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Full text of "Heidelbergische [afterw.] Heidelberger Jahrbücher der Literatur"

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3 424 


Heidelbergiſche. 
Ssabıbidet 


der 


— * 


—— 


SS i tteratur. 


Se fer Jahrgang. 


Erſte Hälfte 


Januar bis Juny. 


Heidelberg, 
Bey Mohr und Zimmer 
| 181413 | 





u 





yet 


/ 


No. 4. Seidetbergifche 1813. 
Fahrbüſcher der Litteratur. 


“ 





———n 

Correspon dance Iĩtte raire philosophique et critique addressde 
a un souverain d’Allemagne depuis 1770. jusqu’en 1782; 
Par le baron de Grimm et par Diderot. V. Voll. $; 
Paris. F. Buissoan rue Gilles Coeur No. 10. 1812, 8. 


Dieres Merk gehört Ju ber Elafie von Werken, welche wii 
derlih und verwerflih an fih, der Wergeffenheit übergeben 
werden follten , und welche daher nur entiveder wegen des 
Eindrucks, den ſie auf ihre Zeit miachen oder dach leicht machen 
tinnen, oder. weil ſich in ihnen die Entartung ihres Zeitalters 
darftelle, eine ernfthaftere Beurtheilung verdienen können. Wir 
sehehn, daß uns nur das Auffehn, welches es erſt in Frank 
wii, befonders in Paris, dann bey allen Dilettanten ber 
Hanpgädte Europas, endlich in der gangen eleganten Melt 
‚erregt dar, zu einer ansführligern Anzeige deſſelben bes 
ſtimmte. Mir trennen in diefer Anzeige die beyden erftern 
Bände, welche den Zeitraum von 1770 bis 1773 umfallen; 
von den drey letztern. — 
Nec. iſt nicht geſonnen, den Antheil Diderott, der waͤh⸗ 
-tend Grimms dfterer Abweſenheit von Paris den Bericht fort⸗ 
feste, ven Grimms Arbeit zu feheiden, weil beyde damals feit ein 
und zwanzig Jahren genau befannt waren, oder wie. die ganze 
Philoſophen-Geſellſchaft als Eine Perſon angejehn werden ' 
innen, und Dec. Überdies nice gefonnen iſt, wis Ar. Amar. 
im Moniteur, auf dag Urtheil des Einen oder des Andern, dä 
oft beyde frivol find, .zw provsciren, fondern nür hie und da 
eismgeines herauszuheben, was zur Kenntnifi der Zeiten, Mäne 
ner, Sthriften die es betrifft, etwas beytragen fahn, beibns 
ders, wo wir entweder etwas hinzufeben, die andere Seite 
der Sache geigen, oder den Verfaffer und feine Abſichten ſelbſt 
betradsten Lönnen: Diefem Werke, welchts wir als Gelehrte den 
frevoten Eirkikee,:im teren Ton es abgefaßt ift, Aberiffen würden; 
4 


“ 


- 


* 


2.  Correspondance dı, Baron de Grimm. 


folte man affo wie feinem Verf. nur das quiescat nachrufen. 
Da der Werf. feinen Lohn, den Zutritt zu den Großen, den 
- Baron, den Minifter dahin hat, fo ſollte die Leichtigkeit und 
Dreiftigkeit feines Ton‘, durch den er fic) geltend machte, der 
Vergeſſenheit Äbergeben werden, wenn night t das Werk ein. 
neues Denkmahl des Tons der Meenfchen und Geſellſchaften 
märe, weiche ganz Europa umgeſchaffen, die Religion und den 
Stauden ans den: Kerzen getrieben, Die Sitten durch laxe 
Moral, frivole Scherze, elenden Wig untergraben, und dem 
Lafter durch Rede und That die Worte und den Schleyer der 
Tugend negeben haben. Man liedt hier genau das Refultat 
und den Widerhall der Unterhaltungen Gey Hollbach, der 
Spinay, der. Seofkin (wir fcheuen ung Madame Necker, die, 
ob man gleich bey ihr. foupirte, gut und edel war, zu nenneh ) 
u. a., wo ‘die Weiher der Ton angaben, und Religion, Staat, 
Erziehung, Theater, Wiſſenſchaft, ohne Ernk und Anftand 
beurtheilten, und aljo jeder, um nicht Pedane zu ſeyn und 
laͤcherlich zu werden, einſtimmen mußte; ja, wo es genug 
wor, einen gutan Koch zu haben, um auch die Litteratur zu 
beherrſchen. Natürlich war es, daß dies tn Frankreich und 
durch die Abgdtterey, die unfere Fuͤrſten mit den Phtlofophen. 
‘trieben, aud in ganz Europa herrfchend werden mufite. Ir 
Frankreich hielt fih der Ton nicht, weil Bald hernach die Dex 
volution alles änderte; bey uns aber, in Rußland, Schweden, . 
Polen und endlich Tonar in England ward gerade dadurch, daß 
Frankreich die Leute von. gutem Ton ausfpie, die heillofe Sute 
immer herrſchender. Die Herausgeber dir Correſpendenz haͤt⸗ 
ten übrigens ohne Nachtheil des Leſers, wie ſelbſt der Pariſer 
£obredner Grimms geficht, die Hälfte des Buchs weglaſſen 
koͤnnen, fo abwechſelnd auch fein Juhalt iſt. Bald. ſindes 
Neuigkeiten des Tags, bald Schauſpiel 2 Bald der Hof (nur: 
behutſam), bald die Angelegenheiten Ber. Philoſophen ders : 
haupt, über die enticheidend abgeſprochen wird. Der Torisk 
nicht bloß leicht, ſondern leichtfertig. und für die Bibelſprache, 
für die Sprache der Kirche, die man zu den. fihändtichflen Era. 
zählungen braucht, Hätten die vornehmen Leute, an die die. 
Berichte gerichtet find, To viel Achtung haben follen, daß Ihnen 3 
ihr Mißbrauch mißfallen hätte. Man lernt recht, wie Beam. 


"4 


Gorrespondancde.du Baron de Grimm. . 38 
a Aues Teiche mathht, wie man uͤber Alles hinausſchlüͤpft, 
und dem ernfien Wanrz eine Matt, oder, was noch ſchlimmer 
if, eine Laͤcher lich keüt anſpruͤtzt, nt bie Billigung der Thoten 
zum Praͤfeſtein der We icheit zu machen. Wie wäre and) ſonſt 
de He. Grimme, Der Nichts geföfter hat, ſobald zum Baron 
von Grimm geworden! Man muß naͤmlich wilfen, daß Grimm, 


wachdem man feine erfien Verſuche In Deutſchland Übel aufge⸗ 


nommen, fih nach Paris begeben- hätte, wo ihm Kiüpfel, der 
hernach Hofmeifter des Erbpringen von Gotha wurde, umter 
dem Titel eines Voͤrleſers (1749) annahm. In diefem bes 
ſchraͤnkten Verhattniß machte Rouſſeau ſeine Bekanntſchaft, 
und ſagt ( Tonfessions. livre VIII. ed, Genes. 8. 178g: 
Vol. 31. pag. 265): „Es war ein junger Menfh, Namens 
Stimm, der dem Erbprinzgen als Vorlefer diente, bis er eine 
andre Stelle Rande, und fein ganzer dürftiger Aufzug zeigte, 
daß er nöthie Habe, eine zu finden.“ Dachte doch damals der- 
erme Jean Jacques nicht, daß der Grimm um 1770, fo von 
dbender und ſo bitter hämifch über ihn fchreiben würde! wie 
Nex J. S. 129 — 151 und J. S. 187. 188 gefchteht, wobey 


‚ man feeylich im der feßten Stelle den feinen Mann nicht vers: 


fennen kann, der fid) wohl bewußt bfeibt, daß Bey den Leuten, 
deren Gunſt Er fucht, Rouffean doch zu hoch ſteht, ats daß er 
ihn ernftlich) angreifen dürfe, ihn alfo nur laͤcherlich macht, 
um mitleidig auf ihn herabzuſehen, und wenn nicht.als der 
Sröfere, doch als der Weijere, mit dem ſich Beffer leben läßt, 
dee beſſer zu gebrauchen iſt, gu erfcheinen Er führt nämlich 
I. &. 187 den Brief am, den Rouſſeau fehrieb, um zu der 
Statue, die man Boltaire errichten wollte, feinen Beytrag zu 
liefern, und der, mie alle feine letzten Briefe den Ders paus 

vres a veugtes que nous sommes etc. zur lleberſchrift hatte 
(da &rimm dte Sache nur berührt, fo erinnern mir daran, 


daß Ronffean diefen Vers annahm , = er fih ven Aumege .. 


täufcht glaubte. Die Erzaͤhtung iſt in dem beruͤhmten Brieft 
an Hume ſelbſt. Oeuvres de Rousseau ed. 4to. Tom. X. 

p- 5357 — 566 )- Grimm mwigelt zuerſt I. &. 188 über den 
Vers, und ſagt, Reuffean feße ihn über feine Briefe, wit 
die Monnen ihr vivat Jesus, als ein Schutzmittel gegen das 
Behexen. Dann itmacht er ihm ein Compliment, daß er wieder 





4 correspondance du Baron de Grimm. , 


nach Paris kommen und da leben wolle, unter der Bedingung, 


nicht zu fehreiben, cette dernipre clause, fagt Grimm, ne 
s’accorde guere avec. nos interets. Aber bald zeigt fih wies 


der die wahre Sefinnung: „fein. Brief, heißt es, wäre ein _ 
Meiſterſtuͤck, wenn er es hätte übers Herz bringen koͤnnen, 
nur dies Mal, ohne weitere Comfequenz,. ‚fein plattes” qua-_ 


train daheim zu laffen.“ Boshafter ift, was er ©. aag bes 
richtet, daß Rouſſeau feine Therefe in Hagranti ertappt habe, 
und dergleichen fhöne Sachen mehr. Dabey thut er fo vors 
nehm, daß es ihm nicht der Mühe werth ift, den Namen des 
Schloffes in- der Dauphine', wo fih Rouſſeau auffielt, richtig 
zu nennen, Er nennt es Vourbeille, es heißt aber Bourgoin. 
Da fieht man, was es mit, den Freundfchaften der Welt für 
Bewandtniß hat, thut doh Grimm, als 0b er den Mann 


nicht vecht fenne!. und doch hatte er ihn aufgefordert, dem. 


Gautier zu widerlegen; man kennt ja Rouſſeau's Brief an 
Stimm, wo er, indem er fagt, daß er Gautier nicht mwiders 


legen wolle, es mit vieler Kunſt thut. Es war derfelde Roufs . 


feau, der (Oeuvr. edit. dvo. Tom. XXXI. p. 209) fagt: 
„Diderot hat zahllofe Befanntfhaften, Grimm, ein Fremder 
und Neuangekommner, mußte Bekanntſchaften machen, es war 


mie herzlich lieb, daß ich fle ihm verfchaffen konnte.“ Dann .. 


rechnet Rouſſeau die Bekanntſchaften her, die er ihm vers 
fchaffte; aber Grimm ward KHofmeifter des Strafen von Schoms 
berg, er ward Freund der Philofophen, da fah er auf Rouſſeau 
heran. Man vergleiche das zote Buch der Confeſſionen. Daß 
man aber in der Gefellihaft die Schwäche der Menichen, bie 
nicht höher ſtehn, als die Geſellſchaft, richtig auffaſſe, beweis 
fet Grimms Urtheil uͤber den Prinzen von Ligne, mit deſſen 
Schriften man uns neulich hat beſchenken wollen, und die auf 

allen Seiten das Urtheil zu beſtaͤtigen Veranlaſſung geben. 
Grimm führe naͤmlich S. 209 — 281 einen Brief des Prinzen 
an, worin dieſer Rouſſeau einen Aufenthalt auf feinen Guͤ⸗ 
tern anbietet, und kuͤndigt ihn mit dieſen Worten an: „Der 


Prinz von Ligne hat einige Tage, nachdem er Rouffeau bes _ 


ſucht hatte, ihm den Brief, weichen ic) hier einruͤcke, gefchries 

ben; ..aber er hat fein Gluͤck in Paris gemacht, weil man 

ihn zu — gefunden hat, und prétention à lesꝑrit 
4 


EEE 


* 


Correspondance du Baron de Grimm. 5 


etune maladie „ «lont on ne zeldve pas en ce pays-di. 
Diefe Urtheile und Arsecdoten des Tags würden wir am lieb⸗ 


fen ang der Corre ſponden, nehmen, wenn wir nicht geftchn 


wählen, daB wir den Baron Grimm zu oft auf dem Wege 
%t Unwahrheit gefunden. 3.8. I ©. 53 Heiße es, daß 
Dmoifelle Arnsud „> eine Schaufpielerin, die man damals im 
Paris unter dem Mamen Sophie kannte, ber Claiton, ale 
tieſo fagte, dee Rönig fey Herr ihres Lebens und Vermoͤgens, 
Kiht ihrer Ehre, geantwortet babe: Sie Haben Recht, Made⸗ 
will, wo Michts iſt, hat der König fein Recht verlorem 
Aber der neufte Lebenbbeſchreiber der Clairon erzählt gewiß 
sihriger, da er auch mit. den memoires Ecrite par elle ieme 
(wo fie natürlich Des Witzes ſelbſt nicht gedenkt) beſſer Aßers 
enfimmt. Als Mad. Clairon, heiße es dort, bey der Vor⸗ 
Kelung der Belagerung von Calais das Publicum fo ſchaͤndlich 
geäfft,, und der König einen exempt de police zu ihr ſchickte, 
um fie nach Fort lEveque zu transportieren, traf diefer eine 
ſehr angefehene Parifer Dame bey ihr. Diefe hiekt den Arreft 
der Clairon Für. ein Märtprertfum, und nahm fie alfo -in 
ihrem einfigigen Wagen auf ben Schoos, 309 mit ihr, wie 
im Triumph, dur Paris, um fie an den Ort ihres Arreſts 
zu bringen‘, und ber. exempt mußte fid) gegenüber ſetzen, da 
er feine Arreſtantin nicht aus den Augen larfen wollte. Dem 
exempt legt er nun and) den Wig in den Mund, ber fi 
and) beffer für ihn, als für Mad. Arnond paßt. Derſelbe 
Fall ift mit Hénault und Zurfausen. Hätte ſich Grimm Bars 
anf beſchraͤnkt, den Präfiventen zw tadeln, daß er, nicht zus 
frieden, eine vortreffliche Ueberſicht der Gefchichte von Frankreich 
gefchrieben zu haben, auch Iheaterdichter habe ſeyn wollen, ſo 
möchte das gut feyn, daß er aber.den abrege, von dem er 
nichts verſteht, auch beurtheile und den Präfiventen verſpottet, 
das verdrießt uns, weil wir ſchon unmwillig find, dal} Duclos 


‚memoires secrets fa manche Anecdoten. durch ihre Auctos 


ritaͤt in die beſten Geſchichtbuͤcher gebracht haben, die ung 
durchaus nicht ſicher ſcheinen. Grimm ſagt J. S. 36: „Der 
gute Praͤſident, reich, artig, liebenswuͤrdig in der Gefellſchaft, 
führer einen guten Tiſch, und hat alſo ganz Frankreich be ſei⸗ 
nen Soupers, er hat auch eine Rolle in der Literatur fpielen 


6 [Correspondance du‘ Baron de — 


| wollen ,„ und es ift ihm gelungen, wenigfieng auf. eine Zeitlaus. 


Gein abrégé chronologique de V’histoire.de France iſt das 
geprieſenſte Buch dieſes Jahrhundertg, hätte es ein armer 


Zenfel im: Dachſtuͤbchen geſchrieben, unfere Bewundrer Härte 
kaum einen Blick vol Verachtung darauf ‚gemorfen.“ . Kenze 
doch unfer Srimm die Leute, mit denen er zu thun hak,.uob 
debt recht gut, darum erwarb er fich auch einen Namen Auch 
Zeitung tragen. Das Unrecht gegen Héͤnault vollendet: en: G. 
899-394, wo er ähm eine giftige Leichenrede- hält, bey zwri⸗ 
cher Gelegenheit er auch die Madame Deffagts die mir. ang 
. iheer. Cortefpondenz, von dep wir - vielleicht ein ander Mt 


sehen, als eine. Seindin der Philoſophen kennen, ausſtellen 


kaun. : Bitteren ſchmaͤht en fie noch Tom. IV. pı 973. 274 
Wie «6. fih mir der an beyden. Stellen erzaͤhlten Anecdote 
vporhalte, wollen mir nicht unterſuchen; da fie an. ſich eis 
ſind, und die eine ſich als Dichtung ankuͤndigt. Was Zupltuus 
San, angeht, fo war ‚en bekanntlich den Philoſonhen nicht wer 
wogen; ( daß Idh. von Müller feine Tafeln oft.anfühskän. Ber 
Bichweizergefhichte allein in der Abficht, am: ihm oder den Homilbie 
sin, Compliment zu machen, vermuthen wir ;) aber wie in allber Valt 
kann Grimm fo hoͤhniſch über.tables, génénlogiques fürchen; 
als en J. S. 147 thut, wo er won Compiletimm. ſpricht, ump 
doch ſtatt Schöpflin, Schoepffen ſchreibt. Diefe Angrige ſind 
um deſto empfindlicher, da fie nice, wie dae Bitterfeiten auf 
Nouſſequ dadurch erträglicher werben, daß der Werſ. an ums” 
dern Seellen ſich ſebbſt vergißt, um nur die Sache zu betrachten, 
Boniden Seellen, die Roufſeau im A— 8: ‘Band angehen, 
beſonders Über den Tod Nouſſeau's weiter unten; jetze auxq 
.um doch auch Gutes von Grimm zu Sagen, erwähnen. wir. deu 


Stelle Tom. II. S. 477: „Spndeffen Nonfenu fein Leben 


damit hinbringt, Muſik zu copiren, und, wie ich meine, nun 
daran.dentt, fih dem Audenfen der Menſchen zu entpiehens 


Echt immer, bald umter den. Pfaffen, bald .unter den Schoͤn⸗ 


geiſtern einer auf,.der feine Werke keitifiers“ Nun: (price: cm 
von la Harpe, Der damals im) den Cirkeln, etwas vorgelefere 
haste, worin er Rouſſean gegen Voltaire ſehr herabfabte, wie 
(ließe: Es iſt Rouſfſeau's Schickſal, von Leutenn widerlagt 
qu werden, die ihn nicht haben verfiehen. moen, edot / ige 


" —— ⸗ — — — 


F — 
©orrespondance du Baron de Grimm. 7 


werehen Tönnen. Aber wir kommen auf die Dinge zurück, 
m Stimm, wie ein Blinder von der Farbe, urtheilt, weil 
de Suignes und Anquäetil du Pereon Theil II. ©. 116 und 
7 und &. 151 — 134 auf eben die Weife, als Henault uni 
Zurlauben im erften Theil, nur bey weitem noch vornehme 
und unwiffender beleidigt werden. Das Geſchwaͤtz uͤber de 
Suignes erwähnen wir nicht, d’Arquetils jugendliche Unbe—⸗ 
fonnenheit und Eitelkeit mochte er gelßeln; aber wer berechtigt 
ihn, feinen vornehmen Leuten ©. 132 Ju fägen: Es iſt 
einlenchtend, daß das fein Leben unnuͤtz und unarbeitſam ver⸗ 
lieren heißt, wenn man ans Ende der Welt geht, um eine 
Sammlung von Dummpelten zu holen.“ | Sans in ‚feiner 
— iſt aber Grimm, wie fein Freund, wenn er uns I, 
S. 148 — 160 die Gefhichte der Unruhen erzählt, die bey 
Hofe entftanderr , als die Nachricht fich verbreitet hatte, baß 
der Kbnig, um dem Kaufe Lothringen eine beſondere Ehre zu 
erweifen,, anf Bitten des Defterreichifchen ‚Hofes der Tochter 
des Grafen von DBrionne, Schweſter des Prinzen von, Lam 
deſc, erlaube Habe, anf dem bal paré gleich nad) den Prinzen 
von Gebluͤt eine Menuet Ju tangen. Grimm ruͤckt die Vor 
ſtellung, die die Palrs dagegen einreichten, und die der Bir 
ſchof von Noyon zuerſt unterſchrieb und hernach übergab, ‚ganz 
ein, und man muß. allerdings die Franzofen bedauern, daß 
das Lächerlichwerden ſolcher Foͤrmlichkeiten zum Fill ihreg 
Reichs beytrug. Eben ſo intereſſant zur Kenntniß des Kleinen 
neben dem Sroßen, if Theil II. ©. 231 die Anecdote von 
der Schaufpielerin Chantilly, welche Favart, Vpern und Lieder 
dichter, dem Marſchall von Sachſen, waͤhrend er Maftriht, belaz 
gerte, entführte, diefen in Verzweiflung feßte, jene beprathete, 
das Opfer einer lettre de cacher wurde, wo es deun ©: 252 
heiße: die beyden Eheleute geven ſich in ide Schickſal, das 
ſie nicht aͤndern konnten, weil der Koͤnig die lettre de 5 Cächet, 
angeflanden ‚hatte, und die fleine Chantilly war “zugleich dag 
Weib Favarts und Geliebte Moritzens von Sachfen Im - 
widerlichſten ift uns der Gedanke, daß diefes Buch auf allen 
Tolletken ſich findet, darum, weil mit der Sprache der Bibel, 
dee Kirche und der Moral‘ deb ſchaͤndlichſto Spott, getrieben - 
wird, und Die EIER Dinge ernſtlich, wie die erũ ſten 


g 


8 eatreebendange: du Baron de Grimm. 


frivol behandelt werden. Liederlichkeit iſt ein Scherz und Res 
figion befigen ein Verbrechen. Nur einige Beyſpiele Th. I. 
©. 158 dep Gelegenheit der. Morffellung über den Menue der 
Lothringer heißt es: „Wenn ich, beharrend in der Ketzerey und 
in der Unwiſſenheit der geoffenharten Wahrheiten uͤber diefen 
wichtigen Punct, das Unglüd hätte, Über die Norftellung des 
Adels blob nad, den Regeln der gefunden Vernunft zu urtheis 
Ien, fo würde ich behaupten, daß der Verf. der Bittſchrift 
nicht einmal den Stand der Frage gefannt hat.“ Eben fo, 
wenn es von den Deconomiften heißt I. S. 45: „Die gang 
befondere Uebereinſtimmung des Geiſtes dieſer Secte mit dem 
Geiſte der Chriſtenſecte hey ihrem Urſprunge koͤnnte ung über 
ihre ſchnelle Ausbreitung beunruhigen, koͤnnte uns fürchten 
faffen, Geſchmack und Vernunft möhten unter den Mehlhans 
fen, die in Flugichriften aufgehaͤuft werden, indeß das Lands 
volk fein Brot hat, erftisft werden, und dies wäre in dee 
That gereihte Strafe unſerer firafbaren Gleichguͤltigkeit, aber 
gluͤcklicherweiſe ſteht geſchrieben, daß die Pforten der Plattheit 
die. heilige Stadt Ferney nicht Überwältigen werden.“ Dazu 
feße man den empdrenden Ton Über die. Galanterieen Galias 
nis, mit dem Grimm befonders verbunden war, I. G. ı 
und au. Endlich im zweyten Theile S. 979. 276, wo die 
Dede von einer Geſchichte von Siam iſt, die ein gewiſſer 
Turpin ‚aus den Papieren eines Miffionairs gufammengetragen 
hatte, die aber der Miſſſonair nicht billigte und duch ein 
arröt du conseil unterdrücken ließ, „als irrig, ſo Heißt eg 
nun bey Grimm, verfälfcht und feldft etwas gottlos, was ide 
denn wohl einigen Abſatz verſchaffen fännte.“ Daß fie eg mit 
der practiſchen Moral in andern Dingen nicht genauer nah— 
men, ſieht man aus den Gräueln, die Stimm auf Peliſſon 
waͤlzt, und worin er auch Külhiere, nut. darum], weil er mit 
Peliffon Freundſchaft hielt, verwickelte. Th. J. S, 170 - 179 
erzaͤhlt er die Bemuͤhungen, die Diderot und andre aumandten, 
um bie Vorſtellung des homnme dangereux pon Peliffon zu 
; hindern. Wir wollen nur eine Stelle des Briefs, den Dide— 
rot deshalb an den Herrn von Sartines, Polizeylieutenant, 
ſchrieb "anführen, um zu zeigen , daß fich diefe Parifer alg 
kehrer der Welt BE, u konnte ‚eg. auch anderg! 


® 





N 
Correspondance du Baron de Grimm, 8 


um doch Friedrich II. (Correspondance avec d’Alembert 
ed. 178g. 8. I. Tom. IV. p. ı20.et 132) d’Alsmbert bald 
dm neuen Protagoras, bald den neuen Anaxagoͤras, die Fries 
deich freylich beyde gleich gut fennen mochte. - „Es gebührt 
mie nicht ¶ ſagt Diderot I. ©. 176), Ihnon, gnädiger Herr, 
eisen Rath zu geben, können &ie aberabeunrken ,, dab man 
nicht ſage, man babe zwey Mal. mit Ohrer Gelaubniß oͤffent 
Ih diejenigen Ihrer Mitbürger verhöhnt, die man in alla 
Theilen von. Europa in Ehren Hält, deren Werke man nahe 
und ferne werfchlingt, die die Ausländer herbeyrufen und bes 
lehnen, die man immer anführen wird, die der Ruhm des 
Franzdſiſchen Volks aud dann ned) fepn werben, wenn Sie 
nicht mehr find; die endlih, welche kein Reiſender gu beſuchen 
verfäumt, wenn er bier ifl, und aus deren Bekanntſchaft er 
ſich nah feiner Ruͤckkehr ins Vaterland eine Ehre macht; wenn 
Sie das koͤnnen, gnaͤdiger Herr, fo glaube ih, handeln Sie 
fug u. f. w.“ Se dem halb drohenden, halb prahlenden 
Tone geht es noch eine Zeitlaug fort: es wuͤrkte. Das Stuͤck 
ward nicht gegeben ; doch bedeckt Grimm Peliffon mit Schimpfi 
seden. Aber Peliffon lieh das Stuͤck, worin die Wuth der 
keute gegen alle beſtehende Sitte dargefiellt war, in Genf 
drucken, dafür zieht er ih Th. II. S. 19— 95 einen neum 
ſchrecklichen Sturm zu, der am beiten zeigt, daß es den Lew 
sen doch nicht fo unwidtig war, -als fie ung wollen glauben 
maden, wenn Delifion über fie herfiel. Wie reisbar das Phi⸗ 
fofophengefchlecht, gleichwie bey uns auch), war, und mie eine 
Verlegung fie aller Befinnung beraubte, davan finden fich hier 
viele DBenfpiele, nur eins. Die Enchclopädie wurde bekannt⸗ 
lich duch & Susr ription zum Druck gebraht, wo dann bie 
Seeunde dee Parthey kein Geld fparten, um das Werk zu fürs 
dern. (SH. IV. ©. 359 ſteht, daß bie Markiſe von Ferte 
Imbault, die Tochter der Geoffrin, kurz vor dem Tode ihrer 
Mutter Dig Mechnungen derſelben durchſah, und fand, daß 
fie über hunderttauſend Thaler aufgewendet habe, pour sou- 
tenir ]’ Ency<lopedie et ses dependances.) Le Breton, heißt 
es I. ©. 363, premier imprimeur ordinaire du zoi, und 
Brieffon waren, nachdem drey andere, welche Antheil daran 
hatten, geſtorbou ‚waren, einzige Verleger der Encyclopaͤdie 


” 
£ 
* 


“ Cortespondatice du Baron de Grimm. 

geworden. : Diveror erhielt fuͤr jeden der 17 Bände Zert abo 
Liores, und. noch 20006 auf einmal. Sieben Bände waren 
bis Ende 1770 abgedruckt, ' die letzten zehn ſollke TE Breton 
erft ganz abdrucken, and dann ale zehn zugleich an: die rk 
ſeribenten abliefern laffen , damit nicht die Regierung dit Uns 
ternehmung hiadere er aufhalie, weil man es dahin gebrache 
harte, daß fie! igndridͤte, daß in der größten Pariſer Drdereh 
funfgig: Acheter fih Damit brſchäftigten, den Druck der Encyh⸗ 
atopadie zu vollinden: So druckte man, denn alle Artiket fo 
a, wie die Schriftſteller fie geliefert hatten, und Diversk 


„fette nach der letzten Reviſion unter jeden Vogen den Hifcht 


zum Abdruck. Dann aber machte ſich der Corrector und Druk⸗ 
ker noch einmal darüber her und flrichen alle zu freyen Stellen, 
alle Ausbruͤthe des Philo ſopheueiſers, kurz, Alled weg, 1ods 
von’ fie ziaubten, daß tes die Arfmerffamfeit det Regleruns 
erregen Pöndte, und ſtellten dann den Zuſammenhang/, ſo gut 
fie konnten, wieder her. „Der Zruck des Werks, ſagt Grimm 
&. 366, war fuſt beendigt, als Diderot einen feiner langſten 
Artiket von Buchſtaben S brauchte, und En ganz verſtüm— 
melt fand. Ge war wie angebontert, in dem Augenblick fa 
der Graͤuel des Buchdruckers offen vor ihm; er ſah feine un 
feinen Mitarbeiter beſte Artikel duch, und fand faſt berät 
diefelde ‚Unordnung, dieſelben Spuren des unvernuͤnftigen 
Moͤrders, der Alles verheert hatte. Die Entdeckung fegte ihn 
in einen Zuftand von Naferey und Verzweiflung, ben ich mit 
vergeſſen werde. Ich war auf dem Lande, er ſchickte mie 
einen Boten, um mich mit der unglaublichen Gewaltthat bes 
kannt zu machen, und mich nach Paris zurüg zi, rufen, um 
mit mir wesen des Entichluffes, den .er zu nehmen hätte, zw 
berathſchlagen“ Mun ſchildert Grimm Diderots fchrecdliche 
Verzweiflung, und riet S. 368 — 576 zwey Briefe ein, die 
ev an te Breton ſchrieb, weiche hinreichend beweifen, .daß er 
—* in einer Art von Raſerey befanb. Jetzt wollen wir noch 
ein Beyſpiel anfaͤhren, um gu bewetſeſt, daß Grimm (den 
wir durchaus nicht ein mauvais sujet nennen wollen, obgleich 
uns die Art, wie..man ihn neulich im Morgenblatt No. 219. 
dagegen hat vertheidigen wollen, ganz und gat nicht genügt ) 
ſich der. Phuoſophen und des Tons der Conbverſation zw Sei 


Correspo.rdance du Baron de Grimm. 44 


| m weiß, wm mie Rönigen, Farſten, Köfen ſich in Ver⸗ 
bindung zu bringen, und diefe Verbindung durch Diefe Blätter 
At unterhalten. Um Die Zeit nämlich, in welche dieſe beyden er⸗ 
fa Bände fallen, Hatte Srimm die Bekanntſchaft des Könige 
son Preußen auf. einer. Reife gemacht, bey der ihm D’Menb 
beris und feiner andern Parsfer Freunde Briefe überall: die 
‚Hife öffneten, wo Dan fein Yon das Weitere that: In ber 
Eeneſpondenz Fried richs mir d'Alembert iſt es der Adte, : den 
Srimm zurückbrachte, und im 45ten heiße es (Oeuvres da 
Frederic 17860. Tom IV, p. 214. Der Brief ik vom 16. 
N. 1569): „Es freut mih, daß ich Seren Grimm habe 
dennen lernen... Es ift ein Mann von Kopf und philefophis 
ſchem Seiſt, deſſen Grdaͤchtniß voll schöner Kenntuiſſe If. S 
hat Ihnen unmöglich hinreichent ſagen tännen, wie ſehr .idh 
Sie ſchaͤtz und Aucheil an Allem nehme, as Sie angeht.« 
Dafür macht Grinnn denn hier tiefe Büdlinge über drn Brief 
den ihm Friedrich ſchrieb, obgleich er (1. 328— 3a) eigen . 
ba Nichts ſagt, als daß er ihn gluͤcklich ſchaͤtze, in Paris zu 
wen, Friedrich und Cathaxina wußten, wer damuld am fa 
uf in Guropa ſchrie, wer am meiſten gehört ward: fir 
Banden fi dahin. Auh IE ©; 153 — 160 ruͤckt er dus 
wandement ein, das Friedrich verfaßte, um d'Argens aus DER 
Stovence wegzuſchtecken, und ihn wieder nach Potsdam zu 
beforamen;. wir ⸗ewuͤrden dieſe Seite lieber nicht an Friedelch 
ſehen. Es freut: uns Aber, die Madame Necker mitten. untik 
dam Daufen- ia andern Gefühlen. zu finden, als ihre Abm _ 
gäfte: Dies bewoiſet nicht bloß Th. IL S. 5HA— 55 dee 
Brief Bokair's an fir, wo es ©; 514 Tpitig Heißt: „IS 
ahre, daß Sie feit einiger Zeit mie Madame Deffant: in 
uaung ſtehen. Ich gratwitese Ihnen bepden Day. Ich 
wollie gerne der Deikte ſeyn, id bin aber om gu Unwidigen 
fan“ ſondern auch Grimms eigne ErklaͤenngJ. S. 530; 
Hyopatja Necker lebt under lauter Sufttmwaniten , ſie iſt ades 
deck fromm nach ihren. Miſe. Cie: wäre: gerne reine uns 
richtige Refoxrmirte. oder Socinianerin, oder Deiſtin; aber 
um. Etwus zur. ſeyn, entſchließt fie ſich, ſich ber: Midas: her⸗ 
su Guamiß Fig van einer Fran, Birk Dim Witz dei 
Lence Hebte, he: Ihren; Grucd ſaͤen zu hutdigen. Man wirs 


42 Correspondance du Baron de Grimm. 


gerne hoͤren, wie:fie zu Sn Kenntniſſen am; mag es ihe 
Berlobter, das war Gibbon, wie er in der Schweiz war, er⸗ 
zaͤhlen, ob wir gleich nicht gerne die Seite des Geſchichtſchrkẽ⸗ 
berg, welcher meht den Franzoſen als den Engländern angehoͤrt, 
herausheben. „here Mutter, heißt es ( Memoires de Gib- 
bon, .itraduits de -Anglais. 4-Woli 8. Paris an V. de: Ia 
republique, Tom; I. p. 103%, War eine ber Religion wegen 
gefluͤchtete Franzoͤſin von - guter Familie, die Kerl Curchsd, 
Pfarrer im.einem Beinen Ort, Erafly im: Pays de: Quud;7an 
der Graͤnze der Franche Comté, geheyrathet hatte. In der 
Einſamkeit ‚feines Dorfs gab der Vater der Tochter eine Ikttös 
zarifche. und. fegar eine geleifete Erziehung, und Verſtand und 
Schoͤnheit der Mademoiſelle Eurdheod, die oft nah Laufanke 


kam, ervegten, "allgemeines Auffehn.. Die Erzählımgen. von 






einem folchen Wunder erregen anch meine (Gihſens) Aufs 
merkſamkeit. Sch ſah, ich liebte fies Ich: fand fie Jelehrt ohne 
Dedanterey,, lebhaft in der Unterhaltung, vein in ihren Ge⸗e 
fühlen, eteganı m: ihren Manieren.“ Jetzt erzähle er, daß 
er ihren Eitern feine Neigung offenbart habe, daß er in Craſſi in 
Zaufanne als ihr. Werlohser erſchien — und fir. in England 
vergaß. Die Entfchuldigung And die Fakten Worte, die er 
Rouſſeau's Briefe, den wir anführen werden, und - den er 
kannte, entgegenfegt: „ich feufgte als Liebhaber, ich gehordyae 
ale Sohn.“ Man höre Rouffenu ( Oeuvrös ed. 4t0, Toka; 
. XVH. p. &): Sie geben mir.einen Auftrag für Madame 
Curchod, den sch fehlecht ausrichten werde, eben weil ich fie 
achte u. Die Kälte des Hrn. Gibbon macht, daß id nichts 
Gutes von ihm hatte, ich babe fen Buch gelefen (er: milnd 
das Franzoͤſiſche, das Gibbon ſchriebb, Essai sur l’etude da 
Ja littemture.), er haſcht nah Wis, und wird gekaͤnſtelt. 
Hr. Gibbon iſt wein Mann nicht, ich glaube nicht, Daß en 
der Diann der: Mad. Curchod if. Wer ihren Werth nice 
fühle, ift ihrer nicht wuͤrdig; „aber. wer ihn hat fühlen können, 
und fih von ihre losreißt, Hi ein Menſch, den man verachten 
muß. Sie weiß nicht, was fie will ( fie liebte alfo doch den 
etwas unfoͤrmlichen Engländer), der Menſch thut ihr meht 
Dienſte, ale ihr eignes Herz. Ich will tauſend Mal Ueber, 

daß er ſie arm und frey unter uns laſſe, als daß er ſie un⸗ 





Correspondance du Baron de Grimm. 13 


gädih und reich mie nach England nehme. In Wahrbeis, 
id wunfhe, Hr. SGibbon fäme nicht wieder. Ich molkte mie 
das verheelen, aber id) Tann nicht; ich wollte es gut machen, 
aber ih werde alles verderben.“ Damals lebte nämlich. Ma— 
demoifele Curchod, Deren Vater-geitorben war, in Genf, und. 
naͤhrte fih und ihre Mutter dadurh, daß fie junge Frauens 
zimmer unterrichtete. Mecker sah fie Hier und heyrathete fie,. 
— und Gibbon erfchten hernad in ihren Cirkein in Paris. 
Eine intereffante Anecdote bringe noch Grimm I. S. 449 über 
Erebilion dev, wo der-Schlus fo haͤmiſch und falſch iſt, ale 
das Urtheil über Erebillon rihtig, weldhes Grimm I. S. 446 — 
448 fällt. „ Man- weiß, fagt Srimm, daß ein Frauengimmer 
von angefehener Familie (Miß Gtrafford) von Erebillons : . 
Sopha ſo gerührt ward, und fid eine fo große Vorſtellung 
vom Verf. machte, Daß fie ausdruͤcklich, nm ihn zu fehn, nach 
Paris reifete, und als fie ſich verſichert hatte, daß fie das 
Stäk ihres Helden machen könne, ihn ins Geheim heyrathete, 
and ihm zu Gefallen ihrem: Vaterlande, ihrem Mamen und 
ihrer Familie entfagte. Kerr von Trebillon hat viele Jahre 
mie ihr in Paris ſehr in der Stille gelebt, aber in großer 
Eintraͤcht. Erſt nach dem Tode der Heldin hat man die nähern 
Umkände der romanhaften Heyrath erfahren; da fieht man, 
wie ales in der Welt Zufall ift. Der Verf. einer leichtfertigen 
Schnarre flöße einer vornehmen Dame eine Leidenfchaft ein, 
daß fie Übers Meer geht und ihn aufſucht, und der Liebhaber 
der neuen Heloiſe, . der Treufte aller - Liebenden muß feine 
Magd heyrathen 1“ Das Legte iſt elend; die. Damen riffen 
ſich genug um: NRouffeau, der Übrigens ja ſchon über 40 war, 
und Grimm befonders, mußte das ja am Tiſch und im Bett 
der Frau dD’Epinay, wo er zu Haufe war, am beften erfahren 
fönnen. Zur Seſchichte der Zeit finder ſich bier wenig; nur 
merfe man auf die Seenen in der Academie I. 3. 490 — 96, 
me der Abbe’ Voiſenon den Bifhof von Senlis in einer dfı 
fentlihen Rede ‚perfiffllirt, wo die Theilung der Meynungen 
fo weit gehe und führt, lefe IL. S. 078— 87, um zu erflaus 
nen, daß die Megierung aus diefen Bewegungen, welche bie 
Hauptſtadt theilten , nicht erkannte, mohin es kommen fönne. 
Die dreh letztern Bände der Grimmſchen Correſpondenz 
umfaſſen die Zeit vom Januar 1774 bis October, 1782; es 
fehle, doch ohne Daß wir es bedauern möchten, das.ganze Jahr 
1775. Das Merkwuͤrdigſte in diefen Bänden ift die aus ben 
Togesberichten ſo deutliche Agitation der ganzen: Volksmaſſe 
(das Borfpiel der Nevolution ), welche fih in den Streitigkeiten .- - 
fpieler und. ihrer Vorgeſetzten, her Philofenhen, der Frommen, 


— 


Correspondance du Baron de Grimm. 


dar Romanſchreiber, Tänzer umd Muſtter erkennen Hit, alle 
ſchlleßen ſich getreulih an einander, und ihre mis unglaublicher 
Erbitterung getriebenen Händel, die durch fotche Berichterſtat⸗ 


ter, al6 Grimm, ganz Europa Intereffirten,, hatten eine Wiichz - 


tigkeit, die fie vorher nie gehabt hatten, und auch fo leicht 
nicht wieder orhatten werden. Da die Parifer Welt für alle 
Hoͤſe und Hauptſtaͤdte die Schule des Tons war, und Alles, 
was von daher kam, verfchlangen ward, fo mußte dies natuͤr⸗ 
lich zuruͤs wirken; bie Schaufpiefer, Dichter, Belletriſten 
u. 1. w. handelten nicht für Paris, fie hielten die ganze Eur 
ropäifche Menſchheit für ihr Publicum; ihre Streitigkeiten 


werden alfo dee Weltgefchichte wichtig, weil fih Demagogen - 
- fe die Revolution ‚dadurch bildeten, und die Köpfe erhitzt 


warden. GR wäre zu weitläufig und unintereffant, dieſes durch 
ale Schauſpiel⸗ und Proceßgeſchichten, welche in dieiem Theile 
vortommen, durchzufuͤhren, wir wollen nur Einiges aushe⸗ 
ben. Vol. IV. ©. 215 erſcheint Hr. de Vismes zum erſten 
Mal ander Spitze der Dper, welche freylich nicht Oper, ſon⸗ 
dern Academie royale de Musique heißt. (Man erinnert 
ſich wehl, daß Nouffeau feinen Sct. Preux, oeuvres dd 
Rousseau & Neuchatel chez Fauche 1775. 8. Tom, IV. 
..p- 42ı fagen läßt: die Oper befteht Hier nicht, wie an ans 
dern Orten, aus einer Anzahl Menfhen, die man daffr bes 
zahle, daß fie ſich vor andern Leiten fehen laſſen. Freylich 
find es Leute, die das Publicum bezahle, und die fih ſehen 
laſſen; aber das Alles ſieht gleich ganz anders aus, da es eime 
Lönigliche Mademte der Muſik ift, eine Art von Gerichtshof, 
der in feiner eignen Sache inapellabel entfcheidet, fonft aber 
eben keinen Anipruc auf Gerechtigkeit oder Trene macht.) 
Man wird fih fhon nad diefem nicht fehr wundern, daß 
Grimm den hohen Kerrichaften fo genaue Nachricht gibt, wie 
de Vismes bisher auf die Umſtaͤnde, auf einmal angenommen 
Grundſaͤtze, auf hergebrachte Gebraͤuche, keine Mäder ger 
nemmen, wie er der Turgot der Oper ſey, worauf dann &. - 
5065 — 573 die elenden "Streitigkeiten folgen, an denen dei 
Hof Theil nimmt, die den König lebhaft intereſſtren, die ein 
Marſchall von Frankreich, dee Herzog von Duras, beylegen. 
muß, von denen endlich Griimm &. 371 ſagt: „Gewiß iſt, 


daß dieſe Sache bey unſern Soupers mehr den Gegenſtand 


der Unterhaltung ausmachte, als der Ruin unſers Handet 
die Eroberung von Pondichery und. die ungluͤckliche Expedition 
nach St. Lucie.“ Man vergleiche Dies mit dem, was ei“ 
anderer Augenzeuge, durchaus Hofmann, der bekannte Baron 
von Beſenval, Generallieutenant und Schweizeroberſter uͤber 
dieſe Cirkel ſagt · Memoites -ecrits par. lui meme 'a Paris 


— 


Correspoypdanse du Baron de Griwm. is 


Bo5. —— eng ‚und man 
‚19 über Weniger vermandern. Bey Geimm 
©. 368: Man ſproch au coucher du ra 
en Fanforenen der Operngottinnen mit ihrem Director. 
= iß —* Schuld , meine Herren, fagte der: junge König 
‚feinen Sofleuten ; wenn @ie fie weniger lieb Hätten / wuͤr⸗ 
m weniger ungezogen fm.“ Wis fche fie das Lepte mas 
(ehe ‚man gleich we derfelden Bein: „Der WMiniern 
=, aß ich tanzen fol, fagte Mademoifelle Grimard, en 
V hüten, daß ih ihn vicht ſpringen laſſe.“ Der große 
hatte dem Drn. Bismes eines Tags recht ungezogen 
geantwortet ; dieſer —— „Aber Hr. Veſtris, wiſſen Sie 
ob, mit wen Sie reden? — Mit mem ich code? mit dem 
A — — en er Sein 2 weis 
chlechter d aters Rollo in der Armida zu 

8 wird alſo auf das Fort l'Eveque gebracht. „Geh, ruft 
da fein Vater mit Pathos zu, geh, mein Sohn, dies iſt 

dt Ihönfte._ Tag Deines Lebens, Nimm meinen Wagen ; fodere 
dad Zimmer meines Freundes, des Königs von Pohlen, ich 
nude Alles be sahlen,“ Dazu gehört Tom. V. &, 4216, 
me der Hof ſich in Brunoy aufhält und Acteicen ber Franß 
pe enommmen hat, um fih Dusch Schauſpiele zu uns 


wem 4 


iche Frivolitaͤt, daß der maitre des menus 


> ‚Defenielieh, auf eine bloße Aeußerung es Könies, 

er TER ung ehrucdten Städe dea Dichters Bolle zu fehn: 
nı Zimmer und Pult aufbrechen läfe: Keeylich. 

Bis een in niht, und mußte den Dichter auf dem 
en erfischen. laffen; aber dies ift für un« geichgel⸗ 
Bey eben dieſer Gelegenheit hatten die Herren des Hofc 
Pr — alle Shenterdnmen misten. im Ankieiden entführen 
— damit ei — „Here den rouss feines Gelichters 
Deren. er mit tauſend Loniad’or hatte kau⸗ 

— und. Kern für zweyhundert befommen, im Nies 

ige» icher, glauben win ara heſten rechnen zu boͤnnen, 

3 — 176 über ‘eine anftößige, Geichichte ficht, Die: 
Marie Antoin ette Gefühl für zus eben nicht. im; 
guten Lichte zeigt. Grimm, gie, nt ann, erzähle nur, wie, 
dee Graf von Artois, des Rön 8 Bruder, der Herzogin von 
Yearbon einen Stoß int Geſicht gibt, und, ſich mit dem Herz, 
"yon Bourbon darüber duellirt, er iſt dabey ganz auf 
Bourbons, und freut fi ch über. die Auszeichnung , bie 
dae Publicum im Theater gab, da es Artois und ıdie 
gin fatt empfing, hat auch nur 4 Seiten darüber. Um 
aber die Geſchichee in ihrer: ganzen Frivolitaͤt zu Eennen, muß 
man Befenval vergleihen. Diefer, bier ganz in feinem Wes 












— 


i6 __Gorrespondance du Baron dE Grimm) 

fen, in ber ganzen Wichtlgteit eines‘ Hofmanns, greund dee 
Grafen v; Artois, breitet ſich über: das Taͤlent, daß er. dabey be⸗ 
wies, weit aus, und enthuͤllt das elende Weſen der Leute, ohne 


v 


as zu wollen? Memoires de Besenval Tom. I. p. 282 — 599. 
“Man denke fait hundert Seiten! und doch ift das richtig. 
Mir Finnen Ans, weil das Buch vieleicht nicht jedem zur Hand 
iſt, micht enthalten, ben Schluß herzuſetzen, der zu Los, 
miſch klagtich iſt, um nicht zu gefällen, ©.328. Apres U’beu- 
reuße issue d'un Eevenement qui d’abord avoit si mal toufn& 
pour Mr. le comte d’Artois, et qui avoit tant embarassé 
et afflig€ le roi et la reine; apres la .part, que j’avois 
eue à cette heureuse issue, je devois naturellement m'at- 
. tendre à quelque t&moignage de satisfaction: Non seu-' 

}ement ni le roi, ni la reine, ni qui que ce füt, ne 
men ouvrit'la bouche; mais m&me dans le monde‘ 
Fhongeur en rejaillit sur le chevalier de Crussol (er 
ſchreibt C(***, meint aber diefen ), soit qu’il Veit coure 
plus & 'son avantage qu’elle ne l’etoit dans le fond, soit 
que tout ce qu'il en dit et le silence que je’ gardai sur 


cet objet, ainsi que je le fais toujours sur ce qui’ me: ' 
regarde fit tourner les yeu% de son cöte! il en eut pres=. 


ue tout l’'honneur, et jenen tirai que celui d’Etr& content 

e moi; ce qui me suffira toujours. Edeles Seldftbewußts 
font — Wir ehren zu Grimm zuruͤck um aus feinem Werfe, - 
als wuͤrdiges Seitenſtuͤck zu dem Ebengefagten die Geſchichte 
der Sängerin Lagnere hier mitzutheilen. Sie hatte ale gemeine 
Dirne die edle Laufbahn begonnen, damals eben den Prinzen vor 
Bouillon in einem halben Jahre ruinirt, und das Vermögen eines ' 
der veichften Generalpächter, Haudry de Soucy, erihäpft.. 
Sie follte V. S. 244 in der Iphigenia fingen, war aber 
während des erften Acts fo betrunken, daß fie hin und her⸗ 
taumelte, und nur flammelte. Am Zwifchenact wendet md 
‘alle Mittel an, um fie nüchtern ju machen, und es geht beſſet; 


auch das wird dem König erzähle! „Nun, fagt er dem Mir- 
niiſter, und fie iſt in Arte 7“ Jetzt ward fie verdafte: Als 


fie aber zwey Tage hernach den Anfang ihrer Rolle: 
| O jour fatal que je voulois envain 
Ne pas compter parmi ceug de ma vie. 


mit Emphafe ſpricht, geräth das Publicum außer ſich vor Ente 


zücen, hört gar nicht auf, zu Elatfchen, und der Hof laͤßt ihr 
am Ende des erften Acts ihre Befreyang vom Arreit ankuͤndi⸗ 
gen. Sol man nody Etwas hinzuiegen ? 


(Det Beſcchluß folgt: ) 


— BEER 





No. 2.  Beldelbersifhe 1813. 
Jahrbücher der Litteratur. 


ä —————— —— ———————,—————— 


Correspondance liti£raite philosophique et criügue addressde 
A un Souwerain d’Alleınagne par le baron de Grimm 


et par Diderot.. 
( Becſchlus der in No 1. abgebrochenen Ketenfion.) Sr 


Venare, ſein letzter Aufenthalt in Paris, und Alles, was 
ſich darauf bezieht, nimmt einen großen Theil der drey letztern 
Baͤnde ein, welches die Herausgeber aber als bekannt haͤtten 
weglaſſen ſollen. Die Grabſchrift, die Rouſſeau Voltaire'n ge: 
ſetzt hat, iſt befannt, die einer Dame von Lauſanne IV. ©: 
855 verdiente es zu fepn: Ti git l’enfant gätE du monde 
qu’il gata. Wie ſeicht Abrigens Grimm ift, fobald es über 
altaͤgliches Geſchwaͤtz hinausgeht, ſieht man aus dem Hin⸗ 
und Serreden tiber Montaigne IIL ©. 109. Ferner über 
Sprachen, Schriftſtelier, Voltaire und Corneille. III. S. 118 
uf In deinſelben Bande ſleht man auch ©. 2ı3— 26, 
tie die Academie in eine Art von Theater ausgeartet ivar, 
woman nach dem Beyfall einer gemifchten Verſammlung (IV: 
S. 360 un. f- I haſchte, und wo man beflarfcht und nicht bes 
Harfe wurde, fo dafi ſelbſt Grimm gefteht, die Zuhörer der 
Achdemie beftänden fat aus Sauter Weibern und j ungen Laffen: 
Diefe Leute vegierten alfo die itteratur, und Urtheile, wie fie 
Srimm IIT: &. 218 — 226 fält, mußten dann allerdings 
noch ausgezeichnet ſeyn, fo wenig wir alich begreifen, wie 
man fidy dergleichen von Paris aus konnte zuſchicken laffen. 
Baren doch Dradame Deffant und andere als Orakel der & tterarur 
angeſehen (LV: ©. 562), war dodj Zutritt gu gewiſſen Ger 
ſelſchaften das Ziel der Schriftſteller! Wie glücklich find wir 
Deutſche Gelehrte, daß es dahin bei uns nie tommen kann! 
Nie wird bey uns die Wiſſenſchaft zum Zeiwertreib, die Kunſt 
zum Spiel herabſinken, cher vergehen ! Sind doch die Wors- 
Iffungen der wand ernden ˖ Gelehrten, die Declamatorien, alle 
Zwitteran ſtalt en bald läherlih geworden und aus der Mode 
1 


48 Correspondance du Baron de Grimm. 


gekommen. Naiv ift Grimms Geftändniß IV. S. 39. Nach—⸗ 
dem er dort über feine Freunde, die Phllofophen, geklagt Hat, 
fo feßt er Hinzu: „Unordnung und Anarchie, die unter der 
philoſophiſchen Parthey feit dem Tode der Mademoifelle lEſpi⸗ 
naffe und feit der Unthätigkeie der Madame Geoffrin geherrſcht 
haben, beweifen, wie viele Uebel die weile Regierung der 
Damen verhätet has, wie viel Stürme zerftreut, und beſonders, 
wie viel Lächerlichkeiten verhütet worden. Nie würden wir unter 
ihrer ehrmärdigen Leitung die Scenen aefehen haben, zu denen 
der Krieg Über die Muſik Anlaß gab.“ Welche Stügen der 
Philoſophie, ein padr eitle Weiber! Man darf fich aber nicht 
en daß die ſchaamloſeſte Sittenverderdnig Aberall Heraus 
leuchtet, da der Beſte unter den Goͤttern der Zeit, Jean Yacı 
ques, in feinen Confeffions fo (höne Srundfäge zeige, in der 
Heloiſe lehrt, und dem Emil, in der‘ Erziehung am Ideal, 

ein fo troͤſtliches Ende gibt, daß Grimm Recht hat, wenn er 
ironiſch ausruft: „Wenn Jean Jacques in den Abentheuern 
Eduard Bomſtons die Weiber, "welche honett Die Ehe brechen, 
etwas zu hart behandelt hat, fo hat er das im feiner Forts 
feßung des Emil gewiß wieder güt gemacht. Man kann nicht 
ühterefjanter die Ehe brechen, als Sophie thut.“ Freylich muß 
tan, wenn Grimm von Nouffeau fpriht, auf feiner Hut 
feyn ; denn man vergleiche nur einmal Tom. III. S. 266 die 
Sefchichte, wie St. Fargeau's Hund Rouſſeau'n umrennt, mit 
derfelben Gefchichte in den Confeſſions! Doc bringt er ein 
guͤnſtiges Urtheil Condorcet's Über Jean Jacques bey, das wit 
gern unterfchreiben würden, wenn es nicht einfeitig wäre. 

„Diefer berühmte Mann, Beißt es, dem das Talent, andere 
von dem zu Übergengen, was er haben wollte, daß fie glauben 
follten, angebohren war, hat die Wahrheiten‘, die er für nuͤtz⸗ 
lich hielt, auch populär zu machen gewußt. Sind die Körper 
‚der Kinder nicht mehr in Schnürbräfte geſchraubt, wird ihr 
Verſtand nicht zu frAh mit Vorschriften überladen, entgehen 
fie wenigſteüs in den erfien "Jahren dem Zwange und def 
- Dienftbarkeit, fo verdanten fie‘ dies Rouſſeau. Darum trug 
auch eine Frau von vielem Gefühl darauf an, daß man ihm 
eine Statue errichte, die von Kindern gekrönt würde. — — 
Er Hat in unſern jungen Leuten den Enthuſiasmus für die 


* 


Correspondance du Baron de Grimm. 19 


Tugend wieder erweckt, der ihnen fo noͤthig wart, um ihn den 
heftigen Leidenſchaften entgegen zu ſetzen. Das find die Ans 
frähe, die er an die Dankoarkeit der Menſchen hat. Unter 
den neuern Philoſophen iſt er einer von denen, die am mei⸗ 
fen auf die Gemuͤther gewirkt haben, weil er das Talent 
beſaß, die Seele der Leſer ſo zu lenken, wie die alten Redner 
(und hätte er fagen follen Sopfiften ) die Seelen ihrer Zus 


birer lenkten: Aber and Rouſſeau hatte gegen die Philoſophen 


geſuͤndigt, und für alle Sünden ift Vergebung bey Grimm, 
aur die. Sopyiften muß man nicht necken. Weil er das thut, 
kommt ein elender Schriftfteller, de Querlon, zu der Ehre, den 
Torrefpondenten denunciirt zu werden. Diefer Menich, hatte 
naͤmlich Noten zu Meontaigne' 8 Reifen gemacht, die auch recht 
gern in alten Kaſten auf dem Schloſſe Montaigne's, dad das 
mals dem Grafen. Segur de la Roquette gehörte, wo fie der 
Canonicus Prunis (III. 94). triumphirend fand, hätten faufen 
nögen. Wem fällt Bey ſoichen Gelegenheiten nicht ein, daß 
Palifot doch Recht Hat, wenn er gleih ſelbſt nicht beſſer iſt, 
mſagen (Geuvres dc Palissat. & Liege 1777 in den Phi- 
losophes act, II. Tom. p. 189): 
Ces grands mots imiposans d’erreur, de fanatisine. | 


De pers&ecuton , viendroient à son secours. 
C’est un ressort use qui reussit toujours. 


Bie fehr durch bie Furcht gefhimpft, oder laͤcherlich gemacht 
ji werden , die angeſehenſten Perſonen des Reichs in Furcht 
gehalten wurden ſieht man recht in dem Proceffe Kaynafg, - 
wie er (Tont. Y. ©. 306 u. fag.) Die histoire philosophique 
des etablissemens etc. unter feinem Namen hatte drucken 
laffen, und Deshalb eingezogen werden follte. Er hatte, heißt 


es hier (V. Z08), jegt allen Rackſichten entſagt, und, ja, 
man erffaune, daß eine Mation fo tief ſinken kann: „Indeß 


bezahlt er (Raynal) feine Mitarbeiter gut, und die "einzige 
Bedingung , die er macht, iſt: daß, wenn fi ie die Seiftlichen 
und die chriſt liche Religion herabſetzen und ſchmaͤhen, ſie den 
Theismus ſchonen, weil die Grundſaͤtze des ihm entgegenge— 
legten Syſtems, die fih im der erſten Ausgabe faͤnden, viele 
techtlihe Leute in England’ und Deutſchiand (alſo nicht in 
deantceich) empört hätten,“ wie leer muͤſſen einem jeden 


. 
\ 





20 Correspondance du Baron d& Grimm. 


dann alle Klagen über Verfolgung erfcheineh, wie fieht mar 
ſo deutlich, wer eigentlich verfolgte. Um dies beffer zu zeigen, 
wollen wir uns eines Briefs don Voltaire bedienen, der nicht 
leicht jedem in die Hand ‘fallen möchte. (Er. ſteht Oeuvres 
.de Palissot Tom. VI. p. 395) „Sie haben, fagt dort Vol⸗ 
taire zu Paliffot, die rechte Saite gefchlagen, mein Herr, ich 
habe Freret, deh jüngern Crebillon, Dideror, ins Befängnif 
werfen Sehen; :i babe geſehn, wie faft alle andre verfolgt 
wurden. Der Abbe’ de Pondes, wie Arius von den Athanas 
fianern behandelt, Helvetius eben fo granfam unterdrückt, 
Tercier feines Amts, Marmontel feines Vermoͤgens beraubt, 
und Bret, fein Cenſor, der ihn durchgelaſſen, in die aͤußerſte 
Armuth verſunken.“ Wer ſollte nicht erſchrecken, wenn er ſo Etwas 
lieſ't, und nun vergleiche man die Note Paliſfſots S. 393 — 
395, die wir unfern Lefern nachzulefen überlaffen, und fehe, 
wie fogar Nichts daran iſt; und doch bringt Paliſſot Facta 
vor, nit Worte. Wir bleiben nur bey Rouſſeau ſtehen, den 
Voltaire, der ihm verfolgt, zu den DVerfolgten rechnet: „Sean 
Jacques Rouſſeau, fagt er auf derfelben Seite, der den Wiſ⸗ 
ſenſchaften nuͤtzlich ſeyn konnte, ward ihr Feind aus laͤcherlichem 
Stolze, und ihre. Schmach duch eine fuͤrchterliche Aufführung.“ 
Das ift noch gelind, es ift in einem Briefe; wir haben andre 
Stellen. In der Vorrede zum Leben Peters des Großen ſchilt 
er ihn visionnaire, fpricht von einem je ne sais quel con- 
trat social ou insocial, nennt ihn am Ende einen Saffen: 
buben (man höre: c’est une etrange manie que celle d’un 
polisson qui parle en maitre aux souverains et qui pre= 
dit infaillibllement la chute prochaine des empires du 
fond du tonneau, ot il pröche et quil croit. avoir ap- 
partenu autrefois ð Diogeêne). Ja, er ruft ſelbſt den weltli⸗ 
chen Arm gegen ihn an, und droht ihm damit (vergl. dag 
Dictionnaire philosophiques Amsterd. Rey. 1789. article 
Pierre le Grand et Jean Jacques Housseau. Tom. VII. 
p. 158 — 144). Diefer Eifer fanatifcher Sophiften hat dann 
viel Aehnliches mit der Sentimentalitaͤt liederliher Schaufpie; 
fer. Tom. III. ©. 6ı u. f. follen die Schaufpieler auf gewoͤhn⸗ 
liche Weiſe das Publicum gruͤßen, da nimmt die Deschamp 
mit liebenswuͤrdiger Naivetaͤt (S. 64) den Schauſpieler 





Correspondance du Baren de Grimm. 21 


Eelrval bey der Hand (man weiß, was Clairval, Caillot u. a, 
den Damen waren ) umd fait laut: „Kommen Sie Clairval, 
Se wien den Damen fo gut den Hof ju mahen, Sie 
muͤſſen Ste begrüßen.“ Das Publicum Matiht. Dann führe 
Grimm eine Herzogin sedend ein, daß uns bey der Art, wie 
er mit feinen Herrſchaften fpriht, eine Stelle aus Duclos 
einfie. Memoirs secrets Tom. I. p- 397: „Ein fchergens 
der Ton deckte am Hofe (des Negenten) alle Sittenloſig⸗ 
keiten; und dies hat ſich in der großen Welt erhalten.“ Dayı 
naht denn auch vortrefflid die Erziehung, von der hier Pröss 
hen vorfommen. Man kennt das Verhaͤltniß, in dem Mas 
dame de Genlis mit dem Herzog von Orleans fland. Tom. V. 
S. 156 erzähle Stimm, mie man der Genlis in Berch ein 
deft gibt, wobey die Kinder, die fie erziehen follte, die kanm 
zwey Jahr alt waren, fagen muͤſſen: Die. Eine: Maman, 
Genlis, ces deux noms lä — sont là (aufs Herz deutend). 
Die Andre : Et tous deux font dire de m&äme — jaime, 
und das Duo Hatte der Linter s Gouverneur der beyden Brüder 
der Prinzeſſinnen erfunden! Etwas Aehnliches iM doch auf⸗ 
fallender bey Madame Neder, wenn man nicht Hrn. Neckers 
Vorliebe für feine Tochter, die jekige Madame Staël Hols 
flein, deren ganzer Lebenslauf in diefer Geſchichte Liegt, kennte. 
Tom. IV. ©. 290 madıt fie als zwötfjähriges Mädchen Cos 
mödien, und befonders eine unter dem Titel: Les inconve- 
siens de, la vie de Paris, von der Grimm fagt: qui n’est 
pas seulement fort Etonnante pour. son Äge mais qui a 
paru m&me fort superieure A taus.ses modèles. Die Cou⸗ 
plete von Miarmontel bey der Genefung ihres Waters hätte 
fie immer fingen mögen, wenn nur nicht die gelehrten Herren, 
die bey der Mutter fpeifeten, der Tochter im eilften Jahre fo 
viel Weihrauch geftreus hätten. So wie der Madame Staëel 
Bildung, aus diefen Anecdoten einleuchtet, fo wirft der Auszug, 
den Stimm, IV. ©. 105 —ı20, aus den benden Lobreden, 
bie der Abe Morellet und Thomas, und. dem Briefe, den 
d Alembert gleich nad) dem Tode der Madame Geofrin über 
fie herausgab, ein Licht auf den Charakter diefer Frau. Uns 
bat an ihr am wenigſten gefallen, was an einer andern Stelle 
ben Grimm vorkommt, daß ihr Mann unter den philoſophi⸗ 


® 


22 6orrespondance du Baron de Grimni. 


ſcheh Schreyern an der Ecke des Tiſches einen Platz erhielt, 


doch fo, daß er nur eine ſtumme Perſon machte. Wir wollen 


fie übrigens, da viel Gutes von the gefagt wird, das freylich 
fehr affectirt ausfieht, weder anflagen, noch vertheidigen, der 
Verſtaͤndige wird aus einer Note Grimms Tom. IV. ©. 116 
leicht fein Urtheil Über ihre Wichtigkeit und die ganze Tendenz 


e ihres Handelns bilden: „Das gegen Madame Gerffrin eins 


genommene Paölicum glaubte, fie hate die Gelehrten und 


Kuͤnſtler (d. h. Schauſpieler) nur darum in ihr Haus gezo⸗ 


gen, um die Leute von Stande dadurch anzulocken. Gewiß 
iſt wenigſtens, daß fie ſchon ſeit geraumer Zeit eine ziemliche 


Langeweile in der Geſellſchaft unſerer Litteratoren empfand, 
und mit ihren Katzbalgereyen unzufrieden war; noch gewiſſer 


iſt, daß Niemand auf die allgemeine Meynung hoͤhern Werth 
legte, den Wochſel derfelben beſſer faßte, und ihm mit mehr 
Biegſamkeit folgte. Als Helverius fein Bud de Yesprit bes 


kannt gemacht hatte, fagte er feinen Freunden: „Wir wollen. 


fehn, wie Madame Geoffrin mich aufnehmen wird, wenn ich 
dies Thermometer der öffentlichen Meynung befragt habe, 
kann ich genau wiſſen, welches Gluͤck mein Wert: macht“ 
Dies ift zugleich hinreichend, um zu geigen, wie gefährlich. die 
Dilettanten den Gelehrten find; das fühlte Diderot auch fehr 
gut, und er fagt es in der III. S. 269 eingeräcten Schrift: 


Resultat d’une conversation sur les Egards qu’on doit aux 


rangs et aux dignitds de la société. ©. 273 heiße 06: 


„Er (de Gelehrte) wird die Geſellſchaft von Seinesgleichen 


—— vorziehen: denn, in ihr kann er feine Kenntniß 


erweitern, und ihr Lob allein kann ihm ſchmeichelhaft ſeyn; 


er wird fie der Gefellſchaft der Vornehmen vorziehen , ben des 
nen er zum Erſatz feines Zeitverluſts nur. Lafter gewinnen fann. 
Er iſt bey ihnen wie ein Seiltänger zwiſchen Niederträchtigkeit 


and Hochmuth. Die Niederträchtigkeit beugt das Knie, ber 


Hochmuth; wirft den Kopf in den Maren; der wuͤrdige Mann 


‚trägt ihn gerade.“ Treffen fih doch manchmal die heterogens 


fien Geiſter auf. einen Gedanken ‚- hier ſpricht Diderot wie 
Rouſſeau, in jener Note uͤber die Geoffrin Grimm wie der 
aͤrgſte Antiphiloſoph, und Tom. HI. S. 2812 treffen wir den 


leichten und leichtfertigen Galiani mit unſerm langfamen aͤcht⸗ 


! 


Correspondance du Baron de Grimm. 233 


srofaifchen Meiners auf einem Gedanken. Dort heißt es in 
dem Briefe an Madame d’Epinay: Ainsi la perfectibilite 
nest pas un don fait à l’homme en general mais à la 
seule race blanche et barbue. Par alliance la race haza- 
nee et barbue „ la race bazande non barhbue et la race 
noire ont gagne quelque chose. Iſt das nicht du.Meiners 
tout pur ?: Doc iſt noch ein Unterſchied; in Meiners (hwars 
jen Brauen wohnte nur Balter Ernſt; Galiani verfteht Spaß. 
Politiſche und literarische Motigen finden fich wentge 
brauchbare oder zuverläffige. Was den Prinz Eduard angeht, 
ben die mehrſten unſerer Lefer wohl aus Moltaire‘s sibcle de 
Louis quinze fennen, fo ſcheint es uns nicht recht glaublich, 
was Tom. V.- &. 52 erzähle wird, daß er, wie er aus ber 
Baftille entlaffers worden, fih drey Jahre bey dee Martife 
von Waffe zu Ss. Joſeph in der Vorſtadt St. Germain aufs 
gehalten, uns die Pringeffin von Tallmont, in die er verliebt 
war, und mis Der er fih doch balgte, zu fehen. Ein maw 
vais sujet , wie Eduard, wäre wohl dazu im Stande gewefen, 
as Hätte aber doch d’Angerville oder wer fonft Verfaſſer der 
vie privee de L,ouis quimze (a Liondres 1781. Littleton, 
4 Vol. 8.) ſeyn mag, erfahren; hier heißt es aber ausdruͤck⸗ 
ih Vol. HI. S. der: „Man ließ ihn drey Tage in Verhaft, 
dann brachte man ihn an, din pont Beauvoisin, und dies 
nahm ihm alle Luft, nad Frankreich zurück zu kehren,“ und 
doch intereffivte den Verf. die Sache; denn in den Beylagen 
findet man alle Vaudevilles, die bey der Gelegenheit circulir⸗ 
tn. Die Anecdoten, weihe Grimm V. &. 45 u. fa. über bie 
du Barry beybrings, hätten die Herausgeber ganz. weglaffen 
folen, da fie im der vie privee Tom. IV, ſchon benugt find. 
Wir waren besierig durch Grimm, der doch in Paris‘ Ichte, 
äber den Verf. diefer aus ganz verfchiedenen Büchern mit den 
Worten der Merf. zufammengeftoppelten Geſchichte etwas zu 
finden; aber er erwähnt ihrer zwar V. ©. 256, wirft aber 
nicht einmal bem Berf. vor, daß er aus einem fo bekannten 
Bude, als Voltaire's sitcle de Louis quinze fo fehr "fange 
Stellen wörtlich einruͤckt. Wahrfcheinlih war es d'Angerville 
(Eorrespondaäice. litteraire secrete No. 20 et 21. und 


woher? WVon unſerm Müller von Itzehoe, Geſchichte der 





3  Correspondancz da Baron de Grimm. 


Wald heime zweytem Theil S. 253), andre halten * doch 
auch den Mouffle de Georgeville dafuͤr, und dies iſt nicht 
gang unbedeutend, da dad einige Nachrichten dieſea Werks 
"aus keinen andern Quellen - bekannt ‚fd. Gut ausges 
wählt ift aus Millots Memoires de Noailles der Drief der 


Prinzeſſin des Urſins, wo fie (III. S. 418 — 419) ihre, 


erſte Lage bey Philipp V. und. feiner Gemahlin beichreibt. 
Wie tröftete fie fih bald! Gut ift der Artikel über Dorat 
V ©. 161-1715 Wer Dorat Sonnen und beurtheilen will, 


darf ihn nicht uͤberſehen, fo wenig als zur Ehre von la Harpe 


die Anecdote S. 10—ı2, wo Dorass Serretair, der gegen 
diefen erbittert mer, und Geld nöthig hatte, ihm, dem Args 
ſten Feinde Dorats, Papiere anbietet, deren Bekanntmachung 
Dorat verderben mußten, er ſich diefe Papiere verfchafft, und 
fie Doras augfiefere. Ruͤhrend iſt die Geſchichte des Dichters 
Gilbert, der V. S. ano in feiner Armuch erft wahnfinnig 
wird, dann im Wahnſinn feinen” Stubenſchluͤſſel verſchluckt, 
und ins. Hötel Dieu gebracht wird, wo ex. nach vierzehn 
Tage oder drey Wachen fein Beben hinſchleppt, ala feine lebte 
Arbeit aber diefe Verſe eines Pſalms hinterlaͤßt: 
- Au banquet de la vie infortuné᷑ convive, 

J’apparus un jour et je meurs; 

Je meurg, et syr ma tombe oü lentemext j'arrive 

Nul ne viendra verser des pleurs. 
Es iſt Über Grimme Sphäre, wenn er Buffons epoques de 
la ‚nature beurtheilt, und der Wis tft fihaal, wenn er V. 
©, 175 über das Gleichniß der Rakete und Flintenkugel, weis 
des Buffon Euler'n entgegen .febte, fagts „Sch habe. Herrn 
Buffon fagen hören... Kerr Euter hätte fih bey der Rakete 
(man denke an die Bedeutung une fusee) beruhigt. Es märe 
unſchicklich, ſchwieriger zu ſeyn, als Hr. Euler.“ Wir haͤtten 
‚erwartet, er. haͤtte Hrn. Buffons lange Phraſen angegriffen, 
das gehoͤrte vor fein forum. Was den Wis Grimms angeht, 
-fo ſagt Buffon ſelbſt (histoire naturelle edit. Sya. Paris 
376g. Tom. J. p. 245) von feiner Hypotheſe: „Ich haͤtte 
ein dickes Buch ſchreiben koͤnnen, wie Burnets und Whiſtons 


Buch iſt, wenn ich die. Ideen, welche dag. Syſtem, von dem 
ich fo chem geredet Habe, auemachen, amsführen und ihnen 


% 


Correspondance du Baron de Grimm, 25 


ein gesmetrifeges An ſehn hätte geben wollen; aber ich ‘vente, 
daß Hypotheſen, fo wahrſcheinlich fie aud immer feyn mögen, 
nicht mit fo vielem Aufiehn dürfen behandelt werden, weil dies 
wie Marktſchrey erey ausſieht.“ Wir fließen mit einer Bes 
merfung über Diderots Declamation gegen die Sefuiten, und 
für Dlavides. In Beziehung auf die Erſtern wird es jedem 
intereffent ſeyn, den nenflen Bertheidiger der Sjeiniten, Hrn. 
Hofprediger Start in Darmfladt, im Triumph der Philoſophie 
des achtzehnten Jahrhunderts ( Germantomn, Roſenblatt zwey 
Bände: von 67: und 654 S. 1805) im erftien Bande im 
fehjehnten und ficdzehnten Kapitel zu vergleichen mit Diderot 
ia Tom. V, ©. 368 u. fgg.. Man ficht zugleich, wie bie 
Meynung Ihwanft; vor gehn Jahren fchrieen alle wie Diderot, 
und jet Hat auch oh. von Müller, Allgem. Geſchichte dritter 
Band ©. ae — 27, ſich für die Jeſuiten erflärt, und in der 
hat haben die maitres de la terre, an welde Diderot ©. 340: 
‚ poflrophirt, nicht wohl gethan, dem Aufruf ſo ohne weiteres 
p folgen. Die Geſchichte des Olavides V. &. 840 bis gu 
Ende des Bochs ift aud eine leere Declamation, und man 
muß deshalb eine Stelle aus Bourgoing tableau de l’Espagne 
moderne, troisi&me edition. Paris 1803. 8. Tom. J. p. 
369 — 382 vergleichen, no die Geſchichte genau erzählt iſt. 
Es heißt am Schluß: „Diavides wurde in ein Kloſter geſteckt, 
beklagte ſich aber, daß feine Geſundheit dort litte, erhielt alfe 
Erlaubniß, nach Catalgnien zu reifen, um die Wäder zu ger 
brauchen. Sr mußte dort feine Wächter, die wohl abſichtlich 
niht genau Acht gaben, zu täufchen , - und entwifghte nach 
Stanfreich ,„ wo er als Maͤrtprer der Intoleranz aufgenommen 
ward. Bey feinem erflen Auftritt ward er von den Philcfos 
shen gefucht, durch die Saffreundfchaft getröftet, und von 
Dihtern geprieien. Im Yahr 1797 (fa heißt es Bourgoing 
S. 330) ſchmeichelte ſich Olavides wohl nicht, ſein Vaterland 
wieder zu ſehen, wo man ihn als einen Proſcribirten behans 
deit harte, umd aus dem er als Fluͤchtling entkommen war; 
aber das Alter, Das Ungläd, große Beyſpiele, hatten-ihn gu 
der Religien zurüdgebract, deren Verachtung ınan ihm Schutd 
gegehen. Micht bloß fagte er frep ımd ofien, daß er. dei 
Chriſtenthum anhange, ſondern er hatte auch ſeine Muße dazu 


26 Macbeth von J. €. Kid, 


angewendet, die Vertheidigung beffelben zu führen, und dies 
bewies in &Snanien, wie es dort befannt wurde, binreihend, 
daß er fich aufrichtig bekehret. Ec erfchien 1798 wieder in 
Madrid, wo er zwanzig Jahr vorher als Keber war beftraft 
worden. Aber Ehrgeiz wie rofl waren in feiner Seele ers 
loſchen, er begab ſich nach Andalufien, wo er bey einen Ver⸗ 
wanen in Der. Stille lebte. 
| ch. b.r, 





Macbeth, Tragedy by Shakespeare ( Shakspeare) with german 
nötes by D. John Christian Fick. Bridges R u for 
C. C. F. Breuning. 1812. ! „ 


Bon dem Abdrucde einer einzelnen Shakſpeariſchen Tra⸗ 
goͤdie, cwie der gegenwärtige, erwartet man zum mindeſten 
einen £ritiihen Tepe, und in den Anmerkungen eine Auswahh 
folder, die für beſtimmt gedachte Lejer zwiichen dem zu viel - 
und zu menig grade das enthalten, was zur Erläuterung und 
Aufhellung des Stuͤckes nothwendig if. Here Fick hat Diele 

edilligen Erwartungen nicht erfüllt. Er gibt uns einen überaus , 
ſchlechten Tept, und unter diejem fo willkuͤhrlich hingeſtreute, 
unbedeutende, oft faliihe und von Unkunde der Engliſchen wie 
der Deutſchen Sprache zeugende Anmerkungen, daß wir kein 
Bedenken tragen, ihn einen Stuͤmper zu nennen. Wir 
wollen unfer Urtheil mit einigen Beyſpielen belegen. S. 3 
ſagt der verwundete Krieger vom Macbonmwald (Macdonel 
ſchreibt Ar. F. nad) eigener Willkuͤhr): 

And Fortune, on his damned quarr.el smiling 
Shew'd like a rebel’s whore. 

Daß fo zu leſen iſt, beweiſ't Steewens unmwiderfprechlich " aus 
dem Holinshed; gleichwohl behält Hr, F. das finntofe 
garzys Wildbrett, bey. — ©. 14: | 
— — — — — only J have left to’ say,, 

More is thy due than more than all can 
More than all macht Einen Begriff aus (wie in Ariofrs 
ſchoͤner Zeile: 


= ee Michel, piäche mortal, Angel divino,), 


und bezeichnet aͤcht Shakſpeariſch den denkbar größten er 
thum auf Erden; 
Sieh mid ald Schuldner an 
gur mehr, als mehr denn alled zahlen kann. 
Davon ahndete Hr. F. nichts, indem er ſtillſchweigend More 
‚is thy due, ‚even more etc. an die on ſebte. Blu 
aan iſt: 


Macbeth von J. €; Fick. u. 


. safe toward your love and honour . 
die richtige Lesart, in der, wie Bladftone zeigt, auf das 
befannte Sauf la foy que jeo doy a nostre seignor Ie 
roy angeipiele wird. Hr. 3. gibt das laͤngſt verabſchiedete 
hief’d. — 8. 38: . 

— — — no; this mv hand will rather 
The multitudinous seas incarnadine 
Making the green — One red. 
Dieie Lesart empfichle ih durch die Wortfiellung, als die eins 
fig wahre. Was Hr. 5. gewollt har mit: 7 
"Making the green, One red — — 
begreifen wir nicht. ©. 75 lift Ar. F.: 
His title is affear’d 
und erflärts „Sein Recht it abgeſchreckt,“ Wahrfcheing 
ich wollte er afeard. geben; aber dagegen iſt der Zuiammens 
Hang.” Rec. lieſ't mit den befferen Commentatoren af feerd, . 
Sein (Macbeths) Titel ift geborgen. — ©. zB: 
— — — — — Now o’er the one half world 
Nature seems dead, and wicked dreams abuse 
The eurtain’d sleep; now witchoraft celebrates. — 
Das ſchoͤne sleep wollten einige Englifhe Kunftrichter in slee- 
per verwandein; je matter, je beffer, denkt unfer Herausgeber 
und folge ibnen. | 2 R 
. Die Meinen Anmerkungen unter dem Tert gehören zu dem 
Schlechteſten, was und in diefer Art vefannt if. Bald ſcheint 
es, der Herausgeber habe fih die erfien Anfänger als feine 
Lefer gedacht, bald wieder, als glaube’ ey, Die ſchwerſten Sas 
den für befannt vorausſetzen gu dürfen, Mirgendg ift ein feſter 
Sefihtspunce, uͤberall Leerheit, Seichtigkeit, Ungrändlichkeit, 
Wenn wir. holily duch „heilig, auf eine geredte 
Weife“ erflärt fihden, hurly — burly durh „Geraͤuſch, 
auf die Schlacht ſich begiehend,“ what thou. art 
promis’d duch „mag dir verheißen iftl,“ thou antici- 
ar’st durch „du kommſt zuvor, greifft ein,“ birthdom 
uch „ Geburtsreht" u. f. w., ſo glauben wir, er wolle 
Rindern das ABC eintrichtern. Sehn wir dagegen, daß er 
ſtillſchweigend voruͤbergeht bey Stellen, wie: but screw your | 
‚courage to the sticking plate, oder ©. 33: he should 
have old turning. the key u. a., fo follte man meinen, er 
have fein Buch für vecht unterrichtete Lefer beftimmt. Aber das 
‚ wahre dee Sache ift wohl, er ſchwieg, wo er nichts wußte. 
Diefer Fall tritt ein S. 15: ige a 
‚ The xestis labour, which is not ugd for yoy. 





<B ! 


a Macbeth von J. €. Fi. 


S. 37: to cotıntenance their horror, &. 56: Impostors | 
to true fear, ©. 81: of many worthy fellows, that 
were out; ©. 85: the powers above 
Put on their instruments. Receive what cheer you may; 
The*nigbt is long, that never finds the day u. f. w. 
Daß wir Herrn 3. mit ſolchen Vorausſetzungen nicht. zu nahe 
treten, beweifen Anmerkungen, wie- folgende: S. 18: un-« 
sex me here „entfhledtet mid, wandelt mid 
am;“ ©. 22: if the assassination Zu 
Could tramel up the consequence, and catch: 
With its surcease succefs. 


„Wenn der Mord in fid felbft enden , den regelmäßigen Lauf 
von Folgen zurüc halten, und fein Gelingen den Stillfiand 
fihern könnte;“ ©, 11: that trusted home, „dieſes ftarke 
Bertraun®“ (sie); ©. 25: wassel, Webermäfigkeit, Aus 
(hweifung im Trinken; &, 20: coigne of 'vantage, vor 
theithaft herausſtehender Theil; “ weird sisters, „beherte 
Shwefern“ ſtatt Zauberſchweſtern, Schickſalsſchweſtern. — 
©. 59. Sn: 
Augurs and understood relations have 
By maggot - pies and chaughs and rooks brougt forth 
The secret’st man of blood. | 
wird Augurs duch Wahrfager, maggot-pies durch Maus 
denelftern erklärt, Über die understood relations dagegen 
kein Wort geſagt. &. Bu: shardborne beetle ift ihm „ein 
Käfer in Holzriffen erzeugt;“ S. 83: at first and 
last, „dem erfien bis dem letztem“ (welches Deutſch!) 
flatt einmal für allemal. Manchmal fcheint dem Her— 
ausgeber das Nechte vorgeſchwebt zu haben; aber die Sprache. 
wollte nicht folgen, wie &. 19; 
My tlıought, whose murder yet is but fantastical , 
Shakes'so my single state of man, that function 
ls smother’d in surmise and nothing is, 
But what is not. ' 
„Mein Gedanke, deffen Morb nur noch phantaſtiſch iſt, ers 
ſchuͤttert ſo meinen einzelnen Zuftand des Menfchen, daß die 
Lebensthaͤtigkeit in der Einbildung erſtickt wird, und (etwak 
anderes) für mid, nichts iſt, was nicht if.“ So ©. 73: 
To fright you thus, methinks, I am too savage 
To do worse to you, were fell cruelty, 
Which is tod nigh your Person. 
wo die zweyte Zeile umfchrieben wird: . „Noch ſchlechter han⸗ 
delte ic) gegen euch, wenn id) euch, und eure Kinder morden 
ließ (ließe), ohne euch zu warnen. — Ron Spracfehlern 





Winzer de daemonologia N. T. 20 


haben die ausgehobenen Stellen ſchon Proben geliefert. S. 85 
ßt — außerdem: „Sie glaubt, fie ſpraͤche mit ihrem 
emahl.* 

Wir find es mude, den Augeiasſtall auszufegen; drum, 

u noch die Bitte an den Herrn F., er wolle fih aufraffen, 

und diefer verunglückten Ausgabe einmal eine gute nachfoigen 

laſſen, die wir loben fännen. * 

. A. E. 





Die Inauguraldiſſertation des Herrn D. Winzer in Wittenberg, 
die er am 30. Jul. 1812 vertheidigt hat, führt den Titel: 
De Daemonologia in sacris Novi Testamenti libris proposita 
Commentatio prima. Viteberg. literis Graefsleri. 57 ©. 4. 
Eine fleißige von gründfihem feften Forſchungsgeiſt und 
nicht gemeiner Gelehrſamkeit und Belefenheit zeugende Arbeit, 
weiche zu den ſchoͤnſten Erwartungen vom Verf. berechtigt. Pie 
lehrt uns einen Theologen tennen, der im Ausland darum 
wenig befanne ift, weil feine Befcheidenheit und die ſtrengen 
Anfoderungen, die er an ſich macht, ihn abgehalten zu haben: 
(einen, fi, einige kleine akademiſche Sc:iften abgerechnet, 
«is Schriftficller zu zeigen. In diefer Diifertation hat er uns 
nur einen Bleinen Theil der ausführlichen Unterſuchung über 
die neuteftamentlihe Dämonologie vorgelegt, das Prodmium 
und das erfte Capitel von der Eriftenz und den Namen der 
Dämonen ; aber auch diefes iſt fo trefflih und wichtig, daf 
wir gern etwas dabey verweilen. i 
Der Berf. geht aus von den Hauptfäsen der Emanarlons; 
Ichre Und Dämonologie der Indier, Perſer und anderer Voͤlker 
und der Achnlichkeit der legtern mit der Damonologie des N. 
T. Denn wie dort das Neich des Boſen und des Guten eins 
ander entgegengefeßt werde, fo im N. T. der Satan dem 
guten Geiſt, der fih mir Chriſtus vereinigt und fein Reich dem 
von Chriſtus zu fliftenden Reich Gottes; was wohl niemand 
lengnen kann , der das M. T. mie hiſtoriſchem Sinn betrachtet 
bat. Hierauf erklärt fich der Verf. Über die verjchiedenen Meys 
nungen neuerer Gelehrten Über die Dämonologie, ihre hiftorifche 
und philofophifche Nichtigkeit und ihren dogmatiihen Werth. 
Diejenigen, welche die moralifhe Nothwendigkeit des Satans 
vertheidige, oder deſſen Eriftenz geleugnet, weiſ't er ab mit 
der Bemerkung , daß aus philofophifchen Gründen weder ges 
Imgnet, noch behauptet werden könne, daß ein Teufel exiſtire 
eder gedacht werden koͤnne oder müfle. Hierbey möchte er aber 
ed; der Philoſophie zu wenig einräumen, Daruͤber, was man 


er Winzer de daamonologia N. Tr 


⸗ 


/ 


wiſſen oder denken fann, gibt die Philofophie bie allergemiffefte 


Auskunft, und bliebe man dabeh ſtehen, falite man. dies nur 
fet ins Auge, fo wuͤrde alles Ehidanfen und Traͤumen in der 
Philoſophie ein, Ende haben. Es täßt fich Teiche zeigen, daß 
man einen Teufel nicht denken könne, ohne die reine dee der 
Gottheit aufzugeben. Aud die Meynung derör, melde ans 
genommen, daß ſich Jeſus und die Apoftel im Portreg diefer 


Lehre accommodirt haben, verwirft det Verf. Jeſus habe die 


⸗ 


Lehre vom Teufel nicht etwa bloß in Reden an das Voll und 
in Geiprähen mit den Phariidern, wo er xar' dvIponor 
hätte fprechen können, vorgetragen, fondern bey jeder Gelege 

Seit, ohne äußere Weranlaffung, im vertrauten Gefprähe mi 
feinen Juͤngern. Für denjenigen, welcher den ſymboliſchen, 


bildlichen Geiſt des Alterchums kennt, liegt darin noch immer 


kein enticheidender VDeweis gegen die Accommiodatienstheerie. 
Jeſus mußte, um als Volkslehrer zu -wirken, die Meinungen, 
weiche feiner Sache nicht hinderlich und Ichädlich waren, niche 
nur ftehen laſſen, fondern fogar poſitiv gebrauchen , fo wie er 
fih der Sprache feiner Zeitgenoffen bedienen mußte. Haͤtte er 
die Lehre vom Teufel widerlegen wollen, ſo hätte er. Zeit und 
Kraft auf eine Nebenſache aufgewandt, und die Hauptſache 
aus der Acht gelaffen. Konnte er die hohe Beftimmung feiner 
Sendung beffimmser und deutlicher ausdrücken, als dadurdy, 
daß er fagte, er ſey gekommen, die Werke des Teufels zu zerfidren ? 
Die Idee des: Teufels war die hoͤchſte Abſtraction des Boͤſen, 
weiche die Zeitgenoffen Jeſu fih machen konnten. Eine Unters 
fuhung darüber, wie Jeſus fih uͤher dieſe Vorſtellungen 
erhob, wäre wohl nicht überfläfig geweſen. Er, der mitten 
inne: zwifchen den beyden Selten der Juden, oder eigent- 


lich Über ihnen ftand, mußte gewiß die Nichtigkeit der pha⸗ 


tifäifchen Vorſtellungen durchfchauen, zumal da fie im A. T. 


nur nebendbey und in ſpaͤtern Büchern vorkommen. Sodann 


hat der Verf. die Frage mit keinem Worte berührt, ob -auch 
die Nelationen der Evangelien fo ganz, auch dem Buchſt ab en 
nad), auf Treue und Glauben anzunehmen ſeyen. Wir wollen 
mit diefem allen die Accommobationsthesrie nicht fireng vertheis 
digen, fondern wir wünfdten nur. den Verf. vorſichtiger in 
diefem Stuͤck zu mahen. So fcheint er nicht genug Vorſicht 
in Anwendung der Stelle. Joh. 16, 7. 8. 11. gebraucht zu has 
ben, aus welcher er beweii’e, daß Jeſus die Saransicehre feines; 
wegs unter die Beſtandtheile ſeiner Lehre gezählt babe, weiche 
nur auf einige Zeit Gültigkeit haben follten, fondern unter die 
mwichtigften,, von welchen die Apoftel nach: feinem Tode mittelft 
des heil. Geiſtes die Veraͤchter feiner Religion überzeugen ſoll⸗ 
ten: Was folge aber Hieraus ? etwa, daß die Lehre vom Teufel ein 





Winzer de daemonologia NW F. 34 


Hanptbeſtandtheil der chriſtlichen Religion fey? oder nur, daß 
fo wie Jeſus fi) Der Sprache und Begriffe feiner-Zeitgenoffen 
bediente, ed auch Die Apoftel fo machen doflten und mußten? 
Dun Verf. ziehe nun aus jenen Behauptungen den Schluß, 
def die Damonologie zum Weſen Les Chrifienchums gehöre. 
Hier raͤcht fiy die verſchmaͤhte Philofophie fehr flart an dem 
Berf., der gan, allein der Niftorie fi ergeben zu haben fiheint. 
Es fommt alles Darauf an, was man unter Ehriftenthum 
verkeht. Der Merf. feine alles darunter zu begreiſen, 
wos die Apoftel irgend gedacht und geglaubt haben. .Er 
faßt alle Hiftoriichen Materialien zufammen, wie, fie vorliegen, 
nad) eine Aug ern Beziehung, nah der Beziehung anf bie 
Derfonen der erften Lehrer des Chriftenthums.- In diefem Sinne 
wollen wir ‚nicht leugnen, daß die Dämonslogıe zum Chriſten⸗ 
tbum gehöre. . Sollen wir aber wirklich glauben, daß der. Bas 
tan noch jeßt die Menſchen beftge, fie frank mache, ausgetrie⸗ 
ben werden Bönne u. f. w.? Nach tem Verf., wenn. er cons 
ſequent verfährt, ift Dies ein weſentliches Stuͤck des Chriſtenthums. 
Wir. follen aber im Chriſtenthum nur die Religion: ſuchen, und dem 
religiöfen Glauben geyört die Lehre von dem Teufel nicht an, 
fondern nur-der Denkart der Zeit; fie iſt ein mpthotogifches Theos 
rem, das uns Über etwas verfländigen will, welches bloß und 
ollein dem Gefühl angehört, nämlich Über. den Widerſtreit des 
Bien und Guten. Sonach müffen wir, um gu -beftimmen, 
was Ehrifienthum fe, von einer Idee, von einer innern 
Beziehung , ausachen,, wobey übrigens ein fireng hiſtoriſches 
Berfahren obwalten fann. Wir befimmen nur, was wir in 
der Sefhichte ſuchen wollen; wie fie uns aber dies lieſere, 
Dürfen. wir nicht wällkuüͤhrlich beſtimmen. &o wer für die. Ges 
ſchichte der Philoſophie nicht bloß Materialien zuſammenraffen, 
ſondern Licht und Ordnung in. fie bringen will, muß von der 
Speer der Philofophie ausgehen, und in jedem philoſophiſchen 
Syſtem den lebendigen Punct aufinhen, durch welchen: es in 
die Entwicfelungsgeihichte der Philofophie gehört. Daher ges 
böre in eine Acht pragmatiiche. Geſchichte der Philofophie nicht 
alles, was. irgend ein Philoſoph gelehrt, fondern nur- dag, 
was er eigentlich pbilofophire hat. Diefer Grundfas führe noch 
vieles Andere mit fih, was der Verf. auch nicht. anerkennt. 
Bir muͤſſen, wenn wir das rein .‚Neligidje in der Lehre des 
N. Z. tuchen , Inhalt und Form unterfheiden. Der. Inhake 
gehört der Religion an, aber nicht durchaus die Form, dann ges 
bört auch legrere nicht zum Chriſtenthum, fondern nur zu ſei⸗ 
ner Erfcheinung in der damaligen Zeit. jedoch wir. brechen von 
diefen Betrachtungen ad, und machen noch ein Paar von den 


38 Wirer de dacmonslogia N. T. 


Bemerkungen namhafte, womit der Verf. die Liſte der Mmen 
dee Dämonen und Teufel begleiten. . . — 
Genaue Prüfung verdient, was er vom Antichriſt ſagt. 
Er verwirft die collective Erkiärung Schleusners u.a. In 
den Stellen 1 Joh. 2, 18. 20. 4, 9. 2. Joh. 7. findet er einen 
Antichrift, von andern Gegnern des Chriſtenthums verfchieden, . 
und gleichſam the Oberhaupt. E Wie aber der Verf. in dieſen 
Stellen die collective Bedeutung Äberfeßen könne, begreifen wir 
kaum, da es 1. oh. 8, 23. ausdruͤcklich heißt, der Antichriſt ſey 
derjenige, welcher Ehriftum verleugne, und Capı 4, 3. der Geift 
des Antichriſts fen fchon in der Welt. Moch deutlicher tritt das 
Eollective hervor 2. Joh. 7., mo die oAdvi nAdvor ganz aus—⸗ 
druͤcktich der Antichrift genannt werden. Anders iſt es freylich 
Cap. 2, ıB., wo der Antichrift und die Antichriiterr unterfchiedert 
werben. Uns fcheint der Verf. diefes Briefe die Lehre vom Antis 
chriſt die er allerdings vorausfeßt, gu deuten And auf feine Weife 
auszulegen.) Sicherer und beflimmter ift vom Aütichrift, wiewohl 
nicht namentlich, die Rede im 2.Br. an die Theſſ. Eigenthuͤmlich 
ift die Anficht, die der Verf. von diefer Lehre hat; er hält dem 
Antichriſt für das appositum des Efias, womit er fih auf Theo- 
doret. Epit; divin. detret. c. 23. p. 302 flügt. Allein diefe 
Dppofition kann wohl ſchwerlich als durchgreifend und fundamıens 
tal angefehen werden, da nad) den Evangelten Johannes der. Täns - 
fer Elias if. — Der Berf. glaubt einen Unterſchied zwifchen den 
Wörtern 6 varavds und ö dıaßokog zu finden, nach den Stellen 
Apot..d, 8. 20, 15., wo ö Iavaroz und 6 Kdng unterſchieden 
werden. In der erfien Stelle können nicht mit Eihhorn Ö 
«dns von der Schaar der Schatten verflahden werden, da in der 
tegtern 6 ddng von oi vexpoi deutlich unserfchieden werben; 
man könne in der letztern Stelle aber auch nicht unter 6 Aöng 
und 6 Savaros die Unterwelt und den. Tod verfichen, da 
fie na V. 14. beyde in den Schwefelpfuhl geworfen werden, 
welches bekanntlich Die Strafe des Satans fey. Der Apokalypti⸗ 
“er wiffe demnad) von zweh Fürften der Unterwelt, und es 
laͤßt fih vermurhen, daß unter dem Ddvazoz der Satan, untee 
dem döng aber der Teufel verſtanden werde, womit das Evang. 
Des Nikodemus zufammenflimme, wo der Satan und der Hades 
unterfchieden, und jener der Tod, der Todesfürft uns aͤhn⸗ 
licy, diefer aber bald der Fürft. der Hölle, bald Beelzebub, 
bald Teufel genannt, und gefagt werde, daß erfterer von Chris 
ſtus der Gewalt des letztern Äbergeben werde. Eine Vermuthung, 
die allerdings der Pruͤfung werch ift, aber zu nichts Gewiſſem 
und Bedentendem führen möchte. — Wir fehen mit Xerlangen 
der Vollendung diejer Arbeit entgegen. — 
6 } 


; * * 
⸗ 


De 3. Seidelbergiſchen 1813. 
Jahrbücher der Litteratur. 


% 





Hebräisch - Deutsches Handwörterbuch über die Schriften: des 
Alien Testaments mit Einschlufs der geographischen Nah- 
men und der chaldäischen Wörter beym Daniel und Esra. 
Ausgearbeitet von D. Wilhelın Gesenius, ord. Prof. - 
Theol.. zu Halle: Zweyter 'Theil, enthaltend ‘die Buch- 
staben 5 —æ n, das Verzeichnifs der Personennahmen und 
den analytishen Theil. Leipzig 1812. bey Vogel. 


©, gänftige Urtheil, das wir Über den erfien Theil diefes 
Birterbuhs gefällt haben (Jahrb. ıdıı. Zan.), bat uns ein 
zweyjaͤhriges Studium volllommen bewährt; und dieſer zweyte 
Teil verdient es nicht weniger. Auch hier liegen ung die Res 
fultate einer Wortforſchung vor, die fih auf Benutzung aller 
Verarbeiten, auf durchdachte und wiederholte Leſung des A. T., . 
Legleichung der Parallelſtellen und Beobachtung des Sprach⸗ 
gehruachs und auf verfländige Zurathegiehung der verwandten 
Diferte gründet, und mit einem Fleiß, einer Umſicht und 
Präcifion angeſtellt ift, weiche wahre Hochachtung abnöthigen. 
Day wird wenige fehiwierige Stellen des A. T. finden, über 
welhe der Verf. nicht, fo weit es die Graͤnzen der Lericogras 
phie verſtatten, ein reiflich erwogenes Urtheil niedergelegt hätte. 
FaR überall begegnet er dem forſchenden Lofer des A. T. ale 
ein bedachtſam zirechtmeifender Rathgeber. Es iſt nicht zu 
berechnen, welchen Nutzen diefes Wörterbuch für das Stadium 
der Debräifchers Sprache und die Erklärung des A. T. haben 

„Nicht raue wird dadurch der bisherigen ſchwankenden, 
wikfährtichen Sprachforſchung und Erklärung des A. T. ein 
Zieh geſetzt; es˖ Hat nun auch der junge Theolog ein erleichs 
terndes, ermunterndes Huͤlfsmittel, durch das er in das fonft - 


fo abſchreckende Studium der Hebräifchen Sprache ohne Schwies. 


tigkeit eingeführe wird. 
In der Vorrede zu diefem zweyten Thelle gibt der Verf. 
die von ihm 6sfolgeen Principten der En Sprachſor⸗ 


4 


34. Geſenius Hebr. Deut. Handwoͤrterb. uͤber d. Schr. d. A. T. 


ſchung an. Da ihn der Raum hierbey nur zu ſehr beſchraͤnkte, 
ſo waͤre zu wuoͤnſchen geweſen, daſi der Verf. eine eigene 
Abhandlung darüber abgejondert herausgegeben hätte. Doch 
find wir ihm auch für diefe kurzen Andeutungen, welhe durch 
den Gebrauch des Wörterbuchs feld ihr hinlaͤngliches Lichte ers 
halten, unfern Dank fhuldig, und es war allerdings in ans 
derer Hinſicht vortheilhafter, die PDrincipien, nad welchen 
das Werk gearbeitet worden, diefen feldft vorzufegen. Sie 
dienen zugleich dazu, das Eigenthuͤmliche, was der Verf. Hat, 
zu überfehen, daher wir fie bey Ddiefer Anzeige zum Grunde 
legen wollen. 

1. Wir haben ſchon bey der Anzeige des erſten Theiles 
bemerkt, daß ein Hauptverdienſt des Verf. darin beſteht, die 
oͤfters von den Auslegern und Lexicographen verkannte Wahr; 
heit geltend gemacht zu haben, daß die Hebraͤiſche Sprache 
eben ſo, wie jede einzelne Mundart eines ausgebreiteten 
ESprachſtammes ihre Provinzialismen oder Idiome, 
d. h. ihre eigenthuͤmlichen Wörter und Wortbedenrungen habe, 
die fi in Seinem verwandten Dialecte finden. Zwar konnten 
eine Menge folcher Provinzialismen dem Zweifel gar nicht 
unterliegen, da ihre Bedeutungen zu fehr gefichert find; aber 
In einzelnen Fällen hat man wirklich gewagt, eine aus vielen 
Stellen, als Hebräifch erweisliche Bedeutung zu bezweifeln oder 
zu verwerfen. Mit fcheindarem Rechte that man dies, wenn 
ein Wort im Hebräifchen feltener, die Beſtimmung feines 
Gebrauchs wenigftens nicht augenfällig und unbeftreitbar iſt, 
und wenn obenein die andern Dialerte eine Bedeutung haben, 
deren Anwendbarkeit nicht geradehin verwerflidg fcheint. "Auch 
find ſolche Fälle fehr fchwierig, und nur ein richtiges Gefühl für 
das Schickliche und den Zuſammenhang, eine glücklich gefuns 
dene Parallele, die Einftimmung der Nerfionen u. k w. kön: 
nen bier zu der Webereinftimmung führen, ob die Bedeutung 
eine provinzielle oder die von den verwandten Dialecten dar⸗ 
gebotene ſey. Der Verf. hat ſich bey mehrern folhen Wörtern, 
ungeachtet der möglichen und gewöhnlichen Vergleihung der 
Dialerte, mit Recht bloß von dem Zufammenhange, der Anas 
logie und den Verſionen leiten laſſen, und hierin die Erwar⸗ 





Geſenius Hebr. Deut. Handwörterb, über d. Schr. d. A. T. 35 


tung des. Rec. vollkommen befriedigt, z. ©. ON) Buͤffel, 
nicht: Gazelle; AM ſchweben, wanken; ſchwan⸗ 
ken; AT no. ı. ferire; urn Weisheit, und: Heil, 
3a ruben und opp. Ruhe flören, aufregen, ale") 
vorü bergeden (vgl. MODN Thapsacus, woben eins be⸗ 
ruͤhmte Fuhrt uͤber den Euphrat) insbeſ. ſchoönend gors 
übergehen, ſchonen, welche Artikel mufterhaft andgears 
beitet find. Mon andern auf diefe Art behandelten Wörtern 
hatte Rec. Bisher eine andere Mennung, iſt aber vom Verf. 
eines andern belehrt worden. nayin nahmen wir fonft mit 


Kofenmülter.n. a. in den Stellen Pf. 9,4. Hiob oe, 
"35. in der Bedeutung: Höhe, Haufe; der Verf. aber in * 
Bedeutung von vn Erwerb, Beſitz, Schatz, welche ſich 
näher an den Debräifchen Sprachgebrauch anfchließt, und das 
‘ber den Vorzug verdient. Zwar ift ihe in der erften Stelle der 
Parallelismus nicht. günftig, difto mehr aber in der zweyten. 
die Bedeutung von D’DEWA Träntrinnen geben wir 


Hmm gegen die uns chen früher nicht verwerflich gefchienene : 
sabula, Hur den (von —EX posuit) auf. Richtig zieht 
auch der Verf. von NORD Jeſ.3 „24. die Bedeutung gefräm 
felte Arbeit, Locken vor andern vor, da ſie durch die Oppos 
fition mie Kahlheit gefodert wird. Sn Anfehung des Wortes 
yo Hiob 6, 25. 1. Kön. 2,8. Hiob 16, 3., von welhem 


der Verf. die in den Altern Woͤrterbuͤchern herrſchende Bedeu⸗ 
tung heftig, kraftig ſeyn, wieder geltend gemacht hat, 
And wie noch zweifelhaft. Wenn man in der erſten Stelle die 
Verwechſel un g mit y2 annähme, in den andern aber dfe 


Bedeutung Feänken gelten ließe, fo wäre es unſtreitig eins 
faher, ob es glei ſchwierig iſt, das part. Sn yazı 
active für eränfend zu nehmen. 

Daß der Verf. dem Mißbrauch der Vergleichung des 
Arabiſchen Dialects geſteuert habe, iſt ebenfalls von uns fon 
bemerkt worden, und wird faſt durch jede Seite feines Werks - 
benrkundet. Hier rügt er befonders zwey Arten diefes Mißs - 


% 








36 Befenius Hebr. Deut, Handwoͤrterb. uͤber d. Schr. d. A. T. 


Brauchs: a) daß man bey mehreren bekannten und herrſchenden 
Hebraͤiſchen Stammwoͤrtern das dem Buchſtaben nach entipres 
chende Arabiſche Stammwort verglichen, und deſſen Bedeutung, 
To gut es gehen wollte, mit der Hebraͤiſchen in Verbindung 
gefeßt ; oder gar als Grundbedentung derfelden aufgeftellt hat; 
b) daß man bey einem fonft Häufig vorkommenden Hebraͤiſchen 
Worte an einer einzelnen. Stelle eine Bedeutung aus dem 
Arabiſchen angewandt hat, die mit dem fonftigen Gebrauche 
deſſelben in feiner Verbindung’ fteht. Es kann dies nur zu— 
1äffig fepn in Fällen, wo der Coͤntext gebieterifch eine andere 

als die gemähnliche Bedeutung fodert, deren aber es fehr we⸗ 
nige geben wird. Ein Beyſpiel der vom Verf. geuͤbten Vor— 
fiht in diefen Fällen bietet fih im Artikel "PY dar, wo er- 
in der Stelle Jer. 15, 8. die unpaffend fcheinende Bedeutung 
Stadt mit der aus dem rabifchen entlehnten Schreden 
oder dgl. genau abwägt. Gefallen hat uns hierbey die Ans 
nahme eines Zeugma, wodurch die Anwendung der gewoͤhnli⸗ 
hen Bedeutung noch leichter wird, wiewohl der Gebrauch des 
7 in der Bedeutung und si War dim Jeremia befonders eigen ill. 
Die Anwendbarkeit der gemmöhnlichen Beteutung ſcheint ung hier 
das Uebergewicht zu haben; denn das Fließende der Tonftruction 
Bann bey einem Schriftſteller, wie Seremia, eine feltene uns 
Hebräifche Bedeutung wenig empfehlen. — Viel zulaͤſſiger 
wird hingegen die Bedeutung aus dem Arabifhen dann, wenn 
fie mit der, Hebräifchen verwandte iſt (4. B. 727 gehen, 
auch f. v. a. la untergehen), wie wohl auch bier 
von der gewöhnlichen Hebraͤiſchen Bedeutung nicht ohne Noth 
abzuweichen iſt (f. den Artikel 102 und DI). Dagegen 
hat der Verf. die Vergleichung des Arabifchen einige Male 
treffend benußt, wo fie nicht genug anerkannt war, 3. ©. bey 
"33 IV, wollen ı. Mof. 87, 40. (wobey uns aber nidt 
gefallen will, daß als Bedeutung des Hiphil Pf. 35, 5. und 
des Subſt. TI umh erirren angegeben wird, da und 


Flagen allein paffend fheint.. Womit sufammenhängf, daß 
der Verf. in jener Stelle das paralleie DYI nah dem Arab. 


is ebenfals für umherivren nimmt, da es doch Mich. 2, 18. 


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“ ö \ 


beſerins Hebr. Deut. Handiwörterh, über d. Schr. d. A. T. 37 


ofenbar mit. ab! eins il, was auch in der Stelle dee 
Dalms wegen des parallefen V. ı8., mo "12 vorkommt, 
ver Fall gu ſeyn Tcheint.) 

3. Ein KHauptverdienft des Verf. if, daß er die etwas 
vernachlaͤſſigte Mergleichung der aramäifchen Dialecte mit Gluͤck 
benußt hat, wovon wir jhon aus dem erfien Theile ‚Proben 
gegeben Haben. Vorrttrefflich iſt auf diefe Meife M) no. II. 


Sefallen Haben, wuͤnſchen, begehren, als vers 
wandte mie 1 X , ertäutert, wodurch die wielgedeutete Phraſe 


FM MY studium in ane ihre einzig richtige Bedeutung er; 
bill. Vortrefflich iſt duch das Chald. die Bedeutung von 
DEU 2. Sam. 6 6. gefihert, u. a. m. Was vr ber 


tifft, das der Werf. nah dem Syr. für leeren PBlap 
nimmt, fo dachte Re. immer an die von UN) tretben ads 
geleitete Bedeutung Trift, Weidplas, die er auch jetzt | 
u nicht ganz aufgeben kann. Denn diefes Verbum kann 
vist urfpränglich wegtreiben, ausleeren geheißen haben, 
wie der Gebrauch deſſelben vom anfgeregten Meere Jeſ. 57, 20. 
und das ahgeleitete Subſt. WIN Erzeugniß beweiſ't. Dann, 


wäre jenes Wort ſynenym mit nm. mit dem es and gleiche 
Form hat. 


Daß das Talmudiſche und Rabbiniſche ein richt gu’ vers 
werfendes Huͤlfsmittel der Hebraͤiſchen Wortforfhung fey, iſt 
wohl feit Michaelis von mehrern wieder erkannt worden. 
Diefer Dialect enthält unſtreitig vieles aus dem Leben der Hebraͤi⸗ 
hen Sprache Herübergepflanztes, und foweit ihn Rec. kennt, 
moͤchte er behaupten,. daf fi in ihm vorzüglich die Sprache 
des gemeinen Lebens erhalten habe. (So ſcheint uns das 
pron. rel. U alt zu feyn, nur aber zur Sprache des armen 
Lebens gehört zu haben.) 

4. Berhättntämäßig gu wenig dennte waren vor dem Verf. 
die Dialecte im Ruͤckſicht auf die Analogie der Bedens 
tungen, d. #. auf die ähnlihe Modification eines und deifels 
ben Begriffs unter verfhiedenen Wörtern. Zu fehr bedacht 
auf Die Vergleichung der Dialecte unter denſelben Buchſtaben 


1 
1 





u 


38 Geſenius Hebr. Deut. Handwörterb. über d. Sche. d. A. A. 


verfäumte man häufig die Vergleichung der gleichbedeutenden 
oder finnverwandten Wörter in den andern Dialecten, die eine 
Menge trefflicher Erläuterungen und Beſtaͤtigungen, aud) neue 
Auftlärungen für Bedeutung und Konftruction an die Hand 
geben. Sin diefee Benutzung der Dialecte beſteht ebenfalls ein 
Kanptvorzug dieſes — —— —— lieb war uns die 


Vergleichung des Arab, BT mentitus est arcus für die Er: 
Säuterung der Phrafe 70) NOP:. die andere für ſchlaffer 
Bogen genommen haben; das Chald. zu Pa.- Aph. ems 
pfangen, zur Beſtaͤtigung des ay Hiob 21, 10. u. a. m. 


Eine nicht minder reichhaltige und bey weitem nicht hin⸗ 

kaͤnglich genutzte Quelle iſt ferner die analoge Wendung und 
Modification der Bedeutungen in den ſinnverwandten Woͤrtern 
der Hebräifhen Sprache ſelbſt. Faſt genügend erläutert ik auf 
diefe Weile DA}, in der durch die Verss. beflätigten Bedeu— 
tung aufheben für etwas, und WUYT 1. Sam. 14, 47. 
fiegen,n oa. m — 

5. Ueber Verwechfelung und Verfegung der‘ Buchflaben 
ih verwandten. Wörtern, ſowohl in den verſchiedenen Diafecters 
als in der Kebräifchen Sprache felöft, Has der Verf. einen 
Reichthum von treffenden zum Thelt eigenen Bemerkungen zus 
fammengeftellt, wohin befonders ie jedem Buchſtaben des 
Alphabets vorangeſtellten Artikel gehoͤren. Er tritt hier der 
Einſeitigkeit derer entgegen, weiche die Verwechslung nur nach 
durchgehenden Regeln und bey den zunaͤchft ſich entſprechenden 
Buchſtaben (wie W und (w) gelten lafien wollen, und nimme 
fie auch bey entferntern Buchſtaben an (3. B. in ‚723 und. 


er o, ohne doch in Willküͤhr und Geſetzloſigkeit auszu⸗ 


ſchweifen. Treffend bemerkt iſt auch die Verwandtſchaft zwi⸗ 
ſchen gewiſſen Claſſen von verbis anom. und defect., wie 
NT, 107, 10T, 175 12% 8, NN uam (Bie 
die Verba ber legten Art ihre Formen austaufhen;, iR in dee 
| Vorrede zum erfien Theile bemerkte. Es gehört dahin auch bie 
Bemerkung, welche die. Aufnahme in eine zukünftige neue. Der 


Geſenius Sehr. Deut. Handwärterh. über d. Schr. d. 4. T. 39 


arhetung der WB aterfchen Grammatif verdient, daf Dain 
von 022 und 22737 von 09? entlehnt iſt.) 

Wir laſſen nun noch einige zerſtreute Bemerkungen folgen, 
theils zur Beſtaätigung, theils zur Berichtigung mancher Artikel. 
Die gewöhnliche Erklaͤrung von DYIY 7) blöde, matte 
Augen Haben d Hat der Verf. trefflich erläutert, und beftäs 
tigt durch die Bemerkung, daß die Drientalen feurige lebhafte 
Augen für einen vorzäglihen Täeil- der Schönheit haften. — 
Wy Jeſ. 53, 9. hat Rec. laͤngſt für fononnm von 909 
genommen. Denkt man ſich, daß diefes Städ im Babyloni⸗ 
ſchen Exil geſchrieben iſt, wo die reichen maͤchtigen Chaldaͤer 
die Unterdrücker der Hebraͤer waren, fo erklaͤrt ſich dieſer 
Sprachgebrauch noch leicher. — Ein ſchoͤner Verſuch iſt es, 
morr ©pr. 27, 6. von Bi) beten abzuleiten, fo daß es 
erbeten, d. 5. erzwungen hieße. Rec. hat das Wort 
immer auf No. 2. bezogen und für reichlid) genommen, wo— 
durch kein uͤbler Segenſatz entfiehte gwtgemeint find die 
Schläge des Freundes, reidlidh die Käffe des 

Feindes. Line bekannte Volkserfahrung ſagt: wer frcunds 
lich iſt, iſt falſch. DU Sam. 14, 24. gehört wohl zur Ver 
deutung treiben, und heißt: abgetriehem — Fein if 
die Bemerkung, daß IN von ID verhhieden ſey, und 
mehe zerſchlagen, serfhmettern ꝛc. als zerbrechen 
heiße, fo wie, Das 90 nicht die Geberden, fondern den 
Laut der Wehklage bezeichne. — Sehr ingenids iſt die: Ers 
Märung des ſchwierigen DYIM Sei. 28, 2. durch ſchnelt, 
. welche Bedeutung aus der erften ſcharf fließs, nach der Anas 
logie von "IT. — Pſ. 84, 6. nimmt der Verf. ni»on trop. 
und elliptiſch für Wege Gottes Ob eine ſolche Ellipſe 
wohl möglich it? — I AN 1. Moſ. 3, a. und KHabak.e,d,, 
deſſen Bedeutuns befanntlid nicht leicht iſt, Hat der. Verf. gar 
niht angegeben- In der letzten Stelle fcheint es uns bloß 
Berflägfung von ?2 in der Bedeutung: ja! zu fepn, und in 
der erften fommt es vieleicht unferm fo. — denn nahe — 


. 40 Geſenius Sehr. Den. Handworterb. uͤber d. Ahr. d. A. T. | 


Hab. 2, 4. ift die Verbindung dee Verbi N) mit BBun 


in der Bedeutung ausgefprochen, Gefannt werden“ 


nicht bemerkt. — Von DN fehle die Bedeutung profecto, 


welche Spr. 8, 34. Jeſ. 29. 16. nicht wohl zu läugnen liſt; 


wenigſtens haͤtten die Stellen bemerkt werden ſollen; ſo auch 


Conſtruction von non mit * Hab. 2, 14. iſt vergeſſen. — 
Wie der Verf. DI Br. 2, 7. genommen wiffen will, iſt nicht 
bemerft; eben e wenig wie ebendafelbft 80 ſtehe. — Das 


Fut. von IN iſt nicht AN), fondern DIN. — Warum 


vergleicht der Ber mit An dag „Arab. Wit den plur. 


fract., und nicht das Wort 105 feld ? — 2 Jeſ. 48, 6. 


haͤtte wegen ſeines beſondern Gebrauchs bemerkt werden ſollen, 
heiße es nun Bundesſtifter oder Verkuͤndiger der 
Verheißungen.. — an Pred. 3, 11. iſt nicht. erläutert. 


Uns fiheint es in der Bereutung des neutefl. x0ouos, aibr 


zu fiehen. — Durd einen Drudfehler fteht ſtatt FR, TN- 
(Sierbey bemerken wir zugkeich noch, daB &. 396 Sp. 2. 


2.17 0.9. Sef flatt Fer. ſteht; S. 771 Sp. 1. 3.13 v. o. 
210? ſtatt 205: S. 27ı Sp. 2. 3. 15 v. u. Pf. 17, 6. 
ſtatt Pſ.7, 15.; S. 386 Sp. 2. 3. 26 v. o. Süden ſtatt 
Weſten.) Bey DII Becher fehlt die Angabe, daß es 
foem. if. — Das Wort man fehle, und ift auch in dem 


Nachtraͤgen nicht bemerkt. — Das fchwierige Ton 3ad.d,7. - 


iſt nicht erläutert. — Von In fehle die Bedeutung Flehen 
Zach. 12, 10. — Die Erläuterung von 72 NI 1. Moſ. 


