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Full text of "Hans Speckters Briefe aus Italien"

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Hans  Speckters 
Briefe  aus  Italien 


herausgegeben 
und  mit  Einleitung  versehen 


von 


Dr.  Rosa  Schapire 


Hamburg  und  Leipzig 

Verlag  von  Leopold  Voss 

1910. 


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Hans  Speckters 
Briefe  aus  Italien 


herausgegeben 
und  mit  Einleitung  versehen 


von 


Dr.  Rosa  Schapire 


Hamburg  und  Leipzig 

Verlag  von  Leopold  Voss 

1910. 


Druck  von  Metzger  &  Wittig  in  Leipzig. 


Vorwort. 


Hans  Speckters  au  seine  Familie  gerichteten  Briefe  werden 
hiermit  der  Öffentlichkeit  übergeben,  im  Glauben,  daß  es  von 
allgemeinem  Interesse  ist  zu  sehen,  wie  Italien  sich  in  den  Augen 
eines  Malers  in  den  siebziger  Jahren  gespiegelt  hat.  Die  Briefe 
wollen  nichts  anderos  sein  denn  ein  Reisetagebuch,  das,  ohne 
Plan  verfaßt,  der  Gunst  der  Stunde  sein  Entstehen  dankt.  Und 
doch  können  sie  in  ihrer  anschaulichen  Schilderung  von  Land 
und  Leuten,  von  Natur  und  Kunst  jenen  ein  Führer  sein,  die 
unverbildeten  Auges  über  die  Alpen  ziehen,  um  Italiens  Schön- 
heit zu  schauen. 

Um  Wiederholungen  zu  vermeiden  wurden  Kürzungen  vor- 
genommen und  alles  ausgeschieden,  was  nicht  von  sachlichem 
Interesse  ist.  Auch  einzelne  flüchtige  Sprachentgleisungen  wurden 
richtig  gestellt.  Der  Einfachheit  halber  wurde  die  Orthographie, 
da  es  sich  nur  um  ganz  unwesentliche  Verschiedenheiten  handelt, 
dem  heutigen  Schriftgebrauch  angepaßt.  Anmerkungen  wurden 
nur  dort  gegeben,  wo  Speckters  Angaben  mit  dem  heutigen  Stand 
der  Kunstwissenschaft  nicht  übereinstimmen  oder  tatsächliche 
Versehen  vorliegen. 

Da  Speckter  zu  den  auch  in  seiner  Heimat  wenig  bekannten 
Künstlern  gehört,  wurde  seine  Biographie  vorangestellt  und  der 
Versuch  seiner  künstlerischen  Entwicklung  gegeben.  —  All  jenen, 
die  mich  in  meiner  Arbeit  gefördert  haben,  besonders  der  Familie 
und  den  Freunden  Speckters,  fühle  ich  mich  zu  lebhaftem  Danke 
verpflichtet. 

Rosa  Schapire. 


Inhalt. 


Seite 

I.  Biographisches 1 

II.  Spcckter  als  Maler 17 

III.  Speckter  als  Schriftsteller 53 

IV.  Reise  von  München  nach  Venedig 61 

(Verzeichnis  der  Orte  siehe  im  alphabetischen  Sachregister.) 

V.  Anmerkungen 364 

VI.  Sachregister 376 


„Es  ist  wahr,  ich  habe  einen  kleinen  Sohn!  Jetzt  nachgerade 
fange  ich  an,  es  denken  zu  können.  Es  ist  wieder  ein  Speckter 
da!!  Gebe  Gott,  daß  er  alles  das  erreiche,  was  ich  gewünscht 
habe,  sowohl  als  Mensch  wie  als  Künstler,  mit  einem  Wort,  daß 
er  besser  werde  wie  sein  Vater  ...  Es  wäre  gar  zu  schön,  wenn 
das  Werk,  was  unser  alter  Vater  begonnen,  und  wofür  er  wie 
seine  Söhne  gedacht  und  empfunden  haben,  wenn  das  der  Enkel 
erreichte,  und  nicht  nur  im  Wollen  und  Streben,  sondern  in  der 
Vollendung  ein  Künstler  würde.  Ja,  lieber  Wurm,  täglich  denke 
ich  daran,  wie  schön  es  wäre,  wenn  unser  Alter  das  noch  erlebt 
hätte,  der  mit  seinem  Gemüt  würde  ein  echter  Großvater  sein, 
so  ganz  beständig  auf  seinem  Platze  sitzend,  beobachten,  würden 
die  beiden  ganz  ineinander  gelebt  haben,  und  mein  Junge  würde 
für  sein  ganzes  Leben  sehr  viel  davon  gehabt  haben.  Doch  mit 
dem  Alten  wird  er  doch  noch  leben,  denn  ich  habe  all  die  alten 
Bilder  und  Zeichnungen  in  der  Kinderstube  aufgehängt,  und  dann 
soll  er  auch  Johann  nach  seinem  Großvater  heißen,  und  dazu 
möchten  wir  dann  gern  die  ältesten  Speckter  gebeten  haben,  uns 
dabei  behilflich  zu  sein  und  bei  unserm  Hans  Gevatter  zu  stehen. 
Wie  das  einzurichten  ist,  weiß  ich  freilich  nicht,  doch  darüber 
können  wir  uns  verabreden,  außerdem  soll  die  Großmutter  und 
der  alte  Herterich  dabei  sein.  Gott  gebe,  daß  alles  so  guten  Fort- 
gang haben  möge  wie  bisher,  denn  meine  kleine  Auguste  und  der 
Junge  sind  so  wohl,  wie  es  nur  zu  wünschen  ist.  Und  Gott  gebe, 
daß  der  Hans,  wenn  er  anfängt  zu  denken,  ein  einiges  Deutsch- 
land und  ein  selbständiges  Hamburg  vorfinden  möge;  auch  als 
Anerkennung  und  Freude  über  den  Reichsverweser  nenne  ich  ihn 
Johann,  denn  wenn  der  nicht  gekommen  wäre,  so  hätte  ich  keine 
Hoffnung  für  die  Zukunft  gehabt  .  .  .  ." 

Schapire,  Haas  Specktera  Briefe.  1 


Diesen  Brief,  den  Otto  Speckter,  der  glückliche  Vater,  am 
4.  August  1848  wenige  Tage  nach  der  Geburt  seines  ältesten 
Sohnes  geschrieben,  charakterisiert  das  Milieu,  in  dem  Hans 
Speckter  aufgewachsen  ist.  Der  Vater  war  eine  heiter  veranlagte, 
konservative  Natur,  die  den  Zusammenhang  mit  der  Vergangen- 
heit gern  betont  hat,  die  Mutter,  die  richtige  Künstlerfrau  und 
Künstlermutter.  Heiter,  gelassen,  beständig  in  Bewegung  und 
doch  über  den  Dingen  stehend,  verstand  sie  es  den  Anforde- 
rungen, die  ihr  großer  Haushalt  mit  sich  brachte,  zu  genügen, 
ihre  Kinder  zu  erziehen,  und  fand  doch  immer  Zeit  ihrem  Mann 
Stunden  hindurch,  wie  er  es  liebte,  bei  seinem  Schaffen  vorzu- 
lesen. —  Hans  Speckter  hat  in  späteren  Jahren  Aufzeichnungen 
über  seine  Kindheit  und  Jugend  niedergeschrieben.  Sie  mögen 
als  das  treueste  Bild  seiner  Entwicklung  hier  folgen: 

„Ich  wurde  am  27.  Juli  1848  in  Hamburg  geboren  als 
ältester  von  sieben  Geschwistern,  und  bin  unter  künstlerischen 
Eindrücken  aufgewachsen.  Denn  da  mein  Vater  (Otto  Speckter) 
sich  während  der  Arbeit  gern  von  unserer  Mutter  vorlesen  ließ, 
und  auch  die  Anwesenheit  der  Kinder  ihn  nicht  störte,  so  ver- 
lebte ich  den  größten  Teil  des  Tages  in  seinem  Atelier  und  wußte 
von  allen  seinen  Arbeiten  genau  Bescheid.  Auch  zeichnete  ich 
selbst  damals  unaufhörlich,  alles,  was  ich  erlebte,  einschließlich 
der  vorgelesenen  Zeitungsberichte  über  die  Belagerungsberichte 
von  Sebastopol.  —  Alle  Wände,  auch  die  der  Kinderstube,  hingen 
bei  uns  voller  Bilder  und  Kupferstiche,  und  meine  Mutter  (Tochter 
des  Kaufmanns  Julius  Bergeest)  lehrte  uns  biblische  Geschichte 
an  Schnorrs  Bilderbibel,  deutsche  Geschichte  und  Mythologie  nach 
den  großen  Hermann  sehen  Kupfern,  Märchen  nach  Ludwig 
Richters,  Schwinds  und  meines  Vaters  Bildern.  —  Außerdem  war 
mein  Vater  nicht  der  erste  der  Familie,  der  die  Kunst  geliebt 
und  geübt  hat.  Die  Erinnerung  an  meinen  Großvater,  der  ein 
begeisterter  Kunstliebhaber  und  feiner  Kupferstichsammler  gewesen 
ist  und  viele  patriotische  und  kunstsinnige  Männer:  Perthes,  Besser, 
Runge,  Mettlerkamp,  Wächter,  Harzen  und  Rumohr  zu  Freunden 
hatte,  und  nicht  minder  die  Erinnerung  an  meinen  Onkel,  den 
hochbegabten,  früh  (im  Jahr  1835)  verstorbenen  Erwin  Speckter, 


—     3     — 

lebte  so  lebendig  in  unserem  Hause,  daß  mir  ist,  als  ob  ich  diese 
Männer  selbst  noch  gekannt  hätte.  Auch  die  Steindruckerci,  die 
erste  in  Hamburg,  welche  mein  Großvater  im  Jahre  1818,  nach- 
dem er  seine  kaufmännische  Handlung  aufgegeben  hatte,  als 
55 jähriger  errichtete,  und  welche  viele  Jahre  auch  außerhalb 
Hamburgs  wegen  ihrer  trefflichen,  meist  von  Gröger  gezeichneten 
Porträts  bekannt  war,  bestand  noch  in  einem  großen  Saal  unseres 
Hauses  am  Fleet  in  der  Catharinenstraße  und  ging  erst  1852  in 
andere  Hände  über,  und  ich  bin  nach  meines  Vaters  Bürgerbrief 
eines  Steiudruckers  Sohn. 

Mein  Vater,  der  sich  erst  nach  dem  Tode  beider  Eltern, 
40 jährig,  verheiratet  hatte,  stand  damals  im  rüstigsten  Schaffen. 
Befreit  von  der  Last  seines  Geschäftes,  in  dessen  Verwaltung  er 
dem  alternden  Vater  schon  in  früher  Jugend  beistehen  mußte, 
und  das  ihn  an  einer  akademischen  Ausbildung  verhindert  hat, 
konnte  er  erst  von  nun  an  ganz  der  Kunst  leben.  Jetzt  erst  fand 
er  die  Zeit,  in  Ol  zu  malen,  hauptsächlich  Tierbilder,  auch  illu- 
strierte er  Märchen  für  einen  englischen  Verlag  und  Münchner 
Bilderbogen,  und  es  entstanden  die  Zeichnungen  zu  Claus  Groths 
„Quickborn",  die  willkommenste  Aufgabe,  die  ihm,  der  das  nord- 
deutsche Flachland  und  seine  Bewohner  so  liebte  und  kannte,  je 
zuteil  geworden  ist. 

Unzertrennlich  war  ich  von  meiner  wenig  jüngeren  Schwester. 

Wir  sprachen  ausschließlich  plattdeutsch  und  spielten  und 
erlebten  überall  Grimmsche  und  Andersensche  Märchen,  die  unsere 
alte  Amme  und  eine  junge  Tante  uns  unaufhörlich  erzählen  mußten. 
Es  war   eine  phantasievolle  Kindheit. 

Neujahr  1855  kam  ich,  schweren  Herzens,  als  Jüngster  zu 
meinem  Onkel  Schieiden  in  die  Schule.  Da  ich  von  meiner  Mutter 
sehr  früh  lesen  und  schreiben  gelernt  hatte,  stieg  ich  schnell  auf, 
und  die  Lehrer  —  nicht  mein  Onkel  —  erregten  in  mir  den 
Ehrgeiz,  als  Neffe  des  Vorstehers  immer  der  Erste  zu  sein.  So 
wurde  ich  ein  etwas  schwächlicher,  übermäßig  artiger  Junge.  Zum 
Zeichnen  hatte  ich  wenig  Zeit,  entbehrte  es  aber  auch  nicht,  denn 
ich  wollte  damals  aus  Verehrung  für  meinen  Onkel  Pfingsten, 
unsern  Naturgeschichtslehrer,   Naturforscher  werden.    Das  natur- 


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historische  Museum  war  mein  liebster  Aufenthalt,  Muschelsamm- 
lung, geschmackvoll  arrangierte  Herbarien,  Eppendorfer  Moor^ 
meine  Liebhabereien.  Später  war  ein  großes  Aquarium,  dessen 
Tiere  ich  für  ein  beabsichtigtes  Werk  genau  zeichnete,  der  Haupt- 
sport von  uns  drei  Brüdern  und  manches  Mal  begleitete  uns 
auch  unser  Vater  auf  den  Fisch-  und  Salamanderfang  am  Stadt- 
graben und  nach  der  Höhenluft. 

Nach  Absolvierung  der  Schieiden  sehen  Schule,  einschließlich 
einer  lateinischen  Selekta,  folgten  zwei  Jahre  Sekunda,  das  erste 
unter  dem  Interregnum  Müller-Ullrich,  das  zweite  unter  Classen. 
Ich  fühlte  mich  sehr  wohl  da;  die  charakteristischen  Persönlich- 
keiten meiner  Lehrer,  die  akademische  Art  ihres  Lesens  der  alten 
Klassiker,  insbesondere  Herbsts  Einführung  in  die  Goetheschen 
Gedichte,  erweiterten  meinen  Blick.  Mein  Hauptverkehr  bestand 
damals  aus  angehenden  Theologen:  Preller,  Behrmann,  Pauly, 
Barrelet  usw.,  und  ich  war  ein  eifriges  Mitglied  eines  von  meinem 
Vetter  Willy  Hübbe  gegründeten  Vereins  „Treudank".  Die  Vor- 
bereituugsstunden  für  meine  Konfirmation,  die  Kandidat  Ritter 
mir  und  meinem  Jugendfreund  Carl  de  Boor  erteilte,  dann  die 
Konfirmation  selbst  durch  Pastor  John,  später  die  Begeisterung 
für  Pastor  Wilhelm  Bauers  Predigten  machten  so  tiefen  Eindruck 
auf  mich,  daß  ich  lange  Zeit  in  mir  kämpfte,  ob  ich  nicht  Geist- 
licher werden  sollte. 

Aber  die  vom  Vater  ererbten,  etwas  katholischen  Neigungen, 
und  die  Begeisterung  für  den  Nicolaikirchenbau,  den  ich  genau 
verfolgte  und  auf  dessen  Gerüsten  und  Werkstätten  ich  mich  viel 
herumtrieb,  vor  allem  aber  die  Bewunderung'  der  Disputa  Raffaels 
in  dem  großen  Keller  sehen  Stiche,  welcher  damals  im  Durchgangs- 
kabinet  des  Kunstvereins  in  den  Börsenarkaden  hing,  brachten 
mich  dazu,  mich  in  meinen  Zukunftsträumen  hauptsächlich  als 
Erbauer  großer  Backsteinkirchen  zu  denken,  welche  ich  mit 
feinen  Bearbeitungen  der  schönsten  Werke  Raffaels  und  Cornelius' 
und  der  Entwürfe  meines  Onkels  schmücken  wollte.  So  wurde 
ich  zur  Kunst  zurückgeführt. 

Als  ich  meinem  Vater  diesen  Entschluß  mitteilte,  gab  er  nur 
zögernd    seine    Einwilligung,    obgleich    es    eigentlich    immer  sein 


—      o      — 

Wunsch  gewesen  war.  Denn  sein  früherer  Lebensmut  war  von 
ilim  gewichen,  seit  eine  schwere  Fußkrankheit  ihn  zuerst  1863, 
dann  im  Jahre  meiner  Konfirmation  auf  monatelanges,  schmerz- 
volles Krankenlager  geworfen  hatte,  nach  welchem  nicht  nur  sein 
kräftiger  Körper  gebrochen  war  (er  ging  seitdem  nicht  ohne  Stock), 
sondern  auch  eine  allmähliche  Abnahme  seiner  Arbeitskraft  sich 
einstellte,  und  seine  leicht  schaffende  Phantasie  mehr  und  mehr 
versiegte.  Diese  frühzeitige  Abnahme  seiner  Kräfte  bei  völliger 
geistiger  Klarheit  hat  seine  acht  letzten  Lebensjahre  getrübt. 
Deshalb  hielt  er  es  für  seine  Ptiicht,  mir  ernstlich  die  Schatten- 
seiten des  Künstlerberufes  vorzuhalten,  die  er  von  Jugend  auf  so 
reichlich  erfahren  hatte.  Er  wünschte,  daß  ich  mich  erst  nach 
dem  Maturitätsexamen  entscheide.  Aber  es  war  keine  Zeit  zu 
verlieren,  und  so  verließ  ich  denn  die  Schule  Ostern  1805  und 
zeichnete  bei  Louis  Asher  nach  Gips  und  einige  Studienköpfe.  Die 
geringe  Auswahl  der  vorhandenen  Abgüsse  war  leider  durchaus 
nicht  danach,  mich  dafür  zu  erwärmen;  ich  bereute  fast  meinen 
Entschluß,  und  mein  Hauptverkehr  blieb  derjenige  mit  meinen 
theologischen  Freunden  von  der  Schule.  Sehr  interessierten  mich 
Ashers  eigene  Arbeiten,  acht  Kompositionen  in  Kaulbach  scher 
Art  zu  Opern,  darunter  sein  bekannter  Sommernachtstraum,  die 
Gartenszene  aus  Faust  und  seine  geistvollen  und  begeisterten  Er- 
zählungen von  Eaffaels  Werken,  von  Cornelius  und  meinem,  von 
ihm  angebeteten  Onkel  Erwin,  besonders  von  ihrem  gemeinsamen 
Aufenthalt  in  Itahen. 

Zugleich  war  ich  Schüler  Martin  Genslers  und  kopierte  nach 
dessen  architektonischen  Aquarellen  und  Jacob  Genslers  land- 
schaftlichen Federzeichnungen.  Damals  zuerst  lernte  ich  auch 
bei  gelegentlichen  Aufforderungen,  an  ihrem  gemeinsamen  Früh- 
stück teilzunehmen,  das  patriarchalische  Hauswesen  der  beiden 
genauer  kennenund  Günthers  geistreich-sarkastischen  Witz  und  seine 
selbständige  Weltanschauung.  Martin  kannte  ich  längst  als  treuen 
Freund  und  Genossen  meines  Vaters  seit  den  Tagen  des  großen 
Brandes  und  dem  Jahre  1848  in  den  gemeinsamen  konservativen 
Bestrebungen  für  Kunst,  Handwerk  und  Volksleben.  Auch  hatte  ich 
schon  an  seinem  abendlichen  Unterricht  in  der  Patriotischen  Ge- 


—     6     — 

Seilschaft  teilgenommen  und  dort  verschiedene  junge  Architekten 
kennen  gelernt,  alle  überzeugte  Anhänger  der  mittelalterlichen 
Baukunst. 

Ostern  186G  ging  ich  nach  Weimar  auf  die  Kunstschule. 
Auch  hier  wieder  der  jüngste  und  längere  Zeit  der  einzige  Schüler 
des  antiken  Saals  unter  dem  Hilfslehrer  Thumann,  fühlte;  ich 
mich  anfangs  wohler  in  einigen  Familien,  an  die  ich  empfohlen 
war,  und  bei  einigen  alten  Speckter  sehen  Freunden  in  Gotha, 
Perthes  und  Bessers,  als  unter  meinen  Kameraden.  Erst  als  ich 
zu  Ferdinand  Pauwels  in  die  Malklasse  gekommen  war,  wurde 
ich  warm  in  ihrem  Kreise  und  standen  mir  Kops,  Friedrich, 
Freiesleben,  Piltz,  Krohn  und  Arndt,  mit  welchem  ich  mehrere 
Jahre  zusammen  wohnte,  am  nächsten. 

Es  war  eine  frühere  Periode  als  die  Gussow-Hagensche;  die 
Historienmalerei  überwog,  und  es  gab  bedeutende  Aufträge. 
Pauwels  und  seine  zwei  Schüler  malten  zusammen  ein  Kolossal- 
bild: Nordamerikas  Triumph;  links  die  entfesselten  Neger  (von 
Gussow),  rechts  herbeiströmende  deutsche  Auswanderer  (von  Thu- 
mann); zwei  andere  ähnliche  Bestellungen  wurden  von  seinen 
Schülern  Fritz  Spangenberg  und  Günther  ausgeführt.  Außerdem 
entstanden  manche  der  besten  und  interessantesten  historischen 
Genrebilder  von  Pauwels,  Graf  Harrach  und  Thumann,  der  damals 
Professor  wurde.  Die  neuen  Professoren  Plockhorst  und  Verlat 
malten  religiöse  Bilder  (Pietä),  der  Wartburg-Luther-Zyklus  wurde 
begonnen.  Hennebergs  Jagd  nach  dem  Glück  machte  großen 
Eindruck.  So  erhielt  meine  Vorliebe  für  Historien-  und  Geschichts- 
malerei reiche  Nahrung,  und  mit  besonderem  Eifer  beteiligte  ich 
mich  an  den  Komponierabenden,  auf  welche  Pauwels  großen  Wert 
legte.  Aber  auch  außerhalb  der  Kunstschule  gab  es  damals  noch 
mancherlei  künstlerische  Anregungen.  Preller,  Genelli,  Wislicenus 
lebten  noch  in  rüstigem  Schaffen,  und  ich  hielt  mich  nicht  von 
ihnen  fern  wie  die  meisten  Mitglieder  der  Kunstschule,  sondern 
"wurde  als  Neffe  Erwins  sehr  freundlich  von  ihnen  aufgenommen. 
Preller  vollendete  damals  die  Odysseelandschaften  für  das  neue 
Museum,  dessen  interessanter  Inhalt  von  Dr.  A.  von  Zahn  neu- 
geordnet wurde.     Wislicenus  schuf   große  Kartons  und  gewaltige 


—     7     — 

Engel  für  die  Schloßkapelle;  Genelli,  sein  letztes  Werk,  den 
Theatervorhang,  und  seine  imponierende  Greisengestalt  konnte 
man  ebenso  regelmäßig  jeden  Abend  durch  die  Bei vedere- Allee 
schreiten  sehen,  wie  in  den  Sommermonaten  die  des  Abbö  Liszt 
zur  Frühmesse. 

Es  war  überhaupt  ein  sehr  anregendes  Leben  in  dieser 
Residenzstadt  mit  der  großen  Vergangenheit;  nie  habe  ich  wieder 
soviel  bedeutende  und  charakteristische  Menschen  aus  allen  Ständen 
und  Nationen  genau  kennen  gelernt  wie  hier.  Die  Persönlichkeit 
des  Großherzogs,  der  Hof,  auswärtige  Gesandte,  die  kleinen  In- 
trigueu,  über  die  man  durch  adlige  Kollegen  genau  unterrichtet 
war,  der  Geheimrat,  Bürger,  Bauer  —  man  kannte  alle  und  wußte 
um  alle  Beziehungen.  Und  die  Zusammensetzung  der  Kunstschule: 
Graf  von  Kalckreuth  und  sein  gastliches,  töchterreiches  Haus, 
belgische  Professoren  und  die  Schüler,  ehemalige  preußische  Offi- 
ziere, echte  Berliner  und  Hamburger  Jungen,  Weimarer  Hand- 
werkssöhne und  Walddörfler. 

Dazu  die  Umgebung:  die  anmutigsten  Dörfer,  die  kleinen 
Schlösser,  der  Bach,  die  Wartburg,  Schwind,  Tannhäuser,  das 
vortreffliche  Theater,  dessen  Mitglieder  man  ebenso  gut  kannte 
wie  die  Musiker,  und  jeder  interessierte  sich  auch  für  die  Künste. 
Geselligkeit  mit  den  Familien  der  Stadt,  hübsche  Kostümfeste, 
einmal  im  Park  zu  Tiefurt  unter  Leitung  des  Grafen  Harrach,  die 
harmlosen  Biergäste  und  Kegelbahnen  —  es  war  eine  unvergeß- 
liche Studienzeit. 

Zu  Studienreisen  bin  ich  damals  nicht  gekommen.  Außer 
einigen  kleinen  Fußtouren  nach  dem  Thüringer  Wald  und  einer 
dreiwöchentlichen  Durchstreifung  des  ganzen  Harz  mit  meinem 
Freund  Piltz,  welcher  noch  nicht  lange  vorher  als  wandernder 
Malergesell  die  Welt  durchschweift  hatte,  damals  aber  durch  seine 
urwüchsigen  thüringischen  Genrebilder  die  Aufmerksamkeit  der 
ersten  Berliner  Künstler  erregt  hatte,  habe  ich  die  langen  Sommer- 
ferien stets  im  Elternhause  zugebracht.  Hier  war  trotz  der  zu- 
nehmenden Leiden  meines  Vaters  unser  Familienleben  durch  die 
umsichtige,  aufopfernde  Fürsorge  meiner  selbst  oft  leidenden 
Mutter  doch  ein  verhältnismäßig  glückliches  zu  nennen.    Besonders 


—     8     — 

die  jüngeren  Kinder  haben  wenig  von  der  Krankheit  des  Vaters 
bemerkt,  denn  wenn  er  die  schweren  Stimmungen  überwunden 
hatte,  pflegte  sich  sein  guter  Humor  wieder  einzustellen,  und 
abends  in  Gesellschaften  oder  unter  seinen  Freunden  war  er  oft- 
mals ganz  der  Alte. 

Nicht  zum  wenigsten  aber  hat  zu  der  fröhlichen  Jugendzeit 
meiner  Geschwister  das  alte  behagliche  Haus  in  der  Fuhlent- 
wiete  beigetragen,  das  mein  Va.ter  im  Jahre  1857  erworben  hatte; 
vorn  das  lebhafte  Volkstreiben  der  Neustadt,  hinten  ein  sonniger 
Garten,  der  von  friedlichen  Nachbargärten  rings  umgeben  war. 
Für  eine  kinderreiche  Künstlerfamilie  hätte  nichts  Günstigeres 
gefunden  werden  können  als  diese  „alte  Kabalje"  mit  ihren  vielen 
kleinen  Zimmern  und  Bodentreppen.  Als  wir  sie  nach  22  Jahren 
schweren  Herzens  verließen,  habe  ich  noch  viele  Studien  zur  Er- 
innerung danach  gemalt. 

Mein  Vater  war  mit  meinem  vielen  Komponieren  mit  Recht 
nicht  einverstanden.  Immer  wieder  mahnte  er  mich,  nun  bald 
selbständig  zu  werden,  Genrebilder  zu  malen,  und  stellte  mir  Hugo 
Kauffmann  und  Piltz  als  Vorbilder  hin.  Mein  erstes  Bild  war 
denn  auch  eine  Kinderstube,  zu  welcher  ich  die  Studien  bei 
längerem  Aufenthalt  zu  Hause  nach  meinen  eigenen  Geschwistern 
gemalt  hatte.     Ich  vollendete  dann  das  Bild  in  Weimar. 

Die  Kriegserklärung  1870  beschleunigte  meine  Heimreise. 
Als  ich  ankam,  erschrak  ich  vor  dem  Anblick  meines  Vaters,  so 
hatte  er  sich  verändert.  Die  politische  Erregung  kam  hinzu.  — 
Er  sah  noch  im  Kunstverein  mein  Bild  und  freute  sich  sehr 
darüber;  am  andern  Tage  mußte  ich  ihn  im  Wagen  nach  Hause 
bringen.  Er  war  vom  Schlage  getroffen.  Wir  glaubten,  er  würde 
die  Nacht  nicht  überleben. 

Am  Morgen  darauf  war  die  militärische  Untersuchung  für 
mich  und  meinen  Bruder  —  wir  wurden  zurückgestellt. 

So  verlebte  ich  denn  die  ganze  Zeit  des  großen  Krieges,  den 
fast  alle  meine  Freunde  und  Altersgenossen  als  Soldaten  oder 
Krankenträger  mitmachten,  im  Krankenzimmer  meines  Vaters 
und  habe  auch  von  dem  kriegerischen  Leben  in  unserer  Stadt 
sehr  wenig  gesehen  und  miterlebt.    Denn  mein  Vater  wollte  mich 


—     9     — 

immer  um  sich  haben,  wenigstens  im  Hause,  und  wenn  ich  aus- 
ging, war  er  ungeduldig,  bis  ich  wiederkam.  Er  war  völlig  ge- 
lähmt und  konnte  kein  Glied  selbst  bewegen.  Essen  und  Trinken 
mußte  ihm  gereicht  werden,  und  er  litt  an  seinen  Füßen  große 
Schmerzen.  Seine  Sprache  war  nur  meiner  Mutter,  mir  und  dem 
Wärter  ganz  verständlich,  mit  welchem  ich  mich  tags  und  oft 
auch  nachts  in  die  Pflege  teilte,  da  sie  für  einen  zu  schwer  war. 
Abgesehen  von  nächtlichen,  oft  sehr  angstvollen  Phantasien  war 
mein  Vater  im  ganzen  klaren  Geistes,  auch  sein  alter  Humor 
kam  noch  manches  Mal  zutage  und  erleichterte  uns  die  schwere 
Zeit.  Au  den  Kriegsereignissen  nahm  er  anfangs  so  regen  An- 
teil, daß  wir  die  Kriegskarten  mit  Fähnchen  über  seinem  Bett 
aufhängen  mußten,  und  als  mehrere  hundert  französische  Offiziere 
in  Uniform  im  Konveutgarten  ihren  Sold  empfingen,  trug  ich  ihn 
ins  Vorderhaus  an  das  Fenster,  und  nun  glaubte  er  erst  an 
unseren  Sieg.  Eine  seiner  letzten  Freuden  war  es,  als  ich  vor 
seinen  Augen  für  die  Hlumination  zur  Feier  des  Friedens- 
abschlusses fünf  große  Transparente  malte  und  für  die  Germania 
meiner  Schwester  Anna,  für  den  auferstehenden  Barbarossa  meines 
Vaters  verklärte  Züge  nahm.  Auch  das  Erscheinen  meines  ersten 
Holzschnittes,  eines  in  der  Art  meines  Vaters  komponierten  Bilder- 
bogens, erlebte  er  noch.  Im  ganzen  aber  hatte  ich  für  künstle- 
risches Schaffen  wenig  Zeit  und  noch  weniger  Gedanken.  Auch 
nicht  viel  Raum,  denn  ich  war  auf  einen  kleinen  Platz  am  Fenster 
des  zur  Krankenstube  gewordenen  Atehers  angewiesen,  wo  Märchen- 
kompositionen, für  P^arbendruck  berechnet,  in  der  Art  Walter 
Granes,  den  ich  damals  noch  nicht  kannte,  meine  Hauptbeschäf- 
tigung waren.  Als  einige  Jahre  später  Münchner  Freunde  darüber 
lächelten,  habe  ich  sie  mit  schlechten  Studienköpfen  übermalt. 
—  Mein  Vater  wurde  von  seinem  immer  schwerer  werdenden 
Leiden  am  29.  April  1871  durch  den  Tod  erlöst. 

Meine  Absicht  war,  wieder  nach  Weimar  zurückzukehren 
und  unter  Gussow,  der  inzwischen  aus  München  als  Professor 
zurückberufen  war,  Studienköpfe  zu  malen.  Vorher  aber  traf  ich 
mit  meinem  Freunde  Piltz  in  dem,  durch  Knaus  zu  Ehren  ge- 
brachten hessischen  Dorf  Willingshausen  in  derSchwalm  zusammen. 


—     10     — 

Eudlich  eine  wirkliche  Studienreise  und  ein  Platz,  an  dem 
sich  alles  vereinigte:  winklige  Dorfstraßen  mit  obstbaumbeschatteten 
Lehmhäusern,  ein  fruchtbar  welliges  Wiesenland,  die  kräftigen 
Gestalten  und  charaktervollen  Köpfe  der  Männer  und  Frauen 
und  bei  übermäßigem  Fleiß  und  magerer  Kost  alle  gesund  und 
immer  vergnügt.  Dazu  die  schöne,  originelle  Schwalmer  Tracht, 
auch  bei  den  Jungen  und  Mädchen  noch  fast  allgemein  und 
ebenso  die  alten  Volkssitten. 

Wir  sahen  einen  Hochzeitszug  mit  den  spinnenden,  gold- 
bekränzten Brautjungfern  und  dem  hochbepackteu  Ausstattungs- 
wagen, wir  erlebten  den  dreitägigen  Plantanz  unter  der  wirklichen 
Knausschen  Gold-Hochzeitslinde,  wir  nahmen  teil  au  dem  Leichen- 
schmaus unserer  eigenen  Wirtin.  Ich  dachte  nicht  mehr  an 
Historienmalerei!  Die  hessische  Schwalm  zu  verherrlichen,  das 
sollte  das  Ziel  der  nächsten  Jahre  sein.  Und  wie  verstand  es 
Piltz  mit  den  Menschen  umzugehen!  Kinder  und  alte  Weiber, 
die  frischen,  kurzröckigen  Mädchen  und  die  jüdischen  Händler, 
alle  wußte  er  richtig  zu  nehmen;  er  war  der  Held  des  Tages. 
L^nd  wie  lebte  ich  auf  in  seiner  erfrischenden  Nähe,  ich  fühlte 
mich  als  Mensch  und  Künstler  neugeboren!  Bald  war  ich  fast 
ebenso  vertraut  mit  den  urwüchsigen  Menschen  wie  er.  In  den 
ersten  Wochen  machte  ich  alle  Studien  mit  ihm  zusammen.  Später 
zu  ein  paar  Bildern,  die  ich  malen  wollte.  Ich  habe  nie  wieder 
ein  so  fröhlich  harmloses  Spielen  der  Bauernjungen  gesehen  und 
war  in  den  staubigen  Dorfwegen  oder  auf  schattigen  Wiesen  von 
ihnen  immer  umgeben.  Friedlicher  war  die  Unterhaltung  mit 
den  freundlichen  alten  Jungfrauen,  die  tagein  tagaus  am  blumen- 
geschmückten Fenster  neben  dem  sauberen  Himmelbett  sitzen 
und  spinnen  und  sich  mit  einem  unglaublich  geringen  Lohn  be- 
gnügen müssen. 

Ungern  trennte  ich  mich  schon  vor  Ende  September  von 
Willingshausen,  aber  ich  mußte  mich  noch  zur  letzten  Militär- 
uutersuchung  stellen  und  hoffte,  vor  Mitte  Oktober  in  Weimar  zu  sein. 

Aber  gegen  jede  Erwartung  wurden  wir  Brüder  diesmal 
brauchbar  befunden,  obgleich  uns  noch  etwas  an  der  vor- 
geschriebenen Breite  fehlte. 


—    11    — 

In  meinem  Alter,  ein  Jahr  nach  dem  Kriege,  unter  den  für 
Einjährige  in  Hamburg  damals  besonders  unerfreulichen  Ver- 
hältnissen, nachdem  wir  schon  ein  Jahr  verloren  —  das  war 
keine  angenehme  Überraschung.  —  Dennoch  denken  wir  gern  an 
diese  Zeit  zurück,  die  wir,  alles  gemeinsam  erlebend,  mit  gutem 
Humor  durchgemacht  haben.  Insbesondere  hatten  wir  auch  das 
Glück,  in  die  sechste  Kompagnie  zu  kommen,  welche  überhaupt 
viel  originelle  Menschen  enthielt  und  deren  Chef,  der  Mecklen- 
burger Hauptmann  von  Borcke,  in  der  ganzen  Division  wegen 
seiner  unwillkürlichen  Komik  ebenso  bekannt  war,  wie  unser 
Feldwebel  Lindenkohl  als  ehrenwerter  und  gerechtester  Unter- 
offizier des  Regiments.  Da  die  übrigen  Einjährigen  uns  nicht 
sehr  sympathisch  waren  und  von  Avancement  doch  keine  Rede 
war,  so  verkehrten  wir  viel  mit  den  Dreijährigen,  unter  denen 
prächtige  Leute  waren  von  den  Vorsetzen  und  echte  „Dieker", 
die  mit  überwältigendem  Humor  von  ihren  Kriegserlebnissen  zu 
erzählen  wußten.  So  haben  wir  dies  lustige  Soldatenleben  so 
recht  von  Herzen  genossen,  uns  nie  von  Wachen,  Postenstehen 
und  Märschen  zu  drücken  versucht  und  sind  deshalb  sehr  beliebt 
bei  den  Leuten  gewesen.  Besonders  mein  Bruder  Otto,  der  In- 
genieur wurde  und  später  bei  Schwarzwaldbahnbauten  mit  Hun- 
derten von  Arbeitern  zu  tun  hatte,  verstand  die  Leute  vortrefflich 
zu  nehmen,  sie  wären  für  ihn  durchs  Feuer  gegangen.  Die  drei 
Manöverwochen  in  und  um  Reiubeck  bei  herrlichem  Wetter  ge- 
hören zu  meinen  liebsten  Lebenserinnerungen.  Das  beste  war 
aber  dabei,  daß  ich  alle  Strapazen  mühelos  ertragen  habe  und 
seitdem  ein  völlig  gesunder  Mensch  geworden  bin. 

Aber  damals,  als  das  Jahr  „abgerissen"  war,  verfiel  ich  einer 
sehr  niedergedrückten  Stimmung.  Nach  notdürftig  absolvierter 
Studienzeit,  beinahe  zwei  Jahre  aus  meinem  Beruf  heraus,  sah  ich 
ein,  daß  mein  Talent  nicht  ausreichte  und  bereute  ernstlich,  daß 
ich  den  Rat  meines  Vaters  nicht  befolgt,  noch  die  Prima  durch- 
zumachen. Jetzt  war  es  zu  spät,  ich  mußte  hinfort  mir  selbst 
fortzuhelfen  suchen,  wie  es  eben  ging,  und  mit  sehr  trüben  Ge- 
danken stand  ich  in  dem  verödeten  Atelier  und  Krankenzimmer 
meines  Vaters. 


—     12     — 

Da  veranlaßte  mich  Bruno  Piglheiu,  der  gleichzeitig  in  Wands- 
bek  als  Husar  unter  ganz  anderen  Verhältnissen  gedient  hatte, 
mit  ihm  nach  München  zu  gehen,  in  das  frische  begeisternde 
Kunsttreiben,  da  würde  ich  mich  schon  herausrappeln.  Das 
Münchner  Leben  hatte  mir  schon  bei  der  großen  Ausstellung  von 
1869  sehr  imponiert  und  wir  reisten  im  Oktober  1872  über  Berlin 
und  Dresden  nach  München.  Vom  ersten  Tage  an  trat  ich,  durch 
Piglhein  eingeführt,  in  einen  Freundeskreis  talentvoller  und  ge- 
bildeter Genossen,  wie  ich  keine  besseren  hätte  finden  können, 
denn  Piglhein  und  F.  A.  Kaulbach  galten  schon  damals  für  die 
bedeutendsten  jüngeren  Talente. 

Piglheins  Freunde  waren  bald  auch  die  meinen.  Er  selbst 
wurde  unwillkürlich  der  tonangebende  Mittelpunkt,  denn  er  war 
uns  in  allem  überlegen,  an  Schönheit,  an  Vermögen,  an  künstle- 
rischer Begabung,  auch  an  tiefer  weicher  Empfindung.  Ein  be- 
lebendes Element  war  der  Norweger  C.  M.  Ross,  dessen  vielseitige 
Interessen  und  Talente  und  angeborene  Liebenswürdigkeit  des 
Umgangs  ihm  überall,  wohin  er  kam,  zum  Mittelpunkt  heiterer 
Geselligkeit  machten,  und  mit  welchem  ich  in  der  zweiten  Hälfte 
meines  Münchner  Aufenthaltes  eines  sehr  angenehmen  Zusammen- 
wohnens  mich  erfreute,  welches  durch  ein  vorzügliches  Klavier- 
spiel und  abendliches  Phantasieren  noch  besonders  genußreich 
wurde.  Ein  Wiener,  Karl  Fröschl,  später  verschwägert  mit 
A.  Kaulbach,  dem  Jüngsten  von  uns,  dessen  junge  Häuslichkeit 
bald  ein  Mittelpunkt  musikalischer  Geselhgkeit  wurde,  Louis 
Neubert  aus  Leipzig,  ein  talentvoller  Landschafter  und  wegen 
seines  schlagfertigen  Humors  in  ganz  München  bekannt,  eine  alte 
Weimarer  Bekanntschaft,  außerdem  einige  Studenten  der  Medizin 
aus  Hamburg  bildeten  meinen  Umgang. 

Die  trefflichen  Leistungen  der  Münchner  Bühne,  gerade  in 
jenen  Jahren,  machten  uns  alle  zu  eifrigen  Theaterbesuchern,  und 
das  Gespräch  unserer  Tafelrunde  drehte  sich  viel  um  Schauspieler, 
Literatur  und  Musik.  Ross,  ein  Freund  Ibsens  und  Björnsons, 
und  selbst  in  seiner  Kopenhagener  Studienzeit  ein  guter  Schau- 
spieler, war  bewandert  in  der  älteren  und  modernen,  französischen, 
englischen,   deutschen  und  nordischen  Literatur,    ein  großer  Be- 


—     13     — 

wunderer  Wagners,  dessen  Tristan  und  Isolde  und  Ring  der 
Nibelungen  eben  damals  vollständig  aufgeführt  wurden.  Auch 
Piglhein  gehörte  zu  den  Bewunderern  Wagners.  —  Im  ersten 
Winter  war  ich  allerdings  ein  seltener  Besucher  des  Theaters, 
denn  ich  hielt  mich  abends  meist  zu  Hause,  nachdem  ich  wäh- 
rend des  Abendessens  in  einer  der  kleinen  Kneipen  der  Nachbar- 
schaft mir  die  Stellungen  und  Gesichter  der  Arbeiter  und  Spieß- 
bürger so  fest  eingeprägt  hatte,  daß  ich  sie  nachher  aus  dem 
Gedächtnis  nachzeichnen  konnte.  Noch  mehr  interessierten  mich 
die  betenden  und  beichtenden  alten  Weiber  in  den  unheimlich 
prächtigen  kleinen  Zopfkirchen  in  der  Sendlinger  Gegend  bei 
Dämmerung  oder  schwachem  Lampenlicht.  Ich  hatte  nur  nicht 
den  Mut,  dort  Studien  zu  machen.^' 

Damit  brechen  Speckters  Aufzeichnungen  ab.  Mehrere  seiner 
Briefe  an  die  Mutter  und  an  die  Geschwister  sind  erhalten,  die 
seinen  Seelenzustand  in  jenen  Jahren  spiegeln.  Sie  wechseln 
zwischen  einer  lebendigen  Schilderung  des  Münchner  Milieus  und 
Depressionszuständen,  Immer  wieder  erwachen  ihm  Zweifel  an 
seiner  Begabung,  trotz  des  Zuspruchs  der  Münchner  Freunde, 
trotz  des  verdienten  Erfolges,  die  ihm  die  Hausbuch-Illustrationen 
damals  eingetragen  haben.  Er  schwankt  zwischen  Historien- 
malerei und  Studien  nach  Natur  und  Leben,  zwischen  Pinsel  und 
Buchillustration. 

Im  Herbst  1874  ist  er  wieder  in  Weimar.  An  der  Kunst- 
schule haben  Veränderungen  stattgefunden  —  Pauwels  Entlassung 
und  ein  stark  ausgesprochenes  Kliquenwesen,  —  die  ihm  wenig 
liegen.  In  München  hatte  Speckter  selbständig  gearbeitet  und 
seine  ursprüngliche  Absicht,  in  Rambergs  Atelier  einzutreten,  weil 
Ramberg  seinen  Schülern  die  größtmögliche  Freiheit  ließ,  nicht 
ausgeführt.  Ob  er  Piloty,  auf  dessen  Urteil  —  auf  das  Urteil 
allein  —  er  viel  gegeben  hat,  seine  Studien  zur  Korrektur  vor- 
gelegt hat,  wie  dies  seine  Absicht  war,  bleibe  dahingestellt.  In 
Weimar  zieht  es  ihm  wieder  zu  Pauwels;  „falls  jedoch  Pauwels 
wirklich  nach  Dresden  kommt,  dann  glaube  ich  doch,  ich  gehe 
wieder  zu  ihm,"  heißt  es  in  einem  Briefe  an  seinen  Onkel 
Heinrich  Schieiden  (7.  Okt.  1874).     Der  Gedanke,    sich  Rat  und 


—      14     — 

Hilfe  zu  holen,  aufs  neue  zu  lernen,  scheint  ihn  damals  sehr 
beschäftigt  zu  haben;  im  gleichen  Briefe  urteilt  er  über  einen 
neuen  Lehrer  der  Kunstschule:  „Schau ss,  ein  neuer  Berliner, 
kann  gut  malen,  nicht  sonderlich  zeichnen  und  gar  nicht  kom- 
ponieren. Was  soll  das  für  eine  Kunstschule?  Trotzdem  wäre 
es  für  mich  speziell  vielleicht  wichtig,  unter  ihm  wieder  ein 
Dutzend  Studieuköpfe  zu  versuchen." 

Nach  Dresden  ist  Speckter  nicht  gegangen,  wohl  aber  war 
er  wiederholt  in  Weimar,  da  ihm  die  dortigen  Verhältnisse  mehr 
zusagten  als  die  Münchner,  hinter  deren  äußern  Glanz,  dem  alles 
Echte  fehlt,  er  sehr  bald  gekommen  ist.  1876  hat  Heinrich 
Schieiden  ihm  einen  Aufenthalt  in  Italien  ermöglicht.  Er  schwankt 
damals  zwischen  Paris  und  Italien.  Italien  siegt,  vermutlich 
infolge  der  klassischen  Neigungen,  die  Speckter  beherrschen  und 
deren  er  sich  selbst  bewußt  ist.  Vielleicht  wäre  Paris  für  die 
Entwicklung  des  Malers  Speckter  günstiger  gewesen,  vielleicht 
hätte  er  sich  dort  zusammen  mit  seinem  Hamburger  Freund 
Thomas  Herbst  und  seinem  ehemaligen  Studiengenossen  bei 
Pauwels,  Liebermann,  das  feste  malerische  Gerüst  erwerben 
können,  das  ihm  gefehlt  hat.  Vielleicht  hätte  auf  französischem 
Boden  Farbe  für  ihn  an  Ausdruckskraft  gewonnen,  während  sie 
für  ihn  das  Sekundäre  geblieben  ist.  An  sich  sind  solche  Er- 
wägungen müßig,  Speckter  hat  Italien  Paris  vorgezogen  und  ist 
fast  ein  Jahr  im  Süden  geblieben. 

Was  Italien  ihm  bedeutet  hat,  davon  geben  die  nachstehend 
veröü entlichten  Briefe  ein  deutliches  Zeugnis,  Nicht  der  Künstler 
allein,  auch  der  Mensch  erstarkt  in  sich,  sucht  sich  ohne  Bitter- 
keit in  den  Grenzen  zu  bescheiden,  die  die  Natur  ihm  gezogen 
und  die  er  für  enger  gehalten  hat  als  sie  wohl  waren.  Hunderte 
von  Skizzen  beweisen,  wie  fleißig  er  in  Italien  gearbeitet  hat, 
er  ist  jedoch  klar  über  Aufgaben  und  Ziele  der  Kunst  und  klar 
über  das,  was  er  will,  hingegangen,  so  daß  ein  wesentlicher  Um- 
schwung in  seiner  Formensprache  sich  nicht  vollzogen  hat,  „Ich 
werde  mir  Italien  hauptsächlich  in  dekorativer  Hinsicht  be- 
trachten," schreibt  er  an  seinen  Bruder  Erwin  unmittelbar  vor 
seiner  Abreise,     „Das  war  von  Anfang  an  mein  hauptsächliches 


—     15     — 

Streben.  Und  jetzt,  wo  die  Möglichkeit  derartiger  Aufträge  so 
deutlich  vorhanden  ist,  tritt  die  Sehnsucht  danach  wieder  mit 
der  ganzen  Kraft  hervor."  Speckters  größere  künstlerische  Reife, 
die  im  Ausgang  der  siebziger  Jahre  einsetzt,  ist  das  Ergebnis 
einer  organischen  Entwicklung,  nicht  ein  ihm  von  außen,  durch 
das,  was  er  in  Italien  gesehen  hat,  Zugeflogenes. 

Nach  seiner  Rückkehr  wird  Hamburg  sein  bleibender  Wohnsitz. 
Er  gehört  in  diese  Stadt,  mit  der  er  sich  innerlich  eng  ver- 
wachsen fühlt,  die  ihm  gegenwärtig  ist  auf  italienischem  Boden 
und  Maßstab  für  so  viel  Schönes,  er  gehört  hierher,  obgleich  er 
sich  in  Hamburg  nicht  sehr  wohl  gefühlt  haben  mag  und  ziemlich 
isoliert  als  Künstler  in  der  Kaufmannsstadt.  Er  leidet  an  einer 
äußeren  Zersplitterung  und  hat  nicht  die  Kraft,  sich  zu  kon- 
zentrieren. Er  klagt  seinem  Bruder  Erwin:  „Von  meiner  Tätig- 
keit ist  nicht  viel  zu  berichten.  Ich  leide  an  den  altbekannten 
Fehlern  der  Zersplitterung  und  Talentlosigkeit.  Bald  dekorative 
lebensgroße  Figuren,  bald  Lilliputer  für  Holzschnitt,  bald  Zeich- 
nungen für  einen  Bücherschrank  zu  einem  holzgeschnitzten 
Rahmen  .  .  .  jetzt  lebensgroßes  Kinderporträt  von  Hans  und  Anna 
Duncker,  obendrein  tausend  Nebeninteressen,  die  mich  abziehen 
—  da  hast  Du  mein  gegenwärtiges  Leben !^'  (18.  Febr.  1879). 

An  äußeren  Ereignissen  war  sein  Leben  nicht  reich.  1884 
hat  er  sich  entschlossen,  den  Unterricht  an  der  Mädchen-Gewerbe- 
schule zu  übernehmen,  um  seiner  äußeren  Existenz  einen  festen 
Halt  zu  geben.  An  der  Talentlosigkeit  und  Indolenz  seiner 
Schülerinnen  leidend,  wurde  ihm  der  Unterricht  an  diesem  In- 
stitut, der  ihm  mehr  Zeit  und  Kraft  genommen  als  er  geglaubt 
hatte,  zur  Qual.  Einige  bescheidene  Erfolge:  Siege  in  künst- 
lerischen Konkurrenzen  und  die  goldene  Medaille  in  München  für 
einen  Glasfensterkarton,  wurden  ihm  in  seinen  letzten  Lebens- 
jahren zuteil,  und  doch  lagen  ihm  bei  der  Vielgestaltigkeit  seiner 
Interessen  vaterstädtische  Angelegenheiten  nicht  weniger  am 
Herzen  als  künstlerische  Probleme.  Er  sucht  das  allgemeine 
künstlerische  Niveau  Hamburgs  zu  heben  und  hat  sich  mit  der 
ganzen  Wärme  seiner  reichen  Natur  eingesetzt  für  die  Gründung 
eines  Museums  für  Hamburgische  Geschichte.     Eine  Zentrale  für 


—     16     — 

die  Denkmäler  von  Hamburgs  Vergangenheit  sollte  geschaffen 
werden.  Andere  sollten  später  die  Früchte  seines  Tuns  ernten, 
seine  Zeit  hat  das  Umfassende  und  Notwendige  dieses  Planes 
nicht  begriffen. 

Den  vielen  inneren  Stürmen  vermochte  seine  Natur  nicht 
Stand  zu  halten.  Eine  nervöse  Gereiztheit  nahm  überhand  und 
nach  zwei  grausamen  Leidensjahreu  starb  er  am  29.  Oktober 
1888  in  der  Nähe  Lübecks. 

Hamburg  hat  sehr  viel  an  Hans  Speckter  verloren.  Er 
wäre  das  Bindeglied  gewesen  zwischen  der  älteren  und  der 
jüngeren  Künstlergeneration;  im  Erfassen  malerischer  Probleme 
ist  er  oft  erstaunlich  modern  und  seiner  Zeit  überlegen.  Und 
doch  wurzelt  er  im  alten  Hamburg,  dem  er  angehört,  durch  seine 
Abstammung  von  einer  Familie,  die  sich  bereits  in  dritter 
Generation  verdient  gemacht  hat  um  Hamburgs  Kultur  und 
Kunst,  ohne  daß  es  ihr  je  gegönnt  gewesen  wäre,  die  Früchte 
ihres  Tuns  zu  ernten.  Bei  seiner  ausgesprochenen  literarischen 
Begabung  wäre  er  der  gegebene  Historiograph  einer  Maler- 
generation gewesen,  der  er  nahe  stand  durch  seinen  Vater,  seine 
Lehrer  und  die  Berichte  seiner  Mutter,  die  das  Erbe  der  Ver- 
gangenheit treu  gehütet  hat.  Manches  wäre  beisammen  ge- 
blieben, was  heute  in  alle  Winde  verstreut  ist  und  mühsam 
zusammengesucht  werden  muß.  Vielleicht  hätte  sich  durch 
ihn  etwas  wie  künstlerische  Tradition  vererbt  auf  ein  jüngeres 
Geschlecht. 

Elins  aber  unterliegt  keinem  Zweifel:*  war  sich  Speckter 
nicht  ganz  klar  über  seine  Begabung,  war  er  immer  bereit,  sich 
einzusetzen  für  Kulturaufgaben,  den  Maler  dem  Schriftsteller  zu 
opfern  —  darin  lag  das  wesentliche  seiner  Persönlichkeit  nicht. 
Für  diese  konservierende  Tätigkeit  war  er  eigentlich  zu  schade, 
dafür  hätte  auch  die  Begabung  anderer  gereicht.  Wenn  Speckter 
sich  mit  rücksichtsloser  Energie,  mit  einer  Härte,  die  ihm  nich 
zu  eigen  war,  konzentriert  hätte  allein  auf  das,  was  ihm  not  tat 
—  auf  produktive  künstlerische  Tätigkeit  —  er  wäre  zu  größeren 
künstlerischen  Lösungen  gekommen  und  wäre  vielleicht  ein  glück- 
licher Mensch  geworden,  weniger  an  Zwiespalt  krankend. 


—     17     — 

Besser  als  wir  Nachgeborenen,  die  ihn  nicht  gekannt  haben, 
es  vermöchten,  charakterisiert  den  Menschen  Speckter  sein 
Freund  F.  v.  Thiersch,  sein  Reisegefährte  in  Italien. 

„Was  mich  für  Speckter  so  einnahm,  war  sein  bescheidenes, 
schlichtes  und  ernstes  Wesen,  seine  Tiefgründigkeit  und  Viel- 
seitigkeit. Er  war  einer  von  denen,  die  mit  offenem  Herzen 
überall  lernen  und  zugleich  lehrreich  wirken.  Nicht,  daß  er 
sofort  brilliert  und  imponiert  hätte.  Der  Mensch  mit  seinen 
liebenswürdigen  Seiten  mußte  erobert  werden,  aber  dann  hatte 
man  etwas  von  dieser  köstlichen,  feinen  Natur.  Dabei  besaß  er 
eine  wohltuende  innere  Ausgeglichenheit  und  einen  gleichmäßig 
heiteren,  niemals  nach  dem  Unedlen  gerichteten  Sinn.  .  .  . 
Speckter  war  von  jener  Art,  die  das  Wesen  der  Dinge  zu  er- 
greifen sucht,  und  wäre  er  nicht  ein  so  feiner  Künstler  gewesen, 
so  müßte  er  als  Schriftsteller  bedeutend  geworden  sein." 


In  Speckter  hat  sich  schon  früh  der  Trieb  geregt,  bildnerisch 
zu  gestalten,  für  das  Kind,  das  im  Atelier  des  Vaters  groß  ge- 
worden und  in  einem  malerischen  alten  Hause  voll  romantischer 
Winkelchen  aufgewachsen  ist,  war  es  selbstverständlich,  zu  Blei- 
stift und  Papier  zu  greifen,  wenn  seine  Phantasie  angeregt  wurde. 
Und  es  bedurfte  nur  eines  geringen  Anlasses,  um  seine  Phantasie 
in  Bewegung  zu  setzen:  nüchterne  Zeitungsberichte  über  statt- 
gehabte Schlachten  genügten,  um  seine  produktive  Tätigkeit  aus- 
zulösen. Und  doch  hat  es  verhältnismäßig  lange  gedauert,  ehe 
er  sich  entschloß,  Maler  zu  werden.  In  der  Schleidenschen  Schule 
wirkt  der  Naturgeschichtsunterricht  stark  auf  ihn  ein,  und  sofort 
steht  der  Entschluß  des  Knaben  fest,  Naturforscher  zu  werden. 
Als  ihn  später  während  der  Konfirmationszeit  rehgiöse  Probleme 
beschäftigen,  will  er  zur  Theologie  übergehen.  Diese  Schwan- 
kungen in  so  jugendhchem  Alter  haben  bei  Speckter  mehr  zu  be- 
deuten als  die  üblichen  Jugendideale  und  Wünsche,  die  den 
damit  Behafteten  im  allgemeinen  nicht  hindern,  im  spätem  Leben 
in  einem    praktischen  Beruf,    der   lediglich    auf   den    Erwerb  ge- 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  2 


—     18     — 

richtet  ist,  unterzutauchen.  Das  Zwiespältige  seiner  Begabung 
und  seine  schwankende  Natur,  die  auf  jeden  äußern  Anstoß 
reagiert,  zeigt  sich  darin.  Speckter  hat  trotz  der  relativ  günstigen 
äußern  Verhältnisse  nicht  zu  jenen  Bevorzugten  gehört,  die  für 
ihren  Beruf  gleichsam  prädestiniert  sind.  Für  die  es  eine  Wahl, 
ein  Anderskönnen  nicht  gibt,  die  zu  Zeiten  schwer  tragen  mögen 
an  dem  ihnen  Auferlegten,  die  aber  so  fest  damit  verwachsen 
sind,  daß  die  Ausübung  ihres  Berufes  ihnen  nicht  minder  selbst- 
verständlich ist  als  jede  körperliche  Funktion.  Bis  in  seine  letzten 
Jahre  quält  ihn  der  Zweifel,  ob  er  als  Maler  oder  Schriftsteller 
mehr  leisten  könne,  weil  er  die  letzten  Fragen  der  Kunst  zu  er- 
fassen glaubt,  und  seine  Einsicht  ihm  sagt,  daß  er  das  Erkannte 
nicht  zu  gestalten  vermag. 

Sein  frühester  zeichnerischer  Versuch,  treu  von  der  Mutter 
gesammelt  und  heute  im  Besitz  der  Familie,  stammt  aus  dem 
Jahre  1859.  Der  Knabe  ist  elf  Jahre  alt,  von  einer  ernsthaften 
Unterweisung  ist  natürlich  noch  nicht  die  Rede.  Seine  nächste 
Umgebung  drängt  ihn  zum  Gestalten:  die  Fassade  des  elterlichen 
Hauses  in  der  Fuhlentwiete  mit  den  vor-  und  zurückspringenden 
Stockwerken  wird  gezeichnet.  Aus  dem  einen  Fenster  blickt  der 
Vater,  aus  dem  andern  die  Geschwister,  Kinder  spielen  auf  der 
Straße.  Porträtabsicht  scheint  trotz  der  kleinen  Verhältnisse  vor- 
zuliegen. Er  hat  die  Aufgabe  merkwürdig  gut  gelöst;  die  Pro- 
portionen stimmen  natürlich  nicht,  und  den  Maßstab  des  „Korrek- 
ten" darf  man  nicht  anlegen,  aber  das  Ganze  ist  mit  einer  ge- 
wissen frischen  Verve  gezeichnet.  Die  Behandlung  des  Figür- 
lichen entspricht  seiner  Altersstufe.  Den  wenigst  sympathischen 
Eindruck  macht  der  Stamm  links  vor  dem  Hause.  Das  ist  keine 
gefühlte  Form,  sondern  fast  mit  einer  gewissen  Geschicklichkeit 
hingeschrieben,  wie  von  jemand,  der  nach  Vorlagen  gearbeitet  hat. 

Das  Jahr  1865  wird  entscheidend  für  Speckters  Leben.  Der 
Entschluß  reift  in  ihm,  Maler  zu  werden.  Der  Vater  setzt  dieser 
Absicht  einen  nur  scheinbaren  Widerspruch  entgegen;  da  er  die 
Begabung  des  Sohnes  frühzeitig  erkannt  hat,  geht  damit  ein  lang 
gehegter  Wunsch  in  Erfüllung.  Martin  Gensler  und  Asher  leiten 
Speckters  ersten  Unterricht.     Nach  dem   Erhaltenen  hat  Geusler 


—     19     — 

stark  auf  ihn  gewirkt,  während  man  nach  Ashers  Spuren  ver- 
gebens sucht.  Dabei  hat  Speckter  ihm  eine  dankbare  Erinnerung 
bewahrt.  Aus  Weimar  (17.  VII.  76)  klagt  er  der  Mutter:  „Mit 
meiner  Arbeit  geht  es,  obgleich  ich  eigentlich  fleißig  bin,  nicht 
wesentlich  rascher  vorwärts  als  in  Hamburg.  Asher  fehlt  mir 
doch  so  oft!  So  manches,  was  mir  erst  nach  tagelangem  Mühen 
klar  wird,  würde  er  mir  beim  ersten  Blick  haben  sagen  können. 
Von  den  hiesigen  Freunden  kann  keiner  ihn  mir  ersetzen."  Auch 
auf  italienischem  Boden  hat  Speckter  dankbar  betont,  wieviel  er 
an  Einsicht  in  künstlerischen  Fragen  Asher  zu  danken  habe. 
Seltsamerweise  entzieht  er  sich  jetzt  und  später  künstlerich  dem 
Einfluß  des  sehr  geliebten  Vaters  vollkommen.  Nichts  läßt  darauf 
schließen,  daß  er  der  Sohn  Otto  Speckters,  des  Fabelzeichners 
und  Illustrators  ist.  Was  zwischen  ihnen  liegt,  ist  nicht  nur  der 
Unterschied  und  Gegensatz  zweier  Generationen,  es  ist  ein  anderes 
Empfinden  für  Dekoration  und  Flächenverteilung.  Es  wird  darauf 
noch  bei  den  vielen  Gelegenheitsblättern  von  Vater  und  Sohn  hin- 
zuweisen sein. 

Die  Unterweisungen  bei  Gensler  —  der  Knabe  geht  noch 
aufs  Gymnasium  —  beginnen  in  der  damals  üblichen  Weise. 
Der  Lehrer  läßt  ihn  seine  Zeichnungen  kopieren.  Das  war  nicht 
eben  der  schlimmste  Weg.  Gensler  hat  mit  Stift  und  Feder  wie 
im  Aquarell  interessante  alte  Baulichkeiten  in-  und  außerhalb 
Hamburgs  festgehalten,  nicht  versucht,  sie  in  eine  malerisch- 
romantische Sphäre  zu  heben,  sondern  sich  an  die  Wirklichkeit 
mit  Treue  und  Exaktheit  gehalten.  In  dieser  völligen  Anspruchs- 
losigkeit, in  dieser  Schlichtheit  des  Schauenden  und  des  Ge- 
schauten-  liegt  ein  gewisser  Reiz,  vielleicht  etwas  nüchterner  Natur, 
aber  Speckter  wurde  nicht  auf  den  gefährlichen  akademischen 
Weg  gedrängt,  mit  einem  mechanisch  erlernten  Können  zu  prunken. 
Eine  Reihe  von  Zeichnungen  nach  Gensler  aus  dem  Jahre  1866 
bat  sich  erhalten,  neben  architektonischen  einzelne  figürliche 
Skizzen  —  Typen  aus  Blankenese  —  sie  legen  Zeugnis  ab  vom 
ernsthaften  Fleiß  des  jungen  Menschen.  Daneben  hat  er  schon  be- 
gonnen, die  Natur  auf  seine  eigene  Art  zu  befragen.  Er  macht 
Studien    „auf  unserm  Dache"    (1864);    die  Typen   des   Zigeuner- 

2* 


—     20     — 

lagers  auf  der  Horner  Rennkoppel  (1865)  interessieren  ihn.  Die 
Behandlung  der  Köpfe  deutet  auf  Schule,  in  den  Pferden^  Zelten, 
Häusern  ist  er  freier  von  Genslers  Art  als  in  mancher  spätren 
Zeichnung.  Im  Oktober  1866  zeichnet  er  die  Ruine  Alt-Lieben- 
stein. Ein  großer  Raum  auf  bürgerlichem  Gelände  beherrscht 
die  Komposition,  im  Hintergrund  schlanke  Stämme.  Das  Blatt 
steht  innerhalb  der  Tradition  der  Vollmer  und  Morgenstern ;  leise 
macht  sich  eignes  Sehen  bemerkbar.  Der  erste  Ausflug  in  die 
Ferne  gilt  dem  benachbarten  Lübeck.  Vom  Dach  des  Duffkeschen 
Hotels  aus  zeichnet  er  die  Marienkirche;  auch  das  Haus  am 
Burgplatz  und  die  ewige  Lampe  im  Dom  werden  mit  dem  Stift 
nachgebildet.  Im  April  1865  ist  er  in  Ratzeburg.  Der  Dom  wird 
aquarelliert  vom  „Probstengarten"  aus,  ferner  die  Chorseite  und 
frühgotisches  Chorgestühl.  Etwas  bunt,  aber  lebendig  in  Farbe, 
sein  Ton  wird  später,  auch  im  Aquarell,  matter,  nachdem  er  die 
Segnungen  der  Akademie  erfahren  hat. 

Die  Familienmitglieder  dienen  als  Modell;  der  kleine  Bruder 
Gerhard  wird  auf  dem  Schaukelpferd  sitzend  gezeichnet  (1866). 
Die  drei  Blätter  nach  ihm  sind  rührend  unbeholfen ;  Kinderstudien 
dieser  Art  gab  es  unter  den  Vorlagen,  die  Speckter  zu  Gebote 
standen,  nicht.  Er  konnte  sich  nur  an  die  Natur,  an  das  Selbst- 
geschaute  halten,  und  folgt  ihr  ängstlich  mit  tastenden  Schritten. 
Ein  Jahr  früher  hat  er  den  Vater  gezeichnet.  Die  Zeichnung 
ist  ausdrucksvoller  und  reifer;  weich  umgibt  der  Vollbart  Otto 
Speckters  leidendes  Gesicht  und  leiht  ihm  etwas  vom  Aposteltypus. 
Ein  Zusammenhang  mit  der  Hamburger  Nazarener- Tradition  ist 
in  der  Auffassung  unverkennbar.  Eine  Olskizze  nach  dem  Vater 
entsteht  ein  Jahr  darauf.  Für  den  18  jährigen  eine  sehr  anständige 
Leistung,  doch  wirkt  die  Skizze  akademischer  als  die  empfundenere 
Zeichnung.  Speckters  Art  spricht  daraus:  nicht  Sturm  und  Drang, 
noch  Bruch  mit  dem  Hergebrachten,  aber  ein  Versuch,  innerhalb 
gegebener  Grenzen  ein  Ausgereiftes,  in  sich  Geschlossenes  zu  geben. 

Der  Besuch  der  Weimarer  Kunstschule  hat  diesen  Studien 
nach  der  Natur  ein  Ende  bereitet.  An  ihre  Stelle  treten  un- 
leidHche  Skizzen,  die  Pauwels  Kompositionsklasse  ihr  Entstehen 
verdanken.    Der  Olymp  und  der  christliche  Himmel  müssen  her- 


—     21     — 

halten,  ..Luther  als  Kind",  die  „Visite  der  Königin  von  Arabien 
bei  Salomo",  Savonarola  auf  dem  Marktplatz,  Helden  in  alt- 
deutschem und  antikem  Kostüm,  Gefangene,  denen  das  Todes- 
urteil verlesen  wird,  schreibende  Mönche  mit  Hunden  und  Raben, 
einige  bürgerliche  Rührseligkeiten  —  kurz  die  üblichen  akade- 
mischen Arbeiten  wurden  mit  einem  Eifer,  der  einer  bessern  Sache 
würdig  wäre,  gelöst.  Speckter  hat  das  anregende  Weimarer  Leben 
auf  sich  wirken  lassen  und  sich  günstig  darüber  ausgesprochen. 
Auch  in  späteren  Jahren  zieht  es  ihn  nach  der  Hm  und  er  be- 
dauert die  Unterbrechung  seiner  Studien,  die  durch  Krankheit 
und  Pflege  des  Vaters  und  sein  Militärjahr  verursacht  wurden. 
Stellt  man  die  Frage,  ob  dieser  Weimarer  Aufenthalt  von  Vorteil 
für  seine  künstlerische  Entwicklung  gewesen  ist,  so  kommt  man  zu 
einem  negativen  Ergebnis.  In  Speckter  kämpfen  zwei  Naturen: 
neben  der  Freude  am  Skizzieren  nach  der  Natur,  neben  der  Einsicht, 
daß  es  ihm  als  Künstler  not  täte,  nicht  in  der  Stadt  zu  wohnen, 
sondern  am  Lande  der  Natur  möglichst  nahe  zu  leben,  eine  ver- 
hängnisvolle Vorliebe  für  historische  Stoffe.  Darin  ist  er  Kind 
seiner  Zeit,  und  die  grande  peinture  eines  Pauwels  hat  es  ihm 
angetan.  Diese  Vorliebe  erhält  in  Weimar  eine  bedenkliche 
Steigerung,  aber  sie  hat  höchstens  dazu  beigetragen,  ihn  der  Natur 
zu  entfremden.  Mit  den  theatralischen  Requisiten  des  Historien- 
bildes war  für  Speckter  so  wenig  wie  für  seine  Zeitgenossen  — 
die  damaligen  Tagesberühmtheiten  nicht  ausgenommen  —  Großes 
zu  erreichen.  Otto  Speckter,  dessen  künstlerische  Kraft  nicht 
durch  die  Akademie,  sondern  durch  Ungunst  der  Verhältnisse  und 
Krankheit  gebrochen  war,  hat  das  Ungesunde  dieses  Tuns  sehr 
bald  eingesehen.  Er  drängt  zur  Selbständigkeit,  zum  Fertig- 
machen, Aber  die  Wege,  die  er  dem  Sohn  vorschlägt:  das  Genre- 
bild und  die  Vorbilder,  die  er  ihm  nennt:  Hugo  Kauffmann 
und  Piltz  sind  für  die  Auffassung  unserer  Generation  nicht 
gerade  überzeugend  und  basieren  auch  nicht  auf  Einsicht  in 
das  Beste,  das  Speckter  zu  leisten  vermag.  Auf  das  Drängen 
des  Vaters  entsteht  die  „Kinderstube".  (Ölbild  bei  Herrn 
Erwin  Speckter,  Bergedorf,  Olstudie  dazu  in  der  Kunsthalle  in 
Hamburg.) 


—     22     — 

Kommt  man  von  der  Betrachtung  der  Kompositionsskizzen, 
so  wirkt  sie  befreiend  und  ist  doch  nicht  mehr  als  ein  anständiges 
Schulbild,  in  dem  wenig  selbständige  Beobachtung  steckt.  Die 
Farbengebung  in  ihren  tiefen  roten  Klängen  schließt  sich  an  die 
Tradition  der  Alten  an  und  hat  keine  selbständige  Bedeutung. 
Speckter  hat  seine  Geschwister  des  Morgens  beim  Anziehen  be- 
lauscht. Der  vom  Eücken  gesehene  Knabe,  der  seinen  Strumpf 
anzieht,  ist  die  lebendigste,  gefühlteste  Figur  im  Bilde. 

Die  erfreulichste  unter  den  in  Weimar  entstandenen  Kom- 
positionen ist  eine  getuschte  Federzeichnung  vom  August  1868. 
Der  gesamte  Lehrkörper  der  Kunstschule  ist  zu  einem  Gruppen- 
bild vereinigt:  Kalckreuth,  Pauwels,  Genelli,  Wislicenus,  Prell  er, 
Thumann,  Marter  steig  usw.,  zwölf  Personen  bewegen  sich  auf  der 
Treppe  vor  der  Front  eines  Hauses.  Genelli  bildet  die  betonte 
Mitte.  Durch  den  gewählten  Hintergrund  ergibt  sich  die  An- 
ordnung der  stehenden,  sitzenden  und  gegen  die  Mauer  gelehnten 
Gestalten  zwanglos.  Die  Komposition  ist  ohne  Anleihe  an  die 
Gruppenbilder  der  Holländer  des  17.  Jahrhunderts  entworfen  und 
ist  wohl  ein  Gelegenheitsblatt,  das  dem  Zufall  sein  Entstehen 
dankt.  Die  Ausführung  der  Skizze  in  großem  Maßstabe  hätte  das 
Können  des  20jährigen  jedenfalls  überstiegen. 

Durch  die  Thüringer  Studienreise  in  Piltzs  Gesellschaft 
findet  die  trostlose  Hamburger  Zeit  einen  heitern  Abschluß.  Es 
mag  die  glücklichste  Periode  in  Speckters  Leben  gewesen  sein. 
Alles  Grübeln,  zu  dem  seine  schwere,  nordische  Natur  neigt,  liegt 
hinter  ihm,  von  Schaffensfreude  erfüllt,  lebt  er  dem  Augenblick. 
In  Trier',  wo  er  den  Freund  der  Familie  Pater  Hugiies  besucht 
und  einen  starken  Eindruck  vom  katholischen  Klosterleben 
empfängt,  in  Bacharach,  in  Kreuznach,  in  Alsfeld,  in  Willings- 
hausen  hat  er  gezeichnet.  Alles  fesselt  ihn,  in  bunter  Reihe  stehen 
landschaftliche  Skizzen  neben  bäuerlichen  Interieurs,  Blumen- 
studien neben  Figürlichem,  „'s  Madlische",  „s'  Nabelche",  „die 
Tolle"  —  die  charakteristischen  Typen  des  Dorfes  müssen  her- 
halten. Bleistift-,  Aquarell-  und  Ölskizze  wechseln.  Zu  den  Skizzen 
treten  als  willkommene  Ergänzung  die  Briefe  an  seine  Familie. 
Ruhig  steckt  er  zu  Beginn  seiner  Laufbahn  die   Grenzen   seines 


—     23     — 

Könnens  ab  und  zieht  die  Bilanz  mit  einer  frohgemuten  Sicher- 
heit, die  nicht  ganz  frei  von  Resignation  ist.  „Darüber  bin  ich 
nair  ja  auch  schon  lange  klar,  daß  etwas  Außergewöhnliches  nicht 
in  mir  steckt  und  bin  durchaus  nicht  niedergeschlagen  darüber. 
Gerade  Vaters  kulturhistorische  Auffassung  der  bildenden  Kunst 
ist  sowohl  Piltzs  wie  meine;  da  kann  auch  ein  Talent  zweiten 
Ranges  viel  Schönes  schaffen,  sich  und  andern  zur  Freude."  (An 
seine  Mutter  am  23.  Juli  1871.) 

Das  Militärjahr  bringt  innerhalb  kurzer  Zeit  die  zweite  Unter- 
brechung in  Speckters  Tätigkeit.  Auf  Piglheins  Veranlassung  geht 
er  mit  ihm  1872  in  tiefer  Verstimmung  nach  München.  Das 
neue  Milieu  wirkt  anregend.  Im  Odeonkonzert,  im  Caf^  Probst, 
in  der  protestantischen  Kirche  hat  er  seine  Studien  gemacht. 
Das  Charakteristische  der  südlichen,  lebhaftem  Bevölkerung  reizt 
ihn  und  wird  mit  wenigen  energischen  Strichen  festgehalten.  Der 
Philister  von  dem  Biertisch,  so  gut  wie  die  Andächtigen  in  der 
Kirche  und  die  Zuschauer,  die  mit  vorgeneigtem  Oberkörper  in 
gespannter  Aufmerksamkeit  den  Vorgängen  auf  der  Bühne  folgen. 
Vorstudien  für  jenes  Bild  auf  der  Gralerie  des  Hamburger  Stadt- 
theaters, das  etwa  zehn  Jahre  später  entstanden  ist. 

Depressionszustäude  sind,  wie  die  Briefe  an  die  Angehörigen 
verraten,  in  diesem  Münchner  Jahre  nicht  eben  selten.  Die  peku- 
niäre Abhängigkeit,  der  ausbleibende  Erfolg,  sei  er  auch  noch  so 
bescheiden,  beginnen  ihm  zu  lasten.  Verkaufsbilder  sollen  ent- 
stehen; er  hat  sich  damals  in  einigen  kleinen  Genrebildern  ver- 
sucht: Frauen  am  Spinnrocken,  ein  kleines  Mädchen,  das  die  Uhr 
aufzieht,  milchschleckende  Katzen  usw.  Es  sind  jene  üblichen 
Nichtigkeiten  der  siebziger  Jahre,  die  allein  stofflich  auf  das 
Publikum  wirken  sollen  und  ihre  Liebhaber  gefunden  haben.  Am 
künstlerisch  Unbefriedigenden  dieses  Tuns  hat  Speckter  schwer 
getragen.  „Deine  Warnung,  nicht  zu  sehr  auf  die  Verkäuflich- 
keit  zu  sehen,  war  nicht  überflüssig,  denn  im  Anfang  deprimierte 
mich  das  Gefühl,  schon  so  alt  zu  sein  und  noch  andern  zur 
Last  zu  fallen,  allerdings  mehr  als  gut  war.  Bilder  malen  zu 
wollen,  w^elche  partout  verkäuflich  sind,  ist  außerdem  ein  Unsinn, 
denn   nur   das  kann   gut   werden,   was  mit  Freudigkeit   gemacht 


—     24     — 

ist..."   (an    seinen    Onkel  Schieiden    aus  München    am   11.  De- 
zember 1872) 

Mit  diesen  süßlichen  Bildern  sind  die  „Bauernjungen"  nicht 
zu  vergleichen.  Das  Motiv  hat  ihn  lange  beschäftigt,  Vorstudien 
dafür  wurden  schon  in  Willingshausen  gemacht.  „Wie  mir's  mit 
meiner  Arbeit  geht?  Sehr  schlecht,  aber  nicht  mutlos,  im  Gegen- 
teil sehr  fleißig  und  voll  neuer  Lust.  Mein  Bild  ist  viel  zu 
schwierig  gewählt.  Viele  dramatisch  bewegte  Figuren  im  Freien! 
Defreggers  Raufer  waren  im  geschlosseneu  Raum,  daher  bedeutend 
leichter.  Außerdem  haben  meine  Figürchen  ungeeignete  Größe: 
zu  klein,  um,  ohne  kleinlich  zu  pimi^eln,  Ausdruck  hineinzulegen, 
zu  groß,  um  sie  nur  als  Staffagepüppchen  zu  behandeln.  Doch 
ich  lerne  viel  dabei  und  habe  viel  Spaß  daran  .  .  ."  (an  seine 
Mutter  aus  Willingshausen  am  10.  September  1871).  Aus  München 
schreibt  er  an  seine  Mutter:  „Ich  bin  mir  noch  nicht  einig,  was 
ich  zunächst  malen  will,  wahrscheinlich  aber  die  Willingshauser 
Jungens.  Dazu  habe  ich  die  meiste  Lust,  die  meisten  Studien 
und  die  meisten  Verkaufschancen .  .  .  Neue  Genrebilder  anzufangen 
ist  schwer,  weil  man  nicht  mehr  aufs  Land  kann,  um  Studien 
zu  machen,  und  die  Motive,  die  man  hier  sieht,  bestehen  doch 
größtenteils  aus  Kneipszenen,  Obstverkäuferinnen  usw.,  hundert- 
fach gemalten  Gegenständen.  Meine  Willingshauser  Jungens  sind 
dagegen  originell  und  gefallen  allen,  die  sie  sehen  .  .  .  Vor  Pigl- 
heins  Besuch  hatte  ich  etwas  Angst,  denn  er  sagt  unverhohlen 
Wahrheiten  und  macht  große  Ansprüche.  Er  war  über  Erwarten 
zufrieden,  fand,  daß  ich  seit  Weimar  außerordentliche  Fortschritte 
gemacht  hätte,  besonders  im  malerischen  Denken.  Er  hatte  die 
Zieh -Jungen  noch  nicht  gesehen  und  riet  mir,  durchaus  sie  zu 
malen"  (aus  München  am  24.  Oktober  1872).  Das  Bild  hat  im 
Kunstverein  viel  Beifall  gehabt  und  fand  auch  den  ersehnten 
Käufer  in  einem  Münchner  Kunsthändler.  Der  gegenwärtige  Be- 
sitzer des  Bildes  war  nicht  mehr  zu  ermitteln.  Zwei  Aquarell- 
skizzen befinden  sich  im  Besitz  der  Familie.  Speckter  beschreibt 
das  Motiv:  „Jungen  spielen  , Ziehens*,  Schluß  von  ,Süsterpaar  ut', 
nach  dem  ,Treck  op  de  Brück,  treck  dal  de  Brück"  (11.  Juli  1871). 
Fünf  Jungen  halten  sich  an  den  Händen  fest,  ein  sechster  liegt 


—     25     — 

bereits  am  Boden,  ein  siebenter  lehnt  gegen  die  Mauer.  Die 
Bewegung  klingt  in  der  Gruppe  des  rechts  im  Hintergrunde 
sitzenden  Mannes  mit  dem  Kinde  aus.  Das  Bild  wirkt  lebendig  in 
Bewegung;  man  merkt  es  ihm  an,  daß  es  keine  Mußarbeit  war. 
„An  den  ganz  dunklen  Tagen  tue  ich  an  meinen  Bauernjungeu 
keinen  Strich,  arbeite  überhaupt  nur  daran,  wenn  ich  wirklich 
Lust  habe  und  vorher  weiß,  daß  ich  was  machen  kann"  (am 
11.  Dezember  1872). 

Daneben  regt  sich  die  Vorliebe  für  historische  Kompositionen 
und  er  fährt  im  gleichen  Briefe  fort:  „Ich  bereite  mich  auf  eine 
größere  historische  Komposition  vor,  die  mir  schon  in  Hamburg 
durch  den  Sinn  ging  und  mit  der  ich  mich  diesmal  an  der  Kon- 
kurrenz für  historische  Bilder  beteiligen  möchte  .  .  .  Die  gründ- 
liche Kenntnis  unserer  alten  Geschichte,  ihre  sinnigen  und  naiven 
Bräuche,  Trachten,  Geräte,  Architektur  usw.  fesseln  mich  bei 
meinen  Studien  außerordentlich.  ,Den  Söhnen  der  Väter  einst'gen 
Ruhm  zu  zeigen'  ist  zwar  nicht  die  höchste  Aufgabe  der  Kunst, 
wohl  aber  eine  der  höchsten,  und  —  wenn  auch  nicht  aus- 
schließlich —  so  doch  dann  und  wann,  wenn  der  innere  Trieb 
dazu  da  ist,  diesem  Ziele  nachzustreben,  will  und  darf  ich  nicht 
in  mir  unterdrücken,  wie  ich  es  eine  Zeitlang  für  recht  hielt." 
Was  für  eine  Komposition  er  eingereicht  hat,  geht  weder  aus 
den  Briefen  noch  aus  den  erhaltenen  Skizzenbüchern  hervor. 
Auch  die  Wiener  Weltausstellung,  die  er  1873  gesehen  hat,  be- 
geistert ihn  „so  viel  mehr  für  meine  alten  Ideale  strenger  Zeich- 
nung und  Komposition,  daß  ich  mir  von  den  Freunden,  welche 
an  die  allein  seligmachende  Neumünchner  Schule  glauben,  mit 
ihrem  ultramalerischen,  d.  h.  oft  nur  dreckig-dunklem  Gemuschel, 
nicht  mehr  so  viel  in  meine  Arbeiten  hineinreden  lassen  will  wie 
früher.  Auch  Piglheins  Arbeiten,  so  talentvoll  sie  sind,  betrachte 
ich  nach  dieser  Seite  hin  viel  vorurteilsfreier  und  ungünstiger" 
(am  16.  September  1873). 

Die  Einsicht  in  das  was  not  tut,  hat  Speckter  nicht  gefehlt, 
so  wenig  wie  die  Konsequenz,  diesen  Weg  zu  gehen.  „Es  gibt 
zwei  Wege,  um  als  Maler  zu  Geld  und  Stellung  zu  gelangen: 
1.  viel  machen  oder  2.  gut  machen.    Der  zweite  Weg  ist  lang- 


—     26     — 

samer,  mühseliger  und  nur  bei  wirklicher  Begabung  erfolgreich. 
Daß  ich  ihn  deuuoch  riskiere,  liegt  in  meiner  Natur.  Die  ner- 
vöse Schnelligkeit  des  Gelingens  und  Schaffens  ringsum  darf  unser- 
eins nicht  irre  machen.  In  den  meisten  Fällen  ist  es  Feuerwerk, 
welches  bald  verpufft.  Es  gibt  auch  in  der  Kunst  Schwindler» 
welche  dem  Publikum  eine  Weile  imponieren  und  Sand  in  die 
Augen  streuen  können"  (aus  München  15.  Februar  1873).  Ver- 
gleicht man  mit  diesen  Aussprüchen,  die  von  einem  ehrlichen 
Wollen  zeugen,  aber  zum  Teil  nach  der  großen  Komposition 
gravitieren,  eine  Briefstelle  aus  dem  Jahre  1876,  so  zeigt  sich 
der  Umschwung,  der  sich  in  Speckter  vollzogen  hat:  „Das  wahre 
Vergnügen  der  Arbeit  fängt  doch  erst  an,  wenn  man  vor  der 
Natur  sitzt.  Wäre  ich  wohlhabend,  so  würde  ich  nur  noch  Natur- 
studien machen.  Und  früher  habe  ich  soviel  schöne  Zeit  und 
Gelegenheit  dazu  verbummelt.'' 

Das  Jahr  1874  steht  im  Zeichen  der  Hausbuchzeichnungen. 
Es  ist  nicht  der  erste  Illustrationsauftrag,  den  Speckter  ausgeführt 
hat.  Seine  Freude  an  der  Lektüre  drängt  ihn  dazu,  den  Gestalten 
des  Dichters  zu  einer  körperlichen  Existenz  zu  verhelfen.  Dieser 
Trieb  regt  sich  schon  in  frühester  Jugend.  Im  Jahre  1865  ent- 
stehen Zeichnungen  zu  „Ekkehard"  und  zu  „Kabale  und  Liebe", 
au  sich  belanglose  Sachen  erscheinen  sie  im  Zusammenhang  be- 
trachtet bedeutsamer.  Vier  Jahre  später  hat  er  seinen  ersten 
Holzschnitt  veröffentlicht.  Das  Märchen  von  den  drei  Spinnerinneu 
ist  als  Münchner  Bilderbogen  erschienen  (Nr.  541).  Schrift  und 
Bild  sind  noch  nicht  zur  dekorativer  Einheit  zusammengeschlossen, 
und  doch  unterscheidet  sich  das  Blatt  wesentlich  von  den  Münchner 
Bilderbogen  Otto  Speckters  (Kapunzel  Nr.  216)  oder  Schwinds 
(Gestiefelter  Kater  Nr.  48  und  von  der  Gerechtigkeit  Gottes  Nr.  63). 
Bei  diesen  beiden  überzieht  das  Bild  den  ganzen  Bogen,  die  Epi- 
soden der  Geschichte  greifen  im  Bild  ineinander;  der  illustrative 
Teil,  der  keine  in  sich  geschlossenen  Einzelmotive  bringt,  ist  auch 
nichts  anderes  als  Erzählung,  noch  nicht  selbständig  gewordenes 
Bild.  Das  ist  bei  Hans  Speckter  anders.  Die  obere  Bildreihe: 
die  weinende  Müllerstochter,  die  drei  alten  Frauen  bei  der  Müllers- 
tochter,  die  staunende  Königin  auf  dem  Boden  enthält  —  bild- 


—     27     — 

mäßig  gestaltete  —  Eiuzelkompositionen,  die  durch  Architektur  ihren 
Rahmen  erhalten  haben  und  voneinander  abgegrenzt  sind.  Ein 
gleiches  gilt  für  die  untere  Bildreihe.  Die  Säulen  wirken  iso- 
lierend, indem  sie  jedem  Bild  seinen  Rahmen  geben  und  ver- 
bindend zugleich.  —  Fast  zehn  Jahre  später  —  1878  —  hat 
Speckter  dies  Motiv  noch  einmal  behandelt.  Das  Aquarell  (in 
der  Hamburger  Kunsthalle)  der  drei  Spinnerinnen  entsteht.  Die 
Abweichungen  im  einzelnen  sind  nicht  uninteressant,  er  kommt  auch 
zu  einer  reichen  architektonischen  Ausgestaltung. 

Aber  Hans  Speckter  hat  so  wenig  wie  sein  Vater,  oder 
Menzel,  Schwind  und  Richter  die  Wirkungen  des  Holzschnittes 
zu  nützen  gewußt,  resp.  seine  dafür  bestimmten  Kompositionen 
aus  der  Technik  des  Holzschnittes  heraus  geschaffen.  Das  sind 
alles  Federzeichnungen,  die  vom  Xylographen  auf  den  Block  über- 
tragen wurden.  Erst  in  den  neunziger  Jahren  des  19.  Jahrhunderts 
ist  in  Deutschland  das  Gefühl  für  die  künstlerische  Wirkung 
des  Holzschnittes  wieder  erwacht,  wie  es  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert lebendig  war  und  dem  wir  wundervolle  Blätter  verdanken. 
Erst  dann  wurde  der  Holzschnitt  aus  einer  bloß  reproduzierenden 
Technik  wieder  zu  einer  künstlerisch  gestaltenden,  unmittelbar 
schaffenden  erhoben.  Erst  dann  konnte  der  Gegensatz  schwinden 
zwischen  der  ursprünglichen  Zeichnung  und  dem  ausgeführten 
Holzschnitt,  ein  Gegensatz,  der  sich  bei  Menzel  so  gut -wie  bei 
Hans  Speckter  ergibt  beim  Vergleich  der  Drucke  mit  den  Original- 
skizzen. 

Die  Beziehungen  zwischen  Storm  und  dem  Speckterschen 
Hause  reichen  ins  Jahr  1859  zurück.  Otto  Speckters  Illustrationen 
zu  Klaus  Groths  „Quickborn-'  haben  Storms  Bewunderung  erregt. 
In  heller  Begeisterung  schreibt  er  an  den  ihm  unbekannten 
Künstler.  Der  norddeutsche,  tief  in  der  Heimat  wurzelnde  Dichter 
hat  die  ihm  adäquate  Natur  in  Otto  Speckter  erkannt.  Diesem 
Brief  folgte  persönliche  Bekanntschaft  und  gemeinsame  Arbeit. 
Otto  Speckter  illustriert  Storms  „Abseits"  und  ,,Drei  Märchen" 
(Die  Regentrude,  Bulemanns  Haus,  der  Spiegel  des  Cyprianus). 
Nach  dem  Tode  des  Vaters  hat  Hans  die  Beziehungen  zu  Storm 
aufrecht  erhalten.     Im  Jahre   1874    entstehen    die  Illustrationen 


—     28     — 

für  das  Hausbuch.  Die  erste  Auflage  der  Anthologie  war  schon 
1870  erschieuen.  Sie  enthielt,  wie  Storm  in  der  Vorrede  betont, 
,,eine  Rekapitulation  aus  einer  mehr  als  30jährigen  Lebenserfah- 
rung." Als  eine  dritte  Auflage  nötig  wurde,  erschien  sie  versehen 
mit  Speckters  Zeichnungen. 

Seine  Aufgabe  war  nicht  eben  leicht.  Er  mußte  sich  in  die 
Ideenwelt  von  Dichtern  einleben,  die  ihm  innerlich  nicht  immer 
nahe  standen  und  aus  ihrer  Welt  heraus  gestalten.  Von  ihm 
ging  der  Vorschlag  aus,  das  Buch  mit  den  Porträts  der  be- 
deutendsten Dichter  zu  schmücken.  Es  sind  ihrer  zwanzig  ent- 
standen. Die  erhaltenen  Zeichnungen  beAveisen  deutlicher  als  die 
Illustrationen  im  Buche,  wie  ehrlich  Speckter  um  seine  Aufgabe 
gerungen  hat.  Es  galt  Stiche,  Abbildungen,  Photographien  für 
die  Porträts  zu  beschaffen,  und  Storm  hat,  wie  aus  seinen  Briefen 
ersichtlich,  Speckter  eifrig  mit  Literaturangaben  unterstützt.  Es 
galt,  trotz  dieses  toten  Materials,  das  Bildnis  möglichst  lebendig 
zu  gestalten  und  ihm  eine  dekorative  Fassung  zu  geben.  Speckters 
Vorliebe  für  strenge  Zeichnung  und  Komposition  konnte  hier 
ungehemmt  zum  Ausdruck  kommen,  denn  ob  er  einen  Schatten- 
riß wie  bei  Claudius,  ein  Eelief  von  David  d' Angers  wie  bei  Heine, 
Photographien  wie  bei  Heyse,  Mörike,  Klaus  G-roth,  einen  Stich 
(von  Robert  Reinicke)  wie  bei  Chamisso  benutzt  hat  —  darin 
blieb  sieh  die  Aufgabe  immer  gleich:  das  Porträt  mußte  einen 
streng  ornamentalen  Charakter  erhalten.  Und  das  Ornamentale 
allein,  auch  wenn  es  Hauptzweck  war,  genügte  nicht.  In  der 
Wahl  der  Rahmenverzierungen  hat  nicht  Spiel  und  Zufall  ge- 
waltet, sondern  es  lag  die  Absicht  vor,  die  Welt  des  Dichters 
durch  den  Rahmen  anzudeuten.  Das  geschah  nicht  mittels  einer 
aufdringlichen  Symbolik  oder  leicht  zu  erwerbenden  Gelehrsamkeit, 
mit  feinem  Takt  ging  Speckter  vor.  Für  Claudius,  der  den  grie- 
chischen Gesang  nicht  nachahmen  will,  ergibt  sich  zwanglos  die 
deutsche  Eiche,  und  die  Silhouette  charakterisiert  die  Bildnis- 
kunst des  18.  Jahrhunderts.  Das  Porträt  Höltys,  des  Dichters 
der  „A.uf munterung  zur  Freude"  wird  von  heitern  Genien  um- 
spielt; Winden,  Margueriten,  anspruchslose,  im  Garten  gezüchtete 
Blumen  passen  zum  Dichter  der  „Luise'*,  und  der  Eierstab  weist 


—     29     — 

auf  das  antike  Versmaß.  Der  deutsche  Adler,  SiegeBtrompeten, 
ein  Eichenkranz  dürfen  bei  Arndt  nicht  fehlen,  so  wenig  wie 
Burgfräulein  und  Page  beim  Doppelbildnis  von  Brentano  und 
Achim  von  Arnim.  Palmen  kennzeichnen  die  Atmosphäre,  in  der 
der  Greis  auf  Salas  y  Gomez  gelebt  hat,  Feldblumen  umgeben 
das  Bildnis  des  Lyrikers  Uhland,  Wasserrosen  und  Schilf  ranken 
sich  um  Lenaus  Haupt,  dekorativ  verwandte  Elefantenköpfe, 
Kakteen  und  Schlaugen  charakterisieren  den  Süden  bei  Freilig- 
rath,  leichtbeschwingte  pompejanische  Füllfiguren  die  heitere  Grazie 
in  gebundenem  Versmaß  bei  Heyse,  dessen  Bildnis  als  im  Haus- 
buch, das  eine  andere  Art  pflegte  ungehörig,  Storm  aufzunehmen 
sich  weigerte.  Er  kapitulierte,  um  dem  Verleger  und  dem  schönen 
Geschlecht  „einen  Gefallen  zu  tun". 

Neben  den  Porträts  enthält  das  Hausbuch  eine  größere  An- 
zahl figürlicher  und  landschaftlicher  Motive;  Speckters  Kraft 
zu  gestalten,  zeigt  sich  hier  ungehemmter.  Das  „Rheinweinlied" 
ist  durch  eine  reizende  kleine  Komposition  in  Chodowieckis  Art 
illustriert.  Fünf  Männer  umstehen  den  Tisch,  ein  Jüngling  into- 
niert das  Lied,  der  Alte  mit  dem  Pelzmützchen  stimmt  ein  — 
über  dem  Ganzen  liegt  die  behagliche  Atmosphäre  mit  einem 
Stich  ins  sentimental-philiströse  der  Biedermeierzeit.  Auch  die 
in  eine  Rokoko-Kartusche  komponierte  Illustration  zu  Robert 
Prutzs  „Von  der  Pumpe,  die  nicht  mehr  hat  piepen  wollen", 
steht  Chodowiecki  nicht  allzu  fern.  Der  gravitätische  Ernst  der 
Hofherren  in  langgepuderter  Perücke  ist  viel  humoristischer  als 
die  weitschweifige  Dichtung.  Und  wie  wird  die  sehnsüchtig  er- 
wartende, von  verhaltenem  Glück  durchsonnte  Stimmung  von 
Schmidts  Gedicht  „Bald"  durch  das  kleine,  ins  Rund  komponierte 
Bildchen  gekennzeichnet.  Es  ist  viel  prägnanter  als  das  Gedicht. 
Sein  Bestes  hat  Speckter  in  den  eingestreuten  Landschaften  ge- 
geben. Was  Storm  den  Illustrationen  zum  „Quickborn"  nach- 
rühmt, „das  waren  Land  und  Leute  unserer  Heimat,  das  war 
sogar  die  Luft,  das  Wetter  von  zu  Haus"  gilt  auch  hier,  wenn 
man  darunter  das  Erfassen  der  intimen  Reize  der  Landschaft 
versteht.  Für  Speckter  wird  nach  einem  schönen  Worte  Amieis 
,,die  Landschaft  zum  Seelenzustand",  und  wie  sehr  jede  der  Land- 


—     30     — 

schatten,  die  ein  Gescbautes,  Erlebtes  darstellen,  aus  dem  Geist 
der  Dichtung,  die  sie  illustrieren,  konzipiert  ist,  ergibt  sich  durch 
Vergleich  der  kleinen  Kompositionen.  Die  trostlose  Einsamkeit 
der  Heide  mit  dem  Krähen  schwärm,  die  Föhren  als  energisch 
betonte  Vertikale  in  der  breit  hingelagerten  Ebene  zu  Anette 
von  Droste-Hülsboifs  „Krähen";  die  träumerische  Mondschein- 
landschaft, der  die  festgeschlossene  Baumgruppe  links  Haltung 
gibt,  zu  Lenaus  Schilf liedern ;  der  Weidenbaum,  der  gespenstisch 
seine  Zweige  gen  Himmel  reckt  zu  Hebbels  „Heideknaben";  der 
schneebedeckte  See,  eine  Bergsilhouette  im  Hintergrund,  ein 
galoppierender  Reiter  —  für  die  jagende  Angst  des  ,, Reiters  über 
den  Bodensee"  findet  er  die  adäquate  Note.  Und  was  hat  Speckter 
aus  Falks  „Die  drei  Knaben  im  Walde"  —  ein  verunglücktes 
Nachbild  des  Erlkönig  —  gemacht!  Wie  sind  Grausen  und 
Einsamkeit  durch  rein  malerische  Mittel,  durch  die  Verteilung 
von  Schwarz  und  Weiß  ausgedrückt!  Durch  die  Landschaft 
schreitet  der  Tod,  eine  großartige  Silhouette  ragt  gegen  den  Hori- 
zont. Auch  die  Illustration  zu  Geibels  „Durch  tiefe  Nacht",  das 
der  malerischen  Phantasie  so  wenig  Handhabe  bietet,  ist  von 
leidenschaftlichem  Pathos  durchglüht;  und  wieder  ist  durch  die 
Mittel  der  Schwarz-Weiß-Kunst  allein  eine  ganz  große  Wirkung 
erzielt.  In  einigen  der  Vignetten  tanzender  Kinder  klingen 
Motive  an,  die  Speckter  später  in  seinen  Kiuderfriesen  wieder 
verwenden  sollte. 

Daß  die  etwa  60  Illustrationen  nicht  auf  gleicher  Höhe 
stehen,  daß  sich  neben  dem  vielen  Schönen  auch  manches  Gleich- 
gültige befindet,  ist  selbstverständlich.  Die  schlimmsten  Ent- 
gleisungen sind  wohl  die  Illustrationen  zu  Immermanns  „Tristan 
und  Isolde"  und  zu  Kemers  „Sanct  Elsbeth".  Beide  bleiben  im 
Literarischen  stecken  und  werden  nicht  in  ein  bildmäßig  Gescbautes 
umgesetzt.    Der  gewählte  Text  war  auch  der  denkbar  ungünstigste. 

Speckters  Illustrationen  sind  von  der  Presse  sehr  beifällig 
aufgenommen  worden.  Es  war  sein  erster  größerer  Erfolg,  und 
er  schickt  einige  Kritiken  als  ,, Beiträge  zum  mütterlichen  Stolz" 
nach  Hause.  In  einem  schönen  Briefe  dankt  er  seiner  Mutter 
für    den  Anteil,    den  sie  am  Hausbuch  hat.     Er  ist  sich  dessen 


—     31     — 

bewußt,  ,,daB  es  nur  durch  den  friedlichen  Aufenthalt  im  Eltern- 
hause .  .  .  daß  es  mit  einem  Worte  nur  durch  Dich  möglich  war, 
es  zu  vollenden." 

Während  des  Entstehens  der  Illustrationen  hat  Speckter  viel 
mit  Mutlosigkeit  zu  kämi)fen,  und  Storm,  der  im  einzelnen  scharfe 
Kritik  übt,  sucht  immer  wieder  ihm  Mut  zu  machen.  „Es  ist 
meine  feste  Überzeugung  —  schreibt  er  ihm  am  7.  März  1874  — 
allerdings  nur  die  des  Poeten,  nicht  die  des  sachverständigen 
Malers,  daß  Sie  an  Ihrer  Befähigung  für  die  vorliegende  Arbeit 
keinen  Augenblick  zu  zweifeln  brauchen.  Gefaßt  müssen  sie  sich 
natürlich  darauf  machen,  daß  je  nach  Ihrem  Innern  Verhältnis 
zu  den  Sachen,  das  eine  mehr  aus  innerstem  Behagen  wie  von 
selber  entstehen  wird,  ein  anderes  aber  durch  Reflexion  und 
Arbeit  gemacht  werden  muß.  Daher,  namentlich  Ihnen  selbst, 
der  Sie  der  Qual  des  Entstehens  bewußt  bleiben,  das  Letztere  in 
der  Regel  weniger  gelungen  scheinen  wird."  —  „Ich  meine,  — 
heißt  es  am  20.  Sept.  1874  —  wenn  Ihre  weitern  Arbeiten  dem 
Anfang  entsprechen,  so  müssen  Sie  sich  durch  die  Illustrationen 
aliein,  wie  einst  Ihr  seliger  Vater  durch  seine  Fabeln,  Ihren 
Platz  in  der  Kunst  erringen,"  —  Erst  zum  Schluß  der  Arbeit 
als  die  Entwürfe  sich  zum  Ganzen  runden,  hat  Speckter  selbst 
Freude  an  seinem  Tun.  „Das  Hausbuch  ist  wirklich  die  an- 
genehmste und  erfreulichste  Arbeit,  die  ich  bisher  gemacht  habe" 
(am  20.  Juli  1874). 

Das  Hausbuch  wird  heute  wenig  gelesen.  Vielleicht  liegt  es 
nicht  zum  wenigsten  an  Storms  Betonen  des  Hausbacknen,  auf 
das  er  in  der  Vorrede  hinweist,  an  seiner  Vorliebe  für  episch 
breite,  behaglich  ausgesponnene  Dichtungen,  die  gerade  unserer 
Zeit  so  wenig  liegen.  Speckter  empfindet  „moderner"  als  Storm 
und  schreibt  seiner  Mutter  über  das  Hausbuch:  „Es  muß  jedoch 
eine  schwerere  Aufgabe  sein,  als  man  denken  sollte,  eine  muster- 
hafte Anthologie  zusammenzustellen.  Mit  der  Stormschen  bin 
ich  auch  gar  nicht  immer  einverstanden.  Seine  Abneigung  gegen 
hohles  Pathos  geht  oft  etwas  reichlich  weit  und  schlägt  noch 
öfter  in  eine  bedenkliche  Vorliebe  für  lange,  hausbackne  Gedichte 
über.     Außerdem    hat    er    einen    Haufen    obskurer    Größen    auf- 


—     32     — 

genommen,  von  denen  man  nicht  recht  weiß  warum  (am  30.  Ja- 
nuar 1874). 

Ein  Jahr  nach  dem  Hausbuch  ist  Speckters  „Guy  Mannering" 
erschienen.  Die  Illustrationen  wirken,  als  Ganzes  betrachtet, 
reifer  als  die  Hausbuchblätter;  der  Künstler  ist  Herr  seiner  Mittel 
und  handhabt  sie  mit  ruhiger  Sicherheit.  Die  Darstellungen  — 
etwa  40  —  sind  gestimmt  auf  den  Ton  der  Scottschen  Erzäh- 
lung und  bilden  schon  dadurch  ein  einheitliches  Ganzes.  Das 
Kostüm  aus  der  Zeit  Friedrichs  des  Großen  war  gegeben,  es 
wechselt  mit  der  Tracht  der  bäuerlichen  Bevölkerung.  Es  ist 
nicht  das  Kostüm  allein,  das  einen  Vergleich  mit  Menzels  besten 
Blättern,  seinen  Illustrationen  zu  Kuglers  Geschichte  Friedrichs 
des  Großen  nahelegt.  Wie  Menzel  hat  Speckter  die  Fähigkeit, 
in  kleinstem  Maßstab  Großes  zu  schaffen,  den  Eindruck  des 
Monumentalen  zu  erwecken,  da  die  Dinge  groß  konzipiert  und 
nicht  von  überflüssigem  Beiwerk  überwuchert  sind.  Darstellungen 
wie  Mannering  vor  dem  Wegweiser  (S.  3),  auf  der  Schloßterrasse 
im  Mondschein  (S.  22),  Domine  Simson  in  der  geöffneten  Tür 
(S.  113),  auf  der  Bücherleiter  (S.  159),  Rebekka  und  der  Notar 
vor  dem  Kamin  (S.  334)  und  namentlich  das  Burgtor  mit  dem 
mächtigen,  weit  ausgreifenden  Baum  im  Vordergrund  (S.  348) 
gehören  zum  besten,  das  damals  auf  dem  Gebiete  der  Buch- 
illustration geschaffen  wurde.  Der  Roman  bot  durch  seine  vielen 
Episoden  bei  Mondschein,  bei  Fackellicht  oder  vor  dem  Herd- 
feuer im  Innenraum,  Gelegenheit  zu  starken  Hell-Dunkel-Kon- 
trasten.  Die  Lichtwirkung  ist  ausgenützt,  und  man  merkt 
manchen  der  Blätter  an,  daß  sie  konzipiert  wurden  von  jemand, 
der  gewohnt  ist,  den  Pinsel  zu  führen.  Auch  der  Xylograph  — 
die  meisten  Blätter  sind  wieder  wie  im  Hausbuch  von  Kaeseberg 
geschnitten  —  hat  seine  Aufgabe  gut  gelöst. 

Speckters  Absicht,  Goethes  „Natürliche  Tochter"  zu  illu- 
strieren, ist  nicht  über  einzelne  Versuche  hinausgekommen.  Die 
wenigen  erhaltenen  Zeichnungen  haben  wieder  im  Lessingschen 
Sinne  den  „fruchtbaren  Moment"  herausgegriffen. 

Speckters  Begabung  für  Buchillustration  steht  außer  jedem 
Zweifel.     Er  selbst  hat  sich  verschieden  darüber  geäußert.     Ihn 


-     33     — 

beherrscht  als  Sohn  seiner  Zeit  zuviel  Respekt  vor  der  Historien- 
malerei, um  die  Illustration  als  etwas  anderes  denn  als  einen 
Notbehelf  zu  betrachten,  und  der  Maler  ist  in  ihm  lebendig,  den 
es  drängt,  in  Farbe  und  in  großem  Maßstab  zu  komponieren. 
Resigniert  schreibt  er  aus  München  (am  12.  Novbr.  1873  :  „Ein 
Delaroche  werde  ich  doch  nicht  und  manches  andre  auch  nicht 
Und  zehnmal  lieber  will  ich  ein  tüchtiger  lUustriitor  sein  als  ein 
mittelmäßiger  und  schlechter  Maler."  Während  er  am  Guy 
Mannering  tätig  ist,  faßt  er  den  Entschluß,  mit  den  Illustrationen 
abzuschließen.  „Leider  komme  ich  diesmal  wieder  nicht  /um 
Studienmacben,  sondern  muß  mich  mit  Macht  an  die  Vollendung 
der  Illustrationen  halten.  Einige  sind  wieder  recht  gut  geworden, 
glaube  ich.  Überall  Effekt:  Mond-  oder  Lampenlicht.  ,  .  .  Aber 
im  ganzen  will  ich  doch  die  illustrative  Tätigkeit  damit  ab- 
schließen. Es  bezahlt  sich  nicht  gut  genug,  soviel  Mühe  ich  mir 
dabei  gebe,  um  es  als  lukratives  Geschäft  zu  betreiben,  und  das 
Studium  nach  der  Natur  muß  man  denn  doch  zu  sehr  dabei  ver- 
nachlässigen. Und  letzteres  macht  doch  schließlich  die  meiste 
Freude.  Früher  dachte  ich  zwar  anders  darüber  und  habe  in- 
folgedessen die  schönen  Studienjahre  nicht  genug  ausgenützt, 
zuviel  dummes  Zeug  kom])oniert,  statt  Studienköpfe  zu  malen 
und  dergl.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  kann  ich's  ja  aber  noch 
nachholen,  trotz  meiner  2S  Jahre.  Ich  glaube,  mit  jedem  Jahr 
ein  Jahr  jünger  zu  werden,  und  der  Himmel  hängt  mir  immer 
noch  voller  Baßgeigen'^  .  .  .  (aus  Weimar  am  25.  Juli  1876  an 
seinen  Bruder  Erwin). 

Drei  Jahre  später  heißt  es  in  einem  sehr  resignierten  Briefe 
an  seinen  Bruder:  „Ich  habe  noch  immer  nicht  meinen  eigent- 
lichsten Beruf  gefunden,  schwanke  noch  immer  hin  und  her. 
Eigentlich  hätte  ich  überhaupt  nicht  Maler  werden  müssen,  das 
ist  mir  aber  schon  zu  lange  klar,  daß  mich  das  nicht  mehr  be- 
kümmert. Aber  ich  hätte  doch  wohl  ganz  und  gar  beim  Illu- 
strieren bleiben  sollen.  Daraus  hat  mich  die  italienische  Reise 
gerissen,  indem  sie  die  alten  Neigungen  zu  größeren  dekorativen 
Sachen  wieder  erweckte,  und  ein  paar  schlecht  bezahlte  und  nicht 
besonders  ausgefallene  Versuche  damit  haben — vielleicht  leider! 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  ^ 


—     34     — 

—  im  Publikum  gefallen  und  ein  paar  ebenso  unbedeutende  und 
zeitraubende  Aufträge  im  Gefolge  gehabt,  die  nun  doch  auch 
nicht  gut  abgewiesen  werden  können  —  aber  innerlich  fühlte  ich 
doch,  daß  dies  nicht  mein  eigentliches  Fahrwasser  ist.  Dazu 
gehört  doch  mehr  Talent  als  ich  habe''  (aus  Hamburg,  am  26.  Juni 
1879). 

Den  Buchillustrationen  sind  die  vielen  Gelegenheitsblätter 
anzugliedern,  die  auf  hamburgischem  Boden  nach  der  italienischen 
Reise  entstanden  sind.  Familienfeste,  Feste  im  Verein  für  Kunst 
und  Wissenschaft,  im  Künstlerverein  boten  Anlaß  zu  jenen  zier- 
lichen Programmen,  Tanzaufforderungen,  Meuukarten,  die  in 
großer  Zahl  entstanden  sind.  Lithographie  und  Holzschnitt, 
Schwarzweiß-  und  Farbendruck  dienen  den  Intentionen  des 
Künstlers.  Speckter,  der  in  übergroßer  Bescheidenheit  sein  eignes 
Können  weit  unterschätzt,  klagt  einmal  seiner  Mutter  (aus  Weimar, 
am  17.  Juli  1876):  „Je  klarer  ich  mir  darüber  bin,  daß  meine 
eigne  Phantasie  nicht  weit  her,  und  daß  ich  nur  durch  langsame 
Verstandsarbeit  etwas  Leidliches  hervorbringe,  um  so  mehr  fühle 
ich  mich  auf  die  Vermächtnisse  von  Vater  und  Onkel  hin- 
gewiesen. .  .  ."  Mit  anderen  Worten:  an  seiner  eigenen  Be- 
gabung zweifelnd,  fühlt  er  sich  als  berufener  Hüter  des  Erbes 
von  Vater  und  Onkel  und  will  deren  Entwürfe  vollenden.  Ja, 
dieser  Akt  der  Pietät  genügt  noch  nicht;  auch  an  Ashers  und 
Blombergs  Entwürfen  will  er  das  gleiche  Liebeswerk  tun,  „wenn 
sich  kein  anderer  finden  sollte".  Schmerzlich  bewegt  liest  man 
solche  Bekenntnisse  heute.  Speckter  soll  es  an  Phantasie  gefehlt 
haben?  Der  Verstand  soll  in  der  Hauptsache  teil  daran  haben, 
wenn  etwas  „Leidliches*'  geworden  ist?  Und  daneben  stehen 
Gelegenheitsblätter,  erfüllt  von  leichter,  spielender  Phantasie,  die 
wirken  wie  das  Geschenk  einer  Stunde,  wie  etwas  mühelos  Ge- 
wordenes. Hier  steht  Aussage  gegen  Aussage.  Neben  den 
Worten  des  Künstlers  seine  Werke,  und  die  sprechen  doch  die 
beredtere  Sprache.  Er  soll  sehr  langsam  geschaffen  haben,  er 
selbst  klagt  darüber,  auch  jene,  die  ihm  nahe  standen,  betonen 
es.     Wenn  dem  so  war  —  die  Nähte  sind  nicht  stehen  geblieben. 

Die   Gelegenheitsblätter    sind    an    künstlerischem  Wert   sehr 


—     35     — 

ungleich;  neben  graziösem  steht  Unbedeutendes,  aber  ein  starkes, 
dekoratives  Gefühl,  ein  rhythmischer  Sinn  für  Flächenverteiluug 
eignet  den  meisten.  Auch  Otto  Speckter  hat  Gelegenheitsblätter 
geschaffen,  aber  der  stärkste  Gegensatz  waltet  zwischen  dem 
SchaÖen  von  Vater  und  Sohn.  Otto  Speckters  Blätter  stehen 
innerhalb  der  Tradition  der  Vergangenheit.  Bild  und  Schrift 
bilden  keine  Einheit,  die  literarische  Vorstellung  spielt  wie  bei 
Menzels  Adressen  die  Hauptrolle,  es  sind  so  viel  Finessen  hinein- 
geheimnißt,  daß  die  Wirkung  darunter  leidet,  die  Komposition  fällt 
in  Einzelmotive  auseinander,  das  Auge  vermag  das  Blatt  nicht 
als  ein  Ganzes  zu  übersehen,  da  es  nicht  als  ein  einheitliches 
Ganzes  konzipiert  ist. 

Aus  der  großen  Anzahl  des  von  Hans  Speckter  Geschaffenen 
sei  nur  einiges  herausgegriffen.  Zur  Erinnerung  an  ein  Fest  des 
Vereins  für  Kunst  und  Wissenschaft  entsteht  das  Blatt  „Vivat 
Ulk.  Wahrhaftige  Conterfeyung  derer  Personen  so  diese  Comödie 
zum  ersten  Mal  tragiret  auf  den  25.  März  1881".  Dem  alter- 
tümelnden  Deutsch  entspricht  der  Charakter  des  Blattes.  Mit 
gravitätischem  Ernst  schreiten  die  Figuren  gleich  Karteukönigeu ; 
rote  Flammengeisterchen  zucken  und  sprühen  neben  schwarzen 
Gesellen,  die  durch  den  Geist  der  Schwere  gebunden  sind.  Das 
Ganze  ist  wie  ein  geöffnetes  Kartenspiel  komponiert.  —  Eine 
Einladungskarte  zu  einem  im  Hamburger  Hof  am  31.  März  1883 
gegebenen  Fest  entbehrt  des  Humors  nicht:  dienernde  Komitee- 
herren stehen  schwitzend,  opferwillig  und  bereit  auf  der  breiten 
Treppe;  ein  Blick  in  den  Ballsaal  zeigt  Frauen  in  großer  Toi- 
lette. —  Besonders  gelungen  ist  das  Blatt  zu  Ehren  des  Bild- 
hauers Engelbert  Peiffer.  Der  Name  wirkt  bestimmend  auf 
Speckters  Phantasie.  Der  Rattenfänger  von  Hameln  pfeift  auf 
seinem  Dudelsack  zum  Tanz;  ihm  folgen  sich  überschlagend  drei- 
zehn große  Ratten,  ein  Heer  kleiner  ist  im  Hintergrunde  sichtbar, 
in  der  Ferne  schimmern  die  Türme  der  Großstadt.  Hier  ist  aus 
einem  etwas  billigen  Wortwitz  ein  Farbenholzschnitt  —  schwarz- 
rot —  von  großer,  dekorativer  Wirkung  entstanden.  —  In  der 
Formeusprache  verwandt,  aber  nicht  ganz  so  gelungen  ist  „Vitalien- 
bröder'',  ein  Holzschnitt  zu  H.  Koppmanns  gleichnamigem  Gedicht. 

3* 


—     36     — 

Neben  Festprogrammen  und  Einladungskarten  entstehen 
Titelblätter,  so  1879  im  Auftrag  der  Kellinghusen-Stiftung  das 
Titelblatt  zum  Buche  „Die  ehemalige  Sanct  Marienkirche  oder 
der  Dom  zu  Hamburg".  Es  ist  nicht  frei  von  Dürerschen  Re- 
miniszenzen, während  der  nicht  verwandte  erste  Entwurf  (Original- 
Federzeichnung  im  Besitze  des  Museums  für  Kunst  und  Gewerbe 
zu  Hamburg)  viel  freier  komponiert  ist.  —  Vier  Jahre  später 
erscheint  im  Auftrag  der  gleichen  Stiftung  das  Titelblatt  für  das 
Buch  „Das  Kloster  St.  Johannis  in  Hamburg".  Einzelne  Motive 
aus  dem  Klosterleben:  Begrüßung  neu  aufgenommener  Mönche, 
Jungfrauenkonvent,  Unterricht  in  der  Klosterschule  und  die  Schutz- 
heiligen des  Klosters  Johannes  der  Täufer  und  Johannes  der 
Evangelist  sind  geschickt  um  die  Schrift,  die  die  Mitte  einnimmt, 
verteilt.  Die  Figuren  sind  nicht  frei  von  Anklängen  an  deutsche 
Renaissance,  die  überhaupt  gelegentlich  bei  Speckters  Holz- 
schnitten durchblickt.  Aber  das  Blatt  zeigt  im  Gegensatz  zu 
dem  eben  erwähnten  Titelblatt,  daß  Speckter  jetzt  seine  Einfälle 
aus  der  gegebenen  Situation  schöpft  und  sich  nicht  mit  der  Ver- 
wendung dekorativer  Putten,  die  überall  und  nirgends  passen, 
begnügt. 

Eines  seiner  schönsten  Blätter  ist  anläßlich  der  Feier  des 
50jährigen  Bestehens  der  Schriftgießerei  von  Genzsch  &  Heyse 
am  28.  Februar  1883  entstanden.  Es  ist  das  Titelblatt  für  die 
bei  Tisch  gesungenen  Lieder.  Wieder  gestaltet  Speckter  aus  der 
Situation  heraus.  Eine  singende,  trinkende,  miteinander  an- 
stoßende, einschenkende,  fröhliche  Menschenschar.  Typen  aus 
dem  Volk.  An  Hand  der  erhaltenen  Skizzen  und  Studien  (im 
Besitz  der  Familie,  in  der  Kunsthalle  und  namentlich  im  Museum 
für  Kunst  und  Gewerbe)  kann  man  einen  Einblick  in  die  Werkstatt 
des  Künstlers  tun.  Für  jede  einzelne  der  vielen  Figuren  werden  Skizzen 
nach  der  Natur  gemacht.  Ein  derartiges  Vorgehen  verlangsamt 
den  Schaffensprozeß  natürlich  außerordentlich,  aber  nur  so  konnten 
die  Gestalten,  trotz  des  kleinsten  Maßstabes,  soviel  Lebenswahr- 
heit erhalten.  Dieses  unmittelbar  Geschaute,  aus  der  Situation 
heraus  Geschaffene  gibt  den  Gelegenheitsblättern  Speckters  ihren 
großen  Reiz.     Es   eignet  seinen  besten  Blättern  wie   der  Einlaß- 


—     37     — 

karte  zur  11,  Delegierten versammlunfj  des  Norddeutscheu  Bau- 
gewerkvereins in  Hamburg  mit  zimmernden  Baugesellen  (der 
Druck  wirkt  bunt,  die  farbige  Originalzeichuung  im  Gewerbe- 
museum ist  gut  abgetönt);  oder  der  Ehrenmitgliedskarte  für  den 
Ärztlichen  Verein  mit  Äskulap,  Hahn  und  Schlange.  Für  seine 
Gelegenheitsblätter  gilt  das  Gleiche  wie  für  seine  Bilder  und 
Zeichnungen:  wo  er  den  festen  Erdboden  unter  den  Füßen  hat, 
schafft  er  frische,  unmittelbare  Dinge  in  großem  oder  kleinem 
Format,  wenn  er  ihn  verläßt,  historische  Vorstellungen,  oder  das 
Verlangen  nach  einer  allgemeinen  Schönheit  über  ihn  Herr  werden, 
entstehen  konventionelle  Dinge  in  abgegriffener  Formensprache. 
Und  doch  sind  seine  vielen  Diplome  zu  Jubiläen  usw.  nicht  nur, 
wie  schon  von  Brinckmann  hervorgehoben  wurde,  „weitaus  das 
Beste,  was  in  dieser  Art  je  in  Hamburg  geschaffen  worden  ist", 
sondern  die  besten  unter  ihnen  gehören  zum  vortrefflichsten,  das 
„in  derartigen  Blättern  selbst  bei  Anlässen  von  höchster  Be- 
deutung geleistet'*  wurde.  Das  Museum  für  Kunst  und  Gewerbe 
besitzt  Speckters  Gelegenheitsblätter  nahezu  vollständig;  ab- 
gesehen von  ihrer  künstlerischen  Bedeutung  spiegelt  sich  ein  gut 
Stück  hamburgischen  Lebens,  Wichtiges  und  Unwichtiges  aus  den 
70  er  und  80  er  Jahren  darin. 

Das  im  Zusammenhang  betrachtete  graphische  Werk  Speckters, 
bei  dem  man  beobachten  kann,  wie  die  Blätter,  im  Gegensatz  zu 
den  Illustrationen  des  Hausbuches  und  des  Guy  Mannering,  die 
Möglichkeiten  des  Holzschnitts  und  der  Lithograhie  mehr  aus- 
nützen, für  diese  und  in  dieser  Technik  gedacht  werden,  hat  uns 
in  die  Mitte  der  80  er  Jahre  geführt.  Wollen  wir  Speckters 
Schaffen  in  chronologischem  Zusammenhang  betrachten,  so  gilt 
es,  sich  in  die  70er  Jahre,  in  die  Weimarer  Zeit  zurückzuver- 
setzen. 

In  Weimar  entstehen  mehrere  Studienköpfe  in  Ol,  von  denen 
sich  zwei  im  Besitze  der  Familie  befinden.  Der  Kopf  einer 
älteren  Frau  im  Profil  (bei  Frau  Dir.  Duncker)  leicht  geneigt, 
wirkt  stark  und  gut;  an  Qualität  ihm  überlegen  ist  ein  männ- 
licher Studienkopf  in  voller  Face,  dem  ein  großer  spitzer  Hut 
einen    bildmäßigen  Abschluß    gibt.     Der  graublaue   Rock  stimmt 


—     38     — 

gut  zum  bräunlichen  Hintergrund  (bei  Herrn  Erwin  Speckter, 
Bergedorf).  Namentlich  die  schwammige  untere  Gesichtspartie, 
der  Anflug  von  Bartstoppeln  auf  dem  glatt  rasierten  Gesicht  ist 
scharf  beobachtet  und  exakt  wiedergegeben,  ohne  kleinlich  zu 
wirken.  Etwa  der  gleichen  Zeit  gehört  an,  aber  auf  hamburgi- 
schem Boden  entstanden,  eine  Olstudie  nach  dem  Bruder  Otto, 
nach  dessen  "fein  geschnittenem  Kopf  auch  die  Kunsthalle  eine 
Zeichnung  besitzt.  Aus  etwas  früherer  Zeit  stammt  ein  nur  in 
üntermalung  angelegtes  Brustbild  des  Vaters,  das  nicht  frei  von 
Konvention  ist.  Sehr  viel  reifer  ist  das  Bildnis  der  Tante  Adel- 
heid, Otto  Speckters  Schwester,  die  lange  in  seinem  Hause  gelebt 
und  die  Erziehung  der  Kinder  geleitet  hat;  geradeaus  blickend 
mit  übereinander  gelegten  Händen,  im  Lehnstuhl  sitzend.  Ein 
kleines  Meisterstück  ist  das  Brustbild  der  Schwester  Ida.  Der 
Zug  um  den  Mund,  der  Blick  der  Augen  sind  lebendig  und  un- 
mittelbar. Der  rote  Flügel  auf  dem  dunklen  Pelzmützchen  bringt 
eine  pikante  Nuance  in  das  von  einem  warmen  Ton  beherrschte 
Bild.  Alle  Farben  ordnen  sich  dem  Karnat  des  Gesichtes  unter. 
Hier  sind  Reize,  die  sich  neben  manchem  Leiblbildnis  halten, 
(sämtliche  Bilder  bei  Herrn  Erwin  Speckter,  Bergedorf).  Doch 
scheint  das  Porträt  Speckter  wenig  gereizt  zuhaben.  1879  malt 
er  die  Kinder  seiner  Schwester  Hans  und  Anna  Duncker,  und 
er,  der  das  Wesen  des  Kindes  in  der  Zeichnung  so  gut  festzu- 
halten weiß,  kommt  hier  zu  einer  ganz  konventionellen  Dar- 
stellung, die  noch  nicht  einmal  ein  gutes  Schulbild  ist  (bei  Frau 
Dir.  Duncker). 

Die  Kunsthalle  besitzt  ein  gutes  Bildnis  Speckters.  Es  ist 
das  1890  durch  Geschenk  von  Frau  Otto  Speckter  hingekommene 
Porträt  des  Malers  Porth  (abgeb.  bei  Alfred  Lichtwark:  Das 
Bildnis  in  Hamburg,  II.  Bd.  bei  S.  200.  1898).  Lichtwark  erzählt 
vom  Entstehen  dieses  Porträts,  über  das  Aussagen  des  Künstlers 
nicht  erhalten  sind.  Es  ist  nicht  im  Auftrag  entstanden ;  Speckter 
wünscht  Porth,  den  Urheber  der  Schillingssammlung  für  den  Bau 
des  Nikolaikirchturms,  zu  malen  und  sein  Bild  der  Sakristei  der 
der  Nikolaikirche  zu  stiften.  Da  sich  der  Künstler  und  der 
Kirchenvorstand  über  die  Auffassung  nicht  einig  waren,    ist  das 


—     39     — 

Bild  nicht  an  seinen  Bestimmungsort  gelangt.  Porths  Freunde 
wünschten  ein  möglichst  verschöntes  Porträt,  das  den  alten  Herrn 
nicht  ganz  so  hinfällig  zeige,  Speckter  konnte  nur  das  malen, 
was  er  sah.  Und  es  entstand  ein  feiner  Greisenkopf,  in  den  das 
Alter  all  jene  Linien  und  Runzeln  hineingeschrieben  hat,  die 
aussagen  von  einem  Leben,  das  Kampf,  Mühe  und  Arbeit  ge- 
wesen ist.  Aber  im  festgeschlossenen  Munde,  in  den  hellen, 
scharfblickenden  Augen  liegt  etwas  vom  schönen  Glauben  an 
das  Ziel,  das  man  erreichen  wird  trotz  aller  äußeren  Hemmnisse. 
Vor  dem  Rechnungsbuch  sitzend  hat  Speckter  den  alten  Herrn 
dargestellt,  die  Linke  hält  die  abgegrifi'ene  Sammelbüchse,  die 
Rechte  führt  den  Federkiel.  Die  Faibenskala  ist  eine  andere 
geworden;  aus  den  tiefen  brauneu  Tönen  ist  Speckter  zu  den 
hellen  blauen  übergegangen,  ohne  deshalb  kalt  zu  wirken.  Mit 
altmeisterlicher  Schlichtheit  ist  ein  verinnerlichtes  Bildnis  ge- 
schafien  worden.  „Nirgends  eine  Spur  von  Routine,  alles  ist 
Problem,  wie  die  Anordnung,  die  keinem  Schema  folgt,  wie  die 
Darstellung  aller  Details." 

Der  Gang  in  der  alten  Anatomie  zu  Weimar  (Hamburger 
Kunsthalle)  zeigt  Speckter  frei  von  Weimarer  Ateliertradition. 
Die  vorgeschobene  intensiv  gelbe  Wand,  deren  Fläche  durch  eine 
braune  Tür  rechts  unterbrochen  wird,  während  sie  links  gegen 
eine  braune  Wand  stößt  und  die  leuchtend  roten  Bodenüießen 
ergeben  eine  pikante  reiche  Farbenzusammenstellung.  Auch  die 
Spiegelung  des  Gelb  im  Rot  ist  gut  beobachtet.  Durch  den 
langen  Gang  schreitet  ein  Mann  in  verschossener  grünlicher 
Hos3  und  dunklem,  grünlich-bräunlichem  Rock,  der  mit  Bedacht- 
samkeit seine  Pfeife  ansteckt.  Speckters  Krankenwärter  in  .Jena 
war,  wie  aus  einer  Zeichnung  ersichtlich,  das  Modell  dafür. 
Speckter  hat  kein  anderes  Bild  geschaffen  von  so  starker,  ge- 
schlossener Farbenwirkung. 

Auf  italienischem  Boden  sind  Hunderte  von  Skizzen  ent- 
standen. In  Bleistift,  farbig  angelegt,  aquarelliert  oder  getuscht, 
sind  sie  der  deutlichste  Beweis  dafür,  wie  sehr  Speckter  danach 
gestrebt  hat,  sich  das,  was  er  geschaut  hat,  zu  eigen  zu  machen. 
Er  betrachtet  die  Dinge  in  der  Hauptsache  vom  Standpunkt  der 


—     40     — 

dekorativen  Gesamtwirkung  —  ein  Standpunkt,  der  auch  in  den 
Briefen  betont  wird.  Sein  vorurteilsloses  Werten  der  Dinge  zeigt 
sich  auch  in  seinen  Studien.  Die  Primitiven  neben  den  Cinque- 
centisten,  und  die  Eklektiker  des  17.  Jahrhunderts  fehlen  so 
wenig  wie  Zeichnungen  nach  Tellern,  Vasen,  Terrakotten,  Staats- 
karossen, Brunnen,  Stühlen,  Kapitellen,  Häuserfassaden,  Grab- 
steinen, antiken  Statuen,  ßroncetüren,  pompejanischen  Wänden  usw. 
Zumeist  hat  er  vor  dem  Original  gezeichnet,  aber  zuweilen  im 
Hause  nach  dem  Gedächtnis;  ergeben  sich  Abweichungen,  so 
versäumt  er  in  seiner  genauen  Art  nicht  beizufügen:  „das  Bild 
ganz  anders".  Niemals  sind  es  kleinliche  tüpfelnde  Wiedergaben, 
über  die  in  seinen  Briefen  scharfe  Äußerungen  nicht  fehlen, 
immer  gibt  es  eine  malerisch  großzügige  Übersetzung  des  Ge- 
sehauten.  „Speckter,"  schreibt  mir  einer  seiner  italienischen 
Reisegefährten  (Herr  Fr.  von  Thiersch),  „schloß  sich  auch  unserer 
Arbeit  an,  maß  und  zeichnete  wie  ein  Architekt.  Ich  erinnere 
mich,  daß  wir  in  der  Villa  Papa  Giulio  zusammen  arbeiteten. 
Er  zeichnete  ein  Stück  der  Rückwand  von  der  geschwungenen 
Hofhalle  und  setzte  es  sehr  schön  in  Farbe.  Dabei  suchte  er 
aber  nicht  zu  restaurieren,  sondern  er  brachte  den  malerischen 
Reiz  des  Verfalls  mit  zu  Papier,   was  ich  anfangs  nicht  begriff.'' 

Daneben  entstehen  die  interessanteren  Skizzen  nach  der 
Natur.  Die  Mühle  in  Nimfa,  die  Villa  d'Eate,  das  trotzig  am 
Berg  klebende  Orvieto,  der  Monte  Cavo,  das  Dorf  des  Fra  Diavolo, 
der  Tiber  vom  Giardino  des  Tempio  del  Sole,  der  Klostergarten 
von  S.  Sabina,  der  deutsche  Kirchhof  in  Rom  mit  ragenden  Zy- 
pressen, San  Miniato  vom  Lung'  Arno  Torrigiani  aus  gesehen, 
Sorrent,  der  Ponte  Nomentano  über  den  Anio,  Torre  d'Astura, 
der  Sturm  bei  Nettuno  usw.  Das  Skizzenbuch  verläßt  ihn  weder 
beim  längeren  Aufenthalt  in  Florenz  und  Rom  noch  auf  den 
kurzen  Tagesaustiügen,  die  er  so  reizvoll  beschreibt.  Zur  Land- 
schaft tritt  das  Volksleben,  alles  wird  mit  schnellen  Strichen 
hingeschrieben,  nur  das  Markanteste  festgehalten. 

Das  künstlerisch  Reifste,  das  der  italienischen  Reise  un- 
mittelbar sein  Entstehen  dankt,  ist  die  „Italienische  Landschaft^' 
fKunsthalle,  Geschenk  von  Dr.  Kellinghusen).     Das  Motiv  ist,  wie 


—     41     — 

aus  den  Zeichnungen  in  der  Kunsthalle  ersichtlich,  der  Gegend 
bei  Nettuno  entnommen.  Das  Bild  ist  wohl  erst  auf  Hamburger 
Boden  entstanden,  obgleich  ihm  der  Zauber  des  Geschauten, 
Erlebten  eignet.  Hier  ist  nichts  von  einer  ängstlichen  Ausführung, 
die  den  ursprünglichen  Reiz  verwischt.  Hier  ist  ein  Versuch  und 
angesichts  des  Gelösten  mehr  als  nur  ein  Versuch,  der  hinweist 
auf  die  Bestrebungen  der  Impressionisten,  auf  jene  Errungen- 
schaften, die  sich  Thomas  Herbst  und  Liebermann,  Speckters 
Studieugenossen,  damals  in  Paris  zu  eigen  zu  machen  suchten. 
Speckter  findet  diese  Anschauungsweise  durch  selbständige  Beob- 
achtung der  Natur.  Ein  Bild  entsteht,  indem  man  das  Wehen 
des  Windes  in  den  bewegten  Bäumen  spürt,  „un  coin  de  nature 
vu  ä  travers  un  temp6rament".  Aber  was  für  Speckter  nicht  ein 
bewußt  Erworbenes  war,  sondern  das  Geschenk  einer  glücklichen 
Stunde,  wird  wieder  achtlos  bei  seite  geworfen.  Er  ist  diesen 
Weg  nicht  mehr  gegangen. 

Die  Kunsthalle  besitzt  noch  ein  kleines,  auf  Hamburger 
Boden  enstandenes  Ölbild:  auf  der  Galerie  des  Hamburger  Stadt- 
theaters. Speckter  hat  dasselbe  Motiv  in  der  Lessing-Zeitung  (Fest- 
blatt vom  8.  September  1881)  als  Holzschnitt  veröffentlicht;  es 
ist  auch  als  Einzelblatt  erschienen.  Hier  ist  Farbe  nur  ein 
Sekundäres,  und  der  Holzschnitt  wirkt  in  seineu  scharfen  Gegen- 
sätzen von  Hell  und  Dunkel  fast  farbiger  als  das  Bild,  dessen 
koloristischer  Aul  bau  durch  die  braun-gelb-graue  Holzverkleidung 
der  Treppe  und  der  Rampe  bestimmt  wird.  Die  Gestalten  stehen 
wie  dunkle  Silhouetten  gegen  den  hellbeschienenen  Hintergrund. 
Alles  folgt  mit  gespannter  Aul'merksamkeit  den  Vorgängen  auf 
der  Bühne,  nur  die  Habitu6s  des  Hauses:  die  Kuchenfrau,  der 
Bierjunge  und  die  Garderobiere  im  Vordergrunde  gehen  ruhig 
ihrer  Beschäftigung  nach. 

Tafelbilder  sind  nach  der  italienischen  Reise  kaum  noch  ent- 
standen, Speckter  v^endet  sich  jetzt  dekorativen  Aufgaben  zu. 
„Mein  Mäzen  —  schreibt  Speckter  am  28.  Juni  1878  an  B>.  v. 
Thiersch  — ,  der  erste,  dessen  ich  mich  rühmen  darf,  ist  ein  ehe- 
maliger Maurer  (nicht  Meister),  spricht  ein  Deutsch  so  falsch,  daß 
er's  womöglich  selbst  kaum  versteht,  ist  jetzt  aber  reicher  Häuser- 


—     42     — 

Spekulant  und  läßt  sich's  was  kosten,  findet  dazu  meinen  Kinder- 
fries  ganz  .,wunnerschoin  un  zu  wunnerschoin"  und  will  sein 
nächstes  Haus  vielleicht  sogar  außen  mit  Malereien  bedecken. 
Solch  einen  Kunden  lob  ich  mir!  Der  ist  besser  als  alle  reichen 
Kaufleute  aus  guter  Familie,  deren  Gesellschaften  mich  bisher 
nur  Handschuhe,  Schlipse  und  Trinkgelder  gekostet  haben," 

Dies  ist  die  erste  Erwähnung  des  Kinderfrieses,  der  sich  im 
dunklen  Treppenhaus  des  Hauses  Mittelweg  40  befindet  und  im 
Jahre  1878  vollendet  wurde.  Die  beiden  Kompositionen  sind  als 
Gegenstück  gedacht;  die  rechte  zeigt  ein  Erntebild:  Kinder  tum- 
meln sich  bei  der  Arbeit,  die  sich  unter  ihren  Händen  zum  Spiel 
wandelt.  Auf  der  linken  sind  tanzende  Kinder  auf  blumiger  Wiese 
dargestellt.  (Der  Karton  dazu  befindet  sich  bei  Frl.  Dora  Speckter, 
Hamburg.)  Rhythmisch  bewegen  sich  die  Glieder  im  Takt  der 
Musik.  Überflüssig  zu  betonen,  wie  sehr  sich  diese  Kinderfriese 
von  den  üblichen  Treppenhausdekorationen  unterscheiden,  doch 
ist  Speckter  hier  nicht  frei  von  fremden  Reminiszenzen.  Es  ist 
nicht  die  Szenerie  allein,  die  auf  den  Süden  weist.  Besonders 
das  Erntebild  enthält  Anklänge  an  pompejanische  Motive;  die 
Casa  dei  Vetti,  an  die  man  vorzugsweise  denkt,  ist  aber  erst  fast 
20  Jahre  nach  Speckters  Aufenthalt  in  Italien  1895  aufgedeckt 
worden.  Der  Komposition  fehlt  noch  die  straffe  Gliederung,  die 
Speckter  späteren  Darstellungen  dieser  Art  zu  geben  wußte.  Den 
Künstler  hat  seine  eigne  Leistung  wenig  befriedigt.  „Meine  zwei 
Kinderfriese  sitzen  und  werden  bewundert,  kommen  freilich  nicht 
ganz  zur  Genüge  zu  sehen,  aber  das  schadet  nichts"  (an  seineu 
Bruder  Erwin  am  19.  Februar  1878). 

Einige  Jahre  später  entstehen  die  Kompositionen  für  den 
Dammtorpavillon.  Der  Fortschritt  ist  sehr  groß:  eine  strafi"e, 
in  sich  geschlossene  Komposition  mit  betontem  Mittelpunkt,  und 
die  Art  des  Kindes  kommt  aufs  glücklichste  zu  ihrem  Recht. 
Vier  Kinderfriese  waren  vorgesehen.  Die  flotten  Ölskizzen  bei 
Herrn  Erwin  Speckter  gehören  zum  Hübschesten,  das  in  den 
achtziger  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  in  dieser  Art  entstanden 
ist.  Dem  Blick  des  Beschauers  wurden  trotz  der  bewegten  Dar- 
stellung   dur^'h    die    straffe    Gliederung    bestimmte   Bahnen    vor- 


—     43     — 

geschrieben.  Sitzende  Profilfiguren  fassen  die  Tanzenden  in  der 
Mitte  ein.  Ob  der  frische  Reiz  dem  ausgeführten  Bilde  in  dem 
Maße  sich  erhalten  hätte?  Jenes  durchsonnte  Grün,  von  dem  sich 
die  kecken  Zinnoberstiefelchen  des  jungen  Mädchens  so  lustig 
abheben  und  die  warmen  tiefen  Rot  in  den  flatternden  Kleidern? 
Wieder  schwebt  Speckter  wie  beim  Haus  am  Mittelweg  die 
Absicht  vor,  das  Kind  bei  Spiel  und  Tan/  und  bei  der  Arbeit 
aufzusuchen.  Auf  dem  einen  Fries  steht  ein  heubeladener  Wagen, 
dem  Ziegen  vorgespannt  sind.  Ein  kleiner  Knabe  spielt  den 
Kutscher,  Kinder  kauern  am  Boden,  hantieren  mit  Harke  und 
Rechen,  ein  gröberer  Knabe  trägt  ein  Kind  Huckepack.  Auf 
dem  nächsten  Fries  tummelt  sich  eine  Gruppe  von  zehn  Kindern. 
Sie  schleppen  große  Bütten  mit  Früchten  und  Blumen,  laden  sie 
sich  auf  den  Rücken,  andre  haschen  springend  nach  einer  Traube. 
Ausgeführt  wurden  nur  die  reizvollen  beiden  Kompositionen  der 
tanzenden  und  musizierenden  K^inder.  Dreizehn  Kinder  musizieren 
im  Freien,  in  den  beiden  rechts  stehenden  Knaben  klingen 
Reminiszenzen  an  Lucca  della  Robbias  Orgelbalustrade  zu  Florenz 
nach.  Der  bewegte  Hintergrund  wird  durch  Bäume  gegliedert, 
die  die  Gruppen  zusammenschließen.  Auf  dem  vierten  Fries  be- 
wegen sich  zwei  tanzende  Paare,  die  von  rechts  und  links  sit- 
zenden Gruppen  zusammengehalten  werden.  Die  Gruppierung  ist 
leicht  und  zwanglos,  die  Bewegung  verläuft  in  sanfter  Kurve 
innerhalb  des  Bildes.  Vergleicht  mau  diese  Darstellungen  mit 
den  vielen  Kinderbildern  Anselm  Feuerbachs,  die  im  Ausgang  der 
50er  und  Beginn  der  60er  Jahre  entstanden  sind,  so  wird 
man  Speckters  Kinderfriesen  den  Vorzug  geben.  Seine  Kom- 
position ist  bei  aller  Freiheit  in  der  Anordnung  dank  dem  Auf- 
und  Abschwellen  der  Linie  und  dem  betonten  Mittelpunkt  ge- 
schlossener als  Feuerbachs  und  doch  ebenso  bewegt  und  lebendig. 
Ein  Karton  (bei  Frau  Dir.  Duncker)  zu  der  letzten  Darstellung 
sowie  mehrere  Bleistiftstudien  sind  erhalten  (bei  Frau  Dir.  Duncker 
und  in  der  Kunsthalle).  Für  das  junge  sitzende  Mädchen  (links 
im  Fries)  hat  Speckter  eine  Reihe  von  Studien  nach  seiner 
Schwester  Ida  gemacht.  Die  Rechte  greift  in  die  Falten  des 
unter   der   Brust  gegürteten   Empiregewandes,     das    die    Gestalt 


—     44     — 

weich  umtließt,  die  Linke  hält  Blumenzweig  und  Notenrolle.  Das 
zierliche  Köpfchen  mit  hängendem  Zopf  ist  leicht  gesenkt.  Mit 
weichen  Bleistiftstrichen  sind  die  Rundungen  umschriehen,  nur 
das  Notwendigste  gegeben  und  mit  großer  Ökonomie  der  Mittel 
gearbeitet. 

An  die  Zeichnungen,  Farbenskizzen  und  den  Karton  muß 
man  sich  halten,  wenn  man  das  Ganze  rekonstruieren  will.  Die 
beiden  Kinderfriese  Speckters  sind  dem  Umbau  des  Daramtor- 
pavillons  zum  Opfer  gefallen,  und  es  hat  sich  keine  Jiand  in 
Hamburg  gerührt,  die  diese  Kompositionen,  die  allerdings  ziemlich 
beschädigt  und  übermalt  gewesen  sein  sollen,  gerettet  hätte. 
Der  Raum  muß  im  Schmuck  der  Speckterschen  Friese  keinen 
ganz  einheitlichen  Eindruck  gemacht  haben,  da  eine  Komposition 
von  Krohn,  Speckters  Weimarer  Studiengenossen,  mit  einer  etwas 
pretentiösen  Hammonia  und  eine  vierte  Darstellung  von  Duyffke 
wenig  zu  Speckters  anspruchsloser  Heiterkeit  gepaßt  haben.  Hätte 
er  die  ursprünglich  beabsichtigten  vier  Kompositionen  ausgeführt, 
so  hätte  ein  Raum,  der  Erholungs-  und  geselligen  Zwecken  dient, 
den  angemessenen  Schmuck  bekommen:  Darstellungen,  gestellt 
auf  heitren  Lebensgenuß,  ohne  jede  überHüssige  allegorische  oder 
patriotische  Zutat. 

Der  Verkauf  des  von  Speckter  sehr  geliebten  Vaterhauses 
in  der  Fuhlentwiete  mag  mit  Schuld  daran  gehabt  haben,  daß 
die  Friese  später  als  vereinbart  fertiggestellt  wurden.  In  jenen 
Tagen,  wo  der  Künstler  von  Abschiedsgedanken  beschwert  den 
Blick  durch  die  altgewohnten  Räume  schweifen  läßt,  entstehen 
hübsche  Zeichnungen  und  Aquarelle:  der  Ausblick  auf  die  Veranda, 
auf  den  Garten,  die  Diele  mit  dem  großen  Schrank  neben  der 
Treppe,  der  Durchblick  vom  großen  Zimmer  in  die  Hinterstube, 
der  Vorplatz  der  IL  Etage  usw.  Die  Räume  sollten  im  Bild  er- 
halten bleiben.  Im  letzten  Augenblicke,  als  die  Möbeltransporteure 
sich  anschickten,  ein  Heim  zu  zerstören,  das  der  Familie  22  Jahre 
gedient,  zwingt  es  Speckter  noch  einmal  zum  Schaffen.  Zwölf 
kleine  Olstudien  (bei  Frl.  Dora  Speckter)  entstehen,  etwas  dunkel 
und  schwer  im  Ton,  aber  von  guter  Raumwirkung.  Das  Atelier 
mit  dem  hängenden  grünen  Rock,  der  Ausblick  in  die  Stube,  auf 


I 


—     45     — 

die  Treppe,  ins  Freie.  Unwillkürlicli  rundet  sich  ihm  die  Dar- 
stellung zum  gesclilossenen  Bilde,  so  wenn  er  durch  die  geöffnete 
Tür  das  Stubenmädchen  mit  dem  Besen  in  der  Hand  darstellt, 
oder  die  Schwester  Dora,  das  stets  bereite  Modell,  am  Kaftee- 
tisch.  Der  ergreifendste  Ausdruck  dafür,  wie  schwer  es  ihm  ge- 
fallen ist,  das  Fuhlentwietehaus  zu  verlassen,  findet  sich  in  einem 
Briefe  an  Storm:  ,,An  der  Fuhlentwiete  bin  ich  erst  ein  einziges 
Mal  bei  Nacht  wieder  vorbeigegangen.  Es  kam  mir  doch  un- 
heimlich vor  wie  die  Leiche  eines  lieben  Toten,  an  der  die  Ver- 
wesung ihre  Arbeit  beginnt.  Jetzt  ist,  wie  ich  höre,  nichts  mehr 
übrig,  auch  der  alte  Apfelbaum  schon  zerhackt.  Ja,  so  geht's I^' 
(am  23.  Juni  1880). 

Um  die  Wende  des  Jahres  1879/80  ist  Speckter  in  an- 
gespanntester Tätigkeit,  und  endlich  soll  ihm  auch  die  erste  öffent- 
liche Anerkennung  werden.  Der  Architektenverein  schreibt  eine 
Konkurrenz  für  den  Vorhang  des  Stadttheaters  aus;  Speckters 
Entwurf  wird  einstimmig  als  der  beste  anerkannt.  Von  der  ruhig 
geschlossenen  Wirkung  des  Kartons,  der  auf  eine  dunkle  Farben- 
harmonie gestimmt  ist,  gibt  der  heute  stark  übermalte  Vorhang, 
der  1881  von  Franz  Gruber  nach  Speckters  Entwurf  ausgeführt 
wurde,  eine  schwache  Vorstellung.  Man  muß  sich  schon  an  die 
Kartons  im  Gewerbemuseum  und  die  vielen  Zeichnungen  im  Be- 
sitze der  Familie  halten,  um  den  Vorhang  in  seiner  ursprüng- 
lichen Wirkung  zu  rekonstruieren.  Die  Musen  der  Musik,  der 
Tragödie  und  des  Lustspiels  heben  sich  von  einem  tiefroten  Hinter- 
grund ab.  Ein  früherer  Entwurf  mit  Apoll  und  den  neun  Musen 
beweist,  abgesehen  von  den  stark  raffaelischen  Anklängen  in  der 
Zeichnung,  wie  sehr  es  der  Entwicklung  bedurfte,  um  zu  dieser 
Einfachheit  in  der  Komposition  zu  kommen.  Der  Vorhang  ist 
als  Teppich  behandelt  unter  Berücksichtigung  des  Zweckes,  dem 
er  dient.  Die  Zuschauer  sollen  nicht  durch  reiche  dekorative 
Pracht  geblendet  und  abgelenkt,  sondern  auf  die  Ereignisse  vor- 
bereitet werden,  die  sich  vor  ihnen  auf  der  Bühne  abspielen 
werden.  Martin  Gensler  hat  in  einer  sehr  verständigen  Kritik 
im  Hamburger  Korrespondenten  (vom  23.  Dezember  1879)  hervor- 
gehoben,   worin    sich    Speckters   Entwurf  von    den    übrigen    ein- 


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gereichten  unterscheidet:  er  ist  der  einzige,  der  den  Vorhang  als 
abschließenden  Teppich  behandelt,  die  übrigen  weisen  eine  „bunt- 
farbige Anordnung"  auf  oder  „bewegen  sich...  in  architektonischen 
Formen,  welche  nicht  eigentlich  den  Motiven  zu  einem  Vorhang 
entnommen  sind,  sondern  mehr  oder  minder  ihren  Ursprung  als 
Plafond-  oder  Wanddekoration  bemerkbar  machen.  .  .  .  Die  Farben- 
stimmung des  Speckterschen  Vorhanges  schließt  den  Zuschauer- 
raum nach  der  Hauptseite  ruhig  und  wirkungsvoll  ab,  sowie  nach 
dem  Aufziehen  des  Vorhanges  die  Bühne  in  vollem  Licht  er- 
scheinen wird,  während  ein  zu  heller  Grundton  des  Vorhanges 
das  Gegenteil  bewirkt,  indem  er  diesen  nicht  allein  zu  blendend 
erscheinen  läßt,  sondern  auch  die  Wirkung  der  Bühnenbeleuchtung 
abschwächt,  die  unmittelbar  nach  dem  Aufziehen  des  Vorhanges 
benachteiligt  werden  wird." 

In  Speckters  Freundeskreis  hat  die  ihm  endlich  gezollte 
Anerkennung  große  Freude  hervorgerufen.  Storm  leiht  ihr  be- 
redten Ausdruck:  „Eins  meiner  besten  Weihnachtsgeschenke  war 
die  durch  Kirchner  bestätigte  Zeitungsnachricht,  daß  Sie  den 
ersten  Preis  für  die  Skizze  des  neuen  Theatervorhangs  erhalten 
haben.  Sie  sind  eigentlich  ein  abtrünniger  Mensch,  daß  Sie  mir 
das  nicht  sogleich  geschrieben,  da  Sie  meine  Teilnahme  an  Ihrem 
Leben  kennen.  Nun  die  Hauptsache,  daß  Sie  endlich  einmal  ge- 
siegt, und  zwar  eben  auf  dem  Punkt,  in  der  Art  malerischer 
Konzeption,  wo  nach  meiner  Ansicht  Ihre  Hauptstärke,  wenig- 
stens die  eine  liegt;  denn  Sie  haben  nach  meiner  Ansicht  noch 
eine  zweite,  die  Illustration  von  Dichtungswerken''  (aus  Husum 
den  27.  Dezember  1879). 

