäre. 

Aus  der  vorhin  genannten  Condensation  der  Wasserdämpfe  entstehen  zu- 
nächst die  Wolken,  Anhäufungen  von  Wasserbläschen,  dann  volle  Wassertropfen, 
die  aus  den  Wolken  zur  Erde  fallen.  So  entsteht  der  Regen,  der  wichtigste  von 
den  atmosphärischen  Niederschlägen  auch  in  geologischer  Beziehung.  Bei 
niedriger  Temperatur  gefrieren  die  Nebelbläschen  und  Tropfen  zu  krystallisirtem 
Wasser:  dem  Schnee.  Nur  von  untergeordneter  geologischer  Bedeutung  sind 
Hagel,  Graupen,  Thau  und  Reif. 

Die  Menge  des  an  einem  Punkte  der  Erdoberfläche  fallenden  Regens  oder 
Schnees  ist  der  wichtigste  Faktor  der  geologischen  Arbeiten,  denn  dadurch  ist  zu- 
nächst die  Thätigkeit  der  irdischen  Wasserläufe  und  Seebecken,  auf  die  Umwandlungen 
der  Erdveste  in  mannigfachster  Weise  gerichtet,  am  meisten  beeinflusst  Zu  der 
Bestimmung  über  die  Menge  des  an  einem  Orte  gefallenen  Regens  bedient  man 
sich  der  sogen.  Regenmesser,  die  die  Höhe  angeben,  welche  das  auf  diesen 
Ort  innerhalb  eines  bestimmten  Zeitraumes  niedergegangene  Regenwasser  er- 
reichen würde,    wenn  es  weder  in  die  Erde  sickern,  noch  verdunsten  könnte. 

^)  Kosmos  I.  340. 


Die  Atmosphäre  und  ihre  geologische  Bedeutung.  73 

Da  der  Wasserdampf  in  der  Atmosphäre  von  der  durch  die  Wärme  be- 
günstigten Verdunstung  abhängt,  so  sind  für  die  wärmeren  Länder  stärkere 
Niederschläge  natürlich,  als  flir  die  kälteren.  Der  Niederschlag  des  Wasser- 
dampfes zu  Regen,  d.  h.  die  eigentliche  Condensation,  erfordert  aber  ein  Sinken 
der  Temperatur.  Dort,  wo  der  häufigste  Temperaturwechsel  eintritt,  wird  es 
also  auch  am  meisten  regnen.  Dadurch  erklärt  sich,  dass  die  regenreichsten 
Gegenden  der  äquatorialen  oder  Calmen-Zone  angehören,  dass  aber  die  kalten  und 
polaren  Regionen  die  meisten  Regentage  aufweisen:  in  Südeuropa  hat  man  im 
Durchschnitt   120,  im  nördlichen  180  Regentage  im  Jahre. 

Dann  ist  aber  auch  die  Oberflächengestaltung  eines  Landes  hierbei  von 
wesentlichem  Einflüsse.  Hohe  Berge  üben  einen  abkühlenden  und  daher  con- 
densirenden  Einfluss  auf  die  Wasserdämpfe  der  Atmosphäre  aus.  Daher  sind  auch 
die  Seiten  der  Gebirge,  welche  den  herrschenden,  vorzüglich  die  Wasserdämpfe 
herbeiführenden  Strömungen  in  der  Atmosphäre,  den  Winden,  abgewendet  liegen, 
soviel  ärmer  an  Niederschlägen  als  die  entgegengesetzten  Seiten.  So  sind  z.  B. 
in  Irland  die  südwestlichen  und  westlichen  Winde  herrschend,  und  da  sie  über 
das  unter  der  Einwirkung  des  Golfstromes  stehende  atlantische  Meer  streichen, 
ganz  besonders  reich  an  Wasserdampf.  Die  durchschnittliche  Regenmenge  für 
Irland  ist  daher  eine  der  höchsten  in  Europa  und  beträgt  etwa  40  Zoll,  aber 
die  Vertheilung  ist  eine  sehr  ungleiche.  Auf  der  Westseite  der  3000  Fuss  hohen 
Randgebirge  der  centralen  irischen  Ebene  fallen  bis  zu  60  Zoll  und  mehr,  da- 
gegen auf  der  Ostseite  dieser  Berge  an  einigen  Orten  nur  15  Zoll  im  Jahre. 
Die  Gebirge  wirken  hier  wie  Wind-,  und  in  gewissem  Sinne  auch  wie  Regen- 
schirme. Daher  sind  aber  auch  die  Hochgebirge  die  Reservoirs  für  die  atmo- 
sphärischen Niederschläge:  Regen  und  Schnee.  Von  ihnen  aus  erhalten  die 
Ebenen  umher  ihre  Versorgung  an  fliessenden  Wassern.  Hierdurch  leiten  also 
die  atmosphärischen  Niederschläge  die  ganze  Reihe  der  zerstörenden  und  wieder- 
aufbauenden Wirkungen  ein,  welche  die  mechanische  Thätigkeit  des  Wassers 
an  der  Erdoberfläche  unter  so  vielgestaltigen  Formen  ausübt. 

In  den  Hochgebirgen  sind  die  Ansammlungen  von  Schnee  die  erste  Be- 
dingung zur  Bildung  der  Gletscher,  die  wiederum  ein  geologisches  Werkzeug 
genannt  werden  können,  dessen  Arbeit  besonders  in  früheren  Zeiten  z.  B.  denen 
des  Diluviums  die  grossartigsten  Umgestaltungen  der  Erdoberfläche  zur  Folge 
hatte. 

Endlich  macht  sich  der  Einfluss  des  Klimas  und  der  Temperaturverhältnisse 
auch  in  der  Weise  geltend,  dass  Kälte  und  Frost  zerstörend  auf  die  Gesteine 
und  Felsenwände  wirken,  und  ebenso  grosse  Hitze  und  Trockenheit.  Diese 
üben  zunächst  einen  auflockernden  Einfluss  auf  die  Gesteine  aus,  der  sich  dann 
besonders  kräftig  erweist,  wenn  schnelle  Abkühlung  oder  heftige  Niederschläge 
nachfolgen,  aber  andererseits  schliessen  sie  auch  eine  Menge  Zersetzungs- 
erscheinimgen  aus,  die  eine  regelmässige  Durchfeuchtung  der  Gesteine  voraus- 
setzen. So  hängt  denn  die  Intensität  und  die  Art  der  Verwitterung  jedenfalls 
in  erster  Linie  von  dem  Klima  eines  Gebietes  ab. 

Soweit  nun  aber  auch  die  Vegetation  als  das  Produkt  der  atmosphärischen 
Verhältnisse  eines  Landes  gelten  kann,  leiten  diese  durch  jene  noch  andere 
wichtige  geologische  Processe  ein.  Es  mag  hier  nur  an  die  heutigen  Torf- 
bildungen erinnert  werden,  denen  in  älteren  geologischen  Zeiten  die  Braun- 
und  Steinkohlenbildungen  entsprachen.  Sie  alle  sind  ganz  wesentlich  bedingt 
durch  eine  Vegetation,  die  ihrerseits  wieder  besondere  Verhältnisse  der  Atmo- 


74  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologic. 

Sphäre  voraussetzt.  Auch  der  regelnde  und  vertheilende  Einfluss,  den  die  Be- 
waldung auf  die  atmosphärischen  Niederschläge  ausübt,  gehört  hierhin.  Die 
Wirkungen  der  Erosion  hängen  damit  enge  zusammen.  Ein  einziger  Ausbruch 
eines  Hochgebirgswassers,  eine  einzige  Ueberschwemmung  eines  Flusses  zerstört 
und  ändert  mehr  an  der  Oberfläche  der  Erde,  als  sonst  die  stetig,  aber  langsam 
wirkende  Erosion  in  langen  Zeiträumen  zuwege  bringt.  Auch  in  dem  Schutze, 
den  die  Vegetation  gegen  die  Fortfuhrung  des  Bodens  durch  fliessendes  Wasser 
oder  durch  den  Wind  gewährt,  äussert  sich  eine  geologische  Wirksamkeit 
der  Atmosphäre. 

Ein  ganz  besonders  wirksames  geologisches  Agens  aber  sind  die  Winde. 

Mit  den  mehr  oder  weniger  gewaltsamen  Bewegungen,  die  als  Winde  die 
Temperaturgegensätze  in  der  Atmosphäre  ausgleichen,  werden  auch  die  sand- 
und  staubartigen  losen  Gesteinsfragmente  der  Erdoberfläche  an  der  einen  Stelle 
fortgenommen,  an  einer  anderen  niedergelegt.  Die  bewegende  Kraft  der  Winde 
wirkt  daher  an  der  Oberfläche  der  Erde  hier  zerstörend,  abtragend,  an  anderer 
Stelle  aufbauend,  erhöhend. 

Allbekannt  sind  die  Erfahrungen,  dass  die  Winde  staubförmige  Massen  oft 
über  ungeheure  Entfernungen  hin  transportiren.  Im  Jahre  1875  fiel  an  der 
norwegischen  Küste  und  bis  nach  Schweden  hinein  in  grosser  Menge  ein  feiner 
Staub  nieder,  den  die  mikroskopische  Untersuchung  i)  auf  das  Unzweifelhafteste 
als  eine  vulkanische  Asche  erkaimte.  Dieselbe  war  durch  die  herrschenden 
Westnordweststürme  vom  Herde  der  vulkanischen  Eruptionen,  der  isländischen 
Südostküste  160—170  geogr.  Meilen  weit  getragen  worden.  Dass  die  Aetnaaschen  bb 
an  die  calabrische  Küste  bei  Reggio,  immerhin  auch  eine  Strecke  von  80 — 90  Kilom. 
getragen  werden,  ist  eine  ganz  gewöhnliche,  fast  bei  allen  Eruptionen  wieder- 
kehrende Erscheinung,  wenn  nur  grade  der  geeignete  Südwestwind  weht  Freilich 
steigen  die  vulkanischen  Aschen  auch  aus  dem  Krater  oft  mehrere  Tausend 
Fuss  in  die  oberen  Luftschichten  empor,  wo  sie  von  sehr  starken  Strömungen 
erfasst  werden  mögen. 

Aber  auch  der  Staub  der  Flachländer,  Steppen  und  Wüsten  wird  von  Stürmen 
aufgewirbelt,  in  die  Höhe  gerissen  und  bis  in  grosse  Entfernungen  fortgeführt 
Dass  feiner  Sand,  den  man  auf  die  Sahara  zurückführt,  bis  an  die  Küsten  von 
Nord-Italien,  die  Riviera,  ja  sogar  bis  in  das  südliche  Frankreich  hinein  gelangt, 
(z.  B.  bis  Lyon  1846)  ist  mehrfach  beobachtet  worden.  In  Sicilien  sind  solche 
Staubregen  oft  mit  gewaltigen  Süd-  und  Südoststürmen  verbunden,  zuweilen  so  dichte, 
dass  die  Lufl  ihre  Durchsichtigkeit  verliert  und  mit  rothgelber  Farbe  getrübt  er- 
scheint. Der  Staub  fallt  dann  entweder  trocken  nieder  oder  auch  von  reich- 
lichen Regengüssen  begleitet.2) 

Ueberraschend  sind  die  Mengen  feinvertheilten  Staubes,  die  auch  bei  ruhiger 
Atmosphäre  in  der  Luft  schweben.  Dass  diese  immer  eine  gewisse  Menge  sus- 
pendirter  Staubtheilchen  enthält,  zeigt  sich  bei  jedem  Niederschlag,  bei  Regen 
oder  Schnee.  Regentropfen,  auf  weissem  Papier  unmittelbar  bei  ihrem  Nieder- 
fallen aufgesammelt,  hinterlassen  nach  ihrem  Verdunsten  stets  schmutzige,  staubige 
Flecken  und  bekannt  ist  dieselbe  Erscheinung  beim  Schnee,  der  in  Folge  all- 
mählichen Abschmelzens  immer  mehr  seine  reine  weisse  Farbe  verliert  und 
schmutzig   wird   und   endlich    unter   Zurücklassung   eines  Staubrückstandes  ver- 

<)  ZoiKEL,  Jahrb.  f.  Min.  1875.  pag.  399. 

*)  SiLVESTRi,  Sopra  le  pioggie  rosse  e  le  polveri  meteoriche  della  Sicflia.  Cataoia  1877. 
Atti  dell'  Accad.  Gioenia.     Serie  3,  XU  u.  Reale  Accad.  d.  Lincei  IV.  Serie  3. 


Die  Atmosphäre  und  ihre  geologische  Bedeutung.  75 

schwindet.  Dass  hierbei  nicht  immer  der  Einfluss  der  durch  die  rauchenden 
Schlote  und  das  Getriebe  grosser,  verkehrsreicher  Städte  an  solchen  suspendirten 
Staubtheilchen  besonders  angereicherten  Luftschichten  über  jenen  anzimehmen  ist, 
das  zeigen  die  Beobachtungen  Nordenskjölds,  der  weit  im  skandinavischen 
Norden,  inmitten  grosser  Waldungen  und  fern  von  allen  Städten  nach  Schnee- 
fallen solche  Staubmassen  sammelte,  ja  sogar  solche  Staube  tief  im  Inneren  der 
Eisfelder  Grönlands  wiederfand.  Nach  den  Untersuchungen  von  Tissandier  be- 
trägt die  Menge  des  in  der  Atmosphäre  über  Paris  schwebenden  Staubes  soviel, 
dass  eine  über  das  Marsfeld,  also  500000  Quadratmeter  ausgebreitete  Luftschicht 
von  5  Meter  Höhe,  15  Kilogr.  feste  Masse  enthalte. 

An  solche  Staube,  deren  Herkunft  z.  Th.  schwer  verständlich  erschien,  knüpfte 
sich  dann  auch  die  Annahme,  dass  dieselben  ganz  oder  z.  Th.  meteorischer  Her- 
kunft seien,  also  nichts  anderes,  als  staubförmig  niederfallende  Theilchen  von 
Meteorsteinen.  Ganz  besonders  haben  dieses  neuerdings  Nordenskjöld,  Silvestri, 
Tissandier  u.  a.  noch  näher  zu  erweisen  versucht  Jedoch  ergab  die  genaue  mikro- 
skopische Untersuchung  einer  Anzahl  solcher  aus  der  Atmosphäre  niedergefallenen 
Staube  durch  v.  Lasaulx,  dass  dieselben  keinerlei  eigentlich  meteorische  Minerale 
enthalten,  dass  nicht  einmal  in  allen  Stauben  wirklich  gediegen  Eisen,  auf  dessen 
Nachweis  von  den  Anhängern  der  kosmischen  Herkunft  dieser  Staube  am  meisten 
Gewicht  gelegt  wurde,  vorhanden  sei  und  dass  das  etwa  vorhandene  sich  eben- 
falls leicht  als  aus  seinen  Verbindungen  reducirtes,  terrestrisches  Eisen  erklären 
lasse.  Es  sind  sonach  alle  diese  Staube  wirklich  nichts  anderes,  als  von  den 
Luftströmungen  emporgeftihrte,  durch  die  Verwitterung  zermalmte  Theilchen 
irdischer  Gesteine.  Auch  ist  an  der  Zusammensetzung  derselben  in  der  Regel 
das  Material  vorherrschend  betheiligt,  welches  den  Gesteinen  naheliegender 
Gebiete  entstammt  Oft  allerdings  sind  es  auch  sehr  weit  hergekommene  und 
dann  allerdings  kaum  auf  ihren  Ursprung  zurückzuführende  Mineralpartikel.  Stets 
ünden  sich  in  den  Stauben  mehr  oder  weniger  reichliche  organische  Reste,  Blüthen- 
staub,  Diatomaceen  u.  a.  sowie  aus  der  Fäulniss  dieser  hervorgehende  bituminöse 
Verbindungen.  ^) 

Jedenfalls  darf  die  Bedeutung,  die  solchen  Stauben  zugeschrieben  wurde,  indem 
Doan  aus  ihrer  kosmischen  Herkunft  weittragende  Schlüsse  z.  B.  auf  eine  daraus 
hervorgehende  VergrÖsserung  unserer  Erdmasse  zog  u.  a.,  durchaus  nur  von  dem 
Gesichtspunkte  aus  beurtheilt  werden,  dass  durch  dieselben  einfach  eine  Trans- 
location  von  Bestandtheilen  der  Erdoberfläche  stattfindet;  was  an  einer  Stelle  ge- 
nommen, wird  an  einer  andern  niedergelegt.  Gleichwohl  können  auch  daraus 
im  Laufe  vielfach  wiederholter,  durch  lange  Zeiten  fortgesetzter  Vorgänge  recht 
grosse  Veränderungen  an  der  Erdoberfläche  sich  herleiten  lassen. 

Dort  aber,  wo  die  Sand-  und  Staubmassen  lagern,  deren  Spuren  der  Wind 
weit  hinausträgt,  da  sind  dieselben  in  immer  sich  erneuernder  Bewegung  und  die 
aufgewirbelten  Sandmassen  rücken  förmlich  über  die  Länder  fort,  alles  bedeckend, 
was  sie  erreichen.  Schon  Herodot  erzählt  uns,  dass  eine  Expedition,  die  nach 
der  Oase  des  Jupiter  Ammon  durch  die  Sahara  zog,  von  einem  Sandsturm  ver- 
nichtet worden  sei  und  die  Dünen  dieser  und  anderer  Wüsten  sind  so  häufig  und 
beweglich,  wie   wir  sie  an   den   Meeresküsten  sehen.     Wir  kennen  die  Dünen- 


<)  VergL  auch  beztigL  der  übrigen  Literatur:    von  Lasaulx,  Ueber  sog.  cosmischen  Staub 
TscHEUiAKS  Mittheilungen  m.  1880.  pag  517. 


76  Mineralogie!  Geologie  und  Palaeontologie. 

Züge  der  afrikanischen  Sandwüsten  aus  den  Schilderungen  von  Rohlfs,^)  Mar- 
tins 2)  u.  a. 

Die  Dünen  der  Wüste  gleichen  in  ihrer  Form  den  Wogen  und  Wellen  des 
Meeres,  sie  spitzen  sich  zu  zackigen  Kämmen  zu,  oder  erscheinen  als  eine  sanft 
wellige,  gekräuselte  Oberfläche.  In  der  Sahara  liegen  sie  senkrecht  zur  herrschen- 
den Windrichtung,  dem  Nordostpassat,  und  streichen  darum  von  NW  nach  SO. 
Langsam,  oft  unmerklich  rücken  sie  von  Osten  nach  Westen  vor. 

Ganz  ähnlich  in  Entstehung,  Erscheinung  und  Bewegung  sind  die  längs  der 
Meeresküste  sich  hinziehenden  Stranddünen.  Bedingungen  ihrer  Entstehung  sind 
vor  allem  grössere  Mengen  losen  Sandes,  die  besonders  dort  an  den  Meeresküsten 
sich  finden,  wo  der  starke,  durch  Ebbe  und  Fluth  oder  auch  durch  häufige  Stürme 
erregte  Wellengang  über  eine  flache  Küste  hingeht.  Hier  wirft  das  Meer  immer 
aufs  Neue  fein  zerriebene  Sandmassen  ans  Ufer.  Flache  Küsten  und  beständige 
oder  doch  vorherrschende  Seewinde  sind  weitere  Bedingungen  zur  Dünenbildung. 
An  Steilküsten  oder  auch  stark  geneigten  Küsten  tritt  eine  Dünenbildung  eben- 
sowenig ein,  wie  dort,  wo  dichte,  schnell  wurzelnde  Vegetation  die  losen  Küsten- 
sande bedeckt,  oder  wo  sie  durch  schnell  wirkende  Cämentirungsprocesse  ver- 
festigt und  ihrer  freien  Beweglichkeit  beraubt  werden. 

(Min.  11.) 


7t^fndrichUi4ta-wi^ 1^  Hofieti^ 


"i 


Meer 

Fortbewegung  der  Dtinen.     Die  Pfeile  deuten  die  Bewegung  des  Sandes  an. 

Es  erfasst  der  landwärts  gerichtete  Seewind  die  losen  feinen  Sande  imd  treibt 
sie  über  den  flach  ansteigenden  Boden  der  Küste  vor  sich  her.  Wo  ein 
Hindemiss  sich  ihm  entgegenstellt,  häuft  er  ihn  auf,  mehr  und  mehr,  mit  flacher 
Steigung  des  so  entstehenden  Sandhügels  nach  der  Wind-  und  Seeseite,  mit 
steilerem  Abfalle  binnenwärts.  So  bilden  sich  nackte,  lang  längs  der  Küsten- 
säume sich  hinziehende  Hügelketten,  oft  mehrere  hintereinander.  Immer  neue 
Sandmengen  führt  der  Wind  auf  der  flachen  Böschung  zum  Gipfel  des  Hügels 
empor,  immer  höher  steigt  dieser,  so  lange  die  Menge  des  Sandes  und  die  Kraft 
des  Windes  ausreicht.  So  bilden  sich  Hügel  von  30,  40  ja  auch  100  Meter  Höhe 
(z.  B.  zwischen  Kap  Bojador  und  Kap  Verde  120 — 180  Meter  hoch).  Nicht  immer 
ist  der  Sand  von  gleicher  Komgrösse.  Heftige  Stürme  bewegen  auch  noch 
gröbere  Sande,  der  gewöhnliche  Seewind  nur  den  feinsten  Staub.  So  zeigen  die 
Dünenhügel  wechselnde  Schichten  übereinander  und  können  dadurch  oft  ein 
recht  deutlich  geschichtetes  Aussehen  erlangen.  Aber  so  lange  eine  Düne  nicht 
durch  Vegetation  geschützt  wird,  fegt  der  Wind  den  Sand  von  ihrem  Gipfel 
immer  weiter  landeinwärts,  es  wird  der  dem  Lande  zugewendete  steilere  Abhang 
immer  vergrössert  auf  Kosten  des  seewärts  gewendeten,  der  Fuss  des  Hügels 
rückt  landeinwärts  vor,  die  Düne  wandert. 3)  Und  bei  diesem  Vorwärtswandero 
widersteht  ihnen  nicht  Baum,  nicht  Haus,  nicht  Kirchthurm ;  sie  überschütten  und 
begraben  meilenweite  Strecken:    oft  mit  grosser  Geschwindigkeit,    oft  nur  sehr 


^)  Ausland  1872.  pag.   1059. 

*)  Ch.  Martins,  Von  Spitzbergen  zur  Sahara.    Jena  1864.  II.  287. 

^)  Der  Mechanismus  dieser  Vorwärtsbewegung  wird  aus  obigem  Schema  verständlich  werden. 


Die  Atmosphäre  und  ihre  geologische  Bedeutung.  77 

langsam,  aber  darum  nicht  minder  unerbittlich.  An  den  Dünen  der  west- 
holsteinischen Küste,  auf  den  Inseln  Rom,  Sylt,  Amerum  ergiebt  sich  die  Ge- 
schwindigkeit, mit  der  sie  vorrücken,  auf  jährlich  ungefähr  7  Meter,  aber  an  der 
Westküste  Frankreichs  schreiten  die  Dünen  sogar  um  20 — 25  Meter  vorwärts  und 
zweitausend  Jahre  würden  genügen,  das  ganze  Gebiet  bis  nach  Bordeaux  zu 
begraben.^) 

So  sind  denn  die  Verheerungen  in  einigen  Gegenden  recht  bedeutend  und 
namenüich  die  Abholzung  der  mit  Wäldern  bestandenen  Dünen  hat  an  manchen 
Küsten  aufs  Neue  die  Versandung  entfesselt.  Wo  die  Natur  nicht  selbst  durch 
eine  genügsame,  auch  auf  diesen  Sandflächen  wuchernde  Vegetation  ihrer  Be- 
weglichkeit ein  Ziel  setzt,  da  müssen  durch  künstliche  und  entsprechende  An- 
pflanzungen die  Dünen  festgelegt  werden.  Dass  dieses  mit  Erfolg  geschehen 
kann,  zeigen  die  Küsten  von  Holland  und  die  Versuche,  die  zur  Wiederbewaldung 
der  Landes  in  Frankreich  gemacht  worden  sind. 

Eine  der  grossartigsten  geologischen  Bildungen,  die  im  Wesentlichen  durch 
die  Fortbewegung  der  Staubmassen  durch  die  Stürme  bewirkt  wurden,  ist  der 
sogen.  Löss  vorzüglich  in  Asien,  Nord-  und  Süd-Amerika.  Unter  Löss  versteht 
man  die  in  allen  Ländern  sich  findenden  Anhäufungen  äusserst  fein  zerriebenen 
Sandes,  die  durch  einen  Kalkgehalt  ausgezeichnet  sind  und  Kalkconcretionen,  die 
sogen.  Lösskindchen,  Lössmännchen  (in  Skandinavien  Marleker  genannt),  und 
ausserdem  Landsäugethierreste  und  Landschnecken  enthalten. 

In  ganz  ausserordentlicher  Mächtigkeit  und  Ausdehnung  erscheinen  Löss- 
ablagerungen  im  nördlichen  China,  über  die  uns  die  unübertrefflichen  Schilde- 
nmgen  Richthofen's  Nachricht  geben.2)  Der  Löss  tritt  hier  in  Wänden  von 
1500  Fuss  Höhe  auf,  ohne  jede  Spur  einer  Schichtung,  nur  Andeutungen  einer 
Absonderung  in  Bänken  durch  reihenweise  horizontal  eingeschaltete  Lösskindchen, 
recht  bezeichnend  von  den  Chinesen  Stein-Ingwer  genannt.  Tiefe,  steile  Schluchten 
schneiden  in  die  Lössablagerungen  ein  und  die  den  Flüssen,  sich  beimengenden 
Lössbestandtheile  geben  diesen  eine  gelbe  Färbung  und  ihren  Namen:  gelber  Fluss 
und  gelbes  Meer.  Mit  unverändertem  Charakter  fand  Richthofen  den  Löss  bis 
IM  mehreren  1000  Fuss  über  dem  Meere :  überall  erst  abgelagert,  nachdem  das 
Land  im  Allgemeinen  seine  jetzige  Oberfläche  erhalten  hatte.  Eine  Ablagerung  des- 
selben aus  Süsswasserbecken  erscheint  daher  ausgeschlossen,  und  Richthofen 
hält  daher  diese  ganzen  Lössmassen  für  eine  direkte  atmosphärische  Bildung, 
wie  die  Formation  der  Pampas  in  Süd-Amerika.  Damit  stimmt  denn  auch  das 
Vorkommen  von  Landschnecken  und  Landsäugethierresten,  das  gänzliche  Fehlen 
von  Süsswasserfossilien  vollkommen  überein. 

Zu  der  sehr  langsam,  ausserordentlich  lange  Zeiträume  erfordernden  Bildung 
dieser  Lössmassen  haben  folgende  Agenden  wesentlich  beigetragen:  i.  das  Regen- 
wasser, das  von  den  höheren  nach  den  tieferen  Theilen  fliessend,  die  aus  der 
Zersetzimg  naher  Gebirge  hervorgehenden  festen  Bestandtheile  mitführte.  2.  Der 
Wind,  dessen  ausserordentliche  Mitwirkung  an  der  Anhäufung  staubförmig  ver- 
theilten  festen  Materials  man  in  jenen  Gegenden  fortdauernd  zu  beobachten  Ge- 
legenheit hat  und  3.  der  Einfluss  der  Vegetation,  welche  mineralische  Bestand- 
theile aus  der  Tiefe  emporzieht,  um  sie  bei  ihrer  Verwesung  zurückzulassen. 

So  ist  denn  der  Löss  in  ganz  eminentem  Maasse  eine  atmosphärische  Bildung. 

')  £.  RCCLUS,  La  Terre  II.,  pag.  171. 
^  China,   l.  Bd.,  Berlin  1877.  Kap.  U. 


78  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Auch  in  Nord-Amerika  erreicht  der  Löss  eine  sehr  grosse  Ausdehnung  und 
ganz  besonders  ausgezeichnet  treten  die  Verhältnisse  dieser  subaSrischen,  d.  h. 
atmosphärischen  Bildung  in  den  Pampas  der  Argentinischen  Republik  auf.  Das 
Terrain  Pampden,  welches  d'Orbigny  zuerst  beschrieb,  besteht  aus  einer  äusserst 
feinkörnigen,  thonig-sandigen  Erde,  vollkommen  ungeschichtet,  ein  Gebilde, 
welches  auf  das  lange  Bestehen  trockenen  Klimas  und  einen  gleichen  Zustand 
der  Abflusslosigkeit  hindeutet,  wie  er  auch  für  die  central-asiatischen  Länder  von 
RiCHTHOFEN  nachgewiesen  wurde. 

Freilich  giebt  es  ^enn  auch  andere  Lössablagerungen,  die  nicht  als  solche 
bloss  trockene,  subaerische  Bildungen  gelten  können:  so  z.  B.  der  Löss  im  Rhein- 
thale,  der  Thallöss  bei  Würzburg  und  in  Sachsen,  in  den  Thälem  der  Zschoppau 
und  Mulde,  deren  Entstehung  aus  dem  Schlamm  von  Wasserhochfluthen  erfolgte,  u.a- 
Lössbildungen,  die  als  ebenfalls  fluviatile  oder  lacustrische  Ablagerungen  ange- 
sehen werden  müssen.  Nicht  aller  Löss,  so  gleichartig  er  auch  in  den  verschiedenen 
Gebieten  erscheint,  besitzt  nach  Lagerung  und  Beschaffenheit  ein  ganz  gleiches 
Verhalten  und  sonach  ist  er  wohl  auch  nicht  überall  auf  gleiche  Weise  entstanden. 

Endlich  mögen  hier  noch  einige  andere  Erscheinungen  Erwähnung  finden, 
welche  gleichfalls  den  direkten  Einfiuss  der  Atmosphäre  auf  geologische  Vorgänge 
und  zwar  vornehmlich  in  den  zerstörenden  Wirkungen  der  Winde  darthun. 

Die  von  den  Sandwehen,  die  unausgesetzt  gegen  sie  gerichtet  waren,  blind 
gewordenen  Fensterscheiben  der  Strandhütten  mögen  wohl  zuerst  die  Aufmerk- 
samkeit auf  die  mechanische  Arbeit  gelenkt  haben,  die  hier  der  Wind  vermittelst 
des  Sandes  als  Werkzeug  ausübt.  An  Gesteinen  und  Felsen  fanden  sich  später 
Spuren  gleicher  Arbeit.  Fraas^)  beobachtete,  dass  die  Nummulitenkalke  des 
östlich  von  Kairo  gelegenen  Mokatham  Gebirges  vom  Wüstensande  glatt  ge- 
scheuert worden  sind  und  die  Sandcuttings,  ähnlich  den  Gletscherschliffen,  wurden 
dann  auch  anderweitig  in  trockenen,  sandigen  Ländern  gefunden.  Die  Sande  der 
Wüste  Gobi  schleifen  Quarz  und  Chalcedongeschiebe  ganz  so  glatt  und  runden 
sie  ab,  wie  sonst  die  Meereswellen.  Ausgezeichnete  Furchungen  und  eigenthüm- 
lich  geformte  Erosionserscheinungen  bringt  der  Sand  an  den  Felsen  der  halb- 
wüsten  Hochplateaus  von  Nord-Amerika  in  den  Territorien  von  Nevada,  Utah, 
Wyoming  anscheinend  in  grosser  Verbreitung  zuwege,  lieber  dem  Boden  dieser 
Steppen  liegen  zahlreiche  Geschiebe,  Mandelsteine,  aus  zerstörten  Eruptivge- 
steinen herrührend,  den  bekannten  Scotch  Pehbles*^  vergleichbar,  ausgestreut, 
die  vorzüglich  aus  Chalcedon  und  anderen  Quarzvarietäten  bestehen.  Viele  der- 
selben zeigen  eine  gerippte,  tief  wie  von  kleinen  Wasserrinnen  durchzogene  Ober- 
fläche, die  mit  nichts  anderem  in  ihrer  Ausbildung  verglichen  werden  konnte, 
als  mit  der  vielumstrittenen  Furchung  an  der  Oberfläche  der  Hochburger  Porphyr- 
kuppen  bei  Würzen  in  Sachsen.  Auch  diese  mögen  daher  wohl  am  wahrschein- 
lichsten als  Sandcuttings  gedeutet  werden  müssen.^)  Hier  liegt  also  im  eigent 
liehen  Sinne  eine  trockene  Erosion  vor.  Auch  eigenthümlich  regelmässig  geformte 
Geschiebe,  die  sich  z.  B.  an  den  Küsten  der  Ost-  und  Nordsee  und  auch  in  den 
diluvialen  Sanden  des  norddeutschen  Flachlandes  finden,  dürften  vielleicht  am 
ehesten  sich  als  Produkte  der  abschleifenden  Wirkung  des  trockenen  vom  Winde 
bewegten  Ufersandes   deuten   lassen.     An    der   einen  Seite    sind  sie  von  flach- 

1)  Aus  dem  Orientf  pag.  200. 

')  Diese  werden  in  Edinburg  zu  Schmucksteinen  verarbeitet,  stammen  aus  den  Trapps. 
3)  Jahrb.  f.  Min.  1870,  608;  74,  337,  953;  75,  519.    Die  Gesteine  aus  Wyoming  befinden 
sich  im  Besitze  von  Prof.  Karsten  in  Kiel. 


Die  Atmosphäre  und  ihre  geologische  Bedeutung.  79 

pyramidenförmig  angeordneten  Flächen  begrenzt  3,  4  oder  mehr,  die  sich  in 
ziemlich  regelmässigen  Kanten  und  Ecken  begrenzen,  an  der  anderen  Seite  be- 
sitzen sie  die  gewöhnliche  flache  Rundung  der  Geschiebe.  Seltener  sind  sie 
auch  beiderseitig  polyedrisch  gestaltet.  Die  Sandmassen,  je  nach  der  Richtung 
des  Windes  über  einen  halb  über  den  Boden  aufragenden  Stein  anhaltend  hinglei- 
tend, griffen  ihn  an  und  polirten  ihn  in  entsprechend  gelegenen  Flächen.  Auch 
gab  der  Stein,  wenn  er  in  Folge  veränderter  Lage  seines  Schwerpunktes  sich  um- 
zudrehen vermochte,  zumal  dadurch,  dass  et  einseitig  seiner  Unterlage  beraubt 
wurde,  selbst  Veranlassung  zur  Bildung  anders  gelegener  Schlifflächen.  Und  wenn 
auch  die  anscheinende  Regelmässigkeit  mancher  dieser  Geschiebe  auffallend  ist, 
so  tritt  doch,  wenn  man  eine  grössere  Zahl  derselben  betrachtet  und  vergleicht, 
die  wirkliche  Regellosigkeit  in  der  Lage  der  polyedrischen  Flächen  hervor. 
Melleicht  hat  auch  die  Meereswelle  den  Ufersand  bei  dieser  Arbeit  unterstützt. 
Als  eine  solche  atmosphärische  trockene  Erosion  kann  femer  füglich  die  Fort- 
führung des  Bodens  bis  auf  die  festen  Gesteine  darunter  bezeichnet  werden,  die 
an  den  nackten  Felsen  der  Provence  und  den  öden,  trostlosen  Rücken  des  Karst- 
gebirges durch  die  heftigen  Sturmwinde  der  Bora  und  des  Mistrals  fortdauernd 
bewirkt  wird.  Die  kahlen  Höhen  der  Rücken  bei  Marseille,  z.  B.  von  Notre  Dame 
de  la  Gardette,  sind  sprechende  Zeugnisse  für  die  abtragende  Wirkung  dieser 
NW-Stürme. 

Aber  in  vielleicht  noch  höherem  Maasse  sind  die  Winde  für  die  geologische 
Umgestaltung  der  Erdoberfläche  von  Einfluss,  wenn  das  Wasser,  vor  allem  das 
Meer  als  mächtiger  Vermittler  ihrer  Wirkungen  sich  geltend  macht. 

Die  herrschenden  Winde  rufen  in  den  Meeren  gewisse  Strömungen  hervor, 
die  man  die  Windtriften  nennt  und  die  von  den  eigentlichen  Meeresströmungen 
sich  dadurch  unterscheiden,  dass  sie  nur  oberflächlich  und  in  einfachem,  nicht 
cirkulirendem  Laufe  über  das  Meer  sich  hinziehen.  Sind  dieselben  in  erster 
Linie  für  das  Verhalten  des  Meerwassers,  z.  B.  seine  Temperatur  und  den  lokalen 
Salzgehalt  von  Bedeutung,  die  sie  von  einem  Gebiete  auf  ein  benachbartes  zu 
übertragen  vermögen,  so  wirken  sie  dann  auch  bezüglich  der  im  Meere  sich 
vollziehenden  Sedimente  z.  Th.  kräftig  ein.  Unter  dem  Einflüsse  der  wechselnden 
Triften  werden  die  im  Meerwasser  schwebenden  fein  vertheilten  Sandtheilchen  über 
weite  Strecken  verbreitet  und  grossartig  ausgedehnte  Sedimente  gebildet.  Diese 
ändern  auch  manchmal  mit  der  Richtung  der  nach  den  Jahreszeiten  verschieden 
einsetzenden  Windtriften  ihre  Richtungen  und  Erstreckungen.  Die  Lage  mancher 
Sandbänke  ist  auf  diese  Weise  geradezu  von  den  herrschenden  Winden  abhängig. 
Auch  auf  die  Vertheilung  der  Thier-  und  Pflanzenwelt,  endlich  auch  der  Treibeis- 
massen  sind  diese  Triften  von  Einfluss. 

Ganz  besonders  intensive  Wirkungen  aber  rufen  die  Winde  durch  die 
von  ihnen  erregten  und  bewegten  Wellen  des  Meeres  hervor.  Die  alltäg- 
liche Brandung  des  Meeres  wird  natürlich  von  den  herrschenden  Winden 
mit  einer  ganz  besonderen  Kraft  unterstützt.  An  den  Küsten  der  Ostsee, 
2.  B.  in  den  schönen  Buchten  des  östlichen  Holsteins,  fehlt  dem  Meere,  das 
hier  nicht  durch  die  Gezeiten  bewegt  wird,  jede  lebendige  Brandung.  Nur  mit 
dem  Einsetzen  starker  Ostwinde,  welche  die  Wellen  gegen  die  Küste  treiben, 
tritt  auch  ordentliche  Brandung  ein.  Unausgesetzt  arbeitet  diese  darm,  rucht  nur 
an  den  Flachküsten,  sondern  in  noch  stärkerem  Maasse  an  den  felsigen  Steilküsten 
der  Länder.  Die  zerrissenen  und  in  die  vielgestaltigsten  Inselgruppen  und  Fjord- 
büdungen  ausgefransten  Westküsten  von  Irland,  Schottland  und  Norwegen,  gegen 


8o  Mineralogie,  Geologie  ond  Palaeontologie. 

welche  die  Meereswellen  unter  der  treibenden  Einwirkung  der  herrschenden 
westlichen  Winde  g^nz  besonders  heftig  anprallen,  sind  eines  der  vielen  deut- 
lichen Beispiele  dieser  combinirten  Wirkung  von  Wind  und  Wellen. 

Ins  Unmessbare  steigern  sich  diese  Erscheinungen,  wenn  die  Wellen  durch 
die  vereinte  Wirkung  von  Fluth  und  Wind  in  der  Gestalt  von  Hoch-  oder  Sturm- 
fluthen  gegen  die  Küsten  getrieben  werden.  In  ihrem  Gefolge  schreiten  lieber- 
schwemmung  und  Verwüstung  über  ganze  Küstenstrecken  dahin.  Solcher  Bei- 
spiele kennt  man  zahlreiche:  die  Sturmfluthen  an  den  Küsten  der  Nordsee  in 
Friesland  und  an  der  Westküste  von  Holstein  haben  weite  Festlandstrecken  voll- 
kommen auseinandergerissen  und  in  mehr  und  mehr  der  Gefahr  vollständiger 
Vernichtung  anheimfallende  Inselketten  aufgelöst.  In  gleicher  Weise  sind  viele 
Küstengebiete,  so  z.  B.  auch  die  Küste  von  Koromandel  und  die  Niederungen 
der  Gangesmündungen  gewaltigen  und  häufigen  Verheerungen  ausgesetzt. 

Was  aber  an  der  einen  Seite  durch  Zerstörung  vernichtet  wird,  das  er- 
setzen in  gewissem  Sinne  die  Wirkungen  der  Winde  auf  die  Meere  an  anderer  Stelle 
wieder.  Indem  die  vom  Winde  erregten  Wellen  einer  Küste  entgegenströmen, 
bewirken  sie,  dass  die  in  das  Meer  aus  dem  Lande  durch  die  Zuflüsse  hinausge- 
langenden Sedimente  schneller  niederfallen  und  nicht  so  weit  in  das  Meer  ge- 
langen können;  sie  üben  also  gerade  die  entgegengesetzte  Wirkung  aus,  wie  die 
vorhin  erwähnte,  welche  die  Sedimente  weiter  und  gleichmässiger  durch  die  Wind- 
triften über  den  Meeresboden  ausbreitet.  So  werden  in  der  Küsteimähe  Un- 
tiefen und  Sandbänke  gebildet,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit  zu  landfesten  oft 
weit  ausgedehnten  Küstengebieten  aneinanderfügen.  Hierhin  gehören  auch  die 
Uferwälle  und  Sandbarren  vor  der  Mündung  der  Flüsse,  die  wiederum  fiir  die 
Deltabildungen  von  Wichtigkeit  sind.  An  ihnen  lässt  sich  manchmal  Richtung 
und  Stärke  des  Windes  an  den  wechselnden  aus  Fluss-  und  Meeresprodukten 
bestehenden  Alluvialschichten  noch  deutlich  erkennen. 

So  ist  der  Wind,  so  unheilstiftend  an  vielen  Küsten,  an  anderen  gleichsam 
landbauend  und  um  mit  Czerny  zu  reden,  die  launische  Windwelle  nimmt  an 
einer  Stelle,  um  an  der  anderen  zu  geben,  zerstört  und  schafft  fort,  um  dafür 
anderswo  ganze  Areale  aus  den  oceanischen  Tiefen  ins  Trockene  zu  legen. 

Wahrlich,  verdanken  die  Winde  ihre  mannigfachen  Störungen  in  ihrer  Ver- 
theilung  und  Richtung  der  horizontalen  Gliederung  der  Continente,  so  muss  man 
mit  Reclus  auch  das  Entgegengesetzte  zugeben:  die  Bewegungen  der  Atmosphäre 
sind  es,  durch  welche  man  die  äussere  Gestaltung  der  Continente  zu  erläutern 
hat.  Und  in  einem  gewissen,  wenn  auch  etwas  beschränkten  Maasse  hat  dieser 
Ausspruch  jedenfalls  Recht. 

Literatur:  Maurv,  Geographie  physique  de  la  mer.  V.  Edit.  Paris  1861.  Deutsch  von 
BöTTGER.  2.  Aufl.  Leipzig  1859.  Kämtz,  Lehrbuch  der  Meteorologie.  Leipzig  1856,  übers,  xon 
Ch.  Martins.  Paris  1858.  Mohn,  Grundztige  der  Meteorologie.  Deutsche  Originalausgabe.  Berlin 
1875.  E.  Reclus,  La  Terre.  Paris  1869.  Vol.  II.  A.  Mühry,  Beiträge  zur  Geophysik  und 
Klimatologie.  Leipzig  1863.  Hann,  Hochstktter  und  Pokorn^',  AUgem.  Erdkunde.  Wien 
1880.  Peschel-Leipoldt,  Physik.  Erdkunde  (Kap.  über  Dünen).  Bd.  L  Leipzig  1S79.  Ab- 
handlungen über  meteor.  Staubfälle  von  Ehrenberg,  Arago,  Quetelet,  Baumhaiter,  Dait.r.:j. 
Phipson,  Nordenskjöld,  Tissandier,  Silvestri,  PAL.MERI  u.  a.  V.  Lasaulx,  Ueber  so^on. 
kosmischen  Staub,  Tschermaks  Mitteil.  1880.  Stoppani,  Corso  di  Geologia.  Milano  iS/i. 
Cap.  n — IV  ausführlich  über  Atmosphäre,  v.  Richthofen,  China,  Berlin  1877.  (Ueber  L6^-.) 
Czerny,  Die  Wirkungen  der  Winde  auf  die  Gestaltung  der  Erde  in  Petermanns  MittheiL  Er- 
gäiuungsband  1876. 


Beenden.  St 


Blenden 


von 


Professor  Dr.  Kenngott. 

Bei  der  Verschiedenheit  von  Verbindungen,  welche  die  Minerale  zeigen,  sind 
gewisse  zahlreicher  als  andere  und  nächst  den  SauerstofTverbindungen  spielen 
die  Schwefelverbindungen  eine  hervorragende  Rolle.  Unter  diesen  wurden  die 
sogenannten  Blenden  schon  lange  als  eine  kleine  Gruppe  von  Mineralen  zusammen- 
gestellt, welche  sich  von  anderen  Schwefelverbindungen  durch  ihr  Aussehen 
unterscheiden  und  es  bilden  die  sogen.  Blenden  in  einzelnen  Mineralsystemen 
eine  Ordnung.  An  Stelle  des  Namens  Blenden  gebrauchte  man  auch  die  Namen 
Cinnabarite  und  Sphalerite,  entlehnt  von  Namen  ausgezeichneter  Repräsen- 
tanten der  Gruppe.  Die  Mehrzahl  nämlich  der  Verbindungen  des  Schwefels  mit 
gewissen  Metallen  und  Metalloiden  hat  metallisches  Aussehen  und  die  Blenden 
haben  unmetallisches.  Da  jedoch  zwischen  den  metallischen  und  unmetallischen 
Mineralen  Übergänge  stattfinden,  beziehungsweise  bei  Mineralen  der  Metallglanz 
Uebergänge  in  unmetallischen  Glanz  zeigt,  wofür  man  den  Ausdruck  halb- 
metallischen  Glanz  gebraucht,  so  zeigen  sich  auch  bei  den  Blenden  derartige 
Uebergänge,  so  dass  im  Allgemeinen  die  Blenden  als  Schwefelverbindungen  un- 
metallische Farben  und  farbigen  Strich,  unmetallischen  bis  halbmetallischen 
Glanz  zeigen,  durchsichtig  bis  undurchsichtig  sind  und  eine  geringe  Härte  haben, 
etwa  bis  4  hinauf.  Bezüglich  ihrer  mit  dem  Schwefel  verbundenen  Stoffe  hat 
man  sie  auch  noch  neben  anderen  Namen  nach  dem  wesentlichen  mit  Schwefel 
verbu:^. denen  Stoffe  benannt,  wie  die  Namen  Zink-,  Mercur-,  Silber-,  Antimon- 
und  Arsen-Blende  zeigen.    Die  wichtigeren  Blenden  sind  nachfolgende: 

I.  Der  Sphalerit,  auch  Zinkblende,  selbst  ausschliesslich  Blende  ge- 
nannt Der  zunächst  auf  den  starken  Glanz  bezügliche  Name  Blende  soll  dem 
Minerale  in  dem  Sinne  gegeben  worden  sein,  insofern  es  früher  durch  den 
starken  Glanz  den  Bergleuten  auffiel  und  doch  nicht  als  nutzbar  erschien.  Als 
Zinkblende  wurde  es  benannt,  weil  es  sich  durch  den  Zinkgehalt  von  anderen 
der  Gruppe  Blenden  zugezählten  unterscheidet  und  der  Name  Sphalerit,  entlehnt 
von  dem  griechischen  Worte  itsphaUros^  täuschend,  soll  an  die  frühere  Ansicht 
über  die  Blende  erinnern 

Der  Sphalerit  krystallisirt  tesseral  und  zwar  tetraedrisch-hemiedrisch.  So 
zeigen  z.  B.  die  Krystalle  desselben  gewöhnlich  die  Combination  zweier  Gegen- 
tetraeder, ö  •  O  (Fig.  i)  indem  die  Flächen  des  einen  Tetraeders  vorherrschen, 
können  jedoch  als  Tetraeder  (Fig.  2)  allein  oder  als  Oktaeder  (Fig.  3)  vor- 
kommen, an  denen  dann  aber  noch  die  tetraedrische  Bildung  durch  Unter- 
schiede in  der  Flächenbeschaffenheit  hervortreten  kann.  Die  abwechselnden, 
dem  einen  Tetraeder  entsprechenden  Flächen  sind  dann  glatt,  die  anderen 
drusig  oder  rauh,  wie  auch  in  den  Combinationen  der  beiden  Tetraeder, 
ohne  dass  immer  solche  Unterschiede  bemerkbar  sein  müssen.  Unter- 
geordnet sind  das  Hexaeder  00  O  00  und  Rhombendodekaeder  oa  O  (Fig.  4.) 
Andererseits  ist  auch  das  Rhombendodekaöder  vorherrschend  ausgebildet,  daran 
die  Tetraeder  (Fig.  5)  und  andere  tesserale  Gestalten  untergeordnet,  welche  dann 
als  tetraedrische  Hemieder  desselben  Gesetzes  auftreten,  wie  gewisse  Trigon- 
dodeka^der,  besonders  «Q»,  welches  bisweilen  ziemlich  ausgedehnt  mit  dem 
Rhombendodeka^der  verbunden  vorkommt  (Fig.  6). 

Sehr  häufig  sind  Zwillinge  nach  O,  meist  mit  vielfacher  Wiederholung,  wobei 

KcNsiGOTT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  6 


82 


Mineralogie,  Geologie  und  Pdaeontologie. 


(Uli.  12-17.) 


Figl. 


Fig.  2. 


Fig.  3- 


Fig.  4-  Fig.  5.  Fig.  6. 

die  einzelnen  Individuen  zwillingsartxg  wechselnd  bis  sehr  dünne  Lamellen  bilden 
und  durch  Streifung  auf  den  Aussenflächen  erkenntlich  sind.  Solche  Zwillings- 
bildungen erschweren  bisweilen  die  Bestimmung  der  Krystalle  sehr,  wenn  sie 
auch  im  ersten  Augenblicke  als  solche  deutlich  ausgebildet  zu  sein  scheinen. 
Die  Krystalle  sind  fast  immer  aufgewachsen,  selten  eingewachsen,  ausserdem  findet 
sich  das  Mineral  häufig  derb  mit  krystallinisch  gross-,  grob-,  klein-  bis  feinkörniger 
Absonderung,  bisweilen  in  grossen  Massen,  selbst  mächtige  Lager  bildend,  wie 
im  Gneiss  bei  Ammeberg  am  Wettersee  in  Schweden,  in  verschiedenen  Gebirgs- 
arten  eingewachsen  bis  eingesprengt.  Selten  findet  sich  der  Sphalerit  krystallinisch 
dünnstenglig  bis  feinfasrig,  bis  ins  Dichte  übergehend,  dabei  knollige,  nieren- 
förmige,  kuglige  und  traubige  Gestalten  bildend,  die  bei  radialer  Anordnung 
der  Fasern  z.  Th.  noch  eine  krummschalige  Absonderung  nach  den  Aussen- 
flächen zeigen  (die  sogen.  Schalen-  und  Leberblende). 

Die  Spaltbarkeit  ist  vollkommen,  die  Spaltungsflächen  sind  parallel  den 
Flächen  des  Rhombendodekaeders,  daher  der  Bruch  als  solcher  selten  bestimm- 
bar ist,  bei  sehr  feinkörnigen  oder  feinfasrigen  ins  Dichte  übergehenden  Varietäten 
flachmuschlig  und  splittrig  erscheint  Der  Sphalerit  ist  meist  braun  bis  schwarz 
gefärbt,  auch  gelb  (wachsgelb,  weingelb,  schwefelgelb)  grün  (öl-  bis  grasgrün' 
roth  (hyacinth-  bis  bräunlichroth),  selten  weiss  bis  farblos  (der  sogen.  Kleiophan 
von  Franklin  in  New-Jersey),  diamantartig  glänzend  bis  wachsartig,  bei  schwarzer 
Farbe  in  halbmetallischen  Glanz  neigend,  mehr  oder  weniger  durchscheinend 
bis  fast  undurchsichtig,  bei  heller  Färbung  auch  halbdurchsichtig  und  kleine 
Krystalle  selbst  durchsichtig.  Das  Strichpulver  ist  entsprechend  der  helleren  und 
dunkleren  Färbung  graulichweiss,  gelblichweiss  bis  braun.  Das  Mineral  ist  spröde, 
hat  die  Härte  —  3»5  — 4»o,  das  specifische  Gewicht  =  3,8  —  4,2  und  phosphoresctrt 
durch  Reiben. 


Blenden.  83 

Wesentlich  ZnS,  Einfach-Schwefelzink  mit  67  J  Zink  und  33  Schwefel,  doch 
selten  ganz  rein,  worauf  die  wechselnden  Farben  hinweisen,  gewöhnlich  als 
Stellvertreter  FeS,  also  Eisen  einen  Theil  des  Zinkes  ersetzend,  von  geringer 
Menge  an  bis  zu  23^  Schwefeleisen  enthaltend,  welcher  hohe  Eisengehalt 
dazu  führte,  gewisse  eisenreiche  als  besondere  Species  zu  trennen,  wie  den 
Marmatit  von  Marmato  bei  Popayan  in  Columbien  und  den  schwarzen 
Christophit  von  der  Grube  St.  Christoph  bei  Breitenbrunn  in  Sachsen, 
welcher  gegen  30^  Schwefeleisen  enthält.  Bisweilen  findet  sich  auch  Cadmium, 
selbst  die  seltneren  Stoffe  Indium,  Thallium  und  Gallium  in  einzelnen  Sphale- 
ritcn.  Bei  dem  häufigen  Vorkommen  des  Galenit  in  Begleitung  des  Sphalerit 
zeigen  sich  bisweilen  beide  so  innig  mit  einander  verwachsen,  dass  es  den 
Schein  hat,  als  habe  man  ein  eigenes  Mineral  vor  sich,  weil  die  Farbe  und  der 
Glanz  des  bleigrauen  metallisch  glänzenden  Galenit  in  dem  innigen  Gemenge 
das  unmetallische  Aussehen  des  Sphalerit  bedeutend  unterdrücken. 

Vor  dem  Löthrohre  auf  Kohle  erhitzt  zerknistert  der  Sphalerit  meist  sehr 
heftig,  ist  unschmelzbar  oder  ein  wenig  an  den  Kanten  schmelzbar,  im  Zusammen- 
hange mit  dem  zunehmenden  Eisengehalte,  durch  welchen  auch  die  eisenreicheren 
V.  d.  L.  etwas  magnetisch  werden.  Auf  der  Kohle  setzt  sich  ein  Beschlag 
von  Zinkoxyd  ab,  welcher  heiss  gelb,  nach  dem  Erkalten  weiss  ist  und  mit 
Kobaltsolution  befeuchtet  und  erhitzt  grün  wird.  Diese  Reaction  des  entstandenen 
Zinkoxydes  sieht  man  recht  deutlich,  wenn  man  Sphalerit  in  der  Achatschale  zu 
feinem  Pulver  zerreibt,  dasselbe  mit  etwas  Kobaltsolution  befeuchtet,  in  das  Oehr 
eines  Platindrahtes  streicht  und  vor  dem  Löthrohre  erhitzt  Mit  Soda  auf 
Kohle  geschmolzen  entsteht  Hepar  und  starker  Zinkoxydbeschlag.  In  Salzsäure 
ist  der  Sphalerit  löslich,  Schwefelwasserstoffgas  entwickelnd,  desgleichen  in  Sal- 
petersäure, Schwefel  abscheidend. 

Der  Sphalerit  ist  ein  häufig  vorkommendes  Mineral,  welches  sowohl  in 
Gängen,  Nestern  und  Lagern,  besonders  in  älteren  Formationen,  als  auch  in  ver- 
schiedenen Gebirgsarten  eingewachsen  bis  eingesprengt  vorkommt,  früher  zur  Dar- 
stellung von  Zinkvitriol,  Schwefel  und  Schwefelsäure  verwendet  wurde,  jetzt 
aber  auch  zur  Gewinnung  des  Zinkes  benützt  wird. 

Das  Einfach-Schwefelzink  ZnS,  welches  als  Sphalerit  ein  lange  bekaimtes 
und  reichlich  vorkommendes  Mineral  bildet,  ist  dimorph,  wie  man  dies  an  nicht 
mineralischen  Krystallen  desselben  gefunden  hatte  und  es  fand  sich  auch  in 
neuerer  Zeit  hexagonal  krystallisirt  als  Mineral  bei  Oruro  in  Bolivia.  Es  wurde 
Wurtzit  genannt  und  zu  diesem  gehört  auch  ein  früher  als  strahlige  Blende 
oder  Strahlenblende  bezeichnetes  Vorkommen  von  Przibram  in  Böhmen, 
welchem  der  Name  Spiauterit  gegeben  wurde.  Beide  enthalten  auch  wie  der 
Sphalerit  nebenbei  etwas  Schwefeleisen. 

Da  bisweilen  Sphalerit  CdS  in  geringen  Mengen  enthält,  dasselbe  als 
isomorpher  Vertreter  von  Zns  anzusehen  ist,  auch  im  Spiauterit  etwas  Cadmium 
enthalten  ist,  so  ist  es  von  Interesse,  dass,  wenn  auch  selten,  Schwefelcadmium 
CdS  als  ein  hexagonal  krystallisirendes  Mineral,  isomorph  mit  Wurtzit  vorkommt, 
eine  Cadraiumblende,  welche  den  Namen  Greenockit  erhalten  hat. 

2.  Der  Alabandin  MnS,  auch  Manganblende  genannt,  krystallisirt  auch 
tesseral  und  tetraödrisch-hemiedrisch,  die  beiden  Tetraeder  in  Combination  mit- 
einander wie  bei  Sphalerit,  oder  diese  mit  dem  Hexaeder  oder  Rhombendodekaeder 
combinirt  zeigend  und  vollkommen  hexaedrisch  spaltbar;  gewöhnlich  krystallinisch- 
kömig  derb  und  eingesprengt.     Eisenschwarz  bis  dunkelstahlgrau,  halbmetallisch 

6^ 


84  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

glänzend,  undurchsichtig,  läuft  bräunlich  an  und  wird  matt,  Strich  schmutziggiün; 
wenig  spröde,  hat  Härte  =  3,5 — 4,0  und  specifisches  Gewicht  ^  3#9— 4,i.  Ent- 
hält 63,2^  Mangan  und  36,8  Schwefel.  Bleibt  im  Glaskolben  erhitzt  unverändert, 
entwickelt  im  Glasrohre  etwas  schwefelige  Säure  und  wird  graulichgrün,  schmilzt 
auf  Kohle  sehr  schwer  zu  einer  braunen  Schlacke,  und  diese  reagirt  mit  Borax 
geschmolzen  stark  auf  Mangan,  das  Boraxglas  violblau  färbend;  in  Salzsäure  auf- 
löslich, Schwefelwasserstoffgas  entwickelnd.  Der  Alabandin  ist  ein  seltenes  Mineral 
und  kommt  auch  nicht  in  grösserer  Menge  vor,  beispielsweise  bei  Kapnik,  Nagyag 
und  Offenbanya  in  Siebenbürgen,  bei  Gersdorf  in  Sachsen,  bei  Alabanda  in  Carien 
(woher  der  Name  Alabandin  entlehnt  wurde),  am  Fusse  des  Orizaba  in  Mexiko 
und  in  Brasilien. 

Eine  andere  Manganverbindung  Mn  S^  mit  46,2^  Mangan  und  53,8  Schwefel 
ist  der  auch  zu  den  Blenden  gehörige  tesseral  und  parallelflächig-heroiediisch 
krystallisirende  seltene  Hau  er  it  von  dem  Schwefelwerke  Kaiinka  bei  V^gles 
unweit  Neusohl  in  Ungarn,  welcher  dunkelröthlichbraun  bis  bräunlichschwarz  ist, 
bräunlichrothen  Strich,  metallartigen  Diamantglanz  hat  und  in  dünnen  Blättchen 
etwas  durchscheinend  ist. 

3.  Der  Co  V  eil  in,  benannt  nach  dem  italienischen  Mineralogen  Covelli, 
ist  eine  Kupferblende,  welche  auch  Kupfer indig  wegen  des  Kupfergehaltes  und 
der  indigoblauen  Farbe  genannt  wurde.    CuS  mit  66,5  §  Kupfer  und  33,5  Schwefel. 

Derselbe  findet  sich  selten  deutlich  krystallisirt  und  bildet  sehr  kleine  tafel- 
artige hexagonale  Krystalle,  durch  die  vorherrschenden  Basisflächen  mit  einer  oder 
zwei  stumpfen  hexagonalen  Pyramiden  und  ist  vollkommen  basisch  spaltbar. 
Dünne  Spaltungsblättchen  sind  biegsam.  Die  Kryställchen  sind  gewöhnlich  in 
Gruppen  gehäuft  aufgewachsen;  meist  ist  er  derb  und  eingesprengt  mit  feinkörniger 
Absonderung  bis  dicht  und  erdig,  bildet  Platten,  nierenformige  Gestalten,  Ueber- 
züge  und  Anflüge.  Er  ist  dunkel  indigoblau  bis  schwärzlichblau,  hat  wachs- 
artigen bis  halbmetallischen  Glanz,  auf  den  Spaltungsflächen  perlmutterartigen 
Diamantglanz,  ist  undurchsichtig,  im  Striche  schwarz  und  glänzend,  milde,  hat 
Härte  =  1,5 — 2,0  und  spec.  Gewicht  =  4,59 — 4,64.  Brennt  vor  dem  Löthrohrc 
auf  Kohle  erhitzt  mit  blauer  Flamme,  schmilzt  mit  Aufwallen  und  Spritzen  und 
giebt  mit  Soda  ein  Kupferkom.     In  Salpetersäure  ist  er  löslich. 

Er  ist  nicht  häufig  zu  finden,  auf  Gängen  und  Lagern,  z.  B.  bei  Leogang  in 
Salzburg,  Sangerhausen  in  Thüringen,  Badenweiler  in  Baden,  auf  Laven  am 
Vesuv.  Massenhaft  kommt  er  auf  der  Insel  Kawau  bei  Neuseeland  und  in  den 
(ioldfeldcm  von  Victoria  in  Australien  vor.  Er  entsteht  z.  Th.  aus  Chalkosin, 
dmlkopyrit,  Tetraedrit  und  anderen  Kupfer  enthaltenden  Mineralen  und  wird, 
wenn  er  in  grosser  Menge  vorkommt,  zur  Darstellung  von  Kupfer  benützt. 

4.  Der  Zinnober,  auch  Cinnabarit  und  Mercurblende  genannt.  Die 
cfhtcn  beiden  Namen  sollen  von  dem  griechischen  i^kinnabarUf  Drachenblut  ab- 
Ntammcn,  wegen  der  rothen  Farbe.  Er  krystallisirt  hexagonal,  rhomboedrisch,  die 
(irumigcstalt  ist  ein  spitzes  Rhomboeder  mit  den  Endkantenwinkeln  =  71*^48'. 
Die  Krystalle  sind  meist  klein,  doch  bisweilen  sehr  flächenreicb,  vorherrschend 
durch  Rhomboeder,  bis  dicktafelig  durch  die  Basisflächen,  selten  nadelfbrmig,  in 
optischer  Kc/iehung  durch  starke  Circularpolarisation  ausgezeichnet  Gewöhnlich 
ist  er  kiystallinisch  klein-  bis  feinkörnig,  dicht  bis  erdig,  bildet  Knollen,  findet 
sich  derb  bis  eingesprengt,  aucli  ITeberzüge  bis  Anflüge  bildend  Er  ist  ziemlich 
vollkommen  hexagonal  prismatisch  spaltbar,  der  Bruch  ist  uneben,  splittrig  bis 
erdig. 


Blenden.  85 

Koscheniilroth,  z.  Th.  ins  Bleigraue  neigend,  bis  scharlachroth  (der  erdige), 
diamantglänzend,  schimmernd  bis  matt,  mehr  oder  weniger  durchscheinend  bis 
undurchsichtig;  Krystalle  bis  halbdurchsichtig.  Das  Strichpulver  ist  scharlachroth. 
Er  ist  milde,  hat  Härte  «=  2,0 — 2,5  und  spec.  Gew.  =  8,0  —  8,2. 

HgS  mit  86, 2 J  Mercur  und  13,8  Schwefel.  In  Königswasser  auflöslich, 
nicht  löslich  in  Salpeter-  oder  in  Salzsäure,  auch  nicht  in  Kalilauge.  Im  Kolben 
erhitzt  giebt  er,  schweflige  Säure  entwickelnd,  Sublimat  von  Zinnober  und  Mercur, 
mit  Soda  gemengt,  ein  Sublimat  von  Mercur.  Vor  dem  Löthrohre  auf  Kohle 
erhitzt  verflüchtigt  er  sich  und  es  entsteht  bei  vorsichtigem  Blasen  auf  der  Kohle 
ein  grauer  Beschlag  von  Mercur. 

Der  Zinnober  findet  sich  meist  auf  Lagern,  weniger  auf  Gängen,  in  älteren 
und  mittleren  Formationen,  nicht  selten,  aber  gewöhnlich  nicht  sehr  reichlich,  wie 
beispielsweise  bei  Almaden  und  Almadenejos  in  Spanien,  Idria  in  Krain,  sehr 
reichlich  bei  Neu-Almaden  unweit  San  Josd  in  Kalifornien,  im  Staate  Chihuahua 
in  der  Sierra  Madre  in  Mexiko,  in  Japan,  China ;  auch  bemerkenswerth  die  Fund- 
orte Wolfsberg  und  Moschellandsberg  in  Rheinbayem,  Horzowitz  in  Böhmen, 
Rosenau  und  Szlana  in  Ungarn,  Ripa  und  Levigliana  in  Toscana.  Bei  Idria  findet 
sich  das  sogen.  Quecksilberlebererz,  ein  Gemenge  von  Zinnober  mit  einem 
Idrialin  genannten  fossilen  Harze,  Kohle  und  erdigen  Theilen,  z.  Th.  rundliche 
Gestalten  mit  krummschaliger  Absonderung  bildend,  die  an  der  Oberfläche  durch 
Einwirkung  von  Druck  und  Verschiebung  glänzen.  Dasselbe  ist  dunkelroth  bis 
schwarz,  hat  aber  rothen  Strich;  das  spec.  Gew.  =  6,8  —  7,6  ist  in  Folge  der 
Beimengungen  geringer  als  das  des  reinen  Zinnobers.  Beim  Zerreiben  oder  Zer- 
schlagen zeigt  es  einen  eigenthümlichen  hepatischen  Geruch. 

Der  Zinnober  wird  hauptsächlich  zur  Darstellung  des  Mercur  (auch  Queck- 
silber) genannten  Metalles  benützt. 

Die  Substanz  HgS  ist  dimorph,  wie  sie  es  als  chemisches  Produkt  zeigt,  indem 
man  sie  durch  Fällen  einer  Lösung  von  M^rcuroxydsalzen  mit  Schwefelwasserstoff 
als  schwarzen  Niederschlag  erhält  und  so  wurde  auch  Schwefelmercur  HgS  als 
dichtes  schwarzes  Mineral  mit  schwarzem  Striche  und  dem  spec.  Gew.  =  7,7  in  Lake 
County  in  Califomien  gefunden.     Dasselbe  erhielt  den  Namen  Metacinnabarit. 

5.  Das  Realgar  (ein  von  den  Alchimisten  gebrauchter  Name,  auch  das 
risigallum  derselben),  die  rothe  Arsenblende.  Klinorhombisch,  die  KrystaUe 
kurz  bis  lang  prismatisch,  aufgewachsen,  gewöhnlich  die  Combination  zweier 
künorhombischer  Prismen  bildend,  von  00  P,  dessen  klinodiagonale  Kanten  =74°  26' 
zugeschärft  sind  durch  das  Prisma  00  P  7  mit  den  klinodiagonalen  Kanten  =  1 13^  j6' ; 
am  Ende  begrenzt  durch  die  Basisfläche  oP,  welche  gegen  die  klinodiagonale 
Kantenlinie  vonooPr  unter  113°  55'  geneigt  ist,  das  Längsdoma  P5o,  welches 
die  Combinationsecken  von  oP  und  00  P  schief  abstumpft  und  mit  der  Basisfläche 
die  stumpfen  Co»binationskanten  =  156^  i',  bildet.  Dazu  kommen  noch  die 
Langsflächen  und  an  flächenreicheren  Krystallen  noch  verschiedene  andere  Ge- 
stalten. Ausser  krystallisirt  findet  sich  das  Realgar  krystallinisch-kömig,  derb  bis 
eingesprengt,  als  Ueberzug  und  Anflug.  Ziemlich  vollkommen  spaltbar  parallel 
den  Basis-  und  Längsflächen,  im  Bruche  muschlig  bis  uneben  und  splittrig. 
Dunkel-  bis  hellmorgenroth  oder  feuerroth,  wachsglänzend,  auf  gut  ausgebildeten 
Krystallflächen  bis  diamantartig  glänzend,  halbdurchsichtig  bis  kantendurch- 
scheinend. Das  Strichpulver  ist  orangegelb.  Milde,  leicht  zersprengbar,  hat 
H.  =  1,5 — 2,0  und  das  spec.  Gew.  =  3,4 — 3,6;  sehr  stark  doppeltbrechend, 
negativ;  durch  Reiben  negativ  elektrisch. 


86  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

AsS  mit  70,1^  Arsen  und  29,9  Schwefel.  In  Königswasser  lösHdi,  Schwefel 
abscheidend,  sonst  von  Säuren  wenig  angreifbar;  in  heisrer  Kalilauge  löslich  und 
dabei  ein  braunes  Pulver  bildend.  Im  Glasrohre  erhitzt  verflüchtigt  es  sich, 
arsenige  Säure  als  Sublimat  absetzend,  im  Kolben  bildet  sich  ein  rothes  bis 
schwarzes  Sublimat.  Vor  dem  Löthrohre  auf  Kohle  leicht  schmelzbar  und  mit 
Weissgelber  Farbe  und  den  an  Knoblauch  erinnernden  Arsengeruch  entwickelnd 
verbrennbar.  Bemerkenswerth  ist  der  Einfluss  des  Tageslichtes,  indem  durch 
dasselbe  das  Realgar  allmählich  in  ein  gelbrothes  bis  orangegelbes  Pulver  zerfallt, 
wesshalb  das  Mineral  nicht  in  Schausammlungen  aufgestellt  werden  darf,  sondern 
nur  in  geschlossenen  Schubladen  aufzubewahren  ist 

Das  Realgar  findet  sich  auf  Gängen,  zuweilen  auf  Lagern,  auch  eingewachsen 
bis  eingesprengt  in  Dolomit,  Kalkstein,  Gjrps  und  Thon,  selten  in  Laven  und  an 
Kraterwänden.  Als  Fundorte  sind  beispielsweise  anzuführen:  Kapnik  und 
Nagyag  in  Siebenbürgen,  Felsöbanya  und  Tajowa  in  Ungarn,  Andreasberg  am 
Harz,  Joachimsthal  in  Böhmen,  Schneeberg  in  Sachsen,  das  Binnenthal  im  Canton 
Wallis  in  der  Schweiz  und  die  Solfatara  der  phlegräischen  Felder  bei  Neapel.  — 

Das  Mineral  wird,  weil  es  zu  spärlich  vorkommt,  selten  benützt,  dagegen 
das  durch  Zusammenschmelzen  von  Schwefel  und  Arsen  dargestellte  AsS  (rother 
Arsenik  oder  Arsenikrubin  genannt)  als  Malerfarbe,  zum  Entfärben  des 
Glases  und  in  der  Feuerwerkerei  zur  Darstellung  des  blendenden  sogen,  indischen 
Weissfeuers. 

6.  Das  Auripigment  (benannt  von  aurum,  Gold  und  pigmentum,  Farbe 
wegen  seiner  gelben  Farbe),  gelbe  Arsenblende,  Rauschgelb. 

Krystallisirt  orthorhombisch,  bildet  gewöhnlich  nur  kleine  und  undeutliche 
prismatische  Krystalle,  an  denen  das  Prisma  00  PT  vorherrscht,  dessen  brachy- 
diagonale  Kanten  «=79^20'  oft  durch  das  Prisma  00  P  (11 7^49')  zugescharft 
sind.  Dazu  kommen  die  Längsflächen,  ein  Querdoma  P00,  dessen  Endkanten- 
Winkel  =  83^37'  sind,  selten  die  Pyramide  P  und  die  Querflächen.  Die  Flächen 
der  Krystalle  sind  oft  gekrümmt.  Gewöhnlich  findet  sich  das  Auripigment 
derb  und  eingesprengt,  krystallinisch-kömig  bis  blättrig  und  stenglig,  z.  Th. 
stalaktitisch  nierenförmig,  kuglig  und  traubig  mit  krummschaliger  Absonderung, 
dicht  bis  erdig,  als  Anflug.  Vollkommen  spaltbar  parallel  den  Längsflächen,  die 
Spaltungsflächen  sind  vertikal  gestreift,  die  Spaltungsblättchen  biegsam. 

Citronen*  bis  orangegelb,  wachsglänzend,  auf  den  Spaltungsflächen  perlmutter- 
artig,  durchscheinend  bis  undurchsichtig,  Strichpulver  wenig  heller.  Milde,  hat 
H.  =  1,5 — 2,0  und  spec.  Gew.  ==  3,4 — 3,5,  wird  durch  Reiben  negativ  elektrisch.  — 
AS|  S3  mit  6ij(  Arsen  und  39  Schwefel.  In  Königswasser  und  in  Salpetersäure 
auflöslich,  desgleichen  in  kochender  Kalilauge.  Im  Glasrohr  erhitzt  verflüchtigt 
es  sich,  schweflige  Säure  entwickelnd  und  arsenige  Säure  als  Sublimat  absetzend, 
schmilzt  leicht  im  Kolben,  schweflige  Säure  und  gelbe  Dämpfe  entwickelnd,  ein 
gelbes,  rothes  bis  schwarzes  Sublimat  absetzend,  das  letztere  wird  nach  dem  Er* 
kalten  roth.  Wenn  es  nicht  ganz  verflüchtigt  wird,  bleibt  schlackiges  Einfach* 
Schwefelarsen  übrig.  Vor  dem  Löthrohre  auf  Kohle  sich  mit  Geruch  nach 
schwefliger  Säure  und  Arsen  verflüchtigend  oder  mit  weisser  Flamme  ver- 
brennend; mit  Soda  gemengt  zu  Arsen  reducirbar.  Beim  Liegen  an  der  I-uft 
oder  noch  mehr  im  Tageslicht  verliert  er  an  der  Oberfläche  seinen  Glanz  und 
lässt  einen  feinen  Beschlag  erkennen. 

Das  Auripigment  findet  sich  in  ähnlicher  Weise,  wie  das  Realgar,  auch  mit 
diesem  und  selbst  damit  verwachsen,  wobei  aber  nicht,  wie  das  Gelbweiden  des 


Blenden  87 

Realgar  vermuthen  lassen  könnte,  ein  Uebergang  des  Realgar  in  Auripigment 
stattfindet,  weil  beide  Minerale  vollkommen  frisch  nebeneinander  gefunden  werden. 
Als  Fundorte  sind  beispielsweise  Tajowa  bei  Neusohl  in  Ungarn,  Kapnik  in  Sieben- 
bürgen, Moldawa  im  Banat,  Andreasberg  am  Harz  und  der  Vesuv  in  Italien  zu 
nennen,  besonders  reich  scheint  sein  Vorkommen  in  Natolien,  in  Kurdistan  in 
Persien  und  in  Mexiko  zu  sein. 

Das  Mineral  wird  selten,  gewöhnlich  das  nicht  mineralische,  chemisch  dar- 
gestellte As^S,  als  Malerfarbe  verwendet. 

Dem  Auripigment  analog  zusammengesetzt  ist  der  Antimonit  als  Sb|  S3, 
welcher  aber  zu  den  sogen.  Glänzen  (s.  d.)  wegen  des  metallischen  Aussehens 
gerechnet  wird,  dagegen  gehört  zu  den  Blenden  der  Pyrantimonit,  auch 
Pyrostibit  oder  Rothspiessglanzerz  genannt,  als  eine  eigenthümliche  An- 
timonblende,  welche  selten  vorkommend  nadeiförmig  bis  feinfasrig  krystallisirt 
ist,  kirschrothe  Farbe  und  Diamantglanz  hat  und  in  der  Zusammensetzung  be- 
merkenswerth,  Schwefel  und  Sauerstoff  gleichzeitig  mit  Antimon  in  Verbindung  ent- 
haltend, der  Formel  2  SbjSj  -|-Sb|Os  entspricht.  Derartige  Doppelverbindungen 
des  Schwefels  und  Sauerstoffes  sind  selten,  wie  auch  als  solche  der  sehr  selten 
£u  den  Blenden  zu  rechnende  Voltzin  4ZnS  +  ZnO  zu  nennen  ist. 

7.  Der  Pyrargyrit  (der  Name  aus  den  griechischen  Worten  »/jt«  Feuer, 
^argyros€  Silber,  wegen  der  rothen  Farbe  und  des  Silbergehaltes  gebildet),  auch 
Antimonsilberblende  oder  dunkles  Rothgiitigerz  genannt,  krystallisirt 
hexagonal,  rhomboedrisch-hemiedrisch,  ähnlich  wie  Calcit,  s.  pag.  93,  und  die 
Gnindgestalt  ist  ein  stumpfes  Rhomboeder,  dessen  Endkanten  =  108^42'  sind. 
Die  Krystalle  dieses  Minerals,  gewöhnlich  Combinationen,  z.  Th.  sehr  flächen- 
reiche, Hessen  bis  jetzt  schon  über  80  einfache,  in  den  Combinationen  auftretende 
Gestalten  finden.  Sie  sind  gewöhnlich  prismatisch  oder  skalenoedrisch  ausge- 
bildet; bei  den  ersteren  ist  das  hexagonale  normale  Prisma  00  R  oder  das  hexa- 
gonale  diagonale  Prisma  Roo  oder  beide  zugleich  mit  verschiedenen  Rhomboedem, 
namentlich  ^R',  R  und  2R'  und  anderen,  den  Basisflächen  oR  und  Skalenoedem, 
darunter  das  häufigste,  das  spitze  R3  combinirt;  bei  den  vorherrschend  skale- 
noedrisch ausgebildeten  ist  gewöhnlich  R3  zu  bemerken  und  andere  Gestalten, 
wie  Rhomboeder,  Prismen-  und  Basisflächen  untergeordnet  i)  Häufig  finden  sich 
auch  Zwillinge  nach  verschiedenen  Gesetzen  und  z.  Th.  mit  mehrfacher  Wieder- 
holung. Die  Krystallflächen  sind  häufig  gestreift  und  oft  gekrümmt.  Ausser 
krystallisirt  findet  er  sich  derb  bis  eingesprengt,  dendritisch,  traubig,  als  Ueber- 
zug  und  Anflug.  Spaltbarkeit  ziemlich  vollkommen  parallel  den  Flächen  der 
Gnmdgestalt  R,  der  Bruch  ist  muschlig,  uneben  bis  splittrig. 

Er  ist  dunkel  koschenillroth  bis  schwärzlich-bleigrau,  auch  colombinroth,  oft 
schwarz,  blau  oder  bunt  angelaufen,  durchscheinend  bis  fast  undurchsichtig,  hat 
Diamantglanz,  welcher  bei  dunkler  Farbe  bis  halbmetallisch  wird,  hat  koschenill- 
bis  kirschrothen  Strich,  ist  wenig  milde  bis  etwas  spröde,  hat  Härte  =  2,0—2,5 
und  spec  Gew.  =  5,75 — 5,85  und  phosphoresirt  stark  beim  Erhitzen.  — 
sAgjS-SbiSj  mit  60,0^  .  Silber,  22,2  Antimon  und  17,8  Schwefel,  bisweilen 
etwas  Arsen  enthaltend,  welches  als  Stellvertreter  von  Antimon  oder  als  Folge 
von  homologer  Verwachsung  mit  Proustit  oder  von  begleitendem  Proustit  herrührt. 


')  AmnerlniDg:  Zur  Vergleichung  dienen  die  auf  den  beiden  Tafeln  für  Calcit  gegebenen 
Figuren,  weil  die  RrystaUe  des  Calcit  (s.  pag.  93)  denen  des  Pyrargyrit  in  den  Winkeln  und  in 
der  Ausbildung  sehr  nahe  stehen,  nur  noch  reichhaltiger  an  Gestalten  sind. 


88  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

In  Salpetersäure  löslich,  Schwefel  und  Antimonoxyd  ausscheidend;  Kalilauge  zieht 
Schwefelantimon  aus,  welches  aus  der  gelblichbraunen  Lösung  durch  Säure  orange- 
gelb gefällt  wird.  Im  Glasrohre  erhitzt  entwickelt  er  schweflige  Säure  und  es 
bildet  sich  ein  weisses  Sublimat  von  Antimonoxyd;  im  Kolben  zerknistert  er,  schmilzt 
und  giebt  rothes  bis  braunes  Sublimat;  vor  dem  Löthrohre  auf  Kohle  schmilzt 
er  leicht,  entwickelt  schweflige  Säure  und  Antimonrauch,  welcher  die  Kohle  weiss 
beschlägt;  die  durch  Schmelzen  erhaltene  schwarze  Kugel  ergiebt  mit  Soda  leicht 
ein  Silberkom. 

Der  Pyrargyrit  findet  sich  besonders  auf  Gängen  in  krystallinischcn  Schiefem 
und  in  der  Uebergangsformation,  oft  in  Begleitung  von  anderen  Silber  enthalten- 
den Mineralen  und  ist  nicht  selten.  Als  Fundorte  sind  beispielsweise  anzuführen : 
Schemnitz,  Kremnitz  und  Hodritsch  in  Ungarn,  Przibram,  Altwoschitz  und  Ratie- 
borzits  in  Böhmen,  Freiberg,  Schneeberg,  Annaberg  und  Johanngeorgcnstadt  in 
Sachsen,  Gonderbach  bei  Laasphe  in  Westphalen,  Andreasberg  am  Harz,  Maar- 
kirchen im  Elsass,  Kongsberg  in  Norwegen  und  Chafiarcillo  in  Chile;  reichlich 
kommt  er  auch  in  Mexiko  vor  und  ist  ein  sehr  geschätztes  Mineral,  welches  zur 
Gewinnung  des  Silbers  benützt  wird. 

8.  Der  Proustit  (benannt  nach  dem  französischen  Chemiker  I.  I.  Proust) 
auch  Arsensilberblende,  Rubinblende  und  lichtes  Rothgiltigerz  ge- 
nannt, krystallisirt  hexagonal,  rhomboedrisch-hemiedrisch,  isomorph  mit  dem 
Pyrargyrit,  mit  welchem  er  im  Allgemeinen  in  den  Gestaltsverhältnissen  überein- 
stimmt, weniger  reichlicher  vorkommend  nicht  so  mannigfaltige  Formen  zeigt. 
Die  Grundgestalt  desselben  ist  ein  stumpfes  Rhomboeder  R  mit  den  Endkantcn- 
winkeln  ^  107^50',  welchem  auch  die  Spaltungsflächen  entsprechen.  Er  ist, 
worauf  sich  auch  der  Name  lichtes  Rothgiltigerz,  sowie  Rubinblende  bezieht,  meist 
heller  gefärbt  als  der  Pyrargyrit,  das  dunkle  Rothgiltigerz,  koschenill-  bis  karmin- 
roth,  diamantglänzend,  halbdurchsichtig  bis  kantendurchscheinend  und  hat  helleren 
bis  Scharlach-  und  morgenrothen  Strich,  ist  wenig  milde  bis  etwas  spröde,  hat 
Härte  =  2,0 — 2,5  und  etwas  geringeres  spec.  Gew.  =s  5,5 — 5,6. 

3  Ag,  S.  As,  Sj  mit  65;5|f.  Silber,  15,1  Arsen  und  19,4  Schwefel.  Ist 
in  Salpetersäure  löslich,  Schwefel  und  arsenige  Säure  abscheidend.  Kalilauge 
zieht  Schwefelarsen  aus,  welches  aus  der  Lösung  durch  Säure  citronengelb  gefällt 
wird.  Im  Kolben  erhitzt  ist  der  Proustit  leicht  schmelzbar  zu  dunkelbleigrauer 
Masse,  wenig  Sublimat  von  Schwefelarsen  bildend,  im  Glasrohre  erhitzt  entwickelt 
er  schweflige  Säure  und  giebt  Sublimat  von  arseniger  Säure ;  vor  dem  Löthrohre 
auf  Kohle  giebt  er  bei  Geruch  nach  schwefliger  Säure  und  Arsen  ein  sprödes 
Metallkom,  welches  sich  schwierig  zu  Silber  reduciren  lässt 

Im  Vorkommen  und  in  der  Benützung  verhält  sich  der  Proustit  wie  der 
Pyrargyrit  und  als  Fundorte  sind  Freiberg,  Annaberg,  Schneeberg,  Marienberg  und 
Johanngeorgenstadt  in  Sachsen,  Joachimsthal  in  Böhmen,  Wolfach  und  Wittichen 
in  Baden,  Maarkirchen  im  Elsass,  Challanches  in  der  Dauphin^  in  Frankreich, 
Guadalcanal  in  Spanien,  Chanarcillo  und  Copiapo  in  Chile  und  die  Veta  negra 
bei  Sombrerete  in  Mexiko  zu  nennen. 

In  qualitativer  Beziehung  verwandt  ist  dem  Pyrargyrit  der  klinorhombiscl' 
krystallisirende,  dunkelgraue  undurchsichtige  Miargyrit,  welcher  metallischen 
Diamantglanz  und  kirschrothen  Strich  hat,  dem  Proustit  dagegen  der  seltene 
rhomboedrische  dtinn-tafelartig  krystallisirende  Xanthokon,  welcher  orangegelb 
bis  gclblichbraun,  diamantglänzend  und  stark  durchscheinend  ist,  gelben  Strich 
hat.     Der  Miargyrit  enthält  weniger  Silber  als  der  Pyrargyrit,   worauf  sich  sein 


Bryoroen.  ^9 

Xame  bezieht,  ist  AgjS  •  Sb^  S,,  der  Xanthokon  aber  enthält  etwas  mehr  Schwefel 
als  der  Proustit,  ist  vielleicht  2(3  Ag,S  •  AsjSj)  4- 3  Ag,S  •  AsjS^  und  erhielt 
seinen  Namen  wegen  der  gelben  Farbe  des  Striches.  Die  gleichfalls  seltene 
Feuerblende  dagegen,  orangegelbe  bis  röthlichbraune,  durchscheinende,  diamant- 
glänzende feinblättrige  Krystalle  bildend  enthält  Schwefelsilber  und  Schwefelantimon 
in  bis  jetzt  nicht  bestimmtem  Verhältniss. 


Bryozoen 

von 

Dr.  Friedrich  Rolle. 

Die  Bryozoen  oder  Moosthiere,  Bryozoay  zuerst  1828  durch  Ehrenberg 
von  den  Anthozoen  abgetrennt,  sind  Wasser-  und  zwar  meistentheils  Meeres- 
bewohner,  welche  den  Anthozoen  und  Hydroiden  äusserlich  einigermassen  ähn- 
lich erscheinen,  namentlich  ebenfalls  Stöcke  von  mehr  oder  weniger  pflanzen- 
artiger Gestalt  bilden,  aber  im  inneren  Bau  weit  von  den  vorigen  abweichen.  Sie 
bilden  eher  eine  vermittelnde  Stufe  zwischen  niederorganisirten  Würmern  einer 
seits,  Tunicaten  und  Brachiopoden  andererseits. 

Die  Bryozoen  sind  kleine  weiche  Thiere  von  bilateral-symmetrischem  Körperbau, 
namentlich  mit  umgebogener  Verdauungsröhre,  deren  beide  Enden,  Mund  und 
After,  neben  einander  auf  der  Oberseite  liegen  und  die  Mediane  des  Körpers 
bezeichnen. 

Den  Mund  umsteht  ähnlich  wie  bei  Anthozoen  und  Hydroiden,  denen  sie 
von  den  älteren  Zoologen  beigeordnet  wurden,  ein  Fühlerkranz.  Die  Fühler 
oder  Tentakeln,  8 — 16  und  mehr,  sind  einfach  und  fadenförmig,  mit  Wimpern 
besetzt  Die  Verdauungshöhle  besteht  aus  Speiseröhre  (Magen)  und  Darm  und 
zeigt  nichts,  was  an  die  dem  strahligen  Bau  entsprechenden  durch  Mesenterial- 
falten  abgetheilten  Organe  der  Anthozoen  erinnern  könnte. 

Alle  Bryozoen  bilden  Stöcke,  welche  bald  mehr  bald  weniger  denen  der  An- 
thozoen und  der  Hydroiden  ähneln,  so  zwar,  dass  manche  fossile  Formen,  z.  B. 
die  Auloporen  nach  ihrer  systematischen  Stellung  verschiedene  Deutung  zulassen 
können.  (Die  palaeozoischen  Auloporen  stellt  man  zu  den  Anthozoen  —  die 
jurassischen  Auloporen,  AUcto  Lamx.,  dagegen  zu  den  Bryozoen,  ein  Unterschied 
kann  in  der  Art  der  Knospung  und  in  der  Form  der  Ausmflndungen  gefunden 
werden.) 

Die  Bryozoen  zerfallen  nach  der  Gestaltung  des  den  Mund  umstehenden 
Tentakelkreises  und  nach  ihrem  Vorkommen  —  im  Meer  oder  im  Stisswasser  — 
in  zwei  Ordnungen  (Stemmatopoda  und  Lophopoda), 

Wir  beginnen  mit  den  marinen  Bryzoen,  die  auch  allein  kalkige  Stöcke 
erzeugen  und  allein  in  fossilem  Zustand  auftreten.  Es  sind  die  Bryozoen  ohne 
Fühler-Kragen  (Gymnolaema  ^  Stemmatopoda),  Bei  ihnen  stehen  die  Fühler  in 
einfachem  Kreise  um  den  Mund,  ohne  auf  einem  besonderen  Gestell  aufzusitzen. 

Die  äussere  Hautdecke  ist  stark  entwickelt  und  zerfallt  in  zwei  Theile. 
Der  äussere  Theil  bildet  den  Stock  mit  der  Wohnzelle  des  Thieres.  Er  bleibt 
bald  weich  oder  lederartig,  bald  erhärtet  er  homartig,  bald  wird  er  durch  kalkige 
Ausscheidungen  steinhart  und  ist  dann  der  fossilen  Erhaltung  ausgezeichnet  fähig 
der  innere  Theil  der  Haut  bleibt  immer  weich. 


9^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  Individuen  sitzen  in  längeren  oder  kürzeren  Röhren  des  Stockes  und 
vermehren  sich  besonders  durch  seitliche  Knospung,  wobei  sie  theils  —  wie  bei 
Es£hara,  CeUepora  und  Lunulites  —  durch  sogen.  Sprossencanäle  in  unmittelbarer 
Verbindung  bleiben,  theils  durch  nachträgliche  Verkümmerung  derselben  unab- 
hängig von  einander  werden.     Selbsttheilung  der  Individuen  kommt  nie  vor. 

Durch  diese  Vermehrung  mittelst  seitlicher  Knospung  erzeugen  die  meer- 
bewohnenden  Bryozoen  mannigfache,  oft  sehr  zierlich  zusammengesetzte  Stöcke. 
Manche  bilden  einschichtige  oder  mehrschichtige  Ueberzüge  auf  Steinen, 
Muscheln,  Seepflanzen  und  anderen  festen  Grundlagen.  Andere  bauen  erhöhte 
baumförmig  verzweigte,  noch  andere  moosartige  Stöcke  oder  auch  netzförmige 
Fächer  oder  breite  Lappen  darstellende  Stöcke,  die  nur  mit  ihrem  Grunde  auf 
einer  festen  Unterlage  ansitzen. 

Die  Stöcke  sind  bezüglich  der  Gestalt  der  sie  zusammensetzenden  Individuen 
theils  isomorph  —  d.  h.  sie  zeigen  nur  gleichwerthige,  im  Wesentlichen  gleich- 
gestaltete Personen  —  theils  auch  wohl  polymorph  und  enthalten  dann  einzelne 
abweichende  Individuen,  die  zum  blossen  Organ  des  Stockes  umgestaltet  sind. 

In  letzterer  Hinsicht  kommen  namentlich  die  sogen.  Avicularien  oder 
Vogelkopf-Individuen  in  Betracht.  Sie  finden  sich  bei  Cellaria  und  einigen 
anderen  Gattungen. 

Es  sind  am  Stock  angelenkte  bewegliche  Organe,  die  aus  einem  Stiel  und 
einer  die  Gestalt  eines  Vogelkopfs  nachahmenden  Zange  bestehen.  Bei  Cellaria 
stehen  sie  unterhalb  vom  Vorderrand  der  gewöhnlichen  Stock-Individuen.  Sie 
sind  in  beständiger  Bewegung,  öffnen  und  schliessen  abwechselnd  die  beiden 
Arme  der  Zange.  Man  sieht  in  ihnen  verkümmerte  Individuen,  die  zur  Rolle  von 
Vertheidigungsorganen  des  gemeinsamen  Individuen-Stockes  herabgesunken  sind. 
Avicularien  hat  man  zwar  noch  nicht  fossil  gefunden.  Sie  erscheinen  aber  auch 
für  die  Palaeontologie  bedeutsam,  da  sie  in  der  äusseren  Gestalt  mit  manchen 
Brachiopoden,  namentlich  manchen  Teredratula-Aiten  nahe  übereinkommen. 
Die  Brachiopoden  zeigen  nun  auch  in  anderer  Hinsicht^nahe  Beziehungen  zu  den 
Bryozoen,  namentlich  sind  ihre  Jugendformen  denen  der  letzterea  ähnlich.  Man 
vermuthet  darnach,  dass  die  Brachiopoden  in  einer  sehr  frühen  geologischen 
Epoche  sich  von  Bryozoen  —  oder  diesen  sehr  nahe  stehenden  Verwandten  — 
abgezweigt  haben  und  die  Aehnlichkeit  zwischen  den  Vogelkopf-Individuen  der 
Bryozoen  und  dem  Gehäuse  mancher  Terebratulen  noch  einen  späteren  Nachklang 
der  uralten  Stammesabzweigung  der  Brachiopoden  von  den  Bryozoen  darstellt. 

Die  Bryozoen  leben  in  den  heutigen  Meeren  noch  häufig  in  mittleren  und 
geringen  Tiefen.  Die  als  rindenartige  Ueberzüge  auf  Corallen  und  Conchylien 
vorkommenden  Arten  finden  sich  selbst  noch  in  der  Brandung.  In  der  Tiefsec 
finden  sich  aber  noch  einige  Bryozoen  bis  zu  2000  und  3000  Faden  Tiefe,  z.  B. 
in  den  Meeres-Abgründen  an  Japan  und  bevölkern  hier  für  sich  die  sonst  lebens- 
armen Bodenstrecken. 

Bryozoen  mit  kalkig  erhärteten  Stöcken  finden  sich  von  den  ältesten  fossD- 
führenden  Ablagerungen  an  und  in  einzelnen  Schichten  in  grosser  Mannigfaltig- 
keit abgelagert.  Im  cambrischen  Systeme  glaubt  man  schon  Reste  von  Bryozoen 
erkannt  zu  haben  und  in  der  Primordialzone  oder  unteren  Region  des  unteren 
Silursystems  sind  sie  bereits  sicher  vertreten.  Zahlreich  sind  sie  im  mittleren  und 
oberen  Jura  und  in  allen  Etagen  des  Kreide-Systems,  sowie  des  Tertiär-Systems. 
Vorwiegend  aus  Bryozoen-Resten  besteht  namentlich  ein  Lager  der  oberen  Kreide. 


Bryozoen.  91 

die  sogen,  tuffartige  Kreide  von  Mastricht  in  Holland.     Die  flach  ausgebreiteten 
blattartigen  Stöcke  von  Eschara  sind  hier  besonders  häufig. 

Man  thcilt  die  meerbewohnenden  Bryozoen  oder  Stemmatopoden  (Kranz- 
fiissler)  in  zwei  Ordnungen,  die  sich  in  der  Länge  und  Mündungsform  der  Wohn- 
zelle, sowie  nach  dem  Vorhandensein  oder  Fehlen  eines  Deckels,  mit  dem  das 
Thier  seine  Zelle  verschliessen  kann,  unterscheiden,  Cheilostoma  und  Cychstonia, 

Die  erste  Ordnung,  die  Cheilostomen  oder  Meeresbryozoen  mit  Deckel, 
Bryozoa  opercuüfera  (Flustraceen)  begreifen  Formen  mit  kurzer  Wohnzelle,  deren 
Mündung  aus  dem  gemeinsamen  Stocke  nur  wenig  hervorragt.  Die  lebenden 
Arten  besitzen  einen  beweglichen  Deckel ,  mit  dem  das  Thier  die  Mündung 
seiner  Wohnzelle  verschliessen  kann.  Diese  Deckel  finden  sich  aber  leider  bei 
den  fossil  vorkommenden  Formen  nicht  erhalten.  Die  Gestalt  des  Stockes  ist 
bei  ihnen  verschieden,  doch  kommen  besonders  blattförmige  oder  unregelmässig 
lappige  oder  maschenformig  vernetzte  und  flächenhafl  aufsteigende  Stöcke  vor, 
wie  z.  B.  bei  Fhistra^  Eschara,  Membranipora,  Retepora  u.  s.  w.  Aber  auch  ge- 
drängte scheibenförmige  Stöcke  treten  auf,  z.  B.  bei  Lunulites,  Cupularia  u.  a. 

Die  zweite  Ordnung  der  meeresbewohnenden  Bryozoen  begreift  die  Cy- 
clostomen,  auch  Tubuliporinen  genannt.  Sie«besitzen  keinen  Deckel.  Die 
Wohnzellen  der  einzelnen  Individuen  sind  verlängert  und  treten  über  die  Ober- 
fläche des  gemeinsamen  Stockes  hervor.  Die  Mündung  der  Wohnzelle  ist  meist 
kreisrund.     Aufrechte  walzenförmige  verästelte  Stöcke  treten  hier  häufig  auf 

Retepora  Lam.  aus  der  Ordnung  Cheilostomata  mit  aufgerichtetem,  blatt- 
förmigem, maschenartig  vemetztem  Stocke,  der  nur  auf  der  einen  Seite  Wohn- 
zellen trägt,  findet  sich  mit  vielen  Arten  lebend  in  den  heutigen  Meeren,  sowie 
auch  in  tertiären  Schichten  vertreten. 

Retepora  ceüulosa  Lam.  (Die  Neptuns-Manschette)  lebt  im  Mittelmeer  und 
der  Nordsee  und  ist  auch  fossil  vertreten  in  der  mittleren  Tertiärformation  zu 
Turin,  im  Wiener  Becken  u.  s.  w. 

Eine  Menge  mit  Retepora  nahe  verwandter  Gattungen  mit  maschig  ver- 
netztem  Stocke  finden  sich  schon  in  palaeozoischen  Schichten,  z.  B.  Fenestelia 
in  devonischen  und  permischen  Ablagerungen. 

Durch  besonders  seltsame  Gestalt  ausgezeichnet  ist  Archimedipora  Archi- 
^lEDES  Lesueur.,  aus  dem  Kohlenkalk  von  Kentucky.  Der  blattförmig  ausgebreitete 
Stock  dreht  sich  in  zahlreichen  Windungen  schraubenförmig  um  seine  Achse. 

Alecto  Lamx.  (Stomatopora  Bronn),  Ordnung  der  Cyclostomen,  besteht  aus 
längeren  oder  kürzeren  kegelförmigen,  gegen  vom  sich  verdickenden,  röhren- 
förmigen Zellen,  die  auf  fester  Unterlage  (kriechend)  aufwachsen.  Die  Zellenmündung 
ist  oval  und  nicht  aufgerichtet,  wie  bei  der  sehr  ähnlichen,  aber  von  Milne  Edwards 
den  Röhren-Corallen  zugewiesenen  devonischen  Gattung  Aulopora  Goldf. 

AUcto  dichotofna  Lamx.  ist  eine  kleine  Bryozoe,  im  mittleren  und  oberen  Jura 
nicht  selten.  Die  nur  etwa  i — 2  Millim.  langen  aufgewachsenen,  sonst  aber  frei 
verlaufenden  Röhrenzellen  knospen  je  zwei  oder  drei  hinter  einander,  je  eine 
Tochterzelle  aus  dem  vor  der  Mündung  gelegenen  vorderen  und  unteren  Rande 
der  Mutterzelle,  dann  gabelt  sich  die  zweite  oder  dritte  Generation  an  derselben 
Stelle  in  zwei  Tochterzellen.  Häufig  in  den  Spongitenkalken  des  oberen  Jura 
von  Franken  und  Schwaben. 

Lunulites  Lam.  aus  der  Ordnung  der  Cheilostomen  hat  einen  —  wahrschein- 
lich in  der  Jugend  aufgewachsenen,  vielleicht  an  Seepflanzen  sitzenden,  im  Alter 


92  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

freien  —  Scheiben-  oder  flach  kegelföimigen  Stock  mit  flach  ausgehöhlter 
Unterseite.  An  der  flach  gewölbten  Oberseite  öffnen  sich  die  viereckig-runden 
Mündungen  der  vom  Mittelpunkt  in  Radien  regelmässig  ausstrahlenden,  zugleich 
aber  auch  concentrische  Kreise  bildenden  Wohnzellen,  sie  stehen  durch  Sprossen- 
Canäle  miteinander  in  Verbindung.  Lunuätes- Alten  finden  sich  in  der  oberen 
Kreide  und  in  Tertiär-Schichten.  Die  Gattung  Cupularia  Lamx.,  ebenfalls  ein 
Cheilostome,  ist  ähnlich,  aber  die  Zellenmündungen  stehen  auf  der  Oberseite  in 
mehreren  vom  Scheitel  des  Stockes  ausstrahlenden  Spiralreihen.  Arten  ebenfalls 
in  der  oberen  Kreide  und  in  Tertiärschichten. 

Wir  müssen  mit  den  Meeres-Bryozoen  abschliessen.  Bronn  (1858)  führt  1442 
fossil  bekannte  Arten  auf.  Seither  ist  ihre  2^hl  noch  weiter  angewachsen. 
Barrande  (1872)  kennt  allein  in  der  silurischen  Formation  schon  478  Arten. 

Es  giebt  in  der  heute  lebenden  Fauna  auch  einige  Gattungen  Süsswasser- 
Bryozoen  (Plumatella^  Cristatella,  Alcyonella)  y  die  in  stehenden  und  langsam 
fliessenden  Gewässern  an  Wasserpflanzen,  an  Steinen  und  an  Holzstücken  sitzen. 
Sie  bilden  gleich  den  Meeresbryozoen  Stöcke,  in  denen  die  röhrenförmigen  In- 
dividuen sich  durch  Knospung  vermehren,  aber  die  Hautdecke  bleibt  weich  oder 
lederartig,  scheidet  keinen  Kalk  ab  und  eignet  sich  daher  nicht  zur  fossilen 
Erhaltung.  Bei  diesen  Süsswasser -Bryozoen  (Lophopoda^  Plumatelliden  oder 
Federbusch-Bryozoen)  stehen  die  zahlreichen  Fühler  auf  zwei  armartig  vortretenden, 
den  Mund  in  Hufeisenform  umgebenden  Hervorragungen,  die  an  die  ähnlichen 
Organe  bei  Brachiopoden  und  bei  Acephalen  erinnern.  Dies  ist  das  sogen. 
Lophophor  oder  der  Fühlerträger. 

Die  einzigen  hartschaligen  Theile  der  Lophopoden  sind  die  verhältniss- 
massig  grossen  mit  Stacheln,  die  in  ein  paar  kurze  Widerhaken  enden,  be- 
setzten überwinternden  Eier  oder  sogen.  Wintereier  (Statoblasten).  Sie  haben 
äusserlich  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  überwinternden  Conjugations-Sporen  der 
Desmidiaceen  (einzellige  Algen).  Aehnliche  Körperchen  kommen  fossil  in  Feuer- 
steinen der  oberen  Kreideformation  vor,  Ehrenberg  beschrieb  sie  als  Desmidia- 
ceen, TuRPiN  hielt  sie  flir  hartschalige  Bryozoen-Eier.  Sonst  ist  von  Lophopoden 
noch  keine  Spur  fossil  vorgekommen.  Wahrscheinlich  waren  sie  aber  in  den 
früheren  Perioden  reichlich  vertreten  und  ihre  zwei  den  Mund  umstehenden 
Arme  deuten  auf  uralten  Stammesverband  mit  den  ältesten  Ursprüngen  der 
Brachiopoden  und  Acephalen. 


Carbonate 


von 


Professor  Dr.  Kenngott. 

Die  Kohlensäure,  auch  Kohlendioxyd  genannt,  CO^  aus  27,27}  Kohlen- 
Ktoff  und  73,73 1(  Sauerstoff  bestehend,  gehört  als  Bestandtheil  von  Mineralen  zu 
denjenigen  wenigen  Stoffen,  welche  allgemein  verbreitet  sind  und  in  sehr  grosser 
Menge*  vorkommen,  während  sie  flir  sich  als  Gas  in  der  Erdrinde  vorkommend 
i»inc*  ufitrr^,#'«;nlnctc  Rolle  spielt.  Die  Verbindungen  der  Kohlensäure  mit  gewissen 
^»gcnMiifiirn  MM«irn,  Saucrstoflverbindungen  verschiedener  Metalle,  werden  im 
AU|(CMi«'iii<'ri  i  Mrboniilc  genannt  (von  dem  lateinischen  Namen  Carhonmm  des 
KohlrnM«/fft»;  lind  dicNc  sind  entweder  wasserfreie  oder  wasserhaltige. 
IJcticrMu»  WM  htig  uU  Minerale  sind  die  wasserfreien  Carbonate,  von  denen  die 


Kenn^oll,  Uinenloji«  "Ml  L. 


Tij.l. 


K*.3. 


Kenngötr.  Mmenlo^ie  l^IL 


R*Ä. 


Rj.;iO. 


H^.  28. 


Fi^.  19. 


«R 


m,  22. 


•efR 


Äfr  26, 


n§.23 


?i^.24. 


Fig.  29. 


Rg.  27. 


Fig.  30 


Hit.  31. 


Tig.  32. 


Fig.  33 


Carbonate.  93 

wichtigsten  hier  beschrieben  werden  sollen,  während  die  wasserhaltigen,  bis  auf 
wenige  Ausnahmen  untergeordnete  Bedeutung  haben. 

Die  wasserfreien  Carbonate  sind  Verbindungen  der  Kohlensäure  mit  Basen, 
deren  allgemeine  Formel  RO  ist,  wie  mit  Kalkerde  (Calciumoxyd,  CaO), 
Magnesia  (Bittererde,  Magnesiumoxyd,  MgO),  Strontia  (Strontiumoxyd,  SrO), 
Baryterde  (Baryumoxyd,  BaO),  Eisenoxydul  (FeO),  Manganoxydul  (MnO), 
Kobaltoxydul  (CoO),  Zinkoxyd  (ZnO)  und  Bleioxyd  (PbO).  Alle  diese  Ver- 
bindungen sind  nach  der  allgemeinen  Formel  RO  •  CO^  (wofür  neuerdings  RCO3 
geschrieben  wird)  gebildet  und  zwar  in  der  Weise,  dass  in  solchen  Verbindungen 
entweder  nur  eine  Basis  allein  auftritt,  oder  dass  darin  auch  zwei  oder  mehr  zu 
gleicher  Zeit  als  basische  Bestandtheile  enthalten  sind,  wodurch  die  einzelnen 
Mineralarten  in  der  Reihe  der  Carbonate  in  ihrer  Abgrenzung  gegeneinander  nicht 
immer  scharf  genug  geschieden  werden  können.  Es  sind  hierbei  die  Arten  nach 
den  in  der  Verbindung  als  wesentlich  hervortretenden  Basen  zu  trennen.  In 
kiystallographischer  Beziehung  sind  diese  Verbindungen  RO  •  CO^  bis  auf  eine 
Ausnahme  darin  bemerkenswerth,  dass  sich  zwei  Reihen  aufstellen  lassen,  näm- 
lich hexagonale  Species  mit  rhomboedrischer  Hemiedrie  und  orthorhom- 
bische.  Unter  allen  diesen  Carbonaten  ist  die  wichtigste  Verbindung  die 
kohlensaure  Kalkerde  CaO  •  COj  (das  Calciumcarbonat  CaCOj),  welche 
zugleich  dimorph  ist,  zwei  krystallographisch  verschiedene  Arten  bildet,  den  hexa- 
gonalen  Calcit  und  den  orthorhombischen  Aragon  it. 

I.  Der  Calcit  (so  benannt  als  Carbonat  des  Calciumoxydes,  der  Kalkerde), 
auch  schlichthin  Kalk  genannt,  ist  eine  durch  ihre  weite  Verbreitung  und 
mxissenhafte  Ausbildung  mineralogisch  und  petrographisch  höchst  wichtige  Species, 
welche  unter  allen  bis  jetzt  bekannten  Mineralen  die  grösste  Mannigfaltigkeit  der 
Ausbildung  zeigt,  wesshalb  viele  Varietäten  unterschieden  wurden. 

Er  findet  sich  zunächst  ausserordentlich  häufig  krystallisirt  und  die  Krystalle 
sind  fast  immer  aufgewachsene,  in  den  verschiedensten  Hohlräumen  von  Gebirgs- 
arten,  in  Gängen,  Adern,  Drusen,  Nestern  und  in  Blasenräumen,  von  sehr  ver- 
schiedener Grösse,  Schönheit  und  Vollkommenheit  der  Ausbildung,  sehr  gross 
bis  mikroskopisch  klein.  Die  Krystalle  zeigen  gegenüber  anderen  Arten  die 
grösste  Zahl  verschiedener  Gestalten,  einfache  und  zahlreiche  Combinationen. 
Unter  den  bekannt  gewordenen  Gestalten  sind  besonders  zahlreich  die  Rhom- 
boeder  (über  50)  und  die  Skalenoeder  (über  150).  Unter  den  Rhomboedem  ist 
als  Gnindgestalt,  von  welcher  alle  anderen  Gestalten  ableitbar  sind,  das  Rhom- 
boeder  R  mit  dem  Endkantenwinkel  =  105° 5'  ausgewählt  worden;  parallel  den 
Flächen  desselben  sind  die  Krystalle  und  der  krystallinische  Calcit  überhaupt 
vollkommen  spaltbar  und  wegen  dieser  vollkommenen  Spaltbarkeit  wurde  der 
trystallisirte  und  der  deutlich  krystallinische  Calcit  Kalkspath  (späthig  soviel 
als  spaltbar)  genannt,  dieser  Name  auch  als  Speciesname  gebraucht. 

Das  als  Grundgestalt  gewählte  Rhomboeder  R^)  findet  sich  verhältnissmässig 
selten  für  sich  als  Krystallgestalt,  häufig  dagegen  in  Combinationen,  öfterer  aber 
iiir  sich  das  stumpfere  Rhomboeder  in  der  Gegenstellung  ^R'  mit  dem  Endkanten- 
i^-inkel  =  134^57'  und  das  spitzere  Rhomboeder  in  der  Gegenstellung  2R'  mit 
dem  Endkantenwinkel  =  78°  51'.  Ausser  diesen  drei  Rhomboödern  sind  noch 
beispielsweise  zu  nennen  das  spitzere  Rhomboc^der  ^R'  mit  dem  Endkantenwinkel 

')  (Siehe  die  auf  Tafel  I  und  II  angegebenen  wichtigsten  einfachen  Gestalten,  denen  auch 
einige  Combinationen  beigefügt  sind,  welche  als  solche,  oder  als  Träger  fiächenreicherer  Com- 
binationen vorkommen.) 


94  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

=  95° 28',  das  spitze  |R'  mit  den  Endkanten  =  88°i2',  das  spitzere  4R  mit  den 
Endkanten  =  65° 48',  das  spitze  Rhomboeder  8R'  mit  den  Endkanten  =  60^33'» 
das  spitze  Rhomboeder  16  R  mit  den  Endkanten  =s  60°  20',  das  stumpfe  Rhom- 
boeder |R  mit  den  Endkanten  =  156° 2'.  In  Betreff  der"  angegebenen  Winkel 
ist  zu  bemerken,  dass  der  Endkantenwinkel  der  Grundgestalt  R  105^5'  ein  Mittcl- 
werth  ist,  im  Allgemeinen  die  Messungen  verschiedener  Vorkommnisse  um  105" 
herum  schwanken,  worauf  besonders  stellvertretende  unwesentliche  Bestandtheile 
Einfluss  haben.  Auf  den  Mittelwerth  105^5'  beziehen  sich  die  übrigen  Winkel- 
angaben der  von  R  abgeleiteten  Gestalten  und  für  die  Rhomboeder  wrd  gewöhn- 
lich nur  der  Endkantenwinkel  angegeben,  während  der  Seitenkantenwinkel  der 
Ergänzungswinkel  des  Endkantenwinkels  zu  180°  ist. 

Häufig  finden  sich  die  Schlussglieder  der  Rhomboederreihe,  die  Basisfläche 
oR  in  Combination,  sowie  das  normale  hexagonale  Prisma  00  R,  oft  beide  mit- 
einander, desgleichen  auch  das  diagonale  hexagonale  Prisma  Rex>,  das  Endglied 
der  spitzen  Skaleno^der.  Unter  den  Skalenoedem  findet  sich  am  häufigsten  das 
spitze  Skalenoeder  R3  (oft  für  sich  allein);  es  hat  die  Endkanten winkel  144^24' 
und  104° 38',  die  Seitenkantenwinkel  =  132^59',  häufiger  sind  die  spiteen,  weniger 
häufig  die  stumpfen  Skalenoeder;  als  Beispiele  sind  nachfolgende  anzuführen:  R2, 
desser^  Endkanten  =  i55°'50  und  io2°ii',  die  Seitenkanten  =  ii3°45',  R5  mit 
den  Endkanten  =  134°  28'  und  109°!',  den  Seitenkanten  =  150^44';  JR3  mit  den 
Endkanten  =  154° 24'  und  138^5',  den  Seitenkanten  64^54'  und  2R'2  mit  den 
Endkanten  =  153^16'  und  92^9'  und  den  Seitenkanten  =  135°  18'.  Seltene  Ge- 
stalten sind  die  dodekagonalen  Prismen  und  diagonale  hexagonale  P3rramiden. 

Die  Zahl  der  Combinationen,  von  denen  oft  sehr  flächenreiche  beschrieben 
worden  sind,  ist  überaus  gross,  indem  bereits  über  800  bekannt  sind  und  immer 
wieder  neue  gefunden  werden.  Nach  der  Ausbildung  der  vorherrschenden  Ge- 
stalten sind  sie  stumpf-  oder  spitz- rhomboedrische,  spitz-  oder  stumpf-skalenot- 
drische,  prismatische,  lang-  oder  kurz-prismatische  und  basische  oder  tafelartige. 
Die  grosse  Mehrzahl  der  Combinationen  zeigt  das  normale  hexagonale  Prisma  00  R, 
oder  das  Rhomboeder  JR'  oder  das  Rhomboeder  2R'  oder  das  Skalenoeder  Rü 
als  vorherrschende  Gestalt.  Die  Krystalle  zeigen  ausser  unregelmässiger  Aus 
bildung,  welche  bei  einem  so  vielfach  krystallisirten  Minerale  nicht  auffallen  kann, 
die  Flächen  einzelner  Gestalten  häufig  gestreift,  auch  drusig  bis  rauh,  selbst  ge- 
krümmt und  sogar  die  Spaltungsflächen  sind  bisweilen  gestreift  oder  gekrümmt, 
obwohl  sie  im  Allgemeinen  vollkommen  sind.  Bei  der  starken  Krystallisations- 
tendenz  des  Minerals  beobachtet  man  oft  interessante  Wachsthumsverhältnisse, 
wie  z.  B.  Ueberwachsungen  in  bestimmter  Form  ausgebildeter  Krystalle  mit  Wechsel 
in  der  Gestalt,  wodurch  die  durch  Ueberwachsung  gebildeten  Individuen  eine 
andere  Combination  zeigen,  als  der  von  der  vergrössemden  Substanz  umschlossene 
Krystall.  Solche  über\vachsene  Krystalle  sieht  man  bisweilen  deutlich  im  Inneren 
und  kann  sie  mitunter  herauslösen.  In  der  Regel  findet  man  dann  auf  der  Ober- 
fläche des  überwachsenen  Krystalles  kleine  Kry ställchen  eines  anderen  Mineralen 
oder  pulverulente  Substanz  als  Ueberzug,  welcher  die  Vergrösserung  der  IndiNi- 
duen  nicht  hinderte,  dagegen  Einfluss  auf  den  Wechsel  der  Form  ausgeübt  zu 
haben  scheint. 

Die  Krystalle  enthalten  auch  oft  andere  Minerale  als  zufällige  Einschlüsse, 
welche  Erscheinung  sowohl  hier,  wie  bei  anderen  Mineralen  insofern  von  Interesse 
ist,  als  man  dadurch  auf  gewisse  genetische  Verhältnisse  schliessen  kann.  Solche 
Einschlüsse  anderer  Minerale  haben  im  Allgemeinen  keinen  besonderen  £influ$> 


Carhonate.  95 

auf  die  äussere  Fonn,  zumal  die  Krystallisationstendenz  des  Calcit  eine  so  emi- 
nente ist,  dass  selbst  grosse  Mengen  eingeschlossener  fremder  Substanz  vorhanden 
sind  und  die  Calcitkrystalle  doch  ihre  bestimmte  Gestalt  haben.  Das  interessan- 
teste Beispiel  dieser  Art  sind  die  mit  feinem  Sand  erfüllten  spitzen  Rhomboeder  2R' 
von  Bellecroix  bei  Fontainebleau  böi  Paris,  welche  krystallisirter  Sandstein 
genannt  wurden,  weil  sie  wie  Sandstein  aussehen.  Die  quantitative  Untersuchung 
ergab  50  bis  80^  Sand.  Solche  Krystalle  fanden  sich  auch  an  anderen  Orten, 
wie  bei  Sievring  unweit  Wien,  bei  Brilon  in  Westphalen  u.  a.  m.  Wie  hier  der 
Sand,  so  können  auch  andere  Mineralsubstanzen  in  grosser  Menge  in  Calcit- 
krystallen  eingeschlossen  sein,  wie  z.  B.  feinschuppiger  Chlorit  in  Skalenoedem  RS 
im  Tavetschthale  in  der  Schweiz. 

Oft  bilden  die  Calcitkrystalle  Zwillinge  und  zwar  nach  verschiedenen  Gesetzen, 
so  nach  den  Flächen  des  Rhombo^ders  R  Contactzwillinge,  wobei  die  Hauptachsen 
beider  Individuen  unter  90^48'  gegeneinander  geneigt  sind,  femer  nach  den  Flächen 
des  Rhombo^ders  ^R',  wobei  die  Hauptachsen  beider  Individuen  unter  i27°3o'  gegen 
einander  geneigt  sind,  und  nach  dem  normalen  Prisma  00  R,  wobei  aber  die  Basis- 
fläche Verwachsungsfläche  ist  und  die  Hauptachsen  beider  Individuen  zusammen 
faDen.    Solche  besonders  bei  dem  Skalenoöder  R3  (Fi«^.  32  u.  33  auf  Tafel  II)  und 
damit  zusammenhängenden  Combinationen  ausgebildet  bilden  Contact-  und  auch 
Penetrationszwillinge.     Besonders  häufig  erscheinen  die  Krystalle  gruppirt,  z.  Th. 
mit  homologer  Stellung  der  verwachsenen  Individuen,  so  reihenförmige,  treppen - 
förmige,  oder  pyramidale  Gruppen  bildend,  z.  Th.  mit  divergirender  Stellung,  so 
büschelige,  garbenförmige,  rosettenförmige  oder  kugelige  Gruppen  bildend.    Solche 
Grappen  gehen  bei  undeutliche4r  Ausbildung  der  nach  aussen  sichtbaren  Krystall- 
theile  über  in  kuglige,  konische,  zapfen-  und  röhrenförmige,  plattenförmige  u.  a. 
Gestalten,  welche  im  Inneren  eine  stenglige  bis  fasrige  krystallinische  Absonderung 
zeigen.     Hierbei  sind  besonders  zu  erwähnen  die  sogen.  Tropfsteinbildungen 
des  Calcit,    welche   in    den  sogen.  Tropfsteinhöhlen  sehr  häufig  und  z.  Th.  in 
grossartigem  Maassstabe  auftreten.     Durch   das    an  den  Wänden  oder  von   der 
Decke  durchsickernde  Wasser,  welches  das  Kalkcarbonat  aufgelöst  enthält  und 
zwar  als  Bicarbonat,  mit  doppelt  soviel  Kohlensäure,  setzt  den  Calcit  ab,  indem 
die  Hälfte    der  Kohlensäure    an   der  Luft   entweicht   und  es  entstehen  dadurch 
krammfiächige  Ueberzüge    an   den  Decken  und  Wänden,    an  denen  sich  durch 
weitere  Absätze  aus  dem   fortwährend  durchsickernden  Wasser  stalaktitische  Ge- 
stalten  der  verschiedensten  Form  ansetzen,    von  denen  die  konischen,    zapfen- 
förmigen  bis  säulenförmigen  im  Inneren  und  Aeusseren  am  regelmässigsten  gestaltet 
sind,  von  den  Decken  und  schrägen  Wänden  einzeln  oder  miteinander  verwachsen 
herabhängen.     Solche  Gestalten  bauen  sich  auch  vom  Boden  aus  durch  herab- 
tropfendes Wasser  auf  und  werden  im  Gegensatze  zu  den  herabhängenden,  den 
Stalaktiten,  Stalagmiten  genannt.    Auf  diesen  Unterschied  ist  indess  kein  grosser 
Werth  zu  legen,  weil  man  bei  anderen  Mineralen,  welche  auch  ähnlich  gebildete 
Absätze  aus  Wasser  bilden,  auf  diesen  Unterschied  der  Stellung  nicht  Rücksicht 
nimmt,   sie  allgemein  stalaktitische  Gebilde  nennt.    Durch  Verwachsung  der  ein- 
zelnen stalaktitischen  Gestalten  entstehen  andere  zusammengesetzte  krummßächige 
Gestalten  und  alle  solche  Vorkommnisse  werden  als  Kalksinter  oder  Sinter- 
kalke benannt,  wozu  dann  noch  Absätze  aus  abßiessendem  Quellwasser  gerechnet 
werden,  welche  lagenweise  übereinander  gebildet,  z.  Th.  mächtige  Massen  bilden. 
Dieselben  haben  auch,  wie  die  Tropfsteinbildungen  dies  oft  deutlich  zeigen,  eine 
der  Oberfläche  entsprechende  krummschalige  Absonderung,  während  in  der  Rieh- 


96  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

tung  des  Aufbaues  stengiige  bis  fasrige  Absonderung  zu  bemerken  ist,  weniger 
wie  bei  grossen  stalaktitischen  Gebilden  krystallinisch-kömige  bis  blättrige. 

Bevor  noch  andere  Varietäten  des  Calcit  erwähnt  werden,  ist  in  Betreff  der 
Eigenschaften  des  Calcit  überhaupt  anzuführen,  dass  derselbe  vollkommen  un- 
metallisches Aussehen  hat.  Er  ist,  wenn  e/  ganz  rein  ist,  weiss,  und  bei  voll- 
kommener Durchsichtigkeit  farblos.  Das  in  dieser  vollkommensten  Reinheit  aus- 
gezeichnetste Vorkommen  ist  als  sogen,  isländischer  Doppelspath  bekannt 
Dieser  findet  sich  als  grosskrystallinisch-körnige  Ausfüllung  einer  etwa  i  Meter 
breiten  und  gegen  8  Meter  langen  Spalte  am  nördlichen  Ufer  des  Rodefjordcs 
auf  der  Ostküste  von  Island  vor,  welche  in  Dolerit  bis  zu  unbekannter  Tiefe 
fortsetzt.  Dieser  durch  seine  Reinheit  und  Klarheit  ausgezeichnete  Kalkspath 
wurde  Doppelspath  genannt,  weil  man  durch  ihn  die  Gegenstände  doppelt 
sieht  und  diese  Eigenschaft,  die  doppelte  Strahlenbrechung,  an  ihm  entdeckt 
wurde.  Kalkspath  von  anderen  Fundorten  zeigt  übrigens  diese  Eigenschaft  auch, 
wenn  er  durchsichtig  genug  ist. 

Ausser  weiss,  beziehungsweise  farblos,  findet  sich  der  Calcit  gefärbt,  grau, 
gelb,  roth,  braun,  schwarz,  grün,  blau  und  lila  und  die  Farben  sind  gewöhnlich 
durch  Beimengungen  bedingt,  er  ist  durchsichtig  bis  undurchsichtig,  hat  glas- 
artigen Glanz,  bisweilen  in  Wachsglanz  geneigt  oder  bis  perlmutterartigen,  be- 
sonders auf  den  Basisflächen.  In  der  Stärke  wechselt  der  Glanz  von  spiegel- 
flächig glänzenden  Krystall-  oder  Spaltungsflächen  an  bis  zum  Matten.  Das  Stiich- 
pulver  ist  weiss  oder  wenig  gefärbt,  bei  Varietäten,  welche  durch  Pigmente,  vne 
Kohlenstoff,  Eisenoxyd,  Eisenoxydhydrat  u.  a.  stark  gefärbt  sind.  Er  ist  wenig 
spröde  und  hat  eine  geringe  Härte,  welche  als  H.  =  3  als  dritter  Härtegrad  bei 
der  Bestimmung  anderer  Minerale  bezeichnet  wird,  wie  sie  am  krystallisirten 
Calcit  und  an  deutlich  spaltbaren  krystallinischen  gefunden  wird,  während  ge- 
wisse Varietäten,  wie  der  dichte  und  erdige  weniger  hart  sind.  Das  spec.  Gew. 
im  Mittel  «=  2,7,  variirt  wenig,  zwischen  2,6  —  2,8,  selten  werden  diese  Grenzen 
durch  besondere  Umstände  überschritten. 

Die  chemische  Formel  des  Calcit  ist  CaO  •  CO,  oder  CaCO,  entsprechend 
56^  Kalkerde  und  44^  Kohlensäure,  doch  ist  damit  nur  die  wesentliche  Zusammen- 
setzung ausgedrückt.  Kein  Calcit  ist  absolut  reine  kohlensaure  Kalkerde  in  dem 
angegebenen  Verhältnisse,  selbst  nicht  der  isländische  Doppelspath,  in  welchem 
von  Stromeyer  in  100  Theilen  56,15  Kalkerde,  43,70  Kohlensäure  und  0,15  Eisen- 
und  Manganoxyd  gefunden  wurden.  Die  Abweichungen  von  der  wesentlichen 
Mischung  und  Formel  werden  entweder  durch  sogen,  stellvertretende  Bestand* 
theile  hervorgerufen,  indem  weniger  oder  mehr  geringe  Mengen  anderer  Basen 
einen  Theil  der  Kalkerde  ersetzen,  wie  namentlich  oft  Magnesia,  oder  Eisen- 
oxydul, Manganoxydul,  Bleioxyd  (in  der  Plumbocalcit  genannten  Varietät\ 
Zinkoxyd  (in  der  Spartait  genannten  Varietät),  Baryterde  (in  der  Neotyp  ge- 
nannten Varietät),  durch  welche  stellvertretende  Basen  zum  Theil  Winkel- 
difTerenzen,  sowie  Unterschiede  im  Gewicht  und  in  der  Härte  bedingt  werden. 
Oder  es  finden  sich,  was  noch  häufiger  der  Fall  ist,  fremdartige  Substanzen  bei- 
gemengt, wie  sehr  oft  Eisenoxydhydrat,  Eisenoxyd,  Manganverbindungen.  Kohlen- 
stoff, Bitumen,  Kieselsäure,  Thon  u.  s.  w. 

Der  Calcit  ist  in  kalter  verdünnter  Salzsäure  mit  starkem  Aufbrausen  löslich. 
wobei  die  Kohlensäure  entweicht  und  wenn  man  der  Lösung  etwas  Schwefel- 
säure zuscUt.  so  entsteht  ein  meist  teinkrystallinischer  weisser  Niederschlag  >«»n 
Clyps.    Vor  dem  Löthrohre  erhiut  verliert  er  die  Kohlensäure  und  die  Kalkcrde 


Gurbonate.  97 

bleibt  zarttck,  (er  brennt  sich  kaustisch),  welche  bei  dem  starken  Erhitzen 
leachtet  (phosphorescirt).  An  der  Luft  ist  er  beständig,  dagegen  wird  er  im 
Inneren  der  £rde  sehr  langsam  durch  Wasser,  besonders  Kohlensäure  enthaltendes 
aufgelöst,  welche  Lösung  zur  Bildung  der  Krystalle  in  Hohlräumen,  der  Tropf- 
steine und  Sinterkalke  und  anderer  Varietäten  Veranlassung  giebt. 

Als  Varietäten  des  Caldt  sind  noch  nachfolgende  anzuführen,  welche  meist 
in  grossen  Massen  als  Gebirgsarten  (Gesteinsarten,  s.  d.  Artikel)  vorkommen  und 
deshalb  hier  nur  in  Kürze  erwähnt  werden: 

Der  krystallinisch -körnige  Kalk  oder  Marmor.  Derselbe  zeigt  in  der 
Grösse  des  Kornes  grosse  Verschiedenheit,  ist  gewöhnlich  grob-,  klein-  bis  fein- 
körnig und  zeigt  auf  den  frischen  Bruchßächen  der  Stücke  die  glänzenden 
Spaltungsflächen  der  miteinander  verwachsenen  Krystallkömer.  Aus  diesem  Grunde 
entstand  von  dem  griechischen  Worte  ^marmaireint  glänzen  oder  schimmern,  oder 
*marmaros€  glänzend,  schimmernd,  der  Name  Marmor,  weil  die  schon  in  alten 
Zeiten  von  Griechen  und  später  von  Römern  zu  Statuen,  Tempeln  u.  s.  w.  ver- 
wendeten klein-  und  feinkörnigen  Kalke,  selbst  verarbeitet,  immer  diesen  eigen- 
thümlichen  Glanz  bis  Schimmer  zeigen.  Dadurch  lassen  sich  die  krystallinisch- 
kömigen  Kalke  jederzeit  als  solche  leicht  erkennen  und  unterscheiden,  weshalb 
es  zweckmässig  ist,  wenigstens  mineralogisch  diese  Varietät  ausschliesslich  Marmor 
zu  benennen,  abgesehen  von  dem  viel  weiter  gehenden  Gebrauche  (oder  vielmehr 
Missbrauche)  des  Namens  Marmor.  Die  klein-  und  feinkörnigen,  wenn  sie  weiss 
sind,  heissen  im  Besonderen  Statuenmarmor  wegen  der  bevorzugten  Ver- 
wendung. Als  solche  waren  schon  im  Alterthum  bekannt  und  berühmt  der 
pari  sehe  Marmor,  das  Material  der  griechischen  Künstler  in  ihrer  höchsten 
Blüthe,  von  der  Insel  Faros,  der  pentelische  Marmor  im  Norden  von  Athen 
vorkommend,  woraus  die  Akropolis  gebaut  ist,  der  seit  der  römischen  Kaiserzeit 
geschätzte  lunensische  oder  carrarische  Marmor,  welcher  auf  der  Westseite 
der  appeiminischen  Alpen  bricht,  die  im  Golf  von  Spezzia  steil  an  das  Meer  treten 
und  bis  zum  Gipfel  von  1570  Meter  Höhe  dieses  herrliche  Gestein  bilden.  Es 
zeichnet  sich  durch  grosse  Reinheit  aus.  Als  Statuenmarmor  erfordert  der  Marmor 
zum  künstlerischen  Gebrauche  überhaupt  diese  Reinheit  und  eine  gewisse  Gleich- 
massigkeit  der  Ausbildung,  um  möglichst  grosse  Blöcke  davon  gewinnen  zu 
können^  während  die  Farbe  des  Marmors  durchaus  nicht  immer  die  weisse  ist. 
Geringe  Mengen  beigemengter  fremder  Substanzen  verändern  die  Farbe,  wodurch  er 
wie  die  Krystalle  des  Calcit  ins  Graue,  Gelbe,  Braune,  Blaue,  Rothe  und  Schwarze 
übergeht  Solche  gefärbte  Marmore  werden  auch  vielfach  gebraucht,  auch  eigens 
benannt,  wie  der  schwarze  wegen  des  Kohlenstoffgehaltes  Anthrakolith,  der 
mit  Glimmerblättchen  durchwachsene  Ci polin,  der  mit  Serpentin  durchzogene 
Ophicalcit,  der  mit  Brucit  durchwachsene  von  Predazzo  in  Tyrol  Predazzit 
u.  a.  m.  Die  weissen  oder  hell  gefärbten  Marmore  sind  an  den  Kanten  durch- 
scheinend, dunkel  geerbte  bis  undurchsichtig.  Der  Glanz  verliert  sich  allmählich 
mit  der  Abnahme  der  Grösse  des  Kornes,  mit  welcher  der  Marmor  in  dichten 
Kalk  übergeht 

Der  krystallinisch-blättrige  Kalk  (Schieferspath  genannt)  ist  selten 
und  wird  als  feinschuppiger  auch  Schaum  erde  genarmt 

Der  dichteKalk,  gewöhnlich  Kalkstein  genannt,  bei  plattenfbrmiger  Ab- 
sonderung auch  Kalkschiefer,  erscheint  unkrystallinisch  dicht,  hat  im  Grossen 
moschligen  bis  fast*  ebenen  Bruch  und  die  Bruchflächen  sind  dabei  oft  splittrig. 
Derselbe  bildet  massenhaft  vorkommend  ein  wichtiges  Gebirgsgestein,  ist  nie  ganz 

KxvNCOTT,  Min.,  Gcol.  u.  Pal.    L  7 


9B  Mineralogie,  Geologie  and  Palaeontologie. 

rein,  daher  nicht  weiss,   sondern  immer  gefärbt,  bisweilen  schwach,  gewöhnlich 
grau  bis  schwarz,    gelblichgrau,  graulichgelb  bis  braun,  röthlichbraun  bis  roth. 
Die  Färbung   ist  einfach  oder  bunt,    bisweilen   mit   verschiedenartiger  Farben- 
zeichnung,   aus  welchem  Grunde   solche   Kalksteine   auch    geschnitten   und  ge- 
schliffen verarbeitet  ein  schönes  Aussehen  haben  und  bunter  Marmor  heissen. 
Der  Kalkstein  ist  wenig  durchscheinend  bei  heller  Färbung,  kantendurchscheinend 
bis  undurchsichtig,  wenig  schimmernd  bis  matt.     Nach  den  Beimengungen  führt  er 
auch  verschiedene  Namen,  wie  krystallinische  Kalke,  so  heisst  Anthrakolith  oder 
Anthrakonit,  auch  Kohlenkalk  der  graue  bis  schwarze,  durch  Kohlenstoff  ge- 
färbte, Siderokonit  der  durch  Eisenoxydhydrat  gelb  bis  braun  gefärbte,  Stink- 
kalk der  mit  kohlig-bituminösen  Substanzen  erfüllte,  welcher  beim  Zerschlagen 
oder  Reiben  unangenehmen  Geruch  entwickelt,  Kieselkalk  der  mit  Kieselsäure 
gemengte,  Mergel-  oder  Thonkalk  der  mit  Thon  gemengte  u.  a.  m.     Als  Ge- 
birgsgesteine  enthalten  die  Kalksteine  sehr  häufig  Versteinerungen,  nach  denen  sie 
in  geologischer  Beziehung  Namen  führen,  wie  z.  B.  Enkrinitenkalk,  Nummuliten- 
kalk,  Orthoceratitenkalk,  Muschelkalk  u.  dergl.    Ein  solcher  Muschelkalk  ist  auch 
der  triasische  M  u  sehe  Im  arm  or  vom  Bleiberge  in  Kämthen,  welcher  als  dunkel- 
grauer Kalkstein  viele  Muscheln  und  Schaalentrümmer  von  Ammoniten  enthält, 
welche    letzten  besonders  wie  Perlmutter  die  schönsten  bunten  Farben  zeigen. 
Aus  diesem  Grunde  wird  er  vielfach  verarbeitet,  indem  durch  das  Schleifen  und 
Poliren  die  Farbeneffecte  erhöht  werden. 

Der  erdige  Kalk,  mächtige  Gebirgsmassen  bildend,  Kreide  genannt,  fast 
schneeweiss,  doch  immer  etwas  ins  Gelbe  ziehend,  bis  gelblich-  oder  graulich- 
weiss  mit  fiachm uschiigem  Bruche,  wegen  der  feinerdigen  Beschaffenheit  abfärbend 
und  zum  Schreiben  benützt,  matt,  undurchsichtig  und  mehr  oder  minder  fest, 
besonders  wenn  Kieselsäure  fein  vertheilt  die  erdigen  Theilchen  etwas  bindet, 
auch  oft  Feuersteinknollen  enthaltend.  Dieser  eigenthümliche  Kalk  besteht  bei 
300  maliger  Vergrösserung  aus  rundlichen  oder  elliptischen  Kömchen,  zwischen 
denen  mikroskopische  Schalen  von  Foraminiferen  liegen.  Die  Kömchen  wurden 
für  amorphe  kohlensaure  Kalkerde  gehalten  und  in  diesem  Sinne  die  Kreide  von 
G.  Rose  als  eine  eigene  Species  betrachtet,  während  diese  Kömchen  auch  mit 
den  Kokkolithen  des  Bathybius  in  Verbindung  gesetzt  wurden.  —  Als  erdiger 
Kalk  schliesst  sich  der  Kreide  die  sogen.  Bergmilch  an,  welche  sich  in 
Höhlungen  von  Kalkstein  als  feinerdiger  weisser  lockerer  Absatz  findet,  wie  am 
Pilatus  in  der  Schweiz  und  anderen  Orten.  Mit  Wasser  durchfeuchtet  bildet 
sie  eine  schmierige  Masse  und  aus  den  Höhlungen  sickerndes  Wasser  kann  durch 
sie  weiss  gefärbt  sein,  wovon  vielleicht  der  Name  Bergmilch  (Montmilch) 
herrührt. 

Der  oolithische  Kalk,  Rogenstein  genannt,  weil  die  kleinen  runden  ver- 
wachsenen Kömer  an  Fischrogen  erinnern,  früher  für  versteinerten  Fischrogen 
gehalten  wurden,  gleichfalls  eine  wichtige  Gesteinart  Derselbe  besteht  aus  kleinen 
Kugeln,  welche  dicht  gedrängt  mehr  oder  minder  fest  miteinander  verwachsen 
sind,  höchstens  bis  Erbsengrösse  haben  und  bis  zur  Kleinheit  der  Mohnsamen 
herabgehen.  Diese  kugligen  Gebüde  sind  bei  mikroskopischer  Betrachtung 
radialfasrig  und  concentrisch-schalig  und  deuten  dadurch  eine  mikrokrystallinische 
Bildung  an. 

Der  Tuffkalk  (auch  Kalktuff  genannt)  gleichfalls  als  Gebirgsgestein  vor- 
kommend, ist  ein  eigenthümlicher,  mehr  oder  weniger  löcheriger,  zelliger  oder 
poröser  erdiger  Kalk,  welcher  sich  in  gewissem  Sinne  mit  dem  Sinterkalk  ver- 


Carbonate. 


09 


gleichen  lässt,  indem  er  durch  Absatz  aus  kalkhaltigem  Wasser  gebildet  wird, 
welches  über  mit  Moosen  und  anderen  kleinen  Pflanzen  bewachsene  Gestein- 
flächen sickert,  wobei  der  an  der  Luft  sich  absetzende  Kalk  die  pflanzlichen 
Bildungen  incnistirt  Bei  fortgesetzter  Bildung  unter  Erneuerung  der  Vegetation 
wachsen  diese  Massen  zu  mächtigen  Gesteinen  an  und  werden  anfangs  locker  und 
zerbrechlich,  allmählich  fester  und  weniger  löcherig,  weil  das  die  entstandenen 
Massen  durchdringende  Wasser  nach  Entfernung  der  pflanzlichen  Theile  durch 
Verwesung  auch  in  den  leer  gewordenen  Räumen  Kalk  absetzt. 

Andere  besondere  Bildungen,  wie  der  Tuten-  oder  Nagel  kalk  werden  bei 
den  Gesteinsarten  besprochen  werden. 

Die  Verwendung  der  verschiedenen  Varietäten  des  Calcit  ist  eine  sehr 
vielseitige  und  ausgedehnte,  wie  nur  erwähnt  werden  darf,  dass  die  Marmore  in 
der  Bildhauerei  und  bei  Bauten,  zur  Anfertigimg  von  Platten,  die  Kalksteine  (ge- 
brannt) zur  Darstellung  des  Mörtels,  zum  Düngen,  diese  und  die  Tuflkalke  als 
Bausteine,  die  Kreide  zum  Schreiben,  die  plattenförmig  abgesonderten  Kalksteine 
in  der  Lithographie  (besonders  ausgezeichnet  die  von  Solenhofen  an  der  Altmühl 
in  Bayern),  der  sogen.  Doppelspath  zu  optischen  Zwecken  benützt  werden. 

2.  Der  Aragonit  (benannt  nach  dem  Vorkommen  der  zuerst  bekannt  ge- 
wordenen Krystalle  in  Gyps  und  Mergel  von  Molina  in  Aragonien  in  Spanien, 
am  Südabhange  der  Pyrenäen)  krystallisirt  orthorhombisch ,  die  Krystalle  sind 
meist  aufgewachsen  in  Gängen,  Adern,  Drusenräumen  und  Nestern,  bisweilen 
auch  eingewachsen.  Die  Krystalle  bilden  verschiedene  Combinationen,  die  ge- 
wöhnlichste und  einfachste  Combination,  wie  sie  beispielsweise  die  Krystalle  von 
Horschentz  bei  Bilin  in  Böhmen  zeigen,  ist  die  des  orthorhombischen  Prisma, 
3o  P,  dessen  brachydiagonale  Kanten  =  ii6°io'  sind,  mit  den  Längs-Flächen 
oc  P  ^,  wodurch  ein  sechsseitiges  Prisma  entsteht,  in  welchem  zwei  gegenüber- 
liegende Kanten  =  ii6°io'  sind,  während  die  vier  Combinationskanten  des  Prisma 

(Min.  18-20.) 


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n 

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Fig.  I. 


Fig.  2. 


Fig.  3. 


mit  den  Längsfiächen  121^55'  betragen.  Diese  Krystalle  sind  gewöhnlich  be- 
grenzt (Fig.  I.)  durch  das  iJLngsdoma  P  00,  dessen  Endkanten  =  108° 26'  sind. 
Dazu  treten  auch  (Fig.  2.)  die  Grundgestalt  P,  die  Basisflächen,  verschiedene, 
besonders  scharfe  Längsdomen  und  spitze  Pyramiden,  wodurch  die  Krystalle  in 
der  Richtung  der  Hauptachse  ausgedehnt  spitz -pyramidal  ausgebildet  sind, 
spiessig  bis  nadeiförmig.  Gewöhnlich  sind  die  Krystalle  Zwillinge  nach  (Fig.  3.) 
«  P,  meist  mit  mehrfacher  Wiederholung,  wodurch  lang-  und  kurzprismatische 
Krystalle  entstehen,  welche  als  sechsseitige  an  hexagonale  erinnern,  wobei  jedoch 

7* 


loo  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

die  Winkel  des  sechsseitigen  Prisma  mehr  oder  weniger  von  120°  abweichen. 
Solche  prismatische  Elrystalle  sind  entweder  durch  die  den  einzelnen  Individuen 
gemeinsame  Basisfläche  begrenzt  oder  es  erscheint  dieselbe  durch  die  Längs- 
domen der  verwachsenen  Krystalle  vielfach  eingeschnitten.  Auch  die  prismatischen 
Flächen  sind  mit  vielen  verticalen  Einschnitten  versehen.  Der  Aragonit  ist  deut- 
lich spaltbar  parallel  den  Längsflächen  00  P  00,  weniger  deutlich  parallel  dem 
Prisma  cx>  P  und  dem  Längsdoma  P  00 ,  die  Spaltungsflächen  treten  wegen  der 
Zwillingsbildung  weniger  deutlich  hervor;  der  Bruch  ist  muschlig  bis  uneben. 
Ausser  einzelnen  Krystallen  bildet  der  Aragonit  stenglige  bis  fasrige  Aggregate, 
welche  eingewachsene  Platten,  aufgewachsene  Ueberzüge  und  Krusten  bilden  oder 
Stalaktiten.  Die  letzteren,  ähnlich  den  Stalaktiten  des  Caldts,  bilden  zapfenförmige, 
konische  oder  keulenförmige  Gestalten,  welche  mit  einander  verwachsen  ästige 
und  dendritische  Gebilde  darstellen,  wie  solche  in  ausgezeichneter  Weise  die 
sogen.  Eisenblüthe  zeigt,  benannt  wegen  des  Vorkommens  in  Klüften  des 
Eisenspath  genannten  Siderit  vom  Erzberge  bei  Eisenerz  in  Steiermark.  Die 
aus  warmen  Quellen  abgesetzten  Krusten  und  Ueberzüge,  aus  Krystallfasem  zu- 
sammengesetzt, z.  Th.  mit  schalenförmiger  Absonderung,  bilden  allmählig  grössere 
Massen,  wie  die  sogen.  Sprudelsteine  von  Karlsbad  in  Böhmen.  Eine  ähnliche 
Bildung  ist  der  wolkige  honiggelbe  durchscheinende  sogen.  Onyxmarmor  von 
Oran  in  Algerien,  welchen  schon  die  Römer  bearbeiteten.  Zu  diesen  Bildungen 
von  Absätzen  aus  warmen  kalkhaltigen  Quellen  gehört  auch  der  sogen.  Erbsen- 
stein von  Karlsbad  in  Böhmen,  welcher  ähnlich  dem  Oolith  oder  Rogenstein 
des  Calcit  Aggregate  von  Kugeln  darstellt,  welche  zerschlagen  eine  concentrisch 
schalige  Absonderung  zeigen  und  von  verschiedener  Grösse  vorkommend  gewöhn- 
lich von  Erbsengrösse  sind,  aber  auch  grösser  und  kleiner  vorkommen.  Diese 
kugeligen  Gestalten  zeigen  im  Innern  gewöhnlich  einen  fremdartigen  Kern,  um 
welchen  sich  das  Kalkcarbonat  absetzte  und  weitere  Absätze  folgten. 

Der  Aragonit  ist  farblos  bis  weiss,  durch  Beimengungen  gelb  bis  braun,  auch 
roth,  grün,  blau,  grau,  auf  den  Krystallflächen  glasartig  glänzend,  der  fasrige 
seidenartig,  sonst  schimmernd  bis  matt,  durchsichtig  bis  fast  undurchsichtig.  Er 
ist  spröde,  hat  die  Härte  =  3,5 — 4,0,  ist  entschieden  etwas  härter  als  der  Calcit 
und  specifisch  schwerer,  sein  spec.  Gew.  =  2,8 — 3,0. 

Er  ist  substantiell  gleich  dem  Calcit,  kohlensaure  Kalkerde,  entsprechend  der 
Formel  CaO  •  CO2»  wonach  die  Substanz  CaO  •  CO^  dimorph  ist  und  nur  der  Ara- 
gonit gegenüber  dem  Calcit  bei  Absatz  aus  wässrigen  Lösungen  eine  höhere  Tempera- 
tur erfordert.  Stellvertretend  zeigen  manche  Aragonite  anstatt  Kalkerde  etwas 
Strontia  oder  andere  Basen  RO,  wie  PbO  im  sogen.  Tarnowitzit  von  Tamowitz  in 
Oberschlesien.  Die  Krystalle  desselben  sind  etwas  abweichend  von  denen  des 
Aragonit,  immerhin  aber  lässt  sich  derselbe  nur  als  eine  Varietät  des  Aragonit 
auffassen. 

Das  chemische  Verhalten  des  Aragonit  ist  nahezu  dasselbe,  wie  bei  dem 
Calcit,  indem  er  auch  vor  dem  Löthrohre  unschmelzbar  ist  und  sich  bei  Verlust 
der  Kohlensäure  kaustisch  brennt,  desgleichen  in  kalter  verdünnter  Salzsäure  sich 
mit  starkem  Brausen  auflöst  Dagegen  zeigt  er  bei  dem  Erhitzen  eine  aufiallende, 
vom  Calcit  verschiedene  Erscheinung.  Erhitzt  man  nämlich  einen  Krystall  oder 
ein  Bruchstück  eines  solchen  in  einem  Glassrohre  oder  auf  einem  Platinblechc 
langsam,  so  zerfallt  er  zu  einem  bröckligen  Pulver  oder  in  kleine  unbestimmt 
eckige  Stückchen,  ohne  zu  zerknistem.  Diese  Eigenthümlichkeit  giebt  ein  gutes 
Unterscheidungszeichen  und  lässt  sich  selbst  noch  in  dem  Sinne  verwerthen,  dasb 


Carbonate.  loi 

man  bei  Varietäten,  welche  wegen  ihrer  Beschaffenheit  das  Zerfallen  weniger  deut- 
lich zeigen,  die  Probe  in  der  Achatschale  zu  feinem  Pulver  zerreibt  und  dieses 
auf  einem  Platinblech  erhitzt.  Dann  zeigt  dasselbe  eine  Vergrösserung  des 
Volumens  und  bleibt  ganz  locker,  während  eine  Probe  von  Calcitpulver  in 
gleicher  Weise  erhitzt  im  Volumen  etwas  schwindet  und  einen  gewissen  festeren 
Zusammenhang  der  Theilchen  zeigt.  Dass  dies  nicht  vom  Entweichen  der 
Kohlensäure  allein  abhängt,  ersieht  man  am  besten,  wenn  man  Pulver  des  Ara- 
gonit  und  Calcit  nebeneinander  erhitzt. 

Der  Aragonit  ist  nicht  selten,  findet  sich  aber  nicht  als  Gesteinsart,  sondern 
kiystallisirt  auf  Gängen  und  Lagern,  oder  in  Blasenräumen  vulkanischer  Gesteine 
in  Klüften  und  Nestern,  bisweilen  auch  eingewachsen,  wie  in  Thon,  Mergel  und 
Gyps,  der  stalaktitische  in  Höhlen  tmd  Klüften,  auf  Gesteinsoberflächen,  der 
fasrige  als  Ausfüllung  von  Klüften  und  Spalten,  auch  als  Absatz  aus  dem  ab- 
fliessenden  Wasser  heisser  Quellen,  wie  der  Sprudelstein  bei  Karlsbad  in  Böhmen, 
wo  auch  der  sogen.  Erbsenstein  vorkommt  Als  Fundorte  schöner  krystallisirter 
Vorkommnisse  sind  Molina  und  Valencia  in  Spanien,  Leogang  in  Salzburg, 
Herrengrund  in  Ungarn,  Cianciana  in  Sicilien,  Horschenz  bei  Bilin  in  Böhmen, 
Bastennes  bei  Dax  an  der  Nordseite  der  Pyrenäen  in  Frankreich,  Dognaczk  im 
Banat  und  Offenbanya  in  Siebenbürgen  zu  nennen.  Eine  Verwendung  haben 
nur  die  sogen.  Sprudelsteine  und  Erbsensteine  bei  Karlsbad  in  Böhmen  gefunden, 
woraus  kleine  Ornamente  und  Utensilien  geschnitten  werden.  Man  benützt  auch 
daselbst  den  raschen  Absatz  des  Aragonit  aus  dem  heissen  Sprudel  zur  Incrusta- 
tion  verschiedener  Gegenstände. 

Den  beiden  Species,  welche  die  kohlensaure  Kalkerde,  GaO  •  CO^  bildet, 
dem  hexagonalen  rhomboedrischen  Calcit  und  dem  orthorhombischen  Aragonit 
schliessen  sich  die  anderen  Carbonate  der  allgemeinen  Formel  RO  •  COg  an,  in- 
sofern dieselben  hexagonal,  rhomboedrisch  entsprechend  dem  Calcit  oder  ortho- 
rhombisch,  entsprechend  dem  Aragonit  krystallisiren.  Während  jedoch  die  kohlen- 
saure Kalkerde  CaO  •  CO3  dimorph  ist,  zeigen  die  anderen  Carbonate  sich  ent- 
weder nur  hexagonal  rhomboedrisch  oder  nur  orthorhombisch,  bilden  mithin  zwei 
Reihen  von  Species,  von  denen  die  eine  sich  dem  Calcit,  die  andere  dem  Aragonit 
anschliesst 

Die  Mehrzahl  der  Verbindungen  RO  •  CO^  schliesst  sich  dem  Calcit  an 
und  dieselben  bilden  untereinander  verschiedene  Reihen  von  Vorkommnissen, 
welche  als  Species  sich  nicht  scharf  von  einander  abscheiden  lassen.  Dies 
hängt  nämlich  davon  ab,  dass  wie  schon  oben  erwähnt  wurde,  nicht  allein  andere 
Basen  Species  wie  die  Kalkerde  bilden,  so  die  Magnesia  den  Magnesit, 
MgO  •  CO),  das  Eisenoxydul  den  Siderit,  FeO  •  COj,  das  Manganoxydul  den 
Rhodochrosit,  das  Zinkoxyd  den  Smithsonit  und  das  Kobaltoxydul  den 
Kobaltspath  CoO  •  COj,  sondern  dass  Species  vorkommen,  welche  zwei  solche 
Basen,  selbst  drei  als  wesentliche  Bestandtheile  auffassen  lassen.  Schon  der 
Calcit  und  Aragonit,  besonders  der  erstere  zeigte,  dass  neben  der  kohlensauren 
Kalkerde,  als  der  wesentlichen  Substanz  der  Species  geringe  Mengen  anderer 
Basen  als  Stellvertreter  der  Kalkerde  im  Calcit  und  Aragonit  aufzufassen  sind 
und  so  ist  es  auch  bei  den  vorhin  genannten  im  Folgenden  zu  beschreibenden 
Arten  der  Fall.  Man  beobachtete  dabei,  dass  solche  stellvertretende  Basen  auf 
die  Winkelverhältnisse  und  andere  Eigenschaften  Einfluss  haben  können  und 
dass  bei  der  allmählichen  Zunahme  der  stellvertretenden  Basen  wesentliche 
Unterschiede   hervorgerufen   werden.     Wenn   z.   B.   der  Calcit   CaO  •  CO^    als 


z^2  Mineralogie,  Geologie  nnd  Palaeontologie. 

Gnindgestalt  das  Rhomboeder  R  mit  dem  Endkantenwinkel  =  los"*  5'  feststellen 
licss,  der   Magnesit  MgO  -CO,  als  Grandgestalt  ein  Rhomboeder  R  mit  dem 
Endkantenwinkel  =  107*^28'    hat,    so   zeigen    Vorkommnisse   des  Calcit  neben 
CaO  •  CO,  einen  geringen  Gehalt  an  MgO  •  CO,,  welcher  als  unwesentlich  für 
die  Art   betrachtet  wird,  desgleichen  der  Magnesit  neben  MgO  •  CO,   geringe 
Mengen  von  CaO  •  CO,,  welche  gleichfalls  als  unwesentlich  gelten.     Wenn  da- 
gegen der  Gehalt  an  MgO  •  CO,  im  Calcit  zunimmt,  und  mit  dieser  Zunahme 
der  Endkantenwinkel  des  Rhomboeder  R  grösser  wird,  auch  andere  Eigenschaften 
sich  ändern,  so  bilden  Vorkommnisse  dieser  Art  eine  fortlaufende  Reihe  zwischen 
den  beiden  Endgliedern  Calcit  und  Magnesit     In  solchen  Fällen  fand  man  sich 
veranlasst,  eine  Mittelspecies  aufzustellen,  wie  hier  den  Dolomit,  welcher  Kalk- 
erde   und   Magnesia    als   wesentliche   Basen    enthält,    dessen   Grandgcstalt  das 
Rhomboeder  R  mit  dem  Endkantenwinkel  =  106°  18'  ist     Die  drei  Species 

Calcit  I  [  Dolomit  j  [  Magneat 

CaO-CO,  }    ....    |ca,MgO.CO,  >    ....    <  MgO  •  CO, 
R 105**  5'        )  I  R 106°  18'  I       '  I  R 107°  28' 

sind  aber  nicht  so  scharf  geschieden,  da.ss  der  Dolomit  genau  der  Fonncl 
CaO  •  CO,  -h  MgO  •  CO,  entsprechen  mtisste^  wenn  auch  einzelne  Dolomite 
genau  diese  Formel  ergeben,  sondern  es  finden  allmähliche  Uebergänge  statt, 
welche  der  einen  oder  der  anderen  Species  zugezählt  werden.  So  muss  man 
dolomitischen  Calcit  und  calcitischen  Dolomit  als  Varietäten  unterscheiden, 
welche  einander  bei  einem  gewissen  Grenzverhältniss  zwischen  Calcit  und  Dolomit 
berühren,  welches  man  als  der  Formel  3  (CaO  •  CO,)  -H  MgO  •  CO,  ent- 
sprechend feststellen  kann.  Derartige  Uebergänge  zwischen  gewissen  Arten 
zeigen,  wie  schwierig  es  unter  Umständen  werden  kann,  Mineralarten  gegen- 
einander abzugrenzen  und  dies  findet  nicht  allein  hier  bei  den  Carbonaten, 
sondern  auch  bei  anderen  Verbindungen  statt. 

Durch  derartige  Uebergänge  zwischen  Species  entsteht  gewissermaassen  ein 
Cyklus  von  Vorkommnissen,  welche  in  der  allgemeinen  Zusammensetzung  und 
im  Allgemeinen  in  der  Form  Verwandschaft  zeigen  und  in  ein  Geschlecht  ver- 
einigt werden  können,  wie  hier  die  rhomboedrisch  krystallisirten  Carbonate  der 
Formel  RO  •  CO,.  Die  noch  vorhandenen  Lücken  stören  das  Verhältniss  der 
Verwandtschaft  nicht,  finden  ab  und  2u  durch  neuere  Vorkommnisse  ihre  Erle- 
digung, sowie  es  nicht  nothwendig  ist,  dass  die  Reihen  überall  durch  gleich 
reichlich  auftretende  Uebergänge  vermittelt  werden.  Dies  sind  Verhältnisse, 
welche  mit  der  Zeit  und  dem  forgesetzten  Studium  ihre  Erledigung  ünden,  zu- 
nächst aber  den  Beweis  liefern,  dass  die  Mineralarten  noch  lange  nicht  durch 
die  bis  jetzt  bekannten  in  ihrer  Zahl  erschöpft  sind. 

Die  Carbonate  bieten  in  dieser  verwandtschaftlichen  Beziehung  ein  reiches 
Bild,  wie  man  am  besten  aus  nachfolgender  Zusammenstellung  ersieht,  wobei 
die  Mittelglieder  durch  zwei  wesentliche  Basen  ausgedrückt  sind.  Diese  rhom- 
boedrisch krystallisirenden  Carbonate  der  allgemeinen  Formel  RO  •  CO,  gehen 
vom  Calcit  aus,  welcher  in  jeder  Beziehung  allen  anderen  voransteht,  sowohl  in 
der  Reichhaltigkeit  der  Formen,  als  auch  in  der  Mannigfaltigkeit  des  Vorkommens 
bei  allgemeinster  Verbreitung. 


Carbonate. 


103 


Calcit 
•     CaOCOj     • 


Dolomit 
Ca,  MgO .  CO3 

I 
Magnesit 

MgO . CO, 


Ankerit 
Ca,  FeO  •  CO2 


Röpperit 
Ca,  MnOCOj 


Siderit 
FeOCOjj 


Rhodochrosit 
MnO . CO2 


I 


Mesitin  ,  Oligonit 

Mg,  FeO.  CO,  '  Fe,MnO.COa 

Kapnit 
Fe,  ZnO  •  CO, 


Smith  sonit 
ZnO  .  CO2 

Kobaltspath 
CoOCO, 

Von  diesen  Species  sind  einzelne,  namentlich  wegen  der  Verwendung  wich« 
tig,  während  andere  von  untergeordneter  Bedeutung  sind.  Im  Hinblick  auf  den 
oben  beschriebenen  Calcit  können  bei  der  Beschreibung  auch  die  Vorkommnisse 
mit  jenem  verglichen  werden. 

3.  Der  Dolomit  (zu  Ehren  des  französischen  Geologen  Dolo^ueu  benannt, 
welcher  zuerst  gewisse  krystallinisch-kömige  als  Gesteinsart  vorkommende  Dolo- 
mite vom  Marmor  unterschied,  mit  welchem  sie  viel  Aehnlichkeit  haben),  auch 
Bitterkalk  genannt  gegenüber  dem  Namen  Kalk  des  Calcit  wegen  der  zweiten 
wesentlichen  Basis,  der  Magnesia,  welche  auch  Bittererde  heisst.  Diese  Speoies 
krystallisirt  wie  das  Calcit  hexagonal-rhomboedrisch  und  als  Grundgestalt  wurde 
das  Rhomboöder  R  mit  dem  Endkanten winkel  =  106^18'  aufgestellt,  wobei 
gleichfalls  zu  bemerken  ist,  dass  dies  nur  ein  mittlerer  Winkel  ist,  um  welchen 
herum  die  Messungen  schwanken,  was  zum  Theil  in  den  Schwankungen  der  Zu- 
sammensetzung beruht,  z.  Th.  auch  in  der  Schwierigkeit  der  Winkelbestimmungen 
wegen  der  Ausbildung  der  Flächen.  Die  meist  wie  bei  Calcit  in  Hohlräumen  ver- 
schiedener Art  aufgewachsenen,  bisweilen  auch  eingewachsenen  Krystalle  sind 
weit  ärmer  an  einfachen  Gestalten  und  Combinationen.  Bermerkenswerth  ist 
hierbei  das  häufige  Auftreten  der  Grundgestalt  fUr  sich,  weshalb  nach  diesem 
Rhombenflächner  der  krystallisirte  Dolomit  auch  Rautenspath  genannt  wurde, 
ausser  diesem  finden  sich  noch  andere  Rhomboeder  wie  ^R',  2R',  4R,  z.  Th. 
iür  sich  oder  in  Combinationen,  wozu  auch  die  Basisflächen  und  das  normale 
hexagonale  Prisma  00 R  kommen,  selten  Skalenoeder,  wie  R3.  Die  Krystall- 
flächen  sind  häufig  concav  und  convex  gekrümmt,  die  Rhomboeder  R  meist  am 
besten  ausgebildet,  häufig  rauh  und  drusig  durch  homologe  Verwachsung  vieler 
kleiner  Krystalle  zu  grösseren.  Auch  Zwillinge  kommen  vor,  wie  nach  ^R'  und 
bei  tafeiartiger  Bildung   auch    solche,   deren    Verwachsungsfläche  die  Basis  ist. 

Die  Krystalle  sind  oft  gruppirt,  radial,  garbenförmig,  und  die  Gruppen  gehen  in 
kugelige,   traubige,  nierenförmige  Gestalten  über.     Er  findet  sich  auch  stenglig 

bis  fasrig,    besonders   als  Ausfüllung   von  Spalten    und  Klüften.     Selten   ist  er 

oolithisch  ausgebildet,  wie  zu  Zepce  in  Bosnien  und  Rakoväc  in  Slavonien. 

Massenhaft  ist  das  Vorkommen  des  krystallinisch-körnigen  Dolomit  als  Ge- 


I<H  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Steinsart,  wie  in  Tyrol,  in  der  Schweiz  und  der  schwäbischen  Alp,  welches  dem 
Marmor  entspricht,  im  Allgemeinen  aber  ist  derselbe  klein-  bis  feinkörnig,  übei- 
gehend  in  dichten,  wozu  auch  der  kieselhaltige  Gurhofian  von  Gurhof,  EU  und 
Karlstätten  in  Oest^rreich  und  der  kieselhaltige  Konit  von  Frankenhain  am 
Fusse  des  Meissner  in  Hessen  gehört.  Der  krystallinisch-kömige  ist  oft  dnisig* 
kömig,  zellig  bis  löcherig  oder  porös,  bisweilen  auch  locker-kömig,  durch  dessen 
Zerfallen  sogen.  Dolomitsand  gebildet  wird. 

Der  Dolomit  ist  vollkommen  bis  deutlich  parallel  der  Gmndgestalt  spaltbar, 
bisweilen  sind  die  Spaltungsflächen  gekrümmt.  Im  Bruche  ist  er  muschlig,  un- 
eben bis  splittrig.  Der  vollkommen  reine  ist  weiss  oder  farblos,  wenn  er  durch- 
sichtig ist,  gewöhnlich  wenig  gefärbt,  grau,  gelb  bis  braun  (sogen.  Braunspath), 
roth,  grün  und  schwarz,  durchsichtig  bis  undurchsichtig,  glasglänzend,  oft  auch 
perlmutterartig  glänzend  (daher  der  Name  Perlspat h)  oder  wachsartig,  schimmcrad 
bis  matt.  Das  Pulver  ist  weiss  oder  blass  gefärbt.  Die  Härte  ist  =  3,S'~4f5» 
also  entschieden  höher  als  bei  Calcit,  desgleichen  auch  das  spec.  Gew.  =  2,8—3,0. 

Er  wird  durch  die  Formel  Ca,  MgO  •  CO3   bezeichnet,    um   auszudrücken, 
dass  die  beiden  wesentlichen  Basen  in  ihrem  gegenseitigen  Verhältnisse  wechseln. 
Manche  Dolomite  ergaben  das  Verhältniss  CaO  •  CO,-l-MgO  •  CO,  und  werden 
als  Normal-Dolomit  bezeichnet.     Sie  enthalten  54,3  J  kohlensaure  Kalkerde  und 
45,7  kohlensaure  Magnesia  oder  30,4}}  Kalkerde,  21,8  Magnesia,  47,8  Kohlensäure. 
Andere  Dolomite  und  zwar  die  grosse  Mehrzahl  der  Vorkommnisse  schwanken 
innerhalb  gewisser  Grenzen,   welche  gegen  den  Calcit  hin  mit  43,75  J  Kalkeide, 
10,42   Magnesia  und  44,83  Kohlensäure,  gegen  den  Magnesit  mit  15.91  f  Kalk- 
erde, 34,09  Magnesia  und  50,0  Kohlensäure    fixirt  werden  können.     Ausser  den 
beiden  wesendichen  Basen  Kalkerde  und  Magnesia  enthalten  die  Dolomite  sehr 
häufig  als  stellvertretend  noch  Eisenoxydul,  auch  Manganoxydul,  durch  deren  An- 
wesenheit, besonders  des  Eisenoxydul  in  Folge  von  Veränderung  des  Eisenoxydul 
carbonates  und  Bildung  von  Eisenoxydhydrat  oder  durch  Anwesenheit  desselben  als 
Beimengung  die  Dolomite  gelb  bis  braun  gefärbt  vorkommen  (daher  Braunspatb 
genannt). 

Der  Dolomit  ist  in  kalter  verdünnter  Salzsäure  'schwach  brausend  langsam  lös- 
lich, rascher  wenn  die  Säure  erwärmt  und  das  Mineral  vorher  pulverisirt  worden  ist 
Aus  der  Lösung  wird  durch  Zusatz  von  Schwefelsäure  sichtlich  Gyps  als  Nieder- 
schlag gefällt  und  nach  Entfernung  desselben  durch  Filtriren  giebt  ein  Zusatz  von 
phosphorsaurem  Natron  unter  Beifügung  von  Ammoniak  einen  krystallinischen 
weissen  Niederschlag  von  phosphorsaurer  Ammoniak-Magnesia.  Vor  dem  Löth* 
röhre  erhitzt  ist  er  unschmelzbar  und  brennt  sich  kaustisch.  Das  Pulver  auf 
Platinblech  erhitzt  zeigt  einige  Vergrösserung  seines  Volumens. 

Er  findet  sich  häufig,  als  krystallinisch-kömiger  Gebirgsmassen  bildend,  für 
den  krystallisirten  sind  als  Fundorte  beispielsweise  zu  nennen:  Campe  longo  bei 
Da/io  grande  im  Canton  Tessin  in  der  Schweiz,  der  Brenner  und  Greiner  in 
Tyrol,  Traversella  in  Piemont,  Schweinsdorf  bei  Dresden,  Freibeig  in  Sachsen. 
Joa«  himsthal,  Przibram  und  Koloseruk  in  Böhmen,  Schemnitz  in  Ungarn,  Kapnik 
in  Siebenbürgen,  Hall  in  Tyrol,  Kittelsthal  bei  Eisenach  in  Thüringen»  ComiK>- 
htclla  und  Cabo  de  Gata  in  Spanien,  Miemo  in  Toscana  u.  a.  m. 

4.  Der  Magnesit,  MgO  •  CO,  mit  47i6J  Magnesia  und  52,4  Kohlensäure, 
gewöhnlich,  namentlich  der  krystallisirte  und  krystallinische  etwas  FeÖ  enthaltend 
(z.  Th.  Breunnerit  genannt),  oder  CaO,  MnO  oder  Beimengungen,  bisweilen 
Kieselsäure  (sogen.  Kieselmagnesit)  findet  sich  krystallisirt,  hexagonal  rhombo* 


Carbonate.  105 

edrisch,  die  Krystalle  auf-  und  eingewachsen;  die  gewöhnlichste  Gestalt  ist  das 
als  Gnindgestalt  gewählte  Rhomboeder  R  mit  dem  Endkantenwinkel  =  107^  28^ 
selten  ist  er  prismatisch  R  ex»  -  OR.  Meist  krystallinisch-kömig»  ähnlich  Marmor 
als  Gesteinsart  vorkommend,  auch  eingesprengt,  krystallinisch-stenglig  bis  fasrig, 
oft  dicht,  bisweilen  erdig.  Er  ist  vollkommen  spaltbar  parallel  R,  weiss,  bisweilen 
farblos»  gelblichweiss  bis  ochergelb,  graulich  weiss  bis  dunkelgrau,  glasglänzend 
bis  matt,  durchsichtig  bis  undurchsichtig,  wenig  spröde,  hat  Härte  =  3,5 — 4,5  und 
spec-  Gew.  =  2,85  —3,1.  In  erwärmter  Salzsäure  ist  er  als  Pulver  mit  Brausen 
auflöslich.  Vor  dem  Löthrohre  ist  er  unschmelzbar,  leuchtend,  wird  grau  bis 
schwarz  in  Folge  von  Eisen  und  Mangangehalt^  der  durch  Borax  oder  Soda 
erkenntlich  jwird.  Mit  Kobaltsolution  befeuchtet  und  geglüht  wird  er,  wenn  er 
rein  ist,  nanientlich  der  dichte  blassroth. 

Man  findet  bisweilen  den  Magnesit  in  dem  Sinne  getrennt,  dass  der  krystal« 
lisirte  und  krystallinische  als  Magnesitspath  wegen  der  Spaltbarkeit,  auch 
Talkspath  wegen  des  wesentlichen  Gehaltes  an  Talkerde  (Magnesia)  genannt 
wird,  wie  der  vom  St  Gotthard  in  Talk  eingewachsene,  der  am  Greiner,  im  Ziller- 
Pfitsch-  und  Ultenthale  in  Tyrol,  von  Vermont  in  Nord-Amerika,  von  Snarum  in 
Norwegen,  von  Brück,  Flachau,  Mariazell,  aus  dem  Tragösthale  u.  a.  O.  in  Steier- 
mark. Im  Gegensatz  zu  diesem  wird  der  dichte  bis  erdige,  wie  die  Vorkommnisse 
von  Baumgarten  und  Frankenstein  in  Schlesien,  von  Hrubschitz  in  Mähren,  von 
Kraubat  in  Steiermark  und  von  Baidissero  in  Piemont  ausschliesslich  Magnesit 
genannt,  welche  Unterscheidung  und  verschiedene  Benennung  den  Namen  Kalk- 
spath  und  Kalkstein  des  Calcit  entspricht.  Die  letzteren  besonders,  weil  sie  sehr 
rein  sind,  werden  zur  Darstellung  von  Bittersalz  und  Kohlensäure  benützt,  zur 
Bereitung  Kohlensäure  enthaltender  Wasser,  bei  der  Porzellanbereitung  und 
neuerdings  in  Steiermark  zur  Fabrikation  feuerbeständiger  Ziegel. 

5.  Der  Siderit,  von  dem  grieschischen  Worte  siäeros  Eisen,  oder  Eisen- 
spat h  wegen  des  wesentlichen  Gehaltes  an  Eisenoxydul  benannt,  ist  ein  besonders 
£ur  Darstellung  von  Eisen  und  Stahl  benutztes  Mineral,  wenn  es  in  grossen 
Massen  vorkommt,  die  auch  Spatheisenstein  genannt  werden.  Derselbe  findet 
sich  oft  krystallisirt,  in  Drusenräumen,  Nestern  und  Klüften  aufgewachsen,  hexa- 
gonal,  rfaomboedrisch,  gewöhnlich  in  Form  der  Grundgestalt,  des  stumpfen  Rhom- 
boeders  R  mit  dem  Endkantenwinkel  =  107^  Die  Krystalle  zeigen  auch  bis- 
weilen andere  Gestalten,  wie  ^R',  2R',  die  hexagonalen  Prismen  00  R  und  R  00 
mit  den  Basisflächen  OR,  das  Skalenoeder  R3  u.  a.  Die  Flächen  sind  oft,  wie  bei 
dem  Dolomit  concav  und  convex,  sattelförmig  gekrümmt,  bis  linsenförmig,  bisweilen 
finden  sich  kugel-  bis  nierenförmige  und  traubige  Gestalten  (Sphäro siderit),  die 
im  Inneren  stenglig  bis  radialfasrig  sind.  Er  bildet  als  krystallinisch-kömiger 
Siderit  mit  wechselnder  Grösse  des  Kornes  derbe  Massen,  die  als  Gesteinsart 
vorkommen,  bis  ins  Dichte  übergehen,  mit  Thon  gemengt  den  thonigen  Siderit 
(Pelosiderit)  bildend,  der  bisweilen  rundliche  oder  ellipsoidische  Massen,  auch 
ausgedehnte  Lagen  bildet. 

Der  Siderit  ist  vollkommen  spaltbar  parallei  R,  spröde,  hatHärte  =  3,5 — 4,5  und 
das  spec  Gew.  =  3,7—3,9,  wodurch  er  sich  wesentlich  von  den  vorher  beschriebenen 
Arten  unterscheidet,  ist  gewöhnlich  gelblichgrau  bis  gelb  und  braun,  während  er 
arsprünglich  weiss  bis  farblos  ist,  wie  dies  kleine  in  Bergkrystallen  der  Schweiz 
eingeschlossene  Krystalle  zeigen,  welche  so  von  allem  Luft-  und  Wasserzutritt  ab- 
geschlossen keine  Veränderung  erlitten  haben.  Er  hat  Glas-  bis  Perlmutterglanz, 
ist  mehr  oder  weniger  durchscheinend  bis   undurchsichtig  und  hat  weissen  bis 


io6  Minefalogie,  Geologie  und  Palaeontologpe. 

gelblichweissen  Strich.  Er  ist  wesentlich  FeO  •  CO,  mit  62,1  Eisenoxydul  und 
37,9  Kohlensäure,  enthält  häufig  als  stellvertretende  Basen  MnO,  MgO  und  CaO 
oder  Beimengungen,  wie  Thon  und  Kohlenstoff  (der  sogen.  Kohleneisenstein). 
Vor  dem  Löthrohre  ist  er  unschmelzbar,  wird  schwarz  und  magnetisch,  reagirt 
mit  Borax  oder  Phosphorsalz  stark  auf  Eisen,  mit  Soda  oft  auf  Mangan,  ist  in 
Säure  mit  Brausen  auflöslich,  leichter  wenn  die  Säure  erwärmt  wird.  Durch  den 
Einfluss  von  Luft  und  Wasser  wird  er  im  Laufe  der  Zeit  mehr  oder  weniger  ver- 
ändert, dunkler  gefärbt  bis  schwarz,  bisweilen  roth,  je  nachdem  sich  Eisenoxyd- 
hydrat, Eisenoxyduloxyd  oder  Eisenoxyd  bildet.  So  gehen  Kiystalle  und  krystal- 
linische  Massen  allmählich  in  Brauneisenerz  über  und  bilden  Pseudomorphosen 
desselben  nach  Siderit. 

Er  findet  sich  ziemlich  hänfig  und  bisweilen  in  grossen  Massen,  auf  I^agem, 
in  Gängen,  Stöcken,  Nestern  und  Spalten,  der  Sphärosiderit  in  Hohlräumen  von 
Basalt  und  Dolerit,  der  dichte  thonige  Lager  und  rundliche  Massen  bildend,  die 
nach  der  Form  auch  Sphärosiderit  genannt  wurden,  doch  von  dem  krystallinischen 
in  Hohlräumen  zu  unterscheiden  sind,  wie  bereits  oben  angegeben  wurde.  Als 
Fundorte  sind  beispielsweise  Lobenstein  in  Reuss,  Musen  in  Westphalen,  Eisenerz 
in  Steiermark,  HUttenberg  in  Kämthen,  Freiberg  in  Sachsen,  Neudorf  und 
Clausthal  am  Harz,  Dienten  in  Salzburg,  Przibram,  Horzowitz  und  Joachimsthal 
in  Böhmen,  Traversella  in  Piemont,  Comwall  in  England  zu  nennen. 

Zwischen  dem  Siderit  und  Calcit  steht  der  Ankerit  (benannt  nach  dem 
steiermärkischen  Professor  Anker)  oder  Eisenkalk,  welcher  im  Allgemeinen  dem 
Siderit  sehr  ähnlich  ist,  etwas  heller  gefärbt  ist,  aber  auch  braun  verwittert,  in 
grossen  krystallinisch-körnigen  Massen  ähnlich  dem  Siderit  vorkommt,  wie  bei 
Admont  und  Eisenerz  in  Steiermark  und  am  Rathhausberg  in  Salzburg.  Er  ist 
leichter  als  Siderit,  hat  das  spec.  Gew.  =  2,9 — 3,1  und  enthält  wesentlich  kohlen- 
saures Eisenoxydul  mit  kohlensaurer  Kalkerde  in  wechselnden  Verhältnissen,  oft 
auch  etwas  Magnesia  und  Manganoxydul.  Vor  dem  Löthrohre  zerknistert  er 
heftig,  ist  unschmelzbar,  wird  schwarz  und  magnetisch,  löst  sich  mit  Brausen  in 
Säure,  schwieriger  als  Calcit,  leichter  als  Dolomit  und  aus  der  Lösung  in  Salz- 
säure lässt  sich  durch  Zusatz  von  Schwefelsäure  Gyps  fallen,  die  Anwesenheit  der 
Kalkerde  nachweisen. 

In  ähnlicher  Weise  steht  zwischen  Siderit  und  Magnesit  der  Mesitin,  be- 
nannt von  dem  griechischen  Worte  i^mesiUs*  Vermittler,  weil  er  ein  Mittelglied 
zwischen  Siderit  und  Magnesit  bildet.  Derselbe  erscheint  krystallisirt,  die  Grund- 
gestalt, das  Rhomboeder  R  mit  dem  Endkantenwinkel  =  107^14'  darstellend,  bei 
Traversella  in  Piemont  und  Werfen  in  Salzburg,  krystallinisch  grosskömig  und 
deutlich  nach  der  Grundgestalt  spaltbar,  im  Winkel  ein  wenig  abweichend  bei 
Flachau  unweit  Radstadt  bei  Salzburg.  Das  Aussehen  ist  das  des  gelben  bis 
braunen  Siderit  oder  Dolomit  und  das  spec.  Gew.  =  3,3 — 3,55  unterscheidet  ihn 
von  beiden.  Er  enthält  kohlensaure  Magnesia  und  kohlensaures  Eisenoxydul,  der 
Formel  Mg,  FeO  •  CO,  entsprechend  in  wechselnden  Verhältnissen,  die  es  nic^t 
nothwendig  machen,  ähnlich  wie  bei  den  Dolomiten  dem  Normal-Dolomit  ent- 
sprechend, Vorkommnisse  wie  das  von  Flachau  als  eigene  Species  zu  unter- 
scheiden und  Pistomesit  zu  nennen,  von  dem  griechischen  ypistos*^  zuverlaÄ>ig 
und  '»mesün€  Mitte,  und  als  das  wirkliche  Mittelglied  zu  trennen. 

6.  Der  Rhodochrosit,  benannt  von  dem  griechischen  Worte  '^rhodochroos^ 
rosenfarbig,  nach  der  ofl  vorkommenden  rosenrothen  Farbe,  auch  Mangan- 
spath  genannt,    gegenüber   dem  Namen  Kalkspath   in  Bezug   auf  den  wesent- 


Carbonate.  107 

liehen  Gehalt  an  Manganoxydul.  Derselbe  ündet  sich  kiystallisirt,  hexagonal, 
rhomboedrisch ,  nahe  stehend  dem  Siderit,  indem  das  häufig  vorkommende 
Rhomboeder  R,  die  Grundgestalt,  den  Endkantenwinkel  im  Mittel  ^=  106°  56' 
angeben  lasst.  Andere  Gestalten  sind  selten,  wie  ^R^  OR,  Roo,  R3.  Die 
Kiystalle  in  Drusenräumen  aufgewachsen,  wie  die  des  Siderit,  Mesitin  und 
Dolomit  oft  mit  gebogenen  Flächen,  bilden  bisweilen  halbkugelige  Gruppen 
übergehend  in  kugelige,  nierenförmige  und  traubige  Gestalten,  (daher  Himbe  er - 
spath  nach  Form  und  Farbe  genannt),  welche  im  Inneren  radial-stenglig  bis 
fasrig  sind.  Ausserdem  findet  er  sich  in  derben  Massen,  krystallinisch-kömig 
bis  dicht.  Die  Spaltbarkeit  parallel  R  ist  deutlich,  die  Härte  =  3,5 — 4,5,  das 
spcc.  Gew.  =  3,3  —  3,6.  Er  ist  gewöhnlich  roth  gefärbt,  rosenroth,  himbeerroth, 
fleischroth,  bräunlichroth,  röthlichgrau  bis  weiss  (durch  Verwitterung  braun  bis 
schwarz),  glas-  bis  perlmutterglänzend,  mehr  oder  minder  durchscheinend,  und 
hat  weisses  oder  röthlichweisses  Strichpulver. 

Er  ist  wesentlich  MnO  •  CO2  mit  61,7^  Manganoxydul  und  38,3  Kohlen- 
säure, enthält  als  stellvertretende  Basen  auch  FeO,  CaO  und  MgO.  Er  ist  in 
Säuren  mit  Brausen  auflöslich,  leichter  in  erwärmten;  vor  dem  Löthrohre  ist  er 
unschmelzbar  und  zerknistert  meist  heftig,  wird  grünlich,  grau  oder  schwarz, 
giebt  mit  Borax  oder  Phosphorsalz  auf  Platindraht  in  der  Oxydationsflamme 
ein  amethystfarbiges  Glas,  welches  in  der  Reductionsflamme  farblos  wird;  mit 
Soda  auf  Platinblech  in  der  Oxydationsflamme  geschmolzen  wird  die  Soda- 
schlacke blaugrün. 

Er  ist  ziemlich  selten  und  findet  sich  bei  Kapnik  und  Nagyag  in  Sieben- 
burgen, Freiberg  in  Sachsen,  Felsöbanya  in  Ungarn,  Horhausen  in  Nassau, 
Vieille  in  Frankreich,  Ilefeld  am  Harz,  Sargans  in  der  Schweiz  und  einigen 
anderen  Orten. 

Als  Mittelglied  zwischen  Rhodochrosit  und  Siderit  ist  der  seltene  Oligonit, 
benannt  von  dem  griechischen  '»oiigost  wenig,  wegen  der  geringen  Abweichung 
im  Winkel  der  Grundgestalt  und  im  spec.  Gew.  von  Siderit,  von  Ehrenfrieders- 
dorf in  Sachsen  zu  nennen,  dem  sich  ein  kleinkugeliges  Vorkommen  von  Felsö- 
banya und  Kapnik  in  Ungarn  anschliesst.  Als  Mittelglied  zwischen  Calcit  und 
Rhodochrosit  ist  der  krystallinische  Röpperit,  benannt  nach  dem  amerika- 
nischen Mineralogen  Röpper,  der  ihn  zuerst  vor  Kurzem  bekannt  machte,  von 
Stirling  in  Sussex  County  in  New  Jersey  ein  interessantes  Vorkommen. 

Bei  der  chemischen  Verwandtschaft  des  Kobalt  mit  Eisen  ist  auch  anzu- 
zufuhren,  dass  bei  Schneeberg  in  Sachsen  ein  Kobalts path  genanntes  Mineral 
gefunden  wurde,  welches  wesentlich  CoO  •  CO3  ist,  kugelige  Gebilde  darstellend 
vdamach  auch  Sphärocobaltit  genannt),  welche  im  Inneren  radial  stenglig 
^ind  und  an  der  Oberfläche  Rhomboeder  erkennen  lassen. 

7.  Der  Smith sonit  (benannt  nach  dem  englischen  Chemiker  Smithson) 
oder  Zinkspath  (analog  den  Namen  Kalk-,  Eisen-,  Manganspath),  ein  wegen  des 
Zinkgehaltes  bei  seinem  Vorkommen  in  grossen  Massen  sehr  wichtiges  und  ge- 
schätztes Mineral,  krystallisirt  hexagonal,  rhomboedrisch  und  hat  als  Grundgestalt 
ein  stumpfes  Rhomboeder  R  mit  dem  Endkantenwinkel  =  107°  40'.  Die  in 
Dnisenräumen,  Nestern,  Klüften  und  Gängen  aufgewachsenen  Krystalle  sind  ge- 
wöhnlich klein  bis  sehr  klein,  arm  an  Flächen  und  zeigen  oft  die  Gestalten  R, 
4R  und  R3,  auch  kennt  man  OR,  ^R',  2R'  und  Roo.  Ausser  krystallisirt  bildet 
er  nierenförmige,  traubige,  kugelige  und  andere  stalaktitische  Gestalten,  welche 
im  Inneren    radialstenglig   bis   fasrig  sind,    auch  bisweilen  krummschalige,    der 


io8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

äusseren  Form  entsprechende  Absonderung  zeigen.  Meist  findet  er  sich  derb, 
krystallinisch,  klein-  bis  feinkörnig,  bis  dicht,  zellig  und  löcherig.  Er  ist  deutlich 
spaltbar  parallel  R. 

Er  ist  weiss  bis  farblos,  meist  gefärbt,  grau,  gelb,  braun,  roth,  grün,  hat 
Glas-  bis  Perlmutterglanz,  ist  oft  matt,  durchscheinend  bis  undurchsichtig,  spröde, 
hat  weissen  Strich,  Härte  =  5,  spec.  Gew.  =  4,1 —4,5.  Als  kohlensaures  Zink- 
oxyd entspricht  er  der  Formel  ZnO  •  CO,  mit  64,8  J  Zinkoxyd  und  35,2  Kohlen- 
säure und  enthält  meist  als  stellvertretende  Basen  noch  Eisenoxydul,  Mangan- 
oxydul, Kalkerde  oder  Magnesia,  oft  fremdartige  Beimengungen,  besonders  in  den 
derben  mikrokrystallischen  bis  dichten  Massen  Eisenoxydhydrat,  wodurch  er  gelb 
bis  braun  gefärbt  erscheint.  Mit  Säuren  ist  er  leicht  mit  Brausen  auflöslich, 
auch  in  Kalilauge,  aber  ohne  Brausen.  Vor  dem  Löthrohre  erhiut  ist  er  un- 
schmelzbar, verliert  die  Kohlensäure,  giebt  auf  der  Kohle  einen  -heiss  gelben, 
nach  dem  Erkalten  weissen  Beschlag  von  Zinkoxyd,  wird  mit  Kobaltsolution 
befeuchtet  und  geglüht  grün,  den  Zinkgehalt  dadurch  anzeigend. 

Er  findet  sich  auf  Gängen  und  Lagern,  nicht  häufig,  stellenweise  aber  sehr 
reichlich,  in  welchem  Falle  er  zur  Zinkgewinnung  ausgebeutet  wird  und  führt 
den  Namen  Galmei,  welcher  jedoch  auch  auf  andere  zur  Zinkgewinnung 
dienende  Vorkommnisse,  wie  auf  das  kieselsaure  Zinkoxyd  ausgedehnt  wird, 
weshalb  man  dann  den  Smithsonit  als  Kohlengalmei  gegenüber  dem  Kiesel- 
galmei  unterscheidet.  Als  bemerkenswerthe  Fundorte  sind  der  Altenberg  bei 
Aachen,  Tamowitz  in  Oberschlesien,  Chessy  bei  Lyon  in  Frankreich,  Wiesloch  in 
Baden,  Dognaczka  und  Rezbanya  im  Banat  in  Oesterreich,  Nertschinsk  in  Sibirien, 
Mendip  und  Matlock  in  England,  Temesvar  in  Ungarn,  Reibel  und  Bleiberg  in 
Kämthen  zu  nennen. 

Als  Mittelglied  zwischen  Smithsonit  und  Siderit  ist  der  Kapnit  anzuführen, 
sowie  auch  gewisse  manganhaltige  Vorkommnisse  auf  ein  Mittelglied  zwischen 
Smithsonit  und  Rhodöchrosit  hinweisen. 

Wenn  sich  so  an  den  rhomboedrisch  krystallisirenden  Calcit  eine  Reihe 
von  Vorkommnissen  anschliesst,  welche  dieselbe  Krystallisation ,  nur  mit  ge- 
wissen WinkeldifTerenzen  in  der  Grundgestalt  zeigen,  so  wäre  zu  erwarten,  dass 
auch  die  zweite  Modification  der  kohlensauren  Kalkerde,  der  Aragonit,  in  den 
Verbindungen  der  Kohlensäure  mit  Basen  RO  nach  der  Formel  RO  •  CO,  ver- 
wandte Species  aufweise.  Dies  ist  in  der  That  der  Fall,  aber  in  gleichem 
N^aasse,  wie  der  Aragonit  gegenüber  dem  Calcit  viel  seltener  auftritt,  zeigen  sich 
ai)ch  seltener  der  Formel  RO  •  CO,  entsprechende  Verbindungen  orthorhombisch 
Krystallisirt.  In  dieser  Richtung  sind  es  vorwaltend  nur  die  Basen  Bar>terde. 
^aO,  Strontia  SrO,  und  Bleioxyd  PbO,  welche  in  Verbindung  mit  Kohlensäure 
orthorhombisch  krystallisirende  Species  ergeben. 

8.  Der  Witherit,  benannt  zu  Ehren  des  Engländers  Dr.  Withering,  die  Ver- 
bindung der  Baryterde  mit  Kohlensäure  BaO  -  CO,  mit  77,66}  Baryterde  und 
22,34  Kohlensäure  krystallisirt  orthorhombisch,  isomorph  mit  Aragonit,  selten 
Krystalle  bildend,  welche  gewöhnlich  scheinbar  hexagonale  Pyramiden  (ähnlich 
Fig.  I  auf  pag.  iio)  darstellen.  Dieselben  werden  als  Combination  der  ortho- 
rhombischen  Pyramide  P  mit  dem  Längsdoma  2  P  00,  auch  mit  den  Basisfiachen 
verbunden  gedeutet,  sind  aber  nach  anderer  Auffassung  Drillinge  oder  Sechslinge. 
Gewöhnlich  bildet  er  kugelige,  traubige  oder  nierenförmige  Gestalten  mit  drusiger 
Oberfläche,  welche  im  Inneren  radialstenglig  bis  fasrig  sind,  auch  findet  er  Mch 
derb    mit  krystallinisch-kömiger  Absonderung.     Die  deutlichen  Spaltungsfiachen 


Carbonate. 


10^ 


entsprechen  einem  dem  Aragonit  verwandten  Prisma  ooP  mit  1 18^30',  während 
aach  undeutliche  Spaltungsflächen  nach  den  Längsflächen  und  dem  Längsdoma 
2Poo  vorkommen  sollen.  Er  ist  weiss  bis  farblos,  meist  hell  graulich  oder 
gelblich  und  grünlich  gefärbt,  glasartig  glänzend  bis  schimmernd,  mehr  oder 
weniger  durchscheinend,  hat  die  Härte  =  3,0—3,5  und  das  spec.  Gew.  =  4,2 — 4,3, 
wodurch  er  sich  wesentlich  vom  Aragonit  unterscheidet.  Vor  dem  Löthrohre 
erhitzt  schmilzt  er  zu  einem  klaren  Glase,  welches  nach  der  Abkühlung  emaill- 
artig wifd  und  färbt  die  Löthrohrflamme  gelblichgrün.  Mit  Soda  auf  Platinblech 
schmilzt  er  zu  einer  klaren  Masse;  auf  Kohle  kommt  er  nach  einiger  Zeit  zum 
Kochen,  wird  kaustisch  (durch  Verlust  der  Kohlensäure)  und  verhält  sich  dann 
wie  reine  Baryterde.    In  Säuren  ist  er  mit  Brausen  auflöslich. 

Als  Fundorte  dieses  seltenen  Minerals  sind  Aiston  in  Cumberland,  Anglesark 
in  Lancashiie,  Fallowfield  und  Hexham  in  Northumberland  in  England,  Leogang 
in  Salzbuig  und  Peggau  in  Steiermark  anzuführen. 

Bei  diesem  Isomorphiosmus  mit  Aragonit  ist  es  von  Interesse,  dass  auch  eine 
>Iittelspecies  zwischen  Aragonit  und  Witherit  vorgekommen  ist,  der  sogen. 
Alstonit  von  Bromley-Hill  bei  Aiston  in  Cumberland  und  von  Fallowfield  bei 
Hexham  in  Northumberland,  welche  der  Formel  CaO  •  CO,  -+-  BaO  •  CO^ 
entspricht.  Ihre  Krystalle  sind  ähnlich  denen  des  Witherit,  scheinbar  hexagonal 
und  spaltbar  parallel  dem  Prisma  00  P  und  den  Längsflächen  00  P  00,  dürften 
jedoch  auch  durch  Zwillings-  beziehungsweise  Drillingsbildung  erzeugt  sein. 
Er  ist  weiss  bis  graulichweiss,  schwach  wachsglänzend,  durchscheinend,  hat  Härte 
=  4»o— 4»5  «nd  spec.  Gew.  =  Sf^S-^Sfl^- 

Um  so  anffallender  ist  das  Vorkommen  derselben  Verbindung  mit  klino- 
rhombischer  Kristallisation,  von  Aiston  in  Cumberland  und  Langban  in  Schweden, 
welches  Barytocalcit  genannt  wurde.  Derselbe  bildet  ein  klinorhombisches 
Prisma  00  P  mit  dem  kHnodiagonalen  Kantenwinkel  =  84°  $2',  combinirt  mit 
einer  Hemipyramide  P'  und  dem  hinteren  Querhemidoma  P'  50  und  anderen  unter 
geordneten  Flächen.  Die  Hemipyramide  hat  den  kHnodiagonalen  Endkantenwinkel 
=  106^  54'  und  das  Querhemidoma,  welches  die  klinodiagonalen  Endkanten  von 
P'  gerade  abstumpft,  ist  gegen  die  Hauptachse  unter  61°  geneigt.  Er  ist  nach 
der  Hemipyramide  deutlich  spaltbar,  weniger  deutlich  nach  dem  Querhemidoma; 
gelblichweiss,  glasglänzend,  durchscheinend,  hat  Härte  =  4,0  und  spec.  Gew. 
=  3»63— 3»66. 

9.  Der  Strontianit,  benannt  nach  dem  Vorkommen  bei  Strontian  in 
Schottland,  woher  auch  die  in  ihm  enthaltene  Basis,  die  Strontia  oder  Strontian- 
erde  ihren  Namen  erhalten  hat.  Derselbe  ist  eine  Verbindung  der  Strontianerde, 
der  Strontia,  des  Strontiumoxydes  SrO  mit  Kohlensäure,  entsprechend  der  Formel 
SrO .  CO,  mit  70,2  Strontia  und  29,8  Kohlensäure.  Er  krystallisirt  orthorhombisch, 
isomorph  mit  Aragonit;  die  vorherrschend  prismatisch  ausgebildeten  Krystalle 
bilden  die  Combination  des  orthorhombischen  Prisma  00  P  117°  19'  mit  den 
Basisflächen,  dem  Längsdoma  Poo  mit  dem  Endkantenwinkel  =  108°  12',  der 
Pyramide  P  und  anderen  Gestalten.  Sie  bilden  Zwillinge  nach  00  P  wie  der 
Aragonit,  sind  nadelfbrmig  imd  spiessig  wie  dieser  und  zu  büschelförmigen 
Gruppen  verwachsen.  Auch  bildet  er  derbe  Massen  mit  dick-  oder  dürmsteng- 
liger  bis  fasriger  oder  mit  kömiger  Absonderung.  Er  ist  unvollkommen  spalt- 
bar parallel  dem  Prisma  00  P  und  dem  Längsdoma  2  P  00,  hat  Härte  =  3  und 
^c.  Gew.  =  3,6—3,8.  Er  ist  weiss  bis  farblos  (selten),  gewöhnlich  etwas 
gefärbt,   meist   hell,   grau,   blassgelb,  blassgelblichgrün,  «hat  Glasglanz,   auf  den 


HO 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


ßruchflächen  bis  wachsartigen,  ist  mehr  oder  minder  durchscheinend  bis  durch- 
sichtig (die  kleinen  farblosen  Krystalle). 

V.  d.  L.  schmilzt  er  schwierig  an  den  Spitzen  oder  Kanten,  zu  blumenkohl- 
ähnlichen  Formen  anschwellend,  leuchtet  stark  und  färbt  die  Löthrohrfiamme  in- 
tensiv karminroth.  In  Säuren  ist  er  leicht  mit  Brausen  auflöslich;  wird  die  salz- 
saure Lösung  eingedampft  und  der  Rückstand  mit  Alkohol  Übergossen,  so  brennt 
dieser  mit  karminrother  Flamme.  —  Das  seltene  Mineral,  welches  meist  etwas 
Kalkerde  als  stellvertretende  Basis  enthält,  wird  bisweilen  zur  Darstellung  der 
Strontia  und  ihrer  Salze  verwendet.  Als  Fundorte  sind  beispielsweise  Strontian  in 
Schottland,  Leogang  in  Salzburg,  Bräunsdorf  bei  Freiberg  in  Sachsen,  Clausthal 
am  Harz  und  Hamm  in  Westphalen  zu  nennen;  an  dem  letzteren  Orte  bildet  er 
Gänge  in  Kreidemergel. 

Magnesia,  Eisenoxydul  und  Manganoxydul  bilden  mit  Kohlensäure  bis  jetzt 
keine  orthorhombischen  Species,  können  aber  als  solche  noch  gefunden  werden 
und  in  Betreff  des  Manganoxydul  ist  nur  des  Manganocalcit  von  Schemnitz 
in  Ungarn  zu  gedenken,  welcher  fleischrothe  bis  röthlichweisse  nierenfbrmige  bis 
traubige  Gestalten  mit  rauher  oder  drusiger  Oberfläche  bildet,  im  Inneren  radial- 
stenglig  bis  fasrig  ist  und  Spaltungsflächen  wie  bei  Aragonit  erkennen  liess. 
Er  enthält  vorwaltend  kohlensaures  Manganoxydul  mit  erheblicher  Menge  von 
Kalkerdecarbonat  oder  Magnesiacarbonat. 

lo.  Der  Cerussit,  dessen  Name  von  dem  lateinischen  Namen  cerussa  de^ 
bekannten  Bleiweiss  wegen  der  qualitativ  gleichen  Zusammensetzung  enüehnt 
wurde,  ist  PbO  •CO,  mit  83,6^  Bleioxyd  und  16,4  Kohlensäure.  Er  ist  auch 
isomorph  mit  Aragonit  und  zeichnet  sich  durch  seine  bisweilen  sehr  schönen 
Krystalle  aus.  Dieselben  sind  z.  Th.  flächenreich,  pyramidal,  prismatisch,  doma- 
tisch  oder  tafelartig  ausgebildet.  Die  als  Grundgestalt  gewählte  P3rramide  F 
(deren  Endkantenwinkel  «=  130^0'  und  92^19',  deren  Seitenkantenwinkel  =  108'' 28' 
sind)  bildet  in  Verbindung  mit  dem  Längsdoma  2Poo  (Fig.  i)  scheinbar  hexa- 
gonale  Pyramiden,  wozu  auch  noch  das  Prisma  00  P  (117^14')  und  die  I^ngb- 
ttächen  treten  (Fig.  2),  die  Aehnlichkeit  mit  hexagonalen  Krystallen  vermehrend, 
(MiB  91 -»0 


F«.  I.  Fij  t.  Rg.  3. 

w  jahrein)  dieselben  Gestalten  als  Träger  von  Combinationen  auch  prismatij^hc 
Kn^uUe  vFiij.  3^  und  durch  Ausdehnuiuc  in  der  Richtung  der  Längsachse  oder 
der  lan)s%Aäihen  und  l>ci  Vcrkuriung  in  der  Richtung  der  Haupuchse  doma 
UMhr  Ki\>taUc  bilden«  Ausser  den  genannten  Gestalten  finden  sich  in  den 
l\m\luna(u>ncn  mn^h  nuinche  ainlece.  >fcTe  die  Längsdomen  Poo  (mit  der  Endkantc 
—  i\>»'  ift>  jr;^.»  4 IV^  die  BasisAacKe  oP.  die  Querilachen,  das  Prisma  ooPTu.  -1.  m. 


Carbonisches  System.  in 

Der  Cerussit  ist  wie  der  Aragonit  auch  zur  Zwillingsbildung  geneigt  und  die 
Krystalle  nach  demselben  Gesetze  verwachsen  bilden  sowohl  Berührungs-  als  auch 
Durchkreuzungszwillinge,  Drillinge  und  mehrfache  Wiederholung.  Ausser  deutlich 
kiystallisirt  bildet  er  besonders  Krystallstengel,  Spiesse,  Nadeln  und  Aggregate 
mit  stengliger,  schaliger  oder  kömiger  Absonderung.  Bisweilen  ist  er  dicht  oder 
erdig,  selten  stalaktitisch.  Die  Spaltungsflächen  sind  ziemlich  deutlich  parallel 
dem  Prisma  oo  P  und  dem  Längsdoma  2  P  oo.    Der  Bruch  ist  muschlig  bis  uneben. 

Der  Cerussit  ist  farblos  bis  weiss  (deshalb  auch  Weissbleierz  genannt,  zum 
Unterschiede  von  anderen  wesentlich  Bleioxyd  enthaltenden  Mineralen),  grau  bis 
schwarz  (Schwarzbleierz),  braun,  gelb,  selten  roth,  grün  oder  blau  gefärbt 
darch  Beimengungen  verschiedener  Art;  durchsichtig  bis  undurchsichtig,  hat 
diamantartigen  Glanz  oder  Wachsglanz,  weissen  Strich,  Härte  =  3,0 — 3,5  und 
spec  Gew.  =  6,4 — 6,6.  Er  ist  in  Salpetersäure  löslich  mit  Brausen,  zerknistert 
vor  dem  Löthrohre  erhitzt,  weniger  oder  nicht  der  dichte  und  erdige,  wird 
gelb  und  schmilzt  leicht  auf  Kohle,  sich  zu  Blei  reducirend  und  die  Kohle  gelb, 
in  grösserer  £«ntfemung  von  der  Probe  weiss  beschlagend. 

Er  kommt  ziemlich  häufig  vor,  auf  Gängen  und  Lagern,  oft  in  Begleitung 
von  Galenit,  PbS,  durch  dessen  Zersetzung  er  meist  gebildet  erscheint  und  sich 
noch  bildet,  schön  krystallisirt  bei  Przibram,  Mies  und  Bleistadt  in  Böhmen,  Blei- 
berg in  Kämthen,  Johanngeorgenstadt  in  Sachsen,  Zellerfeld  und  Clausthal  am 
Harz,  Badenweiler  in  Baden,  Braubach  und  Ems  in  Nassau,  sonst  noch  bei  Tar- 
nowitz  in  Oberschlesien,  Leadhills  in  Schottland,  Poullaouen  in  Frankreicli, 
Kertschinsk  in  Sibirien,  Beresowsk  am  Ural,  am  Altai,  bei  Kirlibaba  in  der  Buko- 
wina u.  s.  w.  Der  dichte  und  erdige  (Blei erde  genannt)  bei  Kall  in  der  Eifel, 
Nertschinsk  in  Sibirien,  Phönixville  in  Pennsylvanien,  Monteponi  in  Sardinien.  Er 
wird,  wenn  er  reichlich  vorkommt,  zur  Gewinnung  von  Blei  benützt. 

Ausser  den  wasserfreien  Carbonaten  finden  sich  auch  wasserhaltige,  z.  Th. 
mit  den  angeführten,  z.  Th.  mit  anderen  Basen.  Einige  dieser  wasserhaltigen 
Carbonate  sind  reichlich  vorkommende  Mineralarten,  welche  an  anderen  Orten 
besprochen  werden  sollen,  wie  die  Natron- Verbindungen  bei  den  Salzen,  die 
Knpferoxyd-Verbindungen  bei  den  Malachiten.  Andere  sind  selten  und  ohne 
grosse  Bedeutung,  wie  der  Hydromagnesit  (Magnesia-Verbindung),  derTexa- 
sit  (Nickel-Verbindung),  Bismutit  (Wismuth-Verbindung),  Lanthanit  (Lanthan- 
Verbindung)  Parisit  (Cer-Verbindung)  und  der  Hydroz in kit  (Zink- Verbindung) 
nach  der  Formel  2(H,O.ZnO)  4-  ZnO-  COg,  welcher  ausser  anderen  minder 
wichtigen  Fundorten  reichlich  bei  Cumillas  und  Udlas  in  der  Provinz  Santander 
in  Spanien  vorkommt,  stalaktitisch  mit  radialfaseriger  Absonderung,  dicht  bis  erdig 
in  ansehnlichen  derben  Massen,  eingesprengt  und  als  Ueberzug. 


Carbonisches  System 


von 


Dr.  Friedrich  Rolle. 
Auf  die  obersten  Schichten  des  devonischen  Systems  (namentiich  die  Cypri- 
dinenschiefer,  Clymenienkalke  u.  s.  w.)  folgt  eine  Schichtenreihe,  die  gewöhnlich 
durch  mehr  oder  minder  mächtige,  oft  in  überraschendem  Reichthum  über  ein- 
ander folgende  Steinkohlenlager  ausgezeichnet  ist  und  in  ihren  Fossil-EinschlUssen 
überhaupt  eine   reichliche  Vertretung  des  Land-  und    Luftlebens  zeigt.     Dies  ist 


112  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

das  Steinkohlensystem   oder  carbonische  System,   Hauptsteinkohlen- 
gebirge (Etage  carhonifirien). 

Die  Gesteine  dieses  Systems  bestehen,  gleichwie  die  der  vorausgegangenen 
silurischen  und  devonischen  Ablagerungen,  theils  aus  Sandsteinen,  Conglomeraten 
und  Schieferthonen,  theils  aus  Kalksteinen,  welche  letzteren  oft  auch  zu  Dolomit 
umgewandelt  erscheinen  (Kohlenkalk  oder  Bergkalk.)  In  manchen  Gebieten 
wird  diese  Schichtenfolge  mehrere  tausend  Meter  mächtig.  In  ihrem  Hangenden 
folgt  das  pennische  Systeip  oder  die  Dyas,  in  Nord-  und  Mittel-Deutschland  zu- 
nächst das  Rothliegende. 

Die  Steinkohlenformation  trägt  ihren  Namen  nach  dem  fast  über  alle  Theile 
der  Erdoberfläche  nachgewiesenen  Auibreten  zahlreicher  zum  Theil  mächtiger 
und  weit  ausgedehnter  Lager  oder  Flötze  von  Steinkohlen  im  Wechsel  mit  Sand- 
steinen und  Schieferthonen.  Allerdings  kommen  auch  SteinkohlenflÖtze  in 
manchen  jüngeren  Formationen,  z.  B.  im  Rothliegenden,  in  der  Lettenkohle  der 
Trias  und  im  Wealden  vor,  aber  ihre  Mächtigkeit  und  Ausdehnung  ist  weit  ge- 
ringer.  Dies  beruht  auf  einer  Reihe  von  Vorgängen  in  der  Umgestaltung  der 
Erdoberfläche,  die  in  keiner  anderen  Epoche  der  Ausbildung  unseres  Planeten  in 
demselben  Grade  ausgeprägt  erscheinen,  wiewohl  sie  in  ähnlicher,  aber  schwächerer 
Weise  vielleicht  zu  allen  späteren  Zeiten  stattfanden.  Diese  Vorgänge  bestanden 
in  erster  Linie  in  zahlreichen  successiven  Schwankungen  der  Erdrinde  um  das 
bleibende  Niveau  des  Meeresspiegels.  Ihre  stärkere  Ausprägung  im  Verlaufe  der 
Steinkohlenepoche  aber  beruht  auf  besonderen  Eigenthümlichkeiten  der  damaligen 
Festlandflora,  die  wir  näher  zu  erörtern  haben. 

Die  Ablagerungen  der  Steinkohlenepoche  zeigen  zunächst  im  Gegensatz  zu 
denen  der  devonischen  Formation  eine  mehrfache  Wechsellagerung  von  Meeres- 
und Süsswasserabsätzen,  eine  Erscheinung,  die  in  den  uns  bis  jetzt  bekannten 
devonischen  Schichten  nur  in  leichten  Spuren  angedeutet  erscheint  Aber 
während  der  Steinkohlen-Epoche  müssen  zahlreich  wiederholte,  wie  es  scheint« 
meist  sehr  allmählige  Hebungen  und  Senkungen  auf  weite  Gebiete  hin  die  Ge- 
stalt von  Festland  und  See  verändert  haben.  Diese  Vorgänge  sind  nicht  alle 
gleicher  Weise  ins  Klare  zu  bringen,  wir  sehen  aber  öfter,  dass  an  flachen  Fest- 
landküsten ein  häuflger  Wechsel  zwischen  seichter  Meeresbedeckung  und  flachem 
morastigem  Festlandgebiet  statt  hat.  Das  Festland  scheint  dabei  mehr  und  mehr 
an  Ausdehnung  gewonnen,  aber  vorwiegend  niedere  wellige  Flächen  gebildet  zu 
haben,  welche  die  Entwicklung  einer  üppigen  Sumpiflora  begünstigten.  Wir 
können  vermuthen,  dass  im  Continentalgebiete  damals  auch  schon  Gebirge  vor- 
handen waren,  wissen  aber  nichts  Näheres  von  ihrer  Gestaltung  und  ihrer 
Vegetationsdecke. 

Die  tiefere  Region  des  Steinkohlensystems  nehmen  im  Allgemeinen  meerische 
Absätze  ein,  in  der  höheren  Region  erscheinen  vorzugswebe  Festland-  und  Sü^s- 
wasser- Ablagerungen.  Aber  es  tritt  auch  an  anderen  Orten  das  Umgekehrte  ein. 
so  dass  wir  annehmen  müssen,  dass  Meer  und  Festland  immer  zugleich  damals 
schichtenbildend  wirkten.  Wir  haben  also  zunächst  beide  bald  successiven,  bald 
gleichzeitigen  Gestaltungen  der  Schichtenbildung  mit  ihrer  Fossil-Einschliessung 
ins  Auge  zu  fassen. 

Die  Ablagerungen  der  Steinkohlenformation  zerfallen,  je  nachdem  sie  aus 
dem  Meere  oder  auf  dem  zwischen  Hebung  und  Senkung  schwankenden  Fesdande 
abgesetzt  wurden,  in  zwei  -  bald  in  demselben  Gebiet  an  Alter  verschiedenen  — 
bald  aus  der  Vergleichung  getrennter  Gebiete  als  gleichzeitig  sich  herausstellenden 


Carbonisches  System.  113 

Schichten-Reihen,  einerseits  Meeresabsätze,  andererseits  limnische  oder  Festland- 
und  Sumpf-Ablagerungen.  Manche  Theile  der  Erdoberfläche  waren  unter  Meeres- 
bedeckung, aus  der  sich  nur  eine  Reihe  meerischer  Ablagenmgen  bildete,  indem 
hier  keine  Hebung  über  den  Meeresspiegel  eintrat  So  war  es  im  grössten 
Theile  des  weit  ausgedehnten  Gebietes  der  Steinkohlenformation  im  europäischen 
Russland,  auch  in  einem  grossen  Theile  von  Nord-Amerika.  In  anderen  Theilen 
der  Erdoberfläche  wurden  Meeresabsätze  —  Kohlenkalk  und  Culm  —  allmählich 
über  den  Meeresspiegel  emporgehoben  und  zu  niederem  Festlande  umgebildet,  auf 
welchem  dann  limnische  Schichten  mit  Kohlenflötzen  abgelagert  wurden.  Letzteres 
ist  in  der  Regel  der  Fall,  wie  in  England,  Belgien  und  Westphalen.  Hier  be- 
steht darnach  die  Steinkohlenformation  aus  einer  älteren  vorwiegend  meerischen 
Ablagerung  —  Kohlenkalk  und  Culm  —  und  aus  einer  jüngeren  vorwiegend 
limnischen  Ablagerung,  oder  der  eigentlichen  in  bergmännischer  Hinsicht  pro- 
ductiven  Steinkohlenbildung. 

Ueberhaupt  tritt  in  der  Steinkohlenformation  weit  bedeutender  als  im  Silur 
und  im  Dievon  die  Verschiedenheit  von  Gesteinsablagerungen  mit  organischen 
Einschlüssen  nach  der  besonderen  Art  der  Ablagerungs-  und  Lebensbedingungen 
in  verschiedenen  geographischen  Gebieten  in  den  Vordergrund. 

Während  in  mehr  oder  minder  tiefen  oceanischen  Gebieten  sich  kalkige 
Ablagerungen  mit  zahlreichen  Rhizopoden,  Korallen,  Brachiopoden  u.  s.  w.  ab- 
setzten, die  jetzt  den  Kohlenkalk  darstellen,  konnten  gleichzeitig  in  flachen 
Meeresgebieten  in  der  Nähe  des  Festlandes  unter  Mitwirkung  einmündender 
Flüsse,  die  Sand  und  Schlamm  zuführten,  thonige  und  sandige  Gesteine  ent- 
stehen, die  vorwiegend  Acephalen  einschliessen  und  jetzt  die  Culm-Schichten 
darstellen. 

In  der  gleichen  Zeit  entstanden  aber  auch  auf  niederen  morastigen  Strecken 
des  Festlandes  —  unter  häuflgen  Oscillationen  der  Meereshöhe  desselben  — 
Sandsteine  und  Schieferthone  mit  Kohlenlagern.  Diese  schlössen  dann  neben 
zahlreichen  Pflanzenresten  auch  limnische  Conchylien,  Süsswasserflsche,  land-  und 
"^umpfbewohnende  Amphibien  ein  und  stellen  die  limnische  Facies  mit  der  pro- 
ductiven  Steinkohlenbildung  dar. 

Für  alle  Gegenden,  in  welchen  das  Steinkohlensystem  zu  unterst  aus  Meeres- 
talk —  Kohlenkalk  —  darüber  aus  Conglomeraten  und  Sandsteinen,  zu  oberst 
aus  Sumpf-Absätzen  mit  Kohlenflötzen  besteht  —  also  einen  grossen  Theil  von 
Europa,  namentlich  England,  Belgien,  Westphalen  —  und  einen  Theil  von  Nord- 
Amerika  —  bedeutet  diese  Reihenfolge  eine  zunehmende,  wahrscheinlich  meist 
alhnähliche  Hebung  des  Meeresgrundes,  auf  welchem  sich  anfanglich  Kohlenkalk 
und  Culm  ablagerten  —  später  Sand  und  Gerolle  des  Meeresstrandes  ab- 
setzten —  worauf  sich  dann  in  Oscillationen  unter-  und  oberhalb  des  Meeres- 
spiegels Absätze  aus  Sümpfen  und  Strandlagunen,  wohl  meistens  in  der  Nähe  der 
Meeresküsten  bildeten. 

Aber  in  anderen  Gegenden  nimmt  die  limnische  Facies  oder  die  productive 
Steinkohlenformation  die  ganze  Reihenfolge  der  Absätze  ein.  So  im  Kohlen- 
becken von  Saarbrücken.  Die  untere  Schichtenreihe  gehört  hier  der  durch  das 
zahlreiche  Auftreten  grosser  Lepidodendren  ausgezeichneten  Zone  an,  die  man 
^s  Aequivalent  von  Kohlenkalk  und  Culm  anzunehmen  Gnmd  hat.  In  diesem 
Falle  hat  man  zu  schliessen,  dass  in  örtlicher  Ausdehnung  durch  die  ganze  Ab- 
iagenmg  der  Steinkohlen-Folge  ein  unter  successiven  Oscillationen  fortgehendes 
Einsinken  des  Bodens,  auf  dem  die  kohlenbildende  Vegetation  wuchs,  statthatte. 

KciQiGOTr,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  8 


114  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Das  Steinkohlengebirge  ist  —  wenn  auch  nicht  die  einzige,  doch  bei  weitem 
—  die  vorzüglichste  Lagerstätte  der  Steinkohlen.  Dir  Substrat  waren  meisten* 
theils  Gefasskryptogamen ,  besonders  SigiUarien,  Lepidodendren ,  Famen  und 
Calamiten.  In  anderen  Lagern  erscheinen  viele  Coniferen  (Araucariten).  Ihre 
ausserordentlich  reiche  Ablagerung  in  der  carbonischen  Epoche  beiuhte  vorzugs- 
weise auf  der  grossartigen  Entwicklung  einer  in  Festland-Sümpfen  wuchernden 
und  grosse  Holzmassen  anhäufenden  Baum-Vegetation,  wie  sie  weder  in  einer 
der  späteren  geologischen  Epochen,  noch  irgendwo  in  der  Jetztwelt  sich  wieder- 
holt i). 

Die  Hauptrolle  spielten  dabei  die  Sigillarien,  mächtige  Bäume,  deren 
weit  ausstrahlenden  Rhizome  (kriechende  Wurzelstöcke)  oder  die  sogen.  Stig- 
marien ein  filzartig  geschlossenes  Netz  in  Sümpfen  und  Morästen  bildeten  — 
und  analog  den  heutigen  Torfmoosen  (Sphagnum-ßiXttn)  mehr  Cellulose  auf- 
sammelten, als  gleichzeitig  und  nachfolgend  durch  die  zersetzende  Wirkung  der 
Atmosphärilien  u.  s.  w.  aufgelöst  oder  verflüchtigt  werden  konnte.  Das  ab- 
sterbende und  zu  Boden  sinkende  Pflanzen-Material  häufte  sich  zu  mächtigen 
Schichten.  Senkungen  des  Bodens  folgten  dann,  neue  Lager  von  Sand  und 
Schlamm  wurden  daiüber  während  der  Senkungszeit  ausgebreitet  und  diese  ver- 
langsamten ihrerseits  noch  weiter  den  Zersetzungsprozess  im  vegetabilischen 
Lager. 

Alle  Steinkohlenflötze  —  oder  soweit  unsere  Kenntniss  reicht,  wenigstens  die 
überwiegende  Mehrzahl  derselben,  sind  an  der  Stelle  entstanden,  wo  die  Baum- 
vegetation, aus  deren  Material  sie  hervorgingen,  gewachsen  ist.  Erwiesen  wird 
dies  in  zahlreichen  Fällen  erstens  durch  einzelne  oberhalb  der  Kohlenflötze  in 
Sand  und  Schlamm  vergrabene  aufrecht  stehende  Baumstämme,  häufiger  nocli 
zweitens  durch  die  Auflagerung  der  Kohlenflötze  auf  einer  durch  Wurzelfasem 
(Zasem  oder  Blattfibrillen)  von  Sigillarien-Rhizomen  (oder  Stigmarien)  durch- 
zogenen alten  Dammerde-Schicht  Dies  sind  die  sogen*  Stigmarienthone,  die 
ausser  Sigillarien-Wurzelwerk  selten  andere  Fossilreste  liefern.  Jeden  Stigmarien- 
thon  überlagert  ein  Steinkohlenflötz.  Ueber  diesem  FlÖtz  folgt  dann  oft  eine 
Sandstein-Schicht  mit  aufrechten  Sigillarien-Stämmen.  Die  sandige  Schicht  ent- 
spricht dann  einer  Senkungsepoche.  Die  aufrecht  stehenden  Stämme  sind  meist 
solche  von  SigiJlaria  oder  von  Lepidodendroriy  selten  von  Caiamites.  Damach 
pflegte  wieder  eine  Hebungsepoche  einzutreten,  das  nä<!hste  ist  dann  wieder  die 
Ablagenmg  eines  Stigmarien-Thones  (d.  h.  Morastboden)  und  demnächst  die 
eines  Kohlenflötzes   (d.    h.    einer  Morastvegetation).     Dieser  Turnus  wiederholt 


*)  Gewöhnlich  nimmt  man  an,  dass  die  Atmosphäre  unseres  Planeten  durch  die  hochge- 
steigerte Massenhaftigkeit  der  Vegetation  während  der  Steinkohlen-Epoche  eine  wesentliche  N'cr- 
änderung  erfuhr  und  bis  dahin  reicher  an  KohlensHurc  war,  als  sie  heute  erscheint.  Man  kann 
auch  als  sicher  annehmen,  dass  der  ganze  Kohlenstoff-Gehalt  der  mächtigen  Massen  der  Stein- 
kohle vor  der  carbonischen  Epoche  sich  in  Form  von  Kohlensäure  in  der  Atmosphäre  befan<l 
ja  sogar  dass  der  ganze  Kohlensäuregehalt  der  verschiedenen  älteren  und  jüngeren  Kalkstein- 
Formationen  aus  derselben  Quelle  stammt.  Indessen  vermögen  wir  Über  den  Zustand  der  At- 
mosphäre in  den  ältesten  Epochen  der  Ausbildung  unseres  Planeten  nur  hypothetische  Vor> 
Stellungen  zu  fassen  (z.  B.  nach  astronomischen  Analogien)  —  und  was  die  carbonischc  E|H>che 
betrifft,  so  war  der  damalige  Kohlensäuregehalt  der  Atmosphäre  (wenn  er  auch  am  ein  Be- 
trächtlichem grösser  als  jetzt  angenommen  werden  darf)  doch  immer  noch  so  gering,  üa^^ 
Insekten,  Scorpione  und  luftathmende  Amphibien  berciL<i  darin  zu  gedeihen  vermochten.  Em 
Mehrere«  iKt  mit  Bestimmtheit  kaum  noch  zu  ermitteln. 


Carbonisches  Systeii..  115 

sich  in  vielen  Kohlenrevieren  zu  mehreren  Malen  je  nach  der  Zahl  der  Boden- 
Osciliationen,  die  das  betreffende  Gebiet  erlitt.  So  kennt  man  in  der  Provinz 
Neu-Schottland  (Nova  Scotia)  76  aufeinander  folgende  Kohlenflötze,  jedes  mit 
einem  Liegenden  von  Wurzel-Thon,  häufig  auch  in  der  Hangendschicht  mit  auf- 
rechten Baumstämmen.  An  der  Küste  der  Fundy-Bay  in  Neu-Schottland  hat 
man  18  durch  Baumstämme  bezeichnete  Zonen  oberhalb  von  je  einem  Kohlen- 
flötz  beobachtet. 

Wenige  Steinkohlenflötze  mögen  aus  Baumstämmen  entstanden  sein,  die 
Flüsse  in  Lagunen  oder  seichten  Becken  des  Meeresstrandes  ablagerten.  Es  ist 
wohl  kein  einziges  sicheres  Beispiel  von  wirklich  mariner  Steinkohle  bekannt 
Seetange  können  unter  gewissen  Umständen  sich  anhäufen,  aber  sie  haben,  soviel 
man  weiss,  keinen  ersichtlichen  Antheil  an  der  Massenbildung  der  mächtigen 
Steinkohlenflötze  genommen. 

In  der  Folge  ging  in  den  Kohlenlagern  eine  Zersetzung  vor  sich,  die  Cellu- 
lose  gab  Kohlensäure,  Wasser  und  Kohlenwasserstoff  ab.  Dazu  kam  die  Zu- 
sammenpressung  der  Lager  durch  die  darüber  folgende  Last  jüngerer  Schichten. 
Sie  machte  sich  um  so  mehr  geltend,  als  durch  die  entweichenden  Gase  ein 
Schwund  in  der  Pflanzenmasse  stattfand,  der  eine  Abplattung  des  zurückbleiben- 
den Materials  begünstigte.  Darüber  ging  die  organische  Form  des  vegetabilischen 
Materials  mehr  und  mehr  verloren  und  ist  oft  nur  noch  für  mikroskopische 
Untersuchung  in  nachweisbarer  Erhaltung  vorhanden.  Besser  und  oft  überraschend 
^ut  erhielt  sie  sich  in  den  die  Steinkohlen  begleitenden  besonders  im  Hangen- 
den der  Flötze  aufb'etenden  feinerdigen  Schieferthonen,  deren  Schichtenablösungen 
gewöhnlich  dicht  mit  wohlerkennbaren  Blättern,  Stengeln  und  Rindenabdrücken 
bedeckt  erscheinen. 

Die  Kohle  ist  theils  echte  Steinkohle,  theils  Anthracit.  Die  echte  Steinkohle 
tührt  noch  einen  mehr  oder  minder  grossen  Bitumengehalt,  der  dann  gewöhnlich 
durch  die  fortdauernde  Zersetzung  und  Gasentweichung  sich  kundgiebt.  Ver- 
hängnissvoll fUr  den  Bergbau  ist  namentlich  die  Entwicklung  entzündlichen 
Kohlenwasserstoffgases  in  den  Kohlengruben  von  England  und  Belgien  (Schlagende 
Welter).  In  anderen  Kohlenlagern  ist  der  Verkohlungsvorgang  weiter  vorgerückt. 
Das  Bitumen  ist  zersetzt  und  abgedunstet.  Dies  bemerkt  man  besonders,  wo  die 
Lager  nachträglich  starke  Störungen  und  Zerklüftungen  erlitten  haben.  Die 
Kohle  erscheint  dann  als  Anthracit.  Diese  Umbildung  der  bituminösen  Kohle 
2u  Anthracit  hat  in  grossem  Maassstabe  in  den  atlantischen  Staaten  von  Nord- 
Amerika,  namentlich  in  Pennsylvanien  stattgefunden,  ebenso  auch  in  Steiermark 
(Turrach),  im  Canton  Wallis  u.  a.  a.  O. 

Die  Steinkohle  überhaupt  ist  eine  stark  umgewandelte  »mehr  oder  minder 
einem  Minerale  ähnlich  gewordene  Pflanzenmasse.  Aber  in  allen  Sorten,  nament- 
lich aber  der  noch  mit  einem  gewissen  Bitumengehalt  versehenen  und  noch  Gase 
entbindenden  echt&n  Steinkohle  ergeben  mikroskopische  Untersuchungen  nach 
einer  oder  der  andern  Methode  noch  die  zellige  Structur  des  holzigen  Substrat' s. 
Die  bitumenreichste  Sorte  ist  die  Cannelkohle  (CancUe-coal  oder  Kerzenkohle  der 
Engländer)  von  scheinbar  dichter  Masse  und  flachmuscheligem  Bruch.  Sie  ent- 
hält 5j  Wasserstoff  und  ist  zufolge  ihres  starken  Bitumengehalts  leicht  entzünd- 
lich. Sie  ist  besonders  in  England  verbreitet.  —  Dawson  fand  in  gewissen 
Cannelkohlen  von  Nord-Amerika  zahlreiche  Sporangien  und  Sporen,  die  er  von 
Lepidüdendron  ableitet.  Er  nimmt  an,  dass  die  Cannel-coal  besonders  aus  seichten 
Gewässern  in  der  Nähe  von  Lepidodendron-WoXdtm  entstand,  während  die  übrigen 

8* 


1 1 6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Kohlensorten  mehr  aus  verschlungener  Morastvegetation  hervorgingen  und  beson- 
ders von  Sigillarien  (nebst  Stigmarien),  Calamiten  u.  s.  w.  abstammen. 

Fragen  wir  nach  dem  Fortschritt  in  der  Organisation  der  Lebewdt  der 
Steinkohlen-Epoche  im  Gegensatz  zum  Stande  der  Diiige  in  den  vorhergegangenen 
Epochen,  so  wird  zunächst  eine  mächtige  Veränderung  offenbar,  welche  nach 
Abschluss  der  Devon-Epoche  das  Land-  und  Luftleben  nach  seiner  Ausbreitung 
erfahren  hat,  weiterhin  aber  macht  sich  auch  ein  Fortschritt  im  Auftreten  neuer  zu 
einer  höheren  Organisation  gelangten  Lebensformen  der  Continente  bemerkbar. 
Weit  weniger  haben  sich  die  Bewohner  des  Meeres  geändert,  wiewohl  auch  sie 
im  Kohlenkalk  meist  andere  Arten  als  im  devonischen  System  darstellen. 

Die  im  oberen  Silur  und  im  Devon  erst  spärlich  und  namendich  in  meist 
geringer  Individuen-Anhäufung  vertretenen  Gefass-Kryptogamen  wuchern  nunmehr 
in  einer  während  keiner  anderen  geologischen  Epoche  wieder  erreichten  Riesen- 
haftigkeit  des  Wuchses  und  Ueppigkeit  der  Vegetation  in  Morästen  und  feuchten 
Strecken  des  Binnenlandes.  Sigillarien,  Lepidodendren,  Famen  und  Calamiten 
überziehen  in  mächtigen  Stämmen  und  dicht  gedrängten  Waldungen  die  Niedenmgen 
und  Sümpfe,  namentlich  der  Meeresküste  entlang,  aber  auch  wohl  in  abgelegenen 
Becken  der  Continente. 

Coniferen  treten  auch  schon  in  grossem  Reichthum  auf  und  mögen  trocknere 
höher  gelegene  Strecken  des  Festlandes  vorzugsweise  über^'aldet  haben.  Cycadeen 
und  Monocotyledonen  werden  schon  aufgeführt,  unter  ihnen  ist  namentlich  die 
yielgedeutete  Pflanzenform  Noeggerathia  hervorzuheben.  Dicotyledonen  fehlen 
noch.  Zellen-Kryptogamen,  z.  B.  Algen  und  moosartige  Gewächse  müssen  in 
Fülle  der  Arten  vorausgesetzt  werden,  ihre  Substanz  erhielt  sich  aber  entweder 
gar  nicht  oder  doch  nicht  in  deutlichen  Resten. 

Gestützt  auf  die  Fülle  der  Land-  und  Süsswasser- Vegetation  treten  nun  auch 
die  landbewohnenden  und  luftathmenden  Thiere  nebst  Süsswasserbewohnem  in 
überraschender  Zahl  der  Familien  und  Ordnungen  auf,  wiewohl  die  Häufigkeit  der 
individuellen  Funde  gewöhnlich  meist  gering  bleibt. 

Im  Süsswasser  zeigen  sich  die  ersten  Süsswassermuscheln,  namentlich  Arten 
der  Gattung  Anthracosia^  den  heutigen  Unionen  unserer  Flüsse  und  Bäche  ver- 
wandt. Mit  ihnen  erscheinen  Süsswasserfische,  meist  den  eckschuppigen  Ganoiden 
angehörig,  die  damals,  wie  es  scheint,  aus  dem  Meere  in  Flüsse  und  Süsswasser- 
seen  aufstiegen.  Mit  ihnen  und  in  manchen  Schichten  häufig  erscheinen  muschel- 
tragende Phyllopoden,  wie  Estheria  und  Leaia,  ferner  zahlreiche  kleine  Ostracoden 
oder  Cyproiden,  auch  wohl  schon  andere  Süsswasserkrebse  höherer  Ordnung. 

Dazu  kommen  eine  Menge  vereinzelter  Funde  von  Scorpionen  {Cyclophthal- 
mus  und  Microlabis)^  Tausendfiissem  (Xylobius)  Termiten,  Schaben,  Käfern 
u.  s.  W;  Auch  der  erste  Fund  einer  Landschnecke  ist  zu  verzeichnen  (Pufa 
vetusta  Daws.). 

Die  Amphibien  erscheinen  in  einer  Reihe  von  Süsswasser  und  Land  be- 
wohnenden Formen,  meist  Ganocephalen,  vielleicht  auch  schon  Labyrinthodonten. 
Unter  ihnen  sind  schon  Baumbewohner,  die  muthmasslich  schon  auf  Insekten 
Jagd  machten.  Vielleicht  lebten  in  Flussmündungen  auch  schon  luflathmende 
schwimmende  Reptilien,  aber  man  kennt  von  solchen  bis  jetzt  noch  nichts  weiter 
als  ein  paar  Wirbelkörper  (Eosaurus  Acadianus   Marsh.) 

Ueberhaupt  war  also  die  Fauna  des  Festlandes,  der  süssen  Gewässer  und  der 
Strandsümpfe  des  Meeres  schon  in  zahlreichen  Familien  und  Ordnungen  während 
der    carbonischen  Epoche    vertreten.     Namentlich    hat   Nord-Amerika    reichliche 


Carbonisches  System.  117 

Beiträge  geliefert.  Fast  mit  jedem  Jahr  werden  neue  merkwürdige  Funde  zur 
Kenntniss  gebracht.  Die  ersten  Anfänge  dieser  carbonischen  Binnen-Fauna  mögen 
schon  in  die  devonische  Epoche  fallen,  sind  uns  aber  nicht  bekannt 

Das  Meer  der  Steinkohlen-Epoche  war  ähnlich  wie  in  der  devonischen  Zeit 
bevölkert,  doch  nehmen  Gattungen  hier  Abschied,  um  anderen  den  Platz  zu 
räumen  und  die  Arten  sind  meistens  andere  geworden. 

Foraminiferen  erscheinen  in  lagerbildender  Häufigkeit.      Anthozoen  in  zahl- 

« 

reichen  Gattungen,  meist  von  den  devonischen  verschieden,  erscheinen  in  Riff- 
Bauten  angesammelt,  meist  sind  es  noch  Tetracorallia  (Zoantharia  rugosa)  und 
Favositiden  (Tabulaten).  Reichlich  vertreten  erscheinen  die  Crinoideen  und  Blastoi- 
deen.  Ebenso  die  Brachiopoden,  unter  denen  hier  namentlich  die  Gattung 
Productus  durch  grosse  Zahl  der  Arten  in  den  Vordergrund  tritt.  Acephalen  und 
Gastropoden  des  Meeres  bieten  im  Allgemeinen  wenig  Auffallendes  im  Vergleich 
mit  der  devonischen  Fauna.  Durch  zahlreiche  Arten  vertreten  ist  Bellerophon, 
Die  Cephalopoden  erscheinen  als  Nautilen,  Orthoceren  und  Goniatiten.  Im 
Erlöschen  sind  die  Trilobiten  und  nur  durch  wenige  Arten  noch  vertreten. 

Häufig  sind  Zähne  und  Flossenstacheln  von  Knorpelfischen  im  Kohlenkalk, 
aber  ihre  systematische  Stellung  ist  auch  hier  oft  schwierig  zu  ermitteln.  Hybo- 
donten  und  Cestracionten  sind  in  unverkennbaren  Resten  zu  unterscheiden.  Bei 
Pflasterzähnen  wird  oft  die  Deutung  zwischen  Cestracionten  und  Chimäroiden 
schwierig,  ebenso  die  Frage,  ob  darunter  schon  Lurchfische  anzunehmen  sind. 
Dazu  kommen  wieder  zahlreiche  Flossenstacheln  von  sehr  problematischer  Deutung. 
Besser  steht  es  mit  den  Ganoiden,  von  denen  man  viele  Formen  in  mehr  oder 
minder  vollständig  erhaltenen  Skeletten  kennt.  Sie  sind  alle  noch  ungleichlappig 
geschwänzt  Fast  verschwunden  sind  die  gepanzerten  Ganoiden,  mächtig  ver- 
treten die  Cycliferen  und  Rhombiferen,  welche  letztere  (mit  Ambfypterusy  Rhab- 
doUpis  und  Acanthodes)  auch  in  die  Flüsse  und  Süsswasserseen  aufstiegen.  Amphi- 
bien wurden  schon  bei  der  Land-  und  Süsswasser-Fauna  erwähnt.  Aber  das  Meer 
der  Steinkohlenepoche  hat  bis  jetzt  weder  von  Amphibien  noch  von  Reptilien 
bestimmte  Reste  geliefert. 

Für  die  silurische  und  die  devonische  Epoche  nimmt  man  ein  gleichmässig 
tropisches  Klima  fiir  die  ganze  Erdoberfläche  an,  ebenso  flir  die  Steinkohlen- 
Epoche,  aber  flir  letztere  6rst  liegen  einigermassen  reichlichere  Ausgangspunkte 
der  Abschätzung  vor.  Organisches  Leben  in  wässerigem  Mittel  kann  überhaupt 
nach  Bronn's  Zusammenstellung  für  gewisse  Pflanzen  schon  bei  80°  oder  selbst 
85^  für  Thiere  bei  75°C.  begonnen  haben.  Sehen  wir  aber  auch  davon  ab,  so 
crgiebt  sich  jedenfalls  für  das  carbonische  Zeitalter  noch  ein  entschieden  heisses 
Klima. 

Die  Steinkohlen-Formation  erscheint  mit  fast  identer  Flora  und  Fauna  fast 
in  allen  Erdtheilen  und  unter  allen  zugänglichen  Breitengraden.  So  im  arktischen 
Gebiet  —  sowohl  mit  Kohlenkalk  als  mit  produktiver  Kohlenbildung  —  auf  Spitz- 
bergen, der  Bären-Insel,  Novaja  Setnlja  u.  s.  w.  Auch  aus  der  Südspitze  Amerikas 
kennt  man  Meeresthier-Reste  der  Steinkohlenformation,  die  theils  ganz  ident, 
theils  nahezu  ident  mit  denen  der  übrigen  Gebiete  sind.  Die  üppige  Baumvege- 
tation der  Steinkohlen-Epoche,  ihre  Zusammensetzung  aus  riesenhaften  Gefäss- 
kryptogamen,  namentlich  l-,ycopodiaceen,  Sigillarien,  Baumfamen  u.  s.  w.  erweist 
zur  Genüge  ein  feucht-heisses  Klima.  Seine  Temperatur  ist  nicht  bestimmt  zu 
«mittcln,  aber  man  schätzt  sie  jedenfalls  zu  über  20  und  25°  C  Namentlich 
aber  ist  als  sicher  anzunehmen,  dass  dieses  Klima  Frost  ausschloss. 


Ii8  Mineralogie,   Geologie  und  Palacontolog'ic. 

Die  Verbreitung  der  carbonischen  Flora  und  ihrer  Steinkohlenilötze  über  fast 
alle  bekannten  Breiten  der  Erdoberfläche  —  sowohl  die  Aequatorialzone  als  die 
arktische  Zone  —  erweist  zur  Genüge,  dass  ein  solches  feuchtes  heisses  Klima  sich 
in  wesentlich  gleichförmiger  Weise  über  die  ganze  Erdoberfläche  ausdehnte  und 
dass  die  Erde  noch  keine  merkliche  polare  Abkühlung  erlitten  hatte.  Das  Klima 
der  Polarregionen  kann  damals  nur  unerheblich  —  wenn  überhaupt  —  von  der 
des  Aequators  verschieden  gewesen  sein. 

Es  erübrigt  uns  nun  noch,  einen  Blick  auf  die  stratigraphischen  Unterab- 
theilungen der  Steinkohlenformation  zu  werfen,  deren  oben  schon  gelegentlich  ge- 
dacht wurde. 

Die  tiefere  Abtheilung  nehmen  im  Allgemeinen  meerische  Absätze  ein.  Da- 
hin gehört  namentlich  der  Kohlenkalk  (carboniferous  ünustone)  oder  Bergkalk  der 
Engländer  (mountain  limestone)  mit  reicher  Fauna  von  Corallen,  Foraminiferen, 
Crinoideen,  Brachiopoden  u.  s.  w.  Er  beherbergt  niemals  Steinkohlenflötze 
meerischen  Ursprungs  (d.  h.  aus  Anhäufung  blosser  Meeresalgen  entstanden).  Da- 
hin gehört  femer  der  Culm,  meerische  Absätze  von  Thon  und  Sand  mit  vor- 
herrschenden Acephalen.  Der  Kohlenkalk  oder  Bergkalk  bildet  vorzugsweise 
die  untere  Abtheilung  des  Steinkohlengebirges,  namentlich  in  England,  Belgien, 
bei  Aachen  u.  a.  O.  Es  ist  eine  kalkige  rein  meerische  Ablagerung,  ausserordent- 
lich reich  an  Meeresthier-Resten,  besonders  an  Corallen  (Lithostrotion,  Cyathaxo- 
nia  u.  s.  w.),  Crinoideen  (Cyathocrinus,  AcHnorinus  u.  s.  w.),  Blastoiden  (Pentremi- 
tesjt  Brachiopoden  (wie  namentlich  JF^oäuctus-Arten),  Cephalopoden  {Orthoceras^ 
Goniatites  u.  s.  w.).  An  Fischzähnen  ist  er  besonders  in  England  und  Irland  reich. 
Dies  ist  eine  rein  marine  Fauna  theils  von  Corallenriffen,  theils  aus  tieferen 
Meeresregionen,  sehr  analog  dem  Eifeler  Kalk  des  devonischen  Systems. 

Den  Kohlenkalk  vertritt  in  manchen  Gegenden,  besonders  in  Nassau  und 
Westphalen,  in  Schlesien  u.  s.  w.,  der  Culm  mit  dem  Posidonomyenschiefer,  vor- 
wiegend schlammige  und  sandige  Absätze,  wie  Thonschiefer,  Kieselschiefer, 
Sandstein  u.  s.  w.  Der  Culm  ist  reich  an  Meeresfauna,  doch  besteht  diese  vor- 
züglich aus  Zweischalera  (Posidonomya  Becheri)^  wozu  auch  einige  Cephalopoden 
(Goniatites  sphaericus,  Orthoceras  striatulum)  kommen.  Er  entstand  aus  seichteren 
Meeresgebieten  nahe  dem  Festlande  und  ist  auch  reich  an  Einschlüssen  von 
Landpflanzen  (z.  B.  Calamites  transitionis  und  Knorria  imbricata).  Der  Culm 
enthält  fast  nie  Korallen,  noch  Crinoideen,  auch  nur  wenige  Brachiopoden. 

In  manchen  Gegenden  beherbergt  die  Unterregion  des  carbonischen  Systems 
auch  schon  Steinkohlenflötze.  Die  Kohlenmulde  von  Hainichen  und  Ebersdorf 
in  Sachsen  ist  eine  kohlenführende  Ablagerung  der  subcarbonischen  Zone.  Sie 
besteht  zu  unterst  aus  Conglomeraten.  Die  obere  Abtheilung  sind  Sandsteine  und 
Schieferthone  mit  5  Kohlenflötzen.  Diese  Mulde  ftihrt  von  Pflanzenresten 
besonders  Calamites  transitionis,  Sphenopteris  distans,  Sßgenaria  Velthiimiana^ 
Knorria  imbricata. 

Die  Oberregion  der  Steinkohlenformation  besteht  in  den  meisten  Gebieten 
vorwiegend  aus  Süsswasserabsätzen.  Sandsteine  und  Schieferthone  wechseln  mit 
Steinkohlenflötzen  und  oft  zu  sehr  wiederholten  Malen,  wobei  das  unmittelbare 
Liegende  der  Kohle  sich  gewöhnlich  als  Stigmarienthon  d.  h.  als  deutlicher 
bewurzelter  Morastboden  herausstellt.  Die  ganze  Mächtigkeit  der  oberen  kohlen- 
flihrenden  Region  ist  stellenweise  noch  sehr  beträchtlich  und  die  Kohlenflötze 
folgen  darin  zahlreich  auf  einander.  In  Westphalen  zählt  man  deren  bis  über 
130.    Bei  Saarbrücken,  wo  die  productive  Steinkohlenbildung  schon  in  der  Unter- 


Carbonisches  System.  1 19 

region  (Lycopodiaceen-Zone)  anhebt,  zählt  man  sogar  über  230  Flötze  mit  einer 
gesammten  Kohlenmächtigkeit  von  127  Meter,  wovon  auf  einzelne  Flötze  2  bis 
4  Meter  kommen. 

Diese  limnische  Facies  der  Oberregion  des  carbonischen  Systems  entstand 
theils  in  morastigen  Festlandniederungen  oder  seichten  Binnenbecken,  theils  in 
flachen  Lagunen  des  Meeresstrandes  und  in  letzterem  Fall  zeigt  sich  auch  bis- 
weilen noch  eine  Wechsellagerung  mit  Meeresabsätzen,  die  Goniatiten  und  an- 
dere Meeresbewohner  beherbergen. 

Dass  das  productive  Kohlengebirge  überhaupt  aus  ausgedehnten  Binnen- 
morästen oder  ausgesüssten  Seestrandlagunen  hervorging,  erweisen  einerseits  die 
zahlreichen  Land-  und  Sumpfpflanzen,  deren  Reste  das  Material  der  Kohle 
lieferten  und  für  sich  vereinzelt  in  den  begleitenden  Schieferthonen  eingestreut 
liegen,  andererseits  der  Mangel  echter  Meeresfossilien,  an  deren  Stelle  andere 
Fossilien  wie  Anthracosiay  Estheria,  Leaia  u.  s.  w.  auftreten,  die  sowohl  an  sich 
als  noch  mehr  in  ihrer  Vergesellschaftung  nur  auf  eine  Süsswasser-Fauna  be- 
zogen werden  können. 

Den  Gegensatz  zwischen  Meeres-  u.  Süsswasserablagerungen  erläutert  auch 
der  Umstand,  dass  in  mehreren  Gegenden  namenüich  in  Belgien  (Lüttich)  West- 
phalen  (Ruhrgebiet)  und  Oberschlesien  in  der  unteren  Region  der  produktiven 
Steinkohlenformation  nochmals  einzelne  Schichten  mit  Meeresfossilien  namentlich 
Goniatiten  erscheinen.  Es  geht  daraus  hervor,  dass  nach  der  Emporhebung  der 
betreffenden  Gebiete  aus  der  Meeresbedeckung  und  der  ersten  Bildung  von 
Land-  und  Süsswasserschichten  mit  Kohlenflötzen,  auch  noch  vorübergehende 
Senkungen  unter  den  Meeresspiegel  statthatten,  während  die  meisten  späteren 
Oscülationen  nur  in  geringeren  Beträgen  um  den  Meeresspiegel  schwankten  und 
wieder  limnische  Ablagerungen  bedingten. 

Es  giebt  aber  auch  Erdtheile,  in  welchen  während  der  ganzen  carbonischen 
Epoche  die  Meeresbedeckung  anhielt  und  selbst  bis  in  die  permische  Epoche 
ununterbrochen  fortdauerte.  Hier  ist  die  ganze  Reihe  der  Schichtenabsätze 
marin,  Festlandhebungen  fehlen,  das  productive  Steinkohlengebirge  einerseits,  das 
Rothliegende  andererseits  sind  durch  meerische  Kalkablagerungen  vertreten. 
So  ist  es  in  einem  Theile  von  Russland,  auf  Spitzbergen  und  in  einem  Theile 
von  Nord-Amerika  (namentlich  in  Kansas,  Nebraska  und  Neu-Mexiko)  der  Fall. 
Hier  ist  die  Oberregion  des  carbonischen  Systems  noch  ein  mariner  Kohlenkalk 
and  dieser  verfliesst  sogar  nach  oben  —  ohne  irgend  eine  scharfe  Trennung  und 
onter  allmählicher  Aenderung  der  Meeresfauna  —  in  perraischen  Meereskalk,  der 
das  Aequivalent  des  deutschen  Rothliegenden  und  Zechsteins  ist. 

Nach  dieser  allgemeinen  Erörterung  des  Steinkohlen-  oder  carbonischen 
Systems  betrachten  wir  im  Einzelnen  die  in  demselben  vertretenen  Klassen  und 
Ordnungen  der  pflanzlichen  und  der  thierischen  Lebewelt. 

Die  Tang-Flora  des  Meeres  bietet  nichts  Bemerkenswerthes.  Die  Land- 
Flora  erscheint  grossartig  entwickelt  in  Fülle  der  Individuen  und  allgemeiner 
Ueppigkeit  der  Vegetation,  oft  auch  in  der  Riesenhaftigkeit  des  Wuchses.  Sie 
<ragt  das  Gepräge  eines  tropischen  Klimas  und  erinnert  namentlich  an  die  heutige 
Vegetation  feuchtwarmer  Ktistenniederungen  und  Delta-Inseln  tropischer  Re- 
gionen, z.  B.  des  Ganges  in  Bengalen.  Sie  mag  theils  feuchte  Flächen  des  Fest- 
landes, theils  seichte  Binnenbecken,  theils  seichte  Strandlagunen  der  Meeres- 
testen überwuchert  haben.  Das  damalige  Klima  ist  nicht  mehr  genau  festzustellen, 
überschritt  aber  allem  Anschein  nach  20  oder  25°  C.    Auch  nimmt  man  für  die 


I20  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

damalige  Zeit  eine  kohlensäurereichere  Atmosphäre  an,  —  letzteres  eine  ein- 
leuchtende aber  gleichwohl  nicht  völlig  erweisbare  Hypothese.  Sicherer  ist,  dass 
die  Hauptmasse  der  Vegetation,  welche  die  Steinkohlenflötze  aufhäufte,  an  der- 
selben Stelle  emporwuchs,  an  der  wir  jetzt  ihre  umgewandelten  und  mehr  oder 
minder  stark  mineralisirten  Reste  finden.  Beweise  davon  geben  die  Liegend- 
schichten (Stigmarien-Thone)  der  Kohlenflötze,  die  gewöhnlich  von  Wurzel- 
werk (besonders  blattartigen  Wurzel-Fibrillen)  der  die  Steinkohle  erzeugenden 
Baumvegetation,  namentlich  der  Sigillarien,  durchzogen  sind.  Zum  weiteren 
Beweis  dienen  aufrechtstehende  Baumstämme,  ebenfalls  meist  von  Sigillarien,  die 
in  vielen  Kohlenrevieren  häufig  sind  und  die  Kohlenflötze  überragen. 

Was  die  Ordnungen  und  Unterordnungen  der  carbonischen  Flora  betriflft,  so 
sind  es  im  Wesentlichen  die  Tjrpen,  die  schon  in  der  devonischen,  ja  theilweise 
schon  in  der  obersilurischen  Formation  fossil  gefunden  werden.  Der  Haupt- 
gegensatz besteht  darin,  dass  die  Landflora  des  devonischen  Systems  nur  in 
spärlichen  zerstreuten  Funden  auf  unsere  Zeit  erhalten  ist,  während  sie  in  der 
Steinkohlenformation  —  zufolge  besonderer  physisch-geographischer  Bedingungen 
—  in  grosser  Ueppigkeit  vegetirte  und  in  grossen  Massen  fossil  erhalten  wurde. 

Fast  die  ganze  fossil  vorliegende  carbonische  Flora  besteht  noch  aus  Geföss- 
kryptogamen  und  aus  Ordnungen,  die  schon  der  devonischen  angehörten.  Die 
Hauptvertreter  sind:  Calamiten,  den  heutigen  Equiseten  mehr  oder  minder  nahe 
verwandt  (Calamophyta)  nebst  den  ihnen  zugezählten  Asterophylliten ,  femer 
Sigillarien,  einer  erloschenen,  von  den  Botanikern  sehr  mannigfach  gedeuteten 
Ordnung  angehöng;  Lycopodiaceen  und  Lepidodendren,  die  in  den  heutigen 
Bärlapp-Gewächsen  in  unansehnlicher  Vertretung  noch  fortleben;  endlich  Farnen, 
namentlich  Baumfamen  (FiliceSy  Geopterides) ,  den  baumartigen  Formen  der 
heutigen  tropischen  und  subtropischen  Gegenden  nahe  verwandt.  Diese  Geiäss- 
kr3rptogamen  bildeten  in  der  carbonischen  Periode  die  Hauptmasse  der  Land- 
vegetation. 

Von  landbewohnenden  Zellen-Kryptogamen  oder  Thallophyten  weiss  man 
noch  fast  gar  nichts.  Sie  mögen  schon  reichlich  vertreten  gewesen  sein,  ihre 
Reste  fielen  aber  der  Zersetzung  und  Auflösung  anheim. 

Die  Phanerogamen  sind  in  der  Steinkohlenflora  —  wie  schon  in  der  voraus- 
gegangenen devonischen  —  bestimmt  und  verhältnissmässig  reichlich  vertreten 
durch  Coniferen  (Araucariten).  Man  kennt  von  ihnen  verkieselte  Stämme  und 
beblätterte  Zweige  (Walchien).  Auch  erscheinen  sie  in  manchen  Kohlenflötzen 
in  Form  von  sogen.  Faserkohle.  Wahrscheinlich  nahmen  Nadelholzwaldungen 
die  trockneren  sandigen  Gebiete  und  vielleicht  auch  die  Gebirge  der  carbonischen 
Continente  ein.  Ausserdem  war  die  phanerogamische  Klasse  in  der  Steinkohlen- 
formation noch  durch  eine  Anzahl  zweifelhafter  Pflanzenformen  vertreten,  die  von 
den  Botanikern  bald  den  Cycadeen,  bald  den  Monocotyledonen  zugetheilt  wurden. 
Dahin  gehören  namentlich  die  durch  Stengel,  Laubwerk  und  Blüthenstand  ver- 
tretenen Nöggerathien  und  eine  Anzahl  nussartiger  dreiklappiger  Früchte  (Tri- 
gonocarpum),  die  man  bald  letzteren  zutheilt,  bald  für  Verwandte  der  Palmen 
nimmt.  Reste  von  Pflanzen,  die  man  mit  grösserer  Bestimmtheit  auf  Cycj- 
deen  oder  auf  Monocotyledonen  bezieht,  sind  noch  eine  seltene  Erscheinung. 
Dicotyledonen-Reste  fehlen  noch. 

Die  carbonische  Flora  war  also  ungeachtet  aller  üppigen  und  riesenhaften 
Vegetation  doch  in  Bezug  auf  die  Zahl  der  in  ihr  vertretenen  Ordnungen. 
Familien  und  Gattungen  des  Pflanzenreiches  noch  sehr  einförmig  im  Vergleich 


Carbonisches  System.  121 

TM  der  der  späteren  geologischen  Perioden  und  der  Jetztwelt.  Man  kennt  bis 
jetzt  etwas  über  800  wohl  bestimmte  Pflanzeharten  aus  der  Steinkohlenformation, 
wovon  über  700  auf  die  Gefasskyptogamen  kommen. 

Rhizopoden  oder  Foraminiferen  treten  in  der  meerischen  Schichtenfolge  des 
Steinkohlensystems  zum  ersten  Male  in  sicheren  Gattungen  und  in  felsbildender 
Häufigkeit  auf.  Im  Kohlenkalk  spielt  die  Gattung  Fusulina^  aus  der  Abtheilung 
der  Helicostegier,  mit  spiral  eingerolltem,  meist  in  die  Quere  verlängertem,  oft 
spindelförmigem  Gehäuse,  eine  wichtige  Rolle.  Die  Fusulinen  treten  oft  in  un- 
geheurer Zahl  der  Individuen  auf  und  bilden  namentlich  den  sogen.  Fusulinen- 
Kalk  in  der  oberen  Region  des  Kohlenkalkes  von  Russland.  Mit  Fusulina  zeigen 
sich  auch  die  ersten  Arten  von  Textularia,  Nodosaria  u.  s.  w. 

Die  Anthozoen  des  Kohlenkalkes  tragen  im  Allgemeinen  noch  den  Chai akter 
der  devonischen  Korallen-Fauna.  Die  Artenzahl  ist  noch  beiläufig  gleich  gross 
geblieben.  Vorwiegend  sind  noch  immer  die  Tetracorallia  (Zoantharia  rugosa, 
vom  iypus  tetrameraiis)  und  die  Tabulaten. 

Von  letzteren  zeichnet  sich  Chaetetes  radians  Fisch,  durch  grosse  kugelige 
oder  knollige  Stöcke  aus,  die  von  langen,  schmalen,  polygonal-säulenförmigen 
Wohnzellen  zusammengesetzt  werden.    Häufig  im  Kohlenkalk  von  Russland. 

Michelinia  Kon.,  ebenfalls  eine  Tabulate,  bildet  einen  flachen,  einer  Bienen- 
wabe nicht  unähnli<::hen  Stock,  dessen  Unterseite  mit  einem  runzeligen  Epithek 
bekleidet  ist  und  wurzelartige  Ausläufer  absendet.  Die  Böden  (tabulae)  sind 
blasenfönnig  und  unregelmässig.  Die  Septen  nur  in  Form  schwacher  Streifen 
ausgebildet  Arten  devonisch  und  im  Kohlenkalk.  Michelinia  favosa  Kon.  findet 
sich  sehr  wohlerhalten  im  Kohlenkalk  von  Toumay. 

Die  Echinodermen  bieten  in  der  meerischen  Fauna  des  Kohlenkalkes  beiläufig 
noch  dieselbe  Entfaltung  der  Ordnungen  wie  in  der  devonischen  Epoche. 

Die  Crinoideen  sind  im  Kohlenkalk  noch  häufig  und  artenreich  vertreten, 
namentlich  durch  die  Gattungen  Cyathocrinus,  ActinocrinuSy  Poteriocrinus,  Platy- 
crinus  u.  s.  w.  fast  alle  der  Abtheilung  der  getäfelten  Crinoideen  (Crinoidea  tesse- 
lata)  angehörend. 

Die  Blastoideen,  ausgezeichnet  durch  fünf  vom  Munde  ausstrahlende  quer 
gestreifte  Felder,  die  eine  täuschende  Aehnlichkeit  mit  den  Ambulacren  der 
Echiniden  zeigen,  erreichen  im  Kohlenkalk  den  Gipfel  ihrer  Entwickelung.  Sie 
sind  namentlich  auch  insofern  sehr  charakteristisch  für  die  Meeresfauna  des  car- 
bonischen Systems,  als  sie  im  permischen  schon  erloschen  erscheinen. 

Die  Echiniden  sind  im  Kohlenkalk  wie  im  devonischen  System  nur  durch 
Palechiniden  vertreten,  aber  reichlicher  an  Gattungen  und  Arten.  Bei  diesen 
palaeozoischen  Echiniden  sind  die  Tafelreihen  der  Interambulacral-Felder  noch 
viel  zahlreicher  als  bei  den  echten  Echiniden,  die  erst  mit  der  Trias  nachfolgen. 
So  hat  Paiechinus  eUgans  Mac  Coy  aus  dem  Kohlenkalk  von  Irland  —  ausser 
je  zwei  Tafelreihen  in  den  Ambulacralfeldern  —  nocli  je  ftinf  Tafelreihen  in  den 
fünf  interambulacralen  Feldern,  also  5  mal  2  =  10  und  5  mal  5  =  25,  zusammen 
35  vom  Scheitel  des  Gehäuses  zum  Munde  verlaufende  Tafelreihen. 

Die  Mollusken  des  Steinkohlengebirges  zeigen  im  allgemeinen  Gepräge 
wenige  Züge,  die  von  denen  der  devonischen  Mollusken  -  Fauna  abweichen. 
Brachiopoden  und  Cephalopoden  treten  unter  den  fossilen  Funden  entschieden 
nirück.    Neu  ist  das  Auftreten  von  Land  und  Süsswässer  bewohnenden  Formen. 

Die  Brachiopoden  des  Kohlenkalkes,   obwohl  im  Vergleich  zu  denen   des 


122  Mineralogie,  Geologie  und  Palacontologie. 

devonischen  Systems  schon  vermindert,    bieten  doch  noch  zahlreiche  und  be- 
zeichnende Formen. 

Durch  Artenreich thum  und  Individuenmenge  tritt  die  Gattung  Froductus  in 
den  Vordergrund.  Es  sind  Brachiopoden  ohne  festes  Armgerüst,  ohne  deutlichen 
Schlossapparat  und  ohne  Schlossfeld.  Der  Schnabel  der  gewölbteren  Klappe  ist 
noch  ziemlich  eingewölbt,  aber  nicl  t  durchbohrt.  Der  Schlossrand  ist  gradlinig. 
Das  Gehäuse  wird  oft  unregelmässig,  besonders  mit  dem  Alter.  Viel  verbreitet 
ist  Froductus  setnireticulatus  Flem.  Die  grössere  Klappe  ist  gewölbt,  im  Alter 
oft  rasch  umgebogen,  die  kleinere  Klappe  deckelartig  und  etwas  eingesenkt. 
Zahlreiche  starke  vom  Wirbel  ausstrahlende  Streifen  bedecken  die  Aussenflächc 
des  Gehäuses.  Im  jungen  Zustande  zeigen  beide  Klappen  auch  eine  ebenso  staiie 
concentrische  Runzelung,  welche  die  Radialstreifung  durchkreuzt.  Auf  jeder  Seite 
des  Wirbels  der  grösseren  Klappe  stehen  dem  Schlossrande  entlang  lange  röhren- 
förmige Stacheln,  die  aber  leicht  abbrechen.  Diese  Art  wird  mit  dem  Schloss- 
rand 3 — 5  Centim.  breit  und  ist  eine  der  wichtigsten  Muscheln  des  Kohlenkalkes 
(Visd  in  Belgien,  Ratingen,  Irland  u.  s.  w). 

Die  Gattung  Spirifer  zeigt  im  Kohlenkalke  noch  einige  bezeichnende  Arten. 
Spirifer  glaber  Sow.  ist  eine  glatte  Art  mit  sehr  feinen  Anwachsstreifen,  njehr 
oder  minder  gewölbt,  meist  etwas  breiter  als  lang.  Die  grössere  Klappe  mit 
breiter  medianer  Einsenkung  oder  Bucht,  die  kleinere  Klappe  mit  entsprechend 
breitem,  sanft  gewölbtem  Wulst.  Vorkommen  häufig  mit  voriger  Art,  auch  schon 
im  devonischen  Kalke.  Spirifer  striatus  Sow.  wird  der  Schlosslinie  entlang  13  bis 
15  Centim.  breit,  hat  zahlreiche  starke  Radialstreifen  und  ist  in  der  allgemeinen 
Form  den  devonischen  Arten  5.  speciosus  und  macropterus  ähnlich,  aber  durch 
zahlreichere  feinere  Radialsculptur  von  ihnen  verschieden.  Vorkommen  häufig 
im  Kohlenkalke  von  Belgien,  Ratingen,  England  u.  a.  O. 

Die  Acephalen  treten  in  der  Meeresfauna  besonders  des  Kohlenkalkes  stärker 
hervor  als  im  devonischen  System.  Häufig  vertreten  sind  die  Gattungen  Pectcn, 
Aviculay  Conocardiumy  Posidonomya  u.  s.  w. 

Posidonomya  (Posidonia)  Becheri  Bronn  ist  eine  wichtige  Art  in  den  Schiefer- 
lagem  des  Culm.  Das  Gehäuse  ist  papierdünn,  stark  concentrisch  gefaltet 
Diese  Art,  meist  flach  gedrückt,  bedeckt  häufig  die  Schichten  des  sogen.  Posi- 
donomyen-Schiefers  von  Herborn  in  Nassau,  Westphalen  u.  s.  w.  (Culm-Schichtcn;. 

In  den  Schieferthonen  der  limnischen  Steinkohlenbildung  finden  sich  häufig 
kleinere  Schalen  von  Süsswasser-Acephalen  aus  der  Verwandtschaft  der  heutigen 
Unionen.  Man  bezeichnet  sie  als  Anthracosien.  Die  Arten  sind  aber  nur  schwer 
zu  unterscheiden. 

Pteropoden  zeigen  sich  nur  selten  im  Kohlenkalke.  Von  Heteropoden  ist 
Beilerophon  —  mit  ungekammerter  symmetrisch  eingerollter  Schale  —  im  Kohlen- 
kalke  reichlich  vertreten.  Die  Gasteropoden  des  Kohlenkalkes  entsprechen  nach 
den  Gattungen  fast  genau  denen  des  devonischen  Systems.  Vorherrschend  sind 
Pieurotomaria^  Turbo^  Natica^  Euomphalus,  Die  Landschnecken  erscheinen  in 
der  limnischen  Steinkohlen-Bildung  durch  das  erste  Vorkommen  einer  /V/«i 
(Dendropupa)  angemeldet  Man  fand  sie  in  Neu-Schottland  (Nova  Scotia)  zu- 
sammen mit  Landamphibien,  einem  Tausendfuss  (Xylobius)  u.  s.  w.  im  Schlamm 
einer  Höhlung  eines  Sigillarien-Stammes,  der  im  Hangenden  eines  Kohlcnflötzes 
in  aufrechter  Stellung  erhalten  wurde.  Dies  ist  das  älteste  Vorkommen  einer 
luftathmenden  Landschnecke. 

Unter   den  Cephalopoden   des  Kohlenkalkes  sind  die  Nautiken  besonder^ 


♦  Carboniscbes  System.  123 

durch  Orthoceras  und  Nautilus  vertreten.  Erloschen  sind  bereits  die  Clymenien, 
Die  Orthoceren  erreichen  hier  noch  ansehnliche  Grösse. 

Die  Ammoneen  sind  im  Kohlenkalke  und  in  den  Meeresschichten  des  Culm 
durch  eine  Anzahl  von  Goniatiten  vertreten.  Goniatites  sphaericus  Haan  —  mit 
kugeligem  enggenabeltem  Gehäuse,  stark  übergreifenden  Windungen,  spitzwinkelig 
auf-  und  abgebogenen  Lobenlinien  —  ist  häufig  im  Kohlenkalke.  Dieselbe  Art 
(G.  crenistria  Phil.)  findet  sich  auch  oft  in  den  Posidonomyen-Schiefem  des  Culm. 

Reste  von  Würmern  sind  in  der  Steinkohlenformation  unerheblich,  aber  sehr 
bedeutsam  die  der  Crustaceen  und  der  Insekten. 

Unter  den  Phyllopoden  verschwinden  mit  dem  Kohlenkalke  und  dem  Culm 
die  Trilobiten  vom  Schauplatze  des  Lebens.  Es  sind  nur  noch  wenige  kleine 
.\iten  vorhanden,  meistens  der  Gattung  Phülipsia  angehörig.  Mit  Abschluss  des 
Kohlenkalkes  ist  die  ganze  in  den  älteren  Formationen  so  reichlich  vertretene 
Abtheilung  der  Trilobiten  erloschen. 

Ein  seltsamer  Phyllopode  des  Kohlenkalkes  ist  Dithyrocaris  Scouleri  Mac 
CoY  aus  Irland.  Das  Thier  hat  überraschende  Aehnlichkeit  mit  dem  lebenden 
Apm,  £^  trägt  über  dem  Kopfe  und  dem  vorderen  Rumpftheile  einen  nieder- 
gedrückten kreisrunden  Rückenschild.  Der  Hinterleib  ragt  hinter  dem  Schilde 
frei  hervor  und  endet  in  drei  lange  borstenförmige  Anhänge. 

Esiheria  begreift  zweischalige  Phyllopoden  (Familie  Limnadidtu)^  deren  con- 
centrisch  gerunzelte  Schalen  denen  der  Posidonomyen  und  anderer  Acephalen  sehr 
ähnlich  sehen  und  früher  fiir  solche  genommen  wurden.  Die  Schalenoberfläche 
üt  aber  netzförmig  punktirt.  Sie  kommen  in  meerischen,  brackischen  und  lim- 
nischen  Ablagerungen  vor,  am  meisten  in  Schieferthonen.  Sie  dürften  aber  vor- 
zugsweise dem  Süsswasser  und  dem  Brackwasser  angehört  haben,  wie  dies  bei 
den  lebenden  Estherien  der  Fall  ist.  Estkeria  tenella  Jordan  findfet  sich  in  der 
Steinkohlenregion  und  im  Rothliegenden. 

Leaia  ist  eine  mit  Estheria  nahe  verwandte  Gattung  zweischaliger  Phyllo- 
poden. Es  sind  kleine  hornige,  unregelmässig-vierseitige  gleichklappige  Schalen, 
denen  gewisser  Conchiferen  ähnlich.  Zwei  Kiele  strahlen  vom  Wirbel  aus.  Z. 
Baentschiana  findet  sich  in  der  oberen  Steinkohlenformation  zu  Ottweiler  bei 
Saarbrücken  in  Lettenschichten  zu  Tausenden. 

Ostracoden  mit  kleinen  zweischaligen  Gehäusen  finden  sich  in  der  Stein- 
kohlenbildung häufig  mit  den  Estherien,  sind  aber  im  Uebrigen  unerheblich. 

Grössere  Aufmerksamkeit  erheischen  die  Belinuriden,  nahe  Verwandte  der 
I.imulen  der  heutigen  wärmeren  Meere.  Man  kennt  mehrere  Arten  Belinurus  aus 
Eisenstein-Nieren  (Lawer  coal  measures)  von  Coalbrookdale  in  England.  Sie  be- 
stehen aus  einem  breiten  halbmondförmigen,  nach  hinten  in  zwei  längliche 
spitzen  auslaufenden  Kopfschilde  und  einem  beweglich  damit  verbundenen  in 
«eben,  gleichfalls  bewegliche  Segmente  gegliederten  Rumpfschilde,  welches 
vrhliesslich  in  einen  langen  gespitzten  Schwanz-Stachel  ausläuft.  Diese  äussere 
^iestaltung  bietet  eine  gewisse  Analogie  mit  der  der  vorausgegangenen  Trilobiten, 
DJJt  denen  die  Belinuriden  gleichwohl  nicht  in  unmittelbarer  Stammesverwandt- 
^laft  stehen  mögen.  Wahrscheinlich  waren  sie  die  nächsten  Verwandten  der 
heute  noch  lebenden  Limu/us-Arten,  aber  vielleicht  Brackwasser-Bewohner. 

Ein  noch  seltsamerer  Gast  ist  der  nur  in  einem  einzigen  Exemplare  aus  dem 
Posidonomyenschiefer  von  Herborn  in  Nassau  bekannte  Bostrichopus  antiquus 
fK)LDF.  Der  eigentliche  Thierkörper  ist  von  ovalem  Umriss  und  nur  3,3  Millim. 
lang.   Er  besteht  aus  einem  Kopfbnist-Stück,  von  dem  vier  Paar  Füsse  ausgehen 


124  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

und  einem  segmentirten  Hinterleib.  Die  vier  Fusspaare  gehen  in  gegliederte  h\^ 
2  2  Millim.  lange  Borsten  aus,  die  2  vorderen  Fusspaare  theilen  sich  in  je  5  Fäden, 
das  dritte  Fusspaar  in  je  4  Fäden,  das  vierte  Paar  in  je  16  Fäden,  was  zusammen 
2  mal  30  Fäden  ergiebt.  Diese  in  der  ganzen  fossilen  wie  in  der  lebenden  Fauna 
vereinsamt  stehende  Form  gehört  vielleicht  einem  Entomostraken  an,  der  nach 
Art  der  heutigen  Cirrhipedier  sich  mit  einer  gewissen  Lebensstufe  festsetzte  und 
eine  rückschreitende  Metamorphose  erlitt.  Man  zählt  dalier  auch  ßostrUhopus 
vorläufig  zu  den  Ciirhipediem,  wiewol  er  der  Vertreter  einer  Unterordnung  sein 
kann,  von  der  sonst  nichts  erhalten  wurde. 

Eine  wichtige  Erscheinung  im  Steinkohlengebirge  ist  das  plötzliche  Henor- 
treten  einer  verhältnissmässig  reichlichen  Anzahl  von  landbewohnenden  Arthropoden 
(Gliedfüssem).  Wie  mit  einem  Schlage  erscheinen  auf  dem  Schauplatze  Scor- 
pione  (Cyclophthalmus  und  Murolabis)^  Tausendfiisse  (Xylobius)^  Schaben  (Biattinat 
Käfer  u.  s.  w.  Diese  Funde  beruhen  z.  Th.  nur  auf  einzelnen  Individuen,  die 
sich  unter  besonders  günstigen  Umständen  erhielten.  So  sind  die  Myriapoden, 
Ordnung  Diplopoda^  in  der  Steinkohlenformation  nur  durch  einen  einzigen  runden 
Tausendfuss,  (Xylohius  Sigillariae)  vertreten,  welchen  Dawson  aus  Neu-Schottland 
beschreibt.  Er  fand  sich  in  einer  von  Schlamm  und  Laubwerk  erfüllten  Höhlung 
eines  Sigillarienstammes.  Viele  carbonische  Funde  von  Arthropoden  beschränken 
sich  auf  unica.     Die  Funde  sind  im  Zunehmen. 

Die  Fische  des  carbonischen  Systems  setzen  die  Reihen  fort,  die  in  der  ober- 
silurischen  und  der  devonischen  Formation  eröffneten,  nur  sind  die  gepanzerten 
Ganoiden  in  rascher  Abnahme,  die  eckschuppigen  in  reichlicher  Zunahme.  Dazu 
kommt  das  häufige  Auftreten  von  Süsswasserfischen,  aber  diese  sind  erst  als  be- 
sondere Arten  von  denen  der  Meeresfauna  verschieden.  Es  sind  besonders  klein- 
schuppige Rhombiferen,  die  aus  dem  Meere  in  die  süssen  Gewässer  aufstiegen 
und  hier  zu  besonderen  Formen  sich  umgestalteten. 

Von  Selachiern  oder  Knorj^elfischen  haben  sich  auch  in  den  Meeresah- 
lagerungen  der  Steinkohlenepoche  gewöhnlich  nur  vereinzelte  Zähne  und  Flosscn- 
stacheln  erhalten,  deren  systematische  Stellung  mehr  oder  minder  schwielig  zu 
ermitteln  ist  Namentlich  ist  der  Kohlenkalk  (Bristol  in  England,  Armragh  in  Ir- 
land) reich  an  solchen  Resten.  Man  erwähnt  Gattungen  der  Cestracionten,  Hybo- 
donten,  Rochen  und  Chimäroiden. 

Häufig  sind  unter  Anderen  im  Kohlenkalke  flache  breite,  mehr  oder  minder 
gefaltete,  oft  abgekaute  Mahlzähne,  deren  Kronen  bisweilen  noch  auf  ausgebrei- 
teten Sockeln  sitzen,  seltener  sind  ganze  Unterkiefern  mit  zusammenhängendem 
Zahnpflaster.  Man  zählt  die  meisten  dieser  Funde  den  Cestracionten  zu.  Da- 
hin gehört  namentlich  die  Gattung  Cociüiodus  Ac.  aus  dem  Kohlenkalke.  Man 
kennt  von  ihr  den  kurzen  und  breiten  Unterkiefer.  Beiderseits  stehen  einige 
wenige  rhomboidale  gekrümmte  und  seitlich  gewundene  Mahlzähne,  die  ein  fast 
ineinander  verfliessendes  Kaupflaster  darstellen.  Jeder  dieser  Mahlzähne  ent- 
spricht einer  der  schiefen  mehrzähligen  Zahnreihen  der  lebenden  Cestracm- 
Arten,  gleich  als  ob  bei  der  carbonischen  Form  je  eine  Zahnreihe  von  älteren 
vielzähnigen  Cestracioniden  in  einem  einzigen  Mahlzahne  verflossen  wäre.  Goch- 
üodus  contortus  Ag.  findet  sich  im  Kohlenkalke  von  Bristol  und  Armagh. 

Dahin  gehören  noch  eine  grosse  Anzahl  ähnlicher  Formen  von  Mahlzähnen 
aus  dem  Kohlenkalke,  die  man  auf  besondere  Gattungen  von  carbonischen 
Cestracioniden  bezieht.  Erwähnung  unter  ihnen  verdient  Fsammodus  Ag.  Hs 
sind  wulstige,  abgekaute  Kronplatten  ohne  besonderen  Basaltheil.    Die  Kaufläche 


Carbonisches  System.  125 

zeigt  zahlreiche  feine  Punkte,  die  dem  Hohlräume  der  Zahnröhrchen  oder  Den- 
tin-Kanälchen entsprechen.  Psammodus  porosus  Ag.  ist  häufig  im  Kohlenkalke 
von  Bristol  in  England.  Die  Psammodus-Zähne  haben  aber  so  grosse  Aehnlich- 
keit  mit  denen  der  Gattung  Ceratodus  aus  der  Trias,  dass  es  sich  sehr  fragt,  ob 
nicht  auch  erstere  schon  auf  Lurchfische  oder  Dipneusten  zu  beziehen  sind. 

Hybodonten  (Squalitien  mit  mehr  oder  minder  stumpfen  Zahnspitzen)  er- 
scheinen wie  im  devonischen  System  so  auch  im  Kohlenkalk. 

Ausgezeichnet  ist  die  Gattung  Cladodus  Ag.  mit  devonischen  und  car- 
lK)nischen  Arten.  Es  sind  Haifisch-Zähne  mit  grossem  längsgestreiftem  an  der 
Spitze  abgerundetem  Hauptkegel  und  jederseits  einem  oder  zwei  niedrigeren 
Seitenkegeln,  von  denen  der  äussere  der  grössere  ist.  Diese  Zähne  stehen  auf 
einer  breiten  knochigen  Wurzel  und  zeigen  schon  ganz  den  Typus  der  später 
erscheinenden  Hybodonten.  CL  marginatus  Ag.  findet  sich  im  Kohlenkalk  von 
Armagh. 

Die  Gattung  Orodus  Ag.  aus  dem  Kohlenkalk  weicht  schon  weiter  ab.  Der 
nur  wenig  die  zahlreichen  Seit^nkegel  überragende  Hauptkegel  bildet  mit  diesen 
zusammen  eine  sägenartig  ausgezackte  Firste. 

Die  nmdschuppigen  Schmelzfische,  Ganoides  cycliferi^  sind  wie  im  devonischen 
io  auch  im  carbonischen  System  durch  ausgezeichnete  Cölacantheq  und  Holop- 
tychier  vertreten.  Dahin  gehört  u.  a.  Holoptychius  Hibberti  Ag.,  von  Owen  zur 
Gattung  Rhizodus  gezählt.  Man  kennt  von  Bourdiehouse  bei  Edinburg  Unter- 
kieferhälften mit  starken  spitzkegeligen  Reihenzähnen  und  vereinzelten  viel 
längeren  und  dickeren  Fangzahnen,  die  an  Zähne  der  Labyrinthodonten  und 
Saurier  späterer  Formationen  erinnern. 

Die  eckschuppigen  Schmelzfische,  Ganoides  rhombiferi,  setzen  in  einigen 
•^chon  devonisch  vertretenen  Familien  im  carbonischen  System  fort  Neu  und 
reichlich  beginnen  die  Palaeonisciden,  bereits  schon  unverkennbare  Verwandte  der 
heutigen  Knochenhechte  (LepidosUus)  der  Flüsse  von  Nord- Amerika.  Die  Familie 
Pülatoniscidae  zeig^  eine  Körperbekleidung  mit  rhomboidischen  Schmelzschuppen 
und  eine  heterocerke  Schwanzbildung.  Die  Kiefern  sind  bewaffnet  mit  zahl- 
reichen kleinen  dicht  gedrängt  stehenden  und  ziemlich  stumpfen  Zähnen  (sogen, 
liürstenformiges  Gebiss).  Typische  Gattungen  sind  Palaeoniscus  und  Atnblypterus 
mit  carbonischen  und  permischen  Arten.  Amblypterus  ist  ausgezeichnet  durch 
die  Grösse  der  Flossen.  Einige  Arten  sind  Süsswasserfische.  Die  Familie  der 
Acanthodier  mit  kleinen  fast  kömerartigen  Schuppen  und  mit  starken  Flossen- 
>tacheln  liefert  ebenfalls  carbonische  und  permische  Arten  in  Süsswasser- 
ablageningen.  Auch  Saurichthyiden  (Sauroiden)  werden  aus  carbonischen 
Schichten  aufgeführt,  ebenso  die  ersten  Platysomen,  die  Vorläufer  der  späteren 
Pycnodonten. 

Eine  neue  Erscheinung  im  Steinkohlensystem  ist  die  Klasse  der  Amphibien, 
von  welcher  man  aus  der  devonischen  Epoche  noch  keine  Spur  kennt. 

Mit  der  reichen  Ausbreitung  der  Land-  und  Süsswasserflora  in  der  carbo- 
nis»chcn  Epoche,  dem  Auftreten  von  Süsswasser-Accphalen  und  Süss  wasserfischen, 
dem  Auflauchen  luftathmender  Insekten,  Scorpione,  Tausendftisser  u.  s.  w.  treten 
ebenso  unvorbereitet  die  Amphibien  auf  und  alsbald  mit  einer  ganzen  Reihe  von 
(Gattungen,  deren  besondere  systematische  Stellung  noch  mehr  oder  minder  pro- 
blematisch bleibt.  Es  stellen  sich  damit  bereits  verschiedene  Typen  heraus,  die 
einerseits  den  älteren  Fischen  und  Lurchfischen  (Dipneusten)  in  gewissen 
Charakteren  sich   noch  anschliessen,  andererseits  den  Land-  und  Süsswasser  be- 


126  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

wohnenden  Molchen  —  Ichthyoden  und  Tritonen  —  schon  natie  entsprechen. 
Darunter  sind  auch  schon  baumbewohnende  mit  einem  Schuppenpanzer  bekleidete 
eidechsenartige  Gestalten,  wie  Dendrerpttorij  dessen  Reste  sich  zuerst  in  einer 
Höhlung  eines  aufrecht  stehenden  Sigillarien-Stammes  fanden. 

Im  allgemeinen  Gepräge  präludiren  diese  ältesten  fossil  gefundenen  Am- 
phibien den  Tritonen  und  Salamandern  einerseits,  den  Labyrinth  odonten  anderer- 
seits, auch  schon,  wiewohl  in  entfernterem  Grade  den  Eidechsen.  Aber  frosch- 
artige Gestalten  sind  unter  ihnen  noch  nicht  vertreten.  R.  Owen  fasst  die  meisten 
in  der  Ordnung  Ganocephala  oder  Schmelzköpfe  zusammen  und  diese  Be- 
nennung erinnert  an  ihre  schon  bei  Ganoiden  in  ähnlicher  Weise  auftretende 
Bepanzerung  des  Kopfes  mit  glänzenden  emaiüirten  Knochenplatten.  Aber  nicht 
alle  die  zahlreichen  bis  jetzt  schon  fossil  gefundenen  Formen  lassen  sich  mit 
einem  einzigen  Rahmen  umspannen.  Bei  allen  oder  doch  den  meisten  ist  die 
Chorda  der  Wirbelsäule  noch  knorpelig  und  nicht  fossil  erhalten.  Ebenso  fehlt 
aus  dem  gleichen  Grunde  der  hinterste  Schädeltheil  mit  den  Gelenkköpfen 
(condyli  occipitaks).  Alle  oder  die  meisten  trugen  über  den  Kopf  einen  Panzer 
von  Ganoidplatten.  Die  Brust  war  durch  besondere  Knochenplatten  beschult 
Dazu  kam  bei  einigen  ein  leichterer  beweglicher  Schuppenpanzer,  während 
andere  nackt  gewesen  zu  sein  scheinen.  Wo  man  die  Zähne  kennt,  sind  deren 
äussere  Schichten  mehr  oder  weniger  eingefaltet,  ähnlich  wie  bei  Holoptychiem 
und  bei  Labyrinthodonten.  Einige  Fussßlhrten  aus  den  gleichen  Schichten  sollen 
sehr  denen  von  Eidechsen  gleichen.  Unsere  Kenntniss  von  dieser  ältesten  Am- 
phibien-Fauna ist  noch  so  im  Wachsen  und  Schwanken,  dass  sich  erst  wenig 
allgemein  Gültiges  darüber  aussagen  lässt. 

Dendrerpeton  Acadianum  Owen  aus  einem  aufrecht  stehenden  hohlen 
Sigillarien-Stamme  von  Neu-Schottland  hatte  die  Gestalt  einer  Baumeidechse  und 
besass  schon  verknöcherte  längliche  biconcave  Wirbel,. 

Baphetes  raniceps  Owen  aus  der  Steinkohlenformation  von  Pictou  in  Neu- 
schottland gründet  sich  auf  ein  Schädelbruchstück,  das  nach  R.  Owen  schon 
ganz  den  Bau  des  Labyrinthodonten-Schädels  zeigt. 

Allein  aus  der  productiven  Kohlenbildung  oder  den  coal  measures  von  Nord- 
Amerika  fühlt  Marsh  (1877)  12  gener^r  von  Amphibien  auf,  abgesehen  von  un- 
sicheren Skelett-Bruchstücken,  die  von  den  ersten  noch  sehr  problematischen 
Reptilien  herrühren  sollen. 

Dazu  kommt  aus  den  carbonischen  Schichten  (coal  measuresy  estuary  sedh 
ments)  von  Neu-Schottland  noch  ein  Fund  von  grossen  flachen  stark  biconcaven 
Wirbelkörpem,  ähnlich  denen  der  Ichthyosauren  und  anderer  flossenftissiger 
Reptilien  der  Trias-  und  Jura-Epoche.  Marsh  hat  sie  unter  dem  Namen  Eosaurus 
beschrieben.  Sie  deuten  auf  grosse  mit  FlossenfUssen  versehene  Schwimm-Sauricr 
(Enaliosauriiy  Hydroiaurii)  y  aber  es  bedarf  noch  weiterer  Funde,  um  es  ge\*ivN 
zu  machen,  dass  diese  Reptilien -Ordnung  schon  in  der  Steinkohlen -Epoche 
anhub. 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  127 


Chemische  Processe  in  der  Geologie 


von 


Prof.  Dr.  V.  Lasaulx. 

Ad  der  Zusammensetzung  der  Gesteine,  soweit  diese  als  selbständige  und 
nach  ihren  Dimensionen  als  bedeutende  Glieder  der  Gebirge  und  der  Erdveste 
überhaupt  erscheinen,  soweit  sie  also  in  den  uns  zugänglichen,  allerdings  nur 
peripherischen  Theilen  des  Planeten  eine  geologische  Rolle  spielen,  nehmen  aus 
der  grossen  Zahl  der  vielen  hundert  bis  jetzt  bekannten  Minerale  und  aus  der 
ganzen  Reihe  der  in  ihnen  vorkommenden  Elementarstoffe  nur  sehr  wenige  einen 
regelmässigen  Antheil.  Weitaus  die  Mehrzahl  der  Elemente  und  Minerale 
findet  sich  in  den  Gesteinen  nur  als  vereinzelte,  lokale,  zufallige  Bildungen. 
Ist  daher  ihr  Vorkommen  und  die  Umstände  ihrer  Entstehung  und  Umwandlung 
immerhin  für  geologische  Fragen  von  einem  gewissen  Interesse,  so  kann  man 
ihnen  doch   keine   grosse    und    allgemeine   geologische    Bedeutung   zusprechen. 

Eine  solche  besitzen  von  den  chemischen  Elementen  eigentlich  nur  sieben: 
Silicium,  Aluminium,  Calcium,  Magnesium,  Eisen,  Kohlenstoff  und  der  stets  in 
Verbindungen  mit  den  ftinf  ersteren  erscheinende  Sauerstoff.  Schon  untergeordneter 
erscheint  die  Bedeutung  der  beiden  Alkalimetalle,  des  Kalium  und  Natrium, 
wenngleich  deren  Verbreitung  in  kleineren  Mengen  in  den  Gesteinen  eine  sehr 
grosse  ist.  Noch  seltener  spielen  Baryum,  Strontium,  Mangan,  Chrom,  Lithium, 
Fluor,  Phosphor,  Schwefel  eine  eigentlich  geologische  Rolle. 

Vorzugsweise  sind  es  die  Sauerstoffverbindungen  der  fünf  erstgenannten 
Elemente,  die  in  den  Gesteinen  vorherrschen:  die  Kieselsäure,  die  Thonerde, 
Kalk,  Magnesia  und  die  Oxyde  des  Eisens.  Auch  die  Alkalimetalle  treten  meist 
in  Verbindung  mit  Sauerstoff  als  Kali  und  Natron  auf,  von  Bedeutung  ist  jedoch 
auch  die  Haloidverbindung,  das  Chlomatrium.  Von  Säuren  ist  die  Phosphorsäure 
und  die  Schwefelsäure  in  Verbindung  mit  Kalkerde, -Thonerde  u.  a ,  von  Haloidsalzen 
noch  das  Fluorcalcium  zu  nennen;  auch  die  Schwefelverbindungen  des  Eisens 
und  einiger  anderen  Metalle  sind  häufig.  Eine  selbständige  Stellung  und  Be- 
deutung als  Element  hat  unter  den  Gesteinen  nur  der  Kohlenstoff,  in  der  Form 
^er  Kohle,  weit  untergeordneter  auch  der  Schwefel. 

Bezüglich  ihrer  Verbreitung  nehmen  die  erste  Stelle  die  Quarz-  und  Silicat- 
gesteinc  ein,  in  denen  also  die  Kieselsäure  der  herrschende  Bestandtheil  ist;  die 
zweite  Stelle  die  Carbonate,  vor  allem  der  Kalkerde  und  der  Magnesia;  diesen 
gegenüber  erscheint  die  Verbreitung  aller  übrigen  Verbindungen  in  den  Gesteinen 
iberhaupt  nur  als  eine  unbedeutende. 

So  mnfasst  denn  auch  die  Chemie  der  grossen  geologischen  Processe 
'unachst  nur  ein  eng  begrenztes  Gebiet,  indem  vorzüglich  die  genannten  Elementar- 
^ffe  und  Verbindungen  in  den  Kreis  ihrer  Betrachtung  fallen.  Die  grosse 
Mannigfaltigkeit  und  die  vielfachen  Wechselbeziehungen  chemischer  Vorgänge, 
die  für  die  Erkenntniss  der  Entstehung  und  Umwandlung  der  Minerale  Be- 
dingung sind,  kommen  die  für  Erklärung  geologischer  Vorgänge  nur  ver- 
einzelt und  nur  sehr  theilweise  zur  Erörterung. 

Nach  der  Art  ihrer  Wirksamkeit  lassen  sich  die  chemischen  Processe  in  der 
Geologie  in  3  Abtheilungen  bringen:  i.  die  Neubildungen,  2.  die  Umwand- 
lungen, 3.  die  Auflösungen.  Die  auf  dem  Wege  feurigen  Schmelzflusses 
fxler  der  Sublimation  aus  hohen  Temperaturen  gebildeten  Produkte  sind  von 


I 


128  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

vornherein  überhaupt  aus  dem  Kreis  der  Betrachtung  auszuschliessen.  Wenn  sie 
auch  in  den  früheren  Phasen  des  Entwicklungsganges,  den  die  Erde  durchlaufen 
hat,  in  ausgedehnterer  Weise  aufgetreten  sein  mögen,  so  entziehen  sie  sich  doch 
grösstentheils  einer  sicheren  Beurtheilung.  Auch  sind  die  Vorgänge  in  den  noch 
heute  sich  bildenden  schmelzflüssigen  Massen,  z.  B.  der  von  den  Vulkanen  zutage 
geförderten  Laven  in  ihren  eigentlich  chemischen  Wechselwirkungen  nur  sehr  un 
genau  bekannt  Die  mit  der  Temperatur  allmählich  zunehmenden  Zersetzungen, 
die  man  als  die  Erscheinungen  der  Dissociation  bezeichnet,  treten  darin  ganz  ge 
wiss  mit  in  Wirksamkeit,  aber  die  Erklärung  und  die  Bedeutung  derselben  in  geo- 
logischen Processen  ist  immer  noch  eine  mehr  oder  weniger  bloss  hypothetische. 
Die  Sublimationsprodukte  haben  überhaupt  nur  eine  lokale  und  fast  ausschliesslicli 
mineralogische  Bedeutung:  Beider  Bildungen  wird  ausserdem  in  dem  Kapitel: 
»Vulkane«  eines  Näheren  Erwähnung  gethan. 

So  bleiben  hier  ausschliesslich  solche  Verhältnisse  zu  erörtern,  wie  sie  in 
Lösungen  eintreten.  Das  sind  mit  Rücksicht  auf  die  oben  gegebene  Eintheilung 
Abscheidungen  aus  der  Lösung,  Wechselwirkungen  gleichzeitig  gelöster  Substanzen 
aufeinander,  Auflösung  fester  Bestandtheile  in  Flüssigkeiten. 

Als  der  wesentliche  Träger  aller  dieser  Vorgänge  in  der  Natur  ist  das  Wasser 
zu  bezeichnen,  dessen  chemische  Wirksamkeit  durch  darin  gelöste  feste,  flüssige 
oder  gasförmige  Körper  verschiedener  Art  vielfach  geändert  werden  und  mehr 
oder  weniger  intensiv  sich  gestalten  kann.  Das  reinste  natürliche  Wasser  ist  da^ 
atmosphärische  im  Regen  oder  Schnee  niederfallende,  es  enthält  aber  doch  gegen 
3  Volumprocente  Gase:  Sauerstoff",  Stickstoff'  und  Kohlensäure.  Alle  Fluss-  und 
Quellwasser  enthalten  in  loooo  Theilen  i — 40  Theile  gelöster,  fester  Bestandtheile 
und  vor  allem  auch  grössere  Mengen  von  Kohlensäure.  Das  Meerwasser  enthalt 
gegen  3 — 4^^  Salze,  hauptsächlich  Chlornatrium.  Das  kohlensäurehaltige  Wasser 
der  Atmosphäre  und  der  Quellen  ist  für  die  Mehrzahl  der  chemischen  Processe 
in  der  Geologie  an  erster  Stelle,  von  Bedeutung. 

L  Neubildungen.  Entstehung  von  Gesteinen  als  Präcipitate  aus» 
Lösungen. 

Bei  diesen  Processen  bleiben  ausser  Betracht  die  eigentlichen  Sediment- 
bildungen,  d.  h.  solche  Gesteine,  die  durch  blossen  mechanischen  Absatz 
der  im  Wasser  suspendirten  festen  Körpertheilchen  gebildet  sind.  Freilich  giebi 
es  nur  sehr  wenige  Bildungen,  die  ganz  ausschliesslich  als  solche  mechanische 
Sedimente  bezeichnet  werden  können.  In  den  meisten  Fällen  ist  mit  dem 
mechanischen  Absatz  auch  eine  chemische  Ausscheidung  geradezu  gleichzeitig. 
In  anderen  Fällen  bildet  sich  ein  Cäment,  ein  Bindemittel,  welches  mechanische 
Sedimente  verkittet  und  durchdringt,  erst  nachdem  der  Absatz  erfolgt  ist.  Der 
Natur  der  Sache  nach  kommen  auch  in  allen  rein  chemischen  Präcipitaten  mehr 
oder  weniger  reichlich  mechanisch  beigemengte  Theile  vor,  sowie  sich  auch  im 
Becherglase,  das  eine  chemische  Lösung  enthält,  aus  der  sich  eine  Substanz  ab* 
scheidet,  zufallige  Staubtheilchen  hinzugesellen,  wenn  jenes  nicht  sorgsam  davor 
behütet  wird. 

In  gleicher  Weise  wird  es  ganz  von  der  Beschaffenheit  und  dem  Verhalten 
einer  Lösung  abhängen,  ob  sich  aus  derselben  nur  ein  einfaches  oder  ein  zu- 
sammengesetztes Präcipitat  abscheidet.  Beide  Arten  koipmen  bei  den  Gesteinen 
vor;  denn  auch  diese  bestehen  nur  aus  einem  oder  aus  mehreren  verschiedenen 
mineralischen  Gemengtheilen  und  werden  hiemach  in  einfache  oder  gemengte 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  129 

Gesteine  unterschieden.     Die  in  einfacher  Weise  als  Präcipitate  gebildeten  Ge- 
steine gehören  allerdings  grösstentheils  der  ersten  Klasse  an. 

Niederschläge  und  somit  auch  Gesteinspräcipitate  können  überhaupt  auf  ver- 
schiedene Art  bewirkt  werden,  nämlich:  i.  Durch  Concentration  des  Lösungs- 
mittels, sei  es  durch  Zufuhr  der  gelösten  Stoffe  oder  durch  Verdunstung;  2.  durch 
Abkühlung  des  Lösungsmittels  oder  Verminderung  des  Sättigungsgrades;  3.  durch 
chemische  Veränderung  des  Lösungsmittels  oder  der  gelösten  Substanzen 
(Reduction,  Oxydation);  4.  durch  Fällung  unter  Bedingungen  chemischer  Ver- 
wandtschaft, durch  die  Gegenwart  eines  Fällungsmittels;  5.  durch  combinirte 
>\lrkung  mehrerer  der  genannten  Vorgänge;  6.  durch  direkte  Einwirkung  von 
Organismen. 

Von  diesen  Arten  der  chemischen  Gesteinsbildung  erscheint  die  einfachste 
die  erste,  durch  Concentration  oder  Verdunstung  der  Lösung.  Sie  scheint 
in  der  Natur  auch  heute  noch  am  häufigsten  vorzukommen  und  ist  wohl  auch 
in  den  älteren  geologischen  Epochen  in  gleicher  Weise  vorherrschend  gewesen. 

Die  in  Wasser  oder  kohlensäurehaltigem  Wasser  am  leichtesten  löslichen 
mineralischen  Bestandtheile  und  daraus  bestehende  Gesteine  sind  auch  am  ehesten 
als  Niederschläge  auf  diese  Weise  zu  erhalten;  es  sind  dieses  vor  allem  die  ver- 
schiedenen Carbonate,  die  Sulfate  und  Chloride,  von  denen  wiederum  als  Gesteine 
die  Kalksteine,  Dolomite,  Magnesit,  Spatheisenstein,  Gyps  und  Anhydrit,  Stein- 
salz und  seine  Begleiter  von  geologischer  Bedeutung  sind.  Allerdings  sind  auch 
noch  viele  andere  Minerale  in  Wasser  löslich,  wenn  auch  in  weit  geringerem 
Maasse,  so  z.  B.  sogar  der  Quarz.  In  der  Natur  dienen  vorzüglich  die  Alkali- 
carbonate  als  Lösungsmittel  für  die  Kieselsäure  und  diese  findet  sich  daher  auch 
im  Quell-,  Fluss-  und  Meerwasser  in  geringen  Mengen.  Auch  den  Oxyden  des 
Eisens:  dem  Eisenoxyd  oder  Rotheisenstein,  den  Hydraten  oder  Brauneisensteinen 
&Dd  dem  Oxyd-Oxydul,  dem  Magneteisen  kommt  ein  geringer  Grad  von  Löslich- 
keit im  Wasser  zu.  Alle  diese  können  daher  auch  als  Absätze  aus  wässriger 
Losung  erhalten  werden. 

Druck  und  Temperatur  sind  stets  von  Einfluss  auf  die  Löslichkeit  dieser 
ond  anderer  Substanzen  im  Wasser.  Während  die  Wirkungen  gesteigerten 
Dnickes  noch  nicht  allgemein  feststehen,  ist  ohne  Zweifel  eine  gesteigerte 
Temperatur  in  allen  Fällen  ein  sehr  wirksames  Beförderungsmittel  der  Löslich- 
keit. Hierdiu-ch  vereinigt  sich  in  vielen  Fällen  mit  der  grösseren  Concentration 
einer  Lösung  und  dadurch  bewirkter  Abscheidung  auch  die  Verminderung  des 
Sättigungsgrades  durch  Abkühlung.  Die  ist  ganz  besonders  bei  allen  warmen 
Quellen  der  Fall,  in  denen  sich  Niederschläge  bilden. 

Einer  der  am  weitesten  verbreiteten  und  gewöhnlichsten  Absätze  aus 
Lösungen  ist  das  Kalkcarbonat,  entweder  in  der  Form  des  Kalkspathes  oder 
des  Aragonites. 

Wenn  gleich  die  Frage,  unter  welchen  Umständen  sich  die  rhomboädrisch 
kiystallisirende  Form  des  Kalkspathes  und  wann  die  rhombische  des  Aragonites 
bildet y  noch  keineswegs  endgültig  entschieden  ist,  so  lässt  doch  das  häufige 
gemeinsame  Vorkommen  beider  an  denselben  Stellen  darauf  schliessen,  dass 
sehr  feine  Nüancirungen  in  den  Bedingungen  der  Lösung  das  eine  Mal  die  eine, 
das  andere  Mal  die  andere  Form  des  Kalkcarbonates  zur  Abscheidung  zu  bringen 
\ennogen.  Hiemach  schon  erscheint  es  wenig  wahrscheinlich,  dass  die  Bei- 
mengung einer  fremden  Substanz  die  Formänderung  bedinge.  Im  Gegentheil 
iber  vermögen  der  Grad  der  Concentration  und  Temperatur  der  Lösung,   die 

KtsatCTTT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.     I.  Q 


130  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

beide  leicht  geringen  und  oft  wiederholten  Schwankungen  unterworfen  sem  können, 
sehr  wohl  die  Erklärung  auch  in  Uebereinstimmung  mit  dem  eng  verbundenen 
Vorkommen  in  der  Natur  zu  bieten.  Aragonit  scheint  vor  allem  einen  höheren 
Temperaturgrad  des  Lösungsmittels  zu  seiner  Abscheidung  vorauszusetzen,  kh 
Gestein  spielt  er  nur  eine  untergeordnete  Rolle,  wenngleich  die  aus  Aragonit 
bestehenden  Absätze  thermaler  Quellen  oft  eine  ziemliche  Mächtigkeit  imd  Aus- 
dehnung erlangen. 

Eine  der  interessantesten  und  bestgekannten  Ablagerungen  dieser  Art  sind 
die  Sprudelsteine  und  Sinterbildungen  zu  Karlsbad  in  Böhmen.  Das  Wasser  des 
Sprudels  besitzt  eine  Temperatur  von  73°  C.  Eine  grössere  Zahl  von  Analysen 
hat  uns  die  Kenntniss  der  im  Wasser  gelösten  Bestandtheile  verschafft  Am  vor- 
herrschendsten  sind  darunter  die  Sulfate  von  Natron  und  Kali,  während  dit 
Kalk-  und  Magnesiasulfate  gänzlich  fehlen,  dann  Chlomatrium  und  kohlensaures 
Natron.  In  viel  geringerer  Menge,  nur  0,29  J  (die  gelösten  Bestandtheile  betragen 
überhaupt  5,4  f)  ist  Kalkerdecarbonat  vorhanden,  noch  weniger  die  anderen  Carbo* 
nate.  Jedoch  zeigt  die  Analyse  gerade  des  Karlsbader  Sprudels,  wie  zahlreich  die  in 
einer  Quelle  in  minimalen  Mengen  gelösten  Bestandtheile  überhaupt  sein  können. 
Es  wurden  folgende  Verbindungen  und  Stoffe  gefunden:  Kohlensäure,  Schwefel- 
säure, Phosphorsäure,  Kieselsäure,  Thonerde,  Kalkerde,  Magnesia,  Natron,  Kali. 
Baryterde,  Strontia,  Eisen,  Chlor,  Jod,  Brom,  Fluor,  Selen,  Bor,  Antimon,  Arsen, 
Gold,  Kupfer,  Chrom,  Zink,  Kobalt,  Nickel,  Titan,  Lithion  und  organische  Sub- 
stanz: also  nicht  weniger  wie  30  Elemente  in  dieser  einen  Quelle. 

Trotz  der  geringen  Menge  des  vorhandenen  Kalkerdecarbonates  scheidet  sidi 
dieses  sofort  mit  der  Erkaltung  des  Sprudelwassers  ab,  wozu  freilich  vielleicht 
in  noch  höherem  Maasse  das  Entweichen  der  Kohlensäure  und  damit  eine 
bedeutende  Erniedrigung  des  Sättigungsgrades  der  Lösimg  für  die  Carbonate 
beiträgt. 

Der  gebildete  Sprudelstein  besteht  aus  Aragonit  oder  aus  Aragonit  xnit| 
Kalkspath  gemengt.  Die  bald  weisse,  bald  lederbraune,  meist  in  abwechselnden: 
Lagen  auftretende  Färbung  ist  dadurch  bedingt,  dass  bei  Zutritt  des  Sauerstoffes 
der  Luft  aus  dem  gelösten  Eisenoxydulcarbonat  im  Augenblicke  der  Abscheidun^ 
durch  Oxydation  sich  Eisenoxydhydrat  bildet,  welches  die  braunen  2k>nen  färbt, 
die  weissen  sind  frei  davon,  enthalten  dann  aber  das  Eisenoxydulcarbonat  Der 
Sprudelstein  enthält  übrigens  96 — 97^  Kalkerdecarbonat,  der  eisenreiche  etwa^ 
weniger,  eine  Spur  von  Kieselsäure  ist  vorhanden. 

Die  charakteristische  Form  der  Sprudelabsätze,  die  daher  den  Namen  Erbsen^ 
stein  erhalten  haben  und  aus  kleineren  oder  grösseren,  aus  concentrischen  I^cH 
bestehenden  Kügelchen  zusammengesetzt  sind,  verdankt  ihre  Entstehung  dem  Um 
Stande,  dass  das  aufwallende  Wasser  des  Sprudels  kleine  Sandkömchen  so  laiigtl 
in  auf  und  ab  tanzender  Bewegung  erhält  und  sie  dabei  fortwährend  dreht,  bis  $1^ 
durch  Inkrustation  mit  Aragonit  und  Kalkspath  so  schwer  geworden  sind,  dasi 
sie  der  Sprudel  nicht  mehr  emporzuheben  vermag.  Dieselbe  Ablagerung  \ot 
Kalkerdecarbonat  bildet  sich  aber  auch  um  Gas-  oder  Luftbläschen  und  in  solches 
Erbsen  findet  sich  in  der  Mitte  eine  Höhlung. 

Im  Laufe  der  Zeit  ist  über  der  Ausflussöffhung  des  Sprudels  eine  dick^ 
Schaale  aus  Sprudelstein  abgesetzt  worden,  die  von  Hochsteiter  ')  auf  mehr  all 
200  Quadratklafter  Oberfläche  berechnet  wird.    Derselbe  giebt  auch  an,  dass  des 

*)  Karhbad,  «eine  gengnoM.  VerhKltni«!te  und  «eine  Quellen.     Karbb«d  1836. 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  131 

Sprudel  täglich  2880  Pfund,  jährlich  etwas  über  eine  Million  Pfund  Sinter  liefern 
könne.  Aehnliche  Sinter  wie  die  Karlsbader  u.  a.  setzen  auch  die  zu  Aedepsos 
an  der  Westseite  von  Nordeuböa  hervorbrechenden  75 — 80°  heissen  Sprudelquellen 
ab,  faserige  Aragonitlagen  z.  Th.  mit  feinfasrigem  Kalkspath  wechselnd.  Jede 
Quelle  baut  aus  dem  Sinter  den  Kegel  auf,  aus  dem  sie  hervorquillt^).  Ein 
bis  200  Meter  hoher  Bergzug  besteht  ganz  aus  dem  von  den  Quellen  abgesetzten 
Kalkstein. 