32, 14. vorhanden haben wir vergebens gefacht. — De 
Gebrauch von N27 Pſ. 90, ı2. iſt Äbergangen. — Die 


Eflipfe, mie welcher HD? Di. 115, 14. fleht, hätte auch bes 
merkt werden follen. — 2 in der Bedeutung wie Pf. 87, 20. 
39, 7. fehlt. — Bey Sm follte die Stelle ef. 56, 10. ans 


die Bedeutung postquam oder quia ef. 55, 1. — Die 


.n 





x 


Beaind Gebr. Deut. Haudwoͤreerb. aber d. Chr. d. A. T. A 


zeſthet (ya; bo rman die gewoͤhnliche Gedeutung in Zweifel ge⸗ 
pgen hat, Die ung jedoch beybehalten werden gu maͤſſen ſcheint. — 
Das Bnwörtchenn 72. will der Verf. für eine Zuſammenziehung 
my Bitte nehmen; uns hat fih immer die Vergleichung 
des Rheinländifchen Mein! dargeboten. — Leber on 


Zeph. 3, 17., wo es wahrfheinlih vergnägt feyn bedeutet, 
it nihts angemerkt. Db es nöthig ift, 122 Zeph. 3, 18, auf 
min abfondern zurädzuführen, da es Klagl. 1, 4. bes 
Rimmt in .der Bedeutung traurenb vorkommt, und da das 
folgende 79 recht gut entfernt heißen konn? — Die Bes 
bentung von 222 vereiteln, welche der Verf. Ser. 19, 7. 


anwenden will , fcheint nice einmal in den Zufammenhang zu 
paſſen. Wir finden in diefer Stelle den häufig vortommenden 
Sedanten , daB Jehova Juda rathlos, verlegen, verwirrt mas 
Gen wolle, den Rath ausleeren ift alfo ganz ſchicklich 
geſagt, wie es fonft heiße: der Rath iſt verloren, verſchwun⸗ 
den, Ser. 4,9. — "122 unverftändlic (von ber Sprade) 
Ezech. 3, 5. fehlt. — Zur Erklärung des 7b 7 Spr. 11,21. 
16, 5. wendet ‘der Verf. das Syr. —RX NN an; allein 
deſſen Bedeutung vicissim, unum post alterum paßt hier 
nicht, auch iſt der Unterfchied des verfchiedenen Praefir wohl 
nicht gleihgälttg. Der Zufammenhang fodert etwas wie nims 
mermehdr, faßte man nun die Bedeutung von Hand zu 
Hand, d. t. von Befchlecht zu Geſchlecht oder dgl., fo wäre 
man nicht meit Davon entfernt. — Der pleonaflifhe oder 
affirmative Gebrauch von D}, befonders in den Spruͤchwoͤr⸗ 
tern Ci4, 20. 17, 26. 19, 2. 20, 11.), hätte wohl bemerft 
zu werden verdient. — Die eigentfünlihe Bedeutung von . 
FM 1. Kön. 18, 7. Schreden, Furcht, Arg wohn fehle 
ebenfalls. — Ueber die Form Von in Beziehung auf Pr 
6, 3. ik nichts bemerkt. — Der Name Zophar iſt vergeſſen. 
Die archapologiſchen, hiſtoriſchen und andern zur Sach— 
erklaärung gehörigen Artikel find in der Regel reichhaltig, und. 
mit Umsfiche und kreffendem Urtheil gearbeitet. Man findet da 
in dev Kürze die Aunleate tiefer und weisläufiger Sorfhungen 


42 Geſenins Hebr. Deut. Handwoͤrterb. Über d. Schr. d.A. T. 


zuſammengednaͤngt. Vortrefflich iſt der Artikel 2 durch 


Sufammenftellung aller Stellen, wo dieſer Mame vorforhmt, 
will der Verf. wahrfcheinlich mahen, daß dieſer Name nie 
abſolut von den Israeliten gebraucht werde, ſondern immer 
nur relativ, im Gegenſatz mit andern Völkern. Hieraus 
ſchließt er, daß ihnen dieſer Name von andern Voͤlkern, be⸗ 
ſonders von den Cananitern, ertheilt wordern ſey, und unter⸗ 
flüge‘ damit die gewoͤhnliche Etymologie von ur Ganz 


uͤberzeugend iſt dieſe Argumentation fuͤr uns nicht geweſen. 
Zuvoͤrderſt ſcheint uns jener relative Gebrauch des Namens 
nicht ganz entſchieden zu ſeyn; die Stellen 1. Sam. ı3, 3,7. 
find dagegen, wo Ebräer in einer Kundmachung Sauls an 
das Volk vorkommt, und dann ig, Parallelismus mit Is⸗ 
rael. Aber auch diefen Gebrauch zugegeben, fo folgt daraus 
nicht die behauptete Entſtehung diefes Namens, fondern nur 
dies, daf es der eigentlihe Volksname mar, während 
Israel und Söhne Israel der genealogiſche Ehrenname 
war. Dieſer Volksname konnte nun allerdings auf die Weiſe 
entſtehen, wie der Verf. annimmt, aber auch auf andere 
Weiſe. Die Hypotheſe (wenn wir uns recht erinnern, ſo hat 
fie Wahl vorgetragen), daß die Namen der drey Haupte 
zweige des ſemitiſchen Stammes IV ER und 139 u 


fpränglich eins feyen, Hat ung immer ſehr einlenchtend geſchienen. 
Gegen die Vergleichbarkeit dieſer Namen unter ſich iſt wohl 
nichts einzuwenden. Auf jeden Fall iſt es richtig, was der 
Verf. bemerkt, daß der angebliche Stammoater aD, nur eine 
mythiſche Perfon fey, fo wie @3), D’IXD u. a. —— Die 
Artikel Or, MD»: ne j 2 find. vortrefflich gearbei⸗ 
tet. Was das erſtere betrifft, fo hatte der Rec. ſchon laͤngſt der 
Wink von Geddes zu 2. Moſ. 14, 7. auf die von den LXX 
angenommene Bedeutung Wagenktämpfer zurädgeführe, 
und er ift jeßt daruͤber fo entſchieden, wie man es über bers 
gleichen unfihere Begenftände ſeyn kann. Allein in die Stellen 
2. Sam. 23, 8. 1. Chron. 11, 11. 12, 18. gehöre das Wort 
wahrfcheinlich nike, und ift nur durch Mißverfiändiß der 
alten Abſchreiber und Maforerhen hineingefommen, wie dena 


Sefenins Hebr. Deut. Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T. 43 


in den Stellen der Chronik das Ketib auch anders lieſſt. Es 
kann in diefen Stellen nur die Rede feyn von Drey und von 
dreyßig Helden, die gleihtam einen Orden vow drepy und 
dreyßig Rittern und ihren Obern bildeten. 2. am. 23,8. 
iR daher ſtatt — zu leſen entweder mit dem Keri in 


V. 18. —— oder mit dem Ketib in 1. Chron. 211, ı1. 


poibgir. — ZIm Art. 709 dat der Verf. mit Recht die 


ſchiefe Ableitung von MO berumftreifen abgewiefen, welche 
nur von denen erfonnen war, welche das vorausgefeßte Alter 
des Buchs Hiob vertheidigen wollten. — nom nah den 


—— und Tang. bie Bilder des Tpierkreifes, wos 
mit ) A Wohnung trefflid übereinftimmt. — ms | 


Nachtgeſpenſt durch das Zeugniß der Rabbinen und my 
thologiſche Parallelen trefflih erlaͤutert. — naan purpurs 


lau, gründlich erwieſen und mit den nöthigen Zeugniſſen 
Kst. — DINIY nimmt der Verf. für den Namen eines 


Dimons befonders wegen des Gegenfaßes mit Jehova in V. 8. 
dagegen ſtraͤubt fich unfer Gefühl, und die Anfiht , die wir 
vom ganzen Hebraismus haben, läßt nicht zu, Daͤmonologie 
in der Religionslehre, zumal in der .orthodoren, durd) den 
Geſetzgeber oder die Priefter fanctlonirten,; vor dem’ Babylor 
niſchen Exil anzunehmen. Man mäßte dann menigfiens bie 
Abfaffung des gefeßlichen Aufſatzes 3. Moſ. 16. tiefer herab⸗ 
ſetzen, als fonft der Charakter des Pentatenchs fodert. Jedoch 
wir brechen ab , und empfehlen jedem, dem es um grändliches 
Studium der Sebrälfgen Sprache zu thun iſt, die Benutzung 


dieſes vortrefflichen Woͤrterbuchs. 
W. M. 





Ueber den Kaiſer Julianus und fein Zeitafter. Ein hiftorifched ‚Ges | 
mälde von. Auguft Neander, außerord. Prof. der Theol. zu 
veidelberg. Leipsig, bey Friedrich Perthes aus Hamburg: 1812. 
172 S. gr. 8 
Son int vorigen Jahrganhe (N. 57. &. 903) iſt Ai 

Schrift über den Kaifer Zukkan beutheile worden. weiche für 





BE: W Meanden-üßer den Kaifer Julian. 


die Würdigung dieſes merfwärdigen Mannes einen eigenthäms 
lichen Weg nimmt. Die vorliegende Bearbeitung deſſelben 
Stoffs wird allen angenehm ſeyn, welche eine billige , unbefans 
gene, hiftorifche Würdigung eines auch in feiner Verirrung großen 
Mannes zu fhäßen.wiffeg. Man wird feichter zu dem Ger 
danfen kommen, daß Julian zu vortheilhaft geſchildert, daß 
fein Heidenthum gu fehr idealifirt worden, als daß ihm Uns 
reht von Hrn. N. wiederfahren ſey. Da die Sefehe unfrer Zeits 
ſchrift ung eine eigentliche Beurtheilung dieſes Werkes, ala eines 
inlänbifchen, nicht erlauben, fo fönnen wir bloß durch) die Aus 
hedung der characteriftifchen Ideen und die Darſtellung des 
Ganges der Unterſuchung unſre Leſer auf ſeine Wichtigkeit 
aufmerkſam machen und die darin herrſchenden Anſi ichten bes 
zeichnen. Es zerfällt in vier Abſchnitte. 

Abſchnitt ı. Das EChriftenehum im Verhaͤltniffe zu dem 
Zeitalter, in das ſeine Erſcheinung und Ausbreitung fiel (S. 
1 —70). : Die Griechiſche Philoſophie endigte ihren erſten 
Lauf mit dem: Scepticismus des gegen feinen eignen Dogmas 
tismus gesichteten, zum Bewußtſeyn feiner grund s und bobdens 
loſen Unfiherheit gelangenden Verſtandes (unterſchieden von 
dem Scepticismus der beginnenden Philofophie, Anm. 1.) 
Eden dadurch wurden. aber wiederum objective Religionsformen 
dem denkenden menfchlichen Geiſte wichtig; und es erhob ſich 
von der Einen Seite ein heftiger Kampf gegen das jenen For⸗ 
men entgegengefeßte Chriftenthum , von der andern’ erregte das 
erwachte Beduͤrfniß einer belebenden Religion Empfänglichkeit 
für das Chriſtenthum. Aus dem herrſchenden Unglauben ging 
aber der Aberglaube hervor, „der nichts anders if, als das 
Gefühl der verlohrnen Verwandtſchaft mit Gott in dem Ins 
nern des Menfchen, dem Lebendigen“ (&, 13). Auch von dieſer 
Seite mußte ‚jenes Zeitalter vom Chriftenthum ſtark ergriffen 
werden, welches verfündigte, daß der Name Chriſti mit dem 
Glauben verbunden von der Herrſchaft des Bölen befreye, und 
die Wurzel des Aberglaubens wernichtete, indem es das Herz 
und den Geiſt von der fihtbaren ſinnlichen Welt zu dem tebens 
digen Goit erhob und an die ungertrennliche Gemeinſchaft, in 
welche der menfchlihe Geiſt durch Chriſtum mie Gott gefommen 
war, erinnerte, Hiernach Wird gezeigt, wie durd den herr⸗ 


A. Reander über den Hair Julich. Te 


fein Scepticismus der Platonismus und der vhilo ſophiſche 
un religidie Efletsicismus- (als deſſen Mepräfentane Piutarch 
Setratet werden Tann ) den befiem und edlen Menfchen 
empfohlen wurde, wwie Die verfeinerte Abftraction und die den 
Antheopomorpbiemmus angſtlich meidende Verallgemeinerung die 
Sehnſucht nach individuellen religioſen Leben und religiäfer 
Semeinishaft reagirend hervorrief, und dadurch Liche zu dem 
Poinheiemus und. Haß gegen den Monstheismus als vers 
Reintlihe todte zum Acheismus führende Merftandesabftractiom 
tlfland, dann wie ein verfeinerter Polgtheismus mit geiftigen Res 
Agionsldeen wohl beſtehen konne. ( Die eigentliche. Wurzel. des 
Volotheismus ift mehr prastifh als theoretifch, .nir die Ides 
Tiner allgemeinen oder befondern. Theofratie konnte den Poly⸗ 
theismus practiich vernichten, Anm. 6.) Dieſe linterfuchung 
führe zu. der Auszeichnung des Charafteriftiihen im Chriſten⸗ 
tum nis geoffendarter Rigen im Gegenſatz gegen jenen 
Reopiatonismus und die Disherige Denkart und Weltanſicht 
überhaupt. (Das Chriſtenthum, an keine befondre bürgerliche 
Geſell ſchaft gebunden und den Charakter keiner befondern Nar 
tisnalität tragend, war die Religion der Menſchheit, etwas 
noch nie gedadytes und Bene, und trat in ein ganz anderes 
Berhättnig zu. dem Leben der Menihen als die bisherigen 
Beigionen , indem es das zeitliche Leben nur als Mittel für 
Ye. un ſichtbare Welt darflellte, lehrte daher sine viel höhere 
und vollkommnere Moral, ſchien aber den Heiden eben dadurch 
Die Liebe zum Marerlande zu unterdrikfen, u. f. w.) Daher 
«bob fi zwar ein heftiger Kampf gegen das Chriftenthum, 
aber gerade diefer Gegenſatz eröffnete ihm wieder die Gemüs 
her. Die reine Dffendarung fand gegenüber dem fchmanfens 
den Eklekticismus, Die göttlich s menfchliche Neligion der alle 
Beichräntung verachtenden Contemplation. Auch dieſes war dem 
Chriftentyum förderlih, daß ed als eine über alle fichtbare. 
Formen erhabene, und zwar keine glänzende Ideale der Phantafie 
aber aufmunternde Muſter der. Tugend im Wirken und Leiden 
Barbictende Weltreligion dem menfhlihen Sefchlehte in einer 
Zeit der Auflöſung und firtlihen und politifchen Erfchlaffung 
dargeboten wurde. (Mannigfaltige Wendungen des Ekleklicis⸗ 
mug im Kampfe oder in der Berührung mit dem Chriftenthum ; 
die eigenstich charakteriſtiſchen Lehren des letztern geben am 
meiften Veranlaſſung zu fremdartigen Mifchungen ; Selten, 
Snoficismus. Anm. 6. fg.) | = 
Aughmärt 2. Ueber Julians Erziehung und. Bildung 
Bis zu feiner Beſteigung des Kaiferthrone ©. -71’— 208. 
Schon in der Fugendzeit Julians offendarte. ich fein tiefes 
und zugleich hochſtrebendes Gemuͤth im Gegenſatz mit ſeinen 


1 
“ 





16 A. Neander über den Kaiſer Zulian, 


damaligen boſchraͤnkten und brädenden Lage. Er war damald 
voll ungeheuchelten Eifers und inniger Wärme für das Chri⸗ 
ſtenthum, und verabfchente das Heidenthum. Mah feiner 
Zuruͤckkunft aus Cappadocien nah Konftantinopel fam er im 
"die Schule des Lacedämonifhen Juriſten Nikokles, deffen phis 


loſophiſch allegerifche Auslegung der Dichter des Srichifhen 


Alterthums Sultans fenrige Phantafle und feinen nach dem 
Verborgenen forichenden Seift noch mehr erreste. Da die das 
Göttliche in Knechtsgeſtalt ankündigende Religion fein das 
Außerordentlihe und Glaͤnzende fuchende Gemuͤth nicht ans 
fpeach, fo bewirkte feit jeiner Verſetzung nah Nicomedien der 
Umgang mit den dortigen Neuplatonikern und die Bekannt⸗ 
fehaft mit den Lehren des Libanius feine Hinwendung zum 
Heidenthum um deflo gewiffer,, je mehr feine chriftlihen Leh⸗ 
rer fi bemüht Hatten, ihn bon aller Verbindung mit den 
Neuplatonikern fern zu halten. Nicht ohne Einfluß waren die auf 
. Zultan bezogenen Weiſſagungen unter den Heiden von eınem 
Manne, der den Glauben an die Götter des Alterthums und 
ihre Verehrung wieder herzuftellen. und dann über das Römis 
she Reich zu herrſchen beſtimmt ſey. Die Leberzeugung von 
einer folhen Beflimmung ward in Julian fowohl duch fein 
inneres als fein äußered Leben genähre. Wir machen noch auf 
die Charakteriftit der verfchiedenen Neupfatoniler, welhe auf 
den Kaifer Julian wirkten, aufmerffam (Vgl. Anm. g. &. 89). 
Abſchnitt 5. Ueber Julians religtöje und phuͤoſophifche 


Anficht Überhaupt, feine daraus hervoraehende Anſicht vom 


Chriſtenthume und die- Mittel, burch welche er feine teligiöfen 
Ideen als Kaifer zu realifiren fuchte. S. 105 — 144. Die 
allgemeinen aus dem erſten Abſchnitt hervorgehenden Reſultate 
werden hier auf den individuellen Eklekticismus des Kaifere 
Julianus und deſſen Verhaͤltniß zum Chriſtenthum angewande. 
Durch das chriſtliche Princip uaͤberhaupt, nicht durch das bes 
ſondre katholiſche, wurde Zulian vom Chriſtenthum entferne. 
Bey ihm war Kunſt, Wiſſenſchaft, Staat, ſelbſt der Krieg 
mit der Religion verfhmolzen, daher genügt: ihm das Ans 
fpruchelofe, demüthige, zu dem jenfelts des irdiihen Lebens 
liegenden hinweifende Chriſtenthum nicht. Aus dem Cynismus 


Sulian’s, der fih dem Chriſtenthum ſcheinbar fehr näherte, aber. 


ſich doc fehr von Lemielben entfernte, werden feine Verſuche, 
eine neue Kirche zu gründen, abgeleitet. 

Aubſchnitt 4. Meber den Zuftand der chriflihen Kirche 
zur Zeit des Kaifers Julian und fein. Verfahren gegen dies 
ſelbe. ©. 145 — ı78. Zuerſt von dem Verderbniß der Kirche 
in ihrem Innern dur die Vermifhung mit dem Weltlichen, 
weiches fie zu bekämpfen aufhörte. Eben dadurch bildete fich 


A. Neauder über:den Kalfer Jullan. MM 


eine Reastion in der Kicche, welche ſich vornchmlich in den 
Unruhen der Denariften zeigte, die hauptfaͤchiich das Ver⸗ 
derbniß der Kirche durch ihre Vermiſchung des Wehtlihen bes 
fimpften, dann aber auch zugleih duch ihre Aeußerangen 
über chriftiihe Freyheit Mißverfiändniffe veranlaßten, die 
in Hinſicht ihrer Yratur und ihrer Wirkungen fehr ähnlich denen 
waren, Durch welche die Bauernunruhen zur Zeit der Nefors 
mation hervorgebracht wurden. Um das Merfahren Julian's 
gegen die Chriften nicht ungerecht zu beurtheilen, muß befonders 
das Verhaͤltniß der feßtern zu den Heiden feit dem Religionskriege 
wiſchen Conſtantinus und Licinius beachtet werden. Der 
Uevermutd der Chriſten entzändete bey den Heiden Rachſucht, 
und bewirkte, nachdem durd Sjulian das Heidenthum tieder 
auf den Thron gebraht morden, furhtbare Verfolgung, an 
weicher der Kaifer felbfi keinen directen Antheit Hatte. Denn 
Glaubenszwang und Verfolgung Maren weder den politifchen, 
noch den individuellen religisfen und philoſophiſchen Grunds 
fügen Julian's -angemeffen. Mancher bürgerlichen Vortheile 
mußte er die Chriſten berauben, weil jene nach feiner Anſicht 
mie der Religion enge verknüpft waren. Aus diefem Geſichts, 
yanct wird Das Geſetz beurtheilt, welches den Chriften dad 
Recht, oͤffentliche Schulen der Rhetorik und Litteratur zu Hals 
wa, nahm ( obgleid) allen Sünglingen, auch den Chriftlichen, 
bt blieb, ſolche Schulen zu beſuchen). Gleichwohl, fo 
 Zulian das Tumultuariihe und die Unduldſamkeit hafte, 
f6 beförderte er indirect die Werfolgungen wider Die 
Chriften, weil er: in feiner religioͤſen Schwärmerey für das 
denthum fich es nicht erlaubte, die Chriftenverfolger zu firafen. 
iedenheit in feinem Betragen gegen die chriſtliche Geifts 
lichkeit und gegen die übrigen Ehriften, und Entwidelung der 
Urſachen die ſer Verſchiedenheit. Manche: einzeine den Grund⸗ 
fügen Juliarnſs widerſprechende Handlungen, 3. B. einzelne 
Berfolgungern, werden aus Widerſptuͤchen in feiner Gemuͤthsart, 
deren er ſelbſſt ſich nicht unbewußt war, aus. Aufwallunzen der 
eidenichafe erklärt. Beine forfakifchen Aeußerungen über das 
— Wirkungen augenblicklicher Laune, ſchadeten ihm 
ſchon in ſeinem Zeitalter und. bewirkten ungerechte Beurthei⸗ 
lung feiner Grundſaͤtze. Am deutlichſten offenbarte ſich feine 
Idee, das ihm ‚vorihwebende Bild des Alterthums unter vers 
änderten Zeiten, und Sitten wieder ins Leben zurüczubringen,, 
bey feinem Maßen Aufenthalt zu Antiochien, vor der Eröffnung 
des Perſiſchen Kriegs, in welchem Julian (im 32. Jahre feis 
nes Lebens ) „als Märtyrer für eine ihm befeelende Idee, die 
Barbaren, die Perfer, gu demüthigen,“ fiel, : 





\ 


v 


48 8. Vendamb-über De Relig. der Hebr. v. Moſes. 


Wir muͤſſen noch bemerken, daß alle hier - angsdenteten- 
Entwickelungen durchaus mit Belegen ſorgfaͤltig unterſtuͤtzt ſind, 
und daß die ausfuͤhrlichern Anmerkungen am Ende jedes Ab⸗ 
ſchnitts manche lehrreiche Eroͤrterungen uͤber die philofoppifche 
und veligidfe Denkart Julians und feiner Zeit enthalten. 





Weber die Religion der Ebräer vor Mofes. Don Lagarud Bet 
david. Berlin, bey Julius Eduard Hitzig. 1812. IV, sı ©. & 


Daß die, Verfchiedenheit der Namen Gottes im A. T., 
befonders der Senefis, El, Elohim, Jehovah u. f w., nicht 
zufällig fenn fönne, fondern auf einem tiefern Grunde beruhen 
muͤſſe, vielleicht anf der Verſchiedenheit veligidfer Anfichten 
‚ verfchiedener veligidfen Schulen, if längft bemerkt worden, 
Kerr Bendavid macht nun in diefer kleinen Schrift einen Vers 
ſuch, aus diefen Namen den Zortfchritt der veligiöfen Bildung 
des Juͤdiſchen Volks abzuleiten, dem man mit Ausnahme der 
gegwungenen Etymologieen, wenn man es nicht fehr frenge 
nehmen wiß , das triviale Lob zugeſtehen kann: Se non 
vero etc. Er nimmt an, die Aegypter, denen das Juͤdiſche 
Volk feine religidfe Bildung verdanfe, hätten drey Grade eis 
nes Eultus, der nicht mehr Goͤtzendienſt geweſen fey, ‚gekannt, 
. Dualismus, Zebaoıhismus (Dienft des Heers der Narurkräfte), 
Spiritualismus oder Theismus. Dee Hebräifche Stamm habe 
bis zu Sofeph’s Zeiten ſich noch nicht Über die beyden erftern 
oder niedern diefer Stufen erhoben. Paban und fein Geſchlecht 
feyen Duatiften gewefen (in ben Theraphim DIES von AN 


md N, Stiere des Zorns, findet auh Ar. B. den Sera⸗ 
pis); Abraham und fein Geſchlecht Zebaorhiften. Der Name 
Schaddai, der Bebruͤſtete, weicher dieſe Anſicht bezeichnet 
(vor 79 die Bruft, wovon aud DITD Dämonen), bedeute 


eben fo die Aypoftafirte Natur im Zebaothismus als die Iſis 
der Aegypter. In dem Namen Elohim, wodurch Naturfräfte 
bezeichnet worden (von un die Kraft, z. B. 2 B. M. XV, 
21), findet der Verf. eine fihere Spur des Polytheismus. 
Durch Mofes erhielt endlih das Juͤdiſche Wolf die hoͤchſte 
Weihe, es wurde zu der fpiritualiftiichen oder rheiftifchen Ans 
he erhonen, welche durch die Namen Jehovah und Ei eljon 
ausgedrückt wird, . — 3* 
⁊ Lean 


— 


No. 4. Seidelbersifhe - 4843, 
Jahrbücher der Litteratur. 


I) Johannes Müller oder Plan im Leben, nebst Plan im Le- 
sen, und von den Grenzen weiblicher Bildung. Drey 
Reden von D. Karl Morgenstern, Russisch Kaiserl, 
Hofrath , ord.. Prof. d. Beredsamkeit und alıclass. Philolo- 
gie, der Aesthetik und der Gesch. der Literatur u. Kunst 
an der Kaiserl. Universität zu Dorpat etc. Leipzig bey 
Göschen 1808. VI u. 1228; 4. (2f|.) 

9) Memoria Joannis de Mülter viri summi m corsessüu so» 
cietatis Regiae se. Gektingensig inter desideria lugentium 
celebrata, interpree Ch. G. Heyne. Die X, Juni 
MDCCCIX. Göttingen bey Dieterid. 12 &. 4. 

9 Memoriam Joannis Mülleri ... Civibus commendat Aca- 
demia Frid. Halensis. Halle im Waifenhaus 1809. 32 S. '2. 

4) Johann von Müller der Hiftorifer. Bon A. 9. £. Heeren. 
Virtus clara aeternaque habetur. Sallust. Zeipgig bey 

Goͤſchen. 92 ©. 8. (8 gr.) 

Johann von Müller von Karl Ludwig von Woltmann. 
Berlin b. Hitzig ı810. VIII. 316. LXXLSG. 8. (i Thlr. zı gr.) 

6) Lobſchrift auf Johann von Müller den Geſchichtſchreiber. Geleſen 

in der K. Akademie der Wiſſenſchaften zu Münden am 29ten 
Mai ıgır von Friedrich Roth, D. K. Baierifhem Ober⸗ 
ſinanzrathe und Mitgliede der Akademie. Sulzbach bep Seidel 
su 46 S. 8 (24 fr.) 


Use {ehe wenige Deutſche Schriftftellee iſt fo viel gefchrie: 
bin worden, wie Über Johannes Müller: und wenn ſich 
hieraus zwar nicht mit völliger Sicherheit ſchließen laͤßt, daß 
diefer ernſte und Gelehrte Hiftoriker ein fehr großes, für ihn 
ſich lebhaft intereffirendes Publicum gehavt habe (man möchte 
winſchen, daß zur Ehre der vaterländifhen Denfart und des 
altkräftinen litteraͤriſchen Geiſtes unferer Zeitgenofien fo etwas 
daraus gefolgert werden koͤnnte); fo fcheint doch faft keinem 
Zweifel unterworfen , daß der Mann, über deſſen litterärifche 
Vidung, Eigenrhämlichkeie und. Wirkſamkeit imegrere Schrift⸗ 

F 4 | 


50. Schriften aͤber Johannes Muͤller. 


ſteller, zum Theil vom erſten Rang, ihre Stimme abzugeben 
ſich berufen fuͤhlten, mannigfaltigen, vielſeitigen und reichen 
Stoff zur Betrachtung dargeboten haben muͤſſe; ein ſolcher 
Menſch gleiche einer herrlichen Gegend, in welcher jeder aufs 
merffame und gemüthliche Beobachter etwas finder, das ihm 
zufagt, deren gelungenfie Schilderung fie nicht erfchöpft, 
und die nach vielen mahlerifhen Befchreibüngen noch immer 
neue Seiten darbietet, von denen fie mit Theilnahme und 
- Liebe ‚aufgefaßt und dargeftellt werden kann. So fiheint os 
hannes Muͤller ſeinem Vaterlande, der einfach großen 
Schweiz, nicht unaͤhnlich zu ſeyn, welche unzaͤhligemal und 
vortrefflich beſchrieben dem für die ſtets neue Herrlichkeit der 
Natur empfaͤuglichen Gemuͤthe neue Anſichten und freygebig 
lohnende Veranlaſſung zu fruchtbaren. Betrachtungen offenbart. 

Sn J. M. ift der Menſch, der Welehrte, der Hiſtoriker, 
der Polititer und der Geſchaͤftsmann merfwärdig; und fo wie 
dieſe verſchiedenartigen Beziehungen; unter welchen er an ſich 
und in der Erſcheinungsweit betrachtet werden kann, oſt in 
einander fließen, und ohne gewaltthaͤtige Verletzung. der nur 
in ihrer Verſchmelzung beſtehenden Wahrheit, keine ſcharf 
abſcheidende Trennung zulaſſen; fo dürfte foft eine willkuͤhrliche 
Verbindung, oder richtiger Vermiſchung der Gefichtspuncte, 
aus denen fein Wefen, Denken und Wirken angefehen werden 
fann, der gerechten Würdigung feines Verdienſtes unvermeidli⸗ 
chen Eintrag gethan haben. Daß er durch feltene Ausdauer 
angeftvengten Fleißes eine bewundernswerthe ‚Fülle gelehrter 
Kenntniffe ſich erworben habe, darüber find Alle einverftanden; 
bloß Mathematik und Naturwiſſenſchaften ſcheinen ihm fremd 
geblieben zu ſeyn, und aus ſeiner, durch genetiſche Bildung 
und fruͤhe feſte Richtung des Geiſtes erklaͤrbaren Abneigung 
gegen die erſtere machte er ſelbſt kein Geheimniß; dagegen 
war philologifhe und theologifche Erudition , Staatswiſſen⸗ 
ſchaft, Rechtskenntniß, Gefhmad-und Kunſtgeloͤhl ‚auf bad 
glücklichfte in ihm vereinigt; er hatte eine Beleſenheit, wie 
fie feit Saumaife und Leibnitz nicht Häufig gefunden 
ward, eine nie befriedigte, nis erfchlaffende Wißbegierde, eis 
nen immer jugendlich + frifchen Eifer für die Fortbildung ſeines 
Geiſtes und für die Erweiterung feiner Kenneniffe. Als Menſch 





Schriften über Johannes Müller. SL 


hitt ee in einer Lichendwärdigfeit hervor, weiche in diefem 
Grade außerſt wenigen Gelehrten und Sechriftſtellern zugeftans 
den werden Canın 5 Die ihm eirnmwöhrende Mitte und Weichheit, 
die in feine ganze Natur innig und unferereintid verwebte 
Humanitaͤt, Die vein kindliche Hingebung an jedes ſich freund⸗ 
lich aukͤndigen de Sute, die warme herzliche Theilnahme an 
Andere: Freude Und Kummer, das immer rege Streben zu 
begluͤken und zu helfen, die unter keinen Umſtaͤnden erkaltende 
Treue, faſt ſchwarmeeriſche Anhänglichkeit an bem Kreife feier 
Lieben, die von erſter Kindheit an bis zur Gruft ſich gleich 
bleibende Pierät, Die Verföhntlichkeit gegen Feinde, die Zart⸗ 
heit in gefeliihaftlichent Verhälenifgen, wer mag fie verfennen 
über mißbeuten , als wenn‘ alles Menſchliche Tand und Thors 
beit it? — Und wie war dei gegen feine Mitmenſchen ſo 
nachſichtige Mann ſtreng gegen ſich ſelbſt? wie chat er fich 
nie Genage ? wie war et durchdrungen von Pflichtgefuͤhl? 
wie beſeelte ihn Kraft, aus Religioſttaͤt, aus lebendigem 
Giauben ar Vorſehung und Wuͤrde der Menſchheit entquol⸗ 
kn? — Für alles dieſes liegen die Bewelſe oͤffentlich in fe 
wen ; nicht für das Publicum beftimmiten, nad) feinem Tove 
bekannt gemachten Briefwechſel vor; wer fehen will, kann 
fehen : einer beurtheilenden Anzeige der Muͤller'ſchen Merk 
darf Hier nicht vorgegriffen werden ; es ift genug, im Allge⸗ 
meinen auf dieſes Urkundenbuch zum Leben And Charakter 
Eines edlen Menihen aufmerffani gemacht gu haben: 

Das, was der Schriftſteller als Menſch it, darf bey der 
Schaͤtzung des Hiſtorikers nicht unbeachtet gelaffen werden. 
Diplomatiſch genau und zur entſchiedenen Bereicherung der 
änferen Wiſſenſchaft ſammeln, kann der fleißige Gelehrte; 
die Materialien lichtvoll zu ordnen, Ereigniſſe und Vegebens 
heiten in ihrem Zuſanimenhange und Erfolge anſchaäulich les 
bendig in ſchoõner Sprache darzuſtellen, und kreffende Bemer⸗ 
kungen unð Urtheile einzuflechten, vermag der kunſterfahkne 
und gefbte Schriftſteller. Aber dad Streben nad) einen Böhes 
ven Ziele, der Alles durchdringende Wille, Mirwelt und Nach⸗ 
kommen zumi Sdlen und Großen, Guten und ren zu 
beſtimmen, ganze Gefchlechter zu begeiſtern fͤr KöhPlnd Zr 
gend, die Semüther mit heitigen Entſchließungen gu befruchten; 






2 Schriften uber Johannes Müller. 


Diefes Streben ;. diefer Wille wohnt nur in einem heiligen 
Gemuͤth, das mehr Hat als Wiffenfchaft und Kunft, das von 
der Allmacht unausſprechlicher Ahndungen beherrſcht wird. 
Solch ein Geiſt bricht in Muͤller's hiſtoriſchen Darſtellungen 
durch, und fordert. laut und dringend auf, an den inneren 
Menſchen des Schriftftellers zu denken, der als Hiſtoriker bes 
urtheilt werden ſoll. Es bleibt daher lobenswerth, wenn zur 
Würdigung eines ſolchen Gefchichtfchreibers ein ganz anderer 
Maßſtab gebraucht wird, als bey unzähligen andern, äußerlich 
verwandten Schriftftelleen gewoͤhnlich iſt; es erfcheint ganz: in 
dee Drdnung, wenn ber Charakter des Hiſtorikers nicht iſolirt, 
Sondern vielmehr in feiner natürlichen und allein zur wahrhaft 
ten Vollſtaͤndigkeit und Einheit der Anficht führenden Verbin— 


bung mit dem Charakter des Menfchen dargeſtellt wird; ob 


ſich gleich ein richtiges Reſultat unter nicht ausgeſprochenen, 
ſondern nur in ihren Wirkungen angedeuteten Vorausſetzungen 
auffaſſen und darlegen läßt; und auf keinen Fall iſt eine wis 
drige Analyſe (die nicht einmal ſo unwahr zu ſeyn braucht, 
wie die von Woltmann'ſche iſt, um verwerflich zu ſeyn) 
aller und jeder menſchlicher Verhaͤltniſſe erforderlich, wenn 
eine ſo preiswuͤrdige, durch fromme Achtung fuͤr EIN er⸗ 
zeugte Abſicht erreicht werden ſoll. 

I. v. M. verdiente alfo die Ehre, welche ihm in No. 1. 


widerfaͤhrt; in ſeinem inneren, wiſſenſchaftlichen Leben herrſcht 


zuſammenhaͤngender feſter Plan; in ſeinen Studien und Grund⸗ 
ſaͤtzen findet ſich eine mit ehrwuͤrdigem maͤnnlichen Ernſte durch⸗ 
gefuͤhrte Conſequenz, welche ſo einfach iſt, daß ſie von Allen 
erkannt und von ſehr Vielen als Richtſchnur angenommen und 


befolgt werden kann; die eigenen Bekenntniſſe in Briefen und 


die Reſultate ſeiner Beſtrebungen, unvergaͤngliche Denkmaͤler 


Deutſchen Fleißes, vaterlaͤndiſchen Sinnes, litteräriſch vers 
edelter Nationalität und tief begruͤndeter Frömmigkeit, liefern 


den Beweis; und Hr Morgenftern bat diefe reichhaltigen 
Materialien zu einer anfchaulihen Darftellung bes mufterhafl 
Verdienftlichen im Selbſtbilden, Fortſchreiten und Bewahren 
des Spies, mit Umſicht zu finden und mit Beſonnenheit und 
rednerifwger Klarheit zu benußen und zu verarbeiten gewußt. 






Jedoch irrt er darin, daß er die Müllerihe Planmaͤßigkei 


ae ) 


! 


Schriften über Johannes Müler, 83 


anf das Außere Leben bes fih einer Höheren Führung vers 
trauensooll Hingedenden und feine Bünfche und Abfichten unter - 
dem wnerfchtterlichen Glauben an diefelbe gefangen nehmens 
ten, auch in Diefer Hinſicht feltenen und von beichränkten, für 
folhen Gottesſinn unempfänglihen Egoiften mißverſtandenen 
Mannes ausgedehnt hat. immer bleibt dieſe erſte Rede, mit 
den ihr beygegeben reichhaltigen und finnvollen Anmerkungen, 
ein ſchaͤtzbarer Beytrag zur genaueren Kenntniß und richtigern 
Värdigung des menſchlichen und litterärifhen Charakters und 
der eigenthuͤmlichen Verdienſte des größten Hiſtorikers, weichen 
Deuntſchland Bis auf den heutigen Tag beſeſſen hat. Die Sprache 
des Redners iſt koͤrnig, blühend und edel; nur ein einziges 
Mal S. 50 fälle fie duch die faſt burleske Parenthefe: „ich 
wette, er reif’e noch einmal nad London!“ aus ihrer Wuͤrde; 
und in einigen Anmerkungen ift das Beftreben, den Ton und 
die Manier zu muͤlleriſiren, allzufihtbar. — Die zweyte Rede 
über Plan im Lefen ik dem Geifte und Zwecke nach mie 
der erften nah verwandt. Sie gehet von ber Betrachtung des 
möglichen Mißbrauches großer Buͤcherſammiungen aus, und 
&. DR. erlaubt fih (8.62) eine Anipielung auf Göttingen, 
welche um ſo ſchicklicher hätte unterdrückt werden ſollen, weiß 
er ſelbſt fie für ungerecht erklaͤrt, wie fie es wirklich if. Das 
gegen find Bie Warnungen gegen Biellefevey oder Lefewuth 
ganz an ihrer Stelle, und mögen in vielen Städten Deutfch, 
lands dringenderesd Bedürfnig ſeyn, und mehr Beherzigung 
erheifchen als in Dorpat. Eben fo gerecht find die Klagen 
über die Verkehrtheit, weiche das kefeluffige Publicum Deutſch⸗ 
fands in der Wahl der Bücher beweiſet, und über die empös 
vende Vernachlaäßigung feiner Claſſiker, welche fih daffelbe zu 
Schulden kommen läßt. Die Hauptfumme aller Weisheit im 
Lefen wird fiir fludirende Juͤnglinge darin zufammengefaßt : 
„Lies außer den Schriftftelleen, die du deines gegenwärtigen ober 
fünftigen Berufs halber leſen mußt, nur die claffiichen!“ Unten 
Elafitern werden Diejenigen verftanden, weiche rein menſchliches 
Intereſſe baden, indem fie den urfprünglichen Menſchenſinn 
für das Wahre, das Gute, das Schöne unmittelbar, und 
nicht jeden befonders, fendern den dreyfachen Sinn zugleich 
beſchaͤſtigen, den Menſchen im Menſchen aus eigenem hoͤhern 


54 Schriften über Johannes Müller, 


Leben zu hoͤherm Leben bilden. In den Feldern ber Poeſie, 

Beredfamkeit, Berichte und Philoſophie müffen fe geluch 
werden. Daß unter unfern Deutfchen Claſſtkern weder Utz, 
noch Ramler, weder Gerſtenberg, noch J. NM. Goͤtz 
and Claudius, daß von Romanen-Verfaſſern nicht einmal 
IJ. T. Hermes und F. H. Jakob i genannt ſind, faͤllt auf; 
Garve hat bey den Philoſophen einen Platz gefunden ; wen 
auch das Lefen der Humoriſten ( ©. Bo) dem fpäteren Leben 
vorbehalten wird, fo Hätten feldft für Ddiefes Hippel und 
Sean Paul eine Ehrenmeldung verdient. Die Winke über 
Folge und Methode im Lejen find vortrefflih, und verrathen 
eben fo viel Erfahrung als Geſchmack und Geiſt. — Die 
dritte Nede von den Grenzen weibliher Bildung 
tft bey Eröffnung der kaiſ. Töchterfchufe zu Wyborg d. g. Aug. 
1805 gehalten worden. Ste verbreitet fih uͤber weiblichen 
Beruf und weibliche Bildung, und enthält viel Angemeffenes 
und Durcdachtes, wie es von einem ſolchen Verf. erwartet 
werden kann. 

No, 2. iſt der Ausdruck dankharer Erinnerung an die 
Wohlthaten, welche die Goͤttingiſche Sorierät ihrem Mitgliede 
zu verdanken hatte; wirklich war fie ihm ihre Fortdauer ſchul⸗ 
d'g (S. 4), odgleih Rec. bezmeiflen moͤchte, daß, die Erifteng 
einer fo geachteten gelehrten Geſellſchaft unter einer fiberalen 
und für Kunft und Wiſſenſchaft fi fo guͤnſtig aͤußernden Res 
gierung auch nur Einen Augendli gefährdet geweſen feyn 
koͤnne; gewiß haben Mißverfländniffe und Irrungen uͤbet 
Drganifationgs Formen Zögerungen und daher Beſorgniſſe vers 
anlaßt. Doc, bleibe damit dem für alles Litterarifche, und 
befonders für Goͤttingens Wohl eifrig thätigen Muͤller das 
unbeftrittene Verdienſt (©. 9), die zur Unterhaltung ber 
Geſellſchaft erforderlihen Summen gefihert, für Wiedererftats 
tung defien, was durch dringende Zeitumflände entzogen worden 
war, geforgt, und die zur Fortdauer bee Gelehrten Anzeigen 
und ber Commentationen nöchigen Ausgaben gedeckt zu haben ; 
auch bewirkte er die, ſpaͤterhin zum Landesgefege erhobene, 
Eenfurfreyheit. Daß der Redner. (8. 4) lauter Klagen ers 
mähnt, welche von Mehreren über Müllers Geſchaͤftsfah⸗ 
rung erhoben wurden, iſt Jedem, der mit der Lage der Dinge 


Schriften über Johannes Muͤller. 55 


im Jahr 1308 niche ganz unbekannt tft, fehr begreiflich; bie 
Enden AngelegenHeiten befanden fih in einem ungeheuren 
Eis, und es ließ fich kaum ein in denfelben entfichendes 
Syſtem ahnden ; Der bald Schreden, bald Freude erregenden 
Getuͤhte und Vermuthungen gab es eine Legion; die zudring⸗ 
fihen Forderungen und Geſuche maren ohne Maaß und Ziel; 
Miller mie feinem Enthufiasmus für. Wiſſenſchaft und mit 
feinem weichen miennfchenfreunblihen Herzen, das Allen helfen 
und jedem Beſorgten Beru,igung verfchaffen wollte, that auf 
Einmal gu viel, und berücdfichtiate mehr das Einzelne als dns 
Ganze; feine Troͤſtungen, feine Aufmunterungen, feine Hoff⸗ 
uungsäußerungen wurden als officielle Erklärungen angefehen, 
verbreitet und mit Mutzanwendungen ausgeflattet; in den ers 
fien vier Wochen feiner dffentlihen Wirkſamkeit mußten ſchon 
viele Unzufriedene entfiehen, denen nichts raſch und ihrem 
Egoismus gemäß genug ging. Dem Charakter, dem Geiſte und 
Willen Müllers laͤßt der feit der erſten jugendlihen Entwicelung 
„mit ihm befannte ehrwuͤrdige nunmehr ſelbſt verewigte Heyne 
( S. 20 f. ) volle Gerechtigkeit angedeihen; es ift ein gehalt 
volles Wort, was er als Refultat Über ihn auffpricht: „non 
difitendum est, nostris hisce temporibus hominibusque 
eum nec natum fuisse nec nasci debuisse ; alieno itaque 
tempore, nec suo nec nostro, eum vixisse.“ 

No. 3. Der geiftreihe Humaniſt Hr. Prof. Shüs 
bleibe in feiner, im Namen der Univerſitaͤt Halle verfaßten, 
durch Römifche Eleganz und durch Gedankenreichthum ausges 
zeichneten Denkſchrift bey dem’ hiftorifchen Verdienfte Müllers 
fiehen, und fiellt das Bild feiner geiftigen Bildung und Wirks 
famfeit ats Mufter auf, dem Studirende nachſtreben ſollen. 
Deutſchland, fo reid) an vortrefflichen Schriftftellern aller Art, 
it arm an großen Hiſtorikern, und frepli wird, um ale 
Geſchichtſchreiber ſich auszuzeichnen, ein ſeltener Verein gelehrs 
ter Kenntniſſe und ſittlicher und aͤſthetiſcher Eigenſchaften er; 
fordert; nicht zu gedenken der ſtark eingreifenden aͤußeren 
Verhaͤltniſſe, unter welchen ein im ſtrengeren Sinn’ gutes 
hiſtori ſches Werk allcia gedeihen kann; ſeit wann heerſchet 
eigentlich Publicitaͤt? ſeit wann Willfaͤhrigkeit der Regierungen, 
Archive zu offnen, und das, was daraus muͤhſam gewonnen 


56 Schriften über Johaunes Müller, 


iſt, befannt machen zu laffen ? und wie befchränfte ſich folche 
Willfaͤhrigkeit oft durch Angftliche Ruͤckſichten auf fleiffinnig feftges 
Haltene Rechtsformalitaͤten, oder auf vermeintlich nachtheilige 
Volksaufklaͤrung, oder auf Beihädigung dis fogenannten Fas 
milienglanges.? und wo war Nationaliinn ? wie iparfam wurde 
Schriftfielleriiches Kunſttalent in unfern gelehrten Erziehungs 
anitalten geweckt, gepflegt und zu einiger Reife gebracht 7 Es 
iſt noch immer merkwuͤrdig, daß Deutichland in dem lebten 
Miertheile des achtzehnten Jahrhunderts fo wiele gute Hiftorifer 
hervorgebracht hat, welche zwar nicht mit den, großen Alten 
und ‚mit den durch ihre Werfaffung gehobenen Britten um den 
Kranz buhlen können, aber doch nur von einigen Italienern 
Der fchönen Zeit und von wenigen Spaniern ubertroffen mers 
den. „Illud accedit, fagt der Verf. S. 7 fehr richtig, cur 
hoc minus mirabile debeat videri, quod quum historia 
nec institui possit, nisi praeparato atio, nec exiguo tem- 
pore absolvi, nostris hominibus ad ista studia natis et 
factis, aut raro, aut numquam vacatio publici muneris, 
isque otii fructus concedatur, quem Humio et Gib- 
bono aliisque eorum similibus scimus contigisse. Prae« 
stantissimi enim Germaniae historici, vel rei publicae 
administratione vel institutione juventutis academicae sic 
detinentur, ut miraguli instar sit, eos horis subsicivis 
tantum, quantum in hoc arte elaborarint, praestitisse, 
nedum ut iis vitio vertendum sit, eos Opus institutum 
vel inchoatum reliquisse, vel si ad finem perduxerint, 
non omnes summae perfectionis numeros explevisse. Ita- 
que nec Mäserum nostrum historiam Osnabrugensem; 
nec Sprengelium Britanniae, nec Schillerum hi- 
storiam defectianis Belgarum absolvere potuisse , dolen- 
dum potius est quam admirandum; ac tanto majore cum 
Jaude praedicandum Schlözeros nostros, H.erderos, 
Plankios, Schröckhios, Heerenios (Schmid- 
tios, Spittleros), longis operibus iisque elegantissi- 
mis, quum tot. aliis negotiis districti essent, perhiciendis 
pares fuisse.“ Auh Johannes Müller konnte nur unter 
vielfachen Lebensmühen, Geſchaͤftszerſtreuungen und läfigen 
Unterbrechungen, fein Hauptwerk, die Geſchichte der Schwert 


J 





Schriften über Johaunes Müller, 87 


riſchen Eidsgenoffenfchaft bearbelten. Es war herkuliſcher Fleiß 
erforderlich, um Die überall zerſtreuten Materialien und Noti— 
gen zuſammen zu. bringen, und es lag in dem durch Local— 
und Staatsverhältnifie zerſtuͤckelten Stoffe eine eigenthuͤmliche 
Schwierigkeit Der Darſtellung, welche nur vaterländifches In⸗ 
tereffe gu überwinden vermochte. Der höhere didaktiſche Zweck, 
weiher diefee Unternehmung zu Grunde lag, wird ©. ıı 
genügend angedeutet und das Verfahren des Geſchichtſchreibers 
vollſtaͤndig gerechtfertigt. Auf feine mufterhafte Treue, Wahr⸗ 
beitsliebe und Unpartheylichkeit wird aufmerkſam gemacht, ohne 
die Milde zu verſchweigen, welche ſich in ſeinem Urtheil uͤber 
das Tadelnswerthe offenbart, und wovon die Charakteriſtik 
K. Ludwig XI. als ſprechendes Beyſpiel in koͤſtlicher Lateini⸗ 
ſcher Ueberſetzung (S. 15 f.) aufgefuͤhrt wird. Das Verdienſt⸗ 
liche in der Oeconomie des ganzen Werks, in der genauen und 
mahleriſchen Angabe des Schauplatzes, in der anſchaulichen 
Darſtellung der Denkart und der Bitten verfloſſener Jahr⸗ 
hunderte, in der Beſchreibung der Schlachten, in der 
Entwidelung der Verfaſſung und Verwaltung der einzelnen 
Staaten, in der Beziehung des Einzelnen auf das Ganze, in 
dem wuniverfaldiftorifchen Blicke, kurz Alles, was an diefem 
Meiſterwerke dem forgfältigen und kunfterfahrnen Beobachter 
zuſagt, wird bündig und mit anfchaulicher Klarheit angedeutet 
und hervorgehoben. Auch über kleine Gebrechen und Mängel, 
über die Zülle der Citate, uͤber die ofe fremdartige und .uns 
gleiche Sprache erklärt fih, Hr. S. eben fo gerecht und uns 
parthepifeh freymuͤthig, als mit feinem kritiſchen Blicke und 
aͤcht antikem Kunſtſinn. Man trennt ſich ungern von einer 
materiell und formell fo vollendeten Schrift, und nur in der 
Vorausſetzung, daß diefe Bogen, mehr als andere academifche 
Selegenheitsfchriften, in das größere Publicum durch Buch 
handel gebracht worden find, hat Rec. der Verfuhung Wis 
derftand geleiſtet, mehrere herrliche Stellen den Lefern wärtlich 
mitzutheilen. - 

No. 4. - Einer ber Erfien unſerer Deutſchen Hiſtoriker, 
der gelehrte , ſcharfſinnige, geifivole Heeren erachtete es ers 
ſprießlich Für Die angemefjene Bildung künftiger Hiſtoriker, an 
Joh. Misere zu zeigen, welchen Weg fie zu betreten und 


58 .  &cheiften über Johannes Nuͤller. 


zu verfolgen haben, um die Forderungen und Pflichten‘ guter 
Hiftoriter kennen und erfüllen zu lernen.” „Was Müller der 
Wiſſenſchaft wurde, das ward er gang durch feine Liebe für 
fi. — — Sein Enthufiasmus für die Gefchichte ging aus 
dem lebendigften Gefühl ihrer Wuͤrde hervor. Sie war ihm 
die erfie der Wiffenfchaften, die Aufbewahrerin alles Großen 
und Herrlihen, die Heroldin und zugleich die Bildnerin der 
©Staatsmänner und Helden.“ Wir übergehen das nun fattfam 
Bekannte aus Müller’s Leben, welches über feine Bildung 
zum Hiſtoriker Auffchluß gibt, und verweilen bey demjenigen, 
was die Individualitaͤt feines hiftorifchen Charakters näher bes 
zeichnet und entwidelt. In der Gefchichte der Schweiz, für 
die er ſich beſtimmte, war des Allgemeinen wenig (©. a2), 
des Befondern viel; das Studium mußte alfo von dern Ein— 
zelnen ausgehen; und fo bildete die Befchaffenheit des Stoffes, 
welcher zu bearbeiten war, den Geſchicht forſcher; feinem 
Genie blieb es vorbehalten, fih von Erforfhung des Eingelnen 
zur Anfiht des Allgemeinen zu erheben; wer mit dem Allge⸗ 
meinen beginnt, erbaut ein Gebäude ohne Srund. Die Def 
fentlichleit der Schweizerifchen Verhandlungen, die zahlreichen 
Machrichten darüber in gleichzeitigen Chroniken und die Menge 
der vorhandenen Urkunden eröffneten dem Forfchungsfleiße 
ein unermeßliches Feld. Für die Trockenheit folher Studien 
entfchädigte ſch Müller im Umgange mit Hocdhgebildeten, 
geiftvollen Männern und durch Lertüre der Alten und moder⸗ 
nen Claſſiker; er arbeitete an der Cultur des practifchen polis 
tifhen Sinnes, ohne welchen feines Hiſtorikers Bemühungen 
Fruchtbarkeit für das wirkliche Leben gewinnen können, und 
an Vervolllommnung des fchriftlichen Vortrags. Won wohl 
thätiger Wirkung war, daß er veranlaft murde, univerfals 
hiftorifche Vorleſungen in Genf zu Halten; durch fie ward er 
auf manche Lücken in feinen Kenntniffen aufmerffam, er durchs 
dachte den Gegenſtand, worüber er Andere orientiren follte, 
mit anfchaulicherer Klarheit, er wurde von der engen Verbin— 
dung, worin das Einzelne mit dem Ganzen flieht, auf das 
lebendigſte uͤberzeugt, und fie zeichneten ihm den Gang feiner 
Forfhungen für das ganze Leben vor, — Seine Schweizers 
gefhichte gibt den Maaßſtab, nach weichem fein Biftorifches 


Schrriften über Johannes Müller. 59 


Verdienſt geraärtiigt werden muß. Er hatte (S. 60) eine 
‚reine und fefte Anmſicht von dem Weſen der Geſchichte; fie war 
hm treue Erzähterin des Geſchehenen. Er fegte den Ges 
ſchichtſchreiber nie Nbder den Geſchichtforſcher; er hat diefen nie 
über jenen vergeflen ; und diefe Bewahrung des richtigen Ders 
haͤltniſſes zwiſchen beyden ift die Srundbedingung zu einem 
großen Hiſtoriker. Wahrheitslicbe war dus oberfte Geſetz, 
dem er in feinen Hiftorifchen Beſtrebungen huldigte; er wollte 
nichts ſagen, was er nicht felbft ( S. 64) als wahr erkannt 
datt. Sein Wert flieht als Mufter tiefer und grändlicher 
Forſchung Für die Macwelt da! — In Anfehung der Eoms 
pofition waren einfache KHinderniffe zu befeitigen; nur Ein 
Hauptpunct konnte feflgehalten werden: Entfiehen und Bes 
fiehen der Werfaffung, Begründung und Erhaltung der Freys 
heit, hieraus ergaben fih Zufammenhang und Pragmatiemus; 
Alles wurde durch inneres Band, durch vaterländifhen Geiſt 
ufammengehaften. Doch erflärt der Verf. die Anordnung des 
zerſtuͤckelten Stoffes (©. 70.) für die minder glänzende Seite 
bed. Werks. Es Bleibt Fjedocd das größte Lob des Geſchicht⸗ 
ſchreibers im dieſer Ruͤckſicht, daß er, durch einfache chronolo— 
giſche Anordnung, der Natur folgte, ohne dem Stoffe Gewalt 
anzuchun. Die anziehende Kraft der Schweizergeſchichte bes 
ruht anf dem Tebendigen Intereſſe, womit der Verf. an die 
Bearbeitung des Stoffes ging, und welhes aus dem tiefen 
Studium feines Segenftandes fi immer dauernder und Bräftis 
gar entwickelte. Müller hatte eine heitere Anſicht der Welt, 
einen lebendigen Sinn für Freyheit und für politifhe Größe; 
er wurde unterlüßt von einer bemeglichen Imagination, die 
- ee aber immer beherrfchte, Müllers Styl wird (&. 89) 
mit Recht ein veredelter Ehronitenfiyl genannt. — „Müller 
ſchrieb (S, ge) einen Theil der Deutſchen Geſchichte; im 
Deutfcher Zunge und mit Deutſchem Gemuͤthe. Alle edte 
Grundzuͤge des Deutſchen Charakters, reiner Wahrheitsſinn, 
Frey heisliebe mit Orduung, tiefes und inniges Gefühl für 
alles Herrtichs und Große fprechen fih laut darin aus. So 
ſteht es da, ein Nationalwerk im höheren Sinn; eine Deuts 
fhe Eihe auf Deutſchem Boden. Laut und dankbar nahm 
es — fessft mitten in ihren Verirrungen Über das Wefen der 


60 Schriften über Johannes Muͤller. 


Geſchſchte, gleichſam fi ſelbſt widerfprechend — die Mitwele 
auf; daß die kommenden Sefchlechter es nicht vergeffen, das 
für Hat der Geſchichtſchreiber geſorgt!“ — Nur fo viel aug 


dieſer gehaltreihen Schrift; mer fie noch nicht gelefen hat, 


möge dadurch) gereist werden, fih an ihr zu laben; und wer 
fih ſchon früher des Genuffes erfreut bat, möge dankbar an 
die frohen Stunden erinnert werden, welche fie ihm gewährte. 
Sie und die gleich näher zu Hefchreibende Lobfchrift von Roth, 
Pland'’s und Heeren’s Schriften über Spittler ( möchte 
uns auch recht bald Roth's Denkmal auf diefen ‚mitgetheite 
werden!), verbunden mit dem Bruchſtuͤcke aus Schlözer’s 
Autobiographie und Joh. Muͤller's Briefe an Bonfterten 
und an feinen Bruder, find die befte und fruchtbarfte practis 
fhe Anleitung zum biftorifhen Studium, welde dem zum 
Beſſeren aufitrebenden Deutſchen Süngling zu feiner gedeihlis 
hen, nur aus eigenem Wollen erzeugten Selbftbildung zum 
rechten hiftorifhen Studium empfohlen werden kann. 

No. 5. Wenn es eine ausführlihde Kritit der von 
WBoltmann’fhen Schrift gälte, fo würde fih Rec. aus 


Edel vor der lofen Speife fenerlich davon losgefage haben z 


es thut aber eine mit vollftändiger Beweisführung ausgeftattete 
Darlegung der Verwerflichkeit diefer nur ihrem Verf. ungäns 


fligen Schrift Gottlob nicht mehr nörhig, da der Unwille - 


darüber von vielen durch Geiſt und Kraft des Gemuͤthe her⸗ 
vorſtechenden und ihr Stimmrecht beurkundenden rechtlichen 
und guten Maͤnnern wiederholt laut ausgeſprochen, und das 
Publicum, wenn es des bedurfte, genugſam gewarnt worden 
iſt. Mag Kunſtneid, dem auch beſſere Naturen unterworfen 
find, mag Schulhaß, wie er einſt den Anti-Ariſtoteliker Des 
ter Ramus blutig verfolgte, gereist und zum Böen vers 
fuchet Haben; immer tft fchwer zu begreifen, daß Ar. v. W. 
in dem von ihm dech gewiß ans Erfahrung fo hoch berechnes 
ten Umgang mit Weibern nicht fo viel Feinfinnigfeit und 


richtigen Tact erworben haben follte, um das Gemeine und - 


Veraͤchtliche eines folhen Verfahrens fogleich zu fühlen und 
den erften Gedanken dazu als Ausgeburt eines unglüdlichen 
Augenblicks, ſich ſelbſt bloß durch bisweilige Erinnerung daran 
ſtrafend, zu unterdruͤcken. Was in aller Welt konnte ihn zu 


Schriften über Johannes Muͤller. 61 


diefem Schritte bewegen, zu dem litterarifchen Banditenftreiche, 
feinem angeblichen „ eben mwortlos gewordenen Freunde meuchs 
lriih das Koͤſtlichſte zu vauden, was Sterblihe hienieden 
baden und verlieren. können ? und zwar zu rauben mit yer: 
ſuͤßenden und Die leidenſchaftliche Sewaltthätigkeie bedeckenden 
Lobiprähen und unter der Hülle ſogenannten freyen Kraft: 
eifers für Wahrheit und Gerechtigkeit? Beym Himmel, was 
konnte ihn beſtimmen zu einem ſolchen, fhon nach den Regeln 
alltaͤglicher Klugheitt unverzeihlichen und, nad) den ewigen Ge⸗ 
fegen innerer Gerechtigkeit in der Weltregierung, unausbleib⸗ 
lihe Selbſtrache drohenden Schritte? — Wollte man Ken. 
v. W. Arges mit Argem vergelten, fo fönnte er leiht mit 
vieler Wahricheinlichfeit.begüchtigt werden, day ihm noch etwas, 
Unedleres, als bloß armielige und Mitieiden erregende Eitels 
feit, angerrieben babe, fo zu handeln; daß es ihm nicht bloß 
daram zu thun geweſen ſey, feinen Mamen durch einen ges 
fenerten weniger beeinträchtigt zu fehen; daß er vielmehr dar: 
anf ausgegangen ſey, im Preusiihen Staate, mit deſſen 
Organiſation er fich vielleicht nicht bloß fchriftftellerifch beſchaͤf⸗ 
tigen wollte, in Dem Staate, wo es damals zum Tone dir 
fogenannten guten Geiellihaft gehörte, den vermeintlih ads, 
tännigen DE KL ler herabzuſetzen und zu verleumden. ſich patrios. 
tiſh wichtig zu machen, indem er mit Einem Hauptſtreiche den, 
von mehreren Seiten vergeblich angegriffenen Ruhm des ver; 
haften Apoſtatenn zu Boden ſtrecke. Und wenn es Dies nicht 
war, was ihn tried; iſt es nicht unbefchreiblich klein, nicht er⸗ 
tragen zu fönnen, Daß der Mitbewerber um hiſtoriſchen Ruhm, 
von Franzdiiichen Feldherren und Staatsmännern gekannt und, 
geachtet war. vom Kaijer Napoleon durch eine lange . Audienz, 
ausgezeichnet, bald nachher zu einer Minifterftelle berufen 
wurde? und wenn dem, aud fpäterhin in feiner naͤchſten Ums 
gebung wenig beachteten Hrn. von Woltmann dieles wehe 
that, war es nicht Bleinlihe Nahe, die Manen des MWorgezos 
genen nur zu feiner Demuͤthigung mehr bekannten und ge— 
ehrten zu ſchmahen? — Die erbittertſte Feindſchaft hätte kein 
wirkſameres Mittel, dem Herrn v. W. zu ſchaden, erfin— 
den fönnen , als er ſelbſt erfunden und angemendet- hat, 
Möge ihn Die allgemeine Indignation zur Selbſterkenntniß 
fähren! — VWon ſeinem Bude kein Wort; denn es wäre, 
als träte man mit ihm ſelbſt gegen ihn in Buͤndniß, wenn 
der Inhalt degfelben erneuert und durch Widerlegungen und 
Berihtigungen in feiner ganzen Häßlichkeit verjünge würde. _ 
No. 6. iſt einer der vorzuͤglichſten Auffäge, weiche die 
anze Deutſche Litteratur in dieſer Gattung aufzuweiſen hat. 
De Redner Aberlabt der Nachwelt, den von allen Raͤckſichten 





! 


6A Schriften über Jobannes Mälkr. 


einer befferen Macwelt zur Erbauung. erhalten wird; es find 
Meifterfiücke ver-Beredfamkeit, und was Hr. R. m ihrem 
Nuhme fagt (S. ad), ift mit dem Urtheile aller Unbefange— 
nen volltommen uͤbereinſtimmend. — Was weiter über Ms 
Sompofition bemerkt wird (S. 3a fg.), zeichnet fih fo fehr 
durch tiefeingreifende Wahrheit und Angemeffenheit aus, daß 
es durch einen Auszug nur verlieren könnte; es muß ganz ges 
fefen und follte beionders von denen behergigt werden , welche 
ihre idealiftifhe Phantasmen der Hiftorifhen Kunft aufzudrin: 
gen nicht müde werden. Auch M’s Vortrag wird (S. 37 ft.) 
gerecht und erihöpfend beurtheilt. Zuletzt einige Betrachtungen 
über des großen Hiſtorikers Schwächen, welche bey feinem 
wohlbegruͤndeten vielfachen Werdienfte nicht verfchwiegen oder 
verfchleyert zu werden brauhen. Er bat bisweilen dem Slam 
ben zu viel eingeräumt (S. 42) und fih, indem er das 
Entgegengefeste wird, dem Aberglauben genähert. Er wird 
bisweilen von zu lebhafter Theilnahme hingeriſſen. Nicht ims 
mer mäßig genug ift fein Lob, und im Vergleichen moberner 
Männer mit- den Männern des Alterthums verläßt ihn hie 
and da kalte Beſonnenheit. Auch artet feine Umſtaͤndlichkeit 
oft in Weirläuftigkeit aus, und in dem Anreihen kleiner Züge 
wird der Zuſammenhang vermißt; fein: Vortrag ift ungleich 
und nod) mehr feine Sprache. Aber dieſe Fehler finden in 
den mannigfahen KHindernifien, mit welhen er fein Leben 
lang zu fänpfen hatte, volle Entfhuldigung, Unbeſtritten 
bleibt ihm der herrlihe Ruhm, fi über fein Zeitalter ers 
hoben, und „jene mehr bewunderte als eingefehene Kunfl 
‘der alten ‚Sefchichtichreiber, unter den Dentfchen yuerft: ge 
übt zu haben; ia ihm erfcheint ‚vor unfern. Augen bie 
Macht, die Würde, die Hoheit, ja die Goͤttlichkeit der Ges 
schichte.“ N ; > 

Das Verdienſtliche in dem gelungenen Unternehmen, den 
größten Deutichen Geſchichtſchreiber von allen Geiten, nah 
allen feinen Eigenthuͤmlichkeiten, in einer des. Gegenſtandes 
‚würdigen Sprache und in einem dem Muͤllerſchen verbruͤ⸗ 
derten Geifte, am richtigſten und erfchöpfendften charakterifirt 
zu haben, wird die Ausführlichkeit diefer Anzeige rechtfertigen. 
Es ift ein zu feltener Genuß, welden eine folhe Rede 9% 
Fr ale daß längeres Verweilen bey ihm mißbillige werden 

unte. 


D. Ludwig Wachler. 


( Die Anzeige von drey andern Ehriften üher Iohannes Müuer folgt im 
nãchſten Stück. 


en u 050.090 3%, 2023027 So 


No. 5: Deidelbersifhe 1813. 
Jahrbücher der Litteratur. 





# 
Pi 


Wir fügen zu der in No. 4. enthaltenen Beurtheilung 
von Schriften. über Johannes Mäller noch die Anzeige von 
folgenden drey Reden deſſelben Inhaltes hinzu: 


1) Johann:von Müller. Eine Gedächtnifsrede ; gehalten im 
großsen Universitäts - Hörsale den 14, Junjus 1809 von D. 
Ludwig Woeachler, Consistorialrath und Prof. in Mar- 
burg. Daselbst in der Academischen Buchhandlung 1809, 
08. 8. 

2) Rede zur Gedächtnilsfeyer Johann von Müllers , gehalten 
am 14. Junius 1809 im grofsen Auditorium zu Marburg 
von C. Rommel, Prof. zu Marburg (jetzt Prof. zu 
Charkow)). Marburg, in Commission der Kriegerschen 
Buchhandlung. 2358. 85. (3 ggr.)' 

, Was Johannes Muͤller weſentlich war und und ferner ſeyn muͤſſe. 
Eine Vorleſung/ gehalten am Gedaͤchtnißtage feines Hingangs am 

29. May 1818, “im großen afademifhen Saafe zu Aſchaffenburg. 

ton Dr. C. J. Windiſchmann, Großber. Hofmed. und 

Prof. Winterthur, in der Steineriſchen Buchhandlung. ıyıı. 

36 S. 8:. ; \ i 


Dı beyden erftern Neden, an demſelben Tage nach einander 
zu Marb urg geßaften, rufen die redliche, wohlgemeinte Fürs 
firge ins Andenken, welche die. Marburger Hniverfitdt, wi⸗ 
die Abrigen Weftphäliihen Univerfitäten, in einer den wiſſen⸗ 
ſhhaftlichen Anſt alten unguͤnſtigen Zeit von Johannes Muͤller 
erfuhr; die erſte und dritte find zugleich Denkmale der freunds 
ſchaftlichein Verbindung ihrer Merfaffer mit dem verewigten 
großen Mann. | - 

der €. R. Wädler benukt in No. 1, die Schilderung 
des chätigen und "wirfüngsvollen Lebens und die Entwicklung 


der Hiftoriichen Verdienſte uuſers Müller, um in feinen Zu⸗ 


horern gute Vorſaͤtze, Nachahmung des Beyſpiels von Muͤller, 


einen Etfer für ‚pad &ute, für Recht und Wahrheit, wis der 
BSR Deere 6 — 








. 
N 


66°, Schriften über Jobannes Möller. - > 


Verewigte ihn hatte, Liebe der Freunde, wie bie Liebe Mal⸗ 
ter's zu Bonſtetten, zu erwecken, Wir heben folgende Stele 
aus, um die Darftellung und Sefinnung des Nedners zu ber 
- zeichnen: „Einen feflen Lebensplan wollen wir fallen und 
ſtandhaft verfolgen, denn Mäller”s Beyſpiel Ichrt uns, daB 
der Menfh kann, was er will. Sein ganzes Leben war ges 
ordnet, um einen vorgefegten Zwed zu erreichen; er freute 
fih des herrlichen mähfamen Weges; Anflrengung war ihm 
Pflicht, und ohne fie wäre das Leben eine Laft ihm gemwefen. 
Der Vorſatz und die Zuverſicht, wirkſam zu werden, zum ges 
meinſamen Wohl, gab ihm mehr als alles andere Stanphafs 
- tigkeit und Ruhe; Pflicht und Ruhmbegierde machten ihn 
jeder Verſuchung unüberwindfih. Chrenftellen fchlug er aus, 
zeitliche Wortheite verfchmähete er, weil er für nachkommende 
Geſchlechter arbeitete, weil er Völker unterrichten, Troft und 
Kath für die unterdrückte Menfchheit erfinden, Freyheit und 
Geiſteserhebung in die fernſten Zeiten verfündigen wollte: 
Wer ein würdiges Ziel im Auge behält und entfhloffen vers 
folge, wird Befland und Kraft ins Dafeyn bringen, und das 
durch dem Daſeyn Werth und Fruchtbarkeit verleihen.“ Gehr 
“wohl hat uns die S. 024 angeftellte Vergleihung zwiſchen 
. Müller und Tacitus gefallen. Ueberhaupt wird niemand dieſe 
Rede ohne Belehrung und innige Theilnahme lefen. Die zwölf 
Beylagen enthalten einige genanere Ausführungen von Lebens 
umftänden und Schickſalen Müllers, welche in dir Rede nur. 
angedeutet find, Belege oder Erläuterungen zu einigen Bae—⸗ 
Hauptungen aus feinen Briefen u. f. w.; endlich die. Rede 
des Minifters Simeon an Muͤller's Grabe, und die Lateinis, 
ſche Elegie des Herrn Prof. Mitiherlih zu Göttingen auf 
Müller, beyde aus dem Weſtphaͤliſchen Monitene abgedruckt. 
Sin No. 2. herrſcht eine jugendliche Vegeifterung für. 
Muͤller's Größe. als Hifktoriter und eine wohltäuende Webers 
zeugung von der Reinheit und Teefflichkeit ‚feines Charaktere + 
jedoch mißfallen hat ung die zivar wohlgeiyeinte, aber. unpafiliche 
und unbeholfene Ruͤge gegen diejenigen, welche Müller in 
: den legten Zelten feines Lebens nicht als geſchickten und im 
-allen Lagen‘ gewandten Geſchaͤftsmann anerkennen wollten, 
Ein Lobredner Müllers als großen Hiſtorikers und edein 


Schriften über Johannes Muͤler. & 
Mannes ſollte ſolcher wirklichen oder vermeintlichen Schwächen, i 
meihe außer den Srenjen feines Zwecks llegen, entweder nicht 
gedenken, oder auch Den Gegnern Gerechtigkeit widerfagren laſſen, 
wos freylich mit wwersigen Worten und auf eine für eine Be 
haͤhtnißrede paffende Weiſe nicht gefchehen konnte. Eben des⸗ 
wegen meinen wie aber and, daß diefe Seite von dem Redner 
draus nicht Hätte berlihrt werden follen; zumal, ba unfer 
großer Hiſtoriker ſelbſt wohl wußte, daß Feine menſchliche 
Groͤße voſſkommen tft, auch Miller feiner wahren Beſtim⸗ 
mung Wohl bewußt, mit dem bitlerften MWorgefähl in den 
Gtrudel Ber letzten Jahre feines Lebens einging und nur mit 
Ummuth darin blieb -( mas nieinand ohne Rührang, der unge 
rehte Richter Muͤller's nicht ohne dem verfannten Maun das 
jügefägte Unrecht abzubitten, ih den Briefen des fiebren Theils 
von Mällct’s erben wird lefen können ), endlich auch Hr. Roms 
mei doh am Ende zu Muͤller's Lobe in dieſer Hinſicht nicht 
viel anders zu ſagen weiß, als dafs viceicht Umſtaͤnde obge⸗ 
valtet, durch weiche feine Wirkjamteit als Gefchäftsmannes bes 
ſchrͤnkt worden, und niemand Muͤller's Pläne für fein Ger 
fhäftsieben genau gekannt habe. Wäre Müller ein gewandter, 
hier, ſtreng und ruͤckchtlos durchfahrender Geſchaͤftsmann 
geneſen, fo wuͤrde er zwar nicht nur von rechtſchaffenen Maͤn⸗ 
nern Weniger verkannt worden ſeyn, ſondern auch ſelbſt der 
bergenen Fehlern großer Männer nachſpaͤhenden Laͤſterungs⸗ 
ſuht, und dem kurzſichtigen, neidiſchen und liebloſen Verklei—⸗ 
mungöfiniz Ines litteraͤriſchen Pobele und feiner Wortfͤhrer 
weniger Wtößen dargeboten haben. Aber er würde dann hicht 
der wohlwällchte‘, die. Sitten iind Vorurtheile der verſchiedenen 





Zeltaller des menſchlichen Geſchlechts mit Beſcheidenheit, das 


GSofſ jeber Art und Zeit anerkennender Billigkeit und ſcho— 
nentes Eiebe beuvbtheilende Geſchichtſchreiber geworden ſeyn, als 
wien ihn die Nachwelt noch höher ſchaͤzen wird, denn unſer 
Zeue tue 

Des ängeneßrki war es uns, in’No. 3. wieder bloß den: 
wigerichafelichen Wirkungskreis Muͤller's, auf welchem fems 
SGroͤße kuhrr, ſeinen edein Charakter, fein tiefes religiðſes Ge⸗ 
na uub ſetue rebliche Liebe fir Wahrheit und Recht, woraud 
des großen Mannes herrliche und erhebende Auſicht der Seſchichte 


68 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


und ſeine belebende und erwaͤrmende Begeiſterung fuͤr die Wiſſen⸗ 
ſchaft, fuͤr welche er lebte, hervorging, in einer anſtaͤndigen, paſ⸗ 
ſenden, meiſtens edeln Sprache gewuͤrdigt und als Vorbild zur 
MNacheiferung aufgeſtellt zu leſen. Die Auszuͤge aus den ſchriftli⸗ 
chen Mittheilungen M's an den Verf. uͤber wichtige Intereſſen 
der Zeit und Wiſſenſchaft geben noch dieſer Rede einen eigen⸗ 
thuͤmlichen Werth, und duͤrfen nicht von denen uͤberſehen werden, 
welche ſich ein gerechtes und vollſtaͤndiges Urtheil über den fo un⸗ 
billig verfannten und gewiſſenlos gefhmähten Mann zu bilden 
wünihten. Wir würden mehrere Stellen diefer Rede bier au 
heben, wenn wir uns, nicht gedrungen fühlten, unfere Lefer zum 
Befen diefer lehrreichen Betrachtungen aufjnforhern. a ) 


Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Göthe. Bwentet 
- Theil. Was man: in der Bugend wünſcht, bat man.im Alter die 
Füle. Tübingen in der 8. ©. Cottaifchen Buchhandlung. 1818, 

573 ©. in il. 8. (S. Jahrg. 1512. No. 15.) 

Scehites Bud. Der junge Verfaſſer fist noch in Liebes‘ 
gram auf feinem: Zimmer. Beobachtungen, die man über 
fein Herz anftellt, und die er durchblickt, vermehren feinen 
Verdruß. Bald erhält er noch einen befondern Aufieher ale 

Stubennachbar, jedoch in. einem Wanne, den er liebt und 
Shäßt, und dem er feine Gemuͤthslage ohne Ruͤckhalt vertrauen 
kann. Diefer eröffnet ihm gegenfeitig. den Ausgang und nähert 
Derhalt jenes verwicelten Handels, und indem er Gretchen 
dabey das ruͤhmlichſte Zeugniß gibt, heilt er die verzweifelt: 
Liebe des Juͤnglings durch Kraͤnkung ſeines Ehrgeizes. „Ich 
kann es nicht laugnen, ſagte Gretchen, daß ich ihm oft und. 
getne geſehen habe; aber ich habe ihn immer als ein. Kind 
bitradytet, und meine Neigung zu ihm war mahrhafk 
ſchweſterlich.“ Bon diefem Froſt gefälter, ermannt fich 
Juͤngling aus einer Leidenſchaft, welche ſeine Geſundheit unterm 
geub ; und während er fih nunmehr auf die Academie vorbe⸗ 
veiten ſoll, ohne daß die Arbeit ihm ſchmecken will, ſo ger 
er ducch feinen Freund, einen Schüler von Darjes, in p 
Studium oder vielmehr die Kritik der Philoſophie. ↄ Unſet 
wichtigſte Differenz war die, daß ich behaupyete, eine abgel 









' 


Aus meinem-Leben von Gothe.  .69 


@ ; 
derte Philsſophi e Fey nicht noͤthig, dem fie ſchon in der 
Religion und Poeſie vollkommen enthalten ſey. — Denn da 
in dee Poeſie ein’ gewiffer Glaube an das Unmoͤgliche, in ber 
Religion ein eben folher Glaube an das Unergründliche ſtatt 
finden muß : fo fehienen mie die Phildſophen in einer ſehr 
übeln Lage zu ſeyn, die anf ihrem. Felde beydes beweiſen und 
erlären wollten." : Nee. wuͤnſcht Seſes kindliche Urtheil, "das 
eine große Wahrheit fpielend anspricht, manchem Wellen als 
Heilmittel gegen dem dogmatiſchen philofophifchen Spleen vers 
ordnen zu können. Wenn jedoeh der Verf. fih als junger 
Aritiker am: liebſten mit der Geſchichte feiner Wiſſenſchaft bes 
ſchoͤtigt, und alle Meynungen ehren kann, ins Dunkel ‘der. 
aAlteſten Griechiſchen Philofophen nicht einzudringen vermag, 
Boftates hochachtet und feine Schüler gering ſchaͤtzt, So zieht 
er hierauf S. 14 eine Parallele, der er fo eben Ihre Sentenz 
gelpeochen hatte. Die Stoa Übrigens wird fein philoſophiſches 
Ideal. — Mon Hypshondrifden Amwandiungen geplagt, vers 
tioft fi) der nun nicht mehr unbefangene junge- &. ‘am lieb⸗ 
fin. in die Schasten der Wälder, wohin fein Freund ihm gu 
felgen: genörhigt ft, und verfense fi wehmuͤthig in ihre Er⸗ 
hbebenheit. Durch frühen Iimgang mit Malern 'gensöhnt, wie 
fe, die Segenſtaͤnde in Bezug auf die Kun anzuſehen, 
wird ex Hier Naturzeichner; feinem eigenen Urtheil nach ohne 
beſonderes Glujck, wenigſtens für die Ausführung des Einzel 
neB, Das. ihm als Dichter und „Zeichner ſtets hinter der Wir⸗ 
tung Ded: Genzen verſchwamm. Geine Skizzen werden Ihm 
mtimentales: Erinnerungsbuch, feinem Vaier ein Gegenftand 
hegender Sorgfalt. Man geftattet ihm weitere Wanderungen 
ins benachbarte Gebirg und die Nheingegend, von wo er mit 
ahalicher unvoſlkommener Kunſtbeute wiederkehrt. Von dieſen 
Eertifereyen werden wir mit: dem jungen Dichter nach Hans 
puräcfgegagen, umb lernen: die fo reiche’ dis ſehnſuchtsvolle Seels 
(inae: damaligen Lebentvertrauten, feiner wuͤrdigen Schweſter, 
achft ihrer: Geſtalt, wiher kennen; einet Freundin, in’ der om 
diexes, Verhaͤlentß ihn zwar für Gretchen entſchaͤdigt, ‚aber die 
Herzen der Geihwifer ner peinliher ſpannt. Gin birderer 
jnupee Engländer’ bewirkt einige Aufloͤſurg, undemit ihm tto⸗ 
ten wie bepeguter Jahrszeit in die muntere Ingendgeſillſchaft 


* 


70 Aus meinem Sehen von Goche. 


aus beyden Geſchlechtern, welche ſich um das Geſchwilierpaar 
ſammelt, ſich nah Wunſch und Loes zuſammenvaart, einen 


ungenannten beredten Capuziner zum Maiſter, und den wackern 


Freund Horn, der ſich unter andern im komiſchen Melden: 
gefang verſucht, zum umentbehrlichen Liebling Hat. — Goͤthe, 
bereits inſtuutionenfeſt, verfällt auf Geſchichte der alten Eittes 


ratur und Encyclopaͤdismus duch die Werke von Gegner, 


Morhof und Bayle. Die alten Sprachen werden ihm immer 
aufs neue wichtig; doch vermag er ſich, and Schwaͤche in den 
Aübrigen, nur an die Lateiniſche zu halten, worin er es, we 
in neuern Sprachen, hauptſaͤchlich durch Lefeüpungen ohne 
Srammarit zur beiomdern Fertigkeit bringt. . Der Michaeliszeit, 
wo die Asademie bezogen merden fol, drängt Ihn jugendliches 


. Mißvergnügen mit feiner Heimath und Ahnung einer; ſchoͤnern 


N 


Fremde entgegen. Mit diefer Empfindung verſchmelzt fih — 
Dec. kennt ein genau ähnliches Beyſpiel hievon — Widerwille 
gegen die juriſtiſche Beſtimmung, und der Entwurf einté 
geiſt⸗ und genußreichern Lebensplans, in Gedanken auf die 
ſoliden Studien des Alterthums gegruͤndet, von gehofften Fort⸗ 
ſchritten in der Dichtkunſt erheitert, und durch das Bild einet 
academiſchen Lehrftelle begraͤnzt. Den Sohn verlange nad 
Goͤttingen, der Vater beharrt auf Leipzig. Die Reiſe dahin 
wird mis Buchhaͤndler Fleiſcher gemacht, und unter einigen, 
theils komiſchen Abentheuern zuruͤckgelegt. Leipzig zeigt dem 
erfreuten Ankoͤmmling das Gegenſtuͤck ber Frankfurter Meſſe, 
und gewährt ihm in der regelmäßigen Banart 'eine neme, an 
ſich wohlthaͤtige Erfcheinung, worin ee ‚nur die gewohnten 
Wunder der Alteorhümtichleit vermißt. Zwiſchen Den treuge⸗ 
fhüderten Verhaͤltniſſen der feingeſitteten Univerſtiaͤt, mo wir 
den Staatsrechtslehrer Hofr. Boͤhme und ſeine verſtndeze, 
muͤtterlich auf Goͤthen wirkende Gattin beſuchen, ein Gemälde 
des vielverehrten Gellert erhalten, Morus und einige 


endre Männer im Veruͤbergang erblicken, dammern trublich 


Die innen Widerſpruͤche über Wahl tier Beſtimmung, -u0 
manchealey Merlegenhaiten gegen die sorgefundene Weit, ihren 
Seſchmack und ihre Urtheile, als Grundton hindurch; wobty 
fogar. duch Mehlert. geſchreckt, ſcheu der Genine die Fihgel 
ehaplahı; aud vleichwie die Garderobe ſich vermandelt, 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 


das Gemath ſich ſelber abſtreifen will, und von einem Infchten 
Anflug naturhiſt oriſcher Wiſſenswuͤrdigkeiten unterhaltend ans 


geregt, uͤber feine liebſten Erzeugniſſe ein rauchendes Autodafe 


veranſtaltet. 
Siebentes Bud. Die Blicke auf Dentſche Literatur, 
m vorigen Buche ‚mit Ruͤckſicht auf deu Ort gethan, erweitern 
id) Bier einleitungsweife aufs Gange, und erſtrecken fi abs - 
wechſelnd bis an den Schluß: Ein fehr wichtiges Stoͤck aus 
der Geſechichte unſerer Poeſie, vom Geſchichtſchreiber erlebt, 
wit Veziehung auf ihn ſelbſt ergriffen, und nach langen Jah⸗ 
ven poetiſcher Erfahrung mit aller erworbenen durchdringenoen 
Sachkenntniß Dargefiell. Er fest voraus, was ſchon im vorfs 
gen Buch beyläufig beſprochen war, mämlich das damalige 
große Sewäfler um den poesiihen Parnaß, worin Goͤttſched 
— wir möchten fagen, als ein edler Wallfifch Kanyte. Indem 
ber Derf. den barocken, pedantiihen Ton und Sprachausdruck 
jener Zeit in wenigen Worten glüdlid sufammengreift, und die 
Wafferfluch aus deſſen Gegenfag ableitet: "fo begiant er hier⸗ 
auf die litterariſche Erzählung mit den beyden Nuheftährerinnen, 
Satire und Kritik. Bey der erfleen werden Liskov und 
Babener zufammen abgewogen, und letzterer nach Verdienſt 
Aelobt. In der Kritik erſcheint eine troſtloſe Anarchie, weil 
teiner. die Conſtitution ahnet oder finhen kann. Gottfchebis 
und Breitingers kritiſche Dichtkuuſt zeigen fih im: ihrer 
Blöße,: und bie. Verivierung, wird. beklage, in die ſich der 
Verf. und feine, Geſellen durch den Abgang eimer ſyſtematiſchen 
Lchre-verfegt ſehen, Ueberdies iR .Maugel m einem natianel⸗ 
len Schalte dee Poefie, bey genugſam worhandenen Talenten, 
4. B. Bünthers — inter diefen,-Bendien, und Betrach⸗ 
mügen wird ©. duch den. Beſuch ſanes Landemanns Joh. 
Georg Scko ſſer uͤberraſcht, des fireng: gefittetem, ernſten, 
gelehrt⸗ gebil deten, fähigen. jungen Mannes und gewandten 
Oqriftſtellers, deſſen kurzer Umgang bodentend und untenriche 
nd für ihn wird. Mit ihm werden: Reippigs. große Mom 
beſucht, worunter der riefenhafte Gotfchentine ziemiidg einzige 
Some liefert. Schlofſers Anweſenheit weroniaße einen Wechſel 
des taͤglichen Difches, und hieducch Tomıms: ©. aufs mine mit 
enwirtenbem- Monfchea in Seägrung, und — erhe 


3 








72 Ans meinem · Leben von FR * 


an Annchen Die erſte Nachfolgerin. — Aus — breiten, 
waͤſſerigen Styl rettet ſich Die Litteratur durch Beſtimmtheit 
"und Kaͤrze. Haller, Ramler, Leſſing, Wieland, 
Klopſtock, Gerſtenberg, Gleim, Geßner werden 
nach dem Charakrer ihrer, damals neuaufgehenden, Erzeugniſſe 
gewuͤrdigt, und die Flachheit der ſie beurtheilenden Kritik ge⸗ 
ruͤgt. Mit der‘ Sache des Geſchmacks verflößt ſich die des 
denkenden VBerſtandes, mittelſt Anbruchs einer philoſop hiſchen 
‚Auffärung , die jedoch die Theologen zur ſogenannten nadur⸗ 
'fihen Religion hinneigt, und jene mißverftandene Bibelktittk 
eingebt, an deren Machwehen wir noch zur Stunde feiden. 
Auf der andern Geite erhebt fü ch der ehrwaͤrdige Bengel, 
und unter den Anhängern feines Syſtems Ern fing; während 
‚Ernefki mit den Seinigen bie klare Gegenyarthey bilden, 
zu der ſich auch der. Verf. nicht ohne Warnungen feines beſſern 
Genius Hält. Verbeſſerung wird der Kanzelberedfamkeit And 
moraliſch/ theologiſchen Schriftſtellerey durch Je rufa fem, 
3o0llikofer, Spalding; der medioiniſchen Särabirt 
durch Aaller, Unger, Zimmermann; der ſchwer heilbe; 
‘zen jueiftäichen duch'v. Mofer und Puͤtter; der populaͤr⸗ 
philoſophiſchen durch Mendelſohn und Garde. Kleiſts 
Bilderjagd lädt den Dichter zur Nachfolge ein, und gewöhnt. 
rihn, in Außern Gegenftänden tiefere Bedeutung zu fehen, wozu 
"das launiſche Verhaͤltniß mit Annchen die naͤhern Anlaͤſſe her⸗ 
leiht. Friedrich de Böoße Adudie Thaten des ſiebenjaäh—⸗ 
rigen Kriegs vwerichaffen! der Deutſchen Porfie den fehlenden 
Stoff und. eigenclichen Lebensgehall. Gleis Kriegslleder, 
Mamlers Oden, wor allem: · Winn⸗ vor Barnhelm. — 
„Sonde ich, flieht der Berl. @.'165 ff. — und diefe Stelle 
verbient wegen Ihrer vharalteriſtiſchen Wichtigkeit ausfheliche 
‚Mitcheiung — hats ich durch dieſe curſoreſchen und deſaultoti⸗ 
ſchen Bemerkungen Aber Deutſche Literatur meine Leſer in 
einige Verwirrung geſetzt, fo iſt es mir gegloͤckt, eine Vorffel⸗ 
fang’ von jenem chaotiſchen Zuſtande zu geben, in welcheri Th 
mein armes Gehten Sefand, als, im Confliet zweyer, faͤr das 
Nlitterariſche Vaterland fo bedentenden Epochen, fo viel Neues 
“auf mich eimdrändte,‘ ehe ich mich mie dem Alten‘ hatte abfin⸗ 
: bt, To vlel Aur⸗ fein: Rocht noch Aber” mich gelten 





Aus meinem Leben von Gothe. 73 
machie, da ich ſchon Urfache zu 1 haben glaubte , ihm vollig 


entſagen zu Dürfen. Welchen — ih einſchlug, mih aus 


Idefee Nord, wenn auch nur Schritt vor Schritt, zu retten, 
Bu ih gegenwaͤrtig möglichft zu übertfefern fuchen. Die 
weitihweifige Periode, in welche meine Jugend gefallen war, 
Harte ich treufleißig, im Gefellſchaft fo vieler wärdigen Männer, 
purchgearbeitet. Die mehrern Quartbande Manuſcript, die 
ich meineni Water” zaruͤcklieh, konuiten zum genugſamen Zeugs 
niffe "dienen , und weiche Maſſe von Verſuchen, Entwürfen, 
vis pur Hälfte ausgeführten Vorfaͤtzen, mar mehr aus Mißs 
muth ats ans Usberzengting in Rauch aufgenangen. Nun 
fernte ich durch Unterredung überhaupt, durch Lehre, durch fo 
manche widerſtreitende Meynung, beſonders aber durch) meinen 
Tiſch genoſſen, den Hofrath Pfeil, das Bedentende des Stoffs 
und das Ehneife der Behandlung mehr und mehr fchäßen, ohne 
mir jedoch klar machen jt koͤnnen, wo jenes zu ſuchen und 
wie dieſes ju erreichen ſey. Denn bey der großen Beſchraͤnkt⸗ 
heit meines Zuſtandes, bey ber Gleichguͤltigkeit der Geſellen, 
dem Zurädhaften. der Echret , der Abgeſondert eit- gebildeter 
Einwohner , bey arz indereutenden Natutgegehtänden, war 
sh gendthigt, altes in mir ſelbſt zu ſuchen. "MWerlangte ich 
wun zu meinen Gedichten cine wahre Unterlage/ Empfindung 
oder Hefl: xion, fo. mußte ih in meinen Buſen greifen; for⸗ 
derte Ih zu pockifcher: Darftelung eine unmittelbare Anſchauung 
des Sefgenſtandes, der Begebenheit, , fo durfte ich nicht aus 
dem Rekiſe heranstreten, der mid 'ja betuhren, mir ein In⸗ 
tereffe einzuflößen geeihnet wor. JA diefem Sinne fchrieb ich 
juerft gewiſſe kleink Gedichte: in Pieberform oder freyerm Syl⸗ 
benmaaß; fie entſpringen aͤus Reflexion, handeln vom Ver⸗ 
gangenen, und nehmen mekeiſteine epigrammartiſche Wenbung. 
nd fo begann difienlige Richtung von der ih) "mein ganzes 
Leben Aber nicht abweichen konnte, naͤmlich baffcnige, was 
mich eifreute, oder quaͤlte, oder fonſt befchäfttgte, in ein Bild, 
ein Gedicht zu verwanbein, und daruͤber mit mie ſelbſt abzu⸗ 
ſchließen, um fdwohk heine Begriffe von den dußern Dingen 
zu berichtigen, ale‘ mich im Innern dethalb zu- beruhigen. 
Die Babe htezu war wohl Niemand nörhiger ais mir, den 
"feine Mar: immerfort ans einem Ertreme dns ‘andre warf. 


J 


7 Uns-meinen.Ichen von Ghihe. 


Alles was daher. von mir bekannt geworben, find nur Beuch⸗ 
ſtuͤcke einer großen Confeſſion, weiche ‚vollfländig zu machen 
dieſes Büchlein ein gewagter Verſuch if.“ — Wir werden 
unten diefe Stelle. zu. gewiſſen Reſultaten brauchen. Aunden, 
von dem Dichter durch Eiferſucht gequält, geht für ihn »erlos 
ren; die ‚Ältefte feiner überbliebenen dramatiſchen Arbeiten: 
Die Laune des Verliebten, . if die: poctifche Ausbeute 
diefes Verhältniffes. Die duͤſtern Kruͤmmen und Sergänge 
der bürgerlichen Geſellſchaft, ihre geheimen Gebrechen mund 
Verbrechen, in die er zum Theil ſelbſt als wohlehätiger Theil⸗ 
nehmer verflochten wind, fordern ihn zu mehrern Schauſpielen 
auf, von denen nur die Mitſchuldigen zur ‚Vollendung 
kommen. Er tadelt ſich wegen verſaͤumter theatraliſchen Mas 
tive, zu denen er in ſich die naͤchſte Anweiſung fand, naͤmlich 
der gutmuͤthigen. genialiſchen Streiche. — Beine. Freundin 
Baoͤhme ſtirbt. Bey Gelegenheit: von Gellerts frommen Fu 
mahnungen kommt ein Wort über kirchliches Weſen gor, wor⸗ 
über wir nachher ein anderes zu ſprechen haben. Fuͤr jetzt nur 
fo viel, daß unfee Anſichten in her Recenfion des erften Theile 
hier durchaus beſtaͤtigt werden, und dag ©. unter mens 
gar weltlichen Umgebungen der Zeiten, Orte und Mens 
Shen, ohne die.große Beweglichkett feiner Natur, „md ohse 
die alles verfchlingende Vorliebe für die beluſtigende Weite ber 
Kunft, früh und ..bleibend von dem Geifte des Neligiay ange 
faßt worden wäre; obſchon wir jegt von ihm Vernchun daß 

er, ſobald er Leipzig orreicht hatte, fi von ber Limhlichen 
Verbindung ganz und gar loszuwinden ſuchte, Gellerts Eu 
mahnungen zur kirchlichen Erbauung ihm druͤckend wurden, 
und er feine religiäfe Gewiffensang mit Kirche und Altar 
völlig hinter fi) ließ... Noch etwas über Gellerts moraliſche 
Vorlefungen, und die Werunglimpfungen feines Damen bes 
der Leipziger Wei. Aehnliche herabwärdigende Hrsheite uͤber 
Friedrich II. rauben dem, Verf. mehr umd mehr das angenchätt 
Gefühl der Verehrung menschlicher ‚Warzüge. . Aber auch die 
Achtung vor den richtenden Mitbürgern, und Danchen bi 
Glaube an das Werdienſt gleichzeitiger Shriftkelisr,. ſiult ben 
ihm duch einen nenen Freund, den poſſirlichen Tadler wa 
eigenfinnigen Zicemeiſter Seprifg: Für parifge Omitn 


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us meinem Beben von Goͤthe. 15 
gen teitt als Docent Proßffor Ele bins mis Gellerts Voll⸗ 
meh anf. Ein von Haus unfeem Dichter aufgetragenes 
Erithalamium für den Oheim, einen Frankfurter Rechtsge⸗ 
lehrten, verſammelt, in Ermangelung muntererer Mittel, den 
ganzen Olymp; die Ruthe des Lehrers aber: gibt dem Dichter 
Veranlaſſang, den himmliſchen Plunder für immer bey Seite 
zu legen. Dagegen wird, nicht ohne Einhauchung von Behriich, 
auch Cladius fuͤr feinen fremden Woͤrteryrunk bezahlt, den er 
Ramlern mit minderem Geiſt abgeborgt hatte; dieſe exotiſchen 
Purpurlaͤppchen werden dem Kuchenbaͤcker Hendel in den Kohl⸗ 
gaͤrten umgehaͤngt, deſſen Vortrefflichkeiten ein Alexandriniſches 
Wandgedicht in der Manier bes Meiſters verherrlicht. Mes 
don von Ctodius erſcheint auf der Buͤhne; ein Prolog 
is. Anttteiwerfen „ Abends im Speiſehaus aus dem Stegreif 
entworfen, "wird aus dem Stegreif von Freund Korn zum 
Beyfall der luſtigen Sefelifchaft aufgeführt; allein der Arlekin 
yermiße ich zuegleich, den Kudenhyumus verlängert auf den 
Beiden anzuwenden, und die Publicität, melde das Gedicht - 
uf dadurch erhält, bringt die Gefellfchaft in einen böfen Ge⸗ 
ruch, der ſich bis nach Dresden. verbreitet, und eine, jedoch 
wnhelhome Verſetzung von Behrriſch zur Felge Hat, Hieduvch 
rerliert G. einen feRen Halt für fein noch wicht ſelbſtſtaͤndiges, 
mſtaͤtes Gauath; feine Unzufriedenheit. und Kaͤmpfe wit : ber 
Aulenmeit, ‚amd die Bewerkungen, die er über -fih hören 
ws, mochen ihn acc dem geheimen Schatz der Erfahrung 
lern, zu welchem ihm ſowohl Behriſch, ais ein Hewrlamkter 
Streiter aus dem ficbeujähnigen Kries, der Geld. und hof 
kon, bloß rärhrelhafte Wege eröffnen, und ihn nn abe 
Warten , dieſer Pandorenbüchfe nachjſugehn. | 

Ahres Duch. Das vorige if der Litteratur — 
zitenwar tiges haustſaͤchlich der zeichnenden Kunſt. Den lies 


eencwuͤrdige · Oe ſer auf der Pleißenburg iſt hier dae ee Figur, 


ſein Sumfichmratser wird anf doe trefſfendſte gefildert, Mens - 
fer als Stecher feiner nebelhaft ammmthigen Jeichaungen - erg 
wäher, med ferme allegoriiche Laune durch Beyfniele erläuterh - 
Der Verf. nebſt ſeinen Mitſchuͤlern gewinnt durch ihn mehr 
an Geſchmack als techniſcher Fertigkeit, in welcher letztern G. 
mi aus Mangel an Beharrlichkeit, es nie über den geſchickten 


) 





76 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


Dilettanten hinaͤusbrachte. Das Beben ber Maler von DA 
genville wird-Audist, und unter Oeſers Führung vermitleiſt 
‚der großen ‚Leipziger Sammlungen Einſicht von der Gefchichee 
Ber Kunft genommen. Die geichnenden Kunſtwerke erwecken 
ader den Verf. mehr zu poetiſchen; er macht Gedichte: zu 
Kupfer und: Zeichnungen Ben Caylus werden and Bent 
fihe Verdienfte ; die eines Ehrift' und Lippert, von Oeſetn 
erüßfnt, und auf feinen verehrten Win kelmann andaͤchtig 
von der Kunſtjuͤngerſchaft hingeſchaut. Huber, Kreuchauf, 
Wimkler und andre Liebhaber und Sammler der Stadt. — 
3,80 mußte die Univerfitäe, wo ih die Zwecke meiner: Fu 
milie, ja meine eigenen verfäumte, mich in demjenigen bes 
gränden ; worin "ich die größte - Zufriedenheit meines Lebens 
Amen follte.* —ı: Sehnſucht nah Licht in den Begriffen’.der 
Kumſt, welches durch Leſſings Laokoon angezuͤndet wird. 
Mer Unterſchied der bildenden und Redekuͤnſte wird Far, md 
der fruchtbare Keim wahrer Aefihertt iſt aufgegangen. Aber 
der ˖ Juͤngling begehre nun eine reichere Anfhanung, und end 
ichließt ih, heimlich und allein Dresden zu Befihen. 98 
Vaters afte Warnung vor den: Epinnemeben der Gaſthbfe und 
Ge drieflihe Nachricht ven einem ehrlichen genialifhen Dresds 
ner Schufter-, führen ihn in des letztern Quartier. Die Ailb 
ſchimmernde Gallerie und ihre Kunſtwelt wird geoͤffnes, und 
von dem neuen Gpopten mie gefprächigem Entzuͤcken durchwan⸗ 
Dom. Der Gallerieinipertor, Nah-Ntebek, vuipfänat "das 
verdiente 806 feiner Gefaͤlligkeit, in welches. au der Rec’ — 
His Uingenannten Dank iR ja wohl der beſcheidenſte! — 
mit einzuſtiminen ſich »erpflichter fühle. In einer Epiſode, 
der Myſtification etnes Meulinge, ſchluͤpft G. unaufgehalten 
durch die Opinnewebe heim, und überläßt die übrigen. gefluͤ— 
gelten⸗Inſecten fammt der verfolgten Drohse ihrem Schicklal. 
Bomꝰ Zaabernebel der Kunft umhuͤllt, erblickt er in den Haͤus⸗) 
ltchkEiten feines Wirthe Niederlaͤndiſche Schildereyen, und 
ſcheivet als guter Freund von ihm, ohne ſich, wie nataͤrlich, 
in.feiner hochſtrebenden, vaftlofen Sehnfucht, mit dem behaglü⸗ 
Sen Handwerker identificiren zu koͤnnen. Det: veidjhaltige 
Pavillon der. Antiten wird zur Verwunderung des Leſers, 
giech den abrigen Koſtbarkeiten Diesdens, unbeſucht gehuffen, 


GN 


Mus meinem Beben von Ob. 7 


dieſe Erfcheinung jedoch damit erklaͤrt, Daß. der Verf. noch zu 
wi von dem und urchgruͤndeten Wer) der Bemäldefammlung 
geweien fen, ‚und was er nicht als Natur anichn, an bie 
Stelle: des Natur fegen, mit einem befannten Gegenſtand vers 
gleihen koͤnne, auf ihn nicht wirffam geweſen ſey. Man 
erkennt hierin allerdings den tiefiuchenden, zugleich freyen - 
Süngling , dem die nahliegende, frifhe Bilderwelt mit ihrem 
Sarbenfpiel mehr zufagt, jals die kältere Schranke der Geſtal⸗ 
tag mit weife gedämpftem Affeet, zu deren Verſtaͤndniß ein 
gereiftes Auge, und zu deren E:fiärung Gelehrſamkeit gehoͤrt. 
Hingegen wird noch der Director von Hagedorn und feine. 
Privatſammlung gejehen. Die Trümmern Dresdens werfen 
ten Steine der Zernichtung zwiſchen das aniprudvolle Kunfts 
leben, und predigen aud) bier Staub. und Aſche. Der Zuruͤck⸗ 
kehrende findet ſich von Freunden umringt, die an ſeiner 
geheimnißvollen Reiſe und der. Schuſterherberge rathen, im 
ſeinem Innern aber einen Zuwachs von Unruhe, unvermögend, 
ju ordnen und fich zuzueignen, mas er gefehen hat. Dog 
ergreift ihm wieder das Leben bey freundfchaftlihem Umgang 
und -angemeffener Beſchaͤftigung. Eine angenehme Verbindung 
fnäpft er mit dem Breitkopfiſchen Hays, in Das ey ung 
einführt, und mit defien Genofjen befannt macht. Alles ſteht 
hier in Beziehung zur Kunft, wobey fih auch Druckerey und 
ſelbſtgeuͤbter Holzſchnitt einfchiebt, und vadirt und geägt wird. 
Noch wird Weißen s befonders gedacht, ſammt dem Hilleri⸗ 
(hen Opernfag, Schieblers, Eſchſenburg's des Mitſtudi— 
tenden, und Zachariaͤ des vorübergehenden Tifhgenoffen ; 
ein größeree Durchreiſender bleibt aus Jugendgrille ungefehen, 
Leſſing. In enifernter Kunftglörie. erfheint noch immer 
Bintelmann,. und duch den edeln Fürften von Deffau, 
den er besuchen foll, wird Hoffnung, fie in der Nähe zu ers 
blicken; aber wie ein Donnerfchlag. fällt die Nachricht von 
Binfelmanns Frmordung darein. And unſer Süngling ſelbſt 
wird durch den Ausbruch einer lang vorbereiteten Krankheit, 
die fih Durch hypochondriſche Zufäle antündigte, an den Rand 
bes Grabes gebracht; ein Blutſturz weckt ihn aus dem Schlaf, 
das Signal eines erſt bedenklihen, dann langwierigen, reiz, 


haten Kraukheitszuſtandes. Dem Arzt und den Freunden wird 


[2 





78 Aus meinem Leben von Goͤthe 
mit warmem Danf unter anziehender Charakteriſirung gelohni 
Umfiändticher wird des gelehrten Fanger erwähnt, des nach 
Herigen Bibliothekars zu Wolfenbuͤttel, damaligen Nachfolgers 
von Behrtſch in deffen Hofmeiſterſtelle./ Er weiß die verbotene 
Bekanntſchaft mit G. zu deſſen Wohl zu unterhalten, und das 
Vertrauen zwiſchen beyden gelangt zu einer wuͤrdigen Sjnnigs 
keit. „Es iſt noch ein Tieferes, das ſich aufſchließt, wenn 
das Verhaͤltniß ſich vollenden will, es find die religibſen Se 
ſinnungen, die Angelegenheiten des Herzens, die Auf das Uni 
vergäugliche Bezug haben, und welche ſowohl den Grund eine 
Freundſchaft befeftigen,, als ihreg Gipfel zieren.“ Wir würden 
Diefe Stelle, und viele aͤhnliche, preifen, wenn fie ee nit 
ſelber thäten. Ein neues Bruchflät der Religionsgeſchichte 
wird hier eingeſchaltet. Langer, der fo glücklich iſt, die Um 
entbehrlichkeit eines Mittters zu kennen, predigt ihn dem, nad 
bimmfifhen Dingen. begterigen, ohnehin in der Bibelreligion 
ergogenen Kranken zn feinem Troſt. — Nachdem no ein 
—Studententumult erlebt war, fährt der Verf., moch nicht her 
geſtellt, im Herbſt 1768 von Leipgig in die Heimath zuräd 
Einige Mißklaͤnge des Vaterhauſes werden laut, und der Sohn - 
ift weniger als ehedem des Waters Freude: Die betrübte 
Mutter wendet ſich von Kerzen zum Chriſtenthum, und findet 
hierin die trefflichfte Stüße an Fräulein von Kletfenberg, 
die, wenn in der Vaterſtadt ihr Heiliger Werth verhalt, und 
‚außer derfelben ungekannt ſeyn Tollte, doch als Ideenbild in 
‚ten Bekenntniſſen einer ſchoͤnen Seele fortlebt. 
Ehen dieſe greift den, mehr noch geiftig als körperlich, Kranken 
mit Langers Mittel an. „Meine Unruhe, meine Ungedutd, 
ein Streben, mein Suchen, Forſchen, Sinnen und Schwan— 
ten, legte fie auf ihre Weife aus, und verhehfre itite ihre 
Weberzeugung nicht, das alles komme daher, weil ich Teihen 
verföhnten Sorte habe.“ Auch der leibliche Arge und der Chi⸗ 
rurg find frommer Art; erſterer ſteht uͤberdem im Ruf and ti 
der Meynung, die Univerſalarzney oder doch ein Buͤchlein 
davon zu beſitzen. Auch Goͤthe wird luͤſtern nach dieſem [ker 
benswaſſer, fludire im flillen häuslihen Verein Wellings 
opus, Theophraftus Paracelfus, Bafilius Valen 
tinus,-und ſieht fich wirklich einft durch des Arztes geheinn⸗ 


\ 


Was meisem Reben: von Goͤche. 19 


Cat son einem aefährkden: Parsınamns befrene, und der 
Heilung entgegengefäßkt. Er felbft beginnt Hierauf bie phils⸗ 
fadiige Handarbeit, wird auch unter andern Meifter in Bes 
nitung des Kiefekfafte, ohne jedoch der jungfräufigen (Erde 
ie aſtrali ſches Kind abzugewinnen. So auch durch einen 
Theil der Chernie gewandert, beſieht er ſich in den von Leip⸗ 
is heimgeſchrie benen Briefen, die der Water gefammelt und 
geheftet Hatte. Wir finden hiebey verſchiedene Bemerkungen 
Ader ihn ſelbſt und Über das Ganze. Auch wird unter audern 
kiebhaberey en die Zeichenktunft wieder vorgenommen, wobey der 
Kichenmaler Morgenftern in der Perfpective helfen muß, 
die fhädtiche Wirkung des Aetzens entdeckt, und endlih, im 
Unmurh über ſich umd feine ‚Arbeiten, vor der abermaligen 
Abreife aus dem. väterlihen Haus eine zweyte Hauptverbren ⸗ 
ung gehalten. — „Umfländlih genug iſt zwar ſchon ‚die 
Erzählung von dem, was mic in diefen Tagen berührt, aufs 
geregt und beidhäftigt; allein ich muß demohngenchtet wieder 
za jenem Intereſſe zuruͤckkehren, das mir die überfinnlichen 
Dinge eingeflößt Hatten, von denen ich ein für allemal, in fo 
fern es möglich wäre, mir einen Begriff gu bilden unters 
nahm.“ — Hier wird des Einfluffes von Arnolds Kirchen— 
uud SKebergefchichte mit: Liebe erwähnt, und des Dichters 
bemaliges miyftifchsveligiäfes Syſtem entwickelt. 

Reuntes Bud. Ein Fragment aus der allgemeinen Deut⸗ 
ſhen Bibliothek eröffnet das Buch, deutend auf die damalige _ 
Erfcheinung einer bequemern Kunfllehre, weiche ale Hauptſache 
Die Kenntniß der Neigungen und Beidenfchaften fest, Der 
Zänysing, von: diefen ihm verwandten Gedanken erfreudigt, 
Aber feinen Zuffand und die heimgebrachten idealen Begriffe 
mis dem Vater geſpannt, erfüllt gern des lektern Geheiß, im 
Frühjzahr die Academie Straßburg zur Vollendung feiner 
Srnisien und gwe Promotion zu beziehen. Im Gafthaus abs 
geſtiegen, eilt er fogleich den Münfter zu fehn, zu erfteigen, 
uud das; blühende. Land zu überfchauen, das ihn auf einige 
Zeit beherbergen fol. Die Tiſchgeſellſchaft, in die er empfohr 
len wird, bilder wieder eine Eleine Welt für ihn, woraus 
wir die hervorſpringendſten Figuren befhrieben erhalten: den 
joviafen Dreyer von run, den — Tiſchpraͤſidenten 


/ 





q 


80. . Aus meinen ‚Leben vou Käthe: 


Actuarius Salgmann (nid Salgniaun)e hernach no 
Andre... Durch Balgmann wird er zu einem jnrifkifchen Dies 
petenten gebracht, der ihm das Zweckmaͤßigſto giht, ohne ſei⸗ 
nem Verkande Stoff zur Selhſtthaͤtigkeit zu gewähren. Gen 
zogen von den Geſpraͤchen feiner groͤßteneheils mediciniſchen 
Tiſchgenoſſen, bahnt er fi) daher wiederum eigene Wege der 
Beihäftigung im Maturfudium, Hört Chemie und Anatemie; 
Indeſſen tritt der Zeitpunct ein, mo Maris Antojnette 
von Oeſterreich auf der Rheininſel bey Straßburg in dit 
Haͤnde des ‚Abgefandten ihres königlichen Gemahls übergeben 
wird. In dem dazu aufgefchlagenen Gebäude werden die 
nach Raphaels Cartonen gewirkten: Tapeten für ©. ein Gegen⸗ 
fand unerfärtlicer Bewunderung... Die modernen Hauteliſſen 
des Hauptſaals jedoch enthalten die omindfeften Scenen auf 
Medeens Trauergefchichte,, welche den Schüler des aßegprifchen 
Defer in Eifer ſetzen. Die junge ‚Königin zieht in ihrem 
Glaswagen vorüber, und bey der Jilumination der Stadb 
feſſelt der brennende Gipfel des Muͤnſters vorzuͤglich die Blicke. 
Mit der Nachricht von der Ankunft der Neuvermaͤhlten id 
der Hauptſtadt, erfhallte auch die von, dem bekannten ns 
glück bey. den Hochzeitsfeyerlichkeiten. Letztere gibt eine. ge⸗ 
faͤhrliche Wendung einem Scherz, den ©. ſich nach fruͤherer 
Gewohnheit mit dem gutmuͤthigen Korn erlaubt, indem, er an 
ihn nach Frankfurt einen Bericht von Berfailles datirt einſen⸗ 
det, hierauf wirklich eine Feine Reife macht, und durch ſein 
Stillſchweigen in der Vaterſtadt die Beſorgniß erregt, daß er 
mit. umgekommen ſey. Saltzmann wird auch in fo. fun Gb 
thens Mentor, daß er ihn in die Cirkel und Vergnuͤgumgsortt 
des frohen Straßburg einführt, wobey manchekley Gefellfcyaft:: 
liches vorfommt. In der fortgefegten Schilderung der Speiſe⸗ 
genoffen ift auch ein freumdfchaftliches Copitel dem ‚würdigen, 
Jungs Stilling gewidmet; wobey ein Blick auf die wum 
derbare Bildang derjenigen frommen Menſchen fällt, , welchen 
dieger merkwuͤrdige Mann hauptſaͤchlich die jeinige verdankt! 
(Der Beſchluß foist. ) 


4 


; 
Ä 


No, 6. Deidelbergifche 1813. 
Jahrbücher der Litteratur 


— ——, —————— — 


Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Goͤthe. 
(Beſchluß der m No. 5. abgebrochenen Recenſion.) 


Mann wird auch eines rechtlichen, treuen Vermittlers Lerſe 
gebaht, welcher im Goͤtz von Berlichingen einer Rolle deit 
Namen leiht. — lebriggebliebene Neizbarkeit, in Widerwillen 
vor ſtarkem Schall, in leihtem Eckel und Schwindel ſich äußernd, 
wird durch männliche Uebungen beſiegt; auch außer der Anatos 
mie noh das Clinicum und Entbindungscollegium gehört. Den 
innern Drang und Drud vollends abzuwaͤlzen, Hilft der fort 
gefeßte Genuß einer freyen, geſelligen, beweglichen Lebensart, 
zu deren Kreis auch die Urtheils- und Sprechfreyheit über 
Sof und Öffentliche Gegenſtaͤnde gehört, fo wie zu diefen die 
Stadtverſchnerung, der Sturz der Jefulteh und die Ungnade 
Klinglings. Tin Ludwigsritter, auch ein Tifchgefelle, diene 
hier zum Converfationsirricon, ungeachtet er das Unglück 
Nat, über Die Abnahme feines Gedächtnis Afters in Ver— 
zweiflung zu gerathen. Auf die Meine Comddie, die der Verf. 
iin fpielen Täßt, folgt eine erhabene, tiefſchauende Kunftanfiche 
von dem Muͤnſtergebaͤude, die denen vorzuglich gu ems 
pfehlen ift, welche bey viel Geſchmack an der fogenannten Go— 
chiſchen Bauart fih den äftgerifhen Grund ihrer Liebe zu 
diefen värerlichen Denkmälern nicht Mar genug gu entziffern 
wiſſen. „Soll das Ungeheure, wenn es und als Maſſe ents 
gegentritt, nicht erſchrecken, ſoll es nicht verwirren, wenn wie 
fein Einzelnes zu erforſchen ſuchen: fo muß es eine unhätärs 
lihe, ſcheinbar unmoͤgliche Verbindung eingehn, es muß ſich 
das Angenehme zugeſellen.“ So wird denn dieſer gefaͤllige 
Coloß, das Werk Erwins von Steinbah, mit den feinften 
Bahrnehmiungen gergliedert, und eine Erklaͤrung des Meotts 
Änfers zwepten Theis; „Was man in der gegend wuͤnſcht, 


82 Ans meinem Leben von Goͤthe. 


Hat man im Attee genug!“ in befonderm Bezug auf diefen 
Segenftand angehängt. „Unſre Wünfde find Vorgefühle der 
Zäbigkeiten, die in ung liegen, Vorboten desjenigen, was wir 
zu leiften im Stande feyn werden. Was wir können und 
möchten, fielle fi unferer Einbildungskraft außer uns und in 
der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnſucht nah dem, was 
wir fhon im Stillen befißen.“ . Indem aber diefe Aäcdıpfadhos 
logifhe Betrachtung, durch befondre Erfahrungen unterflüßt, 
von der Beziehung der Dinge auf unfer Ich ausgeht, erweis 
tert fie fi zur edein Allgemeinheit. „Sehen wir nun wähs 
rend unſers Lebensganges dasjenige von Andern geleiftet, wazu 
wir ſelbſt früher einen Beruf fühlten, ihn aber, mit manchem 
Andern, aufgeben mußten: dann tritt das fchöne Gefühl ein, 
daß die Menfchheit zuſammen erft der wahre Menich iſt, und 
daß der Einzelne nur froh und glücklich feyn kann, wenn er 
ben Much hat, fih im Ganzen zu fühlen.“ Die Anwendung 
macht fih duch die Meigung und Aufmerkſamkeit, welche G. 
in frähern Jahren jenen Bauwerken der rieſenhaften Vorzeit 
widmete, und, nachdem er fie aus den Augen verloren, in 


jeßiger Zeit dur andre, namentlih Boifferee an deſſen 


Kölinifhem Dom, zur Ausführung gelangen ſieht. Won dies 
fen Werken der Zeit ſchwingt fi der Verf. zu den Künften 
des Augenblis, zu feinen Tanzübungen, in denen ehedem 
der Vater ſelbſt fein Lehrer war; jegt wird ihm ein Franzöfis 


her Meifter, mit deſſen beyden Töchtern fih eine kleine 


Geſchichte anfpinnt, wo doppelte Zärtlichkeit vergeblich nach 
Erwiederung feufjt, und, um das Romantifche vollftändig zu 
machen, das Wunderbare in Geſtalt einer Kartenfihlägerin die 
Schickſalsblaͤtter aufdeckt. 