Speckter  selbst  hat  diesen  Erfolg  weniger  hoch  veranschlagt 
als  jenen  andern,  der  ihm  ungefähr  um  die  gleiche  Zeit  wird: 
der  Sieg  in  der  Glasfensterkonkurrenz,  die  vom  Verein  für  Kunst 
und  Wissenschaft  ausgeschrieben  wurde.  Zahlreiche  Kartons  sind 
erhalten,  die  in  das  allmähliche  künstlerische  Reifen  Einsicht 
geben  (in  der  Kunsthalle  und  namentlich  im  Gewerbemuseum). 
Der  Paradiesesbaum  mit  weitausgreifender  Krone,  „das  vornehmste 
Symbolum"  des  Vereins,  bildet  den  Mittelpunkt  der  Darstellung, 
rechts  und  links  Adam  und  Eva.    In  den  Seitenflügeln:  links  der 


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heilige  Lukas  als  Patron  der  Maler  (für  seinen  Kopf  war  Valentin 
Ruths  das  Modell),  rechts  Pallas  Athene.  Unter  diesen  beiden 
Figuren,  als  Predelle  dienend,  die  Namen  der  Stifter  mit  ihren 
Wappen.  Unterhalb  des  Paradiesesbaums  die  Inschrift:  „Bedenke, 
daß  die  Erkenntnis  des  Guten  und  Bösen,  wenn  sie  auch  Sünde 
uud  Tod  in  diese  Welt  gebracht  hat,  zugleich  der  Anfang  aller 
Tugend  und  Gesittung  ist  und  jedweder  Kunst  und  Wissenschaft 
Quelle,  so  wirst  Du  auch  verstehen,  weshalb  dieser  Paradiesesbaum, 
deß  goldne  Früchte  schon  unserer  Stammutter  lieblich  zu  essen 
dünkten,  als  dieses  Vereins  vornehmstes  Symbolum  hierher  in 
seine  Mitte  gesetzt  ist."  —  Besonders  der  untere  Teil  hat  Wand- 
lungen durchgemacht,  ursprünglich  hatte  Speckter  die  Absicht, 
eine  lustig  tafelnde  Gesellschaft,  die  Stammgäste  des  Vereins, 
darzustellen.  Später  verzichtete  er  auf  jede  figürliche  Dar- 
stellung und  fand  die  heraldisch  strenge  Lösung  von  Schrift 
und  Wappen.  Der  Karton  ist  großzügig  komponiert,  nur  das 
Wesentliche  gegeben,  der  dekorative  Standpunkt  streng  ge- 
wahrt und  die  Technik  der  Glasmalerei  berücksichtigt.  Dieser 
Karton  sollte  Speckter  seinen  größten  Erfolg  außerhalb  Hamburgs 
bringen:  1883  hat  er  ihm  die  goldne  Medaille  auf  der  Münchner 
Ausstellung  eingetragen.  Es  ist  für  Speckters  bescheiden  zurück- 
haltende Art  bezeichnend,  daß  er  auch  diesen  Erfolg  dem  älteren 
Freund  in  Hademarschen  nicht  gemeldet  hat.  Ein  Zufall  bringt 
die  Nachricht  ins  stille  Dichterhaus:  ,,Dr.  Pollaisch,  der  augen- 
blicklich seinen  Ferieuanfang  bei  uns  genießt,  brachte  die  Nach- 
richt von  der  Prämiierung  Ihres  Fensterkartons  in  München;  Sie 
wissen  es  zwar,  aber  ich  muß  es  Ihnen  doch  auch  sagen,  wie 
wir  uns  alle  darüber  gefreut  haben.  Ein  kleiner,  selbstsüchtiger 
Triumph  ist  für  mich  auch  noch  dabei,  da,  wie  Sie  wissen,  ich 
das  Fenster  schon  längst  prämiiert  hatte.  Also  frisch  auf!  Ich 
freue  mich  schon  aufs  zweite"  (Storm  an  Speckter  am  17.  August 
1883  aus  Hademarschen). 

Das  zweite  Fenster,  auf  das  Storm  sich  freut,  sollte  nicht 
mehr  werden.  Zeichnungen  dazu  befinden  sich  im  Besitz  der 
Familie.  Die  Musik,  auf  ihrem  Thron  sitzend,  von  spielenden 
Amoretten    umgeben,    sollte    dargestellt   werden.     Die    erste   An- 


—     48     — 

reguug  mögen  Pinturicchios  Fresken  im  Appartameuto  Borgia  zu 
Rom  (Saal  der  sieben  freien  Künste)  gegeben  haben.  Auch  dort 
sitzen  thronende  Frauengestalten,  die  Musica,  Rhetorica,  Arith- 
metica  usw.  von  Putten  umspielt,  zu  ihren  Füßen  scharen  sich 
ihre  Anhänger,  in  etwas  allgemeiner  Jugendschöne.  Von  diesem 
Schema  entfernt  sich  Speckter  immer  mehr,  die  Komposition  wird 
llüssiger,  der  dreiteilige  Entwurf,  der  durch  die  Fenstergliederung 
bedingt  war,  wird  zur  einheitlichen  Szene,  die  Kinder  schließen 
sich  immer  enger  an  die  Hauptfigur,  eine  Balustrade  gibt  den 
bewegten  Gestalten  einen  ruhigen  Hintergrund.  Vier  Entwürfe 
für  das  Musikfenster  sind  vorhanden,  eine  großflächige  Kom- 
position entstand,  die  auf  die  Erfordernisse  der  Technik  Rück- 
sicht nimmt,  das  Dekorative  betont  und  das  Fenster  nicht  zum 
Bilde  wandelt. 

Einen  weiteren  Entwurf  humoristischen  Charakters  besitzt 
das  Gewerbemuseum.  Es  trägt  den  Bleistiftvermerk:  „Für  das 
dritte  Fenster  des  Vereins  für  Kunst  und  Wissenschaft.  Die 
heihgeu  Patrone,  welchen  dort  gehuldigt  wird:  Frau  Fortuna, 
(Kaufleute)  Vater  Noah  und  der  heilige  Tobak.  Mai  1880."  Die 
J.Patrone"  sind  über  die  Fensterfläche  verteilt. 

Speckters  ausgeführtes  Fenster  im  Patriotischen  Gebäude  war 
nicht  sein  erster  Entwurf  für  Glasmalerei.  Brinckmann  erwähnt 
ein  „im  Auftrage  des  Senats  von  Hamburg  nach  Lerwick  gestiftetes 
kleines  Wappeufenster",  doch  haben  sich  Zeichnungen  dafür  nicht 
erhalten. 

Die  letzte  größere  Arbeit,  die  Speckter  beschäftigt  (1884), 
sind  die  sieben  Werke  der  Barmherzigkeit  in  der  Aula  des  Rauhen 
Hauses  zu  Hörn  bei  Hambarg.  Speckter  war  an  Cornelius'  Kom- 
positionen, dessen  Kartons  zu  den  Predellenbildem  für  den  Campo 
Santo  in  Berlin,  gebunden.  Cornelius  hat  in  vier  Sockelbildern 
neun  Werke  der  Barmherzigkeit  dargestellt: 
I.  Gefangene  besuchen,  . 

Traurige  trösten,  i  1847. 

Verirrten  den  Weg  weisen    ' 
IL  Hungrige   speisen,  1  ^^^^ 
Durstige  tränken    j 


49     — 


III.  Nackte  bekleiden,     , 


Gäste  beherbergen 


} 


IV.  Kranke  besuchen,  1  ^g^jQ/g^ 
Tote  begraben  j 
Speckter  hat  die  vorhandene  Vorlage  ganz  frei  benutzt,  die 
Aufeinanderfolge  der  Gruppen  geändert  und  sich  mit  Cornelius' 
akademischen  Gestalten  sehr  gut  abzufinden  gewußt,  indem  er 
für  alle  Figuren,  selbst  für  das  Beiwerk  unabhängig  vom  Vor- 
bild Studien  nach  der  Natur  gemacht  hat.  Es  wurden  nur  sieben 
Werke  der  Barmherzigkeit  dargestellt:  Traurige  trösten  und  Gäste 
beherbergen  fallen  aus.  Die  Reihenfolge  der  Szenen  wird  bei 
Speckter  eine  andere,  schon  das  bedingt  ein  neues  Verhältnis  der 
Gruppen  zueinander.  Nur  der  eine  Fries,  über  dem  Haupteingang, 
wurde  von  Speckter  selbst  gemalt,  der  andere,  an  der  gegenüber- 
liegenden Wand,  ist  von  fremder  Hand  nach  Speckters  Zeichnung 
ausgeführt  und  bildet  in  seiner  kalten  Farbengebung,  in  seinem 
trüben  Braun  und  Blau,  im  nüchtern  akademischen  Charakter 
der  Figuren  die  wirksamste  Folie  für  Speckters  Komposition. 
Die  Figuren  sind  etwa  in  halber  Lebensgröße.  Der  von  Speckter 
gewählte  Fries  faßt  vier  Momente  zusammen  und  setzt  ein  mit 
dem  Besuch  der  Gefangenen.  Es  ist  die  akademischste  unter 
den  Darstellungen,  die  sich  am  engsten  an  das  Vorbild  anschließt. 
Dieser  Szene  folgt  die  Speisung  der  Hungrigen,  daran  schließt 
sich  die  Tränkung  der  Durstigen  und  die  Kleidung  der  Be- 
dürftigen. An  Stelle  des  unerträglichen  Schematismus  des  Vor- 
bildes setzt  Beobachtung  ein,  und  selbst  jene  Gestalten,  die  wört- 
lich von  Cornelius  übernommen  werden  und  ihre  Abstammung 
von  der  italienischen  Renaissance  nicht  verleugnen,  sind  gefühlter, 
lebendiger  in  ihren  Bewegungen.  Auch  der  Hintergrund  —  die 
Bäume,  das  klassizistische  Motiv  des  dazwischen  gespannten  Tuches 
—  dient  trotz  aller  Annäherung  an  das  Vorbild  in  ganz  anderm 
Maße,  zur  rhythmischen  Gliederung  des  Ganzen,  zur  Heraushebung 
der  besonders  betonten  Gruppen.  Daß  Speckter,  wenn  seine 
Phantasie  nicht  durch  das  Vorbild  gebunden  worden  wäre,  etwas 
viel  Besseres  hätte  gestalten  können,  unterliegt  keinem  Zweifel. 
Die  Arbeit  war  dazu  angetan,  seine  Schaffensfreudigkeit  zu  lähmen. 

ScUapire,  Hans  Speckters  Briefe.  4 


—     50     — 

Er  hat  sich  erstaunlich  gut  damit  abzufinden  gewußt.  Der  Fries 
ist  gut  erhalten.  In  E'arbe  hat  sich  Speckter  viel  Beschränkung 
auferlegt  und  helle  gebrochene  Töne  bevorzugt:  ein  bläuliches 
Rosa  wird  in  ein  bräunliches  Rot,  ein  mattes  Faulgrüu  in  ein 
oiives  Graugrün  abgewandelt.  Nirgends  ein  kräftiger,  leuchtend- 
farbiger Akzent  —  doch  hätte  er  zu  diesen  feierlich  getragenen 
Szenen  und  zum  gedämpften  Charakter  der  Bewegungen  wenig 
gestimmt. 

Die  zu  diesem  Fries  erhaltenen  Zeichnungen  (in  der  Kunst- 
halle und  im  Besitz  der  Familie)  zeigen  Speckter  auf  seiner  Höhe. 
Handstudien  und  Kinderzeichnungen  darunter  sind  von  ergreifender 
Schönheit.  Der  Bleistift  gehorcht  den  Intentionen  des  Schaffenden, 
gleitet  in  weichen  Rundungen  über  das  Papier,  umschreibt  eine 
Bewegung,  die  Verschiebungen  im  Faltenwurf  mit  wenigen  sichern 
Strichen.  Keine  sieben  Jahre  liegen  zwischen  diesen  Studien  und 
jenen  die  in  Willingshausen  und  auf  italienischem  Boden  geworden 
sind.  Sie  begreifen  die  Entwicklung  des  Künstlers.  Die  Zeich- 
nungen aus  Willingshausen  sind  sorgfältig  schraffiert,  zuweilen 
ängstlich,  Rundungen  werden  durch  viele  nebeneinander  gesetzte 
Striche  erzeugt.  In  den  80  er  Jahren  ist  Speckter  freier  und 
zugleich  sparsamer  in  seinen  Mitteln.  Seine  Hand  ist  leichter 
geworden,  er  zeichnet  sicher,  mit  wenig  Strichen  und  großer  Aus- 
druckskraft, Schraffierungen  fallen  als  etwas  Überflüssiges  fort, 
Rundungen  werden  erreicht,  die  straffer  und  körperlicher  zugleich 
sind.  Mit  einem  Nichts  wird  ein  Kontur  heruntergezogen  und  ist 
voll  Leben  und  Geist.  Aus  einem  Suchenden,  der  sich  schon  den 
Dingen  nähert,  ist  ein  Reifer  geworden,  der  vom  „Objekt  das 
Gesetz  empfängt*'. 

Diese  letzten  Zeichen  von  Speckters  Schaffen  erfüllen  mit 
tiefer  Wehmut.  Was  geworden  ist,  entstand  unter  innern 
Kämpfen,  in  seelischer  und  geistiger  Depression.  Hier  war  ein 
Ringender,  der  die  Energie  und  Konzentration  nicht  hatte,  um 
auf  ein  Ziel  loszusteuern,  den  es  immer  wieder  lockt,  seine  Gaben 
in  den  Dienst  der  Allgemeinheit  zu  stellen,  Kultur  zu  fördern  in 
der  geliebten  Heimatstadt.  Nur  ein  Geringes  au  Teilnahme,  an 
Förderung,    an  Anerkennung  und  ein    zehrendes    inneres  Leiden 


—     51     — 

hätte  vielleicht  eine  größere  äußere  Widerstandskraft  gefunden. 
Keine  Eroberernatur  und  keiner  der  ganz  Großen,  aber  ein  ehr- 
lich Kämpfender  —  doch  wann  hätte  die  Mitwelt  je  Teilnahme, 
Verständnis,  Förderung  gehabt  für  ein  stilles,  reines  Streben,  das 
nicht  nach  dem  schnellen  Augenblickserfolge  hascht?  Mit  Haus 
Speckter  ist  einer  jener  Idealisten  untergegangen,  denen  das  Er- 
reichte nie  genügt,  weil  sie  selbst  am  stärksten  fühlen,  wie  weit 
es  hinter  dem  Angestrebten  zurückbleibt,  wie  wenig  Wille  und 
Tat  sich  decken. 

Zum  Maler  gesellt  sich  der  Schriftsteller  und  Rezensent.  Wie 
lebendig  er  zu  schildern  weiß,  wie  weit  sein  Gesichtskreis  ist, 
beweisen  seine  Italienbriefe.  —  Seit  seiner  Rückkehr  aus  dem 
Süden  ist  Speckter  ständiger  Referent  des  Hamburgischen  Korre- 
spondenten über  Hamburger  Kunstausstellungen  gewesen.  Er 
sucht  tunlichst  allen  Richtungen  und  Erscheinungen  gerecht  zu 
werden  und  zeigt  sich  in  seinem  Urteil  über  Historienbilder  wie 
Franz  Adams  „Vernichtung  der  französischen  Kavallerie  bei 
Sedan''  oder  Andreas  Achenbachs  „Sonnenuntergang"  (Korresp. 
16.  November  1877)  zeitlich  befangen.  Aber  er  wird  zu  gleicher 
Zeit,  und  darin  mag  sich  die  feine  Sammlerkultur  des  Speckterschen 
Hauses  bekunden,  Chodowiecki  gerecht  (Korresp.  30.  November 
1877),  feiert  Menzels  Holzschnitte  (Korresp.  9.  Dezember  1877) 
und  die  Reize  des  Paysage  intime,  die  ein  Theodore  Rousseau 
und  ein  Jules  Duprö  pflegen.  Für  Fragen  des  Kunstgewerbes, 
das  im  Kampf  gegen  Gotik  und  Renaissance  sich  zu  regen  be- 
ginnt, hat  er  feines^  vorahnendes  Verständnis. 

Über  die  Hamburger  Maler:  Hermann  Steinfurth  (Korresp. 
21.  März,  24.  März  und  28.  März  1880),  Christian  Morgenstern 
(Korresp.  29.  April  1881)  und  Martin  Gensler  (Korresp.  14.  März 
1882)  hat  Speckter  eingehend  geschrieben.  Diese  Arbeiten,  unter 
denen  namentlich  der  Artikel  über  Gensler  über  die  Grenzen  der 
üblichen  Feuilletonistik  hinausgeht,  beweisen,  welche  Fülle  von 
Kenntnissen  über  Hamburgs  Vergangenheit  Speckter  besessen  hat. 
Er  war  eifriges  Mitglied  aller  künstlerischen  Vereinigungen  in 
Hamburg  und  hat  1883  im  Hamburger  Gewerbe  verein  einen  be- 
merkenswerten   Vortrag    über   „Heraldik   und    Schutzmarke"    ge- 


—     52     — 

halten,  der  auch  als  Broschüre  erschienen  ist.  Seine  Ausführungen 
gipfeln  darin,  die  Freude  am  Wappen  ins  moderne  Leben  zu  über- 
tragen und  Schutz-  und  Handelsmarken  heraldisch  auszugestalten. 

Ein  Jahr  darauf  gewinnt  sein  Plan,  die  Gründung  eines 
Museums  für  Hamburgische  Geschichte,  greifbare  Form,  und 
Speckter  hat  seine  ganze  Kraft  für  die  Realisierung  dieses  Pro- 
jekts eingesetzt.  Im  Verein  für  Hamburgische  Geschichte,  im 
Architekten-  und  Ingenieurverein  hat  er  Vorträge  über  die 
Museumsgründung  gehalten  und  seine  Pläne  in  einer  kleinen  Schrift 
auseinandergesetzt.  Speckter  hat  sein  ganzes  Wollen  und  seine 
ganze  Kraft  für  diese  Museumsgründung  eingesetzt;  der  Sinn  für 
die  eigne  Geschichte,  der  Wunsch  aus  der  Vergangenheit  zu  be- 
wahren, zu  retten,  was  noch  zu  retten  war,  war  noch  nicht  er- 
wacht. An  der  Indolenz  der  Bevölkerung  scheiterte  das  Unter- 
nehmen. 

Übersieht  mau  die  Früchte  von  Speckters  40  jährigem  Leben, 
so  mögen  sie  dem  gering  erscheinen,  der  nur  die  greifbaren  Resul- 
tate achtet.  Nicht  von  Speckter  dem  Künstler  soll  die  Rede  sein, 
nur  darauf  hingewiesen  werden,  was  ihm  Hamburg  an  Kulturtaten 
zu  danken  hat.  Die  Gründung  des  Museums  für  Hamburgische 
Geschichte,  für  die  er  so  selbstlos  eingetreten  ist,  hat  er  nicht 
selbst  erlebt,  aber  was  heute  im  Ausbauen  begriffen  ist,  geht  auf  seine 
Gedanken  und  Anregungen  zurück.  Von  Speckter  stammt  die 
Anregung,  die  Bilder  Hamburger  Maler  zu  sammeln,  an  ihren 
Werken  in  der  Kunsthalle  die  Entwicklung  Hamburgischer  Malerei 
zu  zeigen.  Was  Lichtwark  ausgeführt  hat,  und  was  den  Stolz 
der  Hamburger  Kunsthalle  ausmacht,  ist  von  jemand  formuliert 
worden,  dem  es  nicht  gegönnt  war,  die  Früchte  seines  Tuns  zu 
ernten.  —  Keimkräftige  Gedanken  gedacht  zu  haben,  die  sich 
erst  Jahrzehnte  später  verwirklichen  —  ist  das  so  wenig? 

Speckter  weiß  Martin  Gensler  nicht  besser  zu  ehren,  denn 
mit  nachstehenden  Worten:  ,,Es  sind  nicht  immer  des  Tages  ge- 
feierte Größen,  welchen  der  wahre  Fortschritt  der  Menschheit 
verdankt  wird,  sondern  viel  mehr  oft  die  anspruchslos  tüchtigen 
Männer,  die,  auf  den  Ruhm  ihres  Namens  wenig  bedacht,  sich 
nur  als  ein  Glied  in  der  großen  Kette  fühlen,  und  in  dem  Bewußt- 


—     Os- 
sein innerer  geistiger  Übereinstimmung  mit  den  Besten  der  Ver- 
gangenheit, und  im  Blick  auf   die  Zukunft,    ihr  Glück  und  ihre 
Befriedigung  tinden." 

Diese  Worte  gelten  in  vollstem  Umfang  für  Speckter  selbst. 


Speckters  Italienbriefe  waren  nur  für  die  Familie  bestimmt. 
Jeder  Gedanke  an  einen  weiteren  Kreis,  geschweige  denn  an  eine 
Veröfi'entlichung  lag  ihm  fern.  Was  er  in  Italien  geschaut  und 
mit  lebendigen  Sinnen  aufgenommen  hatte,  wollte  er  aufzeichnen, 
um  seine  Angehörigen  teilhaben  zu  lassen  an  seinen  Erlebnissen. 
Auch  sollten  die  Briefe  in  spätem  Jahren  dienen,  seinem  Ge- 
dächtnis verblaßte  Bilder  wieder  wachzurufen.  Und  doch  sind 
die  Aufzeichnungen  ohne  feste  Absicht,  ohne  Plan  und  System 
gemacht.  Sie  sind  bedingt  durch  Gunst  und  Ungunst  der  Stunde. 
Geschrieben  unmittelbar  unter  dem  Eindruck  des  Erlebnisses 
oder  nach  Wochen  knapp  registrierend  und  zusammenfassend  unter 
Zuhilfenahme  von  ßurckhardts  „Cicerone",  der  Speckter  ein  treuer 
Begleiter  in  Italien  war,  wie  frühern  Generationen,  Goethe  z.  B. 
Volkmann. 

Ausführliche  Schilderung  der  kleinen  so  reizvollen  Städte  in 
Umbrien  und  der  Toskana,  Perugia,  Assisi,  Siena,  Arezzo,  Cortona, 
Orvieto  wechseln  mit  trockeneren  Aufzeichnungen  der  Kunst- 
schätze von  Florenz,  Rom,  Neapel.  Eingestreut  sind  Natur- 
schilderungen, ausführliche  Beschreibungen  der  Ausflüge  nach 
Albano,  an  den  Nemisee,  nach  Frascati,  Tivoli,  Camaldoli  und 
Capri.  Namentlich  die  letzte  ist  für  Speckters  zwanglose  Art  be- 
zöichuend.  Wochen  liegen  zwischen  dem  Ausäug  und  seiner 
Schilderung.  Platensche  Verse  rufen  ihm  jene  Tage  wach.  Er 
setzt  mit  behaglich  epischer  Breite  ein,  bricht  ab,  um  den  Faden 
nach  Wochen  wieder  aufzunehmen,  als  ihn  ein  Name,  den  er  zu- 
fällig gelesen,  an  eine  Reisebekanntschaft  auf  Capri  erinnert. 
Und  nun  schildert  er  so  anschaulich,  als  wenn  die  Begebenheiten 
sich  eben  jetzt  abgespielt  hätten  und  nicht  durch  so  viel  neue 
Eindrücke   verdrängt   wären.     So    sehr   bemächtigt    sich    die  Er- 


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inneruüg  seiner,  daß  die  Vesuvbesteigung  unmittelbar  dem  Aus- 
äug nach  Capri  angeschlossen  wird.  Dabei  sieht  er  die  Natur 
verhältnismäßig  farblos.  Die  weichen  silbrigen  Grau  überwiegen 
in  seinen  Naturschilderungen.  Man  vergleiche  das  etwa  mit 
der  orangefarbenen  Glut,  die  Gauguin  auf  Tahiti  geschaut, 
dem  „Sonnigen,  Verbrannten,  Versengten",  dem  „leuchtenden 
Schatten  wie  altes  Gold",  dem  „blauen  Erdboden  beim  blassen 
Sonnenuntergang'',  die  in  van  Goghs  erregten  Briefen  durch- 
blitzen, und  man  kann  aus  den  Naturschilderungen  aUein  folgern, 
daß  die  Farbe  das  Sekundäre  für  Speckter  ist.  Prellers  heroische 
Landschaften,  Oswald  Achenbachs  Sonnenuntergänge,  Böcklins 
Villa  am  Meer  findet  er  in  Italien  wieder,  das  verwandte  Bild 
drängt  sich  ihm  in  der  Natur  entgegen  —  kommen  wir  heute 
nach  Italien,  so  entdecken  wir  eine  Landschaft,  die  in  ihrer  über- 
wältigenden Größe,  ihrer  Geschlossenheit,  ihrem  heroischen  Stil 
sich  keinem  dieser  Künstler  offenbart  hat.  Feuerbach  ist  in 
einigen  Bildern  aus  der  Campagna  der  feierlich  strengen  Einsam- 
keit dieser  Landschaft  nahe  gekommen  —  aber  hier  liegen  noch 
ungehobene  Schätze. 

Zu  den  Naturschilderungen  gesellt  sich  das  Volksleben.  Speckter 
empfindet  wie  jeder,  der  vorurteilslos  nach  Italien  kommt,  den 
wundervollen  Zauber  dieses  Volkes,  seine  Ursprünglichkeit,  seine 
Intelligenz,  seinen  Takt,  aus  dem  die  alte  Kultur  des  Landes 
spricht.  Und  er  empfindet  auch,  wie  sehr  die  guten  Eigenschaften 
der  untern  Volksklassen  dem  Mittelstand  abhanden  gekommen 
sind.  Er  hat  fleißig  beobachtet,  das  Militär  so  gut  wie  den 
Klerus,  und  Schilderungen  kirchlicher  Zeremonien  stehen  neben 
dem  Palio  in  Siena  und  dem  römischen  Karneval.  Das  blank- 
geputzte Messinggeschirr  in  Neapel,  die  lustig  arrangierten  Laden- 
fenster in  Tivoli  —  nichts  von  den  kleinen  Dingen  ist  ihm  ent- 
gangen. 

Von  München  aus  beginnen  Speckters  Reiseberichte.  Sie 
setzen  mit  einer  Schilderung  der  Kunstzustände  Münchens  in  den 
70  er  Jahren  ein.  Dieser  Auftakt  sollte  den  Briefen  aus  Italien 
nicht  fehlen,  da  Speckter  immer  wieder  anknüpft  an  die  zeit- 
genössische deutsche  Kunst.     Er   ist    als  schaffender  Zeitgenosse 


—     55     — 

erstaunlich  vorurteilsfrei,  ganz  gleich,  ob  man  sich  hält  an  sein 
absprechendes  Urteil  über  Piloty,  Piglhein,  Makart,  dessen  male- 
rische Qualitäten  er  schätzt,  oder  an  seine  Anerkennung  Thomas 
und  die  restlose  Bewunderung  Böcklins,  die  freilich  in  Florenz 
bei  seinem  Besuch  von  Böcklins  Atelier  ins  Gegenteil  um- 
schlägt. „Der  Mann  ist  fertig,"  so  nimmt  Speckter  1877  ein 
Urteil  vorweg,  zu  dem  Meier-Graefe  etwa  30  Jahre  später  kommen 
sollte.  Um  so  bedauerlicher  ist  es,  daß  Speckter  das  bedeutendste 
neuere  deutsche  Werk  auf  italienischem  Boden:  Hans  von  Maries 
Fresken  in  der  zoologischen  Station  zu  Neapel  nicht  erwähnt. 
Sie  sind  um  1874  entstanden,  da  Speckter  das  zoologische  Museum 
eingehend  besichtigt  hat,  einen  der  dort  tätigen  deutscheu  Herrn 
kennt,  ist  es  wenig  wahrscheinlich,  daß  er  die  Fresken  überhaupt  nicht 
gesehen  hat,  und  doch  ist  es  bei  seinem  starken  Interesse  an  der 
dekorativen  Ausschmückung  eines  Raumes  noch  unwahrschein- 
licher, daß  er  sie  gesehen  und  nicht  erwähnt  hat.  Jedenfalls 
fehlt  Mar6es  Namen.  Es  ist  nicht  die  einzige  Lücke:  der  avisierte 
ausführliche  Bericht  über  Michelangelos  Plastik,  die  sixtinische 
Kapelle,  die  Stanzen  fehlt  und  wurde  nie  geschrieben;  Piero  della 
Francescas  Fresken  in  Arezzo  sind  nicht  erwähnt,  während  Vasaris 
Haus  ausführlich  beschrieben  ist;  von  Jacopo  della  Quercia  ist 
nicht  die  Rede,  obgleich  Speckter  in  Lucca  und  Bologna  war 
und  in  San  Petronio  zu  Bologna  sogar  die  modernen  Glasfenster 
eingehend  besichtigt  hat;  auch  Mantegnas  Fresken  in  Mantua 
hat  er  nicht  gesehen.  Was  Speckter  beabsichtigt,  ist  eben  nicht 
eine  lückenlose  offizielle  Berichterstattung,  der  nichts  Wesentliches 
entgeht;  dieses  vom  Zweck  Befreite  gibt  seinen  Briefen  den  Reiz 
des  Unmittelbaren,  Erlebten,  Zwanglosen. 

Speckters  Weg  führt  über  Trient  und  Verona  nach  Modena, 
Bologna  und  Florenz.  Hier  wird  die  erste  längere  Rast  gemacht. 
Von  Florenz  aus  geht  er  über  Cortona,  Arezzo,  Perugia  und  Assisi 
nach  Rom.  In  Rom  hatte  Speckter  zweimal  einen  längern 
Aufenthalt  und  hat  von  dort  aus  viele  Ausflüge  in  die  Campagna 
und  au  die  See  gemacht.  Neapel,  Capri  und  Pompeji  sind  die 
südlichsten  Punkte,  die  Speckter  erreicht  hat.  Über  Orvieto  und 
Siena  geht  er  nach  Florenz  zurück,  und  jetzt  erst  offenbart  ihm 


—     56     — 

diese  unvergleichliche  Stadt  ihren  ganzen  Zauber.  Jetzt  erst, 
nachdem  er  so  viel  gesehen,  hat  er  den  Maßstab  für  das  Boden- 
gevs^achsene,  Ursprüngliche  der  Florentiner  Kunst,  für  den  hohen 
Reiz  dieser  Stadt.  Von  Florenz  aus  werden  Lucca,  Pisa,  Pistoja 
besucht,  dann  geht  es  heimwärts  über  Venedig. 

Speckter  ist  mit  offenen  Sinnen  nach  Italien  gegangen.  Er 
hat  die  vibrierenden  Nerven  und  die  fein  empfindenden  Organe 
des  Künstlers;  daneben  eignet  ihm  eine  Kultur,  die  jenen  mühelos 
in  den  Schoß  fällt,  die  aufgewachsen  sind  in  einem  von  künst- 
lerischer Tradition  getränkten  Milieu.  Wohl  hat  er  Geschichts- 
studien gemacht,  ist  mit  dem  „Cicerone"  beschwert,  den  er  eifrig 
zu  Rate  zieht,  hat  Ruskin  gelesen,  der  in  den  70  er  Jahren  wohl 
den  meisten  Deutschen  unbekannt  war,  ist  in  der  klassischen 
Literatur  wohl  bewandert,  und  sein  Wissen  geht,  wenn  man  nicht 
den  Maßstab  der  Fachgelehrten  anlegt,  über  den  Umkreis  des 
gebildeten  Dilettanten,  nicht  nur  der  70  er  Jahre,  hinaus.  Aber 
alles  bloß  Grelernte  fällt  von  ihm  ab,  wenn  er  vor  das  Kunstwerk 
tritt,  daher  das  Vorurteilslose  seiner  Wertungen.  Da  gebraucht 
er  seine  guten  Maleraugen,  und  darum  kommt  er  zu  Resultaten, 
die  überraschend  sind  für  seine  Zeit.  Er  nimmt  Urteile  vorweg, 
zu  denen  die  kunsthistorische  Forschung  erst  sehr  viel  später  ge- 
kommen ist.  Er  sieht  Dinge,  an  denen  nicht  nur  die  große  Masse 
blind  vorübergeht.  Und  da  ihm  Kunst,  auch  die  Jahrhunderte 
alte,  ein  Lebendiges  ist,  scheut  er  vor  Vergleichen  mit  der 
modernsten  Moderne  nicht  zurück,  ist  voller  Bewunderung  für  die 
von  ihm  entdeckten  Schönheiten,  auch  wenn  ihnen  die  offizielle 
Approbation  fehlt.  Auf  klassischem  Boden  wird  er  Deutschland 
nicht  untreu;  erfüllt  von  der  Schönheit  der  geliebten  Vaterstadt, 
wird  sie  ihm  zwar  nicht  zum  Wertmesser  für  das,  was  er  unter 
italienischem  Himmel  gesehen,  aber  gern  benutzt  er  sie  als  Ver- 
gleich, um  seine  Schilderungen  zu  verlebendigen,  sie  aus  einer 
unklaren  nebligen  Ferne,  in  eine  vorstellbare,  greifbare  Nähe  zu 
bringen. 

Mantuas  malerisch  dunstige  Atmosphäre  zaubert  ihm  Thomas 
Herbsts  Bilder  vor  die  Seele;  Bolognas  Arkadengänge  erinnern 
ihn  an  die  Kolonnaden  in  Hamburg,  er  erwähnt  das  Projekt,  die 


I 


—     57     — 

Alsterarkaden  bis  zur  Elbe  zu  fübreu  und  hat  das  Verlangen, 
Bolognas  großzügige  Backsteinarchitektur  für  Norddeutschland  zu 
nützen.  Der  violette  Nebeldunst,  der  die  alte  Universitätsstadt 
einhüllt,  erinnert  ihn  an  die  Heimat.  Der  Schnee  tropft  in  Rom 
im  hellen  Sonnenschein  so  lustig  von  den  Dächern  wie  „in  Papas 
einem  Quickborninitial^'.  Die  kirchlichen  Feste  in  S.  Peter  mahnen 
ihn  an  die  weihevolleren  Zeremonien  in  der  Münchner  Frauen- 
kirche, und  bei  Hadrians  in  Tivoli  aufgespeicherten  Schätzen 
denkt  er  des  modernen  Mäcens,  der  unserer  Zeit  so  not  tut  und 
nicht  gerade  auf  dem  Thron  seinen  Platz  haben  müßte.  Die  pon- 
tinischen  Sümpfe  vergleicht  er  der  heimatlichen  Marsch,  und  im 
Volskergebirge  denkt  er  an  Tirol  und  Lessings  Harz-  und  Rhön- 
landschaften. Gaeta  wirkt  fast  unwirklich  auf  ihn,  wie  eine  „traum- 
haft romantische  Theaterdekoration",  und  an  der  See  zieht  ihm 
die  Odyssee  beglückend  durch  die  Seele.  Die  Anlagen  in  Caserta 
können  dem  Vergleich  mit  Nymphenburg  und  Wilhelmshöhe  nicht 
Stand  halten;  die  Statuen  an  der  Chiaja  in  Neapel  erregen  ihm 
den  Wunsch  nach  gleichen  Anlagen  an  Elbe  und  Alster,  und  der 
Robbia-Fries  in  Pistoja  das  Verlangen  glasierte  Kacheln  für  die 
Außenarchitektur  unserer  Zeit  zu  nützen  —  ein  Wunsch,  der 
heute  erfüllt  ist.  Treu  geleiten  ihn  die  Geister  der  Heimat  in 
Italien;  seine  Lektüre  bilden  neben  der  einschlägigen  Literatur 
Perthes  und  Runges  Schriften.  Wenn  er  Neapel  unter  den 
italienischen  Städten,  die  er  gesehen,  den  Schönheitspreis  erteilen 
möchte,  so  rangiert  doch  für  ihn,  den  Hanseaten,  Hamburg  un- 
mittelbar dahinter.  So  ist  nichts  für  ihn  ein  Losgelöstes,  Ein- 
zelnes; er  sieht  Zusammenhänge  zwischen  Süden  und  Norden, 
zwischen  alter  und  neuer  Kunst.  Giulio  Romanos  Zeichnung  in 
Villa  Albano  ist  „naiv  wie  Schwind  und  Ludwig  Richter",  und 
in  den  Robbiafriesen  findet  er  das  heitere  Element,  das  ihn  bei 
Schwind  beglückt. 

Nirgends  ein  Gesuchtes,  Gewolltes,  ein  sich  Höherschrauben; 
zuweilen  blickt  fast  eine  gewisse  norddeutsche  Nüchternheit  durch, 
eine  Angst,  sich  von  den  Dingen  überrumpeln  zu  lassen.  „Nüch- 
terne Reisebriefe  aus  Italien"  schlug  ihm  eine  Münchner  Freundin 
als  Titel  für  seine  Briefe  vor,    die  entsetzt  war  über  die  ruhige, 


—     58     — 

sachliche  Gelassenheit,  mit  der  er  sich  ohne  viel  Ahes  und  Ohs 
zu  dieser  Reise  anschickte.  Er  selbst  äußert  sich  einmal  über 
seine  Berichte:  „Ich  schreibe  wie  ich  denke  und  fühle.  Meine 
Phantasie  ist  nicht  weit  her,  aber  war  denn  nicht  Onkel  Erwins 
bisweilen  etwas  krampfhaft?  Mir  erscheint  sie  so.  Das  ist  gewiß 
kein  Vorwurf  gegen  ihn,  denn  wer  wäre  nicht  ein  Kind  seiner 
Zeit?  Unsere  Zeit  dagegen  —  von  der  hohlen  Phrasenhaftigkeit 
der  Schriftsteller  dritten  bis  siebenten  Ranges  abgesehen  —  liebt 
es  kühler  zu  erscheinen,  als  sie  ist,  um  nur  ja  nicht  unwahr  und 
gemacht  zu  wirken;  wenigstens  tun  es  die  Schriftsteller,  die  ich 
am  meisten  liebe,  obenan  die  englischen  und  norwegischen.  Und 
wie  schlicht  sagt  Goethe:  , 

„Kennst  du  das  Land,  wo  die  Zitronen  blühn. 
Im  dunklen  Laub  die  Goldorangen  glühn'*, 
und  schöner  hat  doch  niemand  Italien  gemalt,  auch  Onkel  Erwin 
nicht  mit  seinen  beständigen  „Plammenküssen  der  Sonne"  usw. 
Wohl  ist  das  nicht  nur  geistreich  und  phantastisch,  sondern 
auch  mit  eigner,  wahrer  Empfindung  gedacht,  die  man  bisweilen 
sehr  wohl  nachfühlen  kann,  aber  mustergültig  ist's  doch  gewiß 
nicht." 

Und  trotz,  und  vielleicht  gerade  wegen  dieser  Verhaltenheit, 
fühlt  man  Speckters  innere  Wärme  und  Begeisterung  bei  den 
wirklich  großen  Dingen. 

Speckter  hat  Sinn  für  Giottos  Monumentalität  und  schlichte 
Größe,  für  seine  Fähigkeit  nur  das  Wesentliche  herauszugreifen 
und  verschließt  sich  dem  hohen  Reiz  des  erzählenden,  amüsanten 
Quattrocento  nicht,  für  das  alles  nur  Vorwand  für  Bewegung 
ist.  Im  Fresko  sieht  er  das  Bild  nicht  als  ein  Einzelnes,  Los- 
gelöstes, sondern  betont  den  dekorativon  Zusammenhang,  das 
Verhältnis  der  Figuren  zum  Raum,  zur  architektonischen  und 
ornamentalen  Umrahmung.  Darin  liegt  Raffaels  Größe.  Nicht  in 
seinen  Madonnen,  und  die  Farben  der  Cecilia  in  Bologna  können 
dem  vorurteilslosen  Blick  des  Malers  natürlich  nicht  standhalten, 
aber  „wie  Raffael  durch  eine  große,  leere,  perspektivisch  sich  ver- 
kürzende Bodenfläche  seine  großen  figurenreichen  Bilder  räumlich 
zu  machen  weiß",  das  nötigt  ihm  den  unbedingten  Respekt  und  die 


—     59     — 

unbediogte  Bewunderung  ab.  —  Wer  hat  denn  solche  Dinge,  die 
so  modern  klingen,  in  den  70  er  Jahren  gesehen?  Die  Wissen- 
schaftler und  Forscher  gewiß  nicht,  und  wieder  liegt  es  an 
diesem  vorurteilslosen  Betrachten  der  Kunstwerke,  daß  er  den 
malerischen  Reiz  der  Barockskulptur  erkennt  und  darüber  klagt, 
daß  diese  Epoche  in  Bausch  und  Bogen  abgetan  wird.  Er  geht 
nicht  mit  vorgefaßten  Meinungen  und  einem  ästhetischen  System 
an  die  Dinge  heran,    sondern    sucht  in  ihr  Wesen  einzudringen. 

Jede  Zeit  sucht  sich  selbst  in  der  Vergangenheit  und  spürt 
unbewußt  in  den  Kunstwerken  vergangener  Epochen  jene  Ten- 
denzen auf,  die  sie  bestärken  in  ihrem  eignen  Ringen  und  ihrem 
oft  noch  latenten  Wollen.  Darum  ist  auch  das  Werturteil  über 
Werke,  von  denen  uns  Jahrhunderte  trennen,  kein  festes,  son- 
dern beständigen  Schwankungen  unterworfen.  Die  Historie  läßt 
im  Stich,  wenn  es  gilt,  den  lebendigen  Gehalt  eines  Kunstwerks 
zu  erfassen;  sein  Geheimnis  offenbart  es  nur  nach  Maßgabe 
dessen,  was  ihm  der  Beschauer  entgegenbringt.  Das  gilt  auch 
dann,  wenn  man  im  Kunstwerke  nicht  sucht  nach  Willkür  und 
überhitzter  Phantasie,  sondern  nach  Gesetzmäßigkeit,  es  nicht 
betrachtet  als  ein  bedingungslos  Gewordenes,  sondern  es  zeitlich 
einzureihen  und  zu  begreifen  sucht  aus  dem  Geist  seiner  Epoche. 
Die  Dinge  behalten  ihre  Größe,  auch  dann,  wenn  die  Menschen 
achtlos  oder  nichtachtend  an  ihnen  vorübergehen,  aber  es  kann 
Jahrhunderte  dauern  bis  die  Seelen  wiederkommen,  die  auf  ihren 
Ton  gestimmt  sind,  die  Schönheit  der  Dinge  erkennen,  genießen, 
verkünden. 

Die  Geschichte  des  Sehens,  die  zu  den  interessantesten 
psychologischen  Schlüssen  Anlaß  gäbe,  ist  noch  nicht  geschrieben, 
so  wenig  wie  jene  andere,  mit  ihr  in  Zusammenhang  stehende- 
wie  spiegelt  sich  Italien  im  Laufe  der  Jahrhunderte  in  den  Augen 
seiner  Betrachter?  Von  Winckelmann  und  Goethe  bis  zu  Hans 
Speckter  ist  der  Weg  ein  weiter.  Er  führt  von  einer  Epoche, 
die  auf  italienischem  Boden  das  klassische  Altertum  allein  ge- 
sucht und  gefunden,  zu  jener  anderen,  die  in  gefühlsmäßiger 
Ekstase  in  der  vorraifaelischen  Periode  geschwelgt  hat.  Die  Briefe 
der  Nazarener,  namentlich  auch  jene  Erv;in  Speckters,  die  Hans, 


—     60     — 

der  Neffe,  so  häufig  zitiert  und  heranzieht,  geben  nur  selten  eine 
sachliche  Schilderung  des  Geschauten.  Sie  bleiben  stecken  in 
nebelhaft  romantischen  Betrachtungen,  aus  denen  höchstens  er- 
sichtlich ist,  wie  das  Kunstwerk  auf  den  Betrachtenden  gefühls- 
mäßiggewirkt hat.  —  Wenn  in  den  50er  Jahren  abermals  deutsche 
Maler  über  die  Alpen  ziehen,  Feuerbach  und  Hans  von  Maries, 
so  suchen  sie  nach  den  ihnen  verwandten  Erscheinungen  und 
finden  sie  bei  den  Venezianern  und  der  Kunst  der  Hochrenais- 
sance. Sie  befragen  die  Dinge  nach  dem,  was  sie  ihnen  nützen 
und  bringen  ihnen  nur  selten  das  „interesselose  Wohlgefallen" 
entgegen. 

Darin  unterscheidet  sich  Hans  Speckter,  der  den  Dingen 
gerecht  zu  werden  sucht,  ohne  zu  fragen,  wie  sie  ihn  fördern,  von 
seinen  Vorgängern.  Aber  nicht  darin  allein.  Hat  Schnorr 
von  Carolsfeld  das  Verlangen,  die  „Italiener  zum  Tempel  hinaus- 
zujagen", fühlt  er,  der  Künstler,  sich  als  rechtmäßiger  Besitzer 
des  italienischen  Bodens;  „das  eigentliche,  wahre  Rom  gehört 
doch  zu  uns",  empfindet  Feuerbach  trotz  aller  Klagen  Rom  „als 
seinen  Boden",  so  ist  Speckter  sich  des  Vorübergehenden  seines 
Aufenthalts  wohl  bewußt.  Er  ist  der  Moderne,  für  den  der 
Süden  und  das  klassische  Land  nur  die  Zwischenstation  sind, 
der  der  nordischen  Natur  und  der  nordischen  Menschen,  mit 
denen  er  verwachsen  ist,  bedarf  zum  Schaffen.  Wie  Goethe 
drängt  es  ihm,  seinen  Fasanenkahn  an  der  heimatlichen  Küste 
zu  landen,  um  dort  zu  nützen,  zu  wirken. 


München,  30.  Oktober  1876. 
Montag  Abend. 

Lieber  Onkel  Heinrich! 

Ich  habe  fast  eine  Woche  verstreichen  lassen,  bis  ich  Deinen 
Brief  beantworte!  Ich  wollte  aber  nicht  eher  schreiben  als  mit 
der  Hinzufügung,  daß  ich  jetzt  am  letzten  Blatt  arbeite.  Das 
kann  ich  heute.  Soeben  ist  der  vorletzte  Holzstock  abgeschickt 
und  wird  morgen  früh  in  Hamm  sein  .  .  . 

Florenz  bleibt  doch  einmal  die  Hauptsache;  und  obendrein 
für  mich,  dem  dort  für  die  kalten  Abende  ein  behagliches  deutsch- 
englisches Zimmer  winkt,  ist  es  ja  doch  ohne  Frage  das  Ver- 
nünftigste, dort  mein  Hauptquartier  aufzuschlagen  .  .  .  Erst  jetzt 
habe  ich  wirklich  rechte  Sehnsucht  dorthin. 

Bis  dahin  nahm  mich  die  Arbeit  und  die  Freude  an  ihr 
(namentlich  da  die  Holzschnitte  teilweise  so  sehr  gut  geworden 
sind)  noch  zu  sehr  in  Anspruch.  Weniger  das  hiesige  Künstler- 
leben, welches  mir  ebensowenig  gefällt  wie  damals;  von  dem 
,, frischen  Hauch"  desselben  spüre  ich  herzlich  wenig.  Petersen, 
dessen  ernstes  Streben  ich  so  hoch  schätze,  ist  meist  ganz  für 
sich,  läßt  sich  Abends  nirgends  blicken,  wenigstens  nicht  unter 
den  Deutschen,  da  beide  Vereine:  die  „Allotria"  und  die 
„Künstlergeuossenschaft"  ihm  nicht  behagen.  Und  ich  kann  es 
ihm  nicht  verdenken.  Letztere  ist  der  Versammlungsort  von 
meist  älteren  Herren,  unter  denen,  da  sie  zum  Teil  auf  einigen 
nicht  ganz  unverdienten  Lorbeeren  ruhen,  nicht  viel  frischer 
Hauch  zu  spüren  ist.  Anregende  Naturen  wie  Asher  oder 
Günther  Geusler  habe  ich  noch  nicht  darunter  gefunden.  Die 
Allotria  nennt  diese  Gesellschaft  nur  das    Spital.     Ich    war  erst 


—     62     — 

zweimal  dort.  Schöuleber  pflegt  dort  zu  verkehren,  den  ich  in 
seiner  stillen  Weise  ebenso  gern  habe  wie  damals  in  Hamburg 
Nonnenkamp,  Schlesinger  usw.  sind  ebenfalls  dort  vorhanden. 
Die  Allotria  vertritt  das  moderne  lebendige  Element  hier.  Von 
ihr  pflegen  die  prächtigen  Kostümfeste  auszugehen,  ihr  gehören 
die  zum  Teil  ja  wirklich  genialen  .,Jungmünchner"  an:  Gedon, 
Diez.  Seitz,  Lenbach  usw.  Da  pflegen  auch  Piglhein  und  Neubert 
zu  verkehren  ...  So  arg  wie  ichs  erwartete,  habe  ich  das  nun 
freilich  nicht  gefunden,  aber  recht  lustig  und  witzig  auch  keines- 
wegs. Die  Gesellschaft  unterscheidet  sich  in  nichts  von  der  des 
Weimarischen  Künstlervereins,  als  das  dort  in  Weimar  an  einem 
Tisch  mehr  wirkliche  Bildung  und  am  andern  mehr  ürwüchsig- 
keit  herrschte  als  hier.  So'n  gesunder  Kerl,  als  Mensch  wie  als 
Künstler  wie  Piltz  ist  unter  all  meinen  hiesigen  Bekannten  nicht, 
ausgenommen  einzig  und  allein  Schönleber,  denn  selbst  Petersens 
Wollen  ist  nicht  mehr  ganz  naiv  und  gesund,  sondern,  obgleich 
in  der  guten  (die  alten  Meister  studierenden)  Eichtung  „ange- 
münchnert'*. 

Ein  Genrebild  wie  das  Piltz  sehe  letzte  habe  ich  hier  weder 
im  Glaspalast  noch  in  der  Kunstausstellung  gefunden,  so  wirk- 
lich, im  guten  Sinne  naturalistisch,  so  studiert  in  der  Farbe. 
Daß  man  Figuren  im  Freien  malt  und  nicht  im  Atelier  und 
nachher  irgend  einen  landschaftlichen  Hintergrund  hinzufügt, 
kommt  hier  so  gut  wie  gar  nicht  vor,  ist  auch  bei  der  ungeheuren 
Ausdehnung  der  Stadt  kaum  ausführbar.  —  Das  Ende  vom  Liede 
ist,  daß  ich  nicht  im  allermindesten  den  Wunsch  habe,  je  für 
länger  wieder  hierher  zurückzukehren;  mir  ist  der  Volkscharakter, 
die  Stadt  und  das  moderne  Kunstleben  noch  heute  gerade  so 
unsympathisch  wie  damals,  eigentlich  noch  unsympathischer,  da 
ich  mehr  Selbstgefühl  bekommen  habe  —  einige  Freunde  sagen 
sogar,  ich  sei  arrogant  geworden,  freilich  gerade  die,  welche  mich 
früher  am  meisten  zu  größerer  Selbständigkeit  zu  bringen  suchten, 
aber  nicht  glaubten,  daß  ich  mich  gerade  von  ihnen  selbst  am 
gründlichsten  emanzipieren  würde. 

Piglhein  vermünchnert  und  verpiglheint  immer  mehr,  als 
Mensch  wie  als  Künstler.     Ich  fürchte  jetzt,    es  wird  nichts  aus 


—     63     — 

seinem  großen  Talent.  Schade,  daß  sein  Vater  ihm  so  viel  Geld 
hinterlassen  hat.  Ein  Bankerott  oder  eine  ernste  Neigung  zu 
einem  Mädchen,  das  in  jeder  Beziehung  über  ihm  steht,  könnte 
ihn  vielleicht  noch  einmal  gründlich  anspornen.  Aber  er  mag 
sich  keine  Mühe  geben.  Was  er  nicht  spielend  erreichen  kann, 
versucht  er  lieber  gar  nicht  zu  erreichen,  weil  er  zu  eitel  ist, 
um  sich  einem  möglichen  Mißlingen  auszusetzen. 

Ein  durch  und  durch  selbständiger  Künstler  ist  ohne  Frage 
Hans  Thoma.  Den  würde  ich  außerordentlich  gern  kennen 
lernen,  aber  er  ist  nicht  hier.  Die  Jurj  des  Glaspalastes  hat 
mehrere  seiner  Bilder  refüsiert,  darunter  einen  Charon,  der  mir 
so  ziemlich  das  interessanteste  ist,  was  ich  hier  überhaupt  ge- 
sehen habe.  Schönleber  und  Fritz  Kaulbach,  die  mit  in  der  Jury 
sitzen,  sind  auch  noch  heute  ganz  entrüstet  darüber.  Aber  freilich 
verstehen  ,,berühmte  Meister"  wie  Carl  Becker  aus  Berlin  (der 
Atlasmaler)  so  etwas  nicht.  Pilotj  wohl  ebenfalls  nicht,  dessen 
mir  stets  so  unangenehmes  „berühmtes  Meisterwerk'*  Seni  an  der 
Leiche  Wallensteins  diesmal  zwar  den  besten  Platz  und  die  erste 
Medaille  erhalten  hat  (diesen  alten  Schimmel  produziert  er  nun 
seit  zwölf  Jahren  immer  noch!)  aber  selbst  von  seinen  Verehrern 
mit  Kopfschütteln  betrachtet  wurde.  Es  hing  zu  gut.  Man  sah 
wie  wenig  eigentlich  selbst  in  der  Mache  daran  ist.  Doch  genug 
des  Geschimpfs  und  addio  für  heut. 

Hans. 

München,  Dienstag  den  7.  November  1876. 

Liebe  Mutter! 

Zum  9.  November,  sende  ich  Dir  einige  Probedrucke  und 
hoffe  Euch  allen  dadurch  Freude  zu  machen.  Es  sind  mehr  als 
die  Hälfte,  die  andern  werden  auch  bald  dazu  kommen.  Dann 
wünsche  ich  die  besten  davon  in  Hamburg  auszustellen,  aber  nach 
eigener  Auswahl  und  Arrangement. 

Der  letzte  Holzstock  ist  schHeßlich  doch  erst  Montag  Abend 
um  4^/4  auf  die  Post  gekommen.  Er  war  Sonnabend  so  gut  wie 
fertig,    als    ein  guter  Freund   von  mir  noch   einen  vortrefflichen 


—     64     — 

Rat  gab,  den  ich  „meiner  kritischen  Natur"  nach  nicht  umhin 
konnte  anzunehmen  und  alles  wieder  abzuwaschen.  Doch  denke 
ich  jetzt  sagen  zu  können:  Ende  gut,  alles  gut.  Wenigstens  habe 
ich  nichts  übers  Knie  gebrochen  und  bin  jetzt  nur  neugierig, 
wie  sich  die  Bilder  im  Text  ausnehmen  werden.  —  Donnerstag 
früh  Vo?  geht's  fort,  vermutlich  nur  bis  Innsbruck.  Ich  liebe 
die  überstürzten  Eisenbahnfahrten  nicht,  fahre  lieber  3.  Klasse 
und  bleibe  an  hübschen  Orten  über  Nacht.  Innsbruck  im  Schnee 
denke  ich  mir  nett  und  behaglich.  Dann  Freitag  bis  Trient, 
Sonnabend  Nachmittag  bis  Verona,  Sonntag:  Hochamt  in  San  Zeno 
dort,  Dienstag  oder  Mittwoch  Mantua  und  ca.  Sonnabend  in 
Florenz.     So  das  vorläufige  Programm. 

Daß  Onkel  Octavio  sich  auch  auf  mein  Kommen  freut,  ist 
mir  natürlich  äußerst  lieb  zu  hören,  ebenso  das  Lob  meiner 
Photographien  durch  Asher.  Ich  denke  oft  an  ihn  und  bin 
recht  dankbar,  daß  er  mein  Lehrer  war  und  nicht  Piloty. 
Richtige  Anschauungen  über  das  eigentliche  Wesen  der  Kunst 
sind  so  viel  wert,  und  die  habe  ich  durch  Asher  bekommen.  Wie 
vielen  fehlen  sie  so  ganz!  —  Heute  habe  ich  mehrere  Atelier- 
besuche gemacht,  viel  schöne  Schränke,  Krüge,  Gobelins,  Stoffe  usw. 
gesehen,  auch  manche  vorzügliche  Studien,  talentvolle  Köpfe 
oder  Stilleben,  gute  Kopien  nach  alten  Meistern,  aber  wirklich 
Interessantes,  Eigenes,  von  innen  heraus  Geschaffenes  oder  der 
Natur  Abgelauschtes  fast  gar  nicht!  ,, Leben  atme  die  bildende 
Kunst"  usw.  hätte  ich  gern  den  meisten  gesagt,  aber  man  hätte 
mich  für  einen  verrückten,  altmodigen  Pedanten  gehalten. 

Auch  war  ich  im  seligen  Gefühl  meiner  Freiheit  endlich 
wieder  in  der  alten  Pinakothek.     Das  ist  doch  wirklich  herrlich! 

Morgen  wird  nun  gepackt,  Abends  mit  Förster  in  der  „zwang- 
losen Gesellschaft",  was  vermutlich  höchst  langweilig  für  mich  ist, 
aber  doch  interessant,  mal  dagewesen  zu  sein  .  .  . 


65 


Trient,  12.  November  lö7(3. 
Abends  8  Uhr. 

Da  wäre  ich  also  in  Trient!  und  mein  Vorsatz,  recht  aus- 
führliche Reiseberichte  zu  liefern,  sowohl  Euret-  als  auch  meiner 
selbst  wegen  wird  durch  keinerlei  interessante  Zerstreuung 
wankend  gemacht.  .  .  . 

Wenn  ich  gründliche  Reisebeschreibung  leisten  will,  so  muß 
ich  eigeutUch  vom  Dienstag,  den  7.  ds.,  beginnen.  Bis  dahin 
war  ich  ja  noch  tätig  und  eigentlich  kein  Reisender.  Dann  aber 
ging  das  Reisen  los.  Zunächst  beschränkte  sich  das  freilich  auf 
das  Umherreisen  in  den  Straßen  Münchens,  die  mir  diesmal  be- 
sonders weitläufig  vorkamen.  .  .  . 

Dienstag  also  machte  ich,  meist  interesselose,  Atelierbesuche, 
war  in  der  alten  Pinakothek,  ließ  mich  dreimal  von  Maler  Dehn 
matt  machen  (einem  vortrefflichen  Schachspieler  und  höchst  über- 
flüssigen Maler)  und  war  abends  mit  Schönleber  zusammen  in 
der  „Kunstgenossenschaft".  Mein  Nachbar  an  der  andern  Seite 
war  Rothbarth,  von  welchem  in  demselben  Jahrgang  der  Münchner 
Bilderbogen,  in  welchem  Papas  Froschkönig  und^Rapunzel,  die 
Sternthaler  sind,  ein  freundlicher,  stiller  Mann  schon  über 
Fünfzig. 

Bei  der  Gelegenheit  will  ich  noch  etwas  von  Schönleber  er- 
zählen. Sein  Atelier  ist  sehr  hübsch  eingerichtet.  .Alte  Schränke 
usw.  wie  in  den  meisten  anderen,  aber  außerdem  eine  Masse  von 
interessanten  Schiflfsmodelleu,  aus  allen  Gegenden  der  Welt  und 
aus  den  verschiedensten  Zeitaltern  stammend.  Sein  Prachtstück 
wird  ein  Modell  aus  dem  Ende  des  16.  oder  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts werden,  prächtig  geschnitzt,  welches  er  kürzlich  für  ein 
Heidengeld  (viele  hundert  Gulden)  in  Augsburg  aufgetrieben  hat 
und  nun  allmählich  selbst  restauriert.  Zurzeit  sieht  es  noch  sehr 
unfertig  aus,  zur  Aufrichtung  der  Mastbäume  hofft  er  selbst  jetzt 
schon  nicht  vor  nächstem  Winter  zu  gelangen,  aber  dann  wird 
es  einen  prachtvollen  Anblick  geben,  mit  seinem  hochragenden 
Gestell,  den  originellen  Maaten  (die  zum  Teil  erhalten  sind)  und 
den  großen    seidenen  Segeln,    auf  welche    seine  Schwestern  ihm 

S  c  h  a  p  i  r  e ,  Hans  Speckters  Briefe.  >J 


—     6G     — 

nach  seiner  Angabe  farbige  Wappen  sticken  müssen.  Das  Ge- 
bäude wird  schließlich  über  mannslioch  und  ebenso  lang  sein 
und  in  der  ganzen  Welt  seinesgleichen  suchen,  das  Modell  des 
Bucentaur  in  Venedig  natürlich  ausgenommen.  —  Auch  allerlei 
alte  Segelfetzen,  Tauwerke,  Fischernetze  usw.  in  malerischer  An- 
ordnung geben  dem  Atelier  ein  eigenartiges  Gepräge.  Daß  diese 
Ausstattung  bei  ihm  jedoch  nicht  wie  in  so  vielen  anderen  die 
Bilder  auf  der  Staffelei  vergessen  macht,  brauche  ich  nicht  hinzu- 
zufügen, obgleich  er  gegenwärtig  nur  kleine  Sachen  in  Arbeit  hat . . . 
Übrigens  hat  Seh.  auch  gezeigt,  daß  er  ganz  prächtige  Zeichnungen 
zu  Mobilien  entwerfen  kann.  Die  Einrichtung  seiner  Schwester 
zwar,  die  ganz  nach  Zeichnungen  von  ihm  gemacht  worden  ist, 
kenne  ich  nicht,  aber  die  seines  eignen  Schlafzimmers,  worunter 
ein  geschnitzter  und  eingelegter  Renaissance-Kleiderschrank,  der 
zu  dem  Allerbesten  gehört,  was  ich  in  der  Art  gesehen  habe. 
Hätte  er  ihn  im  Glaspalast  ausgestellt,  so  hätte  er  von  Rechts 
wegen  prämiiert  werden  müssen,  scheint  mir. 

Mittwocli  war  ich  u.  a.  lange  in  der  Glyptothek  und  Lud- 
wigskirche, besonders  der  Corneliusschen  Fresken  wegen.  Abends, 
nachdem  ich  den  obenerwähnten  Dehn  beinahe  matt  gemacht 
hatte,  bei  Försters  zum  Tee,  wo  ich  mich  weit  mehr  zu  Hause 
fühlte,  als  je  sonst.  Ich  sprach  sogar  mit  dem  Alten  über  Cor- 
nelius, lernte  manches  und  drückte  mich,  ohne  doch  zu  lügen 
oder  Bewunderung  zu  heucheln,  wo  ich  sie  nicht  fühlte,  geschickt 
um  alle  Kollisionen  mit  ihm  herum.  Es  freute  ihn  offenbar,  daß 
ich  die  Fresken  ziemlich  genau  kannte  und  richtig  herausgefunden 
hatte,  was  Cornelius  selbst  gemalt  hat.  Das  ist  nämlich  ohne 
alle  Frage  das  beste,  sieht  auch  in  der  Farbe  meist  ganz  an- 
ständig aus,  namentlich  der  Fleischton  ist  bisweilen  wirklich  schön 
gelungen.  Schließlich  dedizierte  er  mir  einen  Band  seiner  „Ge- 
schichte der  italienischen  Malerer*  und  nach  acht  gingen  wir 
zusammen  in  die  ,. zwanglose  Gesellschaft",  eine  seit  1827  oder 
1837  existierende  Vereinigung  von  Künstlern,  Gelehrten  usw.,  die 
wöchentlich  zusammenkommen,  sich  Vorträge  halten,  kneipen  und 
unterhalten.  Es  war  wirklich  recht  gemütlich  dort.  Mein  Nachbar, 
der  alte  Dürk,  Freund  von  Onkel  Erwin  und  Asher,    läßt  letz- 


—     67     — 

teren  bestens  grüßen,  Heyse  war  leider  nicht  da.  Ich  hätte  ihn 
gern  getroffen,  extra  zu  ihm  zu  gehen,  mochte  ich  nicht.  Don- 
nerstag wurde  morgens  gepackt,  bei  den  genaueren  Freunden 
Abschied  genommen  und  nach  Tisch:  Galerie  Schack,  die  ich  mir 
bis  zu  allerletzt  aufgespart  hatte.  Und  meine  Erwartungen,  oder 
wie  nennt  man  das  —  ich  kenne  sie  ja  längst  —  wurden  wieder 
gänzlich  übertrofi'en.  Die  Böcklinschen  Landschaften  sind  so 
unendlich  schön,  so  einfach,  nobel,  echt,  wahr  und  ideal  zu- 
gleich, daß  wirklich  gar  nichts  darüber  geht.  Wenn  Oswald 
Achenbach  uns  Italien  zeigt  wie  es  ist  und  Preller  wie  es,  durch 
die  klassische  Brille  gesehen,  sein  könnte  und  beide  Meister  ersten 
Ranges  genannt  werden  müssen,  so  setze  ich  Böcklin  doch  weit 
über  beide  hinaus,  denn  das  ist  ein  idealer  Realismus  oder 
realistischer  Idealismus,  wie  man  es  nennen  will,  der  die 
ganze  Seele  erfüllt,  so  daß  nichts  zu  wünschen  und  auszusetzen 
übrig  bleibt.  Daß  das  aus  doktrinärer  Voreingenommenheit  doch 
immer  nur  noch  von  verhältnismäßig  wenigen  erkannt  wird,  ist 
geradezu  unbegreiflich.  Ich  wollte  nur,  Schack  könnte  vermocht 
werden,  die  zehn  oder  zwölf  besten  im  nächsten  Jahre  nach  Paris 
zu  schicken,  damit  die  ganze  Welt  sie  einmal  zu  sehen  bekommt. 
Ebenso  wünschte  ich  mir  schon  zwölf  seiner  kleinen  Schwinds 
dahin.  Je  öfter  ich  die  Sachen  sehe,  um  so  größer,  einziger 
erscheint  Schwind  mir  auch  als  Kolorist.  —  Doch  genug  davon. 
Es  war  der  schönste  würdigste  Abschied,  den  ich  von  München 
nehmen  konnte!  — 

Dann  die  Koffer  nach  Florenz  expediert,  Geld  gewechselt, 
mit  einigen  Freunden  zusammen  in  der  Allotria  gekneipt,  um 
Mitternacht  ins  Bett,  am  andern  Morgen  um  ^j^^  auf  und  richtig 
um  ^1^1  abgefahren.  In  München  ist  schon  seit  fast  acht 
T.ngen  ganz  regelrechter  Winter.  Schnee  nicht  nur  auf  den 
Dächern  und  Bäumen,  sondern  ganz  munter  auch  auf  den  Straßen 
liegen  bleibend,  so  daß  er  morgens  früh  unter  den  Füßen  knirscht 
und  unter  den  schweren  Rädern  der  Brauwagen  quietscht,  daß 
es  eine  Art  hat.  Rote  Nasen  und  Ohren,  kalte  Finger  und  Füße, 
Schneemänner,  schlittschuhlaufende  Jungens  auf  dem  überfrorenen 
Schnee    des  Trottoirs,  mit  einem  Wort:   richtiger  Winter.     Daß 


—     68     — 

ich  in  dem  kurzen  Sommerüberzieher  trotz  der  hohen  Stiefel  eine 
frostige  Erscheinung  bildete,  namentlich  wenn  ich  mal  neben  dem 
dicken  Piglhein  ging,  in  seinem  opulenten,  bis  auf  die  Füße 
reichenden  modernen  Düffel,  bedarf  keiner  Bestätigung,  selbst 
,, stramme  Haltung"  konnte  keinen  Ersatz  dafür  bieten.  Für  die 
Reise  hatte  ich  mich  freilich  mit  doppeltem  Unterzeug  .  .  .  ver- 
sehen, außerdem  natürlich  mein  Plaid.  Trotzdem  war's  anfangs 
bitterkalt.  Die  Fensterscheiben  dick  gefroren;  wenn  man  mit 
]\Iühe  und  Aufbietung  aller  Puste  ein  Loch  verfertigt  hatte,  sah 
man  auch  draußen  nur  eine  weite  hellgraue  Fläche,  Himmel  und 
Erde  ganz  uniform,  nur  die  Telegraphenstangen  zeichneten  sich 
schwarz  darauf  ab.  Der  schlechte  Tabak  der  Mitreisenden, 
italienische  Arbeiter,  erwärmte  nicht  einmal.  Ich  schlief  viel, 
teils  aus  Müdigkeit,  teils  aus  Kältigkeit.  Hinter  Rosenheim  wurde 
es  besser,  die  Sonne  hatte  ihre  belebende  Kraft  bewährt.  In 
Kufstein  eine  halbe  Stunde  Aufenthalt,  durch  das  Städtchen  ge- 
schlendert, mich  an  den  beschneiten  Bergen  erfreut,  zu  Mittag 
gegessen  und  dann  sehr  fidel  nach  Innsbruck  weiter.  Dort  gegen 
4  Uhr  angelangt  .  .  .  sofort  in  die  Franziskanerkirche  und  so- 
lange es  noch  hell  war,  mich  an  den  Figuren  des  Maximilian- 
grabes erfreut,  dann  einen  längeren  Spaziergang  gemacht  nach 
einem  hochgelegenen  kleinen  Kirchdorf  mit  Kapelle  und  Über- 
blick über  das  dunkelnde  Tal  und  liebe  Städtchen.  .  .  . 

Heute  morgen,  als  ich  aus  dem  Gasthof  trat,  war's  wunder- 
schön!!! Die  Bergriesen  zeigten  sich  ringsum  in  vollster  Klarheit, 
nur  noch  von  ganz  wenigen  Nebel wölkchen  verhüllt.  Der  Schnee 
so  blendend  weiß  und  die  Luft  so  blendend  blau  darüber,  daß 
ich  meine  blaue  Brille  aufsetzen  mußte.  Bitterkalt  natürlich 
dabei,  aber  man  spürt  das  nicht  bei  solcher  Gelegenheit.  Noch 
nie  war  mir  die  gewaltige  Schönheit  des  Gebirges  so  entgegen- 
getreten. 

Ich  hatte  Zeit,  mich  noch  ein  bischen  in  der  Stadt  herum- 
zutreiben. Es  war  Sonnabend,  also  Markttag,  und  manche  lustige  und 
charakteristische  Tiroler  Erscheinung  zu  sehen.  Die  Bauart  mit  den 
vielen,  oft  hübsch  ornamentierten  Erkerchen,  mit  den  überwölbten 
Gängen  unten  und  den  vielen,  weit  in  die  Gasse  hinausragenden 


—     69     — 

schmiedeeisernen  Gewerkszeichen  und  Gasthausausbängeschildern 
kennst  Du  ja!  Auch  ein  Portemonnaie  kaufte  ich  noch.  Das 
ist  ja  die  Gegend  der  Lederarbeit.  —  ^2^^  ging's  fort.  Nette 
Bauern  im  Coupö,  resp.  Abschnitt,  auch  ein  ziemlich  hübsches 
echt  Tiroler  Mädchen,  das  aber  bald  ausstieg.  Rechts  das  schluchten- 
reiche Tal,  alles  weiß  und  hell  leuchtend  in  der  Sonne,  die  Tannen 
alle  wie  mit  Zucker  bestreut,  links  meist  die  steilen  Bergwände, 
von  denen  kolossale  Rieseneiszapfen  massenweise  herabhängen, 
oft  ganze  Eiszapfenwände  bildend.  Dabei  gar  nicht  kalt,  wenig- 
stens fühlte  man's  nicht.  Unter  Null  war's  draußen  trotzdem, 
denn  die  Scheiben  wollten  immer  wieder  überfrieren,  man  mußte 
fortwährend  mit  Tüchern  oder  den  Fenstervorhängeu  wischen, 
um  Aussicht  zu  behalten;  übrigens  wurden  schon  in  Kufsteiu,  also 
sobald  man  österreichisches  Gebiet  betrat,  Wärmer  in  die  Wagen 
getan,  sogar  bisweilen  durch  frische  ersetzt. 

Mittags  waren  wir  auf  dem  Brenner.  Einen  kurzen  Gruß 
von  dort  wirst  Du  erhalten  haben.  Die  leiblichen  Genüsse  be- 
standen nur  in  Wein  und  Schnaps  (ich  hielt  mich  an  letzteren) 
und  schlechten  Dampfwürstchen.  Sobald  man  die  Höhe  hinter 
sich  hat,  ändert  sich  das  Tempo  des  Zuges;  so  langsam  die  Loko- 
motive hinaufgekeucht  war,  so  rasch  rasselt  sie  hinunter.  Auch 
die  Landschaft  ändert  sich  merkwürdig  rasch:  die  beschneiten 
Bäume  hören  auf,  und  zeigen  ihr  buntes,  herbstlich  gelbbraunes 
oder  dunkelgrünes  Laub,  der  Schnee  beschränkt  sich  mehr  und 
mehr  auf  die  höheren  Gipfel,  die  Eiszapfen  werden  zu  rieselnden 
Bächlein,  und  schon  nach  einer  Stunde  sieht  man  keinen  Schnee 
mehr  liegen,  außer  in  engen  Felsenecken,  wohin  die  Sonne  nicht 
scheinen  kann,  oder  an  nach  Norden  fallenden  Abhängen.  In 
Brixen  liegt  gar  kein  Schnee  mehr,  und  ich  hoffte  schon,  das 
ginge  so  weiter,  und  ich  würde  die  Ebene  von  Bozen  an,  wenn 
auch  nicht  mehr  im  Altweibersommer,  so  doch  im  schönen  Spät- 
herbstwetter prangend  antreffen.  Aber  da  irrte  ich  mich:  in 
Klausen  sah  ich  plötzlich  wieder  lange  Eiszapfen  zum  Eisak  hin- 
unterhängen, die  Schnee -Eckchen  nahmen  nicht  ab,  sondern  zu, 
auch  die  Luft  wurde,  da  es  zum  Abend  ging,  wieder  kühler,  und 
in  Bozen,  wo    die  Sonne  gerade    noch   die    höchsten   Gipfel  der 


—     70     — 

Roßzähne  rotgoldig  anstrahlte,  war's  so  unbehaglich  kalt,  daß  es 
fast  angenehm  war,  zu  zehn  im  Coupö  zu  sitzen.  Es  waren  außer- 
dem nette  Leute,  großknochige,  wohlhabende  und  schlaue,  echt 
Südtirolische  Bauern.  Als  dieselben  dann,  nicht  lange  danach, 
ausstiegen,  kam  eine  italienische  Bürgerfamilie,  sehr  anständig 
gekleidet  und  äußerst  liebenswürdig.  Ich  bemühte  mich,  ihrer 
Unterhaltung  zu  folgen,  konnte  es  aber  noch  nicht  recht.  Die 
eine  Tochter  hatte  eines  der  klassischsten  vornehmsten  Pro- 
file, das  ich  je  gesehen  habe.  Sehr  hübsch  war  der  Verkehr  mit 
dem  Dienstmädchen,  welches  fast  ganz  zur  Familie  zu  gehören 
schien.  Diese  erste  wirklich  italienische  Bekanntschaft  war  ge- 
eignet, das  günstigste  Vorurteil  für  die  ganze  Nation  zu  erwecken, 
wenn  es  nicht  schon  vorher  der  bescheidene,  hübsche,  vielstimmige 
Gesang  der  welsch-tiroler  Bauern  getan  hätte.  Als  ich  hier  an- 
kam, war's  dunkel.  .  .  .  Ich  trottete  etwas  durch  die  Straßen,  in 
denen  die  italienischen  Namen  und  die  wenigen  Laute,  die  man 
hörte,  zum  erstenmal  das  Gefühl  gaben,  nicht  mehr  in  Deutsch- 
land zu  sein.  Auch  machte  ich  meine  erste  Besorgung  auf 
italienisch:  una  chiavetta  d' orologio (Uhrschlüssel).  Etwas  mußte 
ich  doch  in  Innsbruck,  im  ersten  Gasthaus,  das  ich  seit  urdenk- 
lichen  Zeiten  besuchte,  liegen  lassen!  Jetzt  ist's  zehn,  und  ich 
werde  zu  Bett  gehen. 

Dein  Hans. 

Verona,  13.  November  1876. 
Albergo  San  Lorenzo. 

Caro  Ziol 

Ersiehst  Du  aus  dieser  Anrede,  wenn  Du  es  nicht  etwa 
schon  aus  dem  Poststempel  und  der  „Bulla"  gemerkt  hast,  daß 
ich  mich  jetzt  wirklich  in  Italien  (auch  im  Königreiche  dieses 
Namens)  befinde?  Und  zwar  in  der  Stadt  der  Scaliger,  Romeos 
und  Juliens  usw.  usw.  (siehe  Gsell  Fels  oder  sonst  von  der  Art) 

Schon  auf  dem  Wege  dahin  gefiel  mir  Trient.  Es  ist  be- 
kanntlich die  erste  italienische  Stadt,  wenn  man  vom  Norden 
kommt,  in  vieler  Beziehung  Bozen  sehr  ähnlich.     Aber  dies   hat 


—     71      — 

doch  noch  keine  stattlichen  alten  Pulazzos  aufzuweisen  mit  kräf- 
tigem Untergeschoß  und  Eckpfeilern,  zierlich  profilierten  Fenstern 
in  den  oberen  Stockwerken  und  den  kleinen  Balkons  davor,  reich 
—  auch  figürlich  —  bemalten  Wandfiächen  und  weit  vorsprin- 
genden tiefschattenden  Dächern,  wie  man  sie  aus  den  Photo- 
graphien venetianischer  und  florentinischer  Paläste  ja  genugsam 
kennt,  aber  dergleichen  nun  wirklich  zu  sehen,  und  obendrein 
da,  wo  man  es  eigentlich  noch  nicht  vermutete,  erfreut  und  ent- 
zückt doppelt. 

Die  Hauptsache  ist  aber  die  überaus  herrliche  Lage  der 
Stadt.  Das  Etschtal  ist  hier  noch  viel  enger  und  die  schön- 
geformten, schneebedeckten  Berge  einem  noch  viel  näher  als  ich 
geglaubt  hatte.  Der  Platz  vor  dem  alten  Dom,  mit  mittelmäßigen 
aber  üppigen  und  stattlichen  Neptun-  und  Tritonenbrunnen  und 
kleinen  lustig  bemalten  und  profilierten  Häusern  ringsum,  ließ 
mich  die  trockne  Kälte  und  den  Schnee  auf  dem  Pflaster  ganz 
vergessen.  Der  Schnee  hatte  übrigens  dort  etwas  ziemlich  Harm- 
loses, mehr  Provisorisches,  nicht  den  definitiven  Charakter  wie  in 
Innsbruck  und  München. 

Im  Dom  war  ich  wohl  zwei  Stunden!  Ich  wüßte  sechs 
Bilder  daraus  zu  malen.  Kirchen  müssen  entweder  voll  sein 
(„in  voller  Tätigkeit")  oder  ganz  leer.  Ersteres  ist  mir  das  inter- 
essantere, letzteres  oft  das  wirkungsvollere  —  und  jedenfalls  viel 
leichter  zu  malen!!  Hier  war  alles  in  Arbeit.  Die  Musik,  sehr 
verschieden  von  dem  feierlichen  Ernst  des  deutschen  katholi- 
schen Gottesdienstes,  an  dem  ich  mich  in  München  wieder  so 
erbaut  habe,  recht  munter  italienisch,  wenig  verschieden  von  der 
großen  Hamburger  Drehorgel,  die  ja  auch  den  Troubadour  und 
ähnliche  italienische  oder  französische  Opern  (besonders  aber 
immer  den  Troubadour)  mit  Vorliebe  kultiviert.  Aber  mir  deucht: 
zu  dem  pomphaften  Hokuspokus  auf  dem  Hochaltar  paßt  diese 
naive,  süßlich- kindliche  Musik  vortrefflich.  Man  glaubt  dabei  den 
Himmel  offen  zu  sehen,  aber  nicht  den  Himmel  Dantes,  Raffaels 
usw.  usw.,  voll  heiligernster  Propheten,  Apostel  und  Märtyrer- 
gestalten, sondern  mehr  den  der  Barockzeit,  erfüllt  von  dem 
liebenswürdigsten    Durcheinander    von  Wolken    und    halbnackten 


—     72     — 

Engelchen,  die  in  seligem  Nichtstim  (deutsch  dolce  far  niente) 
da  oben  herumschwimmen  und  deren  heilige  Wohligkeit  auf  jedes 
dafür  empfängliche  Gemüt  ansteckend  wirken  muß.  Dann  ent- 
steht jener  „negative  Zustand",  welchem  nach  Schiller  der  Spiel- 
trieb entspringt,  die  Wurzel  aller  Kunstempfindung  und  Kunst- 
leistung. 

Immer  neue  Bilder  schuf  der  Sonnenstrahl,  der  durch  das 
südliche  Kreuzschiff  eindrang  und  langsam  von  Pfeiler  zu  Pfeiler 
weiterrückte:  zuerst  vergoldete  er  den  Hochaltar  mit  seinem 
barocken  Überbau,  von  üppig  gewundenen  Säulen  getragen,  und 
die  glitzernden  Altargeräte  und  Stolen  der  fungierenden  Geist- 
lichen, während  die  Gemeinde  im  Vordergrund  und  die  Versamm- 
lung der  Domherren  und  höheren  Geistlichen  im  Chor  dahinter,  im 
Schatten  verschwand.  Dann  streifte  er  das  schöne  rotmarmorne 
Weihwasserbecken  (schlichte  Frührenaissance)  und  die  immer 
wechselnde  Schar  von  Bauern,  alten  Weibern,  niedlichen  Kindern 
und  einzelnen  jungen  Damen,  die  das  heilige  Naß  benutzten  (von 
hinten  in  den  kleidsam  drapierten  Schleiern  scheinen  sie  alle 
schön  zu  sein)  —  darauf  eine  Ecke  im  Seitenschiff,  die  ich  nach- 
her aus  der  Erinnerung  zu  skizzieren  versuchen  will,  ferner  die 
lustigen  beiden  Bengels,  welche  unter  den  Augen  ihres  buckligen 
und  ebenso  wohlgefällig  wie  sachverständig  dreinschauenden  Papas 
die  Glocken  ziehen  durften,  was  den  kleinen  Mädchen  nahebei 
eine  ganz  besonders  andächtige  Freude  resp.  freudige  Andacht 
bereitete  usw. 

Als  das  Hochamt  alle  war  und  ich  mich  drücken  wollte, 
bestieg  ein  interessant  fanatisch  durchgeistigt  aussehender  Fran- 
ziskaner die  Kanzel  und  predigte  über  die  christliche  Demut. 
Gewiß  kannte  er  sie;  aber  vielleicht  den  christlichen  Hochmut 
noch  besser  aus  eigener  Erfahrung.  Aber  er  predigte  nicht  schlecht 
und  sprach  so  überaus  wohllautend  und  so  deutlich,  daß  ich 
die  ganze  Zeit  dablieb  und  es  als  Lektion  benutzte.  Wohl  die 
Hälfte  oder  mehr  verstand  ich  Wort  für  Wort;  freilich  in  ge- 
wöhnlicher Unterhaltung  noch  immer  niente  parola.  —  Den 
schönen  Passus:  ,.im  Kaffeehaus"  aus  meinem  kleinen  „Deutschen 
in  Italien"  hätte  ich   so  gern  schon  in  Trient  an   den  Mann  ge- 


—     73     — 

bracht  und  trank  deshalb  dreimal  Kaffee  in  drei  verschiedenen 
Caf^s,  aber  es  wollte  mir  nicht  damit  glücken:  jedesmal  wurde 
auf  meine  Beorderung  nach  einer  tazza  di  caffe  gleich  gefragt: 
„schwarz  oder  weiß".  Die  Leute  können  in  den  Läden  und  Caf^s 
dort  oben  alle  noch  Deutsch,  mit  Ausnahme  natürlich  der  ganz 
untergeordneten,  in  die  ich  mich,  meinen  Mammon  und  meine 
Sprachkenntnis  betrachtend,  nicht  getraute.  Ein  Barbier  war  der 
erste,  der  mir  Gelegenheit  zum  italienisch  sprechen  gab,  aber  es 
ging  höchst  mangelhaft,  und  infolgedessen  wollte  er  mich  beim 
Cambiare  (Wechseln)  beschuppen.  Als  ich  es  merkte,  wurde  er 
jedoch  extra  höflich:  ,.ja,  so  sind  sie,  ja,  so  sind  sie-*  —  doch 
das  schöne  Lied  kennst  Du  wohl  schwerlich  .  .  . 


Dienstag  abend,  14.  November. 
Es  wird  mir  heute  schwer,  in  meiner  Beschreibung  des  Sonn- 
tags in  Trient  fortzufahren,  denn  ich  kenne  jetzt  Verona  und  das 
Bessere  ist  immer  der  Feind  des  Guten.  Darum  fasse  ich  mich 
kurz:  nach  Tisch  machte  ich  einen  Spaziergang  auf  die  nächsten 
Höhen,  holte  mir  um  drei  (früher  war  das  Bureau  nicht  geöffnet) 
die  Erlaubnis  zur  Besichtigung  des  alten  erzbischöflichen  Palastes 
(jetzt  Kaserne!),  sah  manche  hübsche  Wandmalereien  daselbst, 
besonders  einen  sehr  schönen  Hof,  und  blieb  da  bis  Dunkel- 
werden .  .  .  Dann  retirierte  ich  mich  in  mein  Hotel,  studierte 
Verona  im  Gsell  Fels  und  Burckhardt  und  bedauerte  schließlich 
doch  fast,  nicht  schon  am  Abend  nach  Verona  gefahren  zu  sein. 
Die  Morgenbeleuchtung  Montag  früh  hob  jedoch  alle  Keue  wieder 
auf.  Das  war  imposant  schön!  —  ^2^  sollte  der  Zug  abgehen, 
es  wurde  aber  fast  10,  und  erst  um  1  Uhr  war  ich  in  Verona. 
Die  Fahrt  war  weniger  interessant,  als  ich  erwartet  hatte.  Mit 
Ausnahme  der  Stromenge  (mit  Befestigung)  der  „Veroneser  Klause", 
bekannt  durch  die  Rettung  des  deutschen  Heeres  vor  italienischem 
Hinterhalt  von  Otto  von  Witteisbach,  den  Barbarossa  nachher  zum 
Lohn  dafür  mit  dem  Heinrich  dem  Löwen  abgenommenen  Herzog- 
tum Bayern  belehnt,  früher  eins  meiner  liebsten  historischen  Fakta, 
von  Ernst  Förster  in  den  Arkaden  zu  München  verewigt  —  eine 


—     74     — 

Leistung,  die  freilich  ganz  allein  schon  seinen  Übertritt  zur  Kuiist- 
schriftstellerei  rechtfertigt  I  — 

Also  um  eins  in  Verona.  Als  prattico  (ich  bin  nämlich 
wirklich  auf  der  Reise  praktischer,  als  die  meisten  mir  zutrauen) 
ließ  ich  mein  Gepäck  im  Deposito  der  Bahn  und  bummelte  vogel- 
frei in  der  Stadt  herum.  Zuerst  wurde  ich  enttäuscht.  Die  Piazza 
d'  Erbe  hatte  ich  mir  schöner  vorgestellt,  den  Unterschied  der 
hiesigen  Palazzos  von  den  Trientiuern,  von  denen  kein  Mensch 
spricht,  größer,  die  Scaligergrabmäler  enttäuschten  mich  vollends 
usw.  usw.  Auch  war  mir's  doch  etwas  unbehaglich  zwischen  den 
vielen  Menschen,  die  ich  alle  nicht  verstand,  und  die  in  so 
mancher  Beziehung,  schon  in  der  Kleidung  allein,  so  ganz 
anders  waren,  als  ich's  gewohnt  war.  Ich  bin  sicherlich  keiner 
von  den  Deutschen,  die  alles  daheim  für  allein  gut  und  richtig 
halten,  aber  zuerst  ist  man  doch  in  Grefahr,  es  wie  jener  X 
wunderlich  zu  finden  Brot:  pain  oder  bread,  pane  oder  sonstwie 
zu  nennen,  anstatt  ganz   einfach  Brot,   was  es  ja  doch  ist!  .  . 

Dann  bummelte  ich  ein  Weilchen  in  der  Stadt  herum.  Der 
Blick  in  den  gewaltigen  Raum  der  S.  Anastasia  —  es  war 
schon  fast  dunkel  —  war  einer  der  überraschendsten  Augen- 
blicke meines  Lebens.  Die  Kirchen  sehen  fast  alle  von  außen 
klein  resp.  mittelgroß  aus,  und  wenn  man  eintritt,  öffnet  sich 
dann  eine  in  der  Grundanlage  einfache,  im  einzelnen  reich  ge- 
schmückte, oft  überreiche,  weite  Halle,  daß  man  ganz  baff  ist.  — 
Bis  nach  sieben  lief  ich  dann  noch  in  den  dunklen  Straßen 
umher,  verlief  mich  natürlich  ein  paarmal,  fühlte  mich  dann 
aber  vollständig  orientiert,  aß  in  Gesellschaft  mit  einem  lang- 
weiligen Tiroler  Knoten,  Bierbrauer  in  Meran,  zu  Nacht,  und 
nachdem  derselbe  ins  Bett  gegangen  war,  schrieb  ich  den  An- 
fang dieses  Briefes,  schließlich  durch  den  Arger  über  einen 
Landsmann  unterbrochen.  .  .  . 

Der  Hauptmeister  von  Verona  ist  der  Architekt  Michele 
Sanmicheli,  dem  man  auch  ein  schlechtes  Marmorstandbild  er- 
richtet hat.  Seine  Hauptforce  ist  der  Festungsbau  und  die  ge- 
waltigen Stadttore.  Die  kraftvollen  Verhältnisse  derselben  und 
viele  Anwendung  von  Rustika  —  im  Erdgeschoß  eigentlich  stets  — 


—     75     — 

kennzeichueu  seine  Richtung.  Ein  Prachtkerl!  Zuerst  sah  ich 
einige  Tore  von  ihm  (die  Hauptpalazzos  liegen  in  meiner  Straße, 
die  kannte  ich  schon)  und  bewunderte  zugleich  die  schöne  Lage 
der  Stadt,  nicht  allzuweit  vom  Fuß  der  Alpen  (gutes  Morgenlicht 
auf  deren  Gipfeln),  dann  in  der  Kirche  S.  Bernardino  seine  be- 
rühmte zierliche  Cappella  Pellegrini,  die  schönste  Renais- 
sance, die  ich  noch  gesehen  habe.  .  .  . 

Ich  beende  meinen  Brief  mit  dem  Ausruf:  Verona  ist  wunder- 
suhön,  kolossal  interessant,  alle  Zeiten  sind  hier  vertreten,  die 
Lage  überaus  schön  und  malerisch,  die  Architekturen  zum  Teil 
herrlich!  An  Malereien  nicht  viel  los,  aber  doch  auch  einiges 
sehr  anregende  (Morone  z.  B.),  die  Menschen  mit  all  ihren 
Schwächen  freundlich  und  liebenswürdig  —  und  ich  kann  Dir 
nicht  dankbar  genug  für  diese  Reise  sein.  Nächstens  mehr  von 
Deinem  Hans. 


Mantua,  16.  November  1876. 

Lieber  Onkel! 

Ich  fahre  fort. 

Wenn  Verona  am  ersten  Nachmittag  meinen  Erwartungen 
nicht  ganz  entsprochen  hatte,  so  lag  das  an  der  Witterung. 
Dienstag  und  Mittwoch  hatte  ich  den  herrlichsten  Sonnenschein 
und  mittags  war's  so  warm,  daß  man  ganz  gern  seinen  Über- 
zieher auszog.  Wenn  ich  morgens  aus  der  Tür  des  Gasthauses 
trat,  war  der  Anblick  köstlich  (mein  Zimmer  lag  leider  nach 
hinten):  zu  den  Füßen  die  grüne  Etsch,  links  die  plumpe,  rote 
Backsteinmasse  des  alten  Kastells  aus  der  Zeit  des  großen  Sca- 
liger Congrande  II  (an  dessen  Hof  Dante  lebte  und  dessen  Denk- 
mal Dir  bekannt  sein  wird),  mit  gewaltigen  Zinnen  gekrönt,  in 
derselben  Weise  die  alte  Brücke  daneben,  am  jenseitigen  Ufer 
Gärten  und  Wiesen  in  feinen  goldigen  Herbsttinten  und  hinten 
die  Alpen  in  schön  geschwungenen  Linien,  im  lichten,  klaren 
Morgensonnenschein  schwimmend,  der  höchste  (Monte  Balbo  am 
Gardasee)    au  seinem   Gipfel  eine   weiße   lange   Nebelwolke  fest- 


—     76     — 

haltend.  —  Von  Sanuiichelis  urkräftigen  Stadttoren  in  Rustika 
und  seiner  zierlichen  Rundkapelle  aus  weißem  Marmor,  in  der 
ich  einen  deutschen  Studiosus  traf,  habe  ich  schon  berichtet;  aus 
derselben  Bernhardskirche  muß  ich  aber  noch  die  Fresken  von 
Moroue  nachholen  (im  Refektorium  des  seit  1866  aufgehobenen 
Klosters),  die  mir  in  ihrer  naiven,  noch  streng  symmetrischen 
Anordnung  und  dabei  so  individuellen  Köpfen  und  würdigen  Be- 
wegungen ganz  besonders  gefallen  haben.  An  den  Langseiten 
zwischen  jedem  Fenster  je  zwei  lebensgroße  Mönchsgestalten,  an 
der  schmäleren  Hauptwand  geradeaus  eine  thronende  Madonna, 
rechts  und  links  steif  im  Profil  kniend  der  Donator  und  seine 
Frau,  hinter  jedem  ^2  Dutzend  Schutzheilige,  meist  Mönche, 
alles  in  einer  offenen  Halle  auf  hellem  landschaftlichem  Hinter- 
grund und  hellblauem  Himmel  vor  sich  gehend.  Noch  andere 
mir  sehr  sympathische  Sachen  dieses  Morone  habe  ich  hier  ge- 
sehen. Ich  liebe  die,  auf  weite  Entfernung  hin  erkennbare, 
deutlich  symmetrische  Komposition  der  älteren  Schule  überhaupt, 
und  er  hat  oft  besonders  noble  Verhältnisse,  auch  schöne  Farbe 
und  Ausdruck  der  Köpfe. 

S.  Zeno  ist  neben  S.  Miniato  in  Florenz  eine  der  wichtigsten 
Kirchen  Italiens.  Es  klingt  schon  famos  altertümlich,  und  wenn 
man  in  einem  öden  Stadtteil  plötzlich  die  imposante  Fassade  vor 
sich  liegen  sieht,  so  wird  einem  ganz  wunderlich  zumute.  Das 
Portal  mit  seinen  ungeschickten  alten  Reliefs  und  seinen  unum- 
gänglichen, liegenden,  säulentragenden  Löwen,  alles  natürlich  aus 
dem  prächtigen  roten  Marmor  der  Gegend,  liegt  ganz  öde  auf 
weitem  kahlen  Platz,  dem  sogar  die  Staffage  der  alten  Bettel- 
weiber fehlt!  Das  Innere  ist  großartig,  aber  schwer  zu  be- 
schreiben. Der  Chor  liegt  sehr  hoch  und  wird  durch  die  zur 
Krypta  hinabführende  breite  Treppe  wie  durch  eine  tiefe  Schlucht 
vom  Schiff  getrennt,  was  höchst  imposant  wirkt.  Ein  berühmtes 
Bild  von  Mantegna,  hinter  dem  Hochaltar,  nicht  ganz  meinen 
Erwartungen  entsprechend.  Höchst  barbarische  alte  Bronzetüren 
und  das  Grab  eines  Pipin  (Sohn  Karls  des  Großen)  versetzen  in 
-die  allerälteste  Zeit;  der  Bau  selbst  ist  dagegen  erst  vom  Ende 
des  12.  Jahrhunderts,  kommt  einem  viel  älter  vor. 


I 


—     77     — 

Neben  den  römischen  ÜbeiTesten  (Arena,  Theater,  zwei  alte 
Tore,  das  eine  quer  durch  eine  belebte  Straße  durchschneidend) 
gibts  hier  übrigens  auch  noch  einige  frühmittelalterliche,  nament- 
lich eine  kleine  Felseukirche  mit  Malereien  aus  dem  vierten  oder 
sechsten  Jahrhundert  usw.  Verona  erinnert  mich  auch  hierin, 
wie  überhaupt  von  Anfang  an  an  Trier.  Der  älteste  Teil,  das 
Castel  S.  Pietro,  welches  die  Stadt  beherrscht,  hat  eine  wunder- 
schöne Aussicht.  Ich  stieg,  nachdem  ich  an  den  Türen  einiger 
anderer  Kirchen  vergeblich  gerüttelt  hatte,  in  der  Mittagswärme 
hinauf.  Teilweise  in  Ruinen,  überwachsen,  lag  es  in  der  stillen 
"Mittagssonne  da,  auch  die  nötigen  kletternden  Ziegen  fehlten 
nicht.  Hier  war  also  das  Römerkastell  gewesen,  dann  die  Burg 
Dietrichs  von  Bern,  hier  hatte  Rosamunde  ihrem  Alboin  aus  dem 
Schädel  ihres  Vaters  zutrinken  müssen  usw.  Jetzt  steht  das  neue 
Kastell  dort. 

Aussichten  zu  beschreiben,  ist  ein  schlechtes  Ding.  Daß 
Verona  zahllose  Türme  hat,  daß  die  Etsch  sich  in  einem  großen 
Bogen  (fünf  Brücken)  durch  dieselben  schlängelt,  daß  im  Vorder- 
grund links  der  berühmte,  sich  an  eine  steile  Felswand  lehnende 
Giardino  Giusti  mit  seinen  himmelhohen  uralten  Zypressen- 
gängen das  Bild  abschließt,  möge  genügen.  Die  Aussicht  aus 
dem  übrigens  höchst  interessanten  Garten  selbst  ist  lange  nicht 
so  schön. 

Von  den  vielen  anderen  Kirchen  will  ich  nur  noch  S.  Gi- 
orgio erwähnen,  von  Sanmicheli  in  den  kräftigen  Formen  seiner 
Hochrenaissance  umgebaut,  dessen  Hochaltarbild  (in  dem  ursprüng- 
lichen noblen  Marmorrahmen  Sanmichelis)  ein  Martyrium  des 
h.  Georg  von  Paolo  Veronese  eins  der  schönsten  Bilder  ist,  die 
ich  je  gesehen  habe.  Von  der  Farbe  und  Verteilung  von 
Licht  und  Schatten  gar  nicht  zu  reden,  aber  auch  wie  schön  und 
nobel  und  lebendig  gezeichnet!  Daneben  sollte  Makart  seine 
Sachen  einmal  stellen!  Das  „Schwelgen  in  der  Farbe"  allein 
macht  den  Paolo  Veronese  noch  lange  nicht! 

Meine  Lieblingskirche  aber  blieb  immer  die  Sta.  Anastasia, 
die  schon  am  ersten  Abend  einen  so  großartigen  Eindruck  auf 
mich  machte.    Die  weite  von  gewaltigen  Säulen  (nicht  mit  Pfeilern 


—     78     — 

abwechselnd)  getragene  Halle,  auch  wenn  die  Sonne  scheint  noch 
feierlich  dunkel,  aber  dann  so  wärmend  und  behaglich,  daß  die 
Großartigkeit  nicht  kalt  abstoßend  wirkt!  Im  einzelnen  ist  eben- 
falls viel  sehr  Schönes  darin,  aus  den  verschiedensten  Zeiten, 
aber  ohne  unharmonisch  zu  wirken;  sogar  einige,  besonders  eine 
moderne  lebendige  Marmorbüste  von  1788,  ist  so  schön  umrahmt 
und  so  geschickt  placiert,  daß  ihr  Platz  gar  nicht  schöner  aus- 
gefüllt sein  könnte.  Es  gibt  Kirchen,  denen  ein  buntes  Durch- 
einander der  Möblierung  vortrefflich  steht,  andere,  in  denen  der 
Purismus  berechtigter  ist  (zu  letzteren  gehört  S.  Zeno).  Kirch- 
liche Bilder  wirken  doch  immer  am  schönsten  in  der  Kirche, 
zumal  wenn  sie  noch,  wie  man  das  hier  oft  sieht,  ihre  ursprüng- 
lichen, oft  so  überaus  reizenden  Umrahmungen  behalten  haben. 
So  in  Sta  Anastasia, 

Doch  ich  komme  zu  sehr  ins  Aufzählen!  Drum  nur  noch 
kurz  die  schönen,  kraftvollen  Paläste  erwähnen  und  die  vielen 
Fassadenmalereien,  durch  die  Verona  besonders  groß  dasteht  und 
die  mich  natürlich  sehr  interessierten;  dann  das  Museum,  in 
welchem  einige  sehr  gute  Bilder  von  Libri,  Morone  usw.  usw., 
und  dann  noch  ein  paar  Worte  über  Land  und  Leute,  so  weit 
sie  mich  angingen,  denn  im  allgemeinen  hast  Du  ja  schon  genug 
von  Eingeweihteren  gehört  und  gelesen.  Verona  macht  gleich 
einen  echt  italienischen  Eindruck:  da  sind  die  vielen  Bettler, 
das  lästige  Sichaufdrängen  von  Führern,  gegen  welche  man  sofort 
sein  Herz  verhärtet;  zugleich  aber  auch  alle  liebenswürdigen 
Seiten:  Gefälligkeit,  Freude,  wenn  man  was  verstanden  hat, 
überhaujit  viel  hübsche,  liebenswürdige  Gesichter  und  ein  richtiges 
Volksleben;  auf  dem  Gemüsemarkt  am  Fluß  die  Wäscherinnen, 
die  Kerle  mit  ihren  buntbetroddelten  Maultieren  vor  dem  zwei- 
rädrigen Karren,  die  manchmal  sehr  schwer  bepackt  sind,  z.  B. 
sah  ich  einen  voll  Stroh,  aus  dem  nur  die  vordere  Hälfte  des 
Pferdes  hervorsah  und  an  allen  Seiten  schleifte  es  auf  dem 
Pflaster.  Am  Brunnen  oft  hübsche  Gruppen,  überall  schon  die 
großen  Kupfergefäße,  unter  den  Kindern  zahllose  Passinische  Er- 
scheinungen, Massen  von  schwarzen  Geistlichen  mit  den  großen 
schwarzen  Schlapphüten,  viel  charakteristische  Gesichter  darunter. 


—     79     — 

Unter  dea  Soldaten  viel  Bersaglieri,  mit  den  großen  malerischen 
Hahnenfedern  auf  den  etwas  schlappenden  Hüten. 

Mit  zwei  Stuttgarter  Architekten,  die  ich  am  zweiten  Tag 
traf,  pflegte  ich  in  einer  echten  Trattoria  zu  frühstücken:  wir 
brachten  uns  Salami  und  Brot  mit,  gerade  wie  man  es  in  München 
auf  den  Kellern  macht,  und  erhielten  für  billiges  Geld  einen 
vorzüglichen  Valpolicella-Wein,  der  wächst  in  der  Gegend,  nach 
dem  Gardasee  zu.  und  ist  ein  herrlicher,  feuriger  und  nicht 
leichter  Stoff.  Der  Wirt  war  ein  liebenswürdiger,  hübscher  junger 
Kerl,  mit  freundlich  zugekniffenen  Augen. 

Im  Theater  wurde  eine  recht  gewöhnliche  italienische  Oper 
gegeben,  die  Primadonna  war  hübsch,  spielte  und  sang  wunder- 
voll: der  Tenor  schrie  entsetzlich  und  hatte  ein  derartiges 
Kümmelkostüm  —  ebenso  der  Chor  —  wie  man's  in  Deutschland 
auch  auf  kleineren  Bühnen  nicht  häufig  mehr  finden  wird.  Auch 
bewegte  er  sich  ohne  jede  Spur  von  italienischer  Grazie  oder 
Noblesse.  Eins  fiel  mir  auf:  daß  das  Publikum  gerade  so  auf- 
merksam war  wie  bei  uns.  Sonst  war  nichts  Bemerkenswertes 
und  wir  gingen  nach  dem  zweiten  Akt  wieder  fort.  Die  Schau- 
spiele in  der  Arena  sind  nur  im  Sommer,  im  alten  Theater 
(Sanmichelis)  um  Fasten.  —  Au  mich  und  diese  zwei  netten 
Schwaben  drängte  sich  noch  ein  blaubrilliger,  kalbskopfartiger 
Commis-voyageur  heran,  merkte  aber  schließlich  doch,  daß  wir 
ihn  zu  schlecht  behandelten,  um  die  Freundschaft  fortzusetzen. 
Es  wimmelt  von  Deutschen,  man  kommt  kaum  dazu,  italieniscTi 
zu  radebrechen.  In  der  Eisenbahn  saß  ein  Landsmann  aus 
Augsburg,  ein  alter  Antiquitätenhändler  neben  mir,  hier  in 
Mantua  ist  ein  Berliner  Architekt  mit  polnischem  Namen  —  man 
hat  mehr  zu  tun,  die  Landsmannfreundschaften  sich  vom  Leibe 
zu  halten  als  sie  aufzusuchen. 

1 7.  November,  Mantua,  Vaterstadt  Vergils,  der  Gonzagas  und 
Giulio  Romanos  Wirkungskreis!  Gestern  ^j^S  kam  ich  hier  an, 
schon  im  leichten  Regen,  stieg  im  Leone  d'oro  ab,  studierte  Burck- 
hardt  und  Gsell  Fels  und  schrieb  obiges.  Um  11  Uhr  legte  ich 
mich  in  ein  großmächtiges,  sauberes  Bett,  fror  erst  etwas,  schlief 
dann  aber  ganz   herrlich  bis  heute  morgen  um  7  und  entschloß 


—     80     — 

mich  erst  gegen  8  aufzustehen,  denn  es  regnete  tüchtig  und 
war  sehr  duukeh  Zuerst  konnte  ich  denn  auch  gar  nichts  sehen, 
als  ich  in  die  große  Andreaskirche  eintrat,  das  Hauptwerk  von 
Alberti,  ein  großartiger,  strengrömischer,  einschiffiger  Bau  mit 
kassettierten  Tonnengewölben  usw.,  das  Prinzip  römischer  Thermen 
und  Palastbauten  auf  christliche  Kirchen  übertragend.  Gewiß  für 
moderne  Architekten  ungemein  lehrreich!  Die  enormen  Raum- 
Verhältnisse  sind  hier  wunderbar  schön  überwunden,  natürlich 
ohne  ihrer  Größe  Eintrag  zu  tun.  Aber  doch  ist  es  eine  kalte 
Großartigkeit,  im  Vergleich  z.  B.  zu  Sta  Anastasia  in  Verona.  — 
Der  Dom  ist  ganz  von  Giulio  Romano  umgebaut  und  hat  eigent- 
lich auch  recht  schöne  noble  Verhältnisse,  besonders  eine  sehr 
reizende  Verteilung  von  Weiß  und  Gold  und  eine  Seitenkapelle, 
deren  Flächeneinteilung  geradezu  meisterhaft  ist.  In  dieser  Be- 
ziehung steht  mir  Giulio  Romano  überhaupt  sehr,  sehr  groß  da. 
Alle  Architekten  und  Maler  sollten  ihn  gründlich  studieren.  Im 
Palazzo  Ducale  und  Palazzo  del  Te  ist  in  dieser  Hinsicht  Un- 
übertreffliches geleistet.  Auch  in  den  kleinen  Figürchen  und 
nach  seiner  Angabe  gearbeiteten  ornamentalen  Skulpturen  ist  eine 
unermeßliche  Fülle  von  Grazie  und  Phantasie  enthalten.  Onkel 
Erwin  hat  ihn  ja  ganz  besonders  geliebt,  studiert  und  teilweise 
nachgeahmt  (teilweise  auch  wohl  noch  übertroffen  in  dem  Abend- 
rothschen  Eckzimmer,  mit  Ausnahme  der  Farbenverteilung  frei- 
lich). Seine  größeren  Fresken  Sala  di  Troja,  selbst  Sala  di 
Psyche  (mit  Ausnahme  einiger  Teile)  sind  aber  noch  weit  manie- 
rierter als  ich  erwartet  hatte  und  die  berüchtigte  Sala  dei  Giganti 
wirklich  zu  scheußlich  brutal!  Ich  kann  das  eigentlich  nicht 
einmal   mehr  genial   nennen  —  „unverschämt"  tut's  auch  schon. 

—  Der  Regen  ließ  allmählich  nach,  auch  gewöhnt  sich  das  Auge 
ja  an   das  Licht,    so  habe   ich   denn  viel  gesehen  und  gekritzelt 

—  dabei  sehe  ich  wirklich  ganz  mit  aller  Aufmerksamkeit  — 
zum  Aufbewahren  ist  es  fast  schon  zu  flüchtig. 

Mantua  macht  gar  keinen  italienischen  Eindruck.  Schon  die 
Leute  sind  viel  ruhiger  und  „städtischer',  obgleich  Mantua  ja 
viel  kleiner  ist  als  Verona.  Sie  betteln  nicht,  drängeln  sich  nicht 
an,  sind  aber  auch   lange  nicht  so  interessant.     Auf  dem  Wege 


—     81     — 

zum  Palazzo  del  Te  und  zurück  längs  der  Festungsmauer  vergaß 
ich  ganz,  daß  ich  in  Italien  war.  Mantua  könnte  gerade  so  gut 
in  Holland  liegen  als  in  der  Lombardei.  Deiche,  gerade,  breite 
Gräben,  verkrüppelte  Weiden,  hohe,  halb  kahle  Ellern  und  Pap- 
peln u.  dgl.,  rote  Ziegelmauem  zum  Teil  mit  abfallendem  Kalk- 
bewurf darauf,  und  eine  trübe,  regnerische,  milde  Herbstatmo- 
sphäre, im  modernen  Sinne  eminent  malerisch;  koloristisch  das 
Feinste,  was  ich  noch  auf  der  ganzen  Reise  gesehen  habe,  an 
die  Villevieilles  bei  Wesselhöft  und  anderes  derart  erinnernd,  so 
daß  ich  mehrfach  Thomas  Herbst  herbeiwünschte! 

Gute  Nacht! 

Hans. 


Bologna,  19.  November  1876. 
Lieber  Onkel! 

Mein  heute  morgen  abgeschickter  Brief  mit  Berichten  aus 
Verona  und  Mantua  kam  mir,  als  ich  ihn  zum  Schluß  noch  ein- 
mal durchlas,  recht  nüchtern  vor.  Ich  hätte  ihn  fast  gar  nicht 
abgeschickt.  Jedenfalls  lag  das  daran,  daß  ich  nicht  täglich  frisch 
die  Eindrücke  der  Reise  niederschrieb,  sondern  erst  bo  lange 
nachher,  daß  die  ReÜexion  eintreten  konnte.  Darum  will  ich  es 
heute  anders  machen! 

Heute  morgen  mußte  ich  mein  schönes  geräumiges  Bett  in 
Mantua  schon  recht  früh  verlassen,  nämlich  um  5  Uhr.  Es  war 
kalt,  stockfinster,  und  man  hörte  den  Regen  draußen  klappera. 
aber  was  halfs,  ich  hatte  keine  Wahl:  zwischen  morgens  G  und 
nachmittags  2  Uhr  geht  kein  Zug  von  Mantua  nach  dem  Süden. 
Zwar  hätte  ich  gern  noch  etwas  in  den  beiden  Giulio  Romano- 
schen  Schlössern  Raumeinteilung  studiert,  hätte  namentlich  gern 
die  kleine  Seitenkapelle  des  Doms  weiter  skizziert  —  worin  mich 
eine  beginnende  Messe  unterbrochen  hatte  —  glaube  auch,  daß 
der  Kastellan  mir  die  eigentlichen  Mantegna-Zimmer  im  Palazzo 
ducale  gar  nicht  gezeigt  hat,  denn  die,  welche  ich  gesehen  habe, 
sind  so  ruiniert,  daß  ich  nicht  verstehen  würde,  wie  Burckhardt 
so  viel  herrliches  daraus  gesehen  haben  kann  —  aber  ich  reiste 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  6 


—     82     — 

trotzdem.  .  .  .  Entweder  gründliche  Dekorationsstudien  machen, 
und  dazu  hatte  ich  jetzt  weder  Zeit  noch  Lust,  schon  der  Kälte 
wegen,  die  in  dem  alten  Gemäuer  herrscht,  dann  auch  der  kurzen 
dunklen  Tage  wegen  oder  weiter;  schließlich  hatte  ich  ja  all  mein 
Material  gleich  nach  Florenz  vorausgeschickt  und  nicht  einmal 
Aquarellfarben  bei  mir.  Für  ein  flüchtiges  Studium  hatte  ich 
sie  mir  ja  immerhin  schon  leidlich  gründlich  angesehen  und  z.'^B. 
noch  an  keinem  Tag  der  Reise  so  viel  Seiten  meines  Skizzenbuches 
vollgeschmiert  —  also  reiste  ich!  Ich  war  ziemlich  müde  und 
die  flache  Gegend  in  leichtem  Regen  und  allmählich  zunehmender 
Morgendämmerung  machte  mich  nicht  munterer.  Ich  war  ganz 
allein  im  Coup6  und  vergaß  wieder  ganz,  daß  ich  in  Italien  war. 
Die  Namen  der  Stationen  und  Haltestellen,  die  ich  im  halben 
Schlaf  hörte,  paßten  gar  nicht  zu  dem  norddeutschen  Flachterrain, 
durch  das  die  Fahrt  ging.  Auch  wäre  ich  wirklich  in  der 
größten  Verlegenheit,  wenn  ich  den  Unterschied  zwischen  der 
großen  Eisenbahnbrücke  über  den  Po  und  der  Wittenberger 
oder  sonst  einer  angeben  sollte.  Der  kann  nur  in  der  Kon- 
struktion sein! 

In  Modena  kam  ich  gegen  ^j^d  an,  ließ  meine  Sachen  im 
Deposito  und  hatte  den  ganzen  Tag  zur  Besichtigung  des  „freund- 
lichen Residenzstädtchens",  wie  Burckhardt  es  nennt.  Darin  hat 
er  recht;  wenn  die  Sonne  scheint,  wird  es  natürlich  noch  viel 
mehr  der  Fall  sein.  Aber  eigentlich  ist's  doch  recht  charakterlos 
und  langweilig.  Auch  die  Menschen  so  gut  und  anständig  und 
fleißig  philiströs,  daß  man  ihnen  bei  so  äußerlicher  Bekanntschaft 
wenig  abzugewinnen  weiß.  Ich  sehnte  mich  noch  mehr  als  in 
Mantua  nach  dem  lieben  alten  Verona  zurück,  wo  alles  Hand 
und  Fuß  hat,  und  von  dem  ich  mir  wohl  die  Behauptung  eines 
Italieners  erklären  könnte:  Wenn  ich  nicht  in  Rom  leben  kann, 
bin  ich  am  liebsten  in  Verona! 

In  Modena  gibt's  zweierlei  Interessantes:  1.  den  alten  Dom, 
einen  der  allerältesten  in  ganz  Italien,  2.  den  Palazzo  ducale  der 
Estes  (jetzt  Reale)  mit  der  Estensischen  Bibliothek  und  Galerie. 

Der  Dom  liegt  mitten  in  der  Stadt,  rings  umher  lebhaftes  Ge- 
triebe von  Grünwarenhändlerinnen  und  Schlachtern,  viel  Geflügel 


—     83     — 

hauptsächlich,  auch  Fische,  darunter  einige  mir  noch  ganz  un- 
bekannte Formen.  Heute,  am  Sonnabend,  war's  besonders  rege. 
Außer  den  vielen,  teilweise  von  Deutschen  herrührenden,  lustig 
barbarischen  Reliefs,  Fratzen  und  schönem  Ornament  interessierten 
mich  an  der  Außenseite  des  Doms  besonders  die  buntbemalten, 
gedruckten  Aufforderungen:  Bittet  bei  Gott  für  die  Seele  des 
.  .  .,  gestorben  den  .  .  .,  womöglich  mit  prächtigem  A\'appenschmuck 
oder  mit  blauen,  roten  oder  gelben  Urnen,  Leuchtern,  Kränzen 
usw.  auf  schwarzem  Grund,  geziert.  Vor  Modena  sah  ich  das 
noch  nicht.  Gewiß  ist  es  weiter  südwärts  überall  Sitte.  Recht 
barbarisch-kindlich!  Aber  die  bunten,  halbabgerissenen  Lappen 
wirken  überaus  malerisch  auf  dem  schwarzen,  uralten  Mauerwerk. 
Eine  schöne  Marmorplatte  zur  Erinnerung  an  die  Modenenser, 
die  1176  in  der  Schlacht  bei  Lugano  fielen  und  die  italienische 
Freiheit  gegen  den  Imperator  „sueviae"  Barbarossa  verteidigten, 
ist  in  diesem  Jahre  eingefügt.  Der  Turm  ist  einer  der  höchsten 
und  schönsten  Italiens.  Innen  war's  so  dunkel,  daß  ich  so  gut 
wie  gar  nichts  sah,  mich  nur  über  den  kunterbunten  Aufputz  des 
Gebäudes  ärgerte,  zu  dessen  simpel -ernsten  gedrungenen  Ver- 
hältnissen die  roten  Tuche,  Spitzen,  Gardinen  und  brutalen  Gold- 
flitter l)esonders  schlecht  stimmten. 

In  der  Galerie  hat  mich  manches  sehr  interessiert,  was,  will 
ich  Dir  nicht  aufzählen.  Doch  ist  es  durchaus  eine  Galerie 
zweiten  Ranges,  wie  wir  sie  in  Deutschland  auch  mehrfach  auf- 
weisen können.  Doch  war  ich  lange  da  und  habe  meinen  Frank 
Eintrittsgeld  gründlich  herausgeguckt.  Die  Aufstellung  zeigt  von 
guter  sorgfältiger  Leitung  der  Anstalt.  Die  Galerie  ist  königlich 
—  der  Veroneser  sah  man  an,  daß  sie  städtisches  Eigentum  war, 
um  welches  sich  niemand  recht  zu  kümmern  den  Beruf  fühlt. 
Nach  dem  Essen  sah  ich  dann  in  zwei  (sonst  sehr  langweiligen) 
Kirchen  berühmte  und  wirklich  sehr  schöne  Skulpturen  von 
Begarelli  —  aus  Modena  — ,  spazierte  dann  etwas  in  den  Wall- 
anlagen, da  der  Regen  aufgehört  hatte,  und  sogar  die  Sonne  ein 
wenig  hervorleuchtete  und  war  schließlich  nochmals  im  Dom,  wo 
ich  von  einigen,  in  meinen  Büchern  verzeichneten  Bildern  wenig- 
stens  einen  ungefähren  Begriff  bekam.     Recht  sehen   kann  man 

6* 


—     84     — 

sie  freilich  nur  bei  elektrischem  Licht,  so  dunkel  ist's  drin,  selbst 
bei  Sonnenschein  und  trotzdem  blendend  durch  den  kirschroten 
Seideudamast,  mit  dem  alle  Säulen  und  die  ganzen  Wände  des 
Chors  ausgeschlagen  sind.  Es  war  Messe,  die  erste  wirkliche 
Messe  (inkl.  Musik),  die  ich  im  wirklichen  Italien  erlebte.  Die 
Musik  sehr  mäßig,  nicht  nur  noch  lustiger  als  in  Trient,  son- 
dern auch  technisch  so  miserabel,  besonders  die  sechs  Streich- 
instrumente! Das  sonntägliche  Hochamt  des  Dorfes  Sarnthein  in 
Tirol  war  besser  ausgestattet  und  ausgeführt  als  hier  im  Dom 
einer  Stadt  von  56000  Einwohnern.  Bezeichnend  war  es,  daß 
die  Musiker  den  liturgischen  Gesang  des  Priesters  ganz  unver- 
froren zum  Stimmen  ihrer  Instrumente  benutzten. 

Nachdem  ich  auf  dem  Wege  zur  Bahn  schließlich  noch  den 
Innenhof  des  großen  herzoglichen  Palastes  gesehen  hatte,  u.  zw. 
durch  das  Schlafzimmerfenster  des  Kastellans,  denn  die  Kadetten 
hatten  gerade  Exerzierunterricht,  und  es  durfte  niemand  hinein, 
war  ich  mit  Modena  ganz  fertig,  kam  sogar  noch  eine  halbe 
Stunde  vor  der  Zeit  im  Wartesaal  an  und  konnte  mich  im  Gsell 
Fels  auf  Bologna  präparieren,  besonders  den  Plan  der  Stadt 
ansehen. 

Endlich  kam  dann  der  treno  —  im  Coup6  natürlich  wieder 
zwei  Deutsche I  —  um  ^j^6  war  ich  hier  in  Bologna,  im  Gast- 
haus zu  den  tre  Re.  .  .  . 

Die  schönen  Glocken  der  zwei  schiefen  Türme  läuteten  ge- 
rade den  Sonntag  ein,  als  ich  bummeln  ging.  Gesehen  habe 
ich  bis  jetzt  nichts  außer  der  besondern  Eigentümlichkeit  Bolognas, 
daß  alle  größern  Straßen  an  beiden  Seiten  (oder  wenigstens  an 
einer)  Arkaden  haben,  sowohl  im  Sommer  wie  im  Winter  höchst 
angenehm.  Die  neuesten,  zum  Teil  höchst  kurios  angelegt,  von 
gewaltig  hohen  und  weiten  Verhältnissen.  Das  sollte  man  in 
Hamburg  wirklich  auch  energisch  durchführen.  Wie  oft  schon 
sind  Projekte  der  Art  gemacht  worden,  wenigstens  die  Alster- 
arkaden  bis  zur  Elbe  fortzuführen.  Aber  freilich  —  —  mir 
fallen  die  Augen  zu,  drum  morgen  mehr! 


—     85     — 

Sonntag  Abend,  den  19. 

Als  ich  —  ziemlich  spät  leider,  da  meine  Uhr  stehen  ge- 
blieben war  —  die  Fensterläden  öftnete,  strahlte  mir  heller 
Sonnenschein  entgegen.  Über  viele  Dächer  und  Schornsteine  weg 
sah  ich  im  Morgenduft  die  zwei  schiefen  Türme  und  noch  etliche 
andere  in  größerer  Entfernung  aufragen.  .  .  .  Als  ich  auf  die  Straße 
und  besonders  als  ich  auf  den  Hauptplatz  kam,  zweifelte  ich  zu- 
nächst, daß  wirklich  Sountag  sei  und  fürchtete  schon,  ich  hätte 
mich  verrechnet  und  müßte,  um  Onkel  Octavio  nicht  warten  zu 
lassen,  bereits  heut  Nachmittag  wieder  abreisen:  so  unsonntäglich 
war  der  Lärm  vor  dem  Dom,  das  Geschrei  der  Verkäufer,  selbst 
mehrere  Soldaten  sah  ich  in  der  „vierten  oder  fünften  Garnitur" 
herumlaufen  und  Säcke  schleppen.  Aber  es  war  dennoch  Sonntag 
und  die  Kirchen  ziemlich  voll.  In  einigen  sehr  fidele  Musik  — 
Einleitung  zu  einem  Straußschen  Walzer  z.  B.  —  in  einer  aber 
auch  ganz  würdige.  Den  schönsten  Eindruck  der  Art  hatte  ich 
freilich,  als  ich  am  Nachmittag  noch  einmal  wieder  in  den  ge- 
waltig großen  Dom  trat  und  von  hinten  ganz  sanft  und  gedämpft 
eine  wundervolle  süße  Sphärenmusik  ertönen  hörte.  Ich  kam 
leise  näher,  sie  wurde  immer  deutlicher  —  aber  ich  begriff  doch 
nicht,  woher  sie  kam.  Das  Rätsel  wurde  gelöst,  als  eine  Hinter- 
tür geöffnet  wurde  und  man  draußen  eine  IVIilitärkapelle  ihre 
sonntägliche  Wachtparadenmusik  abspielen  sah.  Gott  weiß,  was 
für  eine  Ouvertüre  es  war,  jedenfalls  habe  ich  noch  keinen  feier- 
licheren musikalischen  Eindruck  hier  gehabt. 

Der  Dom  von  Bologna  ist  ganz  unfertig  geblieben.  Man 
wollte  den  Florentiner  übertreffen  und  projektierte  ihn  deshalb 
in  einer  ganz  kolossalen  Größe.  Nur  das  Langschiff  und  die 
Seitenschiffe  sind  fertig  geworden.  Daran  sollte  sich  dann  ein 
noch  fast  ebensogroßes  Querschiff,  mit  Chor  und  Kapellenkranz, 
Kuppel  und  vier  Türmen  anschließen.  Doch  daraus  wurde  nichts ! 
Stil:  italienische  Gotik  in  Backstein.  Die  Fassade  mit  Marmor- 
bekleidung ist  nicht  weit  gediehen.  Innen  ist  der  Raum  durch 
monotonen,  gelbbraunen  Anstrich  langweilig,  reinlich  anzusehen, 
und  der  erste  Eindruck  lange  nicht  so  packend  wie  der  von 
S.  Andrea  in  Mantua.     In    den  Seitenkapellen    manches  Schöne, 


—     86     — 

auch  farbige  Glasfenster,  meines  Wissens  die  ersten,  die  ich  in 
Italien  gesehen  habe.  Die  Fenster  des  ganzen  Kapellenkranzes 
sollten  eigentlich  farbig  werden.  Die  schönsten  von  Jacob  von 
Ulm  1450,  Aber  noch  andere  altitalienische  Glasfenster  sind 
wunderbar  schön.  Namentlich  eins  von  noch  ernsterem,  har- 
monischerem Gesamtton  als  das  farbenprächtige  des  deutschen 
Meisters.  In  zwei  anderen  Kapellen  sind  auch  moderne  italie- 
nische, die  mir  sehr  gut  gefielen,  eines  markig,  fast  etwas  roh, 
das  andere  bildartig,  mit  schön  gezeichneten  Engeln  vor  dem 
Thron  der  Madonna,  es  würde  wohl  von  manchem  den  Vorwurf 
der  Süßlichkeit  erhalten,  aber  mir  gefielen  beide  sehr.  Moderne 
Grabmäler  von  Napoleons  I.  Schwester  Elisa  und  ihrem  Manne, 
dem  hiesigen  Fürsten  oder  Grafen  Bacciochi  gefielen  mir  eben- 
falls recht  gut,  soweit  ich  sie  durch  das  Gitter  hindurch  sehen 
konnte.  Überhaupt  habe  ich  mir  heute  absichtlich  gar  nichts 
aufschließen  lassen,  sondern  nur  gesehen,  was  man  als  gewöhn- 
licher Sterblicher  auch  zu  sehen  bekommt,  und  das  ist  hier  in 
Bologna  mehr  als  genug  für  so  kurzen  Aufenthalt.  Auf  der 
Rückreise  muß  ich  hier  entschieden  länger  Halt  machen  und 
betrachte  die  Vj^  Tage  jetzt  nur  als  Orientierungsstreifzug. 

Nur  in  der  Dominikanerkirche  bin  ich  durch  die  Freund- 
lichkeit eines  behaglichen  alten  Dominikaners  (weiß  und  schwarze 
Kutte,  reine  weiße  Strümpfe  und  gewöhnliches  Schuhwerk)  hinter 
einige  Kulissen,  vielmehr  Gitter  gekommen.  Dieses  Dominikaner- 
kloster nämlich  hat  das  Glück,  das  allererste  zu  sein  und  den 
wirklichen  Leib  des  Heiligen  —  t  1220  —  zu  besitzen.  Der 
marmorne  Grabschrein  desselben  (Area  di  S.  Domenico)  scheint 
mir  in  der  italienischen  Skulptur  eine  ähnliche  Rolle  zu  spielen 
wie  Peter  Vischers  Selbaldusgrab  in  der  deutschen.  An  dieser 
Area  haben  die  bedeutendsten  Bildhauer  von  vier  Jahrhunderten 
gearbeitet,  und  trotzdem  wirkt  sie  wunderbar  einheitlich!  Zu- 
nächst Niccolo  Pisano  und  seine  Schüler.  Ihm  werden  der  ur- 
sprüngliche Entwurf  und  die  Hauptreliefs  zugeschrieben.  Wie 
ich  soeben  gelesen  habe,  erlaubt  Burckhardt  dieselben  nicht 
sonderlich  schön  zu  finden  —  ich  würde  es  freilich  auch  ohne 
seine   Erlaubnis    gewagt  haben!     Das  ist  noch  eine   arg  unselb- 


—     87     — 

ständige  Beeinflussung  antiker  Sarkophagskulpturen.  Der  reiche 
Deckel  mit  schönen  Statuetten  ist  von  einem  andern  Nicola, 
der  seinen  Beinamen  dell'Arca  sich  hier  geholt  hat;  am  liebsten 
sind  mir  die  kleinsten  Reliefs  von  Alfonso  Lombardi  1532, 
für  gewöhnlich  durch  das  geschmackloseste  Altargeräte  der  Welt 
verdeckt!  Auf  dem  Altartisch  sodann  noch  zwei  kleine  kniende 
Engel  in  langen  Gewändern,  Kandelaber  tragend,  von  denen  der 
eine  allgemein  als  Jugendwerk  Michelangelos  gilt.  Wenn  ich  den 
Frate  richtig  verstanden  habe,  spricht  man  ihn  ihm  jetzt  ab, 
was  mir  nicht  ganz  überraschend  sein  sollte;  wenigstens  hat  er 
mit  Michelangelos  spätem  Arbeiten  wenig  gemein.  Einige 
andere  Figürchen  könnten  eher  von  ihm  sein.  Die  Nische  dar- 
über mit  Fresken  von  Guido  Reni. 

Die  Kirche  selbst  in  der  Zopfzeit  umgebaut,  hat  aber  unten 
in  den  Bildern,  Gestühlen  und  dergl.  viel  Schönes  aus  frühern 
Zeiten.  Die  Kirchen,  die  ich  sonst  noch  gesehen  habe,  fast  alle 
in  blühendem  Barockstil,  schwer  voneinander  zu  unterscheiden, 
aber  oft  von  großartigen  Verhältnissen  und  doch  dabei  behaglich 
durch  den  reichen  und  im  einzelnen  oft  sehr  schönen  Schmuck. 
Ich  kann  jener  Zeit  oft  meine  hohe  Bewunderung  nicht  versagen. 
Namentlich  in  den  Skulpturen  finde  ich  außer  dem  Schwung  und 
Pathos  doch  auch  manches  wirklich  empfundene,  von  der  Liebens- 
würdigkeit so  mancher  Engelchen  gar  nicht  zu  reden!  Unter 
den  Bildern  sehr  viel  Tüchtiges  aus  der  Zeit  der  Caracci  und 
später! 

Am  meisten  interessierte  mich  eigentlich  ein  praktischer  Ge- 
sichtspunkt für  unsere  norddeutschen  Architekten:  nämlich  die 
durchgehende  Anwendung  von  Backsteinen  auch  für  Gliederungen 
und  selbst  für  reiche  Ornamentierung  der  Pilaster  usw.  Da  gibt 
es  einige  Kirchenfassaden  aus  der  Frührenaissance  und  mehrere 
Paläste,  Palasthöfe  namentlich,  die  ganz  wundervoll  sind  und 
doch,  was  die  Herstellungskosten  anlangt,  gar  keine  Umstände 
machen  würden.  Überhaupt  ist  das  so  hübsch  hier  in  Bologna: 
die  Stadt  ist  kein  Kadaver  und  interessant  als  Ruine  —  wie  doch 
eigentlich  ganz  Verona  und  besonders  die  Schlösser  von  Mantua 
—  sondern  in  ihr  pulsiert  frisches,  modernes  Leben.    Auch  heute 


—     88     — 

wird  hier  gebaut  und  zwar  teilweise  recht  lobenswert,  die 
alten  Traditionen  fortsetzend,  in  den  Säulengängen  promenieren 
Menschen,  da  sind  elegante  Toiletten,  Läden,  Schaubuden  und 
Equipagen  —  das  einzige,  was  fehlt,  ist  eine  Pferdebahn,  und 
diese  sollte  womöglich  nach  dem  Campo  Santo  hinausführen. 
Dahin  ging  ich  gegen  Abend.  Gsell  Fels  sagt:  Tour  von  einer 
Stunde,  und  ich  meinte  hin  und  zurück  zu  Fuß  —  also  warum 
nicht?  Besonders  wenn  er  wirklich  „einer  der  schönsten  von 
Italien"  ist.  Aber  ich  war  etwas  enttäuscht.  Erstlich  ist  der 
Weg  recht  weit  und  immer  durch  Arkaden!  Selbst  das  Gute 
kann  einem  zuviel  werden.  Wenn  man  als  neugieriger  Fremd- 
ling in  der  Stadt  umherläuft  und  das  noch  nicht  gewohnt  ist, 
wird  man  schließlich  ganz  konfus  davon.  Auch  erhalten  die 
Straßen  dadurch  eine  gewisse  Ähnlichkeit,  so  daß  man  sich, 
zumal  da  es  gar  kein  Wasser  und  keine  Brücken  gibt,  nicht 
leicht  zurechtfinden  kann.  Die  Lage  der  Stadt  ist  überhaupt 
nicht  schön,  weder  mit  der  Veronas,  noch  der  Hamburgs  zu  ver- 
gleichen. 

Doch  ich  wollte  vom  Campo  Santo  erzählen.  Als  ich 
endlich  draußen  war,  schloß  mir  der  Custode,  ohne  weiter  zu 
fragen,  was  ich  wollte,  eine  eiserne  Gittertür  auf  und  zeigte  mir 
eine  Glocke,  um  zu  läuten,  wenn  ich  wieder  hinaus  wollte.  Ich 
ging  also  in  den  Säulengängen  umher,  sah  einige  recht  hübsche, 
viel  mittelmäßige,  mehrere  unglaublich  geschmacklose  moderne 
Grabmäler,  konnte  aber  die  alten  nicht  finden.  Ich  schlug  meinen 
Gsell  Fels  auf:  „rechts  14.  und  15.  Jahrhundert",  also  rechts  in 
den  Nebenhof  —  aber  wieder  nur  modernes  Zeug  und  abermals 
rechts  und  dann  auch  mal  links,  ich  lief  von  einem  Hof  zum 
andern,  um  schließlich  auf  gut  Glück  zu  finden,  was  ich  suchte 
—  aber  nein,  schließlich  kehrte  ich  wieder  um  und  läutete  an 
der  bezeichneten  Glocke,  was  ich  nur  konnte.  Nach  längerm 
Harren  kam  der  Kastellan,  der  gar  nicht  erstaunt  war,  daß  ich 
die  „antiken"  nicht  hatte  finden  können.  Das  hätte  ich  sagen 
müssen.  Und  dann  öffnete  er  mir  eine  andere  Tür,  und  da  war 
denn  auch  wirklich  rechts  14.  und  15.  Jahrhundert  usw.  Am 
interessantesten  waren  mir  die  ältesten  Grabsteinreliefs  von  Pro- 


—     89     — 

fessoren  der  Universität,  meist  sie  selbst  in  der  Mitte  auf  hohem 
Lehnstuhl  und  zu  beiden  Seiten  je  drei  Schüler  emsig  nach- 
schreibend. Aus  der  Hochrenaissance  nicht  sehr  vieles  —  da- 
gegen hatte  ich  in  der  Dominikanerkirche  ein  prächtiges  Grabmal 
gesehen.  Erst  im  Dunkeln  kam  ich  heim,  zweifelte  anfangs,  ob 
ich  nicht  in  Wagners  Rienzi  gehen  sollte,  der  hier  Tagesgespräch 
ist,  zog  aber  doch  Burckhardt  und  Briefschreiben  vor.  Morgen 
Abend  um  acht  in  Florenz. 

Dein  Hans. 

Florenz,  24.  November  1876. 
Lieber  Onkel  Heinrich! 

.  .  .  Vor  allen  Dingen  freut  es  mich,  daß  Dir  meine  Reise- 
briefe Freude  gemacht  haben,  daß  sie  Dir  nicht  zu  kritisch  und 
nüchtern  vorkommen.  Agnes  Förster  schlug  mir  den  Titel 
„nüchterne  Briefe  aus  Italien"  vor,  so  erstaunt  war  sie  über  die 
unbegeisterte  Ruhe,  mit  der  ich  dem  großen  Vorhaben  entgegen- 
ging. —  Doch  ehe  es  zu  spät  wird,  laß  mich  heute  noch  kurz 
den  letzten  Tag  vor  meinem  (ganz  andersartigen)  Aufenthalt  hier 
in  Florenz  beschreiben. 

Am  Montag  Morgen  war  das  schöne  Wetter  wieder  flöten 
gegangen.  Schon  Sonntag  Abend  auf  dem  Heimweg  aus  dem 
Campo  Santo  hätte  ich  es  mir  denken  können.  Der  violette 
Nebeldunst  lag  da  gerade  so  dicht  in  den  Straßen,  wie  *er  es  in 
Hamburg  zu  tun  pflegt,  roch  auch  ebenso,  und  die  trüb  flackern- 
den Ollämpchen  der  Kastanien-,  Brot-,  Limonen-  usw.  Verkäufer 
schienen  gerade  so  rot  durch  den  Dunst  hervor,  wie  sie  es  bei 
uns  in  der  Markthalle  oder  auf  dem  Steinweg  tun.  Mein  erster 
Weg  war  in  die  Piuacoteca,  und  ich  blieb  wohl  zwei  Stunden  da. 
Raffaels  Heilige  Cäcilie  war  mit  einem  dichten  quadratischen 
Netz  überzogen,  und  der  unvermeidliche  Freund  und  Kupfer- 
stecher auf  stattlichem  Gerüste  saß  mit  der  Nase  dicht  davor 
und  knuffelte  an  einer  Zeichnung  in  kleinem  Maßstabe.  Warum 
immer  neue  Stiche  danach!?  und  nicht  lieber  Photographien? 
Doch   war  ich  nicht  besonders  traurig  darüber,    denn,    daß    die 


—     90     — 

Farbe  noch  unharmonischer  ist,  als  ich  erwartet  habe,  sah  ich 
nur  allzu  deutlich  durch  die  Maschen  des  Netzes  hindurch.  Die 
Schönheit  des  Bildes  gibt  eine  Photographie  nach  dem  Original 
nicht  nur  ganz  wieder,  sondern  sie  hebt  sie  —  für  mich  —  sogar 
noch,  weil  man  sich  eine  schönere  Farbe  dazu  denkt.  Im  übrigen 
ist  die  Pinokothek  in  Bologna  besonders  wichtig  für  Francesco 
Francia. 

Ich  bin  nun  einmal  ein  aufrichtiger  Ketzer!  Ich  kann  mich 
nicht  für  diesen  Meister  begeistern,  am  allerwenigsten  für  das 
bei  Gsell  Fels  mit  zwei  dicken  Sternen  bezeichnete  Bild.  Diese 
rotäugigen  „zipp  tuenden"  Madonnen  mit  den  schiefen  Köpfen 
sind  nicht  mein  Fall.  .  .  .  Ein  musizierendes  Engelchen  freilich 
nehme  ich  aus.  Das  ist  so  wunderschön,  wie  ich  selten  was 
gesehen  habe,  geradezu  entzückend;  wenn  Leute  von  weniger 
kühlem  Blut  als  ich  davor  aus  der  Haut  fahren,  dann  verstehe 
ich  es  vollkommen  und  beneide  sie  vielleicht  darum.  Wenn  sie 
es  vor  den  Madonnen  tun,  dann  muß  ich  mich  zusammennehmen, 
keine  Zweifel  in  die  Aufrichtigkeit  dieser  Entzückung  zu  setzen. 
Hier  sah  ich  ein,  daß  der  große  Francia  in  München  wirklich 
eins  seiner  Chefs  d'oeuvre  ist.  Das  hätte  ich  mir  früher  nie 
recht  denken  können.  —  Um  das  aber  gleich  hier  zu  erwähnen, 
sah  ich  nachher  in  einer  Kirche  noch  ein  Altarbild,  welches 
wirklich  sehr  schön  ist,  und  daneben  in  einer  Kapelle  der 
heiligen  Cäcilia  Fresken,  ihr  Leben  schildernd,  einige  von 
ihm,  andere  von  ihm  beeinflußt,  die  mir  ebenfalls  sehr  gefallen 
haben  und  jedenfalls  seinen  hohen  Ruhm  erklären  und  recht- 
fertigen. 

In  der  Pinakothek  war  dagegen  ein  großer  Perugino,  der 
mir  außerordentlich  gefiel.  Dessen  auch  etwas  süße  Lieblichkeit 
kann  ich  sehr  gut  vertragen.  Die  erscheint  mir  wirklich  naiv. 
Ein  Ferrarese  Costa  und  ein  anderer  noch  früherer  Ferrarese 
Cossa,  namentlich  letzterer,  waren  mir  von  den  altern  Herren 
femer  von  besonderm  Interesse. 

Sodann  die  Schule  der  Caracci,  die  Elektiker.  Guido  Reni 
konnte  ich  schon  immer  gut  leiden,  ohne  blind  gegen  seine 
Schwächen    zu    sein.     Hier    sieht   man    nun  besonders  viel  gute 


—     91     — 

vSachen  beieinander.  Das  schönste  freilich  ist  vielleicht  ein 
Christus  am  Kreuz,  lebensgroß,  in  Modena,  um  dessentwilleu 
allein  schon  ich  auf  der  Rückreise  doch  vielleicht  noch  einmal 
in  Modena  aussteigen  werde.  Hier  nun  der  berühmte  bethlehemiti- 
sche  Kindermord  usw.,  alles  lebensgroß,  immer  ernst,  nobel,  ein- 
fach; ein  wirklicher  voller  Nachklang  der  goldenen  Zeit,  nicht 
mehr  naiv  zwar,  aber  oft  bewunderungswürdig  und  erhebend, 
wenn  auch  nicht  oft  wirklich  erwärmend. 

Lodovico  Caracci,  der  Gründer  der  Schule,  erscheint  in  all 
seinen  Sachen  als  der  feine,  gebildete  Mensch  und  Künstler,  ein 
anspornendes  Beispiel,  wie  tüchtiges  und  erfreuliches,  bisweilen  ge- 
radezu sehr  schönes,  was  man  bei  ruhiger,  willensstarker  Verstandes- 
arbeit erreichen  kann,  auch  wenn  man  kein  Genie  ist.  Von  Anni- 
bale,  seinem  Neffen  (dem  bekanntesten  und  genialsten),  ein  paar 
sehr  schöne  Sachen.  Guercino  gefällt  mir  ebenfalls  zuweilen 
ganz  gut,  seine  Marter  des  heil.  Petrus  in  Modena  ist  sogar  ein 
Prachtbild,  ferner  Cavedone!  —  Zampieri  (Domenichino)  dagegen 
ist  mir  in  allen  Sachen  bisher  widerwärtig  gewesen;  wie  Hugo 
V.  Blomberg  (siehe  Hausbuch,  erste  Auflage)  ein  derartig  be- 
geistertes Gedicht  über  ihn  hat  machen  können,  „Fresko  von 
St.  Gregorio"  ist  mir  bis  jetzt  unbegreiflich.  Vielleicht  werde 
ich  auch  noch  zu  ihm  bekehrt.  —  Die  Galerie  ist  nicht  groß, 
recht  gut  aufgestellt,  nicht  fußkalt,  sondern  mit  Strohmatten  ver- 
sehen und  nicht  mit  Kopisten  überfüllt;  alles  sehr  beachtenswerte 
Vorzüge,  nach  denen  man  sich  hier  in  den  Uffizien  vergebens 
zurücksehnt.  .  .  . 

Trotz  des  trüben  Wetters  war  die  Fahrt  (nach  Florenz) 
herrlich.  Es  regnete  nicht,  sondern  nässelte  nur  ein  wenig  feucht 
herunter.  Die  Bahn  ist  eine  der  schwierigsten,  die  je  gebaut 
sind,  die  tunnelreichste,  die  mir  je  vorgekommen  ist.  Zwei 
Tunnels  sind  horrend  lang,  durch  den  einen  fährt  man  etwas 
über  fünf  Minuten.  Die  höchste  Höhe  ist  beinahe  halb  so  hoch 
wie  der  Brenner.  Zuerst  geht  es  immer  längs  des  Reno,  an  dem 
auch  Bologna  liegt  (wovon  man  aber  nichts  merkt),  ihn  Gott  weiß 
wie  oft  auf  Viadukten  überbrückend.  Gerade  diese  trübe  Herbst- 
beleuchtung erschien  mir  besonders  schön.     Die  Landschaft  hat 


—     92     — 

ein  Etwas,  was  sie  bei  ims  nicht  hat,  und  was  man  wohl  oder 
übel  mit  dem  so  oft  mißverstandenen  und  mißbrauchten  Wort 
Stil  bezeichnen  muß.  Sie  ist  einfach,  aber  nie  arm,  reich  aber 
nie  überladen,  bewahrt  stets  das  edle  Maß,  welches  das  eigent- 
liche Wesen  des  Stils  ausmacht.  Die  Größen-  und  Höhen- 
verhältnisse sind  ja  nicht  im  entferntesten  mit  denen  der  Alpen 
zu  vergleichen  und  können  natürlich  auch  nie  Eindrücke  hervor- 
bringen wie  meine  Brennerfahrt  war,  die  mir  stets  unvergeßlich 
bleiben  wird,  aber  alles  ist  so  ausdrucksvoll  hier,  nichts 
scheinbar  überflüssig,  sondern  alles  künstlerisch  wohlerwogen  und 
wie  mit  Vorbedacht  an  seine  Stelle  gerückt.  Man  wird  gar  nicht 
müde  aus  dem  Fenster  zu  sehen.  Ehe  wir  die  Höhe  erreichten 
(wo  es  am  allerschönsten  sein  soll),  war's  leider  Nacht.  Das  ist 
der  Weg,  von  dem  Onkel  Erwin  in  seinen  Briefen  den  schönen 
geistreichen  „Bonbon''  hat:  wie  ein  Sommernachtstraum  nach 
einem  Wintermärchen.  Es  ist  wirklich  hübsch  gesagt.  Hier  wars 
nun  freilich  weder  Sommermärchen  noch  Winternacht.  Letztere 
wurde  aber  doch  durch  eine  zarte,  silberne  Mondsichel  repräsen- 
tiert, die  überaus  reizvoll  in  dem  dunstigen  dunkelblauen  Äther 
schwamm.  Und  man  sagte  sich  dabei  fortwährend:  jetzt  bist  du 
in  Toskana,  und  noch  eine  Stunde,  nun  noch  eine  halbe,  nun 
noch  eine  viertel  und  du  bist  in  Firenze,  la  bella.  Auf  der  Reise, 
um  das  noch  zu  erwähnen,  habe  ich  oft  an  den  alten  Koch 
und  Preller,  besonders  aber  auch  an  Ruths  denken  müssen,  der 
das  Wesen  derartiger  Gegenden  doch  oft  besonders  fein  emp- 
funden wiedergibt.  Auch  die  Farbe  war  so  wunderschön!  Das 
graugelbe  Flußbett,  von  dem  grüngrauen  mäßig  schäumenden 
Wasser  nur  zum  vierten  Teil  ausgefüllt,  das  graue  Gestein,  rot- 
braunes Laub,  dazwischen  einzelne  saftige,  schwarze  und  grüne 
Weiden,  die  edel  profilierten  Bergverschiebungen,  oft  (obgleich  sie 
nicht  hoch  sind)  von  Nebelwolken  unterbrochen,  nur  die  Ferne  in 
lebhafteren,  kräftig  ernsten  Tönen,  blau  oder  violett,  der  Himmel 
grau  und  weiß  —  was  soll  alle  Beschreibung!  ,,Das  ist  Italia!-' 
sagt  Eichendorff.  .  .  . 

Heute   habe    ich   mir    den    Konsens    zum  Kopieren    in    den 
Uffizien   und  Pitti    geben    lassen    und    morgen    fange  ich  an    zu 


—     93     — 

arbeiten  und  zwar  hauptsächlich  auf  Farbe  ausgehend,  um  Dich 
zu  beruhigen.  Vorläufig  mal  in  Aquarell.  Ich  muß  in  der 
Galerie  erst  gründlich  zu  Hause  sein,  ehe  ich  mich  an  eine  zeit- 
raubende Kopie  in  Ol  begebe. 

Florenz  hat  mich  zuerst  geradezu  enttäuscht:  Stadt,  d.  h. 
Architektur,  Menschen  und  Leben,  sogar  die  Galerien.  Die  Lage 
aber  und  die  landschaftliche  Umgebung  entzückte  mich  gleich 
ara  andern  Morgen,  als  Onkel  Octavio  nach  langer  sanfter  Nacht- 
ruhe, üppigem  Morgenkaffee  nebst  englischer  Unterhaltung  mit 
Tante  und  Baby  (ein  silbriges,  niedliches,  kluges,  kleines  Ding) 
mich  mit  in  einen  Giardino  nahm,  in  dem  er  irgend  eine  vor- 
nehm und  gut  zahlende,  reiche  Fürstin  behandelte.  So  ein  Park 
mit  seinen  dichten  dunkeln  Lorberhecken,  dazwischen  die  weißen 
Marmortiguren,  die  Luft  wieder  klar  und  tiefblau,  mit  mächtig 
geballten  weißen  Wolken,  das  wenige  goldene  Laub  der  Platanen 
dazu,  deren  dürre  Aste  mit  üppigem  Efeu  berankt  werden, 
unten  noch  einzelne  blühende  Rosenhecken,  alles  so  reinlich  ge- 
halten und  von  Jahrhunderte  alter  Vornehmheit  durchweht  —  das 
ist  etwas  ganz  Köstliches!  Ebenso  gestern  der  Boboligarteu,  mit 
der  Fernsicht  über  die  Stadt  hin,  auf  die,  schon  etwas  beschneiten 
Apenninen,  ringsum  Villen  und  abermals  Villen  und  immer  wieder 
Villen,  alle  schön  in  der  Silhouette,  mit  ihren  weit  ausladenden 
Dächern  und  Türmen  und  Anbauten  und  Zypressen  —  man  kennt 
es  ja  aus  Bildern  und  Photographien,  aber  das  Leben  gibt's  doch 
ganz  anders!  Der  einzige,  der  es  wirklich  verstanden  hat,  im 
Bilde  wiederzugeben,  bleibt  für  mich  —  Böcklin.  Morgen  will 
ich  zu  ihm!  Hans. 


Florenz,  Piazza  Cavallegieri  2  bei  Dr.  Mayor. 
25.  Dezember  1876. 
Lieber  Onkel! 
An  einem   schönen   sonnigen  ersten  Weihnachtstag   will  ich 
endlich    nach  vierwöcheutlicher  Pause,    über  die  Du  Dich  wahr- 
scheinlich schon  gewundert  hast,    nach  all   der  Redseligkeit  der 
ersten  14  Tage,  in  meinen  Reiseberichten  fortfahren. 


—     94     — 

Daß  mein  Aufenthalt  in  Florenz  einen  ganz  anderen  Anstrich 
haben  würde  als  der  der  übrigen  Reise,  sah  ich  voraus.  In 
Wirklichkeit  ist  der  Unterschied  sogar  noch  größer  als  ich's  er- 
wartet hatte,  und  es  gibt  Momente,  wo  ich  meine  beiden  schwäbi- 
schen Architekten,  die  ich  in  Verona  kennen  lernte  und  die  jetzt 
auch  hier  sind,  beneiden  möchte  um  ihre  absolute  Freiheit,  um 
ihre  Joppen  und  gänzlichen  Mangel  an  Frack  und  dergl.  Aber 
abgesehen  davon,  daß  man  sich  stets  in  das  Unvermeidliche  fügen 
muß,  und  daß  ich  sehr  frohe  und  behagliche  Stunden  in  der 
Familie  unseres  lieben  guten  Onkels  verlebt  habe,  die  ich  nicht 
entbehrt  haben  möchte,  habe  ich  doch  so  mancherlei  gerade 
durch  die  geselligen  Beziehungen  gelernt,  bekomme  so  inter- 
essante Einblicke  in  mir  bisher  ganz  unbekannte  Verhältnisse, 
daß  ich  es  gern  verschmerze,  wenn  sogar  das  Kunstschwelgen  ein 
wenig  dadurch  beeinträchtigt  wird.  Außerdem  war  auch  die  ver- 
hältnismäßig ungünstigste  Zeit  dafür:  außer  den  kurzen  Tagen 
so  unglaublich  viel  Regen  und  stellenweis  eine  solche  Dunkelheit, 
daß  es  in  Hamburg  nicht  schlimmer  sein  konnte  und  daß  es  oft 
das  ratsamste  war,  möglichst  nahe  dem  Fenster  sitzend,  die  Nase 
in  irgend  ein  Buch  zu  stecken.  Ich  habe  mancherlei  gelesen. 
Besonders  in  Burckhardts  Cicerone;  aber  auch  E.  Försters  „Ge- 
schichte der  ital.  Malerei**  Band  III  (Florentiner  Kunst  des 
XV.  Jahrhunderts),  welchen  er  mir  dediziert  hat,  habe  ich  pflicht- 
schuldigst durchgearbeitet  und  natürlich  auch  manches  daraus 
gelernt  —  besonders  aber  mache  ich  hier  Bekanntschaft  mit  dem 
englischen  Kunstschriftsteller  Ruskin,  dessen  Art  und  Weise  mir 
ganz  besonders  zusagt;  er  betrachtet  alles  im  Hinblick  auf 
unsere  Zeit,  und  kommt  dabei  zu  so  interessanten  Resultaten, 
erweckt  namentlich  dadurch  so  wirklich  allgemeines  Inter- 
esse aller  Gebildeten  an  den  Kunstschätzen  der  Vergangen- 
heit, wozu  sein  eigentümlich  schlichter  Stil  wesentlich  beiträgt, 
daß  ich  ganz  begeistert  für  den  Mann  bin.  Icli  finde  da  zum 
Teil  in  Wirklichkeit  vorhanden,  was  mir  als  Ideal  für  die  Zukunft 
vorgeschwebt  hatte.  Besonders  sind  es  kleine  dünne  Hefte: 
„Mornings  in  Florence,"  in  welchen  er  praktischen  Rat  zur  Be- 
sichtigung irgend  einer  Kirche,   oft  sogar  nur  eines  oder  zweier 


—     95     — 

Bilder  darin  erteilt,  und  dann  sich  in  so  wunderschöner  oft  ganz 
allgemein  menschlicher  Weise  (jedenfalls  stets  ohne  viel  Wissen 
von  Daten  und  Namen  und  Zusammenhang  von  Schulen  auszu- 
kramen) über  die  Arbeit  oder  den  Künstler  verbreitet,  daß  einem 
das  Herz  dabei  aufgehen  muß,  und  die  wirklich  so  warme  Freude 
vieler  Engländer  an  Kunst  kann  man  sicherlich  wohl  zum  Teil 
seinem  Einfluß  zuschreiben.  .  .  . 


Florenz,  19.  Januar  1877. 
Via  Maggio  30  IL  Piano. 

Lieber  Onkel  Heinrich! 

Endlich  ist  Dein  lange  mit  Sehnsucht  und  zuletzt  sogar  mit 
etwas  Bangen  erwarteter  Brief  eingetroffen!  Bangen,  weil  ich 
glaubte,  Du  würdest  schon  längst  auf  eine  ausführlichere  Be- 
schreibung meines  Lebens  und  der  Eindrücke  hier  ungeduldig 
sein  und  wenig  erbaut  von  der  genauen  Schilderung  meiner 
hiesigen  englischen  Geselligkeit. 

Wie  viele  viele  Seiten  Reiseberichte  ich  Dir  in  Gedanken 
inzwischen  geschrieben  habe,  kann  ich  freilich  nicht  sagen,  denn 
ich  habe  mich  wirklich  schon  lange  danach  gesehnt,  endhch 
einmal  con  amore  auskramen  zu  können.  Aber  da  waren  so  viel 
Pflichtbriefe  zu  schreiben  .  .  .,  daß  ich  mir  die  Freude  des  ruhigen 
.jKlönens"  nicht  gönnen  wollte,  ehe  sie  absolviert  waren.  .  .  . 

Doch  nun  endlich  zu  Florenz!  Aber  freilich  wo  anfangen? 
—  Den  ersten  entzückenden  Eindruck  des  Torrigiani-Gartens  am 
ersten  sonnigen  Morgen  habe  ich  damals  gleich  frisch  berichtet, 
der  zweite,  der  der  Stadt,  war  geradezu  enttäuschend,  was  man 
freilich  später,  wenn  man  alles  genau  kennt  und  so  liebgewonnen 
hat,  kaum  noch  begreift.  Wirklich  gefällt  Florenz  mir  immer 
besser  und  jetzt,  wo  ich  bald  Abschied  nehmen  will,  wächst  die 
Liebe  doppelt  und  ich  begreife  es  gar  wohl,  daß  so  mancher 
gar  nicht  wieder  wegfinden  kann,  vorausgesetzt,  daß  er  gute 
Freunde  gefunden  hat  und  nicht  fühlt,  daß  sein  eigentlicher 
Wirkungskreis  in  der  Heimat  ist. 