Gerade  die  Absätze  der  Mineralquellen  zeigen  am  besten,  wie  geringe 
Aendeningen  in  der  Concentration,  der  Temperatur  oder  auch  den  vorhandenen 
gelösten  Bestandtheilen  auffallende  Verschiedenheiten  der  Niederschläge  hervor- 
zurufen vermögen.  So  wechseln  an  manchen  Quellen  Kalksinter  sogar  mit  Kiesel- 
Sinter  ab. 

Warme  Quellen  mit  reichem  Kalkgehalte,  aber  nur  wenig  Eisen  enthaltend, 
änd  vorzugsweise  Kalktuff  bildend.  Enthält  das  Quellwasser  nebenbei  Schwefel- 
wasseistoffgas,  so  kaim  sich  gleichzeitig  auch  Gyps  und  Schwefel  bilden.  Das  ist 
z.B.  der  Fall  bei  den  47 — 50°  heissen  Quellen  von  S.  Filippo  am  Monte  Amiata 
in  Toscana.  Hier  hat  sich  in  einem  kleinen  Sammelteich  in  ca.  20  Jahren  eine 
10  Meter  starke  Kalktuffschicht  gebildet.  Das  milchige  Wasser  setzt  in  den 
Leitungen  neben  Kalkerdecarbonat  vorzüglich  Gyps  ab,  dem  jedoch  auch  Bitter- 
salz und  Schwefel  beigemengt  ist. 

Die  weite  Verbreitung  der  Stalaktiten  aus  Kalkspath  und  Aragonit  in  fast 
allen  Höhlungen  der  Kalkgebirge  lässt  sowohl  die  Leichtlöslichkeit  dieses  Carbo- 
nales als  auch  die  Leichtigkeit  seiner  Ausscheidimg  aus  der  verdunstenden  Lösung 
erkennen.  Unter  gewölbten  Brückenbogen,  durch  welche  Wasser  hindurchsickem, 
^ht  man  die  Kalkstalaktiten  fast  wachsen;  oft  noch  eine  weiche,  weisse  Masse, 
^gen  sie  von  der  Decke  und  erlangen  schon  nach  kurzer  Zeit  ansehnliche 
i^ge  und  Härte.  Hier  ist  es  natürlich  nur  die  Verdunstung,  welche  die  Ab- 
^heidung  des  vom  Wasser  im  Mörtel  des  Mauerwerkes  gelösten  Kalkes  be- 
'rtt  So  entstehen  auch  manchmal  in  dem  Mauerwerke  von  Ruinen,  so 
^  B.  zu  Blankenburg  a.  d.  Sieg,  wie  Nöggerath  mittheilt,  sehr  starke  schnee- 
'Qsse,  schalig  abgesonderte  Kalksinterrinden  und  in  gleicher  Weise  dieselben 
^  Th.  auch  in  vollkommen  ausgebildeten  Krystallen  von  Kalkspath  noch  immer- 
fort als  Ausfüllung  der  Fugen  zwischen  den  Prismen  mancher  rheinischen 
B^tkuppen«  Bekannt  sind  auch  die  Kalksintermassen,  die  in  dem  Inneren  der 
romischen  Wasserleitung  zwischen  Cöln  und  Trier  zur  Abscheidung  kamen,  die 
^  bedeutend  sind,  dass  daraus  stattliche  Säulen  für  Kirchen  herausgeschnitten 
*trden  konnten. 

Die  chemischen  Verhältnisse,  die  bei  der  Abscheidung  mariner  Kalke  ob- 
i^ewaltet  haben,  sind  keineswegs  ebenso  einfach.  Das  Meerwasser  setzt  erst 
«^  Kalkerdecarbonat  ab,  wenn  das  Wasser  durch  Verdunstung  fast  auf  die  Hälfte 
eine  sehr  starke  Concentration  erlangt  hat  Das  könnte  eigentlich  nur  in  abge- 
^Wossenen  und  austrocknenden  Meeresbuchten  der  Fall  sein,  in  denen  dann  aber 
«ne  ganze  Reihe  anderer  Salze  z.  Th.  mit,  z.  Th.  nach  den  Carbonaten  sich  aus- 
scheiden würden.  Nur  dort  ist  eine  direkte  Abscheidung  von  Kalkerdecarbonat 
lüs  dem  Meere  denkbar,  wo  reichlich  mit  diesem  beladene  Bach-  oder  Fluss- 
*as8er  eine  grosse  Zufuhr   in  das  Meer  bringen  und   dadurch  eine  bedeutende 

*}  RcsBGGKR,  Jahrb.  f.  Mineral  1839.  ^91  u*  C'-  Rose,  Abb.  Berl.  Akad.  d.  Wissen- 
'bheo  1856.     pog.  63. 

9* 


132  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Concentration  desselben  an  Carbonat  bewirken.  Tritt  dann  gleichzeitig  bei  ge- 
ringer DifRision  der  concentrirten  Lösung  in  das  Meerwasser  eine  starke  Ver- 
dunstung ein,  so  findet  eine  Ausfällung  des  Kalkerdecarbonates  statt  So  bilden 
sich  z.  B.  Kalksteine  an  den  sicilianischen  Küsten  bei  Messina  und  an  der  Nord* 
küste  bei  Palermo  noch  heutigen  Tages,  denn  die  Bedingung  zeitweise  sehr  starker 
Verdunstung  bei  reichlicher  Zufuhr  concentrirter  Carbonatlösung  ist  dort  erfüllt 
Bei  der  Bildung  des  eigentlichen  Tiefsee-Kalkes  ist  jedenfalls  der  Mitwirkung  der 
Organismen  auf  die  Ausscheidung  der  grösste  Einfluss  zuzuschreiben.  Der  Tief 
seeschlamm  und  auch  die  Kreide  besteht  zum  grossen  Theil  aus  leeren,  mikros- 
kopischen Kalkschalen  abgestorbener  Organismen.  So  bildete  sich  auch  wohl  der 
grösste  Theil  der  marinen  Kalksteine  erst  durch  Wiederlösung,  Infiltration  und 
Neuabsatz  aus  dem  Kalke  heraus,  den  Organismen  zuerst  aus  dem  Meerwasser 
abgeschieden  hatten. 

Aus  einer  Lösung  von  Kalkerde-  und  Magnesiacarbonat  in  kohlensäurebaltigeni 
Wasser  fällt  bei  einfacher  Verdunstung  der  Lösung  zuerst  das  leichter  lösliche  Kalk- 
erdecarbonat  als  krystallinischer  Niederschlag  mit  etwa  9 — 10)^  Magnesiacarbonat 
und  dann  erst  wasserhaltiges  Magnesiacarbonat;  ähnlich  verhält  sich  auch  die 
Lösung  beim  Erwärmen;  auch  da  entsteht  kein  eigentlicher  Dolomit,  das  Doppel- 
salz der  beiden  Carbonate.  Auch  eine  Lösung  von  Magnesiacarbonat  in  kohlen 
saurem  Wasser  setzt  bei  Verdunstung,  auch  in  höherer  Temperatur,  keinen  den  in 
der  Natur  vorkommenden  Magnesiten  ähnlichen  Niederschlag  ab.  Diese  scheinen 
tiberall  nur  als  das  Resultat  mehr  oder  weniger  complicirter  Verwitterungsvorgänge 
z.  B.  aus  Serpentin  zu  entstehen.  Magnesiacarbonat  in  Verbindung  mit  anderen 
Carbonaten  kommt  allerdings  als  Absatz  aus  Quell-  und  anderen  Wassern  vor 
und  so  findet  sich  auch  eigentlicher  Dolomit.  Solcher  verkittet  z.  B.  nad- 
Breithaupt  Geschiebe  im  Flussbett  des  Neckars,  wo  doch  wohl  nur  Verdunstung 
die  Abscheidung  bewirkt  haben  kann.  Die  Quelle  von  St  Nectaire  im  Mont 
Dore  setzt  einen  an  Magnesiacarbonat  ziemlich  reichen  Kalksinter  ab.  Manche 
dolomitische  Süsswasserkalkbildungen  sind  direkte  Absätze,  in  denen  allerding> 
das  Verhältniss  der  beiden  Carbonate  ein  sehr  variabeles  ist.  Diese  Bei- 
spiele zeigen,  dass  also  auch  bei  gewöhnlicher  Temperatur  und  unter  einfachen 
Verhältnissen  Dolomit  sich  bilden  kann.  In  höheren  Temperaturen  und  bei  der 
Wechselwirkung  von  Magnesiasulfat  und  Kalkerdecarbonat  kann  allerdings  leicht 
Dolomit  erhalten  werden.  In  der  Natur  mag  dies  aber  wohl  kaum  so  geschehen 
sein.  Die  meisten  Dolomite  sind  erst  aus  der  Umwandlung  von  Kalksteinen 
hervorgegangen;  davon  wird  nachher  die  Rede  sein. 

Einzelne  Thatsachen  beweisen  auch  den  wirklichen  einfachen  Absatz  von 
Eisenoxydulcarbonat  oder  Spatheisenstein  aus  Quellen,  wobei  dann  allerdings 
Ausschluss  des  Sauerstoffes  vorausgesetzt  werden  muss.  'Sonst  wird  das  Eisen- 
oxydul des  Carbonates  in  wässeriger  Lösung  schnell  höher  oxydirt  und  als  Eisen- 
oxydhydrat ausgeschieden.     In  der  Stein-  und  Braunkohlenformation  lässt  siel 
die  Entstehung  der  Sphärosiderite  unter  Mitwirkung  der  kräftig  redudrend  wirken- 
den Kohlenwasserstoffe   erklären.     Eisenoxyd   wird   von    denselben   zu    Oxydul 
reducirt  und  dieses  von  der  dadurch  entstehenden  und  das  Kohlenwasserstoffgas 
begleitenden  Kohlensäure  in  das  Carbonat  umgewandelt.    Die  Brauneisensteine 
sind   z.  Th.  umgewandelte  Carbonate,    entstehen  jedoch  auch,    wie  die  Rasen 
und  Sumpferze  beweisen,  durch  direkte  Abscheidung  aus  dem  Wasser  mit  un»! 
ohne  die  Thcilnahmc  von  Organismen,  welche  durch  Production   freien  Sauer 
Stoffes  die  Oxydation  des  gefällten  Oxyduls  bewirken. 


Chemische  Processe  m  der  Geologie.  133 

Eine  der  wichtigsten  geologischen  Bildungen  aus  verdunstenden  Lösungen 
ist  das  Steinsalz  und  seine  Begleiter.  Einfach  tritt  der  Process  in  allen  Salinen 
und  in  den  Salzlagunen  so  vieler  Meeresküsten  uns  entgegen;  bei  der  Bildung 
der  Steinsalzlagerstätten  sind  die  Vorgänge  sehr  viel  complicirter,  wenn  auch 
im  Ganzen  chemisch  die  gleichen  gewesen.  Bei  keiner  der  durch  chemische 
Ausscheidung  bewirkten  Gesteinsbildungen  zeigen  sich  die  Beziehungen  des  Lös- 
lichkeitsgrades  zu  der  Reihenfolge  der  Niederschläge  aus  einer  und  derselben 
Losung,  wie  sie  in  diesem  Falle  ein  Salzwasserbecken,  eine  verdunstende  Salz- 
lagune  darstellt,  deutlicher. 

Im  Meerwasser  finden  sich  32  Elemente,  und  die  Verbindungen  derselben, 
darunter  allerdings  überwiegend  die  Chlorverbindungen  der  Alkalimetalle,  des  Cal- 
dom,  des  Magnesium  und  deren  schwefelsaure  Salze.  Vielleicht  sind  in  Spuren 
noch  viel  mehr,  oder  gar  alle  Elemente  vorhanden.  Jedenfalls  sind  dadurch  die 
Bedingungen  zu  den  vielfachsten  Wechselwirkungen  chemischer  Verwandtschaften 
gegeben.  Da  der  Gehalt  des  Meerwassers  an  Carbonaten  nur  ein  sehr  geringer 
i^  so  spielt  die  Abscheidung  derselben  keine  Rolle,  sie  würden  sonst  als  erste 
und  unterste  Glieder  iil  der  Reihe  der  Niederschläge  erscheinen,  allerdings  auch 
erst  nach  bedeutender  Concentration  des  Meerwassers  etwa  auf  die  Hälfte  seines 
Volumens.  Dann  folgt  die  Abscheidung  von  Kalkerdesulfat  und  erst  bei  einer 
weiteren  Concentration  auf  etwa  -^  des  ursprünglichen  Volumens  beginnt  die 
Fällung  des  Chlomatriums  imd  der  begleitenden  Salze.  Daraus  ist  schon  zu 
erkennen,  dass  lange  Zeiträume  erforderlich  sein  müssen,  um  die  Verdunstung 
^  gewaltiger  Wassermengen  zu  bewirken,  als  nöthig  sind,  um  einigermaassen 
bedeutende  Steinsalzlager  daraus  zu  präcipitiren. 

Während  die  schwerer  löslichen  Sulfate:  Anhydrit  und  Gyps  also  eigentlich 
als  die  regelmässigen  Unterlagen  der  Steinsalzmassen  erscheinen  müssen,  scheiden 
ach  nach  diesen  nur  noch  die  sogen.  Mutterlaugensalze:  Chlormagnesium, 
Magnesiasulfat,  Bromnatrium  und  Chlorkalium,  viele  andere  Salze  und  Reste  von 
Steinsalz  selbst  aus. 

Wäre  in  irgend  einem  Falle  in  der  Natur  die  vollständige  Verdunstung 
eines  Meeresbeckens  in  ungestörter,  gleich  massiger  Weise  verlaufen,  so  würde 
aae  solche  Steinsalzlagerstätte  auch  ein  einfaches,  leicht  verständliches  Bild  ihrer 
Z^isammensetzung  ergeben.  In  Wirklichkeit  ist  aber  dieser,  lange  Zeiträume  um- 
fassende Process  vielfach  gestört  und  unterbrochen  worden.  Es  hat  sich  die 
Concentration  der  Lösung  häufig  geändert,  indem  z.  B.  die  Süsswasserzuflüsse  in 
ein  solches  verdunstendes  Salzbecken  ab  und  zu  sich  steigerten  oder  andererseits 
aoch  erneute  Einbrüche  des  Meeres  selbst  in  jenes  stattfanden.  So  zeigen  alle 
Steinsalzlagerstätten  lokale  Verschiedenheiten:  gewisse  Salze  sind  in  den  einen 
Ablagerungen  nicht  zur  Ausscheidung  gekommen,  in  anderen  besonders  reichlich. 
Das  ist  z.  B.  mit  den  technologisch  so  überaus  wichtigen  Mutterlaugensalzen, 
ganz  besonders  den  sogen.  Kalisalzen  der  Fall,  die  nur  in  einigen  bevorzugten 
^lagerstätten  über  dem  eigentiichen  Steinsalze  ungestört  zur  Ausscheidung 
gelangt  zu  sein  scheinen.  Neue  Einbrüche  des  Meeres  verhinderten  in  den 
sacisten  Fällen  die  zu  ihrer  Abscheidung  nöthige  Concentration  der  Salzbecken, 
oder  aber  die  Hebung  des  Meeresbodens  legte  diese  trocken,  ehe  die  Möglichkeit 
der  Bildung  dieser  Überaus  leicht  löslichen  Salze  durch  fortgesetzte  Verdunstung 
der  Lösung  eingetreten  war. 

Emes  der  vollständigsten  Bilder  einer  Steinsalzablagerung  bietet  die  Mulde 
'on  Stassfiirt.    Ihr  zur  Unterlage  dienen  jedenfalls  Gyps  und  Anhydritgesteine; 


134  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

das  eigentliche  Liegende  der  Lagerstätte  ist  aber  noch  nicht  erreicht  Die 
tiefsten  bekannten  Parthien  des  Steinsalzes  zeigen  sich  aber  noch  mit  zahlreichen 
Schichten  und  Schnüren  von  Gyps  und  Anhydrit  durchzogen. 

Ueber  dem  eigentlichen  Salzlager  folgt  die  sogen.  Polyhalitregion  in 
einer  Mächtigkeit  von  63  Meter,  nicht  mehr  reines  Steinsalz  sondern  mit 
Schnüren  und  mehr  oder  weniger  bedeutenden  Parthien  von  Polyhalii 
(K«0-SO»-+-MgO.SO»H-2CaO-S08H-2aq)  und  anderen  begleitenden  Salzen, 
vorzüglich  Sulfaten  durchzogen. 

Darüber  folgt  die  Kieseritregion,  56  Meter  mächtig,  worin  das  Magnesia- 
sulfat (Kieserit  =  MgO*SO'  +  aq)  wesentlich  als  Beimengung  des  Steinsalzes  er- 
scheint. Darüber  endlich  die  Camallitregion,  30  Meter  mächtig,  ein  Gemenge  von 
Steinsalz  z.  Th.  mit  Sulfaten,  aber  vorzüglich  mit  den  leicht  löslichen  Chloriden. 
Camallit  =KCl-+-MgCl>-+-6aq;  Sylvin  =KCl;  Kainit  =MgO.SO»H-KCl-i-2aq 
Tachydrit  =  CaCP  -+-  2MgCl>  H-  12aq;  Schönit  oder  Pikromerit  K«0  •  S0> 
MgO-SO* -+- 6aq;  endlich  auch  die  Borverbindungen,  der  Boradt  =MgCl' 
2Mg'B*0**  und  einige  aus  diesem  hervorgegangene  wasserhaltige  Um- 
wandlungsprodukte. Die  Folge  der  Ausscheidungen  entspricht  im  Allgemeinen 
dem  Löslichkeitsgrade  der  Salze:  die  leichtest  löslichen  erscheinen  in  der  Reihe 
zu  oberst,  die  schwerstlöslichen  zu  unterst.  Als  Decke  der  Ablagerung  tritt  eir 
noch  mit  Salzen  gemengter  Thon  auf,  der  auch  die  unter  ihm  liegenden  Mutter- 
laugensalze gegen  die  Wiederauflösung  schützte. 

Mit  den  abgeschiedenen  Salzen  vereinigen  sich  in  allen  Steinsalzlagerstatten 
mehr  oder  weniger  reichliche  mechanische  Sedimente,  die  sich  aus  den  im  Meer- 
wasser suspendirten  festen  Bestandtheilen,  thoniger  oder  kalkiger  Beschaffenheit 
bilden.  Sie  verunreinigen  das  Salzgebirge  und  durchziehen  es  oft  in  vielfach 
wiederholten  Lagen:  die  sogen.  Haselgebirge. 

Die  beiden  Sulfate:  Anhydrit  und  Gyps  sind  überall  als  Abscheidungen 
aus  der  Lösung  charakterisirt,  aber  dennoch  nicht  überall  unter  gleichen  Um 
ständen  gebildet.  Anhydrit  ist  künstlich  nur  schwer  zu  erhalten,  er  scheint  nnr 
in  hoher  Temperatur  und  unter  Druck  sich  abzuscheiden.  Die  in  Dampfkesseln 
gebildeten  sogen.  Kesselsteine  haben  zuweilen  eine  dem  Anhydrit  sich  nähemde 
wasserfreie  Zusammensetzung.  Der  am  Boden  tiefer  Meere,  z.  B.  als  Unterlage 
mächtiger  Steinsalzlager  gebildete  Anhydrit  mag  wohl  hier  den  nöthigen  Dnici 
in  der  aufruhenden  Wassersäule  selbst  gefunden  haben,  wenn  nicht  dort  aucV 
Wechselbeziehungen  zu  den  anderen  mit  in  Lösung  befindlichen  Salzen  wirksam 
wurden.  Gyps  mit  gesättigter  Chlomatriumlösung  und  etwas  Chlomatrium  in 
einer  Glasröhre  erhitzt  giebt  Krystalle  von  Anhydrit  Lässt  man  dieselbe  Lösung 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  stehen,  so  scheidet  sich  Gyps  ab.  Daraus  scheint 
hervorzugehen,  dass  bei  gewöhnlicher  Temperatur  die  wasserfreie  schwefelsaurt 
Kalkerde  aus  einer  gesättigten  Chlomatriumlösung  Wasser  aufnimmt,  bei  höherer 
Temperatur  dagegen  dieselbe  Lösung  dem  Gyps  Wasser  entzieht  Dass  solche 
Einflüsse  in  den  tiefsten  Theilen  der  sich  bildenden  Steinsalzlagerstätten  wirksair 
gewesen  seien,  ist  durchaus  nicht  unwahrscheinlich. 

Gyps  ist  im  Gegentheile  sehr  leicht  und  in  sehr  verschiedener  Weise  ;• 
erhalten:  sowohl  durch  einfaches  Verdunsten  einer  Gypslösung  als  auch  dun^ 
Wechselwirkungen,  z.  B.  aus  einer  erwärmten  Lösung  von  Kalkerdecarbonat  unti 
Magnesiasulfat,  worin  sich  Gyps  bildet  und  Magnesiacarbonat  in  Lösoqg  bleibt. 
oder  auch  durch  die  Einwirkung  von  Schwefelmetallen,  die  bei  ihrer  Zeisetxung 


Chemische  Processc  in  der  Geologie.  135 

and  Verwitterung   Schwefelsäure   liefern  ^   welche   dann   auf  Kalkerdecarbonate, 
kalkerdehaltige  Minerale,  auch  solche  Silicate,  einwirkt  und  Gyps  liefert. 

Wie  leicht  und  schnell  aus  Gypslösung  die  Bildung  von  Gypskrystallen  er- 
folgt, zeigt  sich  schon  dann,  wenn  man  solche  Lösung  durch  einen  mit  losem 
Quarzgms  erfüllten  Topf  hindurchsickem  lässt.  Durch  die  Verdunstung  der 
Lösung  erfüllen  sich  schon  nach  wenigen  Tagen  alle  Höhlungen  zwischen  den 
Quaxzkömem  mit  kleinen  Gypsnädelchen.  Zahlreiche  sehr  grosse,  wohlgebildete 
Kiystalle  von  Gyps  fand  Dronke  im  Juli  1867  bei  Abtragung  der  aus  dem  Jahre 
1828  stammenden  Thonbedeckung  eines  Forts  der  Festung  Ehrenbreitstein. 
Dieselben  hatten  sich  also  in  weniger  als  40  Jahren  gebildet. 

Bei  den  mannigfachen  Wechsellagerungen '  von  Gyps  mitten  zwischen  Kalk- 
steinen und  Mergeln,  lässt  sich  derselbe  aber  dennoch  nicht  immer  als  eine  ein- 
fache Abscheidung  erklären*  Wir  müssen  für  die  Meere,  aus  denen  sich  so  mäch- 
äge  Gypsbänke  ausschieden,  wie  sie  z.  B.  im  Zechsteine  sich  finden,  jedenfalls 
dne  höhere  Concentration  an  Kalkerdesulfat  annehmen,  als  sie  unsere  heutigen 
Meere  besitzen ;  aus  diesen  würden  wohl  kaum  solche  Gypsabscheidungen  erfolgen 
können.  Hier  mögen  Wechselwirkungen,  wie  sie  oben  angeführt  wurden,  die 
im  Wesentlichen  auf  einem  Austausche  der  Kohlensäure  des  Carbonates  gegen 
Schwefelsäure  beruhen,  mit  gewirkt  haben.  Es  gehören  diese  Processe  dann 
aber  in  das  Kapitel  der  Umwandlungen. 

Als  Absatz  aus  Quellen  und  Gewässern,  die  freie  Schwefelsäure  enthalten, 
die  von  zersetzten  Metallsulfureten  herrührt  und  gleichzeitig  aus  der  Einwirkung 
auf  Kalksteine  gelösten  Kalk  enthalten,  kann  ebenfalls  Gyps  sich  niederschlagen. 
Die  sogen.  Domsteine  der  Salinen  bestehen  je  nach  der  Zusammensetzung  der 
Todunsteten  Salzsoolen  entweder  aus  Kalkerdecarbonat  oder  aus  deren  Sulfat. 

Auch  Kieselsäure  und  die  Verbindungen  derselben  (Quarz-  und  Silicat- 
gesteine)  vermögen  sich  als  directe  Niederschläge  aus  Lösungen  zu  bilden. 
Hdsse  und  kalte  Quellen,  welche  die  in  Gesteinen  unter  Mitwirkung  von  Alkali- 
carbonat  gelöste  Kieselsäure  enthalten  sind  gar  nicht  selten.  Es  giebt  vielfach 
sogen,  versteinernde  Bäche,  in  denen  Holzstücke  schnell  von  abgesetzter  Kiesel- 
säure imprägnirt  und  silicifirt  werden.  Die  warmen  Quellen  scheiden,  beim  Ver- 
dampfen und  wenn  sich  ihr  Wasser  über  grössere  Flächen  verbreitet  und  schnell 
?erdunstet,  die  Kieselsäure  ab.  Die  so  gebildeten  Absätze  enthalten  die  Kiesel- 
säure in  verschiedener  Form:  als  Quarz,  Chalcedon,  Kieselsinter,  Kieseltuff,  Opal. 
Die  verschiedenen  Formen  pflegen  mit  einander  vorzukommen. 

In   den  Kieselsäureabscheidungen   aus  Thermen   pflegen   Kalk   und   Eisen- 

oxydulcarbonat  meist  gänzlich  zu  fehlen  oder  nur  in  geringer  Menge  vorhanden 

zu  sein;  die  alkalischen  Salze  (Carbonate  und  Sulfate)  sind  viel  leichter  löslich, 

bleiben  daher  in  Lösung  und  scheiden  sich  erst  später  und  an  anderen  Orten 

aas.   Die  Absätze  von  Kieselsäure  nehmen  oft  recht  bedeutende  Dimensionen  an. 

Der  grosse  Geysir  in  Island  hat  aus  seinen  Sintern  und  Tuffen,  die  aus  ver- 

kieselten  Pflanzenresten  bestehen,  einen  weisslich  grau  gefärbten,  flachgewölbten 

Kegel  von  ca.   10  Meter  Höhe  und  fast  70  Meter  Durchmesser  aufgebaut.    Das 

ganze  Quellsystem,  zu  welchem  er  gehört,  hat  mit  solchen  Kieselsäureabsätzen 

eine  Fläche  von  1000  O  Meter  bedeckt.    Die  Gesammtheit  der  dortigen  Bildungen 

dieser  Art  umfasst  ein  Areal  von  2  französ.  Stunden  Länge  und  ^  Stunde  Breite. 

Aehnliche  Absätze  von  Kieselsäure  kennt  man  in  grosser  Verbreitung  auf  den 

Azoren,   den   Canarischen   Inseln,    Madeira,    in    Califomien,    Nevada,    Montana 

Wyoming  in  Nord-Amerika,  auf  den  Phillippinen,  in  Grönland  u.  a.  O.     Ganz 


136  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

besonders  merkwürdig  sind  die  durch  von  Hochstetter  näher  beschriebenen 
Kieselsinterablagerungen  in  dem  Geysirgebiete  der  Seen  im  Mittelpunkte  der 
Nord-Insel  von  Neu-Seeland,  vor  allem  jene  von  Rotorua.  In  Nord-Amerika  hat 
besonders  das  Geysirgebiet  des  Yellowstonerivers  auf  der  Grenze  der  beiden 
Staaten  Montana  und  Wyoming  eine  grosse  Berühmtheit  erlangt. 

Hier  liegt  etwa  8  Kilometer  oberhalb  der  durch  ihre  groteske  Scencrie  aus- 
gezeichneten Wasserfälle  des  grossen  Caüon  dieses  Flusses  eine  Gruppe  von 
Dampf-  und  Schlammquellen,  z.  Th.  erloschen,  z.  Th.  aber  noch  in  lebhafter 
dampfkesselartiger  Thädgkeit.  Eine  Quelle  führt  den  bezeichnenden  Namen 
»Lokomotive  yet«.  Alle  haben  Schornsteine  oder  thurmartige  Kegel  aus  schnee- 
weissem  oder  von  Schwefel  gelb  gefärbtem  Kieselsinter  aufgebaut.  Die  Quellen 
zählen  nach  Hunderten,  einige  ihrer  Becken  haben  bis  zu  40  sogar  70  Meter 
Durchmesser,  die  gebildeten  Sinterkegel  bis  zu  1 5  Meter  Höhe.  Die  Temperatur 
der  Quellen  schwankt  von  50°  C.  bis  90°  C.  Es  scheint,  dass  nur  die  heissesten 
Quellen  reinen,  blendend  weissen  Kieseisinter  ausscheiden,  während  in  den- 
jenigen, deren  Temperatur  unter  65^  beträgt,  das  gleichzeitig  sich  abscheidende 
Eisenoxyd  die  Sinter  röthlich  färbt. 

Die  zahlreichen  Mineralbildungen  in  den  Hohl-  und  Blasenräumen  der 
Gesteine,  unter  denen  gleichfalls  die  Kieselsäure  in  verschiedenen  Formen  eine 
hervorragende  Rolle  spielt,  sind  meist  durch  blosse  Verdunstung  kieselsäure- 
haltiger Lösungen  entstanden.  Die  Mannigfaltigkeit  ist  durch  das  Hinzutreten 
anderer  gelöster  Substanzen  und  durch  kleine  Aenderungen  in  der  Beschaffenheit 
der  Lösung  eine  sehr  grosse,  wie  dieses  am  besten  die  vielfarbigen  Achate  be- 
weisen, welche  die  Mandelerfüllungen  mancher  Gesteine,  besonders  z.  B.  der  Mela- 
phyre  bilden.  Die  Infiltrationsöffnungen  sind  an  vielen  deutlich  zu  erkeimcn; 
die  zahlreichen,  oft  äusserst  dünnen  Lagen,  die  durch  eine  meist  nur  ganz  mini- 
male Beimengung  verschiedene  Farben  erhalten,  zeigen,  wie  vielfache  kleine 
Wechsel  in  dem  Gehalte  der  Lösung  und  gleichzeitig  auch  Intervalle  in  der  Ab- 
scheidung eintraten.  Die  Verdunstung  geschah  ebenso  langsam,  wie  die  tropfen- 
weise durch  feine  Haarspalten  sich  vollziehende  Zufuhr.  Lange  Zeiträume  um- 
fasst  die  Bildung  einer  solchen  Mandel,  in  der  Hunderte  verschiedener  Lagen 
von  Chalcedon  übereinander  sich  folgen.  Jede  Achatmandel  hat  eine  eigene  Ge- 
schichte, kaum  bei  zweien  ist  der  Verlauf  der  Bildung  ein  gleicher. 

Eine  gewisse,  den  Löslichkeitsverhältnissen  entsprechende  Folge  in  der  Ab- 
scheidung der  in  den  Mandelräumen  durch  blosse  Verdunstung  sich  bildenden 
Minerale  ist  auch  hier  zuweilen  zu  erkennen.  Chloritartige  Produkte,  die  un- 
mittelbar durch  Auslaugung  und  Umwandlung  der  Gesteinsmasse  selbst  entstehen, 
sitzen  unmittelbar  auf  der  Wandung  des  Hohlraumes  auf,  dann  folgen  Quarz  und 
Silicate,  besonders  die  wasserhaltigen  Silicate  der  Zeolithgruppe  und  zuletzt  die 
Carbonate  der  Kalkerde  und  der  Magnesia,  die  sich  dann  büdeten,  wenn  <&c 
zutretende  Lösung  durch  ihren  Gehalt  an  Kohlensäure  auch  gelöstes  Kalkerde- 
carbonat  mitbrachte.  Dass  die  Lösungen  die  Stoffe,  die  sie  enthalten,  zum 
grössten  Theile  dem  Gesteine  selbst  entnommen  haben,  in  welchem  sie  auch 
die  Absätze  bilden,  ist  oft  unzweifelhaft  nachzuweisen.  Nur  seltener  mag  eine 
Zufuhr  auch  von  weiter  her  stattgefunden  haben. 

Dass  auch  der  Absatz  einer  Reihe  der  Silicate,  die  vorzüglich  als  gcstdns- 
bildende  vorkommen,  in  ähnlicher  Weise  aus  Lösungen  erfolgte,  ist  nach  ihrem 
Auftreten  gewiss,   wenngleich  uns  noch  die  genaue  Kenntniss  der  z.  Th.  com- 


Chemische  Processc  in  der  Geologie.  137 

pücirten  Verhältnisse  der  Zusammensetzung  dieser  Lösungen  und  der  Wechsel- 
wirkungen der  gelösten  Substanzen  aufeinander  fehlt 

Solche  Minerale  sind  z.  B.  Orthoklas,  Albit,  Plagioklas,  Glimmer,  Epidot, 
Tormalin  u.  a.  Die  meisten  dieser  Minerale  sind  zwar  in  Kohlensäure  haltigem 
Wasser  nur  sehr  schwer  löslich,  aber  keineswegs  ganz  unlöslich.  Das  zeigen 
an  vielen  derselben  die  deutlichen  Verwitterungserscheinungen. 

Ein  Theil  der  gesteinsartigen  KJufterfÜllungen  oder  Gangbildungen  ist  auf 
selche  Weise  entstanden,  so  z.  B.  granitartige  Aggregate  aus  Quarz  und  Feld- 
spath  mit  oder  ohne  Glimmer,  wie  sie  in  krystallinischen  Gesteinen  häufig  sind. 
Sie  zeigen  z.  Th.  auch  ganz  analoge  Structurverhältnisse  wie  die  eigentlichen 
Mineralgänge  und  sind  auch  wie  diese  oft  von  einer  ErzfÜhrung  begleitet. 

Die  Mineral gänge  sind  an  verschiedenen  Mineralen  reich.  Sie  führen  ent- 
weder nur  Kalkspath  und  diesen  wieder  am  häufigsten,  daneben  Quarz,  Schwer- 
5path,  Flussspath  u.  a.  oder  es  kommen  mit  diesen  zusammen  noch  metallische 
>iinerale  oder  Erze  darin  vor.  Sie  erhalten  dann  als  Erzgänge  eine  besondere 
Dichtigkeit 

Auch  in  die  Gangspalten  gelangen  die  darin  zum  Absatz  kommenden  Bestand- 
iheile  z.  Th.  mit  Lösungen,  die  auslaugend  auf  die  Nebengesteine  gewirkt  haben, 
i.  Th.  werden  sie  von  weit  her  zugeführt. 

Schwerspath  (BaO  •  SO')  kann  sich  direkt  aus  der  Lösung  abscheiden, 
kann  jedoch  auch  aus  solcher,  die  Baryterdecarbonat  enthält,  unter  Einwirkung 
löslicher  Sulfate  zum  Ausfallen  kommen.  Er  kann  aus  Schwefelbaryum  durch 
Oxydation  gebildet  werden  oder  endlich  aus  einer  Chlorbaryumlösung  bei  Gegen- 
vait  von  Kalkerde-  oder  Magnesiasulfat  sich  abscheiden. 

Auch  Flussspath  ist  in  Wasser  löslich  und  kann  sonach  durch  blosse  Ver- 
dunstung einer  Lösung  entstehen,  wie  das  auch  die  zahlreich  von  ihm  umschlossenen 
Reste  von  Mutterlauge,  Einschlüsse  wässriger,  kohlen  Wasserstoff  haltiger  Lösung 
bereisen. 

Auch  zu  den  Gangmineralen  gesellen  sich  die  wasserhaltigen  Silicate  der 
Zeolithgruppe  häufig  hinzu. 

Die  Abscheidung  der  Erze  in  den  Gangspalten  ist  gleichfalls  aus  Lösungen 
^olgt,  welche  lösliche  Metallsalze  zuführten.  Durch  blosses  Verdunsten  der 
Lösung  oder  das  Zusammentreffen  mit  andern  Substanzen,  die  als  Fällungsmittel 
«^^kten,  wurden  sie  niedergeschlagen. 

Wiederum  war  die  Lösung  entweder  durch  einen  direkten  Auslaugungs- 
process  des  Nebengesteins  mit  verschiedenen  Stoffen  beladen  worden,  oder  aber 
^fineralquellen,  die  aus  der  Tiefe  emporstiegen,  brachten  von  dort  die  gelösten 
Metallsalze  mit    Manche  Quellen  sind  daran  ganz  ausserordentlich  reich  (pag.  128). 

Manche  Metallsilicate,  z.  B.  von  Kupfer,  Zink,  Silber,  Blei  u.  a.  sind  in 
Wasser,  das  kohlensaures  Alkali  oder  Baryt  enthält,  löslich  und  können  daher 
auf  diese  Weise  direkt  aus  Gesteinen,  in  denen  sie  in  feiner  Vertheilung  vor- 
^den  sind,  ausgelaugt  werden. 

Die  Absätze  der  Schwefelmetalle,  die  in  den  Erzgängen  im  Allgemeinen 
überwiegen,  können  aus  sehr  verschiedenartigen  Lösungen  erfolgen:  aus  Lösungen 
von  Schwefelmetallen  bei  Gegenwart  schwefelsaurer  Alkalien  oder  alkalischer  Erden; 
aus  lx)sungen  von  Carbonaten,  Sulfaten  u.  a.  der  schweren  Metalle,  wenn  diese 
Usungen  mit  Sulfiureten  der  Alkalien  oder  alkalischen  Erden  zusammentreffen 
>'a*S,  CaS);  endlich  auch  aus  Lösungen  von  Metallsulfaten,  welche  durch  orga- 
nische Substanz  zu  Metallsulfuriden  reducirt  werden.     Ebenso  können  Sulfosalze 


138  Mineralog^ie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

sich  bilden.     In  einer  Lösung  von  Schwefelalkalien  sind  sie  löslich  und  fallen 
daraus  durch  Verdunstung  oder  durch  Fällung  mit  Schwefelwasserstoff. 

Solche  Schwefelverbindungen  sind  z.  B.  Sulfurete:  Blende  (ZnS),  Bleiglaru 
(PbS),  Silberglanz (Ag»  S),  Pyrit(FeS2),  Kupferglanz (Cu^S), Kupferkies (CuS-f- Fe S); 
Sulfosalze:  Rothgültigerz (3 Ag  »S  -+-  As[Sb]»  S»), Kupferantimonglanz (Cu>S-|-Sb> S*), 
Zinkenit  (PbS  -+-  Sb»S»)  und  v.  a. 

So  liefert  z.  B.  Eisenoxydhydrat  mit  einer  Lösung  von  Schwefelkalium  oder 
mit  Schwefelwasserstoff  behandelt  Schwefeleisen.  Schwefelzink  (Blende)  und  Schwefel- 
blei (Bleiglanz)  erhält  man  nach  Senarmont  als  krystallinische  Abscheidung  aus 
einer  Lösung  dieser  Schwefelmetalle  in  erwärmtem  schwefelwasserstofihaltigein 
Wasser.  Dass  auch  die  Arsen-  und  Antimonverbindungen  der  Schwermetalle  als 
Absatz  aus  der  Lösung  in  Sulfureten  der  Alkalien  oder  alkalischen  Erden, 
vielleicht  auch  als  Fällung  aus  einer  Lösung  mittelst  Arsenwasserstoff  sich  bil- 
deten, ist  sehr  wahrscheinlich. 

Schwefel  wird  ebenfalls  z.  Th.  durch  direkte  Abscheidung  aus  schwefel- 
wasserstofFhaltigen  Quellen  gebildet  Viele  Thermen,  die  wesentlich  Kalktuff 
absetzen,  scheiden  mit  diesem  auch  Schwefel  ab,  so  die  schon  erwähnte  Quelle 
von  St  Filippo  in  Toscana,  die  Thermen  in  der  römischen  Campagna  u.  A. 
Auch  der  Travertin  der  schwefel  wasserstofFhaltigen  'Seen,  z.  B.  des  Lago  sulfu- 
reo  u.  a.  eben  daselbst  enthält  ziemlich  viel  Schwefel.  Auch  ein  Theil  der 
älteren  Schwefelablagerungen  ist  aus  schwefelwasserstoffhaltigen,  Seebecken  nieder- 
geschlagen, so  z.  B.  die  Schwefellagerstätte  von  Swosczowice  bei  Krakau.  Die 
miocänen  Thon-  und  Mergelkalkschichten  sind  innig  von  Schwefel  durchdrungen 
und  dieser  bildet  darin  auch  derbe,  krystallinische  Aggregate  und  ellipsoidische 
Concretionen. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Mottxjra  sollen  die  Schwefelablagerungen 
von  Sicilien,  die  über  ein  sehr  grosses  Gebiet  vorzüglich  der  südlichen  Hälfte  der 
Insel  sich  erstrecken,  ihren  Ursprung  der  Abscheidung  aus  Wasserbecken  ver- 
danken, in  denen  Seh  wefelcalcium,  Schwefelwasserstoff  und  Kalkerdecarbonat  sich  in 
Lösung  befanden.  Diese  sollen  aus  den  unterliegenden  Gypsen  durch  organische 
Substanzen  reducirt  worden  und  in  die  aufsteigenden  Quellen  gekommen  sein. 
Freilich  sind  die  Verhältnisse  des  Vorkommens  der  sicilianischen  Schwefellager 
mit  denen  von  Swosczowice  so  vollkommen  analog,  dass  auch  die  Annahme  ein- 
facher Abscheidung  aus  Schwefelwasserstoff  haltigen  Quellen,  die  in  isolirten  Becken 
zu  Tage  treten,  in  denen  Kalkerdecarbonat  als  wesentliche  Bildung  producirt 
wird,  durchaus  nicht  ausgeschlossen  scheint  Die  in  Kalksteinen  abgelagerten 
von  Gyps  umgebenen  Schwefellager  von  Kchiuta,  nördl.  vom  Dorfe  Tschirgal  in 
Ost-Turkestan  sind  ebenfalls  blosse  Niederschläge  schwefelwasserstoflfhaltiger 
Quellen;  der  Gyps  ist  erst  das  Produkt  der  Einwirkung  des  oxydirten  Schwefels 
auf  Kalkerdecarbonat.  So  möchten  auch  die  sicilianischen  Gypse  eher  das 
sätere  Produkt  der  Einwirkung  der  aus  den  schwefelhaltigen  Schichten  gebildeten 
Schwefelsäure  auf  ursprüngliche  Kalksteine  sein. 

Auch  noch  für  eine  grosse  Zahl  anderer  Mineralbildungen,  die  aber  als  geo- 
logische oder  gesteinsbildende  keine  besondere  Bedeutung  haben,  ist  es  zweifel- 
los, dass  sie  als  direkte  Abscheidung  aus  Lösungen  entstehen  können;  deren 
Beschaffenheit  und  die  Wechselwirkungen  der  darin  gleichzeitig  in  Lösung  be- 
findlichen Stoffe  sind  aber  unbekannt.  Die  Möglichkeit  der  Combinationen  ist 
eben  unendlich  gross.     Aus  dem  Abgesetzten  lässt  sich  nicht  auf  die  Natur  der 


Chemische  Proccsse  in  der  Geologie.  139 

Lösung  schliessen  und  das  aus  irgend  einer  Lösung  Abgeschiedene  ist  nicht 
nothwendig  in  derselben  Lösung  auch  wieder  löslich. 

Eine  besondere  Stellung  unter  den  als  Niederschläge  gebildeten  Gesteinen 
nehmen  noch  die  durch  den  Einfluss  organischer  Substanzen  oder  lebender  Orga- 
nismen eingeleiteten  Abscheidungen  ein.  Soweit  hierbei  die  Beschaffenheit  oder 
Tbätigkeit  der  Organismen,  Thiere  oder  Pflanzen,  eine  auf  die  Production  wirk- 
samer Agentien  gerichtete  ist,  gehören  diese  Bildungen  doch  wohl  richtig  in  die 
Gruppe  chemischer  Processe. 

Aus  verwesenden  Thier-  und  Pflanzenresten  entsteht  eine  ganze  Reihe  orga- 
nischer Säuren,  z.  B.  Humussäure,  Quellsäure  u.  a.,  welche  als  Lösungsmittel  flir 
mineralische  Stofle  dienen  können,  durch  Oxydation  entstehen  aus  diesen 
Lösungen  wieder  Niederschläge.  In  Torfmooren  oder  Sümpfen  wird  von  den 
organischen  Säuren  und  der  Kohlensäure  lösliches  Eisenoxydulsalz  gebildet,  das 
skh  zu  Eisenoxydhydrat  oxydirt  und  als  solches  niederfällt.  Die  sogen.  Rasen- 
and  Sumpferze,  die  in  grosser  Verbreitung  vorkommen,  sind  auf  diese  Weise 
entstanden.  Die  mit  irisirenden,  eigenthümlich  fettig  erscheinenden  Häuten  von 
Eisenoxydhydrat  überzogenen  Wassertümpel  in  sumpfigen  Wiesen,  zeigen  den 
Beginn  dieses  Processes. 

Ein  grosser  Theil  der  Schwefelmetalle,  so  ganz  besonders  das  Schwefeleisen 
FeS*,  Pyrit,  entsteht  als  Absatz  aus  Quellen,  die  solche  lösliche  Eisenverbindungen 
organischer  Säuren  und  gleichzeitig  Sulfate  enthalten.  Viele  Thermal-  und  auch 
kalte  Quellen  setzen  Schwefeleisen  ab,  wenn  sie  neben  den  Carbonaten  von  Kalk- 
«de  und  Eisenoxydul  Gyps  enthalten  und  dann  mit  organischen  Substanzen  in  Be- 
rührung kommen.  So  enthalten  manche  dunkel  gefärbte  Kalkschlämme  Schwefel- 
dsen  als  färbende  Substanz,  die  Absätze  der  Eisenwasser  von  Stolypin  z.  B.  so- 
gar über  25^.  Auch  parallel  den  Spaltungsflächen  (Rhomboederflärhen)  grosser 
Kalkspaltkrystalle  findet  sich  zuweilen  Pyrit  in  feinen,  kömigen  Lagen  einge- 
schaltet, der  in  ähnlicher  Weise  gebildet  sein  muss. 

n.    Chemische  Umwandlung  von  Mineralen  und  Gesteinen. 

Auch  bei  allen  in  dieser  Gruppe  zusammenzufassenden  Processen  ist  Wasser 
oder  kohlensäurehaltiges  Wasser  der  Träger  und  Vermittler  der  eintretenden 
Reactionen.  Die  verschiedenartige  Beschaffenheit  der  Lösungen  hängt  einmal 
davon  ab,  welche  Minerale  dieselben  schon  an  anderen  Stellen  zu  lösen  ver- 
mochten und  dann  von  denen,  die  sie  in  Association  dort  vorfinden,  wo  sie  ihre 
umwandelnden  Wirkungen  ausüben.  Carbonate,  Silicate,  Sulfate,  Schwefelmetalle, 
Oxyde,  organische  Stoffe  kommen  hierbei  in  verschiedener  Weise  iil  Betracht. 
In  dem  Zusammentreffen  vieler  gleichzeitig  in  Lösung  beflndlichen  Substanzen 
cröffiiet  sich  die  Möglichkeit  vielartiger  Wechselwirkungen  chemischer  Ver>^'andt- 
schaften. 

Die  besten  Beispiele  liefeni  die  sogen.  Pseudomorphosen  der  Minerale, 
bei  denen  sich  im  Kleinen  die  gleichen  Processe  vollziehen,  die  im  Grossen 
auch  ganze  Gesteinsmassen  zu  ergreifen  vermögen.  Man  könnte  darum  füglich 
fiir  beide  Vorgänge  auch  den  gleichen  Namen  wählen.  Umwandlungen  von 
Gesteinen  pflegt  man  aber  als  Metamorphosen  zu  bezeichnen.  Eine  ganz  besondere 
Alt  der  Metamorphose,  die  unter  der  direkten  Einwirkung  eines  Gesteines  auf 
ein  anderes  benachbartes,  beiderseitige  Veränderungen  zu  Wege  bringt,  die  sogen. 
Contaktmetamorphose  soll  hier  aus  der  Betrachtung  ausgeschlossen  bleiben.  Von 
ibr  soll  in  einem  eigenen  Kapitel  die  Rede  sein.     (S.  Metamorphismus.)     Der 


"***  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Vorgang  der  Umwandlung  von  Mmeralen  imH  r-  ,  • 

Fällen  einfach  durch  FoLeln  ^hr^  ^hl^Sr^  ^Jn^n^ 

lauterung  chemischer  Reactionen  verwendet  w^rH-i      J^f  ****^  ""'^^ 

Wandlung  eines  Gesteines  durch  hiLTetenlT"  "^""^  ^«^  ^  ^^ 

Reagentien  in  Lösung  sind  darnacrüt^,  «"  ^"^^"«^-^ 

1.  Em  Gestein  A  nimmt  aus  einer  Lösung  B  auf  u„H   k.j 

phartere  Verbindung.    Aufnahme  von  BestandtheH  """ '^^  "" 

-l-2aq;  CaO.CO>+MgO-  ""  «estandtheilen:  z.B.aoS0' 

2.  Ein  Gestein  AB   giebt  B   ab;    Veränderung  durch   K. 

eines  Bestandtheiles:  z.  B    ßCaO    cnttx^^      blossen  Aastrh; 

=  cao .  CO»  +  Mgo .  cS»    ^        '       "^  ^^  •  co>)  -  ao-co« 

3-    Eine  mit  A  zusammentreffende  Lösung  B  giebt  B  ah  .    -^     - 

A  auf:  einfacher  Austausch  von  lest^fd.?     ^       **  «»«nnit  dafür  a:: 

.    D  T  -,'^^  =  ^^  •  ^^'  -  Mgo    CO '^'^''^"^  ^-  «-  «^OCC 
4.    Das  Mineral  oder  Gestein  AB  und  eine  Lösunir  rn      ■  , 

dass  D  gegen  A  ausgetauscht  in  Lösu"t  geTlc  ahrV°  '^  '^''^' 
Subsunz  ausgeschieden  zurückbleibt.  ^Tese  kln  7  f  "^^^"^ '^ 
Lösung  EF  in  der  gleichen  Weise  umsetzen  und 'rpr  T^'  ™' ^ 

gar  kein  Besundtheil  des  ursprünglic!::;  Se"  lISp^T t^ "  ::'^ 
ist.     Comphcirter  Austausch  von  Bestandth^r/^  ^  ''°'*"^ 

CaO^ao«  :  K.O  •  CO»  =  CaO    Co"  +  K.o"V;.f ' 
CaO^CO»  :  PbO  •  SO»  =  cTöT^gr^  ?J^  ' ^'O«; 

Be.   den  Gesteinen   kommen    die  einfacheren  vtr^^"^^^ 
wandlungsprocesse    am    häufigsten   vor     bd   dT  I  ^T^   ^^"^  ^  «^'*»  L-. 
complicirteren  Veränderungen  der  i?t^;genaL,te„  A^ä'"    ^^'"^  ^^^  ^ 
fiir  ganze  Gesteine  Bedeutung  gewinnen  „nH!  '.  ^  '°  selteneren  Falte 

"  rr  r""-  ""^'  ^-^^-^-^x^^-^jr 

I-   Aufnahme  von  Bestandtheilen  ^««leitend  auftreten 

der  A^iht  s:  wrrh"Vrr:r^^^^^^^      — 

stö^chiometrischen  Verhältnisferrchersfhr«  7  ''"  ""^  ^«^wass^r  „^ 
z.  B.  der  Fall  mit  dem  Wassei^eralte   d  '  °*  '"'"=*«"•    Das  ersterT^ 

•n  wasserfreier  Beschaffenheit^ebi  Sten  gL''^^^^  ^*^^«  und^^^ 
zunimmt.  Dieser  Vorgang  ist'  n^^tof^rvl"  ""'  ^  ""''  «-^«  ^ 
Wasseraufnahme    gewissennaassen    die   eSLh  ^'^"  ^^^«"^?.   als    diese 

erschemungen  chemischer  Art,  die  in^  einem  G^^  "'    '"    ""'"    Umwandlungs- 

Weit  bedeutender   ist   der  andere  Tn  ''°'  ''"^  «''''«°- 

Anhydrit  (CaO  •  SO»)  durch  wZ  "1^  '  T""  '•  ^-  ^"^  d«™  wasseifreien 
wird,  oder  aus  dem  Eisengla^  r»  "  "^  ^^P^  (^^^  .  SO»  +  2aq)  geWd« 
(2Fe»0»  +  3aq)  hervorgeht  ^^"  ""^  ^^  ^senoxydhydrat,   B^Sne^ 

Gerade  das  eiste  dieser  K  */i 
grosser  Wichtigkeit;   ganze  ScWchTenTom^'''"  ^'T''*'  '''  ^~'°«^'>  «>»  sehr 
worden  oder  noch  in  der  Umwa^df^g  "Sen  ^"'"  '^'^^   ^**'<»-« 

Die  durch  eine  wlirfelähnliche  Soahh,  i,  •. ' 
verwandeln  sich  von  den  Spaltungsfuge^  ™1  Tr'f^^'^  Anhydritstücke 
zur  Wasseraufnahme  schnell  in  matt!?  ^"'«*.''<^"'*  ^«  ^er  sehr  grossen  Neigun« 

"»atten,  pulvngen  Gyps  und  blättern  sich^^ 


Chemische  Processe  in-  der  Geologie.  141 

auf.      Wenn    man  Anhydritpulver  befeuchtet,    so   bedeckt  es   sich   unter   dem 
\fikroskope  schnell  mit  winzigen  Nädelchen  von  Gyps. 

Ueberall  dort,  wo  Anhydrit  auf  den  Halden  der  Gruben  liegt,  in  denen  er 
gewonnen  wird,  verliert  er  bald  seine  blaugraue  Farbe  und  seinen  Glanz,  wird 
bröcklich,  matt  weiss,  pulverig  und  geht  äusserlich  in  G3rps  über,  während  er  im 
Inneren  noch  unverändert  bleibt.  Dabei  findet  eine  Volumvermehrung  statt:  i  Vol. 
.\nhydrit  giebt  =  1,6  Vol.  Gyps.  Daher  auch  das  Aufblättern  und  Ausbiegen  der 
Stücke  längs  der  Spaltungsfugen.  Etwa  vorhandene  leere  Räume  in  den  Anhydrit- 
massen werden  bei  der  Umwandlung  vollkommen  zugedrückt  und  so  schliessen 
sich  z.  B.  die  Stollen  in  den  Anhydritbergwerken  der  Gegend  von  Bex  im 
Canton  Wallis  unaufhaltsam  wieder  zusammen,  indem  die  Masse  von  allen  Seiten 
durch  die  Volumvermehrung  nach  der  Mitte  vordringt.  Ganze  Anhydritstöcke, 
die  den  Schichtensystemen  der  Dyas,  Trias  und  Tertiärformation  eingeschaltet 
liegen,  wandeln  sich  auf  diese  Weise  in  G3rps  um;  dabei  haben  die  durch 
ihre  Ausdehnung  bedingten  dislocirenden  Wirkungen  auf  die  aufgelagerten  und 
benachbarten  Gesteine  ebenfalls  grosse  Dimensionen  angenommen.  Diese  Ge- 
>t£ine  werden  zum  Ausweichen  gezwungen  und  erscheinen  gehoben,  vielfach  ge- 
fialtet,  zerbrochen  und  überstürzt,  kurz  in  ihren  Lagerungsverhältnissen  in  viel- 
facher Weise  gestört. 

Die  andere  oben  als  Beispiel  angeführte  Umwandlung  durch  Wasseraufnahme 
vollzieht  sich  an  den  Oxyden  des  Eisens.  Blöcke  von  Rotheisenstein  oder  Eisen- 
glanz überziehen  sich  mit  bunt  irisirenden  Häuten  von  Eisenoxydhydrat  und 
wandeln  sich  nach  und  nach  bis  tief  ins  Innere  hinein  und  endlich  ganz  in  Braun- 
eisenstein um. 

So  verändern  sich  denn  auch  die  von  der  atmosphärischen  Feuchtigkeit  und 
durchsickernden  Wassern  erreichbaren  Theile  von  Eisenerzlagerstätten  und  gehen 
in  Brauneisenstein  über.  An  den  berühmten  Eisenglanzlagem  der  Insel  Elba  ist 
diese  Umwandlung  schon  tief  ins  Innere  vorgedrungen. 

Wird  mit  dem  Wasser  gleichzeitig  Kohlensäure  aufgenommen,  so  kann  sich 
auch  das  Eisenoxydulcarbonat,  Spatheisenstein,  bilden,  ein  jedoch  seltener  und 
nur  in  thermalen  Quellen  beobachteter  Vorgang. 

Eine  andere   Art   der  Umwandlung  der   weit  verbreitet   in  der  Natur  vor- 
kommenden Eisenoxyde  beruht  in  der  Aufnahme  von  Sauerstoff.     So  kann  z.  B. 
aus  Magneteisen  (Fe^O^  -FeO)  durch  Oxydation  des  Eisenoxyduls  sich  Eisenoxyd, 
d.  i.  Rotheisenstein  bilden.     Die   Belege   Air  diesen  Vorgang  sehen  wir  in  den 
nicht  selten  gefundenen  Pseudomorphosen  von  Eisenoxyd  nach  Magneteisen.    Auf 
diese  Weise  mögen  auch  gewisse  Roth-  oder  Brauneisensteinlager  in  krystallini- 
nischen  Schiefergesteinen  z.  B.  Chlorit-  und  Talkschiefern  als  solche  durch  Oxy- 
dation und  nachherige  Wasseraufnahme   aus  Magneteisen  hervorgegangene  Um- 
wandlungsprodukte gelten  können.    In  ihnen  kommen  oft  die  drei  Minerale  noch 
gleichzeitig   neben   einander   vor.     Dieselbe  Umwandlung  durch  Sauerstoff  und 
^asseraufhahme   zeigen   auch    die   Magneteisenkrystalle   und   Kömer   in    vielen 
Gesteinen,  die  mit  brauner  Zone  umhüllt  oder  auch  gänzlich  mit  brauner  Farbe 
durchscheinend  geworden  sind.    Auch  hier  lassen  sich  alle  Stadien  des  Processes 
nebeneinander  nachweisen. 

Eine  Umwandlung  der  Kalksteine  in  Dolomite,  also  des  Kalkerdecarbonates 
in  das  Doppelsalz,  wäre,  da  das  Magnesiacarbonat  schwerer  löslich  ist,  als  Kalk- 
^ecarbonat  theoretisch  auch  in  der  Weise  denkbar,  dass  den  Kalksteinen  Mag- 
nesia zugeführt  würde,  wie  es  der  pag.  138  sub  i  gegebenen  Formel  entspräche.    In 


142  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

der  Natur  ist  das  aber  wohl  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  erfolgt.  Die  Bildung 
der  Dolomite  vollzog  sich  immer  durch  Abgabe  von  Kalkerde  oder  gleichzeitige 
Aufnahme  d.  i.  also  Austausch  von  Kalkerde  gegen  Magnesia. 

Aufnahme  von  Wasser  erfolgt  auch  sogar  beim  Quarze  und  damit  dessen 
oberflächliche  Umwandlung  in  amorphe  Kieselsäure  von  opalartiger  Beschaffen- 
heit.  Dieser  Vorgang  kann  füglich  auch  als  die  Einleitung  der  Umwandlung 
des  Quarzes  in  wasserhaltige  Silicate  z.  B.  Speckstein  angesehen  werden. 

Eine  ähnliche  Umwandlung  ist  auch  die  Hydratisirung  der  Feuersteine 
und  Achate^).  Sie  werden  undurchsichtig,  weisslich,  erdig  und  sogar  weich.  Zu- 
nächst handelt  es  sich  um  eine  Wasseraufnahme,  jedoch  auch  eine  gleichzeitige 
Lösung  und  WegfUhrung  der  Opalsubstanz  in  der  äusseren  Kruste.  So  wenigstens 
ist  nach  Friedel's  Untersuchungen  die  Erscheinung  zu  erklären.  Auch  die  weisse 
Rinde  der  aus  der  Kreide  stammenden  Feuersteine,  ist  keineswegs  eine  durch 
blosse  Hydratisirung  hervorgerufene  Umwandlung,  sondern  eine  durch  die  Mit- 
wirkung des  Kalkerdecarbonates  verursachte  Auslaugung  und  eine  der  äusseren 
Rinde  durch  beigemengten  Kalk  verliehene  milchweisse  Färbung. 

2.    Abgabe  von  Bestandtheilen. 

Soweit  es  sich  nicht  um  Minerale,  sondern  um  Gesteinsumwandlungen  von 
geologischer  Bedeutung  handelt,  ist  diese  Art  von  Processen  keineswegs  sehr 
häufig. 

Es  kann  durch  Abgabe  von  Wasser  Brauneisenstein  in  Rotheisenstein  zunick- 
verwandelt  werden,  auch  Gyps  sogar  wieder  in  Anhydrit  tibergehen.  Das  be- 
weisen z.  B.  die  Pseudomorphosen  von  Gyps  in  Anhydrit  von  Sulz  am  Neckar 
Wenn  Chlomatrium  gegenwärtig  ist  (vergl.  pag.  133),  vollzieht  sich  die  Umwandlung: 
von  Gyps  in  Anhydrit  auch  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur.  So  entstanderj 
u.  a.  nach  Haidinger  die  Vorkommen  von  Hall  in  Tyrol,  wo  Anhydrit  in  körniger^ 
Aggregaten  die  Räume  ehemaliger  Steinsalzwürfel  erfüllt,  an  deren  Stelle  zuerst 
Gyps  getreten  war. 

Von  grösserer  Ausdehnung  erscheinen  nur  die  Umwandlungen  von  Kalk- 
steinen, denen  durch  blosse  auflösende  Wirkung  der  kohlensäurehaltigen  Wasser 
Kalkerdecarbonat  entzogen  wird.  Sind  diese  Kalksteine  unrein  und  enthalten  z.  6. 
Magnesiacarbonat,  Quarz,  Thon  oder  Silicate,  so  bleiben  diese  ungelöst  zunick 
und  werden  natürUch  im  Reste  immer  mehr  angereichert.  So  können  durch 
allmähliche  Auslaugung  nur  wenig  Magnesia  haltender  Kalksteine  wirkliche 
Dolomite  gebildet  werden.  Durch  Entfernung  des  leichter  löslichen  Kalkes  au> 
magnesiahaltigen  Kalksteinen  werden  diese  zellig,  porös  und  bröcklich.  Her 
Dolomit  bleibt  endlich  allein  zurück  und  füllt  in  krystallinischer  Neubildung 
z.  Th.  die  entstandenen  Hohlräume  wieder  aus.  Bleibt  der  Dolomit  hingegen 
in  lockerer,  körniger  Gestalt  übrig,  so  bilden  sich  die  so  oft  vorkommenden 
dolomitischen  Sande  oder  sogen.  Aschen. 

Versuche  unter  Anwendung  von  kohlensäurehaltigem  Wasser  auf  magne^ii- 
haltige  Kalksteine  ergeben  die  Richtigkeit  des  angenommenen  Umwandlung>- 
weges.  Der  dolomitische  Kalkstein  verliert  zunächst  nur  Kalkerdecarbonat.  Au^ 
einem  Dolomit  der  Marmolata  in  Südtyrol,  der  13,94}  kohlensaure  Magnesia 
neben  Kalkerdecarbonat  enthielt,  zeigte  sich  nach  48  stündiger  Einwirkung  nur  eine 
Spur  von  Magnesia  gelöst*).    Auch  das  Vorkommen  von  Rollstücken  von  di>l<>- 


M  KiUKUiu.,  Compt  rcnd.  81,  979. 

')  DuLTKK  u.  lloRNKs.  Jfthrb.  d.  geolog.  ReichsanstalU     Wien  1875«  318. 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  143 

mitischeni  Kalkstein  in  Dolomitasche  eingebettet,  wie  sie  unter  den  alpinen  Ge- 
rollen vorkommen,  beweisen  diese  Umwandlung. 

So  können  nun  auch  ganze  Schichtencomplexe,  die  aus  nur  schwach  dolo- 
midschen  Kalksteinen  bestanden,  in  Dolomite  umgewandelt  worden  sein.  Die 
Kalksteinmulden  der  Kohlenformation  im  Grenzgebiete  zwischen  Belgien  und 
Deutschland  in  der  Gegend  von  Aachen,  die  u.  A.  die  bekannten  Galmeierzlager- 
stätten  des  Altenberges  fuhren,  erscheinen  in  dieser  Weise  z.  Th.  in  Dolomite 
umgeändeit  Die  oberen  und  ausgehenden  Theile  einer  Mulde  bestehen  aus 
Thonen,  z.  Th.  reichlich  mit  Eisenoxyd  imprägnirt,  oft  vollkommen  fette  Röthel. 
Das  sind  die  unlöslichen  Rückstände  der  ursprünglichen  Kalksteine,  aus  denen 
die  Carbonate  gänzlich  entfernt  sind.  Unter  diesen  liegen  Dolomite,  aus  denen 
das  ursprünglich  überwiegende  Kalkerdecarbonat  fortgeführt  wurde  und  diese  wieder 
liegen  den  noch  fast  unveränderten  und  nur  wenige  Procent  Magnesiacarbonat  ent- 
iiaitenden  Kalksteinen  auf.  Die  analytische  Untersuchung  der  in  immer  grösserer 
Entfernung  von  dem  unveränderten  magnesiahaltigen  Kalksteine  entnommenen 
Dolomitproben  ergiebt  dieses  auf  das  Unzweifelhafteste.  In  dem  Kalksteine  be- 
sagt der  Gehalt  an  Magnesiacarbonat  nur  4^ ;  die  Dolomite  weisen  im  Maximum 
einen  Gehalt  von  38,89^  Magnesiacarbonat  und  52,64^  Kalkcarbonat  auf  und 
zwischen  beiden  liegen  alle  möglichen  in  diesen  Grenzen  schwankenden  Mischungen 
beider  Carbonate  in  den  Kalksteinen  vor^). 

In  den  durch  die  Umwandlung  und  die  damit  verbundene  Volumen- 
verminderung  zerklüfteten  und  mit  grösseren  Hohlräumen  erfüllten  Dolomit- 
nmlden  hat  sich  der  Absatz  der  Zinkerze  vollzogen.  Ob  diese  lediglich  durch  Zu- 
fuhr des  Zinkoxydcarbonates,  oder  durch  einen  Austausch  desselben  gegen  Kalk- 
und  Magnesiacarbonat  sich  gebildet  haben,  also  gewissermassen  als  pseudomorph 
nach  jenen  anzusehen  seien,  ist  nicht  ganz  leicht  zu  entscheiden.  Da  hier  ein 
abnehmender  Gehalt  an  Zinkoxydcarbonat  den  Dolomiten  gegen  die  Kalksteine 
eigenthümlich  ist,  so  würde  daraus  wohl  eine  grössere  Wahrscheinlichkeit  für  den 
Proccss  des  Austausches  sich  folgern  lassen.  Auch  die  Nester  von  Brauneisen- 
stein in  jener  Gegend,  die  in  Klüften  und  Höhlungen  des  dolomitischen  Kalk- 
^ktdnes  meist  [nur  oberflächlich  auftreten,  verdanken  ihre  Entstehung  ähnlichen 
Vorgängen.  Es  sind  z.  Th.  neu  abgesetzte  Residua  der  Auflösungsprocesse  der 
Carbonatgesteine. 

Ganz  ähnliche  Verhältnisse  wiederholen  sich  in  den  mehr  oder  minder 
dolomitischen  devonischen  Stringocephalenkalken  der  Lahngegend  und  bei  Iser- 
lohn, wo  überall  Thone  auf  Dolomit  und  Kalksteinen  aufliegen,  die  in  letzterer 
G^end  auch  Zinkerze  führen.  Auch  diese  Thone  können  als  die  unlöslichen 
Rückstände  der  in  Lösung  fortgeführten  Carbonate  des  Kalkes  und  der  Magnesia 
gelten.    Hierauf  soll  später  noch  einmal  zurückgekommen  werden. 

3.  Umwandlung  durch  Austausch. 

Weitaus  die  verbreitetesten  chemischen  Processe,  die  eine  geologische  Be- 
deutung haben,  bestehen  in  einer  austauschenden  Wechselwirkung  von  Lösungen 
auf  Gesteine  oder  Mineralaggregate,  wie  sie  unter  3  pag.  138  schematisch  er- 
läutert wurde. 

Ein  einfacher  Austausch  bewirkt  die  in  grossem  Maassstabe  geschehene 
ümvrandlung  der  Kalksteine  in  Dolomite.    Magnesiahaltige  kohlensaure  Lösungen 


*)  ▼.  Lasaulx,  de  Dolomito  calaminaegue  sede  in  nionte  altenberg  etc.  Bonn  1865.  Inaug. 
Disscit  pag.  23. 


144  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

wirken  auf  das  Kalkerdecarbonat  in  der  Weise  ein,  dass  sie  einen  Theil  desselben 
in  Lösung  aufnehmen  und  dagegen  das  schwerer  lösliche  Magnesiacarbonat  ab- 
setzen und  so  das  Doppelsalz  bilden.  Diese  Art  der  Umwandlung  beweisen 
zahlreich  vorkommende  Pseudomorphosen  von  Dolomitspath  nach  Kalkspath, 
deren  Kern  z.  Th.  noch  unveränderten  magnesiafreien  Kalkspath  zeigt.  Die- 
selben sind  stets  mehr  oder  weniger  hohl,  zellig,  porös;  die  Folge  der  bei  der 
Umwandlung  eintretenden  Volumverminderung,  die  aber  nicht  in  gleichem  Maasse 
bedeutend  ist,  wie  bei  der  oben  pag  141  angeführten  Dolomitbildung  durch  blosse 
Abgabe  des  Kalkcarbonates  aus  magnesiahaltigen  Kalksteinen.  In  letzterem  Fall 
würde  der  Dolomit  im  Minimum  nur  etwa  \  der  Masse  des  umgewandelten 
Kalksteines  einnehmen,  wenn  dieser  ursprünglich  ca.  10  ^  Magnesiacarbonat  ent- 
halten hätte  und  zu  dem  einfachen  Doppelsalze  umgewandelt  worden  wäre;  im  Falle 
des  Austausches  aber  würde  das  aus  gleichen  Aequivalenten  gebildete  Doppel- 
salz nur  etwa  ^  an  Volumen  verloren  haben,  also  {^  der  ursprünglichen  Masse 
des  Kalksteines  einnehmen.  Andere  Verhältnisse  der  Zufuhr  und  Auflösung  be- 
dingen natürlich  andere  Werthe.  Immer  aber  bleibt  die  Volumverminderung 
hinter  der  jenes  früheren  Processes  weit  zurück. 

Wir  haben  sonach  3  Arten  der  Dolomitbildung  kennen  gelernt:  direkter 
Absatz  von  Dolomit  aus  der  Lösung  und  die  beiden  Arten  der  Umwandlung 
aus  Kalksteinen.  Nicht  fLir  alle  Dolomitvorkommen  ist  es  leicht,  eine  Ent- 
scheidung zu  geben,  in  welcher  Art  sie  gebildet  wurden.  Dort,  wo  Kalk-  und 
Dolomitschichten,  oft  in  dünnen  Lagen  mit  einander  wechseln  und  dabei  scharf 
und  ohne  vermittelnde  Uebergänge  von  einander  geschieden  sind,  können  nur 
direkte  ursprüngliche  Absätze  vorliegen.  Wo  aber  das  Aeussere  der  Gesteine 
tiefgreifende  Umänderung  erkennen  lässt,  wodurch  die  Schichtung  verwischt  ist 
und  die  im  Gestein  eingeschlossenen  Fossilien  grösstentheils  verschwunden  sind, 
wo  gleichzeitig  eine  bedeutende  Lockerung  und  Cavemosität  des  Gesteines  vor- 
liegt, da  ist  ein  aus  Kalkstein  umgewandelter  Dolomit  anzunehmen.  Ist  er  durch 
allmähliche  Uebergänge  mit  einem  magnesiafreien  Kalksteine  verbunden,  so  ist 
noth wendig  die  Umwandlung  durch  Austausch  geschehen.  In  dieser  Weise  ge- 
bildete Dolomite  besitzen  auch  als  besonders  charakteristische  Beschaffenheit 
eine  reinere,  von  fremden  Bestandtheilen  freie  Mischung;  während  im  Gegentheile 
bei  den  durch  blosse  Auslaugung  des  Kalkerdecarbonates  gebildeten  eine  be- 
deutende Anreicherung  der  nicht  löslichen  Stoffe  stattfand  und  damit  eine  stärkere 
Verunreinigung  durch  Quarz,  Thon  u.  s.  w.  vorhanden  sein  muss. 

Aus  der  Gesammthei^  der  Erscheinungen,  wie  sie  in  einem  Dolomitgebirge 
vorliegen,  wird  sich  erst  erkennen  lassen,  wie  es  entstanden  ist.  Vielleicht  dürfte 
in  Wirklichkeit  der  umständlichere  Vorgang  des  Austausches  auch  der  seltenere 
Weg  zur  Dolomitbildung  gewesen  sein,  während  man  früher  vielmehr  geneigt 
war,  mehr  oder  weniger  alle  Dolomite  auf  diesen  zurückzuführen. 

Ganz  analog  verlaufen  die  Umwandlungsprocesse  des  Kalkerde-  oder  Kalkerde- 
magnesiacarbonates  in  Zinkoxydcarbonat,  Zinkspath. 

Wo  kohlensaure  Wasser,  die  das  Zinkcarbonat  in  Lösung  enthalten,  auf 
Kalksteine  oder  Dolomite  einwirken,  tritt  das  schwerer  lösliche  Zinkcarbonat  an 
die  Stelle  der  beiden  anderen,  in  Lösung  übergeführten.  Das  beweisen  die  be- 
kannten Pseudomorphosen  von  Zinkspath  nach  Kalkspath.  So  können  aucbiganze 
Schichten  oder  Schichtentheile  von  Kalksteinen  in  Zinkerze  umgewandelt  werden. 
In  den  Zinkerzlagerstätten  der  Gegend  von  Iserlohn,  die  in  den  Kalken  der  mittleren 
devonischen  Formation  auftreten,    erscheinen  die  für  die  ursprünglichen  Kalk- 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  *  145 

steine  charakteristischen   Schalen    der    Stringocephalen    in   Zinkcarbonat  umge- 
wandelt. 

Die  Zinkerze  finden  sich  auf  Klüften  und  Rissen  oder  grösseren  Ausbuch- 
tungen, die  mehr  oder  weniger  tief  und  ausgedehnt  in  die  Kalksteine  hineingreifen. 
Ganz  die  gleichen  Erscheinungen  bieten  die  Zinkerzvorkommen  der  Umgegend 
von  Bergisch  Gladbach  und  PafFrath  in  der  Rheinprovinz.  Das  Hauptvorkommen 
der  Erze  besteht  in  der  Ausfüllung  von  Mulden  und  Trichtern,  die  sich  von  der 
Oberfläche  in  den  Kalkstein  und  Dolomit  hineinziehen.  Ueberall  sind  die  Zink- 
erze von  fetten  Thonen  begleitet,  die  als  die  Residua  der  Auslaugung  der  Kalk- 
steine in  gleicher  Weise  zurück  geblieben  sind,  wie  es  schon  pag.  142  angeführt 
vurde. 

Die  mit  dem  Zinkcarbonat  in  diesen  Lagerstätten  auftretenden  Kieselzink- 
erze sind  durch  einen  weiteren  Process  des  Austausches  der  Kieselsäure  gegen 
die  Kohlensäure  unter  der  Einwirkung  gelöster  Silicate  entstanden.  Die  beglei- 
tenden Eisenerze  sind  ebenfalls  Reste  der  ausgelaugten  Kalksteine,  ursprünglich 
Eisenoxydulcarbonat,  das  sich  dann  in  Brauneisenstein  umgewandelt  hat. 

Die  bedeutenden  Zinkerzlagerstätten  der  spanischen  Provinz  Santander,  die 
der  Juraformation  eingeschaltet  sind,  scheinen  nach  den  ausführlichen  Beschrei- 
bungen von  O'Reilly  und  Sullivan^)  ihre  heutige  Zusammensetzung  ähnlichen, 
vielartigen  Umwandlungsprocessen  zu  verdanken. 

Das  Zinkcarbonat,  das  hier  die  Hauptrolle  spielt,  ist  ebenfalls  aus  Kalk- 
*^teinen  und  Dolomiten  hervorgegangen.  Es  finden  sich  zahlreiche  Kalkspath- 
knstalle  in  Zinkspath  umgewandelt  und  viele  nieren-,  erbsen-,  kugelförmigen  und 
stalaktitischen  Gestalten,  in  denen  die  Zinkblüthe,  basisches  Zinkcarbonat  (ZnO  • 
UO*  -+-  2H*Zn02)  im  Thale  von  Udias  in  der  Provinz  Santander  erscheint, 
ahmen  in  der  auflfallendesten  Weise  die  Gestalten  des  Aragonites,  z.  B.  der  sogen. 
Kisenblüthe  und  der  Erbsensteine  nach.  An  manchen  Stellen  geht  das  Zinkcar- 
Itonat  ganz  allmählich  in  Kalkstein  oder  Dolomit  über,  so  z.  B.  in  den  Gruben 
von  Venta  und  Vicenta  in  derselben  Provinz.  Wo  die  Zinkcarbonate  durch 
Kisen-roth  gefärbt  sind,  stammen  sie  aus  umgewandelten  Dolomiten,  in  denen 
^chon  durch  die  Dolomitisirung  der  Eisengehalt  concentrirt  wurde;  die  weissen 
Ente  stammen  direkt  aus  Kalksteinen  ab.  Durch  die  Einwirkung  schwefelsäure- 
haltiger Lösungen  auf  die  Carbonate  werden  aus  diesen  Metallsulfurete  gebildet, 
aus  Zinkcarbonat:  Blende,  aus  Bleicarbonat:  Bleiglanz.  Diese  können  hinwieder- 
-im  in  Carbonate  zurückverwandelt  werden.  So  folgen  sich  vielfach  wechselnde, 
Jormlich  altemirende  Umwandlungsprocesse.  Aus  dem  Zinkcarbonat  entsteht  auch 
tlaa  Silicat  des  Kieselzinkerzes;  da  aber  auch  dieses  in  kohlensäurehaltigem 
Wasser  löslich  ist,  so  kann  es  auch  wieder  in  Zinkspath  zurückgehen,  während 
d!e  dabei  ausgeschiedene  Kieselsäure  als  Quarz  oder  Opal  zum  Absätze 
kommt.  So  überrindet  z.  B.  auch  auf  der  früher  schon  erwähnten  berühmten 
Zinkerzlagerstätte  des  Altenberges  gar  nicht  selten  eine  Hülle  von  Zinkspath  in 
Krystallen  die  Krystalle  von  Kieselzinkerz,  und  Aggregate  jener  erscheinen  ge- 
radezu in  den  tafelförmigen  Gestalten  dieser. 

Eine  sehr  gewöhnliche  und  in  weiter  Verbreitung  vorkommende  Umwandlung 

w  die  des  Spatheisensteines  (FeO'CO^)  in  Eisenoxydhydrate  (2¥e^O^  -h  3aq 

=  Brauneisenstein,    oder  Fe^O^  -i-  aq  =  Göthit)    oder    auch    in  Rotheisenstein 

l'e*0*).     Das  Wasser   treibt   die  Kohlensäure  aus  ihrer  Verbindung  mit  dem 


')  Notes  on  the  Geol.  and  Mineralogy  of  the  prov.  Santander  and  Madrid.    London  i  863. 
K».s<G**rT,  Min.,  GcoI.  u    Pal.     I.  lO 


14^  *  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Eisen  aus,  das  Eisenoxydul  geht  durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  d.  i.  Oxydation 
in  das  Oxyd  über. 

Die  Umänderung  beginnt  damit,  dass  die  Oberfläche  des  Spatheisensteins 
dunkelbraun  oder  schwärzlich  gefärbt  wird,  Glanz  und  Spaltbarkeit  gehen  verloren. 
Dennoch  bleibt  in  dem  gebildeten  Brauneisenstein  die  Structur  des  Spathes  noch 
lange  sichtbar  und  unveränderte  Reste  desselben  zeigen  sich  im  Inneren. 

Viele  Spatheisensteingänge  und  Stöcke  sind  in  ihren  oberen  Theilen  aU 
Brauneisensteinlager  bekannt:  so  die  vielen  Gänge,  die  im  Gebiete  der  devonischen 
Formation  im  Bergrevier  von  Siegen  und  im  Nassau'schen  auftreten,  die  Spath- 
eisensteinstöcke  in  Kämthen,  so  vor  allem  der  sogen.  Hüttenberger  Erzberg,  ^-^ 
alle  Stadien  der  Umwandlung  gleichzeitig  vorhanden  sind.  Die  in  den  oberen 
Bausohlen  der  Bergwerke  vorkommenden  Eisenoxydhydrate,  die  in  der  Tieie 
Spatheisen steine  und  die  oft  mit  diesen  zusammen  einbrechenden  Blei-  und 
Silbererze  verrathen,  nennt  der  deutsche  Bergmann:  den  eisernen  Hut  und  dan  * 
gründet  sich  der  alte  Bergmannsspruch:  Kein  Bergbau  ist  gut,  der  nicht  hat  den 
eisernen  Hut. 

Auch  die  Mangancarbonate  unterliegen  einer  ähnlichen  Umwandlung  zu  IVro- 
lusit  (MnO*)  und  anderen  Oxyden.  Diese  finden  sich  in  krystallinischen  oJct 
nierenformigen  Aggregaten  in  den  Hohlräumen  des  umgewandelten  Eisenspathe> 
mit  dem  sie  auftreten,  begleiten  und  bedecken  ihn  als  Psilomelan  oder  Wad.  - 

Die  auf  Erzlagerstätten  in  grosser  Verbreitung  vorkommenden  NfetalUi . 
furide  haben  wieder  andere  Umwandlungsprocesse  veranlasst.  Die  Schwefelsaurt 
bildung  durch  Oxydation  wandelt  das  Sulfurid  in  Sulfat  um,  wie  schon  fnihc 
angegeben  (pag.  136)  wurde.  Aber  da  die  Metallsulfate  zu  den  leichtlöslichsten  Ver- 
bindungen gehören,  so  werden  sie  grösstentheils  in  Lösung  fortgefiihrt  und  wrkcr 
auf  andere  Stoflfe  ein,  mit  denen  sie  zusammentreffen.  Die  Einwirkung  einer 
solchen  schwefelsäurehaltigen  Lösung  auf  Kalkstein  wurde  ebenfalls  schon  im 
Vorhergehenden  erwähnt,  es  geht  daraus  Gyps  hervor;  wenn  Baryum  vorhander 
war,  entsteht  auch  Baryt  (BaO  •  SO').  Trifft  eine  solche  Lösung  Magnesiacarbon.r. 
so  bildet  sich  Bittersalz,  das  in  krystalllinischen ,  haarförmigen  Ausblühungen 
ziemlich  verbreitet  ist.  Die  Metalle  hingegen  gehen  aus  der  Sulfatlösung  bei  «ior 
Gegenwart  von  Carbonaten  als  Metallcarbonate  her\or. 

Wo  die  aus  Metallsulfuriden  gebildeten  Sulfatlösungen  auf  Silicate,  besonders 
auf  Thonerde  haltige,  einwirken,  entstehen  sehr  verschiedenartige  schwefeUaure 
'Fhonerdeverbindungen.  Diese  wieder  vereinigen  sich  mit  Alkali-  oder  Meta'I- 
sulfaten  zu  sogen.  Alaunen.  Ihre  Zusammensetzung  entspricht  der  allgemeinm 
Formel:  RO-SO»  -+-  A1»0»  •  SO»  -h  24  aq.,  wo  RO  =  Kali,  Natron,  Ammoni.K. 
Magnesia,  Manganoxydul,  Eisenoxydul  u.  a.  So  entstehen  denn  auch  die  in  i\t'r 
Tertiärformation  weit  verbreiteten  Alaunschiefer  und  Alaunsteine. 

Nur  locale  Bedeutung  und  eine  solche  nur  für  die  ErzAihrung  der  Erzganc^ 
hat  eine  Reihe  weiterer  Umwandlungen  solcher  Metallsulfuride.  Aus  Blende  /n*^5 
geht  Zinkspath  hervor,  daraus  Kieselzinkerz  (pag.  145),  aus  dem  verbreiteten  Kupler-i 
erzen,  dem  Kupferkies  (CuS-hFeS)  entstehen  Sulfate  und  daraus  die  Carh»ma*e 
Kupferlasur  und  Malachit,  wo  mit  dem  Sulfat  Silicate  zusammentreten,  aurh 
Kieselkupfer.  Auch  kann  durch  Fortfiihning  des  gebildeten  Kupfersuirate>  ii^'f 
Kupferkies  in  Eisenkies  oder  Pyrit  Fe S*  und  dieser  wieder  durch  einen  jrleirltn 
Process  in  Brauneisenstein  Fe*0*  umgewandelt  werden. 

Der  letztere  Process  verläuft  etwa  folgendermassen :  FeS*  geht  über  in  Fe«'« 
SO^  -h  aq  durch  Wasscraufnahme  und  Oxydation,  zugleich  wird  auch  freie  SihveJcl* 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  147 

säure  gebildet:  SO^  -haq.  Ist  nun,  wie  in  den  atmosphärischen  Wassern,  Kohlensäure 
vorhanden,  so  bildet  sich  FeO-COj  und  die  Schwefelsäure  geht  an  andere  Basen 
z.  B.  Kalkerde  und  bildet  Gyps.  Das  Eisencarbonat  wird  zu  Eisenoxydhydrat  umge- 
wandelt und  diesem  endlich  auch  noch  das  Wasser  entzogen.  Damit  endet  der 
Process  der  Umbildung  von  FeS^  in  Fe^O^.  Die  Pseudomoqihosen  dieser  Art 
gehören  zu  den  allerhäufigsten.  Das  Vorkommen  der  verschiedenen  Erze  auf 
Lagerstätten  nebeneinander  wird  gleichfalls  dadurch  erklärt. 

So  verlaufen  neben  und  nacheinander  ganze  Reihen  chemischer  Processe, 
die  zu  den  verschiedensten  Produkten  fuhren,  wie  sie  sich  in  der  Reihe  der  so 
ausserordentlich  mannigfaltigen  metallischen  Minerale  wiederfinden. 

Von  ganz  hervorragender  geologischer  Bedeutung  sind  aber  die  Umwandlungs- 
])rocesse  der  Silicate,  die  einen  so  grossen  Theil  der  Gesteine,  ganz  besonders 
der  sogen,  krystallinischen  zusammensetzen.  Wenn  gleich  auch  hier  z.  Th.  ein- 
fachere Processe  sich  vollziehen,  sind  dieselben  doch  zum  grösseren  Theile  mehr 
oder  weniger  complicirte. 

Die  Wichtigkeit  der  Processe  hängt  natürlich  von  der  Verbreitung  ab,   die 
cm  Silicat    in    den    Gesteinen    besitzt   und   von    der   Bedeutung,    die    ihm    als 
Gemengtheil   derselben  zukommt.     Der  Olivin  [2(Mg,  Fe)0  •  SiO^]  ist  ein  Mi- 
neral,   das    für   sich    ganze  Gesteine  zusammensetzt  und  wahrscheinlich  in  der 
Tiefe  der  Erdrinde  in  grosser  Verbreitung  vorhanden  ist,  das  aber  auch  in  der 
Reihe  aller  basischen  Eruptivgesteine  eine  grosse  Rolle  spielt,  so  in  den  Basalten, 
Melaphyren,    Pikriten,   Gabbros.     Die  schnelle  Verwitterbarkeit  dieses  Silicates 
macht  es  besonders  geeignet,  seine  Umwandlungsprocesse  zu  studiren,  die  auch 
in  der  Regel  einfacher  Art  sind.     In  dem  Silicat  des  Olivin  überwiegt  stets  die 
Magnesia,  der  Gehalt  an  Eisen  neben  dieser  kann  aber  mehr  oder  weniger  bedeu- 
tend sein.    Darnach  ändern  sich  manchmal  die  hervorgehenden  Produkte  in  Etwas 
um,  der   Verlauf  der  Umwandlung  im  Ganzen  bleibt  wesentlich  derselbe.     Sie 
besteht  in  der  Aufnahme  von  Wasser  unter  Abgabe  von  Magnesia-  und  Eisen- 
oxydulsilicat  d.  i.  in  der  Bildung  von  Serpentin  3MgO-2SiO^  4-  2HaO,  wobei  aller- 
dings ein  Theil  des  Wassers  als  basisches  anzusehen  ist,  oder  auch  in  der  gänz- 
lichen Fortführung  des   Magnesiasilicates  und  gleichzeitiger  Oxydation  des  Eisen- 
oxyduls d.  i.  Bildung  von  Magneteisen  oder  Eisenglanz,  aus  denen  die  Wasserauf- 
nahme Brauneisen  bildet,  oder  endlich  beide  Processe  vollziehen  sich  gleichzeitig, 
es  werden  Serpentin  und  Eisenminerale  gebildet,  alles  oft  mit  Beibehaltung  von 
Structur    und  Form    des  Olivin.     Die    frei    werdende  Kieselsäure    scheidet    sich 
anderweitig   aus.     Aus  dem  Magnesiasilicat  kann  aber  auch  durch  Umwandlung 
das  Carbonat  hervorgehen,   das  Eisen  wird   frei  und  bildet  seine  Verbindungen. 
Bei  den  Pseudomorphosen  von  Eisenglanz  nach  Olivin  ist  eine  Zufuhr  von  Eisen- 
oxyd   anzunehmen.      In    anderen    Fällen    sind    auch    mit    den    umwandelnden 
Lösungen  Kalkerde,  Thonerde  oder  Alkali  zugeführt  und  dadurch  noch  andere 
l'mwandlungsprodukte  des  Olivin  veranlasst  worden. 

An  Olivin  reiche  Gesteine  können  darnach  zu  verschiedenartigen  Endprodukten 
umgewandelt  werden,  unter  denen  allerdings  Serpentine  die  häufigsten  sind.    Dass 
die  Mehrzahl  der  bekannten  Serpentingesteine  aus  Olivingesteinen  stan\men,   ist 
nachgewiesen.     Aber   auch  gewisse  Dolomite  und  Magneteisenlager   mögen   als 
gänzlich    umgewandelte  Olivinmassen  gelten  dürfen.     Die  einzelnen  Stadien  der 
Umwandlung   lassen  sich  am  besten  in  den  basaltischen  Gestemen  jüngerer  und 
alterer  geologischer  Entstehung  studiren  und  bieten  hier  auch  m  den  Ver^eUeden- 


148  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

heiten  der  erst  beginnenden  oder  weit  fortgeschrittenen  Umwandlung  ein  grosses 
Interesse. 

Mit  dem  Olivin  erscheint  in  denselben  Gesteinen  fast  regelmässig  Augit 
assodirt.  Die  Augite  sind  nach  ihrer  Zusammensetzung  entweder  thonerdehahl^e 
oder  thonerdefreie  Silicate,  die  im  Allgemeinen  der  Formel  entsprechen:  (CaMgFe' 
OSiO».!) 

Der  Beginn  der  Umwandlung  der  Augite  besteht  wieder  in  der  Aufnahme 
von  Wasser,  sie  werden  dabei  faserig,  asbestartig.  Die  Diopside  in  den  Gesteinen 
fransen  sich  manchmal  an  ihren  Rändern  aus  und  gehen  in  feinfaserigen  Asbest 
über,  während  der  Kern  noch  deutlich  krystalline  kömige  Beschaffenheit  besitzt. 
Der  Kalkerdegehalt  des  Augit  geht  mit  der  Wasseraufnahme  zuerst  verloren,  es  folgt 
daraus  eine  Anreicherung  des  Magnesiasilicates,  die  den  Uebergang  zur  Serpeiitin- 
bildung  begründet.  Ist  der  Augit  thonerdehaltig,  so  werden  wasserhaltige  Mag- 
nesia-Thonerdesilicate  gebildet,  das  Eisenoxydul  geht  durch  höhere  Oxydation 
und  Wasseraufnahme  in  Eisen oxydhydrat  über  und  färbt  die  gebildeten  Thone. 
Pseudomorphosen  von  Speckstein  oder  Chlorit  nach  Augit,  sowie  auch  die  Umwand- 
lung augitreicher  Basalte  in  fette,  eisenschüssige  Thone,  sogen,  basaltische  Wackcn 
zeigen  diesen  Process.  Das  Vorkommen  von  ged.  Kupfer  in  solchen  Wackcn 
z.  B.  im  Siebengebirge  am  Rhein  und  in  Böhmen  zeigt  die  reducirende  Wirkung 
dieser  Umwandlung  auf  Metallsalze.  Auch  die  Bolusarten  mancher  Basalte  z.  B. 
die  sogen,  terra  sigiÜata  von  Striegau  in  Schlesien  gehören  hierher. 

Ein  sehr  häufiges  Produkt  thonerdehaltiger  Augite  ist  die  sogen.  Grünerde, 
deren  Zusammensetzung  zwar  sehr  wechselnd  zu  sein  scheint,  die  aber  im  Wesent- 
lichen ein  wasserhaltiges  Eisenoxydul-Thonerde-Alkalisilicat  und  von  grosser  atrro- 
nomischer  Bedeutung  ist.  Sie  ist  in  der  Regel  mit  Kalk-  und  Magnesiacarbonat 
gemengt,  das  aus  der  Umwandlung  der  Silicate  im  Augit  hervorging. 

Bei  fortschreitender  Verwitterung  pflegt  der  Gehalt  an  Kalkcarbonat  in  den 
augithaltigen  Gesteinen  z.  B.  den  Diabasen  zuzunehmen  und  so  entstehen  voll- 
ständige Pseudomorphosen  von  Kalkspath  nach  Augit;  augitreiche  (iesteinc 
können  sich  in  Kalksteine  umwandeln.  Manche  alte,  in  den  kn^stallini sehen 
Schiefem  eingeschaltete  Kalksteine  oder  auch  Dolomite,  besonders  solche,  in 
denen  gleichzeitig  Serpentin-  und  Olivlnreste  sich  finden,  gingen  aus  Augit-Olivin- 
gesteinen  hervor.  Durch  Oxydation  des  frei  werdenden  Eisenoxyduls  wird  Magnet- 
eisen oder  Eisenoxydhydrat  als  begleitendes  Produkt  geschaffen. 

Eine  ebenso  verbreitete  Umwandlung  ist  die  der  Augite  in  chloritische  Sub- 
stanzen, überwiegend  von  grüner  Farbe,  die  in  der  Gruppe  der  (Jrün  steine  her- 
vortritt. Die  Chloritbildung  erfolgt  in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  die  des  Ser- 
pentin von  aussen  nach  innen  und  von  den  Rissen  und  Sj)rüngen  ausgehend. 
Die  Zusammensetzung  der  chloritischen  Produkte,  fiir  welche  der  Sammelname 
Viridit  (auch  grüne  serpentinartige  Bildungen  umfassend)  eingeführt  ist,  ist  ge\vis> 
eine  sehr  wechselnde,  immer  aber  sind  es  wasserhaltige  Silicate  von  Thonerdc, 
Eisenoxyd  und  Oxydul,  Magnesia,  bald  die  eine,  bald  die  andere  dieser  Sub- 
stanzen vorherrschend.  Die  weitverbreiteten  z.  Th.  als  Delessit  bezeichneten 
Produkte  in  den  Hohlräumen  der  Melaphyre  und  Basalte,  mit  Quarz,  Kalkspath 
und  Zeolithen  zusammen  gehören  auch  hierhin. 


')  Für  die  Betrachtungen  der  Umwandlung  genüjjt  die  Anführung  dieser  allgenictuen 
Formel.  Eine  Berücksichtigung  der  neueren,  unzweifelhaft  richtigen  Ansichten  Tschermak» 
u.  A.  über  die  Mischungsverhiiltnissc  der  Silicate  in  den  Augiten  erscheint  daher  hier  niclit 
nothwendig. 


Chemische  Processe  in  der  Geologie  149 

-Als  Endprodukte  der  fortgesetzten  Umänderung  der  Augitgesteine  durch  die  bei 
allen  vorher  angeführten  Processen  frei  werdende  Kieselsäure  und  Eisenoxyde, 
welche  durch  Wasseraufnahme  zu  Hydraten  werden,  erscheinen  manchmal  ge- 
radezu kieselige,  zuweilen  auch  kalkige  Brauneisensteine. 

Auch  Epidot  entsteht  aus  der  Umwandlung  der  Augite,  vorzüglich  der  thon- 
erdehaltigen  und  eisenoxydulreichen.  Hierbei  wird  die  Magnesia  des  Augit  fast 
g:anz  entfernt,  die  Kalkerde  angereichert  und  in  Lösung  zugeftihrt,  Thonerde  und 
die  Eisenoxyde  bleiben  oder  werden  auch  noch  zugeführt.  Die  Zufuhr  der  Thon- 
erde, deren  Gehalt  in  den  Augiten  immer  nur  ganz  gering  ist,  erfolgt  wohl  vor- 
züglich aus  den  gleichzeitig  vorhandenen  und  umgewandelten  Feldspathen. 

Die  Hornblende  unterliegt  im  Allgemeinen  ähnlichen  Umwandlungsprocessen 
y»ie  die  Augite.     Bei  der  Uebereinstimmung  der  in  ihre  Zusammensetzung  ein 
tretenden  Verbindungen  erscheint  dies  natürlich.     Auch  die  Hornblende  ist  ent- 
weder  thonerdefrei  und  dann  ROSiO«;   R  =  (Mg, Ca, Fe)  oder  thonerdehaltig 
imR0.SiO»-+-nR«08;   R^  =  Fe«,  AI«.) 

Auf  der  Wasseraufnahme  beruht  die  Bildung  der  Asbeste,  Bergkorke  u.  a. 
^'ie  bei  den  Augiten.  Wird  gleichzeitig  die  Kalkerde  durch  Magnesia  ersetzt,  so 
bildet  sich  auch  Talk,  das  wasserhaltige  Magnesiasilicat.  Auch  thonerdehaltige 
Afagnesiasilicate:  Steatit,  Saponit  u.  a.  pflegen  aus  der  Hornblende  hervorzu- 
gehen. Ebenso  entsteht  aus  ihr  Serpentin,  der  Thonerdegehalt  giebt  noch 
Veranlassung  zur  Bildung  von  Chlorit.  Oft  ist  die  Hornblende  mit  einer  Rinde 
von  aus  ihr  hervorgegangenem  Chlorit  umhüllt.  Die  Eisenoxyde  sind  der  Aus- 
gang zur  Bildung  von  Magneteisen.  Dieses  ist  besonders  bei  den  eisenreichen 
sogen,  basaltischen  Hornblenden  häufig.  Das  Magneteisen  bildet  zuerst  voll- 
kommene Rinden  um  die  Hornblende,  ersetzt  aber  später  auch  die  ganze  Masse 
derselben  und  geht  durch  Oxydation  und  Wasseraufnahme  in  Brauneisenstein 
über.  Vollendete  Pseudomorphosen  von  Brauneisenstein  nach  Hornblende  finden 
sich  in  einigen  Gesteinen  z.  B.  Dioriten. 

Wird  bei  der  Umwandlung  der  Hornblende  Alkali  zugeführt  und  Kalkerde  aus- 
gelaugt, so  kann  auch  Glimmer  entstehen;  er  ist  sogar  ein  häufiges  Umwandlungs- 
produkt. Die  neugebildeten  Glimmerblättchen  haben  sich  auf  und  in  der  Horn- 
blende oft  in  gesetzmässiger  Stellung  angesiedelt. 

Vielleicht  noch  häufiger  als  aus  Augit  geht  aus  der  Hornblende  Epidot  her- 
hervor,  Magnesia  wird  entfernt,  Quarz  aus  freigewordener  Kieselsäure  und  da- 
neben Kalkcarhonat  ausgeschieden.  Die  Bildung  von  chloritischen  Produkten 
unter  Ver^vendung  freiwerdender  Magnesia,  Thonerde  und  Eisenoxydul  pflegt  mit 
der  Epidotbildung  gleichzeitig  vor  sich  zu  gehen. 

Wie    aus    den  Augitgesteinen,   so  können   also  auch   aus  homblendehaltigen 
Gesteinen   Epidot-    und  Chloritgesteine    und    endlich    auch    mehr   oder    weniger 
kicselige    Brauneisensteine    hervorgehen.      Da    die    Hornblenden    stet«    weniger 
Kalkerde     enthalten     als     die     Augite,     dagegen     etwas     mehr    Magnesia,     so 
müssten   sie    für    sich   allein  zur  Epidot-  und  auch  zur  Kalkspathbildung  weniger 
«geeignet    sein,    als    der  Augit,    hingegen    könnten  aus  ihnen  leichter   Magnesia- 
carbonate    oder    Dolomite    entstehen.      Die   Magnesite,    die    zu  Frankenstein  in 
Schlesien,    zu    Kraubat  in  Steiermark  u.  a.  a.  O.   mit  Serpentinen  in  VerbiiMhir^r 
"stehen,  sind  wie  diese  aus  olivin-,  augit-  oder  homblendehaltigen  Gesteinen  her- 
vorgegangen.    Aus  vorzüglich  homblendehaltigen  entstanden  manche  altkiro^J- 
linischen  Gesteinen   eingeschaltete  Dolomite,  z.  B.  solche  in  den  Pyrcnäcr  i--^~ 
Alpen,    wie   u.  a.  vielleicht  die  mineralreichen  Dolomite  südlich   vom  Sc_   C^^ 


150  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

hard  und  im  Binnenthal.  Die  Kalkglimmerschiefer,  die  Kalkpistacitschiefer,  die 
Kalktalkschiefer,  Dolomitglimmerschiefer  haben  wohl  grösstentheils  ihren  Gehalt 
an  Carbonaten  der  Umwandlung  von  ursprünglich  vorhandenem  Augit  oder 
Hornblende  zu  danken. 

Ueberhaupt  aber  finden  sich  Augit  und  Hornblende  in  vielen  älteren 
krystallinischen  Gesteinen  so  regelmässig  nebeneinander,  dass  hierdurch  eine 
Trennung  der  Produkte  ihrer  Umänderung  geradezu  unmöglich  wird.  Auch  giebt 
es  direkte  Uebergänge  von  Augit  in  Hornblende,  die  sogen.  Uralite,  die  als  ein 
erstes  Umwandlungsstadium  mancher  Augite  zu  bezeichnen  sind.  Mit  der  Form 
des  Augit  erscheint  dann  Spaltbarkeit,  Structur  und  optisches  Verhalten  der 
Hornblende;  im  Inneren  finden  sich  oft  noch  unveränderte  Kerne  von  Augit  mit 
einer  Hülle  von  Uralit,  der  oft  mit  ersterem  bezüglich  der  Hauptachse  parallel 
gestellte  Fasern  aufweist.  Bei  der  Entstehung  der  uralitischen  Hornblende  aus 
Augit  scheint  meist  mit  der  Aufnahme  von  etwas  Wasser  ein  Austritt  von  Kalk- 
erde und  Eisen  zu  erfolgen,  wodurch  Kalkspath  und  Magneteisen  neugebildet 
werden. 

Dass  die  Hornblende  im  Verlaufe  ihrer  Umwandlung  sich  oft  mit  einem 
Rande  von  neugebildetem  Magneteisen  umsäumt,  ist  «ine  weit  verbreitete  Er- 
scheinung in  vielen  Gesteinen,  während  dieses  bei  dem  Augit  sehr  selten  der 
Fall  ist.  Dies  dürfte  wohl  vorzüglich  darauf  beruhen,  dass  die  thonerdehaltigen 
Hornblenden  im  Allgemeinen  reicher  an  Eisenoxydul  sind. 

Auch  Glimmer,  besonders  die  eisenreichen  Arten  der  Magnesiaglimmer  er- 
leiden leicht  Umwandlungen.  Eine  der  häufigsten  besteht  in  der  Ausscheidung 
von  Eisenoxyd  als  Ocker  oder  auch  der  Neubildung  von  Magneteisen  auf  den 
Fugen  der  Glimmerblätter.  Sie  erscheint  oft  so  dicht,  dass  sie  dem  Glimmer  eine 
allgemeine  Rostfarbe  verleiht,  so  z.  B.  in  dem  sogen.  Rubellan.  Auch  giebt  es  voll- 
endete Pseudomorphosen  von  Magneteisen  nach  Glimmer.  Solche  finden  sich 
z.  B.  ausgezeichnet  nach  einem  schwarzen  lepidomelanartigen  Glimmer  in  den 
Graniten  von  Königshayn  in  Schlesien.  Die  Umwandlung  beginnt  mit  einer 
schwachen  Rostförbung,  auf  der  Oberfläche  der  Glimmerblätter  bilden  sich  zu- 
nächst vereinzelte  Magneteisenkörnchen  und  Kryställchen.  Endlich  ist  unter  voll- 
ständiger Beibehaltung  der  Form  und  theilweise  sogar  der  blättrigen  Structur 
der  ganze  Glimmerkrystall  in  ein  Aggregat  von  Magnetit  verwandelt  Glimmer- 
schiefer, deren  Gemengtheil  ein  eisenreicher  Glimmer  ist,  vermögen  auf  die>c 
Weise  zu  Magneteisenschiefem  sich  umzuändern.  Die  den  krystallinischen 
Schiefem  in  einigen  Gegenden  eingeschalteten  sogen.  Magnetitgneisse,  soune  die 
Magneteisenlager  zwischen  Glimmerschiefern  mögen  in  dieser  Weise  entstanden 
sein.  Da  aber  der  Magnetit  durch  weitere  Umwandlung  in  Eisenoxyd  übergehen 
kann,  so  ist  schliesslich  auch  die  Bildung  von  Eisenglanzglimmerschiefer  auf  diese 
Weise  denkbar. 

Ausserdem  bilden  sich  aus  den  Glimmern  chloritische  Produkte,  Kalkspat).. 
Quarz,  Speckstein  oder  Serpentin  in  ähnlicher  Weise  wie  aus  den  vorher  en^  ahnten 
Mineralen.  Die  hellen  Kaliglimmer  sind  im  Allgemeinen  widerstandsfähiger  .iN 
die  dunklen,  eisenhaltigen  Magnesiaglimmer. 

Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  aber  sind  die  Umwandlungserscheinunger 
der  ganzen  Gruppe  derFeldspathe,  da  die  verschiedenen  Arten  derselben  m 
der  grössten  Mehrzahl  der  krystallinischen  Gesteine  als  die  wesentlichsten  Gerocnj 
theile   auftreten.      Nach   ihrer   chemischen  Zusammensetzung,    die   ftir  diese  Be- 
trachtung allein  von  Wichtigkeit  ist,  kann  man  die  Feldspathe  in  einfache  oder 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  151 

in  Mischlingsfeldspathe  unterscheiden.  Der  ersteren  giebt  es  3  Arten:  Den 
Kalifeidspath  (Orthoklas  und  Mikroklin)  von  der  Zusammensetzung:  K'Al^Si^O^* 
oder  K>0  -h  Al^O^  n-  ÖSiO^;  der  Natronfeldspath  (Mbit):  Na>Al»Si6  0i«  oder 
Na»0-hAl»03-h6SiO>  und  der  Kalkfeldspath  (Anorthit)  =  CaAlÄSiaO^  oder 
CaO  H- Al*03 -+- -iSiO^.  Mischlingsfeldspathe  giebt  es  zwei  Arten:  solche  die 
gleichzeitig  Kali  und  Natron  besitzen,  z.  B.  einige  Sanidine,  und  die  demnach 
zwischen  Orthoklas  und  Albit  in  der  Mitte  stehen,  und  solche,  die  Kalkerde  und 
Xanron  gleichzeitig  in  wechselnden  Mengen  enthalten  und  sonach  zwischen  Albit 
und  Anorthit  in  der  Mitte  liegen.  Nur  diese  letzteren  haben  für  geologische  Vor- 
gange grössere  Bedeutung.  Diese  Kalk-Natronfeldspathe  entsprechen  im  Allge- 
meinen der  Formel  :  n  Albitsubstanz  auf  m  Anorthitsubstanz,  oder  also 
n ^Na*  AI*  Si^  O^  ®)  -4-  m(Ca AP  Si*  O*),  wobei  dann  m^n,  und  darnachdie  Mischung 
entweder  mehr  Anorthitsubstanz  oder  mehr  Albitsubstanz  enthält,  also  z.  B. 
entweder  Ab  -h  6  An  oder  6  Ab  -h  An  und  die  zwischen  diesen  Grenzen  liegenden 
Möglichkeiten. 

Während  der  Natronfeldspath  mit  69^  und  der  Kalifeidspath  mit  65 ^Kieselsäure 
eine  ziemlich  saure  Mischung  besitzen,  hat  der  Kalkfeldspath  mit  nur  43^  Kieselsäure 
eine  sehr  basische  Zusammensetzung.  An  Thonerde  enthalten  der  Kalifeidspath  18^, 
der  Natronfeldspath  19^,  der  Kalkfeldspath  dagegen  37  J.  Der  Gehalt  an  Alkalien 
beträgt  in  den  ersteren  ly^K^O  resp.  i2^Na*0;  der  an  Kalkerde  in  letzterem 
20JtCaO.  Bei  den  Kalknatronfeldspathen  schwanken  die  Werthe  natürlich  nach 
ihrer  Mischung,  die  mehr  Albitsubstanz  enthaltenden  sogen.  Oligoklase  haben 
62—65^ SiO*,  die  mehr  Anorthitsubstanz  enthaltenden  sogen.  Labradorite  dagegen 
nur  50 — 56J  SiO*.  Diese  Verhältnisse  der  chemischen  Constitution  der  Feld- 
spathe  sind  für  die  Umwandlungserscheinungen  und  die  aus  ihnen  hervorgehenden 
Neubildungen  am  wichtigsten.  Wenn  sie  auch  die  Gemeinsamkeit  einer  grossen 
Zahl  von  Umwandlungsprodukten  bedingen,  so  erklären  sie  doch  auch  anderer- 
seits die  vielfachen  Verschiedenheiten. 

Ein  allen  alkalireichen  Feldspathen,  also  dem  Orthoklas  und  den  Oligoklasen 
vor  allem   eigenthümliches  Umwandlungsprodukt  sind  die  wasserhaltigen  Thon- 
erdesilicate:    der  Kaolin    oder   die  Porcellanerde    und  andere  Silicate  von  ähn- 
licher Zusammensetzung.    Die  Veränderung  beginnt  mit  der  Aufnahme  von  Wasser 
und  der  Auflösung  der  Kieselsäure  in  dem  Silicate  unter  dem  Einflüsse  der  gleich- 
zeitig  gebildeten   Alkalicarbonate.      Diese    gehen    in  Lösung,    auch  Kieselsäure 
ft-ird  fortgeführt  und  setzt  sich  meist  in  der  Nähe  auf  Klüften  und  Hohlräumen 
des  Gesteines  wieder  ab.    Die  Thonerde  wird  angereichert  und  bildet  dann  mit 
dem  Reste  der  Kieselsäure  und  dem  Wasser  Kaolin,  dessen  normale  Zusammen- 
setzung etwa  46^  Kieselsäure,  40  J  Thonerde  und  14  g  Wasser  erfordert.    Schon  bei 
dem  Orthoklas,  aber  natürlich  mit  dem  wachsenden  Kalkgehalte  in  höherem  Maasse 
bei  dem  Oligoklas  wird  neben  Kaolin  gleichzeitig  auch  Kalkcarbonat  gebildet.    Be- 
dingung zur  Kaolinbildung  ist  jedenfalls  die  Möglichkeit  zur  Bildung  des  auf  die  Sili- 
i  ate  wrksamen  Alkalicärbonates.  Wo  diese  fehlt,  kann  auch  kein  Kaolin  entstehen. 
Daher   vollzieht    sich    bei   den    kalkreichen    und   alkaliarmen  Feldspathen    dem 
Anorthit  und  den  ihm  nahestehenden  Labradoriten  auch  die  Umwandlung  ohne 
eine  Kaolinbildung.    Durch  Aufnahme  von  kohlensäurehaltigem  Wasser  wird  Kalk- 
erde gelöst  und  als  Kalkcarbonat  abgeschieden.    Kieselsäure  und  Thonerde  bilden 
mit  den  Produkten  aus  den  mit  den  Feldspathen  associirten  Mineralen,  vorzüglich 
Augit  und  Hornblende,  neue  Verbindungen.  Der  Beginn  der  Carbonatbildung  giebt 
sich  bei  diesen  Feldspathen  alsbald  durch  Brausen  bei  der  Behandlung  mit  Säuren 


152  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

ZU  erkennen.  Die  fortgeführte  kohlensaure  Kalkerde  wird  oft  durch  Alkaliea 
Magnesia  und  Eisen  vollständig  ersetzt,  während  in  dem  ursprünglichen  Verhält- 
nisse von  SiO^  zu  APO^  keine  Aenderung  eintritt. 

Im  Allgemeinen  zeigen  alle  Feldspathe  beim  Beginn  ihrer  Umwandlung  durd. 
Oxydation  der  geringen  Mengen  von  Eisenoxydul  röthliche  Färbungen,  bei  für- 
gesetzter  Umwandlung  geht  diese  wieder  verloren  und  die  Kaoline  werden  blendend 
weiss.  Ein  wenn  auch  sehr  geringer  Gehalt  an  Eisen  ist  ihrer  Verwendung  zu: 
Porcellanfabrikation  schädlich,  da  sie  sich  dann  roth  brennen. 

Zu  Kaolin  umgewandelt  erscheinen  grosse  Massen  besonders  Orthokla- 
enthaltender  Gesteine,  z.  B.  Granite  und  Porphyre,  zunächst  und  oft  bis  zur  vol 
kommenen  Umwandlung  mit  Beibehaltung  ihrer  Structur,  indem  der  Quarz  z.  ^ 
noch  unverändert  in  der  Kaolinsubstanz  liegt.  Solche  Umänderungen  von  (Jrani 
in  situ  finden  sich  in  grossartigem  Maassstabe  bei  Carlsbad  in  Böhmen,  bei  Strehbn 
in  Schlesien,  Limoges  in  Frankreich;  Porphyrite  mit  oligoklasartigen  FeldspatK^r 
finden  sich  in  gleicher  Weise  kaolinisirt,  z.  B.  im  Vicentinischen  in  der  Gegend 
von  Schio. 

Von  anderen  wasserhaltigen  Thonerdesilicaten,  die  aus  Orthoklas  und  alkali 
haltigen  Feldspathen  hervorgehen,  ist  noch  der  demPinit  ähnlichen  Produkte,  der  m»: 
Pinitoide  Erwähnung  zu  thun,  in  denen  neben  Alkalien  auch  Eisen  und  Magnes^i 
in    die  neuentstandene  Verbindung  eingetreten  sind.      Wenn  die  Alkalien    gan; 
fortgeführt  werden,   so  entstehen  auch  magnesiareiche  Thonerdesilicate,    endlirb 
geradezu  Magnesiasilicate:    Serpentin  und  talkartige  Produkte,  in  denen  die  wer- 
selnden  Verhältnisse  von  Kieselsäure  zu  Magnesia  und  Wasser  eine  grosse  Vcr- 
srhiedenartigkeit  bedingen.     Zu  diesen  gehört  auch  ein  Theil  der  als  Saussnn: 
bezeichneten  Verwitterungsprodukte  der  Feldspathe ;  serpentinartige  Gemenge  vo- 
Kömchen,  verschieden  gestalteten  Nädelchen   und  Fasern   mit  Quarz  vermischt 
Oft  sind  die  Aggregate  vollkommen   verworren  faserig,    oft  zeigen  sie   blumige, 
federartige  Anordnung  und  sind  maschenförmig  gruppirt,   in  seltneren  Fällen  er- 
scheint auch  eine  parallelfasrige  Structur.    Diese  Produkte,  wasserhaltige  Magne>ia 
thonerdesilicate,  hat  man  auch  als  Pseudophit  bezeichnet 

Eintritt  von  Magnesia  und  Eisenoxydul  mit  Wasser,  vollständige  Entfemiini: 
der  Alkalien  und  eines  grossen  Theiles  der  Kieselsäure  bedingen  die  Bildung  \on 
chloritischen  Mineralen  aus  den  Feldspathen. 

Auch  die  Neubildung  von  Epidot  auf  Kosten  verwitternder  Feldspathsubsiap/ 
und  ofl  geradezu  in  dieselbe  hinein,  ein  echter  Schmarotzer  auf  Feldspath,  ist  ucr 
verbreitet.  Bedingung  dazu  ist  vor  allemein  ziemlich  hoher  Gehalt  an  Kalkerde  dt- 
sich  umwandelnden  F'eldspathes  selbst  oder  die  Zufuhr  desselben  aus  der  Nahe. 
nie  Alkalien  treten  aus,  mit  ihnen  \ie\  Kieselsäure;  Kalkerde  und  Eisen  müssen  zu- 
geführt werden.  Augit  und  Hornblende,  wenn  sie  mit  Feldspathen  Gesteine  bilden, 
sowohl  mit  Orthoklas  in  den  Syeniten  als  auch  mit  Kalknatronfeldspathen  in  ilci^ 
sogen.  Grünsteinen,  scheinen  sich  in  der  Regel  ganz  besonders  zur  Epidotbildiir^- 
/.u  ergänzen.  In  solchen  Gesteinen  erfolgt  sie  am  regel massigsten  und  häufigNte«. 
In  vielen  Fällen  ist  gewiss  geradezu  diese  Mineralassociation  und  nicht  "das  ein- 
zelne Mineral  als  die  Quelle  zur  Epidotbildung  zu  bezeichnen. 

Manche   Kpidosite,   die   fast  ganz  aus  kömigen  oder  stengiigen  Aggregaten 
von   Epidot    bestehen,    sind    lediglich    gän/lich   umgewandelte   Feldspathge>teine 
oder  haben   wenigstens  solclien   dius  Material  zu  ihrer  Bildung  entnommen,  m 
\u  A,  besonders  die  mit  (Kranit  und  Serpentin  in  Verbindung  auflretenden  £piil(.>t 


Chemische  Processc  in  der  Geologie.  153 

gesteine  auf  Elba,  der  Epidotfels  im  Syenit  von  Blansko  in  Mähren,  die  Epidot- 
^änge  und  Adern  in  den  Grünsteinen  Nassaus  und  manche  andere. 

Der  Natrongehalt  der  Orthoklase  dient  auch  zur  Neubildung  von  Albit.  Der- 
selbe siedelt  sich  geradezu  auf  jenem  an  und  durchwächst  ihn  mehr  und  mehr; 
auch  die  zerbrochenen  Stellen  verdrückter  und  gebogener  Orthoklaskrystalle 
in  Graniten  werden  durch  Albit  wieder  verheilt  und  verkittet,  so  z.  B.  sehr  schön 
in  den  grosskömigen  Parthien  der  Granite  von  Königshayn  bei  Görlitz  in 
Schlesien. 

Andererseits  ist  der  Natrongehalt  der  Feldspathe  im  Verbände  mit  der  Wasser- 
aufnahme die  Ursache  zur  Bildung  von  Zeolithen,  besonders  der  natronreichen 
Mesotype. 

Auch  die  Bildung  von  Glimmer  aus  dem  Orthoklas  ist  von  einiget  Bedeutung: 
das  Thonerdesilicat  ist  geblieben,  aber  Kieselsäure  und  ein  Theil  des  Alkalige- 
haltes ist  entfernt,  Eisen  zugeführt  worden.  Der  Glimmer  ist  immer  ein  hell  ge- 
färbter Kaliglimmer  oder  bildet  schuppige  glimmerähnliche  Produkte  von  einer 
dem  Margarit  sich  nähernden  Wasser  und  Kalkerde  enthaltenden  Verbindung. 

Auch  für  die  Feldspathe  gilt  dann  eine  gleiche  Bemerkung,  wie  sie  oben  für 
Augit  und  Hornblende  gemacht  wurde.  Das  sehr  verbreitete  Zusammenvor- 
kommen verschiedenartiger  Feldspathe,  so  des  Kalifeldspathes  und  der  Kalknatron- 
feldspathe  in  denselben  Gesteinen,  bedingt  in  der  Regel  eine  Ausgleichung  der 
Verschiedenheiten  für  die  Umwandlungsprodukte  und  die  Möglichkeit  gemein- 
schaltlicher  Neubildungen. 

Keine  anderen  Minerale  haben  bezüglich  ihrer  Umwandlungserscheinungen 
eine  so  allgemeine  Bedeutung  für  geologische  Vorgänge  wie  die  vorhergehenden. 

Bekannt  sind  allerdings,  aber  immer  nur  von  einer  mehr  localen  Wichtigkeit,  noch 
eine  ganze  Reihe  recht  charakteristischer  anderer  Umwandlungsprodukte.  Nephe- 
lin  ist  vor  allem,  mit  den  anderen  ihn  begleitenden  echt  vulkanischen  Mineralen 
,Leucit,  Nosean,  Sodalith)  als  ein  zeolithbildendes  Mineral  zu  nennen.  Der  Beginn 
der  Umwandlung  von  Aussen,  das  zonenweise  Fortschreiten  derselben,  die  Bildung 
fasriger  Aggregate  und  endlich  bestimmbarer  Nadeln  von  Natrolith  ist  hier  vor- 
trefflich zu  verfolgen. 

Granat  scheint  sich  häufig  in  Chlorit  umzuwandeln,  dabei  wird  die  Kalkerde 
l>i:»  auf  geringe  Mengen  entfernt,  der  Magnesiagehalt  nimmt  entsprechend  zu, 
Eisen  und  Kieselsäure  gehen  z.  Th.  fort,  Wasser  wird  aufgenommen,  Thonerde 
bleibt  unverändert  oder  wird  zum  kleineren  Theile  entfernt.  Durch  Oxydation 
des  Eisenoxyduls  wird  oft  als  Nebenprodukt  Magneteisen  gebildet. 

Zahlreiche  verschiedene  Umwandlungsprodukte  liefert  der  Cordierit 
v2MgO,  2R»03  -h5Si02,  R2  =  Aia,  Fe»);  alle  enthalten  Wasser  und  Alkali,  Kiesel- 
säure, Thonerde,  Eisen oxydul  und  Magnesia.  Darunter  ist  besonders  der  Pinit 
^K'O-H  2A1^0* -+- öSiO») -I- 3aq  zu  nennen,  durch  Wasseraufnahme  und  Aus- 
tausch der  Magnesia  gegen  Alkali  gebildet. 

Andalusit  (APO^  •  SiO»)  wandelt  sich  in  Glimmer  und  Speckstein  um;  Aus- 
tausch der  Thonerde  gegen  Magnesia  und  Wasseraufnahme,  Aenderung  des 
Kieselsäuregehaltes  ist  dabei  wesentlich. 

So  könnte  noch  eine  Reihe  weiterer  auf  Lösung  und  Austausch  von  Be- 
^tandtheilen  durch  die  Einwirkung  gebildeter  Mineralsolutionen  beruhende  Um- 
wandlungen aufgeführt  werden.  Auf  specielle  Werke  über  Pseudomorphosen, 
oder  chemische  Geologie,  mag  bezüglich  weiterer  Beispiele  verwiesen  werden. 

Die  wichtigsten  der  überhaupt  vorkommenden  chemischen  Processe  dieser 


154  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Art,   für  welche  z.  Tb.  im  vorhergehenden  einzelne  Beispiele  angeführt  wurden, 
sind  in  kurzer  Aufzählung  die  folgenden: 

1.  Kohlensaure  Alkalien  zersetzen  Kalksilicate ,  es  werden  Kalkcarbonat 
und  kieselsaure  Alkalien  gebildet.  Kieselsaure  Magnesia  unterliegt  dieser  Um- 
wandlung nicht,  daher  auch  die  Häufigkeit  mit  der  gerade  wasserhaltige 
Magnesiasilicate  als  Endprodukte  der  Umwandlungsprocesse  auftreten. 

2.  Kohlensaure  Alkalien  zersetzen  Fluorcalcium,  es  entstehen  leichtlösliche 
Fluoralkalien  und  Kalkcarbonat:  so  die  Pseudomorphosen  von  Kalkspath  nach 
Flussspath. 

3.  Die  kieselsauren  Alkalien  zersetzen  doppeltkohlensaure  Magnesia,  es  ent- 
steht kieselsaure  Magnesia  und  kohlensaure  Alkalien.  Das  ist  der  Fall  bei  eini- 
gen Umwandlungsprocessen  der  Feldspathe,  deren  kieselsaure  Alkalien,  wenn  bie 
mit  Wassern  in  Berührung  kommen,  die  das  Magnesiabicarbonat  enthalten,  durch 
kieselsaure  Magnesia  ersetzt  werden  z.  B.  bei  der  Serpentin-  oder  Chloritbildung 
aus  Feldspath. 

4.  Die  kieselsauren  Alkalien  zersetzen  kohlensaures  Eisenoxydul,  es  entstellt 
kieselsaures  Eisenoxydul  und  kohlensaure  Alkalien  gehen  in  Lösung.  Darauf  be- 
ruht die  Bildung  der  Grünerde  und  der  chlorophäitähnlichen  Silicate,  die  in  der 
sogen.  Grünsteinen  u.  a.  Gesteinen,  in  denen  Eisenoxydulcarbonat  in  Lösung  eni- 
enthaltende  Wasser  circuliren  und  kieselsaure  Alkalien  in  den  Peldspathen  zugegen 
sind,  so  überaus  häufig  sich  finden. 

5.  Wenn  eine  Lösung  von  kieselsaurem  Natron  mit  Kalkbicarbonat  in  Be- 
rührung tritt,  so  bildet  sich  kohlens.  Natron  und  kohlensaure  Kalkerde  und  die  freie 
Kieselsäure  wird  in  irgend  einer  Form  abgeschieden.  Darauf  beruhen  die  Pseudo- 
morphosen von  Quarz  oder  Homstein  nach  Kalkspath. 

6.  Kiesels.  Thonerde  wird  durch  schwefelsaure  Magnesia  oder  Chlormagne 
sium  und  schwefelsaure  Thonerde  oder  Chloraluminium  zersetzt.  Auch  das  ist 
ein  Weg,  der  zur  Umwandlung  von  Feldspath,  Augit,  Hornblende  u.  a.  in 
Serpentin,  Speckstein,  Talk  fuhren  kann.  Die  leicht  lösliche  schwefelsaure  Thon- 
erde und  das  Chloraluminium  werden  fortgeführt,  die  kieselsaure  Magnesia  bleibt 
zurück. 

7.  Eisenoxydhydrat  wirkt  zersetzend  auf  kieselsaure  Thonerde.  Kommen 
Gewässer,  in  denen  doppelt  kohlensaures  Eisenoxydul  gelöst  ist,  in  Berührung  mit 
Mineralen,  die  kieselsaure  Thonerde  enthalten  und  wird  aus  diesen  durch  Wasser- 
aufnnhme  und  Oxydation  Eisenoxydhydrat  ausgeschieden,  so  entzieht  dieses  dem 
Silicate  der  Thonerde  einen  Theil  der  Kieselsaure  und  bildet  damit  das  Ei^en- 
oxydsilicat.  Es  bilden  sich  dann  Doppelsilicate  von  Thonerde  und  Eisenoxyd 
so  z.  B.  Delessit,  Strigovit  und  ähnliche  Produkte. 

8.  Schwefels.  Alkalien  und  schwefelsaure  alkalische  Erden  werden  durch 
faulende  organische  Substanzen  zu  Schwefelalkalien  und  Schwefel  Verbindungen 
der  alkalischen  Erden  zersetzt  so  z.  B.  Gyps  durch  sumpfige  Wasser  in  Schwefel- 
calcium  übergeführt.  Diese  Schwefel  Verbindungen  zersetzen  kohlensaures  Eisen- 
oxydul,  sowie  auch  Eisenoxydhydrat  und  es  bildet  sich  Schwefeleisen, 

Q.  Kalkbicarbonat,  wie  es  durch  Auslaugen  z.  B.  aus  Kalkfeldspath  fon|;c- 
Itlhrt  wird,  bildet  mit  den  schwefelsauren  Salzen  der  Metalle  Blei,  Eisen,  Kupier. 
Zink  einerseits  schwefelsaure  Kalkerde,  andererseits  die  Carbonate  der  MeiaH- 
oxyde.  So  entstehen  Malachit,  Kupferlasur,  Weissbleierz,  Zinkspath  u.  A.  als 
Umwandlungsprodukte    der   Kupferkiese,    Zinkblende,    Bleiglanz  u.  A.   auf  En* 


Chemische  Processe  in  der  Geologie.  '  155 

gangen.      Durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  hatten  sich  diese  in  die  Sulfate  um- 
gewandelt. 

10.  Kiesels.  Zink-,  Blei-,  Kupfer-  u.  a.  Oxyde,  ebenso  die  kohlens.  Salze 
derselben  und  auch  das  Eisen-  und  Manganoxydul,  werden  durch  Schwefelwasser- 
stoff zersetzt.  Es  bilden  sich  die  entsprechenden  Schwefelmetalle  und  freie 
Kieselsäure  wird  abgeschieden.  Dieser  Process  ist  fllr  die  Auslaugung  der 
Metalloxj'de  aus  den  Gesteinen  und  ihre  Neubildung  in  den  Gangspalten  ganz 
besonders  wichtig  gewesen. 

III.    Auflösung  der  Gesteine. 

Wenn  auch  die  meisten  auflösenden  Processe  schon  bei  den  im  Vorhergehenden 
besprochenen  Erscheinungen  Erwähnung  finden  mussten,  da  sie  in  gewissem 
Sinne  Bedingung  zur  Neubildung  und  Umwandlung  sind,  so  sollen  sie  doch  hier 
am  Ende  noch  einmal  kurz  angeführt  werden,  weil  mit  ihnen  manche  Stoffe  zu- 
nächst der  sichtbaren  Erdoberfläche  entzogen  werden. 

Es  sind  die  Processe  vornehmlich  als  auflösende  bezeichnet,  die  in  der  Weise 
einfach  verlaufen,  dass  ein  Mineral  in  Lösung  übergeführt  wird  und  verschwindet, 
ohne  dass  eine  andere  Substanz,  die  aus  diesem  Processe  hervorgeht,  an  seine 
Stelle  tritt:  es  sind  also  die  eigentlichen  Verwitterungsprocesse.  Auf  ihnen,  und 
mit  ihnen  verbunden  auf  der  mechanischen  Auflockerung  durch  atmosphärische 
Agentien  und  die  fliessenden  Wasser  der  Erdoberfläche  beruht  der  grösste  Theil 
der  Erscheinungen,  die  wir,  ohne  sie  in  chemische  und  mechanische  zu  trennen 
als  Erosion  bezeichnen.  Die  mechanischen  Wirkungen  sind  allerdings  meistens 
die  sichtbareren. 

Es  giebt  nur  sehr  wenige  Minerale,  die  gar  nicht  von  Wasser,  Sauerstoff, 
Kohlensäure  und  anderen  Säuren  angegriffen  werden,  wie  z.  B.  die  Edelmetalle 
oder  Diamant  und  Graphit.  Die  grösste  Mehrzahl  bietet  im  Gegentheil  die  Er- 
scheinung, unter  der  Einwirkung  der  genannten  Lösungsmittel  sich  ohne  Rest 
voUständig  zu  lösen.  Vor  allem  sind  dieses  die  Carbonate,  Sulfate,  Chloride, 
in  geringerem  Maasse  auch  die  Phosphate  u.  A.,  endlich  sogar  die  Silicate  und 
der  Quarz. 

Für  die  Carbonate  ist  die  I^slichkeit  eine  sehr  verschiedene;  immerhin  aber 
werden  ungeheure  Mengen,  besonders  von  Kalkcarbonat  aus  Kalksteinen  aufge- 
löst. Die  Verwitterungsformen  so  mancher  Kalksteine,  ihre  höhlerreiche  Be- 
i^chaffenheit,  die  Schutthalden  am  Fusse  von  Dolomitfelswänden  beweisen  die 
Urossartigkeit  dieser  Wirkungen. 

Von  Sulfaten  ist  besonders  die  Auflösung  von  Gypsgesteinen  die  Veran- 
lassung zu  geologischen  Vorgängen.  Die  Gypsgebirge  sind  ebenfalls  von  ver- 
^hiedenartigen  Höhlungen  erfüllt,  die  durch  Auswaschung  entstanden,  durch  ihr 
Zusammenbrechen  Dislocationen  oft  ausgedehnter  Art  hervorrufen.  Die  zahl- 
reichen Soolquellen  rühren  von  aufgelöstem  Steinsalz  her. 

Die  Löslichkeit  der  Silicate  und  des  Quarzes  wurde  schon  im  Vorhergehen- 
den mehrfach  betont.  Die  Anwesenheit  gelöster  Kieselsäure  in  so  vielen  Quellen 
u-t  darauf  zurückzuführen.  Die  Gegenwart  von  Alkalicarbonat  erhöht  die  Löslich- 
teit  sehr  wesentlich. 

In  geringem  Maasse  sind  auch  die  Eisenoxyde  und  das  Magneteisen  löslich. 

Dass  der  grösste  Theil  der  Minerale  in  Lösung  übergeführt  wird,  beweist 
die  Zusammensetzung  mancher  Mineralquellen,  des  Fluss-  und  vor  allem  des 
Meerwassers. 


156  Mineralogve,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Allen  diesen  Aiiflösiingsprocessen  liegt  nicht  so  sehr  eine  schnelle,  energische 
Einwirkung,  als  vielmehr  eine  lange  ununterbrochene  Fortdauer  zu  Grunde.  Hier 
gilt  wörtlich  der  alte  lateinische  Spruch :  Gutta  cavat  lapideniy  non  visedsaepe  cadendo. 

Literatur:    Bischoff,  G.,  Lehrbuch  der  ehem.  und  physicalischen  Geologie.  II.  Aufl.  Bonn  1803 
Blum,  J.  R.,   Die  Pseudomorphosen  des  Mineralreiches.    Stuttgart  1843,  und  vier  Nachträge    1844 
1852,    1863,  1879.   Credner,  H,  .Elemente  der  Geologie.  IV.  Aufl.   Leipzig  1878.    Roth,  Jrsr  ' 
Allgem.   und  ehem.    Geologie.     1.  Bd.  Berlin    1879.     VüLüer,   Ü.,  Studien  zur  Entvricklung^gc- 
schichtc  der  Mineralien.    ZUrieh  1854. 


Cohäsion  oder  Cohäsions-Eigenschaften  der  Minerale 


von 


Professor  Dr.  Kenngott 

Von  der  Cohäsion,  dem  Zusammenhange  der  kleinsten  materiell  gleichen 
Theilchen  der  Körper  hängen  bei  den  Mineralen  verschiedene  Erscheinungen  ah, 
welche  dazu  fllhrten,  gewisse  Eigenschaften  zu  unterscheiden,  durch  welche  sie- 
die  Minerale  unterscheiden  lassen.  Dieselben  sind  z.  Th.  sehr  wichtige,  insofern 
sie  auf  die  Bestimmung  der  Arten  Einfluss  haben. 

Wie  schon  im  Artikel  »Arten  der  Minerale«  pag.  59  erwähnt  wurde,  zeiger 
die  Krystalle  die  Eigenthümlichkeit,  sich  nach  gewissen  Richtungen  leichter  al- 
in  anderen  zertheilen  (spalten)  zu  lassen  und  die  dadurch  hervorgehenden  (le- 
stalten  werden  als  innere  krystallinische  Gestalten  den  äusseren  entgegen- 
gesetzt. Weil  somit  diese  von  der  Cohäsion  oder  von  der  Cohärenz  der  kleinsten 
Massentheilchen  abhängige  Erscheinung  an  den  Krystallen,  den  Individuen  de- 
Mineralreiches  oder  überhaupt  an  Krystallen,  auch  den  nicht  mineralischen  m\\ 
den  äusseren  Formen  in  Zusammenhang  steht  und  sich  selbst  an  solchen  Indi- 
viduen zeigt,  welche  keine  äussere  Form  bestimmen  lassen,  die  mathematische 
Bestimmung  der  Krystallgestalten  unterstützt,  so  kann  sie  allen  anderen  von  der 
Cohäsion  abhängigen  Eigenschaften  vorangestellt  werden. 

Die  Spaltbarkeit  der  Krystalle  oder  der  unorganischen  Individuen  i;>t  eine 
allgemeine  Eigenschaft,  sie  zeigt,  dass  die  Krystalle,  so  vollkommen  oder  unvid! 
kommen  sie  äusserlich  ausgebildet  sein  mögen,  nach  bestimmten  mit  der  Kjybtalli- 
sation  in  Zusammenhang  stehenden  Richtungen  eine  mindere  Cohäsion  haben 

Wenn  man  einen  Gypskrystall,  welcher  z.  B.  wie  die  von  Shotowerhill  in 
Sussex  in  England  oder  von  Rundiana  bei  Modena  in  Italien  die  oft  vorkommende 
Combination  (Fig.  i)  des  klinorhombischen  Prisma  00  P  (dessen  klinodiagonalc 
Kanten  =  1 1 1  °  30'  sind)  mit  den  I^ngsflächen  00  P^  und  der  vorderen  klim- 
rhombischen  Hemipyramide  P  (deren  klinodiagonale  Kanten  =  143^30'  sind 
bildet,  in  die  Hand  nimmt  und  ein  Messer  mit  seiner  Schärfe  auf  eine  Henri-. - 
]>yramidenfläche  in  der  Richtimg  der  Combinationskante  derselben  mit  der  Lanp^ 
fläche  ^^Fig.  2)  aufsetzt  und  zwar  so,  dass  die  Breitseite  der  Klinge  parallel  der 
I^^ngsfläche  ist,  so  genügt  ein  massiger  Druck,  um  den  Krystall  parallel  de* 
Längsfläche  zu  spalten.  Das  abgetrennte  Stück  (Fig.  3)  und  der  übrig  bleibende* 
Theil  des  Krystalles  (Fig.  4)  zeigen  parallel  der  Längsfläche  eine  ebene  glän/end«. 
Fläche,  die  Spaltungsfläche  und  man  sieht,  dass  der  Gypskrystall  parallel  der 
Längsfläche  spaltbar  ist.  Man  kann  den  Gypskrystall  in  dieser  Richtung  und 
Weise  weiter  fort  spalten  und  erhält  lamellare  Spaltungstücke,  Spaltungsblancr, 
welche  immer  dünner  und  dünner  hergestellt  werden  können,  so  lange  es  über- 
L 


Cohäsion  oder  Cohäsions-Eigenschaften  der  Minerale. 


157 


(Min.  24-27.) 


Fig.  1.  Fig.  2.  Fig.  3.  Fig.  4. 

haupt  noch  möglich  ist,  mit  dem  Messer  die  erhaltenen  Blätter  oder  Lamellen 
7.U  spalten.  Diese  Spaltbarkeit  parallel  der  Längsfläche  ist  allen  Gypskry stallen 
;;emeinsam,  auch  wenn  die  Längsflächen  äusserlich  nicht  vorhanden  sind.  Die 
ii>jjskrystalle  haben  also  in  der  Richtung  der  Längsfläche  die  geringste  Cohäsion, 
Ho\on  uns  der  Versuch,  einen  Gypskrystall  in  einer  anderen  Richtung  zu  spalten, 
leicht  überzeugen  würde. 

Weil  durch  dieses  Spalten  in  der  angegebenen  Richtung  ein  Gypskrystall  in 
Umellen  (Blätter)  zerlegt  werden  kann,  spricht  man  von  einem  Blätterdurch- 
.^ange  des  Gypses,  weil  man  ihn  nach  dieser  Richtung  in  Blätter  bis  zur  grössten 
Feinheit  spalten  kann. 

Legt  man  ein  Hexaeder  (einen  Würfel)  des  Steinsalzes  auf  den  Tisch,  setzt 
<üe  Schneide  des  Messers  parallel  einer  Hexaederkante  auf  die  obere  Fläche 
auf  und  zwar  so,  dass  die  Klinge  senkrecht  auf  der  Hexaederfläche  stellt  oder 
[arallel  einer  verticalen  Hexaederfläche,  so  genügt  ein  massiger  Schlag  mit  einem 
Hammer  auf  den  Rücken  des  Messers,  den  Steinsalzkrystall  parallel  einer  Hexaeder- 
iäcbe  zu  spalten.  Weitere  Versuche  werden  zeigen,  dass  man  das  Hexaeder  in 
iiieser  Richtung  weiter  spalten  kann  und  dass  sich  Steinsalzhexaeder  so  nach 
icder  beliebigen  Hexaederfläche  in  gleicher  Weise  spalten  lassen.  Somit  sind 
iie  Steinsalzkrystalle  parallel  den  Flächen  des  Hexaeders  spaltbar,  haben  drei 
^lJaltungs^ichtungen,  drei  gleich  vollkommene  Blätterdurchgänge. 

Würde  man  diesen  Versuch  mit  einem  Hexaeder  des  Fluorit  oder  Flussspath 
genannten  Minerales  machen  wollen,   so  wird  man  wohl  das  Hexaeder  zersprengen, 
aber  nicht  parallel  den  Hexaederflächen  spalten  können.     Dabei  wird  man  aber 
«»cobacbten,  dass  nach  anderen  Richtungen  Spaltungsflächen  entstehen  und  zwar 
parallel  den  Oktaederflächen,  welche  oft  an  Fluoritkry stallen  mit  dem  Hexaeder 
jn   Combination    vorkommen,    die    Ecken   desselben   gerade    abstumpfen.     Setzt 
man    daher    auf    ein    Fluorithexaeder   die    Schärfe    des    Messers    parallel   einer 
Diagonale  der  Quadratfläche  auf,   das  Messer  selbst  ein  wenig  schief  haltend  in 
ier  Richtung   der  Oktaederflächen,    wie  sie  in  Combination  mit  dem  Hexaeder 
vorkommen,   so  genügt  ein  massiger  Schlag  mit  dem  Hammer  auf  den  Rücken 
les  Messers,    um    die    Hexaederecke    abzuspalten.      Weitere    Versuche    werden 
zeigen,  dass  die  Fluoritkrystalle,  gleichviel  welche  Form  sie  zeigen,  parallel  don 
Machen  des  Oktaeders  spaltbar  sind,  vier  Blätterdurchgänge  haben. 

Bei   fielen  Mineralarten  genügt  die  Anwendung  des  Messers  nicht,  honvUnh 


158  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

man  muss  sich  eines  scharfen  stählernen  Meiseis  bedienen  und  es  ist  dann  auch 
zweckmässig,  den  Krystall  nicht  unmittelbar  auf  den  Tisch,  sondern  auf  eine 
Unterlage  von  Tuch,  lieder  oder  mehrfach  gefalteten  Papiers  zu  legen.  Es  \\v 
hier  nämlich  die  auch  zu  den  Cohäsionseigenschaften  gehörige  Härte  Einflus^, 
indem  das  Messer  fiir  harte  Minerale  zu  schwach  ist. 

Gestützt  auf  die  bisher  gemachten  zahlreichen  Erfahrungen  über  die  Spalt- 
barkeit der  Krystalle  und  krystallinischen  Individuen,  welche  unvollkommen  aus- 
gebildete   Krystalle  sind,   kann  man  zunächst  sagen,  dass  alle  Krystalle  spaltbar 
sind.     Diese  Behauptung  könnte  im   Augenblicke  unrichtig  erscheinen,    insofern  i 
es  Mineralarten  giebt,   deren  Krystalle  bis  jetzt  keine  Spaltungsflächen  auffinden 
Hessen,  man  muss  aber  dabei   bedenken,  dass  unsere  Methode  und  das  Mittel 
(das  Messer  oder  ein  Meisel)  eine  nicht  in  allen  Fällen  ausreichende   ist  unJ 
man  bezeichnet  daher  bei  Krystallen,  welche  man  bisher  nicht  spalten,  an  denen 
man  keine  Spaltungsflächen  finden  konnte,  die  Spaltbarkeit  als  eine  verstcck'.c  < 
und   muss    noch    erwarten,  auf  welche  Weise   man  sie  an  denselben  entdecken  | 
oder  sichtbar  machen  kann.     So  hat  man  z.  B.  beobachtet,  dass  bei  gewissen  | 
Krystallen    eine    rasche    Temperaturveränderung    Spaltungsflächen    sichtbar,    das  I 
Spalten    ermöglichen    kann.      Den    Einfluss   einer   solchen    sieht   man    z.    B.  ar 
Fluoritkrystallen,  deren  oktaedrische  Spaltbarkeit  bereits  erwähnt  wurde,    in  der 
Weise,  dass  Sprünge  parallel  den  Oktaederflächen  im  Inneren  entstehen,    wenn 
man  sie  in  heisses  Wasser  legt.     So  ist  der  Quarz,  beispielsweise  der  farblo-c 
krystallisirte,   der  sogen.  Bergkrystall,   selten   deutlich   spaltbar;    die  Anwendur.i: 
eines  Meiseis  bringt  selten  eine  deutliche  Spaltungsfläche  zum  Vorschein,  el.cr  \ 
der   zufallige  Schlag    mit  einem  Hammer,  wenn  man  die  Spitze  eines   solcher» 
Krystalls  abschlägt.     Wenn  man  dagegen  einen  solchen  Krystall  vorsichtig  unt- 
langsam  erhitzt,   wobei  gewöhnlich  schon  Sprünge  entstehen,   bis  zum  Glühen.' 
und  dann  den  Krystall  in  kaltem  Wasser  rasch  abkühlt,  so  zeigen  die  abspringen^ ; 
den  Stücke  oft  deutliche  Spaltungsflächen  parallel  den  Pyramidenflächen.      \N  ei 
überhaupt  Erhöhung  der  Temperatur,  Erhitzen  der  Krystalle,  auf  die  Spaltun!r> 
flächen  Einfluss  hat,  die  Spaltung  selbst  vollzieht,  sieht  man  an  gewissen  sogcr: 
Glimmern,  die  wenn  sie  als  lamellare  oder  tafelförmige  Krystalle  vor  dem  rötl- 
röhre  erhitzt  werden,  bisweilen  mit  grosser  Schnelligkeit  sich  aufblättern. 

Da  man  überhaupt  nicht  mit  Erfolg  spalten  kann,  wenn  man  die  Lage  der; 
Spaltungsflächen  nicht  kennt,  das  Messer  oder  den  Meisel  nicht  in  der  richtigen, 
Stellung  aufsetzt,  so  muss  man  Mittel  anwenden,   durch  welche  Sprünge  erzeuirt 
werden,  wenn  nicht  schon  solche  da  sind,  welche  auf  Spaltungsflächen  hindeuten.   / .. 
diesen    Mitteln   gehört   nicht   allein   das  einfache  Zerschlagen    eines    Kr^-stalie-. 
sondern  auch  das  Erzeugen  von  sogen.  Schlag figuren,  von  denen  w^eiter  untem 
die  Rede  sein  wird.     Es  handelt  sich  stets  darum,  auf  irgend  welche  Wei>e  ihti 
Cohärenz  der  kleinsten  materiell  gleichen  Massentheilchen  zu  erschüttern.    \\i-..i 
man  auch  daraus  ersieht,  dass  bei  dem  Zerschlagen  krystallinischer  AggreguTi* 
besonders  kömiger,  blättriger  und  stengliger,  welche  aus  unvollkommen  aus^<. 
bildeten  Krystallen  bestehen,  in  Folge  der  Spaltbarkeit  der  verwachsenen  Ino- 
viduen,  glänzende  Flächen  sichtbar  werden.     Darum  zeigt,  wie  früher  bei  dcii  1 
Calcit  angegeben  wurde,  ein  Stück   Marmor,  krystallinisch-kömiger  Calcit,  chJi.*.' 
ein    Stück    krystallinisch-kömigen    Steinsalzes   auf  der   Bruchfläche    riele  klci*i^i 
glänzende  Spaltungsflächen,  Spaltungsflächen  der  verwachsenen  Individuen,   u  « -  < 
durch    man    die   krystallinische   Bildung   erkennt,  und  bei  grösseren  IndiviJr  c  ■  1 


Cohäsion  oder  Cohäsions-Eigenschaften  der  Minerale.  159 

• 

solcher  Aggregate  kann  man  dann  auch  die  Lage  der  entstandenen  Spaltungs- 
flächen beurtheilen. 

Aus  dem  Gesagten  geht  her\'or,  dass  man  die  Spaltungsflächen  aufsuchen 
muss  und  dass  daraus,  dass  keine  gefunden  worden  sind,  nicht  zu  schliessen  ist, 
dass  keine  Spaltbarkeit  bei  gewissen  Arten  existirt;  man  hat  eben  nicht  das 
richtige  Mittel  gefunden,  sie  zu  entdecken;  dagegen  kann  man  mit  Recht  aus  allen 
Erfahrungen  schliessen,  dass  die  Spaltbarkeit  eine  gemeinsame  Eigenschaft  aller 
Kn'stalle  ist.  Aus  dem  Gesagten  geht  ferner  hervor,  dass  man  auch  Grade 
der  Spaltbarkeit  unterscheiden  kann,  das  heisst,  man  vergleicht  die  grössere 
oder  geringere  Leichtigkeit,  mit  welcher  man  Spaltungsflächen  erhalten  kann, 
sowie  auch  die  erhaltenen  Spaltungsflächen  nach  ihrer  Ebenheit  und  Glätte.  In 
diesem  Sinne  werden  die  Spaltungsflächen  oder  die  Spaltbarkeit  als  vol  Ikommene, 

« 

als  ziemlich  vollkommene,  als  deutliche,  als  undeutliche  (im  Besondem 
als  unterbrochene  und  unvollkommene)  benannt,  oder  es  können  nur  Spuren 
gefunden  werden,  schliesslich  keine  (die  Spaltbarkeit  ist  eine  versteckte,  ver- 
borgene). 

Bezüglich  des  Zusammenhanges  der  verschiedenen  Abstufungen  von  den  voll- 
kommensten an  bis  zu  den  versteckten  Spaltungsflächen  mit  den  Kry stallgestalten, 
parallel  deren  Flächen  ein  Krystall  oder  die  Krystalle  einer  Species  spaltbar  sind, 
kann  man  im  Allgemeinen  feststellen,  dass  die  krystall ographisch  gleichen  Flächen 
entsprechenden  Spaltungsfläehen  gleichen  Grad  der  Vollkommenheit  haben,  so 
dass,  wenn  an  einem  Krystalle  gleichzeitig  Spaltungsflächen  vorkommen,  welche 
verschiedenen  Grad  der  Vollkommenheit  zeigen,  man  daraus  schliessen  kann, 
dass  sie  kr)''sallographisch  verschiedenen  Flächen  entsprechen,  sowie  dass  gleich 
vollkommene  Spaltungsflächen  den  Krystallflächen  einer  einfachen  Gestalt  zu- 
gehoren.  Es  lassen  sich  stets  die  den  Flächen  einer  einfachen  Gestalt  parallelen 
Spaltungsflächen  als  gleich  vollkommene  erkennen,  während  verschiedener  Grad 
der  Vollkommenheit  auf  verschiedene  einfache  Gestalten  hinweisst. 

Was  schliesslich  die  Zahl  der  Spaltungsrichtungen,  beziehungsweise  der 
ßlätterdurchgänge  und  ihre  Lage  betriffit,  so  zeigen  sich  dieselben  sehr  verschieden ; 
es  giebt  Species,  deren  Krystalle  nur  nach  einer  Richtung  spaltbar  sind,  einen 
Blätterdurchgang  haben,  andere,  deren  Krystalle  nach  2,  3,  4  oder  mehr 
Richtungen  spaltbar  sind,  einen  zwei-,  drei-,  vier-  oder  mehrfachen  Blätterdurch- 
gang zeigen.  So  sind  z.  B.  die  hexagonalen  Krystalle  des  Chlorit  in  einer 
Richtung  vollkommen  spaltbar,  parallel  der  hexagonalen  Basisfläche,  haben  einen 
einfachen  Blätterdurchgang;  so  sind  z.  B.  die  tesseralen  Krystalle  des  Steinsalzes 
nach  drei  Richtungen,  parallel  den  Flächen  des  Hexaeders  spaltbar,  haben 
einen  dreifachen  Blätterdurchgang;  so  sind  die  Krystalle  des  hexagonalen 
Calcit,  Dolomit,  Siderit  und  Magnesit  nach  drei  Richtungen,  parallel  den  Flächen 
eines  stumpfen  Rhomboeders  spaltbar,  haben  einen  dreifachen  Blätterdurchgang. 
Bei  dem  dreifachen  Blätterdurchgange  des  Steinsalzes  schneiden  sich  die  Spaltungs- 
rtächen  rechtwinklig,  ergeben  hexaedrische  Spaltungsstücke,  während  bei  dem 
dreifachen  Blätterdurchgange  des  Caleit,  Dolomit,  Siderit  und  Magnesit  die 
Spaltungsflächen  sich  unter  gleichen,  stumpfen  und  spitzen  Winkeln  schneiden, 
welche  sich  zu  180°  ergänzen,  bei  dem  Calcit  sich  unter  Winkeln  von  105^5' 
und  74*^  55'  schneiden.  So  sind  z.  B.  die  Krystalle  des  Fluorit  nach  vier 
Richtungen  spaltbar,  haben  einen  vierfachen  Blätterdurchgang  parallel  der  Flächen 
des  Oktaeders  und  die  vier  Blätterdurchgänge  schneiden  sich  unter  Winkeln  von 
109^28'  16"  und  70"  31' 44". 


l6o  MiDeralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Gleich  vollkommene  Spaltimgsflächen  entsprechen  einer  einfachen  Kiystall* 
gestalt,  ungleich  vollkommene  weisen  auf  verschiedene  Krystallgestalten  hin.  So 
spaltet  z.  B.  der  Galenit  oder  Bleiglanz  gleich  vollkommen  nach  drei  auf  ein- 
ander rechtwinkligen  Richtungen,  wie  das  Steinsalz,  und  die  Spaltungsflächen 
entsprechen  einem  rechtwinkligen  Parallelepipedon  mit  gleichen  Flächen,  dem 
Hexaeder,  einer  einfachen  Gestalt  des  tesseralen  Systems.  So  spaltet  z.  B. 
der  Apophyllit  nach  drei  auf  einander  senkrechten  Richtungen,  in  einer  voll- 
kommen, in  den  zwei  anderen  in  gleicher  Weise  unvollkommen,  also  entsprechend 
einem  rechtwinkligen  Parallelepipedon,  welches  auf  die  Combination  zweier 
quadratischen  einfachen  Gestalten  hinweist,  auf  die  der  Basisflächen  und  ilcs 
quadratischen  diagonalen  Prisma  ooPoo.  So  spaltet  auch  der  Anhydrit  in  drei 
auf  einander  senkrechten  Richtungen,  jedoch  ist  die  Spaltbarkeit  in  den  drei 
Richtungen  von  verschiedener  Vollkommenheit.  Hieraus  muss  man  schliessen. 
dass  diese  drei  Blätterdurchgänge  auf  die  orthorhombische  Combination  der 
Längs-,  Quer-  und  Basisflächen  führen,  welche  als  Spaltungsgestalt  hervorgeht. 
So  spalten  die  Krystalle  des  Baryt  nach  drei  Richtungen,  haben  drei  Blätter- 
durchgänge, von  denen  zwei  gleich  vollkommene  sich  schiefwinklig  schneiden, 
während  der  dritte  vollkommenere  rechtwinklig  gegen  diese  beiden  geneigt  ist. 
Die  ersten  beiden  entsprechen  dem  Querdoma  Pöö,  der  letztere  den  orthorhom- 
bischen  Längsflächen. 

Gewöhnlich  sind  wenig  Blätterdurchgänge  vorhanden  und  diese  entsprechen 
den  gestaltlich  einfachsten  Gestalten  der  Systeme.  So  sind  z.  B.  bei  tesseralen 
Krystallen  die  Spaltungsflächen  parallel  dem  Hexaeder  oder  dem  Oktaeder  oder 
dem  Rhombendodekaeder;  bei  quadratischen  Krystallen  parallel  den  Basisflächen» 
oder  parallel  den  Flächen  des  normalen  oder  des  diagonalen  quadratischen  Prisma 
oder  parallel  den  Flächen  einer  normalen  oder  einer  diagonalen  quadratischen  Pyra- 
mide, bei  orthorhombischen  parallel  den  Quer-,  Längs-  oder  Basisflächen,  parallel 
den  Flächen  eines  orthorhombischen  Prisma  oder  Querdoma  oder  Längsdomn, 
oder  parallel  einer  orthorhombischen  Pyramide  u.  s.  f.,  wobei,  >vie  die  voran- 
gehenden Beispiele  zeigten,  die  Spaltungsflächen  eines  Krystalles  oder  der 
Krystalle  einer  Species  gleichzeitig  nach  einer  oder  nach  zwei  oder  drei-  unti 
mehr  einfachen  Krystallgestalten  gefunden  werden  können. 

Abgesehen  davon,  dass  man  einen  Krystall  nach  einer  Spaltungsfläche  in 
Blätter  zertheilen  kann,    Spaltungsblätter  entstehen,    ergeben  die  Krystalle    bei 
zwei  und  mehr  Spaltungsflächen  prismatische,   domatische,  hexaedrische,   oktatr- 
drische,    pyramidale,    rhomboedrische    u.    a.   Spaltungsstücke    und    die    überein- 
stimmende Gestalt  der  Sjialtungsstücke  bei  Krystallen  derselben  Art  ftthrte  den 
französischen    Krystallographen   Rena  Juste  Hauv  (dessen    Trait<f    de    cristalK»- 
graphie,   Paris  1822)  zu  der  Annahme  (Hypothese),  dass  die  materiell  gleichen 
kleinsten  Theile  eines  Krystalls  gleiche  Gestalt  und  Grösse  haben,  durch  deren 
Vereinigung  der  Krystall  aufgebaut  sei.     Er  nannte  diese  durch  die  SpaJfunp^s- 
flächen  zu  erschliessenden  kleinsten  materiell  gleichen  Massentheilchen  gleicher 
Grösse  und  Gestalt  »moltJcules  int<5grantes<  (integrirende  Molecule).    Das  von  den-, 
lateinischen  Worte  moles,  Masse  gebildete  Verkleinerungswort  molecule  (molecula, 
Massentheilchen),  im  Deutschen  auch  Molekel  genannt,  bezeichnet  also  hier  di^ 
auf  Spaltbarkeit  begründeten  kleinsten  gleichen  Massentheilchen  eines  Krj^stallo-* 
und  diese  sind  nicht  mit  den  chemischen  Moleculen  zu  verwechseln. 

Wenn    auch    die   hypothetische    Gestalt   dieser   Krystall -Molecule   als   eine 
gleiche   angenommen  werden  konnte,   so  ist  doch  die  Grösse  derselben  nit*J»t 


Cohäsion  oder  Cohäsions-Eigenschaften  der  Minerale.  i6i 

zu  bestimmen.  So  kann  z.  B.  ein  Krystall  des  Galenit  oder  Bleiglanz  ge- 
nannten Minerales  durch  fortgesetztes  Spalten  in  sehr  kleine  hexaedrische 
Spaltungsstücke  zertheilt  werden  und  wenn  man  diese  durch  Zerstossen 
weiter  verkleinert,  bis  zu  feinem  Pulver  zerreibt,  so  erkennt  man  unter  dem 
Mikroskope  noch  hexaedrische  G^staltimg.  Man  konnte  also  annehmen,  dass 
die  Krystall-Molecule  des  Galenit  Hexeader  sind,  durch  welche  die  Krystalle 
des  Galenit  aufgebaut  gedacht  werden  können,  die  Grösse  aber  ist  nicht  be- 
stimmbar. Wie  man  aus  gleichgestalteten  Bausteinen  Gebäude  der  verschieden- 
iten  Form  aufbauen  kann,  so  zeigte  Haüy,  wie  man  nach  gewissen  Gesetzen  der 
Aneinander-Lagerung  der  mol^cules  intdgrantes  die  verschiedenen  Gestalten  der 
Knstalle  derselben  Art  aufbauen  könne  und  wenn  auch  die  Auflassung  dieses 
Aufbaues,  die  Gestalt  und  Grösse  der  Krystall-Molecule  eine  hypothetische  ist, 
gleichsam  eine  logische  Folgerung  der  Spaltbarkeit,  so  hat  doch  diese  Hypo- 
these eine  grosse  Wahrscheinlichkeit  für  sich  und  dient  zur  Erklärung  der  gleichen 
Spaltbatkeit  bei  verschiedener  Gestaltung  der  Krystalle  derselben  Species. 

Diese  stofflich  gleichen,  gleichgestalteten  und  gleichgrossen  Krystall-Molecule 
werden  selbst  wieder  durch  die  Atome  gebildet,  die  »mol^cules  widmen taires«, 
welche  in  jedem  der  »moldcules  int^grantes«  in  gleicher  Zahl  und  Anordnung 
anzunehmen  sind,  um  die  gleiche  Gestalt  und  Grösse  derselben  bei  derselben  Art 
/u  ermöglichen. 

Mit  einem  solchen  Aufbau  der  Krystalle  durch  die  Krystall-Molecule,  welche 
durch  die  Cohäsion  zusammengehalten  werden,  könnte  man  auch  eine  eigen- 
rhümliche  Erscheinung  von  Flächen  in  Zusammenhang  bringen,  welche  als 
itleitflächen,  gegenüber  den  Spaltungsflächen  bezeichnet  worden  sind  und  in 
ausführlicher  Weise  von  E.  Reusch  (Ann.  d.  Phys.  u.  Chem.  132,  441;  136,  130; 
auch  in  den  Monatsber.  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  1872,  242 
und  1873,  Mai)  ermittelt  und  beschrieben  worden  sind.  Es  giebt  nämlich  in 
Kristallen  gewisse  Flächen  (Richtungen),  welche  dadurch  ausgezeichnet  sind,  dass 
parallel  denselben  ein  Gleiten  der  kleinsten  Massentheilchen  stattfinden  kann  und 
das  Gleiten  durch  einen  entsprechenden  Druck  hervorgerufen  wird. 

Werden  z.  B.  an  einem  hexaedrischen  Spaltungsstücke  von  Steinsalz  zwei 
diametral  gegenüberliegende  Kanten  so  abgefeilt,  wie  wenn  eine  Rhombendode- 
bcderfläche  als  gerade  Abstumpfung  der  Hexaederkante  vorhanden  wäre  und 
dann  das  Spaltungsstück  zwischen  diesen  beiden  durch  das  Anfeilen  hervor- 
gebrachten Abstumpfungsflächen  gepresst,  so  entsteht  in  dem  Spaltungsstticke 
eine  Trennungsfläche,  welche  der  in  der  Richtung  des  Druckes  liegenden  Rhom- 
bendodekaederfläche  parallel  ist.  —  Oder,  wenn  an  einem  durchsichtigen  rhom- 
Wdrischen  Spaltungsstücke  des  Calcit  zwei  diametral  gegenüberliegende  scharfe 
Kanten,  welche  den  Seitenkanten  des  Rhomboeders  R  entsprechen,  so  abgefeilt 
werden,  dass  diese  Abfeilungsflächen  als  gerade  Abstumpfungsflächen  der  Seiten- 
Jcanten  den  Flächen  des  diagonalen  hexagonalen  Prisma  Roo  entsprechen,  so 
bliuen,  wenn  das  Spaltungsstück  zwischen  diesen  beiden  Prismenflächen  stark 
zasammengepresst  wird,  Trennungsflächen  auf,  welche  den  Flächen  des  stumpferen 
Rhomboeders  |  R'  in  der  Gegenstellung  i)  entsprechen,  welche  als  Krystallflächen 
die  stumpfen  Endkanten  des  Rhomboeders  R  gerade  abstumpfen.  Aus  diesen 
Erscheinungen  der  Gleitflächen  geht  hervor,  dass   sie  durch  Verminderung  der 

*)  Man  vergleiche   wegen  dieser  Gestalts-Angaben    das,   was  bei  Calcit  (pag.  93)  über  die 
(Gestalten  desselben  angegeben  wurde. 

KvtHQ<m,  Min,,  Geol.  u.  Pal.    I.  '  ' 


i62  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Cohärenz  der  kleinsten  Massentheilchen  in  Folge  des  Druckes  hervorgehen  und 
in  die  Reihe  der  Cohäsions -Eigenschaften ^der  Krystalle  gehören. 

Schliesslich  sind  auch  noch  die  bereits  oben  erwähnten  Seh  lag f ig uren  an- 
zuführen, welche  dadurch  entstehen,  dass  man  auf  eine  Krystall-  oder  Spaltuncs- 
fläche  einen  stumpfen  konisch  zugespitzten  Stahlstift  (den  Kömer  der  Metall- 
arbeiter) senkrecht  aufsetzt  und  auf  denselben  einen  kurzen  leiehten  Schlag  mit 
einem  Hammer  ausführt.  Es  entstehen  dadurch  von  dem  Aufsatzpunkte  des 
Stahlstiftes  ausgehende  feine  Sprünge,  welche  sich  auf  gewisse  Krystallflächen  be- 
ziehen, denen  entsprechend  durch  den  Schlag  die  Cohäsion  vermindert  oder 
aufgehoben  wurde. 

Sowie  durch  solche  mechanische  Mittel  der  natürliche  Zusammenhang  der 
kleinsten  gleichen  Massentheilchen  in  gewissen  Richtungen  aufgehoben  werden 
kann,  können  auch  chemische  Agentien  angewendet  werden,  um  die  Verhältnisse 
des  Zusammenhanges  zu  ermitteln.  Man  erzeugt  auf  Krystall-  oder  Spaltuni^s- 
flächen  die  sogen.  Aetzfiguren. 

Bei  der  verschiedenen  Beschaffenheit  der  Krystallflächen  überhaupt,   welche 
bei  vollkommener  Ausbildung  der  Kryütalle  ebene  Flächen  sein  sollen,   bemerkt 
man  auch  verschiedene  Abstufungen  unvollkommener  Ausbildung,  wonach  Kr}'stall- 
flächen  als  gestreifte  und   andere  als  rauhe  bezeichnet  werden.     Bei   letzteren 
namentlich  bemerkt  man  bisweilen,   dass  in  der  Ausdehnung  der  Krj'stall flächen 
als  Ebenen  kleine  Vertiefungen  vorkommen,  welche  z.  Th.  eine  regelmässige  Ge- 
staltung zeigen  und,  wie  man  zu  schliessen  berechtigt  war,  oft  von  einem  äusseren 
Angriffeines  chemischen  Agens,  eines  Auflösungsmittels  herrühren.  Dasselbe  machte 
die  Krystallflächen  rauh,  erzeugte  gewisse  regelmässige  Vertiefungen.  Es  lag  nun  der 
Gedanke  nahe,   durch  Auflösungsmittel  schwach  auf  Krystallflächen  einzuwirken, 
sie  anzuätzen  und  beobachtete  nun  ähnliche  Erscheinungen,  wie  sie  an  gewissen 
rauhen  Flächen  vorkommen.   Man  erzeugt  Aetzfiguren,  welche  bei  ihrer  Kleinheit  mei>t 
mikroskopisch    untersucht    durch    ihre  Gestaltung    und  T-age    einen   Zusammen- 
hang mit  der  Krystallgestalt  zeigen  und  somit  auch  die  Mittel  bieten,  über  die 
Krystallisation  zu  entscheiden,  wenn  Zweifel  über  die  Gleichartigkeit  der  Flächen 
oder  über  das  System  vorliegen,  in  welchem  die  bezügliche  Species  krystallisirt. 

Den  Spaltungsflächen  stehen  femer  als  eine  Cohäsionserscheinung  die  Bruch- 
flächen  gegenüber.  Wird  z.  B.  ein  dichtes  Mineralstück  mit  einem  Hammer 
zerschlagen,  so  entstehen  Bruchstücke  desselben  und  die  dasselbe  begrenzenden 
Flächen  heissen  Bruchflächen.  Man  spricht  vom  Bruche  der  Minerale,  welcher 
sich  in  dieser  Weise  nicht  allein  bei  dichten  Varietäten  zeigt,  sondern  auch  nel>en 
den  Spaltungsflächen  an  Krystallen. 

Diese  Bruchflächen  hängen  mit  der  Cohäsion  zusammen  und  entstehen  duri->:i 
die  Erschütterung  der  Masse  in  Folge  des  Schlages  mit  dem  Hammer.  Von  der 
Stelle  aus,  wo  der  Hammer  aufschlägt,  wird  die  Masse  erschüttert  und  der  Zu^ 
sammenhang  der  kleinsten  Massentheilchen  gestört.  Ist  der  Schlag  staik  genii^-, 
dass  ein  Stück  abgeschlagen  wird,  so  zeigt  sich  nicht  oder  nur  in  seltenen  Fällen 
eine  Ebene.  Die  normale  Gestalt  einer  solchen  Bruchfläche  ist  in  Folge  de« 
vom  Angriffspunkte  des  Hammers  ausgehenden  Erschütterung,  besonders  bei 
dichten  gleichartigen  Massen  eine  concave,  beziehungsweise  convexe  Fläche^ 
welche  man  mit  der  Concavität  und  Convexität  einer  Muschelschale  verglichen 
und  muschelige  Bruchfläche  genannt  hat.  Solche  Flächen  sieht  man  z.  U 
an  einem  Stücke  Glas  oder  an  einem  Stücke  Obsidian,  einem  natürlichen  GUs^o 
oder  an  dichten  Mineralen  überhaupt,  ebenso  an  gewissen  Krysullen,  besonder i 


CohäsioD  oder  Cohäsions-Eigenschaften  der  Minerale.  163 

an  solchen,  welche  nicht  vollkommen  spaltbar  sind.  Die  Aehnlichkeit  mit  der 
Concavität  und  Convexität  der  Muschelschalen  wird  bisweilen  noch  dadurch  er- 
höht, dass  in  der  gekrümmten  Bruchfläche,  wahrscheinlich  in  Folge  innerer 
Hindemisse  concentrische  schwache  wellenförmige  Erhöhungen  und  Vertiefungen 
wechseln. 

Auch  hier  kann  man,  wie  bei  der  Erzeugung  der  Schlagfiguren  sich  von  der 
regelmässigen,  vom  Angriffspunkte  ausgehenden  Erschütterung  und  Trennung 
der  kleinsten  Massentheilchen  überzeugen.  Wenn  man  z.  B.  ein  Stück  durch- 
scheinenden Chalcedon  hat,  welcher  angeschliffen  und  polirt  eine  ebene,  glatte 
und  glänzende  Schlifffläche  zeigt,  so  kann  man  sich,  wie  bei  der  Erzeugung  der 
Schlagüguren  eines  stumpfen  conisch  zugespitzten  Stahlstiftes  bedienen,  diesen  auf 
der  Schliffiläche  senkrecht  aufsetzen  und  darauf  einen  leichten  kurzen  Schlag 
ausfuhren.  Dann  sieht  man  vom  Angriffspunkte  aus  einen  hemisphärischen 
Sprang  sich  in  das  Innere  erstrecken,  dessen  Tangentialebene  die  Schlifffläche  ist. 

Der  muschelige  Bruch  kann  als  der  normale  betrachtet  werden  und  man 
unterscheidet  nach  der  Tiefe  der  Concavität  oder  der  Höhe  der  Convexität  gegen- 
über der  Ausdehnung  (Grösse)  der  Bruchfläche  den  muscheligen  Bruch  als 
liefmuscheligen  oder  flachmuscheligen  Bruch,  welcher  letztere  so  flach 
werden  kann,  dass  daraus  der  ebene  Bruch  hervorgeht,  wobei  die  Bruchflächen 
nahezu  eben  sind,  das  Extrem  des  flach  muscheligen  Bruches  bilden.  Im  Gegen- 
satz dazu  steht  der  unebene  Bruch,  wenn  die  Bruchflächen  nicht  in  bestimmter 
(Gestaltung  hervortreten,  sondern  nur  unregelmässige  Erhöhungen  und  Vertiefungen 
zeigen. 

Bruchflächen,  wie  sie  bei  dem  muscheligen  bis  ebenen  Bruche  entstehen, 
können  auch  ihrer  Beschaffenheit  nach  als  glatte  oder  splittrige  oder  erdige 
unterschieden  werden,  je  nachdem  sie  glatt  sind  oder  in  der  Ausdehnung  der 
Bnichflächen  sich  ablösende  Splitter  des  Minerales  sich  nicht  ganz  ablösen,  sondern 
noch  mit  der  Masse  zusammenhängend  und  auf  der  Fläche  aufliegend  in  Folge  der 
Durchscheinbeit  der  Splitter,  soweit  sie  abgelöst  sind,  sichtbar  werden,  wie  man 
solche  Splitter  bei  Hom  sehen  kann.  Erdig  werden  die  Bruchflächen  oder  der 
Brach  erdig  genannt,  wenn  auf  denselben  sich  kleine  pulverulente  Theilchen 
zeigen,  welche  bei  der  Trennung  sich  von  der  Masse  ablösten  und  den  Bruch - 
dächen  adhäriren. 

Als  eine  besondere  Art  des  Bruches  ist  schliesslich  der  hakige  Bruch  bei 
dehnbaren  Metallen,  z.  B.  Eisen,  Kupfer  oder  Zink  unterschieden  worden,  indem 
hei  diesen  durch  die  bedeutende  Cohärenz  der  Massentheilchen  beim  Zerreissen 
oder  Zerbrechen  sich  auf  den  Trennungsflächen  kleine  drahtähnliche  Spitzen  zeigen, 
welche  am  Ende  gewöhnlich  etwas  gekrümmt  sind. 

Als  dritte  Haupterscheinung  in  Folge  der  Cohärenz  ist  die  Härte  der  Mine- 
rale anzuführen.  Man  bezeichnet  mit  dem  Ausdrucke  Härte  der  Minerale  den 
^^Iderstand,  welchen  sie  zeigen,  wenn  man  sie  zunächst  mit  einem  Messer  schneiden 
oder  ritzen  will,  wenn  man  sie  mit  einer  Feile  anfeilt  oder  wenn  man  sie  für  ge- 
viise  Zwecke  der  Verwendung  schleift.  So  zeigt  z.  B.  das  Schneiden  des 
Glases  vermittelst  des  Glaserdiamanten,  dass  die  Härte  des  Glases  geringer  ist 
als  die  des  Diamant. 

Diese  von  der  Cohäsion  der  Masse,  von  der  Cohärenz  der  kleinsten  Massen- 
theilchen abhängige  Härte  der  Minerale  war  z.  Th.  schon  in  den  ältesten  Zeiten 
der  Grand,  warum  gewisse  Minerale  als  Edelsteine  vor  anderen  bevorzugt  wurden, 

II* 


164  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologic. 

sie  ist  jetzt  noch  der  Grund,  warum  z.  Th.  Edelsteine  nicht  durch  die  schönsten 
geschliffenen  Gläser  überflüssig  gemacht  werden. 

Es  handelte  sich  zunächst  darum,  diesen  Widerstand  in  irgend  welcher  Weise 
zu  bestimmen,  weil  man  beobachtete,  dass  die  Minerale  sich  sehr  verschieden 
hart  erweisen  und  dass  Minerale  derselben  Art  eine  gewisse  Uebereinstimmung 
in  der  Härte  zeigen  Wenn  man  z.B.  einen  Gypskrystall  oder  eine  Spaltungslamelle  des 
Gypses  mit  dem  Fingernagel  ritzen  will,  so  bemerkt  man,  dass  dies  leicht  geschehen 
kann,  während  ein  Calcitkrystall  oder  ein  Spaltungsstück  des  Calcit  vom  Finger- 
nagel nicht  geritzt  wird.  Versucht  man  dagegen  das  Ritzen  bei  diesen  letzteren 
mit  dem  Messer,  so  geschieht  dies  sehr  leicht.  Mit  einer  Diamantspitze  kann 
man  sehr  leicht  das  Glas  ritzen  oder  auch  einen  Bergkrystall,  während  dieser 
das  Glas  ritzt  aber  nicht  vom  Glase  geritzt  wird. 

Als  man  die  Minerale  wissenschaftlich  zu  bestimmen  begann,  wurde  auch  die 
Härte  als  eine  wichtige  Eigenschaft  derselben  erkannt,  durch  welche  sie  sich  unter 
scheiden  lassen ;  es  stellte  sich  das  Bedürfhiss  heraus,  die  Härte  zu  prüfen.  Man 
versuchte  mit  dem  Fingernagel  zu  ritzen  oder  wenn  dies  nicht  gelang,  mit 
einem  stählernen  Messer,  oder  wo  dieses  nichts  ausrichtete,  mit  einer  englischen 
Feile  das  Mineral  anzufeilen,  überzeugte  sich  aber  bald,  dass  diese  Mittel. 
Minerale  zu  ritzen,  um  ihre  Härte  zu  prüfen,  für  wissenschaftliche  Bestimmung 
unzureichend  sind.  Man  benützte  daher  und  benützt  noch  jetzt  als  Mittel 
zur  Bestimmung  der  Härte  der  Minerale  die  Minerale  selbst  und  es  wurde  zu- 
nächst von  F.  MoHS  eine  Reihe  von  Mineralen  ausgewählt,  welche  zum  Ritzen 
der  anderen  geeignet  erschienen.  Er  wählte  10  durch  Härte  verschiedene  Minerale 
aus,  welche  nach  zunehmender  Härte  in  eine  Reihe  gestellt,  eine  Härtescala 
für  die  Beurtheilung  der  Härte  aller  anderen  bilden  und  hatte  somit  ein  weit 
sicheres  Mittel,  die  Minerale  bezüglich  der  Härte  vergleichen  zu  können. 

Die  zehn  ausgewählten  Minerale  sind  nach  der  aufsteigenden  Härte  geordnet 
nachfolgende: 

1.  Talk  (blättriger  Steatit).  6.  Orthoklas  (ein  Feldspath). 

2.  G)q)s.  7.  Quarz. 

3.  Kalkspath  (krystallinischer  8.  Topas. 
Calcit).                                               9.  Korund. 

4.  Fluorit.  IG.  Diamant. 

5.  Apatit. 

Die  zehn  Glieder  der  Härtescala  sind  aber  nicht  beliebige  Stücke  der  ver- 
schiedenen Varietäten  der  genannten  Arten,  sondern  man  wählt  zur  HärteK- 
Stimmung  entweder  Krystalle  oder  Kr)'stallstücke  (wie  Spaltungsstücke),  weil  diese 
den  vollkommensten  Zustand,  den  normalen  der  Minerale  darstellen.  Nicht  jede 
beliebige  Varietät  einer  der  genannten  Arten  eignet  sich  zur  Bestimmung,  denn 
wenn  z.  B.  bei  Calcit  (S.  98)  angeführt  wurde,  dass  zu  der  Species  Calcit  aucli 
die  Kreide  als  erdiger  Calcit  gerechnet  wird,  so  versteht  sich  von  selbst,  da^> 
man  die  Kreide  nicht  anwenden  könnte,  weil  sie  als  erdiger  Calcit  viel  weicher 
ist,  sich  von  jedem  krystallinischen  Calcit  wegen  des  lockeren  Zusammenhalten^ 
ihrer  kleinsten  Theilchen  ritzen  lässt.  Ebenso  würde  bei  Gyps  der  faserige  Gv]>> 
sich  weicher  erweisen  als  der  krystallisirte. 

MoHs  gab  (pag.  331  seiner  leichtfasslichen  Anfangsgründe  der  Naturgeschichte 
des  Mineralreiches,  Wien  1832)  eine  genaue  Vorschrift  für  die  Auswahl  der  zur 
Härtescala  tauglichen  Stücke,  bezüglich  welcher  nur  in  Betreff  des  zweiten  Hanc- 
grades  anzuführen  ist,  dass  er  eine  etwas  unvollkommene  spaltbare,  nicht  ^oll 


Cohäsion  oder  Cohäsions-Eigenschaften  der  Minerale.  165 

kommen  durchsichtige  und  nicht  krystallisirte  Varietät  ausgewählt  wissen  wollte, 
weil  Krystalle  gewöhnlich  zu  weich  sind.  An  die  Stelle  dieser  Varietät  Hesse 
sich  auch  das  Steinsalz  setzen,  oder  wenigstens  anwenden.  W  Haidinger  (pag.  399 
seines  Handbuches  der  bestimmenden  Mineralogie,  Wien  1845)  setzte  das  spalt- 
bare Steinsalz  als  zweiten  Härtegrad  in  die  Scala  mit  der  Bemerkung:  »die 
Gypsvarietät,  welche  genau  den  Härtegrad  besitzt  und  deren  sich  Mohs  anfang- 
lich bediente,  ist  weniger  leicht  zu  haben.«  Trotz  dessen  zieht  man  den  Gyps 
vor,  weil  das  Steinsalz  hygroskopisch  ist,  durch  feuchte  Luft  an  der  Oberfläche 
angegriflfen  und  etwas  weicher  wird,  während  Spaltungsstücke  des  Gyps,  z.  B. 
des  krystaUisirten  vom  Montmartre  bei  Paris  genau  die  gewünschte  gleichmässige 
Härte  haben. 

Die  Härte  eines  Minerales  prüft  man  nun  in  folgender  Weise:  Man  ver- 
sucht mit  einer  Ecke  eines  Krystalles,  eines  Spaltungs-  oder  Bruchstückes  die 
Glieder  der  Härtescala  zu  ritzen,  wobei  man  von  den  höheren  zu  den  niederen 
herabsteigt.  Findet  man  so  z.  B.  dass  die  zu  bestimmende  Probe  den  Orthoklas 
nicht,  aber  den  Apatit  ritzt,  so  ist  ihre  Härte  höher  als  die  des  Apatit.  Sie  kann 
nun  die  Härte  des  Orthoklas  haben  oder  in  der  Härte  zwischen  dem  Apatit  und 
Orthoklas  stehen,  sich  dem  einen  oder  dem  anderen  Härtegrade  mehr  nähern. 
Dies  findet  man  weiter,  wenn  man  das  fragliche  Mineral  mit  dem  Orthoklas  zu 
ritzen  versucht,  ist  dies  der  Fall,  wird  es  vom  Orthoklas  geritzt,  dann  ist  seine 
Härte  zwischen  beiden  Härtegraden.  Wird  das  Mineral  nicht  vom  Orthoklas 
geritzt,  so  ist  seine  Härte  gleich  der  des  Orthoklas.  Um  noch  genauer  darüber 
zu  entscheiden,  ritzt  man  mit  dem  Orthoklas  und  der  in  Frage  stehenden  Probe 
den  Apatit  und  kann  dabei  keineil  oder  einen  geringen  Unterschied  finden.  Be- 
merkt man  keinen  Unterschied,  so  ist  die  Härte  gleich  der  des  Orthoklas,  während 
ein  etwaiger  geringer  Unterschied  zeigt,  dass  die  Härte  wenig  über  der  des  Ortho- 
klas oder  unter  derselben  ist. 

Hat  man  so  die  Härte  ermittelt,  so  bezeichnet  man  sie  mit  der  Zahl  6,  schreibt 
H.  =  6,  wenn  sie  gleich  der  des  Orthoklas  ist,  mit  5,5,  wenn  sie  zwischen  der  des 
Apatit  und  Orthoklas  liegt,  wobei  aber  durch  die  Decimale  nur  der  Ausdruck 
in  Worten,  wie  bei  H.  =  6  erspart,  eine  Abkürzung  erzielt  wird.  Eine  nähere 
Bezeichnung,  wie  etwa  H.=  5,25  oder  H.=  5,75  ist  nicht  zu  empfehlen,  es  ge- 
nügt die  Angabe  H.  =  5,5 — 6,0,  wenn  die  Härte  der  des  Orthoklas  näher  steht 
als  der  des  Apatit.  Man  kann  überhaupt  nicht  die  Härte  so  haarscharf  be- 
stimmen und  es  ist  der  Zahlenausdruck  immer  nur  ein  annähernder,  zumal  bei 
der  Angabe  der  Härte  einer  Mineralart,  wenn  man  auch  dabei  nur  die  krystal- 
linischen  oder  vollkommen  dichten  Varietäten  berücksichtigt;  denn  es  finden 
immer  kleine  Unterschiede  bei  den  Varietäten  statt,  wie  schon  oben  in  Betreff 
des  Gypses  bemerkt  wurde,  dessen  Krystalle  oft  weicher  sind  als  die  zur  Scala 
gewählten  Spaltungsstücke  des  krystaUisirten  Gypses  vom  Montmartre  bei  Paris. 

Aus  der  Wahl  von  10  Gliedern  der  Härtescala  gegenüber  den  zahlreichen 
Mineralarten,  aus  den  grossen  Unterschieden  der  Härte  zwischen  den  Extremen 
und  aus  der  Art,  die  Härte  durch  Vergleichung  möglichst  annähernd  zu  be- 
stimmen, geht  hervor,  dass  die  Bestimmung  nur  eine  annähernde  ist,  kein  numeri- 
sches Maass  erzielt,  wie  die  Bestimmung  des  in  Zahlen  ausgedrückten  specifischen 
Geunchtes.  Man  hatte  daher  daran  gedacht,  die  Zahl  der  Glieder  der  Härte- 
scala zu  vermehren,  was  in  der  That  zunächst  zweckmässig  erscheinen  möchte. 
So  hat  z.  B.  A.  Breithaupt  (pag.  377  seines  vollständigen  Handbuches  der  Minera- 
logie, Dresden  und  Leipzig  1836  I.  Theil)  eine  i2theilige  Härtescala  aufgestellt. 


l66  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Er  hob  hervor,  dass  die  Mohs' sehen  Bestimmungen  nach  lo  Graden  bei  weitem 
alle  anderen  übertreffen,  welche  man  vorher  kannte.  Nur  zu  mehrer  Gleich- 
förmigkeit und  um  also  die  gar  zu  fühlbaren  Lücken  vermeiden  zu  können, 
dehnte  er  die  lo  MoHs'schen  Grade  auf  12  aus,  unter  welchen  der  dritte  und 
siebente  neue  Zugaben  sind.     Seine  Scala  ist  nun  folgende: 

1.  Talk,  blättriger. 

2.  Gyps,  blättriger,  z.  B.  aus  Thüringen  (der  gelbe  vom  Montmartre  ist  etwa> 
zu  hart. 

3.  Glimmer,  namentlich  der  von  Zinnwald  (der  sog.  Zinnwaldit). 

4.  Kalkspath. 

5.  Fluorit. 

6.  Apatit. 

7.  Sodalith  (in  dessen  Ermangelung  Strahlstein  vom  Greiner  in  Tyrol  oder 
Wernerit  von  Arendal  in  Norwegen. 

8.  Orthoklas. 

9.  Quarz. 

10.  Topas. 

11.  Korund  (nicht  der  aus  Piemont). 

12.  Diamant. 

Diese  Scala  fand  aber  nicht  allgemeine  Aufnahme,  verdrängte  nicht  die 
MoHs'sche,  weil  sich  der  Uebelstand  herausstellte,  dass  man  genöthigt  ge- 
wesen wäre,  bei  der  Angabe  stets  beizufügen,  nach  welcher  Scala  die  Härte  be- 
stimmt wurde,  wie  etwa  bei  den  Temperaturangaben,  ob  Celsius,  Rdaumur  oder 
Fahrenheit.  Der  angedeutete  Uebelstand  hätte  sich  vermehrt,  wenn  ein  anderer 
Mineralog  wieder  eine  Scala  aufgestellt  hätte  und  so  ist  bis  jetzt  die  MoHs'sche 
Scala  die  allgemein  angewendete  geblieben,  wenn  man  auch  recht  gut  weiss,  dass 
die  Bestimmung  manches  zu  wünschen  übrig  lässt. 

Es  wurden  sogar  auch  mehrere  sinnreich  ausgedachte  Apparate  als  Sklero- 
meter  (Härtemesser)  construirt,  um  die  Härte  besser  als  durch  die  MoHs'schc 
Scala  bestimmen  zu  können,  sie  erwiesen  sich  aber  stets  als  nur  in  sehr  be- 
schränkter Weise  anwendbare  Apparate,  welche  nicht  gestatten,  die  Härte  emcr 
beliebigen  Mineralprobe  zu  bestimmen,  indem  immer  gewisse  Vorkehrungen  zu 
treffen  sind,  während  das  Resultat  doch  nicht  das  gewünschte  ist.  Man  überzeugt 
sich  durch  solche  Skierometer,  dass  bei  den  Krystallen  gewisse  Unterschiede  in 
der  Härte  vorkommen,  welche  man  durch  das  gewöhnliche  Ritzen  nicht  gut 
unterscheiden  kann,  dass  selbst  auf  einer  und  derselben  Krystallfläche  Unter- 
schiede beobachtet  werden  können,  welche  von  der  Richtung  abhängen,  in 
welcher  man  ritzt  und  dass  diese  Richtungen  mit  der  Lage  der  Flächen  gegen 
die  Krystallachsen  und  mit  den  Spaltungsfiächen  zusammen  hängen.  Auf  di 
charakteristische  Härte  der  Arten  haben  sie  keinen  besonderen  Einfluss.  Bisweilen 
treten  Härte-Unterschiede  an  denselben  Krystallen  oder  an  Krystallen  derselben 
Art  in  bestimmten  Richtungen  auf,  welche  so  gross  sind,  dass  man  sie  durch  die 
Härtescala  wahrnehmen  kann.  So  sind  z.  B.  die  Krystalle  des  Disthen  (s.  Sili- 
cate) durch  solche  Unterschiede  ausgezeichnet,  dass  man  nicht  allein  beim  Ritzen 
mit  den  Ecken  oder  Kanten  desselben  und  bei  dem  Ritzen  auf  den  Krystallflächen. 
sondern  auch  auf  derselben  Krystallfläche  in  verschiedenen  Richtungen  erhebliche 
Unterschiede  wahrnimmt. 

Schliesslich  zeigt  der  Zusammenhang  der  kleinsten  Theilchen  gewisse  Er- 
scheinungen, welche  man  zum  Theil  schon  beim  Ritzen  wahrnehmen  kann,  wo- 


Die  Continente.  167 

nach  man  Minerale  als  spröde,  mildCi  geschmeidige,  biegsame  und 
dehnbare  benennt.  Wenn  man  z.  B.  Glas  mit  einem  Diamant  ritzt,  so  bemerkt 
man,  dass  bei  dem  langsamen  Einschneiden  längs  des  Schnittes  kleine  Splitter  des 
Glases  sich  ablösen  oder  abspringen  und  man  nennt  das  Glas  spröde.  Dasselbe 
bemerkt  man,  wenn  man  Bergkrystalle  mit  dem  Diamant  ritzt.  Ritzt  man  dage- 
gegen  Gyps  mit  einem  Messer,  so  trennen  sich  längs  des  Schnittes  feine  erdige 
1  heilchen  ab,  welche  liegen  bleiben  und  man  nennt  den  Gyps  milde.  Ritzt 
man  dagegen  den  Argentit  (Silberglanz,  s.  Glänze)  mit  einem  Messer,  so  lösen 
iiich  keine  Theilchen  ab,  sondern  es  erscheint  der  Einschnitt  als  eine  glänzende 
Linie;  man  nennt  desshalb  den  Argentit  geschmeidig.  Lassen  sich  dünne 
Blättchen  eines  Minerals,  wie  sie  durch  das  Spalten  erhalten  werden  können, 
biegen,  ohne  dass  sie  zerbrechen,  so  heissen  sie  biegsam  und  man  unterscheidet 
sie  als  elastisch  biegsam,  wenn  nach  der  Biegung  das  Blättchen  seine  frühere 
Lage  eiimimmt,  und  als  gemein-biegsame,  wenn  nach  der  Biegung  das  Blätt- 
chen gebogen  bleibt.  Dehnbar  endlich  nennt  man  geschmeidige  Minerale,  wenn 
abgeschnittene  Späne  sich  zu  Draht  ausziehen  lassen,  wie  bei  Gold,  Silber,  Platin 
oder  Kupfer,  oder  sich  unter  dem  Hammer  strecken  lassen,  wesshalb  man  sie 
auch  hämmerbar  nennt.  Alle  diese  zuletzt  angeführten  Erscheinungen,  wonach 
man  die  Minerale  als  spröde,  milde  u.  s.  w.  unterscheidet,  bezeichnet  man  auch 
als  Erscheinungen  der  Tenacität,  während  sie  im  Grossen  und  Ganzen  eben- 
falls Cohäsions-Erscheinungen  sind. 


Die  Continente 

von 

Professor  Dr.  von  Lasaulx. 

Die  Gestaltung  der  Erdoberfläche  ist  im  Grossen  bedingt  durch  die  Conturen 
der  Festlandsmassen,  d.  h.  durch  deren  Grenzen  gegen  die  Meeresflächen.  Das 
ist  das  Verhältniss,  das  uns  beim  Anblick  einer  Erdkarte  entgegentritt,  während  die 
Reliefformen  der  Festlande,  oder  die  in  Verticalebenen  liegenden  Begrenzungen 
gegen  die  Atmosphäre  nur  wenig  sichtbar  werden.  Es  entgeht  dann  dem  Blicke 
das  viel  bedeutendere  Relief,  das  sich  darbieten  würde,  wenn  wir  uns  die  Meere 
trocken,  die  ganze  Erdoberfläche  als  eine  landfeste  vorstellen.  Wir  würden  er- 
kennen, dass  die  Unterschiede  in  der  Reliefbildung  der  Erdoberfläche  zwischen 
dem  Meeresboden  und  der  sichtbaren  Basis  der  Continente  oder  dem  Meeres- 
niveau,  der  Ebene,  in  welcher  die  Conturen  der  Continente  sich  zeichnen,  viel 
bedeutendere  sind,  als  die  Reliefunterschiede  der  Festlande  über  jenem  Niveau 
für  sich  betrachtet.  Das  geht  aus  einer  Vergleichung  der  Verhältnisse  von  Land 
und  Meer,  aus  einer  Berechnung  der  mittleren  Tiefe  der  Oceane  und  der  mitt- 
leren Höhe  der  Continente  auf  das  Unzweifelhafteste  hervor. 

Das  Oberflächenverhältniss  der  Festlande  oder  des  Trockenen  überhaupt  auf 
der  Erde  zu  dem  Meere,  lässt  sich  nach  unseren  neuesten  geographischen  Er- 
fahrungen Über  das  Vorhandensein  und  die  angenäherte  Ausdehnung  der  beiden 
Polarlandmassen  am  besten  in  runden  Zahlen  wie  i:  2,75  ausdrücken. 

Ueber  die  Tiefenverhältnisse  der  verschiedenen  Oceane  sind  wir  auf  Grund 
zahlreicher,  in  den  letzten  Jahrzehnten  ausgeführten  Lotbungen  wesentlich  besser 
unterrichtet,  wie  vorher.  Mit  der  Erfindung  verbesserter  Tiefealothe  wurde  auch 
die  Genauigkeit  der  Messungen  eine  immer  grössere.    Wir  wissen  nun,  dass  die 


i68  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

alte  Annahme,  dass  auch  der  Meeresboden  eine  den  Festlanden  entsprechende 
Gliederung  in  Seegebirge  und  Seethäler  besitze,  durchaus  nicht  zutretend  ist, 
sondern  dass  im  Allgemeinen  der  Boden  der  Oceane  als  eine  Ebene  anzusehen 
ist,  auf  welcher  nur  wenige  und  ganz  flach  verlaufende  Bodenanschwellungen 
sich  finden.  Wenn  unsere  Nordsee  trocken  gelegt  würde,  so  würde  ihre  Sohle 
wij  eine  Steppe  mit  sanften  Hügelwellen  von  der  Grösse  nur  massiger  Dünen 
erscheinen,^)  und  auch  die  Boden  der  grossen  Oceane,  des  atlantischen,  des  in- 
dischen und  des  Grossen  Oceans  würden  überall  nur  ähnliche  flache  Undula- 
tionen  zeigen. 

Krümmel  hat  neuerdings  in  seiner  vergleichenden  Morphologie  der  Meeres- 
räume ^)  unter  Benutzung  des  umfangreichsten  Materials  filr  alle  Oceane  die 
mittlere  Tiefe  berechnet  und  es  ergiebt  sich  nach  ihm,  dass  man  den  offenen 
Meeren  eine  mittlere  Tiefe  von  1880  Faden  zuschreiben  darf,  oder  wenn  man 
diesen  Werth,  unter  Berücksichtigung  des  etwas  vermindernden  Einflusses  der 
wenig  tiefen  Theile  der  Meere  längs  der  continentalen  Küsten  abrundet,  dass 
die  mittlere  oceanische  Tiefe  gleich  2000  Faden  sei. 

Auch  bezüglich  der  mittleren  Höhe  der  Continente  haben  durch  erneuerte 
Berechnung  die  früher  allgemein  angenommenen  Zahlen  Humboldt's  bedeutende 
Correctionen  erfahren.  Leipoldt^  hat  die  mittlere  Höhe  Europa*s  auf  Grund 
reichen  Materiales  und  unter  Anwendung  verschiedener  Rechnungsmethoden  neu 
berechnet  und  dafür  den  Werth:  296,8  Meter  gefunden,  um  mehr  als  90  Meter 
mehr  als  Humboldt  angab  (205  Meter).  Nach  neueren  Erfahrungen  modifictrt 
Leipoldt  auch  die  Werthe  flir  die  mittlere  Höhe  der  anderen  Continente  und 
erhält  so  die  runden  Zahlen: 

Europa       =  300  Meter 

Asien  =  500      „ 

Afrika  =  600      „     (580  Meter). 

Amerika      =410      „ 

Australien   =250       „ 
Es    ergiebt    sich   hieraus    die    mittlere    Höhe    sämmtlicher   Continente    auf 
412  Meter. 

Es  ist  sonach  diese  mittlere  Höhe  nahezu  8  mal  geringer  als  die  mittlere 
Tiefe  der  Weltmeere.  Schon  ein  Meeresbecken  wie  das  atlantische  vermöchte 
in  seiner  Höhlung  mehr  als  das  doppelte  aller  über  den  Meeresspiegel  aufragen- 
den Festländer  in  sich  aufzunehmen.  Wollte  man  die  Sockel  der  Festlande  unter 
dem  Meeresspiegel  soweit  entfernen,  dass  sie  durch  die  Einschüttung  mit  der 
Sohle  des  atlantischen  Oceans  eine  Ebene  darstellten,  so  würde  der  übrige  hohle 
Raum  doch  noch  genügen  für  einen  Ocean,  der  über  die  nordatlantische  Ober- 
fläche und  über  die  verschwundenen  Festlande  immerhin  noch  mit  einer  Tiefe 
von  440  Meter,  also  genau  fünfmal  tiefer  als  durchschnittlich  die  Nordsee,  sich 
ausbreiten  würde. ^) 

Aus  diesen  Betrachtungen  erhellt  am  besten  die  Bedeutung  der  Continente 
im  Verhältniss  zum  Meeresboden:  es  sind  gewaltige  Plateaus,  die  über  diesem 
aufragen,  denen  die  Festlandsgebirge  nur  als  oberflächliche  Unebenheiten  auf- 
gesetzt erscheinen.  Zwischen  diesen  continentalen  Hochlanden  liegen  die  tiefen 
und  breiten  Thäler  der  trennenden  Meere. 


*)  Otto  Krümmel;  Leipzig  1879.  pag.  70 — 10 1. 

*)  Pbschel-Leipoldt.  432. 

^  Peschel-Leipoldt.    pag.  424. 


'^«■ 


Die  Continentc.  169 

Nun  erscheint  es  uns  schon  verständlich,  dass  die  Continente  uralte  Fest- 
Imdsschollen  sind,  die  keineswegs  abhängig  sind  von  dem  Baue  der  Gebirge, 
die  sie  tragen.  Das  bestätigt  uns  wiederum  die  Geologie,  die  uns  gezeigt  hat, 
we  viele  und  gerade  die  mächtigsten  und  höchst  aufragenden  Gebirge  erst  in 
verhältnissmässig  jungen  geologischen  Zeiten  zu  ihren  heutigen  ReliefTormen  em- 
porgetrieben worden  sind,  während  andererseits  uralte  geologische  Formationen 
seit  der  Zeit  ihrer  Entstehung  nicht  wieder  vom  Meere  überfluthet  wurden.  Fest 
steht  heute  die  Thatsache,  dass  in  den  Alpen  noch  nach  der  Ablagerung  eines 
Theiles  der  mittleren  tertiären  Schichten  eine  bedeutende  Aufwärtswölbung  statt- 
gefunden hat,  dass  auch  in  den  Pyrenäen,  dem  Appenin,  dem  Kaukasus  die 
grossen,  diese  Gebirge  bildenden  Bewegungen  so  nahe  an  die  Gegenwart  heran- 
reichen, dass  wir  dieselben  kaum  als  abgeschlossen ;  sondern  noch  als  fortdauernd 
annehmen  müssen,  wie  es  denn  auch  das  immer  wiederholte  Spaltenwerfen  der 
Erdrinde  und  die  damit  in  Verbindung  auftretenden  Erderschütterungen  docu- 
rnentiren.^) 

Nun  aber  liegen  im  Gegensatze  hierzu  in  den  Continentalmassen  auch  grosse 
Gebiete  an  der  Oberfläche,  welche  bei  dem  höchsten  geol.  Alter  kaum  Ver- 
änderungen ihrer  Lage  erlitten  haben  und  jedenfalls  stets  landfest  geblieben, 
nicht  mehr  auf  längere  Zeitdauer  vom  Meere  bedeckt  worden  sind.  Die  in  den 
westlichen  Theilen  des  europäischen  Russlands  bis  an  den  Ural  hin  an  der 
Oberfläche  grosser  Ebenen  ausgebreiteten  paläozoischen  silurischen  Schichten 
sind  durchaus  in  fast  ungestörter,  flacher  Lagerung  und  auch  im  östlichen 
Galizien  an  den  Ufern  des  Dniester  und  seiner  Zuflüsse  finden  sich  obersilurische 
und  devonische  Ablagerungen  in  gleicher  Weise.  Nicht  später  wieder  vom 
Meere  bedeckt,  also  eine  uralte  continentale  Landmasse  ist  auch  das  Granit- 
plateau von  Central-Frankreich,  das  hierdurch  auf  die  geologische  Entwicklung 
aller  umgebenden  jüngeren  Formationen  und  auf  die  orographische  Gestaltung 
des  Landes  selbst  einen  wesentlichen  Einfluss  ausgeübt  hat. 

Diese  Beispiele  genügen,  um  zu  zeigen,  dass  die  Bildung  der  continentalen 
Massen  eine  ältere  ist,  als  die  Gebirgsbildung,  dass  sie  eine  von  diesen  auch 
verschiedene  gewesen  sein  muss,  dass  nicht  dieselben  Bewegungen  in  der  Erd- 
rinde das  Aufsteigen  der  Gebirge  und  mit  ihnen  der  Continente  bewirkt  haben 
können,  sondern  dass  vielmehr  längst  gebildete  und  fertige  continentale  Schollen 
in  ihren  oberflächlichen,  peripherischen  Theilen  erst  eine  Faltung  erlitten,  die  zu 
den  Relieflormen  der  heutigen  Landmassen  führte. 

Wenngleich  nun  auch,  trotz  vielfach  aufgestellter,  verschiedener  Theorien, 
«ne  allseitig  befriedigende  Lösung  der  Frage,  welche  Ursachen  die  erste  Diffe- 
lenzining  in  die  hohen  Theile  der  jetzigen  Continente  und  in  die  Tiefen  des 
jetzigen  Meeresbodens  veranlasst  haben  können,  noch  nicht  zu  erreichen  war, 
I  w  hat  sich  doch  immer  mehr  und  mehr  ergeben,  dass  die  Ausdehnung  und  Be- 
grenzung beider  Theile  gegeneinander  in  der  That  auf  bestimmte  Gesetze  zurück- 
zufuhren  sein  wird. 

Wir   werden    hierbei    zunächst    eine    nähere   Betrachtung    der  continentalen 
^jliedening  nöthig  haben. 

Eigentlich  giebt  es,  wenn  wir  von  den  beiden  Polarländern  absehen,  nur 
^ci  grössere  zusammenhängende  Areale  von  Land,  das  eine  auf  der  östlichen 
Hemisphäre,  das  andere  auf  der  westlichen.     Das  erstere  wird  gebildet  aus  den 


')  Vergi.  Artikel:  Erdbeben. 


ijo  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie 

3  alten  Welttheilen,  zu  welchen  man  noch  Australien  hinzurechnen  darf,  da 
es  fast  wie  eine  vom  altasiatischen  Continente  jetzt  getrennte  Insel  sich  ver- 
hält und  zwischen  ihm  und  der  südasiatischen  Spitze  auch  nur  Meerestiefen  von 
keineswegs  grossoceanischer  Bedeutung  sich  finden.  Die  beiden  Amerika's  bilden 
das  westliche  Landareal. 

Wie  dieses  so  eben  schon  fiir  Australien  ausgesprochen  wurde,  so  gilt  es 
auch  fUr  alle  übrigen  Theile  der  Continentalmassen :  ihre  eigentlichen  Begrenzungen 
gegen  die  Meerestiefen  fallen  nicht  mit  den  Conturen  zusammen,  die  uns  in  den 
Orenzlinien  von  Land  und  Meer  heute  erscheinen.  So  liegt  an  den  nordwest- 
lichen Küsten  von  Europa  der  eigentliche  Grenzcontur  der  conönentalen  Er- 
hebung nicht  so  wie  ihn  die  formenreichen  Küsten  von  Schottland  und  Irland 
und  der  tiefe  Einbruch  des  Aermelcanals  mit  Nord-  und  Ostsee  zeigen,  sondern 
eine  einfach  verlaufende  Linie,  die  von  der  Spitze  Jütlands  im  Bogen  rings  um 
die  britannischen  Inseln  herumzieht  und  dann  gerade  abwärts  nach  der  Nord- 
küste von  Spanien  sich  wendet,  würde  der  continentalen  Grenze  entsprechen.  Das 
ergeben  die  Tiefenlothungen,  die  erst  westwärts  jener  Linie  oceanische  Tiefen 
finden,  das  ergiebt  auch  die  Uebereinstimmung,  das  Hinübergreifen  derselben 
geognosdschen  Formationen  von  der  Nordküste  Frankreichs  bis  zu  den  Kreide- 
felsen von  Dover  und  andererseits  von  den  Graniten  von  Cap  Landsend  und  der 
diesem  vorliegenden  Scilly  Inseln  bis  zu  den  Küsten  der  Normandie  und  den 
nördlich  und  westlich  von  diesen  zerstreuten  Inseln  bis  zu  der  von  Quessant, 
die  mit  den  englischen  einst  durch  einen  gemeinsamen  Ufersaum  verbunden,  hier 
an  der  Grenzmarke  des  eigentlichen  Continentes  liegen.  Ebenso  vereinfachen 
sich  die  Linien  der  continentalen  Grenzen  ungemein,  wenn  wir  sie  unabhängig 
von  den  heutigen  Festlandsconturen  verfolgen,  fast  überall. 

Die  Gliederung  der  Festländer  erscheint  uns  ungemein  verschieden  und  die 
Grenzlinien  Überaus  wechselnd;  aber  das  sind  Erscheinungen  lediglich  von 
oberflächlicher  Bedeutung  und  ohne  Einfiuss  auf  die  eigentliche  continentale  Be- 
grenzung. 

Man  pflegt  die  Grösse  der  horizontalen  Gliederung  eines  Festlandes  in  dem 
Verhältnisse  der  Oberfläche  zur  Küstenlänge  auszudrücken.  Hiemach  spricht 
sich  die  grosse  Verschiedenheit  der  einzelnen  Landmassen  in  einfachen  Zahlen 
aus.  Für  den  europäisch-asiatischen  Continent,  der  als  ein  Ganzes  angesehen 
werden  kann,  ist  das  Verhältniss  des  Oberflächenareals  zur  Länge  der  Küsten 
wie  80  Quadratmeter  Land  auf  i  Meter  Strand.  Für  Europa  und  Asien  allein 
und  für  die  übrigen  Continente  stellt  sich  dieses  Verhältniss: 

Europa    •     .     .    37  Quadratmeter  Land  :  i  Meter  Strand 
Nord-Amerika  .56  „  „     :  i      „ 

•    T 
•  >  I»  •    *  ff 

»I  f»  •     *  I» 


Süd-Amerika 

.     94 

Australien    . 

.     73 

Asien  .     .     . 

•  105 

Afrika      .     . 

•  152 

»»  I»       •   •         ff 

»f  ff       •    *         ff 

Ks  sind  hiemach  die  südUchen  Erdtheile  weniger  stark  gegliedert,  Afnka 
und  Sud-Amerika  vor  allem  zeigen  ein  bedeutendes  Vorherrschen  des  Rumpfe^, 
keine  grösseren  selbständigen  Glieder,  keine  ausgedehnteren  Halbinseln,  no<i 
tict'c  Mcoicsbuchten,  sondern  nur  viele  kleine  Ein-  und  Ausschnitte.  An  den 
nördlichen  Krdthcilen  dagegen  treten  grosse  selbständige  Halbinselländer  uii«i 
Hinnenmeere  auf  und  vermitteln  eine  grosse  Küstenent\k'icklung. 

(;an/  auflallend  ist  die  Viclgestaltigkeit  derKüstengliedening  in  einigen  Gebteieo. 


Die  Continente.  171 

In  Europa  zeigt  die  stärkste  Gliederung  die  Halbinsel  Morea,  auf  3  Quadratmeter 
Fläche  I  Meter  Strand,  auch  die  Westküste  von  Irland  (10  :  i),  Schottland  und  Skan- 
dinavien zeigen  stark  zertrümmerte.  Küstenconturen.  Aber  wo  wir  den  Ursachen 
solcher  Erscheinungen  nachforschen,  da  ftnden  wir  allenthalben,  dass  dieselben 
localer  Natur  oder  in  dem  zufälligen  Zusammentreten  gewisser  wirksamer  Agen- 
tien  zu  suchen  sind,  die  keineswegs  als  continentale  bezeichnet  werden  können. 

Einen  wesentlichen  Unterschied  in  den  Conturen  zeigen  im  Allgemeinen 
Steilküsten  und  Flachlandsküsten.  Während  die  ersteren  vorherrschend  zer- 
störenden Einflüssen  unterliegen,  vollziehen  sich  an  letzteren  häufig  Neubildungen; 
beide  bedingen  besonders  gestaltete  Küstenformen. 

Eine  der  interessantesten  Erscheinungen  der  ersteren  Art  sind  die  Fjord- 
bildungen, eine  vollständige  Ausfransung  des  Ktistenconturs  in  tiefe,  steil  ein- 
^'eschnittene  Meeresbuchten  und  zwischen  diesen  liegende  schmale  Landisungen. 
Nur  an  gewissen  Stellen  der  Continente  finden  sich  dieselben,  dort  aber  in 
dichter  Häufung.  Die  schon  vorhin  erwähnten  Westküsten  von  Skandinavien, 
Schottland  und  Irland  sind  in  Europa  durch  solche  Fjordbildungen  ausgezeichnet, 
in  Amerika  finden  sie  sich  an  der  Westküste  von  Grönland  und  an  der  Südspitze 
von  Südamerika  von  der  Insel  Chiloö  bis  zum  Gap  Hom.  Sie  liegen  überall 
entweder  im  hohen  Norden  oder  tief  im  Süden,  in  der  ganzen  tropischen  Zone 
und  den  ihr  beiderseitig  anliegenden  Grenzzonen  der  gemässigten  Gürtel  fehlen 
b\e  an  den  Küsten  der  Continente. 

So  wird  es  klar,  dass  sie  mit  den  klimatischen  Verhältnissen  in  Zu- 
sammenhang stehen  müssen.  Sie  fallen  in  die  Gebiete  der  andauernden 
Niederschläge,  dort  wo  auch  die  Wirkungen  der  hierauf  gegründeten  Erosion 
besonders  intensiv  sich  zu  gestalten  vermögen.  Es  kommen  aber  noch  an- 
dere Bedingungen  hinzu.  Die  geologische  Beschaffenheit  der  Küsten  muss  die 
Eigenartigkeit  der  Fjordbildung  unterstützen.  Der  Wechsel  von  härteren,  gegen 
die  Erosion  widerstandsfähigen  Gesteinen  mit  weicheren,  leicht  verwitternden  und 
zerfallenden  wird  der  Gestaltung  der  Fjorde  ganz  besonders  günstig  sein.  Recht 
auffallend  tritt  dieses  Verhältniss  an  der  Südwestküste  von  Irland  hervor.  Jede 
ausgestreckte  fingerförmige  Landzunge  der  dortigen  Küstenfransen  besteht  aus 
den  wetterfesten  quarzigen  Sandsteinen  der  devonischen  Formation,  des  Old  Red 
und  alle  die  tief  eingeschnittenen  Buchten  sind  ausgehöhlt  in  den  leicht  auflösbaren 
Kalksteinen  der  Kohlenformation.  Dort,  wo  weiter  nördlich  an  der  Küste  der 
Wechsel  dieser  beiden  Gesteine  aufhört,  verschwindet  auch  die  Fjordenbildung 
ind  in  einförmig  verlaufendem  Bogen  geht  die  Küstenlinie  weiter.  Erst  oben  an 
der  Nordküste,  wo  wieder  der  Wechsel  krystallinischer  Gesteine  hier  der  Erosion 
geringeren,  dort  grösseren  Widerstand  entgegenstellt,  tritt  auch  die  Vielgestaltigkeit 
m  der  Zertrümmerung  der  Küste  wieder  hervor,  wenn  gleich  nicht  in  derselben 
Regelmässigkeit  wie  im  Gebiete  der  geschichteten  Formationen  südwärts. 

Ganz  ähnlich  scheint  auch  an  der  Westküste  von  Feuerland  die  Fjordenbildung 
nur  da  aufzutreten,  wo  granitische  und  basaltische  Gesteine  wechseln;  dagegen  ver- 
laufen in  der  dortigen  Thonschieferformation  die  Küstenlinien  gerade  und  ein- 
förmig. An  den  irischen  Küsten  ist  femer  noch  die  stets  von  Südwesten  her 
?egcn  dieselben  anstürmende  Brandung  des  Golfstromes  ohne  Zweifel  von 
mächtiger  Wirkung  und  so  tritt  uns  hier  in  der  Fjordbildung  das  Resultat  mehrerer 
«ombinirt  und  nach  einander  thätigen  Factoren  entgegen.  An  der  langsam 
sinkenden  Küste  hat  die  entgegengetriebene  Fluth  von  Zone  zu  Zone  weiter  ge- 
arbeitet; die  nach    ihrer   Gesteinsbeschaffenheit  gegliederten  Landzungen   fügten 


172  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

sich  bei  eingetretener  Erhebung  aus  den  zertrümmerten  Felsenklippen  wieder  an- 
einander und  länger  und  länger  schieben  sich  zwischen  dieselben  die  einwärts- 
gerichteten Fjorde  ein. 

Dass  in  den  Thälem,  welche  durch  die  Scliichtenfaltung  vorgebildet  waren, 
auch  Gletscher  später  sich  bildeten,  die  Thäler  ausfeilend  und  vertiefend  und 
das  Material  der  Erosion  und  eigenen  Arbeit  in  regelmässigen  Wällen  niederlegend, 
das  ist  für  diese  irischen  Fjorde  erwiesen.  Ganz  gleichartig  mag  aber  die  Bildung 
der  skandinavischen  und  grönländischen  Fjordküsten  erfolgt  sein:  starke  Nieder- 
schläge und  kräftige  Erosion,  einschneidende  Wirkung  brandender  Meeresströmung 
auf  Steilküsten,  die  in  auf-  und  absteigender  Bewegung  und  aus  verschieden 
harten  Gesteinen  gebaut  sind,  endlich  schleifende,  glättende,  polirende  Wirkun? 
des  Gletschereises  längs  der  Wandungen  dieser  Thäler,  das  sind  die  Agentien 
der  Fjordbildungen. 

Aber  auch  dort,  wo  eine  eigentliche  Fjordbildung  nicht  eintritt,  bezeichnet 
im  Allgemeinen  Zerstörung  und  Zertrümmerung  den  Verlauf  der  Steilküsten. 
Freilich  wo  eine  geologisch  einheitliche  und  geschlossene  Gebirgsmasse  die 
Küste  bildet,  kann  dieselbe  auch  im  Grossen  ungegliedert,  geradlinig  verlaufen, 
wenn  gleichmässig  an  allen  Punkten  die  Thätigkeit  des  Meeres  fortzuschreiten 
vermag.     Aber  im  Detail  tritt  doch  auch  hier  die  Zertrümmerung  hervor. 

Ganz  andere  Formen  und  Vorgänge  zeigen  sich  an  den  flachen  Küsten. 
Hier  sind  es  vor  allem  Neubildungen  und  Uferbauten  die  den  Küstencontur  um- 
gestalten. Langgestreckte,  schmale  dem  Verlauf  der  Küste  parallel  sich  hin- 
ziehende Halbinseln  pflegt  man  an  der  Ostsee  Nehrungen  zu  nennen,  in  Italien 
Lidi,  im  südl.  Russland  Peressips.  Sie  entstehen  durch  die  Ablagerung  von 
Sedimenten,  welche  die  Flüsse  aus  dem  Inneren  ins  Meer  führen,  die  an  der 
Stelle  zu  Boden  sinken,  wo  die  Bewegung  des  Flasswassers,  sei  es  unter  der 
Gegenströmung  der  Fluth,  oder  auch  durch  irgend  eine  seitliche  Strömung  im 
Meer  aufgehoben  wird.  So  ist  Gestalt  und  Entfernung  dieser  Ablagerungen  vom 
Ufer  verschieden  je  nach  localen  Verhältnissen.  Auch  ändern  die  gebildeten 
Uferwälle  ihre  Form  und  Lage.  Die  hinter  ihnen  liegenden,  oft  durch  diese 
Nehnmgen  ganz  vom  Meer  abgeschlossenen  Wasserbecken,  die  Hälfe  oder  La- 
gunen, werden  durch  die  Sedimente  der  in  sie  einmündenden  Flüsse  erfüllt,  oder 
es  flndet  ein  erneuerter  Durchbruch  und  Einbruch  des  Meeres  statt.  So  ist  der 
Lym  Fjord  in  Jütland  im  Laufe  von  looo  Jahren  viermal  mit  Süsswasser  und 
viermal  wieder  mit  Meerwasser  gefüllt  gewesen.  Die  Inseln  Usedom  und  Wollin 
sind  Anschwemmungen,  welche  die  Oder  an  die  Landseite  solcher  Uferwälle  gelegt 
hat,  durch  deren  Wachsthum  die  hinterliegenden  Haffe  nach  und  nach  erfüli*. 
werden. 

Ausgezeichnete  Beispiele  solcher  Uferwälle  umsäumen  in  lang  hinziehen- 
dem Bogen  die  ganze  nordamerikanische  Ostküste  des  Staates  New  Jersey  von 
der  Rnriton  Bay  bis  zur  Mündung  des  Delaware  und  weiter  südlich  an  den 
Küsten  von  Maryland  und  Nord  Carolina,  wo  ganze  grosse  Strecken  alluvialen 
Festlandes  hinter  alten  Uferwällen  sich  gebildet  haben  und  noch  bilden  und  wu 
am  Kap  Hatteras  besonders  die  Kette  der  Nehrungen  wohl  gegliedert  hervortritt 
Auch  die  Landzunge  von  Arabat  an  der  Krim,  welche  das  Faule  und  Asowschc 
Meer  von  einander  scheidet,  besitzt  eine  recht  charakteristische  Form. 

Eine  andere  Erscheinung,  die  ebenfalls  wesentlich  zur  Veränderung  des 
Küstenconturs  der  Continente  beizutragen  vermag  und  sich  in  dem  Grenzgebiete 
zwischen  Land  und  Meer  vollzieht,  ist  die  Deltabildung.    (S.  diesen  Artikel.)   Pas 


Die  Continente.  173 

Mississippi-Delta  am  Golf  von  Mexiko,  das  Delta  der  Lena  an  den  Nordküsten 
Sibiriens,  das  der  chinesischen  Ströme  am  gelben  Meere  u.  a.  zeigen,  in  welchem 
Maasse  diese  Delta's  litorale  Umgestaltungen  hervorbringen. 

Gleichwohl  kann  die  continentale  Küste  dort,  wo  sie  flach  an  das  Meer  an- 
^nzt,  auch  durch  den  zerstörenden  Einfluss  desselben  verändert  werden.  Die 
gewaltigen  Einbrüche  der  Nordsee  in  die  Gebiete  der  holländischen,  friesischen 
und  westholsteinschen  Küstenstrecken  bieten  dafür  zahlreiche  Belege. 

Aber  alle  diese  vielfachen  Veränderungen,  denen  der  heutige  Contur  der 
Continente  unterworfen  ist,  ändern  an  der  Gestalt  ihres  Rumpfes  eigentlich  nichts. 
S<3  treten  die  uralten  Gesetzmässigkeiten  ihrer  Formen  und  Vertheilung  dennoch 
immer  noch  deutlich  hervor.  Ganz  besonders  ist  es  die  Erbreiterung  der  con- 
dnentalen  Massen  gegen  Norden,  die  Ausspitzung  nach  Süden.  Es  convergircn 
daher  die  Küstenlinien  nach  Norden  und  divergiren  nach  Süden,  wie  es  so 
auffallend  zwischen  Nord-Amerika  und  Asien  hervortritt,  die  sich  an  der  Behrings- 
^trasse  fast  berühren.  Nach  Süden  zu  liegen  die  meisten  Inseln  und  zeigen  auch 
die  einzelnen  Continente  ihre  stärkste  Gliederung,  wie  besonders  Asien;  an  den 
West-  und  Südwestseiten  der  Continente  liegen  weite  und  tiefe  ostwärts  gerichtete 
Einbuchtungen. 

Die  grösste  Ausdehnung  der  östlichen  Continentalmasse  von  Westen  nach 
Osten  beträgt  2300  Meilen;  nur  den  dritten  Theil  hiervon  misst  die  westliche 
Landmasse.  In  gleicher  Weise  nahezu  stellt  sich  das  Verhältniss  der  zwischen- 
liegenden Oceane,  der  pacifische  ist  mehr  als  doppelt  so  breit  wie  der  atlantische. 

Wenn  man  den  Verlauf  der  äquatorialen  Linie  verfolgt,  so  erkennt  man, 
daüs  dieselbe  im  Allgemeinen  über  die  Theile  der  Continente  hinführt,  welche 
die  geringste  Erhebung  über  Meer  besitzen,  nördlich  und  südlich  steigen  die 
Landmassen  zu  grösseren  Höhen  empor.  Für  Asien  und  Amerika  ist  dieses  auf 
jeder  Karte  ersichtlich,  aber  auch  für  Afrika  trifft  es  zu,  hier  liegen  allerdings 
die  grössten  Depressionen  ca.  15°  nördlich  von  der  äquatorialen  Linie,  von  der 
Mündung  des  Senegal  über  den  Tsadsee  bis  zum  Nil.  Auch  ist  der  Aequator 
im  Zusammenhang  hiermit  die  Linie,  welche  mit  Ausnahme  der  Linien  höchster 
[x>larer  Breitegrade,  in  ihrem  Verlaufe  die  geringste  Menge  von  Festland  trifft. 
Das  Verhältnis  von  Land  zu  Meer  auf  dieser  Linie  ist  gleich:  4 :  14.  Schon  der 
20 '  südL  Breite,  trotzdem  die  Länder  sich  nach  Süden  zuspitzen,  zeigt  ein  höheres 
Verhältnis  von  5:13  und  der  20°  nördl.  Breite  noch  weit  mehr,  nämlich  7:11.  Von 
der  heissen  Zone  durchschneidet  also  die  äquatoriale  Linie  das  wenigste  Festland. 
Eine  nicht  gerade,  sondern  in  Auf-  und  Abwärtsbiegungen  verlaufende  Linie, 
welche  durch  das  Mittelmeer  über  die  Landenge  von  Suez  und  von  hier  im 
Bogen,  zwischen  Neu  Guinea  und  Australien  durch,  der  Landenge  von  Panama 
sich  zuwendet  und  dann  zum  Ausgangspunkte  zurückkehrt,  würde  nur  in  dem 
kleinen,  im  Mittelmeer  gelegenen  Theile  ihres  Verlaufes  aus  der  heissen  Zone 
'  leraustreten  und  im  Ganzen  nur  wenige  Meilen  Land  berühren.  So  kann  man 
<ieiin  wohl  sagen,  dass  der  äquatoriale  Gürtel  wie  eine  trennende  Zone  zwischen 
die  Continentalmassen  der  nördL  und  der  südl.  Halbkugel  sich  einschiebt,  ge- 
wissermaassen  eine  Bruchlinie  der  alten  Festlandsschollen  darstellend.  Es  würde 
das  ein  Zurückschieben  der  Festlandsmassen  nach  den  Polen  andeuten. 

Dass  diese  Bruchlinie  eine  dynamische  Bedeutung  hat  und  enge  mit  der 
theologischen  Entwicklung  der  Erde  zusammenhängt,  das  scheint  man  auch  aus 
^cm  Umstände  folgern  zu  dürfen,  dass  derselbe  Gürtel  der  minimalen  Land- 
maisen  genau  durch  die  Gebiete  der  intensivsten  vulkanischen  Aeusserungen  ver- 


174  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

läuft:  auf  ihm  liegen  die  central-amerikanischen  Vulkane,  die  süd-asiatiscbt!n 
Inselvulkane,  die  erloschenen  Vulkane  des  abessinischen  Hochlandes  und  der 
Küstengebiete  des  rothen  Meeres. 

Und  wenn  wir  auch  heute,  wie  vor  5  Jahrzehnten  Humboldt,  die  Grüntie 
dieser  unverkennbaren  Gesetze  in  der  Morphologie  der  continentalen  Massen 
noch  nicht  zu  enthüllen  vermögen,  das  eine  wird  uns  doch  klar,  dass  es  nicin 
blosse  Zufälligkeiten  sind,  die  uns  hier  entgegentreten. 

Deutlicher  noch  als  die  Conturen  lassen  aber  die  Reliefs  der  Continente, 
ihre  verticale  Oberflächengliederung,  gewisse  Gesetzmässigkeiten  erkennen. 

Die  Oberfläche  der  Festlande  lässt  sich  unterscheiden  in  Tiefland,  Hocm 
land  oder  Plateaus  und  in  Gebirgsland. 

Das   Tiefland    ist    entweder    Küstentiefland    und   umsäumt   die    Continente  ; 
in  meist  lang  gestreckten,  schmalen  Gebieten  oder  es  ist  continentales  Tiefland  \ 
im  Inneren  der  Continente  oft  weit  ausgedehnt  oder  quer  durch  ganze  Erdlhcile  ^ 
sich  hindurchziehend.     Solche  continentale  Tiefländer  liegen  z.  B.  zwischen  Urai 
und  Kaukasus,  die  sarmatischen  und  turanisch-sibirischen  Ebenen.     Nord-Amehka  I 
wird  von  einem  Tieflande  durchzogen,  das  von  Süden  nach  Norden,    von   den  j 
Mündungen  des  Mississippi  bis  zu  den  Hudsonbailändem  sich  erstreckt     Zwischcr 
die  Hochebenen  und  Hügelländer,  die  einerseits  mit  immer  höherem  Aufstieg  / : 
dem  Felsengebirge,  andererseits  zu  den  Alleghanies  hinaufführen,  ist  das  Tieflam: 
des  Mississippi  wie  ein  Keil  hineingeschoben,  dessen  Spitze  im   Norden   bis   /l 
dem  Hochebenenrande  an  der  Missouri-Mündung  reicht.     Der  atlantische   Saum  ' 
dieses  Tieflandes  am  mexikanischen  Meerbusen  ist  ein  Gebiet,  das  zwischen  Mcc  \ 
und  Festland    noch    in    geologisch   neuen   Zeiten  strittig  gewesen.     In  gleicher  \ 
Weise  wird  Südamerika  durch  ein  Tiefland  getheilt,  das  zwischen  den   Anden  | 
und  den  brasilianischen  Gebirgen  von  Patagonien  aus  bis  an  die  Mündung  de> 
Amazonas  hinaufreicht.  1 

Während  die  Küstentiefländer  meist  als  ziemlich  vollkommen  horizontale  1 
Ebenen  ausgebildet  erscheinen,  pflegen  die  continentalen  Tiefländer  in  der  Rc^cl ' 
mit  langsam  aufsteigendem  Rande  umgeben  zu  sein,  oft  stufenartig  aufsteigend.  ! 
sodass  man  ganz  allmählich  über  solche  auf  Hochlande  hinaufgeführt  ynrd. 

Eine  Hochebene  oder  ein  Plateau  ist  eine  wenig  vertical  gegliederte,  geschlossen 
verlaufende  Erhebung  von  mehr  oder  weniger  bedeutender  Oberflächenerstreckun^ 
Der  Charakter  der  Oberfläche  ist  der  der  Einförmigkeit,  nur  wenige  dem  Plateai. 
aufgesetzte,  über  dessen  gemeinsames  Niveau  aufragende  Höhen,  nur  wenige  umi  j 
meist   nicht   sehr    bedeutend  eingeschnittene  Thalbildungen  unterbrechen   dioo  \ 
Nivellirung.     Begrenzt  werden  Plateaus  entweder  durch  Randgebirge,  die  natur- 
lich    einen   bedeutend   höheren  äusseren  Abhang  besitzen,    als  der  innere    dem 
Plateau  zugewendete,    oder  durch  Tief  lande,  gegen  welche  gewöhnlich  stufen- 
weise die  Hochebene  niedersinkt.     Auch  giebt  es  Plateau's,  die  als  die  hoch- 
liegende  Basis  aufsitzender  Gebirgsketten,  die  jene  durchziehen,  angesehen  werdei^ 
können  und  hierdurch  in  zwei  oder  mehrere  getrennte  Theile  zerfallen. 

Ein  derartiges  Hochland  ist  Thibet  zwischen  demHimalaya  und  dem  Kwen- 
Luen  Gebirge  gelegen,  auf  das  weiter  unten  noch  zurückgekommen  wird.     \on 
4000  Meter  mittlerer  Erhebung;  eine  grosse  Ausdehnung  besitzt  auch  weiter  norü 
wärts  das  Plateau  der  Wüste  Gobi  mit  1 200  Meter  mittlerer  Höhe.   Der  Llano  Esta 
cado  in  Neu-Mexiko  und  Texas,  südöstlich  von  Santa  F6  ist  ein  1500  Meter  hohc>^ 
Plateau  von  bedeutender  Erstreckung. 

Aber  ein  noch  ausgezeichneteres  Beispiel  bietet  das  ungeheure  menkanische 


Die  Continente.  175 

Hochland  von  Anahuac.  Aus  den  Hochebenen  von  Puebla,  Mexiko,  Queretaro 
und  Michoacan  sich  zusammenfUgendy  erscheint  es  fast  als  eine  meeresgleichc 
Fläche,  durchrissen  von  zahlreichen  oft  2  —  300  Meter  tiefen,  spaltengleichen 
Thälem  »Barancos«  in  einer  Ausdehnung  von  700  Kilom.  von  O.  nach  W.  und 
über  800  Kilom.  von  S.  nach  N. ;  in  einer  durchschnittlichen  Höhe  von  über 
2000  Meter.  Die  Landschwellen,  welche  das  Plateau  durchziehen,  verschwinden 
in  ihren  Höhen  von  nur  150 — 200  Meter  gegen  dieses.  Aber  die  Einförmigkeit 
der  Oberflächengestaltung  ist  unterbrochen  durch  die  zahlreichen,  gewaltigen 
vulkanischen  Kegel,  die  diesem  Hochlande  aufgesetzt  erscheinen. 

Hochländer  und  Plateau' s  füllen  auch  den  ganzen  inneren  Raum  des  afrikani- 
schen Continentes  besonders  nach  Süden  zu  aus  und  steigen  hier  in  terrassen- 
förmig entwickelten  Stufen  empor  bis  zu  dem  südafrikanischen  Hochplateau,  das 
eine  mittlere  Seehöhe  von  fast  1200  Meter  besitzt. 

Gebirge  unterscheiden  sich  sehr  wesentlich,  je  nachdem  sie  nur  aus  Gruppen 
einzelner,  mehr  oder  weniger  dicht  gedrängter  Berge  bestehen,  die  der  Unter- 
lage nur  aufgesetzt  erscheinen  und  daher  auch  mit  dieser  eine  geologische  Zu- 
sammengehörigkeit nicht  besitzen  oder  wenn  sie  aus  der  Aufwölbung  solcher 
Schichten  entstanden  sind,  die  auch  die  Basis  des  Gebirges  bilden,  sodass  sie 
mit  dieser  wie  aus  einem  einzigen  Stücke  geformt  scheinen,  dessen  einzelne 
Glieder  aber  durch  spätere  Vorgänge  mehr  oder  weniger  ausgearbeitet,  getrennt 
und  scheinbar  aus  der  Gemeinsamkeit  herausgelöst  wurden.  Ein  Beispiel  der 
eriteren  Art  bieten  die  vulkanischen  Kegelgebirge,  die  lediglich  durch  Auf- 
schüttung aus  dem  Inneren  der  Erde  heraus  auf  beliebiger  Basis  sich  bildeten. 
Auf  den  Schichten  der  devonischen  Formation  liegt  so  die  Gebirgsgruppe  des 
Siebengebirges  am  Rhein,  auf  Granit  liegen  die  zahlreichen,  fast  zu  einer  Kette 
vereinigten  Kegel  der  Auvergne,  auf  tertiärem  Boden  stehen  die  Kegel  der  ba- 
saltischen Kuppen  des  Val  di  Noto  in  Sicilien.  Auch  einzelne  Berge  dieser  Art  können 
von  solchen  Dimensionen  werden,  dass  sie  in  Folge  starker,  durch  die  Erosion 
bewirkter  Gliederung  das  Aussehen  eines  Gebirges  erhalten,  so  z.  B.  der  Mont 
Dore  in  Frankreich. 

Beispiele  der  zweiten  Art  sind  alle  eigentlichen  Gebirge,  d.  h.  mehr  oder 
weniger  lang  sich  hinziehende  hohe  Rücken,  deren  Gliederung  durch  Thäler  und 
Höhen  geschieht,  die  abwechselnd  in  ein  geologisch  als  ein  Ganzes  charakterisirtes 
continentales  Massiv  hineingebildet  erscheinen.  Die  Gestalt  der  Glieder,  ihre  An- 
ordnung in  centraler  oder  lateraler,  reihenförmiger  Gruppirung,  die  Beschaffenheit 
und  Neigung  des  äusseren  Abfalles  des  Gebirges  gegen  die  Tieflande  bedingen 
mancherlei  Verschiedenheiten. 

Meist  zeigen  die  Gebirge  eine  bestimmt  ausgesprochene  Längsrichtung,  es 
Mnd  dann  Gebirgsketten  und  die  Achse  ihrer  Erstreckung  pflegt  in  bestimmter  Be- 
ziehung zu  ihrem  geologischen  Bau  zu  stehen.  Gerade  dieser  letztere  ist  für  die 
richtige  Auflassung  und  genetische  Deutung  eines  Gebirges  weitaus  das  wichtigste. 
Erst  dann  tritt  vor  Allem  das  richtige  Verhältniss  der  Gebirge  zu  ihren  con- 
tinentalen  Grundlagen  hervor,  wenn  man  beide  in  ihren  inneren  tektonischen 
und  geologischen  Beziehungen  zu  verstehen  vermag.  (Vergl.  auch  Artikel: 
Gebirge.) 

Tiefland,  Hochland  und  Gebirge  bedingen  in  der  Art  ihres  wechselvollen 
Auftretens  die  oberflächliche  Physiognomie  eines  Continentes,  ihre  Bedeutung  für 
den  Qiarakter  desselben  ergiebt  sich  erst,  wenn  ihre  inneren  geologischen 
Eigenschaften  erkannt  sind. 


17^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Unverkennbar  tritt  eine  an  allen  Continenten  sich  wiederholende  Gesetz- 
mässigkeit in  der  Vertheilung  jener  Oberflächenformen  hervor.  Es  kann  im  All- 
gemeinen als  Regel  gelten,  dass  die  Lage  und  Streichrichtung  oder  die  Achsen 
der  Gebirge  durch  die  Grenzen  der  continentalen  Massen  beeinflusst  sind.  Hier- 
bei ist  wiederum  das  schon  im  Vorhergel  «enden  einmal  bemerkte  hervorzuheben, 
dass  der  eigentliche  Rumpf  eines  Continentes  nicht  durch  die  heute  sichtbare, 
über  der  Meeresebene  gelegene  Landmasse  allein  gebildet  wird,  sondern  das^ 
nur  der  äussere  Steilabfall  gegen  die  oceanischen  Tiefbecken  ohne  Rücksicht 
auf  die  randliche  Gliederung  der  jetzigen  Küsten,  als  die  Grenze  einer  continen- 
talen Masse  gelten  darf. 

Die  Abhängigkeit  der  Gebirgsketten  von  den  Grenzen  der  continentalen 
Massen  tritt  am  einfachsten  bei  den  beiden  Amerika's  zu  Tage.  Mit  der  auf- 
fallenden Längserstreckung  der  Continente  in  meridionaler  Richtung  hängt  auch 
die  im  Allgemeinen  nordsüdiiche  Streichrichtung  der  grossen  Gebirgsketten  zu- 
sammen. Aber  wie  im  nordamerikanischen  Continent  eine  Convergenz  der 
Continentalmasse  nach  Süden  sich  unverkennbar  ausprägt,  so  convergiren  auch 
die  Gebirge.  In  den  pacifischen  Gebirgsketten  der  Coast  Range,  Sierra  Nevada. 
Cascade  Range,  Wahsatsch,  Rocky  Mountains  geht  die  Streichlinic  des  Gebirges 
und  des  Schichtenbaues  von  NNW — SSO  und  darnach  ist  die  Richtung,  in  der 
die  faltenwerfende  und  gebirgsbildende  Kraft  gewirkt  hat,  eine  ON-östliche.  In 
den  Ketten  der  atlantischen  Seite,  den  AUeghanies,  Blue  Mountains,  Cumber- 
land  Mts.  ist  das  Streichen  ein  nach  NNO  gerichtetes  und  die  Falten  erscheinen 
nach  WNW  oder  NW  zusammengeschoben.  In  beiden  Fällen  aber  entspricl  t 
der  Lauf  der  Ketten  den  Grenzen  der  continentalen  Landmasse  und  die 
Richtung  des  Gebirgsschubes  zeigt  nach  dem  Inneren  des  Festlandes. 

In  gleicher  Weise  findet  man  bei  Afiika  fast  überall  den  Biegungen  und 
Windungen  der  Küste  folgend,  den  Rand  des  inneren  Hochlandes  bedeutend 
erhöht  und  hier  eigentliche  Gebirgszüge  bildend.  Am  südlichen  und  südöstlichen 
Rande  ist  dieses  besonders  deutlich  ausgeprägt.  Hier  zieht  sich,  am  rothen  Meere 
beginnend,  zunächst  das  mächtige  abessinische  Hochland  nach  Südwesten,  gekrönt 
von  einer  Gebirgskette,  deren  Gipfel  bis  über  4000  Meter  Höhe  erreichen, 

Daran  schliessen  sich  weiter  in  SS-westlicher  Richtung  die  gewaltigen  Berg- 
zixge,  in  deren  Mitte  etwa  der  Ukerewesee  gelegen  ist,  die  in  den  Höhenzügen 
um  den  Tanganjika  und  den  Nyassasee  (bis  zu  2400  Meter  Höhe)  ihre  Fort- 
setzung zeigen.  Ihr  Ende  finden  diese  Bergketten  endlich  im  Süden  in  den  Ge- 
birgen zwischen  Zambesi  und  Vaal,  in  den  Drakenbergen  und  den  Hochlanden 
der  Capcolonie,  den  Tafelbergen  und  an  der  Westküste  haben  wir  ihren  Nord- 
rand in  der  Sierra  Lingi-Lingi  (1780  Meter  hoch)  in  der  Breite  von  Benguela  zu 
sehen,  die  von  hier  noch  als  Sierra  Camingua  in  meridionalem  Zuge  sich  bis  zum 
Flusse  Quanza  erstreckt.  Diesem  gehobenen  Südostrande  entspricht  an  der 
nordwestlichen  Küste  von  Afrika  das  Gebirgssystem  des  Atlas,  eine  Kette,  die 
in  der  Richtung  von  Westsüdwest  nach  Ostnordost,  vom  Gap  Nun  am  atlantischen 
bis  zum  Cap  Bon  am  mittelländischen  Meere  in  einer  Länge  von  2300  Kilom. 
sich  hinzieht,  deren  Culminationspunkte  südöstlich  von  Marokko  fast  auf  4000  Meter 
emporragen. 

Eine  ganz  ähnliche  Anordnung  der  Gebirgszüge  giebt  endlich  dem  asiatisch- 
europäischen Continent  die  Grundlage  seiner  Gestaltung.  Hier  erkennt  man  da:» 
grosse  Gesetz  in  der  aus  einzelnen  geradlinig  verlaufenden  Theilen  zusammenge- 
setzten Kette  von  Gebirgszügen,    die  in  ihrer  Gesammtheit   eine  bogenförmige 


Die  Continente.  177 

Anordnung  ergiebt,  die  mit  den  Nordwestketten  beginnend,  nach  Südost  über- 
geht, die  convexe  Krümmung  nach  Süden  kehrt  und  im  östlichen  Asien  sich 
über  ONO  nach  NO  und  endlich  NNO  wendet.^)  Während  die  Gebirge  des 
nordöstl.  Asiens,  die  Stanowoi-  und  Jablonoiketten  von  SSW  nach  NNO  streichen, 
entfernen  sich  die  beiden  Hauptglieder  des  asiatischen  Continentes  nur  um  wenige 
(10—15)  Orade  von  der  Richtung  der  Parallelkreise:  Das  Tien-schan-System 
mit  der  Streichrichtung  WzS— OzN  und  das  Kwen-Luen-System  mit  der  Richtung 
WzN — O2S.  Das  Himalaya-System  endlich  im  östlichen  Theile  fast  meridional 
verlaufend,  geht  in  regelmässiger  Umbiegung  im  westlichen  Theile  in  eine  fast 
nordwestliche  Streichrichtung  über.  Das  ist  die  Richtung,  die  fast  durchweg  in 
den  Gebirgen  des  westlichen  Asiens  herrschend  wird,  im  ganzen  Altai-System, 
Tarbagatai,  Karatau,  Nuratau,  in  dem  Gebirge  von  Khorrassan,  im  ^Iburz,  den 
perasch- armenischen  Gebirgszügen  und  im  Kaukasus.  Die  gleiche  Richtung 
dominirt  dann  auch  noch  im  südlichen  Europa. 

So  stellt  sich  uns  denn  in  allen  Continenten  insofern  eine  gewisse  Analogie 
in  der  Architectur  heraus,  dass  den  eigentlichen  inneren  Körper  derselben  um- 
randend Gebirgszüge  verlaufen,  an  die  nach  aussen  mehr  oder  weniger  ausge- 
bildete Glieder  sich  anfügen,  die  im  Allgemeinen  unabhängig  erscheinen  von 
dem  Gebirgsbau  im  Inneren.  Während  solche  äussere  Glieder  z.  B.  in  N.- Amerika 
nur  sparsam  vorhanden  sind,  die  Halbinsel  Florida  ist  das  einzige  von  einiger 
Bedeutung,  und  in  S.-Amerika  und  Afrika  dieselben  nur  in  schmalen  Küsten- 
Tiefländern  bestehen,  erscheinen  sie  im  Gegentheil  an  dem  europäisch-asiatischen 
Continent  in  ganz  besonderer  Entwicklung. 

Der  Gegensatz  der  durch  die  emporgehobenen  Gebirgszüge  getrennten  neu- 
tralen inneren  und  der  peripherischen  äusseren  Theile  ist  ein  sehr  scharfer  und 
charakteristischer.  Ganz  vortrefflich  schildert  denselben  an  einem  der  gross- 
artigsten Beispiele  F.  v.  Richthofen,  der  berühmte  Erforscher  China*s.2) 

Das  zusammenhängende  continentale  Gebiet  der  alten  abflusslosen  Wasserbecken 
Central-Asiens  mit  seinen  gewaltigen  Rändern,  die  bis  zum  Meere  ausgebreiteten 
peripherischen  Theile  und  die  zwischen  beiden  liegende  Uebergangszone  werden 
als  ein  ganz   besonders  entwickeltes  und  durch  die  lichtvolle  Darstellung  des 
Autors  auch  ganz  besonders  klares  Beispiel  dieser  Verhältnisse  gelten  können. 
Um  der  Lage  nach  das  Centrum  des  asiatischen  Continentes  zu  erkennen, 
n^uss  man  die  Grenze  des  continentalen  Rumpfes  weit  nach  Süden  und  Osten 
,  «hieben,  wo  sie  erst  von  der  javanischen  Kette  von  Bomeo,   den  Philippinen 
wd  den  japanischen  Inseln  gebildet  wird.   Dort  erst  liegt  in  der  That  der  eigent- 
liche Steilabfall   gegen   den   Boden   der   oceanischen   Tiefe.     Es   erscheint  im 
^itgensatze  hierzu  das  nordasiatisch-sibirische  Tiefland,  daz  jetzt  mit  dem  Con- 
tinent ein  Ganzes  bildet,  nur  als  eine  spätere  Dependenz.   Bei  dieser  Abgrenzung 
^It  das  Centnim  des  Continentes  auch  räumlich  in  den  Theil  Asiens,  in  dem  es 
«ch  orographisch  und  geologisch  wiedererkennen  lässt.     Es  liegt  dann  dort,  wo 
die  gewaltigsten  Hochebenen  der  Erde  von  den  gewaltigsten  Gebirgsketten  um- 
fandet sind. 

Diese  centrale  Stelle  des  Continentes  fällt  auch  auf  einer  Gebirgskarte 
*on  Asien  zuerst  ins  Auge:  es  ist  jener  merkwürdige  Knotenpunkt,  wo  die 
^omgebiete  des  Indus,   des  Yarkand  und  des  Oxus  am  nächsten  aneinander 

')  V.  Richthofen,    China,    pag.  194. 
')  China.    Bd.  I.    pag.  8  ff. 
^«JiooTT,  Min.,  Gcol.  u.  Pal.    I.  ^* 


lyS  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

kommen,  von  dem  die  drei  mächtigsten  Bodenanschwellungen  der  Welt  aus- 
laufen, die  thibetische,  die  pamirische  und  die  eranische,  sowie  drei  zwischen 
jenen  annähernd  symmetrisch  angeordnete  Ebenen,  die  indische,  die  ost-tur- 
kestanische  und  die  turanische.^)  Das  Hochland  von  Thibet  drängt  sich  nach  Westen 
in  den  Winkel  keilförmig  hinein,  den  die  Gebirgsketten  des  Himalaya  und  des 
Kwen-lün  einschliessen,  hier  ist  es  Steppenland;  im  Osten  aber  schliesst  sich  an 
dasselbe  eine  bis  nach  Hinterindien  und  in  das  südliche  China  fortsetzende  Ge- 
birgskette an. 

Nördlich  vom  Kwen-lün  liegt  das  Tarym-Becken,  dessen  gegenüberliegende 
Wand  durch  Ketten  des  Tien-shan-Systems  gebildet  wird.  Weiter  nach  Nord- 
osten geht  diese  Einsenkung  bis  in  die  östliche  Mongolei  hinüber.  In  ihr  liegen 
die  weiten  Strecken  der  sandigen  Wüsten,  welche  die  Chinesen  »Gobi«  nennen. 

Dort  endlich,  wo  der  Kwen-lün  an  die  östlichen  Enden  des  Hindukusch 
stösst  und  dieser  an  die  Altai -Kette  des  Tien-shan  -  Systems  sich  anschliehst, 
liegt'  das  Plateau  von  Pamir,  wie  eine  feste  Hochburg  zwischen  thürmenden  Ge- 
birgen, das  Dach  der  Welt,  Bam-i-duniah,  der  in  jenen  eisigen  Gefilden  umher- 
ziehenden Kirgisen.  Südlich  des  Hindukusch  beginnt  das  eranische  Hochland 
nach  Osten  vom  Indus  begrenzt,  nach  Westen  zwischen  dem  kaspischen  Meere 
und  dem  Busen  von  Oman  sich  ausdehnend. 

Unter  den  Gebirgen,  die  hier  die  innere  Structur  des  Continentes  bedingen, 
ist  der  Kwen-lün  das  bedeutendste.  Richthofen  bezeichnet  ihn  als  den  Rückgrat 
der  östlichen  Hälfte  Asiens.  Wenn  auch  nicht  an  Höhe  der  einzelnen  Gipfel, 
so  doch  an  Erhebung  des  Kammes  übertrifft  er  den  Himalaya  und  Tien-shan; 
im  westlichen  Theile  beträgt  dieselbe  ungefähr  6000  Meter.  Auch  in  Bezug  auf 
sein  Alter  und  geologische  Selbstständigkeit,  ist  er  den  andern  Gebirgen  über- 
legen. Schon  in  der  silurischen  Periode  ragte  er  als  ein  bedeutendes  Gebirge 
auf  und  ist  nicht  wieder  vom  Meere  bedeckt  worden.  Alle  Gebirgsfaltungen  uro 
ihn  her  sind  nach  seiner  Erhebung  erfolgt  und  haben  seinen  Bau  nicht  becin- 
%  flusst,  sondern  sind  selbst  von  demselben  abgelenkt  tmd  umgebogen  worden. 
Der  Himalaya  ist  als  Gebirge  viel  jünger.  Erst  während  der  Tertiärperiode  stieg 
er  zu  seiner  jetzigen  Höhe  empor,  wie  das  Vorkommen  der  Eocänformation  bi> 
zu  einer  Meereshöhe  von  über  3500  Meter  bei  Leh  beweist^ 

>  Starr  und  öde  dehnt  sich  dieses  weite  Gebiet  Centralasiens  aus,  ein  Con- 
tinent  im  Continent ;  lebensvoll  und  in  unendlicher  Mannigfaltigkeit  der  Gestaltun*; 
lagern  sich  herum  die  peripherischen  Gebilde.« 

Nichts  charakterisirt  aber  das  centrale  Gebiet  Asiens  besser,  als  seine  zwischen 
diesen  Gebirgen  eingefassten,  flachen  Depressionen:  alte  abflusslose  Becken,  die 
mit  allmählich  wachsender  Böschung  zu  den  Höhen  der  Randgebirge  empor- 
steigen und  nur  bei  grösserer  Ausdehnung  auch  noch  von  Höhenzügen  durch- 
quert werden,  deren  Boden  vorwiegend  Steppencharakter  besitzt  und  zwar  sind 
es  nach  dem  hohen  Salzgehalte:  Salzsteppen.  Das  Schutt-  und  Trümmermaterial, 
das  den  Boden  dieser  Depressionen  bedeckt,  ist  verschieden:  nahe  dem  Gebirgv 
rande  und  in  diesem  selbst  sind  es  Schutt-  oder  Steinsteppen,  mehr  im  Inneren 
Kies-  und  Sandsteppen,  die  weitverbreiteteste  Form  aber  sind  die  I^össsteppen,  m 
deren  Hervorbringung  subaerische  Agentien  vorzüglich  mitgewirkt  haben,  (s.  Artikel: 
Atmosphäre  pag.  77). 

*)  RicHTHOFKN,  China,    pag.  195.  , 
')  Richthofen,  China.    I.,   104. 


Die  Continente.  179 

Soweit  der  Steppencharakter  und  damit  die  Grenzen  der  alten  abflusslosen 
Becken  reichen,  soweit  sind  auch  die  Grenzen  des  eigentlichen  Centralasiens  zu 
ziehen:  vom  Hochlande  von  Thibet  im  Süden  bis  zum  Altai  im  Norden,  von  der 
Wasserscheide  des  Pamir  im  Westen,  bis  zu  derjenigen  der  chinesischen  Riesen- 
Strome  und  dem  Gebirge  Rhingan  im  Osten. 

Die  Bedeutung  dieser  alten  Depressionen  für  die  Entwicklung  eines  Conti- 
nentes  lässt  sich  am  besten  und  kürzesten  dadurch  aussprechen,  dass  wir  sie  mit 
den  oceanischen  Becken  vergleichen,  die  von  den  Continenten  so  umgürtet  werden, 
wie  jene  von  ihren  Randgebirgen.  Viele  dieser  Depressionen  zeigen  auch  noch 
deutlich  die  Spuren  alter  Meeresbedeckung.  So  erfüllte  einst  den  grössten  Theil 
der  turkestanischen  Depression  ein  altes  Mittelmeer,  das  Han-hat,  dessen  genauere 
Begrenzung  und  Verhältnisse  uns  ebenfalls  Richthofen  geschildert  hat.  Es  fand 
seinen  Abfluss  nach  Westen  in  die  erst  viel  später  dem  Meer  entstiegene  aralo- 
bispische  Niederung.  Dabei  blieb  dann  zuletzt  immer  noch  ein  Binnenmeer 
zurück,  das  durch  Verdunstung  nach  und  nach  verschwand,  bis  zu  den  kleinen 
Salzsee'n  jener  Steppen. 

So  erläutern  uns  die  Verhältnisse  in  diesen  Depressionen  die  ersten  Phasen 
der  continentalen  Entwicklung. 

Eine  Festlandsscholle  auf  dem  Rücken  sich  erhebender  Gebirge  auftauchend, 
hatte  zuerst  die  Gestalt  einer  flachen  Mulde  mit  aufgestülptem  Rande.  Das  scheint 
in  der  heutigen  Gestaltung  aller  Continente  noch  ziemlich  deutlich  erkennbar  zu 
sein.  Im  Innern  des  Randes  befand  sich,  über  dessen  niederste  Stelle  mit  dem 
.\ussenmeere  verbunden,  ein  Mittelmeer.  Bei  weiterer  Erhebung  des  Festlandes 
wurde  dieses  isolirt  und  stellte  dann  ein  abflussloses  Meeresbecken  dar. 

Alles,  was  die  Zerstörungsprocesse  von  dem  höheren  Rande  desselben  ab- 
tragen, ist  gezwungen  im  Inneren  des  abflussloscn  Beckens  zu  bleiben.  Hierdurch 
wird  der  Boden  desselben  immer  mehr  erhöht  und  so  die  Differenz  zwischen 
dem  aufragenden  Rande  und  der  Bodentiefe  des  Beckens  mehr  und  mehr 
verringert 

Auch  alle  Niederschläge  der  Atmosphäre  sammeln  sich  im  Inneren  des  ab- 
flusslosen Beckens.  Das  Verhältniss  dieser  zu  der  durch  Verdunstung  bewirkten 
Wasserentziehung  bedingt  die  Möglichkeit  des  Fortbestandes  eines  solchen  Mittel- 
meeres. Uebersteigt  die  Verdunstung  über  einem  solchen  Gebiete  das  Maass  der 
Niederschläge,  so  nimmt  die  Ausfüllung  mit  Wasser  in  einem  solchen  Becken 
ab  und  es  entsteht  endlich  ein  trockenes,  abflussloses  Becken,  in  dem  nur  einzelne 
Salzsee'n  oder  Salzsümpfe  inmitten  weiter  Steppenwüsten  übrig  geblieben  sind, 
wie  2.  B.  der  Lop  nor  im  Tarimbecken  als  letzter  Rest  des  alten  Han-hai- 
Meeres.  Salzreicher  Steppenboden,  vielfach  bedeckt  mit  riedbewachsenen  Sumpf- 
flächen, abwechselnd  mit  vollkommenen  Sandwüsten,  charakterisirt  solche  Becken: 
im  grossen  Ganzen  das  Bild  mächtiger,  wellenförmiger  Sandebenen,  auf  denen 
das  Pferd  knietief  in  die  Oberfläche  einsinkt,  und  auf  den  Menschen  der  aufge- 
wirbelte  Staub  erstickend,  der  Glanz  schneeweisser  Salzfelder  blendend  wirkt.i) 

Auf  diesen  trockenen  Meeresflächen  beginnen  nun  vor  allem  die  Processe 
der  subaerischen  Wirkungen,  an  denen  Wind,  Regen,  Eis  und  Insolation  betheiligt 
and.  Sie  wirken  gleichmässig  an  der  Verflachung  und  Ausebnung  der  Becken.  Wie 
bedeutend  ihre  Wirkungen  sein  können,  das  zeigen  uns  wiederum  am  besten 
die  weiten  Lössgebiete. 


0  FoRSYTH'  Mission  in  Ost-Turkestan.     Petenn.  Mittheil.  Erg.  Bd.  XI.  1876—77-  pag.  55- 


I2» 


i8o  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Würde  die  abtragende  Wirkung  an  dem  hohen  Rande  und  die  aufschüttende 
von  dem  Boden  des  Beckens  aus  so  weit  gedeihen  können,  dass  sie  sich  in  einem 
bestimmten  Niveau  begegneten,  so  würde  damit  die  volle  Ausgleichung  der  alten 
Niveaudifferenz  erreicht  werden.  In  Wirklichkeit  aber  werden,  ehe  dies  ge- 
schieht nach  und  nach  einzelne  Theile  eines  solchen  abflusslosen  Beckens  in 
abfliessende  verwandelt  und  treten  damit  in  die  Reihe  der  peripherischen  Theile 
einer  Festlandscholle.  Das  hierzu  nöthige  Durchbrechen  des  Beckenrandes  H-ird 
vielleicht  weit  weniger  den  Wirkungen  der  blossen  Erosion  zugeschrieben  werden 
dürfen,  als  vielmehr  grossartigen  Dislocationen  der  einzelnen  Theile  gegeneinan- 
der, Spalten-  und  Thalbildungen  in  Folge  dieser,  also  gebirgsbildenden  Vorgängen. 
In  den  peripherischen  Theilen  eines  Continentes  ist  das  fliessende  Wasser  das 
wirksamste  Agens,  seine  Arbeit  ist  vornehmlich  darauf  gerichtet,  die  im  Inneren 
angesammelten  Anhäufungen  abzuführen  und  ins  Meer  zu  tragen,  den  Gebirgs- 
rand  mehr  und  mehr  zu  zerstören  und  aufzulösen.  Je  mehr  aber  die  alte  Um- 
wallung des  abflusslosen  continentalen  Beckens  durchschnitten  und  geöffnet  wird, 
um  so  mehr  wird  auch  die  im  Innern  zur  Ausfüllung  und  Ausebnung  dienende 
Ablagerung  zerrissen  und  vernichtet.  Die  Lösslandschaflen  von  Central-Asien,  die 
RiCHTHOFEN  SO  meisterhaft  geschildert  hat,  bieten  in  ihren  tiefen  Schhichten  und 
Erosionsfurchen  hierfür  die  schönsten  Beispiele. 

Verläuft  daher  in  dem  alten,  abflusslosen  Becken  der  continentale  Ent- 
wicklungsprocess  in  der  Weise,  dass  der  Gegensatz  der  Wände  des  Randes  gegen 
die  Ebene  des  Beckens  mehr  und  mehr  durch  Verflachung  ausgeglichen  wird,  zu 
der  Form  flacher  Depressionen  mit  flach  gerundetem  Rande,  so  ist  im  Gegentheile 
in  den  peripherischen  Gebieten  das  Ziel  wiederum  die  Herstellung  schroflfercr 
(vegensätze,  die  Thäler  tiefen  sich  aus  und  ihre  Gehänge  werden  steiler:  nicht 
treffender  kann  dieses  bezeichnet  werden,  als  es  Richthofen  thut,  indem  er  sagt: 
Die  centripetale  Entwicklung  der  alten  continentalen  Becken  geht  in  eine  centri- 
fugale  nach  den  Rändern  des  Continentes  gerichtete  über. 

Wenn  wir  aber  in  der  Ausdehnung  der  mächtigen  Lössablagerungen  eine^ 
der  charakteristischsten  Anzeichen  für  die  Ausdehnung  des  alten  centralasiatischcn 
abflusslosen  Beckens  gesehen  haben,  so  vermögen  wir  dann  auch  in  den  anderen 
Continenten  in  gleichen  oder  analogen  Bildungen  die  Dokumente  eines  in  gleicher 
Weise  verlaufenen,  wenn  auch  jetzt  bis  zu  verschiedenen  Phasen  gelangten  F.ni- 
wicklungsganges  wieder  zu  erkennen.  Auch  für  Europa  lässt  sich  die  einstige 
Existenz  einer  grossen  centralen  Depression,  die  den  Charakter  eines  abflussloscn 
Beckens  noch  heute  wicderspiegelt,  unzweifelhaft  erkennen. 

Der  Löss  ist  in  Europa  über  ein  weites  Gebiet  verbreitet,  dessen  wesiliclc 
(irenzc  dort  in  Frankreich  in  fast  meriditinaler  Richtung  verläuft,  wo  die  Vorläufer 
der  Pyrenäen  ein  allmähliches  Ansteigen  des  lindes  bewirken.  Besser  ist  die  sud- 
liche Grenze  bezeichnet.  Sie  folgt  dem  nördlichen  Fusse  der  alpinen  Kelten. 
um  dann  sudlich  der  Donau  am  Nordrande  der  Balkangebirge  bis  zum  schwär/ cn 
Meere  zu  verlaufen.  Nach  Norden  ist  die  Grenze  zwar  nicht  genau  feslgestdit, 
CS  erstreckt  sich  aber  hier  der  Löss  jedenfalls  bis  in  die  Diluvialebene  hinein 
Dass  er  nach  Osten  bis  in  das  südliche  Russland  fortsetzt  ist  sehr  wahr 
Hchcinlich. 

Aber  die  gan^e  Fläche  der  central  europäischen  Lössverbrettung  ist  nun  schon 
Ittngnt  kein  abfluNsloses  Ctcbiet  mehr  und  die  Wirkungen  der  abfliessenden  Ge- 
wässer  haben  an   der  Zerstörung  und  Trennung  der  einst  zusammenhängenden 


Die  Continente.  i8i 

subaerischen  Ablagerung  bis  zu  dem  Maasse  gearbeitet,  dass  die  alte  Zusammen- 
^^ehörigkeit  kaum  an  den  einzelnen  Theilen  noch  wiedererkannt  wird. 

In  Nord-Amerika  liegt  zwischen  den  beiden  Kämmen  der  Sierra  Nevada 
und  des  Wahsatsch-Gebirges  das  grosse,  salzige  Hochland  von  Utah  mit  allen 
Charakteren  eines  abflusslosen  Steppenbeckens.  Weithin  ist  der  Boden  dieser 
Depression  von  einer  feinen,  gelben,  lössartigen  Erde  gebildet.  Seit  der  Lias- 
periode  war  das  Great-Basin  nicht  mehr  vom  Meere  bedeckt  und  hat  so  durch 
die  lang  andauernden  Wirkungen  der  Erosion  vielfache  Umgestaltungen  erlitten. 
Aber  auch  über  seine  Grenzen  hinaus,  wenn  auch  unmittelbar  an  das  abfluss- 
lüse  Gebiet  anschliessend,  finden  sich  in  Nord-Amerika  nach  Lössablagenmgen. 

In  Süd-Amerika  liegen  die  abflusslosen  Hochlande  zwischen  der  Doppelkette 
der  Anden  lang  sich  hinziehend,  und  dann  nach  Osten  in  die  argentinischen 
Pampas  übergehend.  In  dem  von  d'Orbignv  zuerst  erkannten  Terrain  Pampden 
liegen  ausgedehnte,  ganz  lössähnliche  Bildungen  vor.  Ihre  Verbreitung  im  alten 
Centralgebiete  von  Süd-Amerika  lässt  wiederum  erkennen,  wie  erst  durch  spätere 
Umgestaltung  der  grössere  Theil  des  Continentes  zu  peripherischen  Gebieten  um- 
gestaltet wurde. 

Auch  im  Inneren  des  afrikanischen  Continentes  kennen  wir  zwei  noch  heute 
abfiusslose  Gebiete. 

Das  erste  ist  die  ziemlich  in  der  Mitte  des  Sudanplateau' s  gelegene  Depres- 
sion des  Tsadsee's.  Das  jetzt  trockene  Rinnsal  des  Bhar  el  Ghazal,  des  einstigen 
Al)flusses  des  Tsadsees  bildet  in  seinen  beckenartigen  Verzweigungen  die  tiefsten 
Theile  der  weit  ausgedehnten  und  rings  von  z.  Th.  mächtigen  Gebirgsansch wellun- 
gen umsclilossenen  Mulde.  Das  tiefste  Niveau  erreicht  dieselbe  in  der  Land- 
schaft Bodele  bei  Bir  Tungur.  An  vielen  Theilen  der  Randgebirge  ist  das  aus 
alt  kiystallinischen  Gesteinen  bestehende  Gerüste,  welches  diese  Mulde  trägt, 
nun  schon  nachgewiesen. 

Das  zweite  abflusslose  Gebiet  liegt  auf  dem  Plateau  des  südafrikanischen 
Hochlandes  gerade  in  der  Mitte  zwischen  der  Ost-  und  Westküste  des  Continentes, 
NUdlich  von  dem  Stromgebiete  des  Zambesi,  von  dessen  Nebenflusse  Tschobe  es 
nur  durch  eine  massige  Bodenschwelle  getrennt  ist.  Es  ist  das  Depressionsgebiet 
des  Ngamisee's  und  des  Salzpfannenbeckens.  Das  ganze  fast  ringsum  von  sehr 
bedeutenden  Hochgebirgen  umschlossene  Depressionsgebiet  nimmt  einen  Flächen- 
raum von  ca  46000  Quadratkilom.  ein.  Der  tiefste  Punkt  an  der  Soasalzpfanne 
liegt  in  ca.  740  Meter  Höhe.  Das  allerdings  noch  von  einigen  Bodenanschwellun- 
;:en  durchquerte  Gebiet  dieser  Depression  bildet  im  Ganzen  eine  flache  Mulde 
mit  alhnählich  ansteigendem  Rande.  Grosse  Strecken  in  derselben  haben  durch- 
aus den  Charakter  der  Wüsten  oder  salziger  Steppen,  so  die  Wüste  Kalahari. 
Weit  verbreitet  erscheint  hier  ein  röthlicher  mit  Sand  vermischter  Thon  an  der 
Oberfläche,  der  in  der  trockenen  Jahreszeit  hart  gebranntem  Lehme  gleicht  und  da- 
her von  den  Hottentotten  Karroo  d.  i.  hart  genannt  wurde.^)  Dieser  sandige 
Thon  verbreitet  sich  ebenfalls  weit  über  die  Grenzen  der  Depression  selbst,  z,  B. 
nach  Süden  über  die  grosse  Karroofläche,  die  von  ihm  ihren  Namen  hat.  Dieses 
Hochland  umfasst  ca  80,000  Quadratkilom.  und  ist  in  seinem  mittleren  Theile 
auf  Tausende  von  Quadratkilometern  eine  fast  vollkommene  Ebene,  die  von  diesem 
Thone  gebildet  wird.  Hier  liegt  es  ausserordentlich  nahe,  diesen  für  eine  löss- 
ähnliche und  ebenfalls  subaerische  Bildung  zu  halten. 


^)  L  Chavanne,  Afrika  pag.  106. 


l82  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Ganz  zu  peripherischen  Gebieten  umgestaltet  sind  die  Hochgebirge  der  Ostktistc 
Afrika's,  in  denen  die  gewaltigen  Seebecken  des  Tanganiika  und  des  Nyassa  sich  ein- 
senken.  Das  Hochland  zwischen  diesen  beiden  See*n  stellt  eine  jetzt  von  zahlreichen 
Wasserläufen  durchfurchte  Ebene  dar.    Nyassa  und  Tanganiika  haben  beide«  wie  wir 
jetzt  wissen,  ihre  Abflüsse;  der  erstere  fliesst  durch  den  Schire  nach  Osten  in  die 
Meeresenge  von  Mozambique,  der  andere  durch  den  Lukuja  dem  gewaltigen  Strom- 
gebiete des  Congo  zu.    Noch  ohne  Abfluss  liegen  in  der  Nähe  der  beiden  grossen 
Seebecken  die  kleineren  Becken  des  Schirwa  und  des  Hikwa.     Darin  zeigt  sich 
einigermaassen,  dass  die  peripherische  abfliessende  Gestaltung  der  grossen   See- 
depressionen noch  keine  geologisch  sehr  alte  sein  kann.     Auch  die  hohen  nach 
W.  von  den  grossen  See'n  gelegenen  Terrassen  sind  noch  nicht  lange  in  peripherische 
Glieder  des  Continentes  verwandelt.     Das  lehrt  der  Oberlauf  des  Congo»    der  in 
43  Wasserfällen  vom  Westrande  des  Gebirges  niedersteigt.    Ebenso  unvermittelt 
vollzieht  sich  auf  der  Ostseite  der  Abstieg  des  Zambesi  vom  Hochplateau    über 
die  Victoriafälle  in  das  Küstentiefland  hinunter. 

Spricht  sich  sonach  in  der  verticalen  Gliederung  der  Continente  die  &• 
scheinung  deutlich  aus,  dass  ihnen  allen  gewissermaassen  als  Kern  ihrer  Gestaltung 
eine  einfache  oder  auch  combinirte  Beckenform  zu  Grunde  liegt,  so  lässt  sich 
dann  ferner  nicht  verkennen,  dass  die  Höhe  der  Beckenränder  in  einer  Beziehung 
steht  zu  der  Grösse  des  anliegenden  Oceans.  Die  höchsten  continentalen  Ge- 
birge liegen  jedesmal  an  der  Seite  des  grössten  Oceans. 

In  Amerika  ist  das  am  auffallendsten,  wo  an  der  westlichen,  pacifischen 
Seite  des  Continentes  hoch  von  Norden  bis  zum  Süden  die  mächtigen  Gebirgs- 
ketten der  Rocky  Mountains  und  der  Cordilleren  eine  fast  ununterbrochene  Reihe 
bilden,  während  an  der  östlichen,  atlantischen  Seite  in  Nord-Amerika  nur  die 
weit  weniger  hohen  Ketten  der  Appalachischen  Gebirge,  in  Süd-Amerika  der 
brasilianischen  Gebirge  verlaufen. 

Afrika,  das  zu  den  Meeren  in  entgegengesetzter  Lage  sich  findet,  prägt 
auch  ebenso  scharf  das  umgekehrte  Verhältniss  aus. 

Die  Hochgebirge  des  südöstlichen  Küstenrandes,  der  dem  grossen  indischen 
Oceane  zugewendet  ist,  steigen  in  gewaltiger  Terrassirung  vom  abessinischen  Hoch- 
lande an  bis  zu  den  Drackenbeigen  zu  Höhen  empor,  die  häufig  über  4500  Meter 
betragen;  die  durchschnittliche  Kammhöhe  dieser  Gebirge  übersteigt  auf  grosse 
Strecken  hin  3500  Meter.  Am  Westrande  des  Continentes  hingegen,  dem  atlanti- 
schen Meere  zugekehrt  liegt  im  Norden  das  Atlasgebiige,  dessen  durchschnittliche 
Kammhöhe  nicht  über  2000  Meter  beträgt,  wenn  auch  die  einzelnen  aufgesetzten 
Gipfel  darüber  hinausgehen  und  erst  bei  ca.  3900  Meter  culminiren.  Nicht 
über  1500  Meter  ist  die  Kammhöhe  der  Gebirge  an  der  südlichen  West-Küste 
von  Afrika. 

Auch  in  Australien  liegen  die  höchsten  Beigzüge  am  Rande  des  grössten 
Oceans,  an  der  Ostküste:  die  australischen  Alpen  und  die  blauen  Berge  in  Neu- 
Sild-Wales, 

In  Asien  liegen  nach  Süd -Osten  und  schauen  somit  wieder  nach  dem 
grössten  Ocean  hin  die  gewaltigen  Bergzüge  des  Himalaya  und  Kwen-lün,  deren 
Verlauf  und  7Aisammenhang  im  Vorhergehenden  schon  näher  erörtert  wurde. 
Ni»rdwcslwÄrts  von  der  grossen  centralasiatischen  Depression  nehmen  die  Gebirgs- 
ketten allmühHih  an  Höhe  ab;  im  Altai,  welcher  der  aralo-kaspischen  und  nord- 
sibirischen  Nicilcrung  zugewendet  steht,  erreichen  sie  fast  nur  noch  die  Hälfte 
der  Höhe  jener  südlichen  C^ebirge. 


Die  Contincnte.  183 

Als  östliches  Randgebirge  Europa's  gegen  das  erst  in  jüngster  geologischer 
Vergangenheit  trocken  gewordene  aralo-kaspische  Meer  hin  kann  der  Ural  gelten. 
Nach  Westen,  dem  schmalen  atlantischen  Meere  zugewendet,  liegen  die  Gebirgszüge 
der  skandinavischen  Halbinsel,  der  grossbritanischen  Inseln  und  der  iberischen 
Halbinsel.  Freilich  erscheinen  auf  den  ersten  Blick  die  südeuropäischen  Gebirge  vom 
Kaukasus  beginnend  über  den  Balkan  und  die  Alpensysteme  bis  zu  den  Pyrenäen 
hin  sich  nicht  diesem  Gesetze  zu  fügen.  Betrachtet  man  aber  den  Verlauf  der 
Gebirge  in  den  drei  alten  Continenten  als  einem  einzigen  Ganzen,  so  tritt  dann 
doch  das  Verhältniss  wieder  bestimmt  hervor:  nach  Süden  und  Süd-Osten  liegen 
die  gewaltigeren,  die  centralen  Depressionen  der  Continente  säumenden  Ränder, 
einer  an  den  anderen  mit  allmählich  übergehenden  Richtimgen  sich  anfügend, 
alle  nach  der  Seite  des  grössten  der  oceanischen  Becken;  nach  N.  und  N.-W. 
liegen  die  weniger  gehobenen  Ränder,  die  Grenzen  gegen  den  atlantischen  Ocean 
und  die  arktischen  Meere  bildend,  dazu  noch  sich  erniedrigend  nach  N.  zu, 
wohin  auch  die  Breite  des  atlantischen  Kanales  sich  verringert. 

Endlich  tritt  in  dem  Verlaufe  gerade  einiger  der  grössten  und  über  weite 
Strecken  hin  mit  festhaltendem  Streichen  sich  fortsetzender  Gebirgsketten  auch 
noch  das  Vorwalten  nordwestlicher  oder  nordöstlicher  Richtungen,  also  ein 
von  der  meridianalen  nur  wenig  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  hin  ab- 
weichende Stellung  der  Gebirgsachsen  hervor.  Es  spiegelt  sich  das  in  dem  Ver- 
laufe der  continentalen  Umrisse  wieder,  auf  den  wir  schon  früher  verwiesen  haben. 
Die  Convergenz  des  atlantischen  und  pacifischen  Oceans  nach  N.,  ihre  Divergenz 
nach  S.,  ist  durch  den  Verlauf  der  grossen  continentalen  Gebirgszüge  vorgezeichnet. 
Auch  die  im  grossen  Ocean  gelegenen  Inselgruppen,  in  denen  wir  mit  Dana  die 
einzelnen  aufragenden  Gipfel  untergetauchter  continentaler  Gebirgsketten  zu  sehen 
vermögen,  zeigen  in  ihrer  Anordnung  vorzüglich  die  eine  oder  andere  der  beiden 
genannten  Richtungen. 

Alle  diese  Beziehungen  der  verticalen  Gliederung  der  continentalen  Hoch- 
landsmassen zu  ihren  horizontalen  Conturen  und  zu  den  tiefen,  sie  umgebenden 
Becken  der  Oceane  gewinnen  aber  dadurch  vor  allem  den  Charakter  durch- 
greifender Gesetzmässigkeiten,  dass  sie  nicht  nur  vorübergehend  für  die  heutige 
Phase  der  Erdoberflächengestaltung  Gültigkeit  haben,  sondern  dass  sie  auch  von 
den  grossen  Veränderungen  in  der  Oberflächengestaltung  der  continentalen 
Massen,  die  wir  seit  früheren  geologischen  Zeiten,  z.  B.  seit  der  Tertiärepoche, 
verfolgen  können,  keineswegs  alterirt  worden  sind. 

Eine  innere  Regel  beherrschte  in  ganz  gleicher  Weise  auch  die  ältesten  Con- 
tinente. Es  war  sowohl  nach  Relief  als  auch  nach  dem  Contur,  von  der  ursprüng- 
lichen, allen  gemeinsamen  Beckenform  ausgehend,  der  uralte  Gegensatz  zwischen 
den  inneren  centralen  und  den  äusseren  peripherischen  Theilen,  der  alle  Ver- 
änderungen der  continentalen  Gestaltung  beherrschte.  So  vollzogen  sich  die  Ver- 
änderungen entweder  im  centralen  Becken,  oder  sie  gestalteten  den  das  Becken 
umschliessenden  Rand  um,  oder  endlich  sie  betrafen  die  aus  dem  Becken  selbst 
heraus  sich  entwickelnden  peripherischen  Glieder.  Aber  die  alten  Grenzen  dieser 
drei  Glieder  gegeneinander  wurden  hierdurch  im  Grossen  und  Ganzen  nicht  um- 
gelegt, wenn  dieselben  auch  im  Einzelnen  vielfach  verwischt  und  undeutlich 
wurden. 

Träger  der  ältesten  continentalen  Mulden  sind  überall  die  altkrystallinischcn 
Gesteine;  dort  wo  sie  nicht  von  jüngeren  Sedimenten  bedeckt  wurden,  Hegt  ur- 
alter continentaler  Boden  zu  Tage.    Die  ganze  Folge  jüngerer  Sedimente  kann 


184  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

nur  als  Folge  der  Zerstörung  und  Fortführung  solcher  alter  continentaler  Gebiete 
gelten   und   besitzt   zu  diesen   Centren  demnach  nur  peripherische  Bedeutung. 
An  den  weiteren  Veränderungen  der  Continentalmassen  haben  dann  aber,  sowohl 
in  horizontaler,  wie  in  verticaler  Richtung  ganz  vorzüglich  diese  äusseren  Gebiete 
Antheil   genommen.     Der   alte   centrale  Theil    ist  davon   nur   weniger   berührt 
worden.    Im  Inneren  der  alten  continentalen  Schollen  liegen  daher  vielfach  auch 
die  Schichten   in   fast  nicht  oder  nur  wenig  gefalteter  I^gerung,  wofür  schon 
vorher    einige   Beispiele    angeführt    wurden.     Je   weniger   aber   der   alte    Kern 
eines  Continentes  in  sich  selbst  der  nach  dem  Inneren  seiner  Masse  gerichteten 
Druckkraft  nachgab    oder   davon  betroffen  wurde,   um   so   mehr   mussten  die 
äusseren  Ränder  sich  aufstauen  und  zu  steil  gestellten  hoch  aufgerichteten  Falten- 
systemen sich  zusammenschieben.    Auch  deshalb  sind  es  dann  die  peripherischen 
Glieder,  die  bei  dieser  Aufstauung  der  continentalen  Ränder  vornehmlich  mit  in 
Bewegung  gezogen  wurden.     Aber   sie  zeigen  in  ihrem  Verlaufe  und  in    ihrer 
Stellung,  sowie  in  dem  Baue  ihrer  Falten  immer  die  Abhängigkeit  von  den  alten 
Randgebirgen  der  ursprünglichen  continentalen  Mulden.     Mit  anderen  Worten, 
alle  jüngeren  Gebirgsaufwölbungen  haben  die  alten  Anschwellungen  ohne  Aen- 
derung  ihrer  Richtungslinien  erhöht  oder  ihnen  parallele  Gebirgszüge  und  Falten- 
systeme zugesellt;  nur  an  der  hemmenden  Kraft  jener  wurde  auch  die  Richtung 
dieser  abgelenkt  oder  gestört 

So  liegen  dem  alten  Gerüste  des  Kwen-lün  die  jüngeren  gewaltigen  Falten 
des  Himalaya  vor,  so  laufen  parallel  zu  den  Appalachischen  Gebirgen  die  Ketten- 
gebirge der  östlichen  Staaten  und  an  der  pacifischen  Seite  ist  die  ganze  Richtung 
aller  Gebirgszüge  bedingt  durch  die  Rocky  Mountains.  Und  die  äusseren  Schichten- 
ablagerungen zeigen  dabei  in  einem  grösseren  Maassstabe  sich  gehoben,  gefaltet 
und  dislocirt  als  die  inneren. 

Die  Veränderungen  in  den  Continenten  zeigen  ebenfalls  gewisse  Regel- 
mässigkeiten: die  östlichen  und  südlichen  Seiten  derselben  sinken  ein  und  lösen 
sich  auf,  die  westlichen  und  nördlichen  heben  sich  aus  und  fügen  sich  zu  V^cr- 
grösserungen  aneinander.  Die  Ostküste  Asiens  zeigt  die  Zertrümmerung  und  die 
Auflösung  in  Inseln  und  ganz  besonders  auch  die  Südseite.,  ebenso  ist  die  Ost- 
küste Amerika's  von  Inseln  begleitet,  während  das  nördliche  Europa  und  Asien 
um  das  ganze  sibirische  Flachland  gewachsen  erscheinen.  Im  Ganzen  und  Grossen 
mag  sich  seit  den  tertiären  Zeiten  Wachsthum  und  Verlust  an  continentalem  Fest- 
lande das  Gleichgewicht  gehalten  haben.  Auf  diese  und  andere  Verhältnisse 
wird  in  dem  Artikel  »Säkulare  Schwankungen  der  Erdrinde c  noch  zurückzu- 
kommen sein. 

Die  vorhergehenden  Betrachtungen  lassen  sich  in  folgende  kurze  Sätze 
resumiren: 

1.  Die  nördl.  und  südl.  Continentalmassen  sind  durch  eine  Depressionszone 
getrennt,  deren  dynamische  Bedeutung  auch  durch  die  ihr  folgenden  vulk.  Er- 
scheinungen charakterisirt  ist 

2.  Die  centralen  Theile  der  Continente  sind  im  Allgemeinen  schon  in  den 
frühesten  geol.  Zeiten  vorgebildet  gewesen. 

3.  Die  Continente  stellen  in  diesen  centralen,  ältesten  Theilen  Mulden  mit 
gehobenen  Rändern  dar,  die  z.  Th.  noch  jetzt  abflusslose  Becken  sind. 

4.  Der  höchste  Rand  derselben  liegt  dem  breitesten  Ocean  zugewendet 

5.  Ausserhalb  der  alten  centralen  Mulden  liegen  die  dem  grössten  Wechsel 
unterworfenen  peripherischen  Theile.    Den  eigentlich  centralen  Theilen  wohnt 


Crustaceen.  185 

im  Gegensatze  zu  jenen  eine  gewisse  Constanz  inne.  Die  Veränderungen  der 
äusseren  Glieder  erfolgen  im  Grossen  und  Ganzen  parallel  den  alten  Mulden- 
rändem  und  sind  jedenfalls  in  ihrem  Verlaufe  durch  diese  bedingt. 

6.  Die  Veränderungen  der  continentalen  Conturen  werden  entweder  durch  all- 
gemeine, alle  Condnente  gleichmässig  betreffende  und  abwechselnde  Vorgänge 
bewirkt:  säculare  Erhebung  und  Senkung;  oder  sind  die  Folge  localer  zerstörender 
oder  neubildender  Wirkungen. 

Die  Entstehung  der  Continente  in  ihrer  heutigen  verticalen  Gliederung  und 
geologischen  Gestaltung  hängt  mit  der  Frage  nach  der  Erhebung  der  Gebirge 
enge  zusammen  und  in  dem  Artikel  über  diese  werden  manche  darauf  bezüg- 
liche Punkte  noch  eines  Näheren  erörtert  werden. 

Literatur:  Dana,  Manuel  of  Geology  II.  ed.,  New-York  and  Chicago.  Naumann,  C.  F., 
Lehrbuch  der  Geognosie.  I.  Bd.  II.  Aufl.  Leipzig  1858.  PESCHEL,  O.  u.  Leipoldt,  G.,  Physische 
Erdkunde.  Bd.  I.  Leipzig  1879.  Rkclus,  15use,  La  terre,  Tome  II.  Paris  1869.  Streffleur, 
Die  Entstehung  der  Continente  und  Gebirge.  Wien  1847.  Studer,  B.,  Lehrbuch  der  phy- 
sicaL  Geogr.  und  Geologie.  Bd.  11.  Bern,  Chur,  Leipzig  1847. 


Crustaceen 

von 

Dr.  Friedrich  Rolle. 

Die  Crustaceen  oder  Krustenthiere,  Crustacea,  auch  Krebse  und  krebs- 
artige Thiere  genannt,  stellen  eine  zahlreiche  und  höchst  vielgestaltige  Klasse  der 
Gliedfüsser,  Arthropoda^  dar,  welche  einerseits  an  die  Gliedwürmer  anknüpft, 
andererseits  in  den  Arachniden,  Myriapoden  und  Insekten  ihre  Fortsetzung 
findet.  Sie  sind  um  so  schwieriger  zusammen  zu  charäkterisiren,  als  bei  ihnen 
^ele  mit  dem  Alter  seltsam  verkümmernde  und  die  Klassencharaktere  einbüssende 
Formen  auftreten,  deren  genauere  systematische  Stellung  erst  die  vergleichende 
Entwickelungsgeschichte  ergiebt. 

Im  Allgemeinen  kann  man  die  Crustaceen  als  kiemenathmende  Glied- 
füsser, Arihropoda  bratuhiata,  bezeichnen.  Sie  athmen  Wasser  durch  Kiemen 
und  sind  meist  Meeresbewohner.  Auch  im  Süsswasser  sind  sie  noch  reichlich 
vertreten.  Wenige  bewohnen  das  trockene  Land,  wie  die  Kellerasseln,  Omscidae, 
die  an  feuchten  Stellen  leben  und  deren  Kiemen  in  eigenthümlicher  Weise 
bereits  zur  Luftathmung  vorgerichtet  sind  und  die  Landkrabben  oder  Turluru's, 
^ie  zeitweise  auf  dem  Festlande,  als  Larven,  immer  im  Meere  leben. 

Alle  Crustaceen  mit  Ausnahme  des  ausgebildeten  Thieres  der  einer  rück- 
^reitenden  Metamorphose  verfallenden  Formen  sind  mit  echten  gegliederten 
Beinen  versehen,  aber  die  Anzahl  derselben  schwankt  sehr  nach  den  besonderen 
Ordnungen.  11 — 60  Fusspaare  haben  die  Kiemenfusser  oder  Phyllopoden,  7  Paar 
die  Asseln,  5  Paar  die  eigentlichen  Krebse  oder  Decapoden. 

Dazu  kommen  zwei,  seltener  ein-  Paar  gegliederte  Fühler  (antennae)  am 
vorderen  Kopfrand  und  zwischen  diesen  und  den  Beinen  eine  Anzahl  sehr  viel- 
gtttaltiger  bald  zum  Kauen,  bald  zugleich  auch  zum  Betasten  dienender  Mund- 
organe (Kaufüsse,  Kiefern  und  Taster),  beim  gemeinen  Flusskrebs  6  Paare. 

Die  Crustaceen  gehören  zu  den  ältesten  Thierklassen,  sie  sind  im  unteren  Silur- 
system schon  durch  zahlreiche  Phyllopoden,  die  Eurypteriden  und  Pterygoten, 
einige  Ostracoden  und  Cirrhipedier  vertreten.  Ihre  älteren  Vorfahren  sind  un- 
^Hjkannt.     Es  kann  aber  kaum  ein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  die  ältesten 


l86  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Crustaceen  sich  von  Räderthierchen  (Rotatorien)  oder  diesen  zunächst  stehen- 
den Glied  Würmern  (etwa  den  Anneliden  verwandten  Formen)  abzweigten. 
Namentlich  ist  die  Larve  der  niederen  Crustaceen  formen  oder  der  Entomostraken, 
der  Nauplius,  den  Rotatorien  sehr  ähnlich  gebaut  und  £.  Häckel  nimmt  darnach 
an,  dass  von  einem  vor  der  Silur-Epoche  schon  lebenden  .A^ii/Z/W-artigen  ge- 
gliederten Wurm  die  verschiedenen  Ordnungen  der  Entomostraken  abstammen  und 
von  dieser  Grundform  ausgehend  nach  verschiedenen  Richtungen  sich  entwickel- 
ten, wie  auch,  dass  sie  ihrerseits  die  Stammväter  der  höheren  Krebse,  der 
Arachniden,  Myriapoden  und  Insekten  darstellen. 

Die  meisten  Crustaceen  sind  mit  einer  harten  krustenartigen  (chitinösen) 
Körperbedeckung  ausgestattet,  die  ihrer  ersten  Anlage  nach  aus  Chitin  besteht, 
aber  auch  mehr  oder  minder  grosse  Beträge  von  Kalk  enthält  Sie  ist  ein 
wahrer  Ausssenpanzer  und  wird  von  der  Epidermis  als  äussere  Schicht  (cuticuhj 
ausgeschieden,  wie  sich  besonders  bei  der  periodischen  Häutung  unseres  Fluss- 
krebses erkennen  lässt.  Diese  feste  Kruste  ist  zu  fossiler  Erhaltung  trefflich 
geeignet.  In  Folge  dessen  sind  die  Crustaceen  von  der  Silur-Epoche  an  reich- 
lich im  Schatz  des  geologischen  Archivs  vertreten  und  von  manchen  wie  von  der 
silurischen  Sao  hirsuta  Barr.,  kennt  man  selbst  ganze  Reihenfolgen  individueller 
Entwickelungszustände.  Bereits  aus  der  silurischen  Formation  kennt  man  allein 
schon  über  2000  Arten  von  Crustaceen,  wovon  drei  Viertel  auf  die  Trilobitcn 
kommen,  die  übrigen  sind  andere  Phyllopoden,  Ostrakoden,  Cirrhipedier,  sowie 
Pterygoten  und  Eurypteriden.  Die  höheren  Krebsformen,  namentlich  die  Panzer- 
krebse, folgen  erst  allmählich  in  den  successiven  jüngeren  Formationen,  nament- 
lich die  Krabben  erst  im  oberen  Jura  und  in  der  Kreide. 

Die  Ordnungen  der  Crustaceen  sind  sehr  mannigfaltig  gebaut.  Sie  ändeni 
in  der  Zahl  der  Körper-Segmente  ab,  ebenso  in  dem  Grade  der  Abscheidung 
von  Kopf,  Brust  und  Hinterleib,  in  der  Beschaffenheit  der  Mundorgane  und  der 
Beine  u.  s.  w.  Manche  sind  ausschliessliche  und  zwar  meistens  schwimmende 
Wasserthiere,  andere  sind  Landbewohner,  noch  andere  führen  eine  parasitische 
Lebensweise  und  diese  letzteren  erleiden  durch  rückschreitende  Metamorphose  die 
mannigfachsten  Umbildungen,  wobei  sie  eine  Reihe  von  Organen  einbüssen  und 
zum  Theil  die  äussere  Gestalt  von  Eingeweide- Würmern  annehmen.  Auch  manche 
nicht  parasitische,  aber  in  einer  gewissen  Altersstufe  sich  festsetzende  Crustaceen. 
wie  die  Lepaden  und  Balanen,  erleiden  mit  dem  Heranwachsen  eine  tief  ein- 
greifende Umgestaltung. 

E.  Haeckel  theilt  die  Crustaceen  in  zwei  Hauptordnungen:  Entomostraken 
und  Malakostraken. 

Die  Entomostraken  oder  niederen  Crustaceen,  Gliederkrebse. 
Entomostraca,  zeigen  die  grösste  Mannigfaltigkeit  der  Gestaltung,  namentlich 
aber  noch  sehr  schwankende  Zahlenverhältnisse  der  Körpersegmente  und  der 
Beinpaare,  oft  selbst  bei  nahe  verwandten  Gattungen.  Der  Kopf  ist  gewöhnlich 
von  der  Brust  getrennt,  mit  Fühlern  und  sitzenden  Augen  versehen.  Brust  und 
Hinterleib  mehr  oder  weniger  deutlich  geringelt.  Die  äussere  Gestalt  ändert 
dabei  auf  das  mannigfachste  ab.  Manche  sind  mit  einer  zweiklappigen  Schale 
versehen,  die  denen  der  Muscheln  sehr  ähnlich  ist.  Allen  Entomostraken  liegt 
die  JVäup/hdS'haLTve  zu  Grund,  deren  Gestalt  sich  bei  den  meisten  noch  heute  in 
einem  der  dem  Ausschlüpfen  aus  dem  Ei  zunächst  folgenden  Entwickelungszu- 
stände wiederholt.  Es  ist  dies  eine  sehr  einfach  gebaute  gegliederte  Thierform. 
die  sich  zunächst  an  die  Rotatorien  anschliesst.    Es  deutet  dies  darauf  hin,  dass 


Crustaceen.  187 

überhaupt  die  Entomostraken  in  einer  sehr  weit  entlegenen  geologischen  Epoche 
von  gegliederten  Würmern  von  beiläufig  der  Gestalt  der  NaupliasAjdx^t,  und  der 
Rotatorien  ihren  Ursprung  genommen  haben.  Doch  werden  die  geologischen 
Funde  kaum  jemals  den  Weg  näher  bezeichnen,  den  die  ihnen  weit  vorauseilende 
Hypothese  in  voraus  ahnen  lässt. 

Zu  den  Entomostraken  gehören  namentlich  die  Ordnungen  der  Ostrakoden, 
der  Cirrhipedier,  der  Phyllopoden  und  der  Pöcilopoden,  sowie  eine  Anzahl  von 
Schmarotzerkrebsen. 

Die  Ostrakoden  oder  Muschelkrebse,  Ostracoda  (Lophyropoda),  sind 
kleine  wasserbewohnende  Entomostraken,  deren  Kopf  mit  der  Brust  verwachsen 
ist  und  2  Paar  gegliederte  in  Borsten  ausgehende  Fühler  trägt,  welche  als  Ruder- 
Organe  verwendet  werden.  Die  2  oder  3  Paar  Beine  endigen  theils  in  einfachen 
Krallen,  theils  in  Borsten.  Kopf  und  Rumpf  sind  von  einer  zweiklappigen 
muschelähnlichen  Schale  umschlossen,  welche  nur  mittelst  einer  kleinen  Stelle 
am  Rücken  des  Thieres  befestigt  ist.  Sie  zeigt  weder  das  Schloss  noch  das 
Schlossband  der  Acephalen-Schale,  dafür  aber  oft  in  der  Vorderhälfte  eine  Er- 
höhung, die  der  Lage  des  Auges  entspricht.  Aus  dieser  Muschelschale  ragen 
nur  die  gegliederten  borstigen  Fühler  und  2  oder  3  Paar  Beine  hervor. 

Die  Ostrakoden  bewohnen  namentlich  das  süsse  Wasser,  Moräste,  Pfützen 
und  selbst  Quellen,  wo  sie  oft  in  ungeheuren  Mengen  beisammen  leben.  Andere 
Ostrakoden  leben  im  Meer  oder  in  brackischen  Strandlagunen. 

Die  Ostrakoden  finden  sich  in  limnischen  und  meerischen  Schlammabsätzen 
fast  aller  geologischen  Epochen  fossil  erhalten,  auch  hier  oft  in  ungeheuren 
Mengen  vergesellschaftet.  Bisweilen  überdecken  sie  alle  Schichtungsflächen  aus^ 
gedehnter,  thoniger  oder  kalkiger  Schiefergesteine.  Sie  erscheinen  sowohl  in 
Meeres-  als  in  Süsswasser-Ablagerungen  und  zwar  schon  im  silurischen  und  de- 
?onischen  System,  hier  aber  wohl  nur  in  meerischen  Schichten.  Aus  der  Primor- 
dialzone  kennt  man  sie  noch  nicht,  wohl  aber  aus  der  zweiten  Silur-Fauna  schon 
in  mehreren  Gattungen  und  im  paläozoischen  System  überhaupt  in  ungewöhnlich 
grossen  Arten. 

Häufig  im  obersilurischen  Kalk  von  Gothland  ist  Leperditia  oder  Cytherina 
bdtka  His.  eine  ungewöhnlich  grosse  glatte  Art.  Sie  erreicht  eine  Grösse  von 
nahe  20  Millim.  Die  Schale  ist  länglich,  bohnenförmig,  fast  symmetrisch,  mit 
geradem  Schlossrand  imd  glatt. 

Hierher  gehört  auch  die  Gattung  Beyrichia,  deren  bohnenformige,  fast  halb- 
kreisrunde  Schalen  auffallende  gekömelte  Erhabenheiten  (bis  6)  zeigen.  Beyrichia- 
Arten  sind  im  obersilurischen  Gebiet  reichlich  vertreten  und  reichen  bis  dicht 
an  die  Unterregion  des  devonischen  Systems. 

Im  devonischen  System  sind  in  gewissen  thonigen  oder  mergeligen  Schichten 
die  Ostrakoden  wieder  in  zahllosen  Mengen  vertreten.  Cypridina  serrato-striata^ 
eine  Entomis-Artt  wimmelt  auf  den  Schichtungsflächen  der  oberen  devonischen 
Schiefer  z.  B.  zu  Weilburg  und  Dillenburg  in  Nassau.  Es  sind  sehr  kleine  bohnen- 
förmige  Schalen,  deren  Oberfläche  punktirte  Längsstreifen  zeigt.  Ein  jederseits 
vor  der  Mitte  der  Schale  stehendes  Höckerchen  deutet  die  Lage  der  zwei 
Augen  an. 

SQsswasser-Ostrakoden  erscheinen  zahlreich  in  schiefrigen  Thonen  der  Stein- 
kohlenformation und  des  Rothliegenden.  Ebenso  in  den  Süsswasserschichten 
des  Wealden  von  England  und  Nord-Deutschland.  Gross  ist  die  Mannigfaltigkeit 
der  meerischen,  brackischen  und  limnischen  Ostrakoden  in  verschiedenen  Etagen 


l88  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

des  Tertiär-Systems.     Manche  Süsswasser-Kalksteine  verdanken  ihre  Entstehung 
hauptsächlich  der  massenhaften  Anhäufung  winziger  Ostrakoden-Schalen. 

Die  Cirrhipedier  oder  Ranken füsser,  Cirrhipedia^  schliessen  sich  den 
Ostrakoden  unmittelbar  an,  nicht  in  der  Gestalt  des  erwachsenen  Thieres,  wohl 
aber  nach  dem  Bau  der  I^arve,  wie  sie  nach  dem  Ausschlüpfen  aus  dem  Ei  sich 
darstellt.  Das  junge  Thier  ist  noch  ganz  ein  unverkennbarer  Entomostrake, 
ähnlich  den  Larven  von  Cyclops,  Daphnia  u.  s.  w.  Es  hat  einen  deutlichen  Kopf 
mit  einem  einfachen  Auge  und  zwei  Fühlerpaaren.  Dahinter  stehen  zwei  Paar 
gespaltene  in  Borsten  auslaufende  Füsse  oder  Schwimmftisse.  Es  schwimmt  eine 
Zeitlang  frei  umher.  Aber  bald  giebt  diese  Cirrhipedier-Larve  ihre  frei  umher- 
schweifende Lebensweise  auf,  setzt  sich,  mit  der  Rückenseite  des  Kopfes  nach 
unten  gewendet,  auf  einen  fremden  Gegenstand  z.  B.  ein  Conchyl  fest  und  er- 
leidet nun  eine  seltsame  rückschreitende  Metamorphose.  Der  Kopf  wird  mit  dem 
Alter  undeutlich  und  erscheint  mit  der  Brust  verwachsen.  Augen  und  Fühler 
sind  bald  geschwunden.  Der  Rumpf  zeigt  nun  das  äussere  Ansehen  eines  Mol- 
lusk's.  Aber  an  der  Bauchseite  zeigen  sich  sechs  Fusspaare  von  eigenthümlicher 
Gestalt.  Es  sind  fleischige  Stiele,  die  je  in  zwei  vielgegliederte  chitinöse  Ranken 
(Cirrhi)  auslaufen,  wie  sie  bei  Mollusken  nie  vorkommen.  Während  Kopf  und 
Hinterleib  verkümmern  und  der  Brusttheil  des  Körpers  molluskenähnlich  wird, 
scheidet  er  ein  festes  kalkiges  Aussenskelett  ab,  welches  weit  von  der  zwei- 
klappigen  Schale  der  Ostrakoden,  aber  auch  von  der  der  Mollusken  abweicht. 

Die  Cirrhipedier  stammen  offenbar  von  älteren  Verwandten  der  Ostrakoden 
ab.  Sie  beginnen  zusammen  mit  denselben  fossil  in  der  zweiten  Silurfauna. 
Barrande  macht  aus  dieser  schon  mehrere  Gattungen  namhaft. 

Die  heute  lebenden  Cirrhipedier  sind  alle  Meeresbewohner  und  zerfallen  in 
zwei  Familien:  Lepadidae  und  BaJanidtu, 

Die  Lepadiden  besitzen  im  erwachsenen  Zustande  einen  fleischigen  zu- 
sammenziehbaren hohlen  Stiel,  mittelst  dessen  das  Thier  sich  an  schwimmendem 
Holz  und  dergl.  befestigt  erhält.  Darüber  folgt  der  eigentliche  Thierkörper,  der 
von  keilförmiger  Gestalt  ist  und  ein  knorpliges  oder  kalkiges  Aussenskelett  ab- 
geschieden hat.  Gewöhnlich  besteht  dasselbe  aus  zwei  Paar  seitlichen  Stücken 
und  einem  unpaarigen  den  Rücken  des  Thiers  deckenden,  zusammen  5  Stücken, 
wie  namentlich  bei  der  Gattung  Lepas,  Diese  Kalkschalen  der  Lepadiden  eignen 
sich  vortrefflich  zur  fossilen  Erhaltung  und  sind  schon  aus  den  älteren  geolo- 
gischen Formationen  bekannt,  namentlich  schon  im  Silur-System  von  Böhmen 
(Plumulites  Barr.)  und  im  Jura.  Sie  sind  besonders  in  der  Neocomien-  und 
Kreideformation  durch  zahlreiche  Arten  der  Gattung  Poüicipes  vertreten.  Fiir 
diese  sind  5  Schalenstücke  und  noch  einige  kleinere  bezeichnend. 

Die  Balaniden  oder  Seetulpen,  Balanidae,  sind  breit  aufsitzende  Cirrhi- 
pedier. Das  Thier  setzt  sich  gleich  den  Lepadiden  an  festen  Gegenständen  an, 
aber  nicht  mittelst  eines  fleischigen  Stiels,  sondern  mit  breiter  Basis,  die  eine 
eigene  kalkige  Bodenplatte  abscheidet.  Darüber  bildet  es  ein  abgestutzt  kegel- 
förmiges oder  auch  etwas  walzig  gestrecktes  aus  sechs  Schalenstücken  zusammen- 
gesetztes Gehäuse,  dessen  Scheitel  offen  steht,  aber  mittelst  zwei  oder  vier  Deckcl- 
stücken  geschlossen  werden  kann.  Hierher  gehört  namentlich  die  artenreiche 
Gattung  Baianus,  Ihre  Gehäuse  überziehen  zahlreich  den  felsigen  Rand  des 
Meeres  in  der  Ebbe-Linie  und  steigen  wohl  auch  noch  etwas  höher  an,  da  das 
Thier  unter  Verschliessung  des  Gehäuses  ein  paar  Stunden  lang  die  nächste 
Fluth  abwarten  kann.     So  finden  sich  die  Balanen  auch  in  Litoralablageningen 


Crustaccen.  189 

des  Meeres  der  tertiären  Epochen  noch  häufig  fossil,  an  Felsen,  Gerollen  oder 
Conchylien  festsitzend. 

Baianus  iintinnabulum  L.  eine  grosse  5 — 6  Centim.  lange  im  atlantischen 
Meer  noch  lebende  Art  ist  häufig  in  miocänen  Schichten  des  Wiener  Beckens, 
ebenso  in  den  oberen  Glacialablagerungen  von  Scandinavien,  namentlich  im 
sogen,  gehobenen  Strand  von  Uddevalla  im  südlichen  Schweden. 

Die  Balaniden  überhaupt  beginnen  in  der  geologischen  Folge  erst  viel  später 
als  die  Lepadiden.  Sie  sind  nur  in  tertiären  Ablagerungen  fossil  vertreten,  in 
oligocänen  Meeresschichten  noch  spärlich,  zahlreicher  in  miocänen. 

Eine  ganz  abweichende  Lebensform  aus  älterer  geologischer  Zeit  sind  die 
ßostrichopoden,  die  man  in  Ermanglung  besserer  Kenntniss  (man  kennt  nur 
ein  einziges  Exemplar)  vorläufig  den  Cirrhipediem  anreiht,  wiewohl  es  auch 
schmarotzende  Crustaceen  gewesen  sein  können.  Bostrichopus  antiquus  Goldf. 
stammt  aus  dem  Posidonomyenschiefer  (Carbonisches  System)  von  Herborn  in 
Nassau.  Der  Körper  des  Thieres  ist  von  ovalem  Umriss  und  nur  3,3  Millim.  lang. 
Er  besteht  aus  einem  Kopfbruststück,  von  dem  vier  Paar  Füsse  ausgehen  und 
einem  in  6  Ringe  segmentirten  Hinterleib.  Die  vier  Fusspaare  gehen  in  gegliederte 
bis  22  Millim.  lange  Borsten  aus.  Die  zwei  vorderen  Fusspaare  theilen  sich  in 
je  5  Fäden,  das  dritte  Fusspaar  in  je  4  Fäden,  das  vierte  Paar  in  je  16  Fäden, 
was  zusammen  zweimal  30=60  Fäden  ergiebt  Diese  Thierform  steht  gegenüber  allen 
anderen  aus  der  heutigen  Welt  und  aus  den  älteren  Epochen  bekannten  Crustaceen- 
Arten  vereinsamt.  Jedenfalls  hat  das  Thier  von  einer  gewissen  Lebensstufe  an 
sich  festgesetzt  und  eine  der  geänderten  Lebensweise  entsprechende  Umbildung 
erlitten,  vielleicht  hatte  es  eine  weiche  Hülle  oder  lebte  als  Parasit  auf  anderen 
Meeresthieren.  Man  kann  es  als  Vertreter  einer  besonderen  Familie  der  Cirrhi- 
j)edier  betrachten. 

Eine  andere  Ordnung  der  Entomostraken  sind  die  Phyllopoden  oder  Blatt- 
fiisser  (Branchicpoday  Kiemenfüsser),  die  in  der  heutigen  Lebewelt  durch 
einige  wenige  fast  nur  dem  süssen  Wasser  angehörige,  seltner  im  Meere  (bes. 
in  Strandlagunen)  lebende  Gattungen  und  Familien  vertreten  erscheinen,  in  älteren 
Epochen  aber  in  viel  zahlreicheren  Formen  im  Meere  lebten  und  namentlich  im 
paläozoischen  System  eine  grossartige  Rolle  spielen. 

Es  sind  Entomostraken,  die  am  Bruststück  oder  Thorax  zahlreiche  blatt- 
tom)ige  und  gewimperte  KiemenfÜsse  (platte  zu  Kiemen  umgebildete  Endglieder) 
führen.  Es  sind  deren  mindestens  1 1  Paare,  bei  anderen  Formen  bis  60.  Brust- 
stück (thorax)  und  Hinterleib  (abdomen)  sind  immer  getrennt  und  gegliedert, 
der  Hinterleib  ohne  Füsse.  Im  Uebrigen  ändern  sie  sehr  ab.  Der  Kopf  ist  bei 
einigen  angewachsen,  bei  anderen  frei.  Manche  fuhren  am  Munde  starke  zangen- 
lonnige  Kiefern.  Ein  Theil  ist  über  den  Rücken  nackt,  andere  tiagen  über  dem 
Rücken  einen  breiten  häutigen  Schild,  noch  andere  besitzen  ähnlich  wie  die 
Ostrakoden  eine  zweiklappige  muschelartige  Schale.  Bei  manchen  läuft  der 
Hinterleib  in  lange  Borsten  oder  in  flossenartige  Blätter  aus. 