Zehntes Buch. Nach einem Eingang, worin wir ets 
was von der Straßburger Meifterfängerzunft glauben hören 
zu follen, aber das Verhaͤltniß des Deutſchen Dichters Zur 
bürgerlichen Welt hiſtoriſch und fein bemefien finden, wird 
uns in Klopftod's Perfon der Augenblick vergegenwärtige, 
„wo das Dicptergenie ſich feine Verhaͤltniſſe felber ſchuf, und 
den Grund zu einer unabhängigen Würde. legte.“ Der reine 
und hohe Sänger des Meffias und fein Wert werden mie 
Äharfen Linien umzogen, und mit fchimmernden Farben Übers 


Has meinem Leben bon Goͤthe 83 
rent. Ihm ‚gegenäber erſcheint ſein warmer Freund Gleim, 
ſchwach an eigener Kunſſwuͤrde, groß als Pflegevater fremden 
Berdienftes. Die Meintihe Wichtigkeit, welche beyde große, 
Männer ihren freundſchaftlichen Privatumftanden und den ges 
tingſten ihrer Thaten bepiegeni, bringen Goͤthen ‚und feine 
Altersgenoſſen in Gefahr eitter gleichen gegenfeltigen, beſchrank⸗ 
ten Verzaͤrtelung. Hier tritt aber als herkuliſcher Bekaͤmpfer 
eitler Selbſtgefaͤlligkeit Herder dazwiſchen, und ſein dortiger 
felgereiher Umgang. Als Reifegefaͤhrte des Prinzen von 
Helſtein⸗ Eutin kommt der ſchon duch Schriften berühmte 
Mani zu Stihßburg an, und. verweilt daſelbſt als Leidender 
an einem Augenübel, deſſen ſchmerzhafte Operation nicht allzu 
wohl gelingt. Die anziehende und abſtoßende Kraft dieſer 
tief elektriſchen Natur, ſein fanftes und beißendes Weſen, ſein 
Achten und Verachten, ſeine weitgreifenden philofophifch hiſto⸗ 
riſchen Forſchungen; die umfaſſende Verbindung und hohe 
Beziehung, worin er die Poeſie erblickt, ſeine Liebe zu Ha⸗ 
manns Schriften, ſeine Geduld und Ungeduld im Leiden, 
ſeine hochtragi ſe che Ergebung in den ungluͤcklichen Ausgang der 
Cur, und fo manches Andre, bewegen Goͤthens Herz und 
Gaben vielſeitig und heftig. Doch ſteht Herders litierariſche 
Unbarmherzigkeit dem unbedingten Vertrauen im Wege, und 
die ſchon im Geifte ſich geſtaltenden Bilder des Ss von 
Berligingen und Fanft, fo wie die Cabbaliſtik und ihr Zus 
geher ( wog doch auch Herder ſich in fruͤherer Zeit neigte! 
bleiben ihm verheimlicht. Auch Jung ⸗Stilling wird von 
Herdern angezogen und geehrt. Aus der Krankenſtube machen 
wir in der andern Haͤlfte des Buchs Ausflüge mit academis 
{hen Freunden in das reich audgeftattete Land von Eifaß und 
— Hier beginnt ein gehaltvolles Reiſetagbuch, durch⸗ 

ans charakteriſtiſch und reſtexionenreich; Zäbern, Pfalzburg, 
Buchsweiler, die von der Saar benannten Städte und andre, 
mit Bau und Straße, Berg und Wald, Fluß und Matte, 
Metallwerken und Steinkohlengruben, treten in Maren Ums 
tiffen vor und, nebft dem Kohlenphiloſophen, auch dem brennen⸗ 
den Berg, und allem Intereſſe der Berggegenden, das Soͤthens 
nachherige Suſt zu Sionomifhen und techniſchen Betrachtungen 
zuerſt, erregt. Allein mit G. ih einer. Sommernacht auf 


— 








54 _ And aneinem Lehen von Goͤthe. 

einem einfam hochgelegenen Jagdſchloß ahnden wir in dieſer 
feyerlichen Stille ein neues ſanftes Abentheuer, welches das 
Herz des jungen Helden bereits gefeſſelt hält. Wir eiten durch 
Zweybruͤcken, Bieſch, und andre fehensmürdige Punste :des 
Reviere gerade auf daffelde zuz muͤſſen aber zuerſt in..der 
Wohnung des" Landpriefters von Wakefield einſprechen, und 
von Herdern ihn vorlefen hören, um defto gefaͤhlvoller und 
Aberraſchter den Roman im Hanskreife des Pfarrers von 
Seſenheim ‚verwirklicht zu fehen. Was aber der eigene 


ländliche Roman des Verf. mit Friederiken enthält, jene 


idylliſchen Auftritte, jene unſchuldigen Mummereyen , die ein 
reines Vethaͤltniß einfaſſen, und das Poffenhafte burch -uner 
wartete Verflechtungen zum Sinn s und Geiſtreichen, durch 
Unbefangenheit und natürliches, trenherziges Geſellſchafisweſen 
zum Liebenswürdigen fteigern, dieſer inhalt verträgt Leinen 
Auszug. Ein Maͤhrchen im Mährhen, die neue Mein: 
fine, hat uns der Verf. am Schluſſe nur genannt, und 
zuletzt noh Gall's —2— Urtheil uͤber ion gleichjam 
zur Vignette gegeben. 





Das Urtheil, welches wir uͤber dieſen neuen Band zu 
ſprechen uns aufgefordert finden, iſt dreyfach. 

Erſtens, das Buch ſelbſt als Kunſt⸗ und Leſewerk Pr 
treffend‘, fo erhält es fich durchaus in dem angefangenen Ton 
und Gang, wie bey Goͤthens beſonnener Meiſterſchaft auch gu 


vermuthen iſt. Es zeigt ſich immer jene wohlberechnete An⸗ 


lage, die das innere Leben des Helden und die Hauptſeite 
ſeiner Biographie als Kuͤnſtlers im Auge behaͤlt, und wodurch 
unter anſcheinender Nachlaͤſſigkeit auch aus der Geſchichte ein 
poetiſches Ganze wird, von contraſtirenden Epiſoden gehoben. 
Es zeigt ſich jenes gelingende Beſtreben, Kleines und Großes 
mit Wahrheit und Verſtand zu beſeelen, und eine Herrſchaft 
uͤber die Gegenſtaͤnde auszuäben, vermoͤge deren fie ſelber ſicht: 


- bar vor uns zu treten, und den Erzähler zu bedecken gezwun⸗ 
‚gen find. Wenn er gleich flets von fi reden muß, fo ſehen 


wir ihn doch nur, fofern er fich ſelbſt pſychologiſches und fünf 
Terifches Dbjert wird. Hiermit verbindet ſich innigft das uw 
geſchminkte, heitre Eolorit, welches den Malereyen Seinen 


t 


Ans meinem: Leben non Boͤthe. 85 


einfardigen Schimmer , ſondern den durchfichtigen Glanz eines 
erhöhenden Glaſes Hehe Es komme Hänge. -in „den reifern 
Sahren des Dichters eine unglanblihe Sprachgemalt, die 
Frucht der Hebung und eines Temperamentk, das Zwang und 
Schwäche leichtlich fühlt, verſtoͤßt und zu befiegen weift. Durch 
diefes gemeinfame Zufammenmwirfen fo vieler ſchoͤnen Kunfts 
käfte wird jede Zeile angiehend, lebendig und: ihn, und jede 
Seite erhält von der ausgebildeten Erfahrung und Beobach⸗ 
tung’ des vreßgenindten Mannes einen lehrreichem: Inhalt, ſey 
8, daß er das Geſchehene in einen Bremsmmnct: zuſammena 
fafe, oder feinen Blick in die Gegenwart „;. im.bhe mannig⸗ 
fahen Lagen, Werfchlingungen, Schwierigbeuen, Morpige une 
Anfgaben des Aufiern Lebend‘, Ser. Wiſſenſchaften und Künfte, 
in das: Neger und Weben der’ Maigungen: und: Beſtrebungen 
des menfchlichen Herzens und Geiſtes verſenke. Auch⸗ wo mau 
feines Sy ſterus nicht iſt, wird them Die Gerechtigkein wiherfahr 
ren, daß er wicht. leichi etwas ungeprüft beſpreche, und: naeniaen 
ohne eins Seite hervorzunehen, die entweder eine Beſtaͤtigung 
des Selbſtgeglanbten, vder-eine -intereflante Neuheit, wenig⸗ 
fiens - eine Aufhellung und Biadung des MWeyrifie Darbieser, 
Es mag auch der Monte noch fo viek geben in dieſen fünf 
Baͤchern, und ed mag manches an Kurzweil gewoͤhnte, trockene 
Herz Hin und wieder einige; Breite fühlen:.: fo gefichen: wir, 
die wir gar keine Überdäffige Muße — ndurcheus anges 
nehm unterhalten worden zu ſchn. Es iſt dakeine Flaͤche⸗ 
weile nicht wenigſtens zierliche Heiden ſchmuͤckten, und «9 
And vielmehr Plauiſche Gründe, wo im gewundenen Ling. 
ſich Landſchaft an Landſchaft. reiht, und manche langhingeſtreckty 
Vellchenſäat unſer Auge in Wermundtrung ſetzt. Mas dieſen 
Band beſonders wichtig. macht fuͤr den ganzen Kreis der Künfk 
fer und Litteratoren, ind. die amfpannenden.: hiſtoriſchen An 
deutuungen aus der Geſchichte ideas Fasz ;die Umriſſe dar 
Bigeben heiten und die Memſchengemaͤlde. Eier ſpricht der 
eek des. von ihm. erfehten, lang in Gedenken getrager 

nen , woean ex ſich geweſſen, geſpiegelt, ‚gebildet: hat, wovon 
er inen Auszug mit feinem Talent verfehmolgen, in ſich nie 
derlegte, und was er nun erß mit. den eigenſten Namen zu 
beſeichnen fähig geworden iftı Hier iſt vieles und vorgerufen, 





86 Aus einem. Leben von Goͤthe 


was mir fände kamiten, wed mie. fo tief beasiffen, ee 
belenchteten. vieles auch fo ausgedruͤckt: 
Der — — daß ſich ein Jeder 
leihe⸗ garent, und gar viel (digen, umſonſt ſich Genie 


wird ’ 
Gileiches wegend. 


Und wenn der: erſte Theil fich in eindlichem Gemahl faſt nur 
frohfinnig Bahinfisiekte, und eine bunte Europäifche Welt, ohne 
ihre Großheit und Bedeutung zu verlieren, f„h um- den Kna⸗ 
ben wie uns’ -yedffweren Vildorkaͤſtchen und von den Glaͤſern 
einer Zauberlastine aufregte: ſo empfindee hier Der Lefer dag 
ietlich merfwürdigere Treiben und: Wallen des Juͤnglingsal⸗ 
vers; die tiefer aufflammenten Anfprühe und Fähigkeiten : 
Ben ſchwankenden Gang des’ nach wuͤrdiger Beſtimmung ſich 
ſehnenden Meulings; den Sturm eines friſchen Herzens, 
welchem alles bedeutend iſt, und nichts genuͤgt; das bald anche 
ri, bald zu viel findet; das in den Feſſeln der Menſchlich⸗ 
keit umhergezogen witd, wohin 28 nicht mag, und ringt, «wor 
hin es nicht darf; dar ſich undidie Welt verkennt, vergottert 
und verachtet; kurg Bas teagiſche Epos und die epifche Tragoͤdie 
eines lebeneluftigen, und doch immer mit fih und dem Leben 
entzweyten poetiſchen Gemuͤths, deſſer urbilder, verſchieden 
abgeſtuft und geeigenſchaftet, in -der Wirklichteit eines -ulvics 
ten Zeitaltere umherfhwärmen, und die Leiden und Freuden 
deffelben, doͤch bie erften vorxuͤglich, fe lange mehren heißen, 
bis der irre Sup zum Bewußtfehn zu kommen anfängt: Den 
gur gründlichen Ruhe: gelangen, ach! Die alerwenigfien., weit 
fie den einzigen Bis verihmähen.- nr 
Z3weytens. Der Dichter entwickelt Bier fein eignes poe⸗ 
tifches MNaturel, die Form ſeines Gonies, in feinen. Sebi 
beſchaunngen, im den Wirkungen der Dinge auf ihn, und in 
dee Scildernitg feiner Geiſtesserſuche und Sewohnheiten. 
Man erlaube ung ein Paar "bakunnte Schulausdruͤcke zur "ges 
drauchen, weil die Sache damit. am leichteſten abgethan wird. 
Goͤthe iſt eigentlich lyt i ſcher Menſch won der ernſtern und 
weitumblickenden Art, Er iſt aber dabey hoͤchſt merkurialiſch, 
d. i. aller Geſtalten ſaͤhig, Re init klarem Leben aufzunehmen 
end wiederzugeben geſchickt. Die von Kindheit auf ihn um⸗ 


Aus meinen Leben von Bötke, sr 


gehende Fälle und Mannigfaltigkeit von wiſſenſchaftlichen, kuͤnſt⸗ 
leriſhen und gefellfchaftliden Einfläfen, zwang ihn vollende 
dies letztere zu werden, wenn es nice im.feiner glücklichen 
Natur, feiner Dffenheit und Empfänglichkeit, feiner beweglis 
den Phantafie ſchon lag Er ift zum Tragifhen vorzüglich 
geneigt; aber kein rein entichiedener Tragiker. Er ift fo we 
sig allein zum komiſchen ala allein zum epiſchen Dichter gebos 
ren. Das Plaſtiſche feiner Werke iſt ihm weniger natürlich 
(font wäre. er vermuthlih auch ein großer Zeichner geworden), 
als vielmehr Durch frühe Bildung eingeimpft und durch Kunfts 
umgang forterhatten, und konnte vermöge. feiner gefuͤhlvollen 
Igrifhen Lebendigkeit, verbunden mit männlihern Bemerkungen : 
über den Unterſchied der Künfte, nie fleif und ſtarr bey ihm, 
nie zum Fehler, fondern nur zuc Tugend werden; und daher, 
nämlich von lyriſcher Saͤnftigung und Herz, kommt es, daß 
wir darin ſtets das Zarte und Inmige an ihm bewundern, 
und zwar frey von matter Tändelen und Suͤßlichkeit, welchen 
fein tragifher Ernf und männlicher Verſtand widerſtrebte. 
Keineswegs find alle feine. Werke, groß und Bein, von gleicher 
poetifhen Kraft; es wäre eine munderliche Forderung; aber 
er verläugnet fich felten. Wir find nicht der. Meynung, daß 
in einer Kunf, welche unter allen. die wandelbarſten Mittel 
und Werkzeuge hat, ein vorgägliher Kuͤnſtler nicht auch. viel. 
Alleägtiches hervorbringen koͤnne. Der Verirrungen in der 
Wahl der Stoffe nicht zu gedenken. Auch hat mancher Dichs 
ser ftärfere und größere Ideen ausgeſprochen, als. er; aber 
kaum einer bat, bey fo viel Originalität und .originellee Ders. 
arbeitung des. Empfangenen, fo ‚allgemein zum. Kerzen geredet, 
ohne fi im mindeften falfcher Hütfsmittel zu: bedienen. Denn. 

Goͤthens Kunft if aͤußerſt Acht und gründlich. Da, wo feine 
Vorwürfe zu. mißbiligen find, erweckt er eben deswegen um- 

fo groͤßern Verdruß: denn er fchläge damit unmittelbar an den 
Innern Stan ; und da diefer die veinften Anforderungen macht, 
fo mag er feiner fhönen Kunſt kaum glauben, daß fie. fi 
willig. dazu hergegeban habe. Seine Beobachtungsgabe, weiche 
allem einen Spiegel darhaͤlt, worin es ſich fangen muß, gehöre 
za den größten, ausführlihfien. Daher feine audnehmende 
Wahrheit ; durd die Macht der Sprache das Treffende, durch 


88 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


tragiſche Würde das Ergreifende. Sein Liebliches iſt auserle⸗ 
ſen; ſeine Schauer ſind weniger gewaltig, als durchdringend. 
Denn fie find empfunden und beobachtet. Bekanntſchaft mit 
alten Ständen und Menſchen, Wiffenfihaften, Künften, Be . 
firebungen und Träumen der Menichheit bey einem. außeror⸗ 
dentlichen Gedähmiß, hat ihm zu allgemeiner Empfänglichkeit 
eine Allgemeinheit von Materialien angeeignet, in deren Ders 
trieb und Ausftreuung er ſich gefälle, er überall ſelbſt und doch 
wieder mahrhaft die Sache if. Umgang mit der vornehmern 
Belt hat ihm Überdem, was an Welt in befferm. Sinne 
nennt, gegeben.. Mangel an Ausdauer in einzelnen Studien 
Hat fein vielſeitiges Wefen nur noch vermehrt, ‚oder vielmeht 
begründet, indem er fih einen entichädigenden Auszug ‚von 
allem für ſeine innere Kunftwerkftätte verfchaffte, ‚nnd nur in 
Einer Kunſt ein volles Ausharren bewies. Alles aber hat er, 
aͤchtlyriſch, mit feiner Individualitaͤt verglichen, aus ihr her⸗ 
ausgeſehen, ohne Schaden fuͤr das Object, weil ihr nichts 
fremd war. Denn das wahre Dichtergenie if ein Heilſichtiger, 
der eine kleine Welt in fi rägs, und ahnder, was ihm nie 
gezeigt worden iſt. Goͤthens munteres Behagen an der Außens 
welt und feine Wandelbarkeis in deren Liebhaberen find epiihe 
Elemente; fein fauniger Muthwillen ift die Wurzel des Komi⸗ 
ſchen. Man vergleiche mit dem bisher Geſagten das oben 
gelieferte Excerpt von ©. 163 ff., und was er ferner ©. 176 
ſagt: „Denn da ung das Herz immer näher liege, als det 
Geiſt, und uns dann zu fchaffen macht, wenn diefer fi wohl 
zu helfen weiß: fo waren mir die Angelegenheiten des Her— 
zens immer als die wichtigfien erfchienen. Sch ermuͤdete nicht, 
über Flüchtigleit:der Neigungen, Wandelbarkeit des menſchli⸗ 
en Weſens, firtlihe Sinnlichkeit, und über alles das Hohe 
und Ziefe nachzudenken, deſſen Verknuͤpfung in unierer Natur 
als Raͤthſel des Menſchenlebens betrachtet werden kann. Auch 
hier. firchte ich das, mas mich quaͤlte, in einen Lind, einem 
Epigramm , in irgendeinem Rein loszuwerden, die, weil ft 
ſich auf die eigenften Gefühle und auf die befanderfien. Um 
fände bezogen, kaum Yemand anderes intereffiren konnten, 
mich feld.“ Endlich Über das Didaktiſche und Epifche in ihm | 
als vaͤterliche und muͤtterliche Erbſtuͤcke, äußere er füh ©- Ä 


Ans meinem Leben von Goͤthe 89 


alſo: Mir war von meinem Vater eine gewiſſe lehrhafte 
Rebſeligkeit angeerbt; von meiner Mutter die Gabe, alles, 
was die Einbkidungskraft hervorbringen, faffen kaun, heiter 
and kraͤftig darzuftellen, bekannte Maͤhrchen aufzufriſchen, ans 
dere zu erfinden und zu erzählen, ja im Erzaͤhlen zu erfinden.“ 
— Bie aber das Zufammenftröhmen unendlich vieler Bildungs 
mittel uns in. Erſtaunen ſetzt, weiche fi unferm Diditer von . 
Kleiirem auf theifs zudrängten, theils neugierig von ihm ers 
griffen wurden .; wie dadurch) das abergläubifche Ruͤhmen von 
einee beduͤrfnißloſen Wunderkraft des Genies zu Schanden 
wird, obſchon fie eine geoße Wahrheit, nur nah Umſtaͤnden, 
und nicht in dieſem Zeitalter if, wo überdem der Dichter fo 
viel Bildung erwerben, als Talent befigen mußre: fo wun⸗ 
dern wir uns zugleich Über die unglaubliche Weichtzeit, Bil⸗ 
dungsfähigkeit, Beſtimmbarkeit, Veraͤnderlichkeit und Neigung 
zum NVerieren am Ddiefem fa räftigen Manne, deron -Grund 
jedoch. eben in jener allempfaͤnglichen Art zu {schen iR, welche 
wir nicht beſſer ats mic dem Mamen der Mevtuvialität 
zu benennen willen. Der Inhaber dieſer Naur wWird zwab 
nie ſich ſelbſt verlieren, wenn. er ſich behalten will, and:immen 
wieder auf flare Puncte kommen, die ihm Breude und. Ehre 
bringen; kann aber auch nie fertig.werden , . und: fallt ſogar 
öfters zuruͤck, wenn er nicht mit Heldenhafter Ermaumang and 
Unterwerfung. allee niedern Reize kebiglih dem Sonnenpuncte 
zueilt, mo allein Friede und ewiges Genuͤgen if. Denn we 
der Geiſt feinen Urſprung finder,. ift allein eine Schwaͤrme⸗ 
rey; fondern wo er nicht * — ZUDEM AD: 
Und Bier. treffen-wir  . > 

Drittens auf den: ſitlichen ab religidſen Thril ee 
Werks; wobey wie mit unfern Aeußerungen in den erſten Mer 
cenfion bloß ſzufrieden zu ſeyn Urfahe haben. Gem. übers 
ſehen wir, da wir nice muͤrriſch und lieblos richten "wollen, 
fondern loben das Lobenswuͤrdige, und prüfen und unterfcheis 
den, als Zugehör des jugendlichen Sinnes, und als Momente 
der dichteriſchen Laufbahn, biefes und jenes: Erotiſche. Mur 
fofern ..eg einladend iR, verdient dergleichen, Unterbrackung; 
wir baten auf. ber andern Seite nichts dagegen, daß : Ber 
Dichter fo ehrlich If, ſich und zuigeben wie wiwar Ueber⸗ 


90 Aus meisten Leben von Goͤthe. 


Haupt zeigt er fi allerwaͤres als der Grade, Rechtliche, Un⸗ 
parthepifche gegen fih und Andre, als der wahrheitliebende 
Mann. Und niemand wird bie edeln - moralifhen Maximen 
verkennen, die der Verf. auch in diefem Buche niedergelegt 
bat. Was aber die veligiäfen Stellen betrifft, fo kommen fie 
zum Verwundern und zum Vergnuͤgen aller gründlichen Ges 
muͤther fo Häufig vor, daß man zumeilen glaubt, Die Lebends 
beichreißung eines angehenden Gottesgelehrten zu lefen, Bes 
fätigung genug für unfee Behauptung, dafi dem Verf. Das 
Hoͤchſte der Dinge auch das Wichtigſte, und bie Brruͤckſichti⸗ 
gung dieſes menſchlichen Grundtriebs ein ganz eigenes Bes 
duͤrfniß iſt und bleibt; mit welchem wir ihn gleichwohl, da 


wir vieles dahin gehoͤrige an ihm ehren und lieben, mit nich⸗ 


ten alles gutheißen, auch noch jetzt in unentſchiedenem Kampf 
erblicken. Wenn nun der Biograph dieſem Theil feiner Les 
bensbefchreißung feläft fo große Aufmerkſamkeit widmet, was 
iſt billiger, ais daß wir ihm. folgen und ein Gleiches thun 2 
Unftreitig: :wied er, der Freund folgerechter Unterhaltungen 
Über ehrwuͤrdige Begenflände, es uns am wenigften zum Tas 
del anrechnen, jund wird, wenn er diefed lieſſt, umfrer Bitte 
Gehör geben, uns nad Gelegenheit ferner eben fo freygebig 
mit demjenigen zu befchenfen, was den Zug umfrer innigſten 
Neigung zu feinem Herzen ausmacht. Goͤthe hatte das Gluͤck 
in einer. durchaus chriſtlichen, an Gottes Wort und Erloͤfungs⸗ 
werk haftenden Zeit des pinteftantifchen Deutſchlands geboren 
und ‚auferzogen zu werden, mo auch die Abfonderung von der 
kirchlichen Semeinfhaft nur wiederum aus veligidien Beweg⸗ 
gründen entfprang, welche nod) einen größern @ifer, als der. 
gemeine: war, bezeugten. Mach als er Leipzig. mit Fleiſchern 
und deſſen geiftreicher Gattin bezog, und fie Abends in Auer⸗ 
ſtaͤdt mit einem. vornehmen Ehepaar zufammentrafen (5.68), 
verrichten diefe einander fremde Menſchen aus dem gelehrten 
und hoͤhern Stand gemeinſchaftlich ein ſtilles Tifhpebet. Man 
bemerkte, wie wiel diefer Heine Sittenzug im Vergleich mie 
unfern Gewohnheiten fagt, mo man den Welternährer ım fo. 
gewiſſer vergißt, als man ſich ſcheut, kindlich zu zeigen, daß 
man feiner, gedenke. Goͤthe zeichnet. und beylaͤufg jene Zeit, 
ihren. Ton, ihre Spaltungen, ihre Fortſchritte und Abſchwei⸗ 


Aus meinem Scheu von Bike. 91 


füngen, auf eine b—andenswärdige Weils; mer könnte fh bier 
fer Dinge fo worurcheilsfey erinnern wollen, und fie fo richtig 
nennen, wie er ?_ Aber die ungemeine Veiwegtichteit und es 
Ratibarfeie feines Seiſtes, die bey viel ernſtlichem Willen auch 
mancher bloßen Wahrſcheinlichkeit gern ein haltbares Intereſſe 
abgewinnt, die durchdringend und ſchoͤpferiſch auch aus dem 
Bahn Aechtes zu ſcheiden, und gum behaltenswerthen Stoff 
mnzuardeiten aufgelegt iſt; Purz: dieſe ehrliche dichteriſche Tole⸗ 
ranz, mir unzerbrochener, nur verfeinerter Sinnlichkeit vereinigt, 
und von den 'näthigen Kenptniffen nicht überall umſchraͤnkt, 
bat Goͤthans Glauben an das Ueherirdiſche, und fein Streben 
daran), af den Wellen des Zebelaufs mit hinabgetragen, und 
ihn der Merifrungen bed letztern theilhaftig gemacht. Daher 
denn der ‚mochweindige. Widerſpruch in dem, was Goͤthens 
der; und Gemuͤth von goͤttlichen Dingen ſpricht, ind was 
feine kritiſch gemachte Vernunft an deu Tag gibt: Er iß bald 
geiſtlich - Bat weltbich, balde ſframm baid leichefeetig. und 
zeigt uter Forte vollend aen guhgteite hier eine faſt 
verwilderte. Wenn er ©. 14 fügt: Des Soͤtrares Schaͤler 
ffienen mir Aaroſie Aehnlichdeit mit den Apoſteln zu haben, 
die ſich nad. Des. Meiftere Tode. ſogleich entzwenten,. und offeng 
bar jeder ur ee befäränfteu Eennesart für das Rechte ere 
nnte® u fo: :mrddjte‘ man“ fingen: ma. jenes Apoltyphon 
aufgezeichnet fey ? 7 und wo fi” hier die Beſchraͤnktheit offen⸗ 
hare — — Der Verf. traut in ſolchen Faͤllen zu ſehr feis 
Yen: gutem Gedaͤ tuiß, wo: doch Goliches Wiederleſen kaum 
der Sache genug thut. Es laͤßt ſich mit gemilderter Beziehung 
anf unfern Seyriftkeier anwenden, was er S. 137 von einem 
andern: fage * 5 Mat verzieh dem Aütor, wenn er das, was 
man fuͤr wahr "und ehrwuoͤrdig hielt, mit Spott verfolgte, um 
fo der, als er ‚dadurch zu erkennen gab, da f.2E. ibm Leibft 


immerfone „u ſchaffen made.“ — Unb:diefe innere 


| Sadrang An Hetlig, und ehrwaͤrdiger, als die abgeſchloſfeuſto 
Kit, Sie’ kertig zu ſeyn meint, und nur ſich ſelbſt von der 
Vihrhen abgeſchloſſen hat. Den großen Weg. des Unheils, 
ben bie, prateſtantiſche — nicht. Confeſſion, ſondern gelehrte 
Thidlogis · na tzmuo iur Bi. ©. 1244 ff.: „Auf: dieſem Wege 
zınßen pie Thedlogen ſich zu de — mteues er 


92 Mus meinen Leben von Goͤche. 


ligion hinneigen, und wenn zur Speache kam, in wiefern das 
Sicht der Natur uns in den Erkenniniß Gottes, der Merbeffes 
rung und Peredlung unſerer ſelbſt zu foͤrdern hinreichend ſey, 
fo wagte man gewoͤhnlich ſich zu deſſen Gupſten ohne viel 
Bedenken zu entſcheiden. Aus knem Mäsigfeitsprincıp gab 
man fodann ſaͤmmtlichen pofitiven "Religionen gleiche Rechte, 
wodurch denn eine mit der andern gleichgouͤltig und "unfichen 
wurde. Uebrigens lieh man Mean ‚doch aber alles beſtehen, 
und weil die Bibel ſo voller Gehalt - iſt, daß ſie mehr ale 
jedes andre Buch Stoff. zum Machdenten und Gelegenheit zu. 
Betrachtungen über Die menſchlichen Dinge — konnte 
fie durchaus nad) wie vor bey allen Kafızelieden ünd fonftigee 
religioſen Verhandlungen zum Stande gelegt werben. Allein 
dieſem Werke ſtand — unoech ein eigenes Schickſal Bewer 
u. ſ. w. Indem er —B— ———— Mſpiration 
gedenft, fährt er von Apr vibel fort: „Ip, für mein, Pers 
fon Hatte fie lieb und weith: .deiin faf ihr. allein var. ich 
meine flttlihe Bildung ſchudig und die —— die 
Lehren, die Symbole, dis Sieichniſſe, alles Harte ſich tief bey: 
hie: eimgedriktt, und: war :anfı dime oder die: andre Weile wirks 
m gmarien:.. — len Fa die BIER ſM talichea 
und verdrehenden Angri er, wird nicht aufs 
merfen auf ‚diefes, —— Genug des Berfafers z 
Gern möchte man es wie eine einfame hole Suml"ändheben, 
‘and auf einem freyen Beeté teren, damit es’ nicht sbrk Un⸗ 
traut .der Meynungen erſtickt * Duch her tee 
ſich sim merkwardiger Umſtande an, . für: Asfizg: Deleuchtaug 
faum Aline ‚shielicheree Raum zu finden wäre, „als. bar.. Verf, 
ung erßifüet. Unſre Zeit, voll’ des Hrängenipen ewigen. Der 
duͤrfniſſes, hun and dürftig nach’ Beil,’ ‚juma unter den 
germalnienden Schlägen des aͤußern Gefchidis‘; "abet Yon uͤber⸗ 
gewaliget Sinnlichbeit an Augen, "Ohren: und vlben⸗Gliedern 
Sehnde, eilt, nad) einer — welebs ſia wider Maſchichea 
— für, Vroſigntismuß ‚ausgibt, in, ihr 

A, mächtig him, 09 > Katho ie Eh u 
entm nom weiches um "To mehr wahre Ch fen und. 
fromme Behreh An feinen Schdeße trägt, ala ſein Gebier weiß 
a aser aus der Einfalt⸗ doverſten Kirche und Senn Wunders 

an nl Fotm, mathe den Mans hen 


en ‚tote „ in Nämischem. Style ſich, xerar 
Sein, nr A rifkliches Mitg in diefer Confeſſion, die, jeßt.a 
anal ei rm Weg iſt, wird unſre Worte der Haͤrte ER 


digen; a wir ſchweigen vorſatzlich von jenen Mißbrauchen, 
Ohr dinsieitte Reformaſien / welche wreden auf. Meſentlichs 
tech aan iR: Ausbruch arreige wordan: ROTE Kran 


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Muss meinem: Lehen won Goͤthe. 93 


imer Erſcheinung Liegt nahe. Der gute Jängling und junge 
Mann ift immer: religiös. Vollherzig, mit allem phantaftis 
fhen Zauber Dee ſchoͤnen Kuͤnſte am Gemüth aufgebildet, mit 
aler Reizbarkeit Des Tags begabt, ohne Menfchenkenntniß, 
ohne geübte. Unterſcheidungskraft, ohne zureichende Gelehrſam⸗ 
fit, zu unfräftig und irr, um mit dem Geifte der Wahrheit 
felst eine unmistelbare Befreundung zu wagen, tritt er in die 
Belt, er ſieht feinen Innern Menichen von den ihm etwa zus 
nächft fieehenden Lehrern, die auch Proteflanten zu feyn glauben, 
veriaſſen; fie geben ihm Zweifel für Wahrheit, Nichts für 
Alles; eine Liechliche "Außenfeite, die ihm unerwecklich fcheint, 
kemmt hinzu; er gibt fih die Zeit nicht, beſſere Leititerne zu 
ſuchen, und glaubt nichts ‚Äbrig zu haben, als daß er, um 
Bas peinigende Mäthiel feines Herzens zur Aufldfung zu brins 
gen, wie er irrig fprict, in den Schooß der Kirche zurück 
Der Bang älterer Menſchen ift dem ähnlich ;' wielleiche 
fehnen fie ſich nur nod etwas mehr nad) Sichtbarkeit der 
Kirche und Gemeinſchaft der Slaubigen. Wohl geſchieht es, 
Daß, de redticher der Uebergegangene es meint, er deſto ges 
wiffer endlich auf Die Wahrheit felber trifft; durch eine finns 
liche Kruͤmme, die er wählte, wird er von der Gnade, die 
ihn wählt, zum Ueberſinnlichen geführt, das in jenem ſicht⸗ 
baren Gefäß wie in allen behalten iſt. Vielleicht nod) eigens 
finnig aus menfchliher Schaam, feinen überflüffigen Schritt 
gu vertheidigen, ift er doch forthin weder petriih, noch paus 
lich, noch apolliſch; fondern er ift ein Chriſt geworden — 
mirsturque nuvas frondes et non sua poma. Die gejegiiete 
Toleranz, weldye die Liebe auch in Abſicht auf die wohlthätige 
Berfchiedenheit äußerer Eonfejfionen für das erfie Gebot erklärt, 
kommt ihm zu Statten, daß fein frommer Mißgriff weiter 
feine Abie Zolgen für ihn hat. Aber er hat bey .dem allen ein 
böfes Beyſpiel von der Methode gegeben, wie man.das Uns 
weiensliche für das Weſentliche ergreift, und lockt Nachfolger, 
weiche auf gleiche Weife duch. die fteinerne Thür und die 
Sewölbe eines andern Hauſes am leichreften in jene freye 
Kegionen glauben gelangen zu können, wo Gott, im Geiſt 
und in der Wahrheit angebetet, ſelber der Tempel iſt. Und 
ir dieſen Ton ſtimmt auch Goͤthe, der ſinnreiche Deuter des 
en umd. Halbwahren, nachdem er anderwärts der Ders 
nunfttrisit gehbuldigt, wenigſtens erflärungsweife ein, und 
empfiehlt &- +78 fi. von Seiten menſchlichen Beduͤrfniſſes und 
finnficyer ‚ Vernaherung des Weberfinnlichen dasjenige, wovon 
ſich eben fo leicht die zweckwidrige Seite hiſtoriſch und pfychos _ 
iogiſ⸗ ervorwenden ließe. Er hebt die Sacramente, als 
weſentliche Theile des Kirchenthums, in ihrem begeiſternden 


\ 


94 Aus meintni Leben von Goͤthhe. 


firtlichen Einfluß hervor, und entſcheidet: der Proteltant Has 
zu wenig Sactamente. Indeſſen hat Niemand als der Miſ 
verſtand irgend einer chriſtlichen Kicche alle und jede Sacra⸗ 
mente — man muß aber wohl, nah Sprache und Erkennmiß, 
wiffen, was diefes Wort fagen will — und vornehmlich die 
Wahrheit flreitig gemacht, daß die uns in Chrifto gegebene 
Keligion ein großes Sacrament ift, das fi) in unzählige andre 
gergliedert, und dem wahren Chriſten aus allen Eonfeifioner 
durch fein ganzes Weſen, Thun, Denfen, Empfinden und 
Leiven hindurch ; feine unendlichen, kwig lebenden Kräfte und 
Adfichten mittheilt. Allein dieſe innere Neligion des Herzens 
kann von dem Augenblic an, und in all denjenigen Stuͤcken, 
fich mit:der äußern Kirche nicht mehr als volllommen Eine 
anfehn (ſ. ©. 181 ), wo fie Verfall und Mifibräuche mahrs 
nimme (in weldher Kirche es auch fen ) und fich Unvermoͤgend 
fühle, ihr reines Zdeal von Kirhenehum in die Wirklichkeie 
heranszupflangen. Sie erträgt alsdann mit goͤttlicher Duldung 
das ünvolitommene Mittel, das auch ihr zur erften irdiſchen 
Stufe einer himmliſchen Geſinnung wurde, und Bleibt im 
Aeußern, wo ihr Menfch geboren iſt. Sie ſucht, wo es ans 
geht, an jenem Mittel zum beſſern, zu veredeln, damit es leich— 
ter, kraͤftiger, fchöner vermittie, und gebraucht allerdings zur 
Erweckung des Herzens auch die Reize der Phantäfle, die uns 
ausſprechlich wichtig für die Meligion iſt; erwartet aber die 
ganze Erfüllung diefes ihres Wunſches nur von einer Zeit, wo 
Das Unſichtbare fih von ſelbſt ins Sichtbare herauskehren, zwi⸗ 
ſchen dem Widerftrebendften Zriede und aller Fehde ein Ende 
ſeyn wird. Inzwiſchen ſucht ſie der innern Sacramente, ohne 
Verwerfung der aͤußern, in ſtets wachſender Stärke theilhaftig 
zu werden. Sie läßt fih mit Waſſer und Blut von dem 
taufen, der da kommt mit- Woſſer und Blut, und einen 
Brunn aufthut, welcher in das ewige Leben quiftt; fie erhäfe 
die Firmung des wahrheitgengenden Geiſtes; fie genießt dag 
wahre Brod vom Himmel gefommen, Nicht ohne das bußfer⸗ 
tige Herz in täglicher Beichte dem Allwiffenden zu Sffren; fie 
ſchließt eine bräutlihe Ehe mit dem Echadenften, den Himmel 
und Erde hat, von welcher. das geheime Verhaͤltniß der Ges 
fchlechter ein heiliges Sinnbild iſt; fie embfänge die Weihe 
eines koͤniglichen Priefterftandes, und das Del der Barmher— 
zigkeit aud) in die Wunde des Todes. Bolten wir hier nicht 
eins fenn mit dem, was G. ahndete, ohne es unter dem poes 
tiſchen Duft erreichen zu können ? Sollten wir hiet nicht mie 
dem wahren Katholicismus volllommen eins feyn, Und er mie 
ung? Aber follte des Dichters eigener Mißgriff ihm niche 
offenbar werden, wenn er 5. De die wiltührliche Erklärung 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 95 


wien lief't, Die er ber Feyer des heil. Abendmahls in der 
rimiſch/ kaeholiſchen Kirche aufzwingt (©. 1835)? „Bo — 
Miet ee Hin, Die Hoſtie zu empfangen; und daß ja das Ges 
heimniß Diefes hohen Acts noch gefleigert werde, ſieht er den 
Kid nur in der Berne, es iſt fein gemeines Eſſen und Trins 
tn, was befriedigt, es ift eine Himmeloſpeiſe, die nach himm⸗ 
liſhem Tranke durſtig macht.“ Iſt wohl dieſe ferne Allegorie 
eine kirchliche Lehre? Uns dunkt, die Katholiken lehren, wer 
ben Leib empfange, empfange audy das Blut; Einige behanps 
ten ſogar, Die eingeftaltige Ereheilung fen nur ein Zufaͤlliges, 
das die leichtefte Abänderung vertrage. Daß es ein Spaͤteres 
iſt, wiſſen wir ja wohl ſaͤmmtlich. — Wenn ferner der Verf. 
bey Gelegenheit feiner hermetiſchen Jugendſtudien ſich ein cabs 
baliftiicy s myſtiſches Meligionsfpftem erbaut, das von Rechts 
wegen den Anfpruc machen muß, durchgreifend, allgütig, und 
mit allen möglichen wahren Syſtemen Eins zu feyn — denn 
es kann überall nur Ein wahres Spftem höherer Wahrheit 
geben — ſo hat derſelbe hiebey vieles fehr ſchon gefehen, noch 
ſchoͤner gefant ; aber wir miffen nicht, ob in diefem Spftem, 
felbft als abgefomderter Erſcheinung, ihm alles unbedingt zuges 
ſtanden werden möge. Daß dem Lucifer als Erfigefchaffenen 
von nun an die ganze Schöpfungstraft Übertragen morden, 
und von ihm alles Übrige Seyn ausgehn follte, und daß er 
feine unendliche Thätigkeit bewiefen, indem ır die fammtlihen 
Engel erihaffen habe (©. 331) — das hat unfe:s Willens 
fein redyser Cabbaliſt oder Theoſoph jemals behauptet: er würde 
ein folches Verlangen für den Hochmuth Lucifers erflärt haben. 
Vortrefflich aber fpricht der MWerf. etwas vorher, wo er zu 
Langers Umgang einleitet ©. agı, unten: „Die chriftlice 
Meligion ſchwankte zwiihen ihrem eigenen KHiftorifchpofltiven 
und einem reinen Deismus, .der, auf Sittlichkeit gegründet, 
wiederum die Moral begründen follte. Die Werfchiedenheit der 
Charaktere und Denkweifen zeigte fih hier in unendlichen Ads 
ſtufungen, beſonders da noch ein Hauptunterfchied mit einwirkte, 
indem die Frage ensfland, wie viel Antheil die Vernunft, wie 
viel die Empfindung an folhen Ueberzeugungen haben koͤnne 
und dürfe. Die lebhaftefien und geiftreichften Männer erwies 
fen ſich in dieſem Fall als Schmetterlinge, weiche ganz meins 
gedenk ihres Maupenftandes .die Puppenhälle wegwerfen, in 
der fie zu ihrer organiihen Vollkommenheit gedichen find. 
Andere, treuer und befceidener gefinnt, konnte man den Biu— 
men vergleichen , die, ob fie ſich gleich zur. ſchoͤnſten Bluͤthe 
entfalten, ſich doch von der Wurzel, von dem Mutterſtamme 
nicht losreißen, ja vielmehr durch dieſen Familienzuſammen⸗ 
bang die gewuͤnſchte Frucht erſt zur Reife bringen.“ Wäre 


96 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


"nun der Charakter des Verf. nicht in diefem Süd j 

eben fo fhwantend als gierig geweien: fo würde dag giühende 
Sintereffe feines Herzens fid) nothwendig unter den vielen, auch 
Börperlichen Aufforderungen zur Webergade und zur Beſtaͤndig⸗ 
keit im Ergriffenen, in die Zufriedenheit des Beſitzes und 
fteigenden Wahsıhum aufgeldft Haben. Dagegen ift es merk 
wuͤrdig, wie nach den ‚heiligen Stunden, mit Langern am 
ande der Verweſung gefenert, eben diefer Kranke, nod frank, 
der Meifterin Klettenberg wieder fo viel Vergebliches zu thun 
- geben kann. Indeſſen erklärt fih die Sache durch das Ges 
tenntmiß ©. 305. „Nun hatte ih von Jugend auf geglaubt, 
mit meinem Gott ganz gut zu fliehen, ja id) bildete mir, nad 
mancherley Erfahrungen, wohl ein, daß er gegen mich ſogar 
im Reſt fiehen könne, und ih war kuͤhn genug zu glauben, 
daß ich ihm einiges zu vergeihen hätte. Dieſer Dünkel grün 
dete fih auf meinem unendlih guten Willen, dem er, wie 
mir ſchien, beſſer hätte zu Hülfe kommen follen. Es läßt fih 
denken, wie oft ih und meine Freundin hierüdet in Streit 
geriethen, der ſich doch Immer auf die freundlichfie Weile und 
manchmal, wie meine Interhaltung mit dem alten, Rector, 
damit endigte: daß ich ein märrifcher Burſche ſey, dem man 
manches nahfehn müfle.“ Wir vergeffen hiebey nicht, Das 
Geweſene vom Jetzigen hiftorifch zu unterfheiden , und haben 
uns auch über dag Letztere fhon mehrfach geäußert. leider: 
weife wird nad) dem trefflichen Umriß des Klopſtockiſchen Meſ⸗ 


— ſias ein gleihfam entfchuldigendes Wort angehängt, wobey 


wir gern den Vorwurf übernehmen möchten, es lieblos. auf 
das Dogma zu deuten (S. 451). „Der mliſche Friede, 
weichen Klopſtock bey Conception und Ausführung diefes Ger 
dichtes empfunden, theilt fih noch jeßt einem jeden mit, der 
die erften zehn Sefänge lieſ't, ohne die Forderungen bey ſich 
laut werden zu laſſen, auf die eine fortruͤckende Bildung .nict 
gerne Verzicht thut.“ Wenigſtens ift die Bemerkung zweydeu⸗ 
tig. Denn was dag Artiflifche betrifft, fo wollen wir dem Verf. 
nicht widerfprehen. Die geiftliche Bildung aber muß, wie et 
felber anderwärts will, als Blume der Wurzel entfleigen, ohne 
ſich von ihr gu trennen; fo waͤchſt fie unfterbiich fore, und 
bringt Blumen und Früchte ohne Zahl. Sie muß, ohne eine 
Umfchränkung zu vertragen, weil fie unendlich ift, der Bil 
dung jener ſich felbft bildenden Menſchen im Weſentlichen 
gleich fepn, deren der Verf. ©. 380. 381 mit Achtung eri 
"wähnt, und die unflreitig das beſte Theil erwählt Haben. 

| IMO. 


nee EEE Rechen hen 


No. 7. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





Lehrbuch der civiliſtiſchen Litterairgefchichte, vom Profeſſor Ritter 
Hugo in Goͤttingen. Berlin, bei Auguſt Mplius 1812. XII 
und 427 ©. 8. 

Auch unter dem Titel: | 

Zehrbuch eined civiliftiihen Curſus, vom Profeffoer Ritter Yugo in 
Goͤttingen. Sechster Band, welcher die civiliſtiſche Litterairge⸗ 
ſchichte enthaͤlt. Berlin, bei Auguſt Mplius. 1812. 


Ge verdient Kerr Prof. Ritter Hugo den Dank aller 
geiehrten Eiviliften für fein Unternehmen, die civiliftifche Lits 
terärgefchichte zu bearbeiten, und feine Aunfihten und Bemer⸗ 
kungen über einen fo wichtigen, und das Rechtsſtudium feldft 
fo vortheilhaft unterfiügenden, Zweig der Eivilvechtsgelehrfams 
kit, au den Gelehrten außerhalb Göttingen mitzutheilen. 
Jede Erfcheinung diefer Art muß befonders in unfern Tagen 
für den Verehrer des Roͤmiſchen Rechts erfreulih ſeyn, eines 
Rechts, das, feiner Innern Wortrefflichkeit wegen, aud bey 
ellen Mängeln, die es, wie jede andere menfchlihe Geſetz⸗ 
gebung, hat, noch immer allen Stärmen getroßt hat, und 
gang gewiß ewig froßen wird. ec. iſt lebhaft überzeugt, daß 
fine Macht im Stande ift, die Nömifhe Geſetzgebung auf 
immer, und mit der Wurzel auszurotten. Wird man fie, ans 
gereist von Maͤnnern, die Einfluß auf die Verfaſſungen der 
Staaten, aber entweder die Kraft, oder den Willen. nicht haben, 
tief in ihre Geheimniſſe einzudringen, auch noch To (ebHaft 
verfolgen , fo wird doc) diefe Verfolgung nie von langer Dauer 
fon. Das große Raͤthſel wird. immer dieles bleiben, eine 
beffere Geſetzgebung an die "Stelle der Römiihen zu feßen. 
Nie wird es an Männern fehlen, welche unparthevifche Ver⸗ 
gleihungen , in Zeiten, wo der Geift der Neuerung ſich bereite 
gelegt hat, anftellen werden; und das Reſultat dieſer Operation 
wird dem Roͤmiſchen Rechte immer nur neue Anhaͤnger und 
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95 Lehrbuch der auiik.; Bineräugefigiihte v. Pr. R. Hugo. 


Verehrer verfchaffen. Bey weitem die meiften, wichtigften und 
am tiefen liegenden Wahrheiten Hat die Roͤmiſche Geſetzge⸗ 
Bing aufgedeckt, Währheiten, die unveränderlich und ewig 
find, und eben darum die Grundlage jeder Geſetzgebung feyn 
“und bleiben muͤſſen. Schon in diefer Hinficht muß diefe Ge⸗ 
feßgebung alfo immer, in den Augen aller Vernünftigen, eben 
fo angefehen werden, wie jeder gebildete. Selchrte die Claſſtker 
des Atterihums anſieht, als bleibendes Denkmal der Kraft des 
menſchlichen Geiftes, als Inbegriff der Erfahrungen von Jahr⸗ 
taufenden, und als erhabenes Mufter für alle Zeiten. Wo iſt 
eine Sefepgebung ,. die, in Hinſicht auf Die ungeheuere Summe 
der mwichtigften Wahrheiten, welche man in ber Nömifchen 
Gefeßgebung findet, fih auch nur von weitem mit diefer meffen 
fönnte, und nicht, in ihren glängendften Parthieen, eben diefe 
als Duelle und Müfter anerkennen müßte ? Taufend Erfah⸗ 
rungen haben beivieien, daß, menn jemand eine Sache, die 
bereits aufs Beſte ausgeführt worden iſt, von Neuem darftellen: 
und verändern will, er nichts Voizũgliches hervorbringen koͤnne; 
und eine Sache, die nicht Höher emporſteigen kann, Fällt ihrer 
Nalur nach zurück. Die großen Wahrheiten gehen nie ing 
Unendliche. Sind fie einmal entdeckt und Beflg in genommen, 
fo haben. wir feine aridere Patthey zu ergreifen, als Diefe, 
uns aus ihrem Beſitze nicht verdrängen zu laffen. "Keine neuere 
Geſetzgebung darf ed wagen‘, 'an den Grundwahrheiten des 
Roͤmiſchen Rechts zu rütteln; thut ſie es doch, fo trägt fie 
den Keim ihrer eigenen Zeiftörung in fih. Diefes haben auch 
die neueſten Geſetzgeber ſehr wohl eingeſehen; und eben des⸗ 
wegen haben ſie ihre Werke auf dem unerſchuͤtterlichen Römts 
(hen Boden weislich aufgeführt. Die füßen Hoffnungen der 
vielen Veraͤchter des Romiſchen Rechts, die in deffen Geheim⸗ 
niffe nicht eingeweiht find, wurden durch diefelbe Geſetzgedung 
vereitelt, von der ſie die Erfuͤllung ihrer Wuͤnſche erwarteten, 
und noch neuerlich konnte man, bey Ankuͤndigung der Elé- 
ments, du droit civil Romain, selon l’ordre des Institutes 
de Justinien, par J. G. Heineccius, traduits en Fran- 
gais par J. F. Berthelot, die merkwürdige Stelle leſen: 
„Le droit civil Romain |vient de recevoir du Gouverne- 
ment l’'hommage , que lui avoient rendu tous les gou- 


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ehrbuch Der eñ viliſt. Lutetaͤrgeſchichte m. Vr. R⸗Hugo. 99 


yernements Ecelgirds., On l'enseignera speciglement dang 
ms eccoles; ce gera encore pour noys Ja raiaon 
ecrite, et le principe, ou le developpement 
duCode civil des Francais.“ 

Was Heren Prof. R. Hugo's Arbeit ſelbſt Betrifft, To 
sehen wir Hier Mechenihafs von dem Eindrucke, den Diele auf 
mas gemacht Hat, und Mir gehen uniere Gründe ap. Sind 
dieſe für ‚Andere nicht überzeugend, fo Wollen mir gerne glaus 
ben, daß unſer Urtheil nice richtig if. Mehr kann. von keis 
mm Kritiker gefordert. werden. 

Bop einem Gelehrten, der, wie Hr. R. Hugo, wahre 
un unmideriprechliche Verdienſte um die Roͤmiſche Rechtsge— 
lehrſamle«t und Littexaͤrgeſchichte ſhon laͤngſt fich. erworben hat, 
der vjeljähräger Rechtalehrer in Sättingen iſt, und der, mie 
er an der MWorrede felbft fast, ſchon fo oft und fo lange über 


die civiliſtiſche Bisseräsgeichiehte, Coflegien geleſen Hat, laͤßt es 


Eh ichen in Moraus erwarten, Daß man in einem Lehrbuche 
der civiliſtiſchen Litteraͤrgeſchichte van ihm nicht nur feine Tri⸗ 
wialitäten , ſondern ſehr piele fchöne und trefflihe Bemerkun⸗ 
gen, die ihm theils feine Lectuͤre, theils fein eigenes Nach⸗ 
denken darbieten mußten, antreffen werde. Diele Erwartung 
Hat. aud) der Berf. nicht. getaͤuſcht. Er Hat, mit Benutzung 
der beften Schriften, mande Irrthuͤmer berichtiget, viele 
wiffenswerthe Dinge, die man in andern Lehrbuͤchern der civiliſi. 
Litterärgefchichte nicht findet, vorgetragen, und befonders, was 
feine Arbeit von den Arbeiten feiner Worgänger unterfcheider, 
auf manche Veränderungen in dem Geiſte deß Studiums nad. 
in der Verfaſſung Der Lehranfialten aufmerkſam gemadt. Und 
wenn gleich auch, mit Benugung des Buches des berühmten 
Doctors der Sorbonne, Sean de Launoy, de Scholig 
celehrioribus-& Carolo' Magno exstructis, der Antiquitateg 
academicae von Hermann Conring, mit Goebels ge 
lehrten Maren, wovon die befte Ausgabe durch Heumann 
gu Gottingen 2759. 4. beforge wurde; . ferner Der großen 
Menge von Schriftſtellern, welche die Sefchichte teinzeiner 
Univerfitäten in Europa gefchrieben haben, und vorzäglich der 
Schriften der Rechtsgelehrten der verflofienen Jahrhunderte 
felöft ; endlich dev vielen: größern und kleinern Werke, welche 


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100 Lehrbuch der eiviliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo. 


in dem Catalogus Biblioth. Bunauianae Tomo I, Vol. I. 
p. 917 sq. in diefer Beziehung angeführt find, die Bemer⸗ 
tungen des Verf. unendlich reicher hätten ausfallen koͤnnen: 
fo kann dody Alles nicht auf einmal gefchehen, und der Verf. 
wird fpäter diefe Lücken ſelbſt auszufüllen wiſſen. 

Auch finder man bey ihm weit mehr Gchriftfteller ange 
führe, als bey Herrn Haubold; aber auch bey ihm fehlt 
noch eine urigeheure Menge guter und vorzäglicher Eiviliften, 
die mit eben fo viel, und oft mit noch mehr Recht, als ans 
‚ dere von ihm angeführte, eine Stelle in feinem Buche hätten 
anfprechen koͤnnen; wobey nicht gu leugnen if, daß Kr. Haus 
bold oft eine beſſere Auswahl getroffen bat. Kr. Hugo 
nimmt in feine civiliſtiſche Litrerärgefchichte eine Menge Juris 
fen auf, die Ar. Haubold aus guten Gründen nicht aufı 
nahm; und Rec. vergife, bey biefer Behauptung, nicht, daß 
Lesterer Institutiones juris romani litterariae, erflerer 
aber ein Lehrbuch der civiliſtiſchen Litterärgefchichte fchreis 
ben wollte. Nimmt der Verf. das Wort: civiliſtiſch ganz 
allgemein:, und bleß im Segenfage von Staatsredht, fo - 
Dat er viel zu wenig, nimmt er es aber eingefchränfter, fo 
hat er viel zu viel Schrififteller in fein Lehrbuch aufgenommen. 
Ja aud im erfien Falle gehören Daniel Paräus ($. 206.) 
mit feiner Lehre von dem Widerfiande gegen die Obrigkeit, 
Negner Sirtin ($. 211.) mit feinem Buche über die 
Megalten, Rümmelin mit feinem Buche über die goldne 
Bulle (9. 214.), Johann Hortleder mit feiner Schrift 
über den Schmalkaldiſchen Krieg (F. 216.), Melchior 
Gol daſt mit feinen Folienten (6. 216.), Londorp mit 
feinen Acta publica zur Gefchichte des dreyßigjährigen Krie⸗ 
ges (G;016.), Theodor Graswinkel mis feinen Vindi- 
ciae maris liberi ($. 220.), Georg Buhanan mit ſei⸗ 
nem Jus regni apud Scotos ($. 2928,), ber Jeſuit Joh. 
Mariana mit feinem Buche de rege et regis institutione 
($. 234.), der Kardinat Bellarmin, als redlicher Verfech⸗ 
ter der Rechte des Pabfies ($. 236.), Arumäus, Daniel 
Dtto, Reinking, Hippolithus a Lapide, Lampas 
dius, Kloc mit ihren ſtaatsrechtlichen Schriften ( $. 259-), 
die im 9. 278. angeführten Staatsrechtslehrer, der Stadt⸗ 


Lehrbuch der civiliſt. Sitterärgefchichte v. Pr, R.Hugo. 101 


fhreiber Lünig mit feinem zwölf Folianten ſtarken Reiches 
archiv ($. 304. ), und noch viele andere von dem Verf. 
genannte Schriftfteller offenbar nicht in die Litteratur des Eis 
vileechts, fondern in die des Völker s ober Staatsrechts. Auch 
hat der Verf. im fein Lehrbuch gute, mittelmäßige und fchlechte 
Ghriftfieller unter einander aufgenommen ; ja man findet darin 
feloft einen Petrus Rebuffus, Rebhahn, Ungepaur, 
Zaunfhliffer, die Hommel (Litteratura juris $. 149.) 
mit volllommenem Rechte unter die Plebejer rechnet, und 
wovon der erfte aud von Dumolin (Sur la Coütume de 
Paris Tit. I. n. 106.) mißhandelt wird. : Wenn Mec. alle 
Gchriftſteller anführen wollte, die der Verf. in feinem Buche 
vergefien Hat, und die doch eine ehrenvolle Stelle darin ans 
fprehen könnten, fo mäßte er fehr viele Seiten mit bloßen 
Namen anfüllen. Inzwiſchen will er nur diejenigen nennen, 
die ihm zunächft einfallen. Er vermißt nämlih ungerne fols 
gende Namen , die er, ohne chronologifche Ordnung, anführts 
C. A. Rupertus, der gelehrte Phllologe und Geſchichts⸗ 
forſcher in Altorf, dee für die Rechtsgeſchichte mehr leiftete, 
als die meiften Suriften vor ihm; Diodor Tuldenns, 
Drofeffor in Löwen; Paulus Picus, Alciati's Lehrer, 
dee, wie Leßterer, den Responsis der Italieniſchen Rechts⸗ 
gelehrten den Krieg angeländiget hat; Tiberius Decias 
uns, der Die Hesponsa gegen jene heftigen Angriffe, in einem 
merfmärdigen Bude, vertheidigte,;, Sylveſter und Peter 
Aldobrandini; Clarus Sylvius; Rihard Vitus; 
Joſeph Cyrillo, Profeſſor in Neapel; die beyden Payen 
von Avignon; die Portugieſiſchen Juriſten Pet. Barboſa, 
Arius Pinellus, Emanuel Acoſta, Caldus Pe— 
reyra; den Italiener Julius Clarus, einſt ein gefeyers 
tee Name; den Niederlaͤnder Joh. a Someren; den Spas 
nir Pich ardus, der den größten Inſtitutionen⸗Commentar 
fhrieb , übrigens die kindifhe Schwachheit hatte, fih von Ans 
dern die Vorrede zu feinen Büchern fchreiben zu laſſen; Die 
Srangofen Joh. Copus und Per. Coflalius, aus dem 
XVI. Jahrhundert, wovon Erfterer fhon im Jahre 1555 ein 
fehe gutes Buch de fructibus fehrieb, und Lebterer von Vie 
Im, die nad) ihm kamen, geplündert wurde; Ipho, als der 





463 Lehrduch der cibdiliſt. Bitteräpgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


einzige unter bie Welligen verfehte Juriſt; die beyden Dänen, 
Det. Stasehius And Nicolaus Cragius (in de 
Ausgabe feiner Annäles Danidi Son 1739 findet man Nach—⸗ 
richten son feinem Leben); Raoul Fournier, der Sohn 
dee Guittadume, deffin rerum quotidianarum libri VI. 
auch ın Ottos Thesaurus fiehen; Berenger Fernand, 
Profeſſor in Zotilonfe, einft das Drafel der Franzöfifchen 
Practiker; Pr. Loriotas, einſt Profefor in Bourges, 
Balence und Leipzig; Joh. Mnjoretus, Yon Toulouſe, und 
Ptrofeſſor daſelbſt, bekaniit durch feinen Commentar über die 
Inſtitutibnen; ber Spunier Pet. de Valaſco et Medi— 
Billa, der ken Buch ſchrieb: Rixae et implacabiles con- 
certationes Gaji et Proculi, aliorumque veterum juris 
äuctörum. Salamanticae ı625. 4.; Stephatus Bodens, 
der einen guten Sinftitntionen » Commentar fchrieb, der 1559 
zu Paris bey Nivelle in Fol. erfhtenen I; Nicol. Burs 
gundus von Enghien, zuerſt Advokat in Gent, dann Pros 
‚ feffor in Ingolſtadt, zuletzt Rath bes Gerichtshofes von Bras 
Bant, durch mehrere gute Schriften bekannt; Joh. Buteon, 
aus der Daupdine‘, deſſen mathematiſch juridifche Schriften 
zu Lyon 1559. in 4. heransgefommen find; Jac. Caimus, 
von Modena, Srofeffor in Padna, durch feinen Folianten 
Variae lucubrationes. Patavii 1654. ſehr beruͤhmt; die Nie 
derländer C. DO. Boecdelen und Paul. Buſius, an 
welchen letztern Lipfius einen merkwürdigen Brief gefchries 
ben hat (Lipsii Epistolae p. m. 142.); Julius a Beyma; 
Hen. Broumer; der Römifhe Profeffor Dunt, dard 
feinen Streit mie 3. H. Böhmer, und durch fein Bud 
über den Urfprung und Fortgang der bürgerlichen Werfaſſung 
in Rom; der Neapofitaner F. A. Srimaldi-durd fein ;fehe 
gutes Bud de Successionibus legitimis berühmt; Pet. 
Franc. Lingfois, von Befancon, durch feinen Commentat 
über die 50 Decisiones. Antwerpiae ı622. fol. bekannt. 
Er war Advokat in Beſançon; vier Jahre vor ihm, naͤmlich 
1618, ließ Merille feinen Commentar über die 50 Deck 
siones zu Bourges drucken; aber Linglois Tannte ihn nicht; 
wenigſtens fagt er in der Praefat. ad lectorem, daß er von 
aflen Interpreten keinen kenne, der bie 5o Deciszories ; sigil 


- 


n 


» 


aithuch der civiliſt. Linerärgefihichte 0-9. R. uge 103 


ltim et ex professo“ commetatirt habe. Da au anzauch, 
mn ik, Daß Linglois mehrere Jahre an feinem Werke 
gearbeitet Habe ; da er, in ber Deodication an die Bpaniiche 
Infantin, Zfabella Elara Eugenta, feibk: bemerkt, daß 
fein Wert lange bey ihm verborgen geweien fey, und da mar 
an aus dem Werke ſelbſt deuntlich fieht, daß der Verfaffer 
Meriltes Wert weder gefannt, noch benutzt habe, fo müffen 
wir annehmen „ Daß beyde Gelehrte zu gleicher Zeit auf den⸗ 
ſelben Gedanken gekommen fegen, amd keiner von deu Andern 
etwas gewußt Habe; was bep alien intereſſanten Materien 
imme zu wänfchen wäre. Wilhelm van der Mueten, 
bekannt durch feinen Commentar über Srorius Wert, und 
dur feine Exercitationes in tit. D. de just. et jur. et 
historiam Pomponii de origine juris, folte gar nicht fohten. 
Koh. Zerrarius, mit dem Beynamen Montanus, ein 
Helle, Nath und der erſte Profsifor der Jurisprudenz, und 
der erfie Rector ben der im Jahre 1907 errichteten Uniderſitaͤt 
in Warburg, iſt dem Re. um fo mertwärdiger, weil er, 
außer Zafe, aus der erſten Hälfte des XVI. Jahthunderts 
einen Dentfhen Juriſten keant, ber fo gut, fo kurz, ſo ele⸗ 
gant und je frey von dem haͤßlichen Fehlern der Vartokiſten 
gefdyrieben- Hätte. Seine adnotationes in IV. institutionum 
libros, und fein Commentarius ad tit. D. de regulis juris 
zeichnen ſich beſonders ans. jene kamen zuerſt in Marburg 
15502 und 1836 heraus, und wurden fogleih in Paris ap. 
Simonem :Colinaeum 1533. 8. md in &yon 1532, and fpds 
ter wieder 3537 und 1544 nachgedruckt; dieſer erſchien zuerſt 
in Marsurg 13%, und wurde ſogleich in Lyon 1537 und 

.—_ 1546 wieder aufgelegt. Don: jenen befist Nee. ſelbſt 

Die Pariſer Ausgabe von 1533, und von biefem die Lyoner 

von 1537, was er deswegen anführe, weil er dieſe Ausgaben 

weder bey Lipenius, noch ſonſt irgendwo angezeigt findet. 

Zerrartus Hatte In feiner Jugend bie Gottesgelehrſamkeit, 

die Medichn wand die Rechte ſtudirt, bey welchen leßtern Fache 

er blieb. Iharlıs Dumolin, der in der Regel von den 

Deutſchen Juriſten feiner Zeis fehv nachtheilig fprady, nannte 

der Ferravias.einen „vir excussi judicii.s Er flarb ein 

Jahr vor Duaren, ı55B, und gehöre in dem Lehrbuche Dis 


408 Sehrbuch der. enilit, Litteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo. 


Verf. in den $. 211., wo er den Reihen der dort angeführten 
Marburger AJuriften in doppelter Hinſicht, einmal als fruͤhzei⸗ 
tiger treffliher Deuticher Rechtsgeienter, und: dann als der 
ersie Profeffor der Jurispeudenz auf der im Sjahr 1597 neu⸗ 
errichteten Unwerfitde Marburg (G. A. Hartmann D. qua 
Academia praesens Marburgensis eadem cum anno 1597 
instituta ostenditur. Marb. 1758.) mit allem Rechte führen 
ſollte. — Dem Franzoſen Louis Malquyt, defien zu 
Paris 1626 herausnefommenes ſchoͤnes Buh: Vera non si- 
mulata ictorum pbhilosophia, Gund ling hundert Jahre 
fpäter zu Halle wieder nen auflegen ließ, hätte auch eine 
Stelle in des Verf. Lehrbude gebuͤhrt. — Aus dem XVI. 
Jahrhundert wären auch noch die Miederländer Jacques 
Typot, Det. Delius und Pierre Corneille de 
Brederode (unter dem Namen Brederodius befannt) ans 
zuführen geweien. Typot, gebärtig von Dieſtem, einer 
Stadt in Brabant, fiudirte die Rechte in Stalien, ging nach 
Wirzburg, von da nah Schweden, wo ihn Gluͤck und Uns 
giäc trafen, von da (1595) an Kaifers Rudolph II. Hof, 
der ihn zu feinem KHiftoriographen machte; 7 zu Prag 1600. 
©&criften: Historia Gothorum ; de Monarchia; de Salute 
Reipublicae; de Justo, sive de legibus etc. — Peck's 
theoretifch practiſche Schriften Über mehrere wichtige Materien 
Des Civilrechts waren immer fehr gefchäßt, auch erhielt der 
Werf. eine ehrenvolle Stelle in der zu Paris erfchienenen Aca- 
demie des Sciences et des arts; und Brederode's The- 
saurus Sententiarum, von Modius bereichert, war ſtets 
der treue Achates der Practiker. Die Stalienr Mafcard, 
Mantica, Merlinus, Megufantius, Turreius, 
Fachinaͤus, welher letztere auch in Ingoiſtadt Profeſſor 
war, Vizzanius aus Bologna, duͤrfen in des Verf. Lehr⸗ 
buche um fo weniger fehlen, da fie Über mehrere Materien 
Hauptbuͤcher geichrieben haben. Ventura Coecus, Pros 
feffor in Bologna, hat eine Catalexis in L. ꝗ. D, de Orig. 
jur. Boneniae 1563. 4. gefchrieben. Von dem Neapolitaner 
Jacobus Gallus haben wir: Clariores juris: Caesarei 
apices. Neapoli 1699. 4., und Brentmann ertheilt dies 
ſem Rechtsgelehrten die größten Lobfpräcde ( Diss. de zepubl. 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefehichte v. Pr. R. Hugs. 105 


Amalphitor. $. 37.) Nicolo Tortorelli, von Fo 
gia, Advokat in Neapel, berühmt durch fein Buch: Degli 
antichi Giureconsulti Romani. In Napoli 1786. 4. iſt au 
vergeffen, und fogar fein Landsmann Siuftiniani hat ihn 
überfehen. Alexander Turamini, aus Biena, iſt um 
fo merfwärdiger, weil er fi vom Anfange an zur guten 
Schule des Connan, Duaren, Baron, Doneau, 
Liglius, Eujas hielt, und niche mit dem Strome feiner 
Zeit (hwimmen wollte, wo man es dem Marianus So— 
sinus, nah) Pasquier, zum Verdienſte anrechnete, daß 
er nicht fowiel Zeit mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften verdorben 
habe, als Alciatus Noch ein Jahr vor feinem Tode, dee 
. 1605 erfolgte, ſtritt er in Ferrara, in einer Rede, mit bes 
Bunderswürdiger Dffenherzigkeit für die Franzoͤſiſche Schule, 
gegen die Bartoliſten feines Landes. In feinen Gchriften 
sergleiht und ſtellt er immer das pofltive mit dem Mares. 
ichte zufammen. Du Bosquet, der Herausgeber des Pfels 
ns, Carl Ruinus, Alziati's Lehrer, der fi oft bitter 
beflagte, daß die Richter fo Häufig gegen feine responsa fpräs 
den, Arn. Joh. Corvinus und fein Sohn Arnoldus, 
drancois de Roye, Vinc. Cabot, Franc. Davydar⸗ 
ginte, ZoH Superior, Joh. Brechaͤus, H. ©. 
Cmpanus, Profeſſor in Dole, Per. Belojus, Claude 
Did, Padilla, Nic Fernandez de Caſtro, Jac. 
dena Lande, Tranc. de Petris, D. Laurentius a 
Batajana et de Bufilio, ©. Prouftean, Per 
Joh und Elaude Chifflet, Puga et Feyoo, Aeze⸗ 
ma, Yjala, Avellanus, Pet. Burgius, Sabre. 
Catius, Joh. Chr. Chriſtius, Chriſtoph. Cole⸗ 
rus, ac. Conſtantinaus, Caͤſar Coſta, Ant. Guib. 
Coſta uss, Hieron. Elenus, Ferandus Adduens 
ſis, Mrius Arcas, Antonius Leſcurius, Sam. 
Fermat Joh. Filleau, Val. Guil. Forſter, Gab. 
de Gaſt Franc. Marſius Gordonius, Hieron. 
Groshot, Ed. Heuryſon, Conſtantius Landus, 
DetlevuMangebed, Georg Lopez Madera, Per 
Martrefir, Marcus Vetranius Maurus, Nieto, 
Thomas Ppillon, Per. Perrenon, Pet. Poucetus, 


1038 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo. | 


Hr. Hugo bat in feinem ganzen Buche nicht einen einzigen 
ordnungsmäßigen Wüchertitel, und er ſcheint fich diefe Nach— 
läßigkeit, die ‚man auch in feinen übrigen Schriften, mi 
Ausnahme feines Index edit, font. Corp. jur. civ., bemerkt, 
zum Geſetze gemacht zu haben. Sin keinem Werfe ift die 
tumultuarifhe Anführung der Schrififteller zu loben; aber. in 
einem litterächiftoriichen Werke ift fie befonders unangenehm. 
Man muß vey Hrn. A. Buche immer wieder andere Bücher 
bey der Hand haben, um nur die Titel zu wiſſen. Es ift uns 
gewöhnlich, daß wir Sachen, bie uns ganz geläufig und gar 
zu befannt find, fo kurz als möglich, und felbft mie Nacht 
laͤßigkeit anfuͤhren; aber man muß nicht übertreiben ; denn 
kein Kenner laͤßt fih täufchen, und er glaubt nicht mehr, ale 
er glauben kann, und fein Urtheil nimmt fehr oft die entges 
gengefeßte Richtung. Vom $. 24. bis zum $. 37. lieſſt man 
nichts, als Namen, und man befommt feinen Titel zu lefen; 
man muß, wenn man genauer feyn will, immer fchon bier 
fogleich andere Büher zu Nathe ziehen, um nur den Titel 
beſtimmt zu erfahren. Und fo geht es durdy Bas ganze Bud) 
fort! Welches die beffere, die neuere Ausgabe eines Buches 
ſey, ob es auch in einer groͤßern Sammlung, und in welcher 
ſtehe, davon erhält man nie Nachricht. Ader bey Hrn. Haus 
bold findet man es immer; und die Kenner, denen ihre 
Zeit werch iſt, wiſſen es zu ſchaͤtzen, wenn es auch übrigens 
durchaus nicht ſchwer für fie ſeyn koͤnnte, die Sache mit Auf 
wand von Zeit felbft zu finden. Kr. R. Hugo ſagt zwar, daß 
er recht fühle, daß er zum eigentlichen Litterator verdorben fey 
(1. Vorrede S. X); allein Rec, glaubt, daß er füch Hier Uns 
recht thue, und daß er, durd feinen index edit. font. Corp. 
jur. civ., fih als genauen und muͤhſam⸗fleißigen Litterator 
fo ſehr legieimirt Habe, daß, wenn er diefes in andern Schrift 
‚ten nicht tft, man nichts anderes glauden kann, als: daß er 
es hier nicht feyn wolle. 
Einem weitern Vorwurfe kann and, diefes Lehrbuch fchwers 
Ich entgehen, nämlih dem, daß es die Bücher, aus 
denen es feine Sachen nimme und nehmen muß, faft nie, 
oder da wicht nennt, wo es fie nennen follte.. So wie 
das ansichweißende Anhänfen der Schriftfteller, ein ficheres 


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kehrbuch der eiviliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo. 109 


Zeigen des verborbenen Geſchmackes if, eben fo iſt die Karg⸗ 
heit dee Selehriamteit eine der vornehmſten Urſachen des Vers 
foles der Wiffenfchaften; und fo wie jeder von natürlichen: 
Verſtande geleitete Gelehrte bey Lefung von Schriften. weiche 
mit langweiligen Citaten üderladen find, einen unerträgs 
lihen Edel empfindet, eben fo endet auf der andern Geite 
auch der Lefer, der ſich gern unterrichten möchte, und jene 
Schriften lief’e,, worin man, unter dem Deckmantel eines 
philofophifhen Styls, unverfiändlihe und rärhfelhafte Sachen 
findet, gewoͤhnlich Das Bud), ohne viel mehr zu wiffen, als 
er zuvor wußte, amd ohne einmal gu wiffen, wo er ſich nad 
beſſeer Belehrung hHinzumenden habe. Wenn man die ges 
ſchaͤtzteſten Schrififteller aller Nationen, einen Rapin, Bofs 
fnet, FGenelon, Fleury, Mabillon, Dupin, Rols 
lin, Dubos, einen Abbe Racine, Barthelempy, 
Montesquieu, Bayle, Muratori, Mazzuchelli, 
Beccaria, Filangieri, Bandint, einen Hume, Ros 
bertfon und Gibbon, in Ihren verfchiedenen Werfen, 
aus der Heiligen und profanen ©elehrfamfeit, ohne allen 
Nachtheil Für die Sleihfärmigkeit und Fluͤſſigkeit ihres Styls, 
jur rechten Zeit und am rechten Drte, die. Schriftfteller zu 
Betätigung und Erläuterung ihrer Gedanfen anführen, den 
Studirenden die Bahn zu jenen reinen Quellen der Litteratur 
and aller gründlichen Wiffenichaft öffnen und erleichtern, und 
auf dieſe Art mehr Mannigfaltigkeie und Reichthum in ihre 
Schriften bringen fieht: fo haben wir in dieſen berähmten 
Namen micht nur für immer ehrwuͤrdige Mufter der Nachs 
ahmung, fondern wenn aud der Eine oder Andere diefe großen 
Männer in die Claſſe der Pedanten fielen wollte, fo wird 
doch ganz gewiß der größte Theil der guten Gelehrten mit der 
Belegung dieſes Titels zufrieden feyn, und ganz gern den 
Werth des philoſophiſchen Geiſtes der unfruchtsaren Dunkelheit 
aller jener Schriftfieller überlaffen, welche die pofltiven Wiſ⸗ 
fenfchaften gern nad Art der metaphufifchen und mathematis 
ſchen Aufgaben behandeln möchten. Glaubt derjenige, welcher‘ 
in pofitiven Wiſſenſchaften keine Schriftfteller eititt, feinen 
Lefeen glauben Machen zu Lönnen, daß er nur aus den Quellen 
felbt, und ans feinem eigenen Kopfe Alles fhöpfe, fo irrt er 


410 Lechebuch der civil, Atteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo. 


gawiß ſehr; wur Unwiſſende wird er überreden foͤrnnen, den 
Kenner nie. Dieſer weiß zu gut, wie man ſtudirt, und wie 
jeder ſtudiren muß; und je mehr Verftand er einem Schrifts 
ſteller zutraut, deſto weniger fann er au von ihm glauben, 
daß er ih, aus eitler Anmafiung, von felbft und ohne Grund 
und Mor), um einige Jahrhunderte, und in die Kindheit der 
Wilfenichaft zurüsfgekellt, und daß er diejerigen großen Mäns 
per unbenußt gelaſſen Habe, welche längft vor ihm eben Diele 
Quellen mit Sp viel Sraft, Umfaffung, Scharfiinn. und Gluͤck 
bearbeitet Haben, daß ihm ſelbſt, in Vergleichung mit dem, 
was diefe geleiftet Haben, nur noch fehr wenig zu thun übrig 
bleiben kann.’ Warum folte man fih alie den Schein von 
«was geben mellen, das, weun es Wahrheit wäre, uns, Rast 
Buhm und Ehre, nur gerechten Tadel zuziehen könnte, und 
der größte Fehler wäre, den man begehen könnte? Die großen 
Chorpphäen der civiliftifhen Gelehrſamkeit Haben fhon laͤngſt 
bey weitem das Meifte und Wichtigſte entdeckt; und das Vers 
dienft der Neuern beſteht meiftens nur darin, daß fe unter 
den verſchiedenen Meynungen und Theorieen Über irgend eine 
Segenftand eine auswählen, und hoͤchſtens mir einigen neues 


Ständen, die ſelbſt Übrigens ihnen meiftens wieder von dem 


| Aeltern an die Hand gegeben werden, wnterfiüßen und befläs 


v 


tigen. Alle civiliſtiſchen Schriften, welche in unfern Tagen 
herausyefommen find, und welche man für die beften der 
nauern Jeit Hält, beurfunden die Wahrheit diefes Satzes nur 
allzu ſehr. In Lehrbäcern über eine Wiſſenſchaft vollehds 
kann der Natur der Sache nad) .nur der bey weitem Mleinfte 
und unbedentendfte Theil in neuen Dogmen beſtehen, und die 
Kürze, zu der die Compendien verpflichtee find, maht ſchon 
an und für fih Mieles dunkel. Warum will man alfo nidye 
vedlich Diejenigen nennen, die uns bey dem Schreiben unferer 
Buͤcher geleitet, und aus denen wir Das Beſte darig genoms 
nen haben? Warum wollen wir nicht die kurzen und dunkelu 
Saͤtze unierer Compendien durch jchuldige Anführung Der 
Schriftfteller aufhellen, aus denen wir gefchönft haben, da es 
fein ſichereres, unfehlbareres und für jeden Lefer augencehmeres 
us Auftlaͤrungsmittel, als eben dieſes, geben fann, wodurch 
Diefer zugleich auf dem kuͤrzeſten Wege in den Stand geſetzt 
wird, ein richtiges Urtheil Über den Werth oder Unmerth eines 
vorgetragenen Saßes zu fällen? Warum wıll man dem wis 
begierigen Leſer gefliffentlihy dieien angenehmen Dienft verfas 
gen, wodurd er, ohne daß das Bud um mehr als einige 


Vogen ſtaͤrker würde, über jeden wichtigen Saß, der bev ans 


dern Schriftitelern vollſtaͤndig mit allen Gründen und unendlich 
beffer entwickelt if, als er in Dem kurzen Paragraphen des 


a. on ZU 


7: Sp ee ee zu 


— — 


FEH 


. 





Krach Dee civiliß. Literäegefepichte v. Br. R. Hugo, 114 


ug Compendinms entwidelt werden konnte, den beflen 
Commentar zur nähern Aufklärung, zur beffern Prüfung zum 
ritigeen Urtheile und zur Mlarften - Meberzeugung erhalten 
märde? Hat Der Lehrer und Schriftfteller diefe ſchͤnen Zwecke 
siht, fo iſt es ihm bey feinen Bühern mehr um fih ſelbſt, 
as um die Befer., zu thun; und er muß bey dieſen nothwens 
dig in den - Werdacht fallen, daß er ihnen gefliſſentlich die. 
Mittel, feine Säge richtig zu verfiehen und zu beurtheilen, 
atziehe; daß es ihm rende mache, wenn fie fih fioer feine 
in nuce, Die er aus der volftändigen Ausführung eines 

viät genanntes beruͤhmten Schriftſtellers vrtcahirt und väthiels 
haft Hingeworfen Bat, Saͤtze, die mit Anführung dieies Schrifts 
ſtellirs ſehr Leiche zu verfichen wären, ohne Anführung deſſelben 
aber, wie meiſtens alle Ertrafte, entweder unverſtaͤndiich oder 
wenigfiens zweyd eutig find, die armen Köpfe zerbrechen; daß 
er, durch Verſchweigung feiner Quellen, ſich .einen verfchangs . 
ta Hinterhalt machen wolle, um über diejenigen, die ihn. 
angreifen, und feine geheimen Vertheidigungsmlitel nicht ken— 
nen, immer mit Vortheil herfallen und ihre Angriffe zuräds 
(Hagen zu fönnen, und daß er Überhaupt mehr fcheinen wolle, 
als er wirklich ift. Der wahre Gelehrte muß fogar den Schein 
meiden, als wolle er feinen berühmten Vorgängern Den Ruhm 
Ihrer Entdeckungen rauben, und -er ehrt ihr Andenken am 
(Hönften denn, wenn er beym Vortrage wichtiger Wahrheiten . 
fe als die Entdecker derfelben nennt. Ulric Huber lobt 
es mit Recht an Lyklama, feinem Landsmaune, daf er 
„alilenissimus a more hujus seculi nimium frequente er 
pudendao, describendi alıenas et pro ‚suis audacter ven- 
dıtandi cogitationes“ geiwefen fey; und Gebauer fagt 
fer ſchön ( Narratio de Henrico Brenckmanno p. 95): 
„Sedulo sane cari, ne prudens sciensque vd unam 
voculam Brenckmannianae industriae et Jaudi subträhe- 


rem. . FR 
Auch iſt es anf jeden Fall eine nicht ſehr delikate Fordes 
rung, wenn ein Schriftſteller, ſey er, wer er wolle, von dem 
lefenden Publikum verlangt, dafi es feinen Saͤtzen, ohne allen 
Beweis, gleichſam als Duakeliprücen , dlindlings glauben und 
trauen foll. Jeder Scriftfteller ift fchuldig, den fcharfiinnigen 
£efer, der immer-die fiherften Denkmäler aufſucht, um das 
Seleſene anzunehmen und zu glauven, auf dem kuͤrzeſten Wege 
8 den Stand zu eben, ſich nach feiner Wahl davon überzeus 
gen zu Fönnen, ohne fih bey den bloßen Worten und ‚Vers 
hyerungen des Schrififiellers beruhigen zu muffen, der, wie 
jeder Menſch, Irrthuͤmern aller Art aufgefeßt bleibt, mißver— 
chen. und haſardiren fann, was er will. - Niemand ann 


413 Lehrbuch der etilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


verlangen, daß man ihm aufs Wort glaube, und jeder, der 
zuhöre, kann verlangen, daß der, welcher Ipricht, das, was 
er vorträgat, beweife. Diefer Beweis fann nun entweder fo 
geführte werden, daß man die Gründe für einen Satz ſelbſt, 
oder daß man die Schriftfteller anführt, bey denen die Gründe 
bereits entwidelt find. Jener Beweis ſchickt fih für ausfährs 
lihere Abhandlungen , diefer für Compendien. Wer weder das 
Eine, noch das Andere thut, erlaube fih eine nicht zu rehts 
fertigende Anmaßung, erfhwert ohne Noth den Lefern ihre 
Arbeit, bringe fie um ihre edle Zeit, welche fie beſſer anwen⸗ 
den koͤnnten, vermindert umd vernichtet feinen Credit bey ihnen, 
und macht fie am Ende fo verdriefilih und ärgerlich, daß fie 
entweder feine Bücher ungelefen gang auf die Seite legen, 
oder nur mit dem größten Widermillen. leſen, ihnen eine nur 
geringe Aufmerkſamkeit ſchenken, und die Zeit und den Augens 
blic® nicht erwarten koͤnnen, wo fle wieder getrennt von ihnen’ 
find, und fi wieder einem redlichern, regelmäßigern und ihre 
Wißbegierde mehr befriedigenden Schriftfteller uͤberlaſſen koͤn⸗ 
nen. Wenn man von der boppelfinnigen Pythia oft getaͤuſcht 
wurde, fo verläßt man ihren Tempel gern; man horche nicht 
mehr auf ihre zweydeutigen Ausſpruͤche, und geht wieder in 
die Afademie | 

Auch tadelt es der Verf. ſelbſt (6. 248.) an Domat, 
daß diefer,, in feinem Werke, weder D’Efpeiffes, noch iv 
gend einen andern Autor, nenne. 

— Video meliora proboque, deteriora sequor. — 

Einem weitern Vorwurfe wırd dieſes Lehrbuh auch wohl 
fhwerlich entgehen können, einem Vormurfe, der auch die 
Übrigen Schriften des Verf. trifft, und der die Schreibart, 
die Manter und den Ton deflelden angeht. Der Styl des 
Verf. liebe das Einfache, Narärliche und Fließende nicht, er 
weicht von dem gewöhnlichen Style der äÄltern und ' neuern 
Kiaffiter und auch unferer beften juriftifhen Schriftſteller ab, 
erhält den Lefer immer in einer unangenehmen Epannung, 
ermüder ihn, madıt ihn fiets ungufrieden mit fich ſelbſt, laͤßt 
ihn ohne Beſchwerlichkeit von einer Stelle zur andern nidt 
fortruͤcken, neckt und hält ihn überall in feinem Gange auf, 
bringt ihn um viele Zeit, martert ihn ohne Noch, überlaͤßt 
ſich nicht felten, flatt gu unterfuchen, einem minder befchwerlis 
hen Pyrrhonismus, geht immer nur auf das Ungewoͤhnliche, 
Auffallende, Pikante, auf das Raͤthſelhafte in Sache und 
Worten aus, fuhr immer nur, fo zu fagen, die Quinteffenzen 
auf, und wird dadurch gegiert, gezwungen und dunkel. 

(Die Zortiegung folgt, ) 


EEE 


No. 8. HSeidelbergiſche 1813. 


Jahrbuͤcher der Litteratur. 


© 














Lehrbuch der civitiftifchen Zitterärgefchichte vom Prof. Ritter Hugo 
in Goͤttingen. 
( Sortfegung der in No. 7. abgebrochenen Necenfion, ) 


R. iſt uͤberzeugt, daß gerade der Verf. am wenigſten noͤ⸗ 
thig haͤtte, ſeine Buͤcher mit dieſem unaͤchten Schmucke einer 
falſchen Gelehrſamkeit aufzuputzen, zu dem gewoͤhnlich nur 
diejenigen ihre Zuflucht nehmen, die zu arm ſind, um in 
. einem ſoliden Aufzuge erſcheinen zu koͤnnen. Der Verf. hat 
zu viele Realitaͤten, als daß er noͤthig haͤtte, nach Mitteln zu 
greifen, die tief unter ſeinen Talenten ſtehen. Auch weiß Rec., 
daß ſelbſt die waͤrmſten Verehrer des Verf. dieſes zu allen 
Zeiten lebhaft an ihm getadelt haben; und gewiß hat er ſich 
ſchon laͤngſt mehr damit geſchadet, als er glaubt. Man ſchiebt 
dm Motive unter, die Rec. nicht für wahr hält, die aber, 
wenn fie es wären, micht ehrenvoll für ihn ſeyn könnten. 
Würde der Verf. in einem weniger gefuchten und weniger duns 
kein Style ſchreiben, und würde er zu rechter Zeit und am 
tehten Orte die Quellen anführen, aus denen er fhöpft, ges 
wiß er würde feine glücklichen Litterärifchen Erfolge nach der 
Anzahl feiner Werke zählen. Die Schriften des Verf., fo 
wie fie find, find alle nur entweder für feine Zuhörer, denen 
er, im mündlichen Vortrage, die Raͤthſel derfelben geloͤſſt hat, 
oder für diejenigen, welche die Quellen kennen, und die Bis 
der beſitzen, aus denen er fchöpft, oder endlich für diejenigen, 
welhe eine Materie ex professo ftudiren und das Pfeinfte 
Detail derfelden kennen, verftändlich; für alle Andere bleiben 
fie dunkel und befchwerlih, weil man faft feinen einzigen Pas 
tagraphen fließend meglefen kann. Daher kommt es auch), daß 
feloft mehrere fehr gelehrte Profefforen des Civilrechts in 
Deutſchland, die Rec. kennt, kein einziges Buch des Verf. 
beſitzen, ja nicht einmal leſen wollen; und, bey diefer Stims - 
8 








444 Lehrbuch der civilih. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


mung, läßt ſich vielleicht nicht ohne Grund prophezeihen, daß 
die Werke des Verf., fo wie fie find, fein hohes Alter erreis 
den, und daß hoͤchſtens ein anderer lichtoollerer Gelehrter 
fpäterhin das Beſte daraus nehmen, und in einem deutlidern, 
fließendern und angenehmern Style, unter Anführung der 
Quellen und Scrififieller, welche benußt wurden, vortragen 
werde. 

Ein Schriftfteller und Lehrer kann feinem Publikum, das 
fi) niche bloß mie Ihm allein zu befchäftigen hat, nicht zumu⸗ 
then, fo vieie Zeit auf die Enthuͤllung feiner Närhiel zu ver 
fhwenden ; er ift ſchuldig, fo klar als möglich zu ſchreiben, ſo 
Har, daß ihn, wie Johann Campegius von Bologna, 
ein Juriſt des XV. Jahrhunderts, und Jaſon's Zeitgenofle, 
zu fagen pflegte, felbft die Ignoranten verftehen können. Sehr 
mertwärdig ift auch die, wohl etwas zu ſtarke Sprache, welche 
der große, fchon bejahrte Cujas nur fünf Jahre vor feinem 
Tode, im Jahr 1585, in einer Nede, die er gu Bourged 
hielt, gegen die dunkeln Profefforen führte: „Idem quoqus, 
fagte er, in doctore nostro requiro, ut nihil unquam tra- 
dat obscure in jure, et ut tradat patefacta ratione, clare 
et perspicue. Quo enim mihi juris interpres, nisi sit 
irn eo, quod in po&ta Aristoteles exigit, ut res palam 
ante oculos ponat, et in bono lumine? Quid enim 0%0- 
zeıvot illi Heraclito similes, nil nisi cruces atque tor- 
menta? Quid item turpius, quam id ipsum 
esse obscurum, quod ineum solum adhibetur 
usum, ne sint cetera obscura? Ab his nebulis 
nebulonibusque dicti sunt procul dubio nodi juris, dicta 
legum aenigmata !* Alnfere Nachbarn jenfeits des Rheins 
haben uns fchon oft genug, wegen unferer gelehrten Dunkel⸗ 
beit, ausgelacht, und fchon im XVI. Jahrhundert tadelten fie 
es an ihrem hochverehrten Landsmann Dumolin, daß er 
feinen Styl nah dem der Deurfhen Schriftfteller gebildet 
habe ‚— „qui rendent leurs écrits obscurs et quelquefois 
m&me inintelligibles, pour y vouloir affecter une trop 
grande erudition.* 

Gibbon und Spittler (heinen auf die Schreibart 
des Verf. entjcheidenden Einfluß gehabt zu baden; in den 


Bepebuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Onge. 115 


Shriften diefer beyden Gelehrten fcheint man das Modell des 
Styls des Verf. zu erfennen. Aber jede Nachahmung bleibe 
immer hinter dem Driginal zuruͤck, und kann zwar bie Fehler, 
aber nicht die Tugenden deſſelben erreihen; und dann if 
Spittler kein Gibbon, und ſelbſt Gibbon wird, eben 
feines gefuchten und minder einfachen Styles wegen, einem 
Aume und NRoberefon mit Recht nachgeſetzt. Diefe beyden 
großen Schrififteller find auch gedrängt und reichhaltig; aber 
fie find zugleich fo klar und durchſichtig, und führen die Quel⸗ 
Im, woraus fie fchöpfen, immer fo vedlih an, daß fie dem 
Lefer nichts zu wuͤnſchen übrig kaffen. Der Verf. fcheint feis 
nen Styl auf den- in Deutſchland wegigftens feit einiger Zeit 
ziemlih gemeinen Geiſt des Jahrhunderts berechnet zu haben. 
Denn leider hat fich der Myfticismus in unfern Tagen ſelbſt 
in die fchöne Litteratur eingefhlihen, und es iſt wirklich fo 
weit gefommen „ Daß von vielen Spdioten, welche ihren ©es 
ſchmack durdy Die Claſſiker der alten und neuen Zeit noch niche 
firire Haben, Diejenigen über die Achfel angefehen und verlacht 
werden, weiche nicht dunkel und unverfländtich ſchreiben; aber 
Nec. frene ſich menigftiens, daß er die myſtiſchen Schriften 
immer für Die Peſt der Litteratur gehalten Hat, und er finder 
eine tröftende Beruhigung in dem Glauben, daß der Ges 
ſchmack für das dunkle Andenten ein Rauſch fen, der nice 
lange dauert, und defien man fi ſchaͤmt, fobald er vorüber iſt. 

Der Verf. wird ohre Zweifel fagen, er ſupplire und helle 
in dem Collegium Alles auf, und feine Lehrbücher ſeyen nur 
für feine Zuhörer beftimme, für welche es fogar vielleicht beſſer 
ſey, wenn ihnen die Sachen im Buche feldft nicht ganz faßlich 
dargefielle werden, um fie an ein fchärferes Nachdenken und 
an eine firaffere Spannung der Seelenkräfte bey der Repeti⸗ 
tion anzuhalten und gleichſam dazu zu zwingen. Allein abges 
rechnet, dafs Diefes Motiv immer den Schein hätte, ale wäre 
es dem Srundfaße nicht vorausgegangen, fo glaubt Rec., daß 
ein Buch, "das auf die Leipziger Mefie kommt, auch für das 
uͤbrige Publikum geſchrieben, und nicht bloß für die Studens 
ten in Goͤttingen beſtimmt if. Sodann flieht er nicht ein, 
warum man auc den Studenten das ohnehin fchon ſchwere 
Rechtsſtudium nicht auf jede Art zu erleichtern erachten folte. 








416 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Br. R. Hugo. 


Wenn man ihnen die Sachen aud noch fo klar vorträgt, fo 
bleiben doch immer noch nur gu viele Schwierigkeiten und uns 
Üderfteigliche Hinderniſſe, in einer fo vermickelten und fo viele 
Kenntniſſe vorausſetzenden Wiſſenſchaft, für fie übrig, an denen 
fie ihre Kraft und ihren Scharffinn genug üben können. Der 
talentvolle und fleißige Zuhörer bedarf keiner kuͤnſtlich herbey⸗ 
geführten Schwierigkeiten, um nachzudenken und feine Seelen⸗ 
kraͤfte anzufpannen, und man beraubt ihn unnöthigerweife 
einer Zeit, die er nüßlicher anwenden könnte; und der minder 
fähige und minder fleißige Student wird eher von dem foliden 
Studium des Nehts verfheuht, wenn er feine einer immer 
währenden Spannung unfähigen Geiftesfräfte unaufhoͤrlich und 
auch da anftrengen fol, wo man Ihm die Anftrengung eripas 
ren könnte. Auch waren die beften ECompendienfchreiber der 
ältern und neuern Zeit, - und feldft die Vorgänger des Verf. 
auf der Univerfität gu Göttingen, nie der Meynung, daf man 
in den Lehrbähern und Compendien die Schwierigkeiten gu 
fliffentlih vermehren fol, um die Aufmerkſamkeit und das 
Machdenten der Zuhörer zu fchärfen. Alle ihre Schriften die 
fer Art find fo klar und faßlih als möglih, und an den 
Eompendien von Georg Ludwig Böhmer wird ‘gerade 
diefe Klarheit in den Begriffen und Worten mit dem größten 
Rechte hauptſaͤchlich geprieſen. Der Verf. ſelbſt ertheilt (6. 
576.) dieſen Boͤhmerſchen Compendien ihr gebuͤhrendes Lob, 
und doch wie weit ſind nicht die Lehrbuͤcher des Verf. von der 
edein und ſchoͤnen Einfalt derſelben entfernt? Iſt einmal der 
richtige und kuͤrzeſte Weg entdeckt, warum will man dieſen 
nicht auch einfhlagen, und warum foll man einen längern und 
langweiligern fuchen, nur um einen befondern gu haben? 
Böhmer’s Lehrmerhode ift die befte, weil fie in der Natur 
der Sache liegt, von Maren Begriffen ausgeht, dieſe, ohne 
alfe gelehrte Umfchweife, deutlich und hell entwickelt, weiter 
verfolgt, daraus wichtige und durchſichtige Wahrheiten zieht, 
die für jeden Verſtand zugänglich find, und diefe immer ent 
weder mit Geſetzſtellen für minder ſchwierige Gäge, oder mit 
Schriftſtellern für diejenigen Saͤtze belegt, die zwar aud in 
den Geſetzen liegen, aber ohne Huͤlfe derer, welche ihre Muße 
und ihren Scharfſinn auf die Erklaͤrung derfelben verwendet 


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Lehrbuch Der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R. Hugo, 117 


haben, nicht fo leicht. von allen Lefern begriffen werden koͤnn⸗ 
ten. Eben deswegen wurde und wird über Boͤhmer's Coms 
yendin auf allen Liniverfitäten gelefen, chen deswegen werden 
diefe von allen WMerfländigen, ohne irgend eine Ausnahme, 
hochgeſchatzt; und man kann mit Gewißheit behaupten, daß 
fie diefes gluͤckliche Schickſal nicht gehabt haͤtten, wenn ihr 
wärdiger Verfaſſer fle nad Art des ii R. Hugo gefchries 
ben hätte! 

Soviel im Allgemeinen über das vorliegende Buch. Rec. 
wii nun, thetls zu Bellätigung diefer allgemeinen Betrach⸗ 
tungen mit einzelnen Vepfpielen, theils zu Berichtigung und 
Erläuterung, tbeils. zum Lobe mandyer einzefnen Saͤtze des 
Verf., auch etwas in das Detail der 400 66. gehen, aus des 
nen das - Lehrbuch. beſteht. 

Sn der ‚Einleitung, die aus 4ı 66. beſteht, trägt der 
Berf. mehrere Sachen vor, die man in den bisherigen Lehrs 
Gähern der civiliffiishen Litteraͤrgeſchichte nicht findet, die Mans 
chem zum Theil unbedeugnd. jcheinen koͤnnen, die es aber in 
der That nicht find. Dergleichen Kleinigkeiten werden oft im. 
Studium feldft fehr bedeutend, und man muß fie, wenn man 
gut fortkommen will, eben fo gut willen, als die wichtigften 
Säge. Im $. 3. fpricht der Verf. von den Familiennamen 
mehrerer Ciniliften, die man gewöhnlich nur unter ihrem Las 
teinifchen Namen kennt... Man könnte, ſtatt der angeführten, 
- viele andere Beyſpiele geben, wo es nach fchwerer iſt, aus 
dem Lateinifhen den Familiennamen, nder.umgefehrt, heransı 
zubringen. So hieß z. B. Antonius Bengeus — Ben— 
99, Aegidius Mortenfius hieß Desjarding, Celſus 
Hugo Diffurus Heß Deicoufu, Joh, Galli hieß Le 
Eog ; und fehr wahrfcheintich vermuther der Verf. an einem 
andern Orte ( Livilif, Magazin III. Bd. 4. Heft. &. 440), 
daß Adrianus Pulväus in feinem Waterlande Poudrengr 
geheißen habe. ©. 3 Note ı) fragt der Werf.: Wie hieß 
Sutrherius? Erſt im $. 245. S. 227 fleht die Antwort: 
Souttiere, mit der Bemerkung, daß diefer Name erft 
fp&e von Ba yle aufgedeckt worden fey. Verſchiedener ift wohl 
noch fein Name geichrieben worden; Sontier, Suthier, 
Surtizres, SGoutiere, Gouthier Suthikrres, 


418 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo, 


Guthiedrre, Gouthierre;: Diefe Bverfchledene Namen ger 
ben ihm feine Landsleute ſelbſt. Der Verf. fchreibt aber den’ Nas 
men doc) nicht richtig, und wie ihn Baple ( Dictionnaire 
historique et critique, Tome 11. Edit. Amstel. ‘1740, p. 
Baa. col. 1. note 114.) angibt; denn Bayle fchreibt Sous 
tiere, der Verf. hingegen Gouttiere. Auch in den Let- 
tres choisies ’de Mr. Bayle, Tom. II. Roterd. 1714. p.709 
“ficht folgende Bemerkung: „J’ai rencontre depuis-peu dans 
Y’Histoire de Bresse de Guichenon .le nom fran- 
gois de cet &crivain. C'est Goutiere. Il 'etoit grand 
‘Humaniste,; et illustroit ‘par Ià plusieurs: passages du 
droit.“ S. 3 Note 6. fragt der Verf. : Welher Name ift 
‘der wichtige bey -Viglius -Zuichemus ab Ayta Frisius? 
Er läßt diefe Frage unbeantwortet, aber da er ihn gewöhnlich 
Zuichem nennt (|. das Negifter S. 427 $. 41. $. 110. 
Note 3, $. 112. $. 101. Mote 8. $. 124. Mote a. 6. 1925. im 
Terte und in der Mote 1. $. 148. Mote 1.), fo ſcheint er die 
fen für den wichtigern gu halten. Dieſes ift aber nicht richtig; 
denn der wichtigere und der Familienname iſt ab Aytta, weil 
der Water des Viglius ſich bloß Folcardus ab Aytta, ohne 


den Beyſatz Zuichemus, nannte. Viglius war aljo der 
Vorname, ab Aytta der Familienname, Zuichemus iſt ein 


Beyſatz von dem Drte Zuihem, wo, nah Martiniere, 
Biglius gebohren, und der, nach Andern, zugleich ein alt 


vaͤterliches Familiengut war; und Frifius wurde er von der 
Provinz Friesland genannt, worin Zuihem liegt. Martis 


niere nennt ihn daher richtig, nach feinem Vor s und Zunas 


men, nut Viglins ab Aytta. Auch fein Landsmann, Ulrich 


Huber, Hält den Namen ab Ayta für den wichtigern und 
- Bamiltennamen (Opera minora et rariora. Trajecti ad 


Rhenum 1746. 4. p. ı26) und den Beyſatz Zuichemus nur- 


für einen Beyſatz, der den Geburtsort beitimmen foll; fo wie 
ee an demfelden Drte und in berfelben. Linie den Joachim 
Hopper Snuecanus, von feinem Geburtsorte Sneek, nennt. 
Die Geſchichtſchreiber Übrigens, wie Bentinoglio, Wat— 
fon und Andere, nennen ihn gewöhnlidy nur mit feinem Bow 
namen Viglius, nie aber nennen fie ihn Zuichemus. So 

wenig man bey Rofredus den Beyſatz Beneuentanus, bey 








Lehrbuch der civiliſt. Ritterärgefchichte v. Pr. M. Hugo. 119 


Per. Sregortusg ‚den. Beyſatz Tholofanus, bey Theodos 
ins Adam Aus den Beyſatz Sualembergins, bey Hopper 
den Beyfag Snecanus für den wictigern Namen halten kann, 
eben fo wenig Darf man auch den Beynamen Zuihemus bey 
Kiglius ab Ayera für den wichtigern halten. — Daß 
enh die Vermögensumſtaͤnde nicht felten: auf die litterariſche 
Wirkſamkeit Einfluß haben, wie der Verf. $. 5. bemerkt, iſt 
nur allzuwahr. Alciati wollte das ganze Corpus juris gloffis 
ven; aber der Krieg fchmälerte feine Einkünfte: er mußte 
advociren und Gutachten flellen, und fo unterblieb diefe näßs 
ide Arbeit (ſ. Alciati Epistola Francisco & Turnone in- 
scripta opp. Tom. I. praefixa p. 2). Die Armuth ik eine 
Krankheit, von der die Gelehrten felten geheilt werden; auch 
die Juriſten konnten dem bekannten Joh. Pierio Vale— 
riano manchen Beytrag zu feinem Buche: de infelicitate 
litteratorum liefern. — Sn dem Sage, daß die Aenderung 
der Grundſaͤtze der Schrififteller oft Sehr bemerkenswerth fen, 
($. 10.) lieferte wohl in neuern Zeiten der Baron von Hont⸗ 
heim das merfwürdigfte und auffallendfte Beyſpiel. — Wenn 
der Verf. ©. 8 6. 15. Mote 3. ſagt, ſehr oft werde Fatte⸗ 
rini ſtatt Sarti unrichtigerweife genannt, fo iſt hiebey zu 
bemerken, daB man eigentlich bey dem Werfe: de claris 
Archigymnasii Bononiensis Professartbus. beyde, Sarti 
und Fattorini, zugleih nennen follte; denn der erfiere 
flaeb, ehe er auch nur den erfien Theil wollender hatte, und 
der letztere mußte auch im diefem eben deswegen noch an fehr 
vielen Drten nahhelfen. Webrigens nennt der Verf. ( &. 33 
Note 5.) felbft den Fattorini flatt Sarti. 

Sehr richtig fängt der Verf. im $. 39. eine eigene Periode 
in juriftifher Hinfihe mie Polizian an, ungeachtet Coras 
(Miscellanea ) behauptet , er habe von dem Roͤmiſchen Rechte 
nichts verfianden, und ungeachtet auch Alciatus mit einer 
gemachten Geſchichte deffen Ignoranz, als Nechtsverfländiger, 
glaubwärdig maden wollte. — Bon $. 4a. bis 6. 88. bes 
nußte der Verf. beynahe immer Sarti’s und Fattorint’e 
bereits angeführtes Werk, ohne es Übrigens viel zu mennen. 
Man fiehe überall, daß es der Verf. emfig ſtudirt, und fofl 
allein zum runde gelegt hat. Diefes Werk ift als der beſte 


420 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. N. Hugo. 


Eommentar zu den fragmentarifhen und oft dunkeln Stellen 
des Buches anzufehen. Wo vom . 42. bis $. 88. eine Stelle 
rächfelhaft ift, da darf man nur dieſes Werk nachſchlagen;. 
man findet da immer. dasjenige Heil und deutlich ‚vorgetragen, 
was in dem Buche des Berf. dunkel iſt. Sarti’s und 
Fattorini's Werk geht aber nur bie gu Dinus Mugels 
lanus, alfo bis zum $. 88. des Lehrbuhes. Don bier an * 
muß fodann Tirabofchi zu Hälfe genommen werden. ©. ı6 
6. 31. fpricht der Verf. von Diplovatacctus und Pans 
zirollus Es iſt an ſich ganz gleichgültig, - ob man einen 
Schriftſteller mit feinem vaterländifchen oder mit feinem Lateis 
nifhen Namen nennt ; aber da der Verf. in der Regel immer 
das erftere thut, fo erfordert es die Gleichfoͤrmigkeit, daß es 
überall gefchehe. Deswegen follte Diplovatazzi, Pan— 
zirolli, Alctati (8.16 und ©. 106), Sigone, Gem 
tili (S. 30 und 108. ©. 164. 190. 191), Ferretti, nidt 
Ferret (S. 102), Pietro Vettori, ſtatt Petrus 
Victorius (S. 197 $. 140.), Aldo Manuzio (©. 197 
6. 141.), Matheo de Afflitte (&.go 6. 113.), Ans 
mar du Rival, flatt Aymar Rivallius (©. 146 
$6.166.), Baron, flatt Baro (&. 178), Cafaubon, 
flat Cafaubonus ($. 194), Broe flatt Broeus (©. 
209), Giuſephe Tofcano Mandatorizzo, ſtatt Tot 
cant Mandatorizzgi (S. 335 $. 349), Gentien 
Hervet, ſtatt GSentianus Herverus (©. ı20), Boyar 
oder Bouerry, flatt Boerius (8. 108), Roufard, flatt 
Muffard (©. 158), Roncagallo, fiat Ronchegal⸗ 
Ins (8.91), Juſtel und Voel, flatt Juſtellus umd 
Voellus (S. 236) u. f. w. in dem Lehrbuche fiehen. — 
Gegen $. 46. Mote 2. G. 31 ift zu bemerken, daß ſchon vor 
Mosheim und Spittler, und fogar gleich unmittelbat 
nach Erfcheinung des berüchtigten Buches des Aler Matt 
chia velli, im 5. 17026 diefes in Italien felbft große Wi⸗ 
derſacher gefunden habe, und daß, auf Macchiavellis 
Bitte, der Doctor Giuſeppe Pozzi di Jacopo, ein 
munterer und fpaßhafter Mann, eine nicht ernftlich gemeinte 
Vertheidigung des Calendarium verfaßt habe. Fantuzz! 
fannte wohl ſchwerlich Spittlers Abhandlung, wenigſtens 





Lehrbuch der civlliſ Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R Hugo. 121 


zitirt er fie nirgends. — Wenn der Verf. (S, 3ı Note 3.) 
bemerkt: „Won dem Anfanae des zweyten Bandes des Wers 
tes: de claris archigymussii Bononiensis professoribus, 
ift nichts in den Buchhandel gefommen; es exiſtirt aber wer 
nigſtens ein Exemplar davon in Deutſchland,“ fo weiß Rec. 
nicht, wozu dieſe Bemerkung nüßen foll, und warum der 
Verf. nicht lieber geradezu gefage hat, wo es eriftirt. Diefes 
ift gerade, ale wie oft Leute fagen: Ich weiß eine Neuigkeit, 
aber ich fage fie. nicht! Lieber nichts ale fo gefagt! Warum 
die Neugier Anderer vergeblih reizen? Warum eine Sache 
als wichtig behandeln, Die. e8 niche ift, und die man, : ohne 
‚alles Nachdenken , bloß hiſtoriſch, entweder durch. Leſen, oder 
muͤndliche Tradition, erfährt? Diefe Bemerkung des Verf. 
erinnert an den Gasus unus deB $. 8, I. de Actionib., wors 
ber ſich ſchon fo viele Gelehrte die Köpfe zerbrochen haben, 
und. wegen deſſen dem Tribonian fihon fo ‚viele Vorwürfe 
' gemacht worden find. — Besen &. 55 Mote 5. ift zu bemers 
tn, daß Fatt orini und Sarti von des Gefchichte mit 
den gu Amalfi von den Pifanern gefundenen und von Lothar II. 
beflätigten Pandekten doch deutlih, genug fprechen, indem dieſe 
gleich auf Der 2. Seite $. 5. eine fabula genannt wird. — 
Der. $. 48. tft in einem hoͤchſt beichwertichen Style abgefaßt; 
Rec. glaubt nit, daß irgend jemand, dem diefer $. vorges 
leſen wird „ feinen Inhalt würde faſſen können. — Den $. 56. 
Note ı. ©. 45 hätte Sarti Tom. J. p. 52. $. 10. anges 
führe werden follen,; denn fo, wie die Note ſteht, muͤſſen 
diejenigen, welche Sarti’s Wert nicht kennen, glauben, der 
Verf. babe diele Entderfung gemacht. Allein auh Sarti tft 
nihe der erfte Entdeder ; deun fhon Duck (de auctorit. jur. 
cir. p. m. 355g. et 560.) hat eben fo interpungirt; und auch 
Terraffon (Histoire de la jurisprudence romaine p. 429) 
‚bemerkte, daß Selden den Rogerius mit dem Vaca— 
rius verwechlele — Im $. 56. bemerkt der Verf., daß dag 
Eompendium des Vacarius Äber dad Roͤmiſche Recht nicht 
bewieſen ſey. Sarti iſt zwar allerdings ( Tom. I. p. 54) 
„dagegen ; aber feine Gruͤnde find nicht ftart genug, um den 
Glauben an das Chronicon Normannicum zu vernichten. 
Das Breyviarium, oder die Excerpti de codice et digestis 


/ 


432 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr, R. Hugp. 


novem libri, wovon die Normanniſche Chronik ſpricht, exi⸗ 
flirten gang gewiß, was auch Sarti dagegen fagen und für 
Zweifel und Kppothefen erheben mag. Rec. beruft fi, und 
swar, ſoviel ihm bekannt iſt, „zuerft auf. ein Dokument, dag 
alle diefe Zweifel auf einmal vernichtet, nämli auf die Man- 
tissa de libro rarissimo, Bihliotheca Ant. Augustini, Tar- 
raconensis Antistitis, die ®ebauers Narratio de Hen. 
Brenckmanno. Goettingae 1764. 4. angehängt iſt. In dies 
fer Mantissa fteht (&. 197 Nro. 380.) folgendes Buch, ale 
in der Bibliotheca manuscripta latina A, Augustini definds 
li: „Incerti auctoris breviarium, sive excerpta ex enu- 
cleato jure Digestorum et Codicis, pauperibus Anglicis 
destinata, ac novem libris comprehensa. Regulae juris. 
Liber in membranis annor. CD. forma folii.“ Diefes ift 
nun ganz zuverlälfig daſſelbe Bud, von dem die Normannifdye 
Chronik fpricht. Wenn nun ihre Angabe von der Eriftenz defs 
felben richtig ift, warum follte die Angabe von dem Verfcſſer 
deffelden weniger glaubwürdig ſeyn? Und wenn, in der Bi- 
bliotheca manuscripta A. Augustini, ‚dee dort befindliche 
Codex auf sin Alter von 400 Fahren, im Jahre 586, wo 
diefe Mantissa zu Tarragona gedruckt wurde, gefhäßt worden 
iſt, fo fälle deffen Nerfertigung gerade in das Jahrhundert 
und in die Zeiten, wo Vacarius, nah der Normannifchen 
Chronik, lebte; und alfo wirt eben dadurch die Angabe diefer 
Chronik, auch in Abficht auf den Verf. des Breviarium, noch 
meiter beftätige. — Die Bemerkung, welche der Verf. im 
6. 65. aegen die große Menge von Zuhörern des Albericus 
macht, hat keinen hinreichenden Grund, weil nah Ddofres 
dus, die Scholae S. Ambrosii, in denen Albericus lag, 
ampla conclavia prope S. Ambrosii eeclesiam waren, 
ubi ab antiquiori tempore populi Bononiensis conventus ha- 
beri solebant, et à magistratibus utbanis jus dicebatıur, 
antequam Bulgari aedes ad id fuerint delectae (Sarti 
et Fattorini Tom.I. P.I. 9.62 $.5.). — Bey Azo 
(5 68.) wäre auch noch zu bemerken geweien, daß zu feinen 
Zeiten die fogenannten Coneurrentes oder Antagonistae ent 
flanden find, von denen wie in den Schriften der Altern Stas 
lienifhen Juriſten fo vieles leſen, die fo oft den Wetteifer, 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. N. Hugo. 123 


Neid, Haß und Sturz berühmter Profeſſoren verurfachten, 
diefen recht eigentlich zur Qual und zum Aerger beygegeben 
waren, ihren Fleiß und Eifer immer in der unangenehmften 
Spannung erhielten, und ihnen fehr oft ihr langes Anfehen, 
ihren alten Ruhm, ihre Ruhe, Ehre, und das ganze Gluͤck 
ihres Lebens raubten. Ein folder Concurrens mußte mit dem 
Profeffor In derfelden Stunde und Über denjelben Text leſen. 
Nah der Lection trat er mit ihm auf den oͤffentlichen Kampf— 
las, in Gegenwart allee Zuhörer von beyden Theilen, und 
difpuiirte mie ihm über die in der Lection abgehandelten Artis 
tel und Streitfragen. Hier fuchte er nun mit allen Stacheln 
feines Scharfſinns und Witzes auf den Profeſſor zu flechen, 
diefem eine tödtlihe Wunde um die andere beyzubringen, ihn, 
mit allen Kunſtgriffen der Dialectit, aus der Faſſung zu’ brins 
gen und in die Enge zu treiben, mit feltenen Texten zu übers 
rafchen, mit ganzen Colonnen von Authoritäten zu belagern, 
kurz mit allen Waffen der höhern und niederern Seelenkraͤfte, 
der fchwerern und leichtern Gelehrſamkeit, feldft der Argliſt 
und Chikane, gegen ihn Sturm zu laufen, und ihn dem Ges 
fpötte, dem Gelächter und der Verachtung eines jugendlichen 
und muchmwilligen Auditoriums preis zu geben. Diefe Diipus 
tstionen waren gelehrte Haben, zu denen ſich auch der wärs 
digfte und gravitaͤtiſchſte Profeffor primarius, . gar großen 
Beluftigung des jungen juriftifchen Anfluges, nolens volens 
hergeben, und wobey er ſich fehr häufig proſtituiren laſſen 
mußte. Die muthigeen Koncurrenten erlaubten ſich nicht felten 
die ausfchweifende Freyheit, Terte zu erdichten und herabzu⸗ 
(efen , die nirgends eriflirten, nur um den Primarius in eine 
angenblicklihe Stockung zu Bringen, und die ehrerbietigen 
Schüler ermangelten in folchen Lritifchen Augenblicken nicht, 
ihren Lehrer aus vollen Haͤlſen auszulahen. Die ruhigften 
und gelaffenften Primarit, welhe, nach ihrem Maturell, nur 
gu einem ſtillen und fanfe hinfließenden Leben Hang hatten, 
mußten fih Gewalt anthun, aus den“ Schranken ihrer Natur 
mit Gewalt hervorbrechen, ihren. Charakter verleugnen, ſich 
mit dem größten Widerwillen in das gange Meer von Sabalen, 
Rniffen und Chikanen flürgen, in dem der unruhige Kopf, 
wie in feinem Elemente, lebt, und, ben den fanfteflen Ges 


424 Lehrbuch der civitift, Litterärgefchichte dv. Br R. Hugo. 


muͤthsanlagen, ſich tro& den Händeljüchtigften und zaͤnkiſchſten 
Menſchen, trotz den tollfien Braufeköpfen, benehmen. Sie 
mußten fi erniedrigen, Partheyen unter den Studenten zu 
bilden, und diefe feldft mit Selde auf ihre Seite zu ziehen 
trahten. Der Sieger wurde meiftens von den Studenten, 
wie im Triumphe, nach) Kaufe begleitet. Diefe Sitte wurde 
von Italien auch nad Frankreich verpflanzt, und Bartolus 
(ad L. ı. $. divus etc. n. ı9. D. de var. et extraord. 
cogn.) fpricht von einem folchen gelehrten Kampfe, der zu 
Toulouſe zwifhen dem Profeſſor primarius, Quilselmus 
a Eunio, und feinem Concurrens, Beltrandus de 
Monte Faventino, nah dem Jahre 1340 Statt hatte, 
Aber in Italien hielt fih diefe Sitte weit länger. Sehr oft 
endigten fih diefe gelehrten Fehden mit Injurien von beyden 


Seiten, manchmal fogar mit Thärlihkeiten. Den ECarolus 
Ruinus, der doch ſchon vorher einen ehrenvollen Kampf mit 


dem gefürchteten Jaſon in Padua beſtanden hatte, jagte 
einmal fein Eoncurrens, Franciscus Parmenfis, bloß 
durch .ein fanftes Lächeln, fo fehr in die Hiße, daß er in den 
heftigften Zorn ausbrach, und fih allen Ansihmeifungen einer 
zügellofen Rede ohne Scheu uͤberließ. So wie fih gemeinigs 
lich die Unverfhämtheit des Lebens unvermerft auch den Wer— 
fen der Schriftftellee mittheilt, fo waren oft auch die Schriften 
jener Zeiten der Abdruck jener unanftändigen Kämpfe. Mans 
cher Primarius, der in der Difputation von feinem im Ganzen 
minder gefchieften Eoncurrens, durch einen gluͤcklichen Einfall, 
oder einen liftigen Kunftgriff, in die Enge "getrieben wurde, 
fuchte fih nachher, in einer Schrift, zu rähen, und die ven 


-biffene Wurh gegen feinen Gegner auszulaffen. Ganz gewiß 


waren: die Nachtheile diefer Sitte größer als die NWortheile: 
eben deswegen kam fie auch allmählig außer Gebrauch. — In 
die zweyte Periode von Irnerius bis Accurfius gehören 


auch noh Jacobus Colombinus, der berühmte Feudiſt, 


der Engländer Stepdan Langton, der Franzoſe Guy 
Foucaut, nahher Pabft Clemens IV., und der, durd 
mehrere gefchäßte Schriften befannte, Pabft Innozenz IV. 
— Bon $. 75. bis 83. ſtehen ſehr / gute allgemeine Betrachtun⸗ 
gen über die dritte Periode, von Accurfius bis Bartolus, 


- 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Br. R. Hugo. 125 


mins aus &GSarti’s und Fattorini’s Werke genommen. 
Diee Periode zeigt uns heramirrende Profefforen , weldhe ans 
fehnlihe Summen „ aus den Benträgen ihrer Schüler, ziehen. 
Die luſtige Stelle des Odofredus (©. 56 Mote 2.) if 
aus Sarti T. I. P.I. p. 180 Mote a) entlehnt. Wenn ber 
Verf. hier behauptet ($. 75. Note 2.), das Verhättniß zmis 
fhen lectio ordinaria und extraordinari in der dritten 
Meriode, ſey jegt nicht mehr ins Klare zu Tegen, und es fey 
wohl nicht dasjenige, wie nachher zwiſchen einem Publicam 
and Privatcollegium gewefen, fo ift Rec. nicht diefer Mey⸗ 
nung, weil es ſich beftimmt beweifen läßt, daß, auch in der 
dritten Periode, lectio ordinaria und extraordinaria ſich 
bloß dadurch unterfhieden, daß dieſe von den Zuhörern bezahle 
werden mußte, jene hingegen nicht. Schon die Etelle des 
Ddofredns, weihe Sarti und aus dieſem der Verf. (©. 
56 Note 2.) anführen, leider fchlechterdings Leine andere Exs 
klaͤrung; aber nod) viel deutlicher erklärt fich derfelbe O dos 
fredus hierüber an einem andern Drte, nämlich in Pro&mio 
Pandect. in princ. n. ı1. Was den Zweifel beteifft, den der 
Verf. hierbey Außert, daß nämlich die Lehrer keine Gehalte 
hatten, fo mußten fih die Profefforen vecht gut und fchlau zu 
helfen; denn von Irnerius an, dem feine Nachfolger veche 
gerne folgten, lafen die Profefforen der Irneriusſchen Schule 
öffentlich und umfonft nur über das Digestum vetus und den 
Codex; die andern und zwar die bey meitem michtigeren 
Theile, naͤmlich das infortiatum und novum, erflärten fie 
privatim und gegen Bezahlung. Diefes fagt Odofredus 

ausdrädlich Comment, ad L. ult. D. de divort. num. ult, 
und es ift befannt, daß diefer Mechtsgelehrte den Urſprung 
und die Beichaffendeit der Srneriusihen Schule, deren letzter 
Sproͤßling er felbft war, am beften von Allen kannte, und 
daß wir beunahe Alles, was wir von ihr wiffen, nur durch 
ihn wiſſen. Auf diefe Art zwangen die Profefforen ihre Schüs 
fer auf indirecte. Weiſe, ihre Privatcollegien zu befuhen, und 
jeder Student war gendthiget, dem Profeffor eben fo gut zu 
opfern, als wenn er publice gar nicht gelefen hätte. Denn 
welcher Schüler hätte nur einen Theil, mit Hiutanjeßung der 
zwey andern Theile der fo Hoc verehrten Digeften, hören 


® “ 


‘ 


126 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo. 


wollen? Und was lag dem Profeffor daran, wenn er für das 
Privatcollegium recht gut bezahlt war, was, wie wie willen, 
geſchah, ob er für das Publicum uͤber das verus etwas oder 
nichts erhielt? Er war für das letzte ſchon in dem erfien, 
wo nit dem Namen, doch der Sache nah bezahlt. Wer 
weiß, ob nicht aus bloßem Kigennus die Eintheilung und Abs 
fonderung in Digestum vetus, infortiatum et novum fo 
lange und fo religtös bepbehalten worden if. Auch willen wir 
nicht, ob die Profefforen der Irneriusſchen Schule, fo lange 
fie feine Gehalte vom Staate hatten, nicht wenigſtens andere 
Vortheile genoffen, die fie mit einem Publicum, das fie ums 
fonft laſen, gerne vergalten. Auf jeden Fall fanden fie in 
dem großen Anfehen und der Ehre, die von ihrer Stelle auf 
fie ſelbſt zuruͤckfiel, verbunden mit dem Rechte, auch Pris 
vatcollegien zu leſen, und, mit diefen, den, Beuteln der Stu⸗ 
denten zuzuſetzen, eine veichliche Entfchädigung dafür. Das 
Infortiatum mußte ihnen befonders ein wichtiger und lieber 
Dame feyn, weil er die Grenze bezeichnete, wo fie, auf dem 
großen Wege der Digeſten, anfingen, auf Rechnung der Stus 
denten zu reifen. Wenn Ddofredus, in feiner Ankuͤndi— 
gung, droflig genug fagte: Extraordinarie non credo legere, 
quia Scholares non sunt boni pagatores, fo war diefes 
eine weder ernfllih adgefaßte, noch ernfilich gemeinte Drohung, 
bey der er darauf rechnen konnte, daß fie ihre Wirkung nicht 
verfehlen, daß die Studenten in fih gehen, und, um feines 
Unterrichts nicht beraubt zu werden, das Honorar entweder 
anticipiren , oder den gefhästen Lehrer wenigftens vollftommen 
fiher ftellen würden. Non credo legere ift weit weniger ale: 
non legani; jenes ift, fo zu fagen, eine Einladung zu Pers 
fuaforien; und welche Perfuaforien die fiherften feyen, gab 
Ddofredus durch fein angeführtee Motiv deutlich zu erfens 
nen. Haͤtte er aber auch feine Drohung ausgeführt, fo wiſſen 
wir ja nicht, od er nicht in Umſtaͤnden war, die ihm wohl 
erlaubten, eine folhe Probe zu machen, oder ob er nicht anf 
irgend eine andere Art eben fo viel, als durch ein privatum 
verdienen konnte. — Bey ber dritten Periode hätte auch bes 
merkt werden können, daß fchon in diefen Zeiten die Subtilis 
täten und Neuerungen die Manier waren, wodurch fich ein 


’ 
y. 