—     96     — 

Also  Florenz!  Die  Führer  fangen  natürlich  immer  mit  dem 
Dom  an.  Etwas  lieber  ist  er  mir  geworden  als  anfangs,  aber 
im  ganzen  ist  da  doch  der  erste  ungünstige  Eindruck,  den  er  auf 
ziemlich  jeden  macht,  kräftig  geblieben.  Es  ist  eben  kein  recht 
geglücktes  Werk,  und  es  bleibt  stets  unbegreiflich,  wie  so  außer- 
ordentliche Größenverhältnisse  so  klein  wirken  können  (innen). 

Überhaupt  muß  man  sich  ja  erst  an  die  italienische  Gotik 
gewöhnen,  aber  stellenweise  gewinnt  man  sie  doch  mit  der  Zeit 
unendllich  lieb.  Die  ahnungsreich  phantastischen  hochragenden 
Pfeilermassen  unserer  nordischen  Dome  darf  man  freilich  nicht 
erwarten.  Die  alten  Italiener  waren  klarer,  nüchterner,  verstandes- 
schärfer denkende  Menschen  als  unsere  Väter.  Mit  möglichst 
weiten  Pfeilern  und  Gewölben  möglichst  weite  Käume  zu  über- 
spannen, das  war  ihr  Streben,  und  wie  bewunderungswürdig  haben 
sie  es  oft  gelöst!  Namentlich  auch  im  Dom,  dessen  Pfeiler  jedes- 
mal 35  meiner  Schritte  voneinander  stehen. 

Die  zwei  andern  gotischen  Hauptkirchen  von  Florenz  sind 
Sta  Maria  Novella  und  Sta  Croce,  erstere  zum  großen  Domini- 
kanerkloster gehörig,  letztere  zum  großen  Franziskanerkloster, 
beide  fast  gleichzeitig  mit  dem  Dom  am  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts begonnen.  Es  muß  eine  herrliche  Zeit  gewesen  sein, 
diese  erste  jugendliche  Blütezeit  der  Republik.  Was  will  es 
heißen,  für  eine  Stadt  von  der  Einwohnerschaft  Altonas,  in  einem 
Zeitraum  von  20  Jahren  drei  so  kolossale  Kirchen  zu  beginnen, 
dazu  den  gewaltigen  Palazzo  vecchio  „zur  Mehrung  des  Glanzes 
und  Ansehens  der  Signoria",  den  Palazzo  del  Podestä  usw.,  usw. 
Wie  groß  und  stolz  mußte  sich  der  Staat  fühlen,  der  all  das 
unternahm  und  was  für  Gemeinsinn  unter  den  Bürgern  herrschen! 
Was  für  Männer  lebten  aber  auch  damals!  Cinabue  und  Arnolfo 
(statt  da  Lapo  sagt  man  jetzt  Cambio),  beide  im  reifen  Mannes- 
alter, Dante  in  jugendlicher  Manneskraft  und,  10  Jahre  jünger 
als  er,  der  Hirtensohn  Giotto,  dieser  wahrhaft  große  Meister,  der 
der  ganzen  Kunst  Italiens  für  hundert  Jahre  und  mehr  ihr  eigenes 
Gepräge  gab,  der  wahrhafte  Wie  Jererwecker  der  Kunst.  —  Und  das 
alles  erblühte  mitten  im  heftigen  Parteigetriebe  unter  Kämpfen  nach 
außen  und  innen  (die  z.  B.  sogar  Dantes  Verbannung  zur  Folge 


—     97     — 

hatten),  und  auch  die  religiösen  Gegensätze  mögen  trotz  der  Einheit 
der  Kirche  oft  heftig  genug  gewesen  sein.  Sind  doch  die  vornehmen, 
die  Keinheit  der  Lehre  aufrechterhaltenden  Dominikaner  niemals 
gut  Freund  gewesen  mit  den  werktätigen,  volkstümlichen  Söhnen 
des  heiligen  Franziskus  —  wieviel  mehr  damals  so  bald  nach 
dem  Tode  der  beiden  großen  Stifter,  welche  ihre  ganze  Zeit  be- 
wegt und  beherrscht  hatten,  wie  kaum  je  zuvor  oder  nachher 
sonst  etwas  in  der  Geschichte  der  Kirche  (St.  Dominikus  t  1221, 
St.  Franziskus  t  1226). 

Giotto  hielt  zu  den  Franziskanern,  Arnolfo  baute  ihre  Kirche, 
und  von  Dante  weiß  ich  nur,  daß  die  Vermählung  des  heiligen 
Franz  mit  der  Armut  in  der  Divina  Comedia  vorkommt  (wenig- 
stens in  Genellis  Umrissen  dazu).  Sicherlich  war  auch  er  eifriger 
Anhänger  des  heiligen  Franziskus,  schon  weil  die  Dominikaner 
die  allezeit  getreuen  Anhänger  der  Kurie  gewesen  sind,  und  Dante 
so  eifriger  Ghibelline  war.  —  Auf  dem  Platze  vor  der  Kirche 
steht  denn  auch  sein  großes  Marmorbild,  welches  „das  Vaterland" 
ihm  dort  1865  setzte,  eine  der  schlechtesten  Arbeiten,  die  ich 
jemals  sah.  Noch  schlimmer  freilich  sind  die  vier  sitzenden 
Löwen  am  Postament,  wahrhaft  traurige  kleine  Biester.  Hätte 
der  betreftende  Bildhauer  sich  doch  nur  einmal  die  prächtigen 
Tiere  von  Rauch  ansehen  wollen,  die  knurrend  und  knirschend 
sich  an  das  Postament  Maximilians  I.  von  Bayern  schmiegen  und 
es  halbwegs  tragen.  —  Aber  der  divina  poeta  hat  leider  in  seiner 
Vaterstadt  immer  Unglück,  selbst  im  Tode!  Denn  sein  großes 
Monument  in  der  Kirche  Santa  Croce  ist  nicht  viel  besser,  und 
von  den  Marmorstatuen  der  28  großen  Florentiner,  welche  man 
in  die  Nischen  des  Säuleuganges  unter  die  Uffizien  gesetzt  hat, 
und  unter  denen  sich  mehrere  ganz  vortreffliche  Figuren  be- 
finden, ist  Dante  ebenfalls  eine  der  mindest  gelungenen  (da- 
gegen steht  in  Verona  eine  außerordentlich  feierlich-ernste  Statue 
von  ihm). 

Dieser  Platz  von  Santa  Croce  hat  außerdem  zwei  der  inter- 
essantesten und  mir  speziell  sympathischsten  alten  Häuser  von 
Florenz  aufzuweisen.  Eins  davon  über  und  über  bemalt  von 
13   verschiedenen    Malern    in    27   Tagen    vollendet!      Das 

Sebapire,  Hans  Speckters  Briefe.  * 


—     98     — 

mögen  köstliche  27  Tage  für  die  Freunde  gewesen  sein!  (Ist 
doch  die  gemeinsame  Ausmalung  unsers  Kneipzimmers  in  Weimar 
immer  noch  allen  Beteiligten  eine  der  hübschesten  Erinnerungen!) 
Das  betreffende  Haus  ist  architektonisch  nicht  nur  nichts  Be- 
sonderes, sondern  sogar  nur  eine  ganz  simple,  lange  „Mietskaserne' 
und  kann  nicht  wohl  den  Anspruch  auf  den  Namen  Palazzo 
machen;  fensterreich,  wie  unsere  nordischen  Häuser  sind,  und 
die  Zwischenräume  der  Fenster  ganz  ungleich.  Und  trotzdem 
ist  es  noch  jetzt  in  ziemlich  verwittertem  Zustand  eins  der 
lustigsten  und  nettesten,  die  man  sehen  kann.  Der  Gesarat- 
entwurf ist  von  Giovanni  da  San  Giovanni  (1599 — 1636).  Es 
gehört  zu  den  Dingen,  die  ich  auf  der  Rückreise  malen  muß,  — 
jetzt  ist's  wegen  der  Kälte  nicht  möglich. 

Doch  wieder  zu  Santa  Croce!  Die  Fassade  ist  hagelnagelneu, 
freilich  mit  Zugrundelegung  vorhandener  alter  Entwürfe,  aber 
nicht  recht  im  alten  Geist.  Aber  selbst  wenn  sie  besser  wäre, 
würde  sie  mir  nicht  gefallen,  denn  diese  ganze  italienische  Kirchen- 
fassaden-Gotik ist  nicht  recht  mein  Fall,  weder  die  Architektur, 
noch  auch  die  bunte  Marmorinkrustation.  Zumal  wenn  sie  noch 
so  blitzblank  ist,  wie  hier,  macht  es  immer  einen  eisigkalten 
Konditoreindruck  auf  mich.  Wo  die  Jahrhunderte  den  weißen 
Marmor  „angeraucht"  haben,  sieht  es  viel  besser  aus,  namentlich 
an  dem  berühmten  Baptisterium  gefällt  es  mir  außerordentlich, 
besonders  wenn  ich  mir  statt  unsrer  schwarzen  und  grauen  Men- 
schen die  alten  Florentiner  in  ihren  langen  roten  Gewändern 
davor  denke,  —  Das  Figürliche  und  Ornamentale  dieser  mo- 
dernen Fassade  ist  natürlich  technisch  vorzüglich  gearbeitet 
und  teilweise  recht  hübsch  komponiert  —  nur  so  modern, 
so  gar  nicht  im  Geist  der  Zeit  und  am  allerwenigsten  in 
dem  des  heiligen  Franziskus.  Doch  nun  hinein,  denn  ich 
habe  die  Kirche  unendlich  lieb  und  kenne  sie  am  genauesten 
von  allen  Kirchen  der  Welt.  Wohl  14  Tage  oder  mehr  war 
ich  alle  Vormittage  dort,  sehend  und  zeichnend,  und  immer, 
wenn  ich  in  die  Gegend  komme,  zieht  es  mich  aufs  neue  hinein. 
Ich  habe  nun  einmal  die  Sympathie  —  wogegen  ich  mich 
jedesmal    geradezu    zwingen    muß,    in    die  Ufiizien   zu   gehen,  so 


—     99     — 

unaugenehm  ist   mir    der   Kauui   durch    das    Chor    der    gewerbs- 
mäßigen Kopisten. 

Der  Raum  von  Santa  Croce  ist  sehr,  sehr  groß,  das  Mittel- 
schiff fast  30  meiner  Schritte  breit,  die  ganze  Kirche  fast  117m 
laug.  Aber  alles  mit  deu  einfachsten  Mitteln  hergestellt:  je 
sieben  Geckige  Pfeiler  mit  schlichten  großblättrigen  Kapitellen 
tragen  schmucklose,  weitgespannte  Bogen,  aber  Gewölbe  sind  nicht 
da,  sondern  ein  einfaches  Holz  dach,  dessen  Konstruktion  und 
Sparrenwerk  sich  deutlich  zeigt,  deckt  Haupt-  und  Seitenschiffe, 
sowie  auch  das  Querschiff.  Nur  die  Apsis  des  Chors  und  die 
vielen  kleinen  Nebenkapellen  sind  gewölbt.  Der  Fußboden  ist 
von  roten  Klinkern.  So  schufen  sich  die  Brüder  des  heiligen 
Franz  ihrer  Ordensregel  gemäß  ihr  Gotteshaus,  welches  aber 
gerade  in  dieser  absichtlich  schlichten,  nur  fürs  Bedürfnis  ein- 
gerichteten Grundgestalt  von  sonderbar  ergreifender  Wirkung  ist. 
Aber  kahl  sollte  es  darum  doch  nicht  sein,  denn  fast  alle  Glas- 
fenster sind  gemalt  —  und  wie!  —  und  die  schlichten  Wände 
der  Kirche  und  besonders  der  Kapellen  überzog  die  Giotto- 
sche  Schule  mit  dem  reichsten  Freskenschmuck,  den  man  sich 
denken  kann  und  von  dem  immer  mehr  und  mehr  wieder  zutage 
gefördert  wird.  Es  war  nämlich  alles  oder  so  gut  wie  alles  durch 
neuen  Bewurf  und  einfarbig  graue  Übermalung  verloren  gegangen, 
so  daß  z.  B.  Onkel  Erwin,  wenn  er  sich  hier  aufgehalten  hätte 
(warum  er  es  nicht  getan  hat,  verstehe  ich  nicht),  nichts  davon 
gesehen  hätte,  besonders  auch  die  besten  aller  Fresken  Giottos 
nicht.  —  Ich  hatte  eigentlich  kaum  gedacht,  daß  ich  soviel 
Interesse  an  den  Bildern  dieser  Zeit  nehmen  würde,  wie  ich  es 
denn  doch  tue.  Die  Innigkeit  und  Naivität  wirken  aber  immer 
wohltuender,  je  länger  man  sich  damit  abgibt,  und  ich  lerne  bil- 
liger über  diejenigen  denken,  die  sich  schließlich  so  ganz  dahinein 
gelebt  haben,  daß  sie  eigentlich  für  nichts  mehr  rechten  Sinn 
haben  und  namentlich  über  alles  Moderne  schlankweg  den  Stab 
brechen.  Aber  auch  vom  ausschließlich  dekorativen  Standpunkt 
aus  sind  diese  Arbeiten  bewunderungswürdig  und  lehrreich  im 
höchsten  Grade.  Vor  allen  Dingen  die  Art,  die  Bilder  orna- 
mental teppichartig    zu  umrahmen    und    dann  vorsichtig   in    der 

7* 


—     100     — 

Anwendung  lebensgroßer  und  besonders  überlebensgroßer  Figuren 
vorzugehen,  die  so  oft  dem  architektonischen  Gesamteindruck  des 
Raumes  schaden,  bei  alten  wie  bei  modernen  Werken,  z.  B.  vor 
allen  Dingen  bei  der  hiesigen  Domkuppel,  dann  bei  manchen  von 
Cornelius  Glyptothekbildern,  noch  mehr  bei  Schnorrs  geschicht- 
lichen Sälen  im  Schloß  (in  den  Nibelungensälen  ist's  besser)  und 
am  meisten  bei  den  Bildern  aus  der  bayrischen  Geschichte  im 
Nationalmuseum  (von  Piloty,  Ramberg  usw.  usw.),  die,  wenn  sie 
nicht  durch  ihre  Kolossalität  in  den  verhältnismäßig  kleinen 
Räumen  von  vornherein  einen  abstoßenden  Eindruck  machten, 
teilweise  gewiß  viel  mehr  beachtet  und  bewundert  werden  würden. 
Onkel  Erwins  Arbeiten,  an  die  ich  hier  fast  überall  denken  muß, 
zeigen  auch  wieder  sein  feines  Gefühl  für  das  „göttliche  Maß", 
z.  B.  Simson  und  Delila,  die  Fresken  bei  Abendrot,  die  Auf- 
erweckung  des  Lazarus:  alles  ungefähr  Giottos  und  Fiesoles- 
Maß.  Wer  wirklich  was  Gutes  und  Bedeutendes  zu  sagen  hat. 
braucht  nicht  immer  zu  schreien.  Das  tun  nur  die  schlechten 
Schauspieler.  Die  guten  sparen  sich  ihr  Pathos  für  die  wenigen 
wichtigen  Momente  auf.  So  macht  es  auch  Giotto:  an  einzelnen 
hervorragenden  Bogenzirkeln  z.  B.,  die  sich  gegen  das  Haupt- 
schiff öffnen,  da  malt  er  wohl  einige  übermenschlich  große 
Propheten  oder  Apostelgestalten,  die  denn  von  bedeutender 
Wirkung  sind,  aber  wenn  er  erzählen  will,  das  Leben  des 
heiligen  Franziskus  z.  B.  oder  Johannes  des  Täufers  oder  des 
Evangelisten,  dann  genügen  ihm  zwei  Drittel  oder  drei  Viertel 
Lebensgröße,  und  er  teilt  lieber  seine  Wände  in  drei,  auch 
wohl  vier  übereinander  liegende  Streifen  (ganz  naiv,  geradeso 
machen's  die  Bänkelsänger,  wenn  sie  irgendeine  Schauertat,  horri- 
bile  misfatto,  in  Farben  setzen)  und  schafft  sich  dadurch  Raum 
zu  einer  behaglichen  verständlichen  Geschichtserzählung.  Daß 
manches  Bild  dabei  wenig  gesehen  wurde,  weil  es  zu  hoch  sitzt, 
kümmerte  die  damaligen  Maler  wohl  wenig.  Malten  sie  doch 
hauptsächlich  zur  eignen  Befriedigung,  zum  Preise  ihres  noch 
lebendigen  Glaubens.  Auch  war  das  Publikum  wohl  ein  dank- 
bares, hatte  vor  allen  Dingen  mehr  Zeit  als  heutzutage  und  ließ 
sich   die  Freude   am  aufmerksamen  Besehen   nicht  dadurch  ver- 


-     101     — 

kümmern,  daß  man  sich  manches  erst  mühsam  zusammensuchen 
mußte.  Heute  muß  dagegen  alles  gleich  auf  den  ersten  Augen- 
blick klar  sein.  Zwar  nicht  mit  Unrecht,  nur  sollte  diese  Ver- 
ständlichkeit des  Ausdruckes  nicht  so  oft  mit  allzu  billiger  Flach- 
heit des  Inhalts  verbunden  sein,  aber  nur  zu  viele  unsrer  Poeten 
resp.  Künstler  sind  „heruntergestiegen  und  Diener  der  Menge 
geworden",  um  Platen  wieder  einmal  zu  zitieren,  Unsre  Kunst- 
händlerwirtschaft hat  uns  nur  zu  schrecklich  auf  den  Hund  ge- 
bracht! So  eine  Ausstellung  moderner  italienischer  Meister,  oder 
in  den  Schaufenstern  die  Photographien  „in  Imperialformat"  nach 
den  großen  Düsseldorfer  oder  Münchner  Meistern  ist  wirklich 
nicht  zu  ertragen,  und  ich  glaubte  eigentlich  in  Deutschland, 
widerwärtiger  könnte  mir  diese  Art  von  Kunst  gar  nicht  mehr 
werden.  Aber  es  war  doch  noch  möglich.  Wenn  ich  hier  jetzt 
die  Grütznerschen  Kulturkämpfe  oder  „Der  kleine  Liebling'-,  „Der 
kleine  Übeltäter",  „Auch  ein  Kriegsgefangener!"  usw.  usw.  von 
Hiddemann.  Sonderland  sehe  —  auch  Ed.  Halliers  ekelhafter 
fliegenfangender  Schusterjunge  von  Geertz  hängt  hier  aus  — ,  dann 
überkommt  mich  wohl  ein  gewisser  Stolz,  daß  ich  es  noch  nicht 
soweit  gebracht  habe,   unter  diesen  Kollegen  zu  figurieren.  .  .  . 

Daß  Böcklins  „Meeresidyll"  Dir  nicht  gefällt,  begreife  ich 
vollkommen.  Ich  habe  selten  eine  größere  Enttäuschung  erlebt 
als  bei  meinem  Besuch  hier  in  Böcklins  Atelier.  Ich  habe  das 
Gefühl  mitgenommen:  er  ist  fertig!  Wie  ist  das  traurig,  be- 
sonders wenn  man  noch  gar  nicht  alt  ist.  Beim  alten  Preller  ist's 
etwas  andres,  der  hat  sein  Werk  vollbracht,  aber  von  Böckliu, 
so  Herrliches  er  geleistet  hat,  hoffte  man  doch  immer  das  Aller- 
beste käme  noch.  Aber  das  hofft  man  jetzt  freilich  wohl  ver- 
gebens! 

Aber  wieder  zu  Giotto  zurück!  Die  interessanteste  Kapelle 
ist  die  zunächst  dem  Chor,  in  der  er  die  Geschichte  des  heiligen 
Franziskus  gemalt  hat.  Auf  dem  Altar  steht  ein  sehr  altes,  vom 
Alter  gebräuntes  Bild  des  Heiligen,  auf  Goldgrund,  welches  als 
Porträt  galt.  Das  ist's  nun  freilich  kaum,  aber  es  macht  einen 
sehr  ehrfurchteintiößenden  Eindruck.  Giottos  Fresken  sind  alle  sehr 
hell  im  Ton  und  bisweilen  von   einer  Farbenschönheit,    die   alle 


-      102     — 

Erwartungen  weit  übersteigt.  Mit  den  reizendsten  mosaikarti- 
gen Umrahmungen  (von  denen  ich  die  besten  kopiert  habe) 
läßt  er  gern  den  schönsten  blauen  Himmel  und  eine  lichte,  gelb- 
liche oder  rosige  Architektur  in  eine  prachtvolle  Harmonie  zu- 
sammenfließen, zu  der  dann  die  blassen  Mönche  in  hellgrauen 
und  braunen  Kutten,  häufig  vor  schmutziggrünen  oder  fahlroten 
Zimmerwänden  einen  wirksamen  Kontrast  bilden.  Die  dramatische 
Klarheit  der  Komposition  kann  oft  gar  nicht  übertroffen  werden. 
Er  gehört  durchaus  zu  den  right  thinkers,  auf  die  Asher,  stets 
mit  Recht,  soviel  Wert  legt.  Manche  überdrastische  Bewegung 
berührt  uns  natürlich  komisch,  andre  aber,  und  besonders  der 
einfache  große  Faltenwurf,  sind  von  unvergleichlicher  Feierlich- 
keit. Überall  spricht  die  Überzeugung  des  Künstlers,  von  dem 
was  er  malte,  z.  B.  in  der  eigentümlichen  Darstellung  von 
Franziskus'  Tod,  wo  alle  seine  Schüler  sofort  über  die  Leiche 
herstürzen  und  sich  aufs  eingehendste  von  dem  wirklichen  Vor- 
handensein der  Wundenmale  überzeugen.  Bei  den  Schülern 
streift  manches  geradezu  an  Busch.  Besonders  der  arme  Teufel 
spielt  oft  eine  urkomische  Rolle.  Aber  das  macht  gerade  das 
Besehen  derartiger  Werke  so  interessant  und  so  wenig  ermüdend. 
Ich  muß  gestehen,  daß  ich  über  jeden  neuen  lustigen  Fund  derart 
immer  ganz  besonders  erfreut  bin.  .  .  . 

Besonders  auf  den  heiligen  Nikolaus  bin  ich  jetzt  versessen, 
und  wo  ich  irgend  etwas  Fideles  von  ihm  finde,  sammle  ich  es 
sofort.  Denn  mit  der  Ausschmückung  unsrer  Nikolaikirche  muß 
doch  gelegentlich  mal  vorgegangen  werden.  Im  Hinblick  darauf 
studiere  ich  namentlich  die  hiesigen  Glasmalereien,  besonders 
an  dunklen  Tagen,  wo  alles  andere  nicht  zu  sehen  ist.  Es  gibt  hier 
sehr  schöne.  Die  im  Dom  sind  von  einem  gewissen  Livi  da  Gam- 
bassi, der  in  Lübeck  gelernt  hatte,  nach  Entwürfen  von  Ghiberti 
und  Donatello.  In  Santa  Croce  sehr  schöne  gotische,  aber  ohne 
jene  fürchterlichen  Türme  von  Baldachinen  mit  Fialen  und  Krabben 
ohne  Ende,  welche  die  Figuren  ganz  erdrücken  (wie  in  unsrer 
Petrikirche),  aber  auch  wunderschöne  aus  der  Frührenaissance,  oft 
nach  Entwürfen  der  größten  Meister.  Sehr  zierliche,  mit  ganz 
lichten  Farben,  aus  der  Zeit  Raffaels,  eignen  sich  vorzüglich  zu 


—     103     — 

Privatwohnungen,  die  durch  farbenprächtige  zu  dunkel  werden 
würden. 

Doch  noch  einmal  wieder  zu  Santa  Crocel  Außer  diesen 
frühen  P'resken  ist  nämlich  noch  viel  andres  Sehenswertes  da. 
welches  freilich  den  ursprünglichen  Charakter  der  Kirche  be- 
einträchtigt hat.  Vasari  war  der  Sünder,  der  in  den  Seitenschiffen 
großmächtige  Renaissancealtäre  errichtete,  mit  Ölbildern  seiner 
Freunde  versah  (meist  Kreuzabnahmen  und  darunter  ganz  Tüch- 
tiges) und  zwischen  jedem  Altar  Platz  für  gewaltige  Grabmäler 
schuf,  so  daß  Santa  Croce  jetzt  gewissermaßen  der  Campo  Santo 
der  großen  Florentiner  ist.  Das  beste  ist  wohl  das  nach  Vasaris 
Entwurf  von  verschiedenen  Bildhauern  ausgeführte  Grab  Michel- 
angelos; ihm  gegenüber,  schon  fast  zopfig,  Galileis;  nicht  weit 
davon  Macchiavells;  tanto  nomini  non  par  est  elogium,  dann 
der  moderne  große  Dichter  Alfieri  (von  Canova);  Dante,  dessen 
eigentliches  Grab  jedoch  in  Ravenna  ist,  habe  ich  schon  erwähnt; 
modern  ist  auch  das  (sehr  bedenkliche)  große  Grabmal,  welches 
der  letzte  aus  dem  altvornehmen  Geschlecht  der  Alberti  seinem 
großen  Ahnen  Leon  Battista  Alberti,  neben  Brunellesco,  dem  Bahn- 
brecher der  Renaissance,  errichten  ließ;  ganz  hübsch  das  Cheru- 
binis;  auch  der  Kupferstecher  Raphael  Morghen  hat  hier  sein 
Grabmal;  besonders  scheinen  adlige  Polen  sich  hier  gern  ihre 
Grabstätten  gewählt  zu  haben,  darunter  einige  recht  hübsche 
moderne  Arbeiten;  auch  einige  Bonapartes  (Charlotte  und  Julie) 
liegen  hier,  mit  der  stolzen,  aber  doppelsinnigen  Inschrift:  Digne 
de  son  nom.  Diese  Kapelle  war  neulich  ganz  schwarz  verhängt, 
ebenso  die  Bänke  davor,  und  zu  der  Trauermesse  fand  sich  die 
ganze  hiesige  Bonapartistenklique  ein,  natürlich  alle  mit  Veilchen 
im  Knopfloch,  meist  unangenehme  Gesichter,  aber  sehr  interessant 
zu  sehen.  Eugenie  ist  wirklich  noch  immer  eine  sehr  schöne  und 
anmutige  Erscheinung.  Man  muß  sich  Mühe  geben,  seinen  Haß 
nicht  in  ein  gewisses  Mitleid  mit  der  gefallenen  Größe  zu  ver- 
kehren. Lulu  müde  und  etwas  dumm,  aber  ganz  elegant,  wie 
die  Photographie  ihn  zeigt. 

Die  alten  Florentiner  begnügten  sich  natürlich  mit  schlich- 
teren  marmornen  Grabplatten,  welche,    auf  dem  Boden    liegend. 


—     104     — 

meist  gerade  so  abgetreten  sind,  wie  anderwärts  auch.  Um  manche 
ist  es  sehr,  sehr  schade,  namentlich  um  die  eines  der  Vorfahren 
Gahleis  aus  dem  15.  Jahrhundert,  eines  Professors  der  Medizin, 
dessen  Relieffigur  selbst  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  noch  etwas 
wunderbar  ernst  Mildes  hat.  Ruskin  schreibt  sehr  schön  darüber. 
Besser  gehalten  haben  sich  die  mit  schwarzem  und  rotem  Marmor 
eingelegten  Ornamente,  von  denen  ich  eine  ganze  Anzahl  in 
Pausen  mitbringe.  Es  macht  mir  oft  ganz  besondere  Freude, 
diese  alten  Grabsteine  zu  studieren  und  mich  für  kurze  Zeit  mit 
denen  zu  beschäftigen,  die  darunter  ruhen.  Je  älter,  desto  schöner 
sind  meist  die  Ornamente  und  desto  kürzer  und  schlichter  die 
Worte.  Mein  besondrer  „Freund",  möchte  ich  sagen,  ist  ein  ge- 
wisser Johannes  Sandri  de  Portinaris,  „Hier  rutt  ein  recht- 
schaffner Mann,  der  Kaufmann  Joh.  S.  de  P.  (vir  probus,  mer- 
cator).  Er  starb  am  5.  Mai  1387  ,requiescat  in  pace'."  Dazu 
ein  so  schönes,  einfach  ernstes  Ornament,  in  der  Mitte  das  Wappen- 
schild ganz  schwarz,  so  liegt  er  vor  dem  ersten  Pfeiler,  der 
Giottoschen  Kapelle  des  heiligen  Franz  zugewendet;  man  denkt 
sich  allerlei  bei  der  Arbeit.  —  Auch  die  Familie  der  Bardi  hat 
hier  ihre  große  Kapelle  und  ihre  prächtigen  Grabmäler  aus  Nicolö 
Pisanos  Schule. 

Prächtig  ist  die  große  Sakristei  mit  herrlichem,  hoch 
hinaufgehendem,  eingelegtem  Holzgetäfel  ringsum.  Darüber  eben- 
falls Fresken  aus  der  Schule  Giottos,  trefflich  erhalten,  und  mit 
ihren  reichen  Umrahmungen,  aus  denen  Propheten  mit  langen 
Spruchrollen  und  christliche  Tugenden  hervorgucken,  den  voll- 
endetsten teppichartigen  Eindruck  von  allen  machend,  obgleich 
die  Bilder  selbst  geringer  sind.  Hier  in  der  Sakristei  habe  ich 
manchen  Tag  gesessen  und  mich  neben  meiner  Arbeit  an  den 
Geistlichen  und  deren  Tun  erfreut.  Die  Leute  sind  hier  von 
einer  unerhörten  Liebenswürdigkeit.  Fällt  auch  für  einen  der 
Frates  hier  und  da  einmal  ein  Trinkgeld  ab,  so  ist's  doch 
meist  nicht  viel,  aber  stets  sind  sie  freundlich  und  gefällig  und 
lassen  einen  auf  alle  Weise  gewähren.  Es  geht  in  so  eiuer 
Sakristei  eigentlich  ganz  zu  wie  in  einer  Wachtstube.  Einer  der 
Frates  ist  quasi  Feldwebel,  der  Regierer  des  Ganzen.   Die  Herren 


—     105     — 

Patres  haben  nur  rechtzeitig  zu  erscheinen,  sich  von  ihm  anziehen 
zu  lassen  und  dann  zur  vorgeschriebenen  Zeit  die  Messe  an  diesem 
oder  jenem  Altar  zu  lesen.  An  einem  Tag  ist  viel  zu  tun,  am 
andern  weniger.  An  solchen  wird  dann  gefegt  und  gesclieuert. 
Eine  große  und  wichtige  Rolle  spielen  die  bambini  (Chorknaben), 
die  viel  zu  tun  haben,  aber  ein  ganz  amüsantes  Leben  führen 
und  durch  wenige  Soldi  (ein  5-Centime-Stück  heißt  allgemein  ein 
Soldo)  sebr  leicht  zu  begeisterten  Freunden  zu  machen  sind,  die 
einem  den  nötigen  Stuhl,  Wasserglas  usw.  besorgen  und,  wenn 
man  am  Altar  vorübergeht,  wo  sie  Dienst  tun,  vergnügt  ver- 
ständnisvoll zugrinsen.  —  Die  Toleranz  der  Katholiken  hier 
ist  sehr  groß.  Die  Kirche  ist  hier  wie  ein  alter  kümmerlicher 
Mann,  der  ganz  vom  Gefühl  seiner  Ohnmacht  durchdrungen 
ist  und  sagt:  ,,Tu'  mir  nichts,  tu'  mir  nichts,  ich  tu'  dir  ja  auch 
ganz  gewiß  nichts."  Traurige,  alte,  vertrocknete,  kleine  Priester 
sieht  man  sehr  viel.  Aber  auch  die  dicken  sehen  weder  boshaft 
noch  üppig  aus.  Man  behandelt  die  Kirche  ja  wirklich  so  schlecht, 
daß  es  eigentlich  ein  Jammer  ist.  Sie  kann  kaum  leben,  und 
auch  die  Erhaltung  ihrer  Bauten  mit  den  Kunstschätzen  mag 
oft  schwer  fallen.  Die  Aufdeckung  der  Giottoschen  Fresken 
scheint  mir  auch  aus  diesem  ganz  erklärlichen  Grunde  jetzt  zum 
Stillstand  gekommen  zu  sein.  —  Wie  handwerksmäßig  und  ge- 
dankenlos die  Religion  hier  betrieben  wird,  sieht  man  natürlich 
bei  einem  derartigen  Aufenthalt  in  der  Sakristei  besonders  deut- 
lich. W^enn  z.  B.  ein  Priester,  ehe  er  die  Messe  liest,  sich  durch 
Gebet  an  einem  dazu  stehenden  Pult  vorbereitet  und  zu  lange 
macht,  so  ruft  der  Bruder  Feldwebel,  der  schon  das  Meßgewand 
in  der  Hand  hat  und  nicht  länger  warten  mag:  ,,Venga,  venga, 
Signore."  „Kommen  Sie,  kommen  Sie,  Herr,  es  ist  keine  Zeit 
mehr."  Und  dann  kommt  er  sofort  ganz  gehorsam  und  läßt  sich 
anziehen,  zuletzt  schon  das  Heilige  in  den  Händen  noch  ein 
bißchen  zurechtzupfen  —  wie  gesagt,  gerade  wie  wenn  ein  Ein- 
jähriger auf  Posten  zieht,  von  seinem  Putzer  vorher  noch  einmal 
„visitiert"  wird.  —  Ein  paar  schöne  jüngere  Männer  waren  auch 
da,  die  in  eifrigen  Gesprächen  meist  an  den  großen  Tisch,  der 
in  jeder  Sakristei  in  der  Mitte  steht,  sich  lehnend,  oft  die  schönsten 


—     106     — 

Paäsinischen  Gruppen  bilden,  besonders  wenn  so  ein  alter, 
frierender  Herr  seine  dürren  Finger  oder  großen  Handschuhe  an 
dem  Kohlentopf  wärmend,  halb  teilnahmlos  zuhörend,  die  Gruppe 
vervollkommt.  In  den  dunkelbraunen  Schränken  die  schönsten 
alten  Meßbücher,  Kelche,  Kreuze  usw.  usw.,  alles  für  jedermann 
zu  sehen,  und  mich  ließen  sie  sogar  ein  paarmal  über  Mittag 
ganz  allein  unter  all  der  Kostbarkeit  sitzen! 

31.  Januar  1877. 
Fertig  bin  ich  mit  der  Beschreibung  von  Santa  Croce  noch 
immer  nicht;  wenn  auch  mit  der  Kirche  selbst,  so  bleibt  doch 
noch  der  Kirchturm  und  Kreuzgang  zu  erwähnen.  Beifolgende 
Photographie  gibt  einen  Begriff  von  beiden.  Freilich  ist  der 
Eindruck  ungleich  anders  und  geradezu  überraschend,  wenn  man 
dies  selbe  Bild,  umrahmt  von  den  Säulen  und  Bogen  der 
andern  schattigen  Seite  des  Kreuzgangs  zuerst  erblickt.  — 
Die  Kapelle  ist  eines  der  allerfrühesten  Werke  der  Renaissance 
(von  Brunellesco),  der  dekorative  Teil,  die  farbig-glasierten  Ton- 
skulpturen von  den  Robbias.  Von  derartigem  Zusammenarbeiten 
der  beiden  großen  Meister  später  ausführlicher.  Ich  kenne  diese 
Kapelle  noch  nicht  genau  genug,  um  mehr  als  einen  allgemeinen 
Eindruck  von  ihr  zu  haben.  Nur  von  der  großen  Haupttür  und 
Vorhalle  weiß  ich,  daß  sie  mit  Recht  als  die  schönste  Tür  der 
Frührenaissance  gilt.  Im  alten  Refektorium  sind  ebenfalls  noch 
interessante  Malereien,  darunter  ein  berühmtes  Abendmahl  Giottos, 
aber  auch  hierüber  weiß  ich  wenig  zu  sagen.  Ich  war  beide 
Male,  als  ich  es  sah,  nicht  in  Stimmung  dafür.  Von  Pförtnern 
und  dergleichen  Leuten  herumgeführt  zu  werden,  stört  zwar 
immer  den  Genuß,  aber  ganz  besonders  bei  den  Arbeiten 
jener  Zeit.  Mit  denen  muß  man  ganz  allein  sein.  Aber  ich 
bezweifle  fast,  daß  das  Bild  selbst  den  Eindruck  auf  mich 
machen  würde,  denn  das  Bessere  ist  nun  einmal  der  Feind  des 
Guten,  und  man  wird  nicht  umhin  können,  dabei  an  Lionardo 
zu  denken.  Das  einzige  Abendmahl,  das  sich  mit  diesem  allen- 
falls vergleichen  läßt,  ist  in  einer  kleinen  Kirche  hier  vor  dem 
Tor  von  Santa  Croce,  gemalt  von  Andrea  del  Sarto,  welches  ich 


—     107     — 

heute  endlich  gesehen  habe.  Ich  werde  nächstens  eine  Photo- 
graphie danach  schicken. 

Der  Kirchturm  von  Santa  Croce  ist  mir  der  liebste  von  allen, 
die  ich  bis  jetzt  in  Italien  gesehen  habe.  So  einfach,  kräftig 
und  schlank  (in  der  Photographie  legt  sich  das  Querschiff  un- 
glücklich davor,  so  daß  es  zu  kurz  erscheint).  Meine  Wohnung 
Piazza  Cavallegieri  war  dicht  bei  Santa  Croce,  und  mein  Weg 
dahin  führte  an  einem  großen  Garten  vorüber,  zwischen  dessen 
dunkeln  hohen  Zypressen,  Lorbeeren  und  Pinien  der  Turm  in 
lichtem  silbrigen  Morgenduft  oft  ganz  unbeschreiblich  schön  her- 
übersah und  sich  frei  und  klar  in  den  kalten  sonnigen  Winter- 
himmel hob.  Bei  den  meisten  Kirchtürmen  hier  sieht  man 
deutlich  die  Glocken  hängen,  was  mir  ungemein  gefällt.  —  Und 
noch  eines  habe  ich  zu  erzählen  vergessen,  nämlich,  daß  der  eine 
der  Chorknaben  Dante  heißt,  aber  nicht  mit  Alighieri  verwandt 
ist,  auch  keine  Verse  macht.  Aber  es  klingt  wunderlich,  wenn 
durch  die  Räume  derselben  Sakristei,  die  Giotto  und  sein  Freund 
wohl  manchmal  in  Überlegung  der  auszuführenden  Malereien 
auf  und  ab  geschritten  sein  mögen,  wenn  eben  da  heutzutage 
laut  und  durchdringend  Dan-te!  Dan-te  gerufen  wird,  und  dann 
ein  frierender  kleiner  Bengel  mit  fidelem,  kindlich  pfiffigem  Spitz- 
bubengesichtchen  den  scaldino  (Kohlentopf)  zwischen  den  ver- 
klammten  Händen  erscheint,  um  neue  Befehle  oder  Zurecht- 
weisungen entgegenzunehmen.  Ob  mir  nicht  jedesmal,  wenn  ich 
den  Namen  Dante  höre,  zunächst  dieser  bambino  in  den  Sinn 
kommen  wird? 

Doch  nun  zu  Santa  Maria  Novella.  Diese  Kirche  ist  von 
zwei  Dominikanern  erbaut,  und  Michelangelo  pflegte  sie  seine 
Braut  zu  nennen.  Ein  schöner  Bau,  eigentlich  wohl  schöner  als 
Santa  Croce,  aber  doch  lange  nicht  so  eigenartig  und  interessant. 
Freilich  mag  die  letzte  Restauration  in  den  50  er  Jahren  viel 
Schönes  zerstört  haben.  Die  neuen  Glasfenster  im  Längsschiff 
sind  geradezu  störend  schlecht.  —  Auch  diese  Kirche  ist  in  der 
T-Form  gebaut,  d.  h,  an  die  drei  Längsschiffe  zieht  sich  das 
Querschiff  als  langer  Querbalken,  und  die  Apsis,  die  bei  unseren 
nordischen  Kathedralen  oft  eine   so  außerordentliche  Länge  hat, 


—     108     — 

schließt  ganz  kurz  ab.  Ich  liebe  das  sehr.  Dadurch  kommt  der 
Hauptaltar,  der  in  unseren  Kirchen  oft  den  Blicken  der  Ge- 
meinde beinahe  entrückt  ist,  mitten  ins  Gotteshaus  zu  stehen 
und  es  macht  sich  an  Sonntagen  beim  Hochamt  oft  wunderschön, 
wenn  bis  zu  den  Stufen  des  Altars  hinan  sich  die  Menge  in  den 
verschiedenartigsten  Stellungen  aufbaut;  vorn  natürlich  immer 
einige  Kinder,  auch  wohl  ein  Hund,  denn  die  Anwesenheit  von 
Tieren  in  der  Kirche  hält  man  hier  durchaus  nicht  wie  bei  uns 
für  unpassend  oder  gar  profanierend.  Im  Dom  sind  z.  B.  be- 
ständig zwei  schöne  große  Kater  anwesend,  die  sich  wie  die  eigent- 
lichen Hauseigentümer  zu  benehmen  pflegen  und  wesentlich  zur 
Behaglichkeit  beitragen.  Neulich  war  großer  Hokuspokus,  der 
Erzbischof  —  ein  ekelhaftes  Gesicht  —  in  vollem  Ornat  vor 
Langeweile  gähnend,  und  eine  große  Schar  von  gleichgültigen 
Priestern  und  halbgleichgültigem  neugierigen  Volk  hinterher  —  da 
saß  ich  in  einer  Ecke  auf  einer  Bank,  betrachtete  die  Sache 
von  weitem,  streichelte  meinen  schnurrenden  Kater  und  dachte, 
er  wäre  doch  außer  mir  der  allervernünftigste  in  der  ganzen  Ge- 
sellschaft! Sollte  sich  nicht  die  Einrichtung  von  Kirchenkatern 
auch  für  Hamburg  empfehlen?  S.  Nicolai  z.  B.  würde  gleich 
zehn  Prozent  wohnlicher  werden.  .  .  . 

Sta  Maria  Novelia  ist  die  einzige  von  allen  hiesigen  Kirchen, 
deren  Fassade  fertig  geworden  ist,  freilich  nicht  in  der  ursprüng- 
lich beabsichtigten  Weise,  und  die  beiden  Patres,  die  sie  be- 
gonnen haben,  hätten  sich  wohl  manchmal  im  Grabe  umgedreht, 
wenn  sie  gesehen  hätten,  was  Leon  Battista  Alberti  daraus  ge- 
macht hat!  —  Der  untere  Teil  freilich  gefällt  mir;  mir  scheint, 
daß  das  große  rundbogige  Renaissanceportal  sich  ganz  harmonisch 
den  ursprünglichen  Spitzbogennischen  und  gotischen  Nebentüren 
einfügt;  —  nach  oben  aber  wird's  fürchterlich!!  Dieser  schon 
mehrfach  erwähnte  L.  B.  Alberti  war  ein  echter  großer  Floren- 
tiner jener  außerordentlichen  Zeit,  darum  laß  mich  ein  wenig 
von  ihm  erzählen.  Er  war  von  vornehmer  Familie  Sein  Palazzo 
steht  heute  noch  und  das  Wappen:  ein  Ring  von  vier  Ketten 
gehalten,  sieht  man  gar  häufig.  Er  liebte  Waffen  und  Pferde, 
Musik,  Malerei,  Bildnerei,  studierte  in  Bologna  das  Recht,  schrieb 


< 


—     109     — 

in  seiuem  20.  Jahre  eine  lateinische  Komödie,  die  für  echt  antik 
gehalten  wurde,  legte  sich  dann  mehr  auf  Philosophie  und  Mathe- 
matik, trat  wegen  literarischer  Arbeiten  in  enge  Beziehungen  zu 
Piero  di  Medici,  wurde  schließlich  geistlich  und  erst  1447, 
43  Jahre  alt,  begann  seine  Tätigkeit  als  Architekt.  Ganz  der 
vielseitig  unruhige  moderne  Mensch  vom  neuen  Geist  der  Re- 
naissance durchdrungen!  Und  doch  nicht  20  Jahre  jünger  als 
Fra  Angelico,  der  für  den  beseligenden,  friedeatmenden  Geist  des 
Mittelalters  den  höchsten  Ausdruck  fand  und  seine  Madonnen 
malte  zur  selben  Zeit  als  Alberti,  „der  italienische  Vitruv",  dieser 
ganzen  christlichen  Kunst  gern  den  Garaus  gemacht  hätte.  Denn 
für  ihn  gab  es  eben  nichts  als  nur  das  Altertum,  und,  wo  er 
gotisch  begonnene  Bauten  vollenden  sollte,  verfuhr  er  in  der- 
selben pietätlosen  Weise  wie  später  die  Zopfzeit.  Er  war  eben 
ein  radikaler  Revolutionär.  Gewiß  tun  derartige  Persönlichkeiten 
in  der  Weltgeschichte  und  in  der  Wissenschaft  manchmal  Not, 
aber  in  der  Kunst  haben  sie,  scheint  mir,  keine  Berechtigung. 
Wie  ganz  anders  der  so  viel  größere  Brunellesco,  der  zwar  auch 
mit  vollster  Entschiedenheit  den  neuen  Weg  ging  und  sogar  noch 
viel  früher  als  er  (Alberti  wurde  erst  nach  Brunellescos  Tode 
Architekt),  aber  doch  nie  in  dieser  kalten,  einseitig  verstandes- 
scharfen Weise  vorging.  Ich  kann  diesen  Alberti  nicht  recht 
leiden,  aber  ich  bewundere  ihn  trotzdem.  Zum  Siege  der  klassi- 
schen Architektur  soll  seine  schriftstellerische  Tätigkeit  ganz 
Außerordentliches  beigetragen  haben,  aber  seine  eigenen  Arbeiten 
sind  (mit  Ausnahme  des  schönen  Palazzo  Rucellai  hier)  meist 
verunglückt. 

Die  beiden  Obelisken  vor  derKirche  vom  Jahre  1608  sind  das  Ziel 
der  großen  Wagenwettrennen,  die  früher  am  Abend  vor  St.  Johannis 
hier  abgehalten  wurden;  leider  keine  altrepublikanische  Einrich- 
tung, sondern  erst  von  Cosimo  I.  1563  gestiftet,  also  wohl  mehr 
Yolksbelustigungsmittel  eines  sich  noch  nicht  ganz  in  seiner  neuen 
Herrschaft  sicher  fühlenden  Fürsten. 

Die  eigentliche  Schönheit  der  Kirche  liegt  im  Querschiff  und 
in  dessen  Kapellen,  an  beiden  Enden  desselben  ist  nämlich  je 
eine  Kapelle,    zu  der  man    (weil  darunter  Grabgewölbe  sind)  auf 


—     110     — 

engen  hohen  Treppen,  wohl  10 — 12  Stufen,  hinansteigen  muß. 
Das  macht  sich  nun  sehr  malerisch,  und  der  Einblick  von  diesem 
erhöhten  Standpunkt  aus,  in  die  Kirche,  hat  etwas  eigentümlich 
Schönes.  In  der  einen  dieser  Kapellen  befindet  sich  u.  a,  eine 
große  hochberühmte  Madonna  von  Cimabue  (Giottos  Lehrer),  sein 
Hauptwerk,  welches  die  Florentiner  von  1270  in  solchen  Enthu- 
siasmus versetzte,  daß  „das  Bild  mit  großer  Pracht  und  Trom- 
petenschall in  feierlicher  Prozession  vom  Hause  des  Malers  nach 
der  Kirche  getragen  wurde".  .  .  .  Wenn  wir  das  Bild  ansehen, 
begreifen  wir  es  freilich  kaum!  Es  ist  doch  noch  schrecklich 
steif  und  leblos  und  längst  nicht  so  weit  von  den  byzantinischen 
Arbeiten  unterschieden  als  ich  erwartet  hatte.  Für  mich  beginnt 
die  neue  Zeit  doch  erst  mit  Giotto.  Aber  was  grau  vor  Alter 
ist,  das  ist  uns  heilig  und  darf  es,  soll  es  sein.  Wie  oft  mag 
Dante  als  Knabe  in  Gebet  und  Bewunderung  diese  steifholdselige 
Himmelskönigin  betrachtet  haben!  Und  Beatrices  höchster  Wunsch 
war  vielleicht,  diesem  Bilde  zu  gleichen!! 

In  der  Capella  Strozzi  gegenüber  sind  berühmte  Fresken 
von  Orcagna,  Giottos  Schüler,  das  jüngste  Gericht,  der  Himmel 
und  die  Hölle,  Letztere  ganz  nach  Dante,  mehrfach  übermalt 
und  überaus  komisch  anschaulich,  geradezu  Bänkelsängerbildern 
zu  vergleichen.  Der  Himmel  „bezeichnet  den  höchsten  Grad  von 
Lieblichkeit,  dessen  die  Schule  fähig  war'',  sonst  eine  wunderlich 
militärisch-wohlangerichtete  Komposition,  aber  in  den  einzelnen 
Köpfen  allerdings  teilweise  sehr  holdselig.  Lustig  finde  ich  es, 
daß  die  heiligen  Männer  im  Himmel  immer  ein  niedliches 
Engelbackfischchen  zwischen  sich  haben  (bunte  Keihe),  wo- 
gegen die  heiligen  Frauen  unter  sich  bleiben.  Auch  das  Altar- 
bild ist  von  Orcagna,  überhaupt  die  ganze  Kapelle  wie  aus  einem 
Guß 

Dann  ist  noch  eine  andere  Capella  Strozzi  von  Filippino 
Lippi  ausgemalt  und  dazu  ein  Glasfenster  nach  seiner  Zeichnung, 
welches  Burckhardt  mit  Recht  „wohl  das  schönste  von  Florenz" 
nennt,  und  hinter  dem  Hochaltar  endlich  der  ganze  Chor  aus- 
gemalt von  Domenico  Ghirlandajo,  dem  Lehrer  Michelangelos, 
dessen  Lehrlingsanteil    an    der  Arbeit   noch   heute   gezeigt  wird. 


—    111    — 

Auch  hier  herrliche  Frührenaissance-Glasfenster,  die  freilich  den 
Kaum  sehr  verdunkeln  und  überreiche  Intarsien  an  den  Chor- 
stühlen, und  so  könnte  ich  noch  lauge  aufzählen,  ohne  doch  ein 
anschauliches  Bild  zustande  zu  bringen.  —  Nur  noch  einige 
Worte  über  die  beiden  gotischen  Kreuzgänge,  der  eine,  der 
größte  von  Florenz,  überhaupt  der  größte,  den  ich  je  gesehen 
habe,  wird  jetzt  meist  zu  Gewehrgrifien  benutzt,  denn  die  meisten 
Klöster  sind  hier  ja  Kasernen  geworden.  Er  ist  ausgemalt  wie 
die  meisten  hiesigen  Kreuzgänge  mit  Heiligen-Geschichten  aus 
später  Zeit,  Ende  des  16.  und  meist  17.  Jahrhunderts.  Neben 
vielem  Faden  und  Manierierten  findet  man  doch  hier  und  da, 
wenn  man  sich  die  Mühe  gibt,  die  Bilder  wirklich  anzusehen 
(nicht  nur  die  Unterschriften  zu  lesen  und  dann  weiterzugehen), 
auch  schwungvolle  graziöse  Bewegungen,  bisweilen  sogar  eine 
tiefe  echte  Empfindung,  worüber  ich  immer  ganz  besonders  er- 
freut bin.  Denn  ich  halte  es  immer  mit  den  Epigonen  —  sind 
wir  doch  selbst  welche!  —  und  ich  kann  nicht  leiden,  wenn  man 
tut,  als  ob  die  Zeit  bis  Raffael  für  Empfindung  und  Naivität  ein 
Privilegium  gehabt  hätte  und  sie  den  Späteren  ganz  fehlt.  Man 
muß  freilich  oft  lange  suchen!  Aber  bisweilen  wird  man  doch 
glänzend  belohnt.  Burckhardts  Cicerone  zeichnet  sich  auch  durch 
besondere  Vollständigkeit  und  Unparteilichkeit  aus,  während 
Gsell  Fels,  der  doch  ein  weniger  wissenschaftliches  Ziel  verfolgt 
und  mehr  für  den  Durchschnittstouristen  bestimmt  ist,  jeden 
Perugino  oder  Botticelli  gleich  mit  Sternen  und  Ausrufungs- 
zeichen .anpreist  und  viele  gute  und  dem  modernen  Geist  doch 
viel  näherstehende  nachrafi"aelische  Sachen  ganz  mit  Stillschweigen 
übergeht,  so  daß  nur  ein  sehr  selbständiges  Laienherz  dieselben, 
ohne  die  schriftliche  Sanktion  des  Reiseführers,  wirklich  schön 
zu  finden  sich  herausnehmen  wird.  Die  meisten  jedoch  gehen 
natürlich  ganz  daran  vorbei,  denn  hier  ist  ja  so  viel  zu  sehen, 
daß  auch  ich  nur  durch  den  langen  ruhigen  Aufenthalt  hier 
dazu  gekommen  bin,  manches  herauszufinden.  Meine  ganz  be- 
sonderen Freunde  sind  die  großen  Plafondmaler  Pietro  da 
Cortona  und  Luca  Giordano,  an  deren  üppiger  Fidelität  und 
Festeslust    ich    mich    gar    zu   gern    erfreue    und    ihnen    manche 


—     112     — 

Flüchtigkeit  der  Zeiclinung,  Häßlichkeiten,  fade  Allegorien  usw. 
usw.  ganz  gern  verzeihe.  Es  bleiben  immerhin  höllisch  geniale 
Kerle,  und  ich  sollte  denken,  selbst  ein  Raffael  würde  sie  bis- 
weilen bewundert  haben,  wenn  er  diese  liederliche  Leichtigkeit 
des  Schaffens  noch  mitangesehen  hätte.  Bisweilen  sind  geradezu 
seiner  würdige  Gestalten  darunter  zu  finden,  namentlich  bei 
Pietro  da  Cortona,  dessen  Plafonds  im  Palazzo  Pitti  wohl  das 
prächtigste  sind,  was  es  überhaupt  geben  kann:  ein  unsinniger 
und  doch  mit  kühnster  Sicherheit  gehandhabter  Bau  von  Orna- 
menten, Pilastern,  Wappenschildern,  Delphinen,  Karyatiden, 
Putten,  Festons,  Tritonen,  Nereiden  und  eingefügten  Bildern; 
ein  Zusammenwirken  von  dekorativer  Plastik  und  Malerei,  dabei 
oft  ein  so  feines  Gefühl  für  die  Anwendung  der  Vergoldung,  daß 
ich  doch  eigentlich  nicht  behaupten  kann,  die  Plafonds  wirkten 
protzig  überladen,  was  viele  minder  reiche  aus  späterer  Zeit  tun. 
Zur  Nachahmung  derartiger  Pracht  wird  man  freilich  schwerlich 
je  Gelegenheit  haben,  denn,  gibt  es  auch  vielleicht  noch  heutzu- 
tage ähnlicbe  Reichtümer,  so  ist  doch  die  naive  Freude  am 
Schwelgen  in  diesen  unermeßlichen  Besitztümern  nicht  mehr  da; 
man  weiß  was  „Nützlicheres"  mit  dem  Gelde  anzufangen,  als  es 
als  totes  Kapital  zur  Vergoldung  seiner  Wohnungen  auszugeben. 
Bis  zu  einem  gewissen  Grade  mag  man  da  vom  nationalökonomi- 
schen Standpunkt  Recht  haben.  Das  Übertreiben  dieser  Theorie 
von  der  „nützlichen*'  Anwendung  des  Kapitals  ist  aber  sicherlich 
mit  schuld  an  unserer  Kalamität  jetzt.  Die  Franzosen  waren 
weniger  ängstlich  darum  besorgt,  ihre  große  neue  Oper  kann 
sich  wohl  an  Pracht  mit  diesem  Medicäerluxus  messen  —  und 
das  alte  Lied  vom  Reichtum  Frankreichs  durch  seine  Industrie 
wird  hier  gerade  so  laut  gesungen  wie  in  Deutschland. 

Doch  noch  einmal  zurück  zu  Santa  Maria  Novella  und  zwar 
zum  kleineren  Kreuzgang,  welcher  Chiostro  verde  heißt,  weil  er 
ganz  graugrün  in  graugrün  ausgemalt  ist,  mit  Szenen  des  Alten 
Testaments  in  vorratiaelischer  naiver  Zeit,  aber  ich  habe  den 
Bildern  noch  kein  tieferes  Interesse  abgewonnen.  .  .  .  Von  diesem 
Kreuzgang  aus  kommt  man  in  die  Cappella  degli  Spagnuoli, 
den     alten     Kapitelsaal     der    Dominikaner,     mit    ziemlich    den 


—     113     — 

interessantesten  Fresken  von  ganz  Florenz  und  also  von  ganz 
Italien.  Auch  sachlich  sind  sie  von  allerhöchstem  Interesse, 
namentlich  die  beiden  sich  gegenüberliegenden  Hauptwände,  auf 
deren  einer  die  streitende  und  triumphierende  Kirche  dargestellt 
sind,  darunter  zahlreiche  Porträts  (Giotto,  Boccaccio,  Petrarca, 
Laura,  Gaddi,  Memmi  usw.  usw.),  auf  der  anderen  eine  Verklä- 
rung der  rechtgläubigen  Theologie,  in  der  Mitte  auf  goldenem 
Thron  Thoraas  von  Aquino,  unter  seinen  Füßen  die  besiegten 
Irrlehrer  Arius  usw.,  und  auf  je  sieben  Stühlen  zu  seinen  beiden 
Seiten  die  allegorischen  Gestalten  der  Grammatik,  Rhetorik,  Dia- 
lektik usw.,  und  unter  diesen  je  ein  geschichtlicher  Repräsentant 
dieser  Wissenschaft,  so  z.  B.  Justinian,  Cicero,  Tubalkain  (Musik), 
Aristoteles  usw.  Auch  der  altheilige  Kalauer  betreffs  des  Namens 
der  Dominikaner  (Domini-canes,  des  Herrn  Hunde,  die  nämlich 
den  eingedrungenen  Wölfen  und  Füchsen  [den  Irrlehrern]  die 
Schafe  wieder  abjagen)  ist  hier  sehr  lebendig  und  anschaulich 
abgemalt.  Es  ist  ein  eigentümlicher,  feierlicher  Raum,  quadra- 
tisch, von  einem  ziemlich  niedrig  ansetzenden,  aber  scheinbar  um 
so  höher  sich  wölbenden  Kreuzgewölbe  bedacht,  welches  ebenfalls 
reich  bemalt  ist,  aber  minder  interessant.  Auch  die  farbige  Wir- 
kung ist  bemerkenswert:  im  Gewölbe  herrschen  lebhaftere  Farben 
vor,  besonders  der  tiefblaue  Grund,  während  die  Wände  mehr 
blaß,  weißlich,  gelblich,  grünlich  sind,  mit  einzelnen  lebhaft  roten 
und  schwarzen  Stellen  darin  (Sieneser  Schule),  aber  außerordent- 
lich lebendig  und  charakteristisch  in  jeder  Hinsicht  —  z.  B.  eine 
Szene,  wo  St.  Domenikus  mit  Ungläubigen,  Ketzern  und  Juden 
disputiert  und  sie  teils  bekehrt,  teils  wenigstens  nachdenklich 
macht,  während  andere,  auf  das  Alte  Testament  sich  berufend, 
auf  ihrer  Meinung  beharren. 

In  diesem,  den  Triumph  der  Kirche  und  ihrer  Lehre  mit 
allem  wissenschaftlichen  Scharfsinn  verherrlichenden,  hochgewölbten 
Kapitelsaal  der  Dominikaner  und  der  kleinen  Giottoschen  Seiten- 
kapelle in  Santa  Croce  mit  dem  Leben  des  heiligen  Franziskus 
charakterisieren  sich  die  verschiedenen  Richtungen  der  beiden 
Orden  ganz  besonders  schön  und  bezeichnend,  glaube  ich. 

Nun  einmal  zu  etwas  anderem,  nämlich  zum  Palazzo  Strozzi 

Schapire,  Hans  Si)eckters  Briefe.  8 


—     114     — 

und  dessen  Galerie,  die  nur  einmal  wöchentlich  für  zwei  Stunden 
zugänglich  und  sehr  wenig  bekannt  ist;  sie  hat  auf  mich  eigent- 
lich den  schönsten  Eindruck  unter  allen  Galerien  hier  gemacht. 
Vom  Palazzo  Strozzi  selbst  etwas  zu  sagen,  ist  eigentlich  untun- 
lich, denn  eine  ungefähre  Idee  verbindet  wohl  jeder  mit  dem 
Namen  und  beschreiben  läßt  sich  dergleichen  nicht.  Ich  habe 
keine  Photographie  da  von  hier,  schicke  aber  statt  dessen  den  alten 
Medicäerpalast  (später  Riccardi),  den  Cosmus  der  Große  auno 
1430  von  Michelozzo  Michelozzi  erbauen  ließ,  und  mit  dem  der 
50  Jahre  später  von  ßenedetto  da  Majano,  „als  letzte  und  höchste 
Form  des  Palastbaues  der  Frührenaissance"  entworfene  Palazzo 
Strozzi  doch  immerhin  noch  manche  Ähnlichkeit  hat. 

Das  ist  so  schön  hier  in  Florenz,  daß  viele  der  alten  Ge- 
schlechter noch  heute  existieren  und  ihre  Paläste  bewohnen!  Und 
nirgends  überkommt  einen  das  ehrfürchtig-wohltätige  Gefühl 
dieses  engen  Zusammenhanges  mit  der  Vergangenheit  stärker  als 
im  Palazzo  Strozzi.  Wie  viele  andere  Geschlechter  sind  in  den 
400  .Jahren  zugrunde  gegangen!  oder  hinaufgegangen  und  haben 
Throne  mächtiger  Reiche  gewonnen!  Aber  selbst  das  imponiert 
kaum  so  wie  eine  Familie,  die  heute  nicht  mehr  ist  als  damals, 
aber  doch  noch  dasselbe,  an  deren  Felsenhaus  im  Herzen  der 
Stadt  keine  Veränderungen  zu  sehen  sind! 

Noch  zwei  andere  Privatgalerien  sind  dem  Publikum  zu- 
gänglich: Corsini  und  Torrigiani.  Erstere  ist  sehr  reichhaltig, 
ein  großer  weiter  Palast  am  Arno  herrlich  gelegen,  wo  einst 
Macchiavells  Landhaus  stand,  von  Papst  Clemens  XII.  (Corsini), 
anno  1610  mit  aller  Pracht  jener  Zeit,  großen  Treppen,  riesigen 
Sälen  usw.  erbaut,  aber,  da  die  Familie  nie  in  der  Stadt  lebt, 
sondern  immer  auf  einer  der  vielen  Villen  ringsum,  doch  etwas 
die  Spuren  des  Verfalls  tragend.  Im  Vergleich  mit  den  vier 
Zimmern  mit  etwa  40  Bildern,  die  man  bei  Strozzis  zu  sehen 
bekommt,  machen  die  Räume  doch  einen  fast  parvenumäßigen 
Eindruck  —  während  man  in  den  Zimmern  der  Torrigiani- 
Galerie  zuviel  von  ganz  modernem  Luxus  und  Komfort  findet, 
der  auf  der  anderen  Seite  freilich  auch  sehr  behaglich  stimmt. 
Im  Strozzi  ist  keines  von  beiden:  keine  .Spur  von  Verfall,  jeden 


—     115     — 

Augenblick  könnte  die  eleganteste  Gesellschaft  empfangen  werden, 
ohne  daß  vorher  ein  Staubkörnchen  weggewischt  zu  werden 
brauchte,  aber  keine  Familienphotographien  auf  den  Tischen  oder 
gestickte  Straminsofakissen  und  Nackenrollen  oder  Schalen  mit 
Visitkarten  und  dergl.  Zeichen  modernen  Luxus  stören  den  Ein- 
druck. Im  Palazzo  Corsini  behält  man  den  Hut  auf,  bei  Torri- 
giano  guckt  man  wohl  gelegentlich  mal  in  den  Spiegel,  ob  auch 
die  Kravatte  gerade  sitzt,  oder  betrachtet  seine  Handschuhe,  weil 
man  alle  Augenblicke  auf  das  Eintreten  irgend  eines  Familien- 
mitgliedes gefaßt  ist  —  bei  Strozzi  nimmt  man  zwar  sofort  den 
Hut  ab,  aber  nachher  denkt  man  gar  nicht  mehr  an  moderne 
Menschen,  sondern  nur  noch  an  die  alten  Herren  der  vergan- 
genen Jahrhunderte,  die  gemalt  oder  gemeißelt  einen  umgeben. 
Meist  sind  es  Familienporträts,  aber  was  für  welche!  Von  Velaz- 
quez  ein  Kardinal,  von  Tizian  ein  kleines  Mädchen  mit  einem 
Hund,  dann  Bronzinos!  Ein  paar  junge  Leute  von  15  bis  17 
namentlich!  Und  von  Sustermans,  dem  großen  Niederländer,  der 
hier  lebte  und  eigentlich  nur  hier  zu  finden  ist.  Die  Mutter  des 
Papstes  Clemens  XII.  war  eine  Strozzi.  Hier  hängt  ihr  jugend- 
liches, im  Palazzo  Corsini  ihr  späteres  Bildnis,  beide  von  Suster- 
mans. In  dem  größten  Zimmer  die  militärischen  Größen  der 
Familie:  Mar6chal  von  Frankreich,  Kommandant  von  Malta  usw. 
—  aber  keine  Allongeperücken  darunter,  alles  16.  höchstens 
17.  Jahrhundert,  in  den  Ecken  noch  einige  Rüstungen.  Und 
mitten  in  der  sonst  durchgängig  vornehmen  Rokokoeinrichtung 
einzelne  Prachtmöbel  aus  der  alten  Zeit,  namentlich  eine  Eiesen- 
truhe,  zwei  zierliche  Stühle  und  ein  prachtvoller  „Hochsitz".  Das 
ist  das  einzige  entsprechende  Wort  dafür;  „Thron"  würde  einen 
falschen  Begriff  geben,  „Sofa"  einen  noch  falscheren.  Diese 
Sachen  gehören  zum  Schönsten,  das  man  an  reinen  Renais- 
sance-Schnitzereien sehen  kann.  Natürlich  tadellos  erhalten 
und  neu  vergoldet,  aber  es  stört  hier  nicht,  mag  es  auch  vorher 
malerischer  ausgesehen  haben.  Dann  vor  allen  Dingen  die 
alten  Marmorbüsten:  auf  der  großen  Truhe  steht  der  alte 
Filippo  Strozzi,  der  den  Palast  bauen  ließ,  vom  Baumeister  Bene- 
detto  da  Majano  gemeißelt,    ein  altes  häßlich-kluges,   gutmütiges 


—     116     — 

Gesicht,  mit  kurzgeschorenen  Haaren,  jede  Runzel  und  Furche 
der  lederartigen  Haut  getreulich  nachgeahmt,  mit  fast  Denner- 
scher  Treue.  In  einem  anderen  Zimmer,  auch  von  den  beiden 
besten  Bildhauern  ihrer  Zeit,  die  Büsten  seines  Sohnes,  mit  ener- 
gischem augenehmen  Bonvivantgesicht  und  dessen  Frau  mit  halb- 
geschlossenen Augen,  sanft  lächelnd  niederblickend,  wunderhübsch. 
Dann  ein  bronzener  Johannes  Baptista  von  Donatello,  eine  kleine 
bronzene  Wiederholung  von  Michelangelos  Pietä  durch  Gian  da 
Bologna,  ein  bronzener  Löwenkampf  (ob  antik  oder  Renaissance, 
weiß  ich  nicht  mehr),  der  im  Motiv  mit  Kiss'  Amazone  in  Berlin 
verglichen  werden  kann,  ein  herrlicher  Kandelaber,  genug,  man 
ist  in  der  gewähltesten  Gesellschaft,  und  daß  die  Quantität  nicht 
übergroß  ist,  trägt  wesentlich  zum  Genuß  bei.  Aufs  reizendste 
und  taktvollste  ist  stets  vom  Strozzischen  Wappen  Gebrauch  ge- 
macht. Es  besteht  aus  drei  goldenen  Halbmonden  auf  rotem 
Grund;  .  .  .  dies  W^appen  sieht  man  nächst  den  sechs  oder  sieben 
„Pillen"  der  Medicäer  am  häufigsten  in  ganz  Florenz.  Aber  vom 
vollständigen  Wappen  mit  Helm  und  Helmdecke  machten  die 
Leute  überhaupt  selten  Gebrauch,  am  wenigsten  an  Bilderrahmen; ... 
nur  die  einzelnen  Teile  des  Wappens  wurden  ganz  ornamental 
bearbeitet,  und  niemandem  als  Wappen  kenntlich,  häufig  und 
reizvoll  angewandt,  so  z.  B.  die  Halbmonde  als  zierliche  Friese, 
der  Falk,  der  sich  seine  Federn  ausrupft  (im  Wappen  auf  dem 
Helm  sitzend),  als  Füllung  einer  leeren  Kreisfläche,  an  Ecken  des 
Kandelabers  usw.  Das  vollständige  Wappen  erinnere  ich  mich 
nur  flach  in  Holz  geschnitzt,  an  zwei  Stuhllehnen  gefunden  zu 
haben,  und  zwar  kleiner  als  dieser  Briefbogen! 

Die  schönen  venezianischen  Kronleuchter,  zwei  altpersische 
Teppiche  als  Ottomanen  usw.  will  ich  nur  erwähnen,  um  das  Bild 
zu  vervollständigen  und  Dir  schließlich  auch  die  einzige  Dis- 
harmonie nicht  schenken:  das  moderne  Porträt  der  jetzigen 
Marchesa  im  letzten  Zimmer,  in  lebensgroßer,  gelbseidener  Kri- 
nolineü  Wenn  ich  mich  täglich  viele  Male  glücklich  preise,  in 
einer  Zeit  zu  leben,  in  der  wenigstens  den  Frauen  erlaubt  ist, 
sich  schön  zu  kleiden  und  in  der  man  hier  und  da  wahrhaft 
herrliche,    den    schönsten  Trachten   aller  Zeiten   zu  vergleichende 


—     117     — 

Gestalten  zu  sehen  bekommt  —  dann  tat  ich  es  da  erst  recht. 
Wie  war  es  möglich?!!!  Und  kann  dergleichen  wieder  möglich 
werden?!!!  .  .  . 

Wenn  Du  diesen  Brief  erhältst,  Mittwoch,  will  ich  eigentlich 
in  Arezzo  sein,  und  dann  Sonntag  früh  in  Rom. 

A  reviderla! 

Hans. 


Cortona,  8.  Februar  1877. 
Lieber  Onkel! 
Ich  habe  also  zunächst  zu  melden,  daß  ich  Florenz  verlassen 
habe,  mich  bereits  im  Flußgebiet  des  Tiber  befinde  und  ein 
Drittel  des  Weges  nach  Rom  hinter  mir  habe.  Frühmorgens 
machte  ich  mich  auf,  mit  Zurücklassung  eines  Koü'ers  und  aller 
Ölfarben,  da  ich  doch  schwerlich  zum  Malen  kommen  werde,  und 
mit  den  letzten  Resten  meines  Mammons  sowie  meines  Schnupfens 
ausgestattet,  beide  für  bescheidene  Ansprüche  vorläufig  genügend. 
^j^l  ging  der  Zug  ab,  und  es  dauerte  nicht  lange,  so  wurde  die 
Gegend  im  Morgengrauen  sichtbar.  Den  ersten  Teil  des  Weges, 
zugleich  den  schönsten,  kannte  ich  bereits  von  einem  Ausflug  her. 
Bis  dahin  ist  das  Ufer  felsig,  und  schöne  Brücken,  auch  halb 
zerstörte,  schwingen  sich  über  den  Arno,  der  jetzt  freilich  höchst 
friedlich  dahin  schleicht  und  von  seiner  gelegentlichen  Wildheit 
nichts  ahnen  läßt.  Aber  man  sieht  hier  allerlei  Spuren  davon. 
Übrigens  gab  er  uns  im  Dezember  auch  in  Florenz  ein  Beispiel 
seines  eigentlichen  Charakters,  indem  er  sein  Bett,  welches  er 
z.  B.  meiner  damaligen  Wohnung  gegenüber  nur  halb  ausfüllt, 
bis  dicht  unter  den  Brückenbogen  hinauf  brausend  und  schäumend 
erfüllte,  so  daß  einem  um  den  alten  Ponte  vecchio  mit  all  seinen 
Juwelenläden  Angst  und  Bange  werden  konnte.  —  Das  Land  ist 
hier  wunderschön,  überall  Spuren  menschlicher  Tätigkeit:  Städt- 
chen, Dörfer,  Villen,  Kastelle,  Klöster  und  einzelstehende 
Häuser,  wohin  man  sieht.  Das  Land  mit  größter  Sorgfalt  be- 
baut, die  Furchen  mit  einer  so  sauberen  Akkuratesse  gezogen,  wie 
ich  es  sonst  nirgends  gesehen  habe;    dazwischen  Maulbeerbäume 


—     118     — 

mit  Weingeranke  daran,  jetzt  freilich  in  der  dürren  Kalilheit  ein 
trister  Anblick,  meist  sehen  sie  aus  wie  Karikaturen  auf  den 
Laokoon,  der  sich  den  Schlangen  zu  entwinden  sucht,  oder,  wenn 
man  weniger  klassisch  gestimmt  ist,  wie  ein  stämmiger  Kerl, 
der  von  einem  dünnen,  lebhaften  Lackel  geprügelt,  geschupst, 
geknufft  wird,  sich  aber  im  Gefühl  seiner  Kraft  ziemlich  ruhig 
dagegen  verhält;  nur  selten  sieht  man  ein  Ringerpaar,  bei  welchem 
der  dürre  Wein  durch  irgend  einen  kühnen  unverschämten  Sprung 
seinen  Gegner  wirklich  zu  überwinden  oder  doch  wenigstens  ge- 
hörig ..beim  Krips''  zu  haben  scheint.  Ihr  seht,  die  Lektüre  von 
Onkel  Erwins  Briefen  mit  ihrem  Bilderreichtum  wirkt  ansteckend. 
Aber  ich  verfalle  dabei  ins  Prosaische! 

Die  toskanischen  Häuser  haben  eine  einfache  Grundform, 
das  Türmchen  dient  meist  als  Taubenschlag,  das  Erdgeschoß  als 
Stallung.  Durch  An-  und  Umbauten  aller  Art  entsteht  jedoch 
die  größte  und  reizvollste  Mannigfaltigkeit,  die  sich  denken  läßt, 
keines  gleicht  dem  andern,  und  unsere  norddeutschen  Strohdach- 
häuser, so  hübsch  sie  in  ihrer  Art  sind,  scheinen  im  Vergleich 
damit  doch  höllisch  langweilig.  Unter  den  kleinen  Kirchtürmen 
mit  ihren  offenen  Glockenstühlen  herrscht  ebenfalls  der  größte 
Wechsel. 

Gegen  zehn  kommt  man  in  Arezzo  an,  welches  bergwärts 
ziemlich  steil  liegt.  Es  hat  ca.  40000  Einwohner  und  macht 
einen  leidlich  lebhaften  Eindruck.  Jch  dachte  an  Nordhausen, 
was  freilich  ein  schlechtes  Komj)liment  für  Arezzo  ist,  von  dem 
dort  herrschenden  allgemeinen  Branntweinduft  ganz  abgesehen. 
Es  gibt  viel  Schönes  hier  zu  sehen.  Obenan  den  Dom,  „eine  der 
schönsten  gotischen  Kirchen  Italiens".  Mit  Ausnahme  der  S.  Ana- 
stasia  in  "Verona,  jedenfalls  die  schönste,  die  ich  bisher  gesehen 
habe;  eine  Ähnlichkeit  mit  S.  Maria  Novella  in  Florenz  fällt 
sofort  auf,  aber  die  Pfeiler  stehen  dichter  und  das  Gewölbe  ist 
höher  oder  es  scheint  wenigstens  so.  Dazu  keine  Restaurations- 
verpfuschungen  wie  in  fast  allen  Florentiner  Kirchen.  Besonders 
interessant  die  Glasfenster  vom  Dominikanermönch  Wilhelm  von 
Marseille,  ohne  architektonische  Umrahmung,  wirkliche  Bilder 
nachahmend,    also    ganz    modern,    aber    doch    von    angenehmer 


—     119     — 

Wirkung.  Die  Farben  scbön  und  bunt,  aber  oft  große  architek- 
tonische Hintergründe  wie  bei  Paolo  Veronese.  In  einigen 
anderen  schmäleren  Fenstern  übrigens  auch  einzelne  große 
Heiligengestalten  unter  Baldachinen,  teilweise  von  großer  Schön- 
heit, alles  derartige  in  Florenz  übertreffend.  Von  demselben 
Wilhelm  von  Marseille  in  einer  anderen  Kirche  sehr  feine  kleine 
Glasfenster,  die  in  der  freien  schwungvollen  Benützung  des  Orna- 
ments mich  au  den  Münchner  Rudolf  Seitz  erinnerten.  —  Außer- 
dem im  Dom  ein  überreich  geschnitzter  Marmoraltar  von  Gio- 
vanni Pisano,  anno  1286  und  große  und  schöne  Grabdenkmäler 
eines  berühmten  ghibellinischen  Erzbischofs  und  eines  Papstes 
(Gregor  X.)  aus  ähnlich  früher  Zeit,  einige  der  schönsten  und 
größten  Robbias,  die  ich  gesehen  habe,  und  schließlich  sehr  inter- 
essante Gewölbemalereien,  ebenfalls  von  Dominikanern  gemalt, 
gleichzeitig  mit  den  Glasfenstern;  Geschichten  des  Alten  Testa- 
ments mit  allegorischen  Figuren  in  den  Zwickeln,  in  denen  zum 
Teil  michelangelesker  Einfluß  aus  der  sixtinischen  Kapelle  zu 
erkennen  ist.  Zuerst  glaubte  ich  schon  Vorbilder  Michelangelos 
gefunden  zu  haben!!  Der  ganze  Raum  herrlich  einheitlich, 
dunkel,  obendrein  von  nicht  gerade  unangenehmen  Knabenstimmen 
unisono  erfüllt.  Nur  einen  Sonnenstrahl  hätte  ich  mir  gern  er- 
beten, aber  damit  war's  den  ganzen  Tag  nichts,  nur  am  Spät- 
abend auf  der  Weiterfahrt  schob  sich  die  dunkle  Wolkenwand 
wie  eine  Riesenkulisse  allmählich  beiseite  und  ließ  den  goldnen 
Abendhimmel  mit  vielen  rosigen  Lämmerwölkchen  sehen.  Hoffent- 
lich schiebt  sie  sich  über  Nacht  nicht  wieder  davor,  denn  Sonnen- 
schein gehört  eigentlich  doch  dazu,  und  ich  nehme  lieber  einige 
Grad  Kälte  mehr  dafür  in  Kauf.     Lieber  freilich  ohne  diese. 

Von  den  vielen  anderen  Kirchen  will  ich  Dir  nichts  erzählen, 
da  es  doch  nur  auf  eine  Aufzählung  der  Xamen  herauskäme,  die 
obendrein  doch  immer  dieselben  sind:  S.  Domenico,  San  Fran- 
cesco, Santa  Annunziata  usw.  —  Übrigens  sah  ich  hier  wenig- 
stens einen  schwachen  Versuch  zum  Karneval.  In  Florenz  ist 
nämlich  absolut  nichts  los,  weniger  vielleicht  als  in  Ham- 
burg. Aber  hier  durchzogen  doch  einige  maskierte  Personen, 
meist  in  langen  weißen  Nachthemden,    mit  bunten  Bändern  und 


—     120     — 

Schärpen  herausgeputzt,  die  Straßen;  wohl  meist  Landleute,  die 
sich  in  der  Stadt  „amüsieren"  wollten  und  sich  nun  wahrschein- 
lich ziemlich  hereingefallen  vorkamen.  Sie  wurden  nur  mit  einem 
gewissen  höhnischen  Mitleid  angeguckt  und  gingen  ziemlich  trüb- 
selig dahin,  oder  schrien  und  piepten  etwas,  um  ihre  ungemüt- 
liche Stimmung  zu  verbergen.  Gerade  als  eine  Militärkapelle  auf 
einem  kleinen  Platz  am  Corso  zu  spielen  begann,  was  die  Sache 
vielleicht  etwas  tideler  gemacht  hat,  wurde  es  Zeit  für  mich,  an 
die  Bahn  zu  gehen. 

Arezzo  ist  die  Geburtsstadt  vieler  großer  Leute:  Pietro  Are- 
tino,  Petrarca,  Guido  von  Arezzo,  der  Erfinder  des  Notensystems 
(IL  Jahrhundert),  dem  man  auch  ein  Standbild  gesetzt  hat^ 
welches  ich  jedoch  nicht  finden  konnte.  Ich  hatte  schon  an  den 
anderen  genug. 

Ferner  lebte  Vasari  hier,  baute  auch  eine  recht  inter- 
essante Kirche,  Kaufmannsloggien  usw.  Sein  Haus  ist  erhalten, 
und  obgleich  jetzt  anderweitig  bewohnt,  noch  gut  in  Stand, 
Fresken,  Plafonds  usw.  alles  von  ihm  selbst  ausgemalt.  Auch 
sein  Garten  hat  damals  schwerlich  viel  anders  ausgesehen  als  heute, 
nur  etwas  ordentlicher.  Aber  die  symmetrisch  angeordneten 
Beete  mit  den  engen  Stiegen  dazwischen,  die  kleinen  ßosenlauben 
mit  steinernen  Tischen  und  Bänken,  von  denen  aus  man  in  die 
steile  Straße  hinabsehen  kann,  waren  wahrscheinlich  vor  300  Jahren 
ebenso  angelegte  Der  große  Baum  freilich,  den  er  sich  in 
Ermangelung  wirklicher,  an  die  eine  Wand  seines  Hauses  gemalt 
hatte,  ist  arg  verwittert  und  kaum  noch  zu  erkennen.  Ein  gut 
Teil  Phantasie  mag,  als  er  noch  „frisch"  war,  dazu  gehört 
haben,  um  sich  an  ihm  zu  erfreuen.  Bilder  von  Vasari  sind 
natürlich  in  ziemlicher  Anzahl  hier  zu  sehen,  auch  außerhalb 
seines  Hauses.  Sie  tragen  alle  denselben  ziemlich  nichtssagenden 
Charakter.  Sie  sind  nicht  schlecht,  aber  man  vergißt  sie  sehr 
bald  wieder.  Viel  besser  sind  seine  Porträts,  und  dann  war  er 
für  seine  Zeit  doch  immerhin  einer  der  tüchtigsten  Architekten 
(die  Uffizien  in  Florenz  sind  von  ihm).  Als  Kunstschriftsteller 
bleibt  er  jedoch,  trotz  aller  Unrichtigkeiten,  unersetzlich. 


—     121      - 

Perugia,  9.  Februar  1877. 
Um  Y^ö  fuhr  ich  von  Arezzo  ab  und  war  um  sechs  in  Cor- 
tona.  Die  Sonne  war  schon  untergegangen,  und  als  ich  oben  in 
die  Stadt  ankam,  war  es  Nacht.  Cortona  ist  nämlich  ein  Felsen- 
uest,  eine  der  alten  12  Städte  Etruriens  und  liegt  hoch  auf 
einem  ÜUO  Meter  überm  Meer  aufragenden  Berg,  also  viel  viel 
höher  als  z.  B.  Marburg.  Der  Omnibus  braucht  ca.  ^/^  Stunden 
von  der  Station  bis  zur  Stadt  hinauf.  Anfangs  beobachtete  ich 
noch  die  schönen  mannigfaltigen  Silhouetten  der  Ölbäume  gegen 
den  roten  Abendhimmel,  dann  aber  döste  ich  ein  und  ging 
schließlich  mit  meinem  vis-ä-vis,  einem  „Reisenden"  (Commis 
voyageur),  in  den  Albergo  nazionale,  den  er  mir  dringend  empfahl, 
indem  er  behauptete,  die  „Stella'',  die  in  meinem  Führer  gerühmt 
war,  existiere  nicht  mehr.  Letzteres  war  freilich  nicht  wahr,  aber 
ich  bereute  es  doch  nicht,  mit  ihm  gegangen  zu  sein.  Es  war 
ganz  gut  und  ziemlich  originell.  Zuerst  glaubte  ich,  schrecklich 
hereingefallen  zu  sein.  Das  Wirtshaus  war  nämlich  von  außen 
vollkommen  unkenntlich:  man  tappte  eine  enge  dunkle  Stiege 
hinauf,  pochte  heftig  an  eine  Tür  und  wurde  dann  über  einen 
langen  dunkeln  Korridor  in  das  Wirtszimmer  geführt,  dessen 
Wände  freilich,  da  die  Leute  bei  dem  geringen  Fremdenverkehr 
nebenbei  auch  noch  ein  Maskenverleihungsgeschäft  angefangen 
haben,  dicht  mit  Maskenanzügen  garniert  waren.  Das  Abendessen 
war  jedoch  gut;  der  Wirtin  Töchterlein  zwar  nicht  hübsch,  hatte 
vielmehr  den  hier  häufig  vorkommenden  chinesisch  katzenartigen 
Gesichtstypus  mit  Stumpfnase,  hinkte  auch  ein  wenig,  war  aber 
ganz  munter;  der  Commis  voyageur  war  ein  ganz  netter  Kerl 
und  amüsierte  sich  königlich,  die  paar  Brocken  Deutsch,  die  er 
bei  einem  Aufenthalt  in  Wien  einmal  aufgeschnappt  hatte,  wieder 
an  den  Mann  zu  bringen.  Später  kam  noch  einer  seiner  Freunde, 
ein  Schweizer,  der  sich  in  Cortona  niedergelassen  hat,  und  von 
dessen  vorzüglichem  Deutsch  er  mir  schon  vorher  viel  vor- 
geschwärmt hatte.  Bei  Licht  besehen,  war  das  denn  freilich  so 
wenig,  daß  wir  die  Unterhaltung  doch  bald  auf  italienisch  fort- 
setzten. Dieselbe  war  natürlich  nichts  weniger  als  geistreich, 
aber  in  fremder  Sprache  ist  man  stets  genügsam,  lacht  laut  über 


—     122     — 

Witze,  für  die  man  im  Deutschen  kaum  ein  Lächeln  oder  Achsel- 
zucken übrig  gehabt  hätte  und  kommt  sich  wie  ein  Voltaire  vor, 
wenn  mau  etwa  selbst  einen  Kalauer  geleistet  hat,  den  man  in 
der  eignen  Sprache  entweder  überhaupt  sich  verkniffen  hätte  oder 
doch  wenigstens  schamrot  geworden  wäre.  —  Die  Freunde  gingen 
dann  noch  etwas  ,,ballare"  —  wovon  mein  Freund  anderen  Tages 
Katzenjammer  hatte  —  ich  aber  schrieb  mit  rotlila  Tinte  vor- 
ausgehendes und  verfügte  mich  vor  elf  ins  herrliche,  große  und 
prachtvoll  gewärmte  Bett. 

Anderen  Tages  war  wirklich  Sonnenschein  und  richtiger 
Frühlingstag,  zwar  stand  ich  nicht  so  früh  auf  wie  ich  beab- 
sichtigt hatte,  aber  der  Tag  war  lang  genug.  Ich  wurde  ohne- 
dies ganz  müde  von  dem  beständigen  Treppauf-  und  Treppab- 
laufen. Die  Straßen  sind  teilweise  von  unglaublicher  Steilheit, 
Fuhrwerk  kommt  in  der  Oberstadt  denn  auch  gar  nicht  vor. 
Nach  allen  Seiten  gibt  es  Terrassen  mit  Ausblicken  in  die  Weite 
und  Tiefe,  zuerst  sah  man  noch  ringsumher  den  weißen  Nebel 
liegen,  der  sogar  noch  um  1 1  Uhr,  als  ich  die  höchste  Höhe  — 
Santa  Margherita,  eine  jetzt  „gründlich"  in  Restauration  begriffene 
Kirche,  mit  Zypressenhain  daneben  —  erstiegen  hatte^  mich  nicht 
zum  Anblick  des  Trasimenischen  Sees  kommen  ließ;  am  Nach- 
mittag dagegen  sah  ich  ihn  ganz  schön  und  klar  aus  geringerer 
Höhe  daliegen.  Das  Städtchen  ist  sehr  arm,  besonders  die  Ober- 
stadt, aber  die  Leute  betteln  fast  gar  nicht.  Hier  hatte  ich 
zuerst  den  Anblick  verschiedener  charakteristischer  Züge  des 
italienischen  Volkslebens:  alte  Frauen  mit  Spindeln  unter  dem 
Arm  auf  den  sonnenbeschienenen  Haustreppen,  Mütter,  die  ihre 
Kinder  lausten,  und  gegenüber  im  Schatten,    wo  übrigens  dicker 

Reif  lag,  irgend  ein  Söhnchen,  welches  seine  Notdurft  verrichtete 

Mir  waren  die  Bilder  der  lausenden  Mütter,  mit  Ausnahme  des 
kleinen  Gerard  Dou  in  München,  nie  angenehm,  selbst  für  den 
großen  Murillo  dort  habe  ich  die  allgemeine  Begeisterung  nie 
recht  teilen  können  —  Lebensgröße  ist  wohl  etwas  zu  pretentiös 
für  den  Gegenstand  —  aber  in  natura  hat  die  Sache  wirklich 
etwas  eigenartig  Poetisches,  ein  großes  Stück  Mutterliebe  spricht 
sich  darin  aus.     Die  Sorgfalt  und  Aufmerksamkeit  auf  der  einen 


—     123     — 

Seite,  neben  der  vertrauensvollen,  behaglichen  Hingabe  des  Kindes 
hat  etwas  so  Anziehendes,  daß  ich  die  Wahl  derartiger  Motive 
ganz  erklärlich  finden  muß. 

An  Kunst  ist  nicht  arg  viel  los:  zwei  hübsche  Renaissance- 
kirchen, im  Dom  Bilder  von  Luca  Signorelli  di  Cortona,  jenem 
ersten,  der  der  Darstellung  des  Nackten  mit  Begeisterung  anhing^ 
auch  überall,  wo  es  gar  nicht  hinpaßt,  auf  Madonnen,  auf  sein 
Selbstporträt  wenigstens  im  Hintergrund  einige  Nackedeis  anzu- 
bringen wußte,  und  deshalb  eine  Art  Vorgänger  Michelangelos 
genannt  wird,  —  Im  Dom  ist  besonders  ein  sehr  schönes  Abend- 
mahl sehenswert,  bei  welchem  Signorelli,  von  der  gewöhnhchen 
Darstellung  abgehend,  den  Tisch  wegließ,  und  Christus,  durch  die 
Reihen  der  knienden  Jünger  schreitend,  das  Brot  verteilen  läßt. 
Ebenda  ein  sehr  schöner  antiker  Sarkophag,  dessen  Reliefs 
schon  von  Brunellesco  und  Donatello  bewundert  und  studiert 
wurden.  Ferner  sind  verschiedene  Bilder  von  Fiesole  vorhanden, 
der  hier  die  ersten  Jahre  seines  Mönchslebens  zubrachte.  Eins 
davon  ist  auch  in  den  Uffizien,  ich  erkannte  es  natürlich  gleich 
wieder,  aber  angesehen  habe  ich  es  doch  erst  hier.  Was  ist  das 
doch  für  ein  Unterschied,  ob  man  ein  derartiges  Bild  in  Reih 
und  Grlied  mit  allen  möglichen  andern  sehen  muß,  oder  in  der 
stillen,  friedlichen,  kleinen  Kapelle  oder  Sakristei  eines  einsamen 
Bergstädtchens,  wo  man  den  frommen  Mönch  leben  und  einher- 
gehen sieht,  mit  ihm  die  sonnigen  Stiegen  hin  ab  schreitet,  mit 
ihm  an  den  Altan  sich  lehnt  und  hinausschaut  in  das  weite 
üppige  Land,  bis  zu  den  Ufern  des  Trasimenischen  Sees,  an  denen 
Hannibal  die  Römer  schlug.  Wie  gut  kann  man  sich  den  stillen, 
den  Beato  Angelico  hier  vorstellen!  Selbst  im  Markuskloster  zu 
Florenz  haben  seine  Fresken  kaum  den  Eindruck  auf  mich  ge- 
macht wie  hier  die  kleinen  Predellen.  In  seiner  Kirche  ist  ferner 
der  vollständigst  erhaltene  Altar  jener  Zeit,  mit  unbedeutenden 
Bildern,  aber  im  ganzen  Aufbau  aller  einzelnen  größeren  und 
kleineren  Bildchen,  im  prächtig  vergoldeten  gotischen  Rahmenwerk 
macht  es  doch  einen  herrlichen  Eindruck.  Da  ich  fürchte,  daß 
keine  Photographien  existieren,  habe  ich's  mir  flüchtig  skizziert, 
bin  überhaupt  so  skizzierlustig  in  diesen  zwei  Tagen  gewesen  wie 


—     124     — 

iu  Florenz  in  Wochen  nicht.  Das  Wetter  war  aber  auch  zu 
schön!  Der  richtige  Frühling!  Und  die  ganze  belebte  Natur 
empfand  das,  besonders  die  Menschen;  alle  Fenster  und  Türen 
waren  offen,  und  das  Leben  bewegte  sich  wirklich  halb  auf  der 
Straße,  aus  allen  Fenstern  guckten  die  Mädchen  heraus  — 
hübsch  freilich  eigentlich  nicht  —  und  lachten  und  schwatzten 
mit  den  Nachbarinnen  oder  schauten  schweigend  in  die  sonnige 
dunstige  Weite  ihre  Kater  streichelnd.  .  .  . 

Nachmittags  besah  ich  dann  das  Museum,  ein  kleines  Zimmer- 
chen, zu  welchem  der  Weg  durch  verschiedene  mäßig  stattliche 
Bibliotheksräume  führt,  lang  und  schmal . . .  aber  mit  weiter  Aussicht 
über  viele  Schornsteine  und  Dächer  weg,  w^eit  über  Land  und  Berge 
und  den  See.  In  diesem  Museum  befinden  sich  allerlei  recht 
interessante  ägyptische  und  etruskische  Kleinigkeiten.  .  .  .  Ich 
interessiere  mich,  seit  ich  das  herrliche  etruskische  Museum  in 
Florenz  gesehen  habe,  sehr  für  diese  alten  Herren.  Sie  standen 
denn  doch  auf  einer  sehr  respektablen  Bildungs-  und  Kuuststufe. 
In  Florenz  sind  bronzene  Rüstungen  und  besonders  die  lebens- 
großen Statuen  eines  Redners  und  einer  Minerva,  die  wunder- 
schön sind  und  ebensogut  römisch  sein  könnten.  Die  kleineren 
Dinge  sind  oft  höchst  komisch,  aber  stets  lebendig  und  charak- 
teristisch, besonders  der  Sinn  für  die  Tierwelt  sehr  ausgebildet. 
—  Nach  der  Besichtigung  des  Museums  ging  ich  noch  etwas 
bummeln,  fand  in  einer  garstigen  Kirche  zu  meiner  Freude  auch 
ein  Altarbild,  und  zwar  ein  recht  schönes  und  würdiges  von  dem 
andern  berühmten  Cortonesen,  Pietro  nämlich,  von  dessen  be- 
rühmten Plafonds  im  Palazzo  Pitti  ich  das  letztemal  geschrieben 
hatte  .  .  .  und  ging  dann  den  Weg  zum  Bahnhof  hinunter.  Mein 
Nachtsack  war  der  einzige  Passagier  des  Omnibus.  Dieser  Berg- 
abhang im  milden  Abendsonuenschein  war  das  Alierschönste  und 
entzieht  sich  jeder  Beschreibung.  Die  glühende  Wucht  italie- 
nischen Kolorits  kenne  ich  ja  überhaui)t  noch  nicht,  aber  ich 
kann  mir  kaum  denken,  daß  ich  sie  diesem  sanften  Flimmern 
und  Schwimmen  der  Farben  vorziehen  werde,  wo  Schatten  und 
Licht  der  Berge,  blau  und  purpurn  ganz  weich  ineinander  über- 
gehen, wo  das  Grüngrau  der  Oliven,  das  Graubraun  und  Grau- 


—     125     — 

gelb  der  Häuser  und  Mauern,  die  einzelnen  braunroten  dürren 
Büsche  dazwischen  einen  unbeschreiblich  wohltuenden  Grund- 
akkord bilden,  aus  dem  nur  hier  und  da  dunkle  Zypressen  und 
schneeweiße  Häuser  (auch  die  rosaroten  sehen  oft  schön  aus)  als 
fortos  und  fortissimos  hervorleuchten.  Die  Oliven  sind  immer 
charaktervoll,  energisch  und  dabei  graziös  und  lieblich.  Der  Baum 
hat  in  der  ganzen  Welt  nicht  seinesgleichen,  weder  in  der  Pflanzen- 
noch  in  der  Menschenwelt. 

Unterwegs  besah  ich  noch  eine  interessante  Frührenaissance- 
kirche, ließ  mir  aufschließen  von  einem  hübschen,  aber  nicht  allzu 
freundlichen  jungen  Menschen,  und  als  ich  ihm  Geld  dafür  geben 
wollte,  schüttelte  er  mit  liebenswürdig-stolzem  Lächeln  den  Kopf 
und  sagte:  ,,Ich  nehme  nichts,  wollet  es  diesen  armen  Leuten 
geben"  —  die  sich  natürlich  eingefunden  hatten.  Selten  hat 
mich  etwas  so  erfreut! 

Die  Sonne  ging  rot  und  trübe  unter,  ehe  ich  die  Station 
erreichte,  und  als  wir  an  den  Trasimenischen  See  kamen,  war  es 
fast  Nacht.  Von  den  drei  hainbewachsenen  Inseln,  die  aus  „dem 
lichtgrünen  Seespiegel  hervortauchen",  war  nur  wenig  zu  sehen. 
Das  Spiegeln  übernahmen  die  Sterne,  die  Luft  war  weich  und 
lind,  wie  Frühlingsabende  bei  uns  im  März,  und  als  wir  am  schil- 
figen Ufer  des  Sees  entlang  fuhren,  und  sogar  ein  paar  Frösche 
leise  zu  quaken  begannen,  setzte  sich  das  herrliche,  ahnungs- 
reiche Frühlingsgefühl  des  Tages  auch  in  die  Nacht  hinein  fort, 
Wohl  drei  Stunden  fährt  man  hart  am  Ufer  des  Sees  hin.  Nach  8 
waren  wir  an  der  Station  Perugia,  gegen  9  in  der  Stadt,  die 
ebenfalls  hoch  und  weitab  von  der  Bahn  liegt.  .  .  . 

Assisi,  n.  Februar. 
Zu  Cortona  ist  noch  nachzuholen,  um  das  Bild  des  Weges 
bergab  zur  Station  zu  vervollständigen,  daß  viele  jener,  in  ganz 
Italien  üblichen,  zweirädrigen  Karren,  wie  immer  rotgestrichen 
und  leicht  bestaubt,  von  einem  oder  zwei  Eseln,  Maultieren  oder 
Pferden  gezogen  (eins  seitwärts  vors  andre  gespannt),  ganz  lang- 
sam und  sacht  den  trefflich  chaussierten  Weg  hinauffuhren,  ohne 
Beschwerden  und  wie  im  Traum;   die  Männer  lagen  meist  platt 


—     126     — 

auf  dem  Bauch  im  Karreu  und  schliefen,  die  klugen  Tiere  finden 
den  Weg  allein.  Neben  der  Kirche,  deren  junger  Küster  mich 
durch  seine  selbstlose  Gesinnung  so  erfreut  hatte,  spielte  eine 
Schar  geistlicher  Seminaristen  eine  Art  von  Diskuswerfen,  welches 
man  hier  viel  sieht.  Auch  das  sah  schön  aus:  all  die  schwarzen 
Gestalten  in  dem  grauen  Staub,  unter  den  zierlichen  Oliven;  die 
meisten  jungen  Leute  auf  der  Rampe  der  Straße  hockend,  wie 
immer,  möglichst  leise  und  gesetzt,  unterbrachen  auch  sie  die 
feierliche  Abendstille  nicht  durch  Schreien  und  Lärm. 

Doch  nun  Perugia!  Als  ich  gestern  morgen  aufwachte,  war 
der  Himmel  wieder  bewölkt.  Die  Schönheit  der  Stadt  kam  erst 
heute  an  einem  Sonntagmorgen  zur  vollen  Geltung.  Trotzdem 
ist  die  Lage  so  einzig  schön,  daß  sie  auch  ohne  Sonnenschein 
schon  imponierend  genug  wirkt.  Perugia  liegt  100  m  minder 
hoch  als  Cortona,  aber  500  m  über  dem  Meer  bleibt  immerhin 
noch  eine  ansehnliche  Höhe.  Es  hat  50000  Einwohner  und 
macht  einen  ganz  belebten  Eindruck,  weder  kleinstädtisch  noch 
arm.  Die  Hauptstraße,  der  Corso,  mit  Rathaus,  Dom  usw.,  läuft 
den  Rücken  des  Berges  entlang,  und  die  Nebenstraßen  fallen  wie 
die  „Gruben"  in  Lübeck  nach  beiden  Seiten  ab.  Aber  die 
Steigungen  sind  hier  viel  bedeutender  und  teilweise  für  Fuhr- 
werk ganz  unpassierbar,  der  „Fahrweg"  sogar  bisweilen  mit 
breiten  Stufen  versehen,  für  die  guten  Esel,  die  oft  hochbepackt 
mit  Säcken  voll  Holzkohle,  trockuem  Reisig,  Körben  voll  Obst 
oder  Geflügel  ganz  munter  hinauf  klettern.  Und  dabei  sind  sie 
hier  nicht,  wie  in  Florenz  durchgängig,  mit  Troddeln  und  Schellen 
geschmückt.  Die  Fußwege  zu  beiden  Seiten,  ohne  Stufen,  sind 
sehr  schwer  zu  benutzen.  Ich  kam  sowohl  beim  Hinauf-  wie 
beim  Hinabgehen  mehrfach  ins  Rutschen.  Übrigens  taxiere  ich 
die  Peruginer  für  gut  bewadet.  Dies  viele  Steigen  muß  sehr 
günstig  darauf  wirken. 

Außer  der  größern  Steilheit  ist  die  Bildung  des  Terrains 
auch  viel  mannigfaltiger  als  in  Lübeck,  durch  verschiedene  Seiten- 
arme des  Hauptstocks,  die  dann  wieder  ihre  eignen  „Gruben" 
haben;  es  ist,  um  botanisch  zu  reden,  der  Unterschied  eines  ge- 
fiederten und  doppelt  gefiederten  Blattes.    Ich  kenne  keine  schöner 


—     127     — 

gelegene  Stadt.  Der  Reichtum  an  schönen,  sich  aufbauenden 
Silhouetten,  mit  Ausblicken  in  die  Weite  ringsum,  ist  unerschöpf- 
lich. Man  sieht  oft  zugleich  über  Dächer  hinweg,  in  Häuser 
hinein,  andre  ragen  daneben  steil  und  hoch  empor.  Dabei  ist 
die  Bauart  im  allgemeinen  architektonisch  wenig  bemerkenswert. 
Der  Reiz  liegt  darin,  daß  das  Ganze  so  „gewachsen"  erscheint 
wie  ein  Naturprodukt.  Ich  denke  mir,  daß  Ludwig  Richter  hier 
Studien  gemacht  hat.  —  Übrigens  gibt's  auch  allerlei  hervor- 
ragende Gebäude,  die  von  der  alten  Herrlichkeit  zeugen.  Der 
Dom  ist  recht  groß,  seine  gleichhohen  Schiffe  ruhen  auf  sehr 
schlanken,  sechseckigen  roten  Marmorsäulen  mit  goldenen  Kapi- 
tellen. Leider  ist  er  in  der  schlimmsten  Zeit  der  neuerwachenden 
Begeisterung  für  Gotik  restauriert;  namentlich  erfreut  er  sich 
schauerlicher  Glasfenster.  Nur  eins,  wahrscheinlich  aus  aller- 
jüngster  Zeit,  gegenüber  einem  alten,  von  dem  schon  mehrfach 
erwähnten  Wilhelm  von  Marseille  (Marcillot)  ist  sehr  hübsch  ge- 
raten und  hat  eine  milde  Kraft  der  Farben  wie  gute  Peruginos. 
Von  außen  ist  der  Dom,  wie  beinahe  alle  gotischen  Kirchen  in 
Italien,  die  ich  gesehen  habe,  unvollendet  und  sieht  höchst  ruppig 
aus.  Daran  bin  ich  aber  schon  gewöhnt.  Ob  er,  wenn  man  die 
an  einer  Ecke  begonnene  Marmoriukrustation  (rot  und  weiß)  durch- 
geführt hätte,  viel  schöner  aussähe,  möchte  ich  sogar  auch  noch 
bezweifeln.  Diese  Hosenzeugmuster  in  Marmor  sind  in  der  ganzen 
Gegend  beliebt. 

An  der  andern  Seite  des  Platzes  liegt  das  Rathaus,  ein  herr- 
licher gotischer  Bau,  nicht  so  gewaltig  wie  der  Palazzo  vecchio 
in  Elorenz,  aber  reicher  und  liebenswürdiger  und  doch  sehr  ernst 
und  stattlich.  Besonders  malerisch  ist  die  Schmalseite  mit  ihren 
vielen  Treppen  und,  hoch  über  einer  Seitentür,  auf  weit  vor- 
springenden Konsolen,  zwei  große  Bronzebestien,  Löwe  und  Greif, 
die  von  einem  alten  Brunnen  stammen,  aber  schon  1358  hier 
angebracht  waren;  seit  diesem  Jahre  tragen  sie  an  einer  langen 
Kette  einen  Wagenbalken,  eine  Siegestrophäe  aus  den  Kämpfen 
mit  Siena.  Auf  dem  Platz  steht  ein  riesiger  dreischaliger  Brunnen 
aus  dem  Jahre  1277,  mit  reichem  Bildwerk  von  den  Pisanos  und 
Arnolfo  di  Cambio,  dem  Baumeister  des  Florentiner  Doms.     Im 


—     128     — 

Erdgeschoß  sind  die  Räume  des  Bankkollegiums  und  Wechselgerichts 
der  Stadt,  das  Cambio,  ein  größerer  in  der  Mitte,  ein  kleinerer 
und  eine  Kapelle  daneben.  Der  größere  ist  Peruginos  Werk,  und 
dafür  sollen  ihm  all  seine  süßen  Madonnen  verziehen  sein.  Es 
ist  das  vollendetste,  was  ich  in  der  Art  kenne,  ganz  dem  Bild 
entsprechend,  das  mir  für  einen  derartigen  Raum  vorschwebte. 
Beschreiben  läßt  sich  dergleichen  nicht  gut,  besonders  da  das 
Dargestellte  teilweise  uns  unverständlich  gewordene  Allegorien 
von  Herrschertugenden  (in  der  Luft  sitzend,  mit  Schrifttafeln  in 
der  Hand)  und  antike  oder  alttestamentarische  Repräsentanten 
derselben  sind,  die  ohne  Gruppierung  nebeneinander  stehen. 
Dagegen  ließe  sich  wohl  vieles  einwenden.  Aber  alles  ist  so 
herrlich  in  den  Verhältnissen  und  besonders  so  reich  und  satt 
und  mild  in  der  Farbe,  daß  man  sich  gleich  beim  Eintreten 
wünscht,  Handelsrichter  in  Perugia  zu  sein.  Da  muß  gut  sitzen 
und  Rechtsprechen  sein!  Auch  die  Intarsien  und  Schnitzereien, 
welche  an  der  einen  Seite,  wo  die  erhöhten  Sitze  für  die  Richter 
sich  befinden,  bis  zur  Decke  hinaufreichen,  sind  nach  Peruginos 
Zeichnung  und  sehr  berühmt.  .  .  .  Überhaupt  gibt's  viel  schönes, 
holzgeschnitztes  Stuhlwerk  in  Perugia.  Doch  will  ich  Euch  nicht 
wieder  mit  der  Beschreibung  aller  Kirchen  und  ihrer  Sehens- 
würdigkeiten langweilen.  Es  kommt  doch  immer  aufs  selbe  hinaus. 
Hier  obendrein  immer  auf  Perugino  oder  scuola  Perugino,  die 
man  (ich  wenigstens)  bald  satt  kriegt,  so  schön  manches  ja  ohne 
Frage  ist.  Die  Galerie,  sehr  gut  in  einer  unbenutzten  zopfigen 
Kirche  aufgestellt,  macht  zuerst  etwa  denselben  monotonen  Eindruck 
wie  eine  Melbye- Ausstellung,  fast  noch  gleichmäßiger.  Sehr  wohl  ge- 
fielen mir  einige  Pinturicchios,  von  besonders  schöner  Farbe, 
doch  am  liebsten  waren  mir  auch  hier  wieder  einige  Fra  Angelicos ! 
Was  seine  kleinen,  einzelstehenden  Heiligenfiguren,  oft  nicht  höher 
als  ein  Briefbogen  (ursprünglich  Füllungen  in  den  goldenen  Um- 
rahmungen größerer  Altarbilder),  für  eine  Schönheit,  Würde  und 
Anmut  haben,  davon  habe  ich  früher  keine  Ahnung  gehabt.  Die 
gewöhnliche  Auffassung  Frisoles  ist  ja  die,  daß  er  der  Maler  der 
selig  Verklärten  und  der  Süßigkeit  des  Paradieses  ist.  Aber  daß 
er    daneben  auch    die   ernsteste  Männlichkeit  in  strenger  Feier- 


—     129     — 

lichkeit  zwar,  aber  auch  mit  gründlichem  Studium  der  Natur, 
besonders  in  den  Köpfen,  darstellen  kann,  das  wird  nur  zu  oft 
übersehen.  Und  bei  Gestalten  dieser  Art  werden  auch  seine  Farbe 
und  Zeichnung  meist  ganz  anders:  die  Falten  seiner  Engelchen 
haben  meist  ein  sehr  allgemeines  schablonenhaftes  Gepräge  (wie 
(Jnkel  Erwins  in  früherer  Zeit  ja  auch),  und  die  Farbe  besteht 
in  Hellblau,  Rosa,  Zinnober  und  Gold,  oft  in  unglaublich  naiver 
Geschmacklosigkeit;  das  ist  aber  sowohl  bei  seinen  Fresken  in 
San  Marco,  wie  auch  besonders  bei  derartigen  kleinen  Figuren 
ganz  anders.  Da  sind  Zeichnung  und  Farbe  oft  nicht  nur  sehr 
ernst,  sondern  von  geradezu  hervorragender  Schönheit. 

Übrigens  war  gerade  Markttag  (Sonnabend)  in  Perugia,  und 
ich  konnte  an  den  Typen  und  Kleidern  der  Leute  merken,  daß 
ich  Rom  näher  kam.  Die  Haut  war  dunkler,  Augen  und  Haar 
schwärzer  als  in  Florenz,  und  der  Schnitt  des  Gesichts  oft  von 
klassisch  vornehmer  Strenge,  besonders  bei  Frauen  von  zirka 
40  Jahren;  Schönheiten  sah  ich  jedoch  nicht,  nur  ein  blondes 
Backtischchen  im  Typus  peruginesker  Madonnen  könnte  ich  dazu 
rechnen.  Aber  ihr  süßes  Lächeln  war  so  schalkhaft,  munter  und 
unbewußt,  daß  ich  sie  all  dem  peruginesken  Gebimmel  bei  weitem 
vorzog.  —  Die  Tracht  ist  in  der  Form  die  allgemeine  charakter- 
lose europäische  Bauerntracht,  aber  die  Farbe  wirkt  heller  und 
bunter,  je  weiter  man  nach  Süden  kommt.  Bei  uns  ist  Dunkel- 
blau die  Lieblingsfarbe,  in  Florenz  sieht  man  Halstücher,  Blusen 
und  Schürzen  vorzugsweise  Rotgelb  und  Rotviolett,  die  Röcke  und 
auch  wohl  die  Wämser  dagegen  meist  Braun,  Grau  und  Schwarz. 
Hier  sind  Rot,  Gelb  und  Weiß  schon  fast  die  allgemeinen  Farben, 
auch  für  die  Röcke,  die  oft  aus  Kattun  sind,  wie  unsere  Dienst- 
mädcheukleider,  nur  größer  und  bunter  gemustert.  Ja,  ich  sah 
Bauerfrauen  ganz  in  Weiß  oder  Hellgelb,  so  daß  die  Hände  auf 
solchem  Grunde  von  mohrenartiger  Dunkelheit  erscheinen.  Dabei 
nimmt  der  Schmuck  zu,  die  Ohrringe  werden  größer,  die  Hals- 
ketten länger  und  dicker,  besonders  sieht  man  auch  viel  große 
rote  Korallenketten.  .  .  . 

Heute,  Sonntag,  morgen  war  himmlisch  schönes  Wetter,  und 
ich  glücklicherweise  beizeiten  auf.    Ich  ging  gleich  bis  zum  alten, 

Schapire,  Haus  Speckters  Briefe.  9 


-     130     — 

hohen,  schwarzen  Tor  des  Augustus,  jetzt  fast  mitten  in  der 
Stadt,  durch  welches  eine  steile  Straße  zu  einem  netten  kleinen 
Plätzchen  hinabführt.  Hier  war  munteres  Treiben:  man  schlug 
Tribünen  auf  und  schmückte  sie  mit  bunten  Fetzen,  umwand  die 
Säulchen  über  dem  alten  Tor  mit  grünen  Lorbeergirlanden, 
Kränzen,  Fähnchen  und  wimmelte  in  fröhlicher  Festeserregung 
auf  und  ab.  Sogar  die  Bettler  vertauschten  ihr:  per  la  grazia 
della  Madonna  bisweilen  mit  per  la  grazia  di  Carnevale!  Wer 
konnte  da  widerstehen?!  Und  in  diesem  ganzen  ärmeren  Stadt- 
teil war  dieselbe  Stimmung:  da  sah  man  alte  Mütterchen  mit 
einem  Packen  rot-weiß-grüner  Fähnchen  unter  dem  Arm  einher- 
humpeln,  hübsche  Mädchen  ihr  Fenster  schmücken,  Kerle  auf 
langen  Leitern  stehend,  Girlanden  mit  Papierlaternen  über  die 
Straßen  spannen,  oder  Tribünen  benageln  u.  dgl.  Die  Kirchen 
waren  für  einen  Sonntag  recht  leer. 

Mein  Weg  führte  mich  ans  äußerste  Nordende  der  Stadt, 
wo,  hochgelegen,  eine  frühchristliche  sechzehneckige  Kirche  mit 
Oberlicht  steht,  die  ich  noch  besichtigen  mußte.  Das  war  bald 
getan.  Aber  viel  schwieriger  war  es,  sich  von  der  Fernsicht  zu 
trennen,  die  ich  an  der  Außenseite  der  Stadtmauer  hatte.  Das 
war  das  schönste  Sonntagmorgen -Panorama  meines  Lebens:  die 
Stadt  duftig,  von  hinten  beleuchtet,  unter  mir  die  Täler  noch 
voll  Nebel,  aber  die  Bergzüge  klar  und  licht,  und  manche  Giebel 
hellerglänzend  von  weißem  Schnee,  besonders  gegen  Osten  zu, 
wo  ich  am  Abend  zuvor  Assisi  ganz  deutlich  hatte  liegen  sehen, 
den  heiligen  Boden,  dessen  Anblick  auch  mich  mit  Ehrfurcht 
erfüllte.  Die  Sonne  schien  so  wohlig  warm,  einzelne  Fliegen 
summten  schon  umher,  sogar  einige  noch  nicht  verspeiste  Vögel 
flatterten  in  der  Nähe.  Marienblümchen  sproßten  schon  hervor, 
und  der  Frühling  tat  sich  überall  kund.  Dazu  ab  und  zu  ein 
feierlicher  Glockenschlag,  und  aus  der  Ferne  einzelne  fröhliche 
Menschenlaute  und  ein  schlichtes,  nur  dank  der  Ferne  melo- 
disches Pfeifen  —  doch  ich  mußte  fort  in  die  Pinakothek,  von 
der  ich  schon  gesprochen  habe.  Ich  verschiebe  es  meist  bis  zu- 
letzt, die  Galerien  zu  besehen,  sie  sind  mir  nun  einmal  un- 
sympathisch, wie   Du  weißt.     Von   allen,    die  ich  noch  gesehen, 


—     131     — 

ist  freilich  die  Aufstellung  dieser  in  einer  unbenutzten  Kirche  die 
angenehmste,  außerdem  das  Licht  vortrefflich.  Viel  länger  als 
eine  Stunde  blieb  ich  aber  doch  nicht  drin,  sondern  bummelte 
noch  etwas  herum,  zuletzt  nochmals  im  Dom.  ,  .  . 

Bald  hinter  Perugia  fährt  man  zum  erstenmal  über  den 
Tiber,  und  dann  eine  Zeitlang  neben  ihm.  Er  ist  trüb,  grau- 
grün, am  Ufer  standen  zu  beiden  Seiten  kahle,  dünne  Bäume, 
zum  Teil  von  Efeu  berankt.  Nach  einer  Stunde  ist  man  in 
Assisi.  Sie  hat  unter  all  diesen  Städten  die  vornehmste  Lage! 
Sie  liegt  nicht  oben  auf  der  Spitze  eines  Berges  wie  die  andern, 
sondern  streckt  sich  auf  halber  Höhe,  am  Abhang  eines  großen, 
kahlen,  oben  schneebedeckten  Berges,  stolz  und  königlich  aus, 
sowie  man  sich  Sparta  oder  Korinth  oder  andere  alte  Königs- 
städte  denkt,  ganz  anders  freilich,  als  ich  mir  die  Heimat  des 
demütigen  Apostels  der  Armut  vorgestellt  hatte.  Aber  eine  weit 
größere  Enttäuschung  als  diese  folgt  dann:  der  Kampf  mit  einem 
halben  Dutzend  Kutschern,  die  einem  das  Gepäck  fast  mit  Ge- 
walt entreißen,  um  sich  der  Fahrt  zur  Stadt  hinauf  zu  versichern. 
Fremde  sind  hier  ein  ganz  rarer  Artikel,  ich  glaube,  ich  war  der 
einzige  im  Zug.  Sie  täuschten  sich  diesmal  alle,  denn  ich  ließ 
mein  Gepäck  im  Deposito  an  der  Station  und  ging  zunächst  nach 
S.  Maria  degli  Angeli,  einer  großen  Kuppelkirche,  die  nahe  der 
Bahn  im  Tal  gelegen  ist.  Hier  war  es,  wo  St.  Franziskus  1207 
in  einer  ganz  kleinen  Kapelle,  seinem  Lieblingsaufenthalt,  die 
Worte  vernahm:  „Ihr  sollt  weder  Gold  noch  Silber  in  euren  Gürteln 
tragen,  weder  Schuhe  noch  Stab  haben!''  und  ausrief:  „Dies  ist, 
was  ich  suche!"  Die  kleine  Kapelle  steht  noch  mitten  unter  der 
hohen  Kuppel  und  wirkt  nicht  größer  als  ein  Altar.  In  ihrem 
Giebeldreieck  malte  Overbeck  1829  das  bekannte  „Rosenwunder 
des  heiligen  Franziskus'^  (Karton  in  der  Bibliothek  zu  Lübeck). 
Es  war  mir  stets  eine  liebe  Komposition  und  sieht  hier  sehr 
würdig  aus.  Auch  die  Farbe,  obgleich  etwas  schwer,  ist  durch- 
aus nicht  unangenehm,  nur  die  stehenden  Engel  gar  zu  altjüngfer- 
lich-lübeckisch. Aber  ich  fühlte  mich  doch  recht  stolz  auf  unsern 
Landsmann,  der  hier  an  solcher  Stätte  ein  Werk  geschaffen  hat, 
welches   alles,  was  ich  von   moderner  Heiligenmalerei  sonst  hier 


—     132     — 

gesehen  habe,  so  hoch  überragt  und  wenn  auch  etwas  nüchtern 
und  ängstlich,  sich  doch  immerhin  neben  manchem  alten  sehen 
lassen  kann.  Die  große  Kirche  ist  nobel,  aber  pomphaft  barock, 
da  hätte  ein  Bau  wie  Santa  Croce  stehen  müssen!  Die  Zelle, 
in  der  Franz  starb,  ist  jetzt  Kapelle  geworden  und  macht  keinen 
rechten  Eindruck.  Zahllose  Bettler  lagern  hier.  Die  Ankunft 
eines  Fremden  betrachten  sie  wahrscheinlich  schon  als  Erfüllung 
ihrer  Gebete  und  umdrängen  ihn  mit  der  größten  Zuversichtlich- 
keit und  Unverschämtheit.  Es  ist  unmöglich,  allen  etwas  zu 
geben.  Es  sind  wirklich  recht  Bejammernswürdige  unter  ihnen. 
Besonders  herrscht  viel  Blindheit  und  Augenleiden.  So  ein  zer- 
lumpter Alter  von  einem  noch  zerlumpteren  Jungen  geführt,  sieht 
oft  schrecklich  traurig  aus ;  noch  rührender  freilich  ein  blinder  Junge 
von  14  Jahren,  den  sein  kleiner  Bruder  leitete.  Da  kann  einem 
wohl  zumute  werden  wie  den  großen  Aposteln  der  Menschenliebe, 
„die  des  Volkes  jammerte".  —  In  meiner  Kirche  der  Zukunft 
und  am  Hochaltar  derselben,  für  den  ich  die  Statuen  zu  wählen 
hätte,  würde  ohne  Frage  dem  heiligen  Franziskus  eine  der  vor- 
nehmsten Stellen  gebühren.  Ich  weiß  gar  wenig  von  ihm,  werde 
mich  aber  später  eingehend  mit  ihm  beschäftigen,  so  sehr  ver- 
ehre ich  ihn  und  seine  Wirksamkeit. 

Als  ich  endlich  in  die  Stadt  hinaufging,  war  der  Nachmittag 
schon  weit  vorgeschritten,  und  die  Schatten  fingen  an  lang  zu 
werden.  Ich  eilte  und  die  Sonne  brannte  auf  meinem  Rücken. 
Aber  der  Weg  war  weiter  als  ich  gedacht  hatte,  und  es  war 
nach  vier  als  ich  endlich  vor  S.  Francesco  anlangte.  Dies  ist 
die  große,  ihm  geweihte  Kirche,  die  auf  kolossalen  Substruktionen 
am  linken  Ende  der  Stiadt  aufragt,  die  erste  großartige  gotische 
Kirche  Italiens  1228,  2  Jahre  nach  dem  Tode  des  Heiligen,  von 
einem  deutschen  Meister  Jacob  begonnen. 

Zuerst  kommt  man  in  die  Unterkirche,  die  einen  sehr 
ernsten  düstern  Eindruck  macht.  Ungeheure  kurze  Pfeiler  tragen 
wuchtige  Gewölbe,  alles  ist  von  Giotto  und  seinen  Schülern  be- 
malt, alle  Glasfenster  farbig.  Erst  nachdem  man  sich  Y4  Stunde 
an  die  Dunkelheit  gewöhnt  hat,  kann  man  daran  denken,  das 
Einzelne  zu  besehen.     Als  ich  gerade   so  weit  war,  begann    eine 


—     133     — 

Messe,  die  ich  natürlich  nicht  durch  neugieriges  Auf-  und  Ab- 
gehen und  Operngucken  stören  mochte,  da  viel  Volks  anwesend 
war.  Der  monotone  Gesang  machte  sich  hier  in  den  niedrigen 
Gewölben  übrigens  sehr  feierlich,  einige  kniende  Mönche,  be- 
sonders einer,  der  beide  Hände  vors  Gesicht  gepreßt,  an  einer 
Treppe  lag  und  betete,  sahen  wunderschön  aus.  Die  Kerzen  des 
Altars  erleuchteten  die  Giottoschen  Fresken  am  Gewölbe  besser 
als  das  Tageslicht,  so  daß  ich  wenigstens  das  Feld  mir  gegen- 
über deutlich  besehen  konnte.  Aber  schließlich  wurde  mir  die 
Sache  doch  langweilig,  und  ich  drückte  mich  in  die  Sakristei, 
wo  ebenfalls  ein  echtes  Bild  des  Heiligen  bewahrt  wird,  und 
durch  diese  dann  in  die  Oberkirche.  Dieselbe  wird  nicht  be- 
nützt, und  ist  eines  der  schönsten  heitersten  gotischen  Baudenk- 
mäler, das  ich  kenne,  ebenfalls  reich  mit  Fresken  und  Glas- 
fenstern geschmückt.  Letztere  sind  die  allerschönsten ,  die  ich 
gesehen  habe.  Ein  unerschöpflicher  Reichtum  von  Mustern 
herrscht  hier.  Aber  auch  die  Farben  finde  ich  prachtvoll  har- 
monisch. .  .  .  Die  Fresken  sind  ebenfalls  von  Giotto  und  seinen 
Vorgängern.  Namentlich  sind  hier  noch  Reste  Cimabuescher 
Fresken,  die  sehr  interessant  sein  sollen.  Ich  war  nicht  in  der 
Laune,  mir  das  unendliche  Gewirre  von  Überresten  zu  ergänzen 
und  Gestalten  daraus  zu  konstruieren,  sondern  zog  es  vor,  durch 
den  schönen  vom  Abendsonnenschein  ganz  rotgoldig  durchglühten 
Raum  auf  und  ab  zu  gehen  und  draußen  vor  der  weit  geöffneten, 
aber  durch  ein  Gitter  verschlossenen  Haupttür  einige  Kinder  auf 
dem  grünen  Rasen  spielen  zu  sehen.  Dann  ging  ich  wieder  in 
die  ünterkirche,  die  Messe  war  bald  beendet,  und  mit  dem 
andern  Volk  ging  auch  ich  ins  Freie.  Es  war  der  richtige  Spät- 
sonntagmittag eines  kleinen  Städtchen:  kein  Mensch  wußte  recht 
wohin  mit  sich.  Man  stand  in  Gruppen  und  sprach  nicht,  hockte 
auf  den  Mauern  und  sah  wie  die  Sonne  ihre  letzten  Strahlen 
durch  eine  dichte  Wolkenschicht  über  die  weite  Ebene  warf; 
auch  die  Spiele  der  Kinder  waren  matt  und  gelangweilt  —  nur 
einige  Geistliche  .  .  .  gingen  im  eifrigen,  leisen  Gespräch  auf 
und  ab. 

Eine   lange  nur    wenig    ansteigende  Straße    führt  durch   die 


—     134     — 

menschenleere  Stadt,  endlich  erweitert  sie  sich  zur  Piazza,  und 
dort  liegt  der  -Tempel  der  Minerva,  die  besterhaltene  römi- 
sche Tempelfront  Italiens,  jetzt  Kirche.  Hier  standen  viele 
Menschen  umher,  ringsum  den  Brunnen,  dessen  vier  vpasserspeiende 
Löwen  so  humoristisch  gemütlich  aussehen,  daß  es  eine  Freude 
ist,  aber  auch  diese  Versammlung  wußte  nicht  recht  was  tun. 
Erst  um  acht  begann  der  große  Karnevalball. 

Noch  weiter  nach  Süden  verbreitert  sich  die  Hauptstraße 
abermals  zu  einer  großen  Terrasse  mit  herrlichem  Ausblick  in 
die  Ferne,  die  dämmerig  und  in  tiefen  milden  Farben  sich  aus- 
dehnte. Im  Westen  am  Himmel  noch  ein  heller  gelber  Abend- 
streif. Hier  liegt  die  gotische  Kirche  Santa  Clara,  der  Freundin 
des  heiligen  Franz  geweiht.  Eine  ganze  Weile  ging  ich  da  auf 
und  ab,  freute  mich  der  schönen  Formen  und  tiefen  Farben  von 
Stadt,  Berg  und  Ferne  und  stieg  dann  endlich  zum  Dom  hinauf, 
der  auf  einem  höheren  Absatz  liegt  als  die  Hauptstraße.  Aber 
ich  sah  nichts  mehr  —  hinein  kam  ich  gar  nicht  —  als  nur  die 
große  schwarze  Silhouette  gegen  den  dunkelblauen  Abendhimmel, 
spürte  außerdem  Hunger  und  verfügte  mich  in  den  sehr  emp- 
fohlenen Lione.  ...  Es  war  noch  finstere  Nacht  als  ich  am  andern 
Morgen  abfuhr,  und  halb  im  Schlaf  rasselte  ich  dahin,  Rom  ent- 
gegen.    Davon  morgen  mehr. 

Hans. 

Rom. 

Von  der  Reise  hierher  weiß  ich  wirklich  nicht  mehr  viel  zu 
erzählen!  Anfangs  wars  noch  halb  Nacht  und  kalt  und  ich 
schläfrig;  dann  war  die  Gegend  ziemlich  charakterlos,  sowie  sie 
in  Süddeutschland  auch  hätte  sein  können:  Bergzüge  mit  etwas 
Schnee,  kahle  Bäume,  trockne  Wiesen,  wenig  Häuser.  Hinter 
Spoleto  wurde  es  schön,  und  die  stets  belaubten  Oliven  auf  den 
Abhängen  verscheuchten  alle  Gedanken  an  den  Winter.  .  .  .  Erst 
in  Orte  bekam  ich  endlich  um  ^/^lO  Uhr  etwas  in  den  Magen 
und  wurde  von  da  an  ein  ganz  genußfähiger  Mensch.  In  Orte 
treffen  sich  die  beiden  Routen  von  Florenz  über  Siena  und 
Florenz  über  Perugia,  so  daß  von  hier  an,  dem  alten  Sprichwort 


1 


—     135     — 

zuwider,  nur  ein  einziger  Weg  nach  Rom  führt.  Zeitweilig 
geht's  dann  durch  ein  enges,  brausendes  Bergtal,  ganz  südtiroler 
Alpencharakter.  Dann  kommt  die  Ebene.  Man  fährt  am  Monte 
Soracte  vorüber  und  erkennt  in  der  Ferne  die  oft  gesehenen 
Linien  der  Albaner-  und  Sabinerberge.  Aber  von  S.  Peter  sah 
man  noch  nichts.  Bald  schoben  sich  wieder  langweilige  Hügel 
vor,  und  das  Ausschauen  wurde  so  langweilig,  daß  ich  schließlich 
meinen  Gsell  Fels  nahm  und  darin  las.  Als  icli  endlich  wieder 
ausguckte,  lag  die  Peterskuppel  schon  ganz  groß  und  deutlich 
da,  vom  übrigen  Rom  aber  war  noch  lange  nichts  zu  sehen. 
Eudlich  auf  der  andern  Seite  die  Aquädukte  und  antiken  Reste, 
alles  in  schönen,  von  der  Sonne  beschienenen,  roten  Backstein- 
farben, oft  von  dunklem  Gestrüpp  bewachsen,  ^/^l  waren  wir  da. 
Der  Bahnhof  ist  groß  und  hell,  echt  modern;  wenig  Zudringlich- 
keit von  Kojfferträgern,  großstädtische  Ruhe  und  Ordnung  in  den 
Fiakern,  und  so  befand  ich  mich  sehr  bald  auf  dem  Weg  ins 
Hotel  Minerva.  Wie  anders  war  eine  Ankunft  in  Rom  vor 
vierzig,  fünfzig,  ja  noch  vor  zwanzig  Jahren!  Wie  anders  malt 
man  sie  sich  selbst  heute  noch  aus! 

Nachdem  ich  mich  im  Hotel,  4^/2  Treppen  hoch,  aber  trotz- 
dem ohne  Aussicht,  gewaschen  und  umgezogen  hatte,  ging  ich 
sofort  zu  de  Boor,  den  ich  auch  sehr  bald  in  einer  Stube  voll 
Sonnenschein  fand,  unverändert  rings  von  Büchern  umgeben.  .  .  . 
Wir  hatten  uns  lange  nicht  gesehen,  waren  aber  so  ganz  auf 
demselben  Fuß,  daß  wir  uns  eigentlich  nicht  einmal  über  die 
Erlebnisse  der  vergangenen  Jahre  Bericht  abstatteten.  Um  drei 
schlenderten  wir  dann  an  den  Korso,  an  dem  ich  schon  vorher 
einige  geschmückte  Balkons  bemerkt  hatte.  Freilich  war  dieser 
Schmuck  nicht  weit  her,  nicht  annähernd  mit  der  Ausstattung 
unserer  Häuser  in  Hamburg  beim  Einzug  der  Truppen,  beim 
Schillerfest  usw.  zu  vergleichen.  Ein  paar  rote  Fetzen  oder  alte 
Teppiche  genügten  hier,  Girlanden  waren  ganz  selten.  Der 
Korso  ist  eine  sehr  sehr  lange  Straße,  fast  das  ganze  Rom  von 
Norden  (Piazza  del  Popolo)  bis  Süden  (Piazza  di  Venezia)  durch- 
schneidend, aber  nicht  besonders  breit,  meist  schmäler  als 
der  „Neue  Wall",  11   bis  12  von  meinen   Schritten  —  gerade  ein 


—     136     — 

Drittel  der  Breite  des  Hauptschiffes  von  St,  Peter!  Der  Boden 
war  mit  Sand  bestreut,  aber  vorläufig  waren  wenig  Wagen  da 
und  auch  noch  nicht  viel  Fußgänger.  Ich  sagte  schon:  „na,  so 
ist's  in  Hamburg  denn  auch  noch."  Aber  es  entwickelte  sich 
bald  anders;  das  Hin-  und  Herlaufen  mit  Blumensträußen  begann 
und  wutde  bald  allgemein.  Von  den  Balkons  herab  und  von 
unten  hinauf  in  die  Wagen,  die  bald  in  enger  Folge,  an  der 
einen  Seite  hinauf,  an  der  andern  hinabfuhren,  oder  selbst 
zwischen  den  Fußgängern,  die  im  langsamen  Vorwärtsgewoge,  bis 
hart  an  die  Wagenräder  und  Deichseln  gedrängt,  fröhlich  und 
ohne  Gedrängel  vorbeischoben.  Es  gefiel  mir  bald  recht  gut, 
und  nachdem  erst  de  Boor  von  einem  Balkon  aus  arg  bombar- 
diert worden  war,  und  dann  sogar  ich,  der  ich  ganz  fremd  zu 
sein  glaubte,  von  einem  Wagen  aus  einige  kräftige  Sträuße  an 
den  Kopf  bekommen  hatte,  als  deren  Urheberinnen  ich,  als  ich 
meinen  Kneifer  wieder  aufgesetzt  hatte,  einige  Engländerinnen 
erkannte,  die  ich  in  Florenz  kennen  gelernt  hatte,  fühlte  ich  mich 
ganz  zu  Hause.  Natürlich  mußte  ich  mich  auch  mit  Blumen 
versehen ,  um  mich  zu  revanchieren.  Und  das  Vergnügen  ist 
viel  billiger  als  man  denkt.  Erstlich  kosten  Blumen  unter  diesem 
gesegneten  Himmel  überhaupt  nicht  viel,  dann  aber  wird  jeder 
Strauß  vier  bis  fünf  mal  geworfen,  von  Jungen  wieder  gesammelt 
und  wieder  verkauft,  so  daß  man,  wenn  man  nur  recht  unver- 
schämt dingt,  für  zwei  bis  drei  Soldi  ganz  nette,  für  fünf  bis 
sechs  sogar  sehr  hübsche  Sträuße  bekommt.  Aber  das  Werfen 
ist  nicht  leicht,  besonders  nach  oben  zu  den  Balkons  hinauf  nicht. 
Ich  brachte  nur  selten  einen  an  die  richtige  Stelle.  Die  Schön- 
heit der  Römerinnen  verdient  ihren  großen  Ruf  durchaus.  Ich 
wenigstens  war  ganz  entzückt  davon.  Manches  Gesicht  war 
freilich  mit  der  Maske  bedeckt,  aber  was  man  sah:  Halsansatz, 
Nacken  und  Busen  war  fast  durchgängig  so  schön,  wie  man's 
anderwärts  ganz  selten  sielit.  Die  schönsten  Vornehmeren  auf 
den  Balkons  waren  außerdem  ja  alle  unmaskiert  und  in  gewöhn- 
licher Toilette,  nur  bisweilen  Schleier,  Schleifen  oder  Blumen, 
dem  Festtag  Rechnung  tragend.  An  der  Piazza  Colonna,  einem 
Balkon  gegenüber,  auf  den  ich  de  Boor  schon  gleich  beim  ersten 


—     137     — 

Entlanggehen  aufmerksam  gemacht  hatte,  fand  ich  meine  ganze 
Architektenklique  wieder,  welche  den  Weg  über  Siena  genommen 
hatte  und  schon  einige  Tage  vorher  angekommen  war.  Sie  waren 
im  eifrigen  Bombardement  mit  der  Schönsten  begriffen,  auf 
welche  die  Natur  wirklich  in  hohem  Grade  alle  Schönheit  und 
Lieblichkeit  ausgegossen  hatte,  so  daß  alles  ihr  huldigen  mußte. 
Namentlich  unser  Thiersch  (Enkel  des  alten  Professors  in  München), 
ein  großer,  schöner,  lieber  Mensch,  gewissermaßen  ein  ins  Männ- 
liche übersetzter  Piglhein,  ohne  Frage  die  sympathischste  Er- 
scheinung, die  ich  seit  langer  Zeit  gesehen  habe,  zeichnete  sich 
durch  wohlgezieltes  Werfen  zu  dem  hohen  Balkon  hinauf  aus, 
sogar  ein  prachtvoller  riesengroßer  Strauß  mit  wohl  20  Kamelien, 
den  ich  zufällig  für  einen  Frank  erstand  (der  Kerl  hatte  vier 
verlangt,  in  Hamimrg  würde  er  leicht  10  Mark  gekostet  haben), 
wurde  von  ihm  unter  allgemeinem  Jubel  an  seine  Adresse  be- 
fördert. Sie  dankte  den  deutschen  Herren  sehr  huldreich  und  be- 
festigte den  Strauß  hoch  über  sich  am  Fensterladen,  wo  er  den 
ganzen  Nachmittag  prangte.  Als  die  Sonne  sich  neigte,  gingen 
de  Boor  und  ich  zur  Stadt  hinaus,  wo  in  den  vielen  kleinen 
Trattorien  rechts  und  links  das  denkbar  lustigste  harmloseste 
Treiben  stattfand.  Hier  war  die  Mehrzahl  maskiert,  während  am 
Korso  höchstens  ein  Viertel  Masken  trug.  Zu  irgend  einem  ver- 
stimmten Leierkasten  wurde  da  stundenlang  nach  derselben 
Melodie  unter  freiem  Himmel  getanzt,  ganz  langsam  und  sittig, 
ohne  viel  Gelärm  und  Gejauchze,  mit  ebenso  ernsthaften  Mienen 
wie  in  Deutschland,  aber  so  reizend  graziös  und  harmlos  lustig, 
als  wäre  das  goldene  Zeitalter  zur  Wirklichkeit  geworden.  Da 
war  nicht  die  leiseste  Roheit,  Unanständigkeit  oder  Besoffenheit 
—  von  Mord  und  Totschlag  gar  nicht  zu  reden.  Der  lichte 
blaue  Abendhimmel,  besät  mit  vielen  rosigen  Lämmerwolken, 
wölbte  sich  warm  und  klar  darüber;  dunkle,  klotzige  Portale  mit 
barocken  Vasen  und  Voluten  ragten  ernst  aus  dem  Staub  der 
Landstraße  in  die  leuchtende  flimmernde  Höhe;  in  den  belaubten 
Büschen  —  meist  Lorbeeren  und  Steineichen  —  rührte  sich  fast 
kein  Blatt,  und  einzelne  hohe  Pinien  sahen  feierlich  still  von 
weitem    in    das    muntere    Vergnügen    hinunter.     In    einer    dieser 


—     138     — 

Trattorien  fanden  wir  einen  Bekannten  de  Boors,  einen  Maler, 
nicht  mehr  jung,  von  einem  Schwärm  allerliebster,  gleichgeklei- 
deter kleiner  Mädchen  umdrängt  und  gepeinigt.  Er  sollte  durch- 
aus mit  ihnen  tanzen.  Um  sich  zu  retten,  hetzte  er  sie  auf  uns. 
Nach  einigem  harmlosen  Gebalge  erklärten  wir  uns  dazu  bereit, 
da  hörte  die  Musik  auf,  und  als  sie  wieder  begann,  waren  die 
Mädchen  fort.  Die  einzige,  die  sich  für  einen  Augenblick  demas- 
kierte, hatte  ein  sehr  hübsches  Gesicht.  Witze  und  Gespräche 
werden  gar  nicht  verlangt.  Man  begegnet  sich  einfach,  schüttelt 
sich  die  Hände,  sagt  etliche  Male  buona  sera,  buona  sera,  „freut 
mich  sehr,  Sie  zu  sehen"  usw.  usw.,  alles  in  möglichst  hohem, 
piepsendem  Ton,  macht  eine  tiefe  Verbeugung,  und  das  ist  der 
ganze  Scherz.  Etwa  wie  in  Hamburg  das  „Prost  Neujahr"  rufen, 
nur  daß  dort  der  Hauptwitz  darin  liegt,  möglichst  laut  zu  brüllen, 
auch  ein  Viertel  der  Betreffenden  betrunken  ist  .  .  .,  von  Berlin 
nicht  zu  reden.  —  Große  Verschiedenheit  der  Kostüme  herrscht 
nicht.  „Echte"  gibt's  gar  nicht,  sie  passen  auch  gar  nicht  her, 
und  würden  eine  sehr  traurige,  „unechte"  Rolle  spielen.  Rote 
Teufel,  weiße  Bajazzos  und  Matrosen  sind  für  die  Männer, 
„Schäferinnen"  und  italienische  Bäuerinnen  für  die  Mädchen  das 
gewöhnliche.  Da  man  die  wirkliche  Volkstracht  hier  nur  ganz 
selten  sieht,  eigentlich  nur  bei  den  Modellen  auf  der  Spanischen 
Treppe,  waren  mir  diese  doch  mehr  oder  minder  echten  Kostüm- 
italienerinnen ein  allerliebster  Ersatz.  Die  Tracht  ist  entzückend 
kleidsam.  Und  der  Wuchs,  die  stolze  Grazie  der  Römerinnen, 
läßt  selbst  Maskeuanzüge  fast  wie  echt  erscheinen.  Bisweilen 
sah  man  freilich  echte  Sachen,  manchen  schönen,  halbverschossenen 
Seidenrock,  der  prachtvoll  mit  dem  dunkelroten  Tuch  der  Ärmel, 
der  gelblichen  Leinwand  und  dem  Fleisch  zusammenstimmte.  — 
Die  Polizei  war  so  liebenswürdig,  wie  ich  noch  nie  eine  sah. 
Trotzdem  war  die  Ordnung  musterhaft.  Daß  niemand  verun- 
glückte, ist  ein  Wunder;  aber  man  wurde  es  schließlich  ganz 
gewohnt,  von  den  Rädern  fast  gestreift  zu  werden,  oder  plötzlich 
eine  Pferdeschnauze  am  Nacken  schnaufen  zu  fühlen.  Die  Jungen 
sammelten  die  Sträuße  unter  den  Rädern  auf,  die  der  größern 
Wagen  waren  meist  dicht  mit  Lorbeeren  umwunden. 


—     139     — 

Abends  gingen  wir  auf  die  Piazza  Navona,  einen  großen 
langen  Platz  mit  drei  Brunnen,  der  mittelste  ist  von  Bernini. 
Auf  ungeheuren  Felsenstufen  ruhen  die  Kolossalstatuen  der  vier 
größten  Flußgötter,  der  eine  trägt  einen  hohen  Obelisken  —  ein 
gewaltig  tlottes  Barockwerk;  die  Wassermassen,  die  er  nach  allen 
Seiten  sprüht,  waren  rot  und  grün  bengalisch  beleuchtet,  der 
ganze  Platz  mit  bunten  Papierlaternen  geschmückt,  Buden  ringsum, 
und  mitten  im  bunten  Gewoge  wurde  auch  hier  zu  den  Walzern 
der  Militärkapelle  auf  dem  trefflichen  Pflaster  getanzt,  in  der- 
selben liebenswürdigen,  ich  möchte  sagen  rührenden  Lustigkeit 
und  Harmlosigkeit.  Von  11  bis  3  kneipten  wir  Freunde,  und 
waren  auf  deutsche  Weise  gemütlich  und  fidel.  —  Immer  und 
immer  wieder  finde  ich  so  liebe  Freunde.  Es  ist  doch  eine  gute 
Welt!! 

„Denn  ach:  die  Menschen  lieben  lernen, 

Das  ist  das  einz'ge  wahre  Glück!'' 

Die  Wahrheit  dieses  schönen  Platenschen  Verses,  bei  dem 
ich  mich  freilich  jedesmal  über  das  eingeflickte,  überflüssige  „Ach'< 
ärgere  —  habe  ich  so  recht  wieder  hier  empfunden!  Ich  bin 
nie  auf  neue  Bekanntschaften  „gelaufen",  habe  vielmehr  schon 
seit  Jahren  mir  gesagt,  daß  ich  eigentlich  ganz  genug  Freunde 
hätte,  und  es  mir  fast  zum  Prinzip  gemacht,  Fremden  gegenüber 
möglichst  zurückhaltend  zu  sein,  —  und  trotzdem  fühle  ich  mich 
so  wohl  in  diesem  neuen  Kreis,  daß  es  mir  eine  wirkliche  Herzens- 
freude war,  nach  14tägiger  Trennung  allesamt  wiederzusehen  und 
in  noch  engerer  Bekanntschaft  mit  ihnen  hier  weiterzuleben.  .  .  . 
Zuletzt  saßen  nur  de  Boor  und  ich  in  einem  Caf6,  welches  von 
fröhlich  heimkehrenden  Masken  wimmelte  bis  nach  drei  Uhr,  und 
sehr  müde  und  befriedigt  zog  ich  nach  diesem  ersten  Tage  in 
Rom  ins  Bett.  Daß  ich  am  folgenden  Tage  nicht  ganz  früh 
aufstand,  versteht  sich  von  selbst.  Mein  erster  Gang  nach  dem 
Kaffee  war  ins  nahegelegene  Pantheon,  dessen  schlichtes  un- 
geheures Kuppelgewölbe  wohl  auf  jeden  einen  einzig  dastehenden 
Eindruck  macht.  .  .  . 

Um  drei  begann   der  Korso   aufs    neue  in   derselben   Weise, 


—     140     — 

nur  noch  munterer  und  toller  als  Tags  zuvor,  auch  mehr  Masken. 
Auch  die  Principessa  Margheritta  fuhr  herum,  schon  von  weitem 
an  der  feuerroten  Livröe  der  Diener  zu  erkennen.  Ihr  Wagen 
war  bald  mit  den  prächtigsten  Sträußen  so  gefüllt,  daß  sie 
wirklich  nur  mit  dem  Oberkörper  daraus  hervorsah.  Dabei  warf 
niemand  auf  sie,  alles  wurde  ihr  ehrerbietig  in  den  Wagen  gelegt. 
Sie  hatte  nichts  zu  tun  als  lächelnd  sich  zu  neigen  und  zu  danken. 
Und  das  ging  ganz  ohne  alle  Polizei.  Das  Volk  besitzt  hier  eben 
mehr  Takt  als  in  Deutschland.  Dadurch  allein  ist  ein  so  wahr- 
haft volkstümliches,  echt  demokratisches  Fest  möglich.  Toller, 
fideler,  witziger  ist  nach  allem,  was  ich  gehört  habe,  jetzt  sicher- 
lich der  Kölner  Karneval.  —  Noch  muß  ich  erwähnen,  daß  alle 
Anspielungen  auf  die  Geistlichkeit  verboten  waren.  Auch  poli- 
tische Witze:  Russen,  Türken  oder  dergl.  habe  ich  nicht  gesehen. 
Die  großen  Wagen,  die  etwas  Besonderes  vorstellen  wollten,  waren 
nicht  lustiger  oder  prächtiger,  als  wir  es  in  Hamburg  gewohnt 
sind.  Einige,  offenbar  von  Künstlern  arrangierte  —  ein  türki- 
scher und  ein  indianischer  —  wirkten  trotz  der  schönen,  echten 
Teppiche  und  Kostüme  eigentlich  gar  nicht.  Nur  ein  paar  sehr 
niedliche  Türkinnen  erregten  die  Aufmerksamkeit,  die  schönen, 
ernst  langweilig  dastehenden,  an  Spieße  gelehnten  oder  rauchen- 
den Türken  sah  niemand  an.  Unter  den  Fußgängern  waren  ein- 
zelne fidele  Erscheinungen.  So  ein  höchst  würdiger,  besternter 
Herr  mit  Eselskopf,  der  seine  Rolle  sehr  hübsch  durchführte,  vier 
junge  piepsende  Vögel  in  Menschengröße  usw.  usw.  Die  Pferde 
alle  geschmückt,  entweder  mit  den  beliebten  Fuchsschwänzen, 
die,  wie  große  Ohrbummel  zu  beiden  Seiten  herabhängen  (auch 
an  gewöhnlichen  Tagen)  oder  mit  irgend  einem  Kopfschmuck: 
Straußen-,  Fasanen-  oder  Reiherfedern,  die  armem  mit  einem 
grünen  Busch;  zwei  jämmerliche  alte  Klepper  mit  eingetriebenen 
Zylindern  usw.  —  Das  Konfettiwerfen  findet  nur  an  den  ersten 
Tagen  statt.  Konfetti  kommt  jedoch  kaum  vor,  alles  sind  Mehl- 
kugeln. 

Um  sechs  mußten  die  Wagen  den  Korso  verlassen  und  das 
Pferderennen  fand  statt.  Die  armen  Tiere  werden  durch  kleine 
Stachelkugeln,    die  man  ihnen  hinten  anbindet,    in  fürchterliche 


—     141     — 

Angst  versetzt;  je  schneller  sie  laufen,  desto  größer  ist  ihre 
Peiu:  so  rasen  sie  denn  wie  toll  den  Korso  hinab.  Man  sieht 
sie  kaum.  Wie  man  sie  unten  wieder  einlangt  und  beruhigt,  ist 
mir  ein  Rätsel. 

Gleich  darauf  beginnt  der  Moccoli,  das  hübscheste  von  allem. 
Schon  von  Mittag  an  rannen  die  Lichterverkäufer  schreiend  durch 
alle  Gassen.  Zuerst  ist  das  Spiel  nur  auf  den  Balkons.  Da 
sieht  man  wunderhübsche  Bewegungen  schöner  Mädchen,  die  sich 
weit  über  den  Rand  niederbeugen,  um  ihr  Licht  zu  retten  und 
das  anmutigste  Hin-  und  Hergebalge.  Dazu  all  die  fröhlichen, 
von  Lichtern  bestrahlten  Gesichter,  und  darüber  der  flimmernde 
blaue  Abendhimmel,  von  zahllosen  Rosa- Wölkchen  übersät,  wie 
am  Abend  zuvor.  .  .  .  Immer  mehr  Lichter  flimmern  auf  den 
Balkons,  wenn  man  den  Korso  entlang  sieht.  Es  ist  die  reizendste, 
weil  wechselreichste  Hlumination,  die  man  sich  denken  kann. 
Dazu  sind  alle  zahllosen  kleinen  Gasflämmchen  mit  vier  konzen- 
trischen Ringen  versehen,  was  sehr  prächtig  und  zierlich  zugleich 
aussieht.  Für  manche  Gelegenheit  ziehe  ich  unsere  Weise,  große 
sausende  Flammen  daraus  auflodern  zu  lassen,  vor;  hier  aber 
wirkt  das  schöner.  Der  leuchtende  Abendhimmel  wird  nächtlich 
und  schwarz.  Die  Wagen  stellen  sich  wieder  ein,  und  auch  in 
ihnen  werden  schwache  Versuche  gemacht,  Lichter  zu  entzünden 
und  brennend  zu  erhalten.  Aber  es  ist  schwierig.  Von  allen 
Seiten  wird  danach  geblasen,  mit  Taschentüchern  geschlagen,  auf 
die  Trittbretter  gestiegen,  selbst  in  die  Wagen,  um  sie  auszu- 
löschen. .  .  .  Das  schönste,  was  ich  sah,  war  ein  kleiner  Backfisch, 
welcher,  hoch  im  Sitz  stehend,  seinen  älteren  Bruder  umschlin- 
gend, mit  stolz  triumphierenden  Augen  herabschaute  und  das 
hochgehaltene  Licht  lange  vor  allen  Angreifern  bewahrte.  Meine 
Engländerinnen  waren  auch  da.  Ich  sah  sie  in  erbittertem 
Kampf  mit  verschiedenen  unserer  Klique,  erbarmte  mich  ihrer 
natürlich,  verteidigte  sie,  half  ihnen  wohl  20  mal  ihre  Lichter 
wieder  anzünden,  bis  es  schUeßlich  langweilig  wurde  und  ich 
unter  dem  Vorwand,  neue  Zündhölzer  zu  kaufen,  absprang  und 
meine  Freunde  suchte.  Leider  fand  ich  sie  nicht.  Dafür  sah 
ich,    wie    von    der  Piazza    di  popolo    aus    der  ,, Karneval",    eine 


—     142     — 

Strohpuppe,  in  der  Gondel  eines  erleuchteten  Luftballons  zum 
Himmel  aufstieg.  Langsam  schwebte  die  feurige  Kugel  hinauf, 
was  wunderhübsch  aussah.  Dazu  Feuerwerk  auf  Monte  Pincio, 
kurz  aber  prächtig  wie  ich's  liebe,  zuerst  fast  fünf  Minuten  lang 
die  schönsten  Leuchtkugeln,  dann  auf  einen  Schlag  eine  große 
Raketengarbe,  die  alles  je  Gesehene  übertraf.  .  .  . 

Aschermittwoch  wachte  ich  erst  um  V2^^  ^^^'^  ^^8  mich  so 
eilig  an  wie  wohl  kaum  je  seit  der  Militärzeit  und  eilte  ohne 
Kaffee  nach  S.  Peter,  wo  die  geistliche  Kapelle  singen  sollte. 
Die  Entfernungen  sind  hier  sehr  groß.  Trotzdem  kam  ich  noch 
reichlich  früh.  Sie  sangen  wirklich  recht  schön,  in  einer  dunkel- 
braun getäfelten  Nebenkapelle,  auf  deren  Grund  die  alten, 
würdigen  Köpfe  der  vielen  anwesenden  Geistlichen,  in  violetten 
Gewändern  und  grauen  Pelzkragen,  sehr  schön  aussahen.  Fast 
gar  keine  andächtigen  Laien,  aber  natürlich  viel  Fremde,  meist 
Deutsche.  Man  hörte  hier  fast  ebensoviel  deutsch  reden  wie 
italienisch,  dagegen  wenig  englisch, 

S.  Peter  ist  wirklich  eine  sehr  große  Kirche  und  würde  ohne 
die  großen  Figuren  und  den  schauderhaften  Altar  einen  gewaltigen 
Eindruck  machen.  Der  architektonische  Gedanke  der  Kirche  und 
besonders  der  Kuppel  ist  begeisternd  großartig.  Kolossal  wirkt 
der  Platz  mit  den  Berninischen  Arkaden  und  den  zwei  herr- 
lichen Fontänen.  Die  Fassade  ist  schauderhaft.  Doch  von  all 
dem  später  ausführlicher,  bis  jetzt  kenne  ich  alles  noch  nicht 
genug.  Gesehen  habe  ich  natürlich  schon  vieles,  das  Hauptsäch- 
lichste sogar  schon. 