Hierher  gehören  namentlich  die  in  unseren  Süsswassem  besonders  in  Teichen 
und  Flusslachen  lebenden,  aber  nur  selten  zu  beobachtenden  Gattungen  Branchi- 
pus  und  Apus.  Branchipus  stagnalis  L.  wird  gegen  2,5  Centim.  lang,  ist  über  den 
Rücken  nackt,  hat  einen  freien  Kopf  und  ein  aus  11  Segmenten  bestehendes 
Bniststück  mit  11  Paar  Blattfiissen.  Der  Hinterleib  hat  9  Segmente  und  endet 
in  zwei  flossenartige  Anhänge.  Apus  cancriformis  Leach  wird  2,5 — 5  Centim. 
gross,  hat  einen  mit  dem  Bruststück  verwachsenen  Kopf,  am  Bruststück  60  Paar 


190  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

KiemenfÜsse  und  am  Ende  des  Hinterleibes  zwei  lange  gegliederte  Borsten. 
Den  Rücken  von  Kopf  und  Brust  bedeckt  ein  grosses  ovales  hinten  ausgerandetei 
häutiges  Rückenschild,  das  den  Hinterleib  unbedeckt  lässt. 

An  den  lebenden  Apus  schliesst  sich  eine  Anzahl  sehr  alter  urweltltcher 
Lebensformen,  theils  der  lebenden  Form  schon  nahe  ident,  theils  in  seltsamen 
fremdartigen  Gestalten  entwickelt.  Im  oberen  Buntsandstein  von  Sulzbad  im 
Elsass  findet  sich  eine  Apus-h^^  die  dem  heute  in  Pftitzen  und  Teichen  noch 
lebenden  Apus  cancrifortnis  fast  gleich  kommt 

Fremdartigere  Gestalten  erscheinen  im  paläozoischen  System.  Hynunocar'n 
(Min.  28.)  vermicauda  Salter  ist  ein  in  vielen  Stücken  wohlerhaltencr 

Phyllopode  aus  den  Lingula-flags  oder  der  sogen.  Primordial- 
zone  von  Nord -Wales  in,  England.  Er  zeigt  einen  den 
Kopf  verbergenden  grossen  Rückenschild,  der  an  den  ähn- 
lichen aber  Kopf  und  Brust  überdeckenden  häutigen  Schild 
des  Apus  cancriformts  erinnert.  Dahinter  liegen  acht  freie 
Hymenocans.  Rumpfsegmente,  deren  letztes  in  vier  kräftige  Steuerborsten 

ausläuft.    Es  war  offenbar  ein  schwimmender  meeresbewohnender  Phyllopode. 

Dem  lebenden  Apus  ähnlich  ist  auch  Dithyrocaris  Scoukri  Mac  Cov  aus 
dem  Kohlenkalk  von  Irland.  Dieses  Thier  trug  über  Kopf  und  Brust  ein  fast 
kreisrundes  vom  und  hinten  etwas  ausgerandetes  Rückenschild.  Der  Hinterleib 
ragt  aus  dem  Schild  frei  hervor  und  endet  in  drei  lange  borstenförmige  Anliänge, 
die  ofifenbar  zur  Steuerung  dienten. 

Zu  den  mit  zweiklappiger  muschelartiger  Schale  versehenen  Phyllopoden  ge- 
hört die  Familie  Limnadidae.  Limnadia  Herrmanni  Brogn.  (Daphnia  gigas 
Herrm.)  ist  ein  13  Millim.  Länge  erreichender,  seltener,  in  Pfützen  und  Sümpfen 
lebender  Muschelkrebs  mit  22  Paar  blattförmigen  KiemenfUssen.  Fossil  noch 
nicht  nachgewiesen. 

An  die  Limnadiden  schliessen  sich  die  Estherien  an,  kleine  Muschelkrebs- 
chen,  die  heute  in  süssen,  seltner  in  salzigen  und  brackischen  Gewässern  leben. 
Die  Gattung  Estheria  erscheint  schon  in  devonischen  und  carbonischen  Schichten 
fossil  vertreten  und  zeigt  sich  namentlich  aut^h  in  den  feinen  Schiefeithonen  der 
Trias  noch  zahlreich  erhalten.  Sie  erscheint  auch  in  Meeresschichten,  scheint 
aber  meist  brackischen  oder  limnischen  Ablagerungen  anzugehören.  Sie  zeigt 
sich  neben  Ostrakoden  besonders  in  feinschlammigen  Absätzen.  Estheria  begreift 
zweiklappige  concentrisch  gerunzelte  Schalen,  denen  der  Posidonomyen  und 
anderer  Acephalen  sehr  ähnlich.  Sie  wurden  früher  für  Posidonomyen  gehalten. 
die  Schalenoberfläche  ist  aber  netzförmig  punkdrt  E,  membranacea  Pacht 
findet  sich  im  old  red  sandstone  von  Schottland.  Estheria  minuta  Ajlb.  {Fbit- 
donia  minuta)  ist  häufig  in  Lettenschichten  des  Buntsandsteins  und  Keupen»  in 
Deutschland,  Frankreich  und  England  und  bedeckt  die  Schichtenflächen  oft  xu 
Tausenden.  Es  sind  kleine  flache  concentrisch  gerunzelte  Muschelschalen ,  nur 
4 — 7  Millim  Länge  erreichend,  von  rundlich  eiförmigem  Umrisse. 

Leaia  ist  eine  mit  Estheria  nahe  verwandte  aber  erloschene  Gattung  zwei- 
schaliger  Phyllopoden.  Es  sind  kleine  hornige  unregelmässig  vierseitige  gleich- 
kl^pige  Schalen,  die  denen  mancher  Muscheln  (z.  B.  Cypricardien)  ähneln.  Zwei 
Kiele  strahlen  vom  Wirbel  aus.  Leaia  Baentschiana  findet  sich  in  den  oberen 
(limnischen)  Schichten  der  Steinkohlenformation  zu  Ottweiler  bei  Saarbiücken  in 
einem  feinen  Schieferthon  zu  Tausenden  angehäuft. 

An  die  PhyUo|>oden  schliesst  sich  die  längst  erloschene  an  Arten,  Gattungen 


Crustaceen.  191 

und  Familien  reiche  Abtheilung  der  Trilobiten,  Triiobiiae,  Man  weiss  nicht 
ob  als  eigne  Ordnung  oder  als  blosse  Unterabtheilung  der  Phyllopoden,  da  sie 
nur  im  silurischen,  devonischen  und  carbonischen  System  fossil  auftritt,  darnach 
vollständig  erlischt  und  nur  nach  ihren  festen  Körpertheilen  bekannt  ist.  Von 
ihren  Gliedmaassen  ist  nichts  erhalten  und  es  ist  darnach  wahrscheinlich,  dass 
sie  weiche  häutige  Kiemen  darstellten. 

Die  Trilobiten  haben  ihren  Namen  vom  griechischen  tri  lobos,  dreilappig. 
Ihr  Körper  besteht  aus  dem  Kopfschild,  dem  aus  mehr  oder  minder  zahlreichen 
(2—26)  Segmenten  bestehenden  Rumpf  (thorax)  und  einem  bald  dem  Kopfschild 
ziemlich  ähnlichen,  bald  mehr  eigenthümlich  gestalteten  Schwanzschild  (pygidium) 
welches  den  Hinterleib  (abdomen)  verdeckt.  Ausser  dieser  querübergehenden  Drei- 
iheilung  des  Körpers  zeigen  sie  noch  eine  durch  Furchen  des  Rumpftheiles  ge- 
wöhnlich am  deutlichsten  ausgesprochene  symmetrische  Dreitheilung,  die  zugleich 
über  Kopf,  Rumpf  und  Schwanzschild  verläuft.  Ihre  Grösse  geht  von  ein  paar 
Millim.  bis  zu  30  oder  50  auch  wohl  an  65  Centim.  Ausser  dem  hornigen  (chitinÖsen) 
wahrscheinlich  mehr  oder  minder  verkalkten  Panzer  der  Rückenseite  kennt  man 
von  diesen  Thieren  nur  sehr  wenig,  dieses  Wenige  aber  gewöhnlich  in  trefflicher 
Erhaltung  und  reich  an  Art-  und  Gattungs-Merkmalen.  Ausser  dem  Panzer  kennt 
man  noch  die  oft  ausgezeichnet  wohl  erhaltenen  meist  zahlreich  facettirten  Augen 
und  das  Hypostom,  einen  auch  beim  lebenden  Apus  cancriformis  vorkommenden 
unteren  nach  hinten  gewendeten  besonders  ausgebildeten  Anhang  des  vorderen 
Kopfrandes.  Beine  und  Fresswerkzeuge  sind  nicht  in  fossilem  Zustande  erhalten. 
Auch  von  Fühlern  ist  nichts  bekannt. 

Alle  Trilobiten  waren  Meeresbewohner.  Manche  konnten  sich  in  ähnlicher 
Weise  wie  die  heutigen  Asseln  (Isopoden)  vollständig  zusammenkugeln.  Sie  zer- 
fallen in  die  eigentlichen  Trilobiten  mit  5 — 26  Rumpfsegmenten  und  mehr  oder 
minder  ausgesprochener  Verschiedenheit  des  Kopf-  und  des  Schwanzschildes  und 
die  Agnostiden  mit  nur  zwei  Rumpfsegmenten  und  geringer  Formverschieden- 
heit von  Kopf-  und  Schwanzschild. 

Eine  der  merkwürdigsten  Gattungen  der  eigentlichen  Trilobiten  ist  Parodoxides 
Brogn.  ausgezeichnet  durch  die  zurückgewendeten  dornförmigen  Fortsätze  des 
Aussenrandes  des  Kopfschildes  und  der  Rumpfsegmente. 

Das  Kopfschild  ist  gross,  ebenso  der  langgestreckte  aus  21  Segmenten  be- 
stehende Rumpf  (thorax),  auffallend  klein  der  Schwanzschild.  Von  Augen  ist 
nichts  zu  bemerken. 

Paradoxides  Tessini  Brogn.  aus  dem  Alaunschiefer  von  Westgothland  (Primor- 
dialzone),  eine  schon  von  LiNNfi  abgebildete  Art,  erreicht  10—12  Centim.  Länge. 
Der  Kopfrand  und  die  seitlichen  Spitzen  der  Rumpfsegmente  sind  breiter  als  bei 
der  ähnlichen  böhmischen  Art. 

Paradoxides  bohemicus  Boeck  aus  dem  Thonschiefer  von  Ginetz  bei  Beraun 
in  Böhmen  (Primordialzone)  wird  gegen  16  Centim.   lang.     Der  Kopfsaum   und 
die  zugespitzten  Ausläufer  der  Rumpfsegmente  sind  schmaler  als  bei  voriger  Art. 
Sao  hirsuta  Barr,  ist  eine  zu  Skrey  in  Böhmen  (Primordialzone)  nicht  selten 
vorkommende  Art,  die  bis  etwa  2,5  Centim.  lang  wird  und  ovalen  Körperumriss 
zeigt,    Sie  ist  als  erster  Beweis  einer  den  Trilobiten  zustehenden  Metamorphose 
zu  einer  gewissen  Berühmtheit  gelangt.     Corda  und  Barrande  haben  sie  unter 
»2  Gattung»,  und  23  Artnamen  beschrieben,  aber  der  letztere  erkannte  bald  dar- 
nach,  dass  alle  die  zahlreichen  Formen,  welche  Anlass  zur  Aufstellung  von  so 
^iel  Gattungen  und  Arten  gegeben  hatten,  weiter  nichts  als  successive  Kntwicklungs. 


I9> 

(HiB.m} 


Mineralogi«,  Geologie  und  Ftlaeontologie. 


/ 


zustände  ein«i  und  denct- 
ben  Art  sind,  (Ur  vekhc 
die  Bezeichnung  Sae  Ur- 
sufa  beibehalten  wutde. 
Der  früheste belcannteiEm- 
bryonal zustande  slelhnoc!. 
eine  fast  kreisrunde  Scheibe 
von  }  Millim.  Länge  dar. 
Die  Oberfläche  isl  dann 
nochglatt,  KopfundRuni|<i 
sind  noch  nicht  deuüicli 
von  einander  geschieden, 
der  Hintertheil  des  Schil- 
des zeigt  erst  eine  An- 
deutung der  späteren  Seg- 
mentirung.  Weiter  kennt 
man  eine  vielgestaltige 
Reihenfolge  der  Entwicke- 
lung,  die  von  der  frühesten 
bekannten  Larven-Fom 
zum  Zustande  des  au^- 
wachsenen  Thicres  leitet. 
Die  ausgewachsene  Sm 
hirsuta  zeigt  eine  Ungc 
von  26  Millimeter  (1  Zoll) 
Sie  zeigt  nun  17  Rum|ir- 
Segmente  und  eine  tni: 
feinen  Domen  dicht  be- 
seUte  Oberfläche.  Mit 
Recht  betrachtet  man  da- 
her auch  Barrakoe's  .Ar- 
beiten über  San  kirsHJ 
als  einen  der  wichtigsten 
Fortschritte  der  Palaeonio- 
logie  und  um  so  bereit- 
williger als  ihr  Ergebnis' 
der  allgemein  Wissenschaft 
liehen  Anforderung,  dass  alle  Vielheit  im  Verlauf  der  Forschung  auf  eine  Einheit 
zurück  zu  (Uhren  sei,  in  ausgezeichneter  Weise  entspricht. 

Die  Trilobiten  erscheinen  in  der  frimordialzone  des  unteren  Silur-Systenn 
alsbald  in  grosser  Mannigfaltigkeit  der  Arten  und  bisweilen  auch  in  grosscu- 
Individuenreichtlium.  Sie  spielten  in  diesem  Zeitalter  die  erste  Rolle  unter  alkr 
Lebewesen  des  Meeres.  Barkande  zählte  1S73  in  der  primordialen  Fauna  nithi 
weniger  als  154  Arten.  Noch  zahlreicher  erscheinen  sie  in  den  darauf  folgen  Jen 
Ablagerungen  des  silurischen  Systems,  aus  dem  man  überhaupt  zur  Zeit  1581  Tnl" 
biten-Arten  kennt.  Aber  mit  dem  ersten  Erscheinen  der  K.lasse  der  Fische  get.cn 
die  Trilobiten  in  aufl'allender  \\'eise  zurück,  vielleicht  zum  Theil  in  Ful^e 
räuberischer  Lebensweise  der  letzteren,     im  devonischen  System  bemerkt   man 


Crustuceeh.  tpj 

schon  eine  starke  Verminderung  der  Zahl  der  Trilobiten-Arten,  noch  mehr  ist 
dies  im  Kohlenkalk  der  Fall  und  nach  diesem  erloschen  sie  spurlos. 

Die  häufigste  Trilobiten-Art  im  devonischen  System  ist  Phacops  latifrons 
Bronn,  häufig  im  mitteldevonischen  Kalk  von  Gerolstein  in  der  Eifel,  auch  in 
den  rheinischen  Dachschiefem.  Diese  Art  wird  2 — 2,5  Centim.  lang,  sie  zeigt  auf 
den  Seiten  des  Kopfschildes  je  ein  grosses  facettirtes  Auge  oder  Netzauge  mit 
50—100  und  mehr  Facetten  oder  Hornhaut-Feldern.  Elf  Rumpfsegmente.  An 
der  Unterseite  des  Kopfes  ist  oft  das  }typostoma  deutlich  erhalten.  Diese  Art 
findet  sich  auch  bisweilen  in  zusammengekugelten  Individuen. 

Ausschliesslich  silurisch  und  zum  Theil  der  Primordialfauna  angehörig  er- 
scheinen die  nur  mit  zwei  Rumpf- Segmenten  versehenen  Agnostiden,  von 
denen  man  nur  eine  einzige  Gattung  Agnostus  Brogn.  (Bathis  Dalm.)  kennt. 
Sie  tritt  besonders  im  untersilurischen  Alaunschiefer  und  Kalk  von  Andrarum 
u.  a.  O.  in  Schweden  in   mehreren  Arten  und  grosser  Zahl  der  Individuen  auf. 

Die  Agnostiden  stehen  von  den  übrigen  Trilobiten  ziemlich  weit  ab,  ihr 
Thorax  ist  nur  zweigliedrig,  der  Schwanzschild  ist  so  gross  als  der  Kopf  seh  ild 
und  in  der  allgemeinen  Form  diesem  in  einer  (nicht  nur  bei  Trilobiten  sondern 
bei  Crustaceen  überhaupt)  auffallenden  Weise  ähnlich  gestaltet.  Gleichwohl  stehen 
sie  den  Trilobiten  näher  als  jeder  anderen  Abtheilung  der  Crustaceen.  Es  sind 
kleine  Thiere,  höchstens  10 — 12  Millim.  lang.  Alle  sind  blind.  Kopf  und  Schwanz 
and  oft  nur  schwer  zu  unterscheiden. 

Wir  können  nicht  umhin,  bevor  wir  die  merkwürdige  Ordnung  der  Trilobiten 
verlassen,  einen  Blick  auf  die  Organisation  ihres  Auges  zu  werfen,  da  dasselbe 
in  einer  so  frühen  Epoche  des  Lebens  auf  Erden  als  erster  Beweis  des  Daseins 
von  Siimesorganen  und  Sinneswahrnehmung  von  jeher  Gegenstand  besonderer 
Aufmerksamkeit  war. 

Ein  Theil  der  Trilobiten  zeigt  auf  dem  Kopfschild  (in  den  Seitentheilen  oder 
Wangen)  grosse  sitzende  zusammengesetzte  Augen  (Netzaugen,  oculi  composUt)  in 
oft  wunderbar  deutlicher  Erhaltung  und  genau  von  demselben  Bau,  wie  ihn  die 
Augen  vieler  heute  noch  lebender  Crustaceen  zeigen.  Dies  ist  nicht  bei  allen 
s:leichmässig  der  Fall. 

Bei  einer  Anzahl  von  Gattungen,  wie  Phacops,  Dalmanites,  Bronttus  u.  s.  w. 
•aber  noch  nicht  bei  primordialen  Trilobiten)  bildet  das  Auge  eine  flache  nieren- 
fonnige  Hervorragung,  deren  Oberfläche  eine  mehr  oder  minder  zahlreiche  in 
Längs-  und  Querreihen  geordnete  Anhäufung  von  regelmässigen  Körnern  zeigt. 
Sie  deuten  die  Hornhaut  (Cornea)  und  die  Linse  (Uns  crystallina)  von  eben  so 
Melen  kleinen  kegelförmigen  Aeuglein  oder  Ocellen  (stemmata)  an,  deren  jedes 
ein  Lichtbild  an  einem  besonderen  Zweig  des  Sehnerven  abgab. 

Bei  anderen,  namentlich  den  meisten  primordialen  Trilobiten,  läuft  die  ge- 
meinsame chitinöse  Hautdecke  des  Kopfpanzers  über  die  Augen  weg,  ohne  be- 
andere  Ocellen  erkennen  zu  lassen.  Noch  andere  Trilobiten,  wie  namentlich 
die  ^inos/uS'Aiten  lassen  keine  Spur  von  Augen  erkennen  und  waren  offenbar 
blind  und  zwar  durch  Verkümmerung  der  Augen  in  Folge  von  besonderer  Lebens- 
*eise  und  Mangel  an  Gebrauch.  Sie  setzen  ältere  mit  Augen  ausgestattete  Vor- 
tahrcn  voraus,  ähnlich  wie  noch  jetzt  manche  Crustaceen  in  erster  Jugend  Augen 
l>esitzen,  die  sie  mit  dem  Alter  verlieren.  Dies  geht  auch  daraus  noch  hervor, 
dass  bei   gewissen  Gattungen   der  Trilobiten  augenlose  neben  augenfllhrenden 

Arten  vorkommen.   ' 

Uebcrhaupt,  wenn  auch  die  organischen  Reste  sämmtlich  es  erweisen,  dass 

Kewkiott.  Min.,  G«ol.  u.  Pal.    I.  '  3 


194  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

schon  in  den  ältesten  paJaeontologisch  documendrten  Epochen  die  natürlichen 
Dinge  nach  denselben  ewigen  Gesetzen  sich  vollzogen,  die  noch  jetzt  evideni 
herrschen,  so  ist  dies  doch  beim  Auge  der  Trilobiten,  wo  organische  Gebilde  mit 
optischen  Verrichtungen  auftreten,  in  besonders  ausgesprochener  Weise  der  Fall 
und  macht  sich  um  so  mehr  bemerklich,  als  die  Trilobiten  —  abgesehen  von 
den  spärlichen  und  wenig  bekannten  Fossilien  des  archaeischen  Systems  —  zu  den 
ältesten  Documenten  des  organischen  I^ebens  gehören.  Dass  das  Licht  von  jeher 
nach  denselben  Gesetzen  auf  lebende  Organismen  einwirkte,  ist  zwar  apriori 
schon  anzunehmen,  aber  gut  ist  es  gleichwohl,  dafiir  schon  aus  den  ältesten  geo- 
logischen Epochen  den  positiven  Beweis  beibringen  zu  können. 

Einer  anderen  sehr  merkwürdigen  erloschenen  Ordnung  der  Entomostraken 
gehören  die  Familien  Eurypteridcu  und  Pterygotidae  an,  die  nur  aus  dem  siluri- 
schen und  dem  devonischen  System  bekannt  sind.  Es  sind  grosse  Gliederkrebse 
mit  verhältnissmässig  kleinem  Kopfbruststück  (Cephalothorax)  und  sehr  lang  ge- 
streckten aus  12  oder  13  Segmenten  bestehendem  Hinterleib  (abdomen).  Die 
Kopfbrust  trägt  eine  verschiedene  Zahl  von  Beinen,  die  theils  als  gegliederte 
Fühler  (Taster),  theils  als  scheerentragende  Füsse  (Greiforgane),  theils  als  kräftige 
RuderfUsse  (Schwimmorgane)  entwickelt  sind. 

Eurypterus  trägt  auf  dem  Rücken  des  kurzen  vierseitig-halbmondförmigen 
Kopfbruststückes  ein  Paar  nierenförmige  Augen.  Von  den  am  Kopfbruststück 
stehenden  Beinen  sind  drei  oder  vier  Paare  als  Fühler  oder  Taster  ausgebildet, 
dahinter  folgt  ein  Paar  sehr  verlängerter  kräftig  gebauter  Ruderfiisse  oder  Schwimm- 
organe. Die  Thiere  erreichten  gegen  0,3  Meter  Länge  und  darüber.  Nord-Amerika 
hat  schöne  Exemplare  geliefert. 

Pterygotus  zeigt  einen  ähnlichen  Bau  von  Kopibruststück  und  Hinterteil». 
Von  den  an  der  Unterseite  des  ersteren  ausgehenden  Beinen  ist  das  vorderste 
Paar  stark  verlängert  und  endet  in  ein  kräftiges  Scheeerenpaar  (ähnlich  wie  bei 
den  Scorpionen).  Dahinter  stehen  kürzere  Taster.  Das  hinterste  Beinpaar  i>t 
wie  bei  Eurypterus  in  Form  von  kräftig  gebauten,  stark  verlängerten  Ruderfüssen 
oder  Schwimmorganen  entwickelt.  Pterygotus  soll  bis  zwei  Meter  lünge  erreicht 
haben. 

Bruchstücke  von  Thieren  dieser  riesenhaft  gestalteten  Entomostraken  aus  deir 
old  red  sandstone  von  Schottland  wurden  anfanglich  ftir  Fischreste  genominen,  bi:> 
bessere  Funde  ihnen  ihre  Stellung  unter  den  Crustaceen  anwiesen.  In  der  That 
haben  die  Ruderfiisse  von  Eurypterus  und  Pterygotus  eine  auffallende  Analope 
mit  den  in  Form  gepanzerter  Ruderorgane  entwickelten  Brustflossen  der  in  den- 
selben geologischen  Epochen  vertretenen  Fischgattung  Pterichthys  (Ordnung  der 
gepanzerten  CianoidenV  Aber  diese  Analogie  ist  nur  ein  täuschendes  Gewand, 
wie  auch  die  vorderen  ScheerenfÜsse  des  Pterygotus  und  der  Scorpione  nur  der 
ähnlichen  Ausbildung  zu  ähnlicher  Verrichtung  entsprechen.  Der  eigentliche 
morphologische  Bau  der  Eurypteriden  und  Pterygoten  stellt  sie  eher  2wis<hen 
Ostrakoden  und  Limulen,  wie  auch  eine  Ven%'andtschaft  mit  der  Z^i'a-Lar>  e  der 
heute  lebenden  höheren  Krebse  schon  zu  erkennen  ist.  Mit  Scorpionen»  Panier 
>;anoiden  u.  s.  w.  bestehen  bloss  theilweise  Analogien  (keine  Affinitäten). 

An  die  Eurypterus-  und  Pter>'gotus-Form  schliesst  sich  die  in  den  heuti^n, 
n*imentlith  den  tn>pischen  Meeren  noch  lebend  vertretene,  aber  im  System  «Ici 
li'biMulcn   K»uma  seltsam  \erein/elte  Drdnung  der  Pöcilopoden  oder  Limi. 
liilen.  JWtiu^/^'Jii  mler  A'///*.>jjmi  zunächst  an  und  l)eide  Ordnungen  haben  sit? 


Crustaoeen.  195 

offenbar  aus  einer  gemeinsamen  Wurzel  abgezweigt,  die  in  fossilem  Zustand  noch 
nicht  erwiesen  ist. 

Von  den  Pöcilopoden  lebt  nur  noch  die  Gattung  Limulus  mit  einigen 
wenigen  Arten.  Limulus  moluccanus  Latr..  im  indischen  Ocean  (Philippinen)  wird 
an  zwei  Fuss  lang.  Z.  polyphemus  L.  an  Florida  und  den  Antillen  ist  ähnlich 
und  wird  noch  etwas  grösser. 

Der  Kopf  ist  bei  den  lebenden  Limuliden  mit  der  Brust  verwachsen  und 
beide  bedeckt  ein  gerundeter,  dreiviertelkreisförmiger  harter  kalkig-chitinöser  Kopf- 
bnistschild.  An  seinem  ausgerandeten  Hinterende  setzt  sich  das  beweglich  ein- 
gelenkte  Abdominal -Schild  an  und  trägt  bewegliche  Stacheln  an  den  Seiten- 
rändem.  Es  endet  gegen  hinten  in  einen  langen  beweglich  angelenkten  dolch- 
artigen Schwanz -Stachel.  An  der  Unterseite  des  Kopfbruststückes  stehen  um 
den  Mund  herum  sechs  Paar  meist  in  kleine  Scheeren  ausgehende  Füsse,  von 
denen  die  vier  inneren  Paare  Gangbeine  (mit  kleinen  Scheeren)  darstellen.  Die 
fiinf  hinteren  Paare  sind  zugleich  Geh organe  und  Mundorgane.  Ihre  gezähnelten 
den  Mund  umgebenden  Basalglieder  dienen  zum  Zerkauen  der  Nahrung,  wie  denn 
überhaupt  die  Kauorgane  der  Crustaceen  morphologisch  die  Bedeutung  von 
unteren  Segment-Anhängen  (Beinen  oder  Füssen)  haben.  Diese  sozusagen  sehr 
altmodischen  Thierformen,  die  sich  überaus  seltsam  in  der  lebenden  Fauna  aus- 
nehmen, sind  offenbar  wenig  umgewandelte  Nachkommen  eines  uralten  Stammes, 
der  wohl  schon  neben  den  Eurypteren  und  Pterygoten  in  den  Meeren  der  si- 
lurischen und  der  devonischen  Epochen  gelebt  haben  mag,  hier  aber  noch  nicht 
fossil  gefunden  ist.  Mehrere  Limulus -htXjtxi^  den  lebenden  Formen  sehr  nahe 
stehend,  kennt  man  aus  dem  oberen  Jura  von  Solenhofen  in  Bayern. 

Eine  besondere  Familie  derselben  Ordnung  ist  in  der  Steinkohlenformation 
besonders  in  den  Eisensteinknollen  von  Coalbrookdale  in  England  durch  mehrere 
Arten  vertreten.  Es  sind  die  Belinuriden,  die  von  den  Limuliden  durch  die 
bewegliche  Gliederung  des  Abdominal-Schilds  abweichen.  Sie  scheinen  meerisch 
und  brackisch  gewesen  zu  sein.  Belinurus  aus  den  lower  coal  measures  (oder 
dem  unteren  produktiven  Steinkohlengebirge)  zeigt  einen  breiten  halbmondförmigen 
nach  hinten  in  zwei  längliche  Spitzen  auslaufenden  Kopfbrustschild  und  einen 
beweglich  damit  verbundenen  in  sieben  gleichfalls  bewegliche  Segmente  abge- 
gliederten Abdominal* Schild,  welcher  schliesslich  —  wie  z.  B.  bei  Belinurus 
belbäus  KOEN.  in  einen  langen  zugespitzten  Schwanzstachel  ausläuft.  Dieser  Bau 
des  Panzers  der  Belinuriden  ist  schon  fast  ganz  der  der  lebenden  Limuliden,  nur 
dass  der  abdominale  Theil  bei  den  Belinuriden  beweglich  gegliedert,  bei  den 
lebenden  Verwandten  aber  in  eine  einzige  Platte  verwachsen  ist.  Die  Belinuriden 
mögen  also  den  Eurypteren  und  Pterygoten  näher  verwandt  als  die  heutigen 
Limulus-Arten  gewesen  sein.  Eine  gewisse  äussere  Analogie  der  Belinuriden  mit 
Trilobiten  fälllt  zwar  in  die  Augen,  mag  aber  blosse  Folge  gemeinsamer  Lebens- 
bedingungen sein.     (Analogie  nicht  Affinität.) 

Wir  gehen  zu  den  höheren  Crustaceen  —  den  Panzerkrebsen,  Malaco- 
sfraca  —  über,  die  namentlich  die  Ordnungen  der  Stomatopoden,  Decapoden, 
Amphipoden  und  Isopoden  begreifen  und  von  einer  gemeinsamen  Grundform, 
der  unter  dem  Namen  Zoia  bekannten  Krebslarve  ausgehen.  Diese  Larvenform 
besiut  eine  länglich-ovale  Kopfbrust  mit  hochwölbigem  Rückenschild,  welches 
auf  dem  Rücken  und  am  Vorderrand  lange  gebogene  Ausläufer  aussendet.  Sie  trägt 
vom  zwei  grosse  gestielte  Augen,  unten  zwei  Paar  in  Borsten  ausgehende  Schwimm- 
fusse.    Nach  hinten  verlängert  sie  sich  in  einen  länglichen  mehrgliedrigen  Hinter- 

'3* 


196  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

leib,  der  in  Schwimmborsten  ausläuft  Diese  Larve  knüpft  die  Panzerkrebse  an 
die  Entomostraken,  namentlich  ist  auch  die  Analogie  ihres  Baues  mit  den  Eu- 
rypteren  und  Pterygoten  des  silurischen  und  devonischen  Systems  in  die  Augen 
fallend. 

Die  Panzerkrebse;  Malacostraca,  stellen  sich  gegenüber  den  Entomostraken» 
als  eine  höher  organisirte  Abtheilung  heraus,  namentlich  treten  die  Zahlenver- 
hältnisse der  Segmente  und  die  Gang-  oder  SchwimmfUsse  bestimmter  her\'or 
und  dieselben  erreichen  nicht  mehr  die  übermässige  Vervielfachung  wie  z.  B.  bei 
den  Phyllopoden.  Der  Hinterleib  zeigt  meist  7  Segmente.  Die  Zahl  der  Gan^- 
flisse  oder  Schwimmfüsse  beträgt  zusammen. meist  5  oder  7  Paare,  seltener  8  Paare. 
Dabei  erscheinen  die  Malacostraken  etwas  später  auf  dem  Schauplatz  des  Lebens. 
Sie  tauchen  in  der  Steinkohlenformation  erst  spärlich  hervor,  im  Muschelkalk 
zeigen  sie  sich  schon  etwas  reichlicher,  gewinnen  aber  erst  in  der  Jura-  und  Kreide- 
Epoche  entschieden  den  Vorrang  über  die  Entomostraken.  Namentlich  beginnen 
hier  erst  die  Krabben,  eine  der  am  höchsten  difTerenzirten  Krebsformen.  Unter 
den  Malacostraken  erscheinen  auch  die  einzigen  landbewohnenden  zeitweise 
oder  lebenslänglich  Luft  athmenden  Formen,  offenbar  die  höheren  Abstufungen 
ihres  Typus  wie  die  Landkrabben  und  die  I^andasseln  (Oniscidac)^  welche  letztere 
zugleich  den  landbewohnenden  Myriapoden  schon  sehr  ähnlich  (analog)  werden. 

Stomatopoden  und  Decapoden  stellen  zwei  einander  nahe  verwandte 
Ordnungen  dar,  denen  beweglich  gestielte  Netzaugen  gemeinsam  sind.  Den 
Kopf  und  den  Thorax  bedeckt  ein  geschlossener  harter  Rückenschild,  aus  dem 
hinten  der  geringelte  Hinterleib  frei  hervortritt,  auch  wohl  noch  ein  Theil  de> 
Thorax. 

Bei  den  Stomatopoden  (Maulfüssern,  Squillen)  ist  die  Zahl  der  FU>vc 
gewöhnlich  grösser  als  bei  den  Decapoden.  Sie  haben  meist  8  Fusspaare 
(S(iuillidcn),  seltener  nur  4  oder  6  Paare  (Mysiden)  und  am  Hinterleib  noch  besondere 
l)lattartige  Abdominalftisse,  /u  hinterst  einen  starken  Flossenföcher.  Die  Fiis>c 
gehen  nie  in  Scheeren  aus,  wohl  aber  bei  den  echten  Squillen  in  scheerenariii 
zurückschlagbare  Krallen.  Vor  dem  Kopfbrustschild  steht  hier  noch  ein  be- 
sonderer frei  beweglicher  Ring,  der  die  Augen  und  die  Fühler  trägt  Aber  der 
eigentliche  hintere  Kopftheil  ist  mit  der  Brust  verwachsen  und  oben  mit  dieser 
von  einem  gemeinsamen  Kopfbrustschild  bedeckt,  der  bei  den  Squillen  noc! 
die  Hinterbrust  frei  lässt.  Dahinter  folgt  der  ziemlich  lang  gestreckte  siel>cn- 
gliedrige  Hinterleib  mit  blattförmigen  abdominalen  Füssen. 

Die  Stomatopoden  sind  schwimmende  Meeresbewohner  und  leben  theils  in 
grösserer  Tiefe,  theils  in  Schwärmen  im  weiten  Ocean.  Sie  sind  in  den  heutiger 
Meeren  nur  durch  wenige  Gattungen  und  Arten  vertreten,  meist  in  wärmerer 
Meeren,  doch  auch  noch  im  Mittelmeer.  Die  Stomatopoden  gehören  zu  der 
spät  auftretenden  Ordnungen.  Bis  zum  Jura  bleiben  die  Funde  zweifelhaft  .\ii> 
dem  oberen  Jura  von  Solenhofen  hat  Graf  Münster  eine  Anzahl  von  Gattungen 
beschrieben,  die  man  als  Stomatopoden  gedeutet  hat  Ein  unzweifelhafter  St«>. 
matopode  ist  Squilla  antiqua  Münst.  aus  dem  unteren  Eocän  des  Monte  Bolca 
bei  Vicenza  und  dem  lebenden  Heuschreckenkrebs,  Squilla  mantis  LiN.  des  Mittel 
mcers  schon  nahe  stehend,  näher  noch  der  Sq,  scabruauäa  Lam. 

Eine  wichtigere,  weit  formenreichere  Ordnung  sind  die  Decapoden  ixier 
zehnfüssijjjen  Krebse,  Decapoda,  die  von  der  Trias  an  fossil  erscheinen.  Bct 
ihnen  ist  der  Kopf  mit  der  Brust  zu  einem  einzigen  Ctphalothorax  verwachsen 
und  beide  sind  oben  von  einem  einzigen  harten  unbeweglich  geschlossenen  K«S'- 


Crustacecn.  197 

brustschild  oder  Rückenschild  bedeckt.  Zu  beiden  Seiten  des  Kopfes  sitzen  die 
zwei  beweglich-gestielten  Augen.  Es  sind  grosse  Facetten-Augen  mit  vier-  oder 
sechseckigen  Facetten.  Die  Kopf-  und  Brustanhänge  stellen  zu  vorderst  Fühler, 
um  den  Mund  herum  verschieden  gestaltete  bald  kieferförmige,  bald  tasterformige 
Mundorgane  dar  und  dahinter  folgen  in  5  Paaren  die  zehn  Gangfüsse,  die  vorderen 
meist  in  Scheeren  endend,  die  hinteren  oft  mit  Krallen  versehen. 

Beim  gemeinen  Flusskrebs,  Astacus  fluviatiiis,  stehen  zu  vorderst  die  zwei 
Fühlerpaare.  Die  Mundorgane  sind  äusserst  mannigfaltig.  Der  Mund  eröffnet 
mit  einer  unpaaren  symmetrischen  Oberlippe  (labrum).  Dahinter  folgt  ein  Paar 
Kiefern  mit  kräftiger  gezähnelter  Kaufläche  und  einem  Taster-Anhang.  Dahinter 
zwei  Paar  ähnliche  kieferartige  Fress Werkzeuge.  Dahinter  noch  drei  Paar  Kaufiisse, 
jedes  mit  tasterartigen  Anhängen.  Das  Alles  (sechs  Paare)  sind  zum  Kauen  und 
Betasten  der  Nahrung  umgestaltete  Segment  Anhänge  (Beine,  Füsse).  Dahinter 
folgen  die  fünf  Paar  Gehfiisse  mit  Scheeren  oder  mit  Krallen.  Das  vorderste 
Paar  ist  ausserordentlich  lang  und  kräftig  gebaut,  zu  Greiforganen  —  ähnlich  wie 
bei  Pterygoten  und  Scorpionen  —  entwickelt  und  endet  in  mächtige  Scheeren, 
deren  beweglicher  Arm  an  der  Innenseite  steht.  Die  übrigen  vier  Paar  Füsse 
sind  wahre  Gehfiisse,  das  zweite  und  das  dritte  Paar  endet  in  kleinere  Scheeren, 
das  vierte  und  das  fiinfte  Paar  je  in  eine  einzelne  Kralle.  Aehnlich  sind  die 
Kopf-  und  Brustanhänge  der  übrigen  Decapoden  gebaut,  aber  je  nach  der  Lebens- 
weise besonders  umgebildet,  z.  B.  die  hinteren  Fusspaare  oft  sehr  verkürzt. 

Hinter  dem  Cephalothorax  folgt  der  sieben-ringelige  Hinterleib.  Er  ist  stark 
entwickelt  bei  den  langschwänzigen  Krebsen,  beim  gemeinen  Fiusskrebs  nur  wenig 
kürzer  als  ersterer,  aber  stark  verkürzt  oder  zu  einem  winzigen  Körperanhang 
verkümmert  bei  den  Krabben  oder  kurzschwänzigen  Krebsen,  bei  denen  auch 
die  Siebenzahl  der  Segmentirung  nicht  immer  erreicht  wird. 

Die  Langschwänze,  Decapoda  macroura,  sind  meist  Meeres-,  seltener  Fluss- 
wasserbewohner. Sie  sind  schwimmende  Thiere  mit  einer  fächerförmigen  End- 
flosse, die  als  Steuerruder  dient.  Der  Hinterleib  ist  gross  und  grade  ausgestreckt, 
meist  eben  so  lang  als  das  Koptbrusststück  oder  auch  länger.  Er  besteht  aus 
sieben  Segmenten.  Er  trägt  am  Hinterende  fünf  flache  flossenartige  Anhänge, 
die  als  Schwimmorgane  dienen.  Der  mittlere  Theil  dieses  Endfachers  besteht 
aus  dem  siebenten  Abdominal-Segment,  die  beiden  seitlichen  Paare  sind  blosse 
Anhänge  des  sechsten  und  siebenten  Segments. 

Die  langschwänzigen  Krebse  sind  im  Muschelkalk  durch  mehrere  Gattungen 
schon  in  ausgezeichneter  Weise  vertreten.  Die  Gattung  Pemphix  ist  im  deutschen 
Muschelkalk  nicht  selten  in  ausgezeichneter  Erhaltung  vertreten,  z.  B.  zu  Crails- 
heim in  Württemberg  und  nach  der  Gestaltung  von  Kopfbrust,  Hinterleib  und 
Schwanzflossen  der  heutigen  Gattung  Astacus  schon  nahe  verwandt.  Man  kennt 
aber  die  Beine  derselben  noch  nicht  genau.  Zwei  Paar  Fühler,  das  äussere  Paar 
fast  von  der  Länge  des  Körpers.  P.  Sueuri  Desm.  wird  4  Zoll  (10  Centim.)  lang 
und  findet  sich  im  Muschelkalk  von  Franken,  Schwaben  und  Lothringen. 

Vom  Jura  an  sind  die  Langschwänze  reichlich  vertreten,  namentlich  unge- 
wöhnlich reich  an  Arten  und  Gattungen  in  dem  fossilreichen  lithographischen 
Kalkschiefer  des  oberen  Jura  von  Solenhofen  in  Bayern. 

Eryon  ist  eine  ausgezeichnete  jurassische  Gattung,  verwandt  dem  lebenden 
Bärenkrebs  (Scyllarus  arctus  des  Mittelmeeres).  Der  Kopfbrustschild  ist  breit 
und  flach,  abgerundet  fiinfseitig,  breiter  als  lang,  schon  an  Krabben  erinnernd. 
Der    7gliedrige  Hinterleib    ist   fast    von   der  Länge   der   Kopf  brüst.     Von   den 


198  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

5  Beinpaaren  ist  das  vorderste  länger  und  endigt  in  längliche  schmächtige 
Scheeren.  Das  2.  3.  und  4.  Paar  führt  noch  zartere  Scheeren  und  das  5.  Paar 
endet  in  einem  einfachen  graden  Dom.  Zwei  Paar  kurze  Fühler.  E,  arctiformis 
ScHLOTH.  ist  eine  im  oberen  Jura  von  Solenhofen  häufige  Art  und  wird  13  Centim. 
lang,  8  Centim.  breit.  An  jeder  Seite  des  Kopfbrustschildes  drei  stachelförmige 
Fortsätze. 

Die  Phyllosomen  sind  Larven  von  gepanzerten  Langschwänzen  und  kommen 
zu  Solenhofen  auch  fossil  vor.  Man  hat  sie  früher  für  Spinnen  gehalten,  die 
aber  in  der  Jura-Epoche  noch  nicht  fossil  vorkommen. 

An  die  Langschwänze  schliessen  sich  die  eine  Mittelform  darstellenden 
Anomuren  an.  Bei  ihnen  ist  der  Hinterleib  noch  ausgestreckt,  von  der  I^Ängc 
der  Kopfbrust  oder  kürzer  als  diese  und  bereits  nicht  mehr  als  Schwimmorgan 
ausgebildet,  in  der  Regel  nicht  mehr  am  Hinterende  mit  einem  FlossenfMcher 
versehen.  Die  Anomuren  sind  Meeresbewohner  und  beginnen  fossil  im  oberen 
Jura  mit  den  Prosoponiden,  von  denen  man  aber  nur  den  Rückenschild 
kennt 

Hierher  gehören  auch  die  sogen.  Einsiedlerkrebse  oder  Paguriden,  welche 
ihren  weichen  Hinterleib  in  Schneckenschalen  verbergen,  u.  a.  der  an  Küsten 
von  Europa  lebende  Pagurus  Bernhardus  Lin.  mit  zwei  ungleich  grossen  Scheeren 
am  vorderen  Fusspaar.  In  den  Tropen  kommen  auch  ähnliche  grössere  Paguri- 
den vor,  die  bereits  das  Festland  betreten.  Ein  ähnlicher  Anomure,  Mescsiyius 
Faujasi  Desm.  ist  häufig  in  der  oberen  Kreide  z.  B.  zu  Mastricht,  findet  sich 
aber  nur  in  Gestalt  zweier  scheerentragender  Vorderbeine.  Sie  sind  von  ungleicher 
Grösse,  je  eine  rechte  und  eine  linke  Scheere,  ähnlich  wie  beim  lebenden  Pagurus 
Bernhardus,  Der  übrige  Körper  war  vermuthlich  weich.  Vollständige  Individuen 
sind  noch  nicht  fossil  gefunden. 

An  die  Anomuren  reihen  sich  die  eigentlichen  kurzschwänzigen  Krebse  oder 
Krabben  an,  Decapoda  brachyura.  Bei  ihnen  gewinnt  das  Kopfbruststück  noch 
mehr  die  Oberhand.  Es  ist  breit,  meist  breiter  als  lang,  bisweilen  nach  vom 
schnabelförmig  ausgezogen.  Nur  das  vorderste  längere  Fusspaar  trägt  Scheeren, 
diese  sind  aber  auch  kräftig  gebaut.  Die  4  hinteren  Fusspaare  enden  in  einfache 
gespitzte  Krallen.  Sehr  klein  und  verkümmert  ist  der  Hinterleib,  er  wird  nach 
vorn  gegen  die  Brust  eingeschlagen,  dient  nicht  mehr  als  Bewegungswerkzeug, 
endet  nie  in  eine  Fächerflosse. 

Die  Krabben  sind  Meeresbewohner,  sie  leben  namentlich  an  der  seichten 
Küste,  andere  auch  in  grösseren  Tiefen.  Einige  Arten  besuchen  auch  das  nahe 
Festland,  besonders  in  West-Indien  und  Mittel-Amerika,  wo  sie  Erdhöhlen  be- 
wohnen und  nur  auf  ein  paar  Wochen  jährlich  ins  Meer  gehen,  um  ihre  Eier  al>- 
zulegen.  So  der  Turluru,  Geocarcinus  ruricola  L.,  der  zu  tausenden  auf  den 
westindischen  Inseln  sich  umhertreibt  Diese  Landbewohner  zeichnen  sich  auch 
im  Trockenen  durch  Raschheit  der  Bewegungen  aus. 

Die  eigentlichen  Brachyuren  beginnen  in  der  Kreide-Formation,  nach  dem 
mit  den  Anomuren  schon  in  der  Jura-Epoche  eine  sie  mit  den  bereits  von  der 
Trias  an  vorkommenden  Macrouren  verknüpfende  Mittelform  vorausging.  Zahl- 
reich vertreten  sind  sie  in  der  Kreide-Formation,  noch  zahlreicher  an  Arten  und 
Gattungen  in  den  verschiedenen  Stufen  des  Tertiär-Systems,  namentlich  in  gTOs>en 
ansehnlichen  Arten  in  der  Eocän-Formation  von  Vicenza,  Verona,  dem  Kressenl^er',: 
in  Bayern,  dem  London-Thon  der  Insel  Sheppey  bei  London  u.  s.  w. 

Wir  haben  also  in  den  drei  Ordnungen  der  Decapoden  eine  bemerkenswcrthc 


Crustaceen.  199 

geologische  Reihenfolge.  In  der  Trias  beginnen  die  Decapoden,  im  Jura  die 
Anomuren  und  in  der  Kreide-Formation  erst  die  eigentlichen  ausgebildeten 
Brachyuren.  Alle  drei  Ordnungen  sind  in  den  Meeren  der  Jetztwelt  reichlich 
vertreten,  die  Macrouren  auch  spärlich  im  süssen  Wasser,  die  Anomuren  auch 
spärlich  auf  dem  Festland,  die  Brachyuren  im  Meer  und  reichlich  auf  dem  Fest- 
land nahe  der  Meeresküste. 

Mit  den  Brachyuren  erreicht  die  Decapoden-Ordnung  ihren  Gipfel  in  Bezug 
auf  vorwiegende  Ausbildung  der  Kopfbnist  und  Verkümmerung  des  Hinterleibes, 
sowie  auf  mehr  oder  minder  weitgehende  Anpassung  der  Organisation  an  das 
Land-  und  Luft-Leben. 

Einen  anderen  Entwickelungsgang  nehmen  die  beiden  verwandten  durch  sitzende 
Augen,  sowie  durch  das  Vorherrschen  der  Siebenzahl  in  der  Segmentirung  be- 
zeichneten Ordnungen  der  Amphipoden  und  Isopoden,  die  von  den  Ento- 
mostraken  ausgehend  eine  von  den  Squillen  und  Decapoden  unabhängige  Ab- 
zweigung des  Malacostraken-Stammes  darstellen.  Sie  besitzen  keinen  besonderen 
Rückenschild.     Der  Rücken  trägt  bewegliche  Panzerringe. 

Die  Amphipoden,  auch  Flohkrebse  genannt,  Amphipoda,  sind  kleine 
Krebschen,  Wasserbewohner,  meist  von  seitlich  zusammengedrückter  Körpergestalt, 
die  auf  der  Seite  schwimmen  und  kriechen.  Einige  wie  Gammarus^  bewohnen  Flüsse 
und  Bäche,  andere,  wie  Talitrus  und  Orchestia  das  Meer.  Von  letzteren  lebt  ein  Theil 
am  äussersten  Küstensaum  und  hüpft  hier  mittelst  besonderer  SprungHisse  zu 
Tausenden  im  feuchten  Sand  zwischen  Ebbe-  und  Fluth-Linie  umher.  (Sogen. 
Tangfiöhe  oder  Strandflöhe,  Saltatoria).  Der  Kopf  der  Amphipoden  ist  frei,  vom 
Bruststücke  deutlich  geschieden,  mit  zwei  Paar  meist  langen  Fühlern  versehen. 
Das  Bruststück  oder  der  Thorax  ist  meist  siebengliederig  und  trägt  meist  7  Paar 
Fusse,  die  nie  in  Scheeren  enden,  wiewohl  die  vorderen  Paare  oft  grosse  einge- 
krümmte Krallen  fuhren.  Der  kräftig  ausgebildete  ebenfalls  meist  siebengliederige 
Hinterleib  trägt  meist  eine  Anzahl  in  borstenförmige  Ausläufer  gegabelter  fuss- 
artiger  Anhänge  (Abdominal-Füsse).  Bei  manchen  Gattungen  erscheinen  diese 
auch  am  letzten  Segment  als  kräftige  mehrgliederige  Stiele  oder  Springfiisse, 
mittelst  deren  sie  wie  die  Flöhe  sich  emporschnellen  können. 

Die  Amphipoden  mögen  sich  frühzeitig  von  den  Entomostraken  abgezweigt 
haben,  ihre  Reste  gehören  aber  sowohl  in  älteren,  als  auch  in  jüngeren  Formationen 
zu  den  seltneren  Funden. 

Zu  den  Amphipoden  zählt  man  die  sehr  vereinzelt  im  System  der  Crusta- 
ceen  stehende  Gattung  Gampsonyx  aus  der  permischen  Formation.    Wenigstens 
uird  sie  mit  Sicherheit  den  Malacostraken  zugerechnet,   sei  es  nun  als  Wurzel - 
form  der  Amphipoden  oder  der  Isopoden  oder  beider   Ordnungen  zusammen. 
Gampsonyx  fimbriatus  Jord.  aus  dem  Eisenstein  des  mittleren  Rothliegenden  der 
Gegend  von  Lebach  bei  Saarbrücken  begreift  kleine  langgestreckte  Süsswasser- 
krebschen  von  8— 11  Linien  (20—25  Millim.)  Länge.    Der  Kopf  trägt  zwei  Paar 
Fühler,  welche  sich  in  je  ein  Paar  lange  Borsten  gabeln.    Auf  den  Kopf  folgen 
Brust  und  Hinterleib,  ohne  hervortretenden  Gegensatz,  zusammen  mit  mindestens 
12.  vielleicht   14  Segmenten.     Die  Beine  scheinen  sogen.  Gehfüsse  gewesen  zu 
sein,  das  vorderste  Paar  ist  länger  als  die  übrigen,   fünfgliedrig  und  das   letzte 
(ilied  endet  in  einen  spitzen  Hacken.    Der  Hinterleib  endet  mit  fünf  in  Fächer- 
Tonn  geordneten  Flossenblättem,  von  denen  das  mittlere  vermuthlich  vom  letzten 
Körpersegment  dargestellt  wird.     Gampsonyx  mag  also  wohl  dem  gemeinsamen 
ältesten  Stamm  der  Amphipoden  und  Isopoden  angehören  und  von  älteren  Eu- 


200  Mineralogie,  Geologie  und  Palacontologie. 

tomostraken  abstammen.    Der  Schwanzfächer  erinnert  an  den  der  heutigen  lang- 
schwänzigen  Decapoden. 

Auf  Gampsonyx  folgt  eine  lange  Lücke  im  System  der  Fossilien.  Einige 
wenige  Amphipoden  werden  aus  dem  Bernstein  des  Samlandeä  erwähnt,  Küsten- 
flöhe, Amphipoda  saüatoria,  die  durch  starken  Bau  des  Hinterleibes  und  lange 
Springfllsse  sich  kennzeichnen. 

Die  Ordnung  der  Isopoden  oder  Asseln,  Isopoda^  schliesst  sich  den 
Amphipoden  in  mehreren  Hinsichten  an,  namentlich  durch  die  sitzenden  Augen» 
den  freien  Kopf,  die  frei  auf  dem  Rücken  articulirenden  Brust-  und  Leibcs-Scg- 
mente,  die  herrschende  Siebenzahl.  Aber  die  Körpergestalt  der  Isopoden  ist 
meist  breit  und  flach  niedergedrückt  (während  die  der  Amphipoden  seitlich  zu- 
sammengedrückt erscheint)  und  der  Hinterleib  mehr  oder  minder  verkürzt.  Der 
Kopf  ist  frei,  nicht  mit  der  Brust  verwachsen  und  trägt  zwei  Paar  Fühler.  Die 
Brust  oder  der  Thorax  besteht  aus  7  frei  entwickelten  Segmenten,  Brustringen. 
Diese  7  Segmente  tragen  7  Paar  unter  einander  fast  gleiche  Füsse,  die  in  krallen* 
förmige  Endglieder  —  nie  in  Scheeren  —  ausgehen.  Der  Hinterleib  ist  mehr  oder 
minder  verkürzt,  meist  sechsgliederig. 

Die  meisten  Asseln  leben  im  Meer,  wie  Sphaeroma,  Idothca  u.  A.  Andere 
bewohnen  das  süsse  Wasser  wie  Asellus,  Dazu  kommen  unter  den  Wasserasseln 
auch  eine  Anzahl  von  Parasiten,  die,  wie  gewöhnlich  die  Thiere  von  dieser 
Lebensweise,  eigenthümliche  mehr  oder  minder  weit  vom  Ordnungstypus  ab- 
gehende Charaktere  angenommen  haben.  Dazu  kommen  endlich  noch  eine 
Anzahl  landbewohnender  Asseln  oder  Keller-Asseln,  wie  Oniscus,  POrcelliOy  Arma- 
diüo  u.  A.  Diese  bewohnen  feuchte,  schattige  Stellen  des  Festlandes,  wie  Moos, 
vermodernde  Baumstämme  und  Felsritzen.  Ihre  Kiemen  zeigen  —  dem  Aufenthalt 
an  feuchten  Stellen  des  festen  Landes  entsprechend  —  eine  eigene  Umbildung,  die 
vorderen  Kiemen  des  Hinterleibes  sind  nämlich  zu  geräumigen  Lufthöhlen  aus- 
geweitet, in  welche  die  Kiemenblättchen  vorragen.  Dies  ist  eine  Art  von  Ueber- 
gang  der  Kiemenathmung  der  Crustaceen  zur  Tracheen-Athmung  der  Arachniden. 
Myriapoden  und  Insekten,  wie  er  in  ähnlicher  Weise  auch  bei  den  unbekannten 
palaeozoischen  Wurzelformen  der  drei  letzten  Klassen  stattgefunden  haben  mag. 
Ueberhaupt  erkennt  man  eine  ausgesprochene  Analogie  zwischen  Isopoden  und 
Myriapoden.  Viele  Zoologen  haben  daher  auch  die  Myriapoden  neben  ersterc 
in  das  System  der  Crustaceen  eingereiht,  aber  die  Abzweigung  der  Myriapoden 
ist  eine  uralte  und  geht  vielleicht  eher  von  Entomostraken  aus,  bevor  noch  Iso- 
poden ausgebildet  waren. 

Die  fossilen  Funde  von  Isopoden  sind  spärlich.  Gampsonyx  aus  dem  i>cr- 
mischen  System  mag  wohl  der  gemeinsamen  Wurzel  der  Isopoden  und  Amphipoden 
angehören.  Im  Jura-System  sind  die  Isopoden  zum  ersten  Male  sicher  vertreten. 
Archaeoniscus  Brodici  Edw.  ist  ein  echter  Isopode  aus  Süsswasser-Ablagerungen 
des  oberen  Jura  und  häufig  auf  Schichtungsflächen  des  Purbeck-Limestone  \un 
England.  Auch  Meer- Asseln  werden  aus  dem  Jura  aufgeflihrt,  namentlich  von 
Solenhofen.  In  tertiären  Schichten  sind  fossile  Reste  von  Isopoden  sicher,  aber 
auch  noch  selten.  Aus  dem  Bernstein  des  Samlandes  kennt  man  eine  Anzahl 
von  Land-Asseln. 


Die  Deltabildungen.  201 


Die  Deltabildungen 


von 


?rof.  Dr.  von  Lasaulx. 

Mit  dem  Namen  Delta  wurde  ursprünglich,  lediglich  wegen  der  Formähnlich- 
keit mit  dem  gleichnamigen  griechischen  Buchstaben  A,  das  Mündungsgebiet  des 
Nilstromes  und  ähnliche  von  den  Armen  eines  sich  nahe  seiner  Mündung 
gabelnden  Flusses  umschlossene  dreieckige  Landstücke  bezeichnet.  An  die  Ent- 
stehung dieser  Mündungsgebiete  wurde  dabei  nicht  gedacht.  Heute  aber  be- 
zeichnen wir  mit  diesem  Namen  nicht  nur  die  Form  der  an  der  Mündung  von 
Flüssen  liegenden  Landstrecken,  sondern  verbinden  damit  auch  den  ganz  be- 
stimmten Gedanken  einer  Entstehung  aus  den  Anschwemmungen  des  Flusses 
selbst.  Dieses  letztere  genetische  Kriterium  ist  jetzt  sogar  das  bedeutungsvollere 
geworden.  Es  sind  daher  unter  Delta  alle  vor  der  Mündung  eines  Flusses 
durch  dessen  Sinkstofife  gebildete  Ablagerungen  zu  verstehen,  die  im  Meere, 
einem  Binnensee  oder  auch  einem  anderen  Flusse  die  Tiefe  der  Wasserbecken 
veimindem  oder  vollkommen  bis  über  das  Niveau  des  Wassers  emporsteigen  und 
hierdurch  eine  Vergrössemng  des  Festlandes  auf  Kosten  der  Wasserbedeckung  her- 
vorrufen. 

Solche  Gabelungen  der  Flüsse,  die  in  der  Nähe  ihrer  Mündungen  in 
einem  Gebiete  eintreten,  das  nicht  aus  den  Anschwemmungen  der  Flüsse  selbst 
gebildet  ist,  nennen  wir  also  nicht  mehr  Delta.  Die  50  Meilen  von  der  Mündung 
stromaufwärts  gelegene  Gabelung  der  Wolga  schliesst  einen  dreieckigen,  auch 
von  vielen  Wasserläufen  durchzogenen  Landstrich  ein,  der  jedoch  keineswegs  aus 
tluviatilen  Ablagerungen  besteht  und  daher  nicht  als  Delta  bezeichnet  werden 
kann.  Vor  der  Wolgamündung  hat  sich  allerdings  auch  eine  echte  Deltabildung 
angesetzt 

Andererseits  wird  es  auf  die  Gestalt  der  fluviatilen  Ablagerungen  vor 
der  Mündung  eines  Flusses  gar  nicht  ankommen:  es  giebt  eine  Menge  echter 
Deltabildungen,  an  denen  wir  vergeblich  die  Gabelung  des  Flusses  und  die 
A  Gestalt  des  Mündungsgebietes  suchen. 

Auch  das  macht  nach  der  vorhergehenden  Definition  keinen  Unterschied, 
ob  die  Ablagerungen  vor  der  Flussmündung  wirklich  über  dem  Wasser  sichtbar 
werden  oder  nur  in  Untiefen  sich  bemerklich  machen.  Man  könnte  hiernach 
fiiglich  zwei  Arten  der  Delta's  unterscheiden:  sichtbare  und  latente  Delta's. 
In  Wirklichkeit  aber  sind  die  beiden  Arten  nur  verschieden  fortgeschrittene 
Phasen  desselben  Processes. 

Ob  bei  einer  Deltaablagerung  das  aufnehmende  Wasserbecken  das  Meer, 
ein  Binnensee  oder  ein  Fluss  ist,  das  macht  genetisch  und  auch  für  die  Einzeln- 
^•citen  im  Verlaufe  der  Bildung  keinen  wesentlichen  Unterschied.  Selbst  die 
•»tarke  Strömung  des  eine  Deltaablagerung,  die  ein  Nebenfluss  zuflihrt,  auf- 
nehmenden Hauptflusses,  die  die  Gestaltung  jener  wesentlich  beeinflusst,  findet 
ihre  vollkommene  Analogie  in  den  längs  der  continentalen  Küsten  verlaufenden 
Strömungen  in  den  Oceanen.  Für  die  Betrachtung  der  bei  Deltabildungen  ob- 
waltenden Verhältnisse  ist  demnach  eine  Trennung  nach  der  Art  der  aufnehmenden 
^Vasseransammlungen  nicht  nöthig. 

Fassen  wir  also  die  Delta's  in  dem  oben  ausgesprochenen  ganz  bestimmten 
Smne  auf,  dass  sie  nämlich  vor  den  Mündungen  eines  Flusses  gebildete  Ab- 
gerungen desselben  sind,    so  sind  dann  natürlich  die  sichtbaren  Delta's  die 


202 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologic. 


lit 


einzigen,  die  uns  zunächst  Über  die  Verschiedenheiten  der  äusseren  Form,  inneren 
Gestaltung  und  geographischen  Verbreitung  Aufschlüsse  zu  geben  vermögen. 

Die  Begrenzung  oder  äussere  Gestalt  der  Delta's  erscheint  in  erster  Linie 
abhängig  von  der  Form  oder  dem  Contur  der  Küste,  an  welcher  die  Flussmündung 
gelegen  ist. 

Mündet  ein  Fluss  an  einer  geradlinig  verlaufenden  oder  gar  mit  convexer 
Biegung  in  das  Meer  vortretenden  Küste,  so  werden  die  von  ihm  abgelagerten 
Sedimente  die  vorspringenden  Küstenausbiegungen  verlängern  und  auf  Kosten 
des  Meeres  fortsetzen  oder  aber,  wenn  der  Contur  ein  gerader  gewesen,  an  dem- 
selben hinausgreifende  Protuberanzen  bilden.'  Es  erscheinen  daher  diese  Delta's 
ganz  besonders  auffallend  auch  auf  den  Karten  und  können  recht  passend  als 
»vorgeschobene  Delta's«  bezeichnet  werden. 

Ein  ausgezeichnetes  Beispiel  dieser  Art  ist  das  Delta  der  Lena  an  der  nord- 
sibirischen Küste.  In 
einem  flachen  nach 
NNO  nur  wenig  vor- 
tretenden Bogen  ver- 
läuft hier  die  mit 
schwachen  Höhenzü- 
gen besetzte  Küste 
östlich  von  Cap  Kees- 
towski.  In  einem  trich- 
terförmig erweiterten 
Thale  tritt  die  I.ena 
ins  Meer.  Nach  NAV 
und  nach  Osten  den 
Conturen  der  Küste 
folgend,  hat  sich  au^ 
den  Senkstoflen  de^ 
Flusses  die  Insel  Chan- 
galskij-Chrebet  gebil- 
det, weit  vorspringend 
in  das  Meer,  nach  W 
vom  Festlande  getrennt  durch  den  schmalen  Arm  der  Anardamislja,  nach  Osten  durch 
die  breitere  Bykowskaja-Mündung.  Die  ganze  flache  Deltainsel  ist  von  zahlreichen 
Wasserarmen  durchschnitten.  Genau  auf  ihre  Mitte  ist  die  Stromrichtung  der  Lena 
selbst  gerichtet,  sodass  hier  die  von  ihr  zugeführten  Sedimente  fast  ganz  gleich- 
massig  nach  allen  Seiten  sich  im  Meere  ausgebreitet  und  vorgelagert  haben,  wie 
es  einem  vollkommen  regelmässig  und  ohne  störenden  Einfluss  einer  seidichen 
Strömung  im  Meere  sich  vollziehenden  Sedimentbildung  entspricht  Auch  da> 
Delta  des  Vang-Tse-Kian  ist  ein  vorgeschobenes  Delta,  das  die  Bogenlinie  der 
Küste,  die  durch  den  Verlauf  des  Schantung-Gebirges  bedingt  wird,  als  ein  lang- 
gestrecktes, ebenso  halbmondförmig  vorgebogenes  Flachland  umzieht 

Auch  der  Kbro  bildet  vor  seiner  Mündung  bei  Tortosa  ein  vorgeschobene» 
Delta.  Der  Küstencontur,  durch  den  Verlauf  der  Gebirge  bedingt,  ist  ein  fast  in 
gerader  Linie  von  NO — SW  gerichteter.  Scharf  vorspringend  tritt  uns  hier  auf  der 
Karte  die  Deltabildung  des  Flusses  als  ein  Küstenauswuchs  entgegen,  der  die 
gerade  Linie  der  Küstengebirge  von  der  Serra  Montsia  im  Süden  bis  zur  Serra 
de  Balaguer  im  Norden  der  Flussmündung  unterbricht     Auch   hier  ist  die  Ab- 


n 


(Min.  80.) 


Fig.  1 


Die  Deltabildungen.  203 

lagening  des  Delta's  auf  beiden  Seilen  der  Flussmündung  fast  gleichmässig  er- 
folgt, so  dass  dieser  mitten  durch  das  Deltaland  hindurchfliessend,  sein  eigenes 
Bett  immer  weiter  vor  sich  herbaut. 

Als  ein  bis  zur  vollkommenen  Abschnürung  des  Lago  di  Mezzola  vom  Lago 
dl  Como  in  das  einst  vereinigte  Seebecken  vorgeschobenes  Delta  muss  die  Ebene 
von  Colico  vor  der  Mündung  der  Adda  aufgefasst  werden  und  ähnliche  Bei- 
spiele im  kleineren  Maassstabe  finden  sich  in  allen  Binnensee'n.  Recht  scharf  vor- 
springend in  den  durch  die  Bergwände  der  Ufer  bedingten  Contur  des  Lago 
d'Iseo  schiebt  sich  in  diesen  das  kleine  Delta  des  Borlezzaflüsschens  vor. 

Wesentlich  anders  gestaltet  sich  der  plastische  Eindruck,  den  eine  Delta- 
biidung  in  kartogrg-phischer  Abbildung  hervorbringt,  wenn  die  Flussmündung 
an  einer  einwärts,  also  concaven  Küstenstelle  gelegen  ist,  wenn  also  eine 
mehr  oder  weniger  offene  Meeresbucht  zunächst  die  Sedimente  des  Flusses  auf- 
nimmt. Die  Ausfüllung  der  Bucht  w^ird  dann  das  erste  Ziel  der  Deltabildung 
sein  und  dieses  also  in  seiner  Form  durch  die  Gestalt  der  Meeresbucht  be- 
dingt werden.  Selbst  bei  einer  vollkommenen  Erfüllung  der  Bucht  wird  dabei 
im  Veriaufe  der  allgemeinen  Küsten conturen  keine  auffallende  Aendenmg  er- 
folgen; die  Thätigkeit  dieser  Deltaablagerungen,  die  wir  als  ausfüllende  oder 
Ausfüllungs delta's  bezeichnen  können,  erzielt  eine  Vereinfachung  der  Küsten- 
linien,  eine  Vermindenmg  der  Küstengliederung,  während  die  vorgeschobenen 
Delta's  eine  grössere  Gliederung,  eine  Zerlegung  des  Conturs  bewirken.  Freilich 
erkennen  wir  auf  den  ersten  Blick,  dass  bei  einer  fortdauernden  Deltabildung 
jedes  Ausfiillungsdelta,  wenn  es  das  erstere  eigentliche  Ziel  erreicht  hat,  nun  in 
die  Phase  der  vorgeschobenen  Delta's  übergehen  muss.  Und  so  liegt  eben  bei 
den  meisten  Delta's  eine  Combination  beider  Formen  vor.  Von  der  Grösse 
der  anfanglich  auszufüllenden  Bucht  wird  es  abhängen,  ob  schneller  und  be- 
deutender die  vorschiebende  Phase  in  der  Deltabildung  eintritt. 

Als  ein  Ausfiillungsdelta  erscheint  z.  B.  das  Nildelta.  Zwischen  das  ca. 
150  Meter  hoch  erhobene  Plateau  der  Libyschen  Wüste,  das  mit  steiler  Stufe 
meePÄ'ärts  niedergeht  und  der  auf  der  gegenüber  liegenden  Seite  des  Nil  gelegenen, 
fast  ebenso  hohen  Fläche  der  arabischen  Wüste  schob  sich  wie  ein  Keil,  dessen 
spitze  etwa  bei  Kairo  gelegen  ist,  einst  eine  Meeresbucht  in  Unter-Egypten  hin- 
ein. Sie  ist  jetzt  ganz  von  dem  fruchtbaren  Bodengeschenke  des  Nil  erfüllt,  der 
aber  mit  seinem  Delta  über  den  allgemeinen  Contur  der  Küste,  den  wir  vom 
Oolf  von  Gatta  bis  zur  Rhede  von  Ascalon  in  leicht  gebogener  Linie  uns  er- 
gänzen köimen,  nur  so  wenig  vorspringt,  dass  die  Phase  des  vorgeschobenen 
I>elta's  uns  auf  einer  Karte  von  Unter-Egypten  nur  wenig  auffallend  hervortritt, 
auf  einer  Karte  von  Afrika  im  Maasstabe  von  i:  30000000  aber  fast  verschwindet. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  hat  das  Po-Delta  den  alten  Ober-italienischen  Meer- 
busen vollständig  erfüllt  und  bildet  nun  schon  einen  seit  Römerzeiten  erst  ent- 
standenen, Über  die  allgemeine  Küstenlinie  hinausrückenden  Vorsprung. 

Der  Nigir  strebt  mit  seinem  Delta  die  Einbuchtung  des  Meerbusens  von 
Guinea  auszufüllen  und  hat  in  der  That  arx  Stelle  der  einspringenden  Biegung 
ijanz  im  Inneren  desselben  schon  eine  sichtbare  Protuberanz  zu  Wege  gebracht, 
l^^er  Gedis  Tschai  an  der  West-Küste  von  Klein-Asien  schiebt  sein  Delta  in  den 
Golf  von  Smyma  hinein,  an  dessen  Nord-Küste  er  mündet.  Bei  fortgesetztem 
Ausfüllen  der  gerade  an  seiner  Mündung  schmalen  Stelle  dieses  Golfes  wird 
^  dessen  landwärts  gelegenen  Theil  abschnüren  und  damit  den  Hafen  von 
JJmyma  in  einen  Binnensee  verwandeln.      So  ist  fast  vom  Meere  getrennt  und 


204  Mineralogie,  Geologie  und  Palacontologie. 

nur  noch  durch  einen  schmalen  Wasserarm  mit  ihm  verbunden  die  Turtle  Bay, 
Stid-Ktiste  von  Texas,  durch  einen  Deltariegel,  den  der  Trinityriver,  in  die  Galves- 
ton  Bay  mündend,  vor  jenen  Theil  derselben  geschoben. 

Von  innen  regelmässig  nach  aussen  vorschreitend  erfüllt  der  Mackenzie  River 
mit  seinem  Delta  eine  schmale  fast  fjordartig  gestaltete  Meeresbucht,  die  sich 
zwischen  hohen  Gebirgen  südlich  vom  nördl.  Eismeer  in  das  Land  hineinzieht, 
an  der  Grenze  von  russisch  und  britisch  Amerika.  Aber  noch  hat  die  Delta- 
bildung den  eigentlichen  Küstensaum  nicht  erreicht  und  die  Mündung  des  ge- 
waltigen Stromes  wird  auf  der  Karte  noch  durch  eine  tiefe  Bucht  bezeichnet,  an 
der  man  das  Vorhandensein  eines  ausgedehnten  Deltagebietes  kaum  zu  erkennen 
vermag.  Ebensowenig  tritt  uns  auf  einer  Karte  die  Deltabildung  des  Sacramento 
vor  Augen,  die  tief  im  innersten  Theile  der  vielgewundenen  Bay  von  St.  Francisco, 
der  Suisun  Bay  versteckt  liegt.  Ehe  diese  Delta's  in  die  Phase  der  in  das  Meer 
vorgeschobenen  Delta's  treten,  sind  noch  unmessbare  Zeiträume  nöthig. 

Im  Gegensatz  zu  allen  angeführten  Beispielen  hat  aber  der  Mississippi  schon 
längst  die  Phase  einer  ausfüllenden  Deltaablagerung  hinter  sich  und  erscheint  nun 
in  ganz  besonders  charakteristischer  Weise  mit  weit  vorgeschobenem  Delta  ver- 
sehen. Das  ganze  untere  Mississippi-Thal  aufwärts  bis  zu  der  Mündung  des  Ohio 
war  in  der  Tertiärzeit  ein  tiefer  nordwärts  gerichteter  Meeresgolf,  der  von  tertiären 
Ablagerungen  erfüllt  wurde.  Es  blieb  nur  das  breite  Rinnsal  des  Stromes  übrig, 
das  sich  beiderseitig  allmählich  mit  breiten  Streifen  von  Alluvionen  auf  sein  heuti- 
ges Maass  einschränkte.  Bis  zur  Ohiomündung  hinauf  können  wir  füglich  den 
Anfang  des  Flussdelta's  verlegen.  Als  ein  Ausfüllungsdelta  schob  es  sich  und 
mit  sich  das  Bett  des  Flusses  immer  weiter  südwärts  vor  bis  es  die  Mündung  der 
alten  Meeresbucht  erreichte,  etwa  dort,  wo  von  Westen  her  der  Red  River  dem 
Mississippi  zufällt.  Nun  rückte  das  Delta,  nicht  mehr  gehemmt  durch  die  seit- 
lichen Schranken  der  Meeresbucht  und  sich  beiderseitig  erbreitemd,  als  vorge- 
schobenes Delta  in  die  Bucht  von  Mexico  hinaus.  Der  Boden,  der  heute  die 
Stadt  Neu-Orleans  trägt,  ist  Deltaboden  und  liegt  schon  weit  über  den  ehemali- 
gen Küstencontur  hinaus.  Von  dort  aber  bis  zum  Ende  des  wie  ein  vorge- 
streckter Arm  mit  vierfingeriger  Hand  hinausgreifenden  Delta's  liegen  heute  nocli 
ca.  20  geogr.  Meilen  lange  Alluvionen. 

So  ergiebt  sich  denn  aus  den  angeführten  Beispielen,  dass  die  Form  und  Be- 
grenzung der  Deltagebiete  keineswegs  eine  bestimmte  und  charakteristische  i^^t, 
sondern  dass  dieselbe  vielmehr  ausserordentlich  verschieden  und  wechselnd  sein 
kann,  jedesmal  in  erster  Linie  abhängig  von  dem  Küstencontur  an  der  Mündung 
des  Deltabildenden  Flusses. 

Da   treten    denn   noch  andere  wirksame  Agenden  hinzu,    diese  Gestalt  /u 

ändern.  Dort,  wo  eine  Strömung  im  Meer«. 
vor  der  Flussmündung  vorüberführt,  wenien 
auch  die  Sinkstoflfe  in  dieser  Richtung  weiter 
getragen  und  die  Deltaablagerung  zeigt  ein  ett  - 
seitiges,  der  Strömung  folgendes  Wachsthum 
Auch  das  zeigt  sich  deutlich  am  Mi<si>^ 
sippi-Delta.  Vor  seiner  Mündung  geht  eine 
von  W — O  gerichtete  starke  Meeresströmung 
(Min.  8t.)  Fig.  2.  vorüber   und   dieser  folgend  schieben  sich 

die  Allu\'ionen  des  Flusses  immer  mehr  ostwärts  und  haben  hierdurch  auch  \on 
der  Stelle  an,  wo  das  Delta  ein  vorgeschobenes  geworden,  von  der  Mündung  dc^ 


Die  Deltabildungen.  lo; 

Red  River  an,  eine  östliche  Umbiegung  des  Flussbettes  im  Gefolge  gehabt,  die 
fast  einen  rechten  Winkel  beträgt. 

In  dieser  Weise  können  auch  die  Delta's  den  Nehrungen  oder  Lido's  ähnliche 
Ges(alten  annehmen.  Ein  Theil  der  an  der  Süd-Küste  von  Texas  sich  aneinander- 
reihenden Bildungen  dieser  Art  müssen  gewiss  nicht  als  eigentliche  Nehrungen 
aufgefasst,  sondern  als  echte  seitlich  verschobene  Deltabildiingen  angesehen 
weiden,  deren  Fuss  oder  Anfangspunkt  dann  auch  jedesmal  an  einer  Flussmündung 
gefunden  wird.  Dass  das  auch  f\ir  einen  Theil  der  ostpreussischen  Nehrungen 
gilt,  in  deren  Haffe  die  bedeutenden  Ströme,  wie  Weichsel,  Pregel,  Memel 
münden,  bedarf  kaum  einer  besonderen  Erwähnung,  sowie  ganz  allgemein  alle 
Nehrungen  und  Lido's  vor  der  Mündung  von  Flüssen  nur  als  eine  besondere  Art 
der  Deltabildung  gelten  können.  Denn  wenn  von  der  Form  der  Deltaablagerungen 
ibstrahirt  wird,  besitzen  sie  sonst  das  wesentliche  Kriterium  der  Delta's,  vorzüglich 
AUuvionen  der  von  den  Flüssen  zugeführten  SinkstoSe  vor  deren  Mündungen 
lu  sein. 

Auch  die  Oberfläche nbeschaffenheit  und  Grösse  der  Detu's  ist  ausserordent- 
lich verschieden.  Die  Kerngestalt,  die  ihnen  allen  zu  Grunde  liegt,  ist  die  eines 
sehr  flachen  Kegels  auf  breiter  mit  dem  Meere  einsinkender  Basis,  dessen  Ober- 
Bäcbe  fast  als  eine  horizontale  und  meist  vollkommen  flache  Ebene  erscheint. 
Nur  in  dem  ganz  ruhigen  Wasser  der  Binnensee'n  wird  sich  die  einfache  und 
t)pische  Gestalt  ungestört  entwickeln  können.  CMin.  82-m.) 

Die  Fortsetzung  des  Flussbettes  erfolgt 
dann  einfach  durch  die  Mitte  des  Delta's 
hindurch,  das  sich  gleichmässig  auf  beiden 
Seiten  ausbreitet  (Fig.  3).  Sehr  oft  führt 
allerdings  die  Ablagerung  der  Sinkstoffe  ge- 
rade vor  der  Flussmündung  zu  einer  von  die- 
^r  Stelle  begiimenden  einfachen  oder  mehr- 
fachen Gabelung  des  Flussbettes  (Fig.  4). 

Da  aber  die  flache  und  nur  wenig  über  ^'S-  3- 

das  Wassemiveau  aufragende  Oberfläche  der 
Delta's  diese  sowohl  den  Hochwassern  der 
Flüsse,  als  auch  den  Fluthen  des  Meeres 
ganz  besonders  zugänglich  und  dadurch  den 
Wirkungen  derUeberschwemmungen  vielfach 
unterworfen  sein  lässt,  so  ist  in  Bezug  auf 
die  Lage,  Zahl  und  Richtung  der  Wasser- 
anne, in  die  sich  ein  Flusslauf  in  seinem 

eigenen  Delta  zersplittert,  ein  steter  Wechsel  ^'^'  *' 

und  die  grösste  Verschiedenartigkeit  obwaltend.  Von  19  Armen,  aus  denen 
sich  der  Ural  früher  in  das  kaspische  Meer  ergoss,  sind  gegenwärtig  nur 
noch  fünf  wasserführend.  Die  Angaben  über  die  Mündungsarme  der  Rhone 
schwanken  zu  allen  Zeiten  und  einen  ähnlichen  Wechsel  zeigen  die  Mün- 
dungen des  Rheines,  des  Nils,  des  Yang-Tse-Kiang  und  Mississippi  und  vieler 
anderer  Delta-bildender  Flüsse.  In  zahllosen  Wasserläufen,  ein  vollkommenes  Netz- 
werk bildend,  durchrieseln  einzelne  Flüsse  ihr  Delta  so  z.  B.  Lena,  Nil,  Donau  U.A., 
in  gleichmässige,  kräftige  aber  nur  wenige  Wasserarme  zerlegen  sich  andere  Flüsse 
in  ihrem  Delta,  so  z.  B.  der  Rewa  auf  Viti-Levu,  einer  der  Fidschi-Inseln  und 
der  Mississippi  in  seinen  4  äussersten  Pässen;  endlich  ungetheilt  mit  regelmässi- 


2o6 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


ger  Fortführung  des  einen  Bettes  durchqueren  wieder  andere  Flüsse  ihr  Delta 
so  z.  B.  der  Ebro.     Kurz,  soviele  Deltas,  soviele  Verschiedenheiten  zeigen  sieb 
in   ihrer  Oberflächenbeschaffenheit.      Das  zeigt  schon,    dass  locale,    mehr  oder 
weniger  zufallige  Einflüsse  im  Einzelnen  die  Gestaltung  bedingen. 

So  ist  auch  gänzlich  verschieden  die  Grösse  und  die  Mächtigkeit  der 
Deltaablagerungen.  Der  Flächeninhalt  des  Ganges-  und  Bramaputra-Delta*s  l>e- 
trägt  8  Millionen  Hektaren,  die  des  Mississippi  3  Millionen.  Dagegen  verschwin- 
den die  Delta's  der  Rhone,  des  Ebro  und  die  kleinen  Alluvionen  in  den  Seen 
der  Schweizer  Alpen  oder  auch  den  grossen  Binnenmeeren  der  aralo-kaspischen 
Niederung. 

Die  Mächtigkeit  der  Delta's  ist  natürlich  nicht  überall  bekannt  Sie  hängt 
ab  von  der  Tiefe  des  die  Flussalluvionen  aufnehmenden  Meeres  oder  Seebeckens 
und  wächst  mit  der  Entfernung  von  der  Flussmündung.  Dass  sie  in  mancher 
Fällen  mehrere  100  Meter  beträgt,  zeigen  Tiefbohrungen  die  z.  B.  im  Nil-,  MibM>- 
sippi-,  Rhonedelta  u.  a.  ausgeführt  worden  sind. 

Ausser  den  mechanisch  mitgefiihrten  Bestand th eilen,  dem  Detritus,  der  au> 
der  gesteinzerstörenden  Thätigkeit  der  fliessenden  Wasser  in  den  Gebirgen  vor- 
nehmlich herrührt,  sind  es  chemisch  gelöste,  anorganische  Bestandtheile,  die  sie' 
wieder  abscheiden,  pflanzliches  und  thierisches  Material,  das  sich  miteinander 
vermengt  und  in  mehr  oder  weniger  regelmässiger  Folge  übereinander  schichtet 
Im  ruhigen  Wasser  eines  Binnensee's  werden  auch  hier  die  Verhältnisse  sich  ein- 
facher, regelmässiger  gestalten  als  in  dem  viel  bewegten  in  Ebbe  und  Fluth  Inn 
und  her  strömenden  Wasser  eines  Meeres. 

Aber  das  Bild  einer  aus  vielfach  verschiedenen  und  wiederholten  Ablagerun- 
gen gebildeten  Schichtenfolge,  mit  nahezu  horizontaler  oder  wenigstens  nur  weniz 
nach  auswärts  geneigter  Stellung  wird  doch  bei  allen  Delta's  im  Allgemeinen  /^i 
erkennen  sein,  so  sehr  auch  die  Einzelheiten  in  den  Sedimentbildungen  an  deni 
verschiedenen  Delta's  und  sogar  an  verschiedenen  Stellen  eines  und  dessellHrn 
Delta's  von  einander  abweichen.  Die  gröberen  Materialien  pflegen  in  steilerenl 
Schichten  abgelagert  zu  sein,  die  feineren  Sand-  und  Schlammartigen  Absätze  ii^ 
flacher  Böschung  den  äusseren  Abfall  des  Deltakegels  zu  bilden. 

Einige  Delta's  produciren  in  Folge  der  Zersetzung  der  in  ihnen  abgelagerte?^ 

organischen ,  faulendexi 
Jj^fiW^  und  verwesenden  SuI*h 
stanzen,  auffallende  C^a^i 
exhalationen.  Im  1\»' 
Delta  sind  es  Kohlen 
Wasserstoffe,  die  miteine^ 
gewissen  Heftigkeit  auH 
Oeffnungen  hervorbre- 
chen; im  Simeto-Delta  erscheinen  ähnliche  Kohlenwasserstoffexhalationen  mr 
salzigen  Wassern  zugleich  empordringend,  und  hierhin  gehören  ohne  Zweifel  al'ci 
sogen.  Schlammvulkane,  die  erweislich  auf  Delta-artigen  KüstenanschwemmuncvTii 
aufgesetzt  erscheinen:  so  die  Schlammvulkane  an  den  Ufern  des  Caspischer«! 
Meeres  z.  B.  auf  der  Naphta-Insel,  die  zum  Delta  des  alten  Flusses  von  Am::i 
Deri  gehört  und  ebenso  die  auf  der  Westseite  gelegenen  Bildungen  dieser  Ar* 
bei  Baku.  Auch  die  Schlammvulkane  von  Kertsch  und  Taman,  z\iischen  den« 
Schwarzen  und  Asow'schen  Meere  gelegen,  stehen  auf  alten  Deltaanschwemmun^c  n. 
die  noch  heute  vor  der  Mündung  des  Kubanflusses  sich  fortsetzen. 


t4isM9Mgmiir§au 


Die  Deltabildungen.  207 

Als  das  augenscheinlichste  Beispiel  dieser  Art  aber  können  die  sogen. 
Mud-Iumps  oder  Schlammkegel  an  den  Mündungen  der  Pässe  des  Missis- 
sippi Deltas  angeführt  werden.  Durch  das  heftige  Empordringen  der  aus  der 
Zersetzung  angehäufter  organischer  Substanzen  gebildeten  Gase  (Kohlensäure, 
Kohlenwasserstoffe  z.  Th.  brennnbar,  Stickstoff)  werden  Schlammassen  und 
salzige  Wassermengen  mit  emporgetrieben,  die  um  die  Austrittsöffnung  kleine 
flache  Kegel  mit  vollkommen  kratergleichen  Vertiefungen  bilden.  Diese  bleiben  oft 
Jahre  lang  in  wiederholten  Eruptionen  thätig.  Das  Innere  der  in  der  Regel  nur 
wenige  Meter  über  den  Meeresspiegel  aufragenden  Kegel  bildet  eine  kreisförmige 
Lagune.  Der  zu  einer  sehr  festen  Masse  sich  verhärtende  Schlamm,  aus  dem 
die  Kegel  sich  bilden,  giebt  ihnen  eine  gewisse  Dauerhaftigkeit.  Jedenfalls  ist 
die  Analogie  der  bei  den  Eruptionen  dieser  Schlammsprudel  beobachteten  Vor- 
gänge und  des  gesammten  Mechanismus  ihres  Kegelaufbaues  mit  denen  an  den 
eigentlichen  sogen.  Schlammvulkanen  beobachteten,  eine  so  vollständige,  dass 
man  selbst  für  die  nicht  auf  einem  Delta  gelegenen  Ausbruchsquellen  dieser  Art, 
doch  einen  Untergrund  vorauszusetzen  gezwungen  ist,  der  in  seiner  Beschaffenheit 
einer  Deltaablagerung  einigermassen  gleicht.  Das  Wesentliche  wird  sein,  dass  er 
ebenfalls  reichlich  abgelagerte  organische  Materie  enthält,  die  durch  ihre  Zer- 
setzung zu  einer  starken  Gasentwickelung  Veranlassung  zu  geben  vermag. 

Bei  vielen  dieser  Schlammsprudel  wird  sich  eine  solche  Annahme  als  zu- 
treffend erkennen  lassen.  Die  Maccaluba  in  Sicilien,  der  am  längsten  bekannte 
Schlammvulkan,  der  seinen  eigenen  arabischen  Namen  als  Gattungsnamen  auf 
alle  Quellen  dieser  Art  übertragen  hat,  liegt  auf  dem  Boden  tertiärer  Ab- 
lagerungen, für  welche  eine  littorale,  Delta-ähnliche  Entstehung  sowohl  aus  ihrer 
Lage  als  auch  ihrer  Beschaffenheit  unschwer  zu  erkennen  ist. 

So  ist  femer  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen,  dass  auch  auf 
manchen  anderen,  älteren  Delta- ähnlichen  oder  jedenfalls  littoralen  Ablagerungen, 
die  jetzt  z.  Th.  als  Glieder  aufgerichteter  Schichtensysteme  erscheinen  mögen, 
in  früheren  geologischen  Zeiten  solche  Schlammsprudel  ihre  Ursache  und  ihre 
Thätigkeit  gefunden  haben.  Bekanntlich  hat  man  für  gewisse  Schichten  und 
Erscheinungen  in  der  sogen.  Argila  scagliosa  der  Apenninenformation  die  Thätig- 
keit solcher  Schlammeruptionen  als  Erklärung  herangezogen  und  besonders  hat 
Th.  Fuchs  die  Entstehung  der  Flysch-  oder  Macignoschichten  in  solcher  Weise 
erklärt 

Ob  man  aber  den  Wirkungen  blosser  Mud-lumps  oder  Schlammsprudel  so 
ausgedehnte  Bildungen  zuschreiben  dürfe,  das  muss  doch  wohl  noch  für  fraglich 
gelten.  Da  ist  es  jedenfalls  wahrscheinlicher,  dass  diese  Bildungen  zwar  mit 
solchen  Schlammeruptionen  in  Verbindung  standen,  aber  nur  indem  sie  den  Unter- 
grund für  jene  abgaben  und  hierzu  durch  eine  Delta-ähnliche,  littorale  Ablagerung 
befähigt  waren.  Dem  Flysch  z.  B.  verleihen  unter  anderen  die  so  überaus  zahl- 
reich in  demselben  gefundenen  Wurmröhren,  die  sogen.  Hieroglyphen,  durchaus 
den  Charakter  brackischer,  an  organischen  Bestandtheilen  reicher  AUuvionen,  die 
ganz  einem  heutigen  Deltaboden  entsprechen  würden  Wenn  sie  daher  auch 
nicht  durch  Schlammeruptionen  ausschliesslich  gebildet  wurden,  mochten  sie 
doch  sehr  günstige  Bedingungen  und  die  geeignete  Unterlage  für  solche  dar- 
bieten und  die  erkermbaren  Produkte  derselben  finden  sich  daher  in  diesen 
Schichten  wieder. 

Freilich  tritt  bei  vielen  sogen.  Schlammvulkanen  in  der  hohen  Temperatur 
der  Gas-  und  Wassermengen  ihrer  Ausbrüche  ein  echt  vulkanischer  Umstand  hin- 


2o8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

zu.  Dieser  hängt  z.  Th.  direkt  von  einem  in  der  Nähe  befindlichen  vulkanischen 
Herde  ab,  ist  aber  auch  die  einzige  Beziehung  zu  wirklichen  Vulkanen;  denn  die 
wesentliche  Bedingung  bleibt  immer  die  an  organischen  Produkten  reiche  Be- 
schaffenheit des  Untergrundes  dieser  Schlammquellen. 

Schon  aus  dem  Vorhergehenden  ergab  sich,  dass  die  Deltabildungen  keines- 
wegs auf  die  Gegenwart  beschränkt  sind,  sondern  dass  auch  in  früheren  geo- 
logischen Epochen*  sich  solche  vollzogen.  Je  älter  aber  die  Periode  ihrer  Ent- 
stehung, um  so  schwieriger  werden  sich  dieselben  noch  heute  als  solche  wieder 
erkennen  lassen.  Aber  manche  alte  Schichtencomplexe,  die  als  locale  littorale 
Ablagerungen  charakterisirt  sind,  z.  B.  Conglomerate,  die  mit  feinkörnigen  Sanden 
und  feinschlammigen  Phylliten  wechsellagem,  erinnern  doch  auch  in  dieser  ihrer 
Structur  recht  auffallend  an  Deltabildungen.  So  ohne  Zweifel  die  littorale  Facicb 
in  vielen  Gebieten  der  Steinkohlenformation  und  der  Wealden  im  Südwesten  von 
England;  auch  gewisse  conglomeratartige  Bänke,  reich  an  zusammengeschwemmten 
Pflanzen  und  Muschelschalen,  die  in  den  Sanden  der  Kreideformation  der  Um- 
gegend von  Aachen  auftreten  und  viele  andere  Schichten  mögen  wohl  z.  Th.  aus 
alten  Deltaablagerungen  bestehen. 

Eine  wesentlich  andere  Frage  ist  die,  wie  weit  liegen  die  Anfange 
der  noch  heute  im  Bau  begriffenen  Deltaablagerungen  hinter  uns  zurück? 
Schon  die  so  sehr  verschiedene  Grösse  der  Areale,  welche  durch  Delta- 
bildungen geschaffen  worden  sind,  lässt  uns  wohl  vermuthen,  dass  nicht 
alle  gleiche  Zeiträume  zu  ihrer  Bildung  verwendet  haben.  Welch  ein  Abstand 
von  dem  nur  etwa  75  Tausend  Hektaren  Fläche  besitzenden  Delta  der  Rhone 
bis  zu  den  Deltaniederungen  des  Mississippi  mit  über  3  Millionen  oder  des 
Ganges  und  Bramaputra  mit  über  8  Millionen  Hektaren  Oberfläche  1  Und  wieder- 
um von  jenem  abwärts  bis  zu  den  nur  wenige  Hektaren  umfassenden  Delta's  in 
den  alpinen  See'nl 

Aber  die  Grösse  allein  giebt  uns  keineswegs  einen  Maassstab  zur  rich- 
tigen Schätzung  des  Alters;  denn  das  Maass  des  Wachsthums  ist  bei  den 
verschiedenen  Delta's  dazu  ein  allzu  sehr  verschiedenes.  Selbst  fiir  ein  und 
dasselbe  Delta  haben  die  Versuche,  ein  jährliches  mittleres  Wachsthuni  zu 
berechnen,  zu  Resultaten  geführt,  die  durchaus  von  einander  abweichen.  So 
ist  denn  im  Allgemeinen  den  hierfür  gewonnenen  Zahlen  keine  grosse  Beweis- 
kraft zuzusprechen.  Aber  dass  das  Maass  des  Wachsthums  im  Jahre  für  die 
verschiedenen  Delta's  ein  ganz  anderes  ist,  hat  doch  unzweifelhaft  sich  erkennen 
lassen. 

In  beispiellos  raschem  Fortschreiten  ist  das  Delta  des  Terek  im  kaspischen 
Meere  begriffen,  so  dass  das  Meer  in  30  Jahren  um  2  volle  deutsche  Meilen 
zurückgedrängt  und  eine  grosse  Strecke  landfest  gemacht  wurde.  Das  Maass 
des  jährlichen  Vorrückens  würde  sich  hiernach  auf  ca.  500  Meter  berechnen. 
Auch  am  Mississippi  ist  das  Vorrücken  ein  sehr  schnelles,  wenngleich  es  sehr 
verschieden  angegeben  wird,  von  einigen  Beobachtern  nur  auf  20  oder  80  Meter, 
von  anderen  auf  350  Meter  im  Jahre.  Ein  Beispiel  sehr  schnellen  Wachsthurob 
bietet  auch  das  Po-Delta,  an  dem  sich  das  Maass  der  Zurückdrängung  vom  Meere 
in  der  Geschichte  der  davon  betroffenen  Orte  deutlich  verfolgen  lässt.  Die  Stadt 
Hadria  jetzt  35  Kilom.  vom  Meere  entfernt,  war  noch  unter  den  ersten  römischen 
Kaisern  ein  Hafenplatz.  Ravenna,  einst  ebenso  ein  Seehafen,  ist  jetzt  durch 
6^  Kilom.  Küstenland  vom  Meere  getrennt  Das  Wachsthum  des  Po-Delta  scheint 
in  den  letzten  Jahrhunderten  sogar  wieder  zuzunehmen  und  mag  jetzt  im  Jahre 


Die  DellabildungeD.  209 

OL  70  Meter  betragen.  Nur  wenige  Meter  (1—5)  beträgt  das  Wachsthum  vieler 
anderer  Delta's  z.  B.  der  Donau,  des  Nil,  des  Tiber,  des  Simeto  in  Sicilien  u.  A, 
So  gewinnen  natürlich  nun  auch  die  Zahlen,  die  sich  berechnen  lassen,  wenn 
man  einer  Altersbestimmung  diese  Werthe  für  das  jährliche  Wachsthum  zu  Grunde 
legt,  eine  selbst  für  ein  und  dasselbe  Delta  sehr  schwankende  Grösse.  Ohne 
Zweifel  sind  bei  einzelnen  Altersberechnungen  grosse  Uebertreibungen  die  Folge 
davon.  FUr  den  Mississippi  stehen  sich  Werthe  gegenüber  wie  die  folgenden; 
Das  Alter  des  Delta's  soll  betragen 

4400  Jahre  nach  Humphrevs. 

33000         „  „        V.    Kl.ÖDE(J. 

67000      „        „     Lyell. 
136000      „        „     Vogt. 

Der  Unsicherheit  dieser  Resultate  gegenüber,  die  sich  in  ganz  gleicher  Weise 
t-  B.  auch  für  die  Altersbestimmungen  des  Nildelta  ergiebt,  erscheint  es  jeden- 
Ulis  nicht  gestattet,  ohne  Weiteres  die  höchsten  Werthe  zu  geologischen  Specu- 
ladonen  zu  verwenden,  im  Gegentheile  scheint  uns  die  Geologie,  wenn  alle 
hjnzelheiten  wohl  erwogen  werden,  eher  davon  zurückzuhalten,  gerade  an  den 
iJelta's  so  schwindelnde  Zahlen  abzulesen.') 

Man  wird  sich  für  die  Delta's  mit  ganz  allgemeinen,  relativen  Alters- 
l'cstimmungen  in  der  Regel  begnügen  müssen,  so  wie  sie  sich  aus  den  Lagerungs- 
verliältnissen  und  dem  Studium  der  in  den  ältesten  und  tiefsten  Ablagerungen 
«ines  Delta's  eingeschlossenen  organischen  Reste  ergeben.  Dann  findet  man 
als  ganz  allgemeines  Resultat,  dass  wohl  bei  keinem  Delta  die  ersten  Anfänge 
seiner  Bildung  über  die  Schwelle  der  Gegenwart,  geologisch  gesprochen,  hinaus- 
reichen, sondern  dass  sie  alle  auf  Unterlagen  aufgeschüttet  sind,  die  den  jüngsten 
/leiten  der  diluvialen  Epoche  oder  sogar  älterem  Alluvium  angehören  und  dass 
die  in  ihnen  begrabenen  Pflanzen  und  'Jhiere  noch  jetzt  an  jenen  Stellen  leben- 
den, kaum  veränderten  Gattungen  angehören. 

Wenn  es  auch  im  Vorhergehenden  mehrfach  ausgesprochen  wurde,  dass  alle 
fJekabildungen  auf  die  gemeinsame  Ursache  der  Ablagerung  fluviatiler  Sinkstoffe 
\or  der  FlussmUndung  zurückgefUhn  werden  müssen,  so  ist  doch  damit  allein 
ihre  Entstehungsweise  keineswegs  ganz  erklärt:  Die  ^'eTschiedenheite^  in  der 
litstaltung ,  dem  Wachsthum  der  Delta's  lassen  noch  andere  mitwirkende 
Factoren  erkennen.  Ganz  besonders  erscheint  es  auflallend,  dass  nicht  alle  Flüsse 
deltabildend  sind,  sondern  sehr  viele  jeder  vorgelagerten  Deltaablagerung  zu  ent- 
iiehren  scheinen,  obschon  man  doch  keinem  Flusse  den  gänzlichen  Mangel  an 
binkstoffen  zuschreiben  kann. 

So  erscheint  denn  die  Möglichkeit  der  Delubildung  an  gewisse  Bedingungen 
geknüpft  zu  sein,  die  unabhängig  sind  von  der  blossen  sedimenlirenden  Thätig- 
leit.  die  allen  fliessenden  Wassern  in  wechselndem  Grade  gemeinsam  ist. 

Am  nächsten  liegt  es,  ein  gewisses  Maass  an  suspendirten  Bestandthejlcn, 
einen  grösseren  Reichthum  an  Sinkstoffen  als  erste  Bedingung  zur  Delubildung 
uizunehmen,  so  dass  die  daran  ärmeren  Flüsse  nicht  deltabildend  werden  könnten. 
Ircilich  ist  der  Betrag  an  mitgefiihrten  Bestandtheilen  bei  den  Flüssen,  die  ganz 
l*sondeis  schnell  wachsende  und  grosse  Delta's  besitzen,  auch  ein  ungewöhnliiO» 
[.oher.    So  ist  es  gewiss  richtig,  das  Maass  des  VVachsthums  in  Abhängigkeit  zu  setzet) 

';  Veigl.  Th.  KjERULFt  Einige  Chronometer  der  Geologie.  U1«T>eUl  »un  Dr.  R.  Loot^^v 
Shtha   1S80.  C  HabeL 

t^>'.<i<^n.  Min.,  Gcol.  u.  PaJ.    [.  14 


2IO  Mineralogie,  Geologie  und  Pftlaeontologie. 

von  dem  Maasse  der  Sinkstofie.  Bei  anderen  Flüssen  mag  auch  die  Annuth  an 
Sedimentmaterial  die  Bildung  eines  Delta's  verhindern,  z.  B.  bei  der  Themse. 
Es  giebt  aber  viele  au  suspendirtem  Material  ganz  ausserordentlich  reiche  Flüsse, 
die  dennoch  keine  Delta's  bilden  und  hinwiedenim  andere  daran  sehr  arme,  die 
solche  Ablagerungen  vor  ihre  Mündung  legen.  Es  kann  daher  der  Sediment* 
reichthum  allein  nicht  die  Bedingung  zur  Deltabildung  sein. 

Ebenso  wenig  ist  es  die  grössere  oder  geringere  Stromgeschwindigkeit,  der 
ein  bedingender  Einüuss  auf  die  Deltabildung  zugeschrieben  werden  kann.  rDer 
pfeilschnell  dahinschiessende  Mississippi,  der  träge  dahinschleichende  Nil,  beide 
bauen  Delta's  auf.« 

Eine  sehr  wesentliche  Aenderung  im  Maasse  der  bis  zur  Mündung  eine^ 
Flusses  gelangenden  suspendirten,  besonders  gröberen  SedimentstofTe  bewirken 
allerdings  Binnensee'n,  durch  welche  ein  Fluss  hindurchströmt.  Es  erscheint 
wohl  denkbar,  dass  durch  den  hier  sich  vollziehenden  Klärungsprocess,  die 
Möglichkeit  zu  einer  Deltabildung  vor  der  Mündung  aufgehoben  werde.  Dass 
auch  dieses  aber  nicht  durchgreifend  der  Fall  ist,  beweist  u.  A.  die  Rhone,  die 
im  Genfer  See  ein  Delta  bildet  und  doch  auch  ein  solches  vor  ihre  Mündung 
legt,  der  Rhein,  der  trotz  des  Bodensee's  sein  Delta  gebaut  hat,  die  Newa,  die 
nur  60  Kilometer  lang  aus  dem  Ladogasee  ins  Meer  fliesst  und  doch  deltabauend 
ist  und  manche  andere. 

Dass  aber  dennoch  unter  besonderen  Verhältnissen,  wo  eben  dieser  Klärungv 
j)rocess  mehrfach  sich  wiederholt  und  dadurch  sehr  intensiv  wirksam  wird,  wie 
z.  B.  an  den  Flüssen  von  Schweden,  die  eigentlich  nur  eine  Reihe  verbundener 
Seebecken  darstellen,  die  Deltabildung  hierdurch  unmöglich  gemacht  ^ird,  da> 
ist  durchaus  annehmbar. 

Eine  Bedingung  zur  Deltabildung  ist  dann  femer  gewiss  die  nicht  allzugrosse 
Tiefe  des  aufnehmenden  Wasserbeckens  vor  der  Mündung  eines  Flusses.  Die 
mit  Gerollen  übermässig  beladenen  und  zur  Regenzeit  mit  reissendem  Gefalle 
ins  Meer  stürzenden  Fiumaren  an  der  ganzen  Nordküste  Siciliens  bilden  keine 
Schuttkegel  und  Delta's  im  Meere,  da  hier  die  Küstenabfälle  steil  in  grosse  Tiefen 
hinabgehen  und  daher  die  Sedimente  spurlos  verschwinden  und  auf  dem  Meere>- 
boden  ausgebreitet  werden.  In  der  That  zeigen  auch  die  meisten  delta-bildenden 
Flüsse  vor  ihren  Mündungen  einen  seichten,  wenig  geneigten  Meeresgrund:  so  djc 
Flüsse  der  Ostsee,  des  adriatischen  Meeres,  Nil,  Mississippi,  Ganges  und  Welt- 
andere.  Freilich  giebt  es  auch  hier  wieder  Ausnahmen,  so  die  Küstenfiumaren 
an  der  Riviera,  die  trotz  grosser  Meerestiefen  Schuttdelta's  aufrichten  und  die  trotz 
flachem  Meeresgrunde  deltafreien  Mündungen  der  Elbe  und  der  Themse. 

Auch  das  Vorhandensein  vorausgebildeter  Uferwälle  ist  nicht  eine  allgemeiner 
Bedingung  zur  Deltabildung,  sondern  kann  auch  nur  als  ein  begünstigender  Um 
stand  gelten;  gerade  an  den  ins  offene  Meer  hinaus  mündenden  und  deltabilder> 
den  Flüssen  fehlen  diese  Uferwälle  oder  Nehrungen  ganz.     Die  Delta's  wachsen 
aber  selbst  dort,  wo  solche  vorhanden  sind,  später  ruhig  über  den  Strandwa' 
hinaus. 

Auch  der  Einfluss  der  Gezeiten  auf  die  Deltabildungen  ist  weder  in  be- 
stimmter Weise  als  so  störend,  noch  als  so  fbrdemd  zu  erkennen,  dass  nir  die 
Deltaentstehung  als  irgendwie  von  ihnen  abhängig  anzunehmen  vermöchten. 

Dass  gewisse  Strömungen  im  Meere  auf  die  Gestaltung  der  Deltabildun|:en 
Kinfluss  haben,  sowie  natürlich  die  in  Flüssen  sich  ablagernden  Delu's  immer 
al>wärts  der  Mündung  des  Seitenflusses  und  nicht  gerade  vor  derselben  ihre  Hau)»t 


Die  Deltabildungen.  21 1 

Sedimente  aufweisen,  wurde  schon  im  Vorhergehenden  erwähnt  Dass  aber  solche 
Strömungen  in  höherem  Maasse  überhaupt  als  begünstigend  oder  verhindernd  für 
Deltabildungen  gelten  dürfen,  das  hat  sich  aus  den  bis  jetzt  vorliegenden  Beob- 
achtungen keineswegs  ergeben.  An  Küsten,  welche  der  Einwirkung  derselben 
Meeresströmung  ausgesetzt  sind,  liegen  oft  nahe  bei  einander  deltafreie  und 
deltabildende  Mündungen :  Amazonas  und  Orinoco ;  und  in  gleicher  Weise  liegen 
Delta's  an  solchen  Küsten,  die  kaum  einer  erheblichen  Stromwirkung  ausgesetzt 
sind  und  an  solchen,  bei  denen  diese  Strömung  ausserordentlich  kräftig  erscheint : 
Mississippi,  Nil. 

Aber  auf  die  Gestaltung  und  die  Grösse  und  ganz  besonders  auch  auf  die 
Richtung  des  Wachsthums  der  Delta's  üben  Meeresströmungen  einen  sehr  viel- 
artigen Einfluss  aus,  zu  dem  sich  in  ähnlicher  Weise  wirkend  auch  noch  die 
Thätigkeit  der  Winde  hinzugesellt:  diese  besonders  durch  die  von  ihnen  bewegten 
Meereswellen  zerstörend  und  aufbauend,  aber  immer  umgestaltend,  und  in 
manchen  Fällen  wol  auch  die  Gestalt  bedingend.  Denn  dass  durch  sehr  vor- 
herrschende Küstenwinde  auch  die  Richtung  der  Ablagerungen  vorgeschrieben 
V.  erden  kann,  das  ergiebt  sich  schon  daraus,  dass  durch  diese  Winde  auch  gleich- 
sinnige W^asserströmungen  hervorgerufen  werden.  So  schiebt  sich  nach  E.  Reclus 
unter  dem  heftigen  Blasen  des  Mistrals  das  Rhone-Delta  mehr  und  mehr  nach 
«ilen. 

Aber  keinem  dieser  einer  Deltabildung  günstigen  oder  ungünstigen  Einflüssen 
kann  eine  allgemeine  bedingende  und  daher  die  geographische  Vertheilung  der 
Delta's  vollständig  erklärende  Bedeutung  zuerkannt  werden.  Erst  R.  Credner  hat 
dieses  in  einer  ausfuhrlichen  Arbeit  nachgewiesen  und  dann  gleichzeitig  es  sehr 
wahrscheinlich  gemacht,  dass  dieser  allgemeine  bedingende  Einfluss  auf  die 
Deltabildung  in  den  Niveauveränderungen  des  Festlandes,  in  dem  Steigen  und 
Fallen  des  Meeresspiegels  gesucht  werden  müsse.  In  der  That  scheint  es  von 
vornherein  vollkommen  verständlich,  dass  eine  noch  so  intensive  Ablagerung  von 
Sedimenten  vor  der  Mündung  eines  Flusses  nicht  dazu  führen  kann,  dass  ein 
sichtbares,  landfestes  Delta  entsteht,  wenn  der  Boden  des  aufnehmenden  Meeres 
in  einem  stärkeren  Maasse  einsinkt,  als  die  durch  die  Sedimentirung  bewirkte 
Erhöhung  desselben  beträgt.  Nur  dann,  wenn  die  Sedimentirung  eine  so  starke 
ist,  dass  sie  das  Maass  der  Senkung  zu  überwinden  vermag,  ist  auch  die  Bildung 
von  Delta's  nicht  ausgeschlossen.  Nur  an  wenigen  Küstenstellen  scheint  aber 
dieses  der  Fall  zu  sein  und  eine  von  Credner  in  der  eben  angeführten  Ab- 
handlung gegebene  tabellarische  Zusammenstellung  aller  sinkenden  und  aus- 
hebenden Küsten  mit  den  ihnen  zugehörigen  Delta's  constatirt  auf  das  Auf- 
fallendste, dass  die  Küstenstrecken,  an  denen  Senkungserscheinungen  nachweisbar 
sind,  ausnahmslos  deltafreie,  weit  geöffnete  und  trichterförmige  Flussmündungen 
aufweisen,  dagegen  die  in  Hebung  begriffenen  Küsten  auch  ebenso  mit  den  delta- 
bildenden Flüssen  zusammenfallen. 

Bei  einigen  Flüssen  ist  der  ursächliche  Zusammenhang  von  Hebungs-  und 
Senkungserscheinungen  mit  der  Deltaentstehimg  ganz  besonders  deutlich.  Der 
Rhein  hat  in  früheren  Zeiten  ein  sehr  ausgedehntes  Delta  gebildet,  dessen  land- 
wärts gerichtete  Spitze  etwa  bis  in  die  Nähe  von  Emmerich  verlegt  werden  kaim, 
dort  wo  die  Dreitheilung  in  Waal,  Leck  und  Yssel  sich  vollzieht.  Jetzt  baut  der 
Rhein  sein  Delta  nicht  weiter,  im  Gegentheil  sind  seine  und  der  Maas  und  Scheide 
Mündungen  weite  trichterförmige  Buchten  oder  latente  Delta's.  Zahlreiche 
Sachen  und  besonders  die  wiederholten  Einbrüche  des  Meeres  documentifen 

14* 


212  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

gleichzeitig  die  noch  fortdauernde  einsinkende  Bewegung  der  ganzen  niederiändi- 
schen  Küsten. 

Alle  Flüsse  des  mexicanischen  Meerbusens  sind  ganz  besonders  deltabildend 
und  die  Versandung  der  Häfen  und  die  Bildung  von  Inseln  und  Nehrungen  ist 
dort  schnell  fortschreitend.  Gerade  hier  aber  sind  auch  allenthalben  andere 
deutliche  Beweise  für  die  aufsteigende  Bewegung  dieser  Küsten  vorhanden. 

Ganz  besonders  beweisend  aber  erscheinen  die  durch  v.  Richthofen*)  mit- 
getheilten  Erscheinungen  an  der  Ost-Küste  von  China.  Hier  grenzen  in  der  in 
den  Tshusan-  Inseln  auslaufenden  Gebirgskette  ein  nördliches  Hebungs-  und  ein 
südliches  Senkungsgebiet  aneinander,  dadurch  haben  die  ungeheuren  Anschwem- 
mungen der  Riesenströme  des  Nordens  eine  landfeste  Ebene  erzeugt,  während 
die  allerdings  geringeren  der  südlichen  Flüsse  unter  Wasser  bleiben. 

»An  der  neutralen  Stelle  in  der  Mitte  umsäumen  breite  Schlammbänke  im 
Niveau  der  Flut  das  Land.  Sollte  sich  die  Bewegung  umkehren,  so  würde  die 
nördliche  Ebene  unter  dem  Meere  verschwinden,  im  Süden  aber  ein  Küstenstrich 
von  Alluvialland  geschaffen  werden.« 

So  lässt  sich  das  Gesetz  der  Deltabildung  etwa  so  in  allgemeinster  Fassung 
und  Kürze  ausdrücken: 

AlVe  Flüsse  lagern  vor  ihren  Mündungen  Sedimente  ab,  deren  Ge- 
staltung, Anordnung  und  Beschaffenheit  durch  locale  Einflüsse  sehr 
verschieden  werden  kann.  In  den  ersten  Phasen  sind  alle  Ab- 
lagerungen dieser  Art  latent,  d.  h.  vom  Meere  oder  aufnehmenden 
Wasser  bedeckt.  Ob  sie  aus  der  Phase  latenten  Bestehens  in  die  des 
eigentlichen,  sichtbaren  Delta's  übergehen,  das  hängt  in  erster  Linie 
davon  ab,  ob  die  Küste  in  auf-  oder  abwärts  gerichteter  Bewegung  be- 
griffen ist.  Einsinkende  Küsten  oder  aufsteigendes  Meeresniveau  ge- 
statten nur  die  Bildung  latenter  All u  vi onen;  an  Stelle  sichtbarer  Deltas 
erscheinen  hier  die  trichterförmig  erweiterten  Flussmündungen  oder 
Aestuarien,  daher  mit  Recht  auch  als  negative  Delta's  bezeichnet. 
Sichtbare  oder  positive  Delta's  sind  nur  an  aufsteigenden  Küsten 
d.  h.  mit  sinkendem  Meeresniveau  möglich. 

Hierdurch  gewinnt  denn  auch  die  Eintheilung  der  Deltabildungen  in  latente, 
oder  negative  und  sichtbare  oder  positive  ihre  genetische  Begründung. 

Die  geologische  Bedeutung  der  Deltaablagerungen  für  die  Gestaltung  und 
Verändenmg  der  Festlandsmassen  geht  aus  der  Betrachtung  der  Grösse  und 
Mannigfaltigkeit  der  sichtbaren  Delta's  vor  allem  hervor,  wenngleich  auch  die 
latenten  Ablagerungen  sowohl  in  der  Erhöhung  und  Ausebnung  des  Meeresbodens, 
als  auch  in  der  erhöhten  Belastung  desselben  geologische  Arbeit  leisten.  Von 
dieser  wird  noch  an  anderer  Stelle  die  Rede  sein. 

Die  wesentlichsten  Veränderungen  in  den  Reliefs  und  Conturen  der  Conti- 
nente  durch  sichtbare  Delta's  sind:  Erhöhung  der  Uferdämme  und  nach  und 
nach  ganzer  Uferlandschafben  im  Unterlaufe  deltabildender  Ströme;  Vereinigimg 
vorliegender  Insel gnippen  durch  vorrückende  Delta's  mit  dem  Festlande;  Ver- 
schmelzung mehrerer  Delta's  und  der  ihnen  zugehörigen  Flussgebiete  zu  einem 
einzigen;  Ausfüllung  von  See'n  und  Binnenmeeren;  Theilung  von  See'n  und  Ab 
schnürung  von  Meeresbuchten  und  hierdurch  erfolgende  Neubildung  abgeschlossener 
Seebecken. 


•)  Zeitsch.  d.  Deutsch,  geolog.  Gesch.  1874.  pag.  957;  auch  bei  Credner,  l.  c.  pcg.  71 


Devonisches  System.  213 

In  dem  Nachweise  und  der  Erforschung  deltaähnlicher  Ablagerungen  und 
ihrer  Verhältnisse  in  den  älteren  Formationen  eröffnet  sich  noch  ein  vielfache 
Resultate  versprechendes  Gebiet  geologischer  Untersuchung. 

Literatur:  Crrdner,  R..  Die  Deltabildungen  in  Petermann's  Mittheilungen  1878,  Er- 
ginznngsband.  Lyell,  Ch.,  Principles  of  Gcology.  Cap.  18  u.  19.  10.  Edit.  London  1874. 
Reclüs,  Eusee,  La  terre.  Tome  ü.  Paris  1869.  Stoppani,  Antonio,  Corso  die  Geologia, 
Cip.  Xm.  Vol.  L  Milano  1871.     Vogt,  C,  Geologie.    Bd.  11.     III.  Aufl.     Braunschweig  1876. 


Devonisches  System 

von 

Dr.  Friedrich  Rolle. 

Unter  dem  Namen  devonisches  System  begreift  man  eine  bis  zu  ein  paar 
Tausend  Meter  mächtige  Schichtenfolge,  welche  das  silurische  System  über- 
lagert und  gleichwie  dieses  vorwiegend  aus  thonigen  oder  sandigen  Ablagerungen, 
besonders  Thonschiefer,  Sandstein,  Grauwackenschiefer,  Conglomeraten  u.  dergl. 
besteht  imd  dazwischen  noch  Lager  von  Kalkstein  oder  Dolomit  eingeschaltet 
enthält,  seltener  auch  wohl  geringere  Flötze  und  kleinere  Nester  von  Alaunschiefer 
Anthracit,  Rotheisenstein  u.  s.  w.  beherbergt.  Ueberlagert  wird  dies  Schichten- 
system von  den  unteren  Schichten  der  Steinkohlenformation  oder  des  carbonischen 
Systems  und  zwar  in  der  Regel  vom  meerischen  Kohlenkalk  (Mountain  Lime- 
^tone).  Seinen  Namen  hat  das  devonische  System  von  seinem  Vorkommen  in 
der  englischen  Grafschaft  Devonshire. 

Hierher  gehört  namentlich  der  sogen,  alte  rothe  Sandstein  (old  red  sand- 
stone)  der  Engländer,  welcher  in  Süd-Wales  und  in  Schottland  entwickelt  erscheint. 
Dann  das  rheinische  Grauwackenschiefer-Gebiet,  welches  der  Rhein  in  einer  tiefen 
Rinne  zwischen  Bingen  und  Bonn  durchbricht,  femer  der  fossilreiche  Eifeler  Kalk- 
stein, die  Rotheisensteine  von  Nassau  und  Westphalen  u.  s.  w. 

Für  die  Abgrenzung  des  devonischen  vom  silurischen  System  ist  vor  Allem 
das  massenhafte  Auftreten  der  Graptolithen  im  Silur  und  das  vollständige  Fehlen 
derselben  im  Devon  ein  entscheidendes  Merkmal.  Gleichwohl  bleibt  eine  ge- 
wisse Schichtenfolge  an  der  Grenze  der  beiden  Formationen  noch  einigermassen 
in  Zweifel.  Die  Grenze  nach  oben  bestimmen  Trilobiten,  z.  B.  das  letzte  Vor- 
kommen von  Phacops  latifrons  Bkonn  und  anderer  Arten. 

Die  in  der  Silurformation  schon  ausgesprochene  Ablösung  der  jeweiligen  Lebe- 
welt einer  Zone  durch  eine  neue  Flora  und  Fauna  in  der  darüber  folgenden  Zone 
vetzt  sich  im  devonischen  System  fort.  Eine  grosse  Anzahl  in  der  silurischen 
Lcbewelt  vertretener  Arten,  Gattungen  und  Familien  sind  im  devonischen  System 
bereits  erloschen  z.  B.  die  Graptolithen,  die  Cystideen,  die  Lituiten,  eine  Anzahl 
von  Trilobiten-Gattungen  wie  Calymme  und  AgtiostuSy  auch  einige  Korallen,  z.  B. 
Hdysites.  Nur  die  Minderzahl  reicht  in  dieses  fort,  namentlich  nur  wenige 
Arten,  z.  B.  von  Brachiopoden,  Airypa  reticularis,  Strophotnena  depressa  u.  s.  w. 

Neue  Arten,  oft  auch  neue  Gattungen  und  Familien  treten  an  die  Stelle  der 
erloschenen  Formen  und  mit  ihnen  macht  sich  eine  ausgesprochene  Ausbildung 
böher  organisirter  Lebewesen  geltend.  Namentlich  tritt  das  Land-  und  Luftleben 
mit  einer  bereits  formenreich  entwickelten  Landflora  auf  den  Schauplatz  und  es 
mag  auch  damals  schon  eine  gewisse  Thierbevölkerung  das  Festland  bewohnt 
baben,  deren  Reste  uns  allerdings  bis  jetet  in  fossiler  Erhaltung  noch  nicht  bc- 
i^aont  geworden  sind. 


214  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Im  Grossen  und  Ganzen  sind  für  die  gestiegene  Ausbildung  der  organischen 
Welt  im  devonischen  Zeitalter  folgende  documentirte  Erscheinungen  bezeichnend: 
In  der  Landflora  werden  die  Vertreter  häufiger.  Die  Gefasspflanzen  sind  in 
wachsender  Entwicklung.  Hier  erscheinen  bereits  Calamiten,  Famen,  Lycopodia- 
ceen  und  Coniferen.  In  der  Meeresfauna  zeigen  sich  namentlich  die  Fische  in 
entschiedener  Zunahme  an  Zahl  der  Arten,  der  Gattungen  und  der  Familien,  da- 
bei erscheinen  die  Ganoiden  hier  in  einigen  riesenhaften  Gestalten.  Eckschuppige 
Ganoiden  erscheinen  hier  zum  ersten  Male.  Amphibien  und  Reptilien  sind  hier 
noch  nicht  bekannt.  Vieles  im  Fortschritt  der  Lebensformen  entgeht  uns  noch 
zufolge  unserer  geringen  Bekanntschaft  mit  der  Lebewelt  des  damaligen  Festlandes. 
Es  ist  aus  guten  Gründea  anzunehmen,  dass  im  devonischen  Zeitalter  das  Fest- 
land ausser  einer  reichlich  entfalteten  Landflora  auch  schon  Landthiere  und  Süss- 
wasserthiere  z.  B.  Würmer,  Insekten,  Krebse  und  Amphibien  besass.  Die  Land- 
fauna des  nachmals  folgenden  Steinkohlensystems  reizt  uns  zu  einer  solchen  Ver- 
muthung.  Ihre  Reste  sind  aber  noch  nicht  gefunden.  Auch  mögen  die  Mehr- 
zahl von  zartem  Bau  und  zu  weich  ftir  fossile  Erhaltung  gewesen  sein. 

Jedenfalls  war  in  der  devonischen  gleich  wie  in  der  silurischen  Zeit  das  Meer 
vorwiegend.  Die  devonischen  Ablagerungen  gehören  alle  noch  dem  Meere  an 
und  selbständige  Land-  und  Süsswasser-Schichten  sind  noch  nicht  beobachtet. 
Doch  ist  im  Meeresgebiet  des  devonischen  Systems  der  Gegensatz  der  besonderen 
Facies  schon  beträchlicher  als  im  Silur-System.  Absätze  aus  tieferem  und  aus 
seichterem  Meer  treten  in  grösserem  Maassstabe  hervor. 

Korallenreiche  RifFbildungen,  welche  neben  zahlreichen  Stern-  und  Röhren- 
Korallen  auch  Reste  von  Crinoideen,  Brachiopoden,  Trilobiten  u.  s.  w.  führen, 
lassen  sich  in  vielen  devonischen  Kalklagem  —  in  ausgezeichneter  Weise  nament- 
lich in  den  Kalksteinen  der  Eifel  —  erkennen  und  stellen  die  Absätze  aus  seich- 
teren Meeresgewässem  dar.  Nehmen  wir  unsere  heutigen  tropischen  Riff-Korallen 
zum  Ausgangspunkt,  so  werden  wir  auf  30,  40,  50  Meter  Tiefe  geführt  Auch 
muss  die  Riffbildung  ausserhalb  des  Einflusses  grösserer  Festland-Ströme  ange- 
nommen werden.  Aber  auch  eine  Region  der  offenen  See  mit  grösseren  Meeres- 
tiefen muss  damals  schon  bestanden  haben  und  in  ihr  mag  die  Hauptheimath  der 
devonischen  Pteropoden  und  Cephalopoden  gesucht  werden. 

Gleichen  Alters,  aber  unter  anderen  Ablagerungsbedingungen  entstanden  ist 
die  in  Schottland  und  Süd-Wales  weit  ausgedehnte  Schichtenfolge  des  old  red 
sandstone.  Sie  ist  von  der  mehr  pelagischen  Facies  der  Devonformation  ver- 
schieden in  Gestein  und  in  Fossileinschlüssen.  Es  ist  eine  Schichtenreihe  von 
Conglomeraten  und  Sandsteinen  mit  zahlreichen  Resten  von  gepanzerten  Ganoiden 
'.Pterickthfs,  Coccosfeus,  Cephalaspis)  sowie  von  Dipterinen  (Dipterus^  OsttoUpts 
und  «inderen  Ganoiden-Formen.  Hier  fehlen  die  Korallen  und  Brachiopoden  fast 
gani.  ebenso  auch  die  Cephalo[>oden  und  Trilobiten.  Offenbar  ist  der  old  red 
eine  Ablagerung  aus  einem  flacheren  Meeresgebict  in  der  Nähe  eines  Festlandes, 
dessen  Flüsse  eine  reichliche  Zufuhr  von  Sand,  Lehm  und  Gerollen  hereinbrachten. 
Der  old  red  ist  also  das  litorale.  Welleicht  selbst  brackische  Aequivalent  der  mehr 
pelagischen  übrigen  Ablagerungen  der  Devon-Formation.  Das  Fehlen  der  .\n- 
thojrocn  und  der  Brachiopoden  kann  auf  theilweise  durch  festländisches  Fluss- 
wasser ausgesussie  seichtere  Meeresbecken  oder  Buchten  bezogen  werden,  aber 
eine  si^eciüsche  Hrackwasserfauna  ist  hier  ^ne  überhaupt  in  allen  älteren  Forma- 
tionen noch  nicht  ausgebildet. 

Fs  gab  sicher  in  der  de^onischen  F|KM:he  schon  Festlander  und  Inseln.  Sic 


Devonisches  System.  215 

beherbergten  stellenweise  SUsswassersümpfe  und  einen  vielleicht  hier  und  da  sehr 
reichlich  entfalteten  Pflanzenwuchs,  der  auch  schon  Kohlenlager  erzeugt  haben 
kann.  Einschlüsse  von  Calamiten,  Famen,  Sigillarien,  Lepidodendren  und  Coni- 
feren  in  devonischen  Schichten  verkünden  die  Vegetation  des  nahen  Festlandes. 
Es  treten  auch  schon  in  der  devonischen  Schichtenreihe  —  wenn  gleich  nur 
selten  und  geringmächtig  z.  B.  im  Cypridinen-Schiefer  von  Nassau  —  Flötzchen  und 
Nester  von  Anthracit  auf.  Wir  wissen  aber  nichts  Näheres  über  die  Art  ihrer 
Entstehung. 

Man  gliedert  gewöhnlich  die  devonische  Formation  in  drei  engere  Schichten- 
gruppen ab,  die  sich  auch  über  grosse  Gebiete  hin  ziemlich  sicher  verfolgen 
lassen. 

Das  untere  Devon  besteht  in  Deutschland  vorwiegend  aus  Sandsteinen,  Sand- 
schiefem (oder  Grauwackenschiefem)  Thonschiefem  (u.  a,  Dachschiefer).  Dahin 
gehört  namentlich  der  rheinische  Grauwackenschiefer  mit  zahlreichen  Brachiopoden 
besonders  Spirifer  macropttrus  Goldf.)  zahlreichen  Abdrücken  und  Steinkemen 
von  Crinoideen-Stielen  (oder  sogen.  Entrochiten),  femer  Steinkemen  von  Pleuro' 
dicfyum  prohlematicum  Gf.  (eine  Koralle  von  zweifelhafter  Stellung)  hie  und  da 
auch  Trilobiten  (besonders  Homalonotus)^  endlich  auch  oft  mit  Zweischalem,  wie 
PUrmea,  sowie  vielen  Brachiopoden- Arten. 

Das  mittlere  Devon  ist  in  Deutschland  besonders  durch  Kalksteine  vertreten, 
zu  denen  namentlich  der  Eifeler  Kalk  gehört,  an  anderen  Stellen  durch  thonig- 
sandige  Ablagemngen,  wie  namentlich  in  Westphalen.  An  vielen  Stellen,  wie  zu 
Gerolsteb  in  der  Eifel  und  zu  Villmar  in  Nassau  führt  der  Devonkalk  (oder 
Stringocephalenkalk)  zahlreiche  wohlerhaltene  Meeresfossilien.  So  namentlich 
Korallen,  wie  CyathophyUum  helianthoidts ^  C,  caespitosum ,  Favosites  cervicornis 
AheciUes  suborbicularis ,  Aulopora  repens  u.  s.  w.  Ferner  Brachiopoden,  wie 
StringccepheUus  Burtini,  Uncites  gryphus,  Spirifer  specidsus,  Orthis  umbraculum. 
Auch  manche  Acephalen,  Gasteropoden  (wie  Murchisonia  und  Macrocheilus)  und 
Cephalopoden  (besonders  Arten  von  Orthoceras  und  Cyrtoceras)  sind  häufig.  Die 
Trilobiten  kommen  noch  in  mehreren  Gattungen  vor.  Von  ihnen  ist  Phacops  ia- 
tifrons  Bronn  zu  Gerolstein  häufig  und  oft  vortrefflich  erhalten.  Fischreste  sind 
hier  eine  Seltenheit.  Aber  Crinoideen  in  armtragenden  Kelchen  wohlerhalten  und 
häufig  zu  Gerolstein  wie  selten  an  einem  andem  Ort.  So  namentlich  die  grossen 
geschlossenen  Kelche  der  CupressocrinuS' Arten. 

Das  obere  Devon  besteht  in  Deutschland  aus  wechselnden  Lagem  von 
Schiefem,  Kalksteinen  imd  Sandschiefem.  Hier  treten  Goniatiten  und  Clymenien 
besonders  in  den  Vordergnmd.  In  anderen  Schichten  von  feinem  Thon  sind 
Cypridinen-Gehäuse  in  zahllosen  Mengen  ausgestreut  (Weilburg,  Dillenburg). 
Es  giebt  endlich  auch  eine  Brachiopoden-Facies  des  oberen  Devon  und  für  diese 
ist  Spirifer  Vemeuili  (S.  disjunctus)  bezeichnend. 

In  Südwales  und  in  Schottland,  auf  den  Orkneys  und  den  Shetlands-Inseln 
ist  die  devonische  Formation  vorzugsweise  durch  Sandsteine  und  Conglomerate 
vertreten,  die  meist  eine  braunrothe  ocherige  Färbung  zeigen.  Dies  ist  der  alte 
rothe  Sandstein  oder  old  red  sandstone  der  Engländer.  Er  wird  ein  Paar  tausend 
Meter  mächtig.  Dies  ist  ein  eigenthümlich  geartetes  Aequivalent  der  drei  Stufen 
des  Devon  zusammen.  Hier  fehlen  Korallen,  Brachiopoden,  Cephalopoden, 
Trilobiten  so  gut  wie  ganz.  Dafür  treten  hier  die  Fische  in  bemerkenswerther 
Häufigkeit  hervor,  nur  von  Estherien  und  sehr  wenig  anderen  Fossilien  begleitet. 
Hier  ist  die  Hauptlagerstätte  der  gepanzerten  Ganoiden,  namentlich  des  Ctphalas- 


2i6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

pis  Lyeilt  Ac.   und  des  Coccosteus  decipiens    Ag.  —  die    ypiscina   närabiÜS'    von 
Cacthness  wie  R.  Owen  sagt. 

Bei  Dorpat  und  anderen  Orten  in  Russland  erscheint  das  obere  Devon  in 
derselben  Facies  wie  das  ganze  Devon  oder  der  old  red  sandstone  in  Schottland. 
Auch  die  Ostseeprovinzen  sind  reich  an  Resten  grosser  gepanzerter  Ganoiden. 
Die  Knochen  und  Panzerplatten  von  Asterolepis  und  Bothriolepis  aus  diesem  Gebiet 
deuten  auf  Thiere  von  etwa  6  bis  lo  Meter  Länge.  Dies  sind  rundschuppige 
Ganoiden  (Cycliferi), 

Nach  dieser  allgemeinen  Erörterung  des  devonischen  Systems  betrachten 
wir  im  Einzelnen  die  in  demselben  fossil  vertretenen  Klassen  und  Ordnungen 
der  Pflanzen-  und  Thierwelt. 

Die  Meeres-Algen  oder  Fucoideen  treten  in  den  devonischen  Ablagenmgen 
so  reichlich  wie  im  silurischen  System  auf,  sind  aber  auch  hier  meist  nur  un- 
deutlich erhalten  imd  gewöhnlich  so  gut  wie  unbestimmbar,  übrigens  auch  hier 
in  manchen  Schichten  in  grosser  Menge  der  Exemplare  abgelagert.  Gattungs- 
namen haben  hier  nur  annähernde  Bedeutung.  H€Uiserites  Dechenianus  Goefp. 
ist  in  gewissen  Lagen  des  rheinischen  Thonschiefers  und  Grauwackenschiefers  in 
reichlichen  Mengen  erhalten.  Das  Laub  ist  bandförmig  und  trägt  in  der  Mitte 
eine  erhabene  Rippe.  Die  Spitzen  sind  eingerollt,  was  sonst  bei  Algen  nicht  vor- 
kommt. Chofidrites  antiquus  Goepp.  (angeblich  nicht  zu  unterscheiden  von  si- 
lurischen Funden)  ist  an  vielen  anderen  Stellen  in  den  rheinischen  Schiefem  in 
grosser  Zahl  zu  erkennen,  u.  A.  bei  Coblenz.  Der  Thallus  dieser  Art  ist  ähnlich 
wie  bei  der  heutigen  Gattung  Chondria  in  drehrunde  Aeste  und  Aestchen  ver- 
zweigt, aber  generische  Merkmale  sind  auch  hier  nicht  erhalten. 

Die  Landvegetation  der  Devon-Epoche  ist  in  fossilen  Resten  überhaupt  nur 
spärlich  in  den  Meeresablagerungen  vertreten,  aber  diese  spärlichen  Funde  er- 
weisen schon  eine  grosse  Anzahl  von  Gattungen,  Familien  und  Ordnungen.  Die 
Landvegetation  ergiebt  sich  darnach  —  im  Vergleich  mit  den  vorausgegangenen 
sehr  wenigen  Funden  aus  dem  oberen  silurischen  System  —  in  beträchtlicher 
Zunahme  begriffen.  Mehrere  devonisch  beginnende  Gattungen  und  Familien  sind 
schon  dieselben,  die  nachfolgend  in  der  Steinkohlenformation  in  weit  reicherer 
Vertretung  an  Arten  imd  Individuen-Menge  sich  wiederholen  und  hier  da> 
Material  zur  reichlichen  Aufspeicherung  von  pflanzlichem  Kohlenstoff  geliefen 
haben.  Von  letzterem  zeigt  das  devonische  System,  wie  oben  schon  bemerkt 
wurde,  nur  dürftige  Spuren.  Besonders  reich  an  Resten  von  Landpflanzen  sind 
die  Cypridinen-Schiefer  (oberes  Devon)  von  Thüringen  und  einige  devonische 
Schichten  in  Nord-Amerika. 

Die  Gefasscryptogamen  sind  bereits  durch  Calamarien,  Farnen  und  LycojH^- 
diaceen  vertreten. 

Die  Calamarien  oder  Calamophyten,  deren  Vertreter  in  der  Flora  des  heu- 
tigen Tages  die  Equiseten  sind,  erscheinen  in  devonischen  Schichten  mit  ver- 
schiedenartigen Calamiten  und  verwandten  Gattungen,  die  man  aber  erst  in  zer- 
streuten schwer  nach  ihrer  Zusammengehörigkeit  zu  ordnenden  Fossilresten  kennt 
Unger  beschrieb  aus  Thüringen  seltsame  Calamophyten-Gattungen,  von  denen 
er  den  anatomischen  Bau  des  Strunkes  oder  Stengels  beschrieb,  ohne  die  übric«.  i 
Theile  des  Pflanzenköq)ers  ermitteln  zu  können.  Dahin  gehören  Haplocalamu^, 
Kaiymma,  Caiamopteris ;  femer  Caiamopitys,  eine  calamitenartige  Holzpflanzc  nr» 
centralem  Holzkörper,  der  die  Mitte  eines  Markes  oder  Parenchyms  einnimmt. 
Ausser  diesen  Strünken  und  Stämmen  kennt  man  auch  schon  beblätterte  Zwcikt 


Devonisches  System.  217 

me  Asttrophyllites,  die  man  theils  als  Arten  einer  eigenen  Ordnung  betrachtete, 
fheils  (und  neuerdings)  für  Zweige  und  Blätter  grosser  baumartiger  Calamophyten 
nimmt.  Dies  alles  gewährt  erst  einen  knappen  Einblick  in  eine  devonische  Cala- 
mophyten-Flora,  die  von  sehr  eigentümlicher  Organisation  gewesen  sein  mag  und 
imithmaassltch  Stammformen  später  erst  in  engerem  Rahmen  specificirter  Familien 
und  Ordnungen  enthält. 

Von  Famen  kennt  man  aus  dem  devonischen  System  nach  Wedeln  und 
Wedelstielen  (Rhachiden)  eine  ganze  Reihe  von  Arten  und  Gattungen,  wie 
Cyciopteris,  Neuropkris,  Sphenopteris^  Pecopteris  u.  a. 

Reichlich  vertreten  müssen  in  der  devonischen  LandHora  auch  die  Lycopo- 
diaceen  oder  Lepidophyten  —  die  Stamm-Formen  der  heutigen  Bärlapp-Ge- 
wächse —  gewesen  sein.  Man  kennt  eine  ganze  Reihe  von  solchen,  die  sehr 
verschiedene  Familien  andeuten.  Lepidodendrotiy  schon  im  oberen  Silur  nach- 
gewiesen, ist  auch  in  devonischem  Vorkommen  bekannt,  erreicht  aber  den  Gipfel 
seiner  Entwickelung  erst  in  der  Steinkohlenformation.  Mehrere  LycopoditeS'kxX&n^ 
den  heutigen  Lycopodien  schon  sehr  ähnlich,  werden  aus  devonischen  Schichten 
aufgeführt,  bald  als  beblätterte  Zweige,  bald  in  Form  von  rohen  Aststücken,  über 
deren  Charakter  erst  die  mikroskopische  Untersuchung  von  Dünnschliffen  einiger- 
maassen  Auskunft  giebt. 

Sehr  wohlerhalten  und  gut  bekannt  ist  eine  devonische  Lycopodiaceen- 
Gattung  Pstlophyton^  die  Dawson  aus  Nord-Amerika  (New- York  und  Canada)  be- 
st h  rieb.  Es  sind  kriechende  Stämmchen  (Rhizome),  welche  aufsteigende  beblätterte 
Zweige  tragen.  Man  kennt  von  ihnen  auch  die  klappig  aufspringenden  Frucht- 
kapseln (Sporangien),  die  schon  ganz  denen  der  heutigen  I^ycopodien  entsprechen. 

Im  Devonischen  System  beginnen  auch  die  Phanerogamen,  Man  kennt  schon 
Stengel  mit  Laub  von  Noeggerathia,  einer  den  heutigen  Cycadeen  mehr  oder 
minder  nahe  stehenden  Gattung.  Die  Coniferen  oder  Nadelhölzer  sind  in  devoni- 
schen Schichten  von  Nord-Amerika  bereits  durch  eine  Anzahl  von  Araucariten 
(Dadüxylon)  vertreten.  Unger  beschrieb  aus  dem  Cypridinen-Schiefer  von  Saal- 
feld in  Thüringen  Stammstücke  und  Aeste  einer  sehr  merkwürdigen  Conifere, 
Apcroxyion  prhnigenium,  nach  mikioskopischen  Dünnschliffen.  Sie  zeigt  einen 
centralen  Markcylinder  und  um  diesen  einen  geschlossenen  Holzcylinder  mit 
Markstrahlen,  aber  ohne  Abtheilung  in  besondere  Jahreslagen  oder  Jahresringe. 
Merkwürdiger  Weise  fehlen  dieser  devonischen  Conifere  die  Poren  (Tüpfel)  des 
Proscnchyms,  die  sonst  bei  allen  Coniferen  auftreten. 

Die  devonische  Landflora  ist  darnach  im  Wesentlichen  als  der  Beginn  der 
Landflora  der  Steinkohlen-Epoche  zu  bezeichnen.  Viele  Gattungen  und  Familien 
>ind  beiden  gemeinsam.  Die  fossil  bis  jetzt  aus  devonischen  Schichten  nachge- 
'viesenen  vegetabilischen  Reste  erweisen  schon  das  damalige  Vorhandensein  einer 
reichlich  gegliederten  Land-  und  Süsswasser-Vegetation,  die  bereits  schon  Nadel- 
hölzer -und  andere  Phanerogamen  enthielt.  Nachfolgend  in  der  Steinkohlen- 
Epoche  gewann  diese  Flora  eine  mächtige  Fülle  mit  ausgesprochener  Riesen- 
haftigkeit  des  Wuchses.  Im  devonischen  Zeitalter  scheint  dies  noch  nicht  der 
Fall  gewesen  zu  sein,  sei  es  nun,  dass  die  maassgebenden  äusseren  Bedingungen 
des  Festlandes  (z.  B.  feuchte  Niederungen)  noch  nicht  gegeben  waren,  oder  dass 
die  damaligen  pflanzenreichen  Bodenbildungen  nachmals  wieder  abgetragen 
ATirden.  Wir  kennen  die  devonische  Festland -Flora  nur  aus  spärlichen  Funden, 
welche  aber  eine  reichlich  entwickelte  von  den  Algen  bis  zu  den  Coniferen  aus- 
gebildete Vegetation  verkünden.    Von  ihr  ist  uns  sicher  erst  der  geringste  Betrag 


2i8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

bekannt  und  namentlich  liefern  die  Fundstätien  von  Nord-Amerika  noch  neue 
Aufschlüsse. 

Dieselben  Klassen  imd  Ordnungen  nieder  organisirter  wirbelloser  Thiere, 
die  im  silurischen  System  nachgewiesen  sind,  pflegen  auch  in  den  devonischen 
sich  zu  wiederholen  oder  ihre  Vertreter  fehlen  auch  wohl  durch  Ungunst  beson- 
derer minder  geeigneter  örtlicher  Erhaltungsbedingungen. 

Recepiaculites  Neptuni  Defr.  ist  ein  wichtiges  Leitfossil  der  devonischen 
Schichten,  aber  von  unsicherer  Beziehung  zum  System  der  heutigen  Thierwrek 
Es  sind  12 — 22  Centim.  Durchmesser  erreichende  kalkige  Thierstöcke,  manchen 
Seeschwämmen  scheinbar  ähnlich,  aber  bei  genauerer  Untersuchung  kcineswe^ 
mit  denselben  übereinstimmend.  Vielleicht  ist  es  ein  grosser  Rhizopoden-Stock, 
Hierauf  deutet  ein  System  feiner  Kanälchen,  welches  die  Wandungen  der  im 
Stock  eingeschlossenen  Kammern  mit  der  äusseren  Oberfläche  desselben  ver- 
bindet. 

Reichlich  wie  im  silurischen  sind  auch  im  devonischen  System  die  Antho- 
zoen  vertreten  und  bilden  auch  in  diesem,  wie  namentlich  in  den  Kalklagem 
der  Eifel  ansehnliche  Korallen-Riffe.  Wie  im  silurischen  System  sind  es  wieder 
meist  vierzäh lige  Korallen,  Zoantharia  rugosa  vom  typus  tetratneraUs  oder  Tetrü- 
corallia  und  Tabulaten,  sowie  Röhrenkorallen  von  unsichrer  systematischer 
Stellung.  Viele  der  Gattungen  sind  überhaupt  beiden  Formationen  gemeinsam, 
auch  manche  Arten  fast  speciflsch  ident. 

Am  häufigsten  in  den  devonischen  Kalklagern  ist  von  Tetrakorallien  die 
Gattung  Cyathophyllum  mit  einer  Anzahl  Subgenera.  Ein  ausgezeichneter  Vertreter 
ist  Cyathophyllum  helianthoides  Goldf.  Diese  Art  erscheint  bald  in  einzeln 
bleibenden  Individuen,  die  kreisrund  und  flach  kegelförmig  sind,  bald  in  ausge- 
breiteten plattenförmigen  Individuen-Stöcken,  deren  Individuen  sich  an  der  Ober- 
fläche polygonal  zusammendrängen.  Die  Sterne  zeigen  bei  der  einen  wie  bei  derande- 
ren  Gestaltung  sehr  zahlreiche  (60 — 80)  und  unter  einander  fast  gleich  starke  Septen, 
die  bis  zum  Mittelpunkt  reichen,  wo  sie  etwas  unregelmässig  werden.  Diese  Art 
ist  häufig  im  Eifeler  Kalk  zu  Gerolstein  u.  a.  O.  Auch  Cyathophyiium  caespüc- 
sum  Goldf.  ist  gemein  im  Eifeler  Kalk  und  tritt  oft  z.  B.  zu  Bensberg  bei  Cöln 
als  HauptrifflDilder  auf.  Die  Individuen  sind  bei  dieser  Art  walzenförmig,  ver- 
mehren sich  durch  gabiige  Theilung  (gtmmation  calkinale)  und  bleiben  mehr 
oder  minder  frei,  ohne  sich  zusammen  zu  drängen.   Septen  dünn,  40 — 50. 

Cystiphyüum  Lonsd.  steht  den  Cyathophyllen  nahe,  ist  aber  ausgezeichnet 
durch  die  im  Verlaufe  des  Wachsthums  vor  sich  gehende  blasenförmige  Auf* 
flülung  des  Kelchs,  wobei  der  Septalapparat  verkümmert  und  nur  randlich 
bleibt.  Cyst.  vesiculosum  Goldf.  bildet  grosse  walzenförmige  Individuen  von 
2 — IG  Centim.  im  Durchmesser  und  ist  häufig  mit  den  vorigen  zu  Gerolstein  u.  a.  0. 

Zu  den  Tetrakorallien  zählt  man  neuerdings  auch  ein  wichtiges  palaeozoische^ 
Fossil,  die  Gattung  Cakcola  Defr.,  die  lange  den  Brachiopoden,  denen  sie  durch 
ein  mit  einem  Deckel  versehenes  ungleichklappiges  aber  gleichseitiges  gehjuisear- 
tiges  Kalkgebilde  ähnelt,  zugezählt  wurde,  wiewohl  immer  Bedenken  verlauteten 
Neuere  Palaeontologen  betrachten  Calceola  als  eine  Deckel-Koralle  der  Ordnunc 
TetracoraUia,  Die  Wohnzelle  ist  pantoflelförmig,  eher  noch  einer  Schuhsiäuc 
ähnlich,  mit  sehr  tiefem  Kelch,  aussen  mit  einer  runzlichen  Schichte  (Epiil^.ek 
belegt.  Die  Septen  sind  schwach  entwickelt  und  mehr  oder  minder  als  erhabene 
Längslinien  zu  erkennen.  Das  Hauptseptum  liegt  in  der  Mittellinie  des  Kelche?- 
und  wurde  früher,  als  man  Calceola  zu  den  Brachiopoden  zählte,  für  einen  Theil 


Devonisches  System.  219 

des  Schlossapparats  genommen.  Calceola  sandalina  Lam.  wird  2,5 — 5  Centim.  lang 
und  findet  sich  häuüg  und  in  guter  Erhaltung  zu  Gerolstein  n.  a.  O.  in  der  Eifel, 
ferner  in  Abdrücken  und  Steinkernen  in  dem  mit  dem  Eifeler  Kalk  gleich  alten 
Grauwackeschiefer  von  Westphalen.  Andere  Calceola- Arttn  kennt  man  im  oberen 
Silur  und  im  Kohlenkalk. 

Die  Tabulaten  (fypus  hexameralis)  treten  ähnlich  wie  im  obersilurischen  Kalk, 
häufig  auch  im  Eifeler  Kalk  oder  der  Mittelregion  des  devonischen  Systems  auf. 
Favosites  Gold/ussi  d'Orb.  von  Gerolstein  weicht  nur  wenig  vom  silurischen 
Favosites  Gothlandicus  Lin.  von  Gothland  ab.  Favosites  cervicornis  Blainv. 
fCalamopora  polymorpha  Goldf.  zum  Theil)  bildet  walzige  Stöcke  mit  walzigen 
dicht  an  einander  gedrängten,  durch  reihenständige  Poren  mit  einander  verbun- 
denen Wohnzellen.  Gemein  im  Eifeler  Kalk  zu  Bensberg  bei  Cöln  und  zu 
Gerolstein.  Alveoliies  suborbicularis  Lam.  (Calamopora  spongites  Goldf.  zum 
Theil)  bildet  mehrere  Centim.  grosse  Stöcke  mit  zahlreichen  kleinen  Wohnzellen 
und  überwuchert  lagenweise  andere  Korallen.  Die  Mündungen  der  Wohnzellen 
bind  unregelmässig  verbreitert,  etwas  dreiseitig,  ein  einzelnes  Septum  ist  deutlich 
ent^^ickelt.  Diese  schwammähnlichen  Korallenstöcke  sind  mit  voriger  Art  häufig 
zu  Bensberg  und  Gerolstein. 

Hierzu  kommen  im  devonischen  Kalk  eine  Anzahl  Röhrenkorallen  von  pro- 
blematischer Stellung  im  System.  Aulopora  ist  eine  dem  devonischen  System  allein 
eigene  Gattung.  Aulopora  repens  Walch  (Tuhiporites  serpens  Schloth.)  ist  eine 
häufige  und  bezeichnende  Röhrenkoralle  des  Eifeler  Kalkes  von  Bensberg  und 
Gerolstein.  Der  Stock  kriecht  auf  Alveoliten,  Favositen,  Cyathophyllen  in  Netz- 
form  umher  und  vermehrt  sich  reichlich  durch  Sprossen,  die  dicht  neben  den 
Röhrenmündungen  (dem  freien  Austritt  der  Thierindividuen  des  Stockes)  hervor- 
brechen. Man  stdlt  die  Auloporen  neuerdings  zu  den  Tubiporiden  (typus  octo- 
rmralis,) 

Häufig  und  schön  erhalten  erscheint  zu  Gerolstein  die  mit  ausgezeichnetem 
12  zähligem  Septalapparat  versehene  Astraea  porosa  Goldf.,  Heliolites.  Diese  Art 
<chliesst  sich  dem  silurischen  Heliolites  interstincta  unmittelbar  an.  Man  zählt 
beide  neuerdings  zu  den  Helioporiden  (typus  octomeralis.) 

Noch  bleibt  uns  ein  wichtiges  Leitfossil  des  rheinischen  Grauwackenschiefers 
'u  erörtern,  dessen  systematische  Stellung  sehr  problematischer  Art  ist.  Pleuro- 
d'utyon  problematicum  Gf.  ist  ein  beiläufig  2,5  Centim.  Länge  erreichendes  flaches 
elliptisch  kreisförmiges,  fast  nur  in  Gestalt  von  Steinkernen  und  Abgüssen  vor- 
konnmendes  Petrefact,  welches  man  —  nach  langem  Schwanken  auf  einen 
Korallenstock  bezogen  hat  und  bei  den  Poritiden  {typus  hexameralis)  unterzu- 
bringen pflegt.  Der  Stock  besteht  aus  prismatischen  polygonalen  Wohnzellen, 
deren  Hohlraum  versteinert  erhalten  ist  und  seitliche  Ausläufer  zeigt  —  welche 
letztere  man  dahin  deutet,  dass  sie  Poren  in  den  Wandungen  der  Wohnzellen 
entsprechen.  Die  flache  Unterseite  zeigt  eine  starke  concentrische  Runzelung, 
welche  man  durch  Annahme  eines  entwickelten  Epitheks  des  gesammten  Stockes 
erklärt.  Damach  hatte  der  Stock  von  Pleurodictyum  beiläufig  die  Gestalt  von 
yfulinia  unter  den  Favositiden  des  Kohlenkalkes.  Die  problematische  Natur 
dieses  merkwürdigen  Fossils  wird  nun  noch  dadurch  gesteigert,  dass  man  fast 
•bne  Ausnahme  an  der  runzligen  Grundfläche  des  Stockes  den  Steinkem  eines 
wurmartigen  im  Uebrigen  vielgestaltigen  Fossils  findet,  den  man  anfänglich  als 
einen  Theil  von  Pleurodictyum  nahm.  Neuerdings  nimmt  man  aber  an,  dass  der 
H-umiartige  Körper  der  Steinkem  einer  Anneliden-Röhre  (oder  einer  Serpula)  ist, 


220  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

• 

auf  der  das  Heurodictyum  in  der  Regel  sich  festsetzte.  Gleichviel,  wie  man  das 
Fossil  erklärt,  ist  jedenfalls  PUurodictyum  problematicum  ein  wichtiges  vielgenannte^ 
Leitfossil  des  devonischen  Systems,  untere  Abtheilung,  häufig  zu  Kohlen/ 
Ems  u.  a,  O. 

Hydroiden  (Quallenpolypen)  kannte  man  lange  nicht  aus  dem  devonischen 
System.  Jetzt  stellt  man  zu  ihnen  die  in  den  Eifeler  Kalken  reichlich  verbreitete 
Gattimg  Stromatopora.  deren  schwammähnlicher  Stock  vordem  gewöhnlich  bei  der 
Seeschwämmen  untergebracht  wurde,  wofür  ihr  unregelmässiges  Maschengewebc 
zu  sprechen  schien. 

Strcmatopora  besteht  aus  knolligen  oder  halbkugeligen  Massen  mit  concen- 
trisch  blätterigem  Bau.  Zwischen  den  dünnen  Blättern  stehen  feine  Pfeiler,  die 
ein  Blatt  mit  dem  anderen  in  Verbindung  bringen,  so  zwar,  dass  ein  maschen- 
weiser Hohlraum  frei  bleibt,  der  wohl  von  thierischer  Sarkode  eingenommen  war. 
Stromatopora  concehtrica  Goldf.  bildet  zu  Gerolstein  in  der  Eifel  grosse,  bis  über 
ein  Meter  Durchmesser  erreichende  Stöcke  von  parallelen  meist  wellig  verbogenen 
Kalklamellen,  auf  denen  sich  auch  oft  sternförmige  Furchungen  bemerken  lassen 

Ein  Theil  der  heutigen  meerischen  Hydroiden  bildet  eine  zahlreichen  Polypen- 
Individuen  gemeinsame  weiche  Grundfläche,  die  eine  kalkige  Basalmasse  ab- 
scheidet. Auf  solche  an  der  gemeinsamen  Stockbasis  kalkabscheidende  Hydroiden 
wird  von  neueren  Palaeontologen  auch  die  devonische  Gattimg  Stromatopora  Xn- 
zogen.  Doch  kann  sie  auch  von  anderen  niederen  Lebewesen  der  älteren  Meere 
die  zwischen  Spongien  und  Hydroiden  mitten  inne  standen,  herrühren  (E,  Hackti 
leitet  die  Hydroiden  von  den  Spongien  ab.) 

Die  Echinodermen  sind  im  devonischen  System  —  ähnlich  wie  im  >ilun- 
sehen  —  durch  Agelacrinen,  ächte  Crinoideen,  Blastoideen,  Echiniden  und  See- 
Sterne  vertreten.  Wichtig  ist  das  vollständige  Fehlen  der  Cystideen,  die  im  Silur 
eine  Hauptrolle  .spielten.  Nur  die  den  Cystideen  zunächst  verwandten,  aber  mit 
der  g2inzen  RUckenseite  angewachsenen  Agelacrinen  sind  noch  im  Devonsystcir. 
durch  eine  Art  (Agelacrinus  rhenanus  Roem.)  vertreten. 

Am  meisten  in  den  Vordergrund  treten  die  eigentlichen  Crinoideen  mit 
becherförmigem  Körper  (Kelch),  ausgezeichneter  Entwickelung  gegliederter  Arme 
und  stark  ausgebildeter  gegliederter  Säule,  deren  Glieder  (Entrochiten)  in  Kalk- 
steinen und  Grauwackenschiefern  oft  in  zahllosen  Mengen  abgelagert  erscheinen, 
im  Grauwackenschiefer  aber  nur  in  Form  von  Abdrücken  und  Steinkemen  er- 
halten zu  sein  pflegen.  Hier  —  wie  im  palaeozoischen  System  überhaupt  —  m'>4 
fast  ausschliesslich  nur  getäfelte  Crinoideen  (Crinoidea  tesselata)  vertreten. 

Eine  ausgezeichnete  devonische  Crinoideen-Gattung,  deren  Arten,  wie  c* 
scheint,  nur  im  devonischen  System  auftreten,  ist  CupressocrinuSt  mit  kräftig  g^ 
bautem  fllnfzähligem  schüssel-  oder  becherförmigem  Kelch  und  fünf  kräftigen 
gegliederten,  aber  ungetheilten  Armen,  die  in  Form  einer  Pyramide  zusammen- 
neigen.  Ausgezeichnet  schön  erhaltene  Cuprasocnnus-Kelche,  oft  noch  mit  der 
darauf  sitzenden  geschlossenen  Pyramide  der  fünf  mit  gerader  Fuge  zusammen- 
schliessenden  Arme,  liefert  der  Kalk  von  Gerolstein,  der  überhaupt  für  woHcr- 
hattene  Crinoideen  eine  klassische  Fimdstätte  ist. 

Die  Ordnung  der  Blastoideen  ist  im  Devon,  wie  schon  im  Silur,  nur  ^;«:.f- 
lieh  vertreten  und  erreicht  eine  reichliche  Entfaltung  erst  im  Kohlenkalk. 

Die  Echiniden  erscheinen  im  Devon  wie  schon  im  Silur  nur  durch  cmtce 
Palechiniden  vertreten. 

LipidourUrus  Ei/etianus  Müll,  mit  schuppenfbrroig  übereinander  gcschobenefl 


Devonisches  System.  221 

Täfelchen  kommt  zu  Gerolstein  vor.  Die  Täfelchen  tragen  zum  Theil  perforirte 
Gelenkknöpfe,  auf  denen  kleinere  und  grössere  Stacheln  articulirten.  Das  Ge- 
häuse scheint  eine  gewisse  Beweglichkeit  der  Täfelchen  besessen  zu  haben. 

Die  Klasse  der  Mollusken  oder  Weichthiere  ist  im  devonischen  wie  zu- 
vor schon  im  oberen  silurischen  System  durch  das  auffallende  Vorherrschen  der 
Brachtopoden,  wie  auch  der  Cephalopoden  ausgezeichnet,  aber  auch  die  Acephalen, 
Pteropoden  und  Gasteropoden  sind  mehr  oder  minder  reichlich  vertreten. 

Die  gewöhnlich  als  Ausgangsform  der  Mollusken-Klasse  betrachteten  Bryozoen 
oder  Moosthiere  spielen  im  devonischen  System  dieselbe  Rolle  wie  im  siluri- 
s<:hen.  Sie  erscheinen  in  zahlreichen  gewöhnlich  netzartig  verzweigten  flächen- 
haft  ausgebreiteten  Stöcken  mit  zahlreichen  kleinen  Wohnzellen  der  Thierindi- 
viduen,  aber  der  genauere  Bau  der  Individuen-Zellen  ist  bei  den  devonischen 
Funden  meist  nicht  mehr  zu  erkennen. 

Die  Brachiopoden  sind  im  Devon,  wie  schon  im  oberen  Silur,  ausnehmend 
reichlich  an  Gattungen  und  Arten,  gewöhnlich  auch  an  Menge  der  Individuen 
vertreten,  u.  a.  im  Kalk  von  Gerolstein  und  in  der  Eifel  überhaupt.  Viele 
Gattungen  sind  dem  Silur  und  dem  Devon  gemeinsam,  auch  manche  Arten  wie 
Atryfa  reticularis  und  Strophomena  depressa, 

Spirifer  ist  reich  an  Arten  und  liefert  einige  wichtige  Leitfossilien.  Spiri/er 
speciosus  GoLDF.  ist  häufig  im  Eifeler  Kalk  (mittleres  Devon)  von  Gerolstein  u.  a.  O. 
Das  Gehäuse  ist  stark  in  die  Breite  gezogen  und  wiid  am  Schlossrand  5 — 8  Centim. 
breit.  Vier  bis  sechs  flach  genmdete  vom  Wirbel  ausstrahlende  Falten  erheben 
sich  jederseits  der  Mittelfurche  der  grösseren  und  des  Mittelwulstes  der  kleineren 
Klappe.  Spirifer  macropterus  Goldf.  ist  voriger  Art  ähnlich,  aber  mit  zahl- 
reicheren Falten,  jederseits  etwa  15  oder  16.  Diese  letztere.Art  ist  bezeichnend 
für  den  Grauwackeschiefer  (unteres  Devon)  der  Rheingegend,  aber  gewöhnlich 
nur  in  Form  von  Steinkemen  und  äusseren  Abdrücken  erhalten. 

Ein  wichtiges  devonisches  Leitfossil  ist  Stringocephabts  Burtini  Defr.  eine 
grosse  glatte  Terebratuliden-Art  mit  fast  kugeligem  Gehäuse  und  oft  stark  ver- 
längertem Schnabel  der  grösseren  Klappe  —  in  der  seitlichen  Ansicht  fast  einem 
Eulenkopf  ähnlich  (woher  der  Name).  Das  Loch  fiir  den  Muskelaustritt  ist  rund 
und  liegt  in  der  Nähe  der  Schnabelspitze  in  einem  wagrecht  gestreiften  Deltidium 
m  der  grossen  senkrecht  gestreiften  Area.  Stringocephalus  Burtini  wird  7 — 10  Centim. 
I^Toss  und  ist  ein  ausgezeichnetes  Leitfossil  für  die  mittlere  Abtheilung  des  Devon - 
^>ystenis  und  in  schöner  Erhaltung  häufig  zu  Pafirath  bei  Cöln. 

Ebenfalls  für  das  mittlere  Devon  bezeichnend  ist  Uncites  gryphus  Defr.,  ein 
Spiriferide  mit  spiralem  Arm-Gerüste.  Das  Gehäuse  ist  bei  dieser  Art  gewöhn- 
lich et)i^'as  unsymmetrisch,  die  grössere  Klappe  lang  geschnäbelt. 

Die  Acephalen  sind  im  devonischen  System  in  vielen  Gattungen  und  Arten 
vertreten,  die  im  Allgemeinen  denen  des  oberen  Silur  einerseits,  denen  des 
Kohlenkalkes  andererseits  sich  nahe  anschliessen. 

Bemerkenswerth  ist  das  Auftreten  vieler  Fterifiea-Arttn  im  rheinischen  Grau- 
^^ackeschiefer  (unteres  Devon)  u.  a.  zu  Koblenz,  Unkel,  Ems,  Singhofen.  Die 
Pterinecn  sind  ungleichklappige  und  ungleichmuskelige  Zweischaler,  Aviculaceen. 

Mtgalodon  cucuiiatus  Goldf.  ist  eine  ausgezeichnete,  grosse  dickschalige  Art, 
die  zusammen  mit  Stringocephalus  im  Devonkalk  zu  Paffrath  bei  Cöln  in  schöner 
Erhaltung  vorkommt  Sie  wird  an  10  Centim.  gross  und  gleicht  in  der  allgemeinen 
Fonn  sehr  den  lebenden  Isocardien. 


222  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Grammysia  Hamüionensis  (Pholadomya  anomala  Goldf.)  ist  eine  der  ausge- 
zeichnetsten Arten  des  mittleren  Devon  (Hamilton-Gruppe)  von  New  York. 

Die  Pteropoden  sind  im  Devon  durch  die  stellenweise  in  zahllosen  Mengen 
auftretenden  kleinen  schlankkegelförmigem  Gehäuse  der  TentaculUeS'\rXti\  \ er- 
treten. Spärlicher  erscheinen  die  schön  gezeichneten  grossen,  vierseitig  pyramidalen 
Gehäuse  der  Gattung  Conularia, 

Auf  Heteropoden  bezieht  man  die  in  einer  Ebene  eingerollten  symmetri- 
schen Gehäuse  von  BelUrophon^  die  zu  Gerolstein  nicht  selten  sind. 

Die  Gasteropoden  oder  eigentlichen  Schnecken  sind  im  Devon  reichlich 
vertreten,  vermitteln  die  obersilurische  Fauna  mit  der  des  KohlenkaJkes  und  reicher 
mit  ihren  meisten  Gattungen  durch  alle  drei  Etagen.  Häufig  sind  Arten  ><>:. 
PUurotomaria,  Murchisonia,  Turbo,  Capulus  (Fiieopsis),  Loxonema  u.  s.  w. 

Ausgezeichnet  durch  treffliche  Erhaltung  ist  die  grosse  schöne  Art  Macro- 
cheilus  arculatus  Schloth.  (Buccinum  arculatum)  aus  dem  Kalkstein  von  Paffratb 
Das  spiralaufgewundene  spitzkegelig-ovale  Geliäuse  wird  5 — 7,5  Centim.  lang  und 
hat  am  Grunde  der  Mündung  eine  Andeutung  eines  flachen  Auschnitts,  der  aber 
von  dem  der  Buccinen  und  anderer  Canaliferen  noch  weit  entfernt  ist  Al.e 
devonischen  Gasteropoden  sind,  gleichwie  die  silurischen,  noch  Holostomen  \m' 
ganzrandigem  Mundsaum). 

Die  Cephalopoden  sind  im  Devon  wie  im  Silur  reichlich  durch  Gattunger. 
aus  der  Abtheilung  der  Vierkiemer  oder  Tetrabranchiaten  vertreten.  Es  sind  hier 
aber  theils  Nautileen,  nähere  Verwandte  der  lebenden  NautiluS'hrtQWf  theils  Am- 
moneen,  die  von  vorigen  in  mehreren  Charakteren  —  Scheidewänden,  Loben  und 
Sipho  —  abgehen. 

Von  Nautileen  erscheinen  die  schon  aus  dem  Silursystem  bekannten  Gattungot 
wie  Orthoceras^  CyrtoccraSy  Phragmoceras  u.  a. 

Wichtiger  ist  die  nur  in  devonischen  Schichten  vorkommende  Gattung  Cly 
nunia  Münst.,  die  ebenfalls  noch  [den  Nautileen  zugezählt  wird.  Das  Gehaust 
der  Clymenien  ist  scheibenförmig,  spiralgerollt,  mit  zahlreichen  Umgängen»  dit 
gewöhnlich  nur  sehr  allmählich  an  Dicke  zunehmen.  Die  Kammerscheidewände 
sind  gegen  vom,  wie  bei  den  Nautileen  concav,  ihre  Anhefl;ungslinien  meist  nur 
sanft  gebogen,  bei  anderen  auch  zum  Theil  in  eckiger  Form  abgeknickt.  Der 
die  Kammern  verbindende  Sipho  liegt  an  der  Nabelseite  des  Gehäuses  (endo 
gastrische  Einrollung).  Die  Arten  sind  häufig  in  der  oberen  Region  des  de- 
vonischen Systems  und  reichen  nicht  in  den  Kohlenkalk.  Clymenia  lofi'ig^^ 
Münst.  hat  eine  sehr  fein  gestreifte,  fast  glatte  Schale,  die  Windungen  (et^i'a  sech> 
sind  flach  zusammengedrückt  und  berühren  sich  fast  nur  an  der  Naht.  Vorkommen 
in  Kalkschichten  zu  Schübelhammer  u.  a.  O.  im  Fichtelgebirge,  auch  zu  Siein- 
bergen  bei  Gratz  in  Steiermark. 

Eine  wichtige  Erscheinung  der  devonischen  Fauna  ist  das  erste  Auftreter 
der  Ammoneen  oder  gekammerten  Cephalopoden  mit  einem  an  der  gewölbter 
Seite  des  Spiralgehäuses  gelegenen  Sipho.  (Exogastrische  Einrollung).  Hierher 
gehören  namentlich  die  Goniatiten,  die  Vorläufer  der  in  den  mesozoischen  Ab 
lagerungen  nachfolgenden  Ceratiten  und  Ammoniten,  deren  Nachkommenschaf: 
erst  mit  Schluss  der  Kreide-Epoche  erlischt. 

Die  Gattung  Goniaiiies  begreift  gekammerte  spiral  eingerollte  Gehäuse  mit 
bald  frei  aneinander  liegenden,  bald  mehr  oder  minder  übergreifenden  ümgänger 
Der  Sipho  liegt  an  der  Wölbung  der  Schale.  Die  Anheftungslinien  der  Scheide- 
wände an  die  Schale  —  Loben  und  Sättel  —  verlaufen  mehr  oder  minder  stark 


Devonisches  System.  223 

hin  und  her  gebogen,  je  nach  den  Arten  in  sanfter  Biegung  oder  in  schärferer 
Knickung.  Sie  sind  —  im  Gegensatz  zu  den  Ammoneen  der  mesozoischen  For- 
mationen —  immer  ungezähnt.  Zahlreiche  Goniatiten-Arten  finden  sich  nament- 
lich in  den  rothen  Goniadtenkalken  und  Roiheisensteinen  von  Nassau  und  We&t- 
phalen,  mehrere  sind  vielgenannte  Leit-Fossilien. 

GomatUes  retrorsus  Buch  hat  sanft  gebogene  Loben  und  Sättel.  Die  Schale 
ist  fein  gestreift,  die  Streifen  wenden  sich  in  der  Nähe  der  Schalenwölbung  stark 
nach  vom  und  in  der  Mitte  derselben  wieder  zurück.  Die  Windungen  greifen 
oft  so  stark  über,  dass  vom  älteren  Gewinde  nur  ein  enger  Nabel  offen  bleibt. 
Häufig  in  der  oberen  devonischen  Schichtengruppe  z.  B.  zu  Büdesheim  in  der 
Eifel 

Bactrites  begreift  Ammoneen  mit  gerade  ausgestrecktem  Gehäuse,  im  allge- 
meinen Umriss  den  Orthoceren  täuschend  ähnlich.  Bactrites -Arien  erscheinen 
besonders  auch  zu  Büdesheim. 

Reste  von  gegliederten  Würmern  spielen  in  der  devonischen  Meeresfauna 
nur  eine  sehr  untergeordnete  Rolle.  Serpuia  omphaiodes  (Spirorbis)  bildet  kleine 
Spiral  eingerollte  Kalkgehäuse  auf  Eifeler  Korallen  und  Conchylien. 

Wichtiger  sind  die  Blattfüsser  oder  Phyllopoden,  wiewohl  sie  hier  sclion 
nicht  mehr  in  der  überwiegenden  Fülle  der  Gattungen  und  Arten  wie  im  Silur 
vorkommen. 

Die  muscheltragenden  Phyllopoden  (F axnilie  LimnaätdaeJ  sind  in  der  Devon- 
fomiation  zum  ersten  Male  durch  Estherien  vertreten. 

Die  übermächtig  reiche  Entwicklung,  welche  die  Trilobiten  von  der  Pri- 
mordialzone  an  bis  ins  obere  Silur  (dritte  Silurfauna  Barrande's)  zeigen,  ist  mit 
Beginn  des  Devon  rasch  geschwunden.  Die  Trilobiten  sind  von  der  silurisch- 
devonischen  Grenze  an  sichtlich  in  Abnahme  nach  Arten  und  Gattungen.  Die 
Ursache  dieser  Erscheinung,  wie  so  vieler  anderen  Vorgänge  der  Urwelt  liegt  fiir 
uns  verborgen.  Vielleicht  ist  die  Abnahme  der  Trilobiten  eine  Folge  des  Zu- 
nehmens  räuberischer  Fisch-Familien,  die  ihnen  jedenfalls  heftig  nachgestellt  haben 
mögen.  Das  devonische  System  zeigt  übrigens  immer  noch  eine  namhafte  Zahl 
von  Gattungen  und  Arten  der  Trilobiten.  Vertreten  sind  besonders  die  Gattungen 
Phacops,  ProetuSy  Homalonotus,  Bronteus, 

Eine  der  devonischen  Arten  verdient  nach  Häufigkeit  der  Individuen  und 
gutem  Erhaltungszustand  erwähnt  zu  werden.  Phacops  latifrons  Bronn  ist  häufig 
im  devonischen  Kalk  (Mittelregion  des  Devon)  zu  Gerolstein  u.  a.  O.  in  der  Eifel, 
auch  (besonders  in  Abdrücken  und  Steinkernen)  in  den  rheinischen  Dachschiefem. 
Diese  Art  zeigt  grosse  facettirte  Augen  mit  50 — 100  und  mehr  Facetten.  An  der 
Unterseite  des  Kopfes  ist  meist  auch  noch  das  Hypostom  erhalten.  Elf  Rumpf- 
segmente. Die  Frage,  ob  die  Trilobiten  wirklich  keine  gegliederten  Beine  be- 
sassen  —  oder  wenigstens  Spuren  von  Ansätzen  solcher  erkennen  lassen  —  ist 
besonders  an  Eifeler  Exemplaren  dieser  Art  zur  Erörterung  gelangt. 

Die  häufigsten  Vorkommen  von  Entomostraken  im  Devon-System  bestehen 
in  den  Kalkgehäusen  kleiner  Ostracoden  oder  Schalenkrebse,  die  in  manchen 
besonders  thonigen  oder  mergeligen  Schichten  wimmeln.  Cypridina  serrato-striata 
(eine  Entanus-hj^  ist  eine  sehr  kleine  nieren-  oder  bohnenförmige  Schale,  die 
im  oberen  devonischen  System  z.  B.  zu  Weilburg  und  Dillenburg  in  Nassau  zu 
Tausenden  die  Schichtenflächen  eines  feinerdigen  Thonschiefers  bedeckt.  Ober- 
fläche mit  punktirten  Längsstreifen.    Augen  durch  zwei  vor  der  Mitte  der  Schale 


224  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Stehende  erhabene  Höcker  angedeutet.     Cypridina  nitida  ist  eine  etwas  grössere 
Art,  die  in  gleicher  Häufigkeit  im  schwarzen  Kalk  von  Altenau  im  Harz  auftritt 

Die  Eurypteriden  erscheinen  im  devonischen  wie  bereits  im  siluribchen 
System  in  sehr  merkwürdigen  grossen  Arten  mit  grossen  gegliederten  zum  Thcil 
mit  Scheeren  bewaffneten  Beinen.  Pterygotus  wird  mehrere  Fuss  gross  und  sein 
knochenähnlicher  Panzer  veranlasste  anfangs  zur  Stellung  zu  den  gepanzerten 
Ganoiden. 

Die  Fische,  im  Silursystem  erst  durch  spärliche  Reste  vertreten,  unter  denen 
die  gepanzerten  Ganoiden  (Ganoides  tabuliferi)  am  besten  charakterisirt  sind, 
folgen  im  devonischen  System  unter  zunehmender  Zahl  der  Arten,  Gattungen  und 
Familien.  Es  sind  auch  hier  nur  Selachier  und  Ganoiden,  aber  in  beiden  ürd 
nuhgen  macht  sich  eine  wachsende  Entfaltung  der  Organisation  im  Hervor- 
treten einiger  neuer  Familientypen  geltend,  die  aus  dem  oberen  Silursystem  noch 
nicht  bekannt  sind. 

Reste  von  Selachiern,  Verwandte  der  heutigen  Haie  und  Rochen,  finden  sicK 
auch  hier  in  Form  zerstreuter  Zähne  und  Flossen-Stacheln  (Ichthyodorulithcn 
häufig  und  deuten  auf  eine  reichliche  Vertretung  derselben  im  Meer  des  devo 
nischen  Zeitalters,  gewähren  aber,  da  die  Zusammengehörigkeit  der  in  besondere: 
Funden  vorliegenden  Zähne  und  Stacheln  gewöhnlich  problematisch  bleibt,  nur 
wenig  entscheidenden  Aufschluss.  Man  nimmt  namentlich  das  Vorhandcnscjr 
von  Squaliden,  und  Cestracionten  an,  auch  wohl  schon  das  von  Chimaroidcn 
und  vielleicht  sind  darunter  auch  schon  Reste  von  Lurchfischen  oder  Dipneu>tcn 
zuzulassen. 

Die  Cestraocionten,  in  den  heutigen  Meeren  nur  durch  die  Gattung  Cestra- 
'  cion  (besonders  den  Port-Jackson-Hai,  Cestracion  Philipi  an  Australien  und  Japan 
vertreten,  sind  Knorpelfische  mit  zwei  Rückenflossen,  deren  vorderster  Strahl  cinec 
gezähnelten  Stachel  darstellt  und  mit  einem  merkwürdigen  pflasterartigen  Gc- 
biss,  welches  zum  Zermalmen  harter  Schalen  von  Crustaceen  und  Mollusken  ge- 
eignet ist.  Es  besteht  in  der  Mittel-  und  der  Hinterregion  der  beiden  Kiefern 
aus  schrägen  Reihen  von  breiten  flachen  Mahlzähnen.  In  der  vorderen  Region 
sind  die  Zähne  spitz  und  denen  der  gewöhnlichen  Haie  noch  ziemlich  ähnlich 
Der  Rachen  trägt  also  sehr  verschiedene  Zahnformen.  Cestracioniden  sind  in 
allen  älteren  Epochen  vom  Kohlenkalk  an  fossil  vertreten,  im  silurischen  System 
noch  zweifelhaft,  im  devonischen  System  schon  wahrscheinlicher.  Ctenodu^  A«; 
aus  dem  old  red  sandstone  begreift  Zähne,  die  man  vorläufig  zu  den  Cestracioniden 
stellt.  Viele  Flossenstacheln,  darunter  die  silurisch  und  devonisch  vertretenf 
Gattung  Onchus  sollen  derselben  Familie  entsprechen. 

Auf  Squaliden  oder  Haie,  Familie  der  Hybodonten,  werden  ebenfalls  Zal-nc 
und  Flossenstacheln  aus  devonischen  Schichten  bezogen.    Reste  von  Chimäroidcr 
werden  aus  dem  Devon-System  von  Nord- Amerika  aufgeführt.    Die  amerikanischen 
Palaeontologen  vermuthen  hier  auch  schon  den   Beginn   der  Gattung  Ceratod^i 
deren  in  Australien  heute  noch  lebender  Vertreter  (Ceratodus  ForsteH)  ein  Lunri 
fisch  mit  Kiemen  und  Lungen  ist. 

Alle  diese  Funde  von  Selachier-Resten  des  Devon-Systems  ergeben  zwar  lan^:. 
Verzeichnisse  von  Gattungen  und  Arten,  ihre  genauere  Erkenntniss  lässt  aber  roei-J 
noch  viel  zu  wünschen  übrig. 

Weit  besser  charakterisirt  und  zum  Theil  nach  mehr  oder  \\  eniger  vollständiger 
Skeletten  bekannt  sind  die  Ganoiden  der  devonischen  Ablagerungen.     Sic  rr 
scheinen  namentlich  im  old  red  sandstone  von  England  und  Schottland  reichl.^J 


Devonisches  System.  225 

vertreten,  sowohl  als  gepanzerte,  wie  auch  als  beschuppte  Formen.  Wir  haben  ge- 
panzerte Ganoiden  (Ganoides  tabuliferi)^  Verwandte  der  heutigen  Störe  —  rund- 
schuppige Ganoiden  (Cycliferen)  die  den  heutigen  Amiaden  entsprechen  —  und 
eckschuppige  Ganoiden  (Rhombiferen),  welche  heute  in  Nord-Amerika  noch  durch 
Upidosteus  und  in  Afrika  durch  Folypierus  vertreten  sind,  in  der  devonischen 
Meeresfauna  zu  unterscheiden.  Alle  in  dieser  auftretenden  fossilen  Formen  ge- 
hören noch  der  Abtheilung  der  ungleichlappig  geschwänzten  Ganoiden  (Ganoides 
hcUroccrci)  an,  bei  denen  das  Hinterende  der  Wirbelsäule  sich  in  den  oberen 
Lappen  der  Schwanzflosse  fortsetzt,  so  dass  diese  letztere  eine  in  die  Augen 
fallende  Ungleichlappigkeit  zeigt,  eine  Bildungsform,  welche  übrigens  auch  noch 
alle  Ganoiden  des  Steinkohlen-  und  des  permischen  Systems  charakterisirt 

Die  gepanzerten  Ganoiden  (Ganoides  tabuli/eri)  bieten  im  devonischen  System, 
wie  schon  im  obersilurischen  die  seltsamsten  Formen,  einen  theils  nur  den  Kopf, 
theils  auch  noch  den  vorderen  Rumpf  bedeckenden  Panzer  von  kräftigen,  mit 
einer  Emaildecke  überzogenen  Hautknochen  (Ganoid-Platten  oder  Dermal-Knochen) 
und  ein  erst  theil weise  verknöchertes  Innenskelett,  von  dem  namentlich  die 
Wirbelsäule  noch  eine  weiche,  zu  fossiler  Erhaltung  nicht  geeignete  Knorpelmasse 
fckorda  dorsalis  und  ^^^rrtHti-Scheide)  war,  wie  letzteres  auch  bei  ihren  heutigen 
nächsten  Verwandten,  den  Stören,  noch  der  Fall  ist.  Man  kennt  eine  Anzahl 
ziemlich  vollständiger  Panzer  dieser  devonischen  Knorpel  -  Ganoiden ,  aber  die 
ersten  noch  unvollständigen  Funde  gaben  zu  sehr  abweichenden  Deutungen  Anlass. 
Namentlich  rieth  man  auf  Schildkröten.  Andererseits  zählte  man  längere  Zeit 
den  Panzerganoiden  auch  die  Pterygoten  des  old  red  sandstone  zu,  die  sich 
nachmals  als  Reste  kräftig  gepanzerter  Entomostraken  (Crustaceen)  erwiesen. 

Durch  einen  fast  geschlossenen  Panzer  von  Ganoid-Platten  über  den  Kopf 
und  den  vorderen  Rumpf  bezeichnet  sind  die  Gattungen  Pterichthys  und  Coccosteus. 

Pterichthys  begreift  kleine  Panzerfische  mit  seltsamen  bepanzerten  Vorder- 
gliedmaassen,  die  den  Brustflossen  anderer  Fische  entsprechen,  aber  in  der  be- 
sonderen Bildung  von  allem  abweichen,  was  man  sonst  von  paarigen  Flossen  oder 
Oliedmaassen  lebend  oder  fossil  kennt.  Der  Kopfpanzer  articulirt  mit  dem  Rumpf- 
l>anzer.  Aus  letzterem  tritt  die  Hinterhälfte  des  Rumpfes  mit  dem  Schwanz  frei 
hervor,  er  trägt  einen  beweglichen  Panzer  dünner  polygonaler  Täfelchen  und 
einige  nur  selten  wahrnehmbare  unansehnHche  Schwimmflossen.  Man  kennt 
einige  Arten  von  Pterichthys,  die  meisten  aus  dem  old  red  sandstone  von  Caithness 
u.  a.  O.   in  Schottland.     Die  am  besten  bekannte  Art  ist  Pterichtys  Miller i  Ac. 

Anders,  aber  ebenfalls  noch  höchst  seltsam  organisirt  ist  die  devonische 
Gattung  Coccosteus.  Ein  geschlossener  Panzer  von  meist  an  den  Nähten  unbe- 
weglich verbundenen  Knochenplatten  mit  körneriger  Oberfläche  überzieht  den 
Kopf  und  die  Vorderhälfte  des  Rumpfes.  Der  Kopf  war  mit  dem  Rumpf  von 
einem  geschlossenen  Panzer,  einem  Kopfrückenpanzer  bedeckt,  der  aber  mit  dem 
entsprechenden  Bauchpanzer  nur  locker  verbunden  war.  Der  Hinterrumpf  mit 
dem  Schwanz  tritt  frei  aus  den  beiden  Vorderpanzem  hervor  und  scheint  nackt 
gewesen  zu  sein.  Die  Anlage  zur  Wirbelsäule  war  noch  knorpelig,  trug  aber 
oben  und  unten  schon  verlängerte  Domfortsätze  oder  Gräten  (obere  und  untere 
Processus).  Die  steifbepanzerten  Vordergliedmaassen,  die  Pterichthys  bezeichnen, 
fehlen  bei  Coccosteus,  aber  der  Hinterrumpf  und  wahrscheinlich  auch  der  Schwanz 
waren  mit  Schwimmflossen  versehen.  Diese  Thiere  waren  schon  bessere 
Schwimmer.     Coccosteus  erscheint  in  obersilurischen  und  devonischen  Schichten. 

K.eM(«KnrT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.     I.  15 


226  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  am  besten  gekannte  Art  C.  decipicUns  Ag.  wird  über  \  Meter  lang  und  stammt 
aus  dem  old  red  sandstone  der  Orkney-Inseln. 

Viel  näher  der  normalen  Fisch-Gestalt  als  Pterichthys  und  Coccosteus  kommen 
schon  die  Cephalaspiden  oder  Schildköpfe.  Bei  ihnen  verfliessen  die  Platten 
an  der  Oberseite  des  Schädels  zu  einem  breiten  flachen  Kopfschild,  der  zu  beiden 
Seiten  in  rückwärts  gerichtete  Ausläufer  ausgezogen  erscheint.  Bemerkensverth 
ist  die  Analogie  in  der  äusseren  Gestalt  dieses  Kopfschildes  mit  dem  mancher 
silurischen  und  devonischen  Trilobiten  —  eine  Analogie,  die  aber  hier  nicht  auf 
Affinität  (Stammesverwandtschaft)  zu  beziehen  ist.  Auf  diesem  Schild  etwas  vor 
der  Mitte  gewahrt  man  zwei  kleine  einander  genäherte  länglich -runde  Löcher. 
Man  nimmt  sie  fUr  Augenhöhlen.  Kleine  schmale  dünne  Zähne  erscheinen  am 
Kieferrand.  Der  grösste  Theil  des  Rumpfes  mit  dem  Schwänze  lag  frei  und  tnig 
nur  einen  beweglichen  Panzer  von  dünnen  Schuppen,  zugleich  auch  stark  ausge- 
bildete Schwimmflossen. 

Die  Cephalaspiden  erscheinen  mit  den  Gattungen  Cephalaspis  und  Fteraspü 
in  ziemlich  vielen  Arten  obersilurisch  und  devonisch.  Sie  verschwinden  alsbald 
darnach  zusammen  mit  den  übrigen  Panzerganoiden.  Wahrscheinlich  erhielt  sich 
aber  irgend  ein  Zweig  dieses  Stammes  durch  die  ganze  Formationenreihe  und  lebt 
heute  noch  in  der  mit  ähnlichen  Knochentafeln  ausgestatteten  Familie  der  Störe 
(Sturionidae)f  die  heute  vorzugsweise  Bewohner  des  Süsswassers  sind. 

Eine  zweite  Abtheilung  der  Ganoiden  sind  die  Cycliferen  oder  Ganoiden  mit 
gerundeten  Schmelzschuppen,  Ganoides  cycliferi.  Schon  in  einigen  Arten  im 
oberen  Silur-System  vertreten  erscheinen  sie  reich  an  Gattungen  und  Arten  im 
devonischen  System  mit  zwei  nahe  verwandten  Familien  Coelacanihidae  und  Hohf^ 
tychidae.  Es  sind  hohlgrätige  Ganoiden,  Coeloscohpes  oder  Cölacanthen.  Sie  haben 
ihren  Namen  von  ihren  innen  hohlen  Gräten  und  Flossenstacheln.  Den  Ko;»f 
deckt  ein  Plattenpanzer,  der  Rumpf  trägt  dünnere  cycloidische  Schmelzschup])en. 
Sie  erscheinen  devonisch  mit  mehreren  Gattungen.  Asterolepis  hat  gröblich  pe- 
körnelte  strahlig  gezeichnete  Kopfplatten.  Bei  Bothriolepis  erscheinen  statt  der 
erhabenen  Tuberkeln  vertiefte  Gruben.  Reste  beider  Gattungen  sind  häufig  in 
den  oberdevonischen  Schichten  von  Dorpat  u.  a.  O.  in  Livland.  Nach  der 
Grosse  und  Dicke  der  Kopf-Panzerplatten  schliesst  man  auf  Thiere  von  6  bi> 
9  Meter  Länge. 

Besser  bekannt  sind  die  Holoptychier,  Holoptychidae^  deren  kräftig  entwickelte 
Glanzschuppen  zum  Theil  mit  starker  Sculptur  versehen  sind.  Die  Zähne  er- 
scheinen in  zweierlei  Gestalt.  Zwischen  zahlreichen  kleineren  in  Reihen  gestelhen 
Zälmchen  stehen  vereinzelte  grosse  Kegelzähne.  Diese  Zähne,  die  kleineren  wie 
die  grossen,  zeigen  auf  dem  Querschnitt  des  Basaltheils  labyrinthische  Einfaltungen 
der  Zahnsubstanz,  ähnlich  wie  sie  in  späteren  Epochen  bei  den  Archegosauren  und 
Labyrinthodonten  (Amphibien)  sich  wiederholt  —  ein  Charakterzug,  der  schon 
als  Affinität  gedeutet  worden  ist,  hier  aber  wahrscheinlich  nur  auf  Analogie  be- 
ruht. Die  Holoptychier  sind  aus  den  devonischen  Schichten  mit  einer  Reihe  %'ün 
Gattungen  und  Arten  fossil  bekannt.  Die  Krone  aller  dieser  Funde  ist  ein 
76  Centim.  langes  fast  vollständiges  Exemplar  von  Hohptychius  nobiässhmn 
An.  aus  dem  old  red  sandstone  von  Clashbinnie  bei  Perth  in  Schottland.  E^ 
zein:t  die  Bauchseite  mit  den  durch  starke  Knochenplatten  beschüUten  Kiefern. 
(Britisches  Museum  in  London).  Die  Schmelzschuppen  sind  gross  und  zeigen  eine 
kräftige  längsfaltige  Sculptur. 

Neu  auf  dem  Schauplatz  der  geologischen  Geschichte  erscheinen  mit  dem 


Dimorphismus.  227 

devonischen  System  die  Eckschupper  oder  eckschuppigen  Ganoiden,  Ganoides 
rhombiferiy  die  im  obersilurischen  Gebiet  noch  nicht  nachgewiesen  sind.  De- 
vonisch sind  die  Familien  der  Dipteriden  oder  Dipterychier  und  der  Acanthodier. 

Die  Dipteriden  sind  schlank  gebaute  £ckschupper  mit  zwei  hintereinander 
gelegenen  Rückenflossen,  was  behende  Schwimmer  andeutet.  DipteruSy  Osteolepis 
u.  s.  w.  sind  Dipteriden  aus  dem  old  red  sandstone  von  England  und  Schottland. 

Mit  ihnen  erscheinen  auch  Gattungen  aus  der  Familie  der  Acanthodier, 
welche  das  Auftreten  eines  starken  Stachels  am  Vorderrande  der  Flossen  aus- 
zeichnet Die  Schuppen  sind  bei  ihnen  klein,  oft  kömerartig  und  das  Schuppen- 
kleid erinnert  hier  einigermaassen  an  die  sogen.  Chagrin-Haut  der  Haie. 

Mit  den  rundschuppigen  und  eckschuppigen  Ganoiden  haben  wir  die  höchsten 
Vertreter  des  organischen  Lebens  im  Meere  der  devonischen  Epoche  erreicht. 
Von  Amphibien  ist  noch  nichts  zu  bemerken.  Es  kann  deren  wohl  auf  dem 
Festland  und  in  Sümpfen  schon  gegeben  haben  —  hervorgegangen  aus  Meeres- 
bewohnem,  die  auf  das  Festland  stiegen,  eine  neue  Heimath  sich  zu  erobern. 
Aber  von  diesen  ältesten  problematischen  Amphibien  sind  keine  Ueberbleibsel 
fossil  erhalten,  sowie  von  festlandbewohnenden  Thieren  überhaupt  die  Funde  im 
devonischen  Schichtengebiet  noch  nichts  erkennen  Hessen. 


Dimorphismus 


von 


Professor  Dr.  Kenngott. 

In  dem  Artikel  »Arten  der  Minerale«  wurde  pag.  66  angeführt,  dass  der  ge- 
schmolzene Schwefel  beim  Starrwerden  klinorhombisch  krystallisirt,  während  der 
als  Mineral  vorkommende  Schwefel,  so  wie  der  aus  einer  Lösung  des  Schwefels 
in  Schwefelkohlenstoff  beim  Verdunsten  des  Lösungsmittels  krystallitirende  ortho- 
rhombisch  krystallisirt.  Hieraus  folgt,  dass  das  Element  Schwefel  zwei  verschiedene 
Arten  bildet,  welche  sich  durch  ihre  KrystaUisation  unterscheiden,  wonach  es 
dimorph  (von  dem  griechischen  Worte  »dimorphos«  von  doppelter,  zweifacher 
Gestaltung)  ist  Mit  dieser  doppelten  Gestaltung  hängen  auch  gewisse  Unterschiede 
in  den  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften  zusammen. 

Diese  Erscheinung,  dass  ein  und  derselbe  Stoff,  für  welchen  dieselbe  chemische 
Formel  aufgestellt  werden  kann,  auf  zweierlei  Weise  krystallisirt,  zwei  ver- 
schiedene Arten  bildet,  wurde  als  Dimorphismus  bezeichnet  und  Stoffe,  welche 
Dimorphismus  zeigen,  heissen  dimorphe. 

Sowie  der  Schwefel  dimorph  ist,  zwei  Arten  bildet,  wovon  jedoch  nur  die 
eine,  der  orthorhombische  Schwefel  als  Mineral  vorkommt,  sind  auch  noch  andere 
Stoffe  als  dimorphe  gefunden  worden.  So  ist  auch  das  Element  C,  der  Kohlen- 
stoff dimorph  und  beide  Arten  kommen  als  Minerale  vor,  der  tesseral  krystalli- 
sirende  Kohlenstoff  als  Diamant,  der  hexagonal  krystallisirende  als  Graphit, 
welche  beiden  Minerale  sich  sonst  noch  in  ihren  Eigenschaften  als  sehr  ver- 
schiedene erweisen.  —  Auch  das  Metall  Palladium  ist  dimorph,  krystallisirt 
hexagonal  oder  tesseral. 

Als  weitere  Beispiele  des  Dimorphismus  im  Mineralreiche  sind  anzuführen: 

Das  Einfach-Schwefelzink  ZnS,  welches  den  tesseral  kiystallisirenden  Sphale- 
rit  (s.  pag.  81)  und  den  hexagonal  krystallisirenden  Wurtzit  (s.  pag.  83)  bildet; 

»5« 


228  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

das  Halb-Schwefelsilber  Agj  S,  welches  tesseral  krystallisirend  den  Argen- 
tit,   orthorhombisch  krystallisirend  den  Akanthit  bildet;  (s.  Artikel  »Glänze*) 

das  Zweifach-Schwefeleisen,  FeSj,  welches  den  tesseral  krystallisirenden 
Pyrit  (Gelbeisenkies)  und  den  orthorhombisch  krystallisirenden  Mark asit  (Grau- 
eisenkies) bildet; 

das  Zweifach-Arsenkobalt,  CoASj,  tesseral  als  Smaltit,  orthorhombisch  ak 
Safflorit;  das  Zweifach-Arsennickel  NiAs,,  tesseral  als  Chloanthit,  orthorhom- 
bisch als  Rammelsbergit; 

das  Zweifach-Schwefel-  und  Arsenkobalt,  Co  As,  4-  CoSj,  tesseral  als  Kobal- 
tin, orthorhombisch  als  Glaukodot; 

die  arsenige  Säure  AsjOj,  tesseral  als  Arsenit,  orthorhombisch  als  Clau- 
detit;  das  Antimonoxyd  SbjOj,  tesseral  als  Senarmontit,  orthorhombisch  als 
Valentinit; 

die  Titansäure,  TiO,,  welche  auf  dreierlei  Weise  kr3rslallisirt,  drei  ver- 
schiedene Mineralspecies  bildet,  nämlich  den  quadratisch  krystallisirenden  Rutil 
und  Anatus  (deren  Formen,  obgleich  in  dasselbe  S)'stem  gehörig,  nicht  auf  die- 
selbe Grundgestalt  zurückführbar  sind)  und  den  orthorhombisch  krystallisirenden 
Brookit.  Somit  ist  die  Titansäure  dreigestaltig,  trimorph,  zeigt  Trimorphis- 
mus.  Dieses  Vorkommen  eines  Stoffes  in  dreierlei  Krystallisation  war  auch  der 
Grund,  die  Bezeichnung  Dimorphismus  (oder  Dimorphie)  nicht  allgemein  zupassend 
zu  finden  und  die  Erscheinung  verschiedener  Gestaltung  allgemein  aufgefasst  ab 
Pleomorphismus  oder  Polymorphismus  oder  Heteromorphismus  zu  be- 
zeichnen. So  richtig  dies  ist,  spricht  man  doch  meist  von  Dimorphismus  und 
dimorphen  Substanzen,  weil  die  meisten  derartigen  Vorkommnisse  Dimorphismus 
zeigen,  wogegen  dann  trimorphe  sich  den  dimorphen  anreihen. 

Als  eine  solche  trimorphe  Substanz  ist  die  Kieselsäure,  SiO^  anzuführen, 
welche  als  hexagonal  krystallisirende  den  Quarz  bildet,  während  ausserdem  ah 
Mineralart  der  Tridymit  vorkommt,  dessen  Krystalle  wohl  auch  als  hexagonale. 
aber  auf  eine  andere  Grundgestalt  bezügliche  bestimmt  wurden,  neuerdings  für 
anorthische  erklärt  worden  sind.  Ausser  diesen  beiden  verschiedenen  Arten, 
welche  als  Minerale  vorkommen,  wurde  orthorhombisch  krystallisirte  Kieselsaure 
in  einem  Meteorstein  von  Breitenbach  in  Böhmen  gefunden  und  Asmanit  ge- 
nannt, wonach  die  Kieselsäure  trimorph  ist. 

Trimorph  ist  auch  das  Thonerde-Silicat  Al^Oj^SiO^,  welches  zwei  von  ein- 
ander verschiedene  orthorhombische  Species,  den  Andalusit  und  den  Sillimanit, 
und  eine  anorthische,  den  Disthen  bildet. 

Als  weitere  Beispiele  des  Dimorphismus  sind  anzuführen: 

Das  Kalkerde -Carbonat,  CaO-CO^,  welches  hexagonal  krystallisirend  den 
Calcit  (s.  pag.  93)  und  orthorhombisch  krystallisirend  den  Aragonit  (s.  pag.  gu) 
bildet;  das  Kalk-BaryterdeCarbonat  CaO-COj-t-BaO.COj,  welches  die  oriho- 
rhombischeSpecies  Alstonit  (s.  pag.  109)  und  die  klinorhombische,  Baryt ocalcii 
(s.  pag.  109)  genannte  bildet; 

das  Wismuthoxyd-Silicat  2Bi,03-3Si02i  welches  tesseral  als  Eulytin. 
klinorhombisch  als  Agricolit  vorkommt; 

das  Kalithonerde- Silicat  K^AljO^ -SißOj,,  welches  den  klinorhombischen 
Orthoklas  und  den  anorthischen  Mikroklin  bildet; 

das  Kalkerde -Silico-Titanat  CaO-2SiO, -h  Ca0.2TiO,,  welches  den 
klinorhombisch  krystallisirenden  Titanit  und  den  orthorhombisch en  Guarinii 
bildet; 


Dimorphismus.  229 

das  tantalsaure  Eisenoxydul  FeO-Ta,05,  welches  den  orthorhombischen 
Tantalit  und  den  quadratrischen  Tapiolit  bildet; 

das  Kupferarsen-Sulfid  SCugS-AsjS,^,  welches  den  tesseralen  Dufrenoysit, 
den  orthorhombischen  Enargit  und  den  klinorhombischen  Clarit  bildet,  mithin 
das  vierte  Beispiel  von  Trimorphismus  ist; 

das  Silberbleiantimon-Sulfid  SAgjS-SbjSg  -+- 2(2PbS.;Sb,S3),  welches  klino- 
rhombisch  als  Freieslebenit,  orthorhombisch  als  Diaphorit  vorkommt; 

das  wasserhaltige  Eisenoxydulsulfat  HgO-FeO -h  GH^O-SOg,  welches  den 
klinorhombischen  Melanterit  und  den  orthorhombischen  Taurisc it  bildet. 

Diese  und  noch  einige  andere  Fälle  verschiedener  krystallinischer  Gestaltung 
bei  gleicher  chemischer  Constitution  zeigen,  dass  Elemente  und  mehr  oder  minder 
zusammengesetzte  Verbindungen  diese  Erscheinung  zeigen  können,  und  da  wir 
diese  nicht  nur  als  eine  feststehende  Thatsache  hinzunehmen  haben,  sondern 
auch  nach  Ursachen  geforscht  werden  muss,  so  kann  man  zunächst  nur  annehmen, 
dass  gewisse  äussere  Ursachen,  gewisse  Bedingungen  bei  der  Entstehung  der 
Krystalle  vorliegen  müssen,  wie  namentlich  die  Temperatur  einen  Einfluss  aus- 
zuüben scheint.  Das  Auftreten  dimor^^her  Stoffe  war  so  auffallend,  dass  man 
unzweifelhaft  bestimmte  Bedingungen  voraussetzen  musste,  welche  aber  nicht 
allein  in  äusseren  Umständen  begründet  sein  können,  sondern  es  müssen  auch 
die  Stoffe  in  sich  selbst  Eigenthümlichkeiten  zeigen,  welche  durch  äussere  Ur- 
sachen geändert  werden  können.  In  diesem  Sinne  muss  man  wieder,  wie  pag.  160 
in  dem  Artikel  >Cohäsion«  angedeutet  wurde,  auf  die  kleinsten  materiell  gleichen 
Theile  der  Krystalle,  auf  die  Krystallmolecule  zurückkommen,  welche  wie  man 
aus  der  Spaltbarkeit  zu  schliessen  berechtigt  war,  vollkommen  untereinander 
gleiche  sind. 

Die  Krystallmolecule  einer  und  derselben  Art  in  diesem  Sinne  als  die 
kleinsten  stofflich  gleichen,  gleichgestalteten  und  gleichgrossen  Massentheilchen 
angenommen,  müssen  durch  die  Atome  gebildet  werden,  deren  Zahl  und  Lage 
die  bestimmte  Gestalt  bedingt.  Bei  elementaren  Stoffen  muss  man  annehmen,  dass 
jedes  derselben  Species  zugehörige  Krystallmolecul  gleichviel  und  in  gleicher  Weise 
aneinander  gelagerte  Atome  enthält,  ohne  dass  es  nothwendig  erscheint,  über  die 
wirkliche  Gestalt  der  Atome  sich  irgend  eine  Vorstellung  zu  machen,  flir  welche  man 
wohl  als  die  wahrscheinlichste  die  Kugelform  annehmen  könnte.  Bei  einer  solchen 
Vorstellung  ist  keine  Schwierigkeit  vorhanden,  dass  derselbe  elementare  Stoff  unter 
verschieden  äusseren  Bedingungen  verschieden  gestaltete  Krystallmolecule  bilden 
kann,  wenn  er  aus  dem  gasförmigen  oder  tropfbaren  Zustande  in  den  starren 
übergeht  und  dabei  krystallisirt.  —  Bei  zusammengesetzten  Stoffen,  deren 
chemische  Constitution  durch  eine  bestimmte  chemische  Formel  ausgedrückt 
werden  kann,  zeigt  die  chemische  Formel  an,  dass  Atome  verschiedener  Elemente 
in  einem  bestimmten  Zahlenverhältnisse  vorhanden  sind  und  man  kann  daher, 
ohne  sich  zu  sehr  in  Hypothesen  zu  vertiefen,  annehmen,  dass  in  jedem  Krystall- 
molecule eines  so  und  so  zusammengesetzten  Stoffes  gleichviel  Atome  der  in  der 
Formel  angegebenen  Elemente  und  zwar  in  dem  Zahlenverhältnisse  zueinander 
enthalten  sind,  welches  die  chemische  Formel  ausdrückt. 

Ist  so  z.  B.  die  Formel  des  Calcit  (s.  pag.  96)  CaO-COj  oder  CaCOj,  so 
können  die  Krystallmolecule  des  Calcit  die  Atome  Calcium,  Kohlenstoff  und 
Sauerstoff  nur  in  dem  Zahlenverhältnisse  enthalten,  welches  die  Formel  ergiebt, 
auf  ICa  IC  und  30,  gleichviel  aus  wieviel  chemischen  Moleculen  CaO-COg 
man  sich  ein  Krystallmolecul  des  Calcit  bestehend  vorstellen  mag,   um  dadurch 


230  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

die  Gestalt  eines  stumpfen  Rhomboeders  zu  construiren.  Alle  Krystallmolccule 
des  Calcit  müssen  aber  dann  als  aus  derselben  Anzahl  chemischer  Molecule 
CaO'CO,  zusammengesetzt  angenommen  werden  und  von  der  gleichroässigen 
Anordnung  der  Atome  hängt  dann  die  gleiche  Gestalt  der  Krystall molecule  des 
Calcit  ab.  —  Da  nun  der  Aragonit  (s.  pag.  100)  als  eine  verschieden  von  Calcit 
kiystallisirende  Species  dieselbe  chemische  Formel  wie  der  Calcit  bat,  so  ent- 
halten die  Krystallmolecule  des  Aragonit  auch  die  Atome  von  Calcium,  Kohlen- 
stoff und  Sauerstoff  in  dem  Verhältnisse,  welches  die  chemische  Formel  ausdriickt, 
auf  1  Ca  IC  und  30,  und  müssen  als  untereinander  gleiche  aus  gleichviel  chemischen 
Moleculen  CaO'COj  zusammengesetzt  sein.  Die  verschiedene  Krystallisation 
aber  des  Aragonit  und  Calcit  erfordert  verschiedene  Krystallmolecule  und  es  muss 
somit  die  Gruppirung  der  Atome  in  den  Krystallmoleculen  des  Aragonit  eine 
andere  sein  als  in  den  Krystallmoleculen  des  Calcit,  während  beide  auch  ver- 
schiedene Spaltungsgestalten  haben. 

Unter  solchen  Voraussetzungen  gewinnt  man  die  Ueberzeugung,  dass  die 
chemische  Analyse  des  Calcit  und  des  Aragonit  dieselbe  chemische  Formel  er- 
geben muss,  dass  aber  der  Stoff  CaO'CO^  dimorph  sein  kann  und  dass  der 
Dimorphismus  von  der  Anordnung,  der  Aneinanderlagerung  der  Atome  abhängt 
Man  legt  ja  auch  bei  den  sogen,  organischen  Verbindungen,  welche  nach  der 
Analyse  procentisch  gleich  zusammengesetzt  sind,  auf  die  Anordnung,  auf  die 
Aneinanderlagerung  der  Atome  ein  grosses  Gewicht,  um  dadurch  die  eventuell 
hervortretenden  verschiedenen  chemischen  Eigenschaften  zu  erklären.  In  dieser 
Beziehung  zeigen  auch  dimorphe  Stoffe,  wenn  sie  zwei  krystallographisch  ver- 
schiedene Arten  bilden,  ausser  der  Verschiedenheit  in  der  Form  gewisse  Unter- 
schiede in  den  physikalischen  Eigenschaften  und  in  den  chemischen  Reactionen. 

Aus  diesen  Andeutungen  über  die  Möglichkeit  einer  verschiedenen  krystalii- 
nischen  Gestaltung  durch  die  Verschiedenheit  der  Anordnung  der  Atome  in  den 
Krystallmoleculen  ergiebt  sich,  dass  mit  der  Zeit  noch  mehr  derartige  Stoffe  l>e- 
kannt  werden  werden  und  dass  man  die  verschiedene  Gestaltung  in  der  durch  die  An- 
einanderlagerung der  Atome  bedingten  Gestaltung  der  Krystallmolecule  liegen <I 
annehmen  könne,  wodurch  auch  die  physikalischen  Eigenschaften  und  chemischen 
Reactionen  bedingt  sind.  Die  Bedingungen  der  verschiedenen  Gruppirung  der 
Atome  sind  jedenfalls  in  äusseren  Umständen  zu  suchen,  welche  bei  der  Fnt- 
stehung  der  Krystalle  obwalteten  und  unter  diesen  tritt  wahrscheinlich  die  Tem- 
peratur in  den  Vordergrund,  welche  bei  dem  Uebergang  der  gasigen  oder  irupt- 
baren  Stoffe  in  den  starren  Zustand  herrschte. 


Echinodermen 


von 


Dr.  Friedrich  RoUe. 

Die  Echinodermen  oder  Stachelhäuter,  Echinodermata^  begreifen  eine 
vielgestaltige  Reihe  von  strahlig  gebauten  Meeresthieren,  bei  denen  meist  die 
FUnfzahl  herrscht  und  z.  Th.  in  so  hervorragender  Weise  auftritt,  als  ob  ihr 
Körper  ein  Stock  sei,  aus  der  Verwachsung  von  fünf  besonderen  Personen  oder 
Individuen  hervorgegangen.  Letzteres  nimmt  namentlich  auch  E.  HAckki  an. 
der  die  am  ausgezeichnetsten  aus  Strahl-Individuen  zusammengesetzten  Seestemc 
(Asteroidea)  als  einen  strahligen  Stock  von  fUnf  den  Würmern  zunächst  verwandten 


Echinodermen.  231 

Thieren  betrachtet  und  von  den  Seesternen  die  übrigen  Klassen  der  Echinodermen, 
namentlich  aber  die  Seeigel  (Echinoidea)  und  die  Stemwürmer  (Holothurioidea) 
unter  Nachweisung  stufenweise  vorgerückter  Centralisation  der  Stock-Individuen 
ableitet. 

Diese  Abtheilung  des  Thierreichs  ist  eine  der  formenreichsten  und  sie  erlangt 
durch  die  in  der  unteren  Hautschichte  oder  sogenannten  Lederhaut  (cutis)  in 
mehr  oder  minder  gedrängter  Weise  vor  sich  gehende  Abscheidung  von  ver- 
schiedengestalteten Kalk-Täfelchen  —  oder  eines  aus  Kalktäfelchen  zusammenge- 
setzten festen,  der  fossilen  Erhaltung  fähigen  sogenannten  Aussen-Skelett's  oder 
Gehäuses  oder  eigentlich  eines  inneren  Panzerkleides  —  besondere  Bedeutung 
in  Geologie  und  Palaeontologie.  Zahlreiche  oft  trefflich  erhaltene  Fossilien  ver- 
künden den  geologischen  Entwicklungsgang  der  verschiedenen  Klassen  der  Echino- 
dermen und  lassen  z.  Th.  ihr  Auftreten  bis  in  die  Primordialzone  (wenn  nicht 
selbst  in  die  noch  älteren  cambrischen  Schichten)  zurück  verfolgen. 

Die  sternförmige  aus  meist  fiinfStrahltheilen  oder  Antimeren  zusammengesetzte 
Körpergestalt  der  Echinodermen  hat  lange  dahin  geführt,  die  Echinodermen  als  höhere 
Stufe  an  die  Pflanzenthiere  oder  Cölenteraten  (Hydroiden,  Anthozoen  u.  s.  w.)  anzu- 
reihen, wie  dies  in  Cüvier's  Thiersystem  noch  der  Fall  war.  Seither  aber  hat  die  bessere 
Eikenntniss  ihres  Baues  und  namentlich  ihrer  Entwickelungsgeschichte  ihnen  eine  an- 
dere Stellung  im  System  angewiesen  und  im  Besonderen  gezeigt,  dass  sie  näher  an 
die  Gliedwürmer  (z.  B.  an  die  Gephyreen  und  Anneliden)  sich  anschliessen  und 
daher  von  ihnen  auch  unter  Vermittelung  von  Stockbildung  und  nachmaliger 
Centralisation  abstammen  mögen. 

Die  Echinodermen  zerfallen  nach  ihrer  Vertretung  in  der  heutigen  Meeres- 
Fauna  in  vier  Klassen,  Seesteme  (Asieroidea),  Crinoideen  oder  Seelilien  (Crinoiäea), 
Seeigel  (Echinoidea)  und  See  walzen  oder  Stemwürmer  (Hotkurioidea).  Dazu  kommen 
noch  in  palaeozoischen  Formationen  die  erloschenen  Abtheilungen  der  Cystideen 
und  Blastoideen,  die  den  Crinoideen  am  nächsten  sich  anschliessen  und  bald  als 
Ordnungen  derselben,  bald  als  eigene  Klassen  betrachtet  werden. 

Körperform  und  innerer  Bau  sind  bei  diesen  verschiedenen  Klassen  sehr 
verschiedengestaltig,  die  Nomenclatur  sehr  verwickelt,  um  so  mehr  als  im  Verlaufe 
von  Stockbildung  und  nachmaliger  Centralisation  eine  Ausbildung  symmetrischen 
Baues  eintritt  und  mit  den  Psoliden  bis  zur  Gestalt  eines  auf  dem  Bauch  kriechen- 
den Wurms  geht 

Da  die  Echinodermen  bald  wie  die  Crinoideen  mit  dem  Mund  nach  oben 
festsitzen,  bald  wie  die  Asteroiden  und  Echinoiden  mit  dem  Mund  nach  unten 
gerichtet  umherkriechen,  bald  wie  die  Holothurien  sich  in  Walzenform  strecken 
und  den  Mund  an  der  Vorderseite  führen,  ist  die  Unterscheidung  von  Ober-  und 
Unterseite,  Rücken-  und  Bauchseite,  Vorder-  und  Hinterseite  mannigfach  im 
Schwanken.  Was  bei  einem  Crinoiden  oben  liegt,  liegt  bei  einem  Echinoiden 
unten  und  bei  einer  Holothurie  vorn.  Eine  sichere  Orientirung  ergiebt  nur  der 
Mund-Pol  des  Thieres  mit  dem  central  gelegenen  Mund  i.  auf  der  Oberseite 
bei  Crinoideen  (so  wie  Cystideen,  Agelacrinen  und  Blastoideen),  2.  auf  der  Unter- 
seite bei  Asterien,  Ophiuren  und  Echinoiden,  3.  auf  der  Vorderseite  bei  Holothu- 
riden  (Holothurien,  Psoliden  und  Synapten).  'Der  After  steht  dem  Mund  diametral 
gegenüber  bei  regulären  Echinoiden,  Palechiniden,  Holothurien.  Der  After  liegt 
seitlich  bei  Crinoideen,  Cystideen,  symmetrischen  Echinoiden,  vielen  Asterien. 
Während  bei  den  symmetrischen  Echinoiden  der  After  die  polare  Lage  verlässt, 
bleibt  dem  Mund  diametral  gegenüber  noch  ein  Scheitel  (Apex)  mit  einer  Rosette 


232  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

von  Ovarial-  und  Ocellartafeln.     Der  After  fehlt  ganz  bei  Ophiuren,  bei  einigen 
Asterien,  auch  bei  einigen  Cystideen. 

Wir  müssen  uns  bestreben,  die  äusserst  zusammengesetzte  Organisation  der 
Echinodermen  überhaupt  und  die  ihrer  einzelnen  Klassen  kurz  abzuhandeln  und 
müssen  vieles  in  dieser  Hinsicht  aus  Zoologie  und  Anatomie  als  bekannt  vor- 
aussetzen. 

Am  wichtigsten  flir  den  Palaeontologen  ist  die  Kenntniss  der  im  Hautsj'stero 
und  zwar  in  der  unterhalb  der  Epidermis  gelegenen  Bindeschicht  oder  soge- 
nannten Lederhaut  (cutis)  in  verschiedenen  Graden  vor  sich  gehenden  Kalkaus- 
scheidungen, da  diese  für  die  fossile  Erhaltung  von  Roten  der  Thiere  entscheidend 
sind  und  die  Weich theile  sich  so  gut  wie  gar  nicht  dazu  eignen.  Unvollständig 
ist  sie  bei  den  Holothuroiden,  die  daher  auch  in  fossilem  Zustande  nur  sehr 
spärlich  bekannt  sind.  Bei  ihnen  bleibt  das  Hautsystem  vorwiegend  weich  und 
beweglich,  die  Kalkausscheidung  vereinzelt.  Sie  erzeugt  hier  z.  Th.  einen  Kalkrins; 
um  den  Schlund  oder  vereinzelte  Platten  in  der  Haut.  Reichlicher  drängen  sich 
die  Tafeln  der  Kalkausscheidung  bei  Asterien  und  Ophiuren  zusammen.  Sic 
verdrängen  hier  schon  einen  grossen  Theil  der  weichen  Haut  und  bilden  mit 
den  beweglich  bleibenden  Resten  derselben  ein  nach  mehreren  Richtimgen  noch 
bewegliches  Tafelskelett  oder  Panzerkleid,  welches  gewöhnlich  als  Aussenskelett 
bezeichnet  wird,  aber  nicht  der  Epidermis,  sondern  der  darunter  gelegenen  Leder- 
haut  angehört,  also  streng  genommen  kein  äusseres  Skelett  ist,  sondern  ein  unter 
der  Oberhaut  entwickelter  Unterpanzer. 

Sehr  ausgebildet  ist  auch  dieses  sogenannte  Aussenskelett  der  Crinoideen 
und  hier  erreicht  die  Vielzahl  der  einzelnen  untereinander  articulirenden  festen 
Kalktäfelchen  ihren  höchsten  Betrag.  Man  hat  z.  B.  berechnet,  dass  bei  dem  an 
Westindien  lebenden  Pentacrinus  capui  Medusae  und  bei  dem  im  Lias  von  Eng- 
land fossilen  Pentacrinus  Briareus  die  Zahl  der  gesonderten  mittelst  Gelenk- 
flächen unter  einander  —  und  meist  beweglich  —  verbundenen  Kalktheile  oder 
Täfelchen  —  der  Säule  und  ihrer  Ranken,  des  Kelchs  und  seiner  Decke,  der 
Arme  und  ihrer  Fiedern  oder  Pinnulae  —  auf  mehr  als  150,000  sich  belauft 
Ein  Abzählen  der  einzelnen  Skelett-Theile  ist  hier  schon  unmöglich  und  auch 
die  Abschätzung  auf  ein  paar  tausend  —  mehr  oder  minder  —  annähernd. 

Am  weitesten  geht  die  Verkalkung  des  Hautsystems  bei  dem  eigentlichen 
Körper  (oder  Kelch)  der  Crinoideen  und  dem  Kalk-Gehäuse  der  Mehrzahl  der 
Echinoideen.  Bei  ihnen  entsteht  in  der  Regel  ein  unbeweglich  geschlossenes 
Gehäuse,  welches  auch  zusammenhängend  in  den  älteren  P'ormationen  erhalten 
zu  sein  pflegt.  Es  ist  ein  sogenanntes  Aussen-Skelett,  das  die  Unterhaut  bis  attf 
sehr  geringe  Reste  verdrängt.  Die  ursprünglich  weiche  Haut  ist  hier  durch  wett- 
gehende Verkalkung  vorwiegend  starr  und  unbeweglich  geworden.  Um  Mund 
und  After  sind  oft  grössere  Partien  weicher  Haut  übrig  geblieben,  so  dass  hier 
nach   dem  Absterben  des  Thieres  gewisse  Kalkplatten  sich  leicht  ablösen. 

Nur  bei  wenigen  in  der  Tiefsee  lebenden  Echinoideen  der  heutigen  Lei«- 
weit  bleibt  ein  noch  beträchtlicherer  Theil  der  weichen  Haut  erhalten  und  ein 
entsprechender  Theil  der  Täfelung  als  bewegliches  Panzerkleid.  Aehnlich  ist 
die  bewegliche  Täfelung  des  Gehäuses  bei  der  im  devonischen  System  fossil  au;- 
tretenden  Echinoiden-Gattung  Lepidocentrus  ^  deren  Tafeln  sich  schuppenartic 
folgen. 

Von  den  Weichtheilen  der  Echinodermen  interessiren  den  Palaeonlolo;:i  n 
neben  den  Mündungen  der  Eierstöcke,  die  bei  den  Seeigeln  in  einer  meist  fünf- 


Echinoderroen.  233 

zähligcn  Rosette  am  Scheitel  stehen  und  besondere  Täfelchen  (Eiertäfelchen, 
Genital- Asseln)  durchsetzen  —  und  den  Augen,  welche  bei  den  Seeigeln  mit 
vorigen  altemiren  und  eigene  Täfelchen  (Ocellar-Täfelchen,  Augentäfelchen)  durch- 
brechen  —  noch  die  Füsschen  (Ambulacralflisschen,  Pedicellen),  welche  meist  in 
besonderen  Reihen  oder  Ambulacren  stehen.  Die  Füsschen  sind  weiche  musculose 
Fortsätze  der  inneren  Haut-  und  Muskelschicht,  welche  aus  besonderen  Poren 
der  Epidermis  hervortreten,  weit  vorgestreckt  und  zurückgezogen  werden  können. 
Bei  Echinoiden  und  Holothurien  enden  sie  in  Scheiben,  die  als  Saug-  und  Haft- 
Organe  verwendet  werden  können  und  dem  Thiere  zur  Ortsbewegung  dienen. 
Sie  sind  hohl  und  können  von  dem  im  Inneren  des  Thieres  verlaufenden  Wasser- 
getässsystem  mit  Wasser  erfiillt  und  wieder  entleert  werden.  Bei  den  Echinoiden 
sitzen  sie  in  Reihen,  die  vom  Scheitel  zum  Mund  verlaufen  und  in  (äusserlich  ge- 
doppelten an  der  Innenseite  einfachen)  Poren  besondere  Täfelchen  oder  Ambulacral- 
Täfelchen  durchbrechen.  Bei  manchen  Ästenden  sind  die  Füsschen  pfriemen- 
förmig,  ohne  Saugscheibe  und  scheinen  nur  als  Fühler  oder  Tastorgane  zu  dienen. 
Ganz  fehlen  sie  den  Synaptiden,  bei  welchen  sie  durch  verkalkte  ankerförmige 
Gebilde  vertreten  sind. 

Nach  dem  Auftreten  der  Füsschen-Reihen  (ambulacra)  unterscheidet  man 
ambulacrale  und  interambulacrale  Theile  des  Körpers,  eine  Unterscheidung,  die 
besonders  bei  den  Seeigeln  oder  Echinoiden  von  grosser  Wichtigkeit  wird.  Die 
Ambulacren  der  Echinoiden  entsprechen  dem  medianen  Theil  der  Arme  der 
Asterien.  Von  den  Interambulacren  der  Echinoiden  entspricht  je  eine  Hälfte 
der  Randplattenreihe  eines  Asterien-Armes. 

Hiernach  stellt  also  jedes  Ambulacrum  eines  Echinoiden  zusammen  mit  der 
angrenzenden  Hälfte  des  rechten  und  des  linken  Interambulacrums  desselben  das 
Aequivalent  eines  Asterien-Arms  mit  medianem  Ambulacrum  und  zwei  randlichen 
Tafelreihen  dar  —  und  entspricht  einer  Person  des  dem  ganzen  Echinodermen- 
Körper  zu  Grunde  liegenden  fünfzähligen  Thier-Stocks. 

Wir  müssen  betreffs  der  übrigen  vielgestaltigen  Einzelheiten  des  Baues  der 
Echinodermen  auf  die  zoologischen,  anatomischen  und  physiologischen  Gnmd- 
lagen  der  Palaeontologie  verweisen  und  gehen  über  zu  den  besonderen  Klassen 
AsUroidea  (mit  den  Asteriden,  Ophiuriden  und  Euryaliden),  Crinoidea  (mit  den 
Crinoideen  und  Comatulen),  Cystidea  und  Blastoidea  (beide  letztere  vielleicht  nur 
Hauptordnungen  der  Crinoideen),  Echinoidea  und  Holothuroidea  (mit  den  Holo- 
thuriden   und  Synaptiden). 

Die  Seesterne  Asteroidea  (Stelleridae)  bilden  den  Beginn  des  Echinodermen- 
Reichs  in  systematischer  Hinsicht,  namentlich  nach  ihrem  primitiven  Bau,  der 
noch  deutlich  Elemente  erkennen  lässt,  die  bei  den  übrigen  Klassen  schon  weiter 
umgebildet  erscheinen.  Muthmaasslich  entsprechen  sie  auch  der  gemeinsamen 
genealogischen  Wurzel,  von  der  die  übrigen  divergirend  ausgingen,  am  nächsten. 
Ihr  Körper  ist  meist  ftinfstrahlig,  doch  wird  bei  manchen  Arten  die  Fünfzahl 
überschritten,  was  sowohl  schon  bei  silurischen  als  auch  bei  heute  noch  lebenden 
Arten  vorkommt. 

Jeder  Seestem  besteht  i.  aus  einer  kleinen  mittleren  Körperscheibe  mit  einer 
central  gelegenen  Mundöffnung.  Das  Thier  kriecht  auf  dem  Meeresgrund  den 
Mund  nach  unten  gewendet  (Mundseite  oder  Bauchseite  ist  hier  Unterseite)  2.  Am 
Umkreis  der  Mittelscheibe  und  in  der  gleichen  Ebene  strahlen  fünf  oder  mehr 
Anne  aus.  Die  letzteren  sind  gegliedert  und  haben  eine  gewisse  Aehnlichkeit 
im  Bau  mit  Gliedwürmem  (Colelminthen)  und  diese  ist  keine  bloss  täuschende 


2  34  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Analogie,  wie  die  mit  den  Strahltheilen  der  Korallen,  von  welcher  sich  die 
älteren  Zoologen  leiten  Hessen,  die  aber  von  unerheblicher  Art  ist,  sondern  sie 
lässt  sich  in  der  anatomischen  Grundlage  verfolgen. 

Die  Asteroidea  zerfallen  in  Asteriadae,  Ophiuridae  und  Euryalidae,  namentlich 
nach  der  Gestaltung  von  Mittelscheibe  und  Armen. 

Die  Asteriaden  oder  eigentlichen  Seesteme  sind  durch  einen  strahlenförmig 
ausgezogenen  Magen  ausgezeichnet,  von  dem  soviel  lange  Blindsäcke  auslaufen 
als  Strahlen  oder  Antimeren  vorhanden  sind.  Auch  die  Genital-Organe  reichen 
mit  Fortsetzungen  in  die  Strahl-Arme.  Gewöhnlich  ist  die  Mittelscheibe  nicht 
deutlich  von  den  Armen  abgesetzt.  Auf  der  Unterseite  der  Arme  verläuft  vom 
Munde  aus  eine  breite  tiefe  Furche  oder  Ambulacral-Furche.  In  ihrem  Grund 
verläuft  ein  Arm  des  Wassergefasssystems  und  trägt  zahlreiche  in  Reihen  stehende 
Ambulacralfiisschen. 

So  hat  jeder  Arm  der  echten  Seesteme  seinen  Antheil  am  Magen,  den  Geni- 
talien, dem  Wassergefasssystem  und  den  Füsschen.  Gemeinsam  allen  Armen 
ist  der  Mund.  Es  erscheint  auch  an  der  Spitze  der  Arme  noch  ein  Auge  al> 
kleiner  rother  Fleck. 

Darnach  betrachtet  E.  Häckel  die  Seesteme  als  erblich  gewordene  Stock- 
form strahlig  verwachsener  Personen,  die  vielleicht  durch  verwachsene  Knospen- 
bildung aus  einem  älteren  von  wurmartigen  Gliederthieren  gebildeten  Thierstock 
abstammen.  Nicht  nur  zeigt  der  Bau  des  Armes  oder  Strahltheiles  eines  See- 
sterns grosse  Analogie  mit  dem  einzelnen  Individuum  von  gewissen  Glieder- 
Würmern  (z.  B.  Gephyreen  und  Anneliden),  sondern  auch  die  aus  dem  Ei  de:^ 
regulärstrahlig  gebauten  Seesterns  hervorgehende  Larve  hat  keine  Aehnlichkeit 
mit  ihrem  Mutterthier,  sondern  zeigt  eine  bilateral-symmetrische  Gestalt  und  ist 
überhaupt  der  Larve  von  Gliedwürmern,  namentlich  Gephyreen  und  Ringelwümnem. 
auffallend  ähnlich.  Aus  dieser  ganz  abweichend  gebauten  Larve  geht  erst  durch 
Knospung  der  mehrstrahlige  Seestern  hervor. 

Diese  HÄCKEL*sche  Hypothese  vom  ersten  Ursprung  der  Asterien  und  damit 
überhaupt  aller  Echinodermen  durch  strahlenförmige  Verwachsung  von  einer  An 
zahl  von  zusammen  auf  einem  gemeinsamen  Stock  knospenden  Personen  schwebt 
nicht  ganz  in  der  Luft.  Der  Fall  steht  nicht  geradezu  vereinzelt  im  Thierreicl. 
ganz  abgesehen  von  Analogien  im  Pflanzenreich.  Er  erscheint  auch  an  den 
Stöcken  von  Botryllus^  Klasse  der  Tunicaten.  Hier  kennt  man  ähnliche  strahlige 
Verwachsungen  von  Personen.  Sie  sind  mit  dem  Hinterende  verwachsen,  sie 
besitzen  am  freien  Ende  jede  noch  ihre  eigene  MundöfFnung,  dem  Personen- 
Kranz  gemeinsam  ist  der  After.  E.  Häckel  nimmt  an,  dass  die  ältesten  Aste 
riden  gleichfalls  am  freien  Strahlenende  ursprünglich  einen  Mund  besassen,  der 
aber  nachmals  verkümmerte  und  beruft  sich  darauf,  dass  dieses  Strahlenende 
noch  jetzt  bei  den  Seesternen  zusammengesetzte  Augen  trägt,  welche  den  anr. 
Kopfe  der  Gliedüisser  (Anthropoden)  sitzenden  Augen  entsprechen.  JedentnlN 
steht  fest,  dass  weder  die  lebenden  noch  die  fossil  bekannten  Seesteme  in  Orga- 
nisation und  Entwicklungsgeschichte  sich  an  die  Pflanzen thiere  oder  Zoophytcn 
(Hydroiden  und  Anthozoen)  anschliessen  —  und  allem  Vermuthen  nach  sind  mc 
auch  von  anderer  Abkunft. 

Die  Asteriaden  treten  frühe  in  fossilen  Resten  auf  und  reichen  in  den  Meert^ 
ablagcrungen  vom  Silur-Systeme  bis  zu  den  jüngsten  Formationen,  leben  am!- 
noch  zahlreich  in  allen  Meeren.    Die  reichliche  Kalktafeln-Bildung  in  ihrer  l^er 
haut  (cutis),  die  ein  fast  geschlossenes  aber  noch  nach  mehreren  Richtungen  b^ 


Echinodeimen.  235 

wegliches  Panzerkleid  erzeugt,  befähigt  sie  zu  vortrefflicher  Fossil-Erhaltung,  doch 
sind  in  vielen  Funden  die  maassgebenden  Theile  der  Bauchseite  von  Scheibe  und 
Armen  nicht  deutlich  erhalten,  in  anderen  Fällen  ist  das  Kalkskelett  ganz  in  lose 
Täfelchen  zerfallen,  so  dass  viele  fossile  Formen  nur  annähernd  sich  in  das  zoo- 
logische System  einreihen  lassen. 

Im  palaeozoischen  Schichten-Systeme  eröffnen  die  Asteriaden  mit  einer  An- 
zahl von  eigenthümlichen  Gattungen,  welche  von  denen  der  jüngeren  Formationen 
und  der  heutigen  Meere  mannigfach  abweichen  und  zum  Theil  die  Körperform 
der  heutigen  Ophiuren  mit  der  ambulacralen  Armfurche  der  Asterien  verknüpfen. 
Dahin  gehören  namentlich  die  Encrinasteriae,  bei  denen  die  Ambulacral-Platten 
die  Ambulacral-Furche  der  Arme  wechselständig  einfassen,  während  deren  Stellung 
bei  den  typischen  Asterien  gegenständig  ist. 

Eine  ausgezeichnete  Gattung  ist  Aspidosoma,  Die  äussere  Körpergestalt  ist 
die  einer  Ophiure,  eine  flache  gerundet  ftinfseitige  Mittelscheibe,  von  der  fünf 
schmale,  deutlich  abgesetzte  Arme  ausstrahlen.  Die  Unterseite  der  Arme  zeigt 
jederseits  eine  einfache  Reihe  glatter  Randplatten,  welche  die  mediane  Ambula- 
cral-Furche unmittelbar  einfassen.  A,  Arnoldi  Goldf.  aus  den  unteren  devonischen 
Schichten  (Dach schiefer)  von  Winningen  bei  Coblenz  hat  eine  Mittelscheibe  von 
14 — 25  Millim.  Durchmesser  und  fünf  schlanke  bis  20  Millim.  lange  Arme. 

Zahlreich  sind  die  Gattungen  und  Arten  der  Asterien  in  den  mittleren  und 
jiingeren  Formationen.  In  manchen  Sandsteinlagern  liegen  sie  häufig  auf  den 
Schichtenflächen  ausgebreitet,  oft  zusammen  mit  Ophiuren,  aber  gewöhnlich  in 
unbefriedigendem  Erhaltungszustande.  Lose  Täfelchen  sind  häufig  im  oberen 
Jurakalk  und  in  der  weissen  Kreide. 

Die  Ophiuriden  oder  Schlangensterne,  Ophiuridae^  schliessen  sich  den 
Asteriaden  nahe  an  und  namentlich  treten  unter  den  palaeozoischen  Formen 
schwankende  zwischen  der  einen  und  der  anderen  Ordnung  vermittelnde  Gat- 
tungen auf.  Im  Allgemeinen  weichen  die  Ophiuriden  um  einen  beträchtlichen 
Schritt  weiter  als  die  Asterien  von  dem  zu  Grunde  liegenden  fiinfzähligen  Pei- 
sonenstock  ab,  die  Centralisation  der  Strahl-Personen  ist  weiter  vorgerückt,  sie 
haben  namentlich  ihren  besonderen  Antheil  am  Magen  verloren  und  spielen  nur 
noch  die  Rolle  von  Bewegungsorganen  des  ausgeprägteren  Individuums  der  Körper- 
schetbe,  welches  die  übrigen  Organe  aus  den  Armen  an  sich  gezogen  hat. 

Körperscheibe  und  Arme  sind  bei  den  typischen  Ophiuren  deutlich  von  ein- 
ander abgesetzt  Die  Körperscheibe  ist  flach  scheibenförmig,  rundlich  oder  fünf- 
eckig. Der  fünfstrahlige  Mund  steht  in  der  Mitte  der  Unterseite,  er  führt  zu 
einem  in  Blindsäcke  gestrahlten  Magen,  aber  die  Blindsäcke  setzen  sich  nicht 
mehr  in  die  Arme  fort,  wie  bei  den  Asterien.  Die  fiinf  langen  schlanken  ein- 
fachen stets  unverästelten  Arme  entbehren  einer  offenen  medianen  Ambulacral- 
Furche   und  sind  mit  besonderen  Rücken-,  Bauch-  und  Rand-Schuppen  besetzt. 

Die  Ophiuren  leben  zahlreich  in  allen  Meeren,  auch  noch  in  grossen  Meeres- 
tiefen, sie  kriechen  wie  die  Asterien  auf  dem  Meeresboden  umher,  wozu  ihnen 
besonders  ihre  schmalen  gegliederten  schlangenartig  biegsamen  Arme  behilf- 
lich sind. 

Die  Ophiuren  beginnen  zusammen  mit  den  Asteriaden  schon  im  silurischen 
System,  aber  hier  wie  auch  noch  im  Kohlenkalk  mit  schwankenden  Gattungen. 
Ihre  Arme  zeigen  an  der  Bauchseite  noch  Charaktere,  die  an  die  ambulacrale 
Gestaltung   der   Asterien  Arme    erinnern.     Die  Mediane  derselben  scheint   noch 


236  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

nicht  durch  besondere  Ventral-Schilder  bedeckt  zu  sein.    Dahin  gehört  ProttnUr 
FoRB.  mit  obersilurischen  und  carbonischen  Arten. 

Echte  typische  Ophiuriden  zeigen  sich  von  der  Trias  an.  Aspidura  scuteUata 
Blumenb.  {Ophiura  loricata  Goldf.)  ist  eine  kleine  Art  aus  dem  Muschelkalk 
von  Villingen  (Baden),  Göttingen  u.  a.  O.  Die  rundliche  flache  Mittelscheibc 
hat  2 — 3  Millim.  Durchmesser  und  zeigt  auf  der  Unterseite  den  centralen  Mund 
von  zehn  Täfelchen  im  Kreise  umgeben.  Die  kurzen  breiten  Arme  zeigen  auf 
der  Rückenseite  drei  Tafelreihen,  auf  der  Bauchseite  eine  von  jederseits  einer 
Tafelreihe  eingefasste  mediane  Furche. 

Die  Euryaliden  oder  Medusenhäupter,  Euryaiidae,  sind  Ophiuriden  mit  viel- 
facher Gabelung  der  fünf  auf  der  Rückenseite  gerundeten  biegsamen  Arme.  Die 
Haut  der  Arme  ist  einfach  gekörnelt.  Die  Euryaliden  erlangen  durch  die  mehr- 
fache Gabelung  der  Arme  ein  den  Comatulen  sehr  nahe  kommendes  Ansehen.  Sic 
schwimmen  nicht,  sondern  kriechen  wie  die  Ophiuren  auf  dem  Meeresboden 
einher. 

Wenige  Gattungen  und  Arten  leben  in  den  Meeren,  namentlich  der  wärmeren 
Breiten,  andere  in  grossen  Tiefen  des  arktischen  Meeres,  wie  Astrophyton  Litukii 
Müll.  Trosch.  im  I.ancaster-Sund  in  mehr  als  1500  Meter  Tiefe. 

Man  kannte  lange  keine  fossilen  Reste  von  Euryaliden,  neuerdings  werden 
Funde,  die  aber  noch  näherer  Bestätigung  bedürfen,  aus  dem  oberen  Silur,  dem 
Kohlenkalk  und  dem  unteren  Lias  aufgeführt. 

Die  Klasse  der  Crinoideen  oder  Seelilien,  Haarsterne,  Crinoidea^  steht 
von  den  Seesternen  ziemlich  weit  ab.  Die  Crinoideen  scheinen  sich  schon  sehr 
frühe  von  der  gemeinsamen  aus  der  verwachsenen  Knospung  von  ftlnf  Personen 
entstandenen  Grundform  der  Echinodermen  abgezweigt  zu  haben,  denn  es  werden 
schon  aus  dem  cambrischen  Systeme  Crinoidenstiele  aufgeführt  und  in  der  zweiten 
Silurfauna  (Oberregion  des  unteren  Silur)  sind  sichere  Crinoideen  schon  reichlicr 
bekannt.  Die  weitere  Umbildung  geschah  hier  unter  Anwachsung  auf  einem  fester. 
Gegenstand  mittelst  eines  gegliederten  biegsamen  Stieles,  wobei  sich  der  Körper 
becherförmig  gestaltete,  Mund  und  After  sich  nach  der  abgeplatteten  Oberseite 
wandten,  die  Arme  aber  den  Charakter  von  Organen  des  centralisirten  Thiers  an- 
nahmen und  sich  über  dei  Mundseite  desselben  als  schützender  Busch  zusammen- 
neigten. 

Jedes  Crinoid  besteht  im  Allgemeinen  aus  i.  einer  gegliederten  Säule,  die  oft 
noch  von  gegliederten  Ranken  oder  Hilfsarmen,  cirrhi^  wirtelförmig  umgeben 
erscheint,  2.  aus  einem  becher-  oder  knospenförmigen  radial  getäfelten  Körper, 
dem  Kelch,  calix  und  3.  aus  gegliederten  Armen,  die  oft  noch  gegliederte  Fieticr 
arme  oder  Seitenarme,  Pinnulae,  tragen.  Manche  Formen  lösen  sich  auch,  uic 
die  Comatulen  in  einer  gewissen  Altersstufe  vom  Stiele  ab  und  schwimmen  oder 
kriechen  dann  frei  umher,  diese  sind  dann  leicht  mit  Euryaliden  zu  verwechseln. 

Meist  ist  ein  gegliederter  Stiel,  columna,  vorhanden,  der  oft  eine  ansehnhc>'<r 
Länge  erreicht,  in  der  Mitte  von  einem  gemeinsamen  Strang  (Nahrungscana^ 
durchsetzt  wird  und  auf  den  Gelenkflächen  der  einzelnen  Glieder  (Entrochitcp 
meist  eine  strahlige  oder  blumenkronenförmige  Zeichnung  führt  Die  verkalkten 
Stielglieder  setzen  in  den  älteren  Formationen  oft  mächtige  Kalkbänke  fast  iTir 
sich  allein  zusammen.  Selten  ist  der  Kelch  des  Thieres  mit  der  ganzen  Unterseite 
(Rückenseite)  unmittelbar  auf  einer  festen  Unterlage  aufgewachsen,  wie  bcm*. 
lebenden  Holopus  Rangii  d'Orb. 

Der  Körper  oder  Kelch  der  Crinoideen  besteht  aus  einer  Anzahl  von  KaJi- 


Echinodermen.  237 

täfeichen  in  radialer  Anordnung,  gewöhnlich  in  der  Fünfzahl.  Meist  ist  ihre  Zahl 
massig,  oft  sehr  gering.  An  das  oberste  Säulenglied  schliessen  sich  räch  oben 
ftinf  Täfelchen  an,  die  den  untersten  Tafelkreis  bilden,  sie  heissen  Becken-Täfel- 
chen oder  Basaiia,  Darauf  folgen  nach  oben  noch  ein  oder  mehrere  Tafelkreise. 
Die  auf  die  Basalien  nach  oben  anschliessenden  Tafeln  heissen  Radialia  (in  erster, 
zweiter  und  dritter  Ordnung  sich  folgend).  Zwischen  ihnen  schalten  sich  ge- 
wöhnlich noch  Zwischentafeln,  Interradialia  ein  (zum  Theil  ebenfalls  in  mehreren 
Onlnungen  über  einander  folgend.)  Auf  der  meist  verbreiterten  Oberseite  (Peri- 
soma)  liegt  der  centrale  Mund,  oft  in  Ambulacral-Furchen  auslaufend.  Seitlich 
auf  der  Oberseite  liegt  der  After  in  einem  von  zwei  der  letzteren  eingefassten 
Zwischenfelde.  Meist  ist  die  Oberseite  des  Kelches  durch  ein  zahlreiches  Ge- 
täfel kleiner  vielgestaltiger  Kalktäfelchen  geschützt.  Bei  einigen  fossilen  Formen 
(Cupressocrinus)  fehlt  ein  kalkiges  Kelchdach.  Die  Oberseite  scheint  hier  häutig 
geblieben  zu  sein. 

Den  Rand  der  Kelchoberseite  umstehen  die  Arme,  meist  in  der  Fünfzahl, 
den  5  Armen  der  Asteroideen  entsprechend  oder  am  Rand  schon  verdoppelt.  Sie 
zeigen  sehr  verschiedene  Gestalt.  Bald  sind  sie  einfach,  nur  aus  wenigen  Gliedern 
susammengesetzt  und  schliessen  in  Pyramidenform  gegen  oben  zusammen,  wie  bei 
Cupressocrinus,  Bald  sind  sie  gabelförmig  verästelt,  zahlreich  gegliedert  mit  zahl- 
reichen ebenfalls  gegliederten  Pinnulen  besetzt  und  bestehen  dann  oft  wie  bei 
lebenden  und  fossilen  jPentacrinus- Äxten  aus  vielen  tausenden  einzelner  articu- 
lirender  Kalk-Stücke. 

Wir  können  nicht  in  alle  Einzelheiten  des  mannigfach  zusammengesetzten 
Baues  des  Crinoiden-Körpers  eingehen. 

Die  Crinoiden  sind  in  den  älteren  und  mittleren  Formationen  ausserordent- 
lich reich  an  Arten  und  Gattungen  vertreten.  Die  zweite  und  dritte  Silurfauna 
hat  allein  nach  Barrande's  Rechnung  (vom  Jahr  1872)  schon  353  Arten  ge- 
liefert. So  sind  die  Crinoiden  auch  noch  im  Jura  zahlreich  vertreten,  in  der  Kreide- 
Formation  vermindert  sich  die  Zahl  ihrer  Arten  merklich  und  in  den  verschiedenen 
Stufen  des  Tertiär-Systems  sind  sie  sehr  selten. 

Lange  galten  sie  ftir  eine  erloschene  Klasse  der  Thierwelt,  bis  1755  Guettard 
den  ersten  lebenden  Vertreter  derselben  aus  der  Tiefe  des  Meeres  an  Cuba  be- 
schrieb, dies  ist  Fentacrinus  caput  medusae  Mill.  Dazu  kam  im  Jahr  1827  die 
Lntdeckuug  eines  zweiten  Pentacrinen  an  der  Küste  von  Irland,  Fentacrtnus  euro- 
pacus  Thompson.  Diese  zweite  Art  hat  sich  aber  als  Jugendform  einer  Comatula 
herausgestellt.  Der  Thierkörper  löst  sich  hier  in  einem  gewissen  Alter  vom 
Sdel  ab,  schwimmt  als  freies  Thier  davon  und  stellt  nun  eine  Comatula  dar. 
r>ieser  Fentacrinus  ist  also  nur  ein  vorübergehender  Jugendzustand  einer  Comatula, 
Aber  das  auffallende  Zurücktreten  der  Crinoiden  mit  £nde  der  Kreideforma- 
tion, ihre  Seltenheit  in  der  heutigen  Meeresfauna  hat  sich  inzwischen  ebenfalls 
als  etwas  bloss  scheinbares  herausgestellt.  Die  neueren  Tiefseeforschungen 
zeigten,  dass  noch  ein  ungeahnter  Reichthum  von  Arten  und  Gattungen  der 
Crinoideen  in  grossen  Meerestiefen  (von  80  bis  zu  2800  Faden),  fortlebt.  Sars 
fand  1864  den  Rhizocrinus  Loffotensis  in  mehreren  hundert  Faden  Tiefe  an  den 
Loflfoden  (Norwegen).  Eine  Menge  anderer  Funde  reihen  sich  daran.  Die  in  der 
Jugend  auf  einem  Stiel  sitzenden,  dann  sich  loslösenden  Comatulen  wurden  an 
Japan  in  der  mächtigen  Tiefe  von  2800  Faden  (1000  Faden=i829  Meter)  nach- 
gewiesen. Dabei  ist  die  Individuen-Menge  der  in  der  Tiefe  lebenden  Crinoiden 
oft   beträchtlich.     A.  Agassiz  erhielt  auf  Felsgrund  bei  Sand  Key  das  Netz  so 


23$  Mineraloge,  Geologie  und  Palaeontologie. 

voll  Rhizocrinen,  als  sei  es  durch  einen  Wald  von  Crinoiden  gegangen.  Diese 
Ergebnisse  der  Tiefsee-Forschungen  sind  in  Bezug  auf  die  Kenntniss  der  noch 
lebenden  Crinoiden  und  ihrer  Wohnsitze  noch  so  neu  und  zugleich  so  Über- 
wältigend reichlich,  dass  man  zur  Zeit  noch  nicht  alle  Consequenzen  fUr  Geologie  und 
Falaeontologie  daraus  zu  gewinnen  im  Stande  ist  Eines  leuchtet  aber  schon 
mit  Evidenz  daraus  hervor,  nämlich  dass  die  grosse  Seltenheit  der  Crinoiden  in 
den  verschiedenen  Meeres  schichten  des  Tertiär-Systems  nur  scheinbar  ist,  sich 
nur  auf  die  seither  allein  gehobenen  Ablagerungen  aus  seichteren  Meeresgebieten 
beschränkt  und  fUr  die  tertiären  Tiefsee- Ablagerungen  nicht  gilt  Diese  sind  un- 
bekannt, sie  liegen  noch  unentwegt  in  den  Tiefen  des  Oceans,  aus  dem  sie  ent- 
standen. Ihre  Fauna  kennen  wir  nicht.  Sie  erweist  sich  im  System  der  l*a- 
laeontologie  als  eine  Lücke,  deren  Ergänzung  wir  nur  aus  Vergleichung  zwisclien 
der  fossilen  Meeresfauna  der  Kreide-Formation  einerseits,  der  abyssischen  Fauna 
der  heutigen  Meeres- Abgründe  andererseits  erhalten  können.  Und  diese  l.Ucke 
wird  wahrscheinlich  nie  vollständig  ausgefüllt  werden  und  immer  Gegenstaril 
der  Speculation  bleiben. 

Die  echten  mit  Armen  versehenen  Crinoiden  (Crineiäea  braekiaiaj  zerfallen 
in  getafelte  (Tessela/aJ  und  gegliederte  (Articulaia).  In  beiden  Abtheilungen 
können  gestielte,  mit  breitem  Kelchgrunde  aufgewachsene  und  frei  lebende 
vorkommen.  Dazu  kommt  noch  eine  dritte  etwas  zweifelhafte  Ordnung  (Casiaia'i. 
die  nur  fossil  gefunden  ist. 

Die  getäfelten  Crinoiden  oder  Tesselaten  (Crinoidea  brathiata  UsseiataJ  ge- 
hören meist  der  palaeozoischen  Fauna  an  und  sind  alle  erloschen.  Ihr  Kelcli 
besteht  aus  hohen  aber  dünnen  Täfelchen,  die  aufrecht  ohne  besondere  Aiticu- 
lirung  überein  and  erfolgen.  Die  Oberseite  (Mundseite)  zeigt  meist  ein  feines  \\e\- 
zähliges  Tafelwerk  oder  Mosaik  ohne  Ambulacral-Fu rohen.  Es  ist  wahrschein lii! 
ein  äusseres  Schutzdach  des  eigentlichen  Ptrisomds.  Die  Arme  sind  bald  mein 
bald  weniger  entwickelt,  im  ersteren  Fall  verästelt,  immer  ohne  ambulacrale  RJnivc. 
Der  Stiel  ist  in  der  Regel  vorhanden,  gewöhnlich  cytindrisch,  fast  immer  ohne 
seitliche  Hilfsarme  oder  cirrhi. 

Hierher  gehören    eine  grosse   Anzahl   von  Gattungen,    die   von   der  oberen 
Region  der  unteren  Silurformaiiin'- 
(zweite  Silurfauna)  an  bis  in  der. 
Kohlenkalk  mit  einer  Menge  «i>n 
I   Arten  aufboten,  wie  Poteriacrim^i. 
Rkodccrinus,    Piiäytrmus,     OcMt-, 
crinui    u.     s.    w.       Im    Zechstcirj 
(permisches     System)      sind     di«-: 
Tesselaten    schon    selten   und    imi 
^  "1  ganzen  mesozoischen  System  blci-i 
'        ben    sie    selten.     Die   letzten    cr-i 
scheinen  in  derKreidc-Fonmuitin. 
mit  der  sie  edöschen. 
(Mia.su.)      Fig.  3.  Eine  merkwürdige  Crinoiden-. 

CyatluKrinut  fbumsyiw-x^   Tüfel-    Gattung  des  devonischen  System*! 
(Min.S5.)  Flfi.  I.  '^''*"  ^^  Kelches.  i^t  Cupratocrinmi,  wahrschein lü-hi 

Cyaikotrinui  fkimi  ein  Tesselate,  aber  eigentliümlich  abweichend.  Der  Lraiti-,-; 
me.  Au«  dem  Kohlen-  8*'*autc  flinfzählige  Kelch  ist  becher-  oder  schüsseißinnig  um) 
kUk  von  EngUod.     besteht  aus   dem   obersten  fUnfseitigen  Säulenglicd,   darUbc-t 


Echinodermen.  239 

fünf  Beckentäfelchen  oder  Basalia  von  fiinfseitiger  Gestalt  und  über  diesen  und 
mit  ihnen  altemirend  fünf  ebenfalls  pentagonalen  Radialien.  Zu  oberst  folgen 
noch  fünf  schmale  niedere  Tafeln  (Radialien  zweiter  Ordnung),  die  dazu  dienen, 
die  Articulation  der  fünf  Arme  mit  dem  Kelch  zu  vermitteln.  Die  Cupressocrinen 
besitzen  nicht  die  getäfelte  Kelchdecke  der  Tesselaten,  wahrscheinlich  blieb  bei 
ihnen  die  den  Mund  umgebende  Haut  zeitlebens  weich,  ohne  Kalktäfelchen  aus- 
zuscheiden. Statt  dessen  zeigt  sich  etwas  tiefer  im  Kelch  ein  eigenthümliches 
kalkiges  Innengerüste  in  Form  einer  fünfblättrigen  Blume.  Es  enthält  Oeffiiungen 
für  den  Durchgang  der  Speiseröhre  zu  Mund  und  Afler,  sowie  fünf  randliche 
Locher  für  die  Ausmtindung  der  Eierstöcke  u.  s.  w.  lieber  dem  Kelch,  mit 
dem  obersten  der  drei  Platten-Kreise  articulirend,  erheben  sich  die  fünf  kräftigen, 
aus  mehreren  Platten  (2  bis  20)  bestehenden  einfache  (nicht  verästelte)  Arme,  die 
zum  Schutz  des  Thieres  sich  in  Form  einer  fünfseitigen  Pyramide  zusammenlegen 
konnten.  Die  Stielglieder  (Entrochiten)  zeigen  einen  mittleren  Canal  und  vier  um- 
gebende kleinere,  für  den  Durchgang  musculoser  Stränge.  Die  Säule  trug  wirtel- 
weise  gestellte  Hilfsarme  (Ranken,  cirrhi),  die  den  Mangel  der  Pinnulae  der  Arme 
ersetzten. 

Cupnssocrinus  erscheint  mit  mehreren  Arten  im  devonischen  System  nament- 
lich im  mitteldevonischen  Kalk  der  Eifel.  Gerolstein  liefert  prachtvolle  Kelche, 
oft  noch  mit  der  darauf  sitzenden  fünfseitigen  Arm-Pyramide. 

In  der  Kreide  erscheint  noch  ein  merkwürdiger  ungestielter  Tesselat  Marsu- 
pites^  Familie  Marsupitidcte,  welcher  gleichsam  die  Comatulen  vertritt.  Der  Kelch 
besteht  aus  fünf-  oder  sechseckigen  radial  gestreiften  grossen  Platten.  Auch  die 
das  Centrum  der  Unterseite  (Rückenseite)  einnehmende  und  die  Anheflungssäule 
vertretende  Kelchtafel  ist  eine  fünfeckige  gestreifte  Platte  ohne  Spur  einer  An- 
heftung. Darauf  folgt  der  erste  Tafelkreis  von  fünf  fünfeckigen  Tafeln  (Basalien). 
Der  zweite  Kreis  besteht  aus  sechseckigen  Tafeln.  Der  dritte  Kreis  zeigt  fünf 
ausgeschnittene  Gelenkfiächen  für  den  Ansatz  der  fünf  Arme.  Das  Kelchdach 
besteht  aus  kleinen  Täfelchen.  Die  Arme  waren  nach  Mantell's  idealisirter 
Darstellung  dreimal  gegabelt  und  nur  von  der  Länge  des  Kelchs,  sodass  das 
Thier  wohl  nicht  schwamm,  sondern  mit  dem  Mund  nach  unten  umhergekrochen 
sein  mag.  Marsupites  kommt  mit  drei  Arten  in  der  Kreide  vor,  M,  ornatus 
Mant.  findet  sich  in  der  weissen  Kreide  von  Lewes,  Brighton  u.  a.  O.  in  Eng- 
land.   Dies  ist  der  letzte  Tesselat. 

Mit  der  Grenze  des  palaeozoischen  gegen  das  mesozoische  Zeitalter  macht 
sich  ein  merkwürdiger  Umschwung  in  der  Klasse  der  Crinoideen  geltend.  Die 
}>alaeozoischen  Tesselaten  treten  zurück  und  sind  von  da  an  selten,  erlöschen 
auch  in  der  Kreide-Epoche  oder  mit  deren  Schluss.  Die  articulirten  Crinoideen 
(assulis  artkulatione  conjunctis)  die  im  palaeozoischen  System  nur  spärlich  ver- 
treten sind,  treten  an  Stelle  der  vorigen  in  [die  Hegemonie  ein  und  leben  mit 
ziemlich  vielen  Vertretern  noch  in  den  grösseren  Tiefen  des  heutigen  Oceans 
bis  zu  1000,  2000  ja  2800  Faden. 

Die  Articulaten  oder  jüngeren  Crinoideen,  Crinoidea  brachiata  articulata^ 
zeigen  einen  dickwandigen  Kelch,  in  welchem  für  die  Eingeweide  des  Thieres  nur 
ein  geringer  Hohlraum  frei  blieb.  Die  Tafeln  des  Kelches  sind  niedrig  und  liegen 
mit  breiten  gelenkartig  in  einander  eingreifenden  oder  strahlig  gezeichneten 
Flächen  übereinander.  Das  Kelchdach  ist  dünnwandig  und  schwach  verkalkt. 
Vom  centralen  Mund  gehen  ambulacrale  Rinnen  nach  den  Armen  aus  und  setzen 
in  diesen  bis  zur  Spitze  fort. 


240  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  Arme  sind  verschiedenartig  gestaltet,  einfach  oder  stark  verzweigt  Sic 
sind  stark  und  in  Pyramidenfomi  zusammengeneigt  bei  Encrinus  (in  der  Trias\ 
Eugeniacrinus  und  Apiocrinus  (beide  in  Jura  und  Kreide).  Bei  der  Familie  Pen- 
tacrinidaCf  meist  in  Jura  und  Kreide,  aber  auch  tertiär  und  lebend  vertreten,  er- 
scheinen sie  lang,  vielfach  verästelt,  schlagen  nicht  in  einer  geschlossenen  P>Ta- 
mide  zusammen,  sondern  bleiben  in  Buschform  geöffnet.  Den  Pentacriniden 
schliessen  sich  die  im  Jura  fossil  beginnenden  und  noch  fortlebenden  Comatuliden 
an,  die  in  einem  gewissen  Alter  sich  von  ihrer  Säule  loslösen  und  von  da  an 
frei  umherschweifen. 

Encrinus  liliiformis  Lam.  ist  im  Muschelkalk  reichlich  vertreten.  Seine  dicken 
walzigen,  auf  den  Gelenkflächen  grob  gestrahlten  Stielglieder  (entrochiiat)  sind 
—  gleichwie  auch  sonst  die  Kalkpartien  der  fossilen  Echinodermen  in  spiegelnden 
Kalkspath  verwandelt  —  häufig  und  in  manchen  Bänken  in  ungeheuren  Mengen 
abgelagert.  Vollständige  Kelche  mit  den  Armen  sind  gleichwohl  selten.  Der 
Kelch  ist  niedrig  und  besteht  aus  dem  obersten,  etwas  erweiterten  fünfeckigen 
Säulenglied,  fünf  kleinen,  versteckten  Basalplatten,  (Infrabasalien)  und  darül>er 
zwei  höheren  Tafel-Kreisen,  (fünf  Parabasalien  und  fünf  Radialien.)  Der  dritte 
Tafelkreis  trägt  die  zehn  Arme.  Sie  stellen,  sobald  sie  zusammengeschlagen 
sind,  eine  zehnseitige  Pyramide  dar,  die  einem  Maiskolben  ähnelt.  An  der  Innen* 
Seite  sind  sie  mit  Pinnulen  besetzt,  die  bei  den  zusammengeklappten  Exemplaren 
der  Beobachtung  entgehen. 

Aehnlich  sind  die  Apiocrinus- Kvttn  der  Jura-Formation  mit  ungewöhnlicli 
massigen  Kelchtafeln  und  auffallender  Verdickung  der  den  Kelch  tragenden 
obersten  Säulenglieder,  durch  welclie  die  Säule  scheinbar  in  den  Kelch  übergeht. 
Es  wird  hier  schwer,  den  oberen  Theil  der  Säule  und  den  unteren  des  Kelche-» 
zu  unterscheiden.  Die  zehn  Arme  finden  sich  nur  selten  erhalten.  Die  A|>t«^ 
crinen  vertritt  in  der  Kreide-Formation  die  Gattung  Bourgueticrinus,  bei  der  diw 
Säule  von  elliptischem  Querschnitt  erscheint.  Der  Kelch  ist  bei  dieser  sehr  klein 
und  bimförmig,  der  freie  Kelchraum  sehr  seicht  und  eng. 

Eine  sehr  wichtige  Gattung  der  Crinoidea  articulcUa,  namentlich  im  Lias  uml 
Jura  in  zahlreichen  Arten  verbreitet,  ist  Pentctcrinus  mit  langen  vielfach  verästelten 
und  seitliche  Pinnulae  tragenden  Armen,  die  einen  aufrechten  offen  bleibenden 
Schopf  um  den  Kelch rand  bilden.  Der  kleine  Kelch  besteht  wie  gewöhnlich 
aus  dem  obersten  Säulenglied,  darüber  fünf  Basaltafeln,  sowie  fünf  Radialien 
Der  oberste  Tafelkreis  trägt  die  zehn  mächtig  entwickelten,  äusserst  viel/ahl:.^ 
zusammengesetzten  Arme.  Der  Stiel  ist  gegen  den  Gipfel  zu  nicht  verdickt,  l>a]o 
walzenförmig,  bald  fUnfkantig.  Die  Gelenkfläche  der  Glieder  ergiebt  eine  fünr- 
blättrige  Zeichnung  um  den  centralen  Canal  oder  sogen.  Nahrungscanal.  iMc 
Säule  trägt  hier  auch  in  gewissen  Abständen  Wirtel  von  je  fünf  gegliedencr. 
Hilfsarmen  oder  Ranken,  cirrhi,  die  zuweilen  den  kleinen  Kelch  scheinbar  vci 
stecken.  Die  Stielglieder  oder  Entrochiten  finden  sich  in  Lias-  und  Jura-Schichteri 
oft  zahlreich  abgelagert.  Die  vollständigen  Exemplare  des  Thiercs,  Kelch  n.: 
ausgedehntem  Busch  vielfach  verzweigter  Arme,  mittelst  des  langen  gegliederten 
Stieles  fest  sitzend,  kommen  in  schöner  Erhaltung  im  unteren  Lias  von  Engl:*!)  J 
vor  (Pentacrinus  Briareus  Mill.  im  unteren  Lias  von  Lyme  Regis  u.  a.  C).  in 
Dorsetshire),  andere  im  mittleren  Lias  von  Württemberg  (Posidonomyen-Schieicf 
von  Boll  u.  a.  O.)  Spärlicher  ist  die  Gattung /V»/<zrri>ii/i  in  der  Kreideformatior. 
und  den  tertiären  Meeresablagerungen  vertreten,  lebt  aber  noch  in  mehrerci) 
Arten,  von  denen  Pentacrinus  caput  Mtdusae  Mill.  zuerst  gegen  1755  ***  Cub.-. 


Echinodermen.  241 

entdeckt  wurde,  in  grösseren  Meerestiefen,  an  den  Philippinen  in  300 — 400  Faden, 
an  Portugal  in  1095  Faden  Tiefe  (1000  Faden  =  1829  Meter). 

Die  durch  Joh.  Müller  zuerst  gründlich  durchgeführte  Untersuchung  der 
Organisation  des  lebenden  P,  caput  Medusae  ergiebt  reichliche  Aufschlüsse,  die 
aus  fossilen  Funden  nicht  zu  erreichen  sind.  Die  Säule  hat  keine  eigene  lenkbare 
Muskelschicht,  sondern  hängt  nur  durch  elastische  Längsfaserbündel  zusammen. 
Die  Kelchdecke  des  lebenden  Pentacrinus  besteht  aus  einer  Haut  mit  einem 
.Mosaik  zahlreicher  kleiner  polygonaler  Kalktafelchen.  Diese  Mundseite  des  Thiers 
oder  das  Perisoma  zeigt  den  Mund,  den  After  und  die  Ambulacral-Furchen.  Der 
Mund  ist  central,  sternförmig,  in  fiinf  Strahlen  ausgezogen,  die  den  zwei  mal  fiinf 
.Annen  entsprechen.  Vom  Mund  gehen  fünf  Rinnen  aus,  gabeln  sich  noch  auf 
dem  Perisoma  und  gehen  dann  in  die  Arme  über.  Sie  beherbergen  zahlreiche 
weiche  Fühler  (Ambulacral-Fäden).  Der  After  liegt  excentrisch,  zwi.schen  dem 
Mund  und  dem  Perisomarand  in  der  Mitte  eines  von  zwei  Ambulacral-Rinnen 
eingefassten  fünfseitigen  Feldes.  Der  Nahrungscanal  zieht  sich  aus  der  (dorsalen) 
Basis  des  Kelchs  in  die  Säule  und  erhält  diese  in  organischem  Zusammenhang 
mit  dem  Thier. 

An  die  Pentacrinen  schliessen  sich  unmittelbar  die  mehrfach  schon  erwähnten 
Comatuliden  an.  Das  junge  Thier  giebt  früh  seine  frei  umherschweifende  Lebens- 
weise auf,  setzt  sich  an  eine  feste  Stelle  des  Meeresbodens  oder  an  Tange,  treibt 
einen  gegliederten  Stiel  und  bildet  sich  zur  Gestalt  eines  Pentacrinus  aus.  Es 
hat  dann  schon  zweimal  fünf  Arme  mit  seitlichen  Pinnulen.  Später  löst  es  sich 
vom  Stiel  ab  und  schwimmt  oder  kriecht  frei  umher. 

CotmUula  Lam.  (Alecto  Leach)  lebt  in  zahlreichen  Arten  in  allen  Meeren, 
namentlich  in  grösseren  Tiefen  (an  Japan  noch  in  2800  Faden).  Das  Thier  hat 
ursprünglich  fiinf  Arme,  sie  gabeln  sich  aber  zu  zwei  oder  mehreren  Malen. 
Ausserdem  führt  es  noch  an  der  Rückenseite  der  pentagonalen  Körperscheibe 
einen  Wirtel  von  gegliederten  Hilfsarmen  (Ranken,  ctrrhi)^  die  ursprünglich  der 
Oberregion  der  Säule  oder  des  Stiels  angehören.  Mittelst  dieser  Organe  kriecht 
das  Thier  (auf  dem  Rücken)  umher.  Die  Comatulen  beginnen  fossil  schon  im 
Jura,  Comatula  pinnata  Goldf.  (Pterocoma  pinnata  Ag.)  aus  dem  oberen  Jurakalk 
von  Solenhofen  hat  einen  kleinen  fünfzähligen  Kelch  und  zehn  bis  16  Centim. 
lange  kurzgegliederte  Arme,  die  an  der  Mund-  oder  Ventralseite  eine  mediane 
Fühlerfurche  (Ambulacralrinne)  zeigen  und  seitlich  lange  gegliederte  Fiedern  oder 
Pinnulae  tragen. 

Solanocrinus  mit  mehreren  Arten  im  oberen  Jura,  die  durch  einen  sehr  kräftig 
gebauten  Kelch  sich  auszeichnen,  steht  den  Comatulen  sehr  nahe,  zeigt  aber  an 
der  Rückenseite  einen  kurzen  dicken  fünfseitigen  Knopf,  den  obersten  Säulen- 
thcil  mit  den  Gelenkgruben,  an  denen  zahlreiche  Hilfsarme  (cirrhi)  angelenkt 
hassen. 

Den  Comatuliden  schliessen  sich  die  sehr  vereinzelt  stehenden,  nach  ihrer 
systematischen  Stellung  ziemlich  problematischen  Saccocomen  an,  die  Joh.  Müller 
unter  dem  Namen  Costata  als  eigene  Ordnung  der  Crinoiden  absonderte,  während 
andere  Vermuthungen  ihnen  ihre  Stellung  bei  den  Euryaliden  (gabelarmige  Ophiu- 
ridae)  anweisen  möchten.  Saccocoma  erscheint  in  mehreren,  angeblich  4  Arten, 
liäufig  im  oberen  Jura  (lithographischen  Schiefer)  von  Solenhofen  und  Eichstedt 
in  Bayern.  Die  vier  Formen  sind  aber  vielleicht  nur  Entwicklungszustände  der- 
^Iben  Art. 

Saccocoma    zeigt  einen  freien  halbkugeligen  Kelch  ohne  Spur  einer  voraus^ 

KfMifGOTT,  Min.,  Geol.  n.  PaL    I.  i(r 


242  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

gegangenen  Anheftung,  ohne  Säule  und  ohne  Dorsal-Cirrhen.  Das  Thier  war 
offenbar  ein  Schwimmer.  Den  Kelch  setzen  ein  winziges  Basal  und  fünf  dünne 
innig  verbundene  Radialien  zusammen,  die  äusserlich  mit  zehn  radialen  Rippen 
verziert  erscheinen.  Der  Kelch  trägt  fünf  Arme,  von  denen  jeder  schon  am  Kelch- 
rand in  zwei  Aeste  sich  theilt.  Die  Armglieder  sind  gestreckter  als  bei  den 
Comatulen  und  abwechselnd  mit  ungegliederten  einfaclien  Domen  oder  Stäbchen 
versehen.  Letzteres  ergiebt  gegenüber  von  den  gegliederten  Pinnulen  der  Coma- 
tulen und  anderer  Crinoideen  einen  bezeichnenden  Unterschied  und  erinnert  an 
die  ähnlichen  Domen  des  Armrands  bei  Euryalen  und  Ophiuren.  Das  ganze 
Kalkskelett  der  Saccocoma  ist  nicht  dicht,  sondem  weitmaschig  gegittert,  ähnlich 
wie  das  der  jungen  Comatula  und  anderer  Jugendzustände  von  Echinodermen. 
Nach  diesem  allem  steht  Saccocoma  den  Crinoideen  im  Allgemeinen  noch  am 
nächsten,  weicht  aber  von  Comatula^  wozu  Goldfuss  die  fossilen  Arten  zählte, 
weit  ab  und  bleibt  im  Uebrigen  von  sehr  problematischer  Stellung. 

An  die  Klasse  der  Crinoideen  schliesst  sich  die  nur  durch  palaeozuische 
Fossilien  vertretene  Abtheilung  der  Cystideen  oder  Cystidea  entweder  als  be- 
sondere Klasse  oder  als  Ordnung.  Es  ist  nicht  bestimmt  darüber  zu  urtheilcn. 
da  alle  ihre  Vertreter  erloschen  und  ihre  fossil  erhaltenen  Organe  nur  nach  mehr 
oder  minder  entfemten  Analogien  zu  deuten  sind. 

Der  Körper  (Kelch)  der  Cystideen  ist  kugelförmig  oder  etwas  in  die  iJinge 
gestreckt.  Er  besteht  aus  mehr  oder  minder  vielen,  ofl  sehr  zahlreichen  \-icl- 
eckigen  Tafeln.  Diese  bilden  von  2 — 20  über  einander  folgende  Kreise  von  ra- 
dialer Anordnung,  aber  letztere  wird  undeutlich  sobald  die  Zahl  der  Täfelchcn 
50  überschreitet.  An  diesem  Körper  unterscheidet  man  gewöhnlich  noch  Mund 
und  Arme,  After  und  Ovarlal-Mündung,  endlich  einen  kurzen  Stiel.  Aber  nicht 
immer  sind  alle  diese  Organe  vollständig  nachzuweisen.  Sie  sind  bisweilen  ver- 
kümmert oder  fehlen  ganz.     Ueberhaupt  ist  hier  Vieles  im  Schwanken. 

Der  Mund  steht  der  Anheflungsstelle  des  Körpers  wie  bei  den  Crinoideen 
diametral  gegenüber,  auf  der  Mitte  der  Oberseite  oder  etwas  excentnsch.  Den 
Mund  umstehen  meist  eine  Anzahl  von  Armen,  sie  sind  gegliedert,  einfach  oder 
ästig,  meist  unansehnlich,  in  Zahl  und  Anordnung  sehr  schwankend.  Bei  manchen 
Gattungen  fehlen  sie  wohl  ganz.  Vom  Mund  zu  den  Armen  verlaufend  erkennt 
man  Spuren  von  Ambulacral-Rinnen,  denen  der  Crinoidea  articuJaia  ähnlich. 
die  wohl  Ambulacral-Fühler  getragen  haben  mögen.  Dies  verbindet  die  Cystideen 
nahe  mit  den  Crinoidea  articulata,  während  der  Bau  des  Kelchs  mehr  mit  dem 
der  Crinoidea  tesselata  übereinkommt.  Der  Afler  ist  klein  und  steht  excentriM:}> 
auf  der  Oberseite  des  Körpers,  dem  Munde  genähert.  Etwas  entfernter  vom  Murdc. 
noch  an  der  Oberseite  des  Körpers  aber  seitlich  von  der  Mund-  und  After-Linie  steht 
ein  ausgezeichnetes  Organ,  das  man  als  Genital-Oeffhung,  Ovarial-Ausmündun^ 
betrachtet.  Es  ist  eine  grosse  Oeffnung  im  Körperskelett,  überdeckt  von  fiin?* 
oder  sechs  besonders  gestalteten  Tafeln,  die  zu  einer  Pyramide  zusammen 
schliessen.  Wahrscheinlich  waren  dies  bei  Lebzeit  desThieres  bewegliche  Klappen 
Diese  eigenthümliche  Ovarial-Pyramide  scheidet  die  Cystideen  von  den  Crinoideen 
—  sowohl  den  Tesselaten  als  den  Articulaten.  Den  Körper  der  Cystideen  tra^t 
in  der  Regel  ein  kurzer  gegliederter  Stiel,  der  biegsam  war.  In  anderen  Fällen 
ist  der  Cystideen-Körper  mit  schmaler  oder  breiterer  Basis  aufgewachsen,  so  l»ei 
Jichinosphaerites.  Dazu  kommen  bei  den  Cystideen  noch  eigenthümliche  Organe 
in  Form  von  Porenpaaren,  welche  einzelne  Kelchtafeln  durchsetzen.  Bald  er- 
scheinen sie  an  allen  Kelchthcilen,  bald  nur  an  einzelnen  Stellen  oder  fehlen  aucl. 


Echinodennen.  243 

ganz.    Man  bezeichnet  sie  als  Athmungsporen.    (Es  sind  jedenfalls  keine  Ambu- 
lacralporen.) 

Nach  allem  diesem  begreifen  die  Cystideen  wahrscheinlich  eine  sehr  vielge- 
staltige Abtheilung  von  Echinodermen,  die  in  einigen  wesentlichen  Charakteren 
mit  den  Crinoideen  Übereinkamen.  In  andern  weichen  sie  entschieden  ab  und 
unter  sich  begreifen  sie  in  weitem  Umfang  schwankende  Formen. 

Die  Cystideen  (abgesehen  von  den  Agelacrinen)  beginnen  in  der  Primordial - 
Zone  und  sind  in  den  beiden  darauf  folgenden  silur.  Faunen  reich  an  Arten 
und  Gattungen  vertreten,  u.  a.  häufig  in  den  obersiluri sehen  Orthocerenkalken 
(Vaginaten-Kalken)  von  Schweden  und  den  russischen  Ostsee-Provinzen.  Mit  Be- 
ginn des  devonischen  Systems  sind  sie  bereits  ganz  erloschen. 

Eine  der  am  einfachsten  gebauten  Cystideenformen  ist  Stephanocrinus  (S, 
angulatus  Conr.  aus  dem  obersilurischen  Kalk  von  Lockport  im  Staat  New-York) 
mit  nur  acht  Kelchtafeln,  nämlich  drei  Basalien  und  einem  darüber  folgenden 
Cyclus  von  *fünf  in  der  Höhe  gabelförmig  getheilten  Radialien.  Zwischen  den 
vorragenden  Spitzen  der  letzteren  liegt  ein  sternförmiges  Feld  eingesenkt,  die 
Kelchoberseite  mit  centralem  Mund  und  excentrisch  aus  fünf  Täfelchen  bestehender 
Ch'arialp3rramide.  Fünf  Furchen  (Ambulacral-Furchen)  strahlten  vom  Mund  aus 
und  führen  nach  fünf  Gelenk-Gruben,  die  wohl  die  Mitte  der  fünf  Arme  bezeichnen. 
After  und  Athmungsporen  fehlen.  Bei  andern  Cystideen  ist  die  Zahl  der  Täfel- 
chen ausserordentlich  gross  und  soll  bis  300  gehen. 

Eehinosphaerites  Wahlenb.  hat  einen  kugeligen  ungestielten  mit  kurzer  ausge- 
zogener Basis  festgewachsenen  Körper,  der  aus  zahlreichen,  fast  regellos  an- 
geordneten dünnen  meist  sechseckigen  Täfelchen  besteht.  E,  aurantium  His. 
erreicht  die  Grösse  einer  Wallnuss  und  sass  mit  kurzer  Basis  an  festen  Gegen- 
ständen aufgewachsen.  Vorkommen  in  untersilurischen  Lagern  (Vaginaten-Kalk) 
von  Pulkowa  u.  a.  O.  bei  Petersburg. 

Caryocrinus  ornatus  Say  aus  dem  obersilurischen  Kalk  von  Lockport  im 
Staat  New-York  ist  eine  den  Crinoideen  in  der  äusseren  Form  ungemein  nahe- 
stehende mit  einem  kurzen  cylindrischen  Stiele  festsitzende  und  mit  zahlreichen 
gefiederten  Armen  versehene  Cystideen-Form.  Der  gestreckt-kugelige  Kelch  ist 
sechszählig  und  besteht  aus  vier  Basalien  und  darüber  zwei  sechszähligen  Ra- 
dialien-Kreisen, deren  pberer  neun  Arme  (drei  Paare  und  drei  einzelne)  trägt. 
Mund  auf  der  Oberseite  sehr  excentrisch,  Ovarial-Pyramide  am  oberen  Kelch- 
rand zwischen  zwei  Armen,  After  nicht  vorhanden,  Athmungsporen  zahlreich. 

Den  Cystideen  schliessen  sich  die  Agelacrinen  an,  die  mit  der  ganzen 
Unterseite  (Rückenseite)  auf  Conchylien  u.  dgl.  breit  aufgewachsen  sind  und  in 
der  äusseren  Gestalt  sehr  von  vorigen  abweichen.  Die  mit  zahlreichen  polygo- 
nalen Täfelchen  besetzte  Oberseite  des  flachen  kreisrunden  Körpers  zeigt  einen 
centralen  Mund,  der  durch  vier  dreieckige  Tafeln  verschliessbar  ist.  Vom  Mund 
mm  Rande  der  Scheibe  strahlen  fünf  gebogene  von  besonders  ausgebildeten  Tafel- 
reihen eingefasste  Ambulacral-Felder  aus,  die  an  Ophiuren-Arme  erinnern,  aber 
im  Getäfel  der  Oberseite  eingebettet  liegen.  Zwischen  zwei  ambulacralen  Feldern 
liegt  eine  grosse  mittelst  fünf  oder  zehn  Klappen  verschliessbare  Ovarial-Pyramide. 
After  fehlt  Weder  Ambulacral-  noch  Athmungs-Poren  vorhanden.  Agelacrinus 
erscheint  mit  mehreren  Arten  im  silurischen  System  besonders  zu  Cincinnati  (Ohio) 
auf  Conchylien  festsitzend.  Agelacrinus  rhenanus  Roem.  kommt  noch  unterde- 
vonisch im  Grauwackenschiefer  zu  Unkel  bei  Bonn  vor. 

Diese  seltsamen  aufgewachsenen  Cystideen  zeichnen  sich  durch   die   arm- 

|6» 


244  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

ähnliche  Gestaltung  der  Ambulacral-Segmente  aus  und  ahmen  in  dieser  Hinsicht 
in  täuschender  Weise  die  äussere  Form  der  Ophiuren  nach.  Ihre  systematische 
Stellung  ist  problematisch,  sie  stehen  vielleicht  den  Ophiuren  näher  als  die  übrigen 
Cystideen. 

Eine  ähnliche  Stellung  wie  die  Cystideen  nehmen  neben  den  Crinoideen  die 
ebenfalls  nur  in  palaeozoischen  Formationen  vertretenen  Blastoideen  oder 
Knospenlilien,  Blastoidca,  ein  und  bieten  —  als  längst  erloschene  Lebensformen  — 
der  Deutung  ebenso  viele  Räthsel.  Ihr  kugeliger  oder  knospenförmiger,  bald  ge- 
streckter, bald  etwas  niedergedrückter  Körper  (Kelch)  sitzt  z.  Th.  oder  immer 
mittelst  eines  kurzen  gegliederten  Stieles  fest  und  trägt  zahlreiche  kurze  gegliederte 
Arme,  die  aber  nicht  so  ausgebildet  wie  die  der  Crinoideen  sind  und  in  buschiger 
Gestalt  den  Scheitel  umfassten. 

Der  Körper  besteht  bei  der  artenreichen  Blastoideen -Gattung  Pentrtmites 
aus  drei  geschlossenen  Platten-Kreisen,  jeder  der  beiden  oberen  aus  fünf  Platten 
oder  Tafeln  bestehend.  Eine  Anzahl  schwer  zu  deutender  Organe  drängen  sich  um 
den  Scheitel  oder  die  Oberseite  des  Körpers.  In  der  Mitte  steht  der  kleine 
kreisrunde  Mund,  bei  wohlerhaltenen  Exemplaren  durch  eine  Decke  von  kleinen, 
beim  lebenden  Thier  offenbar  beweglich  gewesenen  Täfelchen  geschützt.  Den 
Mund  umgeben  fünf  kleinere  Oeffnungen.  Eine  davon  ist  etwas  grösser  und 
gilt  als  After.  Die  vier  anderen  Oeffnungen  stellen  sich  bei  guter  Erhaltung 
jede  als  ein  Porenpaar  heraus.  Sie  gelten  als  Ovarial-Löcher  oder  Ausmün- 
düngen  des  Genital-Apparates,  können  aber  zugleich  auch  einem  Athmungs-Apparat 
(Wassergefass-System)  gedient  haben.  Am  meisten  in  die  Augen  fallen  fiinJ* 
grosse  blumenblattförmige  quergestreifte  Felder.  Sie  stellen  die  dritte  Tafel- 
reihe des  Körpers  dar.  Sie  gleichen  in  täuschender  Weise  den  Arabulacral- 
Feldern  der  Echinoiden,  namentlich  aber  den  blumenblattformigen  Ambulacren 
von  Cfypeaster,  Indessen  erkennt  man  auch  an  den  am  besten  erhaltenen  Funden 
keine  wahren  Füsschen-Poren  und  bezeichnet  daher  die  fünf  blattförmigen  vom 
Scheitel  ausstrahlenden  Felder  als  Pseudoambulacren.  Genauere  Untersuchung 
ergiebt  an  jedem  Rand  eines  solchen  Feldes  eine  Reihe  von  Gelenkgruben,  auf 
denen  die  kurzen  gegliederten  Aermchen  sassen.  Vielleicht  entsprechen  die 
Pseudoambulacralfelder  den  Armen  der  Crinoideen,  die  Aermchen  den  Pinnulen 
der  letzteren. 

Die  Blastoideen  haben  je  nach  ihrem  Erhaltungszusfand  schon  mannigfacl  e 
Deutungen  veranlasst,  namentlich  auch  schon  als  Stammformen  der  Echinoiden 
gegolten,  eher  schalten  sie  sich  zwischen  den  ältesten  Ursprungsformen  der 
Asteroiden,  Crinoiden  und  Cystideen  ein.  Jeder  neue  Fund  guterhaltener  Exem- 
plare kann  hier  die  ältere  Deutung  über  den  Haufen  stossen. 

Die  Blastoideen  sind  längst  erloschen.  Sie  beginnen  mit  wenigen  Arten  im 
oberen  silurischen  System,  nehmen  im  devonischen  merklich  zu  und  ent\(ickeln 
im  Kohlenkalk  einen  grossen  Artenreich thuni,  worauf  sie  dann  alsbald  ver- 
schwinden. 

Die  bekannteste  und  verbreitetste  Gattung  ist  Ptntremites  Sav  (PenkUremaÜirs 
Die  Pentremitcn  erreichen  den  Gipfel  ihrer  Entwickelung  im  Kohlenkalk,  nament 
lieh  in  dem   von  Nord-Amerika  und  sind   für  die  Meeresfauna  des  carbonisch<:n 
Systems  um  so  mehr  bezeichnend,  als  sie  schon   im   permischen  System  fehlen 
und  also  wohl   schon  unmittelbar  vor  diesem    ein    für  alle  Mal   erloschen.      J^, 
florealU  Sav  ist  in  verkieseltem  Zustand  häufig  im  Kohlenkalk  von  Nord-Amerika. 

Die  Klasse  der  Echinoiden.   Seeigel  oder  EcMnoidea,  knüpft  weder   an 


Echinodermen.  245 

die  Seesteme,  Asteroidea  an,  aus  deren  Ursprungsformen  sie  schon  in  einer  sehr 
frühen  geologischen  Epoche  durch  Centralisation  und  namentlich  durch  Umge- 
staltimg  der  Strahlsegmente  oder  Antimeren  hervorging.  Die  fünf  Strahlpersonen 
des  primitiven  Thierstockes  der  Asterien  sind  hier  der  weiter  vorrückenden  Cen- 
tralisation erlegen  und  durch  Verkürzung  in  die  Centralscheibe  eingetreten.  Die 
Scheibe  hat  sich  hier  zu  einem  Sphäroid  aufgebläht  und  die  gegliederten  Arme 
in  sich  hereingezogen.  Sie  stellen  nunmehr  nur  noch  fünf  von  der  Mund-After- 
Achse  ausstrahlende  Felder  dar,  von  denen  jedes  ein  medianes  Ambulacrum  und 
zwei  randliche  Felder  (je  eine  Hälfte  eines  interambulacralen  Feldes)  begreift. 
Die  Analogie  des  Bau's  ist  in  die  Augen  springend.  Aber  die  Bestätigung  der 
Hypothese  (E.  Häckel)  aus  fossilen  Funden  ist  noch  nicht  beizubringen,  was  um 
so  weniger  befremden  kann,  als  die  Asteroideen  und  die  Echinoideen  bereits  im 
süurischen  System  in  ausgebildeten  Typen  fossil  auftreten  und  ihr  Auseinander- 
gehen daher  noch  in  viel  ältere  Perioden  zurückreichen  mag,  aus  denen  wir  über- 
haupt nur  wenige  und  dürftige  Echinodermen-Formen  fossil  erhalten  kennen. 

Bei  den  Echinoiden  geht  die  Verkalkung  der  Haut,  genau  gesagt  die  stufen- 
weise Kalkausscheidung  in  der  Unterhaut  oder  Cutis  soweit,  dass  daraus  ein  vor- 
wiegend unbeweglich  geschlossenes  Gehäuse  oder  sogen.  Aussenskelett,  eigentlich 
ein  starrer  Unterpanzer  entsteht,  wobei  bis  auf  geringe  Reste  die  weiche  Haut 
verloren  geht.  Zwischen  den  Kalktäfelchen  bleibt  ein  Netzwerk  der  belebten 
Haut,  welches  deren  weiteres  Wachsthum  vermittelt.  Oft  bleiben  auch  zwischen 
den  Mund  und  After  umgebenden  Tafeln  noch  so  beträchtliche  Reste,  dass  diese 
beweglich  verbleiben,  selten  ist  der  ganze  Schuppenpanzer  noch  beweglich. 

Das  feste  Skelett  der  Echinoiden  überhaupt  ist  kugelig  oder  etwas  in  die 
l^nge  gestreckt  und  alsdann  zur  Symmetrie  neigend.  Kugelig  ist  das  Gehäuse 
bei  den  regulären  Echinoiden  (Palechiniden  und  Cidariden),  der  Mund  central 
auf  der  Unterseite,  der  After  ihm  diametral  gegenüber  auf  der  Oberseite,  um- 
geben von  zehn  Asseln,  filnf  von  der  Ei-Leitung  durchbohrten  und  flinf  damit 
altemirenden,  welche  Augen  tragen.  Hier  laufen  die  fiinf  Ambulacralfelder  mit 
den  auf  (innen  einfachen,  aussen  gedoppelten)  Poren  stehenden  in  Saugnäpfe 
endenden  Füsschen  (Ambulacralftisschen),  als  fünf  fast  gleichbreite  Bänder  vom 
Mundpol  zum  Afterpol.  Aber  von  diesen  regulären  Echinoiden  geht  eine  viel- 
gestaltige Reihe  mehr  und  mehr  zur  bilateralen  Symmetrie  hinneigender  Formen 
aus,  bei  denen  der  After  aus  der  polaren  Lage  heraustritt  und  sich  dem  Mund 
nähert,  um  mit  diesem  in  eine  symmetrische  Lage  zu  treten,  in  welcher  schliess- 
lich auch  der  Mund  nach  vom  sich  verschiebt.  So  ist  der  aus  einem  ftlnfzäh- 
ligen  Thierstock  unter  Durchlaufung  der  Asterienform  entstandene  reguläre 
kugelige  Körper  des  Echinoiden-Typus  auf  dem  Wege  durch  symmetrische  Ge- 
staltung wieder  in  die  bilaterale  Symmetrie  zurückzufallen,  der  seine  primitiven 
Personen  angehörten.  Am  weitesten  vorgerückt  sind  in  dieser  Hinsicht  die 
Spatangiden.  Bilateral-symmetrisch  ist  auch  noch  bei  den  Echinoiden  gleichwie 
bei  den  Asteroideen  die  aus  dem  Ei  hervorgehende  Larve,  aus  der  das  strahlige 
Echinoid  erst  durch  ftinfzählige  Knospung  hervorgeht. 

Der  starre  Echinoiden-Körper,  soweit  er  für  Geologie  und  Palaeontologie  in 
Betracht  kommt,  besteht  im  Wesentlichen  aus  folgenden  Stücken:  1.  Das  Gehäuse 
oder  die  Schale,  eigentlich  ein  Unterpanzer  des  Thieres,  besteht  aus  zweimal 
fiinf  longitudinalen  Feldern,  die  vom  Mund  zum  After,  oder  wo  letzterer  in  der 
s)iDmetrischen  Linie  durchbricht,  vom  Mund  zum  Scheitel  (Apex,  Rücken)  ver- 
laufen.   Es  sind  die  Ambulacral -Felder,  die  meist  aus  zwei  Reihen  zahlreicher 


246  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

niedriger  von  den  Poren  zum  Durchtritt  der  Saugflisschen  durchbohrten  Tafeln 
bestehen  und  die  Interambulacren,  die  zwischen  vorigen  sich  einschalten  und 
meist  aus  zwei  Längsreihen  grösserer  Tafeln  bestehen.  Dazu  kommen  2.  am 
After  oder,  wo  dieser  ausweicht,  am  Scheitel  zehn  Täfelchen,  abwechselnd  fiir 
den  Austritt  der  Eileitung  und  den  der  Augen.  Dazu  kommen  3.  zahlreiche  auf 
Warzen  der  Interambulacren  sitzende  kalkige  Stacheln,  bei  den  meisten  Ecbi- 
noiden  klein  und  gespitzt,  bei  Cidaris,  Echinometra  und  manchen  Palechiniden 
mächtig  entwickelt,  oft  keulen-  oder  kolbenförmig.  Dazu  kommt  endlich  noch 
4.  bei  den  Cidariten,  Echinen,  Palechiniden,  Clypeastriden  ein  von  den  Mund- 
häuten  abgesondertes  zusammengesetztes  kalkiges  Gebiss  von  Gestalt  einer  fiinf- 
seitigen  Pyramide,  welches  Aristoteles  schon  kannte  (Laterne  des  Aristoteles\ 
Die  zahlreichen  übrigen  Einzelheiten  müssen  wir  dem  zoologischen  und  zootomischen 
Studium  überlassen. 

Die  Echinoiden  beginnen  schon  in  der  Silur-Formation  mit  typischen,  aber 
durch  seltsame  Unbestimmtheit  der  Zahlenverhältnisse  in  den  Tafelreihen  aus- 
gezeichneten Formen.  Sie  zerfallen  nach  morphologischen  Charakteren  und  nach 
chronologischer  Folge  in  drei  natürliche  Ordnungen,  die  regulären  Palechiniden, 
die  regulären  Autechiniden  und  die  symmetrischen  Autechiniden.  Die  ersten 
beginnen  im  Silur,  die  zweiten  in  der  Trias,  die  dritten  erst  im  Jura.  Beide 
letztere  leben*  noch  zahlreich  in  unseren  Meeren,  wo  sie  mittelst  ihrer  lang  vor- 
gestreckten Saugflisschen  auf  festem  Boden  kriechen,  manche  nahe  der  Ebbe- 
Linie,  andre  in  grossen  Meerestiefen,  wo  sie  bis  1000  Faden  (1829  Meter)  zahl- 
reich und  mannigfaltig  noch  leben.  Pourtalesia,  dem  Ananchyies  der  Kreide 
verwandt,  fand  sich  an  Schottland  und  bei  Japan  noch  in  2800  Faden  Tiefe, 

Die  Palechiniden,  Palechinoidea,  oder  älteren  Seeigel  beginnen  im  untren 
Silursystem,  sind  —  gleich  den  Blastoideen  —  im  Kohlenkalk  am  reichsten  ver- 
treten und  erlöschen  mit  den  letzten  Arten  schon  im  permischen  System.  Manche 
zeigen  das  Mund-Gebiss  der  heutigen  Cidariden,  mit  denen  sie  auch  den  regular- 
tUnfzähligen  Körperbau  schon  gemeinsam  haben.  Aber  sie  weichen  seltsam  ab 
durch  die  schwankenden  Zahlenverhältnisse  in  den  longitudinalen  Plattenreihen, 
besonders  den  Interambulacral-Reihen.  Ihre  Zahl  erreicht  oft  hohe  Beträge  und 
im  Gegensatz  dazu  kommt  eine  Gattung  vor,  deren  Interambulacrum  nur 
eine  einzige  Tafelreihe  zeigt.  Dieses  schroffe  Schwanken  in  der  Zahl  der  gleich- 
namigen oder  homonymen  Körpertheile  haben  die  Palechiniden  mit  den  Cysti- 
deen  gemeinsam.     (Analogie,  nicht  Affinität). 

Palechirtus  elegans  Mac  Coy  im  Kohlenkalk  von  Irland  hat  ein  kugelfbrmigeb 
Gehäuse  —  und  ausser  je  zwei  Tafelreihen  in  den  fiinf  Ambulacralfeldem  —  noch 
je  fünf  Tafelreihen  in  den  ftinf  Interambulacralfeldem.  Also  fünfmal  zwei  und 
fünfmal  fünf,  zusammen  3 5  longitudinale  vom  Mund  zumAfter  verlaufende  Tafelrcihen. 

Meloniies  multipora  Norwood  und  Owen,  eine  sehr  grosse  Art,  häufig  im 
Kohlenkalk  von  St.  Louis  im  Staat  Missouri,  zeigt  je  8  Tafelreihen  in  den  funi 
Ambulacralfeldem  und  je  7  Tafelreihen  in  den  Interambulacralfeldem.  Also 
fünfmal  acht  und  fünfmal  sieben,  zusammen  75  longitudinale  Tafelreihcn.  Sic 
sind  um  den  Aequator  der  Kugel  am  zahlreichsten,  gegen  die  Pole  zu  verringern 
sich  die  interambulacralen  Reihen  auf  4  und  2,  gegen  den  Aequator  zu  schalten 
sich  neue  ein,  so  dass  hier  ihre  Zahl  7  bis  8  oder  noch  mehr  beträgt. 

In  grellem  Gegensatz  zu  dieser  Vielzahl  der  Längstafelreihen  zeigt  dio 
Gattung  Bothrioridaris  im  untersilurischen  System  von  Estland  nur  15  Tafelreihcn 
(a  mden  fünf  ambulacralen  und  nur  je  eine  in  den  fünf  interambulacralen  Feldern 


Echinodennen.  247 

Eine  besondere  Familie  Lepidocentridae  ergiebt  sich  mit  der  Palechiniden- 
Gattung  Lepidocentrus,  die  nur  in  Arten  aus  dem  devonischen  System  bekannt 
ist.  Lepidacentrus  Eifelianus  Müll,  zeigt  schuppen  förmig  tibereinander  geschobene 
Interambulacraltafeln,  was  auf  eine  gewisse  Beweglichkeit  des  Panzerkleides  deutet, 
wie  sie  in  der  lebenden  Echinoidenfauna  selten  —  und  nur  noch  bei  Arten,  die 
grosse  Meerestiefen  bewohnen  —  vorkommt.  Diese  Art  kommt  im  mitteldevoni- 
Mrhen  System  zu  Gerolstein  in  der  Eitel  vor.  Z.  rhetianus  Müll,  aus  einer  gleich 
alten  Schicht  (Grauwacke)  von  Wipperfürth  in  Westphalen  hat  den  Mund  mit  der 
Kieferpyramide  kennen  gelernt.  Die  Interambulacralfelder  fiihren  in  der  Nähe 
des  Mundes  3,  näher  dem  Aequator  5  Tafelreihen. 

Mit  Ende  des  palaeozoischen  Zeitalters  tritt  bei  den  Echinoiden  gleichwie  bei 
den  Asteroideen,  den  Crinoiden  und  vielen  anderen  Klassen  der  Meeresthiere  — 
eine  auffallende  Veränderung  ein.  Die  Palechiniden  zeigen  sich  im  permischen 
System  zuletzt  und  erlöschen  mit  diesem  in  nur  noch  spärlichen  Vertretern.  An 
ihre  Stelle  treten  —  zuerst  in  der  Trias  und  zwar  im  Muschelkalk  hervortauchend 
—  die  echten  Seeigel  oder  Autechinida,  die  noch  zahlreich  fortleben.  Sie  zeigen 
20  I^ngs-Tafelreihen,  fünfmal  zwei  ambulacrale  und  flinf  mal  zwei  interambula- 
<'rale,  zusammen  20  Tafelreihen. 

Die  regulären  Autechiniden  mit  den  Familien  Cidaridae,  Salenidae  u.  a.  sind 
gleich  den  Palechiniden  nach  dem  regulären  fünfzäh ligen  T)q)us  gebaut,  mit  dem 
Mund  im  unteren,  dem  After  im  oberen  Pol.  Die  Antimeren  oder  Strahltheile 
ziehen  als  fünf  fast  gleich  breite  Bänder  in  longitudinalem  Verlauf  vom  einen  zum 
andern  Pol.  Sie  sind  offenbare  Abkömmlinge  der  Palechiniden,  mit  denen  sie 
das  Gebiss  oder  den  verkalkten  Mundhaut-Apparat  gemeinsam  haben,  nur  sind 
bei  ihnen  die  Zahlenverhältnisse  der  Plattenreihe  schon  streng  geordnet. 

Sie  eröffnen  im  Muschelkalk,  erscheinen  besonders  in  den  Korallen-  und 
Schwaramlagem  von  Jura  und  Kreideformation  zahlreich  und  leben  in  vielen  Arten 
noch  in  den  heutigen  Meeren,  wo  sie  von  der  seichten  Strandregion  bis  zu 
grossen  Tiefen  niedergehen. 

Am  häufigsten  in  wohlerhaltenen  Exemplaren  findet  sich  Cidaris  coronata 
GoLDF.  im  oberen  Jura  besonders  in  den  Spongiten-Schichten  der  Schwäbiscl^en 
Alp,  namentlich  in  losen  keulenförmigen  Stacheln,  aber  auch  in  geschlossenen 
Körpergehäusen  von  3  bis  5  Cendm.  im  Durchmesser  mit  4-t-*5  oder  5-1-6  grossen 
alteroirenden  Asseln  in  jedem  Interambulacralfelde. 

Bei  den  symmetrischen  Echinoiden  entwickelt  sich  dadurch,  dass  der  Afler 
unterhalb   vom  After-Pol  zwischen  beiden  Reihen  eines  der  Interambulacren  — 
bald  noch    über  dem  Rande   der  Unterseite,  bald  im  Rande  selbst,   bald  noch 
daninter  —  durchbricht,  eine  Anlage  zu  symmetrischem  Körperbau,  der  bald  auch 
andre  Organe  sich  anpassen,  wie  denn  auch  bei  vielen  Formen  der  Mund  seine 
centrale  Lage   verlässt  und  auf  der  Unterseite  nach  vom  rückt     Die  Scheitel- 
rosette verbleibt.     Hierher  gehören  eine  grössere  Anzahl  von  Familien,  die  meist 
ichon  im  Juras)rstem  anheben  und   nach  verschiedenen  Richtungen  sich  gestalten. 
Die  Clypeastriden  führen  noch  den   verkalkten  Kiefer-Apparat  der  Palechi- 
niden und  der  regulären  Autechiniden  und  der  Mund  hält  sich  noch  mittelständig. 
Die  Körpergestalt  streckt  sich  in  der  Mediane,  die  mit  dem  randlichen  Durch- 
brach des  Afters  entsteht.     Die  sogen.  Fühlergänge  bilden  einen  von  der  Scheitel- 
rosette ausstrahlenden  fUnfzähligen  einer    Blume    ähnlichen   Stern,    werden  am 
Rand  des  Körpers  undeutlich  nnd  entwickeln  sich  erst  darunter  gegen  den  Mund 
zu  wieder  deutlich.     Die  Clypeastriden  erlangen  ihre  reichlichste  Entfaltung  erst 


248  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

in  den  mittleren  Tertiärschichten  und  leben  noch  sehr  zahlreich  in  den  wärmeren 
und  tropischen  Meeren,  wie  es  scheint,  ohne  in  die  grossen  kühlen  Mecresab- 
gründe  niederzugehen. 

Die  übrigen  Familien  der  symmetrischen  Echinoiden  entbehren  das  verkalkte 
feste  Gebiss  der  vorigen. 

Bei  den  Galeritiden  des  Jura*s  und  der  Kreide  liegt  der  Mund  genau  central 
auf  der  Unterseite,  der  After  an  der  Hinterseite,  im  Rand  oder  noch  etwas  dar- 
unter. Die  Fühler  sind  bandförmig  und  strahfen  vom  Scheitel  zum  Munde  noch 
so  regelmässig  aus  wie  bei  den  regulären  Fxhinoiden. 

Bei  den  in  der  Kreide  reichlich  vertretenen,  heute  in  tiefen  Meeresabgrunden 
(Pourtaiesia  in  2800  Faden  Tiefe)  noch  lebenden  Ananchytiden  rückt  auch  der 
Mund  schon  aus  der  centralen  Lage  dem  After  median  gegenüber,  an  die 
vordere  Region  der  Unterseite. 

Bei  Disaster  oder  Dysaster  in  Jura-  und  Kreideschichten  stehen  nicht  nur 
Mund  und  After  an  der  Unterseite  in  der  Mediane  einander  gegenüber,  auch  der 
Scheitel  des  Rückens  ist  in  der  Mediane  in  einen  vorderen  und  einen  hinteren 
Theil  auseinandergezogen.  Drei  Ambulacralgänge  strahlen  noch  vom  Scheitel 
aus,  den  auch  noch  vier  Ovarialtafeln  bezeichnen.  Die  zwei  anderen  Ambulacren 
strahlen  von  vorigen  getrennt  von  einer  hinter  dem  Scheitel  gelegenen  Stelle  au^. 

Bei  der  an  Arten  und  Gattungen  zahlreichen  vom  Neocomien  und  der  Kreisle 
an  reichlich  vertretenen  Familie  der  Spatangiden  wird  die  Köq)ergestalt  mehr 
oder  minder  herzförmig.  Vom  Scheitel  läuft  eine  Furche  über  die  Vordersevc 
bis  zum  Munde,  eine  oft  kielartige  Anschwellung  vom  Scheitel  nach  hinten  7\:n> 
After.  Bei  den  Spatangiden  allein  kommen  glatte  Bänder  (Fasciolen)  vor,  a-: 
deren  besonderen  Bau  wir  hier  nicht  näher  eingehen  können. 

In  geologischen  Funden  sehr  spärlich  vertreten,  aber  gleich  wohl  wichtig  iVir 
die  geologische  Geschichte  der  Lebe  weit  ist  die  Klasse  der  Seewalzen  (aiirh 
Stemwürmer  genannt)  Holothurioidea,  Die  Verkalkung  der  Unterhaut  oder  Leder- 
haut, cutis,  bleibt  bei  dieser  Abtheilung  der  Echinodermen  unvollständig  und 
wird  nie  zum  geschlossenen  Unterpanzer.  Das  Hautsystem  bleibt  hier  vorwiegend 
weich  und  beweglich  und  darunter  erhält  sich  eine  mächtige  Muskelschich* 
Kalkkömer  werden  nur  vereinzelt  ausgeschieden,  höchstens  treten  sie  um  den 
Schlund  zu  einem  geschlossenen  Kalkring  zusammen. 

Die  Holothuroiden  stellen  die  am  weitesten  ungestaltete,  am  weitesten  vom 
primitiven  Typus  sich  entfernende  Klasse  der  Echinodermen  dar.  Es  sind  gleich 
den  Echinoiden,  namentlich  den  Palechiniden,  von  deren  ältesten  fossil  vielleicht 
nicht  erhaltnen  Formen  sie  abstammen  mögen,  armlose  erst  gründlich  centralisirte 
dann  in  die  Länge  gestreckte  Individuen,  die  von  den  fiinf  Personen  des  r:. 
Grunde  liegenden  Individuen-Stockes  der  Asteroideen  nur  noch  versteckte  Spuren 
erkennen  lassen. 