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Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. N. Hugo. 127 


Profeffor vor dem andern auszugeichnen fuchte, daß diefe Herrn 
mit einander oft auf eine wicht fehr würdige Art werteiferten, 
ja daß fie ſich manchmal feloft fo weit vergaßen , ihre Hoͤrſaͤle 
euh mit ihren Bedienten anzufüllen. — Daß Accurfius, 
wie der Werf., der gemeinen Meynung gemäß, im $. 85. bes 
bauptet, fih fpät zur Rechtsgelehrſamkeit gewendet habe, iſt 
nicht nur fehr unwahrſcheinlich, fondern auch beſtimmt unrichs 
tig, und durch zwey glaubwürdige und fehr Alte Schriftfteller 


des XIV. Jahrhunderts, nämlich den Philippus Villas 


nius und? Domenicus Bandini, widerlegt. Sarti 
hat, aus einem bandfchriftlihen Codex der Barberiniſchen 
Bibliothek, einen Auszug aus dem Villanius (Tom. 1. 
P.2. p. 200. ), und, aus einer Vaticaniſchen Handſchrift, 
einen Auszug aus Bandini (T.I. P. ꝗ. p. 205.) gegeben, 
welche diefes außer Zweifel feßen; und er felbft, auf diefe 
großen Auchoritäten geflügt, und die gemeine und unwahrs 
fheinlihe Meynung für eine Fabel erflärend, fagt bes 
fimme (T. 1. P. 2. p. 157 et 138. $. V.) von Accurſius: 


„A prima aetate literis se dedit, et mira temporis brevi- 


tate artes liberales didicit. Mox ad jus civile se con« 
tulit in tenera adhuc aetate, à quo Studio nnnquam 
deinceps discessit.“ — Cpnus von Piftoja ($. 88.) iſt 
ein als Rechtsgelehrter und Dichter gleich merkwuͤrdiger Mann. 
Noch vor Bocaccio, nämlih zu Dante’s Zeiten, ſchrieb 
er Gedichte „ welche verdienten, feldft von Petrarca, der 
ihn gleihfam als feinen Lehrer anfah, gelobt zu werden. Er 
lebte, ſtudirte und lehrte zu Bologna die Nechtsgelehrfamteit, 
und wurde in Nom Benfiger Ludwigs von Savoyen, der das 
ſelbſt Senator und gleihfam Stellvertreter des Kaifers Heinrich 
VI. war. Der $. 88. ift ein auffallendes Beyſpiel eines ges 
fuhten und abſichtlich dunfeln Styls. Cinus aus Piftoja, 
über deffen Verhaͤltniß zu Perrarca und Boccaz bey Panzirof 
(Panzirolli ) ein Höhft unhiſtoriſches Gemählde, und feitdem 
noh ein Betrug von Doni vorfommt. Er ftarb 1336 oder 
1341. &o lautet der ganze Artikel von Cynus. Was 
kann ein ſolcher Artikel in der Seele des denkenden Lefers zu: 
rädlaffen ? Wozu diefe gefliffentliche Unverſtaͤndlichkeit! Warum 
follen fich die Lefer ohne alle Noch die Köpfe zerbrechen ? Wo 





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428 Lehrbuch der einilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo, 


ſollen fie erfahren, in was Doni’s Betrug befand? Warum 
follen fie eine Sache errathen, die der Verf. kurz vorher viel⸗ 


leicht feldft nicht mußte? Warum verweif’t der Verf. nicht 


vedlih auf Tirabofcht (Tom. V. p. 265), woraus er bie 
ganze Sache’ genommen bat? — Sn der Mote ı. zum .88. 
kommt fogleich wieder ein ganz ähnliches Manoeuvre vor. Diele. 
Note lauter mörtlih fo: „Er (Linus) wird oft bey einer 
‚Stelle aus Cajus angeführt, die er aber von Jacobus a 
Navanis hatte, und diefer hatte fie wahrfcheinlich nur aus 
Boethins“ Was foll abermal Diefes Raͤthſel von Anmers 
tung? Warum will der Verf. abermal die guten Lefer vachen, 
und im ganzen Cajus fuchen laffen, wo er fie doch nur mit 
zwey Worten auf.die, fonft nur mit der größten Mühe zu 
findende, Stelle verweifen konnte? Warum gibt er fi bie 
Miene des Urhebers diefer fehr richtigen Bemerkung ? Warum 
fagt er nicht redlich, daß fie einzig und allein dem gelehrien 
Schulting angehört, aus dem er fie genommen hat? 


Wie weit befcheidener, anſpruchsloſer, vedlicher, deutlicher, 


ſchoͤner, -und fogar noch weit kürzer fagt bier der vortreffliche 
Haubold (Institut. jur. rom. litter. $. 24. nota c.): 
„De Cajo ex Cino restituto vid. Ant. Schultingius Ipd. 
Antej. p.54?* Mit diefen wenigen Worten weiß; Jeder for 


. gleich VBefcheid ; jeder weiß fogleich, wo er fi) weiter unters 


richten kann, während dir Lefer des Lehrbuhes des Verf. mit 


unerträglichem Zeitaufwande alle die vielen Noten zu Cajus " 


durchblättern muͤſſen, um eine zwar richtige, aber nicht fehr 
wichtige Bemerkung gu finden. Dffendar hat auch nur bie 
Hauboldſche Note den Verf. zu der feinigen veranlaft; 
aber, weil er die Bemerkungen Anderer nie mit ihren Worten 
wieder zuräcd gibt, und weil fein Styl das Natürliche nicht 
liebt, fo huͤllte er die fchöne Einfale der Haub ol d ſchen Note 
in eine geſuchte Dunkelheit, wobey man niht umhin fann, 
ſtets an das Quintilianiſche: „qui, ut aliquid novi afferre 
videantur, etiam meliora mutant“ zu denfen. — 


(Die Sortfegung folgt, ) 


EEE 


No, 9.- Heidelbergifde 1813. 
Jahrbücher der Litteratur. 





Lehrbuch der civiliftifchen Eitterärgefcichte vom Prof, Kitter Hugo 
in Göttingen. Ä 


¶ Sortfegung der in No. 8. abgebrochenen Recenſion.) 


In die dritte Periode gehoͤren auch noch Oldradus de 
Ponte, Schüler des Dinus, Guilielmus de Mandas 
got, Verfaffer des VI. Buches der Dekretalen, und bie fünf 
Profeforen zu Toulouſe, Jacobus de Arenis, Öuiliels 
mus de Montelauduno, Gencelinus, Lucas de 
Penna, Suilielmus de Cuneo. — Sn der Charakter 
eiftit der vierten Periode, von Bartolus bis auf Polis 
zian ($. 9gı.), hätte vorzüglich bemerkt werden follen, daß, 
neben der Dämmerung in der alten Litteratur, im dieſer Periode, 
zugleich jene "eckelhaften dialectifchen Streitigkeiten, Unterfcheis _ 
dungen und Weitſchweifigkeiten, und kurz alles das, was die 
(hönen Geiſter an die Thüre des Tempels des Geſchmackes 
verweiſen, aufgekommen ſind, und zum großen Schaden des 
gruͤndlichen Studiums des Römischen Rechts, nur allzulange 
die ſchoͤne Wiſſenſchaft dieſes Rechts verunſtaltet und verwirrt 
haben. Der Urſprung jener unzähligen und unnuͤtzen Fragen, 
weihe die Echule befhäftigten, die Wiſſenſchaft zu einer uns 
fruhtdaren Caſuiſtik herabwärdigten, und jene unermeßlichen 
Bände hervorbtachten, welche fie in den folgenden Zeiten fo 
veraͤchtlich gemacht haben, muß vorzüglich in diefer Periode 
gefuche werden. Wielleiht koͤnnte man behaupten, daß Mangel 
und Ueberfluß an Büchern zugleich zur Weitläufigkeit der Werke 
der fcholaftiichen Juriften diefer Periode beytragen konnte. 
Dieſe traten auf. die Schaubühne der gelehtten Welt, um zu 
einer Zeit, wo die Bücher, in Vergleihung mit den fpätern 
Zeiten, noch felten waren, eine allzubedeutende Rolle zu fpies 
len. . Sie glaubten Alles fagen zu muͤſſen, weil die meiften . 
Lefer, die feine oder nur ſehr wenige Bücher hatten, Alles 
9 


j 





130 Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


neu war; fie wollten als Vielwiſſer, Entdecker und fcharffinnige 
Dialectiter angefehen fenn , fie beſaßen das große Geheimnmiß 
nicht, nur das Wichtige auszuheben, fie fagten zuviel, und 
wurden fade, fhwälftig und eckelhaft. In Wergleihung mit 
den fruͤhern Zeiten hingegen, und namentlich in Vergleichung 
mit dem Zeitalter von Irnerius bis Accurfius, waren 
nun (don fehr viele Bücher ihrer Vorgänger in ihren Händen, 
und, mit diefen, bereits eine Menge controverfer Rechtsſaͤtze 
und Meynungen der Doctoren im Umlaufe. Diefe gaben 
ihnen Gelegenheit zu langwierigen Unterſuchungen und zu wies 
der nieuen Meynungen, die fie eben fo breit, und mit eben 
den langweiligen Umſchweifen darlegten, durch die fie dazu 
gekommen find. Wenn die Schrififteller der frühern Periode 
nur felten und mit wenigen Worten Andere citirten, fo fing 
jege fhon Bartolus an, Auchoritäten mit reicherer Hand 
auszuftreuen, und feine Nachfolger wußten bald Fein Ziel und 
Maß mehr zu beobachten, fie führten ganze Laftwägen von 
Allegaten herbey, und verfchangten die gemeinflen. und undes 
deutendften Pläge mit einer ungeheuern Wagenburg von Eitas 
ten. Sie erklärten nunmehr nicht fowohl die Geſetze, als 
vielmehr Bloß die Meynungen ihrer Worgänger; die Geſetze 
waren von der Laft der Meynungen unruͤhmlich niedergedräcke, 
und von dem dichten Staube bededt, den die Schule und die 
Heerden von Meynungen der Doctoren erregt hatten. — Die 
Mote 1. zu $. 94. (S. 75) ift abermal auf gefuhte Art duns 
tel. Sie lauter fo: „Auch gegen Laurentius Valla fol 
die Lex quinque pedum (c. 5. C. 3. 39.), die ſchon viel 
früher Hey Abdelard (wahrſcheinlich einer Verwechfelung mit 
Bailardus) vorkommt, gebraucht worden feyn. Er Habe 
fi ‚darauf berufen, mander Surift verfiehe die Uſucapion 
nach den XII Tafeln nicht.“ Was follen die Lefer mit diefer 
Note, die fie nicht verſtehen können ?_ Warum gefiel es dem 
Verf. nicht, ihnen eine unnöthige und unnuͤtze Mühe durch 
ein kleines Eitat von einer Linie, etwa nur duch: Alcıat 
de 5. ped. praescript. liber. n. ı. et 77. (In opp. T. III. 
p- 596 et 605) zu erfparen, und, zum richtigen Verftande 
der Parenthefe, Sarti Tom. I. P. 1. p. 49. $. 1. anzufühs 
ven, aus dem diefe genommen if? Warum der Verf. im 


Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte u, Pr. R. Hugo. 131 


6.100. Note 3. (S. 79) den fo verdienten Hommel des 
wegen über Die Achſel anfehen will, weil er kurz über den 
theologifch » juridifchen Proceß des Bartolus gefprohen hat, 
weiß Nec. fich nicht zu erflären. Diefer Proceß ift eine fo 
anfallende und Argerlihe Erſcheinung in der gelchrten Welt, 
daß man noch jeßt mit dem wahren Motiv des Verf. nicht 
zeht im Reinen ift, daß man nicht weiß, ob man ihn als 
die Wirkung einer ausihweifenden oder gerrütteten Einbildungss 
kraft, oder der Spötteren und Irreligion des Verf. anfehen 
fol, und dag man nicht begreift, wie ‚ein Gcheiftfteller des 
IV. Yahrhunderts es wagen durfte, ein fo nnanftändiges 
Buch zu fehreiben, worin die ehrwuͤrdigſten Namen mißbraucht - 
und dem Teufel entgegen geftellt werden, um den Lefern den 
Civilproceß zu erklären, worin Maria heidnifhe Geſetze 
citirt, um das menfchliche Geſchlecht gegen die Angriffe des 
Satans zu verwahren, und worin gegen die gemeinften Bes 
griffe fo Fehr angeflogen war, daß der böfe Zeind erſt im 
Sahre 1311 zur ewigen Verdammniß verursheilt wurde. Wenn 
fehr berühmte Selehrte, ein Bayle, Marhand, und au 
dee Advofae Terraffon, nebft noch vielen Andern, noch 
von Niemand darüber getadelt wurden, daß fie weitkäufige 
und umftändliche Ynterfuchungen hierüber angeftellt haben, fo 
wird man dem verdienten Hommel wohl aud eine Pleine 
Detavfeite verzeihen, die er diefem Gegenſtande gewidmer hat. 
— Die Anmerkung über Baldus ($. 101.), daß das Geld, 
welches dieger Juriſt mit Fideicommiffen verdient haben fol, 
noch neuerlich zu Anipielungen auf Suriften gebraucht worden 
fen, muß abermal für alle diejenigen dunkel bleiben, welchen 
die Schrift , woraus diefer Übrigens ganz unwichtige Umſtand 
entiehne iſt, zufäligerweife nicht zu Gefihte kam. Mancher 
Mrofeffor , der Über des Verf. Lehrbuch lefen‘ wollte, müßte, 
wenn er auf diefe Stelle fäme, und von feinen Schälen ger 
fragt würde, wo jene Anfpielungen gemacht worden fepen, 
ohne weitere Umſtaͤnde verflummen, und feine gang nicht uns 
rtuͤhmliche Ignoranz geſtehen. Auch gehört fo eine Anmerkung 
| gewiß nicht im einen $. eines Leherbuches der civiliftifchen Litte⸗ 
tärgefhichte; Kr. Haubold wärde fie, nach feinem feinen 
gelehrten Tacte, ganz gewiß nicht einmal nar in einen Moss. 


‚432 Lehrbuch der eiviliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo. 


‚aufgenommen haben. — Baldus muß übrigens am Lefen 

‚und an dem Profeffors s Leben eine Freunde wie keiner gehabt 
haben ; denn er fagte (in Pro&m. Dig. $. Itaque etc. n. 9.): 
.„ Legum doctores in omni loco et omni tempore felices 
sunt.“ Aber Panzirolli var nicht diefer Mehnung; denn 
‘er feßte unmittelbar dahinter: „Quod an verum- sit, ipse 
viderit!« — Sm 6. 103. fagt der Verf. von Ehriſtopho— 
rusde Caſtiglione: „Er wird als ein Neuerer genannt, 
aber ‚worin befland dies?“ Die Antwort it: Darin, daß 
er, nad einer Menge unrühmtlicher Juriſten, welche die Mey⸗ 
mungen und Erklärungen ihrer Vorgänger höher als die Geſetze 
Felbſt ſchaͤtzten, nur jene fludirten und dieſe vernachlaͤſſigten, 
und, was die nothwendige Folge dovon war, die falſcheſten 
und thoͤrichſten Saͤtze derſelben ohne Pruͤfung annahmen, von 
Hand zu Hand weiter gaben, und ſelbſt in die Praxis eins 
führten, wieder der erfle und hauptſaͤchlichſte Doctor war, der, 
mit Hintanfeßung jener albernen, gemeinen und hochverehrten 
Meynungen,, fih Bloß wieder an die Geſetze felöft hielt, dieſe 
nad) ihrem wahren Sinne und aus andern Geſetzen zu erflä 
ren fuchte, Beine erdichtete, fondern nur ſolche Grundſaͤtze zu 
Entfcheidung ſchwieriger Rechtsfragen anmwendete, welche in 
den Geſetzen ſeibſt gegründee waren, alle jene divinatoriſchen 
Diftinctionen, Limitationen, Ampliationen und Ausnahmen 
‚von der Begel, wovon es In den Schriften feiner Worgänger 
mimmelte, aus den feinigen verbannte, eben darum den ge 
meinen Meynungen der Sjuriften vor ihm, bey jeder Gelege 
heit, den Krieg ankündigte, und, weil er viel Scharffinn 
befaß, dafür eine Menge neuer Meynungen und neuer Spißs 
findigfeiten auffteflte, die vor ihm feiner auf die Bahn gebradt 
hatte. Weit er giäcklicherweife, an Raphael Fulgofius, 
Raphael Eumanus und Paulus de Caſtro, dr 
berühmte Schäfer hatte, die auf der neuen Bahn ihres Mei 
ſters mit Gluͤck fortwanderten, und wovon die beyden erfiern 
von Jafon (ad L. 1. D. de pact.) öffentlich befchufdiget 
werden, daß fie die Schriften ihres Lehrers unter fich getheilt, 
und feine Entdelungen untedtmäßigerweife ſich zugeeignet 
Haben, fo mußte auch noch der Glanz der Schüler, was 
immer dev Fall ift, auf den Lehrer Strahlen zuruͤckwerfen; 


Pa 





Sehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 133 


fo tonnten ſelbſt die Neuerungen feiner Schäler, befonders 
wenn Ja ſon's Beichuldigung richtig war, als fein eigenes 
Berk angefehen, und fo verdiente er mit Net, ein Neuerer 
genannt zu werden. Ohne Zweifel hat diefe nämliche Stelle des 
Jaſon, der nicht lange nah Eaftiglione lebte, den fpäs 


‚tern Juriften bauptfächli Anlaß gegeben, diefen Rechtsgelehr⸗ 


ten einen Neuerer zu nennen, ohne feine Schriften felbft zu. 
fennen. Sie lautet mwörtlih fo: „Contrariam opinionem 
et quidem probabiliter tenuerunt subtiles moderni, Ra- 
pbael Fulgosius et Raphael Gomensis, et ante eos fuit 
opinio subtilitatum principis, D. Christophori de 
Csstiglione, eorum praeceptoris, cujus novas opınio- 
nes saepe sihi adscribunt.“ Jaſon muͤſſen wir, ſowohl 
wegen dee Zeitalters, in dem er lebte, als wegen feiner eiges 
nen Fähigkeiten, für einen competenten Dichter in dieſem 
Steeite halten, und, anf feine Treue und Glauben, darf nun 
Eoftiglione, von allen Juriſten und für alle Zeiten, ein 
Neuerer genannt werden, oder es gibt wenig hiftorifche 
Wahrheiten mehe in der Welt. — Wenn der Verf. im $. 109. - 
von Raphael Fulgofi und Raphael Raimondi, 


boder da Como ſpricht, und nicht das gewoͤhntichere Fulgo- 


sius, Comensis, Raimundus waͤhlt, fo. harmonirt es nicht 
recht, wenn er nicht auch Bartolo, Baldo, Minucci, 
Accorſo, Saliceto, Bonamici, Bonifazio de 
Bonoconſiglio, Bulgaro, Calderini, Pacio, 
Robortelli, u. fr w. ſchreibt. — Bey Jaſon ($. 108.) 
wäre beſonders auch zu bemerken geweſen, daß er, ſelbſt nach 
Aleiatus Urtheil, etiam in literis latinis longe praestans 
war. Ein poſſirliches Schauſpiel muß es geweſen ſeyn, als 
er im J. 1499 zu Pavia vor dem Koͤnig Ludwig XII. vor 
fünf Cardinaͤlen und einer großen Menge anderer ausgejzeich⸗ 
neter Derfonen, in einem Kleide von Goldftoff las, und die 
wichtige Theſis, gegen’ mehrere Antagoniften; vertheidigte, daß 
die Nittermärde, welche jemand wegen Tapferkeit im Kriege 
von feinem Fuͤrſten erhalte, auch, auf die Kinder uͤbergehe. — 
Die Note 3. zum 6. 107. hätte abermal mit dem Schriftftefler 
belege werden follen, aus welchem fie genommen. if. — Bey 
$. 111. Note 2. iſt zu bemerken, daß die Klagen der Practiker 


434° Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte dv. Pr. R. Hugo. 


und Barbaren gegen die Humaniſten zu allen Zeiten gehört 
worden find, ja daß jene auch nod) in unſern Tagen menigs 
fiens im Stillen über diefe feufzen. Wie könnte es auch anders 
feyn? Keiner will im Alter geftehen, was er in der Jugend 
vergebens erlernt Katz Jeder fieht durch feine eigene Brille, 
und die Eigenliebe der Menichen geht fo weit, daß fie ſelbſt 
die Tugenden, die fie nicht befigen, an Andern eher für Feh⸗ 
Ice zu halten, als fih eigene Mängel einzugeftehen geneigt 
find. — Wenn der Verf. im $. 115. von Marcus Mans 
tua fage: „Er ſtarb 1582, und wenn er wirklich Aber go 
Jahre alt wurde, fo konnte er freylich den Gojährigen Ceras 
als einen ziemlich jungen Mann fchildern“ und dabey wieder, 
nad feiner Gewohnheit, weder den Autor nennt, aus dem er 
das gojährige Alter des Mantua erfuhr, noch den Schrift⸗ 
ſteller, bey welchem Zweifel über fein und des Ceras Alter 
erhoben worden find : fo ift dies abermal eine, die Manier 
des Verf. ganz charakterifirende,, Affectation,, die um fo mehr 
zu tadeln iſt, weil fie auch in der allereinfadhften und unwids 
tigften Sache von der Welt, woben es fih der Mühe nicht 
verlohnt, nur eine Minute Zeit zu verlieren, nad Duntelhels 
ten und Raͤthſeln haſcht. Denn kein Profeſſor ift hier im 
Stande, den status controversiae Mar einzufehen, wenn er 
nicht vorher, mit unnägem Aufwand von Zeit und Mühe, 
dem Autor nachgefpürt hat, aus dem die Bemerkung genoms 
men iſt; und einer Menge Lefer, welche die Quellen des Verf. 
nicht kennen oder nicht befigen, muß die Sache ſtets ein Raͤth⸗ 
ſel bleiben, das fie nie Löfen können. Es ift unbegreiflich, 
wie der Verf. in dergleihen Dingen etwas fuchen mag, wozu 
auch nicht die geringfle Kunft erfordert wird, und womit ihm 
jeder gelehrte Juriſt, wenn er wollte, ‚und nicht von einem 
richtigern Sinne geleitet wäre, nicht hundert s fondern taufends 
weiſe aufwarten, und ihn in die größte Verlegenheit fehen 
koͤnnte. Was würde denn der Verf. ' dazu fagen, wenn er 
z. B. Säge der Art in einem Buche finden würde: „Daß bie 
berühmten Römer, welche den Pflug nad dem Commandor 
ftabe führten, deswegen kein fo großes Lob verdienen, zeigt 
vortrefih Bougainville“ „Daß die erdichteten Hiſtorien 
darum Romane genenne werden, weil die Roͤmiſche Geſchichte 


Lehrbuch Der civiliſt. Litterärgefhichte u. Br, R. Huge. 135 


die Geſchichte aller ührigen Nationen an großen Heldenthaten 
fehe weie uͤbertraf., hat Dodwell bewiefen.“ „Daß ein keus 
ſches Indiſches Frauenzimmer um feinen andern |Preis, als 
am einen Elephanten, zu einer Ausfhweifung gebracht werden 
tinne, Hat ein berühmter Sriehifher Geſchicht— 
fhreiber behauptet.“ „Daß das Romiſche Recht in Italien 
nie ganz außer Gebrauch gefommen fey, hat am beften und 
mit vielen Documenten ein Italiener in der erften 
Hälfte des 18. Jahrhunderts dewielen.“ „Eine pes 
riodiſche Zeitfchrift, die in Frankreich geſchrieben 
wurde, erzähle eine fo großmürhige, anßerordenslihe und 
tuͤhrende Handlung des Verfaffers des Esprit des Loix, daß 
ein gefühloollee Lefer ſich dabey der Thraͤnen nicht enthalten 
kann.“ „Schon im 3. 1558 if in Poitiers ein Compendium 
des Civilrechts gefchrieben worden.“ „Der Buchhändler Roſſi 
bat, in der Vorrede zu einem geſchaͤtzten jurifiifhen Werke, 
das im I. 1770 in Stalien in Lateinifcher. Sprache zum 
zweytenmale gedruft wurde, mit ſehr guten Gründen bie 
Nachtheile der Fideicommiffe aus einander geſetzt.“ Was 
wärde der Verf. zu dergleihen Sachen fagen? Er made nur 
mie diefen Benfpielen, die Mer, fo wie fie ihm zunaͤchſt in 
Die Feder kamen, mniederfchried, feine kleine Probe, und er 
wird finden, daß er. audy micht ein einziges dieſer 7 Raͤthſel 
dien kann. Und fo wollte ihm Rec. täglih zu Hunderten 
aufgeben, und abfihtlih Hat er in dieſer Kritik noch viele 
Sachen nicht mit Authoritäten belegt, die der Verf. nicht leicht 
wird finden können. In der Vote 3. zu $. 118. (©. 95) 
hätte der Verf. den Titel von Hommels biographiichem 
Vergeichniffe anführen follen ; denn hundert Lefer werden nicht 
wien, daß feine Effigies Ictorum in indicem redactae 
darunter verflanden find, und gewiß zuerit in feiner Littera- 
tura juris vergeblich nachjuchen. Webrigens haben auch - fhon 
Denis Simon und Taifand den Poliziano unter ben 
Rechtsgelehrten aufgeführe. — Wenn der Verf. im $. 180. 
behauptet, Alciat habe in feinem Leben wohl nie den Cu⸗ 
jas nennen. hören, fo zweifelt Mec. ſehr Hieran, und er ifl 
vielmchr vom ©egentheile uͤberzeugt. Cujas las zum eritens 
male im Jahre 1547 Über die Inſtitutionen, und er wurde 


4369 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


fogleih beruͤhmt, man verſprach fich fogleich viel von ihm, und 
man bewunderte vorzüglicd die Klarheit feines Vortrages, die 
immer das Erbtheil der hellen Köpfe if. Dieſes ſagt Pass 
quier (Oeuvres T. II. p. 568), der zugleich bemerkt, daß 
er feloft diefer erften Lection des großen Mannes angewohnt 
habe. Rec. beſitzt ferner ein feltenes, aber nnbedeutendes 
Buch, nämlich die Epistolarum legalium , in quibus varii 
juris articuli continentur, libri tres von Sohannes 
Raymundus von Toulouie, die im J. 1549 zu Lyon ind. 
herausgefommen find, worin Cujas in der Dedication, die 
der Verf. an diefen richtete‘, fhon den 2. Auguft 1549 und 
fünf Jahre vorher, ehe Cujas etwas geichrieben hatte, vir 
doctissimus et decus hujus aetatis genannt wird. Da nun 
Alciat erft im 3. 1550 in Pavia flarb-, und da’ zwifchen 
Toulonfe ind den Yniverfitäten in Dbers Stalien, durch die 
Studenten aus Frankreich, welche auf dieje gingen , ſtets eine 
Verbindung unterhalten wunde, ſo ift es nicht wahrſcheinlich, 
daß Alciat, der gewiß nicht weniger, als die Profeſſoren 
gewöhnlih, auf feine Kollegen auf anderen berühmten Unis 
verſitaͤten, und namentlich auf der berühmten Univerfirät eines 
Landes, in dem er feldft mehrere Jahre als Profeſſor lebte, 
neugierig war, vom 9. 1547 an bis 1550 nichts von einem 
Profeffor follte gehört haben, der gleich bey Eröffnung feiner 
Öffentlichen gelehreen Laufbahn fih berühmt machte, und, was 
wohl zu merken if, auf einer Univerfität, wo damals nur die 
Sekte der Bartoliften und Barbaren die herrfchende war, dens 
felben Weg eingeichlagen,, und diefelbe Lehrart zu der feinigen 
gemacht Hatte, wodurch er feldft vor den. meiften Juriſten ſei—⸗ 
ner Zeit fich fo vortheilhaft ausgezeichnet hat. Wenn der Berf, 
in den Zufäßen und Berichtigungen (&. 397) fich verbeſſern 
will, und bemerkt, daß es im 6. 122. eine Verwechfelung des 
Todesjahres von Alciat mit den drey Andern fey, dafi diefer 
ben Eujas wohl nie habe nennen hören, fo verſteht Re. 
entweder diefe Erläuterung niche, oder die Sache ifk nicht rich⸗ 
tig. Denn aus der un richtigen Angabe des Todesjahres 
des Alciat (1558), die man im $. ıa2. findet, konnte die 
Behauptung ges Verf. unmöglich entfichen, weil die richtige 
Angabe (3. 1590) diefe Behauptung noch weit cher recht 





Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 437 


fertigen und wahrſcheinlich machen könnte. Haͤlt alfo der Verf. 
feine Behauptung im $. 122. in den Verichtigungen und Zus 
fügen ©. 397 feibft für unrichtig, fo kann fie diefes nicht aus 
dem von ihm angeführten , fondern fie muß es aus einem ans 
dern Srunde ſeyn. — Bey $. 197. tft gu bemerken, daß 
Boerius in der Geſchichte nicht fehr bewandert gewefen ſeyn 
möjje; denn er glaubte, die Longobarden feyen Könige gewe⸗ 
fen, welhe aus Sardinien nah Sjtalien gefommen feyen. — 
Om 6. 105. Mote 1. iſt anzuführen, daß Maccioni’s 
Differtationen nicht zu Pifa, fondern zu Livorno herausge⸗ 
fommen find. Selbſt die Dedication au den Mardefe Don 
Migele Imperiali Simiana ift nie von Pifa, fons 
dern .von Florenz aus gefchrieden. — Bey Biglius im 
$. 131. hat der Verf. auf das fhäßbare Wert von Papens 
dreht aufmerffam gemacht , deffen, fo wie feines Verfaſſers 
ah Reis Ad Praefat. ad Theophilum $. 30.) ruͤhmliche 
Erwähnung thut, und das der Aufmerkfamteit des Hrn. Haus 
bold entgangen if. — Ranconet ($. 134.) hieß Aimar 
de Ranconet. Mach des Präfidenten de Thou Behaupe 
tung hat befonders Duaren aus de Ranconer's zerfireuten 
Papieren vieles ſich zugeeigner, und in feine Schriften übers 
getragen. — Viglinus ($. 131.) iſt auch Deswegen merk 
würdig, weil er zuerſt die Baſiliken angezeigte hat, wovon 
nahher Gentien Hervet zwey Bände, die er von Aguftin 
erhalten hatte, zu Parts 1557 Bol. herausgegeben Bat. — 
D5 der Verf. S. 62 $. da. Note 1. wohl daran that, eine 
Engliihe Stelle aus Hume anzuführen, weiß Rec. nict. 
Soviel ift gewiß, daß von den dermalen lebenden Juriſten 
kaum der fechfte Theil diefe verſteht. — S. 1925 Mote 3. gibe 
der Verf. gegen Ladvokat, Taifand und Hrn. Haubold, 
welche Ameldeuren als Loͤwenklau's Geburtsort nennen, 
Coesfeld im Münfterihen an. Er kann Recht haben; aber 
6 war abermal feine Schuldigkek, feinen Grund und feine 
Quelle anzugeben, und, fo lange er diefes nicht thut, kann 
man ihm, auf fein bloßes Wort, nicht glauben. — 6. 140. 
Scaliger hieß im Frangäfiihen de L' Escale. — Bey 
$. 149. können die Schriften von Brunquell de jurispru-' 
dentia per reformationem emendata, von Fried. Friſius 


x 


138 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


de Ictis, qui reformationem Lutheri adjuvarunt. Lips. 
1730, und Heineccius de Ictis reformationi ecclesiae 
praeludentibus mit Wortheil benugt werden. — $. 152. 
Denis Simon (Tom. I. p. 229) fagt von Didendorp: 
„Il passe sans contredit pour le premier Jurisconsulte 
d’Allemagne.* Aber mit allem Rechte ift Terraffon (Hi- 
stoire de la jurisprudence romaine p. 388. ) dagegen. Sein 
fogenanntes Naturreht, deſſen der Werf. als des für das dl 
tefte gehaltenen, erwähnt, ift nichts als ein Hang mageres 
Skelet des Pandertentitels de jure nat. gent. et civ., daß 
nur 24 Duodezfeiten zählt, und das mit nice mehr Recht für 
ein Compendium des Naturrechts angefehen werden kann, als 
alfe die vielen Commentare der Rechtögelehrten vor Olden⸗ 
dBörp über jenen. Pandectentitel, von denen fogar die meiſten 
diefen Titel weit vollftändiger und beffer, als dieſer, erklärt 
haben. Rec. befißt diefes unbedeusende Werkchen ſelbſt. — 
6. 158. Mynſinger ift auch darum ein nicht gewöhnlicher 
Mann, daß er, nachdem er fchon zu Dole und, unter Bil 
glius, zu Padua ftudirt hatte, und bereits verheyrachet war, 
noch Sciuer des Zaftus wurde, und mit feiner Frau nad) 
Freiburg ging, um unter diefem berähmten Nechtsichrer noch 
weiter zu ſtudiren. Diefee Aufzug mit der Frau: muß den 
andern Studenten eben fo angenehm geweien feyn, als dem 
Zafins, für deffen Gelehrſamkeit er das größte Compliment 
war. — 9. 161. Bey Hoppers ift zu bemerken, daß dieſer 
von Viglius das do. — 42. Buch der Baflliken ferhalten 
hatte, und daß Eujas diefe wieder von Hoppers erhielt, 
der in Madrid als Chevalier 1576 geftorben if. — $. 162. 
Dem Räwärd gibt der Verf. das Jahr 1533 als Geburts 
jahr, Sare ( Onomast. Tom. III. p. 894) und Br. Haut 
Bold nennen das 3. 1554, und in dem Speculum Jacobo- 
rum. Lips. 1811. p. 11 wird das J. 1555 genannt. Welche 
Meynung ift nun von dieſen dreyen die richtige? — $. 166. 
Ber Tirayueau nur aus feinen Schriften kenne, follte 
nicht glauben , daß diefer Juriſt in feinen Aeußern einer der 
größten Elegans feiner Zeit war. Es exiſtirt ein Holzſchnitt 
von ihm, wo auf feinen Wangen mehrere Schoͤnpflaͤſterchen 
angebracht find, womit der eitle Mann, nad) Art der Damen, 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte vo. Pr. R. Hugo. 139 


die Schönheit feines Geſichtes heben und noch höher ſteigern 
wolte. Seine Schriften find zu weitläufig; er fhweift immer 
aus, und die KHauptfahen werden in Nebenſachen bey ihm 
erſauft. — Pratejus, von dem im $. 166. die Rede ift, 
hieß im Franzoͤſiſchen Pardoux Duprat, nie Prat. 
Seine Jurisprudentia media, die der geſchickte G. Ronille 
in &yon 1561 herausgab, war, che Otto fie feinem Thefaus 
ns einverleibte, ein feltenes und ſehr gefuchtes Werl. — 
6.168. Connan hieß im Sranzgöfiihen Francois Eons 
nan, Sieur de Eoulon et de Rabeſtan. Bon 
Hotman, Duaren und Turamint werden feine Werke 
fehr Hoch gehaften,, von Andern verachtet ; fo verfchteden find 
die Meynungen der Gelehrten! Der_unpartheyifche Lefer, den 
keine Leidenfchaft Über die Linie treibt, wird in feinen Werken 
fehr viel Gutes, "und manchmal ſelbſt vortrefflihe Sachen fins 
den. — 6. 179. Die Anmerkung gegen Roaldes, womit 
diefer ſehr gelehrte und zu feiner Zeit allgemein gefchäßte 
Mann verkleinert werden foll, Hält Rec. für ſehr Übel anges 
bracht, und ohne Zweifel wurde fie nur gemacht, um ein fa- 
cete dictum des Eujas an den Mann zu bringen, für das 
fouft kein fchichlicherer PlagTvorbanden war. Wenn der Verf. 
fo gewiß ift, daß Roaldes keiner der vier Eivitiften feines 
Rornamens (Franciscus) iſt, von welchen Cujas nur einen 
einzigen fchäßte, fo kann er. diefe Gewißheit nicht aus eigener 
Veberzeugung und aus der Einfiht der Werke dieſes Rechtes 
gelehrten Haben; denn bekanntlich Haben wir kein einziges 
Wert von ihm, und, wie de Thou berichtet, gab er auch 
nie eines heraus. Aber er kann fie auch nicht durch die Zeugs 
niffe feiner Zeitgenofien vom Hoͤrenſagen haben, weil bey dieſen 
nur eine Stimme über feine großen Kenntniffe und Gelehrs 
famteit it. Cujas, Hotman und Pithou fchäßten Ihn 
fehr Hoch. Der Lebtere dedicirte ihm fein Werk über bie 
Weſtgothiſchen Gelege; Cujas nannte ihn ommis antiquita- 
tis reconditae locupletem penus, und, was mehr als Alles 
für feine großen Kenntniffe beweif't, Cujas und Hotman, 
die ſich über die Erklärung der I. frater & fratre. D. de 
condict. indebit. nicht vereinigen konnten, compromittirten, 
nah Teiſſier (additions sur .les Eloges des hommes 





440 Lehrbuch der civiliſt. Sitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


savans, tirds de l’histoire de Mr. de Thou) auf feinen 
Ausſpruch; und auch Sainte Marthe (Gallorum doctrina 
illustrium -elogia L. II. p. 1612) ertheile ihm die größten 
Lobfprüche. Woher will aljo der Verf. feine Gewißheit haben ? 
und welche Gegengründe will er vorbringen,. wenn Nec. ber 
bauptet, daß es, aus den angeführten Gründen, und namentlid) 
aus der entfchiedenen Hochachtung, die Cujas für feine 
Kenntniſſe hatte, fogar in hohem Grade wahrſcheinlich fey, 
Daß gerade er von den vier Franzen derjenige geweſen fey, den 
Eujas bauptiählih und allein gefhäße habe? — 6. 17% 


Das Umftändlichfie und Wichtigfte, das Über Bourges ges 


fehrieben worden ift, und zugleih am meiften in ein inter 
effantes Detail geht, find die Meinen Schriften von Nicolas 
Catherinot, wovon die neuen Herausgeber der Bibliothek 
des P. Lelong ein Verzeichniß giben, das fih auf die Zahl 
von 130 belauft, die größtentheils die Geſchichte und Geſetze 


von Berry zum Gegenftande baden, dabey aber hoͤchſt ſelten 


find. Fuͤr die Univerfirät Bourges ift wohl unter dieſen das⸗ 
jenige Werkchen das intereffantefte, das den Titel hat: Scho- 
larum Bituricarum inscriptio, das zu Bourges im J. 167% 
in 4. berausgelommen ift. Diefe Schrift enthält ein Lob der 
Univerfisät, und ein Verzeichniß der juriftifchen und mebdicinis 
fhen Brofefforen, fo wie eine Menge intereffanter Dinge, die 
man fonft nirgends finder. In einem andern Werkchen: Le 
Calvinisme de Berry. Bourges, 1684. flieht ©. 4 bey dem 
5.1553 folgende intereffante Stelle: „En ce tems les pro- 
fesseurs de Bourges Etoient fort suspects d’heresie, Voici 


. . * . 
leurs noms, avec leurs gages, par curiosite. Francois 


Duaren geo livres, Francois Balduin 550 livres, 
Hugues Doneau 2do livres, Nicolas Bouguier 
200 livres, Charles Girard ıdolivres, Jean Rabbi 
140 livres, Andre Levescat ı60 livres, Ant'oine 
Lee Cante 45 livres, Henry Eduard (Es follte heißen 
Eduard Henry) Ecossois 45 livres. Cette proportion 
n'est ni geometrique ni arithmetique, mais burlesque; 
parceque le merite des uns et des autres n’etoit point 
encore .assez connu,* Üben fo merfwürdig iſt folgende fleis 
nere Stelle, die kurz nah) dem 5. 1557 vertommt: „OR 





* 


Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugs. 141 


disoit en ce tems des Antecesseurs de Bourges: Donel- 
lus theologatur , Cujacius furatur (wahrſcheinlich hatte 
biefes auf die Baſiliken Beziehung), Contius crapulatur, 
Bouguerius feriatur.“ Offenbar kommt, bey diefer Schils 
derung, Leconte am fchlimmften weg, und das Schlimmfte 
für ihn ift dabey dieſes, daß eine folhe Eigenihaft ohne hin⸗ 
reihenden Grund nicht leicht erdichtet wird. Diefe zwey Stelr 
Ien find auch in einem neuern Werke excerpirt; aber Rec. 
nennt diefes nicht, um den Verf. gleichfalls Eben fo ſuchen' zu 
lafien, wie er feine Lefer immer fuchen läßt. — Sm $. 179. 
Note 1. ſagt der Verf. der Bugnerius, defien Roufard, 
in der Dedication an L'Hopital erwähne, ſey ein gang 
Unbekannter. Er iſt es nicht; es ift derfelde Niclas 
Bonguier, von dem Catherinot in den zwey eben ‚ans 
geführten Stellen zweymal fpricht, den Alciat in feinem 
Emblema XI. mit feinem Bildniffe und fieben Lateiniſchen 
Diſtichen, Anulus, in feinem Gedichte, mit vier Hexame⸗ 
ten, und Duaren mit einer merkwürdigen Rede verewigte, 
die er den 25. December 1551 bey deffen Aufnahme zum 
Profeffor in Bourges hielt, an deren Ende er ihm große Lobs 
fprüche ereheile. Man darf ihn nicht mit Jean Bouguier 
verwechfeln, der Parlamentsrarh in Paris war, und von welt 
dem ein Recueil des Arrests vorhanden ift, wovon die erfle 
Ausgabe im J. 1620 und die zweyte vermehrtere im J. 1629 
erfhienen if. Alciat und Anulus nennen den Bouguier 
auf Lateinifh Bugerius, Duaren hingegen Buguerius. 
Wenn Roufard Bugnerius fchrieb, fo ift biefes entweder 
eine Eigen heit deffelden, oder ein Druckfehler, und aus einem - 
umurde ein n gegen feine Abſicht. — Bey $. rör. bemerkt 
Rec, daß Leconte noch im Jahre 1966 in Bourges über 
die Snftiturionen las. Diefes weiß er aus einem Exemplare 
der Institutiones juris civilis, Franc. Accursii glossis il- 
lustratae. Lugduni, apud Antonium Vincentium 1559. &. 
das er befißt, das uifprünglich einem Deutihen Baron, Eus 
tih von Sickingen, gehörte, der im Jahr 1566 ben 
Leconte in Bourges über dieſes Buch ein Kollegium hörte, 
und in welches der Befiser vom Anfange bis zu Ende eine 
Menge Randnoten ſchrieb, die Leconte feinen Schäken in 


. 


442 Lebrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. pr. R. Hugo. 


die Feder dictirte. Gleich im Prooemium der Inſtitutlonen 
findet ſich folgende Randnote: „Praeceptor meus, Antonius 
Contius, in praelectione harum institutionum, in haec 
verba : Germanicus, Alemanicus, Sequentia 
glossavir etc.“ Leconte las alfo Äber die gloffirten Snflis 
tutionen, und in dem Collegium erklärte er feinen Schülern 
den Tert und die Sloffe Wo er mit diefer einverfianden 
war, da lobte er fie, wo er anderer Mepnung war, entwickelte 
er feine Gründe Burg und gut. Die neuere Litteratur ber 
Humaniſten fupplirte er immer, befonders aber benukte er, 
bey, feinen Erklaͤrungen der Geſetze, die Inſtitutionen des 
Eajus, Ulpians Fragmente, des Paulus receptae sen- 
tentiae und den Theophilus Won GSchrififielleen führt 
er häufig Alciat, Ferrarius, Dldendorp, Baron 
und Andere an. Daß das Lefen Äber den Tert und die Gloffe 
auf die Art, wie Leconte las, unendlich Iehrreicher und ums 
foffender feyn, und folidere Suriften bilden mußte, als wie 
heutzutage das Lefen über Compendien, wo man oft das Wich—⸗ 
tigſte deffen nicht erfährt, was man willen. follte, hält Re 
wenigftens für ausgemacht. — Im $. ıdı. Note 1. fragt der 
Derf.: „Warum machen die, weiche, nach der Analogie von 
Horaz und Properz, durhaus Cujaz fagen wollen, aus 
dem Lateinifhen Namen: Contius, nicht den Deutſchen: 
Conz?“ Rec. antwortet: weil es in Deutfchland viele gibt, 
die Conz heißen, aber keine Contiuſſe find. Dies iſt der 
eingig wahre, und zugleich ein fehr richtiges Gefühl für 
Schicklichkeit verrathende, Grund des Unterfchiedes. Würden 
Die Namen: Horaz, Properz Igemeine Deutfche. Namen 
feyn, den ‚unbedeutende oder wohl gar verächtliche Menſchen 
führten, gewiß würde man jene berühmten Dichter des alten 
Roms in Deutſchland nie fo genannt haben, wie man fie jeßt 
gemeiniglich nennt. Auch bemerkt Rec. noch weiter, daß es 
einem Deutfchen, der den Lateinifhen Namen Cujacius nicht 
franydfiren, fondern germaniſiren will, ohne allen 
Anftand, und mit demfelben Rechte erlaubt iſt, Cujaz zu 
fagen, mit dem man Horaz, Properz, Lukrez, Labs 
tanz, Prudenz, Fulgenz, Aefop, Apoll, Herodot, 
Herodian, Heſiod, Homer u. f. m. ſagt. Auch kann 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 143 | 


der Verf. um fo weniger etwas dagegen eintwenden, Wenn er 
es auch gleich ſchon mehrmalen gethan hat, da er ja felbft im 
6.88. 6. gı. und ©. 70 Mote 5. aus dem Stalienifchen 
Boccaceio imme Boccaz macht, und hierzu durchaus 
nicht mehr Recht Hat, als die, weihe Enjaz fchreiden. — 
6.187. Demochares, oder Mouchy iſt au ein in der 
Franzoͤſiſchen Polizey nicht unmwichtiger Name ; denn fein Eifer 
gegen die Calviniſten trieb ihn fo weit, day er, um diefe aufs 
zuſuchen und aufzuſpuͤren, geheime Miethlinge beſoldete. Diefe 
wurden Moucharts, nah dem Namen ihres Heren, ges 
nannt, und dieſer Name blieb in Frankreich His jetzt den 
Poligenfpionen. — Der $. 165. zeichnet fih abermal dur 
eine gefuchte Dunfelheit aus; denn man weiß nicht, worauf 
Rh die Note x. bezieht, und der Verf. verweif’e in diefer im 
Algemeinen bloß auf Melandton’s loci communes, und 
äberläßt es den Lefern, in disfen mit Zeit und Mühe zu fus 
den, was er feldft auf einem kuͤrzern Wege in einem Schrift 
fiellee gefunden hat, den er nicht nennt. — $. 190. Bey 
Enjas ſcheint der Verf. den Hauptcharakter uͤberſehen zu 
haben, der diefen großen und erfien Kiviliften aller Zeiten 
vorzüglich auszeichnet. Denn wer follte e8 glauben, daß ber 
untericheidende Charakter des Verf. von fo großen und zahl: 
reihen Bänden feine erflaunlihe Kürze iſt? Diefes Urtheil 
maß von allem denen befräftiget werden, melche feine Werke 
Audiren werden. — Die Note ı. zu $. 240. ift auch wieder 
fo dunfel, daß nur wenige Lefer fie verfichen merden. Es 
wird nämlich von den beyden Doctoren der Sorbonne, Ars 
naud und Micole simpliciter, und ohne das Bud zu 
nennen, aus dem es genommen ift, gefagt: „Von ihnen 
kommt das „on“ her, welches fih aud bey ihrem Freunde 
Domat findet.“ Iſt diefes nicht wieder eine recht adfichtliche 
Dunkelheit? Weldyes on kommt von den beyden Doctoren der 
Sorbonne Her? Warum machte es der Verf. nicht mit zwey 
Woͤrtchen Ddeutliher? Warum follen die. Lefer nur immer 
tathen und fuchen? Es it ja doch auch dieſe Notiz wieder 
eine rein bifloriiche, die der Verf. nicht durch Nachdenken, 
fondern durch irgend ein Buch erfahren bat. ec. hat, um 
fid recht zw Überzeugen, ob diefe Dunkelheit nicht vielmehr 


\ 


144 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


fubjectiv ale objectio fen, und ob er dem Verf. nicht Unrecht 
thue, namentlich diefe Mote zwey fehr gelehrte Männer, und 
die zugleich große Letteratoren und fcharffinnige Köpfe find, 
lefen. laffen, und fie Haben ihm erklärt, daß fie nicht wiſſen, 
was der Verf. damit wolle. Rec. glaubt aber, daß derfelbe 
das an für je meine, wo man nämlich fagt: On a fait 
flat: j’ai fair. Aber er gefteht, daß er feiner Sache nicht 
gewiß iſt, und daß er nicht darauf wetten möchte, daß er 


Recht habe. — Was der Berf. im $. 243. Über Francois 


Broe (ſo hieß er im Franzoͤſiſchen) bemerkt, iſt ein aͤchter 
Dendant zu feiner oben angeführten Bemerkung über Roal⸗ 
des. Um etwas anzubringen, das er für ſpitzig Hält, iſt er 
hier, wie dort, ungerecht, und läßt ſich zu fehiefen und unrich⸗ 
tigen Urtheilen verleiten. Troß der Vergleichung des Rechts 
mit einem Kfeide oder einem Städe Geld, war Broe ein 
fehr gelehrter und fcharfiinniger Mann, der einen der alles 
beten Commentare über die Snftitutionen ſchrieb, unter die 
vorzäglichften Juriften und Profefjoren feiner Zeit mit Recht 
gerechnet wurde, und in denfelben gwey Abhandlungen, die 
der Verf. zu feiner Herabfegung anführt, fo viele gute, aus 
gefuchte und manchmal ſelbſt vortrefflihe Sachen vortrug, daß 
er gar wohl die Ausländer damit hätte locken Lönnen. Meer 
man, bdeffen gelehrte Urtheile doch gewiß mehr Gewicht haben, 
urtheilt auch ganz anders Über Broe. Er fagt von ihm: 
„Elegantiss im a sunt et argumenti valde singularis bina 
haec opuscula Franc, Bro&i (Analogia juris ad vestem, 
et Parallela legis et nummi), qui eruditissimo ad In- 
stitutiones Justiniani commentario inter celeberri- 
mos suae aetatis Ictos nomen adquisivit, 
quique omni honarum literarum adparatu 
instructus fuit, ad illustrandam Jurispru- 
dentiam.“ Ein anderer berähmter Kritiker aus &panien 
fagt von ihm: „Multa in Franc, Bro&i Commentario ex- 
ponuntur adcurate et erudite, et brevis totius juris 
Chronologica historia, quae praemittitur, legi mere- 
— Der Veſchluß wigt.) 


ann ee = 22302 1202.00 22 


No. 10. Heidelbergifhe 4813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


öxxxxxxXxXXXXEIEX 








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Sehrbuc der civiliſtiſchen Litterärgefhichte vom Prof, Ritter Hugo 
in Goͤttingen. 
ı Beſchluß der in No. 9, abgebrochenen Necenfion. ) 


J aber Hat Rec. ſchon viele gefunden, die Broe 
gelobt, aber noch feinen, der ihn herabzuſetzen gefucht Hätte; 
und er ſelbſt Hat fih fhon fo oft, in feinem eigenen Studium, 
von der. Vortrefflichkeit des Broeſchen Kommentars über die 
Inſtitutionen zu Überzeugen Gelegenheit gehabt, daB es ihm 
wehe that, ein fo umgerechtes Urrheil Über einen Mann zu 
leſen, den er feldft immer verehrt Hat und verehren wird. 
Bo find denn die Männer, die heutzutage einen ſolchen Com⸗ 
mentar gefchrieben hätten, oder fchreiben könnten? Und wenn 
heutzutage, auf vielen Univerfitäten des In s und Auslandes, 
die Ausländer oft durch weit unbedeutendere Schriften der 
Profefforen gelockt werden, warum follten fie nicht auch durch 
Broe's auf jeden Fall bedeutendere Werke haben gelockt wers 
den Binnen? Was Broe, in jenen zwey Vergleichungen, 
vorträgt, zeugt offenbar von Gelehrſamkeit und Kenntniffen 
mancher Art. Nerräth er aber, in den Titeln jener Schriften, 
weniger Geſchmack, fo hat Forcadel für feine verfchiedenen 
Schriften noch weit gefhmadlofere und abentheuerlichere ges 
wähle, und doch nimmt der Werf. diefen in Schuß. ($.173.), 
während er den Broe herabſetzt, ohne Zweifel deswegen, 
weil die gemeine Stimme gegen Forcadel und für Broe 
fl. — Wenn Semand den $. 245. lieftt, der Fabrors 
Werke noch nicht aus eigener Einfiht fennt, fo muß er glaus 
ben, diejer gelehrte Mann habe faſt feine Verdienfte um bie 
Rechtswiſſen ſchaft; denn alle feine Schriften werden nur ges 
todelt, niches wird an ihnen gelobt. Meetman, Reis, 
Otto, und alle, welche Fabrot genau kennen, denken ans 


ders über dieſen berühmten Gelehrten; auch Peiresc, jenes 
j 10 


146 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


berühmte Mäcen aller Gelehrten von Verdienſt, fo mie der 
Präfident Du Vair, der Fabrot nad Paris gog und ihm 
einen Gehalt von 2000 Liores verichaffte, fo wie alle Gelehr⸗ 
ten feiner Zeit, waren gang anderer Meynung. Seine tiefe 
Gelehrſamkeit und feine anferordentlihen Kenntniffe in dem 
Kömifchen und Kanonifchen Rechte waren allgemein anerkannt. 


—Es iſt nicht zu leugnen, daß man allen Zabrotfchen Ausgaben 


fremder Werke viele und große Fehler vorwerfen kann, weil 
der gelehrte Mann zu arbeitfam war, und weil — pluribus 
intentus minor est ad singula sensus; allein deſſen unges 
achter bleibe Fabrot immer ein großer Mann, und wir 
wären fehr zu beklagen, wenn wir feinen Theophilusg, 
feine Baflliten und feine Ausgabe von Cujas, bey allen Feh⸗ 
lern, durd) welche diefe Werke verunſtaltet find, nicht hätten. 
Ein berühmter Kritiker fagt von ihm: „Fabroti judicium 
fuit egregium, eruditio stupenda“ und Reiß, ein gewiß 
ſehr competenter Richter, ‘nennt ihn Magnus vir, mit ber 
Bemerkung, daß er ihm diefen Namen nicht eipwvıxzasz, fons 
dern serio gebe, cum ob diffusam lectionem et eruditio- 
nem‘, tum ob juris rom. summam peritiam, nec contem- 
nendum judicii acumen, Fabrot's Namen wird ewig 
leben, fo lange die Römifhe Rechtswiſſenſchaft leben wird. 
Wenn viele Gelehrte, die vor und nad ihm gelebt haben, 
fhon längft der Vergeſſenheit übergeben feyn werden, wird 
fein unfterblicher Name den Nechtsgelehrten, Antiquaren, Ges 
fdrichtfchreibern und Philologen noch immer theuer ſeyn. — 
In der Mote zum $. 249. hätte der Werf. fagen follen, wo 
der Pariſer Profeffor Daragon feinen Beweis geführt Habe: 
denn wie viele werden in Deutfchland diefes erfahren Bönnen? 
Daragon führte diefen Beweis in feinem Avertissement, 
das an der Spige des „Droit public de la France, ouvrage 
posthume de l’Abbe Fleury, publie avec des notes par 
J. B. Daragon, professeur en l’Universite de Paris. Paris 
1769. 2. Vol. in 12.* flieht. — $. 260. Sehr ohne Grund 
wird hier Hilliger's Buch über. Doneau herabgefest. 
Wegen der reichen Litterame, die Dillinger, mit dem größs 
ten Fleiße, aus den berühmteften Humaniften feiner und der 
Vorzeit, bey jedem wichtigen Gabe angeführt Hat, iſt fein 


( 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo, 147 


Bert zu allen Zeiten in Deutfhland, Frankreich, Holland, 
Spanien, Portugal und Stalien nad Verdienft gefchäßt wor⸗ 
den, und wird ſtets um fo mehr gefhäßt werden, weil man 
fehr häufig ganze Stellen aus Werken darin ercerpirt finder, 
die heutzutage ſehr felten find. Nichtiger, als der Verf., ur⸗ 
teilt ein Tcharffinniger Kritifer des Auslandes über Hilliger, 
wenn er von feinen Moten zu Donean fagt: „Notata 
eruditissima, et selectae.bibliothecae vicem 
praestare possunt“ und Vinnius, der fi, durch feine 
allgemein beliebten und gefhäßten quaestiones juris, fo bes 
eähme machte, Hat in diefen meiftens nur die Noten des 
Hilliger benugt, und oft nur abgefchrieden, ohne feinen 
Dann zu nennen. Hievon Fönnte Rec. viele Beweiſe geben. 
Daß Hilligers Styl in dem Auszuge ſelbſt fchwerfällig, 
eifern und dunkel ift, kann nicht geleugnet werden. — Bey 
Schilter (9. 268.) iſt fein feltenes civiliſtiſches Buch: 
Herennius Modestinus, Argent. ı687. 4. vergeffen, das 
übrigens 24 Jahre fpäter von Brenfmanns Diatriba de 
Evrematicis. Lugd. Bat. 1711. 18. übertroffen worden iſt. — 
Wenn der Verf. im $. 275. bemerkt, daß man oft vergeffe, 
wie mannigfaltig Leibnie von Anfange an zur Rechtswiſſen⸗ 
(haft gehörte, und wie erhebliche Bücher er auch theils über die 
jurift. Methode, theild Über das Staatsrecht geichrieben habe, fo 
weiß Nec. von folhen, welche in der juriftifchen Litteratur auch 
nar ein wenig bewandert find, Niemand, det diefes vergäße. In 
allen gangbaren juriftifchen Kitterärgefchichtlichen und bibliographi⸗ 
fhen Buͤchern, bey Struv, Taifand, Terraffon, Doms 
mel, König, Nettelbladt, Lipenu. ſ. w. flieht Leibnig 
ats Juriſt, und feine jueiflifchen Schriften werden von mehreren. 
von diefen vollfländiger als von dem Verf. aufgezählt. Seine 
Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae 
ex artis dıdacticae principlis, die in neuerh Zeiten in dem 
Thesaurus jurisprudentiae juvenilis. Neäpoli 1754 et 1756, 
2. Vol. 8. wieder abgedruckt wurde, nennt Äbrigens Hom⸗ 
mel „juvenilis admodum, eaque philosopho, nedum Icto, 
adeo indigna. ut Christ. Wolfum mirer, in ea iterum 
edenda operam perdidisse; und von feiner Ratio Corporis 
juris reconcinandi; nachdem er die Ordnung derfelben ange⸗ 





448 Lehrbuch der eciviliſt. Kitterärgefchichte v. Br. R. Hugo. 


führt hatte, bemerkt er: „Praeclarus ordo, si Diis placet!“ 
Diejenigen, welche Leibnis als Juriſten nicht kennen, wers 
den aber gang gewiß auch viele noch befanntere und berühmtere 
Juriſten nicht kennen, als Leibnitz ifl. — $. abo. Brums 
mer fiarb nicht im J. 1661, fondern im J. 1668. Als er 
in diefem Jahre von Paris nad) Lyon reifen wollte, ertranf 
er in einem Fluſſe. Sein Buch de lege Cincia fam zuerft 
in Paris in demfelben Jahre herans, in dem er ertranf, und 
war dem berühmten Sranzöfiihen Staatsminiſter Colbert 
dedicist. Er war fo giädlih, der Schüler des Reineſius 
zu fen, der, durch Colbert's Verwendung, Ludwigs XIV. 
Freygebigkeit rühmen konnte. — 6. 282. Difelius hat das 
Beſte in feinen Noten dem Aleander ehtwendet, and Reis 
nold behauptet, daß er auch die Sollectaneen des Saumaife 
geplündert habe. Demnach war er doc, wenigfiens ein ges 
fhichter Eorfart — 6. 290. Die Bemerkung, daß unter 
Friedrich Wilhelm kein. Profeffor einer Preußifchen 
Univerſitaͤt Erlaubniß erhielt, eine Stelle auswärts anzuneh⸗ 
men, als wenn allenfalls ein Paar recht große 
SGrenadisre flatt feiner gu haben Waren, hätte 
auch wieder Hr. Haubold gewiß niche in ein Lehrbuch der 
civiliſtiſchen Litterärgeichichte aufgenommen. — $. 2d,. und 
6.288, in Thomafius fehr gut geſchildert, und feine Ver⸗ 
dienfte um die Rechtswiſſenſchaft find fehr richtig beurtheilt. — 
6.296. Ludovici’d Schriften waren, nah Gundlings 
Behauptung, zu ihrer Zeit fo hochverehrt, daß man fie ſelbſt 
den Werten des Cujas vorjog. So eigenfinnig, fonderbar 
und undegreiflih ift oft das Schickſal der Schriftfteler; aber 
auch Ludovici beweif’t, daß das Gluͤck, wenn es nur eine 
Taprice für einen Schrififiellee hat, nie zu lange bey ihm 
verweilt. — 6. 297. Heineccius iſt ohne Anftand derjenige 
Deutſche Juriſt, welcher im ganzen Anslande und in ganz 
Europa für den erſten und berühmteften gehalten wird, und 
Rec. glaubt auch, daß er diefen Muf verdiene, weil er Beinen 
andern weiß, der thn mit mehr Recht anfprechen könnte. 
Heineccius, der fih mit dem Leſen der beften juriftifchen 
Schriften genährt hatte, befonders mit. dem der Werke Des 
Tujas, vereinigte, in feinen gelehrten Merten, nicht nur 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 149 


die wichtigften Beobachtungen derfelben, fondern fügte auch 
meißens feine eigenen Betrachtungen bey, die immer inter 
effane find. Die neuern Franzoͤſiſchen Rechtsgelehrten ſelbſt 
fügen, daß, nach den Werken des Tujns, die des Heinec⸗ 
ins am nothwendigſten feyen; und fie bemerken, daß man 
jene niche fo fortlaufend lefen könne, wie diefe, weil Deis 
neccius darin alle Theile des Rechts auf die erſten Elemente 
mrüdführe, und deswegen, als ein wahrhaft claffifher Schrifts 
fieller, gelefen und ſtudirt werden muͤſſe. In einem neuern 
Sranzöfiihen Werke wird Heineccins auteur clair, inge- 
nieux, profond et distingu€ dans toute !’Europe genannt, 
qui livre a decouvert les secrets du droit romain, et re- 
ville 4 une etude d® six mois ce qu’on auroit cherche 
laborieuseinent pendant dix anndes. &ehr wahr iſt auch, 
wis Camus (Tom. I. p. 316) von ihm fagt: On pre- 
tend, qu’aujourdhui en Allemagne l'autorité d’Heineccius 
decroit un peu, parceque quelques jurisconsul- 
tes, qui sont venus apr&s lui, ont fait mieux, 
en profitant de ses recherches. Ein deutliher Beweis | 
feiner Klarheit und Vorzüge, liegt darin, daß Gibbon, bey 

dem 44. Kapitel feiner Geſchichte, ihn zum Führer wählte, 
und durch ihn Beynahe allein in den Stand gefekt wurde, als 
Laye eine Abhandlung über das Römifche Recht zu fchreiben, 
die jedem Eiviliften Ehre machen wuͤrde. Dies if unftreitig 
das größte Lob, das man dem Heinecctus fagen kann. Sn. 
Maris wird noch immer über ihr gelefen, und fein fpäteres 
Eompendium irgend eines andern Deutihen Suriften hat und 
wird ihn ſobald verdrängen fünnen. — $. 325. Noodt hatte 
die Originale der Roͤmiſchen Rechtswiſſenſchaft fleißig gelefen, 
fo wie die claſſiſchen Autoren des Alterthums, mit deren Hülfe 
er jene aufhellte. Diefes bemerkt man an feinem reinen Style, 
der aber , weil er zu gedrängt tft, für alle diejenigen fchwer 
in verfichen iſt, welche mit der Schreibart dee Tacitus 
und Plinius niht vertraut find. In feinem Bude: de 
jure summi imperii et lege regia, das auch Barbayrac 
ins Framzoͤſiſche Überfege hat, ſtellt er Grundſaͤtze eines aus; 
(hweifenden Republikaners auf, und man ftöße nicht felten 
auf Stellen, über deren Kuͤhnheit man eiſtaunt, und die des 


- 450 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


heftigften Jacobiners würdig wären. — 6. 345. Fuͤr die 
Antiquitäten, welche befonders aud) den gelehrten Juriſten ins 
tereffiren,, tft bier vorzüglich zu bemerken Johann Arbuths. 
not, wegen feines claffiihen Buches: Tabulae antiquorum 
nummorum, mensurarum et ponderum pretiique rerum 
venalium, das Daniel König aus dem Engtifchen ins 
Rateinifche uͤberſetzt, und zu Utrecht im J. 1756 in 4. heraus 
gegeben hat. König hat aber getert, wenn er diefes Werk 
dem Carl Arbuthnot, dem Sohme des Johann, auf 
dem Titelblatte, zuſchrieb. Der Vater, Johann, war der 
wahre Verfaſſer, und überließ feinem Sohne, Carl, nur das 
Honorar des Buchhaͤndlers. Dffenherziger, als Arbuthnot, 
hat noch Fein Schriftfieller geftanden, Baß es ihm, bey der 
Herausgabe feines Buches, hauptſaͤchlich nur um das Honorar 
zu thun geweſen ſey. Das Werk erlebte zwey Auflagen in 
England. Zwiſchen der erſten und zweyten gab der gelehrte 
D. Georges Hooper, Biſchof zu Bath und Wells, Uns 
terfuchungen über die alten Maaße der Arhener, Römer und 
Süden in London 1723 in 8. heraus. Arbuthnot ſelbſt 
ertheilt diefem Buche, in der zweyten Auflage feines Werkes, 
die größten Lobſpruͤche; aber fein eigenes Buch ift doch das 
beffere und gefhägtere — 6. 349. Das für - den Zueiften 
wichtige Werk des fcharfiinnigen und wißigen Abbate Gas 
gliani wären mohl feine „Brundfaße des Natur- und 
Völkerrehts, aus den Schriften dee Freundes 
des Mäcenas gezogen,“ wenn fie gedrudt wären, mas 
leider nicht der Fall if. Diefes Buch müßte um fo intereffan 
ter fenn, weil Niemand mehr, als Sagliani, den Horaz 
ſtudirt und durchdrungen hatte, den er auch ing Franzoͤſiſche 
übderfeßte, welche Weberfegung aber auch noch ungedruckt if. 
Unter fo vielen ernfihaften Werken, die er nach, und nad) her 
ausgab, fchrieb er auch im J. 1778 eine Oper: Il Socrate 
imaginaro, die von einem großen Tonfeger in Muſik gefeht 
wurde, und in der ganzen Welt befanne if. Diefe Oper war 
eine beißende Satyre auf einen damals noch lebenden und 
functionirenden Neapolitaniſchen Deinifter, der Himmel und 
Hölle gegen diefes Werk des Wißes und der Tonkunſt bewegte. 
Der eingebildete Sokrates durfte auch, auf koͤniglichen Befehl, 


Lehrbuch, der eiviliſt. Litterärgefchichte u. Pr. R. Hugo. 151 


eine Zeitlang nicht mehr gegeben werden ; allein das Publikum 
| und der König ſelbſt Hatten eine fo große Freude daran, daß 
dee Befehl bald wieder zuruͤckgenommen wurde, und nun 
mußte der koͤnigliche Minifter es fi) gefallen laffen, als eingebiks 
deter Sokrates, nolens volens die Bühne zum zweytenmale 
zu betreten, und fi von einem zahlreihen und muthwilligen 
Publikum nody mehr ausfpotten zu laſſen, als das erftemat. 
Gagliani flarb zu Neapel im J. 1787. Es wäre zu wüns 
fhen, daß fein Erbe, Here Azzaroti, feine vielen koſtbaren 
Manuſcripte, die Gagliani felbft, in einem Briefe, an 
Madame d' Epinay in Paris, vom 15. Dezember 1770 aus 
Neapel ſchrieb, aufzähle, und in deren Beſitze Herr Azza⸗ 
roti fih befindet, allgemein bekannt machte. — $. 352. Den 
hier angeführten Italieniſchen Rechtsgelehrten der letzten Des 
riode ſollten auh Mazzei, Mangieri, Arcafio, Fea, 
gerrante, Pagano, und nocd, viele andere, bengegeben 
werden. Maz zei, geboren zu ‘Paola in Ealabrien im Jahre 
1709, war berühmter Advokat in Rom, wo er 42 Jahre 
iebte, und 1788 farb. Er fchrieb drey geichäßte Schriften : 
ı) De matrimonio conscientiae, vulga nuncupato : acce- 
dit Diss. de matrimonio personarum diversae religionis. 
Romae 1771. &) De legitimo actionis spolii usu Com- 
mentarius. Romae 17735. 3) De aedilitiis actionibus lihri 
tres. Romae 1786. 4. Mangiert, Profeffor in Neapel, 
gab Elementa juris civilis, ‚Neapoli 1766, in swey. flarten 
Dctavbänden, und Praclectiones ad Pandectas. Neapoli 
‚1767. 1780. 1781. et 1780. in fünf Bänden in 8. heraus. 
Bon Arcafio, Profefor in Turin, haben wir 8 Baͤnde 
Commentarii jur. civilis. Augustae Taurinorum 1780. et 
ında. 8. Bea ift durch feine Vindiciae et observationes 
juris. Romae ı782. 8, fo wie durch mehrere anttquarifche 
Schriften, Gerrante, ehemals Advokat, nunmehr Juſtiz⸗ 
minifter in Neapel, durch fein Buch: della Legge Remmia. 
Napoli 1780. 8, berühmt. Joſeph Anton Bruni, Pros 
feſſor in Turin, fchrieb einen flarfen und großen Quartband 
Dissertationes in jus eivile. Augustae Taurinorum 1759. 
und der Meapolitanifche Profeffor, Franz Saverio Bruno, 
ſechs ſtarke Detavbände Elementi del dritto civile, wovon, 


452 Lehrbuch der cwiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


nad dem Tode des Verfaifers, eine neue Auflage im %. 1804 
zu Neapel erihienen if. Einer der berähmteften Civiliſten 
der neuern Zeit, der als Schriftfiellee und Lehrer, ats feiner 
Theoretiker und gehdter Practiker gleich gefchätt war, und 
der wohl von allen Civiliften nicht nur von Stalten, fondern 
überhaupt von allen Ländern, in der neueften Zeit, das Meifte 
geſchrieben Hat, ift der Neapalitaniſche Profeſſor, Joſeph 
Pascale Eirtilo,:geboren 1709, T 1776. In den Jah⸗ 
ven 1797. 1798. 1740. und 1742. gab er einen weitläufigen 
Commentar in vier Bänden in 4. Über die Inſtitutionen hers 
aus, den im Jahre 1796 in zwey Octavbaͤnde zufammenzog, 
weiche er im J. 1785 von dem Abbate Gio. Selvaggi 
ins Italieniſche Überfegt wurden. Im J. 1745 ließ er einen 
Quartband Institutiones Canonicae, und zwey Jahre früher, 
im Sahre 2745 hatte er Betrachtungen über Muratori's 
Traktat: Dei diffetti della giurisprudenza romana druden 
laffen, die dem Marchefe Tanucsi dedicirt waren. Er fchrieb 
Commentare de conditionibus et demonstrationibus, de 
legatis et fideicommissis, de vulgari et pupillari substitu- 
tione, de jure adcrescendi, de pactis et transactronibus, 
de rescindenda venditione, de donationibus, de jure fisci, 
die aber erft nach feinen Tode von dem Profeffor des Trimis 
nalrechts, Don Michele Leggio im Jahr 1781 herausges 
geben wurden. Er gab einen Codex legum Neapolitanazum 
in zwey Quartbänden,, und der. Advofat Domenico Bras 
cale in Neapel gab nach) feinem Tode 1780 zwölf Auarts 
bände -Allegazioni di Giuseppe Pascale Cirillo . heraus. 
Anferdem ließ er vom J. 1750 — 1754 fünf Reden, im J. 
1773 und 1774 zwey Leichenreden deuden. Er gab die Vin- 


diciae secundum Cujacium adyersus Merillium des Dos . 


menico Sentile, ‘mit einer gelehrten Vorrede, ſo wie 
das Werk des Girolamo Muzio Siuftonopolitano: 
Battaglie per la lingua Ikalianos, mit einer Vorrede umd 
vielen Anmerkungen heraus. Eirillo war auch Dichter. Er 
ſchrieb im J. 1798 La contesa delle Muse, Im J. 1740 
das. Drama Le nozze di Ercole e di Ebe, Eine Menge 
anderer Poefleen von ihm find in andern Sammlungen zers 
fireut ; die einen ftarken Band geben würden. Im J. 1744 


| 





belthuch der ciohl. Eiterärgefhichte v. Br. R. Huge. 153 


gab er auch die Poefieen des Franz Lorezini, mit einer 
Vorrede und dem Leben diefes Dichters heraus. Er hinterließ 
ach viele juriftifche, antiquarifche, hiſtoriſche Abhandlungen 
und Comoͤdien, die noch ungedrudt find. — Der Abbate 
Antonio Geno veſi, gleichfalls ein Neapolitauer, geboren 
im J. 1712, f 2769, ift al Theolog, kritiſcher und Morals 
phitofoph, als philoſophiſcher Juriſt und Staatsokonom glei) 
beruͤhmt. Durch ſeine Schriften und muͤndliche Lehren ward 
er der Vater der politiſchen Oekonomie in Italien. Franz 
Mario Pagand, gleichfalls ein Meapolitaner, geboren in 
der Mitte des 18. Jahrhunderts, war der würdigte Schäfer 
des Genoveſi, Freund und Vertrauter von Grimaldi 
ud Filangieri, und einer der vorzäglichfien Köpfe des 
neueſten Italiens und der neueften Zeit. Nachdem er im 
25. Jahre Advokat in Neapel geworden mar, murde er.einige 
Jahre ſpaͤter Profeſſor des Criminalrechts daſelbſt. Hier 
zeichnete er ſich ſogleich vor allen ſeinen uͤbrigen Collegen aus. 
Sein Hoͤrſaal war der beſuchteſte von allen, weil von ſeinem 
Catheder lichtvolle Grundſaͤtze, erhabene und glaͤnzende Ge⸗ 
danken, neue und reiche Auſichten und weitgreifende Lehren 
floſſen. Seine vielen Schuͤler trugen dieſe einleuchtenden und 
wohlthaͤtigen Grundſaͤtze in die Saͤle der Richter, und bald 
wurde, in allen Tribunalen, Pagauo's Name eine ehr⸗ 
wuͤrdige Authoritaͤt. Die erſte Frucht ſeiner philoſophiſchen 
Betrachtungen war fein Criminal⸗Proceß, ein merk⸗ 
wuͤrdiges Buch, worin er die Reform eines‘ Syſtems, voll 
der haͤßlichſten Mißbraͤuche, ausdachte, und Mittel: an Die 
Hand gab, rwie «8 einzurichten wäre, daß nicht die fehlerhafte 
Einrichtung der Gerichte mit: der Beſtrafung der Schuldigen 
au) den Linfchuldigen aufopfere. Diefes Merk ift ein wuͤrdi⸗ 
ger Dendant zu Beccaria’s berühmten Buche, md es ers 
hielt nicht nur die Lobſpruͤche der größten Gelehrten von 
Europa , fondern auch von der Franzoͤſiſchen Nationalverfamms 
lung eine fehr ehrenvolle Erwaͤhnung. Die polttisghen 
Verſuche, die auf diefes erſte Werk folgten, muͤſſen jedem 
unbefongenen. Lefer eine hohe Idee von dem fchäpferifchen 
Seifte des Werfaffers geben. Wan muß darin den erhabenen 
Denker, den in der alten und neuen Litteratur vollendeten 





454 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte u. Pr. R, Hugo. 


Gelehrten, und den großen Polititer bewundern, der würdig 
it, neben Mackhtavelli zu fiehen. Diefes Werk liefert 
ein Gemählde des Urſprungs, Fortgange und Verfalls der 
menfchlihen Gefellfhaften. Es tft eine einfache Gefchichte, 
aber nach einer ganz neuen. Zeichnung; es ift nit die Ges 
ſchichte des Volles von Athen, oder von Lacedämon, oder von 
Rom oder Carthago; es ift die Gefchichte des menfchlichen 
Geſchlechts. Diefes Werk iſt zugleih in einem männlichen 
und fraftvollen Style gefchrieben; es zeichnet fih nicht durch 
eine blumenreihe, fondern gründliche Beredſamkeit aus, die 


nicht in Worten, fondern in Sachen befleht; und die Blumen 


der Pitteratur find nicht blindlings und unordentlih, fondern 
mit Kunf und Vorſicht ausgeftteut. Diefer große Mann, 
‚igleich einer der edelften Menſchen, ftarb eitten unwuͤrdigen 
und gräßlichen Tod. Sn jener nicht fehr weit von uns ents 
fernten: Zeit, wo über Neapel ein Trauerflor gezogen war, 
wo Tod und Schrecken diefes fchöne Land verheerten, und 
wo fo viele beredte Zungen unter des Henkers Händen vers 
flummten, wurde auh Pagano, unſchuldig von einem Nies 
derteächtigen angegeben, in einen Kerker gefchleppt, wo er 
drepgehen Monate fchmadhtete, und feine Abhandlung über das 
‚Schöne ſchrieb, wieder befreht, flähtig nah Nom und Mais 
Iand, ‚von dem Franzöfifchen General, der Neapel eroberte, 
wieder zurückberufen, zum Mitgliede des proviforifhen Re⸗ 
gierungsausfchuffes ernanne, Verfaſſer der. Conftitution der 
neuen Republik Meapel, abermals eingekerkert, zum Gafgen 
verurtheikt, und den 6. Dctober 1800 hingerichtet. — $. 354. 
Voltaire gab fih alle Mühe, des Präfidenten Henault's 
Wert (Abrôgé chronologique de l'histoire de France) 
vortrefflich zu finden; aber d'Alembert fand es nur nuͤtzlich 
und bequem. Die berühmte Madame du Deffand ver 
langte von d'Alembert, daß er, in dem Discous prelimi- 
naire gu feiner Encnclopädie, diefes Buches des Präfidenten 
Henault erwähnen möcht. Aber d'Alembert bemerkte 
ihr, daß ihm diefes unmöglich fey, parceque dans un ou- 
vrage destine à celebrer les grands genies de la nation, 
et les ouvrages, qui ont veritablement contribue au pro- 
grös des lettres et des sciences, je ne dois pas parler de 


* 


Lehrtuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo. 155 


TAbrégéẽ chronologique. C'est‘ un onvrage utile@g jen 
conviens, et assez commode, mais voilä tout en verite: 
cest A ce que les gens de lettres en pensent; c'est 1A 
ce que !’on en dira, quand le president ne sera plus 
(Oeuvres de d’Alembert Tome ı4. p. 321). — And 
von dem Baron von Grimm wird der Advokat Job. Nic. 
Moreau, wegen feiner Bibliotheque de Madame la Dau- 
pbine, hart mitgenommen, in der ganz neu berausgefommes 
nen Correspondance litteraire, philosophique et critique, 
adressdee a un souverain d’Allemagne depuis 1770 jusqu’en 
1782 par le Baron de Grimm et par Diderot. Paris 
ıdıa. (Tome I. p. 405 — 405). Dem Biographen ber 
beyden Pit hou, dem Advokaten Grosley, geht es darin 
gleichfalls jnicht beſſe. Grimm ſagt von Grosley's 
Reiſebeſchreibungen von England und Italien, daß ſie enthal⸗ 
ten — ohservations triviales et bourgeoises, de froides 
et mauvaises plaisanteries, und noch weiter bemerkt er: 
L'ignorance a ses gradations, comme la science. Il y a 
des ignorances d’honnetes gens et des ‚ignorances de la- 
‘quais. Celles de Mr. Grosley sont de la même esp£ce.“ 
— 6.357. Auch über die oͤconomiſtiſchen Philoſophen macht 
fh Sreim m in feiner Eorrefpondenz fehr oft luſtig. - Im 
6. 365. verdienen auh Dlivier und Paftorer eine rühms 
lihe Erwähnung. Sean Dlivier tk duch feine Analysis 
philosophica civilis doctrinae. Romae 1777. 4. durd) feine 
Principes du droit civil romain. Paris '1786. 2. Tomes. 8. 
fo wie Durch fein Buch: Sur la reforme des loix civiles, 
‘Paris 1786. 4. Tomes. 8. und Paftoret dur feine, von 
der Academie des inscriptions et belles-lettres im Jahr 
1784 gekrönte Preisichrift über die Frage: Quelle a ere 
linfluence des lois maritimes des Bhodiens sur la marine 
des Grecs et des Romains, et de l’influence de la. marine 
sur Ja puissance de ces deux peuples. Paris 1784. durch 
feinen: Moise considere comme legislateur et moraliste, 
Paris 1788. und durch feine, von der Franzöfifchen Academie 
den 25. Auguft 1790 gefränte Preisichrift: des lois penales. 
Paris 1790. & Vol. 8. frähmlich befannt. — 380. Bon 
Selch ow erhielt fhon im Jahr 1764 von dem Staltener 


156 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo, 


Migliorotto Macciont ein großes Lob; er nannte ihn: 
„il dottissimo signor Cristiano de Selchow, celebre pro- 
fessore di Gettinga, & cui molto devono gli studiosi 
‘ della giurisprudenza, della quale € particolafe ormamen- 
20.” — Im $. 318. Mote 1. gibt der Verf. eine intereffante 
und nod wenig befannte Nachricht von dem berühmten Dir 
niſchen Etatsrathe Johann Jacob Mofer, aus den Pas 
pieren des Kanzlers Juftus Henning Böhmer in Halle, 
die recht auffallend beweist, wie viele Widerwärtigkeiten . und 
Kraͤnkungen die größten und von der Nachwelt verehrteften 
Gelehrten in ihrem Leben erfahren, wie unruͤhmlich und uns 
ſcheinbar ſie oft ihre gelehrte Laufbahn eröffnen, wis gerade 
ide anfängliches Mißgeſchick, indem es ihren Ehrgeiz und 
Eifer reizt, ihr größtee Gluͤck wird, wie fie, mit einem felten 
Willen und großer Kraft ihe Ziel verfolgen, allmählig alle 
ihre Zeitgenofien Äderflügein, und non der allein unpartheyifchen 
Nachwelt allein mit Ehrfurcht genannt werden, während die 
Namen aller derer laͤngſt der Vergeſſenheit übergeben find, 
die bey ihren Lebzeiten .vühmlicher begonnen , aber unruͤhmlich 
geendet, und vielleiht den Mann der Nachwelt, in ihrem 
thoͤrichten Eigenduͤnkel, tief unter fi geſetzt und veradıtet 
Baden. — $. 418. Bon dem großen Nußen der fpftematifchen 
Borträge im reinen Nömifhen Rechte konnte fih Rec. 
wie überzeugen ; und wenn er, mit Webergehung mehrerer 
wichtiger Gründe, die er anführen koͤnnte, nur von der ge 
genwärtigen Zeit, wo die fnflematifchen Vortraͤge an ber 
Zagesordnung find, in die Zeiten zuruͤckblickt, wo secundum 
ordinem institutionum, Pandectarum et Codicis gelejen 
wurde, fo findet er nicht, daß jet gründlichere Juriſten, als 
ehemals, gebildet werden. Die großen Civiliſten der verfloffenen 
drey Jahrhunderte wurden nicht nach fuftematifchen Vortraͤgen 
gebildet, und welche Rechtsgelehrte der neuern Zeiten, die 
darnach gebildet wurden, können wir ihnen an die Geite 
ftelen ? Rec. will damit ducchaus die fpftematifchen Vorträge 
nicht verwerfen; er fchägt fie vielmehr, wenn fie gut ausge: 
dacht find, fehr Hoch, und glaubt, daß fie dem Verſtande des 
Verfaſſers immer geoße Ehre machen; aber er glaubt, daß 
man ihren Nutzen gewöhnlich zu hoch taxire, und daf fie, 


! 


Schuch der. cipiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 457 


nd einer Erfahrung, die wenigftens fchon fo alt iſt, daß 
man fihh ein Urtheil erlauben darf, niche fähig feyen, grund⸗ 
lichre und beruͤhmtere Juriſten hervorzubringen, als die niche 
ſyſtematiſchen, Die, uns die größten Civiliſten geliefert haben, 
die nah immer unerreicht geblieben find. Ueberhaupt glaube 
Ru, daB die Heutige Civilrechtsgelehrſamkeit im Gangen tief 
mie der ehemaligen Franzoͤſiſchen, in ihren fchänften Periobe, 
fiehe, und er iſt, aus zwey Hauptgruͤnden, volllommen übers 
zeugt, daß jene glänzende Periode nie wieder zuruͤcktehren 
werde. Einmal iſt in diefer das Wichtigſte fchon entdeckt 
worden, und weil die wichtigen Wahrheiten nicht in das Uns 
endlihe gehen, fo mällen die Nachkommenden Hinter den 
Borhergehenden nothwendig weit zuruͤckbleiben. Gobdann muß 
gerade die Leichtigkeit der Erſtern, fih der Entdeckungen der 
Letztern zu bedienen, fie nachzuahmen, und von ihnen zu ents 
lehnen, ein Hauptgrund feyn, warum bie Spätern, in ihren 
Berten, unter den Zrühern bleiben. . Diefe Bemerkung iſt 
von großer Wichtigkeit, um von dem Vorzuge Rechenfchafe 
zu geben, den wir fo.oft dem einen vor dem andern Schrift 
ſteller beyzulegen ſchuldig find, und die überdies noch die aufe 
fallende Erſcheinung erklärt, warum gerade Diejenigen, welche 
mehrere und größere Vortheile, etwas zu lernen und ſich auss 
zuzeichnen, zu befigen fcheinen, und auch in der That befißen, 
gewöhnlich mit weniger Nutzen lernen, und bey weitem nicht 
10 berühmt werden. Denn der glüdliche Erfolg iſt immer der 
Sröße der uͤberwundenen Schwierigkeiten angemeffen. 

Reck. bricht Hier den Faden diefer vielleicht zu lang auss 
gefponnenen Critik mit Gewalt ab. Hochachtung für die. 
Talente und Kenntniffe des Verf., die er mit tief empfundener 
Wahrheit, und mit guter und großer Ueberzeugung, weit 
über feine eigenen, viel geringeren, ſetzt, Liebe für die Willens 
ſchaft felbft, und, um ganz offendergig zu. fepn, auch ein 
wenig eigenes JIntereſſe fonnten ihn allein zu einem fo weits 
läufigen Discurfe verleiten. Einem Schriftfteller, für deſſen 
Verdienfte er weniger Hochachtung hätte,, würde er nie fo 
viele Seiten gewidmet haben. Die Liebe für die Wiſſenſchaft 
beſtimmte ihn, Maͤngel und Gebrechen zu ruͤgen, wodurch 
dieſe ſelbſt, wenigſtens nach ſeinem Glauben, verunſtaltet 


458 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Huge. 


wird ; und fein eigenes Intereſſe befteht darin, weil er nichts 
fo ſehr wuͤnſcht, iald die den Sachen nad hoͤchſt fhäßbaren 
Schriften des Verf. frey von jenen Mängeln leſen zu können. 
Diefe Mängel betreffen den Vortrag, die Gchreibart , die 
Form , den Ton und die Manier, Dinge, die der Verf. aͤn⸗ 
bern kann, fobald er nur will, und wobey nicht Rec. allein, 
fondern alle Derehrer der gelehrten Eigenfchaften des Verf. 
eine größere Regelmaͤßigkeit ſehnlich wuͤnſchen. ec. tritt alfo, 
dur Ruͤgung diefer Mängel, nicht einmal den wahren Ders 
Dienften des Verf. zu nahe, weil jene nur auf die Form und 
nicht auf die Sache fih beziehen, und weil es nur von dem 
Willen des Verf. abhängt, jene nach Belichen abguändern. 
Thut er diefes nicht, fo ift Rec. lebhaft uͤberzeugt, daß er für 
den größten Theil feiner Lefer unverftändlih bleiben, daß er 
fie ohne Noth um viele Zeit bringen, daß er fie mißmuthig 
und verdrießlih machen, und. für feinen eigenen Ruhm bey 
der unparthenifchen Nachwelt am wenigften forgen wird. Er 
fchließe mit folgender vortrefflihen Stelle des eben fo vortrefßs 
dD’Alembert: „L’obscurit@ est le plus grand vice de 
J’elocution, soit qu’elle vienne du mauvais arrangement 
des mots, soit quelle vienne d’une trop grande brievete. 
Comme on n’eerit que pour se faire entendre, la pre- 
mière chose, & la quelle on doit songer, c’est d’etre 
clair. Il faut, dit Quintilien, non seulement qu'on 
puisse nous entendre, mais encore qu’on ne puisse pas 
ne pas nous entendre. La lumitre dans un écrit doit 
&tre comme celle du soleil dans Junivers, laquelle ne 
demande point d’attention pour &tre vue.“ 





Lehrbuch -der gerichtlichen Medicin. Zum Behuf academi- 
scher Vorlesungen und zum Gebrauch für gerichtl. Aerzte 
und Rechtsgelehrte entworfen von Adolph Henke, der 
Arzneikunde und Wundarzneikunst Doctor , Professor der 
Medicin an der königl. bairıschen Universität zu Erlangen, 
der physikalisch ınedicinischen Societät daselbst zeitigen 
Secretair, und einiger gelehrten Gesellschaften in Teutsch- 
land, Rufsland und der Schweiz Mitgliede. Berlin 1912, 
Bei Julius Eduard Hitzig. X und 358 S. in &. - 


Lehrb. d. gerichtl. Arzneywiſſenſch. v Henfe n. Widberg. 159 


Handbuch der gerichtlichen Arzneiwissenschaft zur Grundlage 
bei academischen Vorlesungen und zum Gebrauche für 
ausübende gerichtliche Aerzte von Dr. C. F. L. Wild- 
berg, herzogl. mecklenb. strel. Hofrathe, Stadt - und 
Districtsphysicus und practischem Arzte zu Neu-Strelitz, 
und mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede, Berlin 
bei W. Dieterici 1812. VII und 429 $. in 8. 

Die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft tehre uns, wie wir die 
ans Beobachtung und Erfahrung hergeleiteten Grundfäge der 
Naturwiffenfchaft und der Heikunde zur Aufhellung und Ents 
fheidung zweifelhafter Rechtsfragen anwenden follen, und iſt 
in diefee Hinſicht keine in ſich ſelbſt gefchloffene Wiſſenſchaft, 
fondern ihre Beichaffenheit hängt von dem jedesmaligen Zus 
ftande der ihr zum runde liegenden Wifenfchaften ab, und 
fie wird daher in eben dem Grade vollfommener, als jene 
beyden Wiſſenſchaften ſelbſt an Vollkommenheit gewinnen. 
Diefe beyderley Wiſſenſchaften aber gründen fi bloß auf Er⸗ 
fahrung Jund Beobachtung, und gewinnen von dieſer Seite 
ihre fchäßbarften Bereicherungen, welche die fogenannten Ber 
reicherungen, Vermehrungen und Vollendungen derfelben auf 
dem Wege der Speculation weit Hinter fi zuruͤcklaſſen; und 
in diefer Hinſicht iſt es namentlich für gerichtliche Arzney⸗ 
wifienfchaft, weiche dem Leine fpecmlative Wagefäße und Phra⸗ 
fen, fondern lauter pofltive Srundfäge fuchenden Richter bey 
Entſcheidung gewiſſer Nechtsfälle an die Hand gehen foll, ein 
ſehr erwünfchter Vortheil, wenn Naturwiſſenſchaft und KHeils 
kunde auf dem Wege der Empirie an Vollkommenheit gewins 
nen. Diefes gilt aber namentlid) von unfrem Zeitalter, wo, 
abgefehen von den mancherley ephemeren Syſtemen und for 
genannten Philofophieen, die wie ein berrfchender Genius 
epidemicus auf die wifjenfhaftlichen Arbeiten mander Naturs 
forfchee und Aerzte einen unverfennbaren Einfluß aͤußern, 
demungeachtet der Männer nicht wenige find, die, dem Eins 
fluffe jenes Genius epidemicus durch die Feſtigkeit ihres 
Charakters widerſtehend, auf dem zwar. fhweren, aber fegens 
vollen Wege der Erfahrung und Beobachtung der Summe 
unferer Kenntniſſe im Face der Naturwiffenichaft und Heilkunde 
täglich nene Wahrheiten hinzufügen. Durch die wohlthaͤtigen 
Bemühungen diefer verdienftvollen Männer gewann jeit einem 


5 


160 Lehrb. d. gerichtl. Arzneywiſſenſch. v. Denke u. Wildberg- 


—— ſowohl Naturkunde, als auch Medicin fo manche 
ereicherung ihrer Wahrheiten, und eine reichhaltige Quelle 
von Bereicherungen und Berichtigungen aͤlterer Grundſaͤtze 
oͤffnete ſich hierdurch auch fuͤr die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft; 
manche ihrer Lehrſaͤtze erhielten hierdurch eine neue Berichts 
gung, manche eine größere Feftigkeit, manche, nunmehr als 
trrige erfannt, wurden mit beſſern richtigern vertauſcht. | 
Diefe Berticherung, Berichtigung und Verbeſſerung unfer 
rer gerichtlichen Argneywiffenichaft brachte nun auch das Beduͤrf⸗ 
niß neuer Lehrbücher hervor, nachdem die feirher gebräuchlichen 
Lehrbücher derfelben der fih immer mehr ausbildenden Wiſſen⸗ 
fhaft nicht mehr gang anpaffend waren, und Deferent freut 
fih in dieſer Hinſicht Hier zwey neue Lehrbücher der gerichtlis 
hen Arzuenwilfenfhaft nennen zu dürfen, melde, von deR 
‚Händen. zweyer fehr verdienftvollen Deutihen Aerzte uns ge 
ſchenkt, in der Litteratur der in Deutſchland gedornen hund 
ausgebildeten Wiffenfchaft einen ehrenvollen Plaß einnehmen. 
ende Werke find als vollftändige Lehrbücher der gericht 
lichen Arzueywiſſenſchaft wegen’ der Ausführlichkeie ‚und Reichs 
haltigkeit, womit die darin vorfommenden Gegenftände abge 
Handelt find, keines kurzen Auszugs fähig, weswegen Neferent 
ſich genoͤthigt fieht, nur einige allgemeine Bemerkungen über 
dieselben bier mitzutheilen. 
In beyden Werfen. find die neneflen Entdedungen und 
Erfahrungen im Face der Naturmiffenfhaft und Heilkunde 
mit großem Fleiße benutzt, die eingelnen Gegenſtaͤnde der 
gerichtlichen Arzneywiſſenſchaft gehörig deutlich und zweckmäßig 
von einander unterfchieden, die mancherley Wege zur Entfcheis 
dung und Aufhellung dee dem gerichtlichen Arzte vortommenden 
Fragen genau und fehrreih angegeben, die einzelnen Fälle, 
deren Erdrterung Segenftand der gerichtlihen Arzneywiſſen⸗ 
(Haft ik und werden kann, ausfuͤhrlich auseinandergefeßt, 
und die Behandlung derſelben ift mit hinreichender Deutlich 
Leit angezeigt und mit der reichhaltigften Litteratur belegt. 
Veberdies findet auch der Anfänger in beyden Merken nidt 
nur eine zwar kurze, doch Iehrreiche Darftellung der gefchichts 
fihen Momente diefer Wiffenfchaft, fondern zugleich eine hoͤchſt 
faßliche Einleitung, und man möchte fagen Einführung in dies 
ſelbe als einen Theil der gefammten Staatsarzneywiſſenſchaft. 
Heferent glaube in diefen kurgen Bemerkungen die Ders 
dienfte zweyer Werke hinreichend ausgefprochen zu haben, deren 
erfterem überdies noch eine gewiſſe Eleganz des Vortrags, Ich 
terem ein ausführliches Sachregifter eigen if. 





B; 





No. 11. Heidelbersifäde 4843. 
Jahr buͤcher der Litteratur. 





N ke # Y 

Nidiniide Heid enlisder, Balladen und Märdpen äberfegt von Wil⸗ 

beim Carl &rimm. Heidelberg, -bey Mohr und Binimer, 
u. XL u. 545 © m8 (5 fi.) 


W. dem Entdecker einer wuͤſten Inſel, der durch einen 
Sciffbruch auf fie verfhlagen, viele Jahre auf ihr allein zu 
leben ſich gendthige ſieht, und nachdem er durch Schickſal oder 
Zufall sinige Zeit von ihr entfernt, . neugierig endlich mieder 
in die liebgewonanene Heimath zuruͤckkehrt, und jetzt ploͤtzlich 
hier eine Hütte, oder ein Haus, dort einen ſchimmernden 
Palaſt aufgeführt fieht, freudig erflaunt, dies kleine, fo lange 
Bde gebliebene Land fo ſchnell bevoͤlkert, und auch von andern 
geihägt und angebaut zu fehn, fo angenehm. und froh war 
die Werwunderung des Rec., als er durch vorliegendes Werk 
und die mannigfaltigen neueſten Notizen, welche dafielbe enthält 
kehrt wurde, wie das Fach der Nordiſchen Litteratur von mehreren, 
befonders von dem Berf. des gegenwärtigen Werks, mit einen 
fo ſchoͤnen Enthufasmus ergriffen, und miggeinem, mach der 
Kürge der Zeit berechnet, kaum glaubliche leiße angebaut 
werde. Wie die Nachſchrift beurfundet, fo find wir gu der 
zuverſichtlichſten Hoffnung berechtigt, in: Kurzem. fogar die 
Hauptwerke diefer Litteratur, namentlich die Edda und ſaͤmmt⸗ 
lie Sagen nebft allen darin enthaltenen Liedern der Vor⸗ 
zeit ( Werke, woran -fo. manche tiefgelehrte Kenner des Nor⸗ 
dens manches Jahrzehend gearbeitet, und erſt einen Bleinen 
Theil trotz koſtſpieliger Aufopferungen und Ermunterungen 
verfiorbener und lebender Maͤcens, eines A. Magnäus und 
Suhm, zu Tage-gefdrdert haben) halbjährig paar und paar⸗ 
weife (wie fonder Mühe und Koften) vorgeführt zu fehn. _ 
Auch muß Rec. aufrichtig bekennen, daß die Freude, einen 





| Wunſch, das alte Kiempe⸗-Viſebog hier nicht nur vollſtaͤndig 


| ondern fogar mit philofogifher Kritik behandelt, 
} Werſetzt, ſ — 





— 


162, - Midänifehe Heidenlleder von W. C. Grimm. 


mit eher Einfeitungen und Erklärungen verfehen, und 
bald. zu. der Einen Sage den Schluͤſſel, bald den Widerſpruch 
einer andetn: geheben; bald Dunkelheiten der Geſchichte durch 
die Sage entraͤthſelt, und im Ganzen einen ſo reichen Zuwachs 
don poetiſchem Stoffe uns angeeignet zu ſehen, in dem er— 
fien Augenblick die Pflihe der Eritifhen Prüfung unterdrückte, 
fa wie ſie auch ſchon dur) die a des ganzen Buches 
einigermaßen erſchwert war. 

Indeſſen hat bey fälterer Anfi cht dieſer Bearbeitung und bey 

fluͤchtiger Vergleichung der Originale ſich bald gezeigt, daß der 
Kritik gleihwohl noch mandes, und zum Theil fehr ernftliches 
a“ erinnern übrig bleibt. 
- Wir haben daher die Anordnung und ueberſetung der 
| Kfempevtiſer ſelbſt, die Anſicht des Verf. in ſeiner Vorrede, 
und den Werth: feines Commentars ‘Aber einzelne Stuͤcke am 
Schluſſe des: Werkes einer AmfELNDNMJEN Pruͤfung unterworfen, 
— KHefultat folgendes iſt. 

Da ein Myerup, der fih Thon vor 27 Sjahren in feir 
nen Folfehange, die als zweytes Heft der Levninger 
af Middel s Alderens Digtelunft zu Kopenhagen. 
(1784. 8:) herauskamen, , als kritifch s Titterarifhen Kenner der 
Daniſchen Volkslieder beurkundet har, in Verbindung mie 
einem Abrahamfon, dem Veteran der Dänifchen Aeſthetiker, 
Sprachkenner ung Alterthumsfreunde, deffen erfteren trefftiche 
Anficht feiner varerländifchen Volkslieder längft aus feinen 
äffherifch s Pritifchen Bemerkungen über das Lied vom ſchö⸗ 
nen Midel in Öräters Bragur, 5. Band (Leipzig. 
bey Gräff, 1794.), ©. 2ga u. f w. uns Deutfchen befanne 
geworden iſt, und einem Rahbek, der in feinen früheren 
Jahren Bereits unter den Dichtern des Naterlands genannt 
wurde, und durch feine Poetiſte Forfog ( Kiöbenhavn, 1794. 
8.) fih als Iyrifchen, und vorzüglich als Liederdichter ausges 
Iprochen, und fowohl in feinen Danſke Tilhkuer, ats in dem 
gemeinihaftlih mit Nryerup herausgegebenen Bidrag til den 
Danfte Digtekunfts Hiſtorie, udedragne af Foreläsninger , 
hoidne over dette Aomne, i Vintren 1798 — ıBoo. ved Pros 
feſſorerne Nyerup og Rahbek, (Beytrag zur Geſchichte Der 

Daniſchen Dichttunſt, als — aus den, Über dieſen Gegen⸗ 


Abänifche Heldenlicher von W. C. Grinm. 163 


Rand in den Wintern 1798. bis 1800. ‚von den Profefforen 
Nyerup und Rahbek ‚gehaltenen Vorleſungen) Kisbenhavn 
(Copenhagen ) 1800. u. f, ſich als einen für alle Zweige der 
frühen und ſpaͤtern Dichtkunſt mit hohem Eifer hingegebenen 
Litterator ausgewiejen hat — eine kritiſche Ausanbe dieſer 
Kiempe Bifen oder vielmehr Dante Vifer der gelehrten Welt 
verſprechen; fo ift es kaum begreiflich, mie Hr. Sr. eine folche liete⸗ 
täriich. und aͤſthetiſch-Ekritiſche Ausgabe der alten Daͤniſchen Volkes 
lieder nicht lieber abwarten wollte (zumal da das Nonum prema- 
tu m annum wohl bey feiner poetifchen Arbeit nöthiger 
fheint, als bey einer folden), und uns feine teberfegung 
aus einer fo unkritiſchen, wie diefe unftreitig iſt, zu geben 
vorzog. Wir wennen hier Hrn. Nyerup zuerſt, welcher niche 
vießeicht Cwie in dieſen Jahrbuͤchern, 4. Jahrgang 4. Heft. 
April, S. 369 gejagt ift), fondern gang gewiß und ſchon 
feit langer Zeit zu einer Ausgabe fi vorbereitet, indem aus 
Sräters Bragur 5. Band ©. 311 durch Herrn Peofeffor 
Rahbeks Nachricht ſolches bereits ſeit 17 Jahren außer Zweis 
fel iſt; außerdem hat Here Prof, Nyernp, VDibliothekar der 
koͤniglichen, und früher der Suhmiſchen Bibliothek, dem daher. 
ein Reichthum von Materialien feit vielen Jahren zu Gebote 

; fland, die Wahrheit diefes Verſorechens bereits duch eine 
merkwürdige Probe (ſ. unfere Jahrb. 1811. Mr..24.) bes . 
| gründe So willig wir aud) zugeftehen, was Kerr Srimm 
©. 42.9— 451 behauptet, daß der Etatsrath Sram in einem 

| autographum der fönigl. Bibliothek, welches Hr. Nyerup 
‚t ſchon in feiner Vorrede zu den obgedachten Levninger anges 
si führe, und nur Kr. Grimm vollftändig mitgetheilt hatte, zu 
| hart urtheilt, wenn er die Kiempe Viſer unter dem Titel: 
#| „diefer ganze Kram von Altenweiberzeng * abfertigt, und 
+) Thomas Bartholin fie ‚geradezu „putidissimas et triviales 
Mr cantilenas nennt, omni prorsus Juce indignas, cum ne in- 
] star quidem antiquitatis prae se ferant, ad colos (duch 
einen Druchfehter fteht bey Hrn. Grimm color) aniles heri 

" aut nudius teztius infelici vera compositae; — ſo hat doch, 
was den Prisiichen Werth diefer Syv. Wedelſchen Ausgabe der 
Kiempe Viſer betrifft, feldft ein Nyerup, den Hr. Grimm 


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164 nadannche Heldenlieder von W. C. Srimm. 


gewiß nice den Ken. Gram nnd Bartholin gleich ſtellt, im 
ſeiner Vorrede zu den Lerninger udgivet af det Kongelige 
Biblisyhett Haandſtriſter, Andet Hefte, (S. 8 von Anfang 
der Vorrede an gezaͤhtt) folgendermaßen geurrheilt: „Nimmt 
dan PDusiiiaem. dieſe beyden Heinen Proben mit Beyfall auf, 
fo wird:fich. vielleicht ein Sandwig oder Wandal dadurch zu. 
einer. neuen vermehrten kritiſchen Ausgabe des ganzen Kämpfers 
liederbuchs bewsgen laflen, da es nicht gerade unferer Litteratur 
zu befondesen Eheo gereicht, daß diefe Monumente des Mittels 
atters bloß im. diefer erbärmlichen,, unanfehnlichen, von Druck 
fehlen angefällten, und ohne wahre Kritik veranftalteten 
Ancgaben, mie diejenigen find, Die wir haben, zu lefin find, 
von Anders Sorenſen Wedels Ausgabe an, bis zu der neues 
ſten, van Nicolaus Ehriftian Hopffnern 1764. gedruckten * — 
Auch Sum urtheilt nicht glimpflicher Aber dieſe zuſammen— 
geraffte Sammlung Daniſcher Volklieder (ſ. deffen gefammelte 
Schein, O. 76, wo er fagt: „nah dem Inhalt der 
Niſtunga Gaga find unſre meiften Kjempeviſer gefchmieder, 
doch mit dem Unterſchied, daß Sstalienifche und Deutſche Bes 
gebenheiten darin fo vorgeſtellt werden, als ob fie in unferm 
Morden geſchehen wären. Jeder verfländige Lefer kann daraus 
ride abmorfen, wie wenig diefe Kiempevifer in unfrer Ges 
fchichte Huͤlſe leifen, und wie fchlimm es ift, daß fo brave 
Muͤnner, wie Wedel und Syo. ‚fo viele Zeit und Mahe auf 
fie verwondet haben.“ 


Eben fo ſchlimm, wenn nad ein Paar Jahren eine kri⸗ 
tiſche Ausgabe der Kjempeviiſer wird erſchienen ſeyn *), fagt 
man vielleicht, war es, daß Kr. Grimm auf die alte unkriti⸗ 
fire fo viele Zeit und Mühe verwendet hat. 


Unftreitig aber verdient eine ſolche Uebertragung auch fe 
den Dank des Deutfihen Publitums, und wir find keineswegs. 
gefonnen, Hrn. Grimm deswegen zu nahe zu treien. 

Es fragt ſich jetzt nur, wie Br. Grimm diefes Unterneh⸗ 
men ausgeführt hat. Unſers CErachtens gibt es FEN 





*) So eben leſen wir in Idunna und Hermode, daß dies bereits 
geſchehen ift. 


Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Brimm. 165 


drpeien Arsen U eberſetzungen, Eine, die bloß das Wort wieder 
gibt, damit, wenn fie zur Seite flieht, man recht genau mer⸗ 
fen kann, cujus generis, numeri, casus u. fi w. ddEr cujus 
modi, temporis, personae es im Driginal ift, kurz, mad 
Art der Schhier s Erercitien in der fireugen Syntaxi conve- 
nientiae. Eine andere, die fich micht fowohl nach diefer gram⸗ 
matiſchen Driginalität, ale nah dem Sinne richtet, umd eine 
dritte, der es bloß um den Geift zu thun ifl. Die zweyte 
nämlih will uns nicht in den einzelnen Worten der Sprache 
mterrichten , fondern in-den Gedanken, und die deitte nicht 
in der Form fedes einzelnen Gedanken, fondern in der its 
kung des Ganzen, die fie anf gleiche oder doch auf aͤhnliche 
Weiſe hervorzubringen firebt. 

Hrn. Grimms Ueberſetzungen gehören weder in bie erſte, 
noch in die dritte Claſſe, fondern in die zweyte, doch fireifen 
le nicht felten an der erftern, nie aber an der dritten. 

Tadeln if keine Kunft, wendet jeder Schriftfteller, jeder 
Känftler ein, mad) du's beſſer. — Diefe Einmendung gilt 
von jedem erften Verſuche, und wir flreiten daher mit keiner 
diefer Arten, wir nedmen fie vielmehr alle, «Ben als seite Vers. 
fahe und Vorarbeiten mit gebährendem Danke am Allein 8 
gibt unter der Anzahl diefer von Hrn. Grium aͤberſetzten 
Lieder doch einige, die fhon von Deutſchen Schrifteſtellern 
Abertragen waren, und eine Vergleichung mit Ddiefeg feinen 
NWorarbeiten muß den Ausſchlag geben, ob fih Hr. Grimm 
beſtrebt hat, und ob es ihm gegluͤckt ift, es beffer zu machen 
oder nicht. wer 

Ein berühmteres Lied unter diefen Daͤniſchen Volksgeſaͤn⸗ 
gen gibt es unter uns nicht, als die Jungfraun auf Elvershoh. 
Eeſt Hat ung Serfienderg, dann Herder, dann Haug bamit 
Befannt gemacht. 

Dan höre alſo: 

Gerſtenberg. | 
S. Briefe über die Merfwlirdigkeiten der Kitteratur 1. Sammlung, 
©. 110) 


Ha legte mein Haupt auf Elvers Höhe ; meine Augenlieder 
fanten: Da famen zwo Jungfern, ſich mit mir zu unterreden. 


166 Altdaͤniſche Heldenlicder von W. C. Grimm. 


Die Eine fireichelte meine weißen Baden, die Andere lifpelte 
mir ins Ohr: Steh’ auf, munterer Jüngling, und erbebe den Tanz! 

Steh’ auf, muntrer Yüngling, uud erbede den Zanz: Meine 
Zungfrauen ſollen die ſchönſten Kieder dir fingen. 

Die eine, fo reizend über alle ihres Geſchlechts, hub ein Lied 
an, der braufende Strom hielt inne, und floß nicht mehr, die kleinen 
Fiſchchen, die in der Fluth ſchwammen, ſpielten mit ihren Verfol⸗ 

ern. 
* Alle kleine Fiſchchen der Fluth ſpielten und hüpften; alle kleine 
Vögel des Waldes zwitſcherten durch die Thäler. 

Höre, du munterer Süngling, will du bey ung verweilen, fe 
wollen wir dich die Runen und Charakteren lehren. 

Ich will dich den Wären binden Ichren, und der Drache der 
ſich auf Golde lagert, ſoll vor dir weichen. 

Ste tanzten bin, fie tanzten her auf der Höhe: aber ber FJüng⸗ 
ling ſaß, und fügte ich auf feinem Schwerte. 

Höre, munterer Süngling, wenn du uns nicht antworte, fo 
ze wir die mit Schwert und Meſſer das Herz aus dem Leibe 
reißen. 

Da krähte der Hahn! zu meinem Glücke! Ich wäre ſan nie 
von Elvers⸗Höhe gekommen. 

Jedem iungen Dänen, ber nach Hofe zieht, will ich au 
niemals auf Elvers Höhe zu fchlummern. 

So überfegte Gerſtenberg fchon 1766, mithin vor 49 
Jahren, und man muß geftehen, unerachtet die Ueberſetzung 
in Profa abgefaßt ift, und dem Ohre durch feine profodifche 
Kunſt fchmeichelt, daß der Iprifhe Schwung, der im Originale 
lebt, und das zauberhafte Colorit keineswegs dem Verf. ent 
gangen ift. 

Zwölf Jahre darauf in des trefflihen Herders Volkslie 
bern, Leingig ı77d., die mit Recht Stimmen der Voͤlker 
heißen, erfhien (1. Th. &. 152) eine neue Webertragung 
dieſes Volkslieds, Herzlih und ſchoͤn, aber auch holzſchnitte 
mäßig, wie man es von Herdern gewohnt if. Sie lautet 
alfo : 


Attdänifche Heldenlieder von W. ©. Grinm. 467 


Elvershoͤh. 
‚ein Zauberlied. 
Daäniſch. 


Sich legte mein Haupt auf Elvershöb/ 
Mein’ Augen begannen zu finfen, 

Da kamen gegangen zwo Zungfrau'n fchdn, 
Die tbäten mir lieblich winken. 


Die Eine, fie Hrich mein weißes Kinn, 
Die zweyte Kifpelt ins Obr mir: 
Steh auf , du muntrer Büngling! auf! 
Erbeb’, erbebe den Tanz bier! 
Steh auf, du muntrer Büngling, auf! 
Erheh', erhebe den Zanz hier! 
Meine Jungfrau'n fol’n dir Lieder fingen, 
- Die fchönften Xieder zu hören. 
Die Eine begann zu fingen ein Lied, 
Die Schönfte aller Schönen; 
Der braufende Strom , er Hoß nicht mehr, 
And borcht den füßen Tönen. 
Der braufende Strom, er floß nicht mehr, 
. Stand fill und horchte fühlend, 
Die Zifchlein ſchwammen in heller Sluth, 
Mit ihren Seinden fvielend. 
Die Fiſchlein al’ in heller Fluth, 
Sie fcherzten auf und nieder, 
Die Böglein al’ im grünen Wald, 
Sie hüpften , zirpten Lieder. 
„Hör an, du muntrer Süngling, bör an, 
Willt din bier bey ung bleiben ? 
Mir wollen dich Ichren das Runenbuch , 
Und Zaubereyen fehreiben. 
Ich will dich lehren, den wilden Bär 
Bu binden mit Wort und Beiden; 
Der Drache, der ruht auf rothem Gold, 
Son ſchnell die flieh'n und weichen.“ 
Gie tanzten bin, fie tansten ber; 
Bu bublen ihr Herz begebtt , 
Der muntre Züngling, er fab da, 
Geſtützet auf fein Schwer, 





4168 Altdaͤniſche Heldenficher von WB. C. Grimm. 


„Hör an, du muntrer Süngling, bör an: 
Wit du nicht mit uns fprechen,, 

So reißen wir die, mit Mefier und Schwert, 
Das Herz aus, ung zu rächen.“ 

Und da, mein gutes, gutes Släck! 
Der Hahn fing an zu kräh'n. 