Mein  erster  Weg  am  Donnerstag  war  natürlich  in  die  Stanzen, 
und  ich  kann  nicht  leugnen,  daß  ich  mit  sehr  vollem  Herzen  die 
Treppe  zu  ihnen  hinaufging.  Ich  hatte  das  Gefühl,  den  liebsten 
Freund  nach  langer  Abwesenheit  wiedersehen  zu  sollen,  und 
fürchtete,  er  würde  mir  nicht  mehr  so  behagen  wie  ehemals. 
Denn  die  Begeisterung  für  die  Disputa  war  es  doch  nun  einmal, 
die  mich  zum  Maler  gemacht  hat.  Und  ich  kann  sagen:  ich  bin 
nicht  enttäuscht.  Erstaunt  bin  ich  über  die  gute  Erhaltung  und 
die  wundervolle  Farbe  mancher  Sachen,  besonders  die  Messe 
von  Bolsena,  am  wenigsten  die  Schule  von  Athen.     Gestern  war 


—     143     — 

ich  auch  wieder  dort.  Es  geht  wie  mit  einer  Musik,  die  man 
ganz  genau  kennt,  und  ihr  doch  immer  aufs  neue  zuhört,  sie  nie 
satt  bekommt.  Doch  von  alledem,  auch  von  der  Sixtinischen 
Kapelle  später  mehr.  —  Über  Raffael  und  Michelangelo  habe  ich 
absichtlich  nicht  aus  Florenz  geschrieben,  über  alles  andere  nur 
zufällig  nicht,  die  zwei  langen  Briefe  von  dort  sollten  ja  auch 
nichts  weniger  als  erschöpfend  sein,  sondern  nur  ein  paar  Künstler 
besprechen,  die  mir  gerade  in  den  Sinn  kamen.  Ich  hätte  gerade 
so  gut  von  Ghirlandajo  oder  Filippino  Lippi,  Brunellesco,  Ghi- 
herti,  Lucca  della  Robbia  usw.  schreiben  können  und  behalte  mir 
das  auch  vor.  Daß  die  Antiken  mir  weitaus  das  Liebste  in 
den  ganzen  Uffizien  sind,  glaubte  ich  übrigens  geschrieben  zu 
haben.  .  .  .  Freilich  ist  der  Schatz  daran  hier  so  groß,  daß 
ich  ganz  baff  bin  und  noch  nichts  darüber  zu  schreiben  ver- 
mag  

Darin  gebe  ich  Dir  Recht,  daß  unsere  deutsche  Frauenschön- 
heit sich  ganz  wohl  mit  der  römischen  messen  kann  —  mit  Aus- 
nahme des  Halses  freilich!  Jeti.t  sehe  ich  gar  nicht  mehr  so  viel 
Schönheiten  als  an  den  zwei  Karnevalstagen.  Und  selbst  da 
hätte  man  wohl  einige  Balkons  voll  deutscher  Damen  arrangieren 
können,  die  mindestens  den  Vergleich  ausgehalten  hätten.  .  .  . 

Mit  herzlichen  Grüßen  an  die  Tanten 

Dein  müder  Hans. 


Rom,  27.  Februar  1877. 
Lieber  Onkel! 

Um  nicht  wieder  so  in  Rückstand  mit  meinen  Berichten  zu 
kommen  wie  in  Florenz,  will  ich  wenigstens  meine  Ausflüge 
immer  gleich  frisch  beschreiben,  die  Eindrücke  der  Kunstwerke, 
die  sich  bei  öfterem  Sehen  klären  und  präzisieren,  wo  nicht  ändern 
werden,  für  später  verschiebend. 

Sonnabend  Nachmittag  war  ich  in  der  Villa  Wolkonski ;  diese 
Villa  liegt  in  der  Nähe  des  Lateran,  also  ganz  im  Süden  der 
Stadt.  Hier  liegt  alles  auseinander.  ...  Im  Norden  die  große 
Piazza  del  Popolo,  daneben  der  berühmte  Monte  Pincio,  wo  abends 


—     144     — 

alles  promeniert,  Musik  hört  und  den  unvergleichliclien  Anblick 
des  Sonnenuntergangs  über  der  großen  Stadt,  hinter  der  Peters- 
kuppel, genießt.  Vatikan,  Lateran,  S.  Peter,  Engelsburg,  ganz  im 
Westen,  jenseits  des  Tiber,  vom  eigentlichen  Verkehr  abgelegen. 
Dieser  konzentriert  sich  um  den  Korso,  der  das  moderne,  leben- 
dige Rom  in  zwei  Teile  teilt;  in  der  rechten  Hälfte,  nahe  der 
Fontana  Trevi  wohne  ich,  nicht  weit  davon,  in  dem  höchst 
gleichgültig  aussehenden  Quirinal,  der  König.  Das  Kapitol  ragt 
ins  moderne  lebendige  Rom  hinein;  dicht  dahinter  rings  um  die 
Trümmer  der  alten  Herrlichkeit  (Forum,  Kolosseum)  gibt  es  noch 
ganz  kleine  ärmhche  Vorstadthäuschen;  der  Lateran,  die  alte 
Residenz  der  Päpste,  liegt  eigentlich  außerhalb  aller  menschlichen 
Wohnungen  und  gleich  ihm  noch  viele  andere  große,  in  früh- 
christlicher Zeit  hervorragende  Kirchen,  die  ich  meistenteils  noch 
nicht  kenne. 

Hier  also,  in  der  Nähe  des  Lateran,  liegt  auch  die  Villa 
Wolkonski,  die  zwar  kein  großes  Territorium  einschließt  (wie 
z.  B.  Villa  Borghese,  die,  obgleich  unmittelbar  vor  dem  Tor  der 
Stadt  gelegen,  eine  deutsche  Quadratmeile  einnimmt),  aber  eine 
unvergleichlich  schöne  Lage  hat.  Mitten  darin  die  Ruinen  eines 
der  größten  Aquädukte;  diese,  vielleicht  staunenswertesten  aller 
antiken  Bauten,  liegen  meist  in  Trümmern;  ihr  geringer,  noch 
tätiger  Bruchteil  versieht  selbst  heute  die  Stadt  mit  einem  solchen 
ÜberHuß  des  herrlichsten  Wassers,  daß  man  gar  nicht  wagt  zu 
hoffen,  jemals  bei  uns  etwas  Ahnliches  zu  erleben.  Die  Fülle 
des  in  Fontänen  und  Kaskaden  hier  verschwendeten  Wassers 
übersteigt  all  meine  Erwartungen.  Das  braust  Tag  und  Nacht 
gleich  Wasserfällen  die  großen  Muschelbecken  herunter  oder  stäubt 
ohne  Aufhören  in  üppigsten  lieblichsten  Strahlen  zum  Himmel 
hinauf.  Ehe  man  es  gesehen  hat,  macht  man  sich,  glaube  ich, 
nie  einen  rechten  Begriff  davon,  weil  alles  ähnhche  in  der  ganzen 
Welt  80  unbeschreiblich  armselig  und  winzig  dagegen  ist.  Einen 
ungefähren  Maßstab  hat  man,  wenn  man  hört,  daß  die  Wasser- 
menge, die  täglich  allein  die  Fontana  Trevi  herabströmt,  drei 
Viertel  dessen  ist,  was  die  Stadt  Frankfurt  mit  ihrer  neuen 
Wasserleitung  täglich  konsumiert! 


—     145     — 

Üer  Aquädukt,  der  die  Villa  Wolkonski  durchschneidet,  ge- 
hört zu  den  versiegten.  Aber  eine  solche  Fülle  Efeu  hat  sich 
an  dem  alten  ßacksteingemäuer  aufgerankt,  daß  man  die  Steine 
oft  nicht  mehr  sieht,  sondern  nur  dicke  dunkle  Laubwände  mit 
großen  Öffnungen,  durch  welche  man  in  die  sonnige  Campagna 
hinausschauen  kann.  Malerischer  sind  natürlich  die  Stellen,  wo 
noch  etwas  Mauerwerk  sichtbar  geblieben  ist,  märchenhafter,  dorn- 
röschenartiger freilich  die  andern.  In  einigen  Wochen  wird  der 
Efeu  an  der  Südseite  mit  blühendem  Kosengeranke  durchwoben 
sein.  Schon  jetzt  sahen  wir  ein  paar  weiße  Röschen  vorlaut  auf 
schwanken  Zweigen  herunternicken.  Das  Haus,  ohne  irgendwelches 
architektonisches  Interesse,  ist  „auf,  durch,  hinten,  in,  über,  unter, 
vor  und  zwischen"  einige  Bögen  des  Aquädukts  gebaut,  der  Garten 
an  der  Nordseite,  ein  schöner  italienischer  Garten  mit  meist 
immergrünen  Büschen  und  Bäumen,  namentlich  einigen  besonders 
großen  Pinien.  Aber  an  der  niedriger  gelegenen  Südseite  des 
Aquädukts  wuchern  Kakteen,  Aloen  und  wie  das  Zeug  alles  heißt 
so  üppig,  wie  ich's  hier  noch  nicht  gesehen  habe.  Auch  Statuen 
und  Bruchstücke  solcher  fehlen  natürlich  nicht.  Neben  der  Qualität 
ist  auch  die  Quantität  der  hier  vorhandenen  Reste  aus  der  Römer- 
zeit ganz  erstaunlich,  alle  meine  Erwartungen  übertreffend.  Und 
wie  so  oft  ein  Bild  zweiten  oder  dritten  Ranges,  an  einer  ihm 
gemäßen  Stelle,  ganz  anders  zu  uns  spricht  als  ein  vielleicht 
liesseres  au  einem  unpassenden  Platz,  so  ist  es  in  fast  noch 
höherem  Grade  manchmal  mit  Skulpturen.  Ein  Minervabild  steht 
hier  unter  hohen  dunkeln  Steineichen  so  feierlich  einsam  und 
wurde  durch  einen  Sonnenstrahl,  der  das  Postament  und  den 
Saum  des  Gewandes  streifte,  so  warm  und  lebendig,  daß  ihm  das 
unmittelbare  Gefühl  sicherlich  den  Vorzug  vor  den  berühmteren 
und  schöneren  des  Vatikans  und  Kapitols  geben  würde.  Gerade 
die  besten  Sachen  sind  hier  oft  in  meinen  Augen  am  aller- 
ungönstigsten  aufgestellt:  man  wollte  es  recht  gut  machen  und 
läßt  irgendein  grelles  scharfes  Licht  voll  auf  das  Götterbild  fallen, 
welches  vielleicht  für  das  feierliche  Dämmerlicht  der  Tempelcella 
gedacht  war.  Die  kapitolinische  Venus  z.  B.  wird  durch  ein  scharfes 
Oberlicht  ganz  beeinträchtigt,   abgesehen  von   der   sonstigen  ge- 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.^  10 


—     146     — 

schmacklosen    Dekorierung   des    kleinen    Gemaches,    welches    sie 
allein  bewohnt. 

Doch  durch  diese  beständigen  Abschweifungen  ist  aus  der 
Beschreibung  der  Villa  Wolkonski  schließlich  nicht  viel  geworden ! 
Die  Hauptsache  freilich,  der  Blick  in  die  sonnige  Campagna  mit 
ihren  Trümmern  und  Ruinen  und  dahinter  die  schöngeformten 
blauen  Albanerberge  läßt  sich  auch  eigentlich  nicht  beschreiben. 
Man  muß  es  sehen  oder  Oswald  Aschenbachs  Bilder  gut  im  Ge- 
dächtnis haben. 

Die  Wolkenbildungen  waren  nach  den  voraufgegangenen 
trüben  und  regnerischen  Tagen  herrlich  und  erinnerten  mich  oft 
an  Prellers  Odysseebilder.  —  Auch  Schmetterlinge  sahen  wir 
schon,  Blumen  natürlich  in  Fülle,  am  auffallendsten  die  breiten 
üppigen  Borten  von  hellblauem  Liebeshain,  sodann  die  schönen 
Stiefmütterchen,  von  den  großen,  kräftig  duftenden  Veilchen  gar 
nicht  zu  reden. ... 

Dann  sah  ich  den  Sonnenuntergang  vom  Monte  Pincio  aus, 
der  diesmal  besonders  großartig  ausfiel.  Onkel  Erwin  hat  ihn 
oft  beschrieben,  und  ich  will  nicht  versuchen,  mit  ihm  zu  kon- 
kurrieren. Nur  das  will  ich  bestätigen,  daß  so  ein  Sonnenunter- 
gang über  Rom  ganz  anders  ist  als  alle  andern  Sonnenuntergänge 
und  daß  die  Peterskuppel  einen  gewaltigen  Zauber  ausübt  und 
der  allein  wahre  Mittelpunkt  der  Welt  zu  sein  scheint.  Wenn 
so  ein  riesengroßes,  dunkelpurpurnes  Wolkengebirge  sich  über  ihr 
auftürmt,  das  der  harrenden  Menge  den  ersehnten  Anblick  der 
lieben  Sonne  verbirgt,  und  ihr  Wiedererscheinen  währt  immer 
länger  und  länger,  sogar  die  Abendkühle  stellt  sich  schon  ein  — 
dann  liegt  es  wirklich  näher  als  Ihr  in  Hamburg  glaubt,  darin 
ein  Abbild  „der  schweren  Prüfungszeit  der  Kirche"  zu  sehen,  und 
in  der  majestätischen,  dunkelblauen  Silhouette  der  Kuppel  eine 
Verkörperung  des  gläubigen,  unbeugsamen  Felsens  der  Kirche, 
„an  dem  das  Narrenschiff  dieser  Zeit  zerschellen  wird"  (wie  Bis- 
marck  einst  in  einer  schwachen  Stunde  gesagt  hat).  Und  blitzt  dann, 
wenn  man  es  gar  nicht  mehr  erwartet  hat,  die  Sonne  siegreich 
durch  das  Gewölk,  erleuchtet  dunkelglühend  die  Fenster  der  Kuppel 
und  übergießt  die  ganze  Welt  noch  einmal  mit  einem  Meer  von 


—     147     — 

Glanz  und  Helle,  ehe  sie,  ein  feuriger  Ball,  in  die  Nacht  hinab- 
sinkt, so  versteht  es  sich  ganz  von  selbst,  daß  dies  nichts  anderes  be- 
deutet als  den  endlichen  Triumph  und  Sieg  der  einzig  wahren  Kirche. 
Ob  wohl  viele  der  jungen  Geistlichen,  die  hier  immer  in  Gesell- 
schaft von  10  bis  12,  zwei  bis  zwei  gehend,  auf  und  ab  zu  spazieren 
pflegen,  solche  Gedanken  haben?  ...  Es  sind  übrigens  viele 
Deutsche  unter  ihnen;  die,  am  liebsten  Gemalten,  feuerroten,  sind 
sämtlich  Deutsche  oder  Österreicher.  Sie  sehen  wirklich  pracht- 
voll malerisch  aus,  besonders  wenn  sie  nach  Sonnenuntergang  in 
dem  klaren  Dämmerlicht,  welches  alle  Lokalfarben  in  so  eigener 
Weise  zur  Geltung  bringt,  in  leisen  Gesprächen  dahinschreiten 
über  den  grauen  Boden,  längs  der  grauen  Brüstungen  und  grau- 
grünen Aloen  und  dann  in  dunkelgrünen  Lorbeergebüschen 
verschwinden.  Nach  Sonnenuntergang  eilt  alles  heim,  Fuß- 
gänger und  Equipagen,  aber  alles  in  einer  gewissen  feierlichen 
Stille.  . . . 

Sonntag  war  wieder  strahlend  helles  Wetter.  Beim  Kaffee 
wurde  ein  Ausflug  nach  Frascati  beschlossen,  und  ich  übernahm 
es,  die  beiden  „Fleißbolde"  (Eisenlohr  und  Habich),  welche  schon 
um  ^2^  ^^  ^^^  Arbeit  auszurücken  pflegen,  dazu  zu  überreden. 
Dieselben  pflegen  in  der  Villa  Papa  Giulio  zu  arbeiten,  einem 
wunderschönen  edlen  Bau  der  Hochrenaissance  von  Vignola,  nicht 
weit  von  der  Porta  del  Popolo;  jetzt  nur  bewohnt  von  einem 
äußerst  schmutzigen  Kastellan  nebst  Familie,  zwei  jungen  Hunden, 
einem  guten  Hammel,  und  als  eine  Art  Militärmagazin  benutzt. 
In  den  Sälen,  wo  die  beiden  —  und  nachher  auch  ich  —  einen 
der  schönsten  edelsten  Plafonds  der  Welt  aufnahmen,  stehen 
viele  Kanonenräder,  in  andern  werden  Siebe^  geteerte  Tücher 
und  anderes  der  Art  aufbewahrt.  Zuerst  war  ich  eine  Weile  mit 
ihnen  fleißig,  dann  brachte  ich  sie  glücklich  mit  fort,  und  als  der 
lange  Weg  zum  Bahnhof  überwunden  war,  wir  im  Wagen  saßen, 
verschnauften  und  durch  die  herrliche  Campagna  sausten,  waren 
auch  sie  mit  ihrem  Unfleiß  ganz  einverstanden. 

In  einer  guten  halben  Stunde,  also  um  ^2^^'  waren  wir  in 
Frascati.  Das  Nest  liegt  sehr  schön,  schon  am  Abhang  des 
Albanergebirges ;  von  einer  großen  Terrasse  aus  sieht  man  rechts 

10* 


—     148     — 

Rom  und  links  —  uns  allen  überraschend  —  das  Meer  daliegen, 
ein  breiter,  glänzender  Silberstreif.  Aber  wir  waren  alle  mords- 
bungrig  und  zu  langen  P^ntzückungen  nicht  aufgelegt.  .  .  . 

Der  Weg  führt  bergan,  zunächst  zur  Villa  Aldobraudini,  von 
der  man  eine  Aussicht  hat,  wie  sie  auch  nachher,  wo  man  viel 
höher  hinaufgestiegen  ist,  nicht  wieder  vorkommt.  In  richtigem 
Instinkt  lagerten  wir  uns  hier  im  Gras  unter  den  dunkelschattigen, 
immergrünen  Eichen  —  die  eigentlich  gar  wenig  mit  unsern 
Eichen  gemein  haben  —  warfen  uns  wie  Jungen  mit  Steinen  und 
Pinienäpfeln  und  genossen  in  vollen  Zügen  die  wunderbare  Aus- 
sicht. Schließlich  mußte  doch  aufgebrochen  werden,  und  nun 
ging  es  in  ziemlich  flottem  Schritt  höher  hinauf,  zuerst  an  der 
,.Villa  Ciceros"  vorüber,  einem  großen,  öden,  langweiligen  Haus 
aus  dem  vorigen  Jahrhundert,  welches  jetzt  dem  König  gehört 
und  höchstwahrscheinlich  wirklich  an  der  Stelle  der  Ciceroschen 
Villa  steht.  Noch  höher  kommt  man  an  die  Ruinen  von  Tus- 
kulum.  Bis  zur  Burg  kamen  wir  nicht  mehr,  sondern  mußten 
uns  mit  einer  kurzen  Rast  bei  den  ersten,  von  einem  Amphi- 
theater herrührenden  Ruinenrestchen  begnügen  und  den  Abstieg 
beginnen.  Hier  oben  sah  man  das  Meer  natürlich  noch  weiter 
und  heller  hinüberglänzen,  sonst  war  die  Aussicht  vom  ersten 
Lagerplatz  aus  doch  die  schönste  gewesen.  Ich  blieb  ein  Stück 
hinter  den  andern  zurück  und  setzte  mich;  in  der  Abendstille 
lag  die  unbewohnte,  prächtig  große  Villa  mit  ihren  Treppen  und 
Terrassen,  ein  paar  Fontänen  sprudelten  leise  und  heimlich  dünne 
Wasserstrahlen  in  die  grünbemosten  Becken,  einige  Vögel  zwit- 
scherten und  jagten  sich  durch  die  dichten  Zweige  der  Steineichen, 
ein  Franziskaner  und  ein  Weltgeistlicher  gingen  in  einiger  Ent- 
fernung langsam  auf  und  ab,  hübsche  würdige  Gestalten,  und 
warfen  lange  Schatten  auf  den  goldgrünen  Rasen.  Weiter  ab- 
wärts traf  ich  mit  Thiersch  zusammen,  der  auch  seinen  eigenen 
Weg  gegangen  war.  Wir  besahen  noch  den  Marktplatz  von  Fras- 
cati,  auf  dem  eine  üppige  Barockfassade  einer  Kirche  von  noblen 
schönen  Proportionen  nicht  fehlte,  ebensowenig  wie  eine  große 
dreifache  Fontäne,  die,  wenn  wir  sie  in  Hamburg  hätten,  von 
vielen    als    unerhörter    Luxus    und    neuntes   Weltwunder    ange- 


—     149     — 

staunt  werden  würde,  uud  kamen  über  den  Korso  schlendernd, 
den  Frascati  natürlich  ebenfalls  besitzt  .  .  .  noch  zur  rechten 
Zeit 

Montag  abend  war  etwas  ganz  Apartes!  Wir  trennten  uns 
gleich  nach  dem  Essen  und  fanden  uns  erst  um  neun  im  Caf6  wieder, 
um  gemeinsam  das  Pantheon  und  Kolosseum  im  Mondschein 
zu  besichtigen.  Zunächst  klopften  wir  den  Pförtner  des  Pan- 
theons heraus,  er  ließ  uns  durch  eine  Hintertür  eintraten,  An- 
fangs sah  es  aus,  wie  wenn  in  einem  Zimmer  mit  einer  laterna 
magica  gespielt  werden  soll,  so  hell  stand  der  kreisrunde  Mond- 
schein in  der  schwarzen  Finsternis  da.  Dies  einzig  dastehende 
antike  Wunderwerk  empfängt  sein  ausschließliches  Licht  durch 
eine  Lichtöfihung  von  8  m  Durchmesser,  oben  inmitten  der  rie- 
sigen Kuppel.  Diese  Kuppel  hat  42  m  Durchmesser  (die  Peters- 
kuppel 43).  Der  Eindruck  dieses  Raumes  ist  so  eigenartig  groß 
und  vornehm,  daß  man  ihn  wirklich  mit  keinem  andern  ver- 
gleichen kann.  .  .  .  Anfangs  sah  man  nur  die  eine  große  Öffnung, 
durch  die  das  Licht  hereinflutet,  und  einen  kreisrunden,  Laterna 
magicaartigen  Schein  an  der  Wand,  welchen  ein  winziges,  rot- 
qualmendes, ewiges  Lämpchen  vor  einem  Marienbild,  in  der  Nähe 
von  Raffaels  Grabstein,  noch  silberblauer  erscheinen  ließ.  All- 
mählich dämmerten  die  schlicht  großartigen  Formen  erkennbar 
aus  der  Dunkelheit  hervor.  Der  Mond  stieg  schnell.  Bald  konnte 
man  ihn  über  den  Rand  des  Kuppelauges  sehen.  Erst  im  Ver- 
gleich mit  ihm  wurde  einem  die  Weite  der  Öffnung  recht  gegen- 
wärtig. —  Von  da  ging's  ins  Kolosseum. 

Wenn  ich  Dich  oder  sonst  jemand  Liebes  hier  in  Rom 
herumführen  sollte,  und  es  wäre  gerade  Vollmondszeit,  so  würde 
jch's  sicherlich  so  einzurichten  suchen,  daß  er  den  Anblick  des 
antiken  Roms  nicht  zuerst  bei  Tage  hätte,  sondern  in  der  feier- 
lichen Beleuchtung  und  Stimmung  der  Nacht.  Selbst  das  Forum, 
welches  bei  Tage  eigentlich  nicht  den  Eindruck  macht,  den  man 
erwartet,  wirkt  dann  außerordentlich.  Freilich  stören  die  modernen 
Gaslampen,  die  wenigstens  bei  so  hellem  Mondschein  unangesteckt 
bleiben  sollten,  sehr.  Selbst  weiter  hinaus,  wo  keine  menschlichen 
Wohnungen  mehr  sind,  stehen  einige  und  scheinen  den  friedlichen 


—     150     — 

Schlaf  der  alten  Welt  durch  ihr  modernes  ^  aberwitziges  Flim- 
mern zu  stören.  Man  hat  dasselbe  unbehagliche  Gefühl,  wie 
wenn  ein  guter  Freund,  über  dessen  Spaße  man  sonst  gern  lacht, 

sie  selbst  da  nicht  unterdrücken  kann,  wo  sie  nicht  hingehören 

Titusbogen,  Constantinsbogen  mit  Gaslampen!  —  Ich  fürchtete 
selbst  im  Kolosseum  würde  es  ebenso  sein,  aber  nein.  Der  Ein- 
druck desselben  ist  vielleicht  der  großartigste  der  ganzen  Reise, 
besonders  wenn  man  hineintritt  und  noch  unter  den  hohen 
schwarzen  Bogen  steht.  Das  hintere  Ende  verschwimmt  in  un- 
bestimmte neblige  Tinten.  Man  glaubt,  daß  nicht  für  90000 
Menschen,  sondern  für  die  ganze  antike  Welt  darin  Platz  ge- 
wesen sein  muß.  .  .  .  Außer  uns  kamen  natürlich  noch  mehr 
nächtliche  Besucher.  Wenn  man  dieselben  bei  Fackellicht  in 
den  oberen  Gängen  einherkriechen  sieht,  so  gibt  das  einen  noch 
deutlicheren  Begriff  von  der  überwältigenden  Größe  dieses  Trümmer- 
haufens. Es  ist,  wie  wenn  in  einem  ungeheuren  verkohlten  und 
schon  erkalteten  Ofen  noch  einige  kleine  Funken  glimmend 
umherlaufen,  bald  hier  bald  da  auftauchen,  bis  auch  sie  er- 
löschen und  alles  tot  und  leblos  daliegt.  Auch  wir  stiegen 
hinauf,  blieben  eine  lange  Weile  oben,  gingen  dann  aber 
heim  —  die  weißen  Wolken  hatten  außerdem  überhand  ge- 
nommen und  verdeckten  den  Mond  mehr  und  mehr  —  wir 
tranken  noch  einen  vino  caldo  (Glühwein)  und  waren  bald  nach 
Mitternacht  im  Bett. 

Dienstag  wurde  morgens  gearbeitet  und  nachmittags  zu- 
sammen mit  Familie  Hausmann  in  die  Villa  Albani  gegangen, 
welche  nicht  weit  vor  der  Stadt,  gegen  Osten,  liegt.  Sie  enthält 
trotz  großer  Verluste  in  den  französischen  Kriegen  noch  immer 
eine  der  reichsten  Antikensammlungen,  „die  durch  Winckelmanns 
Oberleitung  und  Werke  eine  der  bedeutendsten  Ausgangsstätten 
für  das  Verständnis  der  griechisch-römischen  Bildnerei  wurde*'. 
Auch  ihre  Lage  ist  wunderschön.  Fast  zu  viele  Büsten,  Hermen 
und  Marmorbilder  stehen  in  den  Laubgängen  und  beschnittenen 
Taxus-Hecken.  Für  einen  Besuch  mit  Familie  war  des  Sehens 
zuviel.  Gründlich  sehe  ich  eigentlich  immer  nur  ganz  allein, 
aber  wenigstens  bin  ich  jetzt  orientiert  und  habe  auch  manchen 


—     151     — 

Genuß    gehabt.     Einige    ganz   einzig   schöne   Sachen   sind  da 
unter  hunderten  mittelmäßigen  freilich.  .  .  . 

Für  heute  gute  Nacht! 

Hans. 


Rom,  Dienstag  13.  März  1877. 
Vicolo  Avignonesi  25. 

Lieber  Onkel! 

Heute  bin  ich  4  Wochen  in  Rom  und  habe  bisher  nicht  viel 
getan,  noch  nicht  einmal  alles  gesehen.  Sind  die  vier  Monate 
meiner  italienischen  Reise  überhaupt  gar  rasch  vergangen,  so  ist's 
mit  diesem  letzten  noch  ärger  gewesen:  Rom  ist  eben  Rom,  das 
Einzige,  Unvergleichliche  —  Unerreichbare. 

Natürlich  fühle  ich  mich  bereits  vollkommen  heimisch,  laufe 
täglich  einige  Male  an  der  Fontana  Trevi  vorüber,  als  ob  das 
gar  nicht  anders  sein  könnte  und  kann  die  Peterskuppel  ganz 
kaltblütig  ansehen,  ohne  mir  irgend  etwas  Besonderes  dabei  zu 
denken.  Auch  manche  Entfernungen  sind  durch  die  Gewohnheit 
oder  durch  bessere  Kenntnis  der  Richtwege  geringer  geworden ; 
außerdem  läuft  man  nicht  so  unsinnig  wie  in  den  ersten  Tagen 
von  Pontius  zu  Pilatus,  vom  Vatikan  zum  Kolosseum  und  abends 
auf  den  Monte  Pincio  oder  gar  in  irgendeine  Villa,  sondern  teilt 
sich  alles  hübsch  behaglich  ein,  kennt  die  Omnibuslinien,  genug, 
man  ist  eingebürgert! 

Es  war  meine  Absicht,  im  zweiten  Monat  an  einer  andern 
Stelle  der  Stadt  zu  wohnen,  und  die  Wohnung  eines  mir  be- 
kannten Archäologen  auf  dem  Tarpejischen  Felsen  mit  herrlichster 
Aussicht  auf  Forum,  Kolosseum  und  Kaiserpaläste  usw.,  welche 
er  auf  4  bis  6  Wochen  verlassen  wollte,  um  eine  Reise  nach  Neapel 
und  Sizilien  zu  machen,  hätte  mir  so  recht  gepaßt.  Aber  die 
Kälte,  welche  da  unten  herrscht  —  die  Eisenbahn  zwischen 
Palermo  und  Siena  soll  im  Schnee  stecken  geblieben  und  ein 
Mann  erfroren  sein  —  hat  ihn  seine  Reise  vorläufig  aufgeben 
lassen,  und  so  fahre  ich  denn  fort,  Vicolo  Avignonesi  zu  hausen, 
was  in  mancher  Beziehung  auch  bequemer  ist.     Vielleicht  arran- 


—     152     — 

giert  es  sieb,  daß  ich  nach  meiner  Rückkehr  aus  Neapel  noch 
8  bis  14  Tage  meine  Hütte  auf  klassischem  Boden  aufschlage. 

Kälte  haben  wir  freilich  auch  hier  gehabt  und  eigentlich 
immer  noch,  wenigstens  hat  die  Temperatur  noch  lange  nicht 
die  wonnige  Milde  von  Mitte  Februar  erreicht.  Eines  Tages  war 
sogar  der  Brunnen  Triton  auf  Piazza  Barberini  mit  ganz  an- 
sehnlichen Eiszapfen  behängt,  Montag  morgen  lag's  weiß  auf 
den  Dächern  und  tropfte  im  hellen  Sonnenschein  nachher  so 
lustig  auf  die  Straßen  hinab,  wie  auf  dem  einen  Quickbom- 
Initial  von  Papa.  Wenn  nur  die  Sonne  scheint,  dann  bin  ich 
ganz  zufrieden.  .  .  . 

Von  neuen  Ausflügen  kann  ich  wenig  mitteilen.  An  einem 
Sonntag  gehörte  ich  ausnahmsweise  zu  denen,  die  nicht  mit- 
machten, sondern  in  der  Villa  Papa  Giulio  arbeiteten,  weil  wir 
glaubten,  es  würde  regnen,  was  freilich  nicht  geschah,  so  daß  die 
Optimisten  einen  ganz  hübschen  Nachmittag  in  der  Campagna 
hatten.  Am  letzten  Sonntag  fuhren  wir  per  Omnibus  nach  Monte- 
Molle,  im  Norden,  dem  Orte  der  großen  Constantinsschlacht,  und 
gingen  da  auf  der  Via  Flaminia  ins  Poussintal.  Ob  wir  das 
richtige  fanden,  bleibt  fraglich,  jedenfalls  kamen  wir  durch  viele 
feuchte  Wiesen,  über  manche  Gräben  und  Hecken  und  kleine 
Brücken,  trieben  vielerlei  Unsinn  und  hatten  noch  von  einem 
Hügelrücken  aus  herrliche  Fernblicke  ringsum  auf  Rom  an  der 
einen,  auf  die  Bergkette  an  der  andern  Seite.  Letztere  wurde 
sogar  auf  10  Minuten  vom  milden  rotgoldigen  Abendschein  an- 
gestrahlt, sonst  wars  trüber  Himmel.  .  .  . 

Beide  Sonntage  beschlossen  wir  im  Theater,  und  zwar  — 
was  wirst  Du  sagen?  —  beide  in  Offenbachiaden,  von  einer  fran- 
zösischen Truppe  dargestellt!  Es  war  lustig,  billig  und  wir  haben 
viel  gelacht.  In  Rom  in  den  „Orpheus  in  der  Unterwelt"  und 
die  „Großherzogin  von  Gerolstein'-  zu  gehen,  klingt  zwar  wunder- 
lich, war  aber  ohne  Frage  das  beste,  um  einen  Sonntagabend 
iidel  totzuschlagen.  Viel  lustiger  war  ein  anderes  Theater,  welches 
wir  gestern  kennen  lernten:  das  Marionettentheater.  Ich  habe 
lange  nicht  so  gelacht,  und  das  für  3  Soldi!  Ganz  neu  war  mir 
der  Genuß  freilich  nicht,  auch  in  Thüringen  existieren  sie  noch, 


—     153     — 

und  im  Gasthof  zu  Oberweimar,  wo  ich  soviel  mitteldeutsches 
Volksleben  kennen  gelernt  habe,  erlebte  ich  auch  zweimal  Mario- 
nettenvorstellungen. Aber  es  ist  lange  genug  her,  um  wieder  die 
alte  Freude  daran  zu  haben.  Auch  ist  so  manches  anders  in 
Deutschland  und  in  Italien.  Das  Publikum  gleich  andächtig,  be- 
geistert bei  der  Sache,  hier  wie  dort,  aber  die  römischen  Gassen- 
jungenaugen blitzen  doch  ein  ganz  Teil  feuriger,  auch  sind  sie 
nicht  immer  unempfänglich,  für  einzelnes  gar  zu  komische,  selbst 
in  ernsten  Situationen.  Die  Wahl  des  Stückes  war  überaus  glück- 
lich: Orlando  furioso,  il  paladino  di  Francia.  Das  Gefechts- 
getümmel spielte  natürlich  eine  große  Rolle  und  war  urkomisch 
—  in  Weimar  sah  ich  dagegen,  mit  derselben  feierlichen  Be- 
geisterung gespielt,  und  durch  das  Schießen  noch  schauerlicher 
wirkend,  Scbiuderhannes.  Das  Lokal  hier  weniger  charakteristisch, 
auch  die  Beleuchtung  etwas  zivilisierter  und  weniger  malerisch, 
aber  immerhin  noch  mangelhaft  genug,  der  Gestank  ohne  Frage 
hier  bedeutender.  .  .  . 

Letzten  Sonnabend  kam  ich  zufällig  in  die  Casa  Bartholdi, 
was  während  des  Winters  sonst  sehr  schwierig  ist.  Die  Familie 
machte  aber  zufällig  einen  Ausflug  aufs  Land.  Die  Casa  Bar- 
tholdi ist  ein  ganz  gewöhnliches  stattliches  Haus,  was  man  ja 
hierzulande  Palazzo  nennt,  in  der  Via  Sistina,  ehe  dieselbe  auf 
den  Monte  Pincio  endet.  Das  berühmte  Zimmer  mit  der  Ge- 
schichte Josephs  befindet  sich  im  zweiten  Stock  und  ist  von  ganz 
gewöhnlicher  Größe.  Onkel  Erwin  spricht  darüber.  Überein- 
stimmen kann  ich  fi-eilich  nicht  ganz  mit  ihm.  Sein  hartes  Urteil 
über  die  beiden  Schadowschen  Bilder  ist  zwar  nicht  unbillig:  „ich 
begreife  nicht,  wie  sich  diese  Bettler  in  diese  Gesellschaft  von 
Fürsten  schleichen  durften."  Aber  mit  den  Fürsten  ist's  denn 
doch  nicht  ganz  so  arg,  meine  ich  —  mit  Ausnahme  von  Cor- 
nelius, denn  dessen  „Wiedererkennung  Josephs  und  seiner  Brüder" 
(die  Hauptgruppe)  ist  für  mich  immer  eine  der  königlichsten 
Leistungen  der  neuen  Kunst  gewesen,  und  hier  im  Original  erst 
recht.  Das  ist  ein  Schwung,  ein  Ernst,  ein  Adel  der  Zeichnung 
und  Komposition,  der  wahrhaftig  nicht  ,,konventionell"  genannt 
werden  kann.    Auch  sein  König  Pharao  ist  eine  herrliche  Figur 


—     154     — 

und  der  Joseph,  der  vor  ihm  steht  und  die  Träume  deutet,  ge- 
fällt mir  auch  wohl.  Früher  zog  ich  den  Schnorrschen  vor,  den 
ich  heute  noch  viel  schöner  finde,  aber  Cornelius  hat  ihn  — 
wunderlich  genug  —  naiver  aufgefaßt:  Schnorr  ist  ein  begeisterter 
Prophet,  der  Buße  predigt  oder  göttliche  Strafe  voraussagt,  ein 
Daniel,  der  das  Menetekel  zu  lesen  versteht;  Cornelius  hat  mehr 
den  schüchternen  Knaben  darstellen  wollen,  den  seine  wunder- 
same Gabe  vor  den  König  bringt,  dessen  Träume  er  mit  derselben 
Leichtigkeit,  aber  ganz  schlicht  und  objektiv  zu  deuten  weiß  wie 
80  viele  andere.  Das  sehe  ich  darin  und  das  gefällt  mir,  aber 
daß  Cornelius  das  nun  wirklich  ausgedrückt  hat,  wie  es  sein 
könnte  und  sollte,  kann  ich  nicht  behaupten.  Die  Priester  finde 
ich  allerdings  ,,echt  cornelianisch  konventionell  komponiert'*.  — 
Overbecks  „Verkauf  Josephs"  ist  gar  nicht  schön.  Die  unklare, 
genrehafte  Komposition,  die  zu  kurzen  Figuren  tadelt  Onkel 
Erwin  mit  Recht.  Warum  er  ihm  verbieten  will,  der  farbigen 
Wirkung  der  Ölmalerei  im  Fresko  möglichst  nahezukommen,  ver- 
stehe ich  nicht.  Daß  Michelangelo  in  der  Sixtinischen  Kapelle 
auch  die  schwierige  Aufgabe  des  Kolorits  meisterhaft  gelöst  hat, 
ist  gewiß  richtig,  aber  ich  bewundere  die  grausilberne  matte  Farbe 
besonders  deshalb,  weil  sie  sowohl  dem  dekorativ-architektonischen 
Aufbau  wie  dem  grandios  feierlichen  Inhalt  seines  Werkes  so 
wundervoll  entspricht  —  nicht  weil  die  Freskomalerei  es  so  ver- 
langt. Hat  doch  auch  Rafi"ael  in  seinen  Stanzen  einen  freudigen 
Ton  angeschlagen  und  in  der  Stanza  d'Eliodoro,  besonders  in 
der  Messe  von  Bolsena  eine  große  Farbenpracht  entwickelt.  .  .  . 
In  einem  Wohnzimmer,  für  welches  zwar  ein  biblischer,  aber  doch 
immerhin  idyllisch  behaglicher  Stoff  gewählt  wurde,  ist  die  er- 
habene Farblosigkeit  Michelangelesker  Sibyllen  gewiß  nicht  am 
Platze.  Über  den  beiden  Corneliusschen  Wandfiächen  sind  im 
flachen  Halbrund  „Die  7  fetten  und  die  7  mageren  Jahre"  von 
Veit  und  Overbeck.  Dieselben  haben  nicht  den  bedeutenden 
Eindruck  auf  mich  gemacht  wie  auf  Onkel  Erwin,  ja,  ich  weiß 
nicht  einmal  mehr  recht  genau  wie  sie  sind  und  muß  sie  mir 
eigentlich  noch  einmal  ansehen.  Nur  so  viel  weiß  ich,  daß  mir 
die  mageren  Jahre    lange   nicht    mager   und   die   7  fetten  Jahre 


—     155     — 

lange  nicht  fett  genug  waren.  Daran  ist  der  verwünschte  Mangel 
an  Charakteristik  schuld,  der  jener  ganzen  Zeit  eigentümlich  war. 
Man  hatte  nur  ein  Ideal  des  menschlichen  Körpers,  ein  ziemlich 
athletisches.  Für  die  Schönheit  weniger  robuster  Formen  scheint 
man  wenig  Sinn  gehabt  zu  haben.  Elegante  Beine  wie  bei 
Antiken,  beim  Apoll  von  Belvedere  z.  B.  findet  man  eigentlich 
nirgends,  geschweige  denn,  daß  die  schöne  Magerkeit  eines  halb- 
erwachsenen Knaben  irgendwo  dargestellt  wäre.  Der  verkaufte 
Joseph  Overbecks  z.  B.  ist  ein  ebensolcher  dickwadiger  Rüpel 
wie  all  seine  Brüder,  bei  denen  sie  sogar  zum  Teil  schief  oder 
zu  tief  sitzen.  —  Joseph  und  Frau  Potiphar  —  ich  weiß  nicht 
von  wem  —  sitzt  zwischen  zwei  Fenstern  und  ist  schlecht  zu 
sehen;  vielleicht  mit  Absicht,  was  jedoch  kaum  nötig  wäre,  so 
zahm  ist  die  Szene. 

Immerhin  ist  es  ein  höchst  interessanter,  wertvoller  Raum, 
der  womöglich  —  man  kann  Fresken  ja  jetzt  von  der  Wand  ab- 
nehmen —  hier  entfernt  und  zu  andern  Zwecken  anderswo  her- 
gerichtet werden  sollte.  Die  Bewohner  würden  ihn  schwerlich 
arg  vermissen,  denn  der  Gesamteindruck  des  Zimmers  ist  einer 
der  unbehaglichsten  der  Welt.  Von  harmonischem  Zusammen- 
gehen mit  der  Architektur  ist  keine  Rede,  jeder  Künstler  hat 
seine  Wand  ganz  ohne  Rücksicht  auf  das  Ganze  gemalt:  Cor- 
nelius seine  Figuren  natürlich  so  groß  wie  möglich,  lebensgroß 
oder  über  lebensgroß,  Overbeck  etwa  zwei  Drittel  lebensgroß  usw. 
Die  Decke,  Tonnengewölbe,  ist  von  einer  so  geschmacklosen  Ein- 
fachheit, daß  sie  heutzutage  auch  der  gewöhnlichste  Stubenmaler- 
meister besser  ornamentieren  würde.  Um  das  Maß  der  Dis- 
harmonie voll  zu  machen,  befinden  sich  über  den  Türen  noch 
zwei  kleine  ägyptische  Landschaften  (auch  Fresko),  vermutlich 
aus  späterer  Zeit,  mit  dem  bekannten  modernen  Schick,  von 
weitem  wie  Seitzsche  Farbendrucke  nach  Karl  Werners  Nilbildern 
wirkend  —  und  das  Mobiliar  ist  ganz  simpel  modern,  der  Teppich 
buntblumig,  aus  dem  Ende  der  50er  Jahre!! 

Dieser  Mangel  an  Gefühl  für  das  schöne  Verhältnis  der 
Malerei  zum  Raum  stört  mich  hier  vielmehr  als  die  Disharmonien 
der  Corneliusschen   Farbe,    an   die  ich  mich  bei  meinem  letzten 


—     156     — 

Aufenthalt  iu  München  so  gewöhnt  habe,  daß  ich  bei  ihm  gar 
nicht  mehr  darauf  achte. 

Wie  wunderbar  groß  steht  auch  darin  Ratfael  da!  Ich 
wundere  mich  wirklich,  daß  Onkel  Erwins  „Hand  nicht  erlahmte, 
während  er  es  schreiben  will",  daß  nämlich  Raffael  das,  was 
Michelangelo  so  ungeheuer  in  seiner  Gewalt  hatte,  etwas  abzugehen 
scheint:  die  architektonische  Anordnung  oder  lieber:  das  richtige 
Verhältnis  und  der  Zusammenhang  der  Malerei  mit  der  Architektur. 

Mit  feinerem  Gefühl,  dächte  ich,  für  den  Zusammenhang  von 
Architektur  und  Malerei,  als  dies  von  ihm  in  den  Stanzen  ge- 
schehen ist,  ist  wohl  nie  ein  Raum  geschmückt  worden.  Ich 
rede  nicht  von  der  Überwindung  der  Schwierigkeiten,  welche  die 
Wände  ihm  darboten,  in  denen  die  Fenster  nicht  einmal  in 
der  Mitte  sitzen,  sondern  ganz  allein  von  dem  Größenverhältnis 
seiner  Figuren  zum  Raum.  Wie  ist  das  z.  B.  in  der  Dis- 
puta  gelöst!  Man  vergißt  ganz,  in  was  für  einem  kleinen  Raum 
man  sich  befindet  und  ist  erstaunt,  wenn  man  ausmißt,  wie  weit 
unter  Lebensgröße  die  meisten  Figuren  sind.  Nur  der  eine, 
ganz  von  rechts,  hart  am  Rahmen  des  Bildes,  und  der  daneben, 
der  sich  über  die  Brüstung  vorbeugt,  haben  natürliche  Größe; 
die  Hauptgruppe  hat  er  so  weit  ins  Bild  hineingebracht  und  alles 
mit  genauster  Anwendung  der  Perspektive  so  richtig  angeordnet, 
daß  man  gar  nicht  nach  all  dem  fragt.  Cornelius  zwängt  so 
viele  und  so  große  Gestalten  wie  er  irgend  kann,  in  seinen  Raum; 
sie  scheinen  kaum  zu  atmen,  geschweige  denn  sich  bewegen  zu 
können.  Aber  darin  beruht  das  Wesen  der  hohen  Kunst  denn 
doch  nicht,  daß  die  Figuren  mit  dem  Kopf  und  den  Füßen  an 
den  Rahmen  stoßen!  Nein,  im  „Maß''  allein  liegt  das  eigentliche 
Wesen  der  Kunst.  Wie  Raffael  durch  eine  große,  leere,  per- 
spektivisch sich  verkürzende  Bodentläche  seine  großen  figuren- 
reichen Bilder  räumlich  zu  machen  weiß,  ist  so  bewunderungs- 
würdig wie  leicht  verständlich  und  nachahmenswert!  und  wie 
wenige  der  Neuen  sind  ihm  darin  gefolgt,  von  Cornelius  ganz  zu 
schweigen,  aber  selbst  Kaulbach  nicht  einmal  im  Reformations- 
bild (eher  im  Turmbau  zu  Babel);  am  meisten  von  denen,  die  mir 
gerade  einfallen,  Paul  Delaroche  in  seinem  Hemizycle.  .  .  . 


—     157     — 

Ich  war  heute  Morgen  zum  erstenmal  im  Garten  der  Villa 
Medici,  d.  h.  der  französischen  Akademie.  Daß  der  Monte  Pincio 
seit  1801  den  Franzosen  gehört,  ist  bekannt,  auch  habe  ich  es 
wohl  schon  erwähnt.  Davon  merkt  man  jedoch  nichts,  als  daß 
die  Anlagen  mit  Sonnenuntergang  geschlossen  werden,  was  im 
Sommer  recht  traurig  sein  mag,  denn  in  warmen  Mondnächten 
von  oben  auf  das  schlafende  Rom  hinzuschauen,  ist  gewiß  ebenso 
schön  wie  ein  Sonnenuntergang.  Der  Garten  der  Villa  Medici, 
Avohl  das  allerschönste  Stück  des  Pincio,  ist  dagegen  überhaupt 
nicht  öffentlich;  doch  läßt  einen  der  Portier  für  ein  Trinkgeld 
schon  hinein.  Ich  verdenke  das  den  Franzosen  gar  nicht,  bin 
sogar  ganz  froh  darüber,  denn  wenn  das  große  Publikum  täglich 
Zutritt  hätte,  würde  der  köstliche  Garten  bald  seinen  Zauber 
verlieren,  der  hauptsächlich  in  seiner  fast  klösterlichen  Stille 
beruht.  Hier  der  ganz  simple  Plan  des  Gartens:  hinter  dem 
Hause  ein  großer  freier  Platz  mit  etwa  drei  Fuß  hohen,  regel- 
mäßigen Buchsbaumhecken,  einigen  kleinen  Fontänen  und  Sta- 
tuen, hinten  sechs  herrliche  Pinien  und  die  Aussicht  auf  die  Villa 
Borghese.  Der  übrige  größere  Teil  besteht  in  ganz  regelmäßig 
angelegten,  breitern  und  schmälern  Wegen,  aber  hier  sind  die 
Buchsbaumhecken  nicht  gestutzt,  sondern  bilden  dunkle,  wohl 
8  bis  10  Fuß  hohe  Wände,  zwischen  denen  man  spazieren  geht, 
über  einem  wölbt  sich  das  schlanke  Gezweig  der  herrlichsten 
Lorbeerbäume.  Ich  sage  Euch,  es  ist  so  schön  auf  diesen,  teil- 
weise mit  Moos  überzogenen,  engen  Pfaden  auf  und  ab  zu  gehen, 
den  milden  Duft  des  dunklen  Laubes  zu  atmen,  immer  irgend 
einen  schönen  Ausblick  vor  sich;  sei  es  auf  Rom,  welches  sich 
tiefer  im  duftigen  Morgensonnenflimmer  ausstreckt,  sei  es  auf  der 
andern  »Seite  auf  die  Pinien,  Eichen  und  Lusthäuser  der  Villa 
Borghese,  sei  es  auf  irgendeine  schöne  Marmorfigur,  die  am  Ende 
der  Gänge  verteilt  sind,  daß  man  sich  vorstellt,  so  etwa  müßte 
das  Paradies  angelegt  sein,  oder  hier  wäre  der  Ort,  wo  ein  großes 
Gedicht  entstehen  müßte  —  oder  Gott  weiß  was  sonst.  Ich 
glaube,  ich  dachte  eigentlich  gar  nichts  als  immer  nur  wie 
wunderschön,  und  dazwischen  fielen  mir  ein  paar  schöne  Verse 
von  Platen  ein  oder  aus  Goethes  Tasso.     Auch  gibt's  hier  in  dem 


—     158     — 

dichten  Laubgebüsch  allerlei  Vögel;  hier  scheint  mau  sie  zu 
schonen.  —  Mit  den  schönen  Marraorbildern  ist's  übrigens  nicht 
so  schlimm;  es  sind  meist  nur  Gipsabgüsse  und  noch  dazu 
schlechte,  gegen  die  Witterung  zum  Teil  dick  mit  Ölfarbe  ange- 
strichene, aber  das  schadet  nichts.  Im  Freien  und  aus  der  Ferne 
wirken  sie  wunderschön!  Zwei  wirklich  schöne  Antiken  stehen 
freilich  auch  da,  ein  junger  Apoll  (?),  der  hinüberlangt  und  sich 
einen  Pfeil  aus  seinem  Köcher  nimmt,  eine  herrliche,  kräftig 
elegante  Gestalt  und  eine  Minerva,  über  einen  Brunnen  sitzend, 
unter  hohen,  schlanken  Lorbeeren,  das  allerschönste,  das  ich  an 
Verbindung  von  Kunst  und  Natur  gesehen  habe. 
Für  heute  genug  und  gute  Nacht! 

Hans. 

15.  März  1877. 

.  .  .  Eigentlich  hatte  ich  etwas  anderes  vorgehabt,  ließ  mich 
aber  sofort  von  meinen  Freunden  überreden,  mit  ihnen  die  Peters- 
kuppel zu  besteigen,  was  alle  Donnerstag  Morgen  von  8  bis  10 
gestattet  ist.  Für  den  Omnibus  war's  noch  zu  früh,  aber  in  der 
Kühle  war's  ganz  erwärmend,  den  weiten  Weg  zu  Fuß  zu  machen. 
Vorm  Peter  wurden  die  großen  Fontänen  gereinigt  und  sprangen 
nicht.  Was  der  Platz  dadurch  für  ein  seltsam  trübseliges  An- 
sehen hatte,  trotz  des  hellsten  Sonnenscheins,  ist  gar  nicht  zu 
sagen.  Als  wir  herunterkamen,  war  die  eine  Fontäne  glücklicher- 
weise wieder  im  Gange.  Sie  sind  mir  das  Liebste  auf  dem 
ganzen  Platz. 

Die  Besteigung  der  Kuppel  ist  äußerst  bequem,  natürlich  sind 
jedesmal  sehr  viel  Menschen  da.  Zuerst  sieht  man  die  Kuppel 
innen.  Dabei  macht  sie  einen  erstaunlich  kleinen  Eindruck.  Es 
ist  immer  dasselbe  Lied:  die  Figuren  sind  zu  kolossal,  wenig- 
stens zu  durchgängig,  gleichmäßig  kolossal.  Daß  oben  in  den 
16  Rippen  der  Kuppel  riesengroß  die  Gestalten  Christi,  Maria, 
Johannes  des  Täufers  und  der  Apostel  thronen,  ist  sehr  schön 
und  gewiß  im  Sinne  Michelangelos;  aber  die  ebenso  riesig  ge- 
bildeten Engel  darüber  (sogar  die  kleinen  Engelsköpfe  mit  vier 
Flügeln)    und    besonders     die    ebenso     großen    Halbfiguren    von 


—     159     — 

Bischöfen  und  Päpsten  darunter,  in  den  Halbkreisen  nehmen 
ihnen  alle  Wirkung.  Wäre  es  doch  Michelangelo  noch  vergönnt 
gewesen,  auch  zu  dieser  innern  Ausschmückung  alle  Entwürfe 
selber  zu  machen!  Hätten  wir  hier  einen  Apostelhimmel  von 
ihm,  als  Gegenstück  zu  seinen  Propheten  und  Sibyllen  in  der 
Sixtina!  Wie  ganz  anders  würde  er  auch  die  Farben  gewählt 
haben!  Gewiß  schliclit,  grau  silberig,  mit  wenig  Gold.  Jetzt  ist 
alles  farbenprächtig  und  heiter,  nicht  tief  und  wuchtig  wie  alt- 
christliche  Mosaiken,  sondern  von  derselben  faden,  fidelen  flotten 
Freskofarbe  wie  alle  derartigen  Kirchenausmalungen  aus  jener 
Zeit.  Daß  alles  alles  Mosaik  ist,  sieht  man  erst  oben.  Unten 
siehts  aus  wie  gewöhnliche  Dekorationsmalerei. 

Die  Fernsicht  von  oben  ist  natürlich  wunderschön  und  höchst 
interessant.  Die  Berggipfel  glänzten  im  herrlichsten,  dicken 
Schnee,  die  Morgennebel  hüllten  die  entfernteren  Teile  der  Stadt 
in  Duft,  was  das  Erkennen  der  hervorragenden  Baulichkeiten 
sehr  erleichtert.  Das  Meer  war  leider  nicht  zu  sehen.  Wunder- 
lich ist's,  wie  dicht  hinter  der  Peterskirche  die  Stadt  mit  einem 
Mal  aufhört  und  bestellte  Ackerfelder  anfangen.  In  seioer 
künstlich  erzeugten  Größenausdehnung  erinnert  Rom  mich  bis- 
weilen an  München.  Erst  nach  10  Uhr  gingen  wir  wieder  hin- 
unter. Es  war  inzwischen  gedrängt  voll  geworden.  Zum  Be- 
steigen der  höchsten  Spitze  bildeten  die  Leute  Queue.  Wir 
schenkten  uns  daher  letzteres. 

Dann  gingen  wir  zur  Galerie  Corsini  an  der  Famesina  vor- 
über, welche  wie  immer  am  15.  d.  Mts.  geöffnet  war;  die  sonst 
leere  Straße  wimmelte  infolgedessen  von  Wagen  und  Bettlern. 
Wir  gingen  jedoch  nicht  hinein  und  sahen  statt  dessen  Santa 
Cecilia,  über  deren  eigentümlich  schönes,  liegendes  Bildnis  unter 
dem  Hochaltar  von  einem  Schüler  Berninis  (Maderna)  Ihr  Onkel 
Erwins  Briefe  nachlesen  mögt. 

xyimählich  weiter  bummelnd,  in  noch  einige  der  369  Kirchen 
Roms  hineinguckend,  aber  gleich  wieder  herausgehend,  kamen  wir 
durchs  Ghetto  endlich  wieder  in  bekanntere  Gegenden  und  trennten 
uns,  da  ich  de  Boor,  den  ich  acht  Tage  nicht  gesehen  hatte,  in 
seinem  Restaurant  aufsuchen   wollte,    was  auch  gelang.     Er  be- 


—     160     — 

gleitete  mich  in  die  Villa  Papa  Giulio,  wo  ich  immer  noch  ar- 
beite und  freute  sich,  dieselbe  auf  diese  Weise  endlich  einmal 
kennen  zu  lernen.  Um  fünf  Uhr  verschwand  die  Sonne,  so  daß 
ich  nichts  mehr  tun  konnte,  und  so  schlenderte  ich  denn  auf  engen 
Feldwegen  zur  Acqua  acetosa,  einem  Sauerbrunnen  am  Ufer  des 
Tiber,  in  Öder  großartiger  Gegend.  Die  Beleuchtung  erhöhte  den 
melancholischen  Eindruck.  Alles  graubraun,  violett  in  den  feinsten 
Abtönungen:  Wasser,  Luft,  Campagna.  Berge.  Links  ein  tief- 
dunkler Eichenhain  auf  steilem,  zerklüfteten  Abhang.  Ich  blieb 
lange  da  liegen.  Als  ich  bei  Ponte  Molle  ankam,  war's  ganz 
dunkel,  und  als  ich  endlich  den  langen  Weg  zur  Trattoria  ge- 
macht hatte,  fehlte  nicht  mehr  viel  an  ^/^8.  Die  Freunde 
waren  schon  fortgegangen.  Ich  aß  also  ganz  allein,  und  das 
Essen  schmeckte  mir  nicht;  aber  das  war  auch  die  einzige 
Schattenseite  dieses  mannigfaltigen  Tages.  So  sind  sie  nun 
freilich  nicht  alle,  aber  das  wäre  auch  nicht  einmal  schön! 
Gute  Nacht  für  heute. 


Rom,  21.  März  1877. 
Vicolo  Avignonesi  25. 
Lieber  Onkel! 

Heute  Morgen  von  einem  mehrtägigen  Ausflug  zurück- 
gekehrt, fand  ich  Deinen  schon  seit  einigen  Tagen  erwarteten 
Brief  vor,  den  ich  sogleich  mit  einer  Fortsetzung  meiner  Be- 
schreibungen beantworten  will. . . , 

Mein  Fleiß  ist  jetzt  zufriedenstellend.  Ich  bin  etwa  ebenso 
fleißig  wie  die  anderen  auch.  Zurzeit  arbeite  ich  in  der  Engels- 
burg: Perin  del  Vagasche  Zimmer dekorationen  im  Raff"aelschen 
Loggienstil.  Ob  Onkel  Erwin  dieselben  gekannt  hat?  Schwerlich 
waren  sie  damals  zugänglich.  Aber  in  der  oft  erwähnten  Villa 
Papa  Giulio,  mit  der  ich  in  voriger  Woche  abgeschlossen  habe, 
hat  er  gewiß  auch  viel  studiert.     Fragt  Asher  doch  mal  danach. 

Bei  meiner  Beschreibung  der  Casa  Bartholdi  habe  ich  noch 
vergessen,  daß  ich  auch  in  dem  Zimmer  darüber  war,  welches 
Onkel  Erwin  nach  seiner  Rückkehr  aus  Neapel  bewohnte.     Der 


—     IGl     — 

Diener  machte  große  Umstände,  aber  schließlich  ließ  er  mich 
doch  auf  einen  Augenblick  eintreten.  Es  wird  jetzt  von  zwei 
jungen  Engländern  bewohnt  und  ist  sehr  behaglich  eingerichtet; 
überall  standen  hübsche  kleine  Schalen  voll  Veilchen  und  großen 
Anemonen,  nach  denen  die  ganze  Stube  duftete.  Damals  hat's 
gewiß  ein  gut  Teil  anders  ausgesehen,  aber  mir  war  doch  ganz 
eigen  zu  Mute.  Die  Wände  und  die  Decke  und  besonders  die 
weite  Fernsicht  über  die  große  Stadt,  nach  zwei  Richtungen  hin, 
sind  doch  noch  dieselben.  Asher  wird  sich  des  Zimmers  jeden- 
falls noch  erinnern. 

Doch  nun  zur  Beschreibung  der  inhaltreichen  Woche! 
Sonntag  den  18.  war  zum  erstenmal  wieder  so  recht  herrliches, 
mildes,  sonniges  Wetter  und  mir  gleich  am  Morgen  so  sonntäg- 
lich zu  Mute,  daß  ich  mich  so  anständig  wie  möglich  anzog. 
Dasselbe  Gefühl  hatte  auch  Eisenlohr  gehabt,  den  ich  vorher 
noch  nie  anders  als  in  seiner  Joppe  gesehen  habe ;  infolgedessen 
saßen  wir  eine  ganze  Weile  im  Caf6  zwar  nicht  nebeneinander, 
aber  doch  ganz  nah,  ohne  uns  zu  erkennen;  erst  als  die  anderen 
kamen  und  uns  beide  begrüßten,  merkten  wir,  wer  wir  waren. 

Es  wurde  beschlossen,  die  Katakomben  zu  besichtigen.  Stolz 
in  drei  Wagen  rollten  wir  durch  die  ganze  Stadt  zur  Porta 
Sebastiano.  .  .  .  Die  Porta  Sebastiano  liegt  im  Süden  der  Stadt 
schon  auf  der  Via  Appia.  Eine  Viertelstunde  vor  dem  Tor  sind 
die  Callistuskatakomben,  „die  wichtigsten  und  interessantesten  von 
allen".  Im  ganzen  ist  die  Einrichtung  der  Katakomben  ja  be- 
kannt und  keine  weitere  Beschreibung  nötig.  Hier  befindet  sich 
unter  andern  auch  die  „Papstgruft"  der  146  römischen  Bischöfe 
des  dritten  Jahrhunderts,  1854  wieder  entdeckt,  daneben  die 
Cäcilienkapelle,  die  alte  Grabkammer  der  Heiligen,  der  schon  sehr 
früh  hohe  Verehrung  zuteil  wurde.  Alte  Freskenreste  hier  zeigen 
sie  in  etwa  derselben  Kleidung,  in  der  Raflfael  sie  gemalt  hat. 
—  In  einigen  wenigen  Grabkammern  reicher  Leute  sieht  man 
flotte  künstlerische  Wandmalereien,  einige  noch  durchaus  antik, 
obenan  der  berühmte  Christus  als  guter  Hirt,  bartlos  „einer  be- 
kannten Mercurdarstellung  sich  anlehnend".  Letzterer  wird  sogar 
ins  erste  Jahrhundert  gesetzt.     Die    meisten  Gräber    sind    völlig 

Scbapire,  Hans  Speckters  Briefe.  11 


—     Iü2     — 

schmucklos:  einfache  in  den  vulkanischen  Tuif  gegrabene,  seitliche 
lange  Löcher,  wohl  sechs  bis  acht  übereinander,  so  eng,  daß  man 
kaum  begreift,  wie  man  die  Leichen  hineinlegen  konnte.  In  den 
Gängen  dazwischen  kann  immer  nur  ein  Mensch  gehen;  man 
kann  sich  kaum  darin  ausweichen.  In  anderem  Erdreich  als 
diesem  Körnertuff  würde  die  Luft  aufs  fürchterlichste  durch  die 
Verwesung  verpestet  worden  sein.  .  .  . 

Von  dort  ist's  nicht  mehr  weit  zur  Cäcilia  Metella,  dem  be- 
kannten Riesengrabmal,  welches  ein  reicher  Protz,  Herr  Crassus, 
seiner  Frau  um  98  vor  Christi  errichten  lies.  Teilweise  vorzüg- 
lich erhalten,  teilweise  malerisch  zertrümmert,  ist's  ein  Lieblings- 
vorwurf aller  Maler  und  durch  Bilder  genügend  bekannt.  Auch 
heute  saßen  zwei  da  und  malten,  was  das  Zeug  halten  wollte. 
In  Aquarell  oder  Ol  sieht  man  derartige  Ansichten  hier  zu 
Dutzenden,  an  allen  möglichen  Schaufenstern,  selten  sind  sie  so 
gut,  daß  ich  nicht  eine  gute  Photographie  vorzöge. 

Die  Via  Appia  hebt  sich  hier  ein  gutes  Stück,  und  man  hat 
einen  schönen  Fernblick  auf  Rom  und  die  Campagna,  mit  ihren 
Aquädukten  und  den  vielen  zerstreuten  Gräberresten.  Im  sonnigen 
Morgenduft  sah  das  alles  bezaubernd  schön  aus,  und  die  Wärme 
war  so  groß,  daß  ich  froh  war,  meinen  Überzieher  zu  Hause  ge- 
lassen zu  haben. .  .  . 

Unmittelbar  daneben  liegen  die  Reste  des  Zirkus  Maxentius 
(309  nach  Chr.),  in  denen  sich  am  Ostermontag  Rom  noch  einmal 
wieder  zu  einem  Wagenrennen  versammeln  wird.  Es  hat  seit 
fünf  Jahren  nicht  stattgefunden.  .  .  . 

Über  allerlei  Terrain,  auf  und  ab,  manches  Staket  über- 
steigend, kamen  wir  weiter  ostwärts,  auf  die  Via  latina,  die  andere 
große  Gräberstraße  Roms  und  zu  den  beiden,  vor  acht  Jahren 
hier  neuentdeckten,  unterirdischen  Gräbern.  Hätte  man  Geld 
genug,  um  längs  der  großen  Stadt  die  Ausgrabungen  fortzusetzen, 
so  würde  man  gewiß  noch  mehr  gefunden  haben.  Beides  sind 
viereckige  geräumige  Grabkammern,  weit  größer  als  die  größten 
in  den  Katakomben,  das  eine  mit  einem  Tonnengewölbe,  voll  der 
reizendsten  Stuckornamente  und  Figürchen,  das  andere  kleinere, 
noch  interessanter  durch  die  Verbindung  von  Plastik  und  Malerei, 


—     163     — 

ganz  älinlich  wie  in  Raffaels  Loggien.  ...  Es  wirkt  überaus 
reizend:  gemalte  p^mpejanische  Architekturen,  Ornamente  und 
dazwischen  ganz  Hache  graziöse  Figürchen,  zuweilen  auf  farbigem 
Grund.  Alles  ist  vortreiflich  erhalten,  weit  besser  als  Raffaels 
Loggien.  Mutter  Erde  bewahrt  dergleichen  gut,  besser  als  die 
rohen  Menschen,  deren  absichtliche  Zerstörung  der  Loggien 
deutlich  genug  sichtbar  ist.  In  diesem  Grab  steht  übrigens  noch 
ein  großer  Steinsarkophag  in  der  Mitte.  Die  Darstellungen  sind 
meist  heiteren  Inhalts:  Bacchus,  Diana  usw.  Nichts,  das  an  den 
Tod  erinnerte.  Es  ruht  sich  gewiß  gut  in  einem  so  traulich  be- 
haglichen Räumchen.  .  .  . 

Am  Nachmittag  wollten  wir  mit  der  Post  nach  Porto 
d'Anzio  fahren,  der  alten  Volskerhauptstadt  Antium,  am  Meer. 
Aber  es  stellte  sich  bald  heraus,  daß  alle  direkte  Postverbindung 
dahin  nur  itn  Gsell  Fels  existiert,  auch  früher  in  Wirklichkeit 
nie  existiert  hat.  Das  war  nun  recht  betrübend.  Der  schöne 
Sonntag  war  einmal  angebrochen,  und  wir  hatten  es  uns  so  schön 
gedacht,  am  folgenden  Morgen  ganz  frisch  am  Meeresufer  aufzu- 
wachen und  die  Einwohner  und  Einwohnerinnen  des  nahegelegenen 
Nettuno,  welche  wegen  ihrer  Schönheit  und  besonderen  Fest- 
kleidung berühmt  sind,  am  St.  Josephstag,  einem  ziemlich  hohen 
Feiertag,  zur  Kirche  gehen  zu  sehen.  Damit  war's  nun  nichts 
mehr. 

Schließlich  machten  wir  einen  Nachmittagsspaziergang  vor 
Porta  Pia.  Porta  Pia  liegt  im  Nordosten  der  Stadt  und  ist  ein 
Spätwerk  Michelangelos,  „ein  verrufenes  Gebäude,  scheinbar  eine 
Caprice;  aber  ein  inneres  Gesetz,  das  der  Meister  sich  selber 
schafft,  lebt  in  den  Verhältnissen  und  in  der  örtlichen  Wirkung 
der  an  sich  ganz  willkürlichen  Einzelformen.  .  .  .  Innerhalb  der 
Willkür  herrscht  eine  Entschiedenheit,  welche  fast  Notwendigkeit 
scheint."  Entschuldigt  dieses  lange  Zitat  aus  dem  Burchhardt! 
Wenn  man  das  Gebäude  kennt,  begeistert  die  Klarheit  und 
Richtigkeit  dieses  Urteils.  .  .  .  Der  Weg  führt  wie  so  viele  Land- 
straßen in  Italien  zwischen  Mauern,  über  die  man  nur  selten 
hinwegsehen  kann,  was  sehr  ärgerlich  ist  und  einen  ganz  nervös 
machen  kann,  da  einzelne  Durchblicke  zeigen,  wieviel  man  verliert. 

11* 


—     164     — 

Nach  einer  halbeu  Stunde  kommt  man  nach  S.  Agnese,  einer 
der  vielen  sehr  alten  Kirchen  außerhalb  der  Tore.  Diese 
Kirchen  sehen  sich  im  wesentlichen  alle  gleich:  antike  Säulen 
und  Kapitelle  aus  heiduischen  Tempeln  zusammengeholt,  byzan- 
tinische oder  frühchristliche  Mosaiken  in  der  Apsis  des  Chors, 
mit  steifen  Figuren  nnd  feierlich  schönen  Farben  auf  Goldgrund, 
alles  übrige  mehr  oder  minder  schwülstiger  hohler  Zopf,  das 
Beste  meistens  eine  reichgeschnitzte  Holzdecke  aus  dem  Ende 
des  16.  oder  Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  Eigentümlicher  ist  eine 
nahe  gelegene  Rotunde:  S.  Costanza,  das  Mausoleum  der  Töchter 
Constantins,  im  vierten  Jahrhundert  errichtet  und  sehr  gut  er- 
halten, ein  in  jeder  Beziehung  hochinteressanter  Kuppelbau,  der 
einen  schönen  großartigen  Eindruck  macht;  wenn  auch  die  Säulen 
antiken  Tempeln  entnommen  und  die  Mosaiken  der  Gewölbe 
ziemlich  roh  und  unselbständig  sind,  so  hat  mir  das  Ganze  doch 
einen  weit  größeren  Respekt  vor  jener  Zeit  beigebracht  (durch 
die  harmonischeu  Gesamtverhältnisse  und  die  wohltätige  Licht- 
wirkung), als  ich  bisher  hatte.  .  .  . 

Nach  einer  halben  Stunde,  während  welcher  uns  die  Mauern 
nicht  mehr  an  der  Aussicht  auf  die  schönen  Linien  der  Sabiner- 
und Albanerberge  hinderten,  kamen  wir  an  den  Anio  oder 
Teverone,  einen  ganz  anständigen  Nebenfluß  des  Tiber,  über  den 
eine  höchst  malerisch  befestigte  Brücke  führt.  Auf  beiden  Ufern 
ließ  sich  natürlich  die  emsige  Schar  der  deutschen  Architekten 
nieder,  um  das  Ding  zu  skizzieren,  was  von  weitem  oder  aus  der 
Vogelperspektive  gar  kurios  aussah.  Zwei  derselben  waren  freilich 
zu  faul  dazu  und  besonders  zu  durstig,  um  nach  dem  langen 
raschen  Marsch  einem  Wirtshaus,  welches  am  andern  Ufer  winkte, 
aus  dem  Wege  zu  gehen.  Der  eine  war  Herr  Lauser,  der,  wie 
schon  sein  Name  andeutet,  ein  unendlich  gutmütiger  stets  harm- 
los fideler  Schwab  ist,  die  will-  und  unwillkürlich  komische 
Person  des  Kreises,  der  andere  ich.  Leider  gab's  keinen  Kaffee, 
was  mich  sehr  enttäuschte,  aber  Wein  und  Wasser  waren  immer- 
hin erquicklich,  und  in  der  rauchgeschwärzten  kühlen  Küche  — 
aus  weiteren  Räumen  bestand  eigentlich  das  „Hotel"  nicht  — 
war's  gar  behaglich,  so  daß  wir  eine  ganze  Weile  sitzen  blieben, 


—     165     — 

aus  Pflichtgefühl  das  Interieur  zu  skizzieren  begannen,  aber 
schließlich  schlief  ich  dabei  ein.  Aufgewacht,  erklommen  wir 
den  Hügel  hinter  dem  Wirtshaus,  von  dem  aus  wir  einen  weiten 
Rundblick  hatten,  auch  auf  die  fleißige  Schar  unserer  Freunde. 
Nachträglich  erfuhren  wir,  daß  unser  Berg  der  Mons  sacer 
sei.  .  .  .  Von  halber  Höhe  des  Mons  sacer  aus  habe  ich  dann  den 
alten  Brückenturm  gezeichnet  und  blieb  sogar  noch  sitzen  als 
die  andern  den  Heimweg  antraten,  bis  es  so  dunkel  war,  daß 
ich  nichts  mehr  sehen  konnte.  Außerdem  erhob  sich  noch  ein 
kalter  Wind,  und  der  lange  Heimweg  allein  war  keine  verlockende 
Aussicht.  Aber  meine  Tugend  wurde  belohnt:  einem  Omnibus 
fehlte  gerade  noch  eine  Person;  kaum  war  ich  eingestiegen,  so 
jagten  die  kräftigen  Pferde  mit  einer  Energie  zur  Stadt  zurück, 
wie  ich  selten  was  erlebt  habe,  in  Italien  schon  gar  nicht.  Ich 
war  längst  mit  meinem  Abendessen  fertig,  als  die  andern,  welche 
unterwegs  noch  einmal  eingekehrt  waren,  ankamen;  sie  waren 
natürlich  hocherstaunt,  mich  zu  finden,  den  sie  schon  recht 
herzlich  bedauert  hatten.  .  .  . 

Montag  den  19.  März  war  St.  Josephstag.  Man  stand  um 
sechs  Uhr  auf  und  fuhr  gegen  sieben  Uhr  per  Bahn  nach  Albano. 
Das  Wetter  war  nur  so  so,  keine  Sonne,  viel  Wolken,  sogar 
einige  Regentropfen,  als  wir  ausstiegen.  In  Albano  setzten  wir 
uns  in  die  Post,  die  durch  diesen  Zuwachs  von  sieben  Mann 
natürlich  recht  eng  wurde.  Außer  uns  saßen  noch  zwei  schwei- 
gende und  meist  schlafende  Bauern  darin  und  ein  Gendarm, 
mit  geladenem  Gewehr,  ein  dito  auf  dem  Bock,  das  erste  Zeichen, 
daß  man  im  Vaterlande  der  Rinaldo  Ridalninis  ist.  —  In  Rom 
fühlt  man  sich  ganz  sicher,  sicherer  als  in  deutschen  Groß- 
städten. .  .  . 

Der  Weg  ist  lang  und  uninteressant.  Man  fährt  3^2  Stunden, 
meist  durch  dürren  niedrigen  Wald,  auf  schnurgerader  Chaussee, 
in  Holstein  könnte  es  gerade  so  sein.  Auch  ist  das  junge  Laub 
noch  sehr  weit  zurück;  die  Fruchtbäume  ausgenommen,  sieht 
man  hauptsächlich  nur  am  Brombeergeranke  ganz  kleine  junge 
Blättchen.  Der  Wald  war  gerade  wie  bei  uns  zu  derselben  Zeit. 
Das  meiste   gehört  den  Borgheses,   die  es  verpachten;    meist  an 


—     166     — 

Köhler,  welche  scheinhar  recht  unharmherzig  und  unklug  hausen. 
Geordnete  Forstgesetze  giht's  hier,  wie  ich  höre,  noch  nicht.  — 
In  der  Mitte  des  Weges  wurde  Halt  gemacht.  Es  war  ein  Wirts- 
haus und  eine  Kapelle  daneben.  Wohl  200  verteufelt  wild  aus- 
sehende Kerle  standen  und  lagen  hier  herum.  Sie  hatten  Kirch- 
gang gehalten  und  vergnügten  sich  nun.  Auf  den  kurzen,  kräf- 
tigen Pferden  mit  langen  Mähnen  und  Schwanz  pflegen  sie  auf 
hohem  Sattel  zu  sitzen;  Ziegenfellüberhosen  geben  ihnen  das 
charakteristische  faunartige  Aussehen.  Der  lange  stets  in  schönen 
malerischen  Falten  über  die  Schulter  geworfene  blaue  Mantel  und 
spitze  Hut  vollenden  den  räubermäßigen  Anblick.  Einige  trugen 
auch  lange  Flinten.  Ganz  zu  trauen  ist  der  Gesellschaft  sicher- 
lich nicht.  Allein  möchte  ich  nicht  fünf  Minuten  unter  ihnen 
sein,  so  finster  und  mißtrauisch  sahen  sie  drein.  Als  wir  in  die 
Kneipe  gingen,  folgte  der  eine  Gendarm  sofort;  ich  glaubte,  um 
seinen  Anteil  am  Frühschoppen  zu  empfangen,  andere  meinten 
zur  Bedeckung,  und  ich  glaube  fast,  sie  hatten  Eecht.  Er  trank 
fast  gar  nichts,  wollte  durchaus  nichts  annehmen.  Diese  Gen- 
darmen sind  überhaupt  sehr  ehrenwerte  Kerle,  oft  sehr  schöne, 
noble  Erscheinungen  von  ernstem,  feinem  Wesen  und  sicherlich 
nicht  mehr  —  ich  glaube  weniger  —  zugänglich  für  Trinkgelder 
und  Getränke  als  die  unserigen.  Dasselbe  möchte  ich  von  einem 
großen  Teil  der  Unteroffiziere  glauben,  die  zwar  weniger  stramme 
Soldaten  sein  mögen,  aber  moralisch  höher  zu  schätzen  sind  als 
die  preußischen  wie  ich  sie  kenne. 

Die  letzte  halbe  Stunde  fährt  man  in  einiger  Entfernung 
vom  Meer  dahin.  Die  Sonne  arbeitete  sich  durch  und  wir  langten 
um  elf  bei  gutem  Wetter  an.  Der  Wind  blies  uns  den  fri'-chen 
Meerduft  kräftig  entgegen,  die  Wellen  gingen  hoch  und  spritzten 
ihren  weißen  Schaum  hoch  aufwärts.  Die  lustig  beflaggten  Schiffe, 
schon  mit  der  einen  großen  geschwungenen  Raae  (ich  glaube, 
man  nennt  das  ,,lateiner  Segel")  lagen  in  festtäglicher  Stille, 
schön  ausgerichtet,  am  Molo  entlang.  Am  Ende  des  Molo,  am 
kleinen  Leuchtturm,  ging  die  Brandung  natürlich  am  höchsten. 
Man  wird  gar  nicht  müde,  die  schäumenden  Wogen  heranbrausen 
zu  sehen,   wie  sie  schwellen,    sich  überstürzen,    gegen  den  Stein- 


—     167     — 

dumm  prallen  und  plantschend  und  spritzend  die  Vormauer  über- 
fluten. Künstlich  geformte,  große  Beton quadern  liegen  unregel- 
mäßig auf  dieser  Vormauer,  damit  sich  der  Hauptanprall  au  ihnen 
breche.  Wir  stiegen  natürlich  hinauf,  erschienen  uns  sehr  kühn 
und  stolz,  aber  zuletzt  kamen  noch  einige  extragroße  Wogen  und 
bespritzten  uns  so  gründlich,  daß  wir  den  Rückgang  eiligst  an- 
traten. Der  alte  Neptun  ist  ein  gar  mächtiger  Fürst,  der  schon 
durch  kleine  Plänkler,  was  etwas  Schaumgespritze  doch  nur  ist, 
seine  Macht  beweist.  Läßt  er  erst  einmal  seine  weißmähnigen 
Rosse  wirklich  los  —  dann  Addio  Menschlein!  —  Ich  kannte 
das  Meer  früher  eigentlich  gar  nicht,  denn  die  Ostsee  ist,  mit 
Klaus  Groth  zu  reden,  ,man  'n  Pohl"!  Aber  auch  diejenigen 
unter  uns,  die  längere  Zeit  am  Meer  gelebt  haiien,  waren  ganz 
angetan  und  überrascht  von  den  großartigen  Stürmen. 

Dann  wurde  gegessen  —  Fische  gab's  leider  nicht,  des 
Sturmes  und  des  Festes  wegen  —  und  südwärts  der  Küste  ent- 
lang nach  Nettuno  gegangen.  Auf  dem  Weg  dahin  liegen  mehrere 
stattliche  Villen,  denen  man  aber  ansieht,  daß  sie  sehr  selten  be- 
wohnt werden.  Gar  anders  mag  es  vor  18Ü0  Jahren  hier  aus- 
gesehen haben,  als  Nero,  der  hier  geboren  war,  alle  erdenklichen 
Anstrengungen  machte,  der  Stadt  ihren  alten  Glanz  wieder  zu 
verleihen,  große  Hafenbauten  anlegte,  prächtige  Tempel  erbaute 
und  viele  reiche  Patrizier  veranlaßte,  sich  hier,  wo  er  selbst 
natürlich  eine  prächtige  Besitzung  hatte,  ebenfalls  Villen  zu  bauen. 
Von  all  dem  ist  nichts  mehr  zu  sehen  als  ein  Stück  des  alten 
Hafendammes,  in  welchem  die  See  besonders  wütend  tost  und 
sich  bricht.  Von  all  den  Tempeln  und  Villen  sieht  man  nur  die 
Grundmauern  unter  dem  Wasser.  Im  Ufersand  dagegen  findet 
man  manches  bunte  Marmorstück,  welches  einst  die  Wände  und 
Fußböden  jener  glänzenden  Häuser  schmückte,  vielleicht  gar 
einem  herrlichen  Götterbild  angehörte,  aber  nun  klein  und  form- 
los .  .  .  sich  kaum  von  den  andern  Kieseln  und  den  neuen  bäuri- 
schen Topfscherben  unterscheidet.  Früher  hat  man  mehr  als 
formlose  Stücke  hier  gefunden,  unter  anderm  in  Neros  Villa  den 
Apoll  von  Belvedere  (zur  Zeit  Julius  IL).  .  .  . 

Das  Ufer  ist  steil  und  hübsch,  aber  kaum  höher  als  an  der 


—     16»     — 

Elbe,  wo  unsere  großen  Villen  stehen.  Überhaupt  hat  die  ganze 
Gegend  einen  ziemlich  nordischen  Charakter.  Nur  das  Städtchen 
Nettuno  baut  sicli  so  klassisch  schön  auf,  wie  man  es  bei  uns 
nirgends  finden  wird.  Von  einem  besonders  schönen  Platz,  der 
Borghesischen  Villa  aus,  wurde  es  denn  auch  allgemein  skizziert, 
wir  kletterten,  um  etwas  höheren  Horizont  und  Meeresfläche  zu 
erlangen,  auf  die  Bäume,  was  sehr  komisch  aussah  und  von 
Thiersch  sehr  lustig  aufgenommen  wurde.  Der  Wind  konnte 
oben  noch  besser  ankommen  als  unten,  und  daß  das  Zeichnen  im 
Kampf  gegen  fortwährend  flatternde  Skizzenbücher  gerade  ein 
großer  Genuß  sei,  hat  wohl  noch  niemand  behauptet.  Die  meisten 
waren  denn  auch  erstaunlich  flink  fertig  und  wieder  auf  ebener 
Erde.  Eisenlohr  und  ich  hielten  etwas  länger  aus  und  wurden 
dafür  durch  eine  herrliche  Entdeckung  belohnt:  zu  unseren  Füßen 
lag  ein  Steinbruch,  um  den  sich  niemand  gekümmert  hatte;  wir 
stiegen  hinunter,  fanden  noch  ein  paar  unbedeutende  Reste 
früherer  Bewolintheit  (Säulenfüße.  Kapitelle  usw.),  schließlich  eine 
alte,  morsche  Tür,  und  als  wir  diese  öftneten,  waren  wir  in  einer 
weiten  Grotte,  die  sich  unmittelbar  aufs  Meer  öffnete  und  ofi^enbar 
von  Menschenhand  erweitert  und  künstlich  ausgeschmückt  worden 
war.  Wir  sind  natürlich  vorläufig  fest  davon  überzeugt,  daß  dies 
ein  Neronisches  Badezimmer  gewesen  ist,  wo  er  abends,  wenn 
die  untergehende  Sonne  den  ganzen  Raum  mit  ihren  glühenden 
Strahlen  erfüllte,  von  schönen  Mädchen  umgeben,  auf  prächtigem 
Lager  ruhte  und  zum  Leierklang  irgendeinen  pomphaften  Dithy- 
rambus sang,  oder  weinlaubbekränzt  dem  Meer  aus  goldenen 
Schalen  Trankopfer  brachte  oder  nächtliche  Orgien  feierte.  Heute 
war  das  Meer  für  all  dergleichen  nicht  geeignet,  und  nachdem 
wir  auf  einigen  großen  Felsblöcken  unseren  kleinen  menschlichen 
Stolzesgefühlen  genug  getan  und  uns  nasse  Füße  geholt  hatten, 
setzten  wir  den  Weg  nach  Netuno  fort. 

Wir  fanden  die  übrigen  natürlich  bald  auf  dem  Marktplatz: 
Thiersch,  der  Maler  so  gut  wie  Architekt  ist,  von  Dutzenden  von  Ein- 
wohnern bewundernd  umdrängt,  zeichnete  einen  alten  Kerl;  die 
Berliner  räsonierten  über  das  Wetter,  welches  wieder  ganz  trüb 
geworden  war,  und  über  den  Mangel  an  interessanter  Architektur, 


—     169     — 

die  andern  beiden  saßen  im  Caf6!  Nachdem  auch  wir  unsere 
durchwehten  Glieder  daselbst  erwärmt  hatten,  spazierten  Eisen- 
lohr  und  ich,  da  in  der  Stadt  wirklich  „gar  nischt  los  war"  — 
darin  hatten  die  Berliner  ganz  recht  —  zur  andern  Seite  wieder 
heraus  und  fanden  auch  bald  ein  Plätzchen  auf  einem  hohen 
„Knick"  (um  norddeutsch  zu  reden),  wo  wir  weich  und  duftig  im 
niedrigen  Myrtengesträuch  saßen,  zum  erstenmal  vorm  Winde 
geschützt  waren  und  eine  schöne  Aussicht  auf  die  Landstraße, 
das  graugrüne  Meer  und  die  Stadt  hatten,  welche  sich  von  dieser 
Seite  ähnlich,  aber  noch  schöner  aufbaut,  als  von  der  Villa  Bor- 
ghese  aus.  Die  Luft  wurde  immer  düsterer,  das  Meer  immer 
unheimlicher,  farbloser,  der  weiße  Schaumgürtel  längs  des  Ufers 
immer  breiter,  und  immer  höher  sahen  wir  die  Wogen  auf  dem 
mächtigen  Steinbollwerke  des  Kastells  aufspritzen.  Es  war  ganz 
die  großartig  sehnsüchtige,  pessimistische  Stimmung  der  Böcklin- 
schen  „Villa  am  Meer"  in  der  Schackschen  Galerie.  Statt  der 
einsamen  schwarzen  Frauengestalt  dort,  welche  man  Iphigenie 
getauft  hat,  bildeten  hier  freilich  besoffen  heimkehrende  Bauern 
die  Staffage,  je  zwei  oder  drei,  oder  auch  einzeln,  auch  wohl  zu 
Pferd  oder  Esel,  alle  mehr  oder  minder  banditenmäßig  aussehend, 
aber  in  sehr  stiller,  friedfertiger  Rauschstimmung.  Einer,  der 
besonders  gefährlich  und  blutdürstig  aussah,  auch  eine  lange  Flinte 
über  der  Schulter  trug,  torkelte  am  allerbedenklichsten  von  einer 
Seite  auf  die  andere  und  machte  uns  große  Freude. 

Als  wir  zurückkehrten,  waren  die  andern  schon  heimgegangen. 
Ganz  Nettuno  schien  sich  zur  Feier  des  heiligen  Joseph  an- 
getrunken zu  haben,  was  Eisenlohr,  als  guten  Schwaben,  mit  einer 
gewissen  sympathischen  Rührung  erfüllte.  Dabei  waren  sie  aber 
alle  ganz  harmlos  und  freundlich,  trotz  ihrer  waldmenschartigen 
Ziegenfellüberhosen.  .  .  .  Gar  lustige  Szenen  sahen  wir  noch  auf 
der  Landstraße,  die  man  bei  uns  ähnhch,  aber  doch  weniger  naiv 
und  harmlos  erleben  kann.  Schließlich  kam  für  fünf  Minuten 
noch  ein  rosigvioletter  Sonnenuntergangsschein  über  den  wolkigen 
Himmel  und  die  entfernteren  Berge,  was  wunderschön  aussah. 
Unten  c4,m  Strand  war's  schon  fast  nächtlich  und  von  besonderer 
Großartigkeit.     Das  Abendessen    zeichnete    sich  durch    kolossale 


—     170     — 

Mengen  frischen  Salats  aus.  .  .  .  Ein  angeheiterter  Fischer  am 
Nebentisch  rezitierte  halb  singend  ein  langes,  wohlklingendes  Ge- 
dicht, dessen  Inhalt  ich  jedoch  nur  halb  verstand.  Unser  Beifall 
animierte  ihn  und  auch  die  andern  Anwesenden,  so  daß  sich 
ein  gar  gemütliches  und  charakteristisches  Gesinge  entwickelte. 
Zwischendurch  sangen  wir  auch  einige  deutsche  Lieder,  wobei 
sich  freilich  die  Abwesenheit  unseres  Hauptsängers  und  einige 
energische  falsche  Töne  des  einen  Berliners  ziemlich  bemerkbar 
machten.  Die  italienischen  Lieder  gehen  alle  in  Moll,  was  ihnen 
einen  eigenen  Reiz  gibt  und  sehr  „gebildet''  klingt.  Am  besten 
gefiel  den  Leuten  offenbar  Lützows  „Wilde  verwegene  Jagd"  und 
—  „Die  Pinzgauer"!  Nachdem  wir  uns  die  Brandung  noch  ein- 
mal in  stockfinsterer  Nacht  angesehen  hatten,  wobei  mir  die 
wundervollen  Sturmakkorde  aus  Wagners  „Fliegendem  Holländer" 
in  den  Ohren  klangen,  so  daß  ich  kaum  erstaunt  gewesen  wäre, 
wenn  plötzlich  das  Gespenstische  Schiff  mit  den  blutroten  Segeln 
vorübergesaust  wäre  —  gingen  wir  zu  Bett  und  schliefen,  ohne 
viel  Allotria  zu  treiben,  bald  ein.  .  .  . 

Dienstag  war  das  alte  Meer  frühmorgens  noch  grauer  als 
tags  zuvor,  und  der  Himmel  eine  schwere  graue  Regenwolke.  Es 
regnete  sogar  etwas.  Während  des  Kaffees  hellte  es  sich  auf, 
die  Sonne  kam  sogar  durch,  zwar  nur  matt  und  farblos,  aber  das 
silberne  Flimmern  auf  der  weiten  Wasserfläche  sah  wunderschön 
aus.  Zuerst  gingen  wir  natürlich  wieder  auf  den  Molo.  War  der 
Anprall  der  Wogen  gestern  schon  großartig  gewesen,  so  war's 
über  Nacht  doch  noch  ganz  anders  geworden.  Die  Quadern,  von 
denen  uns  gestern  nur  einige  besonders  heftige  Wellen  durch  ihr 
Gespritze  vertrieben  hatten,  wurden  heute  von  jeder,  die,  in 
langen  Intervallen  feierlich  anschwellend,  sich  heranwälzte,  so  ganz 
überflutet,  daß  ein  Mensch  gewiß  mit  heruntergespült  worden 
wäre.  Die  Urkraft  des  Elements  hat  etwas  so  Begeisterndes,  daß 
man  unwillkürlich  im  Kampf  zwischen  ihm  und  dem  Menschen- 
werk Partei  für  ersteres  nimmt  und  jauchzend  mit  zusehen  könnte, 
wie  die  Quadern  des  Molo  seiner  Gewalt  weichen  müßten,  wie 
der  Leuchtturm  hinweggespült  würde  und  man  selber  mit!  Man 
möchte  mit  zu  dem  starken  und  frischen  Chor  der  Tritonen  und 


—     171     — 

sonstigen  Fischmenschen  gehören,  den  Göttern  des  Olymps  untreu 
^s•erden   und    zur  Fahne  —  vielmehr   zum   Dreizack   des    Neptun 

—  schwören,  aller  verfeinernden  und  verzärtelnden  Bildung  den 
Krieg  erklären   mit  der  Devise:  „Es  muß  alles  zerstört  werden" 

—  denn  das  ist  die  Devise  des  Meerreiches.  .  .  . 

Dann  begann  die  Wanderung  nach  Torre  d'  Astura.  Dies 
ist  ein  Turm,  der  10  Miglien  (2^^  Meilen)  von  Anzio  entfernt  an 
der  Küste  liegt  und  mancherlei  geschichtliche  Erinnerungen  auf- 
weist: erstlich  steht  er  auf  den  Mauerresten  einer  der  größten 
Villen  Ciceros,  und  dann  war  es  hier,  wohin  Konradin  von 
Schwaben  nach  der  unglücklichen  Schlacht  bei  Tagliacozza  flüch- 
tete, vom  Besitzer  Jacopo  Frangipani  aufgenommen,  aber  als  Karl 
von  Anjous  Reiter  kamen,  diesen  ausgeliefert  wurde.  Außerdem 
soll  man  eine  herrliche  Fernsicht  von  hier  aus  haben,  nach  allen 
Seiten  hin,  besonders  nach  Süden  aufs  Kap  der  Kirke,  welches 
■wir  allerdings  schon  tags  zuvor  von  Antium  aus  gesehen  hatten. 
Essen  mußte  mitgenommen  werden.  Der  Sohn  des  Wirts  .  .  . 
trug  es  und  wollte  zugleich  als  Wegweiser  figurieren,  da  der 
Strand  teilweise  nicht  zu  passieren  war.  Hinter  Nettuno,  von 
dessen  schönen  Mädchen  und  Trachten  wir  auch  heute  nichts  zu 
sehen  bekamen,  ging's  eine  Weile  landeinwärts,  durch  Redder 
und  ausgerodeten  Wald,  dann  durch  feuchte  Wiesen  wieder  zum 
Strand  hinunter.  Hier,  in  dem  Sand  gegen  den  Wind  zu  mar- 
schieren, war  kein  Vergnügen,  besonders  da  der  Nebel  nicht  wich 
und  man  weder  den  Turm  noch  Antium  erkennen  konnte.  Die 
Stimmung:  „Un  dat  sali  nu'n  Vergnögen  sin?!"  nahm  überhand, 
und  eine  Revolution  war  vor  der  Tür,  welche  Verzehren  des  Vor- 
rats und  Heimkehr  verlangte.  Aber  die  beiden  Schwaben,  zweite 
Kolumbusse,  wollten  nichts  von  rückwärts  wissen.  Die  Entdeckung 
eines  einsam  stehenden  Hauses  begeisterte  und  beruhigte  selbst 
die  Murrenden.  Es  war  eine  Ziegelei.  Die  Leute  waren  sehr 
freundlich,  gaben  uns  Brot  und  ziemlich  schmutziges  Wasser, 
welches  trefflich   schmeckte.     Wein   oder  Käse  hatten   sie   nicht 

—  wenigstens  wollten  sie  uns  nichts  davon  geben,  was  man  ihnen 
nicht  verdenken  konnte.  Der  Strand  gleicht  dem  der  Ostsee: 
Sand,   Gestrüpp,    einige  verwehte  Bäume  usw.     Von   den  Büfi"el- 


—     172     — 

lierden.  vor  denen  man  sich  zu  hüten  hat,  war  nichts  zu  sehen. 
Einige  zahme  Ochsen  gingen  uns  höchst  bescheiden  aus  dem 
Wege.  Einmal  sahen  wir  ein  Rudel  Dammwild.  Sonst  ist  außer 
einigen  Trümmern  antiker  Villen  und  mittelalterlicher  Strand- 
burgen^ welche  die  Sarazenen  zerstörten,  wenig  Bemerkenswertes 
von  der  Küste  zu  erzählen.  Immer  näher  kam  der  Turm,  end- 
lich nach  vierstündigem  angestrengten  Marsch  traten  wir  punkt 
1  Uhr  in  einen  kleinen  Burggarten,  der,  schlechtgepflegt  und  vom 
Wind  zerzaust,  sich  doch  durch  einen  Flor  der  üppigsten  roten 
Levkojen  auszeichnete,  über  eine  schmale  Brücke,  auf  der  der 
Wind  natürlich  ganz  besonders  pfiff,  kamen  wir  in  den  Turm, 
dessen  bescheidene  Besatzung  hocherfreut  und  erstaunt  über  den 
unerwarteten  Besuch  war.  Es  kommen  nicht  viel  Fremde  hin, 
besonders  nicht  bei  so  stürmischem  Wetter.  Der  Feldwebel  war 
ein  schöner,  gebildeter  Mann,  der  die  Honneurs  mit  beneidens- 
wertem Anstand  machte.  Unser  Brot,  Eierkuchen  und  Wein 
schmeckte  vortrefflich.  Zu  sehen  ist  wirklich  nichts:  aus  Kon- 
radins  Zeiten  stammen  nicht  einmal  die  jetzigen  Außenmauern. 
Innen  überall  kahle  Wände.  Ein  sehr  primitives  Zimmer  ist  für 
den  Principe  Borghese  reserviert,  wenn  er  zur  Jagd  auf  Strand- 
vögel herkommt.  Ein  schön  eingebundenes  Projekt  zur  Restau- 
rierung des  Turms,  mit  peinlichster  Nettigkeit  ausgeführt  und  dem 
Principe  Borghese  dediziert,  bildet  den  Hauptschatz,  der  gezeigt 
wird.  Von  Fernsicht  war  keine  Rede.  Aber  die  Sonne  .  .  .  kam 
wieder  und  bereitete  uns  einen  schönen  Nachmittag.  Zunächst 
wurde  von  den  noch  am  Strand  stehenden  Ruinen  der  Cicero- 
schen  Villa  aus  der  Turm  skizziert,  was  schnell  getan  war;  dann 
tummelten  wir  uns  auf  dem  schönen  glatten  Ufer  und  ruhten  in 
der  warmen  Sonne.  Der  alte  Cicero  hat  sich  hier  wirklich  einen 
herrlichen  Platz  ausgewählt!  Das  sah  man  auch  ohne  Fernsicht. 
Und  von  ganz  bedeutender  Ausdehnung  muß  seine  Besitzung  ge- 
wesen sein;  die  meisten  Mauerreste  liegen  jetzt  unter  dem  Wasser- 
spiegel, —  oben  vom  Turm  aus  konnte  man  den  ganzen  Grund- 
riß deutlich  erkennen  — ,  aber  auch  am  Strande  stehen  nocli 
ganz  respektable  Brocken  festen  Backsteingemäuers.  —  Um  4 
brachen  wir  auf,  um  6  waren  wir  in  Nettuno.     So  rasch  ging's 


—     173     — 

ohne  den  Widerstand  des  Windes.  .  .  .  Auch  die  Heftigkeit  der 
Brandung  ließ  etwas  nach.  Da  Ebbe  eingetreten  war,  konnten 
wir  den  ganzen  Weg  am  Strande  bleiben,  um  die  vorspringenden 
üferkanten  mit  Vorsicht  und  Schnelligkeit  herumlaufend,  wenn 
die  Welle  sich  gerade  zurückgezogen  hatte.  Aber  nasse  Füße 
gab's  doch,  und  namentlich  eine  urkomische  Szene,  als  wir 
auf  glitschigen  Speckstein  gerieten,  vor  Lachen  nicht  von  der 
Stelle  konnten  und  uns  ganz  geduldig  naß  spritzen  lassen  mußten. 
In  Nettuno  wurde  natürlich  eingekneipt,  in  einer  höchst  male- 
rischen Wirtschaft,  die  wieder  aus  nur  einem  großen  Eaum  be- 
stand, der  Küche,  Wirtschaft,  Keller,  Durchfahrt,  Speisekammer 
usw.  vorstellte,  und  nach  dem  Abendbrot  schleunigst  zu  Bett  ge- 
gangen. Mehr  als  zwei  Stunden  Schlaf  hatten  wir  freilich  nicht, 
denn  um  Mitternacht  fährt  die  Post  ab  —  die  einzige  Verbindung 
mit  der  Welt!!!  Das  schlaftrunkene  Gerassel  im  Postwagen  war 
nicht  gerade  genußreich,  schien  aber  weniger  lange  zu  währen 
als  die  Hinfahrt  bei  Tag  über  den  langweiligen  Waldweg.  In 
Albano  ausgestiegen,  regnete  es.  Schimpfend  öffnete  der  Bahn- 
hofinspektor den  stinkigen  Bahnhof,  wo  wir  uns  auf  die  Holz- 
bänke legen  oder  auf  und  ab  rennen  durften.  Erst  um  ^/^ß  kam 
der  Zug,  und  gegen  7  waren  wir  in  Rom.  Hier  fand  ich  Deinen 
Brief,  las  ihn  rasch,  legte  mich  dann  ins  Bett,  schlief  bis  9,  traf 
dann  Eisenloh r  im  Cafö  und  war  leidlich  fleißig  mit  ihm  in  der 
Engelsburg,  welche  ich  heute  absolviert  habe.  Die  Perin  del 
Vagaschen  Zimmer  dort  sind  mir  ziemlich  das  liebste,  was  ich 
an  leichter  Zimmerdekorierung  kenne,  einzelne  Figuren  von  ge- 
radezu raffaelischer  Schönheit.  Verzeiht  die  breite  Ausführlich- 
keit dieser  Beschreibung;  ich  entschuldige  mich  mit  Cicero:  „Zu 
einer  kürzeren  fehlte  mir  die  Zeit!*' 

Am  22.  war  Kaisers  Geburtstag  und  Thiersch  und  ich,  wie 
zu  erwarten  war,  aufs  Kapitol  geladen.  Es  war  recht  interessant 
und  amüsant  für  uns.  Sehr  bunte  Gesellschaft,  hohe  Aristokratie, 
neben  Krethi  und  Plethi  aller  Art.  Was  an  Deutschen  hier  ist 
und  seine  Karte  abgibt,  wird  zu  diesem  Tag  eingeladen.  Große 
schöne  Räume  mit  zopfigen  Plafonds  und  nicht  allzuviel  moderner 
Geschmacklosigkeit    eingerichtet.      Einzelne    Ecken    mit    hohen 


—     174     — 

Lorbeerzweigeu  geziert,  machten  sich  sogar  wundervoll.  Höchst 
unglücklich  freilich  war  das  Arrangement  der  Kaiserbüste  im 
großen  Saal:  sie  stand  bis  zum  Kinn  in  einem  Beet  von  rosa 
Azaleen!!  Von  hohem  Lorbeer  und  Palmengcbüsch  dahinter 
keine  Idee. 

Keudells  große  Rede  war  fließend  und  gut  gemeint,  aber  ent- 
setzlich nüchtern  und  schwunglos.  Sie  hätte  eigentlich  gerade 
so  gut  auf  John  Henry  Schröder  oder  sonst  jemand  gepaßt.  Ist's 
denn  so  schwer,  auf  dem  Kapitol  des  deutschen  Kaisers  Hoch 
an  seinem  80.  Geburtstag  auszubringen?  Ich  bin  überzeugt,  daß 
in  Hamburg  an  jenem  Abend  viel  viel  bessere  und  begeisterndere 
Trinksprüche  gesprochen  wurden,  selbst  die  „gebundene  Rede", 
die  Dr.  Hofrat  Förster  den  Tag  in  München  zum  besten  gegeben 
hat,  wird  trotz  aller  Bedenklichkeiten  mehr  Schwung  gehabt  haben. 
Ein  doppelt  besetztes  Mänuerquartett,  vermutlich  des  Künstler- 
vereins, sang  darauf  „Heil  Dir  im  Siegerkranz"  mit  neuen  Worten 
und  nachher  noch  einige  deutsche  Volkslieder,  aber  teils  so  lang- 
weilig, teils  so  unrein,  wie  wir  das  bei  unsern  Liedervereinlern 
nicht  gewohnt  sind. 

Zu  essen  und  zu  trinken  gab's  massenhaft  und  glänzend. 
Dafür  ist  die  deutsche  Gesandtschaft  hier  allgemein  berühmt. 
Besonders  gut  schmeckte  nach  all  dem  süßen  Zeug,  das  man 
hier  bekommt,  ein  gutes  Glas  Rheinwein  mit  köstlicher  Blume. 
Da  ich  keinen  festen  Platz  mehr  gefunden  hatte,  konnte  ich  mich 
selbst  bedienen  und  bald  hier  bald  da  Posto  fassend  meine  Be- 
obachtungen anstellen.  Ein  paar  sehr  schöne  Frauen  waren  da 
—  Frau  und  Tochter  eines  hiesigen  deutschen  Malers  — ,  manche 
recht  niedliche,  aber  auch  viel  garstige  und  unangenehme:  junge, 
blasierte  Puppenköpfe,  alte  fette  und  alte  dürre  aufgeblasene 
Berlinerinnen,  die  sich  eigentlich  ihrem  prächtigen  Staat  durch- 
aus nicht  entsprechend  zu  benehmen  wußten.  Die  wirklich  vor- 
nehme Aristokratie  auch  hier  wieder  verhältnismäßig  natürlich, 
wenigstens  mehrere  Damen.  Die  besternten  und  meistbebänderten 
Herren  machten  einen  recht  unbedeutenden  Eindruck.  Viele 
schrecklich  wichtige  und  reservierte  Mienen  fehlten  natürlich  nicht. 
Im  ganzen  war  der  Eindruck  für  mich  weniger  der  einer  deut- 


—     175     — 

sehen  als  der  einer  Berliner  Gesellschaft  —  wie  ich  mir  eine 
solche  vorstelle.  Auch  angejüdelte  Erscheinungen  fehlten  nicht, 
waren  mir  aber  durchaus  nicht  die  unangenehmsten.  .  .  . 

Rom,  ult.  März  1877. 

Für  Palmsonntag,  den  25.  März,  war  die  Wahl  schwer  zwischen 
der  Zeremonie  der  Palmenweihe  in  S.  Peter  und  dem  berühmten 
Schweinemarkt  in  Grottaferrata. 

Mein  Interesse  am  katholischen  Kultus  ist  gerade  hier  in 
Rom  sehr  gering  geworden,  so  daß  ich  zur  Partei  derer  gehörte, 
die  schon  morgens  um  ^1^9  nach  Grottaferrata  fahren  wollten; 
das  Erscheinen  der  beiden  schon  erwähnten  Berliner  jedoch  und 
ihre  Erklärung,  sie  wollten  sich  uns  anschließen,  ließ  mich  und 
noch  einige  andere  die  Zahl  der  Andächtigen  in  S.  Peter  ver- 
mehren. Die  Sache  war  aber  „man  sehr  schwach".  Das  Oster- 
fest ist  in  den  Münchner  Kirchen  überhaupt  feierlicher  als  hier. 
Wenig  Publikum,  meist  Fremde  obendrein,  kleine  winzige  Palmen- 
zweiglein,  wie  man  sie  auch  bei  uns  hat,  meist  sogar  hellgelb 
gefärbt,  kunstreich,  aber  geschmacklos  geflochten  und  geknotet, 
keine  sonderliche  Musik,  und  in  der  Prozession,  die  von  einer 
Seitenkapelle  durchs  Hauptportal  in  die  Vorhalle  und  wieder 
zurückging,  lauter  unbedeutende,  gut  dumme  Gesichter.  Ich  er- 
wartete, w^enn  auch  nicht  lauter  Apostel-  und  Propheten  köpfe, 
doch  einige  scharfgeschnittene  Gesichter  unter  den  Kardinälen 
zu  finden.  Der  eine  Choral  von  Palestrina  klang  sehr  schön 
durch  den  gewaltigen  Raum.  .  .  . 

Mit  dem  12-Uhr-Zuge  fuhren  wir  nach  Frascati.  Wir  kamen 
im  schönsten  Sonnenschein  an  und  stiegen  zusammen  mit  vielen 
andern  Vergnügungszüglern  zur  Stadt  hinauf,  die  wir  schon 
kannten.  ...  Es  ging  durch  einen  schönen  deutschen  Frühlings- 
wald mit  schlanken  kahlen  Stämmen,  frischem  Grün  und  bunten 
Blumen:  Anemonen  (weiße,  blaue  und  rosa),  Butter-  und  Marien- 
blümchen, Immergrün,  Veilchen  und  viele  andere,  alle  von  be- 
sonderer Üppigkeit.  .  .  .  Die  Sonne  schien  lustig,  aber  der  Regen 
fiel  trotzdem  auch  ganz  lustig  in  großen  Tropfen  herunter,  so 
daß  man   den  Rockkragen  aufklappte,  unter  die  Schirme  kroch, 


—     176     — 

und  in  dem  schönen  grünen  Teppich  gar  bald  die  schönsten 
nassen  Füße  bekam.  Daß  die  Hauptfestlichkeit,  die  hier  immer 
in  einer  Tombola  gipfelt,  schon  vorüber  war  und  wir  eigentlich 
zu  spät  kamen,  merkten  wir  auch  ohne  das  ausdrückliche,  im 
schönsten  Berlinisch  gemauschelte:  Moltotroppo  tardo  eines  Lands- 
manns —  der  mir  nebst  seiner  wohlgenährten  Tochter  oder  Frau 
noch  von  Keudells  Gesellschaft  her  in  Erinnerung  war  — ,  an 
dem  ununterbrochenen  Zug  von  Festteilnehmeru,  der  uns  ent- 
gegenkam, teils  zu  Fuß,  teils  zu  Pferd  oder  Esel.  Die  Pferde 
sind  hier  von  der  kleinen,  kurzen,  zähen  Rasse,  mit  langen 
Mähnen  und  Schwänzen,  die  fast  den  Boden  berühren,  ganz, 
ähnlich  denen,  welche  Josef  Brandt  und  Horschelt  auf  ihren 
Kaukasusbildern  malen.  Die  Sättel  sind  außerordentlich  hoch, 
scheinen  aber  sehr  bequem.  Die  Reiter  in  ihren  Sonntagskleidern, 
teilweise  zwei  Spitzhüte  übereinander  gestülpt,  einen  alten  und 
einen  neuen  —  gewonnenen  oder  gekauften  — ,  natürlich  den 
Radmantel  in  schönen  Falten  über  die  Schulter  zurückgeworfen, 
mit  Regenschirmen  bewaffnet,  einige  auch  wohl  ein  schwarzes 
Ferkelchen  vor  sich  im  Sattel,  einer  sogar  zwei,  und  zwar  so, 
daß  ein  Kopf-  und  ein  Schw^anzende  an  jeder  Seite  herunterhing, 
was  den  Tierchen  nicht  ganz  lieblich  zu  dünken  schien.  Aber 
daß  Tiere  auch  Gefühl  haben,  bedenken  die  italienischen  Bauern 
noch  weit  weniger  als  unsere  deutschen.  „Warum  hat  die  Madonna 
es  ein  Schweincheu  werden  lassen ?''  Dieser  Fatalismus  ist  frei- 
lich sehr  einfach  und  geeignet,  gar  manche  Frage  prompt  und 
billig  zu  lösen.  —  Andere  treiben  ihre  Schweine  zu  Fuß  heim, 
noch  andere  trugen  gewonnene  Speckseiten  und  Schinken,  am 
liebsten  zu  zweien  an  einer  Stange,  allen  aber  prangte  am  Hut 
und  den  Frauen  im  Haar  ein  bunter  Strauß  von  ganz  geschmack- 
vollen künstlichen  Blumen.  Wir  sahen  dank  diesem  Zuspät- 
kommen so  viele  charakteristische  Erscheinungen  an  uns  vorüber- 
ziehen, daß  wir  es  gar  nicht  bedauerten,  zumal  der  Festplatz 
und  der  ganze  Ort  noch  immer  so  voll  waren,  daß  man  kaum 
durchkommen  konnte.  Die  Festwiese,  eine  sanfte  Senkung,  bot 
etwa  das  Bild  deutscher  Jahrmärkte,  nur  etwas  malerischer  in- 
folge der  andern  Form  der  Fuhrwerke,  Geräte,  Gefäße,  Tiere  und 


—     177     — 

Trachten.  Das  Hauptgeräusch:  Schweinsgequieke  und  Gegrunze; 
Betrunkenheit  verhältnismäßig  gering,  jedenfalls  viel  zurück- 
haltenderer Art  als  in  Deutschland.  Wie  wir  zwischen  Buden 
*  und  Laubhütten  herumgingen,  die  Regenschirme  abwechselnd  auf- 
und  zuspannten,  im  Wirtshaus  einen  langweiligen  Lokalsänger 
mit  gutem  Quattrocentokopf  anhörten,  in  den  schwarzen  Gewölben 
der  alten  Burg  vortreft liehen  Wein  tranken,  ist  nicht  sonderlich 
erzählenswert. 

In  der  Kirche  sind  Fresken  von  Domenichino,  die  zu  seinen 
besten  gezälilt  werden.  Da  der  Sakristan  aber  nicht  aufzutreiben 
war,  konnten  wir  sie  nur  schräg  durch  ein  hohes  Gitter 
sehen  und  keinen  rechten  Eindruck  erhalten.  Trotz  allen  guten 
Willens  und  aller  Unparteilichkeit  gegen  die  eklektische  Schule 
habe  ich  noch  immer  nichts  von  Domenichino  gesehen,  was  mir 
wirklich  gefiel,  mit  Ausnahme  einiger  sehr  schöner,  jugendlicher 
Nymphen,  auf  dem  großen  Jagdbild  der  Diana  in  der  Galerie 
Borghese  und  dem  Hieronymus  im  Vatikan.  .  .  . 

Kürzlich  war  ich  in  S.  Maria  degli  Angeli,  einer  der  größten 
Kirchen  Roms;  inmitten  der  riesigen  Diokletiansthermen,  mit  Be- 
nutzung  der  antiken  Mauern  und  Gewölbe  von  Michelangelo  er- 
baut, aber  nachher  ganz  verunstaltet,  so  daß  jetzt  nur  die  außer- 
ordentlichen  Größenverhältnisse   zu  bewundern   sind.     Außerdem 
befinden    sich    hier   viele    Originale    der    großen   Altarbilder    der 
Peterskirche.     Letztere  sind  nämlich  alle  in  Mosaik,  aber  so  vor- 
trefflich   gemacht    (im    Anfang    des    vorigen    Jahrhunderts    unter 
Leitung  der  Cristofani),  daß  man  das  anfangs  gar  nicht  bemerkt. . . . 
In  S.  Maria  degli  Angeli  sind  unbedeutendere  und  spätere  Bilder, 
aber  vortrefflich   beleuchtet,    so  daß   man   sie   mit  Interesse   be- 
sieht. .  .  .   Benutzt  wird    die    große   Kirche    eigentlich   gar  nicht; 
eine    einzige    alte  Frau  betete  im   gewaltigen  Raum,    und  außer 
meinen    hallenden  Schritten    hörte    man    nur   den    Gesang    eines 
Buchfinken  draußen    in    der  hellen  Frühlingssonne.     Im   riesigen 
Klosterhof  stehen   vier    schöne    Zypressen,    die,    wie    man    sagt, 
Michelangelo  selbst  gepflanzt  hat,    zwischen    ihnen   ein  Brunnen, 
an  dem  gewaschen  wurde.     Einige  Soldaten  schlenderten  untätig 
herum,    in    einem    Winkel   hüpften    Kaninchen    zwischen    hohem 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  12 


—     178     — 

Unkraut  und   Schutthaufen   umher,    auf   der  andern  Seite  lagen 
rostige  Kloakeuröhren.     Überall  wimmelte  es  von  Eidechsen,  man 
hörte  keinen  Laut  als  hier  und  da  einen  Glockenschlag  und  den 
Puff  einer  Lokomotive  (der  Bahnhof  ist    in  der  Nähe).   Sic  pereat ' 
gloria  mundi! 

Mittwoch,  Donnerstag  und  Freitag  Nachmittags  ist  in  der 
großen  Chorkapelle  im  St.  Peter  die  Feier,  die  Onkel  Erwin  be- 
schreibt: Auf  dem  Altar  ein  Leuchter  mit  13  Lichtern  (Christus 
und  die  12  Apostel  versinnbildlichend),  welche  unter  Gebeten  und 
Singen  in  langen  Zwischenräumen  ausgelöscht  wurden.  Glück- 
licherweise kam  ich  eine  Stunde  zu  spät:  Thiersch,  der  präzise 
beim  Beginn  dagewesen  war,  ging  schon  gelangweilt  fort.  Wirk- 
lich hatten  sie  erst  ein  Licht  heruntergesungen,  sangen  außerdem 
gar  nicht  sonderlich,  oft  unrein  und  taktlos.  Aber  die  anderen 
Lichter  wurden  viel  schneller  ausgelöscht  als  das  erste,  in  immer 
kürzeren  Zwischenräumen.  Zwischendurch  ging  ich  in  der  Kirche 
auf  und  ab;  an  ihre  Verunstaltungen  gewöhnt  man  sich  mit  der 
Zeit,  so  daß  man  immer  mehr  E'reude  an  der  großartigen  Ge- 
samtanlage hat.  Besonders  bei  Abendbeleuchtung  war  die  Kuppel 
wunderschön:  die  goldigen  Sonnenstrahlen,  welche  durch  die 
hellen  Tambourfenster  eindringen,  machen  sie  so  licht  und  hoch, 
daß  Augen  und  Gedanken  in  seligem  Wohlbehagen  zur  hohen 
Kuppel  hinaufschweben,  deren  Gestalten  in  goldigem  Duft  traum- 
haft verschwimmen.  In  den  Pfeilerzwickeln  sitzen  die  vier  Evan- 
gelisten, in  farbiger  Mosaik,  wohl  fünfmal  über  Lebensgröße. 
Mir  waren  sie  anfangs  zu  groß  erschienen,  aber  ich  habe  mich 
ganz  an  sie  gewöhnt  und  möchte  sie  gar  nicht  anders  haben. 
Zwei  von  ihnen,  Matthäus  und  Johannes,  sind  wirklich  groß- 
artig. .  .  . 

Das  Publikum  in  St.  Peter  besteht  mindestens  zur  Hälfte 
immer  aus  Fremden;  naiv  Andächtige,  Bauern  aus  der  Cam- 
pagna  usw.  sieht  man  nur  ganz  selten.  Bei  solchen  Feierlich- 
keiten sind  wohl  alle  anderen  Nationen  ebenso  stark  vertreten 
wie  die  italienische.  Das  ist  ein  Hin-  und  Herdrängen  vor  dieser 
Kapelle  und  leises  Schwatzen  in  allen  Sprachen,  das  nicht  schön, 
ist.     Als  nur  noch  ein  Licht  brannte,  wurde  es    allmählich  still 


—     179     — 

und  nach  dem  Verlöschen  dieses  letzten  beim  Miserere,  welches 
wundervoll  gesungen  wurde,  herrschte  Totenstille,  so  daß  es 
wirklich  sehr  schön  und  ergreifend  wirkte.  Die  Sonne  war  in- 
zwischen untergegangen,  und  in  der  lichten  Dämmerung  erschien 
die  Kirche  größer  als  je,  auch  die  zahlreichen  Menschen  trugen 
dazu  bei,  sie  in  ihrer  ganzen  Kolossalität  zu  zeigen. 

Gründonnerstag  gings  nach  Tivoli,  acht  Mann  in  einem 
eigenen  Wagen,  zu  Postpreisen,  .  .  .  Um  sechs  fuhren  wir  ab, 
ohne  Sonnenschein,  im  feuchten  Nebel,  der  auch  erst  nach 
27.,  Stunden  wich  und  die  Sonnenstrahlen  durchkommen  ließ. 
Die  Fahrt  geht  nach  Osten  durch  die  Campagna,  von  der  nicht 
viel  zu  erzählen  ist.  Großartig  ist  sie  freilich  beinahe  immer. 
Immer  näher  kommt  man  den  blauen  Sabinerbergen,  endlich 
sieht  man  Tivoli  deutlich  liegen  über  einem  graugrünen,  oliven- 
bewachsenen Abhang.  Noch  nirgends  sah  ich  so  große,  phan- 
tastisch geformte  Oliven  wie  hier.  Gildemeister  und  ich  setzten 
uns  hinten  aufs  Wagenbrett  wie  Eichendorfis  Taugenichts,  und 
hatten  von  da  aus  die  allerschönste  Aussicht.  Langsam  geht's 
bergan,  und  trotz  der  schönen  Aussicht  nickte  einer  nach  dem 
andern  auf  Augenblicke  ein  in  der  schönen  Vormittagshitze. 
Gegen  ^l^ll  fuhren  wir  im  Gasthof  zur  Face  vor,  einem  alten 
echten  Gasthaus  mit  sehr  billigen  Preisen  und  ganz  vortreff- 
lichem Wein.  Wir  waren  sehr  hungrig,  und  die  riesige  Macca- 
ronischüssel,  welche  wir  mit  Hohngelächter  empfangen  hatten, 
wurde  ziemlich  leer  gegessen.  Danach  war  unser  erster  Weg  in 
die  Villa  d'Este,  die  aber  am  folgenden  Tage  noch  schöner  war. 
Dreierlei  ist's,  was  Tivoli  auszeichnet:  1.  seine  Lage  und  die  zahl- 
reichen großen  Wasserfälle,  2.  die  Villa  Adriana  am  Fuße  des 
Berges,  3.  die  Villa  d'Este.  Die  Stadt  liegt  auf  einem  Hügel- 
rücken, welcher  überall  von  natürlichen  und  künstlichen  Wasser- 
fällen des  Anio  durchbrochen  wird.  Der  größte  Wasserfall  ist 
erst  1826  bis  1835  etwas  entfernt  angelegt,  da  man  befürchtete, 
die  volle  Wucht  des  Stromes  könne  die  Felsen  unterwühlen  und 
dem  ganzen  Stadtteil,  mit  dem  so  oft  gemalten  Rundtempelchen 
der  Sibylla,  gefährlich  werden.  Aber  der  ursprüngliche  Fall 
bleibt    immer    noch    der  schönste,    auch    nachdem   die   heruuter- 

12* 


—     180     — 

stürzende  Wassermenge  so  viel  geringer  geworden  ist.  Da  sind 
Schluchten,  Höhlen  und  Felsbildungen  von  ganz  unbeschreib- 
licher phantastischer  Schaurigkeit.  Preller  hat  hier  viel  studiert, 
und  man  wird  oft  an  seinen  Tartarus  und  anderes  erinnert.  Der 
Zauber  des  ewig  beweglichen  brausenden  Wassers  ist  fast  ebenso 
groß  wie  am  Meeresufer.  Wunderschön  spricht  Onkel  Erwin 
darüber:  „Welcher  Reiz  ist  es  nicht,  in  des  Feuers  lockende 
Flammen  zu  sehen,  der  türmenden  Wolken  Spiel  zu  beobachten! 
Aber  viel  reizender,  fesselnder  noch  ist  der  Anblick  solcher 
stürzenden,  donnernden  Wasserwelt.  Wirklich  eine  neue  Welt 
geht  hier  dem  Staunenden  auf;  wie  der  Druck  der  Luft,  der 
dadurch  aufgeregte,  kalte  Zugwind,  der  in  nassen  kalten  Wolken 
aufspritzende  Wasserstaub  ihn  einhüllt  und  ihm  den  Atem  nimmt, 
wie  die  furchtbar  donnernde  Wassermusik  der  Stimme  den  Klang 
raubt,  so  schwinden  dem  Auge  und  der  Seele  hier  auch  alle  be- 
kannten Bilder  und  Formen.  Nach  dem  Takt  der  weißen 
schäumenden  Wasser  stürzen  auch  sie  und  verschwinden  in  Staub. 
Das  ist  die  wahre  Lethe!  Unwiderstehlich  zieht  es  uns,  ihrem 
Ruf  zu  folgen;  mag  über  uns  die  Sonne  leuchten,  gern  vergessen 
wir  sie  und  die  von  ihr  freundlich  belächelte  Welt,  wo  wir  durch 
Leid  und  Freud,  Nacht  und  Tag,  wie  der  Fluß  durch  Felsen- 
bette und  Blumenauen,  ruhig  unsere  vorgeschriebene  Bahn  voll- 
enden müssen.  Hier  scheint  die  Welt  aus  ihren  Fugen,  so  auch 
wir.  Herrlich  und  leicht  müßte  hier  zu  sterben  sein,  und  wohl 
recht  taten  die  Alten,  hier  sich  Villen  zu  bauen,  um  so  bei  ihrer 
Lust  am  Leben  sich  Furchtlosigkeit  und  Freude  am  Tode  zu 
bewahren.  Ja,  in  dieser  Grotte  muß  Neptun,  wenn  irgendwo  er 
wohnt,  hausen;  dieser  dumpfe  Donner,  dieser  kalte  Zug  „ist  wohl 
sein  tiefes  wassergöttliches  Atemholen". 

Das  ist  so  schön  und  wahr  empfunden  und  ausgesprochen, 
daß  ich  nichts  hinzuzusetzen  weiß! 

Von  den  antiken  Villen  am  andern  Abhang  des  Tals  ist 
kaum  noch  etwas  zu  sehen.  Die  Aussicht  von  da  aus,  auf  das 
Städtchen  und  die  Wasserfälle,  besonders  bei  Sonnenuntergang, 
ist  unbeschreiblich  schön.  Alle,  alle  bauten  sich  hier  an:  Dichter, 
Philosophen,  Feldherren,  Gelehrte:  Catull,  Properz,  Horaz,  Quin- 


—     181     — 

tilius,  Varus  usw.  Auch  der  Blick  in  die  Ebene  ist  von  hier  aus 
herrlich,  die  Campagna  weit  und  klar  und  ganz  deutlich  im 
Hintergrund  die  Peterskuppel,  „gleichsam  als  Schlußstein  zwischen 
Erde  und  Himmel".  Im  Tal  zu  unseren  Füßen,  zwischen  Himmel 
und  Wasser  überall  ganz  sauber  gefurchte  B^'elder,  wohl  meist 
für  Gemüse  bestimmt,  und  zwischen  dem  schönen,  rötlichen  Erd- 
reich zierliche  Fruchtbäumchen  mit  weißen  oder  rosa  Blüten  im 
lichtgrünen  zarten  Frühlingslaub.  .  .  . 

Abends  war  Prozession,  sehr  glänzend,  alles  in  roten  Ka- 
puzen, aus  denen  nur  die  Augen  hervorsahen,  im  Schnitt  der 
Florentiner  Leichenträger.  Neben  jedem  Kerzenträger  lief  ein 
zerlumpter  Straßenjunge  und  ließ  sich  das  heiße  Wachs  in  die 
Hand  tröpfeln.  Viel  bunter  Firlefanz,  illuminierte  Kreuze,  große 
P^ahnen,  zuletzt  auf  einer  kolossalen  Bahre  ein  großes  Kruzifix 
unter  einem  Baldachin,  von  Blumen,  Lampen,  Engeln  und  Gott 
weiß  was  umgeben.  Alles  kniete  davor  nieder;  sobald  es  vorbei 
war,  standen  sie  aber  auf,  und  die  sechs  Träger  am  hinteren 
Ende  der  Bahre  scherzten  nach  rechts  und  nach  links  mit  den 
Mädchen  nach  Herzenslust.  Die  ganze  Sache  war  überhaupt 
mehr  ein  fideler  Mummenscherz  als  eine  ernste  Zeremonie,  aber 
äußerst  malerisch,  besonders  in  den  ganz  engen  Straßen  und 
unter  einem  mit  bunten  Lampen  verzierten  alten  Tor.  Bengali- 
sches Feuer  wurde  nach  Kräften  verknallt,  um  die  Feierlichkeit 
zu  erhöhen.  Nachher  besahen  wir  uns  noch  das  Tal  und  den 
Tempel  der  Sibylla,  und  um  10  ühr  war  alles  zu  Bett. 

Am  andern  Morgen  um  acht  gingen  wir  zur  Villa  Adriana 
herunter,  eine  kleine  halbe  Stunde  entfernt.  Für  so  großartige 
Anlagen  wäre  da  oben  freilich  kaum  Platz  gewesen;  außerdem 
verzichtete  der  Kaiser  vielleicht  gern  auf  die  ernst  milden  Todes- 
gedanken, welche  die  Wasserfälle  jedem  bringen. 

Natürlich  kann  es  mir  nicht  einfallen,  all  die  zahllosen 
Ruinen  aufzuzählen  (allein  drei  Theater),  die  noch  vorhanden  sind 
und  unter  der  Leitung  Rosas  mehr  und  mehr  aufgedeckt  werden. 
Das  Gelände  ist  höchst  interessant,  von  hohen  Bäumen  bewachsen, 
von  mannigfaltiger  Schönheit,  besonders  wo  der  Blick  aufs  Ge- 
birge   hinzukommt.  .  .  .    Die    interessanteste  Anlage    ist  wohl  ein 


—     182     — 

kürzlich  bloßgelegtes,  rundes  Schwimmbassin,  mit  Rundgängen 
und  einer  Insel  in  der  Mitte,  Bibliotheken  an  den  Seiten  usw.  usw. 
Die  Leute  verstanden  die  Kunst  des  Lebens  wirklich  vortrefflich! 
Ein  nobler,  großartiger  Luxus  für  gleichmäßige  harmonische  Aus- 
bildung von  Körper  und  Geist,  wie  wir  ihn  gar  nicht  kennen  und 
in  unserm  Klima  wohl  auch  schwerlich  kennen  lernen  werden. 
Am  meisten  hat  wohl  die  englische  Erziehung  davon  angenommen. 

Hadrian  war  ohne  Frage  eine  für  die  Kunst  sehr  verdienst- 
volle Persönlichkeit.  Wenn  auch  persönliche  Eitelkeit  eine  große 
Rolle  dabei  spielte  und  fürchterlicher  Dilettantismus  bisweilen 
störend  eingrifi',  so  entstand  doch  unter  ihm  eine  glänzende  herr- 
liche Nachblüte  der  Kunst,  und  auf  diesem  Landgut,  auf  das  er 
sich  nach  seiner  großen  Kunstreise  durch  Griechenland  und 
Ägypten  zurückzog,  ließ  er  mit  feinem  Geschmack  das  Beste,  das 
er  unterwegs  gesehen  hatte,  in  trefflichen  Kopien  zusammen- 
stellen. Viele  der  vorzüglichsten  Bildwerke  des  Kapitols  und 
Vatikans  wurden  hier  ausgegraben,  unter  andern  der  schöne 
Antinous  (sein  Liebling),  auch  viele  der  idealisierten  ägyptischen 
Figuren,  z.  B,  die  schöne  Isispriesterin.  Hätten  wir  nur  in 
Deutschland  recht  viele  Hadriane!  Sie  brauchten  nicht  gerade 
auf  dem  Kaiserthron  zu  sitzen;  ein  Fürstenthron  oder  eine  präch- 
tige Villa  in  Baden-Baden  oder  Blankenese  würde  für  bescheidene 
Ansprüche  auch  schon  genügen.  .  .  . 

Nach  dem  Kaffee  gings  dann  wieder  in  die  Villa  d'Este. 
Diese  ist  für  mich  von  allen  Schönheiten  Tivolis  die  allerschönste. 
Charakteristisch  ist  das  Urteil  des  englischen  Baedekers  (Murray), 
dem  ich  im  übrigen  oft  vor  dem  deutschen  den  Vorzug  geben 
muß:  „Das  Symmetrische  der  Anpflanzung  und  die  geschorenen 
Hecken  finden  wenig  Bewunderer  nach  den  Naturschönheiten  der 
Umgebung,  und  die  Wasserkünste  werden  mit  Recht  heutzutage 
als  eine  wunderliche  Geschmacksverirrung  betrachtet,  in  der 
Nachbarschaft  der  großen  Wasserfälle."  Das  ist  echt  engHsch 
gedacht!  Wenn  es  überhaupt  nötig  ist,  etwas  dagegen  zu  sagen, 
so  kann  ich  es  nicht  besser  tun  als  mit  Onkel  Erwins  Worten. 
Seine  Beschreibung  der  Villa  und  des  Gartens  ist  dagegen  nicht 
recht   anschaulich;    wenigstens   hatte    ich    mir    danach   ein  ganz 


—     183     — 

anderes  Bild  gemacht.  Ob  ich  es  deutlicher  machen  kann,  ist 
freilich  die  Frage!  Die  Villa  selbst  ist  ein  schmaler  und  langer 
Bau,  der  mit  seiner  Schmalseite  auf  die  Campagna  uud  Rom 
hinuntersieht,  während  sich  an  der  Längsfront  eine  vornehme 
breite  Terrasse  hinzieht,  von  hier  aus  führen  symmetrische  Wege, 
von  geschorenen  Buchsbaumhecken  eingefaßt,  steil  zu  den  niedri- 
geren Teilen  des  Parkes  hinab,  der  in  Absätzen  bergab  steigt  und 
unten  wohl  50  Meter  unter  der  Terrasse  liegt.  Die  Zypressen, 
die  hier  stehen,  sind  von  riesiger  Höhe  und  die  schönsten,  die 
ich  je  gesehen  habe.  Sie  müssen  70  bis  80  Meter  hoch  sein. 
Kein  Baum  kann  sich  ihnen  vergleichen  in  ihrer  feierlich  stilvollen 
abgerundeten  Form.  Das  stete  leise  Hin-  und  Herwiegen  der 
Kronen  nimmt  ihnen  alle  Steifheit  und  üngelenkigkeit.  .  .  .  Die 
Zypresse  erscheint  mir  immer  wie  ein  Hofmann  in  des  Wortes 
bestem  Sinn.  Sie  ist  von  Natur  gemessen,  würdevoll  und  aristo- 
kratisch. Das  schönste  an  ihr  ist  vielleicht  ihre  Farbe.  Dieser 
goldig  warme  Saftton  von  immer  sanftem,  ernstem  Glühen,  selbst 
lange  nach  Sonnenuntergang,  wenn  alles  andere  Laub  farblos  und 
schwarz  erscheint,  hat  etwas  Adeliges,  Echtes.  Daß  doch  die 
Gelehrten  der  Gartenzucht  es  fertig  brächten,  sie  auch  in  Deutsch- 
land einzubürgern!  Ohne  sie  ist  ein  wirklich  vornehmer  Garten 
kaum  denkbar.  Unsere  Tannen  sind  die  reinen  Bauern  dagegen. 
Neben  dieser  Senkung  des  Terrains  von  Süd  nach  Nord 
existiert  noch  eine  zweite  von  Ost  nach  West.  Im  Osten  des 
Gartens  etwas  niedriger  als  die  Terrasse  befinden  sich  zwei  große 
farrenüberwachsene  Grotten  aus  Stuck  und  Tuffstein,  mit  phan- 
tastisch üppigen,  jetzt  halb  zerbröckelten  Figuren  von  Nixen, 
Nymphen,  Wassergöttern  und  Untieren,  welche  in  Kaskaden  aller 
Art  ihre  nicht  besonders  großen  Wassermassen  herabrieseln 
lassen,  die  dann  von  Bassin  zu  Bassin,  von  Fontäne  zu  Fontäne 
weiterrinnen  und  sprudeln  und  schließUch  Gott  weiß  wo  enden. 
Leider  gehen  die  Wasserkünste  nur  Sonntags.  .  .  ,  Mancher  Adler, 
mancher  Delphin  und  Löwenkopf  wird  freilich  auch  Sonntags  un- 
tätig bleiben  müssen,  so  zerstört  ist  alles  durch  die  Zeit.  Und 
das  ist  eigentlich  kein  Wunder,  da  alles  aus  Stuck  modelliert 
ist,  über  einem  Backsteinkern   oder  Eisenstangengerüst,    welches 


—     184     — 

an  vielen  Stellen  gar  melancholiscli  zutage  tritt.  Wie  muß  das 
aber  herrlich  gewesen  sein,  als  alles  frisch  im  Stande  war,  als 
überall  geputzte,  Geist  und  Vergnügen  sprühende  Menschen  auf- 
iind  abwandelten  und  die  höchsten  Gedanken  in  anmutige,  liebens- 
würdige Spiele  und  Scherze  kleideten!  Heute  nehmen  die  guten 
Gedanken  nur  zu  gern  eine  philiströse,  sauertöpfische  Miene  an 
und  unsere  Vergnügungen  werden  fad  oder  frivol.  Überall  breitet 
das  unglückselige  Prinzip  der  Arbeitsteilung  seine  Herrschaft! 
Aber  für  einen  harmonischen  Menschen,  für  eine  harmonische 
Geselligkeit  gehören  Ernst  und  Scherz  zusammen  und  ebenso 
Wissenschaft  und  Kunst,  Kunst  und  Spiel,  Kunst  und  Natur, 
Kunst  und  Toilette,  Kunst  und  Schönheit  allüberall  ins  Leben, 
es  durchdringend,  gleich  der  wahren  Religion. 

Auch  so,  schweigend  und  verödet,  wenn  auch  seit  Kardinal 
Hohenlohe  dort  residiert,  anständig  instand  erhalten,  ist  der 
Park  unsäglich  schön  .  .  .  und  wenn  die  Schatten  immer  höher 
au  den  dichtbelaubten  Zypressen  aufsteigen  und  schließlich  nur 
ihre  Wipfel  erglühen,  die  Campagna  in  allen  Tönen  schwimmt, 
über  St.  Peter  die  rosigen  Wolken  feierlich  aufsteigen,  dann  ist 
dieser  Sonnenuntergang  vielleicht  noch  schöner,  als  der  von  den 
antiken  Villen  aus. 

Rom,  Samstag  Abend, 
7.  April  1877. 

Montag  früh,  vielleicht  schon  morgen  Mittag,  verlassen  wir 
Rom;  manche  für  immer,  ich  für  etwa  drei  Wochen.  Und  da 
habe  ich  vorher  noch  vielerlei  nachzuholen. 

Zunächst  noch  von  Tivoli,  z.  B.  darf  ich  nicht  unerwähnt 
lassen,  wie  wunderhübsch  die  Läden  der  Viktualienhändler  zur 
Feier  des  Festes  geschmückt  waren:  die  runden  Käse  in  herr- 
lichster Ordnung  ringsum  an  den  W^änden,  in  den  Zwischen- 
räumen je  ein  Ei,  oder  sonst  irgend  ein  zierlicher  Schmuck,  in 
Augenhöhe  lief  wohl  ein  breiter  Fries  von  blanken  Sardinen- 
büchsen, darüber  folgten  Schinken  und  Würste  symmetrisch,  eng 
aneinander  gereiht,  mit  Lorbeerbüscheln  dazwischen.  Auch  von 
der  Decke  herunter  hing  allerlei  Geräuchertes,    aufs  geschmack- 


—     185     — 

vollste  mit  Lorbeeren  geschmückt,  die  Gasröhren  mit  kunst- 
reichem bunten  Seidenpapier  zierlich  umwunden;  keine  unserer 
Damen  hätte  sich  dessen  zu  schämen  brauchen,  auf  den  Butter- 
fässern prächtige  Ornamente  aus  Lorbeerblättern  und  rotem 
Papier  auf  hellem  Grunde;  zu  beiden  Seiten  der  Tür  hohe 
ßustikasäulen  aus  blanken  Käsen  aufgebaut.  Kein  Künstler 
würde  mit  dem  Material  etwas  lustig-sinnreicheres  und  wirklich 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  stilvolleres  arrangieren  können.  — 
Auch  in  Rom  gibt  es  derartige  Läden,  aber  doch  keinen  so 
„liebevoll  durchgeführt'*  wie  dort. 

Dann  darf  ich  nicht  vergessen,  daß  am  Charfreitagmorgen 
zwei  Chorknaben  in  ihrer  feuerroten  Montur  mit  einem  eisernen 
Bett,  welches  drei  Klappen  hat  und  einer  großen. Klapper,  die, 
wie  eine  Drehorgel  umgehängt  und  gedreht  wird,  durch  die 
Straßen  rennen  und  einen  Heidenlärm  machen,  die  ganze  Jugend 
natürlich  hinterdrein;  es  ist  ein  Hauptgaudium,  besonders  wenn 
die  betreffenden  müde  werden  und  ihr  heiliges  Amt  eine  Zeit- 
laug an  jemand  anders  abtreten.  Am  Charfreitag  werden  nämlich 
die  Glocken  nicht  geläutet,  und  dies  ist  der  Ersatz  dafür. 
Mittags  geht's  ebenso. 

Abends  war  dieselbe  Prozession  wie  am  Gründonnerstag, 
nur  noch  feierlicher,  und  statt  der  roten  Kapuzen  diesmal  die 
ganze  Gesellschaft  schwarz,  mit  unverhülltem  Kopf  und  großen 
gestickten  weißen  Bäffchen,  statt  des  Kruzifixes  ein  Leichnam 
Christi,  ganz  in  Blumen  begraben,  was  wirklich  feierlich  aussah 
und  hinterher  ganz  kleine  Knaben  und  Mädchen  in  buntem 
Flitterstaat  mit  dicken  Kränzen  von  gemachten  Blumen  auf  den 
Köpfen,  welche  die  Insignien  des  Martyriums  trugen.  Geißel, 
Rute,  Lanzen,  ungenähter  Rock,  Essigschwamm  usw.,  alles  ganz 
en  miniature,  aus  Pappe  und  Silberpapier,  was  denn  doch  gar  zu 
naiv  aussieht.  .  .  . 

Ostersonntag  ging's  natürlich  nach  S.  Peter,  der  sich  nach 
und  nach  füllte  und  schließlich  einen  gewissermaßen  vollen  Ein- 
druck machte;  die  Mehrzahl  waren,  wie  immer,  Fremde,  man 
bemerkte  einige  Campagnolen  in  ihren  bekannten  Trachten,  aber 
sie  fühlten  sich  fremd  unter  den  städtischen  Toiletten.    Kardinal 


—     186     — 

Borromeo  las  die  Mes8e  im  Namen  des  Papstes;  wie  er  in  seiner 
langen  rosa  seidnen  Schleppe  daherstolzierte,  sah  er  ganz  stattlich 
aus,  aber  doch  lange  nicht  so  schön  und  lange  nicht  die  Pracht- 
entfaltung, wie  ich  sie  von  der  Münchner  Frauenkirche  her  ge- 
wohnt bin.  Die  Auferstehungsfeier  dort  —  und  das  freut 
mich  eigentlich  —  bleibt  weitaus  die  schönste  kirchliche  Zere- 
monie, die  ich  kenne;  vom  Gesang  ganz  abgesehen.  Die  Messe 
war  teilweise  recht  hübsch  aber  lang.  Der  Kastratengesang  — 
mag  es  Einbildung  sein  oder  nicht  —  hat  ein  gewisses  Etwas, 
das  mir  nicht  gefällt.  Der  eine  sieht  aus  wie  ein  altes  abgesun- 
genes Huhn,  der  zweite  ist  ein  dickliches,  lächelndes  Herrchen 
mitwohlgepÜegtem  Schnurrbart,  Locken  köpf  und  patschigen  Händen, 
der  dritte  ein  ernstes,  mageres,  jugendliches  Gesicht  mit  etwas 
dummem  Ausdruck.  Das  Gedränge  vor  der  Kapelle  war  ärger 
als  je;  da  ich  mich  nicht  mit  vordrängen  ließ,  sondern  meinen 
Platz  behauptete,  so  gut  es  ging,  hatte  ich  fortwährend  andere 
Nachbarn  und  konnte  dieselben  belohnen  oder  bestrafen,  je  nach- 
dem sie  mir  gefielen,  indem  ich  sie  vorließ  oder  nicht.  —  Nachher 
wurde  vom  Balkon  des  einen  großen  Kuppelpfeilers  aus  mit  ver- 
schiedenen Reliquien  gesegnet,  wahrscheinlich  mit  den  vier  Haupt- 
schätzen der  Kirche:  dem  Schweißtuch  der  h.  Veronika,  der 
Lanzenspitze  des  Longinus  und  Partikeln  der  Kreuze  Christi  und 
Andreas.  In  der  großen  Entfernung  und  Schnelligkeit  konnte 
man  aber  nichts  erkennen,  zumal  alles  natürlich  in  reichen 
goldnen  Kapseln  steckte.  Dies  war  früher  sicherlich  einer  der 
feierlichsten  Momente,  aber  jetzt  knieten  nur  die  Allerwenigsten 
nieder.  —  „Es  ist  aus  mit  der  Kirche"  —  dies  Gefühl  hat  man 
in  Italien  und  speziell  in  Rom  gar  oft.  Wie  anders  ist  es  z.  B. 
noch  in  Tivoli  und  München,  wo  man  sich  zusammen  nimmt,  um 
als  Protestant  kein  Ärgernis  zu  erregen  und  unliebsame  Erfah- 
rungen zu  machen,  oder  doch  wenigstens  Andächtigen  kein 
Ärgernis  zu  geben.  Daran  denkt  man  hier  nur  ganz  selten.  — 
Der  Kardinal  trug  eine  Brille  und  glatt  gescheitelte  Haare,  er 
hätte  genau  so  gut  ein  protestantischer  Konsistorialrat  sein 
können. 

Beim    Hinausgehen    verlor    ich    meine   Freunde    absichtlich 


—     187     — 

und  trieb  mich  iu  Straßen  und  auf  Plätzen  herum,  wo  Landvolk 
zu  sein  pflegt.  Wirklich  war  auch  eine  ganze  Zahl  vorhanden, 
alle  im  Sonntagsstaat,  auch  hübsche  Mädchen  darunter,  besonders 
Backfische,  oft  in  unbewußt  graziösen  Stellungen  auf  dem  sonn- 
täglich reinen  Straßenpflaster  hockend,  die  Männer  lagen  zum 
Teil  der  Länge  nach  auf  dem  Boden  und  schliefen.  Worin  das 
große  Ostersonntagsvergnügen  für  sie  bestand,  ist  mir  unklar;  in 
der  Peterskirche  war  höchstens  der  zehnte  Teil  gewesen,  Sie 
machten  einen  recht  gelangweilten  Eindruck,  als  ob  sie  nicht  mit 
sich  hinwüßten.  Um  sich  von  der  Sonne  bescheinen  zu  lassen, 
brauchten  sie  doch  nicht  den  weiten  Weg  zur  Stadt  zu  machen! . . . 
Gegen  Abend  landete  ich  in  der  Kirche  San  Gregorio  Magno, 
eine  der  vielen  großen,  einstmals  bedeutenden  Bauten,  die  jetzt 
einsam  draußen  liegen,  ohne  Gemeinden.  .  .  .  Von  der  alten 
Kirche,  welche  da  erbaut  war,  wo  Gregor  der  Große  580  sein 
Haus  zu  einem  Benediktinerkloster  umgewandelt  hatte,  ist  gar 
nichts  mehr  übrig.  Der  Mosaikboden  .  .  .  aus  dem  frühen  Mittel- 
alter, sonst  alles  zopfig  aber  gut  und  so  viel  zopfige  Altarbilder 
wie  ich  hier  selten  fand,  außerdem  noch  einige  schöne  ßenaissance- 
Grabmäler.  Aus  Gregors  Zeit  stammt  nur  sein  marmorner 
Bischofsstuhl  (ursprünglich  wohl  der  Wagen  einer  antiken  Qua- 
driga) und  der  Tisch,  an  dem  er  die  Armen  selbst  bewirtete 
(ebenfalls  antik).  Seit  jener  Zeit  datiert  die  Armenspeisung  am 
Gründonnerstag,  bei  der  der  Papst  selbst  bedienen  soll.  Ur- 
sprünglich waren  es  zwölf,  da  sah  Gregor,  wie  sich  einmal  als 
Dreizehnter  ein  Engel  dazwischen  setzte,  seitdem  sind  es  drei- 
zehn. —  Besonders  wollte  ich  zwei  berühmte  Fresken  von 
Guido  Reni  und  Domenichino  sehen.  .  .  .  Sie  befinden  sich  in 
einer  Kapelle  neben  der  Kirche,  die  kahl  und  unbenutzt  daliegt, 
aber  durch  den  breiten  Abendsonnenstrahl,  der  zur  off'enen  Tür 
hereinfiel,  in  goldenem  Lichte  schwamm  und  sehr  traulich  und 
behaglich  wurde.  Ich  blieb  lange  darin,  so  daß  der  Küster 
schließlich  erstaunt  wegging  und  in  seinem  davor  liegenden  Gärt- 
chen  zu  wirtschaften  begann.  Die  beiden  Bilder  befinden  sich 
einander  gegenüber  und  haben  das  Martyrium  des  Andreas  zum 
Gegenstand.  .  .  .  Domenichinos  Bild  ist  nicht  nur  langweilig  wie 


—     188     — 

die  meisten  seiner  Sachen,  sondern  eine  ekelhafte  rohe  Marter- 
szene, während  er  sich  gewöhnlich  doch  durch  einen  gewissen 
kalten  Idealismus  auszeichnet;  Guido  Reni  hat  den  viel  schöneren 
Moment  gewählt,  wie  der  alte  Mann  auf  dem  Weg  zum  Richt- 
platz das  Kreuz  erblickt  und  betend  niedersinkt.  Das  ist  wirklich 
sehr  schön;  die  Hauptfigur  würdig  und  ohne  falsches  Pathos,  die 
anderen  E'iguren,  die  Landschaft  usw.  sehr  frisch  komponiert  und 
bewunderungswürdig  flott  gemalt.  .  .  . 

Es  war  wunderschön,  ganz  einsam  und  ungestört,  erst  der 
Sonnenuntergang  ließ  mich  im  Skizzieren  aufhören,  und  als  ich 
an  all  den  alten  Ruinen  vorbei  zur  Stadt  kam,  war's  ganz 
dunkel.  .  .  . 

Ostermontag  war  das  schon  erwähnte  Wagenrennen  im  Zirkus 
des  Maxentius  an  der  Via  Appia.  .  .  .  Das  Terrain  und  der  Hinter- 
grund der  Cäcilia  Metella  an  der  einen,  die  Campagna  und  der 
Albaner  Berg  an  der  andern  Seite  machten  das  Ganze  sehr  male- 
risch, besonders  an  der  schattigen  Langseite  lag  und  stand  alles 
in  prächtig  aufgebauten  Gruppen  in  dem  sonnegedörrten,  von  Ge- 
mäuer unterbrochenem  Gras.  Dazwischen  die  Zeitungs-,  Wasser- 
und  Apfelsinenverkäufer  in  behendem  unermüdlichen  Auf-  und 
Abklettern  und  Ausrufen  ihrer  Waren.  Volkstrachten  so  gut  wie 
gar  nicht,  überhaupt  der  Unterschied  mit  einem  Rennen  bei  uns 
eigentlich  nicht  groß.  Das  Wagenrennen  selbst  ist  weit  lang- 
weiliger als  das  Pferderennen.  Interessante  Kämpfe  um  den  Preis 
kamen  nicht  vor;  wer  zu  Anfang  vorn  war,  blieb  jedesmal  Sieger. 
Im  ersten  Rennen  stürzte  ein  Wagen,  und  der  Mann  flog  heraus, 
ohne  sich  zu  verletzen.  Zuletzt  kam  noch  ein  Wettrennen  der 
Campagnolen.  Das  war  wirklich  hübsch,  wie  sie  schreiend,  ohne 
Steigbügel,  wild  auf  den  elastischen  Tieren  mit  weitflatternden 
Mähnen  und  Schwänzen  vorübersausten;  auch  ein  halbwüchsiger 
Bengel  dazwischen,  der  freilich  der  vorletzte  wurde.  Den  letzten 
auszupfeifen,  bildete  das  Hauptvergnügen  des  Publikums.  Es  war 
ein  toller  Lärm.  Sonst  ist  die  Begeisterung  und  Aufregung  in  Ham- 
burg viel  größer.  Der  Sieger  fährt  oder  reitet  grüßend  noch 
einmal  durch  die  Bahn.  Der  Campagnole,  seine  Siegesfahne 
schwingend,  war  wie    berauscht  vor    Freude    über   den  Triumph 


—     189     — 

und  sah  wunderhübsch  aus.  —  Um  dem  allgemeineu  Staub  zu  ent- 
gehen, wählten  wir  den  weiteren  Heimweg  durch  Porta  S.  Gio- 
vanni über  die  Egeria-Grotte,  welche  in  Abendbeleuchtung  wunder- 
bar schön  dalag.  Einer  der  Herren,  der  den  Weg  schon  mehrfach 
gemacht  haben  wollte,  führte  uns  direkt  auf  die  zugemauerte 
Porta  Latina,  so  daß  wir  die  Freude  hatten,  über  eine  halbe 
Stunde  längs  der  Stadtmauer  zu  spazieren.  So  weit  liegen  die 
Tore  hier  auseinander.  Schön  war's  freilich  auch  da,  wie  überall 
bei  hereinbrechender  Dunkelheit  nach  schönem  Sonnenuntergang. 
Da  mag  man  sein,  wo  man  will,  wer  Sinn  dafür  hat,  wird  sich 
stets  feierlich  angeregt  fühlen,  nur  muß  nicht  irgendein  Quidam 
sich  verpflichtet  glauben,  einen  zu  unterhalten!  Ich  hielt  mich 
schließlich  zu  einem  Hauptmann  a.  D.,  der  sich  hier  scheint  nieder- 
lassen zu  wollen  und  wenigstens  nicht   über  Malerei   sprach.  .  .  . 

Am  Dienstag  war  ich  in  der  Villa  Madama,  die  ich  noch 
nicht  kannte.  Giulio  Romano  hat  sie  gebaut,  vielleicht  nach  Ent- 
würfen Raifaels  für  Kardinal  Giulio  di  Medici,  später  Clemens  VIT. 
Dann  gehörte  sie  Margaretha  von  Osterreich,  der  Tochter  Karls  V., 
der  Gemahlin  Alessandro  von  Medicis,  des  ersten  Herzogs  von 
Florenz,  und  erhielt  von  ihr  diesen  Namen.  Sie  wurde  nie  voll- 
endet und  bewohnt,  der  ungesunden  Luft  wegen,  sagt  man.  Sie 
liegt  schön  vor  Porta  Popolo  (Norden)  am  Abhang  eines  Hügels, 
unten  der  Tiber,  schöne  Aussicht  auf  Rom.  Besonders  berühmt 
ist  eine  große  Vorhalle  oder  Loggia,  die  sich  auf  den  terassen- 
förmig  projektierten  Garten  öffnet  und  deren  drei  hohe  Wölbungen 
eine  Fülle  der  zierlichsten  und  edelsten  Renaissanceornamente  in 
Stuck  und  Malerei  enthalten.  Sie  sind  alle  in  Stichen  erschienen, 
und  die  Tätigkeit  meiner  Freunde  bestand  eigentlich  nur  darin, 
diese  nach  der  Natur  zu  kolorieren.  Aber  die  ursprüngliche  Farbe 
herauszuklügeln,  ist  nicht  leicht.  Erst  spät  abends  kehrten  wir  zurück. 