Ihr  Körper  ist  lang  gestreckt,  walzenförmig  und  wurmähnlich,  äusserlich  dem 
von  gewissen  Würmern,  den  Gephyreen  (welche  ältere  Zoologen  auch  unter  dem 
Namen  Stemwürmer  noch  mit  ihnen  vereinigten)  täuschend  ähnlich.  Aber  funi 
oder  sechs  Radialsegmente,  der  Länge  nach  vom  Mund  zum  After  verlaufen«), 
sind  bei  ihnen  noch  mehr  oder  minder  deutlich  nachzuweisen,  naroentiich  lun- 
giebt  auch  noch  den  Mund  ein  Strahlenkranz  von  weichen  Fühlern,  oft  in  der 
Fünf,  oder  Sechszahl.  Der  Mund  und  After  stehen  sich  wie  bei  Palechiniden  un«{ 
regulären  Autechiniden  diametral  gegenüber,  aber  der  Mund  bezeichnet  hier  nicht 
mehr  eine  untere  Seite,  sondern  gemäss  der  wurmförmigen  Körpergestalt  und  der 


Echinodermen.  249 

frei  umherschweifenden  Lebensweise  die  Vorderseite  und  dazu  kommen  Formen, 
bei  denen  der  Körper  auf  einer  besonderen  Abplattung  (Bauch  oder  Fuss)  um- 
herkriecht, also  wieder  eine  Neigung  zur  Ausbildung  von  bilateraler  Symmetrie 
hervortritt,  die  eine  gewisse  Parallele  mit  den  symmetrisch  gewordenen  Formen 
der  Autechiniden  ergiebt. 

Die  Holothuroiden  zerfallen,  je  nachdem  sie  noch  AmbulacralfÜsschen  be- 
sitzen oder  auch  diese  verschwunden  sind,  in  Holothurioidea  pedicellata  und 
apoda. 

Zu  den  Pedicellaten  gehören  die  Holothuriden  und  die  Psoliden,  die  beide 
noch  mit  deutlichen  aus  eignen  Poren  der  weichen  Oberhaut  hervortretenden  und 
in  Saugscheiben  ausgehenden  Ambulacralftisschen  versehen  sind,  also  regulären 
Echinoiden  noch  am  nächsten  stehen. 

Bei  den  Holothuriden  stehen  die  Ambulacral-Füsschen  meist  der  Mund-After- 
Achse  entlang  in  Längsreihen,  bald  in  fünf  bald  in  sechs  Reihen,  die  evident 
noch  dem  Ambulacralfeld  der  Echinoiden  entsprechen.  Den  Schlund  umgiebt 
ein  geschlossener  Kalkring  von  1 5  (3  mal  5)  kalkigen  Platten,  also  ein  Rest  vom 
festen  Perisoma  älterer  Stammformen.  In  der  Lederhaut  des  übrigen  Körpers 
beschränkt  sich  die  Kalk  aussch  ei  düng  auf  vereinzelte  Kalktäfelchen  von  ver- 
schiedener Gestalt.  Fossile  Reste  von  Holothuriden  sind  bei  der  vorherrschend 
weichen  zur  fossilen  Erhaltung  wenig  geeigneten  Körperbeschaffenheit  selten  und 
schwer  erweisbar. 

Bei  den  Psoliden  kriecht  das  Thier  —  ähnlich  wie  eine  Schnecke  —  auf 
einer  flachen  Bauchscheibe  und  trägt  dabei  das  Vorder-  und  das  Hinterende  des 
Körpers  erhöht.  AmbulacralfÜsschen  stehen  hier  nur  noch  auf  der  Bauchscheibe, 
wo  sie  drei  Reihen  bilden.  Psolus  squamatus  Müll,  lebt  in  der  Nordsee,  besonders 
an  Norwegen.  Den  gewölbten  Rücken  bedeckt  ein  Panzerkleid  von  dachziegel- 
aitig  angeordneten  Kalkschuppen.  Solche  feste  Kalktheile  vom  Schuppenkleid 
eines  Psolus  sind  in  Ablagerungen  der  nordischen  Drift  fossil  gefunden  worden. 

Zu  den  fusslosen  Holothuroiden  gehört  die  Familie  Synaptidae  mit  walzen- 
fbraiigem  Körper  ohne  Ambulacralreihen  und  ohne  Gegensatz  einer  Ober-  und 
Unterseite.  Sie  leben  besonders  in  wärmeren  Meeren,  eine  Art  Synapta  Dnvcrnoyi 
QcATR.  an  der  Küste  des  Kanals  (Saint  Malo)  im  Sand.  Bei  ihnen  erscheinen 
als  Vertreter  der  Saugfüsschen  eigenthtimliche  zweiarmige  langgestielte  Kalk-Anker, 
welche  die  weiche  Oberhaut  (Epidermis)  rauh  machen,  nach  Belieben  bewegt 
werden  und  dem  Thiere  beim  Kriechen  im  Sand  u.  s.  w.  dienen.  Bei  5.  Duver- 
noyi  werden  sie  höchstens  ^  Millim.  lang.  Solche  Kalkankerchen  von  Synapten 
finden  sich  im  oberen  Jura  fossil.  Graf  Münster  fand  sie  im  Scyphienkalk  von 
Streitberg  in  Franken  und  beschrieb  sie  1843  unter  dem  Namen  Synapta  Sieboldi. 
Sie  werden  gegen  2—3  Millim.  lang  und  gehören  offenbar  einer  sehr  grossen 
Synapta  an,  wie  deren  heute  noch  in  wärmeren  Meeren  leben,  wo  sie  0,5  —  i  Meter 
lang  werden.  Diese  Synapta- ^nV^r  finden  sich  verkieselt  neben  zahlreichen  viel- 
gestaltigen aber  leicht  davon  zu  unterscheidenden  Schwamm-Nadeln  auch  in  der 
Korallenbank  des  oberen  Jura  von  Nattheim  in  Schwaben. 

Rädchen  mit  radialen  Speichen  sind  im  mittleren  und  oberen  Jura  von  Schwaben 
gefunden  worden  und  werden  auf  Chirodota  oder  eine  verwandte  Gattung  fuss- 
loscr  Holothuroiden  bezogen. 


250  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Edelsteine 

von 

Professor  Dr.  Kenngott. 

Gewisse  Minerale  werden  Edelsteine,  auch  Schmucksteine  genannt, 
doch  sind  diese  Benennungen  nicht  gleichbedeutend,  insofern  alle  Edelsteine 
Schmuck  steine,  aber  nicht  alle  Schmucksteine  Edelsteine  sind.  Schon  seit  alten 
Zeiten  fanden  in  diesem  doppelten  Sinne  gewisse  Mineralvorkommnisse  eine  weit 
verbreitete  Verwendung  und  weil  dem  Zwecke  entsprechend  verschiedene  Minerale 
zu  dem  Range  von  Edelsteinen  erhoben,  viele  als  Schmucksteine  verwendet 
wurden,  so  entstand  eine  gewisse  Schwierigkeit,  die  Edelsteine  von  den  Schmuck - 
steinen  zu  trennen. 

Eine  Definition  der  einen  oder  der  anderen  ist  schwierig,  weil  die  Abgrenzung 
der  Edelsteine  von  den  Schmucksteinen  nicht  Sache  der  Mineralogen  ist.  So 
sagte  z.  B.  R.  Blum  (pag.  190  in  seiner  Lithurgik,  Stuttgart  1840):  >Im  Allge- 
meinen versteht  man  unter  Edelsteinen  alle  diejenigen  Minerale,  welche  sich  durch 
schöne  und  lebhafte  Farben  oder  Farblosigkeit,  bedeutenden  Glanz  (Feuer),  Durch- 
sichtigkeit, Reinheit  und  einen  hohen  Grad  von  Härte  auszeichnen,  unterscheidet 
jedoch  eigentliche  Edelsteine  und  Halbedelsteine  von  einander,  je  nach- 
dem denselben  nämlich  die  eben  erwähnten  Eigenschaften  alle  oder  nur  einige 
mehr  oder  minder  ausgezeichnet  zustehen.  Die  Halbedelsteine  kommen  meist 
halbdurchsichtig  oder  durchscheinend  und  in  grösseren  unförmlichen  Massen 
vor,  auch  besitzen  sie  eine  geringere  Härte,  während  den  eigentlichen  Edel- 
steinen bei  Hervortretung  aller  jener  Eigenschaften,  gewöhnlich  ein  kleiner 
Körperinhalt  eigen  ist.  Indessen  herrscht  bei  dieser  Eintheilung  viele  Willkur, 
da  man  manche  Steine  bald  zu  dieser,  bald  zu  jener  Klasse  zählt«.  Zu  den 
eigentlichen  Edelsteinen  werden  nach  Blum  im  Handel  gewöhnlich  folgende  ge- 
zählt: Diamant,  Korund  (Sapphir  und  Rubin),  Chrysoberyll,  Smaragd  und  Ber>'ll, 
Topas,  Zirkon,  Granat,  Turmalin,  Dichroit,  Amethyst,  edler  Opal  und  Chrysolith. 

Hier  zeigt  sogleich  die  Angabe  »im  Handel«,  dass  die  Unterscheidung  nich: 
in  der  Hand  der  Mineralogen  liegt  und  dass  die  mineralogischen  Eigenschaften 
nicht  allein  den  Ausschlag  geben. 

Vergleicht  man  hiermit,  was  E.  Kluge  (in  seinem  Handbuche  der  Edelstein- 
kunde,   Leipzig   1860)  in  §  i,   Begriff  der  Edelsteine,    sagt:     >Mit   dem  Worte 
Edelstein  (pierre  pr<$cieuse;    precious  stone,  gem)   bezeichnet  man  ein  jede< 
Mineral,   welches  sich  durch  Härte,   Glanz,  Schönheit  der  Farbe  oder  Farblosig- 
keit, sowie  in  den  meisten  Fällen  durch  grössere  Seltenheit  und  Durchsichtigkeit 
auszeichnet  und  deshalb  in  der  Bijouterie  verarbeitet  wird.     Man  theilt  sie  gc 
wohnlich    in  eigentliche  Edelsteine,    ganz    edle,    oder  Juwelen    (gemmae 
und  Halbedelsteine,  couleurte   oder  farbige  Steine  (lapides  pretiosi)  ein. 
Zu  den  ersteren  rechnet  man  die  selteneren  Minerale,  die  sich  durch  bald  leb- 
hafte, bald  sanfte  und  liebliche  Farben,  Durchsichtigkeit,  bedeutende  Stärke  des 
Glanzes    (Feuer),    grosse  Härte    und  Polirßihigkeit    auszeichnen.   —   Die    sogen. 
Halbedelsteine  zeigen  alle  diese  Merkmale  nur  in  weit  geringerem  Grade   und 
kommen  häufiger  und  in  grösseren  Massen  vor.     Indessen  findet  bei  dieser  Ein 
theilung  eine  grosse  Willkür  statt,  da  manche  Steine  bald  zu  dieser,  bald  zu  jener 
Abtheilung  gezählt  werden.    Auch  hinsichtlich  des  mercan  tili  sehen  Werthes  la.s>t 
sich    eme   scharfe  (Jrenzlinie  nicht  zwischen  beiden  Klassen    ziehen,    da  dieser 
durch  verschiedene  zufällige  Umstände,  Schliff,  besondere  Schönheit  oder  Selten- 


Edelsteine.  251 

heit  der  Farbe,  Fehlerlosigkeit  und  durch  die  Mode  bedingt  ist,  so  dass  nicht 
selten  manche  der  Halbedelsteine  den  Juwelen  vorgezogen  werden«,  so  ersieht 
man  ebenfalls,  dass  die  Eigenschaften  der  bezüglichen  Minerale  allein  nicht  zur 
Begriffsbestimmung  ausreichen. 

Derelbe  gab  nun  (pag.  167)  nach  eingehender  Erörterung  aller  zu  berück- 
sicbügenden  Verhältnisse,  der  mineralogischen  Eigenschaften,  der  Bearbei- 
tung u.  s.  w.  eine  Anordnung,  wobei,  soweit  diese  thunlich  war,  der  reelle  Werth, 
den  die  Edelsteine  als  Schmucksteine  haben,  in  Verbindung  mit  der  Härte,  den 
optischen  Eigenschaften  und  der  Seltenheit  des  Vorkommens  als  Maassstab  an- 
genommen worden  ist. 

I.  Juwelen  oder  eigentliche  Edelsteine.  Ausgezeichnet  durch  grosse 
Härte  (die  härtesten  irdischen  Stoffe)  und  PohturfKhigkeit,  hohes  specifisches  Ge- 
richt, prächtige  Farben  und  Klarheit,  verbunden  mit  starkem  Glänze  (Feuer)  und 
Seltenheit  des  Vorkommens  in  schleifwtirdigen  Exemplaren. 

A.  Schmücksteine  ersten  Ranges.  Härte  zwischen  8  und  10;  speci- 
fisches Gewicht  über  3,5;  hinsichtlich  der  chemischen  Zusammensetzung  entweder 
reiner  Kohlenstoff  oder  reine  Thonerde,  oder  Verbindungen  der  Thonerde  mit 
anderen  Erden;  im  Allgemeinen  ist  die  Thonerde  vorherrschend.  Sehr  seltenes 
Vorkommen  in  schönen  Exemplaren  und  höchster  Werth.  —  Diamant,  Korund 
,Rubin   und  Sapphir),  Chrysoberyll,  Spinell. 

B.  Schmuck  steine  zweiten  Ranges.  Härte  zwischen  7,5  und  8,0  (mit 
Ausnahme  des  edlen  Opals);  specifisches  Gewicht  meist  über  3;  hinsichtlich  der 
chemischen  Zusammensetzung  ist  die  Kieselsäxire  vorherrschend.  Vorkommen 
schon  häufiger  und  in  grösseren  Exemplaren  als  bei  den  vorhergehenden;  Werth 
im  Allgemeinen  geringer  als  bei  den  Schmucksteinen  ersten  Ranges,  in  ausge- 
zeichneten Exemplaren  aber  immer  noch  sehr  bedeutend  und  dann  geringere 
Sorten  der  vorigen  übertreffend  —  Zirkon,  Beryll  (Smaragd),  Topas,  Turmalin, 
Granat  (Pyrop),  edler  Opal. 

C.  Schmucksteine  dritten  Ranges.  Bilden  schon  den  Uebergang  zu 
den  Halbedelsteinen,  da  sie  selten  alle  specifischen  Merkmale  der  Edelsteine  ver- 
einigt zeigen.  Härte  zwischen  5,5  und  7,5;  specifisches  Gewicht  meist  über  2,5; 
Kieselsäure  ist  vorherrschend  (mit  Ausnahme  von  Türkis).  Werth  im  Allgemeinen 
nicht  sehr  bedeutend;  nur  sehr  schöne  Exemplare  von  einigen  (Dichroit,  Chrysolith, 
Türkis)  aus  dieser  Gruppe  werden  noch  ziemlich  theuer  bezahlt.  Vorkommen 
der  meisten  ziemlich  häufig,  jedoch  selten  in  schleifwürdigen  Exemplaren.  — 
Dichroit,  Vesuvian,  Chrysolith,  Axinit,  Disthen  (Cyanit),  Staurolith,  Andalusit  mit 
Chiastolith,  Epidot  (Pistazit),  Türkis. 

IL  Sogenannte  Halbedelsteine.  Sie  zeigen  die  bei  den  Juwelen  ange- 
führten ausgezeichneten  Eigenschaften  in  weit  geringerem  Grade  oder  nur  einige 
derselben.     Diese  bilden  die  Schmucksteine  vierten  und  fünften  Ranges. 

Wenn  so  gewöhnlich  die  Edel-  und  Schmucksteine  mit  einander  zusammen- 
gestellt werden,  so  ergiebt  sich  doch,  dass,  so  wenig  übereinstimmend  die 
Trennung  durchgeführt  wird,  die  eigentlichen  Edelsteine  (Juwelen)  durch  Jahr- 
hunderte, ja  Jahrtausende  hindurch  ihre  Geltung  behielten,  dass  diese  Mineral- 
vorkommnisse besonders  durch  hohe  Härte  und  ein  schönes  Aussehen  ihren  Rang 
behauptet  haben  und  dass  man  auch  das  schöne  Aussehen  allein  so  hoch  an- 
schlug, den  minder  harten  edlen  Opal  noch  zu  den  eigentlichen  Edelsteinen  zu 
ahlen.  Die  Schmucksteine  dritten  Ranges  können  besser  den  Halbedelsteinen 
zugezählt  werden,  deren  Zahl  verhältnissmässig  gross  ist. 


253  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Da  nun  sachgemäss  nur  diejenigen  Vorkommnisse  einer  Mtneralart  als  Edel- 
stein aufgeführt  werden  können,  wenn  sie  zur  dem  Zwecke  entsprechenden  Ver- 
wendung sich  eignen,  nicht  deshalb  die  Mineralart  selbst  zu  den  Edelsteinen  zu- 
rechnen ist,  so  würde  eine  Beschreibung  der  Edelsteine  in  diesem  beschränkten 
Sinne,  eine  Beschreibung  der  tauglichen  Varietäten  hier  nicht  am  Platze  sein, 
weshalb  es  hier  nur  genügte,  die  Arten  oder  Varietäten  zu  nennen,  von  denen 
schöne  Vorkommnisse  als  Edelsteine  dienen.  Die  bezüglichen  Mineralarten  selbst 
werden  in  anderen  Artikeln  beschrieben  werden  und  es  gentigt  dann  nur  der 
Hinweis  bei  der  Angabe  des  Gebrauches,  dass  sie  als  Edelsteine  Verwendun;; 
finden.  So  wurden  eine  gewisse  Anzahl  von  Mineralen,  welche  sich  durch  hohe 
Härte  auszeichnen,  als  Sklerite  (Sklerolithe  von  dem  griechischen  Worte  skleros, 
hart)  zusammengefasst,  unter  denen  die  Species  Diamant,  Korund,  Chrysober\'ll. 
Beryll,  Spinell,  Zirkon,  Topas,  Granat,  Olivin  und  Turmalin  Edelsteine  liefern,  wah 
rend  der  edle  Opal  als  minder  hart,  bei  der  Species  Opal  erwähnt  werden  wird. 
Dergleichen  wird  auch  bei  anderen  Species,  von  denen  gewisse  Varietäten  al^ 
Schmucksteine  Verwendung  finden  am  geeigneten  Orte  darauf  verwiesen  werden 
Dies  ist  z.  B.  der  Fall  bei  anderen  Varietäten  des  Opal  (s.  dens.)  bei  verschie 
denen  Varietäten  des  Quarz  (s.  dens.),  bei  mehreren  Silicaten  (s,  diesen  Artikc' 
u.  s.  w. 

Bei  den  Edel-  und  Schmucksteinen  ist,  um  sie  zweckmässig  zu  verwenden, 
nöthig,  sie  zu  schneiden  und  zu  schleifen,  ihnen  eine  bestimmte  Form  zu  geben 
und  das  Aussehen  durch  Politur  der  SchlifÜlächen  zu  erhöhen.  Je  nach  den^ 
Zwecke,  zu  welchem  namentlich  die  Edelsteine  verwendet  werden  sollen,  Mnrd 
ihnen  eine  bestimmte  Form  gegeben  und  wenn  auch  in  älteren  Zeiten  dies  weniger 
der  Fall  gewesen  ist,  so  ersieht  man  doch  aus  den  verschiedenen  Schriften,  welche 
von  Edelsteinen  handeln,  dass  Edelsteine  geschliffen  wurden.  In  neuerer  Zeit 
hat  die  Bearbeitung  der  Edelsteine  einen  hohen  Grad  von  Vollkommenheit  er 
langt  und  es  spielen  die  Ausdrücke  für  die  Schnittformen  eine  grosse  Rolle. 
welche  ausser  dem  Zwecke  der  Verwendung  (ob  zu  Ringsteinen,  zu  Ohrgehängen, 
Broschen,  Hals-  und  Armbändern,  Nadeln  u.  s.  w.)  in  ihrer  Verschiedenheit  be- 
sonders dazu  dienen,  das  schöne  Aussehen  zu  heben. 

Bei  den  meisten  Schnittformen,  welche  die  Edelsteine  durch  die  Bearbeitung 
erhalten,  kann  man  zunächst  ohne  Rücksicht  auf  die  weitere  Ausführung  folgende 
Theile  unterscheiden:  a)  (Fig.  i)  den  Obertheil  (Oberkörper,  Krone,  Pa\'inon. 
dessus)^  das  ist  derjenige  Theil  des  Steines,  welchen  man  nach  der  Fassung  aK 
den  hervorr«igenden  sieht.  —  b)  den  Untertheil  (Unterkörper,  Cülasse,  dessus  , 
das  ist  derjenige  Theil,  welcher  nach  der  Fassung  nach  unten  zu  liegen  kommt, 
bei  gewissen  Fassungen  nicht  gesehen  werden  kann.  —  c)  den  Rand  (Rundtste. 
Einfassung,  Gürtel,  feuiliet),  das  ist  der  breiteste  Theil  des  Steines,  an  welchem 
die  Befestigung  beim  Fassen  stattfindet.  Die  Durchschnittsfläche,  welche  m;i^ 
sich  durch  die  Rundiste  oder  den^Rand  gelegt  denkt,  trennt  den  Obertheil  v«*n 
dem  Untertheile. 

Bei  manchen  Schnittformen  fehlt  der  Untertheil,  bei  manchen  erscheint  der 
Stein  nur  tafelförmig. 

Die  Rundiste  darf  nicht  zu  schmal,  nicht  zu  dick  sein,  weil  in  jenem  K.i  ^* 
der  Stein  beim  Fassen  leicht  brechen,  in  dem  letzten  Falle  nicht  sicher  befe^tict 
werden  kann. 

Die  verschiedenen  Schnittformen  erhielten  besondere  Namen  und  biswcilm 
wird  der  Name  der  Schnittform  einfach  auf  den  Edelstein  selbst  übertragen,  >v* 


Edelsteine. 


253 


z.  B.  nennt  man  schlichthin  nach  dem  Brillantschnitt  oder  Rosettenschnitt  die  so 
geschnittenen  Diamante  Brillanten,  Rosetten  u.  dergl. 

Die  wichtigsten  Schnittformen  sind  folgende: 

1.  Der  Brillantschnitt,  nach  welchem,  beiläufig  bemerkt,  Cardinal  Mazarin 

(Min.  37-39.) 


Fig.  I. 


Fig.  a. 


zuerst  den  Diamant  schleifen  Hess,  ist  für  Edelsteine  im  Allgemeinen  der  günstigste 
Schnitt,  um  Glanz  und  Feuer  am  besten  hervortreten  zu  lassen.  Er  zeigt  Ober- 
iheil,  Rundiste  und  Untertheil,  ersterer  nimmt  etwa  ein  Drittel,  letzerer  etwa  zwei 
Drittel  der  ganzen  Höhe  des  Steines  ein.  Beide  Theile  sind  mit  verschiedenen 
Flächen  (Facetten)  versehen,  welche  nach  ihrer  Lage  verschiedene  Benennungen 
erhalten  haben.  Diejenige  Fläche  des  Obertheiles,  welche  die  Facetten  nach 
oben  begrenzt  (Fig.  2,  a,  welche  den  Obertheil  des  dreifachen  Brillantschnittes 
von  oben  gesehen  darstellt)  heisst  Tafel,  die  entgegengesetzt  liegende  Fläche 
des  Untertheiles,  welche  die  Facetten  desselben  nach  unten  begrenzt  (Fig.  3, 
S,  welche  den  Untertheil  des  dreifachen  Brillantschnittes  von  unten  gesehen  dar- 
stellt), nennt  man  Callette  (culasse  ou  point  du  brillant).  Beide  gehen  der 
Rundistenebene  e  parallel.  Die  Facetten  b^  welche  mit  einer  Seite  die  Tafel 
a  berühren,  mit  ihr  Kanten  bilden,  heissen  Sternfacetten;  Querfacetten  d 
heissen  diejenigen  Facetten  des  Ober-  und  des  Untertheiles,  welche  mit  einer 
Seite  die.  Rundiste  e  berühren,  mit  ihr  Kanten  bilden.  Nach  der  Zahl  der  Fa- 
cetten unterscheidet  man: 

a)  den  dreifachen  Brillantschnitt  oder  dreifachen  Brillant.  (Fig.  2, 
3  und  4,  in  Fig.  2  den  Stein  von  oben,  in  Fig.  3  von  unten,  in  Fig.  4  von  der 
Seite  gesehen.)  Bei  diesem  zeigt  der  Obertheil  (Fig.  2)  ausser  der  Tafelfläche  a 
52  Facetten,  welche  in  drei  Reihen  so  angeordnet  sind,  dass  die  8  Sternfacetten  b 
und  die  16  Querfacetten  d  Dreiseite  bilden,  die  zwischen  ihnen  liegenden  8  Fa- 
cetten c  Vierseite  bilden.  Auf  dem  Untertheile  (Fig.  3)  sind  ausser  der  Calette  g 
24  Flächen  in  zwei  Reihen   vorhanden,  an  denen  die  16  Querfacetten  dreiseitig 

(Min.  40-42.) 


Fig.  6. 

sind,  während  die  anderen  8  an  die  Calette  stossenden  Flächen  /  abwechselnd 
Fünf-  und  Vierseite  darstellen.     Diese  Schnittform  zeigt  also  58  Flächen. 

b)   den  zw«ifachen  Brillantschnitt  oder  zweifachen  Brillant  (Fig.  5,  den 


254 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


Stein  von  oben,  Fig.  6,  den  Stein  von  der  Seite  gesehen  darstellend).  Derselbe 
zeigt  am  Obertheile  (Fig.  5)  die  Tafelfläche  a  und  16  dreiseitige  Facetten,  welche 
zwei  Reihen  bilden,  davon  sind  8  (V)  Stemfacetten,  8  {d)  Querfacetten.  Am 
Untertheile  sind  ausser  der  Calette  g  8  oder  1 2  Facetten,  von  denen  die  Quer- 
facetten d  dreiseitig,  die  anderen  fiinfseitig  sind.  Hierher  gehört  auch  der  zwei- 
fache englische  Brillant,  der  zweifache  Brillant  mit  Stern.  Die  Grundform  dc^ 
Brillantschnittes  ist  quadratisch,  kann  aber  auch  oblong,  rhombisch,  rund  «der 
oval  (bimförmig)  sein,  auch  wechseln  bisweilen  die  Facetten  in  der  Zahl  ihrci 
Seiten.  Ueberhaupt  wechseln  die  Verhältnisse  der  Höhe  und  Breite,  je  nachdem 
die  Steine  farblos  oder  gefärbt  sind,  wenn  auch  gewisse  Verhältnisse  der  Dimen- 
sionen als  normale  angenommen  werden,  wie  sie  für  den  farblosen  Diamant  am 
zweckmässigstdn  erschienen.  Diese  Verhältnisse  sind:  Die  Höhe  des  Obertheiles 
gleich  \  der  ganzen  Höhe;  die  Höhe  des  Untertheiles  gleich  f  der  ganzen  Höhe, 
der  Durchmesser  der  Tafel  gleich  f  des  Durchmessers  der  Rundiste;  die  Fläcl;e 
der  Calette  gleich  \  der  Tafel. 

An  den  Brillantschnitt  reiht  sich  der  von  A.  Caire  erfundene  sternformii;«; 
Schnitt  (taille  ä  Atolle),  welcher  au.sserordentlich  genau  ausgeführt  werden  muvN 
dagegen  vom  Gewicht  der  rohen  Steine  möglichst  wenig  wegnimmt 

Brillonetten  oder  Halbbrillanten  heissen  Steine,  die  nur  den  Oberthcil 
im  Brillantschnitt  zeigen,  während  der  Untertheil  ganz  fehlt. 

2.  Der  Rosettenschnitt  (Rose,  Rosette,  Rosenstein,  Raute,  Rautenstein 
seit  1520  im  Gebrauch,  ein  Schnitt,  welcher  angewendet  wird,  wenn  der  Stein 
nur  mit  grossem  Massenverlust  zum  Brillant  geschliffen  werden  könnte.  Die 
Hauptform  ist  eine  j)yramidale.  Dieser  Schnitt  zeigt  nur  einen  Obertheil,  während 
der  Untertheil,  wie  hei  den  Brillonetten  ganz  fehlt.  Es  zeigt  der  allein  vorl  an 
dene  Obertheil  zwei  Reihen  Facetten.  Die  6  Facetten  der  oberen  Reihe  (Stern- 
facetten genannt)  enden  in  eine  Spitze  und  sind  dreiseitige;  die  der  unteren 
Reihe  heissen  Querfacetten  und  sind  dreiseitig  oder  vierseitig  und  an  Zahl  ver- 
schieden. Man  giebt  den  Rosetten  eine  runde,  längliche  (elliptische^  oder  ei- 
förmige (ovale  Form,  am  effectvollsten  ist  die  kreisrunde  Form  der  Grundflache. 
Man  unterscheidet  verschiedene  Abändenmgen: 

a)  die  holländische  Rosette  (gekrönte,  eigentliche),  (Fig.  7,  den  Stein 
von  oben  gesehen,  Fig.  8,  denselben  von  der  Seite  gesehen  darstellend).  Sit 
haben   ausser  der  Grundfläche  6  Sternfacetten  und  18  dreiseitige  Querfacetten 

b)  die  Brabanter  Rosetten  mit  ebensoviel  dreiseitigen  und  gleichvertheilie'. 
Facetten,  wobei  die  Sternfacetten  sich  weniger  hoch  erheben,  die  pyramidale 
Form  gedrückter  erscheint,    während  bei  den  eigentlichen  wohlgeschlifienen  Rl^ 

(Min.  48-46) 


r^ 


'y    --  — 


V-, 


^ 


^ 


Fig.  7. 


Fig.  8. 


Fig.  9. 


Fig.  10. 


selten    die   Höhe   des   Steines   die  Hälfte    vom    Durchmesser   der   Grundfläche 
haben  soll. 


Edelsteine.  255 

c)  die  von  den  Holländern  Vlackke  Moderoözen  genannten  Rosetten, 
Welche  6  dreiseitige  Sternfacetten  und  nur  6  vierseitige  Querfacetten  haben. 

Brioletten  oder  Pendeloquen  (wie  bei  Ohrgehängen)  werden  auch  hier- 
her gezählt,  indem  sie  die  Form  zweier  mit  der  Grundfläche  vereinigten  hol- 
ländischen Rosetten  besitzen. 

3.  der  Tafelsteinschnitt,  bei  Steinen  von  geringer  Dicke  angewendet. 
Ober-  und  Untertheil  sind  vierseitig  (quadratisch  oder  oblong)  pyramidal,  die 
Spitzen  der  beidseitigen  Pyramide  sind  stark  abgeschnitten,  im  Obertheile  durch 
die  Tafel,  im  Untertheile  durch  die  Calette  (Fig.  9,  a,  den  Stein  von  oben  gesehen, 
0,  b,  von  der  Seite  gesehen  darstellend),  weshalb  die  Steine  flach  sind.  Bis- 
weilen werden  auch  noch,  wie  die  Figuren  zeigen,  die  Kanten  zwischen  der 
Tafel  und  den  4  Facetten  des  Obertheiles  abgeschliffen,  oder  man  legt  an  die 
Tafel  oder  an  die  Rundiste  willkürlich  dreiseitige  Facetten  an.  Sehr  flache 
Tafelhteine  werden  Dünnsteine  genannt,  halbgrundige  Tafelsteine  dagegen 
solche,  bei  welchen  die  Calette  grösser  ist  als  die  Tafel. 

4.  der  Dicksteinschnitt  oder  der  sogen,  indische  Schnitt.  Er  nimmt 
in  der  Hauptform  den  Umriss  des  Brillantschnittes  an,  wie  Fig.  i  zeigt,  hat  Ober- 
theil  und  Untertheil.  Der  Obertheil  hat  ausser  der  Tafel  nur  4  vierseitige  Fa- 
cetten in  der  Gestalt  von  Paralleltrapezen,  oder  es  werden  die  vier  von  der  Tafel 
zur  Rundiste  laufenden  Kanten  abgeschnitten,  wodurch  er  im  Obertheile  8  vier- 
seitige Facetten  hat.  Am  Untertheile  sind  auch  4  eine  Pyramide  bildende  Fa- 
cetten mit  oder  ohne  Calette  und  bisweilen  werden  auch  die  4  von  der  Rundiste 
auslaufenden  Kanten  weggeschnitten. 

5.  Der  Treppenschnitt,  welcher  besonders  bei  farbigen  Steinen  ange- 
wendet wird.  Er  zeigt  Ober-  und  Untertheil.  Die  Form  der  Steine  ist  quadra- 
tisch oder  achtseilig,  sechsseitig  oder  zwölfseitig.  Zwischen  der  Tafel  und  Rundiste 
liegen  gewöhnlich  zwei  Reihen  vierseitiger  Facetten,  welche  Paralleltrapeze  bilden 
(Fig.  IG,  a,  den  Stein  von  oben  gesehen,  10,  b,  von  der  Seite  gesehen  darstellend). 
Am  Untertheile  sind  3  oder  4  Reihen  solcher  Flächen  zwischen  Rundiste  und 
Calette,  welche  letztere  meist  fehlt,  wobei  die  bezüglichen  Flächen  der  von  der 
Rundiste  entferntesten  Flächen  in  eine  Spitze  auslaufen,  Dreiseite  bildend. 

6.  Der  gemischte  Schnitt,  auch  bei  gefärbten  Steinen  besonders  in  Ge- 
brauch. Der  Obertheil  zeigt  Brillantschnitt,  der  Untertheil  Treppenschnitt.  Daran 
reiht  sich  der  Schnitt  mit  verlängerten  Brillantfacetten  und  der  Schnitt  mit 
doppelten  Facetten. 

7.  Der  muschlige  oder  mugelige  Schnitt  (en  cabochon),  wobei  die 
Steine  an  beiden  Theilen  convex  geschliffen  werden  oder  nur  der  convexe  Ober- 
theil mit  ebener  Grundfläche  vorhanden  ist.  Dieser  Schnitt  wird  bei  Steinen 
angewendet,  welche  Farbenwandelung,  Opalisiren,  Irisiren  oder  einen  Lichtschein 
2eigen  (s.  optische  Eigenschaften),  um  diese  Eigenschaft  möglichst  hervortreten 
zu  lassen.  Auch  werden  am  Obertheile  oberhalb  der  Rundiste  Facetten  ange- 
bracht oder  der  Obertheil  wird  ganz  facettirt 

Ausser  diesen  angeführten  Schnitten  giebt  es  noch  verschiedene  andere  zum 
Theil  willkürliche,  welche  oft  von  der  Grösse  abhängen,  sowie  auch  bei  grossen 
Steinen  die  Zahl  der  Facetten  und  der  Facettenreihen  beliebig  vermehrt  wird, 
namentlich,    wenn   die  Steine   zu  besonderen  Zwecken  verwendet  werden. 

In  Betreff  der  Namen  der  Edelsteine  ist  schliesslich  zu  bemerken,  dass  die 
Juweliere  nicht  immer  die  Steine  mit  den  mineralogischen  Namen  der  Arten  oder 
Varietäten    benennen.     Es    nennen  z.  B.  die  Mineralogen  den   blauen   Korund 


256  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Sapphir,  den  rothen  Rubin,  andere  Varietäten  nicht  besonders  nach  der  Farbe, 
während  bei  den  Juwelieren  der  farblose  Korund  weisser  Sapphir,  der  gelbrothe 
Korund  orientalischer  Hyacinth,  der  schwach  violblaue  orientalischer  Amethyst, 
der  hochgelbe,  citronen-  oder  weingelbe  Korund  orientalischer  Topas,  der  dunkel- 
grüne Korund  orientalischer  Smaragd,  der  grünlichblaue  Korund  orientalischer  Aqua- 
marin, der  gelblich  grüne  Korund  orientalischer  Chrysolith  genannt  werden  un<i 
doch  die  Namen  Hyacinth,  Amethyst,  Topas,  Smaragd,  Aquamarin  und  Chr)->i*- 
lith  mineralogische  Namen  für  andere  Mineralarten  oder  Varietäten  sind. 
Es  ist  damit  keineswegs  eine  Täuschung  beabsichtigt,  wenn  werthvoile  Steine 
mit  Namen  weniger  werth vollerer  Mineralarten  benannt  werden,  wie  man  2.  B. 
im  Gegentheil  Bergkrystalle  rheinische,  marmoroscher,  savoyische,  böhnns*  I  e 
u.  s.  w.  Diamanten  benannt  findet,  indem  solche  von  den  mineralogischen  Namen 
verschiedene  Namen  nur  als  Handelsnamen  in  Gebrauch  sind. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschafifenheit. 


von 


Professor  Dr.  von  Lasaulx. 

Die  Erde  besitzt  die  Gestalt  eines  an  den  Polen  abgeplatteten  kurzachbigen 
aber  unregelmässigen  Ellii)soides  und  beschreibt  als  Planet  eine  fast  kreisförmige 
Bahn  um  die  Sonne. 

Zur  Erkenntniss  der  wirklichen  Gestalt  der  Erde  führten  die  Versuche,  ihre 
Grösse  zu  bestimmen.  Von  der  angenommenen  Kugelgestalt  derselben  auN- 
gehend,  war  dieses  möglich  nach  dem  Satze:  Der  Durchmesser  einer  Kugel  im 
bekannt,  wenn  der  Winkel  und  die  Länge  des  Bogenstückes  eines  grössten  Kreis<r- 
der  Kugel  gegeben  sind.  Um  diese  zu  ermitteln,  wurden  die  Gradmessungen 
begonnen.  Diese  hatten  schon  zu  Ende  des  17.  und  zu  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts das  durch  zahlreiche  spätere  Messungen  immer  genauer  begründete 
Resultat,  dass  die  Erde  eine  abgeplattete  Kugel  sei.  Es  ging  dieses  vornehmlich 
aus  zwei  Thatsachen  hervor,  die  man  schon  bei  den  ersten  Arbeiten  dieser  Art 
beobachtete,  einmal  die  Ungleichheit  der  Secundenpendel  an  den  Polen 
und  am  Aequator  und  zweitens  die  ungleiche  Länge  der  Meridtanbogen- 
stücke  von  gleichem  Winkel  wiederum  an  den  Polen  und  am  Aequator. 

Die  erste  Bestätigung  der  ersteren  schon  von  Picard  (dieser  maass  166g-  70 
einen  Meridianbogen  von  Malvoisine  bis  Amiens)  ausgesprochenen  Thatsache 
gab  im  Jahre  1672  Richer,  der  in  Cayenne  die  nothwendige  Verkürzung  do^ 
Secundenpendels  genau  nachwies.  Newton  und  Huv(;hens  erklärten  dann  dicv? 
Erscheinung  durch  die  Abplattung. 

Die  Schwingungen  eines  Pendels  d.  h.  die  absolute  Dauer  der  üsdllationen 
ändert  sich  mit  der  Intensität  der  Schwerkraft.  Da  am  Aequator  ein  Pendel 
langsamer  schwingt,  daher  verkürzt  werden  muss,  um  Secundenpendel  zu  bleiben, 
so  ist  also  die  Anziehung  der  Schwerkraft  hier  eine  geringere  als  an  den  Polen, 
wie  Schwerkraft  nimmt  ab  mit  dem  Quadrate  der  Entfernung  vom  Anziehun.v- 
femte^""-      folglich  muss  am  Aequator  dieser  letztere  von  einem  Pendel  eni 

J^sem,  als  an  den  Polen,  d.  h.  die  Erde  muss  an  den  Polen  abgeplattet  sein. 

Punkte  d^er  f\  T^    ^^^    Rotation    der    Erde    nocii    mit   im  Spiele.     An  jeden. 

Centrifuealkr/rH      e''.^''  ""'"'^^  "^'^  ''''"  ^^''  Schnelligkeit  der  Rotation  abhän^iie 

s      ran  der  Sch^^erkraft  in  gewissem  Sinne  entgegen.     Auch  diese  Flieh- 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  257 

kraft  lässt  sich  für  jeden  Theil  der  Erdoberfläche  bestimmen;  denn  sie  ist  ab- 
hängig von  dem  Bogen»  den  ein  Punkt  in  einer  gewissen  Zeit  -beschreibt.  Diese 
Bogen  können  wir  an  der  Erdoberfläche  messen.  Dabei  ergiebt  sich,  dass  die 
Centrifugalkraft  keineswegs  überall  dieselbe  ist,  sondern  dass  sie  von  den  Polen 
nach  dem  Aequator  stetig  zunimmt.  Das  beweist,  dass  jeder  Punkt  am  Aequator 
in  gleicher  Zeit  eine  grössere  Bahn  durchläuft,  einen  grösseren  Bogen  beschreibt, 
als  an  den  Polen.     Auch  hieraus  folgt  also  die  abgeplattete  Gestalt  der  Erde. 

Aus  der  Beobachtung  der  Ungleichheit  der  Meridianbogenstücke,  wie  sie  die 
berühmte  französische  Gradmessung  in  den  Jahren  1735  und  36  in  Peru  und 
I^ppland  ergab,  folgt  die  ellipsoidische  Gestalt  der  Erde  in  vollkommener  Ueber- 
einstimmung  mit  jenen  Messungsresultaten  nach  dem  Satze:  Ein  Bogen  von 
gleichem  Winkel  ist  um  so  länger,  je  näher  er  der  kleinen,  um  so  kürzer,  je 
näher  er  der  grossen  Achse  einer  Ellipse  gelegen  ist.  Für  Peru  ergaben  die 
Messungen  die  Länge  eines  Meridiangrades  zu  56753  Toisen  (i  10609  Meter)  für 
Lappland  zu  57437  Toisen  (11 1949  Meter)  mithin  ein  Unterschied  von  316  Toisen 
(600  Meter). 

Spätere  Messungen  bestätigten  auch  die  Unregelmässigkeit  des  Ellipsoides, 
da  sich  nach  diesen  ergab,  dass  die  Grösse  der  Meridiangrade  selbst  unter 
gleicher  Breite  an  verschiedenen  Stellen  der  Erde  eine  verschiedene  ist^) 

Zahlreiche  spätere  Versuchsreihen  hatten  die  Bestimmung  des  numerischen 
Werthes  der  Abplattung  zum  Gegenstande.  Zu  ganz  übereinstimmenden  Resultaten 
fahrten  dieselben  nicht  und  hierzu  wird  es  ohne  Zweifel  noch  vieler  sorgsamer 
Gradmessungen  bedürfen. 

Die  ausgedehnteste  Reihe  von  Beobachtungen  rührt  von  dem  Engländer 
Edward  Sabine  her,  der  an  13  Punkten  sehr  verschiedener  Breite,  vom  Aequator 
bis  zum  80.  Breitengrade  Pendelmessungen  ausführte.  Ausser  ihm  haben  eine 
ganze  Reihe  anderer  Forscher  ähnliche  Beobachtungen  angestellt.  Neuerdings 
hat  J.  B.  Listing*)  alle  bisherigen  Messungen  und  darauf  basirte  Berechnungen 
einer  eingehenden  Revision  und  theilweisen  Neuberechnung  unterworfen.  Die 
von  ihm  erhaltenen  Werthe  können  augenblicklich  wohl  für  die  der  Wahr- 
heit am  nächsten  kommenden  gelten.  Für  die  Abplattung  der  Erde  nimmt  er 
den  Werth  ^-j  an,  d.  h.  also  dieselbe  beträgt  den  288.  Theil  des  Erddurch- 
messers. Diese  Zahl  stimmt  mit  dem  von  Sabine  gefundenen  Werthe  nahezu  Über- 
ein. Die  von  Bessel  aus  zehn  verschiedenen  Gradmessungen  berechneten  Werthe  für 
die  Langen  der  Erdachsen  sind:  die  Polarachse  =  17 13  geogr.  Meilen,  die  Aequatorial- 
achse  =  1719  Meilen;  der  Aequatorialhalbmesser:  6  Million  377397  Meter,  der 
Polarhalbmesser:  6Million  356078  Meter,  die  Differenz  beider  gleich  21  319  Meter 
oder  4^  mal  so  viel  als  die  Höhe  des  Montblanc.  Der  Werth  für  die  Abplattung, 
der  sich  hieraus  ergiebt,  ist  ^|^. 

Zwischen  den  beiden  angegebenen  Werthen  ,|^  —  -^  schwankt  also  noch 
heute  die  Annahme  für  die  Abplattung;  denn  auch  den  BESSEL'schen  Bestimmungen 
^ird  ganz  besonders  von  Astronomen  eine  grosse  Zuverlässigkeit  zuerkannt  und 
mit  dem  von  Airv  berechneten  Werthe  stimmen  sie  fast  vollkommen  überein, 
obwohl  beide  Astronomen,  von  verschiedenen  Grundlagen  ausgehend,  verschiedene 
Methoden  der  Rechnung  in  Anwendung  gebracht  hatten. 

*)  Die  Abplattung  der  Erde  lässt  sich  auch  noch  auf  einem  dritten  Wege  erkennen,  näm- 
lich durch  astronomische  Berechnung  aus  der  Mondbewegung.  Es  erschien  nicht  nöthig,  darauf 
hier  näher  einzugehen. 

*)  Gestalt  und  Grösse  der  Erde.    Göttingen  1872.     pag.  10  ff. 

KusuGorr,  Min.«  Geol.  u.  Pal.    I.  ly 


258  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologte. 

Ebenso  entbehrt  auch  die  Feststellung  der  Grösse  des  Erdkörpers  und 
der  Erdoberfläche  noch  der  vollkommenen  Sicherheit  und  Genauigkeit.  Da  die 
Länge  eines  Erdhalbmessers  noch  nicht  bis  auf  ein  Kilometer  genau  festgestellt  ist»  so 
sind  natürlich  die  Werthe  für  das  Oberflächenareal  ebenfalls  noch  sehr  ungenau. 
Nach  Listing  beläuft  sich  diese  Unsicherheit  unserer  Kenntniss  des  Areals  der 
Erdoberfläche  immerhin  noch  auf  den  fünffachen  Flächeninhalt  der  Insel  Sicilien. 

Die  Oberfläche  der  Erde  beträgt  aber  angenähert  51000  Millionen  Hektxuren 
und  ihr  Volumen  1082  841  Millionen  Kubikmeter. 

Von  weit  grösserer  Bedeutung  fiir  die  Geologie  und  die  Entwickelungsge- 
schichte  der  Erde  ist  die  Kenntniss  ihrer  Dichte  oder  ihres  specifischen 
Gewichtes.    Man  versteht  hierunter  bekanntlich  den  Quotienten  aus  Masse  und 

Volumen,  d.  h.  die  Dichte  ^  =  — . 

V 

Gleichartig  zusammengesetzte  oder  homogene  Körper  sind  für  alle  einzelnen 
Theile  gleich  dicht,  ungleichartig  zusammengesetzte  besitzen  ein  durchschnittliches 
oder  mittleres  spec.  Gew.,  das  nicht  mit  dem  der  einzelnen  Theile  übereinstimmt. 
Sind  aber  für  einen  solchen  Körper  bekannt:  die  Dichtigkeit  einzelner  Theile  und 
auch  seine  durchschnittliche  oder  mittlere  Dichte,  so  lässt  sich  daraus  die  Dichte 
der  fehlenden  Theile  berechnen,  sowie  andererseits  auch  aus  dem  bekannten 
spec.  Gewichte  aller  einzelnen  Theile  sich  das  mittlere  spec.  Gewicht  des  zu- 
sammengesetzten Körpers  ergiebt. 

Darauf  beruht  zunächst  die  Wichtigkeit  der  Bestimmung  der  mittleren 
Dichte  der  Erde,  deren  oberflächliche  Theile  uns  bekannt  sind,  dass  daraus 
Schlüsse  auf  das  unbekannte  Innere  gezogen  werden  können. 

Die  zur  Bestimmung  der  mittleren  Dichte  der  Erde  angewendeten  Methc»den 
sind  verschieden;  sie  beruhen  aber  alle  darauf,  dass  die  Anziehung  d.  h.  die 
Schwerkraft  der  Erde  verglichen  wird  mit  der  Anziehung  von  Körpern  von  genau 
bekannter  Dichtigkeit.  Es  kommt  hierbei  der  Satz  zur  Anwendung,  dass  die  An- 
ziehungen zweier  Körper  sich  direkt  verhalten  wie  ihre  Massen,  umgekehrt 
wie  die  Quadrate  der  Entfernungen  und  ferner,  dass  die  Massen  sich  ver- 
halten wie  die  Produkte  aus  Volumen  und  Dichte. 

Wenn  wir  mit  A  und  a  die  Anziehungskraft  zweier  Körper  auf  einen  dritten, 
mit  E  und  e  die  Entfernungen  derselben  von  diesem  und  mit  Mund  m  ihre  Massen 
bezeichnen,  so  drücken  sich  diese  Gesetze  in  folgenden  Gleichungen  aus: 

A\a  =  MiPL 

Aus  dem  oben  gegebenen  Begriff  der  Dichte  </  =  —  folgt  aber,  dass  Af  = 


n 

•  F  und  m  - 

=  ä'V 

daher 

A: 

a  =  £>  Vidv 

und  auch 

M\m 

—  DV\ 

diK 

Da  aber  auch 

A 

:^  =  ^«  : 

E\ 

so 

ist  endlich 

auch 

A\a 

d  -  V 

Ist  also  in  einem  Falle  die  Anziehung  A  und  a  bestimmt,  die  Masse  des 
einen  der  beiden  Körper  und  die  Entfernung  beider  von  einem  dritten  bekannt, 
so  lässt  sich  die  Masse  des  zweiten  berechnen.  Aus  der  Kenntniss  des  Vohimcns 
folgt  dann  die  Dichte.  Im  vorliegenden  Falle  ist  die  gesuchte  Dichtigkeit  D  die 
der  Erde. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  259 

Vier  verschiedene  Wege  sind  eingeschlagen  worden,  um  die  Anziehungskraft 
der  Erde  mit  der  eines  anderen  Körpers  von  bekannter  Masse,  Dichtigkeit  und 
Volumen  zu  vergleichen.  Die  erste  Methode  beruht  auf  der  Bestimmung  der 
Ablenkung  des  Bleilothes  aus  der  Verticalstellung  unter  der  seitlich  wirkenden 
Anziehung  eines  Berges,  der  aus  bekannten  Gesteinen  von  bestimmtem  spec. 
Gewicht  zusammengesetzt  und  seinem  Volumen  nach  zu  berechnen  ist 

Das  Verdienst,  auf  diese  Weise  zuerst  die  Dichtigkeit  der  Erde  bestimmt 
zu  haben,  kommt  dem  bekannten  Geologen  Hutton  zu,  der  auch  für  die  richtige 
Erkenntniss  der  vulkanischen  und  plutonischen  Vorgänge  bahnbrechend  gewesen 
ist.  In  Vereinigung  mit  seinem  Landsmann  Maskelvne  stellte  er  in  den  Jahren 
1774 — 76  Beobachtungen  über  die  Ablenkung  an,  die  der  Berg  Shehallien  in 
Peitshire  (Schottland)  auf  das  Bleiloth  ausübte.  Das  Verhältniss  des  Winkels, 
um  welchen  das  Loth  abgelenkt  wird,  zum  rechten  Winkel  ist  gleich  dem  Ver- 
hältnisse der  Anziehung  der  Masse  des  Berges  zu  der  der  Masse  der  Erde.  Wird 
Volumen  und  mittlere  Dichte  des  Berges  berechnet  (gerade  diese  Werthe  waren 
bei  der  Gestalt  und  Gesteinszusammensetzung  des  Shehallien  gut  zu  erhalten), 
so  kann  man  bei  bekanntem  Volumen  der  Erde  nach  dem  obigen  Satze  ihre 
Dichte  entwickeln.  Hutton  erhielt  auf  diese  Weise  den  Werth  4,7  für  />,  den 
er  später  aber  auf  5  erhöhte.  Playfair  und  Sevmons  haben  ebenfalls  später  die 
Berechnung  unter  möglichst  eingehender  und  genauer  Feststellung  aller  örtlichen 
Verhältnisse  erneuert  und  dann  das  Resultat  D  =  4,867  erhalten. 

Eine  zweite  Methode  gründet  sich  auf  die  Anwendung  der  sog.  Drehwaage. 
Man  versteht  darunter  im  Allgemeinen  ein  von  Coulomb  erfundenes  Instrument, 
mittelst  dessen  man  sehr  geringe  Kräfte  zu  messen  vermag;  sie  dient  gewöhnlich 
zur  Messung  schwacher  elektrischer  und  magnetischer  Ströme.  In  einfachster  Form 
besteht  sie  aus  einem  in  horizontaler  Lage  im  Schwerpunkte  an  einem  Faden 
aufgehängten  Holzstäbchen,  an  dessen  beiden  Enden  sich  zwei  gleichgrosse 
Metallkugeln  befinden.  Vermöge  seiner  Schwere  kommt  der  horizontale  Balken 
zur  Ruhe,  die  Schwere  ist  aber  die  Anziehungskraft  der  Erde. 

Nähert  man  den  Kugeln  des  Stabes  einen  Körper  von  bekannter  Masse  und 
Dichte,  so  zieht  dieser  dieselben  an,  bringt  den  Balken  aus  seiner  Lage  und  ver- 
setzt ihn  in  Schwingungen,  deren  Ausschlag  die  Grösse  der  Anziehung  bestimmen 
lässt    Aus  dieser  kann  man  wie  oben  wieder  auf  die  Dichte  der  Erde  schliessen. 

Es  erheischt  nun  die  Ausftihrung  solcher  Versuche  einen  mit  ganz  besonderen 
Vorsichtsmaassregeln  versehenen  Apparat,  um  jeden  störenden  Einfluss  auszu- 
schliessen.  Wegen  der  näheren  Beschreibung  eines  solchen  mag  auf  die  Lehr- 
bücher der  Physik  verwiesen  werden,  i) 

Versuche  mit  der  Drehwaage  wurden  zuerst  von  Michell  und  Cavendish 
ausgeführt;  bei  Anwendung  von  Bleikugeln  ergaben  dieselben  für  />  =  5,48. 
Reich  erhiel  t  später  bei  sehr  sorgfaltig  ausgeführten  Versuchsreihen  unter  Anwen- 
dung gusseisemer  Kugeln  D  =  5,49.  Ebenso  berechnete  Baily  als  Mittel  aus 
über  2000  Beobachtungen  D  =  5,66.  Im  Jahre  1872  unternahmen  Cornu  und 
Baille  eine  fernere  grosse  Zahl  erneuerter  Bestimmungen  nach  dieser  Methode 
und  erzielten  für  die  in  den  Sommer  fallende  Beobachtungsreihe  D  =  5,56,  für 
den  Winter  den  etwas  kleineren  Werth  D  =  5,50.^ 

Die  Anwendung  der  Drehwaage   hat    vor  den  anderen  Methoden  ziemlich 


*)  Z.  6.  BiARBACH's  physik.  Lexicon,  Artikel  Erde,  Bd.  II.,  pag.  909. 

*)  PESCHEL-LEn>OLDT,  Phys.  Erdkunde,     p.  181.     Compt  rend.  LXXVI.    1873.     P«  9S4* 

17* 


26o  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

wesentliche  Vorzüge.  Einmal  kann  man  dabei  von  Kugeln  aus  verschiedenen 
Materien  ausgehen  und  muss  doch  übereinstimmende  Resultate  erhalten,  dann 
aber  hat  man  nicht  nöthig,  hypothetische  Annahmen  über  die  Zusammensetzung 
und  Gestaltung  eines  zur  Berechnung  in  Betracht  kommenden  Theiles  der  Erd- 
rinde zu  machen.  Und  so  sind  die  so  erhaltenen  Werthe  Hir  die  Dichte  der 
Erde  auch  die  zuverlässigsten  und  stimmen  untereinander  am  nächsten  überein. 

Eine  dritte  Methode  zur  Bestimmung  der  Erddichte  geht  wieder  von  Pendel- 
beobachtungen aus:  sie  vergleicht  die  wirkliche  Länge  eines  Secundenpendels 
auf  dem  Gipfel  eines  hohen  Berges  mit  der  von  irgend  einem  Punkte  am  Meere 
ausgehend  theoretisch  berechneten  Länge  eines  solchen  Pendels  in  der  gleichen 
Höhe  jenes  Berges,  aber  in  freier  Luft.  Die  Differenz  zwischen  der  wirklich 
gefundenen  Länge  des  ersteren  Pendels  und  der  berechneten  Länge  des  anderen 
ist  die  Folge  der  anziehenden  Wirkung  der  Masse  des  Berges,  die  wieder  an- 
nähernd bekannt  sein  muss.  Caruni  erhielt  nach  dieser  Methode  auf  dem  Mont 
Cenis  den  später  von  Schmtot  neu  berechneten  Werth  D  =  4,837. 

Nahe  verwandt  ist  die  vierte  Methode.  Die  Pendelschwingungen  gleich  langer 
Pendel  oder  die  verschiedenen  Längen  von  Secundenpendel  in  sehr  tiefen  Berg- 
werken und  an  der  Erdoberfläche  werden  mit  einander  verglichen.  Hieraus  ist 
der  Einfluss  des  Theiles  der  Erde  auf  die  Pendel  zu  bestimmen,  der  zwischen 
den  beiden  Beobachtungsstationen  liegt.  Dieser  ist  gleichzeitig  durch  den  Berg- 
bau erschlossen  und  daher  bezüglich  seiner  Masse  ziemlich  gut  bekannt.  Arev 
stellte  solche  Versuche  in  der  Kohlengrube  Harton  bei  Newcastle  an,  die  Re- 
sultate derselben,  durch  Haughton  einer  erneuerten  Berechnung  unterworfen, 
ergaben  D  =  5,48.  Ebenso  berechnete  Drobisch  nach  Beobachtungen  in  den 
Gruben  von  Dolcoath  in  Comwall  für  Z?  ==  5,43. 

Es  kann  somit  unter  Zugrundelegung  der  meist  übereinstimmenden  und 
zuverlässigsten  Versuchsreihen  der  Werth  5,5  als  der  mittleren  Dichte  der  Erde  ent- 
sprechend angenommen  werden.  Jedenfalls  ist  dieselbe  grösser  als  die  Dichte  des 
Magneteisens,  die  auf  rund  5  angenommen  werden  kann  (4,9 — 5,2).  Da  nun  aber 
die  oberen  Theile  der  Erdfeste  soweit  uns  dieselbe  zugänglich  ist  und  wir  die 
Gesteine  kennen,  die  dieselbe  zusammensetzen,  nur  eine  durchschnittliche 
Dichte  von  2,5  besitzen,  ein  Werth,  der  sich  bis  auf  1,5  herabsetzt,  werm  wir  in 
Betracht  ziehen,  dass  der  grösste  Theil  der  Erdoberfläche  von  Wasser  bedeckt 
ist,  das  nur  das  spec.  Gewicht  i  hat,  so  ist  also  der  Schluss  ein  vollkommen 
gerechtfertigter,  dass  die  Erde  in  ihrem  Inneren  eine  sehr  viel  grössere  Dichte 
besitzen  müsse,  um  den  hohen  durchschnittlichen  Werth  des  spec.  Gewichte.-» 
erhalten  zu  können. 

Dass  die  Dichte  nach  dem  Centrum  der  Erde  zunehme,  kann  somit  als  ge- 
wiss gelten;  das  Gesetz  der  Zunahme  ist  noch  unbekannt,  wenngleich  es  nicht 
an  Versuchen  fehlt,  es  zu  bestimmen.  L£g£NDRE  hat  zuerst  ein  Gesetz  dieser 
Zunahme  aufgestellt,  das  auch  Laplace  in  seiner  M^canique  Celeste  adoptirt  hat. 
Hiernach  ist  die  Dichte  von  dem  Druck  abhängig  und  zwar  in  der  Weise,  dass 
die  durch  eine  bestimmte  Druckzunahme  erfolgende  Compression  um  so  geringer 
ist,  je  grösser  die  vorhandene  Dicke  bereits  ist:  d.  h.  die  Zunahme  der  Dichte 
durch  Vermehrung  des  Druckes  um  den  Betrag  einer  Atmosphäre  ist  umgekelm 
proportional  der  schon  vorhandenen  Dichte.  Hiemach  würde,  an  der  Oberfläche 
der  Erde  2,5  angenommen,  die  Dichte  der  Erdmasse  in  der  Mitte  des  Halb- 
messers ■=  8,5  sein,  im  Mittelpunkte  =  11,3.    Auf  Grund  eines  anderen  Gesetzes» 


Der  Erdball  als  Games  und  seine  BeschafTenheit.  261 

kam  E.  Roche  ^)  durch  theoretische  Betrachtungen  zu  ähnlichen  Resultaten.  An 
der  Erdoberfläche  fand  er  die  Dichte  =  2,1;  in  der  Mitte  des  Erdradius  =  8,5, 
im  Centrum  =  10  •  6,  also  ungefähr  die  Dichte  des  ged.  Silbers  (nach  G.  Rose 
=  10,5). 

Man  darf  freilich  solchen  theoretischen  Speculationen  nur  bedingungsweise 
eine  Bedeutung  beimessen.  Denn  die  grosse  Verschiedenartigkeit  der  Bestand- 
theile,  die  gänzlich  unbekannte  Rolle,  welche  möglicher  Weise  Gase  von  enormer 
Tension  im  Inneren  der  Erde  spielen,  endlich  die  in  ihren  Wechselwirkungen 
sowenig  wie  in  ihren  gegenseitigen  Grenzen  bestimmbaren  physikalischen  Vor- 
gänge, die  mit  der  stetigen  Zunahme  des  Druckes  und  der  gleichzeitigen 
Steigerung  der  Temperatur  im  Inneren  der  Erde  eingeleitet  werden,  erschweren 
jedenfalls  die  Erkenntniss  der  Gesetze,  nach  welchen  die  Zunahme  der  Dichtig- 
keit fortschreitet. 

Das  gilt  ebenso  für  die  Gesetze,  nach  denen  die  Wärme  im  Erdkörper 
vertheilt  ist. 

Als  Quelle  der  Wärme  auf  und  in  der  Erde  kommt  zweierlei  in  Betracht, 
einmal  die  Wärme,  welche  der  Erde  von  Aussen  zugeführt  wird  und  die- 
jenige, welche  sie  durch  die  in  ihrer  eigenen  Entwickelung  bedingten  Vorgänge 
als  Eigenwärme  besitzt.  Für  die  erstere  ist  nur  eine  Quelle  hier  in  Betracht  zu 
ziehen,  die  Sonne;  denn  von  der  Wärme,  welche  noch  auf  anderem  Wege  aus 
dem  Welträume  der  Erde  zustrahlt,  kann  man  füglich  absehen,  da  darüber 
noch  keinerlei  sichere  und  vollkommen  bestätigte  Beobachtungen  vorliegen. 

Während  in  der  Atmosphäre  und  bis  in  die  Oberfläche  der  Erde  hinein  die 
von  der  Sonne  der  Erde  zustrahlende  Wärme  vorherrscht,  hat  im  Inneren  des 
Erdkörpers  die  Eigenwärme  das  Uebergewicht.  Beide  Zonen  sind,  wie  im 
Folgenden  gezeigt  wird,  durch  eine  bestimmte  Grenzlinie  getrennt. 

Die  von  der  Sonne  der  Erde  zugeführte  Wärmemenge  erscheint  als  eine  sehr 
grosse,  wenn  ihrer  Bestimmung  die  Betrachtungen  Pouillet's  zu  Grunde  gelegt 
werden.  Nach  diesem  entsendet  die  Sonne  in  der  Minute  auf  jeden  Quadratcentimeter 

1,76 


normal  zu  den  auffallenden  Sonnenstrahlen  eine  Zahl  von  Wärmeeinheiten  = 


1000* 


2 
Eine   erneuerte   Berechnung   durch   M.  Crova    bringt    diese  Zahl   auf  .^) 

Daraus  würde  sich  für  die  ganze  von  den  Strahlen  betroffene  Oberfläche  in  der 

Minute  der  Werth  berechnen 

2irra 

100 
worin  r  der  Erdradius  ist,  in  Centimetern  ausgedrückt. 

Ist  nun  eine  Wärmeeinheit  gleich  425  Kilogrammmeter  d.  h.  =  einer  mecha- 
nischen Kraft,  gleich  derjenigen,  die  425  Kilogramm  um  i  Meter  zu  heben  und 
eine  Wärmeeinheit  zu  erzeugen  vermag,  unter  letzterer  die  Wärmemenge  ver- 
standen, die  I  Kilogramm  Wasser  um  1°  C.  zu  erwärmen  ausreicht,  so  hat  man 

dann  für  die  Minute: 

2itr«»425 

1000 
dieses  noch  durch  60  dividirt  für  die  Secunde.     Hieraus  ergiebt  sich  durch  Divi- 
sion mit   75  die  Zahl    der  Pferdekräfle  Dampf,    denen    die  Wärme  Wirkung   der 

*)  Radau,   Constitution  Interieure  de  la  terre.     Paris  1880. 
*)  Comptes  rendus  LXXXI.   1205. 


262  Mineralogiei  Geologie  und  Palaeontologie. 

Sonne  gleichkommt.     Hiernach  würde  diese  nur  auf  unsere  Erde  die  Summe  von 
200  Trillionen  Pferdekräfte  Dampf  betragen.^) 

Es  würde  diese  Wärme,  in  einem  Jahre  gleichmässig  vertheilt,  ausreichen, 
um  eine  Eisschicht  von  31  Meter  Dicke  über  die  ganze  Erdoberfläche  hin  zum 
Schmelzen  zu  bringen.  Dennoch  ist  der  Einfluss  der  von  der  Sonne  der  Erde 
zustrahlenden  Wärme  nur  ein  ganz  geringer  und  nur  oberflächlich  an  derselben 
in  den  Schwankungen  der  Temperaturen  der  Atmosphäre  und  des  Bodens  wahr- 
zunehmen. 

Die  Sonnenstrahlen  werden  auf  ihrer  Bahn  zur  Erde  zum  Theil  von  der 
Atmosphäre  absorbirt  und  diese  dient  hierdurch  sowohl  als  ein  Reservoir  für  die 
in  ihr  sich  ansammelnde  Wärme,  als  auch  regulirt  sie  die  Vertheilung  der  Wärme 
an  der  Erdoberfläche. 

Die  Schwankungen  in  der  Temperatur  der  Atmosphäre,  wie  sie  von  der 
Stellung  der  Sonne  nach  den  Tages-  und  Jahreszeiten  abhängig  sind,  theilen  sich 
der  Erdoberfläche  mit  und  diese  empfangt  ausserdem  einen  Theil  der  durchge- 
lassenen Wärmestrahlen  direkt.     Das  lässt  sich  in  der  That  überall  beobachten. 

Die  Atmosphäre  erhitzt  sich  je  nach  der  geographischen  Lage  des  Ortes  bis 
zu  30  und  mehr  Grad,  dagegen  steigt  die  Temperatur  des  Bodens  unter  der  Ein- 
wirkung der  Insolation  bis  zu  75°  und  sogar  noch  höher.  Die  Schwankungen  in 
den  Bodentemperaturen  sind  daher  weit  grösser  wie  in  der  Atmosphäre;  weniger 
variabel  wie  diese  ist  dagegen  das  Meer,  dessen  thermische  Verhältnisse  später 
noch  besonders  betrachtet  werden  sollen. 

In  Folge  der  guten  Wärmeleitungsfahigkeit  des  Bodens  strahlt  dieser  in  der 
Nacht  die  empfangene  Wärme  schneller  wieder  aus  und  kühlt  sich  in  Folge 
dessen  auch  bedeutend  ab.  So  lassen  sich  in  demselben  sehr  wohl  die  täglichen 
und  auch  die  jährlichen  TemperaturdiflTerenzen  unterscheiden. 

Sowie  man  aber  von  der  Oberfläche  in  den  Erdboden  eindringt,  nimmt  diese 
Variabilität  in  der  Temperatur  ausserordenüich  schnell  ab,  es  wird  sehr  bald  eine 
Zone  erreicht,  in  der  die  täglichen  Schwankungen  nicht  mehr  fühlbar  sind. 
Nach  QuETELET  hören  dieselben  z.  B.  in  Brüssel  schon  in  1,23  Meter  Tiefe  auf. 
In  nicht  sehr  grosser  Tiefe  hören  auch  die  Difterenzen  der  Jahreszeiten  auf,  Man 
erreicht  dann  eine  Zone,  in  der  die  Temperatur  constant  ist,  und  auch  in  grösseren 
Tiefen  für  jeden  Ort  der  Tiefe  constant  bleibt.  Diese  Zone  der  Erdrinde  be- 
zeichnet man  als  die  invariabele  Erdschicht.  Unterhalb  der  oberen  Grenze 
der  invariabelen  Erdschicht  tritt  das  umgekehrte  Verhältniss  ein,  wie  über  der- 
selben. Während  hier  von  der  Erdoberfläche  aus  eine  Abnahme  der  Tempera- 
turen sich  ergiebt,  nimmt  dort  die  Temperatur  nach  der  Tiefe  hin  zu. 

Die  obere  Grenze  der  invariabelen  Erdschicht  ist  für  die  verschiedenen 
Gegenden  und  Orte  in  verschiedener  Tiefe  gelegen  Ihre  Lage  hängt  ab  von 
den  Differenzen  der  maximalen  und  minimalen  Jahrestemperaturen  für  jeden  Ort 
und  von  der  Beschaffenheit  und  vorzüglich  der  Leitungsfahigkeit  des  Bodens 
unter  diesem.  Sie  ist  wohl  nirgendwo  tiefer  als  ca.  30  Meter  und  nirgendwo  riel 
weniger  tief  als  i  Meter.  In  den  Kellern  des  Observatoriums  von  Paris  befindet 
sich  in  28  Meter  Tiefe  ein  Thermometer,  das  schon  seit  100  Jahren  unverändert 
dieselbe  Temperatur  11,83°  C.  zeigt 

In  den  Gegenden,  wo  die  Differenzen  zwischen  den  höchsten  Somrocr- 
und   niedrigsten  Winter  -  Temperaturen   nur   gering   sind,    liegt    die    Zone    der 


')  Lapparent,  Traite  de  geognosie.     p.  85. 


Der  Erdball  als  Ganxes  und  seine  Beschaffenheit.  263 

Constanten  Temperatur  ebenfalls  in  geringer  Tiefe.  Im  Allgemeinen  ent- 
spricht die  Temperatur  der  Grenzzone  der  invariabelen  Erdschicht  der  mittleren 
Jahrestemperatur  für  den  Ort.  So  erklärt  es  sich,  dass  unter  dem  Aequator  die 
constante  Temperatur  schon  in  i — 2  Meter  Tiefe  sich  findet  und  da  die  mittlere 
Jahrestemperatur  eine  sehr  hohe  ist,  dass  daher  auch  in  dieser  Tiefe  noch  die 
entsprechende  hohe  Temperatur  herrscht  und  somit  die  aus  der  Tiefe  auf- 
steigenden Quellwasser  nirgendwo  eine  erfrischende  Kälte  besitzen,  wie  es  in  den 
gemässigten  Zonen  der  Fall  ist.  Das  umgekehrte  Verhältniss  waltet  in  den  Polar- 
gegenden ob.  Auch  hier  sind  die  Differenzen  der  Jahrestemperaturen  nur  sehr 
gering  und  die  invariabele  Erdschicht  beginnt  daher  schon  in  3 — 4  Meter  Tiefe; 
die  mitüere  Jahrestemperatur  aber  liegt  dem  Nullpunkte  nahe  oder  sogar  unter 
demselben  und  so  erscheinen  z.  B.  schon  in  Island  alle  Quellen  von  einer  con- 
stanten  eisigen  Temperatur,  die  der  im  Sommer  spärlich  sich  entwickelnden 
Vegetation  nur  schädlich  wird,  wenn  die  Wasser  unmittelbar  damit  in  Be- 
rührung kommen^). 

Wo  die  mittlere  Jahrestemperatur  den  Nullpunkt  nicht  erreicht,  da  muss  also 
auch  in  der  oberen  Zone  der  constanten  Temperatur  dasselbe  der  Fall  sein.  Je 
liefer  unter  Null  die  Jahrestemperatur  gelegen  ist,  um  so  tiefer  wird  auch,  trotz 
der  unter  der  Grenze  der  invariabelen  Schicht  eintretenden  Zunahme  der  Tempe- 
ratur noch  der  gefrorene  Boden  in  die  Tiefe  hinab  reichen  müssen.  Damit 
stimmen  auch  die  in  Sibirien  gemachten  Erfahrungen  vollkommen  überein. 

Am  weissen  Meer  fanden  im  Jahre  1873  die  Gebrüder  Aubel  kurz  nach  dem 
höchsten  Stande  der  Sonne  an  einem  recht  heissen  Tage  in  i  Meter  Tiefe  unter 
dem  mit  Vegetation  bedeckten  Boden  eine  Eisschicht.  Ebenso  besitzt  nach  diesen 
auch  die  Halbinsel  Kanin  einen  bis  tief  in's  Innere  gefrorenen  Boden 3).  Die 
volle  Bestätigung  dieser  Thatsache  war  schon  früher  im  Jahre  1836  durch  den 
dieserhalb  viel  genannten  Pumpenschacht  des  Fedor  Schergin  zu  Jakutsk  in 
Sibirien  gegeben  worden.  Im  Jahre  1828  begonnen,  hatte  dieser  Bnmnen  1837 
eine  Tiefe  von  116^  Meter  erreicht,  ohne  dass  man  die  Grenze  des  Bodeneises 
fand;  die  hier  von  Schergin  beobachtete  Temperatur  war  —  0,6°.  Später  im 
Jahre  1844  wurde  der  Brunnen  von  v.  Middendorff  im  Auftrage  der  Peters- 
burger Akademie  durch  eine  Reihe  von  Temperaturbestimmungen  sorgfaltigst 
untersucht *<*).  Hierbei  ergab  sich,  dass  schon  in  einer  Tiefe  von  6  Meter  die 
mittlere  Jahrestemperatur  von  Jakutsk  mit  — 10,15°  C.  erreicht  wurde.  Von  hier 
an  nahm  die  Temperatur  stetig  zu  und  am  Boden  des  Brunnens  zeigte  das 
Thermometer  noch  —  3°.  Es  würde  hiernach  die  Wärmezunahme  auf  je  15,4  Meter 
i**  C.  betragen  haben.  Die  Tiefe  der  unteren  Grenze  des  gefrorenen  Erdbodens 
berechnete  v.  Middendorff  auf  186,5 — 195,7  Meter.  Erst  in  dieser  Tiefe  würde 
man  also  wohl  das  Wasser  erreicht  haben.  Jedoch  sind  diese  Resultate  unzweifel- 
haft zu  hoch  und  der  ursprünglich  gefundene  Werth  von — 0,6°  in  116  Meter  Tiefe 
entspricht  mehr  der  Wirklichkeit,  wie  das  auch  der  Umstand  beweist,  dass  zu 
derselben  Zeit  ein  in  der  Steppe  Katchongin  abgeteufter  Brunnen  das  Wasser  in 
einer  Tiefe  von  126  Meter  thatsächlich  erreichte. 

Die  Grenzlinie,  von  der  nördlich  die  Gebiete  gelegen  sind,  in  denen  die  mittlere 
Jahrestemperatur  unter  0°  bleibt,  bezeichnet  sonach  auch  die  Ausdehnung  der  ewig 


0  Dove,  Arch.  der  königl.  Akad.  d.  W.     Berlin  1846,  368. 

^  H.  u.  K.  AUBEL,  Ein  Polarsommer.     Leipzig  1874.  pag.  191,  292. 

^  Vergl.  Humboldt,  Kosmos  Bd.  IV.  46. 


264  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

gefrorenen  invariabelen  Bodenschicht  nach  Süden  zu;  diese  Linie  verläuft  rings 
um  die  polaren  Regionen  im  Allgemeinen  zwischen  dem  56  und  64®  N.  B. 
schwankend. 

Von  der  oberen  Grenze  der  Zone  der  constanten  Temperatur  im  Erdinneren 
an,  nimmt  aber  mit  der  Tiefe  die  Temperatur  stetig  zu,  wie  dieses  aus  zahllosen, 
verschiedenartigen  Beobachtungen  ganz  übereinstimmend  sich  ergeben  hat. 

Da  die  obere  Grenze  der  invariabelen  Erdschicht  in  verschiedener  Tiefe  ge- 
legen und  die  in  derselben  herrschende  constante  Temperatur  je  nach  der  geogr. 
Lage  eine  sehr  ungleiche  fiir  die  verschiedenen  Gegenden  ist,  so  folgt  daraus, 
dass  wenn  man  durch  alle  Punkte  in  gewisser  Tiefe  unter  der  Oberfläche  der 
Erde,  an  denen  die  gleiche  constante  Temperatur  herrscht,  sich  Ebenen  gelegt 
denkt,  diese  sehr  unregelmässig  gestaltete  und  keineswegs  in  irgend  einer  Be- 
ziehung zur   sphäroidischen  Gestalt  der  Erde  verlaufende  Flächen  sein  müssen. 

Diese  Flächen  nennt  man  Ch tonisothermen  oder  besser  Isogeothermen. 
Dass  dieselben  mit  der  grösseren  Tiefe  ihre  unregelmässige  Gestalt  immer  mehr 
verlieren,  einen  mehr  und  mehr  concentrischen  Verlauf  annehmen  und  sich  der 
ellipsoidischen  Gestalt  der  Erde  selbst  nähern,  ist  sehr  wahrscheinlich. 

An  der  Erdoberfläche  ist  der  Verlauf  der  Isogeothermen  wesentlich  beein- 
flusst  durch  das  Relief  jener  und  die  Temperatur  der  Atmosphäre. 

Von  der  Erdoberfläche  aus,  z.  B.  von  dem  Nullpunkte  der  Niveauscalen,  d,  h. 
der  Meereshöhe  anfangend,  zeigt  sich  aufwärts  in  der  Atmosphäre  eine  allmähliche 
Abnahme  der  Temperatur.  Die  Grösse  in  Meter  ausgedrückt,  um  welche  man  in 
die  Höhe  steigen  muss,  um  1°  Temperatur  ab  nähme  zu  erhalten,  bezeichnet  man 
als  die  aerothermische  Höhenstufe.  In  gleicher  Weise  wird  innerhalb  der 
Erdfeste  die  Grösse  in  Metern,  um  welche  man  nach  dem  Mittelpimkte  der  Erde 
fortschreiten  muss,  um  1°  Temperatur  zu  nähme  zu  erhalten,  geo  thermische 
T  i  e  f  e  n  s  t u  f  e  genannt.  Die  aerothermischen  Höhenstufen  (nach  Bischoff  im  Mittel 
542  P.  F=  175  Meter)  sind  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  ungefähr  5 — 6  mal 
grösser  als  die  geothermischen  Tiefenstufen. 

Nun  wird  die  mittlere  Temperatur  der  oberflächlichen  Bodenschichten  wesent- 
lich durch  die  mittlere  Temperatur  der  Luft  bestimmt,  man  kann  beide  annähernd 
gleich  setzen.  Folglich  ist  auch  die  Temperatur  der  Oberfläche  höher  gelegener 
Bergtheile  abhängig  von  den  aerothermischen  Höhenstufen.  Da  diese  aber 
5 — 6  mal  so  gross  sind,  wie  die  geothermischen  Tiefenstufen,  so  müssen  die  Iso- 
geothermen innerhalb  eines  Berges  zwar  nothwendig  auch  aufwärts  steigen,  alKr 
in  viel  geringerem  Maasse  als  der  im  Profil  sich  ausdrückende  Contur  des  Berges : 
die  Isogeothermen  stellen  daher  flachere  Sättel  dar,  als  die  Bergformen  selbst. 
So  erhalten  auch  die  Isogeothermen  unter  den  grossen  Wasserbecken  der  Erde  zwar 
eine  concave  Form  wie  diese,  aber  wiederum  sind  die  Tiefenstufen  in  der  Erde 
kürzer  als  im  Wasser,  d.  h.  die  Muldengestalt  jener  Linien  ist  ebenfalls  eine  flachere 
als  die  der  Wandungen  jener  Becken. 

Für  die  Beobachtungen  über  die  Temperaturzunahme  im  Inneren  der  Erde 
geht  hieraus  das  schon  von  Cordier  erkannte,  von  Bischoff  und  Herschel  dann 
aber  erst  bestimmt  ausgesprochene  Gesetz  hervor,  dass  die  geothermische  Tiefen- 
stufe nur  in  der  Normalen  der  Terrainböschung  richtig  gemessen  werden  kann. 
In  grossen  Ebenen  ist  dieses  die  Verticale,  im  Gebirge  aber  und  auf  stark  ein- 
seitig geneigten  Plateau's  müssen  die  unterirdischen  Beobachtungspunkte  jcdc^maI 
mit  dem  Durchschnittspunkte  der  auf  die  nächste  Böschung  gezogenen  Normalen 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  265 

in  Vergleichung  gestellt  werden.    Erst  in  grösserer  Tiefe  ist  ein  allgemein  in  der 
Verticalen  verlaufender  Ausfluss  der  Wärme  anzunehmen^). 

Dass  ausserdem  locale  Einflüsse  und  Störungen  den  regelmässigen  Verlauf 
der  Temperaturzunahme  in  der  Erde  sehr  wesentlich  zu  beeinträchtigen  vermögen, 
das  zeigt  die  ganze  Reihe  der  vorliegenden  Beobachtungen,  die  eine  grosse  Ver- 
schiedenheit der  geothermischen  Tiefenstufen  je  nach  der  lieitungsfähigkeit  der 
Gesteine,  dem  im  Beobachtungsfelde  obwaltenden  Drucke  der  Gebirgsschichten,. 
dem  Contacte  mit  wärmeren  oder  kälteren  Wasserströmungen  im  Inneren  der  Erde 
ergeben  haben.  Für  verschiedene  Gesteine  erkennt  man  dieses  schon  aus  der 
ungleichen  Tiefe  der  invariablen  Erdschicht  überhaupt,  die  z,  B.  im  Sandstein  i^mal 
so  tief  gelegen  ist,  als  im  Basalt.  Auf  andere  Verhältnisse  wird  noch  im  Folgenden 
einzugehen  sein. 

Die  grösste  Tiefe,  bis  zu  welcher  man  überhaupt  mit  Bergwerken,  Bohr- 
löchern oder  artesischen  Brunnen  in  das  Innere  der  Erde  hat  eindringen  und 
die  Zunahme  der  Temperatur  beobachten  können,  ist  allerdings  kaum  1300  Meter, 
also  nur  den  flinftausendsten  Theil  des  Erdhalbmessers.  Es  ist  zudem  nicht 
wahrscheinlich,  dass  diese  Grenze  noch  um  ein  Erhebliches  wird  überschritten 
werden  können,  selbst  wenn  die  Technik  weitere  Fortschritte  macht.  In  grösseren 
Tiefen  setzt  der  gesteigerte  Druck,  die  hohe  Temperatur  und  die  grosse  Schwierig- 
keit der  Luftversorgung  dem  weiteren  Eindringen  des  Bergbaues  unüberwindliche 
physikalische  Schrank cn.^) 

Daher  haben  alle  Beobachtungen  über  die  Wärmezunahme  doch  nur  eine 
ganz  peripherische  Bedeutung.  Nur  unter  Zuhülfenahme  hypothetischer  Voraus- 
setzungen kann  aus  den  Erfahrungen  in  diesem  kleinen  Erdrindentheile,  emj)irisch 
auf  die  Gesetze  im  Inneren  geschlossen  werden.  Dass  das  Gebiet  der  Beobachtung 
aber  mit  diesem  nicht  angenähert  solche  Analogien  besitzt,  um  eine  empirische 
Deduction  zu  gestatten  und  die  Gültigkeit  empirischer  Gesetze  in  der  oberen 
Erdrinde  auch  für  die  grösseren  Tiefen  zu  gewährleisten,  das  erscheint  gewiss. 
Und  aus  diesem  Gesichtspunkte  sind  alle  Beobachtungen  über  die  Zunahme  der 
Temperatur  nach  dem  Erdinneren,  sowie  die  bisher  sich  daraus  ergebenden  Werthe 
für  die  Tiefenstufe  und  deren  Gesetze  zu  beurtheilen. 

Zahlreiche  Beobachtungen  über  die  Zunahme  der  Temperatur  liegen  zunächst 
aus  Bergwerken  vor,  Temperaturbestimmungen  sowohl  an  der  Grubenluft,  dem 
Gnibenwasser  oder  auch  dem  festen  Gesteine  angestellt.  Letztere  erscheinen  als 
die  zweckmässigsten,  weil  hierbei  die  durch  die  Circulation  der  beiden  ersteren 
bedingten  schädlichen  Einflüsse  vermieden  werden.  Auch  die  Beobachtungen 
im  festen  Gesteine  erfordern  alle  möglichen  Vorsichtsmaassregeln  und  den 
Ausschluss  störender  Einwirkungen.^)  Daher  ist  auch  ohne  Zweifel  eine  grosse 
Zahl  der  überhaupt  vorliegenden  Beobachtungen  nicht  von  so  zuverlässigem 
Werthe,  um  daraus  die  geotherm.  Tiefenstufe  und  die  Gesetze  der  Wärmezunahme 
l.erzuleiten.  Ueberall  ergaben  die  Beobachtungen  eine  auffallende  Variabilität 
der  geothermischen  Tiefep'otufen  oft  in  denselben  oder  nahe  gelegenen  Bergwerken. 

Eine  der  ersten  init  Berücksichtigung  aller  Vorsichtsmaassregeln  unter  der 
umsichtigen  Leitung  von  Reich   angestellten  Beobachtungsreihen  in  den  vielen 

*)  PoGGEN'>ORFF  Und  BiscHOF  haben  die  aus  einer  Vernachlässigung  dieser  Regel  sich  er- 
gebenden FeKicrqueDen  durch  Rechnung  genauer  festzustellen  versucht.  PoGGD.  Ann.  Bd.  38. 
1836.  pag.  600.    BiCHOF,  Lehrb.  d.  ehem.  Geol.    I.   136. 

*)  E.  Hüll;    The  coal  fields  of  great  Britain.     V.  Edit.    London,  Stanford  i88i.  pag.  505. 

')  VcTgl.  Naumann,  Geognosie.    Bd.  i.  pag.  43. 


266  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie 

Gruben  des  sächsischen  Erzgebirges  stellte  zwar  die  Zunahme  der  Temperatur 
nach  der  Tiefe  entschieden  fest,  sowie  auch  die  Constanz  der  Temperaturen  fiir 
jede  Tiefenstufe;  aber  ein  allgemein  gültiges  Gesetz  der  Wärmezunahme  war  dar- 
aus ebensowenig  abzuleiten,  wie  ein  bestimmter  Werth  für  die  geothermische 
Tiefenstufe.  Die  hierfür  erhaltenen  Werthe  schwankten  sehr  bedeutend  und  ge- 
statten nur  die  Annahme  eines  angenäherten  Mittels  von  130  Fuss  =  40,4  Meter. 

Nach  zahlreichen  Beobachtungen  in  Preussen  beträgt  die  geothennische 
Tiefenstufe  im  Mittel  =  54,25  Meter,  sie  schwankt  überhaupt  zwischen  den  Ex- 
tremen 15,5  und  115,5  Meter, 

Von  der  Wiederaufzählung  älterer  Versuchsreihen  wird  hier  Abstand  ge- 
nommen, dieselben  finden  sich  in  früheren  Lehrbüchern  z.  Th.  vollständig  zu- 
sammengestellt, i)  Nur  einige  neuere  Beobachtungsreihen  mögen  hier  erwähnt  werden. 

Im  Districte  der  Gruben  von  Schemnitz  in  Ungarn  hat  neuerdings  Schwaki? 
die  Wärmezunahme  bestimmt.  In  33  verschiedenen  Baustrecken  der  dortigcni 
Gruben  wurden  Quecksilberthermometer  in  Bohrlöcher  von  ca.  ^  Meter  Tiefe  einge-i 
senkt.  Das  Gestein  bestand  grösstentheils  aus  einem  HomblendeandesiL  Da  dici 
Lage  der  verschiedenen  Gruben  über  dem  Meere  eine  sehr  ungleiche  war,  sni 
umfasst  die  Verticale  der  Beobachtungen  1587  Meter  und  der  mittlere  Werth  ftir 
die  geothermische  Tiefenstufe  ergab  sich  zu  41,40  Meter,  d.  h.  eine  totalei 
Wärmezunahme  von  38,3^  für  die  ganze  Höhe.  Den  Grund  zu  sehr  bedeutendeni 
localen  Abweichungen  glaubt  Schwartz  in  der  Zersetzung  der  rfeichlich  \ori 
handenen  Kiese  sehen  zu  dürfen,^) 

In  Folge  zahlreicher  Beobachtungen  in  englischen  und  amerikanischen  Er/^ 
gruben  kam  Henwood  zu  einem  Resultate,  das  ebenfalls  den  Mittelwerthen  det 
sächsischen  und  preussischen  Beobachtungen  sehr  nahe  liegt.  Er  fand  die  geuth^ 
Tiefenstufe  zu  53  Meter,  mit  Schwankungen  zwischen  den  Extremen  von  19  Metir^ 
und  86  Meter.3) 

Im  Allgemeinen  ergaben  die  Beobachtungen  in  Kohlengruben  niedrigen^ 
Werthe  als  die  in  Erzgruben.  Ganz  auffallend  niedrig  erscheint  der  Werth  de^ 
Tiefenstufe,  wie  ihn  Mateucci  in  einer  Steinkohlengrube  bei  Monte  Massi  in  To>^ 
cana  erhielt.  Der  dortige  Schacht  ist  342  Meter  tief  und  zeigt  in  dieser  TieiVi 
die  überraschend  hohe  Temperatur  von  39,2°  C.  während  die  mittlere  Jahrestemi 
peratur  an  der  Erdoberfläche  und  in  25  Meter  Tiefe  nur  16*^  C.  beträgt.  Somit  i^^ 
die  geothermische  Tiefenstufe  hier  =13,7  Meter. ^)  Der  Schacht  steht  im  tertuircri 
Gebirge,  dem  auch  die  Kohlen  angehören;  vulkanische  Aeusscrungen  in  der  Nah-j 
machen  den  Einfluss  warmer  Quellen  oder  Gase  hierbei  nicht  unwahrscheinitcri 

Zu  Anzin  fand  de  Marsilly  folgende  Resultate:*) 

Schacht   I.    Chabaud  Latour,  Tiefe  200  Meier,     Tiefenstufe  26,73  Meter. 
n       II.  „  185      „  „  20,67       „ 

Renard  135       „  „  15,45 

Auch  diese  Werthe  bleiben  unter  denen  in  Erzgruben  gefundenen  zurück. 
Ausgedehnte  Beobachtungen   fanden  auch  in  den  englischen  Steinkohlend t> 
tricten  statt.    Hüll  theilt  in  seinem  Werke  über  die  englischen  Steinkohlenfeldct 

0  Vcrgl.  r.  B.  Naumann,  Bischof  u.  A. 

*)  Schwartz:    Nature.  April  1878. 

')  Ausland  1867.  pag.  48. 

*)  Compt.  rendus.    XVI.     1843.     937- 

»)  Revue  de  Giologie.     Xm.     7.     Paris,  Savy,   1877. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  267 

eine  Reihe  derselben  mit.i)  Beim  Abteufen  der  Schächte  der  Rose  Bridge  Grube 
zu  Ince,  bei  Wigan,  jetzt  die  tiefste  Grube  in  Grossbritanien  überhaupt,  fand  der 
leitende  Ingenieur  Mr.  Bryham  folgende  Reihe: 


Tiefe 

Art  ^pr   Scliiclitf*n 

Temperatur 

Temperatur 

in  Meter. 

XXA  %      UV-1       ^\#l»t\irUtVAl« 

der  Luft. 

des  Gesteins. 

146,8 

Blauer  Schiefer 

... 

64,5  °F- 

i7i»4 

Fester  Letten 

... 

66° 

501,6 

Blauer  Schiefer 

... 

78° 

547i2 

Letten 

.  •  . 

80° 

574,5 

Steinkohle 

73° 

83° 

606,4 

Fester  Schiefer 

75° 

85° 

623,7 

Steinkohle 

76° 

86° 

638,4 

Fester  Stein 

76° 

87° 

672,2 

,1 

76° 

88i° 

682,2 

Schiefer 

77° 

89° 

694,9 

fester  Schiefer 

78° 

90,5° 

705,8 

„ 

80° 

91.5° 

713,2 

blauer  Stein 

79° 

92° 

730,5 

fester  blauer  Schiefer 

79° 

93° 

736,9 

Steinkohle 

79° 

93i° 

Wird  die  Temperatur  der  Oberfläche  zu  94° F.  angenommen,  so  erhält  man 
also  auf  die  ganze  Tiefe  von  737  Meter  eine  Zunahme  von  44,5 ^F.  oder  eine 
geothermische  Tiefenstufe  von  nur  16,1  Meter  für  i°F.,  was  für  einen  GradC.  um- 
gerechnet =  29,8  Meter  ergiebt.  Eine  andere  ebenfalls  bei  Hüll  mitgetheilte 
grössere  Beobachtungsreihe  von  der  Dukinfield -Grube,  Cheshire,  ergab  als  geo- 
thermische Tiefenstufe  =  26,7  Meter  für  i°F.  oder  für  i°C.  =  48  Meter. 

Als  Ursache  für  den  Umstand,  dass  in  den  Kohlengruben  demnach  die 
Tiefenstufen  im  Allgemeinen  geringere  sind,  können  verschiedene  Verhältnisse  in 
Betracht  kommen  und  zum  Theil  gleichzeitig  wirksam  sein. 

Die  Lagerungsverhältnisse  der  Steinkohlenformation  zeigen  einen  oft  wieder- 
holten Wechsel  verschiedener  Gesteine :  Schiefer,  Sandsteine  und  Kohlenflötze.    In 
diesen  ist  die  Leitungsfahigkeit  ohnehin  eine  sehr  geringe,  sie  wird  aber  noch  um 
ein  ganz  Bedeutendes  vermindert,  durch  den  oftmaligen  Intervall  in  den  Schichten ; 
denn  jeder  Uebergang  aus  einem  Medium  in  ein  anderes  ist  auch  Rir  die  Verhält- 
nisse der  Wärmeleitung  gleich  einer  Verzögerung  oder  einer  Steigerung  des  Wider- 
Ntandes.    Durch  viele  horizontale  über  einander  liegende  Schichten  hindurch  muss 
also  die   Leitungsfahigkeit  in  verticaler  Richtung  eine  geringere  sein,   als  z.  B. 
durch   steil    gestellte   Straten,    in    denen    die  Fortpflanzungsrichtung   auf  grosse 
Strecken  in  dasselbe  Medium  fällt.    Die  aus  dem  Inneren  der  Erde  aufdringende 
Wärme  wird  also  hiemach  verschiedene  Stufen  zu  zeigen  vermögen.    Die  Zunahme 
der  Temperatur  ist  umgekehrt  proportional  der  Fortpflanzung  und  Abgabe  der 
Hitze  nach  oben,  der  grösseren  Leitungsfahigkeit  entspricht  ein  höherer  Werth 
der  geothenn.  Tiefenstufe.    Dafür  war  schon  ein  älteres  Beispiel  ganz  besonders 
instructiv.      Cordier   fand  in  zwei  Steinkohlengruben  bei  Carmeux  im  Depart. 
Tarn  in  Frankreich,  den  Gruben  von  Ravin  und  Castillan,  die  nur  2  Kilom.  von 
einander  entfernt  liegen,   sehr  wesentliche  Unterschiede  ihrer  geotherm.  Tiefen- 
Stufen:  in  der  ersteren  42  Meter,  in  der  letzteren  nur  28  Meter  für  1°  C.    Cordier 
erklärte  dieses  durch  das  grosse  Leitungsvermögen  eines  mächtigen  Kupfererz- 

0  HuLL,  1.  c.  pag.  485  ff. 


268 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


ganges,  in  dessen  Strich  rieb  tiing  die  Grube  Ravin  gelegen  ist.  Ganz  ähnliche  Beob- 
achtungen liegen  auch  aus  den  Erzrevieren  von  Comwall  vor,  wo  die  Erzgänge  eine 
um  I — 2,8°  C.  höhere  Temperatur  aufweisen  als  erzfreies  Gestein,  wo  in  den 
Kupfererzgängen  eine  höhere  Temperatur  als  in  den  Zinnerzgängengefunden  wirdJ} 

Andererseits  kommen  in  den  Kohlengruben  die  Einflüsse  des  Druckes 
ganz  gewiss  auch  bei  der  localen  Temperatur  mit  zur  Geltung.  Der  Bergmann 
weiss  den  Unterschied,  der  in  dieser  Beziehung  oft  in  derselben  Grube  obwaltet, 
ganz  genau  zu  schätzen.  An  den  einen  Stellen  widersteht  das  zum  Stützen  der 
unterirdischen  Baue  verwendete  Grubenholz  lange  und  ausdauernd  dem  Druck, 
an  anderen  ist  eine  Arbeitsstrecke  kaum  im  Holze  zu  erhalten,  so  wird  es  unter 
dem  Drucke  zermalmt.  Dazu  kommt  dann  die  Erfahrung,  dass  stets  'm 
den  Grubenbauten  dieser  grössere  Druck  im  Gebirge  örtlich  mit  den  höheren 
Temperaturen  zusammenfallt. 

Endlich  aber  sind  die  in  den  Kohlenflötzen  stattfindenden  chemischen  Z<fr- 
setzungsvorgänge  ohne  Zweifel  ein  ferneres  wirksames  Agens  zur  Erhöhung  der 
Temperatur,  wie  das  wiederum  in  der  Beobachtung  eine  Stütze  findet,  dass  auch 
die  Entwicklung  der  sog.  schlagenden  Wetter  gerade  in  sehr  heissen  Sti  ecken 
der  Flötze  mit  Vorliebe  zu  erfolgen  scheint.  ' 

Auch  aus  zahlreichen  Beobachtungen  in  artesischen  Brunnen  und  Bohr-i 
löchern    sind   fernere  Werthe   flir   die  geotherm.  Tiefenstufe  gewonnen  worden, 
von  denen  manche  ganz  besondere  Zuverlässigkeit  besitzen.     Auch  hier  schwanken ^ 
allerdings  die  Werthe  in  weiten  Grenzen. 

Einige  der  werthvolleren  dieser  Zahlen  sind: 
Rüdersdorf  (Berlin)  .     .     .     totale  Tiefe  =  290  Meter,  Tiefenstufe  30,00  Meter, 
Neusalz  werk  (Westphalen)  „  „  644 

Mondorf  (Luxemburg)  .     .         ,',  „  502 

Pitzbühl  (Magdeburg)    .     .         „  „  151 

Artem  (Thüringen)    ...        „  „  :i:i:i 

La  Rochelle  (Frankreich)  .        „  „  126 

Saint  Andrd  (Eure)  ...        „  „  253 

Mouillelonge  (Creusot)  .     .         ,,  „  816 

Torcy  (Creusot)    ....         „  „  554 

Sowohl  die  Beobachtungen  in  den  Bergwerken  als  in  den  artesischen  Brunnen 
und  Bohrlöchern  haben  aber  ausser  der  allgemeinen  Zunahme  auch  rn*c^ 
übereinstimmend  ergeben,  dass  die  geothermischen  Tiefenstufen  mit  der  Tiefe 
erheblich  zunehmende  Werthe  erhalten. 

Arago  hatte  schon  zusammen  mit  Dulong  und  Walferdin  darauf  bezügliche 
Beobachtungen  an  dem  Bohrloche  von  La  Grenelle  gemacht.^  Bestimmter  er 
giebt  sich  dieses  aus  den  drei  hier  folgenden  Beobachtungsreihen. 

Sperenberg.  Rüdersdorf.  Neusalzwerk. 


tt 


>t 


»I 


>i 


fi 


»» 


» 


M 


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»» 


ft 


tt 


tt 


99 


II 


II 


2<),20 

3I1O4 
26,50 

40,00 

20,1 

30,95 

30.7 

30,7 


Tiefe     ,j, 

in  Meter.       ^  ^' 
ratur. 

Q°  C. 


Tiefcnstufc.     Tiefe. 


Tempe- 
ratur. 


26,7 

3i3i9 
627,7 

941,6 

1268,6 


23i2 

33° 

43° 
48° 


)2o,2  Meter 

}32 

3ii4 
64,1 


99 


99 


26  8,50*^  c. 

123,4  17,12° 

212,8  19,75° 

285»9  23,50° 


Stufe. 

11,3  Meter 
34        II 
19.5      n 


Tiefe.       '^™P*- 
ratur. 

26       8,7°  c 

188,4  i9i7'' 

417,4  27,5° 

628,6  31,4° 

69Ö1S  33.6° 


Stufe. 

14,8  Meter 
54.1      ,, 


>)  PoGGD.  Ann.  XIII.  367. 

•)  Arago,  Notes  scientifiques.     111.  p.  370. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  269 

Bei  der  durchweg  im  Ganzen  unverkennbar  hervortretenden  Zunahme  der 
Werthe  für  die  geothermischen  Tiefenstufen  sind  die  im  Einzelnen  auffallenden 
Anomalien  ohne  Zweifel  auf  Störungen  in  der  Beobachtimg  zurückzuliihren,  wie 
sie  sowohl  in  der  Zufuhr  kälterer  und  schwererer  Wasser  in  die  Tiefe  oder  auch 
in  dem  Vorhandensein  besonders  beschaffener  Schichten  beruhen  können. 

Auch  die  Beobachtungen  in  den  grossen  Tunnels  haben  wichtige  Beiträge 
zur  Lehre  der  Geothermik  geliefert.  Sie  dringen,  wenn  auch  nicht  in  verticaler 
Richtung,  so  doch  tiefer  in  das  Innere  der  Gebirgsmassen  ein,  als  es  vorher 
möglich  gewesen. 

Der  Tunnel  durch  den  Mont  Cenis  hat  seine  höchste  Sohlenstelle  fast 
genau  unter  dem  höchsten  Gebirgskamme.  Dieser  misst  2905  Meter  über 
Meer,  jene  1296  Meter,  so  dass  die  Differenz  in  der  Verticalen  nmd  1600  Meter 
beträgt.  In  folgender  Tabelle  sind  die  Resultate  der  Beobachtungen  von  Giordano 
zusammengestellt.  1) 

Tiefe  unter  der 
Oberfläche. 

520  Meter 


I. 

Entfernung 
vom  Sudportal. 

500  Meter 

2. 

1000 

ft 

3- 

2000 

4- 

3000 

5- 

4000 

6. 
7- 

5000 
6000 

8. 
9- 

6450 
6662 

IG.     7000 

Die  höchste  beobachl 

tete  ' 

910 

1370 

1609 


If 
II 


Luft- 

Gesteins- 

Temperatur. 

Temperatur. 

10.5° 

14,2° 

15.3° 

17° 

17,8° 

19,5° 

20,3° 

22,8° 

23° 

23,6° 

24,5° 

27,5° 

26,8° 

28,8° 

30,1° 

29,5° 



28° 

25° 

27° 

M47 
tete  Temperatur  entspricht  der  Mitte  des  Tunnels:  29,5. 

Ueber  diesem  Punkte  in  der  nach  der  Oberfläche  gezogenen  Verticalen  mag  im 

.\usgangspunkte    der   letzteren,    die  hier   ziemlich    die  Sattelhöhe   des   Gebirges 

trifft,   eine  mittlere  Jahrestemperatur  von  —  3°  herrschen.     Daraus  ergiebt  sich 

iiir  die  geothermische  Tiefenstufe  ein  Werth  von  49,5  Meter. 

Bei  dem  Fortschreiten  von  der  Stufe  7  bei  1370  Meter  unter  der  Oberfläche  bis 
zu  8  mit  1609  Meter,  also  bei  einer  Differenz  von  239  Meter  ergiebt  sich  gleich- 
wohl, wie  aus  der  Tabelle  ersichtlich,  nur  eine  Zunahme  von  0,7°;  und  vorher- 
gehend entspricht  der  verticalen  Differenz  zwischen  6  und  7  von  460  Meter  nur 
eine  Temperaturzunahme  von  1,3°.  Daraus  scheint  sich  zu  ergeben,  dass  für 
Höhen,  die  die  ewige  Schneegrenze  erreichen,  eine  Vermehrung  der  Höhe  der 
Berge  um  einige  hundert  Meter  eine  wesentliche  Aenderung  der  Gesteinstempe- 
ratur im  Inneren  in  der  Verticalen  jener  Höhe  nicht  zur  Folge  hat.2) 

Zieht  man  nun  von  der  Gesammtsumme  der  Wärmezunahme  vom  Berggipfel 
bis  zun)  Tunnelmittelpunkt  =  32,5^  die  beiden  Grad,  die  durch  die  Erhöhung 
der  aufliegenden  Bergmasse  um  zusammen  699  Meter  bewirkt  scheinen,  ab,  so 
erhält  man  als  Zunahme  30,5°  die  sich  auf  910  Meter  Verticalhöhe  vertheilen. 
Hiemach  würde  die  geothermische  Tiefenstufe  30  Meter  betragen. 

Der  erkaltende  Einfluss  der  an  hohen  Bergen  ins  Innere  hinein  wirkt,  ist 
nach  dem  Vorhergehenden  so  bedeutend,  dass  in  diesen  oberen  Theilen  die 
geothermische  Tiefenstufe   den  grossen  Werth  von  über  300  Meter  erhält,  und 


*)  Revue  de  Geologie.    IX.   158,  vergl.  auch  Lapparent,  Traiti  de  Geologie,  pag.  378. 
*)  LoMMEL,  Archives  des  sciences  etc.  de  Geneve  IV.  364. 


270  Mineralogie,  Geologie  und  Palacontologie. 

dass  ein  Bergmassiv  von  fast  700  Meter  die  Temperatur  darunter  doch  nur  um 
2°  emporzudrängen  vermag. 

Ganz  ähnlich  sind  die  Resultate,  die  der  Tunnel  durch  den  St.  Gotthard  ge* 
liefert  hat  Die  Bergform  ist  noch  geschlossener  und  überragt  in  ihrer  Höhe  um 
100  Meter  den  M.  Cenis.  Das  Maximum  der  beobachteten  Temperatur  war  3o,S^ 
also  nur  1,3°  mehr  als  im  anderen  Tunnel.  Für  die  geothermische  Tiefenstufe 
ergab  sich  im  Mittel  ein  Werth  von  48,4  Meter.  Auch  dieser  würde  sich  ohne 
Zweifel  auf  fast  30  Meter  vermindern,  wenn  man  eine  ähnliche  Correction  an- 
wenden wollte  wie  für  den  Mont  Cenis.  Wenn  man  die  Temperaturen  des 
Tunnels  und  die  der  Luft  in  denselben  Verticalen  vergleicht,  so  findet  man,  dass 
unter  der  Ebene  von  Andermatt  die  Tiefenstufe  etwa  20,5  Meter  sein  würde,  da- 
gegen ist  sie  unter  dem  starken  Gehänge  von  Wannelen  schon  42,6  Meter.  Eben- 
so ist  auf  der  südlichen  Seite  unter  der  Fläche  des  See*s  von  Sella  die  Tiefen- 
stufe 45  Meter,  dagegen  unter  dem  scharf  geschnittenen  Gipfel  der  Cima  Ix>ita- 
misura  schon  62,30  Meter.  Der  abkühlende  Einfluss  der  aufragenden  isolirten 
Bergkegel  ist  also  auch  hier  unverkennbar.  Die  Beobachtungen  am  St.  Gotthard 
haben  auch  die  früher  schon  erörterte  Regel  wieder  erwiesen,  dass  die  Vergleichung 
der  Temperaturen  in  der  Normalen  zur  Böschung  und  nicht  in  der  Verticalen 
erfolgen  muss,  um  die  richtigen  Werthe  zu  erhalten^). 

Folgende  Sätze  aber  lassen  sich  aus  den  bisherigen  Beobachtungen  als  all- 
gemein gültig  für  die  Temperaturzunahme  nach  dem  Erdinneren  aufstellen: 

1.  Unterhalb  der  invariabelen  Zone,  deren  obere  Grenze  in  verschiedener 
Tiefe  gelegen  ist  und  deren  Temperatur  abhängig  erscheint  von  der  mittleren  Jahres- 
temperatur des  Ortes,  erfolgt  überall  eine  Zunahme  der  Temperatur  nach  der  Tiete. 

2.  Das  Gesetz  der  Zunahme  ist  noch  nicht  erkannt.  Die  grosse  Zahl  \0c2J: 
die  Regelmässigkeit  störender  Einflüsse,  Druck,  Zersetzungen,  kalte  und  wanne 
Quellen  und  die  fortwährende  Aenderung  dieser  Einflüsse  macht  die  Bestimmung 
schwierig. 

3.  Mit  grösserer  Tiefe  nehmen  diese  Einflüsse  ab  und  das  Gesetz  der  Zu- 
nahme wird  constant. 

4.  Die  geothermischen  Tiefenstufen  sind  in  grösseren  Tiefen  jedenfalls  sehr 
viel  grösser  als  an  der  Oberfläche  d.  h.  die  Wärmezunahme  wird  endlich  ver- 
schwindend klein. 

Die  wichtigen  Beobachtungen,  die  Dunker  an  dem  Bohrloche  von  Speren- 
berg  gemacht  hat,  hatten  denselben  zuerst  zu  der  Annahme  einer  Formel  ur 
das  Gesetz  der  Temperaturzunahme  geführt,  die  in  der  That  bei  einer  Tiefe 
von  1621  Meter  das  Maximum  der  Temperatur  ergiebt,  dann  wird  die  Zonalmie 
gleich  Null  bis  zu  der  Tiefe  von  3420  Meter  und  darüber  hinaus  erhält  sie  s^v 
gar  einen  negativen  Werth.  Henrich  hat  später  die  Anwendbarkeit  der  vi»n 
Dunker  zu  Grunde  gelegten  Formel  bestritten  2)  und  dieser  selbst  aus  einer  ver- 
gleichenden Betrachtung  der  auch  in  anderen  Bohrlöchern  erhaltenen  Resultarc 
die  Ansicht  gewonnen,  dass  doch  die  Zunahme  der  Wärme  als  eine  const.in! 
fortschreitende  angenommen  werden  müsse  und  dass  sie  sonach,  wenn  auch  erst 
in  sehr  viel  grösseren  Tiefen  als  man  früher  glaubte,  doch  im  Innern  der  Krdc 
eine  ausserordentliche,  die  Schmelztemperaturen  der  Gesteine  noch  übertreffende 
Höhe  erreichen  könne. 


*)  Stapf,  Revue  universelle  des  mines,  Li^e    1879 — 80.     Vergl.  auch  1.  Hans,  Zcit-^hi 
Österreich.  Ges.  für  Mineralogie.  1878.  XHI.  2.  u.  Lapparent,  Traite  de  G^go.  377. 
^  N.  Jahrb.  f.  Min.  1876.  716  und  1878.    897. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  271 

Bis  zu  welchen  Temperatiirgraden  aber  die  Steigerung  fortschreitet  und 
welche  Wirkungen  dieselben  im  Inneren  der  Erde  haben,  darüber  ist  gar  keine 
bestimmte  Entscheidung  bis  heute  zu  geben.  Mit  der  Temperatur  steigert  sich 
auch  der  Druck,  und  wenn  daher  auch  jene  eine  ganz  excessive  Höhe  haben 
mag,  so  ist  doch  nur  dann  die  Annahme  eines  geschmolzenen  oder  gar  gas- 
föraiigen  Zustandes  des  Erdinneren  zu  machen,  wenn  das  Wechselverhältniss  von 
Temperatur  und  Druck  genau  bekannt  wäre,  d.  h.  wenn  es  sich  entscheiden  liesse, 
ob  die  Zunahme  der  Temperatur  in  stärkerem  Maasse  erfolge,  als  das  durch 
den  Druck  bewirkte  Hinaufrticken  der  Schmelz-  und  Siedepunkte  oder  nicht. 
Im  Gegentheile  scheint  dafiir  eine  grössere  Wahrscheinlichkeit  sich  zu  ergeben, 
(lass  diese  letzeren  unter  dem  aufliegenden  Drucke  schneller  aufwärts  rücken  als 
die  Temperaturzunahme. 

Da  mit  der  überall  erkannten  Steigerung  der  Wärme  nach  dem  Erdinneren 
zu  auch  der  Druck  überall  in  gleicher  Weise  zunimmt,  so  hat  man  bei  der 
Frage  nach  der  Ursache  der  inneren  Erdwärme  auch  wohl  versucht,  dieselbe  als 
eine  blosse  Folge  des  zunehmenden  Druckes  anzusehen.  Dazu  sollten  sich 
als  weitere  Wärmequellen  die  Reibung  der  festen  Theile  und  des  fliessenden 
Wassers  und  die  chemischen  Vorgänge  durch  den  Stoffumsatz  unter  dem  Ein- 
flüsse der  Atmosphärilien  hinzu  gesellen  .i)  Aber  sowohl  der  Druck,  als  auch  die 
genannten  beiden  anderen  Vorgänge  sind  in  Wirklichkeit  keineswegs  zu  einer 
auch  nur  annähernd  ausreichenden  Wärmeproduktion,  wie  sie  als  Quelle  der  inneren 
Erdwärme  nöthig  ist,  geeignet.  In  ausführlicher  Weise  ist  dieses  von  Pfaff  erörtert 
und  nachgewiesen  worden  und  mag  auf  dessen  Auseinandersetzung  hier  verwiesen 
werden.2)  Als  Resultat  derselben  ist  der  Satz  zu  bezeichnen,  dass  die  Erde 
in  ihrem  Inneren  einen  nach  der  Tiefe  zunehmenden  Wärmeschatz 
birgt,  der  nicht  aus  äusseren  noch  jetzt  wirksamen  Vorgängen  hervor- 
geht oder  sich  erneuert,  nicht  erst  jetzt  in  derselben  erzeugt  wird, 
sondern  als  Rest  einer  noch  höheren  Wärmemenge  aus  früheren 
Entwicklungsstadien  im  Erdkörper  vorhanden  ist.  Diese  hat  mehr  und 
mehr  das  Bestreben,  sich  von  Innen  nach  Aussen  durch  Ausstrahlung  zu  ver- 
mindern und  die  der  abkühlenden  Aussenwelt  nächst  gelegenen  peripherischen 
Theile  der  Erde  müssen  diesen  Wärmeverlust  am  deutlichsten  erkennen  lassen. 

Gleichviel,  welchen  Maassstab  der  Temperaturerhöhung  und  welche  Tem- 
fieraturgrade  wir  im  Inneren  der  Erde  voraussetzen  mögen,  die  Verhältnisse  ent- 
sjirechen  solchen,  wie  sie  an  Kugeln,  die  aus  dem  Schmelzfluss  erstarren,  aut 
experimentellem  Wege  erkannt  worden  sind. 

In  dieser  Beziehung  haben  besonders  die  Versuche  von  G.  Bischoff  grosse 
Wichtigkeit.  An  geschmolzenen  Basaltkugeln  von  0,75  m  Durchmesser  beobachtete 
er  48  Stunden  nach  dem  Guss  derselben,  die  Vertheilung  der  Temperaturen  in 
verschiedenen  Tiefen  im  Inneren.     Er  fand 

1.  im  Mittelpunkte 193°  C. 

2.  0,114  m  von  demselben  entfernt  170° 

3.  0,185  m     „  „  „         156' 

4.  0,247  m     „  „  „         137* 
Hiernach  beträgt  die  Differenz  von  i  und  2  =  23°  für  0,114  m,  oder  gleich 

')  Diese  Theorie  ist  vorzüglich  von  Volger  aufgestellt  und  eingehend  erörtert  worden  in 
de«<i«n:  Erde  und  Ewigkeit,  p.   i$5  If. 

')  Pfaff,  Allgemeine  Geologie.  Leipzig,  Engelmann,  1873.  p.  10  undGrundriss  der  Geo- 
logie ebd.  1876.  p.   15. 


.0 


272  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

0,0052   fiir  1°  C.     Der  Unterschied  zwischen  2    und  3  beträgt   14°  für  0,071  m 

d.  i.  0,00507  m  fiir  1°,  zwischen  3  und  4:   19°   auf  0,062  m,   oder  0,00326  für 

1°.     Das  Vcrhältniss  der  Tiefenstufen  würde  hiernach  also  von  oben  nach  unten 

sich  durch  die  Zahlen  ausdrücken: 

32  :  50  •  52 
d.  h.  in  der  durch  Wärmeleitung  und  Wärmeausstrahlung  sich  abkühlenden  Basalt 

Kugel  werden  die  geoth.  Tiefenstufen  nach  dem  Centrum  zu  immer  grosser. 
Andere  Versuche  über  die  Art  der  Wärmeverth eilung  in  einer  erkaltenden  Ge- 
steinskugel rühren  von  Perrv  und  Ayrton  her;^)  ebenso  haben  auch  Thomson 
und  Tait  theoretische  Betrachtungen  über  die  Art  der  Abkühlung  der  Erdkugel 
angestellt.  2)  Beide,  wenn  auch  in  etwas  abweichender  Weise,  erhalten  als  Re- 
sultat das  Grösserwerden  der  geothermischen  Tiefenstufen  nach  dem  Inneren  zu, 
die  ersteren  auch  die  Zunahme  derselben  mit  der  fortschreitenden  Abkühlung. 

Sonach  ergiebt  sich  aus  der  Gesammtheit  der  bisher  über  die  Temperatur- 
verhältnisse des  Erdinneren  bekannten  Thatsachen,  dass  man  berechtigt  ist,  diel 
Phasen  des  früheren  Entwicklungsganges  des  Planeten  mit  denen  zu 
vergleichen,  wie  sie  aus  dem  Schmelzfluss  erstarrende,  abkühlende 
Körper  zeigen. 

Nun  ergiebt  sich  aber  femer,  dass  der  Mittelpunkt  der  Erde  auch  mit  ihrem 
Schwerpunkt  zusammenfallt,  wie  das  durch  die  astronomischen  Beobachtungen 
über  die  Erdbahn  und  die  Erdbewegung  als  unzweifelhaft  gelten  kann.  Es  mub> 
sonach  auch  im  Grossen  und  Ganzen  die  Vertheilung  der  Dichtigkeit  der  Erdei 
um  diesen  Mittelpunkt  eine  allseitig  symmetrische  sein,  d.  h.  es  müssen  vom 
Mittelpunkte  aus  concentrische  Schichten,  der  abgeplatteten  ellipsoidischen  Gestalt 
der  Erde  conform  verlaufend,  aufeinander  folgen,  die  nach  dem  spec.  Gevinchtc 
in  einer  nach  der  Peripherie  abnehmenden  Scala  sich  ordnen.  In  noch  be- 
stimmterer Weise  ist  diese  Annahme  durch  eine  astronomische  Erscheinung  zu 
prüfen,  nämlich  durch  die  Präcession  der  Tag-  und  Nachtgleichen.  j 

Diese  Erscheinung  wird  dadurch  hervorgerufen,  dass  Sonne  und  Mond  aiii'i 
die  ihnen  zugekehrte  Hälfte  des  Erdsphäroides  stärker  anziehend  wirken,  als  auf  i 
die    abgekehrte.     Wäre    die  Erde    eine    vollkommen    gleich  massig   geschichtete , 
Kugel,    so    würde   die  Präcession  nicht  vorhanden  sein.     In  Folge  der  ab^'o- 
platteten  sphäroidischen  Gestalt  aber  haben  Sonne  und  Mond  das  Bestreben.  | 
die  Erde  um  eine  in  der  Ebene  des  Aequators  liegende  Achse  umzukippen  und  \ 
den   Pol   des   Aequators    mit    dem    Pol    der  Ekliptik    zum  Zusammenfallen   /i. 
bringen.     Diese  Kippbewegung,  der  eines  Kreisels,  wenn  seine  Rotation  abnimmt, 
vergleichbar,  ruft  eine  Bewegung  des  Erdpoles  um  den  Pol  der  Ekliptik  hervor, 
ein  Umkreisen  desselben,  das  in  26000  Jahren  einmal  vollendet  wird,  sodass  aui' 
I  Jahr  ein  Fortschritt  von  50,24"  kommt.     Die  Grösse  der  Präcession  steht  m 
ganz  bestimmter  Beziehung  zur  Dichtevertheilung  im  Inneren  der  Erde.    Damit  die 
theoretisch  berechnete  Präcession  mit  der  beobachteten  übereinstimme,  ist  es  i." 
der  That  erforderlich,  dass  der  Schwerpunkt  der  Erde  im  Erdmittelpunkt  gelegen 
sei  und  da.ss  die  Dichte  der  Erde  von  aussen  nach  innen  stetig  zunehme.     Ware 
die  Massenvertheilung  eine  andere,  so  müssten  daraus  sehr  wesentliche  Differenzen 
für  die  Präcessionsbeobachtungen  sich  ergeben,  was  seit  der  Zeit  des  Hippakoi 
(200  V.  Chr),  der  diese  Erscheinung  schon  kannte,  aber  keineswegs  der  Fall  ist. 

Eine   solche   regelmässige  Anordnung   nach    dem  spec.  Gewicht  setzt  aber 

»)  John  Mu.nk,  Geolog.  Magazine.   1880.  p.  90. 
^  Ebenda».  1880.  99. 


Der  Erdball  als  Ganzes  un«1  seine  Beschaffenheit.  273 

wederum  für  die  früheren  Phasen  der  Erdentwickelung  eine  Beweglichkeit  der 
Schichten  voraus,  die  nicht  wohl  anders  als  in  einem  ursprünglich  flüssigen  Zu- 
stande gefunden  werden  kann. 

Endlich  ist  auch  die  abgeplattete  sphäroidische  Gestalt  der  Erde  eine  solche, 
dass  dieselbe  nur  in  der  Annahme  ihre  Erklärung  findet,  dass  sie  die  Folge  ist 
der  Rotation  einer  noch  nicht  in  den  festen  Zustand  übergegangenen  Sphäre. 
Keine  der  aiuleren  bis  jetzt  versuchten  Erklärungen,  welche  von  einem  früheren 
flüssigen  Zustand  der  Erde  Abstand  nahmen,  z.  B.  diejenige,  welche  die  Ab- 
plattung wesentlich  als  das  Werk  der  Verwitterung  darzustellen  versucht,  haben 
sich  als  stichhaltig  erwiesen,  i)  Am  einfachsten  erklärt  sich  die  Abplattung  in  der 
folgenden  Weise: 

Denkt  man  sich  durch  eine  polare  und  eine  äquatoriale  Halbachse  einer 
Kugel  zwei  im  Mittelpunkte  communicirende  Röhren  gelegt,  die  demnach  recht- 
winkelig aufeinander  stehen,  und  beide  mit  Flüssigkeit  bis  zur  Hälfte  gefüllt. 
Die  ursprünglich  die  beiden  gleichen  Arme  bis  zu  derselben 

CMiD.  47.} 

Höhe  füllende  Flüssigkeit  wird  bei  einer  Rotation  der  Kugel 
um  die  Achse  ac  einer  sehr  verschiedenen  Einwirkung  aus- 
gesetzt. Auf  den  Arm  ^r  wirkt  die  grösste  Centrifugalkraft 
am  Aequator,  hier  wird  die  Flüssigkeit  vermöge  dieser  nach 
b  zu  getrieben  werden.  Es  muss  demnach,  wenn  das  * 
Gleichgewicht  in  den  beiden  Wassersäulen  hergestellt  werden 
boU,  die  Wassersäule  des  Armes  bc  genau  um  so  viel  länger 
werden  als  die  des  Armes  ac,  der  senkrechten,  polaren 
Röhre,  als  die  Kraft  mit  der  ein  Körper  an  dem  Aequator 
nach  dem  Kugelmittelpunkte  gezogen  wird,  in  Folge  der  Fliehkraft  kleiner  ist 
als  an  den  Polen.  Das  ist  aber,  wie  sich  durch  Rechnung  ergiebt,  wenn  man 
die  Dimensionen  und  Bewegung  der  Erdkugel  zu  Grunde  legt,  um  etwa  ^^  der 
Fall.  Mitbin  muss  die  Flüssigkeit  in  dem  Arm  bc  um  ^^  länger  sein,  als  in 
der  Röhre  ac.  War  die  Erde  einst  eine  flüssige  Kugel,  so  müssen  also  der 
polare  und  äquatoriale  Halbmesser  dasselbe  Grössenverhältniss  in  Folge  der 
Rotation  angenommen  haben,  d.  h.  die  Erde  muss  eine  Abplattung  von  ^1^  zeigen. 

Dieser  Werth  stimmt  mit  denen,  welche  die  direkte  Bestimmung  der  Erdab- 
plattung durch  Messung  ergab  (pag.  228)  vollkommen  überein. 

Dass  in  der  That  eine  flüssige  Kugel  in  dieser  Weise  als  das  Urbild  unserer 
Erde  angesehen  werden  kann,  das  zeigen  auch  in  ganz  besonders  sinnreicher 
und  anschaulicher  Weise  Versuche  mit  dem  Apparate  von  Plateau. 

Derselbe  senkte  mit  Hülfe  einer  Pipette  einen  Tropfen  Olivenöl  in  eine 
Mischung  von  Wasser  und  Alkohol  ein,  die  auf  das  spec.  Gewicht  des  Olivenöls 
gebracht  war.  Wenn  ein  allmählich  vergrösserter  Tropfen  dieser  Art,  der  frei 
^»chwebend  vollkommene  Kugelgestalt  besitzt,  durch  Einfügen  einer  kleinen,  mit 
einer  Scheibe  versehenen  Achse  zur  Rotation  gebracht  wird,  so  plattet  sich  die 
Kugel  an  beiden  Polen  ab. 

So  stimmen  denn  alle  Erscheinungen  der  Gestalt,  der  Dichte  und  der  Wärme 
an  der  Erde  vollkommen  mit  der  Annahme  überein,  dass  dieselbe  ein  aus  dem 
gasförmigen  und  flüssigen  Zustand  durch  allmähliche  Abkühlung  und  Verdichtung 
ganz  oder  theilweise  fest  gewordener  Planet  ist. 

Diese  Theorie  wurde  zuerst  von  dem  grossen  Philosophen  Immanuel  Kant 


*)  Vergl.  Pfaff,  Grundriss  d.  Geol.     pag.  10.  u.  Allg.  Geol.    pag.  3. 

K.J'Ssojtt,  Min.,  (Icol.  u.  Pal.     I.  18 


a74  Mineralogie,  Geologie  itnd  PaUeonlologie. 

in  »einer  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels  im  Jahre  1755  ood  erst  40  Jahre 
später,  aber  ganz  unabhängig  von  jenem  durch  den  fnmzosiscfaen  Astronomen 
liAPLACR  (Exposition  du  Systeme  du  monde  1795)  ausgesprochen.  Man  pflegt  sie 
daher  auch  jetzt  als  die  KANT-LAPLACE'sche  Hypothese  kurzweg  zu  bezeichnen. 

I  )ie8elbe  erklärt  in  der  That  alle  vorhergehend  besprochenen  Erscheinungen 
in  einfachster  und  übereinstimmendster  Weise;  sie  hat  aber  auch  durch  die  Er- 
gebnisse aller  neueren  astronomischen  Forschungen  immer  bessere  Unter 
Ntütr.ung  und  Beweise  ihrer  Giltigkeit  gefunden.  Man  hat  in  den  letzten  Jahr* 
xclmten  in  den  anderen  Himmelskörpern  vermittelst  der  Spectralanalyse  mehr  und 
mehr  dieselben  Stoffe  wieder  zu  finden  vermocht,  die  auch  auf  der  Erde  vor- 
handen sind  z.  Th.  sogar  in  einer  Vertheilung  und  Beschaffenheit,  wie  sie  auch 
dicHcr  eigenthUmlich  sind.  Das  unterstützt  die  Annahme,  dass  alle  Himmel!»- 
kürpcr,  HO  auch  die  Erde,  durch  die  allmähliche  Verdichtung  einer  ursprünglich 
durch  den  ganzen  Weltraum  gasformig  vertheilten  Masse  entstanden  seien. 

1  .ange  schon  \var  durch  die  Astronomie  ein  anderer  Beweis  für  die  Gemein- 
Miintkcit  der  Entstehung  auch  in  der  Harmonie  der  Bewegungen  des  Planeten- 
Hy)«tcn)s  gegeben;  denn  die  Lage  und  die  Form  der  Bahnen  der  Planeten  i^t 
ttusNOiH>nlcntUch  nahe  übereinstimmend. 

KndUch  hat  die  Astronomie  in  den  verschiedenen  Planeten  die  Stadien  ver 
Hclucdcncr  Phasen  dieses  Verdichtungsprocesses  und  der  damit  verbimdenen  £r- 
Hc))cin\uv|S[t>n  t\i  erkennen  vermocht,  sowie  dieselben  z.  Th.  auch  durch  das  Pla- 
rK.W'Vchc  Experiment  nachzuahmen  sind.  Wenn  man  die  Rotation  derOlivenöl- 
kU|^ol  \^r>it^rkt^  $0  l<>$cn  sich  Ringe  und  kleinere  Kugeln  ab  und  rotiren  um  die 
ci^tciv  hemm»  vollkammen  analog  den  Ringen  des  Saturn  und  den  Trabanten 

K\  iNt  kaum  n\Hrh  emem  Zweifel  unterworfen,  dass  die  uns  sichtbaren  Fiz- 
vt\Mi\r  in  ihtt^n  Äiivscrcn  Si^hichten  noch  aus  gasförmigen  Körpern  bestehen.  Der 
WMMtuoxWwt'  V^har^ktifr  tier  Sterosi^ectra  rührt  jedenMls  grösstentheils  von  der 
\  ciM  hu\l<'nhon  de»  IVmiKTÄttir  der  Sieme  her,  diese  wieder  von  den  Fortschritten, 
\U'U  \Um  AbkuhUux^v-  uih)  Vci\iichtungs|)roces5  in  ihnen  gemacht  hat.  Auch  die 
\  t'ik^UuiivNO  dci  S^MM>e  erscheinen  hieitur  ganz  besonders  lehrreich.  Die  hohe 
IVmivu'^tuu  \he  in  ihr  hcrrsach;«  erkennen  «ir  direkt  an  der  uns  zustrahlenden 
Wäuwc  IVivs  An  doi  vM^rdjK^he  ein  Abkühlung^rocess  vor  sich  geht,  zeigt  die 
\  \\\  \<^\\Wx\\\\\\$:,  \h<  Vaxxxxx  Arocr^  auttuusaen  ist,  als  ein  an  der  Oberflüche  be- 
)iMM>c^\xK^i  l  o«sH^>^)\^  Au^  \k^Ya  ^:aj>>i>rm^$:en  Agsregatzustand  in  den  Aussen,  eine 

Nav  h  ,  nN^  4  \VK  U>^a(Hi^  :!4ch  f«.?u^  Kxmnckelui^rsphasea  der  aus  ur^rlinglichen 
\**vs%vA»'vn  >K^  xvi\;N  ^  U'^rKk^?^  Wc-ikvVper  unterscbciden: 

I^Wtx'  ^^A^<     \%^,So^«xi  $4NN>rm^4!er  Jostand.  repriscntiit  durch  die  plane- 

«^»i'WV'  ^^A^<'     0:,*)^/^^  ^^«.-3$$^?«  .'^ä^afid,   »  «fiesem  befinden  sich    die 

)>mU^  r>>Axc     A.'.wvi^WS^  ScV*ack»^xliiai^  cnd  fintslclMii^  einer  festen, 
^r.  *  \  %\.^>\\  V»Nv^»x^.vk^  v^S^^-ftiN^V      .«K  ¥«(^:mT.  ^Kaer  Fliase  sieben  die  Fixsterne 
*^^«*   >NSAfsK',  .H  X^*«   •v'^;j:m»%,v  * -v",  Wi«:  n**:!»«,  ^ksa  Rod^lrtth- Zustande  cnt 
Sf 'NN  ■•>'*st^  <  t\  :sN     ;'v  \  o  *A,    o'vr^--'  i'liast  «'icoc  eskibc^  cm  Fixstern  allnühlivi 


.',»*..  \>4»        A*^       ♦        A^4««H>V        *V 


NX»       ,  ^tJ-C^         f^^^ 


Der  Erdhall  als  Ganzes  und  seine  BeschafTenheit.  275 

Vierte  Phase:  Gewaltsame  Zerberstung  der  bereits  fest  gewordenen  Ober- 
fläche durch  die  innere  Gluthmasse,  dadurch  bedingte  Eruptionen  der  letzteren; 
ein  Ereigniss,  welches  sich  durch  das  plötzliche  Aufleuchten  eines  neuen  Sternes 
offenbart 

Fun  fte  Phase:  Fortschreitende  Verdickung  der  Erstarrungskruste  und  schliess- 
lich vollständige  Erkaltung  des  Himmelskörpers :  Erd-  und  Mondphase ;  in  dieser 
befindet  sich  die  Erde  und  noch  etwas  weiter  vorgeschritten  auch  der  Mond; 
beide  haben  in  ihrem  Entwickelungsgange  die  vier  ersten  Phasen  bereits  durch- 
gemacht. 

So  fügt  sich  denn  eine  Kette  wichtiger  Glieder  zu  dem  Schlüsse  zusammen, 
dass  in  der  That  die  KANT-LAPLACE'sche  Theorie  der  Gesammtheit  der  an  der 
Erde  selbst  und  den  anderen  Himmelskörpern  erkannten  physikalischen  Zustände 
in  ziemlich  vollkommener  Weise  entspricht  und  sie  erklärt. 

Freilich  ist  damit  ftir  die  uns  am  [meisten  interessirende  Frage  über  die 
jetzige  Beschaffenheit  des  Erdinneren  noch  kein  entscheidendes  Urtheil  ge- 
fallt. Denn  keine  der  im  Vorhergehenden  angeführten  und  erörterten  Beobach- 
tungen fuhrt,  auch  unter  Zugrundelegung  der  KANT-LxPLACE'schen  Theorie,  mit 
Xoth wendigkeit  auf  die  Annahme  eines  bestimmten  Aggregatzustandes  im  Inneren 
der  Erde  hin.  Wir  werden  im  Verlaufe  unserer  Betrachtung  sehen,  dass  selbst 
die  flüssige  Form  der  geschmolzenen  Laven,  die  aus  dem  Erdinneren  an  die 
Oberfläche  treten,  doch  nicht  die  Annahme  eines  flüssigen  Aggregatzustandes  des 
gesammten  Erdinneren  oder  auch  nur  einzelner  Theile  nothwendig  macht,  so  wenig 
vie  gasförmige  Emanationen  einen  solchen  Zustand  des  Inneren  erweisen.  Beide 
können  sehr  wohl  unter  gewissen  Bedingungen  local  aus  dem  festen  Aggregat- 
zustande wieder  hervorgehen. 

Folgende  Möglichkeiten  können  aber  a  priori  für  die  Beschaffenheit  des  Erd- 
inneren aufgestellt  werden: 

X.   Die  Erde  ist  durch  und  durch  fest. 

2.  Die  Erde  hat  einen  flüssigen  oder  gasförmigen  Kern  und  eine  feste  Rinde. 

3.  Die  Erde  hat  einen  festen  Kern  und  eine  feste  Rinde,  zwischen  beiden 
liegt  eine  flüssige  oder  theilweise  dampfförmige  Zone. 

4.  Die  Erde-  ist  grösstentheils  fest  und  nur  einzelne  Reste  flüssiger  oder 
gasförmiger  Masse  finden  sich  im  Inneren. 

Lässt  sich  aus  allgemeinen  Gründen  für  die  eine  oder  andere  dieser  Möglich- 
keiten eine  grössere  Wahrscheinlichkeit  a  priori  annehmen  oder  eine  derselben 
als  geradezu  unmöglich  von  vornherein  eliminiren? 

Man  hat  aus  astronomischen  Gründen  die  früher  fast  ausschliesslich  herrschende 
.\nnahme  widerlegen  zu  können  geglaubt,  dass  das  Innere  der  Erde  bis  auf  eine 
verhältnissmässig  dünne  feste  Rinde  von  ungefähr  10 — 15  Meilen  Dicke  in  feurig- 
fiussigem  Zustande  sich  beflnde. 

Der  berühmte  englische  Geologe  Hopkins  versuchte  hierzu  die  Erscheinungen 
der  Präcession  der  Tages-  und  Nachtgleichen  zu  benutzen,  deren  wir  bereits  im 
Vorhergehenden  gedacht  haben  ^).  Er  stellte  den  Satz  auf,  dass  ein  tropfbar 
flüssiges  Sphäroid  eine  wesentlich  andere  Präcession  zeigen  müsse  als  ein  festes; 
eine  andere  demnach  auch  ein  nur  von  dünner  Rinde  bedecktes  Sphäroid,  eine 
andere  ein  solches,  dessen  feste  Schale  bis  in  grosse  Tiefen  hinabreiche.  Er 
ging  dabei  allerdings  von  der  in  Wirklichkeit  durchaus  unwahrscheinlichen  Vor- 


*)  Philos.  Transact.   1839.  301.  1840.  193.   1842.  43. 

18 


276  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

aussetzung  aus,  dass  zwischen  der  festen  Rinde  und  dem  flüssigen  Kerne  eine 
scharfe  Grenze  bestehe.  Im  Gegentheil  haben  wir  aus  den  Verhältnissen  der 
Dichte  im  Vorhergehenden  erkannt,  dass  der  Uebergang,  wenn  ein  solcher  vor- 
handen ist,  jedenfalls  ganz  allmählich  sich  vollziehen  muss.  Die  feste  Rinde 
muss  zunächst  in  einen  weichen,  viscosen  Zustand,  aus  diesem  ganz  langsam  in 
den  eigentlich  flüssigen  tibergehen.  Das  folgt  aus  der  Vertheilung  der  Wanne 
und  Dichte  unmittelbar.  Es  haben  daher  auch  schon  manche  Forscher  •  früher 
ihre  Zweifel  gegen  die  Zulässigkeit  der  Schlüsse  Hopkin's  aus  diesem  Gmnde 
ausgesprochen,  so  Hennessy*),  Delaunay*)  und  Mallet^).  Bei  dem  allmählichen 
Uebergange  erhält  sich  das  Sphäroid  eben  wie  ein  einziges  Ganze,  während  die 
Betrachtungen  Hopkins  vorzüglich  darauf  fussen,  dass  eine  freie  Beweglichkeit 
des  flüssigen  Kernes  längs  der  unvermittelt  daran  grenzenden  festen  Rinde 
stattfinde. 

Aus  seinen  Betrachtungen,  auf  die  wir  hier  eines  näheren  nicht  einzugehen 
nöthig  haben  und  in  Folge  sehr  umständlicher  und  mühevoller  Rechnungen  glaubte 
aber  Hopkin's  den  Schluss  ziehen  zu  dürfen,  dass  die  Erde  mindestens  bis  zu 
einer  Tiefe  von  172  bis  215  geogr.  M.  oder  bis  zu  einem  Fünftel  resp.  Viertel  ihres 
Halbmessers  starr  sein  müsse.*) 

Allein  nach  den  Fortschritten,  welche  die  Behandlung  solcher  mechanischen 
Probleme  inzwischen  gemacht  hat,  kann  man  heute  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass 
die  Präcession  eines  ganz  flüssigen  Sphäroides  von  demjenigen  eines  festen  von 
der  gleichen  Gestalt  nicht  verschieden  ist,  dass  aber  freilich  gewisse  Erscheinungen 
der  Nutation  d.  h.  der  kleinen  Schwankungen  in  der  Stellung  der  Erdachse  zur 
Achse  der  Ekliptik,  deren  Periode  nur  18^  Jahr  dauert,  etwas  andere  sein  müssten, 
falls  die  Erdkruste  absolut  starr  wäre.  Die  Ursache  der  Nutation  ist  in  der  An- 
ziehung des  Mondes  auf  die  abgeplattete  Erde  jzu  suchen,  indem  sie  bewirkt, 
dnss  die  Rotationsachse  der  Erde  kleine  Verschiebungen  ihrer  Richtung  im  Räume 
erleidet.  In  Folge  der  Nutation  beschreibt  der  Pol  des  Aequators  um  den  Pol 
der  Ekliptik  keine  reine  Kreislinie,  sondern  eine  wellenförmige  Curve,  derjenigen 
ähnlich,  welche  der  Mond  um  die  Sonne  beschreibt,  indem  er  sich  um  die  Erde 
unil  mit  dieser  gleichzeitig  um  die  Sonne  bewegt 

Diese  Schwankungen  müssten  allerdings  verschieden  sein,  wenn  die  Erde 
einen  nur  von  dünner  Rinde  bedeckten,  flüssigen  Kern  besässe  und  wenn  jene 
ab  dem  anziehenden  Einflüsse  des  Mondes  durchaus  nicht  unterworfen  gelten 
könnte.  Wir  werden  noch  im  Folgenden  zu  erwähnen  haben,  dass  dieses  nicht  der 
Kall  i\\  sein  scheint.  Jedenfalls  ist  aber  die  feste  Erdmasse  keineswegs  absolut 
starr.  Sie  würtle  sich,  auch  >ft*enn  die  ganze  Erde  so  fest  wäre,  wie  ihre  Ober- 
fläche, dennoch  abplatten»  so>ft*ie  sogar  eine  Kugel  aus  Stahl  von  der  Grösse  und 
Umdrehungsjieschwindigkeit  der  Erde  dieses  thun  würde  ^.  Daraus  folgt  umso- 
mehr,    d;\ss  alsv^  eine  Mvv?iie  Kruste  oiier  Rinde  von  Gestein,  welche  von  einer 

^>  rhilo*.  1>*n*A0t.  0\1J.   1S5K  405. 

*)  \\>W*nic  Kwi^v.     l^hiKvs.   Vra&>;ict«  1S73.   147. 

*^  /u    c\ucm    J^huhvKcn  Resultat«    kam    auch    rftATT   duidi  eine  iDteressante  Berechimn^ 
NAtuir  \.  .iS^     NAch  (Km  waivKe  cti^  IVtornuiRon  \i<r  Cninnde  nur  am  ca.  1  Meter  Höhe  unter 
vlcm  Kiurtuvx^  cu\CH  HuvM|^\'«  Kcru<«  auI*  etcK  KicKl«  \oii   100   g.  M.  Dicke  schon  das  Aufboren 
v!ifi   K!utN  »m  oÄviMH^  iVtN*w  »ttf  K\»i^*   hjibeti,    v*Te  Kniriade  müsäc  daher   eine  sehr  Tid  bcdeo- 
bt«Klet<  IV'ke  beruu^u;  <i  i^tiv^  vl*bvM  w^  der  Vonuv$eczang  Hopkixs 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  BeschaflFenheit.  277 

inneren  Flüssigkeit  getragen  wird,  die  Deformationen  mitmachen  muss,  welche 
diese  erleidet. 

Das  kommt  auch  noch  bei  einer  anderen  BeweisfUhnmg  gegen  den  flüssigenKem 
in  dünner,  fester  Rinde  zur  Geltung,  die  von  dem  englischen  Physiker  W.  Thomson 
herrührt^).  Die  Anziehung  der  Sorme  und  des  Mondes  ist  stärker  auf  die  Theile 
der  Erde,  die  diesen  näher  sind,  schwächer  auf  die  entfernten  Theile.  So  ändert 
sich  das  Maass  der  Anziehung  für  jede  Stelle  der  Erde  und  wenn  dieselbe  einen 
überwiegenden  flüssigen  Kern  besitzt,  so  muss  dieser,  vor  allem  diesen  anziehenden 
Wirkungen  folgend,  einen  Druck  auf  die  umhüllende  Rinde  ausüben,  der  in  der 
Linie  der  maximalen  Anziehung  und  in  der  Richtung  dieser  liegt  Wie  stark 
und  fest  müsste  die  Erdrinde  sein,  um  diesem  Drucke  zu  widerstehen,  ohne  nach- 
weisbare oberflächliche  Aufheibungen  zu  erleiden,  wenn  sie  in  der  That  diesen 
flüssigen  Kern  besässe?  Das  ist  das  Problem,  das  W.  Thomson  erörtert.  Er  be- 
rechnete, allerdings  zunächst  auf  Grundlage  der  Annahme,  dass  die  Erde  aus 
einer  elastischen  Hülle,  mit  einem  nicht  compressibeln,  flüssigen  Kern  bestehe, 
was  ja  auch  nur  hypothetisch  ist,  das  Maass,  bis  zu  welchem  die  anziehende  Ein- 
wirkung von  Sonne  und  Mond  sich  geltend  machen  müsse. 

Es  ist  nicht  vorauszusetzen,  dass  dieses  Maass  der  Verzerrung  des  Erdsphäroides 
so  gross  sein  wird,  dass  es  auf  dem  Wege  direkter  Messung  bestimmt  werden 
könne.  Wohl  aber  giebt  es  ein  Mittel  es  zu  erkennen,  nämlich  aus  den  Ver- 
hältnissen der  Ebbe  und  Fluth,  den  Gezeiten. 

Wenn  die  Erdrinde  in  dem  gleichen  Sinne  wie  das  Meerwasser  angezogen 
iinirdc,  d.  h.  wenn  also  auch  die  Erdfeste  in  gleicher  Weise  Gezeiten  besässe 
wie  die  Oceane,  so  lässt  sich  zeigen,  dass  dann  die  Gezeiten  andere,  geringere 
sein  müssten,  als  wenn  die  Erde  vollkommen  starr  wäre.  Kennt  man  die  Höhe 
der  Gezeiten  unter  der  letzteren  Voraussetzung  für  irgend  einen  Punkt  der  Erd- 
oberfläche, und  ergiebt  die  Beobachtung,  dass  die  wirklich  vorhandene  Höhe  der 
Gezeiten  nur  ein  geringeres  Maass  erreicht,  so  ist  diese  Diflerenz  die  Folge  davon, 
dass  auch  die  festen  Theile  der  Erdrinde  die  Bewegung  der  Gezeiten  unter  dem 
Einflüsse  der  Anziehung  von  Sonne  und  Mond  mitmachen. 

Nun  zeigte  Thomson,  dass  auch  bei  einer  festen  Beschaflenheit  des  Erd- 
sphäroides, z.  B.  von  der  Dichte  des  Glases,  dennoch  ein  Einfluss  der  Gezeiten 
sich  bemerkbar  machen  müsse;  sie  würden  dann  allerdings  nur  etwa  f  der  Höhe 
betragen,  die  sie  haben  müssten,  wenn  die  Erde  absolut  starr  wäre;  besässe  die 
Erde  die  Dichtigkeit  des  Stahls,  so  würden  sie  }  dieser  Höhe  messen.  So  kommt 
er  denn  zu  dem  Schlüsse,  dass  eine  verhältnissmässig  dünne  Erdrinde  nicht  das 
Maass  der  Festigkeir  oder  Starrheit  besitzen  könne,  dass  aus  der  Höhe  der  wirk- 
lich beobachteten  Gezeiten  gefolgert  werden  müsse.  Das  Minimum  der  Dicke 
der  Erdrinde  glaubt  er  hiernach  auf  mindestens  2 — 300  g.  Meilen  annehmen  zu 
müssen. 

Es  bewirkt  nun  allerdings  die  Vertheilung  von  Land  und  Meer  eine  nicht 
wohl  zu  berechnende  Aenderung  der  angenommenen  Verhältnisse.  Es  werden 
M)nach  die  halbtäglichen  und  täglichen  Gezeiten  bezüglich  ihrer  Abweichungen 
kaum  eine  Vergleichung  mit  den  theoretisch  für  die  Annahme  berechneten  Ge- 
zeiten gestatten,  dass  der  Erde  ein  hohes  Maass  der  Starrheit  zukomme.  In 
besserer  Weise  würden  sich  hierzu  die  halbmonatlichen  und  halbjährigen  Ungleich- 
heiten in  den  Gezeiten  verwenden  lassen,  weil  diese  von  der  unregelmässigen 

*)  Philos.,  Transact.  CLIU.  1863.  $73.  Vergl.  auch  Green,  Geology,  Part  I.  London. 
Dality  1876.   pag.  495. 


278  Mineralogie,  Geologie  und  Palacontologie. 

Gestaltung  der  Meeresbecken  weniger  beeinflusst  werden.  Denken  wir  2.  B.  an 
die  halbmonatliche  Mondfluthwelle,  welche  acht  Tage  Zeit  zu  ihrer  Ausbildung 
hat,  so  ist  einzusehen,  dass,  wie  auch  die  Meeresbecken  gestaltet  sein  mögen, 
doch  das  leicht  bewegliche  Wasser  binnen  acht  Tagen  Zeit  genug  hat,  sich  zu 
Fluthwellen  zu  sammeln  und  dass,  wenn  auch  die  genaue  Eintrittszeit  des  Maximums 
vielleicht  etwas  verzögert  und  die  Wasserhöhe  eine  etwas  andere  ist,  als  es  in 
einem  die  Erdkugel  völlig  bedeckenden  Ocean  der  Fall  sein  würde,  doch  die 
zeitliche  Verzögerung,  sowie  die  Höhendifferenz  nur  kleine  Bruchtheile  der  ganzen 
Fluthgrösse  sein  können;  während  für  die  halbtägip:cn  Fluthwellen,  die  binnen 
sechs  Stunden  erzeugt  werden  müssen,  die  Verzögerungen  und  Höhenänderungen 
sehr  beträchtliche  Bruchtheile  der  ganzen  Perioden  oder  Fluthgrössen  betrajren 
können. 

Man  muss  deshalb  erwarten,  dass  vor  Allem  die  Gezeiten  von  längerer 
Periode  in  sehr  naher  Uebereinstimmung  mit  der  Theorie  zu  Tage  treten,  wenn 
die  Voraussetzung  erfüllt  ist,  dass  die  Unterlage,  d.  h.  die  Erdkugel  eine  starre 
ist.  Auf  diese  Theorie  hat  neuerdings,  als  ein  geeignetes  Mittel  zu  einer  besseren 
Kenntniss  vom  inneren  Zustand  der  Erde  zu  gelangen,  auch  wieder  R.  Zöppritz 
hingewiesen^).  Nach  ihm  sind  in  den  letzten  zehn  Jahren  eine  grosse  Zahl  me\< 
mehrjähriger  Fluthbeobachtungsreihen  aus  Häfen  verschiedener  Meere  und  unter 
verschiedenen  Breitegraden  gelegen,  mit  den  vollkommensten  Mitteln  analysirt 
worden,  ohne  dass  irgendwo  mit  unzweideutiger  Bestimmtheit  eine  i4tägige  Mond- 
periode oder  eine  halbjährige  Sonnenperiode  hätte  erkannt  werden  können.  Zwar 
macht  sich  in  einigen  Häfen  eine  halbjährige  Periodicität  bemerkbar,  aber  nur  in 
solcher  Weise,dass  man  sie  auf  Rechnung  der  mit  dem  Sonnenstand  wechselnden 
Winde  setzen  muss.  Die  halbtägigen  Fluthen  hingegen  zeigen  sich  überall  und  zwar 
allerwärts  später,  als  sie  nach  der  Theorie  kommen  sollten,  aber  je  nach  der  I^e  des 
Hafens  um  sehr  verschiedene  Grössen  verzögert  und  in  ihrer  Höhe  veränder. 
So  glaubt  Zöppritz  das  Ausbleiben  der  Fluthen  der  langen  Perioden  nur  daduKh 
erklären  zu  können,  dass  die  Unterlage,  also  der  Meeresboden  die  periodische 
Auf-  und  Abwärtsbewegung  des  Meeres  mitmache,  also  dadurch,  dass  auch  der 
feste  Erdkörper  Gezeiten  besitze. 

Nun   haben  allerdings  neuere  Untersuchungen    von  G.  H.  Darwtn   gezeigt, 
wie  dieses  auch  schon  von  Thomson  angenommen  worden  war,  dass  auch  eine 
zähflüssige  Kugel  von  der  Grösse  und  Masse  der  Erde,   auch  wenn  sie  ein  «»ehr 
fester  Körper  sei,  doch  noch  Gezeiten  haben  müsse,    die  von  denen  einer  f^l^^i 
gen  Kugel  nur  um  einen  geringen  Betrag  verschieden  sein  würden,  dass  aber  ein 
Sphäroid  von  dem  Flüssigkeitsgrade  geschmolzener  Lava,  umschlossen  von  einer 
ca.  IOC  Kilometer  dicken  Rinde,  den  gezeiterregenden  Einflüssen    fast   genau  -0 
folgen  würde,  wie  eine  Wasserkugel.     Auf  einer  solchen  müssten  auch  die  hal'» 
tägigen  Gezeiten  fast  unmerklich  werden.     Sind  nun  aber  erfahningsgemäss  die 
Fluthen  von  langer  Periode  nicht  zweifellos  nachweisbar,  dagegen  die  halbtägiger 
und  täglichen  ganz  sicher  vorhanden,  so  kann  demnach  die  Voraussetzung  nitht 
wohl  richtig  sein,    dass  die  Erde  in    ihrer  Hauptmasse  aus  flüssigem  oder  wf  • 
flüssigem  Materiale  bestehe.    Es  bleiben  dann  nur  zwei  Annahmen  möglich,  ent- 
weder  die  Erde  muss    so  fest  sein,    dass  die  langperiodischen  Gezeiten  in  sehr 
verkleinertem  Maasse,    die    kurzperiodischen   zwar   auch    in  verkleinertem,   al^r 
durch  die  unregelmässige  Gestaltung  der  Meeresbecken  stark  beeinflussten  Gr^lt 

*)    Verh.  d.  I.  deutsch.  Geogr.-Tages.  pag.  18. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  BeschafTenheit.  279 

auftreten  —  und  diesen  Schluss  ziehen  Thomson  und  Darwin  —  oder  es  giebt  einen 
dritten,  gasähnlichen  Zustand  des  Erdinneren,  dessen  Eigenschaften  die  Verzöger- 
ung und  Veränderung  der  Fluthen  zu  erklären  gestatten.  Zöppritz  glaubt  sich 
dieser  letzteren  Annahme  zuwenden  zu  sollen.  Allerdings  kann  auch  er  unter 
Berücksichtigung  aller  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse  sich  diesen  gas- 
förmigen Zustand  nicht  wohl  anders  vorstellen,  als  eine  im  überkritischen  Zustande 
befindliche,  unter  der  ungeheuren  Verdichtung  aller  freien  Beweglichkeit  der 
Theilchen  beraubte,  d.  h.  also  eigentlich  absolut  starre  Masse.  Trotzdem  glaubt 
er  den  Zustand  einen  gasähnlichen  nennen  zu  können;  denn  beim  Nachlasse  des 
Druckes  reagirt  die  Masse  ähnlich  wie  ein  Gas  und  dehnt  sich  in  jedem  ihr  ge- 
botenen Räume  aus.  Auf  dieses  Verhalten  des  Erdinneren,  das  allerdings  nicht 
mit  Nothwendigkeit  einen  gasförmigen  Zustand  voraussetzt,  das  aber  jedenfalls  flir 
die  vulkanischen  Erscheinungen  von  ganz  besonderer  Bedeutung  sein  kann,  werden 
wir  später  noch  zurückkommen. 

Jedenfalls  sind  die  Beobachtungen  über  alle  Verhältnisse  der  Gezeiten  nun 
auch  geologisch  von  dem  höchsten  Interesse. 

Soweit  heute  schon  die  vorhandenen  allerdings  nur  spärlichen  Beobachtungs- 
reihen Schlüsse  gestatten,  scheinen  sie  allerdings  die  Möglichkeit  der  Annahme 
eines  flüssigen  nur  von  dünner  Schale  umschlossenen  Erdkernes  auszuschliessen. 
Mancherlei  andere  Einwürfe  mechanisch-physikalischer  Art  gegen  die  eine 
oder  die  andere  Annahme  über  die  Beschaflenheit  des  Erdinnem  werden  sich  am 
besten  dann  noch  erörtern  lassen,  wenn  wir  versuchen,  unter  Zugrundelegung  der 
KANT-LAPLACE*schen  Theorie,  von  der  wir  im  Vorhergehenden  gezeigt  haben, 
dass  sie  durchaus  die  einzig  annehmbare  sei,  die  ersten  Vorgänge  in  der  Ent- 
wickdung  des  Erdsphäroides  im  Einzelnen  uns  klar  zu  machen. 

Wir  müssen  dabei  bis  auf  die  Fixstemphase  unseres  Planeten  zurückgreifen. 
Schon  in  dieser,  wo  die  Erde  nur  eine  glühende  Gasmasse  darstellte,  besass  sie 
ohne  Zweifel  die  abgeplattete  Gestalt  eines  Sphäroides,  dessen  Durchmesser 
natürlich  ein  sehr  viel  grösserer  gewesen  sein  muss  als  heute.  Der  jetzige  Erd- 
mittelpunkt war  aber  auch  damals  schon  der  Schwerpunkt  und  der  Attractions- 
mittelpunkt  für  alle  gasförmigen  Theilchen.  Dadurch  musste  auch  im  Inneren 
dieses  gasförmigen  Sphäroides,  da  alle  Theile  desselben  unter  einem  gewissen 
Drucke  der  äusseren  Gashülle  standen,  schon  eine  grössere  Dichtigkeit  herrschen 
und  eine  regelmässige  Zunahme  der  Dichtigkeit  nach  dem  Mittelpunkte  zu  ob- 
walten. Dieses  war  aber  keineswegs  verbunden  mit  einer  Trennung  oder 
Differenzirung  nach  einzelnen  elementaren  Stoffen  oder  nach  deren  spec.  Gewichte, 
sondern  ein  durchaus  gleichmässiges  Gemenge  aller  Elemente  in  gasförmigem 
Aggregatzustande  lag  vor.  Mit  diesem  und  der  hohen  Temperatur  ist  die  An- 
nahme so  vollkommener  Dissociationsverhältnisse  nothwendig,  dass  eine  stoffliche 
Trennung  der  Elemente  oder  einzelner  Verbindungen  derselben  nicht  wohl  mög- 
lich erscheint  Das  Gasgemenge  war  bezüglich  seiner  Mischung  überall  ein 
Gleiches,  nur  verschieden  bezüglich  des  Dnickes,  dem  es  in  verschiedenen 
Tiefen  ausgesetzt  war.  Dieser  Druck  musste  zwar  durch  die  Tension  des  Gas- 
gemenges  contrebalancirt  werden,  aber  ein  kleiner  Ueberschuss  des  Druckes  war 
nothwendig,  um  eine  Auflösung  der  Gasmasse  in  den  Weltraum  zu  verhindern. 
Wäre  dieses  Uebergewicht  des  aus  der  Gravitation  hergeleiteten  Druckes  nicht 
vorhanden  gewesen,  so  konnte  eine  weitere  Entwickelung  der  Erde  überhaupt 
nicht  erfolgen,  dann  wäre  auch  keine  Contraction  möglich  geworden.  Und  dieses 
gleiche  Spiel  der  vorzüglich  in  Betracht  kommenden  physikalischen  Kräfte:   der 


2  So  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Tension,  die  durch  die  Temperatur  erhöht  wird,  und  des  Druckes,  aus  Gravitation 
und  Contraction,  der  die  Temperatur  steigert,  während  eine  äussere  allmähliche 
Wärmeabgabe  an  den  Weltraum  erfolgte,  muss  auch  durch  den  ganzen  Ent- 
wickelungsgang  der  Erde  hindurch  dasselbe  geblieben  sein.  Gehen  wir  darauf 
noch  etwas  näher  ein. 

Mit  der  Abgabe  von  Wärme  an  den  Weltraum,  d.  i.  mit  Erkaltung  von  der 
Oberfläche  des  gasförmigen  Sphäroides  aus,  kam  nothwendig  zur  Wirkung  der 
blossen  Schwere  oder  Gravitation  auch  noch  die  der  eintretenden  Contraction 
hinzu.  Beide  setzten  sich  in  Wärme  um  und  so  entstand  wieder  eine  Tempcranir- 
erhöhung,  deren  Grösse  sich  jedoch  nur  schwer  bestimmen  lassen  möchte. 

Ist  aber  in  einer  gasförmigen  Kugel,  die  bis  zum  Flüssigwerden  erkaltet,  der 
Maximalwerth  des  Druckes  kleiner  als  die  Spannkraft  der  Dämpfe  im  Maximum 
der  Temperatur,  so  müsste  eine  solche  Kugel  von  innen  heraus  wieder  in  Dampf 
sich  verwandeln,  sich  dilatiren  und  sieden.  Ist  aber  umgekehrt  der  im  Inneren 
der  Kugel  herrschende  maximale  Druck  grösser  als  die  hier  obwaltende  Dampf- 
spannung, so  muss  umgekehrt  im  Inneren  der  gasförmigen  Kugel  zuerst  der  Dam[)f 
in  den  flüssigen  Aggregatzustand  übergeführt  werden. 

Wenn  also  auch  im  Erdsphäroide  durch  Erhöhung  der  Temperatur  in  Folge 
der  bei  der  Contraction  geleisteten  Arbeit  im  Mittelpunkte  die  grösste  Dampf- 
spannung herrschte,  so  musste  dieselbe  doch  jedenfalls  geringer  sein,  als  der 
hier  herrschende  maximale  Druck,  da  thatsächlich  eine  Dilatirung  des  Erd- 
späroides  nicht  erfolgte,  vielmehr  dasselbe  fortschreitend  durch  den  flüssigen  Zu- 
stand in  den  theilweise  oder  ganz  festen  überging.  Es  folgt  hieraus  nothwendig, 
dass  die  Verdichtung  der  Gase  im  Inneren  vor  sich  ging  und  sich  also  in  dem 
Sphäroide  zuerst  ein  flüssiger  Kern  um  den  Mittelpunkt  herumlagerte. 

Mit  der  weiteren  Abnahme  der  Temperatur  nach  aussen  schritt  die  gleiche 
Entwickelung  fort.  Wenn  auch  die  Contraction  fortdauernd  wieder  eine  Temperatur- 
erhöhung zur  Folge  haben  musste,  so  konnte  dieselbe  doch  nicht  hoch  genu^ 
sein,  um  die  allgemeine  Abnahme  zu  beeinflussen  oder  das  oben  aufgestellte 
Verhältniss  von  Dampfspannung  und  Druck  zu  alteriren.  In  jedem  Momente,  wo 
dieses  umgekehrt  sich  gestaltet  hätte,  würde  eine  sofortige  Auflösung  des 
Sphäroides  in  den  Weltraum  die  Folge  gewesen  sein. 

Da  nun  die  Abgabe  der  Wärme  von  der  Oberfläche  aus  erfolgte,  so  trat 
der  Uebergang  aus  dem  gasförmigen  in  den  flüssigen  Zustand  in  Folge  der  blossen 
Erkaltung  hier  eigentlich  zuerst  ein,  sowie  die  Verdampfungstemperatur  des  Ga>- 
gemenges  erreicht  und  dann  noch  eine  weitere  Erniedrigung  der  Temperatur 
erfolgt  war.  Dass  möglicherweise  hierbei  die  Verschiedenheit  in  der  Höhe  dc> 
Verdampfungspunktes  für  einzelne  Stoße  mit  in  Betracht  kam,  davon  wollen  wir 
hier  absehen,  jedenfalls  trat  dieser  Umstand  aber  bei  dem  Uebergange  aus  dem 
flüssigen  in  den  festen  Zustand  in  Wirksamkeit. 

Das  höhere  spec.  Gewicht  d.  i.  die  grössere  Dichtigkeit  der  entstandenen 
flüssigen  Theile  trieb  diese  von  der  Oberfläche  aus  dem  Mittelpunkte  zu.  Mit 
dieser  Bewegung  traten  sie  natürlich  in  die  sich  folgenden  Zonen  höheren  I)nicke> 
und  höherer  Temperatur  ein.  Sie  hätten  durch  den  Einfluss  der  letzteren  nai'ir- 
lieh  wieder  in  den  gasförmigen  Zustand  zurücksteigen  müssen,  wenn  nicht  der 
gleichzeitig  zunehmende  Dnick  ein  grösserer  gewesen  wäre,  als  die  durch  die 
höhere  Temperatur  bewirkte  Spannung.  Das  war  an  keiner  Stelle  der  Fall;  m» 
konnte  der  einmal  flüssige  Tropfen  nicht  wieder  gasförmig  werden,  sondern  ge 
langte,  stets  dichter,  als  die  ihn  umgebenden  Massen,  mit  denen  er  den  gleichen 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  281 

Dnick  und  die  gleiche  Temperatursteigerung  durchmachte,  bis  zum  Mittelpunkte 
der  Erde. 

Der  Uebergang  aus  dem  gasförmigen  in  den  flüssigen  Aggregatzustand  er- 
folgte also  im  Grossen  und  Ganzen  von  Innen  nach  aussen;  im  letzten  Stadium 
dieses  Processes  war  die  Erde  eine  gluthfllissige  von  gasförmiger  Hülle  umgebene 
Kugel ;  das  wäre  also  etwa  die  Sonnenphase  unseres  Planeten  gewesen. 

Bei  einer  bestimmten  Temperatur,  auf  deren  Höhe  hier  nichts  ankommt,  da 
immer  nur  das  gegenseitige  Verhältniss  von  Temperatur-  und  Druckmaximis  das 
Bedeutungsvolle  ist,  begann  der  Process  des  Ueberganges  aus  dem  flüssigen  in 
den  festen  Zustand. 

Auch  dieser  verlief  im  Allgemeinen  mit  der  regelmässig  erfolgenden  Temperatur- 
abnahme  ohne  Störung  trotz  der  durch  die  Contractionsbewegung  erzeugten 
Wärme.  Nur  die  plötzliche  Aufhebung  des  Druckes  an  einer  Stelle  des  Inneren 
hätte  hier  eine  gewaltsame  Aenderung  in  dem  Gleichgewichte  der  Kräfte  und 
eine  Unterbrechung  der  sich  abspielenden  Vorgänge  hervorrufen  können.  In 
einer  gasförmigen  und  flüssigen  Kugel  aber  erscheint  dieses  nicht  wohl  möglich. 
Denn  in  allen  Theilen  bleibt  die  Gravitation  und  damit  der  Druck  durch  die 
volle  Beweglichkeit  immer  gleichmässig  wirksam.  Das  konnte  erst  anders  werden, 
nachdem  eine  feste  Rinde  gebildet  war,  wenn  diese  die  Kraft  besass,  im  Ganzen 
als  selbsttragendes  Gewölbe  zu  wirken,  oder  in  einzelnen  Theilen  wenigstens, 
wenn  dieses  auch  im  Ganzen  nicht  der  Fall  war,  eine  Aufhebung  oder  Ver- 
minderung des  Druckes  gestattete. 

Wir  können  nun  aber  nach  den  allgemeinen  Erfahrungen  der  Physik  wohl 
annehmen,  dass  der  Uebergang  aus  dem  flüssigen  in  den  festen  Zustand  nach 
gleichen  Gesetzen  erfolgt,  als  der  aus  dem  gasförmigen  in  den  flüssigen.  Seit- 
dem selbst  die  sog.  permanenten  Gase  durch  Abkühlung  und  Verdichtung  flüssig 
und  fest  erhalten  worden  sind  und  damit  ihre  Condensirbarkeit  erwiesen  ist,  kann 
das  physikalische  Gesetz  als  ein  allgemein  giltiges  bezeichnet  werden:  dass  alle 
Körper  überhaupt  die  drei  Aggregatzustände  anzunehmen  vermögen  und  dass 
alle  durch  Abkühlung  und  Verdichtung  aus  dem  gasförmigen  in  den  flüssigen 
und  aus  diesem  in  den  festen  übergehen.  Die  Verhältnisse  von  Druck  und 
Temperatur  sind  hierbei  wieder  die  Hauptsache.  Bestimmter  drückt  dies  die 
Physik  in  dem  Satze  aus :  der  Schmelzpunkt  wird  bei  vermehrtem  Drucke  erhöht 
bei  allen  den  Substanzen,  deren  Volumen  beim  Schmelzen  vergrössert  wird, 
dagegen  wird  der  Schmelzpunkt  erniedrigt,  wenn  die  Substanz  beim  Schmelzen  ihr 
Volumen  verkleinert.  Das  erstere  gilt  ohne  Zweifel  fiir  die  Mehrzahl  aller  be- 
kannten Körper;  Versuche  beim  Eise  haben  die  Richtigkeit  des  letzteren  gezeigt. 

Waren  aber  in  dem  gasförmigen  Sphäroide  alle  Stoffe  in  vollkommener 
Dissociation  vorhanden,  so  dass  dieselben  ein  vollkommenes  Gemenge  von  einem 
gemeinsamen  mittleren  spec.  Gewichte  darstellten,  aber  nicht  nach  der 
Eigenschwere  jedes  einzelnen  zur  Gruppirung  kamen,  so  musste  dieses  Verhält- 
niss in   der  flüssigen  Kugel  ein  anderes  geworden  sein. 

Dass  auch  bei  dem  Uebergange  aus  dem  gasförmigen  in  den  flüssigen  Zu- 
stand die  Verschiedenheit  der  Verdampfungstemperaturen  der  einzelnen  elemen- 
taren Stoffe  zur  Geltung  gekommen  sei,  dass  also  die  Elemente  mit  den  höchsten 
Siedepunkten  zuerst  flüssig  werden  mussten,  ist  jedenfalls  nicht  unwahrscheinlich. 
Aber  bei  dem  Uebergange  aus  dem  flüssigen  in  den  festen  Zustand  lassen  sich 
diese  Vorgänge  besser  verfolgen,  da  sie  nunmehr,  mit  dem  Aufhören  der  freien 


282  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Beweglichkeit  der  einzelnen  Theile  zu  dauerhaften,  nicht  leicht  verwischbaren 
Zustanden  im  Erdsphäroide  führen  mussten. 

Der  Siedepunkt  ist  allerdings  in  weit  höherem  Maasse  von  dem  Drucke  ab- 
hängig als  der  Schmelzpunkt.  Soweit  unsere  Kenntniss  reicht,  liegen  die  Siede- 
punkte der  Schwermetalle  am  höchsten  (mit  wenigen  Ausnahmen)  und  auch 
der  Siedepunkt  soviel  höher  als  der  Schmelzpunkt. 

Nach  den  Erfahrungen  bei  den  hierin  bekannten  Körpern  kann  man  die 
Annahme  wohl  auch  verallgemeinern,  dass  die  höchsten  Schmelzpunkte  auch  der 
höchsten  Siedepunkten  entsprechen.  Wie  sich  diese  Verhältnisse  bei  anderem 
als  dem  gewöhnlichen  Atmosphärendruck,  zumal  bei  sehr  gesteigertem  Drucke 
gestalten,  wissen  wir  allerdings  nicht. 

Für  das  Ebengesagte  mag  die  folgende  kleine  Tabelle  als  Erläuterung  und 
Beleg  dienen: 


Schmelzpunkt. 

Siedepunkt. 

Schwefel 

iii^C. 

448° 

Cadmium 

320° 

720° 

Zink 

412^ 

1040** 

Silber 

1000° 

Knallgasgebläse. 

Die  chemische  Vereinigung  mit  einer  anderen  Substanz  oder  die  Ix>sung  m 
einer  anderen  verändert  auch  die  Lage  des  Siedepunktes.  Dass  solche  Vorgange 
auch  im  Erdsphäroide  zur  Geltung  kommen,  ist  wohl  gewiss;  ihre  Bedeutung 
können  wir  im  Einzelnen  auch  nicht  annähernd  erkennen  und  schätzen.  Im 
Ganzen  können  sie  einen  anderen  Gang  der  allgemeinen  Entwickelung  aber  nicht 
herbeigeführt  haben. 

Die  Annahme  erscheint  also  den  physikalischen  Erfahrungen  zu  entsprechen, 
dass  auch  die  noch  gasförmige  Hülle  des  schon  grösstentheils  flüssigen  Erd 
sphäroides  die  Elemente  in  Gasform  vorzüglich  enthalten  musste,  deren  Ver 
dampfungstemperatur  sowohl  fiir  die  Oberfläche  der  Flüssigkeit  und  den  don 
herrschenden  Druck,  der  natürlich  bei  dieser  Atmosphäre  ein  >ieiraches  un^cre^ 
heutigen  Atmosphärendruckes  war,  als  auch  ftir  jede  Stelle  im  Inneren  der 
flüssigen  Sphäre  noch  unterhalb  der  obwaltenden  Temperatur  und  der  Druck- 
wirkungen gelegen  war.  Die  permanenten  Gase  und  alle  Elemente  von  niedrij;er 
Verdampfungstemperatur  spielten  in  der  damaligen  Erdatmosphäre  die  Haupt- 
rolle, sowie  sie  in  der  Sonnenatmosphäre  und  in  glühenden,  in  einer  einiger 
maassen  ähnlichen  Phase  befindlichen  Himmelskörpern  spectralanalytisch  noih 
heute  erkannt  werden. 

Diese  Verhältnisse  gestalteten  sich  in  dem  weiter  erkaltenden  flüssigen' 
Sphäroide  nun  immer  bestimmter  und  mussten  hier  zu  einer  fortschreitenden 
Diflerenzirung  der  einzelnen  elementaren  Stoflfe  nach  ihren  Schmelz-  und  Siede- 
punkten führen.  Auch  die  Wirksamkeit  der  chemischen  Vereinigimg  und 
Mischung  trat  nun  mit  der  Abnahme  der  vollkommenen  Dissociation  immcri 
mehr  hervor. 

Wir  können  daher  wohl  annehmen,  dass  bei  dem  Uebergange  aus  fitmi 
flüssigen  in  den  festen  Zustand  eine  individuelle  Gruppirung  der  Elemertarstolfe 
und  ihrer  Verbindungen,  trotzdem  dieselben  durch  vielfache  Strömungen  im 
Inneren  und  an  der  Oberfläche  der  flüssigen  Sphäre  in  Mischung  gehalten  wurden» 
doch  nothwendig  theilweise  vorangegangen  sein  musste. 

Die  Emzelheiten  und  die  Ursachen  der  eben  genannten  Strömungen  können 
wir  hier  ausser  Acht  lassen,  wenngleich  sich  daran  sowohl  für  die  Art  der  Al>- 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  BeschafTenheit.  283 

kühlung  als  auch  den  Oberflächenort  der  ersten  beginnenden  Erstarrung  wichtige 
Erörterungen  anschliessen  lassen.  Sie  waren  jedenfalls  die  Veranlassung,  dass  in 
der  flüssigen  Sphäre,  wenn  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  eine  Differenzirung 
in  Elementarstüfle  sich  vollzogen  hatte,  dennoch  eine  regelmässige  Anordnung 
nach  dem  spec.  Gewichte  noch  nicht  erfolgt  war.  Das  stimmt  auch  mit  unseren 
Erfahrungen  über  den  Zustand  flüssiger  Gesteinsmagmen  überein,  in  denen  eben 
falls  die  Differenzirung  in  einzelne  Bestandtheile  erst  erfolgt,  wenn  die  Erkaltung 
bis  nahe  an  den  Erstarrungspunkt  fortgeschritten  und  die  freie  Beweglichkeit  der 
einzelnen  Theile  des  Magma's  eine  sehr  beschränkte  geworden  ist.  Wird  diese 
Orenze  durch  sehr  schnelle  Erkaltung  zu  schnell  überschritten,  so  erstarrt  das  Magma 
711  einem  Glase,  das  nach  Mischung  und  spec.  Gewichte  als  das  Mittel  der  Stoffe 
und  ihrer  Eigenschwere  angesehen  werden  muss,  die  sich  bei  langsamerer  Ent- 
\^ickelung  gebildet  haben  würden.  Gerade  das  Erhalten  der  dem  Erstarrungs- 
momente nahe  liegenden  Temperatur  über  längere  Zeit  hin,  hat  zur  künstlichen 
Darstellung  der  Minerale  geführt,  die  vorzüglich  auch  in  vulkanisch  gebildeten, 
aus  dem  Schmelzflusse  erstarrten  Gesteinen  auff:reten. 

Die  flüssige  Sphäre  behielt  also  durch  die  in  ihr  bis  zu  einer  gewissen 
Periode  erhaltene  leichte  Beweglichkeit  aller  Theile  und  die  diese  ergreifenden 
Strömungen  einmal  das  mittlere  spec.  Gewicht  der  Mischung  aller  in  ihr  vor- 
handenen Elemente  an  der  Oberfläche  oder  für  jeden  Punkt  im  Inneren  selbst- 
verständlich unter  Anrechnung  des  Druckes.  Aber  auch  für  die  Vertheilung  der 
Temperatur  waren  diese  Strömungen  von  grosser  Wichtigkeit. i) 

Denken  wir  uns  also  nun  ein  Sphäroid,  in  dem  alle  Elemente  und  deren 
Verbindungen  in  einer  schmelzflüssigen  Lösung  gleichzeitig  vorhanden  waren,  in  der 
aber,  so  wollen  wir  annehmen,  ein  gewisses  chemisches  Gleichgewicht  hergestellt 
war,  so  dass  wir  zunächst  von  einem  vielfachen  Wechsel  in  der  Art  der  einzelnen 
Stoffe  und  Verbindungen  absehen  können.  (Thatsächlich  wissen  wir  über  diese 
Verhältnisse  nichts  einigermaassen  Wahrscheinliches.)  Dieses  schmelzflüssige 
Sphäroid  besass  ein  mittleres  spec.  Gewicht,  das  höher  war,  als  das  der  leicliteren 
darin  in  Mischung  befindlichen,  niedriger  dagegen  als  das  der  schwereren  Stoffe 
und  Verbindungen. 

War  die  Oberfläche  dieses  Sphäroides  durch  Wärmeabgabe  bis  zu  dem  Punkte 
der  Erkaltung  fortgeschritten,  dass  überhaupt  eine  Differenzirung  und  ein  Fest- 
werden einzelner  Stoffe  oder  Verbindungen  beginnen  konnte,  so  mussten,  wie  vor- 
her erörtert,  diejenigen  den  Anfang  machen,  welche  die  höchsten  Erstarrungs-  und 
Schmelzpunkte  besassen.  Für  diese  aber  gab  es  bezüglich  ihrer  spec.  Schwere  und 
der  Volumveränderung  beim  Uebergang  aus  dem  einen  Aggregatzustand  in  den 
anderen  folgende  Möglichkeiten:    Entweder  sie  besassen: 

1.  Ein  sehr  hohes  spec.  Gewicht  und  einen  hohen  Contractions- 
coefficienten,  oder 

2.  ein  hohes  spec.  Gewicht,  dehnten  sich  aber  beim  Festwerden  aus,  oder 

3.  ein  niedriges  spec.  Gewicht  und  hohen  Contractionscoefficienten,  oder 

4.  ein  niedriges  spec.  Gewicht  und  dehnten  sich  aus. 

Alle  diese  Fälle  erscheinen  auf  den  ersten  Blick  flir  die  Frage  von  Bedeutung, 
üb  die  erstarrten  Theile  an  der  Oberfläche  des  Sphäroides  eine  feste  Rinde  zu 
bilden  im  Stande  oder  aber  unterzusinken  gezwungen  waren. 

Von  vornherein  beschränken  sich  aber  diese  Möglichkeiten  ungemein.    Denn 


*}  Zöllner:  Ueber  die  Natur  der  Cometen.     pag.  486. 


284  Mineralogie,  Geologie  und  Falaeontologie. 

da  der  erstarrte  Körper,  der  gleichzeitig  von  dem  Gesammtmagma  auch  stoflBicVi 
sich  difFerenzirt  hatte,  nun  mit  seiner  Eigenschwere  erscheint,  so  kommt  es  also 
auf  die  Contractions-  oder  Ausdehnungsfähigkeit  desselben  nur  in  dem  Falle  an, 
dass  er  nahezu  das  gleiche  spec.  Gewicht  des  gemeinsamen  Magma's  besass  und 
also  durch  Dilatation  weniger  dicht,  durch  Contraction  dichter  wie  dieses  werden 
und  darnach  auf  demselben  schwimmen  oder  darin  untersinken  musste.  Dieser 
Fall  ist  aber  jedenfalls  fast  ganz  ausser  Acht  zu  lassen,  wie  sich  aus  unserer 
weiteren  Betrachtung  noch  näher  ergeben  wird. 

Die  meisten  zunächst  nach  ihren  Schmelzpunkten  in  Betracht  kommenden 
Stoffe  sind  jedenfalls  so  viel  schwerer,  wie  das  gemeinsame  Magma  oder  auch 
so  viel  weniger  dicht,  dass  auch  ein  hohes  Maass  von  Contraction  oder  Dilata- 
tion sie  bezüglich  ihrer  Dichte  dem  Magma  gar  nicht  zu  näheren  vermag. 

Dieser  Umstand  scheint  auch  bei  der  Beurtheilung  der  geologischen  Be- 
deutung der  Versuche  über  das  Verhalten  von  Metallen  oder  künstlich  erstarrten 
Silicatschmelzilüssen,  z.  B.  Glas,  bisher  nicht  genügend  betont  worden  zu  sein. 
Denn  ob  ein  Metall  oder  ein  Glasfluss  einen  hohen  Contractionscoefficienten  be- 
sitzt, oder  ob  es  sich  im  Gegentheile  ausdehnt,  das  kann  doch  nur  dann  für  das 
Schwimmen  oder  Untertauchen  der  auf  der  erstarrenden  Erdrinde  sich  bildenden 
Schollen  als  eine  Analogie  gelten,  wenn  wir  voraussetzen,  dass  erstarrte  und  ge- 
schmolzene Masse  stofflich  identisch  sind.  Denn  bei  allen  über  jenes  Verhalten 
angestellten  Versuchen  ist  immer  nur  dasselbe  feste,  erstarrte  Metall  auf  dem 
flüssigen  zum  Schwimmen  oder  zum  Untertauchen  gebracht  worden. 

Für  die  Verhältnisse,  wie  sie  bei  der  Erstarrung  der  Erdrinde  obwalteten, 
war  es  ganz  gleichgiltig  ob,  wie  es  Millar's^)  Versuche,  mit  denen  auch  die 
neuerdings  von  F.  Nies  und  Winkelmann 2)  angestellten  übereinzustimmen  scheinen, 
wahrscheinlich  machen,  das  Eisen  beim  Festwerden  sich  ausdehne  oder  sich 
contrahire,  wie  es  die  Versuche  von  Mallet*)  und  Roberts*)  ergeben  hatten. 
Der  letztere  fand,  dass  zwar  das  Eisen  beim  Abkühlen  aus  dem  flüssigen  Zustand 
zum  plastischen  sich  ausdehne  und  zwar  schnell  bis  zu  6},  dann  aber  beim 
Uebergang  zum  festen  sich  wieder  um  y^  contrahire.  Alle  diese  Versuche 
sind  eben  dadurch  von  der  Wirklichkeit  beim  Erstarrungsprocesse  der  Erde 
fundamental  verschieden,  dass  in  letzterem  Falle  der  erstarrte  Körper  immer 
ein  ganz  anderer  war,  als  das  übrigbleibende  flüssige  Magma.  Hier  kam 
nicht  Eisen  mit  Eisen,  Wismuth  mit  Wismuth,  erstarrte  Glasmasse  mit  schmelzen- 
dem Glase  von  gleicher  Zusammensetzung  zum  Vergleiche,  sondern  ein  Metall 
also  z.  B.  Eisen  mit  dem  spec.  Gewichte  von  7—8  gegenüber  einem  Magma  von 
jedenfalls  geringerem  spec.  Gewicht  als  5  •  5,  oder  anderseits  auch  ein  Silicat  2.  B. 
von  dem  spec.  Gewichte  des  Granites  2,6  mit  einem  eben  solchen,  viel  dichteren 
Magma.  Die  so  überaus  unsicheren  und  keineswegs  weder  nach  der  einen  noch 
der  anderen  Seite  hin  entscheidenden  Versuche  und  Ansichten  über  die  Contrac- 
tions- und  Dilatationsvorgänge  beim  Uebergange  flüssiger  Körper  in  den  festen 
Aggregatzustand  kommen  also  zunächst  gar  nicht  in  Betracht  Wir  werden  sehen, 
dass  sie  im  Verlaufe  der  fortschreitenden  Erstarrung  allerdings  später  einmal  von 
Bedeutung  im  Processe  der  Erdentwicklung  wurden,  aber  erst  dann,  als  die 
wesentliche  Anordnung  der  erstarrten  Theile  schon  erfolgt  war. 

>)  MnjJiR,  Naturc  18.  1878.    pag.  464. 

*)  Annalen  der  Physik  und  Chemie  1881.    Neue  Folge  XIII.  pag.  43  ff- 

^  Mallkt,  Philos.  Mag.  (4)  49  1875.  pag.  231. 

*)  Robert's  Philos.  Mag.   it.   1881.  pag.  295. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit. 


2S5 


Die  im  Vorhergehenden  aufgestellten  4  Fälle  reduciren  sich  also  flir  den 
Beginn  des  Erstarrungsprocesses  der  Erde  dahin:  haben  die  Stoffe,  welche  die 
höchsten  Schmelz-  und  Erstarrungspunkte  besitzen,  ein  sehr  hohes,  oder  ein  sehr 
niedriges  spec.  Gewicht  oder  endlich  grösstentheils  ein  mittleres,  das  der  mitt- 
leren Dichte,  die  dem  Gemenge  aller  Elemente  eigen  sein  muss,  sehr  nahe  ge- 
legen ist? 

In  der  nachfolgenden  Tabelle  sind  die  wichtigsten  Elemente  nach  ihren  be- 
kannten Schmelzpunkten  und  ihren  spec.  Gewichten  geordnet  in  zwei  Reihen 
neben  einander  gestellt. 


Element. 

Schmebpunkt.            Dichte. 

Element. 

Schmelzpunkt. 

Dichte. 

Arsen 

?                4,7  -  5  J 

Gold 

1100° 

19,3 

Iridium 

2700**                 23 

Silber 

1000 — 1100° 

'o,5 

Platin 

2000°                21,5 

Antimon 

425° 

6,7 

Wolfram 

1700°                16,6 

Zink 

412° 

7     7,2 

Nickel 

1600'^                8,8—9 

Blei 

325° 

11,37 

Mangan 

1600"                  7,2 

Cadmium 

320° 

8,6 

Cobalt 

1400°                 8,9 

Wismuth 

267° 

9,9 

Kupfer 

13—1400''                8—9 

Zinn 

225° 

7,3 

Kisen 

I200°                          7,6 

Quecksilber       — 39° 

13,6 

and  andererseits  die  Nichtschwerinetalle  und  Metalloide: 

Silicium            2000' 

2,: 

l — 2,6 

Baryum          Rothgluth 

3,6 

Aluminium            „ 

2,56 

Calcium                „ 

hS 

• 

Magnesium,  dunkle  Rothgluth 

i>75 

Natrium                95  ° 

0,972 

Kalium               62,5' 

0 

0,865 

Phosphor  44°  1,8 — 2,1. 

Aus  dieser  Tabelle  geht  eines  mit  Sicherheit  hervor,  dass  die  Körper  mit 
hohen  Schmelzpunkten  sich  in  zwei  Gruppen  zerlegen,  einmal  die  schweren 
Metalle,  und  zwar  haben  die  schwersten  Metalle  auch  ziemlich  übereinstimmend 
gerade  die  höchsten  Schmelzpunkte  und  dann  in  die  Elemente,  die  wesentlich 
an  der  Bildung  der  Silicate  betheiligt  sind  und  das  niedrige  spec.  Gewicht  dieser 
besitzen. 

War  also  in  der  Phase  der  Erdentwicklung,  wo  die  Temperatur  an  der 
Oberfläche  des  flüssigen  Sphäroides  von  einer  mittleren  Dichte  soweit  erniedrigt 
war,  dass  sie  sich  den  höchsten  Schmelztemperaturen  der  uns  bekannten  Stofle 
näherte,  endlich  der  Moment  eingetreten,  wo  eine  Ausscheidung  begann,  so  waren 
es  nach  der  Tabelle  zunächst  die  schwersten  Metalle  einerseits,  die  Kieselsäure 
und  Silicate  andererseits,  welche  die  Erstarrung  einleiten  mussten.  Auf  die  Grösse 
der  Werthe  für  die  damalige  Dichte  der  einzelnen  Stoffe,  die  wir  natürlich  nicht 
bestimmen  können,  da  uns  die  Kenntniss  des  damals  obwaltenden  Druckes  fehlt, 
kommt  es  hierbei  wiederum  nicht  an,  sondern  nur  auf  das  gegenseitige  Ver- 
hältniss  der  Dichte,  von  dem  wir  wohl  voraussetzen  können,  dass  es  unter  gleichen 
Bedingungen  für  alle  Stoffe  ein  constantes  bleibt. 

Die  zuerst  ausgeschiedenen  festen  Theile  waren  also  z.  Th.  von  sehr  viel 
höherem  spec.  Gewichte  als  das  gemeinsame  feurigflüssige  Magma  z.  Th.  von 
sehr  viel  geringerer  Dichte.    Selbst  wenn  alle  Schwermetalle  sehr  beträchtlich 


286  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

sich  beim  Erstarren  ausgedehnt  hätten,  würden  sie  doch  hierdurch  das  niedrige  spec. 
Gew.  desMagma's  ebenso  wenig  haben  erreichen  können,  wie  die  Silicate,  wenn  diese 
sich  beträchtlich  contrahirt  hätten  i).  Für  die  Metalle  aber  nahm  man  grössten- 
theils  früher  die  grössten  Contractionscoefficienten  an,  fiir  die  Silicate  nur  sehr 
geringe  oder  im  Gegentheil  eine  Ausdehnung.  In  keinem  Falle  wurde  also 
das  Verhältniss  alterirt,  dass  die  vermöge  ihrer  hohen  Schmelzpunkte  aus  dem 
sich  abkühlenden  schmelzflüssigen  Erdsphäroide  an  dessen  Oberfläche  zueist 
sich  bildenden  festen  Schollen,  z.  Th.  vermöge  ihres  hohen  spec.  Gewichts  in 
demselben  zum  Untersinken  kommen,  z.  Th.  aber  nothwendig  auf  demselben 
schwimmend  sich  erhalten  konnten.  Die  letzteren  waren  in  der  Lage  nach  nnd 
nach  eine  feste,  die  ganze  Erde  umhüllende  Rinde  zu  bilden,  die  zunächst  aller- 
dings nur  von  der  unterliegenden  Schmelzflüssigkeit  getragen,  keineswegs  die 
Beschaffenheit  eines  sich  selbst  tragenden  Gewölbes  annahm. 

Die  untersinkenden  Schollen  von  hohem  spec.  Gewichte  gelangten  in  Zonen 
immer  zunehmender  Temperaturen  und  würden  hier  wieder  zum  Einschmelzen 
gekommen  sein,  wenn  nicht  der  proportional  wachsende  Druck  auch  successi>e 
ihre  Schmelzpunkte  heraufgerückt  hätte.  Hier  stehen  wir  wieder  vor  der  aller- 
dings unentschiedenen  Frage,  wie  das  Verhältniss  der  durch  die  Wärmezunahme 
bedingten  Tension  zu  dem  durch  die  Gravitation  bewirkten  Druck  gewesen  sein 
mag.  Blieb  dieses  auch  jetzt  das  Gleiche,  wie  in  der  ersten  Phase  der  Erd- 
bildung  beim  Uebergange  aus  dem  gasförmigen  in  den  flüssigen  Zustand,  und 
es  ist  kein  Grund  gegen  diese  Annahme  anzuführen,  so  musste  jede  untersinkende 
Scholle  in  festem,  immer  dichter  und  starrer  werdenden  Zustande  bis  zum  Gni%> 
tationsmittelpunkte  gelangen  können. 

So  stellt  sich  der  Erstarrungsprocess  als  ein  zweifacher  dar,  einmal  erfolgte 
er  von  Aussen  nach  Innen,  gleichzeitig  dann  aber  auch  von  Innen  nach  Aussen 
fortschreitend.  Der  feste  Kern  nahm  immer  mehr  zu,  indem  sich  ihm  alle  Schwer- 
metalle in  der  Folge  ihrer  Erstarrungstemperaturen  anlagerten,  und  die  Rinde 
wuchs  durch  Anlagerung  an  ihre  Unterlage  durch  die  weitere  Erstarrung  der 
schwer  schmelzbaren  Stoffe  von  niedrigem  spec.  Gewichte,  wie  die  Silicate. 

Dass  in  beiden  Theilen,  sowohl  in  der  äusseren  Rinde  als  im  inneren  Kern, 
aber  auch  von  diesem  abweichend  sich  verhaltende  Körper  durch  mechanische*^ 
Umschliessen  von  den  erstarrten  Schollen  festgehalten  werden  konnten  und  das» 
sonach  die  Zusammensetzung  beider  Erstarrungszonen  eine  ungleiche,  zusammen- 
gesetzte werden  musste,  ist  wohl  keine  unwahrsc^ieinliche  Annahme.  Jedenfalls 
kamen  auch  die  die  Schmelzpunkte  wesentlich  modificirenden  Verhältnisse  >on 
Legirungen,  sowie  die  vielfachen  Wirkungen  chemischer  Vorgänge,  Verbindunger. 
und  Lösungen  hierbei  mit  in  Betracht,  ohne  dass  wir  in  der  I^age  wären,  die 
selben  im  Einzelnen  zu  beurtheilen  und  zu  schätzen. 

Eins  aber  war  nothwendig  die  Folge  dieser  in  zwei  Richtungen  fortschreiten- 
den Verfestigung  der  Erde.  Je  mehr  die  leichteren  und  schwereren  Stoffe  von 
hohen  Schmelzpunkten  aus  dem  gemeinsamen  Magma  ausschieden,  amsomehr 
musste  die  Dichte  desselben  abnehmen  und  eine  solche  werden,  dass  sie  Mch 
der  Dichte  der  einzelnen  darin  gemengten  Stoffe  näherte.  Mehr  und  mehr 
mochten  für  diesen  Rest  des  Magma's  dann  die  Verhältnisse  der  Contractivtn 
oder  Dilatation  der  erstarrenden  Theile  von  Bedeutung  werden.     Da  zudem  die 

I)  Dass  in  der  That  die  Silicate  aber  bei  der  Erstamuig  sich  ausdehnen,  scheinen  iIk 
Versuche  von  Sikmens,  Berl.  Monatsber.  1878  pag.  570,  entgegen  früherer  Annahme  ron  THomsok 
Phil.  Trans.  153.  1863.  pag.  573  danuthun. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit.  287 

Rinde  ein  niedrigeres  spec.  Gewicht  besass  als  das  Magma,  aus  dem  sie  sich  aus- 
schied, so  verminderte  sich  für  dieses  einigermaassen  der  Druck  und  dadurch 
konnte  ein  Zurückweichen  vom  Erstarningspunkte  in  grössere  Schmelzflüssigkeit 
herbeigeführt  werden,  d.  h.  der  Process  der  Erstarrung  schritt  schon  durch  den 
geringen  Druck  langsamer  fort  bei  dem  gleichen  Maasse  der  Wärmeabgabe. 

Wir  können  uns  nun  a  priori  recht  wohl  vorstellen,  dass  die  Erstarrung  in 
dieser  Weise  fortschreitend,  endlich  soweit  gediehen  war,  dass  nur  eine  verhältniss- 
mässig  dünne  Zwischenzone  zwischen  dem  festen  Kerne  und  der  festen  Rinde 
übrig  blieb  und  dann  fragen,  welche  Beschaffenheit  muss  nach  dem  Vorher- 
gehenden dieser  Zone,  die  wir  als  Median zone  bezeichnen  wollen,  zukommen. 
Die  Antwort  scheint  hier  auffallend  mit  geologischen  Erfahnmgen  über  das  wirk- 
liche Vorhandensein  einer  ganz  besonders  gearteten  Zone  übereinzustimmen,  der 
sogen.  Olivinzone. 

Dass  das  spec.  Gewicht  dieser  Medianzone  ein  etwas  niedrigeres  sein  musste 
als  das  mittlere  des  ursprünglichen  Magma's  und  dass  andererseits  dasselbe  dem 
der  einzelnen  Stoffe,  die  an  der  Zusammensetzung  sich  betheiligten,  sehr  nahe 
stehen  musste,  wurde  vorhin  schon  bemerkt.  Ausserdem  aber  müssen  in  dieser 
Zone  sowohl  Silicate,  d.  h.  Glieder  der  äusseren,  als  auch  Schwermetalle,  d.  h. 
Glieder  der  inneren  Erstarrungs-Reihe  in  solchen  Verbindungen  überwiegen,  dass 
ihre  spec.  Gewichte  eine  Mittelstellung  einnehmen. 

Diesen  Bedingungen  scheint  vorzugsweise  die  Olivingruppe  zu  entsprechen, 
die  einerseits  mit  dem  Forsterit,  dessen  spec.  Gew.  nur  3,243  beträgt,  an  die 
Silicate,  andererseits  mit  dem  eisenreichen  Fayalit,  dessen  spec.  Gewicht  bis  zu 
4.3  sich  steigert,  unmittelbar  an  das  Magneteisen  sich  anreiht.  Sie  entspricht 
iber  noch  einer  weiteren  Bedingung,  die  sich  für  diese  Medianzone  zwischen  der 
iusseren  Kinde  und  dem  festen  Kerne  nach  dem  vorherigen  von  selbst  ergiebt: 
nämlich  die,  ein  sehr  basisches  Silicat  darzustellen.  Je  mehr  die  Silicate  von 
dem  niedrigen  spec.  Gew.  und  hohen  Schmelztemperaturen,  als  deren  Durch- 
schnittszusammensetzung wir  etwa  die  des  Granits  gelten  lassen  können,  in  der 
iusseren  Rinde  aus  dem  gemeinsamen  Magma  sich  abschieden,  um  so  basischer 
musste  natürlich  dieses  letztere  werden.  Das  entsprach  hinwieder  dem  Umstände, 
dass  es  länger  in  flüssigem  Aggregatzustande  verharrte,  denn  die  basischeren 
Silicate,  besonders  die  eisenreichen,  haben  niedrigere  Schmelzpunkte. 

Wir  kommen  auf  diesem  Wege  zu  der  Annahme,  dass  Olivingesteine  im 
Inneren  der  Erde  eine  sehr  bedeutende  Rolle  spielen  und  begegnen  hier  ganz 
ähnlichen,  wenn  auch  auf  anderem  Wege  herbeigeführten  Schlussfolgerungen,  wie 
sie  Daubr£e  aus  seinen  schönen  Untersuchungen  über  die  Meteoriten  und  deren 
Vergleichung  mit  den  tiefen  Gesteinen  der  Erde  gewann.^) 

Kein  Mineral  tritt  in  den  Meteoriten  mit  solcher  Regelmässigkeit  auf,  wie  der 
Olivin.  Dagegen  fehlt  dieses  den  eigentlich  geschichteten  Formationen  der  Erde 
und  ist  auch  den  granitischen  Gesteinen  fremd.')    Ganz  besonders  häufig  und 


»)  Daubr^e,  Experimental-Geologie,  Deutsche  Ausgabe  von  Dr.  Gurlt.   Braunschweig  1880. 

pag.  422. 

*)  Die  so  Überaus  interessante  Entdeckung  des  Olivins  in  der  krystallinischen  Schiefergnippe 
Vorwegens,  wo  er  in  der  That  als  ein  unzweifelhaft  dieser  angehöriges  Gebilde  erscheint,  ist  iu 
ihrer  Bedeutung  für  die  geol.  Rolle  des  Olivin  noch  nicht  ganz  zu  schätzen.  Er  erscheint  hier 
ra  dem  Theile  der  Erdrinde,  den  man  als  den  ältesten  anzusehen  geneigt  war.  Die  Entstehung 
d«  krystallin.  Schiefer  ist  noch  eine  unentschiedene  Streitfrage.  Oliyinschiefer  in  ihnen  scheinen 
allerdings  den  Gedanken  nahe  zu  legen,  dass  ihre  Bildung  von  der  der  alten  Eruptivgesteine  kaum 


288  Mioeralogie,  Geologie  oikI  l'alaeontologie. 

charakteristisch  ist  auf  der  Erde  sein  Vorkommen  in  solchen  Eruptivgestemen 
deren  Sitz  jedenfalls  unter  der  granitischen  Schicht  zu  liegen  scheint.  Er  komnit 
in  diesen  nicht  allein  als  eingewachsene  Krystalle  und  Kömer,  sondern  meist  in 
Gestalt  von  Bruchstücken  vor,  oft  eckig  und  unregelmässig  scharfkantig,  soda^^ 
sie  als  Trümmer,  von  Gesteinen  in  der  Tiefe  losgerissen,  anzusehen  sind.  Die^e 
Olivinbomben  sind  in  manchen  Basalten  bekanntlich  überaus  zahlreich.  DerBabalr 
der  kleinen  Kuppe  des  Finkenberges  gegenüber  Bonn  am  Rhein  enthält  so  zahl- 
reiche eckige  Einschlüsse  kömiger  Olivinbruchstücke,  dass  er  stellenweise  Ta^t 
einen  breccienartigen  Charakter  annimmt.  Die  Olivinsubstanz  ist  theil weise  ange- 
schmolzen und  aus  der  Schmelzmasse  haben  sich  dieselben  Minerale  in  kleinen 
Kiystallen  ausgeschieden,  welche  dem  Basalte  selbst  eigenthümlich  sind.  Das  wirft 
auch  auf  die  Annahme  ein  Licht,  die  Daubr]£e  ausspricht,  indem  er  sagt:  l)er 
Olivin,  um  von  seinem  ursprünglichen  Sitze  in  der  Tiefe  an  die  ErdoberBäche 
zu  gelangen,  hatte  saure  Gesteine  von  vielen  Kilom.  Mächtigkeit  zu  durchbrechen 
Dabei  musste  er  nothwendig  auf  diese  einwirken  und  so  konnten  verschieden- 
artige Gesteine  gebildet  werden«.  Auf  diese  Vorgänge  der  VViederein-  und  Im- 
Schmelzung  wird  noch  an  anderer  Stelle  zurückgekommen  werden. 

Hier  genügt  es,  zu  zeigen,  dass  der  Olivin  im  Inneren  der  Erde  ein  weit  ver- 
breitetes Gestein  ist,  dass  gewisse  charakteristische  Unterschiede  ihn  von  allen 
übrigen  Silicatgesteinen  unterscheiclen :  die  sehr  basische  Beschaffenheit,  die  gro^^e 
Leichtigkeit  der  Bildung  auf  dem  Wege  einfacher  Schmelzung  und  endlich  die 
grosse  Dichtigkeit.  Nach  diesen  Charakteren  versetzt  auch  Daubr^  die  Gii^in- 
gesteine  in  die  untersten  Theile  der  Erdrinde,  unterhalb  der  Schicht  der  granitisclicn 
und  der  basischen  Thonerdegesteine. 

Auch  das  Zusammenvorkommen  von  Platinerzen,  Chromeisen,  Magnetei^jn 
u.  a.  mit  Olivingesteinen  oder  deren  Umwandlungsprodukten,  den  Serpentin- 
gesteinen,  verweist  auf  einen  gewissen  Zusammenhang,  in  dem  diese  Gesteine  mit 
den  inneren,  schwereren  Theilen  der  Erde  stehen^). 

Ob  wir  nun  aber  den  Olivin  als  das  oberste  der  Glieder  bezeichnen  wollen, 
die  den  festen  Kern  durch  Entwickelung  von  Innen  nach  Aussen  gebildet  haben, 
oder  üb  wir  ihm  die  tiefste  Stelle  der  äusseren  Erstarrungsrinde  zuweisen,  d.i> 
erscheint  nur  dann  von  Bedeutung,  wenn  wir  ihn  nicht  als  den  zuletzt  erstarrten 
Rest  des  Gesammtmagma's  des  Erdinneren  ansehen.  Das  aber  scheint  aus  unserer 
Betrachtung  ohne  Weiteres  und  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  henorrj 
gehen  und  steht  auch  mit  der  Erfahrung  in  einer  gewissen  Uebereinstimmunj:. 
dass  er  gerade  in  den  jüngsten  Eruptivgesteinen  die  hervorragende  Rolle  spielt, 
von  der  vorhin  die  Rede  war. 

Gleichwohl  ist  aus  dem  Emportreten  schmelzflüssiger  Laven  nicht  der  Schlu>- 
zu  ziehen,  dass  in  der  Medianzone  zwischen  dem  festen  Kern  und  der  festen 
Rinde  wirklich  noch  flüssige  Massen  von  basischer  oder  saurer  Mischung,  a;v« 
entweder  von  einer  der  Olivinzone  oder  der  darüber  befindlichen  granitische" 
Zone  entsprechenden  Beschaffenheit  vorhanden  seien. 

Nehmen  wir  an,  dass  die  Erstarrung  der  Erde  eine  ganz  vollkommene  ^e 
worden,  so  ist  nach  unserer  Annahme  immerhin  die  Medianzone  als  die  zulet.: 
IcMl  gewordene  und  die  am  leichtesten  schmelzbare  charakterisirt.     Wenn  aui: 

nehr  vemchicitcn  gewesen  sein  kann.     An  dem  Begriff  eruptiver  Gneisse  halten  auch  au*  andm:' 
r.iUmten  noch  viele  Korm:her  fest.    Vergl.  Brögger.  Ueber  den  Olivinfels  von  Söodmöre.    N.  ^^  < 
I.  Mm.    1M80.   Rd.  It.    pag.   187. 

')  llicitKM  natürlich  von  dem  secundär  gebildeten  Magneteisen  abgesehen. 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  BeschafTenheit.  289 

nach  ihrer  Erstarrung  die  weitere  Erkaltung  des  Erdkörpers  noch  um  ein  Erheb- 
liches fortgeschritten  sein  sollte,  steht  sie  doch  ihrem  Schmelzpunkte  noch  am 
nächsten.  Eine  verhältnissmässig  geringe  Temperaturzunahme  würde  sie  wieder 
in  den  Schmelzfluss  zurückversetzen  können. 

Da  aber  der  Schmelzpunkt  der  in  der  Medianzone  befindlichen  Massen  unter 
dem  Drucke  der  aufliegenden  festen  Rinde  um  ein  Bedeutendes  höher  liegen  muss, 
als  für  die  gleichen  Massen  in  einer  weniger  grossen  Tiefe  oder  gar  an  der  Erd- 
oberfläche, so  kann  also  auch  ohne  eine  Temperaturerhöhung  ein  Zurückgehen 
in  den  schmelzflüssigen  Zustand  unter  zwei  Bedingungen  stattfinden,  einmal,  wenn 
an  irgend  einer  Stelle  der  herrschende  Druck  vermindert  oder  aufgehoben  wird, 
das  andere  Mal,  wenn  die  Masse  durch  Bewegung  an  eine  höhere  Stelle  mit 
niedrigerem  Druck  gelangt. 

Ganz  analog  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  sogen.  Geysiren  d.  h.  inter- 
mittirenden  heissen  Wassersprudeln.  Nur  vollzieht  sich  bei  ihnen  das  Spiel  auf 
der  Grenze  von  flüssigem  und  dampfförmigem  Zustande.  Aber  die  physi- 
kalischen Gesetze,  die  ihrer  Thätigkeit  zu  Grunde  liegen,  sind  doch  wohl  die 
gleichen. 

In  der  Quellröhre  des  Geysir  befindet  sich  an  irgend  einer  Stelle  in  der 
Tiefe  das  Wasser  unter  dem  Druck  der  aufliegenden  Wassersäule  noch  flüssig 
bei  einer  Temperatur,  die  um  einige  Grade  über  dem  Siedepunkte  desselben 
d.  i.  100^  C.  liegt.  Eine  geringe  Aufwärtsbewegung  bringt  dasselbe  in  eine  Zone, 
^0  der  geringere  Druck  die  Spannung  durch  die  höhere  Temperatur  nicht  mehr 
zu  überwinden  vermag.  Ein  plötzliches  Uebergehen  des  Wassers  in  Dampf,  eine 
£iplosion  des  Geysir  ist  die  Folge  davon. 

Ganz  ähnliche  Vorgänge  können  wir  an  der  Grenze  zwischen  flüssigem  und 
festem  Zustande  wenigstens  physikalisch  für  möglich  halten. 

Unter  den  Vulkanen  haben  einige,  z.  B.  der  Stromboli,  in  der  regelmässigen 
Intermittenz  ihier  Explosionen  eine  unverkennbare  Aehnlichkeit  mit  Geysiren; 
an  sie  erinnert  auch  der  lythmische  Gang  der  Dampfentwickelung  während  der 
Eniptionen  fast  aller  Vulkane. 

Nun  erscheint  allerdings  unter  der  Annahme,  dass  die  Erde  im  Inneren  durch- 
aus fest  ist,  die  Möglichkeit  einer  Aufwärtsbewegung  der  überhitzten  Massen  der 
Mediaozone  nicht  so  leicht  wie  in  einer  Flüssigkeitssäule.  Aber  immöglich  ist 
sie  dennoch  ebenso  wenig,  wie  die  Entlastung  durch  partielles  Aufheben  des 
Dmckes. 

Wir  müssen  hierbei  noch  von  einer  anderen  Betrachtung  ausgehen.  Es  ist 
der  Satz  schon  fiüher  mehrfach  ausgesprochen  und  auch  der  Versuch  eines  mathe- 
matischen Beweises  für  denselben  gemacht  worden:  Dass  die  äussere,  feste  Rinde 
der  Erde,  wenn  sie  nicht  unterstützt  sei,  nicht  als  eine  gewölbeähnlich  sich  selbst 
tragende  angesehen  werden  könne,  sondern  dass  sie  durch  die  Wirkung  der  Gravi- 
tation zusammenbrechen  müsse^).  Die  wichtige  Folge  davon  ist,  dass  wir  auch 
m  der  durchaus  festen  Erdrinde  einen  im  Inneren  auf  alle  Theile  gleichmässig 
virkenden  Druck  voraussetzen  müssen.  Es  steht  also  jeder  Punkt  im  Inneren  der 
Erde  in  der  That  unter  dem  Drucke  der  autlastenden  festen  Massen,  in  ganz 
ahnlicher  Weise  wie  das  in  einem  flüssigen  Sphäroide  der  Fall  sein  würde.  Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  macht  es  sonach  keinen  Unterschied^  ob  wir  uns 
unter  der  Rinde  eine  flüssige  Medianzone  vorstellen  oder  nicht. 

1)  Mallst;   Vulk.  Kraft,  l.  c.  pag.  49  und  Ball,  PhUos.  Magax.  XXXGC.  1870  pag.  107. 
Auch  DE  CONTS  entwickelte  diese  Ansicht:     Sujliman's  Journ.  m.  Bd.  IV.  345,  460. 
Knomxfrr,  Mm^  Geol.  u.  Pal.    I.  I9 


290 


Bimeralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


Nun  hat  aber  die  fortschreitende  Erkaltung  der  Erde  noch  einen  anderen 
Vorgang  zur  Folge:  die  Contraction;  wenn  das  Maass  derselben  auch  im  Ganzei 
nur  einem  geringen  Contractionscoefficienten  entsprechen  mag,  so  ist  sie  immerhir 
bedeutend  genug,  um  die  gesammten  Niveaudifferenzen  der  Erdoberfläche  in  erstei 
Linie  hervorgerufen  zu  haben. 

Die  Contraction  bedingt  zunächst  eine  nach  dem  Mittelpunkt  gerichtete  6e 
wegung  der  einzelnen  Theile.  Da  aber  die  festen  Massen  der  äusseren  Rinde 
so  wenig  wie  der  feste  Kern  der  centripetal  gerichteten  Bewegung  Raum  zu  geber 
vermochten,  so  war  die  Folge  der  Contraction  ein  Umsetzen  in  Bewegungen,  die 
einem  tangentialen  Drucke  zu  entsprechen  scheinen.  An  der  Oberfläche  ca 
Erde,  die  wir  als  Ebene  für  diesen  Fall  auffassen  mögen,  erscheint  also  dies« 
Druck  horizontal.  So  bewirkt  derselbe  nothwendig  eine  Spannung  zwischen  je  zve 
aneinander  grenzenden  Theilen,  und  wo  endlich  die  feste  Masse  dieser  Spannung 
nachgiebt,  da  müssen  einzelne  Theile  sich  abwärts  bewegen,  andere,  als  seccc 
däre  Wirkung,  aufwärts  gedrückt  werden  und  zwar  durch  den  seitlichen  Druci 
der  einsinkenden  Theile,  sowie  man  einen  Keil  zu  einer  verticalen  aufwärts  ge- 
richteten Bewegung  zu  bringen  vermag,  wenn  man  ihn  von  zwei  entgegengeseutec 
Seiten  einem  horizontalen  Drucke  aussetzt  Ungleichheiten  in  der  Beschaffenhei 
der  einzelnen  Theile  werden  auch  die  Wirkungen  der  Contraction  ungleich  ^ 
stalten.  Entweder  wird  sich  der  seitliche  Druck  dadurch  ausgleichen,  dass  ober- 
flächliche Theile,  der  Pressung  nachgebend,  sich  in  Falten  legen  oder  aber  keiT 
förmige  Spaltung  ermöglicht  das  Ausweichen  gewisser  Stücke  nach  oben  ohne 
eine  erhebliche  Faltung,  oder  endlich  beides  tritt  in  Combination  ein. 

In  dem  Artikel  »Gebirge  undGebirgsbildung«  kommen  wir  auf  die  faltenwerfende 
Wirkung  der  Contraction  noch  einmal  ausführlicher  zurück.  Hier  soll  nur  betont 
werden,  dass  eine  Auf-  und  Abwärtsbewegung  einzelner  Theile  der  Erdfeste,  mehr 
oder  weniger  keilförmiger  Theile,  auch  ohne  Faltenbildung  längs  gewaltiger  Spalter 
keineswegs  in  den  Gebirgen  unbekannt  ist.  So  zeigen  die  mächtigen  Plateaus  11 
westlichen  Nord-Amerika  im  Staate  Utah  zum  Theil  eine  Structur,  die  keineswep 
auf  eine  Faltung  durch  tangentialen  Druck  zurückzuführen  ist^).  Sie  erscheinen  in, 
Gegentheil  wie  grosse,  in  ihren  Niveau's  allerdings  auseinander  gerückte  Platteflti| 
in  denen  aber  die  einzelnen  Schichtensysteme,  die  diese  zusammensetzen,  ke:n< 
wegs  in  Falten  liegen,  sondern  nur  eine  einseitige  Neigung  oder  fast  horiront 
Lage  besitzen,  getrennt  durch  geneigte,  mehr  oder  weniger  parallel  verlaufend 
ungeheure  Spalten  oder  sogen.  Verwerfungen.  Der  überwiegend  plateauarti^ 
Charakter  dieser  Gebirgsländer,  im  Gegensatze  zu  den  eigentlichen  Ketten^l 
birgen,  mag  wohl  mit  dieser  Erscheinung  im  Zusammenhange  stehen.  Die  eil 
zelnen  gegen  einander  bewegten  Theile  nehmen  darnach  die  Gestalt  keilibnni^^ 
Massen  an.    Die  Abwärtsbewegung  der  einen  muss  nothwendig  eine  Aufwärts! 


(Min.  48.  49.) 


Fig.  2. 


Fig.  3. 


wegung  der  zwischenliegenden  :i 
Folge  haben. 

Wir  können  uns  dieses  <-* 
matisch  vorstellen  (Fig.  2).  Wci 
in  der  nebenstehenden  Figur 
Theile  a  und  d  zum  Niedersinkt 
kommen,  so  heben  sie  venrn.-^ 
des  damit  auf  c  beiderseitig  i^ 


1)  C.  £.  Dutton:     Geology  of  the  high  Plateaus    of  Utah.      Washington  l8to.  p»i-  5J 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit  29 1 

geübten  Druckes  diesen  Theil  nothwendig  in  die  Höhe.  Je  weniger  ein  Aus- 
weichen nach  unten  überhaupt  möglich  ist,  um  so  bedeutender  muss  die  Aufwärts- 
bewegung  von  c  werden.  '  In  den  oberen  Theilen  von  c  tritt  damit  nothwendig 
eine  Ausdehnung  nach  beiden  Seiten  ein,  eine  Streckung,  also  der  gerade  Gegen- 
satz einer  Faltung.  Von  der  Convergenz  oder  gegenseitigen  Neigung  der  die  ein- 
zelnen Theile  trennenden  Spalten  hängt  das  Maass  der  Bewegimg  oder  überhaupt 
die  Möglichkeit  der  Bewegung  ab.  Wenn  diese  parallel  oder  nur  sehr  gering 
fegen  einander  geneigt  sind,  wird  der  seitliche  Druck  eher  eine  Ausbiegung  des 
Theiles  r,  eine  oberflächliche  Faltung  als  eine  Aufwärtsbewegung  im  Ganzen  zu 
bewirken  vermögen  (Fig.  3). 

Jedenfalls  können  wir  uns  vorstellen,  wie  im  ersteren  Falle,  wo  also  durch 
den  tangentialen  Druck  eine  Aufwärtsbewegung  einzelner  Stücke  der  Erdfeste  in 
ihren  peripherischen    Theilen   stattfindet,    der   Druck  auf  den   unter  diesen  be- 
findlichen Massen  vorübergehend   aufgehoben   oder  wesentlich  vermindert  wird. 
Befanden  sich  diese  aber  in  einer  Temperatur,  die  weit  über  ihrem  Schmelz- 
punkte liegt,  und  wurden  sie   trotzdem    nur  durch  den  auflastenden  Druck,  der 
ihrer  Tension  entgegenwirkte,    im    festen  Zustande   gehalten,    so   trat   mit   der 
Entlastung   und    dem  Aufhören   des  Druckes   ein   plötzliches   und   gewaltsames 
Uebergehen  in  den  flüssigen  Zustand  ein.     Mit  diesem  Uebergange  verband  sich 
nothwendig  auch  eine  Ausdehnung.     Diese  hatte  ein  Empordringen  der  flüssig 
gewordenen  Magmen   auf  den    Wegen  zur  Folge,  die  sich  als  die  natürlichsten 
^boten,   nämlich  die  Spalten,  welche  den  Theil  der  Erdfeste  begrenzen,  der 
M  seine  Aufwärtsbewegijng  die  Entlastung   und  hierdurch  das  Zurückgehen 
^  den  flüssigen  Zustand  bewirkt  hatte. 

Eine  ganze  Reihe  der  Erscheinungen,  die  mit  dem  Emporbrechen  flüssiger 
Gesteinsmassen  aus  dem  Erdinneren  in  den  vulkanischen  Schloten  zusammenhängen, 
^st  sich  unter  diesen  Voraussetzungen  recht  gut  erklären.  Ganz  besonders 
&)det  auch  das  Auftreten  der  vulkanischen  Aeusserungen  längs  der  weithin  sich 
^streckenden  Spalten  oder  Bruchlinien  hierin  eine  gewisse  Begründung.  Bei 
dem  Kapitel  »Vulkane«  soll  darauf  noch  eines  Näheren  eingegangen  werden. 

Hier  sollte  nur  die  Möglichkeit  derartiger  Vorgänge  hervorgehoben  werden, 
<^sie  uns  den  Beweis  liefern,  dass  keineswegs  das  Empordringen  schmelz 
Massiger  Laven  als  ein  Beweis  für  den  flüssigen  Zustand  des  Erd- 
inneren gelten  kann. 

Der  Uebergang  einzelner  Theile  der  Medianzone  in  den  leicht  flüssigen  Zu- 
stand kann  natürlich  noch  leichter  verstanden  werden,  wenn  wir  uns  denken,  dass 
dieselbe  nicht  vollkommen  fest  geworden  sei,  sondern  sich  noch  in  dem  sogen, 
^^sen  Zustande  befinde,  der  der  eigentlichen  Erstarrung  vorausgeht.  In  wie 
^eit  wir  zu  der  Annahme  berechtigt  sind,  dass  ein  solcher  noch  jetzt  in  der 
Medianzone  existire,  das  hängt  lediglich  von  der  Temperatur  ab,  die  wir  in  der 
%lben  voraussetzen.  In  Wirklichkeit  hat  es  kaum  eine  Bedeutung,  ob  wir  den 
finz  festen  oder  viscosen  Zustand  aus  der  Interpretation  der  Temperaturzunahme 
^•^h  dem  Inneren  der  Erde  herleiten  zu  müssen  glauben. 

Dass  aber  der  viscose  Zustand  in  einem  gewissen  Stadium  vorhanden  sein 
muss,  das  folgt  aus  zahlreichen  Beobachtungen  über  das  Verhalten  verschiedener 
Körper  beim  Erkalten  und  Festwerden.  Für  alle  bekannten  Stoffe  erfolgt  ein 
•angeres  oder  kürzeres  Zwischenstadium  der  Weichheit,  resp.  der  Halbflüssigkeit, 
«he  der  Körper  bei  Abnahme  der  Temperatur  vollkommen  fest,  bei  Erhöhung 
d^r  Temperatur   vollkommen   flüssig   wird.     Bei    einzelnen  Körpern   ist   dieser 

19* 


292  liittfiiliigit,  Geolog  und  Patacontnlogic, 

IntenraQ  mir  sehr  kurz,  z.  B.  bei  dem  Eise,  bei  anderen  danen  er  sehr  lange  \ind 
verlauft  ganz  allmählich  z.  B.  beim  Selen.  Auch  in  den  Verbindungen  der 
basischen  und  sauren  Silicate,  wie  sie  die  künsdichen  Schlacken  und  Glasflüs>e 
darsteilen,  dauert  dieser  viscose  Zustand  sehr  lange  und  ist  von  ganz  besonder» 
eigenthumficher  Art.  Das  zeigen  u.  a.  auch  die  fliessenden  Laven,  die  so  na 
sind,  dass  sie  kaum  mehr  das  Hineindrücken  eines  fremden  Körpers  gestattea 
und  dass  auch  sehr  viel  schwerere  Körper  nicht  in  ihnen  unterzutauchen  ver- 
mögen, und  doch  fiiessen  dieselben  und  bew^en  ach  noch  mit  einer  gewissen 
Schnelligkeit  fort. 

Dieser  viscose  Zustand  ist  jedenfalls  am  meisten  geeignet,  beim  Narhiassei 
des  herrschenden  Druckes  so  zu  reagiren,  wie  wir  es  vorausgesetzt  habca 
Kdne  directe  Beobachtung  irgend  welcher  Art  steht  der  Annahme  entgegen,  cmm 
die  Medianzone  ganz  oder  z.  Th.  in  diesem  Zustaiide  sich  befinde.  Sind  doch 
auch  gerade  manche  Physiker  bei  ihren  Betrachtungen  zu  der  Annahme  ge- 
kommen, dass  unter  der  festen  Rinde  jedenfalls  zunächst  eine  Zone  von  die&<;r 
halbflüssigen  Beschaffenheit  sich  finde  ^). 

Durch  den  Umstand  endlich,  in  der  Erstarrungsreihe  die  letzte  gewesen  ni 
sein,  müssen  der  Medianzone  aber  noch  andere  ganz  besondere  Eigenschaftcs 
zugetheilt  worden  sein,  die  sich  z.  Th.  ebenfalls  in  gewissen  Erscheinungen  an  der 
Erdoberfläche  und  bei  den  vulkanischen  Eruptionen  wiederspiegeln. 

Eine  ganze  Reihe  von  Stoffen,  die  bei  sehr  niedrigen  Temperaturen  noch 
in  gasförmigem  Aggregatzustand  bestehen  können  oder  die  wenigstens  einen  so 
niedrigen  Schmelzpunkt  besitzen,  dass  sie  in  der  Medianzone  nicht  wohl  ci 
festem,  sondern  nur  in  flüssigem  Zustande  denkbar  sind,  müssen  von  den  festen 
oder  viscosen  Massen  dieser  Zone  absorbirt,  umschlossen  und  darin  festgehalten 
werden.  Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  gewisse  Metalle,  z.  B.  Silber,  Ga»e 
mit  einer  ganz  besonderen  Lebhaftigkeit  absorbiren.  Sonach  ist  es  durcha'> 
wahrscheinlich,  dass  Gase  auch  in  grösseren  Mengen  in  dieser  oder  ähnhchtf 
Weise  in  der  Medianzone  gebunden  sind.  Von  den  Gasen,  die  bei  vulkanischa 
Emanationen  eine  Rolle  spielen,  kaim  das  u.  a.  für  die  Kohlensäure,  die  unter 
36  Atmosphären  Druck,  verschiedene  Kohlenwasserstoffe,  den  Chlorwasserst v£ 
der  bei  einem  Druck  von  40  Atmosphären,  die  Schwefelsäure,  die  erst  bet 
—  35°  ^cst  wird  und  schon  bei  40°  zu  verdampfen  begirmt,  den  Fluorwasser- 
stoff, der  nur  bei  —  20**  wieder  zur  Flüssigkeit  condensirt  werden  kann,  bei 
-H  19°  C  siedet,  den  Schwefel,  dessen  Schmelzpunkt  bei  111°  gelegen  ir, 
auch  vielleicht  noch  für  das  Chlomatrium  gelten,  das  in  der  Rothg^uth  scJimil.? 
und  erst  bei  höherer  Temperatur  verdampft  und  gewiss  noch  für  manche  andere 
Verbindungen.  Aber  auch  das  Wasser  spielt  darin  eine  hervorragende  RoUe  uci' 
verleiht  diesen  Massen  die  Beschaffenheit,  die  man  als  einen  hydrotheimaJen 
Schmelzfluss  bezeichnet  hat  Hier  ist  zunächst  das  Wasser  gemeint,  das  in  einer 
besonderen  Art  inniger  Bindung  in  diesen  Massen  vorhanden  ist;  dazu  komni 
noch  die  Einwirkung  des  von  der  Erdoberfläche,  dem  Meere  aus,  dem  aui- 
dringenden  flüssigen  Magma  sich  zugesellenden,  bei  der  Berühnmg  mit  dieseir 
heftig  zu  Dampf  verwandelten  Wassers  hinzu  ^. 

Mit  dem  Wiedereintreten  der  Leichtflüssigkeit  werden  die  in  der  Mediaruonr 
mehr  oder  weniger  festumschlossenen  Gase  entfesselt    Mit  der  der  hohen  Ten»- 

*)  Z.  B.  Hopkins,  Thomson,  BCallet  u,  a. 

*)  Einen    ähnlichen   Zustand    hydrothennalcn    (vielleicht   besser   hydato-dialy tische  1 
Schmebflusses  ninunt  auch  P.  Scnops  fiir  die  Laven  der  Vulkane  an.     Vulcanoes.  Ca|>.  VD.  4 


Der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit  293 

peratur  entsprechenden   gewaltigen  Tension  treten  sie  dann  äusserst  heftig  in 
Wirksamkeit 

Nur  so  lange  vermögen  die  Processe  der  vulkanischen  Thätigkeit  zu  dauern, 
ils  die  Aufhebung  des  Druckes  an  irgend  einer  Stelle  der  Medianzone  anhält. 
^Vird  aber  imter  der  Einwirkung  der  Gravitation  die  ungleiche  Wirkung  der 
Spannung  in  Folge  des  tangentialen  Druckes,  der  aus  der  Contraction  entstand, 
nieder  ausgeglichen,  und  wir  haben  gesehen,  dass  die  Erdfeste  dauernd  in  ihren 
Theilen  nicht  selbsttragend  zu  verharren  vermag  (pag.  289),  so  hört  damit  auch 
ier  flüssige  Zustand  in  der  Medianzone  auf  und  sie  geht  in  den  viscosen  oder 
esten,  aber  jedenfalls  fast  unbeweglichen  Zustand  zurück. 

Zu  im  Grossen  und  Ganzen  ähnlichen,  wenn  auch  im  Einzelnen  abweichenden 
annahmen  über  den  Zustand  des  Erdinneren  sind  auch  andere  Geologen  ge- 
lommen.  Ihren  Schlüssen  lagen  allerdings  z.  Th.  auch  andere  Prämissen  zu 
»runde. 

Am  nächsten  stehen  den  im  Vorhergehenden  entwickelten  Ansichten  diejenigen 
on  PouiXET  ScROPE,  unter  den  Erforschem  der  Vulkane  einem  der  verdienst- 
oDsten.*)  Er  nimmt  an,  dass  in  einer  gewissen  Tiefe  ganze  Zonen  oder  Theile 
ier  Erdfeste  in  einem  dem  Schmelzpunkte  sehr  nahen  Zustande  sich  befinden,  so 
lass  nur  eine  geringe  Zunahme  der  Temperatur,  Abnahme  des  Druckes  oder  beides 
nigleich  den  leichtflüssigen  Zustand  dieser  Schichten  herbeizuführen  vermöge. 
Die  Zunahme  der  Temperatur,  nimmt  Scrope  an,  könne  dadurch  erfolgen,  dass 
nächtige  Sedimente  sich  über  gewissen  Stellen  der  Rinde  ablagern.  Allerdings 
«Tilde  dadurch  auch  der  Druck  vermehrt,  der  ein  Flüssigwerden  wieder  verhindern 
könnte.  Dagegen  vermöge  durch  Aufheben  des  Druckes  ein  Zurückgehen  in  den 
inssigen  Zustand  da  stattzufinden,  wo  die  aufliegenden  festen  Gesteinsmassen 
zerspalten  und  gehoben  würden  (fissured  and  uplifted), 

O.  FiSHER^  nimmt  nur  die  letztere  Möglichkeit  an,  indem  er  ausführt,  dass 
dort,  wo  in  Folge  der  Contraction  eine  Zone  von  Gesteinsschichten  in  Falten 
gtpresst  werde,  die  unterliegenden  Schichten  den  Druck  jener  nicht  mehr  aus- 
rahalten  haben  und  daher,  wenn  sie  nur  in  Folge  des  Druckes  im  festen  Zu- 
stande verharrten,  wieder  flüssig  werden  müssten. 

Auch  der  amerikanische  Geologe  Sterrv  Hunt^  nimmt  eine  feste  Rinde 
and  einen  festen  Kern  der  Erde  an:  die  erstere  bestehe  grösstentheils  aus  den 
ktystallin.  Schiefem  und  Sedimenten,  der  Kern  sei  wasserfrei  und  besitze  eine 
sehr  hohe  Temperatur ;  zwischen  beiden  liege  eine  Zone,  die  aus  Stoffen  bestehe, 
die  theüs  denen  der  äusseren  Rinde,  theils  denen  des  Kernes  entsprächen,  in 
einer  ziemlich,  aber  keineswegs  excessiv  hohen  Temperatur,  durchdrungen  von 
Wasser,  das  zahlreiche  gelöste  Substanzen  enthalte.  Diese  Zone  befinde  sich  dem- 
nach in  einem  Zustande,  für  den  auch  er  den  Ausdruck  »hydrothermale  Schmelzung« 
annimmt  Die  erhöhte  Thätigkeit  vulkanischer  oder  metamorphischer  Aeusserungen, 
die  aus  dieser  2k)ne  entspringen,  leitet  er  wie  Scrope  und  nach  diesem  auch 
Babbage  aus  der  Steigerung  der  Temperatur  durch  oberflächlich  sich  auflagernde 
Sedimente  ab. 

Auch  Hopkins,  dessen  Ansichten  schon  im  Vorhergehenden  erwähnt  wurden, 
nimmt  an,  dass  in  der  festen  Rinde  noch  einzelne  Stellen  in  einem  dem  Schmelz- 


*)  Volcanoes.  pag.  265 — 75. 

^  Tnmsact  Cambridge  Phil.  Soc  XI. 

^  SUlim.  Joum.  IL  Scr.  XXXVH.  p.  255,  XXXVm.  p.   182,  HI.  Scr.  V.  p.  264. 


294  Mineralogie,  Geologie  and  Palaeontologie. 

fluss  nahen  oder  ganz  flüssigen  Zustande  übrig  geblieben  seien.  Das  ist  schon 
die  alte,  von  Leibnitz  in  seiner  »Protogaeac  aufgestellte  Ansicht  Auch  von 
CoNSTANT  Prevost^),  einem  der  Begründer  unserer  heutigen  Ansichten  über  die 
aus  der  Contraction  der  erkaltenden  Erde  herzuleitenden  gebirgsbildenden  Kräfte 
und  ebenso  von  Faye^,  dem  bekannten  pariser  Astronomen  wurde  die  Ansicht 
geltend  gemacht,  dass  der  grösste  Theil  des  Erdinneren  aus  festen  Massen  bestehe, 
dass  aber  zwischen  diesem  Kerne  und  der  äusseren  festen  Schaale  noch  eme 
feurigflüssige  Zone  übrig  sei. 

Nun  haben  freilich  alle  im  Vorhergehenden  entwickelten  und  angeföhrta 
Beweise  und  Betrachtungen  doch  keine  weitere  Bedeutung,  als  die  hypothetisdier 
Speculationen.  Aber  auch  abgesehen  von  dem  Interesse,  das  sie  bieten,  lum 
ihnen  doch  auch  eine  werthvoUe  Seite  insofern  nicht  abgesprochen  werden,  ali 
sie  ein  Glied  sind  in  der  Kette  von  Beweisen,  die  nach  und  nach  für  die  Kakt- 
LAPLACE'sche  Theorie  sich  zusammenfügen. 

Der  inductive  Weg  in  der  Entwicklung  und  Erkenntniss  eines  Naturgesetzes^ 
der  mit  der  Hypothese  beginnt  und  nach  und  nach  alle  Erscheinungen  und  Beob- 
achtungen mit  dieser  in  Einklang  zu  bringen  sucht,  ist  zwar  schwierig  und  seme 
einzelnen  Stadien  dunkel  und  unsicher,  aber  für  die  Wissenschaft  hat  er  seise 
unbestreitbare  Bedeutung.  Die  grössten  Entdeckungen  sind  doch  vielleicht  nur 
auf  diesem  Wege  gemacht  worden. 

Fassen  wir  aber  in  wenigen  kurzen  Sätzen  das  Resultat  der  ganzen  vorher- 
gehenden Betrachtung  über  die  Temperatur,  die  Dichte  und  die  hypothetisch« 
Beschaflienheit  des  Erdinneren  zusammen,  so  ergiebt  sich: 

1.  Das  Innere  der  Erde  enthält  eine  intensive  Wärmequelle  als 
Rest  eines  früheren  heissflüssigen  Zustandes. 

2.  Die  Dichte  der  Erde  lässt  eine  zonenweise  Zunahme  derselben 
nach  dem  Inneren,  also  die  Folge  immer  schwererer  Schichten 
in  der  Erdfeste  voraussetzen.  Auch  das  ist  die  Folge  einer  nu: 
im  schmelzflüssigen  Zustande  möglichen  Anordnung. 

3.  Die  Erde  ist  demnach  ein  erkaltender  Körper  und  in  Folge 
dessen  ein  sich  contrahirender  Körper. 

4.  Die  Erde  ist  grösstentheils  fest,  d.  i.  erstarrt  Zwischen  der 
festen  äusseren  Rinde  und  einem  festen  Kerne  liegt  eine  zu- 
letzt erstarrte  oder  vielleicht  noch  in  dem  viscosen  Zustande 
befindliche  Medianzone. 

5.  Diese  Medianzone  befindet  sich  jedenfalls  in  einem  über  ihren 
Schmelzpunkt  um  ein  Bedeutendes  überhitzten  Zustande.  Durch 
Aufheben  des  auflastenden  Druckes,  kann  sie  stellenweise  ir 
den  leichtflüssigen  Zustand  zurückgeführt  werden.  Das  Empor- 
treten flüssiger  Laven  ist  kein  Beweis  für  das  Vorhandensein 
eines  flüssigen  Erdinneren,  das  astronomisch  und  physikalisch 
unwahrscheinlich  ist 

Literatur:  die  Specialwerke  siod  im  Text  citirt,  hier  nur  allgemeinere:  Bischof,  G.»  1>i€ 
Wärmelehre  des  Innern  unseres  Erdkörpers.  Leipzig  1837.  Studer,  B.,  Lehrbuch  der  phjsik. 
Geographie  und  Geologie.     Bern   1844.     Bd.  L    Gap.  I.    Bd.  II.  I.     Naumann,  Lehrbuch  der 


')  Quelques  propositions  relatives  k  l'etat  originaire  et  actuel  de   la  masse  terrestre   etc. 
Comptes  rendus.  XXXI.   1850. 

')  In  seinen  Le^ns  de  cosmographie.     Paris  1854.     11.  Edit. 


Die  Erdbeben.  295 

jeogDOsie.  Bd.  L  Cap.  i — 3.  Leipzig  1858.  PfafFi  F.,  AQgem.  Geologie.  Leipzig  1873. 
lip.  1—3,  und  Gnindriss  der  Geologie.  Leipzig  1876.  Cap.  i.  Vogt,  Carl,  Lehrbuch  der 
j«oIogie.  TV.  Aufl.  Braunschweig  1876.  Bd.  L  Cap.  L  Green,  A.  H.,  Geology  Part  L 
iljyacal  Geology.  London  1876.  Cap.  XL  Peschel-Leipoldt,  Physische  Erdkunde.  Leipzig 
1879.  L  Th.  Cap.  I— m.  u.  VI.     Lapparent,  A  de,  Traitc  de  Geologie.    Paris  188 1.  p.  366  ff. 


Die  Erdbeben 

▼on 

Prof.  Dr.  A.  von  Lasaulx« 

I.   Historisches. 

Wer  einmal  eine  einigermaassen  intensive  Erderschütterung  gefühlt  hat,  dem 
rird  das  Unheimliche  des  Eindruckes  unvergesslich  bleiben,  den  diese  Natur- 
nrscheinung  auf  den  Beobachter  ausübt.  Darum  ist  dieselbe  aber  so  unheim- 
ich  und  drohend,  weil  das  in's  Wanken  geräth,  was  man  als  den  Ausdruck 
Ics  ewig  festen,  unbeweglichen  anzunehmen  gewöhnt  ist,  der  Boden  der  uns 
lagt,  die  Erdfeste.  Der  Mensch  sieht  sich  einer  plötzlichen,  von  keiner  anderen 
Insseren  auffallenden  Erscheinung  begleiteten  Kraftwirkung  gegenüber,  welche, 
rie  die  Bibel  sagt,  die  Berge  hüpfen  macht,  wie  die  Widder  und  die  Hügel,  wie 
JBDge  Lämmer. 

Wie  ungewiss  das  Gefühl  des  Ursprunges  dieser  heftigen  Bewegung  der  Erd- 
rinde ist,  das  spricht  der  Psalmist  in  den  Worten  aus:  »Vor  dem  Antlitze  des 
Herrn  erbebt  die  Erde.«  Die  kindliche  Anschauung  der  Naturvölker  sieht  daher 
'^on  den  ältesten  Zeiten  an  in  den  Erdbeben  Aeusserungen  des  Zornes  ihrer 
Gottheiten.  Die  Erdbeben  sind  veranlasst  durch  das  unmittelbare  zürnende 
Eingreifen  eines  Wesens,  das  den  Schicksalen  des  Menschen  gegenüber  eine 
feindliche,  bösartige  Stellung  einnimmt.  Die  Chinesen  bringen  bei  Erdbeben  den 
Dämonen  grosse  Opfer,  um  deren  Zorn  zu  besänftigen. 

Kaum  eine  andere  Naturerscheinung  ist  bezüglich  ihrer  Ursache  schon  im 
Mterthum  und  bis  auf  unsere  Tage  so  vielfachen  Deutungen  und  Speculationen 
«terworfen  gewesen,  als  die  Erdbeben. 

Ein  grosser  Theil  der  Ansichten,  wie  sie  uns  im  Alterthum  über  dieses 
Phänomen  entgegentreten,  hat  keinerlei  vernünftige  Grundlage  und  ist  nicht  der 
Irwähnung  werth.  Wenn  das  wellenförmige  Fortschreiten  der  Erdbeben  an 
uJierische  Bewegungen  erinnert,  so  nahmen  darum  z.  B.  manche  Völker,  so  noch 
beute  die  Japanesen  an,  dass  eine  Schlange,  eine  Schildkröte,  ein  Wallfisch  unter 
^em  Boden  durchgekrochen  und  die  Bewegung  verursacht  habe. 

Aber  einzelne  der  von  den  Philosophen  des  Alterthums  über  die  Genesis  der 
trderschtitterungen  ausgesprochenen  Ansichten  lassen  doch  schon,  wenn  auch 
liür  eine  dunkle  Vorahnung  heutiger  und  richtiger  Hypothesen  erkennen. 

Nur  vereinzelt  suchte  man  die  Ursache  der  Erdbeben  ausserhalb  der  Erde 
^Ibst,  also  in  dem  Einflüsse  gewisser  Gestirne.  Jedoch  war  diese  Annahme  bei 
«n  Babyloniem  herrschend.  Allerdings  blieb  die  Art,  wie  die  Gestirne  einwirken 
wüten,  vollkommen  unerklärt,  i) 

Auch  in  den  Ansichten  über  die  Entstehung  der  Erdbeben  lassen  sich  im 
Allerthume  schon  neptunistische  und  vulkanische  Theorien  unterscheiden.     Die 

^  UucK,  B.  M.,  die  Ursachen  der  ErdbebexL     Köln  1879.     P^g-  5- 


296  Mineralogie,  Greologie  und  Palaeontologie. 

meisten  derselben  finden  wir  in  den  naturphilosophischen  Schriften  von  Aristo' 
und  Seneca  angeführt. 

Die  in  ägyptischen  Schulen  erzogenen  Philosophen,  Thales  vor  allen,  b: 
rein    neptunistische   Ansichten.     Die  Erde    schwebe   als   eine  Scheibe  auf 
Wasser  und  die  bewegten  Wellen  des  letzteren  setzen  auch  die  Erdscholle 
Bewegung. 

Andere,  so  z.  B.  Anaximenes  und  Anaxagoras  hatten  schon  eine  gewiss 
Einsturztheorie  entwickelt     Die  Erde,  wenn  sie  durch  lange  Regen  aufgewdcil 
worden  und  dann  durch  anhaltende  Trockenheit  Risse  bekommen  habe,  wcni^ 
bröcklich  und  stürze  in  einzelnen  Theilen  zusammen;    hierdurch  werde  sie  tr* 
schüttert.    Die  Vorgänge  dieser  Einstürze  werden  eines  Näheren  erörtert  und 
schon  der  Versuch  gemacht,    einzelne  Erscheinungen  zu  erklären.     HohlIä^^»'^ 
die  zum  Theil  durch  Feuer  erzeugt   seien,    gelten   als    erste  Veranlassung  zm 
Einstürze.     Nothwendig  sei  dann  schon  im  Momente   des  Losreissens  der  ei 
stürzenden  Masse  eine  Erschütterung  die  Folge;    wenn  dieselbe  auf  dem  Bod< 
des  Hohlraumes  ankomme,  könne  sie  wie  ein  zur  Erde  geworfener  Ball  mehrei 
Mal  auf  und  nieder  springen ;  so  entständen  die  so  oft  bei  Erdbeben  beobacht« 
schnell  sich  folgenden  Stösse. 

Eine  genauere  Unterscheidung  der  verschiedenen  Arten  der  Bewegung  mad 
auch  schon  Pausanias.     Die   wellenförmige   Bewegung   wird    von    dem 
störenden  Stoss,  der  vorzüglich  den  Einsturz  von  Gebäuden  bewirkt,  gctrcni 

Andere  Philosophen,  so  z.  B.  auch  Aristoteles  dachten  sich  vorrügIi< 
comprimirte,  in  unterirdischen  Höhlungen  eingeschlossene  Luft  oder  Dam}« 
als  die  Ursache  der  Erderschütterungen.  Höhlenreiche  Länder  (Hellespor». 
Achaja,  Euböa,  Sicilien)  seien  den  Erdbeben  am  meisten  ausgesetzt,  weil  da 
Wind  in  die  Erdhöhlen  eindringe  und  dort,  eingepresst  und  in  Bewegung  g^ 
bracht,  Kraft  genug  besitze,  die  Erde  zu  erschüttern  oder  die  Erddecke  a-iv 
einander  zu  treiben.  Ueber  die  Art,  wie  die  Luft  oder  die  Dämpfe  in  Bewegizt 
gerathen,  wurden  z.  Th.  die  absonderlichsten  Ansichten  ausgesprochen.  Me^ 
spielte  dabei  das  vulkanische  Feuer  eine  Rolle  und  solche  Hypothesen  hicltcr 
gewissermaassen  die  Mitte  zwischen  den  neptunistischen  und  rein  vulkanischen 
Theorien.  Die  Wirkung  des  Feuers  auf  die  Ausdehnung  des  Wasserdampfes  wa: 
ja  bekannt 

Bei  allen  Philosophen,  die  nach  der  Schule  des  Herakut  im  Feuer  den  Vr- 
Stoff  und  die  Grundursache  aller  Dinge  sahen,  galten  auch  die  Erdbeben  au>- 
schliesslich  als  vulkanische  Erscheinungen«  Strabo  hebt  die  Thatsache  gani 
besonders  hervor,  dass  in  Süd-Italien  die  Erdbeben  häufiger  und  heftiger  seien 
zu  den  Zeiten,  wo  der  Aetna  seinen  Feuerschlund  schliesse,  dass  sie  aber  selten« 
einträten,  wenn  der  Aetna  und  die  liparischen  Inseln  Feuer  speien. 

Auch  in  den  h.  Schriften  treten  einzelne  Schilderungen  von  Erdbeben,  so 
z.  B.  bei  dem  Propheten  Amos  des  Erdbebens  zur  Zeit  des  Königs  Usias.  un? 
mit  Ausdrücken  entgegen,  die  eine  vulkanische  Auffassung  verrathen,  wie  sie  iv.- 
dem  in  Klein-Asien  ganz  natüriich  war.  Mit  den  Bildern,  die  uns  lebendig  da.- 
Schwanken  des  Bodens  darstellen:  die  Erde  schwankt  wie  ein  Trunkener  und 
wie  eine  vom  Winde  bewegte  Hängematte,  vereinigt  sich  die  Erwähnung  her- 
vorbrechender Feuerflammen,  welche  den  tiefen  Abgrund,  erfassen  und  das  land 
verzehren. 

Nur  einmal  und  zwar  von  Plinius  wird  auch  das  Erdbeben  mit  dem  Gewitter 
verglichen.    Wie  sich  in  den  Wolken  Donner  und  Blitz  erzeuge,  so  entstehe  auch 


Die  Erdbeben.  297 

n  der  Erde  ein  Blitz,  der  sich  unter  Erschütterungen  der  Erdrinde  und  indem 
T  sie  zerreisse,  einen  Ausweg  suche. 

Durch  das  ganze  Mittetalter  hindurch  hat  sich  vornehmlich  die  aristotelische 
Anschauung  von  den  in  Höhlen  gespannten  Dämpfen  mit  geringen  Abänderungen 
rhalten  und  selbst  bis  in  unsere  Zeit  hinein  noch  Anhänger  gefunden,  wenn 
luch  in  der  veränderten  Auffassung,  dass  die  Erderschütterungen  die  Folge  unter- 
rdischer  Explosionen  gespannter  Gase  oder  Dämpfe  seien. 

Gerade  bei  den  Erdbeben  spiegelt  sich  das  Geheimnissvolle  ihres  Ursprunges 
nch  in  unseren  Tagen  noch  in  den  seltsamsten  und  phantastischsten  Erklärungen 
rieder. 

Noch  zu  Ende  des  vorigen  und  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  fand  der 
kdanke  allen  Ernstes  mehrfach  Ausdruck,  dass  die  Erdbeben,  wie  es  wohl  nur 
sines  bildlichen  Vergleiches  wegen  von  Plinius  ausgesprochen  wurde,  unterir- 
rdische  Gewitter  seien  oder  wenigstens  mit  galvanischen  oder  elektrischen  Pro- 
:c$sen  im  Inneren  der  Erde  im  Zusammenhang  ständen. 

Entweder  glaubte  man,  dass  sich  die  Erdelektricität  an  gewissen  Stellen  der 
iirde  zu  ganz  bedeutender  Spannung  anhäufe  und  gegen  die  Elektricität  der 
Atmosphäre,  also  z.  B.  gegen  eine  Wolke  von  entgegengesetzter  Elektricität,  aus- 
deiche. Oder  man  nahm  galvanische,  im  Inneren  der  Erde  entstehende  Strömungen 
m,  indem  man  die  Erdrinde  mit  ihren  verschiedenen  übereinandergelagerten 
^hichten  gewissermaassen  als  eine  riesige  galvanische  Säule  ansah,  in  der  die 
Schächten  die  einzelnen  Elemente  darstellten.  Noch  im  Jahre  1855  stellte  Hofer 
eine  solche  Gewitterhypothese  für  die  Erdbeben  auf. 

Da  alle  diese  Theorien  eine  mehr  oder  weniger  grosse  Anhäufung  einer  be- 
stimmten Elektricität  an  gewissen  Punkten  der  Erdrinde  voraussetzen,  so  war 
denn  der  Schritt  auch  kein  allzugrosser,  an  die  Ableitung  dieser  gefahrlichen  An- 
swnmlungen  zu  denken.  So  wurden  von  ganz  besonders  speculativen  Erdbeben- 
«»schera  auch  Vorschläge  zu  Paratremblements  de  terre  gemacht,  den  Para- 
tonntres  im  Princip  ziemlich  ähnlich,  entweder  gewaltige  in  den  Boden  einzu- 
lassende Metallplatten,  die  mit  vielen  Spitzen  die  Elektricität  gegen  die  Atmo- 
^e  ausstrahlten  oder  auch,  wie  es  Windeborg  meinte,  grosse  pyramidale 
^tcn  mit  spitzer  Endigung  ^). 

Eine  gewisse  Wechselbeziehung  zwischen  Erdbeben  und  elektrischen  Spannun- 
l«n  in  der  Luft  d.  i.  in  den  Gewittern,  wie  sie  auch  Humboldt  für  möglich  hielt, 
^öngt  wohl  nur  mit  der  Deutung  einer  etwas  trügerischen  Statistik  über  die  Vertheilung 
<lcr  Erdbeben  nach  den  Jahreszeiten  zusammen.  Es  soll  keineswegs  bestritten 
'forden,  dass  die  Unterschiede  in  klimatischen  und  barometrischen  Verhältnissen 
iDter  gewissen  Umständen  bei  dem  Eintreten  von  Erderschütterungen  betheiligt 
*«m  können.  Es  ist  dieses  aber  immer  nur  in  untergeordneter,  begleitender,  nie 
^  ausschliesslich  ursachlicher  Weise  der  Fall. 

Eine  Theorie,  die  eigentlich  zuerst  auf  den  Boden  exacter  Beobachtung  sich 
^eHtc,  war  die  alte  Einsturztheorie.  Scheuchzer,  ein  schweizer  Naturforscher, 
^kannt  durch  das  von  ihm  als  das  Skelett  eines  Riesenmenschen  beschriebene 
^Itelett  eines  Sauriers  aus  den  lithographischen  Schiefem  von  Oeningen,  des  sogen. 
Andrias  Scheuchzeri,  aber  sonst  doch  ein  für  seine  Zeit  trefflicher  Beobachter 
und  besonders  genauer  Kenner   seines   engeren  Vaterlandes,  der  Schweiz,    war 

*)  Vergl.   hierüber    u.  a.  seltsame  Erdbebentheorieo:     I^ersch    1.  c.   und   auch  Naumann, 
^^«ognosie  L  pag.  272—74. 


S98  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

wohl  der  erste,  der  nach  Anaxagoras  es  wieder  aussprach  (171 8),  dass  durch  den 
Zusammensturz  unterirdischer  Höhlungen  oder  auch  durch  den  oberflächlichen 
Einsturz  von  Bergwänden  Erdbeben  entstehen  können.  Er  hatte  gerade  in  der 
Schweiz  vielfach  Gelegenheit  Erscheinungen  zu  beobachten,  welche  für  die  Richtig- 
keit seiner  Annahme  sprachen.  Bergstürze  brachten  ungeheure  Felsmassen  zu 
Fall,  begruben  ganze  Ortschaften  und  weithin  fühlte  man  das  Beben,  dass  sie 
verursacht  hatten.  Ueberall  fand  er  Höhlungen  in  dem  Gebirge  und  so  erschien 
der  Schluss  auf  die  durch  den  Zusammenbruch  derselben  bewirkten  Erschütterungen 
naheliegend. 

Aber  eine  andere  Frage  war  es  doch,  ob  diese  für  gewisse  Erdbeben  da 
Schweiz  durchaus  zutreffende  Erklärung  auf  alle  oder  wenigstens  auf  viele  Erd- 
beben in  anderen  Gegenden  sich  verallgemeinem  lasse.  In  der  That  spräche 
spätere  Forscher  diese  Ansicht  allgemeiner  aus.  Boussinggault  schrieb  dem 
Einsinken  einzelner  Gebirgstheile  unbedenklich  alle  grösseren  Erderschüttemngen 
zu  und  ebenso  war  Necker  der  Meinung,  dass  durch  den  Einbruch  der  Decke 
von  Höhlungen,  die  durch  Auswaschung  entstanden  seien,  die  meisten  Erdbeben 
verursacht  würden.  Ganz  besonders  bezeichnete  er  als  solche  Einsturzbeben  die 
Erdbeben  von  Jamaika  1692,  das  Erdbeben  von  Calabrien  1783,  das  im  Missis- 
sippi Thale  181 2,  das  in  Cutsch  18 19  und  das  von  Murcia  1829. 

In  neuester  Zeit  hat  Volger  eine  der  Theorie  Neckers  ganz  ähnliche  auf- 
gestellt. Auch  er  nimmt  als  Ausgang  wiederum  die  Erdbeben  der  Schweiz^l 
Die  Auswaschung  und  Auflösung  leicht  löslicher  Schichten  z.  B.  der  Gypsgesteine 
durch  die  unterirdischen  Wasserläufe,  die  z.  Th.  allerdings  in  grossartigem  Bfaass- 
Stabe  erfolgt,  bringt  mit  Wasser  gefüllte  Hohlräume  hervor,  die  endlich  plötzlich 
zusammenbrechen  und  die  Erschütterungen  hervorrufen.  In  der  That  ist  das  eine 
auch  durch  die  Lagerungsverhältnisse  mancher  Gypsformationen  auf  das  Unzwei- 
deutigste sich  aussprechende  Thatsache,  dass  die  auf  Gypslagem  ruhenden  Schichten- 
systeme z.  B.  Buntsandstein  und  Zechstein  ganz  besonders  auffallende  Störunge! 
ihrer  Lage  zeigen,  die  nur  dadurch  erklärt  werden  können,  dass  ein  Nachsinken 
und  Zusammenbrechen  der  aufliegenden  Schichten  stattfindet,  je  nachdena  die 
Wasser  den  unterliegenden  Gyps  lösen  und  fortführen.  Wir  werden  sehen,  dass 
auch  die  neuesten  Erdbebenforschungen  allerdings  die  Möglichkeit  und  Wahr- 
scheinlichkeit vieler  Einsturzbeben  durchaus  ergeben  haben,  wenngleich  denselben 
immer  nur  eine  beschränktere  Ausdehnung  zugesprochen  werden  kann. 

Die  vulkanischen  Theorien  nahmen  auch  in  der  neueren  Zeit  die  W^irkung 
hochgespannter  Gase  und  Dämpfe,  oder  die  plötzliche  massenhafte  Entwicklung: 
solcher  Dämpfe,  vorzüglich  Wasserdämpfe,  als  Ursache  der  Erderschtitterungen 
an.  Aus  der  unmittelbaren  Beobachtung  der  Beben,  wie  sie  in  Begleitung  \'ul- 
kanischer  Eruptionen  auftreten,  ergab  sich  zunächst  als  unzweifelhaft,  dass  es  in 
diesem  Sinne  vulkanische  Erdbeben  gebe.  Die  an  den  Vulkanen  auftretenden 
explosiven  Erscheinungen  sind  immer  mit  dem  Ausströmen  mächtiger  Daropf- 
massen  verbunden.  Wer  auf  dem  Kegel  eines  Vulkanes  stehend,  während  einer 
Eruption  einmal  gefühlt  hat,  wie  das  Erzittern  des  Berges,  wie  der  Pulsschla^ 
rhythmisch  erfolgt,  genau  in  derselben  Taktfolge  mit  dem  Hervorbrechen  der 
Dampfwolken  aus  dem  Kraterschlote,  für  den  ist  die  Zulässigkeit  des  Schlusses  nicht 
zweifelhaft,  dass  diese  Dämpfe  mit  ihrer  mächtigen  Tension  die  Ursache  von  Er- 
schütterungen auch  über  weitere  Zonen  hin  werden  können. 


<)  Volger,  Erdbeben  der  Schweiz.     1855.    3.  Bde. 


Die  Erdbeben.  299 

Aber*  auch  bei  dieser  Theorie  bleibt  doch  die  angenommene  Ursache  für 
nele  Erdbeben  weit  hinter  der  Grossartigkeit  der  Aeusserung  zurück.  War 
diese  in  einigen  Fällen,  so  z.  B.  bei  dem  Erdbeben  von  Lissabon  eine  über  grössere 
Theile  des  Planeten,  fast  über  eine  Hemisphäre  sich  ausbreitende,  so  konnte 
jene  Erklärung,  auch  wenn  man  die  Wirkungen  eines  Vulkans  ins  Riesengrosse 
sich  gesteigert  denkt,  doch  nicht  als  ausreichend  gelten.  Man  musste  bei  solchen, 
grosse  Theile  der  Erde  erfassenden  Wirkungen,  auch  an  planetarische  Ursachen 
in  dem  Sinne  denken,  dass  ihr  Sitz  nicht  durch  vereinzelte,  von  einander  unab- 
hängige locale  Einflüsse  bedingt  war. 

Das  hatte  für  die  vulkanischen  Theorien  über  die  Genesis  der  Erdbeben  zur 
Folge,  dass  man  auf  das  alte  Centralfeuer  des  Pythagoras,  auf  den  Andrang  und 
Anprall  des  feurig-flüssigen  Inneren  der  Erde  gegen  eine  äussere,  verhältnissmässig 
schwache  Rinde  zurückgriff. 

An  und  für  sich  hätten  solche  Bewegungen  nichts  Unmögliches,  so  lange 
eben  die  Grundlage  derselben  Gültigkeit  behalten  darf,  dass  ein  flüssiges  und 
noch  dazu  in  gewissen  Grenzen  leicht  bewegliches  Erdinnere  von  einer  verhält- 
nissmässig dünnen  festen  Rinde  umschlossen  sei  und  selbständig  gegen  diese  zu 
reagiren  vermöge. 

Sah  man  auch  hier  wieder  die  eigentlich  erregende  Ursache  in  äusserst  heftig 
explosiv  wirkenden  Dampfentwickelungen,  wie  sie  durch  das  Eintreten  von  Wasser 
von  der  Oberfläche  aus  bis  zu  dem  flüssigen  Kern  eingeleitet  werden  sollten, 
öder  sah  man  sie  in  gewaltsamen  Gasausscheidungen  längs  der  der  fortdauem- 
<ien  Erkaltung  unterworfenen  Grenzzone  zwischen  flüssigem  Kerne  und  fester 
Rinde,  in  beiden  Fällen  wurde  gewissermaassen  die  planetarische,  kosmische 
Bedeutung  der  Ursache  zu  einer  local  und  nur  partiell  aufb-etenden  herabgedrückt 
lind  die  Zulässigkeit  derselben  wiederum  eingeschränkt. 

Die  kosmische  Bedeutung  in  der  Annahme  des  flüssigen,  gegen  die  Erd- 
rinde reagirenden  Kernes  als  Ursache  der  Erdbeben  hat  nur  eine  H)rpothese  in 
ganzer  Grossartigkeit  gewahrt  und  es  kann  nicht  bestritten  werden,  dass  gerade 
fce  kosmische  Bedeutung  der  Theorie  etwas  Verlockendes  gewährt.  Es  ist  das 
&  zuerst  von  Alexis  Perrey  in  Dijon  und  neuerdings  von  R.  Falb  eifrigst  ver- 
fochtene  Theorie,  wonach  die  Bewegungen  des  Erdkernes  veranlasst  werden 
»llen  durch  die  Einwirkung  von  Sonne  und  Mond,  die  durch  die  verschiedenen 
Möglichkeiten  ihrer  Constellation  und  die  dadurch  bedingten  wechselnden  Com- 
Vmationen  anziehender  Kräfte  auch  am  flüssigen  Erdkerne  Ebbe-  und  Fluth- 
crscheinungen  erzeugen  sollen,  wie  sie  es  an  den  Meeren  thun. 

Diese  und  die  anderen  Theorien,  die  einen  flüssigen  und  leichtbeweglichen 
Wkem  voraussetzen,  fallen  natürlich  von  selbst  zusammen,  wenn  die  Vor- 
aussetzung sich  als  unhaltbar  ergeben  sollte,  dass  die  Erde  im  Inneren  die  ver- 
langte Beschaffenheit  besitze;  sie  verlieren  alle  Wahrscheinlichkeit,  wenn  es  im 
^egentheile  sich  plausibel  machen  lässt,  dass  die  Erdrinde  jedenfalls  nicht  die 
geringe  Dicke  besitze,  die  jene  Theorie  verlangt.  Darüber  vergleiche  man  Dasjenige, 
^asimArtikel  »Erdball  u.s.w.«  über  die  Beschaffenheit  des  Erdinneren  entwickelt  wurde. 
Aber  auch  das  scheinbare  Zusammenfallen  häufigerer  ErschÜttenmgen  mit 
'Jen  nach  dieser  Theorie  günsrigen  Constellationen  von  Sonne  und  Mond  ist 
^  Th.  anders  zu  erklären,  z.  Th.  nur  ein  trügerisches.  Jedenfalls  hat  es  nie  die 
Bedeutung  eines  fundamental  ursachlichen  Zusammenhanges,  wohl  aber  bleibt 
^c  Möglichkeit  vorhanden,  dass  auch  bei  einer  ganz  festen  Erde,  Einwirkungen 
jener  Art  partielle  Mitwirkung  ausüben. 


300  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

So  gingen  denn  auch  viele  Erdbebenforscher  schon  vor  länger^  2^it  bei 
der  Erklärung  des  Phänomens  von  Annahmen  aus,  die  direkt  mit  der  jetzigen 
Beschaffenheit  des  Erdinneren  nicht  in  Zusammenhang  stehen.  Die  Entwickelung 
dieser  Theorien  fand  zunächst  in  den  Ansichten  ihren  Ausgang  und  ihre  Grund- 
lage, die  sich  über  die  Entstehung  der  Gebirge  Bahn  brachen. 

Schon  die  von  Boussingault  ausgesprochenen  Ansichten  zielten  im  Wesent- 
lichen darauf  hin,  denn  die  Ursache  der  Erdbeben  hing  auch  nach  ihm  schon 
mit  dem  Zusammensetzen  und  Einsinken  der  gegeneinander  aufgerichteten  Thefte 
der  Gebirgsketten  zusammen.  Aber  eine  bestimmtere  Gestalt  nahmen  aucfe 
die  Erdbebentheorien  erst-  dann  an,  als  man  mehr  und  mehr  sich  den  zugs 
von  C.  Prevost  im  Anfange  des  3.  Jahrzehntes  unseres  Jahrhunderts  ausg^ 
sprochenen  Ansichten  zuwandte,  dass  die  hebende  Kraft  in  den  Gebirgen  nid-: 
eine  radial  von  unten  nach  oben  gerichtete  sei,  sondern  eine  tangentiale,  seit- 
liche, hervorgehend  aus  der  mit  der  fortschreitenden  Erkaltung  des  Erdsphäroides 
nothwendig  folgenden  Contraction  desselben.  In  der  Erkaltung  des  Planeten  und 
in  den  Wirkungen  derselben  ist,  wie  dieses  sehr  richtig  auch  Mallet  als  durch- 
aus von  hervorragender  Bedeutung  betont,  eine  kosmische  Kraft  gefunden,  die  in 
allen  Fällen  der  Grossartigkeit  der  Erscheinungen  sich  anpasst  und  deren  Wirk- 
samkeit vor  Allem  in  den  sicher  bekannten  festen,  peripherischen  Theilen  des 
Planeten  sich  äussert. 

Die  Verschiebungen  der  Erdrinde,  die  Bildung  der  Gebirgsfaltungen  und  alle 
damit  zusammenhängenden  Erscheinungen  sind  darnach  als  die  nächsten  Ursachen 
der  Erderschtitterungen  anzusehen.  Dana  war  wohl  der  erste,  der  diese  Ansicht 
eines  Weiteren  erläutert  und  durchgeführt  hat,  mehr  und  mehr  häufen  sich  durch 
alle  neueren  Erdbebenuntersuchungen  die  Beweise,  dass  in  der  That  ein  grosser 
Theil  der  Erschütterungen  in  einem  durchaus  nachweisbaren  Causalzusammen- 
hang  mit  der  Gebirgsbildung  stehe.  Und  so  haben  die  meisten  heutiges 
Geologen  auch  dieser  Theorie  zugestimmt  oder  selbst  zu  ihrer  Begründung  nzi 
mehr  und  mehr  ins  Einzelne  gehenden  Bestätigimg  Beiträge  geliefert,  wie  diese» 
vornehmlich  in  den  zahlreichen  Arbeiten  von  Mallet,  von  Seebach,  von  Lasaulx. 
SuESS,  Credner,  Höfer,  Bittner,  Hoernes,  Toula  u.  A.  geschehen  ist.  Im 
Folgenden  werden  diese  Arbeiten  noch  mehrfache  Erwähnung  finden  und  die 
Theorie  selbst  auf  Grund  derselben  eingehend  dargelegt  werden. 

n.   Beschreibung  der  Erscheinungen  bei  Erdbeben. 

I.     Theoretischer  Theil. 

Unter  Erdbeben  in  der  allgemeinen  Bedeutung  des  Wortes  versteht  man 
schwingende  Bewegungen  einzelner  Theile  der  festen  Erdmasse,  deren  Ursache, 
in  der  Erde  selbst  liegend,  direkter  Wahrnehmung  durch  unsere  Sinne  sich  ent- 
zieht Erschütterungen  von  ganz  ähnlicher  Form,  deren  Ursache  wir  anmittel* 
bar  zu  erkennen  vermögen,  bieten  zwar  z.  Th.  vollkommene  Analogien  zu 
jenen  schwingenden  Bewegungen,  gehören  aber  doch  nicht  zu  den  eigentlichen 
Erdbeben,  Das  Niederfallen  eines  schweren  Dampfhammers,  die  heftige  Explo- 
sion eines  Dampfkessels,  das  Vorüberfahren  eines  schweren  Eisenbahnzuges 
bringen  schwingende  Bewegungen  des  Erdbodens  und  der  Gebäude  hervor  und 
können  daher  mit  Erdbeben  verwechselt  werden,  wenn  jene  Ursache  uns  ver- 
borgen bleibt.  Noch  mehr  stimmen  solche  Erschütterungen  mit  einem  Erdbeben 
überein,  die  durch  den  Zusammenbruch   unterirdischer,  durch  den  Beigbau  ge- 


Die  Erdbeben.  301 

schaflfener  Hohlräume,  das  sogen.  Zusammengehen  abgebauter  Felder  oder  Glocken 
bewirkt  werden,  oder  durch  Felsstürze  und  Hereinbrechen  von  Bergwänden  an 
der  Erdoberfläche  entstehen.  Für  die  Art  und  die  Verbreitungsweise  der  Bewegung 
ist  die  Vergleichung  der  Erdbeben  mit  solchen  Erscheinungen  von  grosser 
Wichtigkeit 

Hierbei  ergiebt  sich  von  vornherein,  dass  die  Art  der  Bewegung  und  die 
Fortpflanzung  derselben  in  beiden  Fällen  als  physikalisch  gleich  angenommen 
»erden  kann  und  dass  auch  die  Stärke  der  Bewegung  für  irgend  einen  Ort  in 
pnz  bestimmter  Beziehung  steht  zu  der  Stärke  der  erregenden  Ursache  und  zu 
der  Entfernung  des  Ortes  von  dem  Sitze  der  Erregung. 

Wir  gehen  zur  theoretischen  Erörterung  der  Bewegungserscheinungen  am 
Besten  von  einem  der  genannten  Vorgänge  aus,  die  mit  wirklichen  Erdbeben  die 
allergrösste  Analogie  darbieten,  nämlich  dem  Zusammenbruch  grösserer  Gesteins- 
ioassen  in  einem  abgebauten  Grubenfelde. 

Wenn  in  einer  Steinkohlengrube  ein  Kohlenflötz  auf  grössere  Strecken  hin  ab- 
gebaut, d.  h.  die  Kohle  daraus  entfernt  und  zu  Tage  gefördert  worden  ist,  so  werden 
die  das  Flötz  ursprünglich  einschliessenden  Gesteinswände  nur  noch  durch  künst- 
liche Stützen  in  ihrer  Lage  gehalten,  die  während  des  Abbaues  vom  Bergmann  zur 
eigenen  Sicherung  eingestellt  wurden.  Hat  das  Flötz  eine  fast  horizontale  Lage 
und  eine  bedeutende  Mächtigkeit,  so  ist  es  also  vornehmlich  die  Decke  oder  das 
Higen.  Hangende,  das  von  dem  eingebauten  Holze  getragen  wiid.  Wird  zuletzt 
ön  solches  Flötz  als  gänzlich  ausgebaut  verlassen,  so  wird  das  zu  den  Stützen 
^OTendete  Holz  so  weit  als  möglich  noch  entfernt,  ausgeraubt  und  dann  der 
entstandene  Hohlraum  dem  Einstürze  überlassen.  In  der  Regel  besitzt  das 
Hangende  soviel  selbsttragende  Kraft,  dass  das  Zusammenbrechen  desselben  nur 
io  einzelnen  Theilen  und  allmählich  erfolgt  und  hierdurch  der  leere  Raum  aus- 
geiuUt  wird.  In  anderen  Fällen  kann  jedoch  auch  wohl  eine  grössere  Decke 
dieser  Art,  eine  Glocke,  auf  einmal  zusammenbrechen  und  dann  tritt  eine  heftige 
Erschütterung  des  ganzen  über  demselben  liegenden  Erdbodens  ein,  die  sich 
»ach  auf  grössere  Entfernungen  hin  fühlbar  macht. 

Im  Sommer  des  Jahres  1875  erfolgte  ein  solcher  plötzlicher  Einsturz  der 
^bauten  Glocke  des  zur  Königsgrube  gehörigen  Krugschachtes  zu  Königshütte 
io  Ober-Schlesien.  Die  fast  horizontal  liegenden  abgebauten  Flötze  besassen  hier 
fine  Gesammtmächtigkeit  von  über  4  Lachten  Ihr  plötzlicher  Einsturz  verur- 
ttchte  eine  mit  heftiger  Detonation  verbundene  Erschütterung,  die  in  einem 
Umkreise  von  fast  einer  Stunde  deutlich  als  Erbeben  des  Bodens  und  dumpfer 
Donner  wahrgenommen  wurde.  Die  Bewegung  in  der  unmittelbaren  Nähe  des 
Schachtes  war  eine  solche,  dass  einzelne  Gegenstände  vollkommen  in  die  Höhe 
sprangen,  wie  ein  Ball;  in  weiterer  Entfernung  in  der  Stadt  schwankte  der  Boden, 
^e  ein  Kahn  auf  dem  Wasser.  Ein  Maschinenkessel  wurde  aus  seinen  Mauerlagem 
«liporgehoben  und  um  sich  selbst  drehend  verschoben,  Ueberall  war  der  Ein- 
dnick  der  Erscheinung  ein  solcher,  dass  man  an  ein  heftiges  Erdbeben  glaubte. 

Drei  Arten  der  Bewegung  treten  uns  hier  von  derselben  Ursache  ausgehend 
^iitgegen,  die  aufstossende,  succussorische  Bewegung,  wellenförmige 
öder  undulatorische  und  die  drehende  oder  rotatorische,  wie  sie  über- 
einstimmend auch  bei  Erdbeben  beobachtet  werden.  Dass  sie  der  gleichen  Er- 
^egungsursache  entstammen  und  dass  sie  sonach  keinerlei  genetische  Verschieden- 
Wen  bei  Erdbeben  andeuten,  ist  nach  dem  Vorhergehenden  klar.  Wie  sie 
entstehen,  ist  ebenfalls  aus  dem  Beispiele  herzuleiten- 


302 


Mmeralogie,  Geologie  und  PaUeontologie. 


Die  succussorische  Bewegung  tritt  Tomehmlich  in  den  Thetlen  des  er- 
schütterten Bodens  ein,  die  unmittelbar  über  der  erregenden  Ursache  gelegeo 
sind:  ihre  Richtung  fallt  mit  der  des  Stosses  zusammen,  den  der  Niedergaro; 
der  Glocke  bewirkte.  Wir  können  sie  gewissermaassen  als  direkte  Stossäussening 
bezeichnen.  Nur  soweit  die  eingestürzte  Glocke  im  Untergrunde  selbst  sich  erstreck 
soweit  xdso  in  diesem  Falle  Einsturzgebiet  vorliegt,  vermögen  solche  Stossäusseningcs 
an  die  Oberfläche  zu  treten  und  werden  als  verticale  Bewegung  dort  fühlbar  sein. 

Denken  wir  uns  alle  diese  verticalen  Stosslinien  auf  die  Oberfläche  der  Enk 
gezogen,  so  geben  sie  in  ihren  Fusspunkten  eine  vollständige  Projection  der 
Fläche  der  eingestürzten  Glocke.  Das  Bild  des  in  dieser  Weise  umschriebner 
succussorisch  erschütterten  Gebietes  spiegelt  die  Gestalt  des  Erregungsco^ 
wieder. 

Es  wird  aber  die  Erschütterung  an  der  Erdoberfläche  über  die  Grenza 
dieses  Gebietes  um  ein  Bedeutendes  hinaus  gefühlt  Aber  es  können  natürlicb 
die  Stösse  nicht  mehr  als  verticale  an  die  Oberfläche  treten,  sondern  nur  3l> 
schiefe,  um  so  mehr  von  der  senkrechten  Stellung  abweichend,  je  weiter  der 
Oberflächenpunkt  ausserhalb  der  Zone  des  Einsturzgebietes  liegt  In  Königshüne 
wurde  darum  die  Erschütterung  als  eine  wellenförmige,  wie  die  Schwankungen  eino 
Kahnes  empfunden.  Aber  immerhin  sind  die  schräg  austretenden  Stösse  als 
direkte  Fortpflanzung  vom  Erregungsorte  an  die  Oberfläche  gekommen,  b 
unserem  Beispiele  lag  die  erregende  Stelle  nicht  tiefer  als  200  Meter,  daher  de: 
Austritt  der  Bewegung  an  die  Oberfläche  schon  in  i  Kilometer  Entfernung  em 
recht  flacher  sein  musste.  Dort,  wo  die  Bewegung  steil,  also  z.  B.  unter  eicer 
Neigung  von  60 — 80**  an  die  Oberfläche  gelangt,  wird  sie  noch  succussorisch  er- 
scheinen, weiter  hin  allmählicli  mehr  den  Charakter  einer  nur  undulatorischer 
Bewegung  annehmen. 

Nun  ist  aber  jeder  an  die  Oberfläche  gelangende  Stoss  auch  der  Ausgau 
zu  einer  von  diesem  seitlich  d.  i.  horizontal  auslaufenden  Bewegung,  die  i>' 
auch  in  dem  Theile  undulatorisch  verläuft,  in  welchem  die  direkten  Stösse  ic. 
succussorisch  wirken.  Und  so  setzt  sich  demnach  die  ganze  Bewegung  2:^» 
direkter,  succussorischer  und  indirekter,  undulatorischer  zusammen.  In  der 
mittleren  Zone  werden  beide  Arten  der  Bewegung  recht  wohl  zu  unterscheiden 
sein,  je  weiter  wir  von  dieser  uns  entfernen,  umsomehr  werden  die  flach  aus- 
tretenden direkten  und  die  horizontal  verlaufenden  indirekten  Bewegungen  sich 
zu  einer  einzigen  vereinigen. 

Wir  können  uns  dieses  auch  in  allgemeiner  Form  schematisch  klar  machen. 

Gehen  wir  von  der  einfachen 
Annahme  aus,  dass  cier  Erregung^ 
ort  ein  Punkt  sei,  der  in  der  Fi?uf  ^ 
bei  C  liege.  Von  diesem  aus  »er- 
läuft die  Bewegung  in  der  Veri- 
calen  CM  an  die  als  Ebene 
MMi  M2  gedachte  Erdoberfläche. 
CM  ist  dann  die  einzige  wirklicl» 
vertical  d.  i.  succussorisch  a«^' 
tretende  Bewegung.  In  dem  Punkte 
(Min.  60.)  Fig.  4.  j/^  in  einer  gewissen  EntfcniuniZ 

von  M,  bildet  die  Stossrichtung  mit  der  Erdoberfläche  einen  Winkel    der  Uclr.cr 
ist  als  90°,  noch  mehr  weicht  er  in  M^,  M^  u.  s.  f.  davon  ab.    Für  einen  in  der 


Die  Erdbeben.  303 

nendiichkeit  Moo  gelegenen  Ort  würde  der  Stoss  gar  nicht  mehr  an  die  Ober- 
äche  gelangen,  d.  i.  ihr  parallel  verlaufen.  Wenn  wir  den  Winkel,  den  die 
tossrichtung  mit  der  Erdoberfläche  bildet,  als  Emergenzwinkel  bezeichnen, 
)  können  wir  also  sagen,  der  Emergenzwinkel  wird  um  so  kleiner,  je  weiter 
in  Punkt  vom  Erregungspunkte  entfernt  liegt,  oder  auch  von  M^  dem  Fusspunkte 
es  aus  dem  Erregungspunkte  errichteten  Lothes,  den  wir  auch  als  den  Ober- 
ichenmittelpunkt  bezeichnen  können.  Eine  rein  undulatorische,  d.  i.  hori- 
mtale  Bewegung,  kann  also  an  keinem  Punkte  J/^,  J/j  u.  s.  w.  erfolgen.  Die- 
(Ibe  wirkt  succussorisch  bei  grossem  Emergenzwinkel,  undulatorisch,  wenn  dieser 
irtnkel  klein  ist.  Aber  überall  setzt  sich  die  Bewegung  aus  Componenten 
Qccussorischer  und  undulatorischer  Wirkung  zusammen. 

Andererseits  wird  aber  auch  der  Emergenzwinkel  kleiner,  wenn  der 
iiregungspunkt  weniger  tief  liegt,  z.  B.  bei  C,  wie  das  aus  der  Figur  ohne 
Weiteres  hervorgeht.  Jeder  Punkt  M^  M^^  ^2  ^^  ^^^  Oberfläche  ist  auch  der 
Ausgang  einer  wirklich  horizontal  verlaufenden  Bewegung,  und  in  der  gleichen 
('eise  jeder  Punkt  zwischen  C  und  M,  z.  B.  m.  Aber  diese  letztere  Bewegung 
ommt  für  uns  nicht  in  Betracht,  da  gewöhnlich  nur  die  Bewegung  an  der  Erd- 
»berfiäcbe  wahrnehmbar  wird. 

So  lassen  sich  denn  für  die  Art  der  Bewegung  einer  Erderschütterung  fol- 
;ende  Sätze  aussprechen: 

1.  Die  Bewegung  eines  Erdbebens  besteht  aus  direkten  Stosswirkungen  und 
as  indirekten.  Die  direkten  sind  je  nach  der  Lage  des  Beobachtungsortes  zur 
begungsstelle  mehr  succussorisch  oder  mehr  undulatorisch;  die  indirekten, 
oi>erflächlichen  Bewegungen  rein  undulatorisch. 

2.  Die  überwiegend  succussorische  Bewegung  an  einem  Orte  kennzeichnet 
iessen  Lage  als  über  der  Erregungsstelle  befindlich ;  das  succussorisch  erschütterte 
jtbiet  ist  das  Abbild  der  Gestalt  des  Erregungsortes. 

3.  Die  überwiegend  undulatorische  Bewegung  an  einem  Orte  lässt  auf  dessen 
^Össere  Entfernung  von  der  Oberflächenmitte  schliessen. 

4.  Die  Grösse  des  Emergenzwinkels  der  Bewegung  an  einem  Orte  steht  in 
»»gekehrtem  Verhältnisse  zu  der  Entfernung  von  der  Oberflächenmitte,  in 
ÖTCktem  Verhältnisse  zn  der  Tiefe  des  Erregungsortes. 

In  allen  diesen  Fällen  haben  wir  von  der  Intensität  der  bewegenden  Ur- 
sache ganz  abgesehen,  dieselbe  als  für  diese  Betrachtungen  gleich  und  constant 
vorausgesetzt     Wir  werden  darauf  demnächst  noch  zurückkommen. 

Bei  zahlreichen  Erdbeben  sind  die  Wirkungen  succussorischer  und  undulato- 
tischer  Bewegung  in  grosser  Deutlichkeit  gleichzeitig  und  getrennt  wahrgenommen 
forden.  Mehr  oder  minder  klar  finden  wir  Schilderungen  dieser  Bewegungen  von 
den  furchtbaren  Erdstössen,  welche  am  i.  Nov.  1755  die  Zerstörung  von  Lissa- 
^n  nach  sich  zogen.  Die  Bewegungen  der  ELauptstösse  scheinen  immer  als 
zellenförmig  und  aufspringend  zugleich  empfunden  worden  zu  sein.  Für  das 
Erdbeben  von  Süd-Calabrien  1783  führt  Dolomieu  an,  die  Bewegung  desselben 
^nne  man  sich  nicht  wohl  besser  vergegenwärtigen,  als  indem  man  kleine 
Würfel  von  zusammengeknetetem  Sande  nebeneinander  auf  eine  Tischplatte  lege 
und  diese  dann  von  unten  vertical  in  die  Höhe  stosse  und  sie  gleichzeitig 
Horizontal  hin-  und  her  bewege.^)  Bei  dem  Erdbeben  von  Jamaica,  7.  Juni  1692 
^rden  Menschen  vollkommen  vertical  hoch  emporgeschleudert. 


^}  HoFFMANN,  Frid.     Nachgelassene  Schriften.     Bd.  IL  311. 


304  Büneralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Auch  die  undulatorische  Bewegung  ist  oft  schon  bd  schwächeren  Erdstösseo 
recht  stark.  Bei  dem  Erdbeben  von  Herzogenrath  vom  24.  Juni  1877  sah  ein 
Beobachter  durch  ein  schmales  Fenster  hindurch  einen  entfernt  davor  liegenden 
Fabrikschomstein  rechts  und  links  aus  dem  Gesichtsfelde  herausschwanken J* 
Vielfach  sind  die  Schwankungen  der  Bäume,  ein  vollständiges  Hin-  und  Hemeigen, 
wahrgenommen  worden.  In  einzelnen  Fällen  steigerte  sich  die  schaukehide  Be- 
wegung des  Bodens  so,  dass  bei  den  Beobachtern  die  Erscheinungen  der  See- 
krankheit  eintraten.^ 

Eine  ganz  besonders  auffallende,  ebenfalls  in  dem  vorher  erörterten  Beispiele 
angeführte,  überhaupt  wohl  bei  allen  Erdbeben  vorkommende  Form  der  Bewegai^ 
ist  die  rotatorische,  drehende  oder  wirbelnde.  Während  man  früher  uv 
nahm,  dass  dieser  eine  besondere  Art  der  Erdbeben  zu  Grunde  liege,  wissen 
wir  jetzt,  dass  dieses  keineswegs  der  Fall  ist,  sondern  dass  dieselbe  aus  gerad- 
linigen Stössen  unter  bestimmten  Bedingungen  hervorzugehen  vermag. 

Die  einfache  Art,  wie  sie  entsteht,  können  wir  leicht  aus  einem  Veisuche 
erkennen.  Man  lege  ein  cubisches  Holzklötzchen,  das  an  einer  Stelle  ausser- 
halb des  Mittelpunktes  seiner  Grundfläche  eine  kleine  kurze  Nadelspitze  tragt. 
auf  einen  festen  Tisch  und  drücke  die  .Spitze  in  das  Holz  desselben  ein.  Eis 
gegen  die  Tischplatte  ganz  geradlinig  gerichteter  Stoss  wird  die  kleine  Höh- 
quader  um  den  Fixirungspunkt  drehend  bewegen.  Die  Ursache  liegt  darin. 
dass  dieser  Fixirungspunkt  nicht  in  der  Schwerpunktsachse  des  Körpers  liegt 
Wenn  wir  die  Nadelspitze  genau  im  Durchschnittspunkte  der  Diagonalen  dtx 
Grundfläche  anbringen,  würde  unter  sonst  gleichen  Bedingungen  eine  rotixende 
Bewegung  nicht  erfolgen. 

Ueberall  da  also,  wo  unter  ähnlichen  Verhältnissen  an  der  Erdoberfläche 
Körper  so  auf  einer  festen  Unterlage  ruhen,  dass  ihr  Fixirungspunkt,  oder  auch 
die  Stelle  der  grössten  Reibung,  die  in  gleichem  Sinne  wirkt,  nicht  mit  dem  Fuss- 
punkte  der  aus  dem  Schwerpunkte  gezogenen  Normalen  zusammenfallt,  wird  eäc 
geradlinig  verlaufende  Stossrichtung  rotatorische  Bewegung  der  Körper  hervorrufest 
So  war  es  z.  B.  bei  dem  oft  angeführten  Beispiele  der  vor  dem  Kloster  des 
h.  Bruno  in  der  Stadt  Stefano  del  Bosco  stehenden  vierseitigen  Obelisken  bei 
dem  Erdbeben  von  Calabrien  1783  der  Fall,  wo  die  pyramidenförmigen  Quadern 
gegen  die  feststehende  Unterlage  gedreht  wurden.  Zahlreiche  Beispiele  ähnlicher 
Art  sind  seitdem  bei  allen  Erdbeben  beobachtet  worden.  Eine  ganz  besonders 
starke  Wirkung  dieser  Art  beschreibt  von  Rath  von  dem  Erdbeben  von  Belluno 
am  29.  Juni  1873,  welches  überhaupt  reich  war  an  drehenden  Bewegimgen.  Auf 
dem  70  Meter  hohen  Thurm  des  Domes  von  Belluno  stand  ein  5  Meter  hoher 
geflügelter  Engel  aus  Bronce.  Der  Engel  hatte  Stand  gehalten,  denn  ein  mächti- 
ger verticaler  Eisenstab  verbindet  die  Bildsäule  mit  dem  Thurmdach.  Aber  die 
Flügel  waren  herabgeworfen  worden,  statt  ihrer  zeigte  der  Engel  nur  die  beiden 
seinen  Schultern  angehefteten  3  Meter  langen  Eisenstäbe,  über  welche  mittelst 
langer  Scheiden  die  Flügel  geschoben  waren.  Der  Engel  war  durch  die  von 
NO  kommende  Erschütterung  so  gewaltig  um  ca  20^  um  seine  verticale  Achse 
gedreht  worden,  dass  die  schweren  Flügel  von  den  etwas  aufwärts  gerichteten 
Stäben  abgeschoben  und  hinuntergeschleudert  wurden.') 


t)  V.  Lasaulx,  Erdbeben  24.  Juni  1877.     Bonn  1878,  pag.  26. 

')  Hoffmann  1.  c.  p. 

3)  N.  Jahrb.  f.  Min.  1873. 


Die  Erdbeben.  305 

Aber  es  sind  diese  drehenden  Bewegungen  keineswegs  nur  bei  Erdbeben  von 
ossär  Intensität,  sondern  auch  bei  schwächeren  Beben  möglich.  Bei  dem  Erd- 
htüf  das  am  26.  August  1878  die  Rheinprovinz  und  eine  weite  Zone  der  um- 
wenden Länder  erschütterte,  sind  die  Wirkimgen  nirgendwo  über  den  Einsturz 
n  Schornsteinen  hinausgegangen. 

Die  Fa^de  des  königl.  Polytechnikums  in  Aachen  war  mit  einer  3  Meter 
hen  Statue  der  Minerva,  aus  3  Steinen  gemeisselt,  geschmückt,  die  in  einer  aus- 
streckten Hand  eine  Lanze  hielt.  Durch  das  Erdbeben  wurde  die  obere  Hälfte 
T  Figur  gegen  die  imtere  so  stark  gedreht,  dass  ihr  beide  ausgestreckte  Arme, 
r  eine  mit  der  Lanze,  abbrachen  und  herunterfielen.  Alle  3  Stücke,  aus  denen 
e  Figur  bestand,  waren  gegen  einander  drehend  verschoben. 

In  gleicher  Weise  kann  auch  eine  mit  grossem  Emergenzwinkel ,  also 
Hxussorisch  auftretende  Bewegung,  wenn  sie  schräg  gegen  einen  Körper  trifft, 
ssen  rotirende  Ortsveränderung  bewirken.  Bei  dem  Erdbeben  von  Agram  am 
Nov.  1880  waren  auf  den  Friedhöfen  zahlreiche  Verschiebungen  an  Grabstein- 
atten  zu  sehen,  die  um  10 — 25°  von  N.  nach  W.  gedreht  erschienen,  was  durch 
nen  aus  Südwest  kommenden,  schräg  von  unten  nach  oben  wirkenden  Stoss  er- 
äit  werden  konnte^). 

Sonach  ist  auch  die  sogen,  rotatorische  Bewegung  der  Erdbeben  keineswegs 
ne  genetisch  verschiedene,  besondere  Form  der  Erschütterung,  sondern  nur  eine 
och  verschiedene  Umstände  herbeizuführende  Aeusserung  geradliniger,  succusso- 
iitfeer  oder  undulatorischer  Stösse.  Auch  schon  F.  Hoffmann  hatte  dieselbe 
ßfi^ch  als  eine  combinirte  Wirkung  sich  kreuzender  undulatorischer  Bewegungen 
00  verschiedener  Richtung  aufgefasst^). 

Schon  aus  den  vorhergehenden  Betrachtungen  ergiebt  sich,  dass  wir  alle 
ewegung,  wie  sie  in  einem  Erdbeben  erscheint,  nur  als  von  einer  Art  ansehen 
önnen  und  dass  lediglich  die  Richtung,  mit  der  sie  in  unsere  Wahrnehmung 
itt,  eine  Verschiedenartigkeit  bedingt.  Wir  können  sie  als  eine  Schwingungs-, 
ine  Wellenbewegimg  aufTassen;  bei  den  succussorischen  Stössen  ist  die  Stellung 
tt  Beobachters  zu  den  Wellenbergen  eine  andere,  wie  bei  der  undulatorischen 
fc^egung  und  darin  liegt  der  einzige  Unterschied.  Aber  von  dem  Erregungs- 
*K  geht  alle  Bewegung  in  gleicher  Weise  in  das  umgebende  Medium  hinaus. 

So  können  wir  denn,  um  weitere  theoretische  Grundlagen  zur  Erkenntniss 
lö  Verhältnisse  bei  Erdbeben  zu  gewinnen,  auch  die  Erscheinungen  einer  anderen 
Wellenbewegung  als  Ausgang  nehmen.  Wir  würden  hierzu  die  Schwingungen 
»les  Resonanzbodens,  eines  Trommelfelles  unter  dem  Schlage  eines  Hämmer- 
^ns  wählen  können,  aber  der  Verlauf  der  Wellen  ist  hier  nicht  unmittelbar  zu 
«ben.  Wohl  aber  ist  dieses  der  Fall  bei  der  Wellenbewegung  eines  Wasser- 
'*ckens,  die  an  irgend  einer  Stelle  erregt  wird.  Gerade  das  Bild  eines  in  Kreisen 
legten  Wasserspiegels  giebt  uns  das  beste  Bild  von  der  fortschreitenden  Be- 
^«gung  emer  Erdbebenwelle.  Hierbei  macht  es  ftir  die  daraus  herzuleitenden 
««heinungen  bei  dem  Erdbeben  keinen  Unterschied,  dass  die  Wasserwellen  an 
Ȁh  anderer  Art  sind,  als  die  im  festen  Erdboden  sich  fortpflanzenden;  letztere 
^  sogen,  stehende  Schwingungen,  während  die  Wasserwellen  in  der  Physik 
^  fortschreitende  Wellen  bezeichnet  werden  3);  bei  jenen  gehen  die  schwingenden 

^  TouLA,  Fr.,  Ueber  den  gegenwärtigen  Stand  der  Erdbebenfirage.     Wien  1881.  pag.  9. 
*)  L  c.  pag.  310. 

^VcTgl.  Pfaundler:  MüiXBR-Poun^LET,  Physik  Bd.  I.  pag.  400. 
^«»«OTT,  Mm.,  Geol.  u.  P«l.    I.  20 


3o6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Theilchen  nur  hin  und  her,  während  sie  bei  diesen  in  sich  zurückkehrende  Kreise 
oder  Curven  beschreiben. 

Denken  wir  uns  auf  einem  anfangs  ruhigen  Wasserspiegel  eine  Anzahl  von 
Merkzeichen  z.  B.  kleine  Hollundermarkkügelchen  schwimmend.  Setzen  wir 
dann  den  Wasserspiegel  an  irgend  einem  Punkt  durch  Hineinwerfen  eines  Steines 
in  Bewegung.  Wir  sehen,  wenn  die  erregte  Welle  unter  einer  der  Marken  durch 
geht,  diese  auf  und  ab  tanzen,  in  vielfach  sich  folgenden,  abnehmenden 
Schwingungen.  Die  von  der  Erregungsstelle  weiter  entfernt  liegenden  Marken 
werden  zuletzt  bewegt  Weim  wir  mit  dem  Momente,  wo  wir  durch  den  Stein 
die  Wellen  erregten,  zu  zählen  beginnen,  so  können  wir  die  Zeit  in  Zahlen  am- 
drücken,  nach  welcher  die  Bewegung  die  äussersten  Marken  erfasst;  wir  erkennen 
daraus  die  Geschwindigkeit,  mit  der  die  Wellenbewegung  fortschreitet,  die  Fort- 
Pflanzungsgeschwindigkeit 

Aber  ein  Weiteres,  das  für  die  Entwickelung  der  Erdbebenverhältnisse  noch 
wichtiger  ist,  ergiebt  sich  aus  demselben  Bilde.  Denken  wir  uns  den  Punkt,  in 
welchem  die  Wellenerregung  stattfindet  für  uns  unsichtbar,  etwa  mit  einer  Brücke 
überbaut,  so  würde  uns  doch  die  ganze  Erscheinungsweise  der  Wellen  und  der 
durch  sie  bewegten  Marken  unmittelbar  diesen  unsichtbaren  Ausgangspunkt  finden 
lassen.  Selbst  wenn  wir  die  Wellen  nicht  wahrnähmen,  sondern  nur  die  Be- 
wegung der  Hollunderkügelchen,  würden  die  gleichzeitig  bewegten  uns  gestatten, 
die  Kreise  zu  construiren,  deren  Mittelpunkt  die  Stelle  der  Erregung  gewesen. 
Wir  werden  aus  der  Schnelligkeit  und  Grösse  der  Bewegung  sogar  einen  Schlus> 
ziehen,  auf  die  Intensität  der  erregenden  Kraft 

Das  alles  wiederholt  sich  in  ganz  analoger  Weise  bei  einem  Erdbeben,  wenn 
wir   dabei    zunächst   nur   die    Oberfiächenerscheinungen    im   Auge    haben.    ^\v 
werden  den  Eintritt  einer  Erschütterung  für  verschiedene,  von  dem  Mittelpunkte 
ungleich   weit   entfernte    Orte   zu   verschiedenen  Zeitmomenten   erfolgen  sehen. 
es  ergiebt  sich  hieraus  die  Geschwindigkeit,  mit  der  die  Bewegung  an  der  Ober 
fläche    fortschreitet:     die  Oberflächengeschwindigkeit   der   Erdbebenwek 
Liegen  bei  einem  Erdbeben  von  mehreren  oder  gar  vielen  Orten  Beobachtungea 
über  die  Richtung  vor,  aus  der  die  Bewegung  gekommen,  so  ist  der  Durchschnitte 
punkt   dieser  natürlich  der  Oberflächenmittelpunkt.     In  gleicher  Weise  könoeo  | 
wir  diesen  aber,  wie  in  dem  Bilde  des  Wasserspiegels,  auch  aus  den  gleichzeitif 
erschütterten  Kreislinien,  die  man  Homoseisten  genannt  hat,  finden.    Die  m 
derselben  Zeit  erschütterten  Orte  liegen  unter  der  theoretischen  Voraussetzung  des 
Ausschlusses  aller  Verhältnisse,  die  andere  sind  wie  bei  dem  Wasserspiegel,  auf 
Kreisen,  deren  Mittelpunkt  der  Oberflächenmittelpunkt  ist 

Greifen  wir  nun  aber  noch  einmal  auf  das  Bild  von  dem  in  Wellen  bewegten 
Wasserspiegel  zurück.  Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  die  Form  der  Wellenlinien 
nur  dann  eine  kreisähnliche  sein  kann,  weim  die  Stelle  der  Erregung  mehr  oder 
weniger  eine  punkt-  oder  selbst  kreisförmige  gewesen  ist  In  solchem  Falle 
können  wir  die  Wellenbewegung  als  eine  centrale  bezeichnen. 

Denken  wir  uns  aber  die  Erregungsstelle  als  eine  Linie,  wie  sie  z.  B.  beim  Wasse^ 
Spiegel  durch  einen  hineinfallenden  Stock  entstehen  kann,  der  mit  seiner  ganies 
Länge  gleichzeitig  die  Wasserfläche  trifft,  so  werden  die  erregten  Wellen  auch  kein« 
Kreisform  mehr  besitzen,  sondern  eine  der  Länge  des  Stockes  entsprechend  lang 
gezogene  elliptische  Gestalt  erhalten.  Wir  können  dann  nicht  mehr  von  einem 
Mittelpunkte  reden,  sondern  haben  eine  Mittellinie,  eine  Achse  der  Wellen- 
bewegung vor  uns.    Wir  können  diese  Form  der  Wellenbewegung  daher  auch 


Die  Erdbeben.  307 

s  eine  axiale  bezeichnen.  Ist  die  elliptische  Gestalt  eine  sehr  gestreckte, 
e  eine  Achse  demnach  eine  sehr  lange  der  zweiten  Achse  gegenüber,  so  hat 
D  solches  Wellengebiet  einen  linearen  Charakter. 

Ganz  in  gleicher  Weise  ergeben  nun  auch  bei  den  verschiedenen  Erdbeben 
B  Beobachtungen  ein  centrales  oder  ein  axiales  Verhalten.  Weisen  die  Wahr- 
ihmungen,  die  über  ein  erschüttertes  Gebiet  hin  bezüglich  der  Richtungen  ge- 
acht  werden,  aus  denen  man  an  den  einzelnen  Orten  die  Bewegung  kommen 
blte,  alle  oder  doch  in  grosser  Mehrzahl  wie  Radien  eines  Kreises  auf  einen 
ittelpunkt  hin  oder  führen  wenigstens  alle  Richtungsstrahlen  auf  einen  eng  be- 
enzten  District  der  Oberfläche,  so  können  wir  ein  solches  Erdbeben  ein  cen- 
ales  nennen.  Die  gleichzeitig  erschütterten  Linien  müssen  sich  dann,  von 
öningen  im  bewegten'  Medium,  dem  Erdboden  selbst,  abgesehen,  der  Kreis- 
nn  nähern. 

Ergiebt  sich  aber  im  Gegentheil,  dass  die  Richtungsstrahlen  auf  eine  Mittel- 
sie  fuhren  oder  dass  die  gleichzeitig  erschütterten  Linien  auch  nicht  annähernd- 
leise,  sondern  lang  gestreckte  elliptische  Formen  ergeben,  so  muss  auch  der 
icrd  der  Erregung  einer  solchen  Erschütterung  als  ein  lang  gestreckter  ange- 
ommen  werden. 

In  beiden  Fällen  aber  nehmen  wir  an,  dass  von  dem  erregenden  Orte  aus 
ie  Bewegung  mit  gleicher  Kraft  nach  allen  Seiten  ausstrahle.  Das  ist  nun  nicht 
Athwendig  der  Fall.  Denken  wir  uns  den  Stein  oder  Stock  nicht  frei  in's  Wasser 
i^nd,  so  dass  er  vertical  sich  bewegt,  sondern  von  der  Seite  gegen  die  Wasser- 
tee gestossen,  so  dass  er  dieselbe  mit  schiefer  Incidenz  trifft.  Die  stärkste 
(Wellenbewegung  wird  dann  in  der  Richtung  des  Stosses,  d.  h.  vor  dem  erregen- 
fen  Gegenstande  stattfinden.  Hinter  demselben  nur  eine  schwache,  in  gewissem 
>nuie  als  refiectorisch  zu  bezeichnende  Wellenbildung.  Es  ist  dann  der  erregende 
M  nicht  mehr  Mittelpunkt  oder  Mittellinie  des  ganzen  bewegten  Gebietes,  son- 
em  die  Ausdehnung  und  die  Gestalt  der  erregten  Wellen  ist  eine  durchaus 
inseitige  oder  laterale.  Wir  können  eine  Stossseite  und  eine  Schattenseite 
Btterscheiden.  Wir  werden  sehen,  dass  wir  in  diesem  Sinne  auch  laterale  Erd- 
Hben  unterscheiden  müssen,  bei  denen  nicht  eine  sichtbare  Convergenz  der 
kiegungsstrahlen  nach  einem  Punkte  oder  einer  Linie,  sondern  der  fast  parallele 
Teilauf  der  Richtungen  der  Bewegung  über  ein  ganzes  erschüttertes  Gebiet  hin 
»ch  aus  der  Beobachtung  ergiebt. 

Wenn  nun  auch  insoweit  die  Oberflächenerscheinungen  oder  mit  anderem 
Ä'orte  bezeichnet,  die  Propagationsform  der  Erdbeben  sich  sehr  wohl  mit  den 
bellen  eines  Wasserspiegels  vergleichen  lassen,  so  besteht  doch  zwischen  beiden 
80  wesentlicher  Unterschied. 

Bei  dem  Wasser  lag  unserer  Annahme  nach  die  erregende  Ursache  im  Ober- 
fiachenmittelpunkte  selbst,  dort,  wo  der  fallende  Körper  das  Wasser  trifft.  Bei 
^  Erdbeben  ist  dieses  keineswegs  der  Fall.  Hier  liegt  der  Erregungsort  in 
^r  Tiefe,  im  Inneren  der  Erdrinde,  und  wir  kennen  weder  diese  Tiefe  noch  die 
^«talt  und  Ausdehnung  des  Erregungsortes. 

So  läuft  denn  auch  die  Bewegung  nicht  eigentlich  horizontal  über  die  Erdober- 
«äcKe  hm,  sondern  mehr  oder  weniger  schief  tritt  sie  an  die  Oberfläche  und  trifft 
™ese  unter  einem  Winkel,  den  wir  den  Em  ergenz  winkel  (pag.  303)  genannt  haben. 
öass  von  diesem  die  Art,  wie  die  Bewegung  an  der  Oberfläche  in  die  Wahrnehmung 
^%  abhängt,  haben  wir  im  Vorhergehenden  schon  gesehen.  Ist  es  möglich,  an 
^^cnd  einem  Orte  des  erschütterten  Gebietes  diesen  Emergenzwinkel  zu  bestimmen, 

20  ♦ 


3^9  Mmeralogie,  Geologie  and  Pakeontologie. 

SO  wird  dieser  ohne  Weiteres  ergeben,  in  welcher  Tiefe  ungefähr  der  EiTegung>- 
ort  gelegen  ist  Ob  das  Erdbeben  sich  in  seiner  Propagationsform  als  ein  cer 
trales,  axiales  oder  laterales  in  dem  vorher  von  uns  entwickelten  Sinne  zu  er- 
kennen giebt,  das  ist  hierbei  gleichgiltig.  Denn  mit  der  Bestimmung  des  £mer 
genzwinkels  ist  ohne  Weiteres  auch  das  Azimuth  der  Bewegung  d.  i.  die  Richtim^ 
erkannt,  aus  der  die  Erschütterung  aus  der  Tiefe  an  die  Erdoberfläche  gelanft 

Aus  der  Vergleichung  der  Azimuthe  wird  sich  in  gleicher  Weise  wie  aus  de^ 
Construction  der  bloss  oberflächlichen  Richtungsstrahlen  ein  Schluss  auf  die  Gt 
stalt  und  Ausdehnung  des  erregenden  Ortes  ziehen  lassen. 

R.  Mallet  gebührt  das  Verdienst,  die  Tiefe  des  erregenden  Ortes  auf  die^* 
Weise  zuerst  bestimmt  zu  haben.  Er  benutzte  dazu  die  Wirkungen  des  neapc> 
tanischen  Erdbebens  vom  1 6.  Dezember  1857,  unter  der  Voraussetzung,  dassdi« 
Erdbeben  ein  centrales  gewesen.  Von  Rissen  und  Spalten,  die  an  Gebäcdtn 
bewirkt  wurden,  ausgehend,  zeigte  er,  wie  die  Ebene,  welche  durch  gewisse  Haup- 
spalten  gelegt  werden  kann,  normal  auf  der  Richtung  der  Wellenbewegung  stehen 
muss  d.  h.  also  mit  andern  Worten,  das  Einreissen  der  Spalten  erfolgt  unter  de: 
Einwirkung  der  directen  Bewegungsstrahlen,  senkrechte  Absonderungsflächen  iz 
diesen  hervorrufend.  Werden  die  aus  der  genauen  Bestimmung  der  L.age  solcrs 
Flächen  erhaltenen  Azimuthe  von  zwei  oder  mehreren  Orten  an  der  Erdobertlid» 
construirt  und  bis  zu  ihrem  Durchschnitt  verlängert,  so  ist  der  Schnittpunk:  de 
gesuchte  Erregungspunkt.  Ein  von  diesem  aus  auf  die  Erdoberfläche  errichte» 
Loth  ergiebt  in  seinem  Fusspunkte  den  Oberflächenmittelpunkt.  Der  AbsuV. 
jedes  Ortes  an  der  Erdoberfläche  von  diesem  ist  der  Axialabstand  oder  die  Cen* 
tro-Distanz.  Sind  nun  für  einen  oder  mehrere  Orte  der  Axixdabstand  und  nc! 
Kmergcnzwinkel  bekannt,  so  ist,  die  Erdoberfläche  als  Ebene  gedacht, 

h  T=  D .  tang  e 
wo  D  die  Centrodistanz,  e  der  Emergenzwinkel  und  h  die  Tiefe  des  gesuciw 
Krrcgungspunktes  oder  wahren  Erdbebencentrums  ist. 

Bei  der  Anwendung  seiner  Methode  stellte  sich  auch  bei  Mallet  in  nc 
(IbcrraKchender  Weise  der  wirklich  centrale  Charakter  jenes  Erdbebens  her^ 
denn  von  den  78  Orten,  an  denen  er  im  Ganzen  177  Azimuthbesdmmungen  vomahx. 
N(  hneidcn  sich  die  Stossrichtungen  von  16  Orten  in  einem  Punkte,  d.  h.  innerhaft 
eincN  Kreises  von  nur  500  Yards  =  456  Meter  Radius  und  32  weitere  noch  inncHul 
einen  Kreises  von  2^  Seemeilen  =  185 1  Meter  Radius.  Hier  ergiebt  sich  a]4 
(h>rh  mit  grosser  Zuverlässigkeit,  dass  dieses  Erdbeben  keinenfalls  einen 
hcrrMc^hcnd  axialen  Charakter  gehabt  haben  kann;  wohl  aber  könnte  die 
dchnung  des  Krrcgungsortes  in  radialer  Richtung  angenommen  werden, 
(licNCH  auch  von  Mallet  selbst  geschah.  Der  centrale  Charakter  der  ober^ack 
liehen  Propagationsform  wird  dadurch  nicht  geändert.  Mallet  nahm  als  ReseM 
hciner  Hcrcchnungen  eine  mittlere  Tiefe  des  Erdbebencentrums  zu  10649  Meter  jm 

Imuo  andere  Methode  schlug  von  Seebach  ^)  zur  Ermittelung  der  Tiefe  m 
IsnrgungNortcH  vor.  Auch  hierbei  wird  von  der  Grundbedingung  ausgeganrca 
d«KK  ein  Kitlhc))cn  ein  centrales  ist  und  dass  seine  Fortpflanzungsgeschwindi^rVäl 
Oh"  nllc  Thoilc  des  erschütterten  Gebietes  die  gleiche  bleibt.  Auch  die  Xdr.cr^ 
Voirt\ih»ol/ung  tritU  funlich  nie  ganz  zu,  und  die  Methode  selbst,  auf  wirklich  centnir 
l''nUiolion  nuKowcndct.  enthält  ausserdem  auch  sonst  mancherlei  Schwierigkeirrc 
Aber  \\\x  Iheoietisi  hc   llctrachtungen  über  die  Erscheinungen  der  Erdbeber  -• 

»)  Diin  mUtcUlvMUchc  Krxtt^hcn  %•««»  6.  Min  1872.    Leipzig  1873,  pag.   169. 