Sch wär fonft blichen auf Elvershöß,- 
Bey Elvers Zungfrau'n ſchön. 

Drum vath ich ichem Süngling , 
Der zieht nach) Hofe fein, 

Er fee fich nicht auf Elvers Höh, 
Allda zu ſchlummern cin. 


So Herder! Uebrigens bemerkt er in dem Inhaltsver⸗ 
zeichniß, daß der Zauber des Originals unüberfeßbar fey. Es 
mag, aber daß wenigftens ein ähnlicher Zauber hervorgebracht 
werden kann, ſcheint uns Haug in feiner trefflichen Bearbei⸗ 
fung defielben Liedes (f. Epigrammen und vermifchte Gedichte, 
2.58. Berlin 1805. S. 393) bewielen zu haben, das zus 
gleich unter den Meiſterſtuͤckken der Iprifchen Dichtkunſt nicht 
Überfehen zu werden verdient: > 


Elverspäp. 
Nach dem Dänifchen. 


Mich wollte füßer Schlaf 
Auf Elversböh umfangen. 

Da kamen lieblich und zart, 

Zwey Mädchen, nach Feenart 
Mebr ſchwebend als gegangen. 

Die Eine ſchmückte mic 

Mit ihrem Myrtenkranze. 

Die zweyte lispelte traut 

Mit herzbeſchleichendem Laut: | 
„Mein Züngling! Auf zum Zange!" 

Die Eine fpielte ‚mir 

Mit fanfter Hand am Kinne, 

Die zweyte faßte mich frey, 

„Wohlauf, mein Tänzer! Herbey!“ 

Und fang ein Lied der Minne. 


[4 


Altdaͤniſche Heldenlicder von W. C. Grimm, 4169 


Mit allen Sternen fehlen f 
Der blaſſe Mond zu laufchen. 
Kamm baute die Nachtigall; 

Der Strom bielt mitten im Fall, 
Der Sturm vergaß zu raufchen. 


O Wonnemelodie! 

Mit ihren Feinden ſpielten 

Die Fiſche ſo wohlgemuth 

In monddurchſchimmerter Fluth, 
Und Felſen, Bäume fühlten. 


Gelobe, muntrer Kant ! 

Uns Zungfrau'n dich zu weißen, 
Hör unfern Gegenverſpruch: 
Dann lernfi du das Nunenbuch 
Und alle Zaubereyen. 


Du follfi den wilden Ur 

An feid’nem Kädchen lenken, 
Sollſt Drachenbesäbmer feyn, 
Und Gold und Edelgchein, 
Worauf fie ruh'n,  verfchenfen. 


Sie huben lockend an 

Im Tanze ſich zu drehen. 

Khr Blick und Weſen verklärt! 
Gelehnt auf’s ruhige Schwert , 
Kalt, ſchweigend blieb ich fliehen. 


Komm , ſchöner Küngling , komm! 
Du zogerſt? — Wirk du ſprechen? 

Verachte nicht unfer Gebot , ö 
Son muß dein plößlicher Tod 

Uns, die Verſchmaͤhten / rächen. 

Sie baten, zürnten, ſchrie'n — 

Zwey Dolche blinkten — Wehe! 

Gottlob! da krähte der Hahn. 

Sonſt war's um mein Leben gethan — 

O meidet Elvers Höhe! 


Welchen von dieſen drey Vorgaͤngern nun Hr. Semm 
übertroffen habe, muß die Vergleichung mit feiner eigenen 
Uederfegung zeigen. Hier iſt fie: 





172 Altdaͤniſche Helbenkieder von W. €. Grimm. 


sder der Nacht ihm zugehört, und felbſt im ferner Ingend 
manches herzliche Lied ans inniger Seele mit gejungen hat, 
konnte fi bey diefer ga; a priori gefaßten, aber eben darum 
aud (ehr verunglädten Kımflregiung nicht enthalten, zu tür 
den! — So geht es dem Gelehrten am Pulte! 

Man hoͤre Hrn. Gr. (J. c.): „Es findet ſich naͤmlich 
in den Daͤniſchen Liedern nur ein zweyfacher Hauptrhythmus. 
Erſtlich die Strophe, die aus zwey langen Zeilen beſteht, die 
reimen, und wovon jede ſieben bis zehn Hauptaccente bat, in 
der Mitte aber einen Abſchuitt. Der Rhythmus ift ganz les 
zufammengehatten ( was foll das heißen?), und bewest fi 
in der größten Srepheit ꝛc. Späterhin wird fih dies Splben⸗ 
maaß immer feſter gefegt haben, wie es am ausgebildets 
fen (1!) erfcheine in der Elſenhoͤh 2c. * 

Zweytens die Strophe, die aus zwey kurzen Zeilen von 
vier bis ſechs Accenten befteht, die Leinen Abſchnitt haben, 
reimen , männlich oder weiblich, und in mannigfachem dactili⸗ 
fchen, trochkifchen and jambifchen Rhythmus abwechfeln.“ 

Das Wahre an der Sache iſt, die Strophen der zweyten 
Gattung find wirkliche Diſticha, 3. B. in dem Lied von ded 
Königs Tochter in England (man fehe Kiempevtifer, (S. 490): 

6. 
Og med | til bus I vet hungan | ger ben | 
Der föd | de hun | en fün | faa ven. | 
T. 
Sun tog | det barn, | fwöbte dee | i lün | 
Og lag | de de det li forgnl I dte ffrün. | 
8. 
Hun lag | de derhos | viet falt | og lius, 
For det hau | de ey vä | rer i | Guds Huns. | 
Und wie man fieht, ohne im mindeſten neue Runflausdrüde 
für Ihr Metrum erfinden zu därfen, es find nichts anders als vier⸗ 
füßige Jamben, mit denen Anapäftie und Spondaͤen, ja wohl 
zumeilen auf ein Paeon quartus (vuvw—), abwecfeln, 
wobey es denn anf ein oder ein Paar kurzgebrauchter Längen 
dem, um die Regeln der Kunft, wie überall, nicht ſehr ver 
legenen Volke eben nicht ankommt. 3. B. in eben dieſem Liede: 


Atäniiche Heldenlieder. von W. C. Grimm 473 
AG. Der Md1de fa as forive tiv ml gers dag 
vvu-l|uyo -—- vo 
5. Ct. Den Böm | frw tager o | ver fig aa | ben Blan, 
Dies if das ganze Geheimniß von den vier bis fechs Accen⸗ 
kn, wovon Kr. Gr. fpriht, und was eigentlih nicht an dem 
fl; denn unter den Accenten verſteht er nicht, wie etwa 
Klopſtock, den Nedeton, fondern jede lange, zwiſchen den kurs 
jen fih Heraushebende Sylbe. Allein Hr. Er. muß dergleichen 
Lieder nte von dem Wolke haben fingen hören; denn die vierte 
md fünfte Otrophe haben um deswillen, daß fie an Sylben 
uͤberfließen, darum nicht einen einzigen Vocalton der Melodie 
Weiter, und Hr. Er. ſtellt fi e8 gewiß ganz irrig vor, wenn 
er glaube, daß die erſte Zeile der vierten Str. flatt aus vier, 


aus fünf oder ‚gar ſechs Accenten ( welches wie andern Süße 
heißen) beſtehe, und ſo muͤſſe geleſen werden: 


Det id | de fa} at for | ee tip I4 m gie dag. 


Eben fo ift es mit den Liedern ber erften Gattung. Sie 
find wirkliche Tetrafticha , nur daß der erfle und dritte Vers 
des Reims entbehren können. Sehr viele diefer Fieder aber 


teimen auch den erften und dritten Vers, wie z. B. S. 483: 


De legte guldtavel ved breden bor d (ausgefprochen bor) 
3 glaede og Infi med alde, 
De fruer Ivende med aere flor, 
Saa underlig Inegen mon falde. 
Manchmal reimen ſogar die zwey erſten und zwey lebten Verſe 
mit einander, wie z. B. in dem eu von der Königin Berns 
gerd ©. 214: 
6. Hypor ſtkul le vi] fan me | get Staal fan, 
Bi fun | de bande Kand | og Band befina: 
> Min Finere Romfru & fare i Mag, 
Dver | der vil el | lers kom | meitoer Klag. 
Wieder in andern find der erſte und dritte Vers bald gereimt, 
bald nicht gereimt, wie z. B. in IV. 27. (nach dem Original 
citirt) S. 452: 
1. Str. De Növere vilde ſtiele gan, 
Saa langt i fremmede lande (ausgeſyr. Tanne) 


4 


* 


8 


‘ 


174 Altdaͤntſche Heldenbeder von W. C. Gricam. 


Saa ſtale de bort den Konges barn, 
Den Vomfru heed Skion Anna. 


Hier reimen nur der zivepte und vierte Ders, wie auch in 
Otr. 3. 5. 6, 7. 1%, 18. 14 — a6., hingegen in 2. 4. 8. 9. 
10. 11. dann wieder 27. u. f. m. reimen alle vier wechſelnd, 
fo daß man offenbar fieht, es iſt gar keine Regel in der Sache, 
(zumal ba auch öfters der 2te und Ate Vers nur zur Noth 
reimen, wie 3. B. in dem angezonenen Liede Str. 3. fange 


und Konge. 4. flamme und haande. 6. frue und trolove u. 


ſ. w.) fondern lediglich Zufall. Das Volk befümmert ſich nur 
um die Sache und den ſchnellen Ausdrud feines Gefühlten, 
aber nit um den Reim. Es will zwar veimen, aber das 
muß fein Nachdenken Eoften; gehts nicht fogleich, fo wird auch 
geftolpert,, fo gut man kann. Dies ift überall in ‚allen Läns 
dern fo gleih, daß man es fogar für eins der ſicherſten Kri⸗ 
terien des wirklichen Volksliedes annehmen kann. Wo alles 
nady den Regeln der firengen Kritik geht, das hat gewiß 
das Volk nicht gedichtet. 

Zweytens aber hat er dieſes Stolpern felbft wirklich Abers 
trieben. Es gefällt ung an ejnem Frauenzimmer, wenn fie 
Bey einer gefühlvollen und Überdies gebildeten Sprache doch 
an ihren orthographifchen oder feinen grammatifchen Fehlern ihre 
Weiblichkeit verräth; aber wenn ein Mann den Styl und die 
Schreibart des Weibes nahahmen will, und fie beynahe in 
jedem Worte einen Fehler begehen läßt, dann ift es widerlich. 
Ehen diefe Widerlichkeit empfanden wir an Kın. Gr. Ueber 
feßungen. Sie flolpern zuviel, und wir finden dieſes feines 
wegs durdy die Dänifhen Driginale gerechtfertigt. 

In dem gegenwärtigen Liede find unter ı2 Neimen nicht 
weniger als ſieben, mithin mehr als die Hälfte nicht, und der 


achte durch ein bloßes Flickwort (fofort!) gereimt. Dies 


heiße fich die Sache leicht machen, und fo ift denn wohl bes 
greiflih, . wie man etwa in der nämlichen Jahresfriſt, in 
welcher ein anderer Dichter, der dad nonum prematur in 
annum vor Augen hat, kaum Ein Lied zu befriedigender Vols 
lendung bringt, ihrer Hundert auf einmal druckgerecht zu 
machen verfteht. Wir wollen den Beweis führen. Das Dir 
nifche fängt an: 


Ardänifche Heidenlieder von W. €. Grimm. 175 


. Yeg lagd mit Hovet til Elver Hy 
Mine Done de finge en Dvale: 
Der tom gangen des toe Fomfruer frem , 
Eom gierne vilde med mig tale. 


Aber wie Ringe Hr. Grimm ? 


Ich legte mein Haupt auf die Cifenbob meine Augen begannen 
-m ſchlafen, 

Da kamen gegangen zwey Zungfrau'n heran, die wollten Nede fo 

‚gem mit mie haben! 

Afo ſchla fen und Haben muß fih zumal tn einer fo. 
feeyen und weitichweifigen Umſchreibung des „tale“ (reden) 
dennoch reimen! Das heißt doch bey einem fo fchönen Liebe, 
wie diefes, den Lefer, von welcher Claſſe er auch ſeyd, gleich 
im Anfang abfchreden. 

So reimt in der zweyten Strophe der Däne: Dre und 
tore gut, Kr. Sr. aber flüftern und rüften ſchlecht. In der 
fünften ‘der Daͤne: rinde und finde, Hr. Gr. rinnen und 
fhwimmen. In der neunten der Däne: Ferd und Sverd, 
Hr. Gr. Zug und’ gut, ferner reden, legen, fagen, ſchlafen 
uf. w. Das fann doch unmöglich auch die lieblichſten Däs 
niihen Gedanken dem Deutſchen Ohre empfehlen. Und bie 
Veyſpiele davon find durch das ganze Buch zahllos. Man 
(lage auf, mo man will, da veime fih: herab und macht, 
zog und mogt (letzteres Wort S. 247 verſtehen wir noch uͤber⸗ 
dies gar nicht), Wald und Schlaf, ſtark und Wald, lieb 
und Schild, auf und Braut (alles auf Einer Seite!) oder 
Kiſte und wußte, Leid und neun, Geſicht und mich, Noth 
und froh, alſo! und fol! (S. 387) Arm und Karn (Kars 
ven). — Doch genug! Weiteres Zeugnifes bedarf es nicht. 

Drittens hat Hr. Gr. auh in Hinſicht des Rymu 
niht immer die 'gefällige Treue beobachtet. 

&o fingt der Däne in der fünften Strophe: 

4 2 3 4 
u—vu U — lvv—luv — | 
De lidven ſmaa Fiske i Floden fvam 

Hr. Grimm aber: _ 

1 2. 3 * 4 5. 


v-Iuv—|u —|v v-luV — , 
Mit ihren Floͤſſen fpielten die Fiſchlein Hein 


176 Alwaͤntſche Heldenfleder von W. €. Grimm. 


und macht aus 4 fünf Fuͤße, oder man müßte die zwey erſten 
als einen einzigen Buß (vuu—) annehmen, welches wieder 
zu gezwungen ift. 

Eden fo in der achten Str. u. f. w. Ja, in Marft 
Stig's erftem Lied (S. 388 Kiempertiier, & zug) hat Sr. 
Gr. beynahe ein ganz anbered Sylbennaaß, wwenisftens er 
kennt man das des Originals keineswegs darin. 

Biertens iſt auch, bey aller Abrigen genamen Kenntniß der 
Daͤniſchen Sprache, dte dem Hrn. Verf. gar nicht abzufpreden 
if, doch hie and Ba der Stumm ſonderbar verfehlte. So übers 
ſetzt er in even diefen Liede Ser. a.: . 

Den eene begundte en DBife at quaende 
San faurt.over alle Quinde. 
Und über alle Weiber ſchne 
Em Lied hört ich eine beginnen. 

da doch das Wort faurt nicht fhnell, fondern fchön heißt, 
und nichts anders als das alte fagurt ift; wie es denn Ar. Gr. 
ſelbſt Eurg zuvor, fo wie auch anderwärts richtig durch ſchoͤn 
uͤberſetzt. Wollte er bier eine Verbeſſerung anbringen 7 © 
iſt fle in der That nicht gerathen. Auch iſt in der 10. Str. 
flaıt dem hvaſſen Kniv (ſcharfen Meffer ) die Naivitaͤt mit 
dem ſcharfen Mefferlein. gewiß nicht zur rechten Zeit angebradt. 

Eben diefe Fehler, die hier an einem einzigen Liede ges 
zeigt find, herrſchen durch das ganze Buch, denn gleich Bleibt 
ih Hr. Sr. allerdings. Nur einen einzigen haben mehrere 
der andern noch, der hier nicht anzubringen war, nämlich die 
fonderbare, und wenn wir es gerade herausfagen follen, die 
nachläffige Beybehaltung des Däntfhen U in eigenen Namen. 
Denn welher Deuiſche wird Vonved anders als Fonfed aus 
fprehen? Und hierin erkenne fih doh der Däne in feinem 
Wonwed gewiß nicht mehr. So ſchreibt er Vidrich Verlands 
( Fidrich Ferlands) Sohn ſtatt Widrick Werlande, Sivard 
(Sifard) ſtatt Siward, Hvitting (Hfitting!) ſtatt Hwitting 
Danved (Danfed) ſtatt Danwed, Verner (Ferner) S. 150. 
ſtatt Werner; ſogar S. 602 Vifferlin, welches beynahe wie 
Pfifferling klingt, ſtatt Wifferlin u. ſ. w. Lauter Umſtaͤnde, die 


den Genuß dieſer Altdaͤniſchen Reliquien mit Gewalt ſtoͤren. 
(Die Fortſetzung folgg, ) 


No. 12. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


IR WE WED WILL RL WE TL LIND AUß AS 








Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Maͤrchen überfegt von Wil« 


heim Earl Grimm. 
( Sortfegung der in No. 11. abgebrochenen Recenfion, ) 


is hat Herr Grimm: in allem asg Lieder Abers 
feßt, aus welcher Menge, und der dabey nöthigen Eile 
fd allerdings alle obigen Erſcheinungen ſehr leicht begreifen 
laſſen. 

Deſſen ungeachtet find es nicht alle. Denn der erſte Theit 
der Danſke Viſer enthaͤlt 26, der zweyte 66, der dritte 19 
(nebſt zwey Zugaben), und der vierte und letzte 100, mithin 


- allem 190, wiewohl ihre Zahl auf dem Titel zu 200 an⸗ 


gegeben iſt. Es fehlen alfo in dem ‚gegenwärtigen Werke noch 
68 Lieder. Hieruͤber erfiärt fih gwar Kr. Sr. in der Vor⸗ 
rede S. XI. mit einigem Grund, aber alle diefe 68 Lieder 
fallen wohl niche in die nämliche Eategorie, und da Hr. Sr. 
durchaus nirgends poetifh, fondern bloß wörtlich oder hoͤchſtens 
fongetren uͤberſetze, mithin uns feinen postifhen Genuß bereis 
tt hat, fo wäre es wahrfcheinlih nicht Schade gewefen, wenn 
er uns in einem Werke, das do einmal mehr für den Littes 
rator als ders Lefer, der Vergnuͤgen verlangt, beflimme ift, 
auch die Abrigen zum beſten gegeben hätte. Allein auch der 
bloße Litterator und Forfcher wird ihm die Uebergehung des 
alten Biarfemäl, bey. dem ſich ohnehin duch Wiederherftellung 
des wahren alten Geiftes aus dem Studium der immer nod 
bedentenden Ueberreſte des Urlieds ein großer kritiſcher Scharfs 
finn und das ungwendeutigfie äfthesifche Gefühl Hätte erproben 
laſſen, nicht wohl vergeben. 

Zudem bat fih Hr. Gr. beynahe aller Nachweifungen auf 
das Original Aberhoben, womit wir keineswegs die neue Ciaffis 
fiiirung dieſer Lieder in Heldenlieder und Balladen tadeln, 


mit der aber die Nachweiſung gleichwohl vereinbar, und eben 
19 | 


473° altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 


deswegen, weil die Ordnung des Originals nicht beobachtet if, 
vm fp nmerläßlücher war. . . 

Aber auch Syv’s hiſtoriſche Einleitungen zu jedem Liede 
find durch den Anhang, der einen hiſtoriſchen Excurſus über 
das Ganze enthält, keineswegs erſetzt. Denn die Fabel der 
34 Heldenlieder zwar iſt vollfländig commentirt, aber von den 
Balladen und Maͤhrchen find ihrer 58 ohne Erklärung ac 
blieben. Ä | 

An den Erceurfen feldft, die allerdings einen ruͤhmlichen 
Beweis von des Hrn. Verf. großer Beleſenheit und weitgreh 
fender Forſchung ablegen, fanden wir bey ruhiger Anſicht 
hauptſoͤchlich viersriey zum Voraus zu tadeln: die undeutſche 
Sprache, die unrihtige Schreibung fEeinder , befonders (fans 
dinarifher Namen, die ſonderbaren Eitationen umd die an 
maßenden Urtheile, 

So ſucht Hr. Gr. darin eine Originalitaͤt, daß er das 
Huͤlfsverbum auskaͤßt, wo der Deutſche es durchaus nicht ent⸗ 
Kehren kann, 4 B. S. 440 „daß es nur darauf ankam, ihr 
Dafeyn zu heweiſen, nicht dad fie begründet in der Hiſtorie; 
— — — (WR?) S. 475 und gering ein ? Waffen verſchnei⸗ 
der ihn! S. 497 „weil fein. Hals fo hart wie Stahl,“ „daß 
Seine Falſchheit dabey! (S. 545) S. 498 in Hbhle gewarı 
fen“ ſtaut in eine Höhle u. ſ. w. 
| Was iſt ferner Vandlothing! Hedins fied, Glaͤſir val⸗ 
le? Seit wenn ſagt man die Ingibiorgu von Upſolum? 
Iſt das exfiere Skandinaviſch und das zweyte Deutſch? (8 
523) ; 

Wie Hr. Gr. citirt, daven nur einige auffellende Ben 
fniele: Dste von Ärepfingen (Lat. Otto -Frisingensis ). heißt 
bey ihm Otto Srifingens! (ſ. ©. 432) Joh. Meſſenius, Prof. 
dee Beredſamkeit und der Rechte zu Upfal, nachher koͤnigl. 
Afosion zu Stockholm, und zuletzt 18 Jehre (Bis norem 
miser integros per annos!) in Gefangenſchaft zu Cajane— 
Barg, wo er auch flarb, gab unter vielen gelehrten Werken 
auch eine Schrift über die fänf aͤlteſten und !nernehmfrs 
Schwediſchen Handelsſtaͤdte Upſal, Gigtun, Eıbasa.. Birk 
und Stockholm heraus, und nannte dieſe Schrift mit einst 
Griechiſchen Zuſammenſetzung, die fi darauf bezog Nun 


m 


Wirbänifche Heſdenlieder von W. C. Grimm. 179 


führt. Stephan Stephanius in ſeinen Notie uberioribus zum 
Saxo Grammaticus S. 156 gelegentlich folgendermaßen an: 
Prorsus igitur frustanea est opera Johannis Messenii, 
dum in libello quodam suo, quem Sveopenta protopolin 
ete. inscripsit, evincat etc. Auch Wet. befipt diefe Schrift 
eben fo wenig als Hr. Gr., und hat fie nie gefehen, vermu⸗ 
thet aber Doch, daB von dem offenbaren Ackufativ protopalin 
dee Nominativ protopolis heißen mäle. Allein Hr. Gr. 
findet nicht nothig, daran etwas zu ändern, fondern ſchreibt 
getreulich nach? „Joh. Meffenins in feiner Meinen (7) Schrift 
Sveopenta protopolin! (das Druckfehlerverzeichniß fchweige 
hievon.) | 
Auf eine andere Art fonderbar citit Hr. Gr. S. 405 
Suhm II. 179. 185 und fo öfter. Wo foll der Lefer dieſen 
werten Band von Suhm fuhen? Dec. beſitzt die ſaͤmmtli⸗ 
Gen Suhmifchen Werke, aber nur feine Eritifchen Worarbeiten 
jur Nordifchen Geſchichte lamfen unter der Nummer 2 — 10., 
feine Hiflorie af Danmark ı — 7. umd feine Samlede Okrife 
ter — 16. — Welche diefer drey Sammlungen meint Kr. 
Gr. damit? Das läßt ſich nicht nur nicht errathen, fondern 
die Citation paßt nicht einmal, we man auch nachfchlaͤgt. Zus 
fälliger Weiſe ift nun vier Bogen weiter Hinter ©. 491 abers 
mals Suhm II. agı citire, aber dazu Mord. Fabelzeit geſetzt. 
Und ſomit läße fih nun endlich feine Meynung errathen, aber 
auch nur errathen! Es hat naͤmlich Graͤter bekanntlich Suhms 
Hiſtorie af Danmark, wo nicht aufgefordert von dem ehrwuͤr⸗ 
digen Verf., doch mit ſeinem Wiſſen und ſeiner Billigung 
etwa ſechs Jahre nach feinem Tode in einer forgfältigen Ver⸗ 
dentſchung unter dem Titel: Peter Friedrich von Suhm's 
Geſchichte der Daͤnen. Aus Liebe zu dem Siudium derſelben 
und aus Ehrfurcht fuͤr ihren Verfaſſer ins Drutſche uͤbertragen 
von Fried. Dav. Graͤter, Leipzig 1804. dey Heinrich Graͤff 
in gr. 8. herauszugeben angefangen. In dem, über Suhm, 
als Hiſtoriker, ib auf XLII Seiten verbreitenden Vorbericht 
mödificire Gr. fein Urtheil Über dieſe Suhmiſche Gefchichte 
dee Dänen, ©. XXVIU, „daß fle ein wahrer Nekrolog der 
Regierungen, ein drittes Buch der Könige, ein Speculum 
resale fey, das, ohne je die Gefahr der Ungnade zu-laufen, 


180 Widämiche: Hefdenficder: on W. €. Grinm. 


Die. Stelle eines tieien Miniſters und eines freymuͤthigen 
GStaatsmannes vertrete“ in Hinſicht der zwey erſten Bände, 
die bloß die Gefchichte der Fabelgeit enthalten, und fest hinzu: 
„es möge ſeyn; - daß die Fabel in der Gedichte, eben weil 
man da nur die firengfte Wahrheit erwarte, fo lehrreich niche 
ſey, als fie es in der Sphäre der Kunft zu ſeyn pflege,“ allein 
fie feyen daram nicht minder leſenewerth; denn „fie enthalten 
eine möglihft s volftändige und möglichft s Hiftorifche Darftellung 
der Nordiſchen Fabelzeit, und möäßten in fo ferne: fhon als 
bet gelehrteſte Commentar Über das fabelhafte Alterthum, und 
ats ein veihhaktiger Anhang zu der, von Dichtern und Kuͤnſt⸗ 
Teen noch lange nicht nad, Verdienſt gewürdigten Götterlehre 
des Nordens auch als ein -abgefondertes Wert für die Liebs 
haber und Forfcher der Nordiſchen Morzeit ein fehr ſchaͤtzbares 
Handbuch ſeyn,“ daher er ihnen (den zwey erſten Bänden 
von Suhms Daͤniſcher Geſchichte) obigen Nebentitel (Hiſto⸗ 
riſche Darſtellung der Nordiſchen Fabelzeit) ohne Zweifel mit 
Recht gegeben habe. Allein Graͤter hat bis jetzt nicht mehr als den 
L Bd. herausgegeben, und es iſt alſo auch jede Titation, die ſich 
bey dieſem Werke mit II. ſignirt, durchaus falſch. Denn wenn 
dieſer Band gleich in der Verdeutſchung in zwey Abtheilun⸗ 
gen (weil die Verdeutſchung nicht in gr. 4., wie das Daͤniſche 
Original, ſondern in 8. gedruckt wurde, mithin der Band zu 
dick geworden waͤre) geſondert iſt, ſo ſteht doch auf jeder Ab⸗ 
theilung Erſter Band, und wer richtig und genau citiren will, 
Sam und wird daher eine Seite der zweyten Abtheilung nie 

Euhm H. 195, fondern entweder Suhms Geſchichte der Däs 
nen’ von Graͤter F. 2. 199, oder Suhms hiſt. Darftellung der 
Mord. Fabelzeit mit gleicher Signatur citiren. Daun erſt 
weiß der Deutſche ſowohl als der Nordiſche Lefer, woran 
er iſt. 
Was endlich die abfprechenden- Urtheile betrifft, fo kann 
ec. nicht umhin, hauptſaͤchlich zwey verächtlihe, aber wohl 
dieſen Männern von Zen. Gr. noch zur Zeit nicht gebührende 
Seitenblicke zu ruͤgen. Der erfie betrifft den allgemein bes 
kannten, von jedem Liebhaber und Horfcher des Nordifchen 
Alterthums ſtudierten, und von allen, die ihn ftudiert haben, 
mit-Dant und Hochachtung, die er auch wahrlich verdient, 


— 


Midänifche Heldenhieder von B. €. Grimm. 481 


genannten Thomas Bartholin; aber Hr. Gr., der ihm ohne 
Zweifel, falls er fein Buch durchſtudiert, und nicht bloß darin 
geblärtert hat, eben fo vielen Dank fchuldig if, kann nicht 
umhin, daffelbe zum erſtenmal unter allen Dänen, Schweden, 
Islaͤndern, Engländern und Deutfhen, die feiner gedenken, 
mit dem Namen eines geſchmacklos gefchriebenen Buches der 
Verachtung preis geben zu wollen. In jedem alle iſt das 
Urtheil etwas fchief; denn es kam wohl bey feinem Buche 
nicht fo fehr darauf an, in welchem Geſchmack, fondern mit 
welher Gruͤndlichkeit er feinen Sa& de causis contemtae a 
Danis adhuc gentilibus mortis durchgeführt Bat. ' 

Der zweyte betrifft den cehrmärdigen Suhm. Mit welcher 


Einkildung mag wohl Hr. Gr. geftraft feyn, um bey feinem 


erften Auftreten im Face der Mordifchen Literatur ſogleich 
auch den verdienteften Manen aller Mäcene und Alterthums— 
forfcheer des Nordens mit folhem Uebermuthe entgegen zu 
teten? Denn Uebermuth iſt es doch in der That, wenn Kr: 
Gr., nachdem er fih auf Suhms Interfuhungen Überall ges 
föse und berufen hat, &. 509, da er das Dänifche Volkslied 
von Hafbur (Habor, Hagbard) und Sigmild mit der Ges 
(dichte diefer Liebenden aus dem Saxo Grammaticus commtens 
tiren will, fich folgendermaßen erklaͤrt; 

„Es folge hier eine Ueberfegung davon, ein Auszug zum 
Teil. Auf Suhms Nordiſche Fabeljeit, wo (I. 234—4ı) 
die Sage aus dem Saxo eingeräckt worden , konnte nicht vers 
wiefen werden, weil er (Suhm) alles mit feinem matten 
Si breit gemacht ıc.“ | 

Abgefehen davon, daß Suhm, in der ohne Zweifel richti⸗ 
gen Webergengung, daß Saro nicht als ein trener Geſchicht⸗ 
ſchreiber berichtet, fondern alle Erzählungen der Vorzeit mit 
finee Phantaſie aufgefluge und erweitert hat, fi abſichtlich 
Mühe gab, mo möglich Bloß den Hiftorifchen Kern aug bielen 
poetiihen Werfchönerungen herauszuhoten, und in feiner Ges 
ihichte auf das Werdienft eines Romanſchreibers Verzicht zu 
thun; abgefehen davon, dal ſelbſt, wenn, Suhms Styl in 
feinee Geſchichte der träfiige und blühende, wie er in feinen 
fräderen Schriften war, ‚nicht mehr iſt, in weichem Falle es 
do von einem Kın. Sr. mit einiger Achtung zu. bemerken 


4183 


Alidaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 


war, fo muͤſſen wir geſtehen, daß, wenn wir Suhms Erzaͤh⸗ 
lung in Graͤters Werdeutihung (denn darauf beruft fih ja 


Hr. Sr. durchaus, niemals auf das Original, 


das er auch 


nit gelsfen gu haben ſcheint) vor die Hand nehmen, dieſer 
ihm angefchuldigte breite Styl neben dem fchmalen Styl des 
Hrn. Gr. fih gar nicht fo übel ausnimmt, mie derfelbe feinen 
Leſern verſpiegelt. Doch man vergleiche ſelbſt: 


Suhm’s 
Dän Geh. von Bräter. 
1. Bd. 1, Abth. S. 286. 


sim ihn daber deſts mehr zu 
ehren, wurde ibm feine Schlaf⸗ 
Hätte bey der Königstechter ſelbi 
augewieſen. 

Die beyden Glücklichen koſ⸗ 
ten nun, bezaubert von Liebe und 
Wolluſt, ungeſtört mit einander, 
und Hagbarth fragte feine gelichte 
Signe: | 

„Was wird du, wenn dein 
Bater mid) aufängt, „und der 
Tod dann mein gewiſſes Loos if, 
Cbenn ich erfchlug feine Söhne, 
und nun balte ich auch dich, fei- 
nem Willen zu Trotz, in meine 
Arme gefchloffen) was wirfi du 
dann, du meine einzige Freude, 
was wir du dann thun? mich 
vergeflen, wenn du mich verlief? 
Dich einer andern Liebe hingeben? 


I 


Signe erwiederte: Blauber 


Geliebter, glaube, daß ich mit 


Die ſterben werde, wofern der häß⸗ 
liche Tod dich in den Hügel legt! 


. umfangen. 


Srimm’s 
Altdän. Heldenlicder. 
E. 511. - 


Dann, um ibn mebr au ch- 
zen, ward ihm feine Schlafſtele 
aA ihrem Bett gegeben: 


Da nun, in dem Genuß ges 
meinfchaftlicher Luſt, fragte Hag⸗ 
barth die Sygne: 


Wenn ich ber Gefangene dei- 

ned Daters werde, und einem | 
traurigen Tod übergeben, wirſt 
du uneingedenk unſres Buͤndniſſes, 
deine Liebe einem Andern zuwen⸗ 
den?‘ fo mir jenes Schickſal bes 
gegnet, hoff' ich nicht, daß er 
verzeiht, lüſtend feine Söhne zu 
rächen ; denn ich habe deine Brü⸗ 


: der getödtet, und balte dich num, 


ohne fein Wiffen und gegen fei- 
nen Willen, in gemeinfamer Luft 
Sage, Herzliebſte, 
was wirft du dann thun, Wann 
ich dich nicht mehr, wie fonfl, 
umarme ? 

Sygne antwortete: Glaube 
nicht, lieber Herr, daß ich lieben 
möchte, wenn das Verderben über 
dich gefommen,, gder meine Beit 


Wlatiche Heldenlieder von W. € Grimm, 


Subm. 


Ha, auf welcherley Art du fiel, 
ſey es durch Krankheit, ſey es 
durchs Schwert, im Meer oder 
auf dem Lande, ſo will ich dir 
nachfolgen! jede andere Liebe iſt 
mie verhaßt, gemeinſchaftliche 
Bärtlichfeit bat und verbunden, 


ein gemeinfchaftlicher Tod fol 


uns vereinigen ! 

Deinen Tod werd’ ich felbft 
empfinden ‚ und den nicht verlaſ⸗ 
fen, den ich meiner Liebe wür⸗ 
dig geachtet babe, den, ber mir 
den erſten Kuß gab, der mich 
zum erflen Mal die Liche lehrte! 


Act Gebuͤbde fall Heiliger ſeyn, 


wohn je ein Frauenmund 
beit ſprach. 


153 
Srimm. 


verfängeren , wenn Hin trauriger 
Tod dich in ben Grabbügel ge 
führt! Welcher Zeb dich weg⸗ 
nimmt, durch Kraukheit/ Schwert, 
in Meeres Abgrund, uber anf 
dem Felde ich gelobe einen glei» 
hen zu flerben, daß, wie im 
Brautbett, ein Tod und vereini- 
1 


Deines Todes Bein werd anch 
ich fühlen, und den nicht ver⸗ 
laſſen, den ich meiner Liebe werth 
geachtet, der zuern meines Mun⸗ 
bes Kuͤſſe genen, und meinen 
blühenden Leib. Keine Derbeif 
fung ſoll gewiſſer ſeyn, wenn ie 
eines Weihes Wort tıyu war. 


Wenn uns nicht alles — fo iſt Suhms Sprache die 


wahre Sprache der Liebe, und mithin der Natur; Herrn 
Grimm's aber ziemlich verfänftelt, und wenn wie dieſer Ver⸗ 
gleihung ein Quid tanto dignum etc. vorausgefegt hätten, 
mödhte wohl mun das —— ſecet Verheißungen ſchr ma⸗ 
ger ſeyn. 

Wenn nun aber Hr. Gr. weiter fortfaͤhrt, dem Saxo 
nachzuerzaͤhlen, und am Ende gar es wagt, mit Hexametern 
md Pentametern zu fchließen, fo verwandelt fih in der That 
der gerechte Unwille über feine unbeſcheibene Art gu metheilen, 
in eine mildere Empfindunn. 


Zum Beweiſe wählen wir Hier die vier letzten Zeilen: 


DaB dort Liebe mir aufblüh” (e) be’ ich die fichere Hoffnung 
fol ein Hexameter feyn. 2 


— —|— u 


Und es wird mir rer, bald Wolluf gewähren ber Tod! 
Beid' die Welten fürwahr boch — fie. — se 


Eine Nuhe des Geifis, ‚wie in der Lich’ eine Treu. 


134 Mtdänifche Heldenlicher von W. C. Grimm. 


Weich’ eine Eonftruction ! meld’ eine Sprahe! Kaum wird 
man fie, ohne feinen Saxo zur YR zu nehmen, enträrhfeln 
tönnen! 

Wir kommen nun gu den Errurfionen ſelbſt. Nach einer 
allgemeinen Einleitung , worin Kr. Gr. die Erfiärung der 
Keldentieder als die Hauptſache diefes Anhangs angibt, bes 
merft er, daß die Abſicht defielden fen, theils die Originals 
. Einteitungen der Daͤniſchen Ausgabe zu jedem Liede nicht vers 
Ioren gehen zu lafien „ theils auch fie bald zu berichtigen, bald 
gu ergänzen. Es ift feine Frage, dab Hr. Gr. in diefer Hins 
fiht arößtencheils More gehalten hat. Auch liefern feine Be⸗ 
merkungen in der That viel Neues und Wahres, 

Gleich feine erftien Bemerkungen über die drey Lieder von 
dem Verrath der Frau Grimilde an ihren Brüdern beflätigen 
dieſes Urtheil, und geben einen Beweis, daß der-Berf. bes 
zeits den inhalt des Heldenbuchs und der Nibelungen eben fo 
wie den Imhalt der Niflunga s, Wilkina⸗ und der Wolſunga⸗ und _ 
Mornagefts s Saga, desgleihen auch des Anhangs ber jüngerm . 
Edda einfindire hat. Er behauptet, daß diefe Lieder mit den 
vier erften, d. h. mit dem Deutſchen Heldenepos, und der aus 
Deutſchen Sagen entflandenen Wilkina, aber keineswegs mit 
den reins nordifchen Vorſtellungen der Wolfunga ıc. uͤberein⸗ 
ſtimmen. Rec. befigt zwar die meiften diefer Werke, hat aber 
jet nicht Muße, fie noch einmal durchgufefen. Er behält ſich 
daher eine nähere Prüfung biefer Angabe, an der. er jedoch 
im Ganzen nicht zweifelt, bevar. Soviel ift ihm noch vom 
ehedem erinnerlih,, daß er die gedachten Dänifchen Volkslieder 
felöft einft für Sprößlinge der Deutſchen Sage hielt; wobeg 
deffen ungeachtet der Driginalität ihres Vortrags und Seyns 
nichts benommen ift. 

Wenn Hr. Gr. in der Note gegen den gelehrten Sram 
behauptet, daß der Norden den Reim nicht von den Deuts 
fhen gelernt Habe, fo ſtimmt ihm Dec. volllommen by. Das 
heidniſche Deutfchland hatte gewiß eben fo gut feine Alliteras 
tion als Skandinavien, und woher brachten fie wohl die Ans 
gelfachfen als eben aus unferm Vaterland? — Ga, Prof. 
Sräter har fogar vor einigen Jahren die nicht unwahrfcheins 
liche Hypotheſe in feinen Drogrammen hierüber aufgeftellt, dañ 


/ 


Mpänifche Heldenlieder von W. C. Grimm. 188 


die verloren geglaubte Proſodie der alten Welt ebenfalls in 
nihte anders als in der Alliteration und damit verbimdenen 
Bocalen s Correfpondenz möchte beftanden haben. Allerdings 
hat fie auch die von Hrn. Prof. Gley entdeckte und der tan⸗ 
fendjährigen Vergeſſenheit entriffene Evangelien s Harmonie. 
Rec., dem der Entdecker feine erfien Abfchriften des Codex zus 
ſchickte, freute ſich ſehr, eine ſchon früher darüber geaͤußerte 
Vermuthung damals fo vollkommen beftaͤtigt zu finden. Aber 
nicht bloß darin, auch in dem Weſſobrunner Fragment offen⸗ 
bart ſich das, dem Deutſchen Reim vorangegangene Geſetz der 
Aliteration, und es freut und, wenn Kr. Gr. bald den Bes 
weis gibt, daß auch in dem Eaffeler Fragment von Hiltibrat 
and Hathubrat das nämliche herrſche. 

Die zwepte Hauptexcurſion betrifft die Gage von ber 
Teojanifchen Abkunft der Franken. Mit befonderer Begierde 
Ins dies Rec. Gewiß es iſt ein Intereffantes Thema. Aber 
nach vielem gelehrten Aufwand hat der Kenner nichts Menes 
gelernt, und für den gänzlich ununterrichteten Lefer fehlt es 
dem Vortrag an logifher Ordnung und Klarheit der Darftels 
Ing. Auch find damit die Meynungen Wendelin’s, Schilter’s, 
Ercard’s und Suhm's keineswegs widerlegt. Es wäre ſchon 
genug, wenn diefe vier  verfchiedenen Meynungen hier nur 
gründlich wären beleuchtet worden. Wenn S. 432 nicht mit 
völiger Gewißheit behaupter wird, mas Meibom aus dem 
Magnum Ghron. Belg. anführe, daß die Stade Kanten am 
Rhein Plein Troja genannt werde, fo kann Dec. aus dem vor 
dm liegenden Chronicon verfichern , daß es mit diefer Anfuͤh⸗ 
rung feine Richtigkeit hat, nur mit dem Unterfchiede, daß er 
niht Hago von Troja oder Trojanms, fondern Trajanus ges 
nannt wird. Die ganze Stelle fieht S. 65, und lautet fo: 
Isti duo fratres ( Theodericus, prim. com. Hollandiae, 
de Waltgerus ) habuerunt avunculum Hagononem Traja- 
num, qui in Troja minori (scilicet Xantis) habitavit etc. 
Auch die S. 555 und 456 aus dem Sigebertus Gemblacen- 
cs angeführte Stelle finder fih umfländiich in dem Magn. 
Chron. Belg. &. 9 und 10 und fängt mit den, für Hrn. 


Grimms Behauptung fprehenden Worten an: Porro origi- 


nem Regni Francor. hanc esse novimus ex relatu fideli 


— 





u 


466 Alddaͤniſche Heldenlieder won W. C. Griam: 


Majorum, wiewohl ih das freylich nicht bloß auf muͤndliche, 
ſondern auch fchriftliche Weberlieferung immerhin besichen ließe. 

Sa der Note **) S. 440 fagt Hr. Gr.: „Diefe Sage 
(oben im Tert aber if wor keiner beſtimmten PDerfonen s Ser 
ſchichte, fondern nur davon die Rede, daß die Abkanft der 
Branten von ben Trojansen eine allgemeine und fehr atte 
Volkeſage geweſen fen) iſt es, welche Meiſter Bioͤrn nach 
Norwegen gebracht; ungenau hat man dieſes bisher auf die 


. Willina Saga bezogen, es gilt. bloß von diefer.“ Alſo dem 


Volks glauben einer Abkunft der Franken von den Trojanern 
bat Biden nad dem Morden gebracht? Wohl ſchwoerlich; es 
ſcheint, hier iſt Hr. Gr. ſelbſt ungenauer (im Ausdruck, den 
vermuthlich meinte er es anders) als feine Borgaͤnger geweſen. 

Auf dieſe zwey Hauptercurfionen folgen nun die erflärens 
den ‚Bemerkungen zu jedem einzelnen Liede. Da gegenwärtige 
Anzeige die gewöhnliche Ausdehnung einer Kritik ſchon Jene 
vielletcht aͤberſchreitet, fo wollen wir uns nur auf weniges bes 
fhränfen. 

©. 485. Das Hogna ſtatt Hozni oder Hogne. H. Mr. 
wird im Verfolg feiner Studien diefes a verwerfen, weil es 
weibliche Zorm ift, ob gleich Rec. weiß, und es ſelbſt chedem 
dern Ohre zu Sefallen brauchte, daß man allgemein Graga 
last Bragi oder Brage ſagt. 

S. 492. Daß der Name von Wittichs oder Widga's 
Mutter wirklich in der Volundar⸗Quida vorkomme, wie Br. 
Gr. vermuthet, und daß; es nicht Bodlild, fondern Boͤdmild 
der Baudwild Heiße, Hat fih unserdefien theils aus Graͤters 
Veberfegung der Wölundar » Auida in Idunna und Sers 
mode, theils aus dem herausgegebenen Texte des Co- 
dex Reg. von Herrn Hagen beflätigt, womit wir jedoch 
nicht Hrn. Gr., der wun eine Abichrift bes Eod. ſelbſt Beige, 
eine Neuigkeit fagen, fondern bloß den Befiser feiner Dänis 
fhen Heldenlieder zu einer Note vsranlaffen. 

S. 406 hat uns der mordlihe Tod wicht fehr gefallen. 
Nehme doch der Hr. Verf. die Wahrheit ımd Richeigbeit Dies 
ſes Ausdrucks noch eimmal anf die Mage. 

©. 508 ift eitirs: (Huon de Bourdeaux. Franz. Volks⸗ 
buch (7) ©. ag. 50) Möchte fih der Werf. doch näher 


Alid ͤntſche Heldenlieder wom A. C. Orkmaı. 187 


darüber erklaͤren! Rec. kennt den Hueu be Bourdeaux aus den 
Extraits des Romans de Chevallerie — wird der naͤmliche 
Roman in Frankreich etwa, wie bey uns der gehoͤrnte Giegs 
ftied und die Mepmons s Kinder ıc. dur Krämer auf ben 
Märkten, gedruckt in diefem Jahr, verkaufe? und verfteht 
Hr. Sr. einen foschen Abdru darunter ? 

Was &. 52o von der, zu einem Volkslied gewordenen 
Thrymsquida gefagt wird, iſt nicht unintereffant, aber wenn 
er am Schluſſe Hloß die Kjempeviſer citirt, find wir nicht zus 
frieden. Die Kitation erfeßt die Anführung von Syv's eiges 
nen, lehrreichen Worten nicht. 

S.. 5024 und 525 fommen drey Straphen aus der Her⸗ 
vararſaga vor. Man fieht, daß fih Kr. Gr. nicht an die 
Eoteinifhe oder Schwedifche Weberjebung gehalten, fondern 
aus dem Sfandinavifhen Originale felbft Hat überfeben wol⸗ 
im. Es ift diefe Probe in der That merkwürdig, indem fie 
als Beſtimmungspunct dient, in welch kurzer Zeit der Verf. 
und fein gelehrter Hr. Bruder, Jacob Grimm, fi der Stan: 
dinavifchen. Sprache durch eilernen Fleiß und enthufiaftifches 
Stadium fo weit werden bemächtige haben, daß fie im Stande 
find, das kuͤhne Veriprehen am Schluffe Diefes Werkes, die . 
noch nicht entzifferten Lieder der Edda zu Überfeßen, in wird 
liche Erfüllung zu bringen. Denn Hier erfcheint wenigftens 
Hr. W. Gr., der Herausgeber des beurtheilten Werkes, im 
der That nach als Anfänger in jener Sprache. Denn wenn 
man auch annimmt, daß er nicht die kritiſche Ausgabe des 
Magnäanifchen Inſtituts, welches doch zu erwarten iſt, zu 
Stunde gelegt Habe, in welchem Falle ſich freylich noch meh⸗ 
tere. Fehler zeigen, fondern die Vereliſche (ſ. jene Sumtibus 
de Suhm, &. 34. 56. 40. und Verel. ed. &. 70 und 71); 
fo geben doch die vier leiten Zeilen den Ausichlag. Sie heißen: 

beim gief ec Erni 

Effum brader 

Sa mun af blovi 

Siuga minn. 
Der Schwede überfest : 

Then ſtora Druen 

Wardar ing til ficck 


488 Altdaͤniſche Heldenlicher von W. C. Grimm. - 


Mitt bledh thet vida 
| Stall han och ſuga. 
Here Grimm aber: | i 
Dem Aar geb” ich 
Eine Speife; 
So and) mag a von meinem 
Blute ſaugen. 


Man ſieht unſchwer, daß es dem REITER und nit der 
Schwediſchen Ueberſetzung nachgebildet iſt, oder feyn fol; 
aber es fällt auch plötzlich in die Augen, daß Hr. Sr. bie 
beyden Ausdrüde efftum und Sa mum nicht verftanden hat, 
nämlich damals, ala er dies ſchrieb. Daß er jetzt in Dereis 
nigung feines Fleißes mit einem, zu gleiher That geräfteten 
Bruder es nicht verftehen follte, zweifeln wir kaum. Es heißt: 

Senem Adler geb ich | 

Die lebte *) dev Speifen : 

Der wird (fogar) von meinem 

Blute nun faugen ! 
Er Hielt das Skandinaviſche fa’ für fo! es heiße aber ber, und 
er kannte mit das pronomen demonstrativum, fa’, fü, pal, 
noch nicht. Wie es fcheint, ein wahrer Beweis, daß wenig 
ftens Hr. W. ©r. bey Herausgabe des gegenwärtigen Werkes 
(Dfterm. ıdıı.) erft bie Standinavifhe Sprache zu lernen 
angfangen hat! 

S. 537 zu 87. Klage König Waldemar des II, dum bre- 
vis esse laboro, obscurus fio. Wer nicht die Gefchichte ie 
ner Zeit im Gedaͤchtniß Hat, wird durch die rächfelhafte Ers 
Märung des Hrn. Sr. ftatt belehrt, vielmehr irre. Es fol 
eine Klage Waldemars des II. und doch über Waldemar den 
III. ſeyn! Das fcheint, dem erften Anblick nah, ein Wider: 
fpruh, weil die Klage Waldemars auch zur Noth als Klage 
um Waldemar Eönnte verftanden werden. Auch begreift mat 
auf der Stelle niht, wie KR. Waldemar der IT. um feinen 
anfcheinenden Nachfolger, Waldemar den IH., lagen kann. 








*) Oder auch, wie der Schwede Üüberfehte, efftum zu erni gejogen, 
dem hochfliegenden Adler werd’ ich num ſelbſt zur Speife. 


| 


Mipänifche Gefdenlicder von W. C. Grimm; 189 
Es hätte daher Hr. Sr. die Driginal, Auffchrift in den Kjempe⸗ 


viſern IV. P. Ne. 43. ©: 567, wo ausdrücklich ſteht: König 


Waldemars des II. Klaggedicht über feines- Sohnes Tod nicht 
abfürgen, und zur Erläuterung, warum diefer vor ihm geflors 
bene Sohn gleichwohl die Regenten⸗Bezeichnung Waldemars 
des III. führe, anmerken follen, daß dieſer Prinz bereits zum 
König gekrönt war, aber noch vor feinem Water flarb, wie 
das auch Nyerup zur Deutlichkeit bemerkt in dem 4. Bd. feis 
nee Stildring af Tilftanden i Danmark og Norge, &. 255. 
Ueberhaupt komme dieſe Dunkelheit durch Kürze öfters vor, 
und man muß zuweilen in der That rathen. 

©. 641 zu Ne. 89. Marft Stig (oder Marfhal Stig) 
und ſeine Tochter waͤre es nicht unintereſſant geweſen, die 
Marmora Danica anzuziehen, wenn gleich die dortigen Data 
unerweislich, und die von Stigs Töchtern Ode und Ade, wie 
Nyerup fagt, wirklich apokryphiſch find; denn wenn Marſk 
Stig ſchon im J. 1298 ftarb, konnten feine Töchter allerdings 
nicht erft 1460 begraben werdin. 

Andy die Vorrede des Hrn. Verf. fann man von Dunkel 
heit nicht frey fprehen, und manches tft fo allgemein und 
abfprechend gefagt, daß man, wenn man ſich nad) Beweiſen 
und Thatſachen umſieht, in Verlegenheit if. Wir wollen es 
nicht rügen, daß Hr. Sr. meint, es fey Zeit, die Aufmerk⸗ 
ſamkeit endlich auch auf die Poefle des Nordens zu Ienfen, 
weiche doch ſchon laͤngſt durch Gerſtenberg, Denis, Herder 
und Graͤter darauf gelenkt war. Wenn er aber behauptet, 
„Daß es meiſtens nur die Mythologie geweſen ſey, die man 
aufgefucht habe, oft nur, um ihr eine Ungerechtigkeit anzus 
thun, und fi nah Beweiſen für eine Anſicht umzuſehen, bie 
fie im Voraus für eine Nachahmung der Griedjifchen und 
Römifhen ausgab, und melde kritiſche hieß,“ ſo verfichen 
wir entweder nicht, was Ar. Sr. damit fagen will, oder es 
it ein Vorwurf, der entweder nicht gegründet, oder hieher 
nicht paffend if. Denn unfers Willens ( abfirahirt von den 
Schriftſtellern des Nordens feibft) kennen wir in Deutſchland 
big jet feinen, der fill ex professo ‚mit der Erörterung und 
Darfielung der Nordifchen Mythologie beichäftigt hätte, ale 
Graͤter. Diefer ſtreitet aber ſogar gegen Vergleichungen mit 


‘ 


192 Alldaͤniſche Heldenlieder von W. €. Grimm. 


Menge Beyſpiele belegen. Allein er will nur bey. einem eins 
gigen fliehen bleiben. Mir vergleichen das bekannte Jaͤgerlied 
in zwey Abdruͤcken, welche kaum 2o Jahre aus einander find: 
Es blies ein Jäger wohl in fein Horn (ſ. Herder von Deut⸗ 
ſcher Art und Kunft, deſſen Volkslieder, Stimmen der Völker, 
und Sräters Dragur und Arnim’s Wunderhorn ). 

Schon in der dritten Strophe fangen beyde Abdräde 
( Recenfionen? Hr. Sr. bedient fih immier diefes vornehmen 
Ausdrucks bey ſolchen Fällen, und mir können nit nmhin, 
auch das gelegenheitlic zu rügen. Verdienen denn wohl .folche 
Lichtfinnige Achtlofigkeiten des Volks, ſolche willkuͤhrliche, oft 
verfkand » und finnlofen Abänderungen einen Namen, welchen 
man den, mit hoher Gelehrſamkeit und Kritik bearbeiteten 
Tertausgaben eines Wertftein und Griesbach, eines Ernefli 
und. Heyne zu geben pflegt?) — Abdrüde alfo — ſchon in 
der dritten fangen fie an abzumweichen, auf folgende Art: 


Sräberee Er ſchwung fein Hütchen wohl über den Strauß 
— Der Zäger ritt wohl durch einen grünen Buſch 


Fr. Es ſprung ein ſchwarzbraun Mädgen heraus 
Sp. Da ſprang ein ſchwarzbauns Mägdlein heraus, 
Fr. Hob fa fa fa, dra, ra, ra, ra 

©. Denn Hopfafa, denn Vallerallera, ꝛc. 


5. Stropbe. 
gr. Deine grofen Hunde, die thun mir nichts, 
ep. Deine großen Hunde, die beifen mir *) nicht, 
Sr. Sie wiſſen meine hohe weite Sprünge noch nicht 
Sp. Sie kennen meine honette Sprünge noch nicht, ꝛc. 


*) Dffenbar nur der Sehler eines Sächfifchen oder überhaupt Nord⸗ 
lichen Setzers, der den Dativ und ei in on Fällen 
nicht za unterfcheiden wußte. 


(Der Beſchluß folgt.) 


DEZE TEN ae 


No. 13. Heibeldergifge 4843, 
Jahrbücher der Litteratur. 





Urdinifee Heldentieder, Valladen und Märchen überfeht von Wil« 


beim Earl Grium. 
1 Bechluß der in Ne. 12. ahgehrochenen Pecenfion. > 


| Do genug zur Probe. Die hohen weiten Spruͤnge, von 


denen ſich das ſchlaffe Gedaͤchtniß nur noch des ho erinnerte, 
und daraus honette! Spruͤnge machte, die großen Hunde, die 
mir nicht beißen, ſtatt mir nichts thun, und der Jaͤger, der 
durch einen gruͤnen Buſch reiten muß, ſtatt daß er ſein Huͤt⸗ 
chen wohl uͤber den Strauß ſchwingt, das freplich mit den 
Geſetzen der Ideenaſſociation ſchwer aus dem bloßen Gedaͤcht⸗ 


niß zu reſtituiren war, zumal da der Strauß ſelbſt ſchon ein 


Gedaͤchtnißfehler und eine Verbeſſerung um des Reims willen 
fuͤr das vermuthlich aͤltere Strauch zu ſeyn ſcheint, — dieſe 
wenigen, aus einem unzweydeutigen Beyſpiel herausgehobenen 
Proben der allmaͤhligen Abartung der Volkslieder von ihrer 
Urgeſtalt deuten klar genug auf den Weg hin, auf dem man 
weiter zu ſchließen hat; und wenn Hr. Gr. uͤberzeugt iſt, daß 
die dee einer folhen Abänderung gar nicht volksmaͤßig ſey! | 
(©. XIX der Vorrede) fo iſt es offenbar, daß er das Volk 
und ihre Lüeder noch gar nicht aus eigener Erfahrung kennt, 
und leßtere bloß an dem Pulte zu ſtudiren angefangen hat. 
Es klingt freylich prächtig ( wiewohl dunkel), wenn Br. : 
Sr. auf der vorhergehenden Seite (S. XVIII) fagt: „die 
Volkspoefie lebt gleihfam .im Ständ der Unſchuld, fie ift nackt, 
öhne Schmuck, das Abbild Gottes an ſich tragend; die Kunſt 
hat das Bewußtſeyn empfangen, fie kann den Much nicht 
mehe Haben, ihren Gegenftand Hinzuftellen, wie er ift, fons 
dern er muß umfleidet werden. Es ift darüber fein Streit, 
man muß es empfinden, aber diefe Kleidung iſt es, die wir 
in den Sefängen der Edda finden, dieſes Gemeſſene, Runde. 
Dadurch wird nicht gefagt, daß fie nicht > fehr einfach ſeyn 
1 


194 Atdänifche Heldenlieder von W. €. Grimm. 


koͤnnen, noch wird Über den Rang zwiſchen bepden abgeurtheitt: 
wenn wir die Volkslieder wegen det Gewalt und der Wahr⸗ 
beit lieben, _mit- welcher fie das Leben und das Größte des 
Lebens nah vor uns hinftellen ; fo fehen wir in den Kunflges 
fangen alle Kräfte der Menſchheit gefteigert, die Helden idealer 
und zu den Göttern gerät!“ (Und nun zum Beweis eine 
Vergleihung der Thrymsquida mit dem. Dänifchen Volkslied 
von dem Tord von Meeresburg! ) 


Wahrlich ein großer Aufwand von ſchimmernden Gedan⸗ | 


ten, um einen verkehrten Schuß zu machen. Denn man darf 
nur die Thrymsquida in Gräters befannter Verdeutſchung 
in den Nordiſchen Blumen leſen, und dann dieſen Tord von 
Meeresburg in Jegenwaͤrtigem Werke, wenn man ſich uͤber⸗ 
zeugen will, daß in dem letztern nicht das Groͤßte des Lebens 
vor uns hingeſtellt, noch weniger aber das Abbild Gottes darin 
erfenntlihh, Sondern daß es vielmehr von dem örtlichen 
nicht bloß zu dem Menfchlihen, ſondern zu einer wahrhaft 
pöbelhaften Verunſtaltung herabgeſunken if. Das läßt ih 
auch begreifen, denn wenn man annimmt, daß das Eddiſche 
Lied Höchftens in das achte Jahrhundert zuräck zu datiren fe, 
(welches in Vergleihung mit den Liedern des Thiodolfs von 
Hwin, die doch zum Theil einen großen Theil Kuͤnſtlichkeit 
mehr verrathen, wohl nicht zu gewagt iſt) das Dänifche Volks: 


lied aber in dns ı6te Jahrhundert ſetzen, fo liegt gerade ein 


Zeitraum von acht hundert Jahren mitten inne. Bedenkt mat 
nun, wie in odigem Beyſpiel nicht bloß die hohen weiten 
Sprünge in dem kurzen Zeitraum von 2o Jahren fehon zu 
honetten Sprüngen geworden find, fondern man fich auch die 
Freyheit genommen hat, nicht bloß Ausdruͤcke, fondern Um 
flände zu verändern, und aus dem Huͤtchen ſchwingen übe 
den Strauch ſchon ein Reiten dur den Buſch gu machen ſo 
läßt fi) denn wohl auch degreiflih finden, wie jin einem 40 
mal längeren Zeitraum nur einige Hauptſtriche des alten Ges 
mäldes geblieben, die fhönflen Mittelzuͤge aber nebft dem 
ganzen antiken Colorit verwiſcht find. 

"Nur ein Paar Züge zur Probe: 


Altdaͤniſche Heldenlieder von W. €. Sri, | 


Eddiſche Erzählung, 


nach Gräters Ucberfehung en 


Hinweg flog Locke 
Das Federgewand raufckte, 
Bis er binausfam 
Aus der Gotter Grenzen, 
Und bineintrat 
Ins Rieſenland. 

Thrym ſaß auf einem Hügel, 
Der Riefen König! 

Er fehnürte den Hunden 
‚Das Soldband um, 
And feinen Bferden 
Strich er die Mahne. 


Thbreym 
Wie ſtehts bey den Göttern 2 


Wie ſtehts bey den Geiſtern? 


Warum kommſt du allein 
Ins Rieſenland? 
Locke. 
Unbeil bey den Göttern! 
Unheil bey den Geiftern! 
Haft du des Donnerers 
Sammer. veritedt ? 


Shbrym 
Ach babe des Donnerers 


Hammer verſteckt 
Acht Meilen unter der Erde! 


Niemand foll ibn 
Wieder erhalten, 
Bringt man mir nicht 


Freya zur Frau. 


4195 


Diefe Züge Haben fih nun in achthundert — nach und 
nach in dem Däntfhen Volkslied nah Hrn. Grimms 
Ueberſetzung ©, 142 auf folgende Art veraͤndert und vers 


wiſcht: 


196 Alwaͤniſche Heldenlieder von W. €. Grimm. 


Das war Lade der Diener, 
Der fette fich ins Federkleid 
So og er in das Norden Gebürg, 
Weber das ſalzige Meer fo meit. 
Und müten in dem Burgbofe 
Da achfelt er fein Kleid, 
So ging er in den hoben Saal 
Vor den garfligen Tölpel ein. — 
Willkommen, Locke, du Diener , 
Willlommen, bil-du büben? 
Wie ſteht es auf.der Meeresburg ? 
Und wie ſtehts im Lande drüben ? 
Wohl flieht es auf des Meeresburg‘, 
Und wohl ſtehts im Lande drüben. 
Tord bat verloren den Hammer fein, 
Drum bin ich kommen berüber. 
Tord feinen Hammer nicht wieder kriegt, 
Du kannſt die Wort' ihm ſagen, 
Fürnf und funfzig Faden tief 
Ziegt er in der Erde begraben. 
Tord feinen Hammer nicht wieder Eriegt, 
Das fag’ ich. frey zu bir: 
Ihr gebt denn Yungfegu Fridlefsborg 
Mit all’ Eurem Gute mir. - 


Der ſchoͤne Homerifhe Zug, wie der Niefenkönig, auf dem 
Hügel figend, feinen Hunden mit eigener Hand das Golds 
band umſchnuͤrt, und feinen Pferden die Mähnen fireiche, iſt 
hier bereits gänzlich verloren gegangen. Eben fo auch andere 
trefflihe Stellen dieſer Art, wie Freya ob dem unwürdigen 
Antrag erzuͤrnt, und alle Goͤtterwohnungen unter ihr erbeben, 
und das große bligende Kleindd zerſpringt; wie dann Die 
delfen frahen, und flammend die Erde brannte, als Thor, 
der Sohn Dding, auf feinem Wagen nach Jörunheim fuhr! — 
Was kann man aber wohl einem Volkslied, deffen altes, wahrs 
haft ſchoͤnes und mit erhaßenen Zügen ausgeſtattetes Urbitd 
man gluͤcklicher Weiſe neben fih Kar, unter folhen Umftänden 
für einen Werth beylegen ? poetifchen ? keinen. Haͤtte es wirk⸗ 
lid) eigenen poetifhen Werth, fo wärs es wahrlich nur Zufall, 


Altdaͤniſche Heldenfieder von W. C. Grimm. 197 


und würde diefer Werth den Werth) des Urbilds überfteigen, 
ein Wunder ! Um wie viel weniger no laͤßt fih ihnen ein 
hiforifcher Werth beylegen? Handgreiflich hat man «es ja, 
daß aus dem Donnergott Thor ein Nitter Tord (oder Tor) 
von Meeresburg, aus dem Thurfenkönig Thrym ein Toͤlpel 
(Din. Toffe, offenbar aus Thurs entflanden) Graf, und 
endlih aus der Goͤttin Freya eine Jungfrau Fridlefsburg ges 
worden ift. Da fuche man nun in der Geſchichte nach dieſer 
Fridlefsburg, und nad dem Tölpel und dem Tord! Alles 
Suchen und Forfhen ift vergeblih, und wohl kann es in dies 
fer Hinfiht einem Sram, und Suhm und Bartholin, die 
foihe heilloſe Entftellungen der Geichichte und felbft der Altes 
fin Sagen in diefen Volksliedern gewahr wurden, keineswegs 
verdacht werden, wenn fie diefen ganzen Kram, als unnüß 
für die Geſchichte, Feiner weitern Beachtung würdig halten zu 
mäffen glaubten. Ja, es läßt fd kaum Bergen, daß wohl 
auch die Hierin enthaltenen Lieder von Grimhild ic. zur Ers 
Märung und Würdigung der Eddifhen Lieder über diefe alten 
Heldenabentheuer kein größeres Gewicht haben mögen, als das 
Volkslied von Torn zur Erklärung der Thrymsquidn, wiewohl 
eine Zufammenftellung dieſer Art nichts deſto minder von hohem 
Intereſſe ſeyn Tann. Abgeſehen indeſſen von allem hiſtori— 
ſchen Werth, und denjenigen Stuͤcken, die noch ſchwache 
Wiederklaͤnge aus den Tagen der grauen Vorzeit, auch eben 
desiwegen Peine von dem Wolfe urfprünglich gedichtete, fons 
dern nur durch feinen Leichtfinn und feine Vergeſſenheit vers 
dordene und entftellte Lieder find, fo haben doch auch diefe 
Wiederflänge noch einen Werth, indem fie theils unmwiderlegs 
lihe Beurkundungen von der ehemiatigen Erifteng eines Urbilde 
find, theils uns doch noch manche Ahndungen der urfprünglis 
den Schönhete und manche Hauptſtriche des Alterthums duch 
Sahrhunderte Herüber gerettet haben. 

Auch in diefer Hinſicht verdient das Werk des Krn. Sr., 
deſſen Verdienft um das Dänifche Kjemipevife Bog durch alle 
bisher vorgetragenen Einwendungen und Kügen keineswegs 
kann geſchmaͤlert werden, in der Bibliothek jedes Forſchers 
der Vorzeit und jedes Freundes der Kunſt und des Schoͤnen 
zu ſtehn. Er hat ung zuerft durch feine mie Fleiß, Sprachs 


498 Cbribl. Kirchengefchichte von A. Michl. 


und Sachkenntniß gemachten Ueberſetzungen das Verſtaͤndniß 
deſſelben geöffnet, und ung au ihrem Genuffe vorbereitet. Das 
fü: gebuͤhrt ihm der Dank Zeitgenoſſen, und wird ihm 
hiemit auch von dem Rec. mit der aufrichtigſten. Wahrheits⸗ 
liebe dargebracht. = 





Shriftiche Lirchengeſchihte von Dr. Anton Mict, Koͤn. Bayr. 
geil. Rath und öffentl. Lehrer des Kirchenrechts und der Kirchen⸗ 
geſchichte zu Landshut. I. Bd. Zweyte verm. und verbeff. Auf. 
Münden ı8ı2. 596 u. xV1 S. ing... Bd. Zuſaͤtze zum erſten | 
enthaftend. 1811. 440 ©. in $. 

Man muß fi fehr wundern, in der werbofferten 
Auflage diefes für ein Hauptcollegium auf einer berühmten 
Univerfität befiimmten Lehrbuchs noch fo viele antihiftoris 
fche Anfihten und andere unläugbare Fehler zu finden. 
Es iſt Rec. Pflicht, auf einige derſelben, und dadurch auf die 
Nothwen digkeit einer genauen Reviſionz die zum Theil eine wohl⸗ 
vorbereitete Umarbeitung werden müßte, aufmerkfan zu machen. 

Daß Jeſus zur geeigneten Zeit als Meſſias erſchienen ſey, 
ſoll nach S. 21 auch dadurch erwieſen ſeyn, daß die Juden 
keinen Koͤnig aus ihrem Stamme mehr hatten, Antigonus aus 
den Maccabaͤern der letzte, und Herodes ein Idumaͤer, ein 
Fremdling geweſen ſey. Soll immer noch die Stelle, daß das 
Scepter nicht von Juda entwendet werde, auf den Meſſias 
bezogen werden, ſo iſt darin offenbar vom Stamm Juda, 
nicht von den Juden als Nation die Rede. Vom Stamm 
Juda aber war das Scepter ſchon weggekommen, da die Mac— 
cabaͤer, in Johannes Hyrcanus, Koͤnige wurden. Denn dieſe 
warten vom Stamm Levi. Wäre alſo des Verf. Argumens 
fation Über die, Schieklichkeit der Erfcheinung des Meſſias zum 
Grund zu legen, fo härte diefer ungefähr 130 Jahre früher, 
ehe Johannes Hyrcanus, der Maccabaͤtſche Levite, dag Scep⸗— 
ter nahm, auftreten muͤſſen. Schon von dort an war wirklich 
das Scepter von Juda's Stamm entwendet. Der Hiſtoriker 


darf Chronologie und Geſchichte nicht nach der ——— ums 
formen ! 


Chriſtl. Airchengeſchichte von A. Michl. 199 
Die Erzaͤhlung von der chriftl. Donnerlegion unter Ans 
teninus Pius verwirft S. 57, behauptet aber, Dio und meh— 
rere Auctoren,, auch die Antoniniſche Säule gu Rom ftellen ihn, 
den Antonin, ſelbſt, als den Jupiter pluvius ‚dar. — 
Die Auctoren fagen hievon kein Wort. - Auf der Säule iſt ein 
Regengott, aber nicht Antenin, als foicher, dargeftell. S. Die 
Kupferabdräcdke von dieſer Säule, bey Fabretti. vgl. Baum⸗ 
garten Examen Mirsculi legionis fulminatricis contra 
Woolstonum. Halae 1740. 4. 
Der Dfterfireit wird &. 54 fo vorgetragen, als ob bie 
Frage gewefen wäre, ob die Ehriften ihr Opferfeft am viers 
jehnten Monde oder am Sonntage nah dem viers 
zehnten Monde feyern follten. Aber, mie man an oder 
nah dem. „viergehnten Monde“ Hftern halten könne, 
wird niemand begreifen. Die Frage betrifft den viergehns 
ten nach dem Neumond: — Hier nennt der Verf. ſchon 
die Roͤm. Biſchoͤfe Anicet, Bictor, Stephan ıc. jedesmal 
Paͤbſte. Der Hiſtoriker kann doch nichts daran Ändern, daß 
bamals, 3. B. in Epprians Briefen, der Roͤm. Biſchof noch 
feinen andern Titel hatte, als jeder angefehene episcopus. 
In der bekannten Stelle des Juſtinus von der Eudariftie 
Apolog. I. $. 65. 66. erkandt fih der Verf. das Wort opfern 
eingufhieben, wovon im Terre feine Rede if. Hr. M. übers 
fest: worauf wir Brod und Wein mit Waffen, opfern. Der 
Teyrt ſagt: Alsdann wird dem Borfteher der Brüder 
Drod und ein Becher Waffer mit Wein gemifht dargereicht 
(zgooh£perar, affertur, nicht offertur ). Der Lateinifche 
Fleury, welchen der Verf. in der Note anführt, hat für mo- 
Taoov, Becher, fogar vini et aquae sacrificium einges 
heben. Sollen denn aber auch in unfern Zeiten noch dergleichen 
piae fraudes fortgefeßt werden ?_ Noch mehr: Juſtin ſagt: 
Wir nehmen die Euchariftie nicht als gemeines Brod, nicht 
als gemeinen Trank. Vielmehr, wie, durch einen Logos Bots 
tes, Jeſus Chriftus, unfer Heiland, Fleiſch geworden ift, und 
Zleifh und Blur wegen (Ude) unfers Heils gehabt Hat, fo, 
find wir auch gelehrt worden, daß die Nahrung, aus 
welcher unfer Fleifh und Blut nad der Umändes 
rung (dee Verdauung) zara ueraßoAnv genährt worden, 





200. Eprißf: girchengeſchichte on W. Wit. 


wenn fie durch Gebet und dad von ihm kommende Wert, 
Aöyas 6 rap. adroo, gefegner if, auch Zleiſch und Blut jenes 
fleuichgewordenen Jeſu ſey. So Zufin. Der Verf. behauptet, 
Juſtin ſtimme ganz genau mit der Lehre von der Transiubs 
Rantiation überein. Und doch erklärt Juſtin, dag die Sym⸗ 
boie der Encariftie eine Nahrung feyen, durch welche 
unfer Zleifh und Blut durch Transmutation ge 
nährt werden. Auch glauben viele Kirchenvaͤter, daß eben 
diefelbe in den Leib der Ehriften verwandelte Nahrung diefem 
zur Auferfighung geſchickt mache. Daran atio, daß die ſub⸗ 
ſtantielle Eigenfchaft jener Symbole, körperlich nahrhaft zu 
ſeyn aufböre, . dachte Juſtin nad nicht; er dachte vielmehr 
das Gegentheil. Was thut aber Hr. M.? Er, der Hiſtori⸗ 
ker, laͤßt die Stelle: aus welcher — bis: genährt 
werden, ganz weg (©. 61), und fügt alsdann fogleich bey, 
daß dieſes (häßbare Document fo genau mit der Lehre feiner 
Kirche Übereinfiimme; ungeachtet Überdies Juſtin nicht fast, 
daß Brod und Wein Jeſu Leib und Blur irgend werde, 
fondern daß pie Symbole diefes ſeyen, weil Chrifius 
gefagt habe: dies ift mein Leib, iſt mein Blut! Juſtin 
Hiele fih vorſichtig an Jeſu Wort, ohne irgend ausdeuten 
zu wollen, in wiefern und wod urch Brod und Wein in 
der Euchariſtie Leib und Blue Chriſti ſey. Soll denn nun 
eine Ausdeutung , welche notoriich erft im Mittelalter zur Kir⸗ 
chenlehre canonifirt worden ift, und welche ſelbſt Gregor VII. 
lange Anftand nahm, gegen Berengar als Kirchenlehre aus 
zufprehen, — foll und darf eine ſolche Auslegung den Hiſto⸗ 
riker auch in unfern Zeiten noch verleiten, in Leſebuͤchern für 
angehende Theologen die Terte des heiliggepriefenen Alterthums 
mit der Kirhendogmatit durch Auslaffungen in Harmonie 
zu feßen und durd) Einſchiebſel, wie opfern ſtatt dan 
bieten, umzuaͤndern? 

Dagegen erlaubt ſich aber auch Hr. M. (S. 38) unſern 
ſo partheyloſen Leſſing unter die Feinde der chriſtli— 
chen Religion zu rechnen. Auch wird, wo irgend von 
einer freymuͤthigen Unterſuchung die Rede iſt, gewoͤhnlich die 
Andeutung gemacht, daß „der Proteſtant Semler* (©. 36) 
„die Proteſtanten Ernefi, Lei, Herder xc.“ (8.56) 


Ehriſti. Kirdrengebiräte von A. Dicht, 201 


dieſelbe gewagt haͤtten. Allerdings iſt dies gerade proteſtan⸗ 
tiſch, ungebunden von irgend einer vorgefaßten Meynung oder 
Auctoritaͤt jede moͤgliche Hypotheſe in ihrer vollen Staͤrke, in 
ihrer groͤßten Wahrſcheinlichkeit zu betrachten, weil ſie, wenn 
ihr nicht ihr volles Recht angethan wird, nicht mit Wahrheits⸗ 
ſinn gepräft, nicht entſchleden angenommen oder verworfen 
werden kann. Aber, um ihrer Meynungen willen, Texte des 
Alterthums durch Auslaſſungen und Einſchiebſel 
umzuwandeln, dies haben Leſſing, Erneſti ꝛc. nicht ger 
wagt; dies zu wagen haben ſie auch aus ihrem Proteſtantismus 
fiinen Ania genommen, feinen darin -aefunden ! 

8.62. „Die Taufe war anfangs nur von bem 
Biſchofe, weil die Firmung mit der Taufe verbunden‘ 
war, jedoch mit deſſen Erlanbniß arch von Prieſtern oder 
Disfonen, und im Nothfall fogae von Layen ertheilt.“ 
Anfangs nur von dem Bifhofe? Und doch hatte fetop 
Korinth, da Clem. Romanus jenen Brief der Röm. Gemeinde 
(nie eines Roͤm. Bilhofe) an die Korinthifhe Gemeinde 
dahin ſchrieb, noch feinen über die Presbyters erhobchen, ein« 
jeinen und eigenslichen Biſchof! Er nennt nur emioxönong 
(im Plural) xai drsaxsvovs, fo daß [ihm Erioxomor und 
zpeoßöreno: noch Synonyma find. 

Aus Herders Adraſtea 1. St. ©. 1923 werden ©. 76 bie 
. wergiichen Worte angeführt: „Im Chriſtenthum gibt es kei— 
sen Klerus. Die Menfhheit (die Geſammtheit aller Herzlis 
den Verehrer Gottes) ift der erwählte Theil Gottes, Fein 
ausfhließender Stand. Vertilgt fol der Name, tie 
der Inbegriff, werden. Denn beyde find Reſte der Barbaren, 
den nuͤtzlichſten Ständen verähtlih.“ Kr. M. finder dies uns 
begreiflih. Die Lehrer, fagt er, der Hiftoriker, wurden bald 
Birhöfe, bald Priefter genanne, und führt dabey Act. @o. 
V. ım. und ad. an. Was aber fagt die Beweisſtelle hiſto⸗ 
riſch? Die Presöpters, die Aelteften , werden auch Episkopen, 
Aufſeher, genannt, weil fie, aber fie alle, und nicht bloß 
Einer unter ihnen, diefes bey der Gemeinde waren. Darf‘ 
nun der Hiftoriker angehende Theotogen in die Meynung verfehen, 
als ob Presbyter, senior, durch Priefter gu uͤberſetzen, 


’ 


202 Chriſtl. Kirchengefthichte von A. Mil, 
und 'mit iepeds, sacerdas, damals fynenym geweien fey ? oder 


als ob der allen Presbyters gegebene Beyname, Episkopos, das 


mals den Begriff eines Biſchofs der fpätern Zeiten angedeutet 
Babe. 

S. 79 ſagt: „Da die, Proteſtanten den Roͤm. 
Primat gerne umgeworfen haͤtten, zugleich aber die 
deutlichen Dokumente (7) des Alterthums nicht weglaͤugnen 
konnten, kamen einige aus ihnen auf den verzweifelten 
Einfall: Petrus ſey niemals zu Rom geweſen u. ſ. w. Die 
böfen Proteftanten ! Aber der genaue und partheylofe Hiflorts.” 
ter würde, flatt diefes polemifchen Tons, feinen angehenden 
Theologen vielmehr dies gefagt haben, daß die Proteftanten 
nicht erweistich finden, Petrus ſey als Biſchof zu’ Nom ges 
weſen; daß, wenn fein apoftolifhes Dafepn zu Nom 
den dortigen. bifhöflihen Primar begründen ;folte, An, 
tiochien den ähnlichen Anfpruch auf ein Primat gehabt” hätte: 


daß Überhaupt nicht gegen das eigentlihe Primat (wenn 


Biichöfe find, fo muß Einer der Erfte unter ihnen fepn!y, 
fondern gegen das Supremat und die Hieromonardie 
des Bischofs zu Nom proteflirt werde, wie nach dem Einge— 
fändniß des Verf. ſelbſt (S. 55) der heilige Cyprian fchon 
dagegen Bräftiger, als mir ee wiederholen moͤchten, fich erklaͤrt 
hat. Hr. M. erklaͤrt ſelbſt die Iſidoriſchen Decretalien 
S. 693 für Erdichtungen; und wer kann hiſtoriſch laͤug⸗ 
nen, daß das Univerſal⸗Supremat und dann der Hie ro⸗ 
deſpotismus des Bonifacius VIEL, . weichen Frankreich 
fhon unter Philipp dem Schönen zu brechen anfing, rechtlich 
betrachtet, nur auf der Zeitmennung ruhte, als ob jene Des 
crete uralte und Achte Kirchendocumente wären? Diefe Praͤm iſſe 
iſt längft weggefallen; ſelbſt von allen fahfundigen katholischen 
Gelehrten ift die vornehmlich durch Proteftanten enthuͤllte pia 
fraus, als ſolche, anerkannt; und dennoch) ſollte das Reſultat 
nicht zu bezweifeln, die Conclufion ohne Prämiffe 
geltend ſeyn? Die kathokiſche Kirche behauptet gu allen Zeiten 
die nämliche zu feun. Sobald der Roͤmiſche Primat fo. bes 
trachtet wird, wie ihn, nach allerdings deutlichen Documenten 
des Alterthums, der Heilige Biſchof Eyprian annahm , fo ifl 


Chriſti. Kirchengefchichte von A. Dich, 203 


diefer Streit großentheils geendigt. Die katholiſche Kirche ſelbſt 
wenigfiens und jeder ihrer. weltlichen Regenten kann, fobald 
die Diendo s Decretalten nicht nur an fi, fondern auch, wie 
narärlih, zugleich in ihren Folgen und Reſultaten, als das, 
wofür fie anerkannt find, behandelt werden, mit Recht nicht 
in Verlegenheit feyn, wenn, zum Beyſpiel, rechtmäßig ges 
wählten Bifhöfen von einem Primat, welches nicht ein gebietens 
des Supremat, nicht Univerfal s Eupremat ift, die Confirmation 
(was eigentlich bloß Anertennung der Unitat ſeyn fann) 
aus temporären Gründen verweigert wird. 

Dem Rec. mangelt die Zeit, bie Parorame des Verf. 
weiter fort zu bemerken. Von K. Julian, deſſen richtigere 
Schilderung der Verf. aus Hrn. Prof. Neander's hiſto—⸗ 
tifhem Semälde über den 2. AJulianus und fein 
Zeitalter (CLeipzig ıdsa.) erfehen mag, ſpringt er ſogleich 
auf Muhammed, das beißt, vom 5. 360 auf das J. 591. 
Welche Anordnung der Darfellung! S. ı924 verfihert, Dis 
hammeds merkwuͤrdigſte Grundfäge aus dem Koran ausziehen 
zu wollen, und gibt fodann an: „Der verfprochene heilige Geiſt 
ſen Muhammed felöft, weil man in der Dibel nide 
Parakletus, fondern Periklitus (sic) leſen muͤſſe, 
welches Wort ſo viel als beruͤhmt heißt, und in der Arab. 
Sprache durch das Wort Muhammed ausgedruͤckt wird.“ Mo 
ſtuͤnde dergleichen etwas im Koran? Auch das Maͤhrchen vor 
der fallenden Suche bey Muhammed wird zweymal wies 
derholt. S. 123. 129, Nach Muhammed geht der Verf. auf 
Donatiften,, Arianer ıc. zuruͤck. Auch in Hinſicht der Sprache 
hat der Verf. nöthig, dem würdigen Ton getreuer gu bleiben. 
3. B. ©. 140. „Vom Singen kam es (bey Artus) bald 
zum Lärmen.“ ©. 149. Priscillian waͤrmte die gnoftifhen 
Stundfäge wieder auf, S. 153 die Lehre des Pelagius zu 
verfleiftern. ©. 161. Man hörte nicht auf, an dem 
Hern Jeſus gu meiftern. Der IL Bond enthält theile 
eine weitere Ausführung einiger Paragraphen des Lehrbuchs, 
theils die Ergänzung mancher Materie, wie fie Hr. M. ohne 
Zweifel in feinen Vorlefungen zu geben pflegte. Die Behands 
lungsart ift die nämliche. Uebrigens füge Rec. auch mit Ders 











204 ° Mahn Comm. de Apostolis & J. 


genügen die Erklärung bey, daB mande Meaterien hiſtoriſch 
richtiger, den Auellen entfprechender, bearbeitet find. 
3. €. G. Panlus. 


Ern. Aug. Phil. Mahn, Wildunga - Waldecci, nunc ab Or- 
dinis theolog. Georgiae Augustae Repetentium Collegio, 
Comm. in qua ducibus quatuor Evangeliis Apostolorum- 
que scriptis distinguuntur tempora et notantur viae, quibus 
Apostoli Jesu doctrinam divinam sensim sensimque ımelius 
perspexerint. Goettingae 1811. 151 ©. in gr. 4. 


Observationes exeget. ad difficiliora quaed. Vet. 1’. loca. Auct. 
E. A. Ph. Mahn. Goetting. b. Pietridh. 1512. 45 ©. 8. 


Die erfte diefer Schriften Bat 180g den Preis bey der 
theol. Facultaͤt zu Göttingen erhalten. Durch bie zweyte er: 
warb fih der Verf. die philofophifche Doctorwärde und die 
Erlaubniß zu Vorleſungen. Beyde führen ihn unter die era 
getifch s gelehrte Theologen als einen Mann. ein, welcher bey 
fhönen Sprachkenntniſſen und großem Fleiß, verbunden mit 
einer beſcheidenen, aber nach Gruͤndlichkeit firebenden Prüs 
fungsgabe und einer unverfennbaren Empfänglichkeit für das 
Natuͤrlich s Wahre und Practifhe, bdie ihn auch zu einem 
Freunde Baco's gemacht zu haben fheint, für das Fach der 
oriental. und biblifchen Studien durch vergleihende Darſtel⸗ 
fung verfchiedener Anfichten und durch weitere Verbrteitung 
der beſſeren Ideen ſich vorzäglich näglih machen wird. Seine 
Arbeiten beweifen auch dur eine Fülle ( bisweilen moͤchte 
man fagen, ducch einen lUeberfluß) von Litteratur feine Ads 
tung gegen das fhon Vorhandene. Der Anfang altes eigenen 
Wiffens ift die Kenntniß und Prüfung der Vorarbeiten. Der 
ſicherſte Probierftein, ob ein angehender Gelehrter gu wahren 
Erfindungen in feinem Fach Talent‘ habe, iſt, wenn er in 
feinen Forfchungen öfters mit den beſten Vorgängern unges 
ſucht zufammentriff. Man muß wuͤnſchen, daß dem Verf. 
feine jeßige Anftellung zu Eaffel, als Profeffor am Lyceum, 
die nörhige Muße und Gelegenheit zu Fortfegung diefer Str 
‚ dien nicht beengen möge. 





Mahn Comm. de Apostolis I. C. 205 


Die Preigfchrift geht aus von Zügen des Plans, welchen 
Jeſus hatte, bleibe aber doch allzu fehr bey dem bloß Relis 
gios Moratifchen ſtehen. Jeſus will ein Reich Gottes; er 
wil es durch Lehren und muftermäßiges Selbſthandeln bes 
gründen; er verbietet fih und andern durchaus alle Gewalt. 
Nur was aus Lieberzeugung komme, tft daurend! Aber doch 
will Zefus nicht, daß diefes Reich Gottes immer nur in eins 
jenen und bloß innerlih fey. Die Wesergeugten follen auch 
jnfammentreten „ nad) ihrer riorıs in Sefammtheit handeln, 
badurh an ihn als Oberhaupt, als einen durch Geil und 
Wahrheit, nie durch mwillfährlihe Gebote, wirkfamen Regenten 
ſich anſchließen, und wo möglich fi) fo ausbreiten, daß feine 
Kirche ein Staat Gottes, ein Simmel auf Erden, fey. 

Die eigentlihe Abhandlung ſtellt drey Säge auf: ı. Die 
judaizirende Meynung der Apoftel von einem (mit mwunders 
barer Gewalt gegründeten ) irdifhen Meffiasreih fey durch 
Sefa Ermordung geſchwaͤcht, duch feine Auferfiehfung wieder 
erweckt worden (Apg. ı, 6.). Endlih aber haben fie ein 
bloß moralifches (?), auf Erden beginnendes, im Himmel 
(und auf der paradififh verwandelten Erde ?) fortdaurendes 
Gottesreich geglaubt. 9. Jeſu Abſicht, weldhe die gange Menſch⸗ 
heit umfaßte, haben ſie anſangs nicht durchſchaut. 8. Endlich 
aber Chriſtenthum ſvom Moſaiſchen Geſetz trennen und eine 
geſonderte Geſellſchaft fuͤr ihre Religion bilden gelernt. Wie 
der Verf. dieſe Saͤtze zu erweiſen ſuche, welche Modificatio⸗ 
nen dabey zu beruͤckſichtigen ſeyn moͤchten, geht uͤber den 
Raum einer Necenſion. 

Aus der zweyten Schrift geben wir folgende Benfpiele. 
Der Verf. beftätigt die Schnurreriihe Erklärung des 91102 
niNnD Nicht. 5, 2. Nach dem Arabifhen = 3 meldes im 
die Höhe reden bedeutet. Daher ei? Volkshaͤup⸗ 
ter. Auch Rec. pflege zu uͤberſetzen: Weil ſich Haͤupter 
unter Israel erhoben, weil das Volk freygeſinnt ſich gezeigt 
bat, dafür preifer Sjcehova! Auch Deut. 3a, 40. findet ſich 
die nämliche Bedeutung. (Erod. 32, 25. aber erklärt fih aus 
einem ganz verfhiedenen Stammwort ẽ f ausſchuͤtten, 


206 Mahn Observat. ad diff. V. T. loca, 


leer, kraftlos machen. Day FO, daß Ey 


etwas Gegoſſenes und Ede den gießenden 


Rüänftler bedeutet. Daher zugleich die: Anfpielung auf das 
gegoffene Kalb. „Mofe fah das Volk, daß es. wie aufs 
gegoffen war (Profüsum in scelus), weil Aharon es zum’ 
Sußbild, fusile, gemacht hatte, zum Scheufal vor den 
Feinden.) Zu > Rice. 5, 7. 11. vergleicht Hr. M. mit 


+ 5 unterfcheiden, entfheiden, richten; ver⸗ 


ſteht aber darunter nicht Richter, ſondern viros stre- 
nuos. Es kann Überhaupt das, was ſich ausfondert, 
auszeichnet, vorzüglich iſt, bedeuten. Vgl. IT UN” 


Hab. 3, 14. caput eximiorum. Auch .Erdkayi iſt :oft 
= duderrol. — ef. ı7, 16. wird nom) als, Subſtantiv, 


aegritudo, von’ non angenommen. Collectio frugum erit 
in’ diem moestitiae. Zu ef. 22,2. wird ‚bemerkt, 
daß Fon dfrers nicht den Berwundeten, ſondern den 


Krieger bedeuten muͤſſe. Richt. 20, 3ı. 8. Sam. £, 18., 
wo auch die Aler. TROREINEO: feßte. Der Unterichied ruft 


auf dem DenpelIR Cha * it Adit, transfodit und per- 


fossus est, \m> aber castra metatus, grassatus est, nad 


der Srundbeveutung solvit etiam ‘ad commorandum. 
Lebteres Verbum bebdeuter wohl einen der ſich nieders 
läßt, sarcinas solvens. Deswegen aber noch nicht: miles, 


Sani iſt active transfossor — bellator, passive bon trans- 
fossus- Jeſ. 25, 11. wird IT NIIIN ey überfeßt: ma- 
nibus adstrictis seu in pugnum compressis. D) fol in 
aeternum bedeuten; welches Rec nicht zu ermweifen wuͤßte. 
Prov. 7, 21. wird 3 mit Oo uecus dulcis, fructuum 


coctione inspissatus, verglichen: inclinavit cum dulcedine 
— Be sermonis sui. Vergl. Pf. 55 ae. zu Hohesl. 
.Prov. 5, ı9. 7, 18. beſtaͤtigt der Verf. für 0777 


die — suavia. Wahrſcheinlich waͤre D’717 und 
0777 zu unterfcheiden. Letzteres ift is -Jusit,. Zu DINO 


& 


[4 


De vi vocabuli xrioss auct. G. Chr. Grimm. 207 


Hiob 5, 5. wird verglihen („Lo recondidit, und als Pars 
tieipiam 'Hiphit Überfege: abscondentes secum aufe- 
runt. uvr Habac. 2, 17. haͤlt Herr M. für die dritte 


foeminine Perſon des Peal, vergleicht insidiatus est, 
und überfeßt: et vastatio bestiarum, (quae) irrumpent. 
Chab. 3, 18. wird a9] vom heiligen Reigentanz ev 


färt: saliendo colam Jehovam. 


H. E. G. Paulus. 


De vi vocabuli *Tiets Rom. VIII, 19 seag- qua simul locus 
iste Paulinus explanatur. Auct. M. Gottlob Christ. 
Grimm, _eccl. Kleinwelsbacensis prope Longosalissam 
pastore. Lips. b. Breitkopf. 1812. 96 S. in 8. 


Die Methode der eregetifchen Unterſuchung in diefer Eleis 
nen Schrift ift fehr richtig. Der Verf. ſucht durch die Präs 
dicate den eigentlihen Sinn des vieldeutigen Subjects gu 
beffimmen , und zeigt daneben, gleihfam im Vorbeygehen und 
ohne Anmaßung, warum nad diefer Vergleihung der Prädis 
cate diefe und jene der fonft angenommenen Deutungen des 
Subjects nicht zuzugeben ſey. Gerade durch eben diefe Un⸗ 
terfuhungsmerhode aber fcheint auch des Verf. Erklärung auss 
geihloffen gu werden. Er deutet xrioıs, aus dem Gegenfaß 
gegen die erften Chriften, die „Erſtlinge der Gottesfähne“ 
als Nihtchriften, vergleiht Marl. 16, 1. xnpdEnı TO 
soayy. naon Ti xriocı, Coloſſ. ı, 25. xnovydeis Ev nam 
vij arioeı TH nd ToV 0bpavor, und erinnert an xoauog 
ald Synonnmon. Matth. 18, 18. 1. Joh. 3, 1. Die philos 
logiſche Moͤglichkeit diefer Bedeutung iſt nicht zu läugnen. 
Wie aber paßt fie in den Zufammenhang ? Ders ıg. wird 
&.64 fo umfcdhrieben: qui carent nomine atque jure filio- 
rum Dei futuraeque salutis promisso, ( = xtioıg ), sperant 
adeo expectantque conditionem beatam Dei filiis desti- 
natam et asservatam. SKann-aber das Prädicat: fie hoffen 
und erwarten die Seligkeit der Chriften, den Nichtchris 
fen zugefchrieben werden ?_ Ein folches Erwarten würde ben 
Stauden vorausfegen, daß die Ehriften gewiß felig werden. — 
Vers 2o. Non suo arbitrio (ut Christiani, qui mala cum 
christ. religionis professione conjuncta &xodcıoı susce- 
pisse dici poterant) sed per Deum rerum omnium recto- 
ıem malis submissi sunt (©. 80), sed Vs. 21. S. 65 
sperat 7 xtiorg, fore ut et ipsa, quamvis sit »rioıg 
i, e. quamvis filiorum Dei juribus careat, liberetur. 





f 


208 . Mempria C. G. Heynü auot. Heerei. 


Panlus aber ſagt nicht nur liberetur, fondern auch eis is 
Ehrvdegiav väs Hobng TAV Tixvav Too Deod. Wie könnte 
bey Nichtchriſten eine ſolche Hoffnung. der Befreyung von 
Ervenelend angenommen werden, Die fih irgend anf die 
Befreyung der Chriſten beziehe? an dieſe fih ans 
ſchließe? Der Apoftel konnte nicht vorausſetzen, daß fie den 
Chriſten dieſen Vorzug zufchrieben. — Webrigend zeigt der 
Verf. fo viele Kenntniffe, Darfiellungsgabe, Gewandtheit im 
Lateinifhen Ausdrud und Humanität in der Beurtheilung 
Anderer, daß man feine Klagen Über Entfernung von litteras 
rifhen Huͤlfsmitteln nicht ohne Theilnahme lefen kann, und 
ihm eine feinen Studien angemefiene Lage fehr wünfhen muß. 


H. E. G. Paulus. 





Memoria Christiani Gottlob Heynii commendata in consessu 
reg. Spcietatis Scient. ad d. XXIV. Oct. MDCCCXII. ab 
Arn. Herm. Lud. Heeren. Gottingae typis Henrici 
Dieterich. 22 &. 4. 3 
Here Heeren, von welchem die zahlreihen Freunde und 

Schüler Heyne's die verheißene ausführliche Biographie deſſelben 

mit Sehniucht erwarten , fchildert hier nur vorläufig mit Ruhe 

und Klarheit, wie es eines Geſchichtſchreibers würdig ifl, die 

Verhältniffe des Verewigten zur Uuiverfiräe Göttingen, welche 

ihm einen fehr großen Theil ihres Ruhms verdankt, befons 

ders aber feine Verhaͤltniſſe zu der mit der Univerfirät verbuns 
denen Societät der Wiffenfchaften, und gibt einen Umriß von 
feinen großen litterarifhen DVerdienften. Die hier mitgetheilten 
kurzen Nachrichten von dem frühern Leben Heyne's find zwar 

im Ganzen den Freunden defielben ziemlich befannt, fie erhal⸗ 

ten aber doch einen eigenthümlichen Werth dadurch, DaB der 

Verf. einen Auffab von der eigenen Hand des Verflorbenen: 

über die Schiekiale feiner Jugend benußte, aus weihem S. 5 

“folgende rührende Stelle mitgetheilt wird: „Ex omni mea 

juvenili aetate, si eam memoria apud me repeto, nihil 

prorsus occurrit, quod: jucupdum memoratu foret. In 
summa egestate, in penuria omnium commodorum, quae 
vitam optabilem vel tolerabilem saltem reddunt, nil aliud 
expertus sum, quam aliorum injurias ac oppressionem,* 

Sehr angenehm. waren uns die Bemerkungen über Heyne's 

Verbindung mit Muͤnchhauſen, welche auf die gahlreihen im 

dem Nachlaſſe vorhandenen Briefe des berähmten Minifters 

ſich gründend, den uneigennüßigen Sinn Heyne's gegen frühers 
bin verbreitete Fäfterungen ‚des Meides und der Mißgunft recht 
fertigen. Auch was ‚über feine Werhältniffe zu Winkelmann 
bemerkt wird, iſt fehr lefenswerth. 

—— —— 


| 


Pi 


No. 14. Heidelbergifäe | 1813. 
Jahrbüder der Litteratur. 





LTE 








xXX 


Das heilige Abendmahl, von Dr. Heinr. Stephani, K. Bayr. 
Kreisſchulrath (zu Anſpach) des Kön. St. Michael⸗Ordent 
Ehren⸗Nitter, und mehrerer gel. Geſellſch. Mitgliede. Mit 1. 
Kupfer. Sanbehnt 29 Krüll. 1811. 155 ©. 8. 

Fam Abſchied aus feinen Verhaͤltniſſen als Kreisſchnlrath des 

Lechkreiſes richtet der Verf. an die katholiſche Seiftlichs 

keit jenes Kreifes, welche als Schulinfpectoren mit ihm in 

Verbindung geſtanden waren, dieſe für die Verbündung aller 

guten Menſchen, als Ehriften, merkwürdige Schrift mit den 

Borten: „Die Guten trennt weder Eonfefflon noch Schickſal. 

Sie fühlen fih ewig als Mitglieder jener einzig mahren Kirche, 


der Unfichtbaren, verbunden. Hier nur erzieht uns dieſe in 


verfchiedenen Abtheilungen füt ihr höheres Neid.“ Eben dies - 
ſes rege Gefühl der Vereinigung aller Gutgefinnten herrfcht in 
ber ganzen Darftellung. Ungeachtet des Beifs. Erklärung 
der / Worte Jeſu beym Abendmahl von allen: bisherigen abgeht, 
und feine Beurtheilung der vielfahen Abweichungen von dem 
Vorbild. der Stiftung, alle Confeffionen zu einem höheren urs 


| frränglichen Zweck mit Enthufiasmas zuruͤckzuleiten ſtrebt, 


verfaͤllt er doch niemals in einen polemiſchen Ton. Wie er ſich 
ſelbſt charakteriſirt, daß jene feine Amtsbruͤder ihn als einen 
Mann Lennen gelernt hätten, der „nichts fo feurig wuͤnſche, 
als das Anfehen der Religion in der Welt wieder recht wich 
fam machen,“ fo athmen auf diefe fünf Auffäse den 
Geiſt der Wahrhaftigkeit und Liebe, in dem Beftreben, durch 
Gründe zu Überzeugen, und zu Befolgung der Ueberzeugung 
durch lebhafte Darftellung zu rühren. „Ale Syſteme von 
GereHämern, auch unfre kirchlichen, haben (&. 7) gewiſſe 
Gentralpuncte, auf welchen ihre Haltbarkeit beruht. An diefe 
fege man den Hebel freymäthiger Unterfuhung an, und ihre 


Waſſen werden zerſtiebend herabrollen und die Sonne der 


14 


210 Das heilige Abendmabl von H. Stephan. 


Wahrheit niche mehr hindern.“ — „Die von Jeſu ange: 
fangene (Kobffer 1, 24 8.) Eriöfung, des Mens 
fhengefhledhts kann (S. 9) nur dadburd zur Vollendung 
- gebracht werden, wenn alle Lehren und Gebräuche der chrifts 
lichen Kirche mit dem hohen Zweck der (Heiligung oder) Vers 
edlung immer mehr in Harmonie gefeßt werden.“ 

Nach diefen Srundideen erkennt der Verf. im der "Geyer 
des Abendmahls die Abfiht einer fortwährenden Bundess 
erneurung herzlih wahrer Chriften für zufammen 


wirkende Ausäbung und Verwirklichung defien, was im 


Chriſtenthum das Weientlihe if. Jeſu Worte: Dies iſt der 
(gemeinfhaftlihe) Kelh des neuen Bundes! feinen ihn 
‚geleitet zu haben. Eben diefer Worte wegen ift auch fonft die Idee, 
‚die Symbole des Abendmahls mit Bundesfpmbolen zu vergleis 
hen, ſchon Öfters aufgefaßt worden. Vgl. Worbs Ueber die 
Dundes s und.. Frenndichaftsipmbole der Morgenländer, zur 
Erläuterung mehrerer bibl. Stellen. Sorau 1792. Der Verf. 
tbut es auf eine in den Hauptgranden und in der Anwendung 
eigenthuͤmliche Art. 

Faſt alle Voͤlker traten mit ihren Goͤttern * geſchlach⸗ 
tete Thiere in Verbindung, deren einen Theil man durch Feuer 
den Goͤttern gab, den andern aber die Menſchen in einem 
gottesdienftlichen Mahl verzehrten. So af man in Verbin⸗ 
dung mit den Göttern, auch nod zur Zeit des Urchriſtenthums 
(1. Kor. 10, 11.). Auch die Israeliten hatten in ſolchen 
Dpfermahlen Verbindung mit dem Altar des Sjchovah (eben: 
daf. V. 18.), und der Apoftel feßt in jener gangen Stelle das 


Mahl des Heren in Aehnlichkeit mit jener die Gottheit und den 


Menſchen mit einander verbindenden heilig gehaltenen Mahlen. 
Befonders bey Bündniffen wurden unter mancherley Mopifis 


sationen, welche der Verf. ausführlich angibt, Thiere zerſtuͤt⸗ 
kelt, ihr Blut als Bundesblur gebrauht, wie ausdruͤcklich bey 


dem theokratifchen VBerfaffungsbund Sehovahs mit den 
Seraeliten, Erod. 24, 8. vergl. 19, 1 — 11. das Bundespiut 
theils, auf die Seite der Gottheit bin, alio an den Altar, 


verfprigt, theild aber in Becher gefüllt und auf die verbüändes | 


ten Menichen, nachdem fie ihre Einwilligung in das Bundes 
Hefe gegeben hatten, geiprenge wurde. Alsdann wurde mit 


— 


Das heifige Abendmahl von 9. Siephani. 211 


den Opferfleifch und mit Wein, flatt des Blutes, ein Bun⸗ 
desmahl gefeyert. Sogar wurde nicht felten ſelbſt etwas 
von dem Biute under Wein gemilcht, und auf dieſe Tchaners 
lichſte Weiſe die Verpflichtung zum Bunde auf Beben und Ted 
übernommen. Leber diefe hergerfchätternde Bitte gidt S. no 
die ausdruͤckliche Bemerkung dee Saluſt Bell, Gatilin. 
c 29. nicht nur Catilina, da er feine. Verbundene vereis 
dete, humanı corporis sanguinem vino permixtum circum- 
tulisse, fo daß fie davon post exsecrationem alle etwas ko⸗ 
fleten, fondern es fey auch, was die Hauptſache if, eben 
diefesbey den feyerlihen Weihungen Sitte ges 
weſen, „sicuti in solemnibus sacris fieri consuevit.“ 
Diefes letztere, als vorzüglich merkwürdig, hat der Werf. durch 
die fprechende Abbildung einer fehönen Gemme verfinnlicht, 
unter weiche eben jene Worte: sicuti . . consuevit gefeßt 
find, wahrfcheinlich um zu erinnern, daß Hier — was ohnehin 
kein billiger Lefer der ganzen Schrift thun fann — nicht an das, 
was in Catilina's Handlung aufrährerifches war, zu denken fey, 
wo vielmehr auf die Allgemeinheit jener befchriebenen 
heiligen Sitte ausdrücklich hing edeutet und ſie hiſtoriſch und 
antiquariſch bewieſen werde. 

Dieſe allgemeinen Anſichten und Gefühle der Menden 
bey Heiligen Bundesmahlen, wie fie befonders au aus Ilias 3, 
45 — 301. und Liv. ı, 24. vollkändig zu erkennen find, was 
ren, ſchon feit Geneſ. K. 15. 8.06. 8. 3ı, 46. auch bey den 
Süden. 2. Sam. 5 20. 1. Kön. ı, 25. Und da Seins beym 
Abendmahl den Kelch ausdrüdlih einen Kelch des neuen 
Berfaffungsbundes nennt, fo kann fein Zweifel feyn, daß er 
dabey an die alte Bundesverfaffung und deren Erod. 24. ers 
zählte Einweihung gedaht Habe. Eine aͤhnliche Conſecra⸗ 
tion ſeines Verfaſſungebundes war alſo ſeine Abſicht. Wie 
aber ſein Verfaſſungsbund ſelbſt viel humaner und univerſeller 
ſeyn follte, als der noch im unvermeidlichen Particularismus 
von Moſe geſtiftete, eben ſo mußte auch in den Symbolen 
das particulariſtiſche, das Paſchalamm, weggelaſſen nnd dages 
gen etwas allgemein Noͤthiges gebraucht werden. Dies war 
das bey dem Paſchamahl vorhandene Brod. Moſe hatte 
Fleifch, ein gebratenes Lamm, jur Hauptſpeiſe des Pafchar 


® 


L 


212 Das heilige Abendmahl von H. Gtephani. 


mahls gemacht. Dies war ein Felt finnlicher Freude Aber 
finnlihe Erldfung Jeſu Bundesmahl fol aufs geiftige 
‚gerichtet, fell fo wenig finnlih ‚fen, wie möglich. Moſe's 
Bundesſpeiſe, das Lamm, wurde von den Juden der Pas 
fh aleid,.0D MA, oöua voo 70x genannt. Einen - 
ſolchen Paſchaleib Hatten ſo eben. die‘ Tifhgenoffen Jeſn 
nebſt ihm genofien. Noch lagen Biffen davon vor ihnen, weit 
das Mahl mie einem folhen Biffen von dem Pafchaleib aes 
fehlopgen werden mußte. Hier nahm Jeſus einen Brodkuchen, 
ſprach darüber den gewöhnlichen Dank gegen Gott, zerbradh 
uud gab ihn (nah Hrn. St: Erklärung) mit den Worten« 
dies ik meim Leib, nämlid mein Paſchaleib, — Pas, 
was ich ſtart des Pafchaleibs zu nehmen verordne. Der Sinn 
wäre: dies tft meine Bunvdedfyeife, das univerfellere, unent⸗ 
behrliche Symbol der (nicht mehr particnlariftifchen, nicht 
bloß nationellen) Verbuͤndung und MWerbräderung aller Gut—⸗ 
geſinnten. —— 

Allerdings frappirt anfangs dieſer Anlaß, mit einemmal 
in den Worten Jeſu nichts mehr von dem eigenen Leib und 
Blut deſſelben zn finden. Mit einemmal wäre das oupoe auf das 
cöya Tod ndoxa zu beziehen. Aber, genauer, wiederhofter, 
uneingenommen betrachtend, wird wenigſtens die philologifche 
Worterklaͤrung nichts gegen die Anficht einwenden, daß Jeſus 
bey den Worten, dies Brod iſt mein Leib, gerade dieſes 
‚gedacht haben könne: das alte ouua Toö nacya ift nicht 
mehr mein ou, Brod foll dagegen mein odua (sc. 
od .naoxa) feyn! Ferner: das alte levitiſche Schladytopfers 
Hlut iſt nie „mein“ Blur. In Zukunft fol diefer Wein mein 
Diut, das Blut des neuen Verfaffungsbundes 
feyn. Er fagt fogar amsdrädlih fogleih in den nächften 
Verſen bey Matth. und Markus, daß er keinen Paſchawein 
mehr trinke, daB er auf eine neue Weiſe Wein trinten werde. 
Das Neue tritt an die Stelle des Alten. So fagte Er bey 
Soh. 4, 54. Meine Speife if, daß ich thue den Willen 
Gottes, und der Sinn iſt: flatt der Speifen, welche ihr 
bringet, if das Wirken nach Gottes Willen-mir zur Nahrung. 
Entfcheiden könnte man über die Auslegung, wenn Wir die 





Das heilige Abendmahl Ivon H. Stephani. 13 


begktitenden Gebaͤrden Jeſu mit Hätten anfehen können. Sah 
er bey dem Wort vöum auf das vorliegende odua Toü Tra- 
07 Wer kann dies entſcheiden? Aber auch bey der gewoͤhn⸗ 
lichen Erklaͤcrung ift es ebenfalls nur hinzugedache, daß Jeſus 
bey den Worten ooud ov auf feinem Lerb gedeutet oder ger 
blidt Habe, Daß man fie lange fo verſtund, beweiſ't nicht, 
daß man nicht lange geirrt haben könne. Denkt man fi 


lebhaft an den Paſchatiſch Hin, wo Jeſus mit feinen Juͤngern 


io lebend faß, fo hat es doch feine eigene Schwierigkeit, gu 


denfen : er babe ihnen Brod hingegeben, welches, in irgend 
einem eigentlichen Sinn, fein — noch als ein Ganzes 
vor ihnen lebender — Leib feyn follte! 

Hr. St. vereinigt auch die Übrigen Stellen des N. T. 
mit feinee Erklärung. Man konnte fpäterhin die Symbole 
Brod und Wein vun xpıoToö, ala xpıosoö nennen, in 
ſofern ee ſelbſt ſie feinen Pafchaleib, fein Bundesblut ger 


nannt hatte. Wer einem jüdifchen Opfermahl, =) Mar, 


beywohnte, erklärte, wie 3. Kor. ı0, 18. fagt, nad) damals 
gen Begriffen fih für einen Theilnehmer an dem Altar; 


wer den geweihten Becher, das gebrochene Brod der Chriften 


genoß, erklärte fich ſelbſt eben fo (V. 16.) für die Theil⸗ 
nahme an dem, was der Herr für feinen (Paſcha⸗) Leib, 
für fein Bundesblut erklärt Hatte, und dadurch für den Vor⸗ 
fa, ein Tifhgenofe des Herrn (V. 21.), ein Gaſtfreund 
bey des Herren Mahl, deinvov xvpıaxoy (11, 20.), und 


ein Verbuͤndeter des Geiſtigen Einen ooua Jeſu, der Ge 


meinde, zu feyn (10, 17.). Selbſt die legte offenbar geiftig 
deusende Stelle fcheint zu zeigen, daß ou im ganzen Con⸗ 
tepte niche leiblich zu verſtehen ſey. Eine coena dominica 
muß doch nicht ein Mahl feyn, wo dominus ve] aliquid de 
domino comeditur; etwa wie Hamlet fagt, Act. IV. a sup- 
per, not where he eats, but where he is eaten. Wer 
dann nach 1. Kar. 11, 21. lieblos und üppig bey einem fols 
Gen Chriſtenmahl fih bewies, wer alfo unanftändig und uns 
würdig das vom Herrn eingefegte Brod und Wein genoß, der 


verſchuldete fih V. 27. gegen das, was der Kerr, flatt der 


Paſchaſymbole, feine Symbole, fein oöra x. alu“ genannt 


\ 


[4 


MA Das heilige Abendmabl von H. Stephani. 


Hatte. Er behandelt das, mas Seins fein ouua genannt hat, 
nicht mit würdiger Auszeichnung, dð dıiaxeivov. V. 29. Da 
Sefus felb des Bluts noch befonders erwähnt, fo würde 
Er, kann man wohl hinzufegen, nicht os, fondern oapE. 
Fleifh, dem Blut parallel geftelle haben (wie oh. 6, 54. 
‚65.), wenn er an fein eigen Fleifch und Blut gedqcht hätte. 
Der Leib, wie auch im Streit über den Kelch oft bemerkt wurde, 
‚würde fchon auch das Blut begreifen, wenn von einem bes 
lebten Leibe nad) der gewöhnlichen Auslegung die Rede wäre.‘ 
Rec. bat fih noch die Einwendung gemacht, daß das 
Paſchamahl an fi nicht ein Verbändungsmahl, viel—⸗ 
mehr die Feſtmahlzeit zur Erinnerung an die Erldfung aus 
Aegypten war. Der Verfaffungsbund. der Sjsraeliten entftand - 
erft nad) dem Auszug. Erod. 24. Allein, daß Jeſus an Feyer 
eines Verfaſſungsbundes dachte, bleibt durch feine 
eigene Andestung: Tb aiıa uov, TO Tüs xaıyis dadNenz, 
worin alle drey Evangelien harmoniren, entfchieden. Jeſus 
konnte auch ſchon auf Gottes Bund mit Abraham Senef. 17,9 
15, 18. zurüdfehen. Er vereinigt Erinnerungss und Ben 
buͤndungs feyer. Aber für das eigentlihe, . particuläre 
Erinnerungsfymbol, den Paſchaleib, ſetzt Er ein allges 
meinereds. Uebrigens bat, wie auch &. 56 anzeigt, fchon 
Pfaff in feinen Institutionibus Theologiae dogm. et 
moralis (Ed. II. 1721. ) p. 691 die Andeutung gemacht: 
Christus hoc sacramentum institut ad analogiam 
coenae Paschalıs.. . Et verba roöro ori To ooud 
pov ex phrasiJudaica explicamus: Judaeis enim agnus 
Paschalis assus, atque in mensa positus olim dicebatur 


—J DIN corpus Paschatis. Mur die Anwen— 


2 dung, welche Ar. St. hievon macht, war fuͤr jene Zeit noch 
nicht moͤglich, nicht vorbereitet genug. 

Aber auch, wenn dieſe Anwendung nicht Über die philolo⸗ 
giſche Möglichkeit hinaus erwiefen werden fann, bleibt 
doch, nad) des Rec. Einfiht, alles das, was Hr. ©t. über 
‚die Deutungen der Abendmahlsworte ins Lnbegreiflihe, und 
dann uͤber die practifch veredlende Anwendung diefes eigens 
thuͤmlichen Chriſtenmahls weiter folgen laͤßt, in gleichem Werth. 





Das Heilige Abendmabl von H. Stephan. . 215 


Oceimutfiwolles kann nichts darin liegen; denn dies, wenn 
es eine Aufgabe für den Glauben feyn follte, müßte von Je⸗ 
fas in beffimmten Worten zur Aufgabe, zur Glaubensprobe, 
gemacht feyn. Oder wußte etwa Jeſus weniger, als ein Cons 
dlium im Mittelalter und die fonftigen Verf. von Glaubens— 
normen, die angemefjenften Worte für das, was man hier zu 
glauben Habe. Das gewiß ausgefprochene iſt, daß feine Hands 
lang auf einen neuen Verfaffungsbund fih beziehen 
folte., Daß e8 Erinnerungsmahl an Zefa Aufopferung 
für eben diefen Bund werden mußte, daß die Chriſten, fo 
oft fie es als Ehriften zuiammen aßen, in den bittern Gedans 
fen, in den hergerfhürternden Ausruf ansbrehen mußten: 
Sie haben uns den Meifter erfhlagen! (1. Kor. 
ı1. 26.) dies lag ohnehin in der Natur der Sache. Eben 
fo gewiß ift es, daß Brod und Wein nie Symbole eines 
Suͤndopfers waren, daß felbft das Paihalamm gu den frohen 
Gluͤcksopfern, 8 nicht in die Claſſe der Suͤnd⸗ oder 
Schuldopfer gehoͤrte, daß alſo auch bey dem dafuͤr geſetzten 
Bundesmahl an alles eher, als an ein Opfer für Süns 
den von den erſten Ehriften gedacht werden fonnte, die ale 
gebohrne Juden mit der DOpfertheorie von Kindheit auf 
beſſer, als mander Theologe, bekannt waren. Selbſt der 
Apoftel Daulus hat nie von dem Mahl des Herrn eine Ans 
wendung diefer Art gemacht. Die Betrachtung, daß es Buns 
desmahl fey, bleibt alfo auf jeden Fall. 

Mit ſchoͤnem Enthuſiasmus flellt es denn auch der Verf. | 
als Verbrüderung für ein Gottesreich, für eine mit Gott hars 
monierende Weltordnung,, ale Erneurung eines Bundesſchwurs 
für die Verbuͤndung mit allen Gutgefinnten, als das große 
Samtlienmahl aller Gottesfinder unter dem Einen, ewigen, - 
heiligen Vater, dar. Er eifert S. 99 darüber, daß es zum 
Mahl für die große Süänderzunft gemacht fey. „Wie 
woller ihr den Menihen je dahin bringen, den mühevollen 
Kampf für die Tugend zu beftehen, wenn ihr ihm ein aͤuße⸗ 
res Mittel anweiſet, durch defien Gebrauch er ohne innere 
Anftrengung den Tugendhafteften gleich geftelle werden könne? “ 
Er gibt liturgiſche Vorſchlaͤge darüber, Leider feine 


J - 


! 