Mittwoch  besah  ich  mehrere  große  Kirchen  gründlich, 
zunächst  Santa  Maria  Maggiore,  die  allererste  Marienkirche 
Roms  und  eine  der  schönsten  und  wichtigsten  der  Stadt.  Dies 
ihre  Gründungsgescliichte :  Papst  Liberius  und  ein  reicher  römischer 
Patrizier  Johannes  hatten  in  der  Nacht  des  4.  August  352  beide 
denselben  Traum:  ihnen  erschien  die  Jungfrau  Maria  und  befahl 


—     190     — 

ihnen,  ihr  da  eine  Kirche  zu  bauen,  wo  sie  am  folgenden  Morgen 
frischgefallenen  Schnee  finden  würden.  Sie  suchten  und  fanden  ihn 
auf  der  Hölie  des  Esquilin.    Der  Papst  zeichnete  in  den  Schnee 
den  Grundriß   der  Kirche,    der  reiche  Herr  Johannes  durfte  die 
Banknoten   bezahlen.     Diese  Geschichte  ist  in  vielen  Skulpturen 
und  Bildern   in   der  Kirche  verherrlicht.     Von   der   alten  Kirche 
steht  noch  vieles:   die  36  wundervollen,  schneeweißen,  ionischen 
Säulen,  welche  überaus  heiter  und  vornehm  festlich  aussehen  und 
gerade   so  gut  das  Gebälk  eines  Juno-  oder  Venustempels  tragen 
könnten;  sodann  alte  Mosaiken,  die  längs  der  ganzen  Kirche  als 
Fries   hinlaufend,   mit  ihrem  Goldgrund   und  satten  Farbenglanz 
herrlich  zu  den  Marmorsäulen  stimmen.  Die  Darstellungen  selbst 
sind   ebenso  uninteressant  wie  garstig.     Auch   der  Triumphbogen 
und  die  Apsis  haben  noch   ihre   alten  Mosaiken,    und    der  Fuß- 
boden ist  der  schönste  von  allen.    Die  Holzdecke,  weiß  und  gold, 
ist  schön  und  außerdem  dadurch  interessant,  daß  dies  das  erste 
Gold  ist,  das  aus  Amerika  kam  —  unter  Alexander  Borgia.    Daß 
im  einzelnen  vieles  verzopft  ist,  versteht  sich  in  Rom  leider  von 
selbst,    besonders  störend  ist   hier  der   große  Aufbau  über  dem 
Hochaltar,  mit  riesengroßen,  kostbaren  gewundenen  Säulen  wie  in 
S.  Peter.    Im  übrigen  ist  der  Totaleindruck  der  Kirche  wunder- 
schön,   heiter,   großartig,    und  ich  kann   es  Pio  nono  nicht  ver- 
denken,   daß  er  hier  begraben  sein  will.     Zwei  überaus  pracht- 
volle Kapellen,    mit  einem  unendlichen  Aufwand  von   Gold  und 
seltenstem  Marmor  enthalten  die  Gräber  einiger  Päpste.    In  der 
einen  werden  außerdem  als  höchstes  Heiligtum  die  Überreste  des 
Krippleins   Christi,    in  der    andern    ein   „sehr    seltener  Meister", 
nämlich  ein  echter  Lucas!  das  Originalporträt  der  Madonna,  be- 
wahrt.   Oben  im  Altar  von  riesigen  Säulen  und  goldenen  Engeln 
umgeben  kann  man  es  sehen,  oder  zu  sehen  versuchen,  denn  es 
ist  so  schwarzgelb  vom  Alter,  daß  man  eigenthch  nichts  erkennt. 
In    derselben   Kapelle  sind    noble   Fresken  von   Guido  Reni   und 
eine  außerordentlich  schön  arrangierte,  liebenswürdige  Glorifikation 
der  Jungfrau  in  der  Kuppel  von  Cigoli;  als  ich  skizzieren  wollte, 
wurde  mir  bedeutet,    daß  Prinz  Borghese,    dem   die  Kapelle  ge- 
hört, dies  nicht  haben  will.    Dann  ging  ich  weiter  zum  Lateran. 


—     191     — 

Der  Lateran,  bis  zum  Exil  von  Avignon  die  Residenz  der  Päpste, 
liegt  jetzt  öde  und  verlassen.  Ein  gewisses  Anstandszeremoniell 
wird  ihm  zwar  noch  immer  gegönnt,  er  ist  die  zweite  Basilika 
Roms  (Maria  Maggiore  die  dritte),  und  die  Päpste  des  letzten 
Jahrhunderts  haben  ihn  fast  noch  mehr  verzopft  als  alle  andern 
Basiliken,  aber  trotzdem  macht  er  den  Eindruck  einer  gefallenen 
Größe.  Besonders  heute,  wo  ein  abscheulicher  Schirokko  haus- 
hohe Staubwolken  über  die  menschenleeren  Plätze  zu  beiden 
Seiten  wirbelte  und  einem  ganz  saharaartig  zumute  werden  konnte, 
lag  der  Steinkoloß  so  finster  und  so  leblos  da  wie  eine  ägyptische 
Pyramide.  Die  zopfige  Hauptfassade  ist  übrigens  großartig,  weit 
schöner  als  die  von  S.  Peter,  und  selbst  die  ofi'enbar  viel  zu 
großen  Figuren  obendrauf  lasse  ich  mir  gefallen.  Das  ganze  Ge- 
bäude bekommt  dadurch  etwas  Eigenartiges.  Man  kann  es  mit 
keinem  andern  verwechseln,  was  bei  Zopf  bauten  immer  schon  was 
heißen  will.  Auch  steht  hier  der  höchste  aller  Obelisken  Roms. 
Doch  weiß  ich  nichts  sonderlich  Beschreibenswertes  hervorzuheben, 
habe  ich  doch  heute  schon  genug  im  Aufzählen  von  Kunstwerken 
geleistet,  ohne  ein  anschauliches  Bild  hinzugefügt  zu  haben.  In 
der  Galerie  des  Lateranpalastes  sind  schöne  Antiken,  z.  B.  der 
Sophokles  und  der  tanzende  Faun  nach  Myron.  Zu  den  Bildern 
kam  ich  nicht  mehr.     Es  wurde  geschlossen. 

Dann  noch  in  Santa  Croce,  einer  furchtbar  zopfigen,  noch 
einsamer  gelegenen  Kirche  (ich  zählte  sechs  armselige  Hüttchen, 
die  allenfalls  das  Kirchspiel  ausmachen  könnten)  vor  Porta  Maggiore, 
zwischen  Aquädukten  erbaut;  dicht  davor  ein  kurioses  Grabmal 
eines  antiken  Bäckers,  in  der  Ruine  des  Tempels  der  Minerva 
Medica  (einer  Backsteinrotunde,  welche  einstmals  eine  dem  Pan- 
theon ähnlich  große  Kuppel  mit  Oberlicht  gehabt  haben  muß)  und 
allmählich  durch  Kohlbeete  und  Heideland,  an  verfallenem  Ge- 
mäuer, in  welchem  Menschen  wohnen  und  modern  angelegten 
breiten  Straßen  ohne  Häuser  vorbei,  in  leichtem  Regen  zu  be- 
wohnteren Teilen  der  Stadt  zurück.  .  .  . 

Am  Donnerstag  in  der  Galerie  Corsini  zum  erstenmal.  Sie 
besitzt  neben  viel  Mittelmäßigem  einige  sehr  gute  Sachen,  auch 
einige    altdeutsche,    deren  Anblick    mich  immer    besonders   sym- 


—     192     — 

pathiscli  berührt.  So  ein  Holbeinsches  Porträt  uimmt's  schließ- 
lich doch  mit  allem  andern  auf!  Auch  einige  interessante  Skulp- 
turen sind  da,  ein  prachtvoller  junger  Herkules  (?),  der  einen  Stier 
auf  dem  Rücken  trägt,  ein  Fuß  hoch,  und  ein  etruskischer  reich 
ornamentierter  Marmorsessel,  auf  den  man  sich  ganz  fidel  hin- 
setzen darf  und  der  unendlich  bequem  ist.  Die  Leute  ver- 
standen den  Zweck  eines  Stuhles  weit  besser  als  unsere  modernen 
Gotiker!  — 

Dann  per  Omnibus  nach  St.  Paul,  die  Kirche  liegt  ziemlich 
weit  vor  dem  Tore.  1823  brannte  diese  größte  und  schönst  er- 
haltene aller  alten  Basiliken  Roms,  welche  an  Größe  selbst  den 
alten  S.  Peter  übertraf,  ab,  sie  ist  seitdem  wieder  aufgebaut,  hat 
freilich  ein  ziemhch  modernes  salonmäßiges  Aussehen  erhalten, 
mit  faden,  langweiligen  Fresken,  grellen  Glasfenstern,  viel  zu 
großen  Figuren,  einem  fürchterlich  langweiligen  Fries  von  Papst- 
porträts in  Medaillons  (moderne  Mosaiken)  u.  dgl.  Aber  die  Ge- 
samtanlage, der  ,, Säulenwald",  80  riesige  korinthische  Säulen, 
bleibt  immerhin  noch  sehenswert.  Der  Klosterhof  mit  zierlichen, 
gewundenen,  mosaizierten  Doppelsäulchen  ist  erhalten  und  duftet 
nach  Rosen,  die  ihn  in  regelmäßigen  Hecken  durchschneiden  und 
voller  Knospen  waren.  Auf  dem  Heimweg,  den  ich  zu  Fuß  unter- 
nahm, stieß  ich  auf  eine  kleine  unscheinbare  Kapelle  am  Wege, 
über  deren  Tür  ein  altes,  ungeschicktes  Relief  sitzt,  Petrus  und 
Paulus  sich  küssend,  und  darunter  steht:  „Dies  ist  die  Stelle, 
wo  S.  Petrus  und  S.  Paulus,  als  sie  zum  Martyrium  geführt 
wurden,  Abschied  voneinander  nahmen."  .  .  .  Warum  soll  das 
nicht  wirklich  die  Stelle  sein?  Und  warum,  falls  sie  es  nicht 
wirklich  ist,  soll  man  es  nicht  trotzdem  glauben?  Das  schlichte 
Häuschen  und  das  rohe  Bildwerk  mit  der  dünnen  frischen  Buchs- 
baumgirlande darüber  in  der  feierlichen  Abendsonne  haben  einen 
schönen  Eindruck  auf  mich  gemacht. 

Um  das  Tagebuch  noch  schnell  zu  vollenden:  Freitag  mor- 
gens: Vatikan,  Sala  regia,  nachmittags  zu  Hause,  einige  dekorative 
Arbeiten  Eisenlohrs  kopiert;  Sonnabend  morgens:  San  Lorenzo 
fuori  le  mura,  die  mir  bis  dahin  noch  unbekannte,  jetzt  fast 
allersympathischste    aller    alten  Kirchen  Roms  ist,    mit  wirklich 


—     193     — 

schönen  modernen  Fresken  von  Fracassini.  .  .  .     Nächstens  mehr 
aus  Neapel,  wo  ich  Briefe  poste  restante  zu  finden  hoÖ'e. 

Hans. 


Von  Rom  nach  Neapel. 
13.  April  1877. 

Am  Montag  früh  gegen  sieben  Uhr  fuhr  ich  im  schönsten 
Frühlingswetter  von  Rom  ab,  nur  mit  dem  allernötigsten,  in  mein 
Plaid  geschnürt,  ausgerüstet  und  meinen  Nachtsack  nach  Neapel 
voraussendend.  Die  übrige  Gesellschaft  war  schon  tags  zuvor 
nach  Albano  und  Nemi  vorausgefahren;  aber  ich  hatte  es  vor- 
gezogen, mir  die  Tour  für  später  aufzuheben,  wo  ich  mir  in 
größerer  Muße  mehr  Genuß  davon  verspreche.  Die  Ausflüge  und 
rasch  sich  folgenden  Eindrücke  häufen  sich  jetzt  ohnedies.  In 
Albano  stiegen  die  anderen  sieben  ein,  deren  Zahl  sich  durch 
einen  altern  Maler  vermehrt  hatte,  ein  überaus  unschlüssiges 
Herrchen,  das  eigentlich  für  drei  Tage  nach  „Neapel  und  Um- 
gebung" (!!)  wollte,  nun  aber  Lust  zu  bekommen  schien,  sich  uns 
anzuschließen.  Schon  in  Velletri  (16000  Einwohner)  hielt  ihn 
der  Mangel  eines  neunten  Platzes  im  Postwagen  glückhcherweise 
zurück.  Bis  der  Wagen  instand  gesetzt  wurde,  besahen  wir  rasch 
die  Stadt,  die  malerisch  auf  mäßiger  Höhe  liegt,  mit  engen 
Straßen,  worin  einzelne  stattliche  alte  Häuser,  Schweine,  Esel, 
Hühner,  zufriedene  fleißige  Menschen  an  den  offenen  Haustüren, 
nur  wenig  bettelnde  Kinder  und  Krüppel,  ein  hübscher  großer 
Renaissancebrunnen,  waschende  Frauen  und  Mädchen  usw.  Das 
hübscheste  war  ein  großer  Palazzo  —  Pal.  Ginetti  (Lancellotti) 
von  Mart.  Lunghi  —  am  Ausgang  der  Stadt,  mit  terrassenförmig 
absteigendem  Garten  dahinter  und  weiter  Aussicht  über  die 
sonnige  Ebene,  von  der  breiten  luftigen  Loggia  aus,  welche  sich 
die  ganze  Gartenfront  entlang  zieht.  Zwar  hatte  dieselbe  mit 
Ausnahme  der  schönen  offenen  Treppe  architektonisch  kein  her- 
vorragendes Interesse,  aber  es  machte  einen  ganz  ungewohnten, 
erfreulichen  Eindruck  auf  mich,  daß  wir  die  Besitzer,  wohl- 
habende fröhliche  Menschen,  ungezwungen  scherzend  und  lachend? 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  13 


—     194     — 

darin  auf  und  ab  gehen  sahen  —  am  anderen  Ende  stand  noch 
der  Frühstückstisch.  Sie  kamen  mir  recht  glücklich  vor,  und  wie 
sehr  die  Italiener  die  „verzogenen  Sclioßkinder  der  Natur"  sind, 
im  Vergleich  mit  uns  Deutschen,  fühlte  ich  hier  so  recht  und 
nicht  ganz  neidlos.  Aber  meistens  hat  ja  alles  Herrliche,  das 
man  hier  sieht,  die  Zeit  seines  Blühens  und  Lebens  hinter  sich, 
ist  in  irgend  einem  Sinne  Ruine!  Die  menschliche  Staffage  wirkt 
oft  nur  poetisch  durch  den  Gegensatz  zwischen  ihrer  Armut 
und  Heruntergekommenheit  und  den  Reichtum  der  Natur  oder 
der  einstigen  Herrlichkeit  der  Monumente.  Das  gibt  zwar  gran- 
diose, feierlich  melancholische  Gedankenklänge,  aber  immer  in 
Moll,  wie  die  Volkslieder  auch  —  ,,Roma,  Roma,  non  e  piu, 
come  era  prima",  sagt  Onkel  Erwin  so  oft  —  hier  war  endlich 
ein  frischer,  fröhlicher,  sonniger  Frühlingsmorgenakkord  in  Dur! 

Etwa  um  neun  Uhr  fuhren  wir  mit  vortrefflichen  Pferden 
auf  guter  Landstraße  ins  Volskergebirge  hinein.  Daß  wir  so  eng 
saßen,  daß  aus  Platzerspamis  immer  einige  Beine  zu  den  Fenstern 
hinausgehängt  werden  mußten,  vermehrte  die  Fidelität.  Der  Weg 
war  hübsch,  aber  nicht  besonders  interessant  und  von  ganz 
deutschem  Charakter.  Pinien  und  Zypressen  haben  wir  im  ganzen 
Volskergebirge  nicht  gesehen.  Bald  wurde  man  mehr  an  öde 
Spessart-,  Rhön-  und  Harzlandschaften  Lessings,  bald  an  fruchtbare 
hessisch-thüringische  Gegenden  mit  ihren  sanften  Wellenlinien, 
bald  an  flachere  Partien  Tirols  erinnert. 

Das  Hauptinteresse  bieten  die  Städte  und  Dörfer,  welche 
meist  sehr  malerisch,  oft  —  die  größeren  sämtlich  —  hoch  und 
steil  gelegen  sind.  Die  Schweinezucht  der  Gegend  ist  berühmt. 
Es  sind  muntere,  zierliche  Tiere,  schwarz  und  borstenlos,  die  im 
Vergleich  zu  unseren  einen  geradezu  „gebildeten"  Eindruck 
machen.  Halberwachsene  Ferkelchen  sieht  man  manchmal,  mit 
einem  bunten  Band  oder  Glöckchen  um  den  Hals  und  kleinen 
Schellen  in  den  Ohrenspitzen!!  wie  Hunde  hinter  den  Kindern 
herlaufen,  auch  bis  in  die  Wohnzimmer.  Das  ganze  Volsker- 
gebirge steht  in  hohem  Ruf  wegen  seiner  Räuber.  In  neuerer 
Zeit  ist  zwar  nicht  viel  passiert,  aber  allein  oder  zu  zweien  hätte 
ich  die  Tour  doch  nicht  unternommen.     Unsere  große  Zahl  und 


—     195     — 

unser  Aufzug  wirkten  aber  so  „bandenmäßig",  daß  unser  Einzug 
in  ein  Nest  jedesmal  allgemeines  Staunen  hervorrief,  und  wir 
hier  denn  nun  auch  glücklich  von  einem  hohen  Magistrat  als 
eine  solche  interniert  worden  sind;  doch  davon  später! 

Cori,  wo  wir  um  ^2^2  anlangten,  ist  eine  der  allerältesten 
Städte  des  Landes,  weit  älter  als  Rom  und  hat  noch  mancherlei 
interessante,  alte  Reste  aufzuweisen,  namentlich  vortreffliche  Bei- 
spiele von  Zyklopenmauern  verschiedener  Perioden,  auch  aus  den 
allerfrühesten,  wo  man  die  riesigen  Blöcke  ganz  unbehauen  ohne 
Mörtel  aufeinandertürmte.  Seine  steile  Lage  auf  der  Spitze  eines 
Bergkegels  und  das  abscheuliche  Pflaster  der  steilen  Straßen  er- 
innerten mich  einigermaßen  an  Cortona.  Doch  ist  Cori  wesent- 
lich kleiner  und  macht  mehr  den  Eindruck  eines  sehr  großen 
Dorfes.  An  malerischen  Ecken,  Winkeln  und  Treppen  ist's  aber 
wohl  noch  reicher,  und  der  kräftige,  schöne  Menschenschlag,  be- 
sonders die  üppigen,  stolzen  Volskerfrauen  in  der  schönen  Volks- 
tracht, die  hier  viel  allgemeiner  ist  als  ich  erwartet  hatte,  ließen 
mich  auf  Schritt  und  Tritt  bedauern,  daß  wir  uns,  w^ie  richtige 
Reisende,  von  einem  Führer  zu  allen  Sehenswürdigkeiten  schleppen 
ließen  und  nicht  w-euigstens  eine  Woche  dablieben  und  Studien 
machten.  Aber  es  war  doch  besser  so.  Wozu  Studien,  die  man 
doch  nicht  verwertet?!  —  Von  hier  an  sieht  man  die  Frauen 
überall  mit  der  einfachen  uralten  Spindel  vor  der  Tür  sitzen, 
und  die  Jagd  auf  Ungeziefer  verschiedener  Art,  die  ich  in  der 
Umgebung  Roms  verhältnismäßig  selten  beobachtet  habe,  nimmt 
zu.  In  die  Esel,  hier  wie  überall  die  liebenswürdigsten,  ge- 
duldigsten, geschicktesten  und  trotz  schlechter  Behandlung  stets 
unverdrossenen  Lastträger,  habe  ich'mich  geradezu  verliebt.  Daß 
man  ihren  Namen  zu  einem  Schimpfwort  gemacht  hat,  ist  ein 
glänzendes  Zeugnis  für  unsern  menschlichen  Unverstand  und 
unsere  Undankbarkeit.  Es  sollte  vielmehr  ein  Ehrenname  sein! 
Wenn  wir  Menschen  alle  wären  wie  diese  Esel,  so  gäb's  keinen 
Krieg  und  keine  Armut,  trotzdem  wär's  nicht  langweilig  auf  der 
Welt,  denn  sie  sind  nicht  ohne  Humor, 

Auf  der  höchsten  Höhe  ragt  die  wohlerhaltene  Front  eines 
mittelgroßen  dorischen  Herkulestempels,  aus  der  Zeit  Sullas,  ins 

13' 


—     196     — 

Land  hinaus^  das  wichtigste  Beispiel  römiscli-dorischen  Stils. 
Von  sonstigen  Temi^elresten  sind  nur  geringere  Bruchstücke  er- 
halten: zwei  korinthische  Säulen  von  einem  Kastor-  und  Pollux- 
tempel  usw.  Dann  kamen  wir  aus  einem  zweistöckigen  Kreuz- 
gang, mit  schönen  mannigfaltigen  Frührenaissancekapitellen  zu- 
fallig in  die  „Schlafstunde''  einer  Kleinkinderschule,  —  ein  mir 
von  Weimar  her  (wo  Piltz  es  malen  wollte)  zwar  gewohnter,  aber 
doch  immer  aufs  neue  komisch-rührender  Anblick,  zumal  die 
kleine  Lehrerin  hier  recht  hübsch  und  über  den  unerwarteten 
Besuch  sehr  anmutig-verlegen  war.  Übrigens  hätte  ich  Euch 
Pädagogen  alle  herbei  gewünscht,  um  Euer  Erstaunen  über  die 
Vortrefflichkeit  und  Reichhaltigkeit  des  Lehrmaterials  an  den 
Wänden  ringsum  mit  anzusehen.  Ich  glaube  kaum,  daß  die 
Rechenmaschinen  und  kolorierten  Tafeln  für  Anschauungsunter- 
richt und  Naturgeschichte  irgendwo  besser  sein  können  als  in 
diesem  kleinen  äußerlich  so  malerisch  schmutzigen  Nest.  Es  gibt 
viel  Ölpressen  oder  -mühlen  in  Cori,  überaus  malerische  goldig- 
schwarz geräucherte  Gewölbe,  meist  nur  durch  ein  oder  zwei 
kleine  hochsitzeude  Fenster  erhellt,  so  daß  ganz  Rembrandtsche 
oder  Dousche  Lichteffekte  entstehen.  Vor  den  Türen  hängen  oder 
lehnen  die  vollen  Schläuche  in  den  possierlichsten,  das  ganze 
Schwein  noch  deutlich  zeigenden  Stellungen  —  ganz  wie  vor 
2000  Jahren  und  früher  auch  schon. 

Viel  Zeit  hatten  wir,  wie  schon  erwähnt,  für  Cori  nicht  übrig. 
Nachdem  wir  zu  Mittag  gegessen  und  die  Stadt  etwa  1^2 — 2  Stunden 
besehen  hatten,  verließen  wir  sie  gegen  ^2^»  über  eine  kleine, 
sehr  alte  Römerbrücke,  um  zu  Fuß  nach  Norma  zu  gehen. 
Zuerst  ging's  durch  Olivengärten,  in  denen  geruht  wurde,  bergan ; 
dann  auf  schmalem  Fußsteig,  am  westlichen  Abhang  des  Gebirgs 
entlang,  der  baumlos  und  steinig  ist,  und  sich  von  öden,  ein- 
förmigen Bergabhängen  bei  uns  nur  durch  die  blaugrünen  Büschel 
einer  Zwiebelpflanze,  die  leider  nicht  blühte,  unterscheidet,  und 
durch  ein  hohes,  gelbgrünes  Kraut,  welches  mir  in  die  Familie 
unserer  Wolfsmilch  zu  gehören  scheint. 

Rechts  in  der  Ferne  sah  man  das  Meer  als  schmalen  Streifen, 
zunächst  die  wohlbekannte  Bucht  von  Porto  d'Anzio  und  Nettuno, 


—     197     — 

heute  durch  zahlreiche  kleine  Fischerboote  belebt,  dann  den 
Turm  von  Astura  und  noch  weiter  die  schöne  Silhouette  des 
„Kaps  der  Kirke"  (Monte  Circaeo),  welches  wunderlich  isoliert  am 
Rande  der  breiten  Fläche  aufsteigt  und  heut  ganz  klar  zu  sehen 
war.  Der  Weg  war  nicht  unbeschwerlich  und  dauerte  länger  als 
wir  gedacht  hatten.  Einige  stürmten  aber  so  gewaltig  voraus, 
daß  wir  anderen  wohl  oder  übel  mitkommen  mußten.  Gilde- 
meister und  ich,  die  zwei  Hanseaten,  waren  die  allerletzten  und 
hatten  die  übrigen  gerade  ganz  aus  dem  Gesicht  verloren,  als 
plötzlich  drei  wild  aussehende  Hirten  auftauchten  und  mit  lang 
ausholenden  Schritten  uns  den  Weg  abschnitten,  was  uns  im 
ersten  Augenblick  gar  unbehaglich  war.  Ihren  Gesprächen  nach 
schienen  sie  freilich  harmlose  Leute  zu  sein,  aber  wir  waren 
doch  froh,  als  die  nächste  Kreuzung  des  Weges  uns  und  ihnen 
das  Gros  unserer  Gesellschaft  wieder  zeigte. 

Endlich  sahen  wir  Norma  vor  uns  und  rechts  davon  auf  einer 
andern  Höhe  die  Ruinen  des  alten  Norba,  dessen  Einwohner  sich, 
um  sich  Marias,  der  sie  belagerte,  nicht  zu  ergeben,  selbst  getötet 
und  ihre  Stadt  verbrannt  hatten.  Nur  die  ausgedehnten  Zyklopen- 
mauerreste  sind  übrig  geblieben,  und  diese  sind  so  trotzig  kühn 
wie  der  Sinn  ihrer  Erbauer.  Hier  rasteten  wir;  als  wir  auf- 
brechen wollten,  kam  die  Sonne,  die  seit  mehreren  Stunden  ver- 
schwunden war,  noch  einmal  durch,  so  daß  wir  liegen  blieben, 
bis  sie  ganz  in  silbern  flammenden  Schuppenwölkchen  unter- 
gegangen war;  erst  in  später  Dämmerung  zogen  wir  mit  schallen- 
dem Schritt  durch  die  breite  Hauptstraße  in  das  erstaunte  Norma 
ein.  Ein  Schwärm  von  Kindern  und  Neugierigen  folgte  uns  bis 
vor  die  Tür  des  Gasthauses,  in  dem  wir  übrigens  bessere  Ver- 
pflegung fanden  als  sein  Äußeres  versprach.  (Bei  dieser  Gelegen- 
heit muß  ich  doch  noch  erwähnen,  daß  man  selbst  in  den 
kleinsten  Gasthäusern  Italiens  so  gute  Eßgeräte  findet,  wie  in 
Deutschland  kaum  in  guten  Bürgerfamilien,  geschweige  denn  in 
kleinen  Kneipen.  Löffel  und  Gabeln  sind  stets  aus  Neusilber  und 
die  kleinen  stählernen  Forken  mit  verbogenen  2^2  Stacheln  oder 
Messer,  die  sich  bei  jedem  Versuch,  damit  zu  schneiden,  im  Griff 
umdrehen  und  sonstige  Freuden  der  Art,    die  ich  namentlich  in 


—     198     — 

Thüringen  reichlich  gekostet  habe,  fallen  in  Italien  ganz  weg.) 
Betten  waren  jedoch  nur  für  vier  vorhanden  —  der  Wirt  war  eigent- 
lich Schuster,  nur  nebenbei  „Hotelier"  — ,  die  übrigen  vier  mußten 
ausquartiert  werden.  Ganz  geheuer  fühlten  wir  uns  in  dem  Nest 
nicht,  schon  die  unfreundlichen  lauernden  Gesichter  hatten  uns 
nicht  gefallen,  besonders  aber  das  Benehmen  unseres  Führers 
war  geeignet,  Mißtrauen  zu  erregen.  Wir  hatten  denselben  eigent- 
lich schon  in  Norba  verabschieden  wollen,  aber  er  war  nicht  ge- 
gangen, mit  der  Erklärung,  er  wolle  erst  in  Norma  was  essen, 
dort  bei  einem  guten  „Cristiano",  den  er  kenne,  übernachten  und 
uns  begleiten.  Da  er  einem  der  unsern  seinen  schweren  Ranzen 
trug,  ließen  wir  ihn  gewähren.  Aber  beim  Einmarsch  in  die 
Stadt  bemerkten  einige,  wie  er  den  jungen  Kerlen  Winke  gab 
und  leise  Bemerkungen  über  uns  zuflüsterte :  wir  hätten  gut 
Bajocchi  und  dergl.,  und  sein  Benehmen  beim  Abendessen,  zu 
dem  er  sich,  nachdem  wir  ihm  ein  Glas  Wein  gegeben  hatten, 
selbst  einlud,  war  ein  so  widerwärtiges  Gemisch  von  Dreistigkeit 
und  Kriechen,  sein  Gesicht  so  wechselnd  schlau  und  künstlich 
dumm,  sobald  er  sich  beobachtet  sah,  daß  einem  wirklich  un- 
heimlich zu  Mute  werden  konnte.  Namentlich  einige  Reserve- 
leutnants, die  den  Krieg  mitgemacht  hatten,  nahmen  die  Sache 
ernst  und  waren  dafür,  daß  wir  uns  nicht  trennen,  sondern 
ein  gemeinsames  Strohlager  verlangen  sollten,  ein  anderer  schlug 
sogar  vor,  abwechselnd  zu  wachen,  was  einen  ganz  nibelungen- 
haften Anstrich  gehabt  hätte,  während  ich  z.  B.  zu  den  —  gewiß 
nicht  Mutigeren  —  aber  Sorgloseren  gehörte,  die  das  nicht  für 
nötig  hielten.  Allmählich  legte  sich  die  mißtrauische  Stimmung 
auch  wieder  etwas  und  vier  ließen  sich  ausquartieren.  Als  ich 
meine  Wirtsleute  gesehen  hatte,  verging  mir  die  letzte  Spur  von 
Argwohn,  so  gut  sahen  sie  aus,  und  ich  schlief  gerade  so  schnell 
ein  wie  gewöhnlich.  —  Am  folgenden  Morgen  fanden  wir  uus 
sämtlich  unermordet  beim  schlechten  Kaffee  zusammen  und  stiegen 
—  freilich  in  der  sicheren  Voraussicht  eines  Regentages  —  von 
dem  „Räubernest"  auf  steilem  Olivenabhang  mit  schauderhaft 
spitzen  Steinen  ins  Tal  hinunter  nach  Ninfa,  einer  verlassenen, 
überwachsenen  Stadt,    die  wir  schon  am  Abend  vorher,   von  den 


—     199     — 

Ruinen  Norbas  aus,  zu  unseren  Füßen  hatten  liegen  sehen,  in 
deutlicher  Vogelperspektive,  wie  in  alten  Chroniken  Städte- 
ansichten dargestellt  zu  werden  pliegen. 

Ich  hatte  in  Rom  soviel  von  der  versunkenen  Stadt  Ninfa, 
„dem  Pompeji  des  Mittelalters'',  gehört,  daß  die  Wirklichkeit  mich 
einigermaßen  enttäuschte,  die  andern  übrigens  auch.  Interessant 
ist  es  freihch,  einen  solchen  Ruinenkomplex  beisammen  und  von 
Dornen,  Ginster  und  Brombeergestrüpp  so  dicht  bewachsen  zu 
sehen,  daß  man  selbst  jetzt  im  Frühling,  wo  die  jungen  Blätter 
noch  klein  und  neue  Schößlinge  noch  nicht  vorhanden  waren,  nur 
an  wenig  Stellen  durchdringen  kann;  aber  meine  Phantasie 
hatte  ein  Dornröschenschloß  inmitten  einer  schweigenden  Wald- 
einsamkeit erwartet  und  davon  ist  nichts  zu  sehen.  Dicht 
am  Fuße  des  kahlen  öden  Volskergebirges,  wo  die  glatte  Fläche 
der  pontiuischen  Sümpfe  beginnt,  liegt  das  Städtchen  so  überaus 
ungeschickt,  daß  man  nur  annehmen  kann,  irgendein  besonderer 
Akt  der  Pietät  hätte  gerade  diese  Stelle  zu  seiner  Gründung  aus- 
gewählt. Sowohl  vom  militärischen  als  sanitären  Gesichtspunkt 
aus  ist's  sonst  unerklärlich.  Die  ungesunde  Lage  war's  denn 
auch,  welche  die  Einwohner  veranlaßte,  den  Ort  im  13.  oder 
14.  Jahrhundert  zu  verlassen.  Jetzt  befindet  sich  eine  große 
Ölmühle  mit  Stallungen  und  Nebengebäuden  an  einem  den  Bergen 
zugekehrten  Ende  und  hat  ziemlich  lebhaften  Verkehr  mit  den 
am  Bergabhang  zerstreut  liegenden  Häusern.  Wenigstens  heute 
herrschte  ein  ganz  munteres  Treiben:  beladene  Esel  kamen  und 
gingen,  und  immer  stand  eine  ganz  beträchtiche  Anzahl  wartend 
unter  dem  großen  dunkeln  Vordach,  Schutz  gegen  den  leicht 
niedertröpfelnden  Regen  suchend.  Ziegen,  Schweine,  Hühner  und 
Gänse  trieben  sich  zahlreich  umher,  in  der  Nähe  der  Mühle 
sowohl  wie  in  den  Ruinen  selbst,  so  daß  von  weltabgeschiedener 
Einsamkeit  keine  Rede  war.  Ja,  an  einem  heißen  Sommermittag, 
wo  brütende  Schwüle  fieberatmend  über  der  Ebene  ruht,  wo 
Mensch  und  Tier  untätig  und  schlaff  den  Schatten  suchen,  und 
nur  prächtige  Falter,  Libellen,  grüne  Eidechsen  und  Schlangen 
lautlos  über  das  von  keinem  Windhauch  bewegte  Schlingwerk 
und  Sumpfwasser  gaukeln  und  gleiten,  dann  mag  man  hier  einen 


—     200     — 

eigenartigen  unheimlich -poetischen  Eindruck  bekommen  —  bei 
diesem  Wetter  nicht.  Da  sind  mir  z.  B.  die  großen  Kyff  häuserruinen, 
ganz  abgesehen  von  ihrem  historisch-sagenhaften  Reiz,  hundertmal 
lieber!  Selbst  die  Silhouetten  der  einzelnen,  efeuüberwucherten 
Ruinen  sind  nicht  ungewöhnlich  schön;  ich  wählte  zum  Skizzieren 
die  Mühle,  von  zartbelaubten  Weiden  und  Erlen  umgeben  und 
von  Norma  auf  steiler  Felswand  überragt  —  ein  ganz  deutsches 
Bild,  Fertig  wurde  ich  nicht  recht,  denn  der  Regen  fiel  immer 
dichter,  und  ein  so  kalter  Wind  blies,  daß  mir  die  Hände  ver- 
klammten,  was  seit  Wochen  nicht  geschehen  war.  In  der  Mühle 
bekamen  wir  etwas  schlechten  Wein,  Brot  und  vorzüglich  ge- 
räucherte Speckseiten;  als  das  verzehrt  war,  hatte  der  Regen 
nachgelassen  und  wir  konnten,  wenn  auch  bei  trübem  Wetter, 
unsern  Marsch  fortsetzen.  Sermoneta  hieß  das  Nest,  welches 
ebenfalls  auf  einem  Felsen  gelegen,  schon  am  Abend  zuvor  von 
den  Ruinen  Norbas  aus  deutlich  zu  sehen  war,  aber  nicht  so 
schnell  erreicht  wurde,  wie  wir  gehofft  hatten.  Die  Chaussee 
war  aber  gut,  und  der  Weg,  wenn  auch  nicht  besonders  inter- 
essant, recht  hübsch.  Er  führte  meist  an  Olivengärten  entlang, 
deren  Boden  von  jungen,  noch  unentrollten  Adlerfarren  dicht 
bedeckt  war.  Eine  große  gotische  Kirche  am  Wege  enthielt  ein 
paar  ganz  gute  Bilder  und  ein  vortreffliches  aus  Caravaggios 
Schule,  welches  ich  gern  noch  länger  betrachtet  hätte,  aber  die 
anderen  holten  so  fürchterlich  aus,  daß  es  schwer  war,  ihnen 
nachzukommen.  Der  Aufstieg  nach  Sermoneta  war  sehr  schön 
und  auf  der  guten  Chaussee  ganz  unbeschwerlich.  Schöne  große 
Bäume  wuchsen  am  Abhang,  darunter  viel  deutsche  Eichen,  einige 
schon  mit  jungem  Laub  und  Blüten  bedeckt,  auch  gewaltige 
dunkle  Steineichen.  Aber  der  Regen  stellte  sich  wieder  ein  und 
wurde  immer  heftiger,  so  daß  wir  unsern  Schritt  beschleunigten. 
Kaum  in  ein  dunkles,  sehr  primitives  Gasthaus  eingekehrt,  ent- 
wickelte er  sich  zu  einem  richtigen  Platzregen,  den  wir  ohne 
die  anspornenden  Schnelläufer  noch  auf  der  schutzlosen  Ebene 
bekommen  hätten  und  bis  auf  die  Haut  naß  geworden  wären. 
So  freuten  wir  uns  der  Trockenheit,  der  hübschen,  freundlich- 
energischen Wirtin,   ihrer  guten  Küche  und  beratschlagten:  was 


—     201     — 

tun?  Die  Meinungen  gingen  sehr  auseinander.  Einige  wünschten 
bis  Terracina  im  Volskergebirge  zu  bleiben,  die  berühmten  Räuber- 
nester Piperno  und  Sonnino  aufzusuchen  und  sehr  anstrengende 
Märsche  nicht  zu  scheuen,  andere  so  schnell  wie  möglich  die  von 
Velletri  bis  Terracina  in  gerader  Linie  die  Sümpfe  durchschneidende 
Poststraße  zu  erreichen  (die  alte  Via  Appia)  und  mit  der  ersten 
besten  Fahrgelegenheit  nach  Terracina  zu  gelangen.  Vorläufig 
freilich  waren  all  diese  Beratungen  überflüssig,  denn  der  Regen 
schien  uns  zwingen  zu  wollen,  den  ganzen  Tag  und  die  Nacht 
in  dieser  dunklen  Kneipe  zu  bleiben,  was  recht  unerfreulich  ge- 
wesen wäre.  Einige  unternahmen  es  schließlich,  unter  Regen- 
schirmen wenigstens  das  Kastell  zu  besehen,  welches  von  weitem 
recht  stattlich  ausgesehen  hatte.  Wir  amüsierten  uns  sehr  gut 
dabei,  freilich  mehr  des  Regens  als  besonderer  architektonischen 
Schönheiten  wegen.  Die  unermüdliche  Pförtnerin  ruhte  nicht,  bis 
sie  uns  den  „weiten  Fernblick"  vom  Dach  gezeigt  hatte,  der  denn 
auch  wirklich  sehr  schön  war,  freilich  nicht  der  Fernsicht  wegen, 
sondern  weil  man  um  sich  und  unter  sich  nur  ein  Meer  von 
grauen  Nebel-  und  Regenwolken  sah.  Auf  dem  Rückweg  in  die 
Kneipe  kamen  wir  an  einer  ganz  hübschen  offenen  Loggia  vorbei, 
die  Schutz  gegen  den  Regen  bot  und  zugleich  den  Postschalter 
enthielt,  was  einige  zur  Absendung  von  Korrespondenzkarten  ver- 
anlaßte  —  eigentlich  aus  reiner  Langeweile.  Vielleicht  habt  Ihr 
meine  erhalten?  —  Kaum  war  sie  geschrieben,  so  bemerkten  wir, 
daß  der  Regen  aufgehört  hatte,  und  kehrten  schnell  ins  Wirts- 
haus zurück.  Die  dort  zurückgeblieben  waren,  hatten  inzwischen 
die  Bekanntschaft  eines  Kaufmanns  gemacht,  der  sich,  da  er  mehrere 
tausend  Lire  bei  sich  trug,  von  zwei  Carabinieri  nach  Sezze  begleiten 
ließ  und  uns  aufforderte,  uns  ihm  anzuschließen.  Er  wüßte  einen 
Richtweg  durchs  Gebirge,  der  nicht  länger  wäre  als  der  nach  der 
nächsten  Poststation  in  der  Ebene,  femer  gäbe  es  dort  ein  gutes 
Wirtshaus  und  jedenfalls  auch  Fahrgelegenheit  nach  Terracina. 
Wir  müßten  uns  aber  schnell  entschließen,  es  sei  die  höchste 
Zeit,  wenn  wir  noch  vor  Sonnenuntergang  ankommen  wollten. 

Wir  teilten  uns,  fünf  gingen  mit  ihm,  drei  führten  ihren  Vor- 
satz, direkt  nach  Tre  ponte  an  der  Poststraße  zu  gehen,  aus. 


—     202     — 

Wir  fünf  haben  ohne  Frage  das  bessere  Teil  erwählt.  Zu- 
erst freilich  ging's  höllisch  steil  und  steinig  bergan,  die  fette, 
nasse  Lehmerde  ballte  sich  in  großen  Klumpen  an  die  Füße  und 
war  stellenweise  verteufelt  glitschig,  dazu  begann  der  Regen  aufs 
neue  sauft  aber  dicht  niederzurieseln,  und  da  das  Pferd  des  Kauf- 
manns alle  Schwierigkeiten  mit  erstaunlicher  Geschicklichkeit  über- 
wand und  die  Carabinieri  ihm  folgen  mußten,  blieb  auch  uns 
nichts  übrig  als  mit  unserem  Gepäck  hinterherzukeucheu  so  gut 
es  ging,  mit  Hilfe  einiger  Seufzer  und  Flüche  ging  es  denn  auch 
halbwegs.  Stellenweise  war's  aber  wunderschön:  wenn  plötzlich 
das  Tal  unter  uns  durch  die  zerreißende  Nebelwolke  hindurch 
deutlich  sichtbar  war,  nach  wenigen  Minuten  von  einer  neuen 
verhüllt  wurde,  oder  wenn  wir  eine  Nebelwolke  auf  uns  zukommen 
und  unsern  langen  Zug  einhüllen  sahen,  so  daß  die  vordersten 
wie  hellgraue  Nebelbilder  erschienen.  Voran  ritt  der  Kaufmann 
in  der  üblichen  italienischen  Bürgertracht:  Spitzhut  und  Rad- 
mantel, seine  Pistolen  im  Gürtel  und  ein  junges  Zicklein,  an 
Vorder-  und  Hinterfüßen  geknebelt,  hinten  aufs  Pferd  gebunden.  Für 
gewöhnlich  war  es  ganz  still  und  geduldig,  bei  größeren  Unebenheiten 
des  Weges  meckerte  und  bähte  es  aber  doch  ganz  erbärmlich.  Ihm 
folgte  der  eine  der  Carabinieri,  in  der  hübschen  eleganten  Uniform: 
Dreimaster  und  Frack  (schwarz,  silber  mit  roten  Aufschlägen,  und 
breiten  Streifen  an  der  Hose),  die  geladene  Büchse  auf  der  Schulter. 
Mit  ihm  im  Gespräch  meist  einer  der  beiden  Schwaben:  Eisenlohr 
oder  Lauser,  immer  die  vordersten.  Dann  der  andere  der  Cara- 
binieri, Friedrich  mit  seinem  übergroßen  Gepäck,  für  welches  er 
an  den  voraufgehenden  Tagen  meist  einen  Träger  engagiert  hatte, 
Gildemeister  und  ich  und  zum  Schluß  der  Sohn  des  Kaufmanns, 
ebenfalls  eine  Flinte  auf  der  Schulter.  Das  Gespräch  drehte  sich 
natürlich  meist  um  das  Räuberwesen,  welches  die  Einheimischen 
doch  nicht  so  ganz  leicht  nehmen  und  es  jedenfalls  unbegreiflich 
gefunden  haben  würden,  wie  wir  ohne  alle  Waffen  zu  reisen.  — 
Nach  einer  Stunde  ward  uns  die  Freudenbotschaft,  der  halbe  und 
beschwerlichere  Weg  sei  jetzt  überstanden;  bald  darauf  ging's 
bergab,  und  plötzlich  schimmerte  durch  die  dünner  gewordenen 
Nebelwolken  hindurch  ein  seltsamer,  gelbgrüner  Schein,  den  ich 


—     203     — 

mir  für  einige  Augenblicke  gar  nicht  zu  erklären  wußte;  aber 
dann  flogen  auch  die  letzten  Nebelgebilde  vorüber,  zerflossen  in 
Nichts,  die  Ebene  lag  wieder  zu  unsern  Füßen  in  lachendem 
Sonnenschein,  der  freilich  gleich  darauf  verschwand.  Das 
war  einer  der  schönsten  Momente,  die  ich  im  Gebirge  erlebt 
habe!  Immer  weiter  ging's  bergab,  und  der  sogenannte  Weg 
blieb  immer  gleich  pfadlos  und  spitzsteiuig.  Man  sah  wieder  be- 
baute Felder,  menschliche  Wohnungen  und  dann  das  Ziel  unserer 
Wanderung  Sezze  selbst,  sich  stattlich  auf  einer  Höhe  hinstreckend. 
Die  Gegend  war  ganz  thüringisch  geworden  und  erinnerte  mich 
in  ihren  sanften,  tiefen,  von  milder  Abendsonne  beleuchteten  Tinten 
lebhaft  an  die  schöne  Landschaft  von  Ruths,  welche  Kollmann 
besitzt.  Noch  einmal  mußten  wir  wieder  bergan,  aber,  so  nah  am 
Ziel,  empfanden  wir  die  Beschwerde  nicht.  In  einer  kleinen 
Trattoria,  welche  auf  luftiger  Höhe  die  schönste  Aussicht  auf 
Sezze,  die  Ebene,  die  Meeresbuchten  und  das  immer  näherrückende 
Kap  Circello  gewährte,  wurde  Rast  gemacht  und  ein  Trunk  mit 
unsern  freundlichen  Reisegenossen  gehalten,  denen  die  Gesellschaft 
so  ganz  Fremder  offenbar  sehr  interessant  war.  .  .  .  Besonders 
die  Entdeckung,  daß  wir  Cristiani  seien,  aber  nichts  vom  Papst 
wissen  wollten  und  nicht  zur  Madonna  beteten,  machte  den  einen 
Gendarm  sehr  nachdenklich.  Man  konnte  ihm  nicht  genug  Auf- 
schluß darüber  geben,  denn  wenn  auch  verhältnismäßig  aufgeklärt, 
war  ihm  die  Sache  doch  außerordentlich  neu.  —  Ehe  wir  in  die 
Stadt  einzogen,  kam  die  untergehende  Sonne  noch  einmal  in  voller 
Glut  hervor,  und  die  feuchte  Erde,  die  Felder  und  Bäume  ent- 
falteten eine  solche  Wucht  harmonischen  Farbenschmelzes,  wie 
ich  es  so  selten  oder  nie  gesehen  habe.  Gleich  darauf  war  alles 
grau,  farblos  und  nächtlich.  Der  Übergang  von  Tag  und  Nacht 
ist  hier  weit  plötzlicher  als  bei  uns.  Freilich  war's  noch  hell 
genug,  uns  an  den  schönen  Menschen  zu  freuen,  welche  nichts 
vom  räuberhaft-mißtrauischen  Aussehen  der  Normaner  hatten  und 
ebenso  schön,  aber  wohlhabender  aussahen  als  die  Corianer.  Es 
waren  die  schönsten  stolzesten  Gestalten,  die  ich  in  Italien  ge- 
sehen hatte,  und  die  malerischsten  Kostüme.  Während  wir  uns 
in    einem   großen,    stattlichen    Zimmer    des    guten    Wirtshauses 


—     204     — 

häuslich  niederließen,  .  .  .  konnten  wir  am  Brunnen  vor  den  Fen- 
stern die  hübschesten  Gruppen  beobachten.  Statt  der  großen 
Kupfergefäße  sahen  wir  hier  zuerst  große  Tonkrüge,  in  denen 
das  Wasser  geholt  und  auf  dem  Kopf  getragen  wird.  Das  gibt 
die  herrlichsten  karyatidenartigen  Figuren!  .  .  .  Die  ganze  Nacht 
regnete  es,  zuweilen  so  stark,  daß  wir  es,  halbwach,  hörten;  auch 
gegen  Morgen  sah  es  noch  sehr  unerfreulich  aus  ...  als  wir  aber 
um  sieben  Uhr  aufwachten,  hatte  es  sich  aufgeklärt,  und  während 
wir  uns  anzogen,  kam  sogar  die  Sonne  durch!  Rechte  Glückspilze ! 
Der  Bruder  des  Wirts  hatte  uns  versprochen,  sich  nach  einer 
Fahrgelegenheit  für  uns  umzusehen.  Einen  geschlossenen  Post- 
wagen zu  bekommen,  schien  ihm  unmöglich,  aber  uns  war  ein 
,,Baroccio"  (zweiräderiger  Karren)  auch  viel  lieber,  schon  des 
Preises  wegen.  Der  Besitzer  eines  solchen  verlangte  jedoch 
50  Franken!  Als  wir  ihn  auslachten  und  erklärten,  lieber  zu 
Fuß  zu  gehen,  kehrte  er  bald  darauf  mit  dem  Gebot  von  22  Franken 
zurück.  Das  Fuhrwerk  lehnte  an  der  Wand,  mit  einigen  großen 
Körben  beladen  und  sah  weder  besser  noch  schlechter  aus  als 
alle  anderen  Karren.  Die  zwei  versprochenen  Pferde  reduzierten 
sich  aber,  als  wir  sie  vorher  einmal  anzusehen  verlangten,  auf 
eines;  infolgedessen  der  Preis  auch  noch  etwas  —  aber  weniger 
als  20  Franken,  Trinkgeld  inbegriffen,  war  nicht  zu  erreichen. 
Nachdem  das  abgemacht  war,  machten  wir  einen  Rundgang  durch 
die  Stadt,  in  deren  engen  Gassen  wir  wunderschöne  Bilder  sahen. 
Mle  Parzen  saßen  die  Alten  in  den  Türen  und  spannen,  und  die 
jungen  Mädchen,  welche  Wasser  holten  oder  auf  dem  Markt  Ein- 
käufe machten,  waren,  wie  gesagt,  die  schönsten,  vornehm  gra- 
ziösesten, die  ich  in  Italien  gesehen  hatte.  Wenn  man  die  Italiener 
wirklich  kennen  lernen  will,  so  muß  man  sie  in  ihren  Dörfern 
und  kleinen  Städten  aufsuchen.  Was  man  in  Rom  heutzutage 
sieht,  ist  nichts  Echtes.  Die  Modelle,  die  dort  an  der  spanischen 
Ecke  hocken,  sind  zwar  zum  Teil  wirklich  schöne  Menschen,  aber 
wie  ihre  zwar  echte  und  schöne,  aber  so  absichtliche  und  rein- 
liche Tracht,  so  bekommen  auch  ihre  Gesichter  mit  der  Zeit  einen 
salonartigen,  unwahren  Ausdruck,  und  Zeppenfeld  hat  ganz  recht: 
..Es  is  'n  büschen  Thiatakram," 


—     205     — 

Wir  mußten  natürlich  in  ein  paar  Kirchen  hineinsehen,  von 
denen  die  eine,  außerhalb  der  Stadt,  mit  von  Steineichen  be- 
schatteter Treppe,  sehr  schön  lag,  sowie  den  viereckigen  Quadrat- 
unterbau eines  antiken  Tempels,  auf  dem  jetzt  ein  Kornfeld 
ist,  betrachten,  dann  ging  es  gegen  zehn  Uhr  zum  Wagen  zurück. 
Zu  unserem  Erstaunen  hatte  der  Besitzer  und  Kutscher  die  fünf 
Körbe  nicht  heruntergenommen  und  durch  Sitzbänke  ersetzt  und 
war  auch  durchaus  nicht  geneigt,  dies  nachzuholen.  Im  Laufe 
des  Gesprächs  stellte  es  sich  heraus,  daß  er  ohnedies  nach  Terra- 
cina  gefahren  wäre,  um  Fische  zu  holen.  Wir  hätten  uns  den 
Wagen  ja  vorher  angesehen  und  für  gut  befunden,  erklärte  er, 
wenn  wir  nun  nicht  wollten,  so  sei  ihm  das  einerlei.  Die  voraus- 
bezahlten 5  Franken  gäbe  er  natürlich  nicht  wieder  her.  Alle 
Verhandlungen  führten  zu  nichts,  und  selbst  Gildemeister,  der 
als  bester  Italiener  das  Wort  zu  führen  pflegt,  meist  auch  sehr 
gut  mit  den  Leuten  fertig  wird,  konnte  nichts  erreichen.  Natürlich 
stiegen  wir  nicht  gleich  auf  —  die  Einwohnerschaft  war  zahlreich 
zusammengelaufen  und  hätte  uns  ohne  Frage  herzlich  ausgelacht 
—  sondern  erwarteten  das  Fuhrwerk  am  Fuße  des  Berges.  .  .  . 
Das  Aufsteigen  machte  viel  Umstände,  unter  Lachen  und  Fluchen 
brachten  wir's  aber  doch  zuwege.  Der  Anblick  war  ohne  Frage 
urkomisch.  Alle  fünf  saßen  rittlings,  ganz  dicht  hintereinander 
wie  die  Haimonskinder,  und  die  Körbe  waren  so  breit,  daß  es 
für  die  Schenkel  eine  arge  Qual  war,  zumal  die  wenigsten  Füße 
irgendeine  Unterlage  erreichen  konnten,  sondern  frei  in  der  Luft 
baumelten.  Aber  es  ging  schließlich  doch  besser  als  wir  gedacht 
hatten,  und  später  trafen  wir  ein  bequemeres,  zum  Aussehen 
freilich  weniger  komisches  Arrangement.  So  hatten  wir  dem 
Volskergebirge  nach  zweitägigem  Besuch  und  mancherlei  Erleb- 
nissen den  Rücken  gekehrt  und  trabten  nun  in  die  pontinischen 
Sümpfe.  Der  Himmel  war  voll  schöngeballter  Wolken,  in  der 
Ferne  sahen  wir  es  strichweise  regnen;  und  da  der  Wind  auf 
uns  zukam,  machten  wir  uns  darauf  gefaßt,  ebenfalls  abkühlende 
Schauer  zu  bekommen.  Aber  die  Furcht  war  überflüssig,  es  blieb 
trocken  und  klärte  sich  im  Laufe  des  Tages  immer  mehr 
auf.     Nach    einer   halben    Stunde    erreichten    wir    die  Via  Appia 


—     206     — 

und   fuhren    nun   schnurstracks  gegen   Südost  gerade  auf  Terra- 
cina  los. 

Von  den  pontinischen  Sümpfen  hatte  ich  eine  ganz  verkehrte 
Vorstellung.  Ihr  wahrscheinlich  ebenfalls.  Sie  erinnern  nämlich 
ganz  lebhaft  an  unsere  Marschen.  Die  Landstraße  ist  zu  beiden 
Seiten  von  einer  doppelten  Reihe  von  Ulmen  bepflanzt,  zum  Teil 
schöne,  hohe  Bäume,  andere  zu  sehr  gekappt.  Vereinzelt  kommen 
auch  Eichen  und  Weiden  vor.  Rechts  läuft  ein  breiter  Graben 
wie  bei  uns  im  Hammerbrook,  und  jenseits  zu  beiden  Seiten  er- 
strecken sich  üppige  Weiden,  auch  Felder  und  ein  lieblicher, 
parkartiger,  junger  Wald,  der  ebenfalls  ganz  gut  in  der  Umgebung 
Hamburgs  stehen  könnte.  Das  Vieh  ist  üppig  und  schön  wie  bei 
uns;  Pferde  und  Ochsen  grasen  nebeneinander,  letztere  mit  den 
großen  Hörnern,  die  mir  nachgerade  so  zur  Gewohnheit  geworden 
sind,  daß  sie  mir  bei  unserem  Vieh  im  Norden  fehlen  werden. 
Auf  einer  großen  Weide  grasten  Büffel,  übrigens  ganz  gute,  liebe, 
dumme  Tiere,  die  bei  guter  Behandlung  gewiß  ganz  harmlos  und 
gemütlich  sein  würden.  Aber  man  legt  solche  Klötze  von  höl- 
zernen Jochen  auf  ihren  starken  Nacken,  daß  die  Haut  ganz 
wund  gescheuert  wird  und  stößt  und  haut  sie  mit  eisenbeschlagenen 
Stöcken,  wenn  sie  nicht  noch  mehr  leisten  als  ihre  enormen  Kräfte 
vermögen,  aufs  unbarmherzigste;  dann  ist's  freilich  kein  Wunder, 
wenn  sie  wütend  und  wild  werden,  sobald  sie  sich  frei  fühlen. 
Hier,  in  Freiheit  grasend,  waren  sie  ganz  sanft  und  harmlos.  Um 
bis  au  den  Kopf  im  Wasser  zu  stehen,  wie  man  sie  sich  im 
Sommer  als  Staffage  der  pontinischen  Sümpfe  zu  denken  hat, 
war's  noch  nicht  warm  genug.  Im  Gegenteil,  eine  echt  deutsche, 
milde,  kühle  Frühlingsluft  wehte;  mit  den  dunklen  Blättern  des 
Efeus,  der  die  Stämme  reichlich  berankte,  mischte  sich  das  zarte, 
helle  Frühlingsgrün  der  Bäume  und  das  Gras  wuchs  so  glänzend 
grün  und  war  von  denselben  Blumen  geschmückt  wie  bei  uns. 
Daß  die  Gegend  so  ungesund  ist,  sieht  ihr  kein  Mensch  an,  und 
ich  hoffe,  daß  die  neuesten  Bestrebungen  zu  ihrer  Hebung,  an 
deren  Spitze  Garibaldi  steht,  mit  der  Zeit  Erfolg  haben  werden. 
Standen  hier  doch  früher  33  blühende  Städte  und  Ortschaften. 
Aber  schon  Cäsar  und  Pompejus  mußten  Anstrengungen  machen, 


—     207     — 

das  entvölkerte  und   heruntergekommene  Land  zu  Leben,   später 
Theodorich  und  viele  Päpste  —  bisher  alles  vergeblich. 

Fast  fünf  Stunden  dauerte  die  Fahrt  und  wurde  mir  eigent- 
lich nicht  langweilig,  nur  das  unbequeme  Sitzen  und  das  be- 
ständige Aufpassen,  mit  den  Füßen  nicht  zwischen  die  Räder- 
spitzen zu  geraten,  erregte  einige  Sehnsucht  nach  Beendigung  der 
Fahrt.  Endlich  kamen  Häuser,  links  auf  der  Höhe  baute  sich 
die  Stadt  malerisch  auf,  einige  schlanke  Palmen  ragten  in  die 
Höhe,  Kakteen  und  Aloen  wucherten  blaugrün  an  weißen  Wänden, 
und  in  Hülle  und  Fülle  glühten  Goldorangen  zwischen  dunklem 
Laub:  man  war  mit  einem  Schlage  wieder  in  Italien  und  sogar 
noch  ein  Stück  südlicher  als  früher.  Vor  uns  lag  das  Meer, 
dunkelblau.  .  .  .  Der  kleinere  Teil  der  Stadt  liegt  unten  am 
Meeresufer,  darunter  eine  große  Kirche  vom  Jahre  1816,  von 
einer  gewissen  kalten  Großartigkeit,  die  ich  bisweilen  ganz  gern 
habe.  Pius  VI.  hat  sie  erbauen  lassen.  .  .  .  Bis  unser  Essen 
fertig  war,  gingen  wir  an  den  Strand  und  sahen  hier  ein  hübsches 
Bild:  mehrere  Mädchen  wollten  in  ihren  irdenen  Krügen  Wasser 
holen  und  begaben  sich  zu  diesem  Zwecke  hochaufgeschürzt  in 
die  ziemlich  bewegte  Brandung,  das  Nahen  einer  Welle  erwartend, 
damit  diese  ihren  Topf,  den  sie  zwischen  den  Füßen  festhielten, 
fülle.  Beim  Zurücktreten  der  Welle  trugen  sie  ihn  ans  Land. 
Das  geschah  natürlich  unter  dem  Jubel  der  halbnackten  Jungen, 
welche  unsere  Aufmerksamkeit  durch  verdoppelten  Ulk  zu  er- 
regen suchten.  Plötzlich  kam,  als  die  Mädchen  wieder  in  der 
Brandung  standen,  eine  unerwartet  große  Welle  herangebraust, 
der  sie  wohl  oder  übel  standhalten  mußten,  aber  ihre  Röcke 
wurden  bedenklich  naß,  und  in  der  Angst  ließ  die  eine  ihren 
Topf  los,  der  nun  vom  Wasser  weit  mit  hinausgetragen  wurde. 
Sie  schrie  und  lachte,  ein  munterer  Bengel  lief  der  Welle  nach, 
weit  hinaus,  und  brachte  ihn  auch  glücklich  zurück,  ehe  die  zweite 
Welle  ihn  überraschte.  Als  wir  zum  Essen  gehen  wollten  .  .  , 
kamen  plötzlich  die  drei  anderen  anspaziert,  die  wir  längst  in 
Terracina  glaubten.  ...  Sie  hatten  noch  mehr  Regen  gehabt  als 
wir,  auf  Heu  schlafen  müssen,  sich  tüchtig  gelangweilt  und  waren 
erst   um    zwölf  mit    der   Post  von  Tre   ponte    abgefahren,    aller- 


-     208     — 

dings    in  rascherem  Tempo  und    mit  mehr   Bequemlichkeit    als 
wir.  .  .  . 

Inzwischen  war's  vier  geworden,  und  war  begaben  uns  darum 
schleunigst  in  die  obere  Stadt  und  auf  den  Marktplatz,  der  male- 
risch und  altertümlich  aussieht.  Die  ganze  Breitseite  nimmt  der 
Dom  ein,  zu  dessen  von  antiken  Säulen  getragenen  Vorhalle  viele 
Stufen  hinanführen.  Der  Architrav  dieser  Säulen  ist  mit  reichsten 
Mosaikornamenten  aus  Theodorichs  Zeit  geschmückt,  wunderbar 
schön  in  der  Farbe,  etwa  mit  prächtigem  chinesischen  Email  zu 
vergleichen.  Auch  innen  hat  die  Kirche  noch  viel  von  ihrer  ur- 
sprünglichen Gestalt  behalten,  besonders  schöne  Mosaiken  mit 
phantastischem  Tierornament,  die  Farben  reicher  als  in  Rom. 
An  der  äußeren  Rückseite  der  Kirche  sind  sogar  noch  hohe  korin- 
thische Säulen  eingemauert  und  ein  berühmter  Ornamentstreifen 
dazwischen  —  genug,  es  ist  ein  höchst  interessanter  malerischer 
Bau,  an  dem  fast  20U0  Jahre  in  ihren  wechselnden  Kunstepochen 
vertreten  und  durch  die  Zeit  zu  einer  unerklärlichen  Harmonie 
verbunden  sind;  daneben  in  der  engen  Straße,  unter  dem  dunkeln 
Torbogen  herrscht  lebendiges  Getriebe,  Geschrei  und  Markten, 
und  das  alles  macht  einen  überaus  angenehmen  Eindruck.  Übrigens 
hat  Terracina  kaum  7000  Einwohner,  aber  alles  Leben  konzen- 
triert sich  an  diesem  einen  Punkt,  so  daß  es  einen  größeren  Ein- 
druck macht.  Durch  einige  enge  dunkle  Gassen,  mit  malerischen 
Durchblicken,  stiegen  wir  allmählich  den  Berg  hinan,  der  die 
Stadt  überragt.  Auf  dem  ersten  Absatz,  dicht  über  der  Stadt, 
liegt  ein  Kloster,  davor  stehen  zwei  Palmen,  die  sanft  und  leise 
in  der  stillen  Abendluft  schwankten.  Von  hier  aus  hat  man 
einen  sehr  schönen  Blick:  vorn  ein  alter  Turm,  Mauern,  Dächer, 
im  Hintergrund  das  herrliche  blaue  Meer  und  das  Kap  der  Kirke, 
dessen  Gestalt  von  allen  Seiten  schön  ist.  Aber  zum  Skizzieren 
war  keine  Zeit,  wir  mußten  noch  höher  hinauf!  Nach  20  Minuten, 
steil  bergan  steigend,  zwischen  Felsstücken  und  einer  reich  da- 
zwischen wuchernden  Vegetation,  kamen  wir  bei  den  Ruinen  der 
Theodorichsburg  an.  Der  alte  Held  hat  sich  hier  einen  herr- 
lichen Punkt  ausgesucht ;  nach  rechts  und  links  buchtet  das  Meer 
sanft  und  schön  ins  Land  hinein,  und  bei  klarer  Luft  soll  man 


—     209     — 

in  der  Ferne  viele  der  lueeln  und  sogar  den  Vesuv  sehen  können. 
Wohl  ist  das  ein  Platz,  um  in  süßem  Nichtstun  Zeit  und  Pflicht 
zu  vergessen,  aber  er  ließ  sich  nicht  wie  Odysscus  an  d».-m  nahen 
Ufer  der  Kirke  von  der  verlockenden  Zauberin  besiegen  und 
halten,  sondern  er  bezwang  sie,  die  Zauberin  Italien,  und  was 
noch  von  seinem  Palast  übrig  ist,  sieht  so  reckenhaft  wuchtig 
ins  Meer  hinaus,  daß  man  hier  kein  Gefühl  der  Wehmut  über 
die  Vergänglichkeit  aller  irdischen  Größe  und  Herrlichkeit  emp- 
findet, wie  bei  den  meisten  andern  Ruinen ,  sondern  eher 
ein  Triumphlied  zu  Ehren  des  kraftvollen  alten  ^\'eiöen  an- 
stimmen möchte.  Oben  in  der  mächtigen  Kundbogeiihalle  ruhten 
wir  auf  einem  Polster  von  Kräutern,  und  eine  blaß  rötliche, 
schlanke  Blume,  halb  Lilie,  halb  Hyazinthe,  mit  der  ich  noch 
zwei  Tage  viel  geneckt  wurde,  blühte  zu  meinen  Füßen  und  hob 
sich  in  wundersamer  märchenhafter  Farbenmelodie  von  dem  tief 
blaugrün-violetten  dämmrigen  Meer  und  den  Bergen  dahinter  ab. 
Die  Sonne  stand  noch  am  Himmel,  aber  hinter  einer  undurch- 
sichtigen Wolkenwand.  Zu  unsern  Füßen  dirigierte  ein  Hirt  seine 
Ziegen  auf  den  richtigen  Weg,  indem  er  mit  Steinen  nach  ihnen 
warf;  ein  großer  Raubvogel  kreiste  kreischend  umher,  vielleicht 
hatte  er  oben  sein  Nest  und  fürchtete  uns  Eindringlinge  —  sonst 
hörte  man  nichts  als  die  Brandung,  die  zwar  nicht  so  großartig 
wie  neulich  in  Porto  d'Anzio  war,  aber  doch  gewaltig  an  die 
Felsen  schlug  und  hochaufspritzend  donnerte  und  brauste.  .  .  . 

Wir  stiegen  durch  einen  Mauerspalt  in  die  lange  dunkle 
Halle.  Durch  eine  große  Öffnung  in  der  Schmalwand  gegen- 
über blitzte  uns  noch  ein  feuerroter  Streif  der  untergehenden 
Sonne  unheimhch  großartig  hinter  dunkeln  Wolken  entgegen. 
Die  Längswand  hat  viele  kleine  Rundbogenfenster  und  Türen, 
die  auf  die  offene  Vorhalle  hinausgehen,  aber  nicht  sehr  viel 
Licht  einlassen.  Das  Mauerwerk  ist  meist  noch  vortrefflich 
erhalten  und  sieht  so  frisch  aus,  als  wenn  es  erst  kürzlich  fertig 
geworden  wäre.  Bildnerischer  Schmuck  fehlt,  ein  paar  früh- 
christliche, halb  verblichene  Heilige  ausgenommen,  die  ich  nicht 
gesehen  habe.  Die  zunehmende  Dunkelheit  erlaubte  uns  nicht, 
lange  zu  verweilen,  sonst  hätten  wir  den  schmalen  Fußpfad  leicht 

Schapire,  Hans  Speekters  Briefe.  !■* 


—     210     — 

verfehlen  können.  Als  wir  zwei  Drittel  oder  drei  Viertel  des 
Abstiegs  glücklich  hinter  uns  hatten,  stand  uns  jedoch  noch  die 
größte  Überraschung  bevor:  eine  riesige  Höhlenöffnung,  in  der  eine 
große  Ziegenherde  sich  gelagert  hatte,  im  Hintergrunde  saß  um 
ein  Kohlenfeuer  eine  ganze  Familie  und  kochte  ihre  Abendsuppe. 
Der  Qualm  schlich  an  der  hohen  Wölbung  hin  und  wirbelte  in 
dünnen  Wölkchen  in  die  blaue  Abendluft.  Die  Leute  gaben 
uns  von  ihrer  vortrefflich  schmeckenden  Ziegenmilch,  und  er- 
zählten uns,  daß  sie  das  ganze  Jahr  hier  wohnen,  nur  in  der 
allerheißesten  Zeit  nicht.  Je  mehr  sich  die  Augen  an  die  Dunkel- 
heit gewöhnten,  desto  schöner  und  phantastischer  erschien  die 
große  Felsenstruktur,  desto  mehr  ebensolcher  kleiner  Behausungen, 
jede  von  einer  Reisighecke  umzäunt,  wurden  sichtbar,  und  ein 
Feuer  nach  dem  andern  entzündete  sich.  Alles  friedlich  und 
still,  so  daß  man  das  Schmatzen  und  Gnurschen  der  Schweine 
deutlich  hören  konnte  und  das  Gekletter  der  Ziegen  auf  den  großen 
Felsblöcken,  welche  sich  vorn  in  der  Höhle  auftürmten.  —  Jeder, 
der  sie  sieht,  wird  die  Höhle  des  Polyphem  in  ihr  entdecken. 
Selbst  die  großen  Felsstücke,  die  der  wütende  Zyklop  ins  Meer 
schleuderte,  um  das  Schiff  zu  treffen,  liegen  heute  noch  da,  und 
die  Brandung  wird  sie  manches  Jahrhundert  umschäumen,  ehe  sie 
zerbröckelt  und  weggewaschen  sind.  Eigentlich  hätte  ich  bei  den 
Hirten  oben  übernachten  mögen!  .  .  . 

Am  andern  Morgen  standen  wir  um  sechs  auf  und  saßen 
um  sieben  beim  lecker  bereiteten  Kaffee,  aber  die  Ausführung 
des  Vorschlags,  uns  für  unser  Gepäck  einen  Esel  zu  leisten, 
kostete  so  viel  Zeit,  daß  wir  erst  um  halb  neun  aufbrachen.  De 
Boor  hatte  uns  diesen  Weg  als  einen  der  allerschönsten  Italiens 
geschildert,  doch  können  wir  dies  nicht  unterschreiben.  Freilich 
hat  man  die  schönen  Berge  in  einiger  Entfernung  neben  und  vor 
sich,  und  das  wohlbebaute  Land  zu  beiden  Seiten  macht  einen 
sehr  fruchtbaren  Eindruck  und  wird  in  vorgerückter  Jahreszeit 
durch  den  schwellenden  Reichtum  seiner  Weintrauben,  Feigen 
und  aller  andern  Produkte  gewiß  wie  das  Land  aussehen  „wo 
Milch  und  Honig  fließt".  Aber  jetzt  im  Frühling  war  nicht  viel 
damit  los,  ja,  wir  stimmten  darin  überein,  daß  wir  gerade  so  gut 


—     211     — 

glauben  könnten,  in  Deutschland  zu  sein,  in  den  fruchtbaren 
Ebenen  des  Mosel-,  Rhein-  oder  Main -Landes.  Denn  auch  das 
Meer  verliert  man  schon  nach  der  ersten  halben  Stunde  aus  den 
Augen,  dafür  entschädigt  anfangs  freilich  eine  Art  Binnensee, 
sumpfige  Lagunen,  auf  die  man  ein  paarmal  einen  sehr  schönen 
Blick  hat,  aber  später  bilden  die  Hauptabwechslung  kleine  Türme, 
welche  vielleicht  von  den  Römern  gegen  die  Piraten  erbaut  wurden, 
jedenfalls  im  Mittelalter  gegen  die  Sarazenen,  Korsaren,  und  wie 
immer  sich  im  Laufe  der  Zeit  das  wilde  Volk  der  Strandräuber 
nannte,  deren  Einfällen  die  ganze  Küste  immer  sehr  ausgesetzt 
war.  Nach  zweistündigem,  sehr  strammen  Marsch  sahen  wir  den 
ersten  größern  Ort.  malerisch  auf  einem  Felsen  liegend,  erfuhren 
aber,  daß  es  noch  nicht  Fondi  war,  wie  wir  gehofft  hatten.  Dahin 
war's  noch  eine  Stunde  weiter.  Wenigstens  brauchten  wir  nicht 
den  steilen  Berg  hinaufzuklimmen.  Vorher  passierten  wir  die 
ehemalige  neapolitanische  Grenze,  die  durch  einen  ganz  ansehn- 
lichen Quader  bau  an  der  Landstraße  bezeichnet  wird.  ...  Im 
Weitergehen  fanden  wir  noch  mehrere,  offenbar  römische  Grab- 
monumente. .  .  .  Die  zerschossenen,  mit  Kugelspuren  übersäten, 
ehemaligen  Chaussee-  oder  Zoll  wach  terhäuser  erinnern  an  die 
blutige  Neuzeit.  Auch  jenseits  Gaeta,  bis  zur  Eisenbahnstation, 
setzen  sie  sich  fort. 

Genau  um  zwölf  waren  wir  in  Fondi,  welches  ausnahmsweise 
nicht  auf  der  Höhe  liegt  und  ein  ziemlich  lebhafter  Ort  zu  sein 

scheint In  Fondi  gibt's  allerlei  zu  sehen :  eine  große  Kirchtür  in 

Frührenaissance,  einen  alten  Dom  mit  alten  Grabmälern  und  Bildern 
auf  Goldgrund,  von  denen  das  eine,  das  freilich  sehr  schön  ist, 
als  Raffael  ausgegeben  wird,  die  stattlichen  Reste  eines  Schlosses 
mit  zinnengekrönten  Ecktürmchen,  überreich  gotisch  ornamentierten 
Fenstern,  einem  alten  Hof  usw.  Wir  besahen  das  alles  im  Trab, 
unter  Regenschirmen,  die  plötzlich  notwendig  wurden,  von  einem 
Schwärm  von  Fondianern  eskortiert.  .  .  . 

Der  Weg  nach  Itri  entwickelte  sich  noch  immer  nicht  zu 
„einem  der  schönsten  Italiens'',  war  aber  kürzer  als  wir  gedacht 
hatten.  Das  Nest  liegt  prächtig,  auf  einem  mitten  im  Tal  auf- 
steigenden Bergkegel,    es   erinnerte   mich    an  Schwarzburg,    zwar 

14* 


—     212     — 

lange  uicht  so  hoch  und  romantisch,  dafür  aber  baut  es  sich 
architektonisch  weit  schöner  auf.  Es  ist  die  Vaterstadt  Fra 
Diavolos,  mit  dessen  Lied  wir  natürlich  einrückten.  .  .  .  Hinter 
Itri  wird  der  Weg  schöner,  der  Charakter  der  Landschaft  merk- 
lich südlicher,  und  als  das  Meer  wieder  sichtbar  wurde,  vergaßen 
wir  alle  voraufgehende  Unbefriedigung.  Ganz  mild  hellgrün-violett 
lag  es  da,  und  vom  letzten  Abendlicht  beschienen  Gaeta,  sich 
hoch  und  phantastisch  über  einen  eigenartig  geformten  Berg- 
vorsprung ausdehnend.  Es  erschien  mir  zuerst  wie  eine  traum- 
haft romantische  Theaterdekoration,  in  Wirklichkeit  hatte  ich  noch 
nichts  derartiges  gesehen.  Ein  altes,  turmartiges  Gemäuer,  von 
Gebüsch  und  Efeu  berankt,  heißt  das  Grabmal  des  Cicero,  rechts 
und  links  vom  Wege  sollen  Villen  gestanden  haben,  die  ihm  ge- 
hörten. Das  Ufer  ist  ein  einziger  duftender  Zitronen-  und  Orangen- 
wald. Vor  uns  lag  Formio.  .  .  .  Formio  hat  eigentlich  nur  eine 
einzige  Straße,  eng,  mit  großen  Quadern  gepflastert,  sich  langsam 
bergab  senkend.  Ein  abendliches,  in  den  brillantesten  Farben 
der  Oswald  Acheubachschea  Palette  strahlendes  Wolkengebirge 
türmte  sich  vor  uns  auf,  und  die  weißgrauen  Wände  der  schmalen, 
hohen  Häuser,  alle  schon  kalt -schattig  und  dunkel,  gegen  dies 
reiche  Meer  von  goldiger  Farbenglut  am  Himmel  bildeten  den 
herrlichsten  Farbeneindruck  der  ganzen  Reise.  Ein  ganz  energisch 
rot  gestrichenes  Haus,  mit  dunkeln,  schlanken  Zypressen  dahinter, 
vollendete  den  südlichen  P^indruck.  Wieder  folgte  uns  ein 
Schwärm  von  Menschen,  der,  als  wir  am  Ufer  unten  ankamen, 
wo  die  Wirtshäuser  stehen,  geradezu  zu  einem  Auflauf  ange- 
schwollen war.  Als  wir  auf  den  Balkon  hinaustraten,  stand  unten 
alles  Kopf  an  Kopf  wie  am  Jungfernstieg  vor  dem  Hotel  de 
l'Europe,  wenn  der  Kaiser  von  Rußland  oder  sonst  wer  dort  ab- 
gestiegen ist.  Die  Sonne  war  inzwischen  untergegangen,  und 
das  prachtvolle  Farbenkonzert  der  Wolken  verstummt.  Ich  ging 
hinaus  durch  die  neugierig  gafiende  Volksmenge  hindurch,  lehnte 
mich  über  die  Brüstung,  sog  den  frischen  Meeresduft  ein, 
wurde  aber  von  allen  Seiten  angeglotzt  wie  ein  wildes  Tier  auf 
einem  Jahrmarkt.  Als  ich  ins  Hotel  zurückkehrte,  war  die  Staats- 
aktion schon  in  vollem  Gange:  der  Unterpräfekt  mit  zwei  andern 


—     213     — 

Herren  in  Zivil  und  der  Hauptmann  der  Carabinieri  mit  drei 
Mann,  zusammen  sieben  Personen,  standen  höchst  feierlich  im 
Zimmer  und  revidierten  unsere  Pässe,  was  bisher  noch  keinem 
von  uns  passiert  war.  Wir  waren  alle  damit  versehen,  aber  die 
Herren  sahen  sie  kaum  an,  fragten  dann  allerlei  über  den  Zweck 
unserer  Reise,  Wohnung  in  Rom  usw.,  und  wir  amüsierten  uns 
sehr  ü'oer  dies  hochinteressante  Erlebnis.  Der  Unterpräfekt  nahm 
die  Sache  offenbar  sehr  ernst  und  hätte  uns  am  liebsten  sofort 
gefesselt  ins  Gefängnis  abführen  lassen.  Der  Hauptmann  der 
Carabinieri  war  aber  ein  vernünftiger  Mann,  der  den  Zusammen- 
hang richtiger  erkannte;  er  versicherte  uns,  er  sei  von  der  Richtig- 
keit unserer  Angaben  völlig  überzeugt,  aber  „gewisse  Kom- 
binationen" und  „strenge  Befehle  von  oben"  machten  es  ihm  zur 
Pilicht,  vorläufig  das  Verlassen  der  Gastwirtschaft  zu  untersagen, 
doch  hoffe  er,  daß  in  einigen  Stunden,  spätestens  am  andern 
Morgen  alles  im  reinen  sein  würde.  Es  sollte  sofort  nach  Caserta 
an  die  Oberpräfektur  telegraphiert  werden.  —  Sehr  fidel  aßen 
wir  zu  Abend,  und  die  Beobachtung,  daß  zwei  Carabinieri  mit 
geladenem  Gewehr  unten  Wache  hielten,  vermehrte  das  wohl- 
tuende Gefühl  unserer  Wichtigkeit.  Wir  gingen  ohne  näheren 
Bescheid  zu  Bett,  standen  auch  auf,  ohne  daß  etwas  gekommen 
wäre,  die  Post,  die  wir  benutzen  wollten,  fuhr  ohne  uns  fort,  und 
allmählich  wurde  uns  die  Sache  langweilig.  Zwar  war  buntes, 
lustiges  Marktgewimmel  vor  dem  Hause:  viel  Fische,  üppiges 
Gemüse,  besonders  riesiger  Blumenkohl,  wurden  von  bunten, 
schreienden,  lebhaft  gestikulierenden  Menschen  verkauft  und  ein- 
gehandelt; Kerle  mit  roten  oder  grauen  Schifiermützen,  kräftigen, 
rotgebrannten,  bloßen  Beinen  bewiesen,  daß  Neapel  nicht  mehr 
fern  war.  Kinder  in  den  lustigsten  Lumpen,  besonders  in  arg 
zerrissenen  und  durchlöcherten  Hosen  spielten  ungeniert,  mutig 
und  gelenkig  auf  den  breiten  Quadern;  während  die  Mädchen 
und  Frauen,  mit  rundgeringelten  Flechten  an  den  Schläfen,  und 
das  Haar  des  Hinterkopfes  mit  bunten  Bändern  durchflochten, 
etwas  außerordentlich  Sittsames,  Stilles  hatten,  das  von  dem  flotten 
Aussehen  und  Gebaren  der  Schiffer  sehr  abstach.  Esel,  mit 
trockenem  Reisig  beladen,  sahen  von  oben  herab  aus  wie  vorüber- 


—     214     — 

raschelnde  Riesenigel.  All  das  sahen  wir  zwar  etwas  ^.us  der 
Vogelperspektive,  aber  doch  mit  größter  Bequemlichkeit,  da  das 
Hotel  geräumige  Balkons  hat.  Die  Aussicht  aufs  Meer  war  natürlich 
längst  nicht  so  schön  wie  am  Abend  und  eigentlich  wenig  anders 
als  ein  Blick  frühmorgens  auf  die  Außenalster.  Dieselben  ge- 
kappten, dünubelaubten  Bäume  im  Vordergrund  und  ein  in  Dunst 
verschwimmendes,  grauweißes,  glattes,  glitzerndes  Wasser,  freilich 
statt  der  Ulilenhorst  —  Gaeta  und  statt  des  Alsterglacis  und  der 
Lombardsbrücke  eine  schön  geformte  ferne  Bergliuie. 

Die  einen  schrieben  Briefe,  ich  skizzierte  das  Menschen- 
gewühl, Thiersch  die  Aussicht,  andere  taten  gar  nichts  und  ärgerten 
sich  nur  über  die  schlechte  Behandlung  und  den  Zeitverlust,  um 
zehn  Uhr  telegraphierten  wir  an  Keudell  nach  Rom,  was  uns 
nach  längerem  Zaudern  erlaubt  wurde,  und  das  war  sehr  not- 
wendig, denn  die  Herren  vom  Magistrat  kümmerten  sich  gar  nicht 
um  uns;  besonders  verdroß  es  uns,  daß  der  Hauptmann,  der  am 
Abend  zuvor  sehr  liebenswürdig  gewesen  war,  uns  nicht  wenig- 
stens seine  Aufwartung  machte  und  irgendeine  Erklärung  gab. 
Aus  der  Zeitung  kombinierten  wir  schließlich,  daß  wir  für  einen 
Trupp  internationaler  Räuber  gehalten  wurden,  was  sich  denn  auch 
mehr  und  mehr  bestätigte.  So  kam  das  Mittagessen  heran;  die 
Freude  an  dem  „interessanten  Erlebnis"  hatte  sich  wesentlich 
verringert,  besonders  da  niemand  wissen  konnte,  ob  wir  nicht 
noch  einen  zweiten  Tag  durch  die  Geschichte  verlieren  würden. 
So  ließen  wir  den  Hauptmann  bitten,  mal  zu  uns  zu  kommen. 
Antwort:  er  würde  sich  in  einer  halben  Stunde  einstellen.  Nach 
einer  Stunde  schickten  wir  abermals  zu  ihm.  Antwort:  er  sei 
nach  Gaeta  gegangen.  Nun  wurden  wir  wild  und  verlangten  den 
ünterpräfekten  zu  sprechen.  Dieser  kam  nicht,  aber  unser  Ver- 
langen, einen  Spaziergang  machen  zu  dürfen,  wurde  gegen 
Deponierung  unserer  Pässe  bewilligt.  Also  endlich,  nach  drei 
Uhr,  fühlten  wir  uns  wieder  frei,  wenigstens  halbwegs,  und  gingen 
sofort  zu  Schiff.  Auf  dem  Wege  dahin  sahen  wir  lange  der 
urfidelen  Makkaronifabrikation  zu,  die  folgendermaßen  betrieben 
wird:  Drei  Kerle  mit  bloßen  Beinen  und  auch  sonst  ganz  leicht 
und  hell  gekleidet,  sitzen  auf  einem  bew^eglichen  Hebelarm,  springen 


—     215     — 

sitzend  mit  demselben  auf  und  ab  und  zugleich  vor-  und  rück- 
wärts, einen  Halbkreis  besehreibend,  wodurch  der  Mehlteig  ganz 
außerordentlich  durchgeknetet  wird.  Fidele,  hübsche,  junge  Kerle, 
lachend,  singend  und  fortwährend  mit  ihren  kräftigen  Beinen  in 
dieser  elastischen  Hüpfbewegung  machten  sie  einen  überaus 
lustigen  Eindruck.  Andere  rollten  die  Makkaroni  usw.  usw.,  was 
aber  weniger  Interesse  hatte.  Die  Meerfahrt  war  hübsch.  Vier 
braune  Schiffer  ruderten  die  große,  ziemlich  unbeholfene  Barke 
und  strengten  sich  wenig  dabei  an,  so  daß  wir  nicht  weit  kamen, 
was  auch  nicht  nötig  war,  denn  das  Ufer  ist  überall  gleich  schön: 
ein  großer,  fruchtbarer  Garten  ringsum  an  sanften  Abhängen,  und 
den  ganzen  Golf  entlang  zwischen  Gaeta  und  Formio  ein  Kranz 
weißer  und  blaßroter  Häuser.  Das  einzige,  was  mir  fehlte,  waren 
einige  Palmen.  Sie  hätten  so  gut  hergepaßt!  —  Als  wir  nach 
einer  Stunde  zurückkehrten,  empfing  uns  der  Oberkellner  schon 
am  Ufer  mit  einem  lauten:  Ewiva  la  libertä!  Oben  erwartete 
uns  der  Sergeant,  um  uns  mitzuteilen,  daß  wir  zufolge  einer 
soeben  aus  Caserta  eingetroffenen  Depesche  wieder  auf  freiem 
Fuße  seien.  Der  Doppelposten  war  bereits  abgezogen.  Aber 
keinerlei  Entschuldigung  von  Seiten  des  Präfekten  oder  Haupt- 
manns, was  sich  doch  gewiß  gehört  hätte!  —  Nach  Gaeta  zu 
gehen,  war's  zu  spät  geworden,  so  ging  jeder  seineu  eigenen 
Weg:  einige  badeten,  ich  begab  mich  mit  einigen  andern  in  Ciceros 
Villa,  deren  duftende  Orangen-  und  Zitronenpflanzungen,  von 
hohen  geschorenen  Buchsbaum-  und  Rosenhecken  durchschnitten, 
herrliche  Durchblicke  aufs  blaue  Meer  und  Gaeta  im  Abend- 
sonnenschein gewährten.  Daß  die  Orangen  zu  gleicher  Zeit 
Blüten  und  Früchte  tragen,  ist  bekannt,  ich  hatte  es  aber  vorher 
noch  nie  gesehen.  Ebenso  sah  ich  hier  zum  erstenmal  einen 
Pfefferbaum  mit  spinnwebartigem,  zarten  Laub.  Der  Garten  senkt 
sich  in  Terrassen  zum  Meer  hinab;  auf  der  obersten  standen 
damals  die  Batterien,  die  gegen  Gaeta  operierten.  Darunter  sind 
noch  wohl  erhaltene  Reste  antiker  Bäder,  namentlich  ein  sehr 
stattliches,  in  dessen  Hauptraum  dorische  Säulen  das  kassettierte 
Stuck-Tonnengewölbe  tragen. 

Aber    das  Bewußtsein,    die  Luft    des  wonnigen,    lauen,    ge- 


—     216     — 

segneten  Südens  zu  atmen,  war  doch  das  allerschönste!  Das 
Meer  ])lätscherte  immer  sanfter  ans  Ufer,  ich  dachte  an  nichts 
Bestimmtes,  aber  mir  klang  es  wie  femer  Hexameter-Wohllaut 
in  den  ()hren.  Zwar  wollte  mir  kein  Stückchen  Odyssee  in  den 
Sinn  kommen  —  alles  ist  vergessen  —  aber  sie  zog  beglückend 
durch  meine  Seele  wie  ein  schöner  Traum,  auf  den  man  sich 
nicht  recht  besinnen  kann,  der  aber  einem  ganzen  Morgen  eine 
beseligende  Stimmung  verleiht. 

Eigentlich  hatten  wir  unsere  Reise  zu  Schiff  beschließen 
wollen  und  schon  in  der  Vorstellung  unseres  Einlaufens  in  den 
Hafen  von  Neapel  geschwelgt.  Es  war  aber  schwieriger  als  wir 
gedacht  hatten,  ein  Schiff  zu  bekommen  und  die  Leute  forderten 
zu  viel.  Außerdem  war  es  zu  unbestimmt,  wie  lange  die  Fahrt 
dauern  würde.  Bei  der  Windstille,  die  am  folgenden  Tag  herrschte, 
wären  wir  wohl  kaum  vom  Fleck  gekommen,  und  im  andern 
Falle  hätte  die  Seekrankheit  den  Genuß  vielleicht  sehr  gemäßigt. 
So  entschlossen  wir  uns  zur  üblichen  Postkutsche  und  fuhren 
morgens  um  halb  acht  Uhr  los.  Der  Weg  hatte  anfangs  sehr 
südlichen  Charakter  —  Hecken  von  Aloen  —  später  wieder  ganz 
deutschen  und  war  nicht  gerade  interessant.  Das  Bemerkens- 
werteste waren  jedenfalls  die  Ruinen  von  Minturnae,  einst  einer 
großen  Stadt,  die  sich  wie  Rom  ihr  Wasser  per  Aquädukt  vom 
fernen  Gebirge  kommen  ließ  —  jetzt  drei  armselige  Hirtenhütten, 
die  sich  in  die  Überreste  dieses  großen  Amphitheaters  verkriechen, 
Ziegen  und  Schweine  bevölkern  die  Sitzreihen.  —  Dicht  dahinter 
überschreitet  man  den  Garigliano.  —  An  der  ^Eisenbahnstation 
Sparanise  kamen  wir  zeitig  genug  an,  um  noch  zu  Mittag  zu 
essen,  gegen  zwei  Uhr  fuhren  wir  ab.  Sehr  bald  sieht  man  den 
Vesuv  aufragen,  den  Gipfel  in  seinen  eignen  Wolken  verhüllt. 
Im  ganzen  habe  ich  aber  mehr  geschlafen  als  ausgeguckt. 

Um  vier  Uhr  in  Neapel,  was  ich  Euch  per  Korrespondenz- 
karte anzeigte.  Das  lärmende  Getriebe  der  Großstadt  entzückte 
mich  schon  auf  dem  Wege  ins  Hotel.  Die  mit  blühendem  Ginster- 
kraut und  Zitronen  geschmückten  Limonadenschänken  an  den 
Straßenecken,  mit  ihren  buntbemalten  oder  blanken  messingnen 
Aufsätzen,    die   Mäste   der  Schiffe,    das    blaue  Meer,    schreiende 


—     217     — 

Menschen  und  ein  dichtes,  rasches  Hin- und  Herfahren  von  Droschken, 
Lastwagen,  Omnibu'^sen,  Tramways,  zwischendurch  Ziegenherden 
Kühe,  Bettler,  Stiefelputzer,  Stock-  und  Schwefelholzverkäufer 
bildeten  einen  prächtigen  Kontrast  gegen  das  Stilleben  der  letzten 
Woche.  Doch  hat  Onkel  Erwin  das  alles  ja  so  ausführlich  und 
vortreftlich  geschildert,  daß  ich  mich  darüber  kurz  fassen  kann 
und  auf  ihn  verweise;  ich  wüßte  wirklich  nichts  hinzuzusetzen. 
Höchstens  noch  ein  paar  Worte  über  die  Freude  der  Neapolitaner 
an  glänzendem  Metallschmuck,  nicht  nur  an  Gold  und  Silber, 
sondern  namentlich  auch  an  blank  geputztem  Messingbeschlag. 
Das  fiel  mir  vom  ersten  Augenblick  an  auf.  In  den  Wirtschaften 
ist  alles  so  spiegelblank  geputzt,  wie  es  in  Holland  nicht  blanker 
sein  kann  —  nb.  nur  das  Metall  von  außen,  für  alles  andere 
übernehme  ich  keine  Garantie.  Besonders  leisten  die  Kutscher 
Großes  darin:  keine  Stange  oder  Schnalle  am  Wagen  und  kein 
Stück  des  reichverzierten  Sattel/.eugs,  das  nicht  spiegelblank  wäre. 
Auf  den  Rückenriemen  der  Droschkenpferde  sitzt  meist  hübscher 
Zierat:  ein  Delphin,  ein  Hirschkopf  mit  Geweih,  Erzengel  Michael, 
Fortuna,  Leier,  Kanonenlauf  usw.  usw.,  am  häufigsten  ein 
springendes  Pferdchen.  Die  großen  Lastwagensättel  haben  sogar 
einen  prächtigen,  turmhohen  Aufbau,  mit  Glöckchen  und  einem 
beweglichen  P'ähnchen  obendrauf,  was  überaus  prächtig  phan- 
tastisch aussieht  und  noch  von  den  Mauren  oder  Goten  herrühren 
mag.  —  Ferner  fiel  mir  die  zahlreiche  Anwendung  von  glasierten 
Kacheln  oder  Fliesen  auf,  sowohl  an  Fußböden  wie  am  unteren 
Teil  der  Wände  wie  in  Holland.  Sonst  gehören  Ordnung  und 
Sauberkeit  bekanntlich  nicht  zu  den  Haupttugenden  dieser 
Gegend.  —  Also  lest  Onkel  Erwins  „Volksleben  in  Neapel''.  Das 
ist  so  brillant,  daß  die  Wirklichkeit  oft  dahinter  zurückbleibt,  da 
er  die  Eindrücke  und  Bilder  mehrerer  Tage  in  einen  knappen 
Rahmen  zusammendrängt.  Auch  den  Unterschied  zwischen  den 
hiesigen  und  römischen  Frauen  charakterisiert  er  vortreff- 
lich, aber  man  darf  nicht  herauslesen,  daß  es  hier  nur  wenig 
Schönheiten  gibt.  Im  Verhältnis  zu  Rom  freilich  aber  sonst 
noch  eine  ganze  Menge,  namentlich  in  den  höheren  Klassen,  wie 
ich  das  gleich  am  ersten  Sonntag  auf  dem  Korso,  dann  mehrfach 


—     218     — 

in  der  Ausstellung  und  im  Theater  beobacliten  konnte.  Die 
Toiletten  sind  oft  sehr  reich  und  recht  geschmackvoll,  aber  wenn 
eine  große  schlanke  Figur  in  etwas  einfacherer,  aber  nicht  minder 
gewählter  Toilette,  stolz  und  wirklich  vornehm  daherkommt,  so 
ist's  meist  doch  eine  Engländerin,  und  das  freut  mich  als  Ger- 
mauen denn  fast  so,  als  wenn  sie  eine  Deutsche  wäre.  —  Im 
ganzen  mag  der  Unterschied  mit  Rom  damals  überhaupt  größer 
gewesen  sein.  45  Jahre  tun  viel,  um  die  Physiognomien  großer 
Städte  zu  verwischen.  Und  wie  hat  Rom  sich  seit  sieben  Jahren 
verändert!  .  .  . 

Die  ganze  Woche  war's  trüb,  kalt  und  regnerisch,  was  mich 
aber  nicht  sehr  betrübte,  so  verliebt  bin  ich  ins  Museum  und  so 
augeregt  durch  die  große  moderne  Kunstausstellung,  die  größte, 
die  je  in  Italien  war.  Von  den  glänzenden  Eröffnungsfeierlich- 
keiten habt  Ihr  jedenfalls  in  den  Zeitungen  gelesen.  Meine,  frei- 
lich sehr  geringen,  Erwartungen  sind  so  weit  übertroffen,  ich  habe 
einen  so  gründlichen  Respekt  vor  den  modernen  Italienern  be- 
kommen, daß  ich  vielleicht  etwas  darüber  im  „Correspondenten" 
schreiben  werde. 

Gleich  nach  unserer  Ankunft  .  .  .  gingen  wir  natürlich  — 
aber  nicht  mehr  in  einem  Trupp  —  ans  Ufer,  am  stattlichen 
Palazzo  Reale  vorbei  nach  Santa  Lucia  und  der  Chiaja,  den  kürz- 
lich verbreiterten  Anlagen  am  Ufer.  Die  Aussicht  über  den 
ganzen  Golf:  die  Stadt,  die  vielen  kleinen  Orte,  die  sich  in  un- 
unterbrochener Kette,  gleich  einer  großen  Vorstadt  am  Fuße  des 
Vesuv  entlang  ziehen,  dann  er  selbst,  der  schöne  Koloß,  feierlich 
langsam  seine  große,  blendend  weiße  Rauchwolke  ausatmend,  die 
Linie  der  kleineren  Berge,  im  Hintergrund  das  unerreicht  schöne 
Capri  usw.  ist  aus  zahlreichen  Bildern  bekannt.  Was  soll  ich 
versuchen,  sie  zu  beschreiben?!  .  .  .  Die  Farbe  des  Golfs  war 
zauberhaft,  fast  möchte  ich  sagen  unnatürlich  und  theatralisch. 
Immer  höher  stiegen  die  Schatten  am  Bergkegel  empor.  Zuletzt 
erglänzte  nur  die  Wolke  wie  ein  mächtiger,  gold weißer  Riesen- 
ball  

Vom  Museum  nur  so  viel,  daß  es  die  Krone  aller  bisher  ge- 
sehenen Museen  für  mich  ist,  und  wenn  ich  in  Blorenz  mehrfach, 


—     219     — 

wenn  die  Engländer  sich  verpflichtet  fühlten,  mir  als  Maler  von 
der  Galerie  Pitti  und  den  Uffizien  vorzuschwärmen,  behauptete: 
,,I  hate  Museums"  —  teils  freilich,  um  sie  abzukühlen  und 
einen  interessanten  Schnack  zu  machen,  aber  doch  nicht  ganz 
ohne  Wahrheit  —  so  ist  das  hier  ganz  anders.  Die  Reste 
einer  herrlichen,  untergegangenen  Zeit  geh()ren  in  einen  ihrer 
würdigen  Raum,  in  ein  großes  Totonhaus,  wo  sie  vor  aller 
Unbill  bewahrt,  späteren  Generationen  als  Vorbild  aufgestellt 
werden  können.  Die  Werke  der  Lebenden  aber  gehören  ins 
Leben.  Denn  jedes  Ding  hat  in  der  Welt  einen  Zweck  und  die 
Redensart,  daß  „die  Kunst  sich  selbst  Zweck  sei",  habe  ich  nie 
verstehen  können.  Das  eben  ist  der  große  Unterschied  zwischen 
der  Jetztzeit  und  früheren  wahren  Blüteepochen:  daß  man  die 
Kunst  als  etwas  Zweckloses,  außerhalb  der  Sphäre  des  gewöhn- 
lichen Stehendes  ansieht  und  ansehen  mag  und  kann.  Sie  ist, 
um  mit  Onkel  Erwin  zu  reden,  Treibhauspflanze  geworden,  als 
Rarität  von  einzelnen  Gourmands  hoch  verehrt,  aber  nicht  mehr 
das  tägliche  Brot  der  Gesamtheit,  ohne  das  man  nicht  leben  und 
sein  mag.  Doch  zurück  zum  Museum.  Da  ist  mir  noch  nie  die 
Zeit  lang  geworden,  während  ich  in  vielen  andern  oft  nur  aus 
einer  Art  von  Pflichtgefühl  bis  zum  Schluß  aushielt.  Aber  hier 
gibt's  so  viel  Wechsel,  daß  ich  monatelang  dableiben  könnte ;  die 
herrlichsten  Skulpturen,  Götterbilder,  Porträts,  Reliefs,  Bronzen 
aller  Art,  pompejanische  Wandmalereien,  rein  ornamentale 
oder  graziöse  Figürchen,  Stilleben,  Landschaften,  Lustiges  und 
Ernstes,  Witze,  selbst  Zoten,  alles  durcheinander,  ferner  Vasen 
in  allen  Formen  und  Größen,  dann  alle  möglichen  Geräte  aus 
Marmor  und  Bronze:  Tische,  Vasen,  Stühle,  Betten,  Kandelaber, 
Ampeln,  Teemaschinen, Töpfe,  Kessel  usw.  Schließlich  sogar  eine  gute 
Bildergalerie,  die  einige  ganz  vorzügliche  Sachen  aufzuweisen  hat, 
namentlich  Altdeutsche  und  Niederländer.  Und  besonders  kann 
ich  eins  nicht  unerwähnt  lassen,  was  Onkel  Erwin  bei  seinem 
Schelten  über  die  schlechte  Aufstellung  ganz  übersieht:  die  An- 
tiken sind  so  wundervoll  beleuchtet,  wie  ich  es  noch  nirgends 
gefunden  habe,  nämlich  durch  ganz  hohes  Seitenlicht,  ähn- 
lich   wie    in    der    Glyptothek   in  München.     Die   drei  Hauptsäle, 


—     220     — 

enorm  hohe,  geräumige  Gänge  rings  um  einen  großen  Lichthof, 
sind  nicht  sehr  ordentlich  instand  gehalten  und  machen  einen 
etwas  provisorischen  Eindruck,  aber  die  Sachen  darin  kommen 
alle  zur  Geltung,  schon  darum,  weil  sie  nicht  so  entsetzlich  eng 
aufeinander  sitzen,  wie  z.  B.  im  Vatikan.  Und  was  sind  hier  für 
Sachen!  In  dem  einen  Saal  fast  nur  Meisterwerke!  Nebenein- 
ander z.  B.  der  schönste  griechische  Bacchustorso,  die  berühmte 
sitzende  Agrippina,  der  junge  Faun  mit  dem  kleinen  auf  dem 
Rücken,  die  Venus  Kallypigos,  der  schönste  Homerkopf,  die  herr- 
liche, herunterblickende  Psyche,  die  Aristidesstatue,  der  x\donis, 
die  Venus  von  Capua,  die  beiden  archaischen  Statuen  Harmodius 
und  Aristogeiton  usw.  —  was  nützt  das  Aufzählen?  —  Hier 
bekommt  man  die  rechte  Lust  zum  Zeichnen  nach  der  Antike 
wieder!  Schon  deshalb,  weil  der  Schwärm  von  Fremden  nicht 
so  groß  ist  wie  in  ßom  und  Florenz.  Dabei  keine  Schererei: 
man  bekommt  seine  Permessi  zum  Zeichnen  und  freien  Eintritt 
sofort  gratis  und  allüberall  steht  angeschlagen:  es  ist  verboten, 
dem  Personal  Trinkgelder  anzubieten.  Was  will  man  mehr? 
Und  das  in  Italien!  —  Soll  ich,  wie  Onkel  Erwin,  einzelnes  zu 
beschreiben  versuchen?  Ich  glaube,  das  ist  sehr  langweilig  für 
solche,  die  die  Sachen  nicht  kennen;  für  mich  hier  an  Ort  und 
Stelle  nachzulesen,  was  er  gesagt  hat,  ist  natürlich  sehr  inter- 
essant, und  ich  stimme  ihm  meistens  völlig  zu.  Besonders  lieb 
war  mir's,  ihn  so  begeistert  für  die  bronzenen  vStatuen  von  fünf 
Schauspielerinnen  und  Tänzerinnen  zu  finden,  die  ich  gleich  den 
zweiten  Tag,  ehe  ich  gelesen  hatte,  was  er  darüber  sagt,  skizziert 
hatte,  so  „deutlich  wurde  mir  bei  jenen  Figuren,  was  Stil  ist.'* 
Nach  Burckhardt  sind  es  freilich  keine  echt-griechischen,  sondern 
nur  „altertümlich  behandelte"  Arbeiten,  und  die  Ausführung  er- 
hebt sich  nicht  über  die  „rohe  Dekoration".  Aber  das  ist  schließ- 
lich ganz  schnuppe:  der  Geist,  den  sie  atmen,  ist  jedenfalls  streng 
und  feierlich  hellenisch,  sei  es  nun,  daß  ein  Künstler  der  Spätzeit 
noch  einmal  gefühlt  hat  wie  die  Alten  —  das  kommt  ja  auch  in 
unserer  Zeit  bisweilen  vor  —  sei  es,  daß  griechische  Originale 
zugrunde  liegen.  —  Neben  ihnen  steht  der  Platokopf,  zu  dem 
man    sich    eine    sitzende  Figur  hinzuzudenken  hat.     Was  würde 


—     221     — 

das  für  ein  Gegenstück  zum  Moses  von  Michelangelo  geben!  Der 
eine  ganz  antikes  heiter  ernstes  Sinnen,  der  andere  ganz  eiserner 
Wille;  hier  alle  Kraftl'ülle  in  vornehmer  Ruhe,  dort  in  höchster 
Anspannung.  .  .  . 

Gestern,  Sonntag,  fuhren  wir  zu  viert  nach  Pozzuoli,  jenseits 
des  Posihp,  ein  wunderschöner  Golf,  an  dessen  rechter  Seite  das 
berühmte  Kap  Misenum  vorspringt  und  dahinter  Ischia.  In 
Pozzuoli  ist  viel  zu  sehen:  Reste  eines  großen  Amphitheaters 
und  Serapistempels  usw.  Es  muß  früher  eine  bedeutende  Stadt 
gewesen  sein,  die  große  Handelsverbindungen  hatte  und  ein  Haupt- 
mittelpunkt der  Juden  war.  Daß  Paulus  hier  landete,  wird  in 
der  Apostelgeschichte  erzählt.  Jetzt  hat  es  immerhin  noch 
14  000  Einwohner  und  die  Gräber  von  Pergolese  und  Leopardi,  die 
wir  eigentlich  hätten  aufsuchen  sollen!  Besonders  interessant  ist 
es  freilich  dadurch,  daß  die  ganze  Gegend  sehr  vulkanisch  ist 
und  teilweise  aus  erloschenen  Kratern  besteht,  die  mit  dem  Vesuv 
noch  in  Verbindung  stehen.  Einen  solchen  Krater,  die  Solfatara, 
besichtigten  wir.  Es  wächst  jetzt  junges  Buschwerk  darin,  aber 
wenn  man  einen  großen  Stein  kräftig  auf  den  Boden  wirft,  so 
dröhnt  es  hohl  und  unheimlich.  Aus  einer  Spalte  qualmen  fort- 
während heiße  Schwefeldämpfe  in  dicker  Wolke  und  in  ihrer 
Nähe  dampft  es  überall  zwischen  dem  Gestein.  Der  Sand  ist 
schon  in  der  Tiefe  von  einem  Fuß  so  heiß,  daß  man  ihn  mit  Mühe 
in  der  Hand  behält.  An  einer  Stelle  quillt  heißes,  brodelndes 
Wasser  aus  dem  Boden. 

Unser  Führer  war  ein  netter  Mann,  der  sehr  gut  enghsch 
und  französisch  sprach,  auch  ein  wenig  deutsch,  und  das  alles 
nur  durch  den  Verkehr  mit  Fremden.  Auch  in  anderer  Be- 
ziehung ein  überaus  aufgeweckter  und  talentvoller  Mann,  der 
dabei  sehr  bescheiden  und  nichts  weniger  als  geldschneidrig  war, 
d.  h  uns  gegenüber;  von  reichen  Engländern  oder  Amerikanern 
ließ  er  sich  tüchtig  bezahlen,  versicherte  er  uns  selbst.  Das  Volk 
ist  nicht  nur  unendlich  begabt,  sondern  auch  so  gut  und  taktvoll, 
daß  man  kaum  begreift,  wie  es  zum  Teil  hat  so  herunterkommen 
können.  Aber  es  hebt  sich,  wie  alle  sagen,  mit  Macht,  fast  zu- 
sehends.    Er   führte    uns    zu   Leuten,    bei    denen    wir  Wein  be- 


—     222     — 

kommen  konnten,  die  aber  eigentlich  keine  Wirtschaft  haben, 
nnd  da  fanden  wir  es  wunderhübsch,  die  Mädchen  hübsch,  klug, 
sittsam,  die  Alte  fein  in  ihrem  Wesen  und  alles  so  ordentlich 
und  sauber,  wie  wir  es  nicht  in  Italien  und  am  wenigsten 
bei  Neapel  erwartet  hätten.  Freilich  sei  diese  Familie  eine  Aus- 
nahme, versicherte  uns  der  Führer. 

Für  die  „Hundegrotte"  wurde  es  zu  spät  und  zu  kalt!  Ich 
war  froh,  mein  Plaid  mitgenommen  zu  haben.  Das  Laub  der 
Bäume  hat  seit  acht  Tagen  gar  keine  Fortschritte  gemacht! 
Hoffentlich  wird's  nun  anders.  Im  Laufe  der  Woche  gehe  ich 
jedenfalls  nach  Pompeji  und  Pästum  und  wahrscheinlich  auf  den 
Vesuv.  Briefe  sendet  bitte  ausschließlich  hierher  und  zwar  poste 
restaute. 

Mit  vielen  Grüßen  an  die  Tanten 

Hans. 


Pompeji,  den  3L  April. 
.  .  .  Am  Mittwoch,  den  25.  leuchtete  zum  erstenmal  wieder 
ein  strahlend  schöner  Morgen,  und  es  wurde  der  schönste  Tag, 
den  ich  in  Neapel  hatte.  Schon  am  Abend  zuvor  war's  herrlich 
gewesen,  Gildemeister  und  ich  hatten  einen  langen  Spaziergang 
am  PosiKp  entlang  gemacht,  ein  Weg,  der  mit  seinen  Villen  und 
der  sich  allmählich  hebenden  Chaussee  an  das  Eibufer  bei  Oth- 
marschen  erinnert.  Freilich  ist  die  felsige  Küste  unten,  an  der 
das  blaue  Meer  sich  schäumend  bricht,  ein  ganz  Teil  schöner  als 
unser  sanfter  Strand,  und  das  jenseitige  Ufer  mit  seinen  schönen 
Berglinien,  dem  Vesuv  in  der  Mitte  nicht  mit  unsern  mattherzigen 
Marschinseln  und  den  Harburger  Bergen  zu  vergleichen.  Wir 
waren  reichlich  spät  fortgegangen,  erreichten  das  äußerste  Ende 
des  Vorgebirges  daher  nicht,  da  es  bereits  ganz  dunkel  war  und 
hatten  auf  dem  Rückweg  den  Genuß  des  flimmernden  Mondlichtes 
auf  den  zierlich  gekräuselten  Wellen,  alles  licht  und  zart,  wie 
wenn  man  durch  einen  weißen  Schleier  sähe,  und  wie  selige 
Tränen  zogen  weiße  durchsichtige  Wölkchen  langsam  feierlich 
dahin  .  .  .  Am    nächsten  Morgen    hatte  ich  zum   erstenmal  keine 


—     223     — 

rechte  Lust  ins  Museum  zu  gehen  und  ließ  mich  gern  bestimmen, 
mit  Friedrich  nach  S.  Martine  hinaufzusteigen.  San  Martino 
ist  das  große  Camaldulenserkloster  oberhalb  der  Stadt,  zu  Füßen 
des  gewaltigen  Kastell  St.  Elmo,  welches  die  ganze  Gegend  be- 
herrscht und  der  schönste  berühmteste  Aussichtspunkt  ist.  Das 
Kloster  ist  aufgehoben  und  in  Museumsräume  umgewandelt. 
Soldaten  machen,  wie  überall  hier,  die  Führer  und  Custoden. 
Wie  leicht  die  Italiener  sich  ihre  schlechten  Angewohnheiten  ab- 
gewöhnen lassen,  sah  ich  auch  hier.  Ich  habe  wohl  schon  er- 
wähnt, daß  in  den  Museen  hier  per  Anschlag  bekannt  gemacht 
wird,  die  Angestellten  dürfen  keine  Trinkgelder  annehmen. 
Bisher  hatte  ich  auch  nie  Veranlassung  gehabt,  trotzdem  eins 
anzubieten.  Heute  hielten  wir  es  doch  für  passend,  unserm 
freundlichen  Führer  an  einer  unbelauschten  Stelle  eins  zuzustecken, 
aber  er  nahm  es  absolut  nicht  an  —  nur  eine  Zigarre.  Würden 
unsere  Soldaten,  namentlich  unsere  Unteroffiziere  ebenso  heikel 
sein?  und  wenn  sie  es  ausnahmsweise  wären,  würden  sie  bei  aller 
Entschiedenheit  des  Zurückweisens  so  natürlich  und  freundlich 
bleiben,  ohne  im  mindesten  mit  ihrer  Gewissenhaftigkeit  zu 
protzen?  —  Überhaupt  gefällt  mir  das  italienische  Soldatenleben. 
Im  Hof  des  Castel  nuovo  —  welches  trotz  seines  Namens  den 
ältesten,  ßchwarzgeräuchertsten  Eindruck  von  allen  Bauten  Neapels 
macht,  auch  von  Carl  von  Anjou  erbaut  ist  —  habe  ich  eines 
abends  die  Soldaten  mit  Vergnügen  beobachtet.  Da  waren  keine 
Strafapells  und  dergl.  Schindereien  wie  bei  uns,  und  sonst  alles 
öde,  weil  die  Leute  gleich  nach  beendeter  Dienstzeit  ihrem  Kerker 
entfliehen,  sondern  in  bescheidener  Fröhlichkeit  bewegten  sie  sich 
in  ihren  weißen  DriUichanzügen,  turnten,  spielten  Ball,  besonders 
auch  Boccia,  manche  saßen  unter  einem  schönen  Renaissance- 
Portal  und  lasen,  einer  überhörte  den  andern  —  genug,  es 
herrschte  ein  ganz  anderer  Ton  als  ich  erwartet  hatte.  Die 
Offiziere  dagegen  gefallen  mir  hier  nicht;  überall  sitzen  sie 
herum,  spielen  Karten  und  machen  einen  recht  langweiligen 
Eindruck. 

Doch  zurück  zu  S.  Martino.     Die  Aussicht  ist  wirklich  über- 
raschend schön.     Durch  zahllose  Höfe  und  Gänge  geführt,    wird 


—     224     — 

man  von  seinem  Führer  mit  einiger  Geheimnistuerei  in  eine 
dunkle  Ecke  postiert,  bis  er  beide  Fensterflügel  weit  geöfinet  hat; 
aber  tritt  man  dann  vor  und  auf  den  Balkon  hinaus,  so  hat  man 
ein  Panorama  vor  und  unter  sich,  welches  sicherlich  seines- 
gleichen nicht  hat.  —  Hier  Mönch  zu  werden,  hat  gewiß  etwas 
Verführerisches  für  solche,  die  den  Trubel  der  Stadt  unten  satt 
haben.  In  vornehmer,  behaglicher  Ruhe  fließt  einem  hier  das 
Leben  hin.  Von  Kasteiung  des  Leibes  und  der  Seele  ist  keine 
Rede,  denn  die  Kreuzgänge  schimmern  von  schneeweißem  Marmor 
wie  ein  Feenschloß,  und  Kirche,  Sakristei  und  Kapitelsaal  haben 
die  reichste  Vergoldung,  Holzvertäfelung,  die  prächtigste  farbige 
Marmorinkrustation,  die  ich  gesehen  habe.  Die  Malereien  sind 
von  Ribera  und  anderen  Meistern  jener  Zeit,  und  in  Terrassen 
umgibt  das  Ganze  ein  Labyrinth  schattiger  Gänge,  zwischen 
Wein-,  Orangen-,  Feigen-  und  Rosenlauben.  Auch  die  Ab- 
geschiedenheit von  der  Welt  ist  nicht  groß.  Man  sieht  die 
Menschen  zu  seinen  Füßen  ganz  deutlich  markten,  laufen  und 
fahren  und  kann  das  Ein-  und  Auslaufen  der  Schiffe  besser  kon- 
trollieren als  irgend  einer  unten  im  Hafen.  Sogar  das  Getöse 
der  großen  Stadt  hallt  ganz  deutlich  herauf,  nicht  wie  dumpfes, 
undeutliches  Gemurmel,  sondern  wie  lebensfrohes,  mannigfaltiges, 
ich  möchte  sagen  farbiges  Geschrei.  .  .  . 

Im  Museum  ist  viel  Sehenswertes:  goldne  Prachtkarossen, 
Sänften,  Ruderboote,  prachtvolle  Stühle  und  Stickereien,  alles 
aus  dem  17.  oder  Anfang  des  18.  Jahrhunderts,  wie  der  ganze 
Bau,  alles  überaus  kostbar  und  reich,  aber  trotzdem  von  feinem 
edlem  Gefühl,  nicht  unwürdig-pomphaft,  sondern  der  prangenden, 
verschwenderischen  Natur  entsprechend.  Ferner  gute  Samm- 
lungen von  venezianischem  Glas,  Porzellan  und  Majoliken,  meist 
Abruzzer  Ware.  .  .  . 

Neben  dem  Kloster  ist  eine  Kneipe,  in  der  man  in  ofi'ener 
Rosenlaube  guten  Wein  und  kalte  Küche  bekommen  und  dabei 
ziemlich  dieselbe  Aussicht  wie  vom  Kloster  genießen  kann.  Als 
Abwechslung  liebe  ich  die  fast  schattenlosen  Städteansichten  in 
voller  ]VIittagsglut.  Neapel  lag  da  wie  ein  leuchtendes  blendendes 
Meer,  alle  Häuser  sind  weiß,    rosa  oder  gelb  gestrichen,    schöne 


—     225     — 

architektonische  Formen  sind  so  gut  wie  gar  nicht  vorhanden, 
die  zahlreichen  Kuppeln  alle  gleichartig,  oft  von  farbigen  glasierten 
Kacheln  bunt  erglänzend;  das  Meer  spiegelglatt  und  blendend 
schön  blau;  ein  größeres  Schiff,  welches  auslief,  hinterließ  eine, 
noch  ^i\  Stunde  deutlich  erkennbare,  glänzende  Furche,  der  Vesuv 
qualmte  seine  weiße  Wolke  leise  in  die  Höhe,  wie  halb  im  Schlaf, 
auch  der  Lärm  in  den  Straßen  verstummte,  und  selbst  der 
dumpfe  Ton  einiger  Salutschüsse  von  der  großen  englischen  Fre- 
gatte, die  hier  ankert,  stimmte  zu  dem  prächtigen  Mittagsakkord, 
in  dem  alles  zusammenklang.  .  .  . 

Sehr  nett  sitzt  es  sich  Abends  vor  der  Tür  der  Cafes,  wo 
ein  buntes  Treiben  herrscht,  vis  avis  das  große  Theater  San  Carlo, 
in  stattlichen  Verhältnissen  im  Empirestil  erbaut  und  ringsum 
ein  Gewirr  von  Equipagen,  Omnibussen,  Fiakern  und  Verkäufern 
aller  Art.  Vor  dem  Cafö  eine  dichte  Reihe  von  Neugierigen  und 
Lungerern  aller  Art:  Zeitungs-,  Zigarren-,  Zündhölzer-,  Orangen- 
verkäufer, Blumenmädchen  in  seidnen  Kleidern  und  zierlichen 
Schürzen  usw.  .  .  .  Von  Zeit  zu  Zeit  huscht  dann  ein  ganz  zer- 
lumpter, barfüßiger  Bengel,  leise  wie  ein  Geist,  ins  Caf6  hinein, 
um  unter  Tischen  und  Bänken  Zigarrenstummel  aufzusuchen,  wie 
ein  scheues  wildes  Tier  duckt  er  sich,  sobald  einer  der  schön- 
frisierten Kellner  kommt,  um  ihn  an  die  Luft  zu  setzen,  sonst 
kümmert  sich  niemand  um  ihn,  noch  er  sich  um  irgendeinen. 
Selten  sah  ich  den  Gegensatz  zwischen  reich  und  arm  so  schroff 
nebeneinander,  aber  in  der  schönen  Natur  beleidigen  sie  weniger 
als  bei  uns. 

Nachholen  muß  ich  noch,  daß  ich  zweimal  im  Theater  war. 
San  Carlo  ist  meines  Wissens  das  größte  der  Welt  und  erinnert 
am  meisten  au  das  Münchner.  Es  hat  keinen  Kronleuchter,  nur 
Seitenlicht,  was  sehr  schön  ist.  Der  Stil  ist  der,  mir  nicht  un- 
angenehme, aus  dem  Anfang  des  Jahrhunderts,  kalt  und  ungraziös, 
aber  reich  und  vornehm;  der  Vorhang  sogar  ganz  gut  kompo- 
niert, die  einzelnen  Figuren  freilich  herzlich  schlecht.  —  Es  war 
ganz  voll,  und  ehe  die  Ouvertüre  begann,  eine  so  feierliche  Stille, 
als  ob  die  goldnen,  märchenhaften  Anfangsakkorde  der  Lohengrin- 
Ouvertüre  erklingen  sollten.     Aber  es  war  nur  Robert  der  Teufel, 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  15 


—     226     — 

ein  schrecklich  langweiliges  Machwerk,  ohne  eine  Melodie  oder 
Situation,  die  das  Herz  wirklich  ergreifen  könnte.  Außerdem 
wurde  noch  herzlich  falsch  gesungen,  so  falsch,  daß  es  selbst  mir 
oft  in  der  unerfreulichsten  Weise  auffiel;  die  Italiener  mit  ihren 
sehr  empfindlichen  Ohren,  die  im  Theater  nichts  anderes  als 
fehlerlosen  Wohlklang  wollen,  gerieten  ganz  außer  sich  und  voll- 
führten stellenweise  einen  solchen  Höllenlärm  des  Entsetzens  und 
Unwillens,  wie  ich  ihn  ähnlich  nie  gehört  habe.  Besonders  der 
arme  Teufel  kam  schlecht  weg  und  wußte  vor  Verlegenheit  oft 
nichts  anzufangen.  Die  Primadonna  dagegen  sang  und  spielte 
vorzüglich,  war  sehr  hübsch  und  graziös,  namentlich  auch  in  der 
Art  wie  sie  den  Mund  öffnete,  was  man  selten  sieht.  Deko- 
rationen glänzend  und  malerisch,  Kostüme  prächtig  aber  dumm, 
teilweise  Ritter  ä  la  Motte-Fouqu6.  Im  ganzen  amüsierte  mich 
das  Publikum  mehr  als  die  Vorstellung,  zuletzt  wurde  ich  sehr 
müde  und  harrte  nur  deshalb  bis  zum  Schluß  aus,  weil  ich  er- 
wartete, daß  Robert  mit  vielem  Jux  zur  Hölle  fahren  würde.  — 
Das  nächste  Mal  feierte  ich  einen  rechten  nationalen  Triumph: 
Alda:  Denn  kann  man  mehr  verlangen,  als  daß  der  Haupt- 
musiker Italiens  sich  in  seinen  alten  Tagen  zum  Wagnerianer 
bekehrt  hat  und  so  verjüngt  noch  einmal  in  ganz  Europa  und 
besonders  in  seinem  eigenen  Vaterlande  Lorbeeren  erntet.  Die 
Vorstellung  war  vorzüglich,  die  Ausstattung  überaus  glänzend, 
geschmackvoll  und  von  A  bis  Z  ein  großer,  reiner  Genuß  ,  .  . 

Am  Donnerstag  war  wieder  trübes  regnerisches  Wetter,  und 
ich  den  ganzen  Tag  in  Kirchen,  Museum  usw.  Abends  ^/^l 
fuhren  wir  drei  nach  Pompeji.  Das  dauert  etwa  so  lange  wie 
von  Hamburg  nach  Bergedorf  aber  mit  drei  oder  vier  Unter- 
brechungen in  Portici,  Torre  del  Greco  und  anderen  kleinen 
Nestern.  Der  Weg  führt  am  Ufer  entlang  und  ist  bei  jedem 
Wetter  schön.  Als  wir  in  Pompeji  ankamen,  war  es  Nacht;  ein 
kalter  Wind  pfiff  über  die  staubige  Chaussee,  die  vom  Bahnhof 
zu  II  Sole  führt.  Pompeji  besteht  eigentlich  nur  aus  drei  Wirts- 
häusern, von  denen  II  Sole  am  weitesten  entfernt  liegt  und 
einigen  kleinen  Läden  für  Tabak,  Kolonialwaren  usw.,  die  sich 
allmählich  dort  niedergelassen  haben.  .  .  . 


—     227     — 

Am  nächsten  Morgen  trieb  es  uns  nach  Pompeji  und  am 
folgenden  Tag  sollten  wir  nach  Pästum.  —  Was  soll  ich  über 
Pompeji  schreiben?  Ihr  wißt  ja  durch  hunderterlei  Beschrei- 
bungen wie  es  ist.  Nur  so  viel,  daß  Künstler  auch  hier  freien 
Eintritt  haben  und  ohne  Führer  in  den  öden  Straßen  und  leeren 
Häusern  umherstreifen  dürfen  wie  sie  wollen.  Die  Ausdehnung 
der  Stadt  überraschte  mich  und  zuerst  findet  man  sich  schwer 
zurecht.  Bald  aber  erscheint  es  einem  so  selbstverständlich  von 
der  Strada  decumana  wieder  in  die  Strada  anguillara  einzu- 
}>iegen  und  den  alten  Rufus  zu  besuchen  —  als  wenn  man  in 
Hamburg  auf  den  Neuenwall  zu  Murck  &  Co.  ginge!  Von  Tag 
zu  Tag  wird  es  interessanter  und  das  Leben  der  früheren  Ein- 
wohner gestaltet  sich  deutlicher  und  lustiger.  Die  Phantasie 
empfängt  fortwährend  neuen  Stofi";  ich  glaube  freilich,  mancher 
Fremde  sieht  nur  das,  was  noch  da  ist,  während  das  was  nicht 
mehr  da  ist,  doch  das  Interessantere  ist.  Gewiß  sind  auch  die 
vorhandenen  Überreste  noch  zahlreich  und  herrlich,  und  meine 
Neigung  zu  dekorativer  Ausschmückung  wächst  täglich. 

Am  Sonnabend  morgen  fuhren  wir  mit  der  Bahn  nach  Eboli 
und  von  hier  in  zwei  Wagen  nach  Pästum.  Wir  waren,  da  sich 
noch  zwei  andere  Architekten,  ebenfalls  Schwaben,  uns  an- 
geschlossen hatten,  neun  Personen.  Die  Gegend  ist  lieblich,  aber 
hat  wiederum  ziemlich  allgemeinen  (deutschen)  Charakter,  und  durch 
nichts  als  die  Landkarte  wurden  wir  daran  gemahnt,  daß  dies 
der  südlichste  Punkt  unserer  Reise  auf  dem  italienischen  Fest- 
land war,  vielleicht  der  südlichste  Punkt,  den  ich  überhaupt  in 
meinem  Leben  erreicht  habe.  Längs  der  Bahn  stellenweise  wilde 
Rosenbüsche  in  voller  Blüte.  .  .  .  Bei  Salerno  und  Vietri  sieht 
man  das  Meer  v^deder  in  vollster  Schöne.  .  .  .  Von  Eboli  ist  nichts 
weiter  zu  erwähnen,  als  daß  wir  nach  längerem  Handeln  zwei 
gute  Zweispänner  nach  Pästum  mieteten.  Ich  saß  auf  dem  Bock; 
des  Weges  Reize  bestanden  hauptsächlich  im  Sonnenschein  und 
üppigem  Frühlingsgrün  des  hohen  Gebüsches.  Nachher  wird's 
flach,  große  Disteln,  auch  Akanthus  bedecken  den  Rand  des 
Weges.  Nach  zwei-  bis  dreistündiger  Fahrt  ist  man  endlich 
angelangt.     Die    Gegend    entsprach    meinen    Erwartungen    nicht. 

15* 


—     228     — 

Es  ist  weniger  einsam  als  ich  geglaubt  hatte;  einige  ziemlich 
moderne  kleine  Häuser,  grell  bemalt,  beeinträchtigen  die  Land- 
schaft sehr.  Überhaupt  dürfte  keine  Chaussee  nach  Pästum  führen, 
geschweige  denn  ein  Portierhäuschen  dastehen,  bei  dem  man 
Entree  bezahlt,  resp.  seinen  Permesso  vorzeigt.  Platens  Hexa- 
meter schildern  alles  weit  großartiger  als  es  sich  jetzt  zeigt;  das 
Meer  kommt  weniger  zur  Geltung.     Wie  herrlich  klingt  das: 

„Mitten  im  Heidegefild  und  zunächst  an  des  Meers  Einöde'* 

Nur  das  eine  stimmte  „flatternde  Raben"  ziehen  geschart  jetzt 
über  das  offene  Dach  laut  kreischend. 

Der  Tempel  selbst  ist  durch  Photographien  und  Bilder  ge- 
nügend bekannt.  Es  bleibt  aber  ein  eigenartig  anziehendes  Ge- 
fühl, wirklich  zwischen  diesen  kolossalen  Säulenschäften  herum- 
zuklettern,  die  vor  fast  2500  Jahren  hier  errichtet  wurden  und 
heute  noch  fest  stehen,  als  ob  sie  bis  an  den  jüngsten  Tag  aus- 
dauern  würden.  Der  Tempel  hat  sich  inzwischen  unter  die  Meeres- 
fläche gesenkt  und  wieder  emporgehoben  (Bohrmuscheln  finden 
sich  bekanntlich  bis  oben  hinauf)  —  das  alles  hat  dem  Bau  nichts 
getan.  Und  die  goldigbraune  Farbe  des  Gesteins!  die  durch 
Oxydieren  der  Metall  teile  des  Lavatuffs  (aus  dem  er  errichtet  ist 
erklärt  wird.  Die  beiden  andern  Tempel  daneben  sind  lange 
nicht  so  schön  und  gewaltig,  weder  in  Farbe  noch  in  Form. 

Der  Boden  war  mit  üppigem  Gras  bedeckt,  voll  schöner 
bunter  Blumen,  von  denen  die  meisten  auch  bei  uns  vorkommen. 
Im  Sommer,  wenn  das  alles  verdorrt  ist,  ist's  gewiß  malerischer. 
Außer  uns  waren  ziemlich  viel  Fremde  da;  jeder  pflegt  sich  etwas  zum 
Essen  und  Trinken  mitzunehmen,  Eier-  und  Orangenschalen, 
Butterbrotpapiere,  leere  Flaschen  und  Scherben  bedecken  infolge- 
dessen den  heiligen  Boden  und  seine  nächste  Umgebung!  .  .  . 

Dann  ging's,  da  man  nur  P/a  bis  2  Stunden  Zeit  hat,  in  die 
Wagen  und  an  die  etwas  nähere  Station  Battipaglia.  Von  hier 
nach  Salerno,  der  alten  Hauptstadt  von  Robert  Guiscards  Nor- 
mannenreich, mit  der  ältesten  und  berühmtesten  aller  Universitäten. 
Es  zählt  jetzt  noch  30000  Einwohner  und  liegt  herrlich  am  Meer, 
„wie  ein  kleines  Genua*'  meinten  die,  die  letzteres  kannten.  Die 


—     229     — 

breite  Hauptpromenade  längs  des  Meeres  war  belebt,  und  eine 
Militärkapelle  spielte  lustige  Weisen.  Boote  nach  Amalti  gingen 
nicht  mehr;  überall  herrschte  schon  Sabbatruhe,  das  Kaufen  und 
Markten  war  verstummt  oder  ebbte  ab.  .  .  .  Am  Abend  gingen 
wir  lange  am  Strande  auf  und  ab;  der  Mond  war  herrlich  auf- 
gegangen, versteckte  sich  freilich  später  hinter  dunklen  Wolken; 
schließlich  gingen  wir  noch  durch  allerlei  dunkle,  nach  Orangen- 
bliiten  duftende,  steile  Straßen  in  die  Stadt,  um  uns  über  die 
Lage  des  Doms  zu  orientieren,  ,  .  . 

Nachdem  wir  noch  lange  auf  unserem  Balkon  gesessen  und 
die  himmlisch  stille,  milde  Abendstimmung  eingesogen  hatten  — 
auch  der  Mond  hatte  sich  wieder  durch  die  Wolken  hindurch- 
gekämpft —  schliefen  wir  in  den  prächtigen  Himmelbetten  vor- 
züglich und  waren  auch  am  audern  Morgen  früh  und  frisch  zu- 
gange. Als  ich  ins  Speisezimmer  trat,  saß  Thiersch  am  Klavier 
und  spielte  bei  offenen  Fenstern  deutsche  Volkslieder  in  seiner 
talentvollen  empfundenen  Weise,  die  mich  mehr  erfreut  hat  als 
viele,  vielleicht  besser  geschulte  Leistungen.  .  .  ,  Erst  halb  acht 
gingen  wir  aus  dem  Hotel  fort,  nicht  ganz  einig,  ob  erst  der  Dom 
besehen  oder  gleich  nach  Amalti  aufgebrochen  werden  sollte.  ,  ,  . 
Thiersch,  Gildemeister  und  ich  besichtigten  erst  den  Dom;  vieles 
von  seiner  alten  Grundform  ist  erhalten,  manche  römische  Sarkophage 
und  Säulenschäfte,  maurisch  überragte  Rundbögen  usw.  Das  Grab 
Gregors  VII,,  der  hier  auf  der  Flucht  vor  Kaiser  Heinrich  starb 
und  begraben  wurde,  ist  durch  Pius  IX.  renoviert  worden,  mit 
all  dem  süßlichen  Pomp  des  modernen  Katholizismus.  Ob  es 
dem  starren,  eiserneu  Hildebrandt  wohl  gefallen  würde,  wenn  er 
es  sähe?  . . . 

Rom,  15.  Mai  1877. 
Liebe  Mutter! 

Da  wäre  ich  also  wieder  in  Rom  und  sogar  wieder  in  Vicolo 
Avignonesi  bei  meiner  freundlichen  Signora  Stefanini  mit  dem 
edlen  matronenhaften  Kopf  und  den  leuchtenden  blauen  Augen ! . . . 

Rom  macht  einen  recht  herzlich  langweiligen  kleinstädtischen 
Eindruck,  wenn  man  aus  dem  großen  Neapel  kommt.  Obendrein 
herrscht  noch  brütender  Schirokko  ohne  Wind,  selbst  ohne  wirk- 


—     230     — 

liehen  hellen  Sonnenschein.  Ich  empfinde  Reue,  daß  ich  nicht 
noch  länger  in  Neapel  geblieben  bin,  so  gründliche  Sehnsucht 
habe  ich  danach.  .  .  .  Die  fünf  Wochen  waren  wie  ein  seliger 
Rausch,  dem  der  Katzenjammer  notwendig  folgen  mußte.  Wirk- 
lich, man  redet  noch  lange  nicht  genug  von  Neapels  Schönheit! 
wenigstens  nicht  im  Vergleich  zu  Rom  und  Florenz: 

„Florenz,  dir  fehlt  das,  was  Rom  hat,  und  diesem  just,  was  du 

besitzest, 
Wäret  ihr  beide  vereint,  wär's  für  die  Erde  zu  schön." 

Dieser  und  ähnliche  etwas  minder  schlechte  Verse  scheinen  ganz 
zu  vergessen,  daß  es  auch  noch  einen  Golf  von  Neapel  auf  der 
Welt  gibt!  Für  mich  ist  die  Wahl  ganz  leicht,  und  der  Streit 
zwischen  Pallas  (Elorenz)  und  Juno  (Rom)  um  den  Preis  der 
Schönheit  im  Nu  entschieden,  sobald  Frau  Venus,  dem  Meer  ent- 
stiegen, auf  den  Kampfplatz  tritt.  Da  können  die  beiden  andern 
nur  gleich  einpacken.  Wasser!  Wasser!  schreit  mein  Auge  hier. 
Was  nutzt  es,  daß  der  Triton  auf  der  Piazza  Barberini  seinen 
Strahl  heute  ebenso  hoch  und  schlank  in  die  Luft  speit  wie 
sonst?  was  selbst  die  Fontana  Trevi,  aus  deren  mächtigen  Stein- 
muscheln es  schäumend  herabtrieft,  weithin  Kühlung  verbreitend? 
Das  scheint  mir  nur  armselige,  kleine  Menschenspielerei,  nachdem 
ich  jetzt  vier  Wochen  lang  täglich  das  ewige  Meer  gesehen  und 
seinen  Duft  geatmet  habe.  Wirklich,  ich  freue  mich  schon  jetzt 
auf  das  viele  Wasser  bei  uns!  ...  Zu  dem  großen  Hauptrennen 
um  den  höchsten  Schönheitspreis  können  überhaupt  nur  die  Städte 
am  Meer  zugelassen  werden,  dächte  ich:  Genua,  Venedig,  Stock- 
holm, New  York,  Rio,  Konstantinopel  usw.  —  sie  alle  kenne  ich 
nicht,  so  wird  mir  die  Wahl  leicht.  Aber  gleich  hinter  Neapel 
kommt  für  mich  Hamburg. 

Sehr  oft  wurde  ich  an  die  Heimat  erinnert.  Die  breite,  platz- 
artige Straße  vor  unserem  Hotel  Milano  kann  ich  z.  B.  gar  nicht 
besser  beschreiben,  als  indem  ich  sie  mit  unserem  Spielbudenplatz 
vergleiche.  Nicht  so  lang  und  nicht  so  breit,  aber  Tag  für  Tag 
von  morgens  bis  spät  in  die  Nacht  hinein  ein  Treiben  wie  auf 
St.  Pauli  an  schönen  Sonntagnachmittagen.    Die  eine  Schmalseite 


_     231     — 

öffnet  sich  gegen  das  Meer  und  geht  in  den  oft  genannten  Molo 
über,  jenen  großen  Steindamm,  der  sich  weit  ins  Meer  hinaus- 
schiebt, damit  sich  die  Wellen  an  ihm  brechen  und  die  Schiffe 
vor  der  Brandung  geschützt  sind.  An  seinem  Ende  steht  der 
Leuchtturm,  leuchtendrot  angestrichen.  Das  Treiben  der  Schiffe 
um  den  Molo  entsprach  meinen  Erwartungen  nicht  ganz,  über- 
haupt kann  sich  der  Hafen  nicht  annähernd  mit  unserem  messen. 
Die  meisten  Fahrzeuge  hier  sind  doch  nur  mittelgroße  Dinger 
—  etwa  Schoner.  Als  wir  ankamen,  lag  noch  die  italienische 
KriegsHotte  vor  Anker,  wenigstens  ein  großer  Teil  derselben, 
später  eine  englische  Fregatte,  zuletzt  ein  großer  deutscher  Dampfer, 
neben  diesem  fiel  die  Mehrzahl  der  Schiffe  sehr  ab.  —  Die  Vor- 
leser auf  dem  Molo  schildert  Onkel  Erwin  ja  ausführlich  —  er 
hat  es  sogar  gezeichnet.  Ich  sah  immer  nur  einen,  der  seiner 
Schilderung  am  meisten  entspricht.  Die  malerische  Gruppierung 
auf  der  Brüstung  hat  aufgehört,  die  Zuhörer  sitzen  jetzt  auf 
Bänken,  ganz  langsveilig  anständig,  in  Reih  und  Glied,  andere 
stehen  dahinter.  Das  Lesen  ist  wohl  noch  dasselbe  wohllautende 
und  schöuakzentuierte,  zwischendurch  schnelle,  klanglose  Er- 
klärungen in  Prosa.  Das  Buch  alt  und  schwierig  und  immer 
noch  Orlando  Furioso.  Auch  die  schweigende  Aufmerksamkeit 
der  Versammlung  hat  sich  nicht  verändert.  Ich  weiß  nicht,  spricht 
es  mehr  für  die  Gewalt  der  Poesie  oder  für  den  idealen  Grund- 
charakter des  Volkes,  daß  diese  wilden  Gesellen,  die  manche  für 
den  Auswurf  der  Menschheit  erklärt  haben,  stundenlang  ohne  zu 
mucken,  den  Versen  Ariosts  zuhören  —  ohne  dabei  Tabak  zu 
kauen  oder  Bier  und  Schnaps  zu  saufen.  Versuche  man  das 
einmal  bei  uns!  Das  bißchen  Lesen-  und  Schreibenlernen,  um 
das  unsere  Nation  den  übrigen  überlegen  ist,  tut's  doch  wahrhaftig 
nicht.  Die  wahre  Bildung  liegt  ganz  wo  anders,  und  trotz  aller 
jahrhundertelanger  Verwahrlosung  erscheint  mir  das  italienische 
Volk  doch  immer  noch  als  das  zivilisierte  und  das  unsere  als  die 
Barbaren.  In  den  höheren  Klassen  stellt  sich  dann  freilich  das 
Verhältnis  ganz  anders:  der  Unterschied  der  Stände  ist  in  Italien 
äußerlich  wie  innerlich  weit  geringer  als  bei  uns. 

Einen  Ort  freilich  weiß  ich,  wo  auch  bei  uns  die  Poesie  ihre 


—     232     — 

Macht  über  die  unteren  Klassen  zeigen  würde:  die  Kaserne. 
Läse  man  dort  am  Abend  den  Leuten  aus  Schiller  oder  Körner 
vor,  statt  ihnen  von  brutalen  Unteroffizieren  alberne  Ordens- 
unterschiede u.  dgl.  eintrichtern  zu  lassen,  gewiß  viele  Avürden 
ebenso  begeistert  mit  leuchtenden  Augen  zuhören,  wie  die  neapoli- 
tanischen Schiffer  am  Molo  —  aber  ein  derartiger  Vorschlag 
würde  au  maßgebender  Stelle  mit  Achselzucken  in  das  Gebiet 
des  sentimentalen  Blödsinns  verwiesen  werden! 

Ich  las  eben  Onkel  Erwins  Beschreibung  des  Molo  wieder. 
Wirklich,  die  ist  vortrefflich!  so  anschaulich  und  wahr  und  reicher 
als  ich  die  Wirklichkeit  sah!  Noch  genialer  fast  und  treffender 
zeichnet  er  den  Vesuv:  „Ich  glaubte  wirklich  jetzt  zum  erstenmal 
einen  Berg  zu  sehen.  Wahrhaft  idealisch  könnte  man  diesen 
Berg  nennen ;  in  einfachen  großen  Formen,  wie  eine  schöne  kühne 
Phantasie  sich  einen  Berg  erschaffen  würde,  wo  alle  Zufälligkeiten, 
die  der  Zeitenwechsel  hervorgebracht  hat,  wegfallen,  so  steht 
dieser  ewig  dampfende  Altar  da." 

Ja,  ja,  die  Krone  von  allem  Gesehenen  bleibt  eben  Neapel 
selbst,  so  schön  alles  andere,  Amalfi,  Sorrent,  Capri  usw.  usw. 
auch  war;  obgleich  ich  es  schon  gut  genug  kannte,  erschien  es 
mir  wieder  wie  eine  Steigerung,  als  wir,  zurückgekehrt,  abends 
am  Ufer  von  Santa  Lucia  auf  und  ab  gingen,  den  kühlen  Meeres- 
duft atmeten,  der  tolle  Großstadttrubel  rings  umher  Auge  und 
Ohr  verwirrte,  und  hinten  der  Vesuv  sein  riesig  aufgetürmtes 
W^olkengebirge  feierlich  schweigend  in  den  klaren  lichten  Äther 
hinaufqualmte,  nur  er  noch  von  der  Sonne  dunkelpurpurn  an- 
gestrahlt, und  seine  Wolke  so  blendend  goldigrot,  daß  man  nicht 
lange  hineinsehen  konnte! 

Und  doch  war  das  Allerherrlichste  noch  zurück:  Camaldoli, 
und  ich  fühlte  mich  abermals  als  rechter  Glückspilz,  daß  das 
zweifelhafte  Wetter  uns  gehindert  hatte,  den  Ausflug  früher  zu 
machen  als  am  vorletzten  Abend.  Wir,  Gildemeister  und  ich, 
waren  am  Morgen  im  Museum  gewesen,  stiegen  erst  gegen  Mittag 
in  ziemlicher  Gluthitze  nach  San  Martino  hinauf .  .  .  und  früh- 
stückten lange  in  der  nahegelegeneu,  malerischen  kleinen  Kneipe. 
Ich  hatte  noch  mancherlei  da  oben  skizzieren  wollen,  aber  dazu 


—     233     — 

war  keine  Zeit  mehr:  wir  konnten  nur  noch  einmal  alles  durch- 
gehen und  repetieren,  und  trotzdem  war  es  zirka  \  .,5  als  wir 
nach  Camaldoli  aufbrachen,  nach  ^2*^  ^^^  ^^'^^'  ^^^  berühmte 
Kloster  über  uns  aus  dem  lichten  Grün  hervorblicken  sahen.  Der 
Weg  führt  langsam  bergan.  .  .  .  Junge,  zartbelaubte,  schlanke 
Bäumchen,  meist  Kastanien,  Hecken  von  Weißdorn  und  goldenem 
Ginster  und  Frühlingsblumen  aller  Art  zwischen  dem  üppigen 
Gras,  80  daß  uns  ganz  deutsch-pfingstlich  zumute  war.  Auch  der 
Duft  von  frischem  Moos  und  frischgcf  älltem  Holz,  vor  allen  Dingen 
der  ungewohnte  fröhliche  Gesang  zahlreicher  Vögel,  Finken  und 
Nachtigallen  vermehrte  diesen  Eindruck.  Oben  muß  man  an 
verschiedenen  Pforten  verschiedene  Trinkgelder  zahlen,  an  der 
dritten  wird  man  endlich  von  dem  Camaldulenserbruder  in  seiner 
weißen  Kutte  in  Empfang  genommen  und  ist  nun  am  Ziel.  Das 
Kirchlein  und  die  regelmäßig  angelegten  Häuschen  der  Mönche, 
jedes  mit  einem  Gärtchen  davor,  sahen  wir  kaum,  sondern  gingen 
sogleich  zu  dem  berühmten  Aussichtsplatz  und  von  dort  auch 
nicht  wieder  weg,  bis  die  Sonne  untergegangen  war.  Diesen 
schönsten  Platz  der  Welt  zu  beschreiben,  ist  eigentlich  kaum 
möglich.  Was  man  von  dort  aus  sieht,  könnt  ihr  in  Onkel  Er- 
wins Briefen  nachlesen;  aber  man  fragt  eigentlich  gar  nicht 
nach  dem  Namen  und  der  Bedeutung  der  Dinge  da  unten,  man 
sieht  wie  Christus  auf  dem  Berge  der  Versuchung:  die  Welt  in 
all  ihrer  Herrlichkeit.  Das  geht  weit  über  die  idealste  Ideal- 
landschaft, die  sicli  ein  Claude  Lorrain  oder  Gott  weiß  wer  sonst 
ersinnen  könnte  und  ist  doch  Wirklichkeit!  Man  begreift  es 
kaum,  wie  der  Schöpfer,  der  hier  etwas  so  Vollkommenes  gemacht 
hat,  andere  Strecken  mit  so  liebloser  Nonchalance  behandeln 
konnte.  Dagegen  tritt  jedes  Menschenwerk  bescheiden  zurück! 
Ich  glaube  fast,  wenn  hier  die  schönsten  Antiken  stünden,  man 
würde  sie  kaum  beachten,  vielleicht  würden  sie  sogar  stören;  das 
schlichte  Holzkreuz,  welches  hier  zwischen  dunklen  Eichen  und 
Lorbeeren  aufragt,  wirkt  ebenso  schön.  Das  ist  nämlich  das 
Herrliche  dieses  Ortes,  daß  man  hier  nicht  nur  Fernsicht  hat, 
sondern  daß  der  Vordergrund  derselben  völlig  ebenbürtig  ist. 
Da  steht  zunächst  eine  große  Steinbank,  üach,    halbkreisförmig, 


—     234     — 

drei  Stufen  führen  hinan.  Hier  pflegten  die  Mönche  zweimal 
wöchentlich,  wenn  ihnen  gestattet  war,  zu  reden,  sich  zu  ver- 
sammeln. Einige  hohe,  dichtbelaubte  Steineichen  stehen  dahinter 
und  beschatten  sie  von  der  Westseite,  so  daß  die  Abendsonnen- 
strahlen zwar  die  Herrlichkeit  zu  ihren  Füßen  bescheinen  können, 
sie  selbst  aber  nicht  belästigen.  Vor  dieser  Bank  ein  freier, 
luftiger  Platz  und  dann  am  Abhang  mittelgroße,  schlanke  Lorbeer- 
bäume und  Steineichen,  Sträucher  und  Bäume,  in  so  wunderbar 
schönen  Silhouetten,  so  raffiniert  komponierte  Durchblicke  auf 
die  Ferne  gewährend,  als  ob  Preller  oder  Schirmer  und  nicht 
die  Natur  selbst  das  so  angeordnet  hätte.  Die  lange  Linie  von 
Castellamare  —  Sorrent  —  Kap  Campanello  wird  aufs  geschick- 
teste unterbrochen,  dann  kommt  ein  weiter,  freier  Blick  in  die 
ewige  Meeresflut,  aus  der  Oapri  wie  die  Insel  der  Seligen  auf- 
taucht, noch  weiter  nach  rechts  die  mannigfach  ausgebuchteten 
Küsten  von  Pozzuoli  mit  Ischia,  Nisida,  Kap  Misenum  da- 
hinter usw.,  ganz  fern  aufdämmernd  Gaeta  —  doch  das  gibt 
nur  eine  Namenaufzählung,  bei  der  Ihr  Euch  nicht  recht  was 
denken  könnt!  —  mir  aber  war  das  von  so  ganz  besonderem 
Reiz,  daß  ich  fast  alles,  was  ich  da  tief  unten  sah,  schon  kannte ; 
all  die  Wege  war  ich  gefahren  oder  gegangen,  hatte  hier  dies, 
dort  jenes  erlebt,  jeder  einzelne  Punkt  war  mir  lieb  und  inter- 
essant geworden,  und  nun  zum  Schluß  blickte  ich  noch  einmal 
von  seliger,  vornehmer  Höhe  darauf  herunter;  alles  einzelne  ver- 
schwamm —  ohne  doch  ganz  unterzugehen  —  in  dem  einen 
großen  Gesamtbild,  wie  in  dem  Schlußsatz  einer  Symphonie  die 
Einzelmotive  zu  einer  Gesamtmelodie  ineinander  klingen,  wie  die 
Erinnerung  das  Bild  eines  geliebten  Menschen  schön  und  ein- 
heitlich verklärt  und  alle  störenden  Einzelheiten  und  Zufällig- 
keiten zurücktreten.  Hier  zu  sterben,  muß  gar  leicht  sein!  Aber 
anders  als  in  Tivoli  denkt  man  hier  an  den  Tod.  Das  Rauschen 
des  Wassers  dort  erweckt  die  Sehnsucht  nach  dem  stillen  Frieden 
der  Nacht,  den  unterweltlichen  Flüssen  der  Vergessenheit  und  Ruhe; 
während  man  hier  zu  neuen,  immer  lichtem  Höhen  aufschweben 
möchte,  der  ewigen  Klarheit  entgegen.  Mir  fiel  der  Schlußvers 
von  Geibels  Herbstlied  hier  ein,  in  dem  er  dem  Freunde  wünscht: 


—     235     — 

Daß,  wenn  nach  Lust  und  Leide 
Dies  Herz  einst  brechen  will, 
Wie  dieser  Herbst  es  scheide, 
So  heiter,  groß  und  still. 

Heiter,  ^roß  und  still!  Still  war's  hier  oben  auch.  Kein 
Lüftchen  regte  sich,  man  hörte  nur  das  helle  Gebimmel  der 
kleinen  Osterglocke  und  den  Gesang  der  Nachtigallen,  die  immer 
lauter  schmetterten  je  später  es  wurde.  Der  Mönch  war  fort- 
gegangen, um  uns  Kaffee  zu  kochen,  wir  schwiegen  meistens  auch. 
Der  eine  lag  im  Gras,  der  andere  auf  der  Bank  und  jeder  war 
allein  mit  seinen  Gedanken,  Das  Skizzenbuch  herauszuholen, 
wäre  ein  recht  geschmackloser  Biereifer  gewesen.  —  Als  ich  eine 
Weile  über  die  Wipfel  des  waldigen  Abhangs  gegen  Westen  ge- 
sehen hatte  und  zur  großen  Steinbank  zurückkehrte,  war  plötzlich 
der  alte  Bruder  wieder  da,  den  Kaffee  neben  sich  und  machte 
mir  Zeichen  des  Stillschweigens:  Gildemeister  war  eingeschlafen. 
Ich  beneidete  ihn  recht  um  sein  Erwachen.  Aber  die  Schatten 
nahmen  rasch  zu,  die  Sonne  sank  ins  Meer  hinab;  ehe  der  letzte 
Lichthauch  vom  Gipfel  des  Vesuv  geschwunden  war,  gingen  wir 
bergab,  um  uns  das  herrliche  Abendbild  nicht  zu  zerstören.  Wir 
kamen  natürlich  im  Dunkeln  unten  an,  in  einer  Gegend  der  Stadt, 
die  wir  noch  gar  nicht  kannten,  so  daß  wir  der  Einfachheit  halber 
einen  Wagen  nahmen,  von  dem  aus  uns  das  Treiben  noch  viel 
lustiger  erschien.  In  dieser  Straße  existierte  das  Trottoir  einfach 
gar  nicht  mehr  für  die  Fußgänger,  sondern  nur  noch  für  die 
Verkäufer,  die  ihre  Tonnen  mit  Butter,  Käse,  Fischen,  Äpfeln, 
Orangen,  ihre  Säcke  mit  Mehl  und  Gemüse,  sogar  bis  in  den 
Rinnstein  und  auf  den  Fahrweg  aufgestellt  hatten,  und  dabei  war 
die  Straße  gar  nicht  breit  und  so  belebt,  daß  oft  zwei  Wagen- 
reihen fuhren,  die  dann  nicht  durchkommen  konnten,  so  daß  es 
heftiges  Schimpfen  gab,  aber  nirgends  Tätlichkeiten,  und  die 
Gendarmen  immer  gleich  zur  Stelle  und  niemals  grob.  .  .  . 