Die  Erdbeben. 


309 


sie  doch    von   grosser  Bedeutung   und    ihrer   Anwendung  i)   sind   unzweifelhaft 
hervorragende  Resultate  auf  dem  Gebiete  seismischer  Forschung  zu  verdanken. 

Die  theoretische  Grundlage  dieser  Methode  ist  im  Allgemeinen  die  folgende : 
Wäre  der  Mittelpunkt  eines  Erdbebens  zugleich  der  Mittelpunkt  der  Erde 
und  diese  eine  Kugel,  so  würde  dann  die  Erschütterung  gleichzeitig  an  allen 
Punkten  der  Erdoberfläche  empfunden  werden  müssen.  Ist  aber  der  Erdbeben- 
mittelpunkt  an  irgend  einer  der  Erdoberfläche  näheren  Stelle  gelegen,  so  treten 
fie  Verhältnisse  ein,  wie  sie  sich  mit  Hülfe  der  folgenden  Figur  verstehen  lassen. 

Hierbei  kann  man  sich  die  Erdoberfläche  als  eine  Ebene,  ihre  Projektion  als 
fme  gerade  Linie  denken,  was 
jei  Erdbeben  von  kleinerem  Ver- 
)reihingsgebiete  keinenfalls  nen- 
«nswerthe  Unrichtigkeiten  zur 
^olge  hat.  Dann  ist  es  klar,  dass 
iie  Stosswelle,  um  von  dem  in 
ler  Figur  mit  C  bezeichneten 
^tmm  der  Bewegung  aus  an 
len  mit  M  bezeichneten  Ober- 
lachenmittelpunkt zu  gelangen, 
ib  um  die  mit  h  bezeichnete 
uüfemung  zu  durchlaufen,  eine 
gwisse  Zeit  gebraucht,  die  mit  / 
Zeichnet  werden  mag  und  die 
iJeich  ist  der  Entfernung  A,  divi- 
frt  durch  die  Geschwindigkeit  c, 
or  jeden  anderen  Oberflächen- 
«ffikt  i/j,  der  sich  in  einer  be- 
tanmten    Centrodistanz   d^    von 


Rg.  5. 


(IfiiL  5L) 


1^  befindet,    ist    der   zu  durchlaufende   Weg   um    eine   Strecke   x  länger,    für 

^x  °ut  der  Centrodistanz  d^  -h^t  ^™  ^i»  ^  ^z  ^™  ^%  ^'  ^*  ^-    ^  werden  also 
^  die  Zeiten,   nach   denen  die  Wellen  an  die  Oberfläche  gelangen,  grösser; 


•örn  für  Af  die  Tjcit  /=  —  gewesen,   so  ist  /j  = ^,  /,  = u.  s.  f. 

Wenn  man  nun  bei  gegebenem  Oberflächenmittelpunkt  auf  die  Absdssenachse 
^es  Coordinatensystems,  dessen  Nullpunkt  im  Oberflächenmittelpunkt  gedacht 
''ifd,  die  Centrodistanzen  der  Orte  von  diesem  d^^dy  -\-  d^,  d^  -hd^  +  ^,  u.  s.  f. 
Q  Meilen  aufträgt,  dagegen  auf  der  Ordinatenachse  mit  dem  gleichen  Maassstabe 
^e  Zeitmomente  /|,  /j,  /,  in  Minuten  einschreibt,  dann  liegen  die  so  gefini- 
dcnen  Punkte   m^,  «,,  m^  u.  s.  f.  auf  einer  HjrperbeL 

Wenn  man  demnach  in  ein  Netz  von  Quadraten,  von  irgend  einem 
^te  anfangend,  in  die  horizontal  liegenden  Linien  die  Meilen,  in  die 
^eiticalen  Linien  die  Minuten  der  2^tangaben  über  den  Eintritt  des  Eid- 
^bens  an  jedem  Orte  einträgt  und  diese  Punkte  mit  einander  verbindet, 
^  muss  man  bei  absoluter  Genauigkeit  der  in  Betracht  konunenden  Weithe 
^c  Hyperbel  erhalten.  Aus  ihr  lassen  sich  die  gesuchten  Grössen  ein- 
^b   ableiten.      Der    Scheitelpunkt    der    Hyperbel    ist    der    Obeiflachcnmittel- 


^f  VON  Lasaulz,  Das  Erdbeben    von 

H-  109. 


Henogamtli  am  22.   Oktober    1873.    Bom    1874, 


3IO  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

punkt,  der  Durchschnittspunkt  der  Asymptote  mit  der  Ordinatenachse  ist 
der  Zeitpunkt  der  ersten  Erregung  des  Erdbebens.  Da  sich  nun  femer  dircct 
ablesen  lässt,  wie  viele  Meilen  die  Bewegung  in  einer  Minute  durchlaufen  hat, 
so  ergiebt  sich  dadurch  die  wahre  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  Die  Zeit 
zwischen  dem  Zeitpunkte  der  ersten  Erregung  und  dem  Eintritte  der  Er- 
schütterung im  Oberflächenmittelpunkt  durch  den  Werth  der  Fortpflanzungsge- 
schwindigkeit dividirt,  ergiebt  die  gesuchte  Tiefe  des  Erdbebenherdes. 

Allerdings  ergeben  sich  bei  der  practischen  Verwerthung  dieser  Methode 
mancherlei  Schwierigkeiten.  Vor  allem  ist  die  Genauigkeit  des  Zeitetntrittes 
der  Erschütterung,  die  zu  der  Bestimmung  nöthig  ist,  nur  in  ganz  einzelnen  fast 
zufälligen  Fällen  zu  erzielen.  Gerade  die  angestellten  Untersuchungen  haben  äe 
UnZuverlässigkeit  der  Zeitbestimmungen  in  hohem  Maasse  ergeben^).  Danöt 
wird  die  Methode  selbst  aber  sehr  unzuverlässig.  Andererseits  wird  die  Brauch- 
barkeit derselben  auch  durch  das  nicht  Zutrefifen  der  anderen  Prämissen  sehr 
bedeutend  beeinträchtigt:  das  Medium  des  Erdbodens  ist  ein  zu  ungleiches,  um 
die  genaue  Constanz  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  zu  gewährleisten  und 
endlich  ist  die  Form  des  Erdbebenherdes  stets  mehr  oder  weniger  von  einem 
Punkte  oder  Kreise  abweichend.  Allerdings  würde  sich  dieses,  wenn  hur  den 
Zeitangaben  Zuverlässigkeit  zuerkannt  werden  könnte,  aus  der  Constniction  und 
Betrachtung  von  selbst  ergeben.  Es  würden  dann  die  Homoseisten  nicht  als  an- 
genäherte Kreise  sich  herausstellen,  sondern  eine  unregelmässige,  mehr  oder 
weniger  elliptische  Gestalt  annehmen.  Immerhin  bleibt  die  Methode  ein  sehr 
werthvoUes  Mittel  für  das  Erdbebenstudium ;  auf  die  mit  ihr  erreichten  Resultate 
kommen  wir  später  noch  zurück. 

Ein  anderer  Umstand,  der  fllr  die  allgemeine  Theorie  der  Erdbeben  von 
Wichtigkeit  erscheint,  ist  die  Grösse  ihres  oberflächlichen  Verbreitungs- 
gebietes und  das  Verhältniss  desselben  zur  Intensität  der  Wirkung^en. 

In  dem  vorhin  mehrfach  gewählten  Bilde  des  bewegten  Wasserspiegels  k 
die  Kraft,  mit  der  der  Stein  ins  Wasser  fallt,  direct  die  Ursache  einer  kleinem 
oder  grösseren  Verbreitung  der  Wellenkreise.  Bei  einem  kleinen  Steincho 
werden  dieselben  nur  auf  eine  Entfernung  von  wenig  Fuss  sichtbar  bleiben,  bd 
einem  grossen  Steinblock  auf  hunderte  von  Füssen  hin  verlaufen.  Das  Ver- 
breitungsgebiet ist  also  hier  der  directe  Maasstab  für  die  Intensität  der  erregen- 
den Ursachen.  Das  würde  wiederum  bei  Erdbeben  dann  ganz  übereinstimmend 
sich    verhalten,    wenn   der  Erregungspunkt  in  der  Erdoberfläche  gelegen   wäre. 

Wir  dürften  dann  die  Intensität  geradezu  durch 

Gi>     GxM         6's  ^\^  den  Werth   des   erschütterten  Gebietes   aus- 


/•-"A 


7-^; —  1 X»'"-  ^  ^ 

A^^     ,  drücken,  sei  es  durch  den  Radius  bei  einem 

^  Kreise,  die  beiden  Achsen  bei  einer  EUlipst, 


■/, 


in   complicirterer  Weise  bei  unregelmässiger 
f  oberflächlicher  Gestaltung   des   erschütterten 

Gebietes.     Da   aber   bei  den  Erdbeben  der 
Erregungspunkt  in  unbekannter  Tiefe  geleges 
ist,  so  ist  dieser  Ausdruck  der  Intensität  nicht 
ohne  Weiteres  statthaft. 
(Min.  53.)  Fig*  6.  Denken  wir  uns,  dass  an  zwei  Punktes 

im   Inneren   der   Erde    mit   gleicher  Kraft   eine  Erregung  stattfindet,    aber  der 
eine   Punkt   liegt  in  2,    der   andere   dagegen   in  4  Kilom.  Tiefe.     Der  erstere 

')  VergL  V.  Lasaulx,  1.  c. 


Die  Erdbeben. 


3" 


-/ 


ist  in  der  Figur  mit  Cj,  der  andere  mit  C^  bezeichnet  Sind  dann  an  der 
wiedenim  als  Ebene  gedachten  Erdoberfläche  ^j  und  G^  die  äussersten 
Grenzen  der  wahrgenommenen  Erschütterung,  so  ist  der  Radius  C^G^^  die 
wirkliche  Ausdehnung  der  Wellenbewegung,  die  wir  Elongation  nennen 
vollen.  An  der  Oberfläche  ist  M  der  Mittelpunkt,  MG^  und  MG^  die 
Elongationsradien;  diese  sind  kürzer  als  C^G^,  geben  uns  also  nur  ein 
scheinbares  Bild  der  wirklichen  Elongation.  Ist  nun  in  C^  die  Erregung  mit  der- 
selben Kraft  erfolgt,  so  können  wir  für  dieses  Centrum  die  Elongation  durch 
den  gleichen  Radius  ausdrücken  C^G^  =  C^G^,  Die  Durchschnittspunkte  des 
mit  diesem  Radius  um  C^  beschriebenen  Kreises  auf  der  die  Oberfläche  dar- 
stellenden Linie  bezeichnen  die  scheinbare  Elongation  auf  der  Oberfläche,  die 
K^nach  kleiner  ist  als  die  für  das  andere,  weniger  tiefe  Centrum. 

Dabei  ist  aber,  bei  der  gleichen  Intensität  des  Anstosses,  im  Oberflächenpunkte 
ITfür  Cj  ebenfalls  die  Wirkung  eine  sehr  viel  geringere  als  für  C^.  Anderer- 
seits aber  ist  natürlich  die  Emergenz  der  austretenden  Bewegung  für  das  tiefere 
Centrum  C^  überall  eine  grössere. 
Wenn  die  steil  austretenden,  suc- 
3Bsorisch  wirkenden  Wellen,  wie 
üeses  von  vielen  Erdbeben  that- 
»chlich  behauptet  wird,  die  ver- 
heerendsten sind,  so  köimte  also 
■oglicherweise  ein  tiefer  gelegenes  ^7^ 
Centnun  trotz  der  nicht  grösse- 
ren Intensität  des  ersten  An- 
stosses, doch  unter  gewissen  Be- 
rgungen zerstörendere  Wiikun-  ^w,  7. 
,'en  an  der  Oberfläche  ausüben. 

Aus  der  vorhergehenden  Betrachtung  geht  nun  aber  unmittelbar  hervor,  dass 
^e  Vergleichung  der  Intensitäten  von  Erdbeben  aus  ihren  oberflächlichen  Ver« 
breitungsgebieten  nur  dann  statthaft  ist,  wenn  die  Erregungsorte  in  der  gleichen 
Tiefe  gelten  sind.  An  sich  ist  also  auch  das  Verbreitungsgebiet  eines  Erd- 
kbens  oder  seine  oberflächliche  Elongation  nur  dann  ein  Ausdruck  für  die  In- 
tatsität,  wenn  die  Tiefe  des  Herdes  bekannt  ist  Diese  ist  allerdings  in  der 
Kegel  gerade  die  gesuchte  Unbekannte. 

Denken  wir  uns  in  einem  weiteren  Beispiele  zwei  Erschütterungen  von 
Reicher  Tiefe,  aber  mit  verschiedener  Intensität  des  ersten  Anstosses  ausgehend, 
(üc  eine  anderthalbmal  so  gross  wie  die  andere.  Wir  werden  dann  die  Ver- 
keitungsgebiete  an  der  Oberfläche  wie  in  Fig.  7  darstellen  können.  Cg^  ist  die 
^kHche  Elongation  für  das  stärkere,  Cg  die  für  das  schwächere  Beben.  An 
^^  Oberfläche  ist  das  Verbreitungsgebiet  des  ersteren  ein  sehr  viel  grösseres, 
^  das  des  zweiten.  Aber  auch  die  Grösse  der  Wirkung  im  Oberflächenmittel- 
pUQltte  muss  für  das  erstere  eine  bedeutend  grössere  sein.  Die  Abschwächung 
<fet  ursprünglichen  Kraft,  durch  den  durchlaufenen  Weg  C^  ausgedrückt,  beträgt 

fe  das  erstere  nur  1^1  =x-,  für  das  zweite  aber  schon  (  o  )  =  7  o^"*  dem  Satze, 

^  die  Intensität  des  Stosses  abnimmt  nach  dem  Quadrate  der  Entfernung  vom 
^tnim.  Die  weit  geringere  Wirkung  im  Oberflächenmittelponkte  steht  also 
out  dem  geringeren  Verbreitungsgebiete  in  Uebereinstimmnng.  Hier  ist  also 
^  Schluss  auf  die  geringere  Intensität  der  err^enden  Ursache  gerecfatfertigL 


(MiiLfia) 


312 


Blineialogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


Wenn  es  sich  also  eigeben  sollte,  dass  die  Erdbebenherde  alle  in 
Uebereinstinunung  in  einer  bestimmten  Zone  oder  nahezu  gleichen  Tiefe  des  Erd- 
innem  ihren  Sitz  hätten,  dann  würde  die  oberflächliche  Verbreitung  uod  die  k* 
tensität  der  Wirkung  im  Obeiflächenmittelpunkte  immer  in  gleichem  Vertältniss 
mit  der  Intensität  der  Erregung  wachsen  oder  abnehmen.  Dass  dieses  nicht  dr 
Fall  ist,  sondern  dass  wir  grosse  Verbreitungsgebiete  mit  schwachen  Wiikung«r 
und  andererseits  sehr  intensive  Wirkungen  bei  kleiner  Verbreitung  finden,  daii 
ab  ein  Beweis  dafür  gelten,  dass  die  Tiefe  der  erregenden  Ursache  seh: 
verschieden  sein  kann. 

Wenn  nun  für  die  wenigen  Erdbeben,  für  welche  der  Versuch  einer  Ic 
Stimmung  der  Tiefe  ihres  Erregungsortes  gemacht  worden  ist,  die  für  diese  Tk« 
gefundenen  Werthe  auffallend  geringe  sind,  so  gering,  dass  sie  gegenüber  üc 
oberflächlichen  Elongation  verschwindend  klein  erscheinen  und  es  darnach  fis 
gestattet  erscheinen  könnte,  die  Tiefe  überhaupt  zu  vernachlässigen  und  die  h 
tensität  einfach  durch  den  scheinbaren  Elongationsradius  auszudrücken,  so  düif« 
wir  dieses  doch  keineswegs  allgemein  thun,  da  die  bisher  gefundenen  Tiefer 
werthe  doch  immerhin  hypothetische,  in  weiten  Grenzen  schwankende  sine 
Andere  Umstände  sprechen  fiir  noch  grössere  Differenzen  in  den  Tiefen,  als  a 
in  jenen  Werthen  sich  ausprägen. 

Nun  ist  allerdings  die  wichtigere  Frage  die  nach  der  Tiefe  des  erregen /s 
Ortes,  denn  die  Intensität  ist  wohl  nur  selten  von  genetischer  Bedeutung.  Könr« 
wir  aber  aus  den  allein  an  der  Erdoberfläche  zu  beobachtenden  Verhältnissen  6< 
Intensität  der  Wirkungen  und  der  scheinbaren  Elongation  unter  gewissen  Uc 
ständen  Schlüsse  auf  die  Tiefe  ziehen?    Das  ist  in  der  That  der  Fall. 

Wenn  nämlich  für  einen  Erdbebenherd  in  sehr  geringer  Tiefe  C\  Fig.  8  da 
Intensität  des  Anstosses  eine  schwächere  ist  als  für  einen  solchen  in  grtesers] 
Tiefe  C,  so  wird  der  Fall  eintreten  können,  dass  im  Oberflächenmittclpunkt 

oder  in  der  centralen  Zone 
Wirkung  des  Bebens  von  der 
und  für  sich  geringeren  Inten^'J 
doch  bedeutend  stärker  erschexl 
Stehen  z.  B.  wie  dieses  ^ 
der  Fig.  8  angenommen,  die  I^ 
tensitäten  der  ersten  Anstösse  n 
die  beiden  Erdbeben  im  Verhil 
niss  5:8,  d.  i.  C|^|  s=s  5  un 
C^  =  8,  dagegen  die  Tiefen  i^ 
Verhältniss  1 : 3,  d.  i.  C,  Äf=  \  CM 
so  ergiebt  sich  für  das  Centm 
C|  an  der  Oberfläche  in  J/.  « 
die  Bewegung  f  des  Elongatt.«i 
radius  zurückgelegt  hat,  nach  defl 
Satze  von  der  Abnahme  der  Iv 


(MliL  M.) 


Fig.  8. 


tensität  im  Quadrate  der  Entfernung  noch  ein  Rest  von  Intensität  =  }|  der  lt 

sprünglichen.    In  gleicher  Weise  erhält  man  für  das  Centnim  C  in  Af  einen  Res 

von  ^.    Da  nun  die  Intensitäten  sich  wie  5 : 8  verhielten,  so  ergiebt  sich  dx 

Verhältniss  der  Oberflächenwirkung  in  M  für  C^iC  wie 

21     7     , 

y  :  2  oder  4,2  :  3,5 


Die  Erdbeben.  313 

.  h.  die  schwächere  Intensität  erzielt  an  der  Oberfläche  doch  noch  die  stärkere 
Virkung. 

Das  Verbreitungsgebiet  C^g^  ist  aber  ein  kleineres,  als  für  das  Beben  von 
er  wirklich  grösseren  Intensität  des  ersten  Anstosses,  aber  auch  der  grösseren 
*iefe  desselben.  In  diesem  Falle  steht  also  die  Grösse  der  scheinbaren 
Jongation  für  die  beiden  Erdbeben  nicht  in  dem  gleichen  Verhält- 
isse  wie  die  Oberflächenwirkung. 

Aus  der  Gesammtheit  der  Beispiele  folgt  aber  für  die  Erforschung  der  Erd- 
eben der  wichtige  Schluss,  dass  aus  dem  Verhältnisse  der  an  der  Oberfläche 
rkennbaren  Faktoren,  der  scheinbaren  Elongadon  und  der  oberflächlichen  Stoss- 
rirkung  gewisse  Folgerungen  auf  die  Tiefe  des  Erregungsortes  statthaft  erscheinen. 
ITiT  können  diese  Beziehungen  füglich  in  zwei  Sätzen  zusammenfassen: 

1.  Erdbeben  von  sehr  heftiger  Wirkung  an  der  Oberfläche,  aber 
on  nur  sehr  kleinem  Verbreitungsgebiete  können  nur  eine  geringe 
riefe  des  erregenden  Herdes  besitzen. 

2,  Erdbeben  von  schwacher  Wirkung  an  der  Oberfläche,  aber 
ongrossem  Verbreitungsgebiete  sind  in  bedeutenderer  Tiefe  erregt. 

Nun  kommt  für  das  Verhältniss  der  oberflächlichen  Verbreitung  zur  Inten- 
iUt  der  Erregung  noch  eines  in  Betracht. 

Durch  wichtige  Beobachtungen,  welche  vor  wenig  Jahren  in  einer  ausführ- 
Khen  Arbeit  General  H.  L.  Abbot  mittheilte,  die  er  bei  den  mit  grossen  Mengen 
wn  Dynamit  vorgenommenen  Felsensprengungen  bei  Hallet's  Point  in  der  Nähe 
TOB  New-York  zu  machen  Gelegenheit  hatte,  wurde  das  Verhältniss  der  Fort- 
^üanzungsgeschwindigkeit  der  Erschütterungen  zu  der  Kraft  des  erregenden 
^to&ses  festgestellt^).  Er  fand  damals,  dass  mit  70  Ptund  Dynamit  in  derselben 
latfemung  einmal  eine  Geschwindigkeit  von  nur  377,8  Meter,  in  zwei  anderen 
^ällen  aber  die  auffallend  hohen  Werthe  von  1693,8  und  2564  Meter  pro  Secunde 
'^  ergab.  Dabei  war  das  erstemal  die  betreffende  Ladung  nur  if  Meter  tief 
"c^nkt  und  betrug  die  Dauer  der  Erschütterung  nur  einen  Moment,  im  zweiten 
Ai  dritten  Falle  war  die  Ladung  10  Meter  tief  versenkt  und  währte  die  Er- 
^tterung  im  zweiten  Falle  4,8  Secunden,  im  dritten  Falle  aber  15,1  Secunden. 
^T  fasst  die  Ergebnisse  in  folgende  Sätze  zusammen: 

I-  Je  heftiger  der  erste  Stoss  ist,  um  so  grösser  ist  die  Fortpflanzungsge- 
«fcwindigkeit 

2.  Die  Geschwindigkeit  nimmt  ab,  je  weiter  die  Welle  vorrückt. 

3-  Die  Bewegungen  der  Oberfläche  der  Erdkruste  sind  complicirt  und  be- 
sWien  aus  vielen  kurzen  Wellen,  die  an  Schwingungsweite  erst  zu-  und  dann 
>l>nehmen. 

Diese  Gesetze  stimmen  also  ziemlich  mit  denen  überein,  die  für  elastische 
Körper  gelten. 

Dass  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  mit  der  angewandten  Menge  des 
^prengmaterials  wechselt  und  somit  von  der  Intensität  des  ersten  Anstosses  ab- 
°^gig  ist,  hatten  auch  die  Versuche,  die  Mallet  1856  zu  Holyhead  angestellt 
^^  schon  ergeben.") 

£s  lassen  sich  aber  für  die  Erdbebenerforschung  aus  den  Angaben  Abbot*s 
Doch  andere  Schlüsse  ziehen. 

Wir  dürfen  nach  den  Gesetzen  der  Wellenbewegung  anderer  Art  und  in 

0  Amcric  Journ.  of  Sciences  Ser.  3  Vol.  XV.  No.  87,  pag.  178. 

V  Report  od  the  21.  meeting  of  British  association.  L.ondon  1852.  pag.  272  fi. 


3t4  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

anderen  Medien,  z.  B.  (Ür  Licht  und  Schall  annehmen,  dass  die  Fortpflanzungv 
geschwindigkeit  der  Wellen  im  umgekehrten  Verhältnisse  steht  zu  der  Weite  der 
einzelnen  Schwingungen.     Sonach    würden   die   näher   der  Oberfläche   erregter 
Wellen  bei  einer  kleineren  Fortpflanzungsgeschwindigkeit,  Wellen  von  grösserer 
Amplitude  sein  müssen.    Das  scheint  auch  der  Annahme  einer  grösseren  Elasd- 
cität  in  den  oberflächlichen,  als  in  den  tieferen  Schichten  zu  entsprechen.    Nun 
erscheint  es  femer  durchaus  wahrscheinlich,  dass  die  grössere  Schwingungswd!^ 
der  Wellen  auch  eine  zerstörendere  Wirkung  an  der  Oberfläche  ausübt.    Vfu 
vermögen    uns  das  durch  ein  einfaches  Bild  zu  vergegenwärtigen.     Stehen  auf 
einem   angespannten,  Trommelfelle  kleine  Figuren,    so   werden   wir  mit  Gmat 
kleinen  niederfallenden  Hämmerchen  dieselben  nicht  zum  Falle  bringen,  vor 
das  Fell  ganz  strafl*  angezogen  ist;  sowie  wir  dasselbe  aber  nur  schlafi*  anspanno. 
wird  dasselbe  Hämmerchen  die  Figuren  alle  umzustürzen  vermögen.     Das  Vei- 
hältniss  des  straflen  und  des  schlaflen  Trommelfelles  ist  auch  das  der  tieferen 
und  der  oberflächlichen  Schichten  des  Erdbodens. 

Es  steht  nun  aber  nach  Abbot's  angeführten  Beobachtungen  die  Dauer  der 
Erschütterung  auch  mit  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  in  directem  Veihält- 
niss.  Sonach  würde  sich  nach  dem  Vorhergehenden  die  stärkere  Wirkung, 
kürzere  Dauer,  geringere  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  vereinigen. 
Schon  Hoffmann  betonte  es  in  der  That,  dass  es  den  Anschein  habe,  als  ob 
die  Oberflächenwirkungen  im  umgekehrten  Verhältniss  zur  Dauer  stünden.^) 

Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  bedingt  nun  aber  hin¥äederumdie£longatioc 
oder  die  grössere  Verbreitung.  Nimmt  nun  die  Fortpflanzungsgeschwindigke»! 
mit  der  tieferen  Lage  des  erregenden  Ortes  zu,  so  ergiebt  sich,  dass  wenn  ein 
Erdbeben  lange  Dauer  mit  grosser  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  und 
grosser  Elongation  verbindet,  wir  gleichfalls  auf  eine  grössere  Tiefe 
des  erregenden  Herdes  schliessen  dürfen  und  andererseits,  dass  kurze  Dauer, 
sehr  starke  Wirkung  an  der  Oberfläche,  aber  kleineres  Oberfläche: 
gebiet  als  Anzeichen  geringer  Tiefe  gelten  können. 

Und  so  scheinen  diese  Betrachtungen  als  eine  Stütze  der  vorher  entwickeltet 
Sätze  gelten  zu  können. 

Nun  hängen  aber  endlich  die  Fortpflanzungsverhältnisse  von  der  Natur  der 
Substanz  ab,  in  welcher  die  Schwingungen  erregt  worden  sind.  So  auch  die 
Schwingungen  der  Erdbeben  von  der  Beschaffenheit  und  Structur  der  Gesteine, 
welche  die  erschütterten  Gebiete  zusammensetzen.  Würde  eine  Erschütterung  in 
einem  ununterbrochen  gleichartigen  Gesteine,  d.  i.  also  in  einem  homogenen 
Medium  erregt  werden,  so  würden  sich  die  Wellen  gleichmässig  und  allseitig 
regelmässig  fortpflanzen  und  verlaufen.  Kein  auch  noch  so  kleines  Gebiet  der 
Erdrinde  kann  aber  auch  nur  annähernd  in  diesem  Sinne  als  homogen  gelten, 
weder  sind  die  Gesteine  gleichartig  in  ihrer  Zusammensetzung,  noch  frei  von 
mannigfaltigen  Aenderungen  und  Unterbrechungen  ihrer  Structur  und  Lagenuir 

Dass  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  und  damit  auch  die  Schwingnng^- 
weite  in  verschiedenen  Gesteinen  verschieden  ist,  hat  Mallet  durch  seine  vor- 
hin schon  erwähnten  Versuche  (pag.  313)  experimentell  dargethan.  Er  fand  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Erschütterung: 

in  Sand  .  .  .  .  =  825'  engl.  ==  251,5  Meter, 
in  lockerem  Granit  =  1306'  engl.  =  398  Meter, 
in  festem  Granit    .  =  1665'  engl.  =  507,5  Meter. 

*)  1.  c.  p.  326. 


Die  Erdbeben.  315 

)as  stimmt  wieder  tiberein  mit  dem  im  Vorhergehenden  aufgestellten  Satze,  dass 
lie  Schwingungsweite  von  der  Elasticität  der  Gesteine  abhängt  und  im  umgekehrten 
/crhältnisse  steht  zur  Fortpflanzungsgeschwindigkeit.  Weiter  aber  ist  daraus  der 
khluss  zu  ziehen,  dass  auf  festem  Felsenboden  die  Wirkung  einer  Erschütterung, 
Be  wieder  von  der  Schwingungsweite  abhängt,  minder  intensiv  und  verheerend 
em  muss,  ^s  auf  lockerem,  nicht  fest  verbundenem  Boden.  Die  Beobachtungen 
iD  einer  grossen  Zahl  von  Erdbeben  haben  die  Richtigkeit  dieses  Schlusses 
jeradezu  erwiesen. 

Andererseits  wird  aber  eine  Erschütterung  in  mächtigen  Ablagerungen  losen 
iandes  der  geringen  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  wegen  schneller  erlöschen 
Bd  nicht  zu  einer  so  ausgedehnten  Verbreitung  kommen  können  oder  nur  mit 
ehr  abgeschwächten  Wirkungen  an  die  Oberfläche  treten.  Das  erklärt  die 
ieltenheit  und  Schwäche  der  Erdbeben  der  nordeuropäischen  Flachlande. 

Wo  aber  der  lockere  Boden  nur  eine  dünne  Decke  bildet  über  unterliegcn- 
b  festen  Gesteinen,  da  tritt  die  in  diesen  mit  grosser  Geschwindigkeit  fort- 
epflanzte  Welle  nun  ganz  besonders  wirksam  in  die  lockeren  Massen  ein,  so 
ass  sie  auf  der  festen  Unterlage  emporgeworfen  und  zusammengeschüttelt  werden, 
'ie  der  lose  Sand  auf  einer  Tischplatte  die  man  durch  einen  Hammerschlag 
nchüttert.  Während  in  der  festen  Unterlage  die  Erschütterung  nur  sehr  wenig 
enpurt  wird,  steigert  sie  sich  in  der  lockeren  Oberfläche  zu  den  heftigsten 
^vegungen.  Auch  dafür  finden  wir  in  den  thatsächlichen  häufig  gemachten 
Icobachtungen  die  Bestätigung,  dass  heftige  Erdbeben  in  den  Gruben  des  er- 
srfimerten  Gebietes  von  den  Bergleuten  meist  nur  ganz  unbedeutend  oder  gar 
(Dcht  direct  wahrgenommen  werden,  dass  sie  aber  auf  den  alluvialen,  von  felsigem 
Untergründe  getragenen  Ablagerungen  der  Flussthäler  weiterhin  fühlbar  werden, 
»is  auf  den  Gesteinen  der  Thalgehänge.  ^) 

Wo  feste  Felsmassen  als  Inseln  in  rings  umgebenden  lockeren  Schichten 
Uliragen,  da  bilden  dieselben  auch  Erdbebeninseln  inmitten  des  ringsum- 
«r  heftiger  bewegten  Wellenmeeres.  Andererseits  kommt  es  aber  anch  vor, 
o^ss  Oite,  die  von  dem  eigentlichen  Erschütterungsgebiete  abseits  und  isolirt 
"^cn,  gleichzeitig  mit  bewegt  werden.  Auch  hier  ist  theilweise  die  Gesteins- 
kschaflfenheit  die  Ursache;  während  in  diesem  FaUe  in  der  Umgebung  eines 
Elchen  Ortes  die  Bewegung  nicht  mehr  fühlbar  ist,  tritt  sie  durch  die  grössere 
Beweglichkeit  der  Gesteine  im  isolirt  erregten  Gebiete  wieder  deutlicher  her- 
vor. Eine  eng  umgrenzte  Decke  von  Alluvionen  in  einem  rings  von  festen 
(Steinen  umschlossenen  Becken  würde  die  geognostischen  Bedingungen  zu 
einem  solchen  Falle  liefern.    Aber  auch  durch  besonders  günstige  Lehungsver- 

^Msse  kann  die  Bewegung  local  einmal  über  ihr  eigentliches  Gebiet  hinaus- 

peifen. 

So  bedingt  die  Beschaffenheit  der  Gesteine  im  Untergründe  also  schon  eine 
S^nze  Reihe  von  Unr^elmässigkeiten  in  den  Erscheinungen  eines  Erdbebens  an 
^f  Oberfläche.  Von  noch  grösserer  Bedeutung  ist  aber  der  Finflngc  der  Scinctnr 
fe  erschütterten  Bodens. 

Pur  die  rein  theoretische  Erörterung  dieser  Verhältnisse  können  vir  von 
^^^en  experimentellen  Versuchen  ansehen. 

l^enken  wir  uns  einen  Satz  von  Glasplatten  so  aufeinander  gelegt  nnd  beider* 
^^g  mit  Lagen  von  dickem  Pappdeckel  eingefasst  und  darch  zwischcngdegte 
'^apierlagen  von    einander   getrennt,    dass  die  ganze  Reihe  der  schmalen  aber 

';  Ver^  V.  LASAinjL  L  c  Erdbebco  1873.  pog.  52. 


3i6  Aüneralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

glatt  geschliffenen  Ränder  der  übereinander  gelegten  Scheiben  in  eine  Flacbt 
zusammenfallen,  so  haben  wir  damit  die  Zusammensetzung  eines  Schichte: 
systemes  nachgeahmt;  die  schmalen  Ränder  der  Glasscheiben  stellen  die  Schichtrw 
köpfe  dar. 

Klemmen  wir  nun  das  Ganze  zwischen  zwei  Brettern  in  einen  Scbraubstoci 
und  bestreuen  die  Oberfläche  dieses  Glasschichtensystems  mit  feinstem  gesiebCQ 
Quarzpulver  und  erregen  mit  einer  grossen  Stimmgabel  von  irgend  einer  St£ii 
der  Glasplatten  aus  Schwingungen  in  denselben,  so  giebt  uns  die  Bewegung  dts 
Quarzpulvers  eine  Andeutung  über  die  Fortpfianzungsverhältnisse  an  der  Ober- 
fläche. Die  Schwingungen  bleiben  in  der  einen  Richtung  immer  in  demselkg 
Medium,  in  derselben  Glasplatte,  in  der  dazu  senkrechten  aber  durchlaufen» 
den  ganzen  Wechsel  der  verschiedenen  Glasplatten.  Der  bewegte  Quarzsaid 
bildet  unregelmässige  und  oft  unterbrochene  Figuren,  die  aber  im  AUgemeifis 
über  die  ganze  Fläche  der  Schichtenköpfe  hin  zu  einer  Ellipse  sich  zusaInm(^ 
fügen  lassen,  deren  eine  lange  Achse  parallel  gerichtet  ist  zu  den  Trennucp- 
fugen  der  Glassplatten,  deren  sehr  kurze  zweite  Achse  senkrecht  hierzu  h^. 
Die  Bewegung  der  Schwingungen  hat  sich  quer  zu  den  Glasplatten  nur  auf  eax 
kurze  Entfernung  fortgepflanzt,  ist  hier  schnell  durch  den  Wechsel  und  it 
Unterbrechung  im  Medium  vernichtet  worden.^) 

Derselbe  Versuch  lässt  sich  unter  Zuhülfenahme  einer  anderen  Bewegung  oocb 
deutlicher  ausführen.  Ueberzieht  man  die  Fläche  der  Ränder  der  Glasplatten  Tt 
einer  dünnen  Wachs-  oder  Stearinhaut  (am  besten  in  der  Weise,  dass  man  Wachs  odi: 
Stearin  in  Aether  löst  und  die  Fläche  mit  der  Lösung  überstreicht;  durch  VcrdutJta 
derselben  bildet  sich  dann  ein  dünner  gleichmässiger  Ueberzug  von  Stearin)  und 
bringt  durch  Wärmezuleitung  vermittelst  eines  Stiftes  von  irgend  einem  Pento 
aus  das  Wachs  zum  Schmelzen,  so  bildet  sich  durch  die  von  diesem  Punkte  a\ 
sich  fortpflanzende  Wärme  eine  Schmelzfigur,  die  beim  Erkalten  zurückbkkt 
Diese  zeigt  eine  lang  elliptische  Gestalt,  die  längere  Achse  liegt  wieder»  t 
der  Richtung  der  Glasplatten,  die  kürzere  quer  dazu.  Die  Fortpflanzung^ 
Wärmebewegung  ist  demnach  in  der  Streichrichtung  weiter  erfolgt^  als  qti«  s 
den  Schichten.^  Ganz  ähnliche  Resultate  erhielt  neuerdings  auch  Jajimta;* 
bei  seinen  Untersuchungen  über  die  Wärmeleitung  in  Gesteinen  und  über  dcßl 
Einfluss  der  Gesteinsstructur  auf  dieselbe.  Schiefrige  Gesteine,  senkrecht  sJ 
Schieferung  geschnitten  und  auf  der  Schnittfläche  mit  Wachs  überzogen,  da&^ 
mittelst  eines  erhitzten  Platindrahtes  zum  Schmelzen  gebracht  wird,  eigeben  fl» 
nahmslos  elliptische  SchmelzEguren,  deren  lange  Achse  parallel  der  Schiefeitr« 
geht,  deren  kurze  Achse  zur  Ebene  der  Schieferung  normal  steht  Der  l'nc?- 
schied  in  der  Leitung  parallel  zur  Schieferung  gegenüber  deijenigen  noraol  :• 
derselben  kann  ein  sehr  bedeutender  sein,  im  Maximum  3  :  x. 

Alle  diese  Versuche  ergeben,  dass  der  Einfluss  der  Structur  eines  bever^ 
Mediums  auf  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  und  die  Elongation  der  Bewers: 
ein  ganz  bedeutender  ist 

Die  Erklärung  dieser  Erscheinung  liegt  darin,  dass  jede  Wellenbcvcsrff.' 
beim  Uebergang  aus  einem  Medium  in  ein  anderes,  oder  beim  Uebersch«*^ 
trennender  Intervalle  in  einem  Medium,  die  eine  andere  Dichtigkeit  besitzen  &-* 

')  V.  Lasauijc,  Erdbeben  von  Henogenrath  <L  24.  Juni  1877.    Bonn  1878.  pag.  4$ 
*)  Die  Methode  tur  DArsteUung  der  Wünnecurvcn  rUbrt  von  S^narmont  her,  der  dmut  '■ 
WHrnieWItiing  In  KryntaUen  bestimmte. 

")  Bull.  Soc.  8^1.  de  Ftmnce,  3.  S^e,  Bd.  IL  p«g.  264. 


Die  Erdbeben.  317 

enes,  Ablenkungen  und  Reflexionen  erleidet.  Jede  noch  so  kleine  Unterbrechung, 
m  sie  die  feinen  Zwischenräume  zwischen  den  Glasplatten  oder  die  Ab- 
«nderungsfugen  der  Schiefer  darstellen,  wirken  demnach  wie  ein  Widerstand 
jegen  die  Bewegung;  diese  erleidet  eine  Verzögerung  und  theilweise  Ver- 
lichtung. 

Auch  für  die  Erderschütterungen,  die  in  Gebieten  auftreten,  welche  einen 
iialogen  Bau  besitzen,  wie  die  in  den  vorstehenden  Beispielen  gewählten  Medien, 
aass  die  Ungleichheit  in  der  Elongation  sich  in  gleicher  Weise  ergeben.  Der  weit 
erbreitete  Bau  der  geschichteten  Formationen  ist  aber  ein  Abbild  jener  Structur. 
lus  verschiedenartigen  Gesteinen  zusammengesetzte  Schichtensysteme,  in  mehr 
der  weniger  steil  aufgerichteter  Stellung,  streichen  auf  grosse  Entfernungen  in 
iner  Richtung  fort  und  ihre  Schichtenköpfe  bilden,  wenn  auch  oft  noch  von 
bedächlichen  Bildungen  bedeckt,  die  Fläche,  auf  der  sich  die  Propagadons- 
Km  einer  Erderschütterung  projicirt.  In  der  einen  Richtung  liegt  der 
erlauf  der  Bewegung  im  Streichen  der  Schichten  und  kann  auf  grosse 
ntfemungen  sogar  in  demselben  Gesteine  verbleiben.  Die  Fortpflanzung 
rfolgt  hier  leichter  und  ungehemmter,  als  quer  zu  den  einzelnen  Schichten, 
0  der  häufige  Wechsel  der  Gesteine  und  die  trennenden  Absonderungsfugen 
Qd  Zwischenlagen  sehr  stark  verzögernd  und  abschwächend  auf  die  Bewegung 
irken  müssen. 

Dabei  kommt  Gestalt  und  Lage  des  erregenden  Ortes  wieder  mit  in  Betracht. 

Einfach  gestalten  sich  die  Verhältnisse  bei  der  Annahme  eines  punktförmigen 
Centrums.  Nehmen  wir  aber  an,  die  erregende  Stelle  habe  die  Gestalt  einer 
Jnie,  so  sind  zwei  Fälle  denkbar.  Entweder  diese  liegt  im  Sinne  der  Streich- 
khtung  der  Schichten  oder  quer  dazu,  ist  longitudinal  oder  transversal,  in 
er  Bedeutung,  die  wir  beim  Gebirgsbaue  diesen  Worten  geben. 

Die  Ellipse,  die  uns  eine  längs  dieser  Linie  unter  der  Annahme  eines  homo- 
eoen  Mediums  erregte  Wellenbewegung  darstellt,  liegt  das  eine  Mal  mit  ihrer 
ingeren,  das  andere  Mal  mit  ihrer  kürzeren  Achse  im  Streichen  der  Schichten. 
n  ersteren  Falle  wird  die  in  der  Streichrichtung  erfolgende  leichtere  Fort- 
iSaazung  und  grössere  Elongation  der  Bewegung  die  elliptische  Propagations- 
OCD  im  Sirme  der  längeren  Achse  noch  mehr  strecken  und  so  dieser  eine  stark 
^re  Gestalt  geben,  in  welcher  die  Richtung  der  Bewegung  grösstentheils 
lormal  steht  auf  der  grössten  Längserstreckung.  Im  zweiten  Falle  wird  die 
^ttne  Achse  verlängert  und  dadurch  die  elliptische  Gestalt  des  erschütterten 
'«bietes  mehr  der  Kreisform  genähert 

Ob  die  Bewegung  dabei  nach  den  beiden  Seiten  der  Linie,  oder  einer 
Hache,  die  in  ihrer  Projectiön  auf  die  Oberfläche  diese  Linie  darstellt,  die  gleiche 
^t  oder  nicht  d.  h.  ob  die  Erschütterung  eine  axiale  oder  laterale  ist  in  dem 
iniher  (pag.  307)  definirten  Sinne,  das  macht  für  die  allgemeine  Aenderung  in 
^er  Gestalt  der  Propagationsform  keinen  Unterschied.  Wir  werden  im  folgenden 
Abschnitte,  wo  die  wirklichen  Beobachtungen  an  Erdbeben  aufgeführt  werden, 
Khen,  dass  in  der  That  die  hier  theoretisch  entwickelten  Verhältnisse  z.  Th.  mit 
unverkennbarer  Deutlichkeit  aus  den  sorgsam  gesammelten  Erscheinungen  vieler 
Erdbeben  sich  wiederspiegeln. 

Findet  bei  dem  Uebergange  einer  Wellenbewegung  an  der  Grenze  zweier 
Medien  eine  Reflexion  statt,  so  erregt  diese  eine  rücklaufende  Bewegung.  Dann 
vermögen  Wellen    von  entgegengesetzter  Fortpflanzungsrichtung  zur  Interferenz 

0  Humboldt,  Relat  histor.  V.  pag.  25. 


3i8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

zu  kommen  und  natürlich  auch  bei  entsprechenden  PhasendifTerenzen  sieb  zu 
vernichten.  So  können  inmitten  bewegter  Gebiete ,  durch  locale  Vemichtung 
oder  totale  Reflexion  an  gewissen  Stellen,  unbewegte  Zonen  liegen,  die  man  mit 
der  alten  sinnreichen  Bezeichnung  der  Eingeborenen  Mexiko's^)  als  Erdbeben- 
brücken  bezeichnen  mag.  Der  oberflächlichen  Erscheinung,  d.  h.  der  Ruhe 
nach,  die  bei  einer  Bewegung  an  diesen  Stellen  herrscht,  sind  sie  nicht  von  den 
früher  (pag.  315)  als  Erdbebeninseln  bezeichneten  zu  trennen.  Ist  aber  in  ge- 
gebenen Fällen  die  Ursache  der  Ruhe  zu  erkennen,  so  mögen  wir  für  die  iosel- 
formig  durch  die  Beschaffenheit  der  Gesteine  geschützten  Theile,  den  Ausdnid 
Erdbebeninseln,  für  die  durch  Absorption  und  Reflexion  der  Bewegung  in  Ruhe 
verbliebenen,  mehr  in  gestreckten  Zonen  ausgebildeten  Stellen,  den  Naicen 
Erdbebenbrücken  vorziehen. 

Jede  Bewegung  oder  schwingende  Erschütterung  des  Erdbodens  hat  and 
eine  Schallerregung  zur  Folge.  Wir  fühlen  nicht  nur  das  Erzittern  des  Bodeib, 
wenn  ein  schwerer  Eisenbahnzug  vorüberfahrt,  sondern  wir  hören  es  auch.  Aud 
bei  dem  Einstürze  der  Glocke  der  Königsgrube,  den  wir  vorher  pag.  301  ali 
Beispiel  wählten,  wurde  der  dumpfe  Donner  vernommen,  der  mit  der  Enegung 
der  Erschütterung  durch  diesen  Einsturz  verbunden  war.  Wir  können  daher 
wohl  als  ziemlich  sicher  annehmen,  dass  in  allen  ähnlichen  Fällen  der  Schall 
an  derselben  Stelle  erregt  wird,  wie  die  Bewegung,  dass  der  Ausgangspunkt  für 
beide  demnach  derselbe  ist.  Das  nahm  man  schon  früher  an  und  auch  F.  Hoff- 
MANN  ist  der  Ansicht,  dass  die  Fortpflanzung  des  Geräusches,  welches  die  Erd- 
erschütterungen  zu  begleiten  pflegt,  unterirdisch  erfolge,  weil  man  es  oft  m 
ansehnlichen  Tiefen  unter  der  Erde,  in  Bergwerken,  mit  besonderer  Stärke  ver- 
nommen habe.^) 

Wir  wissen,  dass  im  Allgemeinen  in  festen  Körpern  der  Schall  sehr  "ei 
schneller  sich  fortpflanzt,  als  in  der  Luft,  z.  B.  ist  in  Hölzern  die  Geschwind!^ 
keit  II — 17,  in  gebranntem  Thon  10 — 12  mal  grösser  als  in  der  Luft  und  na' 
Wertheim*s  Untersuchungen  dürften  diese  Verhältnisse  sich  noch  steigern,  w«c 
es  sich  nicht  blos  um  Stäbe  dieser  Medien  handelt.  Es  erscheint  daher  k 
Annahme  wohl  gerechtfertigt,  dass  auch  im  Erdboden,  wenn  wir  uns  denselben 
als  eine  homogene  Masse  vorstellen,  der  Schall  schneller  sich  fortpflanze  als  in 
der  Luft. 

Es  wird  daher  der  an  irgend  einem  Orte  mehr  oder  weniger  gleichzeitig 
mit  einer  Erderschütterung  vernommene  Schall,  wenn  wir  an  dieser  Annahme 
festhalten,  als  lediglich  durch  die  Erde  selbst  fortgepflanzt  gelten  müssen.  Durcii 
die  Luft  könnte  eben  nur  der  Schall  an  irgend  einer  Stelle  vernommen  werdeo. 
der  von  einem  anderen  Orte  von  der  erschütterten  Oberfläche  herrührt,  wo  er  aus 
dem  Erdboden  in  die  Luft  überging.  Er  hätte  dann  den  weiteren  Weg  z.  Th. 
mit  einer  sehr  viel  geringeren  Geschwindigkeit  zurücklegen  müssen. 

Nun  ist  es  ausserdem  eine  bekannte  Thatsache,  dass  der  Schall,  wenn  er 
aus  einem  dichteren  in  ein  dünneres  Medium  übergeht,  sehr  bedeutend  verzögeit 
wird.  Es  müsste  sonach  der  Schall  an  irgend  einem  Orte  des  erschüttertes 
Gebietes,  wenn  wir  annehmen  wollten,  dass  er  dort  durch  Fortpflanzung  duic 
die  Luft  wahrnehmbar  geworden  sei,  sehr  bedeutend  verspätet  nach  der  Fr 
schütterung  selbst  eintreten.  Sonach  ist  es  ganz  unwahrscheinlich,  dass  der  a.n 
irgend  einer  Stelle  eines  erschütterten  Gebietes  vernommene  Schall,  sofern  der 
selbe  mit  der  Erschütterung  so  gut  wie  gleichzeitig  oder  doch  nur  durch  gaiu* 

0  l-  c«  P»ß-  329- 


Die  Erdbeben.  319 

eine  Zeitintervalle  von  derselben  getrennt  erscheint,  ein  anderer  sei,  als  solcher, 
r  direct  durch  den  Erdboden  fortgepflanzt  wurde.  Er  wird  daher  bei  den 
xibeben  auch  vorzüglich  aus  dem  Boden,  aus  der  Tiefe  heraus  vernommen. 
Süd-Amerika  ist  es  eine  allgemeine  Erfahrung,  dass  man  das  Erdbebengeräusch 
m  besonders  stark  aus  den  Oefihungen  der  Brunnen  hervortönen  hört.*) 
ich  dass  das  Geräusch  sowohl  im  centralen  Theile  eines  erschütterten  Gebietes, 
I  auch  in  den  äussersten  Grenzzonen  desselben  nahezu  in  derselben  Gleich- 
Ügkeit  mit  der  Erschütterung  erscheint,  ist  ein  Beweis  gegen  seine  Fort- 
hnzung  durch  die  Luft 

Nun  sind  die  Verhältnisse  der  Schallbewegung  keineswegs  vollkommen 
lemstiinmend  mit  denen  der  Erschütterung,  sondern  können  nur  als  diesen  an- 
süherte  bezeichnet  werden.  Schall  und  Erschütterung  haben  nicht  genau  die- 
fte  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  und  vermögen  in  anderer  Weise  verzögert 
id  vernichtet  zu  werden. 

Für  das  Erdbeben  von  Herzogenrath  vom  24.  Juni  1877  glaubte  von  Lasaulx 
e  Unterschiede  in  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Erschütterung  und  des 
klles  bestimmen  zu  können.  Er  fand  für  jene  374,83  Meter  in  der  Secunde, 
r  diese  aber  485,96  Meter.  Da  aber  der  Schall  in  der  Nähe  des  Oberflächen- 
ittelpunktes  der  Erschütterung  vorausging,  in  grösserer  Entfernung  davon  aber 
idifolgte,  so  ergiebt  sich  hieraus  nothwendig  ein  grösseres  Maass  der  Dämpfung 
ier  Verzögerung  bei  der  Fortpflanzung  durch  den  Erdboden  für  den  Schall,  als 
s  oie  Bewegung.  Ganz  dasselbe  Resultat  ergab  eine  ähnliche  Berechnung  flir  das 
^eben  vom  26.  August  1878.*)  Wenn  sich  auch  nicht  mit  Sicherheit  feststellen 
es,  dass  der  Schall  im  Centrum  der  Bewegung  vorausging,  in  grösserer  Ent* 
mang  von  demselben  aber  nachfolgte,  so  zeigte  sich  doch  die  grössere  Ge- 
iivindigkeit  des  Schalles  im  centralen  Theile  mit  Sicherheit  darin,  dass  er  hier 
^  Schalle  vorausging.  Wenn  diese  grössere  Geschwindigkeit  sich  bis  zu  Ende 
eich  geblieben  wäre,  so  hätte  mit  der  Entfernung  vom  Oberflächencentrum 
IS  btervall  zwischen  Geräusch  und  Bewegung  immer  grösser  werden  müssen. 
'1  aber  auch  in  den  entferntesten  Orten  dasselbe  durchaus  als  gleichzeitig  mit 
^Erschütterung  erscheint,  so  muss  auch  flir  dieses  Erdbeben,  wie  für  das  vom 
^e  1877  ^^^  Schluss  gezogen  werden,  dass  der  Schall  auf  seiner  Bahn  eine 
'•ttere  Verzögerung  erlitten  habe,  als  die  Bewegung.  Den  Verzögerungs- 
''^cienten  bestimmte  v.  Lasaulx  flir  das  Erdbeben  von  1877  ^^  ^»94»  ^  <1^ 
Wbeben  vom  26.  Aug.  1878  ist  derselbe  nach  Schumacher  «=  0,98.  Die  Fort- 
bnzungsgeschwindigkeit  des  Schalles  beträgt  flir  dieses  letztere  Erdbeben 
*^2  Meter  in  der  Secunde,  die  der  Bewegung  302,16  Meter  in  der  Secunde. 

So  viel  aber  kann  aus  dem  ohne  Zweifel  nachgewiesenen  verschiedenen 
^  erhalten  von  Schall  und  Bewegung  gefolgert  werden,  dass  dasselbe  das  nicht 
^cr  gleiche  Wechselverhältniss  beider  vollständig  zu  erklären  vermag,  dass  in 
"ozelncn  Fällen  die  Elongation  beider  eine  wesentlich  verschiedene  sein  kann, 
^  dass  sowohl  das  Geräusch  ohne  die  Bewegung,  als  auch  die  Bewegung  ohne 
'^rausch  in  den  äussersten  Zonen  des  Erschütterungsgebietes  wahrgenommen 
^   Gleichwohl  ist  es  der  häufigere,  nach  dem  Vorhergehenden  auch  natür- 

0  HuMBouyr,  Rd.  hist  IV.  pag.  17. 

)  Die  ansfilhriiche  Beschreibong  dieses  Erdbebens,  welche  tod  t.  Lasaulx  u.  Dr.  E.  ScHU- 
^'^^^^  «isgearbeitet  woiden,  ist  noch  nicht  publictrt    Verschiedene  Resoltate  derselben  werden 

'«•'•>ch  hier  schon  mitgedieilt  werden. 


320  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

lichere  Fall,    dass  das  Geräusch  nicht  bis  zu  den  äussersten  Grenzen  der  Er 
schütterung  vorzudringen  vermag. 

Auf  das  Verhältniss  von  Schall  und  Erschütterung  und  das  Intervall  in  der 
Eintritt  ^  beider  für  irgend  einen  Ort  gründet  sich  auch  noch  eine  Methode  12 
Bestimmung  der  Tiefe  des  Erregungsortes  einer  Erderschütterung,  die  wir  jedod 
hier  nicht  näher  zu  erörtern  brauchen.*) 

Nicht  ausgeschlossen  ist  endlich  auch  die  Möglichkeit,  dass  der  Austritt  ir 
Bewegung  an  die  Oberfläche  local  eine  Bewegung  der  Luft  veranlasst,  die  1^ 
ein  Windstoss,  als  ein  Rauschen  oder  dergl.  vernommen  wird. 

Endlich  ist  noch  einer  Aeusserung  der  Erdbebenbewegung  zu  gedenken,  dem 
theoretische  Erklärung  ebenfalls  keine  Schwierigkeiten  bereitet:  die  gleichzcir. 
bedeutende  Wellenbewegung  des  Meeres  oder  auch  anderer  Wasserbecka 
im  Bereiche  erschütterter  Gebiete  der  Erdoberfläche. 

Die  physikalischen  Gründe  für  diese  Erscheinung  sind  dieselben,  die  %i 
schon  pag.  314  für  lockere  Massen  auf  fester  Grundlage  angeführt  haben 
Wenn  eine  leichte  Erschütterung  z.  B.  durch  einen  vorüberfahrenden  Lastvasen 
ein  Haus  bewegt,  so  wird  dieselbe  sich  an  den  mit  Wasser  gefüllten  Gera&ien 
im  Hause  ganz  besonders  sichtbar  erweisen. 

Bei  dem  Erdbeben  vom  26.  August  1878  ereignete  sich  ein  Fall,  der.^ier 
ein  ganz  besonders  sprechendes  Beispiel  abgiebt.  Auf  dem  Gerüste  am  Doa'K 
zu  Köln  befand  sich  in  einer  Höhe  von  ca.  120  Meter  über  dem  Boden  eind 
Wasser  gefülltes  Fass,  dessen  obere  Oeffiiung  ca.  i  Meter  weit  war.  Aus  des- 
selben wurde  das  Wasser  bis  zu  einer  Entfernung  von  2  Meter  herausgeschleudef. 
und  zwar  in  einer  so  mächtigen  Welle,  dass  die  dadurch  folgende  Entleeoc^ 
8  Centim.  Höhe  vom  Rande  aus  betrug.^  Am  Domgerüste  erfolgte  keineriff 
Beschädigung. 

Wir  erkennen  hieraus,  wie  sich  die  Bewegung  in  der  Wassermasse  uDj^^ 
heuer  steigert  und  mit  der  Grösse  des  Wasserbeckens  wird  dieses  Veib»"- 
niss  wachsen.  Schon  ein  Becken  von  300  Meter  Durchmesser  von  der  glek'ao 
Intensität  eines  Stosses  getroffen,  wie  jenes,  würde  eine  Welle  über  seinen  R^^ 
hinausgeworfen  haben,  die  zurückfliessend  die  heftigsten  Bewegungen  der  Wa>set 
zur  Folge  gehabt  hätte. 

So  erscheint  es  denn  nun  als  eine  mit  den  Dimensionen  der  Wi&>ef 
becken  sich  immer  vergrössemde  aber  ganz  natürliche  Wirkung,  wenn  i^:* 
die  Meere  als  Folge  und  in  der  Begleitung  von  Erderschüttenmgen,  c< 
die  Wandungen  dieser  riesigen  Wassergefässe  bewegen,  in  heftige  Erregung  ^^ 
rathen,  gewaltige  Wellen  über  ihre  Ufer  hinauswerfen  und  dadurch  verheercodiit 
Wirkungen  ausüben,  als  die  Erschütterungen  selbst.  Bei  dem  Zusammenharx 
und  der  vollkommenen  Continuität  des  hierbei  erregten  leichtbeweglichen  M^ 
diums,  des  Meeres,  pflanzt  sich  die  einmal  entstandene  Fluthwelle  weit  über  ^<> 
von  der  Erschütterung  selbst  betroffenen  Oberflächengebiete  fort  und  erschcirt 
noch  sehr  stark  oft  an  den  von  dem  erschütterten  Continent  in  äusserster  Em 
femung  liegenden  Küstenpunkten  einer  anderen  Hemisphäre.  Auf  die  Erscheinus«:'* 
selbst  kommen  wir  noch  zurück. 

Wie  aber  bei  dem  Gefässe  auf  dem  Kölner  Domgerüste  die  Richtung,  s 

>)  Vergl.  bezUgL  derselben:  Falb,  Gedanken  und  Studien  über  den  Valkmisniiis.  ^*n^ 
1875,  P^*  '1^  ^"^^  ^'  Lasaulx,  Das  Erdbeben  1877.  1.  c,  pag,  65,  wo  die  Methode  cm^^^! 
erörtert  und  zum  ersten  Male  praktisch  verwendet  wird.  i 

*)  SchrifU.  Mittheilung  des  Dombaumeisters  Geh.  Rath  Voigtkl  an  t.  Laiauul 


Die  Erdbeben.  321 

welcher  die  2  Meter  lange  Fluthwelle  herausgeschleudert  wurde,  die  Richtung  der 
durchgehenden  Erschütterungswelle  anzeigte,  so  können  wir  füglich  auch  für  ein 
Mecresbecken  annehmen,  dass  sich  Verschiedenheiten  für  die  einzelnen  Küsten- 
riüider  ergeben  müssen,  je  nach  der  Richtung,  mit  der  die  Erschütterung  diese 
bewegt.  Es  wird  hiemach  lür  den  einen  Rand  ein  Ueberströmen,  für  den  an- 
deren ein  Zurückweichen  der  Meereswasser  den  Anfang  der  Bewegung  bilden  oder 
auch  umgekehrt  Nur  die  Beziehung  der  Erscheinung  zu  der  wahrgenommenen 
Stossrichtung  auf  dem  Uferrande  wird  in  den  einzelnen  Fällen  die  Erklärung  geben. 

IL    Statistischer  Theil. 

Das  einzige  Mittel,  eine  möglichst  exacte  Beantwortung  der  geologisch 
wichtigsten  Frage  nach  der  Genesis  der  Erdbeben  anzubahnen,  besteht  in  der 
allseitig  umfassenden  Beschreibung  der  bei  Erdbeben  überhaupt  beobachteten 
Eßcheinungen,  d.  h.  in  einer  allgemeinen  Erdbebenstatistik.  Nur  auf 
Grundlage  einer  solchen  wird  man,  frei  von  blos  hypothetischer  Speculation  an 
die  genetische  Deutung  des  Erdbebenphänomens  herangehen  können. 

Die  Wichtigkeit  der  Erdbebenstatistik  ist  längst  erkannt  worden  und  eine 
ganze  Zahl  von  Zusammenstellungen  und  Erdbebenchroniken  liegen  bereits  vor.  ^) 
Erst  seit  Kurzem  aber  umfasst  diese  Statistik  auch  eine  exactere  Notirung  der 
gesammten  physikalischen  Erscheinungen  eines  Erdbebens  und  legt  das  Haupt- 
gewicht auf  die  Feststellung  der  wichtigsten  Umstände,  die  wir  füglich  als  die 
llemente  dieses  Phänomens  bezeichnen  können.  Verstehen  wir  darunter  alle 
Fonnen  und  Umstände  der  Erscheinung,  die  für  die  Erkenntniss  ihrer  Genesis 
gnindlegende  Bedeutung  haben,  so  können  wir  dieselben  dann  in  zwei  grosse 
Abtheilungen  bringen:  i.  Die  inneren,  physikalischen  Erscheinungen  der 
Erdbebenbewegung  selbst  2.  Die  äusseren  Verhältnisse  der  Ver- 
breitung und  des  Auftretens  der  Erdbeben  in  gewissen  Gebieten  und  die 
bloss  begleitenden,  aber  mehr  oder  weniger  wichtigen  Erscheinungen,  die  nicht 
mit  der  dgentlichen  Bewegung  direkt  zusammenhängen. 

Sonach  hat  eine  Erdbebenstatistik  sich  zu  erstrecken  auf: 

I.  Innere  Verhältnisse  oder  Erdbebenelemente  insbesondere. 

a)  Art  der  Bewegung,  Dauer,  Zahl  und  Intervalle  der  einzelnen  Oscillationen 
oder  Stösse. 

b)  Richtung  der  Bewegung:  centraler,  axialer,  lateraler  Charakter;  Gestalt  des 
erregenden  Herdes.  f 

c)  Oberflächliche  Propagation,  Intensität,    Verhältniss  von  Wirkung  und  Ver- 
breitung. 

d)  Verhältniss  der  Lage  der  Propagationsform  zum  Schichten-  oder  Gebirgsbau: 
longitudinales  oder  transversales  Verhalten. 

e)  Emergenz  der  Bewegung;  Tiefe  und  Lage  des  erregenden  Ortes. 
0  Schallphänomen. 

g)  Meeresbeben« 

n.   Aeussere  Verhältnisse  oder  Erdbebenconjunctur. 

h)  Eintreten  nach  astronomischen  Constellationen. 

i)  Vertheilung  nach  Jahreszeiten,  klimatischen  und  barometrischen  Einflüssen. 

k)  Auffallende  begleitende,  einen  Causalzusammenhang  verrathende  Vorgänge. 

')  Siehe  Literatur  am  Schlüsse  des  Artikels. 
l^ttiNGOTT,  Mb.,  Geol.  u.  Pal.    I.  21 


322  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

In  derselben  Reihenfolge  sollen  nun  im  Folgenden  in  der  Künse  &  ^rich- 
tigsten Resultate  der  praktischen  Erdbebenerforschung  zusammengestellt  und  atf 
den  im  Vorhergehenden  erörterten  theoretischen  Ergebnissen  verglicheii  werde». 

a)  Fttr  die  Art  und  Zusammensetzung  der  Bewegung  aus  undulatoiiscbca 
und  succussorischen  Componenten  sind  schon  früher  pag.  303  einige  Bcsfngk 
angeführt  worden,  die  aus  der  Beschreibung  aller  Erdbeben  vermehrt  «cfdci 
können. 

Die  Anzahl  der  in  einem  einzelnen  Falle  gefühlten  Oscillationen  oderSUisc 
ist  eine  sehr  verschiedene  und  oft  recht  gross.  Das  Erdbeben,  welches  aD 
26.  März  1812  Caracas  zerstörte,  begann  nach  Humboldt  mit  einem  5— 6  Sets»- 
den  dauernden  Stosse,  der  die  Glocken  bewegte;  gleich  darauf  erfolgte  i» 
zweite  Stoss,  der  doppelt  so  lange  anhielt  und  den  Boden  in  eine  wallende  B^ 
wegung  versetzte,  endlich  trat  ein  senkrechter  Stoss  von  3 — 4  Secunden  ein,  dem 
eine  etwas  längere  undulatorische  Bewegung  folgte,  worauf  die  Stadt  zu  mtm 
Haufen  von  Trümmern  und  Leichen  zusammenstürzte.  Die  ganze  Zeit,  wtldt 
die  Bewegung  brauchte,  umfasst  also  kaum  mehr  wie  20  Secunden,  and  troc 
der  deutlichen  Intervalle  in  den  Stössen  ist  doch  kein  Zweifel  möglich,  ds» 
dieselben  alle  einer  und  derselben  Erregung  entstammten  und  dass  ihre  Ver 
schiedenheit  nur  darin  beruhte,  dass  direkte  und  indirekte  Bewegung,  succtss> 
rische  und  undulatorische  einander  folgten. 

Bei  dem  mitteldeutschen  Erdbeben  vom  6.  März  1872  waren  ebenfalls  de« 
lieh  mehrere  Erschütterungen  wahrzunehmen;  meist  2  Stösse  oder  OscilbticnÄ 
von  denen  bald  die  erstere,  bald  die  letzte  als  die  stärkere  empfunden  wurde 
Das  Zeitintervall  war  jedenfalls  ein  ganz  kurzes;  denn  die  Dauer  der  gznicf 
Erscheinung  betrug  nur  ca.  5  Secunden.  Auch  diese  Stösse  sind  nur  als  d^* 
Resultat  eines  einzigen  Anstosses  anzusehen. 

Das  Erdbeben  von  Herzogenrath  vom  22.  Oktober  1873  zeigte  ebciÄV 
deutlich  die  Folge  mehrerer  getrennter  Bewegungen;  im  centralen  Theilc  ^ 
selben  beginnt  es  mit  verticalen  Stössen,  denen  mehrere  horizontale  OscillaüMtf 
folgen.    Die  Dauer  der  ganzen  Erschütterung  betrug  nur  ca.  2^  Secunde. 

Bei  dem  Erdbeben  vom  24.  Juni  1877  in  derselben  Gegend  betrag  äf 
Dauer  der  Erschütterung  nur  ca.  3 — 4  Secunden  und  war  gleichfalls  aus  mehreren 
deuüich  unterscheidbaren  Momenten  componirt:  stärkere  Stösse,  die  Wirkuc: 
der  direkt  austretenden  Bewegung,  mit  zwischenliegenden  horizontalen  OsdIU 
tionen,  die  grösstentheils  als  die  indirekte  Bewegung  angesehen  werden  dürrer 
Auch  bei  dem  westdeutschen  Erdbeben  vom  26.  August  1878  war  dieses  seb* 
bestimmt  zu  erkennen.  Aus  fast  der  Gesammtheit  der  darüber  gesanunelter. 
Nachrichten  geht  unzweifelhaft  hervor,  dass  diese  Erschütterung  aus  zwei  Phi&tr 
der  Bewegung  und  jede  wieder  aus  einer  Reihe  einzelner  Oscillationen  sich  ti- 
sammensetzt.  Da  meist  der  Anfang  in  einer  stoss-  oder  ruckartig  anftrccendcr 
Bewegung  bestand,  der  eine  horizontal  wellenförmige  nachfolgte,  so  ist  jene  3^^ 
die  Folge  der  direkten  Emersion,  diese  als  indirekte  Bewegung  aulzufiissen.  1^< 
Dauer  der  ganzen  Erscheinung,  die  an  vielen  Orten  mit  schematischer  Deuüic^ 
keit  verlief,  mochte  ca.  20  Secunden  betragen. 

In  allen  diesen  Fällen  tritt  die  theoretisch  entwickelte  Beschaffenheit  dcf 
Erdbebenbewegung  unzweifelhaft  hervor.  Trotz  der  Verschiedenartigkdt  der  B^ 
wegung  in  ihren  einzelnen  Phasen  ist  sie  immer  demselben  Anstosse  entqjnmfö» 
Und  nur  in  diesem  Sinne  kann  man  die  Dauer  eines  Erdbebens  bestimmen.  Stäit 
richtig  ist  es,  wie  es  zuweilen  geschieht,  von  monatclanger  Daner  etnes  &d 


Die  Erdbeben.  323 

)ebens  zu  sprechen;  es  liegt  hierin  eine  Verwechselung  mit  einer  Erdbeben- 
>eriode.  Nicht  ein  einziger  Anstoss  erregt  die  oft  lange  Zeit  anhaltenden,  in 
läufiger  Wiederholung  auftretenden  Beben  einer  solchen  Periode;  erneuerte,  wenn 
uich  genetisch  mit  einander  in  Verbindung  stehende  Erregungen,  nicht  einmal 
^on  derselben  Stelle  ausgehend,  veranlassen  in  diesen  Fällen  die  oft  ungeheuer 
^osse  Zahl  einzelner  Stösse. 

Ausgezeichnete  Beispiele  solcher  Erdbebenperioden  sind  viele  bekannt.  Die 
zaorige  Katastrophe,  welche  am  9.  November  1880  Agram  mit  30  schwerer  Ver- 
leerung  betroffen,  war  ein  besonders  intensiver  Erdstoss  aus  einer  langen  Reihe 
on  bald  leichteren,  bald  stärkeren  Erschütterungen,  die  vorausgingen  und  nach- 
bigten  und  noch  im  März  des  Jahres  1881  nicht  ganz  zur  Ruhe  gekommen  waren. ^} 
\uch  das  Erdbeben  vom  i.  März  1870  zu  Klana  im  Karst  war  die  stärkste  Er- 
sdi&tterung  einer  Periode,  die  schon  mit  dem  27.  Februar  1870  begann  und  am 
HL  Juli  1870  abschloss. 

Eine  der  an  einzelnen  Erdbeben  ganz  besonders  reichen  Perioden  ist 
iie  von  Gross -Gerau  in  Hessen,  die  in  den  Jahren  1869  und  70  sich  ab- 
•pielte.  Die  früheste  Erschütterung  wurde  am  12.  Januar  1869  beobachtet,  aber 
üe  eigentliche  und  heftigere  Periode  begann  erst  mit  dem  30.  Oktober  1869 
md  dauerte  bis  in  den  Januar  1870,  vereinzelte  Nachwirkungen  sogar  bis  1873. 
n  dieser  Zeit  folgten  die  Erdbeben  in  oft  ganz  kurzen  Zwischenräumen  so 
zahlreich  hintereinander,  dass  z.  B.  allein  am  31.  Oktober  1869  von  einem  zu- 
fcdissigen  Beobachter  53  Stösse  notirt  wurden,  von  denen  allerdings  manche 
m  durch  minutenlange  Intervalle  getrennt,  bezüglich  ihrer  Selbstständigkeit 
zweifelhaft  erscheinen.^  Es  ist  ganz  unmöglich,  alle  Stösse  im  Einzelnen  nach 
ihren  Erschütterungsbezirken  zu  verfolgen.  Aber  soviel  lässt  sich  doch  aus  den 
Beobachtungen  erkennen,  dass  nicht  alle  genau  dasselbe  erregende  Centrum  be- 
iessen haben.  War  daher  auch  die  eigentliche  Ursache  eine  für  die  ganze  Periode 
gemeinschaftliche,  einmal  wirkende,  so  wird  doch  fiir  die  einzelnen  Erdstösse  die 
Annahme  einer  getrennten,  selbstständigen  und  ihren  Ort  verändernden  Erregung 
nothwendig.  Uebrigens  zählen  die  gesammten  Erdbeben  dieser  Periode  von  ca. 
4  Monaten  Dauer  nach  Hunderten. 

Auch  die  Erdbeben  von  Herzogenrath  von  1873  und  77,  sowie  das  west- 
deutsche Erdbeben  vom  26.  August  1868  bezeichnen  nur  die  Hauptstösse  von  , 
Erdbebenperioden.  Im  Jahre  1873  begann  eine  solche  am  28.  September 
und  dauerte  bis  in  den  Januar  1874  hinein.  Sie  erreichte  ihre  grösste  Inten- 
sität in  dem  Erdbeben  vom  22.  Oktober;  diesem  gingen  fast  ebensoviele  £r- 
schatterungen  voraus,  als  ihm  nachfolgten.  Dem  Erdbeben  vom  26.  August  1878 
gingen  nur  schwache  unbestimmte  Bebungen  voraus,  es  war  die  erste  und  zu- 
gleich stärkste  Aeusserung  einer  fast  9  Monate  anhaltenden  Erdbebenperiode. 
Schon  am  26.  August  selbst  wiederholten  sich  die  Erschütterungen  und  in  den 
nächst  folgenden  Tagen  traten  zahlreiche  neue,  leichte  Beben  ein.  Erst  nach 
Mitte  September  werden  sie  seltener,  am  10.  December  steigern  sie  sich  noch 
einmal  zu  einer  gewissen  Heftigkeit  und  treten  dann  in  immer  längeren  Inter- 
vallen bis  in  den  Mai  1879  hinein  auf,  fortwährend  in  demselben  Gebiete,  z.  Th. 
auch  um  dasselbe  Centrum  herum. 

Comrie,  am  südöstlichen  Fusse  des  schottischen  Hochlandes  gelegen,  Visp 
in  Wallis  in  der  Schwe^iz,  Desenzano,  am  südlichen  Ufer  des  Gardasees  1866  bis 

^)  TouLA,  Erdbebenirag^.    pag.  14. 

*)  NöGGERATH,  Vcrh.  des  naturhist.  Ver.  f.  RheinL  und  Westph.  XXVII.  1870,  pag.  50  ff. 

21» 


324  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

1868,  Montelone  in  Calabrien,  wo  im  Jahre  1783  nicht  weniger  wie  949  Stösse 
stattfanden  u.  a.  Orte  sind  früher  für  solche,  aus  zahlreichen  Erdbeben  bestehende 
Perioden  bekannt  geworden.*) 

.  Immer  mehr  zeigen  aber  auch  alle  in  der  neueren  Zeit  beobachteten  Eid- 
beben, dass  das  gesellige  Auftreten  dieser  Erscheinungen  wohl  als  die  Regel  be- 
zeichnet werden  kann.  Die  Erdbeben  von  Chios  im  Jahre  1881,  die  von  Ischii 
mit  der  zerstörenden  Katastrophe  am  4.  März,  die  zahlreichen  Erdbeben  in  der 
Schweiz  in  den  Monaten  November  und  December  1881  und  Januar  1882,  das 
Erdbeben  vom  18.  November  1881  in  den  westdeutschen  Ländern  mit  voriier- 
gehenden  und  nachfolgenden  schwächeren  Beben,  alle  bezeichnen  Eidbebei^ 
rioden  und  keines  derselben  ist  eine  isolirte  Erscheinung. 

Die  Stellung  des  stärksten  oder  Haupterdbebens  in  einer  solchen  Periode  A 
keineswegs  zeitlich  irgendwie  übereinstimmend.  Oft  leitet  der  heftigste  SCoss  die 
Bewegung  ein,  oft  scheint  er  sie  abzuschliessen.  Meistens  aber  steigen  schwädicrc 
Erschütterungen  bis  zur  stärksten  Aeusserung  hinan  und  folgen  dieser  mit  allmab- 
lieber  Abschwächung  nach. 

Diese  allgemein  zu  beobachtende  Erscheinungsweise  der  Erdbebenperioden 
schliesst  von  vornherein  die  Annahme  solcher  Ursachen  aus,  die  nur  eine  ein- 
malige gewaltsame  Aeusserung  zu  erklären  vermögen,  wie  es  etwa  bei  gewaltigen 
Dampfexplosionen  der  Fall  sein  würde. 

b)  Ganz  übereinstimmend  nimmt  man  jedesmal,  wenn  eine  Erderschütterung 
ein  Gebiet  bewegt,  wahr,  dass  dieselbe  einer  bestimmten  Richtung  für  jeden  Oft 
folgt.  Aus  einer  grösseren  Zahl  solcher  Beobachtungen,  wenn  man  dieselben  auf 
einer  Karte  zu  einem  gemeinsamen  Bilde  einträgt,  ergiebt  sich  der  Charakter  der 
Bewegung,  die  Lage  und  die  Gestalt  des  centralen  Theiles  des  erschütterten 
Oberflächengebietes.  So  ist  denn  bei  einem  Erdbeben  in  der  Regel  sehr  bak) 
die  Gegend  schon  aus  den  wahrgenommenen  Stossrichtungen  erkannt,  in  der  die 
Oberflächenmitte  gelegen  ist.  Die  gesteigerte  Intensität  der  Wirkung  im  centnkn 
Gebiete  macht  dieses  weiterhin  kenntlich.  Man  pflegt  den  centralen  Theil  des 
erschütterten  Oberflächengebietes,  in  welchem  die  Wirkungen  am  stärksten  ge- 
wesen sind,  auch  die  pleistoseiste  Zone  zu  nennen.  Da  aber  mit  der  ge- 
steigerten Wirkung  die  äusseren  Zeichen  sich  vermehren,  aus  denen  die  Be- 
stimmung der  oberflächlichen  Verbreitung  am  zuverlässigsten  erfolgen  kann,  so 
ist  die  Gestalt  und  Lage  der  pleistoseisten  Zone  von  ganz  besonderer  Bedeutung. 
Sie  ist  meist  mit  grosser  Genauigkeit  zu  umgrenzen  und  in  ihr  das  direkte  Ab- 
bild des  erregenden  Ortes  zu  sehen. 

So  übereinstimmend  in  der  Regel  die  Wahrnehmung  einer  Richtung  ist,  so 
wenig  zuverlässig  lässt  sich  der  wirkliche  Sinn  derselben  an  und  für  sich,  ohne 
helfende  äussere  Umstände  fixiren.  Es  liegt  das  im  Charakter  der  Wellenbe- 
wegung  begründet,  die  zwar  die  Linie  des  Hin-  und  Herschwankens,  aber  nicht 
die  Richtung  sicher  erkennen  lässt,  aus  der  die  Welle  kommt  Das  Umfallen  von 
Gegenständen,  das  Ueberlaufen  gefüllter  Wassergefasse  u.  dergl.  m.  gestatten  eine 
genauere  Angabe  der  wirklichen  Stossrichtung.  Dazu  sind  auch  Apparate  er- 
sonnen worden :    Seismometer,  deren  wir  später  noch  besonders  gedenken  werden. 

Auch  üben  die  Gebäude  nach  ihrer  Lage  und  Beschaffenheit  vielfach  störende, 
ablenkende  Einflüsse  auf  die  Wellenbewegung  aus,  die  ein  Erkennen  der  wirk- 


1)  Vergl.  auch  TouLA,  1.  c.  pag.  16,  Fuchs,  pag.  158  u.  a. 
*)  Hoffmann,  1.  c.  pag.  316. 


Die  Erdbeben.  325 

ichen  Richtung  erschweren.    Am  besten  ist  dieselbe  im  Freien  und  unmittelbar 
m  Erdbodon  selbst  zu  beobachten. 

Aber  die  Unzuverlässigkeit  und  Ungenauigkeit  der  Beobachtung  am  einzelnen 
)rte  wird  fUr  die  Bestimmung  eines  Erdbebens  durch  die  grosse  Zahl  von 
(ichtungsangaben  einigermaassen  ausgeglichen,  die  über  ein  erschüttertes  Gebiet 
lin  zu  erlangen  sind.  Und  so  wird  im  Allgemeinen  doch  die  Richtung  das 
rerthvollste  topische  Element  bleiben,  daraus  die  centrale  Stelle  der  Oberflächen- 
rirkimgen  zu  finden. 

So  ist  denn  auch  für  eine  grosse  Zahl  von  Erdbeben  unzweifelhaft  festge- 
teilt worden,  dass  dieselben  von  einer  engbegrenzten,  im  Verhältnisse  zur  Aus- 
iehnung  fast  als  punktförmig  zu  bezeichnenden  Stelle  aus,  strahlenförmig,  wie 
lie  Radien  vom  Centrum  eines  Kreises  aus,  sich  fortgepflanzt  haben.  Die  als 
inien  auf  einer  Karte  des  erschütterten  Gebietes  aufgetragenen  Stossrichtungen 
idmeiden  sich,  entsprechend  verlängert,  alle  oder  grösstentheils  in  einem  kleinen 
)beiflächenstücke. 

Ueberaus  schön  Hess  sich  diese  Thatsache  schon  in  den  Verbreitungsver- 
oltnissen  des  grossen  Erdbebens  von  Calabrien  1783  nachweisen. 

Der  Hauptsitz  und  auch  der  Zeit  nach  der  Anfangspunkt  dieser  furchtbaren 
Katastrophe  war  der  südliche  Theil  von  Calabrien.  Die  nächste  Umgegend  der 
)tadt  Oppido  bezeichnet  die  centrale  Stelle;  rings  um  diese  war  in  einem  Um- 
iLicis  von  5J  geogr.  Meilen  alles  von  Grund  aus  zerstört  worden.  Eine  irgend- 
^  auffallende  Streckung  der  pleistoseisten  Zone  war  ebensowenig  nachzu- 
lösen, wie  eine  solche  der  Propagationsform  überhaupt,  die  einen  deutlich 
concentrisch  kreisförmigen  Verlauf  genommen  hat  Dieses  Erdbeben  besass  dem- 
^ch  in  der  That  einen  vollkommen  centralen  Charakter. 

Ganz  unzweifelhaft  spricht  sich  ein  solcher  auch  in  einzelnen  der  neueren 
E^rdbeben  aus. 

Das  Erdbeben  von  Kamionka,  welches  am  17.  August  1875  Galizien  er- 
schütterte, zeigt  nach  der  kartographischen  Darstellung  von  Professor  F.  Kreutz^) 
einen  so  durchaus  kreisförmigen  Verlauf  seiner  pleistoseisten  2k>ne,  eine  so  be- 
stimmt auf  ein  eng  begrenztes,  centrales  Gebiet  verweisende  radiale  Anordnung 
^er  Richtungsstrahlen,  dass  der  etwas  unregelmässige  äusserste  Contur  des  ge- 
^unmten  Erschütterungsgebietes  überhaupt  hiergegen  nicht  entscheiden,  den  durch- 
aus centralen  Charakter  nicht  verwischen  kann. 

Auch  von  den  westdeutschen  Erdbeben  sind  einige  durchaus  central.  Bei 
^er  grossen  Zahl  von  Beobachtungen,  die  in  diesen  Gegenden  zur  statistischen 
^'tststcllung  der  gesammten  Verhältnisse  zu  erlangen  waren,^  ei^aben  sich  auch 
noch  besondere  Beziehungen.  Es  zeigte  sich,  dass  die  unsichersten  und  ab- 
weichendsten Angaben  über  die  Richtung  gerade  aus  dem  centralen  Theile  des  er- 
schütterten Gebietes  stammen. 

Das  war  z.  B.  ganz  besonders  auffallend  bei  den  zahlreichen  Erdstössen  von 
Oross-Gerau,  die  in  diesem  Orte  selbst  mit  den  allergrössten  Schwankungen  und 
'^^weichungen  bezüglich  der  Richtung  von  den  Beobachtern  geschildert  wurden.^) 
^^er  Gnind  dafür  ist  nach  dem  pag.  303  Gesagten  einzusehen:  es  herrscht  hier 
^WaW  die  verticale  Componente  der  Bewegung   über  die  undulatorische  vor. 

^)  polnische  Abhandlang:  Lemberg  1876« 

^  VergL  V.  Lasaulx,  Erdbeben  1873  u.  77  1.  c. 

*)  NÖGGSKATH,  1.   C.   pftg   82. 


326  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Aus  grösserer  Entfernung  von  der  Mitte  nehmen  mit  der  mehr  midulatoriictej 
Bewegung  auch  die  zutreffenden  Richtungsangaben  an  Zahl  zu. 

Wenn  auch  die  Form  der  Erschütterungsgebiete  für  die  Erdbeben  der  Pc 
riode  von  Gross- Gerau  z.  Th.  sehr  wesentlich  von  der  Kreisform  abwcicbl 
ergiebt  sich  doch  aus  den  Wirkungen,  den  Richtungen  und  Zeitangaben  in 
Fällen  der  durchaus  centrale  Charakter  dieser  Beben. 

Trotz  der  sehr  verschiedenen  Intensität  und  Ausdehnung  der  erschüttti 
Oberfläche,  die  bei  dem  heftigsten  Stosse  vom  i.  November  1869  ca.  830  Quj 
Meilen  umfasste,    in  anderen   Fällen  nicht  über   den  Bereich  des  Ortes  Gr< 
Gerau  selbst  hinausgriff,  blieb  das  Centrum  unverändert  in  dem  eng 
Gebiete    des   genannten  Ortes   und  mit  überraschender  Genauigkeit  fügen 
die   Erschütterungsgebiete   aller   einzelnen   Stösse   vollkommen   conccntrisch 
einander.     Meist  liegt  auch  das  Centrum  in  der  That  in  der  Mitte  des  Ol 
flächengebietes,  so  dass  von  diesem  aus  die  Elongation  nach  allen  Seilen 
nahezu  gleiche  ist. 

Das  westdeutsche  Erdbeben  vom  26.  August  1878  ergiebt  aus  den 
achtungen  über  die  Stossrichtungen,  deren  203  von  ganz  besonders  vefbüi^ 
Beobachtern  herrühren  oder  durch  besondere  äussere  Wahrnehmungen  unU 
aus  der  ganzen  grossen  Zahl  kritisch  ausgelesen  wurden,  ebenfalls  einen 
entschieden  centralen  Charakter.  Zieht  man  auf  einer  Karte  diese  203  Stossricht 
über  das  ganze  Erschütterungsgebiet  hin  aus,  so  gehen  die  Verlängeningen 
grössten  Theiles  derselben  durch  ein  Gebiet,  das  mit  einem  Radius  von 
I  geog.  Meile  zu  umschreiben  ist.  Im  Verhältnisse  zu  der  grossen  Vei 
der  Erschütterung,  die  von  Paris  bis  Hannover  einerseits,  von  Strassbarg 
Amsterdam  andererseits  geftihlt  wurde,  kann  dieses  Verhalten  als  vollkoini 
beweisend  dafür  gelten,  dass  der  Erdbebenherd  nur  eine  ganz  geringe  At 
dehnung  besessen  habe  und  keinenfalls  eine  axiale  Streckung  demselben 
thümlich  gewesen  sei.  Das  bestätigen  denn  auch  in  einer  Weise  die  genau< 
Beobachtungen  über  den  Zeiteintritt  der  Erschütterung  und  der  auf&llei 
und  mit  grosser  Sicherheit  nachweisbare  kreisförmige  Verlauf  der  homosct? 
Linien,  dass  keinerlei  andere  Deutung  den  einfachen  und  wohlbegniod< 
Schluss  zu  ändern  vermag.  Der  centrale  Charakter  spricht  sich  endlich  a: 
noch  darin  aus,  dass  in  gleicher  Weise  wie  bei  der  Erdbebenperiode  von  Gn^ 
Gerau>  auch  dem  westdeutschen  Erdbeben  vom  26.  August  1788,  dessen 
flächenmittelpunkt  in  die  Nähe  des  kleinen  Ortes  Tollhausen,  nahe  der  Rs^i 
strecke  Jülich-Elsdorf,  im  Reg.-Bezirke  Aachen  unter  50**  56*  49"  nördl.  Br,  J» 
24**  10'  56"  östl.  L.  gelegen  war,  noch  einige  sich  abschwächende  ErschüttcninKtT 
von  geringer  Ausdehnung  folgten,  deren  Sitz  genau  in  dasselbe  Gebiet  6el. 

Als  echt  centrale  Erdbeben  sind  endlich  auch  die  meisten  der  auf  ^■ 
Abhängen  thätiger  vulkanischer  Kegel  während  der  Eruptionen  eintretenden  F* 
Schütterungen  charackterisirt,  die  allseitig  als  aus  dem  Schlote  des  Vulkin> 
kommend  empfunden  werden  und  von  diesem  aus  mehr  oder  weniger  «^-^ 
radial  sich  ausdehnen. 

Bei  vielen  Erdbeben  ergaben  aber  sowohl  die  Richtungsbeobachtungen  1^ 
auch  die  ganze  oberflächliche  Verbreitungsfbrm  und  insbesondere  die  GesUlt  tkr 
pleistoseisten  Zone  die  unzweifelhaft  axiale  Streckung  des  centralen  Theiles. 

Freilich,  wenn  wir  bedenken,  was  pag.  316  über  den  Einfiuss  der  Schichter 
Stellung  auf  die  Propagation  einer  Erschütterung  gesagt  wurde,  so  werden  *i' 
nicht   in   allen    Fällen    bei    nur  geringen  Abweichungen  z.  B.  der  plciatoseisicn 


Die  Erdbeben.  327 

Sone  von  der  Rreisform  daraus  den  axialen  Charakter  des  Bebens  als  sicher  er- 
wiesen annehmen  können. 

Das  Erdbeben  von  Herzogenrath  vom  24.  Juni  1873  zeigte  im  Allgemeinen 
90  recht  aufTallend  centrales  Verhalten;  jedoch  Hess  sowohl  die  pleistoseiste 
^e  als  überhaupt  das  Oberflächengebiet  unverkennbar  eine  elliptische  Dehnung 
roD  SW.  nach  NO.  erkennen.  Diese  liegt  im  Streichen  der  Schichten  der 
kohlenformation,  in  welcher  das  Erdbeben  grösstentheils  sich  fortpflanzte.  Es 
nre  daher  immerhin  möglich,  dass  die  elliptische  Gestalt  seiner  Propagation 
ediglich  in  den  Fortpflanzungsverhältnissen  und  nicht  in  der  Gestalt  des  erregen- 
ien  Ortes  ihren  Grund  habe.^) 

So  giebt  es  noch  mehrere  Beispiele,  bei  denen  die  Oberflächenbeobachtung 
»cht  ohne  Weiteres  als  entscheidend  für  den  Charakter  eines  Erdbebens  gelten 
kann.  In  manchen  Fällen  aber  ist  gewiss  die  lineare  Erstreckung  des  er- 
regenden Ortes  nicht  so  bedeutend,  dass  bei  grosser  Oberflächenausdehnung 
der  Erschütterung  dadurch  sehr  erhebliche  Abweichungen  von  centralen  Er- 
scheinungen bewirkt  werden. 

Mit  grosser  Bestimmtheit  tritt  aber  in  anderen  Fällen  der  axiale  oder  lineare 
Charakter  eines  Erdbebens  hervor. 

Schon  das  Erdbeben  vom  23.  Februar  1828,  das  die  westdeutschen  Gebiete 
und  die  Niederlande  erschütterte,  zeigte  eine  deutlich  lang  von  W.  nach  O.  ge- 
dehnte elliptische  Gestalt  der  pleistoseisten  Zone,  die  zwischen  Brüssel,  Lüttich, 
«d  Mastricht  gelegen  war. 

Von  dieser  aus  pflanzten  sich  die  Stösse  strahlenförmig  mit  %  Th.  äusserst 
deutlich  beobachtbaren  Richtungen  fort,  die  Hauptiängenerstreckung  lag  eben- 
Wls  von  W.  nach  O.  im  Allgemeinen  dem  Streichen  des  belgischen  Thonschiefer- 
febiiges  folgend.  Alle  zwischen  Namur  und  Aachen  von  diesem  Erdbeben 
^ttiger  bewegten  Orte  liegen  in  derselben  Richtung  und  auch  die  einzelnen  Orte, 
«n  denen  es  auf  dem  rechten  Rheinufer  fortsetzend  bemerkt  wurde.') 

Mit  grosser  Bestimmtheit  ergab  sich  eine  Erdbebenachse,  von  NNW.  bis 
^-  gerichtet,  für  das  niederösterreichische  Erdbeben  vom  3.  Januar  1873,  dessen 
pleistoseiste  Zone,  sowohl  wie  die  oberflächliche  Propagation  überhaupt  eine  ganz 
^sgesprochen  lang  elliptische  Gestalt  besass.^  Hier  erscheint  die  Annahme 
tiner  linearen  Gestalt  des  Erregungsortes  fast  unerlässlich.  Von  dieser  Linie  gingen 
«ich  die  Beben  vom  12.  Juni  1875  ^"s,  sowie  auch  die  älteren  Erschütterungen 
von  1590,  sowie  jene  von  1768,  welche  über  Leitmeritz  bis  nach  Dresden  ver- 
^crepürt  wurden. 

Von  den  im  Gebiete  der  österreichisch-ungarischen  Länder  in  den  letzten 
Jahrzehnten  aufgetretenen  Erdbeben  haben  eine  Reihe  weiterer  einen  ebenso 
ausgesprochen  axialen  Charakter  ergeben,  so  dass  es  hiemach  versucht  worden 
^^  eine  grössere  Zahl  von  Erdbebenlinien  zu  ziehen,  die  in  ofhnaliger  Wieder- 
holung als  Erdbebenachsen  erscheinen,  in  der  Weise,  dass  die  eigentlichen  Stoss- 
punkte  auf  denselben  Linien  ein  Wandern  zeigen,  das  heisst,  dass  das  einemal 
"^^T>  das  anderemal  dort  die  Erschütterung  ihren  Anfang  nimmt,  bis  auch  wohl 
einmal  wieder  derselbe  Punkt  als  Ausgang  fUr  eine  solche  dient.^)  Ein  solches 
^^dern  der  Stosspunkte  auf  einer  geraden  Linie  hatte  wohl  zuerst  Dolomieu 

0  V-  Lasaulx,  1.  c.  pag.  44. 

^  Egin,  Poggend.  Ann.  Xm.  153,  XXV.  68. 

')  Sdess,  Denkschr.  d.  Kais.  Akad.     Bd.  33.  pag.  61—98. 

*)  ToüLA,  1.  c.  pag.  62. 


328  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

schon  bei  den  grossen  mehrfach  erwähnten  Erdbeben  von  Calabricn  1783  a» 
statirt^)    Wir  kommen  darauf  später  noch  zurück. 

In  grossartigem  Maassstabe  und  mit  einer  gewissen  Constanz  eTschona 
axiale  Erderschütterungen  von  grosser  Längsdehnung  in  den  Gebieten  der 
mächtigen  Cordilleren -Kette  des  aequatorialen  Amerika  von  Chili  bis  Mck 
Mexico.  Eine  Reihe  der  furchtbarsten  Erdbeben-Katastrophen  sind  aus  jew 
Gebieten  bekannt  und  mit  den  Namen  Lima,  Callao,  Riobamba,  Quito,  Pasus 
Cumana,  Caracas,  Arica  u.  A.  verknüpft.  Alle  diese  Erdbeben  folgten  in  ihm 
Verbreitung  den  Richtungen  der  grossen  Bergketten  und  betrafen  sonach  v» 
züglich  die  Küstenstrecken.  Das  furchtbare  Erdbeben,  welches  im  Jahre  itfi 
Lima  und  die  Hafenstadt  Callao  zerstörte,  pflanzte  sich  von  der  Zone  äx 
grössten  Zerstörungen  aus  nach  den  Aussagen  der  Wachtposten  längs  der  Küste 
linie  von  N.  nach  S.  und  von  S.  nach  N.  hin  fort.^ 

Eines  der  ausgezeichnetesten  Beispiele  für  ein  axiales  Erdbeben  von  grosse 
Länge  der  Achse  liefert  dasjenige,  welches  am  4.  Januar  1843  einen  grosen 
Theil  der  vereinigten  Staaten  -—  von  Natchez  bis  nach  Jowa  und  von  Sud-Oroüni 
bis  an  die  westlichen  Staatengrenzen  —  erschütterte.  Die  Gebrüder  Rogik  • 
haben  eine  Zusammenstellung  aller  über  dieses  Erdbeben  bekannt  gewordoci 
Beobachtungen  geliefert  und  gezeigt,  dass  die  Achse  der  Erschütterung  durc'' 
eine  Linie  bestimmt  wurde,  welche  in  der  Richtung  NNO.  nach  SSW.  w» 
Cincinnati  über  Nashville  nach  der  westlichen  Grenze  von  Alabama  läuft.  V* 
dieser  Achse  aus  pflanzte  sich  die  Bewegung  in  lauter  parallelen  Linien  beide 
seitig  fort,  so«  dass  die  homoseisten  Linien  parallel  zu  der  Achse  verliefen  n« 
überall  von  der  Achse  aus  einerseits  die  Richtung  nach  OSO.,  andererseits  Mci 
WNW.  zu  beobachten  war.  Auch  die  For^flanzungsgeschwindigkcit  war  aJ 
den  beiden  Seiten  dieser  Achse  keine  erheblich  verschiedene;  Rooiäs  crhkk 
dafür  auf  der  Westseite  der  Achse  1816  Par.  Fuss  =  588,4  Meter  in  der  Sccundt» 
der  Ostseite  =  2724  Par.  Fuss  ~  882,6  Meter.  Die  Verhältnisse  entspreche 
demnach  genau  denjenigen  des  im  Vohergehenden  gewählten  (pag.  307)  Beispi^ 
von  einem  ins  Wasser  fallenden  Stocke. 

Während  bei  den  bisher  angeführten  Erdbeben  die  centrale  Lage  der  Ob» 
flächenachse  ganz  besonders  darin  sich  aussprach,  dass  von  ihr  aus  die  äussentet 
Erschütterungsgrenzen  nach  beiden  Seiten  in  nahezu  gleicher  Entfernung  ^ 
die  pleistoseiste  Zone  auch  wirklich  oder  doch  nahezu  in  der  Mitte  des  er- 
schütterten Gebietes  gelegen  waren,  ist  bei  anderen  Erdbeben  mit  grosser  Bcstimini 
heit  sowohl  die  excentrische  I^ge  der  Oberflächenachse  als  auch  die  Ungle^^ 
heit  in  der  Propagation  zu  beiden  Seiten  derselben  erkannt  worden.  Es  ^^ 
immer  nur  axiale  Beben,  die  in  dieser  Weise  auch  zugleich  eine  einseitige« 
laterale  Ausbildung  zeigen. 

Ein  recht  charakteristisches  Beispiel  dieser  Art  ist  vielleicht  das  Erdbebe:* 

vom  8.  Februar   1843  auf  den  Antillen,  vornehmlich  Guadeloupe  gewesen,  öa> 

seine  Wirkungen  bis  nach  Cayenne  verspüren  liess.     Dass  es  ein  axiales  Be^ 

war,  ergaben  die  Untersuchungen  von  Deville  und  wird  auch  von  Roc»s  ^ 
stätigt.4) 

pie  Achse  seiner  Propagation  war  ungefähr  von  NW.   nach  SO.  gcrichtrt 

»)  Naumann,  pag.  210. 

")  HopPMANN,  1.  c.  pag.  324. 

*)  SiLLiMAN,  American  Journal.  Bd.  45,  pag.  341. 

♦)  Naumann.  1.  c.  pag.  211. 


Die  Erdbeben.  329 

erlief  nach  Rogers  etwa  von  den  Bermuda -Inseln  bis  nach  Cayenne.  So  hat 
as  damalige  Erdbeben  auf  den  Antillen  nur  die  auf  der  einen  Seite  der  Achse 
tattgefundenen  Undulationen  in  sich  begriffen.  Wäre  die  Bewegung  mit  der 
leichen  Intensität  auch  nach  der  nordöstlichen  Seite  der  Achse  erfolgt,  so  hätte 
ie  gewiss  in  einem  überaus  heftigen  Meeresbeben  sich  geäussert  und  nicht  ver- 
orgen  bleiben  können. 

Wenn  man  auf  die  Unterschiede  in  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  zu 
clden  Seiten  der  Achse  bei  dem  vorhin  erwähnten  nordamerikanischen  Erdbeben 
in  grösseres  Gewicht  legen  will,  sq  würde  damit  auch  für  dieses  ein  lateraler 
iharakter  nachgewiesen  werden. 

Das  mitteldeutsche  Erdbeben  vom  6.  März  1872  zeigt  auffallend  die  excen* 
fische  Lage  der  pleistoseisten  Zone  und  Seebach  ^)  deutet  diese  Erscheinung  als 
k  Folge  einer  ungleichen  Intensität  auf  beiden  Seiten  der  übrigens  kurzen  Erd- 
iwbeoachse.  In  diesem  Falle  bricht  auch  das  Schallphänomen,  das  hier  die  Zone 
vdter  Stärke  der  Wirkungen  charakterisirt,  nach  SW.  zu  so  plötzlich  und  nahe 
o  Oberflächenmittelpunkte  ab,  dass  hiemach  diese  dem  pleistoseisten  Gebiete 
egenüberliegende  Gegend  im  relativen  Erdbebenschatten  sich  befunden  zu  haben 
cbeint. 

Das  kleine  Erdbeben,  das  am  5.  Oktober  1877  die  sächsische  Amtshaupt- 
wnnschaft  Dippoldiswalde  erschüttert  hat,  stellt  nach  Credner')  in  dem  Er- 
chütterungsgebiet  eine  gestreckte  Ellipse  dar,  deren  längere  Achse  etwa  von 
^en  nach  Zinnwald  reichte.  Die  Zone  der  höchsten  Wirkungen  steht  quer 
u  dieser  Achse  und  liegt  ganz  am  südlichen  Rande  des  erschütterten  Gebietes, 
0  dass  es  den  Anschein  hat.  als  ob  von  einer  Linie  aus  die  Bewegung  gleich- 
citig  ausgegangen  wäre  und  parallel  vorzüglich  nach  N.  sich  fortgepflanzt  hätte. 

Auch  das  etwas  bedeutendere  voigtländisch-erzgebirgische  Erdbeben  vom 
3-  Nov.  187s»  ^^  gleichfalls  Credner  beschrieben  hat^)  und  das  er  als  linear- 
Jnal  bezeichnet,  scheint  eine  vorherrschend  einseitige  Richtung  und  entsprechende 
firkang  gehabt  zu  haben. 

Auch  bei  dem  Erdbeben  von  Herzogenrath  vom  24.  Juni  1877  nimmt  von 
^  pleistoseisten  Zone  aus  nach  SW.  die  Intensität  der  Oberflächenerscheinungen 
^  schnell  ab,  so  dass  die  Bewegung  sehr  bald  jenseits  der  belgischen  Grenze 
te  Unmerkbare  abgeschwächt  ist,  während  nach  NO.  zu  das  Erschütterungs- 
Tbict  bis  nach  Westfalen  hinein  sich  erstreckte.*) 

£inen  ganz  entschieden  einseitigen  Verlauf  zeigt  die  Propagation  des  Erd- 
»cbcns  von  Sillein  in  Ungarn  vom  15.  Januar  1858.*)  Die  pleistoseiste  Zone 
*^  hier  im  Süden  z.  Th.  ganz  nahe  der  Grenze  des  überhaupt  erschütterten 
Nietes,  das  nicht  über  die  Donau  hinausreicht,  während  es  nach  Nordwesten 
'cit  bis  nach  Mähren,  Böhmen  und  Schlesien  bis  über  Breslau  hinaus  sich  aus- 
dehnte. Von  dem  bei  Sillein  gelegenen  Oberflächenmittelpunkte  aus  war  die 
Propagation  nach  NW.  eine  mehr  als  dreimal  so  grosse  wie  nach  S.  Die 
Wstoseiste  Zone  stellt  eine  von  SSW.— NNO.  gestreckte  Ellipse  dar.  Wenn 
"V  hieraus   eine   in   diesem  Sinne   gelegene  Achse    des  Bebens  annehmen,  so 


')  Sekrach,  1.  c.  pag.  183. 

*)  Zdtsdir.  der  ges.  Natnrwiss.  1878  I. 

*)  1.  c  xLvra.  1876.  XI. 

')  V.  Lasaulx,  1.  c.  pag.  41. 

^)  L.  H.  JEITTELES,  Sit£.-Ber.  d.  Kais.  Akad.  d.  W.    Wien  1859.  Oktober. 


330  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontnlogie. 

würde    weitaus   der  grösste  Theil  des  erschütterten  Gebietes  auf  die  vesükhe 
Seite  derselben  zu  liegen  kommen. 

Auch  das  Erdbeben  von  Klana  im  Karstgebirge  vom  i.  März  1870  >)  zdr/ 
eine  durchaus  einseitige  Lage  der  meist  erschütterten  Zone,  die  als  eine  lii| 
gestreckte  von  SO. — NW.  gerichtete  Ellipse  sich  darstellt  Auf  deren  läogao 
Achse  lag  der  eigentliche  Oberflächenmittelpunkt  stark  nach  Südosten  genck 
so  dass  die  stärkste  Elongation  des  Bebens  im  pleistoseisteo  Gebiete  nach  N^. 
erfolgte.  Die  gesammte  Propagadonsform  ist  in  ihrem  Verlaufe  wegen  de: 
westlich  nahe  gelegenen  adriatischen  Küste  nicht  genau  zu  bestimmen. 

Das  japanische  Erdbeben  von  Tokio  vom  22.  Februar  1880,  über  «dcb 
eine  ausführliche  Arbeit  von  J.  Milne  vorliegt,^  scheint  ebenfalls  einen  ab- 
gesprochen lateralen  Charakter  besessen  zu  haben.  Die  meist  erschütteite  Zacc 
stellt  eine  Ellipse  von  9  Meilen  Länge  und  4^  Meilen  Breite  dar,  deren  laogen 
Achse  fast  normal  auf  der  die  Städte  Yeddo  und  Yokohama  verbindenden  Lioe. 
also  von  W. — O.  gelegen  ist,  nahe  der  Küste  der  nördlichen  Kadzusa.  Diese 
Ellipse  liegt  aber  zu  dem  Verbreitungsgebiet  vollständig  excentrisch,  fast  an  do 
südlichen  Grenze  desselben,  das  nach  NW.  zu  in  weiter  Ausdehnung  sidc- 
streckt.  In  dieser  Richtung  und  nach  NNO.  zu  ist  auch  allenthalben  die  grossot 
Intensität  der  Wirkung  zu  notiren  gewesen. 

Und  so  wird  das  genauere  Studium  der  Erdbeben  noch  für  eine  grosses 
Zahl  ihren  lateralen  Charakter  nachweisen  lassen. 

Uebrigens  kommen  auch  laterale  Erdbeben  auf  den  Abhängen  der  Vü 
kane  selbst  vor.  Die  mehr  oder  weniger  heftigen  Erschütterungen,  vcIcik 
im  Sommer  1879  als  Folge  der  letzten  Eruption  des  Aetna  vom  31.  ^ 
die  östlichen  Abhänge  des  Vulkans  bis  an  die  Küste  erschütterten,  hatten  l  Th 
ausgesprochen  dieses  Verhalten.  Ein  ganz  besonders  heftiger  Stoss  tiaf  io  ^ 
Nacht  vom  16.  zum  17.  Juni  die  Gemeinden  Acireale,  Giarrei  Zafierana  Is^ 
mit  heftiger  Zerstörung.  Das  meist  erschütterte  Gebiet  stellt  eine  Ellipse  i:^ 
deren  längere  Achse  die  Stosslinie  bezeichnet»  welche  aus  denn  Centralfa<B 
entspringend  in  ostsüdöstlicher  Richtung  zum  Meere  sich  fortpflanzte.  In  ätsc 
Achse  war  die  Bewegung  so  heftig  und  mit  solcher  Kraft  aufstossend,  da&sOK 
Menschen  vollkommen  das  Gefiihl  hatten,  emporgeschleudert  zu  werden.'^ 

c)  Die  Oberflächenwirkungen  der  Erdbeben  sind  bezüglich  ihrer  Intenstst 
und  Ausdehnung  ausserordentlich  verschieden.  Keineswegs  aber  steht  dx 
Intensität  der  Wirkung  im  pleistoseisten  Gebiete  in  einem  bestimmten  Verhalt 
nisse  zu  der  Elongation  der  Erschütterung. 

Das  Erdbeben  von  Lissabon  vom  i.  Nov.  1755  war  vielleicht  das  von  de 
grössten  Verbreitung,  bezüglich  welcher  überhaupt  nur  einigermaassen  genaue  Be- 
richte aus  jener  Zeit  bekannt  sind.  Wollte  man  dies*en  vollen  Glauben  schenkea  ^ 
würde  es  einen  Flächenraum  bewegt  haben,  der  Europa  an  Grösse  fast  viermal  übe 
trifft,  vielleicht  den  13.  Theil  der  Erdoberfläche  nämlich  700000  geogr.  oMeilfl» 
Selbst  wenn  wir  das  Erschütterungsgebiet  auf  die  Hälfte  reductren,  kommt  docJ 
diesem  Erdbeben  noch  ein  Elongationsradius  von  4 — 500  geogr.  Meilen  .'• 
Auch  das  durch  vollständige  Verheerung  ganzer  Ortschaften  ausgczeichni:«^ 
pleistoseiste  Gebiet  besass  eine  grosse  Ausdehnung,    in  Marokko  gingen  ^' 

*)  Stur,  Jahrb.  d.  K.  K.  geol.  Reichsanstalt  1871,  pag.  231 — 65. 
*)  Transactions  of  the  seisomlogical  Society  of  Japan.  Part.  IL  1880,  pag.  i.  tL 
3)  SiLVESTRi,  Ropporto  suUa  doppia  eruzione  e  i  tcrremoti  dell'  Etna  1879.    Catauüa  tS;^ 
pag.  39. 


Die  Erdbeben.  351 

)rtscbaften  zu  Grunde,  Madrid  und  andere  Orte  im  Binnenlande  wurden  noch 
)ait  mitgenomnien.  Aber  auch  noch  zu  Brieg  im  Wallis  geschah  durch  Einsturz 
ron  Häusern,  Risse  in  den  Mauern  ai.  dergl.  viel  Schaden.  Turin  bebte  eben- 
alls  so  stark,  dass  man  seinen  Einsturz  befürchtete.  Ganz  besonders  aber  zeigte 
ich  die  Propagation  der  Erschütterung  an  allen  in  ihrem  Bereiche  gelegenen 
Binnenseen,  so  den  norditalienischen,  den  Schweizer  Seen,  dem  Wenem-See  in 
khweden  und  im  ganzen  oceanischen  Gebiete  bis  an  die  Küsten  von  Gross- 
mtannien,  Pommern,  Afrika  und  hinüber  bis  zu  den  Inseln  und  Küsten  von 
\merika.^) 

Der  ungeheuren  Verbreitung  entspricht  also  bei  diesem  Erdbeben  auch  die 
Intensität  und  Ausdehnung  der  verheerenden  Wirkungen. 

Am  16.  Nov.  1827  ereignete  sich  ein  Erdbeben,  dessen  Oberflächenmitte  zu 
Bogota  in  Columbien  gelegen  war.  Das  Erdbeben  ging  von  einer  von  Nordost 
nach  Südwest  gerichteten  Achse  aus.  Längs  einer  Linie  von  70  geogr.  Meilen 
'rfolgten  fast  durchweg  die  zerstörendsten  Wirkungen,  auf  dem  1 5  geogr.  Meilen 
angen  Striche  von  Bogota  bis  Ibague  soll  kein  Haus  und  keine  Kirche  unbe- 
chädigt  geblieben  sein.^ 

Das  Erdbeben  vom  19.  Nov.  1822  in  Chile,  der  erste  und  heftigste  Stoss 
iner  längeren  Erdbebenperiode,  zerstörte  zum  grössten  Theil  die  Städte  Val- 
»aniso,  Melipilla,  Quiliotoa,  Casablanca;  nach  Süden  hin  war  Concepcion  der 
stferateste  Punkt,  wo  man  die  Erschütterung  empfand,  sowie  östlich  von  den 
Mes  noch  zu  Mendoza  und  S.  Juan,  also  über  20  Breitegrade,  bei  einer  Aus- 
ielmung  von  N.  nach  S.  von  ca.  1 200  geogr.  Meilen.^) 

Auch  die  peruanischen  Erdbeben  im  August  1868,  eine  zwei  Monate  um- 
assende  Periode,  zeigten  in  einzelnen  Stössen  eine  ganz  ausserordentliche  Aus- 
lehnung.  Der  Stoss,  der  am  13.  Aug.  1868  die  Gegend  von  Arequipa  und 
Facna  mit  zerstörender  Wirkung  heimsuchte,  pflanzte  sich  südlich  bis  Copiapo, 
tordlich  bis  Lima  und  östlich  bis  Paz  fort. 

Das  Erdbeben  von  Cutch  in  Ostindien,  welches  am  16.  Juni  181 9  stattfand, 
»tte  einen  Elongationsradius  von  ca.  180  geogr.  Meilen,  das  von  Nepaul  vom 
^^  1833  sogar  einen  solchen  von  250  geogr.  Meilen. 

Auch  das  japanische  Erdbeben  von  Tokio  1880  dehnte  sich  über  ein  Gebiet 
ivn  ca.  120  geogr.  Meilen  Längserstreckung  aus.  Und  doch  ging  in  diesem 
Falle  die  Wirkung  im  meisterschütterten  Gebiete  nicht  über  den  Einsturz  ohne- 
hin baufälliger  Mauern  oder  Kamine  hinaus. 

Das  Erdbeben  in  den  Rheinlanden  vom  29.  Juli  1846,  eines  der  bedeuten- 
deren für  diese  Gegend,  besass  eine  pleistoseiste  Zone  von  6  Meilen  Radius, 
in  welcher  jedoch  die  Wirkungen  nur  im  Einsturz  von  Schornsteinen,  Herabfallen 
^wi  Schiefem  und  Ziegeln  von  den  Dächern  u.  dergl.  bestanden,  während  der 
*«sserste  Erschütterungskreis  einen  Radius  von  35  geogr.  Meilen  und  einen 
Hächeninhalt  von  384  geogr.  D  Meilen  darstellt.*)  Das  Verhältniss  der  pleisto- 
eisten  Zone  zum  Erschütterungsgebiete  ist  daher  wie  i :  34. 

Das  mitteldeutsche  Erdbeben  vom  6.  März  1872  besass  nach  Seebach*s 
Berechnung  eine  Ausdehnung  über  wenigstens  3100  geogr.  D  Meilen.    Die  pleisto- 

')  Hopfmann,  1.  c.  pag.  397. 

*)  V.  Hopf,  Chronik  II.  pag.  273. 

')  eod.  pag.   180. 

*)  NöGGiRATH,  Das  Erdbeben  ▼om  Juli  1846.  Bonn  1847. 


334  Minenlogie,  Geologie  und  Maeontologie. 

Aber  die  Beziehtiiigen  zu  den  Verhältnissen  des  Gebiigsbaues  und  zu  dem 
geognostischen  Verhalten  sind  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Erdbeben  doch  noch  in 
viel  bestimmterer  Weise  erkannt  worden. 

Für  die  Erdbeben  in  den  Pyrenäen  hatte  schon  Palassou^)  ansdiücUich 
nachgewiesen,  dass  dieselben  ganz  gewöhnlich  der  deutlich  ausgesprochenen 
Richtung  der  Gebirgskette  von  WNW.— OSO.  folgen  und  zwar  am  häufigsten  an 
der  Südseite,  seltener  innerhalb  der  Kette  und  auf  der  Nordseite.  Grav^  hatte 
den  gleichen  Nachweis  für  englische  Erdbeben  insbesondere  das  vom  i8.  Nov. 
1795  erbracht,  dass  auch  diese  der  Hauptstretchungslinie  der  englischen  Gebiigs- 
reihen  folgen.  In  gleicher  Weise  waren  andererseits,  wenn  auch  seltener,  Eid- 
beben bekannt  geworden,  die  quer  über  eine  Gebirgskette  sich  fortgepflanzt  hatttn. 
wie  z.  B.  das  Erdbeben  vom  8.  Oktober  1828,  welches  die  Apenninenkette  durcb- 
querte  und  von  Voghera  über  die  Bochetta  nach  Genua  die  Richtung  nahm. 
Der  Begriff  der  longitudinalen  und  transversalen  Erdbeben  stand  also  schon 
längst  in  gewissem  Sinne  fest;  aber  erst  die  neuere  Erdbebenforschung  hat  diesen 
Bezeichnungen  einen  bestimmten  Sinn  gegeben. 

SuESS^)  war  es,  der  durch  seine  Untersuchungen  über  die  Erdbeben 
von  Nieder-Oesterreich  und  jener  im  südlichen  Italien  zuerst  wieder  auf  die  grosse 
Bedeutung  der  Stosslinien  bei  den  Erdbeben  aufmerksam  machte.  Er  wiess  nach, 
dass  die  niederösterreichischen  Erdbeben  immer  gewissen  Richtungen  folgen,  wdcbe 
SuESs  Erdbebenlinien  nennt  Diese  verlauten  entweder  quer  durch  die  Alpen 
resp.  ihre  Ausläufer,  das  heisst  sie  stehen  normal  auf  der  Streichrichtung  der 
Gebirgskette  und  sind  dann  als  transversale  Erdbebenlinien  zu  bezeichnen,  oder 
sie  sind  der  Streichrichtung  parallel  gerichtet  und  werden  dann  longitudinal  ge- 
nannt. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Erdbebenerforschung  hat  sich  dann  immer  mehr 
ergeben,  dass  diese  Krdbebenlinien,  die  z.  Th.  auch  mit  dem  zusammei»- 
fallen,  was  wir  im  Vorhergehenden  Erdbebenachsen  genannt  haben,  nach  Ufr 
und  Verlauf  direkt  auf  solche  Spalten  oder  Klüfte  verweisen,  längs  deren  in  der 
Gebirgen  nachweislich  mehr  oder  weniger  bedeutende  Verschiebungen,  Bewegiui|;eß 
Berstungen  und  Zerreissungen  stattgefunden  haben. 

Eine  solche  Linie  ist  die  Erschütterungsachse  der  niederösterreichischen  Erd- 
beben vom  3.  Januar  1873,  vom  12  Juni  1875  ^^^  älterer  Beben  von  1590  und 
1768.  Sie  geht  von  Brunn  am  Steinfelde  in  der  Nähe  von  Wiener-Neustadt  aus 
und  verläuft  über  Altlengbach  nach  Hom,  der  Furche  des  Kampflusses  folgend. 
SuESS  bezeichnet  diese  daher  auch  als  die  Kamplinte.  Da  sie  die  Ausläufer  der 
Alpen  durchquert,  ist  sie  eine  transversale  Linie,  die  gleichwohl  tief  in  das 
böhmische  Massiv  hineingreift^) 

Einen  ähnlichen  Verlauf  hat  auch  die  ebenfalls  transversale  Achse  des  vorhin 
schon  einmal  angeführten  Erdbebens  von  Sillein  an  der  oberen  Waag;  dieselbe 
greift  quer  über  die  westlichen  Karpathen  bis  nach  Breslau  hinüber. 

Mit  der  vorhin  genannten  Kamplinie  kreuzt  sich  in  der  Nähe  von  Wiener 
Neustadt  eine  andere,  die  am  östlichen  Rande  der  Alpen  von  Gloggnitz  bis  Wien 
gezogen  werden  kann  und  durch  eine  grössere  Zahl  von  Erschütterungen,  dereo 
Achse  in  dieselbe  fallen,  charakterisirt  ist.    Zahlreiche  Thermalquellen,  die  ibrem 

^)  Laonh,  Taschenbuch  iSaa,  pag.  90. 

^  GOBBRT'f  AnnaL  IV.,  pag.  59. 

3)  Denkichr.  d.  A.  d.  W.  Wien  1873  u.  1873. 

*)  TouLA,  1.  e.  pag.  56. 


Die  Erdbeben.  333 

n  anderes  Erdbeben  bei  einer  so  grossen  Erschütteningsfläche  ein  gleich  enge 
ngrenztes  Zerstöningsgebiet  darbieten  möge.  Den  Schluss,  den  jener  Forscher 
)er  daraus  ziehen  zu  dürfen  glaubt,  dass  das  erregende  Centrum  für  dieses  Erd- 
^ben  in  nicht  sehr  grosser  Tiefe  gelegen  habe,  können  wir  nach  unseren  Er- 
teningen  pag.  312  durchaus  nicht  als  zutreffend  erachten.  Eine  geringe  Tiefe 
ärde  nur  aus  grosser  Zerstörung  und  kleiner  Propagation  oder  wenigstens  aus 
nem  richtigen  Verhältnisse  pleistoseister  Wirkung  und  Gesammtoberfläche  sich 
Igern  lassen. 

Ein  sprechendes  Beispiel  dieser  Art  liegt  aus  der  jüngsten  Vergangenheit 
dem  Erdbeben  von  Ischia  vor,  das  am  4.  März  188 1  um  i  Uhr  5  Min.  Nach- 
ittags  Casamicdola  in  Trümmer  warf  und  viele  Menschen  tödtete.  Die  Zone 
et  grössten  Zerstörung  stellt  eine  Ellipse  dar,  die  kaum  eine  D  Meile  Ober- 
«be  umfasst,  die  Erschütterung  überhaupt  aber  hat  sich  nur  sehr  wenig  ausser- 
aib  der  Insel  fortgepflanzt,  so  dass  auch  die  Erschütterungsfläche  im  Ganzen 
s  eine  sehr  geringe  ist.  In  dem  nahe  gelegenen  Neapel  wurde  sie  nirgendwo 
ehr  gespürt.  Das  ist  also  der  Charakter  des  Erdbebens  von  Ischia :  ganz  ausser- 
wohnlich  grosse  Intensität  bei  einer  auffallend  geringen  oberflächlichen  Propa- 
ttion. Daraus  muss  eine  sehr  geringe  Tiefe  des  erregenden  Ortes  geschlossen 
Jiden.i) 

Die  Beachtung  dieser  Verhältnisse  für  alle  ferneren  Erdbeben  und  die  Ver- 
dchung  mit  solchen,  die  durch  gute  Beobachtungen  festgestellt  sind,  versprechen 
och  manche  Aufklärung  über  die  Genesis  dieser  Erscheinungen. 

d)  Die  engen  Beziehungen  der  Erdbebendistricte  zu  der  orographischen  und 
iognostischen  Gestaltung  der  Continente  tritt  schon  in  den  älteren  Schilderungen 
^erkennbar  hervor.  '  Dass  die  vorzüglichen  Erschütterungszonen  der  Erde  ganz 
'*wnders  längs  der  Kettengebirge  sich  hinziehen,  ist  eine  längst  bekannte  That- 
cbe,  sowie  ebenso,  dass  sie  den  Bruchrändem  der  aus  dem  Meere  aufragenden 
isdandsmassen  folgen.  In  diesem  Sinne  fallen  sie  auch  mit  den  Zonen  vul- 
inischer  Aeusserung  zusammen.  Die  ganze  Westküste  von  Amerika  ist  in  dieser 
insicht  doppelt  ausgezeichnet;  dem  continentalen  Bruchrande  folgt  in  nicht 
iKser  Entfernung  ein  mächtiges  Kettengebirge.  Die  Küstendistricte  Süd-Amerika's 
Aören  zu  den  meist  und  best  erschütterten  Ländern.  Auch  die  Erdbeben  in 
H-Italien  und  Sicilien,  die  häufigen  Erschütterungen  am  Süd-  und  Nordrande 
fr  Alpen,  die  zu  Zeiten  zahlreichen  Erdbeben  der  Pyrenäen,  die  Erschütterungen 
^  sfidl.  Fusse  der  schottischen  Hochlande  oder  am  nördlichen  Abhänge  der 
Kenner-  und  Eifelgebirgszüge  gegen  die  Niederlande  hin  bestätigen  alle  diesen 
Qsammenhang  der  Erdbeben  mit  den  Grenzen  der  Kettengebirge  gegen  das 
iefland  oder  das  Meer  hin,  d.  h.  also  mit  den  Bruchrändem,  längs  derer  sich 
fe  Differenzirung  in  Hoch  und  Tief  vollzogen  hat. 

Nur  selten  treten  Erschütterungen  dagegen  in  solchen  Gebieten  ein,  wo  die 
^^  grosse  Strecken  hin  tafelartige  und  ungestörte  orographische  Ausbildung, 
>^stauch  mit  einer  einfachen  geologischstratigraphischen  Entwicklung  verbunden, 
*rherrschen. 

I)ie  weiten  Ebenen  des  nördlichen  Europa  von  Nord-Deutschland  durch 
^Q^land  bis  in  die  Gegend  des  Baikalsees  werden  von  Peschel  ganz  treffend 
^  solche  bezeichnet,  in  denen  der  tiefste  Erdfriede  herrscht,  und  auch  Süd- 
^^ka  und  Australien  scheinen  zu  den  friedfertigsten  Stellen  unseres  Planeten 
«^Technet  werden  zu  dürfen. 

'}  V.  Lasaulx,  Das  Erdbeben  von  Casamicdola.     Zeitschrift  «Humboldt«   1882.     L  i. 


336  Mineralogie,  Geologie  und  Palieontologie. 

Erdbebenlinie  als  eine  transversale,  mit  der  grössteh  hier  bekannten  Verwerioof 
fast  stets  coincidirende,  bezeichnet  werden. 

Für  Erdbeben,  deren  Mittelpunkt  weiter  nach  Westen  in  Belgien  oderNoi^ 
Frankreich  gelegen  wäre,  könnte  füglich  die  grosse  Verschiebung,  die  min  ak 
Faille  du  Midi  bezeichnet,  als  Ort  der  Erregung  gelten.  Das  Erdbeben  vc? 
1828  mag  vielleicht  hierhin  gehören.  Sonst  sind  Erdbeben  in  diesen  Gebieter 
überaus  selten,  so  dass  es  nicht  wohl  möglich  erscheint,  eine  longitudinale  Sunit 
Knie  zu  ziehen. 

Eine  andere  weithin  fortsetzende  Erdbebenlinie  ist  dann  aber  weiter  ösdici 
jedenfalls  vorhanden,  die  wir  ihrem  Verlaufe  nach  als  die  Rheinthallinie  l»- 
zeichnen  können.  Eine  grosse  Zahl  von  Erdbeben  von  grösserer  und  kleioRtt 
Ausdehnung  sind  im  Rheinthale  abwärts  von  Bingen  bis  in  die  Gegend  va 
Düsseldorf  in  diesem  Jahrhundert  beobachtet  worden.  Die  Mittelpunkte  denn- 
ben  liegen  alle  ziemlich  genau'  oder  doch  sehr  nahe  auf  einer  Linie,  die  dorcN 
die  Punkte  Bingen-Cleve  bezeichnet  wird. 

Die  genauer  fixirten  Erdbeben  dieser  Linie  sind  unter  anderen: 

1807,  II.  Sept     Neuwied  und  Umgegend. 
1807,  22.  Dec.     DOtseldorf  und  Umgegend. 
1809,  2.  Juli.    DOsseldorf. 
1812,  13.  Mai.     ZUlpich  b.  Köhi. 

1823,  December.     Mtthlheim  a.  Rh. 

1824,  22.  December.    Alfler  b.  Bonn. 
182$,  2.  Februar.     Bonn. 

1828,  27.  Nov.     Bonn. 

1830,  28.  Dec.     Coblenx. 

■834,   17.  Dec.     Andernach. 

■837—38  mehrere  Enchttnerungen  um  Coblenz  heram. 

1840,  bei  Obermendtg  und  Düsseldorf. 

1841,  22.  Mutz.     Coblenz. 

1841,  Düsseldorf. 

1842,  25.  Mai.     Bonn  und  Düsseldorf. 
1842,   13.  Oktob.    Neuwied. 

1845,  12.  Oktob.     St  Goar. 

18461  29.  JulL    Zwischen  St.  Goar  u.  Kochern. 

1847,  St  Goar. 

1853,   18.  Febr.     Bacherach. 

1856,  6.  Dec.     Mehlem. 

1868,  17.  Nov.     Bergheim. 

1869,  17.  Blibrz.     Siegburg. 

1878,  26,  August    Tollhausen  h.  Bergheim. 
1881,  18.  Nov.     Gegend  von  Düsseldorf. 

Diese  Reihe  ist  keineswegs  erschöpfend;  die  angegebenen  Orte  beicichiKs 
jedesmal  die  Mittelpunkte  der  erschütterten,  oft  nur  garu  localen  Bessit'f 
numche  Erdbeben  hatten  aber  auch  eine  grössere  Ausdehnung.  I>ie  gemeinsam« 
Erdbebenlinie  scheint  aber  auch  schon  durch  die  angeführten  Beben  hinlln^^ 
documentirt;  das  Wandern  und  zeitweise  Zurückkehren  zu  denselben  Blittdpun^ 
spricht  sich  ganz  unverkennbar  darin  aus.  Bezüglich  des  Streichens  der  C^^ 
schichten  ist  diese  Erdbebenlinie  als  transversale  zu  bezeichnen;  eine  i)^  ^ 
sprechende,  grosse  Verwerfungskluft,  die  etwa  die  Bildung  des  Rheintluks  <^ 
durch  die  Schichten  hindurch  in  seinen  ersten  Anftngen  bedingt  hätte,  i^^  ^ 
gnosttsch  nicht  nachgewiesen,  wenngleich  sie  an  und  ftir  sich  nicht  unwai»«^^ 


Die  Erdbeben,  337 

lieh  ist  Bemerkenswert!!  erscheint  noch,  dass  wenn  man  die  grosse  longitudinale 
Verwerfung,  die  sog.  faille  du  midi  pag.  335,  nach  Osten  zu  sich  verlängert  denkt, 
der  Schnittpunkt  derselben  mit  der  h)T30thetischen  Rh  ein  thalspalte  in  die  Gegend 
von  Dtisseldorf-Bergheim  fallt,  in  der  ziemlich   häufig   Erdbeben  sich  ereignen. 

Auch  die  beiden  vorhin  schon  erwähnten  (pag.  328)  sächsischen  Erdbeben 
fallen  in  Gebiete,  in  denen  die  grossartigsten  Verwerfungen  und  Verschiebungen 
nachgewiesen  sind.  Das  voigtländisch-erzgebirgische  Erdbeben  vom  23.  Nov.  1875 
bezeichnet  Suess  als  ein  longitudinales  Erzgcbirgsbeben,  weil  seine  Erschütterungs- 
achse nach  Nordnordost  verläuft,  also  im  Streichen  des  Erzgebirges  liegt. i) 

Von  ganz  besonderem  Interesse  sind  die  Untersuchungen,  welche  die 
schweizerische  Erdbebencommission  an  den  zahlreichen  in  der  Schweiz  auftreten- 
den Erderschtitterungen  der  Zeitperiode  vom  Nov.  1879  bis  Ende  1880  angestellt 
hat.  Es  fanden  in  diesen  14  Monaten  69  getrennte  Beben  statt,  von  denen  einzelne 
aus  mehreren  oft  durch  Stunden  oder  Tage  getrennten  Erschütterungen  bestanden. 

Neun  dieser  Erdbeben  hatten  eine  grössere  Ausdehnung,  während  die  übri- 
gen nur  von  lokaler  Wirkung  waren.2)  Nur  die  ersteren  gestatteten  Beobachtungen, 
die  für  die  hier  in  Rede  stehende  Frage  von  Bedeutung  sind. 

Das  Jurabeben  bestand  aus  einer  Reihe  von  Stössen,  die  vom  4. — 12.  December 
1879  dauerten.  Die  3  heftigsten  fielen  auf  den  4.  und  5.  December.  Sie  folgen 
vorwiegend  der  Längsrichtung  der  Jurakette  und  der  Stoss  am  5.  Dec.  2  Uhr  31  Min. 
jo  Sek.  Nachmittags  geht  durch  das  ganze  Gebirge  hindurch.  Die  Stossrichtung 
liegt  gleichfalls  vorherrschend  im  Streichen  des  Jura.  Hiemach  kann  dieses  Erd- 
beben als  ein  jurassisches  longitudinales  Beben  mit  longitudinaler  Stossrichtung 
bezeichnet  werden. 

Das  Erdbeben  von  Graubündten  vom  7.  Januar  1880  war  ein  Querbeben 
mit  zur  Gebirgsrichtung  transversal  gestreckter  Erschütterungszone  und  ebenfalls 
transversaler  Stossrichtung. 

Das  alpin-jurassische  Beben  vom  28.  Juni  1880  bestand  aus  3  getrennten  an 
demselben  Tage  sich  folgenden  Erderschütterungen.  Deutlich  Hess  sich  ein 
inneres  oval  umgrenztes  Gebiet  erkennen,  in  welchem  die  Intensität  am  stärksten 
war.  Die  iJlngsachse  desselben  war  der  Jurakette  parallel  gerichtet.  Das  ge- 
sammte  erschütterte  Oberflächengebiet  zeigt  eine  ähnliche  Streckung;  die  Längs- 
achse desselben  mass  ca.  65  Kilometer  und  war  ebenfalls  der  Streichrichtung 
von  Alpen  und  Jura  parallel.  Dagegen  wurden  die  Stossrichtungen  überwiegend 
transversal  empfunden.  Es  ist  dieses  sonach  ein  Longitudinalbeben  am  Südrande 
des  Jura  mit  transversaler  Stossrichtung. 

Das  Schweizerbeben  vom  4.  Juli  1880  durchsetzte  quer  die  Alpen.  Es  war  sonach 
ein  Transversalbeben.  Auf  weite  Strecken  wurde  der  Anfang  der  Erschütterung 
gleichzeitig  verspürt,  daher  deutlich  axial.  Ein  von  einem  Centrum  ausgehendes 
radiales  Ausstrahlen  der  Bewegung  konnte  daher  auch  nicht  beobachtet  werden. 

Es  sind  sonach  bei  den  Schweizer  Erdbeben  zu  unterscheiden. 

1.  Longitudinale  Beben  (das  erschütterte  Gebiet  bildet  eine  dem  Streichen 
parallel  gestreckte  Zone)  mit  longitudinaler  Stossrichtung.  (Die  Richt- 
tung  des  Stosses  wird  überwiegend  parallel  zum  Streichen  wahrgenommen). 

2.  Longitudinale  Beben  mit  transversaler  Stossrichtung. 

3.  Transversale  Beben  mit  longitudinaler  und 

4.  Transversale  Beben  mit  transversaler  Stossrichtung. 

*)  TouLA,  1.  c.  pag.  60. 

^  A.  Heim,  Ausland  1882.     No.  4. 

IC«ci«yG</TT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.     I.  22 


33^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Während  sich  ein  Theil  der  Erscheinungen  durch  die  pag.  307  und  317  gege- 
benen theoretischen  Betrachtungen  über  die  Stellung  der  Achse  eines  Erdbebens 
zum  Schichtenbau  auch  bei  der  Annahme  einer  grösstentheils  nur  durch  elastische 
Fortpflanzung  geschehenen  Verbreitung  wohl  erklären  lässt,  sind  doch  vornehm- 
lich die  Erdbeben  der  i.  und  4.  Art,  d.  h.  solche,  bei  denen  die  Stossrichtung 
der  axialen  Streckung  parallel  gerichtet  ist,  ohne  Zweifel  noch  durch  andere 
Umstände  bedingt  Hier  ist  der  überwiegende  Einfluss,  den  die  Achse  der  Er- 
schütterung auf  die  Stossrichtung  ausübt,  ein  solcher,  dass  Heim  mit  Recht  darin 
eine  direkte  Abbildung  der  Gestalt  des  Stossherdes  erblickt  und  daher  eine 
primäre,  nicht  durch  gewöhnliche  Fortpflanzung  bewirkte  Ausdehnung  eines 
Bebens,  neben  der  meist  in  geringerem  Maasse  eintretenden  secundären,  bloss 
elastischen  Fortpflanzung  annehmen  zu  müssen  glaubt. 

Denken  wir  uns  beispielsweise  eine  schmale,  langgestreckte  2k>ne  der  Erd- 
rinde auf  irgend  eine  Weise  in  einer  Richtung  schiebend  bewegt,  so  würde  durch 
diese  Bewegung  fast  ausschliesslich  eine  solche  primäre  Erschütterungswirkung 
hervorgebracht  werden.  Nur  von  den  Rändern  der  bewegten  Zone  aus  würden 
untergeordnet  auch  elastische  Erregungen  ausgehen. 

Wird  demnach  durch  eine  transversale  Verschiebung  ein  Stoss  bewirkt,  so 
liegt  die  primäre  Erschütterung  ebenfalls  quer  zur  Schichtung,  während  die  von 
hier  aus  fortgepflanzte  Bewegung  in  der  Streichrichtung  der  Schichten  und 
Gebirgsfalten  verläuft. 

Uebrigens  hat  man  nun  auch  schon  an  aussereuropäischen  Erdbeben  ähnliche 
Beziehungen  erkannt.  Wynne  hat  in  einem  Bericht  über  das  Erdbeben  im 
Pendschab  am  2.  März  1878  die  Gleichzeitigkeit  des  Auftretens  der  Erschütterung 
auf  weite  Strecken  hin  nachgewiesen  und  daraus  den  Schluss  gezogen,  dass  die 
Schwingungen  längs  einer  ausgedehnten  Linie  ihren  Anfang  genommen  hätten.'* 

Für  das  Erdbeben  von  Tokio  vom  22.  Febr.  1880,  das  vorhin  (pag.  330) 
schon  einmal  angeftlhrt  und  als  laterales  Beben  bezeichnet  wurde,  glaubt  Masi 
den  Ursprung  in  eine  neu  gebildete  Spalte  verlegen  zu  sollen,  welche  von  Ost 
nach  West  parallel  der  Hügelkette  ihren  Verlauf  nehme,  die  Kadzusa  und  Awa 
durchzieht.  Diese  Spalte  würde  darnach  auch  parallel  gestellt  sein  zu  den  zahl- 
reichen in  diesem  Gebiete  auftretenden  Verwerfungen.  Da  die  Stossrichtung  eine 
vorherrschend  nach  N.  gerichtete  war,  so  würde  hiemach  ein  longitudinales  Beben 
mit  transversaler  Stossrichtung  vorliegen.  Die  eigenthümlicheForm  des  erschütterten 
Gebietes  und  auch  das  doch  theilweise  beobachtete  Auseinandergehen  der  Stoss- 
richtung in  zwei  auf  einander  normalen  Richtungen,  wie  es  in  der  von  Milke 
entworfenen  Karte  hervortritt,  würde  flir  dieses  Erdbeben  fast  den  Gedanken 
nahelegen,  dass  es  ein  combinirtes  gewesen,  d.  h.  dass  gleichzeitig  eine  longi- 
tudinale  und  eine  transversale  Spalte  als  erregender  Herd  anzusehen  seien. 

Dass  auch  solche  Fälle  in  Wirklichkeit  vorkommen  und  dass  sonach  dis 
Schema,  nach  welchem  die  Erdbeben  rubricirt  werden  können,  noch  ein  an 
Gliedern  reicheres  wird,  als  es  oben  für  die  Schweizer  Beben  aufgestellt  wurde, 
ist  ganz  gewiss.  Um  so  bedeutungsvoller  aber  wird  die  genaue  und  in  alle  Detaib 
mit  der  grössten  Sorgfalt  eindringende  Untersuchung  einzelner  Erdbeben  au' 
Grund  möglichst  umfassender  statistischer  Erhebungen.  Erst  dann  wird  es  mög- 
lich werden,  die  gewonnenen  Resultate  zusammenfassend,  ein  System  der  Erd- 
beben aufzustellen. 


^)  TouLA,  1.  c.  pag.  61. 


t)ie  Erdbeben.  ^3^ 

Vor  Allem  ist  hierbei  die  voreilige  Verallgemeinerung  der  bisher  immer  nur 
vereinzelt  vorliegenden,  wirklich  exact  und  mit  ausreichendem  statistischem  Mate- 
rial begründeten  Ergebnisse  der  Erdbebenerforschung  zu  vermeiden.  Durch  den 
unzweifelhaft  erkannten  Zusammenhang  vieler  Erdbeben  mit  gewissen  zum  Gebirgs- 
!>au  in  Beziehung  stehenden  Linien,  wie  er  im  Vorhergehenden  an  einer  Reihe 
von  Beispielen  dargethan  wurde,  ist  man  veranlasst  worden,  nun  auch  aus  nur 
lückenhaft,  keineswegs  sicher  begründeten  Beziehungen  Erdbebenlinien  zu  con- 
stTuiren  und  ist  darin  gewiss  zu  weit  gegangen.  Das  dürfte  z.  B,  ganz  besonders 
von  einzelnen  der  zahlreichen  Erdbebenlinien  gelten,  welche  Höfer ^)  quer  durch 
die  Alpen  und  die  österreichischen  Länder  hindurch  zieht  und  mit  erstaunlicher 
Kühnheit  auf  weite  Strecken  hin  verlängert,  wo  nur  einmal  erregte  Gegenden 
für  solche  von  irgend  einem  anderen  erschütterten  Gebiete  ausgehende  Linien 
Schnittpunkte  darbieten.  So  werden  Linien,  welche  z.  Th.  in  der  That  beob- 
achteten Verhältnissen  entsprechen,  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  zu  rein  willkür- 
lichen Constructionen.  Die  Laibacher  Nordweststosslinie  ist  wohl  be- 
gründet und  lässt  sich  auch  im  Schichtenbau  der  dinarischen  Gebirgsfalten  einiger- 
maassen  wahrscheinlich  machen.  Wenn  aber  nun  daraus  eine  Erdbebenlinie 
Laibach -Co  In  construirt  wird,  so  fehlt  für  deren  seismische  Continuität  noch 
jeder  Beweis,  sie  ist  einstweilen  eine  blosse  Luftlinie. 

So  stehen  denn  auch  über  Zulässigkeit  eines  grossen  Theiles  der  Erdbeben- 
linien, auch  wenn  sie  nicht  gerade  so  weit  über  den  Boden  der  Beobachtung 
hinausgreifen,  die  österreichischen  Geologen  untereinander  noch  sehr  im  Wider- 
spruch. Dieselben  scheinen  in  der  That  um  so  mehr  eine  noch  exactere  Be- 
gründung zu  erheischen,  als  die  Theorie,  auf  welcher  vorzüglich  die  Annahme 
eines  Theiles  dieser  Erdbebenlinien  beruht,  die  Theorie  einer  stauenden  Kraft, 
welche  innerhalb  der  östlichen  Alpen  im  Allgemeinen  von  Süd  nach  Nord  ge- 
richtet und  jetzt  noch  thätig  sei,  wonach  also  ein  in  diesem  Sinne  gerichteter 
einseitiger  Schub  den  Gebirgsbau  der  Alpen  bedingt  habe,  durch  die  neuesten 
Ergebnisse  der  geologischen  Kartirungsarbeiten  in  den  südlichen  Alpen  einst- 
weilen keineswegs  eine  sichere  Begründung  findet. 

Aber  das  eine  Hoch  bedeutsame  für  die  Erdbebenlehre  steht  doch  fest,  dass 
für  viele  Beben  der  Herd  mit  erkannten  und  nachweisbaren  Spalten  im  Ge- 
birgsbaue  zusammenfallt 

Bei  andern  Erdbeben  ist  dieses  thatsächlich  nicht  nachgewiesen.  Für  die 
Erdbeben  von  Gross-Gerau,  lokale  Erschütterungen  in  den  norddeutschen  Tief- 
landen z.  B.  der  Lüneburger  Heide  und  der  Gegend  von  Stassfurt,  für  viele 
kleineren  Erdbeben  der  Schweiz,  für  das  vorhin  erwähnte  Erdbeben  von  Ischia 
u.  a.  treten  dagegen  andere  Beziehungen  zu  Tage. 

Für  diese  liegt  der  Ausgangspunkt  der  Erschütterung  in  Gebieten,  die  aus 
leichtlöslichen  Gesteinen  bestehen,  in  denen  die  Bildung  von  Hohlräumen  durch 
Auslaugung  und  Auswaschung  durchaus  plausibel  erscheint.  Der  Zusammenbruch 
sdcher,  eine  Zeitlang  sich  tragender  unterirdischer  Gewölbe,  der  entweder  mit 
plötzlicher  Senkung  oder  mit  allmählichem  stossweise  erfolgendem  Zusammen- 
rutschen erfolgen  kann,  ist  die  erregende  Ursache  flir  Erdbeben.  Volger  hat 
wohl  zuerst  die  Möglichkeit  der  Bildung  solcher  unterirdischer  Hohlräume  für 
gewisse  Gebiete  nachgewiesen.«)     Allerdings  hatte  schon  vor  ihm  G.  Bischoff, 

')  Denkschrift  d.  k.  k.  Akad.  d.  Wissensch.  1880. 

*)  Untersachungen  tiber  das  Phänomen  der  Erdbeben  in  der  Schweiz,  3  Bände,  Gotha  1856, 
und  Erde  und  Ewigkeit.     Frankfurt  1857,  pag.  260. 

22* 


34^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

die  Auflösung  und  Fortführung  von  Gyps  u.  a.  leichtlöslichen  Gesteinen,  wo- 
durch die  Unterlage  ganzer  Schichten  weggewaschen  werden  kann,  als  Ursache 
von  Senkungen  und  Einstürzen  hervorgehoben. i) 

Für  die  Soolen  des  Lüneburger  Steinsalzgebirges  rechnet  man  aus,  dass  diese 
pro  Jahr  etwa  eine  Million  Centner  Kochsalz  dem  Boden  entführen,  dass  es  ab«» 
nicht  Wunder  nehmen  könne,  dass  dort  Erdfalle ,  Senkungen  von  Gebäu- 
den u.  dergl.  nichts  seltenes  sind. 

In  ähnlicher  Weise  lassen  sich  für  die  Quellen,  welche  vornehmlich  an  ver- 
schiedenen Stellen  aus  den  Gebirgen  hervorbrechen,  welche  das  Becken  »os 
Mainz  umsäumen,  die  Quellen  von  Nauheim,  Homburg,  Wiesbaden,  Krcu- 
nach  u.  a.  die  ungeheure  Menge  gelöster  Bestandtheile  berechnen,  die  deni 
Boden  mit  dem  Wasser  entsteigen  und  sonach  die  Bildung  von  grossen  Hohl 
räumen  in  nicht  allzugrosser  Tiefe  unter  der  Oberfläche  wenigstens  wahrschein- 
lich machen.  Besonders  für  die  Schweiz,  für  welche  Volger  über  zwölfhunder 
Erdbeben  notirte  und  Nachrichten  darüber  sammelte,  glaubte  er  auf  das  B<> 
stimmteste  zu  erkennen,  dass  erstens  gewisse  Gegenden  vorzugsweise  Erdbeben 
in  ihrem  Schoosse  erzeugen  und  dass  an  solchen  diese  Ereignisse  von  Zeit  m 
Zeit  sich  wiederholen.  Zweitens,  dass  diese  Oertlichkeiten  sämmtlich  den  Gebieten 
angehören,  deren  Schichtenbau  vorzugsweise  reich  ist  an  Kalk-  und  Gjps^ 
gesteinen,  während  dagegen  die  Gebiete,  welchen  derartige  auflöslichere  Schichter 
mangeln,  nur  selten  Erderschütterungen  erleiden  und  meistens  nachweblich  nur 
von  jenen  gewohnheitsmässigen  Stossgebieten  aus  in  Mitleidenschaft  gezogen 
worden  sind. 

Die  Grösse  der  Auflösung  illustrirt  er  durch  das  Beispiel  der  Lorenz-Quelle 
des  Lenker  Bades,  diQ  in  einem  Jahre  über  200  Cubikmeter  Gyps  in  Lösung  2u 
Tage  bringt  und  in  der  Zeit  von  600  Jahren  einen  Hohlraum  in  die  Gebirge 
auszulaugen  vermöge,  der  etwa  bei  einem  Fuss  Höhe  eine  Ausdehnung  ^on 
r^  Quadratmeile  besitze.  Da  die  über  demselben  lagernde  Gebirgsmasse  einen 
ganz  gewaltigen  Druck  ausübt,  so  sei  es  daher  begreiflich,  wenn  in  Wallis  \on 
Zeit  zu  Zeit  Erdbeben  sich  ereignen,  bald  geringere,  bald  mächtigere.  Neben 
der  einen  Quelle  laugen  aber  noch  19  andere  die  unterirdischen  Gypslager  aus.*' 
Die  Möglichkeit  grossartiger  Einstürze  erhält  in  den  Alpen  aber  auch  durch 
andere  Beobachtungen  noch  neue  Stützen.  Für  den  am  Fusse  der  Zugspit/e 
gelegenen  Alpensee  hat  A.  Penk  die  überzeugenden  Beweise  erlangt,  dass  er 
ein  Einsturzbecken  sei.  Ohne  Zweifel  werden  bei  genauerer  Detailerforschun; 
ähnliche  Thatsachen  sich  mehren. 

Auch  auf  Ischia,  das  ebenfalls  häuflg  von  Erdbeben  heimgesucht  wird»  die 
in  gar  keiner  nachweislichen  Beziehung  stehen  zu  dem  vulkanischen  Centnic! 
dieser  Insel,  dem  M.  Epomeo,  liegen  ähnliche  Verhältnisse  vor.  Der  Boden  der 
Insel  besteht  in  einiger  Tiefe  aus  starken  Schichten  thonigen  Meigels  der  sog 
Greta,  einer  nachtertiären  Bildung,  unter  welcher  die  tertiären  Kalksteine  zu  er- 
warten sind,  die  wir  im  nahen  Capri  und  anderswo  aufragen  sehen.  Gerade  an 
ihnen  zeigen  sich  aber  auch  die  deutlichsten  Anzeichen  tiefgehender  Auflösung 
Die  höhlenreichen  Wände  von  Capri  und  die  grotesk  zerfressenen  Felsen  sind 
dafür  allbekannte  Belege. 

Sind    aber   einerseits   leicht   lösliche    Gesteine    als  Basis   von    Ischta    an/u 
nehmen,   so  fehlen  andererseits  nicht  die  intensivsten  Agentien  zur  Auslaugun^ 

1)  Geologie.  I.  Aufl.  Bd.  I,  pag.  $42. 
*)  ToULA,  1.  c.  pag.  47. 


Die  Erdbeben. 


341 


Fast  20  heisse  Quellen  treten  an  verschiedenen  Stellen  der  Insel  zu  Tage, 
alle  mehr  oder  weniger  reichlich  beladen  mit  aufgelösten  Salzen.  Die  Quelle 
von  S.  Restituta  enthält  in  100  Kubikzoll  Wasser  sogar  27,7  Gramm  fester  Be- 
standtheile.i)  Wenn  also  in  einer  Stunde  nur  100  Kubikmeter  Wasser  aus  dieser 
Quelle  entströmen,  würden  sie  stündlich  77  Kilo  aufgelöster  Bestandtheile  aus 
der  Tiefe  emporbringen;  zehntausend  Kubikmeter  Wasser  also  schon  die  an- 
sehnliche Menge  von  7700  Kilo  oder  38^  Centner.") 

Auch  für  Ischia  liegt  also  wie  für  manche  Beben  der  Schweiz  die  Coinci- 
(lenz  des  Stossgebietes  mit  solchen  Schichten  vor,  in  denen  der  Zusammenbruch 
von  gebildeten  Höhlungen  nicht  unwahrscheinlich  ist 

O.  Fraas  bringt  auch  die  oft  sehr  verheerenden  Erdbeben  im  Jordanthale 
in  Beziehung  zu  den  zahlreichen  Höhlen  im  Gebirge  Juda,  Ephraim  und  längs 
des  Flusslaufes.^ 

Auch  das  von  Höhlen  unterminirte  Hochplateau  des  Karst  wird  häufig  von 
lokalisirten  Erschütterungen  heimgesucht. 

Endlich  aber  ist  für  zahlreiche  Beben,  allerdings  meist  von  geringerer  In- 
tensität und  Verbreitung  auch  das  erschütterte  Gebiet  in  der  nächsten  Umgebung 
eines  thätigen  Vulkanes  gelegen,  meist  in  concentrischen  Zonen  denselben  um- 
spannend und  zeitlich  zusammentreffend  mit  gewissen  Erscheinungen  einer  vul- 
kanischen Eruption.  Der  Umstand,  der  immer  in  erster  Linie  nachgewiesen  sem 
muss,  dass  der  Mittel-  und  Ausgangspunkt  der  Erschütterung  auch  in  das  Centrum 
der  vulkanischen  Action,  den  Schlot  des  Vulkanes  selbst  falle,  ist  dann  häufig 
unzweifelhaft  festzustellen. 

Da  es  Erdbeben  giebt,  in  deren  Bereich  vulkanische  Kegel  liegen,  ohne 
dass  sie  in  irgend  einem  direkten  Zusammenhang  mit  jenen  erscheinen;  so  ist 
der  ganz  bestimmte  Nachweis  des  gemeinschaftlichen  Herdes  durchaus  unerläss- 
Hch.  Am  Aetna  werden  häufig  Erschütterungen  beobachtet,  deren  Centrum  im 
Val  di  Noto  gelegen  ist;  hier  fehlt  der  centrale  Connex,  wenngleich  das  er- 
schütterte Gebiet  sich  über  die  Flanken  des  Vulkanes  erstreckt. 

e)  Nur  von  einer  kleinen  Zahl  von  Erdbeben  liegen  bis  jetzt  Beobachtungen 
und  Berechnungen  über  die  Emergenz  der  Bewegung  und  die  Tiefe  des  erregen- 
den Herdes  vor. 

In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  wichtigsten  derselben  zugleich  mit  den 
fiir  sie  berechneten  Fortpflanzungsgeschwindigkeiten  zusammengestellt. 


Tiefe  in  Meter 

Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit 

Minim. 

Mittel. 

Maxim. 

i.  d.  Min. 

i.d.S<K:. 

gtogr.M. 

Meter. 

1-  Rhein.  Erdbeben  29.  Juli  1846  (Schmidt)       .     . 

38806 

4.59 

567,6 

2.  Ncapolit.  Erdbeben  15.  Der.  1857,  (Mallet) 

$102 

9275 

15037 

2,1 

359,7 

3.  Erdbeben  von  Sillein  15.  Jan.  1858  (Schmidt)    . 

26266 

1,66 

206 

4'  Mitteldeutsch.  Erdbeben  v.  6.  März  1872  (v.  Seebach) 

14394 

17956 

21592 

6 

742 

S-  Erdbeben  v.  Herzogenrath  22.  Okt  1873  (y-  Lasaulx) 

5045 

11130 

17214 

2,67 

360,2 

6.  Erdbeben  v.  Herzogenrath  24.  Juni  1 8  7  7  (v.  Lasaui Jc) 

27113 

3.8s 

474,83 

7.  Westdeutsches    Erdbeben  vom   26.    August   1878 

(v.  Lasaulx  u.  Schumacher)        

8880 

2,45 

302,16 

')  C.  W.  C.  Fuchs,  Die  Insel  Ischia.     Tschennaks  Mitteilungen  1872,  pag.  199  ff. 
*)  V.  Lasaulx,  Das  Erdbeben  von  Ischia.     Humboldt  1882.     Heft  I.  1. 
*)  Aus  dem  Orient     Stuttgart  1867,  pag.  78. 


342  Mineialogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  angeführten  Werthe  sind  nach  den  im  theoretischen  Theile  erörterten 
Methoden  gefunden  worden.  Aus  der  Emergenz  direkt  sind  die  Werthe  für  die 
Tiefe  unter  2  und  4  bestimmt,  die  Werthe  5 — 7  nach  der  Methode  der  Zeitan- 
gaben (pag.  308).  Freilich  gestattet  diese  nur  dann  eine  Anwendung,  wenn  di& 
Eidbeben  ein  centrales  gewesen.  Bei  den  unter  5—7  angeführten  war  dieses 
in  der  That  mehr  oder  weniger  zutreffend;  denn  sowohl  aus  der  Propagations- 
form,  aus  den  zahlreichen  Richtungsangaben  als  auch  der  mit  der  allergrösster 
Sorgfalt  vorgenommenen  Construction  der  gleichzeitig  erschütterten  Homoseisten, 
die  ganz  besonders  bei  dem  westdeutschen  Erdbeben  vom  26.  August  1878  mit 
auffallender  und  keinenfalls  irgendwie  anders  zu  deutender  Regelmässigkeit  al^ 
Kreise  sich  ergaben,  folgte  der  centrale  Charakter  dieser  Erdbeben.  Es  kann 
daher  eine  gewisse  Bedeutung  diesen  Werthen  unter  keinen  Umstanden  abge- 
sprochen werden. 

Für  das  letztgenannte  Erdbeben  ist  zudem  der  angegebene  Tiefenwerth  noc! 
durch  eine  trefflich  begründete  Angabe  über  die  direkt  beobachtete  Emergenz 
des  Stosses  unterstützt.  Herr  Prof.  Dr.  Luther,  Director  der  Sternwarte  z 
Düsseldorf,  giebt  an,  dass  der  Tiefenwinkel' der  Erschütterung  unter  dem  Hoiizos! 
höchstens  10°  betragen  habe.  Berechnet  man  hieraus  nach  der  pag.  308  g^ 
gebenen  Formel,  indem  2?=  5  und  ^=10  gesetzt  wird,  den  Werth  für  h  so  er- 
hält man  0,9  geogr.  Meilen  oder  4560  Meter;  ein  Maximal  werth  für  die  TietV 
des  Erregungsortes,  der  mit  dem  oben  unter '7  angegebenen  nach  Seebach^ 
Methode  berechneten  doch  ausserordentlich  nahe  übereinstimmt;  dieser  Ictztert 
Werth  setzt  einen  Emersionswinkel  für  Düsseldorf  von  13^  voraus.  Wäre  dit 
Tiefe  h  des  Erregungsortes  5  Meilen  gewesen,  so  hätte  die  Emergenz  in  Diis^el- 
dorf  schon  45°  betragen. 

Bei  einem  am  4.  October  1870  zu  Catania  beobachteten  Erdbeben  schätzte 
v.  Lasaulx  den  Emersionswinkel  des  ilamals  ebenfalls  auffallend  flach  austretender 
undulatorischeii  Stosses  auf  höchstens  15°.  Die  späteren  Feststellungen  uicr 
das  Erdbeben  ergaben,  dass  der  Mittelpunkt  desselben  in  der  Nähe  von  Mine» 
gelegen  habe,  welches  von  Catania  in  gerader  Linie  ca.  45  Kilometer  entfeir: 
liegt.    Hiernach  würde  die  Tiefe  12000  Meter  (abgerundet)  betragen  haben. 

Für  das  oben  (pag.  330)  angeführte  Erdbeben  von  Tokio  in  Japan  vuar 
22.  Februar  1880  giebt  Milne  an,  dass  der  Winkel,  unter  dem  die  Beweg'ir.^ 
zu  Yokohama  austrat,  etwa  zwischen  10 — 18°  gelegen  habe,  das  würde  für  der 
erregenden  Ort  eine  Tiefe  von  4500  bis  höchstens  8800  Meter  ergeben. 

Nun  kann  man  nach  den  pag.  313  angestellten  theoretischen  Betrachtunger 
aber  noch  aus  anderen  Verhältnissen  auf  die  geringe  Tiefe  des  Herdes  schlies^n 

Die  grosse  Intensität  der  Wirkungen  an  der  Oberfläche  im  Gegensatze  z^ 
dem  so  überaus  beschränkten  Verbreitungsgebiete  machen  z.  B.  für  das  Erdbetw:! 
vom  4.  März  1881  auf  Ischia  eine  ausserordentlich  geringe  Tiefe  wahrscheinlich, 
die  vielleicht  kaum  1000  Meter  betragen  möchte.^)  In  der  gleichen  Weise  finde 
ein  solcher  Schluss  Anwendung  auf  die  Erdbeben  von  1783  in  Calabrien. 

Unzweifelhaft  ergiebt  sich  aber  auch  aus  allen  jenen  Beobachtungen  nothwenuiv 
eine  nicht  allzubedeutende  Tiefe  der  erregenden  Stelle,  die  in  der  obcrflächHcher 
Propagation  noch  deutliche  Anzeigen  von  der  Gestalt  des  Herdes  erkcnner. 
lassen,  die  darin  also  gewissermaassen  ein  Abbild  des  letzteren  conservircn.  Denn 
je  tiefer  der  erregende  Ort  liegt,  um  so  weniger  erscheint  es  möglieb,  dass  di; 

*)  V.  Lasaulx,  L  c. 


Die  Erdbeben.  343 

primäre  Stosswirkung  unmittelbar  an  der  Oberfläche  zum  Ausdruck  kommt. 
Durch  die  nothwendig  hinzutretende  elastische  Fortpflanzung  wird  die  Gestalt 
des  Herdes  mehr  und  mehr  verwischt  werden. 

Nach  allen  bisher  an  Erdbeben  gemachten  Beobachtungen  kann  das  als  das 
übereinstimmende  Resultat  bezeichnet  werden,  dass  alle  Erderschütterungen 
nach  Ursache  und  Verlauf  rein  peripherische  Erscheinungen  des 
Erdkörpers  sind,  dass  ihr  Sitz  nur  inGesteinenundSchichtensystemen 
gelegen  ist,  die  wir  in  ihren  aufragenden  und  emporgefalteten  Theilen 
auch  an  der  Erdoberfläche  kennen. 

f)  Die  Schallphänomene  sind  fast  bei  allen  Erdbeben  beobachtet  worden  und 
wenn  auch  die  Art  derselben  manchmal  recht  verschieden  angegeben  wird,  so 
ist  doch  überwiegend  der  Vergleich  mit  solchen  Geräuschen,  die  auch  an  der 
Erdoberfläche  in  Begleitung  von  erschütternden  Vorgängen  wahrgenommen 
werden.  Man  bezeichnet  es  als  donnerähnliches  Rollen,  als  dumpfes  Poltern, 
ähnlich  dem  Rasseln  eines  schwer  beladenen  Lastwagens,  der  über  Steinpflaster 
dahinfahrtr  Viele  Wahrnehmungen  sprechen  dafür,  dass  auch  die  Stärke  dieses 
Schalles  in  geradem  Verhältnisse  steht  zu  der  Stärke  der  Erschütterung,  die  es 
begleitet.  In  allen  an  Erdbeben  reichen  Ländern  ist  es  bekannt:  die  Italiener 
nennen  es  rombo,  in  Süd-Amerika  heisst  es  bramido,  bei  den  Slowaken  im  Ge- 
biete des  Neutragebirges:    Hucene. 

An  vielen  Orten  wird  ein  solches  Geräusch  auch  ohne  wahrnehmbare  Er- 
schütterung vernommen,  so  auf  der  Hochebene  von  Quito,  in  Mexico  u.  a.*) 
Ein  merkwürdiges  Beispiel  dieser  Art  waren  die  kanonenschussähnlichen  Donner, 
die  im  März  1822  an  der  dalmatischen  Küste  und  auf  den  Inseln  gehört  wurden 
und  mehrere  Jahre  andauerten.  Nur  einige  waren  mit  schwachen  Erdstössen 
verbunden. 

In  allen  Fällen  aber  scheint  dieses  Geräusch  die  im  vorhergehenden  pag.  318 
gemachten  theoretischen  Voraussetzungen  zu  bestätigen.  Seinem  Auftreten  ist 
bei  der  ferneren  Beobachtung  von  Erdbeben  ebenfalls  eine  grössere  Aufmerksam- 
keit zuzuwenden. 

g)  Ueber  die  in  Begleitung  von  Erdbeben  sich  ereignenden  Erdbebenfluthen 
der  Meere  liegen  ebenfalls  schon  ältere  Beobachtungen  vor.  Während  der  mit 
der  Eruption  des  Monte  nuovo  bei  Puzzuoli,  am  27.  Sept.  1538  verbundenen 
Erdbeben  zog  sich  das  Meer  soweit  zurück,  dass  fast  der  ganze  Golf  von  Bajä 
trocken  lag. 

So  erhob  sich  auch,  etwa  eine  Stunde  nach  den  ersten  heftigen  Stössen  des 
Erdbebens  von  Lissabon,  das  Meer  plötzlich  vor  den  Mündungen  des  Tajo,  stieg 
sehr  rasch  bis  zu  12  Meter  Höhe  über  den  höchsten  Fluthstand,  stürzte  sich  in 
die  Strassen  der  Stadt  und  verursachte  dort  grosse  Verwüstungen.  Ebenso  schnell 
stürzte  diese  Fluthwoge  wieder  zurück,  und  noch  drei  bis  vier  Mal  folgte  ein 
verheerendes  Hin-  und  Herwogen.  An  zahlreichen  Küstenstellen  des  Atlantischen 
Oceans  wurde  dieselbe  Erscheinung  mehr  oder  weniger  heftig  beobachtet,  so 
namentlich  bei  Cadix,  auf  Madeira,  den  Azorischen  Inseln,  in  Grossbritannien 
und  sogar  auf  den  kleinen  Antillen.  Auf  Barbados  schwoll  das  Meer  bis  zu 
6  Meter  über  seinen  Mittelstand,  auf  Madeira  fluthete  es  vier  bis  fünf  Mal  zu 
4  Meter  Höhe  empor,  an  den  Küsten  von  Comwall  noch  zu  2 — 3  Meter.') 

*)  Humboldt,  Relat.  hist.  IL  289. 

*)  V.  Hoff,  Gesch.  d.  Verändeningen.  Bd.  IL,  pag.  376. 


344  Mmeralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Bei  dem  Erdbeben,  welches  am  20.  Februar  1836  Chile  fiirchterbch  bem> 
suchte  und  Valdivia  und  Conception  zerstörte,  zog  sich  das  Meer  zuerst  zurück 
und  stürzte  dann  mit  gewaltiger  Hochfluth  in  die  Küstengebiete. 

Aehnliche  Beispiele  sind  noch  mehrere  bekannt,  aber  erst  die  neueren  Er- 
scheinungen dieser  Art  eingehender  studirt  und  in  ihrem  Verlaufe  festgestellt 
worden. 

Das  Erdbeben  vom  13.  August  1868,  welches  an  der  Westküste  von  Süd 
Amerika  erfolgte,,  hat  im  pacifischen  Ocean  ein  solches  Fluthphänomen  veran- 
lasst, das  sich  über  die  ganze  Oberfläche  dieses  ungeheuren  Meeres,  das  fast 
^  der  gesammten  Erdoberfläche  einnimmt,  ausdehnte. 

V.  HocHSTETTER  hat  diesen  Vorgang  näher  untersucht  und  geschildert  unc 
dabei  interessante  Resultate  erhalten.^) 

Das  Erdbeben  erstreckte  sich  über  ungefähr  14  Breitengrade  und  hatte  so- 
mit eine  Elongation  von  ca.  100  geogr.  Meilen  (210  Meilen  Durchmesser).  Mit 
der  grössten  Intensität  wirkten  die  Stösse  im  Gebiete  der  unglücklichen  Städte 
Islay,  Arequipa,  Tracna,  Arica  und  Iquique,  welche  in  Schutthaufen  'verwandeh 
wurden.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  das  Gebiet,  welches  diese  Städte 
umfasst,  als  das  Abbild  des  Stossherdes  gelten  kann.  Es  ist  das  Erdbeben  eic 
axial-longitudinales  (auf  die  Anden  bezogen)  aber  mit  transversaler  Stossrichtimc 
gewesen. 

Die  von  der  Achse  des  Bebens,  deren  Mitte  etwa  bei  Arica  gelegen  ^-ar. 
ausgehende  Bewegung  war  Veranlassung  zur  Bildung  concentrischer  Wdlen- 
kreise,  die  sich  nach  allen  Richtungen  gegen  S.  u.  N.  und  ebenso  gegen  W.  b> 
zu  den  Küsten  von  Neuseeland,  Australien  und  Japan  fortpflanzten.  Jede  de- 
3  Schwingungen  des  Erdbebens  war  mit  einer  Flutiiwoge  verbunden. 

Die  Welle  hatte  in  den  verschiedenen  Richtungen  verschiedene  Geschwind!; 
keit  der  Fortbewegung.     Folgende  Tabelle  zeigt  deren  genauere  Werthe: 


Weg  der  WeBe. 


Von  Aiica  bis  Valdivia    . 
„         „      bis  New-Castie 


„        „      nach  den  Chatsuninseln 

„        f,      nach  der  Insel  Oparo   144^17  w.  L. 


tt.  27*40  s.  Br. 
M        „      bis  Honoluln 


Entfieniung 

* 

der 
Reise. 

Gescfairiad-«k» 

per  StnB-ie  r 

Scenieiki:  • 

1420 

5*  0« 

284 

7380 

16*    2- 

3«9 

5520 

l$*  19*» 

360 

4057 

II*I1"« 

362 

5580           ' 

12*37« 

44^ 

Die  verschiedene  Geschwindigkeit  in  den  einzelnen  Richtungen  erklärt  >-»" 
aus  den  verschiedenen  Meerestiefen,  da  die  ganze  Wassermasse  an  dersclU' 
Theil  nahm,  nicht  nur  die  Oberfläche,  wie  bei  den  Windw*ellen. 

So  stimmt  denn  auch  die  verschiedene  Geschwindigkeit  dieser  Erdbebenfi'.tr 
welle  mit  der  Mondfluthwelle  überein,  die  aus  einer  ganz  ähnlichen  Bewepn; 
besteht.    So  braucht  z.  B.  die  Erdbebenwelle  bis  nach  New-Casde,  Samoa-Inselr 
16*  2-,  die  Mondfluthwelle  16*;  bis  nach  Honolulu  12*37,  die  Mondwelle  ij* 

Auch  das  Erdbeben  von  Simoda-Japan  vom  23.  December  1854  hatte  schor 
älmliche  Resultate  ergeben.  Eine  gewahige  Woge  überschwemmte  dabei  di> 
I-and  und  kam  nach  12^  Stunden  an  der  caHfomischen  Küste  an.  die  4810  See 

h  Sitiungsber.  d.  Kaiser!.  ,^kad.  d.  \Viss.   1S6S  Not.  u.  1869  So.  4. 
*)  4  Seemeilen  =  i  gei>gT.  Meile  =  7420  Meter. 


Die  Erdbeben.  345 

meilen   entfernt   ist;   sie   hatte    demnach   360  Seemeilen  in  der  Stunde  zurück- 
gelegt.!) 

Aehnliche  Ergebnisse  lieferte  die  Untersuchung  von  E.  Geinitz*^  an  der 
Fluthwelle,  die  im  pacifischen  Ocean  durch  das  Erdbeben  von  Iquique  am 
9.  Mai  1877  erregt  wurde.  Auch  bei  dieser  Gelegenheit  waren  die  durch  das 
wenige  Minuten  nach  dem  Erdbeben  mit  20  Meter  hohen  Wellen  erfolgende 
Hereinbrechen  des  Meeres  verursachten  Zerstörungen  und  Verwüstungen  furcht- 
barer, als  die  durch  das  Erdbeben  selbst  angestifteten.  Die  von  Hochstetter 
gefundene  Geschwindigkeits-Uebereinstimmung  mit  der  Fluthwelle  der  Gezeiten 
wurde  bestätigt.  Dieselbe  ist  von  der  Meerestiefe  abhängig  und  variirt  zwischen 
165  Meter  und  220  Meter  pro  Secunde.  Auch  in  diesem  Falle  war,  wie  bei  dem 
Erdbeben  vom  13.  August  1868,  zuerst  eine  gegen  das  Land  eindringende  Fluth- 
welle beobachtet  worden. 

h  i)  Schon  Humboldt  that  den  Ausspruch,  dass  fast  immerdar  an  irgend 
einem  Punkte  die  Erde  erbebt;  wie  gross  die  Zahl  der  Erderschütterungen  über- 
haupt ist,  geht  aus  den  verschiedenen  Zusammenstellungen  hervor,  die  für 
einzelne  Zeiträume  und  Länder  alle  überhaupt  beobachteten  Erdbeben  registriren. 
In  der  Zeit  von  7  Jahren  1850 — 57  ereigneten  sich  nach  Dr.  K.  E.  Kluce's  Zu- 
sammenstellung nicht  weniger  als  4620  Erderschütterungen,  also  fast  zwei  auf 
den  Tag.') 

Aus  solchen  statistischen  Erdbebentabellen  haben  sich  dann  aber  auch 
andere  Beziehungen  ergeben.  Von  den  Erdbeben,  die  Kluge  zusammenstellte, 
sind  3818  auf  der  nördlichen,  802  auf  der  südlichen  Erdhalbkugel  verspürt  worden. 
Der  Grund  dieses  auffallenden  Unterschiedes  liegt  gewiss  nur  darin,  dass  ein 
grosser  Theil  zumal  der  unbedeutenderen  Erschütterungen  der  südl.  Hemisphäre 
nicht  notirt  wurden.  Denn  sonst  sind  ja  besonders  erdbebenreiche  Gegenden 
z.  Th.  gerade  in  dieser  gelegen. 

Kluge's  Zusammenstellung  bestätigte  auch  die  schon  von  v.  Hoff  ge- 
fundene Beziehung,  wonach  die  Erdbeben  zahlreicher  in  den  VVintermonaten 
Oktober  bis  März,  als  in  den  Sommermonaten  von  April  bis  September  sich  er- 
eignen. 

Die  von  v.  Hoff  für  den  zehnjährigen  Zeitraum  von  182 1 — 31  in  dem  nörd- 
lich der  Alpen  gelegenem  Theile  Europa's  aufgezeichneten  Erdbeben 4)  vertheilen 
sich:  für  Herbst  und  Winter  77,  für  Frühling  und  Sommer  38,  also  für  die  Monate 
Oktober  bis  März  doppelt  so  viele  als  für  die  übrigen. 

Nach  Kluge  stellt  sich  folgendes  Verhältniss  heraus: 

Oktober-Märt  April-Sept. 
auf  der  nördl.  Halbkugel                            948  862 

auf  der  südl.  Halbkugel  337  300. 

Dasselbe  Ergebniss  liefert  auch  der  Erdbeben-Katalog  von  Rob.  Mallet,*) 
welcher  die  Erdbeben  von  1606 — 1858  umfasst. 

Merian  hat  alle  Erdbeben  zusammengestellt,  die  in  Basel  bis  zum  Jahre  1836 


*)  Fuchs,  Erdbeben,  pag.  169. 

*)  Petermann's  geogr.  Mitth.  1877,  pag.  454. 

^  Dr.  K.  E.  Kluge,  Ueber  die  Ursachen  der  in  den  Jahren  1850—57  stattgcf.  Erdbeben. 

pag-  74. 

*)  PoGGD.  Annal.  XXXIV.   104. 

^)  Earthquake  Catalogue.    London  1858. 


346 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


r» 


II 


beobachtet  wurden  und  findet  daraus  fUr  die  Wintermonate  80,  Air  die  Sommer- 
monate  40. 

MiLNE  hat  eine  Tabelle  von  139  schottischen  und  116  englischen  Erdbeben 
entworfen  und  als  Durchschnitte  gefunden: 

Allgemeines  monatl.  Mittel    21,2  Erdbeben 
Mittel  der  Sommermonate     16,1 
Mittel  der  Wintermonate        26,3 
VoLGER  hat  1230  Erdbeben,  welche  er  als  in  der  Schweiz  und  ihren  Nachbar- 
ländern beobachtete  aufgezeichnet  hatte,  nach  den  Jahreszeiten  geordnet    Dar- 
nach ereigneten  sich 

im  Winter      461,  im  Sommer  141, 

im  Frühling  315,  im  Herbst     313. 

Nach  LancasterI)  wurden  von  1638  bis  1870  in  Neu-England  272  Erdbeben- 
tage verzeichnet,  von  denen  178  auf  die  Wintermonate,  dagegen  nur  86  auf  die 
Sommermonate  fallen.  Die  Maxima  der  Frequenz  fallen  in  die  Monate  Febniar 
und  November,  die  Minima  in  die  Monate  April  und  September. 

Die  umfassendsten  Zusammenstellungen  dieser  Art  verdankt  man  dem  uner- 
müdlichen Eifer  von  Alexis  Perrev  in  Dijon. 

Er  hat  182  vom  16. — 19.  Jahrhundert  im  Bassin  des  Rhönethales,  529  vom 
9.  Jahrhundert  bis  zum  Jahre  1844  im  Rhein-  und  Moselbassin,  170  vom  5.  Jahr- 
hundert bis  1844  im  Donaubecken,  1020  vom  4. — 19.  Jahrhundert  in  Italien  und 
Savoyen  und  656  vom  4.  Jahrhundert  bis  zum  Jahre  1843  in  Frankreich,  Belgien 
und  Holland  beobachtete  Erdbeben  zusammengestellt,  wobei  sich  folgende  Yer- 
theilung  auf  die  Jahreszeiten  ergab: 


Frühling. 

Sommer. 

Herbst 

Winter. 

Frühliof 
u.  f^ommer. 

HeriMt 
a.  VTwtB 

I.  Rhonebassin    .... 

32 

35 

53 

62 

67 

"5 

2.  Rhein  und  Maas      .     . 

103 

"5 

165 

160 

204 

325 

3.  Donaubassin  .          .     . 

60 

67 

67 

76 

127 

«43 

4.  Italien  und  Savoyen     . 

259 

206 

248 

307 

465 

55S 

5.  Frankr.,  Belgien,  Holland 

133 

137 

186 

200 

270 

386 

Darnach  ist  unverkennbar  der  Winter  diejenige  Zeit,  welche  die  grösste  Zahl 
von  Erdbeben  aufzuweisen  hat. 

Dasselbe  Resultat  folgt  aus  den  allgemeineren  von  Perrev  gegebenen  Zu- 
sammenstellungen. Damach  ergiebt  sich  folgende  Vertheilung  nach  den  Jahres- 
zeiten : 


Erdbeben  von 

Frühling. 

Sommer. 

Herbst. 

Winter. 

Frühling 
u.  ScMnmer. 

Heilist 

u»  Wmicr. 

306—1844 
1801—1843 

646 
169 

673 
224 

784 
230 

876 
291 

I319 

393 

1660 

5»« 

Hiemach  würde  sich  für  die  Menge  der  Erdbeben  einestheils  in  Frühlinc 
und  Sommer,  andemtheils  in  Herbst  und  Winter  das  Verhältniss  ergeben  wie  3:4- 

Die  2979  Erdbeben  der  Zeit  von  306 — 1844  vertheilen  sich  auf  die  meteo- 
rologischen Jahreszeiten  (21.  März  bis  21.  Juni  u.  s.  f.)  folgendermaassen. 

Frühling        Sommer        Herbst        Winter 
710  653  705  911«) 


^)  Ausland  1874,  pag.  219. 

*)  Naumann's  Geognosie.    Bd.  I.,  pag.  202. 


Die  Erdbeben.  347 

Aehnliche  Verhältnisse  ergeben  auch  die  verdienstvollen  Erdbebenzusammen- 
stellungen, welche  C.  W.  C.  Fuchs  seit  einer  Reihe  von  Jahren  jährlich  publicirt.^) 

Aus  den  Tabellen  von  Al.  Perrev  ergeben  sich  zum  ersten  Male  die  merk- 
würdigen Beziehungen  zu  der  Constellation  des  Mondes  und  der  Sonne 
zur  Erde.    Perrey  gelangte  schon  zu  den  Resultaten: 

1.  Dass  die  Erdbeben  häufiger  um  die  Zeit  derSyzygien,  als  um  die  Zeit  der  Qua- 
draturen vorkommen  (erstere  Voll-  und  Neumond,  letztere  erstes  und  letztes  Viertel). 

2.  Dass  sie  häufiger  eintreten,  wenn  sich  der  Mond  im  Perigäo,  als  wenn 
er  sich  im  Apogäo  befindet  (Erdnähe  und  Erdferne). 

3.  Dass  an  jeder  erschütterten  Stelle  die  Stösse  zahlreicher  erfolgen,  wenn 
sich  der  Mond  gerade  im  Meridian  befindet. 

Hieraus  würde  sich  ein  Einfluss  der  Mond-Constellationen  auf  die  Erdbeben 
folgern  lassen,  der  mit  dem  ähnlichen  Einflüsse  auf  die  Gezeiten  oder  auf  die 
Ebbe  und  Fluth  der  Meere  zusammenfallen  würde.^) 

Sonach  erscheint  es  nach  Perrey's  Zusammenstellungen  durchaus  annehmbar, 
dass  einerseits  ein  alljährliches  Maximum  der  Erdbeben  in  dem  Winter  und  damit 
in  die  Zeit  des  Perihel  d.  i.  der  Sonnennähe,  andererseits  ein  allmonatliches  in 
die  Zeit  der  Syzygien  falle  oder  dass  wenigstens  die  eintretenden  Stellungs- 
verhältnisse der  Erde  zur  Sonne  und  zum  Monde  einen  gewissen  Einfluss  auf  die 
grössere  Frequenz  der  Erdbeben  ausüben. 

Auch  neuerdings  hat  J.  Schmidt  durch  Zusammenstellung  zahlreicher  Erd- 
beben und  vulkanischer  Erscheinungen  im  griechischen  Archipel  diese  Thatsache 
durchaus  bestätigt  und  seine  Berechnungen  und  Resultate  verdienen  ein  um  so 
grösseres  Vertrauen,  als  sie  vollständig  von  Speculationen  und  Hypothesen  über  die 
Genesis  der  Erdbeben  frei  sind.^) 

Schmidt  findet,  dass  nach  dem  heutigen  Stande  unserer  Kenntnisse  zugegeben 
werden  muss,  dass  die  mit  der  Entfernung  veränderliche  Gravitation  des  Mondes 
sich,  wenn  auch  in  geringem  Maasse  in  der  veränderlichen  Häufigkeit  der  Erdbeben 
kundgebe,  dass  für  die  Periode  von  1776 — 1873  die  Erdbeben  in  den  östlichen  Mittel- 
meergegenden in  der  Erdnähe  unzweifelhaft  häufiger  waren,  als  in  der  Erdferne. 
Femer  fand  er  ein  Maximum  der  Erdbeben  um  die  Zeit  des  Neumondes,  ein  zweites 
Maximum  zwei  Tage  nach  dem  ersten  Viertel,  eine  Abnahme  der  Häufigkeit  um  die 
Zeit  des  Vollmondes  und  ein  Minimum  am  Tage  des  letzten  Viertels,  dass  also 
auch  die  Stellung  des  Mondes  gegen  Erde  und  Sonne  deutlich  auf  die  Frequenz 
der  Erdbeben  influire.  Bei  der  Untersuchung  der  Orientbeben  zwischen  1200 
und  1873  ergab  sich  mit  Bezug  auf  ihre  Vertheilung  in  den  einzelnen  Monaten 
ebenfalls,  dass  die  grösste  Häufigkeit  auf  die  Zeit  der  Sonnennähe,  die  geringste 
auf  die  der  Sonnenferne  fällt. 

Femer  leitet  Schmidt  aus  15jährigen  Beobachtungen  über  676  griechische 
Erdbeben  mit  Bezug  auf  den  Luftdruck  ab,  dass  die  Erdbeben  bei  einem  Luft- 
druck unter  335'"  häufiger  sind  als  bei  höherem  Barometerstande  und  dass  ihre 
Häufigkeit  bei  geringerem  Luftdruck  rascher  zunimmt,  als  ihre  Abnahme  bei 
stärkcrem  Luftdruck.  Auf  diese  Beziehung  kommen  wir  nachher  noch  zurück. 
Neuerdings  hat  bekanntlich  auf  die  Beziehungen  der  Constellationen  von  Mond, 


1)  Tschermak's  Mittheil.,  1873 — 80.     Vergl.  auch  Toüla,  1.  c,  pag.  23. 

>)  Vergl.  über  die  ersten  Forscher  BAGLnn  und  Toaldo,  welche  einen  solchen  Einfluss 
schon  Bütte  vorigen  Jahrhunderts  erkannten  u.  A.  Naumann  Geognosie  I.,  pag.  202. 

*)  Schmidt,  Studien  über  Erdbeben.  2.  Ausgabe,  Leipzig  1879.  VergL  auch  N.  Jahrber.  f. 
Min.  1849,  Bd.  IL,  pag.  52  Referat  v.  Rosenbusch. 


34^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Sonne  und  Erde  auch  R.  Falb  seine  Ansichten  über  die  Erdbebenentstehung  ge- 
gründet Seine  Zusammenstellungen,  wenn  auch  das  allgemeine  Resultat  deiselber. 
mit  jenen  durch  Perrey  und  Schmidt  erhaltenen  im  Grossen  und  Ganzen  über- 
einstimmt, sind  doch  nicht  frei  geblieben  von  willkürlichen  Deutungen,  und  die 
daraus  gezogenen  Schlüsse  deshalb  vorzüglich  nicht  ganz  zutreffend,  weil  dem 
Einflüsse  der  Gestimconstellation  die  alleinige  und  nicht  eine  nur  begleitende 
Bedeutung  zugeschrieben  wird. 

HöRNES  hat  die  FALB*sche  Statistik  einer  freilich  darin  zu  weit  gehenden 
Kritik  unterworfen,  dass  er  einen  Unterschied  in  der  Häufigkeit  der  Erdbeben 
fUr  die  einzelnen  Zeiten  im  Jahre  und  in  den  Monaten  überhaupt  als  dann 
verschwindend  annehmen  zu  können  glaubt,  wenn  genügendes  Material  zur 
Untersuchung  zu  Gebote  stehe. ^)  Eine  solche  Annahme  scheint  den  gründ- 
lichen Betrachtungen  Schmidt's  und  Perrev's  gegenüber  kaum  mehr  statthaft. 
Dass  aber  den  aus  jener  Erdbebenconjunctur  gemachten  genetischen  Folgerungen 
nicht  das  Gewicht  alleiniger  Beweiskraft  zuerkannt  werden  darf,  sondern 
dass  man  in  den  aus  der  Constellation  von  Mond,  Sonne  und  Erde  sich 
ergebenden  Faktoren  nur  begleitende  und  begünstigende  Wirkungen  für  den 
Eintritt  von  Erdbeben,  aber  nicht  in  erster  Linie  und  allein  erregende  sehen 
darf,  das  beweist  vor  Allem  der  Umstand,  dass  auch  eine  Reihe  von  Erdbebenzu 
sammenstellungen  keineswegs  diese  Beziehungen  irgendwie  erkennbar  wiederspiegelr. 

Für  die  Erdbeben  Nieder- Oesterreichs  hat  E.  SuESS,  für  jene  Kamthen> 
H.  Höfer  eine  chronologische  Zusammenstellung  geliefert.') 

Die  120  Erdbeben,  welche  vom  Jahre  looo  bis  1873  in  Nieder-Oesterrcich 
registrirt  werden,  vertheilen  sich  auf  die  einzelnen  Monate  wie  folgt: 

Jan.      Febr.      März.      April.      Mai.      JunL      Juli.      Aug.      Sept.      Okt.      Nov.       I>cc. 
191669815799967 

Die  grosse  Zahl  der  Erdbebentage  im  Juni  und  das  gänzliche  Fehlen  der 
April«  und  Oktober-Maxima  stimmt  nicht  mit  der  Annahme  von  Falb  überein 
Das  grösste  Maximum  im  Januar  würde  allerdings  mit  der  Sonnennähe  zusammen- 
fallen, die  jetzt  am  2.  Januar  erreicht  wird.  Höfer')  führt  in  seiner  Zusammen- 
stellung vom  Jahre  1000 — 1877  180  Erdbebentage  für  Kämthen  auf.  Diese  ver- 
theilen sich  auf  die  Monate  folgendermaassen: 

Jan.      Febr.      März.      April.      Mai.      Juni.      Juli.      Aug.      Sept      Okt.      Not.      Dcc. 
40         16  18  6  12  14         6  9  17  13  9  ao 

Auch  hier  tritt  das  Januarmaximum  unzweifelhaft  hervor;  dagegen  scheint  da> 
Frühlingsäquinoctium  ohne  wesentliche  Bedeutung,  im  April  liegt  grade  das  absolute 
Minimum.  Auch  die  nicht  sehr  hohe  Oktoberzahl  entspricht  nicht  der  Voraussetzung 

Noch  mehr  sprechen  die  Zusammenstellungen  der  einzelnen  Erdbebentap? 
und  Stösse  fUr  längere  Erdbebenperioden  gegen  einen  bedingenden  Einflu» 
der  monatlichen  Mondphasen. 

Hörnes^)  vergleicht  in  dieser  Beziehung  auf  Grund  der  detaillirten  Be- 
schreibung der  Erdbeben  von  Klana  (Oktober  1869  —  Juli  1870)  durch  D.  Srt  k 
die  einzelnen  Stösse  und  Erschütterungen.  Es  ereigneten  sich  in  diesem  Zeit- 
raum an  36  Tagen  80  Erschütterungen  in  den  Südalpen  und  im  Karst  Diesell^cn 
vertheilen  sich  auf  die  einzelnen  Monate  wie  folgt: 

>)  Höuns,  Die  Erdbebentheorie  R.  Falb's.  Wien  1881,  pag.  55. 

*)  £.  SuBSS,  L  e.  Abtchnitt  IV. 

*)  HÖFEE,  1.  c.,  auch  HÖRNES,  1.  c.  pag.  65. 

*}  1.  c.  pag.  68. 


Die  Erdbeben.  349 

^869 18^ 


Okt,      Nov.      Dec.      Jan.      Febr.      März.      April.      Mai.      Juni.      Juli. 
Einzelne  Stösse      i  —  2  6  5  21  4  37  3  i 

Erdbebentage  i  —  152  ^3  14  31 

Hiemach  deckt  sich  die  Häufigkeit  der  Erdbebentage  und  der  einzelnen 
Stösse  nicht  gradezu,  sondern  weicht  oft  beträchtlich  ab.  Eine  Uebereinstimmung 
zeigt  sich  in  den  im  März  und  Mai  erreichten  Maximis.  Wenn  auch  für  den 
ersten  Hauptstoss  i.  März  ein  Zusammenfallen  mit  einem  Syzygium  stattfand  (Neu- 
mond 2.  März),  so  wären  doch  die  Tage  des  17.  oder  31.  Januar  weit  geeigneter 
gewesen,  da  die  Syzygien  mit  Finsternissen  verbunden  waren  und  zu  dem  noch 
die  Sonnennähe  wirksam  war.  Für  die  2.  Haupterschütterung  vom  10.  Mai  fehlt 
die  Conjunctur.  Auch  bezüglich  der  einzelnen  Stösse  des  Erdbebens  von  Belluno 
.29.  Juni  1873,  mit  mehrere  Monate  anhaltenden,  nachfolgenden  Erschütterungen) 
ergibt  sich  keine  Uebereinstimmung  der  Thatsachen  mit  den  Anforderungen  der 
Theorie. 

Recht  lehrreich  ist  in  dieser  Beziehung  auch  die  Erdbebenperiode  in  der 
Schweiz  in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  1881  und  im  Januar  1882.  Die 
Schweiz.  Erdbebencommission  unter  dem  Präsidium  von  A.  Forster  theilt  darüber 
folgendes  mit: 

Im  Nov.  1881  fanden  an  17  Tagen  28  zeitlich  getrennte  Erschütterungen  mit 
41  Einzelstössen  statt.  Im  December  an  6  Tagen  10  getrennte  Erschütterungen. 
Im  Januar  1882  trat  wieder  verhältnissmässig  Ruhe  ein;  nur  an  4  Tagen  wurden 
4—5  Stösse  beobachtet 

Hier  trifft  also  das  Zusammenfallen  mit  dem  Perihel  nicht  zu,  welches  eine 
Zunahme  grade  gegen  den  Januar  hin  hätte  erwarten  lassen.  Betrachtet  man 
aber  die  Vertheilimg  der  Erdbebentage  nach  den  Mondphasen  flir  die  Monate 
Kov.  und  Dec.  so  ergiebt  sich  folgendes: 

Von  den  20  Erschütterungen  im  Nov.  erfolgten  nur  zwei  auf  Bern  lokalisirte 
unbedeutende  Stösse  auf  den  Tag  des  Neumondes,  dagegen  das  bedeutendste 
Erdbeben  vom  28.  Nov.  auf  den  Tag  des  ersten  Viertels.  Ueber  die  ganze  zweite  Hälfte 
des  Monates  vertheilen  sich  die  Erdbeben  sehr  gleichmässig  ohne  jede  erkenn- 
bare Beziehung  zur  Mondphase.  Nennen  wir  diejenigen  Erdbeben,  welche  einen 
Tag  vor,  am  Tage  des,  einen  Tag  nach  dem  Neumond  oder  Vollmond  erfolgten 
>mit  der  Theorie  übereinstimmend«,  diejenigen,  welche  einen  Tag  vor,  am 
Tage  des,  einen  Tag  nach  dem  ersten  oder  letzten  Viertel  stattfanden,  »gegen 
die  Theorie  sprechend«  und  diejenigen,  welche  an  anderen  Tagen  erfolgten, 
♦indifferent,«  so  finden  wir  unter  den  16  Erdbebentagen: 

Mit  der  Theorie  übereinstimmend  ,     2  =  12,5^ 
Gegen  die  Theorie  sprechend     .     .     2  =  12,5^^ 

Indifferent 12  =  75,0^ 

loof 

Eigentlich  hätte  man  die  »indifferent«  genarmten  Stösse,  da  die  Mehrzahl 
den  Quadraturtagen  näher  liegen  als  den  Syzygien  wohl  als  »nicht  überein- 
stimmend« bezeichnen  können.  Für  den  Monat  Dec.  erhalten  wir  an  6  Tagen 
10  Erschütterungen.     Von  diesen  sind 

Mit  der  Theorie  übereinstimmend     i  =  16,7  J  (4.  Dec,  Vollmond  5.  Dec.) 
Gegen  die  Theorie  sprechend  .     .     2  =  33,3^  (26.  u.  28.  Dec,  Erstes  Viertel  27.) 

Indifferent 3  =  SOi^Ä  ('?•   24.   25.   Dec,  Neumond  21., 

Letztes  Viertel  13.) 


3$o  Mineralogie,  Geolc^e  und  Palaeontologie. 

Im  Allgemeinen  können  demnach  die  Erdbeben  des  Nov.  und  Dec.  in  der 
Schweiz  nicht  als  eine  Bestätigung  eines  Zusammenhanges  dieser  Erscheinung^ 
mit  den  Mondphasen  angesehen  werden. 

Was  sich  aus  den  im  Vorhergehenden  gegebenen  Resultaten  der  statistischen 
Vergleichung  der  Erdbebenconjunctur  ergiebt,  kann  also  wohl  dahin  kurz  zusammen- 
gefasst  werden:  Ein  gewisser  Einfluss  von  Sonne  und  Mond  aufxiie 
Häufigkeit  der  Erdbeben  ist  unverkennbar,  jedoch  kann  er  nichtah 
bedingend  gelten,  denn  es  giebt  auch  viele  Erdbebenperioden,  die 
davon  unabhängig  sind.  Die  Constellation  von  Sonne  und  Mond  kann 
daher  nur  als  ein  günstiger,  aber  keineswegs  als  ein  ausschliesslich 
erregender  Umstand  gelten. 

Sind  die  Bedingungen  irgend  welcher  Art  für  den  Eintritt  einer  Erschütterung 
vorhanden  und  soweit  gediehen,  dass  es  nur  eines  geringen  Anlasses  bedarf,  das 
Erdbeben  reif  werden  zu  lassen,  wie  Peschel  sagt,  so  kann  dieser  Anlass  aus 
den  Zugkräften  von  Sonne  und  Mond  und  ihren  combinirten  Wirkungen  herge- 
leitet werden. 

Liegt  doch  der  Annahme,  dass  selbst  die  festen  Theile  der  Erde  in  einem 
gewissen  Grade  an  den  durch  jene  Anziehungen  hervorgerufenen  Gezeiten  sich 
betheiligen,  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  zu  Grunde.  Man  vergleiche,  was 
darüber  in  dem  Artikel  >Der  Erdball  u.  s.  w.c  pag.  277  gesagt  worden  ist.  Dass  es 
aber  eine  grosse  Zahl  von  Erdbeben  giebt,  deren  Eintritt  unzweifelhaft  nicht  von  der 
genannten  Conjunctur  abhängig  ist,  darin  wäre  vielleicht  schon  ein  Hinweis  zu  er- 
kennen, dass  nicht  allen  Erdbeben  die  gleiche  erregende  Ursache  zu  Grunde  liegt 

Ein  Aehnliches  gilt  von  dem  Einflüsse  des  Luftdruckes  auf  die  Elrdbebea 
Auch  darüber  liegen  ältere  und  neuere  bestätigende  und  widersprechende  An- 
gaben vor.  Schon  Humboldt  hatte  gezeigt,  was  später  von  Boussingault  be^ 
stätigt  worden  ist,  dass  der  in  den  Tropenländem  so  regelmässige  Gang  der  täg- 
lichen Barometerschwankungen  jedenfalls  ganz  unabhängig  erscheint  von  dciTj 
Eintritt  der  Erdstösse. 

Egen  hat  die  vor  und  während  des  Erdbebens  in  den  Niederlanden  am 
23.  Febr.  1828  beobachteten  Barometerstände  genau  verglichen  und  gefunden, 
dass  dem  Erdbeben  ein  Sinken  des  Barometers  auf  seinen  tiefsten  Stand  vor- 
ausging, dass  dieses  aber  während  des  Erdbebens  schon  wieder  im  Steigen  l^ 
griffen  war.^)  Bei  einer  am  22.  März  desselben  Jahres  folgenden  Erschütteninc 
hatte  das  Barometer  grade  vorher  in  Soest  wieder  seinen  niedrigsten  Stand 
erreicht 

Merian  stellte  ähnliche  Betrachtungen  für  Schweizer  Erdbeben  an  und  kam 
zu  dem  Resultate,  dass  wenigstens  für  lokale  Erdbeben  ein  Zusammenhang  mit 
einem  auffallend  niedrigen  Luftdruck  anzunehmen  sein  dürfte.^ 

In  anderen  Fällen  freilich  sind  solche  Beziehungen  gar  nicht  nachxuwetMm 
gewesen. 

Bei  zahlreichen  Erdstössen,  die  sich  im  Jahre  1808  in  der  Grafschaft  Hnc- 
rolo  ereigneten,  beobachtete  Vasalli  Eandi  den  Gang  des  Barometers,  ohne 
jedoch  eine  Beziehung  irgend  welcher  Art  für  beide  erkennen  zu  können. 

Auch  die  Zusammenstellung  von  Fr.  Hoffmann^  von  57  palermiUntschen 

1)  PoGGD.  Annal.  XIIL  pag.  153. 

*)  Merian,  Ueber  den  Zusammenhang  der  Erdbeben  mit  atmosphftr.  Enchcinuacca  N 
Jahrb.  f.  Min.  1839.  581. 

S)  Hoffmann,  1.  c.  pa^.  371. 


Die  Erdbeben.  351 

Erdbeben  und  Vergleichung  der  dabei  nach  den  genauen  Aufzeichnungen  der 
meteorologischen  Journale  herrschenden  Barometerstände  ergab  kein  irgendwie 
entscheidendes  Resultat  Er  fand  zwar  eine  unleugbar  etwas,  wenngleich  sehr 
geringfügig  vorhajidene  Neigung  des  Barometers  zum  sinkenden  Zustande  beim 
Eintritt  von  Erdbeben,  aber  sonst  weder  in  dem  Stande  desselben  noch  in  der 
Grösse  seiner  Schwankungen  etwas  Eigenthümliches  und  Ausserordentliches. 

Schmidt's  vorhin  schon  angeführte  (pag.  347)  Beobachtungen  bestätigen  aber 
wieder  die  Coincidenz  der  Erdbeben  mit  niedrigem  Barometerstande.  Nun  kann 
das  Eine  im  Gegensatze  zu  früheren  Anschauungen  gewiss  als  feststehend  gelten, 
dass  nicht  erst  die  Barometerschwankungen  eine  Folge  der  Erdbeben  sind,  sondern 
dass  umgekehrt  diese  jenen  nachfolgen  und  theilweise  dadurch  bedingt  werden. 
Sowie  aber  der  Luftdruck  unzweifelhaft  auf  Schwankungen  des  Meeresspiegels 
und  auf  andere  Vorgänge  z.  B.  Gasentwicklung,  Dampfbüdung  bei  den  Vulkanen 
(vergl.  Artikel:  Atmosphäre,  pag.  71)  einen  Einfluss  ausübt,  ebensowohl  können 
wir  uns  vorstellen,  dass  er  auch  gewisse  Bewegungen  der  Erdrinde  unterstützen 
und  begünstigen  kann.  Er  wirkt  dann,  wenn  auch  mit  einer  verschwindend 
kleinen  Kraft,  doch  im  Allgemeinen  in  ähnlicher  Weise  ein  wie  die  Zugkraft  von 
Sonne  und  Mond. 

Der  grösste  Theil  der  Annahmen  aber,  die  über  das  Zusammentreffen  der 
Erdbeben  mit  anderen  meteorologischen  Erscheinungen  gemacht  worden  sind, 
gleichzeitiges  Eintreten  von  Stürmen,  Gewittern,  heiterem  oder  bewölktem  Himmel, 
Regengüssen,  meteorischen  Lichterscheinungen  und  dergl.  sind  wohl  nur  auf  Zu- 
fälligkeiten, aber  keineswegs  auf  Gesetzmässigkeiten  zurück  zu  führen.  Jedenfalls 
stehen  diese  Vorgänge  nie  in  einem  direkten  genetischen  Zusammenhange  mit 
Erdbeben.  Und  trotz  der  im  Vorhergehenden  als  thatsächlich  bestehend  auf- 
geführten Beziehungen  der  Erdbeben  zu  gewissen  astronomischen  und  barome- 
trischen Verhältnissen,  muss  dennoch  das  schon  von  Kries  als  Endresultat  seiner 
kritischen  Zusammenstellungen  ausgesprochene  Wort  auch  heute  noch  als  durchaus 
gültig  bezeichnet  werden:  dass  es  gar  kein  Merkmal  giebt,  welches  als 
ein  siche-res  Vorzeichen  eines  nahen  Erdbebens  gelten  könnte.^) 

k)  Es  giebt  nun  allerdings  eine  Reihe  von  Erscheinungen^  welche  Erdbeben 
zu  begleiten  pflegen,  freilich  nur  so,  dass  sie  erst  als  eine  Folge  derselben  an- 
gesehen werden  können,  denen  ein  gewisser  Causalzusammenhang  mit  den  Boden- 
bewegungen nicht  wohl  abgesprochen  werden  kann  und  die  deshalb  einige  Be- 
deutung haben.  Es  sind  dieses  einmal  die  Ausbrüche  von  Gasen,  Flammen,  von 
Wasser  und  Schlammsprudeln,  dann  die  Bildung  von  Spalten,  Erdtrichtem  und 
Rundlöchem,  sowie  erhebliche  und  dauernde  Niveauveränderungen  kleinerer  oder 
grösserer  Theile  der  Erdoberfläche. 

Die  Erscheinungen  der  ersteren  Art  sind  keineswegs  vereinzelt,  sie  finden 
sich  schon  ziemlich  ausführlich  bei  Hoffmann  und  Naumann  zusammengestellt 
und  mag  darauf  verwiesen  werden.^)  Aber  auch  in  fast  allen  neueren  Erdbeben- 
beschreibungen finden  sich  Angaben  über  hierhin  gehörige  Beobachtungen. 

In  der  Nähe  von  Arequipa  brachen  nach  dem  Erdbeben  vom  13.  August  1878 
ganze  Ströme  von  Wasser  und  Schlamm  aus  gebildeten  Spalten  hervor.  Kurz  vorher 
am  4.  April  desselben  Jahres  waren  bei  einem  Erdbeben  auf  der  Insel  Hawai 


*)  K&IBS,  Von  den  Ursachen  der  Erdbeben.   1827,  pag.  25  ff. 
^  HoFFMAMN,  1.  c,  pag.  37$;  Naumann,  L,  pag.  121. 


35  2  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

solche  Mengen  von  Schlamm  aus  dem  Boden  ausgeströmt,    dass  dadurch  ein 
ganzes  Dorf  verschüttet  wurde.^) 

Unter  den  neueren  Erdbeben  ist  auch  das  von  San  Francisco  in  Califomien 
im  Oktober  1865  ganz  besonders  durch  solche  Vorgänge  ausgezeichnet  gewesen. 
Am  6.  und  8.  Oktober  bildeten  die  Springquellen  eine  lange  Re*he  am  Ufer  de^ 
Flusses  hin;  am 21.  Oktober  1868  entstanden  solche  Wasserstrahlen  sogar  zwischen 
den  Häusern  der  Stadt. 

Bei  dem  für  Agram  verhängnissvollen  Erdbeben  vom  9.  November  iSSoereignetci 
sich  gleichfalls  Schlammausbrüche,  über  welche  nähere  Beobachtungen  vorliegen* 

Die  Save-Ebene  stellt  ein  weit  ausgedehntes  AUuvialgebiet  dar,  welches  im 
Norden  vom  Agramer  Gebirge  und  im  Süden  vom  Gebirgszuge  Vukomericke 
gorice  begrenzt  wird.  Die  Alluvialdecke  trägt  eine  stellenweise  mit  Gesträuch 
und  Sümpfen  bedeckte  Ackerkrume,  danmter  liegt  ein  grau-blauer  Thon,  der 
überall,  wo  sich  die  Save  ein  tieferes  Bett  gegraben,  zu  Tage  tritt 

Bei  dem  Dorfe  Resnik,  etwa  eine  Meile  südöstlich  von  Agram  gelegen,  er- 
folgten aus  diesem  Untergrunde  die  Schlammausbrüche  auf  eine  rein  mechanische 
Weise.  Es  bildeten  sich  Spalten  und  Höhlungen  unter  dem  genannten  Thoa 
diese  füllten  sich  mit  Wasser  und  der  Druck  der  aufliegenden  und  z.  Th.  ein- 
seitig gehobenen  Schichten  presste  dieses  empor.  Das  Wasser  brachte  Thoc 
und  einige  Reste  von  Muschelschalen  aus  demselben  (Helicina)  mit  zu  Tage,  be- 
sonders aber  war  die  Menge  des  aus  dem  Alluvium  mitgeschleppten  Sandes  vor- 
herrschend. Das  so  mit  Schlamm  resp.  Sand  beladene  Wasser  setzte  die^c 
Materialien  ab  und  bedeckte  Flächen  von  15 — 18  Schritten  Durchmesser  mit  einer 
Sandschichte.  Die  Auswürfe  folgten  einer  grossen  Spalte,  die  mit  südöstlichem 
Verlaufe  von  Resnik  über  Drenje  hinaus  sich  gebildet  hatte.  Dieser  und  ihrer» 
Seitenspalten  folgend,  fand  sich  eine  grosse  Menge  kleiner  niedriger,  abgestutzter 
Kegel  mit  unverhältnismässig  breiter  Basis.  Ihr  oberer  Theil  besitzt  eine  trichter- 
artige Vertiefung,  die  man  füglich  ihrer  Form  nach  mit  einem  Krater  vergleichen 
kann.  Einzelne  davon  haben  eine  ganz  geringe  Auswurfsöffnung,  ihre  Grösse  i>: 
verschieden,  der  grösste  Trichter  aber  maass  im  Durchmesser  nur  70  Cendm . 
seine  Tiefe  bloss  ca.  15  Centim.  Der  ausgetriebene  Sand  bedeckt  jedoch  eine 
Fläche,  deren  Durchmesser  5  Meter  beträgt. 

Auch  an  anderen  Orten  hatten  sich  Spalten  gebildet  und  war  Wasser  unu 
Sand  emporgepresst  worden.  Während  der  Schlammausbrüche  wurde  ziemlic: 
allgemein  die  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  wahrgenommen,  dessen  Her- 
kunft nicht  ganz  erklärt  zu  werden  vermochte.^) 

Diese  Schlammausbrüche  des  Agramer  Erdbebens  sind  also  nichts  weiter  al- 
die  Folge  der  rein  mechanischen  Einwirkung  der  Erschütterung  auf  die  ober- 
flächlichen wasserführenden  Schichten.  Mit  den  eigentlichen  sogen.  Schlamm- 
vulkanen haben  sie  eine  unverkennbare  Aehnlichkeit  und  auch  die  Mechamk 
beider  Erscheinungen  dürfte  in  mancher  Beziehung  die  gleiche  oder  eine  ahn- 
liche sein. 

Wie  hier  sind  auch  in  anderen  Gebieten  mit  den  Schlammausbrücben  Inr: 


*)  Fuchs,  1.  c,  pag.  175. 

*)  Krambergkr,  Mittheilung  an  v.  Hochstetter.  Monatsbltttter  des  wissensch.  Chib  in  W  >c?i 
No.   I.  Jahrg.  II.   1881. 

')  Diese    SchlammausbrUche    sind    näher    beschrieben    und    abgcbüdet    von    G.    Pücn* 
Agram  1880. 


Die  Erdbeben.  353 

Erdbeben  entstandene  »Erdtrichterc  verbunden,  die  oft  noch  längere  Zeit,  theils 
trocken,  theils  mit  Wasser  gefüllt,  sichtbar  bleiben. 

Eine  weit  verbreitete  Erscheinung  ist  die  Bildung  von  Spalten  und  Rissen 
im  Erdboden  im  Gefolge  von  Erdbeben.  Entstehen  sie  in  festem  Gesteine,  so 
können  sie  lange  Zeit  sichtbar  bleiben,  in  weichem  und  lockerem  Boden  aber 
verschwinden  sie  bald.  Oft  sind  sie  sehr  zahlreich  und  stehen  in  engem  Ver- 
bände mit  einander,  parallel  verlaufend,  sich  vielfach  durchkreuzend  oder  radial 
von  einem  Punkte  ausstrahlend.  Nicht  selten  ist  mit  der  Zerspaltung  des  Bodens 
auch  eine  Verschiebung  der  zu  beiden  Seiten  der  Spalte  liegenden  Theile  ver- 
bunden, indem  durch  Senkung  oder  Hebung  das  Niveau  der  beiden.  Seiten  sich 
geändert  hat.  Zahlreiche  Beispiele  dieser  Art  ftir  ältere  Erdbeben  finden  sich 
schon  bei  Hoffmann  u.  Naumann  angefUhrt^),  auf  die  hier  verwiesen  werden 
mag. 

Bei  dem  schon  erwähnten  Erdbeben  von  San  Francisco  vom  21.  Okt.  1868 
entstanden  in  der  Nähe  der  Stadt  und  sogar  in  den  Strassen  viele  sehr  lange 
Spalten,  von  denen  einige  40 — 50  Fuss  breit  waren. 

Das  Erdbeben  von  Belluno  hatte  bei  Puos  einen  etwa  i  Meter  breiten, 
mehrere  hundert  Meter  langen  Erdspalt  gebildet,  der  sich  aber  bald  wieder 
vollkommen  schloss.  Bei  la  Secca  zerriss  der  etwas  sumpfige  Boden  und  aus 
den  Rissen  drang  schlammiges,  schwefelwasserstoffhaldges  Wasser  hervor.^ 

Die  bei  dem  Agramer  Erdbeben  gebildeten  Spalten  wurden  vorhin  schon 
erwähnt  Eine  Hauptspalte  war  hier  auf  eine  längere  Strecke  hin  zu  verfolgen. 
Mit  ihr  z.  Th.  parallel,  z.  Th.  radial  von  ihr  austrahlend,  waren  andere  Spalten 
zu  beobachten,  die  sich  meist  in  Folge  der  lockeren  Bodenbeschaffenheit  schnell 
wieder  schlössen.  Nach  dem  Erdbeben  von  Ischia  (4.  März  1881)  war  der  Boden 
in  Casamicciola  von  zahlreichen  Spalten  z.  Th.  vollständig  zerklüftet. 

Aber  selbst  bei  Erdbeben  von  viel  geringerer  Intensität  werden  solche  Spalten- 
bildungen beobachtet  Bei  dem  westdeutschen  Erdbeben  vom  26.  August  1878 
bildete  sich  in  der  Nähe  von  Horrem  zwischen  Köln  und  Aachen  auf  dem  Felde 
eine  Spalte  von  10 — 13  Meter  Länge  und  mehreren  Zoll  Weite.  Mit  solchen 
Spaltenbildungen  und  ähnlichen  auf  die  Bodenbewegung  zurückzuführenden  Vor- 
gängen hängen  unzweifelhaft  auch  die  Störungen  der  Quellen,  ihr  Versiegen, 
ihre  Trübung  und  zahlreiche  andere  Veränderungen  enge  zusammen,  die  man 
im  Gefolge  von  Erdbeben  beobachtet. 

Von  der  grössten  Bedeutung  aber  sind  die  durch  Erdbeben  veranlassten 
Niveau verändenmgen,  welche  ausgedehntere  oder  beschränktere  Gebiete  der  Erd- 
oberfläche betroffen  haben.  Den  grössten  Theil  der  an  den  continentalen  Küsten 
wahrnehmbaren  Hebungen  des  Festlandes  brachte  man  früher  mit  den  Erdbeben 
in  unmittelbaren  genetischen  Zusammenhang,  indem  man  für  einen  Theil  dieser 
Hebungen  eine  sehr  plötzliche  Entstehung  annehmen  zu  dürfen  glaubte,  die  ge- 
radezu als  eine  Folge  der  Erdbeben  hingestellt  wurde.  Noch  in  diesem  Sinne 
finden  sich  die  Hebungserscheinungen  in  den  mehrfach  angeführten  trefflichen 
Werken  von  Hoffmann  und  Naumann  eingehend  besprochen. 

Aber  die  genauere  und  wiederholte  Prüfung  der  meist  als  Beweise  ange- 
führten allbekannten  Beispiele  hat  ergeben,  dass  entweder  gar  keine  Hebmigen, 
sondern  vulkanische  Aufschüttungen  erfolgt  waren,  oder  dass  eine  wirklich  nach- 
gewiesene Hebung  nur  in  den  Bereich  der  sogen,  säcularen,  im  Laufe  langer 

*)  L  c. 

^  V.  Rath,  L  c.  pag.  716. 
KnoicoTT,  Mia.,  Geol.  u.  Pal.    I.  23 


354  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie 

Zeiträume  sich  vollziehenden  Niveauverfinderungen  des  Festlandes  geholte.  In 
beiden  Fällen  hatten  demnach  die  Erscheinungen  mit  Erdbeben  unmittelbar  nichts 
zu  thun.  Solche  Hebungen  grösserer  Landstriche,  die  während  eines  Erdbebens 
gewissermaassen  mit  einem  Ruck  erfolgt  wären,  sind  bis  jetzt  thatsächlich  nie  be- 
obachtet worden. 

Bei  allen  neueren,  auch  den  heftigsten  Erdbeben  z.  Th.  in  denselben  Ge 
bieten,  in  denen  die  älteren  Beobachtungen  gemacht  waren,  hat  nicht  ein  ein- 
ziges Beispiel  dieser  Art  festgestellt  werden  können,  obgleich  man  darauf  natür- 
lich die  volle  Aufmerksamkeit  gerichtet  hatte.  Gleichwohl  würden  locale  Er- 
scheinungen dieser  Art  keineswegs  unwahrscheinlich  sein,  zumal  wenn  wir  b^ 
denken,  dass  mit  einer  Spaltenbildung  doch  eine  Dislocation  der  beiden  em- 
schliessenden  Wände  nothwendig  verbunden  sein  muss,  dass  eine  solche  eine 
allerdings  äusserst  minimale  Aufwärtsbewegung  wenigstens  der  einen  Lippe  sogar 
geradezu  voraussetzt. 

Im  Gegentheile  sind  nun  plötzliche  Senkungen  in  Folge  von  Erdbeben  in 
keineswegs  kleiner  Zahl  wirklich  beobachtet  worden.  Freilich  wird  man  auch 
beztlglich  dieser  nicht  allen  älteren  Nachrichten  ohne  Weiteres  die  Bedeutung 
zuschreiben  dürfen,  dass  nun  der  Causalzusammenhang  wirklich  erwiesener 
Senkungen  mit  einem  Erdbeben  dadurch  unzweifelhaft  feststeht 

So  ist  das  Versinken  von  Küstenlandstrichen  nicht  immer  nothwendig 
die  Folge  einer  Senkung,  sondern  kann  sehr  wohl,  zumal  an  nicht  flach  ins 
Meer  sich  erstreckender  Küste  auch  die  Folge  eines  blossen  Abnitschens  sein, 
ähnlich  einem  Bergsturze  im  Binnenlande.  Allerdings  wenn  es  sich  um  ein 
Küstengebiet  von  60  engl.  Quadratmeilen  Umfang  handelt,  wie  es  bei  dem  Erd- 
beben von  Bengalen  1862  versunken  sein  soll,  ist  diese  Deutung  schwierig.  Aber 
bei  diesen  älteren  Angaben  sind  eben  die  Dimensionen  auch  keineswegs  zuver- 
lässig. 

Gleichwohl  sind  auch  in  der  neuesten  Zeit  mit  gut  beobachteten  Erdbeben 
zahlreiche  Bodensenkungen  verbunden  gewesen.  Eine  grosse  Zahl  derselben 
findet  sich  u.  a.  bei  Fuchs  aufgeführt.^)  Nur  einige  der  unzweifelhaftesten  Er- 
scheinungen mögen  auch  hier  angeführt  werden. 

In  dem  Dorfe  Rekow,  bei  Bütow  in  Pommern,  spürte  man  am  27.  Jan.  i86(> 
eine  lebhafte  Erderschütterung  und  vernahm  unterirdisches  Getöse.  Gleichzeitig 
senkte  sich  eine  Erdmasse  von  2  Morgen  Land  in  den  dicht  bei  dem  Dorfe  gt- 
legenen  See.  Im  Dorfe  selbst  entstanden  zahlreiche  Spalten  im  Boden.  In  diesem 
Falle  dürfte  die  Entscheidung  schwer  sein,  ob  das  Erdbeben  die  Senkung,  oder 
diese  die  Erschütterung  bewirkte;  gerade  darin  drückt  sich  der  innige  Caasalni« 
sammenhang  beider  Vorgänge  aus. 

Am  15.  März  1867,  Abends  6  Uhr  fand  ein  Erdbeben  am  Lago  Maggiore 
statt,  das  am  ganzen  Ufer  von  Magadino  bis  Arona  gemerkt  wurde.  Aach  die 
Dampfschiffe  spürten  die  Stösse.  Das  Dorf  Feriolo,  an  der  Simplonstrasse  ge- 
legen, versank  theilweise  in  den  See,  ebenso  ein  Theil  der  im  Bau  begriAmen 
Strasse. 

Am  ersten  December  1869  zerstörte  ein  Erdbeben  die  Stadt  Onlah  in  Klein 
asien;  in  Folge  der  Erschütterungen  und  Spaltenbildungen  versank  die  Sta<it  oikI 
verschwand   vom  Erdboden.     In  ähnlicher  Weise   versank    bei    dem  Erdbeben 


^)  Vulkane  und  Erdbeben,  pag.  180. 


Die  Erdbeben.  355 

von  Arica  1868  die  Stadt  Cotocachi;  an  ihrer  Stelle  breitet  sich  jetzt  ein 
See  aus. 

Bei  dem  westdeutschen  Erdbeben  vom  26.  August  1878  bildete  sich  in  der 
Nähe  des  Dorfes  Schaufenberg  ein  allerdings  nur  wenig  umfangreicher  Tagebruch 
(Einsenkung  an  der  Erdoberfläche,  bergmännisch  auch  Finge  genannt)  obschon 
unter  dieser  Stelle  kein  Bergbau  stattfindet.  Solcher  Beispiele  von  grösseren  oder 
geringeren  Einsenkungen  und  Einstürzen  im  Gefolge  von  Erdbeben  könnten  noch 
eine  grosse  Zahl  namhaft  gemacht  werden. 

Von  anderen  die  Erdbeben  begleitenden  Ereignissen,  von  Lichterscheinungen, 
von  den  Einwirkungen  auf  Menschen  und  Thiere  u.  a.  m.  mag  nur  im  All- 
gemeinen bemerkt  werden,  dass,  je  heftiger  die  durch  den  plötzlichen  Eintritt 
der  Erschütterung  bewirkten  Schrecken  sind,  um  so  mehr  die  erregte  Phantasie 
der  Menschen  auch  geneigt  ist,  absonderliche  Dinge  zu  glauben,  zu  erzählen  und 
mit  dem  schrecklichen  Ereignisse  in  Verbindung  zu  bringen.  Die  meisten  haben 
nicht  einmal  die  Bedeutung  bloss  zufällig  begleitender  Erscheinungen. 

Seismometer.  Apparate  und  instrumenteile  Vorrichtungen,  um  irgend  welche 
Beobachtungen  über  den  Eintritt  und  die  Umstände  eines  Erdbebens  anzustellen 
und  zu  registriren,  werden  Seismometer  genannt 

Ein  sehr  einfaches  Instrument  dieser  Art  besteht  in  einem  i — i-}-  Meter  langen, 
mit  seinem  oberen  Ende  befestigten  Faden,  an  welchem  unten  ein  Bleiloth  mit 
Spitze  angebracht  ist,  die  in  die  Oberfläche  eines  Sandbettes  bei  eintretenden 
Schwankungen  Furchen  einschreibt. 

Ebenso  einfach  ergiebt  sich  die  Richtung  des  Stosses  aus  mit  Wasser  ge- 
füllten, runden  Becken,  wo  die  Schwankungen  des  Wasserspiegels  an  den  Wänden 
des  Gefasses  oder  ausserhalb  auf  irgend  eine  Weise  sichtbar  gemacht  werden. 

Darauf  beruht  auch  das  Seismometer  von  Cacciatore,  welches  aus  einem 
flachen  kreisrunden  Gefässe  mit  8  gegenüber  stehenden  Ausflussrinnen  besteht, 
in  welches  Quecksilber  gefüllt  wird.  Das  bei  den  Schwankungen  überfliessende 
Metall  wird  in  untergestellten  Näpfchen  aufgefangen.  Daraus  erkennt  man,  nach 
der  Stellung  der  Näpfchen,  die  Quecksilber  aufgenommen  haben,  die  Richtung 
des  vorangegangenen  Erdbebens. 

Kkeil^)  hat  ein  Pendelseismometer  angegeben,  welches  nach  allen  Richtungen 
schwingen,  aber  sich  um  seinen  Aufhängepunkt  nicht  drehen  kann.  Eine  unten 
angebrachte  Spitze  wird  gegen  die  innere  Wand  eines  Cylinders  gedrückt,  der 
sich  mit  einem  Uhrwerk  in  24  Stunden  einmal  um  seine  Achse  dreht.  Hängt  das 
Pendel  ruhig,  so  beschreibt  der  Stift  eine  Kreislinie,  wird  es  bewegt,  Linien  von 
unregelmässiger  Gestalt. 

Mehr  oder  weniger  complicirte  Pendel-Seismometer  sind  neuerdings  auch  von 
I.  A.  EwiNG,  Dr.  G.  Wagner  und  T.  Gray  construirt  worden.^  Diese  Apparate 
haben  grösstenthfeils  den  Zweck,  ausser  der  Richtung  auch  die  verticalen  und 
horizontalen  Componenten  der  Bewegung  einigermaassen  zu  bestimmen. 

Andere  Seismometer  beruhen  auf  der  Anwendung  eines  elastischen  in  vert;- 
caler  Stellung  befindlichen  im  Boden  befestigten  Stabes,  dessen  Schwingungen 
sich  auf  einer  darüber  durch  ein  Uhrwerk  bewegten  Papierrolle  abzeichnen. 

Auf  der  Anwendung  sehr  empfindlicher  Spiralfedern,  die  aufgehängt  mit 
einer  nach  unten  gewendeten  Spitze  einem  Quecksilberspiegel  so  nahe  sind,  dass 

>)  Sitzimgsber.  k.  k.  Akad.  d.  W.    Wien  XV.  1855.  370. 

')  Transactions  of  Seismol.    Soc.  of  Japan.  VoL  I.  pag.  38  ff. 

23» 


35^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

die  geringste  Wellenbewegung  sie  mit  demselben  in  Berührung  bringt,  wodurch 
dann  die  Stromschliessung  einer  elektrischen  Batterie  erfolgt,  beruht  im  wesent- 
lichen das  sehr  empfindliche  Seismometer  PALBOERfs.  Es  werden  durch  Signale 
die  Stösse  angezeigt,  aber  auch  durch  Ingangsetzen  einer  Uhr  und  auf  den 
durch  diese  bewegten  Papierstreifen  selbstthätig  registrirt. 

Jedoch  sind  die  Resultate,  die  mit  diesem  verhältnissmässig  kostspieligen 
Apparate  bisher  erzielt  wurden,  kaum  von  grosser  wissenschaftlicher  Bedeutung. 
Mallet  schlug  im  Jahre  1858  folgendes  einfache  Seismometer  vor.^) 
Dasselbe  besteht  aus  zwei  normal  aufeinander  stehenden  Reihen  von  kleinen 
Säulen  von  Marmor,  Holz  oder  Gusseisen  oder  dergl.,  welche  bei  gleicher  Höbe 
an  Durchmesser  regelmässig  ab-  oder  zunehmen  (Höhe  zu  Durchmesser  von  3 :  i 
bis  9:1)  und  somit  auch  von  abnehmender  Stabilität  sind;  dieselben  stehen  fest 
auf  einer  festen  Basis,  sind  aber  sonst  von  lockerem  Sand  umgeben.  Dieser  ein- 
fache Apparat  genügt  schon,  um  die  wahre  Richtung  des  Stosses  und  die  grösste 
Geschwindigkeit  der  schwingenden  Punkte  zu  ermitteln. 

Ein  complicirteres,  selbst  registrirendes  Instrument,  welches  ausser  der 
Richtung  noch  die  Höhe  und  Amplitude  der  Erdwelle  sowie  die  Dauer  derselben 
bestimmen  soll,  beschrieb  derselbe  ebenfalls.^)  Dasselbe  besteht  im  Wesentlichen 
in  einer  schwebenden  und  um  eine  Achse  beweglichen  Trommel,  auf  Mrelche  mit 
Stiften,  die  mit  einer  Batterie  in  Verbindung  gesetzt  sind,  Zeichen  aufgeschrieben 
werden,  aus  denen  die  gesuchten  Elemente  der  Bewegung  sich  erkennen  lassen. 

Zur  Erlangung  von  Fundamentalzeiten  zur  Berechnung  der  Herdtiefe  nach  seiner 
Methode  (pag.  308)  brachte  von  Seebach  folgende  einfache  Vorrichtung  in  Vor- 
schlag.'^ Eine  beliebige  gut  gehende  Uhr,  welche  auch  Secunden  zeigt,  wird  auf 
o  Zeit  gestellt.  Das  Pendel  wird  aus  seiner  Gleichgewichtslage  gebracht  und  in 
seiner  Stellung  dadurch  festgehalten,  dass  der  um  ein  Geringes  schwerere  eine 
Arm  eines  Hebels  hemmend  in  das  Steigrad  eingreift.  An  dem  anderen  leichteren 
Hebelarm  hängt  an  einem  schlaffen  Faden  ein  Gewicht,  welches  auf  einer  kleinen 
Säule  von  geringer  Stabilität  aufliegt  Bei  einem  Erdbeben  wird  diese  Säule  um- 
gestürzt, das  Gewicht  ftUlt  und  löst  den  schwereren  Hebelarm  aus  dem  Steigrad 
aus,  wodurch  dann  das  Pendel  schwingen  und  die  Uhr  in  Gang  setzen  kann. 
Man  kann  nachher  die  Zeit  des  Eintrittes  der  Erschütterung  auf  astronomische 
oder  gut  controlirte  Zeit  reduciren. 

Ein  anderes  Seismometer  gab  von  Lasaulx  an.  Er  ging  wesentlich  von  der 
gleichen  Absicht  aus,  eine  grössere  Zahl  guter  Fundamentalzeiten  zur  Berechnung 
der  Erdbebenelemente  zu  liefern,  glaubte  aber,  es  sei  besser,  eine  stets  gehende 
und  gut  controlirte  Uhr,  wie  sie  auf  Sternwarten  und  Telegraphenstationen  vor- 
banden  ist,  zum  Stillstand  zu  bringen.  Es  werde  dadurch  die  Gefahr  ver- 
mieden, dass  die  Vorrichtung  bei  Eintritt  einer  Erschütterung  nicht  in  gutem 
Stande  sei.^) 

Das  Instrument,  von  einfacher  und  compendiöser  Form  ist  dazu  bestimmt,  an 
jeder  im  Gebrauche  befindlichen  Pendeluhr,  am  besten  den  sogen.  Regulatoien 
neben  dem  Pendel  aufgehängt  zu  werden. 

Eine  kleine  Büchse  A  Fig.  6  umschliesst  eine  Feder,  welche  in  Verbindung 


0  Rep.  Brit  Assoc.   1858.  pag.  98. 

*)  Proceed.  of.  royal  Irish  Akad.  XXI.  i,  pag.  50. 

")  l.  c.  pag.  187. 

*)  Erdbeben  von  Herzogenrath  1873,  P*g»  ^S^» 


Die  Erdbeben. 


357 


-O 


Fig.  6.      (Min.  M.) 


mit  einem  dünnen  Messingstabe  einen  Hebelarm  C,  der  am  unteren  Ende  auf  der 
Rückwand  des  kleinen  Apparates  an  drehbarer,  horizontal  liegender  Achse  befestigt 
ist,  dadurch  in  horizontale  Stellung  quer  neben  das  Pendel  der  Uhr  hinaufzieht, 
dass  sie  den  Messingstab  aufwärts  durch  die  Büchse  emporhebt,  so  dass  der  be- 
wegliche Theil  der  Messingführung  bei  e^  dann  bei  e  zu 
liegen  kommt.  Der  Messingstab  trägt  oben  ein  kleines 
flaches  Tellerchen  zur  Aufnahme  eines  Gewichtes  in  Kugel- 
oder Eiform.  Wird  das  letztere  auf  das  Tellerchen  B  ge- 
legt, so  drückt  es  die  Feder  zusammen  und  der  Hebel- 
arm C  legt  sich  in  verticaler  Stellung  abwärts  an  die 
Rückwand  und  das  Pendel  kann  nun  vor  demselben  vor- 
bei (d.  h.  also  senkrecht  zur  Ebene  der  Zeichnung)  seine 
Schwingung  ausführen.  Das  ist  die  gewöhnliche  Stellung 
des  Apparates,  wie  die  Figur  sie  darstellt.  Wird  nun  die 
Kugel  durch  ein  Erdbeben  abgeworfen,  so  schnellt  die 
Feder  den  Messingstab  in  die  Höhe  und  der  Hebelarm  C 
legt  sich  quer  vor  das  Pendel,  dieses  augenblicklich  arre- 
tirend.  Diese  Stellung  ist  in  den  punktirten  Theilen  der 
Figur  angedeutet.  Zur  Aufnahme  der  abgeworfenen  Kugel 
dient  ein  runder,  um  die  Büchse  A  herumgreifender 
Teller  mit  8  Fächern,  so  dass  die  Kugel,  in  eines 
derselben  hineinfallend,  auch  die  Richtung  des  Stosses 
markirt.  Da  nach  der  Erfahrung  bei  schwächeren  Erdstössen  die  Schwerpunktslage 
einer  kleinen  Messing kugel  dieser  noch  zu  viel  Stabilität  gewährt,  so  eignet  sich 
als  Gewicht  besser  ein  kleines  Ei  aus  Messing,  das  mit  seiner  Spitze  nach  unten 
auf  das  kleine  Tellerchen  bei  B  gestellt,  nun  hinlänglich  labil  ist,  um  auch  bei  ganz 
schwachen  Bewegungen  zu  Falle  zu  kommen.  Es  wird  dadurch  allerdings  die 
Sensibilität  des  Apparates  eine  so  grosse,  dass  sie  auch  äusseren  Erschütterungen 
der  Gebäude  z.  B.  durch  Thürzuschlagen,  Vorbeirollen  eines  Wagens  leicht  nach- 
giebt.  Das  setzt  wieder  voraus,  dass  dadurch  keine  Störungen  verursacht  werden, 
oder  dass  die  Uhr  eigens  zu  diesem  Zwecke  allein  dient  und  ihr  Gang  fort- 
dauernd gut  controlirt  wird. 

Solche  Apparate  sind  ca.  150  an  der  Zahl  auf  verschiedenen  kaiserl.  deut- 
schen Telegraphenstationen  aufgestellt  Da  dieselben  jedoch,  um  allzuhäufige 
Störungen  im  Betriebe  zu  vermeiden,  nur  mit  Kugelbelastung  versehen  sind,  so 
hat  sich  ihre  Empfindlichkeit  bei  einigen  Erdbeben  als  zu  gering  ergeben  und  sie 
haben  dieselben  nicht  markirt.  Bei  dem  Erdbeben  vom  26.  August  1878  traten 
aber  eine  Reihe  von  Apparaten  in  Wirksamkeit  und  lieferten  brauchbare  Zeit-  und 
Richtungsangaben. 

Dort,  wo  die  grosse  Empfindlichkeit  des  Apparates  mit  eiförmiger  Be- 
lastung keine  Bedenken  wegen  allzuhäufiger  Arretirung  der  Uhr  erregt,  wird  ohne 
Zweifel  derselbe  sowohl  für  die  Gewinnung  von  Zeit-  als  auch  Richtungsangaben 
gute  Dienste  thun.^) 

Ohne  Zweifel  sind  auf  diesem  Gebiete  noch  brauchbare  und  werthvolle  Appa- 
rate auch  auf  andere  Weise  herzustellen.  Sollen  aber  dieselben  wirklich  in 
grösserer  Zahl  zu  Beobachtungen  Verwendung  finden,  so  ist  ein  erstes  Erforder- 
niss  möglichste  Einfachheit  des  ganzen  Mechanismus. 

^)  Solche  Apparate  mit  eiförmiger  Belastung  liefert  F.  W.  Eschbaum,  Mechaniker  in 
Boxm  am  Rhein. 


358  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Von  der  allergrössten  Bedeutung  würden  Instrumente  sein,  welche  direkt  (tie 
Emergenz  des  Stosses  zu  registriren  vermöchten,  da  hieraus  am  unmittelbarsten 
und  ganz  abgesehen  von  theoretischen  Voraussetzungen  die  Tiefe  der  enegenden 
Stelle  sich  ergeben  würde.  Solche  Apparate  aber  bieten  der  Natur  der  Sache 
nach  grosse  technische  Schwierigkeiten.  Einen  solchen  construirte  v.  Lasaulx,  indem 
er  eine  Kugel  von  dem  spec.  Gewichte  des  Wassers,  bei  15°,  in  einem  in  den 
Erdboden  eingelassenen  gemauerten  Gefässe  frei  schwebend  ringsum  mit  beweg- 
lichen Stäbchen,  radial  ausstrahlend,  umgiebt,  deren  Ortsveränderung  durch  eine 
Bewegung  der  Kugel  in  jedem  Azimuth  markirt  wird,  so  dass  sich  hieraus  er- 
kennen lässt,  in  welcher  Richtung,  nicht  nur  horizontal,  sondern  auch  von  unten 
nach  oben,  die  durchgehende  Erschütterung  die  Kugel  erfasste  und  bewegte. 

Solche  Apparate,  wie  überhaupt  Seismometer,  können  aber  freilich  den  Be- 
weis ihrer  praktischen  Brauchbarkeit  erst  dadurch  liefern,  dass  ein  Erdbeben  über 
dieselben  hingeht. 

Entstehung  der  Erdbeben. 

Aus  allen  Betrachtungen,  die  wir  im  Vorhergehenden  über  die  gesammtcn 
Erscheinungen  bei  Erdbeben  angestellt  haben,  ergiebt  sich  unzweifelhaft  der 
Schluss,  dass  dieselben  sowohl  nach  ihrem  Auftreten  in  bestimmten  Gebieten 
der  Erdoberfläche,  als  auch  nach  ihrer  Form  und  den  Verhältnissen  ihrer  Propa- 
gation  und  Wirkung  keineswegs  eine  derartige  Uebereinstimmung  zeigen,  dass 
wir  daraus  auf  eine  allen  gemeinsame  einheitliche  Ursache  geführt  würden. 
Im  Gegentheil,  es  lassen  sich  so  grosse  Verschiedenheiten  feststellen,  dass  daraus 
schon  a  priori  auch  eine  Verschiedenheit  der  erregenden  Ursache  sich  erwarten  lässt, 
so  wie  wir  auch  die  künstlichen  Erschütterungen  an  der  Erdoberfläche,  die  wir 
im  täglichen  Leben  wahrnehmen,  aus  verschiedenen  Erregungen  entstehen  sehen. 

Ein  Blick  auf  eine  Erdkarte,  auf  welcher  wir  alle  Gebiete  besonders  ver- 
zeichnet haben,  in  denen  vorzüglich  Erderschütterungen  einzutreten  pflegen,  zeigt 
uns,  dass  bezüglich  ihrer  Verbreitung  sich  die  Erdbeben  in  zwei  Gruppen  theilcn, 
solche,  die  in  vulkanischen  Gegenden  der  Erde  vorkommen  und  solche,  die  vor- 
züglich die  gebirgigen  Theile  der  Erdoberfläche  heimsuchen,  auch  wenn  di^ 
selben  frei  sind  von  Vulkanen.  Nur  ausnahmsweise  und  meist  nur  in  localer  Aus- 
dehnung werden  auch  die  eigentlichen  Tief-  und  Flachländer  von  Erdbeben  betroffen. 

Wir  müssen  sonach  vor  Allem  die  vulkanischen  Erdbeben  von  den 
nichtvulkanischen  unterscheiden. 

I.  Vulkanische  Erdbeben  sind  in  allen  Gegenden,  in  denen  vulkanische 
Aeusserungen  überhaupt  stattfinden,  in  denen  vor  Allem  also  thädge  Vulkane 
gelegen  sind,  überaus  häufig. 

Der  unmittelbare  zeitliche  Zusammenhang  mit  Eruptionen  und  ganz  beson- 
ders der  bestimmte  Nachweis,  dass  das  Centrum  der  Erschütterung  auch  mit  dem 
Centrum  der  vulkanischen  Thädgkeit  zusammenfällt,  sind  unerlässlich,  um  ein 
wirklich  vulkanisches  Erdbeben  zu  charakterisiren.  Der  blosse  örtliche  Zusammen- 
hang genügt  nicht.  Nicht  selten  treffen  Erdbeben  vulkanische  Gebiete  und  er- 
schüttern sogar  die  Wände  der  Vulkane  selbst,  ohne  von  diesen  auszugehen. 
Unter  den  Erdbeben,  welche  die  Ostküste  Siciliens  oft  und  schwer  heimgesucht 
haben,  sind  nur  die  wenigsten  vom  Aetna  ausgegangen.  Die  Erschütterungen 
griffen  in  das  vulkanische  Gebiet  des  Aetna  z.  Th.  vom  jenseitigen  Calabrien 
herüber,  z.  Th.  kamen  sie  aus  den  südlicher  gelegenen  Gebieten  des  Val  di  Nota 
Die  eigentlichen  Aetnabeben  sind  meistens  nur  von  ganz  localer  Wirkung  ond 
ihre  Stossrichtung  führt  auf  das  Centrum  des  Vulkans. 


Die  Erdbeben.  359 

Dasselbe  gilt  von  den  meisten  anderen  Vulkanen.  Auch  das  Erdbeben  von 
Ischia  vom  4.  März  1881,  obschon  es  geradezu  auf  den  nördlichen  Abhängen 
des  Epomeo  sich  ereignete,  lässt  doch  keinen  nachweisslichen  Zusammenhang 
mit  diesem  vulkanischen  Centrum  erkennen.  Die  ganze  Art  der  Erscheinung 
spricht  im  Gegentheil  mit  einiger  Sicherheit  dafür,  dass  die  Zerstörung  von  Casa- 
micciola  nicht  dem  Vulkane  zur  Last  fällt. 

Ganz  besonders  hat  der  blosse  örtliche  Zusammenhang  von  Erdbeben  mit 
Gebieten  erloschener  vulkanischer  Thätigkeit  keinerlei  beweisende  Kraft  für  die 
vulkanische  Erregung  derselben.  Allerdings  wissen  wir,  dass  das  Erloschensein 
iür  viele  Vulkane  nur  eine  beschränkte  Bedeutung  hat  und  es  giebt  Beispiele 
genug,  wo  ein  scheinbar  erloschener  Krater  seine  Thätigkeit  plötzlich  wieder 
aufnahm.  Aber  da  das  Eintreten  vulkanischer  Erschütterungen,  wie  wir  sehen 
werden,  doch  immer  mit  gewissen  Phasen  gesteigerter  Thätigkeit  in  den  Vulkanen 
zusammenhängt,  so  lässt  sich  wohl  behaupten,  dass  kein  Gebiet  erloschener 
Vulkane,  es  sei  denn,  dass  eine  Wiederaufnahme  eruptiver  Thätigkeit  nahe  bevor- 
stehe, an  den  sich  in  demselben  ereignenden  Erdbeben  unmittelbar  die  Schuld 
trage.  Die  dem  gewaltigen  Ausbruche  des  Vesuv  im  Jahre  79  n.  Chr.  voraus- 
gehenden vulkanischen  Erdbeben  deuteten  eben  das  Wiedererwachen  der  lange 
erloschenen  vulkanischen  Kraft  in  diesem  Berge  an. 

Die  Erdbeben  aber,  die  nicht  selten  die  Gebiete  der  alten  Kratere  in  der 
vulkanischen  Eifel  und  die  Umgebung  des  Laacher  See's  betroffen  haben,  sind 
meist  nur  mit  Unrecht  zu  diesen  in  genetische  Beziehung  gebracht  worden.  Sie 
strahlten  ihre  Bewegung  von  auswärts  in  diesen  vulkanischen  Kreis  hinein;  aber 
ihr  Centrum  lag  vielleicht  in  keinem  einzigen  Falle  wirklich  auch  in  einem 
vulkanischen  Centrum.  Es  waren  Rheinthalbeben  (pag.  336),  die  dort  fühlbar 
wurden.  Sorgsame  Feststellung  der  beobachteten  Stossrichtung  und  kritische  Er- 
wägung der  ganzen  Erscheinungsweise  muss  auch  für  vulkanische  Gegenden  erst 
die  vulkanische  Entstehung  der  Erdbeben  nachzuweisen  versuchen. 

Die  vulkanischen  Erdbeben  bleiben  ausschliesslich  auf  die  nähere  Umgebung 
eines  Vulkanes  beschränkt  und  gehören  z.  B.  nie  zu  den  über  grosse  Flächen 
ausgedehnten  Erscheinungen.  Diese  Erdbeben  tragen  fast  immer  sehr  deutlich 
den  Charakter  von  Explosionswirkungen  an  sich.  Die  grosse  Intensität  der 
Wirkungen  steht  sehr  oft  bei  ihnen  im  umgekehrten  Verhältnisse  zur  Verbreitung. 
Die  heftigen  vesuvischen  Erdstösse  im  Jahre  63  n.  Chr.  warfen  Herkulanum  und 
Pompeji  in  Schutt  und  Trümmer,  ohne  dass  sie  eine  weitere  Verbreitung  gezeigt 
hätten. 

Die  Alt  der  Entstehung  dieser  explosiven  Erschütterungen  erkennt  man  deut- 
lich, wenn  man  auf  dem  Kegel  eines  thätigen  Kraters  die  deutliche  Coincidenz 
der  aus  demselben  ausgestossenen  Dampf-  und  Aschenwolken  mit  dem  Erbeben 
des  Bodens  wahrnimait.  So  oft  eine  Dampfwolke  hervorbricht,  bebt  der  Berggipfel 
und  die  schnelle  Folge  jener  macht  das  Erzittern  geradezu  condnuirlich. 

Die  aus  den  schmelzflüssigen  Laven  sich  entwickelnden  Gase  und  vornehm- 
lich der  Wasserdampf,  der  in  überhitztem  Zustande  und  mit  mächtiger  Tension 
begabt,  eine  ganz  wesentliche  KoUe  in  den  vulkanischen  Magmen  spielt,  sind 
die  Träger  dieser  Explosionen. 

Nun  erscheint  es  auch  verständlich,  warum  mit  dem  Austritt  der  Lava  in 
der  Regel  die  Erschütterungen  ein  Ende  erreichen  oder  aufhören.  Jedoch  ist 
dieses  keineswegs  immer  der  Fall.  Der  grossen  Aetnaeruption  des  Jahres  1879 
gingen  nur  ganz  unbedeutende  Erschütterungen  voraus,  erst  nachfolgend  traten 


360  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

eine  ganze  Reihe  zerstörender  Stösse  an  den  Flanken  des  Berges  auf.  Immerhin 
aber  ist  es  natürlich,  dass  die  Dampfansammlungen  mit  dem  Ausströmen  der 
Laven  zugleich  eine  Ableitung  finden.  Es  wird  daher  eine  grosse  Spannkraft 
derselben  nicht  mehr  eintreten  können  und  die  Erschütterungen  müssen  ab- 
nehmen. 

Die  Zahl  der  vulkanischen  Erdbeben  ist  eine  ungeheuer  grosse;  gleichwohl 
werden  dieselben  nur  selten  wahrgenommen,  da  sie  auf  den  Kegel  oder  die 
nächste  Nähe  des  Vulkanes  beschränkt  bleiben,  hier  aber  in  den  meisten  Fällen 
der  Beobachter  fehlt  Unzählich  sind  die  kleinen  Beben  und  Erschütteningen, 
die  der  PxLMiERi'sche  Apparat  auf  dem  Observatorium  des  Vesuv  registiirt. 

Die  monatelang  auf  den  Azoren  1866 — 67  eintretenden,  fast  täglich  und  ständ- 
lich wahrnehmbaren  Erschütterungen  waren  vulkanische,  sie  hingen  mit  einer  am 
I.  Juni  1865  beginnenden  submarinen  Eruption  zwischen  den  Inseln  Terceira  und 
Graciosa  zusammen  und  endigten  auch  bald  nachher. 

Auch  die  Erdbeben  in  der  Fonseca-Bay  in  Central-Amerika,  die  am  11.  Febniar 
1868  anfingen  und  schon  am  17.  Februar  200  Erdstösse  geliefert  hatten,  warea 
vulkanische;  die  Eruption  des  Conchagua  hing  mit  ihnen  zusammen. 

Auch  auf  den  Flanken  des  gewaltigen  Vulkanes  Mauna-Loa  auf  Hawai,  der 
in  fortdauernder  Thätigkeit  sich  befindet,  sind  Erdbeben  vulkanischer  Elrregung 
ungemein  häufig;  hier  oft  von  grosser  Heftigkeit,  aber  trotzdem  immer  nur  von 
localer  Verbreitung. 

Dass  fem  von  Vulkanen  und  von  vulkanischen  Gebieten  es  Erdbeben  gebe, 
die  noch  mit  jenen  Aeusserungen  genetisch  verknüpft  seien,  Erdbeben,  für  welche 
man  früher  auch  wohl  die  Bezeichnung  plutonischer  Erdbeben  gebrauchte,  um 
damit  gewissermaassen  ihre  Herkunft  aus  dem  feurigen  Erdinneren  auszudrflcken, 
das  muss  nach  dem  heutigen  Standpunkte  der  Wissenschaft  als  durchaus  onvahr- 
scheinlich  bezeichnet  werden.  Ein  solcher  Zusammenhang  der  Erdbeben  mit 
vulkanischen  Erscheinungen  auf  Grundlage  des  für  beide  gemeinschaftKchen 
Herdes,  des  sogen,  feurig-flüssigen  Erdinneren,  so  dass  die  Vulkane  ihre  Lava, 
die  Erdbeben  ihre  Anstösse  unmittelbar  daraus  erhielten,  existirt  nicht  Wir  ver- 
weisen  bezüglich  dieser  Annahme  auch  auf  den  Artikel  tErdball  u.  5.  w.c 

Dass  aber  dennoch  die  Gegenden  der  Erde,  in  denen  Erdbeben  zu  den  häufigsten 
Erscheinungen  gehören,  auch  die  Zonen  der  Verbreitung  vulkanischer  Thätigkeit 
sind,  das  zeigt  allerdings  ein  Blick  auf  die  Erdkarte,  bedarf  aber  noch  einer  Er- 
klärung. Wir  werden  darauf  eingehender  im  Artikel  »Vulkanec  zurückzukommen 
haben.  Hier  mag  nur  hervorgehoben  werden,  dass  das  verbindende  und  beide 
Erscheinungen  bedingende  Glied  der  planetarischen  Vorgänge  jedenfalls  in  der  Ge- 
birgsbildung  zu  sehen  ist,  sei  es,  dass  diese  den  Vulkanismus  ebenfalls  erst  erzeugt, 
oder  dass  sie,  als  Ursache  der  grossartigsten  Erdbeben,  die  vulkanische  Thätig- 
keit wenigstens  begünstigt,  indem  in  der  Erdfeste  Störungen  «des  Zusammenhanges 
hervorgerufen  werden,  die  das   zu  Tagetreten  vulkanischer  Processe  erieicbtem. 

2.  Nichtvulkanische  Erdbeben. 

Bei  allen  Erdbeben,  bei  denen  der  im  Vorhergehenden  betonte  Nachweis 
eines  ursächlichen  Zusammenhanges  mit  Vulkanen  nicht  zu  erbringen  ist,  wird 
es  zunächst  darauf  ankommen,  den  Ort  des  erregenden  Herdes  bezüglich  seiner 
geognostischen  Lage  zu  erkennen.  Wir  haben  das  hierauf  bezügliche  in  den 
Betrachtungen  unter  d)  (pag.  333  ff.)  eingehend  erörtert  Von  selbst  leiteten  uns 
diese  auf  zwei  verschiedene  Ursachen.  Einmal  fiel  die  erregende  Stelle  in  solche 
Gebiete,  in  denen  Einstürze  unterwaschener  Hohlräume  nach  der  geognostischen 


Die  Erdbeben.  .   361 

Beschaffenheit  fast  mit  Sicherheit  vorausgesetzt  werden  durften,  das  andere  Mal 
lag  sie  auf  Spaltenlinien  im  Gebirgsbaue,  die  für  die  weitere  Entwicklung  dieses, 
somit  für  die  Tektonik  der  Erde  von  Bedeutung  sind.  Beide  Arten  von  Erdbeben 
können  füglich  als  Dislocationsbeben  bezeichnet  werden;  die  ersteren  in's 
Besondere  als  Einsturzbeben,  die  letzteren  als  Spaltenbeben  oder  wie  Hörnes 
sie  treffend  genannt  hat:  tektonische  Beben. 

a)  Einsturzbeben. 

Nach  der  Art  der  Vorgänge,  die  diese  Erdbeben  einzuleiten  vermögen,  kann 
von  vornherein  eine  sehr  grosse  Ausdehnung  derselben  nicht  vorausgesetzt 
werden.  Es  erscheint  durchaus  unwahrscheinlich,  dass  Einstürze  eine  andere 
als  bloss  locale  Erstreckung  und  Wirkung  zu  haben  vermögen. 

Wenn  man  aber  die  Gesteine  in  ihrer  Verbreitung  im  Inneren  der  Erde,  nach 
ihrem  Auftreten  in  der  ganzen  Folge  der  bekannten  geognostischen  Systeme  zu 
schätzen  versucht,  so  wird  man  finden,  dass  die  leicht  löslichen  Gesteine,  die 
hiemach  am  meisten  zur  Bildung  von  Hohlräumen  geeignet  scheinen  und 
dadurch  Einsturzbeben  zu  prädisponiren  vermögen,  keineswegs  vereinzelt  oder 
beschräxikt,  sondern  in  sehr  grosser  Verbreitung  vorkommen.  Das  lässt  a  priori 
voranssetzen ,  dass  auch  die  Einsturzbeben  keineswegs  vereinzelt  sein  mögen. 
Ueberall,  wo  Kalkstein,  Gyps  oder  Steinsalz  im  Inneren  der  Erde  lagern,  sind 
die  Bedingungen  für  jene  gegeben. 

Aber  da  es  weitaus  häufiger  der  Fall  sein  dürfte,  dass  der  Zusammenbruch 
gebildeter  Hohlräume  erst  allmählich  und  stetig  durch  das  Niedergehen  vieler 
kleiner  Theile  eines  Auswaschungsgebietes  erfolgt,  als  dass  ein  einziger  oder  nur 
wenige  grössere  Einstürze  die  Erfüllung  jener  vollziehen,  so  werden  die  meisten 
der  hierdurch  hervorgerufenen  Erschütterungen  in  ihren  Wirkungen  kaum  so  intensiv 
sich  gestalten,  dass  man  dieselben  an  der  Erdoberfläche  besonders  beachtet. 
Selbst  die  heftigen  Erschütterungen  haben  nur  locale  Wirkungen. 

Gleichwohl  lässt  eine  charakteristische  Eigenschaft  der  Einsturzbeben  sich 
aus  der  Art  ihrer  Entstehung  herleiten.  Da  die  Senkung  oder  der  Einsturz  der 
Decke  eines  gebildeten  Hohlraumes  meist  nicht  mit  einem  Male,  sondern  in  oft 
wiederholtem  Nachsinken,  ruckweise,  erfolgt,  so  muss  ein  mehr  oder  weniger  engbe- 
grenztes  Gebiet  die  erregenden  Stellen  für  eine  ganze  Erdbebenperiode  umfassen. 
Eine  wesentlich  veränderte  Lage  der  Stossmittelpunkte  wird  entweder  gar  nicht  an 
der  Oberfläche  wahrnehmbar  sein,  oder,  wenn  dieselbe  zu  beobachten  ist,  wird 
eine  bestimmte  Beziehung  der  Lage  jener  Stosspunkte  zu  einander  sich  nicht  er- 
geben. Sie  werden  nicht  auf  bestimmten  Linien  liegen,  oder  ein  Fortschreiten 
in  einer  Richtung  erkennen  lassen,  sondern  regellos  innerhalb  einer  ziemlich  eng 
begrenzten  Oberflächenzone,  meist  von  geschlossener,  rundlicher  Gestalt  werden 
sie  wandern,  hier  und  da  auftretend,  ohne  erkennbare  Gesetzmässigkeit  über 
das  centrale  Gebiet  der  Erschütterungen  ausgestreut.  So  war  es  in  auffallender 
Weise  bei  der  Erdbebenperiode  von  Gross-Gerau  der  Fall. 

Wenn  wir  an  die  im  grossartigsten  Maassstabe  unterminirten  Karstgebiete 
mit  ihren  Höhlen,  Grotten  und  Dollinen  denken,  wo  man  auf  Schritt  und  Tritt 
Felsstürzen  und  Felseinbrüchen  begegnet,  tritt  uns  das  Bild  solcher  Erdbeben 
recht  deutlich  entgegen.  Denn  jeder  Felstrichter  oder  DoUine  ist  das  Denkmal 
eines  Einsturzes,  der  mit  einer  Erschütterung  verbunden  gewesen  sein  muss. 
HocHSTETTER  hat  sclbst  ein  Erdbeben,  dass  er  zu  dieser  Kategorie  rechnet,  im 
August  1880  zu  St.  Margarethen  in  Unter-Krain  wahrgenommen.^) 

^)  HOCBSTBTTER,  1.   C,  pag.   9. 


362  Mineralogie,  Geologie  und  Falaeontologie. 

Dass  andauernde  Nässe  und  grosse  Regengüsse  Erdbeben  dieser  Ait,  deren 
Ursache  wohl  niemals  in  sehr  grosser  Tiefe  gelegen  sein  dürfte,  vorzubereiten 
und  zu  begünstigen  vermögen^  natürlich  nur  an  solchen  Orten,  an  denen  überhaupt 
die  Bedingungen  für  dieselben  vorhanden  sind,  bedarf  kaum  einer  näheren  Aas- 
fUhrung.  Diese  meteorologische  Coincidenz,  die  uns  aus  der  Erdbebenstatisdk 
z.  Th.  entgegentritt,  ist  also  vielleicht  überhaupt  in  dieselbe  nur  durch  die  Ein* 
sturzbeben  hineingekommen. 

Um  die  Statistik  wirklich  zu  richtigen  Resultaten  zu  bringen,  dürften  immer 
nur  Erdbeben  einer  und  derselben  Art  mit  einander  zur  Vergleichung  kommen. 

b)  Spalten-  oder  tektonische  Beben. 

Dass  zu  dieser  Kategorie  die  häufigsten,  furchtbarsten  und  ausgedehntesten 
Erdbeben  zu  rechnen  sind,  hat  sich  theilweise  schon  aus  den  Betrachtungen  unter 
d  (P^S*  333)  ergeben.  Dort  wurden  auch  die  charakteristischen  Eigenschaften  dieser 
Erdbeben  hinlänglich  hervorgehoben: 

Axialer  Charakter  der  Oberflächenpropagation;  Lage  der  erregenden  Herde 
auf  tektonischen  Linien,  Wandern  der  Stosspunkte  auf  diesen  Linien  u.  A. 

Es  stehen  diese  Erdbeben  mit  der  Gebirgsbildung  im  Zusammenbang;  denn 
die  Spalten,  auf  welche  ihre  Stosslinien  verweisen,  sind  Folgen  der  Gebirgsbildung. 

Von  der  Annahme  ausgehend,  dass  die  Erde  ein  erkaltender  und  daher  auch  fort- 
dauernd sich  contrahirender  Körper  ist  (Art.  Erdball  u.  s.  w.),  fassen  wir  £e  Gebirgs^ 
bildung  als  die  Folge  der  durch  diese  Contraction  hervorgerufenen  Bewegungen 
auf,  die  ein  Faltenwerfen,  ein  Zerreissen,  ein  Verschieben  der  einzelnen  Theile 
gegen  einander  zur  Folge  haben.  Ist  die  Wirkung  der  Contraction  nicht  glekh- 
mässig  über  die  ganze  Oberfläche  vertheilt,  so  wird  auch  das  Faltenwerfen  nur 
an  gewissen  Stellen  erfolgen.  Wir  erkennen  dies  in  der  That  Grosse  continentile 
Flachlandsschollen  liegen  in  unverändeter  Horizontalität  an  einigen  Slellen  vor. 
Um  so  grösser  wird  die  faltende  und  zusammenschiebende  Wirkung  in  den 
zwischenliegenden  Theilen.  In  diesem  Sinne  kann  man  füglich  auch  von  einem 
stauenden  Einflüsse  sprechen,  den  gewisse  Theile  auf  die  meist  zusammenge- 
schobenen ausgeübt  haben.  Im  Artikel  »Gebirge«  werden  diese  Vorgänge  eines 
Näheren  erörtert  werden. 

Der  gewaltige  Druck,  der  auf  diese  Weise  entsteht,  mag  er  nun  in  einer  oder 
auch  in  zwei  sich  zustrebenden  Richtungen  wirken,  die  Spannung,  die  hierdorcfa 
bewirkt  wird  und  die  endlich  ein  Auslösen  in  irgend  einer  Weise  voraussetzt. 
sind  eine  hinlänglich  grosse  Kraft,  um  Bewegungen  hervorzurufen,  die  über  grosse 
Theile  des  Planeten  greifen.  Die  Ausgleichung  der  Spaimung  erzeugt  Veisdüe^ 
bungen,  die  entweder  quer  zu  dem  Drucke  gerichtet,  der  Faltenlage  entsprechen 
oder  dem  Drucke  parallel,  aber  quer  zur  Faltenlage  gestellt  sind.  Klüfte  und 
Spalten,  mit  allen  Anzeichen  erfolgter  Bewegung  versehen,  oftmals  sich  wieder 
schliessend,  öflhend  und  erweiternd,  sind  die  Wege  dieser  Verschiebungen. 

Wie  bedeutend  und  tief  eingreifend  in  den  Gebirgsbau  dieselben  sein  können, 
dafllr  mögen  hier  nur  ein  paar  Beispiele  angeführt  werden,  da  diese  uns  wieder- 
um einen  Maassstab  geben,  darnach  die  Ausdehnungsfähigkeit  der  Erschütterungen 
zu  schätzen,  die  durch  jene  Spaltenbildungen  oder  erneuerte  Bewegungen  »va 
bereits  vorhandenen  Spalten  hervorgerufen  werden. 

H.  V.  Decken  hat  einige  der  grossen  Dislocationsspalten  genauer  beschne^ 
ben,  in   ihrem  Verlaufe  festgestellt  und  erörtert^)    Die  eine  derselben»  io  ihres 

')  V.  Dechbn,  Ueber  grosse  Dislokationen.  Sitiber.  der  niederriiein.  Ges.  f.  Nat.  u.  Heä 
1881,  Januar. 


Die  Erdbeben.  363 

V^erlaufe  fast  überall  durch  Bergbau  erschlossen  und  erkannt,  begleitet  den  süd- 
lichen Rand  der  belgischen  Kohlenbecken  von  Lüttich  und  vom  Hainaut  auf 
ihrer  ganzen  Längenerstreckung  durch  Belgien,  von  der  preussischen  bis  zur 
französischen  Grenze,  und  lässt  sich  in  der  Richtung  gegen  W  noch  weiter  in 
Frankreich  durch  das  Norddepartement  und  das  Pas-de-Calais  bis  an  das  Meer 
verfolgen.  Wenn  dieselbe,  wie  dieses  nicht  unwahrscheinlich  ist,  auch  gegen  O. 
noch  in  die  Rheinprovinz  fortsetzt  und  zwischen  den  beiden  Steinkohlenmulden 
an  der  Inde  bei  Eschweiler  und  der  Worm  durchzieht,  würde  ihr  eine  Gesammt- 
länge  von  380  Kilom.  zukommen. 

Dass  diese  Spalte,  wenn  sich  in  ihr  noch  jetzt  Bewegungen  vollziehen,  wie 
sie  in  den  Niveauunterschieden  der  beiderseitigen  Gebirgstheile,  die  an  einigen 
Punkten  bis  zu  2000  Meter  betragen,  unverkennbar  als  vollzogen  sich  ausprägen, 
wohl  ausreicht,  Erschütterungen  zu  erklären,  wie  z.  B.  die  vom  Jahre  1828,  welche 
einen  ausgesprochen  longitudinal-linearen  Verlauf  nahm  und  weithin  bis  auf  die 
rechte  Rheinseite  sich  ausdehnte,  ist  eine  keineswegs  gewagte  Voraussetzung. 

In  Nord-Amerika  sind  in  den  wesdichen  Territorien  von  Colorado  ebenfalls 
zahlreiche  Verwerfungsspalten  bekannt,  die  auf  viele  Meilen  durch  die  Gebirge 
verfolgt  werden  können. 

Eine  derselben,  die  Hurricane  fault,  hat  gewiss  200  engl.  Meilen  Länge  und 
die  Grösse  der  Verschiebung  der  beiderseitigen  Gebirgstheile  misst  mehrere 
tausend  Meter.  ^) 

Und  solche  Beispiele  lassen  sich  zahlreich  in  allen  Ländern  und  Gebirgen 
nachweisen. 

Die  Wirkungen,  welche  den  Erderschütterungen  entstammen,  die  in  solchen 
Spalten  und  ihren  Bewegungen  erregt  werden,  überschreiten  demnach  keineswegs 
das  Maass,  das  sich  aus  der  Grösse  und  Ausdehnung  dieser  Spalten  herleitet. 

Dass  aber  die  Gebirgsfaltung  und  damit  auch  das  Zerreissen  und  Verschieben 
von  in  Spannung  begrifienen  Theilen  der  Erdfeste  noch  heute  unter  uns  fortdauert, 
dagegen  lässt  sich  wohl  kaum  irgend  ein  plausibler  Grund  geltend  machen. 
Warum  sollte  die  Gebirgsbildtmg,  die  zum  grössten  Theile  in  einer  nachweislich 
jungen  geologischen  Zeit  sich  vollzog  und  in  den  den  alten  Gebirgsfaltungen  con- 
form  verlaufenden  Biegungen  junger  diluvialer  Gebilde  fast  bis  an  die  Schwelle 
der  Gegenwart  hinanreicht,  plötzlich  ihre  Thätigkeit  beendet  haben?  Jeder  Fort- 
schritt der  Faltung,  jede  Auslösung  der  hierdurch  entstehenden  Spannung,  macht 
sich  als  ein  Erbeben  des  Bodens  bemerkbar. 

Ja  selbst  wenn  der  Vorgang  der  Gebirgsfaltung  nur  mehr  in  ganz  abge- 
schwächter Form  oder  vielleicht  gar  nicht  fortdauern  sollte,  so  würden  doch  in 
der  Erdlinde  durch  Veränderungen  in  der  Belastung  der  einzelnen  Gebiete,  durch 
die  Wirkungen  der  Erosion  und  Verwitterung  nothwendig  Bewegungen  in  den 
Gebirgsschichten  angebahnt  werden,  die  in  gleicher  Weise  längs  Spaltenebenen 
sich  vollziehen  und  daher  nur  in  der  Intensität  der  Dislocation  von  den  früheren 
verschieden  sein  würden. 

Findet  in  einem  Gebiete  eine  Erderschütterung  statt,  so  kann  sie  nachfolgende 
neue  Erschütterungen  hervorrufen,  indem  die  vorhandene  Spannung  durch  die 
von  aussen  hinzukommende  Erregung  ausgelöst  wird.  Sowohl  Einsturzbeben,  als 
auch  tektonische  Beben  vermögen  auf  diese  Weise  ausserhalb  des  Erschütterungs- 
bereiches eines  vorausgehenden  Erdbebens,   demselben  aber  mehr  oder  weniger 

1)  DUTTON,  The  high  Plateau's  of  Utah.  Washington  1880,  pag.  a8. 


364  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

unmittelbar  nachfolgend,  gleichsam  als  Relaiswirkungen  verursacht  zu  werden; 
Relaisbeben  würde  daher  vielleicht  für  solche  Erschütterungen  eine  passende 
Bezeichnung  sein.  Durch  den  innigen  Zusammenhang,  in  dem  die  Spalten  der 
Gebirge  oft  über  grosse  Gebiete  hin  untereinander  stehen,  ist  gerade  bei  den 
tektonischen  Beben  die  Möglichkeit  für  Relaisbeben  eine  sehr  grosse. 

Alle  Gebirgsgegenden,  namentlich  aber  die  Gebirge  mit  kettenförmigem  Ver- 
lauf und  diese  wieder  hauptsächlich  an  ihrer  gegen  das  Meer  oder  tiefe  Eid- 
senkungen  gerichteten  Abdachungen,  sind  die  Gebiete  der  tektonischen  Erdbeben. 
Man  kann  sie  kurzweg  als  Erschütterungs-  oder  Schüttergebiete  bezeichnen 
Das  ausgeprägteste  und  grossartigste  Gebiet  wurde  schon  mehrfach  genannt  Es 
sind  die  meerwärts  gerichteten  Gehänge  der  südamerikanischen  Cordilleren, 
die  östlichen  Abhänge  der  Alleghanies  und  der  centralamerikanischen  Rette 
Auch  in  den  Alpen,  in.  denen  allein  in  den  Jahren  1850 — 57  über  tausend 
Erdbeben  verzeichnet  wurden,  liegen  die  vorzüglichsten  Schüttergebiete  in  dem 
das  adriatische  Meer  umschliessenden  Bogen  der  cadorischen,  kamischen 
und  dinarischen  Alpen  und  es  wird  diese  Erdbebenzone  geradezu  als  die  »Schütter- 
zone der  südlichen  und  südöstlichen  Alpen«  bezeichnet^)  Verschiedene  Be- 
spiele dieser  Erdbeben  sind  im  Vorhergehenden  schon  angeführt  worden. 

Wenn  wir  bedenken,  dass  in  manchen  Gebieten  die  Klüfte  und  Spalten  in 
ausserordentlich  grosser  Zahl  beisammen  liegen,  so  dass  sie  vollkommene  Neu- 
werke  darstellen  mit  zwischenliegenden  gesteinserfÜUten  Maschen  und  dass  jede 
einzelne  Kluft  und  Spalte  die  Anzeichen  stattgehabter  Bewegung  und  Rutschonf 
in  polirten  Rutschflächen,  zerbrochener  und  wieder  verkitteter  Spaltenausfulltms 
u.  dergl.  mehr,  in  sich  trägt,  so  erscheint  es  geradezu  wunderbar,  dass  in  solchec 
Gegenden  die  Erschütterungen  nicht  heute  noch  viel  zahlreicher  erfolgen.  Aber 
ein  grosser  Theil  dieser  Spalten  und  Klüfte  ist  nicht  offen  stehen  geblieben. 
sondern  hat  sich  erfüllt  mit  Mineralbildungen  und  Erzen,  die  nun  als  Erzgänge 
das  Gebirge  durchschwärmen.  »Mancher  Erzgang,  sagt  treffend  Suess  an  irgend 
einer  Stelle "),  kann  als  eine  versteinerte  und  vererzte  Quelle  eines  Erdbebens  be- 
zeichnet werden.  €  Je  mehr  aber  diese  Quellen  versteinern,  um  so  geiix^ger  wird 
die  Wahrscheinlichkeit  der  Bewegungen.  Und  so  können  wir  füglich  solche  Gebiete 
als  erlöschende  Schüttergebiete  bezeichnen,  in  denen  nur  hin  und  wieder 
noch  mit  schwachem  Aufleuchten  eine  Nachwirkung  einstiger  kräftiger  and  dauenh 
der  Erregung  sich  fühlbar  macht  In  diesem  Sinne  scheinen  Erzgebirge  und 
Riesengebirge,  das  Gebirge  des  rechtsrheinischen  Devons  u.  a.  als  erlöschende 
Schüttergebiete  gelten  zu  können. 

In  jedem  einzelnen  Falle  aber,  wo  irgend  ein  Theil  der  Erdoberfläche  vus 
einer  Erschütterung  betroffen  wird,  gestaltet  sich  im  Allgemeinen  die  Frage  luch 
der  Ursache  derselben  immer  so:  gestatten  die  gesammten  Verhältnisse 
der  Propagation  und  die  erkennbare  Gestalt  und  Lage  der  centraler 
Oberflächenzone,  sowie  die  wahrscheinliche  Tiefe  des  erregender 
Herdes  Schlüsse  auf  einen  der  drei  vorhin  genannten  geologischer. 
Vorgänge  und  schliesst  sie  die  Annahme  des  einen  oder  anderer 
derselben  nicht  mit  Sicherheit  aus? 

Leichter  wird  man  die  eigentlich  vulkanischen  Erdbeben  von  den  nicht 
vulkanischen  zu  trennen  vermögen,  schwerer  allerdings,  weim  nicht  die  Verfaalt- 


*)  HOCHSTETTXR,  1.   C.   pag.   9. 

*)  SuBSS,  Zukunft  des  Goldes,  ptg.  95. 


Die  Erdbeben.  365 

nisse  besonders  deutlich  und  günstig  sind,  die  beiden  Arten  der  letzteren:  die 
Einsturzbeben  von  den  tektonischen  oder  Spaltenbeben.  Dass  auch  hier  eine  ge- 
naue Prüfung  und  Vergleichung  aller  Erscheinungen  eines  Erdbebens,  also  eine 
umfassende  Erdbebenstatistik  gewisse  Unterscheidungsmerkmale  an  die  Hand  zu 
geben  vermag,  ist  aus  dem  Vorhergehenden  zu  entnehmen.  So  wird  es  gewiss 
möglich  werden,  in  nicht  allzuferner  Zeit  jedem  Erdbeben,  das  in  solchen 
Gegenden  eintritt,  wo  hinlänglich  Beobachter  vorhanden  sind,  sein  Ursprungs- 
zeugniss  durch  zuverlässige  Documente  auszustellen. 

Hierzu  sind  Erdbebencommissionen,  die  sorgsam  alle  bezüglichen,  in 
einzelnen  Ländern  zu  sammelnden  Beobachtungen  mit  wissenschaftlicher  Belehrung 
und  praktischen  Hülfsmitteln  unterstützen  und  leiten,  die  gesammelten  aber  sichten 
und  verarbeiten,  von  der  allergrössten  Bedeutung.  Schon  sind  einzelne  Länder 
z.  B.  die  Schweiz,  Oesterreich  und  Belgien  in  dem  Einsetzen  solcher  Commissionen 
mit  rühmlichem  Beispiele  vorangegangen.  Es  ist  zu  hoffen,  dass  diesen  noch  viele 
andere  Staaten  folgen  werden.  Vieles,  was  im  Einzelnen  für  diese  so  überaus 
wichtige  geologische  Erscheinung  noch  klar  zu  stellen  und  zu  erforschen  ist, 
mjd  dann  ohne  Zweifel  eine  einheitliche  Förderung  und  Erleuchtung  finden. 

Literatur:  Es  sind  bier  nur  die  allgemeineren  und  neueren  wiebtigeren  Werke  aufge- 
führt, die  Sondemrerke  sind  grösstentbeils  im  Text  citirt.  Falb,  R.,  Grundzüge  einer  Theorie 
der  Erdbeben  und  VulkanausbrUche ,  Gratz  1871,  und  Gedanken  und  Studien  Über  den 
Vulkanismus,  Graz  1875.  FüCHS,  C.  W.  C. ,  Jährliche  Uebersichten  über  Erdbeben,  N.  Jahrb. 
t  Min.  1866—72,  und  Tschermak's  Mittheil.  1873  —  80;  Derselbe:  Vulkane  und  Erd- 
beben. Leipzig  1875.  HocHSTETTER,  F.  VON,  Ueber  Erdbeben.  Beilage  zu  den  Monats- 
blattem  des  wissensch.  Clubs,  Wien  1880.  Hoefer,  H.,  Die  Erdbeben,  Kämthen's  und 
ihre  Stosslinien.  Denkschriften  d.  k.  k.  Akad.  d.  Wiss.  Bd.  42.  Wien  1880.  Hoernes,  H., 
Erdbebenstudien,  Jahrb.  d.  k.  k.  geol.  Reichsanstalt,  1878,  XXVm,  und:  Die  Erdbeben- 
theorie R.  Falb's  etc.  Wien  1881.  Hoff,  K.  E.  A.  von,  Geschichte  der  natürl.  Ver- 
indenmgen  der  Erdoberfläche,  Gotha  1822—34,  3  Bde.  und  Chronik  der  Erdbeben  und  Vulkan- 
losbrüche,  Gotha  1840,  2  Bde.  Hoffmann,  Fr.,  Nachgelassene  Werke,  Bd.  II,  Berlin  1838,  von 
den  Erdbeben,  pag.  308  fF.  Kluge,  K.  E.,  Ueber  die  Ursache  der  in  den  Jahren  1850—57  statt- 
gef.  ErderschUtterungen  etc.  Stuttgart  1861.  Supplem.  zum  N.  Jahrb.  f.  Min.  Lasaulx,  A,  von. 
Das  Erdbeben  von  Herzogenrath,  22.  Okt  1873,  Bonn  1874,  u°d  das  Erdbeben  von  Herzogen- 
-ath,  24.  Juni  1877.  Bonn  1878.  Lersch,  B.  M.,  Ueber  die  Ursachen  der  Erdbeben  (Gaea) 
iCöln  1879.  Mallst,  I.  W.  u.  Rob.,  Earthquake  Catalogue,  London  1858,  u.  Rob.,  The  great 
Keapolitan  earthquake,  London  1862.  Naumann,  C.  F.,  Lehrbuch  d.  Geognosie.  Bd.  I.  Leipz, 
1858:  Erdbeben  und  Dislocationen  der  Erdkruste;  pag.  183.  Perry,  Al.,  Geschieht!.  Zusammen- 
iteUm^n  von  Erdbeben,  verschiedene,  Paris,  Lyon,  Dijon,  1841—74.  Pesciikl-Leipoldt,  Phy- 
sische Erdkunde.  Leipz.  1869,  Cap.  V,  Erdbeben,  pag.  244.  Pfaff,  F.,  allgem.  Geologie,  Leipz. 
1^73*  Kap.  12,  pag.  224:  Die  Erdbeben  und:  Grundriss  der  Geologie,  Leipz.  1876,  pag.  125, 
Schmidt,  L  F.,  Studien  über  Erdbeben.  IL  Aufl.  Leipz.  1879.  Seebach,  K.  von.  Das  mittel- 
ieutsche  Erdbeben  vom  6.  März  1872.  Leipzig  1873.  Suess,  E,  Die  Erdbeben  im  südlichen 
taJien.  Denkschr.  d.  k.  k.  Akad.  d.  W.  Wien  1873,  und  die  Erdbeben  von  Niederösterreich, 
rbendas.  ToüLA,  F.,  Ueber  den  gegenwärtigen  Stand  der  Erdbebenfrage.  Wien  1881.  Volger,  O., 
Untersuchungen  über  die  Phänomene  der  Erdbeben   in   der  Schweiz.    11.  Bd.     Gotha  1857 — 58. 


366  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontniogie. 


Erze 


von 


Professor  Dr.  Kenngott. 

Als  Erze  wurden  im  Allgemeinen  gewisse  Minerale  benannt,  welche  ha 
reichem  Vorkommen  dazu  dienen,  nützliche  Metalle  daraus  hüttenmännisch  dir- 
zustellen.  Es  sind  gewöhnlich  sogenannte  schwere  unedle  (gemeine)  Metalle  im 
Gegensatz  zu  den  schweren  edlen  und  deshalb  zeigen  auch  die  Erze  verglichen 
mit  anderen  Mineralen  ähnlicher  Verbindungsweise  durch  ihr  höheres  specifisches 
Gewicht  an,  dass  sie  solche  schwere  Metalle  enthalten.  So  wurden  z.  B. 
bei  den  Carbonaten  RO-COj  (s.  d.  Artikel  Carbonate)  einzelne  angeführt 
welche,  wie  der  Siderit,  Rhodochrosit,  Smithsonit  und  Cerussit  durch  ihr  höhere« 
specifisches  Gewicht  auf  die  Anwesenheit  schwerer  Metalle  in  ihrer  Verbinducc 
hindeuten,  wie  hier  auf  die  Anwesenheit  von  Eisen,  Mangan,  Zink  und  K6 
während  solche  Carbonate,  welche  leichte  Metalle  in  ihrer  Verbindung  enthaiien. 
wie  der  Calcit,  Aragonit,  Dolomit  und  Magnesit,  die  leichten  Metalle  Calcium  und 
Magnesium  enthaltend  ein  minderes  specifisches  Gewicht  aufweisen.  Wenn  solche 
specifisch  schwerere  Minerale  in  grossen  Massen  vorkommend  gestatteten,  aus  ihn«: 
schwere  unedle  Metalle,  wie  Eisen,  Mangan,  Zink  oder  Blei  darzustellen,  so 
wurden  sie  zu  den  Erzen  gerechnet,  beziehungsweise  zu  den  Eisen-,  Mangan-, 
Zink-  oder  Bleierzen. 

Ausser  dem  höheren  specifischen  Gewichte  zeigen  andere  als  Ene  dord 
Bergbau  gewonnene  Minerale  durch  ihr  halbmetallisches  bis  metallisches  Aas- 
sehen an,  dass  sie  an  gewisse  schwere  unedle  Metalle  erinnern,  so  dass  sich  die 
Aufmerksamkeit  auf  das  Aussehen  und  Gewicht  richtete,  um  Minerale  als  Ene 
zu  erkennen,  aus  denen  man  Metalle  gewinnen  könnte. 

Gewöhnlich  sind  die  im  Allgemeinen  als  Erze  bevorzugten  Minerale  Ver- 
bindungen gewisser  schwerer,  unedler  Metalle  mit  Sauerstoff  oder  Schwefel  und 
da  die  Schwefelverbindungen,  wie  schon  bei  den  Blenden  bemerkt  wurde,  g^ 
statteten,  sie  miteinander  vergleichend  in  gewissen  Gruppen  zusammenzufassen 
wie  die  der  Blenden,  Kiese  und  Glänze,  so  stellte  man  auch  vom  mineralogischen 
Standpunkte  aus,  Minerale  als  Erze  (als  oxydische  Erze,  Oxydolithe)  in  eine 
Gruppe,  wobei  man  in  Rücksicht  auf  andere  Arten,  welche  natürliche  Gnippcr. 
bilden,  die  Ordnung  der  Erze  beschränkte,  jedoch  nicht  im  Stande  war,  ihnen 
einen  bestimmten  allgemeinen  unterscheidenden  Charakter  zuzuschreiben,  durch 
welchen  sie  als  solche  bestimmt  von  anderen  Sauerstoffverbindungen  unteischie 
den  werden  könnten. 

Wenn  nun  hier  unter  dem  Namen  Erze  eine  Reihe  von  Mineralen  beschriebe!: 
werden  soll,  so  ist  vorwaltend  auf  die  technisch  wichtigen  Metalle  Rücksicht  ge- 
nommen worden,  welche  aus  solchen  Erze  genannten  Mineralen  gewonnen  werden 
Solche  Metalle  sind  Eisen,  Mangan,  Chrom,  Uran,  Zink,  Zinn,  Blei,  Kupfer  u.  a.  m 
wonach  man  Eisen-,  Mangan-,  Chrom-  Uran-  Zink-  u.  a.  Erze  angegeben  findet  Ein- 
zelne der  so  hüttenmännisch  als  Erze  aufgefassten  Minerale  werden  jedoch  in  anderen 
Gruppen  beschrieben,  weil  gleichzeitig  auch  der  mineralogischen  Aufiassuxu: 
Rechnung  getragen  werden  soll. 

L   Eisenerze. 

Das  Eisen  ist  in  unserer  Erde  ein  allgemein  verbreiteter  Stoff;  dasselbe  finde* 
sich  jedoch  nicht  oder  wenigstens  nur  höchst  selten  als  Metall  (^  sich  —  getise^ 


Erze. 


367 


gen  —  wie  man  in  solchen  Fällen  sich  bei  Metallen  auszudrücken  pfiegt;  da- 
gegen sind  einzelne  Verbindungen,  in  grossen  Massen  und  reichlich  verkommend, 
schon  in  frühen  Zeiten  zur  Darstellung  des  Eisens  benützt  worden.  Als  solche 
sind  hier  hervorzuheben: 

Das  Magneteisenerz,  FeO'Fe^Oj, 

das  Rotheisenerz,  Fe^O,  und 

das  Brauneisenerz,  3  HgO-aFe^Oj, 
während  das  auch  zur  Darstellung  des  Eisens  äusserst  wichtige  kohlensaure  Eisen- 
oxydul FeO'CO)  bereits  unter  den  Carbonaten  (s.  S.  105)  als  Siderit  (Eisen- 
spat h)  beschrieben  wurde. 

I.  Das  Magneteisenerz  oder  der  Magnetit.  Diese  Mineralart  erhielt 
diese  Namen  wegen  des  ihr  eigenthümlichen  Magnetismus,  wird  auch  Magnet- 
eisenstein genannt.  Der  Magnetit  krystallisirt  tesseral,  bildet  in  gewissen  Ge- 
steinsarten überaus  zahlreich  eingewachsene  Krystalle,  gewöhnlich  Oktaeder 
(Fig.  i),  welche  oft  Contactzwillinge  nach  einer  Oktaederfläche  (Fig.  2)  bilden, 
auch  Rhombendodekaeder  <»  O  (Fig.  3)  oder  Combinationen  desselben  mit  dem 
Oktaeder  (Fig.  4),  doch  kommen  auch  bei  den  in  Drusenräumen  aufgewachsenen 

OfiB.  56-&9.) 


Fig.  I.  Fig.  2.  Fig.  3.  Fig.  4. 

Krystallen  andere  tesserale  holoedrische  Gestalten  in  Combination  mit  jenen  vor. 
Die  Spaltungsflächen  parallel  den  Flächen  des  Oktaeders  sind  mehr  oder  weniger 
deutlich,  die  Bruchflächen  sind  muschlig  bis  uneben.  Die  einzeln  eingewachsenen 
Krystalle  sind  bisweilen  undeutlich  ausgebildet,  erscheinen  als  unbestimmt  eckige, 
selten  abgerundete  Krystallkömer.  Wenn  solche  früher  eingewachsene  Krystalle 
oder  Kömer  lose  vorkommen,  durch  Wasser  aus  den  zersetzten  Gesteinen  ausge- 
waschen wurden  und  sich  lose,  bisweilen  reichlich  angehäuft  finden,  bilden  sie 
den  sogen.  Magneteisensand.  Ausser  krystallisirt  findet  sich  der  Magnetit  in 
derben  Massen,  welche  als  krystallinischkömige  aus  Krystallkömem  zusammenge- 
setzt sind  und  durch  zunehmende  Kleinheit  der  Kömer  undeutlich  krystallinisch 
bis  fast  dicht  sind.  Der  kiystallinisch-kömige  Magnetit  ist  bisweilen  dmsig-kömig. 
Selten  ist  der  Magnetit  wirklich  dicht  und  als  solcher  derb  und  eingesprengt; 
sehr  selten  ist  er  feinerdig,  als  Ausfüllung  von  Hohlräumen  oder  als  Ueberzug 
vorkommend,  als  solcher  Eisenmulm  genannt. 

Er  ist  eisenschwarz,  zuweilen  in  stahlgrau,  der  kömige  auch  in  bräunlich- 
schwaiz  geneigt,  besonders  durch  Anlaufen,  ist  metallisch  glänzend,  oft  nur  unvoll- 
kommen bis  matt,  undurchsichtig,  hat  schwarzes  Strichpulver,  ist  spröde,  hat 
Härte  =  5,5 — 6,5  und  das  specif  Gewicht  =  4,9 — 5,2.  Ausgezeichnet  ist  er  durch 
seinen  Magnetismus,  immer  stark  auf  die  Magnetnadel  einwirkend,  oft  polarisch 
magnetisch  (der  natürliche  Magnet).  Auflallend  ist  hierbei  die  Erscheinung,  dass 
die  einzelnen  Krystalle  gewöhnlich  weniger  stark  magnetisch  sind  als  die  krystalli- 


368  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

nisch  feinkörnigen  bis  fast  dichten  Massen,  die  selbst  schon  stark  mit  £tsenox]rd- 
hydrat  durchzogen  sind,  daher  bräunlichschwarz  gefärbt  erscheinen  und  fiist  mitt 
sind.  Legt  man  ein  Bruchstück  solcher  in  Eisenfeilspäne,  so  werden  diese  vom 
Magnetit  angezogen  und  bleiben  daran  hängen.  Wegen  der  For^flanzung  des 
Magnetismus  reihen  sich  solche  Späne  aneinander,  wie  man  dies  auch  sehen  kann, 
wenn  man  einen  Magnetstab  durch  Eisenfeilspäne  hindurchzieht,  und  bilden 
Büschel,  welche  man  als  «Bart  bezeichnet.  Ist  der  Magnetit  polarisch  magnetisch, 
so  stehen  an  den  entgegengesetzten  Polen  die  den  Bart  bildenden  Büschelfaseni, 
(die  linear  geordneten  Eisenfeilspäne)  in  entgegengesetzter  Richtung.  Hängt  man 
ein  solches  polarisch  magnetisches  Stück  an  einem  Pferdehaar  oder  an  einem  ungt- 
drehten  Seidenfaden  auf,  so  nimmt  es  eine  Stellung,  wie  die  Magnetnadel  an, 
desgleichen  sieht  man  diese  Stellung  auch  einnehmen,  wenn  man  ein  solches 
Stück  auf  ein  Holzschiffchen  legt,  welches  auf  Wasser  in  einem  Gefässe  schwimmend 
sich  leicht  drehen  kann.  Die  anziehende  Kraft  des  Magnetit,  des  Magnes  lapts 
oder  kurzweg  des  Magnet  genannten  Steines  war  schon  den  Griechen  und  Römern, 
überhaupt  den  Alten  bekannt  und  es  soll,  wie  Plinius  in  seiner  historia  naturalis 
berichtete,  der  Magnet  seinen  Namen  nach  einem  Hirten  erhalten  haben,  der  ihn 
auf  dem  Berge  Ida  entdeckte,  weil  die  Nägel  seiner  Schuhe  und  die  eiserne  Spitze 
seines  Hirtenstabes  daran  hängen  blieben.  Abgesehen  von  der  Zugkraft  hatte 
jedoch  die  polarische  Richtung  (die  Richtkraft)  den  grössten  Einfluss  auf  die  ganxe 
Menschheit,  die  von  den  Chinesen  schon  looo  und  mehr  Jahre  vor  Chr.  lur 
Lenkung  der  Wagen  in  den  grossen  Steppen  der  Tartarei  benützt  wurde,  während 
sie  in  Europa  über  2000  Jahre  später  zur  Anwendung  kam. 

Als  Verbindung  des  Eisenoxydul  mit  Eisenoxyd  FeO-FejO,  enthält  der 
Magnetit  31^  Eisenoxydul  und  69^  Eisenoxyd  oder  72,4^  Eisen  und  27,6}  Sauer> 
Stoff  und  ist  das  eisenreichste  Erz  unter  den  Eisenerzen.  Unwesentlich  enthalt 
er  bisweilen  etwas  Titansäure  TiO,,  welche  als  titansaures  Eisenoxydul  FeO- 
TiOg  geringe  Mengen  des  Eisenoxydes  ersetzt,  auch  Magnesia  an  Stelle  von  Eisen- 
oxydul oder  Manganoxydul,  wie  besonders  der  oben  angeführte  Eisenmulm.  Als 
Pulver  ist  der  Magnetit  in  concentrirter  Chlorwasserstoffsäure  vollkommen  löslich; 
vor  dem  Löthrohr  ist  er  sehr  schwer,  nur  an  den  Kanten  schmelzbar.  Mit  Borax 
oder  Phosphorsalz  geschmolzen  zeigt  die  Perle  starke  Eisenreaction,  indem  sie 
heiss  dunkelroth  ist,  in  der  Oxydationsflamme  behandelt  beim  Erkalten  gelb,  in 
der  Reductionsflamme  behandelt  beim  Erkalten  gelblichgrtin  (oliven-  bis  berg- 
grün, bouteillengrün)  wird. 

Er  erleidet  bisweilen  eine  Umwandlung  in  Eisenoxyd,  wie  die  Martit  ge- 
nannten Pseudokrystalle  von  Hämatit  nach  Magnetit  von  San  Paulo  in  Brasilien  oder 
von  Kalinowkoi  bei  Beresowsk  am  Ural  zeigen,  wodurch  auch  derbe  Massen  von 
Magneteisenerz  in  Rotheisenerz  übergehen.  Gewöhnlich  tritt  dazu  Aufnahme  von 
Wasser,  wodurch  Brauneisenerz  entsteht,  doch  scheinen  derartige  Umwandlungen 
sehr  langsam  vor  sich  zu  gehen. 

Derbe  Massen  des  Magnetit  finden  sich  nicht  selten,  selbst  in  solcher  Aus- 
dehnung, dass  sie  als  Gesteinsart  aufgefasst  werden  könneh,  mächtige  Lager  oder 
Stöcke  bildend,  welche  dem  Gneiss,  Glimmerschiefer,  Amphibolit,  Chlorit-  und 
Thonschiefer,  den  Grünsteinen,  dem  kömigen  Kalk  u.  a.  eingelagert  sind,  be- 
sonders in  nördlichen  Ländern,  wie  in  Norwegen  (bei  Arendal),  Schweden  (bei 
Norberg  in  Westmanland,  Filipstad  in  Wermland,  am  Grengesberge  in  Dalarae, 
am  Taberge  in  Smaland  und  bei  Dannemora),  Lappland  (die  Magneteisencrzbeigt 
Kirunavara  und  Luossavara  in  Tomea-Lappmark,  den  mächtigen  Magneteisen- 


stoct  am  Gellivara  m  Lülea-Lappmark  bildend),  am  Ural  (cfie  Magneteisenberge 
von  Wissokaja-Gora  westlich  von  Nischne-Tagilsk,  der  Blagodat  bei  Kuschwinsk, 
der  Raschikanar  bei  Nischne-Turinsk),  in  Nord-Amerika  am  Oberen-See.  In 
Deutschland  treten  auch  Lager  von  Magnetit  auf,  wie  in  Schlesien,  am  Harz,  i» 
Sachsen,  Thüringen,  Nassau,  in  Oesterreich  (Steiermark,  Böhmen,  Mähren),  welche 
aber  nicht  so  mächtig  sind,  wie  die  nördlichen  Vorkommnisse;  südlich  sind 
beispielsweise  zu  erwähnen  die  Magneteisenerzlager  von  Rio  auf  Elba,  die  im 
südlichen  Spanien  und  in  Brasilien. 

Eingewachsene  Krystalle  oder  Kömer  sind  dagegen  sehr  häufig,  wie  in  Chlorit-^ 
schiefem  und  Talkschiefem  der  Alpen  oder  in  verschiedenen  anderen  Gebirgsarten, 
namentlich  vulkanischen,  meist  in  verhältnissmässig  grosser  Menge  und  bisweilen 
sehr  klein,  ja  selbst  so  klein,  dass  man  sie  nicht  mehr  mit  dem  unbewaffneten 
Auge  erkennen  kann,  sondern  nur  durch  starke  Vergrösserung,  wie  in  Trachyten, 
Obsidian,  Dolerit,  Basalt  u.  a. 

Schöne  Krystalle  finden  sich  beispielsweise  bei  Traversella  in  Piemont,  am 
Monte  Mulatto  in  Süd-Tyrol,  im  Binnenthale  im  Canton  Wallis  in  der  Schweiz, 
bei  Achmatowsk  am  Ural,  Kraubat  in  Steiermark,  Schwarzenberg  in  Sachsen, 
Morawicza  im  Banat  u.  a.  m. 

An  den  Magnetit  schliessen  sich  an: 

Das  tesserale  Titaneisenerz,  wozu  auch  der  sogen.  Iserin  von  der 
Iserwiese  in  Böhmen  gerechnet  wurde,  mit  verschiedenem  Gehalte  an  Titansäure, 
der  bis  zu  25^  ansteigend  (in  den  im  Nephelindolerit  von  Meiches  in  Hessen 
eingewachsenen  oktaedrischen  Krystailen  nach  A.  Knop)  gefunden  wurde. 

Das  tesserale  Talkeisenerz  von  Sparta  in  New-Jersey  und  der  Magne- 
ferrit  (Magnesioferrit)  vom  Vesuv,  in  welchem  letzteren  der  Gehalt  an  Magnesia 
(Talkerde)  bis  zur  Formel  MgO»Fe203  ansteigt 

Das  tesserale  Zinkeisenerz  oder  der  Franklinit,  welches  bei  schwarzer 
Farbe  braunes  Strichpulver  hat,  bis  über  20^  Zinkoxyd  enthält  und  vor  dem 
Lothrohre  auf  Kohle  unschmelzbar  einen  Zinkoxydbeschlag  absetzt.  Dieses  mit 
Zinkit  bei  Franklin  und  Stirling  in  New-Jersey  in  Nord-Amerika  vorkommende 
Erz  enthält  auch  neben  dem  Eisenoxydul,  Zinkoxyd  und  Eisenoxyd  noch  Mangan- 
oxydul und  Oxyd.  Die  Zusammensetzung  entspricht  der  Formel  RO'RjOj,  worin 
RO  wesentlich  Fe  und  ZnO  und  RjO 3 wesentlich  FejOj  ist;  MnO  und  Mn^O, 
sbd  als  Stellvertreter  vorhanden. 

Das  tesserale  Manganeisenerz,  Jacobsit  genannt,  am  Jakobsberg  in  Werm- 
and  in  Schweden,  welches  wesentlich  der  Formel  MnO-FejOj  entspricht 

Das  wichtige  tesseraleChromeisenerz  oder  der  C  h  r  o  m  i  t ,  welcher  besonders 
tur  Darstellung  gewisser  Chromfarben  benützt  wird.  Er  enthält  Chromoxyd  in 
wechselnden  Mengen  bis  zu  60 f,  nebenbei  Eisenoxydul  etwas  Magnesia  und 
Phonerde  und  ist  ausser  der  Chromreaction  vor  dem  Lothrohre  bei  seiner  bräun - 
ichschwarzen  Farbe  durch  einen  braunen  Strich  vom  ähnlich  aussehenden  Mag- 
letit  unterscheidbar. 

Alle  diese  sich  dem  Magnetit  anreihenden  isomorphen  Eisenerze  sind 
nehr  oder  weniger  magnetisch  und  entsprechen  in  ihrer  Zusammensetzung  der 
illgemeinen  Formel  RO^R^O,,  welche  nach  dem  beiden  Skleriten anzufahrenden 
»pinell  die  Spinellformel  ist  In  diesem  gleichfalls  mit  Magnetit  isomorphen 
rlinerale  ist  aber  RO  wesentlich  Magnesia,  R^O,  wesentlich  Thonerde  und  von 
bm  gehen  eisenhaltige  Varietäten  aus,  welche  in  die  isomorphen  Eisenerze 
iberfiihrcn. 

KMXHQoTTt  Mia.«  Geol.  u.  PaL    I,  34 


370 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


2.  Das  Rotheisenerz  oder  der  Hämatit,  benannt  als  Eisenerz  nach  der 
rothen  Farbe  des  Strichpulvers  oder  nach  dem  griechischen  Namen  luumaäUi, 
Blutstein,  einer  fasrigen  Varietät  dieses  Minerales,  welche  bisweilen  noch  als 
Schmuckstein  geschliffen  wird,  häufiger  dagegen  als  Polir-  und  Putzmittel  meuUcner 
Gegenstände  benützt  wird. 

Der  Hämatit  kiystallisirt  hexagonal,  rhomboedrisch-hemiedrisch.  Als  Grund- 
gestalt wurde  das  wenig  spitze  Rhomboeder  (Fig.  5)  aufgestellt,  dessen  Endkanten- 
Winkel  =  86®  ist.  Dasselbe  kommt  auch  für  sich  an  Krystallen  vor,  oder 
combinirt  mit  den  Basisflächen  oR  (Fig.  6),    welche  weiter  ausgedehnt  (Fig.; 

(Min.  60-68.) 


Fig.  7. 


Fig.  5- 


Fig.  6. 


i  "Ti. 


F!g.  8. 


bis  zu  tafelartigen  Krystallen  (Fig.  8)  führen,  an  denen  die  Rhomboederfläcbcn  R 
untergeordnet  sind.  In  Combinationen  treten  auch  noch  andere  Rhomboeder  aui. 
wie  das  sehr  stumpfe  Rhomboeder  ^R  (Fig.  9,  an  R  dreiflächige  Zuspitzung  der 
Endecken  bildend,  die  Zuspitzungsflächen  gerade  auf  die  Rflächen  aufgeseir 
mit  dem  Endkantenwinkel  =  142®  58',  das  stumpfe  Rhomboeder  ^R'  mit  des 
Endkantenwinkel  =115^9',  welches  die  Endkanten  von  R  gerade  abstumpft,  da^ 
spitze  Rhomboeder  2R'  mit  dem  Endkantenwinkel  =  68^43'.  Häufig  findet  sid 
die  hexagonale  Pyramide  diagonaler  Stellung  |^P2,  deren  Endkantenwinkel  =  k^ 
und  deren  Seitenkantenwinkel  =  122^24^'  sind,  nicht  für  sich  allein,  sonden 
combinirt  mit  den  Basisflächen  oR  (Fig.  10),   durch   deren  Vorherrschen  auct 

Min.  64-67.) 


Fig.  9. 


Fig.  IG. 


Fig.  II. 


Fig.  la. 


tafelartige  Krystalle,  hexagonale  Tafeln  mit  zugeschärften  Rändern  entstehen 
während  auch  am  Hämatit  hexagonale  Tafeln  mit  geraden  Randflächen  vorkomroef 
durch  die  Combination  der  Basisflächen  mit  dem  diagonalen  hexagonalen  Pn>su 
Roo.  Selten  sind  prismatische  Krystalle,  denen  die  Combination  Roo-oR  .'- 
Grunde  liegt  (z.  B.  Fig.  11  in  Combination  mit  R).  Die  hexagonale  P)Tanaide 
4-P2  ist  in  Combination  mit  verschiedenen  Gestalten  verbunden,  besonder  mit 
R  und  oR  (Fig.  12)  und  anderen  mehr.  Die  Krystalle  sind  im  Allgemeinen  wr 
herrschend  rhombo^drische,  oder  pyramidale,  oder  tafelartige,  selten  prismatöche 


Erze.  371 

Bisweilen  finden  sich  auch  Zwillinge.  Spaltbarkeit  unvollkommen  parallel  oR  und 
R;  der  Bruch  ist  muschlig  oder  uneben. 

Die  Krystalle  sind  meist  aufgewachsen,  selten  eingewachsen,  bilden  auch 
Gruppen,  von  denen  die  »Eisenrosen«  genannten  Gruppen  (besonders  schön 
die  von  der  Fibia  am  St.  Gotthard  in  der  Schweiz)  hervorzuheben  sind,  welche 
aus  laniellaren  Krystallen  zusammengesetzt  rosettenförmige  Gruppen  bilden.  Sie 
gehen  von  kurz -prismatischen  polys)rnthetischen  Krystallen  aus,  welche  aus 
kleinen  homolog  gruppirten  hexagonalen  Tafeln  bestehen  und  gehen  in  abge- 
stumpfte konische  oder  wulstige  Formen  über,  die  verschiedensten  Stadien  rosetten- 
fbrmiger  Gruppirung  durchlaufend. 

Ausser  krystallisirt  findet  sich  der  Hämatit  in  derben  Massen,  welche  als 
krystallinisch'kömige  oft  drusig-körnig  sind  und  bei  abnehmender  Grösse  der 
Individuen  bis  in  dichten  Hämatit  übergehen.  Sind  die  derben  Massen  aus 
Krystall-Lamellen  (Blättern  bis  Schuppen),  welche  im  Aussehen  bezüglich  der 
Form  an  die  Glimmer  genannten  Minerale  erinnern  und  daher  Eisenglimmer 
genannt  wurden,  zusammengesetzt,  so  sind  sie  als  krystallinischblättrige  bis 
schuppige,  durch  parallele  Anordnung  der  Lamellen  schiefrig  abgesondert  und 
werden  als  Gesteinsart  vorkommend  Eisenglimmerschiefer  genannt.  Ausser- 
dem findet  sich  der  Hämatit  auch  dicht  (der  sog.  Rotheisenstein)  und  erdig 
(als  rother  Eisenocher,  Rotheisenocher). 

Eine  besondere  Varietät  bildet  der  fasrige  Hämatit,  dessen  Fasern  fest  mit 
einander  verwachsen  divergent  oder  radial  gegeneinander  gestellt  nach  aussen 
in  krummflächige  (kugelige,  halbkugelige,  durch  Verwachsung  traubige  bis  nieren- 
fbrmige)  stalaktitische  Gestalten  übergehen,  welche  Glaskopf  und  im  Gegen- 
satz zu  ähnlichen  Gestalten  anderer  Minerale  rother  Glaskopf  genannt  wurden. 
Sie  sind  von  verschiedener  Grösse  je  nach  der  Länge  der  Fasern,  welche  bis 
über  20  Centimeter  lang  vorkommen  und  andererseits  wenige,  selbst  nur  bis 
einen  Millimeter  Länge  haben.  Da  diese  knolligen,  nierenförmigen  bis  traubigen 
Gestalten  äusserlich  eine  glatte  Oberfläche  haben,  hat  man  die  Entstehung  des 
Namens  Glaskopf  in  der  glatten  Oberfläche  gesucht,  als  wenn  sie  ursprünglich 
Glatzkopf  genannt  worden  wären.  Diese  krummflächigen  Gestalten  zeigen  ausser 
der  fasrigen  Absonderung  auch  oft  eine  krummschalige  Absonderung,  entsprechend 
der  äusseren  Begrenzung. 

Das  Aussehen  der  verschiedenen  Hämatit- Varietäten  ist  verschieden,  indem 
die  Krystalle  eisenschwarz  bis  stahlgrau-,  metallisch  glänzend  und  undurchsichtig 
sind,  also  vollkommen  metallisches  Aussehen  haben,  wesshalb  man  sie  als 
Varietät  Eisenglanz  (Glanzeisenerz  oder  Eisenglanzerz)  genannt  hat. 
Die  Farbe  des  Striches  ist  aber  roth,  wenn  auch  bisweilen  dunkel  bis  röthlich- 
schwarz,  wie  bei  den  Basanomelan  genannten  Eisenrosen.  Dieses  metallische, 
bei  geringem  Glänze  bis  halbmetallische  oder  unvollkommen  metallische  Aus- 
sehen zeigen  auch  die  krystallinisch-kömigen  derben  Rotheisenerze,  welche  be- 
sonders als  klein-  bis  feinkörnige  röthlichgrau  oder  röthlichschwarz  sind  und  im 
Bruche  wenig  schimmern.  Dieser  Stich  der  Farbe  in  das  Rothe  wird  zunächst 
meist  durch  fein  anhängende  pulverulente  Theilchen  erzeugt,  welche  beim  Zer- 
schlagen entstehen.  Bisweilen  sind  sehr  dünne  lamellare  Krystalle  oder  Krystall- 
schüppchen  roth  durchscheinend,  welche  zu  lockeren,  zerreiblichen,  schaumigen 
Parthien  oder  derben  Massen  verwachsen,  oder  als  Ueberzug  vorkommend  roth  er 
Eisenrahm  genannt  worden  sind. 

Bei  dem  dichten  Hämatit,  dem  Rotheisenstein,  und  bei  dem  fasrigen  geht  die 

24* 


372  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

eisenschwarze  oder  stahlgraue  Farbe  in  röthlichgraue,  bräunlichrotfae  bis  kiisch- 
rothe  über,  sie  sind  wenig  glänzend  oder  schimmernd,  undurchsichtig  und  haben 
blutrothen  Strich.  Der  erdige  (der  sogen.  Röthel)  ist  bräunlich-  oder  blutroth, 
matt  und  undurchsichtig. 