216 Das beitige Abendmahl von. H. Stephant.. 


Anfiht au in eine Abendmahlsrede en, melde durchr 
aus zweckmäßig fcheine, und verbindet damit paffende Ges 
 fänge, melde den beften ung befannten nicht nachſtehen. — 
Alles diefes aber iſt, wie es jeßt faft nicht anders ſeyn ann, 
auf die großen, gemifchten Verfammlungen in Kirchen berech⸗ 
net. Hierdurch wird immer das Bundesmahl auf die bloßen 
Symbole eingefchräntt. Wie ganz anders. mußte es in den 
noch befiern Zeiten des Chriſtenthums wirken, wenn verttaute 
Chriftenverfammlungen wirklich ihre coena zuſammen afen, 
als folhe, die fi ihres Chriſtus freuten, nur ihn und feinen 
Bundeszweck, alles Wahre und Gute, zum Tiſchaeſpraͤch 
machten, und endlih am Schluß: eines ſolchen aͤchten Chriſten⸗ 
mahls höher geffimmt und gu manden guten Vorſaͤtzen neu 
erwärmt, ihren Jeſus feldft fich vergegenwärtigten,. wie er 
einft, am legten Abend feiner kaum begonnenen Lebensbahn, 
des Verraths zum Tode gewiß, aber auch gewiß feines Vort 
faßes, daß der Sieg des Guten nur durch Weberzeugung, nicht 
buch Gewalt zu bewirken fey, die treubleibende kleine 
Heerde, wie der alte königliche Prieſter Melchiſedek Genel. 
14, 18. durh Brod und Wein zu einem Bundesmahl vers 
einigte, welches in der Folge eilf Galilaͤiſchen Männern die 
Stärke gab, feine kurze Wirkſamkeit für den gebilderften Theil 
dee Welt unverlöfhlid, fegensreih zu machen... Auch die tor 
lirte Beyer des Bundesmahls in den Kirchen if allerdings 
feinem Heiligen Zweck fo nahe als möglich zu bringen... Et 
fcheint aber doch unvermeidlih, daß fie nur wie ein. Symbol 
der urfpränglichen Einrichtung bleibe. Die Hauptbedingung 
des Effects wird allein in engeren Tirkeln denkbar feyn, mo 
wirkliche Chriftusfreunde als ſolche einen heiligen Abend feyern, 
wo der Mund von dem, wovon ihr Herz voll iſt, vertraulich 
Überfließt, und, gleihfam Kohle an Kohle gelegt, die Ale 
der Konvenienzen weggehauht wird. Auch Jeſus erwartete 
das Meifte von kleinen Gefellfhaften Sleihgefinnter; 

wo zwey oder drey folhe beyfammen wären, wollte er de 
Tiſchgenoſſe, der Inhalt ihrer Tifchreden, fenn. Daß alsdann 
alle dergleichen kleinere Cirkel gu allgemeinen Zwecken dei 
Bundes für alles Gute harmonieren und aus allen Kräften 
zufammen wirken, deswegen immer auch zugleich eine Kirche 
überhaupt bilden follten, ergibt fi) aus der Natur der Sache. 
Geben uns doch die wirffamfien der für ideale Zwecke verein 
ten Verbruͤderungen eben dieſes Beyſpiel des Wirkens aus 
kleinen vertrauten Kreiſen in Rie vielfacher zufammengefehte 


Sefammtheit.“ | 
' H. E. G. Paulus. 
— — — — 








Ueber Rellgionsvereinigung von F. Stewdel. 217 


Ueber Neligioncverelnigu Ein Wort Vroͤfung und vfner 
(offener) Erflärung als Beytrag zur Pr Des griedens in 
der chriſtl. Kirche. Don Fried. Steudel, Diakonus zu Cant⸗ 

ade Cjeht zu Tübingen). Gtuttgart bey Mezler. 1511. VALLE 

und 223 ©. in S. 


Rec. will diefe beſcheidene, gher ſtandhafte Proteftation 
| gegen Erregung eines neuen Unfriedens zwifhen 
der katholiſchen und proteftantifhen Kirche, meift durch fich 

ſelbſt, durch Auszüge ihrer eigenen Worte, charakterifiten, da 
He fehr vieles Wahre und Sure, nur bisweilen durch eine 
verwickelte Periodologte in etwas verdunkelt, darbietet. In 
Beziehung auf die „Friedensworte an die katholiſche und 
proteſtantiſche Kirche für ihre Wiedervereinigung“ ( Sulzbach 
| 1810.) eine Schrift, welche jede Bitterkeit and Lieblofigkeit 
zu vermeiden vorgibt, will der Verf. ins Licht ftellen, Daß der 
Prtoteſtant weiß, was er glaube und warum er es glaubt, 
daß eben deawegen die Proteffanten feine Gründe 
haben, fih als religidfe Geſellſchaft aufzuldien 
und der Farholifhen beyzutreten. Er wollte nice 
einen andern irre madhen in dem, was diefer glaubt, 
aber dartegen, daß der Proteftant keinen Grund babe, in dem,’ 
was er glaube, ſich irre machen zu laſſen. 

Die Frtedensworte wiederholen das befannte Wißs 
fpiel, daß man entweder Katholik feyn, oder Deift 
werden muͤſſe. Wenn die Latholiihe Kirche and, zugeftehe, 
daß in ihr zu einer gewiſſen Zeit Mißbraͤuche flatt gefuns 
den haben, fo fey fie doch die ächte chriftl. Kirche, und ihr 
Syſtem das einzig confequente chriftlihe. Kr. St. iſt 
fo friedliebend , nicht fogleich zu fragen, eb es confequent fen, 
in einer unträglicdren Lehranftale Mißbraͤuche, ſelbſt durch 
den Repräfentanten der infalliblen Kirdye autorifirte Mißbraͤuche 
(wid Ablaß um Geld ) jemals einzugeſtehen? Wenn die Ges 
ſchichte ſo oft, fo unlaͤugbar dag Gegentheil von Infallibilitaͤt 
der Kirche documentirt, fo wird man eher zu einer andern 
Antichefe gedrungen : dafl man entweder Proteftant oder Deift 
ſeyn müffe! Die untruͤgliche Kirhe, melde ben Dffens 
bahrungsglauben fihern fol, ift geichichtlich nicht gu finden. 
Er muß alſo entweder rationell gefihert werden, oder 
müßte er gar nicht zu fihern ſeyn. Kr. St. erllärt daher 
mit ruhiger Beſtimmtheit: was die proteftantifhe Kirche 
fy. Sie iſt ihm eine Sefellihaft, welche in Gegenftänden 
des relig ißſen Slaubens als enticheidend nur das Ans 
fehen der Bibel gelten laffen, von deren göftlihem Ur⸗ 
fpeunge Der eigene freye Gebrauch der Vernunft 
fie überzeuge, und weiche fie nur mit. Huͤlfe ihrer eiges 

nen Bernunft erklaͤre. Durch diefen genetifhen Begriff 


& 


[1 


218. UkReber Religionsvereiwigung von F. Gtendel. 


der proteſtantiſchen Kirche iſt allerdings gezeigt, daß Proteflans 
sismus und Rationalismus nicht einander entgegen, fondern 
zugleich zu feßen find. Der Proteflantismus ift bibliſcher 
Nationalismus Mur das, mas nod) allzu vieldentig ift 
in des Verf. Ausdruck, daß, der Proteffantismus in Hinſicht 
der Religion allein das Anſchen der Bibel.gelten laſſe, fors 
dert noch genauere Beflimmung. Die Bibel enthält vieles, 
was nicht zum Wefentlidhen der Religion gehört, und auch 
das zur Religion gehörige gibt fie in einer zur Vollkommenheit 
foreichreitenden Entwicklung. Das alte Teftament enthält auch 
ſchon Religionsoffendbahrungen, die aus religidjer Begeiſterung 
entftunden. Im neuen Teftament aber fihreiten fie zur weites 
ren Vervolllommnung fort. Die proteftantifhe Kirche nun, 
wenn fie deutlich erflärt, was fie unter dem Anfehen der 
Bibel veritehe, eikennt aus vernänftigem Nachdenken, daß 
alles, mas in der Bibel als wefentlihe Neligionswahrheit ges 
offendahrt iſt, das volllommenfte und zureichendfte unter allen 
Religionseinſichten iſt, die als Offenbahrungen aus veligiöfer 
Begeifterung en:ftunden. Eben deswegen aber muß diefe Kirche, 
auferdem daß fie bey Entdeckung des Uriprungs und des Wort 
finns diefer Offenbahrung die eigene Vernunft gebraudht, die 
nämliche das Goͤttliche fuchende Geiſteskraft auch noch dazu ges 
brauchen, daß fie den übrigen, vielfachen Spnhale der Bibel 
von dem unterfcheide, was innerhalb der Bibel als weſentlich⸗ 
religidfe Wahrheit aus beiliger Begeifterung ung in Lehren oder 
Beyſpielen vorgehalten wird. Wie richtig unterſcheidet auch 
der äftheriich : philofophiihe Scharffinn Plank's (in feiner 
Einleitung in die theol. Wiffenih. fhon 1795.) Bibel und 
bibtifch s geoffendahrte Neligionswahrheit. Er erkennt es als 
„allgemeine Rege! (IT. Th. &. 404), daß die fuftematiiche 
Theologie ihre Schrifebeweife nur aus folhen Stellen ziehen 
folle, von denen es gewiß iſt, Daß fie eine Belehrung und 


‚gwar eine für alle Zeiten beffimmte Belehrung 


über Religionswahrheiten enthalten,“ mit (&.409) 
der.doppelten Bemerkung, daß „nicht in allem, was von 
Sein und den Apofteln herrährt, ein dogmatiſcher Reli— 
gionsunterriche gefucht werden darf, daß man aber auf 
jedesmal fih fehr beftimmter Gründe bewußt feyn muͤſſe, 
wenn man fi in einem befondern Fall erlauben will, einem 
eregetifch wahren Ausiprud, Chriſti oder der Apoftel die dogs 
matifche Wahrheit abzufpreihen.“ Wird dieje genauere der 
flimmung , daß und in wiefern der Bernunftgebraud, des Pros 
teftantismus fi nicht nur auf die Bräliminarien der Theologie, 
auh nicht allein auf die Eregeie beziehe, fondern überdies 
auf den Inhalt der Dogmatik ſelbſt, als eines Syſtems 


oe 


ueber Religionspereinigung von F Steudel. 219 


der wefentlihen Religionswahrheiten, gewiſſenhaft anzuwenden 
und conſequent durchzuführen ſey, vollſtaͤndig erwogen, fo ers 
het, daß aͤchter Proteſtantismus jederzeit bibliſcher Ras 
tionalismus war, und bleiben wird, nie aber in einen 
bloßen Deismus (tn eine alle Dffenbahrungsauctorität laͤug⸗ 
nende Neligionsphilofophie ) ausarten kann. Die Gottheit 
führt die Menfchen durch zwey Wege zu Religionseinfichten. 
Entweder ift man, bey den vom Water der Geiſter veranflals 
teten Weranlafffingen zur Ueberzeugung, fih des eigenen Nachs 
denfens und aller Umſtaͤnde bewußt, wodurd man die Einficht 
erreicht; oder wird fie dem Andachtsvollen aus feinem innigften 
Gefühl für das Heilig s Religidie mit Begeiſterung offenbar, 
d. h. fo klar und wahr, daß er fid feiner Wirkfamkeit dabey 
nicht bewußt iſt. So lange die Geſchichte zeigt, daB Bott die 
Menſchen auf diefen beyden Wegen za ihrer religiäfen Erziehung 
leitete, und fo lange es gewiß ift, daß befonders bey der Re—⸗ 
ligion Geift und Herz, Nachdenken und Gefühle vereinigt 
wirken, einander beleben und berichtigen follen, . eben fo 
lange wird fich die bibl. Offenbahrungsiehre nicht vom Ras 
tionalismus, und diefer fih nicht von dem Biblicismus 
trennen. Diefes beydes aber wird Geſchichte und Menfchens 
fenntniß immer zeigen; mogegen es Srrationaligmus 
wäre, als Glauben vorzufchreiben, dab auch etwas den aners 
kannten, unläugbaren Einfihten entgegengefeßtes dennoch Dffens 
bahrungsmahrheit feyn könne. Und fo flimmt auch mit den 
Srundideen der Stifter des Proteflantismus jeder Protes 
ſtant überein, welcher fi) zum biblifhen Nationalismus in 
obigem Sinn bekennt, weil auch Lurher, Melanchthon ꝛc., 
was fie aus der Bibel ale Aufgabe des religiöfen Glaubens 
behaupteten , nur wegen der Vorausſetzung behaupter haben, 
daß es dort als wefentliche und andern unläugbaren Einfihten 
nicht entgegenfiehende Religionslehre vorkomme. Sind denn 
gleich die proteftantifchen Gelehrten noch nicht Über den ganzen 
Anhalt des biblifhen Nationalismus nad) jedem einzelnen Theil 
axegetiſch und dogmatifch einig, ſo ift dies doch nur eine ins 
nere Differenz, die bey fo verjhiedenen Stufen von Vor— 
fenntniffen und Einfichten bisher unvermeidlich, zugleich aber 


‚ein Zeichen des geifligen Lebens und Selbfiforfhens war. Der 


Unterfchied felbft befteht nur darin, daß der Eine mehrere, 
der Andere wenigere Säße geoffenbart findet, welche er zum 
Wefentlihen der Neligionsbelehrung rechnen zu dürfen 
überzeugt ifi-. Dawider aber, daß irgend etwas, das in der 
Bibel nicht geoffenbare ift, durch irgend eine in Mens 
(hen fortdaurende Sjnfallibllität zur Religionswahrheit, oder 
auch nur zu einem abjolut nothwendigen zeligidfen Ritus ers 


- 





\ 


4‘ 


220° uUeber Rellgionsvereimigung von F. Gtendel. 


hoben merden könne, ſtimmen alle Proteflanten nur defto 
kraͤftiger zuſammen, wenn gleich ihre biblifher Nationalismus 
bey manchem weniger, bey andern vollftändiger durchgeführt 
and wiffenihaftlich ausgearbeitet erfcheint. Leber die negies 
rende Stellung des Proteflantismus gibt es eine Differenz; 
aber auch der affirmirende Theil deffelben (denn der Bors 
wurf, daß der Proteftantismus nur neaierend fey, tft ohner 
bin abermals ein bloßes Wortfpiel! ) zeige fih in,allen weſent⸗— 
lihen Puncten weit mehr zufammienflimmend,” als die Diffes 
renzien es vermuthen laſſen mögen, welche in der That nur 
Bas, was zur Einkleidung und unter die temporären Begriffe 
I vechnen fey, betreffen. Und fo, mie dieſer affirmirende 
heit des Proteſtantismus für Die Religion das Wichtigfle 
tft, eben fo bleibe der negterende, die Proteflation gegen 
‚allen Slaubensswang, für die Eultur dee Menſchheit 
äberhaupe hoͤchſt wichtig. „Nur dagegen (S. 82) firäubte 
fi) unfer ganzes Wefen, wo das Sdttlihe durch menichliche 
Zugabe entwärdigt, oder gar verdrängt werden follte.“ S.134. 
„Selbſt die Taͤuſchung in der Meynung, man’ denke felöft, 
iſt noch ehrenvoller und nährender für das Gute, “als das des 
müthigende Wegwerfen feiner feloft, womit man fih unfähig 
glaube, auch ſelbſt zu denken,“ d. h. anflatt eines gebotenen 
Auctoritaͤtsglaubens einen Weberzengungsglauben zu haben, wel⸗ 
cher allerdings achtbare Auctoritäten auch vergleicht und bes 
nu&t, eben deswegen aber z. B weder durd) die rohen Producte 
des Mittelalters fidy ſeſſeln läßt, ndch bey einem Kirchenlehrer, 
welcher, wie Auguſtinus die Bibel nur lateinifch lefen Fonnte, 
richtige Eregefe und Anwendung ſchwerer Stellen erwartet. — 
©. 135. „Wer jebt noch dem Chriſtenvolke von einer uns 
eräglihen Lehranftalt voripriche (die Friedensworte fpres 
hen nad dem Modeton, daß wenigftens das Wolf eine 
folche Religion bedärfe!), der muß, wenn er von dem 
vernünftigen Theile, ſelbſt der Katholiken, gehört werden mil, 
vorher vielleicht mehr als Einen Foltoband fcdhreiben, in dem 
er alle Data, welche die Gefchichte zu dem Beweis, daß fein 
Forum kein unträgliches if, an die Hand gibt, ale 
unftatehaft widerlegt.“ | 
Die Friedensworte tragen ©. 32ı darauf au, daß nicht 
mehr widrige Vorurcheile aufgewärmt, nicht, mehr 
feindfelige Zumuthungen ausgefireut werden 
foltten. Dennoch geben fie den Wint ©. 258, daß die 
Idee einer unfihrbaren Kirche gegen die Proteftanten Bei 
forgniffe von Seiten des Staats verurfachen koͤnnten. Ader 
dieſe Kirche hat keine unfichtbare Obern, als Bott und Jeſus! 
Ehen diefe Friedensworte. wiederholen. aud) gegen die Refors 
f 


“ 


Ueber Religionsversinigung von F. Gtewdel, 221 


malion die Vorwürfe von Luthers Leidenfchaftlichleit, und „da 
ein Dann, welcher dem gemeinen Mann von Frepheit, 
den Zürften von Unabhangigkeit und Einziehung 
teiher Pfründen, den Kierifern von Aufhebung des 
Coelibats fprah, ſich wohl günfiige Aufnahme habe vers 
fprehen können.“ Ganz vorzäglih gut hat Kr. St. das 
Hiforiih :Uinwahre dieſer Punete gezeigt, nach dieſem aber 
auch den wichtigen Unterſchied beyder Kirhen in Grund⸗ 
fügen und einzelnen Dogmen treffend ausgezeichnet. 
©. 100. „Dat denn er (der Berf. der Zriedensworte) wicht 
gehöre von Luthers treuer Vermahnung (1522) an alle Chris 
Ken, fih vor Aufruhr und Empoͤrung zu hüten ? nichts von fels 
ner Schrift gegen die räuberifchen und mörderifhen Bauern ? ıc.* 
„Bar es nicht noch 1530 bey den svangelifchen Fürften Gegen⸗ 
fand einer reiflihen 1eberlegung, „ob man dem Kayfer mit. 
gutem Gewiffen Widerfland thun koöͤnne, wenn er gegen 
einen derfelben, um der Religion willen, Gewalt gebrauchen 
wÄrde 7" (Auch wie fehr Luther fel6 dem Krieg entgegen 
war, weil fein Heldenglaube, daß Sort feine Sache ſchuͤtze, 
unerfchätteriich blieb, ift befanne!) Das Secularifiren aber 
war ohnehin nicht im Geifte der Reformatoren. Luchagsflagte 
darüber, daß ein Theil des Adels die Kioftergüter an ſich 
reißen wolle ( Schrödh N. KG. I, 374), und der Ehurfürf 
von Sachen verordnete ( ©. 891) feluft, daß alle Einkünfte 
der geiftlihen Stellen und Kiöfler genau beredynet werden folls 
im, um Kirchen und Schulen zu verforgen, wozu er, wenn 
es nöthig ſey, noch Geld herzugeben fih erbot. Leider! aber 
mußte Hr. St. mehrmals anmerfen, wie fehr die Friedens: 
vurte von dem, was ihr Verf. aus Stellen, die er ſelbſt zur 
Hälfte citirte, richtiger willen mußte, gefchichewitrig und 
vorfäglih abweichen. Mer follte den Schluß für möglich hal⸗ 
ten, welchen er $. go macht, daß, weil die Neformation Res 
ligions Uneinigkerten verurfachte,, fie alle Schuld der Bartho⸗ 
lomaͤusn aͤchte, angezündeter Scheiterhaufen u. dgl. trage. War 
ten nieht die &cheiterhaufen laͤngſt vor Luther und Huß — aus 
unträglicher Machtvolliommenheit — angezündet? Mir Wäre 
ſpricht überhaupt S. ı0B das Unläugbare aus: „Nichts von 
dem, was Luther (gegen den Katholicismus) als Jrrs 
tum beſtimmt verworfen bat, hat unterdeffen 
fih als Wahrheit beftätiget, fondern die Macht, welche 
er heidenmärhig angriff und in Schranken zuruͤckgewieſen fehen 
wollte, ward wirklich dahin getrieben; feine Srundfäße 
im Ganzen find von Millionen als hoͤchſte Wohlthat erkannt, 
durch neue Stäßen gefihert, und durch weitere Beleuchtung 
noch mehr aufgehellt worden.“ ©. 195. „Kein (and nur 


22 Ueber Religiomsversinigung von F. Steudel. 


hifkorifch:) anfgeflärter Katholik kann läugnen, daß das Gy 
fiem des Katholicismus, welches von Luther beftrttren 
wurde, die Auffiärung in gewiffen Zweigen der Miffenfchaf: 
sen (außer der Philoſophis vornehmlich im Staatsrecht, Kies 
chenrecht ꝛc.) nicht begänftigen kann, weil feine Exiſtenz und 
"die Heiligkeit derfelben durch fie gefährdet würde .... Darum 
lag Frankreich non jeher im. Rampfe mit dem Haupte der ka— 
thalifchen Kirche, und darum lag Kayſer Joſeph fo fehr im 
Kampfe mit der Hierarchie. Es möchte ſchwer fallen, den 
Saß zu beftreiten, daß, mas innerhalb diefer :Zeit für Aufı 
flärung im Katholicismus gefchehen iſt, Annäherung iſt zu den 
Srundfäsen ‚der proteftantifchen Kirche.“ Wer hat die Unaͤcht⸗ 
heit der. Pſeudodecretalien gezeigt, wer aber auch von den. Fob 
gen diefes nur im Mittelalter möglich geweſenen Products ſich 
entfeffeft ?_ Die Friedensworte feldft geben S. 132: den Wink, 
daß „Rom nihe mehr in feiner alten Lage fey.“ 
Sie uͤberſehen daben die natärliche Gegenfrage: ob die alte 
Lage mit der Infallibilitaͤt der Kirche uͤhereinkam oder nicht? 
und das Dilemma: ob alfo dieſe Infallibilitaͤt entweder jeßt 
oder damals als verlegt erfheine? Sie ziehen aus der vers 
ände Lage Roms nur die Erwartung (St. S. 83), daß 
„ale Dpfer, die mit der Wefenheit des Chriſtenthums 
vereinbär find, gebracht werden moͤchten.“ Mit der Weſen— 
heit des Ehriftenehums ? Wer aber wird dieſe beflimmen? 
Die Exegeſe und Religionsphilofophie der katholiſchen oder der 
proteftantifhen Kirche ? — 

Der Verf. der Friedensworte ſetzt, wie er nicht anders 
kann, das erſtere voraus. Denn Untruͤglichkeit der Kirche und 
Primat des Roͤm. Biſchofs als „des goͤttlich autoriſirten Res 
praͤſentanten der untruͤglichen Kirche“ ſetzt er ſelbſt als die 
Kauptdivergenzpuncte (S. 146. 187). Die Wefenheit des 
Ehriftenchums wäre alfo nur auf jener Seite. Auch fein 
Vereinigungsplan kommt daher, wie es immer bey zwey Thei—⸗ 
len, wovon der Eine im MWefentlihen allein Recht gu haben 
glaubt, der Fall werden muß, darauf zuruͤck, daß, wenn ein 
" Unionsentwurf von beyden Theilen gemacht, dem Pabſt zur 
Genehmigung vorgelegt, und von diefem mancher aus den 
kirchlichen Einrichtungen fließende Anftoß gehoben würde, man 
von den Proteftanten Nadygiebigkeit erwarte, wo die 
Anftände einen Blaubenss und Dffenbahrungss 
gegenffand betreffen.“ Die Proteflanten alfo müßten 
ihre Srundfäße, das Weſentliche ihrer chrifti. Weber 


zeugungen,, der Katholicismus dagegen einige Nitus und . 


äußere Verhältnife aufopfern! Hr. St. hat gegen dieſes 
Opfern Äberhaupt mit großer Klarheit bemerkt, daß fich dar⸗ 


ueber Neligimnsvereinigung . von F. Oteuda. 223 


‚über, ob man von etwas Überzengt ſeyn wolle oder nicht, gar 
nicht pacisciren laſſe. Es ift Pflicht, alle mögliche Mittel zur 
Ueberzeugung anzuwenden. Mer darf Pflichten aufopfern ? 
Welch ein Begriff von Wahrheit und Religioſitaͤt, wenn dieſe 
aus gegenfeitigem Accordiren hervorgehen follten! Wegen des 
Primats zum Beyſpiel begehren die Friedensworte $. 126. die 
Meberzeugung : daß, weit Petrus.von Jeſu einen ‘Primat ums 
ten den Apoftelm gehabt habe, umd in Rom geflorben (ep, alſo 
fin Rachfolger zu Rom ihm auch im Primate folge.“ Ders 
gleichen Schiäffe wirden fodann gebotener Glaube feyn; gegen 
fie dürfte es dann feine .Segenfrage mehr geben: ob der Vor⸗ 
sung des Petrus nicht ausdruͤcklich auf individuelle Eigenſchaften 
deſſelben gegründet wurde? und ob fi) dieje durch Jahrhun⸗ 
derte herab vermittelft des Sibens auf dem Stuhl des Petrus 
vererben laffen ? — Der vom Pabſt modificirte Vereinigungsplan 
foll, nach, den Friedensworten, „durch den Landesherrn von feis 
ner. wänichenswerthen Seite empfohlen, und dem Amte bet 
Prediger Schuß, Unterſtuͤtzung und befferes Einfommen vers 
fprochen werden. Wer aber die Augen gefliſſentlich ſchließt, det 
eignet ſich nicht mehr zum Lehramte.“ Iſt es Geift des Chris 
ſtenthums, oder Folge der Ergiehung unter einer.an das Gebieten 
gewohnten Kirchenpolitik, welche bey Vorſchlaͤgen dieſer Art 
von Urheber dreiſt genug machen konnte, fie Ungeſcheut vor 
das Publikum zu bringen? Hr. &t. faßt dies alles mit Recht 
in die Worte zufammen: es fol Slaubenszwang einge 
führe werden! ©. ı20. ran. „&s aber jemand (zum Predis 
ger) sräte und fprähe: Bruder! ich biete dir Ehre und Ga 
winn; komm, diene meinem Zweden; da müfte er erwieternz 
Es ſtehet geſchrieben, du follft andeten Gott, deinen Herrn und 
ihm allein dienen. Und, wie fehr jener auf das Edle feiner 
Zwecke fich bernfen und durch Worte der Bruderliebe ihn ges 
winnen möchte, er müßte ihn, weil er durch Anbietung irdis 
fer Vortheile ihn zu gewinnen gehofft hatte, verachten. Ind 
wen wir verachten, dem dienen wir nicht. Noch Diener der 
Edle dem , von dem er als der Verachtung werch behandelte 
wird.“ — Am meiften wundern wir ung über den (bruͤderli⸗ 
hen?) Wink der Friedensworte S. 25, daß Eigennuß vors 
zuͤglich bey proteffantiihen Seiftlichen fich einſchleiche, 
diejer aber und Stolz wider die Vereinigung fampfe. Konnte . 
der Friedensflifter nicht bedenken, daß fein Wink nur zur Ben 
gleichung zwiſchen den Vortheilen kathol. und proteftantifchse 
Kirchenaͤmter und zwiſchen den Ehrenſtellen einea Cardinals, 
Biſchofs ꝛc. und eines proteſtant. Conſiſtorialraths auffordere. 

Es iſt nicht bekannt, daß irgend die proteſtant. Kirche eine 
äußere Vereinigung mit der kathol. für Zeitbeduͤrfniß halte. 


224  Lpher-Meigionsvereinigung von F. Strndel. 


Der Gedanke von St. fcheint daher der. natuͤrlichſte, diejenigen 
Katholiken, weiche ein ſolches Zeitbedürfniß einzufehen behaupten, 
. darauf aufmerkſam zu machen, wie fie den umgewandten Ans 
trag, durch folhe Mittel Proteftansen zu werden, aurueh nen 
würde? Mas die Regierungen betrifft, fo können fie ,. 

gleich der Name Primat nod fo milde flirt, doch —— ver⸗ 
— 5 — daß er eigentlich ein dirigirendes Supremat in ſich 
ſchließe, weiches nicht nur auf Staubenseinheit, un auch 
auf viele weltliche Verhaͤltniſſe, wie Eheſcheidungen, Ehedis⸗ 
penſattonen, Verheyrathung zwiſchen Perſonen verſchiedener 
Kirchenconfeſſion u. dgl. Einfluß habe, und, zwar nicht mehr ſo, 
wie in dem geprieſenen Mittelalter, mit Thronabſetzung 7) 
Aufldfung des Unterthaneneydes, aber doch mit einer andy buͤr⸗ 
gerlich ſchaͤdlichen Ausſchließung aus der Kirche und von der 
Seligkeit drohen fönne. Und wenn als ein Hauptgrund 
Religionsvereintgung dies angegeben. wird, daß auch Die kirchliche 
Geſellſchaft, nah dem Bepfpiet der Staaten, fich zur Centras 
difirung der Kräfte neige, fo wird der Staats: und Geſchichts⸗ 
kundige die Reflexion nicht unterdruͤcken koͤnnen: daß Biefer 

Grondſatz auf die Nothwendigkeit einer geiſtlichen Univerſal⸗ 
monarchie (vgl. S. 66) führen muͤßte, um fo mehr als fix 
jene fhon einmal ein Verfuch im Großen gemacht worden - if, 
und gegen. den Mißbrauch concentrirter geiftiicher Kräfte, weiche 
unaufhoͤrlich auf Erjiehung und Gewiſſen Einfluß haben, die 
weltliche Macht in der Continuation immer unterliegen muͤßte, 
wenn fie nicht, durch Gewiſſensfrerheit und vorurcheilsfreye Sets 
#tesbildung der Pluralitaͤt, ein gleichfalls geiſtiges Uebergewicht 
zu erhalten fuchte. Diefe wahren Beſchuͤtzeringen der Staaten 
and aller Fortiehritte zum Guten aber fcheinen ung zuzurufen: 
- Wenn von Verbeſſerung im Religiöfen die Nede fepn fell, fo 
laßt ung nicht ins Mittelalter, nicht in jene frühere Zeit, wo 
Sinken und Zerfall des Nöm. Reichs das Charakteriftifche iR, 
daft ung vielmehr zu Seins, zu Petrus und Paulus, laßt ung 
zum Urchriſtenthum feloft immer mehr zurüdtehren! Das Urs 
chriftenthum muß doch das feyn, was die volleſte Karholieität 
(Allgemeinheit) verdiente! Und auch im Geifte der proteftant. 
Neformatoren war, wie ſchon der fo ruhig forfchende Schroͤckh 
im II. Theil der Reformationsgeſchichte &. 8oo urtheilt, die 
‚ Wiederherftellung desädten (uralten), allein ges 
meinnäßlihen Chriſtenthumss das, was fie nach allen 
Kräften wollten. Diefer Geiſt, diefe Tendenz führt zu dem Tens- 
tralpunct zuangloſer, übergeugungstreuer Vereinigung; mo ber 
Dbrigkeit, mas der Obrigkeit gebührt ( (Gehorſam zum Staates 
wohl), Sort aber, was Gottes ift (Verehrung in wahrer Geis 
ſtigkeit) gegeben wird. . HE. G. Paulus 

— | 


4 











15. S8seidelbergiſche 1813. 


Jahrbuͤcher der Litteratu r. 


a ET ETF OPT GT TE TAT 
[2 J J 1 


Bofegarten’s Dichtungen. Neue Kuflage. Erſter Band 232 &. Zwei⸗ 
tr Band 227 &. Dritter Band 196 5, Vierter Band 231 ©, 
Breifswalde , gedr. bey Eckhardt. 8. 


— 
Bi achtungswerthen Theile des Deutſchen Bestituns, 
weihern gemüthvolle, erhebende Dichtungen, dieſe ſconen 
Bluͤthen eines höheren Dafeynd, zufagen , und weides fid 
nit ducch einige vorlaute Schreier des Tages, dte ihm vor⸗ 
demonſtriren wollen, was es fuͤr Poeſie und Nichts Poefte 
halten fo, irre machen laffen, wird es erfreulich ſeyn, zu 
vernehmen, daß Ar. Köfegarten ändefangen babe, feine 
bedeutendern Dichtungen zu fammeln, zu fühten und zu ord⸗ 
nen. Die bereits vor und liegenden vier Baͤnde beurkunden 


zur Genuͤge, daß Hr. K. — deſſen Dicterberuf nur det 


Unverftand oder böfe Wille verfennen wird, uind dem’ einft 
Herder und Schiller dieſen Beruf wilig jugeftahden — 
nur Gelaͤutertes geben wollte; denn überall ſtoͤßt man auf 
Beſſerungen und forgfältige Seile. Auch in Rackficht der Me; 
tif hat diefe Sammlung unſtreitige Vorzůge vor allen bieheri⸗ 
gen Arbeiten ünſers Dichters. Es kann uͤbrigens nicht die 
Abſicht unſrer Anzeige ſeyn, die hier gelleferten Bichtungen, 
deren Werth groͤßtentheils ſchon entſchieden iſt, beym Publi⸗ 
kum erſt einführen zu wollen, ſondern nur von dieſer Ausdabe 
der letzten Hand, wodurch Hu’: fich „am Rande: ſeiner 
dichtenden Laufbahn einen Denkſtein zu ſezen wunſthte, wel⸗ 
her die Nachbleibenden für eine Weile nad an den Mer 
ſchwnndenen erinnern moͤchte,“ (S. V. d. Worr:) wollen mie 
einen treuen und unpartheyhiſchen Bericht abſtatten. Was der 
Dieter in diefen vier erften Bänden gab, gehoͤrt mehr oder 
weniger dem Epos an; was er der Lyra Anvertrautt, werden 
die vier legten Baͤnde liefern, baldiger eig wir 


mit Verlangen entgegen ſehen. 
15 


226. Dichtungen von Kefegarten. 


Der erfie Band, enthält die anmuthige ländliche Dich⸗ 
sung: Jakunde, in fünf EHogen, die man- aud nad) 
Voſſens Luife und. Goͤthe's Herrmann und Dorothea mit 
Vergnügen leſen wird. Diefe idylliſche Darftelung ſpricht das 
Gemuͤth durch edle Einfalt, Zartheit, materifhe Schilderuns 
gen reigender Gegenden und eine fräftige und harmoniſche 
Sprache an. Das Ganze iſt fehr gut gehalten, und nur fels 
ten thut das durchſchimmernde Städtifhe, Gelehrte oder zu 
Bleinliche Detail mancher Beſchreibung dem Nührenden und 
Maiven Abbrud. Bisweilen Hört man auch den Dichter 
zu fehr felbft in den Perfonen dieſer Idyllen fprechen. Die 
meiften Charaktere treten indeffen lebendig hervor, nur den 
Liebhaber Jukundens lernt man zu wenig, und faft nur aus 
feinee Schwefter Thefla Schilderung, kennen. Das Bor 
fefen der Stellen aus dem, Plato und einige andere Par 
ticen erinnern zu fehr an geehrte Kenntniffe,.die den Idyllen⸗ 
Menſchen fremd feyn muͤſſen. Der „Bediente, der zu Tiih 
(ud, = iſt auch nicht idyllenmaͤßig. Eben fo möchte man einige 
zu gemeine Ausdrüde, wie Unrath merken, blühender 


Kloß, Kloß des Feldes (für Erde geſetzt), krachen 


der Rohrſtuhl, ungewoͤhnliche Wortformen und Provin 
zialismen, wie: ſticke le Wände, Gebreite der Schwaden, 
lauterlich, u. f. w. wegwuͤnſchen. Bey aller Sorgfalt, die 
Hr. K. auf den Versbau gewender hat, laſſen ſich doch noch 
manche Verſe nur fchwer fpondiren, wie z. B. S. 43: 
„Welcher if fehön, vornehm, und ein Liebbaber der Mädchen.“ 
Auch fans man wohl nice fagen: „ein Kind, — das ihn 
fo heuer gekoſtet.“ Das „theuer erkaufte Kind“ in der 
vorigen Auflage ift dem Genius. der Deutſchen Sprache weit 
angemeflener. Abſud gefällt ans auch in einem Dentichen Ge 
Dichte nicht. „Im gleichen Womene“ if in der feßten Au& 
gabe auch niche gut durh „in felbigem Mu“ verändern 
worden. Und warum fehlt in allen Ausgaben die fünfte Bitte 
im Vaterunſer, da der Dichter fih doch fonft fo genau an 
die Worte der Schrift Hält? — — Die beg weitem meir 
fien Veränderungen find jedoch wahre Verbeſſerungen. Unte 


andern hieß es in der erftien Ausgabe fonft (1. Efloge): 


Dichtungen von Koſegarten. 227 
Aber es ſenkte ſich das dufire Gewoͤlk, von der Sonne 
Scheidendem Strahl mit Gold und Purpur befäumt. Von der 
Se ber 
Haucht' evquickendes Kühl; und Die Wetterfahne bes Kirchtburms 
Dreht' in den Dflen ſich, die gewünſchte iz verkuͤndend. 
But heiße es: 
Aber das Wetter verzog. Das Bemslk ſank. Fern aus der Eee 
ber 
vanchet erquickendes Kühl. Von des Oſwind Athem geheben, 
Nauſchte Das Meer, und golden und roth sing unter die Sonne. 
Hismeilen ift der Grund der Weränderung nicht ganz klar. 
& if in der Znueignung der Ausdruck: begießen und 
dbrdnen in den Frühen Ausgaben jetzt in fänbern und 
waſſeen verwandelt. Der „Sänger der Hohen Johanna “ 
(Schiller) heißt jeßt! „Der Sänger des Wilhelm 
Tell.“ Gluͤcklich, und dem Zujammenhange ängemeffener, 
find dagegen die Worte der frühen Ausgaben Ekl.): 


Alſo ſprach ſie. Schon eilte der Vater ein Mehrers zu fragen/ 
Me von Amaltich geführt, Jukunde nabet und Thekla, 
Jetzt fo verändert: | 

Alfo fprach fie, und ſchwieg. Auch der Pfarrherr ſchwieg, den 
ſo eben 


Nabten Jukund' und Tbekla, geführt vom edeln Amal⸗ 
rich. 


Die: trefflihe Stelle in der 1. Ekl. von dem im Walde einge⸗ 
en und aufgeweckten Kinde: 


Sanft fie ſchüttelnd, ins Ohr ihr raunend, den toſigen Mund ihr 
Deckend mit glühendem Kuß, gelang es mit Noth ihre, dent 
Schlummer 
Sie zu entreißen. Es ſchlug das Kind die trunkenen Augen 
Träumend zum Himmel empor, erblickte die glänzenden Sterne - 
Schauerte leif’, und bog fih zurü zum Buſen der Pathin. 
Diefe zartempfundne Stelle iſt mit Recht in der neuften Aus— 
sabe unverändert geblieben. Kraͤftig und wuͤrdevoll iſt die 
Befchreibung des Geſangs der am lifer des Meeres verfams 
melten Gemeinde: . 


— Scholl der Gemeinde Geſang hinauf zum — Himmel | 


u. Dichtungen von Kofegarten. 


Voll, fiark, prächtig, harmoniſch; es ſcholl im Den heiligen 
A | Ehoryfalm - 
Zaut die Poſaune des Meers und des Sturms vichkehlige Drgel. 


Mor s und Schlußgeſang der Gemeinde und die Predigt des 
Pfarrers find des Dichters gleichfalls würdig; doch iſt die den 
Fiſchern und KHüttenbewohnern beygelegte Kenntniß der Geſtirne, 
des „Sirius, Rigel und Yed, Azimech, Antar, Arktur * nicht 
wahrſcheinlich. Im der 6. El. finden ſich ©. 199 mehrere 
gluͤckliche Zu ſaͤtze, die ſich auch in der zweyten Ausgabe noch 
nicht fanden. In eben dieſer Ekloge, worin der Pfarrer ei⸗ 
nen gehabten Traum erzaͤhlt, hieß es ſonſt: 
Liebe Tochter, das Wort, was du im Scherze geſprochen, 
Stiprt mir ein Traumgeſicht zukück vor die flaunende Seele, 
Das ich gefchaut heut Nacht, in der füßen Stunde der Frübe; 
Aberes war vermifcht bis jetzt aus meinem Bt., 


/ mütde 
Jetzt Heißt gene alſo: | 
Liebe Tochter , das Wort, das Sie im Scherze gefprochen , 
Fübhrt mie ein Traumgeficht zurück vor die Haunende Seele, 
Das ich gefchaut heut Nacht in der fügen Stunde der Frübe; 
Aberes lag verbüflt bis jeßt in meiner Erinne⸗ 
rung. | 
Nur hat ung die Aenderung des traulihen Du in das hoͤfliche 
Ste in einer Idylle mißfallen. Noch ftehe Hier eine der ge 
lungenſten Befchreibungen aus der zweyten Ekloge: 
Lang fchon fand betrachtend alfo der begeiſterte Lehrer, 
Anzufimmen gedacht’ er fo eben dei preifenden Frübpſalm , 
Siebe, da trat, wie die Frübe fo feifch, wie der röthliche Nlor- 
| a gen 
Bluͤhend, zur Thür herein fein erfigebornes Mägdlein. 
Blumen, fo eben entblüht, von des Frühthaus Tropfen noch 
Ä - blinfend, 
Brachte die fromme Tochter dem blumenlicebenden Vater. 


| Der zweyte Band enthäle die Inſelfahrt, oder 
Aloyfius und Agnes; eine ländliche Dichtung in ſechs 
Eklogen, die, nad ihrem Inhalte: die Landung, die 
Betfahrt, die Irrfahrt, die Kreuzfahrt, dit 
Nachtfahrt und nie Heimf ahrt uͤberſchrieben find, Ein 


Dichtungen von Kofegarten. 229 


gefihlooller Weihgeſang: Unferer Köntgin, ſteht voran. 
Hier nur, zur Probe, zwey Strophen: 


Fern, wo die dunkle Fluth, dann laut, dann leiſe, 
Am Fuß der heiligen Arkona grollt, 
Erklang freywillig die zu Lob und Vreiße — 
Der ftimmiteichen Lyra tönend Gold. 
Das Lied, das ich ihr abgelauſchet habe, 
Reg’ ich- zu Füßen dir, als DOpfergabe. 


Der Tochter Deutfchlands, traun! ‚bleibt ewig theuer 
Der fügen Heimat traulicher Geſang. 

Klingt doch des Franten und des Wälfchen Leyer 
So herzlich nicht, als Deutſcher Saiten Klang. 
Drum widm’ ich kühnlich dir, o Hochverehrte, 

Das ſchlichte Lied, das mich, die Muſe lehrte! 


Aa in dieſer zweyten laͤndlichen Dichtung findet man Ken, 


8 vertraute Bekanntſchaft mit der Natur, Hohen Sinn fir 


Religion und Waterland, und fräftige, maleriſchſchoͤne, oft 
redner'ſche Darftellungsgabe wieder. Aber auch hier. ſchimmert 
überall der gebildete Gelehrte durch. Des Verf. beffernde 
Hand ift auch bey diefem Gedichte nicht zu verfennen. Tiefs 
gefühl und anziehend find die Mittheilungen der Schiffenden 
über das Meer, in der ı. Ekloge, S. so fg. Der 155. V. 
iſt in der neuen Ausgabe ſehr gluͤcklich veraͤndert worden. In 
der zweyten Ekloge kommt wieder eine Predigt vor, aber Ton 
und Geiſt ſind doch von der in der Jukunde vorkommenden 
verſchieden. Diefe- Predigt hat einige ergrelfende Stellen. 
Ruͤhrend iſt die Schilderung des im Meer verſinkenden Vaters 
Iſorens. Die Beſchreibung des Bernſteinlandes in der dritten 
Ekloge hat treffliche Stellen, wiewohl hie und da ein zu ga 
lehrtes Anſehen. Zu den ſchoͤnern Stellen gehört folgendes .: 
Aloyſius Hand erfiaunend die Wunder der Meerwelt, 
Maaß mit pruͤfendem Blick des Abhangs grauſige Tiefen, 
Schauete liebend ſodann in die weite Wogende Ferne, ". ' 
Trank des Atherifchen Strems mit Wollufl ; ‚öffnete lechzend 
Stirn und Bruſt dem gr der- fern aus, dem 
bed, . - 
Ann dns Meer, wlbrang/ —— Haar ihm hob, vn 
et © laͤſen — 


230 . Dichtungen von Kofegarten. 


Brand Tanftichmeichelnd ihm küblte. une fwalte das 
Aug' ihm, 

Und zum Unendlichen trug der Geift des Unendlichen Anblick, 
S. 107 fg. hat ſich der Dichter ſelbſt einen Tieblihen Kranz 
gewunden, Kine maleriihe Schilderung der untergehenden 
Sonne komme ©. ı10 fg. vor. Die in der 1. Efloge mitges 
theilten : Legenden wird man mit großer Theilnahme leſen. 
Nur wollen uns ©. 161 die gefhaarten Chöre nicht ges 

fallen; auch fonft fanden wir den Ausdrud gefhaart mehr⸗ 
mals bey unferm Dichter. Das Wort geweft fl. gewefen 
©. 165 wuͤnſchten wir aud hinweg. Warum nicht ? 
— — — nie fromm fie war, wie fireng’ und wie eifrig. 

Die Hymne an die Nacht in der 6. Ekloge ift in dem Geiſte 
der Hymnen des Drpheus gedichte. So gelungen auch der 
größere Theil feyn dürfte, fa Hat fie doc, einzelne zu presiöfe 
©tellen, 3. ©. 

Nacht, Bertraute des Herzens, Auslegerin dunkler Orakel, 

he PreDbeiiR? Kbenepin Hieroppantin — 

ice / — mid, Matter: nicht den, der nie um des 


gichtes 
Baufel dir untreg ward — — 


- — — — Bunnuig 
Einverleibe mich dir; und nimmer ende die Braut⸗ 
nacht! 

Zu den ——— — Stellen gehoͤrt in der 5, Ekloge die 
Schilderung der Zufammenkunft des Alo yſius mit der Ags 
nes am Frähmorgen, und die Schilderung diefes Morgens, 
in der 6. EA. die Befchreibung des Sturms u. f. w. Auch 
dieſe Eklogen Laffen einen wahlthaͤtigen Eindend in der Seele 

uruͤck. 

Der dritte Band enthaͤlt Legenden, Sagen der kirch⸗ 
lichen Vorzeit. Wenn wir gleich in der Bekauntmachung dieſer 
Legenden nicht das Hauptverdienſt des Hrn. K. ſehen koͤnnen, 
ſo geſtehen wir doch aufrichtig, daß wir die meiſten mit Theil⸗ 
nahme und nicht wenige auch mit Ruͤhrung geleſen haben. 
Bey vielen dieſer Legenden erinnert man ſich der ſchoͤnen 
Worte, die einſt Herder ausſprach: „Das Kreuz hat einft 


Dichtungen von. Koſegarten. 234 


den Wölkern Ruhe gebracht; es lilte Aufruhr, Fehben, Zwie⸗ 
tracht, und gebot den Gottesfrieden . .. Das Grab 
war ihnen eine Ruhekammer, wo himmalifshe Geiſter das ar⸗ 
Rorbene Saamenkorn zur Aufbläthe eines künftigen ewigen 
Frühlings bewahrten.“ . . . „In der Verachtung fanden Diefe 
Helden Ruhm, in der MWerfolgung Gewinn, in der Mühe 
- Lohn, in der Schwachheit Stärke.“. Einige won Dem K. bes 
arbeitete Legenden nähern ſich jedoch zu ſehr dem Tändelnden, 
und entfprehen dem von Herder angegebenen Ideale folches 
. Bearbeitungen nidt. Eine kurze Ueberſicht wird umnfer Urtheil 

befätigeg. Auffallend war «8 uns, hier die Einladung 
wieder abgedruckt zu fehen, die in der Infelfahrt ſchon abge⸗ 
denke ſteht: „Bluͤhe Violen allein, u. f. w.“ Den Anfang 
der Legenden machte ein herrlihes Gedicht: Die Auffahrt 
der Zunsfrau ©. 11 fg., worin uns nur der Auédruck 
irren, von der fcheidenden Jungfrau gebraucht: „Lau 
der Sterne nur girrte fie noch mit ſtammelnder Zunge“ ge 
Rört Hat. Auch konnten wir den Bildern, worin der Bohn 
(Jeſus) als Bräutigam der Mutter (Maria). vorgeRelle 
wird, keinen rechten Geſchmack abgewinnen. Außerdem har 
uns diefes Gedicht hohen Genuß gewährt, In den fichen 
Freuden ©. 52, fg. hat uns die Reverenz, der volks 
tommene Ablafi und die Errettung aus des Feges 
feners Glut, nice gefallen. . Nah ©. 56 konnte ein Mitter 
nichts fernen und behalten, als „ymey ſuͤße Woͤrtchen: Yves 
Maria. Diele waren fein Weidſpruch, fein Gebet und — 
fein Leibfluch —, und nach ſeinem. Tode wuchs eine Lill⸗ 
aus ſeinem Grabe, worauf man deutlich und in goldenen 
Schriften auf jedem Blatt der Blume leſen konnte: Ave 
Maria. . - . Eines zu fehr ſpielenden Inhalts iſt auch Das 
Unterpfand. S. 58. In der Legende: die Tängerim, 
©. 61 fo. tanzt die nach So Bußtagen in den an aufge 
. nommene Seele der Tängerin : 


— „mit Senn’ und Mond und Sternen, 
Mit den heil'gen Sungfraun , mit der hohen 
Gottesmutter, der Gebenedeiten , 
Bmmerdar den hochzeitlichen Reigen.“ 





22. Dichtungen’ von: Rofeganten,. 


Sohannes. auf Pathmoe, ©. 66 fo. iſt eine geiſtvolle 
Nachbildung einiger Stellen ber Apokalypſe. (Den Ausdruck 
- die &che, für Schkraft, müßten wir jedoch nicht gu 
zechtfettigen..) &o großes‘ Bergnägen uns das Lieben und 
“ Leiden Ber heiligen Agnes tim zweyten Bande biefer 
Kofegartenfchen Sammlung. gewährte, fo wunderten wir uns 
doch nicht wenig, biefen ganzen Aufſatz im dritten Bande, 
S. 70— go nochmals abgedruckt zu fehen. Nur der heili— 
gen Agnes Brantlied, ©. gı, und die Trauung 
der heiligen Agnes, ©. 97, find bier Hinzugefoms 
men. Die letzte hat recht eigentlich das Spielende mans 
har Legende Margaretha und der Drade, 
S. 100 fd. Diefe fchöne Legende gab einft Raphaeln die 
Idee zu einem feiner finnvofiften, berrlichfien: Gemälde. Hr. 
8. Has fie mie Seift bearbeitet. Die Legende: der Garten 
des Liebſten, S. 105, Heht auch fhon im zweyten Bande 
dieſer Sammlung: abgedrudt, gehört Übrigens auch zu den 
Bartenihfundenen. Die Jungfrau von Antiodia, ©. 
zıofg., und das Geber der. Heiligen Scholaftifa, 
S. 118 fg., zeichnen fih ebenfalls durh Inhalt. und Darſtel⸗ 
King aus. Minder bedeutend find: die Milch der heilt: 
gen Brigitta, © 122. Der Ermel des heiligen 
Martinus, ©. 128. Der Brunn des er 
BSangeslf, © 1ıdı. Das Amen der Steine, S . 15%. 
Der Sig des Heiligen Ailarius, ©. 156. Der 
Haudſchuh der heiligen Kunigunde, ©. 108. Die 
Katze des Eremiten, ©. 143. Manche find unbedeutende 
Anekdoten oder Ditungen, an einen Spruch der Schriften 
angeknuͤpft, dergieichen man viele ähnliche im Talmud fin 
det, die an Sprüche des alten Teftaments angelnüpft werden. 
Einft betete die Heilige Runigunde vor dem Altare; es war 
aber gerade keine Zofe da, iht den Handſchuh abzunehmen. 


— — doch Kunigunde 

Zog ibn ans, und warf ihn forglos von fich. 

-Eilig ſtabl durch eine Mauerribe 

Sich ein Sonnenſtral herein, und ſchwebend 

Hielt der Sonnenſtral der frommen Fürſten Handfchub, 
Bis fie dargebracht das fromme Opfer. 


2 a 


Dichtungen von Koſegarten. 233 


Wehen Zwech Haben wohl feihe Erzaͤhlungen? Hier iſt tie 
fromme Anwendung: 

Denn dem Herrn nit nur, auch feinen Heil’gen 

Dienen willig Gottes Elemente !! r 
Radegunde, ©. 139. Diefe Legende aus dem Leben der 
heittge® Eliſabeth ift Schön erzähle. Einige Altere Chrents 
ten nennen das Maͤdchen Hildegundis. ©. Leben der heit. 
Eliſabeth. (Zuͤrich 1797.) ©. 119. 120. Das Geſicht des, 
Arfenius, ©. 11d fg. Die Kreaturenliebe des heis 
ligen Franzistus, ©. 148. Des heiligen Frans 
zistus Sonnengefang, ©. 152. Diefe Legenden find 
gut erzaͤhlt, nur fällt der Inhalt der zweyten bisweilen ing 
Spielende, und in ber dritten iſt einigemaf hart gegen das 
Sylbenmaaß gefehlt. So kommt folgennt Zeile in einem 
darchaus jambdifchen Gedichte vor: _ 7 

euer, Wafer, Luft und Erde. Luſtig If — 
Auch iſt das Hebrqaͤiſche Wort Hallelujah, wie faſt von allen 


Dichtern, die es gebrauchen, falſch fo ſcandirt: Ha elujad. 
Zu den vorzäglichfien Stuͤcken dieſer Sammtung gehört! Die 
Brautnacht ver heiligen Cäcilia. ©. 157 fg. Eben 
dieſes Lob gebührt der darauf folgenden Legende: Die Zunigs. 


Stan von Nikomedia, S. 165 — 192. Dieſes Stuͤck ers 
ſchien zuerft einzeln, Berlin ı808., und fchildert auf eine 


rährende Art die ftandhafte Frömmigkeit einer edlen chriftlichen 
Sungfrau. Einfalt der Darfiellung, ein frommes findliches 
Gemuͤth, Ernſt und Trauer, in harmonifchen Trophäen das 
Herz anſprechend, machen dieje Legende zu einer hoͤchſt ans 
Ben Lectuͤre. Hier nur eine Stelle zur Probe: 


Maserkätifch ſtand indeß und ruhig 
- Suliane vor der Nichttribune, 

Himmelan gewandt ihr klares Auge, 

Thränen bebten in den langen Wimpern, 

Um. die Lippen zuckt ein leiſes Zürnen, 

Holde Schanm erböbete der Wangen 

- Blafles Roth. Ihr Haar, der Schling’ eytalitten, 
Floß vollringelnd auf die Schultern nieder. 


Mur bey wenigen Stellen fließen wir an, EB. 8. 174: 


i 


234 Dichtungen von Kefsasriem: 


Doch verbönend ſprach and Habſucht beuchelad 

Sie, die habſuchtfreyeße der Jungfrauen — 
Dergleichen kleine Flecken kommen jedoch bey ſo großen ander⸗ 
weitigen Vorzuͤgen nicht in Betrachtung. Hr. K. hat ſich durch 
feine ſchoͤnen Darſtellungen der Bluthen des Glaubens, ber 
Liebe, der Hoffnung, der Ergebung und des frommen Helden⸗ 
ſinns den Dank aller fuͤhlenden Herzen erworben, und eine 
liebliche Dichtung: Die heiligen Jungfrauen, an 
Irene, ©. 193, beſcließt würdig dieſe Sammlung von Sa⸗ 
‚gen der chriſtlichen Worzeit. 

Der vierte Band enthält Sagen der Morweit: 
ruͤgiſche und erfiiche Sagen. Zu den erſten gehören drey Ger 
dichte: die Ralunken, das Fräulein von Jarmin 
und Rithogar und Wanda. Erinnerungen an alte kräfs 
tige Heldenflämme, gelungene Schilderungen der großen Nor—⸗ 
diſchen Natur, mit eingeflochtenen Betrahtungen der Hinfaͤl⸗ 
ligkeit alles Sroifhen und der Lnvergänglichkeit des Wahren 
und Guten, dabey eine kräftige, volltönende, das Herz ers 
greifende Sprache geben diefen Darftellungen, worin ein dem 
Dffian verwandter Geiſt wehet, Hohes Intereſſe. Sie wur⸗ 
den ſchon bey ihrer erſten Erſcheinung mie großem Beyfalle 
aufgenommen; ‚wie fehr fie jedoch Hr. K. durch eine forgfäls 
tige Zeile der Vollendung. näher zu bringe geſucht habe, davon 
findet man beynahe auf allen Blättern Senne ‚Wenn der 
Dichter fonft begann : 

Natow, fen mir gegrüßt im Schimmer der ſcheidenden Sonne! 

Zieblich weber der Schleier des Abends um deine Gefilde. 

Deine weißen Mauern find fanft gerötbet, Die Dächer 

Feuer im Golde des finfenden Tags. Es dämmern fo ſchaurig 

Deine fäufelnden Hain'. Es fpiegeln die Wangen des Himmels 

Sich in den Fluthen fo rofig, die deine Ferſe befpülen ; 

&o heißt es nun in der neusften Ausgabe: 

atom, fen mir gegruͤßt im Schimmer der fcheidenden Sonne, 

Natow, tie birgfi du fo fchön am Saum der hallenden Strand- 

bucht ! 

Hochlich ergott mich, o Burg, dich zu ſchaun im Schleier des 

| . Swiclicht! 

Deine Binnendgetaucht ig des Spatroths flüſſiges Mattgold: 


Oichtungen von Kofegarten. 235 


Brennend der Fenſtern KEryſtall in dee Glut des gefunfenen 
Kichtballs: 

Düftefchauernd die Gärten umher! blaudämmernd bie Anböben, 

Welche die Welle befpühlt der leifegefräufelten Meerbucht! — 


‚Eine rührende Herzensergießung des Dichters, beym Ermähr. 
ven der Warne f ©. 26. 27. In dem Gedichte: das 
Sräulein von Jarmin, ©. 5ı fg., ſtößt man faſt auf 
jeder Seite auf die gelungenften Verbeſſerungen. Nur &. &7 
hat uns das Überwachete Mägpiein, das fih in den 
vorigen Ausgaben nicht fand, nicht gefallen wollen. Süßdufs 
tend find die Blumen, die der Sänger Allwiil, G. 84 fü, 
anf der gefallenen Edelmwine Hügel ſtreut. Aus der dritten 
Snge: Rithogar und Wanda theilen wir, als Probe, 
din Schluß, nach’ den neueften Werbefferungen des - Dichters, 


mit, und uͤberlaſſen die Vergleichung mit den fruͤhern Ausgas 


dm unfern Lefern ; 


Hügel des weißen Geſteins, der taufendiährigen Eiche 
Grauer Ernäbrer, du weilſt in des Sande? Seele die Wehr 
muth, 


den Wimpern. 
Nimmer zu tröften vermöcht er fih; in müßiger Trauer 
Würd’ er vergehn , ibm würde die Harfe verfiummen für ime 
mer 5 
Rauſchte die Leier Homers ibm nicht aus den ewigen Lorbern, 
Zispelte nicht aus verwitternden Gichen hie Stimme won Cona: 
„Alles vergebt! Es vergeht. der Held und des Helden Denkmal, 
„Aber das Zied tönt fort, das warm aus. ber Bruſt an das 
Herz fpricht. 
* Nimmer verballt der Geſang, den Phöhos weibet und Braga! 


Die er ſiſchen Sagen find groößtentheils aus fremden 
Gegenden auf Deutſchen. Boden heruͤber gepflanzt, und mir 
erinnern uns, mehrere derſelben in den non: Hrn. K. chemals 
herausgegebenen Blumen geleſen zu haben, die uns aber 
jeßt nicht. zur Hand find, um fie. vergleichen zu: kaͤnnen. Man 
findet Hier; Finan und Lorma. Ein Geſang des Ofſſian. 
(Grey bearbeitet.) Dieſe drey Stuͤcke: die Waffenmeihe, 
die verlornen Kinber und Die. wiedergefundenen 


[4 


Dämmerung mölft, ifm dns Aug’, und sm bebt die Thraͤn' is 





236 Taſchenb. d. Gag. u. Leg. v. A. v. Helwig. u. B. v. Fouque. 


Kinder — find anziehend durch Inhalt und Darſtellung. 
Umad und fein Hund. Line Epifode eines groͤßern erfis 
fhen Sefanges. Des Barden Abfhied. Fla' Innis; 
die Inſel der Seligeh. Ein reigendes Gemälde! Die Kilda⸗ 
Klage Dffianund Malvina. Dffians letztes 
Lied. (Frey, im elegiſchen Sylbenmaaße, übertragen.) Der 
Schwangeſang. Theils in Jamben, theild im elenifchen 
Sylbenmaaße uͤberſetzt. Zum Schluß ſtehe Hier noch einge Probe 
aus diefen Heldenſtimmen: 
Dumpf rings ſchweigen die Felder, wo unfere Saglachten ge⸗ 
donnert; 

Aber es redet das Mahl, das uns die Helden gethürmt. 

Oſſian's Stimm’ erſcholl. Frohlockend lauſchten die Väter. 
“Komm denn, o Sänger , binweg! Komm zu den Batern/ 

| Sohn! — 

Sit 





Taſchenbuch der Sagen und Legenden, ine von Amalie 
von Helmig geb. v. Imhof und Fr, Baron de la Möktte 
Fouqué. Mit Kupfern. Berlin, in der Realſchulbuchhandlung 
(1812.). 185 ©. 12. 


Lange Zeit wurden Legenden als Erzeuaniffe eines vers 
kehrten Sinnes und verkehrten Geſchmacks Betrachtet; nicht 
felten wurden fie durch tändelnde Darſtellungen, wobey man 
. den Geiſt dem Spiele mit Bildern aufopferte, dem befferen 
Theile der Lefer widrig. Herder war einer der erften, wels 
her auf: die reinen Goldkoͤrner, welche ſich in dem Legendens 
Staube finden, aufmerffam machte, die ZUge von Einfalt, 
Würde und Schönheit hervorhob, die fi in vielen dieſer 
tirchlich sreltgiäfen Sagen finden, und fein Urtheil durch eigene 
geiftvolle Bearbeitungen - vechtfertigte. Auch Kofegarten 
‚gab uns mehrere gelungene Legenden. nd welchem Gefühl 
vollen ſollte niche der: herzliche, Fromme Sinn mancher Legem 
den‘, wenn fie uns Stauben, Liebe, Hoffaung und Einkehr 
in uns ſelbſt mie ruͤhrender Einfalt. empfehlen, angeſprochen 
baten? Daß viele gegen hiſtoriſche Wahrheis und gegen Achte 
Sittenlehre anſtoßen, und: in's Taͤndelnde und Säppifhe fallen, 


b \ 
TZaſchenb. d. Sag: u, Leg. v. A. vi Helwig u. B. u. Fouque. 237 
wird kein Unbefangener laͤugnen. Deſto willkommener aber 
muß uns eine Auswahl des Beſſern und eine geiſtvolle, den 
frommen Sinn der fruͤhern Jahrhunderte zart auffaſſende Bes 
arbeitung jener Sagen und Legenden ſeyn. 

Sn dieſer Hinſicht verdient die vorliegende kleine Samm⸗ 
lung ein ausgezeichnetes Lob, und Nec. bekennt aufrichtig, ſie 
mit großem Intereſſe geleſen zu haben. Schon die vorausge⸗ 
ſchickten trefflichen Stanzen der Fr. v. H. erwecken das guͤn⸗ 
ſtigſte Vorurtheil fuͤr dieſe Sammlung, und beweiſen, daß 
die edle Dichterin nicht einer eitlen Mode des Tages froͤhnen 
wollte, ſondern nach einem hoͤhern Ziel geſtrebt und den ges 
läuterten Geiſt der Legenden und Sagen rein aufgefaßt habe. 
Wir können une nicht enthalten, hier zwey Strophen aus dies 
fem ſchoͤnen Geſange, als Probe, mitzutheilen: 


ind wie der Sonne voller Schimmer , 

Dem Blick ein heißverzehrend Licht, 

Durch bunter Scheiben Farbenflinsmer 

Dem ſchwachen Aug’ fich milder bricht ; 
So' ſenkt der ew'gen Wahrheit Eonne 

Mir fchonend lei umhlilltem Straß! 

Den Gkaͤuben, reich an Ahnungswonne, 

Mit Hoffnung in dies Erdenthal. 

Da reichen Engel Siegesfronen 

Dem Leidenden mit Himmelshuld , 

Da flebt der Dulder nicht um Schonen / 

Nur um Gehorſam und Geduld; 

Da blüh’n aus Wunden Himmelsrofen , 

ae Entbehrung macht die Seelen reich , 
Und durch der Leidenfchaften Toſen | 
Schwingt Friede feinen Palmenzweig. \ 


Stiftungsbrief, den Freunden; gleichfalls von Fr. 
v. H. Die Veranlaſſung zu dieſen gefuͤhlvollen Strophen gab 
ein treffliches Bild der Maria mit dem Chriſtuskinde, 
von Francesco Francia gemalt, das ſich in der Samms 
tung der Herren Boiſſeree und Bertram zu Heidei— 
berg befindet, und das, als Titelkupfer, hier zum erſtenmale 
geſtochen erſcheinet. Der rährende Inhalt diefer Strophen 
wird jedes Gefühl anfprehen; eine Stelle derfeiden, worin. 


2338 Taſchenb. d. Gag. u. Led. v. A. v. Helwig u. B. v Fouque. 


Troſt und Schmerz fo hart mit einander verbunden find, klang 
tief in dem Innern des Rec. wieder. — — 

en zu.einer genauern Bezeichnung der einzelnen 
Sagen und Legenden diefer Sammlung über. Das Geber. 
der heiligen Scholaſtika, Legende (von A. v. H.). Es 
War tung intereffant, diefe Legende, die auh Koſegarten 
bearbeitet hat, nach der doppelten Bearbeitung zu vergleichen; 
Kr. K. hat mehr einfach erzählt, Fe. v. H. hingegen das 
Ganze dichterifch s freyer behandelt. Wir fegen bie legte Stro⸗ 


phe, zur Wergleihung, hierher : 
” 


Kofegarten. 
Nach dreven Tagen flarb Scholar 
fifa 


tind in dem Augenblick, worin 
fie farb , 
Sah Benediftus, einer Taube 
gleich , 
Bum Himmel ihre reine Seele 
5 fhmeben. 
Da ſchlug das Herz ibm: Eine 
. Stimme fprach ; 
„die Kegel, Abt, it aller 


A. v. H. 
und nach drey Tagen ſiebt er's 
RU ſchweben, 
Gleich einer Taube, himmel⸗ 
warts — 


Es iſt der Schweſter reines Leben, 
Gebrochen, — ſonder Angſt noch 


| Schmerz 

And eine Stimme läßt fich hören, 

In Harfentönen mild verklärt: 

„Werth iſt die Regel aller Ehe: 
ven, 


Ebre wertb; 
Doc, größre Ehre würdig iſt die 
| Kicbe!“ 2 


Die Hülfe ber heiligen Jungfrau, Legende (von 
Fr. v. Fougue) ine gut gehaltene Erzaͤhlung von der 
Berirrung zweyer feinfinnigen Menfchen, eines Moͤnchs Als 
binus tind einer Nontte Verma, die ein Wunder der heil: 
Jungfrau und ihr eigener befferer Geift fi) ſelbſt wiedergibt: 
Die kräftige, fchöne Darftellung des uns ald Dichter ſehr wers 
then DVerfaffers eritipricht dem anziehenden Inhalte. Einige 
Ausdrücke, die wir mit andern vertaufcht wänfhten, wie: 
»Ich bin den Lebenden wieder, gefhaart,“ oder Härten, 
wie wall'nd, werden an dem: fhönen Sanzen kaum bemerkt, 
Die Ruͤckkehr der Pförtmertin, Legende (von A. v. H.). 
Diefe anmutbig erzählte Legende, weiche Sinnlichkett, Suͤnde, 
Buße und Gnade ganz in der Denkart faäher Jahrhunderte vers 
finnfiht, und, ale den geläuterten moraliich s religiöjen Ideen 
unfrer Zeit nit ganz entfprechend, vielleicht ein verfchtedenes 
Urtheil erfahren wird, die jedoch den bewahrten Sinn für das 
Höhere auch in einer Sünderin fehr gluͤcklich darftellt, wird 
den Lefern des Taſchenbuchs noch aus. dem Morgendlatte 


Doch mehr noch ift Die Liche 
werth! | 





2; 


Laſchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwia u. B. 0, Fouque. 239 


bekannt feyn , worin die Dichterin zuerſt fle mittheilte. Hier 
findet man noch ein fchönes Kupfer ale Beygabe. Adolfss 
El, Sage (von A. v. H.). Mech führt eine Ruine bey 
Schwalbach diefen Namen, woranf fich dieſe fehr gut erzählte 
Sage bezieht. Auch Hierzu ein Kupfer. Der Sancı Elis 
faberhben s Brunnen, Legende (von A. v. H.). Diefe 
fhöne Dichtung , worin vier fromme Mädhen fh an dem 
Ehifaberh s Brunnen die Wunderthaten diefer Heiligen erzählen, 
Band zuerft in dem Göttingiſchen Mufenalmanahe vom 
J. 1803, und murde gleid anfangs mit verdientem Benfall 
aufgenommen. Ste und da iff der Ausdruck glücklich werbeffert. 
Zwen treffliche Kupfer, des Inhalts würdig, zieren diefe durch 
ihren Iprifch s feyerlihen Ton anziehende Legende. Sanct 
Georg und die Wittwe, Legende (von A. v. H.). In 
Ruͤckſicht der Darſtellung, eine der gelungenften dieſer Samms- 
lung. Auch bey diefer Legende finder fid) ein ſchoͤnes Kupfer. 
Der Siegeskranz, Legende von Fr. v. F. (An Profa). 
Wir rechnen dieſes fchauerlich » anmuthige Nachtſtuͤck, worin 
Leben und Tod fo lieblich aneinander grängen, zu den vortreffs 
lihften Dichtungen des geiftvollen Verf. Eine zarte Idee ift 
es, dafi Die Braut den entichlafenen Keldenjängling mit dem 
Siegeskranze ſchmuͤckt. Möge ung der treffliche Dichter, den 
fein Genius mit Zauberhand zu allen Sagen hinzieht, recht 
oft mie ähnlichen Gaben befchenten! Das zu dieſer Legende 
gehörige Kupfer iſt eines der gelungenen. Das Grab des 
heiligen Clemens, Legende (von A. v. H.). Rec. las 
diefe zarte Dichtung mit inniger Ruͤhrung und Theilnahme, 
und eine Strophe tönte tief in feinem Kerzen wieder. Bachs 
dem das am Grabe des heil, Clemens wieder vom Tode ers 
werte Rind zuerfi erwacht, fragt es feine freudig, fiaunende 
Muster : nt 
— „Warum daft bu mid werfen müflen ? 

So lieblich träumt’ ich Feine Nacht! 

Wie füßen Schlummer ſtörſt du mir, 

Ach, nur ein Stündlein ruht' ich hier!“ 


Ind. dann folge diefe fchöne Strophe: 


So fiebt im Erdenſchmerz befangen 
Wohl manche Mutter boffnungslos; 
Und ſtarrt mit traurigem Verlangen 
Hinab zum dunklen Erdenſchooß; 

Indeß ‘das Kindlein, woblgebergen „ 

Bor rauhem Sturm und ſchwüler Olut 
Bis zu des ew'gen Tages Morgen 

Sn Fühler Stile harmlos ruht; 


240 Faſchenbed. Sag. u. Leg. v. A v. Selwig u. Bev. Fonque. 


Den langen Schmerz, das kurze Glück 
Berfchläfts, wie einen Augenblick! 


Die Naht im Walde, eine dramatifhe Sage ( von’ Fr. 
v. F.). Dies angiehende Nachtgemälde, deſſen Tendenz eben 
fo edel als die Ausführung gelungen ift, rechnen wir gleichfalls 
zu den vorzäglichften Stücken der Sammlung, wenn wir gleich 
dem Siegeskranze noch den Vorzug vor dieſem Stuͤcke geben 
möchten. Auch dürfte manchem die Bekehrung Hagenulphs 
und Windrudens zum Chriſtenthume doch etwas zu ſchnetl 
bon ſtatten zu gehen ſcheinen. Uebrigens iſt die ganze Unters 
redung Karls des Großen mit Windrude, durch die 
darin herrſchenden aͤcht⸗ menſchlichen Geſinnungen, hoͤchſt ans 
tehend: Auch zn dieſem Auflage gehöre ein Kupfet. Der. 
hang durch Koͤln, Sage (von A. v. FH). Der Stoff 
diefes fchr intereffanten Aufiages ift ans alten Familien s Nach: 
zichten des darin genannten Haufe gezogen. Wir wollen dem 
Inhalt deſſelben, voll eigenthuͤmlicher Züge, durch eine fchlichte, 
den Geiſt jener fruͤhern Sur Zucht und veligidien Sinn aus 
degeichneten Zeit trefflich auffaffende Darftellung gehoben, den 
Lejern nicht verrathen, geftehen aber, daß ung deifelbe ein 
reines Vergnuͤgen gewährte, und manche Erinnerungen an die 
ung werchgewordene Stade Köln wieder aufwedte. Den Bes 
ſchluß diefer Sammlung madht: Die Marting: Wand, 
Sage (don A. v. H.). Die bekannte Sage von ber Werins 
rung des edlen Kabsburgers 8. Maximilians I. auf eine 
ungehetire Felfenhöse und defferi wunderbarer Errettang wird 
bier einfadh und lebendig erzähle, und diefe Erzählung, die 
einen blinden Sänger in den Mund gelege wird, überrafchte 
uns um fo angenehmer, da wir kurz vorher eine ſehr geiſtvdlle 
Bearbeitung deſſelben Stoff von dem zu früh gefchiederien 
Dichter H. 3. v. Coflin, unter der Aufihrift: Kaiſer 
Mar, auf der Martinswand in Tyrol. 1499. im 
deſſen Gedichte: Sammlung gelcien hatten: Auch bey dieſem 
festen Auffage finder fid, ein Kupfer. Noch mäflen wir des 
geſchmackvollen Aeußeren der von uns angezeigten Sagen und 
Legenden mit Ruhm erwähnen. ‚Außer dem  fhönen, nad 
Francesco Francia geftohenen Titellupfer find die übri—⸗ 
gen acht Kupfer fämmtlih nad Zeichnungen bes geiftreichen 
Herrn Cornelins aus Düfjeldorf, jekt in Rom, von Lips, 
Rift und Bolt fauber gefiohen. Auch der Umſchlag, Bas 
gen und Legenden ſymboliſch darftellend, ift geſchmackvoll. Die 
„Bedeutung diefer Symbole enthuͤllt ein vor dem Titelblatte 
ſtehendes Sonttt von Paul, Gr. v. H*% 
K i. 
Mn 2 en DR 





No: Seidelbergifche⸗4813. 


A 


- 


Jahrbuͤcher der Litkeratur. 






1 [#7 * ⸗ Qq 7 





Rlusfasscine- A’uno Zödidco arfentale tel: Gibineteo dehe me- 
uglie (di. Sum Mans, æ Parigi, "scoßerto’ ‚reoentemente 
æreago Je sponde del Tigwein "einapza ‚del -antica Babi- 

„Jgpia „, monpmento che serve ad illustzare la stpria del? 
. „AStronomia_ ed altri punti interessauti dell Antichitä, da 
| "Givse ppe’Hager. ‘Milano, dalta stamperia € fonderiä 
U Giui Gitlseppe' Desikfanis a S.-Zeno, num. 534: 1814 

‚EB Eger Bol. vhne De: Benusde.und Doblintlen, mit A ober 5 


t 125 


+ 


U. dieſem vielverſprechenden Titel lieferte. der Herr By 


blieggelag Joſenh Hager, in, Maileyd eig: Prachtwerk zur 
Frllärung :des, merkwaͤrdigen Dentmahl⸗as, worüber gu Derfeien 


Zeit der, nprewigte Herr -Domkapisuler Friedrich Hugo von . 
Dalberg eimen Aufſatz auganheitate,. senken, dr unter dem bes 
ſcheidenen Tisel: Ueber das Algyerfifche Monument 


von Takte sure, eine Maahma ſrang (ſ. Gatting. ge, 


Au. ıdıa. St. 86. ©, Bad ff). .am die Eömigke- Bocietie bee . 
Riff. in. Göttingen ejemrg... Jenes Denkwahl wurde gu 


Endg det vorigen Jahrhungeng , ‚und dem -Werficherungen.deg 
Dem Michaux (ß Milin’s Mag. engycl. VI aunde. T. UL 
p.,88),. am Ufer des, „Tigais unterholb Bagdad anten-den 


Ruinen eines großen Palaſtes, welchen man, die. Gärten der 


Semiramis nennt, gefunden, und Durch, Kein: Diane ſeibſt 
In dag, Antifens Kabinett, deu. kaiſerl. Bibliochek zu. Paris ges 


bracht. Wie. darauf gegrabenen Fignren und. Zufchriften mit 


ſogenaunten Keilbuchſtaben, welche map. für, einen Beweis fer 


nes hohen Alterthums mahm,.. veranlaßten den Hru Millin zu 
einer Bekanntmachung deſſelben in ſeinen Monomens anti- 
ques inedits. Tom. I. p. 58--68 (Paris 1800. 4.) auf 
Planche ‚VIE und IX, mie Bemerfungen "von ihm. feldft und 
dem em de Sacy. Beyde hielten den Stein für einen Pers 
(hen :Zalisıyan, um dag boͤſe Princip zu —— und ſeinem 
| 


NY 


* 





242, Austr. d’uno Zodiaoogorjeptale da G. Hager... 


Einfluſſe auf die heiligen Gebaͤnde, wozu der Stein gehörte, 
ale Kr 34,2 nebenan: ‚eine AIdee — auch der neueſte Ge⸗ 
Märer Priv: Dalbtrh wuffaßte, \ Ind aus den Hiefikhen Reu⸗ 
gionsbegriffen des Dualiemus, des Kampfes zwifchen dem 
Guten und Boͤſen, auf eine Weife gu erläutern ſuchte, weiche 
feinem Nec. in den Goͤtt. gel. Anz. viel Empfehlendes und 
Wahrſcheinli ches zu Haken ſcheint. Derſelbe Mer... geſteha iss 
Doch, daß jede Erklaͤrung bloße Muchmaßung dleibe, bis die 
begleitende Särife: un Elicher hett erklaͤrt ſey. Eben -Karin 
fand man Hr. Abt Lichtenftein eine Art von Tranergelang, 
weißen ber oberſte Magier den Perſiſchen ober, Sabaiſchen 
Frauen bey der Leicheuſeyer zu Ehren der jüngfverinreuen Man⸗ 
ner, Bruͤder, eher audern: Auderaundeen, mad en⸗ begkeitenden 
Klageweibern an einem feſtlichen Tage vorzuleſen dat: Darum 
bezog er die Abbildungen, worin Hr. Hager die Vorſtellung 
eines der alteſten Thierkreiſe findet, auf die oͤffentliche Trauuer, 
weiche man allſaͤhtlich· per Ehren der Verſtorbenen mil’ heftigen 
‚Bebräuden zu begehen pflegte &  Tentamen Palzeogra- 
phſiae Ass yrio =» Persicae;: "aucts Lachteratein p. His 

VBeyder Mehnungen errezten aufangs Allgemeine’ —x— — 
reit, und faiden‘, wie jede dreiſte Behauptung der Gelehrten, 
weiche ihre Erklärungen. mike Veleſenheit und: verfaͤhreriſchen 
Scheihgräuden gu unterffägen wiſſen; ihre Lobredner: man 
ſehe in Hinſicht des Hager ſchen Wilkes mediciniſch chirutg. 
Zeitung vom 16. May 1811. W. 89. und den Fra" Moni⸗ 
teur .ıBır. N. 837. vom 3. Dec.Doch Kr. v. Dalberg Bar 
dehde mr Recht vermorfen :: Sehe die Deutung des’. Herrn 
Lithtenftein verliebt ſchondurch Die Bemerkung, daß ’ieh':Die 
Inſchriften, von welchen er ausging, von der verkehrten Seite 
146 ; alle Haltbarkeit; und mie einem Wierkreife hat die ganze 
Darſtellung weiter keine Achnlichktit, als daß Thierfiguren den 
Stein in einem Kreiſe zu umziehen ſcheinen. Die Wanter 
dee Kin. Hagern in Ber Erlauttrung eines ſolchen Denkuahles 
kennt man ſchon aus frͤhern Werfen deifelben, beſonders auch 
"aus der Dissertation on the newly discovered Babylonian 
‘Inscriptiohs by Joseph Hager ( London ı8oı. ‘4. ); wors 
aus man in diefem Werke die Babyloniſchen : Gmeffein s Ins 
ſchriſten, Cylinder and Gemmen mit befondern- Bemerkungen 








4 


Ulnstrı d’uno Zodiago orientale da G, Hager, 243 


dariher im 19. Kapitel widerholt findet. Antergeltnerer enthaͤlt 


fh daher alles Urtheils Über, die Art, wie dev. Hr. Verf (eine 
Behauptungen gu. begründen. fuht, Da er den big ‚selänterg 
ten Gtein ſowohl, als ‚die zu Paris‘ befindlichen Hacktein⸗ 
ans den Ruinen Babylons welche Milin im zweyten B — 
der Monum. antig. inedits N. XXIII. p. 263 — 27ı. 
Tannt. gemacht hat, nicht bloß, wie Hr, Hager, aus He, 
foumenen und unzuverlaͤſſigen Darſtellungen in Kupferſtichen 
und Copien,ſondern aus SAr-AEIRRU Abdrüden ber. DOrigie 
nele Senyt,... welche fräher der. ar, v v. Dalberg beſaß, jet 
das Veufenas- zu Fraukfurt am Main aus deſſen Verlaſſenſchafi 
sufbewahrgs, „to iſt es ihm mehr datum, zu thun, feine eigenen 
Beobachtungen ,. worauf ihn die, genaue Betrachtung der Abs 
druͤce fuͤhrten, mis, den Bemerkungen anderer Erlaͤuterer dem 
gelehrten Publikum miszusheilen,. ‚And ai gluͤcklichern Erläutes 
rungeverfuchen: den Grund zu legen, als das Unmwahrfheinliche 
ie den: Hypotheſen des Hrn. Verf, das Uebereilte in feinen 
Shlügen, und das. unkritifche Verfahren in den eingeſtreuten 
Etymologieen zu: zeigen, weiches auch ber größte Aufwand von 
Gelehrſamkeit dem befonnenen - Forſcher nicht verbirgt. Mit 
Recht haͤlt eg der Rec. in dep Gott. gel, Anz. 1012. St. 86. 
für wenig verdienſtlich, Die ‚Erklärung eines fo dunkeln Denk⸗ 
mahles im Einzelnen zu beſtreiten, wenn man nic Wahıs 
— an die, Stelle ſetzen könne. 

Zwolf Rapitel machen den Inhalt des garden "Wertes 
ws; das e er ie, Kapitel beginne mit der Entdeckung, des Steis 
nes und mit allgemeinen Bemerkungen über feine Deſchaffen⸗ 
keit und Wedentung. Das. zwepte Kapitel pefäfge ſich 
mit den darauf vorkommenden Figuren; das dr tte betrachtet 
die eine Beite. des Thierkreiſes, das vierte, befonders das 
fehste Zeichen. defielben, fo wie das fünfte die Wage, über 
deren Einführung in den Thierkreis fi das ſech ste Kapitel 
verbreitet. Das fiebente Kapitel, welches den erſten Theil 
des Werkes ſchließt, enthält Bemerkungen über die Aegyptiſchen 
Thierkreiſe, welche man in den neuern Zeiten in genaue Un— 
terſuchung gezogen hat. Im zweyten Theile hebt das achte 


Kapitel mit den Wintergeihen an; dann geht der Hr. Verf. 


Im neunten Kapitel zu den Morgenlaͤndiſchen Thierkreifen 
über, und handelt im zehnten Kap. von den Perfi (den, Indi⸗ 








244 Theke, Kıno Ziödieco- orientäle da O. Hager: 
tion - hd Arne,’ ti eiiftreti wort dent Chalsatſchen 
Shrecekiife „Deren Rorſtetuns er auf unferm · Denkemahté fem⸗ 
dei: An —X— wird no’ im zud viyten Kamen von den 
Vabyivntſchen und Merfiſchei Schreftzeichen inKeilſr Bed 
ſpwchen· "Mon dit Kupfer taPerti, welche Bay Werk yore; 
Retie’ Bte. @Fftt ‚ Snicht' ntmetteeb; dert Stein innatutiichet 
Groͤße it V — ——— die Fweyte und dekſUede?noch 


- befünders die Figuren zur — 7 Seiten des Steines/ doch wer 


\ 


in mehr oder wentger Hntiheheh Nachftichen won -BUR: RW 
fin’s Tafeln, dar. Die vierte fiefört einen Hagasar read 
nach einer Medaille des Katfers dieſes Mamendk der Sei 
Beif nuch einer Nachricht Kerodians V. 3," derſzufbige dee 
Elagadat, ein ſehr großer Stein ih Kegetfötn, alten’ abger 
rundet, ſchwarz von Farbe und ein Aerolith war, "wg Arte 
Dent nahl für einen Mekebtſtein erflärt." Wie‘ ehr: Tante 
enthaͤlt die ſchon erwähnten Proben von Babylonſiſchet Nee 
fcheift. Ru) Wergehe die Bemerkungen über die verſchiedenen 
Thietkteiſe wom Hr. Hager ſeinen Chafdätfeen Chrereteis 
in Harinoene zu bringen fücht, um deſto aueſaentte Br 
das erlährerte Denkmahl zu reden. 

At, Hager {heine den Stein viel zu Hoch ’in! Ba — 
thum hinaufzurucken, wenn ee ihn wegen der: Keilin ſchriften 
für den vermnuthlich aͤlteſten Thlerkrefs haͤlt, den wit die En⸗ 
ropa kennen. Der Gött. Ret. bemerkt ganz richtig, deſ:nich 
jedes Dentmahl mie Keitfcheift fofort im die ZUR der Abämes 
niden hinahfgerücht werden dürfe, da diefe alte Schrifcet eben 
fo weit herab fortgefet werden konnte, wie die Hierogtyphen⸗ 


ſchrift auf dem Stein von Roͤfette. Der Dre, wo vie ſies 


Monument gefunden wurde, läßt fein fehr ho hes 


Alter vermutben, man müßte es denn aus einer 


an,dern Stadt dahin gedradt glauben. Ar: de Say 
madite ſchon die Bemerkung, daß der Platz, wo der ‚Stein 
gefunden wurde, das alte Kieſiphon ſey, welches erſt die Parr 
ther ſtifteten, und bis ins 7te Jahrh. nach C. G. die Reiben 
der Perfißhen Könige blieb. ‘Denn wenn man von Bagdad 
den Tigris hinab 4—5 geogr. Meilen fuͤdoſtwaͤrts reifet, fw 

koͤmmt man auf eine zu beyden Seiten des Fiuffes: mit > 
nen weit umher bedeckte Gegend, welche die Araber al Madain 


“ 


u 


Nlustr, d’une Zodiaco orientale da.G, Hagen 245 
oder die zmey Städte nennen, Pietro delle Valle viaggi I. 


. Brief 17. Zves Reifen ©. 110, Unter diefen Trümmern hat 


Ah noch ein anſehnlicher Palaft von Backſteinen erhalten, der 
von feinem großen Gewoͤlbe, welches von Oſten nach, 7 
duch das ganze Gebäude in einer Tiefe von 150 Fuß, in 

eine Höhe von 106, und in einer Breite von 85 Zuß, ſtatt 
der Hauptthure läuft, bey den Morgenländern Tak / Resra 


oder Boden des Kosroes heißt. Dieſer Palaſt liegt auf der 


Oſtſeite des Tigris, wie das heutige Bagdad und das alte 
Kıefipdon, und Abulfeda Geogr. &. 259 macht dabey die Bes 
merkung, daß der Drt auf Perfiih noch immer Thaifafun 
genannte werde. Die. beyden Städte, welde der Mame al 
Modain bezeichnet, find alſo Ktefiphon und Koche, micht dag 
18 geogr. DM. Höher gelegene Seleucia auf der Weftfeite 
des Tigeis: denn ein Schriftſieller des 4ten Jahrh., Grego⸗ 
rins von Nanzianz (orat. II. in Julian. p, 308), erzaͤhlt, 
der Stadt Kteſiphon gegenuͤber liege Koche, eine andere mie 
diefer dur) Natur und Kunft verbundene und nur burch den 
Lgris getrennte Zeflung , fo daß bepde Fine Stadt zu ſeyn 
(deinen. Iſt aber diefes der Fall, to darf das Alter unſers 
Steines nicht zu Boch hinauf gefeßt werden: man müßte denn 
glauben, daß er zugleich mit den Materialien ker Mauern 
Babylons, melde feit feinem Verfall duch Selaucia's Aufı 


bluͤhen zum Bau ber Käufer, Paläfte und Städte in dieſen 


Gegenden verbraudit wurden und uoc; verbraucht werden, nad 
Ktefiphon gekommen, und fo aus frühern Zeiten erhalten fey. 
Kteſiphon ſelbſt wurde, mie Seleucia, von den Macedoniern 
angelegt, daher es fchon Polybins (V, 45.). kennt: aber «8 
war ein unbebeutender Flecken, bis die Parther Herren des 
ganzen Landes wurden, und Kteſiphon zum gemähnliden 
Binteraufenthalt wählten, wie Efbatana zum Sommerſitze. 
Strab. XVI. ©. 1079. Unter Verus, dem Collegen Marks 
Aurels, nahm defien General, welcher &eleucia . nernichtete, 
an Kteſiphon ein, und zerſtoͤrte die Aöniglihe Burg. Dip 
Cass. LXX, 2. Aber bie Stadt befand noch bis ind 7te 
Jahrhundert, da fie das Eigenthum der Arabiſchen Chalifen 
wurde, und durch fie ihren Untergang fand. Bagdad, welche⸗ 


. 762 gegründet wurde, fcheine mehr aus feinen Trümmern ale 


246 NMlustr. d’uno Zodiac orientale da G. Hager. 


aus den ‚Steinen bes u weit —— Babylons ER zu 
ſeyn. Bon dem großen Gewölbe, das fih von allen Gebaͤu⸗ 
den, mit welchen einft. die ganze Strecke von © Madain 
bedeckt war, allein erhalten hat, gibt man einen Perfiihen - 
König Kosroes, andere einen Europäifchen Fuͤrſten oder Caͤſar 
als Stifter an, "und laͤßt es in der Zeit Juſtinians, auch 
früher oder fpäter, aus Babplonifhen Trümmern erbauen. 
Seine Römifhe Banart, wovon man fonft im Drient nichts 


Aehnliches finder, verräch einen Baumeiſter aus den Zeiten der 


Roͤmiſchen Herrſchaft, fen es nun, daß wirklich ein Roͤmiſcher 


oder Griehifher Monarch den Palaft bauen ließ, oder daß 


ein Aſtatiſcher Fuͤrſt Furopäifhe Bauleute dazu gebrauchte, 
wie Kambyſes zur Anlage von Suſa und Perfepolis Baumeis 
fler aus Yegppten kommen ließ. Diod. I. ©. 43. Ar. Mans 


‚nert meint daher (Geogr. der Sr. und R. V, 2. ©. 404), 


daß Ehosroes, der Sohn des Hormisdas, der zu Ende des 
fehsten Jahrhunderts duch innerliche Unruhen auf einige Zeit 
ans feinem Reiche vertrieben in Syrien lebte, und durh Uns 
terflägung des Römer wieder auf den Thron kam, den Palaſt 
gebauet Haben könne. Aus dem Angegebenen erhellet- wenige 
ftens fo viel, daß unfer Stein nicht weiter herabgerückt werden 


darf; doch fey der Stein, fo alt oder jung er wolle, die 


Ketlinfhriften deſſelben find, gleich den Hierogly— 


phen in der Rofettifchen Inſchrift, eine aus Höherm Als 


terthume beybehaltene Schreibeweife, ber zufölge, 
wenn fie mit den fumbolifchen Abbildungen darüber in Bes 
ziehung fleht, auch diefe nad) Altern Begriffen erläutert werden 
muͤſſen, wenn fie gleich in viel fpätern Zeiten in den Gtein 


:gegraben wurden. Fragen wir nun, welches Volkes Begriffe 


auf diefem Steine gu fuhen ſeyn; fo widerfpricht fih Hr. 
Hager felbft, wenn er darum, weil der Stein in Babylonien 
gefunden fey, die Figuren für einen Chaldäifchen Thierkreis 
erklaͤrt, die Inſchriften aber, im Gegenſatze der Babyloniſchen 
Schreibeweiſe, als Perſiſch charakteriſirt. Eines andern Wis 
derſpruches macht er ſich ſchuldig, wenn er der Unmoͤglichkeit, 
die Idee eines Thierkreiſes auf unſern Denkmahl durchzufuh—⸗ 
ren, mit der Bemerkung entgegen zu kommen ſucht, daß die 
Chaldaͤer, gleich den Chineſen und Japanern, ihre eigenen 





Iiasit. d’uno Zodiaoe orientale da .G. Hager. 24 


Zeigen. und Bilder gehabt huben könnten ;; mid zlalchwohl aus 
Mangel Veftinnter Machrichten Aber den Chalbaiſchen Thier⸗ 
fceis die Echefäge und Vorſtellungen der Griechen , Aegyptier, 
Indier und anderer Voͤlker zu Hhlfe rufe, um einzelne Figu⸗ 
ten bes Steines daraus gu 'eriären, nnd den Datz za begruͤn⸗ 
den, daß in Ehaldda: oder: Babpionien der alteſte Thierkreis, 
wie die aͤlteſten Spuren der Religionen und Sagen, des Wifs 
fenfhaften und Künfte, der Sitten und Gebraͤuche aller ge 
bildeten Voͤlker, der Aegyptier, Griechen und Römer fowoht, 
wie der Chineſen, Indier md Perſer, zu finden ſeyen. Kr: 
Lichtenſtein, weicher die Figuren mie einer fabäihen Tramers 
Mage in Beziehung zu beingen: ſuchtr, ift ebenfalls nicht frey 
von dem Vorwurfe, zu viel Fremdartiges unter. einander ges 
miſcht zu Haben. Einen beſſern Weg ſehlugen Ar. Millin, 
de Sacy und von Dalberg ein, welche ſich durch dem Ort, we 

der Stein gefunden worden, berechttgt glaubten, ihn für einen 
auf den Strom und die daran liegenden Gebdaͤnde fih beziehen⸗ 
den Talisman zu haften, und nach diefer : Anfiche die Abbil⸗ 
dungen: mir den Lehren der Perfiſchen Reltgionsbůcher im 
Zuſammenhang brachten. 

Die Vermuthung, daß ber Stein ein Aerolich ſeyn koͤnne, 
gruͤndet He. Hager auf feine Geſtalt und Farbe. Dieſe 
iſt ſchwarz auf der Oberflaͤche und geau im Bruche, jene oval⸗ 
rund, doch ungleich abgerundet, nad) oben fpigiger, nad uns 
ten bauchförmig gewunden, ungefähr doppelt fo breit als Di, 
und dreymal fo hoch. Kür einen Meteorftein wäre feine. 
Größe fehr bedeutend: denn feine Hoͤhe beträgt mach Hrn. 
Mihaur’s Angaben 48 Tentimeter oder anderthalb Fuß, feine 
größte Breite 32 Tentimeter oder einen Fuß, und fein Ge 
wicht oA SKilogramme oder 44 Pfund. Was. aber mit jenet 
Vermuthung flreitet, if gerade das Weſentliche, was Hr 
Hager Überfa), feine Maſſe. Hr. Mihaur erklärt. den 


Farſiſtan beſtehen; Und Michaur's Vermuthung, daß er and 


Stein fuͤr dieſelbe un. mie woraus die Zelfengebirge von 


dem Innern von Perfien-in die Gegend gebracht ſey, wo bie 
Natur dergleichen Steine nicht erzeuge, iſt ein Grund mehr, 
in feinen Abbildungen und Inſchriften Perfiihen Geiſt zu 
fühen. Hr. Michaux hielt den Stein für Baſalt, aber Hr. 


t 


248 Muate. duno Zodisee oientale da :G. Hacat. 

Rilin ertloͤn ihn genadepı:fün wine. Rarmar,. wie ihn auch 
Hr. Hager immar neunt. Hr. 0. Dalberg, welcher als Cihrifts 
ſteller uͤber den Meteorcultus der Alten hier: venaͤglich sine 
Stimme Hat, hoftreitat ſchon die Vermuthung das Hen. Ha⸗ 
ger, da der Saein ein Aarolith ſav, und bexaerkt, daß Die 
chewiſche Analyſe ihr als. einen ſchwarzen hituminoͤſen. Mar⸗ 
wor darſtele. Chaux carbonatze. hituminifene ua Hast. 


&o wenig die Matur Bahulonien mit dergleichen Beinen 
verfehen hat; ſo haͤufig findet man fie im: jenew Gegenden. 
Hr. Beenchamp Heß in den Ruinen von Babylon einen ſchwar⸗ 


zen Stein ansptaben , weicher anfangs ein. Goͤtzenbild gu ſeyn 
ſchien, nach feiner .-Meisigung: aber ſich als eine‘ geſtaltloſe 
Maſſe ahne Inſchrift zeigte, wiewohl er Spuren des Meiſſels 
trug. Mon derſelhen Oteinart fand ee an mahreren ‚Stellen 


große Bloͤcke als Ueherrefte wchrerer Denkmaͤhler. Zu Bruſfa, 
gwey Lieuen ſuͤdoſtlich von Hellah in der Wuͤſte trifft man 


nah Hru. Beauchamp's Berichte ſchwarze Steine mit Zus 
ſchriften, fo. wie in al Kadder, in noch weiterer Ferne, man 
morne Statuen. Hr. Hager ſchließt aus dem Gebraeuche des 
hoͤchſten Alterthums, die Götter unter, einfachen. Steinen nund 
Aerolithen zu verehren, beſonders aber aus dem Sonmenbilde 
dee Syrer zu Emeſa, dafi der Stein als Aerolith der ‚Some 
gewidmet, und daher die ſymboliſche Darfielung. an feinau 
obern "heile eine Abbildung des Sonnenlaunfes oder ein Thier⸗ 
Preis war. Dagegen bemerft aber Kr, v. Dalberg fehr treft 
fend , daß die Ehrfurcht, die man gegen ſolche heilige Steine 
hegte, das Eingraben von Figuren und Schrift ausſchloß, wie 
es bey dem fegelfdrmigen Steine der papbifhen Veynus umd 


bey dem nad) Rom gebrachten Bilde der peſſinuntiſchen 2 


bele der Fall war. Auch fchreibt Herodian dem Syriſchen 
Elagabal keine eingegeabene Ziguren zu, fendern nur ‚eboxds 
zivag Boayeiag za) zönovg, Heime Eden und Gruͤbchen, 
woraus man feinen himmliſchen Urſprung erwies: übrigens 
war er ein unbeardeitetes Stein ( dypyaoros, nicht 2800 


 woigrog). Unfer Stein dagegen ifi offenbar von 


Menſchen abgefchliffen, um auf den bepden Faden 
Seiten mit Figuren und Schrift bedeckt zu werben: den die 
Figuren find erhaben auf vertieftem Grunde, die Inſchriſten 


Ilustr. Jumn Zodiaco orientale da G. Hager. 249 


aber vertieft auf glattgefchlifggger.. Zlaͤche. Seine fonherhare 
Seflalt kann unfer Stein Daher auch nicht, wie Ar. Millie 
meint, dem, Abſchleifen des Tigerſtromes, fondern muß fie 
irgend einem religidien Aberglauben zu verbanten haben. Doc 
dat der Stein ‚mehr die Geſtalt eines unfbrmlichen plattges 
drädıen Kegels, als einer Pyramide, welche Hr. Millin, wie 
wig weiter unten ſehen werden, durch den Perſiſchen Cultus 
geheiligt glauht. Aus den bisherigen Angaben geht hervor, 
daß der Stein weder ein Aerolith, noch uralt, noch Thalddis 
ſchen Urſprungs ſey; ob. er der Sonne gewidmet, und ein 
Thierkreis ſeyn könne, wird die nähere Betrachtung der ass 
geriſchen Figuren geigen. 

Die Ziguren erfüllen den ganzen obern Theil des Steines, 
am oberſten Ende durch eine queruͤberliegende Schlange ges 
ſchieden, welche den Stein in feiner größten Breite umzieht; 
isdoch nehmey fie auf einer der beyden Hauprfeiten des Steines 
ein donpeltes Feld und dappelt fo vis! Raum ein, als auf der 
andern Beise,. Nur die obern Figurenreihen follen einen 
Thierkreis vorflelen; die untere Figurenreihe der einen Seite 
foll den. Sommer und Winter im Allgemeinen bezeichnen. Die 
fhöne Jahreszeit oder die Zeugungsfraft der Sonne werde 
durch den aufrechtſtehenden Phallus oder Lingam neben dem 
Thiere mit Dem Widdermanle, . der Winter durch die umge⸗ 
Rärgte Pyramide oder den Sonnenfiraht neben dem Thiere 
mit der Eberſchnauze begeichnet. Hr. Hager lieh fid) Hier durch 
die falſche Darſtellung der Millin’jchen Kupfertafeln verleiten ; 
denn die beyden Thierfiguren des untern Feldes 
find ſich auf dem Steine ſelbſt vollommen gleich, 
und haben mit Dem -Thiere des obern Feldes, 
welches Hr. Hager für das Zeichen des Steinbocks oder des 
BWinterfolftitiums erklärt, zwar nicht die Geſtaltung, 
aber Boch das gemein, Daß fie auf befondern Uns 
terlagen ruhen, die ihnen das Anfeben von blofs 
fen Sphinrartigen Beſchuͤtzern der Altäre geben, 
duch welche ihr Hintercheil verdedte wird. Die 
Bedeckung des Hintertheiles ſetzt Diele Ihigrfiguren in den 
Hintergrund, fo dos nicht ie, fondern die Altäre des 
Vordergrundes als der Haupttheil Per allegoriſchen 


950. Mustr. d\uno Zodiaco orrentale da G. Hager. 

Darftetlung.gu betrachten find. Die befondern Unterlagen 
fiellen viele Thierfiguren ats bloße Abbildungen plaſtiſcher 
Kunſtwerke dar, weiche man, glei den. Fabelthieren in Pers 
fepolis, ans den Beltandehellen dreyer oder: mehrerer Thiere 
gufammenfeste, und unterfcheiden fie dadurch von den Thierem, 
womit die ganze entgegengefehte Sekte angefülle iſt, fo, daß 
fie nicht mir ihnen: ats Thierkreis in Verbindung geſetzt wers 
gen Binnen. Das Thier in der Mitte des obern Feldes ers 
ſcheint als ein freyes, die beyden andern als gefeffelte 
Thtere: denn jenes kniet nur auf dem rechten Vorderbeine, 
und hat das linke, aufgerichtet, zur Erde niedergeftellt 5 Die 
Vorderbeine der beyden andern Thiere liegen: aber=anf den 
Unterlagen Hingeftreckt, und fcheinen, nach den Gypsabdrucke 
zw urtheilen, jufammengebunden zu feyn. Das erfte Thier 
hat die Beftandtheile reiner Thiere nad Perſiſchen Religions⸗ 
begriffen, die Beine eines Stieres, den Kopf eines kretiſchen 
Widder mit gewundenen Hoͤrnern und einem Ztegenbarte bey 
- gefchloffenem Maule, den Hals behaart, den Leid gefiedert mit 
kleinen Flügeln auf dem Ruͤcken. Die beyden andern Thiere, 
die A. Hager auf eine unbegreiftiche Weife zu Krokodilen ums 
Schafft, vergleicht Hr. Lichtenſtein nicht unpaffend mit gefchupps 
ten Hyaͤnen; doch erfcheint, die Loͤwentatzen abgerechnet, alles 
WMebrige fo zufammengefegt, daß man fein Thier In der Nas 
tur von ähnlicher Bildung findet. Die kurzen, fpisigen Hörner 
ſtehen völlig fenfrecht, mie bey der Antilope, welhe man 
Klippfpringee nennt; zu beyden Seiten derfelben vertritt lok—⸗ 
kenfoͤrmig gemundenes Haar, desgleihen auch hinten am gans 
gen Halfe hinunter hängt, die Stelle der Ohren. Rah Hrn. 
Lichtenſtein foll dee Schmuck bes Hauptes keine Hörner vors 
ftellen, fondern eher ein ſymboliſches Emblem feyn, deigleichen 
auf den Aegyptiſchen Denkmaͤhlern die Scheitel des Serapis 
ziert. Der Leib ift fchuppenförmig oder gefiedert, die Schnange 
vorn gefrämmt, wie die eines Ebers, aber mit einer weit 
herausfichenden, z veyfach ‚gefpaltenen Zunge Hr. Hofrath 
Heeren hat in feinen Ideen uͤber die Politik, den Verkehr 
:and den Handel der vornehmſten Völker der alten Welt ges 
zeigt, daß ſolche willkuͤhrliche Abänderungen in der Zufammens 
ſetzung einzelner Theile ganz in dem Geiſte der Kunfl des 


) 





Ilustr. d’und. Zodiavo-orientale da G. Hager: 251 


Derſiſchen Zeitalters waren. Daß auch im Tempel des Belus 
der reihen Abbildungen monſtroͤſer Thiergeſtalten aufgeſteüt 
ware, Tage Beroſus in einer miv'vom Ken. Dr. Fioris 
frenndſchaſtlichſt mitgetheilten Greffe, in excerptis Alex. 
Polyhist. ap. Syncellum Chronogr. p. 23 (Script. Byz: 
T. V. ed.- Ventt, 2729. fol.), woräber Court de Gebelin 
‘Monde primsitif. T. IV. (Histoire du Calsndrier ) p. 488 
unter andern fast, daß fie die Chaldaͤiſche Theologie und Loss 

mogonte darſtellen ſollten. Haͤtte Ktefias in feiner Beſchreibung 
Indiſcher Wunderthiere nicht vielen Übergangen, weil es denen 
unglaublich ſcheinen würde, die es nicht gefehen hätten; fo 
wñrden wie vieleicht noch in feinen Fragmenten diefe Thiere 
erklärt finden, wie Kr. Heeren darin den WMartihera, den 
Greif und das Einhorn fand. Am meiften wärde auf fie die 
Beſchreibung golbhütender Sreife paſſen, Ctes. Ind. ı2, 100° 
ſie als vierfäßige Vögel von der. Groͤße eines Wolfes, mit den 
Beinen und Klauen eines Löwen, mit rothen Federn auf der 
Druf, und ſchwarzen Federn auf den Abrigen Theilen des 
Lelbes, gefhlldert werden, wenn diefen nicht Aelian H. Anim. 
IV, 26. den Kopf und Schnabel eines Adlers gäbe. Zwar 
erſcheint Dies Wunderthier, deſſen Dichtung fih Aber gang 
Afien verbreitet hat, in verfchiedener Geſtalt; doch haben uns 
fere Thiere zu wenig von einem Vogel, als daß man fie mit 
dem Perfiichen Simurg oder Sirenk vergieihen koͤnnte. Sie 
mit dem Ken. v. Dalberg für Bilder guter Genien, Taſchters 
und Behrams, zu erklaͤren, die hier, gleich den Sphinrxen 
in Acgypten als maͤchtige, wohlthaͤtige Beſchuͤtzer der Gegend 
und Bewohner der Gebaͤude ruhen, verbietet die oben ange⸗ 
führte gefeſſelte Lage der Tiere. Hingegen das Thier im 
obern Felde, welches Kr. Millin mit einem Tragelaphos, 
Hr. Lichtenftein mit einer geflügelten Gazelle, Hr. Hager aber - 
mit dem Steinbock vergleicht, ik nach Ken. de Sacy's gluͤcklicher 
Enträrhfelumg, welcher auch Kr. v. Dalberg beyſtimmt, ein 
Eymbol des thaͤtigſten und wirkſamſten Izeds Behram, der. 
nach dem Jeſcht⸗Vehram Zenbav. II. fih unter alleriey Thiers 
geſtalten offenbart, umter andern auch, nach Eorde 8, unter 
der Geftalt eines Schafbocks mit veinen — um ‚gebogenen 
Hoͤrnern. | | 


352 Mustr. dung Zodiaco orientale da.&. Hager. 


Mac. Hro- Hager Met dan otzere Feld den Himmel, das‘ 


untere die Erbe vors er irrt aber, wenn ot, die vier Altäte 
des obern. Feldes für Thurme und Palaͤſte erklaͤrt, melde ſich 
auf Die gwmälf Sonnenfiatienen beſiehen, Die zwey des unterm 
Geides dagegen für Altäte des Feuerdienſtes. Die. Altäre. 
des uwtern: Feldes uneerfheiden [ih von den Als 
tären des ohern Feldes in nichts als in der bes 
beutumgsiafen Berzierang ber Außenſaiten. Alle 
hablben ein. eckichtes Piedeſtal und eine an deu Gelten abges 
nändete Obexlage ; aber im obern Falde theilen vier Säulen 
den Schaft is. dacp gleiche, mit willtährlihen Schnoͤrkeln und 
Strichen verzierto, Felder ab, Die Unterlage iſt mit drey wel 
leafoͤrmigen Strichen durchzogen, und die Oberlage in fünf 
Felder mit Kreifen in ihrer Mitte abgetheiis; im untern Felds 
dagegen iſt der Schaft in zwey Felder getheilt, die Unterlage 
nur mit zwey Schlangenlinien durchzogen, und die Oberlage 
in ſechs VBierecke zerſchnitten. Auf jedem Altare befin⸗ 
det ſich aber ein beſonderes Symbol: auf einem 
Die Figur eines Hufeiſens oder. vielwehr eines Griechifchen 
Q in der hertigen Uncielform, zu beyden Seiten unten 
gelockt, und ringsum durch drey Linien im nier Theile getheilt: 
anf dem andern ein langer und duͤnner, geſchuppter oder ger 
fiederter Hals, der, meil der Kopf durch die Deihädigung des 
Steines verſchwunden ift-, einem Baumſtamme aͤhnlich; auf 
dem dritten und vierten eine paraboliſch geſtaltete Tafel mit 


einer Einfagung von“ allen Seiten, und mit ſechs aufwaärtse 


gehenden, in der Mitte zufammenlaufenden Adern durchzogen; 
anf dem fünften eine liegende, dreyeckichte Ppramibe gleich 
einer Räucherferge, deren Bas im Verhältwiß ihrer Höhe 
nur gering. ift; auf dem ſechsſten endlich ein deeyeckichtes Taͤ⸗ 
felchen mit Einfaſſung, gleich den Kreuzen auf den Gräbern 
laͤndlicher Kirchhoͤfe auf. einem kurzen Pfehle ruhend. In 
dieſen Dingen, nicht in deu Altären, welche 
Bloß zu Heiligen Untergeſtelben für die Sym⸗ 
bole dienen, beruht Die allegoriſche Darfiellung 
zu deren Enträthfelung uns neh die ficherjeis 
senden Borkenneniffe fehlen. Sonderbar dewer Hr. 
Hager die Hufeiſengeſtalt, weil fie einem Griechiſhen 82 


—E 





Ilustr. duno: : Zodiaoo orimlale da G. Hager. 253 


Ahnelt, «uf das an BZeichen im Thierkiriſe ober die Fiſche. 

Hr. v. Dalberg muß nar den Mitlin ſchen Kupfebſtich, nice 
ben dortrefflichen Gypoabbeuck, augeſchen haben, ald er die 
Deriegimgen am Steine Für: Leichte Umriſſe von Regenwolben 
eflärte, welche aus dem flammenden Sterne Saſchter (Sirius) 
much dem durtinterſtehenden: Gebäude niederfaher, deſſen mit 
Schuppen bedeckrer Hells Bielleicht Amordad, der Führer 
Taſchters, odet Michta, alſo der. wohlthätige Gentus der 
Bike: Ah. Die paraboliſchen Geſtalten der: flagen:: Tafeln 
dem dritten nud werten Altave verleiteren deun Hru. Bager, 
die für: ATharnie ungeichen, amd durch Main's unnekkoms 
nine Darftellmmg) im Kupſerſtiche verfähr‘,. meint er, der eine 
ern ur Hat da, um anpudeuten, bu Sk Brorpion 
ber —5 — bdieſer, den Winter busitellenden Getet 
he, . Hr. — 1heilte dre Kupfsrtafetn na 
dan bey den Hauptplatten des Gypſsabdrutkers ad; 
vobey⸗dvre kleinen Beitenſtücke aucflelen, und 
dahexen unf Der einum Kupfertafel de SEchktangen⸗ 
ſqgwange die Hälfte der Oterafiguren arm obetn’ 
Aaude uue einen Alcars mite feinem’ Symbele, 

ſo wix Die ausgefrättee Zunge des Thaerro im 
unter Pelde, verloren ging, während auf der andern 
Amfesapeb bie Schlange und der Wolf Aber dit Graͤnglinien 
huandgezeichnvt wenden. Dus Piedeſtal der Altaͤre, weiches 
auf den Kupfertafſeln niche ganz treu dargeſtelt iſt, verbietet 
er, ſie mir Ben: Hager für Tharme and Palaſte, oder mir 
Hm.’ v. Dalberg für Terrpel oder Luffäle zu halten, wenn 
fan: ri In Den Werzierungen des Schaftes Thuͤren umd Ai 
Mteave, und in din Merjlerungen der Oberlage Togar Acht 
lee: mie den Töeigtyphen und Melopen des Gtiechiſchen 
Gebmees finder -iiöchte: Welt paffehder und mit der ride 
der Yalytnteis ruhenben Thiere wert mehr im Berhaͤltniß fichend 
erklaͤrte Hi. Eichtenſtein alles für Leihenmähler, deren Ems 
Hand ſchiber zu erklären ſeyn. Nah Eubulus bey Porphyr. 
de: Nyitipk. 'antro. Ed. Gantabr. p. 255 sq. heiffgte Zoröns 
ſter wine höhe als Bild der Weltordriung darch Mirhra ges 
bant · ufide geſchũtzt, woͤrin nad) abgemefjenen Entfernungen 
von einander Dinge lagen, welche die Elemente und’ Klimate 


6 


954 IKuste. d’uno Zbdiaco, orientala da 6. Hager. 


Abilfen tollen. Dem cchnulich ſcheinen die Abbildungen bee 
beyden Feider auf der eisen. Haupeſeite des Gteinrs zu. fen: 
Br. v. Dalberg fand. im umtern Felde ein Opfer: db. Ormuzd 
augedentet, und ‚meinte, die.Higende Pyramide fen bie: himmr 
küche Pflanze Hom, vielleicht ein aus dem Holze deſſelben 
oder aus Mete beſtehendes Opfermeſſer im drepſeitiger Pyraa 
midetfprm; oder ein Werkzeug aue Holz zum. Anumachen dep 
Opferfeners dur; Reiben ; auch die, aufrecht flehende Gpige ' 
anf dem. andern Altar. fey win Weller. nder- ein Blatt des Baue 
mes Kom. : Bany verſchieden davon urcheilten Kr. Hager, und 
Vichtenſtein: nach jenem: folk auf dem einen Altar eine Pyra⸗ 
wide as ‚Bymbat: des Jeners — auf dem andern -tine . 
dreyſeitige Pyramide lingen; die:einen Phalus ger Singers 

darſtollez⸗nech dieſem foll auf Dem andern. Br das 
Gegenſßhck des Lingem; die Zoninoder das € der Ranus 
Urania qugerichtet ſeya, ale Emblem den weiblichen Jomgung; 
auf · dem: Leichenmahle neben dem: teens liege cine -Zinur, 
weelche durch die Zeit beſchaͤdiget fen ‚und falls man nach achn⸗ 
lichan Dankmaͤhlern beym Sräfen Caplus en duͤria uma 
 feehaglid eine Mumie vorsaſteſit habe, oben .einen, Lrichnane 
in Leinwand pewidelt. Allein nichts iſt auf dem Driginafe 
vollfomimener: und--demtlicher dargeſtellt, als grade dieſe Uegande 
Mopramide; dagegen die Pyhramidalfiguren am Schafte Den 
Auaͤre nur quf Millin's unwollfommenem Kupfſorſtiche erſchei⸗ 
nen. Hr. Millin findet in dieſen Pyramidalfiguren, welche 
auf dem Originale bloße Vertiefungen in den Feldern zwiſchen 
den Säulen ud, etwas Myſtiſches aud Religiäfes, den Grunde 
zug aller Keilfchrift als Symbol der Sonne, : ders Strahlen 
immer in koniſcher Geſtalt gezeichnet würden, und will deq⸗ 
halb auch das dreyeckichte Taͤfelchen auf dem letzten Altare für 
eine aufrechtſtehende Pyramide angeſehen wiſſen. Umgekehrt 
findet Ar, Lichtenflein darin das zweyte Element ‚Der zeugen den 
Dyos und der Keilicheift, deren Grundzug ber Pfeil oder 
männliche Mirrich ſey, welcher an der linken -Säule Bicfes 
Leihenmahtes ſtehe, die Spitze in die Baſis gehefſtet, zur 
Andeutung des nach dem Tode und der Begraͤbniß durch neue 
Zeugung zu erneuenden Lebens. „Man ſieht, zu welchen Mey⸗ 
nungen ein unpollkommener Kupferſtich führen kann: der treue 








Ihustz.. dung, Zpiliano. ‚oxientala da G. Hager; 255 


Bernd des Oextaln⸗les ht ‚wahr einen Mirrich, woch ein⸗ 
Jeni, no ninen Linga oder Nhallu⸗ über. und an hen Al 
ehren Sehen, - Eben ſo nenig. kann der Pfeil neben der Abbll⸗ 
dung zweyer ſich versinigenden: Bäfle, „mie Hr. Lichtenſtein 
meins, der wiermaf geflügelts, Mirrich fepn :..06 if ein gewähus 
- per Pfeil, auf bayden ‚Selten befedere: : Nech Dun. Hager 
‚Hille, die beydes Otrame zur Bezeichnung des: Ortes, wo di 
Btein ein Gegenſtand des Werehrung: mer, Den. Enphras und 
Tignis gar, uud der Pfeil iſt Bezeichnung des letztern, weil 
im eg Tir ſowohl einem ‚Pfeil. ads ben Tigteflcons 

Zwar finden ih der Pfeil auf ‚den verkehrter: Seite⸗ 
* * nicht zur Hynotheſe pe, wird Dex Ungeſchicklichkeit 
des Bilners zugeſchrieben. Hr. Millin weiut, der Pfeil könne 
Ma Lauf der Stroͤme bezeichnen, mir auf- unſern hpdrographl⸗ 
ak Hr. de Sacy erklaͤrt die. Bläffe für eine Abbil⸗ 
dung Asß- eo erh. oben des. Zeralhy Sand oder des 
Woory kaſche insbeſendare, „die ein Geſchenk des Taſchter ſind, 
und meins, der Pfeil koͤnne Symbol des Tir ſeyn, welcher 
dan Taſchter bealeltet. Hr. Lichtenſtein finder: andem zweyge⸗ 
ſpaltenen⸗ Strome die Fluͤſſe des Beldal, deren einer „Die uns 
ſuldiaea: Seelen im die elpſiſchen Fluren, der andere bis 
Beräbptes der Gotter in.den Tartarus fuͤhre. Her ©. Dalberg 
Gdlich erkamt den: Strom fuͤr die himmliſche Quelle gerakh⸗ 
Ed, und den Pfeil für: Taſchtars Pfeil oder ein Bild -bas 
Hlitzes und. dee himmliſchen Fetzars; doch gibt er zu, daß 
beydes audy deu- Tiger bezeichnen koͤme, deſſin Nome einen 
pfeil, bedente. Das Folgende wigd aber zeigen, dab in 
dem auf ſeine, Spitze geſtelleen Pfeile fewohl, als in be 
Aerliegenden Schlange om obern Ende, nichts weite als 
eine Vegrnzung datz Flguren, menn, gleich eine ıfyms 
b41iſche —R — eesee an ſu⸗ 
Bel. tm: 

‚ Ursractat man die Anſchtiſten, vwelche auf beyden Haun⸗ 
kiten dee Oteines im zwey von ‚einander unabhängigen Co⸗ 
Inmnen, unter den figürlihen Abbildungen ſtehen sie findet 
man die-ganze Schrift von allen, Seiten durd Linien einges 
foßt, die Kolumnen von ungleicher Länge auf der einen Seite 


Pu -_ 1 SE 2ei 







956 Musi duns Zidiae ’orkmtald da-C. Kiger. 


Var, .äuf der andern "diteih wiy: prall pet 
pendſtadar Londen geſchieden, und: jede‘ Melle: von Ser! andern 
durch: Quertinien abgerheint. Ebeinnfol fall die Schkanhel nit. 
vie: Fegucen Sir beyden Haußſeſeilen von” einunbet Then’ 
daher ihr Schwanz getade ſo weit herunternreicht, als DR 
Banden der mit. einer doppelten -Pigurentuife Bedeckiten Setil 
Was der Schlangen: auf der einen te des untern 
Weldos' bezwerde⸗, ſriſtet aufi der andeiit- Sei Ye! DR 
beyden obern Phyuveneethen ſend nur Auf eintr Sefte BL) 
vn Gxhlangihieit gefchleden:; auf der andern Wekte,; Ib 
der Pfril dit untere Bigareikreißt Gögränge, : Moden fe ic 
mitteibar: an: vinaader. Alleih die aber vikamder — *—— 
Saar vdrr Dander, welche zur untern ten an Di 
IRitgarenreihen dienen, and bey. den febertiähch - — 
Vie Stetlenquer durchgizogener EAnien vertreten, 
Yen Sthh langenkos ſe hinangtich, daß vie obern 2 
beyber Seiten »des Seetmes von -ehtähber vnabhangißz MRS. 
An ‚Ber unrichtigen Boramsfegung, daß bie SA Sch 
ganem. Sreinnünyiehe, vetgleichen Herr Wet. Und Lichter, 
Kein: deſriov fahr: unpafend mir; dem Vaſugh ˖ ver ¶ Braiinen 
vder· mit den Symbble der · Jeit, dir Schlange, welche ſich 
m den Othwanz beißt. Herr Miullinerkannte die Sqtauge 
nach Ihr Geſtalt und Groͤßs für eine Ark Reſenſchlaige, 
amd vorhlich ſie mit der —* des Corand; welche den Tri 
Gottes: rings umgibt, Was Hier jedoch nit: DEFFFRU til. 
He de Sach ˖ und von Doͤlberg glairbtch in der Stage den 
Aiſchmsgh (Aemodi) des Zendaveſta zu erkennen, welcher 
Wermuthimg der Mangel der n bevden Füge“ widerſpricht, die 
Der Zertavefla dem Aſchmogh zuichreibe: Die Abbitdung 
ſtebbt nichte ab Fine gewoͤhnliche Schlange 
darz weile, da fie die: Figuren ben! Steines in geh. 
Theile theilt, nad) Kern Hager andeuten ſoll, daB dis 
Babe vun‘ erſten Begriffen det Wölfen genfiffinke nach Oom⸗ 
‚ mer und Winter verſchieden ſey, den Reichen dee Lichts u 
der Brunn: 


- ( Dee Beſchluß BR 


—— an. 