Abscheulich  ist  in  Neapel  alles,  was  mit  Tod  und  Begräbnis 
zusammenhängt.  Die  Leichenwagen  sind  aus  Gold;  in  diesen 
geschmacklosen,  von  plumpen  Ornamenten  strotzenden  Omnibussen 


—     236     — 

steht  der  Sarg  in  der  Mitte  (oft  eine  simple  Butterkiste),  rings 
umher  Sitze  für  die  Geistlichen  und  die  Angehörigen.  Kräftige 
Pferde,  vier  bis  sechs,  meist  schwarz  und  bisweilen  prächtig  mit 
weißen  Federbüschen  und  kanariengelbem  Netzbehang  geziert, 
ziehen  diesen  bunten  Flitterkasten  in  möglichst  raschem  Tempo, 
sobald  sie  vor  dem  Tor  angelangt  sind^  sogar  in  scharfem  Trab 
hinaus.  Draußen  habe  ich  beobachtet,  wie  die  Särge  „abgeladen" 
wurden.  Etwas  Widerwärtigeres,  in  dem  Maße  aller  Pietät 
höhnendes,  habe  ich  nie  gesehen.  Echt  Hogarthsch  —  freilich 
war  es  keine  Leichenfeier,  die  finden  vermutlich  morgens 
statt,  sondern  nur  die  Fortschaffung  der  Leiche  am  abend. 
Viele  dieser  goldenen  Wagen  begegneten  uns,  alle  gleicli  fidel, 
namentlich  die  begleitenden  Mönche,  höchst  unwürdige  Schlingel 

—  der  Straßenjunge,  der  sich  auf  jeden  Wagen  hinten  aufschwingt, 
noch  das  Beste.  Vorher  hatten  wir  den  „Kirchhof  der  Armen" 
gesehen,  das  ist  ein  kahler,  baumloser,  viereckiger  Platz,  mit 
365  mäßig  großen  Grabplatten,  die  jeweilig  nur  eine  Nummer 
tragen.  Jeden  Tag  wird  eine  dieser  Platten  geöffnet  und  alles, 
was  an  jenem  Tag  in  Neapel  gestorben  ist,  gemeinsam  ohne 
Sarg,  hineingeworfen.  Das  geschieht  abends  um  ^j^l.  Der 
Küster  forderte  uns  sehr  freundlich  auf,  doch  in  einer  Stunde 
wiederzukommen  und  es  uns  mit  anzusehen.  Heute  seien  es 
18  Stück.  Sie  werden  in  Bretterverschlägen  aufbewahrt.  Wir 
hatten  aber  schon  genug  am  Transport  der  ,,reichen''  Leichen 
gehabt  und  schenkten  uns  diesen  Anblick.  Ist  es  nicht  fürchter- 
lich geschmacklos  und  herzlos,  eine  solche  Massenabfertigung  zu 
dulden?  Halb  wilde,  zerlumpte  Kinder  umstanden  in  schreck- 
licher Neugier  die  Kirchhofspforte.  .  .  .  Wie  viel  schöner  wäre  da 
Leichenverbrennung!  Für  große  Städte  ist  es  sicherlich  das 
Richtige,  sie  einzuführen.  Die  Poesie  des  Erdgrabes  geht  leicht 
dahin,  wenn  die  Entfernung  des  Friedhofs  von  der  Stadt  zu  groß 
ist  oder  der  Gräber  zu  viele  werden.  Der  neue  Kirclihof  in  Neapel 
ist  berühmt  wegen  seiner  Lage  und  schön  angelegt,  aber  da  sind 
ganze  Straßen  von  kleinen  Mausoleen  entstanden,  gleich  bilUgen 
kleinen  Villen  in  verschiedenen  Teilen  der  Umgebung  Hamburgs 

—  ägyptische,    griechische,    am  schlimmsten    die  gotischen,    alle 


—     237     — 

mit  Laternen,  womöglicli  mit  Klingelzügen  und  „allem  Komfort 
der  Neuzeit"  versehen  —  nein,  macht  das  einen  widerwärtigen 
Eindruck!  —  Zugleich  will  ich  erwähnen,  daß  ich  heute  zufällig 
einem  Requiem  in  der  Academia  di  San  Lucca  heigewohnt  habe, 
wahrscheinlich  zu  Ehren  eines  Professors  der  Akademie,  und  daß 
die  Feier  sehr  schön  war;  der  große,  einfache,  braune  Marmor- 
katafalk, vier  Dreifüße  mit  flackernden  Kandelabern  an  den  Ecken, 
wenig  Hokuspokus  der  Geistlichen,  sehr  schöner  Gesang  und  eine 
ernste,  würdige  Stimmung  unter  allen  Anwesenden,  zum  erstenmal 
seit  langer  Zeit,  daß  mich  die  Formen  der  katholischen  Kirche 
wieder  erfreut  haben. 

Einmal  sah  ich  in  Neapel  auch  einen  Leichenzug  zu  Fuß. 
Da  war  eine  riesengroße  schwarze  Decke  über  den  Sarg  gebreitet, 
reich  mit  ordinären,  grellen  Mustern  bestickt,  die  bis  tief  auf  die 
Erde  hing,  so  daß  man  die  Träger  darunter  nicht  sehen  konnte. 
Die  Zipfel  dieses  Tuches  wurden  von  weißen,  vermummten  Kerlen 
mit  großen,  hellgelben  Panamahüten  auf  dem  Kopf  und  Wachs- 
kerzen in  den  Händen  getragen.  Andere  in  derselben  lächerlich- 
schauerlichen Uniform  gingen  hinterher.  Die  gleichen  Leichen- 
wagen, die  ich  bereits  erwähnte,  haben  meist  bunte  Laternen  an 
den  Ecken,  um  den  kindisch  widerwärtigen  Eindruck  zu  vervoll- 
ständigen. 

Soviel  davon!  Zum  Schluß  wieder  ein  angenehmes  kirch- 
liches Bild:  Monte  Cassino.  Wir  reisten  am  Montag  früh  um 
sechs  von  Neapel  ab,  bei  herrlichstem  frischen  Morgensonnen- 
schein. Es  herrschte  ein  so  reges  Treiben  in  den  Straßen, 
daß  wir  ganz  beschämt  waren,  es  zum  erstenmal  so  früh  zu  be- 
obachten. Wir  waren  nie  vor  sieben  Uhr  aufgestanden,  da  wir 
nie  vor  Mitternacht,  oft  weit  später,  zu  Bett  gekommen  waren. 
Noch  ein  Blick  auf  das  spiegelglatte,  hellblaue  Meer  und  die 
duftige  Bergkette  dahinter,  dann  verschwand  der  Wagen  in  den 
Gassen,  die  zum  Bahnhof  führten,  und  von  der  Bahn  aus  hat  man 
keinen  Bhck  mehr  auf  die  Herrlichkeit.  Nur  der  Vesuv  bleibt 
einem  noch  lange  zur  Seite  und  qualmt  behaglich  weiter.  In 
Caserta  stiegen  wir  aus,  ^4  nach  sieben.  Caserta  ist  das  Ver- 
sailles, das  Nymphenburg  Neapels:  ein  enormes  Schloß,  mit  großen 


—     238     — 

zopfigen  Parkanlagen  dahinter,  die  Entfernungen  so  kolossal,  daß 
wir  ohne  Wagen  nicht  alles  gesehen  hätten.  .  .  .   Von  dem  Park 
und  Schloß  zu  Caserta  kann  ich  nur  sagen:  ich  habe  es  gesehen. 
Eindruck  hat  beides  nicht  auf  mich  gemacht,  was  ich  auch  nicht 
erwartet  hatte.     Der  Park  von  Nymphenburg  —  von  Wilhelms- 
höhe   ganz    zu    schweigen  —  ist  weit    großartiger    und  schöner. 
Das  Schloß    ist  von  außen  ganz    schön  und   hat   pompöse  Hof- 
und  Treppenanlagen,  aber  die  Zimmer  sind  langweilig  vornehm, 
aus  dem  Ende  des  18.  und  Anfang  des  19.  Jahrhunderts;  eigent- 
lich war  ich  ganz  froh  darüber,  denn  ich  habe  das  Besehen  satt. 
Nur  nach  Monte  Cassino  stand  noch  mein  Sinn.    Der  Weg  dahin 
ist   fruchtbar,    ein    förmlicher   Garten!      Korn,    Maulbeerbäume, 
zwischen  denen  sich  Wein  rankt;  von  dieser  dreifältigen  Frucht- 
barkeit des  Bodens  ist  ja  schon  oft  die  Rede  gewesen.    Um  halb 
zwei  Uhr  waren  wir  in  San  Germano.     Hoch  zur  Linken  thront 
das  berühmte  Kloster.    Wir  hielten  uns  beim  Essen  und  Hinauf- 
steigen  länger  auf  als  richtig  war.     Aber  der  Weg  war  hübsch 
und  beschwerlich  und  zum  mehrmaligen  Rasten  gar  verführerisch. 
Erst  um  halb  fünf  waren  wir  oben.    Durch  schöne,  eigentümliche 
Renaissancehöfe  gelangt  man  in  die  Kirche,  einen  prächtigen,  ganz 
guten  Bau  des  17.  Jahrhunderts,  voll  farbigen  Marmorschmucks 
und   tüchtiger    aber   uninteressanter  Bilder   von  Solimena,    Luca 
Giordano    usw.     Ein   freundlicher    deutscher    Bruder  führte    uns 
in  allerlei  Säle  und  Gänge  zu  verschiedenen  „schönen  Aussichts- 
punkten",   die    freilich   nach   Neapel  und   Camaldoli   nicht   recht 
schmecken  wollten,  und  schließlich  in's  Archiv.   Da  gabs  Urkunden 
aller  Art,  Autographen  von  Hildebrandt  und  der  großen  Mathilde, 
von    allen    mögUchen    deutschen    Kaisern,    Fürsten    und    großen 
Kirchenlehrern.     Dann  wurden  wir  in  die  Druckerei  geführt,  jetzt 
eine    Haupteinnahmequelle    des    Klosters,    denn    seine    Einkünfte 
sind   ihm  genommen  wie  alle    andern,    und    es    muß   sich  selbst 
erhalten.     Hier  werden  die  handschriftlichen  Schätze  des  Klosters 
gedruckt,    z.  B.    die    berühmte  Danteausgabe.     Auch    die    mittel- 
alterlichen Urkunden  edieren  sie  in  treuen  Kopien  (Farbendruck) 
und    erhalten    auf  allen    Weltausstellungen    Preise    dafür.     Hier 
lernten    wir    auch    einen    deutschen    Pater,    einen    Professor    der 


—     239     — 

Philosophie  kennen,  der  sich  in  liebenswürdigster  Weise  mit  uns 
unterhielt.  Er  ist  Rheinländer,  Prussiano  also,  und  sehr  stolz 
darauf.  Von  Verbitterung  gegen  die  Regierung  keine  Spur  zu 
bemerken,  ja  er  sagte  ganz  frei  und  ungeniert,  daß  es  durchaus 
notwendig  gewesen  sei,  viele  Klöster  aufzuheben,  sie  hätten  nichts 
mehr  getaugt.  Er  geriet  bald  mit  Gildemeister  in  ein  Gespräch 
über  Schinkel  und  zeigte  sich  in  dessen  Werken  ungemein  be- 
wandert. Mit  ihm  gingen  wir  in  die  „Galerie  des  Klosters",  die 
einige  ganz  gute  Sachen  enthält,  aber  davon  sah  ich  nichts.  Es 
war  teils  schon  dunkel,  teils  interessierte  mich  anderes:  hier 
wurden  große  Kartons  gezeichnet,  die  in  den  unteren  Räumen 
demnächst  ausgeführt  werden  sollten,  die  Maler  w^aren  ebenfalls 
Deutsche:  Pater  Gregorius,  Herr  Lenz  (noch  nicht  Pater  aber 
schon  das  geistliche  Gewand  tragend)  und  einige  Gehilfen,  alle 
aus  Bayern  und  Schwaben  und  zuletzt  in  Sigmaringen  tätig,  bis 
sie  in  ihren  Arbeiten  durch  die  Ausweisung  unterbrochen  wurden. 
Lenz,  etwa  48  Jahre  alt,  hat  lange  in  München  gelebt  und  wußte 
sofort,  wer  ich  war:  Ottos  Sohn  und  Erwins  Neffe.  Seine  Sachen 
interessierten  mich  aufs  höchste;  besonders  die  kleinern  Sachen, 
die  uns  der  Gehilfe,  ein  guter  schlichter,  glücklicher  Mensch  von 
etwa  25  Jahren,  der  schon  vor  acht  Jahren  die  Gelübde  abgelegt 
hatte,  zeigte,  gehören  zum  allerschönsten,  was  ich  von  moderner 
Kunst  gesehen  habe.  Eine  großartige  Einfachheit,  eine  Deutlich- 
keit in  der  Komposition  und  Silhouettierung!  Ob  die  Aus- 
führung in  Lebensgröße  ohne  Naturstudien,  den  Entwürfen  ent- 
sprechen wird,  ist  eine  andere  Frage.  Aber  ich  war  ganz  be- 
geistert von  diesem  wahrhaft  ernsten  Künstlerstreben,  welches 
mit  dem  tiefsten  und  heiligsten  Wollen  des  ganzen  Menschen 
zusammenhängt.  Und  dabei  ist  der  Mann  ohne  jede  Affektation 
und  Süßlichkeit!  Auch  nichts  weniger  als  einseitig.  Drei 
deutsche  Künstler  nannte  er  als  die  für  ihn  größten  und  das 
waren  nicht  etwa  Overbeck,  Steinle  usw.,  sondern:  Cornelius, 
Schwind,  Ludwig  Richter.  Selten  hat  mich  etw^as  so  erfreut,  als 
dieser  Ausspruch  aus  diesem  Munde.  Nachher,  als  wir  im  großen 
Refektorium  zu  Abend  aßen,  setzten  die  beiden  Maler  sich  auch 
zu  uns   und  schwatzten  weiter.     Vom  Museum  in  Neapel  waren 


—     240     — 

es  wieder  die  schwarzen  stilvollen  Tänzerinnen  aus  dem  Theater 
von  Herculanum,  die  er  als  das  Vorzüglichste  allen  jungen  Malern 
zunächst  zum  Studium  empfahl,  und  überhaupt  seien  in  den 
frühen  Epochen  jeglicher  Kunst,  der  ägyptischen,  der  griechischen, 
der  christlichen  die  G-rundprinzipien  der  Schönheit  am  reinsten 
erkennbar.  Ist  es  nicht  traurig,  daß  das  neue  deutsche  Reich 
solche  Kräfte,  solche  Charaktere  nicht  brauchen  kann,  während 
charakterlose  Schwätzer  und  Kriecher  zu  Ansehen  kommen? 
Dieser  Herr  Lenz  ist  so  ein  echter,  ganzer  Kerndeutscher  wie 
nur  einer.  Politisiert  habe  ich  nicht  mit  ihm,  etwas  Verbitterung 
gegen  die  neue  Wendung  der  Dinge  wird  ihm  sicherlich  inne 
wohnen.  —  Gar  nicht  ungern  würde  ich  seinen  Vorschlag,  ihm 
später  bei  der  Arbeit  zu  helfen,  annehmen.  1880  soll  alles  fertig 
sein.  Goldene  Berge  sind  natürlich  nicht  dabei  zu  holen,  denn 
sie,  als  Mönche,  verdienen  nichts  dabei,  nur  ihrem  Stammkloster 
muß  Monte  Cassino  dafür  bezahlen.  Dieser  Kommunismus  des 
Klosterlebens,  ohne  daß  doch  irgendwie  eine  langweilige  Gleich- 
heit oder  ein  Aufheben  aller  Standesunterschiede  dadurch  ent- 
stände, begeistert  mich  jedesmal  aufs  neue,  und  ich  bin  überzeugt, 
daß  die  Zukunft  in  ausgedehnter  Weise  darauf  zurückkommen 
wird.  Wie  ganz  anders  würde  man  oft  schaffen  und  arbeiten, 
wenn  man  aller  Nebenrücksichten  auf  Erwerb  und  tägliches  Brot 
enthoben  wäre,  wenn  man  sich  ganz  eins  wüßte  mit  anderen 
gleichgesinnten  Freunden,  einem  großen  heiligen  Zweck  dienstbar. 
Freilich,  nur  die  Kirche  kann  in  dieser  Weise  alle  Kräfte  für 
sich  in  Anspruch  nehmen  und  wir,  die  wir  keine  Kirche  mehr 
haben,  sind  übel  daran.  Daher  verstehe  ich's  auch  ganz  gut, 
daß  so  viele,  die  die  Schäden  der  Kirche  ganz  wohl  einsehen, 
sich  doch  krampfhaft  an  sie  klammern  und  alles  in  Bewegung 
setzen,  um  ihren  Zusammenbruch  aufzuhalten.  Trotzdem  wird 
ihnen  das  schwerlich  viel  nützen. 

Ganz  deutsch  wird  einem  hier  in  Monte  Cassino  zumute. 
Lauter  deutsche  Mönche,  deutsche  Urkunden,  auch  die  Gegend 
ganz  deutsch;  der  Abend  bedeckt  aber  mild,  die  fernen  Berge 
im  dunkelblauen  Duft,  darüber  der  Himmel  schwefelgelb,  sonst 
alles  grau,  braun  und  friedlich   dämmerig.     Auf  einigen  Höhen 


—     241     — 

noch  Schnee.  Viel  Schwalben  schwirrten  kreischend  vor  unseren 
Fenstern  hin  und  her,  in  der  Ferne  schlug  eine  Nachtigall.  An 
einer  Stelle  konnte  man  das  Meer  von  Gaeta  blitzen  sehen.  Es 
war  zehn  Uhr,  als  wir  endlich  mit  Laternen  hinausgeleitet  wurden. 
Die  Einhidung,  zur  Nacht  dort  zu  bleiben,  schlugen  wir  aus,  um 
unserem  Keiseplan  treu  zu  bleiben.  Bei  hellem  Sternenflimmer, 
von  vielen  (ylühwürmchen  umschwärmt,  zogen  wir  den  steinigen 
Bergpfad  hinab;  unten  lag  das  Städtchen  so  friedlich  mit  seinen 
freundlichen  Lichtern  wie  ein  Nest  im  Schwarzwald  oder  in 
Thüringen.  Eine  alte  Ruine  überragt  es  schwarz  und  ernst, 
etwa  in  halber  Höhe  des  Klosters.  Das  Kloster  selbst  steht  auf 
den  Fundamenten  eines  Apollotempels.  .  .  . 
Doch  nun  gute  Nacht. 

Dein  Hans. 


Eom,  den  17.  Mai  1877. 
Lieber  Onkel  Heinrich! 
.  .  .  Ich  bin  jetzt  wieder  ganz  ausgesöhnt  mit  Rom,  und  freue 
mich  der  Innern  und  äußern  Ruhe,  zu  der  ich  in  Neapel  doch 
nicht  leicht  gekommen  wäre.  Abgesehen  davon  lebt  sich's  hier 
denn  auch  ein  gut  Teil  billiger.  In  Neapel  lebt  man  ganz  von 
selbst  gut,  würde  sich  als  philiströsen,  engherzigen  Wicht  ver- 
achten, wenn  man  dort  knausern  würde,  nicht  bisweilen  in  der 
Barke  führe  oder  sich  einen  Wagen  leistete,  wenn  man  nicht 
einmal  Austern  äße  oder  Erdbeeren,  nicht  abends  ins  Theater 
ginge  oder  wenigstens  im  Caf6  davor  säße.  All  dies  ist  zwar  in 
Neapel  unglaublich  billig,  kostet  teilweise  die  Hälfte  von  dem, 
was  es  hier  kosten  würde,  aber  es  läppert  sich  schließlich  doch 
zusammen.  Das  Billigste  sind  die  Droschken.  Die  Taxe  ist 
70  Centimes  per  Fahrt,  für  50,  bisweilen  sogar  für  40  fährt  aber 
jeder  mit  Vergnügen,  wenn  der  Weg  nicht  gar  zu  weit  ist,  so 
daß  man  zu  zweien  oft  billiger  in  einer  Droschke  fährt  als  im 
Omnibus,  welche  verhältnismäßig  teuer  sind  und  sehr  langsam  vor- 
wärts kommen.  Vom  Volksleben  habe  ich  noch  nachzuholen:  die 
Chiaja,  die  Hauptpromenade  längs  des  Golfs,  wo  jeden  Nachmittag 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  J" 


—     242     — 

Militärkonzert  ist,  und  viel  schöne  Welt,  die  nichts  anzufangen 
weiß,  sich  versammelt,  d.  h.  die  ganz  Vornehmen  fahren  in  ihren 
Equijiagen  auf  und  ab  und  gehen  höchstens  einmal  die  Prome- 
nade durch.  Hier  steht,  die  Aussicht  aufs  Meer  versperrend, 
auch  das  Aquarium,  die  Statione  zoologica,  wie  Du  weißt,  Deutsche 
Reichsinbtitution.  .  .  .  Damit  kann  sich  unser  Hamburger  freilich 
nicht  messen,  überhaupt  wohl  keines  auf  der  Welt.  Du  bist  als 
Fachmann  gewiß  von  der  Reichhaltigkeit  und  Größe  seiner  Be- 
wohner unterrichtet.  Neben  den  abenteuerlichen  großen  Fischen 
interessieren  ohne  Frage  doch  am  meisten  die  großen  Tinten- 
fische, die  komischst  ekelhaftesten  Biester,  die  ich  je  sah.  .  .  . 

Die  Chiaja  ist  ein  breiter  Weg  mit  zwei  bis  drei  Reihen 
von  Bäumen  an  jeder  Seite.  Nicht  hoch,  die  beiden  Reihen  an 
der  Wasserseite  (Steineichen)  sogar  ziemlich  krüppelhaft  und 
schief  geweht,  die  dritte  Reihe  (Akazien)  aber  schon  ganz  gerade 
und  munter.  Die  Bäume  blühten  gerade  weiß  (Akazien)  lila 
(Tulpenbaum)  und  dunkelrosa,  was  zwischen  dem  dunkeln  Laub 
der  Eichen  und  dem  hellgrünen  der  anderen  Bäume  geradezu 
elegant  aussah.  Unser  blühendes  Gebüsch  mit  violetten  Syringen, 
gelbem  Goldregen  und  rot  und  weißem  Dorn  zwischen  dem  leb- 
haft grasgrünen  Laub  hat  dagegen  doch  etwas  bäurisch  Brutales: 
Hier  ist  die  Natur  auch  in  der  Farbe  stets  durch  und  durch 
aristokratisch. 

Daß  auch  die  elegante  Welt  sich  hier  geschmackvoll  anzu- 
ziehen versteht,  brauche  ich  kaum  zu  sagen.  Am  ersten  Tage 
fiel  mir  die  Menge  der  hellseidenen  Kleider  besonders  auf:  hell 
lila,  rosa,  himmelblau,  kanariengelb,  wie  man  sie  bei  uns  nur  in 
großen  Gesellschaften,  nie  auf  der  Straße  tragen  würde.  Man 
sieht  auch  viel  Damen  in  Trauer.  Neapel  ist  bekanntlich  keine 
gesunde  Stadt.  Aber  das  Schwarz  steht  vielen  Gesichtern  hier 
besonders  gut:  die  interessante,  gelbgraue  Hautfarbe  wird  dadurch 
gehoben.  Im  ganzen  fand  ich  die  Neapolitauerinnen  je  länger 
desto  hübscher,  und  jetzt  nach  Rom  zurückgekehrt,  seheint  mir 
aufs  neue,  daß  Onkel  Erwin  sie  im  Vergleich  mit  den  Römer- 
innen viel  zu  geringschätzig  behandelt  hat.  Es  ist  wahr,  jene 
stol/.e,  verachtende,  großartige  Schönheit,  die  man  hier  bisweilen 


—     243     — 

sieht  —  aber  auch  nur  ausnahmsweise  —  kommt  in  Neapel  fast 
gar  nicht  vor,  aber  anmutige,  muntere,  freundliche,  lebenslustige, 
freilich  auch  frivole  Gesichter  in  Hülle  und  P'üUe;  auch  viel 
Blondinen,  ich  glaube  mehr  als  hier.  Berühmt  sind  die  Blumen- 
mädchen, die  einen  jeden  Abend  einige  vSoldi  kosten,  es  sei  denn, 
daß  man  als  echter  deutscher  Bär  das  Sträußchen,  das  sie  einem 
ins  Knopfloch  zu  stecken  wissen,  mit  Konsequenz  wieder  zurück- 
gibt. Zwei  dieser  Blumenmädchen  gehören  wirklich  zu  den  größten 
Schönheiten,  die  ich  je  sah,  die  römischen  dagegen  sind  fürchter- 
lich, und  ich  markiere  hier  immer  den  deutschen  Bär. 

Von  der  Chiaja  muß  ich  ferner  nachholen,  daß  zwischen  den 
Baumreihen  zu  beiden  Seiten,  meist  inmitten  kleiner  Bassins 
marmorne  Kopien  der  berühmtesten  Antiken  und  einiger  guter 
Renaissancewerke  aufgestellt  sind.  Onkel  Erwin  macht  dieselben 
schlecht.  Ich  muß  gestehen,  daß  ich  mich  ihrer  sehr  gefreut 
habe  und  sie  für  den  dekorativen  Zweck  durchaus  nicht  schlecht 
finden  kann.  Licht  und  Schatten  gibt  ihnen  oft  einen  Reiz,  den 
selbst  die  Originale  bisweilen  entbehren.  Dazu  werden  sie  von 
den  schönsten  Sumpfpflanzen  umwuchert,  blühende  Iris,  blühende 
Kallas  usw.,  und  ein  paar  dünne  Wasserstrahlen  unterbrechen  die 
Stille  und  Schwüle  mit  leisem  Geplätscher.  Ob  man  das  nicht 
ohne  große  Schwierigkeiten  nachahmen  könnte?  Der  geschickten 
Bildhauer  sind  hier  so  viele  und  ihre  Ansprüche  teilweise  so  ge- 
ring —  manche  betrachten  sich  wie  im  Mittelalter  nur  als  höhere 
Handwerker  —  daß  es  verhältnismäßig  gar  nicht  so  teuer  sein 
könnte.  Oder  man  nehme  Bronzegüsse,  für  unser  schwarzes 
Klima  vielleicht  noch  besser,  wenn  auch  freilich  lange  nicht  so 
schön.  Diese  weißen  schimmernden  Gestalten  auf  dem  dunklen 
Laub  wirken  großartig.  Hätten  wir  nur  Zypressen,  Lorbeeren 
und  Steineichen  bei  uns!  Die  Pinien  will  ich  den  Italienern 
schenken,  obgleich  bisweilen  auch  sie  herrlich  sind.  Für  gewöhn- 
lich ziehe  ich  ihnen,  glaube  ich,  unsere  Kiefer  vor,  die  im  ganzen 
viel  zu  wenig  beachtet  wird.  Hier  in  Neapel  in  der  Chiaja  steht 
eine  schöne  Kieferngruppe  (darunter  Gian  da  Bolognas  Raub  der 
Sabinerinnen)  und  sieht  so  vornehm  und  schön  aus,  daß  ich  ganz 
erstaunt    zuerst    den    seltenen    Baum    betrachtete.     In    unseren 

16* 


—     244     — 

neuen  Anlagen  ist  sie  gar  nicht  verwendet,  so  viel  ich  mich 
erinnere.  —  Jenseits  des  Aquariums  und  Musikplatzes  verdichtet 
sich  die  Anlage  noch  etwas  und  enthält  ein  Rundtempelchen  für 
Tasso,  einen  jonischen  Tempel  für  Virgil,  davor  einige  schlanke 
Palmen,  die  prächtig  gegeu  den  leuchtenden  Abendhimmel  aus- 
seben, einige  andere  moderne  Denkmäler  usw.,  im  ganzen  aber 
entspricht  die  Anlage  nicht  den  Erwartungen,  die  man  an  den 
Hauptspaziergang  Neapels  am  Meeresufer  stellen  darf.  Manche 
Anlage  in  deutschen  Städten  kann  sich  sehr  wohl  mit  der  Chiaja 
messen,  trotz  des  geringeren  „Materials'^  jeder  Art,  mit  dem  wir 
wirken  müssen. 

Außer  im  Carlo  war  ich  noch  in  zwei  anderen  Theatern,  im 
Carlino,  wo  mit  Vorliebe  Parodien  auf  die  Stücke  des  Carlo  ge- 
geben werden  und  so  echt  neapolitanischer  Dialekt  gesprochen 
wird,  daß  ich  nur  sehr  wenig  verstanden  habe.  Ich  sah  eine 
jgraziosissima  parodia"  der  Alda,  ein  fideler,  urdummer  Ulk,  der 
mich  zwei  Akte  lang  sehr  amüsierte,  dann  hatte  ich  genug.  Die 
Masken  (moderne  Menschen)  waren  vorzüglich,  das  Theater  sehr 
primitiv  und  dreckig.  Gerade  so  billig,  aber  sehr  elegant  ist  das 
zweite  Theater  Neapels  Fondo,  neben  unserem  Hotel.  Hier 
hörten  wir  Macbeth  von  Verdi,  wohl  aus  seiner  früheren  Zeit, 
vortrefflich  gespielt  und  gesungen.  Was  Kostüme  und  Ausstattung 
anlangt,  sind  wir  in  Deutschland  doch  recht  verwöhnt  und  äußer- 
lich! Die  Italiener  wenigstens  sind  unendlich  anspruchslos  darin. 
Die  schottischen  Kostüme  waren  schlimm  genug,  namentlich  der 
Chor,  aber  auch  einige  Solisten,  obenan  Banquo,  und  seine  Er- 
scheinung als  Geist  wirkte  so  urkomisch,  wie  man  sie  wohl  im 
Uraniatheater  auf  St.  Pauli  erwarten  dürfte,  aber  das  ganze  gut- 
besetzte Haus  blieb  dabei  ernsthaft  und  schien  damit  ganz  ein- 
verstanden zu  sein. 

Von  den  Kirchen  Neapels  redet  man  lange  nicht  geoug. 
Sie  sind  mir  eigentlich  gerade  so  lieb  wie  die  Roms,  wo  nicht 
lieber.  In  Rom  gibt's  eigentlich  nur  zwei  Arten:  frühchristliche 
Basiliken,  mehr  oder  minder  verzopft,  und  Kopien  der  Peters- 
kirche in  allen  Formaten.  Gotik  gibt's  bekanntlich  in  ganz  Rom 
nicht.     In  den  wenigen  Kirchen,  deren  Anlage  ursprünglich  gotisch 


—     245     — 

war,  muß  man  sie  suchen,  und  Sta.  Marie  sopra  Minerva,  die 
beste,  ist  arg  modern  restauriert. 

Von  außen  ist  freilich  aucli  in  Neapel  an  keiner  etwas  zu 
sehen.  Stehen  sie  doch  noch  mehr  als  in  Rom  in  Reih  und 
Glied  mit  den  übrigen  Häusern,  sogar  der  Dom.  Das  einzige, 
das  sich  schmücken  ließe,  wäre  die  Fassade  und  die  ist  nirgends 
schön,  abgesehen  von  einigen  Portalen  in  Gotik  und  Frührenais- 
sance und  einem  lieblichen  und  glücklichen  Gemisch  von  beidem. 
Innen  sind  die  Kirchen  oft  gotisch,  eine  sogar  mit  schlank  über- 
höhtem Mittelschiff,  was  in  Italien  besonders  selten  vorkommt. 
Entweder  alle  drei  Schilfe  sind  gleich  hoch,  oder  das  Mittelschiff 
überragt  die  beiden  anderen  doch  nur  wenig,  so  daß  etwa  noch 
ein  Rundfenster  Platz  hat.  Außer  Santa  Croce  in  Florenz  sah 
ich  das  nur  noch  in  Neapel.  Eine  andere  Kirche  hat  einen  herr- 
lichen Chorumgang,  der  freilich  nicht  mehr  benutzt  wird  und  in 
Schmutz  und  Verwahrlosung  verkommt.  Das  war  ohne  Frage 
das  malerischste  Architekturbild,  ganz  im  Sinne  Martin  Genslers, 
das  ich  auf  der  ganzen  Reise  sah.  Sehr  stattlich  sind  sodann 
die  großen  gotischen  Grabdenkmäler  von  Königen  und  Königinnen 
aus  dem  Hause  der  Anjous,  obenan  Robert  der  Weise  und 
mehrere  liederliche  Johannas.  Die  Verbindung  mit  Frankreich 
durch  dies  Königshaus  war  ohne  Frage  von  Einfluß  auf  die 
Kunst,  die  spätere  Verbindung  mit  Spanien  in  jeder  Beziehung 
verhängnisvoll.  Neben  diesen  gotischen  Grabdenkmälern  auf 
mächtigen  Löwen  ruhend,  von  karyati  den  artigen  Engeln  und 
christlichen  Tugenden  getragen,  überreich  skulptiert,  oft  zu 
enormer  Höhe  aufragend,  gibt's  eine  Menge  der  schönsten  Früh- 
renaissance-Grabmäler,  mit  einem  ganz  unerwarteten  Schmuck 
feinster  Ornamente,  ferner  prächtige  Holzschnitzereien  an  Chor- 
stühlen und  Intarsien,  wie  ich  sie  fast  nirgends  schöner  gefunden 
habe.  An  Bildern  verhältnismäßig  weniger  Interessantes  als  an 
Skulpturen,  unter  letzteren  eine  marmorne  Orgelbrüstung  aus 
dem  14.  Jahrhundert  —  Lebensgeschichte  der  heiligen  Katherina 
—  die  mit  Recht  ein  „plastischer  Fiesole"  genannt  wird. 

Neapel  ganz  eigentümlich  ist  die  Anwendung  kleiner  gla- 
sierter Fliesen  oder    vielmehr  Kacheln,    auch    als  Fußböden  der 


—     246     — 

Kirchen.  Große  barocke  Muster,  in  blau,  gelb,  lila  und  grün, 
die  gerade  so  gut  aus  Holland  stammen  könnten,  überziehen  den 
ganzen  Fußboden  auf  rotem  unglasierten  Klinkergrund.  Das 
sieht  sehr  gut  aus,  geschmückt,  aber  gewissermaßen  einfach 
bürgerlich  behaglich.  Um  so  opulenter  pflegen  die  Altartische 
mit  farbigem  Marmor  eingelegt  zu  sein,  in  halbnaturalistischen 
aber  symmetrisch  angeordneten  Blumenmustern,  oft  recht  schön 
und  stilvoll  aber  mehr  für  wirkliche  Stickereien  geeignet.  Bis- 
weilen ist  die  ganze  Kirche  mit  solch  farbiger  Marmorinkrustation 
überzogen.  ...  So  wenig  ich  mich  für  diesen  Stil  begeistere,  so 
imponiert  er  mir  zuweilen  doch;  auch  bewundere  ich  die  Maler 
in  dekorativer  Hinsicht,  daß  sie  es  fertig  brachten,  mit  ihren 
Bildern  der  farbigen  Unruhe  dieser  überprächtigen  Rahmen  Trotz 
zu  bieten.  Um  das  zu  können,  schlugen  sie  jene  unendliche  tiefe 
Farbenskala  an,  die  durch  Nachdunkeln  oft  fast  schwarz  ge- 
worden ist,  so  daß  nur  einzelne  blendend  beleuchtete  und  trefflich 
modellierte  Köpfe,  Arme  und  Gewandpartien  grell  hervorleuchten. 
Nur  so  konnten  in  dem  farbigen  Gekribbcl  die  Marmorumrah- 
mungen das  Gleichgewicht  halten.  Bei  einigen  besonders  gut  er- 
haltenen sieht  man  auch  heute  noch,  daß  diese  große  schwarze 
Pechsauce  nicht  ursprünglich  ist,  sondern  daß  ein  reiches,  herr- 
liches Kolorit  vorhanden  war,  wie  bei  frischen  Makarts,  die  nach 
200  Jahren  womöglich  noch  schwärzer  sein  werden  als  die 
allerschwärzesten  Alten.  —  In  San  Martino  befindet  sich  auch  das 
Hauptbild  Spagnolettos,  vorzüglich  erhalten,  in  einer  prächtigen 
von  Gold  und  Getäfel  prangenden  kleinen  Kapelle,  wundervoll 
beleuchtet.  In  keiner  Galerie  der  Welt  kann  ein  Bild  günstiger 
hängen  und  so  großen  Genuß  gewähren  wie  hier,  wo  man  meist 
ganz  allein  und  ungestört  ist.  Aber  meine  alte  Antipathie  gegen 
Spagnoletto  ist  auch  hier  nicht  geschwunden  und  wird  es  nun 
wohl  auch  nicht  mehr.  Sobald  er  über  einen  Studienkopf  hinaus 
will,  zeigt  er  sich  in  seiner  ganzen  Flachheit.  Was  er  vor  sich 
sieht,  malt  er  mit  genialer  Breite  und  Flottheit,  einer  Wucht  der 
Modellierung  und  Farbe  gegen  die  z,  B.  Raffael  —  vom  Mal- 
klassenstandpunkt aus  gesprochen  —  als  reiner  Stümper  erscheint. 
Aber    über    das    Modell    kommt    Spagnoletto    auch    nie    hinaus! 


—     247     — 

Nicht  nur  wo  er  wie  hier  (Kreuzabnahme)  Seele  und  Empfindung 
geben  soll,  schon  in  ganz  realen,  unheiligen  Szenen  (Silen  und 
Faune  usw.)  versteht  er  es  nicht,  mir  das  unerfreuliche  Gefühl 
des  Modellsitzens  zu  nehmen  und  seine  Gedanken  wirklich  zu 
beleben.  Darin  erinnert  er  mich  an  Gussow  und  andere  Mo- 
derne, nur  hat  seine  Verteilung  von  Licht  und  Schatten  meist 
einen  groBartigen  Zuschnitt  und  seine  Farbe  —  namentlich  auch 
in  diesem  Bilde  —  etwas  feierlich  Ernstes. 

Ja  ja,  es  gibt  entsetzlich  viel  Sehenswertes  in  Italien!  Nur 
für  die  Kirchen  Neapels  brauchte  man.  um  sie  gründlich  zu  stu- 
dieren, wohl  vier  Wochen,  und  ich  gönnte  ihnen  kaum  zwei  bis 
drei  Tage,  habe  freilich  auch  den  berühmten  Freskenzyklus  gar 
nicht  gesehen,  wie  ich  zu  meiner  großen  Trauer  und  Beschämung 
gestern  aus  dem  Burckhardt  ersah.  Mich  trieb  es  eben  immer 
von  neuem  ins  Museum  und  meine  Begeisterung  für  dasselbe  ist 
auch  hier  in  Rom  nicht  geringer  geworden.  Nirgends  kommt 
man  wie  dort  zum  vollen  GenuB,  wo  in  den  schön  beleuchteten 
Hauptsälen  Meisterwerk  neben  Meisterwerk  steht,  ohne  sich  zu 
drängen  und  zu  beeinträchtigen.  In  anderen  Zimmern  stehen 
mittelmäßige  und  geringe  Sachen  und  wirken  teilweise  mehr 
durch  Quantität.  Da  stehen  z.  B.  sechs  oder  sieben  Exemplare 
der  kapitolinischen  Venus,  alle  von  untergeordnetem  Wert  in 
Reih  und  Glied  nebeneinander,  als  ob  sie  auf  Kommando  in  einer 
weiblichen  Exerzier-  und  Anstandsschule  soeben  die  bekannte 
Verschämtheitspose  angenommen  hätten.  —  Über  die  Bronzen 
hat  Onkel  Erwin  genug  geschrieben.  Dieser  Saal  war  eigentlich 
auch  mir  der  liebste  von  allen.  Meine  Skizze  der  ofterwähnten 
stilvollen  Tänzerinnen  füge  ich  bei,  damit  Ihr  Euch  keinen 
falschen  Begriff  von  ihnen  bildet.  Übrigens  sind  sie  kaum  lebens- 
groß: auch  die  meisten  anderen  griechischen  Bronzen,  die  ich 
kenne,  bleiben  etwas  hinter  Lebensgröße  zurück,  die  meisten 
etwa  ^/^,  diese  Tänzerinnen  sind  wohl  etwas  größer.  Die  Porträt - 
husten  dagegen  sind  alle  mindestens  lebensgroß  und  eigentlich 
das  Allerschönste.  .  .  .  Erst  hier  ist  es  mir  so  recht  klar  ge- 
worden, was  es  heißt,  ein  Porträt  nicht  zu  „idealisieren",  im  land- 
läufigen mit  Recht  in  Verruf  gekommenen  Sinne,    sondern  es  zu 


—     248     — 

idealisieren,  ohne  die  Individualität  abzuschwächen,  vielmehr  diese 
zu  steigern,  indem  man  nicht  ein  Quantum  eines  allgemeinen 
Schönheitsideals  dem  Dargestellten  aufpfropft,  sondern  das  Schön- 
heitsideal, welches  für  jeden  Kopf  ein  anderes  ist  (ebenso  wie 
nach  Paul  Heyse  für  jedes  Individuum  ein  anderes  Lebensideal 
existiert)  daraus  entwickelt.  Das  verstanden  doch  nur  die 
Griechen!  Die  Römer  sind  dagegen  mehr  Naturalisten  im  Sinne 
von  uns  Modernen.  Unter  ihren  Büsten  entdeckt  man  immer 
neue  Ähnlichkeiten  mit  guten  Freunden,  unter  den  Griechen 
kaum.  .  .  . 

Manches  ist  seit  Onkel  Erwins  Zeiten  hinzugekommen,  der 
tanzende  Faun  aber  noch  immer  die  Krone  der  kleineren  Sachen. 
Ich  liebte  ihn  schon  lange;  in  Weimar  existiert  der  Abguß,  den 
Goethe,  ganz  entzückt,  mitgebracht  hat.  Den  bekannten  Narciss 
und  den  Silen,  der  die  Lampe  hochhält,  die  zwei  anderen  Haupt- 
stücke unter  den  kleineren  Figuren  scheint  Onkel  Erwin  nicht 
gekannt  zu  haben.  Seine  steife  kleine  Fortuna  steht  sehr  schlecht 
unter  vielem  Schund;  eine  kolossal  schwungvolle  Viktoria  erwähnt 
er  gar  nicht,  und  doch  ist  es  kaum  anzunehmen,  daß  Rauch  die- 
selbe nicht  gekannt  hat,  als  er  seine  Walhalla- Viktorien  schuf. 
Freilich    geschah    das  wohl    auch  erst  nach  Onkel  Erwins  Zeit! 

Von  den  pompejanischen  Malereien  sage  ich  nichts.  Ihr 
kennt  sie  ja,  soweit  man  sie  kennen  kann,  wenn  man  die  Originale 
nicht  gesehen  hat.  Das  mir  Sympathischste  sagt  Onkel  Erwin 
darüber. 

Von  den  Bildern  muß  ich  noch  einiges  sagen.  Unter  vielem 
Mittelmäßigen  sind  Perlen  ersten,  allerersten  Ranges  da,  ja  in 
das  eine  Bild  bin  ich  so  verliebt  wie  in  kaum  eines  in  Italien 
und  zwar  in  einen  Mantegna,  der  noch  vor  einigen  Jahren  in  der 
Rumpelkammer  stand  und  auch  ziemlich  arg  ramponiert  ist.  Du 
fragtest  mich  in  Florenz  einmal  nach  Mantegna:  In  den  Uftizien 
ist  zwar  ein  sehr  berühmtes  dreiteiliges  Bild  von  ihm,  mit  vielen 
kleinen  überaus  graziösen  und  schim  durchgeführten  Figürchen, 
aber  rechten  Eindruck  hat  es  doch  nicht  auf  mich  gemacht, 
ebensowenig  wie  eines  seiner  Hauptwerke  auf  dem  Hochaltar 
von  S.  Zeno    in  Verona.     Außer   diesen    beiden    hatte    ich    noch 


—     249     — 

keine  Originale  von  ihm  gesehen,  seine  Hauptwirksamkeit  war  in 
Padua.  Aber  hier  im  schlecht  beleuchteten  Saal  der  Venezianer 
fiel  mir  plötzlich  ein  Bild  auf,  welches  ganz  anders  war  als  alle 
übrigen,  von  feierlicher  Schlichtheit  und  Größe;  wie  bei  den 
Tänzerinnen  sagte  ich  mir:  „das  ist  Stil!''  Wie  die  Figur  in 
ihrer  architektonischen  Umrahmung  steht,  sich  unterordnend,  aber 
doch  ganz  frei  nach  der  einen  Seite  fortschreitend,  dazu  die  tiefe 
feierliche  Farbe,  die  vornehme  Bewegung  und  der  milde,  heilig- 
strenge Ausdruck  des  Kopfes!  —  hätte  ich  nur  meine  Ölfarben 
da  gehabt!  von  diesem  Bilde  hätte  ich  gar  zu  gern  eine  Kopie 
gemacht.  Aber  freilich  hätte  es  viel  Zeit  gekostet  und  wäre 
schließlich  doch  nichts  rechtes  geworden.  Darum  will  ich  mich 
mit  der  kleinen  Aquarellskizze,  die  ich  einlege,  begnügen.  .  .  . 

Ferner  sah  ich  hier  eines  der  vorzüglichsten  Bilder  des  alten 
Giovanni  Bellini,  von  dem  ich  früher  auch  noch  nichts  gesehen 
hatte,  was  mir  wirklich  so  recht  gefallen  konnte.  Es  ist  eine 
„Verklärung  Christi".  Die  drei  Figuren  stehen  ziemlich  steif 
nebeneinander,  Christus  ganz  von  vorn,  Elias  und  Moses  im  Profil, 
aber  wunderschön  gezeichnet  und  von  bezaubernder  Farbe. 
Christus  ganz  weiß,  auch  im  Schatten  überaus  licht  und  klar, 
wie  von  Tageslicht  uratiossen  und  sich  so  sanft  und  schön  von 
dem  landschaftlichen  Hintergrund,  von  dem  lichtblauen  Himmel 
mit  seinen  weißen  friedlichen  Wolken  abhebend,  als  wenn  das, 
in  moderner  Weise,  das  Hauptstudium  des  Alten  gewesen  wäre. 
Nur  Elias  ist  lebhaft  rot  mit  violettrotem  Mantel  (beide  von 
gleichem  Wert),  sonst  bewegt  sich  alles  in  braunen,  grauen, 
braungelben,  saftiggrünen,  tiefgrünblauen  Farben,  für  die  Luft 
und  die  Hauptfigur  sind  Weiß  und  Himmelblau  aufgespart.  .  .  . 
Von  einem  wirklichen  Erfassen  des  großartigen  Momentes  ist  in 
diesem  Bilde  freilich  nicht  die  Rede;  es  wirkt  nur  so  wohltuend, 
wie  die  meisten  Venezianer,  durch  die  ruhige  Schönheit  der  Ge- 
stalten und  den  Zauber  der  Farbe,  hier  obendrein  noch  durch 
die  naiv  liebliche  Landschaft, 

Sehr  begierig  bin  ich  darauf,  Fiesoles  Verklärung  wiederzu- 
sehen. Sie  gehört  zu  den  Bildern,  die  er  seinen  Mitmönchen  in 
die  Zellen  malte  und  ist  nicht  sonderlich  ausgeführt.    Aber  selten 


—     250     — 

hat  mir  ein  Bild  einen  so  großartigen  Eindruck  gemacht.  — 
Vielleicht  werde  ich  inzwischen  anders  urteilen  gelernt  haben, 
aber  bis  jetzt  ziehe  ich  es  der  Raffaelschen  entschieden  vor.  Das 
Schweben  des  Christus  ist  mir  nie  recht  würdig  erschienen.  Er 
springt  mir  zu  sehr.  Dem  feierlichen  Sinn  und  Wortlaut  der 
Bibel  ist  die  alte  Auffassung  entsprechender.  —  Bei  der  Ge- 
legenheit sei  noch  erwähnt,  daß  die  obere  Hälfte  der  Trans- 
hguration  von  Raffael  selbst  gemalt  ist  und  sehr  schön.  So 
locker,  von  Licht  und  Klarheit  umflossen,  echt  visionär,  wie  ich's 
nie  erwartete.  —  Warum  man  im  Glasfenster  der  Petrikirche  von 
der  Originalfarbe  abgegangen  ist  und  das  weiße  Gewand  Christi 
(das  Raffael  der  Bibel  und  allen  alten  Malern  treu,  beibehalten 
hat)  in  ein  buntes  Rot  und  Blau  verändert,  begreife  ich  nicht. 

Drei  Raffaels  gibt's  in  Neapel,  darunter  die  wunderschöne 
Madonna  del  divino  amore,  wo  das  Christkind  den  Johannes- 
knaben segnet  und  die  Maria,  selig  staunend,  mit  gefalteten 
Händen  auf  ihn  niederblickt  —  mir  eine  der  liebsten  unter  allen 
Madonnen  Raffaels,  vielleicht  die  liebste  in  Italien;  ferner  zwei 
Porträts,  ein  Kardinal  und  sein  eigener  „Waffenmeister",  beide 
ebenfalls  zu  seinen  vorzüglichsten  Porträts  gehörend.  Man  muß 
sich  an  Raffaels  Porträts  erst  gewöhnen.  Es  überrascht,  daß  er, 
dessen  Kompositionen  so  von  Schönheit  der  Linien  und  Be- 
wegungen überfließen,  im  Porträt  ganz  schlicht  und  steif,  bis- 
weilen fast  geschmacklos,  die  Natur  kopiert,  wie  sie  gerade  vor 
ihm  steht.  Seine  Porträts  scheinen  bisweilen  zu  sagen:  „so,  nun 
werde  ich  abgemalt".  Von  elegantem  Arrangement,  von  Kompo- 
sition irgendwelcher  Art,  worin  van  Dyck  so  ausgezeichnet  war 
ist  keine  Spur  bei  ihm.  Malt  er  einen  Papst,  so  rückt  er  ihm 
einen  Stuhl  hin,  probiert  vielleicht  einmal  von  dieser,  einmal  von 
jener  Seite,  aber  damit  ist's  dann  auch  gut:  dann  wird  herunter- 
gemalt wie  er  gerade  sitzt,  Stück  für  Stück,  mit  peinlichster 
Durchführung  selbst  der  Nebensachen,  aber  ohne  irgendwie  auf 
Schönheit  der  Linie  oder  der  Schatten-  und  Lichtmassen  Rück- 
sicht zu  nehmen.  Die  Hände  kommen  oft  in  irgendeine  Ecke 
oder  werden  vom  Rahmen  überschnitten,  aber  deshalb  nicht  flotter 
behandelt  und  dem  ganzen  untergeordnet,  sondern  mit  derselben 


—     251     — 

Liiiven  Sorgfalt  durchgebildet  wie  das  andere.  Leute,  die  an 
Raffaels  Unfehlbarkeit  glauben,  werden  gewiß  auch  dies  für  das 
„einzig  wahre'*  erklären.  Das  kann  ich  nicht  mit  gutem  Ge- 
wissen, aber  mit  Absicht  hat  er  es  gewiß  so  gemacht,  denn  keiner 
hätte  wohl  leichter  als  er  eine  schöne  Porträtstellung  ausfindig 
gemacht,  wenn  er  gewollt  hätte.  Ich  nehme  es  also  als  Faktum 
hin,  und  nachdem  ich  mich  daran  gewöhnt  habe,  gefallen  mir 
seine  Porträts  immer  besser.  Mit  einer  solchen  Pietät  bildet  er 
die  Natur  nach,  wie  es  Onkel  Erwin  nur  in  seiner  allerstrengsten 
Zeit  getan  hat  und  doch  ist  nichts  von  Dennerscher  Ängstlich- 
keit darin,  sondern  jener  griechische  Geist  der  Bilduisdarstellung, 
von  dem  ich  vorhin  sprach.  Allerdings  —  bei  den  griechischen 
Bildnisstatuen  in  voller  Figur  sieht  man  es  am  besten  —  ließen 
sie  das  Arrangement,  um  das  häßliche  Wort  zu  gebrauchen,  doch 
mehr  zu  seinem  Rechte  kommen.  .  .  . 

Von  vielen  andern  guten  Sachen  will  ich  schweigen,  auch 
von  den  drei  herrlichen  Tizians  —  Danae  und  zwei  Porträts,  ein 
Papst,  Paul  III.,  im  Lehnstuhl  und  Philipp  von  Spanien  in 
ganzer  Figur  —  und  nur  noch  erwähnen,  daß  hier  manche  gute 
Altdeutsche  sind,  die,  nachdem  man  so  lange  keine  gesehen  hat, 
besonders  anmuten.  Da  ist  ein  kleiner  Memling  von  herrlichster 
Farbe,  aber  doch  nicht  von  der  Schlichtheit  des  Bellinischen 
Bildes,  weshalb  ich  letzteres  vorziehe,  dann  ein  großes  Bild,  eine 
Anbetung  des  Christkindes  mit  vielen  Figuren  und  prächtigen 
musizierenden  Engelchen,  von  so  schalkhaftem  Humor  wie  raan's 
auf  italienischen  Bildern  nie  findet,  Dürer  genannt,  leider  mit 
Unrecht,  denn  Meister  Albrecht  hat  nie  so  schöne  Farben  gehabt. 
Vor  allen  Dingen  jenes  Bild  von  den  Blinden,  die  sich  gegen- 
seitig leiten  und  miteinander  in  die  Grube  fallen.  Onkel  Erwin 
spricht  ausführlich  darüber,  hat  es  auch  flüchtig  skizziert.  Ich 
setze  nichts  hinzu,  als  daß  es  mir  neben  dem  Mantegna  das 
allerinteressanteste  Bild  Neapels  ist  und  daß  es  zum  Teil  in  der 
Auffassung  aber  mehr  noch  in  der  Ausführung,  eine  ganz  merk- 
würdige Ähnlichkeit  mit  Schwind  hat,  wo  dieser  sich  der  bunten 
Farben  enthält,  und,  wie  er  es  ja  bisweilen  tat,  mit  einer  feinen 
grau    harmonischen    Färbung    genügen    ließ.     Das  Bild    ist    echt 


—     252     — 

deutsch,  echt  norddeutsch  sogar,  auch  die  Landschaft  im  Hinter- 
grunde. Onkel  Erwin  nennt  es  Teniers,  jetzt  heißt  es  Bruegel 
der  Altere.  Das  andere  kleinere  Bild  von  Bruegel  heimelt  sogar 
noch  durch  einen  plattdeutschen  Vers  an,  der  darauf  steht: 
„Darumb  dat  de  Welt  is  so  ungetruw,  ga  ick  armen  Slucker  in 
de  Ruh."  Ruh  d.  h.  Einsamkeit,  es  ist  nämlich  ein  schwarzer 
Mönch,  dem  jemand  einen  roten  Geldbeutel  stiehlt,  (den  er  als 
Mönch  gar  nicht  haben  darf!)  und  der  deshalb  Einsiedler  wird! 
Ein  komischer  Kerl!  Man  vergißt  in  dem  Zimmer  auf  Minuten 
ganz,  wo  man  ist  und  träumt  sich  bei  Entzifferung  dieses  Verses 
nach  Lübeck  —  aber  ein  Schritt  weiter,  und  man  ist  in  der 
Vasensammlung,  die  so  enorm  ist,  daß  ich  nicht  behaupten  kann, 
ich  hätte  sie  gesehen,  obgleich  sie  es  wohl  wert  wäre,  gründ- 
lich betrachtet  zu  werden,  denn  die  roh  und  flüchtig  gemalten 
Gruppen  sind  oft  von  wunderbarer  Schönheit  und  lassen  sich 
auf  die  herrlichsten  Vorbilder  zurückdeuten.  Aber  ich  säße  nicht 
nur  heute  noch  da,  sondern  noch  weitere  vier  Wochen,  wenn 
ich  alles  ordentlich  hätte  ansehen  wollen! 

Unter  den  Niederländern  ist  ein  Selbstporträt  Rembrandts 
aus  ziemlich  vorgerückten  Jahren,  eines  der  schönsten  Porträts 
der  Welt,  glaube  ich,  mir  gerade  so  hochstehend  wie  die  griechi- 
schen Bronzebüsten  und  höher  als  Raffaels  Porträts.  Doch  was 
soll  dieses  Messen  und  Vergleichen!  .  .  . 

Zum  Schluß  will  ich  noch  versuclien,  den  Ausflug  nach 
Amalfi  zu  beschreiben,  über  dessen  erste  Hälfte:  Pästum-Salerno, 
ich  schon  von  Pompeji  aus  berichtete.  .  .  .  Wir  Entrepreneurs 
des  Umwegs  über  Amalfi  (Gildemeister  und  ich)  hatten  im  Sinne 
gehabt,  direkt  in  Salerno  zu  Schiff  zu  gehen  und  noch  denselben 
Abend  nach  Amalfi  zu  gelangen.  Dann  hätten  wir  viel  Zeit  ge- 
spart. Außer  dem  Widerstand  der  anderen,  die  sich  allmählich, 
teils  gegen  unsern  Wunsch,  dieser  Partie  anschlössen,  scheiterte 
dies  hauptsächlich  an  den  Schiffern,  die  so  spät  nicht  mehr  fahren 
wollten,  außer  um  hohen  Lohn.  Mein  Vorschlag,  bei  Mondschein 
den  schönen  Weg  längs  der  Küste  hinzugehen,  kam  leider  zu 
spät.  So  kamen  wir  erst  am  andern  Tag  gegen  elf  Uhr  dort  an, 
Thiersch,    Gildemeister   und   ich,    per  Wagen,    die    andern    drei 


—     253     — 

waren  schon  eine  Stunde  früher  gefahren,  während  wir  Salerno 
besahen.  Aßen  dort  und  trennten  uns  dann  abermals:  drei  gingen 
nach  Ravello  hinauf,  einem  hochgelegenen,  interessanten,  ver- 
ödeten Bergstädtchen,  drei  andere  in  das  berühmte  schon  lange 
aufgehobene  Kapuzinerkloster,  welches  nur  ^4  Stunde  von  der 
Stadt  entfernt  ist.  Ich  gehörte  zu  letzteren.  Sowohl  aus  Be- 
quemlichkeit wie  auch  besonders,  weil  dies  der  Ort  ist,  den  Platen 
besingt: 

„Festtag  ist's  und  belebt  sind  Zellen  und  Gänge  des  Klosters, 
Welches  am  Felsabhang  in  der  Nähe  des  schönen  Amalfi 
Flut  und  Gebirge  beherrscht  und  dem  Auge  behaglichen  Spielraum 
Gönnt,   zu  den  Füßen  das  Meer  und  hinaufwärts  kantige  Gipfel, 
Viele  Terrassen  umher,  wo  in  Lauben  die  Rebe  sich  aufrankt*'  usw. 

Ja,  was  soll  ich  viel  hinzufügen?!  Neben  Camaldoli  war  es 
das  Schönste  von  ganz  Italien!  So  einsam  still  und  fröhlich 
friedlich!  Hier  der  leere,  halb  maurische  Kreuzgang,  dort  die 
große  Tropfsteinhöhle,  in  der  „der  Gebete  beraubt  eingehende 
Heiligenbilder"  knien,  ganz  wie  der  Dichter  es  beschreibt.  Am 
Ausgang  die  schönsten  Olivenbäume,  rankender  Wein  und  zwischen 
den  Stämmen  blitzt  das  Meer  von  unsagbar  schöner,  grünblauer 
Milde,  im  Sonnenschein  funkelnd,  eine  fröhliche  kleine  Barke  mit 
rotem  Segel  schwimmt  lustig  und  sicher  darüber  hin,  die  Häuser 
der  Stadt  mit  ihren  morgenländisch  gebildeten  flachen  Dächern 
und  Kuppeln  schimmern  hell  und  glücklich,  der  alte  Dom  mit 
seinem  maurisch-gotischen  bunten  Ziegeldach  blickt  ehrwürdig 
froh,  und  wir  sitzen  und  tun  als  ob  wir  zeichneten,  atmen  aber 
eigentlich  nur  den  Frieden  und  die  Schönheit.  Allmählich  fällt 
mir  das  ganze  Gedicht  wieder  ein  und  klingt  durch  die  Seele, 
Thiersch  setzt  sich  zu  mir,  läßt  es  sich  leise  vorsagen  und  hat 
auch  so  rechte  Freude  an  den  herrlichen  fließenden  Versen. 
Dann  die  Rückfahrt  per  Barke  bei  vortrefflichem  Wind,  so  daß 
das  Schiff  bald  hoch,  bald  tief  zwischen  den  blauen  Wasserhügeln 
steckt,  und  die  fröhlichen  Bootsleute,  der  schöne  Steuermann 
Alfonso  obenan,  singen  ihre  melodischen  Weisen  ohne  Aufhören, 
so  daß  wir   nach    einiger  Zeit  einstimmen  können   —    das  alles 


—     254     — 

war  wunderschön,  ein  echter  Sonntag  Nachmittag,  dessen  Erinne- 
rung allein  schon  manche  heitere,  stillvergnügte  Stunde  bereiten 
wird.     Und  damit  für  heute  addio! 


Dienstag,  den  29.  Mai. 

Rom  ist  doch  wunderschön!  Und  jetzt,  wo  ich  allmählich 
meinen  Abschiedsbesuch  bei  seinen  verschiedenen  Herrlichkeiten 
mache,  erscheinen  sie  mir  doppelt  schön!  —  Da  ich  bisher  so 
wenig  von  Rom  selbst  und  seinen  Kunstschätzen  geschrieben 
habe,  will  ich  von  jetzt  an  immer  genau  berichten,  wo  ich  war 
und  was  mir  überall  besonders  gefallen  hat. 

Heute  Morgen  war  ich  noch  einmal  in  der  Sala  regia  des 
Vatikans,  zwar  kaum  zum  letztenmal,  aber  doch  zum  letztenmal 
tätig.  Diese  Sala  regia  ist  ein  außerordentlich  großer  Festsaal, 
zu  dem  man  zwar  ca.  150  Stufen  hinaufzusteigen  hat  (vom  Peters- 
platz aus),  der  aber  trotzdem  sozusagen  in  der  Beletage  des 
Vatikans  liegt,  so  hoch  baut  sich  dieser  Palast  in  die  Höhe; 
seine  verschiedenen  Höfe  haben  verschiedenes  Niveau,  immer  liegt 
einer  höher  als  der  andere;  Raffaels  Stanzen  und  Loggien  liegen 
im  zweiten  Stock  und  dem  folgt  ein  noch  höherer.  Die  Sala 
regia  ist  eigentlich  das  Prachtempfangszimmer  für  die  Gesandten 
fremder  Nationen.  Von  hier  aus  ist  der  Haupteingang  in  die 
sixtinische  Kapelle  —  die  Fremden  gehen  heutzutage  durch  eine 
kleine  Seitentür  der  Altarwand,  unter  den  Verdammten  von 
Michelangelos  jüngstem  Gericht  hinein  —  an  der  anderen  Seite 
in  die  paolinische  Kapelle,  die  mit  späten  und  schlechten 
Fresken  von  und  nach  Michelangelo  ausgemalt  und  nie  zu  sehen 
ist.  Einen  Blick  habe  ich  gestern  freilich  hineinwerfen  dürfen, 
aber  der  alte  Mönch,  der  sie  für  eine  abendliche  Messe  herzu- 
richten hatte,  und  mit  dem  ich,  da  er  täglich  etliche  mal  an 
mir  vorbeizugehen  pflegt,  ganz  gut  Freund  bin  —  d.  h.  nur 
durch  freundliche  Begrüßung  von  beiden  Seiten  —  bat  mich  so 
ängstlich  nicht  hineinzugehen,  sondern  an  der  Tür  zu  bleiben, 
damit  er  keine  Unannehmlichkeiten  davon  habe,  daß  ich  mich 
mit  diesem  Blick  begnügen  mußte.     Sehr  begeisternd  wirkte  das 


—     255     — 

Gesehene  —  aus  dem  Leben  Pauli,  in  der  Mitte   die  Bekehrung 
—  auch  nicht. 

Viel  besser  gefällt  mir  die  Sala  regia,  obgleich  sie  nicht  nur  nicht 
von  Michelangelo,  sondern  sogar  von  Vasari,  den  Brüdern  Zuccaro 
und  noch  einigen  jener  „Bestellungs-  und  Geschwindmaler"  der 
Epigonenzeit  herrührt.  Mustergültig  ist  sie  freilich  in  keiner 
Weise,  aber  die  Hotte,  halb  barocke  Art,  diese  enormen  Wand- 
flächen zu  bewältigen,  große  Bildflächen  und  schickliche  Um- 
rahmungen dazu  zu  schaffen  (mit  Zuhilfenahme  von  Stuckfiguren) 
interessierte  mich  doch  sehr  und  immer  aufs  neue.  Die  Stuck- 
figuren und  Ornamente  über  den  Umrahmungen  und  in  den 
Kassettierungen  des  Tonnengewölbes  rühren  von  meinem  lieben 
Pierin  del  Vaga  her  und  sind  vielleicht  das  allerbeste.  Die 
Bilder  sind  aber  ungleich,  die  besten  von  den  mit  Unrecht  so  arg 
verschrienen  Zuccaros,  die  schlechtesten  wohl  leider  von  Vasari 
selbst,  der  wohl  bei  der  Anordnung  des  ganzen  so  viel  zu  tun 
hatte,  daß  die  eigene  Arbeit  darunter  litt.  Interessant  sind  die 
Gegenstände  dieser  Bilder.  Sie  sind  geschichthch  und  so  gewählt, 
daß  sie  zugleich  das  Papsttum  verherrlichen  und  den  fremden 
Gesandten  einprägen,  wie  gut  es  den  Ländern  geht,  die  es  mit 
dem  Stuhl  Petri  halten  und  wie  schlecht  den  andern.  Da  ist 
Karl  der  Große  abgebildet  und  noch  verschiedene  andere  Kaiser 
und  Fürsten  wie  sie  Schenkungen  machen,  dagegen  Friedrich 
Barbarossa  zu  Venedig  1177  und  Heinrich  IV.  zu  Canossa  1077 
zu  Füßen  des  Papstes;  da  ist  Innocenz  IV.,  wie  er  Friedrich  IL 
exkommuniziert  usw.,  auch  einige  große  Schlachten,  Türken- 
öchlachten  besonders  und  zwei  riesengroße  Flottenbilder:  eine 
Schlacht  und  eine  Vereinigung  der  Flotten  von  Neapel,  Venedig 
und  Rom.  An  der  letzten  Wand  sind  sogar  Szenen  aus  der 
Bartholomäusnacht,  aber  die  sind  schlecht  zu  sehen.  In  diesem 
großen,  wenig  betretenen  Raum  —  viel  Fremde  bekommen  ihn 
überhaupt  nicht  zu  sehen  —  habe  ich  mehrere  Tage  gesessen 
und  gearbeitet,  meist  nicht  viel  über  zwei  Stunden  hinter- 
einander, da  die  Freude  daran  mit  der  Zeit  nicht  zu-  sondern 
abnahm,  wie  das  bei  Werken  zweiten  Ranges  leicht  kommt.  Aber 
nachträglich    freut's    mich    doch,    wenigstens    ein    Werk    dieser 


—     256     — 

Spätzeit  gründlich  durchstudiert  zu  haben.  Man  lernt  doch 
immer  viel  daran  und  würdigt  nachher  die  Meisterwerke  besser, 
als  wenn  man  sich  ausschließlich  mit  solchen  füttert. 

Ferner  sah  ich  in  diesen  Tagen  zum  ersten-  und  zugleich 
zum  letztenmal  das  Appartamento  Borgia,  das  nur  auf  besondere 
Erlaubnis  des  Monsignore  — ,  Direktors  der  päpstlichen  Bibliothek 
gezeigt  wird.  Es  sind  sechs  Zimmer,  die  jetzt  als  Annex  zur 
Bibliothek  benutzt  werden,  die  Schöpfung  Alexanders  VI.  In 
einem  derselben  ist  er  auch  gestorben.  Die  Decken,  Gewölbe 
Zwickel  und  Lunetten  sind  auf's  reichste  von  Pinturicchio  aus- 
gemalt und  vortrefilich  erhalten. 

Pinturicchio  ist  bekanntlich  Raffaels  Mitschüler  bei  Perugino, 
aber  er  gehört  doch  eigentlich  noch  ganz  zu  diesem,  auch  dem 
Alter  nach,  er  ist  nur  acht  Jahre  jünger  als  sein  Lehrer, 
29  Jahre  älter  als  sein  großer  Mitschüler.  So  sind  diese  Arbeiten 
etwa  gerade  so  weit  vor  der  höchsten  Blütezeit  geschaffen  wie 
die  der  Sala  regia  nachher.  Ohne  Frage  ist  das  Appartamento 
Borgia  unendlich  schöner  und  interessanter,  ja  vom  dekorativen 
Standpunkt  aus  gehört  es  zum  allerschönsten,  das  ich  kenne  und 
rangiert  sehr  bald  hinter  Peruginos  Wechselrichtersaal  in  seiner 
Vaterstadt.  Die  mittelalterliche  Kunst  mit  ihrem  feinen  Sinn  für 
Farbenpracht  hat  ihren  Einfluß  auf  diesen  in  vielen  Dingen  schon 
zur  Renaissance  gehörigen  Meister  durchaus  nicht  verloren.  Noch 
wenig  berührt  von  den  Geheimnissen  schöner  Linienführung  und 
lebendig  dramatischen  Aufbaus  der  Komposition,  die  in  Raffaels 
Disputa  plötzlich,  alle  Schranken  seiner  Schule  durchbrechend, 
wie  ein  Wunder  dastehen  —  kann  Pinturicchio  doch  wie  sein 
Meister  ganz  vortrefflich  zeichnen,  kann  sehr  hübsche  Köpfe 
malen,  hat  einen  ganz  bedeutenden  Farbensinn  und  eine  spezielle 
Ausbildung  des  Landschaftlichen  in  all  seinen  Sachen,  was  ihnen 
einen  ganz  besonderen  Reiz  gibt.  Besonders  schön  ist  das  Zimmer, 
in  dem  er  die  sieben  Hauptkünste  und  Wissenschaften  darstellt: 
Astronomie,  Dialektik,  Rhetorik,  Musik  und  wie  sie  alle  heißen. 
Jede  hat  eine  spitzbogige  Lunette  zur  Verfügung,  überall  steht 
ein  Thron  in  der  Mitte,  auf  dem  die  entsprechende  Dame  sitzt, 
zu    beiden    Seiten    Landschaft    und     darin    einige     mittelmäßig 


I 


—     257     — 

gru])pierte  Männer  und  Frauen,  im  Zeitkostüm,  die  sich  mit  der 
betreuenden  Kunst  abgeben,  also  musizieren  oder  Globusse  aus- 
messen usw.  Und  trotzdem  ist  das  nichts  weniger  als  langweilit^: 
alle  Throne  sind  verschieden  gestaltet,  seine  ganze  Phantasie  für 
Kunstgewerbe  hat  der  Künstler  da  losgelassen,  um  möglichst 
prächtige,  krause  oder  schlichte  Ehrensitze  für  seine  sieben  Damen 
fertig  zu  bringen;  Engelchen,  die  einen  Prachtteppich  dahinter 
halten,  tun  das  ihrige,  um  das  Feierliche  zu  erhöhen.  Gold  ist 
in  reichem  Maße  angewendet,  sowohl  in  den  rein  ornamentalen 
Flächen,  wie  auch  in  den  Bildern  selbst,  namentlich  die  Luft  ist 
zumeist  goldig,  und  die  zierlichen  Bäumchen  sehen  ganz  besonders 
hübsch  auf  dem  glänzenden  Grunde  aus.  Aber  ich  bin  schon  recht 
weitläufig  geworden,  ohne  ein  anschauHches  Bild  zu  geben.  Aus 
der  Erinnerung  habe  ich  zwar  tlüchtig  skizziert,  aber  wahrschein- 
lich mit  mehr  „Fixigkeit  als  Richtigkeit",  und  so  will  ich  es  denn 
Eurer  eignen  Phantasie  überlassen,  Euch  diese  von  Gold  und 
Farbenpracht  strotzenden  und  doch  wie  ein  guter  türkisclier 
Teppich  oder  ein  gutes  altes  Glasfenster  harmonisch  wirkenden 
Räume  näher  auszumalen.  Nur  so  viel  noch,  daß  mich  die  Ar- 
beiten der  ganzen  umbrischen  Schule  heimatlich  anmuten.  Ihr 
Farbensinn  scheint  mir  dem  mittelalterlich  deutschen  verwandt, 
wenn  auch  nicht  so  fein  wie  bei  unsern  ersten  Meistern,  auch 
die  naiven  Engelchen,  Spruchbänder  usw.  heimeln  mich  an.  Die 
meisten  andern  Italiener  der  Zeit  haben  schon  höheren,  feier- 
licheren Schwung  oder  bewußtere  Grazie.  Hier  wie  bei  Benozzo 
Gozzoli  ist  mir  unsere  Natürlichkeit  mit  all  ihren  gelegentlichen 
Mängeln  am  verwandtesten  nahe  getreten. 

Auch  in  den  älteren  Kirchen  finden  sich  viele  Sachen  von 
Pinturicchio.  Er  war  nämlich  ein  Schnell-  und  Vielmaler  wie 
Perugino  und  ließ  häutig  fünf  gerade  sein.  Aber  dekorativ 
wirken  seine  Sachen  immer  gut  und  störende  Liederlichkeit  der 
Ausführung  ist  mir  nicht  vorgekommen,  oft  dagegen  sind  Einzel- 
heiten, namentlich  Engel  und  Landschaften  besonders  reizend. 
In  Ol  kenne  ich  wenig  von  ihm;  das  Andachtsbild  als  solches 
war  seine  Sache  wohl  weniger.  Im  Fresko,  wo  ihm  die  drei 
Wände    und    Gewölbetiächen     einer    kleinen    Nebenkapelle    zur 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  17 


—     258     — 

Verfügang  stehen,  fühlt  er  sich  entschieden  wohler.  Er  ist  mir 
ohne  Frage  einer  der  allersympathischsten  Künstler,  trotz  seiner 
unleugbaren,  von  den  meisten  Kunstbüchern  aber  zu  sehr  be- 
tonten Schwächen. 

Eine  kleine  Kirche,  von  der  ich  neulich  auch  Abschied  nahm, 
ist  San  Pietro  in  Montorio  (Goldberg).  Sie  liegt  in  Trastevere 
auf  dem  Höhenrücken,  der  die  Stadt  im  Westen  umschließt  und 
dessen  nördlichsten  Ausläufer  der  Vatikan,  die  Mitte  San  Onofrio 
(mit  Tassos  Grab)  bezeichnet.  An  dem  südlichen  Ende  dieses 
westlichen  Höhenzuges  liegt  San  Pietro  in  Montorio,  mit  be- 
rühmter Aussicht  über  die  ganze  Stadt  und  die  Campagna,  da- 
hinter die  bekannten  schönen  Berglinien.  Hier  soll  das  Kreuz 
Petri  gestanden  haben.  Noch  zeigt  man  in  der  ünterkirche  eines 
berühmten  kleinen  Rundtempels  (von  Bramante)  im  Klosterhof 
die  Stelle  und  darf  sich  sogar  etwas  von  dem  tiefgoldigen  Sand 
mitnehmen,  der  der  Kirche  den  Namen  gab.  Die  Kirche  gehört 
zu  den  wenigen  der  römischen  Frührenaissance. 

Alle  Bauten  dieser  Art  lassen  sich  auf  einen  Papst  zurück- 
führen: Sixtus  IV.  aus  dem  Hause  der  Rovere.  Wie  vieles  auch 
sein  Neffe  Julius  II.,  sein  gi'oßer  Nachfolger,  nachher  tat,  er  war 
doch  eigentlich  so  recht  derjenige,  der  die  Kunstpflege  zu  einer 
Spezialeigentümlichkeit  der  Päpste  machte.  Er  zuerst  pflasterte 
Rom,  baute  die  Brücke  San  Sisto,  das  große  Spital  San  Spirito, 
nach  ihm  führt  die  sixtinische  Kapelle  ihren  Namen.  Außer 
dieser  baute  er  noch  viele  andere  Kirchen,  die  interessantesten 
für  uns:  S.  Maria  del  Popolo,  S.  Maria  della  Pace  usw.,  sein 
Wappen,  ein  stilisierter  deutscher  Eichbaum,  ist  eines  der  häufig- 
sten, die  man  hier  sieht.  Auffallender  freilich  sind  die  großen 
Fliegen  der  Barberini,  die  sich  allüberall  oft  in  ganz  erschrecken- 
der Größe  breit  machen  und  die  Drachen  der  Borghese,  aber  wo 
der  Roveresche  Eichbaum  steht,  da  ist  Anmut  und  Würde  zu 
finden.  Sixtus  Hauptbaumeister  war  Baccio  Pintelli,  ein  mir 
sehr  sympathischer  Meister,  obgleich  keine  Größe  ersten  Ranges. 
Er  hat  nicht  den  kühnen  Mut  eines  Brunellesco,  der  plötzlich 
mit  aller  Tradition  bricht  und  etwas  unbedingt  Neues  an  ihre 
Stelle  setzt,   sondern  oft  klingt  die  Gotik  noch    in    seine  Bauten 


—     259     — 

hinein,  im  Detail  wenigstens  (Fensterrosen  z.  B ),  während  er  im 
Ganzen  reine  maüvolle  Renaissanceformen  anwendet.  Seine  Kirchen 
sind  alle  nur  von  mittlerer  Größe,  aber  die  Skulpturen  und  Male- 
reien, die  sie  schmücken,  kommen  um  so  besser  zur  Geltung. 
In  so  enormen  Räumen,  wie  sie  später  Mode  wurden,  hätten  sich 
die  herrlichen  Grabmäler  Mino  da  Fiesoles  und  Sansovinos  mit 
ihren  reizend  zierlichen  Ornamenten  ganz  verloren,  und  die 
Malerei  wurde  ebenfalls  zu  diesem  riesengroßen  Maßstab  genötigt, 
um  sich  bemerkbar  zu  machen.  Hier  kam  man  noch  mit  Lebens- 
größe, ja  ^/^  und  2/3  Lebensgröße  vortrefflich  aus,  und  gerade  in 
diesen  Pinteilischen  Kirchen  fühlt  sich  Pinturicchio,  der  mir  in 
vielen  Dingen  mit  ihm  übereinzustimmen  scheint,  am  meisten  zu 
Hause. 

San  Pietro  in  Montorio  ist  die  kleinste  all  dieser  Kirchen 
und  mit  Ausnahme  der  Fassade  später  sehr  verändert.  Doch 
waren  die  Herren  Neuerer  hier  pietätvoll  genug,  die  „altmodi- 
schen" Fresken  Pinturicchios  —  oder  seiner  Schüler  —  nicht  zu 
überweißen.  Wahrscheinlich  wurden  sie  durch  die  Ägide  des 
Michelangeloschen  Namens  geschützt,  nach  dessen  Zeichnungen 
hier  ebenfalls  eine  Kapelle  ausgemalt  ist,  von  Sebastiano  del 
Piombo.  Es  ist  eine  Geißelung  Christi,  darüber  in  der  Halb- 
kuppel eine  Verklärung  oder  Himmelfahrt  und  über  den  Bögen 
ein  Prophet  und  eine  Sibylle  mit  Engeln.  Namentlich  in  letzteren 
ist  Michelangelos  Geist  fühlbar,  die  Geißelung  (mit  Ölfarben  an 
die  Wand  gemalt)  erinnert  mich  in  ihrem  ernsten,  grauen,  farb- 
losen Ton  am  meisten  an  das  Kolorit  der  Propheten  in  der  six- 
tinischen  Kapelle;  die  Verklärung  ist  ganz  manieriert.  Doch  was 
sollen  derartige  Beschreibungen  und  Aufzählungen?  „Man  soll 
über  Kunstwerke  eigentlich  nur  reden,  wenn  man  davor  steht", 
selbst  Photographien  sind  nur  ein  Notbehelf,  wenigstens  sobald 
die  architektonische  Umgebung  mit  in  Betracht  zu  ziehen  ist 

Nun  noch  einiges  über  die  Villa  Albani,  der  ich  ebenfalls 
gestern  meinen  Abschiedsbesuch  machte.  .  .  .  Die  Villa,  1758  von 
dem  berühmten  Kardinal  Albani  erbaut,  ist  unter  allen  Villen 
Roms  architektonisch  am  strengsten  angelegt  und  steht  englischen 
Parkanlagen  am  fernsten.     Terrassen   mit  großen  Wasserbecken, 

17* 


—     260     — 

antike  Statuen,  wohin  man  sieht:  auf  den  Balustraden,  zwischen 
den  sorgfältig  geschnittenen  und  regelmäßig  angelegten  hohen 
Buchsbaum-  und  Zypressenhecken  und  besonders  in  den  offenen 
Vorhallen  des  Hauptpalastes,  sowie  in  sämtlichen  Nebenbauten: 
Kasino,  Kaffeehaus  und  wie  sie  alle  heißen.  Überall  ein  wunder- 
voller Ausblick  auf  die  Bergkette  im  Hintergrund.  Beim  ersten 
Besuch  war  selbst  mir  etwas  zuviel  des  Guten  in  architektoni- 
scher Anordnung,  namentlich  die  Zahl  der  weißen  Marmorfiguren 
und  Hermen  auf  dem  dunklen  Grund  etwas  zu  groß.  Ich  hatte 
das  Gefühl  einer  allzu  reichlich  mit  Zucker  bestreuten  Frucht- 
torte, oder  eines  Kranzes,  der  zu  viel  Blumen  und  zu  wenig 
Laub  enthält.  Aber  diesmal  geüel  mir  alles  ausnehmend  gut. . . . 
Berühmt  ist  die  Villa  Albani  ja  durch  Winckelmann.  Seine 
Kolossalbüste,  von  König  Ludwig  gestiftet,  steht  unter  dunkeln 
Steineichen,  aber  so  kolossal,  daß  man  unter  dem  Eindruck  des 
Kolossalen  und  des  Schreckens  ganz  vergißt,  sich  die  Züge 
näher  anzusehen.  Viele  der  Schätze,  die  er  damals  unter  sich 
hatte,  sind  in  Paris  geblieben,  da  der  damalige  Besitzer  die 
Kosten  des  Rücktransports  nach  dem  Friedensschluß  scheute  und 
vorzog,  sie  zu  verkaufen.  Aber  noch  immer  befindet  sich  unter 
dem  vielen  Mittelmäßigen  und  dem  vielen  Schund  höchst  Wert- 
volles. Manche  archaische  und  auch  sehr  schöne  und  graziöse 
archaistische  Reliefs,  dann  das  schönste  griechische  Relief  Roms 
aus  Phidias  Zeit,  genannt  „die  Bestrafung  des  Lynkeus",  das 
zarte  Orpheus-Euridike-Relief  und  vieles  andere.  Von  besonderem 
Interesse  war  für  mich  zweierlei:  1.  die  Dekoration  des  Kaffee- 
hauses, eines  hübschen  mittelgroßen  Gartensalons,  voll  mannig- 
faltiger Antiken.  Hier  hat  der  Architekt  die  Pilaster  im  Sinne 
der  raffaelischen  Loggien  mit  reichem,  zierlichem  Pflanzenorna- 
ment, mit  Tieren,  eingelegten  Tier-  und  Landschaftsbildern  oder 
kleinen  Stuckreliefs  auf  farbigem  Grund  verziert,  ihnen  aber 
nicht  weißen,  sondern  hellblauen  Grund  gegeben  und  die  Wand- 
iiächen  dazwischen  etwas  dunklerblau  ins  Sanftgrün  spielend  ge- 
strichen. Vorhänge,  Tischdecken,  Stühle  von  hellblau  und  schwarz 
gemustertem  Seidendamast,  gelb  gefüttert  —  viel  Vergoldung. 
Wie  wunderschön  die  Antiken  auf   diesem  Grund  aussehen,    be- 


—     261     — 

sonders  die  recht  gelb  augeraucliten,  ist  gar  nicht  zu  sagen. 
So  warm  und  lebensvoll.  In  Neapel  ist  der  Grund  hellgrünlich. 
Das  ist  auch  sehr  schön.  Rot  —  obgleich  unter  Umständen 
herrlich  —  wird  ohne  Frage  viel  zu  viel  angewendet.  Man  be- 
kommt es  herzlich  satt.  Die  Figuren  stehen  zu  satt  und  aus- 
geschnitten darauf. 

Ferner  sind  es  die  beiden  Originalzeichnungen  Giulio  Ro- 
manos zu  den  großen  Fresken  der  Hochzeit  von  Amor  und 
Psyche  in  Mantua,  die  mich  so  entzückt  haben.  Beide  auf 
Papier,  in  sehr  kleinem  Maßstab,  so  überaus  sorgfältig  durch- 
geführt, daß  man  kaum  glaubt,  Giulio  Romano  wäre  je  so  ge- 
duldig vorgegangen.  Erst  hier  lernt  man  ihn  recht  kennen  und 
lieben.  Um  diesen  Besitz  beneide  ich  den  Fürsten  Torlonia  (den 
jetzigen  Eigentümer  der  Villa)  wirklich.  Manchen  Raffael  würde 
ich  dafür  geben.  Eine  so  liebenswürdige,  lustige  Phantasie,  so 
frei,  spielend  und  doch  so  streng  architektonisch,  so  schön  ge- 
zeichnet und  herrlich  in  der  Farbe,  naiv  wie  Schwind  und  Lud- 
wig Richter  —  und  nachher  hat  er  es  so  hingesaut,  als  ob  er 
alle  Lust  daran  verloren  hätte! 

Rom,   1.  Juni  1877. 

Liebe  Mutter! 
„Hast  Du  Capri  gesehen?  Das  felsenumgürtete  Eiland?" 
So  fragt  außer  Dir  nun  auch  Onkel  Heinrich,  und  so  neugierig 
wie  Ihr  auf  meine  dortigen  Erlebnisse  sein  könnt,  werde  ich 
nachgerade  auf  dieses  Platensche  Gedicht!  Am  ersten  Abend  in 
Neapel,  da  ich  mit  Thiersch  bei  Santa  Lucia  ans  Meer  hinunter- 
spazierte und  die  ganze  Herrlichkeit  sich  vor  unseren  —  immer- 
hin etwas  erstaunten  —  Augen  entwickelte,  fragte  er  jjlötzlich: 
„Hast  Du  Capri  gesehen?  Das  felsenumgürtete  Eiland?"  Und 
so  ging  es  wohl  jeden  Tag,  den  Gott  werden  ließ,  und  zuletzt 
noch  in  Amalfi  hätte  er  sich  gern  für  meinen  Pästum-Passus  aus 
Platens  Amalfi  revanchiert  und  fing  noch  einmal  wieder  an: 
„Hast  Du  Capri  gesehen?  Das  felsenumgürtete  Eiland?*'  kam  aber 
auch    diesmal    nicht    weiter,    sein   Gedächtjiis   hatte  alles  übrige 


—     262     — 

absolut  verschwitzt.  So  kommt's  nun,  daß  ich  diesen  Vers 
allmählich  auswendig  behalten  habe.  .  .  . 

Er  klingt  gut,  ist  aber  grundfalsch.  Bei  einem  „felsen- 
umgürteten Eiland'*"  denkt  sich  jedermann  etwas  ganz  anderes, 
als  Capri  ist.  Capri  ist  nämlich  nichts  als  ein  Felsen,  der  in 
der  Mitte  eine  kleine  Einsenkung  hat  und  dort  zu  beiden  Seiten 
ein  allmählich  abfallendes  Ufer,  so  daß  Boote  landen  können, 
sonst  fallen  die  Felsen  ringsum  senkrecht  ins  Meer  hinunter  und 
jede  Landung  ist  unmöglich. 

Um  aber  als  echter  Epiker  die  Sache  anzufassen,  muß  ich 
uns  beide  vor  Deinen  Augen  erst  in  Pompeji  aufbrechen  lassen, 
Gildemeister  seine  Tasche  umgeschnallt,  ich  mein  bekanntes 
„Bündel"  (d.  i.  alles  Nötige  ins  Plaid  geschnallt)  auf  dem 
Eückeu.  ...  Es  war  wohl  ^2^'  ^^^  '^^^  aufbrachen  und  ziemlich 
warm,  zumal  der  Weg  schattenlos  war.  Aber  er  führte  durch 
üppige  Wiesen,  die  im  Schmuck  bunter  Blumen  prangten,  längs 
des  neuen  Sarnokanals,  der  das  Land  auf  ganz  vortreffliche 
Weise  bewässert.  Nachher  gabs  eine  staubige  Chaussee  mit  Pla- 
tanen und  so  kamen  wir  ohne  große  Beschwerde  nach  ^/^  Stunden 
in  Castellamare  an.  Dies  ist  nächst  Neapel  der  Haupthafenplatz 
des  Golfs  (25  000  Einwohner),  liegt  herrlich  und  hat  reges 
malerisches  Hafenleben.  Das  sahen  wir  nur  im  Fluge,  denn 
schon  am  Bahnhof,  am  Anfang  des  Ortes,  wurden  wir  von  einer 
Fülle  von  Fuhrwerksbesitzern  umringt,  die  uns  alle  für  „molto 
poco'*  nach  Sorrent  fahren  wollten,  lauter  Eetourgelegenheiten 
Von  fünf  gingen  sie  auf  vier  und*  drei  Francs  hinunter,  schließ- 
lich bekamen  wir  sogar  für  zwei  Francs  eine  hochfeine  Equipage, 
mit  drei  strammen  Gäulen  und  einem  hübschen  fidelen  jungen 
Kerl,  der  uns  den  herrlichen  Weg  auf  der  schönen  Chaussee 
immer  längs  des  Meeresufers,  bald  ganz  unten,  bald  in  halber 
Höhe  der  Berge,  mit  einer  solchen  Lust  dahinjagte,  daß  wir  zum 
erstenmal  so  recht  in  die  Eichendorffsche  Taugenichtsstimmung 
kamen.  .  .  .  Für  wenig  Geld  fürstlich  dahinkutschieren ,  alle 
anderen  Wagen  überholen,  bisweilen  einem  Bettler  einen  Soldo 
durch  die  nachziehende  Staubwolke  zuwerfen  und  dabei  den 
Golf  im    schönsten    Nachmittagssonnenschein   neben    oder   unter 


—     263     — 

sich  haben,  den  Vesuv  behaglich  qualmend,  die  Ölbäume  silbern 
zitternd,  die  Orangen-  und  Zitronengärten  duftend,  die  Weinreben 
schon  munter  und  üppig  rankend  —  das  ist  eine  Lust!!  Unser 
Kutscher  war  molto  allegro  —  sang  und  juchzte  so  herzlich,  daß 
auch  wir  bisweilen  zu  seiner  größten  Freude  mit  einstimmten 
und  knallte  vor  Übermut  mit  der  Peitsche,  so  oft  wir  durch  einen 
Ort  kamen  oder  uns  ein  Trupp  Menschen  begegnete.  .  .  . 

Der  Weg  läßt  sich  am  ehesten  mit  dem  von  Ottensen  nach 
Nienstetten  oder  Blankenese  vergleichen,  Ortschaft  folgt  auf  Ort- 
schaft, bebaut  und  bewohnt  ist  aber  die  ganze  Strecke.  Daß  er 
hundertmal  schöner  ist,  brauche  ich  wohl  kaum  hinzuzufügen. 
Es  gibt  ein  Oswald  Achenbachsches  Bild  (Höhenformat):  vorn 
staubige  Chaussee  und  das  letzte  Stück  eines  schnell  dahin- 
jagenden  Wagens,  man  sieht  noch  einige  Damen  im  Rücksitz  und 
den  Jungen  hintenauf,  der  einigen  Weibern  zujauchzt,  die  an 
der  Brüstung  des  Weges  lehnen.  Schöngezeichnete,  durchsichtige 
Oliven,  nur  die  Wipfel  von  der  Sonne  beschienen,  durch  deren 
Stämme  und  Zweige  hindurch  erblickt  man  das  blaue  Meer  in 
der  Tiefe  und  einige  von  Abendsonnengold  bestrahlte  Felsen  und 
Häuser.  Gerade  so  hatten  wir  es.  —  Als  wir  endlich  in  Sorrent 
anlangten,  war  die  Sonne  schon  untergegangen.  .  .  .  Die  Küsten- 
bildung bei  Sorrent  ist  ganz  absonderlicher  Art.  Die  Felsen 
fallen  senkrecht  ins  Meer  hinab,  oben  sind  sie  plötzlich  glatt  ab- 
geschnitten, so  daß  die  Hauptstraßen  in  Sorrent  ganz  eben  sind, 
mit  Ausnahme  jener  steilen  Gassen,  die  zu  den  beiden  Landungs- 
plätzen am  Ufer  hinabführen.  Um  einen  Vergleich  zu  machen, 
erscheinen  die  Felsen  von  Sorrent  in  der  übrigen  Küste  wie  eine 
geschorene  Hecke  inmitten  natürlicher  Bäume,  die  bald  sanfter 
sich  runden,  bald  kühner  und  zackiger  aufragen  und  überhaupt 
auf  den  ersten  Anblick  mehr  Abwechslung  bieten.  Bei  genauerer 
Betrachtung  ist  Sorrent,  namentlich  an  diesen  zwei  steil  bergab- 
führenden Schluchten,    so  reich  und  eigenartig  wie  nur  möglich. 

Es  ist  bekanntlich  nur  klein  und  ganz  Fremdenort,  d.  h.  be- 
sonders für  Neapolitaner,  die  in  der  heißen  Jahreszeit  hier  Frische 
und  Kühlung  suchen.  Neapel  liegt  nach  Süden,  Sorrent  direkt 
gegenüber  nach  Norden.     So  steht  denn  auf  der  Küste  dem  Meer 


—     264     — 

zugewendet,  ein  Hotel  neben  dem  andern,  alle  in  großen  Buch- 
staben ihre  Namen  über  die  Fluten  hin  verkündend.  Jedes  dieser 
Hotels  ist  von  üppigen  Gärten  umgeben,  und  viele  haben  unten 
am  Strand  ihre  Badeeinrichtungen,  zu  denen  steile  Treppen  hart 
an  der  Felswand  hinunterführen.  Als  erstes  Hotel  gilt  das 
„Hotel  Tasso",  ein  hellblau  gestrichener  viereckiger  Kasten  mit 
viereckigen  Fenstern,  dessen  plumpen,  dicken  Mauern  man  an- 
merkt, daß  es  weniger  modern  ist  als  die  andern.  Aber  daß  es 
wirklich  Tassos  Geburtshaus  ist  oder  noch  Teile  davon  enthält 
—  anderes  ist  gelegentlich  ins  Meer  hinabgestürzt  —  muß  man 
wissen,  sonst  käme  man  auf  den  Gedanken  nicht,  wenigstens  ich 
prosaische  Seele  nicht.  Onkel  Erwin  hat  freilich  hier  einen 
seiner  schönsten  Gedanken  gehabt:  „Tassos  Haus  liegt  hart  auf 
steiler  kahler  Klippe,  schroff  über  dem  Meer.  Die  dunkelblauen 
Wellen  scheinen  unten  an  den  Felsen  anzuklopfen,  hoffend  wieder 
von  jener  süßen  Stimme  zur  Ruhe  gewiegt  zu  werden;  sie  heben 
ihre  weißen  Häupter,  sie  wollen  den  schlafenden  Freund  wecken, 
aber  die  Lorbeeren,  die  aus  dem  grauroten  Felsen  sprießen  und 
in  düfteschwangerer  Abendluft  ihre  saftigen  Blätter  baden,  winken 
ihnen  Ruhe  und  singen  tröstend  vom  ewigen  Kranz  und  Dichter- 
ruhm; still  seufzend  gleiten  dann  die  Wellen  wieder  hinab."  — 
Ist  das  nicht  wunderschön?  Da  sieht  man  recht,  wie  die  Phan- 
tasie die  Welt  umgestalten  und  aus  der  elendesten  Hütte  sich 
ein  Feenschloß  aufbauen  kann!  Darin  ist  nichts  Falsches,  nichts 
künstlich  Hinaufgeschraubtes,  sondern  nur  glückliche  begeisterte 
Stimmung,  die  ich  sehr  wohl  nachempfinden  kann,  aber  nur  selten 
kommt  sie  bei  mir  von  selbst,  wenigstens  bei  Tassos  Haus,  das 
wir  freilich  im  hellen  Sonnenschein  sahen,  mit  der  Staffage  eines 
im  Hintergrund  lungernden  Kellners,  kam  mir  nichts  der  Art  in 
den  Sinn.  .  .  .  Dazu  kommt,  daß  Onkel  Erwin  Tasso  als  Dichter 
kannte  und  liebte  und  ich  nicht,  ferner  stand  damals  noch  nicht 
jener  marmorne  Theater  „Marquis  Posa"  auf  dem  Hauptplatz  des 
Ortchens,  der  jetzt  jedem  vernünftigen  Menschen  den  ganzen 
Tasso  verleiden  muß. 

Doch  zurück  zu  Gildemeister  und  mir  in  die  piccola  Sirena! 
Wir  gingen,  während  das  Essen  bereitet  wurde,    in  den  Garten, 


—     265     — 

der  vou  Orangen-  und  Rosenduft  erfüllt  war,  aber  so  dicht  voll 
niedriger  Bäume  stand,  daß  die  Luft  darin  unfreundlich  dumpf 
war,  uDd  wir  bald  auf  die  kleine  Terrasse  heraustraten,  mit 
weiter  Aussicht  über  das  Meer.  Auch  hier  dieselbe  unheimlicii 
stille  Abendstimmung,  die  Sonne  schon  unten,  der  Himmel  rot- 
violett in  formlosen  häßlichen  Wolkenstreifen,  das  Meer  ohne  alle 
Wellenbewegung,  regungslos  wie  ein  ungeheurer  Sumpf,  gegen- 
über der  Vesuv,  dessen  Dampfen  überhaupt  etwas  diabolisch 
Unheimliches  hat  und  nur  dank  der  Glückseligkeit  der  Umgebung 
bisweilen  anders  erscheint  —  genug,  ich  mußte  an  die  Ströme 
der  Unterwelt  denken,  als  ob  hier  der  erbarmungslose  Fähr- 
mann mit  einem  großen  Boot  angefahren  kommen  könnte, 
um  stille,  traurige  Schattenscharen  abzuholen  und  sie  ins 
trostlose  ewige  Schweigen  hinüberzuführen.  Lange  saßen  wir 
da  und  vermehrten  das  Schweigen  der  übrigen  Natur:  kein 
Vogel  sang,  kein  Menschenlaut  scholl  herüber,  nicht  einmal 
ein  fernes  Donnern  ließ  sich  hören,  wie  man  wohl  hätte  er- 
warten können,  da  der  Himmel  so  gewitterschwer  erschien.  — 
Dann  aßen  wir  gut  zu  Nacht,  bummelten  noch  etwas  durch  die 
Straßen  der  Stadt,  fanden  vor  dem  Dom  eine  herrlich  große 
mittelalterliche  Loggia,  an  die  vou  Florenz  erinnernd,  von  der 
aus  in  alten  Zeiten  der  Rat  mit  den  Bürgern  verhandelt  und  zu 
Festen  sich  versammelt  hatte  und  stiegen  auf  schlecht  beleuch- 
teten, malerischen  Treppen  und  Stiegen  ans  Ufer  hinunter,  an  die 
marina  grande.  Da  war's  nun  sehr  schön:  oben  auf  dem  Berg 
gegenüber  ein  rotes  Feuer,  wie  wenn  ein  Schloß  brennen  würde 
(es  waren  Köhler),  unten  auf  dem  vorletzten  Treppenabsatz  saß 
unter  einer  freundlich  schläfrigen  Laterne  ein  hübscher  Kara- 
biniere auf  Posten,  mit  großen  Augen  ins  Dunkel  hinausblickend; 
das  Wasser  war  schwarz,  spülte  sanft  an  die  steinernen  Stufen, 
und  als  wir  näher  hinsahen,  spiegelten  sich  sogar  die  Sterne  in 
den  dunklen  Wellen,  viele,  viele  und  immer  mehr  —  und  endlich 
kamen  wir  dahinter,  daß  es  das  berühmte  Meerleuchten  sei  und 
daß  blausilberne  Perlen  vom  Grunde  auf  brodelten.  Besonders 
wenn  man  darin  plätschert,  sprüht  es  wie  von  silbernen  Funken. 
Wir  wären  gern  ein  Stück  hinausgerudert,  aber  keine  Seele  war 


—     266     — 

mehr  wach,  es  war  zu  spät.  Die  Boote  lagen  alle  friedlich  auf 
dem  Ufer  nebeneinander.  Schließlich  kam  ein  beleuchtetes  Boot 
in  Sicht  und  stieß  ans  Land.  Es  waren  Fischer,  ein  Vater  und 
zwei  Söhne,  schöngebaute  junge  Kerle,  die  ihre  Netze  ans  Ufer 
zogen  und  beim  Schein  einer  großen  Blendlaterne  untersuchten, 
was  ihnen  Schönes  beschert  war.  Es  war  herzlich  wenig,  meist 
frutta  di  mare,  so  nennen  sie  alles  mögliche  und  unmögliche 
Getier,  kleine  Tintentische,  Seesterne  usw.,  die  hier  gegessen 
werden.  Als  sie  wieder  abfuhren,  fragten  wir,  ob  wir  mitfahren 
dürften.  Sie  forderten  sehr  viel,  wir  boten  sehr  wenig,  und  in- 
folgedessen machten  sie  sich  schweigend  und  offenbar  verstimmt 
wieder  auf  den  Weg  und  wir  auch.  Es  war  ein  tüchtiges  Stück, 
das  wir  zu  gehen  hatten.  .  .  .  Nach  einigem  Herumirren  kamen 
wir  um  ^/..H  im  Hotel  an,  schliefen  gut  und  wachten  bei  trübem 
Wetter  wieder  auf.  Die  Sonne  kam  zwar  spät  durch,  aber  nur 
matt,  weißlich  und  kraftlos,  warm  genug  war's  trotzdem.  Den 
ganzen  Vormittag  strichen  wir  umher  und  stiegen  um  V2^^  ^^ 
die  Postbarke  nach  Capri,  die  jeden  Tag  fährt  und  Passagiere 
nach  Capri  mitnehmen  darf.  Früher  war's  per  Dampfer  noch 
billiger,  ja  man  konnte  eventuell  für  einen  Franc,  sogar  umsonst, 
von  Neapel  nach  Capri  fahren.  .  .  . 

Die  Bootsleute  waren  nette  Kerle;  unser  einziger  Reise- 
gefährte ein  Großnefie  von  Max  von  Schenkendorf,  ehemaliger 
Offizier,  jetzt  aber  im  Zivildienst  angestellt,  ein  bescheidener, 
stiller,  harmloser  Mann,  mit  rotem,  tidelem  Gesicht.  Anfangs 
mußte  gerudert  werden,  nachher  konnte  man  das  Segel  benutzen, 
aber  es  war  im  ganzen  doch  eine  langweilige  Fahrt,  besonders 
wenn  man  sie  mit  jener  herrlichen  nach  Amalfi  vergleicht,  und 
erst  nach  drei  Stunden  landeten  wir  in  Capri.  Wie  die  Insel 
näher  und  näher  kommt,  das  ist  freilich  wunderschön,  besonders 
die  Ecke,  die  sie  dem  Festland  zukehrt  —  durch  Tiberius  traurig 
berühmt  —  ist  großartig.  Von  vielen  Jungen,  Mädchen  und 
Kindern  begleitet,  die  das  Gepäck  tragen,  Blumen  und  Korallen 
anbieten,  um  einen  bajoc  bitten,  oder  nur  neugierig  sind,  in 
welchem  Hotel  man  absteigen  wird,  und  die  allesamt,  sobald  sie 
hören  bei  Pagano,  einen  mit  einigen  deutschen  Brocken  begrüßen 


—     267     — 

—  so  steigt  man  im  Zickzack  zwischen  Gärten  bergan,  ist  in 
einer  guten  Viertelstunde  oben  in  Capri  auf  dem  „Platz"  und  in 
zwei  weiteren  Minuten  im  Hotel  Pagano.  Glücklicherweise  war 
noch  Platz,  was  durchaus  nicht  immer  vorkommt.  —  So  nun 
habe  ich's  glücklich  bis  Capri  gebracht.     Der  Rest  mag  folgen 

3.  Juni  1877. 

Am  Sonntag,  den  3.  Juni,  war  in  Rom  der  bewußte  große 
Doppelfesttag:  das  Jubiläum  der  Verfassung  und  das  der  Bischofs- 
weihe des  Papstes.  Von  beiden  habe  ich  nicht  viel  gesehen. 
Das  Jubiläum  wurde  hauptsächlich  durch  eine  große  Parade  am 
Morgen  zwischen  sechs  bis  sieben  Uhr  gefeiert,  von  der  ich  leider 
erst  nachträglich  hörte.  Ich  hätte  doch  gern  einmal  ein  größeres 
militärisches  Schauspiel  hier  mit  angesehen.  Ich  habe  mich  bis 
jetzt  noch  nicht  recht  von  der  Richtigkeit  des  allgemeinen  gering- 
schätzigen Urteils  über  die  italienische  Armee  überzeugen  können: 
„diese  sei  nur  dazu  da,  um  im  ersten  Moment  Reißaus  zu  nehmen" 
und  dergl.,  im  Gegenteil  finde  ich,  daß  die  Leute,  sowohl  außer 
Dienst  wie  auch,  wenn  sie  von  Feldübungen  heimkehrend  durch  die 
Straßen  marschieren,  einen  ganz  vortrefflichen  strammen,  Eindruck 
machen.  Das  nur  100  oder  200  Mann  starke  Corps  der  königl. 
berittenen  Leibgarde,  ähnlich  den  französischen  Kürassieren  uni- 
formiert —  mit  langen  schwarzen  Roßschweifen  von  dem  an- 
nähernd antiken  Helm  herabhängend  —  besteht  sogar  aus  aus- 
gesucht schönen  und  großen  Kerlen.  Wilhelm  soll  bei  seinem 
Besuch  in  Mailand  ganz  erstaunt  darüber  gewesen  sein  und,  fast 
etwas  eifersüchtig  gefragt  haben:  wie  viel  Regimenter  gibt  es 
davon?  Worauf  ihm  die  beruhigende  Antwort  zuteil  werden 
konnte:  zwei  Kompagnien  (oder  wie  viele  es  nun  sind). 

Die  Hauptfeier  des  kirchlichen  Festes  fand  in  der  Kirche 
San  Pietro  in  Vincoli  statt,  wo  Pius  seinerzeit  zum  Bischof 
geweiht  worden  ist.  .  .  .  Ich  hatte  von  der  Hitze  und  dem  Ge- 
stank der  vielen  Wachskerzen  schon  beim  ersten  Besuch  so  völlig 
genug  bekommen,  daß  ich  auf  das  Tedeum  verzichtete.  Es  soll 
freilich  sehr  schön  gewesen  sein.  Statt  dessen  ging  ich  in  meine 
liebe  Santa  Maria  sopra  Minerva,  eine  Kirche,  von  der  ich  bisher 


—     268     — 

noch  nichts  erzählt  habe.  Auf  den  Fundamenten  eines  alten 
Minervatempels  erbaut,  ist  sie  die  einzige  gotische,  nach  deut- 
schen Begriffen  daher  die  „kirchlichste"  Kirche  Roms.  Aus  der 
Frühzeit  des  Christentums  existieren  hier  zahlreiche  und  zum 
Teil  sehr  große  Basiliken,  meist  aus  Bruchstücken  heidnischer 
Tempel  aufgebaut,  aber  nach  der  Karolingerzeit,  wo  anderwärts 
in  Deutschland,  in  Oberitalien  usw.  die  großen  romanischen  Dome 
entstanden  sind,  scheint  sich  in  Rom  nichts  gerührt  zu  liaben  — 
wenigstens  ist  nichts  davon  erhalten,  und  aus  der  Blütezeit  der 
Gotik,  wo  in  Florenz  im  Laufe  weniger  Jahre  die  drei  größten 
Kirchen  in  Angriff  genommen  wurden,  besitzt  Rom  eben  nur 
diese  eine  Dominikanerkirche.  Die  frommen  Herren  holten  sich 
ihre  baukundigen  Kollegen  aus  Florenz  zu  Baumeistern:  Fra 
Sisto  und  Fra  Ristoro,  die  dort  Santa  Maria  Novella  gebaut 
hatten  (die  Dominikaner  zeigen  sich  auch  in  ihrem  Talent  für 
bildende  Kunst  als  Vorläufer  der  Jesuiten).  Die  Kirche  sieht 
denn  auch  der  florentinischen  sehr  ähnlich,  nur  ist  sie  nocli 
etwas  gedrückter  in  den  Verhältnissen,  und  in  Deutschland  gibt 
es  viele  hundert,  die  schöner  sind.  Von  außen  ist  natürlich  nichts 
Gotisches  mehr  daran  zu  sehen.  Aber  sie  ist  sehr  wohnlich  durch 
die  vielen  schönen  Grabmäler  und  sonstigen  Kunstwerke  in  den 
Nebenkapellen  und  durch  ihr  —  fast  zu  tiefes  Dämmerlicht  — 
während  alle  anderen  Kirchen  Roms  hell  sind,  obenan  St.  Peter. 
Eins  ist  mir  besonders  aufgefallen:  daß  nämlich  all  die  schönen 
Grabmäler  aus  der  guten  Zeit  nicht  nur  von  Florentinern  ge- 
arbeitet sind  (Mino  da  Fiesole  und  Schüler),  sondern  daß  die- 
selben auch,  meistens  mit  Ausnahme  einiger  Bischöfe  und  Kardinäle, 
Florentinern,  Sienesen  und  Pisanern  gesetzt  wurden,  die,  sei  es  auf 
der  Reise  oder  bei  längerem  Aufenthalt  in  der  Fremde  hier  gestorben 
sind.  Die  Römer  scheinen  erst  später  Geschmack  au  diesem 
kunstsinnigen  pietätvollen  Luxus  gefunden  zu  haben,  nachdem  er 
durch  eine  Reihe  von  Päpsten  zum  guten  Ton  erhoben  war, 
aber  freilich  war  die  Blütezeit  der  Kunst  da  auch  bald  vorbei. 
Ein  Grabmal  dieser  Kirche  ist  besonders  hervorzuheben:  ein 
schlichter  Grabstein  von  mittelmäßiger  Arbeit  jetzt  in  die  Wand 
eingelassen:  Fra  Angelico  da  Fiesule,  der  vom  Papst  Nicolaus  V. 


—     2G9     — 

nach  Kom  berufen,  um  ihm  im  Vatikan  eine  Kapelle  auszumalen, 
hier  im  Kloster  seines  Ordens  wohnte  und  gestorben  ist. 

Der  Hauptaltar  steht  wie  in  so  vielen  gotischen  Kirchen 
Italiens  nicht  hinten  im  Chor,  sondern  allen  sichtbar,  ganz  vorn. 
Heute  war  er  besonders  schön  angeordnet:  die  plumpen  großen 
Zopfkandelaber  und  künstlichen  Blumensträuße  waren  entfernt 
und  statt  dessen  eine  große  Menge  zierlicher  schlanker  Wachs- 
kerzen sehr  geschmackvoll  und  stilvoll  aufgebaut,  welche  in  dem 
dunklen  Raum  zu  voller,  schöner,  fast  weihnachtlicher  Wirkung 
kamen,  trotzdem  der  helle  Sonnenschein  sich  von  außen  auch  in 
einige  Nebenkapellen  hineinstahl.  Etwa  vier  Schritte  vor  dem 
Altar  kniete  ein  schöner  junger  Geistlicher  in  weißer  Kutte  im 
stummen  Gebete  wohl  eine  halbe  Stunde  lang.  ...  Es  war  eine 
der  schönsten  Zeremonien,  die  ich  je  gesehen  habe:  der  Altar 
im  Schmuck  und  vollen  festlichen  Lichterglanz,  die  Kirche  von 
Andächtigen  gefüllt  und  dann  stellvertretend  ein  einziger  junger 
(reistlicher  in  schweigendem  Gebet.  Wie  schön  sind  diese 
knienden  Gestalten  in  geistlicher  Tracht,  demütig,  schlicht  und 
vornehm! 

Zu  beiden  Seiten  des  Altars  stehen  große  Marmortiguren : 
links  der  berühmte  Christus  von  Michelangelo,  rechts  ein  mo- 
demer guter  St.  Johannis  Baptista.  Ich  weiß  nicht,  ob  Ihr  diesen 
Christus  kennt?  In  Weimar  ist  er  im  Abguß,  man  kann  ihn  dort 
besser  sehen  als  hier  in  der  beständigen  Dunkelheit  Er  hat 
eigentlich  nie  viel  Eindruck  auf  mich  gemacht,  aber  als  dunkle 
Silhouette  vor  diesem  strahlenden  Hochaltar  wirkte  er  heute  von 
meinem  Standpunkt  aus,  mit  seinem  großen  Kreuz  ganz  prächtig. 
Es  war  zu  voll,  um  ohne  Anstoß  mein  Skizzenbuch  herauszu- 
ziehen, und  aus  der  Erinnerung  brachte  ich  nichts  zusammen, 
so  deutlich  und  schön  der  Gesamteindruck  mir  auch  im  Ge- 
dächtnis geblieben  ist  und  bleiben  wird:  vorn  im  milden  Dämmer- 
licht stand  bis  zu  den  Stufen  des  Altars  hinauf  die  andächtige 
Menge.  Groß  und  ernst,  tiefschwarz,  über  ihr  aufragend,  die 
Christusgestalt,  dahinter  der  Altar  mit  seinen  vielen  Kerzen, 
die  sich  in  der  graupolierten  Marmorwand  wiederspiegelten.  Der 
weiße    Mönch    schwach     vom    warmen    Kerzenlicht    beschienen. 


—     270     — 

Hinter  ihm  Dämmerung,  aber  allerlei  Gestalten,  Menschen,  Grab- 
mäler  usw.  belebten  sie,  etwas  nach  rechts  fiel  ein  lustiger 
Sonnenstrahl  in  eine  bunt  ausgemalte,  von  Gold  und  fröhlichen 
Farben  schimmernde  Kapelle,  quer  über  eine  von  Engeln  um- 
gebene, gen  Himmel  fahrende  Madonna  (von  Filippino  Lippi). 
Doch  was  nützt  die  Beschreibung  dem,  der  es  nicht  gesehen  hat! 

Diese  Kapelle  ist  übrigens  höchst  interessant,  sowohl  in 
ornamentaler  Skulptur  wie  in  Malerei.  Der  architektonische  Teil 
des  einen  großen  Wandbildes  gehört  zum  Schönsten  in  seiner 
Art;  ich  habe  ihn  auch  skizziert.  Die  Figuren  sind  eigentlich 
mehr  sachlich  als  künstlerisch  von  Interesse.  Dargestellt  ist  der 
Triumph  des  Thomas  von  Aquino,  der  von  vier  alten  frommen 
Damen  umgeben  auf  einem  großen  Thron  sitzt  und  den  „Un- 
glauben*' mit  seinen  Füßen  aufs  Jämmerlichste  vermöbelt.  Ihn 
selbst  kostet  es  gar  keine  Anstrengung,  er  ist  sogar  kreuzfidel 
dabei.  Im  Vordergrund  stehen,  gefesselt,  alle  möglichen  Ketzer, 
Arius  usw.  und  sehen  trübselig  auf  die  Bücher,  die  zu  ihren 
Füßen  liegen  und  in  denen  ihre  nach  modernen  Begriffen  sehr 
einleuchtenden  Errores  zu  lesen  sind. 

Die  Kirche  ist  mit  großer  Liebe  restauriert  worden;  wäre 
sie  heUer,  so  würde  man  sich  gewiß  oft  über  die  vielen  Bummel 
ärgern,  jetzt  stört  nichts  sonderlich,  mit  Ausnahme  der  grellen 
überlebensgroßen  Figuren  in  den  Glasfensteru  des  Chors,  die 
sehr  unecht  wirken,  wenn  sie  auch  gut  gezeichnet  sind.  Dies 
sind  die  einzigen  farbigen  Glasfenster  in  Rom,  mit  Ausnahme 
der  neuen  in  der  englischen  Kirche  und  der  ebenfalls  neuen, 
aber  nur  mit  leichten  Ornamenten  versehenen  in  der  deutschen 
Kirche  Santa  Maria  dell  'Anima,  welche  jetzt  von  einem  der 
vielen  Seitz  aus  München  (es  ist  ja  eine  ganze  Malerfamilie)  nach 
meinem  Dafürhalten  musterhaft  restauriert  wird.  Diese  spezifisch 
deutsche,  jetzt  unter  österreichischem  Protektorat  stehende, 
natürlich  katholische  Kirche  ist  nur  mittelgroß,  aber  sehr  hübsch. 
Sie  stammt  aus  dem  15.  Jahrhundert.  .  .  .  Die  Fassade  schlicht 
und  groß  soll  von  Antonio  da  Sangallo  d.  Ä.  sein.  Sie  liegt  in 
gleicher  Flucht  mit  den  Privathäusern.  Innen  sind  hohe,  schlanke, 
viereckige  Pfeiler,    die  mir  ungemein  gefallen  und  manch  inter- 


—     271     — 

essante  Grabmäler,  alles  Deutsche  oder  Holländer.  Unter  ihnen 
sogar  ein  Landsmann,  Herr  Hülsten  aus  Hamburg,  im  17,  Jahr- 
hundert hochgeehrter  Oberbibliothekarius  seiner  Heiligkeit.  Das 
Grabmal  ist  künstlerisch  wertlos,  doch  befindet  sich  eine  Wieder- 
holung (oder  das  eigentliche  Original)  des  großen  Bronzereliefs, 
welches  den  Hauptschmuck  bildet,  im  Museum  von  Neapel  und 
gefiel  mir  so  gut,  daß  ich's,  ohne  zu  ahnen,  daß  es  patriotisches 
Interesse  für  mich  hat,  noch  am  letzten  Tage  dort  eilig  skizziert 
habe.  Das  glänzendste  und  interessanteste  Grabmal  ist  das  des 
armen  Hadrian  VI.  Wie  wenig  paßte  doch  der  stille,  redliche 
pedantische  Mann  damals  auf  den  päpstlichen  Stuhl.  Gewiß,  er 
tat  gut,  bald  zu  sterben,  viel  Freude  hätte  er  nicht  daran  ge- 
habt. Charakteristisch  ist's  auch,  daß  er  hier  unter  seinen  Lands- 
leuten begraben  liegt  und  nicht  in  St.  Peter,  wo  sich  die  meisten 
anderen  Päpste  ihre  Grabmäler  selbst  schon  bei  Lebzeiten  her- 
richten ließen  oder  von  ihren  Nachfolgern  gesetzt  bekamen. 
Diesen  hat  ein  Kardinal,  der  mit  ihm  aus  Holland  gekommen 
war  und  ebenfalls  hier  begraben  liegt,  im  Peter  wieder  aus- 
gegraben und  hier  zur  Ruhe  bringen  lassen,  ihm  auch  das  präch- 
tige Grabmal  gesetzt  (von  Peruzzi  entworfen  und  von  Tribolo  und 
anderen  ausgeführt).  Recht  friedlich  liegt  der  alte  Herr  jetzt  da, 
stützt  sein  müdes  Haupt  in  die  linke  Hand,  und  die  „Tugenden" 
stehen  wie  bei  allen  anderen  Papstgräbern  langweilig  in  den 
kleinen  Nischen  ringsum.  Unten  ist  ein  großes  Relief:  wie  er  in 
Rom  ankam;  das  für  bildliche  Darstellung  wohl  einzig  geeignete 
Faktum  seines  kurzen  Pontifikats.  .  .  .  Der  nüchterne  alte  Herr 
wäre  vermutlich  sogar  über  die  Pracht  des  eignen  Grabmals  ent- 
setzt gewesen!  .  .  .  Doch  wohin  komme  ich?  Bei  Briefen  aus 
Rom  schwatze  ich  eine  lange  Seite  von  dem  Hauptgegner  der 
römischen  Kunstblüte!  —  Ich  wollte  eigentlich  nur  erzählen,  mit 
welch  inniger  Freude  ich  diese  Seitzsche  mit  echt  deutscher 
Pietät  und  Gründlichkeit  unternommene  Restauration  betrachtet 
habe!  Die  Gewölbe  mit  zierlichem,  reichfarbigem  und  vergoldetem 
Ornament  bedeckt  wirken  so  fein,  so  wenig  bunt  (obgleich  so 
lebhafte  Farben  angewendet  sind  wie  nur  möglich)  wie  die  alten 
Sachen,    die  Glasfenster  ebenfalls  einfach  und  angenehm;    über- 


—     272     — 

haupt  wird  alles  Vorhandene,    was  irgend  Berechtigung  hat,   ge- 
lassen und  ohne  allen  Parismus  vorgegangen. 

Heute  .  .  .  nahm  ich  noch  kurzen  Abschied  von  den  beiden 
nahe  gelegenen  großen  Jesuitenkirchen:  il  Gesü  und  San  Ignatio. 
Erstere  ist  älter  und  schöner,  noch  von  Vignola,  die  andere  auch 
sehr  würdevoll  und  einigen  meiner  Architektenfreunden  besonders 
lieb.  .  .  .  Beide  sind  natürlich  überaus  reich  dekoriert,  namentlich 
die  Kuppel  und  Plafondsmalerei  ganz  virtuos.  Aus  der  einen 
Decke  „Triumph  des  Namens  Jesu"  stürzt  ein  Schwärm  von 
Teufeln  und  Verdammten  von  Racheengeln  gejagt,  in  wilder 
Flucht  kopfüber  über  den  Rahmen  des  Bildes  weg,  in  die  Stein- 
architektur hinunter.  Das  ist  technisch  so  brillant  gemacht, 
auch  die  einzelnen  Figuren  und  Gruppen  von  solcher  Rubensscher 
Kraft  und  Lebendigkeit,  daß  erst  einmal  einer  kommen  soll,  um 
das  nachzumachen.  Ebenfalls  im  Gesü  befindet  sich  in  einem 
Querschiff  der  prächtigste  und  kostbarste  Altar,  den  es  wohl  gibt, 
dem  S.  Ignatius  Loyola  geweiht.  Die  edelsten  Marmorarten,  Me- 
talle und  namentlich  Lapislazuli  sind  daran  verschwendet.  Übri- 
gens ist  er  auch  künstlerisch  gar  nicht  ohne.  Zu  beiden  Seiten 
stehen  überlebensgroße  Gruppen:  1.  der  siegreiche  Glaube,  der 
die  Schlange  zertritt,  ein  ungläubiger  König,  der  sich  den  hinab- 
zerrenden Armen  des  Unglaubens  entwindet,  strebt  andachtsvoll 
zu  ihm  empor;  2.  wieder  der  siegreiche  Glaube,  die  Ketzer  zer- 
schmetternd. Die  erste  Gruppe  gehört  zu  den  klarsten  und  besten 
Allegorien,  die  ich  kenne,  und  ist  wirklich,  von  den  etwas 
barocken  Einzelformen  abgesehen,  voll  Leben  und  Schönheit.  In 
den  untergeordneten  Stuckdekorationen  mit  Kränzen  und  Putten 
leistete  jene  Zeit  das  All  ervorzüglichste  und  wird  noch  immer 
nicht  ganz  nach  Gebühr  geschätzt,  z.  B.  gibt  es  so  außerordent- 
lich weniges  der  Art  in  Photographie,  während  jede  noch  so  lang- 
weilige Antike  in  allen  Formaten  zu  haben  ist.  Glaubt  nicht 
etwa,  daß  ich  die  Antike  oder  die  Werke  des  Mittelalters  nicht 
nach  Gebühr  schätze,  ich  sage  nur,  die  Photographen  und  das 
große  von  den  Reisebüchern  geleitete  Publikum  beachtet  jene 
mit  dem  billig  abzuurteilenden  Namen  der  „Barockzeit"  behaf- 
teten, kleinen  Meisterwerke  noch  lange  nicht  genug.     Und  gerade 


—     273     — 

diese  Jesuitenkirchen  Roms  bieten  so  viel  Schönes!  Eine  Ma- 
donna z.  B.,  die  das  Kind  zu  dem  inbrünstig  betenden  Ignatius 
sich  herabneigen  läßt  (ganz  hoch  als  Wandfiäclienfüllurig  ange- 
bracht), ist  so  lieblich  und  hoheitsvoll,  daß  sie  sich  mit  dem  Be- 
rühmtesten messen  könnte;  oft  habe  ich  sie  betrachtet,  aber  so 
oft  ich  anfangen  wollte  sie  zu  zeichnen,  ging  neben  mir  eine 
Messe  vor  sich,  so  daß  ich  wieder  einpacken  mußte.  —  An  einem 
der  letzten  Tage  in  S.  Maria  Minerva  jedoch  forderte  der  Mini- 
strant, als  ich  beim  Beginn  der  Messe  in  eine  kleine  Neben- 
kapelle gehen  wollte,  mich  freundlich  auf,  den  Platz  zu  be- 
halten und  mich  nicht  stören  zu  lassen,  was  ich  denn  auch  tat. 
So  tolerant  ist  man  hier! 

Von  diesen  Jesuitenkirchen  aus  ging  ich  auf  das  mit  Flaggen 
geschmückte  Kapitol,  dessen  Sammlungen  jedoch,  wie  ich  mir 
schon  halb  gedacht  hatte,  zur  Feier  des  Tages  geschlossen  waren. 
Was  macht  Ihr  Euch  für  einen  Begriff  vom  Kapitol?  Gar  keinen? 
Oder  einen  falschen?  Ich  machte  mir,  ehe  ich  es  sah,  eigent- 
lich gar  keinen,  und  jedenfalls  darf  man  sich  keinen  zu  im- 
posanten machen.  „Hinauf  aufs  Kapitol!"  das  klingt  so  wunder- 
voll großartig,  daß  die  WirkUchkeit  enttäuscht.  Von  der  mo- 
dernen Stadt  aus  steigt  man  auf  breiten  niedrigen  Stufen  eine 
Rampentreppe  hinauf,  an  deren  unterem  Ende  zwei  rote  ägyp- 
tische Porphyrlöwen  liegen,  während  oben  Kastor  und  Pollux, 
riesengroße  antike  Figuren  neben  kleinen  Pferden  stehen.  Nun 
ist  man  auf  einem  mäßig  großen  Platz,  an  dessen  drei  anderen 
Seiten  je  ein  stattlich  großer  Palazzo  steht:  geradeaus  der  Se- 
natorenpalast mit  hochansteigender  Freitreppe  und  einem  großen 
Brunnen  davor,  von  zwei  kolossalen  antiken  Flußgöttern  ein- 
gefaßt, und  rechts  und  links  einer  genau  wie  der  andere,  der 
Konservatorenpalast  und  das  kapitolinische  Museum,  beide  nach 
Michelangelos  Entwurf  erbaut,  stellenweise  wuchtig  schön,  im 
ganzen  aber  doch  ohne  rechte  Harmonie:  das  Gesims  ist  so  schwer 
und  der  Unterbau  fehlt  so  ganz,  daß  es  aussieht,  als  hätte  die 
Steinmasse  von  oben  das  ganze  Ding  um  einige  Meter  in  die 
Erde  gedrückt.  —  In  der  Mitte  dieses  Platzes  steht  das  antike 
bronzene  Reiterstandbild  des  Marc  Aurel,  dessen  ehemalige  Ver- 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  _  18 


—     274     — 

goldung  noch  deutlich  sichtbar  ist.  .  .  .  Mit  diesem  kleinen  Platz 
und  seinen  drei  Palästen  ist  jedoch  der  kapitolinische  Hügel  noch 
nicht  erschöpft,  vielmehr  ist  dies  erst  das  mittlere  Drittel  des- 
selben. Nach  rechts  und  nach  links  ist  noch  Eaum  für  andere 
Baulichkeiten,  und  diese  beiden  Ecken  sind  außerdem  höher  als 
die  Mitte.  Rechts,  mit  weiter  Aussicht  auf  das  ganze  Tibertal, 
an  der  Stelle  des  alten  Jupitertempels,  liegen  die  Gesandtschafts- 
gebäude des  deutschen  Reiches:  der  Palazzo  Caffarelli,  wo  Keudell 
wohnt,  mit  Garten,  Stallungen  usw.,  dann  das  neue,  berlinerisch 
nüchterne,  aber  doch  ein  gewisses  Etwas  von  Schinkelscher  Vor- 
nehmheit bewahrende  Gebäude  des  archäologischen  Instituts,  mit 
offener  Loggia,  weit  über  die  Lande  schauend,  sowie  einige, 
meist  von  Archäologen  bewohnte  Privathäuser.  Links,  an  der 
Stelle  der  alten  „Burg"  von  Rom,  eine  alte  mit  antiken  Säulen 
erbaute  Basilika  (S.  Maria  Araceli)  mit  Kreuzgängen  und  Neben- 
gebäuden. —  Unmittelbar  hinter  dem  Kapitol  geht  es  steil  hinab 
aufs  alte  Forum  und  den  ganzen  Komplex  der  alten  Stadt;  die 
Ausgrabung  ist  im  Gange,  kommt  aber  infolge  der  geringen  Mittel 
nur  langsam  vom  Fleck,  genau  wie  in  Pompeji.  Ich  finde  das 
ganz  gut:  mögen  spätere  Zeiten  auch  das  Vergnügen  haben, 
etwas  zu  finden,  denn  einmal  muß  es  ja  doch  alle  sein.  Und 
gefunden  wird  immerhin  genug,  um  die  Kennerwelt  in  Spannung 
zu  erhalten.  Während  meines  Aufenthaltes  ist  allerlei  ausgegraben 
worden.  .  .  . 

Die  Gegend  zwischen  Kapitol  und  Tiber  hat  ganz  den  Cha- 
rakter einer  kleinen  Vorstadt.  Da  stehen  zwei  antike  Tempel- 
chen, ein  rundes  und  ein  eckiges,  ganz  leidlich  erhalten,  uralte 
kleine  Kirchen,  große  öde  Plätze,  enge  Straßen,  ein  einsamer 
großer  Tritonenbrunnen  steht  halbzerschlagen  auf  einem  sonnigen 
Platz  und  wirft  einige  spärliche  Wasserstrahlen  in  die  gewaltigen 
Quaderbecken,  und  im  schmalen  Schatten  auf  den  Stufen  des 
Rundtempels  schlafen  halbnackte  Bengel  oder  eine  zottige  Ziegen- 
herde mit  ihrem  ebenso  zottigen  Hirten:  so  ist  dies  vielleicht 
malerischste  Quartier  Roms.  Dort  ist  auch  eine  nette,  billige, 
kleine  Kneipe,  wo  man  unter  schattigem  Strohdach  sitzend,  auf 
die  gelbe  sonnige  Flut  des  Tiber  hinabsehen  kann,    Wein,   Brot, 


—     275     — 

Eier  und  Schinken  bekommt  und  die  seltenen  Spaziergänger 
beobachtet,  die  über  die  alte  Brücke  gehen,  oder  die  treibenden 
Netze  der  Flußiischerboote,  welche  zwischen  den  Pfeilern  der 
Brücke  ankern  und  .  .  .  nie  auch  nur  das  kleinste  Fischchen  zu- 
tage fördern.  —  Dort  also  saß  ich,  aß,  trank,  skizzierte,  und  die 
übrigen  Gäste  spielten  Boccia  oder  Karten  und  waren  so  still 
und  harmlos  vergnügt  dabei,  so  fern  von  allem  Streit  und  Zank, 
der  beim  Kartenspiel  bei  ungebildeten  Leuten  bei  uns  doch  selten 
ausbleibt,  daß  es  wirklich  eine  rechte  Freude  war.  Echt  römi- 
sche Sonntagsnachmittagsstimmung!  So  war  die  Uhr  gegen  vier 
geworden.  Ich  schlenderte  über  den  großen  sonnigen  Platz  und 
konnte  nicht  umhin,  in  die  alte  Kirche  S.  Maria  in  Cosmedin 
oder  Bocca  della  Veritä  hineinzugucken,  obgleich  ich  sie  schon 
zur  Genüge  kannte.  Es  ist  eine  jener  alten,  aus  antiken  Säulen 
und  Kapitellen  aufgebauten  Basiliken,  mit  schönem  farbigem 
Marmorboden;  besonders  interessant  dadurch,  daß  der  Altar,  die, 
beiden  Ambonen  (d.  h.  die  Pulte  rechts  und  links  vor  dem  Altar, 
von  denen  aus  hier  die  Episteln,  dort  die  Evangelien  vorgelesen 
wurden),  der  Osterleuchter  usw.  noch  aus  alter  Zeit  in  früh- 
mittelalterlichem Stil  so  vollständig  erhalten  sind  wie  in  nur 
wenig  alten  Kirchen.  —  Hier  bot  sich  mir  ein  wunderhübsches 
Bild:  es  war  Sonntagsschule  oder  Christenlehre,  oder  wie  maus 
nennen  will  in  der  Kirche.  In  Abteilungen  von  12  bis  20  saßen 
gesondert  die  Großen,  die  Kleineren  und  die  ganz  Kleinen,  an 
der  einen  Seite  die  Mädchen,  an  der  andern  die  Knaben,  in  ein- 
zelnen Karrees  von  Bänken  in  der  Kirche  verteilt,  teils  von  jungen 
Geistlichen,  teils  von  Nonnen  unterrichtet,  alle  ganz  still  und 
heimlich  in  dem  schönen  kühlen  Raum,  und  ein  freundlicher, 
dicklicher,  alter  Pfaff  ging  von  einer  Abteilung  zur  anderen,  um 
Ordnung  zu  halten.  Sehr  aufmerksam  waren  die  Gören  nicht, 
im  Gegenteil,  sie  schwatzten  und  kicherten  fortwährend  zusammen 
und  die  kleinen  Mädchen  schwangen  ihre  Fächer  mit  dem  größten 
Eifer.  Aber  hübsch  war  es!  Besonders  die  Schar,  die  sich  vor 
dem  Altar  zwischen  den  alten,  graugelben  Marmorambonen  und 
auf  den  Stufen  desselben  niedergelassen  hatte,  lauter  fidele 
hübsche,  kleine  Mädel  mit  blitzenden  Augen,  in  bunten  Sonntags- 

18* 


—     276     — 

kleidern  und  in  ihrer  Mitte  die  schlichte,  schwarze,  junge  Nonne 
mit  ihrer  großen,  schneeweißen,  abstehenden  Haube.  —  In  Süd- 
deutschland geschieht  es  auch,  wie  mein  Schwabe  mir  sagte,  daß 
die  Sonntagsschulen  in  der  Kirche  stattfinden,  vielleicht  auch  bei 
uns  auf  dem  Lande,  aber  warum  nicht  in  der  Stadt?!  Bei  uns, 
wo  die  Kirchen  leider  nur  zum  Predigthören  da  sind  und  dann 
gleich  wieder  geschlossen  werden,  entfremdet  sich  die  Mehrzahl 
der  Bevölkerung  ganz  selbstverständlicherweise  der  Kirche  immer 
mehr.  Stünden  sie  immer  offen,  so  würde  mancher  hineingehen 
und  sich  an  der  Feierlichkeit  der  Räume,  dem  frommen  Sinn 
der  Väter,  die  ihn  schmückten,  erbauen  und  mehr  Teilnahme  für 
Religion  in  sich  aufnehmen;  besonders  sollte  man  die  Kinder 
schon  früh  mit  dem  Gotteshaus  vertraut  machen,  so  daß  sie  sich 
darin  zu  Hause  fühlen  und  es  nicht  bei  der  Konfirmation  zum 
ersten  Mal  zu  sehen  bekommen.  „Die  Protestanten  haben  ihren 
Gott  eben  nur  für  Sonntag  und  müssen  jedesmal  einen  kleinen 
Anlauf  nehmen,  wenn  sie  zu  ihm  wollen;  die  Katholiken  aber 
haben  ihn  stets  zur  Hand,  er  ist  ihnen  ein  vertrauter  Freund, 
dem  sie  auch  jedes  kleine  Anliegen  ungeniert  anvertrauen  können'-, 
hat  ein  katholischer  Freund  zum  alten  Perthes  gesagt,  der  mehr- 
fach darauf  zurückkommt.  Seine  Caroline  freilich  ist  gar  nicht 
damit  einverstanden  und  ordentlich  erregt  darüber,  daß  ihr  Perthes 
es  „nicht  ohne"  gefunden  hat. 

Diese  alte  Kirche  hat  ihren  Beinamen  Bocca  della  Veritä, 
Wahrheitsmund,  von  einer  großen  Fratze,  die  in  der  Wand  der 
Vorhalle  eingemauert  ist  .  .  .  und  von  der  man  früher  glaubte, 
daß,  wenn  ein  Meineidiger  seine  Hand  in  diesen  Mund  steckte, 
er  sie  nicht  wieder  hinausziehen  könne! 

Von  dort  ging  ich  nach  dem  Aventin.  Dieser  Hügel,  ehe- 
mals vom  „Volk*'  bewohnt,  hat  eigentlich  die  schönste  Lage  unter 
allen  sieben  Hügeln  Roms,  aber  schon  im  Mittelalter  war  er 
ebenso  verlassen  wie  heute.  Die  Luft  soll  schlecht  sein  —  durch 
die  Nähe  des  Tiber  vielleicht?  Aber  gerade  daß  man  von  ihm 
aus  auf  den  Fluß  hinabschaut  und  seinen  Schlangenlauf  weithin 
verfolgen  kann,  ist  so  schÖD.  Es  stehen  vier  oder  fünf  große 
Kirchen    auf    dem    Hügel,    neben    den    meisten    Klosteranlagen, 


—     277     — 

sonst  nichts  als  Gestrüpp,  Gärten  und  Gemüsebeete.  Ich  habe 
nur  die  eine  Kirche  gesehen,  Santa  Sabina,  und  bin  in  die 
übrigen  nicht  mehr  gekommen.  Überhaupt  war  dies  in  der 
ganzen  langen  Zeit  mein  erster  und  mein  einziger  Besuch  auf 
dem  Aventin.  Santa  Sabina  ist,  seit  der  alte  San  Paul  ab- 
gebrannt ist,  die  größte  unter  allen  römischen  Basiliken.  Die 
gewaltigen  24  Säulen  mit  gut  erhaltenen  korinthischen  Kapitellen 
stammen  alle  aus  einem  Tempel,  während  man  sich  sonst  oft  zu- 
sammensuchte, was  man  gerade  fand,  so  daß  manchmal  eine 
Säule  doppelt  so  dick  ist  wie  die  daneben  stehende  und  ionische 
und  korinthische  Kapitelle  wechseln.  Ist  dies  oft  sehr  lustig  und 
malerisch,  so  wirkt  dies  Gleichmaß  natürlich  feierlicher  und 
großartiger.  Sonst  ist  die  Kirche  ziemlich  kahl,  bemerkenswert 
darin  ist  nur  ein  kleines  Altarbild  von  Sassoferrato,  welches  man 
für  ein  gutes  modernes  Bild  (etwa  vom  Düsseldorfer  Heiligen- 
Müller  oder  von  einem  Belgier  oder  Franzosen)  hält,  ehe  man 
weiß,  daß  es  200  Jahre  alt  ist. 

Das  Schönste  an  Santa  Sabina  ist  der  Garten,  mit  der  Aus- 
sicht auf  Rom,  den  Tiber,  der  hier  ein  paar  Dutzend  Segelschiff- 
chen trägt  und  die  weite  Ebene,  in  ihrer  großartigen  unfrucht- 
baren Öde.  Schön  und  lieblich,  aber  recht  wehmütig  ist's  hier 
oben.  Nie  habe  ich  so  deutlich  die  Empfindung  von  Roms  ver- 
sunkener Herrlichkeit  gehabt  wie  hier.  Die  antike  Welt  hat 
wunderbarerweise  keine  Spuren  auf  dem  Aventin  zurückgelassen 
—  und  doch  war  er  der  lebhafteste,  dicht  bevölkertste  Stadtteil, 
reich  an  Tempeln  und  Heiligtümern ;  das  Mittelalter,  welches  hier 
zwar  kein  wirkliches  Leben  geschaffen  hat,  aber  doch  große 
Kirchen  und  bedeutende  Klöster,  ist  auch  dahin,  die  Kirchen  sind 
kahl,  die  Klöster  leer,  die  Gärten  verkommen,  die  Lauben  und 
Latten  für  den  Wein  werden  morsch,  brechen  und  niemand  er- 
setzt sie  durch  neue.  Unkraut  wuchert  überall,  nur  einzelne 
Rosen  und  silberweiße,  schlanke  Lilien  ragen  noch  daraus  hervor. 
Unten  die  Stadt  lag  tot  und  schweigend  da,  auf  dem  Fluß,  in 
den  Straßen  keine  Seele,  nur  in  der  Ferne  ragte  St.  Peter  groß 
und  stolz  in  die  Höhe.  .  .  . 

Der  Abend   war  feierlich    schön    wie   so   viele  hier  in  Rom. 


—     278     — 

Großartige  dunkle  Wolken  bildeten  sich  bei  Sonnenuntergang, 
dann  lag  die  Stadt  grau  und  kalt  wie  eine  Leiche  da,  und  über 
ihr  glänzte  der  Himmel  in  den  prächtigsten  Purpurfarben,  — 
Beim  Hinuntergehen  fragte  ich  zwei  Franziskaner,  die  den  gleichen 
Weg  gingen,  nach  dem  Namen  einer  kleinen  Kirche  am  Wege. 
Sie  gaben  mir  Auskunft,  und  der  eine,  ein  alter  Mann  mit  fein- 
geschnittenem, nordisch-blassem  Kopf  und  hellen,  großen,  blauen 
Augen  fragte  mich:  „Sie  sind  wohl  ein  Deutscher?  Da  ssind  wir, 
wenn  auch  nicht  Landsleute,  sso  doch  Nachbarn:  ich  bin  von 
Kjöbenhavn."  Es  war  ein  netter,  feiner,  alter  Mann,  aber  etwas 
ungemein  Wehmütiges  lag  über  ihm,  obgleich  er  für  sein  Alter 
frisch  und  gesund  aussah  und  nicht  klagte.  Aber  er  war  so 
apathisch,  resigniert,  ohne  Spur  von  Begeisterung,  als  ich  die  Rede 
auf  den  heutigen  Festtag  brachte  und  fragte,  ob  er  in  S.  Pietro 
in  Vincoli  gewesen  sei:  „Nein,  da  ist  es  sso  voll  und  sso  heiß 
und  sso  vielen  Swindel,  der  nichs  für  mich  alten  Mann  ist."  — 
Am  Forum  trennten  wir  uns,  ich  ging  zur  Stadt  ins  Leben,  er 
mit  seinem  Genossen  auf  den  Palatin,  „da  ist  mein  Kloster 
S.  Bonaventura,  Ssie  werden  die  sswei  ssjönen  Palmen  gewiß 
schon  gessehen  haben,  die  oben  bei  uns  wachsen."  —  Freilich 
hatte  ich  die  zwei  Palmen  schon  oft  gesehen,  meist  wenn  der 
Abendhimmel  goldig  grün  hinter  ihnen  flimmerte  und  sie  ihre 
Kronen  sanft  bewegten  und  neigten.  Dies  stille  kleine  Kloster 
da  oben,  der  einzig  bewohnte  Platz  zwischen  den  großartigen 
Trümmern  der  Kaiserpaläste  war  mir  immer  als  ein  besonderer 
Ort  des  Friedens  und  Ausruhens  erschienen. 

Am  nächsten  Abend  hörte  ich  Näheres  über  den  alten  Mönch. 
Er  war  Maler  gewesen  und  Protestant,  aus  Überzeugung  über- 
getreten und  Franziskaner  geworden.  Pater  konnte  er  nicht 
werden,  dazu  fehlte  ihm  die  gelehrte  Vorbildung,  aber  als  Frate 
gewann  er  bald  eine  sehr  angenehme  Stellung,  da  er  dem  Kloster 
durch  seine  Heiligenbilder  Geld  einbrachte,  die  er  weder  gut 
noch  schlecht,  aber  mit  Liebe  und  Freude  malte.  Man  gab  ihm 
Dispens  von  allen  harten  Obliegenheiten,  entband  ihn,  als  er 
älter  und  seine  Gesundheit  schwankend  wurde,  vom  frühen  Auf- 
stehen   und    baute    ihm    schließlich    ein    schönes    großes    Atelier. 


—     279     — 

Dort  bat  der  Maler  Ludwig,  der  mir  dies  erzählte,  ihn  mehrfach 
besucht  und  jedesmal  den  Eindruck  eines  friedlichen,  glücklichen 
Greisenalters  mit  beimgenommen.  Aber  nun  kam  das  Jahr  70 
und  das  rigoristische  Vorgehen  gegen  den  Klerus.  Die  Zahl  der 
Mönche  dieses  Klosters  wurde  zwar  nur  unwesentlich  beschränkt, 
aber  ihnen  wurden  alle  besseren  Räume  genommen  und  Douaniers 
ins  Kloster  gelegt,  das  verrufenste  Corps  aller  italienischen  Be- 
amten, die  da  oben  mit  ihren  gemeinen  Weibern  eine  Sauwirt- 
schaft trieben.  Auch  das  Atelier  ist  mit  Beschlag  belegt,  steht 
zwar  ganz  leer  und  unbenutzt  da,  aber  der  alte  Mann  darf  nicht 
hinein  und  malt  nun  oben  auf  dem  Boden,  in  einem  kleinen  un- 
freundlichen Winkel  weiter.  .  .  .  Daß  die  Leute  doch  nicht  so  ganz 
Unrecht  haben,  wenn  sie  von  einer  „Verfolgung  der  Kirche" 
reden,  zeigt  dieser  Fall.  Es  ist  immer  das  alte  Lied:  die  Großen, 
gegen  die  derartige  Gesetze  gerichtet  sind,  trifft  es  nicht,  sondern 
die  Kleinen,  die  nichts  verschuldet  haben  und  denen  man  — 
wenigstens  die  wirklich  Gebildeten  —  nichts  zu  Leide  tun  wollte! 
Es  ist  verwunderlich,  wie  viel  Leute  ich  hier  kennen  gelernt 
habe,  die,  obgleich  völlig  frei  über  religiöse  Dinge  denkend,  doch 
den  Klerus  sehr  in  Schutz  nehmen  und  aufs  äußerste  empört 
sind  über  die  moderne  Regiererei  hier  zu  Lande,  welche,  wenn 
auch  gewiß  von  besseren  Grundprinzipien  ausgehend,  doch  in  der 
Ausführung  so  viele  Bummel  und  Taktlosigkeiten  begeht,  und  in 
der  Regel  durch  ihre  kleinlichen,  dummen,  frivolen  und  ehrlosen 
Beamten  einen  Zustand  herbeiführt,  dem  der  frühere  mit  all 
seinen  Fehlern  in  mancher  Hinsicht  vorzuziehen  gewesen  sein 
soll 

Rom,  4.  Juni  1877. 
Lieber  Onkel  Heinrich! 
.  .  .  Die  kirchlichen  Hauptfestlichkeiten  konzentrierten  sich 
am  Fronleichnamstag  in  S.  Pietro  in  Vincoli.  ...  Es  ist  eine 
mittelgroße  Basilika  mit  20  antiken,  ausnahmsweise  dorischen 
Säulen,  sonst  aber  ein  so  fader,  armseliger  Zopf  bau,  wie  kaum 
ein  anderer  in  ganz  Rom,    was  viel  heißen   will.     Ln   Querschiff 


—     280     — 

aber  steht  das  Grab  Julius  IL  mit  dem  Moses,  der  grimmig  auf- 
zufahren scheint,  als  wollte  er  aufspringen  und  wie  ein  Simson 
den  jämmerlichen  Bau  zusammenreißen,  der  ihn  einengt.  —  Die 
Kirche  war  schon  seit  14  Tagen  in  modern  katholischer  Weise 
geschmückt,  d.  h.  durch  rote  Gardinen,  goldene  Flitter,  in  den 
Kannelierungen  der  Säulen  (was  nicht  schlecht  aussah),  und  zahl- 
lose ordinäre  Glaskronleuchter  in  eine  prächtige  Festhalle  oder 
in  einen  Tanzsaal  verwandelt  worden,  nur  die  Ecke  des  Moses 
hatte  man  doch  nicht  anzutasten  gewagt.  Pfaffen,  Pilger,  neu- 
gierige Römer  und  Bettler  drängten  sich.  Es  wurde  gepredigt, 
kokettiert,  geschwatzt,  gelacht,  vor  allem  aber  geschwitzt,  denn 
die  Luft  war  fürchterlich:  alle  Fenster  verhängt,  statt  dessen 
wohl  tausend  Wachskerzen  und  ein  fortwährender,  dicht  ge- 
drängter Menschenstrom,  das  genügt!  Am  eigentlichen  Festtag 
habe  icli  deshalb  gar  nicht  versucht  hinzugehen,  obgleich  die 
Musik  sehr  schön  gewesen  sein  soll.  Jetzt  verläuft  sich  die 
Pilgerschar  allmählich! 

Am  1.  Juni  machte  ich  meinen  Abschiedsbesuch  in  der 
E'arnesina.  Herr  Chigi  aus  Siena  hat  sie  sich  bauen  lassen. 
Herr  Chigi  war,  was  heutzutage  die  Torlonias  sind,  Bankier  der 
Päpste.  Vermittelst  dieser  Stellung  erreichte  er  auch,  was  meines 
Wissens  kein  anderer  Privatmann  erreicht  hat,  daß  Raffael  ihm 
in  zwei  verschiedenen  Kirchen  seine  Kapellen  ausschmückte  und 
sich  obendrein  zur  Ausmalung  dieses  Sommerhauses  verstand. 
Einem  so  einflußreichen  Mann  konnten  selbst  Julius  IL  und 
Leo  X.  es  nicht  abschlagen,  so  eifersüchtig  sie  auch  sonst  auf 
die  Werke  ihres  Lieblings  waren. 

Das  Haus  liegt  in  Trastevere,  sein  mittelgroßer  Garten  stößt 
an  den  Tiber.  Es  liegt  noch  in  der  Stadt,  aber  doch  außerhalb 
des  Verkehrs,  früher  wohl  noch  einsamer  als  jetzt.  .  .  . 

Die  Architektur  ist  von  Baldassare  Peruzzi,  einfach  und  an- 
spruchslos, meist  Backsteinbau,  aber  von  sehr  anmutigen  Verhält- 
nissen. Peruzzi  ist  nächst  Bramante  der  Hauptbaumeister  in  der 
Hochrenaissance  Roms.  Kirchen  von  ihm  kenne  ich  nicht. 
Überhaupt  wurden  ihm  selten  Aufgaben  zuteil,  bei  denen  er  so 
recht    aus    dem  Vollen    arbeiten    und    sich    gehen   lassen   durfte. 


1 


—     281     — 

Sogar  hier  scheint  das  Material  zu  zeigen,  daß  er  sparen  mußte, 
und  in  seinem  Hauptbau,  dem  Palazzo  Massimi,  hatte  er  mit 
anderen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  nämlich  mit  dem  Platz  in 
einer  engen  krummen  Straße.  Aber  gerade  da  bewährte  sich 
sein  Talent  glänzend,  er  baute  im  Untergeschoß  eine  gebogene 
Säulenhalle,  die  in  meinen  Augen  so  schön  ist  wie  nur  irgend 
etwas  von  Bramante.  Am  liebsten  ist  mir  ferner  noch  ein  dritter 
kleiner,  schlecht  gelegener  und  jetzt  ganz  verbauter  Palast 
(Linotta):  unten  Rustika,  die  ich  so  gern  habe,  oben  Back-  und 
Sandstein.  .  .  .  Peruzzi  war  zwei  Jahre  älter  als  Ratfael  und 
stammte  aus  Siena  —  daher  vielleicht  Chigis  Bestellung.  —  Er 
war  auch  Maler.  Sonderlich  gute  Bilder  kenne  ich  von  ihm  nicht, 
aber  manche  hübsche  dekorative  Sachen,  so  die  Decke  des 
zweiten  Zimmers  der  Farnesina  und  im  ersten  Stock  eine  Serie 
richtiger  „Architekturbilder",  wohl  das  früheste  Beispiel  dieses 
Genres,  aber  die  bekommt  man  nicht  zu  sehen.  Der  jetzige 
Besitzer  der  Famesina  zeichnet  sich  nämlich  nicht  gerade  durch 
Liebenswürdigkeit  aus.  Daß  er  sein  Haus  nur  zweimal  monatlich 
zeigt,  will  ich  ihm  nicht  verdenken,  auch,  daß  er  den  ersten 
Stock  nicht  sehen  läßt,  noch  entschuldigen,  aber  daß  er  in  den 
zwei  zum  Empfang  der  Fremden  geöfiheten  Zimmern  alle  Stühle 
und  Sofas  mit  den  Sitzen  gegen  die  Wand  umdreht,  so  daß  man 
sich  auf  die  Fensterbank  setzen  muß,  wenn  man  alles  in  Behag- 
lichkeit betrachten  will,  das  ist  knotig.  Ganz  anders  Torlonia, 
der  seine  Villa  Albani  für  jeden  Dienstag  Nachmittag  extra  zu- 
rechtmachen, Polster  auf  die  eiserneu  Gartenstühle  legen  und  die 
Überzüge  von  den  Damastsesseln  entfernen  läßt.  Da  kommt  man 
von  vornherein  in  eine  freudig  festliche  Stimmung.  —  In  der 
Farnesina  müßte  nun  erst  recht  alles  geschehen,  um  einen  in  diese 
zu  versetzen!  .  .  .  Denn  wie  vieles  fehlt,  damit  Raffaels  Werk  hier 
wirke  wie  es  sollte!  Von  den  jetzt  durch  Fenster  geschlossenen, 
früher  offenen  Bögen  will  ich  ganz  schweigen,  obgleich  es  sehr 
wesentlich  ist.  Aber  daß  die  lustige  Götterwelt  nicht  mehr  auf 
die  glänzenden  Feste  der  ersten  Gesellschaft  des  damaligen  Rom 
herabsieht,  auf  die  strotzenden,  prächtigen  Gewänder  üppig 
schöner  Weiber,  auf  geistvolle  Prälaten  in  farbigen  Talaren,   auf 


—     282     — 

ritterlich  elegante,  zierliche  Kavaliere  und  Künstler,  auf  strahlende 
Tafeln,  überladen  von  Goldgeschirr,  Blumen,  Früchten  und  bunten 
Schauijerichten,  sondern,  daß  sie  jetzt  eine  philiströse,  praktisch 
reisemäßig  gekleidete  Gesellschaft  unter  sich  sehen  müssen,  die 
müde  und  halb  verdrießlich  am  Boden  hockt,  ihren  Baedeker 
oder  Murray  vor  der  Nase  hat  und  darin  Aufschluß  über  die 
Bedeutung  jeder  einzelneu  Szene  sucht,  und  wie  verrückt  hinauf- 
opernguckert  —  das  ist  traurig.  —  Operngläser  sind  hier  schon 
gar  nicht  am  Platz;  denn  bekanntlich  ist  nur  die  Komposition 
von  Raffael,  und  Giulio  Romanos  Ausführung,  wenn  auch  besser 
als  viele  seiner  eignen  Sachen  in  Mantua,  doch  so,  daß  man 
schon  ohne  Opernglas  Mängel  genug  bemerkt.  Wer  darauf  aus- 
geht, Unschönheiten  der  Zeichnung  im  einzelnen  zu  finden,  der 
hat  hier  reichlich  Gelegenheit  —  hat  man  sie  doch  auch  in 
Raffaels  eignen  Sachen! 