Der  Hämatit  hat  die  Härte  =  5,5 — 6,5,  welche  bei  den  dichten,  fasrigen 
und  erdigen  Varietäten  aber  geringer  erscheint,  nur  bei  Krystallen  und  krystal- 
linischgross-  bis  grobkörnigen  in  der  normalen  Höhe  gefunden  werden  kann; 
das  spec.  Gew.  ist  =  S,i  —  5,3;  er  ist  schwach  bis  nicht  magnetisch.  Als  Eisen* 
oxyd  Fe,Og  enthält  er  70^  Eisen  und  30^  Sauerstoff,  also  nicht  so  viel  Eisen  wie 
der  Magnetit;  bisweilen  enthält  er  wie  die  sog.  Eisenrosen,  etwas  Titansäure 
TiOj,  welche  in  Verbindung  mit  Eisenoxydul,  als  FeO-TiO,  geringe  Mengen 
des  Fe^Oj  ersetzt,  welche  titanhaltigen  Varietäten  bei  zunehmendem  Gehalte  an 
FeO'TiO)  in  den  Ilmenit,  das  mit  Hämadt  isomorphe  rhomboedrische  Titan- 
eisenerz überführen.  Fremde  Beimengimgen  sind  besonders  in  den  in  grossen 
Massen  auftretenden  Varietäten,  den  kömigen  bis  dichten  und  erdigen  enthalten, 
namentlich  den  dichten  und  erdigen,  wonach  üian  solche  als  kieselige, 
thonige,  mergelige  und  kalkige  Rotheisensteine  unterschieden  findet 
In  Säuren  ist  er  langsam,  leichter  als  Pulver  auflöslich;  vor  dem  Löthrohre  ist 
er  unschmelzbar  und  wird  in  der  Reductionsflamme  stärker  magnetisch;  die 
rothen  Abänderungen  werden  dabei  schwarz.  Die  Reactionen  auf  Eisen  mit  Borax 
und  Phosphorsalz  sind  dieselben  wie  bei  dem  Magnetit 

Der  Hämatit  ist  ein  weit  verbreitetes  und  häufig  vorkommendes  Mineral; 
er  findet  sich  als  Eisenglanz  genannte  Varietät  krystallisirt  in  Drusen  und  Nestem. 
auf  Klüften,  Gängen  und  Lagern,  in  verschiedenen  älteren  und  jüngeren  kiystalli- 
nischen  Gesteinsarten  eingewachsen  und  krystallinischkömig  oder  krystallinisch- 
blättrig  bis  schuppig,  auch  selbst  als  Gesteinsart.  Als  Fundorte  schöner  Kiystaüe 
sind  zu  nennen,  die  Insel  Elba,  der  St.  Gotthard,  das  Tavetsch-  und  Binnenthal 
in  der  Schweiz,  Traversella  in  Piemont,  Framont  in  den  Vogesen,  Altenbuig  in 
Sachsen,  Zinnwald  in  Böhmen,  Salm  Chäteau  in  den  Ardennen,  Katharinenbui^g 
und  Nischne-Tagilsk  im  Ural,  der  Vesuv,  Aetna  und  die  liparischen  Inseln  und 
Capao  in  Brasilien.  Kristallinische,  z.  Th.  ausgedehnte  Massen  finden  sich  in 
Brasilien,  in  Schweden,  Lappland,  Norwegen,  am  Harz,  auf  Elba  und  in  anderen 
Ländern.  Die  undeutlich  krystallinischen,  dichten  und  erdigen  Varietäten  finden 
sich  sehr  häufig  untergeordnet  in  sedimentären  Formationen,  die  reineren  in  den 
älteren,  unreinere  in  den  jüngeren.  Der  fasrige  (der  sog.  rothe  Glaskopf)  findet 
sich  auf  Gängen  und  Lagern,  wie  bei  Zorge,  Lauterber^  Andreasberg,  Buchen- 
berg  und  Ilfeld  am  Harz,  Johanngeorgenstadt,  Eibenstock,  Schwarzenberg  und 
Schneeberg  in  Sachsen,  Brilon  in  Westphalen,  Eisenbach  im  Schwarzwalde. 
Framont  in  den  Vogesen,  Platten  in  Böhmen,  in  Wales,  Devonshire  und  Camber 
land  in  England  u.  a.  a.  O. 

Wie  bereits  oben  erwähnt  wurde,  enthält  der  Hämatit  bisweilen  Titansäare 
in  Verbindung  mit  Eisenoxydul  als  FeO'TiOj  das  Eisenoxyd  zum  Theil  er- 
setzend und  führt  bei  Zunahme  der  Titansäure  über  in 

Ilmenit,  das  rhomboedrische  Titaneisenerz,  welches  mit  dem  Hämatit 
isomorph  ist  Diesem  Titaneisenerz  sind  nach  und  nach  verschiedene  Namen 
gegeben  worden,  wie  Ilmenit  ausschliesslich  das  im  Miascit  vom  ümensee  m 
Sibirien,  Crichtonit  das  von  Bourg  d'Oisans  im  Dauphin^  in  Frankreich, 
Kibdelophan  das  in  Talk  bei  Gastein  in  Salzburg,  Menacanit  das  lose  im 
aufgeschwemmten  Lande  bei  Menacan  in  Comwall  vorkommende,  Washingtooit 


Ewc.  373 

das  von  Washington  in  Connecticut  in  Nord-Ainerika  genannt  wurde,  während 
unter  diesen  Namen  der  Name  Ilmenit  als  Speciesname  bevorzugt  wird. 

Der  Dmenit  findet  sich  krystallisirt  und  die  auf-  oder  eingewachsenen 
Krystalle  sind  ähnlich  denen  des  Hämatit,  nur  im  Allgemeinen  weniger  deut- 
lich und  gut  ausgebildet  als  bei  jenem;  die  Grundgestalt  ist  ein  wenig  spitzes 
Rhomboeder  R  mit  dem  Endkantenwinkel  nahe  =86^  und  die  Krystalle  sind 
wie  bei  dem  Hämatit  entweder  tafelartige  oder  rhomboedrische,  wobei  auch  die 
hexagonale  Pyramide  diagonaler  Stellung  ^  P2  in  Combination  mit  den  Basis- 
flächen und  dem  Rhomboeder  R  auftritt.  Die  Combinationen  sind  aber  weniger 
flächenreich  und  mannigfaltig  als  bei  dem  Hämatit.  Ausser  krystallisirt  findet 
sich  der  Ilmenit  derb,  krystallinisch-kömig  oder  schalig  abgesondert,  eingesprengt 
und  lose  Kömer  bildend.  Die  Spaltbarkeit  wie  bei  Hämatit  parallel  den  Rhom- 
boederflächen  R  oder  parallel  den  Basisflächen,  deutlich  bis  undeutlich,  der 
Bruch  ist  muschlig  bis  uneben.  Der  Ilmenit  ist  eisenschwarz,  z.  Th.  ins  Braune 
oder  Graue  geneigt,  unvollkommen  metallisch  glänzend  bis  halbmetallisch,  un- 
durchsichtig, hat  schwarzen  bis  bräunlichschwarzen  oder  röthlichschwarzen  Strich, 
Härte  =  5,5  — 6,5  und  spec.  Gew.  =  4,5  —  5,0,  ist  wenig  oder  nicht  magnetisch. 

Er  ist  wesentlich  titansaures  Eisenoxydul  FeO-TiOj  mit  53^  Titansäure 
und  47  Eisenoxydul,  enthält  aber  meist  etwas  Eisenoxyd  (Fe,Oj  srsFeO-FeO,) 
als  isomorphen  Vertreter  des  Titanates  FeO'TiO^,  wodurch  der  Gehalt  an 
Titansäure  allmählich  abnimmt  und  die  Ilmenite  in  titansäurehaltigen  Hämatit  über- 
fuhren. Ausserdem  enthalten  einzelne  Vorkommnisse  Mangan  (Oxydul  oder  Oxyd 
oder  Hyperoxyd)  und  besonders  Magnesia,  deren  Gehalt  bei  einem  Vorkommen 
von  Layton's  Farm  in  New-York  so  bedeutend  ist,  dass  dieses  nahezu  der  Formel 
MgO'TiOj  -h  FeO'TiOj  entspricht  und  eigentlich  als  besondere  Species 
getrennt  werden  müsste,  da  auch  das  spec.  Gew.  desselben  bis  auf  4,3  herab- 
gehL 

Er  ist  in  Salz-  oder  Salpetersäure  mehr  oder  minder  schwer  löslich,  die 
Titansäure  ausscheidend;  mit  concentrirter  Schwefelsäure  erhitzt,  ertheilt  er 
dieser  eine  blaue  Farbe.  Vor  dem  Löthrohre  ist  er  unschmelzbar  und  zeigt  mit 
Borax  und  Phosphorsalz  die  Beaction  auf  Eisen  und  Titan.  Durch  Zusammen- 
schmelzen mit  saurem  schwefelsaurem  Kali  wird  er  vollständig  aufgeschlossen  und 
bei  der  Lösung  der  Schmelze  in  Wasser  wird  die  Titansäure  ausgeschieden. 

Der  Ilmenit  findet  sich  in  ähnlicher  Weise  wie  der  Hämatit,  nur  seltener 
und  nicht  so  massenhaft,  um  als  Eisenerz  zur  Darstellung  von  Eisen  benützt 
werden  zu  können;  überdies  ist  das  Titaneisenerz  wegen  der  grossen  Streng- 
flüssigkeit dazu  nicht  sonderlich  brauchbar. 

3.  Das  Brauneisenerz  oder  der  Limonit.  Der  Name  Brauneisenerz 
bezieht  sich  auf  die  wesentliche  braune  Farbe  dieses  Eisenerzes,  während  der 
Name  Limonit,  gebildet  von  dem  griechischen  Worte  leimon,  Wiese,  sich  auf 
den  Namen  Wiese  nerz  bezieht,  womit  eine  gewisse  später  anzugebende  Varietät 
belegt  wurde. 

Das  Brauneisenerz  oder  der  Limonit  ist  bis  jetzt  nicht  krystallisirt  gefunden 
worden,  es  ist  aber  nicht  amorph,  indem  es  ausser  dicht  und  erdig  noch  mit 
eigenthümlicher  mikrokrystallischer  Bildung  vorkommt,  welche  der  des  rothen 
Glaskopfes,  des  fasrigen  Hämatit  entspricht.  Es  bildet  wie  dieser  feinfasrige 
Aggregate,  deren  Fasern  divergent  gegeneinander  gestellt,  gewöhnlich  fest  mit 
einander  verwachsen  sind.  Die  fasrigen  Aggregate  sind  stalaktitische  Gebilde 
und  bilden  krummflächige  kuglige,    traubige,    nierenfbrmige,    cylindrische   und 


374  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

conische  Gestalten,  oft  mit  krummschaliger  Absonderung,  welche  an  der 
Oberfläche  gewöhnlich  glatt  sind  und  desshalb  wie  bei  dem  fasrigen  Hämadt  zu 
dem  Namen  Glaskopf  führten,  und  die  wegen  der  braunen  Farbe  des  lnünerals 
brauner  Glaskopf  genannt  werden.  Es  ist  jedoch  schon  im  Voraus  zu  be- 
merken, dass  nicht  alle  derartig  gestalteten  braune  Vorkommnisse  dem  Limonit 
allein  angehören,  indem  auch  der  Pyrrhosiderit,  von  welchem  weiter  unten 
die  Rede  sein  wird,  solche  Vorkommnisse  bildet,  und  dass  dann  nur  durch  eine 
chemische  Untersuchung  entschieden  werden  kann,  ob  sie  dem  Limonit  oder  dem 
Pyrrhosiderit  zugehören. 

Ausser  so  mikrokrystallisch  findet  sich  der  Limonit  dicht  mit  muschligem 
bis  unebenem  Bruche  oder  erdig  (als  brauner  bis  gelber  Eisenocher  oder 
Brauneisenocher).  Der  dichte  Limonit  erscheint  meist  in  derben  Massen, 
welche  z.  Th.  von  mächtiger  Ausdehnung,  selbst  als  Gesteinsart  (Brauneisenstein 
genannt)  aufgefasst  werden,  lagerartig  vorkommen.  Ausserdem  bildet  der  dichte 
Limonit  selbständige  kugelige,  knollige,  elliptische,  niereniormige  Gestalten,  welche 
als  Concretionen  gebildet  der  äusseren  Gestalt  entsprechend  oft  im  Inneren 
krummschalig  abgesondert  und  gegen  das  Centrum  zu  lockerer  bis  erdig  sind, 
so  dass  ein  erdiger  Kern  durch  erdigen  Limonit  gebildet  wird.  Bisweilen  sind 
diese  im  Allgemeinen  Eisennieren  genannten  kugligen,  knolligen  u.  s.  w.  Ge- 
bilde im  Inneren  hohl  oder  umschliessen  fremdartige  Minerale,  wie  Sandkörner 
und  kleine  Quarzgeschiebe.  Bemerkenswerth  ist  das  massenhafte  Vorkommen 
solcher  Eisennieren  von  geringer  Grösse  und  in  kugliger,  z.  Th.  etwas  plattge* 
drückter  Form,  welche  durchschnittlich  Erbsengrösse  haben,  oder  kleiner,  oder 
grösser  sind  und  Bohnerz  (Bohnenerz)  genannt  werden,  auch  Linsenerz,  wenn 
sie  klein  und  flach  sind,  oder  ohne  Rücksicht  auf  diesen  Unterschied  Eisenoolith 
heissen.  Dieses  Bohnerz  bildet  Lager  oder  Kluftausfüllungen  und  zeigt  sich  in 
derben  Aggregaten  solcher  verkitteten  kleinen  Eisennieren  oder  es  sind  solche 
Gebilde  in  thonigen,  mergeligen  und  kalkigen  Gesteinen  einzeln,  aber  sehr  zahl- 
reich eingewachsen,  namentlich  in  der  Juraformation.  Wegen  des  massenhaften 
Auftretens  dienen  sie  zur  Darstellung  des  Eisens,  sind  aber  nicht  reines  Braun- 
eisenerz, sondern  besonders  mit  Thon  gemengt. 

Eine  weitere  Varietät  des  dichten  Brauneisenerzes  ist  das  gleichfalls  unreine 
Wiesenerz  (woher  der  Name  Limonit  stammt),  auch  See-,  Sumpf-,  Morast- 
erz oder  Raseneisenerz  genannt,  welches  grosse  Massen  bildend,  gewöhnlich 
löcherig,  zellig  oder  porös  ist  und  als  Gesteinsart  vorkommt 

Wenn  alle  diese  Vorkommnisse,  mit  Einschluss  des  erdigen  Brauneiseoerzei 
(des  Brauneisenocher)  derselben  Species  (dem  Brauneisenerz  oder  Limonit)  vi- 
gezählt  werden ,  so  sind  in  Ermangelung  bestimmter  Kiystallisation  die  Eigen- 
schaften dieser  fasrigen,  dichten  und  erdigen  Varietäten  nicht  ganz  überein- 
stimmende, sondern  es  ent  scheidet  über  die  Zusammengehörigkeit  wesentlich  die 
chemische  Zusammensetzung.  Charakteristisch  ist  die  braune  Farbe«  welche 
dunkel  bis  hell,  einerseits  von  kastanien-  und  nelkenbraun  bis  zu  schwärzlich 
braun  variirt,  andererseits  von  gelblichbraun  bis  ins  Ochergelbe  übergeht,  inden^ 
der  Brauneisenocher  oder  das  erdige  Brauneisenerz  bräunlichgelb  bis  gelb 
(och ergelb)  ist;  bräunlichschwarz  oder  schwarz  sind  bisweilen  die  stalaktitischen 
Gebilde  des  fasrigen  Brauneisenerzes  an  der  glatten  Oberfläche.  Diese  zeigen 
an  der  Oberfläche  auch  halbmetallischen  Glasglanz,  während  sie  im  Inneren 
durch  die  Faserbildung  seidenartig  glänzen,  die  dichten  Varietäten  sind  gewor^n- 
lieh  glanzlos  oder  matt,  bisweilen  schimmernd  bis  gläiuend  (wie  der  sog.  Stiipoo- 


Erze.  375 

>iderit,  von  dem  griechischen  Worte  sHlpnos,  glänzend,  benannt)  mit  einem 
eigenthümlichen  starken  Wachsglanz,  welcher  bei  der  dunklen  braunen  Farbe  das 
beztlgliche  dichte  Brauneisenerz  im  Aussehen  mit  Pech  vergleichen  Hess;  wesshalb 
es  auch  Eisenpecherz  genannt  wurde.  Aehnliche  Vorkommnisse  bietet  auch 
der  dichte  Pyrrhosiderit 

Das  Brauneisenerz  ist  undurchsichtig,  hat  gelblichbraunen  bis  ochergelben 
Strich,  die  Härte  =5,5  —  4,5  und  das  spec.  Gew.  =3,4  —  4,0.  Es  ist  eine 
Verbindung  des  Eisenoxydes  mit  Wasser  nach  der  Formel  Z'^^0*7,Y^^0^^ 
welche  85,6  Eisenoxyd  und  14,4  Wasser  erfordert,  wonach  ganz  reines  Braun- 
eisenerz 60  Procent  Eisen  ergeben  würde,  während  in  Wirklichkeit  der  Gehalt 
an  Eisen  wegen  der  verschiedenartigen  Beimengungen  erheblich  geringer  ist. 
Ausser  Manganoxyd,  welches  oft  in  geringer  Menge  das  Eisenoxyd  vertritt,  ent- 
halten die  Brauneisenerze  oft  Thon  und  Kieselsäure  oder  Silicate  als  Beimeng- 
ung, besonders  die  dichten  und  erdigen,  wie  das  Bohnerz  und  das  Wiesenerz, 
in  welchem  letzteren  auch  Phosphate  von  Eisenoxydul  oder  Oxyd  oder  Schwefel- 
Terbindungen  vorkommen  und  auf  die  Verhüttung  desselben  einen  erschwerenden 
Einfluss  ausüben.  Vor  dem  Löthrohre  ist  das  Brauneisenerz  sehr  schwer 
schmelzbar,  in  der  Oxydationsflamme  wird  es  braunroth  oder  roth,  in  der  Re- 
ducdonsflamme  schwarz  und  magnetisch.  Im  Glasrohre  erhitzt  giebt  es  reichlich 
Wasser  und  wird  gleichfalls  geröthet.  In  Salz-  oder  Salpetersäure  ist  es  auf- 
löslich. 

Es  ist  ein  sehr  häufiges  Mineral,  welches  auf  Lagern  und  Gängen  in  den 
verschiedensten  Formationen  vorkommt,  oft  durch  Umwandelung  entsteht  und 
daher  oft  Pseudokrystalle,  wie  besonders  nach  Siderit,  Mesitin,  Pyrit  und  Markasit 
bildet 

Da  bereits  schon  oben  erwähnt  wurde,  dass  dem  fasrigen  und  dichten  Braun- 
eisenerz Vorkommnisse  des  Pyrrhosiderit  ähnlich  sind,  so  ist  dieser  hier  auch 
noch  als  eine  zu  den  Eisenerzen  zu  rechnende  Species  anzuführen,  obgleich  sie 
seltener  und  nicht  so  massenhaft  auftritt  wie  der  Limonit,  daher  für  die  Eisen- 
gewinnung nicht  so  wichtig  ist. 

4.  Der  Pyrrhosiderit  wegen  der  röthlichgelben  und  röthlichbraunen  Farbe 
mach  dem  griechischen  fyrrhos^  röthlichgelb,  und  sideros,  Eisen)  benannt,  wurde 
früher  nicht  von  dem  Brauneisenerz  unterschieden,  weil  er  auch  Eisenoxydhydrat 
ist,  jedoch  Eisenoxyd  und  Wasser  in  anderen  Verhältnissen  enthält.  Er  ist 
nämlich  nach  der  Formel  H^O'FejOj  zusammengesetzt,  89,9  Procent  Eisen- 
oxyd und  10,1  Wasser  enthaltend.  Die  nacheinander  als  verschieden  vom  Li- 
monit befundenen  Vorkommnisse  erhielten  verschiedene  Namen,  unter  denen  der 
Name  Pyrrhosiderit  einer  Varietät  gegeben  wurde,  welche  wegen  ihrer  röthlich- 
gelben, gelblichroth  und  röthlichbraun  durchscheinenden  kleinen  lamellaren 
Krystalle  und  Blättchen  auch  Rubinglimmer  genannt  worden  war  und  auch 
den  Namen  Göthit  erhalten  hatte. 

Der  Pyrrhosiderit,  wenn  man  so  die  Species  benennt,  krystallisirt  orthorhom- 
bisch,  prismatisch  bis  nadeiförmig  (daher  auch  Nadeleisenerz  genannt);  an 
deatlichen,  immerhin  kleinen  Krystallen,  wie  an  denen  von  Lostwithiel  in  Com- 
wall  in  England  ist  das  Prisma  00  P  (130°  40')  combinirt  mit  dem  Prisma  00  PV 
(94^  53)  und  der  Längsflächen  ooPoo,  am  Ende  zugespitzt  durch  eine  stumpfe 
Pyramide  jPY,  deren  Endkanntenwinkel  =121°  5'  und  126°  18'  sind  und  von 
denen  die  schärferen  durch  das  Längsdoma  2P00  (117^  30')  gerade  abgestumpft 
sind.     Die  Krystalle  sind  vollkommen  parallel  den  Längsflächen  spaltbar.     Die 


376  MiDeralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

nadelfbrmigen  Kiystalle  sind  meist  büschelförmig  gnippht  und  gehen  in  (asrige 
bis  sehr  zarte  kurze  haarförmige  Krystalle  über,  welche  leteteren  sammtardge 
Ueberzüge  bilden  (daher  Sammteisenerz  genannt,  wie  der  von  Przibram  in 
Böhmen  und  Hüttenberg  in  Kämthen).  Nadel-  bis  haarförmige  Krystalle  kommen 
auch  eingewachsen  in  Amethyst  und  Bergkr3rstall  vor,  z.  B.  bei  Oberstein  im 
Nahethal,  auf  der  Wolfsinsel  im  Onega-See  (daher  Onegit  genannt)  im  russischen 
Gouvernement  Olonetz,  bei  Dürrkunzendorf  und  Landeshut  in  Schlesien  u.  a.  a.  0. 
Durch  Vorherrschen  der  Längsflächen  werden  die  Krystalle  tafelartig  und  gehen 
in  zarte  Blättchen  über  (Rubinglimmer,  wie  der  von  der  Eisenzeche  bei  Eiser- 
feld im  Siegenschen  und  auf  dem  Hollerter  Zuge  im  Sa3mischen).  Zarte  Schüpp- 
chen erscheinen  auch  linear  gruppirt  aus  aneinander  gereihten  Schüppchen  ge- 
bildete Fasern  darstellend,  welche  selbst  wieder  radial  gruppirte  Ueberzüge. 
dünne  Lagen  und  nierenförmige ,  knollige  und  traubige  Gestalten  bilden  (der 
sog.  Lepidokrokit,  wie  bei  Sayn  und  Siegen  in  Westphalen  und  Eastoo  in 
Pennsylvanien)  während  andere  durch  lineare  Individuen  gebildete  fasrige  Aggre- 
gate ähnlich  wie  der  bei  Brauneisenerz  erwähnte  braune  Glaskopf  vorkommen, 
oft  zapfen-,  keulen-,  röhrenförmige,  cylindrische  und  dergl.  Gestalten  bildend 
Der  dichte,  z.  Th.  auch  Stilpnosiderit  (wie  das  ähnliche  Brauneisenerz),  findet 
sich  stalaktitisch,  derb  und  eingesprengt,  desgleichen  als  Pseudomorphose  nach 
P3rrit,  Markasit  und  Siderit.  Auch  finden  sich  stenglige  bis  stenglig-kömige 
Aggregate. 

Bei  so  verschiedenen  Varietäten  ist  das  Aussehen  verschieden,  die  Farbe  ist 
gelblichbraun,  ochergelb,  röthlichgelb,  röthlichbraun,  nelkenbraun,  schwärzlich- 
braun  bis  pechschwarz,  die  Krystalle  sind  diamantartig  glänzend,  der  fasrige  und 
schuppigfasrige  ist  seidenartig  glänzend,  der  dichte  wachsglänzend  bis  matt, 
Nadeln,  Fasern  und  Blättchen  sind  durchscheinend,  sonst  ist  er  undurchsichtig. 
Der  Strich  ist  gelblichbraun  bis  bräunlichgelb,  die  Härte  ist  =  4,5 — 5,5,  das 
spec.  Gew.  =  3,7— 4,4.  Er  ist  nicht  magnetisch,  hat  die  oben  angegebene  Zu- 
sammensetzung und  enthält  oft  etwas  Manganoxyd,  welches,  wenn  es  nicht  von 
Beimengung  abhängt,  einen  Theil  des  Eisenoxydes  ersetzt.  Bisweilen  ist  auch 
Kieselsäure  beigemengt  Das  Verhalten  vor  dem  Löthrohre  und  in  Säuren  ist 
dasselbe  wie  bei  dem  Brauneisenerz. 

Ausser  diesen  zwei  angeführten  Verbindungen  des  Eisenoxydes  mit  Wasser 
wurden  auch  noch  andere  als  Species  unterschieden,  welche  mehr  oder  weniger 
Wasser  enthalten,  so  wurde  der  Turgit,  welcher  dicht  in  den  Turginskischen 
Gruben  bei  Bogoslowsk  am  Ural  und  fasrig  bei  Salisbury  in  Connecticut  vor- 
kommt, als  der  Formel  HjO-2Fe,03  entsprechend  aufgestellt,  derXanthosiderit 
oder  das  Gelbeisenerz,  welcher  radialfasrig,  gelblichbraun  bis  röthlichbraun 
oder  bräunlichroth  bei  Dmenau  am  Thüringer  Wald,  dicht  und  erdig  an  anderen 
Orten  vorkommt  und  der  Formel  ^211,  O- Fe jOj  entsprechend  angegeben  wurde 
(Hausmann's  Gelbeisenstein)  und  das  meist  erdige,  liebte,  ochcrgclbe 
Quell erz  3H,0.Fe,  Oj.  Alle  derartige  Vorkommnisse  bedürfen  noch  ge- 
nauerer Bestimmungen,  um  sie  als  Species  zu  fixiren,  wenn  auch  die  Möglichkeil 
vorliegt,  dass  das  Eisenoxyd  verschiedene  Hydrate  bilden  kann. 

IL    Manganerze. 
Bei  den  Eisenerzen  wurde  mehrfach  bemerkt,  dass  Manganoxydul  und  Miß- 
ganoxyd  als  Vertreter  des  Eisenoxydul    und  des  Eisenoxydes   in  Verbbdungen 
vorkommen  und  auch  bei  den  Carbonaten  (Siderit,  Rhodochrosit,  Oligonit  u.  ».  s^ 


Erac.  377 

pag.  103)  konnte  diese  krystallograpbisch-chemische  Verwandtschaft  des  Mangan 
und  des  £isens  beobachtet  werden,  auf  die  Verbreitung  des  Mangan  in  unserer 
Erde  hinweisend.  Diese  zeigt  sich  auch  in  anderen  Verbindungen,  wie  Silicaten, 
Sulfaten,  Phosphaten  und  anderen,  und  wenn  auf  diese  Weise  die  Manganver- 
bindungen bemerkenswerth  sind  und  Mangan  in  vielen  Mineralen  vorkommt,  das 
Mangan  überhaupt  ein  weit  verbreiteter  Stoff  ist,  so  hat  es  doch  keine  ausgedehnte 
technische  Verwendung  gefunden.  Trotz  dessen  spielen  die  Manganerze  eine 
wichtige  Rolle  und  lassen  sich  zunächst  mit  den  Eisenerzen  vergleichen,  jedoch 
kommen  dieselben  nur  an  einzelnen  Fundorten  in  grösserer  Menge  vor,  um  als 
solche  gewonnen  werden  zu  können.  In  ihrer  Verbindungsweise  dagegen  er- 
scheinen sie  in  grösserer  Mannigfaltigkeit  als  die  Eisenerze.  Die  wichtigsten  der- 
selben sind  folgende: 

I.  Der  Hausmannit,  auch  Schwarzmanganerz  oder  Glanzbraunstein 
genannt,  die  dem  Magnetit  analoge  Verbindung  des  Mangan,  das  Manganoxydoxydul 
MnO-Mn^Oj.  In  Betreff  der  Namen  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass  Namen,  wie 
Schwarzmanganerz  und  Glanzbraunstein  nicht  bezeichnend  genug  für  die  einzelnen 
Spedes  sind,  wie  dies  sogleich  diese  beiden  Namen  zeigen,  indem  fast  alle  Mangan- 
erze schwarz  sind  und  bei  dem  Namen  Braunstein  für  mehrere  Manganerze  das 
Braun  ziemlich  bedeutungslos  für  dieselben  ist,  der  Glanz  den  Hausmannit  weniger 
aaszeichnet,  als  andere  Manganerze,  welche  durch  ihren  Glanz  viel  mehr  auffallen 
als  gerade  dieser.  Es  wurde  daher  in  neuerer  Zeit  nach  genauerer  Bestimmung 
der  verschiedenen  Species  nothwendig,  andere  Namen  vorzuziehen,  wie  hier  den 
in  Ehren  des  Göttinger  Professor  Johann  Friedrich  Ludmtig  Hausmann  gegebenen 
Namen  Hausmannit,  zumal  neben  anderen  Werken  desselben  Hausmannes  Hand- 
buch der  Mineralogie  in  der  mineralogischen  Litteratur  stets  seine  grosse  Bedeutung 
behalten  wird. 

Bei  der  dem  Magnetit  analogen  Zusammensetzung  des  Hausmannit  und  bei 
dem  häufigen  Auftreten  des  Manganoxydul  und  des  Manganoxydes  neben  den 
gleichen  Verbindungen  des  Eisens,  woraus  man  auf  Isomorphismus  des  Magnetit 
und  Hausmannit  schliessen  könnte,  ist  hervorzuheben,  dass  der  Hausmannit  nicht 
tesseral  krystallisirt,  sondern  quadratisch.  Die  in  krystallinisch-drusig-kömigen 
Massen  dieses  ziemlich  seltenen  Manganerzes  vorkommenden  Krystalle  bilden 
entweder  die  als  Grun^gestalt  P  gewählte  spitze  quadratische  normale  Pyramide, 
deren  Endkantenwinkel  r=s  105°  51'  und  deren  Seitenkantenwinkel  =:  116*^59'  sind, 
oder  diese  mit  vierflächiger  Zuspitzung  der  Endecken  durch  die  stumpfere 
Pyramide  ^P,  wozu  auch  noch  bisweilen  die  diagonale  quadratische  Pyramide 
P  00,  als  gerade  Abstumpfung  der  Endkanten  von  P  kommt.  Auch  Zwillinge 
wurden  nach  P  00  beobachtet.  Spaltungsflächen  parallel  den  Basisfiächen  sind 
ziemlich  vollkommen,  undeutliche  auch  nach  P  und  Poo  beobachtet;  der  Bruch  ist 
uneben.    Gewöhnlich  bildet  der  Hausmannit  derbe  krystallinisch-kömige  Massen. 

Er  ist  eisenschwarz,  bisweilen  bräunlichschwarz,  metallisch  glänzend,  undurch- 
sichtig, spröde,  hat  braunen  Strich,  Härte  =  5,0—5,5  und  spec.  Gew.  =  4,70 — 4,87. 
Als  MnO-Mn,Os  enthält  er  31^  Manganoxydul  und  69^  Manganoxyd  oder  72^ 
Mangan  und  28^  Sauerstoff.  Vor  dem  Löthrohre  ist  er  unschmelzbar  und  zeigt 
mit  Borax,  Phosphorsalz  oder  Soda  starke  Reaction  auf  Mangan,  in  Chlorwasser- 
stofibäure  ist  er  unter  Chlorentwicklung  löslich  und  färbt  als  Pulver  concentrirte 
Schwefelsäure  lebhaft  roth. 

Er  ist  ziemlich  selten,  findet  sich  auf  Gängen  in  Porphyren  bei  Ilfeld  am 


37^  Mineralogie,  Geologie  and  Palaeontologie. 

Harz   und  bei  Oehrenstock    unweit   Ilmenau  am  Thüringer  Wald,    reichlich  in 
Dolomit  bei  Pajsberg,  Nordmark,  Langban  und  Grythytta  in  Schweden. 

2.  Der  Braunit,  nach  dem  Kammerrath  Braun  in  Gotha  benannt,  auch  als 
Hartmanganerz  unterschieden,  obgleich  andere  Manganerze,  wie  der  Psilomclan 
und  Polianit  in  der  Härte  nicht  nachstehen,  ist  Manganoxyd  und  zeigt  auffallender- 
weise nicht  rhomboedrische  Kxystallisation  wie  das  Eisenoxyd  als  Hämadt  oder 
die  Thonerde  als  Korund,  sondern  krystallisirt  quadratisch.  Die  kleinen  bis  sehr 
kleinen  Kxystalle,  in  drusig-kömigen  Aggregaten  desselben  vorkommend  bilden 
gewöhnlich  die  als  Grundgestalt  P  gewählte  Pyramide,  welche  sehr  ähnlich  dem 
Oktaeder  ist,  indem  ihre  Endkanten winkel  =  109  **  53'  und  die  Seitenkanten- 
winkel  =  108^39'  sind,  auch  treten  dazu  die  Basisflächen  als  gerade  Abstumpfung 
der  Endecken.  Andere  Gestalten  sind  selten;  die  ziemlich  deutlichen  Spaltungs- 
flächen  sind  parallel  P;  der  Bruch  ist  uneben. 

Er  ist  auch  eisenschwarz  bis  bräunlichschwarz,  unvollkommen  metallisch 
glänzend  mit  Neigung  in  Wachsglanz,  undurchsichtig,  spröde,  hat  schwarzen 
Strich,  Härte  =  6,0—6,5  "^^  spec.  Gew.  =  4,73— 4i9.  Als  Manganoxyd  MnjO, 
enthält  er  69,6^  Mangan  und  30,4  Sauerstoff.  Vor  dem  Löthrohre  ist  er  un- 
schmelzbar und  verhält  sich  gegen  Reagentien  wie  der  Hausmannit;  von  Chlor- 
wasserstoffsäure wird  er  unter  Chlorentwickelung  aufgelöst 

Dieses  gleichfalls  seltene  Manganerz  findet  sich  beispielsweise  auf  Gängen 
in  Porphyr  bei  Oehrenstock,  Elgersburg  und  Friedrichsrode  am  Thüringer  Wald 
und  bei  Ilfeld  am  Harz.  Das  Vorkommen  von  St.  Marcel  in  Piemont  wurde 
wegen  wechselnden  Gehaltes  an  Kieselsäure  als  Marcelin  vom  Braunit  getrennt 
und  es  wurde  dieselbe  als  dem  Minerale  angehörig  betrachtet.  Es  hatte  auch 
Hermann  wegen  der  auffallenden  Verschiedenheit  der  Krystallisation  des  Haus- 
mannit vom  Magnetit  und  des  Braunit  vom  Hämatit  die  Zusammensetzimg  anders 
aufgefasst,  indem  er  für  den  Hausmannit  die  Formel  2MnO*MnO)  und  für  des 
Braunit  die  Formel  MnO'MnO^  aufstellte,  bei  welcher  Auffassung  der  Marcclin 
MnO-SiOj  als  Vertreter  für  einen  Theil  von  MnO-MnOj  enthalten  würde, 

3.  Der  Pyrolusit  oder  das  Weichmanganerz,  auch  gewöhnlich  Braun- 
stein genannt,  ein  reichlich  vorkommendes  Manganerz,  welches  besonders  bei 
der  Glasfabrikation  gebraucht  wird,  um  dem  Glase  die  von  Eisen  herrührenden 
grünen  bis  braunen  Farben  zu  nehmen.  Darauf  bezieht  sich  der  Name  Pyrolusit. 
von  dem  griechischen  pyr^  Feuer  und  luo^  ich  reinige,  während  der  Name  Weich- 
manganerz  sich  auf  die  geringe  Härte  desselben  bezieht. 

Der  Pyrolusit  ist  Manganhyperoxyd,  MnO^  mit  63, 2  f  Mangan  und  36,8  Sauer- 
stoff, eine  Verbindung,  welche  bei  den  Eisenerzen  kein  Analogon  hat  und  mh 
Chlorwasserstoffsäure  behandelt  unter  den  Manganerzen  am  reichlichsten  Chlor 
entwickelt,  dagegen  mit  Schwefelsäure  gekocht  Sauerstof)  abgiebt,  weshalb  er 
zur  Darstellung  von  Sauerstoff,  Chlor  und  Chlorcalcium  gebraucht  wird,'  ausser- 
dem in  der  Glas-  und  Emailmalerei,  zur  braunen  Töpferglasur,  zum  Färben  des 
Steingutes  u.  s.  w. 

Er  krystallisirt  orthorhombisch  und  die  in  Drusenräumen  aufgewachsenen^oder 
zu  drusigen  Aggregaten  verwachsenen  Krystalle  sind  gewöhnlich  nicht  deutlich 
ausgebildet.  Die  einfachste  Form  ist  bei  kurzprismatischer  Ausbildung  die  Combi- 
nation  des  Prisma  00  P  (93°  40')  mit  den  Quer-  und  Längsflächen,  den  Basisflächen 
und  einem  stumpfen  Querdoma  P  00  (140''),  die  verticalen  Flächen  sind  veftical  ge- 
streift und  weisen  auf  homologe  Verwachsung  hin,  welche  sich  auch  darin  zeigt, 
dass  die  Enden  bisweilen  in  viele  feine  Spitzen  zerfasert  erscheinen.  Auch  finden 
sich  tafclartige  und  spiessige  Krystalle.     Meist  ist  das  Mineral  derb  und  einge» 


Erze.  379 

sprengt,  bildet  aus  stengligen,  nadeiförmigen  bis  faserigen  Individuen  zusammenge- 
setzte Aggregate,  welche  stalaktische,  traubige,  nierenförmige,  Stauden-  und  knospen- 
förmige  Gestalten  darstellen  oder  es  sind  derbe  Massen  aus  unregelmässig  mit 
einander  verwachsenen  Fasern  gebildet,  bei  grosser  Kleinheit  der  Individuen 
übergehend  in  dichten  Pyrolusit;  selten  ist  er  erdig.  Er  ist  mehr  oder  weniger 
deutlich  spaltbar  parallel  dem  Prisma  oo  P,  den  Quer-  und  Längsflächen. 

Der  Pyrolusit  ist  eisenschwarz  bis  stahlgrau,  unvollkommen  metallisch  glän- 
zend, der  faserige  seidenartig,  undurchsichtig,  wenig  spröde  bis  milde,  hat 
schwarzen  Strich,  Härte  =:  2,5 — 2,0  und  spec.  Gew.  =  4,7 — 5,0;  vor  dem  Löth- 
rohre  ist  er  unschmelzbar  und  verwandelt  sich  durch  Verlust  von  Sauerstoff  bei 
starkem  Glühen  auf  der  Kohle  in  braunes  Manganoxydoxydul.  Er  findet  sich  auf 
Gängen  und  Lagern,  wie  beispielsweise  am  Thüringer  Wald,  namentlich  bei 
Ilmenau,  Elgersburg,  Friedrichsrode,  Schmalkalden,  bei  Ilfeld,  Zellerfeld  und 
Goslar  am  Harz,  bei  Arnsberg,  Hamm  und  Siegen  in  Westphalen,  zu  Vorder- 
ehrensdorf  bei  Mährisch-Trübau,  bei  Johanngeorgenstadt  in  Sachsen,  Platten  in 
Böhmen,  Macskamezö  in  Siebenbürgen,  Szaska  im  Banat  u.  a.  O. 

Da  er  oft  durch  Umänderung  des  Manganit  entsteht,  ist  es  bemerkenswerth, 
dass  bei  Platten  in  Böhmen,  Schneeberg;  Johanngeorgenstadt  und  Geier  in  Sachsen, 
auf  der  eisernen  Haardt  im  Siegen'schen  in  Westphalen,  in  Nassau  und  Comwall 
ein  eigenthüroliches  Manganerz  vorkommt,  welches  von  Breithaupt  nach  der 
licht  stablgrauen  Farbe  Polianit  (von  dem  griechischen  i^polianos^  grau)  ge- 
nannt wurde.  Dasselbe  krystallisirt  sehr  ähnlich  dem  Pyrolusit,  ist  faserig  oder 
kömig,  metallisch  glänzend,  undurchsichtig,  spröde,  hat  schwarzen  Strich,  die  be- 
deutend höhere  Härte  =6,5 — 7,0  und  das  spec.  Gew.  =  4,8 — 5,06  und  ist  eben- 
falls wie  der  Pyrolusit  Manganhyperoxyd.  Es  ist  demnach  nicht  unwahrscheinlich, 
dass  wie  Breithaupt  annahm,  der  Polianit  durch  Weicherwerden  in  Pyrolusit 
umwandelt,  eine  Erscheinung,  welche  bei  der  Identität  der  Substanz  schwierig  zu 
erklären  ist,  insofern  das  spec.  Gewicht  bei  Pyrolusit  und  Polianit  dasselbe  und 
die  Härte  so  auffallend  verschieden  ist. 

4.  Der  Manganit,  auch  Graumanganerz  genannt.  Derselbe  entspricht 
dem  Pyrrshosiderit  in  der  Reihe  der  Eisenerze,  indem  er  das  Manganoxydhydrat 
H}0-Mn2  03  ist.  Er  krystallisirt  auch  orthorhombisch  und  man  würde  bei  dem 
Isomorphismus  des  Pyrrhosiderit  Hj  O  •  Fe^ O3  mit  dem  Diaspor  Hj O  •  Alj  Oj  auch 
voraussetzen  können,  dass  der  Manganit  H^  O  •  Mn^  O3  mit  jenen  beiden  isomorph 
wäre,  doch  Hess  sich  dies  noch  nicht  durch  die  Berechnung  der  Gestalten  ge- 
nügend feststellen.  Er  ist  unter  allen  Manganerzen  durch  seine  flächenreichen, 
und  bisweilen  grossen  Krystalle  ausgezeichnet,  welche  auf  Gängen  und  in  Drusen- 
räumen als  aufgewachsene  vorkommend  lang-  bis  kurzprismatisch  sind  und  in  den 
verschiedenen  Combtnationen  bis  jetzt  an  fünfzig  verschiedene  Gestalten  finden 
liessen.  Unter  den  Prismen  ist  ooP(99°4o'),  ooPY(6i°i6'),  ooP|'(76°36')ooPT 
(134**  14')  als  häufig  vorkommende  anzuführen,  auch  finden  sich  in  der  verticalen 
Zone  die  Längs-  und  Querflächen  und  die  Spaltungsflächen  parallel  nach  den 
ersteren  sind  vollkommen,  während  die  parallel  dem  Prisma  os  P  deutlich,  parallel 
der  Basis  oP  unvollkommen  sind.  An  den  Enden  sind  ausser  der  Basis  besonders 
verschiedene  Querdomen  zu  beobachten,  unter  denen  Pöö  mit  der  Endkante 
114**  19'  hervorzuheben  ist;  sehr  verschiedene  Pyramiden,  unter  denen  die  als  Grund- 
gestalt ausgewählte  Pyramide  P  die  Endkantenwinkel  =  130  49'  und  120^54'  hat, 
aber  weniger  hervortritt,  mehr  die  Pyramide  PT  mit  den  Endkantenwinkeln 
i54°i3'  und  ii6°io',_und  PT  mit  den  Endkanten  =  162^40'  und  ii5°io'. 


380  Mioeralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  verticalen  Flächen  sind  meist  vertical  gestreift  und  die  langprismatischen 
bis  über  5  Centim.  langen  Krystalle  durch  homologe  Verwachsung  polysynthedscb, 
während  kurzprismatische  flächenreiche  Krystalle  knieförmige  Contactzwillinge 
nach  dem  Längsdoma  Poo  bilden,  dessen  Endkanten  =  122^50'  sind,  die  Haupt- 
achsen der  solche  Zwillinge  bildenden  Individuen  unter  diesem  Winkel  gegen- 
einander geneigt  sind.  Ausser  deutlichen  Kiystallen  bildet  der  Manganit  Stengel, 
Nadeln  bis  Fasern,  welche  bei  meist  radialer  oder  divergenter  (selten  paralleler) 
Stellung  zu  Aggregaten  verwachsen  sind;  selten  sind  kömige  Aggregate,  welche 
bis  in  scheinbar  dichten  Manganit  übergehen. 

Der  Manganit  ist  stahlgrau  bis  eisenschwarz,  bisweilen  bräunlich  oder  bunt 
angelaufen,  metallisch  glänzend,  undurchsichtig,  spröde,  hat  braunen  oder  bräim- 
lichschwarzen  Strich,  Härte  =  3,5 — 4,0  und  spec.  Gew.  4,3 — 4,4.  Als  H,O-Md,0, 
enthält  er  89,8  Manganoxyd  und  10,2  Wasser  und  wandelt  sich  oft  in  Pyrolusit 
um.  Vor  dem  Löthrohre  ist  er  unschmelzbar,  in  concentrirter  Chlorwasserstoff- 
säure  auflöslich,  Chlor  entwickelnd.  Er  wird  wie  der  Pyrolusit  verwendet  und 
findet  sich  besonders  ausgezeichnet  bei  Ilfeld  am  Harz,  auch  bei  Ilmenau  und 
Oehrenstock  am  Thüringer  Wald,  Undenäs  in  Westgothland  in  Schweden,  Chris- 
tiansand in  Norwegen,  Graham  in  Aberdeenshire  in  Schottland  u.  a.  a.  O. 

Ausser  den  vier  angeführten  durch  ihre  Krystallisadon  und  Zusammensetzimg 
sicher  bestimmten  Arten  von  Manganerzen  giebt  es  noch  verschiedene  Vorkomm- 
nisse, welche  wegen  ihres  wesentlichen  Mangangehaltes  als  Manganerze  aofge&sst 
werden  können,  dagegen  in  chemischer  Beziehung  wegen  der  die  Constitutira 
ausdrückenden  Formel  Schwierigkeiten  bieten,  welche  häufig  von  Beimengungen 
beeinflusst  werden,  während  auch  mangelnde  Kiystallisation  die  UnterschddaDg 
erschwert  Von  solchen  Vorkommnissen  mögen  zwei  als  Beispiele  dienen, 
nämlich: 

5.  Der  Psilomelan,  auch  Hartmanganerz  genannt  Derselbe  bildet  meist 
stalaktitische  kuglige,  traubige,  nierenförmige,  röhrenförmige,  cylindrische  und 
verschiedene  andere  krummflächige  Gestalten,  welche  sich  zunächst  in  derFonn 
mit  denen  des  sogen,  rothen  und  braunen  Glaskopfes  (s.  pag.  370  u.  373)  veigleichen 
Hessen  und  daher  in  Rücksicht  auf  ihre  Farbe  als  schwarzer  Glaskopf 
von  jenen  unterschieden  werden.  Diese  sind  an  ihrer  Oberfläche  rauh  bis  gUtt 
und  auf  diese  bezüglich  wurde  der  Name  Psilomelan  aus  den  griechischen  Worten 
'^psilost  glatt  und  ^melas<i  schwarz  gebildet,  während  der  Name  Hartmanganen 
sich  auf  die  erhebliche  Härte  bezieht,  welche  dieses  Vorkommen  von  anderen 
ähnlich  aussehenden  Manganerzen  unterscheidet.  Die  angeführten  stalaktitischen 
krummflächigen  Gebilde  sind  aber  nicht  so  deutlich  krystallinische,  wie  bei  dem 
rothen  und  biaunen  Glaskopf,  indem  sie  selten  eine  Andeutung  von  radialfaseriger 
Bildung  erkennen  lassen,  meist  nur  krummschalige  Absonderung  zeigen.  Ausser  in 
solchen -Gebilden  findet  er  sich  derb  und  eingesprengt  und  als  Ueberzug,  dicht 
bis  erdig.     Der  Bruch  ist  muschelig  bis  eben. 

£r  ist  eisenschwarz,  graulich-  bis  blaulich  schwarz,  schimmernd  bis  matt,  un- 
durchsichtig, spröde  bis  wenig  spröde  oder  etwas  mild,  hat  die  Härte  =  6,0— SiS 
oder  auch  darunter,  das  spec.  Gew.  =  4,0 — 4,33.  Die  Zusammensetzung  ist  bis  jetxt 
nicht  durch  eine  bestimmte  Formel  auszudrücken,  indem  er  wohl  wescndich 
reichlich  Mangan  enthält,  welches  nach  dem  Sauerstofigehalt  zu  urtheüen  mit 
diesem  Manganhyperoxyd  MnOj  und  Manganoxydul  MnO  bildet,  mithin  wesent- 
lich eine  wasserhaltige  Verbindung  des  Manganoxydul  mit  Manganhyperozyd  an- 
zunehmen ist    In  dieses  scheint,  wie  die  Analysen  des  Psilomelan  von  Elg^i^ 


Erze.  381 

bürg,  Ilmenau  und  Oehrenstock  am  Thüringer  Wald,  Schneeberg  und  Schwarzen- 
berg  in  Sachsen,  Heidelberg  in  Baden,  la  Roman^che  in  Frankreich  und  Skid- 
berg  in  Schweden  gezeigt  haben,  eine  wechselnde  Menge  des  Manganoxydul  durch 
Baryterde  ersetzt,  deren  Menge  bis  auf  17}  ansteigend  gefunden  wurde.  Andere 
Psilomelane,  wie  Analysen  des  Psilomelan  von  Bayreuth  in  Bayern,  Nadabula  in 
Ungarn,  Horhausen  in  Rheinpreussen,  Olpe  in  Westphalen,  Schneeberg  in  Sachsen 
und  Ilmenau  am  Thüringer  Wald  ergaben,  enthalten  auch  Kali  (bis  5^),  wonach 
man  Baryterde  und  Kali  enthaltende,  Baryt-  und  Kali- Psilomelane  als  Varie- 
täten unterschied.  Einzelne  enthalten  Baryterde  und  Kali,  desgleichen  finden 
sich  auch  geringe  Mengen  anderer  Stoffe,  wie  von  Kalkerde  und  Magnesia  u.  a. 
Der  Wassergehalt  ist  gering,  wechselnd,  etwa  3 — 6^, 

Er  ist  vor  dem  Löthrohre  unschmelzbar  und  verhält  sich  wie  Pyrolusit,  giebt 
beim  Glühen  Sauerstoff  ab,  ist  in  Chlorwasserstoffsäure  löslich,  Chlor  entwickelnd, 
concentrirte  Schwefelsäure  wird  durch  das  Pulver  des  Psilomelan  roth  gefärbt 
Er  findet  sich  oft  mit  anderen  Manganerzen  auf  Gängen  und  Lagern  und  ent- 
steht durch  Zersetzung  manganhaldger  Minerale  und  bildet  als  Absatz  aus 
Wasser  meist  die  angegebenen  stalaktitischen  Gebilde.  Er  wird  wie  der  Pyrolusit 
und  Mfinganit  benützt,  besonders  wenn  er  reichlich  vorkommt. 

6.    Der  Wad    (nach  dem  englischen  wad,    Watte),  auch  Manganschaum 
genannt,   weil  er  meist  sehr  weiche,  lockere,  schaumartige  Massen  bildet,  zeigt 
nur  Spuren  krystallinischer  faseriger  oder  schuppiger  Bildung,  bildet  stalaktitische 
nierenfbrmige,  knollige,  kolben-  und  staudenf<!)rmige  u.  a  krummflächige  Gestalten, 
kommt  auch  derb  oder  als  Ueberzug  vor  und  ist  dicht  bis  feinerdig,  meist  sehr 
locker  und  schaumartig,   hat  muschligen  bis  ebenen  Bruch  und  ist  meist  sehr 
weich.     Er  ist  nelkenbraun  bis  bräunlichschwarz,  matt,  schimmernd  bis  schwach 
glänzend,  halbmetallisch,  der  matte  durch  Streichen  mit  dem  Fingernagel  glänzend, 
undurchsichtig,  milde,  hat  gleichfarbigen  Strich  und  färbt  ab,   indem  sowohl  bei 
der  Berührung   oder   beim    Streichen   über  Papier  die  pulverulenten  Theilchen 
leicht  hängen  bleiben,  die  Härte  ist  bisweilen  bei  dichterem  Vorkommen  bis  =  3, 
gewöhnlich  geringer  und  das  spec.  Gewicht  ist  =  3,2 — 3,7,  erscheint  dagegen  ge- 
wöhnlich  viel  geringer  wegen  der  lockeren  Beschaffenheit  und  grossen  Porosität. 
Aus  den  wenig  übereinstimmenden  Analysen  geht  hervor,  dass  der  Wad  ähnlich 
dem  Psilomelan  zusammengesetzt  ist,  auch  gewöhnlich,  aber  weniger  Baryterde 
oder  Kali  enthält,  der  Wassergehalt  jedoch  entschieden  höher  ist,  etwa  10 — 15} 
beträgt    Er  ist  auch  gewöhnlich  nicht  frei  von  fremden  Beimengungen  und  scheint 
zum  Theil  durch  Umwandlung  des  Psilomelan  entstanden  zu  sein.     Er  giebt  im 
Kolben  erhitzt  Wasser  ab,  ist  vor  dem  Löthrohre  unschmelzbar  und  verhält  sich 
meist  wie  Psilomelan  oder  Manganit.    In  Chlorwasserstoffsäure  ist  er  unter  Chlor- 
entwickelung löslich. 

Als  Fundorte  sind  beispielsweise  zu  nennen:  Elbingerode,  Rübeland  und 
Iberg  am  Harz,  Ilmenau  am  l'hüringer  Wald,  Hüttenberg  in  Kämthen,  Krummau 
in  Böhmen,  Schapbach  in  Baden,  Wildbad  Gastein  in  Salzburg,  Kemlas  und  Arz- 
berg  in  Franken,  Upton  Pyne  in  Devonshire  in  England,  Kiechen  in  Rheinpreussen, 
Groroi  im  Dep.  Mayenne  (sogen.  Groroilit),  Vicdessos  im  Dep.  Arri^ge  in  Frank- 
reich und  Mossebo  in  Westgothland. 

I  An  diese  bezüglich  der  Zusammensetzung  schwierig  bestimmbaren  unkrystalli- 
nischen,  meist  stalaktitischen  Vorkommnisse  reihen  sich  der  Kobaltoxydul  enthal- 
tende Asbolan  (Kobaltmanganerz),  das  Kupferoxyd  enthaltende  Kupfer- 
ttianganerz  und  einige  andere. 


382  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

in.    Zinkerze. 

Ausser  den  für  die  Gewinnung  des  Zink  wichtigen  Species,  dem  Smithsonit 
oder  Zinkspath  (s.  pag.  107)  und  dem  Sphalerit  oder  der  Zinkblende  (s.  pag.  81 
ist  hier  noch   der  Hemimorphit   als  Kieselzinkerz  anzuführen,   dem  sich  der 
Willem it  anschliesst,  während  das  Zinkoxyd  für  sich  selten  vorkommt,  als  Spedcs 
in  der  Reihe  der  Erze  Zinkit  oder  Rothzinkerz  genannt  wird. 

I.  Der  Hemimorphit,  benannt  nach  dem  Hemimorphismus  setner  Krystalk, 
einer  eigenthümlichen  seltenen  Bildung,  durch  welche  die  Krystalle  an  den  ent- 
gegengesetzten Enden  der  Hauptachse  verschiedene  Bildung  zeigen,  wird  auch 
nach  der  Zusammensetzung  Kieselzinkerz,  Zinkkieselerz  oder  Kiesel  zink  ge- 
nannt, insofern  er  ausser  Wasser  wesentlich  Kieselsäure  und  Zinkoxyd  entfaiii 
Er  kxystallisirt  orthorhombisch  und  die  meist  kleinen  in  Dnisenräumen  aufge- 
wachsenen Krystalle  sind  bisweilen  flächenreich.  Sie  sind  gewöhnlich  tafelarig 
durch  die  Längsflächen,  welche  in  Verbindung  mit  dem  Prisma  00  P  (i  03^50)  in 
der  verticalen  Zone^zu  sehen  sind.  Dazu  treten  auch  bisweilen  die  Querflächen, 
welche  selten  breiter  als  die  Längsflächen  sind.  Die  Begrenzung  an  den 
Enden  dieser  sechs-  bis  achtseitig  prismatischen  oder  durch  die  Längsflächen 
tafelartigen  Krystalle  ist  fast  immer  insofern  eine  verschiedene,  als  an  dem  einen 
Ende  die  Basisfläche  mit  dem  Querdoma  3P5ö  (57°2o'),  oder  mit  diesem  und 
dem  Querdoma  Pöo  (ii7°i4'),  oder  mit  dem  Längsdoma  3P 00  (69° 48')  und  dem 
Längsdoma  Poo  (128°  55')  vorkommt,  auch  Quer  und  Längsdomen  ohne  Basisflachc 
vorkommen,  während  an  dem  anderen  Ende  gewöhnlich  die  Pyramide  2PT  mit 
den  Endkantenwinkeln  =  101^35'  und  132° 26'  als  vierflächige  Zuspitzung  erscheint, 
deren  Flächen  schräg  auf  die  Prismenflächen  00  P  aufgesetzt  sind.  Auch  finden 
sich  bisweilen  basische  Contactzwillinge.  Die  Spaltungsflächen  parallel  00  P  sind 
vollkommen,  parallel  dem  Querdoma  Pöö  deutlich.  Die  tafelartigen  Krystalle  sind 
oft  fächerförmig  gruppirt  und  bei  grösserer  Zahl  radial  gruppirter  Individuen  ent- 
stehen kuglige,  nieren  förmige  oder  traubige  Gestalten,  welche  meist  an  der  Ober- 
fläche drusig  oder  rauh  durch  die  Enden  der  verwachsenen  Krystalle  oder  Indi- 
viduen sind.  Im  Inneren  sind  solche  Gebilde  radialstenglig  bis  faserig.  Bis- 
weilen bildet  er  feinkörnige  Aggregate  übergehend  bis  in  dichte  Massen,  selten 
ist  er  erdig. 

Er  ist  farblos,  weiss,  grau,  oft  gefärbt,  wie  gelb,  roth,  braun,  grün  oder  bUa 
durch  Beimengungen,  glasartig  glänzend  (daher  auch  Zink  glas  genannt),  bisweilen 
in  Diamantglanz  geneigt,  perlmutterartig  auf  den  Längsflächen,  durchsichtig  bi; 
undurchsichtig,  spröde,  hat  Härte  =  5,0  und  spec.  Gew.  =  3,3 — 3,5,  wird  durch 
Erwärmen  polarisch-elektrisch  entsprechend  der  entgegengesetzten  verschiedenen 
Ausbildung  der  Flächen  an  den  Enden  der  Hauptachse,  wonach  der  Hemimorphis- 
mus mit  der  polaren  Elektricität  zusammenhängt.  Als  wasserhaltiges  Zinkoxrd- 
Silicat  entspricht  er  der  Formel  HjO'ZnO -H  ZnO«SiO|  mit  25,0^  Kiesel- 
säure, 67,5!  Zinkoxyd  und  7,5  Wasser.  Im  Kolben  erhitzt  giebt  er  Wasser,  ist  vor 
dem  Löthrohre  zerknisternd  unschmelzbar,  giebt  auf  der  Kohle  für  sich  oder  mit 
Soda  behandelt  Zinkoxydbeschlag,  färbt  sich  mit  Kobaltsolution  befeuchtet  und 
geglüht  blau,  stellenweise  grün;  ist  in  Chlorwasserstoflisäure  löslich,  Kieselgallcite 
abscheidend. 

Der  Hemimorphit,  welcher  ofl  mit  Smithsonit,  auch  im  Gemenge  mit  dtesen 
und  mit  Brauneisenerz  auf  Lagern  in  Kalksteingebirgen  und  auf  Gängen  vorkonunL 
ist  ein  fUr  die  Gewinnung  des  Zinkes  wichtiges  Mineral  und^wird  wie  der  Smith- 


Erxc.  383 

sonit  Galmei  genannt  oder  von  jenem  als  Kieselgalmei  unterschieden.  Schöne 
Krystalle  finden  sich  am  Altenberge  bei  Aachen,  bei  Bleiberg,  Reuth  und  Raibel 
in  Kämthen,  Tamowitz  in  Ober- Schlesien,  Rezbanya  in  Ungarn,  Nertschinsk  in 
Sibirien,  Phönixville  und  Friedensville  in  Pennsylvanien. 

Da  das  Zinkoxyd  in  Verbindung  mit  Kohlensäure  als  Carbonat  ohne  Wasser 
(Smithsonit,  s.  pag.  107)  und  mit  Wasser  (Hydrozinkit,  s.  pag.  1 1 1)  vorkommt,  so 
ist  es  auch  von  Interesse,  dass  ausser  dem  Hemimorphit,  dem  wasserhaltigen 
Silicat  des  Zinkoxydes,  dasselbe  auch  ohne  Wasser  mit  Kieselsäure  verbunden 
vorkommt,  den  seltenen  Wille  mit  bildend.  Dieser  ist  ein  Silicat  der  Formel 
2ZnO-SiOj  mit  72,97^  Zinkoxyd  und  27,03  Kieselsäure,  welches  beispielsweise 
auch  mit  dem  Hemimorphit  bei  Aachen  und  bei  Stirling  und  Franklin  in  New 
Jersey  vorkommt  Er  krystallisirt  hexagonal,  rhomboedrisch-hemiedrisch  und 
die  gewöhnlich  kleinen  bis  sehr  kleinen  Krystalle  bilden  die  Combination  des  hexa- 
gonalen  Prisma  00  R  mit  einem  stumpfen  Rhomboeder,  dessen  Endkantenwinkel 
=  128^30'  sind.  Ausserdem  findet  er  sich  derb,  klein-  bis  feinkörnige  Aggregate 
bildend,  auch  nierenförmig.  Die  Krystalle  sind  deutlich  basisch  spaltbar,  un- 
deutlich parallel  00  R.  Ei  ist  weiss,  auch  gelb,  roth,  braun,  bisweilen  grün  gefärbt, 
schwach  wachsartig  glänzend,  mehr  oder  weniger  durchscheinend  bis  fast  undurch- 
sichtig, hat  Härte  =5,5  und  spec.  Gew.  =  3,9 — 4,2.  Im  Kolben  erhitzt  giebt  er 
kein  Wasser,  verhält  sich  aber  sonst  wie  der  Hemimorphit. 

2.  Der  Zinkit,  auch  Rothzinkerz  genannt,  weil  er  gewöhnlich  roth  ge- 
färbt ist.  Dieses  seltene,  bei  Sparta,  Franklin  und  Stirling  in  New  Jersey  in 
Nord-Amerika,  gewöhnlich  mit  Franklinit  vorkommende  Mineral  findet  sich  meist 
derb,  in  individualisirten  Massen  oder  grobkörnige,  zum  Theil  dickschalige  Aggre- 
gate bildend,  oder  eingesprengt,  ist  vollkommen  basisch  und  hexagonal  prisma- 
tisch spaltbar  und  nach  der  Basisfläche  oft  schalig  abgesondert.  Er  ist  blut-  bis 
hyazinthroth,  selten  orangegelb,  diamantartig  glänzend  in  Glasglanz  neigend, 
kantendurchscheinend,  hat  orangegelben  Strich,  Härte  =  4,0 — 4,5  und  spec.  Gew. 
=  5,4 — 5,7.  Ist  Zinkoxyd,  ZnO  mit  geringen  Beimengungen,  von  denen  das 
Manganoxyd  die  rothe  Farbe  bedingen  soll,  da  das  nicht  mineralische  Zinkoxyd, 
welches  als  Hohofenprodukt  erhalten  wird,  farblose  hexagonale  Krystalle  bildet 
und  der  Beschlag  von  Zinkoxyd  bei  zinkhaltigen  Mineralen  auf  der  Kohle  weiss 
ist.  Vor  dem  Löthrohre  ist  der  Zinkit  unschmelzbar,  giebt  auf  der  Kohle,  be- 
sonders bei  Zusatz  von  Soda,  weissen  Beschlag  von  Zinkoxyd  und  ist  in  Säuren 

auflöslich. 

IV.    Kupfererze. 

Da  von  denjenigen  Mineralen,  welche  zur  Kupfergewinnung  benützt  werden, 
die  Schwefelverbindungen  bei  den  Glänzen  und  Kiesen  angeführt  werden,  wie 
bereits  der  Covellin  als  Kupferblende  bei  den  Blenden  (s.  pag.  84)  angeführt 
wurde,  die  wasserhaltigen  Carbonate  des  Kupferoxydes  im  Artikel  Malachite 
folgen  werden,  so  ist  hier  nur  das  Vorkommen  des  Kupferoxydul  als  Cuprit 
und  das  des  Kupferoxydes  anzuführen. 

I.  Der  Cuprit  oder  das  Rothkupfererz,  Kupferoxydul  Cu^O  mit  88,8  Kupier 
und  11,2  Sauerstofif.  Der  Cuprit  krystallisirt  tesseral,  die  selten  eingewachsenen, 
meist  in  Drusenräumen  aufgewachsenen  Krystalle  sind  gewöhnlich  Oktaeder,  Hex- 
aeder oder  Rhombendodekaeder  oder  Combinationen  dieser  mit  einander,  wozu 
auch  bisweilen  andere  Gestalten,  wie  20,  30,  202,  oo02  u.  a.  treten.  Oft 
findet  er  sich  derb  und  eingesprengt,  krystallinisch-kömig,  drusig  oder  festkömig 
bb  dicht,  selten  erdig.     Er  ist  ziemlich  vollkommen  oder  deutlich  oktaedrisch 


384  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

spaltbar;  spröde,  cochenillroth,  dabei  bisweilen  in  bleigrau  spielend,  mehr  oder 
weniger  durchscheinend  bis  undurchsichtig,  hat  metallartigen  Diamantglanz, 
bräunlichrothen  Strich,  Härte  =3,5 — 4,0  und  spec.  Gew.  =  5,8— 6,1.  Vor  dem 
Löthrohre  auf  Kohle  erhitzt  wird  er  schwarz,  schmilzt  dann  ruhig  und  lässt  sich 
zu  einem  Kupferkom  reduciren.  In  der  Zange  erhitzt  färbt  er  die  Lötbrohr- 
flamme  schwach  grün  und  mit  Chlorwasserstoffsäure  befeuchtet  schön  blau«  In 
Salpetersäure,  Chlorwasserstoffsäure  oder  in  Ammoniak  ist  er  löslich.  Er  find« 
sich  bisweilen  pseudomorph  nach  Kupfer  oder  wandelt  sich  selbst  in  Azurit  und 
Malachit  um. 

Eine  selten  vorkommende  Varietät  ist  der  sog.  Chalkotrichit,  benannt 
(von  dem  griechischen  chalkos,  Kupfer  und  triche,  Haar)  wegen  der  sehr  feinen 
haarförmigen  bis  nadeiförmigen  Krystalle,  welche  als  abnorm  verlängerte  Hexaeder 
betrachtet  werden,  zum  Theil  büschelig  oder  rechtwinklig,  gitterförmig  giuppiit 
vorkommen,  cochenill-  bis  karminroth,  seidenartig  glänzend  mit  Neigung  in  Dia- 
mantglanz. Dieser  fasrige  Cuprit  wurde  früher  für  eine  eigene  Species  ge- 
halten. Der  erdige  Cuprit,  röthlichbraun  bis  ziegelroth,  Ziegelerz  genannt,  is: 
gewöhnlich  ein  Gemenge  des  Cuprit  mit  Eisenocher  und  entsteht  oft  durch  Zer- 
setzung des  Chalkop3rrit 

Der  Cuprit  findet  sich  vorzüglich  auf  Gängen  und  Lagern,  an  einzelnen 
Orten  in  grosser  Menge,  wo  er  zur  Darstellung  des  Kupfers  benützt  wird,  meist 
in  Begleitung  von  Kupfer  und  anderen  Kupfer  enthaltenden  Mineralen.  Als 
Fundorte  sind  besonders  Comwall  in  England,  Gumeschewskoi,  Nischne-Tagilsk 
und  Bogoslowsk  am  Ural,  Moldawa  im  Banat,  Chessy  unweit  Lyon  in  Frankreich, 
Linares  in  Spanien,  Siegen  in  Westphalen,  Käusersteimel  bei  Sayn-Altenkirch  am 
Westerwald  zu  nennen,  während  er  auch  reichlich  in  Cuba,  Chile,  Peru  und 
Bolivia,  im  Damaraland  in  Afrika,  und  in  Süd-Australien  vorkommt  Der  üisiige, 
Chalkotrichit  genannte  findet  sich  bei  Rheinbreitenbach  am  Rhein,  in  Comwall, 
bei  Moldawa  im  Banat  und  bei  Nischne-Tagilsk  am  Ural. 
Von  geringer  Bedeutung  ist 

2.  das  Kupferoxyd  CuO.  Dasselbe  war  schon  lange  als  Tenorit  benannte 
Species  vom  Vesuv  bekannt,  woselbst  es,  besonders  oberhalb  Tone  del  Gieco 
auf  Klüften  und  in  poröser  Lava  vorkommend  sehr  zarte,  schwarze,  metalliscb 
glänzende  Blättchen  bildet,  auch  feinschuppig  bis  erdig  ist  Die  Blättchen  wurden 
als  klinorhombische  oder  anorthische  bestimmt.  Später  fand  sich  das  Kupferoxyd 
bei  Kewenaw  Point  am  oberen  See  in  Nord-Amerika,  derbe,  dichte  bis  erdige 
schwarze  Massen  bildend,  auch  tesseral  krystollisirt,  Hexaeder,  ftir  sich  oder  in 
Combination  mit  dem  Oktaeder  und  Rhombendodekaeder  darstellend.  Dasselbe 
wurde  Melakonit  genannt  und  die  Krystalle  für  Pseudomorphosen  erklärt 
Dazu  gehört  auch  ein  reichliches  Vorkommen  bei  Copper  Harbour  in  Michigan. 
Neuerdings  fanden  sich  deutiiche  klinorhombische  und  basisch  spaltbare  Krystalle 
mit  Härte  «  4  und  spec.  Gew.  =  5,82  im  Chlorit  in  Comwall  und  derbes,  dichtes 
Kupferoxyd.     Hiemach  ist  es  wahrscheinlich,  dass  das  Kupferoxyd  aU  Spedes 

genügend   festgestellt    ist,    die   Trennung   des   Melakonit    vom    Tenorit    aufzu- 
geben ist 

V.    Als  Zinnerz 

Kriech"».  Species    aniuftihren,     der     Kassiterit,     baumnt     nach    dem 

Bjcmschen  >kassiteros<   Zinn,   welches  Mineral  schon  seit  den  Zeiten  Homen 

PhöniQ^  h"r*   ****   ttbe«us  wichtigen    MetaUes    Zbn    benutzt    wurde.     Die 

holten   es    schon    von    den  Zinninseln  (England    und   Irland)    und 


Erze. 


385 


von  der  iberischen  Halbinsel,  woselbst  es  nach  Plinius  in  Lusitanien  (Portugal) 
und  Gallicia  reichlich  vorkam.  Ja,  man  vermuthete  sogar,  dass  es  schon  im 
Alterthume  aus  Ostindien  (von  der  Halbinsel  Malakka)  in  den  Handel  kam. 

Der  Kassiterit  ist  Zinnsäure  SnO^  mit  78,4  Procent  Zinn  und  21,6  Sauer- 
stoff, krystallisirt  quadratisch  und  bildet  oft  gut  ausgebildete  Krystalle,  welche 
auf-  und  eingewachsen  gefunden  werden.  Dieselben  sind  gewöhnlich  prismatisch 
bis  p3rramidal  ausgebildet  und  die  einfachste  Combination  ist  die  des  normalen 
quadratischen  Prisma  00  P  (Fig.  13  und  14)  mit  der  als  Grundgestalt  gewählten 
stumpfen  normalen  quadratischen  Pyramide  P,  deren  Endkantenwinkel  =  121° 
41',  der  Seitenkantenwinkel  =87°  7'  ist.  Oft  treten  dazu  die  Flächen  des  diago- 
nalen quadratischen  Prisma  ooPoo  (Fig.  15),  die  Kanten  des  normalen  gerade 

(MÜL  68-70.) 


<*>/» 


i<nP 


cqß» 


«i» 


Fig.  13- 


Fig.  14. 


Fig.  15. 


(Min.  71-72.) 


abstumpfend  und  die  diagonale  quadratische  Pyramide  Poo  mit  den  Endkanten 
=  »33''  3*'  ™^  den  Seitenkanten  =  67°  50',  deren  Flächen  die  Endkanten  von 
P  gerade  abstumpfen  (Fig.  16).  An  flächenreicheren  Krystallen  finden  sich  auch 
oktagonale  Pyramiden  und  Prismen  u.  a.  m.  Häufig  sind  Zwillinge,  Zinnzwitter, 
Contactzwillinge  nach  Poo  (Fig.  17),  wobei  sich  die  Hauptachsen  der  beiden  In- 
dividuen unter  112^10'  schneiden,  auch  Drillinge  und  weitere  Wiederholung  der 
Verwachsung.  Die  Spaltbarkeit  parallel  den  beiden  quadratischen  Prismen  00  P 
und  00 poo  ist  unvollkom- 
men, der  Bruch  muschlig, 
uneben  bis  splittrig.  Ausser 
krystallisirt  und  undeutlich 
ausgebildet  unbestimmt  ecki- 
ge Kömer  bildend,  findet  er 
sich  kr3rstallinisch  -  kömig, 
derb  bis  eingesprengt,  häufig 
lose,  als  Seifenzinn  in  den 
sog.  Zinnseifen,  welche 
namentlich  in  älterer  Zeit 
das  Material  für  die  Zinn- 
gewinnung lieferten.     Eine 


Fig.  17. 


Fig.  16. 

besondere  Varietät  ist  das  sog.  Holzzinnerz,  fasriger  Kassiterit,  dessen  radial- 
fasrige  Bildung  an  den  bei  Hämatit  und  Pyrrhosiderit  angeführten  Glaskopf 
erinnert 

Der  Kassiterit  ist  gewöhnlich  braun,  dunkel  bis  hell,  einerseits  bis  fast 
schwarz,  andererseits  bis  gelb,  selten  gelblichroth  oder  grau  bis  fast  farblos, 
diamantartig-  bis  wachsglänzend,  halbdurchsichtig  bis  undurchsichtig,  hat  hell- 
braunen bis  weissen  Strich,  ist  spröde,  hat  Härte  =  6,0 — 7,0  und  das  spec.  Gew. 

IdoiMGOTT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  2C 


3S6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

=  6,8 — 7,0.  Er  ist  meist  etwas  eisenhaltig,  in  Säuren  unlöslich,  vor  dem  Löth- 
röhre  unschmelzbar,  auf  Kohle  in  der  Reductionsilamme,  besser  bei  Zusatz  von 
Soda  zu  Zinn  reducirbar. 

Er  findet  sich  nicht  häufig,  dagegen  an  einzelnen  Fundorten  gewöhnlich 
sehr  reichlich,  von  denen  einige  schon  seit  den  ältesten  Zeiten  das  Material 
zur  Darstellung  des  Zinn  lieferten.  Er  findet  sich  in  gewissen  Gesteinsarten,  wie 
in  Granit,  Gneiss,  Greisen,  Syenit,  Felsitporphyr,  oder  auf  Gängen  in  diesen  und 
in  Phyllit  und  Grauwacke,  oder  lose  in  Sanden  und  im  aufgeschwemmten  lande 
Als  Fundorte  sind  im  Erzgebirge  Zinnwald,  Ehrenfriedersdorf,  Geyer,  Breiten- 
brunn, Eibenstock,  Johanngeorgenstadt  in  Sachsen,  Zinnwald,  Graupen,  Platten, 
Schlackenwald,  Joachimsthal  und  Schönfeld  in  Böhmen  zu  nennen,  ferner  St  Austie, 
St.  Agnes,  St.  Just,  Redruth,  Polgooth  und  Beacon  in  Comwall,  Finbo  in  Schweden, 
Pitkaranda  am  Ladogasee  in  Finnland,  die  Halbinsel  Malakka  und  die  Insem 
Banqua  und  Junkceylon  (Salang)  in  Ostindien;  die  reichen  Vorkommnisse  in 
Siam,  Australien,  Bolivia,  Califomien  und  Maine  in  Amerika.  Das  sog.  Holz- 
zinnerz findet  sich  besonders  bei  St.  Austle  in  Comwall,  in  der  Grafschan 
Wickle w    in  Irland,    bei   Warwick   in  Queensland    in  Australien   und   Xeres  in 

Mexiko. 

VI.    Als  Titanerze 

sind  verschiedene  interessante  Minerale  zu  nennen,  unter  denen  drei  die 
der  Zinnsäure  in  gewisser  Beziehung  verwandte  Titansäure  für  sich  vorkommend 
darstellen,  der  Rutil,  Anatas  und  Brookit.  Ausserdem  findet  sich  die  Titar- 
säure  in  Verbindung  mit  gewissen  Basen  (wie  das  bereits  bei  den  Eisenerzen 
angeführte  Titaneisenerz  zeigte),  so  mit  Kalkerde  als  Perowskit  CaO»TiOj. 
gewöhnlich  aber  noch  mit  anderen  Säuren  Doppelverbindungen  darstellend. 

I.  Der  Rutil,  TiOj.  Derselbe  ist  unter  den  drei  Mineralen,  Rutil,  Anata> 
und  Brookit,  welche  die  Titansäure  in  dreifacher  Krystallisation  darstellen,  wonach 
dieselbe  trimorph  ist,  das  häufigste.  Er  findet  sich  meist  krystallisiit  und  die 
Krystalle,  welche  gewöhnlich  in  Drusenräumen,  in  Spalten  und  Klüften  und  aui 
Gängen  als  aufgewachsene,  oft  auch  in  anderen  Mineralen  oder  in  verschiedenen 
Gesteinsarten  als  eingewachsene  vorkommen,  sind  quadratische,  isomorph  mit 
denen  des  Kassiterit  (s.  pag.  385)  und  vorherrschend  prismatische,  lang-  bis  kurz- 
prismatische.  Die  einfachste  Combination  (Fig.  14)  ist  die  des  normalen  quadn- 
tischen  Prisma  cx>P  mit  der  stumpfen  normalen,  als  Grundgestalt  gewählten 
quadratischen  Pyramide  P,  deren  Endkantenwinkel  =  123^8'  sind  und  welche  mit 
den  Prismenflächen  00  P  die  Combinationskantenwinkel  =  132^20'  bilden. 

Dazu  treten  auch  (Fig.  15)  die  Flächen  des  diagonalen  quadratischen  Prisma  ooP^. 
welche  die  Kanten  des  Prisma  <x>  P  gerade  abstumpfen,  sowie  die  der  stumpferen 
diagonalen  quadratischen  Pyramide  Poo,  welche  die  Endkanten  der  Grund- 
gestalt P  gerade  abstumpfen  und  mit  den  Prismenflächen  00  poo  die  Combinatioav 
kantenwinkel=  122°  47'  30"  bilden.  Oft  zeigen  auch  die  prismatischen  Krystalle 
vorherrschend  oktogonale  Prismen,  z.  B.  00 P2  oder  00  Ps,  sowie  auch  an  den 
Enden  oktogonale  Pyramiden  in  Combination  mit  den  quadratischen  Pyramiden, 
selbst  vorherrschend  auftreten.  Er  bildet  oft  knieförmige  Contacuwillinge  nach 
Poo  (Fig.  18),  wobei  die  Hauptachsen  der  beiden  zwillingsartig  verwachsenen 
Krystalle  sich  unter  einem  Winkel  von  114°  25'  schneiden.  Auch  wiederholt  skh 
diese  Zwillingsbildung  mehrfach  und  in  verschiedener  Weise,  indem  sich  ein 
drittes  Individuum  an  das  zweite  knieförmig  anreiht  und  entweder  mit  dem  enrfen 
in  paralleler  Stellung  (Fig.  19)  erscheint  oder  nicht. 


Erze. 


387 


Fig.  18. 


Fig.  19. 


Die  Krystalle  sind  in  der  Regel  mehr  langprismatisch,  bei  abnehmender 
Dicke  bis  nadeiförmig,  selbst  faserig;  die  kurzprismatischen  sind  bisweilen  gross, 
bis  über  ein  Pfund  schwer,  wie  bei  den  mit  Quarz  in  einem  Gemenge  von 
Disthen    und  Pyrophyllit  eingewachsenen  (Min.  78-74.) 

vom  Graves  Mount  in  Georgia  in  Nord- 
Amerika.  Nadelfoiviige  Kxystalle  bilden 
in  Folge  der  Zwillingsbildung  und  homo- 
loger Verwachsung  bisweilen  eigenthüm- 
liche  trigonal-gitterfÖrmige  und  netzartige 
Gruppen  (der  sogen.  Sagenit,  benannt 
nach  dem  lateinischen  Worte  >sagum<  ein 
grobes  Gewebe).  Ausser  krystallisirt  findet 
sich  der  Rutil  auch  derb  und  eingesprengt, 
selbst  krystallinisch-kömige  Aggregate  bil- 
dend, auch  lose  als  Geschiebe  und  Kömer. 

Er  ist  vollkommen  spaltbar  parallel  den  Flächen  des  normalen,  weniger 
deutlich  parallel  den  Flächen  des  diagonalen  quadratischen  Prisma;  der  Bruch 
ist  muschlig  bis  uneben.  Röthlichbraun,  bräunlich-  bis  gelblichroth  (daher  der 
Name  Rutil  von  dem  lateinischen  »rutilusc  röthlich),  blutroth,  röthlichgelb  bis 
gelb,  auch  braun  bis  schwarz  (solcher  aus  den  Goldseifen  von  Ohlapian  in  Sieben- 
bürgen Nigrin  genannt,  nach  dem  lateinischen  »niger«  schwarz),  diamantartig- 
bis  halbmetallisch-glänzend,  der  fasrige  bis  seidenglänzend,  halbdurchsichtig  bis  un- 
durchsichtig, hat  gelblichbraunen  bis  blassgelben  und  gelblichgrauen  Strich,  ist 
spröde,  hat  H.  =  6,o — 6,5  und  spec.  Gew.  =4,2  —  4,3.  Obgleich  er  wesentlich 
TiOj  ist,  zeigt  er  fast  immer  einen  kleinen  Eisengehalt.  Er  ist  in  Säuren  un- 
löslich, als  sehr  feines  Pulver  in  concentrirter  Schwefelsäure  etwas  löslich;  vor 
dem  Löthrohre  unschmelzbar  und  unveränderlich,  giebt  mit  Phosphorsalz  in  der 
Oxydationsflamme  geschmolzen  ein  farbloses  Glas,  in  der  Reductionsflamme  ein 
gelbes,  welches  beim  Erkalten  rotb,  dann  violett  wird,  woran  man  die  Titansäure 
erkennt.  Wegen  des  unwesentlichen  Eisengehaltes,  welcher  diese  Farbe  nicht 
immer  deutlich  hervortreten  lässt,  ist  es  zweckmässig,  der  Probe  etwas  Zinn  zu- 
zusetzen, um  die  violette  Färbung  deuüich  zu  erhalten.  Mit  Soda  schmilzt  er 
auf  der  Kohle  wie  die  Kieselsäure  unter  Brausen  zusammen  und  sammelt  sich 
über  der  Kohle  zu  einer  schmutzigbraunen  unklaren  Perle,  welche  beim  Abkühlen 
etwas  aufglüht.  Mit  Soda  auf  Platinblech  behandelt  zeigt  er  bisweilen  Mangan- 
reaction. 

Der  Rutil  findet  sich,  oft  mit  krystallinischem  Quarz  und  Hämatit  und  in 
Krystallen  dieser  auch  eingewachsen i)  in  den  Alpen,  wie  dem  Gebiete  des 
St.  Gotthard,  im  Tavetsch-  und  dem  Binnenthale  in  der  Schweiz,  im  Pfitschthale 
in  T3rrol,  am  Bacher  in  Steiermark,  auf  der  Saualpe  bei  Windischkappel  in 
Kämthen;  in  Gneiss,  Granit,  Diorit,  Foyait,  Glimmer-  und  Chloritschiefer,  in 
Dolomit,  Marmor  und  anderen  älteren  krystallinischen  Gesteinsarten  eingewachsen 
an  zahlreichen  Fundorten,  wie  bei  Krummhennersdorf  bei  Freiberg  in  Sachsen, 
Bämau  und  Aschaflenburg  in  Bayern,  Rosenau  in  Ungarn,  St.  Yrieux  bei  Limoges 
in  Frankreich,  Arendal  und  Krageroö  in  Norwegen,  Buitrago  in  der  Somosierra 
in  Spanien,  Takewaya  im  Ural,  Newton  in  New  Jersey  und  Edenville  und  Amity 

')  Von  besonderem  Interesse  sind  die  in  Hämatitkrystallen,  hexagonalen  Tafeln,  eingewachsenen 
Rutükiystalle  aus  dem  Tavctschthale  in  GraubUnden  wegen  der  bestimmten  krystallographischen 
Aoordniing  in  ;enen. 

25» 


388 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 


(Min.  76-77.) 


Fig.  20. 


Fig.  21 


Fig.  22. 


in  New  York  in  Nord-Amerika,  in  Minas  Geraes  in  Brasilien,  bei  River-Fort  in 
Tasmanien  u.  a.  O. 

2.  Der  Anatas  TiOj,  welcher  auch  quadratisch  krystallisirt,  jedoch  eine 
andere  Grundgestalt  und  andere  Spaltungsflächen  hat.  Als  Grundgestalt  dieses 
bis  jetzt  nur  krystallisirt  gefundenen  Minerales  wurde  die  spitze  quadratische 
normale  Pyramide  P  (Fig.  20)  gewählt,  deren  Endkantenwiakd=  97°5i*  und 
deren  Seitenkanten winkel  =  136°  36'  sind  und  welche  oft  nur  allein  an  auf-  und 
eingewachsenen  Kxystallen  vorkommt.  Auf  diese  spitze  Pyramide  bezüglich  wurde 
der  Name  Anatas  von  dem  griechischen  Worte  i^anatasis^  Ausdehnung  gebildet 

gegeben.  Sie  findet  sich 
auch  combinirt  mit  den  Ba- 
sisflächen oP  (Fig.  21),  wel- 
che die  Endecken  gerade 
abstumpfen,  mit  der  diago- 
nalen quadratischen  Pjrra- 
mide  P  c»,  welche  die  End- 
kanten von  P  gerade  ab- 
stumpft (Fig.  22)  und  mit 
anderen  Gestalten.  Die 
Krystalle  sind  gewöhnlich 
aufgewachsen  und  ausser 
den  vorherrschend  spitz 
pyramidalen  finden  sieb 
auch  stumpf  pyramidale,  z.  Th.  sehr  flächenreiche  oder  tafelartige  durch  die  vor- 
herrschenden Basisflächen,  selten  prismatische  durch  das  diagonale  quadratische 
Prisma  ooPco.  Er  ist  vollkommen  spaltbar  paiallel  P  und  oP,  der  Bruch  ist 
muschlig  bis  uneben. 

Der  Anatas  ist  selten  farblos  (so  lose  im  Diamanten  ftlhrenden  Sande  in 
Minas  Geraes  in  Brasilien  sich  findende  Krystalle),  dabei  diamantartig  glänzend 
auch  grau,  häufig  schwarz  bis  indigoblau,  gelb  bis  braun,  röthlichgelb  bis  h]racinth- 
roth,  diamant-  bis  halbmetallisch  glänzend,  durchsichtig  bis  undurchsichtig,  spröde, 
hat  weissen  bis  grauen  Strich,  die  Härte  =  5,0 — 6,0  und  das  spec  Gew. ^ 
3,83 — 3,93.  Beim  Glühen  verändert  er  das  spec.  Gew.,  welches  sich  bis  zu  dem 
des  Rutil  erhöht.     Sein  chemisches  Verhalten  ist  im  Uebrigen  das  des  Rutil. 

Er  findet  sich  wesentlich  in  Drusenräumen,  in  Spalten  und  auf  Gängen,  wie 
in  Granit,  Gneiss,  Diorit,  Glimmer-  und  Chloritschiefer  u.  a.  m.,  seltener  als  der 
Rutil,  besonders  in  den  Alpen  der  Schweiz,  im  Binnenthale  in  Ober-Wallis  (die 
Alpe  Lercheltiny  durch  Mannigfaltigkeit  der  Combinationen  ausgezeichnet),  im 
Maggiathale  in  Tessin,  im  Tavetschthale  in  Graubünden,  im  Griesernthale  in  Uri 
und  am  St.  Gotthard,  bei  Bourg  d'Oisans  im  Dauphin^  in  Frankreich,  bei  Hof 
in  Bayern,  bei  Nil  St.  Vincent  in  Belgien,  Liebecke  bei  Wettin  unweit  Halle  a  S 
in  der  Provinz  Sachsen  (in  Porphyr);  bei  Katharinenburg,  an  der  Sanarka  und 
verschiedenen  anderen  Orten  am  Ural. 

3.  DerBrookit,  TiO^,  welcher  noch  seltener  vorkommt  und  zu  Ehren  des 
englischen  Kiystallographen  H.  J.  Brocke  benannt  wurde.  Derselbe  krystallisin 
orthorhombisch  und  bildet  gewöhnlich  tafelartige  Krystalle  durch  die  vorherrschenden 
Längsflächen  00  P  00  in  Verbindung  mit  dem  Prisma  00  PY  und  den  Basisflachen 
oP.  Die  brachydiagonalen  Kantenwinkel  des  Prisma  00  PY  sind  =  80 '^  10*  und 
die  Combinationskanten  desselben  mit  den  Längsflächen  ooPoo  sind  =  139*  55- 


Erae.  3S9 

Ausser  diesen  drei  Gestalten,  welche  die  einfachste  Combination  bilden,  finden 
sich  oft  noch  andere  Gestalten  untergeordnet,  Pyramiden,  Längs-  und  Querdomen 
und  die  Querflächen;  bisweilen  sind  auch  die  Prismenflächen  vorherrschend. 
Eine  eigenthümliche,  oberflächlich  betrachtet  an  eine  hexagonale  Pyramide  er- 
innernde Combination  ist  die  der  Pyramide  P  mit  dem  Prisma  <x>PY.  Die  an 
derselben  sichtbaren  Endkanten  dieser  Pyramide  sind  gleich  135°  37' und  ioi°3'. 
Diese  eigenthümlich  ausgebildeten  eisenschwarzen  Krystalle  von  Magnet-Cove  in 
Arkansas  in  Nord-Amerika  wurden  Arkansit  genannt,  sie  sind  aber  nur  eine 
Varietät  des  Brookit 

Der  Brookit  ist  parallel  den  Längsflächen  spaltbar,  gelb,  graulichgelb,  röth- 
lichgelb,  hyacinthroth,  röthlichbraun,  graulichbraun  bis  schwarz  gefärbt,  diamant- 
artig bis  metallisch  (der  schwarze)  glänzend,  halbdurchsichtig  bis  undurchsichtig, 
spröde,  hat  grauen  bis  weissen  Strich,  Härte  =  5,5 — 6,0  und  spec.  Gew.  =  3,8 — 4,1. 
Durch  Glühen  erhält  er  das  spec.  Gew.  des  Rutil  und  verhält  sich  sonst  v.  d.  Löthr. 
und  gegen  Säuren  wie  dieser.  Als  Fundorte  dieses  seltenen  Minerals  sind  besonders 
Tremaddoc  in  Wales  in  England,  Bourg  d'Oisans  im  Dauphind  in  Frankreich, 
die  TÄte  noire  unweit  Chamouni  in  Savoyen,  das  Maderanerthal  in  Uri  in  de 
Schweiz,  Miask  am  Ural,  Magnet-Cove  in  den  Ozark  Mounts  in  Arkansas  und 
Ellen ville  in  Ulster  County  in  New  York  zu  nennen. 

Die  Titansäure  tritt  ausserdem  in  Verbindung  auf,  unter  denen  die  einfachste 
der  Perowskit  ist,  welcher  somit  als  ein  Titanat  zu  den  Titanerzen  gehört.  Diesem 
reihen  sich  andere  an,  welche  noch  andere  Säuren  enthalten. 

4.  Der  Perowskit,  benannt  nach  dem  russischen  Grafen  L.  A.  Perowskv 
und  zuerst  auf  Chloritschiefer  bei  Achmatowsk  in  den  Nasjamsker  Bergen  am 
Ural  aufgefunden.  Dieses  seltene  Mineral  krystallisirt  tesseral,  bildet  gewöhnlich 
Hexaeder  00  O  00  oder  T)ktaeder  O,  für  sich  oder  in  Combination  dieser  mit 
einander  oder  mit  dem  Rhombendodekaeder  00  O;  untergeordet  wurden  Tetra- 
kishexaeder,  Deltoidikositetraeder  und  Tetrakontaoktaeder  daran  gefunden.  Die 
Krystalle  sind  auf-  oder  eingewachsen,  auch  bildet  er  nierenförmige  Gestalten 
und  findet  sich  derb.  Er  ist  parallel  dem  Hexaeder  spaltbar,  graulichschwarz  bis 
eisenschwarz,  röthlichbraun,  hyacinthroth,  orange-  bis  honiggelb,  halbdurchsichtig 
bis  fast  undurchsich,  hat  metallartigen  Diamantglanz,  graulichweissen  Strich, 
H,=  5,5  und  spec.  Gew.  =  4,0 — 4,1.  Er  ist  wesentlich  CaO«  TiOj  mit  wenig: 
stellvertretendem  Eisenoxydul,  vor  dem  Löthrohre  unschmelzbar,  zeigt  mit  Borax 
oder  Phosphorsalz  geschmolzen  Titanreaction,  wird  durch  Schmelzen  mit  saurem 
schwefelsaurem  Kali  zerlegt,  von  Säuren  wenig  angegriffen.  Als  weitere  Fund- 
orte sind  ausser  dem  oben  angegebenen  noch  Zermatt  in  Ober-Wallis  in  der 
Schweiz,  das  Wildkrenzjoch  im  Pfiischthale  in  Tyrol,  Monte  Lagazzolo  im  Malenco- 
thale  bei  Sondrio  in  Ober-Italien  und  Magnet-Cove  in  Arkansas  in  Nord-Amerika 
zu  erwähnen. 

Ausser  dieser  einfachen  Verbindung  finden  sich  noch  verschiedene,  zum  Theil 
seltene  und  meist  noch  nicht  ganz  sicher  bezüglich  der  Verbindungsweise  festge- 
stellte Minerale,  welche  Verbindungen  der  Titansäure  in  Gemeinschaft  mit  anderen 
Säuren  schwerer  Metalle  darstellen  und  somit  auch  zu  den  Titanerzen  gerechnet 
werden,  wie  der  früher  flir  Perowskit  gehaltene  Dysanalyt  von  Vogtsburg  am 
Kaiserstuhl  im  Breisgau  in  Baden,  welcher  schwarze  undurchsichtige  Hexaeder 
in  krystallinisch-kömigem  Kalk  bildet  und  wesentlich  titansaure  Kalkerde  mit 
niobsaurer  Kalkerde  enthält,  mit  etwas  Cer-  und  Eisenoxydul,  femer  der  norwe- 
gische in  Granit  eingewachsene,  schwarze  undurchsichtige  orthorhombisch  krystalli- 


390  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

sirende  Polykras,  welcher  eine  wasserhaltige  Verbindung  der  Titan-  und  Niob- 
säure  mit  Yttererde,  Erbinerde  u.  a.  darstellt;  femer  der  auch  bei  Hittwoe  in 
Norwegen  und  bei  Miask  am  Ural  vorkommende  eisenschwarze  bis  braune,  ortho- 
rhombisch  krystallisirende  Aeschynit,  welcher  ausser  Titansäure  Niob-  und 
Thorsäure  in  Verbindung  mit  Ceroxydul  und  anderen  Basen  RO  enthält;  feracr 
der  orthorhombische  bräunlich  schwarze  Euxenit  von  Hitteroe,  Tromoe  u.  a.  Orten 
in  Norwegen,  welcher  Titan-  und  Niobsäure  in  Verbindung  mit  Yttererde,  Uran- 
oxydul und  anderen  Basen  RO  enthält;  femer  der  eisen-  bis  sammtschwarze 
orthorhombische,  in  Zirkonsyenit  von  Frederiksvärn  in  Norwegen  vorkommend« 
Polymignyt,  welcher  Titan-  und  Zirkonsäure  mit  Yttererde,  Eisen-  und  Ccroxyd 
enthält  und  der  orthorhombische  eisenschwarze  Mengit  von  Miask  am  Ural  und 
von  der  Insel  Groix  im  Departement  Morbihan  in  Frankreich,  welcher  auch  Titan- 
und  Zirkonsäure  in  Verbindung  mit  Eisenoxyd  enthalten  soll. 

An  diese  Titansäure  enthaltenden  Minerale  reihen  sich  andere,  welche  ausser 
Titansäure  noch  Kieselsäure  enthalten.  Unter  diesen  ist  als  ausgezeichnete 
und  häufig  vorkommende  Species  zu  erwähnen: 

5.  Der  Titanit,  benannt  wegen  des  Gehaltes  an  Titansäure.  Er  krystalli- 
sirt  klinorhombisch  und  bildet  fast  ausschliesslich  auf-  und  eingewachsene  Krystalle 
welche  durch  eine  sehr  grosse  Verschiedenheit  in  ihrer  Ausbildung  ausgezeichnet 
sind.  Die  grösste  Mannigfaltigkeit  zeigen  die  in  Drusenräumen,  auf  Klüften  und 
Gängen  aufgewachsen  vorkommenden  Krystalle  gegenüber  den  in  verschiedenen 
älteren  und  jüngeren  krystallinischen  Silicatgesteinen  eingewachsenen  Kjystallen, 
weshalb  sogar  früher  zwei  Arten  unterschieden,  diese  Sphen  genannt  wurden, 
während  sie  in  der  That  mit  jenen  zusammen  nur  eine  Art  bilden,  welche  als 
Titanit  benannte  den  S ph  e  n  als  Varietät  enthält.  Das  Aussehen  der  aufgewachsenen 
Krystalle  ist  nicht  allein  durch  die  sehr  mannigfache^  Combinationen  bedingt, 
sondern  ganz  besonders  durch  die  verschiedene  Ausdehnung  der  Krystalle  in 
verschiedenen  Richtungen,  wodurch  sie  fiir  krystallographische  Studien  von 
grosser  Bedeutung  geworden  sind.  Die  einfachsten  Krystalle,  wie  sie  am  rothen 
Boden  bei  Guttannen,  am  Steinhaushom  und  Sustenhom  im  Bemer  Oberlande 
in  der  Schweiz,  auch  z.  Th.  im  Maderanerthale  im  Canton  Uri  vorkommen,  er- 
scheinen als  dünne  rhombische  Tafeln  mit  schrägen  Randflächen  und  bilden  die 
Combination  des  hinteren  Querhemidoma  ^P'öö  mit  dem  Gmndprisma  »P, 
welches  die  schmalen  schrägen  Randflächen  der  Tafel  darstellt  Die  klmodiaqo- 
nalen  Kanten  des  Prisma  sind  =  133  °54',  die  orthodiagonalen,  seitlichen  =  466 
und  die  Querhemidomenflächen  als  die  rhombischen  Tafelflächen  der  Krystalle  sin«j 
gegen  die  klinodiagonalen  Kantenlinien  des  Prisma  cx>P  unter  124*^27',  und  55  33' 
geneigt.  Dazu  tritt  häufig  das  hintere  Querhemidoma  P'öö,  welches  die  stumpfen 
Combinationsecken  von  ^P'öö  mit  00  P  abstumpft,  die  Abstumpfungsflächen  ge- 
rade auf  die  klinodiagonalen  Kanten  von  00  P  aufgesetzt  Die  Flächen  dieses 
Querhemidoma  sind  gegen  die  klinodiagonalen  Kantenlinien  des  Prisma  00  P  unter 
H5°33'  und  34°27'  geneigt  und  bilden  mit  ip'55  eine  Combinationskante 
=  i58°54'i  deren  Kantenlinie  der  längeren  Diagonale  des  durch  ^P'  ^  gebildeten 
Rhombus  in  der  Combination  ^P' 55  .  00  P  parallel  geht 

In  ähnlicher  Weise  wie  durch  P'55  werden  auch  die  spitzen  CombinationN- 
ecken  der  stumpfen  Prismenkanten  von  00  P  mit  ^P'öB  durch  die  Basisfiachen 
oP  abgestumpft,  welche  auf  die  stumpfen  (klinodiagonalen)  Kanten  von  o^P 
gerade  aufgesetzt  sind  und  mit  ihren  Kantenlinien  Winkel  =94^54'  und  85  0' 
bilden,   während  die  stumpfe  Combinationskante  von  oP  mit  ^P'öS   140*^39'  be- 


Erze.  391 

trägt.  Die  gegenseitige  Breite  der  drei  Flächen  oP,  ^P'öö  und  P'^  wechselt 
und  es  kommen  auch  die  Flächen  ^P'öö  sehr  schmal  vor  oder  sie  sind  ganz 
verdrängt,  wodurch  dann  oP  und  P'^  einander  begrenzend  sich  unter  119°  ^^' 
schneiden.  Neben  dem  Grundprisma  cx>P  findet  sich  auch  noch  ein  anderes, 
00 PY,  welches  die  scharfen  Kanten  von  00 P  zuschärft  und  in  derselben  Zone 
finden  sich  die  Längsflächen  00  p  00,  welche  die  scharfen  Kanten  von  00  P  gerade 
abstumpfen.  Durch  diese  Flächen  wird  die  rhombische  Tafel  eine  sechsseitige, 
wogegen  auch  sechsseitige  Tafeln  mit  schrägen  Randflächen  vorkommen,  welche^ 
durch  Hemipyi^midenflächen  erzeugt  werden.  Durch  solche  entstehen,  zugleich 
mit  den  Längsflächen  auch  achtseitige,  auch  oblonge  Tafeln.  Derartige  Combi- 
nationen  gehen  von  tafelartigen  Krystallen  in  prismatische  über,  je  nach  dem 
das  Prisma  00  P  oder  Hemipyramiden  vorherrschend  ausgebildet  vorkommen. 

Unter  diesen  ist  besonders  die  hintere  Hemipyramide  f  P'  T  ausgezeichnet, 
welche  bei  verticaler  Stellung  ihrer  klinodiagonalen  Endkanten  ein  rhombisches 
Prisma  von  136°  6'  darstellt,  an  dessen  Enden  die  Basisflächen  und  das  hintere 
Querhemidoma  P'öö  eine  Zuschärfung  von  60°  27'  bilden.  Diese  Combination 
|P'"2"-oP-P'öö  von  orthorhombischem  Aussehen  ist  besonders  bei  den  ein- 
gewachsenen Krystallen  zu  beobachten  und  wegen  der  scharfen  Endkanten  der 
scheinbaren  Querdomen  wurde  diesen  Krystallen  der  Name  Sphen,  von  dem 
griechischen  Worte  »spAent,  Keil  gegeben.  Oft  tritt  zu  dieser  Combination  das 
Längsdoma  Poo,  wodurch  das  scheinbare  orthorhombische  Aussehen  dieser 
Krystalle  aufgehoben  wird  und  diese  als  klinorhombische  erkenntlich  sind. 

Ebenso  wie  durch  die  vorherrschende  Ausbildung  der  Hemipyramide  fP'^ 
oder  anderer  Hemipyramiden  sind  auch  Krystalle  wirklich  prismatisch  ausgebildet 
durch  das  Vorherrschen  des  Prisma  00  P.  Ueberhaupt  sind  die  Krystalle  sehr 
verschieden  im  Aussehen,  je  nach  dem  diese  oder  jene  Flächen  oder  Gestalten 
vorherrschend  ausgebildet  sind.  Sehr  häufig  bilden  die  aufgewachsenen  Krystalle 
Zwillinge  nach  oP  und  zwar  Berührungs-  oder  Durchkreuzungszwillinge;  selten 
sind  Krystalle  zu  derben  schaligen  Aggregaten  verwachsen. 

Der  Titanit  zeigt  entweder  Spaltimgsflächen  parallel  dem  Prisma  00  P  oder 
parallel  dem  oben  erwähnten  Längsdoma  Poo,  welches  an  eingewachsenen 
Krystallen  untergeordnet  auftritt,  die  spitzen  Combinationsecken  der  scheinbar 
orthorhombischen  Krystalle  abstumpfend.  Die  Endkanten winkel  dieses  Längs- 
doma betragen  1 13^30'.  Der  Bruch  ist  muschlig.  Die  Farben  sind  meist  gelbe 
bis  braune  (daher  die  Namen  Gelb-  und  Braunmenakerz)  besonders  bei  den 
eingewachsenen  Krystallen,  während  aufgewachsene  auch  oft  grün  sind,  dabei  so 
blass,  dass  sie  selbst  farblos  erscheinen,  selten  sind  graue  und  rothe  (der  sogen. 
Green o vi t),  der  Glanz  ist  glas-  bis  diamantartig,  auf  Bruchflächen  bis  wachs- 
artig, die  Durchsichtigkeit  verschieden  bis  zur  Durchscheinheit  an  den  Kanten 
herabsinkend.     Die  H.  ist  =  5,0—5,5,  das  spec.  Gew.  =  3,4 — 3,6. 

Er  ist  eine  Verbindung  der  Kalkerde  mit  Titan-  und  Kieselsäure  nach  der 
Formel  CaO-2Ti03 -+- Ca0.2Si02  oder  kürzer  Ca TiSiO 5  mit  28,3^  Kalkerde, 
41,4  Titansäure  und  30,3  Kieselsäure,  wobei  meist  wenig  Eisenoxydul  die  Kalk- 
erde zum  Theil  ersetzt,  die  Farben  bedingend.  Selten  ist  etwas  Manganoxydul 
vorhanden,  wie  in  dem  fleisch-  bis  rosenrothen  Greenovit  von  St.  Marcel  in  Piemont. 
Der  Titanit  ist  in  Chlorwasserstoffisäure  unvollständig,  in  Schwefelsäure  vollkommen 
auflöslich,  wobei  sich  in  der  Lösung  Gyps  bildet.  Er  ist  v.  d.  L.  an  den  Kanten 
mit  Anschwellen  zu  mehr  oder  minder  dunklem  Glase  schmelzbar  und  zeigt  mit 
Phosphorsalz  geschmolzen  in  der  Reductionsflamme,  besonders  bei  Zusatz  von 


392  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

etwas  Zink  oder  Zinn  Titanreaction,  indem  das  Glas  heiss  gelb,  beim  Erkalten 
violett  wird. 

Der  Titanit  findet  sich  in  verschiedenen  Gebirgsarten  eingewachsen,  wie  in 
Syenit,  Diorit,  Gneiss,  Glimmer-  und  Chloritschiefer,  im  Trachyt,  PhonoUth,  Dolent 
und  Basalt,  auch  in  Marmor,  die  einfacheren  Combinationen  bildend,  an  denen 
die  Hemipyramide  f  P'  T  vorherrscht,  während  die  in  Drusenräumen,  auf  KlüftcD 
und  Gängen  vorkommenden  aufgewachsenen  Krystalle  die  mannigfachsten  Combi- 
nationen bilden,  an  denen  bis  über  50  einfache  Gestalten  bekannt  wurden. 
Durch  schöne  Krystalle  ausgezeichnete  Fundorte  sind  beispielsweise  das  Sl 
Gotthardgebiet,  das  Vorderrhein thal  und  das  Maggiathal  in  der  Schweiz,  der 
Montblanc,  das  Dauphind  in  Frankreich,  Obersulzbach  im  Pinzgau,  das  Pftmdcrs- 
und  Pfitschthal  in  Tyrol,  Achmatowsk  und  Slatoust  am  Ural,  Arendal  in  Nor- 
wegen u.  a.  m.  Bemerkenswerth  ist  bei  dem  häufigen  Vorkommen  des  Titanil, 
dass  er  meist  kleine  Krystalle  bildet,  grössere  sich  selten  finden,  die  mehrere 
Centimeter  in  einer  Richtung  der  Ausdehnung  zeigen.  Schöne  durchsichiige 
grüne  Krystalle    werden    bisweilen  als  Schmucksteine  geschliffen. 

Ausser  dem  Titanit  giebt  es  noch  einige  andere  Silico-Titanate,  welche  jedoch 
nicht  allein  seltene  Vorkommnisse  sind,  sondern  auch  deshalb  noch  nicht  nach 
jeder  Richtung  hin  genügend  untersucht  werden  konnten.  Zu  erwähnen  sind  als 
solche  der  in  der  Form  dem  Titanit  ähnliche  Yttrotitanit  von  Buoe  bei  Arendal 
und  anderen  Punkten  zwischen  Arendal  und  Krageroe  in  Norwegen,  welcher  bräur- 
lichroth  bis  dunkelbraun  gefärbt  ist,  ausser  den  wesentlichen  Bestandtheilen  des 
Titanit  SiOg,  Ti02,  und  CaO  besonders  noch  Yttererde,  Thonerde  und  Eisen- 
oxyd enthält  und  v.  d.  L.  ziemlich  leicht  mit  Blasenwerfen  zu  schwarzer  Schlacke 
schmelzbar  ist;  femer  der  klinorhombische  röthlich-  bis  gelblichbraune  Mosac- 
drit  im  Syenit  der  Insel  Lamoe  bei  Brevig  in  Norwegen  und  der  kleinen  Insel  I^aven 
im  Langesundfjord,  welcher  wasserhaltig  ist  und  ausser  SiOj,  TiO,  und  CaO  reich- 
lich Cer-Lanthan-  undDidymoxyd  enthält;  femer  der  dichtesammtschwarzeTschew- 
kinit  im  Granit  des  Ilmengebirges  bei  Miask  und  von  der  Küste  Coromandel 
welcher  wasserfrei  nicht  allein  Kiesel-  und  Titansäure,  sondern  auch  Thorsäurc 
und  als  Basen  wesentlich  Cer-Lanthan-  und  Didymoxyd,  Eisenoxydul,  wenig  Kalk- 
erde u.  a.  enthält.  Derselbe  erglüht  vor  dem  Löthrohre  schnell,  bläht  sich  ausser- 
ordentlich auf,  wird  schwammig  und  porös  und  schmilzt  erst  bei  starker  WeL«^ 
glüht.  Schliesslich  ist  noch  der  dichte  pechschwarze  Schorlamit  von  Magner- 
Cove  in  Arkansas  in  Nord- Amerika  zu  erwähnen,  welcher  wesentlich  einSilico-Titana: 
von  Kalkerde  und  Eisenoxydul  zu  sein  scheint. 

VII.  Als  Wolframerze  nach  dem  Gehalte  an  Wolframsäure  au^efav^t 
sind  nur  wenige  Minerale  bekannt,  welche  Verbindungen  der  in  chemischer  Be^ 
Ziehung  interessanten  Wolframsäure  mit  gewissen  Basen  RO  bilden.  Unter  diesen 
steht  obenan: 

hä  fi^  ^^^  ^°^^^*'">*-  I^ieses  lange  bekannte  Mineral,  welches  bei  seinem 
aufigen  Zusammenvorkommen  mit  dem  Kassiterit  frühzeitig  beachtet,  aber  nich- 
verwerthet  wurde,  imGegentheil  als  nachtheilig  für  die  Zinngewinnung  galt,  dur^b 
dam^t  ^'^^^s^^^eit  der  Zinngehalt  vermindert  werden  sollte  und  selbst  der  Name 
Darst  n  ^"^''"'"'^'^^^ß  gebracht  wurde,  dient  jetzt  als  werthvoUes  Material  rxn 
krvstTn  rf   '''^'■^''^'^^«"«r  Farben  und  des  Wolframstohles.      Er  findet  sich  oft 

Krystalle       'T  h  ^^^""^    '''^^''    '^^"^^^^  ^"^"'^   ^'^   ^^^^'    '°    C^**^™"    messende 

derb    stenJr*  *"^'  ""^  eingewachsen  vorkommen,  ausserdem   ist  er  hiuh;; 

K'ge,   schalige   oder   grosskörnige   krystalHnische   Aggregate    bildemi. 


Erze.  393 

wobei     die  Absonderungsflächen  der    verwachsenen    Individuen    gewöhnlich    ge- 
streift sind. 

Früher  wurden  die  Krystalle  des  Wolframit  für  orthorhombische  gehalten, 
an  denen  gewisse  Combinationsgestalten  eine  hemiedrische  Ausbildung  zeigen, 
während  sie  nach  neueren  Bestimmungen  klinorhombische  sind.  Sie  sind 
meist  prismatisch  ausgebildet  und  zeigen  als  orthorhombische  betrachtet  in  der 
verticalen  Zone  gewöhnlich  ein  Prisma  ooP,  dessen  brachydiagonale  Kanten 
=  ioi°5'  sind  und  durch  die  Querflächen  gerade  abgestumpft  werden.  Die 
Combinationskanten  dieser  und  der  Prismenflächen  ooP  sind  durch  ein  anderes 
Prisma  ooPT  abgestumpft  und  diese  Abstumpfungsflächen  sind  gegen  die  Quer- 
flächen unter  i57°38'  geneigt,  wonach  die  brachydiagonalenKanten  des  Prisma 
<»P"5"  =i35°i6'  sind.  Bisweilen  sind  die  makrodiagonalen  Kanten  des  Prisma 
oo  P,  welche  78^55'  messen,  durch  die  Längsflächen  gerade  abgestumpft,  denen 
die  vollkommenen  Spaltungsflächen  der  Krystalle  entsprechen.  An  ihren  Enden 
zeigen  sie  eine  Begrenzung  durch  ein  Querdoma,  dessen  Flächen  ungleich  breit 
sind.  Sie  wurden  gegen  die  Querflächen  unter  11 7°  20'  geneigt  gefunden  und 
ihre  horizontale  Endkai^te  =  125°  20'.  Ausserdem  bemerkt  man  oft  an  den 
Enden  ein  Längsdoma  Poo,  dessen  Flächen  gerade  auf  die  makrodiagonalen 
Kanten  des  Prisma  00 P  oder  auch  auf  die  Längsflächen,  wenn  diese  da 
sind,  aufgesetzt  erscheinen.  Dazu  kommen  noch  die  Flächen  einer  Pyramide 
P,  bisweilen  auch  die  einer  zweiten  Pyramide  2P  Y  und  auch  die  P)rra- 
miden  sind  entsprechend  der  ungleichen  Grösse  der  Querdomenflächen  wie 
klinorhombische  Hemipyramiden  ausgebildet,  als  vordere  und-  hintere  von  un- 
gleicher Grösse  oder  die  hinteren  bis  zum  Verschwinden  zurückgetreten.  Neuere 
Bestiniftiungen  haben  geringe  Winkelunterschiede  der  vorderen  breiteren  und 
hinteren  schmäleren  Querdomenfläche  gegen  die  Querfläche  ergeben,  wonach  die 
Langsachse  und  Hauptachse  nicht  rechtwinkelig  aufeinander  stehen,  sondern  um 
etwa  40'  vom  rechten  Winkel  abweichen.  Die  Endkante  des  Querdoma,  jetzt 
Conabinationskante  des  vorderen  und  hinteren  Querhemidoma  wurde  =  124^48' 
und  die  Neigung  zur  Querfläche  für  das  vordere  =  118°  6',  für  das  hintere 
=  117*^6'  gefunden.  In  gleicher  Weise  zeigten  sich  auch  bei  den  anderen  Ge- 
stalten Unterschiede,  welche  die  neue  Auffassung  bestätigen.  Die  verticalen 
Flächen  sind  gewöhnlich  vertical  gestreift  und  die  Krystalle,  namentlieh  die 
grösseren  zeigen  oft  ausser  den  vollkommenen  Spaltungsflächen  eine  den  äusse- 
ren Flächen  entsprechende  schalige  Absonderung.  Zwillinge  sind  nicht  selten, 
besonders  Contactzwillinge  nach  Querflächen,  auch  wurden  solche  nach  Längs- 
domenflächen  beobachtet. 

Der  Wolframit  ist  bräunlichschwarz,  graulich-  bis  eisenschwarz,  wachsglänzend, 
/.um  Theil  bis  halbmetallisch,  auf  den  vollkommenen  Spaltungsflächen  in  Diamant- 
glanz geneigt,  undurchsichtig  bis  an  den  Kanten  durchscheinend,  der  Strich  ist 
röthlich-  bis  schwärzlichbraun,  die  Härte  =  5,0  —  5,5,  das  spec.  Gew.  =7,2 — 7,5. 
LHe  Zusammensetzung  ist  der  Formel  RO^WOg  entsprechend  und  die  beiden 
durch  RO  ausgedrückten  Basen  FeO  und  MnO  wechseln  in  den  Mengenver- 
hältnissen untereinander.  Im  Mittel  enthält  der  Wolframit  11,86^  Eisenoxydul, 
11,70  Manganoxydgl  und  76,44  Wolframsäure  und  nach  dem  Wechsel  der  Basen 
untereinander  kann  man  eisenreiche  und  manganreiche  Abänderungen  unter- 
scheiden, von  denen  die  letzteren  sich  durch  röthlichbraunen  Strich  und  gerin- 
geres spec.  Gew.  kennzeichnen.  V.  d.  L.  ist  der  Wolframit  etwas  schwierig  zu 
einer   magnetischen   Kugel    schmelzbar,    deren   Oberfläche   bei    der   Abkühlung 


394  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

krystallinisch  wird.  Mit  Flüssen  reagirt  er  auf  Mangan,  Eisen  und  Wolfram. 
Das  Pulver  wird  in  erwärmter  Chlorwasserstoffsäure  und  an  der  Luft  vollständü: 
zersetzt,  wobei  ein  gelblicher  Rückstand  bleibt,  welcher  sich  in  Ammoniak  grössten- 
theils  löst;  beim  Erhitzen  in  concentrirter  Schwefelsäure  wird  das  Pulver  blau; 
auch  giebt  es  mit  Phosphorsäure  stark  eingekocht  eine  schöne  blaue  Flüssigkeit 
von  syrupähnlicher  Consistenz. 

Der  Wolframit  findet  sich  besonders  auf  Zinnerzlagerstätten»  wie  zu  Geyer, 
Altenberg  und  Ehrenfriedersdorf  in  Sachsen,  Schlackenwald  und  Zinnwald  in 
Böhmen,  sowie  in  Comwall.  Auch  trifft  man  ihn  auf  anderen  Erzgängen  an,  wie 
auf  dem  Pfaffen-  und  Meiseberge  im  Anhalt'schen,  zu  Strassberg  und  Hange- 
rode  am  Harz,  auf  Quarzgängen  wie  bei  Chanteloube  bei  Limoges  u.  a.  0.  m 
Frankreich.  Ausserdem  findet  er  sich  in  Cumberland,  bei  Nertschinsk,  Aduni- 
schilon,  Bayewka  bei  Katharinenburg  am  Ural,  auf  der  Hebriden-Insel  Rona,  am 
Ceylon  u.  s.  w. 

Bei  dem  grossen  Wechsel  des  Wolframit  im  Eisen-  und  Mangangehalt,  wekbe 
beiden  Basen  FeO  und  MnO  als  wesentliche  Bestandtheile  anzusehen  sind,  i^ 
es  ersichtlich,  dass  als  Extreme  auch  MnO-WOj  und  FeO-WOj  vorkommen 
können,  denen  sich  die  eisenarmen  Wolframite  einerseits  und  die  xnanganarmen 
andererseits  anschliessen.  So  fand  sich  auch  in  der  That  isomorph  mit  Wolfiamit 
im  Mammoth-District  in  Nevada  das  Hübnerit  genannte  Manganwolframiit 
MnO'WO^,  dem  sich  eisenarme  Vorkommnisse  von  Bayewka  bei  Kathaiinen- 
burg  und  von  Schlackenwald  (der  sogen.  Blum it)  anschliessen.  Das  andere  Ex- 
trem hat  sich  noch  nicht  gefunden,  dagegen  ist  es  interessant,  dass  sich  bei 
Kimbosan  in  Kai  auf  Japan  Eisenwolframiat  FeO'WOj  gefunden  hat,  welches 
quadratisch  krystallisirt  und  Reinit  genannt  wurde  und  auf  Dimorphismus  der 
Verbindung  RO-WO,  hinweist.  Dieser  Dimorphismus  war  schon  aus  zvei 
anderen  Species  ersichtlich,  nämlich  aus  den  Wolframiaten  der  Kalkerde  und  des 
Bleioxydes.  Das  letztere,  der  Stolzit,  auch  Wolfram  bleierz  genannt, 
PbO'WOj  ist  ein  seltenes  Mineral,  quadratisch  krystallisirend  mit  der  Grundgt* 
stalt  P,  deren  Endkantenwinkel  :=  99^46'  sind.  Das  andere,  der  Scheelit,  auch 
Scheelerz  genannt,  CaO-WOs,  ist  mit  jenem  isomorph,  und  beiden  ähnlich 
ist  die  Gestaltung  des  Reinit. 

2.  Scheelit  benannt  nach  dem  schwedischen  Chemiker  K.  W.  Schkeij; 
welcher  die  Wolframsäure  und  Molybdän  säure,  das  Mangan,  die  Fluorwasserstolf- 
säure,  das  Chlor,  die  Baryterde  u.  a.  entdeckte  und  nach  welchem  auch  da> 
Metall  Wolfram  Scheelium  und  die  Wolframsäii re  Scheelsäure  benannt  wurde. 
Gewöhnlich  krystallisirt,  auch  derb  und  eingesprengt.  Die  Krystalle  sind  meist 
pyramidal  und  haben  Aehnlichkeit  mit  denen  des  Anatas,  nur  ist  die  als  Grund- 
gestalt  gewählte  spitze  normale  quadratische  Pyramide  P  etwas  weniger  spitz, 
ihr  Endkantenwinkel  in  =  100  °4',  der  Seitenkanten winkel  =  130 ^34'.  Diese  findet 
sich  auch  für  sich  allein  oder  mit  den  Basisflächen  oP,  welche  die  Endecken  und 
mit  der  quadratischen  Pyramide  diagonaler  Stellung  Poo,  welche  die  Endkanten 
gerade  abstumpft.  Diese  letztere,  deren  Endkantenwinkel  =  107°  9'  und  deren 
Seitenkantenwinkel  =  113^53'  ist,  findet  sich  auch  oft  allein  oder  combinirt  mit 
^Poo,  P  und  anderen  Gestalten.  Bemerkenswerth  ist  für  den  Scheelit  das  Auf- 
treten der  pyramidalen  Hemiedrie,  quadratischer  Pyramiden  verwendeter  StcIIupg. 
der  Hemieder  oktogonaler  Pyramiden.  Spaltungsflächen  parallel  P  ziemlich  voll- 
kommen, parallel  oP  und  Poo  weniger  deutlich;  Bruch  muschlig  bis  uneben. 

Der  Scheelit  ist  im   Aussehen    unmetallisch,  gewöhnlich  grau,  gelb,  braun. 


Eree.  395 

weiss  bis  farblos,  bisweilen  roth  oder  grün,  wachsglänzend  mit  Neigung  in  Diamant- 
glanz, halbdurchsichtig  bis  an  den  Kanten  durchscheinend,  wenig  spröde,  hat 
H-  =  4» 5 — 5>o  und  das  spec.  Gew.  =  5,9—6,2  welches  bei  dem  unmetallischen 
Aussehen  des  Minerals  besonders  auffiel,  weshalb  ihm  auch  der  Name  Schwer- 
stein gegeben  wurde. 

Nach  der  Formel  CaO-WOj  zusammengesetzt,  enthält  er  19,45  Kalkerde 
und  80,55  Wolframsäure,  welche  1781  von  Scheele  in  dem  grauen  Scheelit  von 
Bispberg  in  Schweden  entdeckt  wurde.  V.  d.  L.  schwierig  schmelzbar  zu  durch- 
scheinendem Glase,  mit  Borax  leicht  zu  klarem  Glase,  welches  gesättigt  nach 
dem  Erkalten  milchweiss  und  krystallinisch  wird,  mit  Phosphorsalz  in  der  Oxy- 
dationsflamme zu  einem  klaren  farblosen,  in  der  Reductionsilamme  zu  einem 
gelben  oder  grünem  Glase,  welches  beim  Erkalten  blau  wird.  In  Chlorwasser- 
stoff- oder  Salpetersäure  löslich,  gelbe,  in  Alkaücn  »üsliche  Wolframsäure  hinter- 
lassend. Wird  zu  der  Lösung  in  Chlorwasserstoffsäure  etwas  Zinn  zugesetzt  und 
sie  erwärmt,  so  wird  sie  tief  indigoblau. 

Der  Scheelit  findet  sich  gewöhnlich  in  Begleitung  des  Wolframit,  besonders 
auf  Zinnerzlagerstätten,  immerhin  nicht  so  reichlich,  um  wegen  des  Wolfram  und 
der  Wolframsäure  Verwendung  zu  finden,  wie  das  ausnahmsweise  reiche  Vor- 
kommniss  bei  Monroe  in  Connecticut.  Als  Fundorte  sind  Zinnwald,  Ehren- 
friedersdorf und  Fürstenberg  in  Sachsen,  Schlackenwald  und  Zinnwald  in  Böhmen, 
der  Kiesgnind  im  Riesengebirge,  Neudorf  und  Harzgerode  am  Harz,  Traversella 
in  Piemont,  Framont  in  den  Vogesen,  Caldbeckfell  in  Cumberland,  Pengelly  Croft 
in  Comwall  in  England,  Oesterstorgrufvna  in  Wermland  in  Schweden  und  Katha- 
rinenburg  am  Ural  beispielsweise  zu  nennen. 

Aehnlich  wie  die  Wolframsäure  bilden  auch  die  beiden  seltenen  und  in  ge- 
wisser Beziehung  verwandten  Säuren  TajOs  und  Nb^Os,  die  Tantal-  und 
Ni  ob  säure  einzelne  in  die  Gruppe  der  Erze  gehörige  Minerale  und  zwar  in 
Verbindung  mit  Eisen-  und  Manganoxydul.  Obgleich  dieselben  in  krystallogra- 
phischer  und  chemischer  Beziehung  recht  interessante  Arten  sind,  so  sind  sie 
doch  selten  und  sollen  daher  nur  kurz  erwähnt  werden.  Hierher  gehören:  der 
orthorhombisch  krystallisirende  in  Granit  eingewachsene  Tantalit,  welcher  eisen- 
schwarz, halbmetallisch  glänzend  und  undurchsichtig  ist  und  vorwaltend  tantal- 
saures Eisenoxydul  EeO-Ta^O.-  ist,  dabei  aber  noch  nebenbei  wechselnde  Mengen 
von  Niobsäure  und  Manganoxydul  enthält.  Als  Zinnsäure  enthaltende  Varietät 
wird  der  Ixiolith  betrachtet.  Nahe  steht  dem  Tantalit  der  Niobit  (auch 
Columbit  genannt,  welcher  auch  orthorhombisch  krystallisirt  und  bei  schwarzer 
Farbe  und  halbmetallischen  Aussehen  im  spec.  Gew.  jenem  nachsteht,  die  Grenze 
beider  etwa  6,3  ist.  Dieser  ist  vorwaltend  niobsaures  Eisenoxydul  FeO'NbjOs 
und  enthält  nebenbei  noch  wechselnde  Mengen  von  Tantalsäure  und  Mangan- 
oxydul. Beide  Arten  sind  v.  d.  L.  unschmelzbar  und  in  Säuren  wenig  an- 
greifbar. 

Auch  hier  fehlt  Dimorphismus  nicht,  welcher  im  quadratischen,  mit  Rutil 
isomorphen  Tapiolit  von  Sukkula  im  Kirchspiel  Tammela  in  Finnland,  wo  auch 
Tantalit  vorkommt  seinen  Ausdruck  findet  und  im  quadratischen,  gleichfalls  mit 
Rutil  isomorphen  Azorit  aus  trachytischem  Gestein  der  azorischen  Inseln  eine 
weitere  Ausdehnung  zeigt.  Jener  ist  wesentlich  FeO-Ta^O,^  mit  etwas  Niobsäure, 
nährend  dieser  als  Kalkerde-Tantalat  sich  zu  dem  Tantalit  verhält  wie  der  Scheelit 
zum  Wolframit 

Unter  anderen  Basen,  welche  in  den  Tantalaten  mit  Niobaten  vorkommeUi 


39^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

zeigt  sich  auch  wie  bei  den  Titanaten  die  Yttererde,  und  besonders  zwei  seltene 
Arten,  der  orthorhombische  Yttrotantalit  und  der  quadratische,  mit  ScheeJit 
isomorphe  Fe rgu so nit  lassen  wegen  ihrer  Krystallisation  erwarten,  dass  sie  sich 
den  mehrfach  hervortretenden  Beispielen  von  Isodimorphismus  der  Titan-,  Wolfram-, 
Tantal-  und  Niob-Verbindungen  anreihen  werden.  Sie  sind  wesentlich  Verbin- 
dungen der  Yttererde  mit  Tantal-  und  Niobsäure,  von  denen  die  Tantalsäure  im 
Yttrotantalit,  die  Niobsäure  im  Fergusonit  überwiegt  Die  Zusammensetzung  fiihne 
aber  noch  zu  keiner  sicheren  Formel,  weil  auch  noch  andere  Säuren  und  Basen  vor- 
handen sind,  wie  Wolframsäure  und  Zinnsäure,  Kalkerde,  Eisenoxyde,  Ceroxyd,  Urar 
u.  s.  w.  und  selbst  die  Yttererde  noch  nicht  genügend  bestimmt  ist  Auch  der  ortho- 
rhombische Samarskit  als  Urantantalit,  der  dichte  Hjelmit  und  Nohlit  und 
der  tesserale  Hatchettolith,  in  denen  das  Uran  gleichfalls  eintritt,  zählen  m 
diesen  noch  in  mancher  Beziehung  unsicheren  Tantal-  und  Niob-Verbindungen. 

Vin.  Uranerze. 

Wegen  der  technischen  Bedeutung,  welche  das  Uran  und  einige  seiner  Ver- 
bindungen haben,  indem  sie  Anwendung  in  der  Emailmalerei  [finden,  zur  Dar- 
stellung des  Urangelb  und  anderer  Uranfarben,  des  Uranglases  u.  s.  w.  dienen» 
sind  hier  zwei  eigenthümliche  Vorkommnisse  zu  erwähnen,  welche  sich  im  Acs- 
sehen  nicht  unterscheiden  und  deshalb  als  Uranin  oder  Uranpecherz,  Pecb- 
uran,  Pecherz  vereinigt  wurden,  insofern  sie  in  gleicher  Weise  nierenförmi^e 
Parthien  mit  stenglicher  und  krummschaliger  Absonderung  bilden,  auch  derb  nnd 
eingesprengt  vorkommen.  Es  wurden  auch  kömige  Aggregate  und  Oktaeder 
beobachtet.  Der  Bruch  ist  flachmuschlig,  theils  uneben.  Sie  sind  grauHchschwan 
bis  eisenschwarz,  pech-  oder  rabenschwarz,  haben  unvollkommenen  Metallglanr. 
welcher  sich  dem  Wachsglanz  nähert,  sind  undurchsichtig  und  haben  grünlich- 
schwarzen  Strich.  Der  Hauptunterschied  liegt  in  der  Härte  und  im  spec  GcwichL 
indem  gewisse  die  H.  =  5,0—6,0  und  das  spec.  Gew.  =  7,5—8,0,  andere  die 
H.  ^  3,0 — 4,0  und  das  spec.  Gew.  =  4,8 — 5,5  haben,  Unterschiede,  welche  Ver- 
anlassung gaben,  das  schwerere  Uranerz  als  Schweruranerz  oder  Nasturan 
von  dem  leichteren,  dem  Pittinerz  zu  unterscheiden,  welches  letztere  im  Strich 
mehr  die  grüne  Farbe  hervortreten  lässt  Qualitativ  aber  sind  beide  Sauersto^- 
verbindungen  des  Uran  (ungefähr  bis  86  J)  mit  verschiedenen  von  Beimengung  ab- 
hängigen SubsUnzen,  Blei,  Eisen,  Arsen,  Schwefel,  Kalkerde,  Magnesia,  Kiesel- 
säure, Wasser  u.  a.  und  man  nahm  an,  dass  beide  Vorkommnisse  Uranoxydoxy 
dul  sind.  Dasselbe  wurde  als  UO-U,Oj  bei  dem  Atomgewicht  120  des  Uran 
auigefasst,  während  bei  der  neueren  Annahme  des  Atomgewichtes  240  für  da5 
Uran  die  Formel  UO^-SUO^  geschrieben  werden  muss.  Da  in  den  Beimengunger 
nicht  der  Grund  der  verschiedenen  Härte  und  des  Gewichtes  liegen  kann,  so  i< 
der  Unterschied  um  so  auffallender.  Der  Uranin  ist  in  verdünnter  Salpeter-  un*« 
Schwefelsäure,  nicht  in  ChlonÄ-asserstoffsäuie  löslich;  v.  d.  L.  ist  er  unschmelzt^ar. 
mu  Borax  oder  Phosphorsalz  geschmolzen  giebt  er  in  der  Oxydadonsflamme  etn 
gelbes,  in  der  Reductionsflamme  ein  griines  Glas. 

Das  Vorkommen  des  Uranin  ist  im  Ganzen  ein  riemlich  beschranktes.  Kr 
findet  sich  auf  einigen  Silber-  und  Zinnerigängen  wie  zu  Johanngcorgenstad», 
Wiesenthal,  Marienberg.  Annaberg  und  Schneeberg  in  Sachsen,  zu  Joachimsthi' 
wnd  l  rnbram  in  Böhmen,  bei  Redroth  in  Com^-all,  an  der  Noidküste  des  Oberrr 

in  !m^'^'^  *^"*^'^*  ^'*^"  ^'^^  Koracit  genanntV     Durch  ZerseUung  entstehtti 
vtr»t  Wedene  Vran.'erbindungen. 


Erze.  397 

Verwandt,  wenn  nicht  mit  dem  Schweniranerz  zusammengehörig  ist  der 
tesserale  schwarze  Cleveit  von  Garta  bei  Arendal  in  Norwegen,  welcher  bei 
H«=5,s  und  spec.  Gew.  =  7,5  ausser  Uranoxydoxydul  noch  Yttererde,  Erbium- 
sesquioxyd,  Bleioxyd,  Ceriumoxyd,  Thoroxyd,  Eisenoxyd  und  Wasser  enthält. 

Schliesslich  ist  der  gelbe  feinerdige  bis  fasrige  Uranocher  von  Johanngeorgen- 
stadt  in  Sachsen  und  Joachimsthal  in  Böhmen  als  Uranoxydhydrat  zu  erwähnen, 
so  wie  die  beiden  amorphen  dichten  Minerale,  der  dunkelröthlichbraune  E Ha- 
st t  von  der  Eliasgrube  bei  Joachimsthal  in  Böhmen  und  der  röthlichgelbe  bis 
hyacinthrothe  Gummit  (Gummierz)  von  Johanngeorgenstadt  und  Schneeberg 
in  Sachsen,  von  Joachimsthal  und  Frzibram  in  Böhmen  und  von  der  Flat-rock- 
\fine  in  Mitchel  County  in  Nord-Carolina  in  Nord-Amerika,  welche  beide  wesent- 
lich Uranoxydhydrat,  vielleicht  BH^O-V^O^  sind  und  verschiedene  Beimengungen 

zeigen. 

IX.  Bleierze. 

Als  solche  würden  nach  der  gegenwärtigen  mineralogischen  Auffassung  des 
Begriffes  Erze  nur  die  sehr  seltenen  Vorkommnisse  des  Bleioxydes  PbO,  des  Blei- 
hyperoxydes PbOj  und  die  Verbindung  beider  2 PbO«  PbO,  gelten.  Das  Bleioxyd, 
Bleiglätte  genannt,  ist  feinschuppig-kömig,  Schwefel-,  wachs-,  citronen-  bis 
orangegelb  und  hat  das  spec.  Gew.  nahe  8,  das  Bleihyperoxyd,  Schwerbleierz 
oder  Plattnerit  genannt,  ist  eisenschwarz,  hat  braunen  Strich  und  das  spec.  Gew. 
gegen  9,5  und  scheint  eine  Pseudomorphose  nach  Pyromorphit  zu  sein,  die  Ver- 
bindung 2PbO*Pb02y  Mennige  genannt,  ist  dicht  bis  erdig,  morgenroth  mit 
orangegelbem  Strich  und  hat  das  spec.  Gew.  =  4,6.  In  hüttenmännischer  Be- 
ziehung ist  der  Galenit  oder  Bleiglanz  PbS  das  wichtigste  Bleierz,  welches 
als  Schwefelverbindung  in  der  Gruppe  der  Glänze  beschrieben  werden  wird, 
während  von  den  Verbindungen  des  Bleioxydes  mit  Säuren  nur  wenige  bei 
reichlichem  Vorkommen  zur  Bleigewinnung  benützt  werden,  in  dieser  Beziehung 
Bleierze  sind.  Zu  diesen  gehört  der  Cerussit  PbO'CO,  oder  das  sogen. 
Weissbleierz  (im  Artikel  Carbonate  pag.  iio  u.  iii  beschrieben),  derAnglesit 
PbO-SO,  (s.  Artikel  Sulfate)  und  der  Pyromorphit  aCSPbO.PjOs)-^  PbCl, 
oder  das  sogen.  Grünbleierz  (s.  Artikel  Phosphate),  während  andere  derartige 
Verbindungen  des  Bleioxydes  auch  in  diesem  Sinne  Bleierze  genannt  wurden  oder 
werden  könnten,  weshalb  sie  hier  am  besten  erwähnt  werden  können.  Es  sind 
diese: 

I.  Der  Krokoit,  krystallisirt  klinorhombisch  und  bildet  aufgewachsene  oder 
aufliegende  Krystalle  in  Drusenräumen  und  auf  Klüften,  welche  durch  mannig- 
faltige Combinationen  ausgezeichnet  sind.  Sie  sind  vorherrschend  prismatisch 
durch  das  klinorhombische  Prisma  00  P,  dessen  klinodiagonale  Kanten  =  93°  42' 
sind,  oder  durch  die  vorherrschende  vordere  Hemipyramide  P,  deren  klino- 
diagonale Endkanten  s=  119°  12'  sind.  Letztere  kommt  meist  untergeordnet  an 
00  P  vor;  auch  zugleich  mit  der  hinteren  Hemipyramide  P',  deren  klinodiagonale 
Endkanten  «=  107^38'  sind,  so  dass  in  den  einfacheren  Combinationen  am  Prisma 
entweder  eine  vierflächige  Zuspitzung  durch  P-[P'  oder  eine  schräge  Zuschärfung 
durch  P  entsteht;  oder  dasselbe  ist  auch  durch  ein  sehr  steiles  hinteres  Quer- 
hemidoma  4P'öö  begrenzt,  wodurch  die  Krystalle  einem  spitzen  Rhomboeder 
ähneln.  Oft  sind  die  Combinationen  viel  flächenreicher,  indem  an  diesem  an  sich 
seltenen  Minerale  gegen  100  verschiedene  einfache  Gestalten  beobachtet  wurden. 
Spaltungsflächen  parallel  den  Flächen  des  Prisma  00  P  ziemlich  deutlich,  parallel 
den  Quer-  und  Längsflächen  unvollkommen. 


39^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Der  Krokoit  ist  hyacinth-  bis  morgenrotb,  ist  wegen  der  rothen  Farbe  auch 
Rothbleierz  genannt  worden,  diamantartig  glänzend,  mehr  oder  weniger  durch- 
scheinend, milde,  hat  orangegelben  (safirangelben,  daher  der  Name  Krokoit  von 
dem  griechischen  Worte  i^krokos^  Safiran)  Strich,  H.=  2,5 — 3,0  und  spec  Gew. 
=  5,9 — 6,0.  Er  ist  chromsaures  Bleioxyd  nach  der  Formel  PbO-CrO,  mit  60^ 
Bleioxyd  und  31  Chromsäure,  zerknistert  beim  Erhitzen  v.  d.  L.,  wird  dunkler, 
und  schmilzt  auf  der  Kohle,  sich  dabei  ausbreitend  und  giebt  BleikÖmer  in  einer 
graulichgrünen  Schlacke.  Mit  Borax  oder  Phosphorsalz  giebt  er  ein  grünes  Glas 
mit  Soda  auf  Flatinblech  eine  gelbe  Salzmasse.  Mit  Chlorwasserstofisäure  erhitzt  ent- 
wickelt er  Chlor,  giebt  eine  grüne  Lösung,  in  welcher  sich  Chlorblei  ausscheidet 
In  Salpetersäure  ist  er  schwierig  löslich,  die  Lösung  ist  grün.  In  Kalilauge  wird 
er  zuerst  braun  und  löst  sich  dann  auf,  die  Lösung  ist  gelb. 

Er  findet  sich  zu  Beresowsk,  Mursinsk  und  Nischne-Tagilsk  am  Ural,  bei 
Rezbanya  in  Ungarn,  Conhongas  do  Campo  in  Brasilien  und  bei  Lobe  auf  der 
Insel  Luzon,  einer  der  Philippinen,  wo  ihn  die  Eingebomen  sammeln  und  Streu- 
sand daraus  machen.     Im  sibirischen  entdeckte  Vauquelin  das  Chrom. 

Nahe  verwandt  ist  der  orthorhombische  orangegelbe  Jossait  von  Beresowsk 
am  Ural,  welcher  etwas  Zink  neben  Blei  enthält,  und  der  cochenill-  bis  hyadnt^.- 
rothe  'orthorombische  Phönicit  von  Beresowsk,  welcher  ziegelrothen  Strich  bat 
und  nach  der  Formel  3PbO-2Cr03  zusammengesetzt  ist 

Mit  dem  Krokoit  von  Beresowsk  am  Ural  und  aus  Brasilien,  sowie  mit  dem 
Pyromorphit  von  Wanlockhead  und  Leadhills  in  Schottland  findet  sich  ein  klino- 
rhombisches  dunkelgrünes  Blcichromat  mit  Kupferoxyd,  der  Vauquclinit. 
welcher  vielleicht  auch  Phosphorsäure  enthält,  wie  er  in  der  Form  mit  dem 
neuerdings  aufgestellten  Laxmannit  von  Beresewsk  übereinstimmt.  In  dieseoi 
wurde  auch  Phosphorsäure  gefunden  und  vermuthet,  dass  diese  bei  der  früheren 
Analyse  des  Vauquelinit  übersehen  worden  sei. 

2.  Der  Wulfenit  (benannt  nach  dem  österreichischen  Mineralogen 
Wulfen).  Derselbe  findet  sich  krystallisirt  und  derb  mit  krystallinisch  kömiger 
Absondenmg,  quadratisch,  isomorph  mit  dem  oben  (pag.  394)  erwähnten  Stolzit 
und  Scheel  it.  Die  Krystalle  sind  oft  tafelartige  durch  die  Basisflächen  oF 
mit  der  Grundgestalt  P,  deren  Endkanten  =  99°  40'  und  deren  Seitenkanteii 
=  131°  35'  sind,  oder  mit  einer  stumpfen  Pyramide  ^P,  deren  Endkanten^ijo'^n' 
und  deren  Seitenkanten  =  73°  7'  sind,  oder  mit  beiden  oder  mit  dem  quadiafr 
sehen  Prisma  ooP;  auch  achtseitige  Tafeln  durch  die  Combination  oP-JP  niit 
der  diagonalen  quadratischen  Pyramide  ^Poo.  Bisweilen  ist  auch  die  GnIndg^ 
stalt  vorherrschend,  daran  untergeordnet  oP  und  ooP,  auch  ohne  oP.  Andere 
Gestalten  in  den  Combinationen,  wie  Poo,  f  Poo,  00 P2  u.  a.  sind  seltener. 

Er  ist  ziemlich  vollkommen  spaltbar  paiallel  P,  unvollkommen  parallel  oP. 
im  Bruche  muschlig  bis  uneben.  Meist  gelb  (daher  auch  Gelbbleierz  genannt. 
wachs-,  Stroh-,  honig-  bis  orangegelb,  graulichgelb  bis  gelblichgrau,  selbst  bt^ 
farblos,  aber  selten,  und  morgenroth,  wachs-  bis  diamantglänzend,  durchsichd^ 
bis  an  den  Kanten  durchscheinend,  wenig  spröde,  hat  weissen  Strich,  H.  =  >° 
und  spec.  Gew.  =  6,3 — 6,9.  Er  ist  molybdänsaures  Bleioxyd  PbO-MoOj  "oitL 
60,8  Bleioxyd  und  39,2  Molybdänsäure,  z.  Th.  mit  etwas  Chromsäure,  auch 
Vanadinsäure.  V.  d.  L.  auf  Kohle  heftig  zerknistemd,  schmelzbar  und  zu  Blei 
reducirbar,  desgleichen  mit  Soda;  mit  Phosphorsalz  leicht  zu  einem  licht  gelb- 
lichgrünem Glase  schmelzbar,  welches  in  der  Reductionsflamme  dunkelgrJn 
wird.     Mit  saurem  schwefelsaurem  Kali  geschmolzen  giebt  er  eine  Masse,  welche 


Erae.  399 

mit  Wasser  und  bei  Zusatz  von  etwas  Zink  eine  blaue  Flüssigkeit  giebt.  In  er- 
wärmter Salpetersäure  ist  er  mit  Ausscheidung  gelblichweisser  salpetersaurer 
Molybdänsäure  löslich,  in  Chlor^^serstofTsäure  unter  Bildung  von  Chlorblei;  mit 
concentrirter  Schwefelsäure  giebt  er  eine  blaue  Flüssigkeit. 

Er  findet  sich  nicht  häufig  und  als  Fundorte  sind  Bleiberg,  Windischkappel 
und  Schwarzenbach  in  Kämthen»  Rezbanya  in  Ungarn,  Ruskberg  im  Banat, 
Annaberg  in  Osterreich,  Berggieshübel  in  Sachsen,  Przibram  in  Böhmen,  Baden- 
weiler in  Baden,  la  Bianca  in  Zacatecas  in  Mexiko,  Phönixville  in  Pennsylvanien, 
der  Comstockgang  in  Nevada,  die  Takomah-Grube  in  Utah  zu  nennen.  Lose 
fand  er  sich  im  Goldsande  des  Rio  Chica  in  der  Provinz  Antioquia  in  Co- 
lumbien. 

3.  Der  Mimetesit,  sehr  ähnlich  dem  Pyromorphit  (s.  Phosphate),  daher 
von  dem  griechischen  i^minutesiL  der  Nachahmer  der  Name  Mimetesit  gebildet. 
Krystallisirt  hexagonal,  isomorph  mit  Pyromorphit,  die  Krystalle  sind  lang-  bis 
kurzprismatisch  durch  das  hexagonale  normale  Prisma  00  P,  welches  durch  die 
Basisflächen,  oder  durch  die  als  Grundgestalt  gewählte  normale  hexagonale 
Pyramide  P  oder  durch  diese  mit  den  Basisflächen  begrenzt  ist  Der  Endkanten- 
winkel von  P  ist=  142^29',  der  Seitenkantenwinkel  :=  80°  4'.  Ausserdem  finden 
sich  noch  dabei  das  diagonale  hexagonale  Prisma  00  Ps  und  die  normalen  Pyra- 
miden ^P  und  2P.  Spaltungsflächen  parallel  P  ziemlich  deudich,  parallel  00  P 
selten  deutlich.  Die  Krystalle  sind  aufgewachsen  und  verwachsen,  bisweilen  bei 
homologer  Stellung  zu  polysynthetischen  Krystallen  ooP-oP,  welche  durch  con- 
vexe  Krümmung  der  prismatischen  Flächen  und  concave  Bildung  der  Basis- 
Öächen  fassförmig  sind  (die  Kampylit  genannte  Varietät,  von  dem  griechischen 
Worte  ykampylos'i  gebogen,  krumm)  und  in  knospenförmige  bis  wulstige  Gruppen 
übergehen  und  krystallinisch-stalaktitische  Ueberzüge  bilden. 

Er  ist  gewöhnlich  gelb,  graulichgelb,  gelblichgrau  bis  farblos,  orangegelb  bis 
röthlich-  und  gelblichbraun,  gelblichgrün,  selten  lila,  wachs-  bis  diamantglänzend, 
mehr  oder  weniger  durchscheinend  bis  an  den  Kanten,  hat  H.  =  3,5 — 4,0  und 
spec  Gew.  =  7,19—7,25.  Er  ist  wesentlich  arsensaures  Bleioxyd  nach  der  For- 
mel 3(3PbO-As205) -h  PbCla  analog  dem  Pyromorphit  und  enthält  oft  ge- 
ringe Mengen  von  Phosphorsäure.  Er  schmilzt  v.  d.  L.  ziemlich  leicht,  erstarrt 
bei  [der  Abkühlung  krystallinisch,  Entwickelt  auf  der  Kohle  in  der  Reductions^ 
flamme  behandelt  Arsengeruch  und  giebt  Bleikömer,  ist  in  Salpetersäure  und 
Kalilauge  löslich.  Findet  sich  in  ähnlicher  Weise  wie  der  P)Tomorphit,  jedoch 
viel  seltener,  so  beispielsweise  bei  Johanngeorgenstadt  in  Sachsen,  Zinnwald  und 
Przibram  in  Böhmen,  Badenweiler  in  Baden,  Caldbeckfell  in  Cumberland  und  auf 
der  Huel-Unity- Grube  in  Cornwall  in  England,  bei  Almodovar  del  Campo  in 
Morda  in  Spanien,  im  Preobraschenskischen  Bergwerk  in  Sibirien,  in  Zacatecas 
in  Mexiko,  bei  Phönixville  in  Chester  County  in  Pennsylvanien,  St.  Amaud  in 
Victoria  in  Australien.  —  Bei  Langbanshyttan  in  Wermland  in  Schweden  fand 
sich  auch  ein  krystallinisches  Mineral,  welches  nicht  nur  nach  der  Formel  des 
Mimetesit  zusammengesetzt  etwas  Phosphorsäure  neben  Arsensäure,  sondern  auch 
Kalkerde,  selbst  Baryterde  als  Stellvertreter  eines  Theiles  des  Bleioxydes  enthält, 
es  erhielt  den  Namen  Hedyphan. 

Aus  dem  Isomorphismus  anderer  arsen-  und  antimonhaltiger  Minerale  würde 
man  auch  das  Vorkommen  von  antimonsaurem  Bleioxyd  nach  Art  des  arsensauren 
erwarten;  ein  solches  ist  aber  nicht  bekannt,  dagegen  hat  sich  bei  Nertschinsk 
iD  Sibirien,  Lostwithiel  in  Cornwall  und  Horhausen  in  Rheinpreussen  eine  Blei* 


400  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

niere  (auch  Bindheimit)  genanntes  Mineral  in  nierenförmiger  Gestalt,  derb,  ein- 
gesprengt und  als  Ueberzug  gefunden,  welches  eine  wasserhaltige  Verbindung 
der  Antimonsäure  mit  Bleioxyd,  entsprechend  cjer  Formel  3(H,O-Pb)O-HH,0- 
SbjOB  bildet 

Eine  weitere  Verbindung  des  Bleioxydes  mit  Antimonsäure  ist  der  quadn- 
tische  Monimolit  aus  den  Mangangruben  von  Pajsberg  in  Wermland  und  von 
Langban  in  Schweden,  welcher  gelbe  Krystalle  und  Körner  mit  wachsartigem 
bis  halbmetallischem  Glänze  und  dem  spec.  Gew.  =  5,94  bildet.  Er  entsprich: 
wesentlich  der  Formel  öPbO-SbjOj,  wobei  aber  Kalkerde,  Magnesia,  Eisen- 
und  Manganoxydul  als  Stellvertreter  für  etwa  zwei  Molecule  PbO  vorhanden 
sind.  Derselbe  ist  in  Säuren  unlöslich,  vor  dem  Löthrohre  auf  Kohle  zu  eine: 
hämmerbaren  bleigrauen  Kugel  schmelzbar,  welche  in  der  Oxydationsflamme  be- 
handelt weissen  Antimonoxydbeschlag  und  näher  der  Probe  gelben  Bleioxyd- 
beschlag giebt. 

Selbst  das  Antimonoxyd  bildet  mit  Bleioxyd  eine  interessante  Verbindung, 
den  Nadorit  von  Gebel  Nador  in  der  algerischen  Provinz  Constantine,  welcher 
nach  der  Formel  PbO-SbgOj -t-PbCl,  zusammengesetzt  ist,  tafelförmige  bi> 
gelblichbraune  Krystalle  mit  dem  spec.  Gew.  7,02  bildend. 

Schliesslich  ist  hier  auch  der  quadratische  Ekdemit  von  Langban  in  Wenn- 
land in  Schweden  zu  erwähnen,  welcher  deutlich  basisch  spaltbare  hellgelbe, 
grosse,  blättrige  Parthien  in  mangenhaltigem  Kalk  bildet  und  nach  der  Fonnei 
5PbO*As503-+-2(PbCl2)  zusammengesetzt  ist 

4.  Der  Vanadinit,  isomorph  mit  Mimetesit  und  Pyromorphit,  wie  diese 
hexagonal  prismatische  Krystalle  ooP.oP,  ooP.p  oder  auch  noch  dazu  mitooPt, 
^P  und  3P  u.  a.  bildend,  ausserdem  nierenförmige  Aggregrate  mit  feinstengliger 
bis  faseriger  Absonderung.  Gelb  bis  braun,  selten  roth,  wachsglänzend,  undord- 
sichtig,  mit  weissem  Strich,  H.  =  3,0  und  spec.  Gew.  =  6,8—7,2.  Er  ist  nach  der 
Formel  3 (s Pb  O  •  V j  O  5)  -h  Pb  Gl  ^  zusammengesetzt,  auch  etwas  Phosphorsäure  ent- 
haltend. V.  d.  L.  zerknistert  er,  schmilzt  auf  der  Kohle  zu  einer  Kugel,  welche 
sich  unter  Funkensprühen  zu  Blei  reducirt,  während  auf  der  Kohle  sich  ein 
gelber  Beschlag  bildet;  mit  Phosphorsalz  giebt  er  in  der  Oxydationsflamme  ein 
rothgelbes  Glas,  welches  beim  Abkühlen  gelbgrün  wird,  in  der  Redactionsflanune 
ein  schön  grünes.  In  Salpetersäure  ist  er  leicht  löslich.  —  Er  ist  ein  seltenes 
Mineral  und  findet  sich  am  Berge  Obir  bei  Windischkappel  in  Kärnthen,  bei 
Wanlockhead  in  Schottland,  Bölet  in  Westgothland,  Beresowsk  in  Sibirien  ^hier 
mit  Pyromorphit  homolog  verwachsen),  in  Zimapan  in  Mexico,  in  der  Sierra 
de  Cordoba  in  Argentinien. 

An  mehreren  Punkten  in  der  letzteren,  auch  am  Obir  in  Kämthen  fand 
sich  ein  anderes,  aber  wasserhaltiges  Vanadinat  des  Bleioxydes,  der  orthoihombisch 
krystallisirte  Descloizit,  zusammengesetzt  nach  der  Formel  3RO- VjOjH-HjO- 
RO,  bei  welchem  ausser  dem  vorherrschenden  Bleioxyd  wesentlich  noch  Zink- 
oxyd gefunden  wurde. 

Diesem  Zusammenvörkommen  des  Zinkoxydes  mit  Bleioxyd  in  Verbindung  mit 
Vanadinsäure,  verwandt  ist  auch  der  kuglige  bis  traubige,  im  Inneren  radialfasiige 
gelblichrothe  Eusynchit  auf  Quarz  von  Hofsgrund  in  Baden,  sowie  der  ähnlich 
gestaltete  rothe  Aräoxen  auf  Klüften  des  Buntsandsteines  bei  Dahn  unfem 
Niederschlettenbach  in  Rheinbayem  und  der  rothe  bis  gelbe  Decbenit  von 
da,  von  Zähringen  bei  Freiburg  in  Baden  und  von  Kappel  in  Kämthen,  weicHe 
beiden    wahrscheinlich  zusammengehören.     Sie  wurden  getrennt,   weil  der  Vc- 


Erze.  401 

chenit  kein  Zinkoxyd  enthalten  sollte.  An  dem  Vorkommen  von  Kappel  wurde 
an  den  nierenförmigen  Aggregaten  orthorhombische  Krystallisation  erkannt 

Ein  verwandtes  Bleivanadinat  von  Mottram  bei  St  Andrews  in  Cheshire  in 
England  ist  der  Mottramit,  welcher  schwarz  ist,  gelben  Strich  und  das  spec. 
Gew.  =  5,89  hat  Er  enthält  aber  ausser  Bleioxyd  noch  erheblich  Kupferoxyd, 
wenig  Zinkoxyd  und  Kalkerde  nebst  Wasser. 

Bei  der  grossen  Mannigfaltigkeit  der  Verbindungen  des  Bleioxydes  mit  Säuren 
ist  hier  auch  noch  anzuführen,  dass  das  Chlorblei,  welches  in  den  Mineralspe- 
cies  P3rromorphit,  Mimetesit,  Vanadinit,  Ekdemit  u.  a.  untergeordnet  als  ein  wesent- 
licher Bestandtheil  auftritt,  auch  für  sich  alsPbCU  den  seltenen  orthorombischen 
Cotunnit  vom  Vesuv  bildet  und  gleichzeitig  mit  Bleioxyd  verbunden  zwei  seltene 
Minerale  bildet,  den  quadratisch  krystallisirenden  Matlockit  von  Matlock  in 
Derbyshire  in  England,  FbCl^  +  PbO  und  den  orthorhombischen  Mendipit 
PbCl2-t-2(PbO)  von  Churchill  an  den  Mendip-Hills  in  Sommersetshire  und  von 
der  Grube  Kunibert  bei  Brilon  in  Westphalen.  Diesen  reiht  sich  auch  der 
vielleicht  rhomboedrisch  krystallisirende  Schwarzembergit  aus  der  Wüste 
Atacama  an,  welcher  jedoch  in  der  Zusammensetzung  der  Formel  des  Mendipit 
entsprechend  nicht  allein  Chlor,  sondern  auch  Jod  enthält,  und  zwar  mehr  Jod 
als  Chlor. 

Schliesslich  ist  noch  der  Phosgenit  (auch  Bleihornerz  genannt)  zu  er- 
wähnen, welcher  prismatische  bis  spitz  pyramidale  quadratische  Krystalle  bildet 
imd  ziemlich  vollkommen  parallel  dem  Prisma  00  P  spaltbar  ist.  Er  ist  gelblich- 
weiss  bis  gelb,  grünlichweiss  bis  grün  oder  graulichweiss  bis  grau  gefärbt,  hat 
wachsartigen  Diamantglanz  und  ist  mehr  oder  weniger  durchscheinend.  Das  sehr 
seltene  Mineral  entspricht  der  Formel  PbCl2  •+•  PbO-CO,  und  Krystalle  des- 
selben von  der  Grube  Elisabeth  von  Michowitz  bei  Beuthen  in  Oberschlesien  sind 
bisweilen  ganz  in  PbO^COg  umgewandelt.  Er  wurde  auch  zu  Matlock  und  Crom- 
ford  in  Derbyshire  in  England  und  zu  Gibbas  bei  St  Vito  und  Monteponi  in 
Sardinien  gefunden   und  kam  z.  Th.  in  ausgezeichneten  grossen  Krystallen  vor. 

X.    Silbererze. 

Als  solche  werden  verschiedene  Minerale  in  hüttenmännischer  Beziehung 
bezeichnet,  aus  denen.  Silber  gewonnen  werden  kann,  selbst  wenn  sie  dasselbe 
nicht  als  wesentlichen  Bestandtheil  enthalten.  Die  wichtigsten  sind  in  der  Gruppe 
der  Glänze  und  Blenden  (s.  d.  Artikel)  enthalten,  wesshalb  hier  nur  die  inter- 
essanten Verbindungen  des  Silbers  mit  Chlor,  Brom  und  Jod  anzuführen  sind, 
welche,  wo  sie  reichlich  auftreten,  wie  in  Süd-Amerika,  als  wichtige  Silbererze 
benützt  werden.    Unter  ihnen  ist  voranzustellen: 

Der  Kerargyrit  (auch  Hornerz,  Hornsilber,  Silberhornerz  genannt), 
das  Chlorsilber  AgCl,  mit  75,3^  Silber  und  24,7  Chlor.  Dasselbe  krystallisirt 
tesseral,  meist  Hexaeder  bildend;  die  Krystalle  sind  klein,  einzeln  aufgewachsen 
oder  reihen-  oder  treppenförmig  gruppirt,  übergehend  in  Ueberzüge  und  Krusten. 
Gewöhnlich  findet  er  sich  derb  bis  eingesprengt.  Spaltbarkeit  ist  nicht  bemerk- 
bar. Der  Bruch  ist  muschelig.  Grau,  bläulich-,  gelblich-,  grünlichgrau  (durch 
den  Einfluss  des  Lichtes  gelb,  braun,  violett  und  schwarz  werdend),  mehr  oder 
weniger  durchscheinend  bis  an  den  Kanten,  wachsartig  glänzend  mit  Neigung  in 
Diamantglanz,  im  Striche  oder  beim  Ritzen  unverändert  und  glänzend,  geschmeidig, 
hatH.  s=i,o — 1,5  und  spec.  Gew.  =  5,5— 5,6.  Wegen  der  geringen  Härte  und 
Geschmeidigkeit   lässt  sich  das  Mineral  mit  dem  Messer  leicht  schneiden  und 

KuiMGOTT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  26 


402  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

späneln  wie  Hom,  worauf  auch  der  Name  Silbe rho merz  bezogen  wurde.  Da- 
von wurde  nach  dem  griechischen  Worte  i^argyrost  Silber  und  -»keras^  Hom, 
der  Name  »Kerargyritt  gebildet  Schon  Fabricius  i  566  sprach  von  einem  lebcr- 
farbenen  reichen  Silbererze,  was  in  Stücken  gegen  das  Licht  gehalten,  einen 
Schein  wie  Hom  hat  und  Mathesius  führt  1585  von  ihm  an,  dass  es  durchsichtig 
ist  wie  ein  Hom  in  einer  Laterne  und  am  Lichte  schmilzt.  Auch  wurde  das 
Chlorsilber,  welches  bei  etwa  260°  schmilzt  und  zu  einer  graulichweissen,  halb- 
durchsichtigen homähnlichen  Masse  erstarrt,  Hornsilber  genannt  Dcsshall» 
nannte  Pabst  v.  Ohain  das  Mineral  Hornerz  und  da  auch  andere  ähnliche  Ver- 
bindungen mit  z.  Th.  ähnlichen  Eigenschaften,  Hornerze  genannt  werden,  so 
unterscheidet  man  das  Silberhornerz  von  Bleihomerz  (s.  pag.  401)  und  Queck- 
silberhomerz  (s.  pag.  403). 

Der  Kerargyrit  ist  v.  d.  L.  sehr  leicht  unter  Aufkochen  zu  einer  braunen 
bis  schwarzen  Perle  schmelzbar,  welche  in  der  Reducdonsflamme  ein  Silberkom 
giebt;  färbt  mit  Kupferoxyd  geschmolzen  die  Flamme  grün  wegen  des  Chlorge- 
haltes, wird  von  Säuren  wenig  angegriffen,  ist  dagegen  in  Ammoniak  leicht  löslich. 

Elr  findet  sich  hauptsächlich  in  den  oberen  Teufen  der  Silbergänge  und  war 
im  sächsischen  und  böhmischen  Erzgebirge  schon  lange  bekannt,  wie  zu  Jo- 
hanngeorgenstadt,  Annaberg  und  Freiberg  in  Sachsen  und  Joachimsdiai  in 
Böhmen.  In  grosser  Menge  findet  er  sich  in  Peru,  Chile  und  Mexiko.  Er  findet 
sich  auch  in  bedeutender  Menge  am  Schlangenberge  in  Sibirien,  von  geringem 
Belange  ist  das  Vorkommen  von  Allemont  im  Dauphin^  in  Frankreich,  von  Huel- 
goet  in  der  Bretagne,  von  St  Marie  aux  mines  im  Elsass,  Kongsberg  in  Norwegen 
und  am  Harz.  Hier  findet  sich  und  fand  sich  schon  1576  und  1627  auf  der 
Grube  St  Georg  bei  St  Andreasberg  ein  Gemenge  von  Thon  und  Kerarg}Tit 
welches  als  Ueberzug  vorkommt,  erdig,  matt,  im  Striche  wachsglänzend,  hell 
berggrün  bis  grünlichweiss,  äusserlich  bläulichgrau  oder  röthlichbraun  ist  Durch 
Vertheilung  im  Stollenwasser  macht  es  dasselbe  milchig,  worauf  sich  der  Name 
Buttermilchsilber  bezieht 

Weniger  verbreitet  als  der  Kerargyrit,  aber  doch  auch  refchlich  in  Chile  und 
Mexiko  vorkommend,  ist  der  Bromit,  das  Bromsilber  auch  Bromargynt  genannt 
AgBr,  mit  57,5 f  Silber  und  42,5  Brom.  Derselbe  ist  auch  tesseral,  kleine  Kiys- 
talle,  00  O  00,  oder  00  O  00 . 0  bildend,  oder  Kömer,  auch  derb  und  eingesprengt 
vorkommend.  Er  ist  grün  bis  gelb,  läuft  grau  an,  mehr  oder  weniger  durch- 
scheinend, hat  diamantartigen  VVachsglanz,  ist  geschmeidig,  hatH.  =  1,0 — 2,0  und 
das  spec.  Gew.  =  6,2 — 6,3.  Er  ist  v.  d.  L.  leicht  schmelzbar,  in  Säuren  wenig 
angreifbar,  in  concentrirtem  Ammoniak  in  der  Wärme  langsam  löslich. 

Zwischen  dem  Bromit  und  dem  Kerargyrit  steht  das  Chlorbromsilber,  welches 
Embolit  von  dem  griechischen  Worte  ^embolion^  das  Eingeschobene  genannt 
wurde.  Derselbe  findet  sich  auch  tesseral  krystallisirt,  wechselnde  Combinationen 
des  Oktaeder  und  Hexaeder  bildend,  sowie  derb  und  eingesprengt,  in  der  Gegend 
von  Copiapo  in  Chile  und  bei  St  Arnaud  in  Victoria  in  Australien.  Im  Au^ 
sehen  dem  Bromit  ähnlich  und  grau,  braun  bis  schwarz  anlaufend,  ebenfalls  ge> 
schmeidig  und  weich  wie  dieser,  im  spec.  Gew.  aber  zwischen  Bromit  und  Ke- 
rargyrit stehend,  wechselnd  nach  der  relativen  Menge  des  Brom  und  Chlor 
Wegen  dieses  Wechsels  unterschied  sogar  Breithavpt  Mikrobromit,  Emboht 
und  Megabromit  Im  Mittel  würde  der  Embolit  65 jj  Silber  mit  11  Chlor  und 
24  Brom  enthalten,  während  die  Grenze  gegen  bromhaltigen  Keraigyrit  dorrh 
70g  Silt>er,    17  Chlor  und   13  Brom,   die  Grenze  gegen  Bromit  durch  61  Silber. 


Erze.  405 

5  Chlor  und  34  Brom  bestimmt  werden  könnte.     Der  Bromgehalt  wird  bei  Em- 
bolit  und  Bromit  beim  Erhitzen  durch  den  stechenden  Geruch  des  Brom  erkannt 

An  diese  interessanten  seiter c-a  Verbindungen  reiht  sich  auch  der  von  A.  von 
Lasaulx  in  Höhlungen  des  eisenschüssigen  Quarzit  von  Dembach  in  Nassau 
entdeckte  Jodobromit,  welcher  schwefelgelbe  bis  olivengrüne  kleine  tesserale 
Kr}'stalle,  Oktaeder  undO-ooOoo,  sowie  Kömer  bildet  und  wesentlich  Jodbrom- 
silber AgBrJ  mit  etwas  Chlor  darstellt  Aus  diesem  Vorkommen  und  der  Ver- 
wandtschalt des  Jod  mit  Brom  und  Chlor  wi'^de  man  schliessen  können,  dass 
auch  Jodsilber  AgJ  als  tesserale  Species  vorkommen  könnte.  Um  so  interessanter 
aber  ist  es,  dass  sich  wirklich  Jodsilber  als  Mineralspecies  bei  Mazapil  im  Staate 
Zacatecas  in  Mexiko  auf  Klüften  von  Hornstein,  bei  Chanarcillo  in  Chile  auf 
Kalkstein  und  bei  Guadalajara  in  Spanien  findet,  welches  aber  nicht  tesseral, 
sondern  hexagonal  krystallisirt.     Dies  ist: 

Der  Jodit,  isomorph  mit  Greenockit  (s.  pag.  83).  Die  seltenen  Krystalle  sind 
tafelartige  bis  prismatische  mit  verschiedenen  hexagonalen  Pyramiden,  auch  hemi- 
morph  wie  die  des  Greenockit,  deutlich  basisch  spaltbar.  Er  bildet  auch  Blätt- 
chen bis  Platten,  findet  sich  auch  derb  bis  eingesprengt  mit  blättriger  Absonderung. 
Er  ist  grau,  röthlichgrau,  stroh-,  Schwefel-  bis  citronengelb,  wachsglänzend  und 
in  Diamantglanz  geneigt,  durchscheinend,  milde,  hat  H.  =  1,0 — 1,5  und  spec. 
Gew.  =5,5 — 5,7,  Als  AgJ  enthält  er  46^  Silber  und  54  Jod.  V.  d.  L.  leicht 
schmelzbar,  färbt  er  die  Flamme  roth,  giebt  mit  Soda  ein  Silberkorn,  ist  in  Säuren 
und  Ammoniak  unlöslich.  Da  das  Jodsilber  aus  dem  Schmelzflusse  tesseral 
krystallisirt,  steht  auch  noch  ein  Vorkommen  einer  tesseralen  Species  in  Aussicht 

An  diese  Silbererze  sich  anschliessend  kann  noch  die  Species  Kalomel, 
das  Chlormercur  erwähnt  werden,  zumal  auch  ein  Mittelglied  zwischen  Chlor- 
silber und  Chlormercur  bekannt  wurde,  der  Bordos it  von  Los  Bordos  in  Chile. 

Das  Kalomel  (auch  Quecksilberhornerz  oder  Chlorquecksilber  ge- 
nannt) krystalhsirt  quadratisch  und  bildet  sehr  kleine  aufgewachsene  und  zu 
Drasenhäuten  vereinigte  Krystalle.  Sie  sind  kurzprismatisch  bis  langprismatisch 
durch  das  diagonale  oder  normale  Prisma  mit  pyramidaler  oder  basischer  Endi- 
gung; auch  finden  sich  stumpfpyramidale.  Ueberhaupt  sind  viele  Gestalten  des 
Kalomel  bekannt  geworden,  deren  Bestimmung  durch  die  schönen  Krystalle  des 
nicht  mineralischen  Kalomel  befordert  wurde,  wie  solche  z,  B.  in  Altwasser  bei 
^hmölnitz  in  Ungarn  beim  Rösten  der  mercurhaltigen  Fahlerze  entstanden.  Als 
Grundgestalt  wurde  die  spitze  quadratische  Pyramide  P  gewählt,  deren  Endkanten- 
winkel =  98°  11'  und  deren  Seitenkantenwinkel  :=  135^40'  sind,  welcher  die  deut- 
lichsten Spaltungsflächen  entsprechen.  Bemerkenswerth  ist  auch  die  stumpfere 
normale  quadratische  Pyramide  ^P  mit  den  Endkanten  =  126° 48'  und  den  Seiten- 
kanten =t  78*^35',  welche  an  Krystallen  meist  vorherrschend  ausgebildet  ist  Das 
Kalomel  ist  graulich-  bis  gelblich  weiss,  grünlich  weiss,  gelblichgrau,  bräunlich 
grau  und  wird  durch  den  Einfluss  des  Lichtes  dunkler,  ist  mehr  oder  weniger 
durchscheinend,  diamantartig  glänzend,  milde,  hat  H.  =  1,0 — 2,0  und  spec.  Gew. 
=  6,4 — 6,5.  Als  HgCl  enthält  es  85  J  Mercur  und  15  Chlor.  Es  sublimirt  sich 
im  Kolben  und  giebt  mit  Soda  Mercur;  auf  Kohle  v.  d.  L.  erhitzt  verdampft  es 
vollständig;  mit  Phosphorsalz  und  Kupferoxyd  gemengt  färbt  es  die  Flamme  blau. 
In  Salzsäure  nur  wenig,  in  Salpetersäure  nicht,  dagegen  in  Salpetersalzsäure 
leicht  und  vollständig  auflöslich.  —  Als  Fundorte  dieses  seltenen  Minerals  sind 
der  Landsberg   bei  Moschel    in    Rheinbayern,    der   Giftberg   bei   Horzowitz    in 


404  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Böhmen,  Idria  in  Rrain,  Almaden  in  Spanien  und  die  Grube  el  Doctor  bei  San 
Onofre  in  Mexiko  anzuführen. 

XI.   Antimonerze. 

In  hüttenmännischer  Beziehung  gilt  als  Antimonerz  der  Antimonit  oder 
das  Grauspiessglanzerz  (s.  Artikel  Glänze),  aus  welchem  das  Antimon  ge- 
wonnen wird,  während  das  sogen.  Rothspiessglanzerz,  der  Pyrantimonit 
(s.  pag.  87)  dazu  zu  selten  ist.  Dies  ist  auch  bezüglich  des  Weissspiess- 
glanzerzes  der  Fall,  welches  als  Antimonoxyd  zu  den  Antimonerzen  ge- 
zählt wird.  Dieser  Species  wurde  auch  der  Name  Valentinit  gegeben,  zar 
Erinnerung  an  Basilius  Valentinus,  dem  Verfasser  des  um  1500  erschienenen 
Bergbüchleins.  Da  aber  das  Antimonoxyd  ausser  dem  Valentinit  noch  eine 
zweite  Species  bildet,  dimorph  ist,  so  sind  beide  hier  als  Andmonerze  zu  er- 
wähnen: 

I.  Der  Valentinit.  Derselbe  krystallisirt  orthorhom bisch,  bildet  meist 
kleine  aufgewachsene  kurzprismatische  Krystalle,  welche  das  Prisma  00  P  ohne 
oder  mit  den  Längsflächen  ooPoo,  begrenzt  durch  ein  Längsdoma  zeigen,  wozu 
auch  noch  andere  Flächen  kommen  oder  die  Krystalle  sind  oblong-tafelaitige 
durch  das  Vorherrschen  der  I.ängsflächen.  Die  Dimensionen  sind  nicht  genau 
bestimmt,  der  brachydiagonale  Kantenwinkel  von  00  P  schwankt  zwischen  136^58' 
und  138^42',  ist  im  Mittel  etwa  138°  10',  das  gewöhnliche  I^ängsdoma  hat  die 
Endkanten  =  70° 32',  auch  kommen  stumpfere  vor,  sowie  Pyramiden.  Die  tafcl- 
artigen  Krystalle  bilden  meist  facherartige  Gruppen,  während  bei  mehr  linearer 
Bildung  der  verwachsenen  Individuen  garben-,  btischel-  bis  sternförmige  Gruppen 
entstehen.  Auch  findet  sich  der  Valentinit  derb  mit  kömiger,  stengliger  oder 
schaliger  Absondenmg  und  bildet  als  Absatz  aus  heissen  Quellen,  erinnernd  an 
den  Erbsenstein  (s.  pag.  100)  reichliche  Absätze,  welche  Aggregate  bis  erbsengrosser 
Kugeln  darstellen.  Dieselben  sind  aber  nicht  concentrisch  schalig  abgesondert 
wie  die  Erbsen  des  Aragonites,  sondern  aus  radialgestellten  Krystallfasem  zu- 
sammengesetzt 

Er  ist  vollkommen  parallel  den  Längsflächen  spaltbar,  weiss,  gelblich  weiss 
bis  gelblichgrau,  graulichweiss  bis  dunkelaschgrau,  hellochergelb,  selten  roth, 
perlmutterartig  glänzend  auf  den  Längs-  und  den  ihnen  entsprechenden  Spaltungv 
flächen,  auf  anderen  Krystallflächen  in  Diamantglanz  geneigt»  der  fasrige  seiden- 
glänzend,  halbdurchsichtig  bis  an  den  Kanten  durchscheinend,  milde,  hat 
H.  =  2,0— 3,0  und  spec.  Gew.  =  5,5— 5,6.  Als  Antimonoxyd  Sb,0,  enthalt  er 
83,6^  Antimon  und  16,4  Sauerstoff.  In  Chlorwasserstoffsäure  ist  er  löslich,  die 
Lösung  giebt  bei  Zusatz  von  Wasser  einen  weissen  Niederschlag.  V.  d.  L.  er- 
hitzt wird  er  gelb,  schmilzt  sehr  leicht,  beschlägt  die  Kohle  weiss  und  veidamptt ; 
m  der  Reductionsflamme  oder  mit  Soda  reducirt  er  sich  zu  Antimon.  Im  Glas- 
kolben erhitzt  verdampft  er  und  setzt  sich  an  den  kälteren  Theilen  als  weisses 
Pulver  oder  krystallinisch  ab. 

Er  findet  sich  nicht  häufig  besonders  auf  Gängen,  wie  zu  Przibram  in  Böhmeiw 
Bräundorf  in  Sachsen,  Wolfsberg  am  Harz,  Horhausen  in  Rheinpreussen,  ADc^ 
mont  im  Dauphin^  in  Frankreich,  Pemek  bei  Bösing  und  Felsöbanya  in  Ungarn, 
Nertschinsk  in  Sibirien;  der  oben  erwähnte  kuglig-abgesonderte  in  der  Nühe  der 
Quellen  des  Ain-el-Bebbuuch  in  der  Provinz  ConsUntine  in  Algerien. 

2.  DerSenarmontit  (benannt  nach  dem  französischen  Mineralogen  Rot 
^KNARMONT,    Welcher   ihn  zuerst  bei   Mimime  unweit    Sansa  in    Constantine  in 


Fische.  405 

Algerien  entdeckte)  kiystallisirt  tesseral  und  bildet  Oktaeder,  welche  am  ange- 
gebenen Orte  in  Hohlräumen  einer  körnigen  und  dichten  Varietät  aufgewachsen, 
auch  lose  im  thonigen  Boden  gefunden  wurden.     In  geringer  Tiefe  finden  sich 
warme  giftige  antimonhaltige  Quellen,  denen  sowohl  der  Senarmontit,  als  auch  der 
pisolithische  Valentinit  seinen  Ursprung  verdankt.    Die  Krystalle  sind  oktaedrisch, 
mehr  oder  weniger  deutlich  spaltbar,  farblos,  durchsichtig,  glas-  bis  diamantartig 
glänzend,  der  kömige  und  dichte  ist  weiss  bis  dunkelgrau,  Härte  ist  =2,0—2,5; 
spec.  Gew.  =  5,22 — 5,30.     Das  chemische  Verhalten  ist  wie  bei  dem  Valentinit. 
Diese    interessante    Species    fand    sich    auch,    kleine    farblose    auf   schwarzem 
Grauwackenschiefer  aufgewachsene  Oktaeder  bildend  bei  Perneck  unweit  Bösing 
in  Ungarn,  femer  bei  Endellion  in  Cornwall  und  zu  South-Ham  in  Ost-Canada. 
Ausser  diesen  beiden  Vorkommnissen  des  Antimonoxydes  Sb^  O3  finden  sich 
noch  Zersetzungsprodukte  des  Antimonit  und  anderer  Schwefelantimon  enthalten- 
der Minerale,   welche  zum  Theil  Fseudokrystalle  bilden,  auch  derb  und  einge- 
sprengt oder  Ueberzüge   bildend  vorkommen,  dicht  bis  erdig,  gewöhnlich  weiss 
bis   gelb,    wachsglänzend   bis    matt,    undurchsichtig    bis    an  den  Kanten  durch- 
scheinend sind  und  im  spec.  Gew.  variiren.    Solche  Zersetzungsprodukte  wurden 
früher    gewöhnlich    als   Antimonocher   benannt    und   ergaben  bezüglich  ihrer 
Zusammensetzung  keine  Uebereinstimmung.     Dies  war  sehr  natürlich,   weil  der- 
artige 2^rsetzungsprodukte  eine  Reihe  von   Umbildungen  zeigen,  welche  in  ein- 
zelnen Fällen  zu  irgend  einem  bestimmten  Endprodukte  führen  können.    Sie  ent- 
halten Antimonoxyd  oder  Antimonsäure  oder  beide  nebeneinander,  mit  oder  ohne 
Wasser  und  nach  den  einzelnen  Analysen  solcher  von  einzelnen  Fundorten  hat 
man  sogar  bestimmte  Arten  unterscheiden  wollen,  welche  als  solche  doch  noch 
immer  zweifelhaft  sind.     Als  solche  wurden  namentlich  der  Cervantit  Sb^Oj  • 
Sb^Os  von  Cervantes  in  Galicien  in  Spanien,  von  Pereta  in  Toscana  und  von 
Bomeo,  der  Stibilith  Hg O  •  Sb^Oj  -t-  H^ O  •  Sbj O5  von  Goldkranach  in  Bayern, 
von  Kremnitz  und  Felsöbanya  in  Ungarn,  von  Zacualpan  in  Mexiko,  von  Chios 
und   Boraeo,    der  Cumengit  2H2  0-Sb2  0j -f- SHgO-SbaOr,    aus  der  Provinz 
Constantine   in  Algerien  unterschieden  und  können  noch  andere  unterschieden 
werden.    Da  sie  gewöhnlich  nicht  homogen  vorkommen  und  verschiedene  Bei- 
mengungen zeigen,  so  können  sie  nur  als  wahrscheinliche  Arten  aufgeftlhrt  werden. 


Fische 


von 


Dr.  Friedrich  Rolle. 

Die  Fische,  Pisces,  im  weiteren  Sinne  des  Wortes,  eröffnen  das  Reich  der 
V er teb raten  oder  Wirbelthiere,  Vertebrata.  Aber  die  niedersten  Formen 
derselben  ermangeln  noch  ausgebildeter  Wirbel,  vertehrae,  spandylu 

Abgesehen  von  den  niedersten  Formen  der  Fische  sind  die  Wirbelthiere 
besonders  bezeichnet  durch  die  in  der  Mediane,  welche  den  Körper  paarig  halbirt, 
gelegene  Wirbelsäule  oder  den  Rückgrat.  Er  bildet  die  Körperachse  in  der 
Mediane,  aber  näher  dem  Rücken  als  dem  Bauche.  Daran  schliessen  sich  die 
übrigen  Theile  des  festen  Knochengerüstes,  die  fast  ohne  Ausnahme  entweder 
paarig  und  symmetrisch  auftreten  oder,  wo  sie  wie  z.  B.  das  Bmstbein,  sternum, 
unpaar  sind,  wenigstens  in  der  Mediane  sich  einschalten.     Dieses  feste  symme- 


4o6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

trische  Knochengerüst  oder  Skelett  hat  namentlich  für  den  Palaeontologen,  da  e^ 
meist  in  ausgezeichneter  Weise  zur  fossilen  Erhaltung  sich  eignet,  das  nächste 
Interesse.  Wir  müssen  uns  aber  fürs  Erste  damit  begnügen,  einen  kurzen  Blick 
auf  die  Wirbelsäule  oder  den  Rückgrat  (coiumna  vertehrarum)  zu  werfen. 

Beim  Menschen,  dem  am  höchsten  organisirten  Vertreter  des  Wirbelthier- 
Reiches  sind  24  sogen,  wahre  Wirbel  entwickelt,  7  Halswirbel,  12  Brust-  oder 
Rückenwirbel  und  5  Lenden-  oder  Bauchwirbel.  Dazu  kommen  9 — 10  sogen, 
falsche  Wirbel,  erstlich  5  im  Kreuzbein  (Htiligenbein,  os  sacrum)  verwachsene 
Wirbel,  weiterhin  4  oder  5  unansehnliche  zum  Steissbein  (os  coccygis)  ver- 
wachsene Schwanz- Wirbel.  Zusammen  33—34  wahre  und  falsche  Wirbel.  Aehn- 
lich  ist  das  Zahlenverhältniss  bei  manchen  anderen  Wirbelthieren.  Bei  einigen 
Gattungen,  namentlich  bei  Haifischen  und  Schlangen  wächst  aber  die  Zahl  der 
Wirbel  weit  stärker  an,  namentlich  die  der  Schwanzwirbel.  Bei  Aalen  geht  die 
Zahl  der  Wirbel  bis  200,  bei  Haifischen  bis  365,  bei  Schlangen  auf  300  (bei 
Python  sogar  auf  422).  Wir  müssen  fiir  die  übrigen  festen  Skelett-Theile  auf  die 
Handbücher  der  Zoologie  und  Anatomie  verweisen. 

Der  Wirbel thierkörper  zeigt  ausser  der  symmetrischen  (bilateralen)  An- 
ordnung der  Theile  noch  eine  mehr  oder  minder  in  die  Augen  fallende  quere 
Gliederung  in  Segmente  (Metameren,  Folgestücke).  In  der  Wirbelsäule  ist  die 
Gliederung  am  meisten  ausgesprochen.  Ausgebildete  Querringe  treten  auf  unii 
ihnen  schliessen  sich  die  um  Brust  (und  Bauch)  vorgreifenden  Rippen  an.  Nicht 
minder  in  die  Augen  fallend  ist  die  Erscheinung  von  Segment-Gruppen.  Meist 
ist  der  Wirbelthierkörper  in  Kopf,  Hals,  Rumpf  und  Schwanz  geschieden,  aber 
diese  Segmentgruppen  sind  bei  den  einzelnen  Klassen  der  W^irbelthiere  nicht 
immer  besonders  entwickelt.  Bei  den  Fischen  fehlt  ein  deutlich  ausgebildeter 
Hals.  Aniphioxus  entbehrt  sogar  noch  eines  bestimmten  vom  Rumpf  geschiedener. 
Kopfes.  Beim  Menschen  endlich  ist  der  Schwanz  bis  auf  einen  unansehnlichen 
Rest  verkümmert. 

Wir  gehen  zu  den  Fisciien  über.  Sie  begreifen  nach  E.  Haeckel  ner 
anatomisch  und  physiologisch  sehr  verschiedene,  aber  in  der  heutigen  Lebewelt 
nach  Zahl  der  Arten  und  Gattungen  sehr  ungleich  vertretene  Klassen. 

I.  Schädellose,  Acrania,  Leptocardia. 
II.  Rundmäuler  oder  Unpaamasen,  Cyclostoma^  Monorhina. 

III.  Echte  Fische,  Pisces  oder  Paarnasen,  Amphirhina. 

IV.  Lungenathmende  Fische  oder  Doppelathmer,  Dipneusta. 

Von  diesen  stehen  die  Acranier  oder  schädellosen  Wirbel thiere  von  den 
übrigen  Klassen  der  Wirbelthiere  offenbar  weiter  ab,  als  diese  unter  sich,  mc 
begreifen  aber  in  der  heutigen  Lebewelt  nur  noch  eine  einzige  Art,  das  Lanzct- 
Thierchen,  Amphioxiis  lanceolatus  Yarrel  (Pallas  sp.)  ein  nieder  organisirten 
Wirbelthier,  welches  aller  harten  zur  fossilen  Erhaltung  geeigneten  Körpertheile 
ermangelt  und  in  fossilen  Funden  nicht  vertreten  ist,  gleichwohl  aber  als  letzter 
Nachzügler  einer  in  den  frühesten  Epochen  der  Lebewelt  allem  Vermuthen  nacb 
reichlich  entwickelten  Klasse  auch  für  Palaeontologie  einen  sehr  wichtigen  .^u^ 
gangspunkt  der  Forschuns;  darstellt. 

Amphioxus  lanceolatus  ist  ein   5  Centim.  langes  weiches  fast  durchzieh tice-* 
lanzettförmiges  Thierchen,    welches  an  seichten  Küstenstrecken  in  der  Nt>rdsee 
(z.  B.  an  Helgoland),   im  Mittelmoer  u.  s.  w.   im  Sand  vergraben  lebt.     P.\iJ  *•. 
der  erste  Entdecker,  hielt  es  noch  für  eine  Nacktschnecke  und  beschrieb  es  -n 
Jahre  1778  unter  dem  Namen  Limax  lanceolatus.    Yarrel  zeigte  1831,  dass  Cb  iS 


Fische.  407 

niederste  Form  zu  den  Wirbelthieren  gehört,  obschon  ihm  Wirbel  noch  abgehen. 
Amphioxus  entbehrt  noch  Kopf  nebst  Schädel  und  Gehirn.  Es  fehlt  ihm  noch 
das  gegliederte  Rückenskelett  (oder  das  secundäre  Achsenskelett),  ebenso  noch 
jede  Spur  von  paarigen  Gliedmassen.  Es  fehlt  auch  jede  Spur  einer  Schwimm- 
blase. Wohl  aber  ist  schon  in  der  Mediane  des  Körpers,  näher  dem  Rücken 
als  dem  Bauche  ein  primitives  knorpliges  Achsenskelett  oder  ein  Rückenstrang, 
Chorda  dorsalis,  vorhanden.  Es  ist  eine  feste  aber  biegsame  und  elastische 
cylindrische  Masse  von  Knorpelzellen.  Ueber  ihm,  an  der  Rückenseite  verläuft 
ein  ähnliches  cylindrisches  Organ,  eine  dickwandige  Röhre,  das  Markrohr, 
(Tubus  medullaris),  die  einfachste  Anlage  des  centralen  Nervensystems  der  Wirbel- 
thiere,  aber  bei  Amphioxus  noch  nicht  in  Gehirn  und  Rückenmark  geschieden  — 
wie  letzteres  bei  allen  übrigen  Wirbelthieren  der  Fall  ist.  Beide  Organe,  die 
Chorda  dorsalis  und  das  darüber  gelegene  Markrohr,  umschliesst  bei  Amphioxus 
ein  dritter  knorpeliger  Rückenstrang,  die  Chorda-Scheide,  aus  der  bei  allen  übrigen 
Wirbelthieren  durch  quere  Abtheilung  oder  Segment-(Metameren-)Bildung  die  ge- 
gliederte Wirbelsäule  (das  secundäre  Achsenskclett)  hervorgeht.  Bei  Amphioxus 
ist  in  der  Skelett-Achse  (Chorda-Scheide  mit  Chorda  dorsalis  und  Tubus  medul- 
laris) noch  keine  Quergliederung  ausgebildet.  Wohl  aber  zeigt  sich  eine  solche 
bereits  in  der  Muskelschicht.  Amphioxus  ist  also  nicht  nur  ein  symmetrisch  ge- 
bautes, sondern  auch  schon  mit  dem  ersten  Beginn  der  queren  Abgliederung  ver- 

« 

sehenes  Thier  —  das  niederste  Wirbelthier  —  aber  noch  ohne  Spur  von  Wirbel- 
Abgliederung»  also  ein  Wirbelthier  ohne  Wirbel. 

Kehren  wir  nun  zur  Betrachtung  des  Wirbelthier-Typus  zurück,  so  charakteri- 
sirt  sich  dieser  mit  Inbegriff  des  noch  nicht  zur  Wirbelbildung  vorgerückten 
Amphioxus  dadurch,  dass  er  erstens  eine  feste  Längsachse,  die  knorpelige  chorda 
dorsalis,  besitzt  und  dass  zweitens  eine  durch  diese  Längenachse  gezogne  senkrechte 
Median-Ebene  den  Thierkörper  symmetrisch  halbirt  (in  zwei  ganz  gleiche,  eine 
rechte  und  eine  linke  Hälfte  theilt.)  Ausserdem  lässt  sich  drittens  durch  die  Längs- 
achse eine  wagrechte  Mediane  annehmen,  die  aber  den  Körper  nicht  in  zwei 
gleiche  Hälften  theilt  (die  kleinere  Oberhälfte  oder  Rückenhälfte  ist  animal,  die 
grössere  oder  Bauchhälfte  ist  wesentlich  vegetativ.)  Dazu  kommt  eine  quere  Ab- 
cheilung des  Körpers  in  Metameren  oder  quer  zur  Längsachse  geordnete  Seg- 
mente. Sie  zeigt  sich  bei  Amphioxus  erst  im  Muskelsystem,  noch  nicht  in  der 
Skelettachse.  Sie  beginnt  in  der  letzteren  erst  allmählich  bei  den  zunächst  höher 
stehenden  Wirbelthierformen  und  erreicht  ihre  Vollendung  mit  der  Ausbildung 
der  gegliederten  Wirbelsäule.  Damit  ergiebt  sich  die  Feststellung  des  Wirbel- 
thiertypus  mit  Inbegriff  der  niedrigsten  Anfangsformen,  bei  denen  noch  keine 
Wirbel  entwickelt  sind. 

Nachdem  wir  die  Acranier  mit  der  einzigen  lebenden  Gattung  und  Art 
Amphioxus  als  niederste  aller  bekannten  Wirbelthierformen  erörtert  haben,  können 
wir  zur  Frage  übergehen,  woher  die  Acranier  —  und  als  deren  Akömmlinge,  alle 
höheren  Wirbelthiere,  den  Menschen  mit  inbegriffen  —  in  entfernterer  Linie  ab- 
stammen mögen.  Den  leitenden  Faden  ergiebt  der  Rückenstrang,  die  Chorda 
dorsalis,  die  bei  Amphioxus  als  stützendes  Organ  in  der  Längsachse  auftritt  und 
sich  hier  zeitlebens  erhält,  aber  auch  beim  Embryo  der  Säugethiere  in  einer  sehr 
frühen  Entwicklungsstufe  in  derselben  Gestalt  und  Lagerung  auftritt,  demnächst 
als  Mittelstrang  bei  Bildung  des  gegliederten  (secundären)  Achsenskeletts  dient 
und  im  Verlaufe  derselben  mehr  oder  minder  vollständig  verkümmert.  Eine 
Chorda  dorsalis   findet  sich  auch  bei  gewissen  wirbellosen  Thieren,  nämlich  bei 


4o8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

einem  Theile  der  Mantelthiere  oder  Tunicata,  die  von  den  meisten  Zoologen 
zwischen  Bryozoen  und  Mollusken  eingeschaltet  werden.  E.  Haeckel  schliesst 
sie  als  besondere  Klasse  den  Würmern  an.  Es  sind  Meeresbewohner.  In  einem 
frühen  Jugendzustand  —  dem  der  frei  umherschwimmenden  Larve  —  kommen 
bei  gewissen  Ascidien  (Seescheiden)  die  Chorda  dorsalis  und  über  ihr  der  tubus 
medullaris  vor  und  zwar  genau  in  derselben  Lagerung,  wie  sie  beim  Ampkiüxui 
zeitlebens  vorhanden  sind.  Sie  nehmen  hier  die  mediane  Stelle  in  einem  Rodcr- 
schwanze  ein.  Aber  bald  setzt  die  freie  Larve  sich  an  einem  festen  Gegenstand 
an,  geht  eine  rückschreitende  Umwandlung  ein  und  stösst  nun  den  Ruderechwam 
mit  sammt  der  Chorda  dorsalis  —  als  überflüssig  gewordene  Organe  —  ab.  —  Bei 
einer  anderen  Tunicaten-Gattung,  Appendkularia,  bleibt  sogar  der  Ruderschwanz  mit 
der  Chorda  dorsalis  —  wenn  auch  in  merklich  verkümmerndem  Zustand  —  zeit- 
lebens erhalten.  Wir  können  uns  daraus  den  Schluss  ziehen,  dass  in  einer  sehr 
frühen  geologischen  Epoche  die  Acranier  in  irgend  eine  dem  lebenden  Amphwxus 
nahestehende  Form  von  Verwandten  der  heutigen  Tunicaten,  die  bereits  die 
Chorda  dorsalis  besassen,  sich  abzweigten.  So  entstand  —  vielleicht  in  der  silu- 
rischen  Epoche,  wenn  nicht  schon  viel  früher,  das  erste  Wirbelthier.  Die  syste- 
matische Kennzeichnung  demselben  muss  mit  dem  frühesten  Beginn  der  queren 
Segmentirung  angenommen  werden.  Der  lebende  Amphioxus  ist  nachweissbar 
segmentirt,  d;e  lebenden  Tunicaten  sind  es  nicht.  Wir  verlassen  zunächst  dieses 
Feld  der  kühnsten  Hypothesen,  die  aber  zur  Kenntniss  des  heutigen  Standes  Ats 
Palaeontologie  weiteren  Sinnes  und  der  Erörterung  ihrer  Probleme  —  gleichviel 
welcher  subjektiven  Meinung  man  huldige  —  unerlässlich  geworden  sind. 

Wir  knüpfen  hier  einen  specifisch  palaeontologischen  Gegenstand  an,  der  aber 
nicht  minder  problematischer  Art  ist  und  die  grosse  palaeontologische  Bedeutung 
der  AmphioxuS'Yt?igt  von  einer  anderen  Seite  zu  beleuchten  geeignet  ist  Unter 
dem  Namen  Conodonten  beschrieb  Ch.  H.  Pander  1856  eine  Anzahl  kleiner 
zahnförmiger  Fossilien  aus  dem  silurischen  und  devonischen  System  von  Russ- 
land, u.  a.  schon  aus  untersilurischen  Lagern,  aus  denen  man  noch  keine  sicheren 
Fischreste  kennt  Die  Conodonten  ähneln  in  ihrer  äusseren  Gestalt  schlanken 
Kegelzähnen  von  Haien,  sie  zeigen  oft  zweischneidige  Gestalt  und  sind  am  Basal- 
theil verbreitert  und  ausgehöhlt.  Sie  zeigen  hier  eine  sogen.  Pulpa-Höhle,  die 
auf  einer  weichen  Haut  aufgesessen  zu  haben  scheint.  Aber  ihr  mikroskopischer 
Bau  unterscheidet  sie  von  den  Zähnen  der  Selachier  und  überhaupt  aller  Fische. 
Sie  zeigen  keine  Spur  von  Dentinc-Röhrchen.  R.  Owen  vennuthet  eher  ihre  Ab- 
kunft von  nackten  Würmern  oder  Weichthieren,  sei  es  nun  von  der  Mundhaut 
oder  von  der  äusseren  Körperoberfläche.  Es  liegt  also  nahe  zu  vermuthen,  die 
Conodonten  —  wenn  sie  auch  nicht  von  ächten  Fischen  herstammen  —  möchten 
von  einer  der  entlegeneren  Formen  ihres  Stammes,  wie  ihn  die  Amphioxen  und 
Tunicaten  in  der  heutigen  Meeresfauna  andeuten,  herrühren. 

Den  Acraniem  (dem  Amphioxus)  schliessen  sich  in  der  heutigen  Lcbevelt 
zunächst  die  bereits  viel  höher  organisirten  Cyclostomen  oder  Rundmäuler  /l>- 
ciostomata,  Unpaamasen,  Monorhina)  an.  Sie  sind  nur  durch  einige  wenige  Arten 
und  Gattungen  vertreten,  die  allem  Vermuthen  nach  ebenfalls  verspätete  Nach- 
zügler eines  in  den  älteren  Epochen  der  Lebewelt  formenreich  vertretenen 
Schwarmes  sind,  der  aber  auch  keine  fossilen  Reste  geliefert  hat 

Die  Cyclostomen  des  heutigen  Tages  —  mit  zwei  Familien,  den  Myrinoiden 
und  den  Petromyzonten  oder  Lampreten,  Pricken  —  stehen  schon  weit  ab  von 
den  Acraniem.    Sic  besiuen  schon  einen  deutlich  ausgebildeten  Kopf  mit  selbst- 


Fische.  409 

Ständig  ausgebildetem  Gehirn  und  einem  einfachen  häutigen  oder  knorpeligen 
Schädel  (Primordial-Schädel.)  Die  Nase  stellt  noch  ein  einfaches  unpaares  Rohr 
dar.  Das  Achsenskelett  ist  noch  wie  bei  Amphioxus  eine  zeitlebens  bleibende 
Chorda  dorsalis,  aber  in  der  Chorda-Scheide  zeigt  sich  schon  der  erste  Beginn 
der  Segmentirung  oder  die  erste  Anlage  des  secundären  Achsenskeletts. 

Die  Cyclostomen  bilden  eine  sehr  bedeutsame  Mittelstufe  zwischen  dem 
Amphioxus  einerseits  —  den  niedersten  Formen  der  echten  Fische,  nämlich  den 
Selachiem  (Haien  und  Rochen)  andrerseits.  Sie  sind  von  beiden  in  der  heutigen 
Lebewelt  so  weit  verschieden,  dass  man  sie  mit  gutem  Recht  als  eigne  Klasse 
zwischen  Acraniem  und  echten  Fischen  untersclieidet  In  älteren  geologischen 
Epochen  aber  —  in  der  silurischen  Epoche  oder  noch  früher  —  mögen  ihre 
Vertreter  in  zusammenhängender  Folge  die  Acranier  mit  den  Selachiem  ver- 
bunden haben. 

Wenn  die  Cylcostomen  auch  schon  in  ihrer  Organisation  hoch  über  den  Acra- 
niern  stehen,  so  scheidet  sie  doch  noch  viel  von  den  Selachiem  und  den  übrigen 
echten  Fischen.  Sie  entbehren  noch  paariger  Flossen,  also  der  Anlage  zur 
Bildung  der  bei  höheren  Wirbelthieren  hervortretenden  Gliedmaassen.  Sie  ent- 
behren ferner  noch  der  Schwimmblase,  also  der  Grundlage,  aus  der  bei  höheren 
Wirbelthieren  die  Lunge  hervorgeht.  Sie  entbehren  femer  noch  fester  Skelett- 
Theile,  sowie  fester  Schuppen  oder  Hautscbilder.  Die  einzigen  festen  der  fossilen 
Erhaltung  fähigen  Theile  der  heute  lebenden  Cyclostomen  sind  die  spitzen  kegel- 
förmigen Zähne,  mit  denen  ihr  Rachen  bewaffnet  ist  und  die  denen  der  Haie 
schon  sehr  nahe  kommen  (zwei  grosse  breit  kegelförmige  Zähne  an  der  oberen, 
sieben  kleinere  keglige  Zähne  an  der  untem  Seite  des  Rachens).  Aber  auch 
von  dieser  festen  Bezahnung  ist  bis  jetzt  nichts  fossil  gefunden  worden. 

Die  Uebergangsstellung,  welche  die  Cyclostomen  zwischen  den  Acraniem  und 
den  Selachiem  einnehmen,  lässt  schliessen,  dass  in  älteren  Epochen,  namentlich 
aber  vor  Ablagemng  der  obersilurischen  Schichten,  in  denen  die  Selachier  durch 
zerstreute  2^hne  und  Flossenstacheln  schon  ziemlich  bestimmt  vertreten  sind  — 
die  Cyclostomen  bereits  reichlich  entwickelt  waren,  aber  keine  fossilen  Reste 
hinterliessen  oder  mindestens  bis  jetzt  durch  solche  Reste  in  unseren  Samm- 
lungen noch  nicht  vertreten  sind.  Die  wenigen  heute  noch  lebenden  Cyclostomen 
sowohl  die  Myxinoiden  als  die  Lampreten  oder  Fetromyzan-Axitvi  sind  saugende 
Schmarotzer,  welche  sich  an  anderen  Fischen  anheften  und  selbst  mit  Hilfe  ihrer 
spitzen  Zähne  in  diese  einbohren.  Diese  Lebensweise  ist  für  die  ältesten  Cyclos- 
tomen nicht  anzunehmen,  sie  werden  wohl  die  räuberische  Lebensweise  der  Haie 
eingehalten  haben. 

Ein  starker  Absatz  scheidet  in  der  lebenden  Welt  von  ihnen  die  Klasse  der 
Fische,  iYfr«  (Paamasen,  Amphirhina.)  Die  jetzt  vorhandene  Lücke  im  S)rstem 
mag  in  der  silurischen  oder  in  einer  vorsilurischen  Epoche  durch  Formen  ver- 
treten gewesen  sein,  bei  denen  sich  die  ersten  paarigen  Flossen  und  die  erste 
Anlage  der  Schwimmblase  entwickelten,  auch  die  Bildung  der  um  die  Chorda 
dorsalis  sich  anlagernden  secundären  Skelett- Achse  Fortschritte  machte,  die  Haut 
eine  äussere  Bewaffnung  mit  harten  Körnem  und  Platten  (Chagrin)  erhielt,  über- 
haupt eine  mehrfache  höhere  Ausbildung  eintrat. 

Die  echten  Fische  begreifen  drei  Unterklassen: 

L  Die  Selachier,  Selachii. 

n.  Die  Ganoiden  oder  Schmelzfische,  Ganoides, 
in.  Die  Knochenfische  oder  Teleostier,  Teieostei, 


4IO  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

von  welchen  die  Selachier  am  nächsten  an  die  Cyclostomen  sich  anscliliesser 
und  also  wahrscheinlich  die  älteste   Stammform  der  Fische  überhaupt  vertreten. 

Die  echten  Fische  —  von  den  Selachiern  an  —  begreifen  nur  noch  aub- 
schliesslich  kiemenathmende  Wirbelthiere  und  Wasserbewohner  —  mit  ausge- 
bildetem Kopf,  Gehirn  und  Schädel,  sowie  einer  paarigen  Nasenröhre,  die  blind 
endet,  noch  nicht  mit  der  Mundhöhle  in  Verbindung  tritt.  Die  Organisation  M'I 
bei  ihnen  schon  mannigfach  über  die  der  Cyclostomen  vorgeschritten,  die  Bildun:; 
des  secundären  Achsenskeletts  um  die  Chorda  dorsalis  in  einer  Reihe  von  Stufen 
vorgerückt,  die  wir  hier  im  Einzelnen  nicht  verfolgen  können,  endlich  die  äussere 
Körperhaut  in  mannigfacher  Weise  durch  vorragende  feste  Theile,  bald  Kömer, 
bald  Knochenplatten,  bald  dachziegelförmig  sich  deckende  Schuppen  beschütz 

Von  diesen  und  vielen  anderen  Charakteren  höher  vorgeschrittener  Organisa- 
tion können  wir  hier  nur  auf  die  Entwicklung  der  paarigen  Flossen  und  der 
Schwimmblase  eingehen.  Alle  echten  Fische  besitzen  —  im  Gegensatz  n 
Amphioxen  und  Cyclostomen,  —  paarige  Flossen,  —  Brustflossen  und  Bauch- 
flossen, —  die  ersten  Anlagen  zur  Entwicklung  der  Vorder-  und  Hinterglied- 
maassen  der  höheren  Wirbelthiere.  Aus  den  Brustflossen  der  Fische  sind  nach- 
mals die  Vordergliedmaassen  der  Amphibien,  aus  den  Baucbflossen  die  Hinter- 
gliedmaassen  hervorgegangen.  Aber  beide  paarige  Organe  behalten  bei  den 
Fischen  noch  die  urspiünghche  Form  von  gestrahlten  Flossen  —  platten  Ruder- 
organen —  zur  Unterstützung  der  Ortsbewegung  im  Wasser. 

Alle  echten  Fische  besitzen  eine  Schwimmblase,  entweder  in  ausgebildeter 
Form  oder  wenigstens  in  Anlage.  (Bei  manchen  Fischen  ist  sie  in  Folge  von 
verabsäumtem  Gebrauch  verkümmert  z.  B.  bei  den  Schollen,  HeurorucUs^  F> 
ist  eine  blasenförmige  Ausstülpung  des  Schlunds  oder  des  vorderen  Darmkana!^ 
gleich  der  Lunge  der  luftathmenden  höheren  Wirbelthiere.  Wo  sie  bei  Fischer 
ent^Ä'ickelt  erscheint,  dient  sie  nur  als  hydrostatischer  Apparat  und  unterstützt  in 
ihrer  wechselnden  Ausdehnung  die  auf-  und  absteigende  Bewegung  im  Wasser 
Erst  bei  den  Dipneusten  oder  Doppelathmern,  bricht  die  Nasenhöhlung  am 
Gaumen  durch  und  tritt  damit  die  Schwimmblase  in  die  Verrichtungen  eines 
Athemorgans  ein  d.  h.  sie  wird  zur  Lunge.  (Wir  erörtern  weiter  unten  die  I>i- 
pneusten  anhangsweise  nach  den  Fischen.) 

Die  Wurzel  des  Stammes  der  Fische,  kann,  wie  schon  berührt  wurde,  nur 
von  den  Cyclostomen  und  weiterhin  den  Acraniern,  endlich  den  Tunicaten  her- 
geleitet werden.  Im  Anschluss  an  die  Cyclostomen  können  von  den  drei  lebend 
vertretenen  Unterklassen  der  Fische  nur  die  Selachier  oder  Haie  und  Rochen  in 
Betracht  kommen  und  aus  diesen  leiten  sich  erst  die  Ganoiden  und  Teleosticr 
als  abweichend  geartete  Verzweigungen  her. 

Fossile  Fische  keimt  man  noch  nicht  aus  der  cambrischen  Formation  and 
der  unteren  Hälfte  der  silurischen  Formation.  Sie  erscheinen  erst  in  der  dritten 
Silurfauna  und  zwar  zuerst  im  Lower-Ludlow  Horizont  oder  der  Mittelregion  der 
dritten  Silurfauna  (nach  Bakrande's  Eintheilung),  wo  ein  gepanzerter  Ganoide 
Fteraspis  Ludensis  Salt.,  gefunden  worden  ist.  Reichlicher  folgen  sie  bald  m; 
oberen  Ludlow-Horizont  und  lieferten  überhaupt  bisher  für  die  obersilurischc  AV 
theilung  66  oder  67  Arten  (nach  Barrande's  Zusammenstellung  vom  Jahr  187: 
Es  sind  darunter  verhältnissmässig  viele  Gattungen  der  Selachier  und  der  ge- 
panzerten Ganoiden,  aber  .auch  schon  einige  cyclifere  Ganoiden.  Diese  FimtH 
Formen  der  oberen  Silur-Etage  erscheinen  plötzlich  und  fast  gleichzeitig  in  den 
Fundstätten  von  England,  Russland,  Böhmen  u.  a.  O.  und  stellen  einen  Schuann 


Fische.  41 1 

von  Einwanderern  dar,  der  aus  einer  noch  unbekannten  Heimathstätte  der  Ent- 
^vicklllng  eintraf,  vielleicht  einer  besonderen  an  Pflanzen-  und  Thiernahrung  reichen 
litoralen  Meeresregion,  aus  der  wir  keine  fossilführenden  Ablagerungen  kennen. 
Sie  mag  der  des  old  red  sandstone  ähnlich  gewesen  sein. 

Süsswasserfische  lassen  sich  schon  in  der  Steinkohlenformation  erkennen,  wo 
sie  besonders  durch  eckschuppige  Ganoiden  vertreten  erscheinen. 

Die  eigentlichen  Knochenfische  treten  erst  in  der  jurassischen  Epoche  hervor 
und  ihre  frühesten  Vertreter  sind  Uebergangsformen  von  den  cycliferen  Ganoiden 
zu  den    Clupeaceen  oder  Häringen.     Agassiz  zählte  sie  noch  zu  den  Ganoiden. 

Die  Selachier  sind  in  den  heutigen  Meeren  reichlich  durch  Haie  oder 
Squaliden  und  Rochen  oder  Rajiden  vertreten,  denen  sich  noch  in  wenig  Arten 
die  abweichend  gebildeten  Chimären  anreihen.  Die  Selachier  oder  Quermäuler 
Plagiostomi^  sind  Knorpelfische,  bei  denen  zuerst  Ober-  und  Unterkiefer  in  deut- 
lichen Gegensatz  treten,  aber  das  Skelett  noch  mehr  oder  minder  knorpelig  bleibt 
lind  noch  niemals  so  vollständig  wie  bei  Teleostiern  verknöchert.  Namentlich 
bleibt  ihr  Schädel  noch  eine  einfache  knorpelige  Gehirn-Kapsel  (ein  Primordial- 
schädel) und  erscheint  nach  aussen  noch  nicht  durch  besondere  Knochenplatten 
geschützt.  Die  chorda  dorsalis  erhält  sich  mehr  oder  minder  vollständig  in  den 
Wirbeln,  aber  diese  sind  meist  schon  deutlich  entwickelt  und  bilden  bei  vielen 
Formen  bereits  doppeltbecherförmige  (biconcave)  unvollständig  verknöcherte 
Scheiben. 

Vorzugsweise  zur  fossilen  Erhaltung  geeignet  erscheinen  bei  ihnen  die  harten 
sehr  v':jrschiedenartig  gestalteten  Zäline,  ferner  die  harten  Flossenstacheln,  die 
namentlich  an  der  Vorderseite  der  Rückenflossen  auftreten.  Zähne  und  Stacheln 
finden  sich  von  der  oberen  Silur-Formation  an  in  grosser  Menge  und  Formen- 
Mannigfaltigkeit  erhalten.  Sie  verkünden  die  ehemalige  ausserordentlich  reiche 
Entwickelung  der  Arten,  Gattungen  und  Familien  von  Selachiern,  welche  die 
Meere  der  Vorwelt  bevölkerten,  finden  sich  aber  meist  nur  vereinzelt  und  geben 
daher  nur  wenig  Aufschluss  über  Gestalt  und  Organisation  der  Thiere,  Dazu 
kommen  in  späteren  Formationen  auch  knochige  Körner  oder  verdickte  Schuppen 
und  Platten  der  Haut,  auch  wohl  vereinzelte  halb  verknöcherte  Wirbel.  Aber 
MC  finden  sich  nicht  so  allgemein  verbreitet  wie  Zähne  und  Flossenstacheln. 
Sehr  selten  sind  einigermaassen  vollständige  Exemplare  mit  erhaltner  Körper- 
form, zusammenhängender  Wirbelsäule,  Flossen  u.  s.  w.,  wie  man  deren  nament- 
lich von  der  Gattung  Xenacanthus  aus  dem  Roth. liegenden,  ferner  von  einer 
Anzahl  von  Rochen  aus  dem  oberen  Jurakalk  kennt.  Diese  ergeben  den 
reichsten  Aufschluss. 

Die  primitivste  Form  der  Selachier  sind  die  Haie,  Squaiidae^  die  allem 
Vermuthen  nach  in  der  Silur-Epoche  aus  der  Umbildung  von  Cyclostomen 
hervorgingen.  Ihre  Körpergestalt  ist  noch  vorwiegend  walzen-  oder  spindel- 
förmig, das  Maul  mit  mehreren  Reihen  oft  beweglicher  meist  kegelförmiger 
Zahne  bewaffnet.  Sie  sind  flinke  Schwimmer  und  gefrässige  Räuber.  In  den 
1  eutigen  Meeren  sind  sie  in  zahlreichen  zum  Tl.eil  mächtig  entwickelten  Formen 
vertreten  und  erreichen  eine  Länge  von  6  bis  10  wenn  nicht  13  Meter.  Ihre 
Wirbelsäule  enthält  z.  Th.  eine  grosse  Menge  von  einzelnen  W^irbeln  (bis  365).  So 
grosse  Haie  sind  auch  schon  durch  einzelne  grosse  Zähne  in  tertiären  Schichten 
angedeutet  Man  kennt  hier  Zähne,  die  mit  Einrechnung  der  Wurzel  10  oder 
1 2  Centim.  Länge  erreichten  und  Haie  andeuten,  die  den  grössten  heutigen  Arten 
an  Grösse  wohl  nichts  nachgaben.    Uebrigens  stehen  Körperlänge  der  Haie  und 


412  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Zahnlänge  nicht  immer  in  gleichem  Verhältniss.  Die  paarigen  Flossen  gewisser 
Haie,  namentlich  in  einem  früheren  Jugendzustand,  zeigen  noch  eine  mehr  od«r 
minder  deutlich  gefiederte  Form  (wie  sie  bei  Doppelathmern,  Ctraiodus  vor- 
kommt) und  diese  mag  wohl  bei  den  Haien  der  palaeozoischen  Epoche  allgemeiD 
herrschend  gewesen  sein.    Im  Rothliegenden  erscheint  sie  bei  Xenacanthus. 

Die  ältesten  der  oberen  Silur-Etage  angehörenden  Reste  von  Selachiem  sind 
zerstreute  Zähne  (Thelodus)  und  Flossenstacheln  oder  sogen.  Dorulithen  (Omkuu 
Ctenacanthus  u.  s.  w.)  aus  denen  nicht  viel  zu  entnehmen  ist 

Bedeutsamer  sind  die  Zähne  der  Cestracionten  oder  der  Haie  mit  mehr  oder 
minder  tafelförmig  verbreiterten  und  in  mehr  oder  minder  zahlreiche  Reihen  ge- 
ordneten Zähnen,  die  zusammen  ein  zum  Zermalmen  von  harter  Nahrung 
(Crustaceen,  Conchylien  u.  s.  w.)  trefflich  geeignetes  Pflaster  darstellen. 

Die  Cestracionten,  in  den  heutigen  Meeren  nur  durch  die  Gattung  CestracwK 
(besonders  den  »Port- Jackson -Shark«  der  Engländer,  Cestracion  Phili^i  an 
Australien  und  an  Japan)  vertreten,  sind  Knorpelfische  mit  pfiasterähnlichem 
Gebiss  und  mit  zwei  Rückenflossen,  deren  vorderster  Strahl  einen  gezahnelten 
Stachel  darstellt.  Beim  lebenden  Cestracion  besteht  das  Gebiss  in  der  Mittd- 
und  der  Hinterregion  der  beiden  Kiefern  aus  schrägen  von  der  Mediane  aus- 
strahlenden Reihen  von  breiten  flachen  Mahlzähnen.  In  der  vorderen  Region 
sind  die  Zähne  zugespitzt  und  denen  der  gewöhnlichen  Haie  noch  ziemlich 
ähnlich.     Der  Rachen  trägt  also  sehr  verschiedene  Zahnformen. 

Cestracionten  erscheinen  durch  vereinzelte  2^hne  und  Flossenstadieln  in 
allen  älteren  Formationen  von  der  devonischen  an  vertreten,  namentlich  sehr 
ausgezeichnet  im  Kohlenkalk,  auch  noch  in  der  Kreideformation.  In  europaischen 
Tertiärschichten  sind  sie  schon  fast  verschwunden. 

Häufig  im  Kohlenkalk,  besonders  in  England  und  Irland  sind  breite  flache 
mehr  oder  minder  gefaltete,  oft  schon  abgekaute  Mahlzähne,  deren  Kronen  bis- 
weilen noch  auf  ausgebreiteten  Sockeln  (Wurzeln)  sitzen.  Seltener  sind  ganrc 
Unterkiefer  mit  zusammenhängendem  Zahnpflaster,  die  man  mit  grosser  Wahr> 
scheinlichkeit  auf  Cestracionten  bezieht.  Dahin  gehört  namentlich  die  Gatturu: 
Cochliodus  Ag.  Man  kennt  von  ihr  den  kurzen  breiten  Unterkiefer.  Beiderseits 
stehen  vier  ungleiche,  beiläufig  rhomboidale,  aber  etwas  gekrümmte  und  seitlich 
gewundene  Mahlzähne,  die  zusammen  ein  festes,  fast  in  einander  verfliessende^ 
Kaupflaster  darstellen.  Jeder  dieser  Mahlzähne  entspricht,  wie  es  scheint,  einer 
der  schiefen  mehrzähligen  Zahnreihen  des  lebenden  Cestracion^  vielleicht  in  Folge 
eines  Verfliessens  mehrerer  Zähne  einer  Reihe  zu  einer  einzigen  Zahnplatse 
Cochliodus  contorius  Ag.  findet  sich  im  Kohlenkalk  von  Bristol  und  Armagh. 

Dahin  gehört  noch  eine  ganze  Reihe  von  Funden  ähnlicheri  meist  mnzelii: 
sculpirter  Mahlzähne  aus  den  mesozoischen  Formationen,  wie  Acrodus  aus  Tria^ 
und  Jura-Schichten,  femer  die  breiten  vierseitigen  auf  der  Krone  quergenmzelten 
Mahlzähne  von  Ptychodus,  die  für  die  Kreideformation  sehr  charakteristisch  sind 
Diese  Zähne  finden  sich  meist  nur  vereinzelt  Fundstücke,  welche  mehrere 
Zähne  in  der  natürlichen  Lage  neben  einander  zeigen,  sind  grosse  Seltenheiten. 
Flossenstacheln,  die  zu  denselben  Arten  oder  Gattungen  zu  zählen  sind,  finden 
sich  gewöhnlich  mit  den  Zähnen  in  der  gleichen  Schichte  abgelagert 

Haifische  mit  mehr  oder  weniger  stumpf  kegelförmigen,  kurzen,  an  den 
Seiten  wenig  oder  nicht  zugeschärften  Zähnen  unterschied  Agassiz  unter  dem 
Namen  Hybodonten.  Sie  finden  sich  besonders  reichlich  in  den  älteren  Formationen, 
namentlich  sehr  ausgezeichnet  im  Kohlenkalk.     Neben  Zähnen  finden  sieb  aoc/ 


Fische.  413 

wieder  Flossenstacheln.  Dahin  gehört  z.  B.  die  Gattung  Clcuiodus  mit  devonischen 
und  carbonischen  Arten.  Es  sind  Hybodonten-Zähne  mit  grossem  längsgestreiftem 
an  der  Spitze  abgerundetem  Hauptkegel  und  jederseits  einem  oder  zwei  Neben- 
kegeln, von  denen  der  äussere  etwas  den  inneren  überragt.  Diese  Zähne  stehen 
auf  einer  breiten  knochigen  Wurzel.  C7.  marginatus  Ao.  findet  sich  im  Kohlen- 
kalk von  Armagh.  Die  Hybodonten  reichen  von  der  devonischen  bis  in  die 
Kreide-Formation.     Sie  verlieren  sich  in  letzterer  allmählich  und  sind  erloschen. 

Die  eigentlichen  Squaliden  mit  schärfer  zugespitzten,  an  den  Seitenrändem 
bald  scharfschneidigen  bald  gezähnelten,  glatten  Kegelzähnen  treten  erst  später 
als  die  Hybodonten  in  der  geologischen  Reihenfolge  auf,  namentlich  von  der 
Jura-Formation  an.  Doch  sind  die  vereinzelten  Zähne  und  Flossenstacheln  oft 
nicht  bestimmt  unter  Hybodonten  und  Squaliden  einzutheilen. 

Eine  seltsam  vereinzelte  Stellung  unter  den  Selachiem  nimmt  die  im  per- 
misclien  System  vertretene,  ausnahmsweise  nach  fast  allen  Skelett-Theilen  be- 
kannt gewordene  Gattung  Xenacanthus  ein.  Es  ist  ein  Süsswasser-Hai  aus  dem 
Rothliegenden  mit  zwei-  oder  dreispitzigen  Zähnen,  die  vordem  unter  dem 
Namen  Diplodus  den  Hybodonten  zugezählt  wurden.  Xenacanthus  ist  nach  dem 
fast  vollständig  erhaltenen  Skelett,  dessen  Wirbelsäule  im  Vorderriimpf  schon  in 
beginnender  Verknöcherung  begriffen  ist,  den  Squaliden  zunächst  verwandt.  Be- 
sonders charakteristisch  für  diese  Gattung  ist  ein  langer  grader  im  Nacken  ein- 
gepflanzter Stachel,  der  an  Gestalt  dem  Schwanzstachel  einiger  lebenden  Rochen 
ähnelt.  Die  paarigen  Flossen  sind  gefiedert  oder  sogen.  Archipterygien,  wie  bei 
manchen  lebenden  Haien  und  dem  lebenden  Doppelathmer  Ceratodus  Forsteru 
Besonders  erschwert  wird  die  genauere  systematische  Deutung  der  Xenacanthen 
durch  die  mangelhafte  Kenntniss  aller  unmittelbar  älteren  und  jüngeren  Squaliden, 
von  denen  man  in  der  Regel  wenig  mehr  als  vereinzelte  Stacheln  und  Zähne 
keiuit  R.  Kner  hebt  einige  Analogien  der  Xenacanthen  mit  den  heutigen  fluss- 
bewohnenden  Welsen  (Siluriden)  hervor,  aber  eine  Abstammung  letzterer  von 
ersteren  ist  nicht  zu  erweisen,  eher  darf  Xenacanthus  als  Vertreter  einer  ohne 
Nachfolger  wieder  erloschenen  Familie  der  Selachier  gelten.  Xen,  Decheni  Goldf. 
mit  dreispitzigen  gestreiften  Zähnen  findet  sich  zu  Ruppersdorf  in  Böhmen  in 
einem  Kalkschiefer  des  Rothliegenden.    Er  ist  über  50  Centim.  lang. 

Die  Chimären,  Chinuieridae,  Holocephali  stellen  eine  in  früher  Zeit  —  viel- 
leicht schon  in  der  devonischen  oder  in  der  Steinkohlen-Epoche  —  sich  von 
den  Haien  abzweigende  Ordnung  dar,  die  in  zwei  Gattungen  Chimaera  und 
Caüorhynckus  in  der  heutigen  Meeresfauna  noch  vertreten  ist  und  in  den  mittleren 
geologischen  Epochen  auch  nie  sehr  formenreich  auftritt. 

Die  Chimären  unterscheiden  sich  von  den  übrigen  Selachiem  durch  das 
erste  Auftreten  eines  Kiemendeckels  unter  der  Haut.  Schädel  und  Gebiss  sind 
eigenthümlich  gebaut  Die  Körperform  ist  gestreckt  wie  die  der  Haie,  der 
Schwanz  lang  und  hinten  fadenförmig  ausgezogen.  Das  Gebiss  besteht  nicht  aus 
Zähnen  in  zahlreichen  Reihen,  sondern  aus  einigen  wenigen  Schneidezähnen  und 
Zahnplatten.  Es  sind  deren  bei  den  lebenden  Chimären  sechs,  nämlich  vom  im 
Zwischenkiefer  zwei  zugeschärfte  gestreckte  Schneidezähne,  dahinter  vier  (im  Ober- 
kiefer  zwei  und  im  Unterkiefer  ebenfalls  zwei)  flache  wulstformige  Kauplatten. 
Der  Kronentheil  erscheint  punktirt  (durch  das  obere  Ende  der  dickwandigen 
Zahnröhrchen  oder  Dentine-Kanälchen.) 

Der  fossilen  Erhaltung  fähig  ist  ausser  dem  starken  Gebiss  der  lange  starke 
im  Nacken  des  Thieres  sitzende  Stachel  der  vorderen  Rückenflosse.    Das  Innen- 


414  Mineralogict  Geologie  und  Palaeontologie. 

Skelett  ist  noch  knorpelig.  Gebiss  und  Flossenstachel  von  Chimären  finden  sich, 
abgesehen  von  problematischen  Vorläufern  in  devonischen  und  carbonibchcn 
Schichten,  mit  Sicherheit  vom  Lias  an  in  fossiler  Erhaltung.  Quexstedt  er- 
wähnt aus  dem  Solenhofener  Schiefer  (oberer  Jura)  auch  ein  vollständig  erhaltene^ 
Skelett  mit  chagrinirter  Haut,  einem  langen  im  Nacken  sitzenden  Flossensiachel 
und  einem  stark  verlän geilen  Schwanz  mit  hunderten  von  kleinen  Wirbelrinpen. 
Aus  Tertiär- Schichten,  namentlich  aus  dem  eocänen  London -Clay  der  Inbcl 
Sheppey  bei  London  kennt  man  noch  Gebisse  von  Chimäriden.  Am  reichlichsten 
sind  diese  aber  in  Trias,  Jura  und  Kreideformation  vertreten.  Jetzt  leben  nur 
noch  zwei  Chimären -Arten,  Chimaera  monstrosa  L.  in  der  Nordsee  und  Irr. 
Mittelmeer,   Callorhynchus  australis  im  Australischen  und  im  Chinesischen  Meer. 

Die  Rochen,  Rajidae^  stellen  eine  andere  Ordnung  der  Selachier  dar,  die 
sich  von  den  Squaliden  schon  in  einer  frühen  Epoche,  vielleicht  schon  in  der 
Steinkohlen-Epoche  —  jedenfalls  bereits  vor  dem  Lias  —  abgezweigt  hat  und  in 
den  heutigen  Meeren  noch  reich  an  Arten  und  Gattungen  vertreten  ist  Sie  l.ai 
ausnahmsweise  auch  Süsswasserbe wohner  geliefert.  In  Süd- Amerika  giebt  es 
noch  heute  liussbewohnende  Rochen. 

Die  typischen  Rochen  der  heutigen  Meeresfauna  sind  Thiere  von  eD^'as 
träger  Bewegung,  flachem  scheibenförmigen  Körper  mit  rundlichem  oder  rauten- 
förmigem Umriss.  Die  grossen  Brustflossen  sind  dicht  hinter  dem  Kopfe  an- 
gewachsen und  werden  auch  meist  in  breit  ausgespannter  Lage  getragen.  Der 
Rachen  ist  meist  mit  flachen  tafelförmigen  in  Reihen  geordneten  Zähnen  ge- 
pflastert. Der  Schwanz  ist  od  lang,  verdünnt,  vielwirbelig.  Dazu  kommt  bei 
einigen  lebenden  Rochen  (Trygon,  Myliohates  u.  a.)  ein  am  Rücken  des  Schwanzc> 
sitzender  langer  an  beiden  Seiten  widerhackig  gezähnter  Stachel  von  harter 
dichter  Substanz. 

Auf  Rochen  bezieht  man  schon  Flossenstacheln  aus  dem  devonischen  und 
carbonischen  System,  die  Agassiz  unter  dem  Namen  Pleuracanthus  beschrieb, 
aber  sie  kommen  auch  mit  dem  grossen  Stachel,  den  Xenacanthus  im  Nacken 
trägt,  überein.  Ganz  bestimmt  erwiesen  wird  das  Auftreten  von  Rochen  durch 
einige  fast  vollständige  Skelette  mit  halbknöchemer  fester  Wirbelsäule  in  der 
Jura-Formation. 

Thaumas  alifer  Münst.  aus  dem  jurassischen  Kalkschiefer  von  Solenhofen 
ist  in  einem  last  vollständigen  Exemplare  bekannt  und  stellt  eine  Mittelfonn 
zwischen  Rochen  und  Haien  (besonders  Squatind)  dar,  48  Centim.  (i^  Fuss)  lang, 
mit  feiner  Chagrinhaut  bekleidet. 

Aehnlich  ist  Spathohatis  hugesiacus  Thiol.  aus  dem  oberen  Jura  von  Cirin 
bei  Lyon,  ein  75  Centim.  (2^  par.  Fuss)  langer  mit  körniger  Haut  bekleidete; 
Roche  vom  rautenförmigen  Körperumriss  der  lebenden  Rhinobatus-Xnen,  r>ie 
Schnauze  springt  stark  vor  und  der  Rachen  trägt  kleine  Zähne,  die  ein  Pflaster 
in  schiefen  Reihen  bilden.  Die  Wirbel,  besonders  am  Rumpf  sind  verknöchcr 
und  ihre  ganze  Zahl  ist  etwas  mehr  als  150.  Die  Erhaltung  zu  Cirin  ist  so  auv 
gezeichnet,  dass  man  noch  die  Kiemenbögen  gut  erkennt.  (Fünf  lineare  Kiemen - 
spalten  an  der  Bauchseite).  Flache  tafelfönnige  oft  sechseckige  Kauplatten  au* 
dem  Rachen  von  mehreren  Rochen-Gattungen,  bald  aus  dem  Zusammenhang 
gelöst,  bald  in  geschlossenen  Längs-  und  Querreihen  znsammenhängend  erhalten, 
sind  häufig  in  meerischen  Tertiär- Ablagerungen ,  namentlich  von  der  G.^ttuPl: 
Myliohatis  und  mehr  oder  minder  den  heute  noch  lebenden  Arten  bereits  nahe- 


Fische.  415 

stehend.  Auch  grössere  knochige  Haut-Scheiben  von  jRa/a-Arten  finden  sich  in 
tertiären  Meeresablagerungen. 

Ein  Süsswasser-Roche,  Heliobatis,  wird  aus  einer  oberen  eocänen  Binnensee- 
Ablagerung  des  westlichen  Nord- Amerika  aufgeführt. 

Eine  sehr  abweichende  Rochen-Gattung  von  schlanker,  den  Haifischen  ähn- 
licher Körpergestalt  ist  der  Sägefisch  Pristis  antiquorum  Lath.  (Squaius  pristis 
LiN.),  lebend  an  Europa.  Der  Oberkiefer  verlängert  sich  bei  ihm  in  einen  1 — 2  Meter 
langen  schwertförmigen  beiderseits  mit  18 — 24  eingekeilten  Zähnen  besetzten 
Fortsatz.  Diese  Gattung  ist  durch  sichere  Fossilreste  im  eocänen  London-Thon 
der  Insel  Sheppey  nachgewiesen.  Man  kennt  von  hier  Bruchstücke  der  sogen. 
Sä-'e. 

Einen  Torpedo  oder  Zitterrochen  (T,  gigantea  Ag.)  kennt  man  aus  dem 
eocänen  Plattenkalk  des  Monte  Bolca,  nördl.  von  Verona. 

Wir  wenden  uns  zur  zweiten,  in  den  geologischen  Formationen  äusserst  zahl- 
reich und  mannigfaltig  vertretenen,  für  Geologie  und  Palaeontologie  in  hohem 
(irade  wichtigen  Unterklasse  der  echten  Fische,  den  Ganoiden  oder  Schmelz- 
fischen,  Ganoides^  denen  der  älteste  positiv  nachgewiesene  Fisch,  Pteraspis 
Ludensis  Salt,  aus  dem  oberen  Silursystem  von  England  (Lower  Ludlow  Beds) 
angehört. 

Die  Ganoiden  sind  in  der  heutigen  Lebewelt  nur  noch  durcli  wenige  in 
geographischer  Hinsicht  weit  zersprengte  Gattungen  vertreten,  deren  Arten  theils 
Flüsse  und  Binnensee'n  bewohnen,  theils  Meeresbewohner  sind,  welche  periodisch 
in  die  grossen  Flüsse  aufsteigen.  Die  älteren  Ganoiden  stellten  vom  Silursystem 
bis  zur  Kreide-Formation  beiläufig  die  Hälfte  des  Betrages  der  meerischen  Fisch - 
Fauna.  In  das  Süsswasser  stiegen  sie  schon  in  der  Steinkohlen -Formation. 
Fast  ganz  aus  der  Meeresfauna  entschwunden  erscheinen  sie  schon  mit  Beginn 
der  tertiären  Periode.  Sie  räumen  hier  im  Meere  einestheils  den  mächtig  heran- 
wachsenden Knochenfischen  das  Feld,  andrerseits  den  in  der  Tertiär-Epoche 
bereits  riesige  Dimensionen  gewinnenden  Haifischen.  Ein  ähnliches  Asyl  im 
Süsswasser  fanden  Krokodile,  Dipneusten,  Phyllopoden  u.  s.  w.  Der  Vorgang  ist 
also  sehr  allgemeiner  Art.  Zu  Grunde  liegt  ein  ununterbrochener  Verlauf  von 
Schieben  und  Geschobenwerden,  wobei  der  aus  irgend  einem  Grunde  schwächere 
Theil  sich  eine  neue  Heimath  sucht  und  in  der  älteren  mehr  oder  weniger  voll- 
ständig erlischt. 

Die  wenigen  heute  noch  lebenden  genera  der  Ganoiden  —  Lepidosteus,  Pofyp- 
UruSf  Accipenser,  Spatularia  und  Amia  haben  nach  Jon.  Müller's  Untersuchung 
einen  wichtigen  Charakter  des  Blutgefäss-Systems  (zahlreiche  in  Reihen  geordnete 
Klappen  des  Arterien-Stiels)  gemeinsam,  welcher  gleich  wie  auch  eine  Anzahl 
anderer  Beziehungen  ihnen  eine  Mittelstellung  zwischen  Selachiern  und  Teleostiern 
anweist.  Im  Uebrigen  weichen  die  wenigen  geographisch  versprengten  Nachzügler 
des  erloschenen  grossen  Heeres  der  Ganoiden  auch  nach  Körpergestalt,  Ent- 
wicklung des  festen  inneren  Skeletts  und  Gestaltung  der  äusseren  Körperfläche 
weit  von  einander  ab. 

Bei  Accipenser  ist  das  Skelett  noch  fast  ganz  knorpelig,  namentlich  erhält 
sich  die  chorda  dorsalis  und  verknöcherte  peripherische  Wirbel  fehlen  noch.  Die 
äussere  Haut  trägt  entfernt  stehende  Längsreihen  von  strahlig  gezeichneten 
Knochenschildein.  Bei  Lepidosteus  und  Polypterus  dagegen  ist  das  Wirbel-Skelett 
in  ähnlicher  Weise  wie  bei  echten  Knochenfischen  vollständig  verknöchert,  die 
äussere  Körperdecke    aber   ein  geschlossenes  Panzerkleid  von  ziemlich  grossen 


4l6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

und  starken,  rautenförmigen  Email-Schuppen,  die  durch  besondere  Fortsätze  ar- 
ticuliren.  Noch  anders  sind  die  Charaktere  der  Gattung  Amia^  welche  zwischen 
Ganoiden  und  Häringen  (Clupecueae)  vermittelt.  Sie  hat  cycloidische  Schuppen 
mit  sehr  dünner  Schmelzlage,  ähnlich  denen  der  Häringe.  Die  Wirbelsäule  ist 
auch  hier  wohlentwickelt. 

Diese  drei  Haupt-Typen  lebender  Ganoiden  treten  aber  erst  in  volleres  Licht 
durch  die  Einbeziehung  der  zahlreichen  fossilen  Reste,  die  von  der  oberen  Süur- 
Etage  an  durch  die  ganze  Reihe  der  geologischen  Formationen  reichen  und  Dank 
einer  festen  Hautdecke  —  bald  knochiger  Schilder,  bald  rhomboidischer  und 
bald  cycloidischer  Schmelzschuppen  —  in  der  Regel  in  mehr  oder  minder  voll- 
ständiger Erhaltung  bekannt  sind. 

Wir  haben  darnach  drei  Ordnungen  der  Ganoiden  zu  unterscheiden. 

1.  Gepanzerte  Ganoiden,  Ganoides  taduJiferL  Sie  fuhren  ein  mehr  oder  mind& 
vollständiges  Panzerkleid  von  knochenartigen  Hautschildem.  Ihre  lebenden  Ver- 
treter sind  die  Störe  (Accipenser)  und  die  LöfTelstöre  (Spatularia),  Es  sind 
Knorpelfische,  die  an  Selachier  anknüpfen.  Ihre  Wirbelsäule  ist  noch  knorpelig. 
der  Schädel  aber  theilweise  verknöchert 

2.  Die  eckschuppigen  Ganoiden  oder  Eckschupper,  Ganoides  rhombiferL  Ihre 
lebenden  Vertreter  sind  Lepidosteus  und  Fofypterus,  zwei  Gattungen  mit  vollständig 
verknöcherter  Wirbelsäule  und  einem  Panzerkleid  von  kräftigen  rautenförmigen 
Schmelzschuppen. 

3.  Die  Cycliferen  oder  rundschuppigen  Ganoiden,  Ganoides  cycUferi,  Dir 
lebender  Vertreter  ist  Amia,  eine  zwischen  Ganoiden  und  Häringen  vermittelnde 
Gattung  mit  cycloidischen  nur  dünn  emaillirten  Schuppen,  die  von  den  Zoologen 
gewöhnlich  neben  den  Häringen  aufgeführt  wird,  aber  genauer  untersucht  alb  ein 
Ganoide  sich  herausstellt. 

Diese  drei  in  der  lebenden  Fischfauna  nur  noch  mit  den  letzten  Nachzüglern 
vertretenen  Ganoiden-Ordnungen  erscheinen  mit  wohlausgeprägtem  Typus  neben- 
einander schon  in  der  silurischen  und  der  devonischen  Epoche.  Ihre  älteren 
Vorläufer  sind  in  positiven  Funden  nicht  erhalten,  können  aber  problematiscb 
nur  in  Uebergangsformen  von  Selachiem  zu  gepanzerten  Ganoiden  (Tabuliferen* 
gesucht  werden,  worauf  namentlich  die  bei  letzteren  fast  stets  knorpelig  ver- 
bleibende Wirbelsäule  hindeutet 

Wir  beginnen  also  mit  den  gepanzerten  Ganoiden,  Ganoides  tabuUferi.  Sie 
tragen  ein  mehr  oder  minder  vollständiges  Panzerkleid  von  knochenartigen  mit 
einer  dünnen  Schmelzschicht  überzogenen,  oft  durch  Nähte  mit  einander  ver- 
bundenen Hautschildem,  wogegen  das  innere  Achsenskelett  stets  mehr  oder  minder 
knorpelig  bleibt  und  auch  bei  den  lebenden  Vertretern  noch  nicht  vollständi|: 
verknöchert  erscheint.    Die  chorda  dorsalis  spielt  darin  noch  eine  Hauptrolle. 

Die  gepanzerten  Ganoiden  sind  offenbar  die  primitivste  und  allem  Vermuthen 
nach  auch  die  älteste  Ordnung  ihrer  Klasse.  Sie  schliessen  sich  näher  als  die 
beiden  anderen  Ordnungen  den  Selachiem  an  und  sind  wahrscheinlich  in  der 
älteren  silurischen  Epoche,  wenn  nicht  schon  früher,  aus  Selachiem  hcrvorge- 
gangen. 

Sie  zeigen  sich  schon  in  der  ältesten  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  fisch* 
führenden  Schichte.  Fteraspis  Ludensis  Salt,  aus  den  unteren  Ludlow-Schichten 
(Lower  Ludlow  beds)  des  oberen  Silursystems  von  England  ist  der  älteste  über- 
haupt fossil  gefundene  Fisch.  In  den  oberen  Ludlow-Schichten  von  England  um: 
den  darauf  folgenden  zwischen  dem  silurischen  und  dem  devonischen  Sy^xm 


Fische.  4.17 

schwankenden  Schichten  (Passage-beds)  von  England  und  den  gleich  alten  Schichten 
von  Böhmen,  Russland  u.  s.  w.,  kommen  noch  mehrere  andere  Arten  und  Gattungen 
gepanzerter  Ganoiden  vor,  wie  Ciphalaspis  Murchisoni  Egert.,  Fieraspis  truncatus 
HuxL.  u.  a. 

Reichlicher  sind  die  Panzer -Ganoiden  im  devonischen  System  vertreten. 
Nach  diesem  verschwinden  sie,  im  Kohlenkalk  sollen  sie  schon  sehr  selten  sein. 

Sie  bieten  im  obersilurischen  und  im  devonischen  S3rstem  seltsame  Fischge- 
stalten mit  einem  theils  nur  den  Kopf,  theils  auch  noch  den  vorderen  Rumpf 
bedeckenden  Panzer  von  kräftigen  mit  einer  Schmelz-Lage  überzogenen  ELaut- 
knochen  (Dermal-Platten).  Man  kennt  eine  Anzahl  ziemlich  vollständiger  Panzer 
dieser  devonischen  Knorpel-Ganoiden,  aber  die  ersten  noch  unvollständigen  Funde 
gaben  Anlass  zu  sehr  abweichenden  Deutungen.  Namentlich  hielt  man  sie  an- 
fangs für  Reste  von  Schildkröten.  Andererseits  zählte  Agassiz  den  gepanzerten 
Ganoiden  anfangs  noch  ähnliche  gepanzerte  Fossilien  zu,  die  sich  nachmals  als 
Reste  mächtig  grosser  Crustaceen  erwiesen.  Soviel  nur  als  Beleg  für  das  fremd- 
artige Kleid  der  ältesten  gepanzerten  Ganoiden.  Nähere  Untersuchungen  er- 
wiesen sie  als  wahre,  wenngleich  seltsam  vermummte  Fische,  die  sich  am  nächsten 
noch  den  heutigen  Stören  {Sturionidae^  Accipenstridae)  vergleichen  lassen  und 
muthmaasslich  deren  ältere  Stammesvorfahren  darstellen.  Ihr  inneres  Skelett  ist 
namentlich  auch  noch  wie  bei  den  heutigen  Stören  erst  theilweise  verknöchert. 
Die  Wirbelsäule  war  noch  eine  weiche  zur  fossilen  Erhaltung  nicht  geeignete 
Knorpelmasse.  Sie  fehlt  auch  den  am  besten  erhaltenen  Exemplaren.  Die  leere 
Stelle  in  diesen   deutet  die  chorda  dorsalis  und  die  weiche  Chorda-Scheide  an. 

Durch  einen  fast  geschlossenen  Panzer  von  Hautknochen  über  den  Kopf  und 
den  vorderen  Rumpf  bezeichnet  sind  die  Gattungen  Pterichthys  und  Coccosteus, 

PUrichthys  begreift  kleine  Panzerfische  von  flach  spindelförmiger  Gestalt  und 
kurzem  vom  gerundetem  Kopf.  Der  Kopfpanzer  articulirt  mit  dem  Rückenpanzer. 
Aus  letzterem  tritt  die  Hinterhälfte  des  Rumpfes  mit  dem  Schwänze  frei  hervor. 
Diese  hintere  Körperhälfte  trägt  einen  beweglichen  Panzer  dünner  polygonaler 
Platten,  femer  kleine  nur  selten  erhaltene  Flossen.  Seltsam  gestaltet  und  mit 
starken  Panzerstücken  bekleidet  sind  die  Vordergliedmaassen,  die  den  Bmstflossen 
anderer  Fische  entsprechen,  aber  in  der  besonderen  Ausbildung  von  Allem  ab- 
weichen, was  man  sonst  von  Gliedmaassen  oder  paarigen  Flossen  lebender  und 
fossiler  Wirbelthiere  kennt.  Es  sind  gegliederte  Ruderorgane,  die  dem  Median- 
stab oder  Carpus-Strahl  der  gewöhnlichen  Fischflosse  entsprechen.  Der  Hinter- 
körper war  auch  mit  Flossen  versehen,  die  aber  nur  an  seltenen  Fundstücken  er- 
halten sind.  Ueberhaupt  bleibt  hier  gar  manches  noch  räthselhaft.  Jedenfalls 
war  das  Thier  ein  unbeholfener  Schwimmer,  der  sich  auf  dem  Boden  umher 
trieb  und  vielleicht  mehr  kroch  als  schwamm.  Man  kennt  einige  Arten  von 
Pterichthys,  die  meisten  aus  dem  old  red  sandstone  von  Caithness  u.  a.  O.  in 
Schottland.     Die  am  besten  bekannte  Art  ist  Pterichthys  Miileri  Ag. 

Die  Gattung  Coccosteus  ist  ähnlich,  aber  etwas  anders  und  ebenfalls  noch 
höchst  seltsam  gebaut.  Den  Kopf  und  die  Vorderhälfte  des  Rumpfes  überzieht 
hier  ein  geschlossener  Panzer  von  meist  an  den  Nähten  unbeweglich  verbundenen 
Knochenplatten  mit  kömiger  Oberfläche.  Kopf  und  Rücken  tmgen  eine  ge- 
schlossene Panzerabtheilung,  einen  Kopfrückenpanzer.  Ihm  entsprach  an  der 
Unterseite  des  Körpers  ein  Bauchpanzer,  der  mit  dem  oberen  Panzer  nur  locker 
und  ofienbar  beweglich  verbunden  war.  Der  hintere  Rumpftheil  mit  dem  Schwanz 
trat  frei  aus  den  beiden   Vorderpanzera  hervor  und  scheint   nackt  gewesen  zu 

KsioiGorrr,  Bfin.,  Geol.  u.  Pal.    L  27 


4i8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

sein,  jedenfalls  ohne  stärkere  Panzerplatten.  Das  Achsenskelett  war  knorpelig 
und  ist  nicht  fossil' erhalten.  Es  trug  aber  nach  oben  und  nach  unten  deutliche 
verlängerte  Fortsätze  (oben  die  Neurapophysen  oder  Processus  spinosi^  unten  die 
Hämatapophysen).  Diese  waren  bereits  verknöchert  wie  sie  es  auch  bei  den 
heutigen  Stören  sind.  Die  steif  bepanzerten  Vordergliedmaassen,  welche  PUrük- 
thys  bezeichnen,  sind  von  Coccosteus  nicht  bekannt  und  scheinen  nur  genng  ent- 
wickelt —  oder  rudimentär  —  gewesen  zu  sein.  Der  Hintemimpf  und  der  Schwanz 
waren  mit  Flossen  besetzt  Rücken-  und  Afterflosse  waren  kräftig  entwickelt  und 
deuten  auf  behendere  Schwimmer  als  die  Fterichtfys'Axttn  waren.  Coccosteus 
erscheint  in  obersilurischen  und  devonischen  Schichten.  Die  am  besten  bekannte 
Art,  C.  decipiens  Ag.,  wird  über  einen  Fuss  lang  und  stammt  aus  dem  cid  red 
sandstone  der  Orkney's. 

Viel  näher  als  Pierichthys  und  Coccosteus  kommen  der  normalen  Fischge- 
stalt schon  die  Cephalaspiden  oder  Schildköpfe.  Bei  ihnen  verfliessen  die  an 
der  Oberseite  des  Kopfes  entwickelten  Platten  zu  einem  breiten  flachen  Kopf- 
Schild,  der  zu  beiden  Seiten  —  in  Nachahmung  des  Kopfschildes  mancher  Trilo- 
biten  —  in  rückwärts  gerichtete  Fortsätze  ausgezogen  erscheint  Auf  diesem 
Schild  etwas  vor  der  Mitte  zeigen  sich  zwei  kleine  einander  genäherte  länglicb- 
runde  Löcher,  die  man  als  Augenhöhlen  annimmt  Am  Kieferrand  erkennt  man 
kleine  schmale  und  dünne  Zähne.  Der  grösste  Theil  des  Rumpfes  mit  dem 
Schwänze  lag  frei  und  trug  nur  einen  beweglichen  Panzer  von  dünnen  Schuppen. 
Gut  erhaltene  Exemplare  lassen  die  paarigen  Brustflossen,  eine  Rückenflosse 
und  eine  stark  ausgebildete  ungleich-lappige  (heterocerke)  Schwanzflosse  erkennen. 

Die  Cephalaspiden  erscheinen  mit  den  Gattungen  Cephalaspis  und  Fttraspis 
in  ziemlich  vielen  Arten  obersilurisch  und  devonisch.  Die  Cephalaspiden  und  däe 
übrigen  gepanzerten  Ganoiden  verlieren  sich  alsbald  darnach.  Im  Kohlenkalk 
sollen  einige  wenige  Reste  solcher  noch  vorkommen. 

Wahrscheinlich  aber  erhielt  sich  der  Stamm  der  gepanzerten  Ganoiden  durch 
die  ganze  Reihe  der  geologischen  Formationen  und  lebt  noch  heute  in  der  mit 
ähnlichen  Knochentafeln  bekleideten  Familie  der  Störe  (Accipenser  und  Späht- 
iaria),  die  jetzt  aber  theils  Flussfische,  theils  auch  in  Flüsse  periodisch  aufsteigende 
Seefische  sind.  Ihr  Achsenskelett  ist  noch  knorpelig  und  entbehrt  harter  Ring- 
Wirbel.  Den  Schädel  und  zum  Theil  auch  den  Rumpf  bekleiden  kömig  imd 
strahlig  gezeichnete  Knochenschilder.  Namentlich  erscheint  von  diesen  jüngeren 
gepanzerten  Ganoiden  —  als  bis  jetzt  fast  einziger  Fund  in  der  ganzen  mesozoi- 
schen Formationen-Reihe  —  ein  Stör,  Chondrosteus,  im  unteren  Lias  von  Ei^- 
land  und  zeigt,  dass  der  Zusammenhang  zwischen  den  Panzerganoiden  des  de%-o- 
nischen  Zeitalters  und  den  Stören  der  tertiären  Epoche  und  der  heutigen  Ftuss- 
fauna  nur  scheinbar  —  durch  Ungunst  der  Bedingungen  der  fossilen  Erhaltung  — 
unterbrochen  ist  und  durch  vereinzelte  glückliche  Funde  zusehends  sich  tf- 
gänzen  lässt. 

Die  gepanzerten  Ganoiden  scheinen  sich  frühe  in  Flüsse  zurückgezogen  xq 
haben,  von  denen  uns  keine  fossilführenden  Ablagerungen  vorliegen.  yf\x  kennen 
aus  den  mesozoischen  Formationen  nur  zwei  hierher  gehörige  Funde  aus  Meeres« 
ablagerungen.  Chondrosteus  aus  dem  unteren  Lias  von  England  verbindet  Charak- 
tere von  Accipenser  mit  solchen  von  Spatuiaria,  Saurorhamphus  aus  der  Kitide> 
formation  von  Comen  in  Istrien  vertritt  eine  besondere  Familie  der  Stöie.  Der 
Rachen  führt  kleine  Kegelzähne  und  die  Körperachse  trägt  peripherisch  ausge- 


bildete  Wirbelkörper.     Aber  die  Körpergestalt  und  die  äussere  Bekleidung  mit 
Knochenschildem  erweist  gleichwohl  einen  Stör. 

Die  ächten  Störe,  Accipenser,  sind  durch  eine  Art  A.  toliapuus  Ag.  im  eocänen 
Thon  von  Sheppey  in  England  nachgewiesen. 

Wir  kommen  zur  zweiten  Ganoiden-Ordnung,  den  Eck  schuppern,  Ganoi- 
des  rhofnbiferi,  ausgezeichnet  durch  ein  geschlossenes  Panzerkleid  von  ziemlich 
grossen,  oft  sehr  grossen  mit  einer  äusseren  Schmelzlage  überzogenen  rhombischen 
oder  rhomboidischen  Schuppen,  die  in  Längsreihen  und  zugleich  in  schiefen  Quer- 
reihen stehen  und  durch  besondere  Fortsätze  articuliren. 

Von  ihnen  leben  noch  zwei  Gattungen,  der  Knochenhecht  Lepidosteus  in 
Flüssen  und  Binnenseen  von  Nord-Amerika  und  der  Flösselhecht  Polypterus  in 
Flüssen  von  Afrika  (Gambia,  Niger,  oberer  Nil).  Bei  beiden  ist  das  Wirbelskelett, 
gleichwie  bei  echten  Knochenfischen,  bereits  vollständig  verknöchert 

Die  eckschuppigen  Ganoiden  beginnen  fossil  mit  dem  devonischen  System 
und  hier  alsbald  in  mehreren  Familien.  Sie  reichen  von  da  in  grosser  Anzahl 
der  Gattungen  und  Arten  bis  zur  Wealden-Stufe.  Von  da  an  werden  sie  selten 
und  verlieren  sich  aus  der  Meeresfauna,  um  schliesslich  nur  noch  im  Süsswasser 
mit  rasch  verminderter  Formenzahl  ihr  Dasein  zu  fristen.  In  Tertiärschichten  sind' 
sie  schon  sehr  selten  und  namentlich  nur  in  Nord-Amerika  reichlicher  vertreten. 

Während  dieses  langen  geologischen  Zeitraumes  tritt  bei  den  Eckschuppem  eine 
Vervollkommnung  des  Skelettbaues  ein,  die  besonders  in  der  Entwicklung  von 
Wirbelringen  um  die  Chorda  dorsalis  sich  äussert  Die  älteren  fossilen  Formen 
namentlich  die  des  palaeozoischen  Systems,  zeigen,  wie  alle  wohl  erhaltene  Exem- 
plare erweisen,  noch  eine  knorpelige  Achse  oder  nur  halb  verknöcherte  Wirbel. 
Namentlich  zeigen  sie  oft  eine  Leere  an  der  Stelle  der  weichen  knorpligen  Chorda 
und  darüber  und  darunter  die  verknöcherten  oberen  Domfortsätze  (Neurapophysen) 
und  unteren  Domfortsätze  (oder  Hämatapophysen).  Bei  anderen  beginnt  auch  schon 
eine  knochige  Ringbildung  um  die  Chorda  hemm.  Dagegen  zeigen  die  noch 
heute  im  Süsswasser  fortlebenden  Gattungen  Lepidosteus  und  Fölypterus  ein  voll- 
standig  verknöchertes  Skelett,  bei  Lepidosteus  sogar  Wirbelkörper  mit  Kugel-  und 
Pfannen-Gelenken. 

Ebenso  macht  sich  bei  den  Eckschuppem,  namentlich  von  der  Trias-Epoche 
an  —  und  gleichzeitig  bei  den  Rundschuppem  —  eine  bemerkenswerthe  Ver- 
änderung in  der  Gestaltung  des  Schwanzendes  und  der  Schwanzflosse  bemerk- 
bar, wie  denn  im  Zeitalter  der  Trias  überhaupt  beträchtliche  Umgestaltungen  der 
organischen  Formen  in  verschiedenen  Klassen  der  Lebewelt  vorgingen.  Die  eck- 
schuppigen  Ganoiden  der  älteren  Formationen  zeigen  heterocerke  Gestalt,  das 
Wirbelsäulen-Ende  verlängert  sich  als  deutlicher  Strang  in  den  oberen  Schwanz- 
lappen und  bildet  den  Träger  der  ganzen  ungleich  gelappten  Schwanzflosse.  Die 
Schwanzwirbel  sind  hier  zahlreicher  (Zahl  der  homonymen  Theile  grösser,  Analogie 
mit  Selach^em  bemerkbar).  So  ist  es  noch  bei  allen  Eckschuppem  der  palaeozoi- 
schen Formationen.  Eine  Mittelform  zeigen  in  der  Trias  und  im  Lias  die  nur 
wenig  heterocerken  Ganoiden,  wie  Catopterus  und  Ischypterus^  im  Keuper  von 
Nord-Amerika,  Verwandte  der  Palaeonisciden  des  palaeozoischen  Systems.  Aechte 
Homocerken  erscheinen  erst  vom  Lias  an.  Das  hintere  Ende  der  Wirbelsäule 
ist  bei  ihnen  verkürzt  (Zahl  der  homonymen  Theile  verringert).  Die  Schwanzflosse 
ist  bei  ihnen  gewöhnlich  gleichlappig.  Heterocerke  Fische  (Pisces  heterocerci  von 
heUros,  verschieden,  ungleich  und  kerkost  Schwanz),  sind  in  der  heutigen  Lebe- 
welt nur  noch  die  Selachier,  die  Störe  und  der  Knochenhecht,  Lepidosteus. 

27* 


420  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie 

Die  Eckschupper  zerfallen  in  eine  grössere  Anzahl  von  Familien,  die  zom 
Theil  im  Grade  der  Skelettverknöcherung  und  im  Uebergang  von  der  ungleichen 
zur  gleichmässigen  Ausbildung  der  Schwanzflosse  aufsteigende  Reihenfolge  eikennen 
lassen.     So  die  Dipteriden,  Acanthodier,  Paläonisciden,  Pycnodonten  u.  s.  w. 

Die  Dipteriden,  Dipteridae  (Dipterii)  sind  besonders  im  devonischen  System 
vertreten.  Es  sind  schlank  gebaute  Eckschupper  mit  zwei  hintereinander  gelegenen 
Rückenflossen,  was  behende  Schwimmer  andeutet  Die  Wirbelsäule  ist  knorpelig, 
die  Schwanzbildung  heterocerk.  Das  Gebiss  zeigt  kegelförmige  ziemlich  gleich 
grosse  Zähnchen.  Dipterus  und  Osteolepis  sind  Dipteriden  aus  dem  old  red  sand* 
stone  von  England  und  Schottland. 

Mit  den  Dipteriden  erscheinen  im  devonischen  System  auch  schon  Gattungen 
aus  der  Familie  der  Acanthodier,  welche  ein  ungewöhnlich  stark  entwickelter 
Stachel  am  Vorderrande  der  Flossen,  namentlich  der  stark  entwickelten  paaiigen 
Brustflossen  auszeichnet.  Die  Schuppen  sind  klein  und  fast  kömerartig,  Üieüs 
auch  deutlich  eckig,  quadratisch  oder  rhombisch.  In  der  Steinkohlenformatio]} 
und  im  Rothliegenden  liefert  die  Familie  der  Acanthodier  bereits  Süsswasserb^ 
wohner.  Am  wichtigsten  ist  die  Gattung  Acanthodes^  die  namentlich  in  denthonigen 
Schichten  des  Rothliegenden  reichlich  vertreten  ist,  aber  oft  nur  die  kräftigen 
langen  Stacheln  vom  Vorderrande  der  grossen  Brustflosse  hinterlassen  hat  Da 
die  Skelettachse  weich,  die  Hautdecke  kleinschuppig  war,  sind  hier  wohlerhaltene 
Individuen  selten. 

Die  Familie  der  Palaeonisciden,  Palaeoniscidae  ^  begreift  Eckschupper  der 
carbonischen  und  der  permischen  Ablagerungen,  und  zwar  sowohl  Meeres-  als 
Süsswasserbewohner.  Die  Haut  ist  mit  ziemlich  grossen'  ausgezeichnet  emaflirten 
rhomboidischen  Schuppen  bekleidet,  die  Schwanzbildung  heterocerk,  die  Skelett- 
achse war  noch  knorpelig.  Die  Kiefern  trugen  zahlreiche  kleine  dicht  g^ 
drängte  ziemlich  stumpfe  Zähnchen  (sogen,  bürstenförmige  Bezahnung.) 

Die  Gattung  Palaeoniscus  beginnt  in  der  Steinkohlenformation  und  liefert  hier 
und  im  Rothliegenden  wie  auch  im  Zechstein  zahlreiche  Arten.  Die  letzten 
Palaeonisken  flnden  sich  in  der  Trias.  Die  Körpergestalt  ist  schlank,  die  Flossen 
sind  ziemlich  klein.  Die  häufigste  und  bekannteste  Falaeoniscus-Axt  ist  F.  FrHis- 
leheni  Blainv.  Sie  findet  sich  in  zahllosen  Mengen  im  Kupferschiefer  von  Nord- 
und  Mittel-Deutschland  zu  Eisleben,  Riecheisdorf  u.  a.  O.,  wird  15—20  Centim. 
lang  und  ist  in  trefflichen  Exemplaren  in  allen  Sammlungen  verbreitet  Diese 
Art  war  schon  im  vorigen  Jahrhundert  ein  Gegenstand  der  Aufmerksamkeit  der 
Naturforscher  und  ihre  Häufigkeit,  ihre  oft  krampfhafte  Verkrümmung  in  kupfer- 
haltigen  Schichten  ist  ein  vielfach  schon  erörtertes  Problem  der  Geologie. 

Ambfypterus  ist  eine  verwandte  Gattung  des  Steinkohlen-Gebirges  und  des 
Rothliegenden  und  liefert  namentlich  Süsswasserbewohner.  Auszeichnend  ist  die 
Grösse  der  Flossen,  ihre  vordersten  Strahlen  sind  aber  nicht  stark  entwickelt 
A,  macropterus  Ag.  ist  eine  Art  von  etwas  gedrungener  Körpergestalt  mit  sehr 
grosser  Rückenflosse  auf  der  Mitte  des  Rückens.  Häufig  und  wohlerhaltcn  in 
den  Eisenstein-Nieren  des  mittleren  Rothliegenden  der  Gegend  von  BirkenfeJd 
und  Lebach. 

Mit  dem  Zeitalter  der  Trias  tritt  die  schon  gedachte  Umgestaltung  im  Bau 
der  Eckschupper  ein.  Die  Ossification  des  Achsenskeletts  macht  hier  Fortschrittt 
und  im  Lias  erscheinen  schon  Ganoiden  mit  mehr  oder  minder  ausgcbüdctcn 
knochigen  Wirbeln.  Die  Schwanzbildung,  bis  dahin  heterocerk,  wird  nun  bd 
einem   Theile   der  Gattungen  homocerk.     Ein  Beispiel   davon  giebt  Semm^ 


Fische.  42 1 

Btrgeri  aus  der  Familie  Dapedidae,  Es  ist  ein  ziemlich  schlank  gebauter  Eck- 
schuppeii  der  im  mittlem  Keuper  von  Coburg  in  guter  Erhaltung  vorkommt.  Die 
Achse  zeigt  noch  keine  ringförmig  geschlossenen  Wirbelkörper,  die  Schwanzbildung 
ist  noch  heterocerker  Art,  aber  nicht  mehr  in  dem  Grade  wie  bei  den  palaeo- 
zoischen  Ganoiden,  das  Hinterende  der  Wirbelsäule  setzt  noch  in  den  oberen 
Schwanzlappen  fort,  aber  nicht  mehr  bis  an  ihr  Ende  und  der  Strahltheil  beider 
Flossenlappen  erscheint  schon  fast  gleich  gross. 

Die  Pycnodonten,  Pycnodontes,  sind  eine  von  der  Steinkohlen-Formation  an 
bis  zur  unteren  Tertiärformation  verbreitete  Familie  der  Eckschupper,  ausgezeichnet 
durch  kurze  und  hohe  zusammengedrückte  Körperform  und  das  mit  breiten  ge- 
rundeten Mahlzähnen  besetzte,  auf  harte  Nahrung  deutende  Gebiss,  femer  durch 
das  Auftreten  eines  eigenthtimlichen  durch  Verdickung  des  Vorderrandes  der 
Schuppen  hervorgehenden  Hautreifen-Systems,  das  bei  anderen  Familien  der 
Fische  sich  nicht  wiederholt.  Die  Anlage  zur  Wirbelsäule  bleibt  noch  bei  allen 
knorplig,  doch  beginnt  mit  den  jurassischen  Arten  eine  unvollständig  abge- 
schlossene Wirbelbildung,  die  von  den  oberen  und  unteren  Bögen  der  Domfort- 
sätze ausgeht.  Der  Schwanz  ist  bei  den  älteren  Gattungen  heterocerk,  bei  den 
jüngeren  homocerk. 

Die  Gattung  Hatysomus  beginnt  in  der  Steinkohlenformation.  Jfafysomus 
gibbosus  Ag.  erscheint  im  Zechstein  (magnesian  limestone)  von  England.  Bei  den 
Platysomen  ist  die  Schwanzbildung  noch  heterocerk,  die  chorda  dorsalis  blieb 
noch  weich  und  knorplig  und  ward  oben  und  unten  umfasst  von  der  basalen 
Gabel  verknöcherter  Domfortsätze. 

Die  Gattung  Pycnodus  enthält  homocerke  Arten,  die  vom  Lias  bis  in  die 
Eocän-Schichten  verbreitet  erscheinen.  Mehrere  Arten  sind  in  fast  vollständigen 
Exemplaren  bekannt  und  zeigen,  dass  das  in  der  Haut  eingeschaltete  ganz  unge- 
wöhnliche Knochensystem  zur  Stütze  des  Schuppenkleids  diente  und  aus  vorderen 
Leisten  der  Schuppen  hervorging.  Dem  Zwischenraum  zwischen  je  zwei  Haut- 
rippen oder  Reifen  entspricht  je  eine  Schuppemeihe,  aber  bei  manchen  Arten 
sind  die  Schuppen  ganz  zart  oder  gar  nicht  fossil  erhalten,  wobei  dann  die  Reifen 
allem  stehen  und  gleichsam  ein  zweites  äusseres  Skelett  darstellen,  was  dem  Fossil 
ein  befremdendes  Aussehen  ertheilt. 

P,  plcUessus  Ag.  eine  kleine  Art,  von  der  keine  Schuppen  erhalten  sind,  er- 
scheint noch  fossil  im  eocänen  Flattenkalk  des  Monte  Bolca  bei  Verona.  Eine 
andere  PycnoduS'Krt  erscheint  noch  im  eocänen  Thon  von  Sheppey  in  England. 
(P,  tolipiacus  Ag.).  Im  Miocän  ist  Pycnodus  schon  nicht  mehr  sicher  nachweis- 
bar und  in  der  heutigen  Fauna  jedenfalls  erloschen.  Dieses  Hereinragen  einer  in 
den  mesozoischen  Epochen  reichlich  verbreiteten  Ganoiden-Gattung  in  die  Meeres- 
absätze der  Eocän-Formation  ist  eine  bemerkenswerthe  Erscheinung  und  steht 
fast  vereinzelt  In  der  mittleren  Tertiärformation  scheinen  die  Pycnodonten  be- 
reits erloschen  zu  sein. 

Die  Familie  Lepidotidae  begreift  homocerke  Eckschupper  mit  bereits  wohlver- 
luiöcherten,  erst  von  zwei  Halbringen  gebildeten,  dann  peripherisch  geschlossenen 
Wirbeln.  Der  Kopf  ist  vom  stumpf  abgerundet.  Das  Gebiss  zeigt  starke  theils 
halbkugelige,  theils  kegelförmige  Zähne.  Die  Gattung  LepidoiuSy  besonders  aus- 
gezeichnet durch  sehr  grosse  und  sehr  kräftig  gebaute  stark  glänzende  Schmelz- 
schuppen, ist  im  Jura  in  zahlreichen  Arten  verbreitet.  Sie  spielt  auch  noch  eine 
wichtige  Rolle  (mit  Lepidotus  Mantelli  Ag.  u.  a.  A.)  in  der  Süss-  und  Brackwasser- 


422  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Fauna  der  Wealdenstufe  und  erlischt  mit  der  letzten  Art  (Lepidoius  Maximiliani 
Ag.)  in  der  Eocänformation  des  Pariser  Beckens. 

Die  Familie  Caturidae  begreift  grosse  homocerke  Eckschupper  mit  zahlretchen 
starken  Regelzähnen,  die  auf  ausgeprägt  räuberische  Lebensweise  deuten.  Die 
Wirbelsäule  ist  in  stufenweiser  Verknöcherung  begriffen.  EMe  Schwanzbildnng 
homocerk.  Die  Caturiden  sind  mit  Cäturus,  P€ukycarwiuSy  SauropsL  und  anderen 
Gattungen  in  jurassischen  Meeresablagerungen  zahlreich  verbreitet,  die  letzten 
Arten  erscheinen  in  der  oberen  Kreide.  An  sie  schliessen  sich  unmittelbar  die 
Lepidosteus-Axt/tn  an,  nur  sind  die  Caturiden  homocerk  und  ihre  Wirbel  z.  Th. 
noch  von  Halbringen  gebildet,  z.  Th.  auch  schon  peripherisch  geschlossen  und 
biconcav. 

Die  Familie  LepidosUidae  lebt  mit  der  Gattung  Lepidostcus  in  Flüssen  und 
Binnensee'n  von  Nord- Amerika  noch  fort.  Lepidosteus  osseus,  der  Knocbenhecht, 
von  Linn£  schon  als  Esox  osseus  beschrieben,  wird  über  i  Meter  lang  und  zeigt 
eine  ausgeprägt  räuberische  Lebensweise.  Der  Körper  ist  schlank  und  fast  walzen- 
förmig. Ober-  und  Unterkiefer  sind  in  eine  längliche  Schnauze  ausgezogen  und 
mit  Reihen  von  grösseren  und  kleineren  spitzkegelförmigen  Sehnen  bewaffinet 
Die  Schwanzbildung  ist  noch  deutlich  heterocerk  —  wenn  auch  nicht  mehr  in 
so  ausgeprägter  Weise  wie  bei  palaeozoischen  Ganoiden.  Das  Skelett  ist  voll- 
ständig verknöchert  und  die  Wirbelkörper  sind  mit  Kugel-  und  Pfannengelenken 
versehen,  eine  Bildung,  die  in  dei  ganzen  Klasse  der  Fische  einzig  dasteht.  Jeder 
Wirbel  ist  an  der  Vorderfläche  mit  einem  vortretenden  Gelenkkopfe  versehen, 
der  in  einer  Pfanne  der  Hinterseite  des  zunächst  vorhergehenden  Wirbelkörpen 
articulirt.    Dies  ist  der  einzige  Fall  dieser  Art  bei  lebenden,  wie  fossilen  Fischen. 

Der  Lepidosteus  ist  in  fossilen  Resten  nur  aus  Nord-Amerika  bekannt,  wo  er 
auch  allein  und  zwar  in  etwa  einem  Dutzend  Arten  in  Flüssen  und  See*n  noch 
lebt  In  den  ältesten  eocänen  Süsswasserablagerungen  und  in  den  zunächst  darauf 
folgenden  des  Nordwestens  sind  Lepidosteus -Alten  häufig,  die  den  heute  noch 
lebenden  desselben  Gebietes  schon  sehr  nahe  stehen. 

Wir  kommen  nun  zur  dritten  Ordnung,  denCycliferen  oder  rundschuppigen 
Ganoiden,  Ganoides  cycliferi,  die  bereits  im  oberen  Silur-System  fossil  anheben, 
im  Jura-System  durch  die  Leptolepiden  zu  den  echten  Knochenfischen,  Teltcstei^ 
überleiten  und  in  der  Jetztwelt  nur  noch  in  der  nordamerikanischen  Süsswasser- 
Gattung  Amia^  Kahlhecht,  fortleben. 

Sie  tragen  ein  Schuppenkleid  von  rundlichen  (cycloidischen),  auf  der  äusseren 
Seite  mit  mehr  oder  minder  dicker  Schmelzschicht  belegten  Schuppen»  die  wie 
die  der  Teleostier  in  Dachziegelform  angeordnet  sind.  Bei  den  palaeozoischen 
Cycliferen  sind  diese  oft  gross,  sehr  verdickt,  und  mit  starker  venchiedentlich 
verzierter  Schmelzschicht  bedeckt.  In  den  jüngeren  Formationen  zeigen  die 
Cycliferen  dünnere  Schuppen  mit  schwächer  entwickelten  Schmelzlagen.  Sie 
werden  damit  denen  der  Teleostier  allmählich  ganz  ähnlich  und  jm  Jura-System 
erscheinen  schon  die  verbindenden  Mittelformen.  Ebenso  wie  die  Eckschupper 
lassen  auch  die  Rundschupper  in  dem  Grade  der  Verknöcherung  des  inneren 
Skeletts  und  in  der  zuerst  heterocerken,  später  homoceri^en  Schwanzbildung 
Stufenfolgen  erkennen,  die  allmählich  zu  den  Teleostiem  überleiten,  so  dass  die 
geologisch  gleichzeitigen  Eckschupper  und  Rundschupper  oft  ausgezckhoete 
Parallelen  der  organischen  Umgestaltung  darbieten.  Der  Hauptwendepunkt  bei 
den  einen,  wie  bei  den  anderen  fällt  beiläufig  in  das  triasische  Zeitalter. 

In  den  älteren  geologischen  Formationen  sind  die  Ganoidis  eyeitfai  durch 


Fische.  423 

hohigrätige  Formen,  Coelacanthier  oder  Coeloscolopes  (scolops,  Gräte)  vertreten.  Die 
Gräten  und  die  stärkeren  Stacheln  der  Flossen  zeigen  sich  bei  den  fossilen  Funden 
hohl,  d.  h.  sie  waren  bei  den  lebenden  Thieren  nur  äusserlich'verknöchert  Das 
Innere  blieb  mit  der  primitiven  Knorpelmasse  erfüllt  und  erscheint  nachträglich 
als  Höhlung.    Hierher  gehören  die  Familien  Holoptichidae  und  Coelacanthidae, 

Die  Holoptychiden  gehören  namentlich  dem  devonischen  und  carbonischen 
Schichtensystem  an.  Die  ältesten  Arten  zeigen  sich  schon  in  obersilurischen 
Lagern  als  spärliche  Funde.  Es  sind  schwergepanzerte  Formen  mit  grossen 
dicken  Schmelzschuppen  und  einem  mittelmässigen  Flossen-Apparat.  Die  Schuppen 
zeigen,  soweit  sie  nicht  von  den  vorausgehenden  bedeckt  erscheinen,  eine  aus- 
gezeichnete erhabene  Sculptur.  Das  Gebiss  zeigt  einzelne  grössere  gestreifte 
Kegelzähne  (Fangzähne)  und  zwischen  diesem  noch  zahlreich  eingestreute  viel 
kleinere  spitze  Zähnchen.  Bei  einigen  Gattungen  zeigt  die  Zahnsubstanz  der 
grossen  Zähne  sehr  zusammengesetzte  Einfaltungen,  sodass  der  Querschnitt  des 
Zahns  eine  strahlig-labyrinthische  Zeichnung  ergiebt  In  dieser  labyrinthischen 
Faltenbildung  der  grösseren  Fangzähne  präludiren  die  Holoptychier  den  von  der 
Steinkohlen-Formation  bis  zur  Trias  verbreiteten  amphibischen  Labyrinthodonten 
oder  gepanzerten  Amphibien.  Es  ist  eine  bemerkenswerthe  Analogie,  die  man 
aber  nicht  als  Affinität  oder  nähere  Stammesverwandtschaft  zu  nehmen  hat 

Holoptychius  nobilissmus  Ag.  ist  in  einem  ausgezeichnet  wohlerhaltenen 
Exemplar  aus  dem  old  red  sandstone  von  Clashbinnie  bei  Perth  bekannt  Es  be- 
findet sich  im  Britischen  Museum  und  hat  80  Centim.  Länge.  Das  vollständige  Thier 
mag  I  Meter  lang  oder  darüber  gewesen  sein.  Der  Körper  ist  flach  und  läng- 
lich. Er  liegt  auf  dem  Rücken  und  zeigt  die  Bauchfläche  mit  dem  aus  starken 
kömerig  verzierten  Knochen  bestehenden  Ober-  und  Unterkiefer  und  der  eben- 
falls mit  starken  gekömelten  Knochenplatten  bepanzerten  Kehle.  Der  Bauch  ist 
mit  grossen  in  Längs-  und  Querreihen  geordneten  strahlig  sculpirten  Schmelz- 
schuppen bedeckt.  Die  grössten  Schuppen  erreichen  5  Centim.  Breite  und 
darüber.  Die  paarigen  Bauchflossen  sind  gerundet  und  ziemlich  klein.  Der 
nicht  vollständig  erhaltene,  mit  etwas  kleineren  Schmelzschuppen  bepanzerte 
Schwanz  lässt  einen  Theil  der  grossen  Rücken-  und  der  grossen  Afteiflosse  er- 
kennen. 

Rhizodus  Hihberti  Ow.  früher  als  ein  Holoptychius  beschrieben,  aus  der  Stein- 
kohlenformation {cocU  meatsures)  von  Bourdiehouse  bei  Edinburg  zeigt  grosse, 
schlanke  gestreifte  Fangzähne,  die  an  der  mit  dem  Kieferknochen  verwachsenen 
Basis  labyrinthische  Structur  zeigen. 

Am  verwickeltsten  ist  der  labyrinthische  Bau  bei  den  Dendrodus-TJihxien  aus 
devonischen  Schichten.  Owen  bezeichnet  sie  als  wahrscheinliche  Holoptychiden. 
Mit  den  Falten  dringt  die  äusserste  Zahnschicht  tief  ins  Innere  des  Zahnes  ein 
und  verzweigt  sich  dabei  in  zahlreiche  verwickelte  Seitenfalten. 

Mehr  oder  minder  in  die  Nähe  der  Holoptychiden  stellt  man  noch  die  Reste 
der  Gattungen  Aster oUpis  und  BothrioUpis^  die  durch  eine  Bepanzerung  des 
Kopfes  mit  grossen  dicken  und  stark  sculpirten  Knochen-Platten  ausgezeichnet 
sind  Man  kennt  von  ihnen  noch  keine  vollständigen  Thiere.  Knochenplatten, 
2ähne  u.  s.  w.  sind  von  beiden  Gattungen  häufig  in  den  oberdevonischen  Schichten 
von  Dorpat  u.  a.  O.  in  Livland.  Sie  deuten  zum  Theil  auf  Thiere  von  6  bis 
10  Meter  Länge. 

Besser  bekannt  sind  die  Charaktere  der  Familie  Coelacanihidae.  Es  sind 
mehr  oder  minder  schlank  gebaute  Fische  mit  zwei  Rückenflossen  und  überhaupt 


424  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Stark  entwickelten  senkrechten  (unpaarigen)  Flossen,  mehr  oder  minder  ähnlich 
(analog)  der  Familie  der  Dipteriden  (Eckschupper,  Ganoides  rhombiferi).  Bei 
manchen  Formen,  wie  bei  der  besonders  im  Steinkohlengebiige  vertretenen  Gattung 
Coelacanthus  ragt  das  Hinterende  der  Körperachse  (Wirbelsäule)  in  die  Schwanz- 
flosse vor,  so  dass  diese  dreilappig  erscheint.  Die  Achse  selbst  war  noch  knorpelig. 
Die  palaeozoischen  Coelacantiiiden  sind  heterocerke,  die  mesozoischen  aber  homo- 
cerke  Formen.  Die  Familie  beginnt  mit  mehreren  Gattungen  schon  in  devo- 
nischen Schichten,  die  letzte  ist  Macropama,  so  genannt  nach  der  Grösse  des 
Kiemendeckels  (pama  Deckel)  in  der  Kreideformation. 

Macropama  ManUUi  Ag.  ist  ein  bis  65  Centim.  Länge  erreichender  Fisch 
von  beiläufig  karpfenförmigem  Körper,  aber  mit  zwei  Rückenflossen.  Man  kennt 
aus  der  oberen  Kreide  von  England  (Kent  und  Sussex)  ausgezeichnet  vollständig 
erhaltene  Exemplare  (sogar  mit  Schwimmblase,  Darmkanal  und  Darminhalt)  Man 
kennt  femer  von  derselben  Art  Koprolithen,  das  heisst  fossile  Excremente.  Sie 
sind  2,5  —  5  Centim.  lang,  haben  im  Allgemeinen  die  Gestalt  eines  Lärchen- 
Zapfens  und  galten  auch  anfänglich  flür  fossil  erhaltene  Lärchen-Zapfen,  bis  Man- 
TELL  und  Buckland  ihre  wahre  Abkunft  nachwiesen.  Diese  Koprolithen  zeigtn 
Eindrücke  einer  Spiralfalte  des  Darmkanals  und  bestehen  aus  einer  spiral  um 
die  Axe  gewickelten  Kothmasse.  Macropoma  Mantelü  ist  der  letzte  bekannt  ge- 
wordene Coelacanthide.    Mit  ihm  erlischt  die  Familie. 

Im  Jura-System  erscheinen  eine  Anzahl  dünnschuppiger  Cycliferen,  welche  einer- 
seits der  in  Flüssen  von  Nord-Amerika  noch  lebend  vertretenen  Ganoiden-Gattnng 
Atnia,  andererseits  den  Häringen  und  anderen  Teleostiem  sich  anschliessen.  Diese 
jurassischen  Uebergangsformen  betrachtete  Agassiz  noch  als  Ganoiden.  Neuere 
Ichthyologen  erkennen  in  ihnen  eine  indifferente  Mittelstufe  zwischen  cycliferen 
Ganoiden  (namentlich  der  Gattung  Amia  und  ihrer  mesozoischen  Vorläufer)  einer- 
seits, den  ebenfalls  cycliferischen  Teleostiem  namentlich  den  Häringen  oder  Qu- 
peiden  andererseits. 

Um  so  bedeutsamer  wird  die  einzige  heute  noch  lebende  Gattung  der  Ga- 
noides cycliferif  die  nur  noch  in  Flüssen  und  Binnensee'n  von  Nord-Amerika  an- 
getroffen wird.  Amia  calva  L.,  der  Kahlhecht,  lebt  in  Flüssen  von  Carolina.  Es 
ist  ein  kleinerer  Fisch  mit  gerundeten  homartigen  Schuppen,  die  nur  eine  sehr 
dünne  Schmelzlage  tragen,  mit  symmetrischer  fächerfbrmiger  Schwanzflosse  und 
vollständig  verknöcherter  (aus  peripherisch  geschlossenen  Scheiben  bestehender"^ 
Wirbelsäule.  Die  Kiefern  tragen  ähnlich  wie  bei  vielen  fossilen  Ganoiden  kleine 
kegelförmige  Zähne.  Cuvier  stellte  Amia  noch  zu  den  Clupeiden,  aber  die  Be- 
schaffenheit der  Klappen  des  Arterienstieles  weist  dieser  Gattung  noch  ihre 
Stellung  bei  den  Ganoiden  —  im  Uebergang  zu  den  Teleostiem.  Amia  ist  gleich 
Lepidosteus  und  Polypterus  in  Europa  weder  lebend  noch  in  jüngeren  Tertiär- 
schichten fossil  vertreten.  (Vielleicht  kommt  Amia  noch  in  Eocänschichten  von 
Europa  fossil  vor,  wenigstens  zieht  Heckel  zwei  von  Agassiz  aufgestellte  genen 
zu  obiger  Gattung).  Aber  nach  Marsh  erscheinen  schon  in  den  unteren  Eodbb 
schichten  des  Westens  von  Nord-Amerika  Arten  von  Amia  und  Lipidatiems  fossil 
erhalten,  die  von  den  heute  in  Flüssen  und  Binnensee'n  Nord-Amerika's  lebenden 
Abkömmlingen  so  wenig  abweichen,  dass  nur  die  genauere  Untersuchung  Ver- 
schiedenheiten herausstellt 

Damit  sind  wir  zum  Schlüsse  der  naturgeschichtlichen  Darstellung  und  da 
geologischen  Entwicklungsgeschichte  der  drei  Ordnungen  der  Ganoiden,  —  der 
Panzerganoiden,  der  Eckschupper  und  der  Rundschupper  angelangt    Sie  rcigt 


Fische.  425 

sicher  manche  bemerkenswerthe  zur  theoretischen  Verallgemeinerung  einladende 
Eischeinungcn.  Namentlich  gehört  dahin  der  oft  hervortretende  parallele  Ver- 
lauf der  organischen  Gestaltung  in  der  geologischen  Reihenfolge  z.  B.  in  der  Os- 
sificaiion  des  festen  Achsenskeletts  und  dem  VerhSltnlss  zwischen  Wirbelsäule 
und  Schwanzflosse.  Nicht  minder  in  die  Augen  fallend  ist  der  plötzliche  Anfang 
des  fossilen  Auftretens  der  drei  Ordnungen  in  der  silurischen  und  der  devonischen 
Meeresfauna,  der  schon  in  der  carbonischen  und  permischen  Epoche  beginnende 
Uebergang  ins  süsse  Wasser  und  die  schliesslich  fast  allgemeine  Flucht  der  letzten 
Ganoiden  in  dasselbe  Asyl,  die  besonders  mit  Beginn  der  Eocän>Epoche  auf- 
filllig  wird. 

Wir  gehen  nun  von  den  Ganoiden  über  2U  den  Teleostiern  oder  echten 
Knochenfischen,  Teieostei.  Aus  ihnen  besteht  das  Hauptheer  der  Fische  der 
heutigen  Lebewelt,  sowohl  im  Meere  als  auch  in  den  süssen  Gewässern.  Bronn 
veranschlagte  im  Jahr  1858  die  Zahl  der  lebenden  Knochenfische  auf  7740  Arten 
(legenüber  von  30  Arten  von  Ganoiden  und  230  Arten  von  Selachiem  mit  Ein- 
schluss  der  niedriger  stehenden  Knorpelfische). 

OUa.m) 


MekUa  sardmitit  Keck.     Familie   der  Clupeiden.     (Abhandl.   der  k.   Ak.   A.  Wissenscb. 
I.  Jahrg.  Taf.  XXIV.  Fig.  B.)     MiocSn.     Radoboj,  Croatien. 

Ungeachtet  einer  grossen  Anzahl  von  Arten,  Gattungen  und  Familien  er- 
halten sich  die  Knochenfische  in  den  wesentlichen  Grundztigen  ihres  Körper- 
baus, noch  auf  einer  ziemlich  einförmigen  Stufe  und  schwanken  innerhalb  der- 
selben verhältnissmässig  —  namentlich  im  Hinblick  auf  die  Ganoiden  und 
Selachier  —  nur  um  geringfügige  Beträge. 

Alle  Knochenfische  zeigen  ein  vollständig  ausgebildetes  Achsensketett,  das 
auch  in  der  Regel  vollkommen  verknöchert  ist.  Es  besteht  aus  peripherisch  ge- 
schlossenen biconcaven  Wirbeln.  Allerdings  kommen  unter  den  Knochenfischen 
auch  eine  Art  von  Knorpelfischen  vor,  bei  denen  die  Verknöcherung  der  Wirbel 
nicht  eintritt,  allein  auch  bei  diesen  sind  die  Wirbel  in  knorpeliger  Gestalt  schon 
deutlich  ausgebildet  und  die  Abscheidung  von  Knochenkörperchen  im  Knorpel 
schon  theilweise  eingetreten. 

Die  Hautbedeckung  der  Knochenfische  ist  zwar  verschieden,  in  der  Regel 
finden  sich  aber  dünne  homartige  Schuppen  von  rundlicher  Form  mit  con- 
centrischen  Anwachslinien,  wie  die  der  jüngeren  Ganoiäes  cyeltftri  mit  der 
Gattung  Amia.  Diese  sind  auch  im  Allgemeinen  zur  fossilen  Erhaltung  geeignet 
und  hnden  daher  auch  in  der  Falaeontologie  besondere  Berücksichtigung,  Agassiz 
unterschied  in  Bezug  auf  die  Gestalt  der  Schuppen  erstlich  Cyclotden  oder  Fische 
mit  ganzrandigen  Schuppen,  deren  freier  Hinterrand  entweder  vollkommen  ge- 
nutdet  oder  nur  von  wenig  hervortretenden  Strahlen  unterbrochen  erscheint  — 
und  zveitens   Ctenoiden   oder   Kammschupper.     Bei    leuteren   z«gt    der    fireic 


426  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Hinterrand  der  Schuppen  entweder  eine  kammartige  Zähnelung  oder  kleine 
aufgesetzte  Stacheln,  welche  wie  beim  Barsch,  JPtrca,  dem  ganzen  Schuppenkleid 
eine  rauhlige  Beschaffenheit  ertheilen.  Es  giebt  aber  auch  Knochenfische,  deren 
Haut  grössere,  mit  einer  dünnen  Schichte  von  Zahnsubstanz  bedeckte  Knochen- 
tafeln trägt.  So  ist  Ostradon  (der  sogen.  Kofferfisch  des  indischen  Oceans)  mit 
einem  geschlossenen  Panzer  von  regelmässig  angeordneten  sechseckigen  knochen- 
artigen Tafeln  bedeckt.  Dies  erinnert  an  gepanzerte  Ganoiden,  aber  die  Stxuctur 
der  harten  Hautabscheidungen  ist  eine  verschiedene.  Es  liegt  eine  blosse  Ana- 
logie vor. 

So  wichtig  auch  die  Einzelheiten  der  Form  und  des  Baus  der  einer  fossikn 
Erhaltung  fähigen  harten  Körpertheile  der  Knochenfische  fllr  die  Classification 
der  lebenden  und  der  nur  fossil  bekannten  Arten  und  Gattungen  werden,  fiber- 
bietet sie  doch  an  durchgreifender  Bedeutung  für  Classification  und  geologische 
Entwicklungsgeschichte  der  gesammten  Abtheilung  der  Knochenfische  die  be- 
sondere Gestaltung  der  Schwimmblase  und  deren  Verhältniss  zum  DarmkanaL 
Bei  den  fossilen  Fischen  ist  allerdings  von  diesen  Weichtheilen  gar  nichts  oder 
im  günstigsten  Falle  nur  eine  geringe  Spur  erhalten,  aber  die  bei  den  lebenden 
Fischen  zu  beobachtenden  Verhältnisse  gestatten  immerhin  noch  genügend  an- 
nähernde Schlüsse  auf  die  ehemalige  Gestaltung  derselben  bei  den  nur  fossil 
bekannten  Arten,  Gattungen  und  Familien. 

Die  Schwimmblase  ist  ursprünglich  eine  blasenförmige  Ausstülpung  des 
Schlundes  oder  des  vorderen  Theiles  des  Darmcanals  tmd  erscheint  in  weiterer 
Linie  als  erste  Anlage  der  Lunge  der  höheren  luflathmenden  Wirbelthiere.  Alle 
echten  Fische  von  den  Selachiem  an,  auch  alle  Ganoiden  besitzen  eine  Schwimm- 
blase, sei  es  nun  in  ausgebildeter  Form  oder  wenigstens  in  einer  zurückge- 
bliebenen Anlage.  (Bei  manchen  Fischen  ist  sie  zufolge  von  Verabsäumung  des 
Gebrauches  verkümmert,  z.  B.  bei  den  Schollen,  FUurotuctes) .  Wo  sie  ba 
Fischen  entwickelt  erscheint,  dient  sie  nur  als  hydrostatisches  Organ  und  unter- 
stützt durch  wechselnde  Ausdehnung  und  Zusammenpressung  die  auf-  und  ab- 
steigende Bewegung  im  Wasser. 

Sieht  man  von  den  Fällen  sporadischer  (verhältnissmässig  zufUliger,  für 
Classification  jedenfalls  unerheblicher)  Verkümmerung  der  Schwimmblase  ab,  so 
zerfallen  nach  der  Beziehung  derselben  zum  Darmcanal  die  echten  Teleosder  in 
zwei  Hauptabtheilungen,  TeUostei  physostomi  und  physoclisti. 

Die  Physostomen  sind  Knochenfische,  deren  Schwimmblase  mit  dem  Schlünde 
noch  durch  einen  Luflgang  (analog  der  Luftröhre  der  höheren  M^rbelthiere)  ver- 
bunden erscheint.  Dahin  gehören  die  grosse  Mehrzahl  der  heute  lebende» 
Flussfische,  wie  die  Lachse,  Karpfen,  Welse,  Aale  u.  s.  w.,  femer  einige  Meeres^ 
bewohner,  wie  die  Häringe,  Clupeidae,  Auch  alle  lebenden  Ganoiden  sind 
Physostomen  und  dies  wirft  schon  ein  charakteristisches  Licht  auf  diese  Ah- 
theilung  der  Knochenfische.  In  der  That  stellen  die  Physostomen  die  primi- 
tivere und  in  geologischer  Hinsicht  ältere  Form  dar,  aus  der  erst  nachfolgend 
die  abweichenden  Formen  sich  abgezweigt  haben. 

Die  TeUostei  physocUsH  sind  Knochenfische,  deren  Schwimmblase  des  ver- 
bindenden Luftganges  ermangelt  Die  Schwimmblase  hat  sich  hier  vom  Dann- 
canal  abgesondert  Sie  ist  ein  selbständiges  vom  Schlünde  unabhängiges  Oigan 
geworden.  Dahin  gehören  die  grosse  Mehrzahl  der  heutigen  das  Meer  be* 
wohnenden  Knochenfische.  Femer  einige  wenige  Flussbewohner  wie  der  Bancb 
(Perca)  und  der  Stichling  (Gasterosieus),     Diese  zweite  Abtfaeilung  der  Knochen- 


Fische.  427 

fische  hat  sich  erst  später  von  der  ersten  durch  Umgestaltung  des  hydrostatischen 
Organs  abgesondert  und  zwar  allem  Vermuthen  nach  im  Meer,  dem  ihre  meisten 
heutigen  Vertreter  angehören,  und  wahrscheinlich  im  Zeitalter  der  Kreide- 
formation. 

Nach  dieser  Erörterung  können  wir  die  geologische  Entwicklungsgeschichte 
der  Teleostier,  die  wir  bei  den  cycliferen  Ganoiden  schon  ins  Auge  fassten,  um 
einen  neuen  Gesichtspunkt  bereichert,  weiter  verfolgen. 

Die  Knochenfische  oder  Teleostier  sind  wahrscheinlich  um  die  Mitte  der 
mesozoischen  Epoche  aus  rundschuppigen  Ganoiden  hervorgegangen  und  zwar 
aus  Verwandten  der  heutigen  Ganoiden -Gattung  Amia^  welche  den  Häringen 
schon  sehr  nahe  steht  und  von  Cuvier  noch  unter  die  Clupeaceae  gezählt  wurde» 
aber  sicher  noch  den  Ganoiden  angehört.  Die  Leptolepiden  der  Jura-Formation 
mit  Leptokpis  und  einigen  anderen  Gattungen  sind  homocerke  Cycliferen,  mit 
kleinen  gerundeten  dünnen  Schuppen,  die  an  der  äusseren  Seite  nur  noch  eine 
sehr  dünne  Schmelzlage  tragen.  Die  Wirbelsäule  ist  vollständig  ossificirt 
Agassiz  stellte  Leptokpis  noch  zu  den  Ganoiden,  neuere  Ichthyologen  erkennen 
darin  eine  Mittelform,  welche  von  den  Ganoides  cycliferi  zu  den  Teleostei  pJty- 
loitami  überleitet  Die  entscheidenden  Kriterien  —  Arterien-Stiel  und  Schwimm- 
blase —  sind  leider  nicht  in  fossiler  Erhaltung  nachzuweisen  —  und  werden 
wohl  auch  nie  bekannt  werden.  Leptokpis  beginnt  im  Lias  mit  marinen  Arten, 
ist  aber  auch  in  der  Süss-  und  Brackwasserbildung  der  Wealden-Stufe  noch  mit 
ein  paar  Arten  vertreten.  Leptokpis  sprattiformis  Ac.  eine  im  oberen  Jura  von 
Solenhofen  häufige  Art  wurde  von  Blainville  unter  dem  Namen  Clupea  spratti- 
formis noch  zu  den  Häringen  gezählt,  was  kein  grosser  Fehler  war. 

Von  da  an  erscheinen  in  den  jüngeren  Formationen  die  Knochenfische  in 
immer  mehr  anwachsender  Zahl  der  Arten,  Gattungen  und  Familien,  in  den 
mannen  Ablagerungen  der  mittleren  und  oberen  Kreide  schon  reichlich,  aber  in 
den  verschiedenen  Stufen  des  Tertiärsystems,  in  welchen  die  Ganoiden  erst  bis 
auf  wenige  Arten  das  Meer  verlassen,  dann  auch  in  wenige  Flussgebiete  sich 
zurückziehen,  noch  weit  reichlicher  vertreten. 

Die  Tekostei  physoclisti  sind  eine  jüngere  Abtheilung  der  Knochenfische  und 
erscheinen  erst  während  der  Kreide-Epoche.  Sie  entstanden  durch  Verwachsung 
des  Luflganges  der  Schwimmblase,  die  dadurch  vom  Darmcanal  (bezw.  Schlund) 
ganz  abgeschieden  wurde.  Während  der  Ablagerung  der  Tertiärschichten  ent- 
wickelten sie  die  grösste  Mannigfaltigkeit  der  Formen  in  der  Meeresfauna  und 
stellen  dermalen  noch  die  grosse  Mehrzahl  der  Seefische  dar.  Nur  wenige  von 
ihnen  sind  in  die  Flüsse  aufgestiegen. 

Unter  die  Physoclisti  gehören  auch  *die  von  den  übrigen  Teleostiern  in  der 
Gestaltung  der  Kiemen  abweichenden  Lophobranchii  (Büschelkiemer).  Man  kennt 
von  ihnen  einige  Arten  fossil  in  Tertiärschichten,  z.  B.  eine  Seenadel,  Syngnaihus 
im  unteren  Eocän  des  Monte  Bolca  in  Ober-Italien.  Ferner  die  JPkctogncUhi 
(Haftkiefer)  bei  denen  Oberkiefer  und  Zwischenkiefer  unbeweglich  verbunden  er- 
scheinen und  der  Schädel  eine  besondere  Festigkeit  erlangt,  auch  die  Hautbedeckung 
i  mannigfach  schwankt  und  oft  feste  Platten  entwickelt.  Diese  beginnen  schon  in 
der  Kreideformation,  z.  B.  mit  Dercetis  elongatus  Ao.  einer  in  vollständigen 
Exemplaren  bekannten  Art  aus  der  weissen  Kreide  von  Lewes  in  England.  In 
dieselbe  Ordnung  der  Teleostier  gehört  auch  der  von  einem  festen  unbeweg- 
lichen Panzer  von  sechseckigen  Knochenplatten  umschlossene  Ostracion  (Koffer- 
fisch)  mit  einigen  in  tropischen  Meeren  lebenden  bis  ins  rothe  Meer  reichenden 


4^8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Arten.  O,  micrurus  Ag.  erscheint  fossil  im  eocänen  Plattenkalk  vom  Monte 
Bolca  in  Gesellschaft  anderer  Arten  von  tropischem  >  besonders  indischeiD 
Charakter. 

Wir  können  auf  weitere  Einzelnheiten  bei  den  Teleosdem  nicht  eingehen. 
Bronn  1858  schätzte  die  Zahl  der  bis  dahin  in  fossilem  Zustand  bekannt  ge- 
wordenen Arten  der  Teleostier  auf  538,  wovon  beiläufig  f  aus  Teitiänchicfateo 
stammen. 

Anhangsweise  betrachten  wir  noch  bei  der  Klasse  der  Fische  die  in  Besag 
auf  ihre  Stellung  im  System  der  Thierwelt  verschieden  gedeutete  Klasse  der 
Dipneusten  oder  Doppelathmer,  Dipneusta^  auch  Molchfische  und  Luichfiscbe 
genannt.  Manche  Zoologen  betrachten  sie  nach  ihrer  fischformigen  Körperge- 
stalt als  lungenathmende  Fische  (Fisces  dipnoi),  andere  nach  ihrer  Doppelathmnng 
als  fischfbrmige  Amphibien  Amphibia  ichthymorpha).  Sie  sind  aber  jeden&Us  eine 
eigene  Klasse  Dipneusta  (E.  Häckel),  die  zwischen  die  Selachier  und  die  kiemen- 
und  lungenathmenden  Molche  (Ichthyodea)  sich  einschaltet.  Gleichwohl  wird 
man  in  der  Palaeontologie  wohlthun,  sie  als  Anhang  bei  den  Fischen  abzuhandeb, 
da  ihre  fossilen  Reste  schwer  von  denen  der  Selachier  zu  scheiden  sind. 

Die  Doppelathmer  sind  —  in  ähnlicher  Weise  wie  die  Ganoiden  —  in  der 
lebenden  Fauna  nur  durch  einige  in  geographischer  Hinsicht  weit  aus  einander 
gesprengte  SUsswasserbewohner  vertreten,  während  sie  in  den  älteren  geologischen 
Epochen  weit  verbreitete  Meeresbewohner  darstellten.  Es  gehören  dahin  & 
erst  1835  u^^  1^70  entdeckten  Species  Lepidcsiren  paradoxa  Natt.  in  Russen 
und  Sümpfen  von  Süd-Amerika,  Protapterus  anneciens  Ow.  in  Flüssen  von  Afiika, 
Ceraiodus  Forstert  in  Sümpfen  von  Australien. 

Diese  drei  lebenden  Arten  stellen  die  Typen  zweier  Ordnungen  dar  i.  Ein- 
lunger,  Monopneumones,  Die  Lunge  ist  einfach  bei  Ceratoäus.  2.  Zweilnnger, 
Dipneumones,  Die  Lunge  ist  doppelt  vorhanden  bei  Lepidcsiren  und  Frciopitrmi 
gleich  wie  bei  allen  höheren  Wirbelthieren. 

Die  Lungenbildung  bei  Ceratodus  ist  die  primitivere  Form,  ein  ein&cher 
unpaarer  Sack.  So  ist  auch  die  früheste  Anlage  zur  Bildung  der  Lunge  bciin 
Embiyo  des  Menschen  —  und  aller  höheren  Wirbelthiere,  eine  einfache  anpaart 
Blase  und  sie  theilt  sich  erst  nachträglich  in  zwei  paarige  Theile,  eine  rechte 
und  eine  linke  Lunge.  Die  Nasenlöcher  der  Doppelathmer  öffiien  sich  in  die 
Mundhöhle  wie  bei  Amphibien  und  höheren  Luftathmem.  Zu  den  Lungen 
kommen  noch  bleibende  Kiemen  und  diese  besorgen  auch  vorwiegend  die  Ath- 
mung,  wogegen  die  Lungen  nur  aushülfsweise  in  Verrichtung  treten. 

Die  Körpergestalt  ist  fischförmig,  bei  Lepidcsiren  und  Pr^^cpierus  aalihnbch. 
bei  Ceratodus  mehr  karpfenartig.  Die  paarigen  Gliedmaassen  sind  denen  der 
Fische  am  meisten  ähnlich,  die  von  Ceratodus  kommen  am  nächsten  den  Fkissen 
gewisser  Selacliier,  die  von  Lepidcsiren  und  Frotcpterus  stellen  &deiifönnigc 
Körperanhänge  dar.  Die  Körperachse  (Wirbelsäule)  bleibt  knorpdig,  trägt  aber 
verknöcherte  Fortsätze.  Die  Körperoberfläche  ist  beschuppt,  wie  bei  cydoidiscben 
Teleostiem.  Die  Schuppen  sind  ziemlich  gross,  cycloidisch,  am  fireien  Hinser* 
rand  breit  abgerundet  und  dachziegelförmig  übereinandergelageit.  Das  Gebiss 
besteht  bei  Lepidosiren  aus  zwei  kleinen  kegeligen  Zähnen  im  Zwischenkiefer 
und  hinter  diesen  einem  Paar  grosser  Schneidezähne  im  Oberkiefer  nnd  eincir 
ebensolchen  Paar  im  Unterkiefer,  zusammen  sechs. 

Die  beiden  Molchfische  von  Süd-Amerika  und  Afrika  führen  eine  wahrhaft 
amphibische  Lebensweise,   sie   leben  während  der   nassen  Tahreszdt  in  FlQsseii 


Fische.  429 

• 

und  Sümpfen  und  athmen  dabei  Wasser  durch  Kiemen.  Mit  Beginn  des  Sommers 
vergraben  sie  sich  in  Schlamm,  bereiten  sich  darin  eine  Art  von  Nest  und  ver- 
bringen darin  die  trockene  Jahreszeit,  während  welcher  Lebensperiode  sie  wie 
Amphibien  durch  Lungen  athmen.  Lepidosiren  hat  nur  innere  Kiemen,  dicht 
hinter  dem  Kopf  öfifhet  sich  eine  kleine  senkrechte  Kiemenspalte.  Protcpterus 
hat  innere  und  äussere  Kiemen;  drei  kleine  federartige  gefranzte  äussere  Kiemen 
treten  jederseits  hinter  dem  Kopfe  und  vor  den  Brustfiossen  hervor  —  eine 
Kiemenbildung,  wie  nie  eine  bei  wahren  Fischen,  wohl  aber  bei  einigen  Ichthyoden 
(Amphibien)  vorkommt.    Protopterus  erreicht  f ,  Lepidosiren  ca.  i  Meter  Länge. 

Wichtiger  für  Palaeontologie  ist  Ceraiodus  Forsteri,  ein  in  Sümpfen  des  süd- 
lichen Australiens  (Sidney)  noch  lebender,  aber  erst  seit  1870  bekannt  gewordner 
einlungiger  Doppelathmer,  der  eine  Länge  von  fast  zwei  Meter  erreicht. 

Er  zeigt  eine  längliche  Fischgestalt  mit  einem  Schuppenkleid  von  grossen 
cydoidischen  dachziegelartig  angeordneten  Schuppen,  stark  entwickelten  sehr 
eigenthümlich  gebauten  paarigen  Flossen  und  einem  Gebiss  von  wenigen  breiten 
Zahnplatten. 