No. 17. 7 Hetb.eltersifge: - 4813, 


Japebäder der Litteratun 


EN EEE FEEEEEEOELTERRT is... an arı nn \, © —B * 


3 

Ilustrazione d’uno Zodiaco orientale del Gabinetto delle mes 

daglie di Sua Maesta a Parigi, da Giuseppe Hager. 
GBeſchluß der in No. 16. AUADTOD NEN Recenſion. 


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| Near man num, sei Selte bes Stefnes als die 


erſte gelte, fo geht aus der Lage der oben angeführten 
Schnuͤre oder Bänder, wovon freylih die Kupferſtiche nicht 
die mindefte Andeutung geben, ia hervot, daß die mit 
gedoppelter Figurenreihe Bedeckte' Seite die erſte ſey, was zu⸗ 
gleich auch die Richtung des Schlangenkopfes mit zweyfach ges 
ſpaltener Zunge andeutet. Die letztere Andeutung hat auch Hr. 
Hager aufgefaßt, nur begeht er, um feinen Thierkreis mit 
einem Widvderähntigen Thiere zu beginnen, den Zehler, bie 
fhte Figur zur erften zu machen, und umgekehrt, da doch 
(don die Köpfe aller Thierfiguren die entgegengeſetzte Richtung 
von der Linken zur Rechten verrathen. Hr. Millin folgte dies 
fee Richtung, welche auch die Inſchriften zeigen, betrachtete 
aber die Thiere der Kehrfeite früher, als die Segenftände der 
doppelten - Figurenreihe. Kr. Eichtenftein traf zuerſt hierin die 
währe Drdnung, indem er Millin's IX. Kupfertafel der vitt 
vorangehen ließ, und erklaͤrte ganz richtig die Figuren von der 
Linken zur Rechten. Doch ließ er ſich dadurch nicht bewegen, 
auch die Inſchriften in gleicher Richtung zu leſen, weil dar⸗ 
aus, daß die Thiergeſtalten ſaͤmmtlich zur Rechten blicken, 
eben ſo wenig die Richtung der Schrift folge, als man auf 
Maͤnzen immer dieſelbe Richtung der Thiere oder Menſchen⸗ 
Epfe mit der Inſchrift finde.‘ Zwar verfannte er nicht, daß 
die Inſchrift zuweilen uͤber die Graͤnzliaie zur Nechten hinauds 
sehe: aber er erkfärte dies lieber für Schnorkel der“ Anfangs 
buchſtaben und uͤberſtuͤſſige Zuge, fo wie den Hleiihen Anfang 
mehrerer Zeilen für gereimte Endungen, ungeachtet fich. jene‘ 
Schnoͤrkel nur M der erſten Zeile finden, dagegen . ‚aber‘ von 
FRECHEN 


v 


2358 Ihustr. d'umq Zodiact otientale da G. Hager. 


der linkeſtehenden Columne in die zur Rechten fo eingreifen, 


daß offenbar die jedite Golumme fpäter. geſchrielen werd als 
die linke. Weil die Ihiergeftalten der Kehrfeite den Altären, 
welche Hr. v. Dalberg für Gebäude Hält, zugekehrt find; fo 
bezeichnen fie ihm boͤſe Genien oder Divs, welche fic) ‚verbuns 
den haben, den Tempeln oder Paläften auf der andern Seite 
verderblich zu werden. Allein erſtlich gehören die beyden Voͤ— 
gel, wenn man fie auch für Raubvoͤgel halten wollte, zu den 
reinen Thieren; zweytens irrte er darin, wenn er fi die 
Charfeſters alg anxuͤckend zum Kampfe gegen die Wohnungen 
des Lichtes dochte. Dawider ſtreitet nicht nur der Umſiand, 
daß die Charfeſters das Ende der Figurenreihe bilden, und 


alſo eher abs als vorwaͤrts ziehen; ſondern auch die ruhige 
Lage der meiſten von ihnen, und die Richtung der ſchuͤtzenden 


Thiere nach derſelben Seite, wohin die Charfefterg gewandt 
find. Kr. Hager verfaͤhrt gerade umgekehrt, indem er ſich, 
wie die. Sonne im Thierkreiie, den Richtungen der Thiere 
‚entgegen bewegt, und vom Schlangenkopfe beginnend „ dab; 
‚jenige Seite des Winters oder der Finſterniß neunt, was dem 
Hın. v. Dalderg die Lichtjeite fein. 

Maren, wir mit diefer Seite den Anfang, wie, es der 
Bildner durch die Lage der zur Baſis der Figuren dienenden 
Schnur unverkennbar bezeichnet hat; fo ſehen wir oben der 
Schlange zunaͤchſt drey [heibenförmige Schilder, 
worgn das erſte, beſchaͤdigte, nichts. als eine unabgefchliffene, 
rohe Maffe darftellt. Die beyden andern find durch vierſtrah⸗ 
lige Sterne mit einem Knopfe in der Mitte verziert, movon 
der eine zwifchen fämmtlichen Strahlen ausgehende Lichtflams 
men. zeigt, der andere, auf einem gleichen vierfirahligen Sterne 
ruhend, wie ein Stern von acht Strahlen ericheint.. Herr 
Millin hält diefe runden Schilder für Höfe, welche. die. Stern 
umgeben, allein auf dem erfien, ziemlich dicken Schilde hat, 
ſo viel man uodh ‚Sehen kann, nie sin Stern geſtanden. Hr. 
Lichtenftein meint, die drey Sterne flellen die Deichfel des 
Magens am Morppole npr, als Spmbol der Sabäifchen, Txias, 
dreyer Dbergötter im Morgenlänpiihen Sterndienſt. Allein 
die Schilder haben ein dreyfaches Anfehen, und fielen entwe⸗ 
der drey Arten von Sternen, oder daffelbe — in dreyerley 


— 


8 





IHustr.; d’uno: Zodiaeo orienlale daG. Hagex. 26 


Vezichungen vor, als ruhe und migebilidete Maſſe oder wer⸗ 
dendes Geſtirn, halbvoulendet mit auafprühensen Flammen, 
und in vollem Lichte ſtrahlend. Hr. Hager deutet, bie rohe 
Maſſe ganz uͤbergehend, den einen Stern zum Tann des Pas 
radiefes mie vier Strömen, und den andern zum Symbole⸗ 
der finfleren Macht, ftatt daß Hr. v. Dalberg ben flammenden 
Stern mit Ken. de Sacy für den Taſchter erfidet, der durch 
fein Licht die Divs vertreibt. Tafchter wird wenigſtens im 
Geht: Tafchrer Zendav. IT. durchans ale ein Stern des Lichte " 
and Glanzblttzes gelſchildert, und im .Gten Corde mit Gehram 
(den Planeten Mars ) zuſammengeſtellt, weichen Hr. de Sach 
auch unter den Sternen des obern Geldes vermuthet, wie er 
ihn in dem Mter ihm ruhenden Thierbilde fand. Daß auch 
is einer der Thiergeftaiten Taſchter verborgen ſey, [heint Ar 
de Sacy minder gluͤcklich zu vermuthen: denn koͤrperlich erfcheint 
dieſer JIJed nur im dreyfacher Geſtalt, mit dem Körper eines 
ıSjäprigen Juͤnglings, glänzend und lichtweiß, oder eines 
Stieres mie Slißenden Augen und goldenen Hoͤrnern, oder 
eins Heidenroffes mit gebbenen Reifen Ohren und gofdenem 
bochgetragenen Schmelfe. 
Beetrachten wir die Figuren der Keheſeite, ſo iſt 
das erſte Thier ein Skorpion, nah Hrn. Lichtenſtein sin Bild 
des Todes; Das zweyte ein Falke oder Nabe mit Papagepens 
ſchnabel auf einen beſondern Geſtelle, welches bloß da zu fepn 
(dein, um ben Mogek oberhalb ber Storpionsſcheeren in den 
leeren Raum zu bringen - das dritte em Huhn, nah Ken. 
Haget eine der Iſis geweihte Sans oder eine Taube. Mr. 
de Sacy Häte den einen Vogel für den Kehrkas oder Eorofch, den 
andern für den Aufsafhrnosad oder Peroderefch ; dagegen Kr. 
kichtenſtern den erften fr. eins behaubte Lerdye auf dem Leichen 
mahfe:(.dme DonPilßtog. xopvdarıls ) erklärt, welche auf den 
Geäabern einſam zu ſitzen pflege. Der andere Vogtl ſey nicht 
Didus Ban. , wis Zr. Millin vermuthe, fordern ein Nabe 
oder dor Wovof ‚wein noch jetzt die Brahminen als ein 
Embleri: wor ab goſchtedennen Stelen betrachteten. Wenn chen 
bey dieſen Thierſiguren die Meynangen fo verſchleden find, fe 
Iaffennapioie biteden zunchſt Folgenden monftröfen Ihierges 
ſtaſten worh Wentger befkiimmien, — wort fie. nicht aaturhiſtorifch, 


\ 


260 Ilusir; dan Zödiaco orientale da G. Hager. 


.fondern- idealifch oder magifch‘, nach Perfiicher Sitte, darge⸗ 
eilt find. Nur das läßt ih wohl mit Gewißheit behaupten, 
daß fie keine Bilder des. Thierkreifes waren. Sie ’gleihen 
zweyen Schlangenleibern mit verfchiedenen Köpfen: der Kopf 
des erſten fcheine behaart, des zweyten befiedert, und doch Gar 
der erſte den Schnabel eines. Raubgogels mit einem Kamme 
und Zähnerachen, der zweyte den meitgeöffneten Zähnerachen 
eines Saͤngethieres mit langen. gefpigten Ohren, “die: Hr. 
Millin und Hager für Hörner halten. Kr. Lichtenfein findet 
in den beyden. Schlangen .die Zeichen für die. Planeten Mars 
und Saturn, oder Merkur und Venus, und deuntet fie als 
Kedu und Rahu, xaxodasiınv und dyaSodaiıar. : Die 
ſchwebende Figur, welche den ganzen Raum uͤbes dem Huhne 
einnimmt, erflärt er für eine muflifche Muſchel oder einen 
Hyſterolich, das. natuͤrliche Idiom des Lingam; Hager für 
einen heiligen Machen, das Schiff der Iſis oder der Jungfrau 
zur Bezeichnung des Lichtreihes und Sommer ; Sotflitiumg, 
wieder Steinbock auf der amdern Seite das Winter : Solftt 
tium bezeichne. Hr. v. Dalherg bewmerkt dagegen, mas auch 
bey mehreren andern Deutungen erinnert werden kann, daß das 
Ass Schiff. als ein rein⸗aͤgyptiſches Bild nicht wohl ia einen 
Cyclus Chaldaͤiſcher Mythen paſſe. Den Beſchluß macht ein 
ſitzender Schakal; nah Hrn. Lichtenſtein ein Hund, der Sura, 
welcher den Mithra begleitet, und bey den Parſen den Las 
benshaud der Sterbenden auffängt, oder auch ein Wolf ats 
Zeichen des Planeten Merkur, und als Begleiter der Seelen 
zue Unterwelt und wieder zus Oberwelt; nah Hrn. Hager 
fogar der Widder, oder den Vorſtellungen der Parfen gemäß, 
das Lamm als erftes Sternbild im Thierkreiſe. Fuͤr die, weldse 
das Thier mehr einem Wolfe ale Lamme oder Widder ähnlich 
finden, bemerkt Hager, um feine Idee von einem Thierkreife 
wicht aufgeben zu muͤſſen, daß die Brahminen ſtate des Wid⸗ 
ders ebenfalls ein Thier ihrer Gegend hoͤtten, welches -einem 
Kunde, Wolfe oder Fuchſe gleiche, und daß nach Minfrebine 
die Sonne auch unter dem Bilde eines Wolfes verehrt ſey. 
Beydes beruhet auf nichtigen Gruͤnden: denn nach den Asiatic 
Researches (ſ. Jen. A. 2.3. 1012., No. 231. )..feanen die 
VDrahminen allechings den Widder, Aur hahen, ſt auch andere 


IInati dinnd; Zodiaed: onientald.da: G. Hager. 26£ 


Beiden und, Bilder, die Biondshrter zu beſtimmem; und bey 
Hemer bezeichnet das Wort Arnıäßor, welches gu der Behanp: 
mug des Makrobins Anlaß gab nicht. dus Zahr ezuewie man 
gewoͤhnlich glaubt, ſondada Rab Mondeswerhlel oder den Mon⸗ 
deslauf won einem Reumdonde zam andern, Worauf ar en 
un Lateinifche Name Lina für Bacina hinweiſet. 

Se wenig Grund nach oßigem dB Verf. Dißtungeh der 
ziguren— -haben, eben fo zrundlos ciſt fein Urahass Aner die 
Babyloniſche Keilfhrift. Hr. Anger behauptit ann 
ih, daß zwar die: Perſiſche Keilſchrift eine Mehtwig "von det 
Linken zur. Mechten habe, die: Babyrloniſche at perpen dicular 
abwärts nach Chineſiſcher Schreibeweife, (6: dafiı'die? Eolumme 
gar Rechten den Anfang mache. Zh’idiefer Bebauung vr 
anlaften ihn bie bekannten, Inſchriften auf beni; Auckſteinen 
und Eytiuberw, weiche er ſe halt, daß ftine Gchäeprung: mie 
der von mir erwieſenen Zeichenfäige: voͤllig : sufammenfkimme 
Denn biefeiben Bnichriften, weſche in horizentaler Richtung 
von der Linken zur Recheen gelefen. werden, 'Isufeır, "als: pers 
yendimmiare Enlımmnen betratchtet, non der Nechten zuw⸗Linken 
und umgefehre. : Damit: man viedech ſich uͤbergeuge, :taß Am 
Angers Meysnung eben fe wenig Airamd babe, als Chardims 
ähniıhe Behauptung in Anfshang: der Perfepelitunkfdien. Im 
ſchriften an den Senftern: im. Palaſte dei Darius. iſobemerte 
ih, daß die-Igvofe. Londaner nfheift in schen: Gehtumin; 
worüber ich meine Bemerkungen im Sntelligergbfutt.:Adr :: Ye, 
a. 2. 3 1805. No. aoı.. bekannt gemacht. habe, : auf :deväk 
erßter Columne fih der Inhalt faͤmmtlicher bis jrtzt -Sefänisten 
Backſteine in Meinen Variationen wieder ſindet, Aben fo wir 
widerfprechlich eine horizontale. - Richtung von der: "Linden zur 
Rechten hat, als die Inſchrift desjenigen Steines, von web 
chem hise die Rede iſt. Das Ungmelläffige eines Qupferſtiches 
zeigt ſich in den Inſchriften dieſes Steines ſawohl, als im den 
allegoraſchen. Abbildungen: doch hat ſie Ar. Millin mit der 
moͤglich ſteun Treue geliefert. Weniger richtig. if. der Nachſtich 
bey Sagen, , wiewohl auch dieſer treuer genannt werden Hann, 
als. Millin’s.. Abtzildungen der Bahyloniſchen Bnackſteinu In⸗ 
ſchriften, zu deren Lefung ader Copirung nach den Originalen 
felba, wegen ihren rohen Maſſe und der vielen beſchadigten 


- — v 





382 Ihustr‘' d’imo :Zodiaca.orientale da Gu Häger. 


Grm; ein: in dieſer "Gchriftuer. vikifach geidtes Ange gehöre. 
Ich Habe die verſchiedenen Bruchſtücke aber bekannten Back⸗ 
ſteine zuſfammengeſtelle, "und fs Mich Jufammenhaltung aller 
Engliſchen mb: .Breubiihiit Mihiiuungen gegen nem, im 
ihrem. Yuhinlte ‚wenig verſchiedene Inſchriften herausgebracht, 
zu deren VBelaimetmachumg ie erenen Kapferſtichen ich His jegt 
noch keine Gelegenheit fand. Ueber Her Charakter" der. Keil⸗ 
ſchrift auf unſerm Steine ihabe ich’ ſchon in dem Anhange zum 
erſten Therle von Heeren?s Ideen Aber bie Potitik, den Ver⸗ 
dehr und den Handel der vornchmſten Volker der: altın. Welet 
meine Bemerknagen mitgecheilt; hier finde ˖ nur Hody folgendes 
Wenige Naunmi. Der Stein iſt an mehreren Bitellen befchäs 
digt, wodarch einzelne Luͤcken, beſonders einzelner Keile, im 
der Inſchrift entſtehen; Hiervon verſchieden ſind aboer die mie 
Fleiß "geiefenett Lucken; der. Juſchrift in ben :nesiften Zeilen, 
weiche deher: zu; rͤhren ſcheiden, weil man nur eine beſtimmte 
Zeichenreihe in jede Zeile briagen, ber auch keine Luͤcke am 
Endecder Zeilen laffen wollte. Man dehnee daher bry klei⸗ 
nern Zeichtneeihen die: Keile, vaͤckte bie Schviftzeichen ſelb ſt 
meiber aus einander, ober (er "auch nur das letzte ‚Beichen 
aus Eude Bir Zeile, Inden mwanden übrigen Ham "unaas 
gefüllt Hide Vey groͤßern Zeichenreihen rädte.nian die Zeichen 
nicht wur näher zuſammen, und zeichnete fie fo klein als moͤg⸗ 
lich, ſonbern man erlaubte ſich auch, fiber die Graͤnzlinie Der 
Bstien · han aucqugehen. Das lobtere ift jedoch in der erften 
Eolumme,d. h. den. darüberſtehenden Figuren zufolge zur 
Bien der mit Titer doppelten Fignrenreihe bedeckten EBeite, 
wie der Fall; ‚viehmehe erhält: bey einer Wiederholung deſſel⸗ 
den Jahalts ie ıgte Zeile zwey Beihen mehr als die 1Gte, 
welche man zu Aufang der ırten Zeile fekte. Ans dieſem 
Grunde fan man bie Scheu, eine Zeichenreihe. zu unterbre⸗ 
chen, alcht wohl fuͤr eine Folge der Interpunction halten, fa 
daß jedes einzelne Zeichen ein "ganzes Wort bezeichnete. Far 
eine Wortſchriſt iſt Überhaupt Die Werſchiedendeit der Beichen 
gu. Hering, und die Wiederkehr, ja ſelbſt unmistelbare Wieder⸗ 
delung gläicher Zeichen zu häufig, ale daß man hier Peine 
WBuchſtaben⸗ oder wenigfiens Gplbenfhrift vermuthen ſollte. 
Bir ledteve ſcheint das -Aenferfkcomplisikee: maticher Zeichen, 


— 


N 


Ilustr. Auno Zodiagn, orientale. darßr Hager. 263 


Nam Ende der Zeilen: ifnlieg,fichen, zu ſyrechonz meniafteng 
iß die Werfhiedenheit der Zeihen zu graß,, ala daß man as 
eine ganz einfache Buchſtabenſchrift benfen ‚fännte, warn. mau 
quch noch fo viel Conſonanten und Bocalzeichen ins Alphabes 
anfschmen wollte. Entweder. muß man alſo sine geaße Menge 
. yon Zeichen als Abkürzungen. ganzar Wirken: betrachten, wie 
«6 in der Perſepolitaniſchen Keilfchrift mis dam Königstisel 
ber Ball iR; - oder annehmen, ‚Daß in der Babplauiſchen ˖ Keil⸗ 
ſchrift Die Vocale mit den Conſonanten zu einem einzigen Zeis 
den verbunden zu merden pflegen, Die dadurch entſtehendo 
Menge der Zeichen hindert Die, Ueberſicht, Bed. alſeo auch die 
 Ruyifferung fehr; weniger... binden Die. beſchaͤdigten Stellen 
der Inſchrift, da fie ih meiſtens durch Zufenganheikung alels 
cher Stellen engänzen laſſen. Sp. find in dee erſten Cokınng 
gerade da, wo der Stein, am meiſten gelistien bes, Die. ges 
and aote Zeile wit der. arten umb ıgten- bis auf die beybay 
Schluß zeichen der gten und 1iten geile ſich völlig gleich. Ming 
muß bey ſolchen Vergleichungen aher äußert vorſichtig veſah⸗ 
sen, da zuweilen bey ber, Zuſammenſtimmung aller Zeichen ein⸗ 
zelne darunter verichteden find, die vielleiche auf. verſchiedene 
‚ Beerionen deuten. ©g 4. B., ..um bey ber erben Columge 
ſtehen zu bleiben, . die Ste Zeile ‚gleicht der. ten bie auf daB 
ale Zeichen,. welches auf die bayden gleichen folgt;. ale nich 
dem ten Zeichen iſt die Verſchiedenheit bedsutenh, menn gleich 
die Heine, Verfchtedenheit isn. beiten Zeichen von Ende, wa⸗ 
des mit den eben erwähnten ;benden gleichen - Zeichen {überzin: 
Rünmt ‚nur ein Verfehen des Bildners ſcheint, Nimmt man 
Wiederholungen einzelner Zeichgureihen für Wörter an, ſo 
Hfe-fih die gange Inſchrift ia Wörter von; a.— 5. und, mehr 
Zeichen auf, Die meiſtens oͤfter, wiederfehren, haͤngere Zeichens. 
reihen wohl, 4, kürzere gar I mal: In Km. Lechtenſteins 
Erfiäsung wird man ſelten dexgleichen Wiederholungen ayf 
gleihe Weiſe erklärt finden; eine Folge der, yabeichreiblichen 
Willkühr, mit welcher ein Drittheil der Keile für uͤberfluͤſſig 
erklaͤrt. ganze Zeichen, ja Wörter ausgelaffen, andere Dagegen " 
eingeſchaltet, Keile mie Winkeln, und Winkel mit Keilen. fo 
vertauſcht ſſind, doß ‚man die Inſchrift des Steines in ber 
Entraͤthſelung nicht wieder zu finden weiß. Die bald haͤufigere, 


/ 


DE N | 
264 IHustr! dme Zödiacc ofientäle da G- Hager. 
Said ſeltenere Wieberholung ganzer Veilen ſowohl, “als kleine⸗ 


ter Zelchenreihen, Virlleicht auch Die heilige Seen, mit wel⸗ 


cher man. eine"beftinimte Zerchenreſhhe in jede Zeile‘ Beachte, 
verbunden mit bc: allegorifchen! biidungen darüber; laßt 
Abrigens vitmge Linen récligibſen als hiſtortſchen, pꝓlitiſchen 
oder Wifferſchetftikchen Inhalt“ verlinuthen.“ Iſt vielleicht Die 
Zuſchtift eine: fchekilch geſchtiebenek Eocbid oder: CTaviß ?- eine 
heilige Geber Zur: Abwendaͤng“ alter Aebel des Leibes und 
der Seele; umd- Aberhaupt affer "Anfälle boͤer Genien, welche 
wür- ein Mobeb !oher: Prieſter Ichteiben vburfte. ©. Zendav. II. 
Jeſchts Bades N. LXX— LXXVIII. Dergleichen Toavide 
enthalten jeßt- gewoͤhnlich die Formel in Pehlewi: „Ach Binde 
diefe Uebel Ban Fenersı Kraft und Feriers s Schänheit,; umd 
Macht des glängenben- Feridun Athvians, durch der Irr⸗ und 
Standſterne: Kdaſt w ſ. f.%, und’ werden vorzuͤglich am“ Lage 
Eependarmmad das Monats Espendarmad (dan 15. Tag des 
Waren- Meonates im Jahre ) ausgefertigt, und“ den Parſen 
verkauft, um bie Dews aus ihn Haͤuſern zu vertreiben, oder 
ſte wenigſtens zu binden, daß ſie nächte ſchaden können. © 


Zendav. III. Gebraͤuche der Patſen 6. X. Man 'feyert diefen 


Tag noch ‚wie man Ihn. ſchon zur Zeit des Agathias beging, 
welcher Hast. II. p. 59 davon“ atſo ſchreibt:  "Eoprne weno- 
adv pelgoba Tur ToV xuxdy Neyoueonv Araipesıy vehod- 
or, EG av Te foneröv reiora Kar vv Mir Chor 
Grdce Eybuäi Kal onussotid⸗ ——— 
— edoeßelae ur f. m. 


Es Bleibe- jederk! feine Menning een, aber große: Belehrang 


in aſtronomiſchen und hiſtoriſchen Kenntniſſen erwarte nie 


mand von der vdlligen Entraͤthfelung. Hoffnung 'zi diefer if 


jedoh, fobald die Gpracde der Inſchrift Pehlewi iſt, da 
nenern Nachrichten zufutge W. Dufeley unter andern Merk 
würdigkeiten des Orients au) din Pehlewi⸗ Serteron a 


"gebracht haben vom: 


Srotefend. 





Capita Theologiae Judaeorum dogmäticae e Havn 'Josephi 
scriptis collecta. Accessit ...r super ' Josephi de 


Capita Theologtae Jud. dogm. auet. Bretschneider. 265 


Jesu Christo - testimonio. -Auctore Carolo Gottlieb 
Bietschweider,"Iheal. D. er Anmaemont. Superintend. 
‚ Lipsiae 1812. ap. Joh. Ambr. Barthium. b ©. in 3. 
Sohkphus Hate im Sinn, Über-jüdifhe Religonge 
lsören m were Buͤchern za ſchreiben. Aechaͤol. So, 11. vol, 
mit I, 1: 2. Lewer! iſt dleſ Arbeit nicht auf uns gekommemn 
Sie würde var, da alle Schriften dos J. apolvgeifch für die 
Juden find‘, "aiche. unpuurthegdich, dennoch aber fuͤr die Kennt⸗ 
ih vom Zeitalter des Urchriſtenthums ſehr belehrend ſeyn. 
gelehrte Werf. der Dogmatik der apokryph. Schriften 
sen Teſtaments (Leipzig 1805.) macht ſich daher ein 
wahres Perdienſt, indem er ans den abrig gebliebenen Ber⸗ 
ten des juͤdiſchen Ptieſtere und Geſchichtſchreibers die zerſtreu⸗ 
‚tm für die Dogmengeſchichte merkwuͤrdigen Stellen in einem 
gefhligen! Lateintſchen Vorrrag nach dem Jahalt ordnet, und 
die meiſten zugleich mit den Worten des Driginals ſelbſt aus 
führt. Die Ausführung iM gedrängt, genau’, melſt "anf : Kchte 
hiſtoriſche Auskegungskunſt gegruüͤndet. Wir erlauben ung einige 
ba der Durchſicht aufgefallene Bemerkungen. BR 
‚Contra - Apion. 1, 8. erfthrt bekanntlich, daß bie Hebe. 
———— ſeit Artaxorxes Zelt nicht ſo glaubwuͤrbig ſeyen, als 
die vorhergegangen⸗ n, weil die gendue Sncceffion der 
Prop heten nicht gewefenfey. Aa vo u yercstaı 
ae Tr Koohnehv dreh Amdoxiv. Der Verf. dentet 
die dann, daß, Rah der alten Meynung, der Geiſt,wel⸗ 
cher den etien Propheten getrieben Hatte, übergegangen: fey 
auf ˖den Andern. (So begehrte Eliſa doppelt fo viel Antheil 
an Shia's Seiſt, als ein anderer erhalten moͤchte. =. Kin. 
2, 9.). Das: Beywort: genaue:Succeflion, ſcheint aber doch 
mehr darauf zu gehen, daß, fo lange die Prophetenchoͤre dauer⸗ 
"gen, der Vorſteher feinen Nachfolger wählte, den er auch ſalbte, 
1. Koͤn. 19. 15.” Hierdurch wurde die. Succeſſion axrpıBas 
eine.-gena.we. Uevrigens zeigt dies Stelle, daß auh Joſe⸗ 
phus dis Fortpflanzung (und eben. damit die den National⸗ 
zweden gemäße Redaction) der Nationalgeſchichte unter die 


Gehhäfee der Prophetenchoͤre oder Schulen rechnete. Unter 


den Weudtasdten: wartete man, ob je wieder: ein fo gendu 
autentfirtes: Pevphet aufitchen würde: 2. Maktab. 14, 41. 


266 Capita Theologias Jud. dagm. auot. Breischneider, 


Contra Apion. 1. s. $. aa. wird Gott beſchrieben ald non» 
Hy Te.xal wereßos Aıuiv dpariorıroz. Er ſey in Dim 
ſicht der Geſtalt und Größe für uns durchaus unſichtbar. 
Hr. B. aber will, uooſm fep bier ſynondm mit odoia.. 
37 uogPü Dead Indoyar Ph. a, 6. möge ehem daher erklaͤet 
werden. Dies iſt offenbar mggichti Ju welcher Sprache 
Bännte das innere, das Welen, odeia, durch einerley Wort 
wit dem Aeußern, der Geſtalt, bezeichnet werben ? Auch fagt 
ber. Contert bey Sofephus: feine Materie tauge gu einem 
Bild von Gott, keine Kunſt vermöge. iin nachzubi A;an. 
Beziehen fi Materie, :öAx, und Aunfl auf das Wefen? 
richtigere Parallele folgt in der Note 77. Feariozop noppn. — 
‘Wir faflen mehrere Bemerfungen Über das, was das 
Dogma vom Schickſal nah dem Tode betrifft, als 
einen, der merkwuͤrdigſten Puncte in der Dogmengeſchichte zus 
fammen. Daß Joſephus, der Phariiker, in mehreren, dog⸗ 
‚masifchen ;Berftellungen beſonders in dieſer Ruͤckſicht von ben 
Phariſaͤern abgewichen ſey, davon haben die von dem Varf. 
angeführten Beyſpiele den Rec. nicht uͤberzeugt. Im 7. Buch 
vom jän Krieg 8.6, 3. ©. Br fagt Joſ., die fogenanns 
ten Dämonten ſeyen Geiſter böfer Menſchen, weils 
he die Lebenden anfallen, und die, Welche nicht Hilfe 
(duch die Wurzel Baaras und Salomoniſche Sneantasiomen 
‚nah Arhävl. B, 2. S. 257) erhalten, tädten. Nun behaup⸗ 
. sten die Phariſaͤer? „aller Geelen Bätsen eine „unfierblidge 
Kraft; unter der Erde aber (vᷣno ZBuros, im Hades) haben 
‚fe Strafen oder Belahmungen, je nadbem fir im Leben Tu⸗ 
‚gend oder Bosheit gehbt haben, zu erwarten; und- für Den 
einen Theil komme hinzu ewige Kerkerſchaftt (eloyuor 
:aidıoy Teogsiteoder), für den andern. Theil aber bie 
Leichtigkeit, wieder ( in einem: Körper) aufgeben.“ Prora- 
vny Teö avaßıoöv. Arhärl, 18, 1. 5. Da bier den böfen 
Menſchengeiſtern von den Phorifäern eine ewige Einkers 
Lerung zur Strafe gemacht werde, ſo ſchließt der. Berk 
S. 32. Joſephus feibſt, weicher diefe Seelen noch anf der 
Erde als Dämonien. auf:.die Menf wirten: la, mäfe 
‚Hierin von der Pharifäiicden Vorſtellungsart abpemächme ſeyn. 
Allein die. ewige. Einkerkerung dee Wöfen me, ' wie bie 











Capita Theolögise Jud. dogm. äuet. Bretsöhneider. 257 
irperliche, PBiederbelebung dir Guten, nicht als etwas ſogleich 
nah dem Kommen in den Scheol erfolgendes angenommen; 
wiehehr war szene cin hinzukommendes Webel, welches 
9. nie ohne Urſache durch ein wpoorideoda bezeichnet. 
Die Daͤmonien konnten noch fp lange, bis‘ die Einkerkerung 
Iinsufamı ‚,-als Ueſacher menschlicher Krankheiten hier oben von 
Sofephns gedacht werden, ohne daß er von (einem 
Pharifsismny abwid. Ferner ließen, die-Pharifäer, zum 
wenigften, gewiß die Seelen der Guten in einen andern 
Körper übergehen, ueraßaivev eis drepov ouua, und 
dahurch Sie Erleichterumg genteßen, daß fie aus dem Schatten⸗ 
fead. wieder aufleben, avaßıoöv. Darhber bemertt 
®. 52 ’Qaamquam in N. T. Act. 23, 6 - 8. Pharisaei 
mortußurum resurrectionem expectasse dicuntır, 
sd an’ te. wd Avaßıddv et Tb neraddaisew dıg Erepov 
9öua referr3 non possunt. Non enim dicit Jos, 
&orpora mortua vitae 'olim restitutum iri, sed animas 
vVedituras esse in vitam; non scribit, animas zig TO adrd 
oüua ‘sed: eis trep0v esse transituras; non contendit, hoc 
sinul, una die, esse eventurum, sed animas, habere fao- 
own» hoc'fariondi, pendere igitur hoc ab animabus ip- 
eis, .verliam hanc illis esse dataın., während die böfen See⸗ 
ten im Hades gefeffelt bleiben.“ Dem ec. ſcheint das, was 
Zeſ. als“ phariſaiſches Dogma angibt, mit ber Anzeige des 
IE TE micht in Widerſpruch gelegt werden zu muͤſſen. Wer 
ſagt: die Duele geht Über in vinen andern Körper, der 


laugnet miche, daß diefer andere Körper ſich zum vorigen, 


wis Ah ysvuatınöd zum YVuxıxov, wie eine neue dem 
geiligeven Zuſtand angemeſſene Frucht zum Saemenkorn 
(ı. Kor. 15, 43. 44.) verhalten, atfo ein auferflandener ſeyn 
möge, Die paordrn voö avaßıoöv aber iſt ſchwerlich von 
ungen den Seelen der Guten überlaffenen Freyheit, 


wieder Bbeperlich aufpeteben, warın fie wollten, zu deuten. 


Wietinehe iſt wohl dies der Sinn: Wera die böfen Suelm 
einft den Zuſatz (zu ihren vorigen Strafen) erhalten, ewig 
eingokerkerinzu ſeyn, fo erhalten die” gaten dageyen bie 


Leichtigkete, von dem Böden Scheol befreyt, als Hörperkich. 


mau behebt Aügpreisten. Ohne Korper naͤmlich wer, nad ber 


265 Capita-Theologiae Jud. dogm. auct. Bretschneider. 
Vorſtellung ſinnlicher Menſchen, kein volles Gefuͤhi fuͤr Freude 


oder Leid. 

Wohin aber, dachte man denn, daß die Seelen der Sum 
nach dem Tode hinkommeu? und wohin follten fie, mit dem 
neben Koͤrper vereinigt, übergehen? Der Esfeener. antwor⸗ 
tete: die Seele der Guten geht — ohne Körper — ſogleich 
in einen Tomos oixeios, im einen Ort, der .(Lünftig) ihre 


Heimath ift, in das jenfeits des Oceans liegende Einfium oder 


Pargdies (vergl. Luk. 25, 45.). In diefem Sinn fpridt 
CB. 7. vom jüd. Kr. 8, 7.) der S. 54. 55 angeführte Elen 
gar; und auch hier, um dies im Vorbepgehen zu bemerken, 
geht alſo Jeſephus, welcher den Eleazar, zu Maſſada in der 
Mähe der Eſſeniſchen Wohnungen, als einen Eſſener ſore⸗ 
chen laͤßt, nicht von dem Phariſaͤismus ab. Der Sadducaͤer 
Raiſonnement ließ die Seelen mit den Koͤrpern vergehen. 
Zaddovxanioıg Tas Yovxüs 6 Adyog awvapanigsı Tög od- 
voor. Archaͤol. 18, 2.4. Der Phariſaer lieh alle Seelen 
zuerft in den Scheol gehen. Dort, ad’ &dov (weiche. Phraſu 


= 6md x>ov0g ©. 5ı nicht es wie ©. 53 angibt, post 


mortem, ſondern beflimmt in 


rung der Böien van den Busen (ein anderer Aufenhalt fir 
Abraham und Lazarus, ein anderer für den reihen Praſſer, 


— * 


a de, in sede inferarum, 
bedeutet) ſind Strafen und Belohnungen, alſo eine Abſonde⸗ | 


Luk. 16, 22.). Doch ſchweben oft jene, wie fchon nacagewie 


fen ift, als Dämonien noch auf der Erde. (Diefe fürden 


nur, zu frühe wieder in den. Abgrund getrieben. zu. wer⸗ 


den. Luk. 8, 31.) Gpäterhin werden. die‘ Höfen in dem | 
Scheol confinirt, eioyu@ aidın, die Guten aber in den 


Himmel verſetzt. Wenr Joſephus in einer Ermahnunge 


rede gegen den Selöftmord dieſes letztere ohne des Hades ſa 
gedenken, aus ſpricht ( „&ga dx IoTp,, ört — ua al. 


- denxaoı Yoyai uevonaı, ‚X5p09 — —ED day 
zarov,. Erden Ex nepırgenig alıyev dyvors ad Ar 


:TEVOLRIGOVTM ogacıw“ von Sud. Kr. 3, 8, 6.), ſo weicht 
er auch ‚darin vom Pharifäismus. nicht ab. Er nennt mit 

das eingreifendfe Motiv, die einßige Verſetzung in des Him⸗ 
mels Reinheit, ohne laͤugnen zu. wollen, daß die gusen Selm 


zunächk nach dem Tode, in dem Hades, u a Aa dem 





Capita Theologiae Jud. dogm. auet. Bretschneider. 269 


paradifiihen Theil deſſelben, eintreffen, Daß alsdann ben der _ 
Biederverfegung in Körper nicht an himmliſche, Ayherifche, 
fondern an reine, aber irdifche Körper zu denken fey , welche 
fe reliete coelo bewohnen follten, folgert jwar Ar. Br. aus 
dem Wortchen dedev von Dorther. Dies wäre dann aber 
eine Verfchlimmerung ihres Zuftandes, weiche ihnen keine My⸗ 
thelogie anvichten fonnte. Der Sinn muß alio vielmehr diefer ſeyn, 
daß die Seelen der Guten, wenn fie einft in den heiligften Ort 
des Himmels verjeßt werden, von Dorther (oder auh: des 
wegen) nady mandhem Zeitenwechſel auch wieder mit 
reinen Körpern verſehen werden. Nach der Borausiegung, daß die 
Beele ohne Körper nicht lebhaft genug empfinde, wurde ohne 
Zweifel diejes neue Einwohnern. in Beufhen ( unleidenichaftlis 
hen) Körpern als eine Erhöhung der Seligkeit betrachtet und 
dabey leicht angenommen, daß Sodann der Selige überall, im 
Himmel und auf Erden, fortzuleben vermöge. 

Nah all diefem fcheint es, daß zwiſchen den dogmatiſchen 
BVorftellungen des Volks, der Pharifder, und des Sofephus _ 
felbfi kein bedeutender Lnterfchied zu denken ſey. 

Ueber die Aechtheit der bekannten Stelle des J. von 
Jeſus Archaͤol. 18, 3. 3. ©. 621, vgl. 20,9. 1. ©. 698 
ſtimmt Ar. Br. mit Houteville ( Erwiefene Wahrheit der chr. 
Religion 1749: ©. 875 — 311) Überein. Daraus, daß Zur 
Ein und andere Apologeten, Tertullian, Drigenes jene Stelle 
gar nicht benust haben, folge nicht, daß fie.nicht da geweſen 
ſey. Schon uſebius habe fie, und ſo alle KHandichriften. Der 
Inhalt fen oaſſend, wenn man nur bedenke, daß in den Wors 
ten: ö Xoıorös odros 79, der Name Chriſtus nicht dogma⸗ 
tiſch zu verfichen fen, fondern. als Beyname: „dieſer war 
jener Chriſtus,“ naͤmlich der Urheber der Ehriftianer, ö As- 
yYöpevog' Xorords. Die bey Joſephus am wenigften zu 
erwartenden Worte: Wr Feior mgopnräv zaöra xab 
ÄNNa yopia Savudora ep abrod Eipnxöray, feyen nur 
fo, wie die Ehriften fih auszudruͤcken pflegten, ausgedrückt. 
Mer. iſt der Meynung: Die Apologeten und bejonders Dris 
genes, welcher ctra Cels. I, 47..©. 106 der Wuͤrzb. Ausg. 
Die minder bedeutenden Stellen von Johannes dem Täufer 
‚und Jacobus, als KA GO; "Incos os Asyouivav Xpıiores 


270 Capita Thesiogiae Jud. dogm. auei. Breischneider. 


ausdruͤcktich benutzt, würden auch diefe vollſtaͤndigere Stell⸗ 
nicht uͤbergangen hahen, wenn fie damals fo vortheit— 
haft gelautet hätte, wie jegt. Joſephus aber müßte 
dem Chriſtenthum aͤußerſt guͤnſtig geweſen ſeyn, wenn fis fe, 
wie jetzt, gelautet hätte; und doch weiſ't Origenes von ihm, 
daß er qν war 75 Inooö Hs Kowosa und (nach 
Commentar in Matth.) 'Inooöv. judv 08 xaradebdusroz 
elvar Xpıorov. Woher hätte Drigenes dies vermuthen koͤn⸗ 
nen, wenn Sof. fih fo, wie man. jebt lieft, erklaͤrt hätte. 
Wenn die mildernde Deutungen des Verf. gelten follten, fo 
würde & Xororös gdros kvouigero ſtatt 9 geichrieben, und 
bey Tor Veimv npopnTar, ein os paol, beygeſuͤgt ſeyn 
muͤſſen. Bis gegen die Zeit des Eufebius Hin muß alfo wohl 
die Stele ſelbſt In einzelnen, aber leicht veränderlihen, War 
ten, gegen die Chriſten ungünfliger gelautet Haben. Wie 
konnte Sof, die Anhänger Ehrifti als „das Wahre mie 
WBergnägen annehmend“ « AAnIn ndonh_dexoevong ſchit⸗ 
dern und doch ſelbſt Jude blelben? Vermuthlich ſchrieb er 
= ααny (vom Sing. AAA7dn5), und charakteriſtrte J fie 
als Leute, welche andere Sitten gerne annehmen, rebus 
novis intenti. «Eher Bat er Jeſus einen orpopdg oder br 
oTp0Bog Arno, einen revolutionären Wann, gu 
nannt als einen oopos. Zwiſchen Drigenes und Euſebins 
Zeit aber ſchrieben chriſtl. Abfchreiber ooſÿ2,ß), und TAANDE. 
Unfere Handſchriften geigen uns natürlich Feine frühere - Lefäs 
ärt. Das folgende: noAAod; dt xal Ehinvınodg dnnyl- 
zero: 6 Xpıorös oöros zu! würde ohnehin etwas unrichtiges 
enthalten, da nicht Jeſus ſelbſt viele Sräctffirende an ſich zog. 
Ich denke, in diefer Stelle fen eine unvichtige Wortabthei⸗ 
"fung, und ſetze eniyaye xd“ „ö Xp. ourog wed.i.adberan® 
viele Heiden führte herbey, inducebat, jenes! „der 
⸗·Meſſias war dDiefert“ DiefeMSprahgebraud) des ro fft 
nicht nur bey Luk. ae, 57., fondern auch 1. Kor. 4, 6., und 
ben Sofephus ſelbſt, jüd. Kr. 7,5. 2. in’ ddiim 33 6, we 
Deore. jener Aufenf, jenes Loſungswort der Chriſten: Dir 
Meifias war diefer! if apa den 'Idod Ads 6 Xoorrsg! 
Matth. 54, a, j 


w 


Capita Theologiae Jud. dogm. äuct. Bretschneider. 971 


Dur) diefe, fa unmerkliche, Aenderungen ſcheint ſich der 
Text fo, wie ihn Joſephus gefchrieben haben kann, wie fos 
dann die Apolegeten und Origenes ihn nicht anyuführen Ur—⸗ 
fahe hatten, wie aber bald daranf die jeßige Textform aus 
jenem gedtldee werden mochte, eutdecken und wiederherftellen 
zu lafien. Auch die einzige, noch übrige Wendung, welche 
von Joſephus nicht erwartet werden könnte, ſcheint fih zu er: 
Mären, wenn man darin eıne Parenthefe vorausſetzt. Er ſagte 
SAuh nahdem Pilarus Jeſus mit dem Creuze beftraft hatte, 
obrx Enaboavro oiys npcTov Ayamioarres (davn yüp 
adrolc, rolenv Exav julpav, radıv dar) ziy Deimy rpo- 
Inrör, Tadra xal Ma urpia Iavudora nepl abson 
tionxoray ,„ d. i. ließen die, welche ihn zuvor geliebt hatten, 
(denn er erfchten ihnen, als er den dritten Tag erreiche hatte, 
wieder lebend!) niht ab von den  göttlihen Propheten, 
als ſolchen, welche biefes und taufend andere Wunderdinge von 
ihm gefage Haben follten. Iladeodaı wird oft mit dem 
Senitiv confrutrt, wie nadeoduı is 2dadis u. dal. m, 
Daß ein Gekreuzigter nad) einiger Zeig Doc wieder hergeftelle 
werden koͤnne, mochte Sof. nah der Erfahrung, welche er in 
feiner Vita ©. 1031 felbft erzähle, für glaubtıch halten. ei- 
enxzora» kann in diefer Eonftruction auch ſubjunctive Bedeu⸗ 
tung haben. Noch deutlicher wäre dies, wenn angenommen 
würde, daß vor radra ausgefallen fey as, welches nad der 
Endiguna des Worts weopnrav fehr leicht moͤglich wäre. 
Im Ganzen bat dieje kleine Schrift ihre Aufgabe rühms 
lich geloͤſſt. Line noch fchwerere wäre übrig; auch aus 

Hilo die Alerandrinifch jüdische Dogmengefchichte mit Ahns 
her philologiſcher Gruͤndlichkeit darzuftellen. Möchte der ges 
lehrte Verf. auch diefe Arbeit unternehmen und dafür eben 
fo viel feinen Sinn für Allegorie und religidje Poefle, als 
Sprachkenntniß und hiſtoriſche Forſchungsgabe, verwenden. _ 

2. E. ©. Paulus. 





Rerifen deutfcher Dichter und Brofaifien. Herausgegeben son Karl 
Heinrich Zördens. Sechſter Band. Leipzig, im der Weid 
mannifchen Buchbandlung. 1811. VI und 910 &. in gr. & 


Bey, der Anzeige diefes dicken Bandes können wir ung kurz 
faffen. Er enchält nichts als Zuiäße, Berichtigungen und Sups 
plemente von fehr verichiedenem Amfang und Gehalte. Mancıe 
find dem Lıtterasor ſchaͤtzbar, andre aber find auch ſehr unbes 
deutend , und wenn Hr. %. fortfahren wird, mit fo weniger 
Etrenge und fo leichter Hingebung aufzunehmen, was ihm 


3 


/ ar 


279 Bariton Depiäter Oiahter u. Prefälhen v;.2.’0: Iirdent. 


vorkommt, und fogag manche einzelne Scheiften weitläuftig zu 
ercerpiven , fo if das Ende diefes Werkes, deſſen qute Seiten 
wie bey der Anzeige der fruͤhern Wände gewiß nicht verfannt, 
ſondern offen dargelegt haben, kaum abzuſehen. Man findet 
‚. bier ganze weitläuftige Stellen aus andern allgemein bekannten 
Buͤchern in extenso wieder, abgedruckt, fb daß manchmal drey 
bis vier Urtheile über Einen Mann bunt neben einander ftehen; 
Auch ift jedes einzelne Gedichtchen, welches in eine andere 
Sammlung wieder aufgenonimen wurde, namentlid) verzeichnet. , 
Heben manchen unbedeutenden Artikeln kommen aud recht ins 
tereffante vor, wie Joh. Seorg Hamann, Wilh. Heinie, 
HM: K. Lenz, Abraham von Sancta Clara, J. 
Chr. Krauſeneck u am Don Sophie Brentano 
wünichte man dagegen mehr zu leien, als man hier &. 586 fa. 
findet. Die Supplemente liefern, von ©. 609g an, zum Theif 
ansführliche Aufiäge über Ulrih von Hutten, Martin 
Luther (von ©. 654 — 7251), ZN. Meinhard, & 
Schatz, Fr. v. Köpfen (ein fehr forgfältig ausgearbeitgter 


Artikel), Joh. Zoadh. Eſchenburg. (Unnörhiger, Weile . | 


ift hier ©. 777 — 782 der ganze Inhalt der Eichenburgfchen 
Beyſpielſammlung angegeben! Solche weitläuftige Regiſter, 
die man haͤufig bey Hrn. J. antrifft, vertheuern nur das Werk. 
So it auch S. 785 fg. das ganze Handbuch der claſſiſchen 
Litteratur, und ©. 787 fg. auch die Schrift Über W. Sha⸗ 
kespeare ercerpirt worden, wobey man fogar Shakes« 
peare's Leben im Auszuge findet! Webrigens find Efhens 
burgs zahlreiche Schriften hier mit großem Fleiße zuſammen 
getragen.) J. K. F. Manfo. (Zum Theil von Hrn. M. ſelbſt 
mitgetheilte Nachrichten.) K. H. Heydenreih. (Warum 
wird der fo außerordentlich gerühmte Lehrer Heydenreich's 
S. Vig nicht auch genannt? Sonft find die Notizen von H. 
Leben und Schriften fehr ausführlih.) Kari Philipp Mos 
riß. (Hier wird unter andern and) ein Auszug aus der im 
Schlichtegrollſchen Nekrologe befindlichen — zu ſtreng anatomis 
renden — Biographie Moritzens mitgetheilt.) Den Be 
fhluß dieſes Bandes machen fehr ausführlihe biographifche 
und listerärtihe Nachrichten von Karl Ludw. Fernow. — 
So ſehra wir eine Fortfesung des angezeigten Werkes wüns 
(hen, ſo Annen wir doch auch unſern Wunfd nicht beugen, 
daß Hr. J. künftig das Ueberfluͤſſige ausfchließen, und bey 
der Auswahl der zu bearbeitenden Artikel — was im erſten 
groͤßern Theile diefes Bandes nicht immer gefchehen ift — 
ſtrenger ſeyn möne, ſonſt miß dies Werk zu einer ungehcuren 
Anzahl von Bänden anwachſen — "| ; 


r * Y ” 
— er — 


BE 











No. 18. Hreidelbersifde 4843. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





Themis/ oder Beytrage zur Geſetzgebung von D. Baul Soban 
Unfelm Feuerbach. Zandsbut bey Krüf 1812. XIV un 
85 S. 8. 


2) Betrachtungen Über das Geſchwornen ⸗ Gericht von demf elben. 
Landshut ben Krüll 1818. vI und 2426, 8, 


Das Zenerbah, ben, als er noch dem Catheder anges 
Börte, und als er durch theoretiihe Schriften gu belehren fuchte, 
feine Talente, feine claſſiſche Bildung, fein heller, klarer Ver⸗ 
ſtand, fein tiefeindringender Scharfſinn und feine herrliche 
Darftellungsgabe in fo kurzer Zeit zu einem Lieblingss Schrifts 
ſteller des Deutſchen, juriftifchen, Publicums erhoben, nun, 
ds Staatsmann, feine Achtung gegen das ihn achtende Pus 
blicum dadurch bekundet, daß er ihm in den angezeigten Schrif⸗ 
ten eine Auswahl intereffanter, durch feinen jeßigen Beruf 
deranlaßter Ausarbeitungen mittheilt, und dadurch ihm gewifs 
fermaßen Rechenſchaft Über fein Thun und Wirken in feinem 
jeßigen Verhaͤltniſſe ablegt, — das ift in der That eine ers . 
freuliche Erfeheinung! Da das Publicum ihn auch in dieſen 
Ausarbeitungen finden wird, wie es ihn fannte, fo wird dee 
Beyfall, mit welchem diefe Geſchenke ohne Zweifel aufgenoms 
men werden, Hm. Seuerbacd, hoffentlich veranlaffen, daß 
er fein, auf diefen Fall in der Vorrede von N. 1. gegebenes 
Verfprechen , die Themis fortzufegen, vecht bald erfüllen und 
dadurch ſich eben fo große Verdienfte um das Fach der Legiss 
lation erwerben wird, als er fih bisher um das Fach der Zus 
eisprudeng erworben hat. Zür den Rec. wird dadurch Die 
Erſcheinung diefer Schriften um fo erfreuficher, denn er iſt 
mehr, als irgend einer, davon uͤberzeugt, daß in feinem Fache 
die Deutſche Litteratur fo wenig, wie in dem der Legislation, 
ſich mit der Litterarır des Auslands zu vergleichen vermöge, 
und daß gerade in dem jegigen Zeitpunct es wahrhaft Noth 
dr: 


274 :Tpemis u. Betracht. über d. Seſchw. Gericht v. Ftuerbach. 


thue, die Richtung auf dieſen, bisher, aus fehr natuͤrlichen 
Gruͤnden, vernachläßigten Gegenſtand den denkenden Köpfen 
der Nation nahe zu legen, damit auch in diefem Puncte dem 
Deutſchen Namen die Ehre gu Theil werde, welche ihm ges 
buͤhrt. 

N. ı. enthält acht Abhandlungen. I. Betrachtungen 
Aber den Geift des Code Napoleon und deffen 
VWerhältniß zur Geſetzgebung und Berfaffung 
Deutſcher Staaten überhaupt und Baierns inss 
befondere. Der Verf. entwickelt Hier, wie die Geſetzge⸗ 
bung des Tode auf den Hauptideen einer volllommenen, 
allgemeinen bürgerlihen Freyheit der Perfonen, einer volls 
tommenen Gleichheit der Gelege für alle Bürger des Staats, 
einee möglichft vollkommenen Freyheit des Eigenthums und 
einer abfoluten Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhängigkeit des Staats 
von der Kirche in allen bürgerlichen Dingen, als auf ihren 
eigentlichen KHauptfäulen ruhe, und wie. diefe Geſetzgebung 
eine der Franzoͤſiſchen im Weſentlichen ähnlihe Verfaſſung des 
Staats, des Öffentlichen Dienftes und insbefondere der Juſtitz⸗ 
verfaffung als eine von ihr unabtrennlihe Vorausſetzung bes 
trachte. Er entwidelt, wie fih in allen diefen Grundideen 
und Vorausſetzungen dieſe Gefebgebung in einem wahren 
Widerfireite mit den Srundideen und den Vorausfeßungen der. 
Deutfhen Sefeßgebung im Allgemeinen, und insbefondere ‚dee 
Baieriihen, befinde, und wie daher ein Staat, welcher den 
Code Napoleon aufnehmen wolle, ohne ihn in allen diefen 
Beziehungen zu modificiren, und dadurd in feinem ‚innerften 
Lebensprincip zu vernichten, fih nothwendig in allen diefen 
on zu einem volllommenen neuen Leben umgeftalten 
muͤſſe. 

Fuͤr denjenigen, welcher bisher an der Behandlung der 
vielfältig ventitirten Frage: über die Aufnahme des Code Nas 
pofeon in Deurfhen Staaten Antheil genommen hat, enthält 
diefe Ausarbeitung in der Sache nichts Neues, aber auch eis 
nem foldyen wird dennoch Feuerbachs Darfielung wohl‘ 
befannter Gedanken Sintereffe abgewinnen, und er wird dabey 
auf manche intereffante Mebenerörterung floßen, welche gerade 
nicht zu dem allgemein Bekannten gerechnet werden dürfte, wie 


— 


Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 275 


3. B. die Erörterung fiber den Geiſt des, gewoͤhnlich fo ſehr 
verfannten neuen, Franzoͤſiſchen Adelsinftteuts. Webrigens muß 
man bey diefer Abhandtung nicht Überfehen, daß fie ſchon im 
Jahre 1808 gefchrieben wurde. Wenn man hieran denkt, ſo 
gewährt es ein eigenes Intereſſe, den Verf. fhon zu einer 
zeit auf dem einzig richtigen Wege zu finden, wo die Webers 
jeugung von der Nichtigkeit dieſes Weges wahrlich noch nicht 
als Gemeingut betrachtet werden konnte. 

Da hier der Dre nicht iſt, Über die wichtige Frage, welche 
den Segenftand dieſer Abhandiung bildet, gu debattiren, und 
da-der Rec. Überhaupt, ans mehreren Gründen, an oͤffentlir 
den Debatten über diefen Gegenftand feinen Antheil nehmen 
mag, fo unterläftt er eB, dasjenige vorzutragen, was er onſt 
wohl bey einzelnen Aeußerungen des’ geſchaͤtzten Verfaſſers zu 
etianern haben moͤchte, und er unterläßt es daher auch, fich 
über manche wichtige Mebenäußerung zu erflären, 3. B. über 
die: daß dem Erbadel die Hofämter für immer vorbehals 
ten bleiben follten, — eine Aeußerung, welche diejenigen wohl 
fhwerlich umterfchreiben dürften, die nicht von der Nothwen⸗ 
digkeit einer bürgerlichen Herrihaft des Erbadels, wohl aber 
von dem hoch bedeutenden Einfluffe der Hofaͤmter in dem Les 
ben, wie es tft, überzeugt find. Gewuͤnſcht hätte aber Rer., 
daß der Verf. die Frage einer genaueren Prüfung würdig ges 
funden Hätte: ob es nicht für einen gegebenen Staat, welchen 
Nahbarfhaft und Politik mir Frankreich“ verbinden, ſelbſt 
dann noch von Snterefie ſeyn könne, den C. N. aufzunehmen, 
wenn er fih auch niche Überall, in Anfehung der Grundideen 
und der Verfaffung,, Frankreich affimiliren will, und wenn ee 
auch demnach den C. N. auf eine Modifications » Netorte brins 
gen müßte, wobey ſich der größte Theil feines eigenthämlichen 
Geiſtes verflüchtigen dürfte? Dec. glaube diefes aus mehreren 
Gründen , wovon der paradorefte wohl der ſeyn mag, daß er 
es für eins der größten Uebel hält, welches Deutſchland, im 
feiner jegigen Verfaſſung, treffen konnte, wenn jeder Bundes⸗ 
ſtaat auf den. Gedanken kaͤme, ſich ein eigenes buͤrgerliches 
Geſetzbuch zu ſchaffen, welches etwas anders, als einen für 
die Localitaͤt modificitten C. M., darſtellen ſollte. 


76 Themis u, Betracht. über. d. Seſchw. Bericht u. Feuerbach, 


HU. Weber die Rechtskraft und Wolftrelung 
eines von einem auswärtigen Berichte geſproche;- 
nen Erfenntniffes. Dieſe intereffagte Abhandlung, welche 
in einem. Zeitpuncte, wo die dem Art. 1% des C. N. zum 
runde liegende engherzige , voͤlkerrechtliche Maxime fih mans 
dem Staate empfehlen könnte, als ein wahres Wort gu feiner 
Zeit betrachtet werden kann, tft ein ſchaͤtzbares exposd des 
motifs gu der nahahmungswärdigen koͤnigl. Baierifhen Ver⸗ 
ordnung vom 2. Sun. 18011 über den bezeichneten Gegenftand. 
Es thut in unfern Zeiten wahrhaft wohl, wenn man einen 
Staatsmann von der dee einer Voͤlkergemeinſchaft unter als 
. gemeinen Geſetzen des Rechts, und nicht von Maximen auss 
geben fieht, welche an die Ehinefiihe Mauer erinnern. Sec. 
iſt mie dem Verf. ſowohl in dem Grundſatze, als aud in den 
nothwendigen Modificationen deſſelben einverftanden, nicht 
aber eben fo mit allen Ausführungen des Details. So iſt 
zwar Dec. ganz der Meynung des Verf., daB man im Auss 
lande gegen den dafeldft einen Ausländer beklagt: habenden 
Sjnländer erlaffene Urtheile als vollſtreckbar betrachten folle, 
aber er kann nicht einräumen, daß dieles fchon daraus, Daß 
man den Unterthanen geflatte, im Auslande eine Klage gu 
erheben, mit Nothwendigkeit folge, und er kann dem Verf. 
nicht beyfiimmen, wenn er fagt:. „ich kenne nur das Dis 
femma: entweder den auswärtigen Erkenntniſſen Vollſtreckbar⸗ 
keit gu geflatten, oder alle Klagen dieffeitiger Unterthanen wor 
auswärtigen Gerichten gu verbieten, und demnadh deu Art. 
14. des C. N. geltend zu mahen.“ Gerade der Art. 24. des 
€. N. beweif't, daß des Verf. Dilemma nicht nothwendig iſt, 
derin diefer Art. ift zwar auf die Vorausſetzuug der Unvolls 
ſtreckbarkeit auswaͤrtiger Sentenzen in Frankreich, aber feines; 
wegs auf ein Verbot der im Auslande zu erhebenden Klagen 
geſtutzt. Ein ſolches Verbot exiſtirt in Frankreich nicht, und 
wuͤrde auch in einem Falle, wo der zu belangende Ausländer. 
nur im Auslande Güter befißt, hoͤchſt thörige feyn. In einem 
ſolchen Falle uͤberlaͤßt man es in Frankreich dem Franzoſen, 
in dem Auslande alle Huͤlfe zu ſuchen, welche er daſelbſt fins 
den kann, und man denkt, in dem Auslande werde man ſchon, 
durch auferlegte genägende Cautionen pre reconventione et 





emis u, Betracht. über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 277 


expensis, dafür forgen, daß es auch den möglichen Vernt⸗ 
theilungen des Klaͤgers nicht an Vollſtreckbarkeit fehle. — So 
iſt Rec. zwar daruͤber noͤch im Zweifel, ob ſich die Staaten 
gegenſeitig eine Univerſalitaͤt des Concuraproceſſes vermoͤge all⸗ 
gemeiner Regel zugeben, oder ob ſie eine ſolche Univerſalitaͤt 
nur auf beſondere Staatsverteäge gründen ſollen; aber dars 
äber ift er nicht im Zweifel, daß der: allgemeine Gantgerichts⸗ 
fand fremder Staaten nidt, wie der Verf. &. 119 meint, 
das Reſultat "einer Uebereinkunft in einzelnen Fällen 
werden dürfe, denn auch völferrehhtlihe Marimen dürfen, 
wenn nicht jura quaesita verlegt werden ſollen, nur für fols 
gende Fälle, keineswegs für den eingelnen, jebt zu beurtheis 
Imden Fall verändert werten. — &o kann endlich Rec. unter 
den Gründen, warum es für die Vollſtreckung des auswärtts 
gen Urtheils eines inländifhen: placet oder pareatis bedärfe, 
den zweyten nicht gelten lafien, welcher aus der möglichen 
Faͤhrdung wohl begruͤndeter Hypothekenrechte durch die Huͤlfs⸗ 

vollſtreckungen in die Subſtanz unbeweglicher Guͤter abgeleitet 
wird. Wäre nur dieſer Grund, jo würde Rec. ohne Beden⸗ 
. im die Vollſtreckung, ohne pareatis, geflatten, denn gegen 
diefe Gefahren muß die Executionsordnung, nicht das pareatis, 
ſchuͤtzen. | 
III. Weber den Wilddiebſtahl. Diefe Abhands 
ang ift ein expose des motifs der befannten koͤnigl. Baieri⸗ 
fhen Verordnung vom 9. Aug. 1806. Der firenge Tadel, 
weichen dieſe Verordnung erfahren mäfen, veramlaßte ben 
Verf. zu diefer Herausgabe ihrer Beweggründe. Was ein 
verſtaͤndiger Mann zur Nechtfertigung eines folhen Geſetzes 
fagen kann, das bat er wirklich igefagt, Rec. gefteht aber 
offenherzig, daß er ſich dennoch mit dem Geiſte diefer Ver—⸗ 
ordnung nicht auszuſoͤhnen vermag, "und er glaubt, daß ber 
größere Theil des denkenden ———— mit ihm in gleichem 
Falle feyn werde. 
„Wer erweistih mit einem —— Wild angeſchoſ⸗ 
ſen, oder erlegt hat, ſoll, er habe das Thier in ſeinen Nutzen 
verwendet, oder nicht, folgendermaßen beſtraft werden: 

1. Wenn er dine angeſeſſene, oder im Staatsdienſte am 

geſtelte Perfon, oder ein Jagdbeſitzer ift, mit einer Geldſtrafe 





278 Chemis n, Betracht. über d. Geſchw. Gericht 9. Feuerbach. 


‚von do — 100 fl., außer dem Erfage, dem Verluſte des Ger 
wehrs und der im $. 18. dem Denunciauten zugeſagten Be⸗ 
Iohnung von 100 fl., wurde die Handlung aber in einem 
Marke, Thiergarten, oder eingefriedigten Waldung begangen, 
.fo fol an die Stelle der Seldfirafe ı — jährige Gefaͤngniß⸗ 
fitafe treten. Im Wiederhotungsfalle fol dort an die Stelle 
der Geidſtrafe ı — jährige Zuchthausſtrafe, bier aber an Die 
Stelle der Sefängnißftrafe eine Sugthausfrafe bis zu 3 Jah⸗ 
‚ren treten. 

2. Diefe letztern Strafen foflen fhon das erſtemal eintres 
ten, wenn die Handlung von einer andern, als den subn.ı. 
‚genannten Perfonen begangen murde.“ 

‚Rec. will hier nicht den Mangel des Verhaͤltniſſes — 
> welchen jeder darin entdecken wird. Daß eine Perfon aus 
n. 2. wegen der Wilderey in einer eingefriedigten Walbung 
nur etwa um 1; härter geftraft wird, als wegen einer Wildes 
rey an andern Drten, während bey einer Perfon aus n. 1. 
in jenem Falle beynahe eine 1ofach härtere Strafe eintrifft, 
‚wenn man naͤmlich, nach 6. 10., 10 fl. zu 8 Tage Gefängnig 
anſchlaͤgt. Der Geiſt des ganzen Geſetzes iſt es vielmehr, 

welchem Rec. den Krieg erklaͤren moͤchte. 
Im Allgemeinen nämlich erſcheint es Rec. ein Fehl 
griff, wenn man die Wilderey ans dem Gefihtspuncte der 
Dievftähle ergreifen will, - Die Handlung des Diebes erfcheint 
jedem als niederträchtig, die des Wilderers im Allgemeis 
nen nicht. Mec. erkläre fich Diefes daraus, daß, einige Aus 
nahmsfaͤlle abgerechnet, welche denn feht wohl -in "einem 
eigenen Geſetzo behandelt werden könnten, der animus- lucri- 
Jaciendi, welcher den Diebſtahl charakterifirt, bey der Wildes 
rey entweder gar nicht, oder doch nicht im eigentlihden Sinn 
vorhanden iſt. Die .Zagd s Lieshaberey, welche bekanntlich, 
zumal in jüngeren jahren, fo leiht in Jagd-Paſſion uͤber⸗ 
seht, und welche, da fie aus dem Intereſſe an der Merrfchaft 
ber Kunft über die Natur hervorgeht, nicht auf unedler Quelle 
ruht, iſt der Regel nach die Erzeugerin diefer Unordnungen. 
Ste ift es, die den higigen Jaͤger über feine Gränze hinaus 
führt, und Eingriffe in fremde Rechte bey Menſchen ergeugt, 
welche, unvermögend, ſich feldft eine Sjagd. zu pachten, ſehr 


Venis u. Betracht, über d. Befchm Gericht v. Feuerbach. 279 


gerne ihre Kunft ohne Eigennutz üben würden, wenn ihnen 
nur ein Jagdberechtigter dieſes geſtatten wollse. Gerade Barum 
erſcheint es Rec. als ein befonderer Fehlgriff, wenn der Verf. 
die Wilderey mit Sagdgewehr auch nur in irgend: einem 
Puncte mit dem bewaffneten Diebflahle zu vergleichen vermag. 
Cher- möchte Rec. einen ganz entgegengefeßten Geſichtspunct 
wetheidigen. Ihm fcheint es, als ob von den Entſchuldigungs⸗ 
seünden, welche dem hitzigen, das vielleicht angefchoffene 
Wild Über Die Gränge verfolgenden Sjäger zur Seite fliehen, 
feiner für. die Handlung desienigen ſpraͤche, welcher mit Netzen 
u. dgl. das Wild in fremder Bahn zu fangen fucht, denn bier 
ik (dom eher animus lucrifaciendi und ſchmutziger Calcul, 
meihen man dort nicht zu erfennen vermag, 

Freylich kann die Zlinte auf eine für die Entdeckenden 
gefährliche Weiſe mißbraucht werden, und. es fehle nicht am 
traurigen Beyſpielen, wo es geihah. Aber worin, fragt Rec., 
liegt hiervon der wahre und entfcheidende Grund ? In eurem 
harten, unmenſchlichen Gefegen , möchte er antworten. Es if 
nämlich die natürliche Folge unverhältnißmäßig firenger Strafs 
gefeße , daß Alles confpirirt, um fie gu umgehen, Bid auf den 
Richter zu, welcher fie handhaben fol. Wer könnte es aud 
einem Richter verdenfen, wenn er fich heut, einem jungen 
Menfchen, der zum erftenmale in feinem Leben eine. Wachtel 
in fremden Jagdbezirke ſchoß, zu 3 — zjährigen Zuchthauſe 
und zur Zahlung von 100 fl. an den Denuncianten zu verurs . 
theilen ?_ Und felbfE den Denuncianten werden dieſe 100. fl. 
wie ein Blutgeld druͤcken, und er wird vor feines Gleichen 
darum als mit einer levis notae macula behaftet erfcheinen, 
weil er aus Eigennug einem ‚gemißbilligten Geſetze einen 

Menſchen zum Opfer brachte. . So werden denn die gu harten 
Geſetze nur felten angewendet werden, und aus der dadurd 
gefteigerten Hoffnung , ungeflraft dem, Vergnügen opfern zu 
können, wird fi die Zahl der Eontraventionen gegen das 

Geſetz vermehren. Nun aber führt das Ungluͤck für den Con⸗ 
travenienten den Momente der Entdeckung herbey! Da fteht 
nun Die entehrende Strafe mit ihrem ganzen fcheußlichen Ger 
folge vor feiner Seele. Er muß die Entdeckung verhindern, 
und. fo wird er peinlicher Verbrecher, um nicht als peinlicher 


7) 


380 Demis u. Setracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 


Werbrecher behandelt gu werden. Gelbft [die erlaubte Pfäns 
Bung der Flinte, welche wohl nicht minder, wie die fämmtlis 
hen Privat : Pfänbungen, wenigſtens gegen nicht unbekannte 
Perſonen, abgeichaft zu werden verdiente, iſt nicht felten Die 
Veranlaſſung der aus der Wilderey fih entwickelnden größeren 
Werbrehen, denn die unndthiger Weile ausgeuͤbte Privass‘ 
Gewalt empört leicht ſelbſt denjenigen, der millig fih der oͤf⸗ 
ſentlichen Strafe ſeiner Fehler unterwerfen wuͤrde. 

Doch Rec. kann hier dieſen Gegenſtand nicht weiter vers 


folgen, er glaubt aber, daß geringere, und zwar, der Regel 


AB 


sad), Geldſtrafen, weit beflimmter der Wilderey entgegenwirz 
ten werden, als ſelbſt die Todesſtrafe, denn diefe wird nicht 
ausgeuͤbt werden, wohl aber jene, wenn fie fo gewählt find, 
daß fie, bey einem dem Volle gegen die Wildfhäden garans 
tirten Schuße, die Öffentlihe Meynung für fih gewinnen, und 
fhwerlic wird man in einem Lande, weiches fi einer foldhen 
milden ÖStrafgefeßgebung erfreut, und welches in der Regel 
keine Privats Pfändungen Eennt, von gefährlihen Wilds 
dieben hoͤren, schwerlich wird es in einem folchen Lande Leute 
geben, - weldye die Wilddieberey als Nahrungszweig treiben, 
denn in ihm wird fi nicht die Gewohnheit der Wilddieberey 
erzeugen, welche nur auf. ber fange ungejtraft fortgefegten 
Betreibung diefes Handwerks wurzelt. 

IV. Ueber die Beftehung der näherte: 
Ein expose des motifs. der koͤnigl. Baieriſchen Verordnung 
vom 9. Jun. 1807 über den bezeichneten Gegenſtand. Jeder 
wird daſſelbe mit Intereſſe leſen, und den herrlichen Ausfuͤh⸗ 
rungen dee Verf. über die zu erhaltende ‚Heiligkeit und Unbe— 
flecktheit des Staatsdienſtes und über die traurigen Folgen 
einer gutmäthigen Schonung der das Heiligſte herabwuͤrdigen⸗ 
den Staatsbeamten gewiß mit Ueberzeugung bepfiimmen. O6 


daſſelbe von dem Vorſchlage des Verf. gelte, daB man den 


Staatsdiener nnd den Beſtechenden ſich gegenfeltig gemiffers 
maßen zu Waͤchtern beftellen, und zwifchen beyden ein heilſa⸗ 
mes Mißtrauen dadurch gründen folle, daß man auf der 
einen Seite dem Staatsdiener die Anzeige eines jeden Be⸗ 
fiehungsfalls. bey Strafe andefehlen, und fein befchwornes 


- Zeugniß, wenn es nur durch irgend einen Vermuthungsgrund 





Tpemis m. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach, 288 


mmterägt werde , gu vollem Beweiſe erheben, auf Der ams 
dern Seite aber dem Beſtechenden, für den Fall der von 
ihm zuerft geichehenen Denunciation, Straflofigkeit, Wieden 
etlangung feines Geſchenks und eine Belohnung von der Hälfte 
der von dem Beſtochenen vwerwidelten Geldbuße verheißen folle, 
— darüber möchte Rec. nicht fo geradezu enticheiden. IM 
genids ift der Gedanke gewiß, auch fürchte Rec. keine 
Nachtheile von dem leßteren Theile des Vorſchlags, aber bie 
Erhebung des beſchwornen Zeugniffes des Otaatsbeamten zu 
vollem Beweiſe ſcheint ihm zu bedenklich zu ſeyn, und dem 
GStaatsbeamten, welcher, der Regel nach, nur in Hinficht ſei⸗ 
ner Kenntniſſe und Faͤhigkeiten, nicht aber in Hinſicht ſeines 
‘ Charakters, Pruͤfungen beſtanden hat, einen gu großen Opiel⸗ 
raum zur Befriedigung unedler Neigungen barzubieten, indem 
er, bey der Realifirung dieſes Geſetzesvorſchlags, keineswegs 
bloß, wie der Verf. meint, das zu erwirken vermag, daß fein 
Feind dem Fiscus in den doppelten Erſatz des angeblih Bars 
gebotenen Geſchenks verurtheilt werde, fondern es vielmeht 
ihm anheim ‚gegeben if, vermittelt kluger Benutzung eines 
fheinbaren Umſtandes, die bürgerliche Ehre feines Feindes zu 
brandmarken, was unendlich viel mehr iſt, und was die Nadıs 
ſucht öfters wohl gerne durch eigene bodeutende Aufopferungen 
zu erkaufen verſucht ſeyn duͤrfte. 

V. Weber die Aufhebung der Folter. Eine Abhand⸗ 
‚lang , welche ‚auch derjenige, der Moer den Gegenſtand derſel⸗ 
ben fhon lange mit ſich ſelbſt einig ift, doch mit wahrem 
Sintereffe leſen wird, weil fie eine wortrefftiche hiſtoriſche Zur 
fammenftellung, und über dir Aufhebung der Folter in- Defters 
reich ſelbſt Bisher unbekannte Notizen enthält, welche der Verf. 
aus einem handſchriftlichen Aufſatze des achtungowuͤrbigen 
Sonnenfels entlehnt hat. 

VI. Ueber die Colliſion verſchiedener in dem / 
ſelben Staatsgebiete geltender Otrafgeſetzge— 
bungen. Sin Baiern herrſchen nicht mehr als fünf, an 
Geiſt und Inhalt verfchiedene Strafgefeugebungen, — ein 
Zuftand, welcher es gewiß für Baiern ganz befonders wan—⸗ 
ſchenswerth mahen muß, daß feine Hoffnung anf die Erſchei⸗ 
uung des neuen Strafgeſetzbuchs bald in Erfüllung gehen möge: 


-389 Themis u. Vetracht. über d: Gefchte. Gericht v. Feuerbach. 


- Daß fih aus diefem traurigen Zuſtande vielfache Collifionen 


und aus diefen Anfragen der Gerichte erzeugen mußten, war 
narärlih. ‘Den Anfragen diefer Art verdankt diefe Abhand⸗ 


‘ fung. ihren Urfprung. Der Verf. entſcheidet dafür, daß ein 


Baieriſcher Unterthan nach den Geſetzen feines Domicils und, 
wenn er in verfhiedenen Diftricten domiciliirt ſey, nad) Der 
milderen Geſetzgebung beftraft werden ſolle. Da die gebuldete 
Berichiedenheit der Geſetzgebungen in einem Reiche nur das 


- durch einen vernänftgen Sinn erhalten kann, daß man ans 


nimmt, der Sefeßgeber Habe die verfchiedene Nationalität der 
ihm unterworfenen Voͤlker einer befonderen Berädfihtigung 


“ würdig gehalten, ſo ift dieſe Entſcheidung gewiß die einzig 


PB] 


richtige, und es iſt gewiß eben fo rihtig, daß in Anfehung 
der.nicht in Baiern Domiciliirten , für. welche diefer Geſichts⸗ 
punct nicht entſcheidet, die Geſetzgebung des Orts, wo das 
Verbrechen begangen worden ift, zur alleinigen Norm für die 
richterlichen Urtheile erhoben wird. Es gibt noch andere Staas 
ten in Deutfchland, in welchen diefe fhöne Abhandlung von 


der Gefehgebung einfweilen zum Mufler gewonnen zu werden 


verdiente. 


VII Sollen die Criminalprozeßkoſten vor⸗ 


gehen der Entſchädigungsforderung des Belei— 


digten? Der Verf. entfcheidet, mit Ausnahme der Koſten, 
welde auf Wiedererlangung und Erhaltung der entwendeten 
Sache verwendet wurden, fehr richis fuͤr die verneinende Der 


antwortung. 


VIII. Entwurf eines Staatsvertrags uͤber 
die gegenfeitigen Gerichtsverhältniſſe zweyer 
benachbarten Staaten. Dieſer Entwurf iſt auf die 
richtigen voͤlkerrechtlichen Grundſaͤtze, welche in der zwoyten 
Abhandlung aufgeſtellt worden ſind, geſtuͤtzt, und geht in das 
nähere Detail aller derjenigen Fragen ein, über: welche in 
Anfehung der Gerichtsverhaͤltniſſe Colliſionen entſtehen können. 
Sm Ganzen kann diefer Entwucf recht. wohl zum Mufter für 
ähnliche Regulative unter andern Staaten empfohlen werden, 


obgleich Rec. damit nicht fagen will, daß nicht in einzelnen 


Puncten manches auch wohl anders beſtimmt werden koͤnne. 
So iſt . ©. die Frage: ob die Erbſchaftsklage in Anſehung 


S* Zr 





Lhemis u. Betracht über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 283 
ber in ;den verfhiedenen Staaten gelegenen Immobilien 
za theilen fey ? in dem 6. 15. bejahend entfchieden und gewiß 
fehr richtig, wenn man auch nur in einem der contrahirenden 
Staaten von dem, nad) Rec. Meynung, vorzüglicheren Grund⸗ 
füße ausgeht, daß die immobilien nad den Geſetzen des 
Orts, wo fie gelegen find, vererbt würden. Wenn aber der 
Staatsvertrag zwifchen Staaten geichloffen wärde, weiche beyde 
von dem Mechtsfage ausgehen, daß auch in die Immobilien 
nad den Geſetzen des Wohnorts des Erblaſſers geerbt werde, 
fo wände aller folide Grund zu der wahrhaft laͤſtigen Theilung 
‚der Erbſchaftsklage hinwegfallen, und es würde alsdann viel 
yorzüglicher ſeyn, wenn diefe Saaten gegenfeltig die auss 
fließende Competenz des Gerichtsſtande des Wohnorts des 
Erblaffers "für diefe Klage, welche ohnehin gewiffermaßen ger 
mifchter Natur ift, anerkennten. 
"N. ©. iſt zwar urfpränglich au durch die Amtsardetten 
des Verf. veranlafßt worden, und eben darum fchien es dem 
Rec. zweckmaͤßig, die Anzeige diefer Schrift mit der Anzeige 
der in der Themis enthaltenen Verufsarbeiten des Verf. zu 
verbinden; da aber Hier dem Merf. fein amtlicher Vortrag 
nur als Beranlaffung gu einer freyen, wiflenfhaftlichen Bears 
beitung des hoch wichtigen Gegenſtands der Seihwornen s Ges 
richte gedient hat, und da diefe Behandlung als eine wahrhaft 
erſchoͤpfende betrachtet werden kann, fo hatte er allerdings ſehr 
gute Grände, fie, als ein. eigenes and felbfiftändiges Werk, 
dem Publicum zu uͤbergeben, und dadurch. aud) für das In⸗ 
tereſſe derjenigen zu forgen, welche zwar wohl der Segenftand 
diefes Werks, nicht aber gerade eine Sammlung von Arbeiten 
für die Gefeggebung überhaupt intereffiren ſollte. So befcheis 
den auch der Verf. bemerkt, daß er feinen eigentlichen Plan, 
den Gegenfland der Gejchwornen- Gerichte, in hiftorifcher, 
politifcher und criminalrechtliher Hinſicht, gang vollftändig zu 
bedandeln , nicht Babe ausführen können, und daf daher, wie 
aud) der Titel ankündige, feine Abſicht vor’ der Hand nur 
barauf gehe, Betrachtungen Über diefes Thema zu liefern, 
fo iſt doch in diefen Betrachtungen wirklich eine fo vollſtaͤndlge 
und, Rec. darf dieſes hinzufuͤgen, eine fo meiſterhafte Bes 
Handlung des Segenftands enthalten, daß folgenden Bearbeitern 


* 


224 Themis u. Betracht. uͤber d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 


ſchwerlich in einer anderen, als etwa in der hiſtoriſchen Hinſicht, 
eine fruchtbare Nachleſe verſtattet ſeyn duͤrfte. 

- Eine ſolche Behandlung durfte nun ein Gegenſtand aller⸗ 
dings in Anſpruch nehmen, welcher, neben dem hohen Ins 
tereſſe, welches ein Inſtitut an fi verdient, das: von dem 
freyen Engländer als einer der Hauptpfeiler feiner conftitutios 
nellen Freyheit betrachtet wird, dadurch für Deutſchland, in 
diefer Periode der Erifis für. die Geſetzgebungen, nothiwendig 
an Intereffe gewinnen muß, daß die. Jury, von Frankreich 
aus, nun auch ſchon für manche Deutſchen Länver das Recht 
eines Eingesürgerten erlangt hat, und daß daher in einem 
jeden Deutſchen Staate, wo diefes zwar noch nicht gefchehen, 
aber denn doc auch die wünichenswerthe Neform des bisheris 
gen Deutihen Criminalweſens nicht mehr zw umgehen ift, es 
‚ wahrhaft an der Zeit fcheint, die Frage: ob man dem Fremd⸗ 
linge die Graͤnze fchließen,, oder ihn auch bey fh freundlich 
willkommen beißen folle? einer ernſtlichen und geneuges 
Pruͤfung zu unterwerfen. 

Das: nil admirari: war zwar auch in ‚Anfehung diefeg 
Gegenftands den Deutichen fehr nahe gelegt worden, als fie 
fahen, daß, bey der neuen Eriminalgefeßgebungsreform in 
Frankreich, ſich faſt die allgemeine Stimme gegen die Beybe⸗ 
Haltung der Geſchwornen-Gerichte erklaͤrte, und daB, ohne 
den perföntichen Einfluß des Kaifers, welcher diefes Inſtitut 
mit einer wahren Vorklicse behandelt, feine Beybehaltung wohl 
fhwertih wuͤrde befchloffen worden feyn; indeffen genügen die 
Franzoͤſiſchen Acten zu einer vollkoinmen erfdyöpfenden Pruͤfung 
der großen Frage allerdings nicht, weil die Gegner der Se 
fhwornen; Gerichte Ach Falk ganz auf: die Erfahrungsbeweife 
beſchraͤnkten, in welchen ſich die Werwerflichkeit der revolutio⸗ 
naͤren Jurys freylich auf eine hoͤchſt traurige Weiſe zur Ge— 
nuͤge documentirt hatte, bey welchen es aber doch immer noch 
hoͤchſt zweifelhaft blieb, ob man daraus wirklich gegen das 
Inſtitut ſelbſt etwas folgern könne, oder ob nicht vielmehr 
alle Schuld auf die unzweckmaͤßige Einrichtung deſſelben in 
dem revolutionaͤren Frankreich falle. Es war daher eine tiefere 
Prüfung der Sache durch die Franzoͤſiſchen Vorarbeiten kei⸗ 
neswegs unnoͤthig gemacht worden, und der Verf. verdient 


— 





Demis u. Betracht. Aber d. Geſchw. Gericht u, Jeuerbach. 288 


wahrhaft den Dank des Publicums, daß er fi biefer Frds 
füng in dee Art, wie er es gethan hat, untergog. 

Die in dem dry legten Betrachtungen enthaltene Ausfuͤh⸗ 
rang, daß die Geihwernen s Gerichte in criminalrechtlichen 
Hinſicht, d. h. als Mittel für eine richtige, partheyloſe, der 
Unſchuld ungefährliche, und doch die Schuld nicht beguͤnſtigende 
Ansäbung der Criminalgerechtigkeit, bey weiten an Werth 
Hinter gehörig organificten, aus inamoviblen Richtern zuſam⸗ 
mengefeßten Collegien zuruͤckſtehen, und daß alle theils vorge⸗ 
(blagenen , theils neuerdings in Frankreich in Anwendung 
gebrachten Werbefferungsverfuhe durchaus unvermoͤgend (even, 
fe zu einem. gleichen Werthe zu erheben, — darf mit Mech 
eine volllommen gelungene, einem Zweifel Raum laffende 
genannt werden. Dem Rec., welder immer dieſe Anfiche 
Batte, iſt, durch die Lectüre diefer vortrefflichen : Ausführung, 
gar manches, was er bisher mehr dunkel ahndete, als ſich 
deutlich Dachte, volllommen klar und demtlih, es iſt ihm das 
durch feine eigene Anſicht erft zu einer volllommenen Webers 
jeugung erhohen worden, und er glaubt, verfichern zu können, 
dag es den mehrſten Lefern eben fo erashen, und daß in Aus 
kunft über dieſen Punct fchwerlih mehr eine Iheilung bee 
Meynungen flatt finden werde. | 

Sn polieifcher Hinſicht dagegen, d. h. ale Thell der 
Stantsverfaffung eines Volks und als Mittel, die Zrepheit 
der Nation gegen die Eigeumacht Weniger zu fihern, finder 
der. Verf., in den erfteren. Betrachtungen, das Inſtitut den 


Geſchwornen⸗æ Gerichte mit dem inneren Geifle einer, wenn 


auch nur eheilweifen Democratie fo innig verbunden, Daß im 
ſolchen Verfaſſungen man fehe wohl, wie es in England ges 
fhicht, annehmen könne, die criminalrechtlichen Machtheile 
des Juſtituts koͤnnten gegen ſeine politiſche Vorzuͤalichkeit, ja 
gewiſſermaßen Nothwendigkeit nicht in Anſchlag gebracht wer⸗ 
den. Nicht fo in reinen, wenn gleich conſtitutionellen Mor 
narchieen! Als Schußmittel einer politifhen Freyheit, 
welche es Hier nicht aint, Bann in diefen- Werfaflungen das 
Inſtitut der Jury nicht gedacht werden, es wuͤrde Daher hier 
nur als Schyßmittel der bürgerlichen Srepheit ergriffen: 
werden können, wozu ihm denn auch der Verf. zwar die Taugs 


anf. Themis u. Betracht, über d. Geſchw. Bericht. v. Feuerbach; 


lichkeit nicht abfpricht, wohl aber behauptet, daß ihm feine 
voi zuͤglichere Tauglichkeit für diefen Zweck, als den criminals 
rechtlich vorgäglicheren Richter s Collegien., zugefchrieben werden 
Könne. In diefem Reſultate: daß durch wohl organifirte Ges 
richtshoͤfe die perfönliche Freyheit nicht mehr gefährdet und 
nicht weniger gefichert werde, als durch Geſchworne, wird 
jeder aufmerkſame Lefer. der Schrift gerne mie dem Verf. übers - 
.einftimmen , wenn gleih Viele, mit dem Rec., Anfland nebs 
men werden, das Näfonnement des Verf. zu unserfchreiben,, 
durch weldges er aus der Möglichkeit, daß der Souperaͤn ſich 
über .die Schranken: der Conſtitution hinwegſetzen könne, bie 
Fragilitaͤt eines in den Geſchwornen gefuhten Schutzmittels 
der buͤrgerlichen Freyheit deducirt. Diefes ganze Räfonnement 
wuͤrde eben. fo gut gebraucht werden können, um das in wohl: 
organifirten Collegien von Nichtern, welche die Conſtitution 
für inamovibel erflärt, gefuchte Schuemittelfder Freyheit für: 
eine morfche Stuͤtze zu erklären, und eben darum wird Diefes 
ganze Näfonnement vollkommen durch die: herrliche Ausführung- 
des Berf., am Ende der zweyten Betrachtung, widerlegt, in 
welcher die. Srände, warum auch reine Monardieen eine ger 
nügende Garantie für die. Erhaltung conflitutioneller Einrich⸗ 
tungen gewähren, mit Kraft und -Salbung zuſammengeſtellt 
find 


Wenn nun In reinen Monarchieen das Inſtitut der Ges 
fhwornen feinen politifhen Vorzug hat, wer könnte dann, 
bey feinen undeftreitbaren criminalrechtlichen Nachtheilen, auch 
nur verfuche werden, zwilhen ibm und dem Inſtitute wohl 
— BRAD zu . 7. 





Schatzkaſtlein des rheinifchen Hausfeeundes von 3. B. Hebel. Tür 
bingen in der Cottaiſchen Buchbandlung. 1511. 296 ©. 8. 


Dieſes Schagtäflein wird fhon fo weit und -breit gefefen‘ 
— daß unſere Anzeige zu ſpaͤt kommt. Indeß ſchadet die⸗ 
ſes nicht; denn was lobenswerth iſt, ſoll man immer loben 
und ruͤhmen. Und hiezu haben wir Grund und Urſache. 


Gehaptähfein des rbein. Haucfreundes von FB. Hebel, 287: 
Denn. wir Haben dieſes Büchlein (fo nennen wir es mit dem 
Berfaffer, wegen feines Inhalts und Zwecks, denn nad 
feinem Umfange kann es wohl ein Buch heißen) Kindern 
u auch Bauersleuten zu lefen gegeben, und fie haben «6 
fehr gerähme , und gewuͤnſcht, daß mehr ſolche Wücher ſeyn 
möchten. . Der Hausfeeund weiß aber auch recht luſtig und 
anmathig zu reden und zu erzählen. Wer fih an feinen Alles . 
manniſchen Gedichten erfreut hat, erkennt aud in dieſem 
Schagtäftlein feinen Mann wieder. Man ſiehet, wie er oft - 
unter dem Volke gewefen, und dem gemeinen Dann ins 
Herz und in die Augen und auf den Mund geſchaut hat, 
und doch dabey- ein feiner Mann iſt, der zu nehmen und zu 
geben weit. Souſt Kanten dieſe Lefetäde in dem Badi⸗ 
(hen Landkalender, gleichſam um die Zeit gu fürgen und zu 
würzen, wie fie denn in einem Kalender fo dürre umd langes 


weilig daſteht, oder Einem zugezählet wird, daß man das 


bey einer Würze und eines Labfals ungern entbehrt. - Da 
hat nun der - Hausfreund allerley aus feinem Schatz bervorr 
geholt, - Altes und Meues, und hat es dazu gar nett und 
luſtig aufgelußt, fo daß es Herz und Sinnen leichtlich er⸗ 
freuet, auch manche gute und "ichöne Lehre und Warnung 
giebt, wie es dem Hausfreunde gegiemet und wohl anftehet. 
Er nimmt: gleich. anfangs. einen: hohen Flug, und wagt fi . 
unter das Weltgebäude und zwiſchen die Sonnen und Pas 
neten, aber fo hoch er auch ſchwebt, man. erkennt doch ims 
mer den alten Kausfreund, und er ſtellt fih ntemals unges . 
bährdig und Hochmäthig, und weiß von den ‚Sternen und 
ihrem Weſen fo deutlih gu reden, als ob er: fie felber ges... 
macht, oder doch wentgfiens unter Auffiht hätte. Man ers 
kennt leicht, daß er lange Zeit muß den Kalender regiert 
haben. Indeß bleibe er nicht Jange oben, und: fommt bald . 
wieder herunter, aber wenn es ihm gemäthlich und dem Lex 
fer heilſam iſt, ſieht man ihn wieder in der Höhe bey den 
Sternen. Denn laͤßt er ſich hernieder, wo es ihm beliebt, 
im Morgenfande zwiſchen Türken und Arabern, oder in eis 
nem Semäfe s Garten zwiſchen Naupen und Kohipflangen, in 
einer Schule, wo er rechnet, ober in einer Schenke, wo er 


z00 @chapfäfiein des thein. Hentfrcundes von J. D. Hehe, 


erzähle, was ihm in den Stan kommt, und den Zuhörer 
mahr erfreut, ala fein Schäpplein. Es muß Einen dauern, 
wie der Hansfreund den Kopf und die Haͤnde fo voll hat, 
und man färdten, er möchte fih todt reiſen und erzählen, 
ehe das Buch zu Ende if, Da iſt's denn eine große Freude, 
gleich im Anfange gu vernehmen, daß der Hausfreund auch 
zwey Gehuͤlfen bekommt, nämli den Adjunet und die Ads 
janctin , feine Schwiegermutter. - Der Adjunct muß auch fer 


glei eine Standrede im Gemäfe s Garten feiner Schwiegen 


mutter balten, umd dee Hausfreund faun nun wieder Athem 


fehöpfen, und fo loͤſen fie fih einander ab, und bringen 


das Buch gluͤcklich und lebendig zu Ende, und werden hof 
fentih noch lange fortfahren, Kalender zu machen. Der 


Adjunct Kar and noch eine beſondere Geſchicklichkeit, Die der 


Geſellſchaft ben dem trocknen Kalender machen, gut zu flatten 


kommt. Nämlich er verſteht die Kunft auf dem Blatt zu 


peifen,. umd dadurch den Hausfreund fo in Vegeiflerung gu 
fegen, daß dieſer fogleich in feiner Weife ein Liedlein begin 


net, wie 3: &.2 Der lieb Sort hat zum Fruͤhlig gſeit: Gang, 
deck im Wuͤrmli au ſei Tiih u. ſ. w. Mer Hieraus nun 
das Schatzkaͤſtlein noch nicht kennt, mags ſelber leſen, und 


das wird ihn nicht gereuen. Vor allen lei” es, wer mit dem 


Volk viel zu thun hat, und das Volk lieb hat. Auch. kann 
man es dem Volke und gemeinen Mann, der etwas leſen 


will, in die Hand geben, damit er fi in trodner Zeit daran 
erluſtige. Denn ein froher Mur if doch das. halbe Leben. 
Kinderiehrer und Schulmeifter koͤnnen auch Nutzen baraus 


ziehen. Abfchreiben wollen wir, nichts daraus ; denn das 


ganze Blchlein Hat ung gefallen, und wir willen niht, was 


wir daraus wählen follen. Auch iſt's gedruckt wohlfeiler , als 


wenn man’s abfhreiben wollte. Wir wünfhen dem kalender 
machenden Kleeblatt am Oberrhein, daß fie noch lange mit 


den Jahreszeiten und Monden fortgehn und Allerley aus ihrem 


Schatz hervorlangen mögen. 
E. A. K. 





nn 


No, 419... Hetdelbergifhe: 48143, 
Jahrbücher der Litteratur. 
EEE EEE Saar 
Plitarchi Chaeronensis Vitae Timoleontis 5 — E—— a 

Bruti. Animadversionibus instruxit Fridericus Wil- 


helmuüs Fabrici, Darimstadiensis. ‚Lipsiae , sumtibus 
E. B. Schwickerti. MDeccxil: 180 G. a 


% 
[2 


| ar Fabrici hat nach feiner Berg — dus keinem an 


bern Grunde diefe Biographieen ans den übrigen zur Bears 
beitung gewählt, als weil er vorzuͤgliches Wohlgefallen an 
ihnen gefunden. Einigen Einfluß mag indeß wohl auf ſeine 

Wahl die Bred ow ſche Sammlung gehabt haben, und da dieſe 
in mehreren Schulen mit gutem Mugen eingeführt ift, fo Hätte 
er inimer auch den Philopoͤmen, den- fie mehr Hat, mit neh⸗ 
men mögen. Mad) dem, was der Herausgeber. hier geliefert 
hat, ſcheint er ein junger Phildlog von guten Anlagen, von 
ſchaͤtzbarer Bele ſenheit und von vieler Liebe für fein Studium 
Er wird 26 darum nicht uͤbel deuten, wenn wir ihm zuvoͤrderſt 
im Allgemeinen nuf einige fleine Unarten aufmerkſam machen, 
durch die er manchem feiner. Lefer die Bekanntſchaft mit ſich 
etwas verleiden wird. Was ſoll z. ©. das beichwerliche Ans 
häufen von Citaten ‚in Fälle, die keiner fangen Sfnduetiog 
von Benfpielen bedürfen ‚»ja bey: ganz triviellen Dingen. Die 
Zeiten von Klotz und Conſorten ſtnd, Bott ſey Dank, vors 
uͤber. So werden S. 117 zu dem bekennten Bebrauch des 
Ed» nicht weniger als fieden Stellen und fieben Philologen 
aufgerufen ; die Bedeutung von Üsezards wird. ©, 74 mit 
ı2 Citaten belegt. Und ſo öfters, wo nicht ſeiten das Eine 
Citat die andern.überläffe macht, da :fie darin ſtecken. So 
forgfältig aber der Herausgeber in der Regel andre zu citiren 
pflegt, Fo ſchlecht ſich ſelbſt, z. B. ©. 19 ceterum vide, in- 


fra, Was foll dag? vide quae monuimus ad Gracchos; u 


jam alibi hanc rem dar S. ı7. 37.182. ıdı und ©: ı@ 
19 


290 Plutarchi Chaerost. Vitäe 'Tinadl. ed. Fabrici.. 
gar: sic jam supra in Tib. Giaich. c. I. habuimus, was 
erſt folge. Ein feltfames Verſehen. Gegentheils vermißt man 
hin und wieder fremde Eitate, z. B. bey der Note ©. 89 zu 
naidey undtv dıaptpovras, die ihrer Subſtanz nah aus 
Wottenbach zu Phaed. S. ıd2; ©. 11 gu dyaxakvrripıon;, 
die aus Wefjeling zu Diod. I. ©. 531; S. 55 zu pıxpäs 
noopdoeag, die and Coray entlehnt il. S. g verfihert er 
durch mehr als ſiebzig Steffen gegen Hermann (ad Viger: 
S. 760) beweifen zu Binnen, daß AMag ve auch ohne 
za) fichen koͤnne, führt aber keine einzige an. 

Nicht minder Röhren in fo kurzen, ja fargen Erklaͤrun⸗ 
. gen bes Tertes die vielen gelegentlichen Emendationen und 
Erläuterungen fremder Schriftſteller, Die wir noch, jumal bey 
einen angehenden philologiſchen Schrifikeller, entſchuldigen 
wollten, wenn fie nicht zu oft mit faft lächerlicher Gewalttha—⸗ 


tigkeit durch zwey, drey Wittelglieder, oder nur duch die 


Nachbarichaft des Buches, des Kapitels ıc. herbeygezogen wir 


den. Man fehe ©. 24 zu Iaptpew, ©. 5i. zu Ede; 


©. 59.4u waraormunrınds, &. 65 gu unapew, ©. 118 
zu ond rhpas u. ſ. w. In der Eile diefer gelegentlichen Obi 
fervationen geſchieht aud) wohl ein fehwer gu verantwortende⸗ 
unrecht, wie ©. 58, wo man tiefe, daß Wottenbach (ep. 

csit, sd Kuhn. 1, 14.) die füße Geſpannſchaft ber Daka 
und Grazien im Euripides nicht zu finden gewußt Babe; Dierk 
Unwirfenheit muß fortbanern, denn er hat auch an der Spitze 


feiner Polymathie der angenehmen Syppgie den wäh, 


den Herkules zum Begleiter zu geben, noch immer nicht 
für dienlich erachtet. — Die S. 83 getadelte Bemoerkung 


von Tzſchucke gehoͤrt nicht zu Eutropius, ſondern zu Florus 


H, 9. 25. 

Einen wahren Abſcho⸗ Biden wir wifrer Seits —* 
Formel, die ungefähre ſo lautet: Hoc jam dudum conjec® 
ram, postea vidi.in idem incidisse. — Diefe zwendestige 
und erbettelte Anmaßung eines Prisritätsrechres finden wie 
zu unferm Leidweien auch hier, 4. B. ©. 49. 74. 112. 120, 
und mit einer eigenen Beſcheidenheit widerlich verfeht &. 166. 
Endlich Finnen wir unfer Mißfallen Aber die auffallond haͤn 


2 





Plutarchi Chäeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 294 
Ägen Wiederholungen nicht bergen. Don dAGeı» wird G. 87 
und S. 133 gehandelt, und doch ſollte ſchon gu Timol. c. 14. 
bie Rede davon ſeyn, von Bodv ©. 89 und ©. 138, von 
sois BovAogievors, ©. 29 und 8. 48 mit deinſelb en Citat, 
son and ©. 85 und ©. 117, von Aınapeiv &.65 und S. 
122 mit demfelben Citat, von addoxdrog ©; gı und ©, 
i68, von Tb. xaAobusyoy ©. 44 und ©. 95, wovon body 
fen gu Timol. c. 9 oder c. ıB. härte geſprochen Werben 
ſollen, von sis ubvos ©, 19. 73. Bı. 99 und 148. Das 
alles zeugt mehr oder weniger von Eilfertigkeit und von Js 
diecretion gegen Lefer und Käufer. Dein darüber, daß haͤu⸗ 
fig fange Anmerkungen von Henricus Gtephanus, Patmerius, 
Moſes du Soul, Coray, Bredow wörtlich eingerädt find, 


wollen wir grade nicht rechten, wiewohl dies unfers Erachtens: 


auf dem Titel: nicht unbemerkt bleiben ſollte. Die eignen 
Anmertungen des Herausgebers verbreiten ſich weder über Die 
Kritit des gangen Textes, denn es iſt im Durchſchnitt des 


Reiskiſche, noch Über alle Schwierigkeiten der Interpretation; 


es find nur beliebige und bisweilen nur zufällige Erlaͤuterun⸗ 
gen einzelner ‚Hiftorifcher oder grammatifher Dinge, oft nur. 
einer artikel, einer Tonftructien, wobey das Triviale nicht 
immer vermieden iſt. Alles, was man fohft bey einer Aus 
gabe, zumal für Schulen, zu erwarten pflegt, Einleitungen, 


Inhalts anzeigen, Regiſter wird hier vermißt, fo daß, was. . 


wirklich jum Verſtaͤndniß des Autors gehort und gereicht, ſich 
auf wenige Blätter. zufonimenfafen Heß. Daß auch Hier. 
ſtrengeren Anfoderungen nicht durchaus Benäge gefchehen, wol⸗ 
lm wir an einigen Beyſpielen zeigen. 

Zu Tim. c. 4. wird (aber erft ben Brutus.c: 1. ©: 123) 


—*— für dvädeıkes vorgeichlagen. Daß das letztere 


auch richtig fen ,. fieht man aus Caesar.’ c. 35. dnarov d’A- 


yadsibas &avıdv. Tim: c. 8: ©. 11 fol nach der Meynung 


des Verf. Plutarch bey der Mythe vom Raube der Profers 
pina vielleicht an den . Euphorion gedacht haben, mac dem 
Scholiaften des Eyripivig Phöniss: V. 688. bey ihm iſt ja 
riht von Sicilien, fondern von Theben die Rede. Chen 
möchte man die Stelle auf Pindar. Nem. I, 17, vergl. den 


x 


292 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 


Schoͤliaſten ad h. 1;, bengichen, wenn nicht die Gage älter 
wäre, ale unfre fohriftlichen Denkmaͤhler. GC. ı2. S. i7 u 
"Adpavoo s; „qui (quis) praeter Plutarchumi hujus dei 
inentionem fecerit, equidem non 'menini.* Erinnert u 
fi) nit des Aelian de nat. an. L. XI. c. 20. Au 
kommt der Gott auf Siciliſchen Münzen vor. Of. Eckhel 
_Doctrin. num. IL &. ı90 und ©. ae4. Weber das vorbe⸗ 
Deutende Schwitzen der Bildſaͤulen S. 18 war flatt der vagen 
Anführumg des Cicero Wefleling gu Diod. XV. 10. gu citis 
ren. C. 13. xal cv adınv udelphv xal yuvalıe. Das 
für will der Herausgeber leſen: ery adrob Adehphr x. T. 
Sehr ungluͤcklich; dann würde ja fie, die zugleih Schweſter 
und Gemahlin war, zu zwen Perfonen. Die Lateitter dräden | 
fi eben fo aus: Curt. III. 5. illum florem juventae, illam | 
vim animi, eundem regem et commilitonem divelli a se. | 
Bey bein Philistus c. 16. ©. an. bedurfte es bey der An 
führiing von Bredows Note auch einer Berichtigung -deffelden. 
Man begreift nicht, da ja Philiſtus nicht als Zeitgenoffe die 
fer Begebenheiten won Plutarch dargefiellt wird, warum er 
nad Bredow ein fo hohes Alter von 70 — Ba Jahren fol 
erreicht Haben. Allerdings iſt es fein anderer, als der fo 
Häufig erwähnte Syrakuſiſche Sefchichtichreiber. Man vergleiche 
A. F. Nüke Schedae criticae: Halae ıBıe., der ©. 27, 
eine gelehrte Anmerkung über ‚urifre Stelle macht, ſich aber 
tert, wenn er eine andere Stelle des Plutarch ei Hecah. 
ol. c. 1.09 Ts eine Aiovvoio auf denfelben Philiſtus 
bezogen willen will. Die. Note von Weſſeling ju Diod. I. 
S. 644 war ihm nicht ‘gegenwärtig. — Bey den Born 
c. 26. ©. 57 vor dtıopahds voooöyra deiodaı Tour 
roũ oehivov If zwar die Vulgata mit Recht beybehalten und. 
durch Paralleiſtellen beſtaͤtiget, aber. nicht erwaͤhnt worden, 
daß dieſe Wiederholung des Pronomen, wie auch Weiske 
de pleonasmis &. 76 andeutet, jedeshial init einer gewiſſen 
Bedeutſamkeit verbunden fer. Fehlte Hier das Tooror, fh 
fhiene es, als wenn auch die Worte Tor Emioparas 9% 
coöyra zum Sprichwort gehörten. Das Sprichwort lautete 
‚aber; oöras diraı Ton ‚wehlroy; das. andre iſt Erklärung. 





Ei 


Plutarchi Chäeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 293 


Aehnlich ſchiebt der Deutiche das Pronomen ein. Schiller m 
den Kranichen des Ibykus: 


Zum guten Zeichen nehm id) euch, 
Mein Loos, es iſt dem euren gleich. 


Leber jenes Sprichwort felbft wird man auf Interprett. ad 
Callimach. T. I. p. 280 ed. Ernesti vermiefen, und findet 
dere nichts, als unfre Stelle. Beſſeres würde der Kerauds 
seber finden in Laurent. Beger. Exam. quorundam dubio, 
zum Berolin. 1604. p. 9 sq. und über den anderweitigen 
Gebrauch des Eppih bey Voß zu Virgil. Ecl. VI. v. 68, 
Beylaͤufig gälte es hier die Frage, ob Schiller in jener anges 
führten Ballade nicht einen Anachroniemus begangen, . daß er 
den Fichtenfrang zum Siegeszeichen der Iſthmiſchen Spiele 
made. — In demſelben Capitel lieſt man S. 38 zu den 


Worten dv ö ui» Tois Övvbın Eyeps dranenapusvoy dieſe 


Note : Videter hic ante oculos habuisse verba Hesiodi 
ioye x. nu. ı87. ed. Br. Wer? der Autor doch nicht, denn 
diefer bedient fich gang gewöhnlicher Nedensarten, die er gar 
nit Umgang haben könnte, alſo — wohl der Adler, "daß 
einem das Bonmot eines berähmten Gelehrten beyfallen fönnte, 
der bey dem fchenen Pferde in Tacit. Annal. I. 66, die mAnds 
liche Bemerkung machte, es babe den Kiel in der Anabaſis 
(U. @. 10.) vor Augen gehabe Sollte einmal citirt 
werden, wärde Il. XIL aoo. zıdß. XIIL daı, noch bezugli⸗ 
cher geweſen ſeyn. 

Befremdend iſt es, daß die Emendation des Dacier_‘Ic- 
rüs für ‘Iegas c. 30. ©. 44 darum für unſtatthaft erklaͤre 
wird, weil das xadlovusvas dabey ſtehe. „Nam quid apus 
erat, ut hoc adjungeretur, si locus nominaretur, qui in 
nomine nihil haberet, quod ut verba ai xalodueras 
subjungerentur,, requireret, Atſo müßte Achradine c. 18. 
auch falſch ſeyn, und es müßte überall, wo. das fogenannte 
dabey ſteht, in dem Namen etwas Vefonderes oder Bes 
deutendes liegen. Vergleiche doch der Herausgeber feine Citate. 


Daß in demſelben Lapitel noch das Werworrene dmaloyov- 


Klang TE Truadiouto; surugi mit Bredows Anmerkung 


94 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 


gedeckt wird, nimmt uns ebenfalls Wunder. So viel ließe 
ſich dagegen erinnern; hier nur das Eine, daß Jixn dann in 
zwey Bedeutungen einmal ale Strafe zu — — — und 
hernach als Gerechtigkeit zu arohoyouuevng genommen wers 
den mußte; daher auch der Ueberſetzer genoͤthiget worden iſt, 
mit einem Worte wie Strafgerechtigkeit ein Abkommen zu 
treffen. Warum nicht abroiç Öuodoyovuivas mit den Hande 
ſchriften und Coren? Eben fo hätte c. 36. das Fragment 
des Sophofles unangetaftet, und Reiske feine Conjectur ode 
für Toöde nidyt eingeräumt werden ſollen. Die Eonfiruction 
mit dem Genitiv, wenn man unter demfelben, mie natärlich, 
ein feidendes Object verſteht, iſt ganz in der Ordnung; ein 
Dativ wuͤrde ja ein bethaͤtigtes Subject — hier ein an einem 
dritten theilnehmendes — darſtellen. Uebrigens muß man 
nach dem Geſetze des Zuſammenhangs roode neutraliter neh⸗ 


men, was Bredow in der Ueberſetzung verfehlt hat. Zu der 


gleich darauf zwiſchen dem Mahler Dionyſius und Nicomachus 
gezogenen Parallele erhalten wir ein kahles Citat aus Junius 
Cat. Artif. Der Herausgeber hätte ſich hier beſonders uͤber 
die ſchwierige Bedeutung des techniſchen Wortes rorog erklaͤ⸗ 


ren ſollen. Stoff wuͤrde ihm dazu Hagedorn in den Betrach⸗ 


tungen über die Mahlerey ©. 689 ff., und noch mehr ein 
neuerer hypotheſenreicher Schriftſteller Grund Geſchichte der 
Mahlerey IE. 329 ff. gegeben ‚haben. | 

Tib. Graichus. c. 13. o® —RX oſSTßoc non praesens 
ille. Hoc ut nonnulla alia apud. Plutarchum, Latinis 


"mum redolet, "Da eönnte man non praesens ille. mit gleis 


chem Zug für einen Graͤcismus halten. ©. Matthia Griech. 
Grammatik $. 471. Dagegen iſt c. 16. eis Tv dyopar 
*taßac, wobey flieht: sic Latini etiam in forum der- 
eendere dicunt eine mörtliche Ueberfeßung des Bateinifchen; 
be Grieche pflegt das Umgekehrte zu ſetzen. 

Bey der verworrenen Materie von den Verhaͤltniſſen * 
Nitterſchaft gu den Gerichten C. Gracch. c. 5. war flatt ber 


ungeordneten Citate und ſtatt des Rualdus auf Heeren's vors 


treffliche Geſchichte der Revolution der Griechen (Kleine hiſt. 
Schrifta. Th.) als auf ben beften Commentar zw dieſen bey⸗ 


Plutarchi Chaeran. Vitae Timet. ed. Fabrici. 295 


den Lebengbefchreibungen zu verweiſen. Aus jenem Capitel ließ 
fh der Meine Irrthum berichtigen, den Heeren ©. 235 hat, 
als ob fih Graichus von der Eurie zu dem Comitium gewandt 
babe; er wandte fih von dem Comitium und der Curie zu» 
dem Forum. Die Anmerkung über 65 ©. ı1, das als Präs 
pofition nie gu undelebten Dingen gefeßt werde, leidet Bes 
sihtigung. Cf. Valckenaer ad Thom. Mag. in epp. Ruhnken, 
ad J. H. Ernesti ed. Tittntann. ıdı8. p. 186. Weber die 
Abſtammung des Marcus Brutus von dem alten. Junius zu 
Brutus c, I. p. 114 wäre noch der vortrefflihe Ercurs von 
Eckhel a num. Pr 11. Vol. VI. p. 90 sq. nadyu 
tragen. C. 45. p. 170 oös Boiyas ävduade zu den von 
Sturz de dialect. Maced. p. 3ı citirten Stellen fann man 
no Cic. orat. 48. Curt, VI. 11. und Heyne ad Virg. 
Ecl. VI. arg. hinzufügen. — Der Vorfhlag c. 51. p. 178 
Aria für nIıxös wäre an fih nicht uneben, wenn Adıxaz 
unerflärlich wäre, und nicht vielmehr die fhöne finnvolle Bes 
deutung hätte, die vornehmlich Valckenaͤr zu den Adaniazusen 
p- 928 sygq. ausginander geiegt hat. Man verbinde nur 
nDıxos mit Ooden und einev und nicht, wie Bredow ge 
than zu haben ſcheint / mit usıdıncas. — 

Wir wollen in diefen Berichtigungen nicht fortfahren, 

fondern nun noch pflichtmaͤßig und geen hinzufegen, daß mie 
auch auf recht gute und treffende Bemerkungen geſtoßen ſind, 
wovon nur die zu &Amidog Toiadens yevauevov Tim. c. 
p. 8. Die Conjertur napayayai für napaloyai Tim. c. ꝗ. 
p. 11. Die Nachweiſung über Xovoö» Edeifay Tim. c. 11. 
p: 16. über ueyav adbeodaı c. ıÖ. p. 41. — Die Veſtaͤ⸗ 
tigung von Stepanus Vermuthung zarixiace zu dem Phae- 
. don. .c. 66. gegen Wyttenbach S. 8. — Die Ableitung. von 
Aeapyds ©. 28, von Asas, dem aͤoliſchen warv, hätte hier 
erwähnt werden mögen. — 

Der Verf. iſt gefonnen, wenn dieſe erſte Peobe nicht 
mißfallen, eine zweyte Bearbeitung einiger andern Plutarchi⸗ 
ſchen Biographieen folgen zu laſſen. Da feine Thaͤtigkeit wer 
ber des Geiſtes, noch der Kenniniffe ermangelt, fo wird es 
nur auf feinen ernſten Willen ankommen, um: etwas Tüchtis 


— 


296  _Dentfehe Ornithologie von Bekter ic. | 
ges fünftig zu leiſten. Wir wuͤnſchen ihm dazu, ſo wie zu 
feiner (laut der Vorrede) unternommenen Reife nad) Erants 
reich von Herzen Sid 5 


} 


Deutſche Ornithologie oder Naturgeſchichte aller Vögel Deutſchlande 
in naturgetreuen Abbildungen und Beſchreibungen herausgegeben 
von Dr. Bekker Lichrbammer, C. W. Bekker und 
Bembcke. XXltes Heft. Darmſtadt 4511. im Verlage der 
Herausgeber. TO DEE ER 2 


Mit Vergnügen zeigen mir die Fortfeßung diefes jedem 
Freunde der vaterländifchen Naturgeſchichte befannten — 
“an, das, der jetzigen druͤckenden Verhaͤltniſſe ohngeachtet, in 
gleicher Schönheit und zu fo geringem Preife fortgeſetzt En 
daß auch der minder begüterte Freund der Drnithologte daran 
Theil nehmen kann. Es iſt daher vorzüglich geeignet, Aufs 
flärung in der Deutfchen Voͤgelkunde zu verbreiten, und die 
Verehrer diefer fhönen Wiffenfchaft zu vernichren. Rec. ; der 
diefeg Werk, feit es erſchien, ſchaͤtzte und empfahl, wuͤnſcht 
daher deſſen moͤglichſte Vervollkommnung, und erſucht die 
Herausgeber, dieſem Wunſche nachſtehende Bemerkungen aus 

zuſchreiben. 

Diieſes Heft enthält die Maturgefchichte des Steinadlers 
und des Schleyerkanzes; von jeder Art ſind drey Abhildungen 
geliefert. 

| Nichts erleichtert mehr das Studium der Naturgeſchichte 
als richtige und kurze Kennzeichen der Art; es iſt daher vor 
züglich in einem Werke, wie das Vorliegende, hierauf Ruͤck⸗ 
ſicht zu nehmen, da es hauptſaͤchlich für Lefer beſtimmt if, 
die feine wiſſenſchaftliche Naturforſcher find. Allein wir Haben 
‚bisher auch in diefem Werke, fo mie überhaupt in den Schrifs 
gen der Meueren, die Bechſteiniſchen, Meyerſchen und Wolfi⸗ 
ſchen nicht ausgenommen, die Vernachlaͤßigurg dieſes fo wich⸗ 
tigen Theils des ornithologiſchen Studiums bemerken muͤſſen, 
da doch Feine gründlichen Fortſchritte zu hoffen find, fo lange | 
niche hier auerft | die Unbeſtimmtheit entfernt wird. 





Denrfche Ornithologie von Bekker ı0. 297 


Unter der Aufſchrift: Kennzeichen der Art werden 
hier in swanzig (!) Zeiten befondere Kennzeihen vom alten 
Männdyen ‚ dem ganz ( ?) alten Weibchen, dem alten Weibs 
then, und dem jungen Männchen vor dem dritten Lebensjahre 
geliefert. inne’ würde 06 folder Arts Kennzeichen in Eritaus 
nen geraten seyn, und feinen Ausſpruch: Horrenda sunt 
nomina specifica veterum sesquipedalia quae descriptio- 
nes loco :differentiarum sistunt, dahin abgeändert haben, 
dag den Neueren hierin der Vorzug gebühre. 