So  viele  glauben,  Raffaels  Größe  bestände  in  seiner  „Richtig- 
keit", „P'elilerlosigkeit"  usw.  und  seine  Größe  liegt  doch  ganz  wo 
anders!  Für  mich  liegt  sie  auch  hier  wie  überall  besonders  in 
der  genialen  Gesamtertindung,  in  dem  richtigen  Gefühl  für  das, 
was  in  diese  Räume  paßt  und  die  Stimmung,  die  darin  herrschen 
soll,  erhöht  und  belebt.  Fürs  Leben  hat  er  sie  geschaffen,  für 
fröhliche,  kluge,  glückliche,  reiche,  sorglose,  schöne,  verliebte, 
naive  Menschen.  Die  sollten  sie  erfreuen  und  beglücken!  Für 
Galeiiekenner,  Kunstzergliederer,  Operngläser  malte  er  sie  wahr- 
haftig nicht. 

Im  einzelnen  kennt  Ihr  sie  ja.  Wie  manches  so  vollendet 
schön,  anderes  nur  bedingt  zu  bewundern  ist,  besonders  die  beiden 
Deckenbilder,  die  wie  Teppiche  zwischen  der  Blumenarchitektur 
ausgespannt  sind,  das  brauche  ich  nicht  zu  erörtern:  aber  der 
Gesamteindruck  dieses  luftigen  Blätterbaus,  nicht  zu  zierlich, 
nicht  zu  plumj),  durch  dessen  Öffnungen  der  blaue  (roh  über- 
malte) Himmel  hereinscheint,  auf  dessen  Grund  all  jene  seligen 
Göttergestalten  schweben  und  handeln,  das  ist  ewig  schön  und 
nachah  m  ungswert. 

Die  Wände  sind  mit  imitierten  Teppichen  bespannt,  hell- 
graubraun,    schlicht    gemustert,     mit    gobelinartig- verschossener, 


—     283     — 

breiter  Fruchtkranzborde  und  bunten  Wappen  in  der  Mitte.  Mir 
gefällt  das  sehr  gut,  und  ich  kann  mir  sehr  wohl  denken,  daß 
es  ursprünglich  ebenso  oder  ähnlich  war.  Zwischen  dem  buuten 
Treiben  der  Gesellschaft  unten  und  dem  bunten  Göttcrgowimmel 
oben  verlangt  das  Auge  eine  ruhige,  nur  ganz  anspruchslos  ge- 
schmückte Fläche,    auf  der  es   ausruhen  und  sich  erholen  kann. 

Wie  Raflael  sich  das  zweite  Zimmer  gedacht  hat,  ist  un- 
bekannt. Nichts  würde  mich  mehr  interessieren  als  authentische 
Auskunft  darüber  oder  Skizzen.  Die  von  ihm  selbst  gemalte 
Galathea  ist  auf  der  Hauptwand,  aber  nicht  auf  deren  mittelster 
Fläche.  Was  mag  er  in  die  Mitte  haben  malen  wollen?!  Jetzt 
sind  ringsum  graugrün  verblichene  Landschaften,  die  zwar  ruhig 
wirken,  aber  doch  unangenehm  schlecht  sind,  freilich  annehm- 
barer als  Sebastiano  del  Piombos  „Polyphem"  im  Feld  links  von 
der  Galathea,  ein  unflätiger  überlebensgroßer  Kerl,  der  sie  ver- 
liebt ansehen  soll.  Von  Piombo  sind  auch  die  Lünetten,  von 
Peruzzi  dagegen  die  Zwickel  und  die  Decke  selbst.  Manche  be- 
wundern diese;  mir  gefällt  sie  im  einzelnen  zwar  teilweise  recht 
gut,  aber  im  ganzen  kann  ich  keine  rechte  Harmonie  darin 
finden.  Besonders  stört  es  mich,  daß  all  diese  vielen  Felder  von 
Figuren  ausgefüllt  werden,  und  diese  obendrein  alle  von  etwa 
gleicher  Größe  sind.  Abwechslung  von  Bild  und  Ornament  und 
Abstufung  der  Größen  scheinen  mir  zu  einem  harmonischen  Ein- 
druck der  Art  sehr  wesentlich.  ... 

7.  .Juni.  Zur  Abwechslung  folge  jetzt  mal  wieder  etwas 
Landschaft  zwischen  all  den  mythologischen  und  kirchlichen 
Bildern!  Am  5.  und  6.  machte  ich  den  Ausflug  ins  Albaner- 
gebirge, den  ich  mir  im  April  geschenkt  und  auf  später  ver- 
schoben hatte.  Rechte  Lust  dazu  hatte  ich  gar  nicht  mehr,  ich 
habe  der  Ausflüge  nachgerade  genug  gemacht,  aber  ^4  Jahr  in 
Rom  und  nicht  am  Nemisee  gewesen  sein,  das  ging  doch  wohl 
nicht  an.  .  .  .  So  folgte  ich  der  Aufforderung  zweier  Bekannten 
und  fuhr  am  Dienstag  früh  mit  ihnen  nach  Albano.  Der  ganze 
Zug  steckte  voller  Pfafi"en  und  Pilger,  die  nach  Neapel  weiter 
dampften.  Wir  gingen  nicht  den  gewöhnlichen  Weg  nach  Albano, 
sondern    direkt   nach  Ariccia,    einem  herrlich   gelegenen  kleineu 


—     284     — 

Nest,  welches  von  Albanos  letzten  Häusern  durch  eine  tiefe  Kluft 
getrennt,  aber  seit  einigen  Jahrzehnten  durch  einen  kolossalen 
und  sehr  schönen  Viadukt  überbrückt  ist.  Viadukte  tragen,  glaubeich, 
immer  zur  Verschönerung  der  Gegend  bei.  Hier  wurde  der  Park 
Chigi  besehen,  der  wie  die  üppigsten  Waldpartien  Mitteldeutsch- 
lands, eine  schattenkühle  Wildnis  ist  und  in  dessen  tiefster  Schlucht 
einige  kühlende  Quellen  behaglich  murmeln.  Von  hier  nach 
Genzano,  berühmt  durch  sein  oft  beschriebenes  Rosenfest,  welches, 
wenn  es  überhaupt  noch  gefeiert  würde,  in  diesen  Tagen  statt- 
finden müßte,  aber  seit  der  neuen  Regierung  hat  alle  kirchliche 
Poesie  aufgehört  und  der  größte  Teil  volkstümlicher  schöner 
Sitten  ist  hier  kirchlich.  Der  Magistrat  hat  die  Sache  zwar  ein- 
mal in  die  Hand  nehmen  wollen,  aber  es  ist  ihm  nicht  ge- 
glückt. .  .  . 

In  Genzano  aßen  wir  sehr  gut  und  billig  in  einer  bäurisch- 
geschmackvoll ausgemalten  Kneipe  zu  Mittag  und  blieben,  da 
draußen  eine  fürchterliche  Hitze  herrschte,  bis  ^/gS  schwatzend 
sitzen;  dann  in  den  Park  Cesarini,  der  an  den  Nemisee  stößt. 
Der  Park  ist  schön,  aber  wir  haben  an  der  Elbe  schönere.  Hier 
nickten  wir  allesamt  infolge  der  allzugroßen  Schwüle  ein  .  .  .  und 
erwachten  erst  gegen  ^1^4.  Nun  an  den  See  hinunter,  und  lang- 
sam, schwitzend  nach  Nemi  hinauf.  Die  schönste  Aussicht  dort 
hat  man  vorm  Wirtshaus,  und  so  haben  wir  dessen  Terrasse 
auch  den  ganzen  Tag  nicht  verlassen. 

Zu  beschreiben  brauche  ich  die  Aussicht  nicht,  denn  Hir 
kennt  sie  ohne  Frage  aus  Bildern:  den  kleinen,  blaugrüneu 
glatten  Kratersee,  mit  seinen  bewaldeten  hohen  ufern,  gegenüber 
Genzano,  dahinter  die  Ebene  und  dann  das  Meer.  Die  beiden 
so  verschiedenen  Wasserspiegel  des  Sees  und  des  Meeres  bilden 
den  Hauptreiz.  Natürlich  skizzierte  ich  es  von  der  luftigen  Ter- 
rasse unseres  Wirtshauses  aus.  .  .  .  Die  dicke  alte  Wirtin  han- 
tierte in  aller  Gemütsruhe  in  der  Küche,  schwatzte  zwischendurch 
mit  der  Nachbarin,  die  zum  Besuch  gekommen  war,  spann  und 
das  Italienische  beneidenswert  rund  und  melodisch  sprach;  aus 
einem  Oberfenster  des  Nachbarhauses  sah  ein  hübsches  Mädchen 
herunter;    die    Weinranken    waren    glücklicherweise    noch    nicht 


—     285     — 

dicht  genug,  um  sie  zu  verbergen.  So  dämmerte  der  Abend,  die 
Sonne  war  unbemerkt  verschwunden,  hatte  sich  eigentlich  schon 
am  Nachmittag  hinter  schwülen  Wolken  versteckt  gehalten  und 
nicht  mehr  recht  geleuchtet.  Dann  gingen  wir  noch  etwas  durchs 
Städtchen.  .  .  .  Rings  um  den  Platz  saßen  die  Männer  friedlich 
rauchend  und  schwatzend  auf  steinernen  Bänken  und  kümmerten 
sich  nicht  im  mindesten  um  die  schöne  Aussicht.  Ein  Maultier, 
das  schon  auf  drei  Schritt  Entfernung  nach  Walderdbeeren 
duftete,  wurde  zurecht  gemacht,  um  mit  seiner  Ladung  nach 
Rom  aufzubrechen.  .  .  . 

Unsere  Absicht  war  ursprünglich  gewesen,  die  Sonne  auf 
dem  Monte  Cavo  aufgehen  zu  sehen.  Dann  hätten  wir  um  ^2^ 
aufstehen  müssen.  Daraus  wurde  natürlich  nichts.  Aber  um  ^j^5 
saßen  wir  doch  fix  und  fertig  auf  der  Terrasse  beim  Kaftee  und 
sahen  zuerst  das  Meer  und  die  ferne  Ebene  rosig  vom  jungen 
Tag  beschienen,  dann  die  Häuser  von  Genzano,  eins  nach  dem 
andern  goldig  erglühen  und  als  wir  um  fünf  abmarschierten,  war 
das  „Morgenbild  am  See"  vollendet  schön  —  der  See  und  der 
größte  Teil  seiner  waldigen  Ufer  noch  ganz  kühlschattig. 

Wir  gingen  ohne  Führer,  trotz  entgegengesetzter  Ratschläge 
der  Reisebücher  und  mehrerer  Freunde  und  fanden  den  richtigen 
Weg  auch  wirklich,  ohne  uns  zu  verlaufen.  Von  Gefahr  ist  gar 
keine  Rede,  denn  alles  ist  sanft  ansteigender  Waldweg,  stellen- 
weis durch  Wiesenland  unterbrochen.  Auch  hier  überall  durch- 
aus deutscher  Charakter,  nur  der  Blütenschmuck  der  Büsche,  be- 
sonders der  wilden  Rosen,  üppiger  als  bei  uns.  Auch  Jelänger- 
jelieber  in  Hülle  und  Fülle,  besonders  aber  wuchert  hier  roter 
Mohn  allüberall  in  buntester  Pracht.  Schon  auf  dem  Wege  von 
Neapel  nach  Rom  war  der  Bahnkörper  zu  beiden  Seiten  feuerrot 
von  seinen  üppigen  Blüten,  auch  in  den  Ruinen  der  Kaiserpaläste 
und  Caracallathermen  spielt  er  eine  große  Rolle.  Der  Aspadill, 
jene  schöne  blaßrote  Lilie,  die  mich  in  Terracina  zuerst  so  ent- 
zückt hatte,  war  schon  garstig  verblüht,  aber  sonst  ein  Sprießen 
und  Leben  allüberall.  Die  Vögel  sangen  ganz  munter,  wenn 
auch  nicht  mit  demselben  schmetternden  Jubel  wie  bei  uns  nach 
der  langen  Winterpause,    sogar    der  Kuckuck  rief  mit  Ausdauer 


—     286     — 

dazwischen.  Das  schönste  Bild  war  für  mich,  als  mitten  in  einem 
dichten,  hellgrünen  Buchenwald,  plötzlich  ein  Hund  anschlug, 
und  dann  ein  Bauer  mit  sechs  schwarzen  Pferden  und  einem 
ganz  jungen  hellbraunen  Füllen,  alle  von  der  zierlichen  maleri- 
schen hiesigen  Rasse  mit  langen  Mähnen  und  Schwänzen,  daher- 
kam, eins  hinter  dem  anderen,  er  selbst  auf  dem  mittelsten. 
Wie  die  dunkeln  Tiere  in  dem  grünen  Blättermeer  auftauchten 
und  nachher  wieder  darin  verschwanden  —  das  war  wunderschön 
—  die  Sonne  beleuchtete  nur  die  Wipfel.  —  Dann  gings  zur 
Abwechslung  einmal  etwas  steiler  bergan,  so  steil,  daß  unsere 
deutschen  Pferde  nie  und  nimmer  dort  hätten  klettern  können, 
dann  ein  Stück  am  Waldesrand  entlang,  wo  Ginsterbüsche  so  groß 
und  gelb  wie  Goldregen  über  uns  herunterhingen,  dann  noch  ein 
Stück  und  wieder  eins,  schließHch  kam  ein  Platz,  der  mir  zum 
Eastmachen  sehr  passend  erschien,  und  da  waren  wir  auch  schon 
oben,  viel  rascher,  als  ich  erwartet  hatte  —  in  siebenviertel 
Stunden ! 

Auf  dem  Monte  Cavo  stand  in  vorgeschichtlicher  Zeit  ein 
altes,  berühmtes  Nationalheiligtum,  eine  kleine  Cella  auf  Unter- 
bauten, denn  Opfer  und  Feste  wurden  unter  freiem  Himmel  ge- 
feiert. Später  baute  man  einen  großen  Jupitertempel,  von  dem 
wir  noch  ganz  gute  Abbildungen  besitzen,  denn  erst  im  Anfang 
des  vorigen  Jahrhunderts  wurde  er  durch  den  englischen  General 
York  (Gott  weiß,  wie  der  her  kam)  zerstört.  Zu  diesem  Tempel 
führte  —  von  Rom  an  —  eine  breite  in  den  Felsen  gehauene 
Via  triumphalis,  die  zum  Teil  noch  erhalten  ist.  Siegreich  heim- 
kehrende Feldherren,  denen  der  Senat  den  Triumphzug  aufs 
Kapitol  nicht  gestatten  wollte,  pflegten  als  Entschädigung  dort 
hinaufzuziehen,  das  hatte  einen  militärischeren  Anstrich.  Jetzt 
ist  nur  noch  die  alte  Umfassungsmauer  vorhanden,  und  diese 
zum  großen  Teil,  wenn  auch  mit  den  alten  Steinen,  neu  ge- 
baut. Schöne,  alte  Bäume,  meist  mit  Buchen  und  Steineichen, 
stehen  herum,  und  man  könnte  gerade  so  gut  denken,  hier  habe 
ein  altgermanisches  Heiligtum  gestanden  und  alte  Druiden  seien 
einst  dort  gewandelt,  weithin  blickend  über  die  Lande.  Der 
Fernblick  ist  wirklich  sehr  großartig,    er  ist  das  für  Rom,    was 


—     287     — 

der  Ve8uv  für  Neapel  ist.  Nachdem  wir  langsam  die  Runde  um 
die  Mauern  gemacht  hatten,  schellten  wir  an  der  Tür  des  Klosters 
und  wurden  sofort  in  ein  muftiges  Fremdenzimmer  geführt,  mit 
muffigem  Wein,  muffigem  Brot,  dito  Käse  und  Salami  und  guten 
Eiern  bewirtet.  Ich  glaube  fast,  diese  kleine  Wirtschaft  ist  jetzt 
der  Hauptzweck  des  Klosters,  jedenfalls  sein  nützlichster.  Unser 
Frate  war  ein  netter,  harmloser  Mann,  der  die  Würde  seiner 
Kleidung  sehr  wohl  mit  der  Dienstbeüissenheit  eines  Kellners 
oder  Wirtes  zu  vereinigen  wußte.  Es  ist  der  Orden  der  Passio- 
nisten,  d.  h.  sie  denken  fortwährend  an  die  Passion  Christi; 
tragen  auf  ihrer  schwarzen  Kutte  auf  der  linken  Brust  ein  weiß- 
gesticktes Herz,  aus  dem  ein  Kreuz  emporwächst  und  auf  dem 
geschrieben  ist:  Jesu  Christi  Passio.  Keiner  der  übrigen  Mönche 
erschien,  aber  als  wir  uns  in  den  Garten  führen  ließen,  sahen 
einige  höchst  gelangweilt  zum  Fenster  hinaus.  Spuren  des  Tempels 
waren  nicht  mehr  zu  fimlen.  Das  einzig  Interessante,  das  uns 
der  Frate  außer  seinen  Gemüsebeeten  zeigen  konnte,  war  die 
Laube,  in  der  Pio  Nono  vor  x  Jahren  einmal  Kafiee  getrunken 
hatte.  Aber  er  hatte  nicht  die  Ehre  gehabt,  ihn  zu  kochen,  der 
Papst  hatte  einen  großen  Troß  mit  sich  gehabt  und  alles  mög- 
liche mitgeführt. 

Nach  einigen  gar  nicht  dummen  weltgeschichtlichen  Betrach- 
tungen des  guten  Mannes  stiegen  wir  auf  schönem  Wege  nach 
Rocca  di  Papa  herunter.  In  Y4  Stunde  waren  wir  bei  den  obersten 
Häusern  angelangt,  aber  die  Hitze  machte  sich  bereits  so  fühl- 
bar, daß  wir  uns,  statt  ins  Dorf  weitervorzudringen,  in  den  Schatten 
setzten  und  die  steile  Felswand,  mit  Steineichen  bewachsen, 
betrachteten,  dort  gibt's  noch  Spuren  einer  mittelalterlichen 
Burg,  die  dem  ganzen  Nest  wohl  den  Namen  gegeben  hat.  Wir 
waren  alle  drei  müde,  der  Theologe  schlief  ganz,  wir  anderen 
halb;  was  ich  zeichnete,  wurde  nur  ein  müdes  Gekritzel.  Einigen 
lustigen,  dreckigen  Bauernkindern  wurden  ein  paar  Soldi  in  die 
Grabbel  geworfen,  dann  einem  alten  Waldmenschen  Erdbeeren 
abgekauft,  die  aber  halb  unreif  waren  und  ohne  Zucker  nicht 
schmeckten  —  rechte  Freude  hatten  wir  noch  an  verschiedenen 
Schweinen,  die  andere  Gedanken  über  den  Weg  hatten,  als  ihre 


—     288     — 

jugendlichen  Leiter  —  das  war  Rocca  di  Papa.  Wir  ließen  es 
rechts  liegen  und  gingen  auf  hübschen  aber  meist  sonnigen  Wald- 
wegen weiter  zum  Albanersee  hinunter  nach  Palazzuolo,  einem 
Kloster  au  der  Stelle  des  alten  Alba  Longa.  Auf  halbem  Wege 
dahin,  gerade  als  ausnahmsweise  einmal  der  goldgelbe  Sandboden 
zum  Vorschein  kam,  begegnete  uns,  langsam  bergansteigend  und 
Yon  diesem  sonnigen  Sand  kräftig  sich  abhebend,  ein  P'ranzis- 
kanermönch  von  elendem,  dummen  Aussehen.  Dieser  freundete 
sich  sogleich  auf  gut  österreichisch  an  —  er  war  aus  Graz  und 
der  Einsiedel  von  der  Madonna  della  Tufa  „gar  ein  scheens 
Kirchl"  —  und  gern  bereit  kehrte  er  sofort  mit  uns  um,  um  es 
uns  zu  zeigen.  Der  Arme  war  in  grober  Aufregung:  er  wußte, 
daß  die  deutschen  Pilger  einen  AusÜug  nach  Monte  Cavo  machen 
wollten,  schon  vor  zwei  Tagen  sogar  und  keiner  war  ihm  zu 
Gesicht  gekommen!  Er  hatte  natürlich  auf  glänzende  Elinnahmen 
gerechnet  —  worin  er  sich  übrigens  wahrscheinlich  verrechnet 
hätte,  denn  die  Pilger  sind  berühmt  dafür,  daß  sie  gar  nichts 
geben  und  unsere  deutschen  bescheidenen  Trinkgelder  sind  in 
letzter  Zeit  bedeutend  an  Wert  gestiegen.  —  Recht  merkwürdige 
Aufschlüsse  bekam  man  da  über  das  Einsiedelleben.  Die  Haupt- 
frage ist  auch  hier  die  Geldfrage.  Im  Winter  muß  er  auf  Pump 
leben,  denn  die  Bauern  in  den  Nachbardörfern  sind  meist  arm 
und  können  ihn  nicht  ernähren,  und  im  Sommer  muß  die  „Saison" 
mit  ihren  Fremdenbesuchen  das  Defizit  wieder  decken.  Daß  der 
arme  Kerl  keine  großen  Sprünge  machen  kann,  sieht  man  ihm 
an.  Auch  klagte  er  über  Langeweile  und  möchte  fort  nach 
Bayern  oder  der  Schweiz,  da  ist  er  bekannt;  nur  wenn  ein 
anderer  Einsiedel,  den  er  kennt  und  von  dem  er  gehört  hat,  daß 
er  kommen  will  und  ihm  Gesellschaft  leisten,  auch  wirklich 
kommt,  bleibt  er  hier.  Sein  einziges  Amt  ist  die  Instandhaltung 
der  Kapelle,  welche  um  ein  Felsstück  herumgebaut  ist,  das  hier 
einmal  heruntergestürzt  ist,  ohne  einen  reichen  Mann  zu  töten. 
Darauf  wurde  bei  näherer  Besichtigung  ein  Madonnenbild  ge- 
funden, das  inzwischen  natürlich  oft  übermalt  und  mit  goldenen 
Flitterkronen,  Arm-,  Halsbändern,  Ohrringen  und  Broschen 
schauderhaft   behangen    worden    ist.      Für   gewöhnlich    ist   diese 


I 


—     289     — 

Pinselei  verhängt,  erst  nachdem  er  vier  Kerzen  davor  angezündet 
und  geläutet  hat,  zieht  er  den  Vorhang  auf  und  kniet  betend  und 
sich  schneuzend  auf  den  Stufen  nieder.  .  .  .  Zum  Schluß  wollten 
wir  ihm  einen  Franc  in  seinen  Almosenkasten  legen,  aber  er  bat 
beinahe  hastig:  ,,da  muß  i  schon  bitten,  schaugens  den  Schlüssel 
da  derzu  hoat  dej  Verwalter  und  der  gibt  mir  halt  goar  nix  net 
da  daraus,  obschon  es  für  der  Erhaltung  dej  Kirchen  bestimmt 
is,  dös  Oas  dös,  da  geben's  halt  lieber  glei  mir,  schaugens,  die 
Kirzen  hab  i  halt  schon  müssen  auslegen.'^  So  schieden  wir  vom 
Landsmann  und  Einsiedel  von  Maria  del  Tufa. 

Bald  waren  wir  in  Palazuolo.  Es  war  ^j.,!"^  Uhr,  die  Tür 
geschlossen,  und  davor,  im  Schatten  einer  steilen  Felswand,  zu 
der  heraus  ein  kühler  Brunnen  floß,  lagen  zwölf  schlafende  Ar- 
beiter in  den  mannigfaltigsten  Stellungen ;  schöne  Leute  darunter. 
Nur  ein  Esel  wachte,  dann  und  wann  fuhr  einer  der  Männer  auf, 
um  uns  zu  raten,  noch  lauter  zu  klopfen,  was  schließlich  kaum 
noch  möglich  war.  Mit  Hilfe  eines  alten  Gärtners,  der  mit  den 
Gewohnheiten  vertraut  war  und  seine  Schaufel  als  Stemmeisen 
benützte,  kamen  wir  hinein.  Der  Teil  des  Gartens,  den  man 
beim  Eintreten  übersieht,  ist  wundervoll:  eine  hohe  Zypressen- 
gruppe, hinter  der  die  Mauer  steil  zum  See  abfällt,  davor  ein 
halb  zerbrochener,  übermooster  Springbrunnen,  der  noch  leise 
plätschert,  halbverwilderte  Blumen  aller  Art  —  eine  wild 
malerische,  großartige  Ecke;  dazu  die  Schwüle  und  Stille  süd- 
licher Mittagssonne.  —  Sonst  war  nicht  viel  zu  sehen,  nur  ein 
höchst  altertümliches,  in  den  steilen  und  geglätteten  Granitfeisen 
gemeißeltes  Grabrelief,  einen  kurulischen  Stuhl  und  zwölf  Fasces 
darstellend.  Daß  dies  die  wirkliche  Stelle  des  alten  Alba  Longa 
ist,  wird,  glaube  ich,  von  niemand  bezweifelt.  Das  Terrain  er- 
klärt schon  den  Namen  Longa;  denn  an  diesem  immerhin  ziem- 
lich steilen  Seeufer  muß  sich  eine  Ansiedlung  naturgemäß  schmal 
und  lang  hinstrecken.  Es  war  zwölf  Uhr,  als  wir  fortgingen,  und 
der  fünfviertelstündige  Weg  nach  Marino,  meist  auf  den  Resten 
der  oben  erwähnten  Via  triumphalis,  aber  mit  nur  sehr  wenig 
Schatten,  war  etwas  angreifend.  Auch  Marino  liegt,  obgleich  der 
Weg  immer  bergab  ging,  noch  nicht  am  Ufer  des  Sees.     Es  ist 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  19 


—     290     — 

ein  größerer  Flecken  mit  drei  Kirchen,  in  denen  sogar  sehens- 
werte, zum  mindesten  in  Baedecker  erwähnte,  Bilder  von  den 
unvermeidlichen  Domenichino,  Guercino  und  sogar  ein  Guido 
Reni  sich  betinden;  wir  schenkten  uns  dieselben  aber  und  inter- 
essierten uns  nur  noch  für  Sitzen,  Trinken  und  ein  wenig  für 
Essen.  ,  ,  . 

Der  Weg  nach  dem  päpstlichen  Schloß  Castel  Gandolfo  ist 
sehr  schön  und  nicht  lang.  Zuerst  führt  er  an  großen  Blumen- 
hecken vorüber,  die  steil  unterhalb  der  Stadt  an  grauer  Fels- 
wand liegen  und  an  denen  viele  Dutzende  von  Frauen  und 
Mädchen  in  allen  Lebensaltern  mit  Waschen  und  Bleichen  be- 
schäftigt waren,  Kinder  spielten  dazwischen,  eine  Schafherde 
kam  langsam  heran,  in  der  Nähe  stehen  große  schöne  Bäume, 
ein  wundervoller  Ort  —  ganz  Schirmer.  Aber  wir  konnten  nicht 
lange  bleiben,  da  der  Theologe  um  sechs  in  Albano  an  der 
Bahn  sein  mußte.  Der  Weg  führt  anfangs  durch  schönen, 
grünen,  kühlen,  deutschen  Wald,  wird  aber  bald  baumlos  mit 
Aussicht  auf  den  See  zur  Linken  und  die  Ebene  und  das  Meer 
zur  Rechten.  Castel  Gondolfo  ist  natürlich  geschlossen  und  es 
wirkt  fast  traurig,  diesen  Lieblingssitz  so  vieler  Päpste  so  still 
und  öde  daliegen  zu  sehen.  Die  eine  große  Gartentür  ganz  ver- 
rostet und  überwuchert,  ist  gewiß  seit  vielen  Jahren  nicht  mehr 
geöffnet  worden.  So  wird  es  mit  der  Zeit  zu  einem  Dornröschen- 
schloß werden.  —  Hier  sucht  man  den  Gustos  zum  „Emissar", 
den  Eingang  jenes  alten  Abzugkanals,  den  die  Römer  einst,  als 
der  See  überzulaufen  drohte  (?!),  durch  den  Felsen  gruben.  Man 
steigt  zu  dem  Zweck  an  das  Seeufer  hinab,  welches  sehr  lieblich 
und  echt  deutsch  ist.  „Es  lächelt  der  See  und  ladet  zum  Bade''^ 
habe  ich  selten  so  empfunden  wie  hier,  aber  dazu  reichte  die 
Zeit  nicht.  Auch  das  „Bad  der  Diana"  ist  hier  unten,  über  das 
Onkel  Erwin  ausführlich  geschrieben  hat.  Beide  Dinge  sind  sehr 
schön,  aber  es  genügt,  sie  einmal  zu  sehen.  Oder  hatte  die 
Hitze  meine  Empfänglichkeit  beeinträchtigt?  —  Dann  durch  eine 
schöne,  schattige  Steineichenallee,  oben  in  der  Höhe,  längs  des 
Sees  nach  Albano.  .  .  .  Lange  lagen  wir  da,  dem  Monte  Cavo  und 
Alba  Longa  gegenüber  und  wandelten  dann  still,  von  Nachtigallen 


—     291     — 

umsuDgen,  auf  und  ab.     Es  war  das   Schönste    des  ganzen  Aus- 
flugs für  mich.  .  .  . 

Orvieto,  den  20.  Juni  1877. 

Mein  Programm  habe  ich  wirklich  durchgeführt  und  Rom 
heute  Morgen  schweren  Herzens  verlassen.  Nach  zwei  Regen- 
tagen, die  mir  allmählich  etwas  so  Ungewohntes  geworden  waren, 
daß  ich  an  ihnen  eine  rechte  Freude  hatte,  schien  die  Sonue 
heute  wieder  mit  gewohntem  Glanz  auf  die  schöne  Erde.  Die 
Luft  war  abgekühlt,  und  das  Reisewetter  so  angenehm,  wie 
man  es  sich  nur  wünschen  konnte.  Große,  weiße  Sommerwolken 
stiegen  langsam  am  tiefblauen  Himmel  auf  und  ließen  den 
Weg  durch  die  Campagna  schöner  und  feierlicher  erscheinen  als 
je.  Noch  sah  ich  die  Peterskuppel  ganz  deutlich  und  groß,  dann 
wurde  sie  von  Bäumen  und  Hügeln  verdeckt.  Der  Weg  hierher 
ist  von  jener  maßvollen  reichen  Abwechslung  von  Gestein,  Wald, 
Wiesen,  Feldern,  Flüssen,  Brücken,  einzelnen  Mühlen  oder  Ge- 
höften und  kleinen  alten  Städten  auf  hohem  Bergesrücken ,  wie 
maus  eben  doch  nur  in  Italien  sieht.  Man  wird  nicht  müde, 
aus  dem  Fenster  zu  sehen:  überall  schön  komponierte  Bilder, 
fix  und  fertig,  in  Linien,  wie  in  Schatten-  und  Lichtmassen.  Die 
Kornfelder  sind  jetzt  alle  gelb,  teilweise  wird  schon  geerntet,  sogar 
mit  der  Sichel.  Dabei  lassen  sie  die  Stoppeln  bis  zu  halber 
Höhe  stehen,  Stroh  scheinen  sie  nicht  zu  bedürfen.  Übrigens 
steht  das  Getreide  nicht  sonderlich  üppig,  stellenweise  sogar  recht 
dünn.  Die  Eiche  ist  der  Hauptbaum  der  ganzen  Gegend;  ich 
glaube  fast,  es  gibt  deren  mehr  als  bei  uns,  aber  so  dicke 
Stämme  wie  bei  uns  sah  ich  nirgends. 

Erst  jetzt  merke  ich  so  recht,  daß  ich  auf  dem  Heimweg 
bin.  Ein  paar  Mal  wurde  mir  schon  so  zu  Mut,  als  ich  Neapel 
hinter  mir  hatte,  aber  mit  Rom  ist  es  doch  ganz  altra  cosal 
Rom  ist  eben  Rom,  weitere  Erklärungen  sind  da  gar  nicht  nötig. 
Wer  dort  lebt  oder  einmal  dort  gelebt  hat,  wird  in  Zukunft 
immer  den  Mittelpunkt  der  Welt  dort  finden.  Daß  er  es 
politisch  jetzt  nicht  ist  und  schon  seit  einiger  Zeit  nicht  mehr, 
ist  wahr,  aber  was  wollen  die  paar  Jahrhunderte  bedeuten,  wo 
beinahe  nach  Jahrtausenden  gezählt  werden  kann! 

19* 


—     292     — 

In  den  letzten  Tagen  war  mir  wirklich  einigermaßen  weh 
ums  Herz :  Sonntag  Morgen  auf  dem  Palatin  und  in  der  Gemälde- 
sammlung des  Kapitols,  Nachmittag  mit  Thiersch  und  Knapp  in 
Frascati,  Montag  in  Santa  Maria  sopra  Minerva,  Antiken  des 
Kapitols  und  Galerie  Borghese,  Dienstag  Vormittag  im  Vatikan, 
je  eine  Stunde  in  der  sixtinischen  Kapelle,  in  den  Stanzen,  bei 
den  Antiken  —  —  das  waren  Stunden  voll  Genuß,  voll  Wehmut 
und  voll  Arbeit,  denn  so  weit  hatte  ich  die  Augen  noch  nie  auf- 
gemacht wie  da.  Das  alles  nie  wiederzusehen,  kommt  mir  vor 
der  Hand  ganz  unglaublich  vor.  —  Aber  als  ich  beim  Packen 
war,  was  mit  großer  List  getan  werden  mußte  —  so  bedeutend 
ist  der  Zuwachs  an  Papier  und  Photographien  — ,  kam  auch  die 
Eeiselust  mit  aller  Stärke  über  mich.  .  .  .  Und  jetzt  liegt  Rom 
manche  Meile  hinter  mir,  und  wenn  die  neue  Sonne  aufgeht,  bin 
ich  der  Stadt  der  Blumen  schon  nahe.  Wie  wunderlich  wird  sie 
mir  vorkommen!  Ich  kannte  sie  bis  dato  nur  mit  steif  ge- 
frorenen Fingern! 

Doch  Ihr  wollt  gewiß  etwas  von  Orvieto  wissen.  .  .  .  Orvieto 
liegt  wie  alle  Städte  zwischen  Florenz  und  Rom  hoch  auf 
einem  Berge.  Von  der  Bahn  aus  sieht  man  die  Mauern  und 
einige  alte  Befestigungstürme.  Es  schlug  Mittag,  als  ich  in  Be- 
gleitung und  im  Gespräch  mit  zwei  Wäscherinnen  einrückte.  .  .  . 
Eines  fällt  sofort  auf:  das  gute  Pflaster  und  zwar  besteht  es  nicht 
wie  in  Florenz  und  Neapel  aus  großen  Platten,  sondern  wie  bei 
uns  und  in  Rom  aus  kleinen  Granitwürfeln.  .  .  .  Mein  erster  Weg 
durch  die  leeren  mittagsschwülen  Straßen  war  in  den  Dom, 
dessen  Fassade  als  das  glänzendste  Beispiel  italienischer  Gotik 
berühmt  ist.  Diese  große,  von  Gold  und  bunten  Farben  glän- 
zende Dekoration  liegt  an  einem  nicht  großen  und  besonders 
stillen  Platz  des  stillen  Städtchens.  Gerade  gegenüber  vor  einem 
Hause  befindet  sich  eine  schwarz  und  weiß  gestreifte  alte  Marmor- 
bänk,  von  der  aus  man  alles  in  Bequemlichkeit  bewundern  kann. 
Das  tat  ich  auch,  aber  meine  Augen  waren  ebensoviel  oder  mehr 
beim  Ballspiel  einiger  Seminaristen.  Sie  verstanden  es  vortreff- 
lich und  waren  in  liebenswürdigster,  verträglichster  Stimmung. 
Daß  der  Dom  noch  nicht  wieder  geöffnet  war,  war  mir  lieb,  ich 


—     293     — 

fühlte  mich  durchaus  nicht  in  Stimmung  zu  ernster  Besichtigung 
von  Kunst,  sondern  war  vielmehr  aufgelegt,  mir  vorläufig  einen 
Kaffee  zu  leisten.  Diese  kleinen  Cafös  sehen  in  Italien  alle  gleich 
aus:  in  der  Mitte  ein  Billard,  zwei  Männer  eifrig  aher  fröhlich 
daran  spielend,  die  gelben  oder  weißgetünchten  Wände  und  das 
gleichfarbige  Gewölbe  ganz  schmucklos,  und  bei  geschlossenen 
Fenstern  selbst  in  dem  dämmerigen  Reflexlicht  ziemlich  blendend. 
An  den  Wänden  schweigende  Menschen,  natürlich  den  Hut  auf 
dem  Kopf,  die  mit  schweigender  Aufmerksamkeit  die  Partie  ver- 
folgen, bisweilen  auch  ein  bravo  oder  bravissimo  nicht  unter- 
drücken. Da  saß  ich  über  meinem  Kaffee  und  schlief  ganz  sanft 
ein,  und  als  ich  neugestärkt  erwachte  —  Emerentia  geh  einmal 
hinaus!  —  fühlte  ich  mich  veranlaßt,  die  unbescheidene  Frage 
nach  einer  latrina  zu  stellen,  mit  der  man  hier  zu  Lande  viele 
sonst  ganz  anständige  Wirtschaften  in  Verlegenheit  bringen  kann. 
In  Rom,  Florenz  und  Neapel  gibt  es  die  segensreiche  Einrich- 
tung von  latrine  publiche,  damit  war  jedoch  in  Orvieto  nix  los; 
aber  nach  kurzer  Überlegung  erklärte  sich  ein  Orvietaner  dennoch 
bereit,  mir  den  Weg  dahin  zu  zeigen  und  übernahm  schweigend 
die  Führung.  Wir  schritten  durch  einige  winklige  Straßen  und 
Plätze  bergab,  dann  zwischen  alten  gotischen  Quaderhäusern,  die 
jetzt  halb  Ruine  sind  und  offenbar  nur  von  armen  Leuten  be- 
wohnt werden,  in  immer  abgelegenere  Gegenden,  schließlich 
zwischen  zwei  Mauern  durch  hohes  Unkraut  hin,  dann  öffnete 
sich  eine  herrliche  Fernsicht  über  das  hüglige  Land,  von  einem 
Fluß  durchschlängelt  —  und  „ecco"  sagte  der  biedere  Freund, 
nahm  mir  Stock  und  Skizzenbuch  ab  und  lud  mich  mit  graziöser 
Handbewegung  ein,  Platz  zu  nehmen.  Dies  hier  war  also  die 
allgemeine  Latrine  der  Stadt,  und  ich  muß  gestehen,  wenn  man 
den  Alten  nachsagt,  sie  hätten  es  stets  verstanden,  sich  die 
schönsten  Plätze  für  ihre  Theater  und  den  Mönchen  für  ihre 
Klöster  zu  wählen,  so  könnte  man  dies  als  drittes  Beispiel  für 
den  Sinn  für  Landschaft  der  Italiener  anführen,  an  dem  so 
manche  zweifeln. 

Dann    ging   ich  in  den  Dom  und  blieb   wohl   3^2  Stunden 
dort.     Innen  ist  er  wirklich  prachtvoll;    eine  der  allerschönsten 


—     294     — 

Kirchen,  die  ich  kenne,  jedenfalls  weit  schöner  als  alle  römischen. 
Das  Mittelschiff  hoch  und  weit,  zugleich  schlank  und  wuchtig, 
von  hohen  Eundbögen  überspannt,  während  die  Seitenschiffe,  so 
viel  ich  mich  erinnere,  Spitzbogen  haben,  jedenfalls  hat  das 
riesige  Hauptportal  Rund-  und  die  kleineren  Nebenportale  Spitz- 
bögen. Alles  aus  schwarz  und  weiß  geschichtetem  Marmor,  wie 
der  Dom  zu  Siena,  aber  während  das  in  Siena  einen  bunten,  un- 
ruhigen Eindruck  macht,  ist  es  in  Orvieto  anders,  da  der  schwarze 
Marmor  durch  die  Zeit  grau  und  der  weiße  goldig  geworden  ist. 
Außerdem  liegt  hier  ein  tiefbraunes  Holzdach  darüber,  in  Siena 
hellblaue  Gewölbe  und  mildert  die  Gegensätze  der  Marmorfarben 
bedeutend.  Im  Chor  herrliche,  tiefbraune,  geschnitzte  Chor- 
stühle, gotisch  mit  reichen  Intarsien,  an  den  Wänden  gute,  meist 
wohlerhaltene  Fresken  der  Giottoschule,  in  teppichartiger  Anord- 
nung und  an  der  gerade  abgeschlossenen  Chorwand  ein  großes, 
schönes,  altes  Glasfenster.  Die  Seitenschiffe  sind  um  1580  restau- 
riert und  ohne  Interesse,  desto  bedeutsamer  dagegen  die  beiden 
Kapellen  des  Querschiffes,  besonders  die  rechte  mit  Fresken  von 
Luca  Signorelli. 

Luca  Signorelli  aus  Cortona  ist  ein  ganz  eigener  Kerl  unter 
seinen  Zeitgenossen.  Geboren  nach  1450,  also  älter  als  Perugino 
und  aus  derselben  Gegend  stammend  (sein  Lehrer  war  Piero  della 
Francesca,  dessen  Hauptfreske  nich  in  Arezzo  sah),  gehört  er  doch 
in  einer  Beziehung  schon  ganz  der  neuen  Zeit  an:  in  seiner  Vor- 
liebe für  die  Darstellung  des  Nackten.  .  .  . 

Sein  Hauptwerk  ist  die  Kapelle  in  Orvieto,  wo  genügend 
Gelegenheit  zur  Darstellung  des  Nackten  im  Thema  selbst  lag: 
Jüngstes  Gericht,  Letzte  Dinge  usw.  Gewiß  ist  vorher  nie  der 
menschliche  Körper  so  studiert  und  in  den  mannigfaltigsten  und 
teilweise  kompliziertesten  Stellungen  gezeichnet  und  gemalt 
worden.  Von  wirklichem  Genuß  ist  eigentlich  wenig  die  Rede, 
denn  die  Komposition  ist  sehr  zerrissen  und  unüberlegt.  Es  ist 
mehr  eine  Zusammenstellung  von  Aktstudien.  Aus  Stichen  und 
Proben  in  Kunstgeschichtsbüchern  waren  mir  die  hauptsächlich- 
sten bekannt.  Sehr  neu  und  überraschend  war  mirs  dagegen, 
daß  derselbe  Signorelli   mit   so    viel  Liebe   die  architektonischen 


—     295     — 

und  ornamentalen  Umrahmungen  der  P'resken  gemalt  hat. 
Namentlich  sind  die  Wände  von  großer  Fülle  und  Herrlichkeit 
der  lustigsten  und  abenteuerlichsten  Dinge,  auch  wunderschön  in 
Farbe.  Im  ganzen  erinnert  es  an  die  Fresken  Peruginos  und 
Pinturicchios,  hat  aber  doch  etwas  eigenartiges,  phantastisches 
Verzwicktes:  halb  lächerliches,  halb  widerliches  Getier  schon  fast 
im  Bruegelschen  Sinne,  in  matt  grüngrauen  und  rotvioletten 
Tönen  auf  Goldgrund,  von  Dunkelblau  und  Rotviolett  umrahmt, 
die  gewöhnlichen  ornamentalen  Farben  des  Zinnoberrot  und  Ko- 
baltblau möglichst  vermeidend,  macht  es  einen  farbigen,  aber 
überaus  sanftgebrochenen,  feinen  Gesamteindruck,  gegen  den  die 
nackten  Gestalten  auf  blassem,  blaugrauen  Grunde  ganz  zur  Gel- 
tung kommen. 

Die  Sonne  schien  schon  abendlich  rot  in  die  menschenleere 
Halle  hinein,  als  ich  endlich  aufbrach,  und  bis  ich,  durch  allerlei 
krumme  Gäßchen  irrend,  an  eines  der  wenigen  Tore  kam  und 
Aussicht  in  die  Ferne  hatte,  war  die  Sonne  untergegangen  und 
nur  die  Wolken  erglühten  noch  in  farbiger  Pracht.  Hier  erst 
sah  ich,  wie  hoch  und  stolz  die  Stadt  liegt,  von  der  Talsohle 
führt  zunächst  ein  allmählicher  Abhang  hinan,  dann  erheben  sich 
steile,  goldbraune  Felsen  und  bilden  eine  natürliche  Befestigung, 
welche  durch  künstliche  Mauern  und  Türme  noch  vervollständigt 
wurde  und  so  mit  dem  Gestein  verwachsen  ist,  daß  man  stellen- 
weise kaum  noch  unterscheiden  kann,  wo  das  eine  aufhört  und 
das  andere  anfängt.  Die  Ferne  schimmert  in  tiefen  harmoni- 
schen Tönen,  hellblitzend  schlängelt  sich  ein  Fluß  durch  das 
sanftwellige  Tal,  gelbe  Felder,  graue  Olivengärten  dehnen  sich 
friedlich  darüber  hin.  Einzelne  Menschen  und  bepackte  Esel 
sah  m.an  klein  unter  sich,  die  Straßen  daherkommen,  die  aufs  Tor 
zuführen,  die  Luft  wurde  immer  rotgoldener,  die  Wolken  verloren 
mehr  und  mehr  ihren  rosigen  Abendhauch  und  wandelten  sich  in 
nächthches  Grau:  es  war  so  recht  das  Bild  des  Abends  in  einer 
kleinen  Stadt.  .  .  . 


—     296     — 

Florenz,  den  26.  Juni  1877. 

Also  wieder  in  der  Citta  dei  fiori!  Drei  Tage  schon  und 
bereits  ganz  eingelebt,  als  ob  ich  kaum  je  fortgewesen  wäre  und 
statt  der  graziösen  Lilie  nie  das  streng  ehrwürdige  S.  P.  Q.  R. 
auf  den  Schildern  der  städtischen  Dreckwageu  gesehen  hätte. 
Ich  kam  gleich  in  den  großartigsten  Festtrubel,  denn  das  Fest 
St.  Johannis,  des  Schutzpatrons  der  Stadt,  wurde  diesmal  mit 
außerordentlichem  Glanz  begangen.  Wirklich  habe  ich  nie  in 
meinem  Leben  ein  so  glänzendes  und  künstlerisch  angeordnetes 
Feuerwerk  gesehen,  wie  das  hier  vom  Ponte  Carraja  abgebrannte, 
dazu  der  schönste  Mondschein  und  der  Arno  durch  ein  Gewitter 
in  der  vorhergehenden  Nacht  so  wasserreich  wie  ganz  selten 
selbst  im  Winter.  Das  Schönste  war  aber  für  mich  ohne  Frage 
die  Illuminierung  der  Dorakuppel,  auch  der  Dächer  vom  Glocken- 
turm und  Baptisterium. 

Doch  von  alledem  später  und  noch  einmal  nach  Orvieto 
zurück.  .  .  .  Ich  fand  mich  schließlich  in  finsterer  oder  vielmehr 
in  heller  Nacht  allein  in  dem  stillen  Bergstädtchen  und  hatte 
noch  über  zwei  Stunden  Zeit  bis  zur  Abfahrt  des  Zuges  nach 
Siena.  Zuerst  ging  ich  natürlich  ins  Cafö,  ein  eleganteres  als 
am  Nachmittag,  in  welchem  noch  einige  Stammgäste  über  dem 
Kartenspiel  saßen  und  die  Kellner  halb  schlafend  in  den  Ecken 
lehnten,  dann  aber,  als  es  elf  geschlagen  hatte,  vor  die  Fassade 
des  Doms,  auf  dieselbe  alte,  schwarz  und  weiße  Marmorbank. 
Bei  Mondschein  wirkt  die  Fassade  wirklich  wundervoll:  die 
bunten  (renovierten)  Malereien  oder  Mosaiken,  mit  denen  alle 
Flächen  so  reich  geschmückt  sind,  verlieren  von  ihrer  Lebhaftig- 
keit und  gehen  mehr  zusammen  mit  dem  warmen,  braungoldigen 
Ton,  der  sich  so  einheitlich  über  das  Ganze  ausbreitet,  und  nur 
das  Gold  flimmert  und  blitzt,  je  nachdem  man  seinen  Standpunkt 
verändert,  bald  matter,  bald  heller.  Der  Himmel  nur  um  einen 
Ton  dunkler  als  der  goldbraune  Stein,  war  ganz  klar  und  nur 
wenige  helle  Wolken  stiegen  langsam  am  Horizont  auf.  .  .  .  Die 
Sterne  blitzten  wunderbar,  und  ein  besonders  großer  stand  gerade 
über  dem  Mittelgiebel,  als  wenn  der  märchenhafte  Reichtum  des 
Gebäudes    sich    noch   in    den  Himmel  hinein  fortsetzte.     Gewiß, 


—     297     — 

dies  Bauwerk  ist  so  bezeichnend  wie  wenig  andere  für  den  Sinn 
der  phantastisch-prächtigen  „Ritterzeit",  die  alle  Herrlichkeit  und 
Pracht  aus  Orient  und  Okzident  zusammentat,  um  ihrem  noch 
halbbarbarischen  Schönheitssinn  zu  genügen.  Und  doch  spricht 
teilweise  ein  bedeutender  Sinn  für  schöne  Verhältnisse  aus  dieser 
Fassade,  namentlich  wirkt  die  gewaltige  Größe  des  rundbogigen 
Hauptaltars  zwischen  den  zierlichen  kleinen  spitzbogigen  Seiten- 
portalen imposant,  besonders  verglichen  mit  der  an  bildnerischem 
Schmuck  noch  reicheren  Fassade  von  Siena,  bei-  der  freilich  so 
vieles  erneuert  ist,  daß  von  einer  angenehmen  farbigen  Wirkung 
wohl  erst  nach  einigen  hundert  Jahren  wieder  die  Rede  wird 
sein  können.  —  Anfangs  saß  ich  ganz  solo  da,  in  Gesellschaft 
eines  einsam  schwirrenden  Leuchtkäferchens,  dann  schlich  ein 
großer  Käfer  auf  den  Stufen  der  Kirche  auf  und  ab;  schließlich 
kamen  einige  junge  Orvietaner,  schwatzten  und  sangen,  zuerst 
dummes  Zeug,  dann  aber  war  es  ganz  hübsch.  Schließlich  zogen 
sie  singend  ab,  es  schlug  7^12,  und  ich  schickte  mich  ebenfalls 
an  zu  gehen.  Gerade  an  dem  alten  Eingangstor,  wo  ich  um 
Mittagläuten  mit  den  Wäscherinnen  eingezogen  war,  schlug  es 
Mitternacht  —  der  Mond  war  schon  im  Sinken  und  sehr  groß. 
Die  Tür  zwischen  diesen  alten  Türmen  war  verriegelt  und  trotz 
allen  Randalierens  und  Klopfens  nicht  zu  öflfnen,  auch  kein 
Pförtner  zu  entdecken  oder  wach  zu  kriegen.  So  entschloß  ich 
mich,  den  breiten,  viel  längeren  Fahrweg  zu  wählen.  Derselbe 
ging  zwar  in  ganz  anderer  Richtung,  aber  ich  nahm  an,  er 
würde  sich  mit  der  Zeit  rückwärts  schlängeln.  Die  Aussicht  auf 
das  schlafende  Land  im  sinkenden  Mondschein  war  ganz  eichen- 
dorftisch,  und  ich  kam  mir  vor  wie  ein  rechter  poetischer  Tauge- 
nichts. Zuletzt  wurde  ich  doch  bedenklich,  als  der  Weg  sich 
immer  weiter  von  der  Station  entfernte,  und  kurz  entschlossen 
drehte  ich  noch  einmal  um,  um  irgend  jemand  nach  dem  Weg 
zu  fragen.  Aber  alles  schlief,  und  ich  war  schließlich  froh,  als 
ich  nach  20  Minuten  crescendo  raschen  Bergansteigens  in  die 
Stadt  zurück,  auf  dem  Markt  noch  Licht  fand  und  einige  Men- 
schen, die  im  Begriffe  waren,  die  Pferde  aus  dem  Stall  zu  holen 
und  den  Postwagen  reisefertig  zu   machen.     Der  Posthalter  war 


—     298     — 

auch  noch  wach  .  .  .  und  dann  ging's,  ich  als  einziger  Passagier 
halb  schlafend,  noch  einmal  durch  dieselben  leeren  Gassen  zur 
Stadt  hinaus,  und  auch  richtig  dieselbe  breite  Straße  hinunter, 
auf  der  ich  vorhin  zweifelhaft  geworden  und  umgekehrt  war.  An 
der  Station  war  natürlich  noch  viel  Zeit  und  der  Mond  ganz 
untergegangen,  als  schließlich  der  Nachtschnellzug  aus  Rom  an- 
dampfte. Bis  Chiusi  schlief  ich  in  der  zweiten  Klasse  wunder- 
voll, dann  fand  bei  grauendem  Morgen  für  uns  Sieneser  Wagen- 
wechsel statt;  es  wurde  heller,  und  die  Gegend  hatte  etwas 
eigentümlich  Reizendes  in  der  feinen  Dämmerung  vor  Sonnen- 
aufgang. Diesen  selbst  verschlief  ich,  fühlte  mich  aber,  als  wir 
bald  nach  sieben  Uhr  in  Siena  anlangten,  trotz  der  unruhigen 
Nacht  ganz  frisch,  zog  mich  um  und  begann  um  acht  meine  Be- 
sichtigung der  alten  Freistadt. 

Was  für  ein  Unterschied  mit  Rom!  Jenes  die  prunkende 
Residenz  des  Erdkreises  in  zwei  verschiedenen  Zeitaltern,  hier 
eine  solide  Bürgerschaft,  durch  Sparsamkeit  und  Handel  unter 
Kämpfen  groß  und  stattlich  geworden,  auch  jetzt  so  vieles  aus 
der  alten  Glanzepoche  bewahrend  wie  wohl  kaum  eine  andere 
Stadt.  Unwillkürlich  dachte  ich  an  Lübeck.  Schon  in  Perugia 
war  es  mir  so  ergangen,  aber  hier  noch  mehr.  Perugias  und 
Sienas  Lage  haben  manch  verwandten  Zug,  doch  liegt  Perugia 
schöner,  großartiger  und  lieblicher  zugleich. 

Keine  Stadt  Italiens  hat  so  viel  schöne  mittelalterliche 
Paläste  wie  Siena,  selbst  Florenz  nicht  ausgenommen,  ja  zwei 
Paläste  in  Siena  haben,  wenn  auch  nicht  ganz  so  groß,  sehr  viel 
Ähnlichkeit  mit  dem  Palazzo  Strozzi.  Vor  allen  Dingen  lernt 
man  hier  die  Gotik  wieder  so  recht  lieb  gewinnen.  Profanbauten 
in  stolzer  einfacher  Backsteingotik  kann  man  hier  in  edlen  Bei- 
spielen sehen.  Auch  das  Rathaus,  mit  einem  dem  Florentiner 
ähnlichen  nur  schlankeren  Turm,  ist  vom  ersten  Stock  an  in  Back- 
stein gebaut,  und  die  Form  der  Türen  und  Fenster  ist  durch- 
gehend so,  daß  eine  hübsche  Fläche  für  gemalte  oder  skulptierte 
Dekoration  entsteht.  Am  Rathaus  ist  sie  mit  dem  Sieneser 
Wappen  ausgefüllt,  welches  preußisch  schwarz-weiß  ist,  nur 
über  der  Haupttür  steht  das  vollständige  Wappen,,   die  römische 


—     299     — 

Wöliin,  die  hier  häufiger  als  in  Rom  vorkommt.  Der  blanke 
Scbilderschmuck  am  Lübecker  Ratbaus  ist  freilich  lustiger  und 
malerischer.  In  den  oberen  Stockwerken  pÜegen  die  Fenster 
bei  öifentlichen  wie  Privat l)auten  dreigeteilt  zu  sein. 

Auch  zwei  Loggien  besitzt  Siena,  zwar  nicht  so  groß  wie 
die  Florentiner,  auch  aus  späterer  Zeit  (1460  und  1480),  aber 
beides  schöne,  zierliche  Frührenaissancebauten.  .  .  .  Kleine  an- 
spruchslose Privathäuser  (keine  Palazzi)  ganz  aus  Backstein  und 
ohne  jeden  weiteren  Schmuck,  als  den  der  schönen  Verhältnisse 
der  Fensteröffnungen  zu  den  Zwischenwänden  und  der  einzelnen 
Stockwerke  zueinander,  finden  sich  verhältnismäßig  viel,  so  sehr 
ist  die  einst  so  blühende  Republik,  die  Vorkämpferin  der  Ghi- 
bellinen  und  Nebenbuhlerin  von  Florenz  in  Stillstand  geraten! 
Zwar  werden  einige  Kirchen  und  manche  Privathäuser,  von  denen 
einige  sehr  anmutig  sind,  Peruzzi  zugeschrieben,  aber  alles  ist  so 
überaus  schlicht,  daß  man  sieht,  wie  gering  auch  hier  die  Mittel 
waren,  mit  denen  er  schafien  mußte.  Freilich  war  die  Blütezeit 
seiner  Vaterstadt  damals  schon  lange  vorüber,  und  er  gewiß  froh, 
in  Rom  Beschäftigung  zu  finden. 

Das  Hauptgebäude  der  Stadt  ist  der  Dom.  Von  der  Haupt- 
fassade sprach  ich  schon,  sie  ist  reicher  an  Skulpturen,  als  die 
in  Orvieto,  älter,  aber  fast  ganz  erneuert  und  hat  schlechte  Ver- 
hältnisse. Innen  stört  zunächst  am  Hauptschiff  und  dem  sechs- 
eckigen Kuppelraum  die  schwarz  und  weiße  Marmorschichtung, 
die  nicht  durch  die  Zeit  verblichen  ist  und  einen  unruhigen  Ein- 
druck macht;  bei  dem  (späteren)  Chor  folgt  auf  5  weiße  Quadern 
immer  erst  eine  schwarze,  was  sehr  schön  aussieht.  So  sollte 
auch  der  neue  Dom  werden,  den  die  Bürger  im  Jahre  1339  zu 
bauen  beschlossen  und  von  dem  der  alte  (jetzige)  nur  das  Quer- 
schifi"  bilden  sollte.  Das  hätte  dann  wohl  die  schönste  und 
größte  gotische  Kirche  Italiens  gegeben!  Was  davon  fertig  ge- 
worden ist  und  als  Ruine  dasteht,  ist  in  den  herrlichsten  Verhält- 
nissen. Aber  schon  1357  wurde  der  Plan  ganz  aufgegeben.  Die 
Kosten  waren  zu  groß;  traurige  politische  Verhältnisse  und  be- 
sonders die  Pest  von  1348  lähmten  die  Lust  am  Bau. 

Die  gotischen  Malereien   und   das  Maß   der  Vergoldung  der 


—     300     — 

Gewölbe,  Rippen  und  einzelnen  Wandteile  sind  für  mein  Auge 
von  außerordentlicher  Schönheit;  die  Kirche  macht  überhaupt 
trotz  ihrer  schwarzweißen  Streifigkeit  den  harmonischsten  Ein- 
druck unter  allen,  die  ich  in  Italien  kenne  —  neben  St.  Anastasia 
in  Verona.  Die  Ausstattung  an  Altären.  Stuhlwerk,  Figuren  und 
Bildern  fügt  sich  überaus  schön  in  den  gotischen  Grundbau  und 
ist  zum  großen  Teil  aus  bester  Renaissancezeit.  Auf  dem  Hoch- 
altar steht  ein  großes  schwarzes  Bronzeciborium  nach  Peruzzis 
Zeichnung,  der  hier  freilich  einige  Vorbilder  aus  der  Zeit  der 
edelsten  Frührenaissance  hatte.  Neben  diesem  Ciborium  stehen 
zwei  schwarz  bronzene  Engel,  welche  kleine  Lämpchen  tragen, 
eine  Stufe  tiefer  zwei  ähnliche,  und  dann  setzen  sich  diese  bron- 
zenen lampentragenden  Engel  (etwas  unter  Lebensgröße  wie  auch 
fast  alle  guten  antiken  Bronzefiguren)  durch  den  ganzen  Chor 
hindurch  an  den  Pfeilern  fort,  was  einen  vortrefflichen  feierlichen 
Eindruck  macht. 

Weit  berühmt  ist  die  reich  skulpierte  Marmorkanzel  Pisanos 
und  vor  allen  Dingen  der  eingelegte  Marmorfußboden  der  Kirche, 
der  in  der  ganzen  Welt  nicht  seinesgleichen  hat.  Er  stammt 
aus  den  verschiedensten  Zeiten;  die  ältesten  Teile,  gotisch  um 
1369,  sind  mir  eigentlich  die  liebsten.  Es  sind  Figuren  darunter, 
die  ganz  schlicht,  hell  auf  schwarzem  Grund,  von  einer  solchen 
Schönheit  in  der  Silhouette  sind,  daß  ich  sie  dreist  den  besten 
antiken  Vasenmalereien  an  die  Seite  stelle.  Später  wurde  man 
komplizierter,  nahm  zu  den  drei  Marmorfarben:  schwarz,  weiß, 
rot,  noch  grau  und  gelb  hinzu  und  erfreute  sich  an  großen, 
figurenreichen  Prügelszenen,  wie  bethlehemitischem  Kindermord  und 
Philisterschlachten  aus  dem  Buch  der  Richter.  Noch  später  nahm 
man  lebensgroße  Einzelfiguren,  Sibyllen  in  phantastischer  Kleidung 
oder  (vor  einer  kleinen  Seitenkapelle)  das  menschliche  Leben  in 
Einzelfiguren:  Kindheit,  Knabenzeit,  Jünglingsalter  usw.,  aller- 
liebste Figürchen  in  herrlichen  ornamentalen  Umrahmungen.  Die 
spätesten  und  berühmtesten  sind  die  von  Beccafumi,  welche 
raffinierter,  mit  verschiedenen  Marmorarten  bildartige  Wirkungen 
in  vollendeter  Abstufung  von  Schatten  und  Licht  geben.  Diese 
sind   nur    einmal   im   Jahre    zu    sehen   und   für   gewöhnlich  mit 


I 


—     801     — 

Brettern  verschlossen.  Nur  ein  Stück  wird  zur  Probe  gezeigt, 
die  schön  gezierten  Kartons  aber  kann  man  sich  in  der  Galerie 
ansehen.  Über  den  Stil  von  Fußbodenschmuck  gehen  sie  aber 
ohne  Frage  hinaus.  .  .  . 


Florenz,  Sonntag  den  1.  Juli  1877. 
Lieber  Onkel  Heinrich! 
.  .  .  Florenz  gefällt  mir  trotz  der  Wärme  so  außerordentlich, 
daß  ich  im  Stillen  immer  Abbitte  tun  muß,  daß  es  mir  nicht 
gleich  von  vornherein  diesen  Eindruck  gemacht  hat.  Ich  merke 
daran  so  deutlich,  wie  viel  ich  durch  vieles  Sehen  und  längere 
Beschäftigung  mit  alter  Kunst  gelernt  habe.  Selbst  nach  Kom 
empfinde  ich  keine  Sehnsucht.  Die  frische  Quelle  ist  doch  hier, 
und  wenn  auch  Raffaels  und  Michelangelos  Größtes  sich  dort  be- 
findet —  wie  unendlich  bleibt  doch  der  Reichtum  an  Werken 
der  Friihlingsepoche  der  Kunst,  die  man  in  Rom  vor  der  Über- 
fülle des  Verschiedenartigsten  aller  Zeiten  nicht  gerade  vermißt, 
die  aber  die  lehr-  und  genußreichsten  von  allen  sind!  Als  ich 
in  Siena  zum  erstenmal  wieder  in  einer  Kirche  vor  dem  Tor 
einen  großen  Lucca  della  Robbia  sah,  und  an  dem  herrlichen 
Taufbrunnen  des  Baptisteriums  nebeneinander,  in  edlem  republi- 
kanischen Wetteifer  entstanden,  Bronzereliefs  von  Ghiberti  und 
Donatello,  da  wurde  mir  ganz  eigen  froh  und  stolz  zu  Mute,  und 
jetzt  ist  man  wieder  mitten  unter  ihnen,  und  die  schaffensfreudige, 
goldene  Zeit  der  Republik,  die  „Wiege  des  modernen  Europa" 
begeistert  mich  so  sehr,  wie  es  die  Weltstadt  mit  all  ihrem 
Glänze  kaum  gekonnt  hat.  Denn  was  die  Künstler  hier  Herr- 
liches schufen,  was  die  reichen  Kaufleute  hier  bauen  und  malen 
ließen,  dem  haftet  allüberall  die  Liebe  zur  Vaterstadt  und  ihrem 
Ruhm  an;  in  Rom  dagegen  ist  es  stets  der  eigene  Ehrgeiz,  der 
sich  breit  macht,  ganz  zu  schweigen  von  dem  der  Päpste,  welche 
—  besonders  in  späterer  Zeit  —  allüberall  in  riesengroßen 
Lettern  ihre  Namen  und  Wappen  anbringen  ließen,  selbst  an  den 
Kirchenfassaden  (obenan  am  St.  Peter) ;  auch  die  vornehmen  Familien 
bauen  ihre  Paläste   dort  in  prunkenderem,    anspruchsvollem  Stil, 


—     302     — 

nur  zur  Verherrlichung  der  eigenen  Familienehre;  ganz  natürlich: 
denn  Roms  Name  war  allezeit  groß  genug,  um  weiterer  Sorge 
für  ihn  nicht  zu  bedürfen.  Außerdem  war  Rom  in  der  ersten 
Blüte  der  Renaissance  durch  das  Exil  von  Avignon  ein  verödetes 
Raubuest  geworden,  ohne  Zucht,  Ordnung,  Bildung  und  Kunst- 
pÜege,  und  was  die  späteren  Päpste  taten,  um  die  Stadt  zu 
heben,  war  doch  mehr  oder  minder  künstlich,  nicht  auf  dem 
eignen  Boden  gewachsen.  Alle,  die  Großes  in  Rom  geschaffen 
haben,  waren  Fremde,  Urbinaten,  Sienesen,  Florentiner;  das  ein- 
zige wirklich  große  Talent,  das  Rom  selbst  hervorgebracht  hat, 
bleibt  Giulio  Romano,  dessen  Geburtshaus,  mit  der  üblichen 
Marmorinschrift  geschmückt,  sich  doch  nur  sehr  bescheiden  aus- 
nimmt, wenn  man  die  Geburtshäuser  großer  Florentiner  damit 
vergleichen  wollte,  von  dem  schmalen  hohen  Quaderhäuschen  in 
Via  S.  Martino  an,  über  dessen  Tür  geschrieben  steht:  Qui  nacque 
il  Divino  Poeta. 

Abgesehen  davon,  bleibt  alle  Herrlichkeit  von  Florenz  ver- 
hältnismäßig erreichbar  für  uns  Kinder  einer  spätem  Zeit.  Rom 
wird  stets  das  „ewig-einzige"  bleiben.  Unternehmungen  wie  St. 
Peter  und  Vatikan,  wie  Kolosseum  und  Caracalla-Thermen  hat 
es  nur  einmal  gegeben,  und  sie  taugen  auch  nur  für  eine  Welt- 
stadt; Sammlungen  wie  die  Antikensäle  dort  können  selbstver- 
ständlich nirgend  sonst  entstehen,  aber  daß  ein  zweites  Florenz 
erblühe,  gehört  immerhin,  so  unwahrscheinlich  es  ist,  doch  ins 
Gebiet  des  Möglichen.  .  .  . 

Meine  Hauptbeschäftigung  ist  die  Vollendung  einer  Kopie 
nach  Andrea  del  Sarto  im  Pitti  für  Onkel  Octavio,  mit  der  ich 
damals  wegen  der  kalten  Finger  nicht  weit  kam.  Es  ist  eine  alte 
Schuld  —  noch  von  München  her  — ,  die  ich  endlich  damit  aus- 
gleiche. Außerdem  macht  mir  die  Arbeit  an  und  für  sich  Freude. 
Erstlich  schon  weil  ich  für  einen  bestimmten  Zweck,  mir  bekannte 
Räume  und  Umgebung  arbeite  und  nicht  allzu  ängstlich  das 
Original  wiederzugeben  brauche,  sondern  nur  seine  dekorative 
Wirkung,  dann  auch,  weil  mir  das  Malen  mit  Petroleum  so  gut 
gefällt!  Der  Maler  Ludwig  in  Rom,  mit  dem  ich  in  den  letzten 
vierzehn  Tagen  dort  mehrfach  zusammenkam  und  der  auch  seine 


—     303     — 

Erfahrungen  veröffentlicht  hat,  hat  es  mir  ziemlich  einleuchtend 
gemacht,  daß  es  Petroleum  und  Bernsteinlack  sind,  die  uns  fehlten, 
und  auf  diesem  neuen  Wege  hofie  ich  wirklich  die  Widerwärtig- 
keiten, die  mir  das  Ölmalen  von  Anfang  an  bereitete  und  fast 
verleidete,  zu  umgehen.  .  .  . 

Die  Kopie  wird  mich  vermutlich  etwa  drei  Wochen  be- 
schäftigten. Da  Palazzo  Pitti  nur  von  neun  bis  drei  geöffnet  ist, 
bleibe  ich  bis  ein  oder  halbzwei  dort  an  der  Arbeit  und  habe 
dann  die  Nachmittage  für  mich,  teils  um  Florenz  zu  repetieren, 
teils  um  still  zu  Hause  in  meinem  großen,  luftigen  und  leidlich 
kühlen  Zimmer  Briefe  zu  schreiben,  Skizzenbücher  zu  ordnen  und 
flüchtige  Notizen  auszuarbeiten,  solange  die  Eindrücke  noch 
frisch  genug  dazu  sind  —  mit  einem  Worte:  zu  rasten.  Denn 
mit  der  beabsichtigten  Rast  in  Rom  ist  es  doch  eigentlich  nichts 
geworden,  vielmehr  gehörten  die  letzten  fünf  Wochen  dort  zu  den 
unruhigsten,  wenn  auch  fleißigsten,  der  ganzen  Reise. 

Eigentlich  mag  ich  jetzt  gar  nichts  ganz  Neues  mehr  sehen. 
Mailand,  Genua,  Parma  will  ich  jedenfalls  aufstecken.  Hoffent- 
lich führt  mein  Weg  mich  einmal  wieder  über  die  Alpen,  um  es 
nachzuholen,  aber  jetzt  habe  ich  der  vielen  Eindrücke  genug.  Ja, 
wäre  nicht  Venedig  Venedig,  so  würde  ich  selbst  dies  ruhigen  Herzens 
für  diesmal  aufgeben.  Aber  das  geht  doch  nicht.  Darum  werde  ich 
über  Bologna  und  Ferrara  dahin,  dann  nach  Verona  und  über 
den  Brenner  zurückreisen.  Wie  freue  ich  mich  schon  auf  die 
ersten  Tiroler,  auf  München  und  auf  Hamburg  selbst!  .  .  . 

Der  Abschied  von  Italien  wird  mir  nicht  schwer;  ich  sehne 
mich  nach  Haus,  um  das  Gelernte  zu  verwerten  und  anzu- 
wenden. .  .  . 

Montag,  den  2.  Juli. 

Meine  Reiseberichte  fallen  wirklich  recht  ungleich  aus!  Die 
kleinen  Nester  kommen  verhältnismäßig  immer  am  besten  weg, 
z.  B.  Orvieto.  Ich  will  versuchen,  sowohl  für  Euch  wie  auch  für 
mich,  die  großen  Lücken  von  hier  aus  allmählich  auszufüllen  und 
zunächst  mit  Siena  fortfahren. 

Ich  war  bei  der  Beschreibung  des  Domes  stehen  geblieben. 


—     304     — 

Von  dessen  einzelnen  Seitenkapellen  will  ich  schweigen  —  ob- 
gleich eine  sehr  schöne,  nach  Peruzzis  Entwürfen  reich  vergoldete^ 
mit  Fresken  von  Pinturicchio  und  einem  hagern  Bronzetäufer  von 
Donatello  usw.  usw.  es  wohl  verdiente  beschrieben  zu  werden 
—  und  nur  noch  die  herrliche  Libreria  erwähnen,  in  welche 
man  durch  ein  reiches  Renaissanceportal  gleich  vom  Dom 
aus  eintritt.  Diese  Bücherei  ist  das  Werk  des  nachmaligen 
Papstes  Pius  II.  Piccolomini  1455 — 64,  dessen  Namen  man  in 
Siena  überall  begegnet.  Palazzo  so  und  so  ehemals  Piccolomini 
heißt  es  alle  naslang.  —  Für  die  herrliche  Sammlung  reicher 
Chorbücher  (neben  der  in  San  Marco  die  größte,  die  ich  sah), 
ließ  ein  Neffe  des  Papstes  einen  eignen,  hohen,  luftigen  Raum 
erbauen  und  aufs  reichste  schmücken.  Alles  ist  vollendet  schön 
erhalten,  und  die  Harmonie  wird  durch  keine  späteren  Um-  und 
Einbauten  gestört.  .  .  .  Der  Fußboden  besteht  aus  zierlich,  bunt 
ornamentierten  Kacheln,  vortrefflich  erneuert;  dann  folgt  einfach 
dunkle  Holzvertäfelung,  vor  der  die  großen  Folianten  stehen, 
darüber  beginnt  die  Ausmalung  der  Wände  und  der  Decke  von 
Pinturicchio,  wohl  sein  Hauptwerk.  ...  In  zehn  Bildern  stellt  er 
die  Erfolge  oder  Fahrten,  „Aventiuren"  des  Aeneas  Sylvius 
Piccolomini  (des  nachmaligen  Papstes  Pius  II.)  dar;  ohne  daß  die 
Komposition  irgendwie  hervorragend  wäre  —  vieles  sind  nur 
Zeremonienbilder  —  sieht  man  das  Ganze  mit  großer  Freude  an; 
alles  ist  lustig  und  anmutig,  und  der  Gesamteindruck  mit  der 
gemalten,  umrahmenden  Architektur,  den  wappenhaltenden  Engel- 
chen und  Girlanden  dazwischen,  der  zierlichen  Ornamentik  der 
Lünetten,  Zwickel  und  der  Decke  auf  goldenem  oder  lebhaft 
rotem  und  blauem  Grund  ist  einer  der  angenehmsten  und  nach- 
ahmenswertesten, den  man  haben  kann.  Im  ganzen  Verwandtes 
mit  dem  Cambio  in  Perugia,  wie  sich  überhaupt  Pinturicchio 
nicht  wesentlich  von  dem  entfernte,  was  er  von  seinem  Meister 
gelernt  hatte.  Raffael  und  Peruzzi  haben  als  Gehilfen  bei  dieser 
Arbeit  mitgewirkt;  ja,  man  behauptete  früher  sogar,  Pinturicchio 
habe  sich  von  dem  kleinen  Raffael  alle  Entwürfe  zeichnen  lassen, 
von  dieser  Ansicht  ist  man  jedoch  zurückgekommen. 

Unter  dem  Chor  der  Kirche  befindet  sich  eine  Unterkirche. 


—     305     — 

zu  der  man  bei  der  Unebenheit  des  Bodens  ebenfalls  von  der 
Straße  aus,  einige  Stuten  hinaufsteigen  muß.     In  der  Mitte  dieser 

Unterkirche  steht  einer  der  berühmtesten  Tauf  brunuen Die  ersten 

Bildhauer  von  Siena  und  Florenz  haben  daran  gearbeitet:  Jacopo 
della  Quercia,  Donatello,  Ghiberti  usw.,  wie  ich  schon  erwähnte. 
Die  sechs  Reliefs  sind  aus  vergoldeter  Bronze,  ebenso  die  alle- 
gorischen Fraueniiguren  an  den  sechs  Ecken  unter  einfach  schönen 
Baldachinen.  Der  Brunnen  selbst  fast  gotisch  aus  weißem  Marmor 
mit  blauen  Emailstreifen  und  das  Marmorciborium,  welches  aus 
der  Mitte  hoch  emporwächst,  von  schönster  Frührenaissance;  die 
kleinen,  bunten  Blumenstämme  (künstliche  Blumen),  mit  denen 
man  es  bescheiden  und  zierlich  zur  Johannisfeier  zu  schmücken 
begann,  belebten  und  zierten  den  schönen  Aufbau.  Für  diese 
Renaissanceciboriea  ist  Siena  überhaupt  der  maßgebende  Ort: 
von  dem  schwarzbronzenen  auf  dem  Hochaltar  des  Domes  schrieb 
ich  schon,  nur  schrieb  ich  es  irrtümlich  meinem  Freund  Peruzzi 
zu,  der  erst  neun  Jahre  nach  der  Aufstellung  des  Ciboriums  ge- 
boren wurde.  Das  allernobelste  ist  von  Benedetto  da  Majano, 
von  den  Sienesen  schlechtweg  Michelangelo  zugeschrieben ;  es  steht 
in  der  großen  Dominikanerkirche. 

Diese  Dominikanerkirche  ist  besonders  berühmt,  weil  sich  dort 
die  Fresken  des  berühmtesten  Malers  von  Siena  Sodoma  befinden. 
Er  hat  hier  eine  kleine  Kapelle  zu  Ehren  der  heiligen  Catarina  aus- 
gemalt. Die  heilige  Catarina  von  Siena  ist  eine  historische  Figur 
des  H.Jahrhunderts.  Sie  war  Nonne  und  spielte  auch  politisch  eine 
Rolle,  indem  sie  viel  dazu  tat,  daß  die  Päpste  wieder  aus  Avignon 
nach  Rom  zurückkehrten.  Diese  Catarina  ist  Sienas  größte  Heilige. 
Ihr  Zimmer  ist  noch  erhalten,  mehrere  Kapellen  gruppieren  sich 
um  dasselbe,  die  größte  davon  reich  ausgemalt;  auf  dem  Hoch- 
altar steht  eine  Holzfigur  der  Heiligen  mit  porträtartigen,  an- 
mutigen, leidenden  Zügen.  Ihr  Kopf  wird  in  der  Dominikaner- 
kirche aufbewahrt  —  es  gibt  überall  Photographien  desselben! 
—  und  in  der  Kapelle  hat  Sodoma  gemalt.  Die  eine  Gruppe, 
wie  sie,  „in  verzückter  Ohnmacht  in  den  Armen  zweier  Kloster- 
schwestern zusammensinkt",  ist  allgemein  durch  Photographien 
und  Abbildungen  in  Kunstgeschichten  bekannt  und  wirklich  außer- 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  20 


—     306     — 

ordentlich  schön.  Um  die  anderen  beiden  Bilder  gebe  ich  nicht 
viel,  wie  ich  überhaupt  nicht  zu  den  Verehrern  Sodomas  gehöre^ 
Sein  schönstes  Bild  für  mich,  ein  heiliger  Sebastian,  hängt  hier 
in  den  Uffizien;  überhaupt  verstand  er  es  trefflich  das  Nackte  zu 
behandeln.  Er  zeichnete  groß  und  edel,  modellierte  weich  und 
hatte  ein  eigenes,  sanft  graues,  rosiges  Kolorit,  gegen  hellgelb- 
liche oder  grünliche  Luft,  welches  ich  außerordentlich  gut  leiden 
kann.  In  Einzelfiguren  oder  kleinen  Gruppen  kommen  diese 
Vorzüge  zur  Geltung,  aber  wenn  er  größere  Mengen  von  Figuren 
bewältigen  will,  merkt  man,  daß  er  nicht  komponieren  kann. 

Diese  Dominikanerkirche  enthält  außerdem  noch  ein  höchst 
wichtiges  und  interessantes  Bild,  nämlich  eine  Madonna  von  Guido 
da  Siena.  ...  In  derselben  Kapelle  befinden  sich  noch  ein  paar 
andere  gute  Bilder  früher  Sienesen,  besonders  eine  sehr  liebliche, 
auf  Goldgrund  vortrefilich  symmetrisch  arrangierte  Madonna  mit 
Heiligen  von  Matteo  di  Giovanni,  einem  Maler,  der  im  allgemeinen 
wegen  seiner  greulich  geschmacklosen  „betlehemitischen  Kinder- 
morde'* verrufen  ist,  deren  schlimmster  im  Museum  von  Neapel, 
ein  anderer  in  einer  hiesigen  Kirche,  ein  dritter  als  Marmorlüß- 
boden  im  Dom  sich  befindet.  Burckhardt  nennt  ihn  mit  Recht 
dafür  den  italienischen  Wohlgemuth.  Um  so  mehr  Freude  macht 
es  von  demselben  Manne  so  Hübsches  zu  sehen! 

Im  übrigen  kann  man  die  alte  sienesische  Schule,  welche  in 
ihren  frühesten  Epochen  neben  der  florentinischen  die  wichtigste 
Italiens  ist,  am  besten  in  der  Akademie  studieren.  Ich  war 
zweimal  dort,  habe  das  erste  Mal  auch  mit  großer  Aufmerksamkeit 
die  betreffenden  Säle  gemustert  und  manches  schöne  oder  schnur- 
rige Einzelne  gefunden,  aber  doch  eigentlich  nichts  recht  be- 
halten. Im  ganzen  interessierten  mich  schließhch  die  dort  befind- 
lichen Sodomas  und  Beccafumis  mehr.  Letzterer,  den  ich  schon 
bei  Gelegenheit  des  berühmten  Marmorfußbodens  im  Dom  erwähnte, 
ist  nach  Sodoma  der  größte  Sienese  (etwa  zehn  Jahre  jünger). 
Seine  erhaltenen  Cartons  zum  Fußboden  lassen  deutlich  Michel- 
angelos Einfluß  erkennen;  in  mehreren  seiner  Ölbilder  erkenne 
ich  mehr  Andrea  del  Sarto  wieder.  Außer  der  Sienesenschule 
besteht   diese   Akademie    mit   geringen  Ausnahmen    aus    großem 


—     307     — 

Schund  mit  unverschämter  Namengebung.  —  Neben  der  Akademie 
ist  die  Bibliothek,  mit  berühmten  frühen  Drucken  und  inter- 
essanten Skizzenbücheru  Peruzzis  und  Antonio  da  Saugalios,  die, 
freilich  unter  Glas,  jederzeit  zur  Besichtigung  ausliegeu. 

Im  Rathaus  sind  noch  höchst  interessante  Zimmer  aus  den 
verschiedensten  Zeiten:  ganz  alte,  gotische,  grau  in  grau  gemalte 
große  Schlachtenbüder  aus  der  Zeit  der  Kämpfe  und  Siege  zwischen 
Sieua  und  Florenz  —  die  großen  Fahnenstangen  des  siegreichen 
„Caroccio"  von  1280,  vierundzwanzig  Meter  hoch,  lehnen  noch  im 
Dom  an  den  Kuppelpfeilern  —  dann  originell  und  lustig  an- 
geordnete biblische  Bilder  und  römische  Heldenporträts  von  1410 
(Bartoli),  in  der  Ratskapelle  neben  dem  großen  Ratssaal,  und  in 
diesem  selbst  verschiedene  überlebensgroße  Schutzheilige  Sienas, 
in  glänzend  dekorierten  gemalten  Nischen  stehend,  darunter  drei 
sehr  schöne  von  Sodoma.  Für  Putten  besaß  er  besonders  viel  Ge- 
schmack. Überhaupt:  wie  verstanden  es  die  Meister  jener  Zeit 
alle  alle,  ihre  Bilder  entsprechend  zu  umrahmen,  sie  mit  der 
Architektur  zu  verbinden  und  das  Bedeutende,  das  sie  auszu- 
sprechen hatten,  im  Ornament  scherzend  und  spielend  au-  und 
ausklingen  zu  lassen!  Wie  fühlte  sich  keiner  zu  groß  und  er- 
haben dazu,  bis  zu  Michelangelo  hinauf,  der  dies  Beiwerk  in  der 
sixtinischen  Kapelle  freilich  so  grandios  bildete,  daß  man  fast 
davor  erschrickt;  aber  trotzdem  sind  jene  Jünglingsgestalten,  im 
Vergleich  zu  seinen  Propheten  nichts  anderes  als  „Beiwerk".  Frei- 
lich Riesen  spielen  Ball  mit  Felsblöcken!  —  Wie  anders  dagegen 
v;ir  Moderneu!  Wie  wenige  können  es,  wie  wenige  w^oUen  es 
können!  Die  meisten  sind  viel  zu  vornehm  dazu.  Wer  sein 
Rokokokleid,  seine  Lederhose  gut  malen  kann,  hat  das  ja  auch 
nicht  nötig.  Gott  sei  Dank,  es  wird  auch  bei  uns  jetzt  besser 
damit,  und,  um  nicht  ungerecht  zu  sein :  Cornelius  hat  wenigstens 
im  Göttersaal  der  Glyptothek  gezeigt,  daß  er  es  nicht  verschmähte, 
sich  damit  abzugeben,  nur  wollte  er  jeden  Quadratschuh,  der  ihm 
gegeben  war,  mit  gedankenschwerer,  ernster  Schönheit  erfüllen, 
auch  wo  das  gesättigte  Auge  ihm  anspruchslos  anmutiges  Orna- 
ment viel  mehr  gedankt  hätte,  und  doch  war  er  kein  Michel- 
angelo, der  das  durfte  und  dem  man  willig,  wenn  auch  mit  An- 

20* 


—     308     — 

strengung  folgt.  —  Aber  selbst  Scbwind:  wie  reicb  seine  Phantasie 
und  seine  Lust  am  Ornamentalen  war;  er  hat  sein  schönstes 
Werk,  die  sieben  Raben,  durch  die  unglückliche  Einrahmung  be- 
einträchtigt —  ein  Werk,  das  für  mich  himmelhoch  über  allen 
Kompositionen  Peruginos,  Pinturicchios,  Sodomas,  Signorellis  usw. 
steht!  Aber  keiner  von  ihnen  würde  diese  unglückseligen  Rund- 
bögen als  Umrahmung  gewählt  haben.  .  .  . 

Zum  Schluß  hole  ich  noch  nach,  daß  die  Rückseite  des 
Doms  an  der  Chorseite  und  über  der  Unterkirche  aus  späterer 
Zeit  und  sehr  schön  ist,  einfach  und  ehrwürdig,  von  feinster 
Gotik,  auch  nicht  renoviert,  sondern  in  schöner  gelbbraun  an- 
gerauchter Originalfarbe.  .  .  . 

Firenze,  Donnerstag  5.  Juli  1877. 

Liebe  Mutter! 

.  .  .  Die  Festlichkeiten  hier  waren  sehr  reizend.  Der  Arno 
schien  mir  schon  bei  meiner  Ankunft  viel  größer,  als  ich  ihn  in 
Erinnerung  hatte.  Er  ist  doch  um  die  Hälfte  breiter  als  die 
„kleine  Alster",  wo  nicht  doppelt  so  breit  und  durchfließt  die 
Stadt  so  „sichtbar",  daß  man  seine  Freude  daran  hat,  während 
der  Tiber  sich  durch  wenig  besuchte  Gegenden  Roms  hindrückt, 
als  schämte  er  sich  seiner  trüben  Gelbheit.  Nur  an  der  Engels- 
brücke bekommt  man  ihn  häufig  zu  sehen  oder  täglich,  —  wenn 
man  den  Vatikan  fleißig  besucht;  dagegen  überschreitet  man  den 
Arno  Gott  weiß  wie  oft  auf  verschiedenen  schlanken  schönen 
Brücken,  besonders  wenn  man  in  der  kleineren  Hälfte  der  Stadt 
wohnt  wie  wir. 

Das  Feuerwerk  wurde  auf  einer  dieser  Brücken  abgebrannt, 
so  daß  es  von  zwei  anderen  Brücken  aus  und  von  den  Straßen 
zu  beiden  Seiten  des  Ufers  gesehen  werden  konnte.  Hier  führen 
die  Straßen  am  Ufer  entlang,  und  nur  auf  kurze  Strecken  gehen 
die  Häuser  wie  unsere  Speicher  bis  ans  Wasser. 

Von  den  Resten  dieses  Feuerwerks  am  24.  Juni  wurde  am 
folgenden,  den  1.  Juli  .  .  .  noch  ein  neuer  Festabend  im  Boboli- 
garten  zu  fünfzig  Centesimi  Entröe  veranstaltet.   Der  Boboligarten 


—     309     — 

gehört  zum  Palazzo  Pitti  und  steigt  hinter  demselben  terrassen- 
förmig iu  die  Höhe.  Es  ist  der  eigenthche  „Schloßgarten"  aus  der 
Zeit  der  Medicäer,  und  bleibt  auch,  nachdem  man  die  römischen 
Villen  gesehen  hat,  eine  der  allerschönsten  Anlagen,  jedenfalls 
die  fürstlichste  von  allen.  Unmittelbar  hinter  dem  Palast  liegt  ein 
großer  amphitheatralischer  Platz,  wohl  größer  als  das  Kolosseum, 
oben  von  steinernen  Nischen  mit  Figuren  begrenzt.  Nach  hinten 
öffnet  er  sich,  und  man  kommt  in  ansteigenden  Terrassen  zu 
einem  Neptunsbrunnen  und  dann  noch  höher  zu  der  kolossalen 
„Flora".  Dies  ganze  Terrain  —  andere  Teile  des  Gartens,  die 
Teiche  z.  B,,  waren  nicht  hinzugezogen  —  illuminiert  und  bei 
Militärnmsik  von  vielen  Menschen  belebt,  gab  einen  wundervollen, 
prächtigen  Anblick,  besonders  wenn  man  aus  den  stilleren  Teilen, 
aus  den  hohen,  beschnittenen  Hecken,  in  denen  keine  Seele  sich 
l)licken  ließ  und  nur  einzelne  Johanniswürmchen  leise  umher- 
schwirrten, plötzlich  durch  irgendeine  Öffnung  in  das  flimmernde 
bunte  Flammenmeer  hinabschaute,  oder  wenn  man  gar  nicht  mehr 
an  das  Fest  denkend,  leise  und  traumhaft  Leuchtkugeln  und 
Raketen  am  schönblauen  Himmel  aufsteigen  sah.  Einmal  veran- 
staltete man  eine  Art  Wettrennen  von  sieben  kleinen  illuminierten 
Luftballons,  jeder  durch  ein  anders  gefärbtes  Licht  erhellt;  ganz 
langsam  und  fidel  schwebten  die  kleinen  Kerle  hinauf  und  ver- 
loren sich  schließlich.  ...  Im  übrigen  sind  die  Florentiner  ein 
harmloses  stilles  Volk.  Sie  äußerten  die  Freude,  die  sie  gewiß 
hatten,  kaum.  Bei  uns  geht  es  weit  lebendiger  und  lärmender  zu. 
Ganz  selten  erhoben  sie  sich  zu  einem  kurzen  Bravo  und  Bei- 
fallklatschen —  nicht  einmal  das  große  Feuerwerk  am  vierund- 
zwanzigsten auf  dem  Ponte  Carraja,  welches  es  sicherlich  verdient 
hätte,  entfesselte  laute  Bewunderung. 

Florenz,  Dienstag  abend,  10.  Juli  1877. 

Lieber  Onkel  Heinrich! 
.  .  .  Mein  Hauptumgang  sind  alte,  längst  gestorbene  Herren. 
Teils  die  bekannten   (oder  unbekannten)    alten  Florentiner,    teils 
die  Hamburger   und  Nichthamburger    des    Perthesschen  Kreises. 


—     310     — 

Was  war  das  doch  für  ein  vorzüglicher  Mann!  Wie  ideal  und 
praktisch  zugleich,  wie  klar  über  sich  selbst  und  das,  was  er 
konnte  und  nicht  konnte,  wie  mild  und  wie  scharf  immer  an  der 
rechten  Stelle!  Mich  hat  seit  langer  Zeit  kein  Buch  so  inter- 
essiert wie  dies  —  freilich  habe  ich  auch  lange  kein  anderes  in 
die  Hand  bekommen  als  Burckhardt,  Ruskin  und  Goethes  Ge- 
dichte zuweilen,  denn  meinen  Vorrat  Platen  habe  ich  dank 
Deiner  Schule  im  Kopf!  Ich  wollte,  Du  hättest  uns  noch  mehr 
der  Art  auswendig  lernen  lassen!  Das  bischen  Mühe  beim  Ein- 
pauken verzinst  sich  huntertfältig.  .  .  . 

Florenz,  Dienstag,  den  17.  JuH  1877. 
Vorgestern  machten  wir,  d.  h.  die  beiden  Stuttgarter  Archi- 
tekten, Vogel,  Moosbrugger  und  ich  einen  Ausflug  nach  Fiesole, 
Fiesole  ist  für  Florenz  so  etwa  was  für  Hamburg  Blankenese  oder 
besser  was  für  Rom  Frascati  ist,  nur  liegt  es  der  Stadt  näher.  Aber 
an  heißen  Tagen  pflegt  man  von  hier  ebenso  sehnsüchtig  zu  dem 
hoch  am  Berge,  von  Winden  gekühlten  Örtchen  hinüberzuschauen 
wie  von  Rom  nach  Frascati.  —  Fiesole  ist  älter  als  Florenz, 
schon  seine  Lage  hoch  auf  einem  Berge  beweist  das.  Man  sieht 
dort  noch  ein  langes  Stück  etruskischer  Stadtmauer,  sowie  Ruinen 
eines  Amphitheaters,  während  in  Florenz  keine  vorchristlichen 
Überreste  existieren.  Man  geht  Vj^  Stunden  oder  fährt  mit 
dem  Omnibus.  Wir  taten  letzteres,  wenigstens  bis  zur  Hälfte 
des  Weges.  .  .  .  Vier  forsche,  mit  Schellen  und  langen  Ohren- 
troddeln geschmückte  Gäule  zogen  den  Wagen,  und  der  Kutscher, 
ein  schöner,  dicklich  kräftiger,  junger  Kerl  knallte  mit  seiner 
langen  Peitsche,  sobald  wir  aus  dem  Tor  waren,  daß  es  eine 
Lust  war.  Sehr  bald  geht's  bergan,  und  das  Vergnügen  des 
Schnellfahrens  hat  ein  Ende.  Zu  beiden  Seiten  der  Straße  hohe 
Mauern,  über  die  wir,  auf  dem  Verdeck  sitzend,  hinwegsehen 
konnten.  Die  Umgegend  von  Florenz  ist  das  gerade  Gegenteil 
von  der  Roms!  Dort  liegt  die  Stadt  auf  Hügeln,  ringsum  breitet 
sich  die  große,  unfruchtbare  Campagna,  kein  Dorf,  soweit  man 
sehen  kann,  nur  einzelne  Landstraßen,  ein  paar  armselige  Osterien 
und  die  Aquädukte.  Bäume  sind  selten,  nur  einzelne  hohe,  dünnver- 


—     311     — 

wehte  stehen  hier  und  da  in  Reib  und  Glied  an  irgend  einem  Flußufer. 
Erst  in  der  Ferne  wird  die  Ebene  von  Bergen  umschlossen,  an  denen 
man  Dörfer  und  Villen,  mit  einem  Worte  Leben,  bemerkt.  —  Florenz 
dagegen  liegt  im  Tal,  die  umgrenzenden  Hügel  steigen  in  sanften 
Wellen  an,  wohin  man  blickt  —  Felder,  Gärten,  Ölbäume,  Wein- 
reben, Villen  und  Häuser  bis  zu  den  Bergen  von  Fiesole  empor. 
Es  ist  etwa  wie  in  der  Umgegend  Hamburgs,  nach  Wandsbek  und 
Altona  zu,  nur  ländlicher,  üppiger  und  reicher.  Jedes  Plätzchen 
ist  benutzt,  alles  atmet  Fleiß  und  Wohlhabenheit  —  daß  die 
Stadt  trotzdem  eine  der  tiefverschuldetsten  Italiens  ist,  ist  eine 
Sache  für  sich,  die  hauptsächlich  politische  Gründe  hat.  —  Auf 
dem  halben  Weg  wird  Halt  gemacht.  Hier  liegt  San  Domenico 
mit  Kirche  und  Kloster,  in  dem  Fra  Angelico  lebte,  ehe  er  nach 
Florenz  kam.  Fünf  Minuten  weiter  liegt  im  Chorherrenstift  die 
Badia,  für  Architekten  eins  der  interessantesten  Gebäude:  Kirche, 
Kreuzgänge  und  Kloster  sind  von  Brunellesco  in  schlichter,  feiner 
Frührenaissance  erbaut.  Die  Kirche  ist  ganz  kahl  und  unbenutzt 
und  man  kann  das  Kloster  nur  mit  Erlaubnis  des  Priors  Ijesehen, 
die  der  Pförtner,  ein  moderner  Elegant,  uns  zu  besorgen  ver- 
sprach. „Es  wäre  gut,  wir  sollten  nur  eintreten,"  war  die  Ant- 
wort. In  der  Kirche  waren  zwei  Geistliche,  von  denen  der  eine 
den  andern  herumführte.  Nachdem  der  Fremde  fort  war,  zeigte 
er  uns  die  Loggia,  die  nach  dem  sonnigen,  friedlichen  Garten 
hinausgeht  und  von  der  aus  man  eine  der  schönsten  Aussichten 
auf  Florenz  hat  —  nachher  in  Fiesole  selbst  ist  man  fast  zu 
hoch  —  und  das  Refektorium  mit  einem  schönen  Brunnen  im 
Vorraum,  einer  feinornamentierten  halbrunden  Kanzel  und  einem 
Fresko  von  Giovanni  da  San  Giovanni.  .  .  . 

Es  hat  mir  ganz  besonders  gefallen,  ist  auch  von  meinem 
lieben  Giovanni  da  San  Giovanni  (1599 — 1636)  und  voll  seiner 
lustigen  Phantasie.  Für  gewöhnlich  sieht  man  in  Refektorien 
das  Abendmahl  oder  die  Hochzeit  zu  Kana,  die  beiden  Haupt- 
momente, in  denen  die  Bibel  Christus  bei  Tisch  schildert.  Aber 
wer  zwischen  den  Zeilen  lesen  kann,  findet  noch  andere.  Nach 
der  Versuchung  heißt  es:  „und  da  traten  die  Engel  zu  ihm  und 
dienten  ihm."     Nach    40tägigem   Fasten   war    ein    kleines   Diner 


—     312     — 

sicherlich  kein  schlechter  Dienst,  und  so  hat  Giovanni  das  hier 
aufgefaßt:  in  der  Mitte  sitzt  Christus  vor  einem  zu  einem  Tisch- 
leindeckdich gemachten  Baumstumpf.  Vier  größere  stehende 
Engel  bedienen,  einer  von  ihnen,  der  gerade  ein  Gericht  präsen- 
tiert, kniet  dabei  nieder.  Ein  ganz  kleiner  Putto  hebt  sich  auf 
die  Zehen,  um  vom  Tisch,  auf  den  er  kaum  hinaufgucken  kann, 
eine  Schüssel  herunterzuheben.  In  dem  Drittel  der  Wand  nach 
rechts  kommt  noch  eine  ganze  Schar  himmlischer  Kellner  mit 
neuen  guten  Dingen  von  oben  heruntergefahren,  während  kleine 
Putten  sich  über  die  abgeräumten  Reste  hermachen,  einige  auch 
das  Keilen  dabei  kriegen.  In  dem  Drittel  nach  links  flieht  der 
Versucher  zum  Bilde  hinaus,  ganz  in  der  Fensterecke,  so  daß 
man  ihn  kaum  erkennen  kann,  und  eine  Bande  kleiner  englischer 
Straßenjungen  hinter  ihm  her  höhnend  und  grimassierend,  mit 
Steinen  werfend  und  doch  im  Herzensgründe  recht  bange  vor 
ihm.  Sehr  ideal  und  groß  ist  die  Auffassung  sicherlich  nicht, 
aber  liebenswürdig,  und  der  Stimmung  eines  Eßsaales  in  den 
meisten  Fällen  wohl  entsprechender  als  das  feierliche:  Einer 
unter  Euch  wird  mich  verraten. 

In  den  üffizien  befindet  sich  derselbe  Gegenstand  von  Gio- 
vanni als  kleines,  anspruchsloses,  skizzenhaftes  Bild,  das  Hände- 
waschen  nach  der  Mahlzeit  ist  gewählt.  Am  berühmtesten 
ist  und  am  meisten  besehen  wird  dort  „Venus  und  Amor", 
d.  h.  eine  Bauersfrau,  die  ihren  Kleinen  mit  einem  großen  Lause- 
kamm frisiert,  abgesehen  davon,  daß  er  den  Witz  lebensgroß!  ge- 
malt hat,  trivial  und  ziemlich  witzlos  aufgefaßt.  Wie  ganz  anders 
dasselbe  Motiv  von  Gerhard  Dou  in  München,  ganz  klein,  zierlich, 
wundervoll  in  der  Komposition  der  Gruppe,  auch  in  der  Linie, 
und  trotzdem  in  kein  mythologisches  Gewand  gehüllt! 

Von  der  Badia  aus  geht  der  Weg  steil  aufwärts  im  Zick- 
zack nach  Fiesole  hinauf.  Es  war  elf  Uhr  geworden  und  wir 
schwitzten  tüchtig,  obgleich  die  Luft  seit  dem  vorigen  Abend 
merklich  abgekühlt  war.  Das  unaufhörliche  Schnattern  oder 
Gecksen  der  Zikaden,  die  seit  14  Tagen  heftig  im  Gange  sind, 
ist  die  unerläßhche  Musik  zur  Sommertagshitze  im  Süden.  Oben 
angelangt,    besichtigten    wir   zunächst    den    sehr   alten  Dom.  .  .  . 


—     313     — 

Einige  schöne  Arbeiten  des  zierlichen  und  fleißigen  Mino  da  Fie- 
sole, dessen  Haupttätigkeit  in  Grabdenkmälern  bestand,  befinden 
sich  hier  in  seiner  Vaterstadt,  sonst  nicht  viel  Sehenswürdig- 
keiten, was  uns  alle  herzlich  freute.  Dann  aßen  wir  gut,  blieben 
noch  lange  sitzen,  und  als  wir  die  vergebliche  Anstrengung  ge- 
macht hatten,  auf  der  anderen  Seite  des  Platzes  ins  Museum  und  in 
eine  andere  große  Kirche  einzudringen,  fielen  wir  erschöpft  in  ein 
Caf6,  welches  ebenfalls  auf  diesem  Platze  lag  —  auch  Dom  und 
Wirtshaus,  genug,  alles  liegt  hier  beisammen.  Endlich,  nachdem 
ich  Y4  Stunde  geschlafen  hatte,  ermannten  wir  uns  und  stiegen 
zur  höchsten  Höhe  des  Berges,  einem  friedlichen  Kapuziner- 
kloster hinauf.  Von  einer  bequemen,  aber  jetzt  glühend  heißen 
Steinbank  aus,  die  ein  Engländer  hier  seinen  „Reisebrüder  jeg- 
licher Nationalität"  gestiftet  hat,  sieht  man  weit  ins  herrliche, 
reiche,  sonnige  Tal  hinab,  die  Domkuppel,  in  der  Mitte  der  Stadt, 
beherrscht  Florenz  mehr  als  die  Peterskuppel  Rom.  Dank  ihren 
plumpen  Proportionen  erscheint  sie  wuchtiger,  wie  so  oft  das 
Rohe  wirkungsvoller  ist  als  das  Vollendete  (das  gilt  übrigens  nur 
von  außen,  innen  macht  die  Domkuppel  absolut  keinen  Eindruck). 
Die  kleine  Klosterkirche  war  offen.  Ein  Mönch  saß  da  und 
schlief;  so  drangen  wir  ungestört  in  verschiedene,  traulich  kleine 
Kreuzgänge,  brütend  heiß,  aber  malerisch;  ein  paar  Kutten 
hingen  zum  Lüften  über  die  Brüstung  des  oberen  Ganges  her- 
unter! Zu  einer  andern  Tür  wieder  hiuausgelangt,  lagerten  wir 
im  Schatten  einiger  Nadelhölzer,  beobachteten  Ameisen  und 
freuten  uns  faul  der  schönen  Natur.  Frauen  und  Mädchen 
kamen,  um  von  den  bekannten  zierlichen  und  unglaublich  billigen 
Strohflechtereien  zu  verkaufen,  welche  die  Hauptindustrie  des 
Ortes  bilden.  .  .  .  Dann  wieder  hinab,  die  etruskische  Mauer  und 
die  vorhin  geschlossene  Kirche  mit  einem  sehr  gewöhnlichen 
Robbia  und  einem  schönen  Porträtrelief  San  gallos  besichtigt,  noch 
einmal  im  Dom,  dann  etwas  ausgeruht,  und  für  die  Anstrengung 
mit  einem  Wermut  belohnt.  —  Um  sechs  Uhr  gingen  wir  bergab. 
Bei  sinkender  Sonne  war  der  Weg  herrlich,  das  Schönste  vom 
ganzen  Tage,  solange  wir  Aussicht  hatten,  nachher  störten  die 
vielen  Mauern,  über  die  wir  nicht  hinwegsehen  konnten.  .  .  . 


—     314     — 

Florenz,  Donnerstag  Abend, 
19.  Juli  1877. 

Liebe  Tante  Ida! 

Heute  ist  der  19.  Juli,  also  ist's  Zeit,  einen  Geburtstags- 
glückswunsch an  Dich  zu  schreiben,  damit  er  rechtzeitig  ankommt. 
Ich  vermute,  daß  Ihr  noch  in  Gotha  seid:  Bessers  werden  Euch 
nicht  eher  fortgelassen  haben. 

Ich  bin  heute  besonders  guter  Laune:  erstlich  ist  nach 
einigen  trüben  und  windigen  Tagen  wieder  schönes  Wetter  ein- 
getreten, abgekühltes  obendrein;  zugleich  ist  meine  Erkältung, 
die  ich  mir  auf  unserem  Ausflug  nach  Fiesole  am  Sonntag  geholt 
hatte  und  die  sich  gestern  Abend  in  echt  Speckterscher  Weise 
sogar  in  leichtem  Fieber  äußerte,  heute  verschwunden  und 
schließlich  ist  der  letzte  von  fünf  unfreiwilligen  Ferientagen,  die 
mich  wegen  des  alljährlichen  „großen  Reinmachens"  im  Palazzo 
Pitti  an  meiner  Kopie  hinderten,  vorüber,  und  ich  habe  den- 
selben extra  gut  angewendet.  Bis  drei  Uhr  war  ich  in  den 
übrigen  Sammlungen  hier,  das  ist  zwar  brav  und  gut,  doch  nichts 
besonderes,  dann  aber  gingen  wir  vier  (zwei  schwäbische  Archi- 
tekten und  ein  Berliner  Maler  außer  mir)  nach  der  Villa  Landau, 
um  Makarts  „Pest  von  Florenz"  zu  besehen.  Wir  waren  alle 
voller  Erwartung:  erstlich,  ob  das  Bild  überhaupt  dort  sei  — 
denn  die  Berichte  waren  etwas  apokrypher  Art  —  dann,  ob  wir 
es  zu  sehen  kriegen  würden  und  schließlich,  was  es  nach  so 
langer  Zeit  für  einen  Eindruck  machen  würde,  besonders,  da 
man  uns  erzählt  hatte,  es  sei  inzwischen  fürchterlich  nach- 
gedunkelt, kreuz  und  quer  gerissen  und  kaum  wieder  zu  er- 
kennen. 

Die  Villa  erreichten  wir  auf  sanft  bergansteigender  Chaussee, 
^/^  Stunde  außerhalb  des  Tores.  Ode  und  verlassen  liegt  sie  da; 
der  Besitzer  war  zuletzt  vor  zwei  Jahren  einmal  14  Tage  dort, 
sonst  lebt  er  in  Wien.  .  .  .  Das  Haus  hat  außer  seiner  schönen 
Lage  nichts  auffallendes;  es  ist  ein  schlichtes,  altes,  behagliches 
Haus,  ohne  architektonische  Gliederung,  nur  ein  kleines  Wappen 
über    der   Tür   besagt,    daß    es    einst  den  Medizäern  gehört  hat, 


—     315     — 

vcohl  im  16.  Jahrhundert.  Die  Einrichtung  ist  hübsch  und  würdig, 
meist  gute  alte  Mobilien,  viele  Gobelins,  Majoliken  usw.  Schließ- 
lich kommt  man  in  das  Zimmer,  in  dem  der  Makart  hängt, 
natürlich  besser  beleuchtet  als  damals,  1869  in  Hamburg,  aber 
doch  nicht  gut,  nicht  so  wie  er  sollte  und  verdiente,  und  die 
ganze  Umgebung  ist  zwar  nicht  unwürdig,  aber  auch  nicht 
speziell  für  das  Bild  angeordnet. 

Nachdem  ich  nun  soviel  des  Besten  und  Größten  der  Alten 
gesehen  habe  und  meine  Abneigung  gegen  unsere  moderne 
Alltagsware  noch  höher  gestiegen  ist,  als  sie  schon  früher  war, 
kann  ich  nur  sagen,  daß  all  meine  Erwartungen  beim  Wieder- 
sehen dieses  Bildes  weit  übertroifen  wurden,  daß  ich  es  eigentlich 
mehr  bewundere  als  damals,  und  daß  ich  Makarts  Talent  nur 
mit  dem  größten  der  Alten  vergleichen  kann.  Von  Dunkeln  oder 
Reißen  ist  keine  Rede.  Die  milde  Farbenpracht  ist  heute  so 
schön,  als  sie  es  je  war  und  von  so  zauberhaftem  Reiz,  daß 
damit  nichts,  was  ich  von  den  Alten  kenne,  konkurrieren  kann. 
Abgesehen  davon,  ist  die  Zeichnung  so  schön,  mit  einigen  Aus- 
nahmen freilich,  die  Grazie  der  Bewegungen,  der  Fluß  der  Linien 
so  herrlich,  daß  es  auch  ohne  Farbe,  ohne  Schatten-  und  Licht- 
verteilung nur  in  mageren  Konturen  ä  la  Genelli  gezeichnet, 
noch  schön  wirken  müßte  —  mit  einem  Wort,  ich  bin  ganz  weg 
und  ganz  stolz,  daß  ein  moderner  Meister  so  etwas  gemacht  hat. 
—  Daß  er,  der  von  Haus  aus  ein  fader,  ungebildeter,  unklarer 
Kerl  ist,  der  nicht  weiß,  was  er  will  und  soll  —  seit  jenem 
Bilde  nicht  Fort-  sondern  Rückschritte  gemacht  hat  und  sich 
schwerlich  wieder  hinaufarbeiten  wird,  ist  traurig  genug  und  liegt 
daran,  daß  namentlich  bei  den  Münchnern  und  was  damit  zu- 
sammenhängt, die  allgemeine  oder  gar  die  wissenschaftliche  Bil- 
dung nicht  sehr  verbreitet  ist  und  nicht  in  gutem  Rufe  steht, 
während  die  Alten  in  jeglicher  Beziehung  auf  der  Höhe  ihrer 
Zeit  standen  und  zu  stehen  strebten.  —  Unanständig  kann  ich 
das  Bild  —  einige  häßliche  Kleinigkeiten  abgerechnet  —  auch 
heute  nicht  finden.  Dazu  ist's  zu  schön  und  großartig!  Wie 
zahllose,  völlig  ., angezogene"  moderne  Bilder  sind  1000  mal  un- 
anständiger als  dies! 


—     316     .— 

Doch  endlich  genug  davon  —  was  ist  das  fiir'n  schlechter 
Geburtstagsbrief  für  eine  68jährige  Tante!  Aber  wess  das  Herz 
voll  ist,  davon  läuft  der  Mund  über! 

Nachher  gingen  wir  ins  Giuoco  di  Pallone,  d.  h.  Ballspiel. 
Jede  größere  Stadt  Italiens  hat  ihr  eigenes  Ballspielhaus,  d.  h. 
eine  große  Arena  unter  freiem  Himmel,  mit  amphitheatralischen 
Sitzreilien  an  drei  und  einer  hohen  Langmauer  an  der  einen 
Seite.  Die  Spieler  —  Berufsspieler  —  sind  weiß  und  leicht  ge- 
kleidet: Strümpfe,  helle  Schuhe,  Kniehosen  und  eine  leichte  Jacke. 
Rote  und  blaue  Gürtel  unterscheiden  die  Parteien  der  Türkisen 
und  der  Rossi.  Auf  jeder  Seite  kämpfen  drei  Mann,  jeder  mit 
einem  großen,  mit  hölzernen  Stacheln  besetzten  Fausthandschuh 
bewaffnet.  Die  Bälle  sind  von  Schweinsleder,  mit  Luft  gefüllt, 
sehr  hart  und  schwer.  Kriegt  man  so'n  Ding  an  den  Kopf,  so 
fühlt  man's  gewiß,  falls  einem  die  Sinne  nicht  ganz  vergehen.  Man 
wirft  sich  den  Ball  nur  mittels  dieser  Fausthandschuhe  zu.  Die 
Partei,  die  ihn  nicht  auffängt,  aus  der  Bahn  herausschleudert 
über  die  hohe  Mauer  weg  oder  in  den  Zuschauerraum  hinein, 
bekommt  5  oder  10  Striche  Strafe.  Nach  je  40  oder  50  Strichen 
ist  eine  Partie  entschieden.  Das  Publikum  pflegt  mit  an- 
gestrengtester Aufmerksamkeit  zu  folgen,  schon  um  sich  vor  den 
fehlgehenden  Bällen  bei  Zeiten  zu  retirieren.  Außerdem  wird 
auch  viel  gewettet.  —  Schon  in  Rom  hatte  ich's  gesehen,  aber 
hier  wars  weit  schöner,  die  Spieler  besser  und  eifriger,  wunder- 
schön gewachsene  Kerle,  deren  Gestalten  in  diesen  mannig- 
faltigen, kraftvoll  elastischen  Bewegungen  zur  Geltung  kamen;  das 
Publikum  weit  zahlreicher  und  begeisterter  bei  der  Sache,  die 
Arena  größer  und  schöner  gelegen  vor  dem  Tor,  mit  Aussicht  auf 
die  in  der  Abendsonne  purpurn  erglühenden  Berge  —  es  war 
wirklich  ein  Genuß! 

Deinen  Geburtstag  am  Sonntag  werde  ich  wohl  in  Prato 
feiern,  zwei  Stationen  auf  der  Bahn  nordwärts.  Ich  wollte,  es 
ginge  von  da  direkt  weiter  nach  Haus,  aber  was  man  versprochen, 
muß  man  halten,  und  wenn's  nichts  schlimmeres  ist  als  eine 
Kopie  nach  Andrea  del  Sarto  im  Palazzo  Pitti,  so  läßt  sich'a 
wohl  aushalten.     Tausend  Grüße  Euch  allen!  Dein  Hans. 


—     317     — 

Montag,  den  20.  Juli  1877. 

Gestern  war  ein  angreifender  Tag!  Um  für  meine  Kopie 
noch  zwei  Tage  zu  gewinnen,  habe  ich  Pisa  und  Lucca,  die  ich 
eigentlich  erst  auf  der  Reise  nach  Venedig  besichtigen  wollte, 
an  einem  Tage  abgemacht  und  bin  am  Abend  wieder  hierher 
zurückgekehrt.  Aber  67-2  Stunden  auf  der  Eisenbahn  und  in 
je  4  Stunden  zwei  Städte  von  solcher  Größe  und  Bedeutung 
besehen  —  und  das  alles  bei  der  Hitze!  das  nenne  ich  eine 
Strapaze  und  kein  Sonntagsvergnügeu.  Doch  habe  ich  nun  von 
beiden  Städten  einen  genügenden  Begriff,  um  mit  gutem  Gewissen 
sagen  zu  können:  ich  kenne  sie. 

So  interessant  wie  Siena  ist  keine  von  beiden;  namentlich 
von  Pisa  macht  man  sich  leicht  eine  zu  hohe  Vorstellung,  indem 
man  an  die  gewaltige  Bedeutung  der  Republik  denkt,  deren  Herr- 
schaft und  Reichtum  selbst  von  Florenz  und  Venedig  kaum  er- 
reicht worden  ist. 

Besaß  es  doch  einst  Korsika,  Sardinien,  die  Balearen  und 
die  Küste  von  Amalfi,  schlug  die  Sarazenen  bei  Palermo,  Karthago 
und  Gott  weiß  wo  sonst  noch,  hatte  seine  Faktoreien  in  Afrika, 
Spanien,  Frankreich  und  Tyros;  sein  Konsul  in  Konstantinopel  hatte 
den  ersten  Sitz  nach  dem  Patriarchen;  in  den  ersten  Kreuzzügen 
spielten  sein  Geld  und  seine  Schiffe  eine  Hauptrolle  —  genug,  es  war 
die  Fürstin  Italiens  im  Anfang  des  11.  Jahrhunderts!  Aber  die  ver- 
einigten übrigeu  toskanischen  Städte,  verbunden  mit  dem  auf- 
blühenden Genua,  vereinigte  sich  zu  seinem  Sturz,  und  wenn  es  auch 
noch  lange  siegreich  und  glänzend  dastand,  so  trat  der  Wendepunkt 
doch  schon  am  Ende  des  13.  Jahrhunderts  ein.  1509  mußte  es 
sich  nach  glänzender  Verteidigung  an  Florenz  übergeben  und 
1551  hatte  es  nur  noch  8500  Einwohner!  Sic  pereat  gloria 
mundi.  Freilich  hat  es  sich  später  wieder  gehoben  und  ist  jetzt 
immerhin  eine  Stadt  von  50000  Einwohnern.  Wenn  man  am 
Arno  entlang  geht,  der  die  Stadt  in  breitem  Strom  durchschneidet 
und  viermal  stattlich  überbrückt  wird  —  die  neueste  Brücke  hat 
viel  Ähnlichkeit  mit  unserer  Lombardsbrücke,  nicht  so  breit,  aber 
gewiß  nicht  kürzer  — ,  so  macht  sie  sogar  einen  sehr  stattlichen 
Eindruck.     Wunderschöne    Paläste    —    gotische    aus    Backstein 


—     318     — 

und  Renaissancepaläste  aus  Quadern  —  stehen  nebeneinander; 
die  Aussicht  auf  die  umschließenden  Berge  ist  sehr  anmutig, 
aber  rechtes  Leben  fehlt  doch.  Kommt  man  weiter  auf  den 
großen  Platz  dei  Cavalieri,  wo  allerlei  Bauten  von  Vasari  stehen: 
eine  Kirche,  in  der  eine  Unmasse  von  Türkeufahneu  hängen,  die 
ihnen  von  den  Stephaniterrittern  abgenommen  wurden,  ein  großer 
Palast  daneben,  mit  langweiligen  Büsten  der  Grroßmeister  und 
halbabgefallenen  Sgrafitti  geschmückt,  davor  ein  schlechtes  Stand- 
bild von  Cosimo  I.,  dem  Stifter  dieses  Ordens,  und  ein  Brunnen, 
der  kaum  noch  Wasser  gibt  — ,  dann  überkommt  einen  etwas 
von  der  römischen  Wehmuts  Stimmung,  die  Onkel  Erwin  so  gern 
schildert  und  in  die  Worte  zu  kleiden  liebt:  Roma,  Roma,  non 
e  piu,  come  era  prima.  Und  doch  ist  dies  erst  die  Vorbereitung 
auf  den  Domplatz.  Dort,  ganz  einsam,  am  äußersten  Ende  der 
Stadt,  unmittelbar  an  der  Stadtmauer,  liegen  auf  einer  staubigen, 
verdorrten  Wiese  die  vier  großen  Sehenswürdigkeiten  neben- 
einander: Dom,  Baptisterium,  Campo  Santo  und  der  schiefe  Turm, 
jedes  in  seiner  Weise  ein  W^under  der  W^elt. 

Der  Dom  von  Pisa,  begonnen  nach  einem  großem  Seesieg 
über  die  Sarazenen  bei  Palermo  1063,  der  den  Bürgern  eiue 
unermeßliche  Beute  brachte,  ist  die  erste,  größte  und  epoche- 
machendste romanische  Kirche  Italiens.  Um  mit  ßurckhardt  zu 
reden:  „hier  tut  die  Kunst  einmal  einen  ihrer  ganz  großen 
Schritte."  Bis  dahin  pflegte  man  aus  den  Bruchstücken  antiker 
Tempel,  in  mehr  oder  minder  mißverstandener  Weise,  die  antiken 
Formen  nachzuahmen  und  für  den  neuen  Kultus  neu  zusammen- 
zusetzen: hier  plötzlich  ein  selbstbewußtes  künstlerisches  Ge- 
stalten. Außen  sieht  man  die  vielen  kleinen  rundbogigen  offenen 
Hallen  übereinander,  die  seitdem  in  ganz  Toskana  und  darüber 
hinaus  üblich  wurden,  innen  ist  er  ganz  herrlich:  fünfschifiig,  die 
Querarme  dreischiffig,  mit  offenen  Obergalerien.  Nicht  so  prächtig 
und  zu  Herzen  gehend  wie  der  Dom  von  Siena,  aber  feierlicher, 
erhabener.  Auch  hier  wenig  störende  Zutaten,  sogar  sehr  schöne 
Bilder,  Skulpturen  und  Schnitzereien,  wenn  auch  nicht  solche 
Meisterwerke  und  soviel  Harmonie  wie  in  Siena.  —  Es  war 
Hochamt,    schöne    Musik,    die    Geistlichen    machten    einen    vor- 


—     319     — 

nehmen  Eindruck,  al)er  wenig  Andächtige  waren  vorhanden,  und 

in   dem  großen  Pfeilerwald  verschwanden  sie  ganz Das   Bap- 

tisterium  wurde  fast  100  Jahre  später  als  der  Dom  errichtet, 
ein  riesengroßer  Rundbau,  ganz  eigentümlich  und  überwältigend. 
Viel  größer  und  wuchtiger  als  das  Baptisterium  in  Fh)renz,  die 
Perle  aller  Baptisterien.  Innen  ist's  sehr  kahl.  Ich  hatte  auch 
keine  Zeit,  die  berühmte  Kanzel  näher  zu  betrachten.  All  diese 
großen  Kanzeln  haben  etwas  Verwandtes  im  Aufbau:  die  vor- 
züglichste soll  in  Pistoja  sein,  in  einer  Kirche,  die  wir  damals 
nicht  sahen,  dann  folgt  diese  und  die  noch  reichere  in  Siena. 
Wie  der  Dombau  in  der  Architektur,  so  stellen  die  Kanzeln 
(von  Niccolö  und  Giovanni  Pisano  1260)  in  der  Skulptur  den 
Beginn  der  modernen  Kunst  dar.  Nur  in  der  Malerei  ist  Pisa 
nicht  vorangegangen. 

Der  Camposanto,  der  Friedhof:  vier  lange,  offene  gotische 
Pfeilerhallen,  welche  ein  stilles  Gärtchen  mit  Zypressen  um- 
schließen, ein  unbeschreiblich  feierlicher  Anblick,  Alle  Wände 
bemalt,  teils  Giottesk,  teils  von  den  vorzüglichen  Meistern  der 
Schule  von  Siena  (darunter,  die  Euch  gewiß  durch  Stiche  bekannte 
Darstellung  vom  Triumph  des  Todes,  früher  Orcagna  zugeschrieben), 
teils  die  berühmten  Bilder  von  Benozzo  Gozzoli,  dieses  fideleu 
Genremalers  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  Im  Vergleich 
mit  letzterem  sieht  man  recht  deutlich,  wie  ernst  uod  heilig  die 
frühen  Meister  waren,  deren  Werke  noch  vom  Geist  Dantes 
durchweht  scheinen  und  die,  zwar  in  Ausführung  befangen,  dem 
Gegenstand  jedesmal  nur  den  entsprechendsten,  deutlichsten  Aus- 
druck geben  wollten:  Right  thinkers! 

Später  wurde  der  Gegenstand  nur  Vorwand.  Wie  heutzutage 
oder  bei  den  späteren  Venezianern  die  Entfaltung  von  Farben- 
pracht und  glanzvoller  Wirkung  der  eigentliche  Beweggrund  ist, 
so  damals  die  Lust  an  mannigfaltigen  Bewegungen  der  mensch- 
lichen Figur.  Ja,  wenn  sie  solch  einen  Turmbau  zu  Babel 
zeichnen  dürfen,  mit  all  der  Wirtschalt  der  Maurer  und  Hand- 
langer usw.  oder  einen  Brand  von  Sodom  und  Gomorrha  oder 
einen  bethlehemitischen  Kindermord  und  dergl.  —  dann  sind  sie 
froh !    —    Aber  es  war  doch  gut,    daß  Rajöael  und  Michelangelo 


—     320     — 

und  Lionardo    kamen    und    Avieder  Ernst  und  Würde    und  Maß 
brachten.  . .  . 

Im  ganzen  erinnert  diese  Reihe  der  unmittelbaren  Vorgänger 
der  Blüte  in  mancher  Hinsicht  au  die  Zeit  der  Meistersinger,  die 
endlos  fortreimen  konnten,  und  jeden  Gedanken,  der  ihnen  einfiel, 
schnell  in  Wort  und  Reime  setzten,  ohne  sich  darum  zu  be- 
kümmern, wie  nachher  das  Ganze  aussah.  —  Man  muß  Zeit 
haben  und  dazu  aufgelegt  sein,  wenn  man  derartige  Werke  be- 
trachten will;  ich  hatte  beides  nicht,  und  kann  den  Gesamtein- 
druck nur  als  den  sehr  mittelmäßiger  bunter  Gobelins  bezeichnen. 
Vor  diesen  gemalten  Wänden  steht  eine  Fülle  der  interessante- 
sten Skulpturen.  Eigentlich  sollten  es  nur  Grabmonumente  sein, 
aber  später  ist  ein  ganzes  Museum  daraus  gew^orden.  Neben  den 
vorzüglichsten  Stücken  der  Pisaner  Schule  sieht  man  antike 
Sarkophage,  Büsten  und  dergl.,  darunter  außerordentlich  Schönes, 
auch  zopfige  und  moderne  Sachen  z.  B.  von  Thorwaldsen.  Sach- 
lich interessant  ist  der  Sarkophag  Kaiser  Heinrichs  VII.,  der 
hier  (oder  in  Siena)  starb,  dann  ein  prächtiges  Denkmal  des 
Grafen  Algarotti,  das  Friedrich  der  Große  „dem  Nebenbuhler 
Ovids,  dem  Schüler  Newtons"  setzen  ließ.  Warum  setzt  er 
solche  Denkmäler  nicht  in  Berlin,  wo  doch  kein  Überfluß  daran 
ist?  —  Die  Zeit  reichte  nicht  mehr,  um  auf  den  schiefen  Turm 
zu  steigen.  Ich  hatte  Not,  rechtzeitig  an  der  Bahn  zu  sein,  um 
noch  nach  Lucca  zu  kommen.  .  .  . 

Der  Weg  zwischen  Pisa  und  Lucca  ist  wundervoll.  Im  Tal 
dieselbe  üppige  Fruchtbarkeit  wie  überall  in  Toskana,  Mais, 
Maulbeeren,  Wein,  in  üppigstem  Geranke  und  sauberster  Ordnung 
und  Pflege,  obendrein  wasserreiche  Gräben,  wie  man  sie  bei 
Florenz  nicht  sieht,  und  dann  die  Berge,  von  Villen  und  Schlössern 
bekränzt,  die  ziemlich  nah  an  die  Bahn  herankommen,  in  der  Ferne 
hohes  Gebirge  mit  phantastisch  ausgezackten,  interessanten  Formen. 

Lucca  macht  einen  sehr  angenehmen  Eindruck.  Es  ist  von 
P^estungsraauern  und  Bastionen  umgeben,  aus  rotem  Backstein, 
der  in  der  Sonne  glänzt.  Schattige  hohe  Bäume  auf  den  Mauern 
und  viele  Spaziergänger.  Man  glaubt  in  Deutschland  zu  sein. 
Ein  hübsches  Barocktor  mit  kräftig  bossierten   dorischen  Säulen 


—     321     — 

führt  in  die  Stadt  hinein.  Hier  kann  man  sich  in  den  schattigen 
kühlen  Anlagen  ergehen,  und  seihst,  wenn  man  sich  als  pHicht- 
getreuer  Reisender  diesem  Vergnügen  nicht  lange  hingibt  und 
weiter  in  die  Stadt  geht,  trifft  man  bald  einen  großen  Platz  in 
doppelter  Reihe  mit  schattigen  Platanen  be])tlanzt.  Eine  italie- 
nische Stadt  mit  Bäumen  —  was  will  man  mehr?  —  Außer 
einem  großen  modernen  Marmordenkmal  für  eine  Herzogin  von 
Lucca,  welches  sehr  vornehm  aussieht,  stellt  hier  der  übliche 
Palazzo  Pubblico  (schöne  Spätreuaissance)  und  darin  eine  sehens- 
werte Bildergalerie.  Diese  war  jedoch  geschlossen,  was  mir  nur 
wegen  der  berühmten  zwei  Fra  Bartolommeos  Leid  tat,  die  sich 
dort  befinden  sollen.  Ein  dritter  sehr  schöner  ist  im  Dom. 
Warum  konnte  man  die  beiden  anderen,  wenn  sie  durchaus  aus 
ihrer  ursprünglichen  kleinen  Kirche  entfernt  werden  mußten, 
nicht  auch  dort  unterbringen?  Dies  Zusammenschleppen  aus  den 
Kirchen  in  die  Museen  heutzutage  ist  so  dumm  und  widerwärtig ! 
Warum  können  die  Kirchen  nicht  zugleich  Museen  sein,  wie  sie 
es  bisher  und  auch  in  antiker  Zeit  waren?  Ich  sehe  darin  so 
recht  die  Herrschaft  des  Gelehrtenstandes  von  heutzutage  und  der 
sogenannten  Gebildeten.  .  .  . 

Der  Dom  von  Lucca  reiht  sich  denen  von  Siena  und  Pisa 
würdig  an.  Keine  der  Kirchen  in  Rom,  Florenz  und  Ne- 
apel kann  sich  in  meinen  Augen  mit  diesen  dreien  messen. 
Außen  romanisch  mit  Säulengalerien  wie  der  Dom  von  Pisa, 
innen  aber  ist  er  gotisch  und  was  für  eine  Gotik !  Namentlich 
die  zierliche  obere  Empore,  durch  die  man  nur  den  dunkeln 
Dachstuhl  sieht,  hat  die  entzückendsten,  schlanksten  Säulchen. 
Gleich  versteinerten  Wasserstrahlen  streben  sie  empor,  und  die 
Nachmittagssonne  beleuchtete  sie  prächtig.  Auch  hier  herrscht 
schöne  Harmonie  in  der  Einrichtung:  prächtige  Frührenaissance- 
skulpturen von  einem  Luccheser  Civitali,  den  besten  Florentinern 
jener  Zeit  ebenbürtig,  Grabmäler,  vor  allen  Dingen  auch  vortreff- 
liche Glasfenster,  .  .  . 

Unter  den  Bildern  besonders  der  schon  erwähnte  Fra  Barto- 
lommeo.  Ich  habe  eine  besondere  Vorliebe  für  den  Frate; 
namentlich  an  seinen  Handzeichnungen  in  den  Uffizien  lernt  man 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe  21 


—     322     — 

ihn  recht  bewundern.  Viele  seiner  Figuren  sind  von  einer 
schlichten  Hoheit  und  uuliewußten  Grazie,  wie  es  kein  anderer 
Künstler,  Raffael  nicht  ausgenommen,  je  erreicht  hat.  Man  fühlt, 
wie  es  ihm  heiliger  Krnst  um  seine  Kunst  war.  Er  arbeitete  in 
demselben  Kloster  San  Marco  —  bekanntlich  veranlaßte  ihn  die 
Begeisterung  für  Savouarola;»  Predigten  der  Welt  zu  entsagen  — 
wo  fast  hundert  Jahre  früher  Fra  Angelico  gewirkt  hatte.  Wie 
anders  war  die  Welt  inzwischen  geworden!  Und  wie  anders  auch 
die  Kunst!  Das  wird  einem  recht  deutlich,  wenn  man  die  beiden 
spitzbogigen  Lünetten,  beide  über  Türen  zum  Refektorium,  mit- 
einander vergleicht,  in  denen  die  bekannte  Szene  von  Emmaus: 
„Bleibe  bei  uns  Herr,  denn  es  will  Abend  werden/'  von  den 
beiden  Malermönchen  behandelt  wurde.  ...  In  meinen  Augen  eine 
der  schönsten  Schöpfungen  der  christlichen  Kunst,  über  aller 
Eigentümlichkeit  ihrer  eignen  Kunst  stehend  und  heute  noch  ge- 
rade so  verständlich  wie  damals.  Ich  finde  sogar  etwas  Schwind- 
sches  darin!  Es  gibt  ja  kein  größeres  Kompliment  für  uns  Mo- 
derne, als  wenn  man  von  unseren  Sachen  sagt:  ganz  wie  ein  alter 
Meister;  ebenso  groß  scheint  mir  aber  das  Kompliment  für  die 
Alten,  wenn  man  von  ihnen  sagen  kann:  ganz  wie  ein  moderner 
Meister  —  wenn  man  von  den  wirklichen  Meistern  spricht, 
natürlich  nicht  Grützner,  Lossow  und  Konsorten.  .  .  . 

Doch  zurück  zu  Lucca!  Es  ist  eine  stille  Stadt;  wenigstens 
machte  sie  am  Sonntag  Nachmittag  diesen  Eindruck.  Man  sieht 
viel  interessante  Kirchen,  mit  meist  romanischen  P^'assaden,  doch 
auch  eine  schöne  Renaissancekirche  mit  Glasfenstern.  In  zweien 
war  Kinderlehre,  in  einer  Predigt.  Der  Geistliche  sprach  wunder- 
schön, was  ich  verstand,  war  klar  und  gut,  auch  viel  Zuhörer 
zugegen. 

Mit  dem  Gefühl  rechter  Befriedigung  fuhr  ich  um  sechs  Uhr 
wieder  nach  Pisa  zurück.  In  ^/^  Stunden  ist  man  da,  Dom, 
Turm,  Baptisterium  wurden  von  der  milden  Abendsonne  wunder- 
voll beleuchtet,  als  wir  langsam  daran  vorbeifuhren,  und  die 
Berge  lagen  klar  in  bläulichem  Purpur  dahinter.  Friedlich 
groß  erschien  dies  „Camposanto  der  einstigen  Größe".  Die 
Zeit  war  zu  kurz,  um  noch  einmal  hinzugehen,   doch  waren  mir 


—     323     — 

immerhin  ^/^  Stunden  gegönnt,  ehe  ich  nach  Florenz  mitfahren 
konnte.  Ich  hegnügte  mich  damit,  das  Flußufer  zu  erreichen 
und  hier  von  den  Brücken  aus  die  Stadt  im  Abendschein  auf 
mich  wirken  zu  lassen.  Auf  den  Wassern,  in  den  Böten  war 
etwas  Leben,  vom  Ufer  aus  sahen  viele  zu.  .  .  .  Eine  sehr  zier- 
liche kleine  Kapelle  am  Ufer  wird  völlig  restauriert,  d.  h.  sie 
haben  sie  ganz  niedergerissen  und  bauen  sie  mit  den  alten 
Steinen  sorgsam  wieder  auf.  Man  sieht:  die  Italiener  haben  jetzt 
wohl  Pietät  für  ihre  alte  Kunst,  wenigstens  offiziell;  von  Re- 
gierungswegen oder  von  seiten  der  Magistratspersonen  herrscht 
sehr  viel  Anstandsgefühl  in  dieser  Beziehung,  mehr  als  au  den 
meisten  Orten  bei  uns;  die  einzelnen  Individuen  freilich  inter- 
essieren sich  nur  ausnahmsweise  wirklich  dafür,  wenn  sie  auch 
anstandshalber  so  tun.  Mehr  wahre  Freude  an  den  Dingen  als 
bei  den  sogenannten  Gebildeten  findet  man  gewiß  bei  den  unteren 
Klassen. 

Als  es  7^4  schlug,  sagte  ich  diesem  friedlichen,  stillen 
Flußbild  Lebewohl  und  kam  noch  rechtzeitig  am  Bahnhof  an. 
Der  Mond  schien  hell  und  klar  während  der  Fahrt,  und  der 
droße  Pinienwald  zwischen  Empoli  und  Florenz,  der  größte,  den 
ich  kenne,  sah  prächtig  aus.  Etwas  nach  zehn  war  ich  da,  um 
Ygll  zu  Haus. 

Das  waren  also  Pisa  und  Lucca!  Beides  stille,  saubere, 
nette  Orte,  aber  welch  ein  Unterschied  gegen  Siena!  Obgleich 
letzteres  wenig  größer  ist  als  Lucca,  was  für  ein  Leben  herrscht 
da!  Nicht  nur  an  diesen  Festtagen,  wo  die  Stadt  voll  Fremder 
war;  auch  bei  meinem  ersten  Besuch  war  mirs  mittelalterlich 
regsam,  vergnüglich  dort  zu  Mut.  Man  denkt  nicht  an  eine  zu- 
rückgekommene Vornehmheit,  sondern  an  ein  glückliches,  be- 
friedigtes Stillstehen  und  Sich-Bescheiden;  ja,  wenn  man  diese 
buntkostümierteu  Abteilungen  durch  die  engen  Straßen  ziehen 
sah,  konnte  man  sich  lebhaft  an  die  alte  Glanzeszeit  gemahnt 
fühlen,  wo  Siena  mit  Florenz  wetteiferte.  Wohl  gar  an  jenen 
glänzendsten  Tag  in  Sienas  Geschichte,  als  es,  mit  Hilfe  von 
König  Manfreds  300  deutschen  Rittern,  die  mächtige  Rivalin 
völlig  besiegt  hatte,  ihr  großes  Schlachtenbauner,  an  eines  Esels 

21* 


—     324     — 

Schwanz  gebunden,  durch  die  Straßen  schleifte,  und  das  siegreiche 
Heer  mit  Ölzweigen  in  den  Händen,  Psalmen  singend,  seinen 
Einzug  hielt.  Damals  war  die  Rede  davon,  ganz  Florenz  zu 
schleifen,  und  nur  ein  einziger  der  Ghibellinen  von  Florenz  (die 
mit  den  Sienesen  verbündet  waren)  hatte  die  Kourage  zu  oppo- 
nieren! Wie  war  doch  trotz  aller  schönen  Einzelzüge  jene 
Glanzzeit  Italiens  kleinlich  und  erbärmlich!  Darin  ist  die  Neu- 
zeit größer  und  menschlicher,  auch  in  der  Politik  heißt's  allmäh- 
lich: leben  und  leben  lassen. 

Zu  Siena  hole  ich  noch  nach,  daß  die  gewinnende  Contrada 
sich  nur  das  Recht  ersiegt,  alle  anderen  acht  Tage,  lang  in  allen 
möglichen  Lokalen  frei  zu  halten.  Das  ist  doch  hübsch!  —  Das 
Pferd,  welches  in  der  Probe  das  letzte  war,  trägt  beim  Umher- 
führen eine  große  Nachtmütze!  .  .  . 

Florenz,  Mittwoch  abend  25.  Juli  1877. 
Liebe  Mutter! 
.  .  .  Von  mir  ist  nicht  viel  zu  berichten  —  doch,  allerlei! 
Von  meinen  Wandmalereien  habe  ich,  glaube  ich,  noch  gar  nicht 
geschrieben?  Überhaupt  von  Frl.  v.  Willemoes  noch  nie?  Sie 
ist  die  Schwester  des  ehemaligen  Altonaer  Polizeipräsidenten,  eine 
kluge,  natürliche,  freundliche,  häßliche,  alte  Dame  .  .  .  mit  einem 
Worte  sie  ist  die  liebenswürdigste  alte  Jungfer,  die  ich  seit 
langer  Zeit  kennen  gelernt  habe  und  wir  vertragen  uns  sehr 
gut  .  .  .  Ich  lernte  sie  bei  Ludmilla  Assing  kennen.  Am  ersten 
Abend  nach  meiner  Rückkehr  traf  ich  sie  dort,  und  sie  lud  mich 
sogleich  ein,  sie  an  einem  der  nächsten  Abende  in  ihrer  Sommer- 
frische zu  besuchen,  was  ich  denn  auch  gemeinschaftlich  mit 
Pastor  Rönnecke  und  Bruder  tat.  ...  Es  war  einer  der  hübschesten 
Abende  hier.  In  einem  alten  Nonnenkloster,  nicht  weit  von  der 
Stadt,  hochgelegen,  mit  stillem,  klosterartigen  Gärtchen  liegt  ihre 
Sommerfrische;  wir  saßen  auf  einer  langen  offenen  Terrasse  und 
sahen  den  Abend  über  der  Stadt  verglühen.  Ludmilla  war  elend 
und  still,  selbst  das  stets  gesprächige  Frl.  von  Bach  —  eine  ältere 
junge  Dame  aus  Oldenburg,  die  in   diesem  Kreise   viel  verkehrt 


—     325     — 

—  verstummte  —  statt  dessen  quakten  in  der  Ferne  einige 
Frösche  —  es  war  wirklich  sehr  schön.  Nachher  brannte  der 
Portier  ein  paar  bengalische  "Flammen  ab,  welche  die  schönen 
Lorbeer- und  Olivenbüsche  phantastisch  beleuchteten  und  Ludmilla 
in  solch  affektierte  Begeisterungsausbrüche  versetzten,  daß  Pastor 
Rönneckes  Bruder  mich  fortwährend  in  den  Arm  kniff  —  dann 
gingen  wir  ins  Haus  zurück;  .  .  .  ein  allerliebster  blonder  italie- 
nischer Backfisch,  die  Tochter  der  Wirtsleute,  sang  ein  italie- 
nisches Lied.  .  .  .  Endlich  gingen  wir  alle  zusammen  auf  dem 
schönen  Viale  del  CoUo  in  sanftem  Mondschein  zur  Stadt 
zurück . 

Auf  diesem  Heimweg  eröffnete  mir  Frl.  v.  Willemoes  ihre 
Absicht  ihre  neue  Wohnung,  die  sie  sich  bei  Ludmilla  im  zweiten 
Stock  gemietet  hätte,  selbst  al  fresco  auszumalen,  in  der  harmlos 
fidelen  Art,  wie  man  es  hier  in  ländlichen  kleinen  Villen  und 
Wirtshäusern  so  oft  findet.  Ob  ich  ihr  über  die  Technik  nähere 
Aufklärung  geben  könnte?  Genug,  das  Ende  vom  Lied  ist,  daß 
ich  sie  alle  Wochen  etwa  zweimal  Nachmittags  von  fünf  bis 
sieben  besuche  und  ihr  malen  helfe,  mit  gewöhnlichen  Leimfarben, 
was  mir  viel  Spaß  macht  und  wobei  ich  allerlei  lerne.  Es  ist 
eine  kleine  quadratische,  hochgewölbte  Küche.  Die  Decke  haben 
wir  blau  streichen  lassen:  das  bedeutet  Luft.  In  Menschenhöhe 
wird  eine  Stein  wand  gemalt,  von  Wein,  Rosen  usw.  umrankt;  in 
einer  Nische  steht  eine  alte  Dantebüste,  eine  große  Fratze  speit 
Wasser  in  ein  Marmorbecken,  aus  welchem  ein  Vogel  trinkt;  in 
einer  Ecke  steht  ein  großer  Weinkrug,  auf  dem  Boden  liegen 
allerlei  leere  und  volle  Fiaskos,  Zwiebeln,  Schinken  usw.  hängen 
daneben.  Eine  große  Bronzetafel,  mit  dem  von  Willemoesschen 
Wappen,  von  zwei  Sphinxen  bewacht,  war  meine  erste  Tat;  heute 
leistete  ich  in  einer  Stunde  den  ganzen  Palazzo  vecchio,  welcher 
in  blendender  Abendsonnenbeleuchtung,  von  Ferne  über  die  Mauer 
dieses  Küchengärtchens  hereinschaut.  Die  neueste  Idee  von  Frl. 
V.  W.  ist  ein  lebensgroßer  Pfau,  der  auf  der  Mauer  sitzen  soll, 
aber  diese  Woche  werde  ich  ihn  wohl  noch  nicht  verfertigen. 
Sie  kann  nun  erst  einmal  ihren  Schinken  fertig  malen !  —  Ist  das 
nicht  eine  lustige,  phantastisch-deutsche  Idee  dieser  alten  Dame? 


—     326     — 

Und  mit  wieviel  Eifer  und  Selbstironie  sie  dabei  ist,  solltet  Ihr 
sehen!     Dabei  unterhält  mau  sich  vortretilich  mit  ihr. 

Der  Pitti  wird  erst  nächste»  Woche  wieder  eröffnet.  Ich 
mache  inzwischen  hauptsächlich  Studien  bei  den  Venezianern,  um 
mich  für  den  verkürzten  Aufenthalt  in  der  Lagunenstadt  zu  ent- 
schädigen. Heute  ist  Vollmond;  den  nächsten  erlebe  ich  hoffent- 
lich dort. 

Sonntag  waren  wir  in  Prato  und  Pistoja,  zwei  nette  Städtchen 
auf  dem  Wege  nach  Norden,  so  etwa  was  für  Hamburg  Ahrens- 
burg und  Oldesloe  sein  würden  —  freilich  etwas  größer  und 
weiter  entfernt  —  aber  was  für  ein  Unterschied!  Was  haben  all 
diese  kleinen  Nester  hier  für  eine  Geschichte  und  für  eine  Menge 
sehr  beachtenswerter  Kuustschät/e!  Außer  der  Kathedrale  hat 
jedes  wohl  noch  vier  bis  sechs  sehenswerte  Kirchen,  die  meisten 
aus  früh  mittelalterlicher  Zeit,  romanisch,  mit  schwarz  und  weißem 
Marmor  inkrustiert.  —  Nähere  Beschreibungen  will  ich  nicht  liefern, 
nur  noch  erwähnen,  daß  Prato  der  Schauplatz  der  berühmten 
Malergeschichte  des  Fra  Filippo  Lippi  ist,  des  Mönchs,  der  sich 
in  Frl.  Buti  verliebte  (die  Tochter  eines  edlen  Florentiners, 
die  hier  bei  den  Nonnen  in  Pension  war),  sie  sich  zum  Modell  für 
ein  Madonnenbild  ausbat  und  dann  mit  ihr  auf  und  davon  ging. 
Selbst  die  neuesten  Kritiker  stellen  diese  (Tcschichte  nicht  in  Frage. 
Er  blieb  übrigens  Mönch,  wurde  seines  Gelübdes  nicht  entbunden, 
lebte  aber  trotzdem,  wenn  auch  in  vielen  Sorgen,  mit  seiner 
Lucrezia  zusammen,  hauptsächlich  hier  in  Prato,  wo  denn  auch 
das  älteste  ihrer  Kinder,  der  nachmalige  Filippino  Lippi  geboren 
sein  soll.  —  Bisher  hatte  ich  mich,  nach  den  in  Florenz  vor- 
handenen Bildern,  noch  nicht  recht  für  Fra  Filippo  begeistern 
können,  aber  von  ihm  gilt  dasselbe  wie  von  den  meisten  wirklich 
großen  Meistern  jener  Zeit:  nur  ihre  Fresken  geben  einen  richtigen 
Begriff  von  ihnen.  Seine  Bilder  im  Dom  von  Prato  (sein  Haupt- 
werk) sind  wirklich  sehr  schön  und  so  vollendet,  daß  auch 
ein  vollständiger  Laie  sich  an  ihnen  erfreuen  müßte.  L'nd  diese 
Bilder  sind  ca.  fünfundzwanzig  Jahre  vor  Kaffaels  Geburt 
gemalt. 

Außerdem    sah    ich  in   Prato  das    schönste    schmiedeeiserne 


—     327     — 

Gittftr,  das  ich  kenne,  mehrere  sehr  nette  Brunnen:  einen  großen 
modernen,  so  hübsch,  daß  man  ihn  ebenso  gut  für  alt  halten 
könnte  —  und  einen  alten,  im  dessen  Mitte  ein  dicker  kleiner 
Rac(  hus  sitzt  und  mit  beiden  H.inden  in  eine  große  Weintraube 
drückt,  die  ihm  als  Sitz  dient,  so  daß  das  Wasser  in  vielen 
kleinen  Strahlen  herausgequetscht  wird.  —  Eine  schöne  Krüh- 
renaissance  Kirche  in  griechiscliem  Kreuz,  von  Saiigallo  nach 
dem  Vorbild  der  Pazzikapelle  bei  Santa  Croce  gebaut,  mit  farbigem 
glasierten  Robbiafries  ist  von  besonderem  architektonischen  Inter- 
esse; eine  andere  gefiel  uns  wegf^n  des  stillen  Kreuzganges,  in 
dessen  Mitte  ein  sauberes  Gärtchen  mit  blühendem  Oleander- 
gebüsch und  zopfig  verschnittenen  Zypressen  war  und  alte  Franzis- 
kanermönche hin-  und  hergingen,  während  aus  der  Kirche  das 
lustigste,  kindlich  fröhlichste  Orgelspiel  herausschallte,  mit  Läufen 
aus  der  Mandnlinata  vermischt.  —  Kurz,  Prato  ist  ein  prächtiges 
Städtciien  uud  übertraf  all  unsere  Erwartungen. 

Pibtoja  ist  gröber,  liegt  schön,  dem  Fuß  des  Apenin  näher, 
aber  in  künstlerischer  Hinsicht  hat  mir  Prato  doch  besser  gefallen, 
obgleich  es  hier  noch  mehr  zu  sehen  gibt.  Von  allen  Kunst- 
werken interessierte  mich  am  meisten  die  Fassade  des  Hospitals, 
welche  ihrer  ganzen  Länge  nach  über  der  oö'enen  Säulenhalle, 
mit  einem  breiten  farbigen  Robbiafries  bedeckt  ist,  in  sieben 
großen  Bildern  die  sieben  Werke  der  Barmherzigkeit  (jedes  in 
etwa  zwölf  Figuren)  darstellend.  Es  ist  dies  durchaus  nicht  die 
vorzüglichste  aber  die  umfangreichste  aller  Robbiaarbeiten,  enthält 
im  einzelnen  viele  schöne,  naive  Züge,  und  die  Gesamtvvirkung 
ist  überaus  reich  und  lustig.  Denn  diese  glasierten  Kacheln 
(weiter  ists  ja  eigentlich  nicht)  tiot/en  der  Witterung  besser 
als  Stein  und  Erz,  geschweige  denn  Marmor  und  Freskomalerei. 
Die  Farben  sind  heute  gerade  so  frisch  wie  vor  dreihundert 
Jahren.  —  Eine  derartige  Industrie  könnte  so  gut  bei  uns  ge- 
deihen und  wird  es  auch  ohne  Frage  mit  der  Zeit.  Unsere 
farbig  glasierten  Ziegel,  unsere  Terracottaornamente  sind  schon 
der  erste  Schritt  dazu.  Zur  Dekoration  der  Außenseite  unserer 
Häuser  eignet  sich  nichts  so  gut  als  gerade  dies.  Malereien 
können  wir  bei  unserem  Klima  ja  nur  innen  gebrauchen.  —  Und 


—     328     — 

der  Robbiasclie  fromme,  naive,  schlichte,  launige  Sinn  berührt  sich 
so  nahe  mit  dem  besten  was  die  deutsche  moderne  Kunst  her- 
vorgebracht hat:  mit  Schwind  und  namentlich  mit  Ludwig  Richter. 
Der  ist  im  Holzschnit  wie  jener  in  Kacheln  für  mich  gerade  so 
groß  wie  Raffael  und  Michelangelo  in  ihren  Fresken.  .  .  . 

Ich  kann  von  Pistoja  außerdem  noch  berichten,  daß  daselbst 
ein  Pferderennen  stattfand:  Chorso  degli  chavalli  (der  Toskaner 
kann  bekanntlich  kein  k  sprechen  und  sagt  statt  dessen  ch).  Längs 
der  Stadtmauer,  mit  Aussicht  auf  einen  alten  Festungsturm  und  die 
Berge  dahinter,  waren  die  Schranken  aufgerichtet.  Um  halb  sechs 
sollte  es  beginnen,  aber  es  wurde  halb  sieben,  doch  das  Treiben  war 
die  Hauptsache:  die  vielen  Musikkorps,  die  hier  eine  Art  Phantasie- 
uniform tragen,  die  Verkäufer  von  frischen  Wassermelonen  und 
anderem  Zeug,  die  harmlosen,  so  anständig  sich  benehmenden 
Leute  aller  Stände,  kein  einziger  Betrunkener  usw.  Nur  ein  Rennen 
(zweirädiger  Wagen)  erlebten  wir,  dann  wars  Zeit  zur  Abfahrt.  — 
Durch  die  üppigen  Fluren  —  Toskana  heißt  doch  der  „Garten 
Italiens"  —  wo  jedes  Feld  von  Maulbeerbäumen  eingefaßt  ist,  der 
Wein  überwuchert,  gings  dem  lieben  alten  Florenz  zu,  wo  wir  um 
^/^9  wieder  anlangten.  —  Es  geht  mir  mit  den  Städten  Italiens 
wie  jenem  Knaben  mit  den  Jahreszeiten,  der  nach  der  Reihe 
Frühling,  Sommer,  Herbst  und  Winter  für  die  schönste  erklärte 
und  dem  Vater  seine  Bewunderung  jedesmal  ins  Taschenbuch 
schreiben  mußte!  Neapel,  Rom,  Florenz  —  und  vielleicht  sage 
ich  bei  Venedig:  das  beste  kommt  zuletzt!  .  .  . 

Mit  vielen  Grüßen 

Dein  Hans. 


Florenz,  Sonntag  abend,  29.  Juli  1877. 

Liebe  Mutter! 

Heute    las    ich   in    der  Zeitung    den   Namen  des  russischen 

Justizministers  von  Pahlen;  dabei  fiel  mir  der  Aufenhalt  in  Capri, 

an    den  ich  lange  nicht   mehr  gedacht  hatte,    recht  lebhaft  ein, 

und    so    will    ich   denn   endlich  Dein  Verlangen  danach  erhören. 