Sehr  bedeutsam  ist  der  Bau  der  paarigen  Flossen.  Es  sind  platte  ovale 
Ruderschaufeln  von  gefiederter  Zusammensetzung.  Diese  stellen  die  eigentliche 
Gnmdfonn  der  paarigen  Flossen  der  Fische  und  der  Gliedmaassen  der  höheren 
Wirbelthiere  dar,  das  Archipterychium,  das  in  ähnlicher  Gestalt  sich  auch  bei  ge- 
wissen Selachiem  nachweisen  lässt.  Die  Brustflossen  und  Afterflossen  von  Gera- 
todus  bestehen  nämlich  erstens  aus  einem  starken  gegliederten  Flossenstab  oder 
Mittelstamm,  der  die  Flosse  vom  Grunde  bis  zur  Spitze  durchzieht  Dazu 
kommt  beiderseits  von  dieser  Flossen-Achse  je  eine  Reihe  von  dünnen  gegliederten 
Flossenstrahlen  oder  Radien,  die  ähnlich  wie  die  JPinnulae  eines  gefiederten  Blattes 
sich  in  einer  Ebene  dem  Flossenstab  anreihen.  Bei  gewissen  Selachiem,  nament- 
lich in  einem  früheren  Jugendzustand  findet  sich*  diese  primitive  Fiederflosse 
noch  in  mehr  oder  minder  ähnlicher  Form  vor  und  man  kann  daraus  entnehmen, 
dass  dieselbe  bei  den  ältesten  Selachiem  der  palaeozoischen  Periode  allgemein 
verbreitet  war,  wie  sie  denn  auch  bei  Xenacanthus  im  Rothliegenden  fossil  er- 
halten scheint.  Von  dieser  ersten  Urform  der  paarigen  Flossen  und  der  Glied- 
maassen geht  die  Flossenform  der  übrigen  Fische  aus.  Schon  bei  der  Mehrzahl 
der  heute  lebenden  Selachier  erscheinen  die  Strahlen  an  der  einen  Seite  (der 
vorderen  oder  äusseren  Seite)  des  Flossenstabes  theilweise  oder  ganz  verloren. 
So  entsteht  die  halbgefiederte  oder  einzeilige  Fischflosse.  Sie  hat  sich  von  den 
Selachiem  auf  die  übrigen  Fische,  in  erster  Linie  auf  die  Ganoiden,  in  zweiter 
auf  die  Teleostier  vererbt  Die  ältesten  Doppelathmer  behaupteten  das  Archipte- 
rychium der  älteren  Selachier.  Aber  weiterhin  ging  aus  derselben  Fiederflosse 
durch  Vermittelung  der  halbgefiederten  Form  und  weitere  Umbildung  der  fünf- 
zehige Fuss  der  Amphibien  hervor.  Erst  verloren  sich  die  Strahlen  an  der 
äusseren  oder  vorderen  Seite  des  Flossenstabes  ganz,  dann  auch  ein  grosser  Theil 
der  Strahlen  der  anderen  Seite.  Aus  dem  terminalen  Theile  des  Flossenstabes  ent- 
stand dann  die  erste  oder  grosse  Zehe,  aus  den  vier  benachbarten  Strahlen  aber 
die  vier  übrigen  Zehen  —  die  also  Strahlen  der  inneren  oder  hinteren  Seite  des 
Archipterychium  entsprechen. 

Für  Palaeontologie  von  grosser  Bedeutung  ist  auch  die  Bezahnung  des  in 
Sümpfen  Australiens  noch  lebenden  Ceraiodus  Forsteri,  Der  Unterkiefer  trägt 
zwei  flächenhaft  ausgebreitete,  gegen  aussen  in  sechs  vorspringende  Falten  aus* 
gezogene,  einer  Geweihschaufel  ähnliche  Zahnplatten,  die  dicht  hinter  der  Sym- 


430  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

physe  stehen  und  an  der  gegen  die  Mediane  des  Kiefers  gewendeten  Innenseite 
das  schwammige  Gewebe  der  Knochensubstanz  oder  der  Zahnwurzel  hervortreten 
lassen.  Ein  zweites  Paar  steht  im  Oberkiefer.  Diese  Zähne  des  lebenden 
Ceratodus  zeigen  eine  überraschende  Aehnlichkeit  mit  den  schon  viel  früher  be- 
kannt gewordenen,  namentlich  in  Trias-Schichten  fossil  auftretenden  1,25 — sCentiin. 
grossen  Zähnen  derselben  Gattung  Ceratodus  Ag. 

Die  drei  noch  lebenden  Doppelathmer,  drei  genera^  jedes  nur  mit  einer 
einzigen  noch  lebenden  Art,  sind  also  allem  Anschein  nach  die  letzten  in  geo- 
graphischer Hinsicht  weit  versprengten  und  in  Bezug  auf  den  Aufenthalt  in  dis 
Süsswasser  relegirten  Nachkommen  ehedem  zahlreich  vertretener  Thierfoimen, 
welche  in  früher  Epoche  zahlreiche  Arten  und  Gattungen  darstellten  und  vielleicht 
andererseits  die  Stammväter  der  ältesten  Atnphibia  ichthyodea  oder  doch  jedenfiUs 
deren  nächste  Verwandte  waren.  Sie  mögen  gleich  den  noch  lebenden  Aiteo 
alle  ein  knorpeliges  Skelett  besessen  haben  und  konnten  in  fossiler  Erhaltung 
nur  spärliche  feste  Theile  —  Zähne  und  höchstens  Kieferbruchstücke  —  hinterlassen. 
Ihre  Reste  finden  sich  fossil  in  Meeresablagerungen,  in  der  Trias  auch  wohl 
in  brackischen  Schichten. 

Der  Ursprung  der  Dipneusten  mag  in  eine  sehr  frühe  geologische  ^wdie 
zurückreichen  und  beruht  auf  der  Umbildung  eines  Selachiers,  der  aum  thcü- 
weisen  Landleben  überging  und  unter  Beibehaltung  der  Kiemen -Athmung  ein 
besonderes  luftathmendes  Organ  ausbildete.  Die  noch  in  offener  Verbindung  mit 
dem  Schlund  verbliebene  Schwimmblase  passte  sich  der  Luft-Athmung  an  und 
wurde  im  Verlauf  derselben  zur  Lunge.  Mit  demselben  Vorgang  war  eine  Um- 
bildung der  Nase  verbunden.  Während  bei  den  Selachiem  und  allen  übrigen 
echten  Fischen  die  Nase  nur  ein  paar  blinde  Gruben  an  der  Vorderseite  des 
Kopfes  bildet,  trat  jetzt  eine  offene  Verbindung  derselben  mit  der  Mundhöhle 
ein.  Es  bildete  sich  jederseits  in  der  Nase  ein  offener  Kanal.  Damit  entstand 
die  paarige  Verbindung  der  Nasengrube  mit  der  Mundhöhle.  Sie  konnte  nun  — 
auch  bei  geschlossenem  Munde  —  die  zur  Athmung  nöthige  atmosphärische  Luft 
der  Lunge  zuführen.  So  entstand  der  erste  Doppelathmer.  Seine  Lunge  war 
noch  ein  einzelner  unpaarer  Sack,  wie  sie  es  noch  jetzt  beim  lebenden  Ctrat9diu 
ist.  Die  Gliedmaassen  dieses  primitiven  Dipneusten  waren  Archipterychien,  wie 
sie  bei  Ceratodus  und  auch  noch  bei  gewissen  lebenden  Selachiem  vorkommen. 

Die  ältesten  fossilen  Selachier-Reste  kennt  man  aus  obersilurischen  Schichten. 
Die  ersten  Reste  von  Amphibien  kennt  man  fossil  schon  in  einer  Anzahl  von 
Gattungen  in  der  Steinkohlen-Formation  und  im  Rothliegenden.  Die  verbinden- 
den Glieder,  mehr  oder  minder  nahe  Verwandte  der  lebenden  Dipneusten-Arten, 
namentlich  aber  des  Ceratodus,  vielleicht  mit  Ausnahme  der  Zähne  fester  SkelcU- 
Theile  noch  ermangelnd,  mögen  also  schon  in  der  silurischen  oder  spätestens 
in  der  devonischen  Epoche  sich  ausgebildet  haben.  Sie  sind  entweder  nicht 
fossil  erhalten  oder  nur  in  zerstreuten  Resten,  namentlich  vereinzelten  Zähnen, 
auf  uns  gekommen,  die  über  die  Ausbildung  der  Athmungsorgane  des  Thieres, 
dem  sie  angehörten,  keinen  unmittelbaren  Aufschluss  gewähren  können.  Soviel 
nach  Haeckel  —  über  den  hypothetischen  Vorgang  der  ersten  Ausbildung  eines 
lungenathmenden  Wirbelthieres  aus  einem  kiemenathmenden  Selachier.  Die  Zähne 
der  primitiven  Dipneusten  können  noch  mannigfach  von  denen  des  lebenden 
Ceratodus  Forsteri  abgewichen  sein.  Marsh  1877  f^hrt  aus  dem  devonischen 
System  von  Nord-Amerika  schon  eine  muthmaassliche  Ceratodus-Ait  an.  Im 
Kohlenkalk  erscheinen  häufig  wulstige  abgekaute  Kronplatten  ohne  beMMuieien 


FluoTverbindungen.  431 

Basaltheil.  Agassiz  hat  sie  als  besondere  Gattung  Rammodus  beschrieben.  Die 
Kaufläche  zeigt  zahlreiche  feine  Punkte,  die  dem  Hohlraum  der  Zahn-Röhrchen 
oder  Dentine-Kanälchen  entsprechen.  P,  porosus  Ag.  ist  häufig  im  Kohlenkalk 
von  Bristol  in  England.  Man  hat  bisher  die  Psammodus-Zishnt  auf  Cestracionten 
bezogen,  sie  kommen  aber  in  der  Structur  den  Ceratodus-Ui^ntTi  der  Trias  schon 
so  nahe,  dass  es  fraglich  wird,  ob  sie  nicht  etwa  einer  besondern  Dipneusten- 
Gattung  zuzuschreiben  sind. 

In  der  Trias  sind  Ceratodus-TJihnQ  häufig.  Sie  treten  zuerst  im  unteren 
Keuper  oder  der  Lettenkohlen-Gruppe  in  den  Vordergrund.  Es  sind  breite  ge- 
faltete Zahnplatten,  deren  Falten  gegen  die  Aussenseite  des  Kiefers  ausgezogen 
erscheinen.  Sie  bestehen  aus  Zahnsubstanz  (Dentine)  ohne  besondere  Schmelz- 
schicht. Die  Zahnröhrchen  (Zahnkanälchen,  canalicuii  denHum)^  treten  in  senk- 
rechter Stellung  zur  Oberfläche  und  erscheinen  auf  der  abgenutzten  Kaufläche 
in  Form  von  Punkten.  Vergrössert  zeigen  sie  Durchschnitte  sechsseitiger  Pris- 
men, deren  Mitte  ein  sehr  feiner  cylindrischer  Kanal  einnimmt.  Seltener  sitzen 
diese  Mahlzähne  noch  auf  einer  Wurzel  von  schwammigem  knochenartigem  Ge- 
webe. Wahrscheinlich  standen  auch  bei  den  triasischen  Ceratoden  nur  vier 
grosse  Zähne  im  Maule,  zwei  im  Oberkiefer  und  zwei  im  Unterkiefer.  Ihre 
Grösse  ändert  von  1,25  bis  gegen  5  Centim.  Man  hat  sie  anfänglich  auf  Selachier 
—  bald  auf  Cestracionten,  bald  auf  Chimäriden  —  bezogen  und  erst  die  Ent- 
deckung des  in  Sümpfen  Australiens  noch  lebenden  Ceratodus  Forsteri  hat  ihnen 
die  richtige  Stelle  im  System  der  lebenden  und  erloschenen  Thierformen  an- 
gewiesen. Sie  gehörten  Lungenfischen  an  und  mögen  in  der  Triaszeit  noch 
theilweise  das  Meer  bewohnt  haben,  theilweise  auch  in  das  Brackwasser  und 
Süsswasser  gestiegen  sein,  auf  welches  letztere  namentlich  ihr  Vorkommen  in  der 
Lettenkohle  neben  Brack-  und  Süsswasserbewohnem  deutet.  Man  kennt  etwa 
sechs  Arten  von  Ceratodus-UäkiVL^xv  in  der  Trias.  Sie  erscheinen  auch  noch  in 
der  Zahn-  und  Knochen-Breccie  an  der  Grenze  von  Keuper  und  Lias  (Rhätische 
Stufe  zu  AustclifT  bei  Bristol  und  Tübingen). 

Die  jüngste  Art,  Ceratodus  Philippsi  Ag.  erscheint  im  mittleren  Jura  von 
Stonesfield  in  England  und  kann,  da  sie  mit  Resten  landbewohnender  Säuge- 
thiere  und  Landpflanzen  zusammen  vorkommt,  auch  von  einem  ins  Meer  einge- 
schwemmten Süsswasserbewohner  herrühren.  Jedenfalls  scheinen  die  Ceratoden 
sich  frühzeitig  aus  dem  Meer  ins  süsse  Wasser  zurückgezogen  zu  haben.  Vom 
mittleren  Jura  an  fehlt  jede  weitere  Spur  von  ihnen  auf  europäischem  Gebiet. 
Zwischen  die  letzte  jurassische  Art  und  die  heute  in  Australien  noch  lebende 
Art  fällt  eine  weite  Lücke. 


Fluorverbindungen 

von 

Professor  Dr.  Kenngott. 

Das  Fluor,  welches  mit  den  Elementen  Chlor,  Brom  und  Jod  eine  Reihe 

verwandter  Stoffe  bildet 

F    Gl    Br    J 

deren  Verbindungsweise  grosse  Aehnlichkeit  hat,  ist  nach  seinen  Eigenschaften 
wenig  bekannt,  weil  es  in  freiem  Zustande  nicht  dargestellt  werden  konnte,  da 
es  alle  Gefässe,  auch  Platin  angreift.  Es  findet  sich  nicht  selten  in  verschiedenen 
Mineralen  untergeordnet  und  mehrere  sind  Verbindungen  gewisser  Metalle  mit 


432  Hineraloeie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Fluor.  Das  wichtigste  und  verbreiteste  unter  allen  ist  der  Fluorit,  dis  Fluot- 
calcium,  und  diesem  reihen  sich  noch  einige  an,  in  welchen  das  Fluor  einen 
Hauptbestandtheil  bildet  i 

I,    Der  Fluorit,   schon   lange   von   den  Bergleuten  gekannt  und  benüto,     j 
weil  er  bei  gewissen  Schmekprocessen  das  FÜessen,  den  Fluss  {latdnisch /iwr;     \ 
befördert,   daher  Fluorit  genannt,    auch  schlichthin  Fluss,   oder  Flussspath      i 
wegen  seiner  Spaltbarkeit,   Spätigkeit,  ist  in  jeder  Beziehung  ein  ausgeieichiicib 
Mineral,  welches  besonders  in  Drusenräumen,  auf  Klüften,  Spalten,  Gängen  und 
Lagern,  doch  weniger  als  Gesteinsart  vorkommt  i 

Er  krystallisirt  tesseral  und  seine  fast  immer  aufgewachsenen  Kiystalle  sini     . 
in   den  Formen   sehr   mannigfaltig   und   bisweilen  von  erheblicher  Grösse,  lö     | 
Über  ^  Meter  im  Durchmesser,   sehr  oft  schön  und  regelmässig  ausgebildet  aa&     I 
bilden    daher,    zumal    wegen    der  Mannigfaltigkeit    der  Farben  eine  Zierde  is     , 
Sammlungen.    Die  Krystalle  zeigen  meist  das  Hexaeder  i»0<»   für  sich,  ancli     I 
das  Oktaeder  O,  weniger  das  Rhombendodekaeder  ooO  oder  diese  in  maaniE'     i 
fachen  Combinationsverhältnissen  mit  einander  verbunden.    Dazu  treten  andcK 
holoedrische  tesserale  Gestalten,  so  namentlich  verschiedene  TetrakisbexaederacOo, 
welche  Gestalten  sogar  HAroiNCER  wegen  ihres  häufigen  Vorkommens  am  Fluoiil 
Fluoroide  nannte,  Tetrakontaoktaeder  mOn,  weniger  ofl  TriakisoktaedetisODHl 
Deltoidikositetraeder  mOm,  von  denen  bisweilen  Tetrakishexaeder  («»03,  oo03), 
das  Tetrakontaoktaeder  402  und  das  Triakisoktaeder  40  für  »ch  vorkoounai 
Nach  Klocke  fanden  sich  bis  jetzt  ausser  den  drei  Formen  oo  O  ■»,  O  und  acO 
acht  Tetrakishexaeder,  sieben  Tetrakonteoktaeder,  fünf  Deltoidikositetraeder  und 
drei  Triakisoktaeder  und  die  Combinationen  sind  bisweilen  sehr  reich  an  Flädien. 
Ausser   einzelnen  Krystallen,    welche    gewöhnlich   zahlreich   in   den  Dnura- 
räumen  oder  auf  Kluftflächen  ohne  bestimmte  Anordnung  neben    einander  und 
unregelmässig    miteinander    verwachsen    vorkommen,    finden    sich    an    einielnoi 
Fundorten,  wie  in  Cumberland  und  bei  Weardalc  in  Durham  in  England  Durdi- 
(MIb.to.)  dringungszwillinge  des  Hexaeders  nach  O  (s.  Fig.).')  Bede 

Hexaeder   haben   eine   trigonale  Zwischenachse  geoidD- 
schaftlich,  welche  in  der  Figur  aufrecht  gestellt  ist,  dt  di( 
sich   durchkreuzenden   Hexaeder   rhomboedrisch  gestdl'- 
sind.     Gewöhnlich  sind  die  beiden  sich  durchkrcuieoden 
Individuen  von  ungleicher  Grösse  und  es  ragen  auf  dffl 
Hexaederflächen  des  einen  die  Ecken  des  anderen  melii 
oder  weniger  hervor.    Hierbei  erscheinen  die  Hexaedn- 
flächen,  welche  von  keiner  Ecke  durchbrochen  werden, 
glatt  und  glänzend,  während  die  von  Ecken  dnrchbrodK- 
nen  eine  vierfache  Streifung  parallel  den  HexaederkanWi 
zeigen  und  die  so  vierfach  gestreiften  Hexaederflächen  nicht  eben  sind,  sondetn 
an  Stelle  dieser  Hexaederflächen  eine  sehr  stumpfe  vierseitige  Pyramide  sich  er- 
hebt, so  ein  Tetrakishexaeder  ooOn  mit  grossem  Werthe  von  n  gebildet  wird 

Es  finden  sich  auch  z.  B.  auf  dem  Dreifaltigkeits-Erbstollen  bei  Zschopaa 
in  Sachsen  eigenthümlich  verbildete  und  nur  parriell  ausgebildete  Tetrakisheiiedo 
•>o03;  an  denen  die  an  den  beiden  gegenüberliegenden  Enden  einer  trigciula 
Zwischenachse  anliegenden  Flächen  der  symmetrisch  sechskantigen  Ecken  vor- 

')  In  obiger  Figur  sind  die  FUlchen  de»  einen  Hexaeders  »cbtafErt,  um  die  heiJm  « 
wacbienen  Hexaeder  besser  unterscheiden  tu  können. 


Fluorverbindungen.  433 

herrschend  bis  zum  Verschwinden  der  anderen  Flächen  ausgebildet  sind  und 
die  Krystalle  ein  skalenoedrisches  Aussehen  erlangen.  Auch  eigen thümlich 
bauchig  gekrümmte  Hexaederflächen  an  Krystallen  aus  dem  Teufelsgrunde  im 
Münsterthale  in  Baden  erinnern  an  Rhomboeder,  wie  auch  die  oben  erwähnten 
Hexaederzwillinge  bei  verticaler  Stellung  der  gemeinschaftlichen  trigonalen 
Zwischenachse  an  rhomboedrische  Durchdringimgszwillinge  mit  gemeinschaftlicher 
Hauptachse  erinnern. 

Die  Kiystallflächen  des  Fluorit  sind  ausser  glatt  und  eben  ausgebildet  oft 
gestreift,  so  öfter  die  Hexaederfiächen  vierfach  federartig  nach  den  Hexaeder- 
kanten, oder  achtfach  nach  den  Combinationskanten  mit  einem  Tetrakontaokta- 
eder;  oder  getäfelt,  so  besonders  die  Hexaederflächen,  oder  rauh,  so  besonders 
die  Oktaederflächen  oder  auch  die  Hexaederflächen,  und  es  finden  sich  z.  Th. 
auf  jenen  regelmässig  gestellte  dreiseitige,  auf  diesen  regelmässige  vierseitige 
pjnramidale  Vertiefungen,  Erosionsfiguren.  Auch  finden  sich  Krystalle  mit  con- 
vex  gekrümmten  Flächen  und  es  erscheinen  selbst  solche  bei  Abrundung  der 
Ecken  und  Kanten  als  aufgewachsene  kugelige  Gestalten. 

Bemerkenswerth  sind  polysynthetische  Krystalle,  welche  durch  kleine  regel- 
mässig angeordnete  Krystalle  aufgebaut  sind,  z.  B.  Oktaeder,  welche  durch  kleine 
hexaedrische  Krystalle  gebildet  werden,  wie  bei  Ehrenfriedersdorf  in  Sachsen. 

Ausser  krystallisirt  findet  sich  der  Fluorit  derbe  Massen  z.  Th.  von  grosser 
Mächtigkeit  bildend,  welche  gross-,  grob-  bis  kleinkörnig  abgesondert  sind  oder 
auch,  aber  selten  in  stengligen  Aggregaten.  Sehr  selten  ist  er  dicht  wie  bei 
Stollberg  auf  dem  Unterharz  oder  selbst  erdig.  Er  ist  vollkommen  parallel  den 
Flächen  des  Oktaeders  spaltbar,  weshalb  der  muschlige  Bruch  nicht  häufig  hervor- 
tritt; der  dichte  hat  splittrigen  Bruch. 

Der  Fluorit  ist  wesentlich  farblos,  aber  nicht  häufig  (z.  B.  in  Cumberland 
und  Derbyshire  in  England,  bei  Gerfalco  in  Toscana,  in  Drusenräumen  des 
Buntsandsteines  bei  Waldshut  in  Baden),  bis  weiss,  meist  gefärbt,  durch  Mannig- 
faltigkeit der  Farben  ausgezeichnet  (daher  von  den  alten  Bergleuten  Erzblume 
genannt),  so  gelb,  grün,  blau,  lila,  roth  und  grau ;  besonders  weingelb  bis  honig- 
gelb, grasgrün,  lauchgrün  bis  fast  smaragdgrün  (am  Säntis  im  Canton  Appenzell), 
lila  bis  dunkelviolett,  himmelblau,  sapphirblau,  indigoblau  bis  schwärzlichblau 
(Hall  in  Tyrol),  rosenroth  (im  St  Gotthardgebiet)  bis  fast  rubinroth.  Die  Farben- 
arten beginnen  mit  den  blassesten  Nuancen  und  gehen  in  dunklere  über.  Oft 
werden  an  den  einzelnen  Krystallen  zwei  oder  drei  Farben  bemerkbar,  dabei 
mit  regelmässiger  Vertheilung  der  Farbe  nach  den  Krystalltheilen,  wie  z.  B.  das 
Innere  anders  gefslrbt  als  die  äusseren  Theile,  die  Ecken  oder  Kanten  des 
Hexaeders  anders  als  der  übrige  Krystall.  Besonders  interessant  ist  Verschiedenheit 
der  Färbung  je  nach  der  Stellung,  wie  an  Krystallen  aus  Cumberland  und  aus 
den  Weardale-Gruben  in  Durham,  was  aber  kein  Dichroismns  (s.  optische  Eigen- 
schaften) ist.  So  sind  z.  B.  Hexaeder  beim  durchfallenden  Lichte  grün,  bei  auf- 
fallendem Lichte  blau,  was  dadurch  hervorgebracht  wird,  dass  die  grünen  Krystalle 
sehr  dünne  blaue  Farbenschichten  parallel  den  Hexaederflächen  zeigen.  Sieht 
man  daher  senkrecht  auf  die  Hexaederflächen  durch  den  Krystall.  so  ist  er  grün 
und  die  blauen  Schichten  als  sehr  feine  treten  nicht  hervor;  wenn  man  dagegen 
schräg  auf  die  Flächen  sieht,  so  wird  die  blaue  Farbe  sichtbar. 

Der  Fluorit  ist  durchsichtig  bis  fast  undurchsichtig,  glasglänzend,  bisweilen 
von  einem  eigenthümlichen  feuchten  Aussehen,  spröde,  hat  H.  =  4,0  (das  vierte 
Glied  der  Härtescala  bildend,  s.  pag.  164)  und  das  spec.  Gew.  =  j,i — 3,2.    Durch 

Kbqigott,  Bftnu,  Geol.  11.  Päd.    L  28 


434  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Erwärmen  phosphorescirt  er  mit  grünen,  gelben  und  anderen  Farben,  bisweilen 
in  ausgezeichneter  Weise  (daher  Chlorophan  genannt,   von  dem  griechiscben 
-i  chlor OSK  gelbgrün  und   T^phainomai^  scheinen,  auf  den  farbigen  Lichtschein  Ik- 
züglich)  und  verliert,  wenn  er  gefärbt  ist,  bei  stärkerem  Erhitzen,  was  bis  zum  Glähen 
vorsichtig  gesteigert  werden  kann,  seine  Farbe.    Dieses  Verschwinden  der  Faibc, 
verbunden   mit   einem    minimen  Gewichtsverlust  beruht   darauf,    dass   fast  alle 
gefärbten  Fluorite  ihre  Farbe  einer  äusserst  geringen  Menge  gewisser  Kohlen- 
wasserstofTverbindungen  verdanken,  welche  durch  das  Erhitzen  ausgetrieben  wird, 
wie  WvRUBOFF  durch  qualitative  und  quantitative  Bestimmungen  nachwies,    b 
seltenen  Fällen  scheint  auch  ein  gewisser  Geruch  damit  zusammenzuhängen,  welcher 
bemerkt  wird,  wenn  Fluorit  zerschlagen  oder  zerrieben  wird.    Als  ein  solcher 
erlangte  der  gangförmig  in  Granit  vorkommende  Fluorit  von  Wölsendorf,  südiich 
von  Naabburg  in  Bayern  eine  gewisse  Berühmtheit,  indem  er  einen  starken  eigen* 
thümlichen  unangenehmen  Geruch  entwickelt  (daher  Stinkfluss  genannt)  welcher 
an   den  Geruch    unterchloriger  Säure  erinnert.     Schafhäütl   vermuthete  daher 
neben    dem    Fhiorcalcium    einen    geringen   Gehalt  von  Chlorcalcium ,   während 
Schönbein,    der  Entdecker    des    Ozon    und    Antozon    den    Geruch    durch  die 
Anwesenheit   einer   geringen  Menge    von  Antozon    erklärte  und   diesen  Fluorit 
als  Varietät   mit   dem    Namen  Antozonit  belegte.    Wvruboff  dagegen  führte 
auch  hier  den  Geruch  auf  eine  KohlenwasserstofTverbindung  zurück,  welche  sich 
durch  Aether  extrahiren  lässt.     Auch  im  Staate  Illinois  und  in  Grönland  kommt 
solcher  durch  Friction  Geruch  entwickelnde  Fluorit  vor,  während  man  bei  anderen 
beim  Glühen  im  Glaskolben  nur  sehr  schwachen  brenzlichen  Geruch  bemerkt. 
Bei  den  sehr  sehönen  farblosen  und  gleichzeitig  rosenrothen  und  blauge&rbten 
Krystallen  vom  Galenstock  am  Rhonegletscher  und  benachbarten  Fundstätten  in 
der  Schweiz,  dessen  Krystalle  Combinationen  des  Oktaeder  und  Hexaeder  mit 
dem  Rhombendodekaeder  sind,  ist  sogar  Asphalt  als  Einschluss  und  als  dünner 
Ueberzug   bemerklich.     Vollkommen  farbloser,   wie  z.  B.  der  aus  Cumberland 
zeigt  beim  Glühen  keinen  Gewichtsverlust,  ist  also  vollkommen  rein,  phospho- 
rescirt  aber    doch,    sodass    die   Phosphorescenz    und  der  Gehalt  an  färbenden 
Kohlenwasserstoffverbindungen  nicht  in  Zusammenhang  steht 

Der  Formel  CaF,  entsprechend  enthält  der  Fluorit  51,3^  Calcium  und 
48,7  Fluor  und  an  farblosem  aus  Derb3rshire  konnte  sogar  Louyet  das  At0IDg^ 
wicht  des  Fluor  bestimmen.  Sogen,  stellvertretende  Bestandtheile,  wie  sie  so 
häufig  bei  viel  verbreiteten  Mineralen  gefunden  werden,  zeigt  der  Fluorit  nicht 
Ausser  den  die  Farben  hervorrufenden  Kohlenwasserstoffverbindungen »  welche 
jedoch  quantitativ  sehr  gering  sind,  zeigen  die  Fluoritkiystalle  sehr  häufig  fremd- 
artige  Einschlüsse,  Krfstalle  verschiedener  Minerale,  welche  bei  der  Durchsichtig- 
keit des  Fluorit  ihrer  Art  nach  leicht  bestimmbar  sind  und  auf  die  Genesis  der 
Minerale  einflussreich  sind,  bisweilen  sogar  Wassertropfen.  Die  Gestaltung  der 
Fluoritkiystalle  wird  durch  solche  Einschlüsse  nicht  beeinflusst,  ein  Beweb  der 
grossen  Krystallisationstendenz  des  Minerales,  die  sich  wie  bei  dem  Calcit»  welcher 
viel  Sand  in  den  Krystallen  ohne  Störung  der  Form  enthalten  kann  (s«  pag.  05 
die  Angabe  über  den  sogen,  krystallisirten  Sandstein)  zeigt,  wenn  Krystalle,  wie 
die  Hexaeder  von  Buxton  in  Derbyshire  thonige  Substanz  bis^zu  5of  enthaUen 
Auch  der  sogen.  Ratofkit  aus  der  Gegend  von  Moskau  ist  blauer  mit  Meigel 
imprägnirter  Fluorit.  So  scheint  auch  der  sogen.  Fluobaryt  aus  Derbyshire. 
welcher  als  eigene  Species  unterschieden  wurde,  nur  Fluorit  zu  sein,  welcher  etwa 
«»n  Häme  Baryt  innig  beigemengt  enthält 


Fluorverbindungen.  435 

Vor  dem  Löthrohre  erhitzt  zerknistert  er  oft  stark,  phosphorescirt  und 
schmilzt  in  dünnen  Splittern,  die  Flamme  gelblichroth  färbend  zu  einer  unklaren 
Masse,  welche  in  stärkerem  Feuer  unschmelzbar  wird  und  sich  wie  Kalkerde 
verhält  Mit  Gyps  gemengt  schmilzt  er  zu  einer  klaren  Perle,  welche  bei  der 
Abkühlung  unklar  wird.  Schmilzt  man  das  Pulver  des  Fluorit  mit  vorher  ge- 
schmolzenem Phosphorsalz  im  Glasrohre,  so  wird  Fluorwasserstoffsäure  entwickelt, 
welche  das  Glas  ätzt.  Von  concentrirter  Schwefelsäure  wird  er  unter  Ent- 
wickelung  von  Fluorwasserstoffsäure  HF  (auch  Flusssäure  genannt)  vollständig 
zersetzt,  worauf  die  Darstellung  der  Flusssäure  im  Grossen  beruht,  welche  zum 
Aetzen  des  Glases  benützt  wird.  Von  Chlorwassersstoffsäure  und  von  Salpeter- 
säure wird  er  schwierig  gelöst. 

Der  Fluorit  ist  ein  häufiges  Mineral,  findet  sich  aber  selten  in  grosser  Menge 
nicht  als  wesentlicher  Gemengtheil  in  Gesteinsarten,  und  nur  untergeordnet  als 
Gesteinsart,  wenn  man  so  besonders  mächtige  Ablagerungen  desselben  auffassen 
will,  wie  z.  B.  bei  Stollberg  am  Unterharz,  wo  er  eine  stockartige  Erweiterung* 
von  14 — 16  Lachter  Mächtigkeit  erlangt  und  wo  jährlich  an  50000  Centner  ge- 
wonnen werden,  die  als  Zuschlag  auf  den  Mansfelder  Kupferhütten  verwendet 
werden;  häufig  findet  er  sich  auf  Lagern  in  krystallinischen  Schiefergebirgen,  am 
häufigsten  auf  Gängen  in  älteren  Formationen,  besonders  mit  Baryt  und  verschiedenen 
metallischen  Mineralen.  Unter  den  zahlreichen  Fundorten  sind  durch  schöne 
Kystalle  ausgezeichnet:  Schlackenwald,  Zinnwald  und  Joachimsthal  in  Böhmen, 
Marienberg,  Annaberg,  Gersdorf,  Ehrenfriedersdorf  und  Freiberg  in  Sachsen, 
Andreasberg,  Stollberg  und  Lauterberg  am  Harz,  der  Teufelsgnmd  im  Münster- 
thal, Grube  Friedrich  Christian  im  Schapbachthal,  Grube  Herrenseegen  im 
Schwarzwalde  und  Grube  Hausbaden  bei  Baden weiler  in  Baden,  Waldshut  in 
Baden,  Striegau  in  Schlesien,  der  Galenstock  am  Rhonegletscher,  der  Bächi- 
gletscher  am  Räterichsboden,  das  Jöchli  im  Ober-Haslethal  im  Canton  Bern, 
der  Lauchernstock  bei  Wolfenschiess  in  Unterwaiden,  die  Oltschenalp  zwischen 
Brienz  tmd  Meiringen,  der  Zinkenstock  am  Unteraargletscher,  das  St.  Gotthard- 
gebiet,  das  Maggiathal  in  Tessin,  der  Säntis  in  Appenzell  in  der  Schweiz,  Moldawa 
im  Temesvarer  Banat,  Baveno  in  Ober-Italien,  Hall  in  Tyrol,  Kongsberg  in  Nor- 
wegen, St.  Agnes  in  Comwall,  Matlock  in  Derbyshire,  Beeralstone  in  Devonshire, 
Cumberland,  die  Weardale-Gruben  in  Durham  in  England,  Chamouny  im  Depart. 
der  Saone  und  Loire  in  Frankreich  und  Nertchinsk  in  Sibirien. 

Man  benützt  ihn  wesentlich  als  Zuschlag  bei  metallurgischen  Processen,  in 
der  Probirkunst,  zur  Darstellung  der  Flusssäure  und  anderer  Fluorverbindungen, 
zum  Aetzen  des  Glases,  zur  Bereitung  von  Glasuren  und  Emails  u.  a.  m.  Schön 
gefärbte  Varietäten  werden  als  unechte  Edelsteine  verwendet,  kömige  und  be- 
sonders bunt  gef^bte  stenglige  in  England  zu  allerlei  Ornamenten  und  Utensi- 
lien und  lieferten  vielleicht  schon  den  Alten  das  Material  für  die  sog.  murrhinischen 
Gefässe. 

3.  Der  Sellait,  benannt  zu  Ehren  des  italienischen  Mineralogen  und  Staats- 
mannes QuiNTiNO  Sella,  ist  trotz  der  Seltenheit  seines  Vorkommens  eine  in  jeder 
Beziehung  ausgezeichnete  Fluorverbindung  des  Magnesium,  Mg  F^.  Zunächst  war 
es  bei  der  Häufigkeit  des  Vorkommens  der  Magnesia  in  Verbindungen  analog 
denen  der  Kalkerde,  wie  schon  bei  den  Carbonaten  (s.  diesen  Artikel)  dies  her- 
vortrat, auf&Uend,  dass  Fluormagnesium  nicht  wie  Fluorcalcium  für  sich  als 
Mineral  bekannt  war,  während  in  mehreren  Mineralen  Fluormagnesium  als  unter- 
geordneter Bestandtheil  vorkam.    In   neuerer  Zeit  fand  sich   nun  in   der  That 


43^  Mineralogie^  Geologie  und  Palaeontologie. 

am  Gletscher  von  Gerbulaz  unweit  Moutiers  in  Savoyen  diese  erwartete  Spedes. 
Diese,  der  Sellait  zeigte  jedoch  in  seiner  Krystallisation  eine  bemerkenswcrthc 
Eigenthümlichkeit,  indem  er  nicht  tesseral,  wie  Fluorit,  sondern  quadratisch 
krystallisirt.  Die  Krystalle  in  den  Gestalten  an  Kassitcrit  oder  Rutil  erinnend 
haben  als  Grundgestalt  eine  stumpfe  normale  quadratische  Pyramide  P  mit 
den  Endkantenwinkeln  =  122°  13'  und  den  Seitenkantenwinkeln  =  86^  13' 
und  zeigen  in  der  Combination  das  normale  und  diagonale  quadratische 
Prisma  mit  P  und  der  diagonalen  quadratischen  Pyramide  P  00,  deren  Endkanten- 
winke!  =  134*^3'  und  die  Seitenkantenwinkel  =  67°  sind.  P  bildet  mit  dem 
Prisma  00 P  die  Combinationskanten  =  133°  6^'  und  Po©  bildet  mit  00 P 00  die 
Combinationskanten  =  123°  30'.  Untergeordnet  sind  noch  einige  andere  Ge- 
stalten. Auch  finden  sich  Contactzwillinge  nach  Poo  und  die  Krystalle  sind 
vollkommen  spaltbar  parallel  00  P  und  cx>Poo.  Sie  sind  farblos,  durchsichtig  und 
glasglänzend,  haben  die  H.  =  5  und  das  spec.  Gew.  =  2,972.  Er  ist  v.  d.  1- 
•  mit  Aufblähen  leicht  schmelzbar  zu  weissem  Email,  und  dann  unschmelzbar 
werdend  und  stark  leuchtend;  mit  Kobaltsolution  befeuchtet  und  geglüht  wird  die 
Masse  rosa,  das  Kennzeichen  der  Magnesia,  welche  beim  Schmelzen  und  Glühen 
entsteht.     In  Phosphorsalz  ist  er  leicht  auflöslich. 

3)  Der  Kryolith  von  Evigtok  (Ivigtut)  am  Arksut  (Arsuk-)fjord  in  Süd- 
Grönland,  woselbst  er  ansehnliche  Lager  verschiedener  Mächtigkeit  in  einem 
Kassiterit  führenden  Gneisse  bildet,  oft  andere  Minerale,  wie  Pyrit,  Chalkop>'nt, 
Galenit,  Siderit,  Quarz,  Niobit,  Kassitent  u.  a.  einschliessend,  ist  in  seinem 
massenhaften  Vorkommen  wesentlich  krystallinisch  grosskömig,  und  an  den  Ab* 
Sonderungsstücken  zeigten  sich  drei  deutliche  bis  vollkommene  Spaitungsflächcn. 
welche  als  rechtwinklige  gegeneinander  geneigt  bestimmt  wurden  und  bei  der 
Verschiedenheit  der  Vollkommenheit  das  Mineral  als  orthorhombisch  auflassen 
Hessen.  Die  drei  Spaltungsflächen  entsprechen  somit  den  Basis-,  Quer-  und 
Längsflächen.  Messungen  konnten  an  den  Spaltungsstücken  nicht  so  genau 
gemacht  werden,  um  kleine  Unterschiede  fest  zu  stellen,  wie  sie  sich  in  neuester 
Zeit  durch  Messungen  an  sehr  kleinen  Krystallen  ergaben.  Es  zeigen  sich 
nämlich,  aber  doch  sehr  selten  auf  der  Oberfläche  von  Klüften  in  den  Kryolith- 
massen  kleine  aufliegende  und  mit  dem  Kryolith  fortlaufend  verwachsene 
Kryställchen,  anscheinend  vorherrschend  quadratisch  tafelartig  gebildet»  erinnernd 
an  die  auf  getäfelten  Hexaederflächen  des  Fluorit  hervortretenden  tafelartigen 
Gebilde.  Diese  kleinen  Kryställchen  haben  finden  lassen,  dass  sie  dem  anorthischen 
Systeme  angehören  und  die  3  Achsenwinkel  anstatt  90*^  zu  sein,  Differenzen  ton 
3,  16  und  18  Minuten  zeigen.  Auch  zwillingsartige  Verwachsung  liess  sich  be- 
merken, besonders  bei  mehr  dickschaliger  als  kömiger  Absonderung. 

Der  Kryolith  ist  gewöhnlich  weiss,  bisweilen  gelblich-  und  röthlich-graulich' 
weiss,  hellgrau  bis  dunkelgrau  und  nach  der  Tiefe  der  Lager  an  Dunkelheit  so 
zunehmend,  dass  er  fast  schwarz  wird,  welche  Farbe  nach  G.  Rose  von  or- 
ganischer Substanz  herrührt.  Beim  Erhitzen  verschwindet  diese  Farbe.  Er  bJ 
schwach  glasartig  glänzend,  auf  der  vollkommensten  Spaltungsfiäche  in  Perl- 
mutterglanz  geneigt,  mehr  oder  weniger  durchscheinend.  Er  hat  die  H.  =2.5— 3.0 
und  das  spec.  Gew.  =  2,95— «»97-  Nach  der  Formel  6NaF.Al,F,  zusammen- 
gesetzt enthält  er  59,86^^  Fluornatrium  und  40,14  Fluoraluminium  oder  32,78  Na- 
trium, 13,07  Aluminium  und  54,15  Fluor. 

Er  schmilzt  v.  d.  L.  sehr  leicht  zu  weissem  Email,  die  Flamme  röthlich^U» 
farUcnd,    auf    Kohle    eine    Kruste    von    Thonerde    hinterlassend,     welche    mit 


Fluorverbindungen.  437 

Kobaltsoludon  befeuchtet  und  geglüht  blau  wird.  Auf  die  leichte  Schmelz- 
!)arkeit  bezüglich,  da  er  sogar  schon  in  der  einfachen  Kerzenflamme  zu  schmelzen 
beginnt,  wurde  der  Name  Kryolith  gegeben,  von  dem  griechischen  i^kryos^  Kälte, 
Eis  und  ^Uihosfi  Stein.  Im  [Glasrohr  erhitzt  zeigt  er  die  Reacdon  auf  Fluor. 
Von  concentrirter  Schwefelsäure  wird  er  unter  Entwicklung  von  Fluorwasserstoff- 
säure vollständig  zersetzt,  in  Chlorwasserstoffsäure  wird  er  nur  theilweise  gelöst, 
mit  Aetzkalk  und  Wasser  gekocht  wird  das  feine  Pulver  vollständig  zersetzt, 
indem  sich  Fluorcalcium  und  Natronhydrat  bildet,  in  welchem  letzteren  die  Thon- 
erde  aufgelöst  bleibt.     In  Wasser  wird  er  stärker  durchscheinend. 

Der  in  grosser  Menge  vorkommende  Kryolith  wird  besonders  zur  Darstellung 
von  Natronlauge  für  die  Seifensiederei,  von  Aetznatron,  kohlensaurem  Natron 
und  schwefelsaurer  Thonerde  benützt,  auch  zeigte  H.  Rose,  dass  aus  ihm  das 
Metall  Aluminium  am  leichtesten  in  grosser  Menge  dargestellt  werden  kann.  Er 
findet  sich  ausser  in  Grönland  auch  mit  Chiolith  bei  Miask  am  Ural,  hier  jedoch 
in  unbedeutender  Menge. 

4.  Der  Chiolith,  dem  Kryolith  nahe  verwandt  und  wegen  seines  Vor- 
kommens in  derben  feinkörnigen  schneeweissen  Massen  Chiolith  genannt  (von 
dem  griechischen  Worte  Ttchiont^^  Schnee  und  ^üthos^  Stein)  auch  Chionit, 
zeigt  in  den  derben  Massen  bisweilen  kleine  quadratische  Krystalle,  welche  eine 
stumpfe  quadratisclie  Pyramide  P,  deren  Seitenkanten  =  1 1 1  ^  44'  sind,  combinirt 
mit  einer  sehr  stumpfen  okto^onalen  Pyramide  darstellen,  welche  die  Endecken 
achtflächig  zuspitzt.  Die  vollkommenen  Spaltungsflächen  sind  parallel  den  Flächen 
von  P.  Er  ist  schneeweiss,  glasglänzend,  mehr  oder  weniger  durchscheinend,  hat 
H.  =  4,0  und  das  spec.  Gew.  as  2,84 — 2,90.  Er  enthält  nach  der  Formel 
6NaF*2Al)F9  zusammengesetzt  23,4^  Natrium,  18,6  Aluminium  und  58,0  Fluor 
oder  42,7  Fluomatrium  und  57,3  Fluoraluminium;  ist  gleichfalls  v.  d.  L.  sehr 
leicht  schmelzbar,  noch  leichter  als  der  Kryolith  und  zeigt  dieselben  Reactionen. 

Mit  diesem  bei  Miask  am  Ural  vorkommenden  Minerale  flndet  sich  auch  der 
ihm  ganz  ähnliche,  nur  wenig  schwerere  Chodnewit  (auch  N i p h o  1  i t h  genannt), 
welcher  nach  der  Formel  4NaF*Al)Fg  zusammengesetzt  ist.  Sein  spec.  Gew. 
ist  =3,0 — 3,006.  Auch  hat  sich  ein  kömiges,  Arksutit  genanntes  Mineral  mit 
dem  grönländischen  Kryolith  gefunden,  welches  etwas  Chlorcalcium  enthält.  An 
diesen  reihen  sich  noch  der  mit  Kryolith  vorkommende  Pachnolith  und  Thom- 
senolith,  welche  wasserhaltige  Verbindungen  von  Fluomatrium,  Fluorcalcium  und 
Fluoraluminium  sind. 

Ausser  obigen  Fluoi Verbindungen  ist  der  sehr  seltene  Flu ellit  zu  erwähnen, 
welcher  zu  Stenna-Gwyn  in  Comwall  in  England  auf  Quarz  aufgewachsene  kleine 
durchscheinende,  weisse,  spitze  orthorhombische  Pyramiden  bildet,  welche  Fluor- 
aluminium sein  sollen;  femer  der  zu  Broddbo  und  Finbo  bei  Fahlun  in  Schweden 
vorkommende  hexagonale  Fluocerit,  welcher  prismatische  Krystalle  ooP*oP 
oderooP2*oP  bildet,  auch  plattenformig  abgesonderte  derbe  Massen.  Derselbe 
ist  blass  ziegelroth  bis  gelb,  wenig  glänzend,  undurchsichtig,  bis  an  den  Kanten 
durchscheinend,  hat  gelblichweissen  Strich,  H.  =  4,0 — 5,0  und  das  spec.  Gew. 
==4i7-  Er  ist  v.  d.  L.  unschmelzbar  und  soll  der  Formel  CeF^-Ce^Fg  ent- 
sprechen. Demselben  nahe  verwandt  ist  der  Hydrocerit  von  Finbo  bei  Fahlun 
in  Schweden,  auch  Fluocerin  genannt,  welcher  krystallinisch  derb  mit  mehr- 
facher Spaltbarkeit,  gelb,  röthlichgelb,  bräunlichgelb  und  gelblichroth  ist,  und 
wasserhaltiges  Ceroxyd  mit  Fluorcerium  enthält. 

Schliesslich  ist  noch  der  dem  Fluorit  nahe  stehende  Yttrocerit  von  Finbo 


43S  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

und  Broddbo  in  Schweden  zu  nennen,  welcher  in  Quarz  eingewachsene  deibe 
Farthien  von  dunkelviolblauer,  rother,  grauer  und  weisser  Farbe  mit  dem  spec 
Gew.  =  3;36— 3,45  bildet.  Er  ist  auch  v.  d.  L.  unschmelzbar  und  enüiält  ausser 
vorherrschendem  Fluorcalcium  Fluorverbindungen  von  Cerium,  Yttrium,  T  Anthan, 
Didymium  und  Erbium  mit  wenig  Wasser  und  bedarf,  wie  die  vorangehend  ge- 
nannten Cerverbindungen  noch  weiterer  Bestimmung. 


Formeln,  chemische,  der  Minerale 


von 


Prof.  Dr.  Keimgott 

Wie  schon  im  Artikel  »Arten  der  Mineralec  pag.  61  bemerkt  wurde,  wird 
die  chemische  Constitution  einer  jeden  Mineralspecies,  wenn  sie  als  solche  sicher 
festgestellt  ist,  durch  eine  chemische  Formel  ausgedrückt.  Man  fand  nämlich, 
dass  es  nicht  ausreichend  ist,  allein  anzugeben,  welche  Stoffe  eine  Mineralait  ent- 
hält und  in  welchen  procentischen  Verhältnissen.  Die  Analysen  der  Minerale 
ergeben  für  jedes  einzelne  Vorkommen,  welche  Stoffe  dasselbe  enthält  und  wie- 
viel Gewichtseinheiten  jedes  einzelnen  Stoffes  in  100  Gewichtseinheiten  des  ana- 
lysirten  Minerales  enthalten  sind.  Dadurch  aber  allein  konnte  nicht  festgestellt 
werden,  welche  Vorkommnisse  zu  einer  Mineralart  gehören,  weil  bei  der  Ana- 
lyse nicht  allein  die  dem  einzelnen  Minerale  wirklich  zugehörigen  Stoffe  gefunden 
werden,  sondern  auch  Stoffe,  welche  einerseits  dem  Minerale  gar  nicht  angehören, 
nur  beigemengt  sind,  andererseits  aber  in  dem  Sinne  wechselnde,  dass  sie  dem 
Minerale  zwar  angehörig,  nicht  Beimengungen  bilden,  doch  nicht  zu  den  wesent- 
lichen Bestandtheilen  desselben  gehören. 

Wenn  z.  B.  in  der  Chemie  festgestellt  ist,  dass  die  Kohlensäure  mit  der 
Kalkerde  eine  chemische  Verbindung  bildet,  in  welcher  100  Gewichtseinheitco 
derselben  56  Gewichtseinheiten  Kalkerde  und  44  Gewichtseinheiten  Kohlensäuie 
enthalten  sind,  diese  Verbindung  durch  die  chemische  Formel  CaO^CO^  ausge- 
drückt wird,  die  Mineralart  Calcit  als  eine  solche  Verbindung  dieser  beiden 
Stoffe  in  den  angegebenen  Verhältnissen  aufgefasst  und  ihre  chemische  Constitii- 
tion  durch  die  Formel  CaO*  CG,  ausgedrückt  wird,  so  zeigen  die  vielen  Ana- 
lysen der  einzelnen  Vorkommnisse  des  Calcit,  dass  auch  nicht  eine  einzige  genau 
in  100  Theilen  56 f  Kalkerde  und  44^  Kohlensäure  finden  Hess.  Es  wurden  näm- 
lich ausser  Kalkerde  und  Kohlensäure  noch  andere  Stoffe  gefunden,  welche  un- 
bedingt als  Beimengung  anzunehmen  sind,  z.  B.  Eisenoxyd,  Wasser,  Kieselsäure, 
Thonerde  u.  a.  m.  oder  andere,  z.  B.  Magnesia,  Eisenoxydul,  Manganoxydul  u.  a.  m., 
welche  auch  mit  Kohlensäure  verbunden  in  den  betreffenden  Vorkommnissen  des 
Calcit  vorhanden  sind.  Es  zeigt  sich  dann,  dass  nicht  die  gesammte  Kohlensäure 
zu  der  gefundenen  Kalkerde  in  dem  Verhältnisse  44  zu  56  Gewichtseinheiten 
(Procenten)  steht,  sondern  die  Kohlensäure  relativ  mehr  beträgt  und  dass  das 
Mehr  an  Kohlensäure  an  solche  Stoffe  gebunden  ist,  wie  an  Magnesia,  Eisenozy- 
dul,  Manganoxydul  u.  a. 

Würde  man  also  nur  die  Resultate  der  Analysen  mit  einander  vergleichen 
wollen,  die  Mengen  der  bezüglichen  Stoffe  in  der  einen  mit  denen  in  den  anderen, 
so  würde  es  schwierig  sein,  dadurch  die  Zusammengehörigkeit  der  analysiiten 
Vorkommnisse  einer  Art  zu  erkennen.    Man  musste  daher,  wie  bei  den  chemischen 


Formeln,  chemische,  der  Minerale.  439 

Verbindungen  überhaupt,  nach  einem  anderen  Ausdruck  suchen,  welcher  die 
wesentliche  chemische  Constitution  einer  Art  ausdrückt,  und  dieser  Ausdruck  ist 
die  chemische  Formel. 

Durch  die  Chemie  ist  festgestellt,  dass  gewisse  Stofife  nicht  in  andere  zer- 
legt werden  können,  und  solche  Körper  oder  Stoffe  sind  elementare  oder  die 
Elemente.  Femer  wurde  festgestellt,  dass  die  grosse  Mehrzahl  von  Körpern  oder 
Stoffen  aus  Elementen  zusammengesetzt  sind,  welche  in  bestimmten  Mengenver- 
hältnissen mit  einander  verbunden  sind,  chemische  Verbindungen  bilden,  deren  Ver- 
bindungsweise durch  die  chemische  Formel  ausgedrückt  wurde,  und  endlich,  dass  ge- 
wisse Körper  bei  der  Zerlegung  verschiedene  Elemente  wahrnehmen  lassen,  welche 
aber  keine  bestimmten  Verhältnisse  mit  einander  zeigen;  diese  bilden  dann  Ge- 
menge. 

Im  Mineralreiche  finden  sich  nun  elementare  Körper,  chemische  Verbindungen 
und  Gemenge;  diese  letzteren  werden  aber  nicht  als  Mineralarten  aufgeführt, 
sondern  als  Mineralarten  oder  als  einzelne  Minerale  nur  diejenigen  Vorkommnisse, 
welche  entweder  Elemente  oder  chemische  Verbindungen  sind,  jene  sind  der  Zahl 
nach  nur  sparsam,  diese  kommen  in  grosser  Anzahl  vor. 

Für  die  chemisch  einfachen  Minerale,  wie  Schwefel,  Kupier,  Gold,  Mercur, 
Antimon,  Arsen,  Graphit,  Diamant  u.  a.  wird  das  chemische  Symbol  der  bezüg- 
lichen Elemente  S,  Cu,  Au,  Hg,  Sb,  As,  C  u.  a.  als  Ausdruck  der  chemischen 
Constitution  angegeben. 

Für  die  chemisch  zusammengesetzten  Minerale,  welche  ebenso  wie  die  chemisch 
einfachen  einzelne  Minerale  und  Mineralarten  bilden,  wird  die  chemische  Ver- 
bindung, wie  in  der  Chemie  überhaupt  die  chemischen  Verbindungen,  durch  eine 
chemische  Formel  ausgedrückt  und  es  ist  bei  den  einzelnen  Mineralen,  welche  zu 
einer  Art  vereinigt  werden,  festzustellen,  welche  chemische  Verbindung  diese 
Art  darstellt,  welche  Stoffe  als  Beimengungen  ausser  Acht  zu  lassen  sind,  und 
welche  Stoffe  als  unwesentliche  Bestandtheile  neben  den  wesentlichen  durch  die 
chemische  Formel  ausgedrückten  Bestandtheilen  aufzufassen  sind. 

Was  nun  zunächst  die  chemischen  Formeln  selbst  betrifft,  welche  die  chemische 
Constitution  der  Mineralarten  auszudrücken  bestimmt  sind,  so  wurde  schon  bei 
der  Species  Calcit  (pag.  93  und  96)  bemerkt,  dass  die  Formel  dieser  Mineralart 
CaO-CO,  oder  CaCOj  sei,  woraus  ersichtlich  war,  dass  dieselbe  chemische 
Constitution  auf  verschiedene  Weise  durch  chemische  Formeln  ausgedrückt  werden 

könne,  so  z.  B.  der  Calcit  auch  durch  die  Formeln  CO^Ca  oder  OmC— q— Ca. 

Aus  diesen  vier  verschiedenen  Formeln  ergiebt  sich  aber  keine  Verschieden- 
heit der  wesentlichen  chemischen  Constitution,  sondern  sie  zeigen  alle  vier  an, 
dass  im  Calcit  auf  je  ein  Atom  Calcium  ein  Atom  Kohlenstoff  und  drei  Atome 
Sauerstoff  enthalten  sind  und  dass,  wenn  man  aus  diesen  Atomen  die  procentische 
Zusammensetzung  berechnen  will,  diese  aus  jeder  der  vier  Formeln  übereinstimmend 
hervorgehen  muss. 

Die  Atomgewichtszahlen  40  für  i  Ca 

12  für  I  C 

48  für  3  O  ergeben  für  das  chemische  Molecul 
CO,Ca  die  Gewichtszahl  100,  und  daher  für  100  Gewichtstheile  des  Calcit  40^ 
Calcium,  12  Kohlenstoff  und  48  Sauerstoff  oder  wenn  man  nach  der  Formel  CaO- 
CO,  die  Verbindung  als  bestehend  aus  Kalkerde  und  Kohlensäure  auffasst  56} 
Kalkerde  und  44^  Kohlensäure. 


440  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Dieses  Beispiel  zeigt,  dass  für  dieselbe  chemische  Verbindung  verschiedene 
chemische  Formeln  gegeben  werden  können,  ohne  dass  dadurch  die  proccn- 
tische  Zusammensetzung  beeinflusst  wird.  Die  Verschiedenheit  oder  die  ver- 
schiedene Schreibweise  chemischer  Formeln  rührt  einfach  daher,  dass  im  Laufe  der 
Zeit  auf  Grund  verechiedener  theoretischer  Ansichten  sich  die  Schreibweise  der  For- 
meln ändert  und  es  entsteht  noth wendig  die  Frage,  welche  chemischen  Formeln  die 
richtigen  sind  und  ob  es  bei  solcher  Verschiedenheit  der  Formeln  überhaupt  in 
der  Mineralogie  nothwendig  sei,  die  chemische  Constitution  durch  eine  Fonnel 
auszudrücken,  anstatt  nur  die  procentische  Zusammensetzung  anzugeben. 

Die  letztere  Frage  ist  unbedingt  zu  bejahen,  weü  es  allein  nur  möglich  ist,  aus 
'der  chemischen  Formel  zu  erkennen,  welche  Stoffe  ein  Mineral  oder  die  in  emcr 
Species  vereinigten  einzelnen  Vorkommnisse  derselben  enthalten  und  in  welchem 
Verhältnisse,  denn  die  chemische  Formel  ist  das  Resultat  der  Berechnung  und 
Vergleichung  der  Analysen  der  verschiedenen  Vorkommnisse  einer  Art  und  zeigt, 
wie  man  nach  einer  theoretischen  Ansicht  die  Verbindungsweise  aufiasst.  So 
konnte  der  Calcit  bei  der  Formel  CaO-COj  als  eine  Verbindung  der  Kohlen- 
säure mit  der  Kalkerde  aufgefasst  werden,  insofern  man  durch  Glühen  aus  dem 
Calcit  die  Kohlensäure  entfernen  kann  und  die  Kalkerde  als  Rest  übrig  bleibt 
oder  bei  der  Formel  C03Ca  als  eine  Verbindung  COjHj,  welche  aus  der  nor- 
malen Kohlensäure  C(0H)4  durch  Ausscheidung  eines  Moleculs  Wasser  entsteht 

I  II 

und  in  welcher  2  Atome  H  durch  ein  Atom  Ca  ersetzt  sind,    oder  es  wird  in 

der  Formel 

OHCZlQllCa 

die  theoretische  Ansicht  über  die  Lagening  der  Atome  mit  Berücksichtigung 
ihrer  Valenzen  ausgedrückt. 

Die  Frage,  welche  chemischen  Formeln  die  richtigen  sind,  ist  zunächst  in 
dem  Sinne  für  die  Mineralogie  gleichgildg,  als  die  verschiedenen  chemischen 
Formeln  einer  Art  auf  keine  Verschiedenheit  der  Stoffe  und  ihrer  Mengenverhält- 
nisse führen,  dagegen  nicht  gleichgiltig,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  die  Fort- 
schritte der  Chemie  auch  da  ihren  Einfluss  haben  müssen,  wo  man  die  Chemie 
als  Hilfswissenschaft  benutzt.  Da  jedoch  in  Folge  der  Fortschritte  in  der  Chemie 
verschiedene  Theorieen  entstehen  und  mehr  oder  weniger  zur  allgemeinen  Geltung 
gelangen,  so  erscheint  es  in  der  Mineralogie  nicht  geboten  oder  nicht  zweck- 
mässig, den  wechselnden  theoretischen  Ansichten  in  gleichem  Sinne  Rechnuni: 
zu  tragen.  Der  Hauptzweck  ist  in  der  Mineralogie,  die  chemische  Constitution 
durch  eine  Formel  auszudrücken  und  wenn  für  dieselbe  Species  Seitens  der  Chemiker 
verschiedene  Formeln  aufgestellt  worden  sind,  von  denen  jede  als  richtig  ange- 
sehen worden  ist  oder  angesehen  wird  oder  angesehen  werden  kann,  so  hat  die 
Verschiedenheit  der  Schreibweise  keinen  störenden  Einfluss,  insofern  durch  jede 
Schreibweise  das  dem  Mineralogen  wichtige  Resultat  erreicht  wird,  die  Ucberein- 
stimmung  der  zu  einer  Mineralart  gehörenden  Vorkommnisse  aus  der  Fonnel  lu 
beurtheilen. 

In  Betreff  der  chemisch  zusammengesetzten  Minerale,  deren  Analysen  ivl 
chemischen  Formeln  führen,  durch  welche  die  Zusammengehörigkeit  verschiedener 
Vorkommnisse  einer  Mineralart  constatirt  wird,  ist  zunächst  zu  bemerken,  dass 
gewisse  Stoffe  in  bestimmten  Mengenverhältnissen  vorhanden  sind,  und  wenn  wir 
von  den  einfachsten  Verbindungen  ausgehen,  welche  nur  aus  zwei  Elementen  be- 
stehen, so  ist  ftlr  diese  die  aufgestellte  Formel  in  bisher  üblicher  Weise  in  ihrer 


Formeln,  chemische,  der  Minerale.  441 

Schreibweise  sehr  einfach.  Man  stellt  die  Symbole  der  beiden  mit  einander  ver- 
bundenen Elemente  nebeneinander  und  hat  nach  dem  elektrochemischen  Verhalten 
der  Elemente  untereinander  die  Stellung  der  Symbole  bezüglich  der  Reihenfolge 
so  angenommen,  dass  das  elektropositive  zuerst  geschrieben  wird.    So  sind  z.  B. 

NaCl       MgO       ZnS       NiAs 
die  chemischen  Formeln   des  Steinsalzes,    des  Periklas,    des  Sphalerit  und  des 
Nickelin    und   die  Formel    drückt  durch  die  beiden  einfach  nebeneinander  ge- 
stellten Symbole  der  Elemente  aus,  dass  im  Steinsalz  auf  je  i    Atom  Natrium 

1  Atom  Chlor,  im  Periklas  auf  je  i  Atom  Magnesium  i  Atom  Sauerstoff,  im 
Sphalerit  auf  je  i  Atom  Zink  i  Atom  Schwefel  und  im  Nickelin  auf  je  i  Atom 
Nickel  I  Atom  Arsen  enthalten  ist. 

Ausser  solchen  einfachen  Verhältnissen  der  Verbindungen  zweier  elementaren 
Stoffe  kommen  solche  vor,  wo  auf  je  i  Atom  des  einen  Elementes  2  Atome  eines 
anderen  Elementes,  oder  auf  je  2  Atome  eines  Elementes  3  Atome  eines  anderen 
Elementes  oder  auf  i  Atom  eines  Elementes  3  Atome  eines  anderen  Ele- 
mentes u.  s.  w.  enthalten  sind.  In  solchen  Fällen  setzt  man  rechts  unten  an 
das  Symbol  desjenigen  Elementes,  von  welchem  Vielfache  vorhanden  sind,  eine 
Zahl,    welche   das    mehrfach    vorhandene  Atom   andeutet.     So    sind  z.  B. 

Cu^O        SiOj         FeS,         Fe^Oj         Sb,Sj         M0O3         CujAs 
die  chemischen  Formeln  des  Cuprit,  des  Quarzes,  des  Pyrit,  des  Hämatit,  des  An- 
timonit,  des  Molybdänocher  und  des  Domeykit  und  man  ersieht  sogleich  aus  der 
Formel,  dass  der  Cuprit  auf  je  2  Atome  Kupfer   i   Atom  Sauerstoff,  der  Quarz 
auf  je   I   Atom    Silicium   2  Atome    Sauerstoff,    der    Pyrit  auf  je  i   Atom  Eisen 

2  Atome  Schwefel,  der  Hämatit  auf  je  2  Atome  Eisen  3  Atome  Sauerstoff,  der 
Antimonit  auf  je  2  Atome  Antimon  3  Atome  Schwefel  enthält  u.  s.  f. 

Man  hat  auch  diese  Vielfache  der  Atome  in  den  Verbindungen  in  der  Weise 
ausgedrückt,  dass  man  die  die  mehrfachen  Atome  ausdrückende  Zahl  rechts 
oben  schreibt,  demnach  an  Stelle  obiger  Formeln  die  Formeln 

Cu^O      SiO«      FeS«       Fe^O»       Sb^S^       MoO»       Cu^As 
geschrieben  findet,  was  eben  nur  eine  andere  Schreibweise  ist. 

Ausserdem  hatte  man  auch  bei  der  Häufigkeit  der  Sauerstoff-  und  der  Schwefel- 
verbindungen für  zweckmässig  erachtet,  einen  kürzeren  Ausdruck  dadurch  zu 
geben,  dass  man  an  Stelle  des  Symbols  O  fiir  den  Sauerstoff  einen  Punkt  ge- 
braucht, bei. 2  Atomen  O  zwei  Punkte,  bei  3  Atomen  O  drei  Punkte  u.  s.  f.  und 
diese  Punkte  über  das  Symbol  des  mit  Sauerstoff  verbundenen  Elementes  setzte. 

So  wurde  anstatt  MgO        SiOj        M0O3 

.  *  •  ... 

Mg  Si  Mo 

geschrieben  und  wenn  2  Atome  des  anderen  mit  Sauerstoff  verbundenen  Elementes 

vorhanden  sind,  so  wird  das  Symbol    desselben  mit  einem  horizontalen  Strich 

durchstrichen  geschrieben  und  über   dieses  jetzt  2  Atome  ausdrückende  Symbol 

werden  dann  die  den  Sauerstoff  andeutenden  Punkte  geschrieben.    So  entstanden 

beispielsweise  für 

CuaO      FegOj      A\^0^ 

die  Formehi  G»  j^e  Äi 

Bei  den  Schwefelverbindungen  bediente  man  sich  anstatt  der  Sauerstoffpunkte 
kleiner  verticaler  Striche,  welche  in  gleicher  Weise  über  das  Symbol  des  mit 
Schwefel  verbundenen  Elementes  gesetzt  wurden.     So  entstanden  fiir 

ZnS      FeSj       CujS      SbjS^ 

die  Formeln  '"  J  i  Hl 

Zn  Fe  e»  J^ 


442  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Auf  andere  elektronegative  Elemente  dehnte  man  diese  abkürzende  Schreib- 
weise nicht  aus  und  ist  gegenwärtig  geneigt,  diese  Schreibweise  weniger  zu  ge- 
brauchen, weil  sie  doch  nur  bei  gewissen  Verbindungen,  bei  den  Sauerstoff-  und 
Schwefelverbindungen  gebraucht  werden  kann  und  bei  ihrer  Anwendung  die  all- 
gemeine Schreibweise  als  solche  nicht  durchgeführt  werden  kann. 

Solche  Verbindungen  je  zweier  verschiedenen  Elemente,  welche  z.  Th.  wie 
die  angeführten  Beispiele  zeigten,  als  Mineralarten  vorkommen  imd  als  solche 
ihren  Speciesnamen  haben,  wie  sie  oben  angeführt  wurden,  erhielten  auch  als 
chemische  Verbindungen  entweder  eigene  Namen,  wie  man  z.  B.  die  Verbindung 
MgO  Magnesia  oder  Bittererde,  die  Verbindung  CaO  Kalkerde,  die  Verbindung 
AljOj  Thonerde,  die  Verbindung  SiOj  Kieselsäure  u.  s.w.  benannte.  Auch  er- 
hielteh  sie  Namen,  wie  Einfach-Schwefelzink  tür  ZnS,  Zweifach-Schwefeleisen  ftir 
FeSj,  Halbschwefelkupfer  für  Cu^S,  Anderthalb-Schwefelantimon  SbjS,,  Zwei- 
fach Arsenkobalt  für  Co  As 2  u.  s.  w.  um  so  die  verbundenen  Stoffe  und  ihre  re- 
lativen Mengen  auszudrücken,  oder  man  nannte  Sauerstoflverbindungen  im  All- 
gemeinen Oxyde,  mit  weiteren  Unterabtheilungen  wie  Eisenoxydul  ftir  Fe  O,  Man- 
ganoxydul für  MnO,  Eisenoxyd  für  Fe^Oj,  Manganhyperoxyd  für  MnO,  und 
dergleichen  weitere  Benennungen,  welche  sehr  oft  gebraucht  werden,  wie  über- 
haupt die  Nomenclatur  in  der  Chemie  eine  sehr  mannigfaltige  ist. 

Die  Verbindungen,  welche  durch  Atome  zweier  verschiedenen  Elemente  ge- 
bildet werden,  konnten,  wie  auseinandergesetzt  wurde,  wohl  auf  verschiedene 
Weise  durch  Formeln  ausgedrückt  werden,  doch  kamen  bei  diesen  Formeln 
weniger  die  theoretischen  Ansichten  zur  Geltung,  weshalb  man  im  Allgemeinen 
eine  gewisse  Uebereinstimmung  bemerken  kann.  Sie  gelten  als  die  einfachsten 
und  wurden  deshalb  auch  als  Verbindungen  erster  Ordnung  benannt 

Wenn  dagegen  in  chemischen  Verbindungen  zwei  solche  Stoffe,  wie  z.  B. 
MgO  und  SiOji  oder  wie  CaO  und  CO3  oder  wie  Ag^S  und  Sb^S^  miteinander 
verbunden  vorkommen,  so  pflegte  man  solche  complicirten  Verbindungen  in  der 
Weise  durch  eine  Formel  auszudrücken,  dass  man  die  zwei  Formeln  der  mitein- 
ander verbundenen  Molecule  so  nebeneinander  stellte,  wie  die  Atomzeichen  der 
Elemente  und  sie  durch  einen  Punkt  trennte.     So  entstanden  z.  B.  die  Formeln 

MgOSiOa  CaOCOa  AggSSb^Sj  AljOj-SiO, 
für  den  Enstatit,  Calcit,  Miargyrit  und  Disthen,  wenn  auf  ein  Molecul  der  einen 
Verbindung  ein  Molecul  einer  zweiten  Verbindung  in  der  neuen  Verbindung  ent- 
halten ist.  Auch  stellte  man  im  Anklänge  an  die  durch  das  elektrochemiscfae 
Verhalten  gegebene  Reihenfolge  der  Elemente  die  so  verbundenen  Molecule  in 
der  Reihenfolge,  dass  der  basische  Antheil  der  Verbindung  in  der  Formel  voran- 
steht.  Wenn  dagegen  in  solchen  Doppelverbindungen  auf  i  Molecul  der  einen 
Verbindung  2  oder  mehr  Molecule  der  anderen,  oder  auf  2  Molecule  der  einen 
3  Molecule  der  anderen,  oder  überhaupt  Vielfache  der  Molecule  in  Verbindung 
treten,  so  setzte  man  vor  den  Ausdruck  des  Moleculs  eine  Zahl,  welche  die  Viel- 
fachen  ausdrückt. 

So  entstanden  z.  B.  die  Formeln 

2MgO«SiO,  für  den  Olivin,  welcher  auf  2  Molecule  Magnesia  i  Molecul 
Kieselsäure  enthält,  im  Gegensatz  zum  Enstatit  MgO*Si02y  welcher  auf  i  Mo- 
lecul Magnesia  i  Molecul  Kieselsäure  enthält; 

CaO'2TiOa  für  den  Titanomorphit,  welcher  auf  i  Molecul  Kalkerde  2  Mo- 
lecule Titansäure  enthält,  im  Gegensatz  zu  dem  Perowskit  CaO'TiOj,  welcher  auf 
i  Molecul  Kalkerde  nur  i  Molecul  Titansäure  enthält; 


Formeln,  chemische,  der  Minerale.  443 

dAgjS'SbjSj  für  den  Pyrargyrit,  welcher  auf  3  Molecule  Halbschwefclsilber 
I  Molecul  Anderthalb-Schwefelantimon  enthält,  im  Gegensatz  zu  dem  Miargyrit 
AgjS'SbjSj,  welcher  auf  i  Molecul  Halbschwefelsilber  i  Molecul  Anderthalb- 
Schwefelantimon  enthält; 

3Cu,S-2Bi2S3  für  den  Klaprothit,  welcher  auf  3  Molecule  Halb-Schwefel- 
kupfer  2  Molecule  Anderthalb- Seh wefelwismuth  enthält,  im  Gegensatz  zu  dem 
Emplektit  Cu2S'Bi2S3,  welcher  auf  i  Molecul  Halbschwefelkupfer  nur  i  Molecul 
Anderthalb-Schwefelwismuth  enthält; 

4PbS-3Sb,S8  für  den  Plagionit,  welcher  auf  4  Molecule  Einfach-Schwefel- 
blei  3  Molecule  Anderthalb-Schwefelantimon  enthält  im  Gegensatz  zu  dem  Zin- 
kenit  PbS'SbjSj,  welcher  auf  i  Molecul  Einfach-Schwefelblei  i  Molecul  Andert- 
halb-Schwefelantimon enthält. 

Bei  der  Anwendung  der  oben  angeführten  Punkte  für  die  Sauerstoffatome 
und  die  Striche  für  die  Schwefelatome  Hess  man  den  die  beiden  Molecular- 
zeichen  trennenden  Punkt  weg  und  schrieb  anstatt 

MgOSiOa       CaOCO,      FeGFegOg      Ag,S.Sb,S, 

die  Formeln      MgSi  CaC  Fe  Fe  Ag» 

und  bei  mehrfachen  Moleculen  setzte  man  die  das  Mehrfache  ausdrückende  Zahl 

rechts  oben  an  das  Molecularzeichen.     So  schrieb  man  anstatt 

2MgO-SiOa       SAgcS-Sb-S,       4PbS.3Sb,S3 

I       III  i  III 

die  Formeln  Mg^    Si  ^3  ^  Pb«     «^s 

Aus  allen  diesen  Formeln  ersieht  man  leicht  die  relativen  Mengen  der  in 
den  Verbindungen  enthaltenen  Atome  oder  Molecule. 

Dass  in  neuerer  Zeit  für  die  beispielsweise  angeführten  Formeln  in  Folge 
geänderter  Ansichten  über  die  Verbindungsweise  andere  Formeln  in  Gebrauch 
kamen,  während  die  oben  erörterte  Schreibweise  noch  vielfach  Anwendung  findet, 
ist  die  einfache  Folge  der  Fortschritte  in  der  Chemie,  doch  ist  hier  nicht  der 
Ort,  auf  die  so  hervorgehende  Mannigfaltigkeit  der  Schreibweise  näher  einzu- 
gehen, zumal  in  dem  gleichzeitig  erscheinenden  Handwörterbuch  der  Chemie  (in 
der  II.  Abtheilung  der  Encyklopädie)  diese  Verhältnisse  ausführlich  besprochen 
werden. 

Die  zuletzt  erörterten  Verbindungen  von  zweierlei  Moleculen  (die  früher  als 
Verbindungen  der  zweiten  Ordnung  benannt  wurden)  wurden^  wie  die  einfacheren 
vom  Standpunkte  der  Chemie  aus  verschieden  benannt.  Darauf  beziehen  sich 
die  Namen  Salze  und  Hydrate.  Der  erstere  Ausdruck  wird  überhaupt  in  sehr 
verschiedener  Bedeutung  gebraucht,  indem  auch  bei  der  Gruppirung  von  Mine- 
ralen eine  ansehnliche  Zahl  von  Mineralarten  als  Salze  zusammengefasst  werden, 
welche  wie  das  schlichthin  Salz  genannte  Steinsalz,  das  Ciilomatrium,  im  Wasser 
auf  löslich  sind  und  einen  bestimmten  Geschmack  zeigen.  Vom  Steinsalze  aus- 
gehend wurden  auch  in  chemischer  Beziehung  die  Verbindungen  der  Halogene 
genannten  Elemente  Fluor,  Chlor,  Brom  und  Jod  mit  gewissen  Metallen  Salze 
genannt,  welche  aber  nicht  sämmtlich  in  die  mineralogische  Gruppe  der  Salze 
gehören.  Ausserdem  wurden,  insbesondere  Sauerstoffsalze  Verbindungen  der- 
jenigen Stoffe  genannt,  welche  als  Sauerstoffverbindungen  bezüglich  ihres  beson- 
deren chemischen  Verhaltens  als  Basen  und  Säuren  unterschieden  wurden,  wie 
z.  B.  die  Carbonate  RO'COj,  in  welchen  die  unter  RO  zusammengefassten  Ver- 
bindungen die  Basen,  die  Kohlensäure  diejenige  Säure  ist,  welche  mit  diesen 
Basen  Salze   bildet.     Nur  in  der  Schreibweise  ist  bei  diesen  Verbindungen  der 


444  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Kohlen-,  Schwefel-,  Salpeter-,  Phosphor-,  Arsen-,  Antimon-,  Wolfram-,  Chrom-  u.  a. 
Säuren  mit  Basen  der  allgemeinen  Formeln  RjO,  RO  und  R^O,  ein  Unterschied 
durch  die  neuen  Begriffsbestimmungen  der  Säuren  und  ihrer  Anhydride  eingetreten. 
Es  wurde  auch  der  Name  Salze  von  den  Sauerstoflverbindungen  auf  analoge 
Schwefelverbindungen  übertragen,  welche  in  diesem  Sinne  als  Sulfosalzc  den 
SauerstofTsalzen  zur  Seite  gestellt  werden  konnten,  wie  z.  B.  Verbindungen,  wie 
AgjS'SbgSj,  dAgjS-As^Sj,  Cu2S-Bi2S3  u.  a.,  in  denen  der  eine  Theü  der 
Verbindung  den  Basen  der  Sauerstoffsalze  analog  ist  (die  Basen  Ag^S  und  ü];>S 
in  obigen  Formeln)  der  andere  mit  den  Säuren  verglichen  wurde,  daher  die  Sulfo- 
salze  aus  Sulfobasen  und  Sulfosäuren  bestehen. 

Hydrate  wurden  im  Gegensatz  zu  den  Salzen  die  in  der  Formel  analogen 
Verbindungen  von  zweierlei  Moleculen  genannt,  in  welchen  das  Wasser  H,ü 
mit  einem  anderen  Molecul  verbunden  ist,  welches  entweder  in  Salzen  als  Basis 
oder  als  Säure  vorkommt.  So  ist  z.  B.  der  Diaspor  H^O-Al^O,  ein  Thonerd^ 
hydrat,  Schwefelsäure  HjO-SOj  ein  Schwefelsäurehydrat.  So  giebt  es  auch 
Hydrate  der  Halogenverbindungen,  wie  z.  B.  der  als  Mineralspecies  eingeführte 
Hydrohalit,  welcher  Chlomatrium  und  Wasser  enthält  und  der  Bischofit, 
welcher  aus  Chlormagnesium  und  Wasser  besteht. 

Sehr  häufig  finden  sich  auch  im  Mineralreiche  complicirtere  Verbindungen, 
bei  denen  schon  früher  in  Betreff  der  Formeln  verschiedene  Ansichten  sich 
geltend  machten  und  jetzt  in  Folge  neuer  Theorien  noch  grössere  Verschieden- 
heiten in  der  Formulirung  hervortreten.  Wenn  es  gestattet  ist,  die  Ausdrücke 
Verbindungen  erster  und  zweiter  Ordnung  für  die  beiderlei  oben  besprochenen 
Verbindungen  zu  gebrauchen,  so  bilden  solche  mit  einander  Verbindungen  höherer 
Ordnungen.  Die  Erörterung  derselben  ist  Sache  der  Chemie  und  es  sollen  nur 
einige  allgemeine  Verhältnisse  hervorgehoben  werden,  welche  zum  Verständnis^ 
der  bei  Mineralen  dieser  Art  angeführten  Formeln  dienen  sollen. 

Bei  den  Verbindtmgen  der  zweiten  Ordnung  als  Verbindungen  zweier  ver- 
schiedenen Molecule  wurde  nicht  der  seltene  Fall  erwähnt,  dass  ein  Mineral,  w^e 
der  Matlockit  aus  zwei  Moleculen  besteht,  welche  nicht  in  dem  Verhältniss  wie 
Säure  zu  Basis  stehen.  Der  Matlockit  z.  B.  besteht  aus  einem  Molecul  Blei- 
oxyd PbO  und  aus  einem  Molecul  Chlorblei  PbClj  und  man  drückte  die  Ver- 
bindung einfach  dadurch  aus,  dass  man  die  beiden  Molecule  durch  das  Additions- 
zeichen in  Verbindung  setzte  und  so  für  den  Matlockit  die  Formel  PbO-i-PbCl, 
oder  PbCl,  -^  PbO  schreibt 

Eine  gewisse  Aehnlichkeit  damit  haben  solche  Species,  welche  wie  der 
Phosgenit  aus  einem  Sauerstoffsalz  und  einem  Halogensalz  bestehen.  Es  ist  der- 
selbe in  ähnlicher  Weise  formulirt  worden,  dass  man  die  beiden  Bestandtheile. 
das  Bleicarbonat  und  das  Chlorblei  mit  dem  Additionszeichen  in  Verbindung 
setzte,  seine  Formel  PbO -CO, -^  PbCl,  oder  PbCl^-H  PbO-CO,  schrieb.  Eine 
bestimmte  Reihenfolge  in  der  gegenseitigen  Stellung  ist  hierbei  nicht  eingeführt 
worden. 

Derartige  Verbindungen,  welche  sich  zunächst  den  Verbindungen  der  zwei- 
ten Ordnung  anreihen,  kommen  bisweilen  vor,  wie  noch  als  Beispiele  anzu- 
führen sind: 

Der  Apatit,  SCSCaO-PaO-J-^  CaFj,  welcher  auf  drei  Molecule  des  Kalkertlc 
Phosphates  SGaO-P^Oj  ein  Molecul  Fluorcalcium  enthält 

Der  Pyromorphit,  3(3PbO.P,05)-f- PbClj. 

Der  Mimetesit,  3(3PbO.As,05)-f.  PbCl,. 


Fonneln,  chemische,  der  Minerale.  445 

Der  Durangit,  Al^Oj-AsjOg -f- 2(NaF)  und 

der  Amblygonit,  AljOj.PjOg-i- 2(LiF). 

Bei  ihrer  eigenthümlichen  Constitution  liegt  es  auf  der  Hand,  dass  man  sie 
in  der  angegebenen  Weise  formuliren  muss,  insofern  sie  aus  zwei  ganz  ver- 
schiedenen Verbindungen  bestehen.  Auch  in  anderer  Richtung  giebt  es  noch 
hin  und  wieder  vereinzelte  Fälle,  deren  bei  den  Silicaten  Erwähnung  geschehen 
wird. 

Ausserdem  ünden  sich,  wenn  auch  wieder  nur  vereinzelt,  Minerale,  welche 
zwei  ganz  verschieden  constituirte  Säuren  enthalten,  wie  der  bei  den  Erzen  ange- 
führte Dysanalyt,  welcher  aus  einem  Titanat  und  Niobat  besteht  und  einige 
andere,  in  deren  Formeln  die  beiderlei  Verbindungen  zweiter  Ordnung  ebenfalls 
mit  dem  Additionszeichen  verbunden  neben  einander  gestellt  werden. 

Weitaus  häufiger  aber  kommen  Verbindungen  vor,  bei  welchen  eine  gewisse 
Säure  neben  verschieden  constituirten  Basen  auftritt.  In  dieser  Weise  zeigt 
besonders  die  Kieselsäure  mannigfaltige  Verbindungen,  welche  bei  den  Silicaten 
besprochen  werden,  ausserdem  bieten  auch  andere  Säuren  wie  die  Schwefelsäure, 
Phosphorsäure,  Arsensäure  u.  a.  solche  Verbindungen  höherer  Ordnung,  welche 
noch  complicirter  werden,  wenn  ein  gewisser  Wassergehalt  vorhanden  ist.  Alle 
diese  Verbindungen  werden  als  aus  verschiedenen  einfacheren  zusammengesetzte 
betrachtet  und  die  die  ganze  Verbindung  zusammensetzenden  gewöhnlich  durch 
das  Additionszeichen  verbunden.  Da  aber  keine  allgemeine  Regel  für  ihre 
Schreibweise  gegeben  werden  kann  und  auf  Grund  neuer  Theorien  die  Schreib- 
weise mannigfach  geworden  ist,  so  würde  es  hier  unthunlich  sein,  auf  dieselben 
näher  einzugehen,  zumal  in  den  Artikeln  Silicate,  Phosphate,  Sulfate,  Malachite, 
Glimmer,  Opaline,  Zeolithe  und  Salze  Gelegenheit  sein  wird,  ihre  Formeln  zu 
erörtern,  welche  durch  die  bezüglichen  Minerale  verständlicher  werden. 

Schliesslich  ist  noch  hervorzuheben,  dass  in  den  Formeln  stets  nur  die 
wesentlichen  Bestandtheile  einer  Art  aufgenommen  werden,  wogegen  in  Folge 
der  Erscheinung  des  Isomorphismus  (s.  d.  Artikel)  gewisse  bei  der  Analyse  ge- 
fundene Bestandtheile  als  Stellvertreter  der  wesentlichen  Bestandtheile  vorhanden 
sind.  So  wurde  z.  B.  bei  der  Species  Calcit  (pag.  96)  angeführt,  dass  die  Formel 
desselben  CaO*C02  ist,  dass  aber  nebenbei  noch  geringe  Mengen  von  Magnesia 
MgO,  Eisenoxydul  FeO,  Manganoxydul  MnO,  Zinkoxyd  ZnO,  Bleioxyd  PbO 
oder  Baryterde  BaO  in  diesen  oder  jenen  Vorkommnissen  des  Calcit  ver- 
einzelt vorkommen,  welche  in  Verbindung  mit  Kohlensäure  als  Carbonate 
FeOCOj,  MgOCO,,  MnOCOj,  ZnO.CO.i,  PbOCO,,  BaOCO,  ge- 
lingt Mengen  des  Carbonates  CaO*C02  ersetzen,  immerhin  aber  in  ihrer  pro- 
centischen  Menge  nur  als  untergeordnet  aufzufassen  sind.  Derartige  Bestand- 
theile werden  nicht  in  die  Formel  der  Art  aufgenommen,  sondern  als  unwesentliche 
aufgefasst 

Wenn  dagegen  die  Species  Dolomit  (s.  pag.  102  und  103)  vom  Calcit  ge* 
trennt  wird  und  dieselbe  als  wesentliche  Bestandtheile  kohlensaure  Kalkerde  und 
kohlensaure  Magnesia  enthält,  so  kann  man  dies  in  der  Formel  dadurch  aus- 
drücken, dass  dieselbe  Ca,  MgO-CO^  geschrieben  wird.  Man  ersieht  aus  ihr, 
dass  Calcium  und  Magnesium  als  wesentliche  Bestandtheile  zusammengefasst 
werden,  um  mit  soviel  Sauerstoff  verbunden,  wie  es  das  neutrale  Carbonat  er- 
fordert, also  mit  der  Hälfte  des  Sauerstoffes  der  Kohlensäure  eine  Verbindung 
zu  geben,  in  welcher  der  an  Calcium  und  an  Magnesium  gebundene  Sauerstoff 
sich  zu  dem  Sauerstoff  der  Kohlensäure  verhält,  wie  1  :  2. 


44^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Derartige  Mineralarten  kommen  oft  vor,  von  den  Elementen  an  bis  zu  den 
complicirtesten  Verbindungen.  So  enthält  z.  B.  die  Species  Gold,  deren  Formel 
Au  ist,  sehr  häufig  Silber  als  stellvertretenden  unwesentlichen  Antheil.  Wenn 
dagegen  der  Silbergehalt  bedeutend  genug  ist,  um  ihn  als  wesentlich  zu  be- 
trachten, so  ist  dann  die  Species  Elektrum  durch  die  Formel  Au,  Ag  auszu- 
drücken. So  steht  die  Species  Allemontit  Sb,  As  neben  der  Species  Antimon  Sb 
und  Arsen  As  und  es  handelt  sich  in  allen  solchen  Fällen  nur  darum,  die  Arten 
von  einander  bei  einer  gewissen  Grenze  abzuscheiden.  So  steht  z.  B.  der  Aant 
NiSb,  As  zwischem  dem  Nickelin  NiAs  und  dem  Breithauptit  NiSb,  weil  in  ihm 
Antimon  und  Arsen  einander  vertretend  als  wesentliche  Bestandtheile  vorkommen, 
dabei  aber  in  dem  Verhältnisse  dass  >» Atome  Sb  und  »Atome  As  mit  m-^n 
Atomen  Nickel  verbunden  sind.  So  ist  der  pag.  392  angeführte  Wolframit  durch 
die  Formel  Fe,  MnO-WO,  auszudrücken,  worin  Eisen  und  Mangan  als  wesent- 
liche Bestandtheile  mit  Sauerstoff  verbunden  Eisen-  und  Manganoxydul  bilden, 
und  wobei  der  Sauerstoff  des  Eisenoxydul  und  des  Manganoxydul  zusammen  den 
dritten  Theil  des  Sauerstoffes  der  Wolframsäure  ausmacht. 

Man  kann  die  Formeln  auch  anders  schreiben,  es  muss  aber  immer  aus 
ihnen  das  erforderliche  Mengenverhältniss  hervorgehen.  So  könnte  man  z.  B. 
den  Wolframit  auch  (FeMn)O.WO,  formuliren  oder  m(FeO- WO3) -H  n(MnO- 
WOj)  nur  handelt  es  sich  immer  darum,  die  Grenzen  zu  fixiren,  wie  weit  sich 
die  Werthe  m  und  n  erstrecken,  um  den  Wolframit  abzugrenzen. 

Bei  allen  derartigen  Species,  in  welchen  stellvertretende  Bestandtheile  als 
wesentliche  in  wechselnden  Mengen  enthalten  sind,  ist  die  Abgrenzung  g^n 
andere  Species  in  gewissem  Sinne  schwierig,  insofern  durch  die  abwechselnde 
Zu-  und  Abnahme  des  einen  oder  des  anderen  der  wesentlichen  einander  er- 
setzenden Bestandtheile  Uebergänge  erzeugt  werden,  trotz  welcher  doch  die 
Species  eine  Grenze  haben  müssen.  Man  kann  in  dieser  Beziehung  nur  theore- 
tisch die  Grenzen  bestimmen  und  diese  sind  deshalb  nöthig,  weil  sonst  durch 
die  Analysen  eine  grössere  Anzahl  von  Species  hervorgehen  würden,  wenn  man 
nach  den  speciellen  Formeln,  welche  aus  den  Vorkommnissen  verbreiteter 
Species  hervorgehen,  besondere  Arten  unterscheiden  wollte.  Wie  man  dabei 
verfahren  könne,  ersieht  man  aus  den  beispielsweise  zu  betrachtenden  Specic> 
Calcit,  Dolomit  und  Magnesit. 

Wenn  der  Calcit  CaO-COj  wesentlich  ein  Kalkerde-Carbonat  ist,  inwdichem 
stellvertretend  geringe  Mengen  anderer  Carbonate  der  allgemeinen  Fonrri 
RO»CO,  vorkommen  und  hier  besonders  die  kohlensaure  Magnesia  in  den 
verschiedensten  procentischen  Verhältnissen  neben  der  wesentlichen  kohlensauren 
Kalkerde  in  Betracht  kommt,  so  erzeugt  die  Zunahme  der  kohlensauren  Magnesii 
allmählich  einen  Uebergang  in  den  Dolomit.  Der  Dolomit  selbst  enthält  nach 
der  Formel  Ca,  MgO-COg  Kalkerde  und  Magnesia  als  wesentliche  Bestandtlicile 
und  wenn  auch  verschiedene  Vorkommnisse  desselben,  welche  man  als  Normal- 
Dolomit  betrachtet,  die  beiden  Carbonate  im  Gleichgewicht  enthalten,  weshalb 
man  für  sie  die  Formel  GaO-CGj-hMgOCG,  aufsteUen  konnte,  so  ist  bei 
dem  Vorkommen  anderer  Dolomite  der  Gehalt  an  kohlensaurer  Kalkeide  grösser 
und  so  geht  er  einerseits  in  den  Calcit  über,  welcher  zunehmenden  Magnesia- 
gehalt enthält. 

Bei  solchem  Verhältnisse  der  beiden  einander  vertretenden  Basen  kann  man 
nun  theoretisch  als  Grenze  zwischen  Calcit  und  Dolomit  das  Verhlltni»< 
3(CaO.CO,)-+.MgO.CO,  festsetzen. 


Formeln,  chemische,  der  Minerale.  447 

Der  Calcit  enthält  nach  der  Formel  CaO-CO^  wesentlich  56^  Kalkerde 
und  44*  Kohlensäure,  der  Normal -Dolomit  CaO-CO,-l- MgO-CO,  enthält 
S4f3Si  kohlensaure  Kalkerde  und  45,65^  kohlensaure  Magnesia,  oder  30,43^ 
Kalkerde,  21,74^  Magnesia  und  47,83  f  Kohlensäure.  Bezeichnet  man  Magnesia 
enthaltende  Calcite  als  dolomitische  und  Dolomite,  welche  mehr  als  54,35^ 
kohlensaure  Kalkerde  enthalten  als  calcitische  Dolomite,  so  würden  diese  beiden 
bei  dem  Verhältnisse  3(CaO'COj)4- MgO-COg  einander  begrenzen.  Dieses 
Verhältniss  erfordert  78,12  S  kohlensaure  Kalkerde  und  21,88  t  kohlensaure 
Magnesia  oder  43,75^  Kalkerde,  10,42  Magnesia  und  45,83  Kohlensäure. 

Andererseits  zeigt  als  Species  der  Magnesit,  welcher  der  Formel  MgO^CO^ 
entsprechend  47,62  Magnesia  und  52,38  Kohlensäure  enthält,  kohlensaure  Kalk- 
erde als  stellvertretend  für  gewisse  Mengen  der  kohlensauren  Magnesia  und 
wenn  in  gleicher  Weise,  wie  gegen  den  Calcit  der  Dolomit  bei  grösserem  Ge- 
halte an  kohlensaurer  Magnesia  als  die  Formel  CaO  •  CO3  +  MgO  •  CO^  des  Normal- 
Dolomites  erfordert,  als  magnesitischer  Dolomit  an  den  dolomitischen  Magnesit 
grenzt,  so  kann  als  Grenze  beider  die  Formel  CaO-COj -H  3(MgO«C02)  auf- 
gestellt werden.  Diese  erfordert  28,41}  kohlensaure  Kalkerde  und  71,59  kohlen- 
saure Magnesia  oder  15,91 1  Kalkerde,  34,09  Magnesia  und  50^  Kohlensäure. 

Somit  würde  der  Dolomit  diejenigen  Vorkommnisse  umfassen,  welche  wesent- 
lich kohlensaure  Kalkerde  und  kohlensaure  Magnesia  enthalten  und  bei  denen 
der  Gehalt  an  kohlensaurer  Kalkerde  zwischen  78,12  und  28,41  schwankt,  der 
Gehalt  an  kohlensaurer  Magnesia  zwischen  21,88  und  71,59^.  Oder  es  schwankt 
bei  ihnen  der  Gehalt  an  Kalkerde  zwischen  43,75  ^"^  i5>9if>  der  Gehalt  an 
Magnesia  zwischen  10,42  und  34,09  und  der  Gehalt  an  Kohlensäure  zwischen 
45,83  nnd  50,0 f,  während  der  mittlere  Gehalt  des  als  Normal-Dolomit  be- 
zeichneten die  bereits  oben  angegebenen  Mengen  der  wesentlichen  Bestand! heile 
enthält.  Die  vielen  analysirten  Vorkommnisse  dieser  Reihe  von  Carbonaten  ent- 
halten dann  auch  noch  andere  Carbonate  in  untergeordneten  Mengen,  wie  nament- 
lich kohlensaures  Eisenoxydul,  Manganoxydul  u.  a.,  weshalb  dann  bei  der  Be- 
rechnung auf  diese  insofern  Rücksicht  genommen  werden  muss,  als  man  sie  wieder 
als  Stellvertreter  des  Magnesiacarbonates  in  Rechnung  bringt. 

Die  durchgeführte  Berechnung  hatte  den  Zweck  zu  zeigen,  wie  man  die  all- 
gemeine Formel  einer  solchen  Species  zu  deuten  habe,  welche  zwischen  zwei 
anderen  liegt  und  wie  die  Species  in  einander  übergehen,  ihren  procentischen 
Verhältnissen  nach  aber  doch  getrennt  werden  müssen.  Bei  so  überaus  mannig- 
faltigen Vorkommnissen,  wie  sie  die  beiden  Verbindungen  der  kohlensauren  Kalk- 
erde und  Magnesia  zeigen,  könnte  es  unter  Umständen  angezeigt  erscheinen, 
die  Gliederung  in  einzelne  Species  noch  zahlreicher  zu  machen,  dies  erscheint 
jedoch  nicht  zweckmässig  und  steht  dann  nicht  im  Einklang  mit  dem  Verfahren 
bei  anderen  Arten  mit  stellvertretenden  wesentlichen  Bestandtheilen. 

Dass  man  in  der  angeführten  Weise  auch  bei  anderen,  im  Gegensatz  zu 
jenen  Carbonaten  selten  vorkommenden  Species  verfahren  könne,  soll  noch  ein 
Beispiel  zeigen. 

Der  tesseral  krystallisirende  Spinell  ist  eine  Verbindung  der  Magnesia  mit 
Thonerde,  entsprechend  der  Formel  MgO^AlgO,  mit  28t  Magnesia  und  72  Thon- 
erde.  Pleonast  werden  tesseral  krystallisirende  Vorkommnisse  genannt  und 
zum  Theil  dem  Spinell  zugezählt,  welche  Eisenoxydul  als  Stellvertreter  gewisser 
wechselnder  Mengen  der  Magnesia  enthalten  und  Hercynit  wurde  ein  seltenes 
tesserales  Mineral  genannt,  dessen  Formel  wesentlich  Fe  O-Al^O,  ist,  wonach  es 


44^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

41,14  Eisenoxydul  und  58,86  Thonerde  enthält  Spinell  und  Hercynit  bilden  die 
Endglieder  und  die  Pleonaste  stehen  zwischen  beiden.  Ihre  Formel  ist  Mg,FeO- 
AljOj.  Im  Mittel  würden  sie,  wenn  für  dieses  Mittel  die  Formel  MgO-Al|0j 
-h  FeO- AljOji  gewählt  würde,  12,58  Magnesia,  22,64  Eisenoxydul  und  64,78  Thon- 
erde  enthalten.  Diesem'  Mittel  nahe  steht  ein  von  A.  Erdmann  analystrter  Pleonast 
von  Tunaberg  in  Schweden  mit  13,03  Magnesia  23,46  Eisenoxydul  und 
62,95  Thonerde.  Einige  andere  Pleonaste,  deren  Analysen  überhaupt  sparsam 
sind,  ergaben  andere  Verhältnisse. 

Nach  obiger  Besprechung  der  Carbonate  würde  den  Grenzwerth  des  eisen- 
ärmeren Pleonast  gegen  Spinell  das  Verhältniss  3(MgO«Al,Og) -H  FeO-Al,0, 
erfordern,  eisenreichere  den  Grenzwerth  gegen  Hercynit  bei  dem  Veihaltniss 
MgO.AljjOj  H-  SCFeO.AlgOs)  haben. 

Der  Grenzwerth  gegen  Spinell  ergiebt  19,87  Magnesia  11,92  Eisenoxydul  und 
68,21  Thonerde,  welche  fast  ganz  genau  ein  von  Rammelsberg  analysirter  Pleonast 
von  Ramos  in  Mexiko  zeigt,  während  zwei  andere,  der  eine  von  Härmala  im 
Kirchspiel  Lajo  in  Finnland,  analysirt  von  Thoreld;  der  andere  von  Barsowskoi 
bei  Kyschtimsk  am  Ural,  analysirt  von  Abich  ihm  nahe  stehen.  Der  Grenzwerth 
gegen  den  Hercynit  erfordert  5,99  Magnesia,  32,33  Eisenoxydul  und  61 ,58  Thon- 
erde. 

Da  nun  auch  andererseits  in  Spinell  das  Eisenoxyd  als  Stellvertreter  der 
Thonerde  vorkommen  kann,  oft  Pleonast  genannte  Vorkommnisse  gleichzeitig 
Eisenoxydul  als  Stellvertreter  der  Magnesia  und  Eisenoxyd  als  Stellvertreter  der 
Thonerde  enthalten,  so  konnte  man  die  Formel  des  Pleonast  in  dem  Sinne  er- 
weitern, dass  sie  Mg.FeO-Alj,  Fe^Oa  geschrieben  beide  Stell vertetungen  umfas>:. 
wobei  dann  natürlich  die  Grenzwerthe  schwieriger  zu  bestimmen  sind,  um  Spinellc 
vom  Pleonast  zu  trennen. 

Was  die  Berechnung  betrifft,  um  aus  den  Analysen  der  Minerale  die 
Formeln  zu  berechnen,  so  ist  zu  bemerken,  dass  zunächst  nur  aus  den  Analysen 
die  relative  Zahl  der  verbundenen  Atome  oder  der  Molecule  berechnet  werden 
kann,  während  die  weitere  Verwerthung  dieser  relativen  Zahlen  zur  Aufiitellun^ 
der  Formeln  auf  den  theoretischen  Ansichten  beniht,  nach  welchen  dieder2^bl 
nacli  aus  den  Analysen  berechneten  Atome  oder  Molecule  zusammengestellt 
werden.  Wenige  Beispiele  werden  genügen,  das  an  sich  einfache  Verfaliren  daran 
zu  erkennen. 

Sind  durch  die  Analysen  die  Elementarbestandtheile  einer  Verbindung  in  der 
Weise  angegeben,  dass  man  daraus  ersieht,  wieviel  Gewichtseinheiten  eines  jeden 
Elementarbestandtheiles  in  100  Gewichtseinheiten  der  analysirten  Substanz  ent* 
halten  sind,  wieviel  Procent  jeder  Elementarbestandtheil  beträgt,  so  dividiit  nun 
diese  Procentzahl  d|irch  die  Atomgewichtszahl  des  bezüglichen  Elementes.  Die 
erhaltenen  Quotienten  drücken  die  relative  Anzahl  der  enthaltenen  Atome  au^ 
und  müssen  demnach  in  einfachen  Verhältnissen  zu  einander  stehen.  Sind  di- 
gegen  in  der  Analyse  nicht  die  Elementarbestandtheile  angegeben,  sondern  die 
einfachsten  Verbindungen  der  Elementarbestandtheile,  z.  B.  wieviel  Proccnte 
Kalkerde,  Magnesia,  Eisenoxyd,  Kohlensäure,  Schwefelsäure  u.  s.  w.  in  einer  ana- 
lysirten Substanz  gefunden  wurden,  so  dividirt  man  in  die  Zahl  der  Procente  mit 
der  Molcculargewichtszahl,  welche  diese  einfachste  Verbindung  durch  die  an- 
gegebenen Atome  ergiebt,  z.  B.  für  die  soeben  angegebenen  mit  den  Zahlen  50 
(für  Kalkerde  CaO),  40  (für  Magnesia  MgO),  160  (für  Eisenoxyd  Fc,0,)  44 
(für   Kohlensäure  CQ^),    80   (für  Schwefelsäure    SO3)  u.   s.  w.     Die  erhaUenen 


Formeln,  chemische,  der  Minerale.  449 

Quotienten  drücken  dann  ebenso  die  relative  Anzahl  der  erhaltenen  Molecule 
aus  und  müssen  gleichfalls  in  einfachen  Verhältnissen  stehen,  wobei  man  dann 
auch  auf  die  stellvertretenden  Bestandtheile  in  der  Weise  Rücksicht  zu  nehmen 
hat,  dass  man  ihre  Quotienten,  wo  es  nothwendig  ist,  addirt 

Einem  einfachen  Verhältnisse,  wie  es  die  Formel  erfordert,  entsprechen  die 
Zahlen  einer  Analyse  niemals  ganz  genau,  jedoch  dürfen  die  Abweichungen  nur 
so  geringe  sein,  dass  das  wahre  Verhältniss  durchaus  nicht  zweifelhaft  sein  kann. 

Der  Grund  dieser  Abweichungen  liegt  einerseits  in  Fehlem  der  Analyse, 
andererseits  in  den  Atomgewichtszahlen  selbst,  welche  wohl  aus  möglichst  ge- 
nauen Versuchen  abgeleitet  sind,  trotzdem  aber  nicht  durchgehends  als  absolut 
richtig  angesehen  werden  können.  Auch  kann  oft  die  Beschaffenheit  analysirter 
Mineralproben  die  Ursache  solcher  Abweichungen  sein,  weil,  wenn  auch  die 
Proben  als  möglichst  reine  ausgewählt  worden  sind,  Beimengungen  vorkommen, 
welche  man  als  solche  nicht  sehen  und  sicher  beurtheilen  kann,  sowie  auch  aus 
der  Berechnung  allein  nicht  immer  mit  Sicherheit  hervorgeht,  ob  gewisse  Stoffe 
als  Beimengung  oder  als  stellvertretende  Bestandtheile  vorhanden  sind. 

Als  Beispiele  für  die  Berechnung  mögen  die  nachfolgenden  genügen:  Ber- 
ZELTUS  fand  in  100  Theilen  einer  Probe  des  Pyrit  46,08  Theile  Eisen  und 
53,92  Theile  Schwefel.  Dividirt  man  mit  der  Atomgewichtszahl  des  Eisens,  mit 
56  in  46,08  und  mit  der  Atomgewichtszahl  des  Schwefels,  mit  32  in  53,92,  so  er- 
hält man  die  Quotienten  0,8229  und  1,6850.  Setzt  man  den  ersten  gleich  i,  so 
erhält  man  für  den  zweiten  2,0476.  Für  die  letzte  Zahl  kann  man  ohne  Bedenken 
2  setzen  und  es  enthält  der  analysirte  Pyrit  auf  ein  Atom  Eisen  zwei  Atome 
Schwefel,  seine  Formel  ist  deshalb  FeS^.  Berechnet  man  aus  der  Formel  die 
Procente,  so  erhält  man 

lFe=    56 
2S    =    64 
120 
und  bei  der  Umrechnung  von  120  auf  100      46,67  Eisen 

53,33  Schwefel 
100,00 

Stellt  man  die  Zahlen  der  Analyse  neben  die  der  Formel  entsprechenden 

Zahlen 

gefunden         herechnet         Differenz 

46,08  46,67  ~  0,59 

53,92  53,33  -h  0,59 

so  sieht  man,  dass  0,59  Eisen  weniger,  0,59}  Schwefel  mehr  gefunden  wurden, 
als  die  Formel  erfordert. 

Strome YER  fand  in  100  Theilen  einer  Probe  des  isländischer  Doppelspath 
genannten  Calcit  43,70^  Kohlensäure,  56,15  Kalkerde,  0,15  Eisen-  und  Mangan- 
oxyd. Die  beiden  letzteren  Oxyde  sind  als  Beimengung  zu  betrachten,  weü  der 
Calcit  eine  Verbindung  der  Kohlensäure  mit  Kalkerde  ist,  man  kann  sie  also 
ganz  ausser  Acht  lassen,  zumal  ihre  Menge  äusserst  gering  ist.  Dividirt  man  mit 
dem  Molecularge wicht  der  Kalkerde  56  in  56,15  und  mit  dem  Molecularge wicht 
der  Kohlensäure  44  in  43,70,  so  erhält  man  die  Quotienten  1,00268  und  0,99318, 
wofür  man  ohne  Bedenken  die  Zahlen  i  und  i  setzen  kann.  Der  analysirte 
Calcit  ergab  demnach  ein  Molecul  Kalkerde  CaO  und  ein  Molecul  Kohlen- 
säure CO2  und  seine  Formel  ist  CaO'COj. 

Berechnet  man  aus  der  Formel  die  Procente,  so  enthält  der  Calcit  56  f  Kalk- 

KmicoTT,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  29 


450  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

erde  und  44^  Kohlensäure.     Berücksichtigt  man  bezüglich  der  angeführten  Ana- 
lyse die  0,15  #  beigemengtes  Eisen-  und  Manganoxyd,  so  wurden 

gefunden  berechnet  Differenz 

56,15  Kalkerde  55,92  -f- 0,23 

43,70  Kohlensäure  43»93  —0,23 

0,15  Eisen- und  Manganoxyd      0,15 
100,00  100,00 

wonach  die  Differenz  eine  sehr  geringe  ist. 

Hessert  fand  (um  noch  eine  Analyse  zur  Vergleichung  anzuführen)  in  dem 
isländischen  Calcit  44,07  Kohlensäure  und  55,89  Kalkerde.  Die  Division  mit  44 
und  56  in  die  Procentzahl  der  Kohlensäure  und  Kalkerde  ergiebt  1,00159  Atome 
Kohlensäure,  0,99804  Atome  Kalkerde,  also  noch  genauer  CaO-CO^. 

H.  Rose  fand  im  Chalkopyrit  vom  Ramberge  im  Saynischen  in  Westphalen 
33,4o#  Kupfer,  30,47  Eisen,  35,87  Schwefel  und  0,27  Quarz,  zusammen  101,01. 
Der  letztere  ist  als  Beimengung  nicht  in  Betracht  zu  ziehen.  Dividirt  man  mit 
den  Atomgewichtszahlen  63,3  für  Kupfer,  56  für  Eisen  und  32  für  Schwefel  in 
die  bezüglichen  gefundenen  Procentzahlen,  so  erhält  man  die  Quotienten 

0,54344  für  Kupfer, 
0,54411  für  Eisen, 
1,12094  für  Schwefel, 
und  wenn  man  sie  so  umrechnet,  dass  für  Eisen  die  Zahl  i  genommen  wird,  *< 
ergeben  sich  0,99877  für  Kupfer, 

1,00000  für  Eisen, 
2,06014  für  Schwefel, 
woraus  man  sicher  entnehmen  kann,   dass  im  Chalkopyrit  auf  ein  Atom  Eiser 

1  Atom  Kupfer  und  2  Atome  Schwefel  enthalten  sind.  Man  könnte  daraus  die 
Formel  Cu  S  -h  Fe  S  als  die  einfachste  entnehmen,  doch  veranlasst  die  Berück- 
sichtigung anderer  Schwefelkupfer  enthaltender  Minerale  und  der  Verhältnisse  des 
Kupfers  und  Eisens  der  Formel  CujS-FejSj   den  Vorzug  zu  geben,  welche  auf 

2  Atome  Kupfer  2  Atome  Eisen  und  4  Atome  Schwefel  vereinigt  enthält  Hier- 
nach würde  der  Chalkopyrit  in  100  Theilen  34,54}  Kupfer,  30,55  Eisen  \md 
34,91  Schwefel  enthalten  und  wenn  die  analysirte  Probe  0,27}  Quarz  beigemcnct 
enthält,  so  würde  sie  in  Berücksichtigung  dieser  ergeben  haben  müssen 

34,45  Kupfer, 
30,47  Eisen, 
34,81  Schwefel, 
0,27  Quarz 
100,00. 
Da  nun  34,40  Kupfer,    30,47  Eisen,  35,87  Schwefel  und  0,27  Quarz  gefun- 
den wurden,  so  ersieht  man,  dass  in  der  Bestimmung  des  Schwefels  eine  Dificren: 
von  1,06  vorliegt,  welche  den  Ueberschuss  in  der  Analyse  über  loo  henonic:, 
während  der  Eisengehalt  keine,  der  Kupfergehalt  nur  die  minime  Differenz  »oi 
0,05  zeigt. 

W.  Hampe  fand  in  Gyps  von  Osterrode  am  Harz  46,61  Scbwefclsanrt, 
32,44  Kalkerde,  20,74  Wasser,  0,15  Eisenoxyd  und  Thonerde,  zusammen  00,04- 
Die  0,15  Eisenoxyd  und  Thonerde  sind  als  Beimengung  zu  betrachten.  Wvidi't 
man  mit  den  Moleculargewichtszahlen  80,  56  und  18  für  Schwefelsäure,  Kalt 
erde  und  Wasser  in  die  bezüglichen  Zalilen  der  Analyse,  so  erhält  man  du- 
Quotienten 


Fonneln,  chemische,  der  Minerale.  451 

0,58262  oder  1,0057  für  SO3 
0,57929  „  1,0000  „  CaO 
1,15222      „      1,9890    „     H,0 

nach  Umrechnung  auf  ein  Molecul  CaO.  Hieraus  ergeben  sich  ohne  Bedenken 
2H,0,  1  CaO  und  1 SO3,  woraus  man  für  den  Gyps  die  Formel  CaO-SOj  -f-2HjO 
aufstellte,  an  Stelle  deren  man  auch  die  Formel  HjO-CaO -f- H^O-SO,  auf- 
stellen kann,  den  Gyps  als  bestehend  aus  Kalkerdehydrat  und  Schwefesäurehydrat 
betrachtend.  Nach  neuerer  Auffassung  kann  man  auch  dafür  schreiben  Ca(0H)2 
+  SO4H2,  wonach  der  Gyps  aus  einem  Molecul  Calciumhydroxyd  und  einem 
Molecul  Schwefelsäure  bestünde  (wobei  SO3  als  Schwefelsäureanhydrid  bezeich- 
net wird). 

Berechnet  man  nun  die  Zusammensetzung  des  Gypses  nach  den  Verhält- 
nissen 2H5O,  ICaO  und  ISOj,  so  enthält  er  in  100  Theilen  46,51  Schwefel- 
säure SO3,  32,56  Kalkerde  und  20,93  Wasser.  Berücksichtigt  man  die  0,15}  Bei- 
mengung, welche  die  Analyse  ergab,  so  wurden 

gefunden        berechnet  Differenz 

46,61  46,44  Schwefelsäure  -1-0,17 

32.44  32,51  Kalkerde  -1-0,17 

20,74  20,90  Wasser  — 0,16 

wobei  sich  nur  sehr  geringe  Differenzen  ergeben,  wie  sie  bei  den  besten  Ana- 
lysen vorzukommen  pflegen. 

Als  letztes  Beispiel  möge  die  Analyse  Berthier's  der  Adular  genannten 
Varietät  des  Orthoklas  dienen.  Er  fand  in  demselben  64,2}  Kieselsäure, 
18,4  Thonerde  und  16,9  Kali,  zusammen  99,5.  Dividirt  man  mit  den  Molecular- 
gewichtszahlen  60,  102,6  und  94  der  Kieselsäure,  Thonerde  und  des  Kali  in  die 
bezüglichen  Pro  centzahlen  der  Analyse,  so  erhält  man  die  Quotienten 

1,07000  oder  5,9663  für  SiO, 
0,17934      ff       I  I,      AljO, 

0,17979      ff      '»0025     „      KjO 

nach  Umrechnung  derselben  auf  i  Molecul  Al^O,  und  man  muss  daraus  ent- 
nehmen, dass  der  Orthoklas  auf  6  Molecule  Si02  i  Molecul  Al^Oj  und  i  Mole- 
cul K^O  enthält,  wonach  man  KjAlsO^-Si^Oj)  als  Formel  desselben  aufstellen 
kann,  in  welcher  die  beiden  Basen  Kali  und  Thonerde  der  Kieselsäure  gegenüber 
gestellt  sind  und  aus  welcher  man  sofort  ersieht,  dass  bei  dem  Verhältniss  des 
Sauerstoffes  der  Basen  zu  dem  Sauerstoff  der  Kieselsäure  4:12=1:3  das  den 
Orthoklas  darstellende  Silicat  ein  anderthalbfach  saures  ist.  Bei  der  Trennung 
der  beiden  Basen  würde  die  Formel  des  Doppelsalzes  2K20'3SiOj-l- 2Al,0,• 
9Si02  sein. 

Die  Ausdrücke  KjAl^Si^Oj^  oder  KAlSijOg  für  die  chemische  Constitution 
des  Orthoklas  sind  nur  eine  kürzere  Schreibweise  an  Stelle  der  Angabe,  dass 
die  Berechnung  der  Analyse  zu  den  Moleculen  IK^O,  lAl^Oj  und  6SiO} 
führt.  Als  rationelle  Formel,  welche  die  Zusammensetzung  als  ein  saures  Silicat 
angiebi,  wurde  z.  B.  die  Formel 


gegeben,  oder  abgekürzter  die  Formel 

29* 


452  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

^'}.0«.(4SiO)l 

02.(2SiO)j 

während  als  Beispiel  einer  der  Constitutionsformeln  des  Orthoklas  die  Formel 

O 

OZISi— O— Si— O— AlZIn^Si— O— K 

I  I 

0  o 

1  o     • 

0=Si— O  — Si— O-AlZlQ^Si— O—K 


O 

dienen  kann. 

Aus  allen  diesen  Formeln,  welche  auf  dem  Resultat  der  Analysen,  dass  der 
Orthoklas  auf  6  Molecule  SiO^  i  Molecul  AI3O3  und  i  Molecul  K,0  enthalt, 
basiren,  ersieht  man  nur  die  Verschiedenheit  theoretischer  Ansichten  über  die 
Formulirung. 

Berechnet  man  nach  den  oben  angegebenen  Zahlen  der  Moleculargewichte 
die  procentische  Zusammensetzung  des  Orthoklas,  um  die  bei  der  Analyse  ge- 
fundenen Zahlen  mit  den  berechneten  vergleichen  zu  können,  so  erhält  man: 

gefunden  berechnet 

64,2  Kieselsäure  64,68    oder    64,7 

18.4  Thonerde  1^,43       „        18,4 
16,9  Kali                       16,89       ff        i^i9 

99.5  100,00  100,00. 

Schliesslich  ersieht  man  auch,  dass  die  Berechnungen  durch  die  Atomge- 
wichtszahlen  in  dem  Sinne  etwas  differiren  können,  insofern  auch  die  Atomge- 
Wichtszahlen  etwas  differiren  können.  Wird  nämlich  die  Atomgewichtszahl 
des  Aluminium  27,5  gewählt  (es  wurde  dieselbe  auch  =  27,4  gefunden),  so 
würde  die  procentische  Zusammensetzung  64,63  Kieselsäure,  18,49  Thonerde 
und  16,88  Kali  oder  kürzer  ausgedrückt  64,6  Kieselsäure,  18,5  Thonerde  und 
16,9  Kali  ergeben. 

Die  beispielsweise  durchgeführten  Berechnungen  zeigen,  dass  gute  Analysen 
zu  einfachen  Verhältnissen  der  mit  einander  verbundenen  Atome  oder  Molecule 
führen  und  dass  die  Verschiedenheit  für  dasselbe  Mineral  aufgestellter  Formein 
von  den  theoretischen  Ansichten  über  die  Verbindungsweise  abhängt,  welche  in  der 
Chemie  erörtert  werden. 


Die  Gänge 


von 


Professor  Dr.  von  Lasaulx. 

Gänge  sind  mit  Mineralsubstanz  ganz  oder  grösstentheils  ausge- 
füllte  Spalten,  welche  in  den  verschiedensten  Gesteinen  der  Erdrinde 
auftreten. 

Nach  dieser  Definition  ergeben  sich  von  selbst  die  verschiedenen  Gesichts- 
punkte, von  denen  aus  die  Gänge  in  der  Gesammtheit  ihrer  Erscheinungen  xo 
bettachten  sind.  Damach  zerfällt  die  Lehre  von  den  Gängen,  die  Ganglehre,  m 
folgende  Abschnitte:    i.  Die  Topographie  der  Gänge,   d.  i  die  Beschieiboog 


Die  Gänge.  453 

der  Verhältnisse  ihrer  Form,  ihres  Auftretens  und  der  Beziehungen  ihrer  Lage 
zu  einander  und  zum  Nebengestein.  2.  Mineralogie  der  Gänge,  d.  i.  Be- 
schreibung der  Art  und  Beschaffenheit  ihres  Ausftillungsmateriales  und  3.  Geo- 
logie der  Gänge,  d.  i.  die  Lehre  von  der  Entstehung  derselben  und  zwar  sowohl 
der  Spalten-  oder  Gangräume,  als  auch  der  Ausfüllung  derselben. 

Die  Ganglehre  ist  von  grosser  Wichtigkeit,  nicht  nur  weil  die  durch  nutzbare 
Minerale,  besonders  durch  die  Erze  ausgezeichneten  Gänge  eine  so  grosse  tech- 
nische Bedeutung  haben  und  die  Gewinnung  dieser  Erze  auf  einer  genauen 
Kenntniss  der  Gangverhältnisse  überhaupt  beruht,  sondern  auch,  weil  gerade  die 
Gänge  für  die  allgemeinen  geologischen  Verhältnisse  der  Erdrinde  und  für  die 
Vorgänge  der  Mineralbildung  und  Umbildung  das  beste  und  reichhaltigste 
Beobachtungsmaterial  liefern.  Bezeichnete  doch  Haidinger  die  Erzgänge  als  den 
wahren  Schauplatz  der  Mineralpseudomorphosen,  die  für  die  Theorie  der  Bildung 
unseres  Planeten  von  unendlicher  Wichtigkeit  seien;  denn  wie  uns  in  den  Formen 
der  organischen  Wesen  der  verschiedenen  geologischen  Perioden  ein  Fort- 
schreiten, so  trete  uns  in  den  Pseudomorphosen  ein  Kreislauf  von  Ver- 
änderungen entgegen. 

L   Topographie  der  Gange. 

a)  Form,  Ausdehnung,  Stellung  oder  Lage  der  Gänge. 

Von  der  auf  den  ersten  Blick  einleuchtenden  und  durch  alle  bisherige 
Erfahrung  bis  ins  einzelne  bestätigten  Definition  ausgehend,  dass  alle  Gänge  nur 
erfüllte  Spalten  sind,  ergiebt  sich  zunächst,  dass  die  allgemeine  Gestalt  von  Spalten 
als  bedingend  für  die  Formentwicklung  der  Gänge  gelten  muss.  Grösse  und 
Ausdehnung  der  gebildeten  Spalten  kommen  hierbei  ebenso  wenig  in  Betracht,  wie 
die  Art  ihrer  Entstehung.  Ausgefüllte  Spalten,  die  auf  mehrere  Meilen  mit  grosser 
Breite  ihrer  Masse  durch  ganze  Gebirgsformationen  hindurchsetzen,  verdienen 
den  Namen  eines  Ganges  darum  nicht  mehr,  als  kleine,  nur  local  auf  wenige 
Fuss  hin  sich  erstreckende,  mineralerfüllte  Risse  oder  Klüfte.^) 

Jedoch  bedient  man  sich  für  die  kleineren,  unbedeutenden  mit  Mineralen 
erfüllten  Risse  gern  der  Bezeichnung  Trümmer  oder  Adern.  Freilich  entspricht 
dieser  letztere  vielgebrauchte  Ausdruck  nicht  ganz  dem  Bilde,  das  wir  uns  von 
einem  Gange  machen]  müssen.  Eine  Ader  im  menschlichen  oder  thierischen 
Körper  zeigt  einen  runden  oder  elliptischen  Querschnitt,  während  eine  Gangader 
immer  eine  mehr  oder  weniger  plattenförmige ,  langgestreckte  Gestalt  besitzt 
Aber  da  doch  zwischen  dem  Verlaufe  des  Netzwerkes  der  Adern  im  Körper, 
wenn  wir  uns  dasselbe  auf  ein  Blatt  Papier  projicirt  denken  und  dem  Verlaufe 
der  Gänge  in  den  Gesteinen,  wenn  wir  diesen  in  ähnlicher  Weise  durch  eine 
Zeichnung  zur  Darstellung  bringen,  so  wie  er  sich  uns  oft  auch  an  Gesteins- 
wänden ohne  Weiteres  zeigt,  eine  ganz  unverkennbare  Aehnlichkeit  besteht,  so 
hat  der  Ausdruck  »Aderc  etwas  Sprechendes  und  ist  darum  gerechtfertigt. 
Dachte  man  sich  doch  zudem  auch  im  ganzen  Mittelalter  nach  der  alten  aristo- 
telischen Lehre  in  der  That  das  Innere  der  Erde  mit  seinen  zahlreichen  Erz- 
adem  in  gewissem  Sinne  als  einen  lebendigen,  gährenden  Organismus,  dessen 
pulsirende  Thätigkeit  die  metallischen  Lösungen  und  Producte  durch  das  Adem- 
netzwerk  hindurchtreibt.     Auch  dem  Bergmann,  der  den  Schätzen  der  Metalle, 

^)  Eine  Classification  der  in  der  Erdrinde  überhaupt  vorkommenden  Spalten  ist  nicht  wohl 
möglich  ohne  Beziehung  auf  ihre  Genesis.  Daher  hierauf  erst  im  3.  Theile  dieses  Artikels  tu- 
Tückgekoromen  wird. 


454  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie, 

die  auf  den  Gängen  niedergelegt  sind,  nachspürt,  ist  es  ein  willkommenes,  ver- 
ständliches Bild  von  den  Adern  der  Erze  zu  sprechen,  die  ihm  zur  Freude  in 
edlen  Anbrüchen  erbluten.i) 

Im  Allgemeinen  ist  die  plattenförmige  Gestalt  der  Gänge  die  der  Natur  der 
Spalten  entsprechende.  Hierbei  ist  nicht  so  sehr  die  Regelmässigkeit  der  Be- 
grenzungsebenen, als  vielmehr  das  bedeutende  Ueberwiegen  zweier  Dimenaonen 
vor  der  dritten  das  charakteristische;  d.  h.  Höhe  und  Länge  überwiegt  gegen  die 
Dicke.  Die  Unregelmässigkeiten  der  Begrenzungen,  d.  h.  also  der  Ebenen, 
welche  die  Gangspalte  einschliessen,  sind  dabei  im  Allgemeinen  nicht  so  be- 
deutend, dass  man  nicht  füglich  im  Ganzen  davon  absehen  kann.  So  spricht 
man  denn  von  Gangplatten.  Lage  und  Abstand  der  begrenzenden  Ebenen 
bezeichnen  die  Stellung  und  die  Dimensionen  eines  Ganges. 

Die  beiden  Begrenzungsflächen  eines  Ganges  werden  die  Salbänder  ge- 
nannt, die  den  Gang  einschliessenden  Wände  des  Nebengesteines  die  Gang- 
stösse  oder  Ulmen. 

Der  senkrechte  Abstand  der  beiden  Salbänder,  die  hierbei  als  parallele 
Ebenen  gedacht  werden,  ergiebt  die  Mäjchtigkeit  des  Ganges.  Da  die  Salbander 
in  Wirklichkeit  auch  im  Ganzen  ziemlich  parallel  verlaufen  und  demnach  ohne 
grossen  Fehler  als  parallel  angenommen  werden  dürfen,  so  kann  man  sich  die- 
selben auf  eine  Ebene  reducirt  denken,  die  Gangebene. 

Die  Lage  und  Stellung  des  Ganges  ist  die  der  Gangebene,  sie  bestimmt  sich 
nach  dem  Verhältniss  zur  Horizontalebene  und  zur  Mittagslinie,  dem  Meridian. 
Die  Neigung  der  Gangebene  zur  Horizontalebene  ergiebt  sich  einfach  aus  dem 
Winkel  eines  Lothes  gegen  jene;  man  nennt  sie  das  Fallen  oder  Einfallen 
eines  Ganges.  Es  wird  dabei  die  Himmelsrichtung  in  der  Regel  mit  angegeben, 
ip  welcher  das  Einfallen  erfolgt. 

Der  Winkel,  den  die  in  der  Horizontalebene  gelegene  Durchschnittslinie 
der  Gangebene  mit  dem  Meridian  bildet,  giebt  das  Streichen  eines  Ganges  an. 
Dieses  wird  durch  den  Compass  ermittelt. 

Die  Ebene  des  Einfallens  steht  auf  der  Ebene  des  Streichens  senkrecht,  jene 
vertical,  diese  horizontal.  Es  ist  daher  klar,  dass  man,  um  die  Ergebnisse  der 
Bestimmung  dieser  beiden  Verhältnisse  eines  Ganges  graphisch  darzusteMen,  zweier 
Zeichnungsebenen  bedarf,  die  ebenfalls  aufeinander  senkrecht  anzunehmen  sind. 
Das  ergiebt  zwei  Arten  der  Darstellung:  die  eine,  wo  die  Projectionsebene  oder 
die  Ebene  der  Zeichnung  die  vertical  stehende  Fallebene  ist,  pflegt  man  Profil, 
Saiger-  oder  Verticalriss  zu  nennen  (dem  Aufriss  in  der  Architectur  ent- 
sprechend) die  andere,  wo  die  Ebene  der  Zeichnung  die  Horizontalebene  ist, 
nennt  man  Grundriss. 

Da  man  in  vielen  Fällen  aus  einem  Profile  ausser  dem  Einfallen,  der  Mächtig- 
keit doch  auch  die  allgemeine  Streichrichtung,  die  senkrecht  zur  Ebene  der 
Zeichnung  liegt,  entnehmen  kann,  so  sind  Profile  meist  wichtiger  und  reichen 
allein  aus.  Nur  wo  Aenderungen  und  Unregelmässigkeiten  im  Streichen  darge- 
stellt  werden  sollen,  oder  wo  die  Verschiedenheit  des  Gangstreichens  zum 
Streichen  des  Nebengesteins  anzugeben  ist,  muss  auch  der  Grundriss  hinzukommen. 

Es  sind  diese  Verhältnisse  im  Allgemeinen  dieselben,  wie  sie  auch  bei 
der  Bestimmung  der  Schichtenstellung  zur  Anwendung  kommen  und  wird 
daher  im  Artikel   »Schichtenlehrec  darauf  noch  einmal  zurück  zu  kommen  sein. 

)  Dieser  Ausdruck  besonders  von  den  silberreichen  Rothgültigeraen  gebraucht 


Die  Gänge.  455 

Nach  der  Verschiedenheit  des  Fallens  unterscheidet  man:  Saigergänge, 
mit  verticaler  (oder  fast)  Stellung,  steile  oder  tonnlägige  Gänge  mit  einer 
Neigung  von  45 — 80°,  flache  Gänge  mit  einer  Neigung  von  o — 45°. 

Das  Streichen  drückt  sich  am  einfachsten  nach  den  Graden  des  Compasses 
aus,  um  welche  die  Streichlinie  von  der  mit  o  bezeichneten  Linie  des  Meridians 
abweicht  Jedoch  hat  alter  Bergmannsgebrauch  den  Compass  auch  in  2x12  Stun- 
den, den  Tageszeiten  entsprechend,  eingetheilt,  und  die  Streichrichtung  wird 
dann  in  Stunden  ausgedrückt:  ein  Gang  streicht  hora  6  bedeutet  also,  dass 
er  genau  von  W. — O.  streicht,  ^.12  ist  die  Meridianlinie  selbst.  Damach  kann 
man  auch  von  Morgengängen  sprechen,  d.  h.  solchen,  deren  Streichlinie  nahe- 
zu von  W. — O.  geht,  und  von  Mittagsgängen,  die  von  N. — S.  streichen.  Zwischen 
diesen  liegen  die  zu  den  Haupthimmelsrichtungen  diagonal  streichenden  Gänge, 
die  am  einfachsten  nach  der  Windrose  bezeichnet  werden  z.  B  NNO.-Gänge.  Die 
Art  der  Bezeichnung  ist  natürlich  nicht  von  Bedeutung;  aber  da  im  Englischen 
und  Französischen  ebenfalls  die  Beziehung  auf  die  Windrose  oder  den  einfachen 
Gradbogen  üblich  ist,  so  würden  wir  auch  im  Deutschen  am  besten  die  alte  An- 
gabe nach  Stunden  aufgeben.^) 

Die  Längenerstreckung  eines  Ganges  liegt  im  Streichen,  seine  Tiefenerstreckung 
im  Fallen.  Beide  sind  von  ganz  verschiedener  Ausdehnung  bei  den  verschiedenen 
Gängen.     Man  nennt  dieses  das  Aushalten  eines  Ganges. 

Streichen  und  Fallen  sind  keinesweges  constant  bei  demselben  Gange. 
Aendert  er  sein  Streichen,  so  sagt  man,  er  wendet  sich,  er  kommt  aus  der 
Stunde,  ändert  er  sein  Fallen,  so  richtet  er  sich  auf  oder  legt  sich. 

Gänge,  die  bis  an  die  Oberfläche  der  Erde  empor  reichen,  beissen  aus; 
es  thun  das  bei  weitem  nicht  alle.  Die  an  der  Oberfläche  sichtbaren  Theile 
eines  Ganges  heissen:  das  Ausgehende.  Das  Ausgehende  von  Gängen  macht 
sich  an  der  Erdoberfläche  in  sehr  verschiedener  Weise  bemerklich.  Besteht  die 
Gangmasse  aus  einem  schwerer  zerstör-  und  verwitterbaren  Gesteine  als  das 
Nebengestein,  so  ragt  das  Ausgehende  mauerähnlich  über  die  Umgebung  empor. 
Das  ist  der  Fall  bei  sehr  vielen,  aus  harten,  quarzreichen  Gesteinen  bestehenden 
Gängen  z.  6.  Quarziten,  Porphyren,  auch  bei  Basalten  und  Laven.  Bekannt  sind 
die  vollkommen  mauerartig  aufragenden  Basaltgänge  im  südlichen  Schottland, 
die  bei  grosser  Mächtigkeit  oft  gewaltige  Rücken  darstellen.  Ganz  besonders 
ausgezeichnet  sind  auch  in  dieser  Beziehung  die  Erscheinungen  der  Gänge  in  der 
Valle  del  Bove  am  Aetna,  wo  aus  dem  mehr  verwitterten  Mantel  des  Berges 
dieselben,  zahlreich  bei  einander  stehend,  oft  wie  die  Coulissen  eines  gigantischen 
Theaters  als  ebene  Wände  mit  grotesken  Conturen  emporsteigen.  In  seinem 
Aetna-Atlas  hat  Sartorius  von  Waltershausen  solche  Gangbildungen  gezeichnet, 
die  zu  den  merkwürdigsten  Formen  dieser  Art  gehören.^ 

Quarzgänge,  oft  von  grosser  Mächtigkeit,  die  auf  weite  Strecken  aus  dem 
Gebirge  aufragende,  klippenreiche  Kämme  bilden,  sind  ziemlich  häufig.  Ein 
schönes  Beispiel  dieser  Art  bietet  der  Quarzitgang  des  sogen.  Pfahl  im  ost- 
hayrischen  Waldgebirge,  der  zwischen  Gneissgranit  und  schiefriger  Hälleflinta  imd 
Gneiss  gelagert,  als  ein  aufragender  durch  seine  Formen  auflallender  Felsenkamm 
über  30  Stunden  weit  sich  hinzieht.  In  ganz  ähnlicher  Weise  erstreckt  sich 
ein  solcher  Quarzitzug  im  Böhmerwald  auf  12  Meilen  weit  von  Vollmann  bis  in 

')  Bezüglich  der  Methoden  zur  genaueren  Ausführung  dieser  Messungen  muss  auf  eine  Berg- 
baukunde  verwiesen  werden,  z.  B.  Alb.  Sxrlo,  Leitfaden  zur  Bergbaukunde.     Berlin  1878. 
*)  Siehe  auch  Sartorius-Lasaulx,  Der  Aetna,  Bd.  ü.     Taf. 


45^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

die  Gegend  von  Hals.  Wenn  auch  hier  nicht  von  eigentlichen  Gängen,  son- 
dern von  mächtigen  Quarz  lagern  die  Rede  ist,  so  sind  die  Verhältnisse  doch 
ganz  die  gleichen  auch  bei  echten  quer  durch  die  Schichtensysteme  aufsetzenden 
Gangausgehenden. 

BuRAT  beschrieb  den  Quarzgang  llnglesita  bei  dem  Dorfe  El-Hoyo  in  der 
Sierra  de  los  Santos;  derselbe  bildet  einen  200  Meter  langen  Ausstrich,  der 
einerseits  vertical,  andererseits  geneigt  abfällt  und  bis  10  Meter  hoch  ist. 

Durch  die  weissen  Kreidekalke  der  Euganäischen  Berge  bei  Padua  ziehen 
rothgefarbte  Feuersteintrtimmer  hindurch,  die  stets  aufragende  Leisten  bilden, 
oft  quer  über  die  Strassen  hinübergreifend  und  an  den  Steilwänden  wie  Gesimse 
vorspringend. 

Auch  bei  Erzgängen  ist  diese  Erscheinung  keinesweges  selten.  Auf  den 
flach  abgerundeten  Rücken  der  devonischen  Formation  im  Gebiete  der  oberen 
Sieg,  sieht  man  häufig  die  dort  zahlreich  vorhandenen  Gänge  ihre  Ausgehenden 
durch  die  weisse  Farbe  der  Gangminerale,  Quarz  und  Kalkspath,  deutlich 
weithin  auf  dem  braungrauen  Schiefergesteine  markiren,  auch  ohne  dass  dieselben 
gerade  bedeutend  aufragen. 

Die  Veta  Cantera  bei  Zacatecas  in  Mexico,  ein  fast  2  Meilen  weit  foit- 
setzender  Gang,  ist  nach  Burkart  durch  sein  Ausgehendes  merkwürdig,  welches 
in  hohen  Felskämmen  von  festem  dichtem  Quarze  aufragt.^) 

Auf  der  Landenge  von  Panama  setzen  nach  Boucard  im  Porphyr  sehr  viele 
goldführende  Quarzgänge  auf,  welche  ebenfalls  in  Folge  der  Zerstörung  des 
Nebengesteins  wie  Mauern  hervorstehen,  weithin  sichtbar  sind  und  cresi^ues  ge- 
nannt werden. 

Auch  der  umgekehrte  Fall  tritt  ein,  dass  die  Ausfüllungsmasse  eines  Ganges 
leichter  zerstörbar  ist,  wie  das  Nebengestein.  Das  Ausgehende  eines  solchen 
Ganges  wird  dann  durch  eine  geradlinig,  grabenförmig  verlaufende  Vertiefung 
bezeichnet 

Zahlreiche  Gesteinsgänge  verschiedener  Art,  Porphyr,  Melaphyr,  Basalt 
setzen  durch  die  Sandsteinplatten  und  Terrassen  hindurch,  welche  besonders  an 
der  westlichen  Küste  die  Ufer  der  Insel  Arran  in  Schottland  bilden.  Die  ver- 
schiedene Härte  der  Ganggesteine  bewirkt,  dass  einige  dem  erodirenden  Einfloss 
der  Meereswellen  einen  grösseren  Widerstand  bieten,  als  die  rothen  Sandsteine, 
andere  dagegen  schneller  aufgelöst  werden.  Mauerartige  Ausgehende  der 
ersteren  wechseln  daher  mit  canalartig  vertieften  der  letzteren  Gänge  ab.  Auf 
einer  nur  halbstündigen  Wanderung  längs  der  Küste,  welche  immer  über  die  fa»t 
horizontalen  Bänke  des  Sandsteines  hinführt,  kann  man  von  beiden  Arten  wohl 
einige  Dutzend  überklettern  oder  überspringen. 

In  vielen  Fällen  ist  aber  auch  die  Begrenzung  von  Gängen  an  der  Erdober- 
fläche dadurch  noch  eine  besonders  eigenthümliche,  dass  sie  mit  Decken. 
Strömen  oder  Kuppen  desselben  Gesteines  oder  von  ähnlicher  Mineralzusammcn- 
setzung  in  Verbindung  stehen.  Dieses  ist  besonders  bei  den  Eruptivgesteinen 
eine  häufige  Erscheinung. 

Jedoch  kommt  eine  solche,  gewissermaassen  überfliessende  Gangbildung  auch 
bei  Erz-  und  Mineralgängen  vor.  Naumann  führt  in  seiner  Geognosie*)  einige 
Beispiele  dieser  Art  an,  von  denen  nur  eins  hier  wiederholt  sein  mag. 

^"^  ^^^  griechischen  Insel  Mykone  wird  der  aus  arkoseähnlichem  Sandstein 

*)  Naumann.  Geognosic.    Bd.  m.     Lief.  HI.     pag.  535. 
■)  l-  c.     pag.  537. 


Die  Gänge.  457 

zusaminengesetzte  Berg  bei  Maurospilia  von  mehreren  aus  Brauneisenerz  und  Baryt 
bestehenden,  ostwestlich  streichenden  Gängen  durchsetzt;  der  mächtigste  der- 
selben, welcher  'am  ganzen  Gipfel  des  langgestreckten  Berges  hinläuft,  besteht 
an  beiden  Salbändern  fast  i  Fuss  breit  aus  Brauneisenerz,  in  der  Mitte  ^  Fuss 
breit  aus  Baryt.  An  ihren  Ausgehenden  hängen  alle  diese  Gänge  ganz  stetig  mit 
einer  bis  6  Zoll  dicken,  aus  Brauneisenerz  und  etwas  Baryt  bestehenden  Decke 
zusammen,  welche  über  die  obere  Region  des  Berges  mantelförmig  ausgebreitet 
liegt  ViRLET,  der  diese  Erscheinung  beschrieb,  erkannte  darin  ein  interessantes 
Beispiel  des  Ueberfliessens  von  Erzgängen.^) 

Die  Teufe,  bis  zu  welcher  Gänge  hinuntergehen,  ist  in  vielen  Fällen  unbe- 
kannt, für  den  Bergmann  gehen  sie  dann  in  die  ewige  Teufe.  Jedoch  wird  bei 
vielen  Gängen  auch  die  Grenze  dieser  Dimension  erreicht. 

Ihre  Begrenzung  in  der  Längserstreckung,  im  Streichen  finden  die  Gänge  in 
verschiedener  Weise:  sie  keilen  aus,  wenn  sie  nach  und  nach  an  Mächtigkeit 
abnehmen  und  sich  endlich  ganz  verlieren,  sie  setzen  ab,  wenn  ein  anderer  Gang 
oder  eine  andere  Gebirgsmasse  sie  durch  Vorlegen  plötzlich  abschneidet. 

Die  Mächtigkeit  der  Gänge  ist  sehr  verschieden;  sie  beträgt  oft  nur  wenige 
Zoll,  manchmal  viele  Meter.  Unter  den  Gängen  am  Aetna  finden  sich  solche 
von  30  und  mehr  Meter  Mächtigkeit,  welche  in  unverändert  geradlinigem 
Streichen  bis  zu  10  und  15  Kilom.  aushalten.  Die  Basaltgänge  im  südlichen  Schott- 
land, von  denen  einige  im  Streichen  auf  viele  Stunden  verfolgt  werden  können, 
haben  oft  10  und  mehr  Meter  Mächtigkeit.  Auch  bei  eigentlichen  Erzgängen  ist 
sowohl  die  Mächtigkeit  als  auch  das  Aushalten  im  Streichen  oft  ein  sehr  bedeu- 
tendes. Der  goldführende  Muttergang  (Mother  lode)  in  Califomien  erstreckt  sich 
nach  Burkart ^  vom  Mont  Ophir  in  Mariposa  bis  an  den  Consumnes  river  in 
Amador  über  70  engl.  Meilen  weit  bei  einer  Mächtigkeit,  die  zwischen  ^  und 
IG  Meter  schwankt  Die  Gänge  des  sog.  Holzappler  Zuges  an  der  Lahn  er- 
erstrecken sich  auf  ca.  7  geogr.  Meilen  von  Peterswalde  bis  Holzappel  und  über- 
schreiten bei  St.  Goar  den  Rhein.  Dabei  ist  die  Mächtigkeit  der  Gänge  selten 
mehr  als  30 — 60  Centimeter.  Die  Erzgänge  des  Oberharzes  erreichen  ebenfalls  oft 
eine  Mächtigkeit  von  10 — 20  Lachtern,  jedoch  sind  es  dann  mehr  gedrängte 
Gangzüge  als  wirkliche  Einzelgänge,  denen  diese  Mächtigkeit  zukommt. 

Ueberhaupt  darf  bei  allen  Angaben  über  die  Dimensionen  der  Erzgänge 
nicht  vergessen  werden,  dass  sich  dieselben  in  vielen  Fällen  nur  auf  die  Theile 
eines  Ganges  beziehen,  die  durch  ihren  Erzreichthum  bauwürdig  sind;  daher  in 
vielen  Fällen  das  Aushalten  eines  Ganges  besonders  auch  nach  der  Teufe  grösser 
ist,  als  die  Angaben,  die  der  Bergbau  liefert.  Wenn  man  so  oft  hört,  dass  nach 
der  Tiefe  zu  ein  Gangbergbau  eingestellt  worden  ist,  so  hat  dieses  keinesweges 
die  Bedeutung,  dass  der  Gang  selbst  dort  sein  Ende  gefunden;  es  hat  entweder 
seine  Erzführung  sich  geändert  und  ungünstiger  gestaltet  oder  aber  die  weit  be- 
deutenderen Kosten  der  tieferen  Bauten,  oder  andere  technische  Schwierigkeiten 
z.  B.  bedingt  durch  die  übermässig  gesteigerten  Zuflüsse  an  Grnbenwassern,  haben 
das  Aufhören  des  Bergbaues  zur  Folge  gehabt;  der  Gang  als  solclier  setzt  in  die 
Teufe  fort. 

Zu  den  tiefsten  noch  betriebenen  Grubenbauten  auf  Erz^än^en  gehören  die 
von  Clausthal  und  Andreasberg  im  Harz,  die  nahezu  1000  Meter  Tiefe  erreicht 


*)  Bull,  de  la  Soc.  geol.  t.  m.     1832/33.  pag.  202. 
*)  N.  Jahrb.  f.  Min.  1870.  pag.  41. 


45^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

haben.     Auch  hier  ist  in  keinem  Falle  ein  eigentliches  unteres  Ende  der  Gänge 
erreicht  worden. 

Sehr  gewöhnlich  ist  bei  den  Gängen  ein  häufiger  Mächtigkeitswechsel  in 
ihrem  Verlaufe.  Sie  werden  schmäler,  d.  h.  die  Salbänder  rücken  einander 
näher,  der  Gang  verdrückt  sich,  oder  er  wird  breiter,  er  thut  sich  au£ 
Die  Beschaffenheit  der  Salbänder,  die  keinesweges  immer  scharf  ausgesprochene 
Begrenzungsflächen  darstellen,  erschwert  in  manchen  Fällen  die  genaue  Ab- 
grenzung einer  Gangmasse. 

Die  vollkommene  Verdrückung  eines  Ganges  führt  zur  Auskeilung.  Wieder- 
holt sich  eine  solche  mehrmals  im  Verlaufe  des  Gangstreichens,  so  wird  der 
Gang  zu  einem  System  aneinander  gereihter  ellipsoidischer  oder  linsenförmiger 
Stücke  und  solche  Gänge  heissen  Lenticulargänge. 

Mit  zunehmender  Mächtigkeit  nimmt  ein  Gang  mehr  und  mehr  den  Charakter 
eines  Stockes  oder  Stockwerkes  an,  bei  welchem  die  Verhältnisse  der  3  Di- 
mensionen nahezu  die  gleichen  sind. 

Besonders  häufig  ist  die  Erscheinung  der  Theilung  oder  Zertrümmerung  einer 
Gangspalte  und  darnach  auch  der  Gangmasse  selbst  Ein  Gang  gabelt  sich,  d.  h. 
er  zweigt  sich  in  einzelne  kleinere  Gänge  oder  Trümmer  auseinander.  Diese 
Abzweigungen  haben  meist  nur  ein  unbedeutendes  Aushalten,  sie  keilen  sich 
bald  wieder  aus  oder  vereinigen  sich,  schaaren  sich  wieder  mit  dem  Haupt- 
gange. Solche  Vereinigungsstellen  oder  Schaarungslinien  sind  oft  für  die  Erz- 
führung von  Bedeutung. 

Zu  einer  Hauptgangspalte  gehören  in  der  Regel  auch  parallel  ver- 
laufende, begleitende  Nebenspalten,  Seiten-  oder  Paralleltrümmer.  Sie 
hängen  in  ihrer  Entstehung  von  der  Hauptspalte  unmittelbar  ab,  wie  das  im 
Folgenden  noch  eines  Näheren  erörtert  werden  wird  und  zeigen  dieses  meist  auch 
durch  die  Uebereinstimmung  in  ihrer  Ausfüllung.  Solche  Gefährten  sind  oft  zu 
beiden  Seiten  eines  Ganges  zahlreich  vorhanden,  immer  nur  untergeordnet  an 
Erstreckung  und  Mächtigkeit.  So  entstehen  Uebergänge  zu  den  zusammen- 
gesetzten Gängen. 

Diese,  die  oft  als  solche,  im  Gegensatze  zu  den  einfachen,  eigent- 
lichen Gängen,  unterschieden  werden,  bestehen  nur  aus  einer  Ansamm- 
lung meist  dicht  nebeneinander  in  einem  besonderen  Gestein  aufsetzender 
Trümmer;  der  eigentliche  Gang  wird  in  diesem  Falle  durch  das  Gestein 
gebildet.  Die  Grenze  desselben  gegen  das  Nebengestein  ist  oft  durch  scharte 
Salbänder  bezeichnet,  dagegen  sehr  oft  eine  Grenze  besonders  deshalb  nicht 
genau  zu  ziehen,  weil  die  kleinen  Gangtrümmer  in  das  Nebengestein  hinüber- 
greifen und  sich  darin  erst  allmählich  verlieren.  Manchmal  ist  bei  solchen  zu< 
sammengesetzten  Gängen  das  Ganggestein  auch  nur  ein  mehr  oder  weniger  ver- 
ändertes Nebengestein.  In  solchen  Fällen  ist  es  natürlich  nicht  ganz  zutreffend, 
die  Schaar  der  aufsetzenden  Trümmer  als  einen  Gang  zu  bezeichnen.. 

Die  Erzgänge  von  Kremnitz  in  Ungarn  bestehen  aus  Klüften,  welche  den  ter- 
tiären Grünsteintrachyt  durchsetzen.  Viele  solcher  Klüfte,  parallel  neben  einander 
liegend,  werden  als  ein  zusammengesetzter  Gang  aufgefasst  und  in  diesem  Sinne 
ist  auch  die  Angabe  über  die  bis  zu  20  und  mehr  Meter  betragende  Mächtigkeit 
der  dortigen  Gänge  zu  verstehen.  Die  kleinen  Trümmer  setzen  in  einer  Zone 
des  zu  thonigen  Massen  aufgelösten  Gesteines  auf  und  ftihren  Quarz  resp.  Horo- 
stein  mit  Gold  und  Silber  enthaltenden  Kiesen.  Der  Ausdruck  »Gangzone« 
würde  daher  ftiglich  richtiger  sein.     Auch  die  Gangtrümmerzone  der  Grube  Alt- 


Die  Gänge.  459 

glück  unfern  Uckerath  zwischen  Rhein  und  Sieg  gelegen,  wird  in  diesem  Sinne 
als  ein  zusammengesetzter  Gang  bezeichnet,  der  sich  auf  eine  Länge  von 
600  Meter  im  Streichen  bauwürdig  verfolgen  lässt.i) 

Jedenfalls  lässt  sich  der  Unterschied  solcher  sogen,  zusammengesetzter 
Gänge  gegen  eigentliche  Gangzüge  wohl  nur  schwer  feststellen  und  besteht  nur 
in  den  geringeren  Dimensionen  der  Trümmerzüge  bei  den  ersteren;  wenn  daher 
diese  Unterscheidung  in  einfache  und  zusammengesetzte  Gänge,  wie  sie  zu- 
erst von  CoTTA  aufgestellt  wurde,  wohl  für  die  bergmännische  Praxis  einige  Be- 
deutung haben  mag,  so  ist  sie  doch  geologisch  und  genetisch  keinesweges  durch- 
greifend und  nicht  gerechtfertigt. 

Liegen  vollends,  wie  das  bei  einigen  der  als  zusammengesetzte  Gänge 
geltenden  der  Fall  ist,  die  einzelnen  erzführenden  Trümmer  in  einem  beson- 
deren Ganggesteine,  so  ist  dieses  natürlich  selbst  als  der  einfache  Gang  anzu- 
sehen, indem  die  Trümmer  eben  nur  eine  besonocre  Art  der  Ausfüllung  darstellen. 

Wichtiger,  besonders  auch  mit  Rücksicht  auf  die  geologisch-genetischen 
Verhältnisse,  erscheint  es,  isolirte  Einzelgänge  von  Ganggruppen  oder 
Gesellschaften  zu  unterscheiden.  Das  Charakteristische  in  der  geologischen 
Verschiedenheit  beider  ist  nicht  ganz  von  den  Betrachtungen  über  ihre  Ent- 
stehung loszulösen,  bei  einigen  Beispielen  aber  tritt  sogleich  die  Bedeutung  dieser 
Unterscheidung  hervor. 

Der  durch  seine  ausgezeichnete  Erzführung  berühmte  Comstock  Lode  bei 
Virginia  City  in  Nevada  ist  ein  gutes  Beispiel  eines  solchen  Einzelganges.  Er 
tritt  theils  ganz  in  sogen.  Propyliten,  älteren  trachytähnlichen  Gesteinen  auf,  theils 
an  der  Grenze  dieser  gegen  den  Syenit.  Ihn  begleiten  auf  beiden  Seiten  Trach)rt 
und  Andesit,  aber  keinerlei  mit  ihm  parallele  andere  Gänge.  Seine  Entstehung 
ist  nicht  durch  Vorgänge  veranlasst  worden,  die  gleichzeitig  andere  Gangspalten 
in  der  Nähe  öffneten  und  erfüllten 

In  etwas  anderem  Sinne  kann  als  Beispiel  eines  Einzelganges  der  Blei- 
erz- und  Blendeführende  Gang  des  sogen,  belgischen  Bleiberges  bei  Montzen, 
nahe  der  deutsch-belgischen  Grenze  gelten.  Nicht  in  der  Art  der  Entstehung 
seiner  Spalte  oder  in  der  Mineralerfüllung  liegt  hier  der  Grund  seiner  isolirten 
Stellung.  Sie  ist  vielmehr  in  seinem  Verhalten  zu  den  Formationsgliedem  zu 
sehen,  in  denen  er  auftritt. 

Er  ist  der  einzige  bekannte  belgische  Gang,  der  durch  den  Kohlenkalk  und 
ebenso  durch  die  unteren  Schichten  der  kohlenführenden  Schiefer  mit  gleicher 
Erzführung  hindurchsetzt. 

Der  Kohlenkalk  bildet  zwischen  den  Dörfern  Moresnet  und  Sippenaeken 
eine  etwa  2  Kilom.  breite  Zone  zu  schönen  Sätteln  und  Mulden  gefalteter 
Schichten,  die  in  ihrer  ganzen  Breite  von  dem  von  NW. — SO.  streichenden  Gange 
durchsetzt  werden.  Der  Gang  ist  dann  noch  auf  5  Kilom.  in  dem  Gebiete  der 
kohlenführenden  Schichten  bekannt,  die  sich  weiter  westlich  an  die  Kalkstein- 
zone anlegen  und  nach  Holland  sich  fortsetzen.  Am  Contact  zwischen  Kohlenkalk 
und  Kohlenschiefer  ist  der  Gang  zu  einem  mächtigen  Lager  erweitert. 

Kleinere  oder  grössere  begleitende  Gänge  sind  nicht  in  dem  Gebiete  bekannt, 
dennoch  kann  nicht  die  Spaltenbildung  als  Ursache  der  Isolirtheit  dieses  Ganges 
gelten.  Denn  mit  parallelen  Streichen  treten  sowohl  auf  der  belgischen  Seite 
bis  in  die  Gegend  von  Philippeville,   als  auch  auf  der  preussischen  Seite  von 


*)  Groddeck,  Lagerstätten  der  Erze.     Leipzig  1879.     P^*  33- 


460  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologic 

Aachen  in  der  Gegend  von  Stollberg  zahlreiche  Bleierz-  und  Blendeführende 
Gänge  auf.  Jedoch  sind  alle  diese  an  den  Kohlenkalk  gebunden,  und  wo  die 
Fortsetzung  einer  Gangspalte  in  das  eigentliche  Kohlengebirge  nachzuweisen  ist, 
da  erscheint  sie  nicht  mehr  als  Erzgang,  sondern  nur  als  eine  mit  taubem  Ge- 
steins- und  Trümmermaterial  erfüllte  Verwerfungskluft. 

Nur  durch  den  Umstand  erhält  also  der  Gang  des  belgischen  Bleiberges  den 
Charakter  als  Einzelgang,  dass  er  eben  seine  Erzführung  auch  in  den  kohlen- 
führenden  Schichten  beibehält  Wenn  es  aucii  nicht  möglich  ist,  hierfür  einen 
bestimmten  Grund  anzugeben,  so  müssen  doch  gewisse  geologische  Vorgänge 
dieses  Ausnahmeverhalten  bedingt  haben. 

In  anderen  Fällen  kann  auch  die  besondere  Beschaffenheit  der  ausfüllenden 
Minerale  für  einen  Gang  eine  Einzelstellung  bedingen. 

In  gleichem  Sinne  sind  auch  viele  Gesteinsgänge  als  Einzelgänge  anzusehen, 
wenn  auch  in  demselben  Gebiete  noch  andere  Gänge  von  Gesteinen  auftreten, 
die  aber  genetisch  mit  jenen  nichts  zu  thun  haben.  Jeder  Gang  von  Lava,  der 
durch  den  Mantel  des  Aetna  hindurchsetzt  —  in  der  Valle  del  Bove,  dem  be- 
rühmten Flankenthale  dieses  Vulkanes  zählt  man  solcher  Gänge  mit  Hunderten  — 
sofern  er  nicht  von  Seitentrümmem  begleitet  ist,  kann  als  ein  solcher  Einzelgang 
bezeichnet  werden,  denn  der  Vorgang  seiner  Entstehung  erzeugt  eben  nur  den 
einen  Gang ;  ein  erneuerter  Prozess  ist  nöthig,  um  einen  anderen  hervorzubringen. 

Freilich  wird  man  auch  bei  den  Einzelgängen  nur  in  wenigen  Fällen  einzelne 
abzweigende  oder  parallel  verlaufende  Trümmer  vermissen,  aber  ihre  unterge- 
ordnete Grösse  und  die  Abhängigkeit  vom  Hauptgange,  die  Gemeinsamkeit  ihrer 
Mineralführung  mit  diesem  wird  doch  auch  äusserlich  dessen  Charakter  als  iso- 
lirten  oder  Einzelgang  nicht  beeinträchtigen. 

Wesentlich  anders  ist  das  Verhältniss  der  Gruppengänge  oder  Gangge- 
sellschaften. 

b)  Gänge  in  ihrem  Verhältniss  zu  einander  und  zum  Nebengestein. 

Es  ist  weitaus  die  gewöhnliche  Erscheinung,  dass  die  Gänge  sich  in  gewissen 
Gebieten  zahlreicher  zusammenfinden  und  die  Beziehungen  derselben  sowohl  in 
ihrer  gegenseitigen  I^age  als  auch  in  Bezug  auf  die  Gemeinsamkeit  oder  Ver- 
schiedenheit ihrer  Mineralausfüllung  ist  dann  von  grosser  Wichtigkeit 

Während  in  einzelnen  Gebieten  die  Gänge  in  überaus  grosser  Zahl  bekannt 
sind,  und  auch  in  deutlich  zusammengehörige  Gruppen  sich  vertheilen,  erscheinen 
sie  in  anderen  Gebieten  nur  seltener,  fehlen  oft  fast  ganz.  Freilich  ist  auch  hier- 
Ih^i  tu  bemerken,  dass  ja  vorzüglich  nur  die  Erzführung  oder  wenigstens  die  Aus- 
füllung mit  einem  nutzbaren  Minerale  die  Aufmerksamkeit  auf  eine  Gangspalte 
leitet.  Nicht  alle  Gebiete,  in  denen  keine  Erzgänge  bekannt  sind,  sind  danim 
frei  von  Ciängen.  Nur  ist  ihre  Ausfüllungsmasse  nicht  verwendbar  und  ihr  Vor- 
kommen daher  nicht  gesucht  und  beachtet 

Eine  Ganggruppe  oder  eine  Gesellschaft  zusammengehöriger  Gänge  be- 
stimmt sich  ausser  durch  den  localen  Verband  ihres  Auftretens,  durch  die  Be- 
ziehungen ihrer  l^age  und  endlich  auch  durch  die  Gemeinsamkeit  ihrer  AnslÜllting:- 
minemle. 

Streichen  und  lallen  in  einem  Gebiete  mehrere  Ginge  parallel,  so  neimt  man 
sie  Tarallel^ange  oder  einen  Gangiug.  Sie  kommen  dann  natürlich  unter- 
euvinilcr  nicht  iwr  Berührung,  liefen  jedoch  oft  so  nahe,  d.  h.  also  durch  cme 
$0  wenig  dicke  Zwischenwand  des  Nebengesteins  geciennl.  dass  nur  geringe  Ab- 


Die  Gänge. 


461 


lenkungen  des  einen  derselben,  sei  es  im  Fallen  oder  Streichen,  dennoch  eine 
solche  Berührung  zu  Wege  bringt.  Sie  schaaren  sich,  nennt  dies  der  Berg- 
mann. Bleiben  sie,  ehe  sie  wieder  auseinander  gehen,  eine  Zeitlang  in  Be- 
rühniDg,  so  heisst  dies,  sich  schleppen.  Parallelgänge  oder  Gangzüge  ge- 
hören in  den  meisten  Fällen  auch  zu  einer  genetisch  und  mineralogisch  gleich 
charakterisirten  Ganggruppe. 

Gänge,  die  kein  paralleles  Fallen  oder  Streichen  besitzen  und  einander  be- 
nachbart sind,  müssen  sich  durchschneiden. 

Sind  zwei  Gänge  im  Streichen  parallel,  aber  von  entgegengesetztem  Einfallen, 
so  durchfallen  sie  sich,  sie  bilden  ein  Durchfallkreuz.  Wenn  sie  aber  im 
Streichen,  d.  h.  also  in  der  Längserstreckung  sich  durchkreuzen,  so  bilden  sie 
ein  Gang-  oder  Schaarkreuz.  Dasselbe  kann  entweder  mehr  rechtwinkelig 
sich  gestalten  oder  sehr  spitze  Winkel  bilden.  Im  letzteren  Falle  macht  es  fiir 
die  Wechselverhältnisse  der  beiden  Gänge  noch  einen  Unterschied,  ob  sie  nach 
derselben  Richtung  einfallen  oder  nicht,  d.  h.  gleichsinnig  oder  widersinnig 
fallen.  Diese  Verhältnisse  werden  vor  Allem  von  Bedeutung,  wenn  Gänge  bei 
der  Durchkreuzung  sich  gegenseitig  aus  ihrem  regelmässigen  Weiterstreichen  ab- 
lenken oder  in  den  einzelnen  Theilen  verschieben,  d.  h.  sich  verwerfen. 

(Mio.  80-82.) 


Fig.  I. 


Fig.  2. 


Fig.  3. 


Störungen,  die  ein  Gang  durch  einen  anderen  erleidet,  der  ihn  im  Streichen 
oder  Fallen  durchkreuzt,  kann  man  in  Gangablenkungen  und  Verwerfungen 
unterscheiden. 

Erscheinungen  dieser  Art  gehören  zu  den  allerhäufigsten  und  bieten  die  viel- 
artigsten Verhältnisse  dar.  Oft  schleppt  ein  Gang,  der  einen  anderen  durchsetzt, 
diesen  auf  eine  Strecke  weit  mit,  ehe  derselbe  dann  in  seine  alte  Richtung 
übergeht  und  zwar  kann  dieses  sowohl  im  Streichen  als  auch  im  Fallen  erfolgen. 
Fig.  I  u.  2. 

Oft  ist  eine  Gangablenkung  mit  einer  Zertrümmerung  verbunden  Fig.  3. 
Auch  kommt  der  Fall  vor,  dass  beide  sich  durchkreuzende  Gänge  zugleich  eine 
Ablenkung  erfahren. 

Alle  Verhältnisse  dieser  Art  lassen  sich  an  kleinen  Handstücken  von  schwarzem 
Kieselschiefer,  der  oft  von  zahlreichen  feinen  Trümmern  weissen  Quarzes  durch- 
zogen wird,  auf  das  schönste  verfolgen  und  studiren.  Da  finden  sich  auf  kleinem 
Raum  und  in  kleinem  Maassstabe  alle  Erscheinungen  copirt,  die  wir  im  Grossen 
an  den  Gangklüften  in  den  Gesteinen  wahrnehmen.  Darin  erkennen  wir  zu- 
gleich, dass  die  mechanische  Zertrümmerung  und  Zerspaltung  in  den  Gesteinen 
die  gemeinsame  Ursache  von  beiderlei  Erscheinungen  ist. 


462  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Die  Gangablenkung  ist  ein  Vorgang,  der  in  der  ursprünglichen  Spaltenbildung 
bedingt  war.  Die  schon  vorhandene  Gangspalte  oder  Kluft,  war  dieselbe  schon 
erfüllt  oder  nicht,  wirkte  ablenkend  auf  eine  später  aufreissende  Spalte.  Nur  so 
erklären  sich  die  häufigen  Erscheinungen  vollkommener  Verschmelzung  und 
gleichzeitiger  Ausftillungsmasse  beider  Gänge  an  solchen  Ablenkungen  und  dk 
nur  an  der  einen  Spalte  erfolgende  Zertrümmerung  bei  der  Annäherung  an  die 
andere,  bereits  vorhandene.  Endlich  vor  Allem  die  oft  nach  entgegengesetzten 
Richtungen  erfolgende  Umbiegung  der  einzelnen  Gangtrümmer,  die  nicht  auf 
eine  in  gewisser  Richtung  erfolgte  gemeinsame  Verschiebung  zurückgeführt  werden 
kann,  sondern  nur  in  den  die  Richtung  der  aufreissenden  einzelnen  Spaltendieüe 
bedingenden  ablenkenden  Einflüssen  der  schon  vorhandenen  anderen  Spalte  und 
der  damit  im  Zusammenhange  stehenden  verschiedenen  Widerstandskraft  dts  Ge- 
steines, indem   die  abgelenkte  Gangspalte  aufreisst,  ihren  Grund  haben  kann. 

Es  ist  sonach  das  Charakteristische  für  die  Gangablenkungen,  dass  der 
abgelenkte  Gang  der  jüngere,  der  ablenkende  der  ältere  ist.  Darin  beruht 
der  Unterschied  derselben  gegen  die  Verwerfungen,  die  bezüglich  ihrer  Er- 
scheinungen allerdings  mit  jenen  die  grösste  Aehnlichkeit  haben  und  früher  auch 
mit  ihnen  fast  durchweg  zusammengeworfen  wurden. 

Eine  Verwerfung  ist  ebenfalls  die  Folge  der  Durchkreuzung  zweier  Gang- 
spalten oder  Klüfte,  wobei  jedoch  der  in  seinen  Theilen  auseinandergeschobene  d.  L 
also  abgelenkte  Gang  der  ältere,  dagegen  der  ablenkende  oder  verwerfende 
Gang  der  jüngere  ist.  Bei  einer  Verwerfung  fand  also  eine  Bewegimg  der 
beiden  Gebirgstheile  gegeneinander  statt,  die  durch  eine  neu  aufreissende  Spalte 
getrennt  wurden,  während  dieses  bei  der  Gangablenkung  nicht  noth wendig  der 
Fall  war.  Die  Anzeichen  der  stattgehabten  Bewegung  zeigen  sich  bei  der  Ver- 
werfung darum  auch  in  Rutschflächen,  in  den  durch  die  Bewegung  geschrammten 
oder  glatt  polirten  Harnischen  oder  Spiegeln.  In  der  Lage  der  Schrammen  auf 
den  gegeneinander  gleitend  bewegten  Gesteinswänden  erkennt  man  die  Richtung 
des  Gleitens  und  oft  die  Wiederholung  ungleichartiger  Bewegung. 

Die  Bewegung  der  beiden  Stösse  einer  verwerfend  wirkenden  Spalte  be- 
dingt natürlich  ein  Verschieben  der  beiden  Wände  des  Nebengesteines  und  der 
darin  etwa  vorhandenen  Gänge.  Es  entsprechen  sich  die  nach  der  Bewegung 
einander  gegenüberliegenden  Theile  des  Nebengesteines  nicht  mehr  und  ebenso- 
wenig passen  die  beiden  vorher  zusammengehörigen  Gangebenen  noch  aufein- 
ander. Es  kann  die  Verschiebung  der  beiden  Theile  entweder  nur  in  der  Ver 
ticalebene  oder  nur  im  Grundriss  oder  in  beiden  zugleich  zum  Ausdruck  kommen. 
Das  hängt  von  der  Stellung  des  verwerfenden  Ganges  und  dem  Verhältniss  seiner 
Lage  zu  der  verworfenen  Schicht  oder  dem  verworfenen  Gange  ab. 

Es  unterscheiden  sich  in  diesen  Verhältiüssen  die  Gangverwerfungen  in  nichts 
von  den  Schichtenverwerfungen;  in  dem  Kapitel  über  die  Schichtenlchre  vv^ 
daher  eingehender  über  dieselben  zu  sprechen  sein.  Hier  mag  nur  kurz  wenigsteas 
das  Allgemeine  Erwähnung  finden. 

Die  Verschiedenheiten  in  der  Erscheinung  einer  Verwerfung,  wie  sich  die- 
selbe in  einer  Profil-  oder  Grundrisszeichnung  darstellt,  hängen  von  dem  Ver- 
hältnisse des  Fallens  und  Streichens  des  verwerfenden  zu  dem  verworfenen 
Garige  ab.  Haben  zwei  Gänge,  von  denen  der  eine  den  anderen  verwirft,  ein 
gleiches  Streichen,  so  nennt  man  die  Verwerfung  eine  streichende,  die  statt- 
gehabte Verschiebung  liegt  natürlich  nur  in  der  Fallebene  und  kann  daher  auch  nur 


Die  Gänge. 


463 


im  Profile  zur  Darstellung  kommen,  gleichgiltig,  ob  die  beiden  Gänge  gleiches 
oder  wiedersinniges  Einfallen  besitzen.     Fig.  4. 

Steht  aber  das  Streichen  der  beiden  Gänge  aufeinander  senkrecht  (quer- 
schlägige  Verwerfung)  so  tritt  die  stattgehabte  Verschiebung  nur  in  einer  Grund- 
risszeichnung deutlich  hervor  (Fig.  5).  Ebenso  dann,  wenn  die  beiden  Gänge  unter 
spitzen  Winkeln  sich  durchsetzen  (spiesseckige  Verwerfung)  (Fig.  6).    Stehen 

(Min.  88-a5.) 

i 

i 

i 


Fig.  4. 


Fig.  5. 


Fig.  6. 


(Min.  86.) 


9m\z»nkale 


Fig.  7. 


die  Gänge  dabei  vertical,  so  giebt  der  Grundriss  ein  ganz  vollkommenes  Bild; 
bei  tonnlägigen  oder  flachen  Gängen  aber  werden  die  Verhältnisse  nur  durch  per- 
spectivisch  schematische  Darstellung  vollkommen  deutlich  gemacht  werden  können. 
Dazu  dienen  recht  zweckmässig  Modelle,  die  aus  verschiebbaren  Glasplatten  zu- 
sammengesetzt werden.  (Fig.  7,  in 
welcher  die  auf  ihre  Gangebene  re- 
dudrten  Gänge  perspectivisch  als 
Glasplatten  gezeichnet  sind). 

Dass  endlich  auch  die  I^age  der 
verworfenen  Gangstticke  zum  Verwer- 
fer  noch  Unterscheidungen  bedingen, 
je  nachdem  der  im  Hangenden  oder 
Liegenden  des  letzteren  sich  befin- 
dende Theil  des  ersteren  in  der 
höheren  oder  tieferen  Lage  sich  findet, 
das  mag  hier  ebenfalls  nur  erwähnt  sein,  und  wird  des  Näheren  wegen  auf  den 
Artikel  » Schichtenlehre c  verwiesen. 

Verwerfungen  haben  oft  die  Bildung  neuer  Hohlräume  in  den  Gangspalten 
zur  Folge,  auf  denen  eine  veränderte  Mineralausfüllung  Platz  findet.  Das  kann 
besonders  dann  eintreten,  wenn  die  Salbänder  der  Gänge  eine  unregelmässige, 
wellige  Gestaltung  haben  und  darnach  bei  einer  Verschiebung  die  gegenüber- 
liegenden Theile  nicht  aufeinender  passen. 

Die  Beziehungen  der  Gänge  zum  Nebengestein,  die  sich  im  Verhältnisse  des 
Gangstreichens  zum  Streichen  der  Schichten  oder  zu  den  Grenzen  besonders  ab- 
geschlossener Gesteinsmassen  aussprechen,  sind  gleichfalls  von  geologischer 
Wichtigkeit  und  hängen  meistens  mit  genetischen  Vorgängen  innig  zusammen. 

Die  Gänge  besitzen  entweder  ein  mit  den  Schichten  gemeinsames  Streichen 
oder  sie  setzen  quer,  recht-  oder  schiefwinkelig  durch  dieselben  hindurch.  In 
ersterem  Falle  kann  ihr  Charakter  als  Gang  oft  nur  schwierig  erkannt  werden 
und  sie  nehmen  dann  geradezu  den  Charakter  von  Schichten  an,  wenn  sie  mit 
diesen  auch  ein  gemeinsames  Einfallen  besitzen.  Das  ist  z.  B.  oft  der  Fall  bei 
Gängen    von  Eruptivgesteinen,    die  schichtengleich    als   parallele  Platten  einem 


464  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

einem  Schichtensysteme  eingeschaltet  erscheinen,  die  sogen.  Intrusivgänge.  Oft 
biegt  auch  ein  quer  durch  die  Schichten  hindurchsetzender  Gang  in  dieselben  um 
und  lagert  sich  zwischen  dieselben.  Zahlreiche  der  als  parallele  Platten  den 
Tuffen  des  Aetnamantels  eingeschaltete  Lavamassen  sind  als  solche  intrusire 
Gänge  anzusehen.  Das  kommt  ebenfalls  bei  anderen  Gesteins-  und  auch  bei 
Mineral-  und  Erzgängen  nicht  selten  vor.  Die  schichtenähnlichen  Basaltinjectionec, 
wie  sie  z.  B.  auf  den  Inseln  Coli  und  Barra  im  Gneiss,  auf  der  Insel  Skye  in 
den  Schichten  der  Juraformation  und  nach  Geikie  in  ausgedehntem  Maasse  auch 
auf  den  Inseln  Raasay,  Mull  und  Eigg  auftreten,  wo  an  einer  Localität  mehr  als 
20  theils  sehr  schmale,  theils  2 — 3  Meter  mächtige  Lager  von  Dolerit,  Anamesit, 
und  Basalt  zwischen  die  Gesteine  der  Juraformation  eingeschaltet  sind^)  und  viele 
andere  vulkanische  Gegenden  liefern  hierzu  Beispiele.  Solche  streichende  Gänge, 
die  mit  gleichsinnigem  Fallen  einem  Schichtensysteme  eingeschaltet  erscheinen, 
pflegt  man  im  Allgemeinen  als  Lagergänge  zu  bezeichnen. 

Meist  zeigen  die  Ganggruppen  oder  Zonen  eines  an  Gängen  reichen  Gebietes, 
eines  Gangnetzes,  wie  dieses  treffend  bezeichnet  wird,  wenn  die  Gänge  zahl- 
reich sich  durchkreuzen,  eine  auch  in  ihrer  Ausfüllung  sich  ausprägende  Ver 
schiedenheit,  je  nachdem  sie  zu  dem  allgemeinen  Streichen  der  Gebirgsscbichten 
gestellt  sind.  Die  Querspaltengänge  zeigen  ein  anderes  Verhalten,  als  die  Längs- 
spaltengänge. Zur  Unterscheidung  der  Gänge  und  Ganggruppen  bezüglich  dieser 
Stellung  zu  dem  Streichen  der  Gebirgsscbichten  erscheint  die  auch  für  andere 
Verhältnisse  (z.  B.  Thäler)  allgemein  gebräuchliche  Bezeichnung:  Tran s versa  1- 
und  Longitudinalgänge  wohl  zweckmässig.  Dass  aus  dieser  Stellung  nicht  immer 
unmittelbar  ein  Schluss  auf  die  Genesis  der  Gänge  gezogen  werden  kann,  dass  aber 
dennoch  dieselbe  und  besonders  die  der  Ganggnippen  zu  den  Schichtensystemen 
von  genetischen  Verhältnissen  abhängt  und  dass  daher  auch  in  Gebieten  von 
gemeinsamen  Schichtenbau,  gewisse  Gangrichtungen  immer  die  vorherrschenden 
sind,  das  ist  durch  viele  Beispiele  festgestellt  und  wird  im  Folgenden  noch  eines 
Näheren  erläutert  werden. 

In  dem  an  Gängen,  sowohl  Gesteinsgängen,  vorzüglich  Basalten,  als  auch  Erz- 
gängen ganz  aussergewöhnlich  reichen  Gebiete  der  unterdevonischen  Formation 
in  der  Gegend  von  Siegen,  und  namentiich  zwischen  den  Flüssen  Sieg  und 
Heller  tritt  ein   solches  Verhältniss  auf  das  deutlichste  hervor. 

Das  Gangnetz  dieser  Gegend  ist  so  reich,  wie  es  kaum  anderwärts  im  rttei- 
nischen  Schiefergebirge  vorkommt  Die  Gänge  setzen  meistens  in  Querspalten 
auf,  sind  demnach  Transversalgänge,  stellenweise  aber  auch  auf  Längssp&lten. 
Gerade  diese  letzteren,  die  Longitudinalgänge,  sind  bezüglich  ihres  Aushaltens  im 
Streichen  ausgezeichnet  und  bedingen  die  allgemeine  Richtung  der  Hauptgang- 
Züge  dieses  Gebietes.  Diese  geht  von  NO. — SW.  also  nahezu  übereinstimmend 
mit  dem  Streichen  |der  Bänke  der  Devongnippe,  das  zwischen  Stunde  4  und  5 
mit  einem  südsüdöstl.  Einfallen  liegt  In  diesem  Streichen  nahezu  liegen  die 
Gangzüge  des  Hollerterzuges,  Erz-  und  Basaltgänge  in  innigem  Verbände,  tbech 
so  der  Ohligerzug.  der  aus  dem  Thale  von  Daaden  hinüber  streicht  bis  in  das 
Hellerthal  bei  Stnithhütte  u.  a.  Es  gehören  diese  auch  bezüglich  ihrer  Mächtig- 
keit  und  Ergiebigkeit  zu  den  bedeutendsten  des  ganzen  rechtsrheinischen  Erz 
reviers. 

In  sich  aber  sind  diese  Gangzüge,  die  zugleich  die  trefflichsten  Beispiele  von 


»)  QttÄrt.  Jou«.  of  geol.  See.  XXVIL   187 1.  297. 


Die  Gänge.  465 

zusammengehörigen  Ganggruppen  bieten,  ausser  durch  den  Parallelismus  im 
Streichen  und  Einfallen  auch  durch  eine  gleichartige  Beschaffenheit  der  Gangaus- 
füllongsmasse  charakterisirt.^)  In  beiden  spricht  sich  der  innige  genetische  Zu- 
sammenhang aus,  der  diese  Gruppen  verbindet. 

Ausser  den  im  Vorhergehenden  aufgeführten  beiden  Arten  der  Gruppirung 
der  Gänge  in  einem  Gebiete  bezüglich  ihres  Streichens,  Parallelgänge  oder  sich 
durchquerende  Netzgänge,  kommen  auch  solche  Ganggruppen  vor,  bei  denen  die 
Gänge  von  einem  Punkte  aus  strahlenförmig  oder  fächerförmig  verlaufen: 
Strahlengänge.  Sehr  ausgezeichnet  soll  nach  von  Groddeck  dieser  Fall  am 
Oberharze  ausgeprägt  sein,  wo  die  Gänge  nach  drei  Richtungen,  unter  denen 
zwei  besonders  stark  entwickelt  sind,  von  einem  Punkte  ausstrahlen.^ 

Die  ausgezeichnetsten  Beispiele  einer  solchen  strahlenförmigen  Gruppirung 
von  Gängen  liefern  aber  die  Vulkane,  bei  denen  von  dem  Eruptionscentrum  aus 
die  Lavagänge  mit  genau  radialer  Richtung  nach  allen  Seiten  durch  den  Kegel 
des  Berges  hindurchziehen,  wie  dieses  ganz  besonders  schön  an  den  Gängen  des 
Aetna  zu  sehen  ist.  Die  auf  einen  gemeinsamen  Mittelpunkt  verweisende  ra- 
diale Stellung  der  Gänge  einer  gewissen  Eruptionsepoche  hat  Sartorius  von 
Waltershausen  sogar  benutzt,  um  die  Lage  der  jedesmaligen  Eruptionscentren 
daraus  zu  berechnen. 

Auch  in  Gebieten  längst  erloschener  vulkanischer  Thätigkeit,  bei  denen  das 
alte  Centrum  in  der  Oberflächenconfiguration  nicht  mehr  wieder  zu  erkennen  ist, 
pflegt  die  radiale  Convergenz  der  Gesteinsgänge  dessen  Lage  noch  anzudeuten. 
So  vermag  man  im  Mont  Dore,  einem  heute  seiner  Form  nach  kaum  noch  zu 
erkennenden  Centralvulkane,  aus  der. Anordnung  der  strahlenförmig  in  den  Um- 
gebungen des  Puy  de  Sancy  in  den  Trachyttuffen  und  Conglomeraten  auftretenden 
und  hier  in  grosser  Zahl  als  aufragende,  mauerähnliche  Klippen  sichtbaren  Trachyt- 
gänge  fast  mit  Sicherheit  zu  schliessen,  dass  die  Vallde  de  la  Cour,  unmittelbar 
am  Fusse  des  Puy  de  Sancy,  der  einstige  Mittelpunkt  dieser  vulkanischen  Thätig- 
keit gewesen  sei. 

n.   Mineralogie  der  Gänge. 

i.^Ausfüllungsmaterial  und  Structur. 

Eine  scharfe  Eintheilung  der  Gänge  lediglich  nach  ihrem  Ausfüllungsmaterial 
ist  nicht  leicht  durchzuführen.  Es  müssen  noch  andere  leitende  Gesichtspunkte 
hinzukommen.  Gewöhnlich  ist  dieses  die  technische  Bedeutung  der  in  der  Gang- 
ausfüllung vorkommenden  Minerale.  Man  pflegt  die  Gänge  als  taube  und  erz- 
führende Gänge  zu  unterscheiden,  unter  den  ersten  alle  Gesteins-  und  Mineral- 
gänge verstanden,  die  keine  nutzbaren  Minerale  enthalten,  unter  den  letzteren 
alle  eigentlichen  Erzgänge. 

Dabei  ist  streng  genommen  der  Begriff  »Erz«  nicht  auf  echt  me- 
tallische Minerale  allein  beschränkt,  sondern  er  wird  auch  auf  andere  nutzbare, 
aber  nicht  metallische  ausgedehnt.  Der  Bergmann  macht  darin  keinen  Unter- 
schied, sondern  nennt  eben  kurzweg  Erz,  was  der  Gegenstand  der  Gewinnung 
ist,  nicht  nur  gediegen  Gold,  Silber,  Kupfer,  Oxyde  der  Metalle  oder  Schwefel- 
verbindungen, sondern  auch  z.  B.  die  Carbonate  des  Eisens,  Spatheisenstein,  den 
Zinkspath,  Manganspath,  Strontianit  u.  a. 

Erzgänge  und  taube  Gänge  sind  entweder  Gesteins-  oder  Mineralgänge. 

^)  A.  RiBBENTROFP,  Beschreibung  d.  Bergreviers  Daaden-Kirchen.    Bonn  1882.  pag.  33  u.  a. 
*)  Nach  LossEN  wäre  freilich  dieses  Verhältsiss  nicht  wirklich  vorhanden. 
KmiGOTT,  Mm.,  G«ol  u.  PaL    L  30 


466  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Unter  Gesteinen  versteht  man  solche  Mineralgemenge,  wie  sie  auch  in 
grösseren,  selbständigen  Ge.birgsgliedem  als  Gestein  vorkommen.  Gesteine) 
sehr  ähnlich  können  auch  Mineralgänge  durch  besondere,  meist  nur  locale  Ans- 
bildung  werden,  aber  die  Constanz  in  der  Zusammensetzung,  die  die  Gesteine 
charakterisirt,  pflegt  dann  doch  zu  fehlen.  Da  Gesteinsgänge  gar  nicht  selten  en- 
führend  sind,  so  kann  also  nicht  in  erster  Linie  der  Umstand  als  Eintheüung»- 
princip  gelten,  ob  die  Gangausfliliung  ein  Gestein  oder  ein  anderes  Mineralge- 
menge  sei,  wenn  man  einmal  von  dem  technisch -bergmännischen  Gesichts- 
punkt ausgeht.  Auch  die  Erzgänge,  die  nicht  Gesteinsgänge  sind,  sind  alle 
Mineralgänge  und  keinesweges  durch  irgend  welche  gemeinsame  Kennzeichen 
ausgezeichnet  als  gerade  durch  die  Erzführung,  durch  die  technische  Verwendbar- 
keit eines  Theiles  ihrer  Mineralführung. 

Mit  dem  Fortschreiten  der  chemischen  Wissenschaften  kann  jeden  Augen- 
blick für  ein  Mineral  eine  technische  Verwendung  sich  erschliessen,  die  man 
früher  nicht  gekannt  hat.  Dann  tritt  ein  solches  Mineral  in  die  Reihe  der  nutz- 
baren über.  So  ist  z.  B.  der  Strontianit  erst  in  neuester  Zeit,  wo  seine  Verwendung 
in  der  Zuckerindustrie  als  werthvoll  erkannt  worden  ist,  Gegenstand  ausge- 
dehnter bergmännischer  Gewinnung  geworden,  so  besonders  in  der  Gegend  von 
Hamm  in  Westphalen.  Gänge  dieses  Minerals  würde  man  jetzt  zu  den  Erzganges 
zu  rechnen  haben. 

Ganz  besonders  hat  aber  die  Eintheilung  der  Gänge  nach  der  Eizfühniii|! 
keinerlei  geologische  Bedeutung.  Eine  solche  kann  nur  von  dem  Gesichts- 
punkte genetischer  Beziehungen  aus  geschehen. 

Dieser  bietet  sich  in  der  Erfahrung,  dass  bei  den  einen  Gängen  das  Au5- 
füllungsmaterial  ein  ursprüngliches  d.  h.  in  der  Gangspalte  selbst  ausschliesslich 
gebildetes,  entstandenes,  bei  anderen  Gängen  aber  ein  solches  ist,  welches  als 
Trümmermaterial  schon  früher  bestandener  Mineralmassen  durch  beson- 
dere Vorgänge  erst  in  die  Gangspalte  geführt  wurde. 

Freilich  ist  auch  hiemach  eine  scharfe  Trennung  keinesweges  möglich.  E> 
kann  der  Natur  der  Sache  nach  nicht  in  allen  Fällen  die  Ursprünglichkeit  der 
Mineralerfüllung  mit  Sicherheit  erkannt  werden.  Ganz  besonders  aber  fehlen 
auch  da,  wo  eine  ursprüngliche  ErfuUung  vorherrscht,  die  Trümmer-  und  Bnich- 
stücke  zerstörter  älterer  Bildungen  nicht  ganz,  sowie  andererseits  auch  bei  über- 
wiegender Erfüllung  durch  klastisches  Material  doch  auch  für  den  Gang  auto- 
gene Minerale  sich  damit  vereinigen.  Eine  breite  Mittelzone  verbindet  daher 
die  beiden  in  ihren  äusseren  Gliedern  wohl  getrennten  Abtheilungen. 

Es  wird  vor  Allem  die  überwiegende  Menge  der  einen  oder  anderen  Bestand- 
theile  entscheiden,  zu  welcher  der  beiden  Gruppen  ein  Gang  zu  rechnen  ist 

In  diesem  Sinne  würden  also  die  Gänge  einzutheilen  sein  in:  I.  Autogene, 
d.  h.  solche   mit  überwiegend  in  der  Gangspalte  selbst  entstandener  Ausfüllung 
und   zwar  a)  Gesteins-  und  b)  Mineralgänge  und  II.  Allogene  Gänge,  solche 
mit  überwiegend  klastischem  Material  als  Ausfüllung.     Für  diese  würde  auch 
die  Bezeichnung  Conglomeratgänge  gebraucht  werden  können,  wenn  man  dx> 
Wort  nicht  in  der  üblichen  beschränkteren,  geologischen  Bedeutung,  sondern  in 
dem  erweiterten  Sinne  des  überhaupt  Zusammengehäuftseins  anwenden  will.    Es 
würden     darunter     ebensowohl     feinkörnige     Sedimente,     Zusammenhäufungen 
gröberer   abgerundeter,  als  auch  scharfkantiger  Bruchstücke  (Breccien)  zu  irer- 
stehen  sein.    Für  die  Rolle,  die  diese  Trümmermateriale  in  den  Gängen  spielen, 
macht  das  keinen  Unterschied. 


Die  Gänge.  467 

Auch  für  den  Bergmann,  der  lediglich  die  Erzgänge  in  den  Kreis  seiner 
Betrachtung  zieht,  erscheint  eine  solche  Eintheilung  nicht  unzweckmässig.  Die 
darin  hervortretende  genetische  Beziehung  hat  auch  für  ihn  Werth.  Das  werden 
am  Besten  die  im  Folgenden  angeführten  besonderen  Beispiele  ergeben. 

I.  Autogene  Gesteinsgänge. 

Gesteinsgänge  sind  keinesweges  immer  autogen  in  dem  oben  entwickelten 
Sinne.  Wir  lernen  im  Folgenden  Gänge  kennen,  deren  Material  der  Beschaffen- 
heit nach  durchaus  Gesteinen  entspricht,  z.  B.  Sandsteinen,  Thonschiefem  und 
die  dennoch  nur  in  die  Gangspalte  conglomerirt  wurden. 

Die  grösste  Mehrzahl  der  wirklich  autogenen  Gesteinsgänge  besteht  aus  Ge- 
steinen, die  den  Charakter  der  sogen,  krystallinischen,  massigen  Gesteine  an  sich 
tragen  und  ihrer  Entstehung  nach  als  Eruptivgesteine  bezeichnet  werden.  Es 
sind  dieses  vornehmlich:  Granit,  Porphyr,  Diorit,  Diabas,  Melaphyr,  Basalt  und 
Trachyt,  ohne  hierbei  die  feinere  Unterscheidung  der  Gesteinsarten,  wie  sie  die 
neuere  Gesteinslehre  durchzuführen  vermochte,  zu  berücksichtigen. 

Gesteinsgänge  dieser  Art  stehen  daher  auch  in  der  Regel  mit  grösseren  zu- 
sammenhängenden Gebirgsmassen  desselben  Gesteins  in  örtlichem  Zusammen- 
hang. Ofl  sind  sie  sogar  direkt  als  Abzweigungen,  Ausläufer  (auch  Apophysen 
genannt)  von  solchen  Massivs  erkannt  worden. 

So  sind  die  von  manchen  Granitkemen  in  Gebirgen  auslaufenden  Apophysen, 
die  in  die  den  Granit  umgebenden  Schichtensystemen  fortsetzen  und  endigen, 
dort  als  Gänge  anzusehen. 

Zahlreiche,  oft  sehr  mächtige  Granitgänge  setzen  durch  die  breite  Zone 
silurischer  Formationsglieder  hindurch,  welche  die  centralen  Granite  der  südlich 
von  Dublin  gelegenen  Gebirgskette  von  Wicklow  bis  Waterford  umsäumen.  Wenn 
auch  nur  an  wenigen  Stellen  der  direkte  Zusammenhang  mit  dem  Granitcentrum 
zu  Tage  liegt,  so  kann  doch  kaum  ein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  die  zahl- 
reichen granitischen  Gänge  Apophysen  jenes  sind. 

Es  pflegen  daher  auch  Gesteinsgänge  in  gewissen  Gegenden  in  ganz  be- 
sonders dichter  Häufung  aufzutreten.  Ueberall  dort  z.  B.,  wo  basaltische  Kuppen 
oder  Decken  als  die  Anzeichen  stattgehabter  vulkanischer  Durchbrüche  erscheinen, 
da  sind  die  Formationen,  durch  welche  jene  hindurchbrachen  und  welche  sie  nun 
bedecken,  auch  von  basaltischen  Gängen  durchschwärmt.  An  Basaltgängen  ganz 
ausserordentlich  reich  ist  das  rheinische  Schiefergebirge,  soweit  demselben  Basalt- 
kuppen aufliegen,  nach  Osten  bis  in  die  Gegend  von  Dillenburg  und  nach  Süden 
bis  an  die  Mosel.  Noch  in  der  Gegend  von  Wittlich  sind  Basaltgänge  bekannt 
Weiter  südlich  zwischen  Nahe,  Saar  und  Mosel  durchsetzen  die  Schichten 
der  devonischen  Formation  zahlreiche  Diabas-  und  Dioritgänge,  mehr  nach  der 
Nahe  zu,  in  den  Schichten  der  Kohlenformation  und  der  Dyas  treten  Melaphyr- 
und  Porphyrgänge  auf. 

Zahlreiche  Gänge,  meist  Grünsteine,  Diabase  und  Diorite  durchziehen  die 
verschiedenen  Etagen  der  silurischen  Formation  im  südlichen  Norwegen  in  der 
Umgegend  von  Christiania,  oft  von  sehr  geringer  Mächtigkeit,  meist  von  i — 3  Meter. 

Zahllose  Beispiele  aus  den  verschiedensten  Ländern  und  Formationen  könnten 
diesen  noch  angereiht  werden. 

Auf  alle  Gesteinsgänge  passen  die  topographischen  Verhältnisse,  wie  sie  im 
vorigen  Abschnitte  für  die  Gänge  im  Allgemeinen  erörtert  worden  sind.  Gesteins- 
gänge sind  oft  durch  ganz  besondere  Regelmässigkeit  und  scharfe  Ausprägung 

30* 


468  Mineralogie,  Geologie  and  Palaeontologie. 

ihrer  Salbänder  ausgezeichnet     Freilich  bieten  sich   auch  sehr  unregelmassige, 
seltsam  gebogene  und  verzweigte  Formen  dar. 

Die    Structur   ihrer   AusfUUungsmasse    zeigt   nicht   selten  eine  gewisse  Ab- 
hängigkeit  von   den    Dimensionen  und  Verhältnissen  der  Gangspalte.    In  sehr 
engen  Spalten  pflegen  die  Granitgänge  oft  eine  besonders  feinkörnige  oder  didte, 
porphyrähnliche  Beschaffenheit  anzunehmen.     Fast  übereinstimmend  ist  in  aUen 
Gebieten    die   Beobachtung,    dass   die  Ganggranite   feinkörniger  und  manchmal 
auch  von  einer  anderen  petrographischen  Entwicklung  sind  als  die  Granite  dei 
grösseren  Ablagerungen.     Ganz    besonders  pflegen  Granitgänge   und  Adern  im 
Granit  feinkörniger  zu  sein,  als  dieser.    Jedoch  kommen,  freilich  seltener,  audi 
grobkörnige  Ganggranite  vor. 

Während  oft  im  Inneren  der  Gangmasse  ein  Gestein  grosskömige,  kiystalli- 
nische  Ausbildung  besitzt,  wird  nach  den  Salbändern  zu  dieselbe  feinköniigci 
und  dicht.  Bei  den  Granitgängen  tritt  eine  dichte  felsitische  Ausbildung,  bei 
Basalten  und  Trachyten  eine  glasreichere,  oft  geradezu  obsidianardge  Bescbafiü»- 
heit  der  Salbänder  auf.  Die  im  Inneren  deutlich  krystallinischen,  oft  grosse 
Leucite  enthaltenden  Lavagänge  am  Vesuv  im  Mantelgebirge  der  Somma  und 
die  doleritischen  Gänge  der  Valle  del  Bove  am  Aetna  zeigen  mehrfach  die  ob- 
sidianartigen  Rinden  ihrer  Salbänder. 

Mit  der  im  Inneren  der  Gänge  sich  entwickelnden  grosskömigen  Beschaftih 
heit  ist  auch  die  Ausbildung  von  Drusenräumen  mit  wohlgebildeten  KiystaU- 
gruppen  verbunden.  Die  im  Centralgranite  des  Riesengebirges  aufsetzenden 
Gänge  enthalten  im  Inneren  solcher  Drusen  oft  mehrere  Fuss  grosse  Kiysrall- 
gruppen  der  schönsten  Orthoklase  und  Bergkrystalle.  Auch  die  schönen  und 
durch  den  Reich thum  an  verschiedenen  Mineralen  ausgezeichneten  Granitgänge 
auf  der  Insel  Elba  verdanken  diesen  ihrer  grosskömige  und  drüsige  Beschaffen- 
heit im  Inneren. 

Nicht  mit  echten  Gesteinsgängen  zu  verwechseln  ist  die  oft  in  beiderseitig 
ziemlich  scharf  begrenzten  und  geradlinig  verlaufenden  Zonen  erfolgte  ab- 
weichende Ausbildung  einer  Gesteinsmasse.  In  den  Graniten  von  Striegau  in 
Schlesien,  die  im  Allgemeinen  eine  ziemlich  gleichmässige  mittelkömige  Stmctur 
besitzen,  erscheinen  oft  solche  Streifen  von  dichter,  granulitartiger  Beschaffenheit 
Dadurch  treten  sie  anscheinend  mit  scharfen  Grenzen  gegen  den  umgebenden 
Granit  hervor.  Jedoch  zeigen  zahlreiche  allmähliche  Uebergänge  ihrer  Masse  a 
diesen,  sowie  die  stets  vollkommene  innige  Verwachsung  und  Verflössung,  dass 
es  keinesweges  später  erfüllte  Spalten  sein  können.  Entweder  sind  es  nur  weit- 
hin sich  erstreckende  Schlieren  von  anderer  Ausbildung,  aber  gleichzeitig  ent- 
standen mit  dem  ganzen  Gesteine  oder  es  sind  mit  der  schon  theilweise  erfolgten 
Verfestigung  des  Gesteines  geöffnete  Risse  in  diesem,  die  unmittelbar  durch 
Nachschub  aus  den  noch  flüssigen  Theilen  sich  wieder  erfüllten.  Das  nur  zähe, 
keinesweges  ganz  feste  Nebengestein  schmolz  dann  mit  ihnen  wieder  mehr  oder 
weniger  zusammen.  Aehnliche  Vorgänge  lassen  sich  wohl  bei  erstarrenden  Law- 
strömen  beobachten.  Dann  allerdings  würden  jene  Einlagerungen  mit  echten 
Gängen  eine  gewisse  Verwandtschaft  besitzen. 

Gesteinsgänge  finden  sich  in  allen  Formationen  von  den  ältesten  archäischen 
Schiefem  an  bis  zu  den  jüngsten  sedimentären  Bildungen.  Geologisch  hat  das  Sc 
Bedeutung,  dass  die  Bedingungen  zu  ihrer  Entstehung  im  Allgemeinen  also  >'on 
den  ältesten  Zeiten  an  vorhanden  gewesen  sein  müssen. 

Gar  nicht  selten  sind  echte  Gesteinsgänge  durch  eine  ErzfÜhning  auch  En- 


Die  Gänge.  469 

gänge.  Sie  enthalten  die  Erze  in  sehr  verschiedener  Weise.  Entweder  treten 
dieselben  in  der  Form  von  Nestern,  Trümmern,  Adern  oder  in  gleichmässigerer 
Vertheilung  eingesprengt  auf,  in  anderen  Fällen  ist  die  Umwandlung  und 
Verwitterung  der  Ganggesteine  die  Veranlassung  zur  Ausbildung  derselben  in 
ihrer  ganzen  Masse  als  Erzgänge.  Das  ist  besonders  bei  gewissen  Eisenstein- 
gängen der  Fall,  die  geradezu  als  die  Residua  umgewandelter  Gesteinsgänge  an- 
zusehen sind.  Der  Gehalt  an  Eisen  war  in  den  Mineralen  bedingt,  die  das  Ge- 
stein zusammensetzten.  So  steht  die  Bildung  von  Eisenerzen  in  ganz  besonderer 
Beziehung  zu  Grünstein-,  Melaphyr-  und  auch  Basaltgängen.  Brauneisenerz  ist 
das  Product,  das  bei  der  Umwandlung  und  Verwitterung  dieser  Gesteine  resultirt. 

Der  Florentingang  zu  Zezic  bei  Przibram  ist  ein  treffliches  Beispiel  eines 
solchen  Eisenerzganges.  Er  ist  ein  Diabasgang  und  enthält  Brauneisenerz  in 
Knollen,  Nieren  und  rundlichen  Körpern  von  verschiedener  Grösse,  oft  zu  mehreren 
Kubikfussen  anwachsend.  Dieselben  liegen  mehr  oder  weniger  dicht  beisammen 
und  verlaufen  z.  Th.  in  die  umgebende  Gesteinsmasse.  Soweit  diese  erzführend 
ist,  erscheint  der  Diabas  sehr  zersetzt  z.  Th.  zu  einer  eisenschüssigen  Thonmasse 
umgeändert.  Am  Hangenden  und  Liegenden  des  Ganges  erscheinen  2 — 3  Fuss 
breite  Parallelzonen  von  Brauneisenstein  mit  Kalkspath. 

Andere  Beispiele  eines  Zusammenhanges  der  Eisensteinführung  bei  Grünstein- 
gängen mit  deren  fortschreitender  Verwitterung  kommen  zahlreich  im  Gebiete 
des  iheinischen  Devons  an  der  oberen  Lahn  vor.  Auch  im  Harz  erscheint  das 
Eisenoxyd  auf  mannigfaltige  Weise  in  den  Diabasgängen  und  Lagern  und  giebt 
diesen  dadurch  eine  besondere  Wichtigkeit.  An  anderen  Orten  ist  auch  das 
Magneteisenerz  ein  Begleiter  von  Grünsteingängen. 

Augitgranatfelsgänge  sind  zu  Arendal  die  Träger  des  dortigen  Magneteisen- 
vorkommens. Zu  Woodspoint  in  Victoria  ist  ein  Grünsteingang  goldführend.^)  Er 
enthält  goldhaltigen  Pjrrit  und  ist  von  Quarztrümmem  durchsetzt  Da  er  aber 
neben  einem  goldführenden  Quarzgange  emporgedrungen  ist,  so  ist  anzunehmen, 
dass  das  Gold  und  der  Tyrit  aus  diesem  herstammen.  Pyritführend  erscheinen 
sonst  sehr  viele  Grünsteingänge.  Pyritreiche  Diorite  hängen  in  der  Colonie 
Queensland  mit  der  Goldfühnmg  zusammen.  Auch  das  altberühmte,  jetzt  leider 
nicht  mehr  gefundene  rothe  Gold  Irland's  stammt  wahrscheinlich  aus  Grünstein- 
gängen in  der  silurischen  Formation  der  Grafschaft  Wicklow.  Der  Felsitporphyr- 
gang  des  Goldfeldes  Kilkiwan  in  Australien,  der  alte  Schiefer  und  Sandsteine 
durchsetzt,  enthält  auf  vielen  feinen  bis  2  Millim.  mächtigen  Spalten  Quarz,  Pjrrit 
und  Gold.^  Sehr  zersetzte  jüngere  granitische  Gänge  im  Granit  und  Gneiss  sind 
die  Träger  der  ziemlich  berühmten  Bleierze  von  Pontgibaud  bei  Clermont-Ferrand 
in  der  Auvergne.  Auch  in  diese  Gänge  scheinen  die  Erze  aber  erst  später  ein- 
gedrungen zu  sein  und  damit  hängt  wohl  die  starke  Umwandlung  des  Gang- 
granites auch  zusammen. 

Die  Granitgänge  des  Erzdistrictes  von  Tellemarken,  westlich  von  Kongsberg 
in  Norwegen  enthalten  Kupfererze.  Die  Gänge  treten  in  Quarzit  und  Quarzit- 
scbiefem  auf  und  sind  Ausläufei*  eines  grösseren  Granitmassivs.  Sie  enthalten 
das  Kupfer  (Kupferglanz)  in  nesterformigen,  massigen  Ausscheidungen  z.  Th.  der 
Art,  dass  eine  gleichzeitige  Bildung  des  Granites  und  der  Erze  wahrscheinlich 
cRcheint      * 


^  G.  WoLFF,     Zeitschr.  d.  deutsch,  geol.  Ges.     1877.     XXIX.     139  u.   155. 
*)  G.  WoLFF,     1.  c.  pag.  82. 


470  Mineralogie,  Geologie  iin<T  Palaeontologie. 

Das  in  verschiedenen  basaltischen  Gebieten  auf  zersetzten  Basalten  Tor- 
kommende  ged.  Kupfer,  z.  B.  bei  Rheinbreitbach  am  Rhein  und  in  Böhmen, 
rührt  wahrscheinlich  aus  benachbarten  Kupfererzgängen  her.  Immerhin  ist  di? 
Möglichkeit  einer  lursprünglichen  Anwesenheit  nicht  ausgeschlossen.  Die  Basdte 
enthalten  geringe  Mengen  Kupfer  und  die  mit  der  Verwitterung  möglich  werdcadc 
Concentradon  und  gleichzeitige  Reduction  vermochte  die  Anhäufung  des  ged 
Metalls  auf  den  Gesteinsklüften  zu  bewirken. 

Zu  erwähnen  sind  hier  auch  die  erzführenden  Gänge  vom  M.  Calvi  bei  Cam- 
piglia  maritima  in  der  toscanischen  Maremme.  Diese  Bleiglanz,  Blende  imd  Kupfer- 
kies mit  verschiedenartigem  Pyroxen  enthaltenden  Gänge  sind  nach  vom  Rath^ 
von  Quarzporphyr-  und  Augitporphyrgängen  in  einer  Weise  durchsetzt  und  be- 
gleitet, dass  auf  eine  gleichzeitige  Entstehung  der  Erzmassen  und  der  Eraptiv- 
gesteinsgänge  geschlossen,  werden  muss. 

Sehr  viel  seltener  als  Eruptivgesteine  treten  in  der  Form  von  Gängen  aacb 
andere  Gesteine  auf,  die  ihrer  Mineral-Zusammensetzung  nach  gewissen  hydito 
genen  Gesteinen  gleichen,  nach  ihrer  Ausbildung  aber  für  autogen  in  den  Gang- 
spalten gelten  müssen.  Es  sind  also  nicht  eigentlich  sedimentäre  Gesteine. 
Hierher  gehören  vor  Allem  die  Quarzite  und  kömigen  Kalksteine. 

Die  meisten,  aus  einem  mehr  oder  weniger  innigen  Gemenge  von  Quan 
bestehenden  Gänge  sind  nach  ihrer  ganzen  Structur  als  Mineralgänge  aufzufassen 
Jedoch  giebt  es  auch  solche,  deren  Beschaffenheit  so  sehr  den  Quarzgesteiner^ 
den  eigentlichen  Quarziten  gleichen,  dass  man  sie  fiiglich  als  Gesteinsgänge  lu 
bezeichnen  hat.  Ganz  besonders  werden  bei  diesen  die  geognosdsche  Stellung,  die 
Lagerungsverhältnisse  zu  entscheiden  haben,  ob  ein  wirklicher  Gang  vorliegt 
Den  Schichtensystemen  conform  eingeschaltete  Lager  dieser  Art  gehören  natürlich 
nicht  hierher. 

Sehr  kleine,  locker -kömige  Quarzgänge  setzen  in  den  aus  umgewandelten 
Hornblende-  und  Pyroxengesteinen  hervorgegangenen  Serpentinmassen  in  der 
Nähe  von  Frankenstein  in  Schlesien  auf.  Die  einzelnen  Körner  zeigen  oft  voll- 
kommen die  dihexaedrischen  oder  prismatischen  Krystallformen.  Diese  kleinen 
mit  der  Serpentinbildung  entstandenen  Gänge  oder  Trümmer,  die  netzartig  das 
Gestein  durchschwärmen,  sind  also  unzweifelhaft  autogen.  Keilhau  beschrieb  von 
Vardöen  in  Finmarken  einen  2 — 3  Fuss  mächtigen  Gang  von  grünlichem  sand- 
steinartigem Quarz,  welcher  70°  in  Südwest  fallend,  die  unter  30**  nach  Xori 
einfallenden  Thonschiefer  und  Quarzitschiefer  scharf  durchschneidet  Seine  Masse 
gleicht  diesen  Quarziten  durchaus. 

Auch  autogene  mit  Kieselschiefer  erfüllte  Gänge  dürften  hierher  gehören. 
Die  Brauneisensteingänge  bei  Lichtenberg  in  Thüringen  führen  ofk  Kieselschiefer 
und  Alaunschiefer  ununterbrochen  in  grossen  Distanzen  und  sind  mit  demselben 
ganz  regelmässig,  meist  von  einem  Salbande  bis  zum  anderen  erfüllt.  Es  handelt 
sich  also  hier  um  wahre  Gangmasse,  nicht  um  Trümmer  des  Nebengesteines 
Auch  unterscheidet  sich  der  Kieselschiefer  des  Ganges  von  dem  Kiesclschiefer 
recht  auffallend,  der  als  Einschaltungen  in  den  Grauwacken  und  ThonscWcfcni 
dieses  Gebietes  vorkommt.  Ganz  besonders  überzeugend  für  das  autogene  gang- 
förmige Vorkommen  dieses  Kieselschiefers  sind  daher  gerade  solche  Stellen,  »*> 
er  ein  Kieselschieferlager  durchsetzt*). 

»)  G.  VOM  Rath,  Zeitschr.  d.  deutsch.  gcoL  Ges.  1868,  XX.  307. 
*)  Naumann,  Gcogn.  Bd.  m.  pag.  568. 


Die  Gänge.  471 

Keilhau  beobachtete  bei  Brevig  in  Norwegen  ebenfalls  Kieselschiefergänge 
und  beschrieb  einen  dergleichen  Gang  ausführlich.^) 

Auch  bemerkt  sehr  richtig  Naumann,  dass  der  Kieselschiefer  ein  Quarz- 
gestein seiy  welches  sich  gewissermassen  als  ein  palaeozoischer  Vorläufer  der  späteren 
Chalcedon-  und  Achatbildungen,  des  Flintes  und  des  Kieselschiefers  betrachten 
lässt;  daher  kann  sein  Auftreten  als  Ganggestein  einestheils  und  als  Schichten- 
gestein anderentheils  nicht  befremden.*) 

Gewissermaassen  ein  Mittelding  zwischen  Quarzit-  und  Kalksteingang  scheinen 
die  Gänge  zu  bilden,  die  Strickland  von  Ethie  in  Rosshire,  Schottland,  beschreibt. 
Sie  setzen  im  Liasschiefer  auf,  dessen  Schichten  anfangs  nur  wenig  geneigt  sind, 
sich  aber  allmählich  aufrichten  und  zuletzt  nahe  vor  dem  Gneisse  fast  senkrecht 
stehen.  Zwei  der  Gänge  sind  den  Schichten  parallel  und  daher  nur  fragliche 
Gänge.  Aber  zwei  andere,  i — 2  Fuss  mächtig,  verzweigen  sich  in  das  Neben- 
gestein. Alle  bestehen  aus  einem  Quarzsandstein,  der  mit  Kalkspath  in  der  Weise 
imprägnirt  scheint,  wie  dieses  bei  den  sogen,  krystallisirten  Sandsteinen  von 
Fontainebleau  u.  a.  O.  der  Fall  ist  Auf  den  Gesteinsbruchflächen  treten  die 
Spaltungslamellen  der  Kalkspathkömer  glänzend  hervor.  Sind  die  durch  den 
Kalkspath  verkitteten  Quarzkömer  Bruchstücke,  so  würde  das  Ganggestein  nicht 
hierher,  sondern  zu  den  klastischen,  allogenen  gehören. 

Auch  die  kömigen  Kalksteine,  die  in  Gängen  auftreten,  erscheinen  in  solchen 
Formen  und  mit  solchen  Eigenschaften,  dass  man  an  einer  ursprünglichen  Ent- 
stehung derselben  in  den  Spalten  nicht  zweifeln  kann.  Manche  Geologen  sind 
sogar  zu  der  Ansicht  veranlasst  worden,  dieselben  geradezu  für  eruptive  Kalk- 
steine zu  halten.  Nach  ihrem  Material  unterscheiden  sie  sich  von  den  krystallinisch- 
kömigen  Kalken  nicht,  welche  als  Lager  oder  Schichtenglieder  erscheinen.  Um 
so  mehr  wird  auch  hier  aus  ihrer  Stellung  die  wirkliche  Gangnatur  vor  Allem 
festgestellt  werden  müssen. 

Lagergänge  werden  nur  unter  ganz  bestimmten  Verhältnissen  hierher  gerechnet 
werden  dürfen,  d.  h.  wenn  das  Vorhandensein  einer  Spalte  unzweifelhaft  er- 
kannt wird. 

KjERULF  und  T.  Dahll  beschreiben  von  der  kleinen  Insel  Fredsöe  am  west- 
lichen Hellesund  unweit  Arendal  einen  10  Fuss  mächtigen  Lagergang  von  weissem, 
marmorartigem  Kalkstein,  der  von  ihnen  für  einen  wirklichen  Eruptivgang  ge- 
halten wird. 

Auch  der  bekannte  kömige  Kalkstein  von  Auerbach  an  der  Bergstrasse  im 
Grossherzogthum  Hessen-Darmstadt  dürfte  ein  mächtiger  (30 — 50  Fuss)  Gang  sein. 
In  dem  oft  grosskömigen,  eigenthümlich  bläulichen  Kalksteine  kommen  Blätt- 
chen von  Graphit,  schöne  Krystalle  von  Granat,  Vesuvian,  Pistazit  u.  a.  Mineralen 
vor.  Auch  diesen  Gang  hielt  C.  v.  Leonhard  für  eine  eruptive  Bildung,  während 
C.  Fuchs  in  einer  im  Jahre  1860  erschienenen  Abhandlung  die  Bildung  des  Kalkes 
durch  Auslaugung  aus  dem  umgebenden  Syenite,  die  spätere  Bildung  der  Silicate 
aber  durch  die  Einwirkung  kieselsäurehaltiger  Quellen  erklärte.^ 

Dass  aus  gewissen  Gesteinen,  z.  B.  Dioriten,  als  Endproducte  einer  gänzlichen 
Umwandlung  auch  Kalksteine  hervorgehen  können,  ist  kaum  zu  bezweifeln. 
(Vergl.  Artikel:  Chem.  Processe  in  der  Geologie,  pag.  148).    So  mögen  manche 


')  Gaea  Norvegica,  pag.  71. 
')  Naumann,  m,  pag.  569. 
*)  Naumann,  L  c.  m,  pag.  557. 


472  Mineralogie,  Geologie  und  Palacontologie. 

der   kömigen    Kalksteingänge   in    krystallinischen    Gesteinen    ebenfiüls    als    das 
Product  der  Umwandlung  augitreicher  Gesteine  gelten  können. 

2.    Autogene  Mineralgänge. 

Wenn  auch  nicht  gerade  verbreiteter,  so  doch  jedenfalls  interessanter,  be- 
sonders für  den  Mineralogen,  sind  die  Mineralgänge,  die  aus  einem  in  der  Gan^- 
spalte  gebildeten  Gemenge  krystallinischer  Minerale  bestehen,  das  nach  Zu- 
sammensetzung und  Structur  von  Gesteinen  wesentlich  verschieden  und  in 
höchstem  Maasse  wechselnd  und  ungleichartig  erscheint.  Selbst  da,  wo  nur  eines 
oder  nur  wenige  Minerale  an  der  Ausfüllung  eines  Ganges  theilnehmen,  vaiiin 
die  Beschaffenheit  desselben  auf  geringe  Distanzen  oft  sehr  bedeutend.  Daiia 
ist/  wie  schon  vorher  hervorgehoben  wurde,  ein  wesentlicher  Unterschied  gega 
die  Gesteinsgänge  ausgeprägt. 

In  grosser  Verbreitung  kommen  eigentlich  nur  wenige  Minerale  als  Gang- 
ausfüllung  vor,  Quarz,  Calcit,  Baryt,  Fluorit  sind  am  häufigsten,  schon  seltener 
Dolomitspath,  Strontianit,  Gyps,  Phosphorit  u.  A.  Während  in  den  GetteiDen 
als  Gemengtheile  von  diesen  eigentlich  nur  Quarz  und  Kalkspath  und  in  den 
eigentlich  krystallinischen  Gesteinen  nur  der  erstere  eine  hervorragende  Rolle 
spielt,  erscheinen  die  Feldspathe,  nächst  dem  Quarz  in  jenen  die  wichtigsten  irad 
Verbreitetesten  Gemengtheile,  als  Bestandtheile  von  Mineralgängen  nur  ganz  unter- 
geordnet und  nur  ein  Theil  von  ihnen.  Albit  erscheint  häufiger  und  unzweifd- 
haft  als  Mineral  auf  Gängen,  ob  es  aber  Mineral -Gänge  g^ebt,  in  denen  Orthoklas 
und  Oligoklas  Bestandtheile  sind,  selbstverständlich  von  Gesteinsgängen  abgesehen, 
das  ist  noch  eine  offene  Frage. 

Gewisse  allerdings  sehr  gesteinähnliche  Gänge,  die  aus  Feldspath,  Qnan, 
Glimmer,  Turmalin  u.  a.  Mineralen  bestehen,  sind  z.  Th.  für  blosse  Mineralaus- 
scheidungen  gehalten  worden,  während  andere  Forscher  sie  für  eruptive,  wirkliche 
Gesteinsgänge  ansehen. 

Die  granitischen  Gänge  von  S.  Piero  auf  der  Insel  Elba,  ausgezeichnet 
durch  den  grossen  Reichthum  vieler  z.  Th.  seltener  und  schön  kiystallisirter 
Minerale  hält  vom  Rath  für  Absätze  und  Krystallisationsproducte  aus  auf- 
steigenden Mineralquellen^). 

Femer  hat  z.  B.  Credner^  für  die  ihrem  Mineralgemenge  nach  vollkommen 
granitähnlichen  Gänge  im  sächsischen  Granulitgebirge  eine  Entstehung  acs 
wässrigen  Lösungen,  ganz  analog  jedem  gewöhnlichen  Mineralgange  angenommen. 
Der  Gehalt  an  den  gelösten  Substanzen  ist  nach  ihm  vorzüglich  auf  Lateral- 
secretion,  d.  i.  also  eine  Auslaugung  des  Nebengesteines,  zurückzuführen«  Diese 
Gänge  sind  sehr  reich  an  Mineralen,  es  nehmen  an  ihrer  Zusammen- 
setzung Theil:  Quarz,  Orthoklas,  Oligoklas,  Albit,  verschiedene  Glimmer,  Tur- 
malin, Granat,  Orthit,  Epidot,  Titanit,  Eisenglanz,  Pyrit,  Topas,  Zirkon,  An- 
dalusit,  Kalk-  und  Braunspath  u.  a.  im  Ganzen- 27  verschiedene  Minerale.  Für 
einen  Theil  ist  die  lediglich  wässerige,  secundäre  Entstehung  kaum  zweifelhaft,  so 
z.  B.  für  den  Albit,  einen  Theil  der  Glimmer,  den  Epidot,  Titanit  und  die  Eisen- 
minerale. Ganz  besonders  aber  ist  das  Vorkommen  der  Orthoklase* dasjenige, 
worauf  bei  der  Entscheidung  der  Frage  das  grösste  Gewicht  liegt  Die  allerdings 
in  sehr  vielen  Einzelheiten,  die  Credner  ausserordentlich  eingehend  beschreibt 
und  abbildet,  den  Mineralgängen  vollkommen  «analogen  Structurverhfiltnisse  dieser 

*)  Zeitsch.  d.  deutsch-  geolog.  Ges.    1870.  XXIL 

")  Zeitsch.  d.  dcutech.  geol.  Ges.  1875.  XXVII,  pag.  104. 


Die  Gänge.  473 

Gänge  sind  es,  die  vornehmlich  für  jenen  Forscher  keine  andere  Deutung  als  die 
einfacher  wässenger  Bildung  zulassen. 

Zwar  sind  später  von  anderer  Seite,  so  z.  B.  von  Kalkowskv^)  grosse  Be- 
denken gegen  diese  Auffassung  geltend  gemacht  worden,  ohne  dass  es  diesem 
gelang,  eine  auch  nur  einigermaassen  plausible  Erklärung  dieser  Gänge  an  die 
Stelle  zu  setzen.  Es  bleibt,  wenn  man  sie  nicht  für  secundäre,  aus  wässriger 
Lösung  gebildete,  blosse  Mineralgänge  ansehen  will,  eigentlich  nur  die  Deutung 
übrig,  die  im  Vorhergehenden  (pag.  468)  für  die  gangähnlichen  Schlieren  in  den 
Graniten  Schlesiens  angenommen  worden  ist.  In  ausgedehntem  Maasse  nimmt 
auch  Sterrv  Hunt  für  die  zahlreichen  Ganggranite  von  Canada  die  Entstehung  aus 
wässriger  Lösung  in  Anspruch. 

Nach  der  Analogie  mit  den  angeführten  Gängen  würde  dann  aber  unzweifel- 
haft  eine  grosse  Anzahl  von  Ganggraniten  verschiedener  Gebiete  ebenso  als  eigent- 
liche Mineralgänge  anzusprechen  sein. 

Dass  aber  auch  andere  Feldspathe  als  Albit  in  der  That  auf  secundärem 
Wege  gangähnlich  sich  bilden  können,  das  zeigen  Adern  und  Schnüre  eines 
eigenthümlichen  Feldspath-Quarzgemenges,  auch  mit  Epidot,  Vesuvian  und  Granat, 
das  in  den  Serpentinen  von  Frankenstein  in  Schlesien  vorkommt  und  früher  für 
einen  besonderen  Feldspath  gehalten  wurde,  den  Glocker  wegen  seiner  zucker- 
kömigen  Beschaffenheit:  Saccharit  genannt  hatte.  Für  ihn  ist  nach  seiner  ganzen 
Erscheinung  und  dem  Zusammenvorkommen  mit  den  vorhin  schon  erwähnten 
lockeren  Quarzgängen  (pag.  470)  eine  secundäre  Bildung  durchaus  wahrscheinlich. 

Sehen  wir  aber  zunächst  von  diesen  noch  zweifelhaften  Gängen  ab,  so 
bleiben  eben  nur  die  oben  genannten  4  Minerale  als  die  häufigeren  Gangminerale 
übrig.  Die  grossartige  Mannigfaltigkeit  und  das  hohe  mineralogische  Interesse, 
das  sich  an  die  Gänge  knüpft,  besteht  also  darnach  nicht  in  dem  Reichthum, 
der  die  eigentliche  Gangmasse  bildenden  Minerale,  sondern  nur  in  der  Viel- 
artigkeit der  Structur  und  in  den  nur  zufällig  vorkommenden,  sehr  oft  wechseln- 
den und  zahlreichen  begleitenden  oder  accessorischen  Mineralen.  Solche 
sind  eigentlich  auch  die  Erze,  deren  Vorhandensein  allerdings,  wenn  auch  oft 
quantitativ  nur  sehr  gering,  doch  den  erzführenden  Mineralgängen  eine  ungleich 
höhere  Beachtung  zugewendet  hat,  als  den  erzfreien,  tauben.  Daher  gründet  sich 
auch  bei  den  Mineralgängen  der  grösste  Theil  unserer  Erfahrungen  auf  die  in 
den  Erzgängen  gesammelten  Beobachtungen. 

Nur  selten  ist  ein  Mineralgang  ganz  ausschliesslich  mit  einem  einzigen  Mi- 
neral erfüllt  Gänge  dieser  Art  haben  in  der  Regel  keine  grossen  Dimensionen, 
*cder  im  Streichen,  noch  in  der  Mächtigkeit.  Quarzadem  in  den  verschiedensten 
Gesteinen,  Kalkspathschnüre  in  den  Kalksteinen  würden  hierher  gehören. 

Meist  betheiligen  sich  an  der  Gangausfüllung  mehrere  Minerale.  Die  An- 
ordnung derselben,  auf  welcher  die  Structur  der  Gangmasse  beruht,  ist  von  be- 
sonderem Interesse,  weil  sie  uns  in  ihrer  Eigenartigkeit  und  Vielfachheit  ein 
deutiiches  Bild  gewährt  von  dem  Wechsel  der  Vorgänge,  die  zur  Erfüllung  einer 
Gangspalte  geführt  haben. 

Die  Art  der  Ausfüllung  ist  meistens  nur  dann  eine  einfache,  wenn  ein 
Mineral  überwiegend  die  Gangmasse  bildet,  begleitende  Minerale  nur  in  ge- 
nnger  Menge  vorhanden  sind,  ohne  dass  eine  bestimmte  Succession  in  den  Aus- 
föllungsprocessen    auch  in  der  Structur  hervortritt.     Diese  kann  eine  verschieden- 


0  Zeitschrift  d.  deutsch,  geol.  Ges.  1881.  XXXm.  pag.  629. 


474  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

artige  sein,  eine  massige,  körnige  oder  dichte,  d.  d.  gleichmässig  nach  allen 
Richtungen,  oder  eine  lagen-  oder  schalenförmige,  eine  stenglige,  faserige,  a- 
vemöse  u.  a.  m. 

Quarzgänge  bestehen  meist *aus  deutlich  krystallinischem  Quarze  und  b6 
sitzen  eine  massige  Structur.     Die  einzelnen  Individuen  sind  in  der  Regel  ohne 
jede  bestimmte  Anordnung  durcheinander  gewachsen.   Wo  leere  Räume  zwbcbct 
ihnen  übrig  bleiben,  zeigen  sich  wohlausgebildete  Krystallenden   und  Gnippep, 
häufig    von    der   amethystartigen    Beschaffenheit.     Hier  treten  auch   begleitende 
Minerale    auf,    z.  B.   Eisenglanz  u.   a.    Jedoch   kommen  auch   stenglige  Quan- 
gänge  vor.     Im  Granit  von  Saint  Jaques  d'Ambre,  Auvergne,  treten  Quarzganze 
von  wenigen  bis  zu  20  Centim.  Mächtigkeit  auf,  in  denen  die  einzelnen  Quarzirr 
dividuen   alle  senkrecht  auf  die  beiden  Salbänder  der  Gänge  gestellt  scheinen 
und    ihre    wohl   ausgebildeten  Spitzen  in  der  nicht  vollkommen    geschlossener. 
Mitte  einander  zuwenden.     Quarzgänge  sind  weit  verbreitet  und  erlangen  z.  Th. 
bedeutende  Mächtigkeit. 

Auch  die  Kalkspathgänge  im  Gebiete  von  Kalksteinfonnationen  zeigen 
oft  eine  ähnliche  stenglige  oder  feinfaserige  Structur. 

Solche  Gänge,  die  ganz  oder  grösstentheils  aus  Fluorit  bestehen,  konuDcn 
schon  weit  seltener  vor  und  enthalten  in  der  Regel  noch  andere  Minerale  oder 
Erze. 

Bei  Rottleberode,  südlich  von  Stollberg  am  Harze,  setzt  im  Grauwactca- 
schiefer  senkrecht  ein  8  Lachter  mächtiger  Gang  auf,  welcher  nur  ganz  vereinreit 
Quarz  führt  und  sonst  aus  reinem  grünem  oder  weissem  Fluorit  besteht,  der  als 
Zuschlag  zu  dem  Mansfelder  Hüttenbetriebe  gewonnen  wurde.  Auch  bei  Snas- 
berg  nordöstlich  von  Stollberg  findet  sich  ein  ähnlicher,  fast  reiner  Fluoritgan^ 
von  4 — 5  Lachter  Mächtigkeit. 

Andere  Fluoritgänge  zeigen  schon  einen  reichlicheren  Gehalt  an  Quarz,  w 
der  Gang  am  Flossberge  bei  Liebenstein  im  Thüringer  Wald,  der  am  Abhänge 
des  Berges  in  hohen  Felsenkämmen  aus  dem  Gneiss  aufragt 

Eine  eigenthümliche  Verwachsung  von  Fluorit  und  Quarz  zeigt  der  durch 
seine  Fluoritkrystalle    in    vielen    Mineralsammlungen    vertretene  Gang    von    der 
Roche- Vieille  bei  dem  kleinen  Dorfe  Cornet,  unweit  Pontgibaud  in  der  Auvergne 
Der  Quarz  bildet  rundliche,  achatartige,  aus  vielen  Lagen  bestehende  Concr^ 
tionen,   deren  Kern  aus  grünem,   seltener    auch  violettem  Fluorit  besteht    Ic 
Inneren  zeigt  der  Fluorit  oft  schöne,  flächenreiche  Krystalle,  um  welche  racr. 
selten  der  Quarz  in  der  Gestalt  dünner  Hüllen  sich  gelagert  hat     Andere  ahtv 
liehe  Gänge  kommen  in  der  nächsten  Umgebung  z.  B.  zu  Martineiche  vor.  Aucr 
weiter  südlich  im  Canton  Rochefort,  nahe  bei  dem  Dorfe  Herment  tritt  ein  ahn- 
licher Fluoritgang  im  Glimmerschiefer  auf. 

Barytgänge  sind  zwar  häufiger  als  Fluoritgänge,  jedoch  noch  seltener  frei 
von  Quarz  und  meistens  auch  Fluorit,  sie  enthalten  in  der  Regel  auch  metallische 
Minerale. 

Vorwaltend  aus  Baryt  besteht  der  Gang  von  Schriesheim  unweit  Heidelberg. 
Er  ist  2—3  Meter  mächtig,  setzt  nach  Cohen  auf  der  Grenze  zwischen  Granit 
und  verkieseltem  Porphyr  auf  und  enthält  etwas  Quarz,  Fluorit  und  in  der  TieJc 
Eisenkiesel. 

Im  Granit  setzen  in  den  Cantons  von  Jumeaux  und  Vic-le-Comtc  zahlreiche 
Barytgänge  auf.  Bei  Four-la-brouque  kommen  ausserordentlich  grosse  3 — 5  ICl^  > 
schwere,  flächenreich    ausgebildete  Krystalle  vor.     Die  Gänge  haben  nur 


Die  Gänge.  475 

Mächtigkeit  von  wenigen  Zoll.  Andere  viel  mächtigere  Gänge  führen  nur  derben, 
vollkommen  dichten  Baryt  Zahlreiche  Barytgänge  finden  sich  auch  im  Granit 
des  Dep.  Haute-I.oire  im  Canton  Allegre  und  im  Ard^che.  Hier  ist  stets  etwas 
Quarz  und  Fluorit  in  ihnen  vorhanden. 

Gypsgänge  sind  recht  selten.  Violet  und  Boblaye  sahen  bei  Polamos 
im  Thale  der  Kelephina  in  Lakonien  mächtige  Gänge  weissen,  feinkörnigen 
Gypses  im  alten  Schiefergebirge.^) 

Strontianit,  das  Strontiumcarbonat,  ist  an  und  für  sich  ein  seltenes  Mineral 
und  auch  auf  den  meisten  Fundstätten,  wo  es  vorkommt,  keinesweges  in  grösseren 
Mengen    vorhanden.     So    muss  es  denn  als  eine  recht  auffallende  Erscheinung 
bezeichnet  werden,   dass  es  in  einem  einzigen  Gebiete  in  so  überaus  reichlicher 
Weise  gangförmig  auftritt.    Das  ist  der  Fall  in  dem  Münsterlande  in  Westphalen, 
vorzüglich  in  der  Nähe  von   Drensteinfurt  bei  Hamm.     Schon  in  den  vierziger 
Jahren  wurde  der  Strontianit  hier  in  kleinen  Mengen  gewonnen,  er  gelangte  erst 
mit  dem  neuen   Verfahren,   den  Zucker  aus  der  Melasse  durch  Strontian  zu  ge- 
winnen,   eine    erhöhte   Bedeutung.     Die  Production,  welche  früher  4—500  Ctr. 
jährlich  nicht  überstieg,  beträgt  heute  über  60000  Ctr.    Der  Strontianit  bildet  die 
Ausfüllung  zahlreicher  kleiner  Spalten,  die  kaum  tiefer  in  den  Kreidemergel  der 
Mucronaten-Abtheilung   niedersetzen    als    i — 4  Meter  und  die  meist  nur  wenige 
Zoll  mächtig  sind.     In  ihrem  Verlaufe  zeigen  sie  keine  Regelmässigkeit,  obgleich 
im  Allgemeinen  eine  nordsüdl.  Richtung  vorherrscht. 

Erzgänge  zeigen  überaus  selten  eine  einfache,  nur  aus  einem  Minerale  gebildete 
Erfüllung.  Ein  Beispiel  dieser  Art  sind  die  Eisenglanzgänge  von  Rio  albano  und 
Terra  nera  auf  der  Insel  Elba.*)  Hier  tritt  der  Eisenglanz  gangförmig  den  Talk- 
schiefer durchbrechend  empor  und  breitet  sich  in  der  Höhe  zu  Lagen  aus,  welche 
10 — 30  Meter  mächtig  die  Oberflächen  der  Berge  bedecken.  Die  Eisenglanz- 
gänge, welche  zahlreiche  Verzweigungen  in  das  Nebengestein  aussenden  und 
auch  viele  Stücke  des  Nebengesteines  einschliessen,  verhalten  sich  vollkommen 
wie  eruptive  Gesteinsgänge.  Eine  solche  Annahme  ihrer  Entstehung  ist  freilich 
nicht  zulässig.  Es  ist  wahrscheinlicher,  dass  es  gänzlich  umgewandelte  alte  Ge- 
steins-, vielleicht  Diabasgänge  seien,  oder  auch  ursprünglich  mit  Spatheisenstein 
erfüllte  Spalten,  aus  welchem  das  Eisenoxyd  hervorging. 

Eine  ähnliche  Erscheinung  bietet  der  Magneteisenerzgang  am  Gap  Galamita, 
der  viel  verzweigt  durch  Kalkstein  emporsteigt.  Das  Magneteisenerz  ist  in  den 
oberen  Theilen  des  Ganges  in  Rotheisenstein  umgewandelt,  als  untergeordnet 
begleitende  Minerale  erscheinen  Lievrit,  Aktinolith  und  grüner  Granat. 

Auch  manche  Späth eiseiisteingänge  sind  fast  reine,  sehr  grosskömige, 
krystallinisch  massige  Aggregate  dieses  Carbonates,  mit  wenig  begleitendem  Kalk- 
und  Magnesiacarbonat  und  Quarz.  Durch  das  reichlichere  Auftreten  begleitender 
anderer  z.  B.  geschwefelter  Erze  erhält  die  Gangmasse  meist  eine  complicirtere 
Zusammensetzung 

In  allen  einfachen  Mineralgängen  finden  sich  überhaupt  Uebergänge  zu 
den  Gängen  mit  complicirter  Erfüllung.  Durch  untergeordnet  eingelagerte 
Bruchstücke  des  Nebengesteines  zeigt'  sich  ausserdem  der  Zusammenhang  mit  den 
Conglom  erat  gangen. 

Eine  complicirte  Ausfüllung  ist  bei  den  Mineralgängen  und  namentlich 

>)  Bull,  de  la  Soc.  geol.  (2)  I.     844. 

*)  V.  Rath.  Verh.  d.  naturhist.  Ver.  d.  preuss.  Rheinl.  u.  Westf.  1864.  XXI.  92.  u^ 
Groddeck,  L  c.  pag.  186. 


47^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

bei  den  eigentlichen  Erzgängen  die  gewöhnliche  Erscheinung.  Im  Gegensatze 
zu  der  einfachen  Ausfüllung  verstehen  wir  darunter  eine  solche,  die  durd  die 
Theilnahme  mehrerer  oder  vieler  verschiedener  Minerale  bewirkt  wird,  deren 
Gruppirung  in  der  Gangmasse  die  deutlichen  Anzeichen  einer  zeitlichen  SuccessioD, 
einer  regelmässigen  Folge  in  der  Bildung  der  Ausflillungsmasse  erkennen  ^js< 
Darauf  beruht  vor  allem  auch  die  Mannigfaltigkeit  in  der  Structur  dieser  Giii|- 
massen.  Das  was  man  als  Gangstructur  insbesondere  zu  bezeichnen  \/^ 
ist  eben  durch  die  complicirte  Ausfüllung  bedingt. 

Eine  regelmässig,  oft  symmetrisch  lagenformige  Structur  ist  der  deutlidjte 
Ausdruck  der  Succession  der  Bildungen.  Von  den  Salbändern  des  Ganges  «d 
folgen  sich  abwechselnde  Lagen  oder  Schalen  der  verschiedenen  Minerale  a-. 
sich  beiderseitig  entsprechender  d.  i.  also  symmetrischer  Folge.  Es  ist  diese 
Structur  ein  so  einfacher  Ausdruck  der  Vorgänge  der  Gangausfüllung,  da&s  ihre 
Betrachtung  von  genetischen  Beziehungen  nicht  zu  trennen  ist.  Die  einzebe!) 
Minerallagen  sind  nach  und  nach  aus  den  in  der  Spalte  circulirenden  Lösunger. 
ausgeschieden  worden. ,  Die  Verschiedenartigkeit  der  einzelnen  Lagen  nach  ihre: 
Stärke  ist  entweder  bedingt  von  dem  verschiedenen  Verhalten  bezüglich  der 
Adhäsion  der  circulirenden  Lösung  an  den  Spaltenwänden,  oder  auch  von  der 
Dauer  der  Circulation  einer  gleichartigen  Lösung.  Ein  Wechsel  in  dem  Cod 
centrationsgrade  einer  Lösung  oder  noch  mehr  in  der  Zusammensetzung,  de? 
Gehalte  an  gelösten  Bestandtheilen  bedingt  eine  Aenderung  der  mineralogisd^ 
Beschaffenheit  der  auskrystallisirenden  Stoffe. 

Die  S3rmmetrie  in  der  Folge  der  Lagen  ist  oft  nur  eine  einfache,  d.  h.  die- 
selbe Minerallage  kommt  nur  einmal  vor.  Es  würde  also  z.  B.  die  Ansfüllinu: 
eines  einfach  symmetrischen  Ganges  bestehen  aus 

Quarz,  Flussspath,  Blende,  Schwerspath 
einerseits  und  weiter 

Schwerspath,  Blende,  Flussspath,  Quarz 
bis  zum  anderen  Salbande  hin. 

Sehr  oft  ist  aber  die  Symmetrie  der  Lagen  eine  sich  wiederholende,  so  di>> 
mehrfach  eine  Lage  desselben  Minerals  sich  folgt  GangerfÜUungen»  welche  6t< 
Structur  zeigen,  bestehen  oft  aus  zwanzig  und  mehr  Lagen.  Von  den  Salbänder: 
nach  der  Mitte  zu  zeigt  sich  auf  beiden  Seiten  dieselbe  Anordnung,  aUe  Lif^r 
sind  von  wechselnder  Mineralsubstanz  und  hiemach  scharf  getrennt,  i^' 
dennoch  innig  mit  einander  verwachsen  durch  krystallinischen  Verband. 

In  der  Mitte  lassen  die  Lagen  oft  einen  freien  Raum  übrig,  die  Ganp-^ 
füllung  ist  keine  ganz  geschlossene.  Hier  pflegen  die  Dnisenräume,  erfüllt  t.-* 
Gruppen  schön  krystallisirter  Minerale  sich  zu  finden.  Die  hier  gebtidetr 
Krystalle  erlangen  oft  eine  ganz  bedeutende  Grösse.  Auf  dem  in  den  Schichten 
des  devonischen  Systems  auftretenden,  an  Bleiglanz  reichen  Gange  von  Blcialf  i* 
der  Eifel  finden  sich  auf  den  Hohlräumen  der  z.  Th.  noch  ziemlich  weit  geöffneter 
Spalte,  Bleiglanzwürfel  von  einer  Kantenlänge  von  ca.  40  Centimeter  und  mehrere 
Centnem  Gewicht. 

Unzweifelhaft  spielen  die  Löslichkeitsverhältnisse  der  einzelnen  Mineral 
Substanzen  bei  der  Folge  der  in  den  einzelnen  I.Agen  der  Gänge  sich  n:* 
sprechenden  Succession  die  wichtigste  Rolle.  BRErrHAtna*  hat  wohl  zuerst  di^ 
Zusammenvorkommen  und  die  reihenweise  Entwicklung  der  Minerale  in  ^^^ 
»Paragenesis  der  Mineralien«,  Freiberg  1849,  sorgfältig  und  ausführlich  bchancr' 
und  darin  eine  grosse  Zahl  von  Thatsachen  zusammengestellt,  welche  auf  ^ 


Dfb  Gänge.  477 

»uccession  von  Mineralen  in  Erzgängen  und  Drusenräumen  Bezug  haben. 
'OTTA  und  Tröger  haben  später  die  Resultate  in  übersichtlicher  Weise  zusammen- 
;estellt  und  discutirt.^) 

Wenn  auch  bei  der  ausserordentlichen  Mannigfaltigkeit  in  Textur  und  Be- 
itandtheilen  und  bei  der  Verschiedenartigkeit  der  mitwirkenden  Ursachen  die 
heils  chemische,  theils  aber  auch  geologische  sind,  ein  bestimmtes  auf  alle  Vor- 
Lommnisse  gleichmassig  passendes  Gesetz  der  Succession  unmöglich  hergeleitet 
irerden  kann,  so  ergeben  sich  doch  einige  unzweifelhaft  gesetzmässige  Er- 
cheinungen. 

Ganz  unverkennbar  ist,  dass  Quarz  und  Fluorit  in  den  überwiegend  meisten 
fällen  zu  den  ältesten  Bildungen  in  den  Gangräumen  gehören,  dass  dagegen  die 
i^bonate:  Kohlens.  Kalkerde,  Magnesia  u.  a.  zu  den  jüngsten  Bildungen  zu 
echnen  sind.  Das  steht  auch  mit  den  Löslichkeitsverhältnissen  dieser  Minerale 
vollkommen  im  Einklang. 

Sehr  häufig  sind  auf  den  Gängen  Störungen  in  der  regelmässigen  und  sym- 
metrischen Anordnung  der  einzelnen  Minerallagen  zu  beobachten.  Eine  unsymme- 
trische d.  h.  bloss  einseitige  Folge  der  Lagen  kann  durch  die  Lage  der  Spalte  oder 
auch  durch  den  nur  von  einer  Seite  erfolgenden  Zutritt  der  Lösung  bedingt  worden 
sein.  Durch  wiederholtes  Aufreissen  werden  Verdoppelungen  und  Unterbrechungen 
in  den  Lagen  herbeigeführt.  Ist  mit  dem  erneuerten  Aufreissen  auch  eine  Ver- 
schiebung verbunden,  so  wird  die  Structur  der  Ausfüllungsmasse  eine  noch  un- 
regelmässigere.  Die  häufigere  Wiederholung  solcher  mechanischer  Zerreissung 
kann  zu  vollständiger  Zertrümmerung  der  autogenen  Ausfüllungsmasse  eines 
Ganges  führen.  Er  gewinnt  dann  das  Aussehen  eines  mit  Trümmermaterial  er- 
füllten Conglomeratganges,  von  dem  er  jedoch  dadurch  verschieden  ist,  dass  die 
Trümmer  nur  aus  eigener  Ausfüllungsmasse  und  nicht  aus  Material  bestehen,  dass 
von  aussen  in  die  Gangspalte  gekommen  ist.  Neuere  Gangmasse  pflegt  dann  die 
Bruchstücke  der  älteren  Ausfüllung  wieder  zu  verkitten. 

Eines  der  ausgezeichnetsten  Beispiele  dieser  Art  liefert  der  Gang  des  be- 
kannten Trümmerachat  von  Schlottwitz  im  Mürglitzthale.  Grössere  und  kleinere 
Bruchstücke  des  aus  lagenförmig  gebildetem  Bandachat  bestehenden  älteren  Gang- 
gliedes sind  durch  jüngeren  Quarz  tind  Amethyst  zu  einer  festen  Breccie  ver- 
bunden. 

Auf  der  Grube  Segen  Gottes  zu  Gersdorf  bei  Rosswein  in  Sachsen  ist  gleich- 
falls auf  einem  der  dortigen  Gänge  auf  eine  Strecke  weit  ein  Trümmergestein 
vorgekommen,  bestehend  aus  Bruchstücken  von  Baryt  als  der  älteren  Gangaus- 
fttllung,  welche  durch  Fluorit  als  der  jüngeren  Ausfüllungsmasse  verkittet 
waren.') 

Auch  der  berühmte  goldführende  Quarzgang  von  la  Gardette,  unfern  Bourg- 
d'Oisans  im  Departement  Is^re,  aus  dem  die  zahlreich  in  den  Sammlungen  ver- 
breiteten herrlichen  Quarzdrusen  stammen,  bietet  ein  sehr  lehrreiches  Beispiel 
einer  durch  mechanische  Wirkungen  beeinflussten  Structur.  Er  besteht  aus  10 
einzelnen  Lagen  ohne  Symmetrie,  die  alle  durch  deutliche  Reibungsflächen  oder 
Gangspiegel  von  einander  getrennt  sind.  Die  Streifung  auf  den  Spiegeln  ver- 
läuft horizontal.  Es  ist  also  entweder  die  Verschiebung  beim  jedesmaligen  Auf- 
reissen in   diesem    Sinne    erfolgt   oder   aber   eine   vollständige  Umkippung  der 


^)  CoTTA,  Gangstudien.  Bd.  n.  pag.  216. 
^  Naumann,  1.  c.  in.  pag.  565. 


47^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Schichten  hat  die  ursprünglich  in  der  Fallrichtung  des  Ganges  liegenden  S&ciftf. 
in  die  horizontale  Lage  gebracht  i) 

Beispiele  ähnlicher  Störungen  in  der  Stnictur  der  Gangau sfüllung  gefcoftt 
keinesweges  zu  den  Seltenheiten,  sondern  finden  sich  mehr  oder  weniger  tis  toi 
allen  Gängen  wieder. 

Sie  tragen  vor  Allem  dazu  bei,  die  ursprünglich  gewiss  sehr  viel  einfad^eren 
Verhältnisse  der  Ausfullungsmasse  zu  compliciren  und  erschweren  die  ricbü;c 
Erkenntniss  der  Mineralsuccession  natürlich  ungemein. 

3.  Allogene  Conglomeratgänge. 

Das  Charakteristische  dieser  Art  von  Gängen  ist  nach  dem  im  Vorhergehen- 
den schon  Gesagten  darin  zu  sehen,  dass  ihre  Gangmasse  fast  ganz  oder  du' 
grösstentheils  aus  Bruchstücken  fremder,  nicht  ziu*  Gangmasse  gehöriger  Mineizle 
oder  Gesteine  besteht,  die  mit  neu  gebildeten  Mineralen  verbunden  oder  tod 
ihnen  in  wechselnder  Menge  durchwachsen  sind. 

Gänge,  die  fast  nur  mit  Trümmermaterial  eHüllt  sind,  so  dass  neugebildete 
Minerale  nur  untergeordnet  auftreten,  erscheinen  als  echte  Sedimentgänge. 

Hierhin  gehören  zunächst  alle  durch  Sand  und  Gerolle  von  der  Obcrfart«? 
aus  erfüllte  Gangspalten,  wie  sie  freilich  nicht  sehr  häufig  vorkommen.  Ander 
Pulkovka  setzen  im  silurischen  Kalksteine  ein  paar  verticale,  etwa  2  Fuss  mächtife, 
aus  Sand  und  Geschieben  bestehende  Gänge  auf. 

Eines  der  grossartigsten  Beispiele  dieser  Art  erwähnt  Steininger*)  aus  dex 
Gebiete  der  Ardennen  an  der  belgisch-deutschen  Grenze.  Hier  sind  i^ti 
mächtige  Spalten  mit  einem  aus  groben  Geschieben,  grösstentheils  von  Quam; 
bestehenden  Conglomerat  erfüllt  Die  eine  durchschneidet  östlich  von  Mahnte 
bei  Xherdomont  das  Schiefergebirge  senkrecht  und  zieht  sich  über  Recht  bis  s 
die  Gegend  von  Viel  Salm.  Sie  ist  ein  paar  hundert  Fuss  breit  und  mit  ^t^ 
festen  Quarzconglomerat  erfüllt,  dessen  sehr  zerklüftete  Felsen  an  einigen  Stelk' 
hoch  aufragen.  Der  andere,  nur  30  Fuss  mächtige  Gang  von  gleicher  Bescbafier 
heit  durchschneidet  das  Grauwackengebirge  bei  dem  Orte  Pepinster  und  setrt !'  ^ 
in  die  Gegend  von  Theux  fort 

Von  den  sogen.  Sandsteingängen,  welche  in  mehreren  Gebieten  bcobachw 
worden  sind,  gehören  wohl  viele  auch  hierher.  So  gewiss  die  Sandstein^^».-' 
des  südlichen  Ungarn  bei  Turcz  Tama  und  Visk  unweit  Nagy-Szöllös,  <k  * 
einer  Mächtigkeit  von  i — 3  Lachter  vorherrschend  aus  lockeren  Quartkcnrtr 
bestehen,  die  stets  in  dünne  Lagen  geschichtet  sind  und  der  Molasse  der  duru^" 
Gegend  ganz  gleichen.^  Sie  durchsetzen  die  dort  auftretenden  Erzgänge  js* 
verwerfen  sie. 

Viele  sogen.  Verwerfungsspalten  sind  mit  einem  lockeren,  nicht  vcrboodecer 
Haufwerke  aller  möglichen  Gesteinstrümmer  angefüllt,  zwischen  welchen  urc. 
stehende,   die  Circulation  der  Wasser  leicht  vermittelnde  Zwischenräume  Iiq:cr. 

Die  Steinkohlenmulde  des  sogen.  Wormreviers  bei  Aachen  wird  durch  cn^* 
grosse  Verwerfung,  den  »Feldbiss«,  welcher  als  die  nördliche  Fortsetzung  der  - 
der  südlicheren  Eschweiler  Steinkohlenmulde  bekannten  »Münsteigewandc  ini. 
sehen  ist,  durchschnitten  und  in  zwei  Theile  getheilt.  Die  Höhe  der  Vcrwenwr^ 
um  welche  das  östliche  Gebiet  tiefer  liegt,  als  der  westliche  Thcil,  ist  bi<  *- 

*)  Groddeck,  1.  c  ptg.  17a 

*)  Geogr.  Beschr.  d.  EifeL  1853.     pag.  8. 

')  GöTTMANN,  Mitth.  Ton  Haidinger.    Bd.  IIL  1848.  3. 


Die  Gang«.  479 

.  170  Meter  ermittelt  worden.  Die  Spalte  ist  von  ca.  12  Meter  Mächtigkeit 
id  mit  verschiedenartigen  Bruchstücken  der  Nebengesteine  und  mit  Letten, 
»er  auch  mit  Quarzgeröllen  z.  Th.  von  unbekannter  Herkunft  erfüllt.  Die 
iheren  Versuche,  diese  Spalte  mit  dem  Bergbau  «zu  durchfahren,  lieferten  den 
iweis,  dass  ^dieselbe  in  hohem  Maasse  wasserführend  sei.  Jetzt  ist  sie  in  ver- 
hiedenen  Teufen  durchörtert.^) 

Die  sogen,  faulen  Ruschein,  taube  Gangklüfle,  die  in  einer  nahen  Beziehung 
1  den  Erzgängen  des  Harzes  stehen,  sind  ebenfalls  von  Thonschieferbruchstücken 
id  Letten  erfüllte,  oft  bis  zu  60  Meter  mächtige  Spalten.  Aehnliche  mit  blau- 
auem  oder  gelblichem  Letten  erfüllte  Gänge  kennt  man  auch  im  Gebiete  des 
leinischen  Devons. 

Ueberhaupt  spielen  Lettengänge,  d.  h.  mit  einem  durch  Eisenoxyd,  Eisen- 
cydhydrat  oder  auch  durch  kohlige  u.  a.  Substanzen  gefärbten  Thone  erfüllte 
palten  in  sehr  vielen  Erzrevieren  eine  wichtige  Rolle,  da  sie  nicht  selten  als 
ie  jüngste  unter  den  vorkommenden  Gangbildungen  erscheinen  und  daher  alle 
indcren  Gänge  durchsetzen,  verwerfen  oder  abschneiden. 

Von  eigentlichem  Interesse  werden  die  Conglomeratgänge  aber  erst  dann, 
»cnn  die  in  ihnen  zusammengehäuften  Bruchstücke  und  Trümmer  durch  neuge- 
»ildete  in  der  Spalte  autogene  Minerale  und  Erze  verbunden  oder  von  ihnen 
f'enigstens  in  einigermaassen  reichlicher  Menge  begleitet  sind.  Zwischen  den 
igentUchen  Mineralgängen  und  jenen  erst  beschriebenen  reinen  Sedimentgängen 
tehen  diese  dann  in  der  Mitte. 

Die  eigentlich  charakteristische  Structur  dieser  Art  ist  die  sogen.  Cokarden- 
der  Sphärenstructur.    Jedes  Bruchstück  des  Nebengesteines,  das  in  die  Gang- 
palte gerathen  ist,  ist  der  Mittelpunkt  für  eine  um  dasselbe  concentrisch  lagen- 
önnig  sich  gruppirende  Mineralbildung  gewesen.     Oft  mehrfache,  auch  aus  ver- 
chiedenen  Mineralen  bestehende  Zonen  pflegen  die  Bruchstücke  zu  umhüllen. 
)abei  ist  es  eine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung,  dass  die  umhüllten  Bruchstücke 
inander  gar  nicht  berühren,  sondern  oft  ziemlich  weit  von  einander  abstehen 
nd  durch  die  neugebildeten  Mineralzonen  getrennt  erscheinen.     Da  die  Bruch- 
tücke jedoch  nicht  wohl  frei  schwebend  in  der  Gangspalte  sich  befinden  konnten, 
Is  diese   sich  mit  den  ausscheidenden  Mineralen  erfüllte,  so  muss  die  Ursache 
ier  auffallenden  Anordnung  anderweitig  zu  suchen  sein.    Die  Bruchstücke  ruhten 
utürlich  auf  einer  aus  anderen  Bruchstücken  gebildeten  Unterlage  und  wurden 
on  dieser  getragen.     Als  aber  die  Ausscheidung  der  Minerale  aus  der  Lösung 
tattfand,  schob  sich  die  auskrystallisirende  Substanz  zwischen  die  einzelnen  sich 
ose  berührenden  Bruchstücke   ein.      Die  Krystallisationskraft  war  gross  genug, 
ie  auseinander  zu  schieben,  zu  heben.   Dieses  setzte  sich  solange  fort,  als  Raum 
Whanden  war.     So  erscheinen  jetzt  alle  Bruchstücke  wie  frei  schwebend  in  der 
IbhüUenden  Mineralmasse.     Diese  Sphären  oder  Cokardentextur  ist  von  der  vor- 
jb  besprochenen  Lagentextur  natürlich  nur  in  der  Form  unterschieden.    In  un- 
Hlkommener  Weise  dürfte  sie  sich  auf  fast  allen  Gängen  finden,    auf  denen 
rossere  Fragmente  des  Nebengesteines  vorkommen. 

I     Bei  allen  Gängen,  die  in  diese  Abtheilung  gehören,  ist  dies,  wenn  auch  in 
ifechselndem  Maasse  der  Fall.    Eine  sehr  grosse  Zahl  gerade  der  durch  ihre  Erz 
Pining  bekannten  und  daher  genauer  erforschten  Gänge  sind  in  unserm  Sinne 
fcnglomeratgänge. 

Auf  manchen  der  Kobaltgänge  bei  Schneeberg  im  sächsischen  Erzgebirge 

j      0  H.WAGNSR,  Beschreibung  des  Reviers  Aachen.     Bonn,  Marcus,   1881.     pag.  24. 


480  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

bilden  grössere  und  kleinere  Schollen  und  Bruchstücke  des  Nebengestemes  m 
grosser  Ausdehnung  die  vorherrschende  Ausfiillung. 

Der  Bleierz  führende  Gang  zu  Mittelacher  bei  Eckenhagen  in  der  Rbeiii^vO' 
vinz  ist  mehrfach  auf  mehrere- Lachter  weit  mit  regellos  durcheinander  licgeodeo. 
grossen  scharfkantigen  Grauwackenstücken  ausgefüllt,  welche  oft  nur  durch  daen 
ganz    dünnen    krystallinischen   Quarzüberzug   verkittet    sind,    sodass    man  mck 
selten  lachterweit  zwischen  diesen  Stücken  in  den  grösstentheils  offen  stebeoden 
Gangraum  hineinsehen  kann.     Dabei  wurden  oft  dünne  und  lange  Sptitter  der 
Grauwacke    von  einzelnen  Barytkrystallen  gestützt  und  getragen;  die  zieiüchstcn 
Kiystalle  von  Bleiglanz    haben  sich  beiderseitig  auf  solchen  Scheiben  tob  Gno- 
wacke  ausgebildet.^) 

Die  Erzvorkommnisse  von  Totos  bei  Sigeth  in  der  Marmaros  finden  sich  uf 
einem  im  Grünsteintrachyt  aufsetzenden  mächtigen  Gange,  der  von  einer  giobea 
Breccie  des  Nebengesteines  erfüllt  ist.  Thon,  Quarz  und  Erze  bilden  das  Bindemittel 
der  Breccie.  Unter  den  Erzen  herrscht  Kupferkies  vor.  Er  durchzieht  oder  bildet 
eigentlich  das  Bindemittel  der  Breccie.  Im  ersteren  Falle  liegen  zahlreiche  Köhmt 
desselben  in  einer  Art  Thon,  der  aus  der  Zersetzung  des  Nebengesteins  hervorge- 
gangen ist,  oder  im  Quarz;  im  letzteren  Falle  bildet  er  derbe  Linsen,  Wüste 
oder  Adern  von  mehreren  Centimeter  Mächtigkeit'^ 

Die  sogen.  Glauchgänge  in  dem  Gebiete  von  Nagyag  im  südwestlichen  Tleü 
des  siebenbürgischen  Erzgebirges  zwischen  den  Flüssen  Maros  und  Aranyos  srnd 
bis  zu  I  Meter  mächtig,  mit  Eruptivgesteinsmassen  und  mit  eckigen  Fragmenten 
des  Nebengesteines,  eines  eigenthümlichen  Schiefers,  selten  auch  mit  nussgrossen 
Quarzkugeln  erfüllt.  Sie  streichen  wie  die  dortigen  Erzgänge,  auf  deren  Metall- 
gehalt sie  einen  günstigen  Einfluss  ausüben. 

Die  sogen,  stehenden  Gänge  bei  Graupen,  am  Südabfall  des  sächsischen 
Erzgebirges  gegen  Böhmen,  die  im  grauen  Gneiss  aufsetzen  und  mit  den  anderer 
sogen.  Hauptgängen  und  den  Gefahrteln  den  Zinnerzbergbau  dieser  G^end  b^ 
dingen,  sind  bis  zu  7  Centim.  mächtig,  stehen  steil  bis  69  und  79^  und  wen^? 
von  einer  Quarzbreccie  mit  kieseligem  und  steinmarkartigem  Bindemittel  erfoLt, 
das  Zinnerz  und  häufig  Kiese  in  einzelnen  Nestern  enthält,  und  noch  von 
manchen  anderen  Mineralen  begleitet  wird.^) 

Der  mächtige  Brauneisensteingang  von  Bergzabern  an  derHaardt  duichsef? 
ziemlich  senkrecht  den  Buntsandstein,  seine  Mächtigkeit  schwankt  von  etwa  i  l» 
22  Meter  und  seine  Ausfüllung  besteht  vorherrschend  aus  einer  groben  Bitcck 
des  Nebengesteines,  deren  Stücke  durch  einen  sandigen  Brauneisenstein  veikittts 
sind.*) 

Eine  ganz  besondere  Art  der  Ausfüllungsmasse  von  Gängen  entstdit  in 
manchen  Fällen  dadurch,  dass  das  in  dieselben  geführte  Trümmermatcrial  sieb 
im  Zustande  äusserster  Zerkleinerung  befindet,  sodass  aus  der  Verfestigung  dem- 
selben Thonschiefer  ähnliche  Gesteine  hervorgehen. 

Ein  recht  charakteristisches  Gebilde  dieser  Art  ist  der  sogen.  Gangthon- 
schiefer  des  Oberharzes  bei  Clausthal,  Zellerfeld  und  Lautenthal.  Die 
dortigen  Erzgänge  bestehen  vorwaltend  aus  einem  eigenthümlichen  vom  Neba^ 
gestein  verschiedenen  Thonschiefer  und  kleineren  und  grösseren,  z.  Th.  colot- 

')  Schmidt,  Beitrttge  zur  Lehre  von  den  Gingen,    pag.  15. 
*)  V.  COTTA,  Berg.-  u.  hUttenmXnn.  Zeitung.  1862.    pag.  9. 
>)  Geoddsck,  l  c  pag.  141. 
*)  CoTTA,  EnlagersUtten  IL,  170  und  397. 


Die  Gänge.  48 1 

salen  Fragmenten  des  Nebengesteines,  Grauwacke,  Grauwackenschiefer  und  Thon- 
schiefer.  Gewöhnlich  ist  es  ein  milder,  fettig  anzufühlender,  bituminöser  und 
glänzend  schwarz  gefärbter  Thonschiefer,  der  äusserst  fein  aber  verworren  ge- 
schiefert, im  Ganzen  aber  den  Salbändern  der  Gänge  parallel  geschichtet  ist, 
und  zahllose  glänzende  Quetschflächen  enthält,  durch  welche  er  sehr  ofl  in  krumm- 
flächige,  linsenförmige  Massen  abgesondert  wird. 

Nach  A.  V.  Groddeck^)  entstand  der  feine  Thonschieferschlamm  innerhalb 
der  Spalte  dadurch,  dass  die  Trümmer  des  Nebengesteines  zu  feinstem  Pulver 
mechanisch  zerkleinert  wurden,  in  Folge  der  Bewegungen  der  Spaltenwände. 
Durch  die  einsickernden  Tagewasser  wurde  dieses  Pulver  zu  Schlamm  umge- 
wandelt und  unter  dem  Drucke  des  auflastenden  Hangenden  der  offenen 
Spalte  zu  schiefrig  abgesonderten  Massen  umgebildet.  Es  liegt  also  eine  wirk- 
liche Gesteinsbildung  im  Gange  vor. 

Diese  Erklärung  dtirfle  wohl  auch  vollkommen  zutreffend  sein.  Bischof 
hatte  geglaubt,  es  sei  die  Erfüllung  der  Spalte  lediglich  durch  von  der  Ober- 
fläche her  zugefuhrten  Thonschieferschlamm  entstanden.  Es  ist  freilich  nicht 
ausgeschlossen,  dass  ein  Theil  der  Schlammmasse,  besonders  in  oberen  Teufen, 
auch  eine  fremde  ist,  der  grössere  Theil  aber  rührt  gewiss  von  den  Wänden  des 
Nebengesteines  her. 

Aehnliche  schwarze  Thonschiefer  kommen  nach  Gericke  auf  den  Verwerfungs- 
kJüften  des  westphälischen  Steinkohlengebirges  und  nach  v.  Groddeck  auf  der 
grossen  Lettenklufl  vor,  welche  die  Erzgänge  von  Przibram  abschneidet.^) 

E.  TiETZE  hat  schwarze,  plastische,  thonige  Massen,  die  sich  in  den  Gängen 
von  Maidanpeck  in  Serbien  und  Vöröspalak  in  Ungarn  finden  und  von  den  Berg- 
leuten Glamm  genannt  werden,  mit  den  Oberharzer  Gangthonschiefem  verglichen. 
Er  meint,  dass  sich  Gangthon schiefer  zu  dem  Glamm  verhalten  möge,  wie 
lertige  Thonschiefer  zu  einem  Thon.  Die  Schlammmassen  im  Glamm  sind  noch 
nicht  durch  den  Druck  schiefrig  geworden.  Da  sich  im  Glamm  von  Vöröspa- 
tak  Bruchstücke  von  Gesteinen  finden,  die  nicht  dem  Nebengestein  angehören, 
sondem  z.  Th.  weither  transportirt  worden  sein  mussten,  so  spricht  dies  für  die  An- 
nahme, dass  sich  in  solchen  Gangmassen  mit  den  lediglich  durch  Zerreibung 
der  Wände  gebildeten  Trümmern  und  Schlammmassen  auch  fremde  von  oben 
zugeführte  zu  mischen  pflegen,  wie  das  auch  an  und  für  sich  durchaus  natürlich 
erscheint. 

Grösstentheils  aus  zugeführtem  fremden  Material  bestehen  z.  B.  die  Gang- 
massen der  Gänge  von  Derbyshire.  Es  sind  mergeHge,  sandige,  conglomeratische 
Massen,  die  sogen.  Lowky,  in  denen  Gh.  Moore  nicht  nur  Versteinerungen  des 
Kohlenkalkes,  in  dem  die  Gänge  netzförmig  aufsetzen,  sondem  auch  solche  der 
rhätischen  Formation  und  des  I.ias  entdeckte.^ 

Die  sogen.  Bestege  d.  h.  fortlaufende  Einfassungen  an  einem  oder  beiden 
Salbändern  eines  Ganges  sind  ebenfalls  grösstentheils  nichts  anderes  als  ein  me- 
chanisch aufgelockertes,  zerriebenes  und  in  Folge  dessen  zersetztes,  weiches  und 
bröckliches  Nebengestein.  Dass  sich  dasselbe  in  einem  Zustande  sehr  starker 
Compression  befindet,  zeigt  sich  auch  darin,  dass  es,  wenn  es  auf  der  einen  Seite 
freigelegt  und  dadurch  aus  der  Spannung  losgelöst  ist,  oft  mit  grosser  Kraft  sich 
ausdehnt  und  anschwillt,  namentlich  wenn  es  Wasser  aufnimmt;  es  vermag  dann 

*)  Zeitschr.  d.  deutsch,  geol    Ges.   1866,  XVUI.  pag.  693  u.  pag.  1869,  XXI.  499. 
*)  Naumann,  1.  c.  pag.  571. 
^  Groddeck,  1.  c.  pag.  245. 

Kbcncott,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  31 


482  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

die  stärkste  Zimmerung  zu  zerdrücken,  wie  Fournet  von  den  Gängen  bd  Poot- 
gibaud  angiebt.^) 

2.    Vertheilung  der  Mineralmassen  auf  den  Gängen,  Wechsel- 
beziehungen von  Gängen  und  Nebengestein  zueinander. 

Da  unter  den  Gängen  die  Erzgänge,  d.  h.  solche,  die  wenigstens  stellenlose 
Erz  in  einer  die  Gewinnung  lohnenden  Menge  enthalten,  gerade  hierdurch  da» 
hervorragendste  Interesse  erregen,  so  sind  die  Verhältnisse  der  Vertheilung  und 
der  Ungleichartigkeit  in  der  Mineralausbildung  fast  ausschliesslich  bezüglich  der 
Erzgänge  genauer  untersucht  und  festgestellt  worden. 

Man  pflegt  die  Ausflillungsmasse  dieser  Gänge  geradezu  in  Gangmasse  oder 
Gangarten  und  in  die  Erze  zu  unterscheiden.  Im  Vorhergehenden  sind  die  ver- 
schiedenen Arten  der  ersteren  ausführlich  behandelt  worden,  das  Verhältniss  der 
Vertheilung  der  Erze  zu  der  übrigen  Gangmasse  ist  dabei  zunächst  ausser  Acht 
geblieben. 

Ausser  den  Gangarten  und  Erzen  finden  sich  auf  den  Gängen  in  unter- 
geordneten Mengen  und  mehr  zufallig  eine  Reihe  ande  rer  Minerale,  grösstentheüs 
solche,  die  aus  den  Umwandlungsprocessen,  die  in  der  Gangspalte  sich  absptder, 
hervorgehen.  Hierzu  gehören  vor  Allem  die  wasserhaltigen  Silicate,  die  Zeolithc, 
aber  auch  die  steinmark-  und  kaolinähnlichen  Substanzen  u.  a. 

Diese  spielen  jedoch  bei  den  Betrachtimgen  über  die  Vertheilung  der  Mine- 
rale auf  den  Gängen  gar  keine  Rolle,  da  ihr  Vorkommen  überhaupt  nur  al> 
sporadisches,  in  gewissem  Sinne  auch  zufalliges  zu  bezeichnen  ist 

Bei  der  Vertheilung  der  Gangarten  und  Erze  aber  sind  eine  Reihe  wieder- 
kehrender Regelmässigkeiten  und  Gesetzmässigkeiten  erkannt  worden. 

Nach  dem  herrschenden  oder  dem  werthvollsten  Erze  werden  in  der  Rege 
die  Gänge  benannt.  Man  spricht  in  diesem  Sinne  von  Gold-  und  Silbeigangen. 
von  Bleierzgängen,  Antimongängen,  Eisenerzgängen  u.  s.  w.  ohne  dass  damit  be- 
zeichnet  werden  soll,  dass  die  Gänge  ausschliesslich  oder  auch  nur  überwiegend 
jene  Erze  führen.  Aber  auch  bei  der  Vertheilung  der  Erze  werden  doch  die 
wichtigsten  Erze  in  erster  Linie  in  Betracht  gezogen  und  darnach  sind  auch  die 
Angaben  über  diese  Verhältnisse  zu  beurtheilen. 

Die  Bergleute  haben  immer  die  Erfahrung  gemacht,  dass  die  Erze  innexiuib 
der  Gänge  durchaus  nicht  regelmässig  vertheilt  sind.  Erzreiche  Stellen  wechsele 
mit  erzarmen  oder  erzleeren  ab.  Die  erzführenden  Stellen  nennt  der  Beigmacr 
»Erzmittel,«  die  erzleeren  »taube  Mittel,«  der  Uebergang  von  einer  en- 
reichen  Stelle  in  eine  erzarme  oder  taube  daher  auch  Vertaubung  oder  Ver- 
unedelung,  das  Gegentheil  Veredelung.  Dass  die  Erkenntniss  der  Ver- 
theilung der  Erzmittel  und  der  Ursachen  oder  wenigstens  der  begleitenden  l*in- 
stände  von  Veredelung  oder  Vertaubung  für  den  Bergmann  von  der  gidssten 
Wichtigkeit  ist,  liegt  auf  der  Hand.  Nur  sehr  gering  sind  aber  allgemeiner 
giltige  Erfahrungssätze  auf  diesem  Gebiete ;  was  man  darüber  kennt,  ist  meist  nur 
von  localer  Bedeutung. 

Bezüglich  der  Form  unterscheidet  man: 

1.  Nesterförmige  Erzmittel:  unregelmässig  gestaltete  Anhäufungen  von 
Erz  in  verschiedenen  Thcilen  der  Gangräume. 

2.  Erzfälle  oder  Adelsvorschübe:    lang  zonenfbrmig  ausgedehnte  Eri< 


*)  BuRAT,  Traite  de  g^ognosie  m.  pag.  540. 


Die  Gänge.  483 

mittel,  die  in  der  Gangebene  diagonal  zwischen  Streichen  und  Fallen  zu  verlaufen 
pflegen.  Als  typisch  bezeichnet  von  Groddeck^)  das  von  J.  Trinker  beschriebene 
Vorkommen  am  ELleinkogl  bei  Brixlegg  in  T)n:ol.  Innerhalb  der  höchst  complicirt 
zusammengesetzten  von  N. — S.  streichenden  und  ca.  55°  nach  Ost  einfallenden 
Gänge  bilden  die  Adelsvorschübe  Zonen  die  unter  36**  nach  Norden  einschiessen. 
Die  Erzfälle  der  hintereinander  liegenden  Gänge  sind  selbst  wieder  in  einer  be- 
stimmten Richtung  geordnet,  welche  J.  Trinker  den  generellen  Adelsvor- 
schub genannt  hat. 

3.  Erzsäulen:  schmale  aber  lange  Erzmittel,  deren  Längenerstreckung  mit 
der  Falllinie  steil  stehender  Gänge  zusammenfällt.  In  Gängen  sind  sie  noch  ver- 
breiteter als  die  Erzfalle. 

VON  RiCHTHOFEN  giebt  an,  dass  in  den  Goldquarzgängen  Californiens  die 
Erzmittel  immer  ganz  regelmässig  säulenförmig  sind. 

Solche  Erzsäulen  haben  u.  a.  der  Comstock  Lode  in  Nevada  (pag.  459),  die 
Gänge  von  Pontgibaud  in  Frankreich  (pag.  469)  u.  a. 

Von  besonderem  Einflüsse  auf  die  Mineral-  und  Erzführung  ist  auch  die 
Weite  der  Gangspalte,  man  hat  z.  B.  im  Harze  gefunden,  dass  die  Gänge  dort 
erzleer  werden,  wo  sie  eine  sehr  grosse  Mächtigkeit  erlangen. 

Beispiele,  dass  an  verschiedenen  Stellen  im  Streichen  und  Fallen  der  Gänge 
eine  ganz  andere  Erzführung  besteht,  liefern  die  Bergbaue  in  Comwall  in  England. 
Viele  Gänge,  welche  in  den  oberen  Teufen  Zinkblende  führen,  haben  in  der 
Tiefe  Kupfererze.  Zu  Potosi  in  Süd-Amerika  beherbergt  ein  Gang  in  den  oberen 
Bausohlen  Zinnerze,  in  der  Tiefe  Silbererze.^ 

Die  für  den  Bergbau  allerdings  sehr  wichtige  Frage,  ob  die  Gänge  überhaupt 
mit  der  Tiefe  edler  oder  unedler  werden,  ist  noch  nicht  zu  beantworten.  Die 
Angaben  aus  den  verschiedensten  Gebieten  theilen  z.  Th.  ganz  widersprechende 
Thatsachen  mit.  Nur  so  viel  steht  fest,  dass  durchweg  der  Unterschied  in  der 
Teufe  auch  Unterschiede  in  der  Erzführung  bedingt.  Zum  Theil  können  diese 
mit  der  ursprünglichen  Erfüllung  schon  herbeigeführt,  wie  es  z.  B.  in  den  eben 
angeführten  Beispielen  der  Fall  ist,  z.  Th.  aber  auch  erst  nach  der  Erfüllung 
durch  Umwandlungsvorgänge  eingeleitet  und  ausgebildet  worden  sein,  die  ihre 
Unterstützung  vorzüglich  durch  Einwirkungen  erhielten,  die  von  der  Oberfläche 
der  Erde  kamen. 

Solche  secundäre  Teufenunterschiede  in  der  Erzführung  von  Gängen  sind 
es  z.  B.  wenn  an  Stelle  der  geschwefelten  Erze,  die  Oxyde  oder  Haloidver- 
bindungen  oder  auch  ged.  Metalle  in  den  oberen  Teufen  erscheinen. 

An  den  reichen  Kupfergängen  in  Chile,  die  in  der  Teufe  aus  Buntkupfererz 
und  Kupferkies  bestehen  (bronces)^  welche  sehr  ..  usgedehnte  und  reine  Erzmittel 
bilden,  sind  die  Ausgehenden  bis  zu  59  Meter  tief  in  oxydische  Kupfererze 
(meial  de  color)  umgewandelt*) 

Der  Atacamit  (eine  Verbindung  von  Kupferchlorid  mit  Kupferhydroxyd)  in 
den  im  Diorit  und  Syenit  aufsetzenden  Gängen  an  der  Algodon  Bay  in  Bolivia, 
im  Küstenlande  der  Wüste  Atacama,  ist  ohne  Zweifel  durch  die  Einwirkung  des 
Meerwassers  auf  die  in  der  Teufe  sich  findenden  Kupfererze  entstanden. 

Eine  der  verbreitetsten  Erscheinungen  dieser  Art  ist  der  sogen,  eiserne  Hut, 

»)  L  c.  pag.  77. 

*)  Grimm,  Die  Lagerstätten  der  nutzbaren  Mineralien.   Prag  1869.  pag.  120. 

^  Groddeck,  1.  c,  pag.  81. 

*)  L  .LiPFKKN,  Berg-  und  hUttenm.  Zeit.  1877.  pag.  129. 

31» 


484  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

der  deutschen  Silberbergleute  (pag.  146).  Viele  silberhaltige  Bleierze  und  andere 
Silbererze  führende  Gänge  beherbergen  in  den  geringeren  Teufen  und  am  Ausg^ 
henden  Eisenerze:  Eisenoxydhydrate,  die  Umwandlungsproducte  von  den  in  der 
Tiefe  mit  den  edleren  Erzen  einbrechenden  Eisenkiesen  oder  Eisenspath. 

Unter  der  Bezeichnung  »Pacoerae«  versteht  man  in  Bolivia  und  Chile  die 
am  Ausgehenden  der  Gänge  oft  bis  zu  100  Meter  tief  liegenden,  erdigen  Ins 
pulverigen,  schwefelfreien,  meist  sehr  silberreichen,  manchmal  auch  zinnoxyd* 
haltigen,  oxydischen  Erze,  die  nach  der  Tiefe  zu  zunächst  in  einfache  Schwcfel- 
verbindungen«  die  sogen.  Mulatto's  und  dann  in  mehrfache  Schwefelverbindungeo, 
die  Negrillos  übergehen.^) 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  das  Verhalten  von  Gängen  zu  einander 
bezüglich  der  Erzführung  an  den  Schar-  oder  Durchfallkreuzen.  Auch  be- 
züglich dieser  sind  die  Erfahrungen  durchaus  verschieden,  es  kommen  solche 
Kreuze  vor,  die  entschieden  eine  ganz  erhebliche  Veredelung  zeigen,  aber  auch 
solche,  die  gänzlich  taub  und  erzleer  sind. 

Beispiele  grösseren  Erzreichthums  auf  den  Scharkreuzen  liefern  u.  a.  die 
Bergbaue  von  Przibram.  Hier  ist  die  Scharung  des  Mariaganges  mit  dem  Adalbert- 
hangendgange  jederzeit  von  edler  Beschaffenheit  und  mit  reicheren  Silberenen 
gesegnet  als  andere  Stellen  der  Gänge.  Solche  edele  Scharkreuze  kannte  man 
auch  in  besonderer  Schönheit  auf  der  Grube  Morgenstern  bei  Freiberg.  Anderer- 
seits haben  z.  B.  die  Scharkreuze  der  Gänge  in  den  Grtinsteintrachyten  Ungarns 
und  Siebenbürgens  z.  B.  zu  Nagyag  fast  durchweg  eine  taube  und  Jettige  Er- 
füllung. Auch  zu  Andreasberg  am  Harz  pflegen  die  Scharkreuze  taub  zu  sein. 
Eine  verändernde  Einwirkung  anderer  Art  pflegen  manchmal  Gänge  von  Eruptiv- 
gesteinen auf  die  Erzführung  von  Gängen  auszuüben,  mit  denen  sie  sich  kreuzen 
oder  schleppen;  Mehrere  der  Spatheisensteingänge  im  devonischen  Schiefer- 
gebirge der  Gegend  von  Siegen  werden  von  Basaltgängen  durchsetzt  oder  treten 
mit  ihnen  in  Berührung.  Am  Contact  ist  der  Spatheisenstein  in  Magneteisen« 
der  Brauneisenstein  in  harten  Thoneisenstein  verwandelt. 

Andererseits  treten  auch  aus  den  Erzgängen  in  die  sonst  erzleeren  ErupüT- 
gänge  manchmal  Erze  über.  Ein  Basaltgang  in  der  Nähe  des  berühmten  Kupfer- 
erzganges des  Vimeberges  bei  Rheinbreitbach  am  Rhein  ist  mit  ged.  Kupfer  in 
dünnen  Blättchen  durchsprengt,  die  durch  Reduction  aus  den  Oxyden  des  £n- 
ganges  entstanden  sein  können.  Derselbe  Basaltgang  enthält  auch  Bleiglanz  und 
daraus  durch  Reduction  entstandenen  Schwefel. 

Von  der  grössten  Wichtigkeit,  besonders  auch  für  die  daraus  sich  ergeben- 
den Aufklärungen  über  die  genetischen  Verhältnisse,  sind  die  gegenseitigen  Be- 
ziehungen der  Gänge  und  der  Nebengesteine  bezüglich  ihrer  Mineral-  und  £12- 
führung.  Auch  hierbei  sind  allerdings  die  Verhältnisse  der  Erzführung  vor  Allem 
bekannt  und  beachtet,  während  analoge  Einflüsse  auf  die  als  Gangarten  oder 
accessorisch  auftretenden  Minerale  meist  übersehen  wurden,  obschon  auch  diese 
geologisch  von  nicht  minderer  Bedeutung  sind. 

Die  Erfahrung  hat  in  fast  allen  Bergbaudistricten  gelehrt,  dass  die  Gesteine, 
in  denen  Gänge  autsetzen,  keinesweges  alle  eine  gleiche  Beschaffenheit  der  Gang- 
ausfüllung bedingen,  sondern  dass  gewisse  Gesteine  eine  reichere,  andere  eine 
ärmere  Erzführung  des  Ganges  in  sich  beherbergen.  Die  günstigen  Gesteine, 
werden  von  dem  Bergmanne  auch  gutartig  und  höflich  genannt,  dagegen  die 
ungünstigen,  wilde  Gesteine  oder  Erzräuber. 

^)  Groddeck,  L  c.  pag.  83. 


Die  Gänge.  48$ 

Groddeck,^)  der  die  verschiedenen  Typen  der  Gänge,  die  er  auflührt, 
geradezu  nach  ihrem  Auftreten  in  massigen  und  geschichteten  Gesteinen  in  zwei 
Abtheilungen  trennt,  fiihrt  zahlreiche  Beispiele  an,  welche  zeigen,  dass  Erzgänge 
aus  den  krystallinisch-massigen  Gesteinen  in  benachbarte  Schichtgesteine  über- 
setzen und  in  diesen  entweder  sofort  oder  gar  nicht  weit  von  der  Grenze  taub 
werden.  Die  Eisenerzgänge  am  Harz,  die  in  den  Diabasen  auftreten,  setzen  nur 
selten  in  die  angrenzenden  Kieselschiefer  und  Grauwacken  hinein  und  werden 
dort  taub.  Dagegen  ist  bei  den  Gängen  am  Südharz  eine  ähnliche  Beziehung 
zum  Nebengestein  nicht  aufzufinden.  Man  glaubte  früher,  dass  dieselben  inner- 
halb der  in  ihrem  Gebiete  auftretenden  Diabasmassen  immer  vertauben.  Das 
hat  sich  jedoch  neuerdings  als  ein  Irrthum  herausgestellt.^) 

In  dem  fast  ganz  in  Serpentin  umgewandelten  Olivinaugitgestein  (Palaeopikrit) 
der  Grube  Hülfe  Gottes  bei  Nanzenbach  unweit  Dillenburg  in  Nassau  setzen 
Kupferkies  und  Nickelerze  führende  Gänge  auf,  die  ebenfalls  nur  innerhalb  des 
Serpentins  erzführend  waren,  beim  Uebergang  in  den  benachbarten  Schalstein 
taub  wurden.') 

Die  in  den  Melaphyren  am  oberen  See  in  Nord-Amerika  auftretenden  echten 
Spaltengänge  sind  nach  Credner^)  nur  in  diesen  erzführend  und  enthalten  ged. 
Kupfer,  seltener  oxydische  und  geschwefelte  Kupfererze;  sie  verdrücken  sich, 
wenn  sie  in  feste  Diorite,  die  mit  dem  Melaphyr  zusammen  vorkommen,  hinein- 
treten und  vertauben  vollständig, '  oft  bei  grosser  Mächtigkeit,  sobald  sie  in  die 
angrenzenden  Conglomerate  und  Sandsteine  übersetzen. 

Auch  die  goldführenden  Gänge  von  Beresowsk  am  Ural  bieten  ein  inter- 
essantes Beispiel  für  den  Einfluss  des  massigen  Nebengesteines.  Eine  breite  Zone 
von  Granit  zieht  sich  in  der  Nähe  von  Katherinenburg  durch  krystallinische 
Schiefer  hindurch.  Quer  durch  diese  Granitzone  setzen  zahlreiche  nicht  sehr 
mächtige  Quarzgänge,  die  nur  erzführend  sind,  soweit  sie  im  Granit  liegen. 
Der  Granit  selbst  ist  in  der  Nähe  der  Gänge  mit  in  Brauneisenstein  umgewan- 
deltem Pyrit  imprägnirt.  Diese  besondere  Granitvarietät  hat  den  Namen  Beresit 
erhalten.  Sehr  interessant  ist  der  Einfluss  des  Nebengesteines  auf  die  Art  der 
Erzführung  auch  bei  den  Gängen  von  Nagyag  in  Siebenbürgen  (pag.  480).  Sie 
durchsetzen  den  Grtinsteintrachyt  und  die  von  diesem  umschlossenen  grossen 
Scheuen  tertiärer  Sandsteine  und  Conglomerate.  Aber  im  Trachyt  findet  man: 
Nagyagit,  Manganblende,  Manganspath  und  untergeordnet  Bleiglanz,  Zinkblende, 
Silberfahlerz  und  Quarz.  Dagegen  in  den  Conglomeratschollen:  Sylvanit,  Quarz 
und  Kupferfahlerz. 

In  allen  diesen  Fällen  lag  der  Hauptsitz  der  Erze  immer  in  den  krystallinisch- 
massigen  oder  Eruptivgesteinen  und  diese  konnten  daher  füglich  als  die  Erz- 
bringer  bezeichnet  werden. 

Jedoch  besteht  eine  solche  Beziehung  keinesweges  immer;  denn  viele  Erzgänge 
treten  gänzlich  unabhängig  von  massigen  Gesteinen  in  Schichtsystemen  auf. 
Jedoch  auch  bei  diesen  zeigen  sich  dann  günstige  und  ungünstige  Einwirkungen 
gewisser  Schichten.  Auf  Neuseeland  treten  goldführende  Gänge  theils  in  Schiefer, 
theils  in  mächtigen  Sandsteinschichten  auf;  die  Erzführung  ist  in  den  beiden  Ge- 
steinen ziemlich  verschieden.     Im  Schiefer  sind  es  wenig  mächtige  Lagergänge 

*)  Lagerstätten,  pag.  152  u.  183. 

*)  Groddeck,  1.  c  pag.  219. 

')  V.  KoENEN,  Zeitschr.  d.  deutsch,  geol.  Ges.  1863.     XV.  pag.  14. 

*)  N.  Jahrb.  f.  Mineral.  1869.     pag.  i. 


486  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

mit  weissem  Quarz,  ged.  Gold,  Pyrit  und  Markasit,  im  Sandstein  bis  zu  18  Meter 
mächtige  Gänge,  mit  zerklüftetem  Quarz,  vielen  Kiesen,  die  Antimon  und  Arsen 
enthalten,  Fahlerz  und  Zinkblende;  das  ged.  Gold  ist  meist  krystallinisch  blättiij: 
und  silberhaltiger  als  in  den  Gängen  im  Schiefer. i) 

Die  Gänge  von  Chanarcillo  in  der  chilenischen  Provinz  Atacama  treten  ia 
einem  regelmässig  geschichteten  graublauen  und  blauschwarzen  thonigen  Kalkstdo 
oberjurassischen  Alters  auf.  Die  edlen  Erze:  gediegen  Silber  und  die  Haloid- 
Verbindungen  des  Silbers,  Silberglanz,  Rothgiltigerz,  Blende,  Bleiglanz  u.  a.  sind 
an  gewisse  Schichtenniveaus  gebunden.  Jede  Gesteinsschicht  nennt  der  chilenische 
Bergmann  manto;  mantos  pintadores  sind  solche,  die  selbst  erzHlhrend  sind  oder 
veredelnd  auf  die  durchsetzenden  Gänge  wirken,  diese  sind  entweder  Schicht- 
gesteine oder  intrusive  Grtinsteine,  mantos  broceadores  sind  solche,  die  dieses 
nicht  thun.  Wo  zwei  Veredelungszonen  sich  kreuzen,  pflegen  ganz  besonders 
reiche  Erzmittel  abgelagert  zu  sein. 

Die  zahlreichen  Gänge  im  Kohlenkalk  zwischen  Aachen  und  Philippcville  in 
Belgien  haben  alle  das  gemeinsam,  dass  sie  im  Kalksteine  als  reiche  Bleiglanz* 
und  Blendegänge  entwickelt  sind,  dagegen  in  das  productive  Steinkohlengebirge, 
in  die  Grauwacken  und  Schiefer  nur  als  taube  Klüfte  hinübersetzen.  Einer  der 
Gänge  der  Grube  Breiniger  Berg  bei  Stollberg  ist  in  der  nahen  Steinkohlenmulde 
des  Indereviers  als  Verwerfungskluft  unter  dem  Namen  Münstergewand  bekannt 
(vergl.  pag.  459). 

Es  Hessen  sich  so  noch  eine  grosse  Menge  weiterer  Beispiele  über  den  Ein- 
fluss  der  Nebengesteine  auf  die  Erzftihrung  der  Gänge  anführen. 

Die  allgemeine  Frage,  welche  Gesteine  und  vor  Allem,  welche  geol.  Systeme 
am  reichsten  an  Erzen  seien,  ob  die  Eruptiv-  und  massigen  Gesteine  oder  die 
geschichteten  Gesteine,  lässt  sich  dahin  beantworten,  dass  vorzüglich  die  älteren 
krystallinischen  Schiefer  und  ältesten  sedimentären  Formationen  an  Erzen  reich 
sind,  dass  aber  ausserdem  auch  die  eruptiven  massigen  Gesteine  vielfach  Erzgange 
enthalten.  Dagegen  sind  in  den  jüngeren  und  jüngsten  Schichtgesteinen  die  Erze 
weit  seltener. 

Aber  die  Erzgänge  üben  auch  auf  ihr  Nebengestein  sehr  oft  einen  deutlich  sicht- 
baren Einfluss  aus,  wenngleich  derselbe  manchesmal  nur  gering  ist.  In  den  festen 
quarzigen  Nebengesteinen,  den  Grauwacken  von  Przibram  ist  selbst  an  den 
Stellen,  die  sehr  erzreich  sind,  kaum  eine  Veränderung  neben  den  Gängen  iu 
bemerken.  Andere  Gesteine  dagegen,  besonders  die  feldspathreicheren,  die 
Granite,  Grünsteine,  Trachyte  zeigen  in  der  Nähe  der  Erzgänge  und  oft  auch  auf 
grössere  Entfernungen  eine  aufgelöste,  lockere  Beschaffenheit  und  sind  mit 
erzigen  Theilchen  mehr  oder  weniger  imprägnirt.  Schon  im  Vorhergehenden 
war  bei  den  Gängen  von  Beresowsk  (pag.  485)  ein  solches  Beispiel  angeführt 
Die  Gänge  bei  Grauj)en  in  Sachsen  (pag.  480)  zeigen  das  liegende  Nebengestein 
bis  zu  7  Centimeter  mit  Zinnerz  imprägnirt,  während  das  Hangende  erztrci  ist 
Bei  Marienberg  sind  die  Silbererz  ftihrenden  Gänge  selbst  frei  von  Zinnen,  da- 
gegen ist  das  Nebengestein  mit  solchem  imprägnirt. 

Ein  anderes  Beispiel  liefern  die  Gold-  und  Telluradem  im  Maria  Loretto- 
Bergbau  zu  Faczebay  in  Siebenbürgen.  Die  nur  ein  bis  mehrere  Centim.  mäcbögen 
Klüfte  setzen  in  einem  sehr  quarzreichen  Sandsteine  und  Conglomerate  des  Kar- 
pathensandsteines  auf.     Sie   enthalten  ged.  Gold,  ged.  Tellur,  sehr  goldreichen 


*)  Groddeck,  1.  c.  pag.  207. 


Die  Gänge.  487 

Pyrit  mit  Quarz  und  Hörn  stein.  Die  Conglomerate  und  Sandsteine  sind  in  ihrem 
Bereiche  zu  einem  sehr  festen,  stellenweise  zelligen  Quarzit  umgewandelt,  der 
von  kleinen  Nestern  von  Kies  und  ged.  Tellur  durchzogen  wird  und  in  dem 
Tellur  auch  eingesprengt  und  in  kleinen  Drusen  auskrystallisirt  vorkommt.  Weiter 
entfernt  von  den  Gangkltlften  verliert  sich  die  ErzfÜhrung  des  Nebengesteins. i) 
Und  so  tritt  formell  in  sehr  vielen  anderen  Beispielen  eine  unverkennbare 
Wechselbeziehung  zwischen  der  Gangausftillung  und  der  Beschaffenheit  der  Neben- 
gesteine hervor,  ohne  dass  damit  bestimmte  genetische  Beziehungen  gegeben 
wären.  Denn  in  vielen  der  angeführten  Beispiele  bleibt  es  unentschieden,  ob 
von  den  Gängen  aus  die  ErzfÜhrung  dem  Nebengesteine  mitgetheilt  oder  ob  nicht 
vielmehr  dieselbe  aus  dem  letzteren  erst  der  Gangspalte  zugeführt  wurde.  Dass 
beides  stattfinden  kann  und  stattfindet,  wird  noch  im  folgenden  Abschnitte  zur 
Sprache  kommen. 

nL   Geologie  der  Gänge. 

I.    Entstehung  der  Gangspalten. 

Spalten  setzen  zunächst  die  Entstehung  von  Rissen  d.  i.  Discontinuitäten  in 
der  Masse  der  Gesteine  voraus,  die  durch  Ueberwindung  der  in  diesen  herrschenden 
Cohäsion  unter  Einwirkung  irgend  einer  Kraft  sich  bilden. 

Da  die  Cohäsion  der  verschiedenen  Gesteinsarten  eine  wesentlich  verschiedene 
ist,  so  wird  es  natürlich  auch  einer  verschiedenen  Stärke  der  wirksamen  Kraft 
bedürfen,  um  die  gleichen  Risse  in  ihnen  hervorzubringen  oder  es  wird  bei  einer 
und  derselben  Kraft  in  den  verschiedenen  Gesteinen  das  Maass  der  eintretenden 
Discontinuitäten  ein  anderes  werden.  Für  diese  Thatsache  lassen  sich  die  zahl- 
reichsten Belege  aus  der  Beobachtung  an  den  Gesteinen  beibringen.  Wir  wissen, 
dass  oft  in  ein  und  demselben  Schieb teiicompl exe  die  einen  Schichten  eine  über- 
aus rissige,  zerklüftete  Beschaffenheit  besitzen,  während  die  anderen  von  Rissen 
fast  ganz  frei  geblieben  sind. 

Die  Disposition  der  Gesteine  zur  Spaltenbildung  ist  also  keinesweges  immer 
die  gleiche  und  manche  Verschiedenheit  in  den  Spalten  und  Gängen  ist  hierauf 
zurückzuführen. 

Die  Kräfte,  welche  die  Cohäsion  in  festen  Massen  aufzuheben  im  Stande 
sind,  können  ganz  im  Allgemeinen  zweierlei  Art  sein.  Entweder  sie  sind  innere, 
moleculare  Kräfte,  die  von  der  Art  und  Zusammensetzung  der  Masse  selbst 
abhängen  und  ausgehen,  oder  es  sind  äussere,  der  Masse  selbst  fremde  Kräfte. 
Für  jene  könnte  man  die  Bezeichnung  entokine  tische,  für  diese  exokinetische*) 
Kräfte  wählen.  Die  entokinetischen  Kräfte  sind  im  Allgemeinen  durch  den  Aus- 
gleich von  Spannungen  erzeugt,  die  durch  moleculare  Veränderungen  und  Um- 
lagerungen  in  der  Masse  hervorgerufen  werden. 

Solcher  Vorgänge  kennen  wir  vor  Allem  dreierlei  in  der  Natur,  die  auch  für 
die  Bildung  von  Rissen  in  Gesteinen  von  Bedeutung  werden  können. 

Durch  chemische  Molecularumlagerung  können  in  einer  Substanz 
Risse  entstehen,  indem  die  Dichtigkeit  derselben  eine  Aenderung  erleidet.  Anhy- 
dritkrystalle  und  krystallinische  Aggregate  von  Anhydrit,  die  sich  m  Gyps  um- 
wandeln (vergl.  pag.  140)  dehnen  sich  dabei  aus  und  werden  von  zahlreichen 
Rissen  durchzogen,  die  in  diesem  Falle  den  krystaUographischen  Spaltungsdurch- 
gängen entsprechen. 

^)  Grimm,  1.  c.  pag.  130. 

A'v        %  #  •  IfBt 


')  ivrdc  innen,  l&o  aussen^  xcv^  bewegen. 


4^8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Ein  anderes  Beispiel  bietet  die  mehrfach  beobachtete  moleculare  Ver- 
änderung beim  Zinn,  dessen  Blöcke  in  grosser  Kälte  aufreissen  und  zerfallen. 
Die  ursprünglich  reguläre  Form  des  Zinns  mit  dem  spec.  Gew.  7,29  geht  hierbei 
nach  der  Ansicht  einiger  Forscher  in  die  quadratische  mit  dem  spec  Gew.  7,14 
über.  Nach  Lewald^)  freilich  wäre  die  genannte  Eigenschaft  des  Blockzinns  vj 
in  einer  durch  das  Giessen  und  rasches  Abkühlen  verursachten  Spannung  der 
äusseren  Theile  zu  suchen,  welche  mit  Abnahme  der  Temperatur  wächst  und 
ein  Zerreissen  zur  Folge  hat.  Dann  gehörte  die  Erscheinung  zu  den  folgenden. 
Zwei  fernere  andere  Arten  innerer  Kräfte,  die  zur  Bildung  von  Rissen  führer. 
sind  nämlich  in  der  Contraction  zu  sehen,  die  entweder  durch  Austrocknen  aus 
dem  Zustande  der  Durchfeuchtung  oder  durch  Erkaltung  aus  hoher  Temperatur 
bewirkt  wird;  wir  sehen  diese  Vorgänge  alltäglich  antrocknenden  Schlammmassen 
und  an  erstarrenden  Schlackenkuchen. 

Die  exokinetischen  Kräfte,  die  eine  Masse  zum  Zerrreissen  bringen  könnet:, 
sind  ebenfalls  verschiedener  Art:     Zug,  Druck,  Biegung  und  Torsion. 

Bei  der  Zugkraft  ist  in  der  Natur  d.  i.  also  bei  Ausschluss  künstlicher 
Mittel  immer  nur  die  Gravitation,  die  Schwere,  die  erregende  Ursache.  Eine 
Masse  z.  B.,  die  nur  einseitig  unterstützt  ist,  kommt  dadurch  zum  Einreibscn. 
dass  der  nicht  unterstützte  Theil  sich  durch  seine  Schwere  loslöst,  abwärts  ge- 
zogen wird  und  so  die  Discontinuität  in  der  Masse  bewirkt.  So  entstehen  die 
Risse  z.  B.  bei  Gebäuden,  deren  Fundamentirung  ein  Ausweichen  und  Nach- 
geben nach  einer  Seite  gestatten.  So  bilden  sich  auch  Erdrisse  an  abwärts 
gleitenden  Berggehängen. 

Durch  Druck  oder  bestimmter  ausgedrückt  durch  Pressung,  können  eben- 
falls Risse  in  festen  Massen  hervorgebracht  werden.  Auch  hier  wirkt  in  der 
Natur  wiederum  nur  die  Schwere,  d.  h.  also  z.  B.  die  hohe  Belastung,  die  eine 
Masse  auf  eine  unter  ihr  liegende  ausübt,  die  dadurch  zum  Auseinanderweichen 
kommt.  Aber  wie  auch  in  gewissen  mechanischen  Vorrichtungen  der  verticai 
gerichtete  Druck  der  Schwere  in  seitliche  Pressungen  umgesetzt  werden  kann, 
z.  B.  beim  Keil,  beim  Gewölbe,  so  bewirkte  auch  in  der  Erdrinde  die  radul 
wirkende  Gravitation  oft  einen  Umsatz  in  horizontal,  tangential  wirkende  Kriütc. 
(Vergl.  Artikel  Erdball  pag.  290.) 

Durch  Biegung  und  Torsion,  beides  nahe  verwandte  Vorgänge,  entstehen 
endlich  ebenfalls  Risse  in  festen  Körpern,  sobald  die  Masse  über  das  Maa^^ 
ihrer  Nachgiebigkeit  d.  i.  Elasticität  in  ihren  einzelnen  Theilen  aus  der  natür- 
lichen Lage  gebracht  wird.  Bei  der  einfachen  Biegung,  die  endlich  zur  Zu- 
sammenfaltung führt,  erfolgt  die  Veränderung  der  Lage  der  Theilchen  eme> 
Körpers  in  einer  Ebene,  in  der  auch  die  Druckrichtung  liegt,  bei  der  Torsion 
erfolgt  die  Lageveränderung  an  den  beiden  gegenüber  liegenden  Enden  eine*» 
festen  Körpers  im  entgegengesetzten  Sinne,  die  Folge  ist  eine  schraubenförmige 
Anordnung  der  Theile.  Daubr^e  hat  interessante  Versuche  über  die  Wirkunger 
beider  Arten  von  Biegungen  an  festen  Substanzen  angestellt,  auf  die  wir  sjvtfer 
noch  einmal  zu  veru^eisen  haben  werden.^) 

Dass  auch  in  der  Natur  ftir  beide  Arten  von  Rissen  sich  Beispiele  finden, 
werden  wir  im  Verlaufe  sehen.  In  allen  angeführten  Fällen  ist  mit  dem  Momente 
des  Einreissens    auch    schon    eine,    wenn    auch    nur   minimale    Dislocadon  der 

')  DiNGLER's  Polyt.  Journ.  pag.  196,  369. 

•)  DAüBRitE,    Synthetische  Studien  zur  Expcrimentalg«ologie,  UberseUt  von  Dr.  A.  CttiT 
Braunschweig  i88o.    pag.  221  ff. 


Die  Gänge.  489 

einzelnen  Theile  der  vorher  zusammenhängenden  Masse  erfolgt.  Setzt  sich  die 
Bewegung  fort,  so  geht  daraus  eine  Spalte  hervor,  deren  Weite  abhängig  ist  von 
dem  Maasse  der  Bewegung. 

Diese  kann  aber  eine  zweifache  sein,  entweder  nur  zur  Ebene  des  ent- 
standenen Risses  normal  oder  gleichzeitig  parallel  zu  derselben  Ebene,  also  nach 
oben  oder  unten  gerichtet,  erfolgen.  Im  ersteren  Falle  weichen  die  Stösse  der 
Spalte  einfach  auseinander.  Das  ist  z.  B.  der  Fall  bei  den  durch  entokinetische 
Kräfte  bewirkten  Zerreissungen ,  so  lange  nicht  besondere  Umstände  eine  Ab- 
weichung bedingen.  In  dem  zweiten  Falle  findet  eine  Verschiebung  der  beiden 
Spaltwände  in  der  Fallrichtimg  des  gebildeten  Risses  statt,  die  sonst  in  einer 
Höhe  gelegenen  Theile  der  beiden  Seiten  erscheinen  dann  in  mehr  oder  weniger 
verschiedenen  Niveau's..  Das  ist  meist  der  Fall  bei  den  durch  exokinetische 
Kräfte  bewirkten  Zerreissungen. 

Aus  diesen  allgemeinen,  theoretischen  Betrachtungen  ergeben  sich  schon  von 
selbst  die  Gesichtspunkte  für  eine  Classification  der  in  den  verschiedenen  Ge- 
steinsformationen der  Erdrinde  auftretenden  Spalten,  soweit  hierbei  ihre  Genesis 
als  entscheidendes  Merkmal  gelten  soll. 

Dabei  sollen  alle  solche  Discontinuitäten ,  die  lediglich  die  Folge  der 
Lagerungsverhältnisse  sind,  also  z.  B.  Schichtenfugen,  Ablösungsklüfte  an  der 
Grenze  zweier  Gesteine  u.  a.  ausser  Betracht  bleiben. 

Daubr£e,  dessen  mechanische  Versuche  zur  Klärung  aller  dieser  Fragen 
so  überaus  wichtige  Beiträge  geliefert  haben,  die  er  in  dem  im  Vorhergehenden 
schon  einmal  citirten  Werke  *)  veröffentlicht  hat,  stellte  in  der  Folge  2)  eine  Classi- 
fication von  Spalten  auf.  Er  führt  für  Spalten  den  allgemeinen  Namen:  Litho- 
klase')  ein,  die  erste  Abtheilung  derselben  nennt  er:  Leptoklase*)  und  fasst 
darunter  nur  solche  Spalten  von  sehr  geringer  Ausdehnung  in  beiden  oder 
wenigstens  einer  Richtung  zusammen. 

Diese  zerfallen  in  zwei  Gruppen: 

1.  die  Synklase,*)  die  entweder  durch  Contraction  beim  Erkalten  oder  beim 
Austrocknen  gebildet  werden:  hierzu  gehört  die  Absonderung  in  Prismen,  wie  sie 
bei  Basalten  und  anderen  Eruptivgesteinen  vorkommt,  die  prismatische  Absonderung 
gewisser  Gypse,  die  griffeiförmige  Absonderung  vieler  Mergel  und  Thone  u.  a.  m. 
Im  Kleinen  ist  die  Erscheinung  ganz  besonders  ausgezeichnet  bei  den  sogen.  Septanen, 
(las  sind  linsenförmige  Mergel-Concretionen,  welche  säulenförmig  zerklüftet  sind. 

2.  Die  zweite  Gruppe  nennt  Daubr£e  Piesoklase,^  sie  umfasst  die 
Pressungsklüfte.  Zu  diesen  rechnet  Daubri^e  vor  Allem  die  vielen  kleinen  gerad- 
linig oder  gebogen  verlaufenden  Spalten  in  den  verschiedensten  Gesteinen,  welche 
die.se  in  viele  kleine,  meist  unregelmässige  Theile  zerlegen.  Die  Concretions- 
adern  verschiedener  Minerale,  welche  durch  Ausfüllung  dieser  Spalten  ent- 
stehen, machen  dieselben  vor  Allem  sichtbar,  so  die  Adern  von  Quarz  in  den 
Schiefem,  von  Kalkspath  in  den  Kalksteinen  u.  dergl.  Deutliche  Anzeichen  der 
stattgehabten  Pressung  sind  die  sogen.  Quetschflächen  oder  Spiegel,  die  ebenfalls 
in  vielen  Gesteinen  vorkommen. 


')  1.  c.  Band  L,  Abschnitt  II. 

')  Bull.  Soc.   geolog.  de  France.     Ser.  III.  Band  X,   1881 — 82.    pag.  136. 

^  X^doc  =  Stein,  xXdot  ^  zerreissen. 

*)  Xc7Ct6c  =  fein,  klein. 

^)  otiv  im  Sinne  des  lateinischen  cum  in  contrahere. 

•)  iRiCtt>  =  pressen. 


49^)  Mmeralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Eine  Trennung  dieser  Piesoklase  von  einem  Theile  der  folgenden  Spalten 
dürfte  sehr  schwierig  sein.  Man  muss  dann  das  Kriterium  festhalten,  dass  die 
Dimensionen  nur  sehr  unbedeutend  sind  und  dass  keinerlei  bedeutende  Ver- 
schiebung der  getrennten  Theile  gegeneinander  'stattfand.  Daubr£e  legt  di> 
Hauptgewicht  auf  die  Theilung  in  parallel  angeordnete,  parallelopipedische  Stücke 
des  Gesteines  zwischen  den  Piesoklasen. 

Die  zweite  Hauptabtheilung  nennt  Daubr£e  Diaklase.^)  Darunter  versteht  ei 
Spalten,  welche  die  geschichteten  Formationen  in  fast  ebenen  Flächen  durchschneiden, 
meist  mit  grosser  Ausdehnung,  sowohl  in  horizontaler  als  auch  verticaler  Richtung 
bei  horizontaler  Lage  der  Schicht,  im  Allgemeinen  in  zwei  nahe  auf  einander  senk- 
recht stehenden  Richtungen,  von  denen  die  eine  in  der  Regel  die  Fallebene  ist 
Auch  in  massigen  Gesteinen  treten  diese  Diaklase  auf,  z.  B.  bei  den  Graniten. 

Die  eigenthümlichen  ruinenartigen  Verwitterungsformen  vieler  Gesteine  z.  B. 
der  Sandsteine  beruhen  darauf,  sowie  auch  das  Zerfallen  von  GranidLuppen 
in  quaderförmige,  oder  wollsackähnlich  abgerundete  Blöcke  hierdurch  einge- 
leitet wird.  Manche  Granite  z.  B.  sehr  deutlich  die  flachen  Kuppen  in  der 
Ebene  östlich  der  Gebirge  von  Schlesien  bei  Striegau  und  Strehlen  sehen  fast  wie 
geschichtet  aus  in  Folge  dieser  zahlreichen  Spalten,  von  denen  das  eine  System* 
das  die  schichtenähnlichen  Bänke  absondert,  parallel  den  Oberflächencontouren, 
das  andere  senkrecht  dazu  verläuft.  Das  was  sonst  als  parallelopipedische  oder 
quaderförmige  Absonderung  bezeichnet  wird,  deckt  sich  im  Allgemeinen  mit 
dem,  was  Daubr£e  unter  den  Diaklasen  versteht.  Die  bei  den  Piesoklasen  her- 
vorgehobene parallele  Anordnung  der  Absonderungsstücke,  das  Fehlen  einer 
Verschiebung  ist  auch  für  die  Diaklase  zutreffend.  Zwischen  diesen  beiden 
Gruppen  scheint  die  scharfe  Grenze  zu  fehlen. 

Als  dritte  Hauptabtheilung  endlich  bezeichnet  Daubr^  die  Paraklase,^ 
Spalten,  welche  sich,  stets  mit  einer  Verschiebung  verbunden,  durch  die  grösstcn 
horizontalen  und  Tiefenetstreckungen  auszeichnen.  In  diese  Klasse  gehören  nach 
ihm  vorzüglich  die  grossen  Verwerfungsspalten. 

Ein  wesentlicher  Unterschied  der  Diaklase  und  der  Paraklase,  den  allerdings 
Daubri^e  selbst  nicht  hervorhebt,  dürfte  doch  wohl  vor  Allem  auch  darin  zu  sehen 
sein,  dass  die  Diaklase  in  ihrem  Verlaufe  auf  ein  Gestein  beschränkt  bleiben, 
d.  h.  in  einem  benachbarten  Gestein  ist  die  Zahl,  der^Abstand,  die  Anordnung 
derselben  wieder  eine  andere.  Sie  sind  eben  abhängig  von  der  Natur  des  Ge 
Steines.  Die  Paraklase  dagegen  setzen  ohne  Rücksicht  auf  den  Gestdnswcchsel 
durch  ganze  Schichtencomplexe  und  ganze  Formationen  hindurch. 

Schematisch    zusammengefasst   stellt   sich  also  die  Classifikation  Daubr£e'> 
wie  folgt  dar; 

Lithoklase. 
j  durch  Abkühlung. 

^  l  durch  Austrocknung. 

1.  Leptoklase  < 

'  Piesoklase  durch  Pressung. 

2.  Diaklase. 

3.  Paraklase. 

Wie  sich  ergiebt,  ist  das  Eintheilungsprincip  nicht  ganz  consequent;  bei  de« 
Leptoklasen  ist  ihre  Ausdehnung,  bei  den  Piesoklasen  die  Art  der  Entstehung, 

»)  (tttessquer  hindurch. 

■)  mtp«  SS»  vorbei,  um  an  die  erfolgende  Verschiebung  tu  erinnern. 


Die  Gänge.  491 

bei  den  Diaklasen  und  Paraklasen,  die  Art  der  Erscheinung  das  Charakteristikon. 
Nach  Daubräe  würden  freilich  die  beiden  letzten  Gruppen  nach  ihrer  Entstehung 
eigentlich  nicht  zu  trennen  sein,  dieselbe  Ursache  kann  füglich  beide  Arten  von 
Spalten  hervorrufen,  sie  setzen  nur  eine  andere  Intensität  der  wirkenden  Krafl  voraus. 

Daubr^e  hat  durch  seine  experimentellen  Versuche  erwiesen,  dass  sowohl 
Druck,  Faltung  als  auch  Torsion  beiderlei  Bildungen  nachzuahmen  vermögen. 
Aber  eines  wird  man  doch  wohl  annehmen  dürfen,  dass  flir  die  gross- 
artigere Wirkung  auch  die  gewaltigere  Ursache  noth wendig  gewesen  und  dass  für 
die  Paraklase  die  Natur  des  Gesteines  nicht  direct  in  Betracht  kommt.  Bei 
Druck  und  Torsion  wird  wesentlich  die  Natur  der  Masse,  des  Gesteines,  die 
Wirkung  bedingen  und  die  in  der  einen  Substanz  entstehenden  Risse  werden  bei 
gleicher  Pressung  und  gleicher  Torsion  dennoch  sehr  verschieden  ausfallen 
müssen  als  bei  der  anderen.  Werden  Complexe  ungleicher  Gesteine  derselben 
Torsion  unterworfen,  so  ist  nicht  wohl  denkbar,  dass  die  entstehenden  Risse  in 
allen  Schichten  so  gleichartig  werden,  dass  sie  nur  als  ein  System  erscheinen. 
Jedes  Gestein  wird  ein  eigenes  System  von  Spalten  erhalten,  je  nach  dem  Maasse 
seiner  Elasticität.  Bei  einer  Faltung  oder  einem  Zerreissen  durch  Zug  d.  i.  Ein- 
sinken eines  Theiles  der  Masse,  werden  aber  die  Risse  trotz  der  Verschiedenheit 
der  zu  einem  Complex  vereinigten  Schichten,  dennoch  gleichmässig  durch  die- 
selben hindurchsetzen  müssen,  höchstens  die  Weite  und  Form  der  entstehenden 
Spalten  kann  verschieden  werden,  in  dem  einen  Gesteine  ebenflächig  und  glatt- 
wandig,  in  dem  anderen  unregelmässig  und  krummlinig,  aber  der  allgemeine  Ver- 
lauf der  entstehenden  Spalten  erscheint  unabhängig  von  der  Natur  der  Schichten 
oder  Gesteine. 

Wenn  nun  als  Charakteristikon  für  die  Diaklase  zu  der  DAUBRÄE*schen  De- 
finition noch  hinzugefügt  wird,  dass  sie  in  gleicher  Ordnung  und  in  einem  Ge- 
steine auftreten  und  in  jener  nicht  in  die  Nachbargesteine  übergreifen,  dann 
wird  auch  der  wahrscheinliche  genetische  Unterschied  der  beiden  Arten  von 
Spalten  in  der  Classification  sichtbar  werden. 

Die  Diaklase  sind  die  Folge  von  Druck  und  Torsion,  ohne  dass  eine  tek- 
tonische  Aeusserung,  d.  h.  eine  die  Schichtenstellung  ändernde  Dislocatioh  da- 
mit sichtbar  verbunden  sein  muss,  während  die  Paraklase  eben  nur  die  Folge 
ausgeprägter  tektonischer  Vorgänge  sind,  der  Faltung  der  Schichten,  des  Ein- 
sinkens,  des  Aufberstens.  Daher  zeigen  auch  Gesteine  in  anscheinend  unge- 
störter ursprünglicher  Lagerung,  wo  also  eine  Faltung  nicht  erfolgt  ist,  dennoch 
die  Absonderungserscheinungen  der  Diaklase.  Dass  aber  Paraklase  von  gleicher 
Formentwicklung  dennoch  durch  ganz  verschiedene  Ursachen  entstehen  können, 
das  kommt  in  der  Classification  Daubräe's  gar  nicht  zum  Ausdruck. 

So  dürfte  denn  eine  andere  ganz  consequent  aus  genetischen  Gesichtspunkten 
hergeleitete  Classification,  wie  sie  Groddeck^)  in  seiner  Lagerstättenlehre  auf- 
stellt, den  Vorzug  verdienen.  In  wieweit  sich  dieselbe  mit  Daubräe's  Eintheilung 
deckt,  ist  ohne  Weiteres  aus  der  Vergleichung  zu  erkennen.  Groddeck  unter- 
scheidet: 

I.  Contractionspalten 

a)  Abkühlungs-,  b)  Austrocknungsspalten. 
IL  Dislocationsspalten. 

a)  Einsturz-  und  Aufbruchsspalten. 


*)  1.  c  pag.  313. 


49^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologic. 

(a.  streichende, 
ß.  spiesseckige  und  querschlägige. 
7.  Aufblättenmgsspalten. 
c)  Pressungsspalten. 

(  Jedoch  scheint  auch  diese  Classification  nicht  ganz  scharf  und  nicht  umfassend. 
Einsturz-  und  Aufbruchsspalten  sind  zu  wesentlich  verschieden,  als  dass  sie  in 
eine  Gruppe  gehören.     Torsionsspalten  kennt  Groddeck  noch  nicht. 

Wenn  wir  versuchen,  auf  Grundlage  der  vorausgegangenen  theoretischen  Be- 
trachtungen und  gewissermaassen  die  beiden  vorerwähnten  Eintheilungen  com- 
binirend,  ein  System  der  Spalten  nur  nach  genetischen  Gesichtspunkten  aufiu- 
stellen,  so  würde  sich  dann  etwa  folgendes  Schema  ergeben,  das  im  Einzelnen 
zu  erörtern  und  mit  Beispielen  zu  belegen  sein  wird. 

Gesteinsspalten. 

(a)  durch  Dilatation 
, .    ,      ,    ^  o.  beim  Erkalten 

b)  durch  Contraction   a    ,    •       *     *      1 
^  ß.  beim  Austrocknen. 

II.  Exokinetische  Spalten. 

1.  Einsturzspalten 

2.  Aufbruchsspalten  i  a,  Bruchspalten. 

Ia.  Faltungsspaltei)  <  a.  Schubspalten. 
I  a,  Aufblätteningsspalten. 
ß.  Torsionsspalten. 
4.  Pressungsspalten 

I.  Die  Spalten  dieser  Hauptabtheilung  bedürfen  nach  dem  Vorhergehenden 
keiner  weiteren  Erörterung.  Als  Gänge  sind  sie,  wenn  erfüllt,  schon  nach  ihr« 
Dimensionen  stets  nur  von  untergeordneter  Bedeutung.  Dass  es  auch  Spalten 
geben  kann,  die  durch  Dilatation  gebildet  sind,  ist  nach  dem  Vorhergehenden 
pag.  487.  theoretisch  unzweifelhaft.  Dieselben  dürften  unter  den  Gesteinen,  ausser 
m  dem  dort  schon  angeführten  Beispiele  des  in  Gyps  sich  umwandelnden  Anhy- 
drites,  vielleicht  nur  noch  bei  Dolomiten  sich  finden,  wenn  dieselben  durch  blosse 
Aufnahme  von  Magnesiacarbonat  aus  Kalksteinen  entstanden  sind,  also  eine  be- 
deutende Volumvermehrung  erlitten  haben. 

Auf  den  durch  Contraction  beim  Erkalten  entstandenen  Rissen  und  Fugen 
finden  sich  in  den  Eruptivgesteinen  MineralausfUUungen,  die  also  wirkliche  kleine 
Gänge  darstellen.  Auf  den  Fugen  zwischen  den  Basaltsäulen  am  Dattenberg  bei 
Lmz  am  Rhein  haben  sich  bis  zu  3  Centiro.  dicke  Krusten  von  Kalkcarbonas 
als  Aragonit  und  Calcit  gebildet  Auf  den  Spalträumen  zwischen  den  Basalt- 
prismen am  Steinrother  Kopf  bei  BeUdorf  an  der  Sieg  findet  sich  fast  reiner 
Phosphorit. 

Als  Beispiel  eines  Erzganges,  in  dem  die  Räume  zur  Aufnahme  der  Er« 
wesentlich  durch  Contraction  gebildet  sind,  kann  der  Kupfererz  führende  Granit- 
gang der  Näsmarkgrube  in  Tellemarken  gelten.  *)  Durch  den  mächtigen  Gram:- 
gang  setzen  in  ganz  regelmässigen  Abständen,  beinahe  querschlägig,  d.  i.  nomu: 
tu  den  Gangsalbändem  verlaufende  Klüfte,  die  mit  Quarz,  Kupferglanz  und  Buni- 
kupfererz  erfüllt  sind. 

^^^^  ^*s  Vorkommen  von  gediegen  Kupfer  auf  einigen  Basaltgängen  darf 

*)  Nach  Groodbck,  L  c  pag.  199. 


Die  Gänge.  493 

hierhin  gerechnet  werden,  da  wesentlich  die  Contractionsspalten  den  Zutritt  der 
erzführenden  Lösungen  gestatteten. 

Die  durch  Austrocknung  entstandenen  Spalten  erlangen  gleichfalls  selten 
eine  bedeutende  Ausdehnung.  Als  Gangräume  sind  sie  daher  ebenfalls  nur  von 
geringer  Wichtigkeit.  Der  Erfiillungsprocess  zeigt  sich  recht  schön  bei  den  Sep- 
tarien,  bei  den  Adern  faserigen  Gypses  in  den  Mergeln  der  Tertiärformation,  den 
I^en  von  Cölestin  in  den  Schichten  der  Trias  in  Thüringen,  namentlich  an  der 
Domburg  u.  a. 

Auch  das  schon  pag.  475  erwähnte  Vorkommen  von  Strontianit  in  der 
Gegend  von  Hamm  in  Westphalen  gehört  ohne  Zweifel  hierhin.  Die  zahlreichen, 
nicht  tief  in  den  Kreidemergel  niedersetzenden  Spalten,  die  mit  Strontianit  erfüllt 
sind,  entstanden  nach  der  Trockenlegung  des  westphälischen  Kreidegebirges  in 
dem  thonigkalkigen  Gestein  durch  Austrocknen.  In  diese  Spalten  setzten  sich 
kohlens.  Kalkerde  und  Strontianit  ab,  während  die  Spalten  noch  unbedeckt  an 
die  Oberfläche  mündeten,  daher  auch  Trümmerstücke,  Versteinerungen  u.  dergl. 
von  oben  in  dieselben  hineinstürzen  konnten.^) 

Ein  anderes  recht  schönes  Beispiel  erfüllter,  durch  Austrocknung  entstandener 
Spalten  bilden  die  schmalen  und  kurzen  Trümmer  von  Faserkalk  in  dem  grauen 
durchaus  etwas  kalkhaltigen,  mergeligen  Schiefer  von  Montiers  in  der  Tarantaise 
in  Savoyen.  Die  Trümmer,  parallel  und  gerade  und  senkrecht  zu  den  Thon- 
schieferlagen  gerichtet,  sind  oft  nur  3 — 5  Centim.  lang,  selten  länger.  Mit  dem 
Thonschiefer  wechseln  Lager  von  splitterigem  Kalkstein;  an  diesem  schneiden 
die  Trümmer  immer  scharf  ab  und  setzen  nicht  in  diesem  fort.  Auch  die 
Trümmer  der  verschiedenen  Thonschieferlager  passen  nach  Zahl,  Lage  und 
Mächtigkeit  gar  nicht  aufeinander,  jede  Thonschieferschicht  hat  ihr  eignes  System 
von  Spalten.  Darin  zeigt  sich  deutlich,  dass  die  Ursache  ihrer  Entstehung  inner- 
halb der  Schicht  selbst  gelegen  haben  muss.^) 

Solche  durch  Austrocknung  entstandene  Spalten  finden  sich  auch  in  grosser 
Zahl  in  manchen  Steinkohlenflötzen.  Dass  sie  hier  durch  eine  andere  Ursache 
als  die  Pressung  entstanden  sind,  zeigt  sich  darin,  dass  sie  die  schieferige  Ab- 
sonderung der  Kohle,  die  auf  jene  zurückgeführt  werden  muss,  mehr  oder  weniger 
schiefwinklig  durchschneiden.  Auf  diesen  oft  nur  winzig  kleinen  Spältchen  ist 
Kalkspath,  Gyps,  Pyrit  sehr  häufig  abgelagert  und  so  erscheinen  jene  als  feine 
gangartige  Körper  in  der  Kohle.  Zuweilen  sind  dieselben  auch  erzführend,  es 
finden  sich  als  Ausfüllung  Blende,  Bleiglanz,  Kupfererze  u.  a.  Auch  diese 
Spalten  sind  immer  nur  auf  die  Kohlenflötze  beschränkt.  Sie  sind  daher  gleich- 
falls als  eine  entokinetische  Bildung  anzusehen.  Wenn  man  nicht  die  Austrocknung 
als  Ursache  annehmen  will,  bleibt  nur  noch  die  Annahme  übrig,  dass  die  in  der 
Kohle  fortdauernden  Umwandlungsprocesse,  moleculare  Veränderungen  sie  her- 
vorgerufen haben.    Auch  dann  gehören  sie  in  diese  Gruppe. 

Ob  hierher  nicht  vielleicht  auch  ein  grosser  Theil  der  Quarztrümmer  in  Grau- 
wacken,  der  Calcitschnüre  in  Kalksteinen,  der  Gypsadem  im  Gyps  gehören, 
das  dürfte  nur  schwer  zu  entscheiden  sein. 

Diese,  ganz  besonders  aber  alle  derartigen  Erscheinungen  in  krystallinischen 
Schiefem,,  wie  z.  B.  die  von  Groddeck,^)    allerdings  auch  nur  als  zweifelhaft 


^)  V.  D.  Mark,  Verh.  d.  naturhist.  Ver.     Bonn  1874.     Corr.-Blatt  100. 
^)  V.  Wkissenbach  in  Cotta's  Gangstudien.     Bd.  L  pag.  68. 
*)  L  c.  pag.  32. 


494  Mineralogie,  Geologie  und  PaUteontologte. 

hierher  gehörig,  angeführten  feinen  erzführenden  Gangadem  im  TalVschiefer  vor 
Ruosina,  im  Kalkstein  von  Miltitz,  in  den  chloritischen  Schiefem  vom  Südabhange 
der  Calanda  in  Graubünden  gehören  wohl  eher  zu  den  durch  exokinetische 
Kräfte,  Pressung  oder  Druck  entstandenen  Spalten.  Auch  Daubr£e  scheiTir 
dieselben  alle  zu  seinen  Piesoklasen  zu  rechnen. 

II.  I.  Einsturzspalten. 

Einsturzspalten,  die  wir  füglich  auch  Senkungsspalten  nennen  können,  da 
keinesweges  der  plötzliche  Eintritt  des  Ereignisses  Bedingung  ist,  sehen  wir  in 
Bergbaurevieren  gar  nicht  selten  in  unwillkommener  Weise  vor  unseren  Äuget 
entstehen.  Mächtige  Risse  und  klaffende  Spalten  durchziehen  den  Boden  in  Folge 
der  Senkungen,  die  der  Bergbau  hervorruft,  der  den  Boden  durch  geschaffene 
Hohlräume  unterminirt. 

Vollkommen  analog  entstehen  in  der  Erdrinde  auch  natürliche  Spalten,  wenn 
Hohlräume  im  Inneren  der  Gebirge  sich  zu  bilden  vermögen,  in  welche  die  daiiiber 
liegenden  Schichten  entweder  mit  plötzlicher  Ablösung  und  starker  Zertnimmenmg 
oder  auch  langsam  und  allmählich,  aber  auch  dann  nicht  ohne  Zerreissung  ein- 
sinken. 

Hohlräume  im  Inneren  der  Gebirge  entstehen  vornehmlich  dadurch,  das> 
leicht  lösliche  Gesteine  vom  Wasser  gelöst  und  fortgeführt  werden  oder  dzss 
durch  Umwandlung  eines  Gesteines,  also  durch  chemische  Vorgänge  eine  Volani- 
verminderung  bewirkt  wird.  In  grossem  Maasstabe  vollziehen  sich  Vorgänge  de* 
ersten  Art  bei  Kalk-  und  Gypsgesteinen,  die  der  letzteren  Art  z.  B.  bei  der  Um- 
bildung von  Kalksteinen  zu  Dolomiten  (vergl.  pag.  143). 

Bei  dem  Niedersinken  ganzer  Gebirgsglieder  werden  dieselben  in  sich  ge- 
lockert und  zerrissen  werden  müssen,  da  eine  vollkommen  regelmässige  an  allen 
Theilen  gleichmässige  Senkung  kaum  denkbar  ist.  Vollkommenes  Ablösen  lan^ 
grosser  Spalten  muss  aber  erfolgen,  wenn  nur  einzelne  Theile  einer  Schicht  ein- 
sinken, die  anderen  dagegen  in  ihrer  ursprünglichen  Lage  verharren.  Es  bilden  sich 
dann  Ver\('erfungs,  d.  i.  Dislocationssp alten,  die  in  ihrem  Verlaufe  und  in  ihre: 
Ausdehnung  abhängig  sind  von  den  unter  der  sinkenden  Schicht  liegender 
Hohlräumen. 

Ein  recht  schönes  Beispiel  dieser  Art  hat  v.  Seebach  mitgetheilL^)  Kir 
Profil  durch  Muschelkalk  und  Keuper,  enlblösst  durch  die  hohe  Steilwand  dc> 
rechten  Ulers  der  Werra  unterhalb  Kreuzburg  in  Thüringen,  legt  die  Verhältnisse 
unzweideutig  dar.  Im  mittleren  Muschelkalk  ist  ein  kleiner  Gypsstock  eingelager. 
den  man  der  Länge  nach  im  Profile  sieht  Soweit  derselbe  reicht,  liegen  die 
Schichten  des  Nodosenkalkes  und  Keupers  vollständig  ungestört  übereinander, 
wo  der  Gyps  aber  fehlt,  da  ist  alles  was  über  dem  mittleren  Muschelkalk  gclcger 
war,  verworfen,  und  zwar  ist  die  I^agerung  der  verworfenen  Massen  so,  wie  wenn 
sie  in  eine  Höhlung  eingesunken  wären. 

Noch  grossartiger  sind  Verwerfungen  dieser  Art,  die  neuerdings  M.  Baitj 
aus  der  nächsten  Umgebung  von  Gotha,  vom  Seeberge  beschrieben  bat.*)  Hier 
grenzen  längs  einer  Verwerfungsspalte  Gjps,  Keuper  und  mittlerer  Muschelka.1 
aneinander.  Die  Höhe  der  Veiwerfung  müsste  also  dem  ganzen  Betrag  do 
oberen  Muschelkalkes  und  der  Lettenkohle  entsprechen,  ein  Einsinken  an  der 
einen  Seite  der  Spalte  um  ungef^r  80  Meter  stat^fimden  haben. 

*)  Du  minddctttscbe  Enlbebcn  vom  6w  UBn  1872,  |ag.  18$. 

*)  Di«   gtoL   VerbiltDisse    der   S««bcice  etc.  bei  Gotha.     JabrK    d.   k.   piviiss.    Uod»^ 

•MlaiL     1881.   |Mg.  39. 


Die  Gänge.  495 

Nicht  sehr  weit  von  dieser  Localität  kommen  in  der  l'hat  im  mittleren 
Muschelkalk  Steinsalz  und  Anhydriteinlagerungen  von  mindestens  dieser  Mächtig- 
keit vor.  Wenn  diese  Schichten  fortgeführt  wurden,  war  die  Bildung  jener  Ver- 
werfung also  möglich.  Bauer  ist  geneigt,  einen  grossen  Theil  der  Verwerfungen 
nördlich  vom  Thüringer  Wald  auf  eine  gleiche  Ursache  zurückzuführen. 

Die  Existenz  von  Einsturzspalten,  gebildet  wie  die  angeführten  Analoga,  ist 
nun  theoretisch  allerdings  in  grosser  Verbreitung  vorauszusetzen.  Wenn  die  Be- 
schreibungen der  amerikanischen  Forscher  aus  den  Plateauländem  von  Utah  und 
anderen  Staaten  im  Westen  uns  das  Auftreten  gewaltiger  Verwerfungsspalten 
zwischen  den  einzelnen  Theilen  dieser  Gebirge  melden,  ohne  dass  die  zwischen- 
liegenden geschichteten  Formationen  aus  der  ursprünglich  horizontalen  Lage  dis- 
locirt  wurden,  ohne  dass  sie  demnach  gefaltet  erscheinen,  so  müssen  wir  doch 
solche  Spalten  auch  in  die  Gruppe  der  Einsturzspalten  stellen.  Aber  schwierig 
wird  es,  zumal  in  älteren  Formationen,  dieselben  als  solche  zu  erkennen  und  so- 
mit besonders  mineralerfuUte  Gänge  als  Einsturzspalten  nachzuweisen. 

2.  Aufbruchsspalten. 

Das  allgemeine  Charakteristikon  dieser  Spalten  ist  darin  zu  sehen,  dass  die 
Kraft,  der  Druck,  der  eine  Gesteinsmasse  zum  Einreissen  und  Aufbersten  brachte, 
aus  der  Tiefe,  von  innen  heraus  nach  oben  gerichtet  war. 

Wir  kennen  in  der  Natur  zwei  Vorgänge,  die  einen  solchen  Druck,  einen 
bis  zum  Bersten  der  aufliegenden  Schichten  gesteigerten  Hub  hervorzubringen 
veraiögen:  einmal  empordringende  Eruptivgesteine  und  dann  metamorphische 
Vorgänge,  die  mit  einer  Volumvermehrung  der  sich  umwandelnden  Gesteine  ver- 
bunden sind. 

Die  einfachsten  typischsten  Aufbruchsspalten  erster  Art  zeigen  sich  an  den 
thätigen  Vulkanen.  •  Die  im  Inneren  des  vulkanischen  Kegels  aufsteigende  Lava, 
unterstützt  von  hoch  gespannten  Dämpfen,  bringt  den  Mantel  des  Kegels  zum 
Auf  bersten  t  die  Lava  erftillt  unmittelbar  die  gebildete  Spalte  und  fliesst  als 
Lavastrom  über  die  oberen  Ränder  derselben  über.  Die  erfüllte  Spalte  aber 
setzt  als  Gesteinsgang  durch  den  Mantel  des  Vulkanes  hindurch.  Wir  können 
hier  nicht  näher  auf  den  Mechanismus  solcher  Spaltenbildung  eingehen,  im 
Kapitel  Vulkane  kommt  derselbe  näher  zur  Sprache.^)  Es  bildet  sich  auf  diese 
Weise  meist  ein  System  von  Spalten,  eine  Hauptspalte  und  zu  beiden  Seiten 
derselben  Compensationsspalten.  Diese  letzteren  dienen  häufig  den  Gasen 
und  Dämpfen  zum  Ausweg  und  finden  ihre  Erfüllung  durch  Sublimationsproducte. 
So  entstehen  z.  B.  gangartige  Anhäufungen  von  Eisenglanz. 

Auch  das  Empordringen  aller  älteren  Eruptivgesteine  ist  im  Allgemeinen  in 
ähnlicher  Weise  vor  sich  gegangen.  Die  Erfüllung  durch  die  flüssige  Gesteins- 
masse erfolgte  unmittelbar  nach  dem  Aufreissen  der  Spalte;  dieselbe  Kraft,  welche 
die  Lava  emporhebt,  veranlasst  auch  das  Aufbersten  der  Decke.  Ein  grosser 
Theil  der  auftretenden  Eruptivgänge  gehört  also  ohne  Zweifel  in  die  Gruppe  der 
Aufbruchsspalten,  aber  keinesweges  alle.  Wir  werden  sehen,  dass  das  Nach- 
dringen des  eruptiven  Magma's  in  vielen  Fällen  gewiss  erst  in  der  Folge  der 
Spaltenbildung  durch  Faltung  eintrat.  Erst  die  gebildete,  durch  eine  von  dem 
Magma  ganz  unabhängige  Kraft  gebildete  Spalte,  gab  jenem  die  Möglichkeit  in 
ihr  emporzudringen.     Da  liegen  keine  eigentlichen  Auf  bruchsspalten  vor. 

Auch  dort,  wo  Eruptivgesteine  in  horizontaler  Richtung  in  geschichtete  For- 


*)  Vergl.  darüber:   Sartorius-Lasauex,  Der  Aetna.   Bd.  H.   Die  GangbildUngen.  pag.  351. 


49^  Mineralogie,  Geologie  und  PaUeontologie. 

mationen  eindringen  und  zwischen  denselben  die  sogen.  In trusionslager  bilden, 
ist  für  die  aufliegenden  Schichten  eine  Erhebung  die  nothwendige  Folge,  wie 
dieses  widerum  am  Mantel  des  Aetna  in  schönen  Beispielen  zu  sehen  isL^)  Na: 
von  der  Ausdehnung  und  Mächtigkeit  der  intrudirten  Masse  wird  es  abhängen. 
in  welchem  Maasse  hierbei  die  aufliegenden,  gehobenen  Schichten  auch  zer- 
spalten werden.  Von  den  intrusiven  Eruptivgesteinen,  die  man  in  vielen  Gebietn 
nun  schon  unzweifelhaft  nachgewiesen  hat,  pflegen  gar  nicht  selten  nach  oben 
Ausläufer  auszugehen  und  sich  mehr  oder  weniger  weit  quer  durch  die  Schiebten 
fortzusetzen.     Das  sind  erfüllte  Aufbruchsspalten. 

Die  amerikanischen  Geologen,  besonders  G.  R.  Gilbert  in  seiner  geologischen 
Beschreibung  der  Henry  Mountains,*"^)  glauben  die  Existenz  ausgedehnter,  voll- 
kommen kuppenförmiger  Intrusionen  von  Eruptivgesteinen  in  die  Schichten  an- 
nehmen zu  dürfen,  für  welche  sie  den  Namen  Laccolite')  eingeführt  haben.  E:n 
Laccolit  entsteht,  indem  von  einem  im  Inneren  einer  geschichteten  Formation 
mündenden  Canal  aus,  der  nicht  bis  an  die  Erdoberfläche  durchzubrechen  ver- 
mag, eine  Anhäufung  von  Lava  in  ähnlicher  Weise  sich  bildet,  wie  das  sonst 
auf  der  Erdoberfläche  geschieht:  es  bildet  sich  ein  unterirdischer  Kegel:  Der 
Laccolit  ist  ein  unterirdischer  Vulkan.  Die  über  dem  gebildeten  Laccolit 
liegenden  Schichten  werden  natürlich  bedeutend  gehoben  und  gebogen  und  so 
bilden  sich  in  denselben  Systeme  von  Aufbruchsspalten,  die  radial  zu  dem  Ge- 
wölbe des  Laccoliten  selbst  gerichtet  sind. 

Die  Erscheinungen  entsprechen  also  im  Allgemeinen  solchen,  wie  wir  die- 
selben auch  an  centralen  Granitmassivs  kennen,  von  denen  Apophysen  in  die 
umgebenden  Schichtengesteine  auslaufen.  Für  manche  dieser  Granitstöcke  ist  e^ 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie  erst  durch  die  Verwitterung  und  Abtragung  der 
umgebenden  Gebirgsschichten  zu  Tage  getreten  sind;  ursprünglich  waren  es  dann 
Laccolite.  Die  von  ihnen  auslaufenden  Gänge  sind  Aufbruchsspalten.  So  wird 
es  auch  durch  mancherlei  Umstände  mehr  und  mehr  wahrscheinlich,  dass  manche 
der  jetzt  über  dem  Gebirge  des  rheinischen  Devons  gelegenen  Basaltkuppen,  b^ 
sonders  die  seitlich  am  Rheinthale  vorspringenden,  ursprünglich  im  Inneren  der 
Schichten  gelegen  haben  und  erst  nach  und  nach  herausgelöst  wurden.  Die  über 
ihnen  etwa  gebildeten  Aufbruchsspalten  sind  mit  der  Umhüllung  verschwunden, 
nur  seitliche  Zweige  können  noch  erhalten  sein. 

Man  kennt  aber  auch  hin  und  wieder  noch  in  dem  Inneren  der  Schichten 
steckende,  kuppenartige  Basaltmassen.  Ein  Beispiel  dieser  Art,  wo  die  Erfüllung 
der  umgebenden  Aufbruchsspalten  einen  Erzgang  hervorgerufen  hat,  dürfte  in  dem 
Rotheisensteinvorkommen  von  Willmannsdorf  bei  Jauer  in  Schlesien  zu  sehen 
sein.  Ein  mehrere  Meter  mächtiger  Gang,  auch  von  Seitentrümmem  begleitet 
der  von  Ost  nach  West  quer  durch  die  Urthonschiefer  und  grünen  Schiefer  de> 
Gebietes  hindurchsetzt,  führt  vornehmlich  Rotheisenstein,  Eisenglanz,  Quan, 
Schwerspath  und  Brauneisenerz.  Dieser  Gang  stösst  im  Osten  an  einen  unterirdischen 
Basaltkegel,  der  an  der  Tagesoberfläche  nicht  mehr  sichtbar  ist,  dagegen  nach 
der  Teufe  an  Ausdehnung  zuzunehmen  scheint.  Am  Basalt  hat  der  Gang  seine 
grösste  Mächtigkeit,  nach  Westen  verliert  er  sich  allmählich  im  zersetzten  Neben- 
gestein; überhaupt  hat  er  nur  eine  Länge  von  etwa  loo  Meter.    Im  Fortstreichen 


1)  Sartorius-Lasaulx^  1.  c.  Bd.  II.  pag.  356. 

>)  Report  on  the  Geology  of  the  Heniy  Mountains.     Washington  1877. 

')  Xdxxoc  Cisteme,  daher  Gesteinscisteme  gewissermaassen. 


Die  Gänge.  497 

des  Ganges  auf  der  Östseite  deutet  die  rothe  Färbung  der  Thönschiefer  an,  dass 
dort  ebenfalls  eine  Gangspalte  zu  suchen  sei. 

Nach  der  Beschreibung  kann  man  hier  an  einen  Laccoliten  denken,  der 
durch  seine  Intrusion  in  die  Schiefer  beiderseitig  Spalten  in  diesen  aufgesprengt  hat. 

Dass  das  Aufsprengen  auch  in  der  Richtung  der  Schichtenfugen  gescheheri, 
also  in  einem  Aufblättern  bestehen  kann,  ist  leicht  einzusehen. 

Eine  andere  Art  der  Bildung  von  Aufbruchsspalten  wird  durch  die  bei  der 
Umwandlung  mancher  Gesteine  erfolgende  Volumvermehrung  bewirkt. 

Eine  solche  zeigt  sich  in  ganz  ausgezeichneter  Weise  z.  B.  bei  der  Umwandlung 
von  Anhydrit  in  Gyps  (vergl.  pag.  141).  Wo  diese  in  grösserer  Ausdehnung  an 
Anhydritstöcken  sich  vollzog,  da  sind  die  erhebenden  Wirkungen  auf  die  über- 
liegenden Schichten  ebenfalls  in  grossem  Maasstabe  zu  erkennen.  In  der  deutschen 
Trias  sind  die  gewundenen,  aufgerichteten,  zertrümmerten,  in  der  mannigfaltigsten 
Weise  von  Spalten  durchzogenen  Schichten  überall  in  der  Nähe  des  Gypses  eine 
ganz  gewöhnliche  Erscheinung.  Die  Spaltenbildung  ist  freilich  eine  durchaus 
unregelmässige,  die  Erfüllung  derselben  nur  in  seltenen  Fällen  bis  zur  eigent- 
lichen Bildung  gangartiger  Gebirgsglieder  fortgeschritten. 

3.  Biegungspalten,     a.  Faltungsspalten. 

Das  grossartige  Maass  der  Faltung  der  ursprünglich  horizontal  gebildeten 
geschichteten  Gesteine  können  wir  überall  in  den  Gebirgen  wahrnehmen.  Wir 
bringen  es  mit  der  Bildung  der  Gebirge  in  direkten  ursächlichen  Zusammen- 
hang, die  wir  uns  durch  einen  seitlichen  Druck  oder  Schub  emporgewölbt 
denken. 

Dieser  seitliche  Druck  wird  durch  die  Contraction  der  Erde  erklärt,  wonach 
die  von  der  äusseren  Peripherie  radial  nach  der  Mitte  sich  bewegenden,  also  ein- 
sinkenden Schichtensysteme  in  einen  immer  verkürzten  Raum  einzutreten  gezwungen 
werden  und  sich  demnach  gegenseitig  in  einander  schieben,  falten  und  aufstauen 
müssen. 

Welche  Vorgänge  es  möglich  machen,  dass  die  uns  jetzt  starr  erscheinenden 
Gesteine,  diese  Faltungen  mitzumachen  vermögen,  anscheinend  ein  hohes  Maass 
plastischen  Verhaltens  besitzen,  das  ist  hier  zunächst  für  uns  nicht  von  Bedeutung. 
Darauf  wird  in  dem  Artikel  über  die  Gebirgsbildung  eines  Näheren  eingegangen 
werden. 

Für  die  Erklärung  der  Genesis  der  Gangspalten  genügt  die  unzweifelhafte 
l'hatsache,  dass  in  vielen  Fällen  eine  starke,  oft  bis  zu  vollkommener  Schlingen- 
bildung fortgeschrittene  Faltung  der  Schichten  stattgefunden  hat.  Wir  vermögen 
uns  dann  schon  rein  theoretisch  die  verschiedenen  Möglichkeiten  zu  entwickeln, 
die  in  Folge  einer  Faltung  zur  Bildung  von  Rissen  und  Spalten  führen. 

Wenn  die  Faltung  regelmässig  durch  einen  längs  einer  Linie  normal  zu  dieser 
gleich  massig  wirkenden  Druck  erfolgte,  so  wie  wir  etwa  ein  Blatt  Papier  mit  beiden 
Händen  zu  einer  Falte  auf  dem  Tische  gegeneinander  schieben,  so  mussten  in 
dem  Augenblicke,  wo  die  Elasticitätsgrenze  der  sich  biegenden  Schicht  über- 
schritten wurde,  Risse,  Brüche,  Spalten  entstehen,  die  ihrer  Längsrichtung  nach 
quer  zu  der  Richtung  des  Druckes  standen,  also  parallel  verliefen  dem  Streicher 
der  Schicht.    So  vermögen  die  sogen,  streichenden  Gangspalten  erklärt  zu  werden. 

Die  Regelmässigkeit  ihrer  streichenden  Lage  hängt  von  der  Gleichmässigkeit 
der  schiebenden  Kraft  und  des  Widerstandes,  der  Elasticität  des  Gesteines  ab, 
welches  zusammengeschoben  wurde. 

KLkkmcott,  &Gn.,  Geol.  u.  P«l.    I.  32 


49^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologte. 

Sowie  einer  dieser  beiden  Factoren  ungleiche  Intensität  längs  jener  Linie 
besass,  ward  der  Verlauf  der  Spalten  dadurch  beeinflusst.  Dieselben  mussten 
aus  der  streichenden  Lage  in  eine  spiesseckige  übergehen«  d.  h.  sie  liegen  nicht 
mehr  parallel,  sondern  unter  schiefen  Winkeln,  diagonal,  zum  Streichen  der 
Schicht. 

Je  mehr  die  Druckkraft  oder  die  Nachgiebigkeit  der  Schichten  in  zwei  an- 
grenzenden Theilen  der  zur  Faltung  kommenden  Schichten  differiren,  um  so  mehr 
müssen  sich  die  gebildeten  Spalten  der  zur  Druck  rieh tung,  zur  Bewegung 
parallelen  Stellung  nähern.  So  entstehen  die  querschlägigen  Spalten,  deren  Ver- 
lauf normal  zum  Streichen  der  Schichten  steht. 

In  diesen  liegt  nothwendig  auch  eine  Verschiebung  der  Theile  der  ge 
falteten  Gebirgsmasse  in  der  Richtung  des  Druckes  vor  und  solche  Spalten  können 
daher  als  durch  Schub,  nicht  durch  blossen  Bruch  entstanden  gelten. 

Solche  durch  Schub  entstandene  Spalten  liegen  auch  da  vor,  wo  ein  durch 
blossen  Bruch  gebildeter,  streichender  Riss ,  bei  der  fortgesetzten  Wirkung  des 
Druckes  zu  einer  Uebereinanderschiebung  der  beiden  Stösse  sich  weiter  bildet. 
Der  Riss  lag  natürlich  in  dem  Scheitel,  d.  i.  der  meist  gebogenen  Stelle  der 
Falte;  diese  ist  in  ihrer  Zusammengehörigkeit  nicht  mehr  vorhanden;  der  eine 
Flügel  liegt  im  Fallen  der  Spalte  höher  als  der  andere.  Die  zahlreich  in  Stein- 
kohlenbecken bekannten  streichenden  Ueberschiebungen  sind  Beispiele  dieser  Art 
Bei  der  Faltung  dünngeschichteter  Gesteine,  deren  einzelne  Lagen  aber  einen 
festen  Zusammenhang  bieten,  kann  auch  ein  Aufblättern  derselben  erfolgen.  Es 
entstehen  Spalten,  welche  in  den  Schichten  liegen ;  nach  der  Erfüllung  wären  sie 
als  Lagergänge  zu  bezeichnen. 

Sonach  ergeben  sich  also  bei  der  Faltung  im  Wesentlichen  die  oben  aufge- 
stellten 3  Arten  von  Spalten:  Die  Bruchspalten,  Schub-  und  Aufblätterungsspaltcn. 
Weitaus  die  Mehrzahl  der  durch  Mächtigkeit  und  ein  bedeutendes  Aushalten  in 
Streichen  und  Fallen  ausgezeichneten  Gangspalten  gehört  zu  den  Faltungsspalten. 

Die  Abhängigkeit  von  einer  in  der  Stellung  der  gebildeten  Falten  meist  wohl 
zu  erkennenden  Druck-  oder  Schubrichtung  und  die  hierdurch  bewirkte  parallele 
Lage  der  in  einem  Gebiete  entweder  streichend,  spiesseckig  oder  querschlagit; 
zu  den  Schichten  auftretenden  Gänge  untereinander,  endlich  auch  das  unbeime 
Fortsetzen  solcher  Spalten  durch  die  verschiedenartigsten  Gesteine  eines  Gebirges 
charakterisirt  dieselben  ganz  besonders. 

Das  Verhältniss,  die  Zusammengehörigkeit  und  Stellung  der  Gangspalten  in 
den  Schichten  ist  besonders  im  Harze  neuerdings  durch  die  verdienstvollen 
Arbeiten  von  v.  Groddeck,  Lossen,  Kavser  u.  A.  genauer  erforscht  und  festge- 
stellt worden.  Es  ergab  sich  hierbei  zunächst,  dass  alle  Theorieen,  welche  die 
Entstehung  der  Oberharzer  Gangspalten  mit  dem  Aufdringen  der  Granitmassen 
des  Brockens  und  des  Kellwasserthales  in  Zusammenhang  bringen  wollten,  gänz- 
lich unhaltbar  sind.  Dieses  gilt  sowohl  fiir  die  Gänge  von  Andreasberg,  wie 
für  die  Clausthaler.  Beide  Ganggruppen  stehen  durch  gemeinsame  Spalten  im 
innigsten  Zusammenhang,  das  ganze  Spaltensystem  westlich  des  Brockens  er- 
scheint als  ein  durchaus  einheitliches.  Alle  diese  Spalten  sind  gleichzeitig  Ver- 
werfer  und  viele  durchsetzen  und  verschieben  in  der  evidentesten  Weise  auch 
den  Granit.^) 

Die  Mehrzahl  der  zum  Theil  recht  bedeutenden  Spalten  streichen  in  einer 

^)  Kayser,  Ueher  das  Spaltensystem  am  S.W.-Abfall  des  Brockenmassivs.  Jalirb.  der  kgl 
preuss.  LandesaDStalt   i88i.     Berlin   1882. 


Öie  Gänge.  4199 

der  Oe&irgsachse  parallelen  Richtung,  andere  so  vor  Allem  die  grosse  Oderspalte 
mehr  nach  NNW.  bis  N.  Alle  diese  Spalten  sind  Querspalten.  Eine  Gruppe 
anderer  Bruchlinien  und  Gänge,  deren  wichtigste  die  Andreasberger  Ruschein 
sind,  haben  ungefähr  ostwestliche  Richtung  und  sind  Diagonalsprünge.  Alle 
diese  Spalten  und  Gänge  sind  demnach  als  Schubspalten  in  unserem  Sinne 
charakterisirt  und  so  ist  es  natürlich,  dass  sie  alle  auch  verwerfende  Wirkungen 
ausgeübt  haben.  Echte  Längs-  oder  streichende  Spalten  und  Verwerfungen 
kommen  nur  in  ganz  beschränktem  Maasse  in  dem  Gebiete  vor.  Dass  ein  Theil, 
vielleicht  die  Mehrzahl  der  Gangspalten  auch  als  Torsionsspalten  aufgefasst  werden 
kann,  darauf  kommen  wir  sogleich  noch  zurück. 

Ganz  besonders  deutlich  tritt  in  diesem  Gebiete  auch  der  Umstand  hervor, 
dass  die  Art  der  Erfüllung  vollkommen  unabhängig  ist  von  der  Lage  der  Spalten 
zu  den  Schichten:  Ob  es  Eisensteingänge,  Quarzgänge,  kupfererzführende  Schwer- 
spathgänge,  silberreiche  und  bleiglanzführende  Gänge  oder  die  tauben,  sogen, 
faulen  Ruschein  sind,  das  hat  bezüglich  des  Parallelismus  ihres  Aufbretens  keinen 
Einfluss.  Die  Spaltenbildung  ist  ein  Process  fUr  sich  und  die  Erfüllung  davon 
zunächst  ganz  unabhängig.  Eine  und  dieselbe  Spalte  nimmt  in  ihrem  Verlaufe 
bezüglich  ihrer  MineralfUhrung  eine  sehr  wechselnde  Beschaffenheit  an. 

Auch  die  in  dem  rheinischen  Schiefergebirge  auftretenden  Gangspalten  zeigen 
dieselbe  unverkennbare  Abhängigkeit  von  den  Faltensystemen  des  Gebirgsbaues. 
Die  meisten  derselben  setzen  als  Querspalten,  einige  jedoch  auch  als  spiesseckige 
oder  streichende  Spalten  auf.  Viele  parallele  Gänge  vereinigen  sich  zu  Gang- 
gruppen und  Zügen,  den  grossen  Hauptgängen  schaaren  sich  oft  kleinere  Gang- 
trümmer zahlreich  an  und  liegen  ihnen  parallel.,  aber  auch  häufige  Quertrümmer 
sind  mit  den  Hauptgängen  verbunden.  Dort  wo  nicht  die  Erzführung  ganz  be- 
sonders die  Aufmerksamkeit  auf  die  Gänge  gelenkt  hat,  sind  sie  gleichwohl  als 
taube  Quarzgänge  oder  Verwerfungsklüfte  vorhanden.  Auch  die  meisten  Gänge  der 
rheinischen  Gebirge  sind  Verwerfer. 

Gleichwohl  treten  auch  bedeutende  streichende  Gänge  auf,  solche  wenigstens, 
welche  der  Haupterstreckung  nach  mit  dem  Streichen  der  Schichten  zusammen- 
fallen. Der  Gangzug  von  Holzappel  und  die  Hauptgänge  des  Emser  Gang- 
zuges gehören  hierher.  Der  letztere  erstreckt  sich  von  Braubach  am  Rhein  über 
das  Lahnthal  bei  Ems  bis  nach  Dembach  westlich  von  Montabaur.  Die  zwischen 
den  Schichten  liegenden  eigentlichen  Hauptgänge  sind  taub,  die  Erzmittel  liegen 
immer  auf  den  Querklüften,  welche  an  den  Hauptgängen  abschneiden.^) 

Auch  die  Erzgänge  in  den  devonischen  Gesteinen  der  Halbinsel  Cornwall, 
die  vorzugsweise  aus  Thonschiefern  bestehen,  die  dort  Killas  genannt  werden, 
gehören  grösstentheils  zu  den  Faltungsspalten.  Sie  durchsetzen  den  Granit,  der 
hier  in  mehreren  kleineren  Massiv's  aus  den  Schiefem  emporragt,  die  von  diesem 
als  Ausläufer  ausgehenden  Felsitporphyre,  die  sogen.  Elvans  und  die  Schiefer  in 
gleicher  Weise.  Während  die  Elvangänge,  die  z.  Th.  ebenfalls  erzführend  werden, 
als  Auf  bruchsspalten  vom  Granite  aus  bezeichnet  werden  müssen  und  als  solche 
nur  in  den  Schiefem  rings  um  die  Granite  auftreten,  sind  alle  die  übrigen 
Spalten  in  den  Bewegungen  der  Faltenbildung  bedingt  und  durchsetzen  daher 
alle  Gesteine  des  Gebirges  ohne  Unterschied.  Verwerfungen  sind  auch  hier  über- 
all mit  den  Gängen  verbunden.  Die  meisten  derselben,  sowie  auch  die  nur  mit 
Quarz,  Thon  und  Letten  erfüllten  tauben  Gänge,  die  cross  courses  der  englischen 
Bergleute,  gehören  zu  den  querschlägigen  und  diagonalen  Gangspalten. 

1)  Groddkck,  1.  c.  pag.  228. 

32» 


Joo  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologte. 

ß.  Torsionsspalten. 

Schon  bei  der  Faltenbildung  zeigen  sich  vielfach  Erscheinungen,  die  er- 
kennen lassen,  dass  keinesweges  in  allen  Fällen  ein  constant  in  gerader  Richtung 
wirkender  Druck  vorhanden  gewesen  sein  kann.  Das  zeigen  z.  B.  ganz  evident 
die  flir  ganze  Ganggruppen  und  Züge  sich  vollziehenden  Aenderungen  im 
Streichen,  zugleich  verbunden  mit  einer  analogen  Umbiegung  in  der  StTdcb- 
richtung  der  Schichtensysteme  selbst.  Je  mehr  hier  die  richtige  Erkenntniss  von 
genauer  und  detaillirter  Einzelbeobachtung  abhängt,  um  so  mehr  wird  ein  aus 
sorgsamer,  vielseitiger  Erforschung  festgestelltes  Beispiel,  die  Basis  allgemeiner 
Schlussfolgerung  bieten  müssen. 

Recht  deutlich  treten  solche  Uebergänge  auf  der  schönen  geognosdschen 
Uebersichtskarte  des  Harzes  von  K.  A.  Lossen^)  auch  schon  äusserlich  hen'or 

In  einigen  überaus  interessanten  und  scharfsiimigen  Abhandlungen  erörtert 
derselbe  aber  auch  die  inneren  Ursachen,  die  Mechanik  der  Vorgänge  bei  der 
Spaltenbildung  im  Harz.^)  Getragen  sind  seine  Folgerungen  zugleich  von  der 
vorausgehenden  und  gleichzeitigen  detaillirten  Erforschung  des  Gebietes  durch 
die  Arbeiten  Kaysiü(*s,  v.  Groddeck's  u.  A. 

Die  früher  angenommene  Vorstellung  von  einem  durch  den  ganzen  Han 
fast  ausnahmslos  herrschenden  südwestnordöstÜchen  Generalstreichen  der  Schichten 
wurde  durch  die  Arbeiten  der  geologischen  Landesunlersuchung  widerlegt  Der 
Harx,  zwischen  dem  rheinisch-westphäiischen  Schiefergebirge  mit  südwestnord- 
östlichem Streichen  und  den  hercynisch-sudetischen  Gebirgen  mit  stidostnordwest* 
lichem  Streichen  in  der  Mitte  gelegen,  ist  äusserlich  und  innerlich  ein  Gebirgs- 
knotcn,  in  dem  sich  die  beiden  einseitig  von  S.O  und  von  S.W.  her  zusammen- 
geschobenen Faltensysteme  kreuzen  und  vereinigt  finden. 

Das  niederrheinische  Faltens}'stem  ist  das  ältere,  das  hercynische  das  jüngere. 
Die  l*mbiegung  des  älteren  einseitigen  Faltensystems  in  Folge  der  jüngeren  ber- 
cynisoh  gerichteten  el^enfalls  an  sich  einseitigen  Zusammenschiebung  ist  dergeol. 
N'oruang»  der  nach  I.ossex  wesentlich  als  die  Ursache  der  Spaltenbildung  ange- 
sehen werden  kann.  Das  Alter  der  meisten  Gänge  dürfte  in  die  jüngere  Carbon 
#eit,  einij;:e  Zeit  >x^r  Antang  der  Penn|)eriode  verlegt  werden,  in  dieser  Zeit  be- 
gannen  aUo    auch    die  Hebungen  und    Zusammenschiebungen    in    hercynischer 

Kichtui\<. 

Die  G^n^vilten  im  Hane  verlaufen  in  der  That  nicht  eigendich  quer- 
MhlA^V^*  >Äic  es  e»nom  einseitigen  Schübe  entsprechen  würde,  sondern  meist 
x)xu^vx<s^V\3t^  thAgv^nau  Nach  I  \>ssrx  hangen  aber  solche  Brüche  nicht  so  sehr 
\\\u  ou\cm  Ivi  der  Fa*,t;:ng  «^nkrech;.  aber  ni^ieich  gegen  das  Streichen  der 
S^hnhu^^n  >Äirie^v^,cr.  l^T\xke  a^.>  ^>ein>e*^r  ^^  etnem  solchen  ab,  der  schief  gegen 
v*^\M\  mc-^r  vvk^r  ^tr^xger  getalTe«e  Sch>r-tcn  wirkt:  sie  sind  meist  die  Aus- 
jiVuh\>^>^vn  c^ivr  S^^vAr.rurviu  ^-er^o-ixier.::«!  duich  Dnick  oder  Zug,  welcher  die 
livSMxtv«  S^>v^:v'^*"  *^Tor  S:T^v'^>,'^>e  *.icV.  i^amibacfcn  oder  zu  knicken  und  xc 
ulwn  *s^x:tv^\:  \v;  V  :v  vtv  v.>s.  r,.\c*v>  rie^Ser^JuM&ch  von  SO.  nach  N>J\'.  ge- 
M^VwMC^  |A\oyi  w  o><  S«v^^^V  !jux  rz  bnngeii,  die  sie  im  nondöstücben 
\'o>V  \K^x  >U  v*v  rv^^x"^.  r^^^J^c;-*  s-»e  ^tt  cB>en  rechten  Winkel  umgebogen 
WxMN^xi^      Ww*.    XX%N"V>v^^  "J^   Ov*>7  Fj^V-Ty^rv:-?:»^  kam  nur  durdi  eine  Spiral- 


Die  Gänge.  501 

drehung  der  Schichten,  eine  Torsion  bewirkt  werden,  wie  man  sich  dieses  leicht 
mit  einem  zu  einer  Falte  gebogenen  Papierstreifen  klar  machen  kann.  Diese 
Torsion  also  war  die  Ursache  der  meisten  Spaltenzerreissungen. 

Wenn  man  die  Gangtheorie  nur  unter  Berücksichtigung  des  Oberharzes  an- 
sieht, der  im  Buchberg  und  der  Acker  ein  kleines  Kettengebirge  für  sich  dar- 
stellt, dann  kann  man  sich  die  Spalten  allerdings  nur  durch  einen  aus  einer 
Richtung  rechtwinklig  aber  ungleich  wirkenden  Massenschub  herleiten.  Aber  es 
erscheint  doch  richtiger,  die  beiden  gleichzeitig  vorhandenen  Faltungssysteme 
des  Harzes,  das  niederrheinische  und  hercynische  ebenmässig  zu  berücksichtigen 
und  als  wirksam  anzunehmen. 

Mit  der  Umbiegung  der  Faltensysteme  waren  gleichzeitig  auch  Einrenkungen 
verbunden,  welche  bewirkten,  dass  die  Spiraldrehung  in  Wirklichkeit  nicht  nur 
im  horizontalen,  sondern  auch  im  verticalen  Sinne  stattfinden  musste. 

So  zeigt  in  der  That  die  Tanner  Grauwacke,  die  unterste  Etage  des  si- 
lurischen Systems  im  Harz,  im  Fallen  und  Streichen  hin  und  her,  auf  und  nieder- 
gebogene »Korkzieherfalten«  in  der  Umgebung  des  Rammberges.^) 

Von  ganz  besonderer  Bedeutung  erscheint  eine  weithin  fortsetzende  Spalte, 
die  dem  Oderthale  entsprechend  verläuft  und  daher  als  Oderspalte  bezeichnet 
wird.  Sie  weicht  in  ihrer  Richtung  von  allen  grösseren  Spalten  und  Gängen  des 
Oberharzes  ab,  denn  sie  streicht  fast  nördlich.  Sie  entspricht  der  Sehne-  oder 
Drehungsachse  zu  dem  Bogen,  der  aus  der  Umbiegung  des  niederländischen 
Faltensystems  in  das  hercynische  gebildet  wird  und  zerspaltet  den  Granit  von 
St.  Andreasberg  in  Folge  des  Wechsels  in  der  Faltungsrichtung  im  Sinne  des 
hercynischen  Systems. 

Aber  auch  die  Harzer  Gangspalten  und  die  meisten  sogen,  tauben  Ruschein 
oder  spiesseckigen  Faltenverwerfungen  lassen  sich  als  Torsionsspalten  erkennen. 
Ihre  Streich-,  Fall-  und  Verwerfungsrichtung  ist  leicht  verständlich  im  Sinne  des 
Ausgleiches  der  bei  der  Schichtenverbiegung  entstehenden  Spannungen. 

»Es  steht  aber  die  Grossartigkeit  dieses  Gangspaltensystems  im  umgekehrten 
Verhältnisse  zu  der  relativ  geringen  Deformirung  des  in  niederländischer  Richtung 
gefalteten  Devonsattels.  Je  weniger  der  hercynische  Faltendruck  zur  Umgestaltung 
der  älteren  niederländischen,  schon  zu  sehr  versteiften  Falten  fähig  war,  um  so 
mehr  musste  er  sie  brechen.« 

Welch'  geringes  Maass  wirklicher  Torsionsbiegung  aber  nöthig  ist,  um  in 
einigermaassen  spröden  Körpern  Systeme  zahlreicher  Spalten  hervorzurufen,  das 
haben,  wenn  auch  nur  im  Kleinen,  die  lehrreichen  experimentellen  Versuche 
Daubr£e's  gezeigt.*) 

Die  von  jenem  Forscher  in  einfachster  Weise  in  Glasplatten  erzeugten  Netze 
von  Sprüngen  zeigen  in  Anordnung  und  Verhalten  eine  überraschende  Aehnlich- 
keit  mit  der  Gruppirung  und  den  Verhältnissen  der  Gang-  und  Verwerfungsspalten 
in  stark  zerrissenen  Gebirgstheilen.  Derselbe  angenäherte  Parallelismus  der 
Spaltengruppen,  strahlen-  oder  fächerförmig  von  einzelnen  Punkten  auslaufende 
Systeme,  die  einzelnen  Spalten  sich  kreuzend  und  verschiebend;  derselbe  ab- 
lenkende Einfluss  der  einen  Spalten  auf  die  anderen,  dasselbe  Umbiegen  im 
Streichen  und  Fallen. 

So  unterstützt  diese  experimentelle  Erfahrung  mit  vollem   Rechte  die   An- 


^)  LossEN,  Zeitschr.  d.  deutsch,  geol.  Ges.  XXIV.  pag.  177. 
^  Ezperimentalgeologie.     pag.  236. 


502  Mineralogie,  Geologie  und  PaUieontologie. 

nähme,  dass  Torsionsspalten  in  den  Gebirgen  häufiger  sind,  als  man  es  bis  jetzt 
wusste. 

Bei  seinen  mathematischen  Untersuchungen  über  die  Elasticität  der  Erd- 
kruste gelangte  Lam£  zu  dem  Schlüsse,  dass  diese  Hülle  unter  der  Einwirkung 
einer  starken  inneren  Pressung  der  Schwere  und  eines  äusseren  Druckes  Tor- 
sionen unterworfen  gewesen  sein  muss. 

Die  zahllosen  Formveränderungen,  welche  die  Erdkruste  während  langer 
Zeiträume  erlitten  hat,  haben  sich  ebenfalls  wohl  kaum  vollziehen  können,  ohne 
dass  in  vielen  Theilen  Torsionen  haben  stattfinden  müssen.  Die  seitlichen  oder 
horizontalen  Schübe,  deren  gewaltige,  gebirgsbildende  Wirkungen  man  überall 
deutlich  wahrnimmt,  haben  sich  nie  mit  der  im  Allgemeinen  vorausgesetzten. 
geradlinigen  Regelmässigkeit  vollziehen  können,  als  dass  nicht  ungleiche  Bewegung 
Torsionen  hätte  erzeugen  müssen. 

Freilich  mögen  Beispiele  von  Torsionswirkungen  in  so  grossem  Maasstabe,  wie 
das  vorhin  am  Harze  erörtert  wurde,  nicht  häufig  sein.  Es  fehlen  zur  Erkenntniss 
und  richtigen  Beurtheilung  ähnlicher  Fälle  in  anderen  Gebieten  die  genauen,  bis 
ins  kleine  Detail  fortgeschrittenen  Localerforschungen.  Jedenfalls  erforden  solche 
grossartigen  Torsionswirkungen  das  Zusammentreffen  ganz  besonderer  tektonischer 
Bedingungen. 

Schon  im  Vorhergehenden  wurde  hervorgehoben,  dass  eine  Torsionswirkung 
wohl  nur  schwierig  gleichmässig  durch  verschiedene  Gesteine  hindurchsetzende 
Systeme  von  Spaltenrissen  hervorzurufen  vermöge.  Die  grossen  Differenzen  in 
den  Elasticitätsverhältnissen  der  Gesteine,  machen  für  jedes  eigene  Systeme  von 
Torsionsspalten  wahrscheinlicher. 

Aber  unter  den  auf  einzelne  Schichten  oder  gleichartige  Schichtencoroplcxe 
beschränkten  Spalten  und  Gängen  darf  man  Torsionsspalten  um  so  mehr  erwarten; 
ganz  besonders  überall  dort,  wo  die  Schichten  complicirte  Biegungen  erlitten 
haben.  Das  ist  im  höchsten  Maasse  dort  der  Fall,  wo  die  Schichten  nicht  nur 
im  Grossen  zu  Sätteln  und  Mulden  gefaltet  sind,  sondern  auch  im  Kleinen 
wieder  aus  zahlreichen  Falten  bestehen.  Wir  kennen  diese  vielfachen  Biegungen, 
Windungen,  Stauchungen  am  besten  aus  den  Steinkohlenbecken,  sie  sind  jedoch 
keinesweges  auf  diese  allein  beschränkt. 

Jede  Umbiegung  eines  Sattels  zur  Mulde,  womit  gleichzeitig  der  bei  gerad- 
linigem Schübe  nicht  gestörte  Parallelismus  der  Flügel  in  eine  oft  bedeutende 
Convergenz  umgewandelt  wird,  setzt  nothwendig  starke  Torsionswirkungen 
voraus. 

Die  in  den  meist  gebogenen  Theilen  der  Mulden  und  Sattellinien  in  grosser 
Zahl,  bis  zur  vollständigen  Zertrümmerung  auftretenden  kleineren  und  grösseren 
Verschiebungsklüfte  sind  gewiss  zum  grossen  Theile  durch  Torsion  entstanden. 
In  solchen  stark  gefalteten  Gebirgstheilen  ist  es  ohne  Zweifel  schwer,  einfache 
Faltungs-  oder  Bruchspalten  von  Torsionsspalten  zu  unterscheiden,  die  mit  jenen 
stets  zugleich  sich  gebildet  haben.  Sie  sind  so  nahe  verwandt»  dass  es  vieUeicht 
in  der  Natur  überhaupt  eigentliche  Faltungs-  oder  Bruchspalten,  mit  deren  Bildung 
nicht  auch  Torsionen  verbunden  waren,  gar  nicht  giebt. 

Wie  die  Versuche  Daubr£e's  gezeigt  haben,  genügt  eine  nur  sehr  schwache 
Biegung,  um  zahlreiche  Risse  und  Spalten  hervorzubringen.  Wenn  also  x.  R 
die  Unterseite  einer  horizontal  oder  wenig  geneigt  liegenden  Gesteinsschicht  doxch 
Nachgeben  ihrer  Unterlage   nur  zu   einer  minimalen  seitlichen  Bewegung  oder 


Die  Gänge.  503 

Wendung  gezwungen  wird,  der  die  Oberseitei  fest  im  Gebirgsbau  eingefügt,  nicht 
zu  folgen  vermag,  so  ist  Torsion  die  Folge. 

Eine  dem  Auge  des  Geologen  kaum  sichtbare  Deformirung  der  Schichten 
genügt  demnach,  um  dieselben  mit  Spaltensystemen  zu  durchziehen. 

Es  mögen  überhaupt  einsinkende  Bewegungen  von  Schichten,  wie  sie  durch 
die  Fortführung  leicht  löslicher  Schichten  im  Liegenden  bewirkt  werden,  ganz  be- 
sonders geeignet  sein,  Torsionen  zu  erzeugen.  Die  Fortführung  der  Unterlage  kann 
nicht  als  eine  gleichmässige  gedacht  werden.  Gewisse  Stellen  werden  zuerst  ein 
Ausweichen  gestatten.  In  den  gebildeten  Raum  drängt  die  aufliegende  Schicht 
hinein.  Es  müssen  fast  strudelähnliche  Bewegungen  und  Umformungen  in  den 
festen  Massen  entstehen,  die  ohne  Ausgleich  der  ^dabei  erzeugten  Spannungen 
gar  nicht  denkbar  sind. 

So  kann  man  also  nicht  überrascht  sein,  auch  ausserhalb  der  stark  gefalteten 
und  zusammengeschobenen  Schichtensysteme,  Zerreissungen  und  Verschiebungen, 
Spalten  und  Gänge  zahlreich  in  ungestörten,  fast  horizontal  gelagerten  Schichten 
zu  finden,  die  nur  geringe,  kaum  wahrnehmbare  Dislocationen  erlitten. 

Der  grösste  Theil  der  Spalten,  die  Daubr£e  als  Diaklase  bezeichnet  hat, 
darf  zu  den  Torsionsspalten  gerechnet  werden.  Durch  Erfüllung  mit  Mineralen 
und  Erzen  sind  dieselben  gar  nicht  selten  zu  echten  Gängen  geworden. 

Die  Querklüfte  im  Muschelkalk  von  Wiesloch  in  Baden  gehören  hierher.  Sie 
durchsetzen  in  nahezu  verticaler  Stellung  die  Schichten  und  sind  mit  Galmei, 
Brauneisenstein  und  Bleiglanz  erfüllt.  Von  diesen  Rissen  und  Klüften  aus  ist 
die  Umwandlung  des  Kalksteines  in  Galmei  erfolgt,  wie  viele  in  Galmei  umge- 
wandelte Versteinerungen  beweisen. 

Die  an  Kalksteine  oder  Dolomite  verschiedenen  Alters  gebundenen  Blei- 
Zinkerzlagerstätten  von  Raibl,  I.aurion,  Mississippi  u.  a.  sind  ähnlich  gebildet. 
Die  Erze  sind  meist  an  Klüfte  und  Spalten  gebunden,  welche  die  Kalksteine  in 
verschiedenen  Richtungen  netzförmig  durchziehen.  Durch  Erweiterung  der  Spalten 
zu  grösseren  Hohlräumen  werden  die  Erzlager  besonders  bedeutend.  Groddeck 
hat  unter  seinem  Typus  Raibl  eine  ganze  Reihe  weiterer  hierher  gehöriger  Vor- 
kommnisse beschrieben.^) 

4.  Pressungsspalten. 

Wo  in  den  Gesteinen  eine  mechanische  Kraft  in  irgend  einer  Richtung  zur 
Wirkung  kommt,  sei  es  durch  Belastung,  Hub,  seidichen  Druck  oder  Torsion,  da 
müssen  in  derselben  Pressungen  entstehen.  Erscheinungen,  die  solche  Pressungen 
verrathen,  gehören  daher  zu  den  häufigen  in  allen  Gesteinen.  Absonderungs- 
flächen, Fugen,  sog.  Spiegel  und  Quetschflächen  finden  sich  in  den  stark  ge- 
bogenen und  dislocirten  Schichten  sowohl  wie  in  den  von  Biegungen  kaum  be- 
troffenen. Polirte,  wenig  ausgedehnte  Quetschflächen  sind  häufig  in  der  Kreide, 
eine  Pressungserscheinung  sind  die  sog.  Stylolithen  in  jungen,  noch  ungestört  ge- 
lagerten Mergeln  und  in  grossem  Maasstabe  ist  die  blättrige  Absonderung,  die 
clivage  oder  Schieferung,  über  ganze  Zonen  gleichmässig  verbreitet,  die  Folge 
innerer  Pressungen  in  den  Gebirgen. 

Solche  Pressungen  bewirken  manchmal  eine  vollkommene  Zertrümmerung 
eines  Gesteines  oder  ganzer  Schichtencomplexe  in  einzelne,  gegen  einander 
verschobene  Brüchstücke.  Der  sog.  Ruinenmarmor  von  Florenz,  die  pietra 
paesina,  ist  ein  bekanntes  Beispiel  solcher  Zertrümmerung.    Die  gefalteten  Grau- 


')  L  c.  pag.  236.  ff. 


504  Mineralogie,  Geologie  und  Palacontologie. 

wacken  und  Schiefergesteine  zeigen  nicht  selten  trotz  eines  bestehenden  äusseren 
Zusammenhanges  eine  vollständige  innere  Zerbrechung.  Eine  solche  erwähnt 
Kayser  u.  a.  auch  von  den  grossen  Diabasmassen  im  Süden  von  Andreasberg 
am  Harz,  wo  das  Gestein  aus  lauter  kleinen  polytom-prismadschen,  gegen  einander 
verschobenen  Fragmenten  besteht,  welche  in  Folge  der  stattgehabten  Gleitung 
allenthalben  kleine  Rutschilächen,  Harnische  und  Spiegel  erkennen  lassen.  Der 
gewaltige  Druck,  den  die  bis  in's  Kleinste  gefalteten  Schichten  des  Harzes  ans- 
gehalten  haben,  erklärt  auch  diese  Erscheinung. 

Die  so  entstehenden  Risse  und  Spalten  besitzen  stets  nur  geringe  Dimensionea 
Ein  Theil  des  feinen  Adernwerkes,  das  die  Gesteine  durchzieht,  gehört  hierher. 
Kleine  Spalten  und  Fugen,  welche  in  der  Begleitung  grösserer  Mineral-  und  £n- 
gänge  fast  nie  fehlen,  oft  im  Inneren  derselben  sich  finden,  sind  durch  Pressung 
entstanden.  Solche  mit  Psilomelan  und  Eisenocher  erfüllte  Klüfte  kennt  man 
im  Trachyt  des  Siebengebirges;  in  dem  grobkörnigen  Granit  bei  Wittichen  im 
Schwarzwald  sind  die  Kluftflächen  mit  einer  dünnen  Braunitschicht  bedeckt 
Bleiglanz-,  Kupferkies-,  Rotheisensteinspiegel  sind  weit  verbreitet  auf  den  Erzgängen 
verschiedener  Gebiete.  Der  Porphyr  am  Rumpeisberg  und  Mittelberg  bei  Elgcrs- 
burg  in  Thüringen  ist  der  Träger  der  bedeutenden  Manganerzvorkommen.  Ihn 
durchziehen  sowohl  regelmässig  von  Südost  nach  Nordwest  streichende  Gang- 
spalten mit  steilem  Einfallen,  die  als  Torsionsspalten  angesehen  werden  können, 
als  auch  zarte  netzartig  sich  durchkreuzende  Braunsteintrümmer,  die  ihn  wie  ein 
Stockwerk  durchschwärmen  und  am  wahrscheinlichsten  durch  die  Pressung  ent* 
standen  sind.  So  auch  die  in  den  Sandsteinen,  Thonschiefern  und  Letten  der 
Quecksilberlagerstätten  der  Pfalz,  besonders  am  Landsberge  bei  Obermoschel  mit 
Zinnober  überkleideten  kleinen  Klüfte,  auf  denen  Quetschflächen  mit  Ztrmober 
oder  Amalgam  bedeckt,  nicht  selten  sind. 

Je  mehr  aber  im  Allgemeinen  Pressungsspalten  mit  den  durch  tektonische 
Wirkungen  hervorgerufenen  verschiedenartigen  Zerreissungen  vereint  vorkommen, 
um  so  schwieriger  wird  es,  in  einzelnen  Fällen  die  äusserlich  ähnlichen  Bildungen 
auseinander  zu  halten. 

2.     Ausfüllung  der  Gangspalten. 

Die  Vorgänge,  welche  zur  Erfüllung  der  Spalten  geführt  haben,  lassen  sich 
aus  drei  verschiedenen  Getiichtspunkten  betrachten  und  ordnen. 

Man  kann  dabei  vorzüglich  berücksichtigen  i.  die  eigentlichen  Ent- 
stehungsprocesse  der  ausfüllenden  Gangmassen,  2.  den  zeitlichen  Zu- 
sammenhang und  die  Folge  der  verschiedenen  Mineralbildungen  und  3.  den 
Ursprung,  die  Herkunft  der  zur  Erfüllung  verwendeten  MineralstofTe. 

I.  Die  eigentlichen  Ausfüllungsprocesse  können  wieder  dreierlei  Art  sein: 
mechanische»  chemische  und  polygene. 

Die  mechanisch  gebildeten  Gangmassen  sind  vorzüglich  die  sog.  Gang- 
gesteine,  dieselben  bestehen  aus  verschiedenartigen  Gesteinsbruchstücken  und 
mehr  oder  weniger,  oft  bis  zu  feinstem  Schlamm  zerriebener  Gesteinsmasse. 

Die  Bruchstücke  rühren  meist  unmittelbar  vom  Nebengestein  her,  nur  seltener 
stammen  sie  auch  von  entfernter  gelegenen  Gesteinen  ab. 

Die  im  ersten  Abschnitte  eingehend  beschriebenen  Conglomeratgänge  bieten 
verschiedene  Beispiele  dieser  mechanischen  Erfüllung,    ipag.  478.) 

Die  chemisch  gebildeten  Gangmassen  können  überhaupt  nur  durch  solche 
Processe  entstehen,  die  auch  bei  der  Bildung  der  einzelneii  Miaerale  beobachtet 


Die  Gänge.  505 

werden  oder  denkbar  sind.  Solcher  Processe  giebt  es  drei:  1.  Die  Erstarrung 
aus  dem  Schmelzflüsse:  2.  die  Abscheidung  aus  Lösungen  und  3.  die  Sublimation, 
Verfestigung  aus  dem  gasförmigen  Zustande. 

Künstliche  Mineraldarstellung, ^)  die  Beobachtung  der  bei  chemischen  und 
Hüttenprocessen  zufällig  entstehenden  Minerale,  die  noch  heutigen  Tages  sich 
vollziehenden,  also  »jugendlichen  Mineralbildungen ,^  endlich  das  Vorkommen, 
die  Associationsverhältnisse  der  auf  den  Gängen  als  Ausfüllung  sich  findenden 
Minerale  selbst  müssen  die  Anhaltspunkte  liefern  zur  Beurtheilung  der  jedes- 
maligen Processe,  die  einer  GangerfUllung  zu  Grunde  lagen. 

Durch  Erstarrung  aus  dem  Schmelzflusse  sind  die  Eruptivgänge  entstanden. 

Die  künstliche  Darstellung  der  meisten  und  wichtigsten  von  den  Mineralen, 
die  als  Gemengtheile  der  sogen.  Eruptivgesteine  vorkommen,  durch  die  über- 
raschenden Versuche  von  F.  FouQUfi  and  Michel  Lew  3)  haben  nun  auch  experi- 
mentell für  diese  Gesteine  ihre  Entstehung  aus  dem  Schmelzflusse  dargethan  und 
so  das  noch  fehlende  Schlussglied  in  der  Reihe  von  Beweisen  geliefert,  die  schon 
früher,  vornehmlich  aus  geognostischen  Thatsachen  für  diese  Annahme  erbracht 
waren.  Die  näheren  Umstände  der  Bildung  sind  darnach  ohne  Zweifel  ganz 
ähnliche,  wie  sie  in  den  heute  sich  bildenden  Laven,  die  die  Spalten  der  Vul- 
kane erfüllen,  unserer  direkten  Wahrnehmung  sich  bieten. 

Dass  für  gewisse  Mineralgänge  die  Frage  ihrer  eruptiven  Entstehung  noch 
keineswe^es  ent  chieden  ist,  sie  sogar  trotz  ihrer  Aehnlichkeit  mit  Eruptivgesteinen 
wahrscheinlicher  aus  wässriger  Lösung  auskrystallisirt  sind,  darauf  wurde  schon 
im  Vorhergehenden  näher  eingegangen  (pag.  472). 

Da  auch  auf  Eruptivgängen  Erze  vorkommen,  so  ist  der  ebenfalls  durch 
vielerlei  Beobachtungen  erbrachte  Beweis  von  Wichtigkeit,  dass  eine  ganze  Reihe 
der  auf  Gängen  häufigen  Minerale,  besonders  metallische  Verbindungen,  aus 
Schmelzflüssen  erhalten  worden  sind.  Durch  direktes  Zusammenschmelzen  der 
Bestandtheile  hat  man  dargestellt:  Bleiglanz,  Kupferglanz,  Buntkupfererz,  Roth- 
giltigerz,  Magnetkies  und  verschiedene  Antimonverbindungen  u.  a. 

Die  Bildung  von  Mineralen  als  Gangerfüllung  durch  Sublimation  hat  nur 
eine  geringere  Bedeutung.  Nur  in  vulkanischen  Gebieten  können  dieselben  er- 
wartet werden,  da  sie  eine  hohe  Temperatur  zur  Bedingung  haben.  Spalten- 
erftillungen  in  den  Lavafeldern,  die  mannigfache  interessante  Minerale  enthalten 
z.  B.  Eisenchlorid,  Kupferchlorid,  Chlorblei,  Aurripigment,  Salmiak,  Chlomatrium 
u.  a.  gehören  hierher.  Ein  Theil  der  Spalten ausfüllung  in  den  schwefelführenden 
Schichten  z.  B.  in  den  sicilianischen  Districtcn  besteht  auch  aus  sublimatorisch 
gebildetem  Schwefel.  Auf  künstlichem  Wege  ist  die  Bildung  einer  grossen  Zahl 
von  Mineralen  durch  Sublimation,  durch  Zersetzung  von  Dämpfen  in  hoher 
Temperatur  oder  durch  Einwirkung  von  Dämpfen  auf  andere  Körper  im  glühenden 
Zustande  gelungen,  ohne  dass  für  die  Mineralgänge  hierdurch  im  Allgemeinen 
Bildungsanalogien  gewonnen  worden  wären.  Nur  für  den  Nachweis,  dass  fast 
alle  Minerale  in  verschiedener  Weise  entstehen  können,  sind  auch  diese  Methoden 
der  Darstellung  von  Wichtigkeit  geworden. 

Die  Ausfüllung  der  meisten  Gänge  ist  durch  Bildung  von  Mineralen  durch 
Ausscheidung  aus  Lösungen  geschehen. 

')  Hierüber  ru  vergleichen:  C.  W.  C.  Fuchs,  die  kfinsüich  dargestellten  Mineralien.    Haariem 
1872  und  F.  FouQUE  u.  Michel  Lew.    Synthese  des  Mineraiix  et  des  Roches.     I'aris  1882. 
')  Groddeck,  1.  c  pag.  280. 
»)  L  c 


5o6  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

In  dem  Artikel  »chemische  Processe  in  der  Geologiec  ist  eine  Reihe  von 
Fällen  erörtert,  die  für  Mineral-  und  Erzgänge  Anwendung  finden  und  mag  daher 
auf  dieselben  zurückverwiesen  werden,    (pag.  136  ff.) 

Von  ganz  besonderem  Interesse  sind  die  Beobachtungen  Daubräe's  über  dk 
Absätze  aus  Mineralquellen.^)  Für  die  Bildung  der  Gangmassen  haben  sie  deshalb 
besondere  Bedeutung,  weil  sie  die  Gleichzeitigkeit  der  Bildung  sehr  verschiedener 
Minerale  und  Erze  aus  einer  und  derselben  Quelle  durch  Einwirkung  derselben 
auf  verschiedene  Stoffe  darthun. 

In  dem  schon  zu  Römerzeiten  hergestellten  Beton  der  Bäder  von  Plombi^res 
in  den  Vogesen  bilden  sich  aus  den  Thermalwassern,  welche  durch  den  Kalk- 
mörtel und  die  Ziegelsteine  allmählich  hindurchsickem  und  dieselben  angreifen 
folgende  Minerale:  Opal,  Chalcedon,  Kalkspath,  Aragonit,  Harmotom,  Apophyllit, 
Mesotyp,  Skolezit,  Gismondin  (?)  Chabacit,  also  vornehmlich  solche  Minerale,  die 
auch  in  den  Gesteinen  als  natürliche  Ausfüllung  vorhandener  Hohlräume  häufig 
sind.  Sie  zeigten  grösstentheils  Krystallformen,  die  den  gewöhnlich  in  der  Natur 
vorkommenden  für  diese  Minerale  ganz  entsprechen. 

Diese  Beobachtung  blieb  nicht  vereinzelt;  auch  im  römischen  Mauerwerk  zu 
Luxeuil  (Haute  Säone),  Bourbonne-les-Bains  (Haute  Marne),  in  der  Umgegend  von 
Oran  in  Algier  fanden  sich  die  gleichen  Neubildungen  aus  den  Mineralwässern. 
Die  aus  dem  Becken  der  Thermalquellen  von  Bourbonne-les-Bains  gebildeten 
Producte  gewähren  durch  die  gleichzeitige  Entstehung  der  schon  angeführten 
Minerale  und  metallischen  Mineralspecies  noch  ganz  besonderes  Interesse.  Der 
Einwirkung  der  Thermalwasser  auf  die  Bleiröhren,  auf  Bronze  und  Eisenge- 
räthe  ist  die  Entstehung  der  letzteren  zuzuschreiben.  Aus  dem  Kupfer  der 
Bronze  (Münzen,  Nägel)  bildete  sich  Rothkupfererz,  Kupferglanz,  Kupferschwärze, 
Kupferindig,  Kupferkies,  Buntkupferkies,  Fahlerz,  Atacamit,  Kieselkupfer,  Carbonate 
von  Kupferoxyd  seltener;  aus  der  I^ösung  der  Bleirohre  ging  Bleiglanz,  Bleihomerz, 
Bleioxyd  oder  Glätte,  Weissbleierz,  Vitriolblei  hervor;  das  Eisen  gab  Veranlassung 
zur  Bildung  von  Eisenkies  oder  Pyrit.  Das  Zusammenvorkommen  aller  dieser 
metallischen  Minerale  mit  Kalkspath  und  Zeolithen  vervollständigt  das  Bild  einer 
Mineralassociation,  wie  sie  auf  vielen  Erzgängen  gefunden  wird. 

Bei  der  grossen,  fast  allgemeinen  Verbreitung  des  Pyrit  auf  Erzgängen  ist 
dessen  wiederholt  beobachtete  Entstehung  aus  Mineralwassem  besonders  bedeu- 
tungsvoll. Derselbe  wurde  u.  a.  gefunden  in  den  Absätzen  aus  den  Quellen  von 
Aachen,  Burgbrohl,  Bourbon-Lancy,  Bourbon  l'Archembault,  Saint-Nectaire  u.  a. 
Die  Thermalquellen  von  Hamman-Meskoutine  bei  Constantine  in  Algerien  setzen 
Erbsensteine  ab,  denen  von  Carlsbad  und  Tivoli  vergleichbar,  die  oftmals  mit 
Eisenkies  überzogen  und  in  denen,  wenn  man  sie  zerschlägt,  feine  Lagen  von 
Eisenkies  concentrisch  eingeschaltet  sind.  In  ganz  ähnlicher  Weise  erscheinen 
auf  Erzgängen  in  der  Nähe  von  Brilon  in  Westphalen  die  grossblättrigeo, 
krystallinischen  Massen  von  Kalkspath  in  der  Weise  mit  fein  vertheiltem  Eisen- 
kies imprägnirt,  dass  dieser  in  der  Form  feiner  Pünktchen  concentrische  Zonen 
bildet,  die  den  Spaltungsebenen,  den  Rhomboederflächen,  parallel  liegen. 

Zu  Bourbon- l'Archembault,  wo  der  Eisenkies  sich  auf  Kosten  einer  Elisen- 
Stange  bildete,  die  verschwunden  ist  und  deren  Stelle  er  einnimmt,  ist  er  noch 
von  einem  anderen  Minerale  begleitet,  das  nicht  weniger  Interesse  verdient,  nämlich 


^)  Experimentalgeologie.    pag.  138.  ff. 


Die  Gänge.  507 

Spatheisenstein.  In  der  Natur  ist  die  Vergesellschaftung  gerade  dieses  mit  Eisen- 
kies ganz  besonders  häufig. 

Dass  die  eigenthümliche  Stnictur  der  Gangmassen  meist  gar  nicht  anders 
erklärt  werden  kann,  als  durch  eine  allmähliche  Krystallisation  der  Minerale  aus 
wässrigen  Lösungen,  darauf  wurde  ebenfalls  schon  oben  hingewiesen. 

Auch  die  Vertheilung  von  tauben  Mitteln  und  Erzmitteln  innerhalb  der 
Spaltenräume  lässt  sich  durch  Sie  Circulation  von  Lösungen  und  die  Verbreitung 
der  Niederschlagsmittel  erklären.  Als  eines  der  Hauptmittel  zum  Ausfallen  der 
Metalle  aus  Lösungen  wird  der  Schwefelwasserstoff  anzusehen  sein,  sei  es,  dass 
derselbe  aus  der  Tiefe  fertig  emporsteigt  oder  aus  schwefelsauren  Salzen  durch 
organische  Substanz  reducirt  wird. 

Sind  die  Metallsalze  und  ihr  Fällungsmittel  überall  in  der  Spalte  gleich- 
massig  vertheilt  und  gegenwärtig,  so  ist  auch  die  Vertheilung  der  Erze  in  der  Gangi 
ausfiillung  eine  gleichmässige,  werden  die  Metallsalze  nur  sparsam  zugeführt  und 
wirken  die  Fällungsipittel  nur  an  einzelnen  Stellen,  so  erscheinen  die  Erze  un? 
gleichmässig,  nesterförmig,  strichweise.^) 

Für  die  Bildung  der  Minerale  in  geschichteten  Gesteinen  ist  die  Möglichkeit 
einer  anderen  Bildung  als  die  durcli  Abscheidung  aus  Lösungen  geradezu  ausge- 
schlossen. Aber  selbst  von  den  in  Eruptivgesteinen  auftretenden  Gängen  ist 
wenigstens  ein  grosser  Theil  auf  dieselbe  Weise  erfüllt  worden. 

Freilich  ist  nun  die  Ausfüllungsraasse  sehr  vieler  Gänge  und  besonders  auch 
der  Erzgänge  eine  mehrfache,  es  mischen  sich  mechanisch  in  die  Spalte  geführte 
Trümmer  und  Bruchstücke  mit  neugebildeten  Mineralen,  autogene  Bestandtheile 
mit  allogenen  (pag.  466).  In  diesem  Sinne  ist  die  Erfüllung  der  grossen  Mehr- 
zahl der  bedeutenderen  Gänge  eine  polygene  zu  nennen. 

2.  Bezüglich  des  zeitlichen  Zusammenhanges  und  der  zeitlichen  Folge,  die 
zwischen  dem  Aufreissen  der  Spalte  und  ihrer  Erfüllung  einerseits,  andererseits 
zwischen  den  verschiedenen  Ausfüllungsstadien  obgewaltet  haben,  ist  zweierlei 
zu  unterscheiden. 

Entweder  die  Erfüllung  erfolgte  gleichzeitig  mit  dem  Aufreissen  der  Spalte 
oder  sie  fand  erst  nach  einem  gewissen  Intervall  statt  und  dann  entweder  in 
einem  einzigen,  sich  gleich  bleibenden  Processe  oder  in  einer  Folge  ein- 
zelner, zeitlich  getrennter  und  auch  stofflich  verschiedener  Processe. 

Die  gleichzeitige  Erfüllung  der  gebildeten  Spalte  vollzog  sich  wohl  nur  bei 
den  Gängen  von  Eruptivgesteinen. 

Aber  wenn  schon  bei  den  Laven  der  Vulkane  nicht  eigentlich  die  Lava 
selbst  die  Trägerin  der  Kraft  ist,  welche  die  Wände  des  Berges  zum  Aufbersten 
bringt,  sondern  sie  selbst  getragen  wird  von  einer  anderen  Kraft,  gespannten 
Dämpfen  z.  B.,  so  gilt  dieses  jedenfalls  in  noch  höherem  Maasse  von  den  älteren 
Eruptivgesteinen,  denen  auch  die  äusseren  Erscheinungen  der  heutigen  Vulkane 
z.  Th.  ganz  fehlen. 

Nicht  das  Eruptivgestein  war  die  zerreissende,  Spalten  aufberstende  Kraft, 
sondern  diese  lag  in  den  tektonischen  Vorgängen  in  der  Erdrinde  begründet. 
Die  durch  Bruch,  Schub  und  Torsion  gebildeten  Spalten  waren  nur  die  Wege, 
auf  denen  die  Eruptivgesteine  empordrangen.  Und  wenn  wir  an  das  denken, 
was  pag.  290  im  Artikel  über  das  Innere  der  Erdrinde  ausgeführt  wurde,  so 
Itönnte  man  vielleicht  noch  weiter  gehend  äuch  behaupten,  dass  der  Proccss  der 


*)  OiLODDSCK,  1.  c.   pag.  307. 


5o8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Spaltenbildung  nicht  nur  dem  flüssigen  Eruptivmagma  die  Bahn  zur  Erdoberfläche 
öffnete,  sondern  auch  Bedingung  war  für  den  flüssigen  Zustand  des  emporge- 
pressten  Gesteines. 

In  diesen  Fällen  aber  muss  immer  die  Ausfüllung  des  entstandenen  Rissen 
mit  seiner  Entstehung  zusammenfallen. 

In  allen  anderen  Gängen  aber,  deren  ErRillung  namentlich  auf  chemische 
Processe  zurückzufuhren  ist,  auch  wenn  sich  dahiit  polygene,  mechanische  Aus- 
füllung verbindet,  war  der  Erfüllungsprocess  zeitlich  getrennt  von  der  Bildung  der 
Spalte  und  dauerte  durch  mehr  oder  weniger  lange  Zeiträume  mit  oder  ohne 
Unterbrechung  fort. 

Die  Gangmasse  selbst  und  ihre  Structur  zeigt  uns  dieses  unwiderleglich  an 

In  der  symmetrisch,  lagenformigen  Structur  der  meisten  Erzgänge,  wo  die 
einzelnen  Lagen  auch  aus  wechselnden  Mineralen  bestehen  (pag.  475),  in  den  in 
allen  Theilen  einer  Gangspalte  von  den  gebildeten  Mineralen  umhüllten  Bruch- 
stücken der  Nebengesteine,  in  deutlich  unterscheidbaren  älteren  und  jüngeren 
Mineralbildungen,  von  denen  die  ersteren  z.  Th.  wieder  zerstört  erscheinen  und 
mit  Hinterlassung  ihrer  charakteristischen  Form  von  den  jüngeren  umhüllt  oder 
gänzlich  verdrängt  sind  (Pseudomorphosen),  in  den  Anzeichen  wiederholter  er- 
neuerter Eröffiiung  und  Erweiterung  der  schon  theilweise  oder  ganz  erfüllten 
Gangspalten,  endlich  auch  in  dem  Umstände,  dass  noch  heute  manche  Gänge 
theilweise  offene,  nicht  erfüllte  Räume  aufweisen,  spiegeln  sich  deutlich  die  lang 
andauernden  vielfachen  Vorgänge  wieder,  die  zu  einer  endlichen  Ausfüllung  von 
Spalten  geführt  haben.  ^ 

Selbst  bei  den  anscheinend  einfachen,  überwiegend  nur  aus  einer  Minenl- 
species  bestehenden  Gängen  fehlen  nur  selten  die  Anzeichen,  dass  dieselben 
zeitlich  getrennte  Ausfüllungsphasen  durchlaufen  haben.  Die  vorhin  erwähnten 
Strontianitgänge  im  Kreidemergel  Westphalens  (pag.  493)  bestehen  zwar  grössten- 
theils  aus  dem  Carbonate  des  Strontiums,  jedoch  ist  das  Salband  der  Gänge 
häuflg  durch  Kalkspath  gebildet,  der  auch  nach  den  Löslichkeitsverhältnissen  der 
beiden  Carbonate  zuerst  zur  Ausscheidung  kommen  musste.  Die  so  überaus 
verbreiteten  Quarzgänge  in  den  krystallinischen  Gesteinen,  die  Kalkspathadem  in 
den  Kalksteinen  zeigen  trotz  ihrer  geringen  Mächtigkeit  die  deutlichen  Zeichen 
allmählichen  Wachsthums.  Wenn  irgend  eine  färbende  Substanz  vorhanden  ist, 
z.  B.  Eisenoxyd,  so  heben  sich  die  einzelnen  Lagen  schärfer  von  einander  ab; 
die  Folge  der  Bildungen  wird  durch  Unterschiede  in  der  Färbung  sichthax. 
Ausgezeichnet  schön  zeigen  dieses  Kalkspathgänge  in  den  Kalksteinen  der  Gegend 
von  Stollberg  bei  Aachen,  die  aus  zahlreichen  abwechselnd  rothen  und  weissen 
Lagen  von  stengligem  Kalkspath  bestehen.  Auch  die  Structur  der  einzelnen 
Lagen  ist  verschieden,  fein-  und  grobstenglige  wechseln  ab,  wie  bei  den 
Achaten. 

Besonders  beweisend  für  die  lange  Zeitdauer,  die  die  endliche  vollkommene 
Ausbildung  eines  Ganges  in  Anspruch  nahm,  sind  die  Beispiele,  wo  ein  wieder 
hohes  Aufreissen,  eine  Erweiterung  der  schon  theilweise  erfüllten  Gangspalte,  eine 
Zertrümmerung  und  erneuerte  Verkittung  der  gebildeten  Bruchstücke  mit  Mine- 
ralen stattfand.  Gar  nicht  selten  sind  die  jüngeren  Mineralbildungen  von  gini 
anderer  Art,  wie  die  älterer  Erfüllung.  Der  Gang  des  bekannten  Trümmerachate^ 
von  Schlottwitz  in  Sachsen,  die  Gänge  von  Gersdorf,  der  Quarzgang  von  l-a 
Gaidette  sind  Beispiele  dieser  Art,  die  schon  im  Vorhergehenden  angefühlt 
worden    sind  (pag.  477).    Interessante  Vorkommen   dieser  Art   bietet  auch  der 


FonnelD,  chemische,  der  Minende.  509 

Adalbertgang  zu  Przibram  in  Böhmen.  Auf  diesem  und  anderen  dortigen  Gängen 
kann  man  z.  B.  Bleiglanz  von  verschiedenem,  zwei  auch  dreierlei  Alter  unter- 
scheiden, mehrere  Schwerspath-  und  Kalkspathbildungen  und  sogar  fünferlei  ver- 
schiedene Quarzbildungen.  Die  Cocardenstructur  ist  theilweise  ganz  ausgezeich- 
net. Grünsteinbrocken  sind  mit  successiven  Lagen  von  Blende  und  Bleiglanz 
concentrisch  umhüllt,  diese  alle  von  Eisenspath  umgeben. 

Der  in  den  devonischen  Schichten  aufsetzende  Gang  der  Grube  Louise  bei 
Asbach  östlich  vom  Siebengebirge  zeigt  auf  der  alten  Gangspalte  wesentlich 
Blende  und  Bleiglanz  mit  Quarz  und  Kalkspath  als  ErHillung.  Fast  in  demselben 
Verlaufe  mit  dieser  älteren  Gangspalte  riss  eine  zweite  auf,  die  sich  z.  Th.  ganz 
parallel  an  die  ältere  anfügt,  aber  vorzüglich  Spatheisenstein  als  Ausfüllung  erhielt. 
So  setzen  die  jüngeren  Spatheisensteintrümmer  bald  in  der  Mitte,  bald  auf  den 
Seiten,  bald  quer  in  der  älteren  Gangmasse  auf. 

Wenn  das  erneuerte  Aufreissen  zwischen  den  älteren  Gangkörpem  und  dem 
Nebengestein  nur  enge,  wenige  Zoll  weite  Räume  schuf  und  diese  sich  mit  einem 
mechanisch  gebildeten  Reibungsproducte  erfüllen,  so  gehen  daraus  die  sogen. 
Beste ge  hervor,  die  den  Gang  auf  der  einen  oder  auf  beiden  Seiten  einfassen 
und  durch  ihre  meist  wenig  feste,  milde  Beschaffenheit  die  bergmännische  Ge- 
winnung der  Gangmasse  erleichtem. 

Auch  das  Vorkommen  von  stalaktitischen  und  stalagmitischen  Gebilden  in 
den  Hohlräumen,  den  nicht  erfüllten  Theilen  von  Gangspalten,  ist  ein  Beweis 
sowohl  ihrer  Erfüllung  durch  Abscheidung  aus  Lösungen,  als  auch  der  langsamen 
und  durch  lange  Zeit  ruhig  fortdauernden  Processe,  die  jene  bewirkten.  So  kennt 
man  nicht  nur  Kalkspath  und  Aragonit,  sondern  auch  Erze  in  stalaktitischen 
Formen:  Bleiglanz  in  Siebenbürgen  und  zu  Raibl  in  Kämthen,  gediegen  Arsen 
und  Kieselmanganerz  in  überaus  zierlichen  Bildungen  zu  Nagyag,  Grünbleierz  zu 
Przibram,  die  feinsten  fransenartigen  Gestalten  von  Pyrit  und  Markasit  auf  dem 
belgischen  Bleiberg,  Braun-  und  Rotheisensteine  im  Siegen'schen,  zu  Holzappel 
und  in  weiter  Verbreitung. 

Bei  vielen  Gängen  ist  in  Folge  der  verschiedenen  Vorgänge,  die  sich  in  der 
Spalte  bis  zu  ihrer  Erfüllung  abgespielt  haben,  die  Structur  derselben  eine  so 
verwickelte,  mosaikartige  geworden,  dass  die  Altersfolge  der  verschiedenen  Lagen 
und  Theile  nur  sehr  schwer  mehr  erkannt  werden  kann. 

3.  Bezüglich  der  Herkunft  der  zur  Ausfüllung  der  Gangspalten  ver- 
wendeten Mineralmassen  sind  verschiedene  Theorien  aufgestellt  worden. 
V.  Weissenbach  ^)  und  später  v.  Herder  haben  die  Gänge  nach  diesem  Gesichts- 
punkte eingetheilt  und  mehr  und  mehr  ergiebt  sich,  dass  alle  einzelnen  Möglich- 
keiten innerhalb  gewisser  Grenzen  und  für  gewisse  Gänge  ihre  Berechtigung 
haben. 

Groddeck2)   unterscheidet,    unter  Zugrundelegung   der  HERDER'schen   Aus 
drücke  für  die  einzelnen  Arten,  folgende  Gänge: 

1.  Congenerationsgänge  oder  Auscheidungsgänge. 

2.  Lateral-Secretionsgänge  oder  Sickergänge.  • 

3.  Descensionsgänge  oder  Sedimentärgänge. 

4.  Ascensionsgänge  und  zwar 


')  Gangstttdien,  Bd.  I.     pag.  1. 
•)  L  c.    pag.  332. 


5IO  fifineralogie,  Geologie  und  Palaeontologfe. 

a)  Injectionsgänge  (Eruptivgänge). 

b)  Sublimationsgänge. 

c)  Infiltrationsgänge  (Quellengänge). 

1.  Die  Congenerationsgänge  sollen  gleichzeitig  mit  ihrem  Nebengestein  ent- 
standen sein.  Wenn  auch  die  durch  Contraction  in  den  Gesteinen  entstandenen 
Spalten  als  gleichzeitig  mit  diesen  gelten  können,  so  ist  doch  die  Ausfüllung  der 
Spalten  in  allen  Fällen  ein  späterer  Process.  Gänge  dieser  Art  sind  also  kaum 
vorhanden.  Nur  die  pag.  468  erwähnten,  ihrer  Entstehung  nach  immerhin  noch 
fraglichen,  aber  wenigstens  sehr  gangähnlichen  Ausscheidungen  in  Eruptivge- 
steinen, die  aber  wohl  richtiger  nach  Credners  Annahme  zu  den  Lateral-Secretions- 
gängen  gerechnet  werden  müssen,  dürften  in  gewissem  Sinne  als  gleichzeitig  mit 
den  Gesteinen  gelten,  in  denen  sie  auftreten. 

2.  Die  Lateralsecretion,  das  Hineinsickem  der  |Mineralstofie  in  die  Gang« 
spalten  aus  den  Nebengesteinen  kann  für  eine  grosse  Zahl  von  Gängen  als  er- 
wiesen gelten  und  dürfte  bei  fortgesetzten  Untersuchungen  einer  immer  grösseren 
Zahl  sich  anpassen. 

Für  die  Ausfüllung  der  Contractionsspalten  in  Basalten  u.  a.  Gesteinen  unter- 
liegt es  keinem  Zweifel,  dass  das  Material  nur  aus  der  Auslaugung  des  nächsten 
Nebengesteines  eingeführt  worden  sein  kann.  Die  hier  vorkommenden  Minerale 
sind  meist  nur  solche,  die  durch  die  Sickerwasser  aus  dem  Nebengesteine  gelöst 
und  frei  gemacht  werden.  Ebenso  gilt  das  für  die  Austrocknungs-,  Faltungs- 
und Pressungsspalten,  wenn  das  ausfüllende  Material  die  direkten  Beziehungen  zu 
dem  umgebenden  Gesteine  unverkennbar  verräth.  Die  mit  kohlensaurer  Kalkerde 
erfüllten  Gänge  und  Adern  in  den  Kalksteinen,  die  mit  faserigem  Gyps  erfüllten 
Gänge  in  Gypsgesteinen  zeigen  diese  Abstammung  auf  das  Einfachste.  Auch  die 
vielverbreiteten  Quarzgänge  in  kieselsäurereichen  Silicatgesteinen  sind  in  den 
meisten  Fällen  durch  Secretion  aus  dem  Nebengestein  gebildet. 

Bei  den  selteneren  Mineralen  und  den  Erzen  sind  solche  Beziehungen  ver- 
steckter und  manchmal  nur  durch  sehr  sorgsame  und  mühevolle  Untersuchungen 
aufzudecken. 

F.  SandbergerI)  ijat  durch  eine  Reihe  von  Untersuchungen  und  sorgfältige 
analytische  Prüfungen  der  Nebengesteine  für  die  Erzgänge  des  Schwarzwaldes 
und  des  Spessart's  die  Lateralsecretion  nachzuweisen  versucht  und  in  den  meisten 
Fällen  auch  durchaus  plausibel  gemacht. 

Schon  vor  langer  Zeit  hatte  auch  Delius  in  seiner  Bergbaukunde  diese 
Theorie  aufgestellt  und  ganz  besonders  hatte  sie  in  den  Arbeiten  Bischoff's^ 
über  die  verschiedenartigsten  Zersetzungen,  Auflösungen,  Wegführungen  der  B^ 
standtheile  von  Gesteinen  und  dem  Wiederabsatz  der  Minerale  aus  so  erhaltenen 
Lösungen  wichtige  Vorarbeiten  und  Grundlagen  erhalten. 

Sandberger  zeigte,  dass  in  dem  Granit  von  Achem  bis  zum  Kinzigtha]  im 
Schwarzwald  nur  sehr  wenig  Schwerspath  als  Gangmaterial  erscheint.  Der  Feld- 
spath  in  diesem  Granit  enthält  nur  sehr  geringe  Mengen  von  Baryt  und  verwittert 
schwer,  während  der  Granit  von  Schapbach,  Wittichen,  Schiltach  u.  a.  O.  einen 
an  Bar)rt  reicheren  (0,22^)  leicht  verwitterbaren  Feldspath  enthält  und  überall 
dort  von  Schwerspathgängen  durchzogen  wird,  wo  sich  das  Gestein  in  verwitter- 
tem Zustande  befindet.     Die  bedeutendsten  Schwerspathgänge  aber  schliesst  im 


^)  Zahlreiche  Abhandlungen  im  N.  Jahrb.  f.  Min. 

3)  Bischoff,  Chem.  Geologie.     Cap.  Gänge.     Bd.  IIL     pag.  651- 


l)ie  Gänge.  511 

Schwarzwald  der  Gneiss  ein,  weil  sein  leicht  verwitterbarer  Feldspath  auch  den 
höchsten  Barytgehalt  0,8^  besitzt. 

Sehr  verbreitet  sind  in  den  verschiedensten  Gebieten  Kupfererzgänge,  welche 
Eniptivgesteine:  Diabase,  Melaphyre,  Diorite  u.  a.  durchsetzen.  Dazu  gehören 
u.  a.  auch  die  grossartigen  Vorkommen  von  ged.  Kupfer  am  oberen  See  in  Nord- 
Amerika  (pag.  485).  Andererseits  ist  es  für  Nickel-  und  Kobalterze  verschiedener 
Art,  die,  ebenfalls  von  Kupfererzen  u.  a.  Mineralen  begleitet,  vorkommen, 
charakteristisch,  dass  die  Gänge  derselben  so  häufig  an  Olivingesteine  und  an 
Gabbro's  gebunden  sind. 

Auch  das  hat  nach  Sandberger  in  der  Lateralsecretion  seinen  Grund.  Die 
Augite  und  Olivine  enthalten  geringe  Mengen  von  Kupfer,  Kobalt  und  Nickel. 
In  den  Diabasen  und  Schaalsteinen  Nassau's  tritt  Kupferkies  um  so  reichhaltiger 
auf,  je  mehr  diese  Gesteine  zersetzt,  also  durch  die  Sickerwasser  ausgelaugt  sind. 
Der  Nickelerzgang  der  Grube  Hülfe  Gottes  bei  Nanzenbach  in  Nassau  war  nur 
innerhalb  eines  zersetzten  Augitolivingesteines  eriftihrend. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  ist  das  Vorkommen  der  Arsenerze  im  südöstlichen 
Schlesien  an  das  Auftreten  von  serpentinisirten  Olivinaugitgesteinen,  echten  Olivin- 
gabbro's  zum  Theil,  geknüpft.  So  das  bekannte  Vorkommen  von  Reichenstein. 
Aber  auch  weiter  nach  Ostreich.  Schlesien  und  Mähren  hinein  darf  man  fast 
sicher  sein,  überall  in  den  meist  dunkel  gefärbten  Serpentinen,  die  aus  der  Um- 
wandlung ähnlicher  Gesteine  hervorgingen,  die  Gegenwart  von  Arsenerzen  zu 
finden,  z.  B.  in  der  Olivingabbrokuppe  bei  Sörgsdorf  zwischen  Jauernig  und  Friede- 
berg, in  den  Serpentinen  des  Altvaterstockes,  z.  B.  bei  Goldenstein  und  Wilhelms- 
thal u.  a.  O.  Da  erscheint  es  gewiss  bedeutsam,  dass  auch  die  Glimmerschiefer, 
denen  diese  Serpentine  eingeschaltet  sind,  einen  geringen  Arsengehalt  erkennen 
lassen. 

Das  Nebengestein  der  Erzgänge  von  Wittichen,  ein  Granit,  enthält  nach 
F.  Sandberger  alle  Stoffe,  welche  zur  Bildung  der  auf  den  Gängen  vorkommenden 
Minerale  erforderlich  sind;  aus  den  Kiesen  der  Hombl endeschiefer,  die  in  der 
Nähe  der  Erzgänge  abgelagert  sind,  leitet  derselbe  den  Nickel-  Kobalt-  und 
Arsengehalt  der  Erzgänge  ab;  auch  den  Schwefel,  der  im  Granit  nicht  in  ge- 
nügender Menge  nachzuweisen  ist,  um  daraus  die  Bildung  des  Schwerspathes  und 
der  vorhandenen  geschwefelten  Erze  zu  erklären. 

Woher  das  Silber  stammt,  ist,  trotzdem  ein  kleiner  Gehalt  dieses  und  anderer 
Metalle  im  Glimmer  des  Granites  entdeckt  ist,  doch  noch  zweifelhaft. ')  Auch 
Beziehungen  zwischen  dem  Metallgehalt  des  Glimmers  in  den  Gneissen  und 
Graniten  des  Spessarts  und  Schwarzwaldes  und  den  dasalbst  aufsetzenden  Erz- 
gängen hat  F.  Sandberger  nachgewiesen.  Dieselben  sind  im  höchsten  Grade  be- 
deutsam für  die  Lateralsecretionstheorie. 

Der  dunkle  Glimmer  im  Gneiss  des  Spessart's  enthält  kleine  Mengen  von 
Kobalt,  Arsen,  Kupfer,  Wismuth,  aber  kein  Blei.  Dem  entsprechend  führen  die 
in  diesem  Gneiss  auftretenden  Gänge  Kobalterze,  Kupferkies,  Buntkupferkies,  aber 
keinen  Bleiglanz.  In  dem  Glimmer  des  Granites  von  Wittichen  im  Schwarzwald 
ist  etwas  Silber,  Arsen,  Wismuth,  Kobalt,  Nickel,  wenig  Kupfer  und  ebenfalls 
kein  Blei  vorhanden;  die  Gänge  von  Wittichen  enthalten  vorwiegend  arsen- 
haltige Silber-,  Kobalt-  und  Nickelerze  und  wiederum  keinen  Bleiglanz.  Da- 
gegen enthält  der  Glimmer  im  Gneiss  von  Schapbach  Blei,  Kupfer,  Kobalt,  Wis- 


^)  Groddeck,  1.  c.  pag.  327. 


$12  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

muth  und   die  Gänge  dem  entsprechend  auch  Bleierze  und  nur  Spuren  arsen- 
haltiger Erze. 

Dieses  Zusammentreffen  ist  gewiss  nicht  eine  blosse  Zufälligkeit  und  wenn 
auch  bisher  derartige  Beziehungen  nur  für  wenige  Gebiete  bekannt  sind,  so  liegt 
das  gewiss  zum  Theil  auch  daran,  dass  die  in  den  Gesteinen  nachzuweisenden 
Mengen  der  Erze  nur  ausserordentlich  minimale  sind. 

Eine  ganze  Menge  von  Erscheinungen  an  den  Gängen  wird  ohne  Zweifel  durch 
die  Annahme  einer  Lateralsecretion  am  befriedigendesten  erklärt.  Ganz  besonders 
gilt  dies  von  dem  Einflüsse  des  Nebengesteines  auf  die  Minerale  und  Erzfübmng 
der  Gänge.     Es  sind  dafür  im  Vorhergehenden  Beispiele  angeführt  worden. 

Wie  soll  man  sich  diesen  Einfluss,  der  sich  darin  zeigt,  dass  ein  Gang  inner- 
halb eines  Gesteines  Erze  enthält,  mit  dem  Uebergange  in  ein  anderes  Gestt in 
aber  plötzlich  taub  wird,  anders  erklären,  als  dadurch,  dass  durch  chemische 
Auslaugung  gerade  dieses  Nebetvgesteines  die  Erzführung  bedingt  ist?  \Vie  oft 
kommt  es  vor,  dass  ein  Gang  Im  verwitterten  Gesteine  erzführend  ist,  dagegen 
seinen  Erzreichthum  verliert,  sowie  er  in  frisches,  unverwittertes  Gestein  tibertritt 

Der  überaus  günstige  Einfluss,  den  innerhalb  geschichteter  Gesteine  einzelne 
Schichten  auf  die  Erzführung  der  Gänge  ausüben,  erklärt  sich  ebenfalls  dadurch 
am  einfachsten,  dass  ein  Auslaugen  gerade  dieser  günstigen  Gesteine  stattge- 
funden habe  und  dadurch  entweder  direkt  die  Minerale  zur  Erfüllung  der  Spalten 
geliefert  wurden  oder  wenigstens  solche  Stoffe,  die  als  Fällungsmittel  für  die  auf 
andere  Weise  z.  B.  in  aufsteigenden  Quellen  zugeführten  Erzlösungen  dienen 
konnten. 

Das  würde  dann  allerdings  eine  polygene  Bildung  der  Gangausfüllung  sein, 
die  ohne  Zweifel  in  vielen  Fällen  stattgefunden  hat. 

So  dürfte  es  kaum  selbständige  Descensions-  oder  Sedimentärgänge  geben, 
sondern  auf  diesen  stets  mit  einer  Mineralerfüllung,  die  durch  Quellen  oder 
durch  Auslaugung  entstanden  ist,  sich  solche  von  oben  in  die  Gänge  hineinge- 
rathene  Bruchstücke,  Sand-  und  Schlammmassen  mischen. 

Unter  den  als  Ascensionsgängen  zusammengefassten  bedürfen  die  Injections- 
gänge  und  die  Sublimationsgänge  hier  keiner  weiteren  Erklärung  mehr,  schon  auf 
pag.  505  sind  Beispiele  dafür  angeführt  worden.  Sie  sind  fast  stets  unzweifelhaft 
als  solche  zu  erkennen. 

Die  Quellengänge  sind  ohne  Zweifel  die  in  der  Natur  verbreitetsten.  Im  Vor- 
hergehenden wurde  schon  des  auffallenden  Zusammenhanges  gedacht,  der  zwischen 
Mineralquellen  und  Erzbildung  an  vielen  Orten  sich  nachweisen  lässt.  Und  auch 
dort,  wo  ein  direkter  Nachweis  der  erzspendenden  Quellen  jetzt  nicht  mehr  mög- 
lich ist,  sprechen  doch  die  Verhältnisse  der  Structur  und  der  Reichthum  so  vieler 
Gangspalten  an  Mineralen  und  Erzen  dafür,  dass  eine  intensivere  Zufuhr  der 
Stoffe  stattgefunden  habe,  als  sie  durch  blosse  Auslaugung  möglich  gewesen  wäre. 
Sehr  richtig  hebt  Groddeck  dies  z.  Th.  für  die  Gänge  von  Clausthal  im  Han 
hervor,  indem  er  sagt,  dass  selbst,  wenn  es  gelänge,  kleine  Mengen  von  Blei, 
Kupfer  und  Zink  in  den  Culmgrauwacken  und  Thonschiefern  aufzufinden,  es  doch 
unbegreiflich  bleiben  müsse,  dass  darauf  allein  der  Erzreichthum  der  Gänge  be- 
ruhen solle,  denn  die  neben  den  Gängen  liegende  Zersetzungszone,  die  also  die 
ausgelaugte  Zone  darstelle,  stehe  in  keinem  Verhältniss  zu  den  in  den  Gängen 
liegenden  Erzmassen. 

Nur  der  vereinten  Arbeit  aufquellender  Mineral-  und  Thermalquellen  und 
auslaugender,    die  Gesteine    durchdringender  Sickerwasser   mag   wohl  die  Aus- 


Die  Gange.  513 

Rillung  der  meisten  Mineral-  und  Erzgänge  gelungen  sein.  Den  Kalkspath- 
reichthum  der  Andreasberger  Gänge  darf  man  nach  Lossen  wohl  auf  die  Be- 
rührung der  aus  der  Tiefe  emporgestiegenen  Thermalwasser  mit  den  Diabas- 
massen beziehen,  aus  welchen  die  kalkspäthigen  Zersetzungsproducte  zugeHlhrt 
wurden. 

Und  dass  die  Mischung  dieser  beiden  Processe  auch  heute  noch  in  gleicher 
Weise,  wenn  auch  vielleicht  mit  viel  geringerer  Intensität  der  Wirkung  fortgeht, 
und  sie  also  keinesweges  alle  versiegt  sind  »die  erzespendenden  Thermen^,  dafür 
bietet  uns  die  Beschreibung  einer  noch  jetzt  in  der  Entstehung  begriffenen  Gang- 
formation zu  Sulphur  Bank  in  Califomien  ein  treffliches  Beispiel  .1) 

In  der  califomischen  Küstenkette  liegt  das  Gebiet  des  Clear  Lake,  den  vul- 
kanische Kegel,  z.  Th.  bis  zu  1200  Meter  hoch,  umgeben.  Hier  finden  sich 
reiche  Schwefelablagerungen  ganz  besonders  in  der  sogen.  Sulphur  Bank,  einer 
Bank  sehr  zersetzten  Augidandesites.  Auf  allen  Klüften  dieser  Bank,  die  in  der 
Tiefe  eine  quaderförmige  Absonderung  besitzt,  erscheint  Schwefel,  in  den  grösseren 
Tiefen  mit  Zinnober;  Eisenglanz  und  Magnetit  gesellen  sich  dazu  in  den  oberen 
Teufen,  Pyrit  in  den  unteren. 

Unter  dieser  Andesitbank  lagern  steil  stehende  Sandsteine  und  Schiefer.  In 
breiten  Klüften  derselben  findet  sich  eine  Breccie,  in  der  Schiefer  und  Sandstein- 
bruchstücke mit  feinem  Schlamm  und  Thon  verkittet  sind.  Der  Schlamm  ist 
noch  warm,  von  alkalischen  und  solfatarischen  Thermalwassem  durchdrungen. 
Dämpfe  reich  an  Schwefelwasserstoff,  Kohlensäure  imd  Borsäure  steigen  daraus 
auf.  Diese  schlammerfüllten  Breccien  sind  ganz  besonders  reich  an  Zinnober  und 
Pyrit.  Diese  umhüllen  in  regelmässigen  Lagen  die  Gesteinsbruchstücke  in 
dem  Schlamm  und  bilden  eine  ganz  ausgezeichnete  cocardenförmige  Structur. 
Alle  Verhältnisse  entsprechen  denen  echter  Mineralgänge  mit  conglomeratartiger 
Erfüllung. 

Diese  Breccie  bildete  den  Weg  für  aufsteigende  Quellwasser  von  thermaler 
Beschaffenheit:  alkalisch  und  schwefelwasserstoffreich.  Sie  erzeugten  durch  Lösung 
von  Kieselsäure  in  der  Tiefe,  die  sie  dann  aufwärts  führten,  Thon  und  freie, 
wieder  als  Opal  und  Quarz  abgesetzte  Kieselsäure.  In  Lösung  enthielten  sie 
Schwefelquecksilber  und  setzten  daher  Zinnober  ab.  Durch  die  Reaction  von  al- 
kalischen Sulphiden  auf  Eisenoxydulsilicat  bildete  sich  der  Pyrit;  der  Schwefel 
wurde  direkt  aus  der  Quelle  abgeschieden. 

Mit  dieser  Wirkung  der  aufsteigenden  Quellwasser  vereinigte  sich  aber  sicht- 
barlich  auch  die  der  von  der  Oberfläche  niedersteigenden  Sickerwasser.  Diese 
wurden  durch  Vereinigung  mit  den  aufsteigenden  und  Oxydation  der  letzteren 
sauer  und  bildeten  Eisenvitriol,  Eisenoxyd,  Magneteisen.  Sie  bewirkten  die  Aus- 
laugung des  Andesites,  Eisen,  Thonerde  und  Alkalien  wurden  fortgeführt,  die 
Kieselsäure  blieb  als  schneeweisses  Pulver  zurück.  Die  ganze  Oberfläche  der 
Andesitbank  ist  in  dieses  verwandelt,  in  der  weissen  Asche  liegen  noch  unzer- 
setzte  Blöcke  des  Gesteines  inne. 

So  liegt  denn  hier  die  doppelte  Art  der  Gangerfüllung  im  Werden  vor,  wie 
sie  gewiss  nur  selten  beobaclitet  werden  kann.  Die  Bildung  der  Erze,  des  Zinnobers 
und  Pyrits,  geschah  vornehmlich  durch  die  aufsteigenden  Quellwasser,  die  Zufuhr 
der  Thonerde,  sowie  die  Bildung  der  schlammartigen  Thonmasse  als  Bindemittel 


')  J.  Leconte  u.  W.  B.  Rising:     The  Phenomena  of  metaüiferous  Vein-fonnation  now  in 
progress  at  Snlplitur  Bank,  California.     Sillim.  Journ.  HL  Ser.     Vol.  XXIV.     1882.    Jtily. 
Kjdimgott,  Min.,  Geol.  u.  Pml.    L  ^j 


514  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

der  Gesteinsbruchstücke  in  der  Gangspalte,  die  Zufuhr  des  Eisens  und  des 
Sauerstoffs  wurde  durch  die  niedergehenden,  das  Nebengestein  auslaugenden 
Sickerwasser  bewirkt.  Der  Schwefel  war  in  der  Tiefe  ein  direkter  Absau  ans 
der  Thermalquelle.  Der  in  oberen  Spalten  sich  findende  Schwefel  und  Eisenglaaz 
kam  dorthin  auch  durch  Sublimation  in  Folge  vulkanischer  Emanationen. 

In  ähnlicher  Weise  mögen  die  meisten  Erzgänge  als  polygene  Bildungen  auf- 
zufassen und  in  ihren  Einzelnheifen  zu  erklären  sein. 

Literatur:  Bischoff,  G.,  Chem.  Geologie.  Bd.  m.  Bonn  1866.  Cap.  Ginge,  pag.  651. 
CoTTA,  B.  V.,  Die  Lehre  von  den  Erslagerstätten.  2.  Aufl.  Freiberg  1859 — 61,  und  Gtng- 
Studien,  m  Bde.  Darin  verschiedene  wichtige  allgemeinere  und  specielle  Abhandlungen  von  Cotta. 
Müller,  Vogelgesang,  v.  Wsissenbach  u.  A.,  von  denen  besonders  zu  nennen:  v.  Wkissknbacr 
Theoretische  Betrachtungen  über  Erzgänge.  DAUBSiE,  A.  Synthetische  Studien  zur  Experimenta]- 
Geologie.  Deutsche  Ausgabe  von  A.  Gurlt.  Braunschweig  1880.  Grdim,  Joh.,  Die  taga- 
Stätten  der  nutzbaren  Mineralien.  Prag  1869.  Groddeck,  A.  v..  Die  Lehre  von  den  Lager- 
stätten der  Erze.  Leipzig  1879.  Naumann,  C.  F.,  Lehrbuch  der  Geognosie.  II.  Aufl.  3.  Bd. 
Leipzig  1872.  Unvollendet.  Vogelgesang,  H.,  Zur  Theorie  der  Gangbildungen.  N.  Jahrb.  ftir 
Mineral   1863.     pag.  30  ff. 


Gase 


von 


Prof.  Dr.  Kenngott 

Wenn  schon  im  Artikel:  »Arten  der  Minerale«  pag.  51  darauf  aufmerksam 
gemacht  wurde,  dass  im  Inneren  der  Erde  Gase  vorkommen  und  dass  man  diese 
als  natürliche  Zusammensetzungstheile  der  Erde  aufzufassen  und  in  das  Gebiet 
der  Nfineralogie  aufzunehmen  habe,  wie  schon  die  Atmosphäre  darauf  hinweist, 
welche  als  Gashülle  auch  zu  unserer  Erde  gehört,  so  wurden  und  werden  doch 
gewöhnlich  nicht  die  Gase  zu  den  Mineralen  gezählt.  Die  Mehrzahl  der  Mine- 
ralogen überlässt  sie  auch  anderen  Disciplinen,  was  namentlich  darin  seinen 
Grund  hat,  dass  man  gewöhnt  war,  Minerale  nur  die  festen  Zusammensetzungs^ 
theile  unserer  Erde  zu  nennen,  trotzdem  aber  doch  gezwungen  wurde,  das  tropf- 
barflüssige Mineral  Mercur,  die  tropfbarflüssige  Naphtha  und  das  Wasser  als  Mine- 
rale zuzulassen. 

Da  jedoch  die  Gase  in  ihrer  Erscheinungsweise  nicht  wie  andere  Minenk 
gesehen  und  unterschieden  werden  können,  so  war  es  natürlich,  dass  besonder» 
ihre  chemischen  und  physikalischen  Eigenschaften  bestimmt  werden  mussten  und 
dass  sie  auf  diese  Weise  Gegenstand  der  Chemie  geworden  sind.  Immerhin 
bleiben  sie  Minerale  im  ausgedehntesten  Sinne  dieses  Namens  und  Begriffes,  weil 
sie  wie  andere  Minerale  an  der  Zusammensetzung  unserer  Erde  Theil  nehmen. 

HiniBOLDT  sagt  z.  B.  in  seinem  Kosmos,  Band  I,  pag.  225:  >Wir  sehen  am 
dem  Boden  ausströmen:  Wasserdämpfe  und  gasförmige  Kohlensäure,  mdst  öei 
von  aller  Beimengung  von  Stickstoff;  gekohltes  Wasserstoffgas  (in  der  chtnesiscken 
Provinz  Sse-tschuan  seit  Jahrtausenden,  in  dem  nordamerikanischen  Staate  New- 
York  im  Dorfe  Fredonia  ganz  neuerdings  zum  Kochen  und  zur  Beleuchtung  be- 
nützt), Schwefelwasserstoffgas  und  Schwefeldampf,  seltener  schweflige  und  Hydro- 
chlor-Säure«  und  es  ist  ersichtlich,  dass  sie  der  Erde  als  natürliche  Zusammen- 
setzungstheile angehören. 

Darum  sollen  wenigstens  nur  ganz  kurz  diejenigen  Stoffe  angelUhit  werden. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entsteliimsf.  $i$ 

welche  als  Gase  vorkommen,  während  die  genaue  Bestimmung  anderen  Disci- 
plinen  überlassen  bleibt»  namentlich  der  Chemie. 

Obenan  stehen  die  beiden  elementaren  Gase,  das  Sauerstoffgas  (der 
Sauerstoffe)  und  das  Stickstoffgas  (der  Stickstoff  N),  welche  die  Atmosphäre 
(s.  diesen  Artikel)  bilden,  insofern  dieselbe  ein  nahezu  constantes  Gemenge  dieser 
beiden  Gase  darstellt,  von  unwesentlichen  anderen  Stoffen  abgesehen  aus  2 1  Vo- 
lumtheilen  Sauerstoff  und  79  Stickstoff  oder  nahezu  aus  23^  Sauerstoff  und  77^ 
Stickstoff  besteht 

Ebenso  wchtig  ist  das  Wassergas  H^O,  welches  auch  in  der  Atmosphäre 
enthalten  ist,  aiusserdem  aber  in  der  Erde  vorkommend  bei  vulkanischen  Processen 
eine  bem  erkenswerthe  Rolle  spielt. 

Noch  andere  Gase,  welche  in  der  Erde  vorkommen,  durch  gewisse  chemische 
Processe  entwickelt  werden  und  local  von  grosser  Bedeutung  werden  können, 
sind  das  Kohlenwasserstoffgas  Grubengas,  Methan  H^C,  welches  in  Kohlen- 
gniben  die  sogen,  schlagenden  Wetter  veranlasst,  bei  Schlammvulkanen  beobachtet 
wird  und  an  einzelnen  Orten,  wie  bei  Baku  in  Kaukasien,  in  China,  in  Pennsyl- 
vanien,  in  Modena,  bei  Chatillon  in  Savoyen  u.  a.  O.  m.  in  grosser  Menge  und  seit 
langen  Zeiten  ausströmend  zur  Beleuchtung  und  zum  Kochen  und  Heizen  be- 
nützt wird;  das  Wasserstoffgas  H,  die  Kohlensäure  CO^t  welche  vielfach 
durch  Zersetzung  sie  enthaltender  Minerale  entwickelt  wird,  das  Sehwefel- 
wasserstoffgas  HjS,  das  Chlorwasserstoffgas  HCl,  das  Fluorwasser- 
stoffgas HF  und  die  schweflige  Säure  SO3. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung 


Prof.  Dr.  A.  von  Lasaulx. 

Die  vollkommene  Nivellirung  der  Oberfläche  eines  Landes  bedingt  den 
Charakter  desselben  als  Flachland  oder  Ebene.  Mehr  oder  weniger  be- 
deutende Unterschiede  im  Niveau  der  einzelnen  Theile  charakterisiren  dagegen 
ein  Gebirgsland. 

Das  Maass  der  Höhendifferenzen  kommt  dabei  eigentlich  nicht  in  Betracht. 
Nur  die  Höhe  unterscheidet  Hochgebirge  von  Mittelgebirgen  und  Hügelland; 
aber  dieser  Unterschied  ist  nur  ein  ganz  unwesentlicher  und  äusserer,  keinesweges 
hängen  damit  stets  auch  innere  Unterschiede  zusammen. 

Der  allgemeine  Begriff  »Gebirge«  umfasst  daher  gleichmässig  die  sanften 
Wellen  eines  Hügellandes  und  die  gewaltigen  Felsenriesen  der  Alpen  und  Cor- 
dilleren. 

Auch  die  absolute  Höhe  d.  i.  die  Erhebung  über  das  Meeresniveau  be- 
dingt keinesweges  die  Bedeutung  eines  Gebirgslandes.  Der  Thurmberg,  der  höchste 
der  Gruppe  der  sog.  Schönberger  Berge  bei  Danzig  ist  bei  334  Meter  absoluter 
Höhe  ein  ganz  ansehnlicher  Berg,  der  über  den  ganzen  Landrücken  von  Preussen 
emporragt  und  München  liegt  mit  519  Meter  Höhe  doch  in  einer  weiten,  fast 
ganz  ebenen  Fläche. 

Ebene  oder  Flachland  ist  also  nicht  immer  auch  Tiefland;  Hochländer  sind 
oft  zugleich  auch  Hochebenen  oder  Plateau's.  Die  Differenzen  in  den  relativen 
Höhen  unterscheiden  Flachland  und  Gebirgsland. 

33* 


5i6  Mineiulogie,  Geologie  und  PaUeontologie. 

Das  Tiefland  ist  meistens  auch  Flachland  oder  wenigstens  nur  durch  geringe 
Höhendifferenzen  davon  abweichend.  Beispiele  der  verschiedenen  Alten  der 
ReliefTonnen  der  Festlande  wurden  schon  in  dem  Artikel  »Continente«  pag.  167 
angeführt. 

Hochland  setzt  sich  in  der  Regel  aus  Hochebenen  und  aus  eigentüchen 
Gebirgsland  zusammen.  Sind  die  Plateau*s  geschlossene  Erhebungen  des  Landes, 
die  in  sich  ein  nahezu  gleiches  oder  fast  constantes  Niveau,  jedenfalls  aber  inner- 
halb grosser  Distanzen  nur  kleine  Höhendifferenzen  aufweisen,  so  ist  für 
das  Gebirgsland  der  stete  Wechsel  von  hohen  und  tiefen  Th eilen,  von  Beig  und 
Thal,  rasch  und  unvermittelt  oder  auch  mit  allmählichen  Uebergängen  das  Charak- 
teristische d.  h.  also,  es  zeigen  sich  im  Allgemeinen  innerhalb  kleiner  Distanzen 
grosse  Höhendifferenzen. 

Dadurch,  dass  diese  Gegensätze  nebeneinander  vorkommen,  lassen  sich 
Grenzen  der  verschiedenartigen  Theile  der  Continente  gegeneinander  ziehen. 
Die  Gebirgsländer  werden  von  Ebenen,  die  Hochländer  von  Tiefländern  um- 
geben; sie  werden  dadurch  als  zusammengehörige  Gebirgsgruppen  von  einander 
geschieden.  Im  kleineren  Maassstabe  werden  auch  die  einzelnen  Theile  einer 
Gruppe  oder  eines  einzelnen  Gebirges  durch  dieselben  Gegensätze  wieder  aus- 
einander gehalten. 

Man  unterscheidet  aber  an  einem  Gebirge  eine  doppelte  Art  der  Gliederung: 
eine  äussere,  orographische  und  eine  innere,  geognostische  oder  strati- 
graphische. 

Der  Gesammtcharakter  eines  Gebirgslandes  wird  durch  die  besonderen 
Verhältnisse  der  einzelnen  hohen  oder  tiefen  Theile  nach  beiden  Arten  der 
Gliederung  bedingt,  der  Charakter  eines  Gebirges  in  gleicher  Weise  durch  die 
Beschaffenheit  seiner  Glieder. 

Die  äussere,  orographische  Gliederung  ist  ohne  Weiteres  sichtbar,  dagegen 
ist  die  innere,  geognos tische  Gliederung  meistens  nicht  so  leicht  zu  erkennen: 
jene  unterliegt  der  unmittelbaren  Anschauung,  diese  ergiebt  sich  erst  aus  der 
sachverständigen  Combination  der  wenigen  sichtbaren  Aufschlüsse  über  die 
innere  Structur.  Daher  ist  die  Darstellung  der  ersteren  meist  objectiv  d.  h.  frei 
von  persönlicher  Deutung,  während  die  letztere  kaum  ohne  subjective  d.  h.  nach 
persönlichen  Ansichten  gebildete  Erklärung  denkbar  ist.  Ist  jene  daher  eine  fest- 
stehende,  so  ist  diese  in  vielen  Fällen  noch  als  schwankend  zu  bezeichnen. 

Die  Physiognomie  eines  Gebirges  hängt  von  der  äusseren  Gliedeiunx 
ab.  Im  Einzelnen  ist  diese  bedingt  durch  die  Verhältnisse  der  Satte liinie  des 
Gebirges,  des  Gebirgs -Kammes  oder  Scheitels,  durch  die  Beschaffenheit  und 
Gliederung  der  Abfälle  oder  der  Gehänge  und  des  Gebirgsfusses. 

Der  Wechsel  von  einzelnen  Gipfeln,  den  höchsten  Funkten  des  Gebiigs- 
kammes  und  von  Pässen,  den  tiefsten  Theilen  desselben,  gestaltet  das  Pro61 
der  Sattellinie.  Je  grösser  die  Differenzen  in  den  Höhen  jener  sind,  um  so  aus- 
geprägter erscheint  ihre  orographische  Gliederung. 

Querschnitte  nach  verschiedenen  Richtungen  durch  ein  Gebirge  gelegt,  stellen 
die  Gliederung  desselben  dar.  Profile  geben  die  Gestalt  des  Kammes  und  die 
Neigungsverhältnisse  der  Gehänge  an;  Grundrisse  gestalten  ein  Bild  von  der 
orographischen  Zusammengehörigkeit  eines  Gebirges,  von  dem  Verlaufe,  der 
Richtung,  der  Erstreckung  der  einzelnen  Glieder.  Reliefkarten,  sowie  Karten  mit 
aequidistanten  Horizontallinien  oder  Höheneu  rven  sind  die  besten  Mittel,  beide 
Verhältnisse  gleichzeitig  zur  Darstellung  zu  bringen.     Diese  geben  sonach  das 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  517 

Bild  von  dem  Relief  und  der  Physiognomie  d.  h.  der  Gesammtplastik   eines 
Gebirges.  * 

Wenn  ein  Gebirge  eine  vorherrschende  Längserstreckuug  zeigt,  pflegt  man 
es  als  Gebirgszug  oder  Gebirgskette  zu  bezeichnen.  Längenprofile  und 
Querprofile  sind  dann  zu  unterscheiden.  Auch  die  Gliederung  solcher  Gebirge 
ist  transversal  und  longitudinal,  meistens  eine  der  beiden  Richtungen  in 
der  Anordnung  überwiegend. 

Fehlt  dem  Gebirge  eine  vorwaltende  Längserstreckung,  so  nennt  man  es 
einen  Gebirgsstock  oder  ein  Massiv.  Die  Anordnung  der  Glieder  eines 
solchen  ist  in  der  Regel  mehr  oder  weniger  radial. 

Da  die  Gliederung  durch  die  Niveaudifferenzen,  also  durch  den  Wechsel 
hoher  und  tiefer  Theile  bedingt  ist,  so  sind  also  stets  Rücken  und  Thäler  die 
wesentlichsten  Gebirgsglieder.  Auch  für  diese,  wie  für  das  ganze  Gebirge,  geben 
Längs-  und  Querprofile  ein  Bild  ihrer  Gestaltung,  zeigen  die  Neigungen  ihrer 
Sohle  oder  ihres  Kammes  und  die  Böschungsverhältnisse  ihrer  Gehänge  an. 

Jeder  einzelne  Rücken  hat  wieder  seine  Gliederung  und  schliesslich  lösen 
sich  als  letzte  Glieder  in  der  Dismembration  der  Gebirge  einzelne  Berge  heraus. 

Die  geognostische  Gliederung  der  Gebirge  ist  in  dem  Schichtenbau  be- 
gründet, man  bezeichnet  sie  daher  auch  als  die  Stratigraphie  oder  die  Tek- 
tonik der  Gebirge.  Auch  von  diesen  können  wir  durch  kartographische  Dar- 
stellungen ein  Bild  erhalten.  Geognostische  Karten  stellen  gewöhnlich  nur  die 
Verbreitung  gewisser  Formationen  und  Systeme  d.  i.  Schichtencompleze  von 
gleicher  Gesteinsbeschaffenheit  oder  gleichem  Alter  der  Entstehung,  an  der  Erd- 
oberfläche dar.  Aber  über  die  Lage  der  Schichten,  ihre  Neigung  gegen  die 
Oberfläche  und  gegeneinander,  über  die  Folge  derselben  unterhalb  der  oberen 
Schicht  können  wir  natürlich  aus  solchen  Karten  unmittelbar  nichts  entnehmen. 
Um  auch  diese  Verhältnisse  des  Schichtenbaues  aufzuklären,  müssen  zu  den 
Karten  wieder  Profile  sich  hinzugesellen,  die  in  verschiedenen  Richtungen 
durch  das  Innere  eines  Gebirges  oder  seiner  einzelnen  Theile  gelegt  werden. 
Das  setzt  voraus,  dass  man  an  einer  grösseren  Zahl  einzelner  Stellen  Aufschlüsse 
über  die  innere  Tektonik  erhalten  hat.  Da  aber  die  meisten  Gebirge  mit  Vege- 
tation, mit  Schutthalden,  mit  Schnee  und  Eis  an  ihrer  Oberfläche  bedeckt  sind, 
so  sind  Schlüsse  auf  die  Beschaffenheit  des  Untergrundes  in  der  Regel  nur  spär- 
lich zu  begründen. 

Die  Thaleinschnitte  und  ihre  Gehänge,  an  denen  die  Gesteine  mehr  oder 
weniger  entblösst  zu  Tage  treten,  geben  die  werthvoUsten  Aufschlüsse  über  die 
stratigraphischen  Verhältnisse ;  Steinbrüche,  Bergwerke,  Bauten  verschiedener  Art 
unterstützen  die  Beobachtung.  Immerhin  aber  bleibt  das  Bild  des  inneren  Ge- 
birgsbaues,  das  man  aus  den  Karten  und  Profilen  seiner  einzelnen  Glieder  zu- 
sammenfügt, in  vielen  Theilen  ein  hypothetisches.  Aber  im  Grossen  und  Ganzen 
ist  doch  die  Art  des  Baues,  die  vorherrschende  Regel  desselben  aus  solchen 
Darstellungen  zu  entnehmen. 

Die  orographische  und  geognostische  Gliederung  sind  in  ihrer  Gesammtheit 
das  Product  der  Gebirgsentstehung,  das  Resultat  der  allmählichen  Summirung 
aller  einzelnen  Wirkungen,  die  eine  Niveaudifferenzirung  der  äusseren  und  eine 
gewisse  Anordnung  der  inneren  Glieder  zur  Folge  hatten. 

Die  orographische  Gliederung  zeigt  in  manchen  Fällen  eine  unverkennbare 
Abhängigkeit  von  dem  stratigraphischen  Baue  eines  Gebirges.  Jedoch  ist  das 
nicht  immer  der  Fall.     Sogar  in  den  meisten  Fällen  tritt  eine  solche  nur  sehr 


5i8  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeootologie. 

wenig  hervor,  ist  überhaupt  nicht  nachzuweisen  oder  auch  in  Wirklichkeit  nicht 
vorhanden. 

Das  Rheinthal  durchschneidet  von  Bingen  abwärts  das  oberrheinische  Ge- 
birgsland  und  gliedert  es  in  zwei  Gebirge:  den  Hundsrücken  auf  seiner  linken, 
den  Taunus  auf  seiner  rechten  Seite.  Orographisch  ist  diese  Gliederung  in  die 
beiden  Gebirge  bei  der  Tiefe  des  trennenden  Thaies  vollkommen  gerechtfertigt, 
geognostisch  aber  existirt  sie  nicht.  Geognostisch  ist  das  ganze  von  der  rhei- 
nischen Grauwacke,  den  Schichten  der  unteren  Abtheilung  des  devonischen 
Systemes  eingenommene  Land  als  ein  Ganzes  zu  betrachten,  das  gleichmässig 
Taunus  und  Westerwald,  Hundsrücken  und  Eifel  umfasst.  Auch  in  der  Tektonik 
der  einzelnen  Theile  treten  keinerlei  Unterschiede  hervor.  Hier  fällt  die  oro- 
graphische  Gliederung  demnach  mit  der  geognostischen  nicht  zusammen,  ist  davon 
vollkommen  unabhängig. 

Der  Harz  im  Gegentheile  ist  ein  Gebirge,  dessen  orographische  Ausbildung 
in  engster  Beziehung  steht  zu  seiner  geognostischen  Structur.  Er  ist  ein  trefiliches 
Beispiel  eines  Gebirgsstockes  oder  MassiVs.  Eine  Längserstreckung  oder  eine 
durchweg  parallele  Anordnung  seiner  einzelnen  Glieder  fehlt  ihm  ganz.  Geog- 
nostisch ist  der  Kern  des  Gebirges  ein  Granitmassiv,  das  in  dem  höchsten 
Scheitel  desselben,  dem  Brocken  gipfelt.  Und  der  orographisch  gebräuchliche 
Ausdruck  »ein  Gebirgsknoten«,  der  für  den  Harz  zutreffend  erscheint,  hat  auch 
geognostisch  für  ihn  volle  Giltigkeit.  Denn  in  ihm  treffen  die  einerseits  nach 
Südwesten,  andererseits  nach  Südosten  streichenden  Gebirgszüge  mit  ebenso  ge- 
richteter geognostischer  Gliederung  zusammen.^) 

In  etwas  anderer  Weise  bietet  uns  der  Schweizer  Jura  das  Bei^iel 
eines  Gebirges,  dessen  orographische  Gestaltung  durchaus  von  seiner  inneren 
stratigraphischen  Gliederung  abhängt.  Nicht  in  der  Art,  dass  er  in  seiner  Er- 
streckung auch  auf  den  Bereich  ihm  ganz  besonders  eigenthümlicher  geologischer 
Formationen  beschränkt  wäre.  Das  Rheinthal  zwischen  SchafThausen  und  Basel 
trennt  das  Juragebirge  von  der  Rauhen  Alp,  die  geognostisch  zusammengehören. 
Aber  der  Verlauf  des  Juragebirges,  die  charakteristische  Art  seiner  Thalbildang 
und  die  dadurch  bedingte  Gestaltung  seines  Kammes  sind  die  unmittelbare  Folgt 
seines  geognostischen  Baues.  Das  wird  an  späterer  Stelle  noch  eines  Näheren 
zu  erörtern  sein. 

Wie  also  im  Ganzen  orographische  Begrenzung  und  Gestaltung  eines  G^ 
birges  nicht  immer  und  nicht  nothwendig  von  dem  inneren  Baue  abhängt,  so 
zeigt  sich  auch  die  Form,  die  Erstreckung,  die  Zahl  der  einzelnen  Glieder  in 
vielen  Fällen  nicht  durch  geognostische  Structurverhältnisse  bedingt  Betrachten 
wir  den  Verlauf  der  einzelnen  Thäler,  Schluchten,  Wasserrisse  und  Schrunden, 
so  wird  es  nur  in  den  wenigsten  Fällen  möglich  werden,  einen  bestimmten  Zu- 
sammenhang in  ihrer  Anordnung  mit  dem  geognostischen  Baue,  in  den  sie  eb- 
schneiden,  zu  erweisen.  Selbst  da,  wo  ein  Thal  im  Allgemeinen  nach  seiner 
Lage  und  seiner  Richtung  in  stratigraphischen  Verhältnissen  seinen  Grund  finden 
mag,  ist  die  detaillirte  Ausbildung  der  Thalprofile,  wie  sie  heute  erscheinen, 
doch  von  jener  wieder  unabhängig,  oder  nur  durch  ganz  locale,  mehr  oder 
weniger  sogar  zufällige  Umstände  bedingt. 

Aus  diesen  Betrachtungen  vermögen  wir  als  Resultat  daher  wohl  den  Sati 
auszusprechen:  Die  orographische  Gliederung  der  Gebirge  und  ihre 
geognostische,  stratigraphische  Structur  sind  nicht  nothwendig  voo 

>)  VergL  auch  Artikel:  Gitnge  pag.  50a 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  519 

einander  abhängig,  sondern  im  Gegentheile  meist  die  Folge  selbst- 
ständiger Vorgänge. 

Wenn  wir  also  die  Frage  nach  der  Entstehung  der  Gebirge  in  ihrer  heutigen 
Gestalt  aufwerfen,  so  muss  die  Beantwortung  derselben  auch  zweierlei  getrennt 
berücksichtigen:  Die  Tektonik,  d.  i.  den  geognostischen  Schichtenbau  und  die 
orographische  Gliederung  oder  die  Plastik  der  Gebirge. 

Wir  können  dann  aber  femer  aus  der  täglichen  Beobachtung  der  einfachsten 
Verhältnisse,  die  gewisse  Analogien  zur  Gebirgsbildung  liefern,  auch  den  weiteren 
Schluss  ziehen:  Die  Tektonik  der  Gebirge  ist  im  Allgemeinen  das  Resultat  auf- 
wärts gerichteter,  centrifugaler  Bewegung,  der  Differenzirung  eines  ursprünglich 
als  Ebene  gedachten  Erdoberflächenabschnittes  in  aufwärts  gehobene  und  in  nicht 
gehobene  Theile,  die  orographische  Gliederung  ist  wesentlich  die  Folge  abwärts 
gerichteter,  centripetaler  Bewegung,  d.  h.  von  Zerstörungsprocessen,  die  in  ein- 
zelne Theile  tiefer  eindringen,  als  in  andere.  Die  erstere  liefert  gewissermaassen 
die  rohen  Modellklötze  zu  der  nachfolgenden  feineren  Ausarbeitung  und 
Modellirung  durch  die  letztere. 

Naturgemäss  muss  also  auch  in  der  Darlegung  der  Entstehung  der  Gebirge 
die  Behandlung  der  Ausbildung  ihres  inneren  Baues,  die  Bildung  der  eigentlichen 
Gebirgskerne,  der  Erörterung  ihrer  orographischen  Gliederung  vorausgehen. 
Unter  dem  Kerne  eines  Gebirges  wollen  wir  dann  die  Gesammtheit  der 
geognostischen  Bildungen  verstehen,  die  durch  ihre  höhere  Lage  das  Aufragen 
dieses  Theiles  der  Erdrinde  über  die  umgebenden  Regionen  bewirken. 

Theoretisch  kann  man,  von  der  Ebene  ausgehend,  drei  Arten  von  Vorgängen 
und  nur  diese  drei  sich  vorstellen,  die  eine  Niveaudifferenzirung  der  Ebene  be- 
wirken, so  dass  auf  derselben  höhere  und  tiefere  Theile  sich  gestalten. 

Denken  wir  an  eine  Holztafel  von  ebener  Oberfläche.  Um  das  Niveau  der- 
selben zu  brechen,  d.  h.  um  höhere  und  tiefere  Theile  auf  derselben  hervorzu- 
bringen, können  wir  entweder  i.  fremde,  verschieden  hohe  Körper,  z.  B.  Holz- 
kegel, Steinquadern  oder  dergl.  aufsetzen  oder  solche  Kegel  durch  lose  Massen, 
z.  B.  Sand  aufschütten;  oder  2.  wir  können  die  Platte  in  Stücke  zerschneiden 
und  dann  die  einzelnen  Stücke  gegen  einander  verschieben  und  so  in  eine  höhere 
oder  tiefere  Lage  bringen,  sie  heben  oder  senken  oder  beides  zugleich  und  3.  wir 
können  die  Platte,  indem  wir  sie  von  den  Seiten  zusammenpressen  oder  auch 
von  unten  gegen  dieselbe  einen  Druck  ausüben,  zum  Biegen  und  zum  Falten 
bringen,  wodurch  ebenfalls  höhere  und  tiefere  Lage  ihrer  einzelnen  Theile  her- 
vorgerufen wird. 

Die  verschiedenen  Arten  der  Gebirge,  die  in  diesem  Bilde  angedeutet  worden, 
lassen  sich  in  der  Natur  in  der  That  nachweisen;  auch  hier  sind  die  Ursachen 
und  die  Unterschiede  der  Niveaudifferenzirung  in  der  Regel  im  Ganzen  ebenso 
einfach  und  in  die  Augen  springend,  wie  in  dem  gewählten  Bilde.  Das  wird  im 
Einzelnen  noch  zu  erweisen  sein. 

Entsprechend  den  drei  Vorgängen,  die  experimentell  die  Niveaudifferenzirung 
einer  Fläche  gestatten,  unterscheidet  man  drei  Arten  von  Gebirgen,  die  wir  nunmehr 
als:  I.  Accumulations-  oder  Aufschüttungsgebirge,  3.  Disjunctions- 
oder  Schollengebirge  und  3.  Plications-  oder  Faltengebirge^)  bezeichnen 
können. 

I.  Accumulationsgebirge.    Das  Charakteristische  dieser  Art  vop  Gebirgen 


')  acatmuktre  =  anhäufen;  disjungtre  ^=  verschieben;  pUeart  =:  falten. 


520  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

besteht  darin,  dass  sie  ihrer  Unterlage  nur  aufgesetzt,  aufgeschüttet  eischeinen, 
ohne  mit  derselben  irgend  eine  stoffliche  oder  stratigraphische  Beziehung  zu  be- 
sitzen. Sie  verhalten  sich  demnach  genau  wie  die  auf  der  Tischplatte  auijg;eiegten 
Holzkegel  oder  aufgehäuften  Sandmassen. 

Gebirge  dieser  Art  gibt  es  zweierlei,  ihrer  Entstehung  nach  durch  ganz  ver- 
schiedene Vorgänge  bedingte,  aber  dennoch  beide  der  oben  ausgesprochenen 
Voraussetzung  sich  fügend.  In  dem  einen  Falle  sind  die  Materiale,  aus  denei 
sie  bestehen,  eruptive  Gesteinsmassen,  das  heisst  also  aus  dem  Inneren  der  Eide 
durch  vulkanische  Frocesse  an  die  Oberfläche  gefördert  und  dort  über  einander 
gehäuft,  im  anderen  Falle  sind  es  von  Wind  und  Wellen  bewegte  Schuttmassen, 
aus  der  Zerstörung  älterer  Gesteine  hervorgegangen  und  an  gewisse  Orte  zu- 
sammengetragen und  zu  Bergen  aufgeschüttet.  In  beiden  Fällen  ist  die  Be- 
schafifenheit  und  die  Tektonik  der  Unterlage  ganz  unabhängig  von  den  Producten 
der  Accumulation;  die  gleiche  Bildung  der  Berge  geht  auf  ganz  verschiedenem 
Boden  vor  sich. 

Die  Gebirge  der  ersteren  Art  sind  die  vulkanischen  Berggruppen,  meist  als 
Kuppengebirge  charakterisirt;  die  der  letzteren  Art  die  Dünen  an  den  Küsten 
und  in  den  Sand  wüsten;  ihre  Physiognomie  kann  durch  den  Ausdruck  Wellen- 
gebirge bezeichnet  werden. 

Die  vulkanischen  Kegel  und  Ablagerungen  von  Central-Frankreich  smd  un- 
mittelbar der  Oberfläche  des  Granit-Gneissplateau's  aufgesetzt,  die  Basalt-  und 
Trachytberge  der  Rheingegenden  ruhen  auf  den  Schichten  der  devonischen 
Formation,  die  in  steilen,  vielfach  gefalteten  Stellungen  darunter  lagern;  auf  den  fast 
horizontal  liegenden  Schichten  der  Kreidekalke  stehen  die  basaltischen  Bildungen 
der  berühmten  Grafschaft  Antrim  in  Irland.  Hinlänglich  wird  durch  diese  Bei- 
spiele die  Unabhängigkeit  dieser  Berggruppen  von  der  Gesteinsbeschaffenheit,  der 
stratigraphischen  Lage,  dem  geologischen  Alter  ihrer  Unterlage  documentiit  Dass 
gleichwohl  die  orographische  Beschaffenheit  der  Unterlage  von  Einfluss  sein  kann 
auf  die  Ausbildungen  der  Formen  der  vulkanischen  Aufschüttungen,  das  ist  selbst- 
verständlich und  dafür  werden  Beispiele  in  dem  Artikel  »Vulkanec  angeführt 
werden.  Wir  brauchen  nur  die  Tischplatte  uns  stark  geneigt  zu  denken,  so 
werden  wir  durch  das  Experiment  der  Aufschüttung  die  einfache  Erläuterung  für 
solche  Vorgänge  finden. 

Auch  die  Dünen  der  Küstenländer  schreiten  über  die  verschiedensten  Ge- 
steine fort,  nicht  bedingt  durch  deren  Beschaffenheit  und  Wechsel,  sondern  nur 
durch  die  möglichst  flache,  im  Meeresniveau  verlaufende  Oberfläche  derselben 
und  durch  bestimmte  atmosphärische  Verhältnisse  der  Küstengebiete. 

Bei  den  durch  vulkanische  Accumulation  gebildeten  Gebirgen  ist  Maass  und 
Anordnung  der  Aufschüttungen  verschieden.  Entweder  zeigen  sie  eine  regel- 
mässige Anordnung  oder  sind  regellos  gruppirt 

Es  ist  eine  bei  den  Vulkanen  längst  bekannte,  weit  verbreitete  und  an- 
zweifelhaft feststehende  Erscheinung,  dass  der  Aufbruch  der  eruptiven  Gesteins- 
massen längs  Spalten  erfolgt,  die  in  der  Erdrinde  durch  tektonische  Voigäoge 
geschaflen  wurden.  Die  an  der  Oberfläche  aufgeschütteten  Berge  gnippiren  ^ 
in  Folge  dessen  in  reihenfbrmiger  Anordnung,  oft  zahlreich  in  geraden  Linien 
hintereinander  liegend. 

Sind  sie  so  dicht  gestellt,  dass  der  Fuss  des  einen  Kegels  den  des  anderen 
z.  Th.  deckt,  mit  ihm  zu  einem  Ganzen  zusammengefügt  scheint,  so  macht  eise 
Reihe  solcher  Kegel  den  Eindruck  einer  zusammenhängenden  Kette.    Es  ist  aber 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  531 

dennoch  jeder  Kegel  ein  für  sich  isolirter,  mit  dem  benachbarten  nicht  innerlich 
zusammenhängend.  So  bilden  sich  orographisch  Gliederungen,  die  einem  lang- 
gestreckten GebirgskamAe  mit  aufragenden  Gipfeln  und  zwischenliegenden 
Thälem  und  Pässen  gleichen. 

Da  auch  die  Lavenströme,  die  mit  den  zu  einzelnen  Kegeln  aufgehäuften 
Auswurfsmassen  zu  Tage  treten,  die  vulkanischen  Aschen  und  Tuffe,  die  in  mehr 
oder  weniger  weiten  Zonen  um  jene  sich  ablagern,  in  ihrer  Anordnung  an  die- 
selbe Spalte  gebunden  erscheinen,  also  von  dieser  aus  zunächst  nach  beiden 
Seiten  eine  nach  Aussen  abnehmende  Erhöhung  des  Landes  bewirken,  so  wird 
dadurch  die  Vereinigung  der  in  der  Achse  der  Gesammtaufschtittung  stehenden 
Kegel  zu  einer  anscheinend  auch  stratigraphisch  einheitlichen  Kette  nur  noch 
erhöht.  Prägnanter  tritt  solche  Einigung  in  den  Centralkegeln  hervor,  auf  die 
weiter  unten  zurückgekommen  wird. 

Die  lange  Kette  der  vulkanischen  Kegel,  der  sogen.  Puys,  in  der  Auvergne, 
deren  höchster,  der  Puy  de  D6me  dem  Departement  den  Namen  giebt,  in  welchem 
sie  gelegen  sind,  ist  ein  ausgezeichnetes  Beispiel  dieser  Anordnung.  In  einer  von 
Nord  nach  Süd  gerichteten,  meist  doppelt  gegliederten  Reihe,  aber  genau  gerad- 
linig hintereinander,  liegen  über  80  Kegel  auf  einer  Strecke  von  35  Kilometern. 
Der  Puy  de  D6me  ragt  immerhin  noch  ca.  600  Meter  über  das  Granitplateau 
auf,  dem  die  Kegel  aufgesetzt  sind.  Von  beiden  Seiten  sind  die  Kegel  von 
mächtigen  Lavaströmen  und  Tufifmassen  umgeben.  Die  ersteren  ergiessen  sich 
auf  grosse  Strecken  in  die  im  Granit  ausgetieften  Thäler  abwärts,  die  somit  vor 
diesen  Ausbrüchen  schon  gebildet  waren.  Die  Granitunterlage  ist.  von  den  vul- 
kanischen Producten  rings  um  die  Kegel  vollständig  bedeckt  und  so  erscheint 
auf  einer  geologischen  Karte  die  ganze  Gruppe  wie  aus  einem  Stücke  geformt. 
Mehr  oder  weniger  tief  sind  die  Kegel  in  diesen  vulkanischen  Massen  eingesenkt. 
So  erscheint  von  Westen  z.  B.  von  Pontgibaud  aus  gesehen  oder  auch  von  Osten 
z.  B.  vom  kleinen  Puy  de  la  Poix  im  Allierthale  aus,  die  Reihe  der  Puys  wie 
eine  echte  Gebirgskette  mit  tief  eingeschnittenen,  die  einzelnen  Gipfel  trennenden 
Pässen. 

Wenn  das  Hervorbrechen  der  vulkanischen  Producte  nicht  wie  in  diesem 
Falle  längs  einer  langen  Spalte  erfolgte,  auf  der  die  Eruptionspunkte  hin  und  her 
wandern,  sondern  durch  lange  Zeiträume  an  einer  und  derselben  Stelle  die 
Aeusserungen  haften,  so  entstehen  dann  durch  die  Accumulation  der  Auswurfs- 
massen Gebirge  von  centraler  Gestalt,  die  man  deshalb  auch  Central-Vulkane 
genannt  hat.  Da  hier  stets  aus  demselben  Schlote  heraus  die  Ausbrüche  erfolgten 
und  also  um  diesen  die  Aufschüttung  sich  herum  legte,  so  sind  diese  centralen 
Gebirgsbaue  meistens  mächtiger  und  höher  als  die  einzelnen  Kegel  einer  vul- 
kanischen Reihe.  Bei  diesen  breitete  sich  die  Accumulation  nebeneinander,  bei 
jenen  grösstentheils  übereinander  aus. 

In  den  noch  heute  thätigen  Vulkanen  dieser  Art  ist  die  Gestalt  der  Central- 
kegel  am  ursprünglichsten  erhalten.  Vesuv  und  Aetna  sind  wohlbekannte  Bei- 
spiele; an  Dimensionen  der  letztere  ungleich  bedeutender;  überhaupt  einer  der 
mächtigsten  vulkanischen  Gebirgsbauten  der  Erde. 

Auf  einer  Basis,  die  eine  Fläche  von  1287  Quadrat-Kilom.  einnimmt, 
steigt  dieses  Kegelgebirge  in  dem  centralen  Gipfel  bis  zu  der  Höhe  von 
3317  Metern  empor.  Mit  allmählich  ansteigender,  aber  nach  allen  Seiten  an- 
nähernd gleicher  Böschung  hebt  sich  das  Profil  des  Berges  ab,  eine  flache 
Pyramide  darstellend, 


522  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Mit  der  gleichen  Neigung  heben  im  Inneren  des  Berges  die  vielfach  fiber> 
einander  gelagerten  Tuff-  und  Lavenschichten  nach  dem  Centrum  des  Beiges 
aus.  Sie  bilden  ringsum  einen  aus  zahllosen  einzelnen,  Zwiebelschalen  ähnlich 
übereinander  liegenden,  an  den  Rändern  gegenseitig  übergreifenden  Straten  be- 
stehenden Mantel. 

In  radialer  Anordnung  durchsetzen  dieses  Schichtengebäude  Gangspahec 
auf  denen,  in  Reihen  hintereinander  liegend,  hunderte  von  sogen.  Lateralkegete 
sich  aufschütteten.  Diese  z.  Th.  über  300  Meter  hoch,  gestalten  die  Obeiflidie 
des  Berges  in  der  That  zu  einem  reich  gegliederten  Gebirge;  das  gewaltig 
Flankenthal  der  Valle  del  Bove  schneidet  auf  der  Ostseite  tief  in  den  Bet^tgd 
ein.  Dass  auch  bei  dem  Aetna  der  Einfluss  einer  seinen  ganzen  Bau  fundamoiti^ 
bedingenden  Spalte  sich  mit  Sicherheit  nachweisen  lässt,  dass  er  trotz  södcs 
Kegels  einer  gewissen  linearen  Erstreckung  nicht  ganz  entbehrt,  darauf  wird  im 
Kapitel  »Vulkanet  einzugehen  sein.  Dort  wird  auch  eines  Näheren  ao^eföhrt 
werden,  dass  man  früher  diese  Kegel  als  Erhebungsgebirge  ansah,  gewisser- 
maassen  wie  riesige  Blasen  durch  einen  radial  nach  der  ErdoberHädie  ge^ 
richteten  Druck  emporgetrieben.  Diese  Erhebungstheorie  ist  durch  alle  Dcnercn 
Forschungen  über  die  Vulkane  in  allen  Ländern  endgiltig  widerlegt  worden 
Alle,  auch  die  grössten  vulkanischen  Gebirge  sind  nur  durch  Accumuladon  ot- 
standen.  Eigentlich  hebende  Wirkungen  werden  an  ihnen  nur  in  localer  tmd  e 
Ganzen  fast  verschwindender  Ausdehnung  durch  die  horizontalen  Intnisionen  v« 
Lavagängen  zwischen  die  Schichten  des  Kegels  hervorgerufen. 

Nicht  mehr  so  unmittelbar  und  deutlich  tritt  der  einheitliche  centrale  Chaiakicr 
eines  solchen  Gebirges  vor  die  Augen,  wenn  die  vulkanische  Thätigkeit  in  dus 
längst  erloschen  ist.  Das  ist  z.  6.  der  Fall  bei  dem  Mont-Dore  Gebirge  in 
Centralfrankreich,  wie  die  vorhin  erwähnte  Kette  der  Puys,  der  GranitplaBc 
dieses  Gebietes  aufgesetzt.  Die  Höhe  des  Puy  de  San^y,  des  höchsten  Gipfeb 
des  Mont-Dore  beträgt  1886  Meter,  das  Granitplateau  hat  durchschnittlid! 
1000  Meter  Höhe.  Fast  900  Meter  bleiben  also  für  die  vulkanische  AufschnttOBg 
übrig.  Dieser  Bau  ist  wie  ein  Mantel  um  ein  gemeinsames  Centrum  gelagert  und 
besteht  aus  Trachyt-  und  Basaltströmen,  ungeheuren  Straten  vulkanischer  Btncb- 
stücke,  Aschen,  Tuffe,  die  theilweise  zu  festen  Conglomeraten  und  Brecden  ver- 
kittet sind,  vielfach  übereinander  gelagert.  Durch  diese  hindurch  treten  zahl- 
reiche Trachyt-,  Basalt-  und  Phonolithgänge  zu  Tage,  deren  radiale  Anordnung  aar' 
das  Centrum  des  Gebirges  verweist  Aber  dieses  alte  Kegelgebirge  ist  im  Luk 
langer  Zeiträume  in  manchen  Theilen  durch  die  Erosion  zerstört  worden  and  so 
ist  eine  ihm  eigentlich  fremde  Gliederung  hineingekommen,  die  den  urspronf^ 
liehen  Typus  der  Bergform  in  hohem  Grade  verwischt  hat. 

Auch  das  im  Departement  Haute -Loire,  südösdich  von  Le  Puy  gelegene 
Gebirge  des  Mont  Mezenc  gewährt  das  Beispiel  eines  central  gestalteten  Accu- 
mulationsgebirges,  in  dem  phonolithische  Gesteine  besonders  vorherrschen.  Um 
den  höchsten  Punkt  der  Gruppe  liegen  in  mehr  oder  weniger  radialer  Anordnnng 
die  anderen  einzelnen  Kegel  ausgebreitet  Das  ganze  Gebirge  ruht  kheihrase 
unmittelbar  auf  Granit  und  Gneiss,  theilweise  auf  den  Schichten  der  Joiafor- 
mation. 

Nun  finden  sich  aber  auch  vulkanische  Kuppengebirge,  bei  denen  keinerlei 
Regelmässigkeit  in  der  Anordnung  zu  erkennen  ist.  Regellos  liegen  über  die  aus 
den  Schichten  des  devonischen  Systems  bestehenden  Plateaus  die  Basak-  und 
Trachytberge    am  Rheine  ausgestreut,    bald   zu   dicht   gedrängten  Gruppen  in- 


Die  Gebirge  und  ihre  EDtstehung.  523 

sammengeschoben,  vne  im  Siebengebirge,  bald  einzeln  und  vollkommen  isolirt, 
wie  die  Basalt-,  Trachyt-  und  Phonolithkegel  der  Eifel  und  des  Westerwaldes. 
Das  schöne  Högau,  in  dem  Winkel  zwischen  Donau  und  Rhein  nördlich  von 
Schaffhausen  gelegen,  die  basaltischen  Kegel  der  Eibgebirge  in  Sachsen  und 
Böhmen,  in  der  Lausitz  und  bis  zur  oberschlesischen  Ebene  hinein,  und  viele 
andere  Gebiete  wären  hier  als  Beispiele  anzuführen. 

Nicht  selten  nehmen  die  vulkanischen  Accumulationsgebirge  noch  andere  be- 
sonders eigenartige,  orographische  Gestaltung  an,  als  unmittelbare  Folge  der  be- 
theiligten Ausbruchsmassen  der  Laven.     Diese  bilden  stromartig  sich  über  weite 
Flächen  ausbreitende  mächtige  Ablagerungen,  die  ursprünglich  mit  ebener  Ober- 
fläche als*  plateauartige  Erhöhungen  erscheinen.     Auch  dafür  bietet  das  ausge- 
zeichnete  Gebiet  von  Centralfrankreich  schöne    Beispiele.     Das  eigenthümliche 
Profil  des  Cantalgebirges,  das  vom  Centrum  allmählich  abfallende,  lang  hinge- 
zogene mauerähnliche  Rücken  zeigt,  beruht  darauf,   dass  weite  Decken  trachy- 
tischer  Laven  von  eben  solchen  Decken  von  Basalt  überströmt  wurden.    Auch  das 
über  der  Juraformation  ausgebreitete  Basaltplateau  des  Coiron  auf  der  Grenze 
der  Departements    Haute -Loire    und  Ard^che    zeigt  diese,    wie  mit  gewaltigen 
Festungsmauem  gekrönten  Formen. 

So  ist  auch  das  sogen.  Basaltplateau  der  Grafschaft  Antrim  in  Irland  gebildet. 
Von  einem  eigentlichen  Plateau  ist  hier  nicht  die  Rede,  denn  Thäler  und  Berg- 
reihen bilden  eine  starke  Gliederung.  Auch  eine  einheitliche  Basaltdecke  ist 
nicht  vorhanden.  Eine  grosse  Zahl  einzelner  Ströme  und  Decken,  von  ver- 
schiedenen Eruptionspunkten  ausgehend,  fügen  sich  aneinander  und  haben  ein 
scheinbares  Ganze  zu  Wege  gebracht,  das  über  den  horizontalen  Kreideschichten 
sich  ausbreitet.  An  den  Rändern  und  besonders  längs  den  Meeresküsten  liegt 
der  Basalt  als  obere,  ebene  Terrasse  da. 

Für  solche  Gebirge  dürfte  die  Bezeichnung  Mauer-  oder  Wallgebirge  das 
Charakteristische  ihrer  Physiognomie  und  Plastik  ausdrücken.  Wie  sich  auch  diese 
in  Folge  der  Zerstörung  durch  die  abwärts  gerichtete  Erosion  wieder  in  einzelne 
Kegel,  sogen,  secundäre  Kegel  aufzulösen  vermögen,  die  dann  der  orographischen 
Fomi  nach  wohl  mit  primären  Aufschüttungskegeln  verwechselt  werden  können, 
das  gehört  in  das  zweite  Stadium  der  Gebirgsbildung. 

Bei  der  anderen  Klasse  von  Gebirgen,  die  durch  Accumulation  gebildet 
werden  und  die  wir  als  Dünen  im  weitesten  Sinne  bezeichnet  haben,  herrscht 
stets  eine  Regelmässigkeit  der  Anordnung  vor,  die  ihren  Grund  in  der  stets  vor- 
herrschend einseitig  wirksamen  Ursache  der  Winde  und  der  Wellen  findet,  welche 
die  Anhäufung  bewirken.  Im  Allgemeinen  sind  es  wellenförmig  erscheinende 
Höhenzüge  von  ungleicher  Böschung,  einer  steileren  Rückseite,  einer  flacheren, 
der  wirksamen  Ursache  zugewendeten  Vorderseite.  (Vergl.  auch  Artikel  Atmos- 
phäre: pag.  76).  Durch  Erstreckung  der  Anhäufungen  über  grosse  horizontale 
Flächen  können  aber  auch  plateauförmige  Erhöhungen  gebildet  werden. 

Im  Allgemeinen  büden  die  Dünenzüge  keine  sehr  hohen  Gebirge,  wenn 
gleich  unter  denen  der  grossen  Sandwüsten  doch  schon  recht  beträchtliche  Di- 
mensionen vorkommen. 

Der  westlich  des  Meridians  von  Tripolis  gelegene  Theil  der  Wüste  Sahara 
^st  besonders  durch  seine  Dünenlandschaften  ausgezeichnet.     In  der  Areg-Region, 

• 

»ni  Westen  der  Hammada  el  homra,  des  Erzeugungsheerdes  dieser  Dünencom- 
P^exe,    erreichen    diese    Dünen    nach    den    übereinstimmenden   Berichten    der 


524  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Forschungsreisenden  selbst  im  Libyschen  Sandmeere  bisher  unbekannte  Dirnen- 
sionen.i) 

So  weit  auch  der  Blick  reichen  mag,  sieht  das  Auge  nichts  als  Sandmassen, 
die  in  der  Anordnung  ihrer  Oberfläche  einem  vom  Sturm  gepeitschten,  mit  bcif- 
hohen,  riesigen  Wogen  erfüllten  Ocean  gleichen.  Bald  sind  es  lange  Retten 
parallel  laufender  Dünen,  welche  den  Wüstenplan  durchkreuzen  und  mit  den  da- 
zwischen liegenden  Thälern  einem  riesig  vergrösserten,  frisch  gepflügten  Acker 
gleichen,  bald  aber  wieder  bunt  durcheinander  gewürfelte  bis  200  Meter  und  auch 
höher  angehäufte  Dünenberge,  zwischen  welchen  sich  kleine  Thäler  hinschlängeln. 
Je  weiter  man  in  die  Areg-Region  eindringt,  um  so  chaotischer  wird  die  Bildung 
und  die  Formweise  der  Dünen  und  desto  höher  diese  selbst. 

Die  Bewohner  dieser  Regionen  unterscheiden  unter  den  zahllosen  Nuancen 
der  Dünenformen  vier  bestimmte  Charaktere  und  zwar:  Gara,  als  eine  An 
stummer  Zeugen  erdiger,  zuweilen  felsiger  Natur,  die  das  ursprüngliche  Boden- 
niveau  markiren;  Ghurd.  der  wirkliche  Sandberg,  die  Maximalhöhe  der  Däne  er- 
reichend; Semla,  eine  regelmässige  langgestreckte  Düne,  dem  Rücken  eines 
Esels  vergleichbar,  mit  beiderseitig  normalem  Abfall;  Sif,  einer  Säbelklinge  na 
vergleichen  mit  scharfer  Kante  und  fast  verticalem  Abfalle  auf  der  einen  Seite. 

Die  Dünen  sind  im  Allgemeinen  nach  der  Windseite  convex,  auf  der  htc- 
Seite  concav,  mit  gleicher  Böschung,  bei  den  Ghurds  so  steil,  dass  kein  Men^db 
und  Thiei  sie  erklimmen  kann,  während  bei  einigen  Semlas  der  Abfall  auf  der 
Leeseite  zu  überwinden  ist. 

Welche  Bedeutung  solche  Accumulationen  für  die  Gebirgsbildung  erlangen 
können,  das  zeigt  sich  auch  in  den  ungeheuren  Lössablageningen  von  Chitu, 
deren  an  anderer  Stelle  schon  gedacht  wurde.     (Artikel:  Atmosphäre  pag.  77.^ 

2.   Disjunctionsgebirge. 

Wenn  wir  wiederum  auf  das  Vorbild  der  Holztafel  zurückgreifen,  können  «ir 
für  diese  Art  von  Gebirgen  als  charakteristisch  hervorheben,  dass  ein  gewisser 
Zusammenliang  der  tieferen  und  höheren  Theile  in  der  Weise  nachweisbar  ist, 
dass  dieselben  Schichten  in  verschiedenen  Niveaus  nebeneinander  li^ender 
Theile,  aber  unvermittelt  vorkommen  und  dass  diese  Schichten  in  horizontaler 
oder  einseitig  geneigter  I^age  sich  finden  und  nicht  zusammengeschoben  oder  ge- 
faltet erscheinen.  Weil  demnach  ein  Verhalten  vorliegt,  wie  es  durch  verticaie 
Verschiebung  ursprünglich  zusammengehöriger,  in  einer  Ebene  gelegener  Platiec 
oder  Schollen  erklärt  werden  kann,  ist  auch  die  Bezeichnung  Schollenge biree 
passend. 

Bedingung  zu  der  die  Niveaudifferenzirung  bewirkenden  verricalen  Bewegiug  s: 
demnach  zunächst  die  Trennung  in  einzelne  Schollen.  Discondnuitäten  in  der  Erd- 
rinde werden  durch  Spalten  hervorgerufen.  Diese  zerl^en  einzelne  Theile  jener 
in  gesonderte  Stücke.  Die  erkannten  Verschiebungen,  besonders  an  den  sogen 
Verwerfungen,  erweisen  die  sUttgehabte  Bewegung.  Im  Artikel  »Gänge«  pag. 492  f  f 
ist  hierüber  Näheres  nachzusehen. 

Wenn  also  für  ein  Gebirge,  in  dem  besonders  gut  charakterisiite  Schichteo 
oder  Formationen  in  den  verschiedenen  Theilcn  in  höherer  und  tieferer  Lage 
sich  nachweisen  lassen,  bei  horizontaler  oder  nur  wenig  einseitig  geneigter 
Lagerung  dieser  Schichten,  die  Gegenwart  von  Spalten  zu  ericennen  ist,  die  da» 
Gebirge   durchkreuzen,  so  ist   für  dieses  die  disjunctive  Bildung  die  einzig  inog> 

*)  Chavanne,  Afrika,     pag.  47. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  525 

liehe.  Nur  darüber  kann  noch  ein  Zweifel  obwalten,  ob  eine  Erhebung  der  in 
höheren  Niveaus  liegenden  Schollen  oder  eine  Einsenkung  der  tiefer  gelegenen 
oder  beides  zugleich  stattfand.  Dass  diese  Fälle  alle  möglich  sind  und  dass 
sie  in  der  That  in  den  Gebirgen  vorkommen,  dafür  bieten  die  folgenden  Beispiele 
Belege. 

Der  Natur  der  Sache  nach  müssen  die  in  höherer  Lage  befindlichen  Schollen 
ursprünglich  eine  plateauartige  Beschaffenheit  besitzen.  Wo  diese  unverändert 
sich  erhalten  hat,  wird  auch  der  Typus  dieser  Gebirge  am  deutlichsten  ausgeprägt 
sein.  Dann  weist  auch  die  orographische  Gestaltung  auf  die  Bildungsvorgänge 
hin.  Ist  aber  durch  die  nachfolgende  Zerstörung  die  Gliederung  und  feinere 
Modellirung  dieser  Schollen  eine  weit  vorgeschrittene,  dann  wird  die  Plastik  des 
Gebirges  die  ursprüngliche  Schollenverschiebung  nicht  mehr  erkennen  lassen, 
sondern  nur  die  innere  Tektonik  dieselbe  noch  unzweifelhaft  feststellen. 

Unter  den  Plateaugebirgen  sucht  man  also  zunächst  am  besten  nach  Reprä- 
sentanten dieser  Art. 

Ein  ausgezeichnetes  Tafelland  ist  der  südliche  Theil  der  Capkolonie  in  der 
Spitze  des  afrikanischen  Continentes.  Auf  einer  Unterlage  von  Granit  oder  auf 
Thonschiefer  ruhen  in  grossartiger  Entwickelung  petrefactenleere  Sandsteine  und 
Quarzite.  Diese,  welche  zwischen  der  Küste  und  der  eigentlichen  Hochfläche 
fast  durchgängig  die  zwei-  und  dreifachen  Randketten  der  Terrassen  bilden, 
geben  dem  ganzen  Cap-Districte  und  der  Colonie  das  eigenthümliche  Gepräge. 
HocHSTETTER  benennt  den  Sandstein  dieser  Gebirge,  da  er  im  Tafelberge  in  be- 
sonders schöner  Entwicklung  auftritt,  Tafelbergsandstein.  Er  lagert  Über  dem 
Thonschiefer-Grundgebirge,  theils  horizontal  über  den  steil  aufgerichteten,  viel- 
fach gefalteten  Thonschiefem,  theils  in  stark  geneigten  Platten.  Diese  aufgerichteten, 
aber  nicht  gefalteten  Bänke  bilden  zackige  Berggipfel,  die  horizontal  gelagerten 
Bänke  aber  Tafelberge.  Die  Sandsteinmassen  sind  vielfach  von  langen  Bruchlinien, 
Spalten,  durchzogen,  welche  zu  breiten  Thälem  ausgewaschen  sind,  in  denen  die 
Unterlage,  der  Thonschiefer,  zu  Tage  tritt. 

Wenn  hier  auch  in  den  älteren  Theilen  des  Gebirges,  in  dem  Thonschiefer, 
vielfache  Faltung  sichtbar  wird,  so  ist  doch  die  jüngere  Niveaudifferenzirung  in 
diesem  Gebirge,  soweit  sie  die  Sandsteine  betroffen  hat,  ohne  eine  solche  Faltung 
vor  sich  gegangen  und  lediglich  durch  disjunctive  Schollenbewegung  bewirkt  worden. 

In  kleinerem  Maassstabe,  aber  in  den  Einzelnheiten  um  so  deutlicher  erkannt, 
treten  uns  Schollenbewegungen  in  den  Bergen  östlich  von  Gotha,  den  Seebergen, 
und  in  dem  Galberge  westlich  dieser  Stadt  entgegen.  Hier  liegen  verschieden 
alte  Formationen  in  demselben  Niveau  z.  B.  Gypskeuper  neben  mittlerem 
Muschelkalk. 

Es  muss  also  eine  Verschiebung  um  mindestens  die  ganze  Höhe  der 
Mächtigkeit  des  oberen  Muschelkalkes  und  der  Lettenkohle  vor  sich  gegangen 
sein,  die  eine  Parthie  demnach  um  ungefähr  80  Meter  höher  liegen  als  die 
andere.  M.  Bauer,  der  eine  genaue  Beschreibung  4er  Lagerungsverhältnisse 
dieser  Berggruppe  geliefert  hat,^)  gliedert  in  seinen  Profilen  diese  Berge  in  6—7 
durch  Verwerfungsspalten  getrennte  Schollen,  die  in  ganz  verschiedener  Höhen- 
lage sich  finden,  denn  es  liegen  von  Süd  nacli  Nord  nebeneinander:  Gypskeuper, 
unterer  Lias,  Lettenkohle,  mittlerer  Muschelkalk,  Rhät,  wieder  unterer  Lias,  Rhät, 
Steinmergelkeuper  und  wieder  Gypskeuper.     Bei  der  fast  horizontalen  oder  nur 


*)  Jahrb.  d.  kgl.  preass.  geol.  Landesanstalt.    1881. 


526  Minecalogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

sehr  wenig  geneigten  Lagerung  der  einzelnen  wohl  charakterisirten  Schichten  ist 
die  Wiederkehr  derselben  durch  Faltung  nicht  zu  erklären. 

Nur  eine  Schollenbewegung  giebt  hierfür  die  Erklärung.  Bauer  ninunt  an, 
dass  sie  mit  einer  Einsenkung  der  tieferen  Theile  erfolgt  sei  (vergl.  pag.  494  des 
Artikels  Gänge).  Die  weite  Verbreitung  ähnlicher  Schollenbewegungen  im  ganxen 
Thüringer  Wald  ist  durchaus  wahrscheinlich. 

Die  grossartigsten  Beispiele  dieser  disjunctiven  Gebirgsbildung  scheinen  aber 
in  den  Flateaugebirgen  des  westlichen  Nordamerika's,  in  den  Districten,  welche 
dem  Staate  Utah  angehören,  und  den  diesen  benachbarten  vorzuliegen.  Der 
District  der  Hochplateaus  von  Utah  ist  der  südlichere  Theil  der  Wasatch-Berge, 
mit  denen  aber  eigentlich  jene  nicht  mehr  zusammengehören.  Sie  sind  ein  voll- 
ständig von  diesen  verschiedenes,  selbständiges  Gebirge.  Drei  Reihen  von 
Plateaus,  jede  wieder  aus  drei  getrennten  Tafelbergen  bestehend,  setzen  dasselbe 
zusammen. 

Das  grösste  dieser  Plateaus,  der  Aquarius,  hat  etwa  35  engl.  Meilen  Lange 
und  eine  Höhe  von  3300  Meter.  Ganz  besonders  charakteristisch  erscheint  für 
den  Bau  dieses  Gebirges  das  Auftreten  zahlreicher  grossartiger  Verwerfungsspalten. 
Dieselben  gewinnen  für  den  ganzen  Gebirgsbau  jener  Gebiete  Bedeutung,  da  sie 
sich  als  die  Fortsetzungen  grosser  Spalten  erkennen  lassen,  welche  weiter  süd- 
lich den  Colorado  und  den  grossen  Caiion  durchkreuzen.  Die  Höhe  der  Ver- 
werfung, welche  die  Gebirgsstücke  längs  dieser  Spalten  erlitten  haben,  beträgt  m 
einigen  Fällen  bis  zu  fast  2000  Meter.  Von  Interesse  ist  es,  die  in  den  Hoch- 
plateaus durch  diese  Verschiebungen  bewirkte  Structur  mit  dem  Bau  anderer  Ge- 
birge und  anderer  Theile  der  Felsengebirge  zu  vergleichen. 

Von  dem  östlichen  Fusse  der  Sierra  Nevada  bis  zu  den  grossen  Ebenen 
liegen  zahlreiche  Gebirgsketten,  die  man  früher  ebenfalls  fUr  gefaltete  Gebirge 
gehalten  hatte.  Aber  die  fortschreitenden  Untersuchungen  der  amerikanischen 
Geologen  haben  im  Gegentheile  für  diese  alle  das  Fehlen  eigentlicher  Faltung 
ergeben.  Keines  dieser  Gebirge  besitzt  eine  Analogie  mit  der  Tektonik,  wie  sie 
so  ausgezeichnet  in  den  Falten  der  Apalachischen  Gebirge  zu  Tage  tritt. 

Freilich  kommen  auch  in  den  Gebirgen  östlich  von  Sierra  Nevada,  in  denen 
also  keine  gefaltete  Structur  an  der  eigentlichen  Gebirgsbildung  betheiligt  ist, 
Biegungen    und    Zusammenschiebungen    der   Schichten   vor.      Aber   diese    sind 
wiederum  einer  viel  älteren  Zeit  angehörig,  als  die  der  Entstehung  der  Gebiife 
Diese  ist  aus  einer  Niveaudifferenzirung  von  Schollen  längs  Spalten   hervoi^ 
gangen,  die  eine  Ebene,  eine  Platform  durchkreuzten,  die  in  sich  lange  voiha 
gefaltet  war,  wo  aber  die  Unebenheiten  der  Oberfläche,  die  diese  frühere  Faltung 
bewirkt  hatte,  nahezu  vollständig  durch  die  Erosion  wieder  nivellirt  waren.  ^)    Diese 
frühere  Faltung  mag  durch  spätere  Bewegungen  vielleicht  noch  vermehrt  worden 
sein,  aber  unzweifelhaft  ist  mit  der  späteren  gebirgsbildenden  Bewegung  nichts 
verbunden  gewesen,    das   man  als   eine  neue,   selbständige  Faltung  bexeichnen 
könnte. 

Auch  charakteristische  Querschnitte  durch  die  Park-Gebirge  von  Colorado 
zeigen  nur  eine  Reihe  flacher  Platformen,  mit  einseitiger  Neigung  gehoben  und 
von  Spalten  an  beiden  Seiten  begrenzt  Die  einseitige  Erhebung  dieser  SchoOen 
hat  nichts  mit  einer  eigentlichen  Faltung  gemeinsam.  Ein  Schichtenblock  ist 
immer  für  sich  gehoben  und  in  einseitige  Neigung  gebracht  worden,  aber  er 


i )  DUTTON,  Geology  of  the  High  Plateaus  of  Utah.    Washington  i8te,  pag.  47. 


Die  Gebirge  nnd  ihre  EDtstehung.  527 

l>eiderseitig  durch  Spalten  aus  der  Continuität  mit  den  anderen  Schichtenschollen 
herausgelöst. 

Eine  Wiederholung  der  Tektonik  der  Park-Gebirge  bietet  sich  in  den  Uintas 
und  in  dem  Systeme  der  Hochplateau's.  Ganz  besonders  tritt  in  der  Structur 
der  letzteren  die  Horizontalität  der  Schichten  auffallend  hervor.  Gewisäe  charak- 
teristische Schichten  gestatten  aber,  die  Niveaudifferenzen  festzustellen,  in  denen 
dieselben  im  Gebirge  erscheinen.  Die  Shinärumpschichten'),  entweder  zum  Perm 
oder  zur  unteren  Trias  gehörig,  sind  vielleicht  eine  der  merkwürdigsten,  con- 
stantesten  und  bestcharakterisirten  Schichtencomplexe  der  Welt  Ihre  tief  braunen, 
purpurrothen,  braunrothen  Farben  heben  sie  überall  leicht  kenntlich  hervor. 
Schieferthone  und  Sandsteine  setzen  die  Serie  zusammen. 

Die  Identität  der  Shinärumpschichten  von  Utah  und  Arizona  und  der  unteren 
rothen  Sandsteine  von  Colorado  und  Wyoming  ist  kaum  noch  zu  bezweifeln  und 
so  bedeckt  diese  Formation  ein  Areal  von  beiläufig  250  Tausend  engl.  Quadrat- 
meüen. 

Wenn  man  über  dieses  Gebiet  hin  die  fast  stets  horizontalen  oder  nur  wenig 
einseitig  geneigten  Schichten  verfolgt,  so  gewinnt  man  einen  klaren  Ueberblick 
über  die  grossen  Unterschiede  in  den  Niveau's,  in  denen  dieselben  in  den  Ge- 
birgen erscheinen.  An  der  einen  Stelle  treten  sie  in  der  Sohle  tief  einge- 
schnittener Thäler  zu  Tage,  so  z.  B.  im  Rabbit-Thale,  an  anderen  Stellen,  so 
südwestlich  von  Markägunt-Plateau  steigen  sie  hoch  empor.  Die  grosse  Hurricane- 
Verwerfung  hat  sie  hier  aufwärts  geschoben.  Nach  den  Verwerfungen  zu  er- 
scheinen die  Schichten  umgebogen  und  diese  Stellen  sind  die  einzigen,  wo  die 
horizontale  Lagerung  verloren  ging.  Aber  auch  diese  Biegungen  sind  nirgendwo 
mit  eigentlichen  Faltungen  zu  verwechseln. 

Auch  aus  den  meisterhaften  Schilderungen,  die  uns  v.  Richthofen  in  dem 
2.  Bande  seines  Werkes  über  China  von  dem  Gebirgsbaue  des  nördlichen  Theiles 
dieses  Landes  entwirft,  tritt  uns  das  Bild  der  disjunctiven  Gebirgsbildung  in  be- 
stimmten Zügen  entgegen. 

Richthofen  nennt  das  Kwen-lun-Gebirge  eine  grosse  Scheidelinie  des  Landes. 
Vom  Westrande  des  Tarym-Beckens  an  bis  in  das  östliche  China  hinein,  in  der 
ganzen  Erstreckung,  gleichviel  ob  das  Gebirge  nur  aus  einem  mächtigen  Stamme 
besteht,  oder  in  mehrere  Parallel-Ketten  aufgelöst  ist,  bildet  die  nördliche  Fuss- 
linie  eine  scharfe  Grenze  zwischen  zwei  Klassen  von  Erdräumen,  welche  in'  oro- 
graphischer  Beziehung  die  denkbar  grössten  Verschiedenheiten  darbieten.  Die  im 
Norden  vorgelagerten  Gebiete  haben  seit  dem  Beginn  des  cambrischen  Zeitalters 
nur  regionale  Bewegungen  im  verticalen  Sinn,  niemals  aber  Zusammenschiebungen 
und  Faltungen  in  grösserer  Ausdehnung  erlitten.  Die  Differenzirung  in  den 
Niveauveränderungen,  welche  die  alte  cambrische  Scholle  des  nördlichen  China 
in  ihrer  Gesammtheit  oder  in  grossen  Theilen  erlitten  hat,  wird  durch  grosse 
Brüche  und  ihrem  Verlauf  folgende  Normalverwerfungen  angezeigt  Orographisch 
stellen  sich  diese  nördlichen  Gegenden  entweder  als  grosse,  flache  Einsenkungen 
mit  jungen  Bildungen  ausgefüllt,  oder  als  älteres  Schichtungstafelland  dar. 

Diejenigen  Bewegungen,  welche  darauf  gerichtet  waren,  die  Gesteine  eines 
Areals  auf  einen  geringeren  Raum  zusammen  zu  drängen,  die  Schichten  in  Falten 
zu  werfen  und  die  Falten  Über  einander  zu  schieben,  haben  sich  seit  der  Zeit  der 
Ablagerung  der-  untercambrischen  Sedimente  fast  ausschliesslich  auf  der  Südseite 


<)  Indianischer  Name,  der  soriel  bedeutet  als:  Waffen  des  Wolfisgottes. 


$28  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

der  gangen  Linie  documentirt  und  hier  im  Gegensatze  zu  den  nördbch  angren- 
zenden Gebieten  die  gebirgigsten  Länder  der  Erde  geschaffen. 

Im  Einzelnen  findet  diese  Darstellung  in  der  Beschreibung  der  geognostischen 
Structur  der  einzelnen  Provinzen  des  nördlichen  China  ihre  Begründung.  Von 
besonderem  Interesse  ist  hiervon  unter  Anderem  die  Tektonik  der  wesdidien 
Provinz  Shantung.  Diese  besteht  darin,  dass  das  ganze  Gebirgsland  in  eine  An- 
zahl von  Schollen  zerfallt,  die  gegen  einander  verworfen  sind,  ohne  dass  eine 
Schichtenfaltung  damit  verbunden  gewesen  ist.  Im  Ganzen  scheint  eine  Tendenz 
nach  einer  radialen  Anordnung  der  Bruchspalten  vorhanden  zu  sein,  jedoch 
fügen  sich  dieser  Regel  keinesweges  alle  Spalten.  Wohl  aber  erscheint  als  ein 
deutlich  erkennbares  und  durchgreifendes  Gesetz  die  einseitige  nach  Norden  g^ 
richtete  Neigung  der  sämmtlichen  Schollen. 

Im  Osten  dieses  Gebirgslandes  ist  die  Tektonik  wiederum  eine  ganz  andere 
Es  ist  eine  merkwürdige  Thatsache,  dass  der  innere  Bau  zweier  Hälften  desselben 
Gebirgslandes,  welche  zudem  aus  beinahe  genau  einander  entsprechenden 
geognostischen  Formationen  aufgebaut  sind,  auf  eine  so  verschiedenartige  tekto- 
nische  Geschichte  führt.  Im  Westen  fand  ein  Zerbersten  in  Schollen  nach  vecig 
regelmässigen  Linien  statt  und  die  verticale  Verschiebung  erreicht  in  wenigen 
Fällen  eine  Amplitude  von  mehr  als  looo  Meter;  diese  Verschiebung  ist  denic; 
geschehen,  dass  alle  Schollen  eine  Neigung  in  nördlicher  Richtung  haben.  Ic 
Osten  hingegen  vollzog  sich  ein  Zusammenschieben  des  in  der  Streichrichtua^ 
NNW. — SSO.  gefalteten  Gneiss  durch  eine  Kraft,  welche  rechtwinklig  auf  ät 
Richtung  der  daraus  entstandenen,  von  WSW.— ONO.  streichenden  Höhende 
wirkte. 

Die  Wesdiälfte  dieses  Gebirgslandes  ist  der  Prototyp  für  die  Tektonik  grosser 
Theile  des  nordwestlichen  China,  die  Osthälfte  ebenso  für  den  Grundbaa  des 
Nordostens»  wahrscheinlich  bis  nach  Korea  hinein. 

Welche  Kraft  diese  Schollenbewegung  veranlasst  und  wie  wir  uns  den 
Meihanismus  derselben  etwa  vorzustellen  haben,  darauf  kann  erst  im  Zusamoen- 
hang  mit  den  Vorgängen  der  Gebiigsfaltung  eingegangen  werden. 

3.  Plications-  oder  Faltungsgebirge.  Die  Gebirge  dieser  Art  sind  un- 
streitig die  merkwürdigsten  und  für  den  Gebirgsbau  im  Allgemeinen  wichtigsten 
Die  gewaltigsten  Gebirge  der  Erde,  die  grossen  Kettengebirge»  Alpen»  Pyrenäen, 
Cordilleren  gehören  in  diese  Gruppe. 

Das  charakteristische  Kenrueichen  derselben  ist  die  mehr  oder  weniger  t«^ 
deutende  Biegung  der  Schichten  im  Inneren  dieser  Gebirge,  sowie  der  UmsunL 
dass  diese  gebogenen  Schichten  in  unmittelbarem  Zusammenhange  mit  denselben 
nicht  oder  nicht  so  stark  gebogenen  Schichten  ausserhalb  des  Gebirges  stehen 
Das  ausgedehnte  Schichtensystem  ist  das  ursprüngliche,  dieses  erscheint  spater 
in  eintelnen  Theilen  gefaltet  Das  Gebirge  selbst  und  seine  Unterlage  sind  ils 
ein  eintiges  Ciante  aniusehen»  das  durch  die  bewirkten  Biegungen  in  seinen 
Obrrrtiichenntveau  diäenmsirt  wurde.  Während  bei  den  Accumulationsgebiigen 
die  iicbiriT^l^Uiun^  lugleich  mit  einer  Neubildung  von  Gesteinen  verbunden  vir, 
besteht  die  Faltung  nur  in  einer  Oftsverimderung  schon  längst  gebildeter  Gesteine. 
Von  den  S^^t^^Uengelnrtren  unterscheiden  sich  die  Faltungsgebiige  durch  Sc 
Stelhu^  der  Schiebten,  aber  auch  dadurch,  dass  bei  jenen  die  Bildung  der  Ihs- 
c\^)tuuutaten  der  ur^vrun$:lH:h  luzsammenhduigenden  Erdrinde  der  Niveaudifieren- 
<ir\n\>:  >vvrausj:in^,  deren  Möglichkeit  erst  durch  die  Spalten  bedingt  wurde. 
>ikAhreiKl  l<i  den   kuteit^n   die  Spalten   selbst   erst   die  Folge   der  durch  dk 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstellung«  $^9 

Biegung  bewirkten  Niveauveränderungen  waren.  Bei  den  Faltengebirgen  lassen 
sich  die  dislocirten  Theile,  auch  wenn  sie  durch  spätere  Gebirgszerstörung  ganz 
aus  dem  ursprünglichen  Zusammenhang  herausgelöst  erscheinen,  durch  Construc- 
tion  der  fehlenden  Theile  wieder  in  Verbindung  setzen,  während  bei  den  Schollen- 
gebirgen nur  die  verticale  Rückwärtsbewegung  um  den  Betrag  der  Disjunction 
die  alte  Lage  wieder  herzustellen  vermag.  Daher  werden  die  Profile,  welche 
durch  ein  Faltengebirge  gelegt  werden,  erst  dann  verständlich,  wenn  durch  Luft- 
constructionen  über  der  heutigen  Kammlinie  des  Gebirges  selbst  und  durch  ent- 
sprechende Ergänzung  der  in  der  Tiefe  unsichtbaren,  aber  dorthin  fortsetzenden 
Schichten,  der  ganze  Verlauf  und  die  Zusammengehörigkeit  der  einzelnen  Faltungen 
unterhalb  des  Kammes  in  ihrer  alten  Continuität  reconstruirt  werden.  Das  wird  aus 
den  im  Folgenden  angeführten  Beispielen  noch  klarer  werden. 

Das  Maass  der  Biegung  der  Schichten  ist  ein  sehr  verschiedenes.  Oft  er- 
scheinen dieselben  nur  einfach  beiderseitig  zu  einem  gewölbeähnlichen  Baue 
aufgerichtet,  oft  zeigen  sie  die  vielfachsten,  wiederholten  stark  zusammengebogenen 
Faltensysteme. 

Als  Beispiel  eines  einfachen  Faltenbaues  kann  der  Schwarzwald  gelten.  Der 
innere  Bau  desselben  lässt  ihn  als  eine  brefte,  sanft  gewölbeförmige  Erhebung 
der  Erdrinde  erkennen,  als  deren  Kern  krystallinische  Schiefer,  Gneiss  mit 
Graniten  und  Porphyren  erscheinen.  Auf  diesen  lagern  jüngere  Sedimente,  theils 
Süsswasserbildungen,  theils  Meeresabsätze,  dem  System  der  Trias  angehörig,  die 
von  seinem  Fusse  aus  mit  allmählicher  Erhebung  bis  auf  seine  Hochflächen  hinauf- 
reichen. Dieser  gewölbeartige  Bau,  in  dessen  Achse  die  krystallinischen  Schiefer 
auftreten,  war  der  Grund,  dass  man  den  diesen  eingeschalteten  Eruptivgesteinen 
auch  die  Hebung  der  sedimentären  Schichten  zuschrieb.  Aber  da  die  Sandsteine 
der  Hochflächen  Bruchstücke  der  Eruptivgesteine  einsch  Hessen,  so  mussten  diese 
letzteren  längst  fest  gewesen  sein,  ehe  die  Sandsedimente  sich  bildeten.  Die 
Hebung  des  Schichtengewölbes  konnte  aber  erst  eintreten,  nachdem  die  Sedi- 
mente der  Hochflächen  sich  in  See-  und  Meeresbecken  abgelagert  hatten.  Daher 
sind  die  Eruptivgesteine  älter,  die  Hebung  jünger  als  die  Bildung  der  Sedimente. 
Es  kann  somit  die  Hebung  nicht  durch  die  Eruptivgesteine  verursacht  worden 
sein.  Die  dislocirenden  Kräfte  haben  das  ganze  vorher  gebildete  Erdrindenstück 
gleichmässig  miterfasst,  emporgehoben  und  gebogen,  die  Eruptivgesteine  so  gut 
wie  die  krystallinischen  Schiefer  und  die  Sedimente.^)  Keines  der  vorhandenen 
Eruptivgesteine  hat  eine  active  Rolle  bei  der  Aufbiegimg  des  Schic.htengewölbes 
gespielt,  sie  haben  sich  passiv  verhalten,  wie  alle  anderen. 

Einen  ähnlichen,  wenngleich  schon  etwas  stärker  gefalteten  Bau  zeigen  die 
südöstlichen  Hochlande  von  Irland,  die  Gebirge  der  Grafschaften  Wicklow  und 
Waterford,  südlich  von  Dublin.  Die  ganze  Kette,  die  geologisch  und  orographisch 
als  ein  einziges  Ganzes  aufzufassen  ist,  trägt  im  Allgemeinen  den  Charakter  eines 
flach  gerundeten  Walles  mit  aufsitzenden  runden  Höckern  und  flachen,  weiten 
Thälern.  Der  Kern  des  Gebirges  besteht  aus  Granit,  dem  nach  beiden  Seiten 
krystallinische  Schiefer  und  cambrische  und  silurische  Schichten  angelagert  sind. 
Trotz  der  regelmässig  centralen  Lage  des  Granites  in  diesem  Gebirge  kann  der- 
selbe keinesweges  als  der  Träger  der  erhebenden  Kraft  für  dasselbe  angesehen 
werden.  Aus  dem  Verbände  der  geschichteten  Gesteine  auf  beiden  Seiten  des 
C^ranitkemes  ergiebt  sich,  dass  der  Bau  keinesweges  ein  symmetrischer  ist,  sondern 


^)  A.  Heim,  Die  Gebirge.    Basel  1881.  pag.  la 
KiNMCOTT,  Min.,  G«ol.  u.  Paü.    L  3^ 


53Ö  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

dass  eine,  nicht  von  unten  aufwärts,  aber  einseitig  in  horizontaler  Richtnof 
wirkende  Kraft  die  Aufwölbung  durch  Zusammenschieben  hervorbrachte.  Dit 
cambrischen  Gesteine,  rothe  und  grüne  Sandsteine  mit  Schiefem  und  gdber 
Quarziten  wechsellagemd  und  ebenso  die  silurischen  Schichten  sind  zu  ^ielfaudim 
Falten  auf  beiden  Seiten  dislocirt,  die  aber  im  Allgemeinen  in  aufsteigenden 
Biegungen  zu  der  Hochfläche  des  Granitkemes  hinaufführen.  AUe  erscheiner 
gewissermaassen  nur  als  Detailbiegungen  des  einen  gemeinsamen  Schichtenge- 
wölbes, das  auch  in  dem  wallförmigen  Relief  des  Gebirges  sich  wiedeispegeh. 

Wenn  auch  nicht  in  dem  gleichen  Sinne  einfach,  wie  der 'Schwarzwald,  d  h. 
nur  aus  einer  gewölbeähnlichen  Centralbiegung  bestehend,  so  ist  doch  der 
schweizer  Jura  eines  der  leichtverständlichsten  und  klarsten  Beispiele  eines  Fähen* 
gebirges.  An  seinem  Südrande  richten  sich  die  Schichten  aus  horizontaler  Up 
hoch  in  steile  Stellung  auf,  in  der  Höhe  biegen  sie  sich  flach  um  und  sinken, 
nachdem  sie  einen  langen  Bergrücken  gebildet  haben,  wieder  hinab,  um  äch 
dann  auf's  Neue  noch  in  mehrfacher  Folge  wieder  auf-  und  abzubiegen.  Die 
Falten  des  Juragebirges  sind  500 — 1500  Meter  hoch.  In  ihrer  Mehrzahl  neif:er. 
sie  gegen  Norden  über.  Während  das  ganze  Juragebirge  320  Kilometer  lang  bt 
streichen  einzelne  Falten  12 — 90,  eine  sogar  162  Kilometer  weit  Auf  jedem 
Wege  quer  durch  das  Juragebirge  muss  man  mehrere  etwa  10—12  Falten  durc> 
schneiden,  die  parallel  hinter  einander  liegen.  Im  westlichen  Theü  ist  das  Gt 
birge  breiter,  im  östlichen  drängen  sich  die  Falten  und  auch  die  daraus  gebiidc<o 
Rücken  dichter  aneinander.  Im  Ganzen  besteht  der  Jura  aus  etwa  160  Falten 
der  Erdrinde.*) 

So  ist  denn  der  Jura  der  Prototyp  eines  gefalteten  Gebirges,  dessen  Ketten- 
form  und  Gliederung  wesentlich  durch  die  innere  Tektonik  bedingt  wird.  Die 
concaven,  d.  i.  abwärts  gekrümmten  Biegungen  der  Schichten  nennt  man  Mulden, 
die  convexen,  aufwärts  gebogenen  Sättel  oder  Gewölbe.  Die  vollkofDinene 
Uebereinstimmung  der  Schichtenlage  mit  der  orographischen  Gestaltung  eine» 
Faltengebirges  erfordert  demnach,  dass  die  Gebirgsrücken  oder  Kämme  audi 
durch  Schichtensättel,  die  Thäler  durch  Schichtenmulden  gebildet  werden.  n2> 
ist  im  Jura  in  der  That  der  Fall,  seine  Längsthäler  liegen  zwischen  den  eimchiec 
Ketten,  dem  Verlaufe  derselben  parallel  und  sind  überwiegend  Muldenthaler. 

Aber  gerade  wegen  der  Regelmässigkeit  des  Baues  lassen  sich  auch  die 
nicht  normalen,  nicht  in  der  Tektonik  begründeten  Verhältnisse  der  Glicdeniw 
am  Jura  gut  studiren.  Es  kommen  auch  bei  ihm  Fälle  vor,  wo  die  iüsstn 
Form  und  der  innere  Bau  sich  zu  widersprechen  scheinen. 

Wir  können  uns  die  Beziehungen  zwischen  der  orographischen  Gestalturu: 
eines  Faltengebirges  und  der  inneren  Faltung  selbst  auf  Grund  der  nebenstebeo 
den  schematischen  Darstellung  klar  machen.  Dass  die  Falten  sich  aus  Sitteln 
und  Mulden  zusammenfügen,  wurde  oben  schon  erwähnt.  Im  Profile  d.  h.  ü^ 
einem  normal  zur  Streichrichtung  der  gefalteten  Schichten  gelegten  Querschnittr 
tritt  die  Stellung  und  das  Maass  der  Faltung  vor  Augen.  Die  Figur  stellt  ein 
solches  Profil  dar. 

Die  Falten  stehen  entweder  gerade,  so  dass  die  beiden  Schenkel  odci 
Flügel  der  entsprechenden  Sättel  und  Mulden  in  symmetrischer  IjLgc  gcg^ 
den  Scheitel  der  Biegung  geneigt  sind,  wie  bei  a  in  der  Figur  oder  siod 
schief,  die  Neigung  ihrer  Flügel  ist  ungleich.  Wenn  die  beiden  Schenkel 
nicht  mehr  nach  entgegengesetzter  Richtung  geneigt  sind,  sondern  der  eine  voil- 

*)  HuM,  1.  c.  pag.  14. 


t>ie  Gebirge  und  ihr«  Cnbtehuiig. 


53' 


kommen  Ubergebogen,  übergekippt  erscheint  und  gleichzeitig  die  Neigung  gegen 
den  Horizont  eine  geringe  ist,  wird  eine  Falte  als  liegend  bezeichneL  Bei 
solchen  liegenden  Falten,  die  aus  einem  Schichtencom|^exe  bestehen,  erscheinen 
die  Schichten  in  pa- 


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3^ 


ralleler  I^age  und 
es  folgen  in  der 
Verticallinie  mehr- 
mals dieselben 
Schichten  in  ver- 
wendeter Folge  Über- 
einander. (In  der 
Figur  rechts  bei  c.) 
DieSattelstellung 
der  Schichten,  wo- 
durch dieselben  von 
einer  Linie  (im  Pro- 
file ein  Punkt)  beider-  ^ 
seits  abfallen,  nennt  ,' 
man  auch  Antilcli-  \ 
nale(a,i.d.Fig.)die  ' 
MuldenstellungSyn- 
klinale(a,,i.d.Fig.) 
Ist  hierbei  die  Nei- 
gung beider  Sattel- 
oder Mulden  fiUgel 
eine  gleichsinnige, 
so  nennt  man  sie 
isoklinal,  also  wie 
bei  c  in  (}er  Figur, 
im  entgegengesetz- 
ten Falle  hetero- 
klinal  (beia  u.  a,). 
Bei  isoklinaler  Stel- 
lung der  Schiebten 
müssen  die  einen 
FlUgel  noth  wendig 
Uberbogen  sein.  Be- 
finden sich  beide 
Mulden-  oder  Sattel- 
ffUgel  in  Uberkippter 
Stellung,  so  nehmen 
die  Falten  fächer- 
lärmige  Structur  an. 
(In  der  Figur  bei  d). 
Mit    dieser,     sowie 

aucb  mit  den  dicht  zusammengeschobenen  liegenden  Falten  ist  nicht  selten  eine 
vollständige  Verdrtlckung  der  inneren  Glieder  einer  Schichten  falte  verbunden,  so 
in  der  Figur  rechts  bei  c. 

Bei  den  Faltengebirgen  tritt  der  Unterschied  von  Längs-  und  Querthiüem 

34' 


■g  5-g  g  5  .-•5  g 

g  tili  ^■=■«3 
läsl  plji  s 

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532  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

ganz  besonders  hervor.  Jene  liegen  in  der  iJingsrichtung  der  Falten,  meist 
zwischen  zwei  Sätteln  oder  Gewölben,  während  die  Querthäler  die  Falten  duich- 
schneiden.  Aus  der  gleichen  Lage  der  Längsthäler  folgt  auch,  dass  sie  in  ihien 
Anfängen  die  gleichen  Bildungsursachen  haben,  wie  die  Falten  selbst.  Die  Quer- 
thäler hingegen  müssen  auf  andere  Ursachen  zurückgeführt  werden;  sie  sind,  wie 
Heim  sagt,  der  Faltung  zum  Trotze  modellirt.  Längsthäler  können  bezügtich 
ihrer  Lage  zur  Schichtenstellung  verschiedenartig  sein;  es  spricht  sich  in  der- 
selben meist  auch  der  genetische  Zusammenhang  mit  der  Faltung  deutlich  aus 

Der  natürlichste  und  einfachste  Typus  ist  das  Muldenthal  oder  Synkünalthal. 
das  überwiegend  durch  die  blosse  Faltung  gebildet  wird,  auch  ohne  Hinzutreten 
von  Zerreissungen  und  Erosion.  Ist  das  Thal  in  der  Kammlinie  eines  Sattels, 
einer  Antiklinale  eingesenkt,  so  ist  dasselbe  durch  Aufreissen  der  stark  gebogenen 
Schichten  im  Scheitel  des  Sattels  und  durch  Erosion  gebildet  (a,  in  der  Fig.).  Aber 
das  Aufreissen  ist  die  direkte  Folge  der  Faltung.  Liegt  ein  Thal  zwischen  Sattel 
und  Mulde  eingesenkt,  so  ist  es  wesentlich  durch  Erosion  entstanden.  In  beiden 
Thalgehängen  zeigen  die  Schichten  gleichsinnige  Neigung.  Daher  heisst  ein 
solches:  Isoklinalthal  (g  u.  f,  in  der  Fig.).  Von  den  Vorgängen  der  Faltung  sind 
diese  fast  ganz  unabhängig. 

Thäler  und  Kämme  können  aber  auch  in  ihrer  Richtung  zwischen  Quer- 
und  Längsthälem  in  der  Mitte  stehen  d.  h.  also  schief  zur  Faltung  veiiaufen 
In  einigen  Fällen  mögen  sie,  wie  manche  Querthäler,  in  diesem  Verlaufe  durch 
die  Existenz  von  Spalten  bedingt  sein,  die  in  Folge  der  Schichtenfaltung  ent- 
standen sind.     Vorwiegend  aber  sind  sie  nur  das  Resultat  der  Erosion. 

Neben  den  Falten  treten  aber  noch  andere  Dislocationsformen  aui,  in 
ihrer  Entstehung  allerdings  von  jenen  abhängig  oder  durch  die  gleichen  Be- 
wegungen erzeugt,  die  jene  hervorriefen:  die  Bruchspalten  oder  Verwerfungen. 
Wo  sie  durch  Aufreissen  einer  Falte  entstanden  und  durch  Ueberschiebung  der 
Faltentheile  ausgebildet  sind  und  in  der  Längsrichtung  der  Schichten  verlaufen, 
heissen  sie  Längsspalten  oder  Falten  Verwerfungen,  wenn  sie  die  Falten 
durchschneiden,  Querspalten.  Das  Nähere  hierüber  ist  im  Artikel  »Gänge* 
pag.  497  nachzusehen. 

Der  Grad  der  Faltung  oder  der  dazu  nothwendigen  Zusammenschiebung  be- 
dingt auch  durchaus  den  Charakter  der  Falten  und  deren  Gliederung.  Li^ende 
Falten  sind  stets  das  Zeichen  intensiveren  Zusammenschubes,  als  regelmässige, 
stehende  Falten.  Wenn  eine  ganze  Reihe  von  liegenden  Falten  nebeneinander 
liegt,  muss  eine  sehr  starke  Zusammenquetschung  stattgefunden  haben,  alle 
Thäler  und  Kämme  erhalten  dann  isoklinalen  Charakter.  Die  Wiederholung 
der  gleichen  Schichten,  die  oben  schon  hervorgehoben  wurde  ist  dann  der 
Nachweis  einer  wirklich  vorhandenen  Faltung,  aucii  wenn  durch  oberflächliche 
Zerstörung  und  durch  unerreichbare  Tiefe  die  Falte  selbst  nicht  im  Ganzen 
sichtbar  erscheint.  Eine  jüngste,  daher  ursprünglich  obere  Schicht,  auf  deren 
beiden  Seiten  ältere  in  symmetriscl.er  Reihe  folgen,  ist  der  zusamroengepresste 
Kern  einer  Mulde;  eine  älteste  Schicht,  von  der  aus  symmetrisch  nach  beiden 
Seiten  jüngere  folgen,  ist  der  Kern  eines  Sattels  (bei  c  in  der  Fig.).  Solche 
mehrfache  Faltung  mit  paralleler  Stellung  der  Schichten  ist  im  Inneren  der 
Kettengebirge  bei  tieferen  Schichtencomplexen  häufiger  zu  beobachten,  :\)s  in 
den  äusseren  Randfalten:  hier  äusserten  sich  die  faltenden  Kräfte  mit  grösserer 
Intensität.^) 

^)  Haim,  n.  pag.  197. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  533 

Zu  den  interessantesten  Formen  der  Gebirgsfaltung,  die  allerdings  auch  am 
schwierigsten  zu  deuten  sind,  da  sie  ein  fast  unbegreiflich  hohes  Maass  der  Zu- 
sammenschiebung voraussetzen,  gehören  die  zu  Doppelschlingen  zusammenge- 
bogenen Falten,  wie  sie  bei  c  in  der  Figur  dargestellt  sind.  Solche  liegende 
Doppelfalten  sind  in  den  Alpen,  in  Skandinavien  und  anderwärts  an  zahlreichen 
Stellen  nachgewiesen. 

Bei  ihnen  erscheinen  die  Mittelschenkel  d.  h.  die  zwischen  Sattel  und  Mulde 
als  gemeinsame  Flügel  liegenden  Theile  einer  Falte  stets  stark  reducirt,  ausge- 
waJzt  oder  ganz  zerquetscht,  so  dass  in  der  Regel  ganze  Schichten  oder  Schichten- 
folgen fehlen. 

Heim  hat  in  seinem  mehrfach  citirten  Werke,  I.  pag.  220,  eingehend  die  ver- 
schiedenen Möglichkeiten  solcher  Bildungen  und  ihre  Erklärung  erörtert  und  zwar 
an  einem  besonders  auffallenden  Beispiele  aus  den  Alpen,  an  der  sogen.  Glamer 
Doppelfalte.  Auf  seine  Erörterungen  mag  hiermit  verwiesen  werden.  Auch  auf 
die  Beziehungen  dieser  liegenden  Falten  mit  steigender  Verquetschung  der  Mittel- 
schenkel zu  Verschiebungen  und  Verwerfungen  hat  Heim  aufmerksam    gemacht. 

In  der  That  haben  der  Erscheinung  nach  solche  Falten,  filr  welche  die 
Wiederholung  derselben  Schichten  in  fast  paralleler  Lage  übereinander  charak- 
teristisch ist,  grosse  Aehnlichkeit  mit  Verschiebungen  längs  gewöhnlicher  Spalten, 
durch  welche  ebenfalls  gleiche  Schichten  anscheinend  sich  wiederholend  neben- 
einander zu  liegen  kommen.  In  vielen  Fällen  ist  die  Entscheidung  schwer,  ob 
die  eine  oder  die  andere  Deutung  den  beobachteten  Verhältnissen  am  besten 
entspricht 

Eine  Reihe  überaus  belehrender  Profile  theilte  neuerdings  auch  Brögger 
aus  der  silurischen  Formation  des  Gebietes  von  Christiania  in  Norwegen  mit.^) 
Auch  in  diesen  deuten  sich  viele  der  parallelen  Wiederholungen  wohl  cha- 
rakterisirter,  gleicher  Schichten  nebeneinander  unzweifelhaft  als  Doppelfalten 
mit  gänzlich  verquetschtem  Mittelschenkel,  als  Falten  Verwerfung  und  nicht  als 
gewöhnliche  Spalten  Verwerfung.  In  anderen  Fällen  ist  dieses  keinesweges  so 
ohne  Weiteres  nachzuweisen  und  es  ist  wohl  zu  beherzigen,  was  hierüber  Brögger 
im  Einzelnen  ausführt.^ 

So  lange  man  sich  eine  einzelne  Schicht  für  sich  gefalten  denkt,  wie 
man  das  etwa  mit  einem  Bogen  Papier  experimentell  nachzuahmen  vermag, 
dann  hat  das  Eintreten  überschobener  Doppel  falten  keine  Schwierigkeit.  Man 
versteht  dann  auch  vollständig,  dass  für  diese  Fälle  die  Deutung  Heim's  zu- 
treffend erscheint:  Der  Gewölbeschenkel  (Sattelflügel),  der  nach  oben  der  seit 
liehen  Pressung  ausgewichen  ist,  überschiebt  sich  oben,  der  Muldenschenkel 
unterschiebt  sich  in  der  Tiefe  nach  entgegengesetzter  Richtung.  Gewölbe- 
srhenkel  und  Mulden  Schenkel  erleiden  Stauung,  der  Mittelschenkel  da- 
zwischen liegt  zwischen  zwei  in  entgegengesetzter  Richtung  sich  bewegenden 
Schichtmassen  eingeklemmt,  enorm  belastet  durch  den  Gewölbeschenkel  and 
Gewölbekem  und  wird  zudem  noch  durch  eine  Componente  der  stauenden  Kraft 
gequetscht  Der  Mittelschenkel  erfahrt  dadurch  eine  mechanische  Wirkung,  die 
am  passendsten  als  ein  Auswalzen  bezeichnet  wird,  er  muss  dabei  länger  und 
schmäler   werden.     Es    gleiten    femer    die   geologisch    jüngeren   Schichten   des 


*)  W.  C.   Brögger,    Die    silurischen  Etagen    2  u.   3  im  Christianiagebiet   u.    auf  Ecker. 
Christiania  1882.     pag.   176  ff. 
*)  1.  c.  pag.  206. 


534  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

faltenden  Systems  auf  der  Unterseite  des  Mittelschenkels  nach  unten,  die  älteren 
auf  der  Oberseite  desselben  nach  oben.  Auch  hierdurch  wird  der  Mittelschenkel 
stets  dünner  ausgezogen  und  ausgewalzt,  zerreisst  auch  dabei  zuweilen  in  einzelne 
Fetzen.  Durch  fortgesetzte  Bewegung  dieser  Art  wird  endlich  Gewölbetheil  und 
Muldentheil  von  einander  abgescheert.  An  die  Stelle  des  Mittelschenkels  ist 
eine  Verschiebungsfläche  getreten,  es  ist  eine  Falten  Verwerfung  entstanden. 

Das  erscheint  allerdings  alles  einfach  und  plausibel,  so  lange  wir  es  mit 
einer  isolirten  Schicht  zu  thun  haben,  die  überall  fiir  die  ausweichenden  Be- 
wegungen der  gebildeten  Falten  Raum  findet  und  die  eine  grosse  Cohäsion  der 
Masse  besitzt,  so  dass  sie  nicht  zerreisst,  sondern  in  der  That  sich  biegt,  aus- 
zieht und  allmählich  verquetscht  In  der  Natur  aber  trefiFen  diese  Voraus- 
setzungen wohl  nicht  immer  ganz  zu  und  die  Bedenken,  die  Pfaff  aus  diesem 
Umstände  gegen  die  Erklärungen  Heim*s  hergeleitet  hat,  verdienen  doch  wohl 
einige  Beachtung.^) 

Die  Thatsache,  dass  solche  Faltenverwerfungen  mit  reducirten  oder  fehlenden 
Mittelgliedern  sich  finden,  kann  freilich  nicht  weggeleugnet  werden.  Nur  die 
Deutung  der  Erscheinung  wird  vielleicht  noch  eine  andere  sein  müssen.  Ein 
Umstand  scheint  in  der  That  noch  ganz  besonders  in  Betracht  gezogen  werden 
zu  müssen,  nämlich  der,  dass  es  sich  in  der  Natur  immer  um  die  gleichzeitige 
Faltung  ganzer  Schichtenfolgen  handelt. 

Denken  wir  uns  in  der  Figur  pag.  531.  die  Schichten  5,  6,  7  u.  8  zunächst  ein- 
mal für  sich  aus  dem  in  der  Figur  dargestellten  idealen  Profile  herausgelöst  und  zu 
einer  Falte  zusammengebogen,  so  ist  es  klar,  dass  in  der  nach  oben  geöfifoeten 
Mulde,  wie  z.  B.  bei  b  die  jüngeren  Schichten  5  u.  6  die  inneren  werden 
müssen,  dagegen  bei  dem  Sattel  die  ältere  Schicht  8,  wie  bei  a.  In  der  Mulde 
können  die  beiden  Flügel  derselben  z.  B.  der  Schicht  7,  deren  einer  gleichzeitig 
Sattelflügel  ist,  wenn  die  Mächtigkeit  der  Straten  intact  bleiben  soll,  nicht  weiter 
durch  ^ie  Faltung  sich  genähert  werden,  als  bis  zur  Entfernung  um  die  doppelte 
Mäclitigkeit  der  Schichten  5  u.  6,  die  in.  der  Mulde  doppelt  nebeneinander 
liegen.  Ebenso  müssen  im  Sattel  die  beiden  Flügel  der  Schicht  7  um  die 
doppelte  Entfernung  der  Mächtigkeit  von  8  im  Maximum  der  Faltung  noch  aus- 
einanderstehen. Je  mehr  aber  ganze  Schichten  complexe  d.  h.  aus  vielen,  be- 
deutende Mächtigkeit  besitzenden  Einzelschichten  bestehende  Folgen  durch  eine 
Kraft  zusammengeschoben  und  zur  Faltung  gezwungen  werden,  um  so  weniger 
kann  diese  bis  zur  Bildung  wirklich  liegender  Falten  fortschreiten,  da  die  inneren 
Schichten  der  Faltenmulden  und  Sättel,  die  Kerne,  mit  ihrer  Gesammtmächtigkeit 
dem  Zusammenschieben  ein  Hinderniss  setzen.  Die  Entfernung  dieser  ist  also 
die  erste  Bedingung  der  intensiven  Faltung. 

Jedenfalls  verhalten  sich  aber  die  über  einer  mittleren  Schicht  gelegenen 
Straten,  also  z.  B.  5  u.  6,  da  sie  auch  von  ganz  anderer  petrographischer  Be- 
schaffenheit sein  können,  dem  Bestreben,  sie  zu  entfernen,  gegenüber  anders,  vie 
die  Schichten  unter  7,  also  z.  B.  8.  Gleichartige  Bewegung  und  gleichmässtges 
Auswalzen  im  Sinne  Heim's  setzt  eine  gleichmässige  Beschaffenheit,  eine  gleich- 
massige  Cohäsion  und  Beweglichkeit  beider  Kerne  voraus.  In  der  Natur  möchte 
diese  nur  in  ganz  seltenen  Fällen  wirklich  vorhanden  sein. 

Aber  es  wird  in  Wirklichkeit  immer  eine  Schicht  in  gefalteten  Systemen  sich 
finden,  die  wie  in  unserer  Figur  die  Schicht  7  nicht  nur  als  eine  Leitschicht  ftir 


')  F.  Ppaff,  Der  Mechanismus  der  Gebirgsbildusg.    Heidelberg  l88a     pag.   138. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  535 

die  richtige  Erkennung  der  stratigraphischen  Anordnung,  sondern  gewissermaassen 
auch  als  Trägerin  der  Faltenbildung  angesehen  werden  kann,  in  dem  Sinne,  dass 
sie  nach  ihrer  petrographischen  Beschaffenheit  ganz  besonders  geeignet  ist,  die 
Faltung  durchzumachen,  ohne  dabei  in  irgend  einer  Weise  reducirt,  auffallend 
verquetscht  oder  unkenntlich  gemacht  zu  werden.  In  den  Profilen,  die  Brögger  ^) 
mittheilt,  tritt  dieses  mehrfach  deutlich  hervor.  Für  die  überaus  lehrreiche  Falte 
in  den  Silurschichten  von  Grundvick,  zwischen  Stemmestad  und  Närsnäs  in  Röcken 
im  südl.  Norwegen,  die  an  der  Steilküste  entblösst  ist,  spielen  unzweifelhaft  die 
dicken  Bänke  des  Orthocerenkalksteines  die  Rolle  der  wesentlichen,  die  Faltung 
leitenden  und  tragenden  Schicht.  Ihre  Oberfläche  erscheint  auch  als  die  Ebene, 
auf  der  die  Faltenverwerfung  erfolgt  ist.  Ganz  ähnlich  tritt  der  Einfluss  derselben 
Orthocerenkalksteine  auch  in  anderen  Falten  hervor;  sie  erscheinen  mehrfach 
auch  wie  eine  schützende  Decke  für  die  unterliegenden  Schichten. 

So  bezeichnet  denn  auch  Brögger  diese  dicken,  festen  Kalksteinbänke  als 
die  Grundbedingung  der  in  dieser  silurischen  Etage  so  häufigen  Bildung  von 
Ueberfaltungen  und  Faltenverwerfungen.  Als  vorzüglich  verschwunden  und  fort- 
gequetscht erscheinen  die  weichen,  ductilen  Schiefer.  Sie  glitten  auf  den  Kalk- 
steinbänken aus  ihrer  Lage.  In  den  Alaunschieferetagen,  in  denen  die  Kalksteine 
fehlen,  fehlen  auch  die  grossen  Falten,  welche  von  den  Kalksteinbänken  ge- 
tragen wurden;  hier  äusserte  sich  der  Zusammenschub  durch  eine  kleine,  oft 
scharf  geknickte  Fältelung  und  wird  hierdurch  compensirt.  So  wird  also  die 
Art  der  Zusammensetzung  einzelner  Schichtencomplexe  ganz  gewiss  als  maass- 
gebend  gelten  können  für  die  Ausbildung  bestimmter  Art  von  Faltung.  Die  Zu- 
sammensetzung eines  Schichtencomplexes  aus  einer  als  Trägerin  der  Faltung 
ganz  besonders  geeigneten,  mächtigen,  festen  und  widerstandsfähigen  Schicht 
und  vielen  anderen  über  und  unter  dieser  liegenden  dünneren,  weicheren,  ver- 
drückbaren Schichten  scheint  die  günstigsten  Bedingungen  zu  bieten  für  die 
Ausbildung  starker  Ueberfaltungen  und  Faltenverwerfungen.  Hieraus  kann  man 
dann  auch  folgern,  dass,  sowie  die  eine  mächtigere  Bank  als  Trägerin  der 
Faltung  gilt,  so  die  anderen  Schichten  in  erster  Linie  als  die  ausweichenden, 
sich  verquetschenden  Schichten  anzusehen  sind. 

Gehen  wir  also  nun  bei  der  Betrachtimg  der  Vorgänge  einer  Ueberfaltung 
von  einer  solchen  Schicht  aus,  die  von  ductileren  bedeckt  und  unterlagert  wird, 
so  kann  diese  Schicht  gewissermaassen  als  das  Gefäss  gelten,  in  welchem  bei 
einer  Faltung  der  Complex  der  jüngeren  Schichten  als  Muldenkem,  der  der 
älteren  als  Sattelkem  gefasst  und  getragen  wird.  Erst  durch  Entfernung  der 
Kerne  wird,  wie  vorhin  gezeigt  wurde,  eine  Ueberfaltung  möglich  werden.  Durch 
die  Zusammenpressung  werden  also  zunächst  die  Schichten  im  Muldenkeme  auf- 
wärts geschoben,  die  im  Sattelkeme  abwärts.  Nur  hier  hindern  die  Wände  des 
Gefässes  das  Ausweichen  nicht.  Ein  Theil  des  Ausweichens  erfolgt  vielleicht 
auch  durch  Streckung  in  der  Richtung  des  Streichens,  davon  wollen  wir  hierbei 
absehen,  da  es  nicht  die  Art,  sondern  nur  das  Maass  der  noch  auf  andere  Weise 
nöthigen  Verkürzung  beeinflusst.  Die  Aufwärtsbewegung  der  Schichten  im 
Muldenkeme  beim  Zusammenpressen  der  Gefässwände  ist  ohne  Weiteres  denkbar, 
dagegen  kann  die  Abwärtsbewegung  des  Sattelkemes  eigentlich  nicht  angenommen 
werden,  da  nach  unten  ein  Nachgeben  nicht  möglich  erscheint.  Es  muss  dem- 
nach die  Wand  des  Gefässes  in  der  entgegengesetzten  Richtung  d.  h.  aufwärts 


')  L  c.  pag.  190  ff. 


53^  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

bewegt  werden.  Es  resultirt  also  aus  der  Zusammenpressung  eine  Aufwärtsbe- 
wegung der  Hauptschicht  von  der  Mitte  des  Mittelschenkels  an  und  mit  ihr  aller 
über  ihr  liegenden  Schichten,  den  ganzen  Muldenkem  eingeschlossen.  Das  isi 
aber  gleichbedeutend  mit  einer  Ueberschiebung  des  Sattels  über  die  Mulde,  einer 
Faltenverwerfung.  Denken  wir  dann  eine  Horizontale  durch  die  Mitte  der  Mulde 
gelegt,  so  trifft  diese  natürlich  die  Sattelschichten  nicht  mehr,  dieselben  erscheinen 
reducirt,  verquetscht,  z.  Th.  verschwunden.  An  eine  wirkliche  mechanische  Ver- 
quetschung  ist  dann  aber  nicht  immer  nothwendig  zu  denken,  wenngleich  sie 
nicht  ausgeschlossen  ist.  In  vielen  Fällen  erscheint  das  Fehlen  der  Schicht  in 
einem  bestimmten  Niveau  eben  nur  ein  scheinbares,  sie  ist  in  einer  höheren 
Niveaulage  zu  suchen. 

Da  die  höheren  Theile  am  meisten  der  Denudation  unterliegen,  so  sind  in 
vielen  Fällen  die  aufwärts  bewegten  Theile  nicht  mehr  nachzuweisen.  Bei 
den  Faltenverwerfungen  im  Gebiete  von  Christiania  sind  die  weicheren  Schiefer 
theils  vorwiegend  aus  dem  Mittel  Schenkel  und  dem  Muldenkeme  weggequetscht, 
die  Muldenbiegung  dagegen  z.  Th.  bewahrt,  während  hingegen  von  der  Gewölbe- 
oder Sattelbiegung  keine  Spur  mehr  vorhanden  ist,  dagegen  der  Sattelkem  dn 
geringeres  Maass  der  Raumverkürzung  zeigt.  Das  scheint  mit  unseren  Voraus- 
setzungen übereinzustimmen. 

Aber  wie  man  sich  auch  im  Einzelnen  die  Vorgänge  dieser  intensiven 
Faltungen,  Ueberfaltungen  und  Faltenverwerfungen  denken  mag,  wie  man  sich 
das  Verhalten  der  Gesteine  selbst  bei  dieser  Faltung,  ihre  plastische  oder  nicht 
plastische  Beschaffenheit,  vorstellt,  das  eine  lässt  sich  nicht  mehr  bestreiten:  die 
Faltung  selbst  und  also  ein  gewissermaassen  plastisches  Verhalten  ist  keine 
Hypothese  mehr,  sondern  eine  Beobachtung.^) 

Darin  beruht  nun  aber  die  andere  Hälfte  der  Lösung  des  Problems  der 
Faltenbildung:  wie  war  es  möglich,  dass  Gesteine,  die  wir  als  feste,  harte,  spröde 
Massen  kennen,  solche  Biegungen,  Fältelungen  und  Verquetschungen  durch- 
machten und  doch  noch  als  zusammenhängende,  anscheinend  nicht  zerstückelte 
Straten  erscheinen  und  endlich,  welches  war  die  gewaltige  Kraft,  welche  diese 
Faltungen  und  Zusammenschiebungen  bewirkte  und  woraus  ist  diese  Kraft  her- 
zuleiten? 

Aus  zahlreichen  Beobachtungen  geht  unzweifelhaft  hervor,  dass  die  Gesteine 
der  Gebirge,  als  sie  die  Biegungen  und  Faltungen  erlitten,  in  festem,  hartem  Zu- 
stande sich  befanden  wie  heute.  Ein  plastisches  Verhalten  kann  ihnen  daher 
ohne  Weiteres  nur  innerhalb  der  Grenzen  zuerkannt  werden,  innerhalb  deren 
wir  auch  heute  an  Gesteinen  eine  gewisse  Biegsamkeit  wahrnehmen.  Wir  sehen 
Kalksteinplatten  auf  Oefen,  die  einer  oftmaligen  Erwärmung  und  Abkühlung  aus- 
gesetzt sind,  sich  krumm  ziehen.  Lange  Granitsäulen,  die  sich  längere  Zeit  in 
horizontaler  Lage,  nur  an  den  beiden  Enden  unterstützt,  befinden,  bi^en  sich 
durch  ihre  eigene  Schwere  in  der  Mitte  ein  u.  dergl.  Aber  dabei  handelt  es 
sich  immer  nur  um  ganz  minimale  Bewegungen.  Grössere  Biegungen  können  vir  an 
Gesteinen  nicht  ausführen,  ohne  dass  ein  Uebersch reiten  ihrer  engen  Elastidtäts- 
grenzen  stattfindet  d.  h.  dass  sie  zerbrechen. 

Und  doch  sollte  man  nach  den  Erscheinungen  der  Faltung  annehmen,  dasis 
die  Gesteine  weich  gewesen  seien,  wie  plastischer  Thon. 

Heim  kam  zu  der  Annahme,  dass  Gesteine  unter  hohem  Druck  wirklich  eine 


0  Bröggek,  1.  c.  pag.  224. 


Die  öebirge  und  ihre  Entstehung.  537 

Art  molecularer  Plasticität  erhalten.  In  einer  gewissen  Tiefe  unter  der  Erd- 
oberfläche, so  lautet  in  der  Kürze  seine  Theorie,  sind  die  Gesteine  weit  über  ihre 
Festigkeit  hinaus  belastet  Dieser  Druck  pflanzt  sich  nach  allen  Richtungen  fort, 
so  dass  ein  allgemeiner,  dem  hydrostatischen  Drucke  entsprechender  Gebirgs- 
druck  allseitig  auf  die  Gesteinstheilchen  einwirkt.  Dadurch  sind  dort  die 
sprödesten  Gesteine  in  einen  latent  plastischen  Zustand  versetzt.  Tritt  eine 
Gleichgewichtsstörung  durch  eine  neue  Kraft  —  den  gebirgsbildenden  Horizontal- 
schub —  hinzu,  so  tritt  die  mechanische  Umformung  in  dieser  Tiefe  ohne 
Bruch,  in  zu  geringen  Tiefen  bei  den  spröderen  Materialen  mit  Bruch  ein. 

Bei  der  Umformung  ohne  Bruch  denkt  Heim  sich  in  der  That  die  Molecüle 
selbst  spröder  Gesteine  verschiebbar,  wie  diejenigen  plastischer  Massen.  Während 
die  Umformung  durch  Bruch  nur  an  einzelnen  Stellen  die  Starrheit  in  der  Lage 
der  Theilchen  überwindet  und  zu  wirklicher  Trennung,  wenn  auch  nur  im  mini- 
malsten Maassstabe,  der  einzelnen  Theile  von  einander  ftihrt,  geschieht  die  Um- 
formung ohne  Bruch  an  einer  im  Vergleich  damit  unendlich  grossen  Zahl  von 
Stellen,  wenn  auch  in  etwas  anderer  Weise. 

Pfaff^)  hat  gegen  die  Theorie  auf  experimentellem  Wege  Einwände  zu 
führen  versucht.  Es  gelang  ihm  niclit  durch  Anwendung  starker  Druckwirkungen 
auf  Gesteine,  dieselben  plastisch  zu  erhalten;  auch  bei  einem  7  Wochen  lang 
fortgesetzten  Drucke  von  9970  Atmosphären.  P2inen  solchen  Druck  würde  man 
aber  nach  Pfaff  erst  in  einer  Tiefe  von  36  Kilometern  im  Inneren  der  Erde  an- 
treffen. Heim  nahm  an,  dass  schon  ein  Druck  einer  Gesteinsmasse  von  2600  Meter 
ausreiche,  um  das  völlige  Plastischwerden  zu  bewirken.  Dieser  Druck  würde 
aber  nur  703  Atmosphären  entsprechen. 

Damit  stimmen  allerdings  in  gewissem  Sinne  auch  die  Resultate  der  über- 
aus interessanten  Versuche  von  Spring*)  überein,  der  die  Einwirkung  sehr  hohen 
Druckes  auf  das  Verschweissen  und  Legiren  von  Metallen,  auch  auf  die  Mög- 
lichkeit chemischer  Reactionen  unter  Druck  geprüft  hat.  Metalle  nehmen  in  der 
That  unter  einem  Druck  von  5—7500  Atmosphären  eine  der  flüssigen  ähnliche 
Beschaffenheit  an;  sie  seh  weissen  zusammen,  legiren  sich,  feines  Pulver  wird  zu 
festen  Blöcken  vereinigt,  Wie  sie  durch  Schmelzen  erhalten  werden.  Blei  ent- 
weicht bei  5000  Atmosphären  durch  die  Fugen  der  Apparate  wie  eine  dünnflüssige 
Masse. 

Auch  der  Thon  wird  bei  einem  Drucke  von  5000  Atmosphären  plastisch 
und  fängt  an  zu  gleiten.  Vollkommen  negativ  aber  waren  die  Versuche  mit  der 
Kieselsäure,  oflenbar  weil  die  Härte  derselben  zu  gross  ist.  Da  nun  aber  gerade 
diese  als  wesentlichster  Bestandtheil  der  meisten  Gesteine  eine  Hauptrolle  spielt, 
so  scheint  daraus  in  der  That  gefolgert  werden  zu  dürfen,  dass  ein  Plastisch- 
werden an  Kieselsäure  reicher  Gesteine  auch  unter  sehr  hohem  Drucke  nicht  zu  er- 
warten ist  Andererseits  freilich  sind  die  Versuche  Spring's  dadurch  von  grosser 
Bedeutung,  als  sie  zeigen,  dass  wenigstens  für  weichere  Substanzen,  also  z.  B. 
Thone  und  vielleicht  auch  Kalksteine  ein  Plastischwerden  nicht  so  ganz  un- 
möglich erscheint.  Dass  ferner  unter  hohem  Drucke  chemische  Reactionen  ein- 
treten, ist  ebenfalls  von  Wichtigkeit.  Sie  sind  ohne  Zweifel  Übersoll  auch  bei  der 
Faltung  und  Zusammenpressung  der  Gesteine  durch  den  mechanischen  Druck 
eingeleitet  oder  dadurch  unterstützt  worden  und  mögen  ganz  besonders.  Überall 
im  unmittelbaren  Gefolge  der  Faltung  auftretend,  die  damit  eingetretenen  Bruch- 

*)  1.  c  pag.  4. 

^  Bullet,  de  TAcad.  royale  Beige  1880.     a.  Ser.  XLIV.     pag.  333. 


53S  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Wirkungen  unsichtbar  gemacht  oder  wenigstens  so  ausgeheilt  haben,  dass  sie  nar 
schwer  zu  erkennen  sind. 

Zu  ähnlichem  Schlüsse  kam  auch  Stapf  ^)  in  theoretischen  Betrachtungen 
über  die  Mechanik  der  Schichtenfaltungen.  Auch  nach  ihm  dari  flir  den 
Faltungsprocess  starrer  Schichten  durch  Seitenschub  keine  eigentliche  Plasticität 
derselben  vorausgesetzt  werden;  der  Faltungsvorgang  ist  vielmehr  mit  2^nnalmung 
des  Gesteines  verkntipft,  dessen  Scherben  und  Pulver  aber  nachmals  verkittet 
werden,  und  zwar  vornehmlich  auf  nassem  Wege. 

Auch  Brögger  scheint  in  Folge  seiner  Untersuchungen  im  Silurgebiete  von 
Christiania  mehr  zu  der  Ansicht  gekommen  zu  sein,  dass,  trotzdem  die  Schichten 
an  einzelnen  Stellen  so  gestaut  erscheinen,  als  ob  sie  ein  weicher  Thonbrei 
gewesen  wären,  sie  dennoch  nicht  wirklich  molecular-plastisch  waren,  als  sie 
sich  falteten,  sondern  nur  ein  scheinbar  plastisches  Verhalten  vorlag,  derart 
dass  die  festeren  Gesteine  einer  bis  ins  Kleinste  gehenden  Zermalmmig  unter- 
lagen und  auch  die  verquetschten  Schichten  nicht  im  molecular  plastischen  Zu- 
stande auswichen,  sondern  nur  durch  die  reibende  und  gleitende  Bewegung  der 
gepressten  und  gestreckten  Massen  bis  zu  den  kleinsten  Partikelchen  aufgerieben 
wurden. 

In  der  That  lassen  alle  die  Erscheinungen,  die  ganz  besonders  der  Ausdruck 
eines  gewissermaassen  plastischen  Verhaltens  der  Gesteine  sind:  Streckungser- 
scheinungen,  z.  B.  langgezogene  Belemniten,  plattgedrückte  Ammoniten,  gestreckte 
Geschiebe,  Biegungen  von  Krystallen  u.  dergl.  in  den  Gesteinen,  die  Schieferung 
oder  sogen.  Clivage,  die  zur  Schichtung  transversal  gestellt  ist,  doch  in  ihrer  Be- 
gleitung, wenn  auch  manchmal  erst  in  mikroskopischer  Kleinheit  zahllose  kleine 
Brüche,  Gleitflächen,  Verschiebungen  wahrnehmen,  die  auf  eine  Umformung 
durch  Ueberschreitung  der  Elasticitätsgrenze  an  unendlich  vielen  Stellen,  also 
doch  mit  Bruch  hinweisen. 

Freilich  ist  die  stets  mit  der  mechanischen  Umformung  innig  verbundene 
Mineralneubildung  in  vielen  Fällen  die  Ursache,  dass  jene  winzigen  Discontinut- 
täten  wieder  ausheilen  und  der  Eindruck  vollkommen  bruchloser  Faltung  in  den 
Gesteinen  erhalten  wird.  Werden  doch  auch  auf  die  mechanische  Einwirkung  die 
sogen,  metamorphischen  Umwandlungsvorgänge,  die  Contactmetamorphose,  zu- 
rückgeführt, wie  in  dem  Artikel :  Metamorphismus  nachzusehen  ist  Baltzer^  hat 
das  Verdienst,  das  merkwürdige  Ineinandergreifen  von  Gneiss  und  Kalk  in  den 
Alpen,  wofür  bisher  eine  befriedigende  Erklärung  fehlte,  als  das  Resultat  derge- 
birgsbildenden  Gesteinsfaltungen  sicher  nachgewiesen  und  gleichzeitig  auf  die  da« 
durch  bedingten  metamorphischen  Processe  aufmerksam  gemacht  zu  haben. 

Auch  J.  Lehmann,^)  der  eingehende  Untersuchungen  über  die  Umformungs-  und 
Faltungserscheinungen  an  den  sächsischen  Granuliten  angestellt  hat,  kommt  in 
einer  allerdings  nur  vorläufigen  Mittheilung  über  die  Resultate  seiner  auf  ausge- 
dehnter mikroskopischer  Durchforschung  jener  und  vieler  anderer  Ges^ne  basiiteo 
Studien  zu  dem  Schlüsse,  dass  das  plastische  Verhalten  der  Gesteine  bei  ihrer 
Faltung  doch  nur  ein  scheinbares  gewesen,  dass  man  dabei  keinesweges  an  einen 
vorübergehend  weichen  Zustand  der  Gesteine  zu  denken  habe,  sondern  dass 
sie  während  der  Umformung   ebenso  fest  und  starr  waren,  wie  sie  uns  jetzt  er- 

^)  N.  Jahrb.  f.  Min.    1879.     pag.  292  u.  792. 

^  Der  mechanische   Contact  von   Gneiss  und  Kalk   im  Bemer  Obcriand,   mit  Atlas  und 

Karte.  20.  Lief,  der  Beiträge  cur  geol.  Karte  der  Schweix. 

>)  Sitzungsber.  der  niederrhein.  GtB.  für  Natur-  und  Heükunde.    XXXVL  1S79.    pag.  Ji'- 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  539, 

scheinen.  Eine  wenn  auch  im  Kleinsten  sich  vollziehende  wirklicheLockerung 
und  Zerreissung  hat  in  allen  Fällen  stattgefunden,  und  nur  die  gleichzeitig 
durch  den  Druck  hervorgerufenen  stofflichen  Umänderungen  und  Neubildungen 
lassen  es  später  so  erscheinen,  als  ob  eine  bruchlose  Umformung  im  Sinne 
Heim's  sich  vollzogen  hätte. 

Aber  dahin  wird  man  die  etwas  abweichenden  Ansichten  über  den  Zustand 
der  Gesteine  bei  ihrer  Faltung  doch  zusammenfassen  dürfen:  Die  Faltung 
wurde  ermöglicht  durch  ein  gewissermaassen  plastisches  Verhalten 
der  starren  Gesteinsschichten. 

Welches  war  aber  nun  die  Kraft,  welche  die  gewaltigen  Faltenbiegungen  der 
Gebirgsschichten  bewirkte  und  wodurch  wurde  diese  Krafl  erregt? 

Es  giebt  überhaupt  nur  3  Möglichkeiten,  um  eine  ebene  flache  Schicht  zu 
biegen:  eine  hebende  Kraft  kann  von  unten  nach  oben  gegen  dieselbe  wirken 
und  so  die  Schicht  zum  Gewölbe  umbilden:  Erhebungstheorie;  eine  beider- 
seitig unterstützte  Schicht,  die  in  der  Mitte  der  Unterlage  beraubt  wird«  sinkt 
ein  und  bildet  eine  Mulde:  Einsenkungstheorie;  oder  eine  Schicht  wird  von 
einer  Seite  gegen  ein  Hinderniss  oder  gleichzeitig  von  beiden  Seiten  zusammen- 
geschoben: Theorie  des  Horizontalschubes  oder  der  tangentialen 
Pressung.!) 

Es  wurden  schon  im  Vorhergehenden  Beispiele  angedeutet,  bei  denen  er- 
hebende, radial  aus  dem  Inneren  der  Erde  nach  der  Oberfläche  gerichtete  Be- 
wegungen vorkommen  können,  sowie  ebenso  solche,  die  in  der  That  das  Vor- 
handensein von  Dislocationen  durch  Einsenkung  documentiren.  Aber  beide 
Arten  haben  nur  locale  Bedeutung  oder  die  Tektonik  der  Stellen  ist  eine  gänz- 
lich abweichende  von  der  in  den  Faltengebirgen .  Dass  im  Grossen  die  Theorie 
der  Hebungen  ebensowenig  wie  die  der  Senkungen  die  Erscheinungen  der 
Faltengebirge  zu  erklären  vermag,  das  folgt' in  erster  I^inie  aus  dem  Bau  dieser 
Gebirge  selbst. 

Eine  Erhebung  der  Schichtencomplexe  von  unten  würde  die  Ausbildung 
eines  einzigen  grossen  Sattels  erfordern,  dem  alle  anderen  Biegungen  nur  als 
untergeordnete  Details  sich  einfligten.  Zu  der  Achse  der  Erhebung  müssten 
nothwendig  die  gehobenen  Schichten  eine  beiderseitig  symmetrische  Stellung 
zeigen.  Kettengebirge,  die  aus  einer  einzigen  Schichtenwölbung,  einer  einzigen 
Falte  bestehen,  sind  ebenso  wenig  bekannt  wie  solche,  die  einen  symmetrischen 
Bau  besitzen. 

Es  wurde  schon  vorher  ftir  den  Jura  angegeben,  dessen  Tektonik  genauer 
als  die  eines  anderen  Gebirges  bekannt  ist,  dass  in  ihm  im  Ganzen  ungefähr 
160  Falten  nachzuweisen  sind.  In  der  Querrichtung,  dort  wo  das  Gebirge  seine 
Hauptentwicklung  hat,  liegen  10 — 1 2  Parallelfalten  hintereinander.  In  den  Alpen, 
selbst  wenn  man  nur  die  kettenbildenden  Hauptfalten  rechnet,  würde  in  einem 
Querprofll  die  Zahl  derselben  gewiss  20—30  betragen.  Und  so  erscheinen  auch 
alle  anderen  Kettengebirge  aus  mehr  oder  weniger  zahlreichen  Parallelfalten  zu- 
sammengesetzt    Dieselben  erscheinen  als  selbständige  Falten  hintereinander. 

Nur  bei  den  Faltungen  der  grossen  Steinkohlenmulden,  wo  die  Hauptmulde 
aus  zahlreichen  kleineren,  sogen.  Specialsätteln  und  Mulden  sich  zusammenfügt, 
könnte  fliglich  daran  gedacht  werden,  dass  diese  durch  eine  Einsenkung  eines  in 
bestimmter  Richtung  langgestreckten  Areales  entstanden  seien,  wobei  die  beiden 


')  BezUgl.  der  histor.  Entwicklung  der  verschiedenen  Theorieen  sei  auf  SUESS,   Entstehung 
der  Alpen,  Wien  1875,  pag.  i,  verwiesen. 


540  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Hauptflügel  der  Mulde  durch  Zusammenschieben  in  sich  die  Specialfaltung  er- 
litten haben. 

Bei  den  Kettengebirgen  aber  mit  ihrem  regelmässigen  Wechsel  von  unab- 
hängigen Sätteln  und  Mulden  ist  an  eine  Entstehung  durch  Einsenkung  auch 
dann  nicht  zu  denken,  wenn  man  die  Möglichkeit  zugeben  wollte,  dass  die  Vor- 
bedingungen zu  solcher  in  allgemeinerer  und  nicht  nur  localer  Ausdehnung  in 
der  Erdrinde  sich  fänden. 

Die  Annahme  einer  gewissen  Symmetrie  im  Baue  der  Kettengebirge  fand 
vornehmlich  darin  eine  Stütze,  dass  man  als  Kern  derselben  alte  kiystallinische 
Schiefer  und  Granite  fand,  die  sogen.  Centralmassive,  und  diesen  die  active  Rolle 
der  erhebenden  Kraft  zuwies.  Aber  schon  das  Fehlen  solcher  CentralmassivV 
in  vielen  ausgezeichneten  Faltengebirgen  ist  der  unwiderlegliche  Beweis,  dass  die 
Faltung  eine  von  diesen  unabhängige  Erscheinung  ist.  Die  Alpen,  Cevcnncn, 
Ural,  die  östlichen  Pyrenäen  sind  Kettengebirge  mit  Centralmassiv's,  dagegen  be- 
sitzen der  Jura,  die  rheinischen  Schiefergebirge,  der  Teutoburgerwald,  die  West- 
Pyrenäen  keine  solche. 

Schon  in  dem  vorhin  angeführten  Beispiele  des  Schwarzwaldes  wurde  erörtert, 
(pag.  529)  wie  das  Centralmassiv  unabhängig  sein  müsse  von  der  Aufwärtsbiegung 
der  Schichten.  Diese  Erfahrung  kann  nun  als  eine  ganz  allgemeine  bezeichnet 
werden.  In  allen  Kettengebirgen  hat  man  erkannt,,  dass  den  Centralroassiv's 
keinesweges  eine  active,  hebende  Rolle  zugetheilt  werden  kann,  sondern  dass  sie 
sich  passiv  verhalten  haben,  wie  die  gefalteten  und  zusammengeschobenen 
Schichten. 

In  der  Tiefe  hängen  die  Gesteine  der  Centralmassive  zusammen,  ganz  ähn- 
lich wie  ältere  gefaltete  Sedimente  aus  jüngeren  Ablagerungen  auftauchen,  die 
ihren  Rändern  aufgelagert  sind.  Nur  oberflächlich  sind  die  Centralniassiv*s  ge- 
trennt durch  die  zwischen  dieselben  muldenförmig  eingeklemmten  jüngeren  Ge- 
bilde. Nur  da,  wo  die  Faltung  der  jene  bedeckenden  Formationen  eine  sehr  in- 
tensive ist  oder  wo  die  Erosion  die  bedeckenden  Falten  bis  auf  den  Centralkem 
zerstört  hat,  werden  sie  überhaupt  sichtbar. 

Kettengebirge  mit  Centralmassiven  sind  die  intensiver  gefalteten  Stellen» 
solche  ohne  Centralmassive  die  etwas  weniger  stark  gefalteten  Stücke  der  Erd- 
rinde; oft  ist  es  nicht  einmal  die  Intensität  der  Faltung,  sondern  nur  das  höhere 
Maass  der  Verwitterung,  das  die  Verschiedenheit  von  Kettengebirgen  bezüglich 
eines  Centralkemes  bedingt. 

Ganz  besonders  aber  tritt  die  Unabhängigkeit  der  Faltung  von  einem  cen- 
tralen Kerne  in  der  meist  unsymmetrischen  I^age  dieses  selbst  zum  Gebirge  her^'or 
und  dort,  wo  ein  solcher  fehlt,  in  der  unsymmetrischen,  durchaus  einseitigen 
Ausbildung  der  Kettengebirge  überhaupt. 

Dana  und  andere  amerikanische  Geologen  haben  die  Einseitigkeit  der  Ge- 
birgsketten schon  längst  erkannt  und  ausgesprochen,  sowohl,  dass  die  Falten  eines 
solchen  Gebirges  nicht  beiderseits  zu  einer  Mittellinie  symmetrische  Stellung  be 
sitzen,  als  auch  dass  die  zu  beiden  Seiten  eines  Centralmassiv's  liegenden  2^nen 
jüngerer  Ablagerungen  nicht  gleichwertig  in  Bau  und  Entwicklung  sind. 

SuEss  hat  in  seiner  balinbrech enden  Schrift:  »Die  Entstehung  der  Al}>en« 
dann  ftir  fast  alle  einigermaassen  bezüglich  ihrer  geog;nostischen  Structur  be- 
kannten Kettengebirge  den  Beweis  geführt,  dass  sie  einen  einseitigen  Bau  auf- 
weisen. Er  geht  noch  einen  Schritt  weiter.  Indem  er  aus  der  Tektonik  der 
Faltengebirge  den  Schluss  zieht,  dass  Bewegungen  der  Erdrinde  im  horixonulcn 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  241 

Sinne,  also  ein  Zusammenschub,  die  Grundlage  zur  Gestaltung  derselben  gegeben, 
leitet  er  aus  besonderen,  sich  in  auffallender  Regelmässigkeit  wiederholenden 
Formen  der  Kettengebirge  auch  die  Richtung  her,  aus  der  die  faltende  Bewe- 
gung gekommen.  Ganz  besonders  ist  es  die  Ueberstürzung  der  äusseren  Falten 
der  Kettengebirge  nach  der  Richtung  des  stauenden  Hindernisses,  welche  recht 
auffallend  erscheint.  Tritt  doch  auch  schon  in  der  ganzen  Anordnung  der  Falten 
die  Richtungslinie  auf  das  Bestimmteste  hervor,  in  welcher  der  Zusammenschub 
w^irkte.  In  den  westlichen  Gebirgsketten  von  Nord-Amerika,  der  Coast  Range 
und  Sierra  Nevada  ist  die  Richtung  der  Bewegung  nach  Ostnordost,  in  den 
parallelen  Ketten  der  atlantischen  Seite,  den  AUeghanies,  dagegen  nach  Nordwest 
gelegen.  In  Europa  sind  die  Gebirgszüge  kürzer,  aber  die  einseitige  Richtung 
der  Bewegung  ist  dieselbe.  In  den  Pyrenäen  deutet  sie  gegen  Nordnordost,  im 
appenninischen  Zweige  des  Alpen-Systems  nach  Nordost,  in  den  Westalpen  nach 
West,  nach  Nordwest  und  dann  nach  Nord,  im  Juragebirge  nach  Nordwest. 
Deutlich  treten  die  einseitigen  Bewegungen  in  den  rheinischen  Gebirgen  auf,  wo 
vom  Taunus  und  Hundsrück  bis  zum  rheinischen  Kohlengebirge  und  durch  die 
Eifel  bis  zu  den  Ardennen  und  den  belgischen  Kohlenfeldem  hin  alle  Gebirge 
als  eine  ziemlich  einseitige  Folge  nordöstlich  streichender  Falten  angesehen 
werden  können.  Das  hatten  die  Arbeiten  von  Dechen's,  Dümont's,  Baur's  schon 
mit  aller  Sicherheit  nachgewiesen. 

Auch  für  die  gewaltigen  Gebirge  Central-Asiens  hebt  Suess  die  Einseitigkeit 
des  Baues  hervor,  aber  während  in  Nord-Amerika  und  Europa  die  Richtungen 
des  Zusammenschubes  vorherrschend  nach  Norden  verweisen,  scheinen  in  Central - 
Asien  die  Bewegungen  nach  Süd  oder  Südwest  zu  streben. i) 

Ueberall  aber  tritt  unverkennbar  die  Thatsache  hervor,  dass  die  Kettenge- 
birge durch  einen  Zusammenschub  gefaltete  Gebiete  der  Erdrinde  sind,  dass 
nirgendwo  eigentliche  Verticalbewegung,  sondern  nur  horizontale,  tangentiale  Be- 
wegung diesen  Zusammenschub  bewirkt  hat. 

Eine  überaus  einfache  Betrachtung  fiihrt  uns  nun  unmittelbar  auf  die  Ursache 
dieser  tangentialen  Bewegung. 

Denken  wir  in  irgend  einem  Kettengebirge  die  sammtlichen  vorhandenen 
Falten  wieder  ausgeebnet  und  glatt  in  eine  Ebene  gelegt,  so  würden  natürlich 
die  Schichtencomplexe  einen  sehr  viel  bedeutenderen  Oberflächenraum  bean- 
spruchen als  im  gefalteten  Zustande.  Wir  erhalten,  wie  Heim  dieses  passend  aus- 
drückt, ein  Zu -viel  von  Erdrinde.  Dieser  Zustand  konnte  nur  entstehen,  indem 
entweder  die  Rinde  sich  ausdehnte  oder  der  Kern  der  Erde  zusammenschrumpfte. 
Für  beide  Vorgänge  können  wir  ein  Beispiel  wählen.  Ein  mit  Papierüberzug 
bedeckter  Globus,  dessen  Kern  aus  Gyps  besteht,  werde  äusserlich  befeuchtet. 
Das  Papier  dehnt  sich  aus  und  wirft  über  den  Kern  hin  Falten.  Den  anderen 
Vorgang  zeigt  uns  ein  austrocknender  Apfel,  hier  schwindet  der  Kern  und  die 
Schale  wird  zu  gross  und  runzelt  sich  zusammen. 

Für  die  Erde  haben  wir  aber  keinerlei  Anzeichen,  dass  die  Rinde  derselben 
gewachsen  sei  und  kaum  erscheint  es  möglich,  eine  Erklärung  ftir  eine  solche 
Hypothese  zu  finden.  Es  muss  demnach  im  Schwinden  der  Kemmasse  der  Erde 
die  Ursache  der  Faltung  ihrer  Oberfläche  liegen.  Daftir  aber  giebt  uns  die  all- 
gemein angenommene  Theorie  ihrer  Entwicklung  ohne  Weiteres  die  Erklärung. 
Die  Erde  ist  ein  erkaltender  und  darum  ein  sich  contrahirender  Körper.  (Vergl. 
Artikel:   »Der  Erdbälle) 

^)  Suess,  L  c.  pag.  144. 


542  Minenlogie,  Geologie  and  Palaeontologie. 

*  Hierbei  ist  dann  freilich  ein  Umstand  von  grosser  Bedeutung.  Ist  das  Maass 
der  Zusammenschiebung,  das  wir  an  genauer  bekannten  Ketten-Gebirgen  aus  der 
Ausglättung  ihrer  Falten  annähernd  berechnen  können  und  woraus  weiterbin  das 
Maass  der  Verkürzung  des  Erdradius  durch  Contraction  sich  ergeben  wird,  das 
nothwendig  war,  um  jene  Schrumpfung  zu  erzeugen,  ist  dieses  Maass  in  der  That 
mit  unseren  theoretischen  Annahmen  über  die  Abkühlung  der  Erde  und  ihre 
Contraction  in  Uebereinstimmung  zu  bringen? 

Das  Maass  der  anzunehmenden  Schrumpfung  ist  allerdings  ein  überaus  bedeu- 
tendes. Heim  berechnet  aus  genauen  Profilen  durch  den  Jura  den  Zusammen- 
schub,  der  dieses  Gebirge  bildete,  auf  etwa  5000  Meter.  Für  die  Alpen  betragt 
er  ungefähr  120000  Meter.  Das  heisst,  ein  Punkt  südlich  der  Alpen  (z,  B.  die 
Stelle,  wo  jetzt  Como  liegt)  und  ein  Punkt  nördlich  (z.  B.  wo  jetzt  Zürich  btchr) 
liegen  einander  jetzt  um  120  Kilometer  näher,  als  zu  der  Zeit,  da  die  Alpen 
noch  nicht  waren.  Die  Alpenfaltung  hat  demnach  eine  Erdrindenzone  von  dieser 
Breite  verschlungen.  Eine  Schrumpfung  des  Erddurchmessers  um  etwa  j^  bis 
■^jf  genügte  hiernach,  um  die  Erdrinde  zur  Faltung  der  Alpen  zu  zwingen;  eine 
solche  um  if  reicht  zur  Erklärung  sämmtlicher  Gebirge  der  Erde  aus.^) 

Gegen  diese  Berechnung  wendet  sich  Pfaff^)  vornehmlich  mit  zwei  Gründen. 
Einmal  hebt  er  das  geringe  Maass  der  Contraction  saurer  Silicate  und  dann  die 
Langsamkeit  der  Abkühlung  hervor.  Daraus  kommt  er  zu  dem  Schlüsse,  dass 
die  zur  Faltung  der  Alpen  erforderliche  Abkühlung  einen  Zeitraum  von  mehr 
als  f  Billionen  Jahren  in  Anspruch  genommen  hätte  und  doch  musste  dieselbe 
in  der  Zeit  zwischen  Unter-  und  Mitteltertiär  erfolgt  sein,  also  in  einem  geok)- 
gisch  wenigstens  als  kurz  zu  bezeichnenden  Intervall. 

Ferner  glaubt  er,  dass  eine  Zusammenschrumpfung  durch  Contraction  gleich- 
massig  die  ganze  Erdrinde  und  nicht  nur  ihre  oberflächlichen  Theile  betreffen 
müsse.     In  der  Faltung  liege  aber  eine  rein  peripherische  Erscheinung  vor. 

In  einem  gewissen  Sinne  erscheint  dieses  Letztere  allerdings  zutreffend  und 
wird  auch  von  SuESS  ausdrücklich  anerkannt.  Wie  weit  aber  die  Faltung  von  der 
Oberfläche  in  das  Innere  der  Erde  hinein  zu  verfolgen  ist,  das  wissen  wir  nicht 
Nirgendwo  ist  die  untere  Grenze  gefalteter  Systeme  wirklich  erreicht  worden. 
Da  aber  die  untersten  Glieder  der  uns  zugänglichen  Schichten  der  Erdrinde,  die 
krystallinischen  Schiefer,  die  Gneisse  und  die  Granite  dem  Zusammenschube 
noch  mit  unterworfen  waren,  so  darf  die  untere  Grenze  jedenfalls  erst  unteihalh 
dieser  ältesten  Erstarrungszone  gesucht  werden.  Eine  peripherische  Erscheinung 
bleibt  darum  die  Faltimg  immerhin.  Ihre  untere  Grenze  fällt,  und  das  er- 
scheint in  gewissem  Sinne  bedeutungsvoll,  mit  dem  Anfange  der  Medianzone  tu- 
sammen,  deren  Existenz  in  unserem  Artikel  »Der  Erdball«  als  wahrscheintich  au% 
der  Entwicklung  der  Erde  sich  ergebend  aufgestellt  wurde.  Das  Gebiet  der  ge- 
falteten Erdrinde  liegt  also  durchweg  über  der  Medianzone.  Ist  diese  noch 
flüssig,  oder  war  sie  in  einer  nicht  allzufemen  geologischen  Veigangenhett 
flüssig,  denn  sie  ist  jedenfalls  der  zuletzt  erstarrte  Theil  des  Erdinneren,  so  bot 
sich  darin  von  selbst  die  Möglichkeit,  dass  die  über  ihr  liegenden  Rindentheüe 
eine  selbständige  Faltung  in  sich  durchzumachen  vermochten.  Die  Versuche  mit 
geschmolzenen   und  erstarrenden  Kugeln  von  VVallrath,  wie  sie  Pfaff  anstellte. 

^)  Bröggkr  berechnete  den  absoluten  Zusaromenschub  in  der  Nähe  von  Christiaiiia  attf  Se 
kurze  Strecke  zwischen  Häkevik  und  Toie  auf  i^  Kilometer,  den  relativen  Zusammenschiih  au< 
ungeHthr  f ,  was  von  einer  ganz  bedeutenden  Stauung  zeugt.     1.  c.  pag.  244. 

*)  1.  c  pag.  98. 


t)ie  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  543 

bieten  daher  keinerlei  Analogie  und  beweisen  mit  ihrer  faltungslosen   Contrac- 
tion  nichts. 

Nun  kommt  noch  ein  zweiter  Umstand  hier  in  Betracht.  Die  Contraction 
und  also  auch  das  Maass  der  Erkaltung  des  eigentlichen  Erdkernes  und  nicht 
die  Contraction  der  Rinde  selbst,  die  nach  unserer  Auffassung  als  von  dem  Erd- 
kerne vollkommen  unabhängig  und  selbständig  erscheint,  ist  die  Ursache  der 
Faltung  der  peripherischen  Rinde.  Nach  unserer  Annahme,  wonach  über  der 
Medianzone  vorzüglich  die  kieselsäurereichen  Gesteine,  die  Silicate  als  Erstarrungs- 
rinde  liegen,  unter  der  Medianzone  die  metallischen  Zonen  (pag.  287),  kommt 
also  bei  der  Faltung  jener  der  ihnen  zukommende  Contractionscoefficient  nicht 
so  sehr  in  Betracht,  als  der  der  letzteren.  Dass  dieser  aber  ein  weit  höherer  ist, 
als  der  der  Silicate,  kann  als  feststehend  gelten.  Das  Maass  der  Schrumpfung 
des  Kernes  berechnet  sich  demnach  hieraus  auf  einen  erheblich  höheren  Betrag. 
Gerade  weil  der  Kern  bei  dem  gleichen  Maasse  des  WärmeveHustes  wie  die 
ganze  Kugel  ungleich  mehr  contrahirt  wird,  muss  die  von  ihm  durch  die  Median- 
zone getrennte  Rinde  ein  grösseres  Maass  der  Faltung  erleiden.  Dass  sie  dieselbe 
beim  Nachsinken  auch  ohne  Hindemiss  auszuführen  vermag,  beruht  eben  in  ihrer 
Beweglichkeit  Über  der  Medianzone. 

Und  nun  endlich  kommt  noch  ein  dritter  Punkt  hinzu,  der  das  hohe  Maass 
der  Faltung  in  den  einzelnen  Erdrindentheilen  zu  erklären  vermag. 

Wenn  die  Summe  des  durch  die  Abkühlung  und  Contraction  bedingten  Zu- 
sammenschubes der  Erdrinde  ganz  gleichmässig  über  die  Oberfläche  derselben 
sich  vertheilte,  so  würde  dieselbe  ein  bestimmtes  Maass  erreichen  für  eine  be- 
stimmte Zeit.  Nehmen  wir  die  oben  pag.  542  angeführte  Zahl  von  120  Kilo- 
meter als  Maassstab  für  den  Zeitraum  der  Faltung  des  Alpengebirges  an.  Die- 
selbe vertheilt  sich  dann  auf  einen  grössten  Kreis  gleichmässig.  Denken  wir  uns 
aber  durch  irgend  einen  Umstand  die  ganze  eine  Hälfte  des  grössten  Kreises  von 
einer  solchen  Beschaffenheit,  dass  sie  an  dem  Zusammenschub  nicht  Theil  zu 
nehmen  vermag,  davon  gänzlich  unberührt  bleibt,  so  würde  der  Zusammenschub, 
der  im  Ganzen  nothwendig  erfolgen  muss,  auf  die  eine  Hälfte  als  doppelter  Be- 
trag zur  Wirkung  kommen. 

Je  mehr  daher  von  den  über  der  Medianzone  liegenden  Rindentheilen  aus 
dem  Bereich  der  die  Schrumpfung  compensirenden  Zusammenschiebung  oder 
Faltung  gezogen  werden,  ein  um  so  höheres  Maass  der  Faltung  müssen  die  übrigen 
Rindentheile  erleiden,  um  die  Compensirung  zu  vollenden. 

Versuche  mit  einem  aufgeblähten  Caoutschucballon,  der  mit  einer  nicht 
elastischen  Hülle  von  erhärteter  Gelatine  umgeben  ist,  wie  Daubr^e  sie  zu  geist- 
reichen Versuchen,  um  die  Faltung  der  Gebirgsschichten  nachzuahmen,  an- 
wandte^), würden  auch  hierfür  als  Belege  dienen.  Wenn  man  auf  einem  Streifen  von 
Caoutschuc  einen  Gelatineüberzug  anbringt  und  dann  den  Streifen  zusammen- 
schrumpfen lässt,  so  wirft  die  Gelatine  Falten.  Wenn  man  aber  einen  Theil  des 
Cuoutschucs  mit  einem  Stückchen  Pappdeckel  unterklebt,  so  dass  dieser  Theil 
nicht  an  der  Contraction  theilnimmt,  hier  auch  die  Gelatine  nicht  zum  Faltenwerfen 
kommt,  so  ist  die  Einwirkung  in  dem  übrigen  Theile  der  Gelatinezone  nur  um 
so  auffallender.  Es  kann  daher  wohl  der  folgende  Satz  für  das  Maass  der  zur 
Compensirung  einer  gewissen  Contraction  nothwendigen  Zusammenschiebung  der 
Rinde  Giltigkeit  erhalten:     Das  Maass  der  Faltung  steigert  sich  mit  der 


*)  Geologie  experimentale.  I.  pag.  386. 


544  Mineralogie,  Geologie  and  Palaeontologie. 

Abnahme  der  an  der  Faltung   theilnehmenden   Rindenstücke.     Nartir> 
lieh  Hir  die  gleiche  Zeit  und  die  gleiche  Gesammtcontraction  des  Kernes. 

Dass  aber  zu  jeder  Zeit  gewisse  Theile  der  Erdrinde  nicht  an  dem  Zu- 
sammenschub sich  betheiligt  haben,  der  andere  Theile  betroffen,  ist  eine  schon 
längst  bekannte  Erfahrung.  Auch  Suess  hebt  das  Vorhandensein  solcher  Schollen, 
»Archibolen«,  wie  er  sie  genannt  hat,  hervor  und  sagt  ausdrücklich,  >dass  V  re 
Anordnung  und  Form  entscheidend  sei  für  den  Verlauf  der  Falten,  welche  d> 
Contraction  der*)  zwischen  ihnen  liegenden,  biegsameren  Theile  der  Erdoberfläche 
erzeugt.«  Wir  können  nun  hinzufügen,  dass  auch  die  Ausdehnung  dieser 
nicht  gefalteten  Schollen  das  Maass  der  Faltung  bedingt. 

Die  weit  ausgedehnten  silurischen  Gebiete  in  Russland  sind  frei  von  Faltungen» 
so  dass  C.  V.  Buch  die  Meinung  äusserte,  es  müsse  eine  grosse  Tafel  irgend 
einer  Felsart  in  der  Tiefe  sich  vorgeschoben  liaben,  welche  spätere  Störungen 
femhielt.2) 

Auch  die  von  uns  im  Vorhergehenden  (pag.  525)  angeführten  Beispiele  von 
Schollenbewegungen  ohne  Zusammenschub  und  Faltung,  wie  sie  von  v.  RiCHi- 
HÖFEN  aus  dem  nördlichen  China,  von  Duiton  aus  dem  westlichen  Nordamerika 
beschrieben  werden,  zeigen  deutlich,  dass  die  Faltung  keinesweges  gleichzeitig 
und  gleichmässig  über  die  ganze  Erdrinde  sich  ausbreitet,  sondern  nur  gennsse 
Theile  derselben  erfasst. 

Auch  ergab  sich  aus  den  angeführten  Beispielen,  dass  nicht  i/nmer  dieselben 
Stellen  als  Faltende  im  Laufe  der  Entwicklung  der  Erdrinde  erhalten  blieben. 
Dort  wo  die  älteren,  tieferen  Formationen  starke  Faltung  zeigen,  sind  die  jüngeren 
Bildungen  nur  durch  Schollenbewegung  ohne  Faltung  differenzirt. 

Nur  aus  der  Kenntniss  aller  gleichzeitig  in  nicht  zusammenschiebender 
Schollenbewegung  befindlichen  Theile  der  Erdrinde  und  dem  Vergleiche  de^ 
durch  diese  eingenommenen  Oberflächenareales  der  Erdrinde  mit  dem  in  Faltung 
begriffenen  übrigen  würde  sich  demnach  das  wirkliche  Maass  des  Zusammen- 
schubes für  diese  Theile  annähernd  berechnen  lassen.  Freilich  i^t  gerade  diese 
Kenntniss  noch  eine  sehr  lückenhafte  und  vor  Allem  entziehen  sich  die  ganzen 
grossen  Meeresräume  einer  Beurtheilung  bezüglich  ihrer  Theilnal  me  an  diesen 
Vorgängen.  Dann  würde  gewiss  der  theoretisch  annehmbare  Wärmeverlust  der 
Erde  und  das  daraus  sich  ergebende  Maass  der  Contraction  mit  der  Intensität 
des  tangentialen  Schubes  in  Einklang  gefunden  werden. 

Welches  aber  der  Grund  ist,  warum  in  allen  geologischen  Perioden  wie  es 
scheint,  einzelne  Theüe  der  Erdrinde  nur  in  auf-  und  abwärts  gerichteter  SchoÜen- 
bewegung  sich  befinden,  andere  durch  seitliche  Pressungen  zu  Falten  zusammen 
geschoben  werden,   darüber  können  wir  uns  heute  noch  keine   bestimmte  \  or- 
stellung  machen. 

Theoretisch  lässt  sich  eine  Erklärung  aus  der  l^e  der  grossen  Spalten  her- 
leiten, die  die  Erdrinde  durchsetzen  und  jedenfalls  eine  ^hr  bedeutsame  Rolle 
bei  den  gebirgsbildenden  Processen  spielen.  Ein  solcher  Zusammenhang  wurde 
bereits  in  dem  Artikel:  Der  Erdball,  pag.  290  angedeutet  und  schematisch  darge- 
stellt. Physikalisch  würde  die  Theorie  des  Keiles,  in  einigen  Fällen  vielleicht 
auch  die  der  Schraube,  uns  die  Erklärung  dieser  Vorgänge  bieten  können.    Audi 

')  Es  niUsste  hier  correcter  heissen:   die  Contraction  an   den  Theüen.    Nicht   ihfe  «igcD«. 
sondern  die  Contraction  des  Kernes  unter  ihnen  ist  das  Wetendiche. 
*)  SiJMs.  l.  c.  pag.  157. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  545 

die  Bewegung  der  einzelnen  Rindentheile  würde  dann  aus  den  tangentialen 
Pressungen  herzuleiten  sein. 

Andererseits  ist  es  aber  keinesweges  ausgeschlossen,  dass  auch  aus  dem 
Inneren  der  Erde  heraus  wirkende  Vorgänge,  die  von  den  Contractionsspannungen 
in  der  Rinde  direct  unabhängig  sind,  vorzüglich  oder  doch  zum  Theile  an  den 
aut-  und  abwärts  gerichteten  Bewegungen  in  der  Erdrinde  betheiligt  sind.  Die 
Beantwortung  solcher  Fragen  führt  auf  noch  allzusehr  hypothetischen  Boden,  als 
dass  hier  näher  darauf  eingegangen  werden  könnte. 

Eines  der  am  Besten  gekannten  und  in  seinen  Formen  vielgestaltigsten 
Kettengebirge  sind  die  Alpen.  Sid  entsprechen  vollkommen  dem  Schema, 
das  man  fiir  den  Bau  grösserer  Kettengebirge  aufzustellen  vermag.^)  An  den 
Rändern  steigen  die  jüngeren  Schichten  gegen  das  Gebirge  auf:  sie  bilden  dort 
einen  Isoklinalkamm.  Gegen  das  innere  Gebirge  weisen  sie  einen  durch  Ab- 
witteruiig  entstandenen  Steilabfall.  Darunter,  weiter  alpeneinwärts  steigen  stets 
ältere  Sedimentbildungen  aus  der  Tiefe  auf.  Die  einwärts  folgenden,  stets  höher 
steigenden  Ketten  bestehen  in  ihrer  Hauptmasse  aus  immer  älteren  Schichten. 
In  der  mittleren  Zone  tritt  endlich  das  krystallinische  Gnmdgebirge,  das  Central- 
massiv,  zu  Tage.  Von  Aussen  nach  Innen  folgen  also  in  der  Streichrichtung  des 
Gebirges  Zonen  stets  älterer  Gesteine.  Alle  die  einzelnen  Zonen  sind  nicht  so 
einfach  gebaut,  sondern  wieder  gefaltet  und  bilden  z.  Th.  durch  Faltung  wieder 
zahlreiche  Ketten.  Zwischen  den  Gewölben,  die  aus  älteren  Gesteinen  gebildet 
sind,  liegen  fetzenfbrmig  in  den  Mulden  die  noch  erhaltenen  Reste  von  jüngeren 
Schichten,  die  früher  jedenfalls  in  grösserer  Ausdehnung  vorhanden  gewesen  sein 
müssen. 

Die  äusseren,  aus  jüngeren  Gesteinen  bestehenden  Zonen  bilden  die  nie- 
drigeren Ketten,  nach  Innen  nehmen  die  Ketten  an  Höhe  ihrer  Culminations- 
punkte  zu.  Wenn  auch  durch  Gedrängtheit  und  Ueberliegen  der  Falten  die 
Schichten  gegen  das  Gebirge  einfallen  und-  bald  hoch  ansteigen,  bald  tief  unter- 
tauchen, im  Ganzen  steigen  die  Formationen  doch  gebirgseinwärts  empor. 

Die  in  der  centralen  Zone  der  Alpen  auftauchenden  krystallinischen  Schiefer 
zeigen  in  der  nördlichen  Centralreihe  gewöhnlich  Fächerstellung  ihrer  Schichten 
(Mont  Blanc,  Finsteraarhom,  Gotthard).  Die  südlicheren  sind  einfacher  gebaut, 
nicht  selten  regelmässige  Sattelbildungen,  wie  im  Jura,  nur  viel  gewaltiger  (Adula- 
gebirge,  Simplon). 

So  gewinnen  wir  denn  in  dem  ganzen  Gebäude  eines  solchen  Kettengebirges 
den  Eindruck,  dass  der  Process  der  Faltung  ein  langsam  und  stetig  fortschrei- 
tender gewesen  sein  muss,  dass  er  lange  andauernd  und  wiederholt  thätig  war, 
und  an  alte  gebildete  Falten  sich  wieder  neue  jüngere  anzuschaaren  vermögen. 

Aus  dem  genauen  Studium  der  Verhältnisse  der  Alpen,  der  Vertheilung  der 
Formationen  an  ihren  Abhängen  geht  hervor,  dass  die  äussersten  Alpenketten 
sich  erst  nach-miocän,  die  weiter  einwärts  gelegenen  jedenfalls  schon  vor-miocän, 
die  innersten  vielleicht  schon  zur  Eocän-  oder  Kreidezeit  zu  falten  begonnen 
haben.  Ob  aber  damals  der  Kern  des  Centralmassiv's  nicht  schon  eine  ältere 
Faltung  besass,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Jedenfalls  waren  die  innersten  Falten 
die  ersten  und  schon  um  einen  ganz  erheblichen  Betrag  älter,  als  die  Faltung 
der  äusseren  Schichten. 

Ob  die  Faltung  in  der  Jetztzeit  noch  fortdauert,  das  lässt  sich  direct  ebenso 
wenig  entscheiden.     Es  ist  nach  der  Geschichte  der  Vergangenheit  kaum  zweifel- 

^)  Heim,  1.  c.  pag.  204. 

Kbkmcott,  Min.,  Geol.  u.  Pal.    I.  ßC 


S46  Mineralogie,  Geologie  and  Palaeontologie. 

haft,  dass  dieselben  Processe  auch  in  der  Gegenwart  sich  abspielen.  In  den 
Erdbeben  sehen  wir  z.  Th.  die  Aeusseningen  der  noch  heute  in  den  Gebirgen 
sich  vollziehenden  Bewegungen.  (Vergl.  Art.  Erdbeben,  pag.  363).  Die  zahl- 
reichen Erderschtitterungen  in  den  Alpen  lassen  sogar  eine  gewisse  Intensität  der 
gebirgsbildenden  Bewegungen  voraussetzen. 

Eine  besondere  Art  der  Gebirgsbildung  mag  hier  anhangsweise  noch  er- 
wähnt werden,  welche  neuerdings  amerikanische  Geologen  für  gewisse  Kuppen- 
gebirge nachweisen  zu  können  glauben,  die  nicht  zu  Accumulationsgebirgen  zu 
rechnen  sind,  sondern  im  eigentlichen  Sinne  als  Erhebungs-  oder  vielleicht 
richtiger  alsProtrusionsgebirgezu  bezeichnen  sein  würden.  Gilbert ^)  hat  die- 
selben in  seinem  Report  über  die  Geologie  der  Henry  Mountains,  im  südlichen 
Utah,  am  rechten  Ufer  des  Colorado  zwischen  dessen  Zuflüssen  Dirty  Devil  und 
Escalante  gelegen,  eingehend  beschrieben. 

Der  Charakter  dieser»  aus  eigenthümlich  kuppenförmigen  Bergen  bestehenden 
Gruppe  ist  der,  dass  verschiedenartige  sedimentäre  Straten  zu  rund  umlaufenden, 
kuppelartigen  Gewölben  emporgehoben  sind,  unter  welchen  durch  die  theilweisc 
oder  gänzliche  Erosion  dieses  gewölbten  Mantels  von  Sedimentschichten  ein  aus 
jüngeren  Eruptivgesteinen,  aus  Trachjrten  gebildeter  domförmiger  Kern  auftaucht, 
der  als  die  hebende  Ursache  der  Aufwölbung  jener  Schichten  angesehen  wird. 

Die  eruptiven  Gesteine,  aus  der  Tiefe  emporsteigend,  statt  an  die  .Oberfläche 
der  Erde  durchzubrechen  und  hier  durch  Accumulation  einen  Kegel  zu  bilden, 
machten  in  einem  tieferen  Niveau  unter  einer  Schichtendecke  Halt,  drangen 
zwischen  die  Straten  ein  und  schaff'ten  sich  hier  zur  Anhäufung  eines  Kegels 
Raum,  indem  sie  die  oberen  Schichten  emporhoben.  Sie  bildeten  hier  nach  ihrer 
Erstarrung  also  eine  unterirdische  Gesteinskuppe,  gewissermassen  eine  Gesteins- 
cisteme.  Daher  giebt  Gilbert  diesen  Bildungen  den  Namen:  I..accolit  (Xixxo; 
=  Cisteme).  Es  ist  klar,  dass  die  Intrusion  eines  solchen  T^accoliten  an  |der 
Oberfläche  eine  Aufwölbung  her\'omifen  muss,  die  im  Verhältnisse  steht  zu  den 
Dimensionen  der  unterirdischen  Kuppe  und  ebenso,  dass,  wo  die  aufliegenden 
Schichten  in  horizontaler  I.^e  sich  befanden,  sie  nun  über  dem  Laccolit  selbst 
bis  zum  Aufbersten  emporgewölbt  werden  müssen. 

Mit  den  I^iccoliten  sind  auch  unterirdische,  schichtenförmig  gebildete  In- 
tnisionen  der  Eruptivgesteine  und  gangförmige  Apophysen  in  die  umgebenden 
Gesteine  verbunden. 

Die  Vertheilung  der  I^accolite  ist  eine  ebenso  unregelmässige,  wie  die  der 
vulkanischen  Kegel  in  manchen  Gebieten.  Es  kommen  Gewölbe  vor,  in  denen 
nur  ein  laccolit  den  Kern  bildet,  aber  auch  solche  mit  zwei  oder  gar  drei 
Laccoliten.  Einige  sind  zwischen  die  Schichten  der  Kreideformation,  andere 
zwischen  die  des  Jura  und  der  Trias,  endlich  andere  auch  zwischen  die  Schichten 
der  Steinkohlenformation  intrudirt. 

Wegen  der  eingehenden  Erörterung  der  Bildungsbedingungen  dieser  Lacco- 
lite  muss  auf  die  Abhandlung  selbst  verwiesen  werden.  Der  Verfasser  führt  noch 
eine  Reihe  >ii*citerer  Berggruppen  an,  unter  denen  er  ähnliche  Bildungen  vermathet. 

Dass  dieselben,  wenn  auch  vielleicht  nicht  in  dem  gleichen  Maasse,  wie  in 
Jenen  Gebieten,  doch  auch  gewisse  Analoga  in  unseren  europäischen  Gebirgen 
finden,  das  wurde  schon  an  anderer  Stelle  (.Artikel  Gänge,  pag.  496)  hervoige^ 
hoben  und  daiUr  Beispiele  angeführt 

*)  G.  M.  GnjLUT,  Report  on  the  G^logy  of  the  Hemy  Mountains,  Washington  1877. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  547 

Was  aber  nun  den  Gebirgsbau  im  Ganzen  noch  mehr  complicirt,  das  ist  das 
Zusammenwirken  der  verschiedenen  Arten  der  Gebirgsbildung  in  einem  und  dem- 
selben Gebirge.  Schon  im  Vorhergehenden  wurde  mehrfach  angeführt,  dass  mit 
der  Faltung  der  Schichten  auch  eine  verticale  Auf-  und  Abwärtsbewegung  ver- 
bunden gewesen  sei. 

In  manchen  Gebirgen  finden  wir  in  verschiedenen  Theilen  gleichzeitig  die 
eine  oder  die  andere  dieser  Bewegungen  vorherrschend,  in  denselben  Theilen 
nach  einander  zu  verschiedenen  Zeiten  in  Wirksamkeit.  Mit  den  durch  Faltung 
emporgewölbten  Stücken  und  in  den  Thälern  zwischen  den  Gewölben  brechen 
Eruptivgesteine  hervor,  bilden  dort  ihre  Aufschüttungskegel,  legen  ihre  Ströme 
als  fremde  Glieder  in  diesen  Gebirgen  nieder,  durchqueren  als  mehr  oder  weniger 
mächtige  Gänge  die  gefalteten  Schichten  und  nehmen  so  an  der  Gesammtge- 
staltung  der  Gebirge  Theil. 

So  wird  denn  aus  jedem  Gebirgsbaue  endlich  ein  vielgestaltiges  Ganzes,  das 
uns  als  einheitlich  und  gewissermaassen  aus  einem  Stücke  geformt  scheint,  das 
aber  aus  der  Folge  und  dem  Zusammenwirken  lang  andauernder,  im  Einzelnen 
verschiedener  und  oh  von  einander  unabhängiger  Processe  hervorgegangen  ist. 
Und  einen  sehr  wesentlichen,  bisher  nur  andeutungsweise  besprochenen  Einfluss 
auf  die  äussere  Gestaltung  haben  dazu  auch  noch  die  zerstörenden  Wirkungen 
der  Verwitterung,  der  Erosion  ausgeübt. 

Denn  wenn  wir  auch  im  Vorhergehenden  vielfach  einen  auch  heute  noch 
sichtbaren  Zusammenhang  in  der  Gliederung  der  Gebirge  und  ihrer  äusseren 
Formen  mit  den  Vorgängen  erkennen  und  nachzuweisen  vermochten,  die  den 
eigentlichen  Kern  der  Gebirge,  ihre  innere  Tektonik  erzeugten,  so  haben  wir 
doch  auch  schon  Beispiele  für  den  Satz  gefunden:  dass  die  orographische  Glie- 
derung von  der  Tektonik  z.  Th.  ganz  unabhängig  und  die  Folge  selbständiger 
zerstörender  Processe  ist. 

Betrachten  wir  ein  durch  centrale  Aufschüttung  gebildetes  Gebirge,  wie  den 
Mont  Dore,  ein  durch  blosse  Disjunction  einzelner  Schollen  entstandenes  Gebirge, 
wie  die  Hochplateau's  von  Utah  oder  ein  Kettengebirge,  wie  die  Alpen,  überall 
finden  wir  nur  noch  die  Reste  eines  einst  vollkommenen  Baues,  nur  in  Ruinen 
sehen  wir  die  alten  ursprünglichen  Gestaltungsformen  durchschimmern. 

Dass  aber  die  Zerstönmg,  vornehmlich  durch  die  Wirkungen  des  Wassers 
geführt,  je  nach  der  alten  Gestaltungsform,  besondere  von  dieser  abhängige  Wege 
einschlägt,  ist  natürlich. 

Die  radial  zum  Centrum  des  Mont  Dore  Gebirges  verlaufenden  Thäler,  die 
tief  in  das  Gebirge  eingeschnitten  sind,  haben  mit  dem  ursprünglichen  Kegelbaue 
nichts  gemein,  waren  in  demselben  keinesweges  ihrer  Lage  nach  vorgebildet. 
Aber  dass  sie  radial  der  Achse  des  Gebirgsbaues  zustreben,  ist  eben  doch  nur 
bei  einem  centralen  Baue  denkbar.  Parallelität  der  Thäler,  wenn  auch  in  einem 
Gebirge  zu  verschiedenen  sich  kreuzenden  Systemen  geordnet,  charakterisirt  die 
alten  disjunctiven  Gebirge  und  die  Kettengebirge;  eine  überwiegende  Rolle  spielen 
die  Längs-  und  Querthäler  bei  den  letzteren,  und  doch  sind  auch  diese  nur  in  ihrer 
allgemeinen  Anlage  abhängig  von  dem  Gebirgsbaue,  keinesweges  immer  durch 
Mulden  oder  Querspalten  bedingt  und  wenn  auch  einmal  dieses,  dann  doch  in 
ihrer  grössten  Austiefung  und  eigenthchen  Modellirung  lediglich  Folge  der  Erosion. 

Wo  uns  die  innere  Tektonik  einen  mehrere  1000  Meter  hohen  Rücken  er- 
warten lässt,  finden  wir  ein  tiefes  Thal,  dort  wo  die  Schichten  zu  einer  Mulde 
zusammenrücken,  liegt  eine  Wasserscheide,  ein  Gebirgskamm.    Allem  Faltenbau 

35* 


548  Mineraloge,  Geologie  und  Palaeontologie. 

und  aller  Streichrichtung  der  Schichten  zum  Trotze  sind  zwischen  Querthälem 
Querkämme  stehen  geblieben,  quer  aus  mehreren  Falten  herausgeschnitten  und 
auch  die  Querthäler  fallen  nicht  mit  tektonischen  Gebirgsrissen  zusammen.  I>ie 
normalen  Gebirgsketten  sind  von  zahlreichen  Breschen  durchbrochen,  von  Quer- 
thälem schief  und  quer  durchschnitten,  völlig  zerhackt.  Oft  steht  nur  noch  die 
Flanke  eines  Gewölbes;  nur  in  einzelnen  unzusammenhängenden  Fetzen  sind 
zwischen  den  Thalfurchen  einst  zusammenhängende,  mächtige  Schieb tencompl exe 
übrig  geblieben. 

»Aus  einförmigen,  massigen  Gebirgskörpem  haben  Verwitterung  und  Erosion 
die  herrlichen,  mit  reichen  schwungvollen  Linien  gezeichneten,  bald  erdrückend 
gewaltigen,  bald  schlanken  schmalen,  von  schaurig  tiefen  Thälern  umgebenen  und 
vielgliederigen  Gestalten  herausgeschält,  deren  unvergleichliche  Mannigfaltigkeit 
und  Schönheit  kein  Künstler  im  Bilde  wiederzugeben  vermag.^) 

Und  so  verändern  sich  die  Gestalten  der  Gebirge  noch  fortwährend  und 
wir  haben  überall  den  Zerstörungsprocess  mehr  oder  weniger  intensiv  vor  Augen. 
Von  den  Bächen  und  Flüssen  wird  der  Schutt  aus  den  Gebirgen  abwärts  geführt, 
in  den  Thälern  und  Ebenen  als  Sand-,  Kies-  und  Thonablagenmgen  niedergelegt. 

Und  doch  ist  dieser  Zerstörungsprocess  nicht  so  schnell  wirksam,  dass  die 
ganze  Geschichte  der  Menschheit  nicht  im  Stande  gewesen  wäre,  andere  als  nur 
locale  Veränderungen  zu  constatiren.  Die  Höhe  der  Alpen,  die  Tiefe  ihrer  Thälcr 
hat  sich  nicht  so  geändert  im  Laufe  von  Jahrhunderten,  dass  dieses  auffallend  21: 
bemerken  wäre  oder  eine  wesentliche  Aenderung  in  der  Gebirgsconfiguradon  her- 
beigeführt hätte. 

•  Wird  damit  das  Maass  der  stattgehabten  Erosion,  wie  sie  aus  den  fehlenden 
Gliedern  und  abgewitterten  Ruinen  der  Gebirgsbaue  sich  ergiebt,  welche  nach 
Mächtigkeit  und  Ausdehnung,  nach  Stellung  und  Höhenlage  aus  dem  noch  Vor- 
handenen sicher  zu  ergänzen  sind,  verglichen,  so  giebt  dies  einen  annähernden 
Begriff  von  den  Zeiträumen,  mit  denen  man  in  diesen  Fällen  zu  rechnen  hat. 

DuTTON*-')  berechnet  die  Höhe  der  durch  Abwitterung  entfernten  Schichten 
in  den  Hochj)lateaus  von  Utah  seit  dem  Abschlüsse  der  dortigen  Eocänperiode 
annähernd  auf  6000  Fuss  engl,  und  ähnliche  Zahlen  nimmt  auch  Gilbert  an. 
In  einigen  Districten  steigert  sich  diese  Höhe  sogar  auf  nahezu  12000  Fuss.  In 
den  eigentlichen  Hochplateaus  ist  die  Denudation  am  geringsten,  weil  hier  die 
ungeheuren  Decken  junger  Lavaergüsse  sich  schützend  über  die  Schichten  ausge* 
breitet  haben. 

In  den  Alpen  sind  die  innersten,  von  der  Denudation  am  stärksten  er- 
niedrigten, weil  ältesten  Alpenkämme  doch  noch  die  höchsten,  die  äusseren, 
weniger  denudirten,  die  niedrigeren.  Von  dem  4275  Meter  hohen  Finsteraarhom 
sind  wenigstens  1000  Meter  Sedimente  und  dazu  eine  nicht  zu  bestimmende  Höhe 
von  krystallinischen  Schiefern  abgewittert;  auf  dem  3239  Meter  hohen  15  Kilo- 
meter weiter  randwärts  gelegenen  Titlis  fehlen  etwa  600  Meter  Sedimente;  der 
1920  Meter  hohe,  um  eine  30  Kilometer  breite  Zone  vom  Finsteraarhom  rand- 
wärts entfernte  Niederbauenstock  wäre  300  Meter  höher,  wenn  die  Denudation 
ihn  nicht  erniedrigt  hätte;  und  vom  Gipfel  des  1223  Meter  hohen  Rhonen,  der 
um  eine  50  Kilometer  breite  Zone  vom  Finsteraarhom  getrennt  ist,  sind  nur 
wenige  Schichten  abgewittert.  Wenn  daher  auch  an  jeder  Stelle  das  hohe  und 
nach  dem  Inneren  des  Gebirges  zunehmende  Maass  der  Denudation  hieraus  her 

*)  Heim,  Die  Gebirge,     pag.  24. 
*)  l.  c.   pag.  23. 


Die  Gebirge  und  ihre  Entstehung.  549 

vorgeht,  so  zeigt  sich  auch  andererseits,  dass  die  allgemeine  Höhe  der  Culmina- 
tionspunkte  mehr  von  der  Hebung  durch  die  Faltung  als  durch  die  Verwitterung 
bedingt  ist. 

Ein  Bild  der  ungeheuersten  Abwitterung  geben  uns  auch  die  meisterhaften 
Schilderungen  v.  Richthofen's  über  die  Erscheinungen  der  Abrasion  im  nörd- 
lichen China.i)  Unter  Abrasion  ist  die  zu  einer  der  Ebene  sich  nähernden 
Fläche  ausgeführte  Abwitterung,  Abhobelung  eines  hochgebirgigen  Landes  ver- 
standen, die  von  der  über  einen  ganzen  Continent  allmählich  fortschreitenden 
Brandung  des  Meeres  ausgeführt  wird.  In  dem  Artikel  *Meer«  wird  näher  darauf 
eingegangen. 

Die  eigentlichen  inneren  Zusammenfaltungen  der  ältesten  Formationen  waren 
vor  der  Sinischen  Periode  schon  vollendet  und  das  Grundgerüst  im  geologischen 
Bau  des  nördlichen  China  bestand  fertig  gebildet  und  hat  Umgestaltungen  in 
seinem  eigentlichen  Wesen  nicht  mehr  erlitten. 

Die  erste  Abrasion,  die  auf  die  Zusammenfaltung  folgte,  räumte  ganze  Zonen 
von  Glimmerschiefem  und  krystallinischen  Kalksteinen,  Quarziten,  Sandsteinen 
schwarze  Quarzite  und  Homblendeschiefer,  die  groben  Conglomerate  und  Quar- 
zite  und  die  grünen  Schiefer  der  Wutai-Schichten  in  ganzen  Gebieten  hinweg  und 
griff  auch  die  Grundlage  derselben,  den  Urgneiss  an.  Ueber  diese  ganze  Abra- 
sionsfläche, in  der  nur  die  Quarzite  z  Th.  in  Klippen  aufragten,  haben  die 
sinischen  Schichten  ihre  horizontale  ungestörte  Ablagerung  genommen. 

Dieser  ersten  Phase  der  Abrasion  folgten  weitere  nach.  Die  dadurch  ge- 
bildeten Formen  kann  man  als  Abrasionsplateaus  bezeichnen  im  Gegensatz  zu 
Schichtungsplateaus  oder  eigentlichen  Tafelländern  (pag.  525). 

Auch  die  Gebirge  der  silurischen,  devonischen  und  carbonischen  Systeme, 
welche  von  den  belgischen  Steinkohlenablagerungen  bei  Dinant  und  Namur  an 
bis  über  das  ganze  rheinische  Schiefergebirge  hinaus  nach  Osten  greifen,  sind  durch 
Abrasion  zu  dem  plateauartigen  Lande  geworden.  Ueber  der  Steinkohlenforma- 
tion an  der  Maass  sind  die  angeführten  Schichtmassen  in  einer  Höhe  von  5  bis 
6000  Meter  hinweggehobelt  worden,  wie  aus  der  Mächtigkeit  jener  Systeme  ge- 
schlossen werden  muss. 

Wo  jetzt  eine  von  Erosionsthälem  durchschnittene  Terrasse,  meist  in  Meeres- 
höhen von  400  bis  500  Metern,  ein  Areal  von  beinahe  tausend  Quadratmeilen 
einnimmt,  nur  in  einzelnen  Theilen  der  Ardennen,  der  Eifel,  des  Hundsrück, 
des  Westerwaldes  und  des  Taunus  von  sanft  gewölbten  Rücken  um  weitere 
3 — 400  Meter  überragt  wird,  da  muss  in  einer  früheren  Fesüandsperiode  ein  be- 
deutendes, in  vielen  parallelen  Rücken  aufragendes  hohes  Faltungsgebirge  be- 
standen haben.  Seine  nicht  mehr  erhaltenen  Thalsohlen  lagen  wahrscheinlich 
in  höherem  Niveau  als  die  gegenwärtige  Oberfläche.-) 

So  vermag  die  Abrasion  die  vollkommenste  Einförmigkeit  der  Gebirgsplastik 
dort  zu  schaffen,  wo  der  innere  Bau  in  seiner  alten  Anlage  eine  überaus  glieder- 
reiche Reliefgestaltung  vorbildete. 

Sie  ist  das  beste  Beispiel,  in  welchem  Maasse  die  Zerstörung  die  Gebirgsbaue 
ergreift  und  ihre  Bildungsformen  verwischt. 

Aus  allen  angeftihrten  Beispielen  folgen  aber  für  die  Gesammtbildungsvor- 
gänge  de^  Gebirge  mit  Nothwendigkeit  Zeiträume,  die  fast  über  das  Maass  mensch- 
licher Fassbarkeit  hinausgehen. 

*)  1.  c.  pag.  710. 

')  V.  RlCHTHOFEN,  1.  c.  pag.  777. 


$$o  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Nicht  minder  ergeben  sich  auch  (Ür  die  Zeiträume,  welche  die  Entstehung 
grosser  Accumulationsgebirge  erforderte,  ungeheure  2^hlen.  Als  Durchschnittv 
werth  z.  B.  für  das  Alter  des  Aetna  kann  die  Zahl  von  50000  Jahren  gelten,  die 
jedenfalls  eher  hinter  der  Wirklichkeit  zurückbleibt,  als  übertrieben  hoch  ge- 
nommen ist.^) 

Freilich  erscheinen  diese  Zahlen  gegenüber  denen,  die  wir  für  die  Bildungs- 
dauer der  Kettengebirge  uns  vorstellen  müssen,  dann  noch  klein  und  unbedeutend. 

Die  Erfahrung,  die  wir  aus  dem  Vorhergehenden  gewonnen,  dass  die  Ge- 
birge das  Resultat  verschiedener,  nacheinander  durch  lange  Zeitperioden  hindurch 
wirksamer  Kräfte  sind,  lässt  sich  auch  in  dem  Satze  ausdrücken:  Die  Bildung 
eines  jeden  Gebirges  ist  nicht  ein  einzelner  Vorgang  in  der  Ge- 
schichte der  Erde,  sondern  eine  Phase  ihres  Entwicklungsganges. 

Literatur:  Heim,  Alb.  Untersuchungen  über  den  Mechanismus  der  Gebirt^sbildung 
2  Bände  mit  Atlas,  Basel  1878.  Derselbe:  Ueber  die  Stauung  und  Faltung  der  Erdrinde. 
Basel  1878.  Derselbe:  Ueber  die  Verwitterung  im  Gebirge,  Basel  1879  und:  Die  Gebirgt 
(Vortrag)  Basel  1881.  HÖRNES,  R.,  Die  Veränderungen  der  Gebirge  und  ihre  BeobachtuDg. 
Zcitschr.  des  Touristen-Clubs.  Wien  1880.  Naumann,  C.  F.,  Lehrbuch  der  Geognosie.  Bd.  I 
P^'  305—380.  Pfaff  f.  Der  Mechanismus  der  Gebirgsbildung.  Heidelberg  1880.  Set««,  t 
Die  Entstehung  der  Alpen.  Wien  1875.  Stapf,  F.  M.  Zur  Mechanik  der  Schichtenfaltungeo. 
N.  Jahrb.  f.  Min.  1879,  pag.  292  und  792,  1881  I.  pag.  185.  TouLA  Fr.,  Ueber  den  Bau  uixi 
die  Entstehung  der  Gebirge.     Wien   1877. 

')  Sartorius-Lasaulx,  Der  Aetna.     Bd.  II.     pag.  418. 


Verbesserung. 

eiti 

f   5« 

Zeile 

14 

von 

oben 

lies  Dunsthülle  anstatt  DUnsthUlle. 

II 

58 

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5 

II 

ti 

11 

von  anstatt  vor. 
00'               00 

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81 

II 

14 

II 

unten 

II 

— -  •  -r-  anstatt  -r-  •  —  • 
2     0                2     2 

n 

94 

II 

2 

11 

oben 

II 

61 0  anstatt  60». 

»1 

94 

»1 

21 

II 

II 

II 

159  anstatt  154. 

it 

lOI 

II 

18 

II 

II 

II 

Dognac7.ka  anstatt  Dognacs. 

)i 

129 

II 

14 

II 

unten 

II 

dies  anstatt  die. 

II 

»38 

if 

8 

II 

» 

II 

spätere  anstatt  sätere. 

»1 

140 

n 

10 

II 

oben 

II 

2(CaO.CO,)  anstatt  2CaO.CO,. 

II 

141 

n 

II 

II 

II 

II 

Waadt  anstatt  Wallis. 

II 

146 

II 

>3 

II 

unten 

II 

A1»0«.3S0»  anstatt  Al'O'-SO». 

»» 

146 

II 

3 

1» 

11 

streiche  Fe,0,. 

u 

152 

II 

12 

II 

II 

lies 

derselben  anstatt  desselben. 

II 

158 

II 

17 

II 

oben 

II 

machen  hinter  sichtbar. 

11 

162 

II 

16 

II 

unten 

II 

sie  anstatt  dasselbe. 

<i 

193 

II 

5 

II 

oben 

»1 

2,5—5  ansutt  2—2,5. 

1« 

219 

II 

6 

II 

unten 

II 

Michelinia  anstatt  Miclinea. 

II 

224 

II 

24 

II 

oben 

II 

Cestracionten  anstatt  Cestraocionten. 

«1 

389 

II 

10 

II 

II 

II 

Querflächen  anstatt  Längsflächen. 

II 

398 

II 

14 

11 

II 

II 

Congonhas  anstatt  Conhongas. 

II 

399 

•  II 

10 

II 

II 

II 

Chico  anstatt  Chica. 

11 

400 

II 

3 

•I 

II 

•1 

PbO)  anstatt  Pb)0. 

II 

435 

II 

12 

II 

11 

schreibe  ,  hinter  Menge. 

•  t 

438 

11 

21 

II 

unten 

schreibe  in  vor  100. 

II 

468 

11 

24 

1» 

II 

lies 

grosskömigen  und  drusigen. 

M 

494 

II 

4 

II 

11 

II 

Gypskeuper  anstatt  Gyps,  Keuper. 

Breslau,  Eduard  Treweadt's  Buchdruckerei  (SeuerinneiiBchttle).