—     329     — 

Komme  ich  jetzt  nicht  dazu,  so  unterbleibt's  überhaupt.  —  Ein 
Fräulein  von  Pahlen  nämlich,  sei  sie  nun  die  Tochter  oder  eine 
weitläufige  Verwandte,  war  unser  Gegenüber  bei  Tisch,  als  wir 
uns  abends  nach  einem  vorläufigen  Orientierungsbummel  bei 
Pagano  einfanden,  eine  junge  Dame  von  etwa  26  Jahren,  blond, 
stark,  mit  lebhaften,  blauen  Augen,  eine  echte  von  Gesundheit 
und  Leben  strotzende,  ostpreußische  oder  livländische  Adelige, 
die  daheim  gewiß  mehr  zu  reiten  und  zu  jagen  gewohnt  ist  als 
Strümpfe  zu  stopfen,  und  nun  hier  in  Italien  die  Museen  mit  sehr 
viel  Gründlichkeit  studiert,  ja,  sie  hatte  den  ganzen  Winter  die 
archäologischen  Vereinigungen  und  Vorlesungen  des  deutschen 
Instituts  besucht,  mehrfach  mit  ihren  speziellen*Landsleuten,  von 
denen  auch  ich  einige  kannte,  gekneipt  —  genug  eine  nicht  all- 
tägliche Erscheinung.  .  .  .  Diese  Dame  und  ihre  ältere  Freundin, 
eine  stille,  häßliche  aber  nette  und  gebildete  Sächsin  waren  un- 
mittelbar vor  uns  mit  dem  Dampfschiff  angekommen  und  saßen 
uns  bei  Tisch  gegenüber,  denn  bei  Pagano  gilt  durchaus  die 
Anziennität.  Wir  kamen  bald  ins  Gespräch,  welches  sogleich  sehr 
munter  und  laut  wurde  und  dem  oberen  Teil  der  Tafel  offenbar 
durchaus  nicht  gefiel.  Derselbe  bestand  aus  deutschen  Studenten 
oder  jungen  Doktoren.  Natürlich  genierte  uns  das  gar  nicht,  wir 
fühlten  uns  im  Gegenteil  sehr  hoch,  so  im  Nu  die  erste  Rolle  zu 
spielen,  und  jeder  tat  sein  Bestes,  die  Geistreichigkeiten  und  Ge- 
lehrsamkeiten der  Dame,  die  sie  nicht  ungern  zutage  förderte, 
zu  überbieten  oder  schlagfertig  zu  parieren.  Es  war  so  lange 
her,  seitdem  ich  mit  einer  deutscheu  Dame  mich  unterhalten 
hatte,  daß  es  mir  sehr  viel  Spaß  machte  und  infolgedessen  war 
ich  auch  so  gut  aufgelegt,  daß  Gildemeister  mir  nachher  ein 
Kompliment  machte.  .  .  .  Pagano  ist  weltberühmt  als  Künstler- 
herberge. Zuerst  waren  meist  Franzosen  da,  dann  Franzosen 
und  Deutsche  gemeinschaftlich,  jetzt  fast  nur  Deutsche.  Es 
gibt  kaum  eine  Tür  im  ganzen  Haus,  sowohl  im  Eß-  wie 
in  den  Schlafzimmern,  die  nicht  bemalt  wäre  und  zwar  sind 
wunderhübsche  Sachen  darunter,  Landschaften,  Blumen,  pom- 
pejanische  Figürchen,  lebensgroße  Studienköpfe,  Genreszenen, 
alles  bunt    nebeneinander.     Ein    kleines  Ding  von  A.  v.  Werner, 


—     330     — 

dem  Direktor  der  Berliner  Akademie,  gehörte  zu  den  fleißigsten 
und  schwächsten,  was  mich  freute.  Einer  der  interessantesten 
Schätze  ist  das  Karrikatureubuch.  Darin  ganz  vorzügliche  Sachen, 
auch  viele  Bekannte  aus  Weimar.  .  .  . 

Doch  wohin  gerate  ich?  Von  Capri  will  ich  erzählen.  Also 
erstlich:  wir  hatten  kein  sonderliches  Wetter.  Nie  klaren  Aus- 
blick aufs  Festland,  die  Insel  war  fortwährend  mit  Nebelwolken 
verhüllt,  nur  bei  Nacht  sah  man  die  Lichter  von  Neapel  herüber- 
scheinen. Aber  doch  hatten  wir  einen  herrlichen  Nachmittag: 
Die  Südostecke  der  Insel,  die  dem  festen  Lande  zunächst  Liegt, 
wird  Salto  di  Tiberio  genannt.  Von  der  Steilheit  und  Höhe  der 
Felsen  hier,  die  beinahe  ganz  senkrecht  aus  dem  blauen  Meer  auf- 
ragen, macht  man  sich  keinen  Begriff,  wenn  man's  nicht  sieht; 
selbst  es  gesehen  zu  haben  nützt  nichts:  ich  weiü  heute  ganz  genau, 
daß  ichs  nicht  mehr  so  steil  und  gewaltig  in  der  Erinnerung  habe, 
wie  es  wirklich  ist.  Hier  soll  der  Hauptpalast  des  Tiberius  gestanden 
haben,  als  er  sich,  halbwahnsinnig,  auf  diese  einsame  Felsen- 
insel zurückzog,  wo  im  ganzen  vierzehn  seiner  Villen  gestanden  haben 
sollen.  Man  zeigt  auch  die  Stelle,  wo  er  bisweilen  zum  Zeitvertreib 
Sklaven  hinabstürzen  ließ  und  ihnen  nachrief,  sie  sollten  versuchen 
ans  Land  zu  schwimmen!  —  Es  sind  noch  allerlei  römische  Mauer- 
reste da;  ein  Raum  heißt  das  Theater,  ein  anderer  das  Tricli- 
uium,  einige  Gewölbe  werden  als  große  Fischbehälter  ausgegeben, 
in  denen  er  seine  Murenen  mit  Menschenfleisch  fütterte,  aber 
nichts  Gewisses  ist  zu  erkennen.  Oben  auf  der  höchsten  Spitze 
ist  eine  kleine  Kapelle,  dort  wohnt  ein  Einsiedler,  der  erste,  den 
ich  in  meinem  Leben  sah,  aber  lange  nicht  so  amüsant  wie  der 
Österreicher  vom  Albaner  See.  Dieser  war  Schuster  gewesen 
und  hatte  in  seiner  Krankheit  gelobt,  wenn  er  besser  würde, 
wolle  er  zum  Dank  „nie  wieder  arbeiten".  Das  hält  er  denn 
auch  getreulich,  lebt  von  den  Almosen  der  Fremden,  denen  er 
Wein  und  Stühle  anbietet  und  die  in  vier  Sprachen  durch  ein 
großmächtiges  Plakat  zur  Wohltätigkeit  gegen  ihn  ermahnt  werden. 
Hier  oben  ist  wohl  die  schönste  Übersicht  über  die  Insel,  wie 
über  die  Küste  des  Festlandes,  von  den  Inseln  Ischia  und  Pro- 
cida  links  beginnend,  am  Golf  von  Neapel  entlang  bis  zum  Vor- 


—     331     — 

gebirge  von  Campanella,  das  man  mit  einem  Steinwurf  glaubt 
erreichen  zu  können  und  rechts  davon  die  Ufer  des  Golfs  von 
Saleruo  bis  nacb  Paestum  bin.  Der  Nebelschleier  wogte  gewaltig, 
flog  in  großen  Wolken  über  die  Insel  und  zog  an  uns  vorbei,  der 
sinkenden  Sonne  entgegen,  vor  deren  Kraft  er  zerrann;  dann 
sah  man  für  Augenblicke  die  ganze  Pracht  vor  sich  liegen,  aber 
im  Nu  hatten  sich  neue  Wolken  zusammengeballt  und  hüllten 
uns  ein.  Die  Schlagschatten,  die  wir  auf  das  neblige  Meer  zu 
unseren  Füßen  warfen,  zeigten  das  Phänomen  großer  Heiligen- 
scheine um  unsere  Köpfe,  was  ich  noch  nie  gesehen  hatte.  Wir 
hofften,  bei  Sonnenuntergang  würden  wir,  wenn  wir  ausharrten, 
durch  einen  völlig  klaren  Himmel  belohnt  werden,  lagerten  uns 
im  wehenden  dürren  Gras  auf  dem  stolzen  Felsen  und  warteten. 
Immer  unruhiger  und  wilder  wirbelten  die  Nebel,  gleich  den 
unendlichen  Geisterschaaren  aus  Dantes  Unterwelt,  um  die 
Insel  und  an  uns  vorüber;  bisweilen  wurden  die  Pausen  länger, 
so  daß  wir  die  hellen  Häuser  von  Neapel,  das  weiße  Observa- 
torium und  die  kleinen  Häuserchen,  Villen  und  Orte  erkennen 
konnten,  die  uns  durch  das  oftmalige  Daranvorbeifahren  auf  der 
Eisenbahn  von  Neapel  nach  Pompeji  allmählich  als  gute  Bekannte 
erschienen;  dazu  der  Vesuv  in  dunkelpurpurrotem  Abendschein, 
mit  goldig  weißroter  Dampfwolke.  Aber  der  Ausblick  dauerte 
nie  länger  als  eine  Minute  —  dann  kamen  die  gespenstigen, 
grau-weißlichen  Nebel  wieder  in  langen  Zügen,  wie  Geisterträume, 
und  wir  mußten  ihre  rasch  wechselden  P'ormen  bewundern  odei, 
da  das  Auge,  das  nicht  lange  aushält,  in  die  klare,  blaue  Tiefe 
hinabschauen,  die  mit  weißköpfigen  Wellen  den  Fuß  des  Riesen- 
felsens umspült.  Abgesehen  von  einigen  Vögeln  und  einer  meckern- 
den Ziege  -auf  einem  weniger  steilen  Vorsprung  sah  und  hörte 
man  nichts;  nur  der  Vesuv  erschien  uns  als  lebendes,  vernünftiges 
Wesen  inmitten  dieser  in  angstvoller  Flucht  vorbeiquirlenden 
Gespenster.  —  Ich  möchte  diesen  Abend  nicht  um  einen  mit 
völlig  klarer  Aussicht  hingeben!  Er  war  großartig,  eigentümlich 
und  das  schönste  Gegenstück  zum  friedvollen,  klaren  Sonnen- 
untergang, den  wir  nachdem  auf  Camaldoli  erlebten.  .  .  . 

Am  dritten  und  letzten  Nachmittag  machten  wir  die   Fahrt 


—     332     — 

uacli  der  blauen  Grotte.  In  einem  kleinen  Boot  rudert  man  am 
hohen  Felsenufer  entlang  durch  die  stille,  herrliche  Bläue.  Zwei 
Jungen  waren  unsere  Bootsleute,  von  denen  der  kleinere  durch- 
aus nicht  die  so  oft  gemalte  italienische  Schönheit  mit  dunklen 
Augen  und  schwarzer  Lockenpracht  besaß,  aber  dafür  eine  recht 
allgemein  menschliche,  helle,  kluge  Hübschheit  und  Gewandtheit 
und  von  einer  geistigen  Aufgewecktheit  und  Lernbegier  war,  wie 
sie  mir  selbst  unter  den  begabten  Italienern  kaum  vorgekommen 
ist.  —  Nach  langem  Versuchen  gelangten  wir  endlich  (lurch  das 
enge  Loch  in  die  Grotte.  Es  ist  so  viel  darül^er  geschrieben 
worden,  daß  ich  mir's  erlassen  kann.  Aber  den  Entdecker  beneide 
ich.  Das  muß  ein  überwältigender  Anblick  gewesen  sein,  so  ganz 
unvermutet  ins  Feen-  oder  Nixenreich  zu  gelangen.  Wir  heut- 
zutage sind  schon  darauf  vorbereitet  und  dennoch  überrascht  es. 
.  .  .  Unmittelbar  vom  Eingang  der  Grotte  aus  kann  man  auf 
steiler  Felsenstiege  zur  Insel  hinaufkommen,  nach  Anacapri,dem 
kleinen,  höher  gelegenen  Ort.  Das  taten  wir,  hielten  uns  aber 
im  Nest  nicht  länger  auf,  als  zu  einer  Gazzosa  nötig  war  und 
bestiegen  die  Ruine  des  alten  Kastells,  die  auf  der  Mitte  der 
Insel  liegt;  hier  hauste  im  16.  Jahrhundert  der  Seeräuberkönig 
Chayreddin  Barbarossa,  der  vom  Volke  hier  mit  dem  imperatore 
Barbarossa  identifiziert  wird.  Auch  von  hier  aus  hat  man  eine 
herrliche  Aussicht.  Die  Luft  war  trüb,  mild,  grau  mit  rosigen 
Abendwolken,  und  ein  Gefühl  tiefsten  Friedens  überkam  mich. 
Wohl  konnte  ich  begreifen,  wie  man  wünschen  kann,  sich  nach 
bewegtem  Leben  hierher  zurückzuziehen  und  im  Angesichte  der 
„Welt"  —  denn  das  ist  Neapel  und  seine  Umgebung  —  hier  in 
tiefster  Weltabgeschiedenheit  seine  Tage  zu  beschließen.  Den 
alten  Löwen  Garibaldi  fesselt  ein  ähnliches  Gefühl  an  sein 
Caprera.  .  .  .  Was  Platen  von  Amalfi  sagt,  das  empfand  ich  hier 
noch  mehr: 

„Ja,  hier  möchte  der  Geist  ausruhen  nach  stürmischem  Leben 
Ruhig,  wie  friedliches  Silbergewölk  in  Nächten  des  Vollmonds, 
Irgendein  Herz  nach  Stille  begierig  und  süßer  Beschrän- 
kung." 


—     333     — 

...  So  waren  unsere  Nachmittage!  —  Ganz  anders  die 
Abende  nach  dem  Essen.  Am  ersten  gingen  wir  spazieren  und 
wollten  auf  einem  näheren,  steileren  Weg  als  dem  gewöhnlichen 
zum  Strand  hinab.  Die  Stufen  waren  recht  unregelmäßig,  eckig 
und  die  Nacht  stockfinster.  .  .  .  Wir  vollbrachten  den  beschwer- 
lichen Weg  wirklich  —  ich  kann  im  l)unkel  ja  merkwürdig  gut 
sehen  —  erfreuten  uns  der  friedlichen  Musik  der  langsam  ans 
Ufer  spülenden  Wogen,  lagen  lange  auf  dem  Rücken  im  warmen 
Sande  und  betrachteten  die  Sterne.  .  .  .  Eigentlich  w^ollten  wir 
noch  baden,  aber  wir  hatten  unsern  guten  Herrn  von  Schenken- 
dorff  schon  ohnedies  lange  genug  warten  lassen  und  klommen 
deshalb,  als  es  ^gll  schlug,  rasch  die  steilen  Stufen  wieder  hinan. 
Er  saß  mit  anderen  Deutschen  gemütlich  beim  Bier  im  .,Hidi- 
geigei*',  wir  tranken  auch  noch  unsern  Schoppen  und  gingen 
dann  schlafen.  Diese  Bierwirtschaft  verdankt  ihr  Ent-  und  Be- 
stehen natürlich  auch  nur  den  vielen  Deutschen  und  ihren  Namen 
dem  Scheffeischen  „Trompeter",  der  hier  „auf  Don  Pagano's  Dach'-', 
wie  man's  in  der  Vorrede  lesen  kann,  entstanden  ist.  Hier  empfand 
ich  mehrfach  fast  eine  stille  Trauer,  daß  ich  nicht  zu  den  Ver- 
ehrern dieses  vielbewunderten  Gedichts  gehöre  und  habe  mir 
vorgenommen,  es  gelegentlich  doch  noch  einmal  zur  Hand  zu 
nehmen.  Vielleicht  gefällt  es  mir  jetzt  besser  als  damals  in 
meiner  anspruchsvollen  Jugendperiode.  .  .  . 

Die  beiden  folgenden  x\bende  war  Tarantella.  Sobald  eine 
leidliche  Anzahl  von  Fremden  gelandet  ist,  in  der  Regel  alle 
Sonntage,  pflegt  Don  Michele,  der  Besitzer  der  Bierwirtschaft  und 
ein  besonders  unternehmungslustiger  Geist,  einen  Tarantellaabend 
zu  arrangieren.  Jeder  Zuschauer  bezahlt  2  Francs;  dafür  besorgt 
Don  Michele  Beleuchtung,  Bewirtung  (bestehend  aus  Wein  und 
und  kleinen  mit  Schmandt  bestrichenen  Brötchen),  bezahlt  die 
Tänzerinnen,  die  Musik,  d.  h.  eine  das  Tamburin  schlagende 
Alte,  und  das  Lokal.  Das  Lokal  wechselt;  heute  war's  wie  zu- 
meist, „im  Hause  der  schönen  Amalia".  Alle  Häuser  werden 
nach  dem  Namen  der  Töchter  bezeichnet,  wenn  solche  vorhanden 
und  nur  halbwegs  hübsch  sind.  Bei  dem  Wort  „bella"  muß  mau 
sich  nicht  zu  gewaltige  Vorstellungen   machen.     Es  heißt  mehr: 


-     334     — 

die  Schöne  im  allgemeinen,  also  etwa:  Fräulein  o.  dgl.  Volks- 
tracht gibts  auf  Capri  nicht  mehr;  zwei  der  Mädchen  hatten 
zwar  zum  Tanz  eine  Art  Mieder  angezogen,  es  war  aber  womög- 
lich noch  charakterloser  als  das  allergewöhnlichste  Schäferinnen- 
mieder eines  Kostümverleihers,  Im  übrigen  trugen  sie  gewöhn- 
liche helle  Kattunkleider  mit  langen  Ärmeln,  die  im  Mieder 
kurzärmelige  Hemden  —  also  nichts  Apartes.  Auch  die  Frisur 
ist  ganz  simpel,  wie  alle  Bauernmädchen  in  der  ganzen  Welt 
sie  haben.  Zwei  hatten  bloße  Füße,  was  aber  kaum  zu  merken 
war.  Man  setzt  sich  auf  wacklige  Bänke  vor  den  weiß  abfärben- 
den Wänden,  und  einige  Augenblicke  herrscht  verlegene  Stille,  da 
man  sich  gegenseitig  gar  nicht  kennt.  Schließlich  beginnt  eine 
der  betreffenden  Mütter,  die  gewöhnlich  alle  vier  erscheinen  und 
in  einer  Ecke  kauern,  das  Tamburin  zu  schlagen;  dann  geht  der 
Tanz  los,  der  die  meisten  Zuschauer  offenbar  sehr  enttäuschte. 
Ich  hatte  nicht  viel  erwartet  und  fand  ihn  recht  graziös;  zu 
beschreiben  ist  er  natürlich  nicht.  Besonders  die  eine,  Carmela, 
die  blonde,  die  wie  ein  hübsches,  deutsches  Bürgermädchen  aussah, 
die  schlankste,  liebenswürdigst  schüchterne  Erscheinung  von  allen, 
hatte  einige  Bewegungen,  an  denen  ich  mich  nicht  satt  sehen 
konnte,  aber  als  ich  sie  am  andern  Tag  zu  skizzieren  versuchte, 
hatte  ichs  vergessen.  Die  beiden  anderen  Carmelen,  die  piccola 
und  die  nera  waren  bäurischer,  die  nera  ebenfalls  recht  graziös, 
nur  in  anderer  Weise.  Auch  sie  war  nicht  häßlich,  aber  voller 
Sommersprossen  und  glich  einem  deutschen  „braunen"  Bauern- 
mädchen. Unsere  Livländerin  konnte  sich  gar  nicht  mit  ihrer 
Erscheinung  zufrieden  geben,  da  sie  schon  vorher  soviel  von  ihr 
als  dem  „Reh  der  Wildnis"  hatte  reden  hören.  Die  vierte  end- 
lich war  die  berühmte  Mariuccia,  vor  einigen  Jahren  die  gefeiertste 
Schönheit  der  Insel,  jetzt  etwas  zu  sehr  in  die  Breite  gegangen, 
aber  von  so  fein  geschnittenen,  üppig  schönen  Zügen,  mit  so 
blitzenden  Augen,  Zähnen  und  so  wild  bacchantischen  Bewe- 
gungen, wie  man  sich  eine  Tarantellatänzerin  von  Rechts  wegen 
zu  denken  hat.  .  .  .  Bisweilen  tanzte  auch  ein  etwa  4  jähriger 
Bengel  mit,  ein  häßliches  Kerlchen,  mit  weiten  Hosen,  plumpen 
Schmierstiefeln  und  einem  roten  Tuch  als  Schärpe  um  den  Leib 


—     335     — 

gebunden.  Der  machte  seine  Sache  ganz  famos,  echt  und  ge- 
wandt. 

Ein  langweiliger  Amerikaner  oder  Engländer,  der  schon  lange 
Wochen  auf  Capri  wohnt  und  faullenzt,  aber  so  wenig  italienisch 
sprechen  kann,  das  ich  ihm  nachher  mehrmals  als  Dolmetscher 
dienen  mußte,  versuchte  sein  Heil  auch,  was  aber  recht  fad  aus- 
sah. Anfangs  dadurch  zurückgeschreckt,  wirkte  das  Tanzen  mit 
dem  eigentümlichen  Ijärm  des  Tamburins  und  der  Castagnette, 
aber  doch  so  ansteckend,  daß  wir  beide,  Gildemeister  und  ich, 
es  nicht  lassen  konnten,  unser  Heil  in  einem  Nebenzimmer  zu 
versuchen.  Das  Reh  der  Wildnis  gab  uns  Anleitung  und  mein 
erster  Versuch  fiel  so  vorzüglich  aus,  daß  sich  bald  der  größte 
Teil  der  Zuschauer  an  die  Tür  gedrängt  hatte  und  zusah;  ja  auf 
allgemeines  Verlangen  mußte  ich  die  Produktion  nachher  noch 
einmal  im  großen  Saal  wiederholen.  Dies  hättet  Ihr  mir  gewiß 
nicht  zugetraut !  Eigentlich  ich  mir  selbst  auch  nicht,  aber  ich  hatte 
mir  den  Jungen  genau  angesehen  und  übertrieb  dessen  Charak- 
teristik nun  noch,  so  daß  eine  ganz  verteufelte  Quintessenz  von 
Echtheit  zutage  kam.  Freilich  war  das  höllisch  angreifend; 
schon  nach  5  Minuten  mußte  ich  aufhören  und  fürchtete  beinahe, 
ich  hätte  mir  die  Schwindsucht  geholt:  so  aus  der  Puste  war  ich. 

Die  Sache  wurde  aber  allmählich  langweilig,  besonders  da 
keiner  der  anderen  Anwesenden  mittanzen  mochte,  mit  alleiniger 
Ausnahme  des  faden  Amerikaners  und  eines  andern  sehr  hübschen, 
großen  amerikanischen  Offiziers,  dem  ein  Arm  abgeschossen  war, 
und  der,  wenn  auch  nicht  gerade  charakteristisch,  so  doch  mit 
großer  ritterlicher  Anmut  tanzte.  .  .  .  Ein  muntere  junge  Offi- 
ziersfrau (es  liegt  auch  Militär  auf  Capri)  war  nicht  zu  bewegen, 
ihre  Künste,  die  sie  heimlich  im  Nebenzimmer  produziert  hatte, 
zum  allgemeinen  Besten  zu  geben  und  ging  schließlich  fort;  selbst 
die  bella  Amalia,  in  deren  Hause  die  Zusammenkunft  stattfand, 
und  die  als  beste  Tarantellatänzerin  gepriesen  wird,  ließ  sich  nur 
ein  einziges  Mal  erweichen,  imponierte  mir  aber  gar  nicht.  Ihre 
ganze  Erscheinung,  Kleidung  und  auch  ihr  Tanz  waren  anmutig 
modern  und  nur  das  das  Außerordentliche,  daß  ein  so  einfaches, 
arm«s  Mädchen,  das  nie  von  seiner  Insel  fort  war,  so  geschmack- 


—     33ti     — 

voll  uud  taktvoll  aufzutreten  weiß,  daß  es  in  der  vornehmsten 
«■Jesellschaft  vollkommen  zu  Hause  erscheinen  würde....  Es  wurde 
später  und  später,  ich  immer  müder  und  fand  es  auch  immer 
langweiliger,  aber  anstandshalber  mußten  wir  ausharren,  durften 
unseren  Damen  nicht  weglaufen,  sondern  dieselben  zunächst  noch 
im  „Hidigeigei''  traktieren.  Hier  fand  sich  allmählich  die  ganze 
Gesellschaft  zusammen,  Mütter  und  Töchter,  welche  vorhin  schon 
ganz  erkleckliche  Quantitäten  des  schlechten  Weines  vertilgt 
hatten,  leisteten  nun  in  Bier  und  Marasquino  so  Achtenswertes, 
daß  diese  „Nachfeier"  der  Tarantella  mir  die  Haupteinnahmequelle 
für  Don  Micchele  zu  sein  scheint.  Die  Gespräche  waren  ein  so 
wunderliches  Gemisch  von  Kindlichkeit  und  Zweideutigkeit,  daß 
man  oft  nicht  wußte,  was  man  davon  denken  sollte:  ob  man  es 
mehr  für  lau dlich- sittliche  Naivetät  oder  für  Raffinement  zu  nehmen 
hatte.  Ich  glaube,  ein  Gemisch  von  beidem.  Die  Sprache  ist 
sehr  leicht  verständlich  —  besonders  im  Vergleich  mit  dem  un- 
ergründlichen Dialekt  der  Neapolitaner  —  aber  nicht  herrvor- 
ragend wohlklingend,  ja  manche  Vokale,  namentlich  a  und  o 
so  breit  ausgesprochen,  daß  es  fast  ans  Englische  oder  Lübecki- 
sche erinnert. 

Nachdem  wir  recht  lange  zusammen  gesessen  hatten  und 
schon  lange  gar  nichts  mehr  zu  sagen  wußten,  mußten  wir  unsere 
bzw.  Damen  und  deren  Mütter  auch  nach  Hause  bringen.  Eigent- 
lich wollten  sie,  daß  wir  dem  Dr.  Hoffmann,  einem  Philologen 
aus  Danzig,  der  sich,  um  eine  größere  Arbeit  zu  vollenden,  auf 
einige  Wochen  auf  Anacapri  niedergelassen  hat,  wo  man  noch 
ungestörter  ist,  daß  wir  diesem  „povero  dottore"  erst  das  Geleite 
geben  sollten,  aber  dagegen  opponierten  sowohl  die  Mütter  als 
auch  wir.  Unsere  beiden  Caramelen  —  denn  das  „Reh  der 
Wildnis"  blieb  nun  einmal  meine  Dame,  besonders  als  sie  erfahren 
hatte,  daß  ich  ein  pittore  wäre  und  vielleicht  einmal  auf  längere 
Zeit  wiederkäme,  ließ  sie  mich  nicht  los,  da  sie  auch  Modell 
sitzt  —  unsere  beiden  Caramelen  wohnten  in  einem  langen  kloster- 
artigen Gebäude,  durch  dessen  dunkle  Hallen  wir  sie  hinauf- 
bringen mußten,  dann  aber  zum  Dank  dafür  mit  Licht  hiuunter- 
begleitet  wurden.    Sie  beschenkten  uns  mit  ihren  Photographien, 


1 


—     337     — 

welche  aber  mein  Taschendieb  aus  der  Peterskirche  neben  dem 
Gelde  als  wertvolles  Andenken  behalten  hat.  Wenigstens  gehörte 
es  zu  den  wenigen  sonstigen  Dingen,  die  ich  nicht  wiederbekam, 
und  ich  bin  weiter  nicht  traurig  darüber.  —  So  war's  ^2^  S^" 
worden,  und  wir  atmeten  beide  auf,  als  diese  Prüfungen  des 
Ritterdienstes  ihr  Ende  erreicht  hatten;  um  so  unerfreulicher 
war  die  Aussicht,  daß  dieselbe  Geschichte  sich  am  nächsten 
Abend  wiederholen  sollte,  denn  Dr.  Hoffmann  hatte  zu  unserem 
Benefiz  die  ganze  Gesellschaft  für  den  folgenden  Abend  zu  sich 
eingeladen.  Ich  hatte  die  größte  Lust,  die  Sache  zu  hintertreiben 
und  dafür  mit  Herrn  von  Schenkendorff  auf  den  Fischfang  zu 
gehen,  aber  es  ging  nicht  gut.  Außer  dem  gemeinschaftlichen 
Hinauf-  und  Hinabgang  in  der  milden,  weichen,  wolkigen  Nacht- 
luft, unter  Gesang,  der  wenn  auch  schrill  und  scharf  doch  eigen- 
artig klang,  und  von  den  Felswänden  zurückschallte  über  das 
weite  schweigende  Meer  hinaus  —  war  nicht  viel  Vergnügen 
dabei.  Ich  tanzte  so  gut  wie  gar  nicht,  weil  es  mich  anstrengte, 
Gildemeister  .  .  .  ziemlich  viel  und  machte  große  Fortschritte, 
während  ich  eher  Rückschritte  machte,  auch  war  die  Mutter,  die 
das  Tamburin  schlug,  noch  müde  vom  Abend  zuvor  —  das  ist 
sehr  erklärlich,  wenn  man  nur  einmal  versucht  hat,  das  Instrument 
zu  spielen  — ,  und  so  lief  es  denn  mehr  auf  eine  „musikalische 
Abendunterhaltung"  hinaus,  wobei  einige  recht  hübsche,  einige 
recht  unanständige  und  viele  uns  vollkommen  unverständliche 
Lieder  zum  Vorschein  kamen.  Sie  singen  meistens  einstimmig, 
so  laut  sie  irgend  können,  und  da  sie  alle  vortreffliche  ge- 
sunde Kehlen  und  Lungen  haben,  so  schallte  es  in  dem  engen 
Zimmer  bisweilen  so,  daß  es  körperlich  wehe  tat.  Dazu  tranken 
Mütter  und  Töchter  wieder  eine  Menge  Wein,  und  als  der  alle 
war,  gingen  wir  heim.  Dieser  Abstieg  war  reizend  idyllisch,  und 
wenn  ich  mir  hätte  einbilden  können,  in  Carmela  nera  an 
meinem  Arm  verliebt  zu  sein,  so  wäre  es  noch  schöner  gewesen  — 
aber  leider  reichte  meine  Phantasie  dazu  nicht.  Denkt  Euch 
diesen  Weg,  längs  der  steilen  Felsenwand  in  milder,  dunkler 
Nacht,  ohne  Mondschein,  aber  von  einzelnen  Sternen  erhellt, 
ganz    fem    die   Lichter   von    Neapel    durch    den    Nebel   herüber- 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  22 


—     338     — 

schimmernd,  die  übrigen  Inseln  und  das  leise  plätschernde 
Meer  schlafend  vor  und  unter  sich  —  eine  Erinnerung  für 
alle  Zukunft,  die  das  überstandene  Stück  Langeweile  leicht 
vergessen  macht.  Mit  der  Entschuldigung,  daß  wir  am  anderen 
Morgen  früh  um  ^j^l  Uhr  abfahren  müßten,  kamen  wir  dies- 
mal um  die  Hidigeigeikneipe  herum,  mußten  dafür  in  einem 
obskuren,  malerischen,  kleinen  Caf6,  welches  die  ganze  Nacht  für 
Fischer  offen  zu  sein  scheint,  eine  Viertelstunde  sitzen,  was  auch 
wirklich  sehr  nett  und  eigentümlich  war  und  durften  dann  unsere 
müden  Glieder  zur  langersehnten  Ruhe  ausstrecken.  Ehe  wir 
unsere  sieben  Sachen  gepackt  hatten,  war's  doch  wieder  ^j^S 
geworden. 

Aus  diesen  langdauernden  Abend-  und  Nachtfreuden  erklärt 
und  entschuldigt  es  sich,  daß  wir  nicht  so  früh  auf  waren,  wie 
wir  uns  vorgenommen  hatten,  sondern  uns  immer  erst  zur  ge- 
wöhnlich bürgerlichen  Zeit,  etwa  um  8  oder  gar  erst  ^/^9,  zum 
gemeinschaftlichen  Kaffee  einstellten Da  die  Sonne  vor- 
mittags gar  nicht  oder  nur  ganz  matt  scheint,  pflegten  wir  nicht 
einmal  Gewissensbisse  über  diese  späte  Stunde  zu  empfinden.  — 
Am  ersten  Tage  statteten  wir  dem  vorhin  erwähnten  Dr.  Hoffmann 

zunächst  unsern  Besuch   auf  Anacapri  ab Nachdem  wir 

dort  Wein  getrunken  und  vom  platten  Dach  aus  Witterungs- 
beobachtungen angestellt  hatten,  besahen  wir  das  Nest,  welches 
mit  seinen  ganz  engen  Gassen  und  blendend  weißen  Häuschen,  mit 
flachen  Dächern,  einen  fast  morgenländischeren  Eindruck  macht  als 
Capri  selbst.  Diese  Bauart  findet  sich  übrigens  in  der  ganzen  Um- 
gebung von  Neapel,  aber  nicht  so  ausschließlich  wie  hier.  Viel 
zu  sehen  gibt's  natürlich  in  den  Nestern  nicht.  Die  beiden  Kirchen 
sind  bäurisch  ausgestattet.  —  Nachdem  wir  einige  langweilige  Ge- 
spräche mit  alten  Weibern  absolviert  hatten,  und  durch  ., Grab- 
belwerfen" alles  losgeworden  waren,  was  wir  an  Kupfergeld  bei 
uns  hatten,  blieb  nichts  übrig,  als  noch  einmal  einen  zweiten 
Frühschoppen  zu  trinken  und  zwar  bei  der  bella  Margherita, 
einem  dummen  Ding,  welchem  die  allgemeine  Aufmerksamkeit, 
die  ihre  ungewöhnlich  blonden  Haare  erregen,  zu  Kopf  gestiegen 
zu  sein   scheint.     Schön  ist  sie   nicht.     Bei  festlichen   Gelegen- 


—     339     — 

heiten  zieht  sie  sich  aber  ganz  deutsch  mittelalterlich  an.  mit 
Puffen  an  den  Ärmeln,  Zöpfen  usw.  und  spielt  Gretchen;  diesmal 
war  sie  trotz  des  Sonntags  noch  im  Negligö. 

Am  zweiten  Vormittag  waren  wir  an  der  kleinen  Marine. 
Das  ist  für  mich  die  schönste  Stelle  Capris.  Die  Insel  hat  etwa 
die  Form  einer  Schuhsohle,  und  an  der  mittleren  schmälsten 
Stelle  sind  zwei  Landungsplätze.  Sonst  fallen  die  Felsen  steil 
ins  Meer.  Der  große  wendet  sich  gegen  Neapel  und  ist  sehr 
belebt,  der  kleine  dagegen 

„kehrt  sich  gegen  das  ödere  Meer,  in  die  wogende  Wildnis, 
wo    kein    Ufer   Du    siehst,    als    das,    auf   welchem    Du    selbst 
stehst." 

Siehe  Platens  Gedicht:  die  Fischer  auf  Capri,  das  ich  seit 
gestern  durch  die  Güte  meines  Fräulein  v.  Willemoes  nun  endlich 
kennen  gelernt  habe.  Hier  wohnt  nur  ein  einsamer  Fischer  mit 
seinem  Sohn.  „Immer  das  Netz  auswerfen,  es  einziehn,  wieder  es 
trocknen  über  dem  sonnigen  Kies,  dann  wieder  es  werfen  und 
einziehn"  ist  seine  einzige  Beschäftigung,  es  sei  denn,  daß  ein 
Fremder  sich  ausnahmsweise  einmal  zur  „grünen"  Grotte  rudern 
ließe.  Ich  kenne  nichts  einsameres,  als  dieses  schmale  Stückchen 
Strand,  zu  beiden  Seiten  hohe  Zackenfelsen,  die  beiden  Hütten 
wie  Felsennester  zwischen  die  felsigen  Trümmer  geklebt,  kein 
Baum,  nur  Felsen,  Wellen  und  Sand,  auf  dem  die  braunroten 
Netze  trocknen,  ein  verfallner  alter  Küstenwachtturm,  und  am 
Ufer  entlang  an  Stangen:  Netze,  um  Wachteln  zu  fangen,  die 
man  in  der  ganzen  Gegend,  besonders  aber  auf  Capri  überall 
sieht.  Dort  hätte  ich  gern  acht  Tage  gesessen  und  Studien  ge- 
macht, wenn  auch  nicht,  um  sie  zu  benützen  —  denn  wer  der 
hier  war,  hätte  das  nicht  gemalt  —  sondern  nur  um  die  Einsam- 
keit auf  mich  wirken  zu  lassen.  Schon  die  zwei  Stunden,  die 
ich  dort  saß  und  kritzelte,  während  Gildemeister  mir  aus  dem 
Gesicht  gekommen  war,  wurde  mir  ganz  eigen  zu  Mut,  als  ob 
ich  für  immer  vom  Verkehr  mit  Menschen  abgeschlossen  wäre. 
Salas  y  Gomez: 

22* 


—     340     — 

,, Ruhig  und  fern  vom  Getöse   der  Welt,    an  den  Grenzen   der 

Menschheit 
Zwischen  dem  schrofien  Geklüft  und  des  Meeres  anschwellender 

Salzflut 
Lebet!     Es  lebten  wie   Ihr  des  Geschlechts  urälteste  Väter!" 

Dies  letztere  ist's  namentlich,  was  Capri  so  anziehend  macht. 
Ich  fürchte  nur,  es  währt  nicht  mehr  lange.  Es  kommen  schon 
zu  viel  Fremde  hin,  und  das  Geld,  das  sie  mitbringen,  muß  die 
urwüchsige  Einfachheit  und  Bedürfnislosigkeit,  die  Gleichheit 
aller  vernichten,  und  Neid,  Haß  und  alle  unnatürlichen  Leiden- 
schaften, die  die  moderne  Kultur  mit  sich  führt,  werden  bald 
auch  hier  ihren  Einzug  halten.  Es  ist  ein  Wunder  und  spricht 
für  die  Güte  des  menschlichen  Herzens,  wie  wenig  sich  bis  jetzt 
die  Bevölkerung  davon  hat  beeinflussen  lassen,  obgleich  schon  so 
viele  große  Hotels  stehen  und  so  manche  reiche  Engländer  sich  ganz 
auf  Capri  niedergelassen  haben.  Daß  man  fortwährend  angebettelt 
wird,  versteht  sich,  aber  auf  eine  so  nette,  liebenswürdige  Art, 
daß  man  gar  nicht  umhin  kann  zu  geben,  solange  man  noch 
Soidi  hat;  die  Leute  betteln  ohne  Zudringlichkeit,  mehr  wie  zum 
Scherz,  dankbar,  wenn  man  ihnen  etwas  gibt,  aber  auch  freund- 
lich, wenn  sie  nichts  bekommen.  Am  nettesten  freilich  ist  es, 
wenn  einem  ein  Kindchen  begegnet,  dem  man  ansieht,  daß  es 
gern  sein  da  mi  un  soldo !  herausbrächte,  es  aber  vor  Verlegenheit 
nicht  kann  —  wenn  man  dem  etwas  aus  freien  Stücken  gibt  — 
die  Freude !  .  .  . 

Noch  muß  ich  von  der  Vegetation  erzählen.  Sie  ist  nichts 
weniger  als  üppig.  Außer  Paganos  herrlicher  Palme  und  einigen 
kleineren,  sind  einige  niedrige  Eichen  wohl  die  höchsten  Bäume, 
sonst  wachsen  Ol-  und  Lorbeerbäume  nur  kümmerlich.  Orangen, 
glaube  ich,  gar  nicht,  dagegen  Wein,  Feigen  und  viele  große 
baumähnliche  Kakteen.  Die  wilden  Rosen,  an  niedrigem  Gestrüpp, 
sind  wundervoll  groß  und  weiß,  dagegen  die  wilden  Winden,  die 
mit  den  Rosen  alles  bedecken,  fleisch-  ja  rosenrot. 

Am  Dienstag  Morgen  um  ^j^l  stießen  wir  in  größerer  Ge- 
sellschaft bei  trübem  windlosen  Wetter  vom  Ufer,  und  die  Rück- 


—     341     — 

fahrt  nach  Sorrent  war  ebenso  langweilig,  wie  die  Hinfahrt  ge- 
wesen war.  Als  die  hohe  kühle,  schattige  Felswand  immer 
weiter  verschwand,  war  mirs  doch  ganz  wehmütig  ums  Herz! 

Florenz,  3.  August. 

Durch  die  genaue  Beschreibung  unserer  2^2  Tage  in  Capri 
ist  mir  der  Aufenthalt  in  jener  Gegend  so  deutlich  in  Erinnerung 
gekommen,  daß  ich  gleich  fortfahren  will,  noch  etwas  über  Pom- 
peji und  den  Vesuv  nachzuholen. 

Um  72-^^  kamen  wir  aus  Capri  in  Sorrent  an.  Wir  waren 
nicht  lange  umhergebummelt,  als  es  anfing  zu  regnen,  anfangs 
nur  in  einzelnen  Tropfen,  so  daß  wir  einen  höchst  „gelungenen" 
steinernen  Bischof,  den  man  den  „Santo  Bacco"  oder  San  To- 
bacco nennt,  mit  Hindernissen  flüchtig  skizzieren  konnten;  dann 
aber  goß  es  in  Strömen  und  wir  flüchteten  eiligst  in  das  nächste 
Haus,  dessen  alte  Türhüterin  ebenso  taub  wie  unfreundlich  war 
und  eigentlich  sehr  mißtrauisch,  als  wir,  um  uns  die  Zeit  zu  ver- 
treiben, ein  großes  schmiedeeisernes  Gitter  zu  zeichnen  begannen, 
den  einzigen  unseres  Stiftes  würdigen  Gegenstand  in  dieser  Lage. 
Als  der  Regen  vorüber  war,  glänzte  die  Sonne  so  hell,  wie  wir 
sie  nie  auf  Capri  gesehen  hatten,  und  hatten  wir  uns  vorher  im 
Regen  gefreut,  es  verlassen  zu  haben,  so  fühlten  wir  jetzt  Reue 
darüber.  Als  wir  uns  in  einem  Wirtshausgarten,  mit  weiter  Aus- 
sicht übers  Meer,  zum  Frühstücken  niederließen,  sahen  wir  zu 
unserer  Genugtuung,  daß  sich  die  dichten  Nebel  vom  Felseneiland 
nicht  verzogen  hatten.  .  .  .  Lange  schwatzten  wir  hier  über  hansea- 
tische Verhältnisse  und  gemeinsame  Bekannte,  stiegen  dann 
landeinwärts  zu  einem  Dorf  und  Park  mit  Aussicht  über  beide 
Golfe  —  doch  machte  es  uns  keinen  besonderen  Eindruck,  nachdem 
wir  in  Capri  gewesen  waren  —  am  Nachmittag  fuhren  wir  nach 
Castellamare,  vertrödelten  dort  den  Eisenbahnzug,  indem  wir  von 
der  schönen  Promenade  und  dem  Cafö  aus  die  Militärmusik  an- 
hörten und  mußten,  da  wir  uns  keinen  Wagen  leisten  wollten, 
nun  den  Weg  nach  Pompeji,  den  wir  schon  kannten,  abermals  zu 
Fuß  machen.  Es  war  Nacht  und  die  Frösche  quakten,  als  wir 
in  der  Sole  wieder  anlangten.     Aber  es  gab  noch  etwas  zu  essen. 


—     342     — 

und  als  wir  unsere  Erlebnisse  den  Bekannten  kurz  erzählt  hatten, 
verfügten  wir  uns  schleunigst  noch  einmal  in  die  unappetitlichen 
Schlafgemächer,  die  nach  Paganos  reinlicher  Wirtschaft  besonders 
unerfreulich  anmuteten. 

Pompeji  also!  Zunächst  denkt  Euch  eine  winzige  Eisenbahn- 
station, ringsum  Kohl-  und  Saubohnenfelder,  soweit  man  sehen 
kann,  dann  ein  schmaler  Weg,  der  das  Stationsgebäude  mit  der 
Chaussee  verbindet.  Diese  so  staubig  wie  möglich,  mit  der  feinst- 
pulvrigen,  weißgrauen  Staubsorte  bedeckt,  die  es  gibt,  an  ihrer 
linken  Seite  ein  Erdwall  mit  trockenem  Gras  und  einigen  be- 
staubten Büschen  bewachsen  —  dahinter  liegt  die  alte  Stadt  — 
an  ihrer  rechten  einige,  zuweilen  nebeneinander,  meist  aber  in 
weiten  Entfernungen  liegende  Häuser  —  etwa  sechs  bis  acht, 
davon  drei  Gasthöfe,  die  übrigen  kleine  Spelunken  für  Tabak, 
Wein  und  die  notwendigsten  Kolonialwaren:  das  ist  nun  Pom- 
peji. Das  letzte  dieser  Gasthäuser  ist  die  Sole,  in  der  alle  Maler 
und  Studenten  einkehren.  Sie  zeichnet  sich  durch  Dreckig- 
keit und  Billigkeit  aus.  Man  zahlt  nämlich  alles  in  allem 
4Vo  Francs.  Das  eine  Hotel  ist  vornehm  und  teuer,  das  zweite 
eigentlich  das  beste,  da  man  für  fünf  Francs  alles  besser  und 
reinlicher  bekommt,  als  in  der  Sole,  aber  der  Wirt  ist  ein  un- 
angenehmer Patron,  der  bei  jedem  Eisenbahnzug  an  der  Station 
steht  und  sich  den  Ankommenden,  die  nach  der  Sole  fragen,  als 
Padrone  dieses  Hotels  vorstellt.  Manche  fallen,  namentlich  abends, 
darauf  hinein,  werden  dann,  wenn  sie  am  andern  Morgen  diese 
Lüge  durchschauen,  fuchswild  und  ziehen  aus,  in  die  wirkliche 
Sole,  wo  sie  sich  bisweilen  in  die  reinlichere  Wirtschaft  des  Be- 
trügers zurücksehnen.  Auch  wir  gingen  beinahe  auf  den  Leim, 
als  wir  ankamen,  aber  als  wir  nach  unseren  Freunden  fragten, 
und  er  uns  vorschwindeln  wollte,  daß  sie  am  Morgen  abgereist 
seien,  war  er  entlarvt.  —  Die  Feindschaft  dieser  beiden  Wirte 
ist  das  einzig  Interessante  des  modernen  Pompeji.  Der  Sonnen- 
wirt ist  ein  kleines,  energisches,  garstiges  Kerlchen,  sieht  aus  wie 
ein  Böhme  und  ist  die  Gutmütigkeit  selbst.  Lesen  und  Schreiben 
kann  er  nicht,  sondern  rechnet,  wenn  es  sein  muß,  mit  Strichen, 
so  weiß  er  denn  auch   nie,    wie  lange  seine  Gäste  bei  ihm  sind 


—     343     — 

und  muß  sich  ganz  auf  deren  Glaubwürdigkeit  verlassen  —  tut 
es  auch  ohne  allen  Arg.  Er  hat  viele  Kinder,  die  in  den  ärgsten 
Lumpen,  schmutzig  wie  die  Schweine,  halbnackt,  in  den  sonnigen 
Gärten  umherstrolchen.  Seine  Besitzung,  die  er  ganz  allein  ge- 
baut hat,  besteht  aus  einem  Haus  mit  allerlei  gelegentlichen 
Anbauten;  der  große  Kßsaal  daneben  bildet  ein  Haus  für  sich  und 
das  Ganze  ist  das  Verrückteste  an  Architektur^  das  man  sich 
denken  kann.  Zwei  quadratische,  leichtgewölbte  Räume  sind 
durch  einen  großen  Bogen  verbunden,  die  Stütze  dieses  Bogens  (!!) 
ist  ein  großer  unförmlich  dicker  Pfeiler,  der  die  Aussicht  in  der 
Mitte  verbaut  und  auf  den  ihn  zierenden  Börtern  mit  Wein-  und 
Likörflaschen  besetzt  ist.  Die  Möbel  sind  auf  allen  möglichen 
Auktionen  zusammengekauft:  vergoldete  Rokokotischchen,  napole- 
onische Stühle,  auch  ganz  Modernes,  aber  alles  wackelig;  an  den 
grellen,  zitrongelben  Wänden  ganz  schwarze  Heiligenbilder  aus 
alten  Kirchen  akquiriert.  Auch  hier  muß  Eure  Phantasie  alles 
mit  dem  weißlichen  Staub  überzuckern,  der  durch  die  stets  oö'ene 
Tür  eindringt,  und  alles  mit  zahllosen  Fliegen  bevölkern  —  selbst 
zu  einer  Zeit,  wo  es  anderwärts  noch  keine  gibt.  Wie  mag  es 
jetzt  erst  sein! 

In  der  zweiten  Hälfte  dieses  Eßsaals  hinter  der  dicken  Säule 
steht  die  beständige  Tafel,  welche  an  dem  Abend  unserer  An- 
kunft ganz  voll  und  immer  gut  besetzt  war.  Fünf  Personen 
wohnten  nämlich  schon  seit  vier,  fünf  oder  gar  zehn  Monaten 
dort.  Wie  man  das  aushalten  kann,  ist  mir  ein  Rätsel.  Der 
älteste  Gast,  welcher  präsidierte,  ein  wichtiges,  bebrilltes,  schwarzes 
Herrchen,  dessen  Namen  ich  vergaß,  ist  ein  Maler,  der  für  die 
Berliner  Akademie  oder  für  das  Berliner  Archäologische  Ijistitut 
Arbeiten  zu  machen  hat.  Er  tut  dies  mit  der  albernsten  Ge- 
nauigkeit der  Welt.  Jedes  Titelchen  und  Häkchen  in  den  flott 
hingemalten  Ornamenten  wird  genau  kopiert!  Als  Thiersch,  der 
schnellste  und  akkurateste  Arbeiter,  der  mir  je  vorgekommen  ist, 
einmal  seufzte:  er  habe  jetzt  schon  drei  Tage  an  einem  Stück 
der  parete  nera  (der  berühmten  „schwarzen  Wand")  geknufielt, 
lächelte  der  andere  mitleidig:  „drei  Tage?!  Ich  habe  sechs 
Wochen  daran  gearbeitet."  .  .  .  Sieben  oder  acht  Nächte  habe  ich 


—     344     — 

im  Sole  zugebracht,  aber  doch  fürs  eigentliche  Pompeji  nur  etwa 
vier  Tage  gehabt,  so  viel  Ausflüge  haben  wir  von  hier  aus  unter- 
nommen, nach  Amalfi,  Pästum,  nach  Capri,  auf  den  Vesuv,  und 
noch  einmal  für  einen  Tag  nach  Neapel,  um  dort  Geld  von  der 
Post  zu  holen. 

Von  der  Totenstadt  selbst  brauche  ich  kaum  zu  erzählen. 
Man  hat  schon  so  viel  darüber  geschrieben  und  gelesen,  so  viel 
Photographien  gesehen,  daß  man  sich  ein  ungefähr  richtiges  Bild 
davon  macht,  und  wenn  man  nicht  selber  darin  herumstieg  und  bei 
all  den  alten  Herren  und  Damen,  die  vor  nun  fast  2000  Jahren 
gestorben  sind,  Visite  machte,  ihre  Hauseinrichtungen  bis  in  die 
kleinsten  Winkel  hinein  durchspürte  und  beschnupperte,  so  kann 
doch  keine  Erzählung  den  eigentümlichen  Reiz  ersetzen,  den  dies 
neugierige  Herumspähen,  dies  Kombinieren  auf  die  Eigentümlich- 
keiten und  speziellen  Liebhabereien  der  verschiedenen  Bewohner 
gewährt.  Anfang  und  Ende  vom  Lied  sind  natürlich  jedesmal: 
tout  comme  chez  nous!  —  Eines  Nachmittags  schlenderte  ich 
mit  Gildemeister  und  Friedrich  .  .  .  wieder  herum,  in  einem  Viertel, 
in  dem  wir  noch  gar  nicht  gewesen  waren  —  denn  die  Ausdeh- 
nung der  Ruinen  ist  sehr  viel  größer,  als  man  sich  für  gewöhn- 
lich vorstellt  —  und  ich  amüsierte  mich  und  ich  glaube  auch 
die  anderen  damit,  einen  alten  römischen  Junggesellen,  der  sich 
mit  einigem  Vermögen  hierher  zurückgezogen  hat,  auf  ham- 
burgisch zu  spielen  und  als  solcher,  das  Plaid  als  Toga  drapiert, 
den  Führer  zu  machen  —  als  plötzlich  in  einem  Nebenzimmer, 
anfangs  einem  Echo  vergleichbar,  ganz  dieselben  biederen  Töne 
hörbar  wurden,  und  als  wir  erstaunt  um  die  Ecke  bogen,  standen 
auch  richtig  zwei  Landsleute  da,  die  sich  sehr  bald  als  die  Herren 
Heyn  und  Wartenburg  entpuppten,  die  an  mich  nach  Rom  emp- 
fohlen waren,  mich  aber  dort  nicht  mehr  gefunden  hatten.  .  .  . 
Wir  haben  die  Vesuvbesteigung  gemeinsam  zu  viert  unternommen, 
denn  Friedrich  ist  ein  etwas  bequemes  Kerlchen  in  dergleichen 
Dingen  und  schloß  sich  nicht  an.  Wir  bildeten  keine  sonderliche 
Vertretung  der  Nation:  ich  war  der  kräftigste  von  allen.  .  .  .  Die 
übrigen  Freunde,  die  die  Geschichte  schon  gemacht  hatten,  als 
wir  noch  in  Neapel  waren,  wußten  so  viel  von  der  fast  übergroßen 


—     345     — 

Strapaze  zu  erzählen,  obgleich  sie  alle  starke  Kerle  waren  und 
den  Feldzug  zum  Teil  mitgemacht  hatten,  daß  ich  mir  von  vorn- 
herein vorgenommen  hatte,  nur  bis  zum  Observatorium  zu  steigen 
und  den  Gipfel  zu  lassen,  wenn  es  mir  zu  viel  werden  sollte. 
Die  Erinnerung  an  den  guten  Spangenberg,  der  vor  zwei  oder 
drei  Jahren,  oben  angelangt,  vom  Schlag  gerührt  auf  der  Stelle 
tot  war,  kam  dazu.  —  Zunächst  setzte  ich  es  durch,  daß  wir 
nicht  von  Pompeji  aus  gingen,  sondern  erst  mit  der  Bahn  nach 
Resina  fuhren.  Von  der  Seite  ist's  nämlich  viel  leichter.  Dort 
leisteten  wir  uns  zu  je  zweien  ein  Maultier,  das  erste  und  einzige 
Mal  auf  der  ganzen  Reise,  daß  ich  die  häufige  Gelegenheit  zu 
reiten  benutzt  habe.  Gewiß  ein  glänzendes  Zeugnis  für  unsere 
Sparsamkeit! 

Es  war  recht  heiß,  die  Mittagssonne  glühte  senkrecht  auf 
das  helle  Gestein  (meist  alte  Lava)  oder  die  dunklen,  noch  kahlen, 
neueren  Lavafelder.  Überall  wächst  Wein  und  Mais;  einzelne 
kleine  Häuser  stehen  in  der  Landschaft,  und  Menschen  bieten 
einem  für  teures  Geld  schlechten  oder  falschen  Lacryma  Christi 
an.  Nach  ca.  zwei  Stunden  ist  man  beim  Observatorium.  Die 
Aussicht  von  da  ist  die  bekannte  über  den  Golf  und  die  Inseln, 
nur  höher  und  lange  nicht  so  schön,  sonst  aber  ähnlich  wie  von 
Camaldoli,  das  wir  damals  noch  nicht  kannten.  Von  da  bis  an 
den  Fuß  des  Kegels  ist's  nicht  mehr  weit,  aber  da  Gildemeister 
an  der  Reihe  war  zu  reiten,  wurde  ich  vom  Waten  in  der  lockeren 
Asche,  die  hier  schon  beginnt,  recht  müde.  Diese  Asche  habe 
ich  mir  immer  falsch  vorgestellt.  Sie  ist  körnig  wie  Grand  oder 
eigentlich  wie  grobkörniges  Scliießpulver,  Hier  machten  wir  Halt 
und  verzehrten  das  mitgebrachte  Essen:  Hammelbraten,  Brot, 
Orangen  und  eine  Flasche  Wein,  die  zweite  und  pro  Mann  noch 
eine  Orange  wurden  mit  hinaufgenommen.  Die  Belästigung  durch 
die  Führer  ist  hier  groß.  Schließlich  gaben  sie  uns  auf.  Auch 
waren  so  viel  andere  Fremde  da,  Männer,  Weiber,  Greise  und 
Kinder  aller  Nationen,  daß  sie  genügend  Beschäftigung  fanden. 
Nachdem  wir  uns  gründlich  gestärkt  fühlten,  begannen  wir  das 
Experiment.  Riesenhoch  türmt  sich  die  sonnige,  rotgelbgraue 
Aächenvvüste  vor    einem  auf,    und  mir  fiel  das  Herz  fast  in  die 


—     346     — 

Schuhe.  Aber  vorwärts!  Es  ging  nicht  so  schlecht  wie  ich  dachte, 
man  sinkt  nicht  bis  ans  Knie  ein,  gewöhnlich  nur  bis  über  die 
Knöchel.  Trotzdem  nahm  ich  schließlich  das  Anerbieten  des 
nebenherlaufenden  jungen  Kerls  an,  mich  ziehen  zu  lassen.  Das 
ist  doch  eine  große  Erleichterung!  Die  anderen  drei  blieben  im 
Xu  weit  hinter  mir  zurück  und  als  sie  nach  fünf  Minuten  purpur- 
rot an  die  erste  Haltebank  gekrabbelt  kamen,  hatte  ich  mich 
schon  verschnauft  und  hüpfte  weiter.  Nach  gut  20  Minuten 
waren  wir  oben. 

Der  Krater  ist  wunderbar  groß ;  viel  größer,  als  ich  ihn  mir 
trotz  aller  Mühe,  die  ich  mir  gab,  vorgestellt  hatte.  Es  ist,  wie 
wenn  man  von  der  Koütrappe  oder  dem  Hexentanzplatz  ins  Bode- 
tal  hinabsieht,  nur  noch  größer,  und  nur  selten  verziehen  sich 
die  aufqualmenden  Dampfwolken  so  weit,  daß  man  hineinsehen 
kann.  Da  kommen  phantastische  Zacken  und  Klippen  zum  Vor- 
schein, aber  ehe  man  sich's  versieht,  hüllt  der  gelbweiße  Dampf 
alles  wieder  ein  und  steigt  einem  in  die  Nase,  so  daß  man  sich 
hustend  zurückzieht.  Großartig  ist  das  fortwährende  gewitter- 
artige Grollen  und  Brummen  in  der  Tiefe,  das  aber  nur  selten 
laut  und  donnerartig  wird.  Wir  waren  absichtlich  ziemlich  spät 
(Y7II  Uhr)  aufgebrochen,  um  womöglich  den  Sonnenuntergang  oben 
zu  erleben,  aber  daraus  wurde  nichts.  Die  Wolken  zogen  sich 
immer  mehr  zusammen,  Ischia  war  schon  ganz  in  Regen  gehüllt, 
dann  auch  Sorrent,  nur  Capri  sah  klar  aus  dem  weißblitzenden 
Meeresspiegel  heraus,  dann  fing  es  auch  hier  oben  an  zu  tröpfeln. 
Zischend,  wie  wenn  man  kaltes  Wasser  an  einen  warmen  Ofen 
spritzt,  fielen  die  Troj)fen  auf  den  mürben,  rot-  und  goldgelben 
Schwefelboden,  in  dem  man  Eier  kochen  kann  und  der  die  Fuß- 
sohlen allmählich  versengt.  Wir  setzten  uns  hinter  eine  kleine 
Steinwand,  die  vor  Dämpfen  und  Regen  leidlichen  Schutz  ge- 
währte, tranken  unsern  Wein  aus  den  Orangenschalen,  was  ihm 
ein  eigentümlich  feines  Aroma  gibt,  schleuderten  die  leeren 
Flaschen  in  den  Abgrund  hinab  und  marschierten,  nachdem  wir 
wohl  1  ^1^  Stunden  oben  gewesen  und  die  weite  Aussicht  genügend 
genossen  hatten,  hinab  auf  der  andern  Seite  nach  Pompeji  zu. 
Das  elastische  Herabspringen    in  Riesenschritten  und  Sätzen  ist 


—     347     — 

eiues  der  größten  Vergnügen  bei  einer  Vesuvbesteigung.  Au  dieser 
Seite  genießt  man  es  besonders  lange;  der  stärker  werdende 
Regen  beflügelte  den  eilenden  Fuß,  so  daß  wir  wie  der  Wind 
unten  waren.  Wo  die  erste  Vegetation  beginnt,  entdeckten  wir 
einen  kleinen  Unterschlupf  und  saßen  dort  wohl  ^2  Stunde,  bis 
der  Regen  nachließ.  Aber  ehe  wir  ins  erste  Dorf  kamen,  dauerte 
es  noch  lange  Zeit.  .  .  .  Hier  kehrten  wir  ein  und  ruhten  unsere 
müden  Glieder;  im  nächsten  Nest  bekamen  wir  sogar  für  einen 
Spottpreis  —  ich  glaube  2^/^  Francs  für  alle  vier  —  Fuhrwerk 
bis  Pompeji,  wo  wir  recht  müde  aber  zum  Abendessen  anlangten. 

Die  Tour  war  nett  und  ich  freue  mich,  daß  ich's  hinter  mir 
habe.  Ob  ich's  zum  zweitenmal  täte,  lasse  ich  dahingestellt,  wie 
die  meisten.  —  Wenn  Ihr  Onkel  Erwins  Beschreibung  seiner 
Vesuvbesteigung  lest,  so  wird  diese  Euch  recht  ledern  und  simpel 
erscheinen.  Der  Krater  ist  jetzt  ganz  anders,  ais  er  damals  war. 
Auch  das  Hinaufsteigen  wurde  feierlicher  und  romantischer  be- 
trieben. Mit  Fackeln!  Das  muß  famos  gewesen  sein,  kommt 
aber  jetzt  wohl  selten  vor.  .  .  . 

Wenn  ich  zu  Pompeji  noch  hinzufüge,  daß  ich  dort  eine 
Menge  geschafft  habe  —  trotzdem  wenigstens  zwei  volle  Tage 
dazu  gehören,  nur  erst  einmal  alles  zu  sehen  —  natürlich  sehr 
flüchtiges  Zeug  und  in  den  Augen  der  langweilen  Knufiler  völlig 
unbrauchbar  —  so  kann  ich  jenen  Teil  der  Reise  beruhigt  be- 
schließen. 

Nachdem  wir  aus  Capri  zurückgekehrt  waren,  blieben  wir 
noch  zwei  Drittel  Tage  in  Pompeji  und  fuhren  nachmittags  ^/gö 
nach  Neapel  zurück.  Mein  Abschied  geschah  im  Trab  oder 
Galopp;  ich  hatte  beim  Skizzieren  einer  Wand  die  Zeit  vergessen 
und  hörte  plötzlich  das  Signal  der  Station.  Da  gings!  Forum, 
Venustempel,  Zeustempel,  Gerichtshalle,  Stadttor,  alles  flog  nur 
80  an  mir  vorbei.  Die  alten  Mauern  hatten  vielleicht  seit  der 
großen  Verschüttung  keinen  Menschen  so  eilig  an  sich  vorüber- 
rennen sehen!     Eben,  eben  kam  ich  noch  zur  rechten  Zeit. 

In  Neapel  blieben  wir  noch  etwa  vier  Tage,  solange  wie 
ich  es  mir  vorgenommen  hatte.  Wäre  das  Geld  nicht  alle  ge- 
worden, so  wäre  ich  gern  noch  länger  geblieben  und  hätte  wohl 


—     348     — 

auch  Gildemeister  dazu  verführt.  Cap  Misenum,  ßajae,  Cumae 
die  elysäischen  Felder  z.  B.  haben  wir  nicht  zu  sehen  bekommen 
und  so  vieles  andere  auch  nicht.  Am  letzten  Abend  besuchten  wir 
noch  Vergils  Grab,  welches  jetzt  im  Besitz  eines  Franzosen  ist, 
der  1  Franc  Eintrittsgeld  dafür  erhebt.  Schon  diese  Lumpigkeit 
verleidet  einem  den  Ort,  der  auch  abgesehen  davon,  meinen  Er- 
wartungen nicht  recht  entsprach.  Onkel  Erwins  Beschreibung 
nach  hatte  ich  mir  mehr  davon  vorgestellt. 

Am  Abend  in  einer  Restauration  im  alten,  in  Ruinen  ins 
Meer  hinausragenden  Palast  der  Donna  Anna  am  Strand,  plät- 
schernde Wellen  zu  unseren  Füßen;  wir  sahen  von  da  aus,  wie 
die  Lichter  der  Stadt  sich  allmählich  entzündeten,  wie  ein  er- 
leuchteter Luftballon  in  die  klare  blaue  Luft  langsam  aufstieg 
und  sich  wieder  senkte,  aßen  winzige  Austern  und  schlecht- 
gekochte Makkaroni  mit  Pomidorosauce,  das  Neapolitaner  National- 
gericht, das  ich  aber  nicht  leiden  kann.  Am  andern  Morgen 
früh  um  sechs  dampften  wir  ab  über  Caserta  und  Monte  Cassino 
nach  Rom. .  .  . 

Florenz,  den  11.  August. 
Lieber  Onkel  Heinrich! 
.  .  .  Eigentlich  ist  so  eine  Kopiererei  doch  ein  recht  schlechtes 
Geschäft.  Man  ist  nicht  mit  ganzer  Seele  bei  der  Sache,  kann 
es  nicht  sein,  da  man  nicht  seine  eignen  Gedanken  malt,  sondern 
nur  fremde  wiederkäut,  und  trotzdem  ist  es  um  nichts  leichter 
als  ein  selbständiges  Arbeiten  vor  der  Natur.  Gelernt  habe  ich 
natürlich  allerlei  daran:  erstlich  einmal  wieder  mit  Ölfarben  zu 
hantieren,  zweitens  ist  die  poetisch  übersetzte  Farbengebung  dieser 
alten  Meister  doch  nur  durch  Nachahmung  wirklich  recht  zu  er- 
kennen und  sich  anzueignen  möglich  —  obgleich  eine  flüchtige 
Farbenskizze  dieselben  Dienste  leistet,  und  ich  bei  meinen  beiden 
Skizzen  nach  Paolo  "Veronese  mindestens  ebenso  viel  gelernt  habe 
und  drittens  hat's  den  moralischen  Wert  des  eisernen  Muß,  der 
mitten  in  die  süße  Schmetterlingsfreiheit  hinein  als  Dämpfer  ge- 
setzt wird,  damit  mir  die  „rauhe  Wirklichkeit"  nachher  nicht  zu 


—     349     — 

bitter  schmecke.  Wenn  nur  die  Galeriestunden  günstiger  lägen! 
Von  neun  bis  drei  ist  eine  sehr  schlechte  Zeit.  Vorher  kann 
man  nichts  Rechtes  tun,  wenn  man  sich  nicht  müde  machen  will, 
um  12  wird  man  hungrig  und  braucht  eine  halbe  bis  dreiviertel 
Stunde  zum  Mittag,  um  ^2^  fangen  die  Herren  Kustoden  schon 
an  zu  läuten,  um  ^'^3  muß  man  seine  sieben  Sachen  zusammen- 
packen, das  macht  täglich  fünf  Stunden;  Donnerstags  wird  über- 
haupt erst  um  elf  Uhr  geöH'net,  macht  also  wöchentlich  28  Stunden, 
im  günstigsten  Falle,  wenn  nicht  irgendein  Festtag  in  die  Quere 
kommt,  wovor  man  ja  nie  sicher  ist;  nächste  Woche  ist  Maria 
Himmelfahrt. 

In  den  zweimal  28  Stunden  der  letzten  14  Tage  habe  ich 
mein  vorgesetztes  Pensum  so  ziemlich  erreicht,  und  hoffe,  daß  es 
auch  in  der  nächsten  nicht  schlechter  gehen  wird.  —  Nach  drei 
pflege  ich  nach  Haus  zu  gehen,  Pinsel  zu  waschen  und  mich 
etwas  auszuruhen,  im  Lehnstuhl  sitzend  in  Philipp  Otto  Runges 
Briefen  zu  lesen,  auch  etwas  zu  schlafen.  ^2^  geht's  wieder 
hinaus  au  irgendeine  Arbeit,  sei  es  nun  in  die  Küche  der 
Fräulein  von  Willemoes  (die  übrigens  jetzt  fertig  ist)  oder  zu 
anderen  schönen  Leistungen,  —  Augenblicklich  beschäftigt  mich 
die  lustige  Fassade  an  Piazza  Santa  Croce,  die  von  elf  verschie- 
denen Maiern  in  27  Tagen  ausgeführt  wurde.  Ich  schrieb  schon 
einmal  davon.  Sgrafittos  und  Fassadenbemalung  interessieren 
mich  überhaupt  sehr;  trotz  unseres  Klimas  sollte  man  es  bei  uns 
einführen.  Hält's  auch  nicht  ewig  —  was  schadet  das?!  Die  hier 
haben  ja  auch  nicht  ewig  gehalten!  Aber  denke  Dir,  wenn  unser 
Alsterbassin  lauter  bunt  und  lustig  bemalte  Häuser  hätte!  Jedes 
von  einem  andern  Maler  in  anderer  Art  geschmückt.  Das  könnte 
die  langweilige  Architektur,  die  nicht  mehr  zu  ändern  ist,  ver- 
gessen machen! 

Das  ist  so  einer  der  vielen  großen  Pläne,  die  ich  für  die 
liebe  Vaterstadt  in  petto  habe,  freilich  gleich  einer  der  aller- 
größten, über  dessen  geringe  Aussichten  aufs  Gelingen  ich  mir 
ganz  klar  bin.  Überhaupt  braucht  Mutter  nicht  zu  fürchten,  daß 
es  mir  gehe  wie  Otto  Runge,  der  bei  seiner  Heimkehr  aus 
Dresden  offenbar  wie  aus  allen  Himmeln  in  die  rauhe  Wirklichkeit 


—     350     — 

fiel,  so  daß  selbst  —  seinen  Briefen  nach  —  der  Besitz  der  so 
heiß  erkämpften  Pauline  ihm  kaum  über  das  Gefühl  bitterer  Ent- 
täuschung hinweggeholfen  zu  haben  scheint.  Ersthch  ist  die 
Zeit  eine  andere,  dann  bin  ich  selber  Gott  sei  Dank  nüchterner, 
will  auch  keine  „neue  Kunst"  erfinden,  bin  überhaupt  nicht  durch 
l^ecksche  Romantik  verrückt  gemacht,  auch  wohl  etwas  klarer 
und  bescheideneren  Sinnes  über  meine  Begabung  —  genug:  seid 
nicht  bange  davor!  Übrigens  interessiert  das  Buch  mich  sehr. 
Wie  kann  man  aber  so  verrückt  sein,  die  eigentliche  Biographie 
am  Ende  des  zweiten  Bandes  zu  drucken  und  den  ganzen  übrigen 
Wust,  den  jeder  andere  vernünftige  Mensch  als  „Anhang"  be- 
handelt hätte,  an  den  Anfang  zu  setzen  und  jeden  Leser  dadurch 
abzuschrecken!  Der  gute  Daniel!  Das  muß  doch  eine  rührend 
selbstlose,  opferwillige  Natur  gewesen  sein.  —  In  dem  einen 
freilich  geht's  mir  gerade  wie  Eunge :  daß  mau  immer  erst  all  die 
voraus  empfangene  Güte  abarbeiten  muß,  statt  für  Geleistetes  nach- 
her seinen  Lohn  zu  empfangen.  Doch  schweigen  wir  vorläufig 
über  dies  Kapitel 

Im  ganzen  gewinne  ich  Firenze  trotz  des  Kopierens  und 
Schwitzens  täglich  lieber,  heute  sah  ich  sogar  viel  hübsche 
Frauen,  was  ein  seltenes  Glück  ist,  während  ich  die  hiesigen 
Männer  schon  seit  lange  als  die  schönsten  Italiens  erkannt  habe. 

Und  damit  gute  Nacht.     Mit  vielen  Grüßen 

Dein  Hans. 

Florenz,  den  13.  August  1877. 
Lieber  Onkel  Heinrich! 

....  Morgen  werde  ich  wahrscheinlich  noch  einmal  wieder 
ein  Stück  nach  Süden  reisen,  zu  dem  großen  Volksfest  in  Siena, 
von  dem  ich  so  viel  gehört  habe,  daß  ich  es  doch  sehen  möchte. 
Da  die  Galerie  ganz  geschlossen  ist,  wird  es  mir  nicht  schwer. 
Hoffentlich  geht  recht  früh  ein  Ektrazug,  so  daß  wir  rechte  Muße 
haben  werden.     Ich  freue  mich  sehr  darauf.  — 

Meine  Abreise  von  hier  soll  im  Anfang  der  nächsten  Woche 
erfolgen,    Ankunft    in    Venedig    am    24.    (Vollmond),    dort    etwa 


—     351     — 

acht  Tage,  einen  Padua,  einen  halben  Vincenza,  einen  Verona, 
vielleicht  noch  einen  Mantua,  einen  Klobenstein,  einen  München, 
einen  Augsburg,  das  ich  noch  gar  nicht  kenne,  einen  oder  zwei 
Weimar,  einen  halben  Leipzig,  vielleicht  noch  ein  bis  zwei  Berlin, 
um  mir  einen  flüchtigen  Eindruck  von  der  großen  Ausstellung 
und  der  Nationalgalerie  zu  verschaffen,  also  in  der  ersten  Hälfte 
bzw.  ]\Iitte  September  in  Hamburg.  .  .  . 

Heute  die  Beschreibung  des  großen  Festes  zu  Siena,  das 
einzige  echt  mittelalterliche  Volksfest,  welches  sich  in  Italien 
erhalten  hat  und  alljährlich  vom  14. — 16.  August  stattfindet.  Extra- 
züge gehen  dazu  ab,  nicht  nur  von  hier  allein,  sondern  sogar 
von  dem  viel  entfernteren  Rom.  —  Die  Reisebücher  machen 
lange  nicht  genug  Geschrei  davon,  um  so  zufriedener  bin  ich,  zu 
den  verhältnismäßig  wenigen  zu  gehören,  die  es  mitgemacht 
haben. 

Am  15.  früh  gegen  ^/^l  fuhren  wir  ab  und  waren  um  ^/^lO 
in  Siena.  „Wir"  d.  h.  Friedrich,  Vogel,  ein  Württemberger  Archi- 
tekt, mit  dem  ich  nun  schon  5  Wochen  hier  zusammen  bin  und 
den  ich  sehr  gut  leiden  kann,  und  meine  Wenigkeit.  .  .  .  Wir 
drei  paßten  sehr  gut  zusammen.  Unser  erster  Gang  war  in  den 
Dom,  dessen  Marraorboden  an  diesen  zwei  Tagen  aufgedeckt  ist. 
Das  Längsschiff  war  mit  bunt  gemusterten  Fahnen  geschmückt, 
und  die  bronzenen  Engelknaben  an  den  Pfeilern  des  Chors  und 
Hochaltars  trugen  brennende  Kerzen.  Natürlich  war's  voll  von 
Städtern  und  Landleuten,  alle  fröhlich  und  festlich  gestimmt  und 
gekleidet:  die  Städterinnen  oft  in  sehr  niedlichen  Anzügen  und 
die  braunen  Landmädchen  in  riesigen  Strohhüten,  die  den  Kopf 
wie  ein  kolossaler  Heiligenschein  umrahmen  oder  infolge  ihres 
eignen  Gewicht  in  Falten  wie  große  Winden  niederhängen  und 
immer  neue  Formen  annehmen. 

Wir  traten  durch  eine  Seitentür  ein,  und  im  selben  Mo- 
ment kam  zum  weitgeöffneten  Hauptportal,  vier  alte  Bediente  in 
Eokoko  voran  —  gerade  wie  in  St.  Peter  —  der  Zug  des  Erz- 
bischofs und  der  Canonici,  alle  in  roter  und  violetter  Seide,  gleich 
darauf  begann  das  Hochamt  mit  festlich  schöner  Musik  (Orgel, 
Chor  und  Instrumentalmusik).     Immer    neue    überraschende  An- 


—     352     — 

sichten  des  herrlichen  Domes  fanden  wir.  Es  ist  doch  ohne 
Frage  die  schönste  Kirche,  die  ich  kenne!  ein  so  freudiger  Ernst, 
eine  so  milde  Pracht  erfüllt  die  Räume  —  die  schwarzweißen 
Marmorpfeiler  mit  goldenen  Kapitelen  und  lichtblauen  Gewölben, 
durch  mäßiges  Rot  gemildert,  die  schönen  Glasfenster  dazu,  der 
reiche  Schmuck  der  Skulpturen  in  Marmor,  Bronze  und  tief- 
braunem Holz,  alles  durchleuchtet  von  Sonnenstrahlen,  darin  das 
Gewoge  hübscher  Mädchen  in  anmutigen,  hellen  Kleidern  und  die 
ländlich  frohen,  einschmeichelnden  Weisen  der  Gesänge:  das 
Ganze  macht  einen  wundervollen  Eindruck.  Ich  glaube,  es  gibt 
keine  Kirche,  die  so  harmonisch  wirkt  wie  diese:  vorherrschend 
Gotik  oder  Renaissance,  alles  schön  und  edel,  nichts  pomphaft 
und  die  Harmonie  beeinträchtigend ;  das  bißchen  Zopf,  das  da  ist, 
bescheidet  sich  taktvoll,  als  fühlte  es,  daß  es  eigentlich  nicht  in 
so  vornehme  Gesellschaft  gehört.  —  Auch  ist  dies  Fest  (Mariae 
Himmelfahrt)  ein  besonders  liebliches  und  poetisches  der  katho- 
lischen Kirche  und  wohl  begreiflich,  daß  Kunst  und  Volkssinn 
es  besonders  lieb  haben.     Schade,  daß  wir  es  nicht  kennen! 

Eine  besondere  von  Pius  IL  Piccolomini  seiner  Vaterstadt 
zugestandene  Gunst  besteht  darin,  daß  beim  Hochamt  alle  Cano- 
nici Bischofsmützen  aufhaben  dürfen.  Außer  dem  Erzbischof  in 
der  goldnen,  füllten  15  in  weißseidnen  den  Chor,  was  aussah  wie 
ein  Konzilium,  oder  —  wenn  man  weniger  historisch  aufgelegt 
war  —  wie  eine  Cotillontour,  denn  die  weiße  Seide  der  Mitren 
sah  von  weitem  wie  Glanzpapier  aus.  —  In  der  anstoßenden 
Libreria,  diesem  herrlichen  von  Pinturicchio  ausgemalten  Raum, 
waren  sämtliche  alte  Chorbücher  aufgeschlagen  und  das  Volk 
wogte  auf  und  ab,  um  die  prächtigen  Miniaturen  zu  besehen;  in 
der  Sakristei  war  der  ganze  Schatz  der  Kirche  an  gestickten 
Gewändern,  kostbaren  Kelchen  und  sonstigem  Altargerät  auf- 
gestellt. 

Schließlich  schob  ich  mich  dicht  an  den  erzbischöflichen 
Stuhl,  bis  neben  die  vier  Bedienten,  und  hätte  sogar  etwas  von 
einer  ihnen  offerierten  Prise  abbekommen  können.  .  .  .  Der  Erz- 
bischof war  ein  behagliches,  dickes  Herrchen  mit  Brille  und  einem 
humoristischen    Zug.  .  . .     Die    vielen    schweren   Prachtgewänder 


—     353     — 

waren  ihm  gewiß  nicht  besonders  augeiiehra,  aber  er  saß  ganz 
geduldig  auf  seinem  goldnen  Stuhl,  und  wenn  die  Musik  einmal 
recht  lustig  wurde,  tippte  der  kleine  dicke  Fuß  in  den  gold- 
gestickten Schuhen  den  Takt  dazu.  Auf  den  Stufen  seines  Trones 
kauerten  zwei  Chorknaben  in  hübscher,  natürlicher  Stellung  — 
alles  schien  mir  würdig,  harmlos,  glücklich  und  dem  fröhlichen 
Feste  gemäß.  Die  schönste  Aussicht,  die  ich  fand,  zugleich  das 
schönste  Kircheninterieur,  das  ich  je  gesehen  habe,  war  hinter  dem 
Altar.  Ich  versuchte  im  Laufe  des  Nachmittags  mehrfach,  es  mit 
einigen  Strichen  festzuhalten,  aber  jedesmal  begann,  im  Augen- 
blicke wo  ich  angefangen  hatte,  irgendeine  Zeremonie,  so  daß  ich 
wieder  aufhören  mußte.  Über  2  Stunden  habe  ich's  in  diesem 
Hochamt  ausgehalten,  was  teilweise  nur  infolge  der  abwechselnden, 
oft  an  Rossini,  Verdi,  ja  Wagner  und  Strauß  erinnernden  Musik 
möglich  war.  Zuweilen  war  sie  jedoch  sehr  ernst  und  feierlich, 
und  als  beim  Credo:  ,,natus  ex  Maria  Virgine-'  alles  niederkniete, 
tat  ich  es  auch,  was  ich  noch  nie  in  Italien  getan  hatte,  da  ich 
diesmal  so  weit  vorn  war.  Auf  diesem  Marmorboden  zu  knien, 
statt  auf  ihm  umherzugehen,  kommt  mir  ganz  natürlich  vor. 
Wenn  Michelangelo  von  Ghibertis  Türen  behauptete,  sie  wären 
wert  die  Pforten  des  Paradieses  zu  sein,  so  möchte  ich  dasselbe 
von  diesem  Boden  behaupten.  Überhaupt:  wenn  man  sich  die 
Herrlichkeit  des  Himmels  mittelalterlich  vorstellen  will,  so  liegt 
es  nahe,  hier  mit  seiner  Phantasie  anzuknüpfen.  Wohl  dem  Volk, 
das  in  diesen  Hallen  groß  wird  und  ihre  Schönheit  bei  jeder 
(relegenheit  erhebend  und  beruhigend  auf  sich  wirken  lassen 
kann! 

Gegenüber  liegt  das  Hospital  La  Scala,  eine  jener  groß- 
artigen kirchlichen  Einrichtungen  der  reichen  Städte  des  Mittel- 
alters, welche  auch  in  dieser  Hinsicht  der  Neuzeit  nicht  nach- 
stehen. Heute  waren  alle  Säle  —  mit  Ausnahme  der  der  Schwer- 
kranken —  geöffnet,  und  viele  Leute  machten  ihren  Verwandten 
und  Freunden  Besuche;  ordentlich  und  sauber,  wie  die  Anwesen- 
heit der  barmherzigen  Schwestern  voraussetzen  Heß,  lagen  die 
Kranken  in  den  hohen  luftigen  Gewölben,  bei  offenen  Fenstern  und 
Türen,  die  schöne  Sommerluft  und  der  helle  Sonnenschein  drangen 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  23 


—     354     — 

fröhlich  ein.  Von  hier  aus  hat  man  die  schönste  Aussicht  über 
das  glückliche  Land,  unter  sich  üppige  Gärten  voll  Feigen  und 
Wein  und  ein  allerliebstes  Backsteinkirchlein.  An  den  Wänden 
höchst  interessante  Fresken,  aus  dem  Anfang  des  15.,  teils  noch 
aus  dem  14.  Jahrhundert,  lauter  Szenen  aus  dem  Hospitalleben 
von  höchster  Charakteristik  und  Würde  und  einer  Behandlung 
des  Nackten  —  nahezu  lebensgroß  —  wie  ich  sie  vor  Lucca 
Signorelli  nie  gesehen  habe.  Mit  größter  Pracht  und  Durch- 
führur.g  ist  alles  gearbeitet  und  gehört  zum  Vorzüglichsten,  das 
ich  kenne.  Ob  auch  die  Neuzeit  dazu  kommen  wird,  die  Wände 
der  Krankensäle  mit  Fresken  auszumalen?  Sie  würden  mehr 
betrachtet  werden  und  mehr  Freude  machen  als  Fresken  in  vielen 
Schlössern,  z.  B.  die  Kaiser-  und  Nibelungensäle  in  der  Rezidenz 
zu  München,  die  nur  für  die  durchreisenden  Fremden  und  den 
Trinkgeld  erhaltenden  Kustoden  zu  existieren  scheinen. 

Außer  diesem  Spital,  dessen  Kirche  noch  eine  schöne,  ge- 
schnitzte Orgel  von  Peruzzi  und  bronzene  leuchtertragende  Engel 
usw.  enthält,  war  es  besonders  eine  kleine  Kapelle,  10  Minuten 
vor  dem  Tor,  die  ich  bei  meinem  ersten  reichlich  flüchtigen 
Aufenthalt  vergessen  hatte  und  jetzt  besah.  Die  Kapelle  „dei 
Diavoli"  nennt  Burckhardt  ein  Juwel  der  Frührenaissance,  und 
sie  ist  wirklich  das  vollendetste  an  maßvoller  Schönheit,  das  man 
im  Backsteinbau  sehen  kann.  Der  Weg  hinaus  war  sonnig  und 
heiß,  aber  doch  schön,  und  auf  dem  Rückweg  saßen  wir  lange 
in  den  alten  schattigen  Torbogen  und  aßen  saftige  Melonen. 
Dann  strolchten  wir  in  der  Stadt  herum  oder  saßen  im  Caf6, 
aßen  Eis,  überall  gab's  Musik  —  die  Kapellen  in  Phantasieuni- 
formen —  meist  nicht  schlecht,  aber  es  wurde  einem  doch  des 
Guten  zuviel,  zumal  man  sich  ja  im  ganzen  in  Italien  der  Musik 
entwöhnt. 

Um  6  IJhr  war  auf  dem  Rathausplatz  die  Generalprobe  des 
großen  Wettrennens,  das  wir  von  einem  hohen  Balkon  sahen. 
Dieser  Platz  ist  das  richtige  antike  Amphitheater,  vielleicht  auch 
auf  den  Ruinen  eines  solchen  erbaut:  muldenförmig,  so  daß  man 
fast  von  jedem  Punkt  aus  die  Rennbahn  übersehen  kann.  Die  eine 
Seite  nimmt  das  Backsteinrathaus  ein,  mit  seinem  hohen  schlanken 


—     355     — 

Turm  und  den  vielen  sch\varz\veil3en  Wappen  über  den  spitz- 
bogigon  Fenstern.  Von  den  übrigen  drei  Seiten  wird  der  Platz  ein- 
geschlossen von  mehr  oder  weniger  altertümlichen  Häusern,  mit 
Balkons  versehen,  von  denen  aus  seit  vielen  hundert  Jahren  dies 
Festspiel  mit  Begeisterung  verfolgt  zu  werden  pflegt.  Ringsum 
sind  Tribünen  errichtet,  auf  denen  mau  sich  für  70  Cts.  bis 
1,50  Frs.  ungeheuer  enge  Plätze  mieten  kann.  Der  Raum  inner- 
halb der  Bahn  kostet  nichts.  Die  Probe  ging  gut,  aber  die 
wahre  Geschichte  kam  doch  erst  am  folgenden  Tage  im  Kostüm. 
Jeder  der  zehn  Stadtteile  (Contrade)  stellt  ein  Pferd  mit  Reiter; 
es  wird  nur  einmal  geraunt  —  die  Bahn  3  mal  durchmessend. 
Wer  siegt,  hat  die  Ehre  für  dies  Jahr  erreicht.  Geldpreise  gibt 
es,  meines  Wissens,  nicht.  Jede  Contrada  hat  ihr  eignes  Kostüm 
und  durchzieht  von  4  ühr  an  die  Straßen,  vor  den  Häusern 
aller  „Padrone"  —  eine  Ehre,  die  man  für  10  Frs.  jährlich  er- 
kaufen kann  —  Halt  machend  und  die  Fahnen  schwingend. 
Jeder  Zug  besteht  aus  etwa  10  Mann:  einem  Trommler,  der  meist 
sehr  mangelhaft  kostümiert  und  oft  ein  trauriger,  alter  Invalide 
ist,  dem  Fahnenschwenker,  einem  kräftigen,  jungen  Mann,  die 
interessanteste  und  charakteristischste  Erscheinung  des  Zuges. 
Viele  sahen  aus  wie  Jost  Ammonsche  deutsche  Landsknechte, 
meist  blondhaarige  germanische  B^eldwebel-  oder  Vorturnererschei- 
nungen, voll  elastischer  Kraft  und  Gewandtheit.  Wie  sie  die 
großen  runden  Fahnen  zu  schwingen  verstehen,  sie  rund  um  den 
Leib  wirbeln,  zwischen  den  Beinen  durch  um  den  Nacken  herum, 
sie  schließlich  leicht  aufrollend,  hoch  in  die  Luft  werfen  und 
sicher  wieder  auffangen  —  wobei  die  Fahne  sich  in  der  Luft 
entfalten  muß  —  dann  sich  leicht  verbeugen  und  weiterziehen  — 
das  sieht  so  wunderschön  aus  und  gibt  eine  solche  Fülle  der 
schönsten  Bewegungen,  daß  ich  nicht  begreife,  warum  unsere 
Kunstreiter  dies  Feld  nicht  mehr  kultivieren.  Freilich  würde 
der  Hauptreiz,  die  echte  Volkstümlichkeit,  fehlen.  Nach  dem 
Fahnen  Schwenker,  bisweilen  sind  es  sogar  zwei,  folgt  der  Banner- 
träger in  der  reichsten  Kleidung,  meist  ein  junger  Mensch  von 
ca.  16  Jahren,  bisweilen  sehr  schön,  wie  aus  den  alten  Bildern  her- 
ausgeschnitten, neben  ihm  zwei  Knaben  als  Pagen,  deren  Trikots 

23* 


~     356     — 

meist  viel  zu  weit  und  lang  sind.  Dann  der  gewappnete  Haupt- 
mann mit  Helm,  Panzer  und  Schwert,  ihm  folgen  wieder  zwei 
Pagen,  darauf  das  Rennpferd  geschmückt,  am  Zügel  geführt,  und 
zum  Schluß  auf  erbärmlichem  Klepper  abermals  ein  Gewappneter. 

.  .  .  Die  Anzüge  sind  an  Güte  sehr  verschieden:  einige  recht 
schön,  andere  der  fürchterlichste  „Kümmel".  Am  vornehmsten 
sah  die  Contrada  Lupa  aus:  schwarz  und  weiß  mit  wenig  Gold- 
stickerei. Das  ist  die  älteste  und  vornehmste.  Die  römische 
Wölfin  ist  Sienas  Stadtwappen,  und  man  sieht  sie  hier  häufiger 
und  schöner  als  in  Rom. 

Von  5  Uhr  an  war  der  Festplatz  natürlich  dicht  besetzt, 
um  Ya^  fanden  wir  mit  genauer  Not  einen  Platz  auf  einer  Tri- 
büne, nicht  viel  größer  als  dieser  Briefbogen,  und  die  Hinter- 
männer bohrten  einem  ihre  Knie  in  den  Rücken,  daß  es  eine 
Avahre  Tortur  war.  Als  die  Sonne  die  oberste  Zinne  des  alten 
dunkelroten  Turmes  anglühte,  fiel  ein  Schuß:  die  Tauben  und 
Krähen  flogen  in  Scharen  aus  dem  alten  Mauerwerk  aufge- 
schreckt in  die  Höhe,  und  eine  Abteilung  berittener  Carabinieri 
säuberte  die  Bahn,  was  sehr  schön  aussah  und  rasch  und  prompt 
vor  sich  ging.  Dann  kam  der  Festzug:  voran  ein  schauderhafter 
Wagen,  wohl  eine  Erinnerung  an  den  mittelalterlichen  Caroccio 
mit  Bannern  und  einigen  alten  Invaliden,  dann  von  Musikkorps 
unterbrochen,  die  oben  beschriebenen  Contrade;  jeder  Fahnen- 
schwenker tat  sein  Bestes;  die  Pferde  waren  kaum  zu  halten. 
Zum  Schluß  abermals  ein  höchst  geschmackvoll  dekorierter  Wagen, 
mit  sämtlichen  Bannerträgern,  um  die  von  einem  scheußlichen 
Kerl  dargestellte  „Siena"  geschart.  Auf  langen  Tribünen  vor 
der  Front  des  Rathauses  nahm  die  bunte  Schar  mit  ihren 
Bannern  Platz,  was  schön  und  lustig  aussah.  Dann  kamen  die 
10  Renner.  Der  Schimmel  (Contrada  Oca  die  Gans)  war  von 
Anfang  an  vorn  und  hielt  sich  bis  Schluß.  Keiner  stürzte,  was 
bei  den  scharfen  Biegungen  sehr  leicht  möglich  ist.  Die  Span- 
nung war  kolossal.  Als  das  Ziel  zum  dritten  Mal  erreicht  war, 
und  ein  abermaliger  Kanonenschlag  das  Ende  verkündete,  stürzte 
alles  über  die  Barriere,  herzte  und  küßte  Schimmel  und  Reiter  — 
und  führte  ihn  im  Triumph  durch  die  Bahn.     Das  sah  herrlich 


—     357     — 

aus.  Wie  wir  nachher  hörten,  wird  das  Pferd  in  eine  Kirche 
geführt,  dort  gesegnet,  während  alle  alten  Betschwestern  vorher 
schon  für  den  Sieg  ihrer  Contrada  gefleht  haben. 

Am  ersten  Abend  war  ein  sehr  nettes  Feuerwerk  auf  dem 
Platz,  am  zweiten  Illumination  der  Lizza,  des  schönen  Spazier- 
ganges von  Siena,  auf  dem  viel  elegantere  Toiletten  und  Equi- 
pagen zu  sehen  sind,  als  man  sie  einer  Stadt  von  ca.  27000  Ein- 
wohnern zutrauen  würde.  Es  herrscht  viel  Reichtum  unter  den 
Grundbezitzern  der  Umgegend,  und  der  Adel  verbringt  den 
Sommer  in  der  Stadt.  Eine  Dame  trug  ein  hellgelbseidnes,  reich- 
gesticktes Kleid,  mit  blaugrünseidnen  Ärmeln,  gelbliche  Spitzen 
daraus  hervorquellend,  eine  schwere  rotgoldne  Kette  auf  dieser 
hellgelb-grünlichen  Seide  und  einen  blaugrünseidnen  Hut  mit 
blassen  Rosen  auf  dem  rötlich  blonden  Haar.  Das  war  die  vor- 
nehmste und  lieblichste  Erscheinung,  die  ich  je  gesehen  habe,  und 
mit  ihrem  Anzug  könnte  sie  dreist  alle  alten  Venezianerinnen 
zum  Wettkampf  herausfordern.  Ein  kleines  Mädchen  in  rotweiß- 
gestreiftem  vSommerkleid,  mit  Matrosenkragen,  offenem  blonden 
Haar,  breiter,  kirschroter  Seidenschärpe  und  ebensolchen  seidnen 
Strümpfen  war  ebenfalls  wunderschön  —  ich  glaube,  eine  kleine 
Engländerin.  Dazu  die  netten  Bauernmädchen  unter  ihren  großen 
Strohhüten,  die  vielen  energischen  Bauern  —  etwa  derselbe 
Typus  wie  man  ihn  von  Südtirol  an  bis  nach  Toskana  findet  — 
genug:  es  war  ein  herrliches  Fest,  und  ich  habe  eine  Anzahl 
Seiten  des  Skizzenbuches  gefüllt.  Gegen  10  fuhren  wir  ab  und 
langten  gegen  1   schlafend  wieder  in  Florenz  an. 

Venedig,  den  5.  September  1877,  Dienstag  abend. 
Liebe  Mutter! 
Ich  bin  nun  bereits  seit  dreimal  24  Stunden  hier  und  könnte 
fast  schon  sagen:  ich  kenne  Venedig.    Drum  wird  es  Zeit,  endlich 

wieder  einmal  von  mir  hören  zu  lassen 

Ich  fuhr  am  Donnerstag  gegen  3  Uhr  in  Florenz  ab.  Die 
Fahrt  über  den  Apennin  war  wiederum  schön;  in  Nachmittags- 
und Abendbeleuchtung  überdies,   doch  hatte  sie   mir  im  trüben 


—     358     — 

Spätherbst  besser  gefallen.  Es  war  Nacht,  längst  ehe  ich  in 
Bologna  ankam. 

Meine  notwendigsten  Sachen  ins  Plaid  geschnürt,  so  hielt 
ich  meinen  Einzug  durch  die  langen  Arkaden  zu  Fuß,  und  dieser 
bescheidenen  Introduktion  gemäß  fielen  auch  die  Preise  in  dem 
vortrefflichen  Gasthaus  zu  den  drei  Gurken  („tre  zucchetti")  aus. 
Bologna  gefiel  mir  mindestens  gerade  so  gut,  womöglich  noch 
besser  als  das  erste  Mal.  Die  schönen  Paläste,  das  rege,  reichs- 
städtische Leben,  die  wohlgenährte  Behaglichkeit  der  Bewohner 
habe  ich  schon  seinerzeit  geschildert.  Diesmal  gab's  obendrein 
noch  Sonnenschein,  vormittags  gute  Militärmusik  auf  dem  Markt- 
platz und  vortrefflich  geeiste  Limonaden  und  Tamarindeu- 
erfrischungen  an  den  Straßenecken.  —  Im  Dom  saß  ich  kaum 
eine  Viertelstunde  zeichnend  in  einem  alten  Chorgestühl,  als  eine 
alte  Dame  sich  neben  mich  setzte^  aber  ich  sah  sie  nicht  an, 
weil  ich  erwartete,  sie  würde  mich  anbetteln.  Statt  dessen  sagte 
sie  aber  auf  gut  norddeutsch:  „Sind  Sie  es  nun  eigentlich?  oder 
sind  Sie  es  nicht?"  (ich  habe  nämlich  meinen  Vollbart  in  einen 
Henri  IV  verändert)  —  und  war  Fräulein  v.  Willemoes,  die  sich 
in  ihrem  Bad  bei  Livorno  zu  arg  gelangweilt  hatte  und  nun  eben- 
falls die  alte  Universitätsstadt  besah.  Welche  freudige  Über- 
raschung! 

W^ir  blieben  natürlich  den  ganzen  Tag  zusammen  und  freuten 
uns  beide,  uns  so  unerwartet  noch  einmal  zu  sehen.  Es  gibt 
kaum  jemand,  vor  dem  ich  mich  so  wenig  geniere,  wie  vor  Fräulein 
V.  Willemoes.  So  zeichnete  ich  denn  einen  ganzen  Haufen  und 
sie  saß  dabei  immer  neben  mir  und  schwatzte.  Auch  in  der 
Pinakothek  waren  wir,  wo  sie,  wie  gewöhnlich,  die  ganz  alten 
Meister  schon  genau  durchstudiert  hatte  und  mich  auf  viel  naive 
Schönheiten  und  lustige  Scherze  aufmerksam  machte,  die  ich 
sonst  nie  bemerkt  hätte.  Für  Domenichino  mich  zu  begeistern, 
gelang  ihr  freilich  nicht.  Die  Caraccischule  machte  denselben 
Eindruck  auf  mich  wie  das  erste  Mal,  ebenso  Francia,  auch  von 
Raffaels  heiliger  Cäcilie  kann  ich  leider  nicht  behaupten,  daß 
sie  einen  größeren  Eindruck  auf  mich  gemacht  hätte.  Ich  be- 
wundere nur  die  Komposition. 


~     359     — 

Bis  Samstag  mittag  blieb  icb  in  Bologna  und  fuhr  dann  im 
Schnellzug  in  einer  Stunde  nach  Ferrara.  Die  Gegend  ist  so 
flach,  daß  die  Lüneburger  Heide  dagegen  als  Mittelgebirge  er- 
scheint; dazu  hört  die  Bauart  der  Häuser  auf  interessant  zu  sein, 
schließlich  wird  auch  das  üppige  Weingeranke  an  den  Maulbeer- 
bäumen spärlicher,  bis  es  ganz  verschwindet.  Summa:  die  Gegend 
ist  mordslangweilig,  zumal  in  steiler  Mittagsonne.  Vergleiche  ich 
Bologna,  die  größte  Universität  — ,  dazu  Kaufmanns-  und  Musik- 
stadt immer  gern  mit  unserm  Leipzig,  so  drängt  sich  für  das 
nahegelegene  Ferrara  der  Vergleich  mit  Weimar  auf.  „Ferrara 
ward  durch  seine  Fürsten  groß"  —  das  Wort  Goethes  war  so 
ziemlich  alles,  was  ich  von  Ferrara  wußte,  als  ich  hinkam.  Zuerst 
bereute  ich  es  fast,  überhaupt  ausgestiegen  und  nicht  dem  Rat 
von  Fräulein  v.  Willemoes  gefolgt  zu  sein,  direkt  bis  Venedig 
weiter  zu  dampfen  und  dort  meinen  Einzug  bei  Abendsonnen- 
schein zu  halten,  denn  die  breiten,  leeren,  schattenlosen  Gassen 
mit  einstöckigen,  armseligen  Häusern  machten  einen  solchen  .,Nest'* 
Eindruck,  daß  mein  Weimarer  Herz  ganz  hochmütig  weltstädtisch 
zu  schlagen  begann.  Endlich  kam  ich  ans  Kastell,  einen  großen 
Backsteinbau  mit  vier  Ecktürmen,  Wassergräben,  Zugbrücke  usw. 
Von  dort  weiter  ins  Museum.  Diese  in  einem  schönen  Palast 
vortrefflich  aufgestellte  Galerie  ist  so  interessant,  daß  alle  Reue, 
ausgestiegen  zu  sein,  sofort  verflog.  .  .  .  Die  Ferraresische  Schule 
habe  ich  immer  recht  gern  gehabt.  Sie  steht  den  Venezianern 
schon  nahe.  Besonders  entzückte  mich  eine  Madonna  von 
Garofalo.  ...  —  Dann  wurden  noch  einige  schöne  alte  Palazzi 
besichtigt,  hinter  dem  Schloß  beginnt  die  Stadt  erst,  und  ent- 
wickelt sich  so  stattlich,  daß  Weimar  bedenklich,  was  Architektur 
anlangt,  die  Segel  streichen  muß,  schließlich  der  Dom  mit 
phantastisch  gotischer  Fassade  und  am  äußersten  Ende  der  Stadt 
in  einem  Palast,  der  jetzt  Taubstummeninstitut  ist,  bei  roter 
Sonnenuutergangsbeleuchtung  höchst  interessante  Fresken  aus 
dem  Leben  eines  der  Herzöge  im  XV.  Jahrhundert,  .  .  .  zuletzt 
schnell  an  die  Bahn  gefahren  und  im  Zwielicht  abgedampft. 
Ich  schlief  sehr  viel  und  kam  um  ^i^  ^^  Vendig  an,  wo  mein 
Quartier  schon  bestellt  war.     Vom  Bahnhof  steigt  man  direkt  in 


—     360     — 

die  Gondel,  und  in  leisem  Plätschern  führte  mich  diese  durch 
kleine  Kanäle,  unter  zahlreichen  hohen  Brückchen,  zweimal  den 
großen  Kanal  kreuzend,  durch  die  schlafende  Stadt  ans  Ufer  der 
Calle  del  Ridotto,  wo  der  Architekt  Moosbrugger,  ein  dicker, 
behaglicher  Schwabe,  am  Ufer  stand  und  mich  erwartete.  Eine 
halbe  Stunde  später  lag  ich  im  Bett  und  schlief  trotz  der  leise 
und  unheimlich  sirrenden  Mücken  bald  ein,  in  dem  wunderlichen 
Gefühl,  nun  wirklich  in  Venedig  zu  sein. 

Denn  die  Stadt  ist  so  ganz  eigenartig,  daß  man  wirklich 
zuerst  in  einer  anderen  Welt  zu  sein  glaubt  und  sich  wundert, 
daß  die  Leute  hier  italienisch  verstehen,  da  einem  dies  allmählich 
etwas  alltägliches  geworden  ist.  Die  Form  der  Gondeln,  ihre 
bequemen  Sitze,  ihre  Schnitzerei,  ihr  blanker  Messingschmuck, 
dazu  die  elastischen,  ruhigen  Bewegungen  der  Gondoliere,  die 
zwar  nicht  mehr  in  roten  Trikots  und  langen,  gerade  geschnittenen 
Haaren  einhergehen,  die  man  sich  aber,  da  sie  hinter  einem 
stehen  und  man  sie  nicht  sehen  kann,  bisweilen  so  vorstellt  — 
das  ist  alles  so  wunderbar,  dazu  die  Paläste,  die  kleinen  Gärtchen! 
keine  Stadt  Italiens  kann  sich  damit  vergleichen! 

Auf  die  Dauer  würde  ich's  freilich  herzlich  satt  bekommen. 
Man  entbehrt  doch  vieles,  und  nie  und  nimmer  möchte  ich  mit 
einem  solchen  Inselbewohner  tauschen.  Wie  viele  leben  da,  die 
nie  in  ihrem  Leben  das  Festland  gesehen  haben,  keinen  Wald, 
kein  Kornfeld,  keinen  Bach  mit  Schilf  und  blumigen  Wiesen,  kein 
Pferd,  keine  Kuh,  überhaupt  keine  anderen  Vierfüßler  als  Hunde 
und  Katzen!  —  Auffallend  war  mir's,  nebenbei  gesagt,  daß  trotz- 
dem nirgends  so  viel  Reiterstatuen  sind  wie  hier,  teils  eherne, 
teils  vergoldete,  von  Holz  auf  den  Sarkophagen  der  Feldherren 
der  Republik,  in  den  Kirchen  —  in  der  einen  allein  fünf  lebens- 
große aus  den  verschiedensten  Zeiten! 

Am  Sonntag  morgen  gingen  wir  zuerst  auf  den  Markusplatz 
Kaffee  trinken.  Der  ist  gerade  so,  wie  man  ihn  sich  denkt;  nur 
noch  größer.  An  den  drei  riesigen  Mastbäumen  vor  der  Markus- 
kirche wehten  riesengroße  italienische  Flaggen.  Das  sieht  prächtig 
aus.  Die  Tauben  sind  alle  dunkelgrau;  ich  hatte  sie  mir  weiß 
gedacht.     Sie,  wie  die  Gondeln,   die  alle  schwarz  sind,  scheinen 


—     361     — 

zu  trauern  um  die  verschwundene  Größe.  Am  Markusplatz 
kommt  man  wenig  dazu,  derartigen  melancholischen  Gedanken 
nachzuhängen;  besonders  jetzt  in  der  Saison  herrscht  dort  ein 
gar  reges  Leben,  und  man  hat  das  Gefühl  in  einer  großen  reichen 
Stadt  zu  leben.  Hier  ist  ein  Caf6,  ein  Bijouta'ie-  und  Photo- 
graphieladen neben  dem  andern,  alle  Welt  spricht  deutsch  oder 
radebricht  es.  Auch  die  Fremden  sind  fast  ausschließlich  Deutsche, 
noch  durchgehender  als  in  Rom. 

Zunächst  natürlich:  Markuskirche,  dieser  ganz  einzige  Bau, 
dessen  wohlerhaltene,  farbige  Marmor-  und  Mosaikpracht  einen 
ganz  ins  frühe  Mittelalter  versetzt;  eine  malerische  farbige  Ecke 
sitzt  hier  neben  der  andern.  Auf  Schritt  und  Tritt  sieht  man 
fertige  Architekturbilder,  so  daß  der  Wunsch,  das  eine  oder 
oder  andere  davon  zu  skizzieren,  sofort  durch  das  nächste  Bild 
verdrängt  wird.  So  sah  es  damals  schon  aus,  als  Barbarossa 
hier  mit  Papst  Alexander  Frieden  schließen  mußte,  jeuer  ewig 
denkwürdige  Tag  in  der  Geschichte  der  Stadt,  der  sowohl  hier 
im  Dogenpalast  wie  zu  Rom  in  der  Sala  regia  so  dargestellt  ist, 
daß  der  Kaiser  vor  dem  Papst  kniet  und  ihm  den  Fuß  küßt, 
während  Alexander  ihm  den  anderen  Fuß  auf  den  Nacken  setzt, 
also  ein  zweites  Canossa,  was  es  historisch  doch  nicht  gewesen 
sein  soll. 

Von  dort  aus  in  den  Dogenpalast,  der  Sonntags  unent- 
geltlich geöffnet  und  sehr  besucht  ist.  Man  kennt  das  alles  aus 
Studien,  Bildern  und  Photographien,  aber  es  ist  herrlich,  alles 
selbst  zu  sehen,  jedes  an  seinem  Ort  und  zwischendurch  auf  die 
Balkons  zu  treten  und  sich  zu  orientieren,  nach  welchem  prächtigen 
Hof,  Kanal  oder  Platz  hinaus  jedes  Zimmer  liegt. 

Stolzer  ist  der  Vatikan,  prächtiger  die  Säle  des  Pitti,  aber 
wohligere  Vornehmheit  als  in  beiden  herrscht  hier.  Die  Zimmer 
sind  verhältnismäßig  niedrig,  die  reichen,  flachen,  goldnen  Decken 
mit  den  prächtigen  Bildern  von  Tintoretto  und  Veronese  drücken 
etwas,  in  den  gewölbten  Sälen  von  Rom  und  Florenz  atmet  sich's 
leichter  und  freier,  aber  wirft  man  nur  einen  Blick  hinaus,  so 
schwimmt  man  doch  wieder  in  Wonne.  Künstlerisch  ist  das  das 
einzig    Schöne    und  Lehrreiche    hier,    das    Alles    noch    so    wohl- 


—     362     — 

erhalten  an  seinem  eigentlichen  Platze  ist;  zwar  ist  alles  mit  Ol 
auf  Leinwand  oder  Holz  gemalt  und  nichts  al  fresko,  und  es 
hätte  hier  und  da  nahe  gelegen,  die  größten  Schätze  zu  entfernen 
und  in  Museen  zusammenzustellen.  Das  ist  aber  glücklicherweise 
nicht  geschehen;  auch  die  Franzosen  scheinen  nur  wenig  seiner- 
zeit nach  Paris  geschleppt  zu  haben. 

Nach  dem  Essen  ging  ich  nochmals  in  den  Dogenpalast, 
besah  mir  namentlich  die  hübsche  Antikensammlnng,  sowie  alte 
Landkarten  und  ausgestopfte  Fische  des  adriatischen  Meeres  — 
teilweise  schauerliche  Biester  —  und  fuhr  um  3  nach  der  Insel 
Murano,  einem  selbständigen  Ort  bzw.  Vorstadt  von  4000  Ein- 
wohnern mit  mehreren  Kirchen,  dort  einer  der  schönsten  Bellinis. 
In  weitem  Bogen  halb  Venedig  umgondelnd,  stiegen  wir  bei 
Sonnenuntergang  wieder  an  der  Piazza  ans  Land,  und  abends 
um  8  nach  dem  Essen  begrüßte  ich  Nerly  an  seinem,  seit  34  Jahren 
fast  täglich  besetzten  Stammplatz  })ei  „Florian"  unter  den  Arkaden. 
Er  freute  sich  sehr  mich  zu  sehen  und  hatte  viel  zu  fragen.  Am 
nächsten  Tage  besuchte  ich  ihn  in  seinem  Palazzo  Pisani,  dem 
größten  aller  Paläste  Venedigs,  mit  fürstlichen  Höfen  und  Treppen, 
aber  öde  und  verkommen  wie  alle  hier,  mit  Ausnahme  des  Staats- 
eigentums. Wie  ganz  anders  in  Florenz  und  Rom !  —  Hier  war 
er  nun  überaus  freundlich  und  eingehend,  während  am  ersten 
Abend  das  Gewoge  der  Menschen  eine  lebhaftere  Unterhaltung 
gehindert  hatte.  Er  zeigte  mir  viel  schöne  Sachen  —  nicht  nur 
Venezianische  Mondnächte  — ,  erzählte  mancherlei  aus  alter  Zeit 
und  macht  überhaupt  einen  frischeren  Eindruck,  als  ich  erwartet 
hatte.  Er  ist  ein  sehr  guter  Deutscher  geblieben,  auch  sein  Sohn, 
den  ich  erst  am  dritten  Abend  kennen  lernte,  spricht  vollkommen 
fließend  deutsch  und  ist  durch  und  durch  Deutscher,  offiziell 
sowohl  wie  von  Herzen.     Die  Frau  werde  ich  erst  morgen  zu 

sehen  bekommen;   ich   soll  mit  ihnen  auf  dem  Lido   essen 

—  Äußerlich  ist  er  sehr  gentlemanlike,  ganz  in  Weiß,  mit  schwarzer 
Kravatte  oder  schwarz  gefüttertem  Strohhut  auf  dem  ebenfalls  ein- 
farbig hellen  Gesicht.  Natürlich  leidet  er  pekuniär  unter  den 
schlechten  Zeiten,  hat  auch  durch  den  Krieg  in  Papieren  viel 
verloren 


—     363     — 

Am  zweiten  Tag  leistete  ich  Unglaubliches  im  Besehen  von 

—  ich  weiß  nicht  wieviel  Kirchen.  Die  bedeutendste  derselben 
ist  die  der  E'rari,  die  große  Franziskanerkirche  mit  viel  schönen 
Grabmälern  und  Bildern  von  Tizian,  Bellini  u.  a.  Daneben 
ist  die  Scuola  di  San  Rocco,  eine  der  vielen  Laienbrüderschaften 
Venedigs;  ein  Bau,  halb  Kirche,  halb  Palast  von  einer  Opulenz 
der  Ausschmückung  außen  und  innen,  von  der  man  gar  keinen 
Begriff  hat.  Überall  Marmor,  Gold,  Holzwerk  und  Malerei. 
Wände  und  Decken  mit  den  riesigsten  Leinwänden  Tintorettos 
bedeckt;  ich  habe  ihn  hier  so  recht  aufrichtig  bewundern  gelernt. 
Zwar  macht  er  mich  nicht  warm,  es  kommt  ihm  selten  so  recht 
von  Herzen,  aber  trotzdem  ist  er  ein  ganz  großer  Künstler,  und 
die  meisten  Kunstgeschichten  betonen  seine  Fehler  viel  zu  sehr, 
ohne  seiner  Größe  zugleich  genugzutun. 

Ich  frühstückte  in  der  malerischsten  Spelunke,  die  mir  je 
vorgekommen  ist,  unter  Austern  aufklopfenden,  teilweise  halb- 
nackten Fischern  und  Schiffern,  lief  noch  schnell  durch  die 
Akademie  (Galerie),  die  ich  inzwischen  sehr  genau  kennen  gelernt 
habe  und  machte  in  Nachmittagsbeleuchtung  mit  Moosbrugger 
wieder  Gondelfahrten  zur  Giudecca,  wo  drei  berühmte  Palladiosche 
Kirchen  stehen,  und  den  Canale  Grande  auf  und  ab,  mit  all 
seinen  öden,  ausgestorbenen  Palästen. 

Am  dritten  Nachmittag  gondelten  wir  nach  der  großen 
barocken  Kuppelkirche  hinüber  —  Santa  Maria  della  Salute  — , 
die  auf  allen  Ansichten  eine  so  bedeutende  Rolle  spielt  und  be- 
•etiegen  abends  den  Markusturm,  von  wo  man  das  schönste 
Panorama  hat,  das  man  sich  außer  dem  Golf  von  Neapel  denken 
kann.  Ganz  anders,  und  in  seiner  Weise  gerade  so  schön.  — 
Die  liebste  halbe  Stunde  ist  mir  immer  die  gleich  nach  Sonnen- 
untergang, wo  ich  am  Fuße  einer  der  großen  Säulen  der  Piazetta 
sitze  oder  liege  und  in  dem  wild  prächtigen  Farbenspiel  schwelge 

—  gedankenlos  genießend.  Abends  gabs  immer  herrhches  Wetter- 
leuchten, gestern  ganz  großartig,  dazu  etwas  Gewitter;  heute 
war's  sehr  abgekühlt,  fast  schon  herbstlich. 

Ich  schließe  den  Brief  damit,  vielleicht  füge  ich  schriftlich, 
jedenfalls  mündlich  noch  vieles  hinzu.  Dein  Hans. 


Anmerkungen. 


Wie  das  einzurichten  ist.     S.  1. 

Speckters  Schwager  Wurm,  der  Empfänger  des  Briefes,  war  durch  die 
Tagungen  des  Parlaments,  an  denen  er  regen  Anteil  nahm,  an  Frankfurt 
gebunden.  Seine  Frau  Hermine,  geb.  Speckter,  hatte  ihn  begleitet.  Doch 
sind  Wurms  die  Taufpaten  von  Haus  Speckter  geworden,  wenn  sie  auch 
ihr  Patenkind  sehr  viel  später  gesehen  haben. 

Großmutter.     S.  1. 

Die  Großmutter  Bergeest,  Frau  Dorothea  Elisabeth,  geb.  Wurm. 

Hcrterich.     S.  1. 

Dur  Maler  Heinrich  Joachim  Herterich  1772—18.52  war  der  Mitbegründer 
von  Johann  Michaels  Speckters  lithographischer  Anstalt  und  hatte  bis  zu 
seinem  Tode  in  Otto  Speckters  Hause  gelebt. 

Reichsverweser.     S.  1. 

Erzherzog  Johann  von  Österreich,  1782 — 1859,  am  27.  Juni  1848  zum  un- 
verantwortlichen Reichsverweser  ernannt,  trat  am  20.  Dezember  1849  ins 
Privatleben  zurück. 

Hans  Speckters  Aufzeichnungen.     S.  2. 

Sie  sind  entnommen  dem  Artikel:  „Die  Ausstellung  der  Werke  Hans 
Speckters,"  Aufsatz  von  Direktor  Professor  Dr.  Justus  Brinckmann  im 
Hamburgischen  Correspondenten  1889  Nr.  27,  48,  58,  62,  64.  Herr  Pro- 
fessor Brinckmann  hat  mir  freundlichst  Einsicht  in  Speckters  Original- 
manuskript gestattet,  wofür  ich  ihm  auch  an  dieser  Stelle  meinen  ver- 
bindlichen Dank  sage. 

Louis  Asher.     S.  5. 

1804—78  gehört  dem  Hamburger  Nazarenerkreis  an.'  Speckter  gedenkt 
in  den  Italienbriefen  wiederholt  dankbar  der  Anregungen,  die  er  von 
diesem  seinem  ersten  Lehrer  erfahren  hat. 

Martin  Gensler.     S.  5. 

Die  drei  Brüder  Gensler:  Johann  Günther  (1803— 1884),  Jakob  (1808—4.5), 
Martin  (1811  —  81),  sind  eng  mit  Hamburgs  Kunstleben  verknüpft.  Man 
vergleiche  Alfred  Lichtwark:  Hermann  Kauffmann  und  die  Kunst  in 
Hamburg  um  1800—1850,  München,  1893,  S.  60ff.  und  Hans  Speckter: 
Martin  Gensler,  Hamburgischer  Corr.  1882. 


—     365     — 

Große  Brand.     S.  5. 

Der  „große"  Brand  hat  im  Jahre  1842  die  Stadt  zerstört.  Die  Hamburger 
Maler  hatten  sich  heim  Ketten  der  gefährdeten  Kunstwerke  gi-oße  Ver- 
dienste erworben. 

Perthes  und  Bessers.     S.  6. 

In  „Friedrich  Perthes  Leben",  nach  dessen  schriftlichen  und  mündlichen 
Mitteilungen  aufgezeichnet  von  Clemens  Theodor  Perthes,  3  Bände,  Ham- 
burg und  Gotha  1848/55,  ist  Johann  Michael  Speckter  und  sein  Kreis 
anschaulich  geschildert.  Besser  war  der  spätere  Kompagnon  von  Perthes 
Hamburger  Buchhandlung. 

Wilhelm  Ferdinand  Pauwels.     S.  6. 

1830 — 1904.  Der  belgische  Historienmaler  und  Schüler  von  Wappers  war 
von  1862 — 72  an  der  Weimarer  Kunstschule  als  Professor  tätig.  Seit 
1876  an  der  Dresdener  Akademie.  Speckter  hat  seine  Absicht,  dort  bei 
ihm  arbeiten,  nicht  ausgeführt. 

Kops.     S.  6, 

Franz  Kops,  Bildnis-  und  Genremaler,  1846 — 1896. 

Friedrich.     S.  6. 

Harald  Friedrich,  Genre-  und  Portrütuialer,  geb.  1858  in  Dresden. 

Freiesleben.     S.  6. 

Ernst  Freiesleben,  Genremaler,  starb  in  Weimar  1883. 

Piltz.     S.  6. 

Otto  Piltz,  geb.  1846  in  Allstedt,  Sachsen- Weimar,  Genremaler.  Speckter 
hat  die  Bedeutung  dieses  von  ihm  sehr  geliebten  Freundes  wohl  über- 
schätzt. 

Krohn.     S.  6. 

H.  Chr.  Krohn,  Genremaler,  geb.  1843  in  Hamburg,  hat  zusammen  mit 
Franz  Arndt  im  Hause  Weber  in  Hamburg  Kompositionen  der  „Vier  Jahres- 
zeiten" geschaffen,  1877  vollendet. 

Arndt.     S.  6. 

Franz  Gustav  Arndt,  Landschaftsmaler,  geb.  1842  in  Lobsen  (Bezirk 
Bromberg). 

Gussow-Hagensche  Periode.     S.  6, 

Karl  Gussow,  geb.  1843,  war  erst  Schüler  der  Weimarer  Kunstschule 
unter  Ramberg  und  Pauwels.  Später  als  Lehrer  dort  tätig  seit  1870.  — 
Theodor  Joseph  Hagen,  geb.  1842.  Landschaftsmaler,  seit  1871  als  Pro- 
fessor an  der  Weimarer  Kunstschule  tätig. 

Paul  Thumann.     S.  6. 

Geb.  1834,  gest.  1908.     Seit  1866  Lehrer  in  Weimar. 

Spangenberg.     S.  6. 

Friedrich  Spangenberg  1843—74. 

Günther.     S.  6. 

Otto  Eduard  Günther,  Genremaler  1838—84. 


—     366     — 

Graf  Harr  ach.     S.  6. 

Ferdinand  Graf  von  Harrach,  geb.  1832.  Landschaften  und  historisches 
Genre. 

Plockhorst.     S.  6. 

Bernhard  Plockhorst,  geb.  1825  in  Braunschweig,  war  von  1865 — 69  Pro- 
fessor in  Weimar.     Porträts  und  religiöse  Kompositionen. 

Verlat.     S.  6. 

Michel  Charles  Verlat,  1824 — 90.     Belgiei-,  Schüler  von  Wappers. 

Henneberg.     S.  6. 

Rudolf  Henneberg,  1825 — 76.  Die  Jagd  nach  dem  Glück  befindet  sich 
in  der  Natioualgalerie  zu  Berlin.     Kat.  Nr.  118. 

Preller.     S.  6. 

Friedrich  Johann  Christian  Preller  d.  Ä.,  1804 — 78.  Die  Odysseeland- 
Bchaften  im  Museum  in  Weimar  entstehen  während  Speckters  Aufenthalt 
an  der  dortigen  Kunstschule  1865 — 69, 

Geuelli.     S.  6. 

Bonaventura  Genelli  1798 — 1868,  war  seit  1859  in  Weimar  an  der  Kunst- 
schule tätig. 

Wislicenus.     S.  6. 

Hermann  Wislicenus,  1824—99,  war  seit  1857  in  Weimar  tätig  und  ist 
1868  nach  Düsseldorf  übergesiedelt. 

Graf  von  Kalckreuth.     S.  7. 

Stanislaus  Graf  von  Kalckreuth  d.  Ä.,  1821 — 94,  hat  1860  die  Kunst- 
schule in  Weimar  begründet  und  ihr  bis  1876  als  Direktor  vorgestanden. 

Hugo  Kauf f mann.     S.  8. 

Geb.  1844  in  Homburg.  Der  Sohn  Hermann  Kaufifmanns.  Speckter  hat 
auch  in  München  bei  ihm  verkehrt. 

Pigihein.     S.  12. 

Elimar    Ulrich    Bruno    Pigihein,    geb.  1848    in  Hamburg,    gest.  1894   in 
München. 
Kaulbach.     S.  12. 

Friedrich  August  von  Kaulbach,  geb.  1850  in  Hannover. 
Roß.     S.  12. 

Christian  Meyer  Roß,  1843 — 1904.     Genrebilder  und  Motive  aus  der  Zeit 
der  französischen  Revolution  und  des  Kaiserreichs. 
Fröschl.     S.  12. 

Carl  Fröschl,    geb.   1848   in  Wien.     Speckter   war   während    der  Wiener 
Weltausstellung  1873  Gast  im  Fröschischen  Hause. 
Neubert.     S.  12. 

Louis  Neubert  1846—92. 
Frühester  zeichnerischer  Versuch.     S.  18. 

Sämtliche  hier  erwähnte  Arbeiten  Speckters  befinden  sich,  wenn  nicht 
anders  bemerkt,    im  Besitze  von  Frau  Dir.  Duncker-Speckter,    Hamburg. 


—     367     — 

Hausbuch.     S.  26. 

Hausbuch  aus  deutschen  Dichtern  seit  Claudius.  Eine  kritische  Anthologie 
von  Theodor  Storm.  Erste  illustrierte  Ausgabe.  Mit  Holzschnitten  nach 
Originalzeichnungen  von  Hans  Speckter,  ausgeführt  von  H.  Kaeseberg. 
Leipzig,  Wilhelm  Mauke.  Iö75. 

Guy  Manaering.     S.  32. 

Guy  Mannering.  Ein  Roman  von  Walter  Scott.  Neu  übersetzt  von 
Benno  Tschischwitz.  Mit  Illustrationen  von  Hans  Speckter,  in  Holz  ge- 
schnitten von  H.  Kaeseberg  u.  a.  Berlin,  G.  Grotesche  Verlagsbuchhand- 
lung. 1876. 

Heraldik  und  Schutzmarke.     S.  51. 

Vortrag,  gehalten  in  der  kunstgewerblichen  Abteilung  des  Hamburger 
Gewerbevereins  am  7.  März  1883  von  Haus  Speckter.  Hamburg  und 
Leipzig,  Verlag  von  Leopold  Voss.  1883. 

Zu  einer  kleinen  Schrift.     S.  52. 

Die  Notwendigkeit  eines  Museums  für  Hamburgische  Geschichte  von 
Hans  Speckter.     Hamburg,  Leopold  Voss.  1884. 

Am  letzten  Blatt.     S.  61. 

Die  Illustrationen  zu  Guy  Mannering. 

Behagliches  deutsch-englisches  Zimmer.     S.  61. 

Dr.  Octavio  Bergeest,  Frau  Otto  Speckters  Bruder,  lebt,  mit  einer  Eng- 
länderin vei'heii'atet,  in  Florenz. 

Petersen.     S.  61. 

Bezieht  sich  auf  den  in  München  lebenden  norwegischen  Maler  Eilif 
Petersen. 

Nonnenkamp.     S.  61. 

Rudolph  Nonnenkamp,  Hamburgischer  Maler  1828 — 74. 

Schlesinger.     S.  61. 

Felix  Schlesinger,  geb.  1833  in  Hamburg. 

Allotria.     S.  61. 

Über  die  Allotria  vergleiche  man  Corinths  amüsante  Aufzeichnungen. 
Lovis  Corinth:  Legenden  aus  dem  Künstlerleben.     Berlin,  1908,  S.  111  ff. 

Zum  9.  November.     S.  63. 
Otto  Speckters  Geburtstag. 

Förster.     S.  64. 

Ernst  Förster  1800—85  hatte  als  Comeliusschüler  angefangen  und  war 
zur  Schriftstellerei  übergegangen.  Speckter  erwähnt  seine  „Geschichte  der 
italienischen  Kunst"  (1869 — 78,  5  Bände)  wiederholt. 

Der  alte  Dürck.     S.  66. 

Maler  Friedrich  Dürck,  1809—84. 

Maximiliansgrab.     S.  68. 

Renaiäsancegrab,  an  dem  auch  Peter  Vischer  tätig  war. 


—     368     — 

Micliele  Sanmiclieli.     S.  74. 

1484 — 1559.  „Seine  Bauten  sind  als  "Weitererscheinung  der  letzten  Manier 
Bramantes  und  als  Andeutung  von  Rafaels  Intentionen  von  hervorragen- 
dem Interesse."     Jakob  Burckhardt:  Der  Cicerone.     9.  Aufl.  1904.  S.  292, 

Morone.     S.  75. 

Domeuico  Morone,  geb.  1442.  Von  ihm  die  Fresken  im  Refektorium. 
Auch  sein  Sohn  Francesco,  1474 — 1529,  hat  in  S.  Bernardino,  in  der 
Capp.  della  Croce  1498  gemalt. 

Berühmtes  Bild  von  Mantegna.     S.  76. 
Das  Triptychon  wurde  1459  vollendet. 

Libri.     S.  78. 

Girolamo  dei  Libri  1474 — 1556. 

Passinische  Erscheinungen.     S.  78. 

Ludwig  Passini,  Österreichischer  Genremaler,  der  sich  in  Italien  nieder- 
gelassen hat. 

Onkel  Erwin.     S.  80. 

„Briefe  eines  deutschen  Künstlers  aus  Italien."  Aus  den  nachgelassenen 
Papieren  von  Erwin  Speckter  aus  Hamburg.  Leipzig,  F.  A.  Brockhaus. 
1846.  S.  306. 

Abendrothschen  Eckzimmer.     S.  80. 

Erwin  Speckter  war  im  September  1834  aus  Italien  nach  Hamburg  zu- 
rückgekommen, um  die  Malereien  im  Hause  des  Dr.  Abendroth  auszu- 
führen. Die  Arbeit  wurde  durch  seinen  Tod  am  23.  November  1835 
unterbrochen. 

Sala  di  Troja.     S.  80. 

Befindet  sich  im  Pal.  Ducale;    die  beiden  anderen  Säle  im  Pal.  del  T6. 

Die  Villevieille's  bei  Wesselhöft.     S.  81. 

Leon  Villevieille's  ,,un  dernier  sourire  du  soleil"  bei  Herrn  W.  i.st  von 
Speckter  sehr  bewundert  worden.  Man  vergleiche  seinen  Bericht:  die 
Ausstellung  neuerer  Gemälde  und  Zeichnungen  im  Hamburger  Privat- 
besitz.    Corr.  vom  29.  Mai  1879. 

Teilweise  von  Deutschen.     S.  83. 

Die  Skulpturen  gehören  in  den  Anfang  des  12.  Jahrhunderts.  Als  Ver- 
fertiger nennen  sich  ein  Meister  Wilhelm  und  Nikolaus.  Burckhardt  a.  a.O. 
S.  376. 

Begarelli.     S.  83. 

Antonio  Begarelli  ca.  1479 — 1565.  „Begarelli  wurde  nicht  durch  die  Be- 
kanntschaft mit  dem  Altertum,  sondern  durch  eine  unverkennbar  nahe 
Beziehung  zu  Correggio  und  durch  die  allgemeine  Kunsthöhe  der  Zeit 
emporgehoben.  Seine  Einzelformen  sind  so  schön,  frei  und  reich  wie  die 
A.  Sansovinos,  denen  sie  doch  nicht  gleichen."  Burckhardt  a.  a.  0. 
S.  525. 


—     369     — 

Dorn  von  Bologna.     S.  S5. 
Speckter   verwechselt   den   Dom    S.  Pietro    mit   Bolognas    bedeutendster 
Kirche  San  Petronio.     Auf  diese  bezieht  sich  seine  Beschreibung. 

Einige  andere  Figürchen.     S.  87. 

Während  seines  Aufenthaltes  in  Bologna  1494  war  Michelangelo  au  der 
Area  di  San  Domenico  tätig.  Von  ihm  stammen:  der  leuchtertragendc 
Engel  rechts  und  der  heilige  Petronius,  während  der  heilige  Proculus 
nicht  mit  ebensoviel  Sicherheit  für  ihn  in  Anspruch  zu  nehmen  ist. 
Vgl.  Karl  Frey:  Michelagniolo  Buonarooti.     Berlin.  1907.  S.  202fr. 

Ein  prächtiges  Grabmal.     S.  89. 
Das  Grabmal  Tartagnis,  f  1477,  von  Francesco  di  Simone  mit  Anklängen 
an  Desiderios  Marzuppini  Grab  und  Andrea  del  Verrochios  Gestalten. 

Francia.     S.  90. 

Francesco  Raibolini  gen.  il  Francia.     1450 — 1517. 

Der  große  Francia  in  München.     S.  90. 
Alte  Pinakothek:  Madonna  im  Rosenhag,  Nr.  1039  des  Katalogs. 

In  einer  Kirche.  ...     S.  90. 
San  Giacomo  Maggiore. 

Ferrarese  Costa,     S.  90. 

Lorenzo  Costa,  1460 — 1535.     Seine  Hauptwerke  sind  in  Bologna. 

Cossa.  ...     S.  90. 
Francesco  Cossa,  7  1477,   seit  1470  in  Bologna  ansässig,  von  Piero  della 
Francesca  beeinflußt. 

Cavedone.     S.  91. 

Giacomo  Cavedone,  1577 — 1660. 

Zampieri  S.  91. 

Domenico  Zampieri,  gen.  Domenichino.     1582 — 1641. 

Hugo  von  Blomberg.     S.  91. 

Das  Gedicht  fehlt  bezeichnenderweise  in  der  von  Speckter  illustrierten 
Hausbuchausgabe. 

Wintermärchen.     S.  92. 

Vgl.  Erwin  Speckter,  Bd.  I,  S.  64  ff. 

Eichendorff.     S.  92. 

„Götterdämmerung"  (von  Speckter  im  Hausbuch  illustriert). 

über  und  über  bemalt.     S.  97. 

Pal.  deir  Antella,  auch  von  Speckter  skizziert. 

von  Ghiberti  und  Donatello.     S.  102. 

„Nach  Ghibertis  Zeichnungen  malte  Bernardo  di  Francesco  die 
Fenster  der  Kapelle  S.  Zanobi  und  das  mittlere  Rundfenster  der  Fassade 
(des  Domes).  .  .  .  Derselbe  Meister  führte  auch  die  Fenster  des  Kuppel- 
tambours nach  Zeichnungen  von  Ghiberti  (Darstellung),  Donatello  (Krö- 
nung Maria)  und  Uccello  (Anbetung)  aus,  1432 — 45."  Burckkardt, 
S.  760/61. 

Schapire,  Hans  Speckters  Briefe.  24 


—     370     — 

Ruskin.     S.  104. 

„Mornings  in  Florence".     S.  15flf. 

Von  Andrea  del  Sarto.     S.  106. 
In  Sau  Salvi  bei  Florenz. 

Von  zwei  Dominikanern  erbaut.     S.  107. 

Die  Kirche  wurde  „in  ihrer  jetzigen  Gestalt  begonnen  1178  unter  Leitung 
der  Mönche  Fra  Sisto  und  Fra  Ristoro,  fortgesetzt  von  Fra  Giovanni  da 
Campi  (t  1339),  vollendet  von  Fra  Jac.  Tabuti"  (f  1362).  Burckhardt 
a.  a.  0.,  S.  67. 

Von  Cimabue.     S.  110. 

Die  kunsthistorische  Streitfrage,  ob  dieses  Bild  von  Cimabue  oder  was 
aus  stilkritischen  Gründen  wahrscheinlicher  von  Duccio  ist,  soll  hier  nicht 
angeschnitten  werden.  Vgl  Andreas  Aubert:  Die  malerische  Deko- 
ration der  San  Francescokirche  in  Assisi.  Ein  Beitrag  zur  Lösung  der 
Cimabuefrage.     Leipzig.  1907. 

Noch  heute  gezeigt  wird.     S.  110. 

Michelangelos  Anteil  an  diesen  Fresken  ist  nicht  festzustellen. 

in  vorraffaelischer  naiver  Zeit.  ...     S.  112. 

Die  älteren  Teile  der  im  Chiostro  verde  gemalten  Szenen  (Episoden  aus 
der  Genesis)  werden  der  Giottoschule  zugeschrieben;  die  Darstellungen 
der  Sintflut,  Noahs  Dankopfer  und  Trunkenheit  gehen  auf  Uccello 
(1397—147.5)  zurück. 

die  verschiedenen  Richtungen  der  beiden  Orden.     S.  113. 

Zu  diesen  Ausführungen  vergleiche  man:  Hermann  Hettner:  „Italienische 
Studien",  S.  180 ff.     Braunschweig.  1879. 

und  dessen  Galerie.     S.  114. 

Die  Galerie  Strozzi  ist  längst  in  alle  V7inde  verstreut,  ebenso  die  anderen 
von  Speckter  bewunderten  Privatgalerien  in  Florenz,  bis  auf  die  Galerie 
Corsini. 

anno  1430 S.  114. 

Der  Pal.  Piccardi-Medici  wurde  1449  begonnen  und  zehn  Jahre  später 
vollendet.     Burckhardt,  S.  117. 

ein  kleines  Mädchen  mit  einem  Hund.     S.  115. 

das  Bild,  das  wahrscheinlich  Alfonsino  Strozzi  darstellt,  ist  seit  1878  im 
Besitz  der  Berliner  Museen.     Kaiser  Friedrich-Museum  Nr.  160a. 

der  alte  Filippo  Strozzi.     S.  115. 

Die  Büste  ist  heute  im  Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin. 

von  Giovanni  Pisano.     S.  119. 

„Der  Altar  im  Dom  zu  Arezzo,  unglücklich  und  nüchtern  im  Aufbau 
und  kleinlich  in  der  Arbeit  der  zahlreichen  kleinen  Reliefs  aus  dem 
Leben  der  Maria  und  der  Stadtheiligen,  ist ...  nicht  von  Giovanni  Pisano, 
sondern  wurde  1369 — 75  von  Giovanni  di  Francesco  aus  Arezzo  und  Bette 
di  Francesco  aus  Florenz  ausgeführt."     Burckhardt  a.  a.  0.,  S.  389. 


—     371     — 

gbibellinischen  Erzbischofs.     S.  119. 

Guido  Tarlati.  Das  Grabmal  wurde  1330  von  Agostiuo  di  Giovanni  und 
Agnolo  die  Ventura  en-ichtet.     Burckhardt  a.  a.  0.,  S.  397. 

eine  recht  interessante  Kirche.     S.  120. 
Abbadia  di  S.  Fiora  e  Lucilla. 

sein  Haus.     S.  120. 
Casa  Montanti. 

nach  Peruginos  Zeichnung.     S.  128. 

,.In  Perugia  steht  das  Stuhlwerk,  das  Pult  und  die  Tür  des  Cambio,  die 
ersteren  beiden  von  Domen,  del  Tasso  1490—93,  die  letztere  von  Antonio 
Bencivieni  da  Mercatello  1500,  die  Tribuna  erst  1562  von  dem  Vlamen 
A.  Masi  obenan;  keine  Behörde  der  Welt  sitzt  so  schön  wie  einst  die 
Herren  Wechselrichter  der  Hauptstadt  Umbriens."  Burckhardt  a.  a.  0.» 
S.  219. 

in  einer  unbenutzten  zopfigen  Kirche.     S.  128. 
Jetzt  im  Pal.  del  Comme. 

von  einem  deutschen  Meister  Jacob.     S.  132. 

„Meister  Jacob,  der  Deutsche,  dem  Vasari  den  ganzen  Bau  zuschreibt, 
ist  aus  der  Baugeschichte  der  Kirche  zu  streichen.  Schon  ein  mit  Vasari 
gleichzeitig  schreibender  Spezialhistoriker  des  Ordens  konnte  nichts  über 
den  Architekten,  der  den  Bau  begann,  ermitteln."  Beginn  des  Baues 
1228,  seit  1232  wurde  der  Bau  von  Philippus  de  Campello  fortgeführt, 
1235  geweiht,  1253  vollendet.     Burckhardt  a.  a.  0.,  S.  64. 

de  Boor.     S.  135. 

Speckters  in  Rom  lebender  Jugendfreund. 

Quickborn  Initial.     S.  152. 

Quickborn  von  Klaus  Groth.  Mit  Holzschnitten  nach  Zeichnungen  von 
Otto  Speckter.  Hamburg.  1868.  Man  vergleiche  das  Initial  zu  ,,Wih- 
nachuabend",  S.  53,  II.  Aufl. 

Casa  Bartholdy.     S.  153. 

Die  Fresken  aus  der  Casa  Bartholdy  befinden  sich  bekanntlich  seit  1887 
in  der  Nationalgalerie  zu  Berlin. 

Onkel  Erwin  spricht  darüber.     S-  153. 
Erwin  Speckter  I,  S.  196/97. 
ch  weiß  nicht  von  wem.     S.  155. 
Von  Philipp  Veit. 

während  er  es  schreiben  will.     S.  156. 
Erwin  Speckter  I,  S.  183. 

aus  jener  Zeit  S.  159. 

Die  Mosaiziening  der  Kuppel  fand  unter  Giacomo  della  Portas  und 
Dom.  Fontanas  Leitung  statt.     Burckhardt  a.  a.  0.,  S.  269. 

Onkel  Erwins  Briefe.     S.  159. 
Erwin  Speckter  I,  S.  191. 

24* 


—     372     — 

fast  Notwendigkeit  scheint.     S.  163. 
Burckhardt  a.  a.  0.,  S.  301. 

Apoll  von  Belvedere.     S.  167. 
Der  Fundort  des  Apollos  von  Belvedere  steht  nicht  ganz   fest.     Vermut- 
lich wurde  er  in  Grotta  Ferrata  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  gefunden. 

die  Onkel  Erwin  beschreibt.     S.  178. 
Erwin  Öpeckter  I,  S.  222. 

spricht  Onkel  Erwin  darüber.     S.  180. 
Erwin  Speckter  I,  S.  315. 

mit  Onkel  Erwins  Worten.     S.  182. 
Erwin  Speckter  I,  279/80. 

seine  Beschreibung  der  Villa.     S.  182, 
Erwin  Speckter  I,  312/14. 

seit  Kardinal  Hohenlohe  dort  residiert.     S.  184. 

Die  Villa  gehört  heute  bekanntlich  dem  Erzherzog  Franz  Ferdinand 
d'Este  und  ist  leider  ziemlich  verfallen. 

so  ausführlich  und  vortrefflich  geschildert.     S.  217. 
Erwin  Speckter  11,  S.  Iff. 

für  die  bronzenen  Statuen.     S.  220. 
Erwin  Speckter  II,  S.  52/54. 

zeichnet  er  den  Vesuv.     S.  232. 
Erwin  Speckter  II,  S.  29. 

den  berühmtesten  Freskenzyklus.     S.  247. 

Die  Fresken  in  der  Vorhalle  des  inneren  Hofes  von  S.  Genuaro  dei  Poveri 
,, vielleicht  das  geistvollste,  was  Neapel  Heimisches  aus  der  Hochrenais- 
sance besitzt."     Burckhardt  a.  a.  0.,  Ö.  832. 

nach  Onkel  Erwins  Zeit.     S.  248. 

Rauchs  Walhalla  Viktorien  entstehen  seit  1835. 

sagt  Onkel  Erwin  darüber.     S.  248. 
Erwin  Speckter  II,  S.  17/19. 

in  einen  Mantegna.     S.  248. 

Speckters  Bewunderung  gilt  jedenfalls  der  heiligen  Euphemia  im  Museum. 
Das  Porträt  des  jungen  Kardinals  Francesco  Gonzaga  wurde  erst  1895 
von  Frizzoni  als  Werk  Mantegnas  erkannt.  Vgl.  Paul  Kristeller: 
Andrea  Mantegna.     Berlin  und  Leipzig.  1902.  S.  181. 

Fiesoles  Verklärung.     S.  249. 
In  San  Marco  in  Florenz. 

der  Raffaelschen.     S.  250. 

In  den  Sammlungen  des  Vatikans. 

ferner  zwei  Porträts.     S.  250. 

,,Die  Porträts  des  Kardinals  Tibaldeo  und  des  Kardinals  Passerini  im 
Museum  von  Neapel  sind  florentinisch,  ersteres  von  Bronzino."  Sie 
wurden  früher  Raflfael  zugeschrieben.     Burckhardt  a.  a.  0.,  S.  810. 


—     373      - 

in  de  Ruh.  S.  252. 
Der  genaue  Text  dei*  Inschrift  lautet:  „Om  dat  deWerelt  is  soe  ongetru 
Dacr  om  gha  ic  in  den  ru."  Specktei-s  Erklärung  stimmt  nicht.  Dar- 
gestellt ist  nicht  ein  Münch,  sondern  ein  Mann  in  Trauerkleidung.  Das 
ergibt  als  Illustration  des  Sprichworts  eine  andere  Deutung:  „nous  avoua 
donc  devant  nous  un  homme  qui  porte  le  deuil  de  sa  confiance  dans  le 
monde:  uu  desabus^,  un  misanthrope.''  Vgl.  Rene  von  Bastelaer  und  Ge- 
orges H.  de  Loo:  „Peter  Bruegel  l'aneien  sou  veuvre  et  son  teinps." 
Briixelles.  1907.  S.  289. 

ein  Selbstporträt  Rembrandts.     S.  252. 
Nur  Werkstattbild. 

Baccio  Pintelli.     S.  258. 

,,Fast  sämtliche  Gebäude  aus  dem  letzten  Viertel  des  15.  Jahrhunderts 
wurden  bis  vor  kurzem,  der  Aussage  Vasaris  folgend,  dem  Florentiner 
Baccio  Pintelli  zugeschi-ieben.  Dieser  kam  aber  erst  1482  nach  Rom  und 
trat  dort  nur  als  Militärbaumeister  auf.  Wie  nun  die  ihm  zugeschriebenen 
Monumente  sich  unter  die  drei  an  seine  Stelle  tretenden  Meister  Meo  del 
Caprina  da  Settignano  (1430 — 1501),  Giovanni  de  Dolci  aus  Florenz 
(t  zwischen  1^82 — 86)  und  Giacomo  da  Pietrasanta  (t  zwäschen  1492 — 95), 
verteilen,  ist  zum  Teil  noch  ungewiß."     Burckhardt  a.  a.  0-,  S.  137/38. 

einen  seiner  schönsten  Gedanken.     S.  264. 
Erwin  Speckter  II,  S.  194. 

Palast  Linottii.     S.  281. 

Der  Pal.  della  Linotta  wurde  zwischen  1517 — 24  für  den  französischen 
Prälaten  Thomas  Le  Roy  von  Antonio  da  San  Gallo  errichtet.  Früher 
wurde  er  irrtümlich  Peruzzi  zugeschrieben.     Burckhardt,  S.  284. 

ausführlich  geschrieben  hat.  .  .  .  S.  290. 
Erwin  Speckter  I,  S.  324  ff. 

der  Maler  Ludwig.     S.  302. 
Vgl.  Heinrich  Ludwig.     Über  Darstellungsmittel  der  Malerlei  heraus- 
gegeben von  J.  A.  Beringer.     Straßburg.  1908. 

obgleich  eine  sehr  schöne.     S.  304. 
Capp.  S.  Giovanni. 

bei  dieser  Arbeit  mitgewirkt.     S.  304. 

„Die  Frage,  inwieweit  Raffael  bei  der  Ausführung  dieser  Fresken  mit- 
beteiligt war,  beantwortet  sich  dadurch,  daß  sie  frühestens  im  Herbst 
1504  mit  der  Decke  begann,  daß  Raffael  also  nur  an  dieser  mitgearbeitet 
haben  könnte.  Aus  dem  Umstände,  daß  mehrere  Zeichnungen  zu  den 
Fresken  oder  nach  denselben  .  .  .  dem  Raffael  freilich  nicht  unbestritten 
zugeschrieben  wurden,  zu  schließen,  daß  der  fertige  Meister  und  groß- 
artige Entrepreneur  durch  den  jungen,  noch  fast  unbekannten  Maler  sich 
die  Entwürfe  zu  den  Fresken  habe  machen  lassen,  scheint  mir  selbst 
bei .  .  .  Pinturicchio  mindestens  unwahrscheinlich.     Zudem  sind  sämtliche 


—     374     — 

Fresken  gleichartig  und  ganz  im  Charakter  Pinturicchios."  Burckhardt, 
S.  696/97. 

sind  von  Brunellesco.     S.  311. 

„Brunelleschis  Autorschaft  dafür,  die  zuerst  Vasori  angibt,  ist  —  selbst 
was  auch  nur  den  Entwurf  betriflFt  —  mehr  als  zweifelhaft.  Die  Aus- 
führung begann  erst  10  Jahre  nach  seinem  Tode  1456 — 66."  Burckhardt 
a.  a.  0.,  S.  115/16. 

die  vorhin  geschlossene  Kirche.     S.  313. 
S.  Maria  Primerana. 

die  berühmte  Kanzel.     S.  819. 

Von  Niccolö  Pisano  um  1260.  Die  Kanzel  in  Pistoja  (San  Andrea)  ist 
von  Giovanni  Pisano. 

der  hier  oder  in  Siena  starb.     S.  320. 

Heinrich  VIT.  ist  in  Buonconvento  1313  gestorben,  in  Pisa  begraben. 

ist  im  Dom.     S.  321. 

In  der  Capp.  del  Santuario.  Eine  Madonna  zwischen  Stephanua  und 
Job.  d.  T. 

eine  schöne  Kenaissancekirche.     S.  322. 
San  Paolino. 

zierliche  kleine  Kapelle.     S.  323. 
Santa  Maria  della  Spina. 

Eine  schöne  Frührenaissancekirche.     S.  327. 
Madonna  delle  Carceri. 

Eine  andere.     S.  327. 
San  Francesco. 

Onkel  Erwins  Beschreibung.     S.  347. 
Erwin  Speckter  II,  S.  156. 

Onkel  Erwins  Beschreibung.     S.  348. 
Erwin  Speckter  11,  S.  126. 

Runges  Briefe.     S.  349. 

Hinterlassene  Schriften  von  Philipp  Otto  Runge,  Maler.  Herausgegeben 
von  dessen  ältestem  Bruder.  2  Bände.  Hamburg.  1840/41.  Verlag  von 
Friedrich  Perthes. 

der  80  heiß  erkämpften  Pauline.     S.  350. 

Runges  Braut  und  spätere  Gattin  Pauline  Bassenge. 

der  gute  Daniel.     S.  350. 
Runges  Bruder,  der  die  Ausgabe  besorgt  hat. 

höchst  interessante  Fresken.     S.  354. 
Von  Domenico   di  Bartolo,    Priamo    della  Quercia  und  Vecchietta   aus- 
geführt. 

Orgel  von  Peruzzi.     S.  354. 

„Die  prächtige  Orgel  in  der  Hospitalkirche  della  Scala,  auf  stolzen  Kon- 
solen, das  vollendetste  Meisterwerk  seiner  Art,  wird  ihm  (Baldassare  Pe- 


—     375     — 

ruzzi)  zwar  zugeschrieben,  ist  aber  wahrscheinlich  ein  Werk  des  Giovanni 
di  Pietro  Castelnuovo."     Burekhardt  a.  a.  0.,  S.  219. 

begrüßte  ich  Nerly.     S.  362. 

Christian  Friedrich  Nerly  (eigentlich  Nehrlich)  1807 — 78.  Vgl.  Friedrich 
von  Nerly,  eine  kunsthistorische  Studie  von  Franz  Meyer  in  Mitteilungen 
des  Vereins  für  die  Geschichte  und  Altertumskunde  von  Erfurt,  28.  Heft 
und  ebenso  29.  Heft  „Zu  Friedrich  von  Nerly"  v.  d.  V. 

drei  berühmte  Palladiosche  Kirchen.     S.  363. 

Auf  der  Giudecca  steht  nur  Palladios  Hauptkirche  II  Redentore.  Nach 
seinem  Tode  mit  ungenauer  Benutzung  seines  Entwurfes  wurde  dort  er- 
richtet die  kleine  Kirche  des  Nonnenklosters  delle  Zitelle.  Venedig 
besitzt  in  S.  Giorgio  Maggiore  einen  weiteren  Bau  Palladios;  auch 
S.  Francesco  della  Vigna  und  S.  Lucia  gehen  auf  ihn  zurück.  Burek- 
hardt a.  a.  0.  S.  324/25. 


Sachregister. 


Amalfi. 

Kloster  253. 
Arezzo. 

Dom  118. 

Vasaris  Haus  120. 
Assisi. 

S.  Maria  degli  Angeli  131. 

S.  Francesco  132. 

Minervatempel  134. 

S.  Clara  134. 

Bologna. 
Dom  85. 

Dominikanerkirche  86. 
Campo  Santo  88. 
Pinacoteca  89. 

Camaldoli 

Kloster  233. 
Caserta. 

Schloß  237. 
Cori. 

Herkulestempel  195. 
Cortona. 

Straßen  122. 

Dom  123. 

Museum  124. 

Ferrara. 

Kastell  359. 

Museum  359. 
Fiesole. 

Badia  311. 


Dom  312. 

Kapuzinerkloster  313. 
Florenz. 

Boboligarten  93.  309. 

Dom  96. 

Sta  Maria  Novella  96.  107. 

Sta  Croce  98. 

Palazzo  Strozzi  113. 

Gal.  Corsini  114. 

Gal.  Torrigiani  114. 

Palazzo  Pitti  311. 

Uffizien  312. 

Villa  Landau  314. 
Fondi. 

Dom  211. 
Frascati. 

Villa  Aldobrandini  148. 

Grottaferrata. 

Kap.  d.  li.  Nilus  177. 

Innsbruck. 

Franziskanerkirche  68. 

Lucca. 
Dom  321. 
Pal.  Pubblico  321. 

M  a  n  t  u  a. 
Andreaskirche  80. 
Palazzo  del  Te  80. 
Palazzo  Ducale  81. 


—     377     — 


M  0  d  e  n  a. 

Dom  82. 
Galerie  83. 
Monte  Cassino. 

Kloster  238. 
München, 
Allotria  61, 

Schönlebers  Atelier  65, 
Cornelius  Fresken  66. 
Galerie  Schack  67. 

Neapel. 
Museum  218.  247, 
San  Martino  223.  246. 
San  Carlo  225. 
Kirchhof  286. 
Chiaja  242. 
Kirchen  244. 
Nettuno. 

Marktplatz  166. 

Orvieto. 

Dom  292.  296. 

Pästum. 

Tempel  228. 
Perugia. 
Straßen  126, 
Dom  127. 
Rathaus  127. 
Pinakothek  180. 
Pisa. 

Paläste  317. 
Dom  318. 
Baptisterium  319. 
Campo  Santo  319. 
S.  Maria  della  Spina  323. 
P  i  s  1 0  j  a. 

Spital  327. 
Pompeji. 

Straßen  344. 
Prato. 
Madonna  delle  Carceri  327. 


Rom. 

Corso  135. 

S.  Peter  142. 

Stanzen  142.  156. 

Villa  Wolkouski  143. 

Monte  Pincio  146. 

Pantheon  149. 

Kolosseum  149. 

Villa  Albani  150.  259. 

Casa  Bartholdy  153.   161. 

Garten  der  Villa  Medici  157, 

Peterskuppel  158. 

Katakomben  161. 

Via  Appia  162. 

Porta  Pia  163. 

S.  Agnese  164. 

S.  Maria  degli  Angeli  177. 

S.  Gregorio  Magno  187. 

Villa  Madama  189. 

S.  Maria  Maggiore  189. 

Santa  Croce  191. 

Galerie  Corsiui  191. 

S.  Paolo  fuori  le  nuira  192. 

Sala  regia  252. 

Appartamento  Borgia  256. 

S.  Pictro  in  Montorio  258. 

S.  Maria  sopra  Minerva  268. 

II  Gesü  272. 

Kapitol  273. 

S.  Maria  in  Cosmedin  275. 

Santa  Sabina  277. 

S.  Pietro  in  Vincoli  279. 

Farnesina  280. 

Siena. 
Paläste  298. 
Rathaus  298.  307. 
Dom  299.  308.  352. 
Libreria  304. 
Dominikauerkirche  305. 
Akademie  306. 
Hospital  La  Scala  353. 
Rathausplatz  354. 


378     — 


Sorrent. 
Tassoa  Haus  264. 

Tivoli. 

Antike  Villen  180. 

Villa  d'Este  182. 
Terracina. 

Dom  208. 
Trient. 

Dom  70. 

Erzbischöfl.  Palast  73. 

Velletri. 

Palazzo  Ginetti  193. 


Venedig. 

Markusplatz  360. 

Dogenpalast  361. 

Frari-Kirche  363. 

Senola  di  S.  Eocco  363. 
Verona. 

S.  Anastasia  74.  77. 

Stadttore  74. 

S.  Bernardino  75. 

S.  Zeno  76. 

Castell  S.  Pietro  77. 

S.  Giorgio  77. 


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