Wir find zwar in der Drnithologie nach nicht fo weit, 
von allen Deutihen Voͤgeln Arts Kennzeichen liefen zu können, 
und muͤſſen uns daher öfters mit Beſchreibungen behelfen, ins 
deffen ift dies mit dem Steinadler der Fall nicht. Beine bis 
&uf die Zehen befiederten Beine unterfhriden ihn ſchon von 
allen Deutfchen Adlern bie auf Aquila naevia Brissonii und 
Aquila imperialis Leisleri, es waren daher nur nod Merk 
mahle aufgufuchen,, weiche ihn von diefen beyden trennen. 
Bon Aquila imperialis ift der Steinadler durch feinen abge⸗ 
rundeten Schwanz. und die nicht Über denfelben Hinausragenden 
Schwingen, von Aquila naevia durch feine Größe hinlänglich 
unterichieden , indem der NMheinadler nur die Größe des rauht 
füßigen Buſſords hat, der Steinadler - alfo einige Schuhe 
mehr in der Breite mißt. Das Arts Kennzeichen bed Stein⸗ 
adlers laͤßt fih demnach kurz und befimm auf folgende Weife 
angeben. - | 

Steinabdler (Aquila fulva Meyeri). Die Deine 
bis auf die Zehen befiedert; die Schwingen nicht über den 
abgerundeten Schwanz hinausragend ; fieben Fuß breit. ; 

Außer der Unfoͤrmlichkeit, woran die von den Herauss 
gebern aufgeſtellten Art⸗Kennzeichen leiden, haben fie einen 
zweyten noch weſenilicheren Fehler, indem fie nicht die ganze 
Art umfaſſe n; denn der alte Vogel, welchen Sinne’ unter dem 
Namen Falco Chrysadtos — Goldadler — beſchrieb, iſt 
nicht dark enthalten. Die drey bier gelieferten Abdildungen, 
wovon zwey die Unterſchrift Goldadler führen, haben ſaͤmmt⸗ 
lich weiße Schwanzwurzein, fie gehören daher alle gu Falco 
fulvus Linnei, und keiner zu Falco in, indem die 


298 Dentſche Drnithologie von Bekler.c, 

weſentlichen Kennzeichen, dDieagfchgrauem Bänder, fehlen. Wir 
fehen daher keinen rund, warum Biefe Steinadler im ums 
volltommenen Federfleide Aqua fulva Bekkeri find genannt 
worden, da ja ſchon Briffen fie unter dem Namen Aquila 
£usca befhrieben hat, und fie zu Aquila fulva Meyeri ges 
Hören, . der befanntlih den Gold ; und Steinadler vereinigte 
und ihm biefen Namen gab. Wenn alfo Bedflein feinen 
Goldadler ausſtreichen fol, mie hier verlangt wird, fo muß 
dies aus andern Gruͤnden gefhehen, denn der Bechfleinifche 
Goildadler iſt einerley mit dem Linneifchen, ‚von dieſem if 
‚aber in dev ganzen Beſchreibung nicht die Rede, es ſcheint 
daher, daß ihn die Herausgeber nicht gefannt haben. 

Bechſtein und andre Maturforfher haben zwar laͤngſt vers 
muthet, daß der Goldadler mit dem Steinadter zu Niner Ay 
gehörte, Meyer hat bafür den Beweis geliefert, indem er 
nicht nur die Erfahrungen anderer noch lebenden Naturforfchet 
hierüber , ſondern auch feine eigenen mittheilte, woraus fi 
denn ergibt, daß der Linneifhe Falco fulvus gegen das fies 
bente Jahr feines Alters in den Falco Chrysastos Linnei 
übergeht. ©. Wetterauer Annalen 1. B. 1. H. S. 139 —ı48. 
Bechſtein Hat hierauf auch im dritten Theile feines Taſchen⸗ 
buches bemerkt, daß nach Angabe der Neueren der Goldadler 
ausgemerzt werden muͤſſe. Es befremdete uns daher ſehr, in 
Diefem Hefte die Meyeriſche Abhandlung weder angefuͤhrt, 
noch benugt zu finden, und wir muͤſſen es den Herausgebern 
diderlaffen, wegen bdiefer Vernachlaͤßigung der Wiſſenſchaft 
Entſchuldigungagruͤnde vorzubringen, da wir nicht einſehen, 
soie dies zu entſchuldigen ſey. Wir bedauern, daß durch dies 
sen Fehler die Irrthuͤmer, welche über diefe Adlerart herrſch⸗ 
sen, noch bey Dielen werden erhalten werden, um fo mehr 
Da neuerlih auch Naumann den unverzeihlichen Verſtoß gegen 
die Wiffenfchaft beging, und den alten und jungen Steins 
adler als zwey verfhiedene Arten auftelte. 

Da fih nad der in diefem Hefte enthaltenen Angabe in 
dee Sroßherzoglihen Menagerie ein lebender Steinadler bes 
findet, fo wuͤnſchen wir, daß die Herausgeber. für deſſen Er⸗ 
haltung beforgt ſeyn und von ihm, ‚wenn er fih in den 








| 


Zwey Bredigten von ©. L. Ribſch. 299 


Pinneifchen Soldadler wird umgewandelt haben, in einem der 
folgenden Hefte eine Abbildung, fo wie die bier unterlaſſench 
Berichtigungen nadjlisfern möchten. 

Die Abbildungen der Schleyerenlen ſtellen Dam, Weib 
und jungen Vogel vor. Wir erhielten oft ım Fruͤhſahr alte 
Männchen, die aber ſtets viel heller wie das hier abgebildete 
gegeichnet waren. Diefe Eule liebt fo fehr die Wohnungen 
bee Menſchen, daß man fie falt den Hausthieren beyzählen 
kann; unrichtig iſt es aber, daß man fle vergebens in Waͤl⸗ 
dern fuche, wie hier angeführe wird, Dec. .hat fie Hfters in 
hohlen Bäumen anf den Epern BeIaBBN: die “ac immer 
reinweiß Maren. 

In Ruͤckſicht der Kupfer muͤſſen wir noch bemerfen, daß 
Vie Abbitdungen der Adler vortrefflich ausgeführt find; die 
Eulen find nicht ganz fo gut gerathen. 

Wir wuͤnſchen, daß die Herausgeber diefes in der That 
ſchaͤtzenswerthe Werk ſchneller, wie in der letzteren Zeit ge⸗ 
ſchehen iſt, fortſetzen, und die hier gemachten Bemerkungen 
zu deſſen Vervollkommnung benutzen moͤgen. 





— 


Zuey Vredigten bey der Ruͤckkebr der Pfarrgemeinde zu Wittenberg 
aus der daſigen Schloßkirche in die Stadtkirche gehalten, von 
D. €. 2. Nitzſch, der Theol. Vrof. des Conſiſt. Beuf. Pfarrer 
und Superint. zu Wittenb. des Witt. Kreiſes Generalſup. Dir 
tenberg bey GSeibt, 1812. 64 ©, 


- Obgleih nur zwey Predigten, doch — genug, 
um ſich vor ganzen Bänden dem Publicum zu empfehlen. 
Wie die Zueignung des Verf. an feinen nun verewigten Freund 
Reinhatd ein fchönes perfänliches Verhaͤltniß darlegt, fo zei⸗ 
gen diefe Kanzelreden, daß fe mit den erhabenen Muſtern 
unfrer Zeit, mit: den Reinhardſchen, befreundet ſind, aber 
ihren eignen Charakter frey behaupten: Durch den ganz ſpe⸗ 
ciellen Gegenſtand erhalten ſie noch einen eignen Werth m. 
des Inhalts und der muftsrhaften Behandlung, - 


300 Zivey Predigten von C. & Nitzſch. 

An der erſten Predigt nimmt die Gemeinde mit ihrem 
Ffarrer von dem Ort Abſchied, wo fie fich feit den Krieges 
ftörungen 1807 verfammeln mußten, von der Schloßkirche, 
welde Schon durch das Auge auf die aroßen Männer der Res’ 
formation erinnerte. Der Redner, nicht vorbeplaffend das 
Intereſſe der Zeit. und des Otts, redet, nad) einem kurzen 
Biftoriihen Eingang, nah Hebr, 18, 7. von den dankbaren 
Erinnerungen, mit denen die Gemeinde aus diefem Gottes⸗ 
Haufe ſcheidet; es find Erinnerungen, ı. an den Stifter uns 
fers Glaubens, g. an die Wiederherſteller diefes Glaubens, 
5. an die dortige hohe Schule. Er fpriche kurz und klar, 
rednerifh und einfach; nicht, wie Viele wollen, immer nur 
durch den Verſtand zum Kerzen, und noch weniger, wie eine 
neuere Mode wollte, dur den Lnverfiand zum Gemuͤthe. 
Keine der Perioden fieht aus, als gehörte fie zu irgend einer 
:moraliihen Abhandlung, fondern jede gehört grade gu dieſer 
Predigt. Nur durfte immer bey ihren Worgügen der Bes 
flimmeheit und Helligkeit das Colorit etwas wärmer feyn. 
Wie viel beffer aber Einfachheit und Kürze ergreift, als jeder 
beliebte Wortdienſt, das fehe man ©. 15 folg. in der fo 
treffenden Hindeutung auf die vier berühmten Bildniffe, welche 
diefe Kirche zieren, auf die „zwey fürfllichen Brüder“ ( Fries 
drich der Weife und Johann der Beſtaͤndige) „und auf Me 
zwey gelehrten Freunde“ (Luther und Melanchthon). Ws 
diefe ‘vor den Augen flanden, da bedurfte es grade nur 
diefe wenigen Worte, um mit fremmen Gedanken die Her— 
gen zu erfüllen. — Gegen das Schlußgebet möchten wir ers 
innern, daß es mehr zu ale aus den Herzen der Zuhörer 
fprehe, und darum’ auch etwas zu lang ſey. Doch kommt - 
ben fo mas das meilte auf den Vortrag an. 

Non der zweyten Predigt läßt fich daſſelbe rähmen, "was 
von der erfien. Da man nur felten. noch, und nicht ohne 
Grund, Predigten allgemeinen Inhalts leſen (und hoͤren) 
mag, fo find ſolche fpecielle Reden nicht bloß für den Zuhörer, 
fondern für das theologifhe Publicum fehr ſchaͤtzbar. Solche, 
fagen mir. Diefe wurde am Neujahrstage ıdı8 bey der 
Einweihung der-wiedsrhergeftellten Pfarsticche zu W. gehalten 


Ziven Predigten von C. 2. Nitzſch. 31 


ber PHU. 4, 4., und das Thema war: Die Freude in dem 
Seren, durch weiche wir ihm dieſes Haus weihen ſollen 
(Rec. Hätte es in einen einfahen Satz zufammengegogen ); 
2. ihre Duellen, ©. ihre Wirkungen. Der erfte Theil zeigt 
die Liebe. und Achtung für die gemeinfhaftliche Andacht ner 
Chriften als .die Quelle, und der zweyte: Danfgefühle, fromme 
Entſchloſſenheit eines jeden zur eignen Seelforge, Eifer im 
Äffentlichen Bekenntniſſe Chriſti, Sorgfalt gegen jede Enthei⸗ 
ligung des geweihten Hauſes, fromme Wuͤnſche und Hoffnun⸗ 
gen als die Wirkung. Auch dieſe Predigt ſchließt mit einem 
Gebete, dem wir nur einen Ton tieferer Andacht wuͤnſchten, 
wedurch denn einige ſtoͤrende Ausdruͤcke weggefallen waͤren. 
Doch das ſind kleine Mängel, und Rec. ſcheut ſich nicht, dieſe 
beyden Predigten unter die Muſter in dieſer Gattung zu 
ſetzen. Der Leſer legt ſie gewiß nicht ohne eine angenehme 
Erbauung aus der Hand, und freut ſich dankbar der belehren⸗ 
den Zugabe in den hinten angefuͤgten Anmerkungen. Noch 
etwas hätte Rec. zur Vollendung der zweyten dieſer Kanzels 
reden gewuͤnſcht. Die Zuhörer werden gegen die Nachlaͤſſig⸗ 
Leit im Kirchenbeſuchen gewarnt, und es wird nur von dems 
jenigen Grunde biefes Uebels geſprochen, der. in dem Zuhörer 
Siege: aber iſt das nicht bloß die Hälfte defien, wovou zu 
fprehen war? Und wer hatte mehr innern und aͤußern Ges 
nf, auch Hier ein Wort den künftigen Geiſtlichen an das 
Herz zu legen, als diefer ehrwuͤrdige und verdienftvolle- Lehrer 
‚auf der Kanzel und auf. dem Katheder ? Doch wollen wir 
nicht gu viel tadeln, denn er konnte Gründe haben, warum 
er hier grade davon ſchwieg. Dafür fehe man folgendes 
lieber bloß als eine gelsgenpeitliche Sergensergießung des 
Rec. an. 

: DE genug hort man jetzt die Rage, daß die Kirchen 
verlaſſen ſtehn; man Hört fie meiſt von dem Prediger, aber 
wo wird der Zuhoͤrer dagegen vernommen? Dieſer naͤmlich 
will nicht alies das Moraliſirende oder Dogmatifirende, oder 
Myſticiſirende, nicht homiletiſche Kuͤnſteleyen hören: dafür 
kann er in vielen Blaͤttern und Buͤchern ſich beſſer unterhal⸗ 
ten, oder auch in guten Geſellſchaften, oder auch etwa vor 


— 


— 


- 


x ze Catalogus’ Bibliothecae ed. G. L. Rahner: 
Kenutniß der Samminng haben ſich Hirfh, Serz, Her— 


ser, von Murr und der noch lebende gelehrte Diakonus 


Dedermälfer verdient gemadt. Die Manufcripte find 
vornehmlich durc) des unermüderen von Murr Memorabi- 
lia Bibliothecarum Norimbergensiam P. IL ( 1768 ) be⸗ 
kannter geworden. Der jetzige Catalog bietet nun zum Ber 
kauf an: A. Manuſcripte. Drep bibliich » hebräifche, bekannt 


durch Nagels Differtationen von 1749 und 1769, ein Rabbin. 


von Maimonides , einen durd) Schoͤnleben 1958 befchriebenen 
Cod. gr. Novi Testam. membz.. Saec, XII. 17 Lateiniſch⸗ 
Bibliſche, 37 Arabifche und Tärkifhe, ein Perſiſches. Die 
neueren Deutichen und Lateiniihen Manuſcripte, welche meiſt 
Neiſen, Geſchichte, Diplomatik, fädtifhe Rechtskunde und 


 Landrechte betreffen, gehen von No. 66. bis 379. Die Was 


nuſcripte ‚von claſſiſchen Autoren vollends bis No. 400. in 
Terenz cum schol. Sec. XI oder XIL, ſcheint noch nicht bes 
nußt. Mach den Manufcripten folgen B. 45 Libri impressi 
Seeuli XV. sine notatione unni. Von No, 446. bis 
648. libri Sec. XV. impressi cum notatione anni; von 
da an bis No. 1794. impressa bis zum Jahr 1550. Diefe 
Mummiern enthalten, meil meiltens mehrere Piecen zuſam⸗ 
men gebunden find, vier Taufende won Incunabeln und 
ähnlichen für die Neformationsgeit merkwärdigen gleichs 
zeitigen Drucken. Die Beſchaffenheit der vorhandenen 
Eremplare iſt getreu angezeigt, faſt bey ‚jeder Raritaͤt werd 
bibliographifche Fundgruben nachgewiefen, wo der Geſchma 
der Liebhaber durch mehrere Notizen gereist und ‚befriedigt 
werden kann; biswelten gibt es jogar ein incognitumg ; meh 
es zu Panzer Annales typograph. nachzutragen if. Möge 
denn aud) diefe Sammlung erfahren, was der im den Alten 
wohlgeuͤbte Derfaffer des Catalogs aus Lucrez troͤſtliches am 
führe : dissolvir Natura; neque ad nihilum interimit res, 
Haud penitus -pereunt, quaecurique ( perlsse) videntur; 
uando aliud ex alio reficit Natura. 


⸗. E. © Pantuc 


J 


No. 20. Seidelbergiſche 4813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





Blattdeutſche Gedichte nach dem Willen des Verfaſſers herausgegeben 
von Bornemann. Berlin, gedruckt bey Georg Decker. 
1810. 8. 


Mars eine befondere Aufmerkſamkeit auf alles, was nicht fos 
wohl ‚den gebildeten Theil der Nation , als vielmehr die ganze 
Nation angeht, ift ung diefe Sammlung Plattdeutſcher Gedichte 
zugeführe worden. Nun wende man uns nidyt ein, daß das 
Plattdeutſche doh nur Sprahe eines Lleineren Theile der 
Deutſchen Nation, ſey, genug es begreift noch mehrere Millios 
nen Deutfche; diefe Singewelt iſt alfo immer nod viel zahl⸗ 
reicher, als die gebildete Waffe der lefenden Mation, aud: hat 
dieſer Plattdeutſche Theil der Nation mandye Eigenthümlichkeit, 
berühre das Innenmeer, die Oſtſee, wohnt.an großen Stroͤ⸗ 
men, und würde in diefer mannigfaltig anregenden Beräbr 
rung ficher viel eigenehümliche Poefieen bewahrt haben, wenn 
ihm niche Gebürge fehlten, weswegen er von dem Wechſel 
der Kriege viel rafcher und verheerender gu aller Zeit ergriffen 
ward, : und fih inzwiſchen von der Ausbildung der Hochs 
deutfchen Mundart fo weit übertroffen ſah, daß er für Staat 
und Kirche jene annahm, und die Plattdeutſche Mundart 
nur für den vertraufihen häuslihen Kreis bewahrte. Dies 
fer Häusliche Kreis wäre es alfo, fammt der’ Kiugheit in der 
Beruͤhrung mit der Höheren anders redenden Welt, die dem 
Plattdeutſchen Wolfe norhwendig wurde, zugleich Spott über 
diefe höheren Kreife, die freylich hinter der freyen Zutraulich⸗ 
feit in mancherley zuruͤckblieben, während fie ſich fehr übers 
legen wähnten. Das wäre uns hauptſaͤchlich naͤchſt manchem 
guten Scherz nod im Munde des Plattdeurfch redenden. Vols - 
kes übrig; ältere Heldenſage iM faſt ganz verſtummt, fpätere 
Kriegslieder ſind Hochdeutſch, aͤltere Kinderſagen finden ſich 
nur noch in verſteckten Winkeln, neuere ſind meiſt aus dem 
| 20 





396 Altdentiche Gedichte von Bornemann. 


Hochdeutſchen entlehnt, überall Hat faſt die Aufklaͤrerey bie 
Sparbädfen des Volks zerſchlagen und die Flappernden Keller 
unter dem Vorwande weggenommen, es fey alte verrufene 
Münze. Und doch, wie Haman fo fhön fagt, beſteht in 
Bildern der ganze Schatz menfchliher Erkenntniß. Auch in 
Diefen Bildern der Volkspoeſie lag ein fo vollländiges Syſtem, 
als fie noch beyfammen waren, wie irgend ein neuerer Philos 
foph fih nur träumen loffen mag, ſey es. daß er fein Sm 
dium mit dem Worte Erfahren, oder mit dem Worte Ofr 
fenbaren angefangen hat. 

Aus dem Sefagten wird der Inhalt diefer Gedichte den 
Leſern erklaͤrlicher werden, die, wenn auch nicht eigentlich volks 
mäßig, doch deutlich aus einer wahren Berührung mit dem 
Molke hervorgegangen find. Wir fehen nämlich. auch Hier, was 
eben als — des Plattdeutſchen angegeben worden, haͤus⸗ 
liche Luft, ©. 18. 24, Klugheit gegen höhere Kreife, Spott 
darüber, insbefondere über Gelehrte (©. 9. 125. 100. 107), 
Scherz wie in den meiften übrigen, mande Züge darin find 
aͤcht vollsmäßig aufgefaßt, und doch glauben wir, daß dieſe 
Lieder fih eher als Sprachſcherz in den gebildeten Hochdeutſchen 
Lefe s Kreifen verbreiten würden, wenn” gute Melodieen fih 
dazu fänden, als daß fie je zum Volkliede des Plattdeutſch 
redenden Volkes werden könnten. Der Grund davon liege nahe, 
der Verf. weiß das Piartdeutihe der Markt Brandenburg fo. 
gut, wie Voß den Miederfähfiihen und Hebel den Badischen 
Volksdialect kannten, aber er lebt eben fo wenig darin, mie 
jene; es ift in allen dreyen ein freundliches Verſetzen in die 
Sprache der ärmeren Klaffe, aber alle drey tragen noch eine 
andere Bildung in fih, die fih nicht in dem Einzelnen mit 
dem Molke verbinden ließ, die erſt eine ganze Nation durch⸗ 
laufen muß, ehe fie ganz vollsmäßig wird. Wir geftchen, 
daß in Hebel dieſe Differenz mehr ausgeglichen iſt, aber ſchon 
die Wahl Griechifher Sylbenmaſie in manchen feiner Gedichte, 
insbeſondere aber das Verweilen bey Dingen, die dem Bor 
nehmen. zu erfahren fehr lieb find, die’ aber dem Wolke, weil 
es davon umgeben ift, allzubekannt find, zeigen, daſt es doc) mehr 
-ein Heraufräden des Volksmaͤßigen zum Genuſſe der höheren 
Stände, als Lieder für das Volk find. Offenbar ift fein Schaf 


\ 
’ 








Altdentfche Gedichte von Bornemann. 307 


fäflein des rheinifchen Hausfreundes, ob es gleich in keinem 
Dialekte geichrieden, volksmaͤßiger als die Alemannifhen Ges . 
dihte. Um den Unterfchied an einem der bier in der Samm⸗ 
lung mitgetheilten Gedichte im Beyſpiel zu . ‚, fo wählen 
wir die Bauernhochzeit ©. 18. 


1. 
Juchhay Hochtiet! 

Hochtiet is huͤt 

Kieckt de ſchmucke Brut maal an, 
Un den drallen Bruͤggamsmann, 
Wie ſe ſick ſo herzig ſchnuͤtern 

Un mit Fuͤer Ogen kluͤtern! 
Schnuͤtert, kluͤtert friſch drup in 
Bruͤtluͤd muͤtten hitzig ſin. 

Suhhap Juchhaideldey, 

Juchhap. — 


2 
Juchhad u. . w. 
Hei wie de Trumpeten ſchalln, 

Un de Pulver Buͤſſen knalln, 
Alle Klocken trekt de Koͤſter, 
Ingeſegnet haͤt de Preſter, 

Hans un Grein biede tru, 
Hans un Gret ſin Mann un u Juchhap. 


3 
Juchhap u. f. w. 
Schlagd den brange fe ſchons Herbie 
Den kaptealen Herfe Brie. 
Stief mit Sandel äberzudert ,' 
Daͤt daͤt Herz im Liewe pudert; 
Ut de Müler pieperfings 
Loͤpt dar Waater rechts und links. u. ſ. w. 


Wir fühlen gleich, der Dichter iſt von der Herrlichkeit dies 
fer Hirſe nicht mitergriffen, die Hochzeitfreude wird ihm zum 
. Spott. Aehnlich finge Schmidt ‚bey der Bauernhochzeit von 
dem glänzenden Daumen der Braut beym Schweinebraten als 
Spott, und diefes Vornehmfeyn hinderte ihn, Volksdichter zu 
werden, ungeachtet mancher glücklichen Anlage. Auch die Platts 
dentſchen Hochzeitlieder in der Inftigen Geſellſchaft von Peter 


308 Aldentfche Gedichte von Bornemenn. 


de Memel. Zippel Zerbſt 1695, ©. 269 und 277 ind nur ein 
Scherz des Beſſerunterrichteten, der fi uͤber das Ansfafficen 
der Braut, Über das viele Nöthigen beym Eſſen Iuflig mad. 
Wirklihe Hochzeitlieder des Volkes machen ih nicht über die 
Hochzeit, fondern mit der Hochzeit Inflig. Zum Benfpiel 
führen wir aus einer muͤndlichen Mittheilung — in Pom⸗ 
mern haͤufig gefungene Hochzeitlied an: 
De Hochtit. 
Küferh feggt unfe Hahn, ' 
Upt Srieen mul he riden, 
Blanfe Sporen fnallı be an, . 
Enn Degen an de Eiden ; 
As he vor Ukermuͤnde kamm, 
War ſeden fine Luͤde? 
„De Koh ſtund voͤr dem Für, 
„Dat Kalf lag in de Weege, 
„De Hund de haart de Votter, 
„De Katt de lickt de Schöttel, 
„De Scharpenvever fegt dat Hub, 
„De Multworm dregt dat Mult ut; 
„He drag dat woll vor ene Schün, 
„Da doͤſchten dre Kappunen in, 
„Doͤſchten dar fhone Hawer Caff 
v Dar bruuden fe ſtark Bier aff: 
„Dat Bier namm enen Sus 
„To'n Gaͤbel ur dem Hus; 
„Gaͤſter mit dem langen Schwanz 
„Deed mit de Brut den Voͤrdanz/ 
„Sparling dar gar lütte Ding 
„Gaff de Brut den Zroring, 
„Adbar mir de fangen Knaken 
„Wull de Brut dat Bedd upmafen.* 


Wie voltsmäßig Dies Lied aber feyn muß, und bie hochherr— 
: fihe Unordnung einer Hochzeit ausdruͤckt, beweiſſt, daß wis 
e8 aus einem andern Munde derfelben Gegend folgender a 
ſtalt verändert erhalten : : | iR 

IE weet enn keed, 

Dat ’neemand weet, 

Dat kat id von de ople Magret; 


Altdentſche Gedichte von Bornemann. 309 


As id na Runken keem, 

Da ſchale ick minen Wunner ſeen, 
De Kart de kneet de Boter, 

"De Hund de wuſch de Scöttel, 
De Stedermud de feegt dat Huus 
De Müf de dDragen dad Mult herut 
Achter unfe Schüne, 

Dar Runden twee Kaphäne, 

De enn de fchlag den Hawer af, 
De andre brout dat Beer daraf, 
De Kukuk up den Tune 
Berfoop ſik in den Schume 

De Hene up den Nefte 

Verſoop ſik in de Geſte 

De Hane up den Wimen 

De (dal bynah beſchwimen. 


Wir ſehen aus den beyden wohl nicht vollſtaͤndig erhaltenen 
Volksliedern den Unterſchied deutlich; fo wenig "der Soldat 
fein Epercitium in Liedern abfingen mag, fo wenig der Bauer 
den ruhigen Verlauf feiner Beſchaͤftigungen und das Einzelne 
feiner Lebensfefte, er möchte nur die Sefinnung des Gefühle 
darftellen, was ihn dabey anwandelt. Anders aber begehren 
es höhere Stände, und dieſe haben billige Rechte, und wie 
können ihnen-diefe Lieder -aufrichtig empfehlen, die manches 
recht wahr, mandes recht Eräftig ausiprechen ; mancher Einfall 
ift gut, und Ein Lied (des verlorenen’ Hundes Todtenfeyer) hat 
wirklich einen rährenden Effect, als 06 es reht von Kerzen 
gelungen wäre. Wir wuͤnſchen vom Verf. bald mehr zu lefen, 
vielleicht. gelingt es ihm, einmal alles Höhere abzuſchuͤtteln 
und gang in der Sefinnung des Volkes zu fingen; in jedem _ 
Gall iſt es eine angenehme Abwechſelung, fih in bie Eigens 
thümfichleiten einer andern wenig gefchriebenen Mundart vers 
feßt zu fehen ; die aber den Dialect in verfchiedenen Gegenden 
gehört Haben, werden die Werfchiedenheit in demſelben nicht 
ohne Verwunderung fehen, während die ESchriftiprache des . 
Hochdeutſchen fih immer mehr feſt ftellt, und von der lebenden 
Beweglichkeit einer freyen Mundart entfernt. 


nn 





310 Alopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt, 


Klopstock und seine Freunde. Briefwechsel der Familie Kiop- 
stock unter sich, und zwischen dieser Familie, Gleim, 
Schmidt, Fanny , Mcta und andern Freunden. Aus Gleims 
brieflichem Nachlasse herausgeg. von Klamer Schmidt. 
Halberstadt, 1810. ım Bureau für Litteratur und Kunst. 
LXIV und gı4 ©. II. Band 366. 8. 

Der erfte der Hier mitgeteilten 176 Briefe ift vom g. May 
"1750, der lebte vom 5. Febr. 1805. Wie Klopſtock, ber 
firenge Richter defien, was er geichrieben hatte, der ſelbſt feine 
1787 und 1788 entworfene hiftorifche Bruchftüce über den fie 
benjährigen Krieg, Friedrihs Sclahten und Heldenthaten, 
in der Kolge den Flammen übergab, die Bekanntmachung bie 
fer Briefiammlung , wenn er fie erlebt hätte, aufgenommen 
Haben würde, läßt ſich errathen. Sicher hätte er wenigftend 
darüber gezärnt, daß die Auswahl nicht firenger gemdcht iſt. 
Die meilten Briefe des erften Bandes, befonders dic des 
redfeligen Schmidt, floßen durch. ihren tändelnden, füßen 
und wigelnden Ton zuruͤck. Selbſt die von Klopfiock find 
großentheils feines Namens nicht würdig. Die Klopftods 
Sulgers und Schuftheiß'fhe Beſchreibuug ihrer Schweis 
zerreife, die mehrere Bogen einnimmt, erinnert lebhaft daran, 
daß nicht jeder Humor ein Stern e'ſcher ift, und bey dem 
von ©. 319 bis 331 fortgehenden gevierten Briefe, durch 
deſſen Veranftaltung Sc midt einen Danf verdient zu haben 
glaubt, bedauert man, auch den Namen Ramler zu finden. 
Doch der zweyte Band entfhädige für Die leeren Garben des 
erften. Schmidt ſchweigt ſeit dem 11. April 1755, die uͤbri⸗ 
gen Freunde aber haben inzwiſchen das Leben auch von der 
ernſtern Seite kennen gelernt, und unterhalten ſich nun uͤber 
mancherley Gegenſtaͤnde fo, daß man fie gern hoͤrt. DBefons 
ders Liefert Diefer Band von Klopfloc, von feinen beyden 
Sattinnen und von Gleim mehrere der Aufbewahrung wuͤrt 
dige Briefe. 

Zur Lebensgefchichte des großen Dichters und feiner Freunde 
fpender zwar die vorliegende Brieffammlung nicht !viel; doch ifl 
fie nicht aem an mandherley Notizen, wovon hier Einiges folgt. 

Bd. I. ©. 55 erfahren wir, daß 19750 Jeruſalem in 
Braunſchweig Klopftoc bey. fih Haben wollte, Hingegen 


- 


Kopfio und feine Freunde von Klamer Schmidt, 311 


Sad, der Mofprediger in Berlin, der Meynung war, daß 
die Selle nicht für ihm fey, und dagegen einen Plan hatte, 
dab Ri. zwey Sjahre in Berlin mit Zufriedenheit und als völs 
liger Herr feiner Stunden leben follte.. Aber noch in dem 
nämlihen Jahre wurde er (nah) S. ı20) auf Bernſtorffs, 
der in Paris auf Kiopftod (wie der legte Marfgraf von 
Ansbah in Rom auf feinen Uz) aufmerkſam gemacht worden 
war, und Moltke's Empfehlung, von: dem Könige von 
Dänemark mit einem Gehalte von 400 Thalern ( 100 Thlr. 
auf S. 127 iſt ohne Zweifel ein Druckfehler), wozu in der 


‘ 


Folge (nah ©. 278) noch andre, Vernänfligungen kamen, 


nah Kopenhagen berufen, um die Meifiade gu vollenden. 
Ruͤhrend iſt &. 132 und an mehrern andern Stellen der Auss 
druck von Ki. Liebe zu Fanny Schmidt, welde diefe duch 
kalte Unempfindlichkeit erwiederte. Der Todesgefang, welden 
Schmidt S. 141 dem Daͤniſchen Könige Regner Lodz 
brok zufchreißt, Toll vielmehr, der Weberlieferung zufolge, von 
des Königin Aslauga gedichtet ſeyn. Was S. 194 fg. über 
Mißbrauch des Wiges und deffen Folgen gefagt iſt, mag, -da 


diefe Krankheit immer gewöhnlicher wird, als MWarnungstafel 


bier fiehen: „Wie haben Sie doch die Achnlichkeit, die ich 
gwifchen der Schwierigkeit, einem Mädchen im Arioft, und 
zwischen der, Ihnen zu trauen, angab, fo ſehr nach dem 
Wortverftande nehmen könne? Sie wiffen ja, daß man «8 
bey einem Einfalle, den der Urheber für witzig hält, eben 


nicht übel nehmen muß, wenn etwas zu viel oder zu wenig - 


Hefagt if. Warum ſollte man menigftens in einem .Anfalle 
von Wis nicht eben fo viel Nachſicht fodern können, als in 


einem Rauſche, da man in jenem feiner Zunge eben fo wenig. 


maͤchtig iſt, als in’ diefem ?_ Es ift mir aber gleichwohl nichts 
verdrießlicher, als daß ih Sie duch einen Fehler von diefer 
Art beleidigt babe, vor dem man mich fihon fo oft gewarnt 
hat. Der Henker hole doch alle Einfälle und alles Traveſtiren! 
Ins künftige milk ich die Luft gu beyden unter die Landplas 
sen mit zählen. Ich glaube überhaupt fall, daß von jenem 
Griechiſchen Spoͤtter an, der fih durch einen Scherz über die 
Einäugigkeit feines Königs um den Kopf gebracht, bis auf 
mich, mehr Leute durch den Wis umgelommen find, ale durch 


312 Alopſtock und ſeine Freunde von Klamer Schmidt. 


den Krieg.“ ©. 255 ſpricht Kl. zum erfienmale von Meta 
Moller aus Hamburg, die nachher, als Gattin, das Gluͤck 
feines Lebens machte. S. 2ge Hält der Sänger des Meſſtas 
feine Beftimmung fih in diefen Worten vor: „Sie war: 
Vielen die Menichlichkeit desjenigen, der unvergangner Anbes 
tung und Nahahmung würdig iſt, zu zeigen. - Dein Herz 
mußte deswegen völlig von dir entwidelt- werden: Wehmuth 
und TIhränen mußten es ausbilden. And wenn du zugleich 
hiebey zeigteft, ‚daß die tiefe. Unterwerfung und Anbetung der 
Vorſicht theurer find, als eine Stäcieligkeit, deren Dauer dir 
fo unbefannt war, fo ift für dBih Lohn da.“ Der ©. 3ı5 
erwähnte Bramine inspird iſt eine. von Lescalter vers 
faßte Ueberfegung aus dem Englifchen des Buchhaͤndlers Dods⸗ 
lv. Nah ©. 342 rief Voltaire, da ihm eine Dame die: 
beften Stellen aus Haller uͤberſetzte, einmal über das andre 
aus: „Ah que cela est pitoyable!“ Walhalda (richtis 
ger: Walhalla) bezeichnet nicht, wie &. 396 gefagt wird, 
die Hölle der Kelten, fondern den Palaft der im Kampfe 
gefallenen Helden. Die &. 409g geäuferte Vermuthung, daß 
der Brief N. XLVI. niche in Klopſtock's Hände gekommen 
ſeyn werde, wird durd die Im nächfifolgenden vorkommenden 
Beziehungen auf denfelben unwahrſcheinlich. 

- 8b. II. S. 105 erzähle RI. eine fchöne Anekdote von dem 
Enthufiasmus, womit Hamburg's Bürger den liebenswürdigen 
König Friedrich V. von Dänemark bey feiner Ankunft in 
ihrer Stadt. empfingen: „Der König, der von Allen aufrich⸗ 
tig geliebe wird, die ihn fehn, hat, bey feinem Hierſeyn, von 
Neuem erfahren, wie füß es ift, fo menfchlich gu ſeyn, als 
er if. Er kam nah Hamburg, tim die vornehmften Straßen 
der Stade zu befehn. Die Leute drängten fih fo fehr zu ihm, 
daß feine Garde mehrentheils Hundert und mehr Schritte von 
ihm entfernt blieb. Die wenigften von diefen Leuten waren 
feine Unterthanen ; gleichwohl konnte fein Pferd kaum fort. 
Er mußte oft völlig ſtillhalten. Sein Läufer, ber fih unter 
den Hals des Pferdes retiriee Hatte, wurde beynahe erftict. 
Die Leute faßten das Pferd, faften zuweilen gar den Steigs 
bügel und die Füße des Königs an; fahen ihn unaufhörlich an, 
riefen ihm unaufhörlich zu: Water! König! Vivat! Hurrah! — 











Klopfiod und feine Freunde von Klamer Schmidt, 313 


Komm bald wieder, Vater! — und taufend andre Sachen 
wurden immer fort gerufen. Der König, der alles ſah, Allen 
danfte, uud oft denen verbot, die das Volt abhalten wollten, 
feste feinen Hut beynahe nicht auf; obgleich ein. flarkes Ges 
witter mit Regen kam.“ S. 169 macht Gleim anf ein Be 
duͤrfniß unfrer ſchoͤnen Litteratur aufmerffam, welchem bis 
jeßt noch nicht abgehelfen if: Unſre Deutfhen Haben einen Ad⸗ 
difon,, der fie mit der Naſe auf die Schönheiten im Mefflas 
ſtoͤßt, fo nöthig, als die Engländer. Ich las diefe Tage in 
Addifon ; und im Lefen dacht" ich, wie viel Schönheiten im 
Meffias wären, die Klopſtock weit über Milton ſetzten“ ©. 
284 äußert ſich Rt. über Pindar’s Oden und Grillo's 
Verdeutſchung derfelden alſo: „Wi Herr Grillo den gans 
gen Pindar üderfegen? Mic deucht, er follte nur die ſchoͤn⸗ 
en Oden wählen. Wenn auch Pindar immer fchön wäre, fo 
it es doch unmdglih, daß er uns für feine Materien fo ins 
tereffirt, als wir es gewefen ſeyn würden, wenn wir Griechen 
wären. Herrn Grillo's Weberfekung gefälle mir von vielen 
Seiten; von andern aber nicht: Er iſt zu getreu und zu Pins 
darifch in den Beywoͤrtern; und ich wei nicht, ob er dithy⸗ 
rambiſche Verſe oder Profa Hat mahen wollen. Ich füge 
Hrn. Grillo ohne Einfleidung meine Meynung, und das kommt 
daher, weil ich die Ausführung feines Unternehmens wuͤnſche.“ 
Die elendeften Romane finden ihre Verleger; Grillo konnte, 
wie &. 380 bemerkt ift, zu feiner Lieberfegung des Pindar, 
woran er faft ein ganzes Leben gearbeitet hatte, und von wels 
her auch Hr. Klamer Schmide mit Beyfall ſpricht, kei 
nen Verleger finden. Nur die Ueberfegung der eilften Olym⸗ 
pifhen Ode Hi im Goͤttingiſchen Mufenalmanah 
1772. &. 208 abgedrudt. Non Mengs kommen ©. 188 
folgende Motizen vor: „Er hat Spanien gar nicht lieb; als 
lein die anfehnliche Penſion, die fechstaufend Thaler ſchwer 
Geld beträgt, wobey das Logis frey ift, und ihm Mautthiere 
auf königliche Koften gehalten werden, die Ausſicht, daß die 
Hälfte diefer Penfion für feine Frau fortdauern wird, wenn 
er vor ihr ſtirbt, werden ihn ſowohl, als feine Frau, unges 
achtet le beyde lieber in Rom oder in Dresden wären, bens 
noch in Madrid erhalten, und es ift gewiß, daß er nirgends 


314 Alopſtock und feine Freunde von Kamer Schmidt. 


fo viele Bortheile zuſammen haben wird. Dabey bat er bie 
Freyheit, nody fonft zu malen, was er etwa malen will, die 
er. vorher nicht hatte, und die ihm nicht wenig einbringt.“ 
Die ©. ıdg erwähnte Weberfeßung einiger Fragmente aus 
Honrer von Klopftoc’s Bruder, von weicher Br. Klas 
mer Schmidt (BL. ı. ©. XLVIII) fagt, daß er in kei 
nem feiner Handbuͤcher habe finden können, ob und wo jfie 
gedruckt fey ? ſteht in Pattzke's Wocenichrift: Der Greis, 
Th. 9. St. 107. und 114. Zwar ift dort der Ueberſetzer nicht 
angegeben; aber Degen, in feiner Litteratur der Deurfchen 
Ueberſetzungen der Sriehen, Bd. ı. S. 385 nenne Klops 
ſtockes Bruder, und citirt dabey: Allg. Deutfhe Biblio 
thef, Bd. 3. St. 2. (ohne Zweifel die Berliner Kritik, 
von welcher der Ueberſetzer, im def oben angeführten Stelle, 
beſtimmte Nachricht zu erhalten wuͤnſchte). S. ı96 und 197 
geven Ki. Aeußeruagen Über Gerftenberg'’s Ugolino und 
über feine eigne Hermanns Schlacht. „Serfienberg 
har einen Ugolino gemacht, der trefflich, und , mid daͤucht, 
nicht zu ſchrecklich iſt. Ich habe das kleine Verdienft dabey, 
ihn aufgemuntere zu haben. — Hermanns Schladt, 
ein Bardier für die Schaubähne, liege auch zum Drucke fer 
tig. Weil ich mie Ihnen eben fo Ihwage, fe kann ih Ahnen 
wohl davon Tagen, daß ich fie ein wenig lieb habe, und daß 
fie ſehr vaterländiich ift, und weil mir's mit diefem Vaterläns 
diſchen fehr von Herzen gegangen ift, und ich mich daben wer 
der auf einen kritiſchen Dreyfuß, noch Vierfuß, hinſetzte, und 
nach Herausbrinqung des viellehrenden Babes: Ein Mationats 
gedicht intereffirt die Nation, die es angeht! geſchrieben habe; 
fo denke ich, daß jenes Vaterlaͤndiſche wieder zu Herzen gehen 
fol.“ In Sräter’s Bragur, Bd. 6. Abth. 2. ©. 23ı war 
die Frage aufgeworfen: wie es komme, daß Klopftod in 
folgender Stelle der 1747 gedichteten Ode, Wingolf: 


„Willſt du zu Strophen werden, o Haingefang ? 
Willſt du geſetzlos, Oſſian's Schwungt gleich, 
Gleich Ullers Tanz auf Meerkryſtalle, 

Grey aus der Seele des Dichterd ſchweben ?“ 


Dffian’s fhon gedenke, von deffen Hederreften doch erſt 





Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 315 


Macpherfon die erfien Proben dem Publicum mitgethetlt 
habe? Hierauf wurde in der Oberdeutſchen Litteraturgeitung 
180g. Pr. 149. geantwortet, daß, da von Kl. Oden die erſte 
Ausgabe erft 1771 herausgelommen, die Stelle in der 1747 
gedichteten Dde, wo Oſſian's Name vorkommt, vermuthlich 
af nach der Erfheinung dee Macpherfoniihen Samms 
(ung zugefeßt oder umgearbeitet worden fey. Diefe Bermus 
thung wird nun durch dasjenige beftätigt, was Ki. S. 198 in 
einem Driefe an Gleim vom 19. Dec. 1767 ſchreibt: „Und 
meine Oden, bie Sie fonft fo lieb zu haben pflegten, wers 
den auch bald entweder gedruckt oder in Manufcript zu Ihnen 
tommen. Wo Mythologie vorkommt, da ift es celtiiche, oder 
die Mythologie unfrer Vorfahren. Die lange Ode an meine 
Freunde ift daher, was die Ausbildung anbetrifft, jetzt gang 
anders. Sie heißt Wingolf (ift der Tempel der Kreunds 
haft; — Sie Haben doch Mallets Auszug aus der Edda ges 
lefen? — ).“ Daß Kl. erfi duch Macpherfon den Kales 
doniſchen Sänger kennen lernte, läßt fih darans fchließen, . 
weil er S. 214 Macpherfon den Nitter des Barden 
Dfftian nennt. Das Honorar, welches Ki. von Hemmerde 


in Halle für feine Meiflade erhicht, mar, nah &. a0g, zwölf - 


Thaler in Louisd’or für den Bogen, die Einleitung mitgezählt. 
Kaifer Joſeph beehrte ihn (S. neo) mit einer goldnen, . 
mit Brillanten umgebenen Medaille. Von Angelifa Kaufs 
mann ſchreibt Kl. S. ned fg. „Ich bin feit Kurzem in eine 
Deutſche Malerin in London, Angelika Kaufmann, beys 
nahe verliebt. Sie hat einen Briefwechfel mit mir angefangen, 
und will mir ſchicken einen Kopf Oſſians nach ihrer Phantafie, 
ihre Portrait und ein Gemälde aus dem Meffias. Außer dem 
allen will fie mich auch in Kupfer ſtechen. Wie ſtark dieſes 
junge ſchwarzaͤugige Mädchen in der Kunft ii, werden Sie 
fehen, wenn ich Ahnen fage, daß ihr die Herren Grofibritans 
nier funfzig Suineen für ein Portrait bezahlen.“ Eben der 
Brief, von welhen Kl. (S. 2350) an Gleim ſchreibt: 
„ Verbrennen Sie diefen, damit er der Gefahr, verlegt zu 
werden, fchlechterdings nicht ausgelegt fen,“ kommt jebt, durch 
die Druderpveffe_ vervielfältige, vor die Augen des ganzen 


316 Niopflod und ſeine Freunde von Klamer Schmidt, 


Deutſch lefenden Püblicums! Um auch den Aerzten etwas aus 
dieſer Yrieflammlung zum Beten zu geben, ftehe bier, was 


‚Ri. S. 238 ſchreibt: Schlagen Sie doc Pfutſch vor, daß 


er ihr viel China gibt. Wenn er es gut finder, fo will ich 
ihm China, und rechte gute, ſchicken. China können Sie auch 
einnehmen, liebſter Gleim! anftatt Brunnen und andre Traͤnk⸗ 
fein zu trinten. Ich habe fie, bey Gelegenheit des Fiebers, 
fo lieb gewonnen, daß ich ihr audy bey allen andern Veran—⸗ 
laffungen zuſpreche, und mit gutem Erfolge. Ich bin eben fein 
Einnehmer; alfo laffen Sie fi meine Empfehlung nur im 
mer empfohlen feyn. Statt der China manchmal Quaſſia und 
viel Bewegung: dies ift Alte, worauf ich mid im Abſicht 
auf die Medicin einlaffe: 


“ „Chinare, Quassiare , ensuita ex spatiare: 
Et dignus, dignus es intrare | 
In nostro docto corpore !* 


S. 266. Kl. Urtheils uͤber Gleims rothes Buch: „Ihr 
rothes Buch hat mir keine kleine Freude gemacht. Es hat 


ſehr viel Neues in Sache und Ausführung ; nur etliche lyriſche 


Wiederholungen wuͤnſchte ich heraus, und hier und da eine 
Peine Härte.“ Wenn der Hr. Herausgeber diefer Briefſamm— 
(was Rec. von dem gemüthvollen Manne gern glaubt) durd 
die Bekanntmachung derfelben Niemand beleidigen wollte, fü 
laͤßt fich’s nur als eine derjenigen Erfcheinungen, 
quas aut incuria fudit , 
Aut humana paruin cavit natura, 

erflären, daß er. gleichwohl &. odı in einem Briefe von 
Gleim an Kt. die Stelle fiehen lieh: „Claudiys ti 
Matthias Claudius. — Ber jolhen Vorfällen kommt man 
auf den Gedanken, er zwinge fich zu feinem launigen Charaks 


ter. Sagen Sie dem Unhold fein Wort mehr darüber * ©. 


315 flieht Kt. Urtheil Über Ffuͤger: „Füger in Wien (er 
ift aber kein Wiener) Hat mir vortrefflihe Zeichnungen zum 
Meiflas geſchickt. Er iſt leider! unfer größter Maler ; leider, 
fage ich, weil er meine fehr geliebte Angelika übertrifft.“ 
(Nachrichten aus Wien zufolge werden jetzt Fuͤg er's Zeich⸗ 





Klopſtock und feine Freunde von Alamer Schmidt. 317 


nungen zur Mefflade, von Leibold für den Grafen von 
Gries, umd von John für Meermann’s Hollaͤndiſche 
Ueberſetzung des unfterblichen Gedichts, in Kupfer geflohen.) 
S. 396. Ki. Aenßerung Aber Netfon: „Ih babe Nelfou 
kennen gelernt; er ift ohne alle Anfprüche, oder (da ich von 
ihm rede, muß ih mich anders ausdrüden) er läßt fih nie 
gu Anfprüchen herunter. Er hat eine vielleicht fehr ſchwer zu 
malende Heiterkeit, die zuweilen ein wenig lähelnd wird.“ 
Gleim gibt unterm 3. Auguft 1801 von der Herſtellung fels 
nes Geſichts ©. 331 folgende Nachricht: „Da ich, feit einks 
ger Zeit, nicht mehr recht fehen, und weder lefen, nad, ſchrei⸗ 
ben konnte, fo habe id mir das eine Auge geflern operirem 
laſſen, nämlich das linke. Mein Gtoßneffe, dar Prof. Himly 
in Braunſchweig, hat es mir operirt, fo ſchnell, als ſchonend 
und gluͤcklich! — Ich befinde mich, nad. der Operation, ſehr 
wohl, und wänfche ſehnſuchtsvoll, meinen Klopfto im neuen 
Lichte. wieder zu fehn, ehe ich ihn im ewi gen umarme. Ich 
habe, bey der Operation, nur zweymal geſeufzt. aus Langer⸗ 
weile. Nichte wahr? das Heiß’ ich einen Preußiſchen Grena— 
dir = Aber am 13. Dec. deffelben Jahre ſchreibt er (S. 
858): „Die Hoffnung ift nicht erfüllt. Das mit einem Spieß 
durchwuͤhlte Auge ſieht noch nichts, als meine noch immer 
dummen Wedel, das andre nur fo viel, daß ih im Zimmer 
auf und nieder gehen kann. Seit der Operation hatt? ich feis 
nen guten Tag, und hundert und drey und dreyßig fchlaflofe 
Nächte. Mein Zuftand iſt trauriger, als ein Klopſtock ihr 
befchreiben könnte. Die Langeweile plagt, mich entfeglih. Ju 
einer Stadt, in welcher drey Lateinifche Schulen find und ein 
Schulmeiſter⸗ Seminarium, Hab’ ich einen guten Vorleſer 
auffinden können.“ Der biedre Sänger verlor. nah. und nad 
fein Gefihe ganz. Am 18. Febr. 1803, 24 Tage vor feines‘ 
KRlopkod’s Ende, welchem er noch am 24. Januar hatte 
ſchreiben laffen: „Ih flerbe, lieber Klopſtock! — As ein 
Sterbender ſag' ih: in: diefem Leben haben wir für und mit 
einander nicht genug gelebt; in jenem wollen wir's nachholen,“ 

führte der Genius mit der geſenkten Fackel ihn in bie nr 
zungen des Lichte hinuͤber. 


318 Herda von J. ©. Pahl. 


Durch die, unter dem Titel: „Etwas über die Freunde 
und Freundinnen, von denen bier Briefe vorkommen ,“ dem 
Briefwechſel vorausgeichickten, meift biographifhen, Notizen. 
und die zur Erläuterung einzelner Stellen der Briefe beyge: 
fügten Anmerkungen hat der. Hr. Herausgeber ſich Anfpräche 
auf den Dank der Lefer erworben. Nur Folgendes finden wir 
bey leßtern zn bemerken: daß, wie ©. 379 gefagt wird, erfl 
durh Sam. Gotth. Lange’s odaifhe Verfuche die Deutfchen. 
mit reimiofen Dichtungen befannt worden feyen, ift nicht ohne 
Einfhränfung richtig 3 Ichon früher machten v. Seckendorf, 
Bodmer und Gottſched, ja bereits im fechzehnten Jahr⸗ 
hunderte Fifhart und Gesner, reimloſe Verſe. Der ©. 
381 erwähnte Prediger Alberii ſtarb zu Hamburg. Der 
eigentliche Titel der S. 389 angeführten Lieder, deren Ertrag 
Gileim für Michaelis Scweftern beflimmte, if: Bl 
dichte nach den — 


— Erzaͤhlungen und Benäive aus der teutfchen Vorzeit für 
Sreunde der vaterländifhen Geſchiche. Bon J. ©. Baht. 
Zweyter Band. Freyburg und Konfanz, in der Herderſchen Bug 
handlung. 1812. 320 ©. 8 
( Sortfegung der im Jahrg. 1812 No. 73. befindlichen Recenfion. ) 


Alle dieſe Vorzuͤge, welche Rec. von dem erften Bande 
dieſes Werks gerühmt hat, gereichen auch dem zweyten zur 
Empfehlung. Ee wird alfo genug ſeyn, den Inhalt deffelben 
Türzlicdy anzugeben, der in folgenden Auffägen beſteht: Die 
Römer und die Germanen. Die im erftn Bande anı 
gefangene Erzählung der unanfhörlichen Fehden zwifchen dem 
„größten und maͤchtigſten aller Reiche, welche die Annalen des 
“menfchlichen Befchlehts ung nennen, — dem Reiche, das in 
der Zeit feiner Bluͤte alle civilifirten Länder der Welt umfafite; 
— dem an militärifcher Bildung und Stärke vielleicht Feines 
der frühern und der fpätern glich — außer dem es einft nir— 
gends Eine wiflenfchaftlihe Kultur gab, und in dem alles ſich 
"vereinigt fand, ‚was Genie und Geſchmack hervorzubringen 
und zu bilden vermochten, — das in der Weltgefchichte ewig 





Herda von J. ©, Bahl. 319 


als einer der großen Mittelpuncte ſteht, aus dem bie Schick⸗ 
fale der meiften Voͤlker fid entwickeln, oder in dem fie fi 
ſchließen, — das reiher war, als ſonſt irgend eines an bels 
denmäthigen, patriotiichen, kraftvollen und felbfifiändigen Mäns 
nern,“ und den „Horden Germaniens, die Gott aus ihren 
Wildniſſen Hervorgerufen hatte, auf daß fie ſelbſt, und durch 
ſie die andern Nationen wiedergebohren würden ‚* ift hier bis 
zum Untergange des en Reichs der Roͤmer fork 
geführt. 

Wie das Reit und das Baus Karls des Grofs 
fen unterging. „Es waren — fo fchließt dieſer Aufiag — 
in dem Gefchlechte der Karolinger die großen Figenfchaften 
und die Tugenden der Väter erlofhen ; darum mußte es uns 
tergeben ; und fo wiederholten die Annalen diefes Geſchlechtes 
diefelbe Lehre, die Überhaupt das Reſultat aller Geſchichte ift, 
daß, was Geift und Muth geichaffen, nur fo lange beftehe, 
als Geift und Muth es erhalten!“ Die Stadt Ulm im 
Sürftenfriege im Jahre 1552. (Eingefandt.) ©. 188, 
wo die Quellen dieſer Erzählung angeführte find, hat der 
Setzer aus Schertling Leben einen Schertltosleben 
gemacht. Nah ©. 149 ließ K. Kart V. unter andern Gna⸗ 
dendegeugungen, wodurd er feine Zufriedenheit mit der bes 
währten Treue der Ulmer zu erkennen geben wollte, den Wais 
fenfnaben in Ulm eine Mahlzeit und — ein Bad zubereiten. 
Die Wallfahrt nah Hohenftaufen Auh Rec. Hat 
diefe Wallfahrt gemacht, und erinnert fih mit nie erläfchens 
dem Vergnügen bes jeden Aisdruck Übertreffenden Genuſſes, 
weichen fie ihm gewährte. Was Herr Pahl in feiner Near 
tionalchronif der Deutſchen 1805. ©. 88. und: 
1806. St. 15. über den Staufen und über Lorch gefagt hat, 
iſt Hier weiter ausgeführt. Auf eine mit Kraft und Geiſt 
gefchriehene Einleitung, worin die Verdienſte der edten Fürs 
fien, die auf dem Staufen vormals ihren Wohnfis hatten, 
gefenert werden, folgen eine der Natur durchaus getreue Schil⸗ 
derung der Anficht diefes intereffanten Berge und feiner Ums- 
gebungen, Notizen von Gruͤat, KHohenrehberg und Hohen⸗ 
flaufen, ein trefflich ausgeführees Gcmählde der großen und 





3% Herde son J. G. Baht. 


x 

fhönen Ausſicht, die der Gipfel des Staufen beherrfcht, Nach⸗ 
sichten von der jegt bis auf eine Fleine Ruine verſchwundenen 
Kaiferburg, die ‚er trug, vom Wäfcherfchlößlein und: vom 
Buren, vom Klofter Lorch und von feiner fowohl durch die 
Grabſtaͤtte und Bildniffe fo vieler Prinzen und Prinzeſſinnen 
aus dem Staufenihen Haufe, als durch die Woͤllwarr'ſche 
Todtenhalle merkwürdigen Kirche. Das S. 185 erwähnte 
Bid des ungluͤcklichen Konradin von Schwaben, nebft 
der Vorfiellung feiner Hinrichtung, iR auch vor dem. zwey⸗ 
sen Hefte von Preſcher's Alts Sermanien nachgeſtochen. 
Sprüche und Anekdoten der Alten. Aus Zind 
gref’s Iharffinnigen, klugen Sprüchen der Deutſchen (Straß 
burg 1649.) genommen, woraus Herr Wahl ſchon in feiner 
Mationalchronit der Deutfchen 1803. St. 4a. mehr 
vere Proben Altdeutſchen Witzes mitgerheilt hatte. Kato und 
Täfar fanden ’es ihrer nicht unmwürdig, die Apophthegmen 
berühmter Nömer zu fammeln. Welcher Deutfche würde eine 
mit Geſchmack bearbeitete Sammlung Deutfcher Spruͤche, 
wozu es an Materialien feineswegs fehlt, nicht mit Dank 
‚aufnehmen? Rudolf von Habſpurg und Ottokar 
von Böhmen... Enthält eine Schilderung ihrer, Kämpfe 
gegen einander, und zugleich den Beweis, wie gut Rudolf 
die Kunft verftand, Mavors Toben durch Hymenaͤus Bande 
zu befänftigen. Die Grafen von Babenberg Sn 
diefem Auflage, einem Anhange zu dem vorigen, wird dag 
Merfwürdigfte aus. der Geſchichte der fräftigfien Männer des 
feit 1246 erlojhenen, durch greße Gluͤck⸗ und Ungluͤcksfaͤlle 
denkwuͤrdigen, und durch einen ununterbrochen ſich forterbens 
den Heldenmuth verherrlichten Gefchlechts der Baben berge 
zähle. Blicke auf Lindau. Großentheils aus des 
Verfaſſers Chronit der Deutſchen 1808. St. 21. ger. 
‚nommen, mit sinigen Zufägen. Auf dem Titelkupfer iſt die 
veigende Lage der Stadt dargeſtellt. 


nn aa 00020: 7 21200 





No.,21.  Heidelbersifhe - 4813. 
Jahrbücher der Litteratur. 


à' 42 2bù6t 


Les Ruines de Port - Royal.des Champs, en 1809, année sé- 
culaire de la destruction de ce monastere.. Par M. Gre- 
goire , ancien Ev£que de Blois, Senateur etc. Nouvelle 
Edition, considerablement augmenide. A Paris, chez 
Levacher , ‚Libraire etc. 1809. 175 G. $. 


Dir Heine Schrift dat eine mehrfahe Wichtigkeit, theils 
- al8- Zufammenflellung vieler wichtigen Notizen für die Sa 
(dichte des Streites zwifchen. den SJanfeniften und Molini⸗— 
fien, eines Streites, welcher zu vielen Ereigniffen unfrer 
Zeit in bedeutender noch nicht vollkommen gewuͤrdigter Bezie⸗ 
hung ſteht, theils als Beytrag zu der Kenntniß der jetzigen 
Lage und Geſinnung der Janſeniſten, endlich als ein merk⸗ 
wuͤrdiges Denkmahl des frommen und religioſen Sinnes ihres 
ehrwuͤrbigen Verfaſſers. Wir duͤrfen wohl annehmen, daß 
dieſelbe Geſinnung, welche hier ausgeſprochen wird, noch jetzt 
die Geſinnung des größten Theils der Parthey ſey, zu wel⸗ 
her der Verf. ſich ohne Hehl bekennt., und welche ſich mmer 
von ihren Gegnern durch Strenge der Grundſaͤtze und Sitten 
und Pünktlichkeit in Erfüllung der Pflichten der Religion und 
Andacht‘ auszeichnete, ‘was auch ſelbſt die Gegner nicht abzus 
leugnen vermochten,, und daher nur als Heucheley und Phari⸗ 
ſaͤismus verdächtig zu machen fuchten. Wer hatte aber den 
SJefuiten die‘ Macht verlichen, die im herzen verborgenen 
Motive der Handlungen zu erforfchen ? 

Die Zerftörung des Bernhardinen s Riofters Ports Royal 
des Champs, welche. der Verf. in Erinnerung bringt, war 
allein die Wirkung. des Partheyhaffes ‚der Jeſuiten. Diefed 
Tonnen: Kiofter im Jahr 1204 in einem. ſchoͤnen Thal, drey 
Myriameter von Paris, Ein Myriameter von Verſailles und 
ein halbes Myriameter, von Chevreuſe gegruͤndet, zeichnete ſich 
zu der Zeit der au des Dass Streits, waͤh⸗ 

sı 


322 Lesruines d. Port-Royal d, Champs p.M. Gregoire. 


rend das in der Haupiſtadt, in der Vorſtadt St. Jaques im J. 
1605 gegründete Mönnen s Kiofter Ports Royal (im Segenfaß 
gegen das erftere, Port- Royal de Paris genannt) gu ber 
foren und bequemen Srundfägen der Franzoͤſiſchen Jeſui⸗ 
ten fid) bekannte, durch feine Strenge aus. Die gelehrten 
Männer, welche in einer abgefonderten Wohnung, les Gran- 
ges genannt, In der Mähe des erſtern Kiofterd wohnten, vom 
denfelden "Srundfägen der Strenge befeelt, ein Pascal, Sacy, 
Dufoffe, Hamon, Nicole und andre widmeten ſich in der Zus 
ruͤckgezogenheit emfig den Studien, und erwarben fih durch 
ihre Schriften, befonders duch Ihre Buͤcher "für den linters. 
richt der Jugend, Werdienfte, welche nur Neid und Mißgunſt 
zu fhmälern wagen können. Die wichtigften und verdichteften 
Männer Frankreichs, wie ein, Boileau Despreaur und viele 
andere zählten fich Öffentlich zu ihren Freunden, und der Tras 
giker Racine ſchrieb ſelbſt die Geſchichte dieſes Kiofters, welche 
außer ihm von zehn ⸗oder eilf Geſchichtſchreibern, unter ihnen 
auch von Mademoiſelle Poulain, bearbeitet worden iſt. Dieſes 
große Anfehn von Ports Royal, verbunden mit der Anhänge 


lichkeit der Ports Royaliften an den Lehren des SJanfeniug, 


war fchon hinreichend, um die Segenparthey zu fanatifcher 
Zerftörungsteuch zu reisen. Der Polizey s Eieutenant d'Argen⸗ 
fon, sifriger Freund der Sefuiten, erhielt den ‚Aufträg , die 
Nahe an den unglücklichen ſchwachen Nonnen von Port : Royal 
zu uͤben, welhe, fo lange die Geſchichte nicht verfiummt, das 
Andenken der Sefuitifchen Parthey jener Zeit verunehren wird. 


Mit dreyhundert Mann zog d’Argenfon in der Naht vom 
SB, auf den 29. Oct. 1709 aus Paris aus, und ſchloß das 


Kloſter ein, wo niemand als 29 meiftens alte und gebrechliche 


Nonnen fih fanden, nur zur Unterwerfung unter die Gewalt - 
geruͤſtet. Jene Anſtalten ſollten nur dazu dienen, um bey dem 





Publikum dieſe tyranniſche Maßregel durch den Schein einer 


Emwoͤrung im Kloſter zu entſchuldigen. Während der Terze, 


welche die Monnen unter dem Geber für fih und ihre Werfols 


ger feyerten, wurden fle von dem Chor ihrer Kirche, hinweg⸗ 


geriſſen, indem man ihnen kaum Zeit ließ, das mindefte mie 


fi zu nehmen, wiewohl fie ſich ohne Murren in ihr Schickſal 


fuͤgten. Getrennt wurden ſie in verſchiedene Städte und Klös 








Les ruines d. Port-Royal d.Champs p.M. Gregoire; 323 


fter verwiefen, und feldft bis in den Tod von der Wuth ihrer 
Feinde verfolgt: Der Biſchof Berthier von Blois z. B. vers 
ſagte der Priorin, welche in feine Stadt verwieſen war, Die 
Sacramente und das Fatholifche Begraͤbniß, weil fie fih weis 
gerse durch die Unterſchrift einer Erklärung den Grundſaͤtzen 
au entfagen, melche ihe Gewiſſen für. die richtigen erkannte, 
Am folgenden Jahre 1710 wurden die Kloftergebäude mit eis 
ner Wuth zerftört, die nur gegen eine rebelliſche Stadt oder 
einen verruchten Ort hätte angewandt werden mögen, und die ncch 
Borhandenen Einkünfte dem leichtfinnigen Kloſter Port: Royal in 
Daris geſchenkt. Mit vieler Wärme fchildert der ehrwuͤrdige 
Verf. die Frömmigkeit der Nonnen und die ächte chriſtliche 
Sefinnung , fo wie die litteraͤriſchen Verdienſte der Gelehrten 
von Ports Royal, umd vertheidigt fie gegen ihre Verlaͤumder, 
doch ohne den heftigen und erbitterten Ton zu billigen, 
melden auch die Dort» Noyaliften hernach, „Öefonders in den 
Nouvelles ecclesiastiques, gegen ihre Vaffolger führten. 
Niemand, zu welcher Parthey er fih auch bekennen möge, 
wird ohne Ruͤhrung das legte Eapitel lefen, welches: Sentt- 
ments religieux que doit inspirer l’Annde seculaire de la 
destruction de Port-Royal des Champs, uͤberſchrieben ift. 
Es wird feine Wirkung nicht verfehlen, befonders auf die 
frommen Gemuͤther derer, welche, mie hier erzähle wird, Haus 
fig nach dem Thal von Ports Royal wallfahrten, um über 
diefen Trümmern, gleich wie die Kinder Israels Über den 
Stuinen von Jeruſalem, zu weinen, einige Geſaͤnge an dem 
Orte, welcher die Wuͤſte genannt wird, zu fingen, und da, 
wo die Kirche ehemals ſtand, zu beten und ein Mittagsmahl 
— Wir ſetzen den Schluß des Werkes hierher: 
En adressant des voeux à l’Eternel, qui pourrait oublier 
les desastres d’une Eglise autrefois le modèle de la chre« 
tiente! Ont-ils’ donc conjure sa ruine, ces pasteurs qui, 
sourds à la voix de la piete et de la patrie, perpetuent 
les divisions ? sont-ils dans les decrets du ciel, les cou- 
pables instrumens de sa vengeance ?. Un. grand. homme 
nous avertit que la. religion, voyageuse sur la terre, ne 
demande que la libert du passage. : Des. contrdes, oà 
elle fur’ jadis forissante , sont couvertes actuellement des 


324 Primiſer's Denkmaͤhler der Kirche z. b. Kreuz in Innsbr. 


tendbres de lerreur et de l’infidelite. Quel que soit le 
sort que nous reserve la justice olı la misericorde divine, 
zestons inviolablement unis à cette église catholique, qui, 


. travezsant les äges, eleve sa tête radieuse au milieu des 


sectes quelle voit successivement s’@lever, s écrouler au- 
tour d’elle, et qui, appuyee sur les promesses .de son 
divin fondateur, marche & la consommation des sitcles.“ 





Denkmaͤhler der Kunſt und des Alterthums in der Kirche zum heiligen 
Kreuz gu Innsbruck. Innsbruck, in der Wagnerfchen Buchhants 
‚lung 1812. X uhd 108 ©. 8. (Mit 26 Kupferſtichen) i 
Diefe Heine intereffante Schrift, als deren Verfaſſer Herr 

Dr. Gottfried Primiſſer zu Innsbruck ( bekannt durch 

mehre fleißige Beyträge zu dem Tiroler Summer) ſich unter 

der Vorrede m nepnt, ſoll der Anfang einer Befhreibung aller 

Denfwärdigkeiten der Stade Innsbruck und ihrer Umgebungen 

feyn, melde die Wagnerſche Buchhandlung daſelbſt nad und 

nad In der Form von Almanachen herauszugeben denkt. Sie 
iſt in fünf Abſchnitte getheile, wovon der erfle einen Abriß 
von der Geſchichte der Kreuzkirche zu Innsbruck gibt, der zweyte 
und dritte die Beichreibung des Denkmahls von Marimilianl. ' 
enthalten, der vierte, von andern Merkwürdigkeiten der Kirche 
Cdem Alterblate von Auerbah von Wien‘, dem Grabmahl der 


Graͤfin Honorata Piccolomini u. |. w.), endlich der fünfte 
von der fildernen Kapelle handelt, welche von dem Erzherzog 


Ferdinand, dem zweyten Sohn des Kaiferd_Ferdinand I. er 
bauet und mit der Kreuzkirche verbunden, ihren Namen von 
einem filbernen Bilde der Mutter Gottes empfangen bat, und - 
die. Grabmaͤhler ihres Stifters und feiner Gemahlin, Philips 
pine Welſer, enthält. Zünf merkwürdige Beylagen find „zuge 
geben. Das äußert bedeutende Denkmahl Marimilians I. in 
dee Krenzkirche zu Innsbruck ift den Gelehrten zwar ſchon 


durch die Monumenta austriaca bekannt, aber es verdiente 
. auch der Kenntniß und Aufmerkfamteit des größern Publikums 


noch mehr empfohlen zu werden, ale es. dur, die wenigen 
Reiſenden geſchehen konnte, weiche feiner erwähnen. Die Kirche, 
jo wie jenes Denkmahl, iſt eine Stiftung des Kaiſers Ferdi 











vrimiſſer Denkmaͤhler der Kirche z. p. Krems in Innsbr. 325 


nand I. ; diefer erfüllte damit einen Plan feines Worfahren, 
welcher fich ſelbſt in den letzten Jahren feines Lebens mit der 
Errichtung feines Grabmahls zu Innsbruck befchäftigte, und 
mehrere der Statuen gießen ließ, melde jegt das Grabmahl 
zieren. Sein Leihnam wurde daher nur vorläufig zu Deus 
ſtadt beygeſetzt, und follte nach feinem Wunſche, fobald das 
Innsbrucker Grabmahl vollendet wäre, dahin gebracht werden. 
Diefee Wunſch des Kaifers wurde nicht erfüht, und das ſchoͤne 
Innsbrucker Grabmahl blieb nur Kenotaphion. Das Monus 
ment erhebt ſich in der Mitte der Kirche auf drey Stufen von 
roth und weiß gefprengtem Marmor, 6 Fuß 2 Zoll in ber 
Höhe, ı3 Fuß in der Länge und 7 Fuß 3 Zoll in der Breite. 
Die oberſte der -drey Stufen des Podiums oder der Baſis ziert 
eine Einfafung von Metall, Waffen aller Art und Trophäen 
darftellend. Die Decke oder der Aufiab des Grabmahls befteht 
aus drey Abftufungen aus. vieffärbigem Marmor, 2 Fuß 2 Zoll 
hoch. Oben knieet Marimiltan in betender Stellung und 
vollem Laiferlichen Ornat. Diefe f[höne Statue von Erz wurde 
dur) Ludwig dei Duca gegoſſen, welcher für feine Arbeit eine 
Belohnung von 450 Kronen erhielt. An den vier Eden der 
mittleen Stufe figen die Senien der vier Carbinaltugenden. 
Die vier Seiten des Maufoleums werden duch ſechszehn Pfeis 
ler von feinem ſchwarzen Marmor in Felder getheile, welche 
in doppelter Neihe, iacht Marmortafein an jeder ſder beyden 
langen Seiten und vier an jeder der beyden kurzen, zuſammen 
vier und zwanzig Marmortafeln enthalten. Auf diefen find 
in halberhobener Arbeit die merkwuͤrdigſten kriegerifhen Thaten, 
bie erfie Vermählung und die Krönung des Kaiſers Maris 
milian und verfchtedene andre wichtige Ereigniffe in dem 


Defterreichifchen Baufe zur Zeit Maximilians dargeftelt. Merks . ' 


mirdig find auf diefen Darftellungen die Achnlichkeit der Ges 
fihtsgüge des Kaifers und. die Bezeichnung der verfhiedenen Abs 
Rufungen feines Alters. Ein Theil diefer Darſtellungen ift zufolge 
der Behauptung des Freyherrn Sof. v. Ceschi in feiner hands 
ſchriftl. Befchreibung von Innsbruck (1776), welche von 
Heren Pr. benutzt wurde, der Marimilianifchen Ehren s und 
Triumphpforte nachgebildet, welche von Albrecht Dürer anges 
fangen und von Hanns Birkmair fortgefcht, niemals vollſtaͤn⸗ 


326 Brimiſer's Denkmähler der Kirche 3. h. Kreuz in Junsbr. 


dig zur Kennmiß des Publikums gekommen if. Es werden 
im Auhange zu diefer Schrift die Infchriften der Marmortafeln 
mit den Vorſchriften zu diefen Darftellungen in Lateinifcher 
Sprache mitgetheitt, in welchen Einmal die porta honoris qus⸗ 
druͤcklich genannt, viermal darauf mit den Worten: „maneat 
pictura antiqua,® verwiefen wird. Vier diefer Tafeln find 
durch die Brüder Bernhard und Arnold Abel, Bild— 
Baner aus Coͤlln am Rhein, verfertige, die übrigen und vors 
züglihern duch Alerander Colin von Meheln. Das 
Sanze wurde nach einer von dem letztern Künftlee eingehaues 
nen Snfchrift im J. 1566 vollendet. Die beyden erflern Kuͤnſt⸗ 
ler, welhe vom 3. 1561 bis 1563 zu Innsbruck arbeiteten, 
erhielten contractmäßig für die Arbeit einer jeden Tafel a4o 
Pfund Pfenninge oder fo viele Gulden, die Unkoſten für die 
Herbeyſchaffung des Marmors und alle uͤbrigen Beduͤrfniſſe 
mußten vom Kaifer beftritien werden. Da dee Marmor des 
Thales Ridnaun im Landgerichte Sterzing theild wegen 
der Zarbe, theild wegen der geringern Feinheit des Korus zur 
Bearbeitung der Tafeln nicht tauglich gefunden wurde, fo reiss 
sen die Brüder Abel auf Befehl des Kaifers felbft nach) Genua, 
und holten daher den für alle 24 Tafeln erforderlichen carras 
rifhen Marmor, wovon die Koften auf 958 Gulden fih bes 
liefen. Zu allen gröbern Arbeiten, ats Geflmfen, Kapitälen, 
‚Stufen u. f. w. wurde aber Sterzinger Marmor genommen, 
wovon der Wiener Centner etwas mehr als 2o Kreuzer koſtete. 
Don dem Kuͤnſtler Alerander Eolin, der am ı7. Aug. 1612 
ftarb, und feiner Familie, fo wie auch von feinem, Grabmahi 
zu Innsbruck, wird eing genaue Nachricht gegeben. Die Zeich⸗ 
nungen zu den Grabbildern wurden durch einen Maler zu 
- Drag verfertige, über deffen Saͤumigkeit ſich Colin in einem 
im Anhange mitgetheilten Schreiben an die Landesregierung 
beklagt. Da der Name dieſes Malers nicht genannt wird, ſo 
bringt der Verf. in einer Anmerkung in Erinnerung, daß um 
diefe Seit Jakob Seiſſenegger, K. Ferdinands I. Hofmaler, 
lebte. Aus dieſem Schreiben, fo wie aus einem andern ebens 
falls hier mitgetheilten Briefe geht hervor, daß niche Colin 
allein die Basreliefs ausarbeitete, fondern die Arbeiten großens 
theils unter feiner Auffihe von Gefellen, welche er anf feine 








primiſer's Denfmäher der Kirche 4. 5. Kreut in Inntbr. 327 


Koften aus den Niederlanden mitgebracht hatte, verrichten ließ. 
Eine große Merkwärdigkeit diefes Grabmahls find noch die 
28 foloffalen Statuen von Bronze, welhe in zwey Neihen 
nach der Länge des Schiffs der Kirche das Grab des Kaifers 
ungeben, und theils Heroen des Mittelalters ( König Artus, 
König Chlodwig, den Dftgothen Theodorich, Gottfried von 
Bouillon), meiftens aber Ahnen und Verwandte des Kaifers 
Maximilian darftellen. Aus einem Verzeichniſſe, weldes uns 
we Lit. D. im Anhange abgedruckt iſt, erfieht man, daß 37 
Statuen das Srabmahl zieren follten. Von den neun fehlens 
den Statuen wurden fünf gar nicht gegoflen, von einer fcheint 
es bloß bey der Form geblieben zu feyn, drey andere, welche 
wirklich vollendet wurden, find verloren oder wieder einges 
ſchmolzen worden. In eben diefem Entwurfe wird dem Kats 
fer vorgefchlagen, die Namen eines Theils der Statuen zu Ans 
dern. So fol 5. ©. Gottfried von Bouillon in Albertum 
militem Ducem Austrie patruum, Dietrih von Lern in 
Albertum Ducem Austrie, Propatrui filium umgetauft ivers 
den, was aber von dem Kaifer Ferdinand nicht genehmigt zu 
feyn fheint. Auch die vorhandenen Statuen find nicht: gan 
vollftändig ; denn es fehlen vielen der maͤnnlichen Bilder die 
Schilder mit den Wappen; den weiblichen die Kerzen. Alles 
diefes foll nach einer Nachricht des Herrn von Ceschi nebſt eis 
nigen Piedeſtalen und. Schwertern zuerk in das Franciscaners 
Kloſter von der Krenzkirche, und nach deffen Aufhebung in das 
Schloß Amras, wo fie vwielleihe noch fih finden, gebracht 
worden feyn. Sie find der Sage nad von Gregorn Loͤff⸗ 
ler gegoffen, nad der Behauptung des Herrn von Kescht 
- aber gehören einige wenige den Stuͤckgießern Lendenftreich . 
und. den beyden Brüdern Godl ( Stephan und Melchior) an. 
Dos. ganze Monument iſt von einem durch einen Bdohmiſchen 
Schloſſer ſehr fünftlich .gearbeiteten eifernen Gitter umfchloffen, 
ran welchem, die Wappen alter Reiche und Länder , die Mar in 
-feinem Titel geführt, an der Zahl 36, fich finden. Richt ohne 
Verdienft find aud die a3 Kleinen aus Erz gegoffenen Sta⸗ 
men, welche vorn am Chor der Kirche Über drey Schwibbo⸗ 
gen oder dem. Hauptgeſimſe in einer Linie ſtehend von der 
Höhe auf des Katſere Grab herabſe hen, und Heilige maͤnnti⸗ 


Li 





328 Primiffer s Denlmaͤbler d. irche 3. b. Kreun in Junebr. 


chen und weiblichen Geſchlechts von koͤniglichem, herzoglichem 
und graͤflichem Stamm, meiſtens Oeſterreichiſcher Verwandt⸗ 
ſchaft, darſtellen. Die Nachrichten, welche auch uͤber die oben 
genannter Gießkuͤnſtter gegeben worden, ſind des Dankes werth. 
Da die Brüder Godl, Bildgieſer zu Muͤlein, wie es ſcheint, 


Fremde waren, ſo ſoll Stephan Godl nach dem Befehl des fuͤr die 


- 


Fortbildung feiner Untsrthanen in deu Kuͤnſten ernſilich bes 
dachten K. Ferdinand, damals noch Erzherzog, als ihm im 
Jahr 1529 fein Dienftgeld um &o fl, gebeffere wird: „vns 
vnnd fonnfb niemands, mit feiner kunſt und arbait gewertig 


ſein, vnnd fein Werkftatt mit gueten knechten vnnd Juͤngern 


verſehen, vnnd inſonders Jünger aufnemmen vnnd halten, die 
vnnſers Lands der Grafſchaft Tirol ſein, vnnd dieſelben das 
Hanndwerch der Rotſchmiederey trewlich lernen vnnd vnnder 


weiſen.“ 


So ſehr der verdienſtliche Fleiß des Herrn Dr. Primiffer 
in diefer Beſchreibung gu loben ift, fo vielen Tadel verdienen 
die ungeſchickten Hände, welche Außerft .fchlecht und elend Die 


. bepliegenden Kupfertafeln geägt baden, Wenn uns nicht bie 
‚in der Jconologia Austriaca mitgetheilten 17 Figuren von 


den erwähnten 24 koloſſalen Statuen und die in der Taphor 


graphia Austriaca befindlichen Abbildungen der Basıelifs mit 
Achtung und Ehrfurcht für das befchriebene Monument erfüllt 


hätten, fo würden bie hier gegebenen Abbiltungen die entge 
gengefegte Wirkung hervorgebracht haben. Die Verlagshand⸗ 
fung würde beffer chun, den Fortfeßungen keine Abbildungen 
hinzufügen, ale fie durch ſolche Zerrbilder zu verunftalten. 


Bruckſtuͤcke einer Geſchaͤftsreiſe * Schleſien, unternommen in den 


Jahren 1810, 11, 12, von .Joh. Guſtav Buͤſching, 
koͤnigl. Archivar zu Bredfan. . em: Band, mit einem Anhange, 
morin vermifchte Auffape, Schlefien betreffend. Breslau, bey 
Wilhelm Gottl. Korn, 1813. (8 ©. Titel, Vorrede u ns 
haftöverzeichniß. unpaginirt. ) —533 S. 8 


Das Werk enthaͤlt vornehmlich die: Refuftate der letzten 


Reiſe, welche der Verf. unternahm, um die Bibliotheken und 


Archive der aufgehobenen Schleſi ſchen Kloͤſter zu unterſucher, 








Bruchtuͤcke · einer Geſchaͤftsreiſe d. Schlefien v. Buͤſchiag. 329 


und aus ihnen auszuwaͤhlen, was für die Centralanſtalten im 
Breslau wichtig und nuͤtzlich ſeyn konnte. Zugleih wurde auch 
auf die Ueberbleibſel der Kunft NRüdfihte genommen, und 0ds 
ſchon in keinem Lande die Kunſtwerke durch Brand, Krieg 
und Fanatismus fo häufige „ 'vflörung getroffen hat, als in 
Sälefien, fo wurde gleihwohl, wie der im Anhang mitges 
theilte zum Theil fchon dur Fr. Schlegeld Deutſches Mufeum 
befannte Aufſatz uns belehrt, weine nicht unbedeutende Anzahl 
von alten auf Holz und Goldgrund gemahften Gemälden, eis 
tige felbft aus dem 14. Jahrhundert, zufammengebracdt ; die 
meiften vorgefundenen Gemälde waren aber von Willmann, 
der im J. 1630 zu Königsberg in Preußen geboren, fich nach 
Rembrandt und Nubens gebildet hatte und nad) dem J. 1660 
. fh in Breslau niederließ, oder aus feiner Schule; von Will⸗ 
mannfchen Gemälden find über 150 zufargmengebracht worden. 
Wir wänfchen, daß der Verf. die angefangenen Unterfuchuns 
gen über die Schleſiſche Kunft und Schleſiſche Künftler weiter 
verfolgen möge. Außerdem enthält diefe Neifebeichreibung nicht 
bloß Nachrichten von den Bibliothefen und Archiven, von 
weichen menige eine fehr bedeutende Ausbeute gaben,. fondern 
außer Befchreibungen von merkwürdigen Gegenden , welche der 
Derf. bevein’ce, allerley Nachrichten Aber in Schlefien aufbewahrte 
alte Sagen, Legenden und überhaupt alles, was fich auf die Vorzeit 
bezieht, wie es fich von dem Kifer des Verf. für das Deutſche Alters 
thum erwarten laͤßt. Auch einige merkwuͤrdige Urkunden werden 
mitgetheilt, unter. andern eine Urkunde des Herzogs von Wallen⸗ 
ſtein mit deffen eigner hier abgebildeter Unterſchrift. Miemand 
wird ohne Vergnügen die Beſchreibung des Zobtenberges bey 
Dreslau und das intereffante Journal von der erften Reife des 
Verf. auf die Echneefoppe und zu den Quellen der Elbe leſen. 
Ein Auszug aus diefem Werke würde bey den vielen einzelnen . 
zerſtreuten Motigen, die Wichtigkeit feines Inhaltes nur uns 
volltommen darftellen, und iſt ohmehin nicht nöthig bey einem 
Werke, das mir zu weit verbreiteter Kenntnißnahme gu 
empfehlen wünfhen. Darum möge hier nur noch ‚bemerkt 
werden, daß in dem Anhange eine fehr forgfältige litteräs 
riſche und bibliographiſche Nachricht Über die Legenden der heit. 
Hedwig, beſonders über eine noch unbekannte Deutſche Hands 


\ 





— 


330 Idunna u. Hermode und Odina u. Teutona v. Graͤter. 


ſchriſt des Lebens dieſer Heiligen mit Federzeichnungen (von wel⸗ 
chen ein Theil ganz mit der beruͤhmten Hedwigstafel in der 
Kirche St. Bernhardi zu Breslau uͤbereinſtimmt), und ein 
Lobſpruch der weitberuͤhmten kaiſerlichen und koͤniglichen Haupt⸗ 
ſtadt Breslau in Schleſien von > m ſonſt unbekannten Elias 
Freudenberg (gefeentem Meiſter des Deutſchen Meiſtergeſanges 
und Liebhaber der Deutſchen Poeterey), in ndo Verſen, ſich bes 
finden. Diefer Lobſpruch ift in einem naiven Handwerksbur— 


ſchenton, alfo zwar nicht von hohem poetifchen Werth, welchen 
Hr. ©. ihm auch nicht beymißt, aber doch als Denkmahl feis 


ner Zeit merkwürdig. Mon Handfchriften für die Altdeutſche 








Litteratue boten die Schleſiſchen Bibliotheken fonft nichts dar, 


als eine unvollländige Handichrift des Wilhelm von Defters 
reich, welche in der Bibliothek der Ritterakademie zu Liegnit 
an wurde (©. 409). 





—— und Hermode. Eine ER Senne von | 


D. Graͤter. Erfter Jahrgang, Yredlau, gedruckt und im 
Derlage der Stadt » und Univerfirätd : Yucdruderep bey Graf 
und Barth. 1812, 52 Nummern, ohne den aud 23 ‚Nummern 
beftehenden Anzeiger. Mit Kupfern, Holzſchnitten, Mufi Ebepin 
gen und zwey Regiftern. 

Ddina und Teutona. Ein neued Kiterarifched Magazin der teutfchen 
und nordifchen Vorzeit. Von 8. D. Bräter. Erſter Band. 
Bredlau, 1812. bep Carl Friedrich Barth. Mit einer den Chor 
vorſtellenden Titelvignette. 


Auch mit den Titein: 


Braga und Hermode loder neues Magazin für die vaterlaͤndiſchen Ap 


terthuͤmer der Sprache, Kunſt und Sitten. Heraudgegeben von 
F. D. Gräter. Sünfter Band. Und 


Bragur. Ein literarifched Magazin der Teutfhen und Nordifchen Vor⸗ 
zeit. Herausgegeben von F. D. Graͤter. Achter Band, 


Mach einer von allen Freunden der Deutſchen und Moers 
difhen Alterthumskunde beklagten Paufe von zehn Jahren 
kehrt Hr. Rector und Prof. Graͤter, um feine eignen Worte 
zu brauchen, „in die Gefilde unfrer Götter und Helden, uns 
feree Ahnen aus der Ritterzeit und den denkwuͤrdigen Jahr⸗ 


Idunna m. Hermode and Odina n. Tentona v. Graͤter. 331 


Hunderten der Erfindung der Buchdruckerkunſt, der Kirchen⸗ 
verbefferung und der ihr gefolgren mächtigen - Kämpfe“ zuruͤck. 
Im Sept. ıBıı fündigte er eine eigene Alterthumszeitung an, 
unter dem Namen Idunna und Hermode, wovon woͤchentlich 
vor der Hand ein halber Bogen erſcheinen und deren Beſtim⸗ 
mung fepn follte, nicht allein die auf das Fach der Deutſchen 
und Mordifchen Vorzeit fich beziehenden Nachrichten und Neuig⸗ 
keiten, nebft ausführlichen Krititen der in demfelben feit dem 
‚Anfange des neungehnten Jahrhunderts erfchienenen Schriften, 
zu liefern, fondern audy die Anfihten des Hrn. Herausgebers 
in Betreff des Prachtwerts über die Nordiſche Mythologie, 
welches er, in Verbindung mie trefflihen Känfttern, erfcheinen 
zu laffen willens ift, fo mie die Auffoderungen an Känitler, 
den merkwuͤrdigſten Theil des Briefwechſels mit ihnen, und 
die Schilderung der gu der Ausführung oder den Umgebungen 
ihrer Darftellungen erfoderlihen Sitten, Gewohnheits s und 
Runftalterehämer minutheilen. Kaum waren von bdiefer Zeis 
tung die erfien Stücde in den Händen des Publitums, ale 
Hr. Graͤter nod ein zweytes Merk für das Deutiche und Mors 
diſche Alterthum ankuͤndigte. Eine Fortfeßung feines mit all 
gemeinem Beyfall aufgenommenen litterarifihen Magazins der 
Deutſchen und Nordifchen Vorzeit, welches feinen erfien Nas 
men Bragur in der Folge mit Braga und Hermode vertaufchte, 
folte , unter dem Titel Ddina und Tentona, nad) einem vers 
- Anderten Plane 'erfcheinen, und abwechfelnd in Nordiſcher u 
Altdeutſcher Litteratur theils in noch nicht urbar gemachten 
Geldern der Vorzeit die erften Schritte in Deutfchland zu ihrer 
‚Bearbeitung thun, theils zerſtreut und einzeln gedrudte Auf 
fäße, die eine gleiche oder ähnliche Abſicht haben, fammeln, 
in jedem Bande eine zuvor nie gedruckte, und für die Littes 
ratur und Sprache wichtige Handſchrift zuerſt vollländig bes 
kannt machen, und zuleßt, wo es Zeit und Raum geſtatten, 
theils die in Bragur noch nicht vollendeten Aufiäße ergänzen, 
theils duch antikritifche Nachholungen die Angriffe auf den 
einen und den andern entiweder abmweifen, oder doch beleuchten. 
Wir haben nun den vollftändigen erften Jahrgang von 
Idunna und Kermode und den erfien Band von Ddina und 
Teutona vor ung liegen, und können nah diefen Proben vers 





E -; 


a re ggg EEE ———— J 


332 ounma u. Hermode und Odin u. Teutona v. Graͤter. 
ſichern, daß Herr Rector Graͤter ſein gegebenes Wort mit 


Ehren gelöj't Hat, Wie reich an intereſſanten Aufſaͤtzen beyde 


Werke find, wird eine kurze ueberſi cht der wichtigſten unter 


denſelben bewähren. 


In Idunna und Hermode rechnen wir gleich anfangs dahin 
die durch mehrere Stuͤcke fortlaufende Vorleſung des Hrn. Her⸗ 
ausgebers über die Koͤnigsreiſe der Barden und Skalden, mit 
den von ihm gedichteten Choͤren der Barden vor der Her—⸗ 
mannsfchlacht, die an Vegeifterung Klopſtockis Schöpfungen 
gleichſtehn, an Kunft fie uͤbertreffen. Ein fehr Ihägbarer Arı 
tikel,, gleihfallg von Hrn. Gr. herrährend, find.der Altdeut⸗ 


ſche chrifilihe Almanad) auf das Jahr 1819. und der von ihm | 


erklärte chriſtliche Runenkalender, fo wie er auf fieben in dem 
Diaturalienkabinette des Waifenhaufes zu Halle an der Saale - 


- aufbewahrten buchenen Stäben eingefchnitten it, indem an 


jenen, neben den mancherley Wenennungen der Monate und 
Wochentage, den Heiligens und chriftlichen Fefttagen und dem 
Deutſchen Ciſioian, ein mit forgfältiger Mühe zufammenge 
tragenes Verzeichniß der chriftlihen Volksfeſte und Gebraͤuche, 
des Deutſchen Volksaberglaubens und der von den Deutſchen 


Volksfeſten eines jeden Monats handelnden Schriften und Auft 


ſaͤtzen ſich anreiht. Voll intereſſanter Notizen ſind die Send⸗ 
ſchreiben uͤber die Alterthuͤmlichkeiten der Schleſiſchen Kloͤſter, 
worin Hr. Heinze, Mitarbeiter an der Centralbibliothek zu 
Breslau (der naͤmliche, der and) in der Beſorgung dieſer Zeir. 
tuna Ken. Graͤter fo thätig unterſtuͤtzt), von den alterthämlis 
chen. Entdeckungen und Merfwürdiafeiten feiner mit Hrn. D. 


Buͤſching gemachten Neife durch die aufgehobenen Kiöfter Nie 
derſchleſiens ausführfihe Kunde gibt, und welche ducch den 


'gangen Jahrgang fortlaufen. Die Actenftüde, das Prachtwerk 
über die Nordiſche Görterichre betreffend, enthalten Hrn. Gr. 
Aufruf an. die Meifter der bildenden Kunft im Ins und Aus 
lande, die Mordifche Mythologie in einer Reihe meifterhafter 


Darſtellungen der Machwelt zu Überlicfern, mit dem Verzeich⸗ 


nifje der darzuſtellenden Scenen und Charaktere, und Auszüge 

aus dem Briefwechſel Über die Darfiellung der Mordifcen 

Sottheit. Eine Probe einer noch unbefannten Deutſchen Webers 

ſetzung der Pfalmen. aus dem Karolingifchen Zeitalter, die von 
— 


— 





Anna 1. Hermode und Odina u. Tehtona v. Öräter, 333 


ber etwa gleichzeitigen Morkerfihen Ueberſetzung und Lmfchreis 
bung gänzlich verfchieden ift, hat Hr. Prof. v. d. Hagen, 
dee fie von Hrn. Legationsrath v. Dies in Berlin zur des 
fonntmahung in dieſer Zeitung erhalten hatte, mitgetheilt 
Hrn. Sr. Ueberſetzungen des Liedes von dem Zinnifhen Koͤ⸗ 
nigsfohne Wölunder und des Grotta⸗Sangs erregen zwey—⸗ 
fohes Intereſſe in einer Periode, in weicher fo viele würdige 
Gelehrte die Edda zum Gegenſtande ihrer Befchäftigung ers 
tohren Haben. Hr. Prof, Preicher gibt eine Abbildung und 
Erflärung der Schrifizeihen an dem alten Roͤtherthurm im 
Roththale der Srafihaft Limpurg, die er für Etruskiſche hält, 
und worüber er fih nachher, in’ feinem Altgermanien, 5. 1. 
©. 5— 44 noch ausführlicher geäußert hat. Die Supplique 
der gemeinen Frauen im Tochterhaus zu Nürnberg Anno 1498 
beweif’e zwar allerdings, was fie beweifen fol; daß es näms 
ih auch im alten Deutfchland privilegirte Bordelle gab. ‚Aber 
auch noch früher und an andern Drten, außer Nürnberg, 
eriftivten dergleichen. Sie wurden Öfter& fogar zu Lehen ges 
geben, wie 5. B. von dem Bifchofe von. Wuͤrzburg den ges 
fürfteten Grafen von Kenneberg, und ſchon 1440: befchwerte 
fi) der Erzbiſchof Dieterih-von Mainz über die Bürger zu 
Mainz, daß. fie ihm Abbruch gethan am geiftlichen und welt 
lichen Rechten — — an den ehelichen und auch denen gemeis 
nen Frauen und Töchtern — — an der Bulerey. Mon fehe 
Knorre’s rechtl. Abhandlungen und Gutachten, &. 108. Für 
Sprachforſcher und. Litteratoren find das Frenkisgaz Morgans - 
Lioth, das auch durch Schönheie und Fülle der Gedanken ſich 
auszeichnet, die Nachricht von. alten bibliſchen Gloſſarien, 
v. d. Hagen's Konjectur Über den Verfaſſer des Nibelungen⸗ 
Liedes und Docen über eine Sammlung alter Gedichte, fo 
wie für die Sittengefchichte des Mittelalters. der Bund der 
Trinker, merkwürdig. Auch Haug's gluͤckliche Nahbidungen 
mehrerer lieblichen Dichtungen des Mittelalters verdienen eine 
ruͤhmliche Erwähnung. Der Anzeiger, wovon im Jahr 1819 
23 Nummern erfchienen find ‚ enthält eine Menge intereſſanter 
Notizen und. Anfragen. 

Der erfie Band von Ddina und Tentona gibt, unter den 
fünf Rubriken; Dichtungen, Unterſuchungen und litterariſche 


334 Jdunna u, Hermode und Odina m. Teutona v. Bräter, 


- Anfiäße , Sammlung und genauer Wiederabdruck feltener his 
florifcher und epifher Altdeuticher Volkslieder, Handſchriften 


und antifririfche Nachholungen, gleihfalls lauter Artikel, von 


denen jeder feines Platzes würdig if. Vorzuͤgliche Aufmerk 


ſamkeit verdienen : des Herausgebers Programm über eine 
von ihm mit Gluͤck verfuchte Griechiſche Nachbildung in 
Homeriſcher Sprache und Verſen der in.feinen Gedichten, ©. 
225 — 242, erzählten Shirners Fahrt; Moͤller's Preisſchrift 
über die von der Lniverfität zu Kopenhagen 1800 ausgeſetzte 
Mreisfrage: Ob die Einführung der Nordifhen Mythologie 
ſtatt der Griechiſchen für die fchöne Litteratur des Mordens 
zutraͤglich wäre? welche Frage Möller ſehr richtig dahin bes 
antwortet, daß die Einführung und der allgemeinere Gebrauch 
der alten Nordiſchen Mythologie, wegen ihrer Neuheit und 
wegen bes größern Intereſſe und vaterländifchen Mitgefuͤhls, 


welches fie errege, allerdings für die fchöne Litteratur des 
Mordens fehr nuͤtzlich wäre, dabey aber die Sriechifche keines 
wege verbannt werden foll, und nur nicht die eine mit der 


andern vermifcht werden dürfe; das von dem Ken. Heraus— 


geber perfaßte, zur großen Vequemlichkeit der Wefiger der 
Schöning s Tharlaciihen Ausgabe der Heimskringla gereichende 


Verzeichniß aller in den zwey erfien Bänden derfelben vorkoms 
‚ menden Skalden und Skaldenlieder; ebendeffelben Programm 
Über das Alter und den Urfprung des Deutfchen Königstitels, 
der nad dieſen Linterfuchungen zwifchen das fünfte und feste 

Jahrhundert zu feßen iſt; Leon’s Ueberſetzungen von zehn 

Minneliedern aus der Maneffiihen Sammlung in unfre beu 

tige Deutfhe Sprache, nebft einem beherzigenswertken Nor 

berichte Über die Foderungen, die an folhe Nachbildungen ju 
machen find; Helga⸗Quida Haddingia Scata, von Hrn. Gr. 
nad) einer ihm verflatteten Abichrift aus dem Vidaliniſchen 

Eoder der Edda mitgetheilt, und mit einer Lateinifhen Ueber⸗ 

fegung und Erläuterungen verfehen; und die erfle entdeckte 

Handſchrift des Reinecke Fuchs in Flammändifher Sprache, 

nebſt einer als Einleitung vorausgeſchickten Geſchichte der Corn⸗ 

burger Bibliothek, worin dieſe Handſchrift gefunden — 
und ihrer Merkwuͤrdigkeiten. 


m 


D 


Narrenbuch von Fe. 9. v. d. Hagen. 335 


wii wird: jeder Freund "der Alterthumgkunde ſich mit 
der Auffoderung vereinigen, die ſchon vor 19 Jahren Fuͤlle⸗ 
born an den Ken. Herausgeber ergehen ließ: 


Laß ferner Rrigws Ruhm den Söhnen Teut's erfchallen , 
u g, wie in der Walfyren Sang, 
Me Volk der Wanen und Aögarden, 
sche "Bor unferm Blick vorübergehn, 
De Und der vergeffnen Vorwelt Barden 
Mit ihren Liedern auferfichn! 





Rarrenbuch. Herankgegeben durch Frie drich Heinrih von der 
Hagen. Halle, in der Vengendes Buchhandlung 1811. VI 
und 541 S. 8. 

Bey der gegenwärtigen Lage der Litteratur und des Buch⸗ 
Handels, da die Geſchaͤfte deſſelben beynahe gänzlich ſtocken, 
muß es auffallen, daß ein Bud, wie das vorliegende, einen 
Verleger gefunden, und ein Gelehrter, der ſchon manchen 
edien Stein aus den Schachten der Deutſchen Vorzeit mit 
Liebe und Treue zu Tage gefördert hat, demſelben feine Zeit 
und Mühe zum Opfer bringen mogte. Kr. Prof. v. d. Has 
gen erklärt in der Vorrede die vier Dichtungen, Die er hier 
in erneuerter Geſtalt vorführt, für die trefflichfien und ergoͤtze 
lichſten in ihrer Art, und ſagt zum Schluſſe: „Gelingt es 
mir, wie ich wuͤnſche und hoffe, dieſen unverwuͤſtlichen alten 
Volksdichtungen wieder allgemeinen Eingang zu erwerben: ſo 
wird ein zweytes Bändchen noch einige derſelben nachbringen.“ 
Wir möoͤchten aber gerne fragen: Was wird damit gewonnen, 
wenn Schwaͤnke und Poffen (mitunter anch Zoten), die nur 
vor dreyhundert Jahren das Zwergfell erſchuͤttern konnten, 
von nneem aufgewaͤrmt werden? wenn man die: niedrige 
Volksklaſſe, nachdem endlich in unfern Tagen ihr mwenigftens - 
einiges. Gefühl für das Schickliche beygebracht worden ift, 
durch Buͤcher, wie das vor uns liegende (welches ſie aber 
ohnedem ſchwerlich kaufen und leſen wird), wieder auf die 
Stufe hinunterzudruͤcken ſucht, auf welcher ſie vor einigen 
Jahrhunderten ſtand? Sicher wuͤrde von allen den Narren, 





336 Rarrenbuch von Fe. 8. 5.0. Ca. . 


deren facetiad hier zum Beſten gegeben werden, jetst. Feiner 
um 80000 Athlr. angeichlagen werden, wie folches mir bem 
Saͤchſiſchen Hofnarren Elaus, den in der Erstheilcag jeder 
der erbenden Fuͤrſten gern haben wollte, der Hal geweien 
* fol. Das war aber auf ein Waun, bey welchem, 
nad) des bekannten Theologen Diet er ich Verſicherung, „die 
Hochweiſeſten und Verſtaͤndigſten hätten in die Schule gefuͤhrt 
werden koͤmen.“ Auch Rom hatte im Zuſtande Der Rohheit 
feine Fescenninen, aber Horaz, der in einem gebildeten Zeits 
alter tebte, Säfte da, wo er das Bild des Dichters zeichnet, 
(Epist. II. ı, 190. sqgq.) aud den Zug nicht fehlen : 
Torquet ab obscoenis jam nunc sermonibus aurem. _ 


Sollte dem Volksdichter allein erlaubt feyn, das Gegentheil 
‚zu thun? Indem wir uns hieräder auf bie Enticheibung 
eines jeden Linbefangenen berufen, bemerken wir noch, daß 
im Narrenbriche nachfolgende Stücke erneut find! 1. Ges 
ſchichte der Schildbürger, ‚oder das Lalenbud. 
(Die erfte Ausgabe erfhien 1597.) I. Salomon und 
Markolf. (Dabey if die von Newber zu Nürnberg, 
wahrſcheinlich um 1560, gedruckte Ausgabe zu Grunde. gelegt; 
augesogen aber find die aus der Alteften befannten Stellen, die 
frähern poetiſchen Bearbeitungen und die Lateinifche Urfchrift.) 
III. Der Pfarrherr vom Kalenberg. (Bey biefer 
Geſchichte, die fhom im Jahr 1400 vorhanden geweien ſeyn 
fol, ift die Ausgabe von 1620 benugt,) IV. Peter Leu, 
oder der andere Kalenberger, duch Achilles Zas 
fon Widmann von Hall. (Nach den Ausgaben von 1560 
und 1620.) | 

Dee Anhang gibt ausführfiche Litterarnotizen uͤber de 
worfichenden Gefchichten , und bewährt von neuem die Graͤnd⸗ 
lichkeit, womit Hr. Prof. v. d. Hagen bey‘ feinen Forſchun⸗ 
gen zu Werke geht. Nur Schade, daß mit bdiefem Reid 
thume von Kenntniſſen din bantunewerigeres Bert SARSSTTA 
| mocden iſt! 





No: 39. Seidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


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RLAD IRRR RR ER AL LBBRa RR ar 
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: Die bedden aͤlteſten deutſchen Gedichte aus dem achten Jahrhundert: 
das Lied von Hildebrand und Hadubrand und Dad NWeißenbruns 
| ner. Geber zum erſtenmal in ihrem Metrum dargeftelt und her» 
ausgegeben durch die Brüder Grimm. Caſſel bep Thurneifen. 
e1812. | —— 


gibt es fi‘, daß etwa zufällig der Baumkranz an einer Stelle 
nah der Sonnenfeite auseinandergeht, und ein Lichtſtrahl nun 
eine weite, lichtbeglängte Ferne in das beſchattete Auge bringt, 
die ein Schritt aufgethan, und ein Kolgender verdecken wird. 
Unaufgehalten fheint der Sonnenblick durch unfer Auge in die 
Seele, und auch ihre Höhen und Tiefen werden Hell beleuchs 
tet, und. zwey- Sernen, die in Raum und Zeit, find in eine 
vertraute Nähe auf uns angeruͤckt. Auch dem Wanderer durch 
die Nacht alter Jahrhunderte werden folche Lichtblicke wohl 
gegönnt, wenig Töne oder Züge können bisweilen ein Jahr⸗ 
tauſend ihm bedeuten, ein Pergamentblart in den rechten Brenn⸗ 
punct Hineingeftellt, faßt das Bild einer ganzen verganges 
nen Welt oder mehrerer Himmelszeichen. Zweyen folher Spies 
gel vieler Menfhenalter, wohl früher fchon bekannt, aber 
angelaufen und geträbt, und wie es mit koſtbaren Inſtrumen⸗ 
ten auf den Sternwarten zu gehen pflegt, ungebraucht und 
beftäube bloß als Gegenſtaͤnde der Neugierde aufbewahrt, has 
ben die Herausgeber Helle und Geſicht wieder gegeben, und 
funftverftändig den Einen gegen den Himmel, gegen die Erde 
den Andern aufgerichtet, und nun erſt ift die Koftbarkeit der 
lichtſtarken tief in die Zeit eindringenden Werkzeuge Mar ges 
worden vor aller Welt. Die Caßler Handfchrift des Hilde— 
brand und der Anfang des Weißenbrunner Gebetes find die 
einzigen Weberrefte der alten einheimifchen Sermanijchen Mythe 
in einheimifcher Mundart aufgefaßt. Mach grünt wie vor der 
22 


5 . 4 i R 
| Bhab⸗ilen, wenn wir im Schatten alter Waͤlder gehen, be⸗ 
| 


338 Die beyden Alt, Deut, Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 


Miftel auf den Eichen vom goldnen Meſſer unberuͤhrt. aber 
jener inythiſche Wandervogel mit leuchtendem Gefieder hat 
länaft den Herchniſchen Maid verlaffen, noch tönt durch die 
Edda fein Sefang und durch diefe Blätter, aber auch ang dem 
Norden ift der Vogel längft wieder weggezogen, auf jener 
Eisinfel zwiſchen Morgen und Mitternaht hat man feiner 
Schmwungfedern noch gefunden, und damit die alte Heldenfadef 
aufgefchrieden, und nur die füdliche Nachtigall ift noch in unfern 
Wäldern laut. Wie in uns, den Nachkommen, noch das’ alte 
Leben lebt, ob es gleich in andern Formen ausgefchlagen , fo 


iſt allerdings im Großen und im Ganzen auch die Maffe der 
Sjdeen in Poefie, minder in der Myıhe bis auf uns gekom— 


men, aber die alten Formen, freyfih das Sterblichfte von 
Allem, find mit den Zeiten hingegangen. Nur diefe bepden 


Greiſe find von allen Seihlechtern, die mit ihnen und zuver 


gelebt, bis gu diefem Tage hinaufgefommen; fie haben noch 
. die Miene, und die Form und das Weien ihrer Zeit, und wie 

“jene Sünglinge, die fo viele Jahrhunderte im Berg durch 
ſchliefen, bis die Münzen, die fie mitgenommen, zu Schau 
ftüden wurden, das Vaterhaus nicht fanden, und die Sprache 
der Mitbürger nicht verſtanden und nicht verflanden wurden, 
fo auch reden diefe Deutſch, das taufend Deutfche nicht ver 
ftehen, von hochberuͤhmten Helden, die taufend ihrer Ente 
nicht mehr kennen. Die Herausgeber, indem fie die alten ehr 
würdigen Geflalten in die neue Welt eingeführt, mußten dar 
her ihnen zu Dolfmerichern dienen, und die gründliche Treue, 


mit der fie ihrem Geſchaͤfte ſich unterzogen, iſt das erſte Der 


dienft , das fie um diefe Fremdlinge in der eignen Heymath 


ſich erworben. Allerdings haben Eckhard und Reinwald 


vecht gute ‚Vorarbeiten geliefert, welche die neuen Bearbeiter 


auch dankbar anerkennen, aber das Erfhöpfende, Durch das 
Beherrihen aller verwandten Sprachformen erft möglich .ger 


macht, Haben fie hinzugethan, und das Gute zum Veffern, 
ja ganz nahe zum Beften bingeführt, das etwa noch duch 
neuere hiftorifche Urkunden erteicht werden mag. . Wie wiffen 


daher zur gegebnen Erklärung des Textes nichts Sonderliches 


beysufügen; das Menige, was uns bey genauerer Berrachtung 
vorgefommen, fügen wir hier mit kurzen Worten bey. 


’ | 
Die beyden Ält. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 339 


In der erften Zeile „sih urhettun aenon muotin,“ fich vers 
heifhen, betheuern, geloben nod in der hiefigen Landesmunds 
art; bey aenon muotin mögten wir doch die alte Erklärung 
eines Muthes, eines Sinnes vorziehen, die vielfache Zahl läßt 
fi) allenfalls no in heutiger Sprachform „einmätbiglichen“ 
geben.. „Untar heriunt.ıeim“ bey Jfidor von Sevilla: „infaene 
haerduom,“ dux effectus est, alfo Heerthum, Heerfahrt. 
Bey „Sumu Faterungo* dachten wir zuerft an Edelingon, 
Frilingon,  befanntlid in den Sähfiihen Miundarten Edels 
geborne, Freygeborne: in Sothifcher Form wird das i zum u, 
und nun Niflungen, Nebelgeborne, Aumlungon, Amelunger, 
Aumlas Seborne, die Abkoͤmmlinge des Urftiers, Ulfungon 
oder Wöifunger, NWolfgeborne ‚Enkel der liftigen Locke u. f. w. 
Sunu Faterungo würde dann freylich etwas feltfam tautolos 
giſch, aber doch wohl der alten Sprache nicht zumider ! Sohn 
Vatergeborner, und die.ganzge Stelle alfo nad) unfrer Anſicht: 
Die Sage erzählt, daß gelobten eines Sinnes Hiltebracht und 
Hathubrant Heerfahrt, Sohn Vaters Abkoͤmmling. In der 
dritten Zeile „garutun“ mit gerben überfegt, if ung zuwider 
in epifcher Dichtung; gatawıs, garawa, garawomes, gart, 
garotig gigarotin, gigarwa, find häufig bey Difried vor 
kommende Formen von derfelben Wurzel gar abgeleitet, wos 
von gareiten , bereiten, und allerdings aud) gerben, aber doch 
wohl nur als eigenthümlicher technifcher Ausdruck. Iſidors 
Ueberfeger dat C. V. 9. 7. „chigarwan zi hinifli,“ reparari 
ad veniam, wobey an gerben nicht zu denfen, nod weniger 
in der Stelle am Eingange „Dhuo ir himilo garwida, dhar- 
war ih“ als er den Himmel bereitete, da war ich. „ Ubar 
zinga“ erinnert uns. an die Rhinga, Fuͤrſten, Wornehme 
des Rhabanus, fo daß die Stelle alsdann gelefen würde 
„Helden vor den Erften, wenn fie zum Kampfe ritten“ was 
die allzu kuͤhne Konftruction, welche die andere Lesart fodert, 
unnöthig machen würde. Darum muß wohl auch der Vers 
der Helga Quida: „Siss mundu Helgi hringom rada“ nicht 
mit Sräter „Nimis sero o Helgi annulis imperabis, 
fondern vielmehr proceribus imperabis überfeßt werden. Bey 
„fohem uuortum “ mögte ein Unterfchied eintreten zwiſchen 
fouum, few, wenig und fokem mwechfelnd, vielfach, manchericy, ſo 


#8 


u ‚340 Die beyden äft. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 


bey Otfried: „Fehemio muate -uble jo guate“. variabili ani- 
mo, malo bonove, Wo das wenig nicht wohl paflen will. 
Bey „en“ leitet der untere Hacken auf die Wermuthung , daß 
es auch Ahne heißen könnte; „dreuuer* Dreyfadengewand, 
will uns nicht wohl zu Binne, wir werfen auf geradewohl 
die Vermuthung hin, daß es auch driwerbe, vreyfad, beißen 
Lönnte, fo daß gelefen würde: wenn du mir Einen (oder 
Ahn) anfageft, ich geb dirs dreymal wieder, oder made 
dirs zu Gefallen dreymal wett. Das glei Folgende könnte 
andy verfianden Werden, allem Wolfe, jedem Kind im Königs 
reich bin ich befannt. „Trote“ Fret im bieflgen Landesdias 
lect ausdruͤckend eine herbe Kräftigkeit, ferah bep Oifried und 
fonft meiſt Leben, daher „ferahes frotoro“ eigentlich lebens 
fräftiger. Daß die Weberfeßung der Herausgeber „arbeo laosa 
heraet*“ (eruelosan man, König Rother 2907) durdy erbenlos 
fes Hausgeräthe richtig, und an die Herat dabey miche zu 
gedenken ift, können wir aus Dietrihs Flucht zu den 
Hunnen beflätigen. Helche fchlägt. darin dem Vogt von 
Bern vor, eine Frau aus ihrer Kunne gu fieyen, ihrer 
Schwefter Kind, Fıau Herrat ginannt, die fhöneft, die num 
lebendig iſt. Dietrich verfammelt feine Freunde im Rath, und 
Hildebrandt raͤth ihm eifrig dieſen Worfchlag anfunehmen, 
aber. nur aus allgemeinen Gründen ,. um die Freundſchaft mit 
dem Hunnenkoͤnig bauernder zu machen; von eigner Sipp⸗ 
ſchaft mit der Braut, oder daß er fie gu Haus zurückgelaften, 
wird nichts darin ermähnt. Die Hochzeit wird wirklich aus 
gerichtet, und der Berner erhält Siebenbuͤrgen zur Morgens 
gabe. Daffelde Gedicht veranlaft uns, im gleich Folgenden 
nicht zu leſen „feit Dietrihs meines Vettern Elend ſich ans 
hub,“ fondern vielmehr, wie fih weiter unten rechtfertigen 
wird: „feit Dietrich zu darben begann um meines Waters 
willen; faterero für Väter, hereron minon, meinen Ber 
ten, findet ſich öfter bey Otfried. Bey „ummettiri“ mögten 
- wie doch unmädhtig vorziehen, ee (Dietrich) war fo freunds 
verlaßner Mann, und Ottakern nicht gewachſen. Mit. dem 
Folgenden würden wir einen neuen Sinn anheben: „Bis da, wo 
Dietrich zu darben begann, war er (Hiltebrand) immer an 
Volkes Spitze.“ Bey „Welaga (Welaganu. Difried) nu wal- 











Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Zabrh. v. Grimm, 341 


tant Got“ wird Mar, daß die feltfame Phraſe im König 
Rother „dag weiz der waldindiger (anderwärts waldendinger) 
Got“ falſch gelefen I für: dag weis der waltende ber Got. 
Sn banın nigifastan, fünnte banun auch han, fan die Ban⸗ 
ner heißen ‚. die Banner fliegen laffen heiße zum Streite ziehen, 
das Banner binden, bie Waffen niederlegen. - | 
Die Unterfuhung über Sprache und Alter der Handfchrift 
iſt vorerefflich geführt, nur kann leider ſolchen Forfhungen 
nur allzu wenig fihere hiſtoriſche Grundlage gegeben werden, 
weil man bey den feltnen nody übrigen Dentmahlen beynahe 
nichts weiß über Zeit und Ort ihrer Entftehung. Es ift gewiß, 
daß, fo wie die Deutfhe Nation in drey Hauptſtaͤmme gers 
fiel, den Gothiſchen, den Suevifhen oder Dberdeutihen „ und ' 
den Fräntifchen oder Miederdeutfchen, fo auch allerdings die 
Sprache in drey Idiome auseinandergehen mußte. Aber gerade- 
in jener fruͤheren Zeit mußte das Allgemeine des Geſammtbe⸗ 
griffes noch fehr hinter dem Beſondern einzelner Formirung- 
zuruͤckbleiben. Denn das ift der Charakter alter Zeit und des 
früheren Naturlebens, daß die größte Meannigfaltigkeit von 
Formen fich darin hervorehut, die zwar alle einfady und eins 
fältig, aber in dieſer einfachen Einfalt mit der fchärfitien Eu 
genthämlichkeit ausgeprägt find. Erft im Laufe der Zeiten 
fammelt fi das Nächftverwandte, allmählig auch das Fernere; 
das Band eines Geſammtbegriffes fängt an wie eine Wahls 
verwandtfchaft fie zu umfchließen; das Gemeinfame- nimmt zu, 
und muß immer mehr berwiegend werden, wie das VBelons 
dere aufgerieben wird; zuletzt, wenn alle Eigenthümlichkeiten 
ber Grundformen ausgeglichen und mehr oder weniger ausge; 
fogen find, flehen einige große Maffen oder gar nur Eine da, 
die in ihrer Kugelsünde alle Typen und Geſtalten bezwungen 
Hält. So iſt es um die gefellichaftlichen Verhaͤltniſſe in Deutſch⸗ 
land beichaffen geweſen, und fo find die verſchiednen großen 
Sprahftämme erwachſen, die jest auf Europäifcher Erde fies 
hen. Jedes der vielen hundert Völker, die nad) und nah 
Deutſchland umhegte, waren eben fo viele verfchtebne Perfos 
nen, jede in gang abgeſchloſſener Eigenthuͤmlichkeit, die als 
foiche auch vor altem ſich geltend machte. Darum kämpften. 
und ſtritten fie häufig mit einander, ob fie gleih alle als 


Pr 





342 Die beyden aͤlt. Deut. Gedichte a; d, 8, Jahrh. 9, Grimm, 


Blutsverwandte an der Spr ache ſich erkannten; nur allmaͤhlig 
arbeitete jene dreyfache Bundsgenoſſenſchoft aus dem Streit 
der Elemente ſich heraus. So ift es auch mit der Sprache 
vom Befondern zum Allgemeinen vorgefchritten; im Anfang 
Hatte gewiß jcdes Wolf feine eigene fcharf beffimmte, von allen 
Andern abweichende, und doch wieder mit allen Andern zus 
fammendängende Mundart; ganz Ipät erft Bann man von Obers 
und Niederdeutſchem Dialect, den aͤußerſten nach Verfchlingung 
afer andern allein gurückbleibenden Segenfäßen reden. Darum 
weiche jede der noch Übrigen Urkunden der früheren Sahrhuns 
derte im Sprachbau und Mörterformen von der Andern ab, 
wie Ihre geflagt, und darum muß jede fchatf betrachtet wie 
‚die Gegenmwärtige aus Dbers und Niederdeutfcher Mundart ges 
miſcht erfcheinen. Wir find mit den Verfaffern einserfianden, 
daß die Caſſeler Handſchrift in dem Klofter von Fulda gefchrier 
ben worden, alle äußern Merkmale fcheinen dahin - übereinzus 
flimmen, daß fie etwa der. Zeit, wo Rhabanus dort Abt war, 
angehört. Diefer Präftige, geiftreihe Mann war netit Als 
cuin, Claudius, Sohannes Scotus, Schüler des ehrwuͤrdigen 
Beda, und während der Erfte die Franzoͤſiſche Schule in Pas 
ris, der Andere die Sjralieniiche in Pavia gründete, fliftete er 

in jener Abtey die Miederveutfhe, während jene von St. 
Ballen als die Oberdeutſche angefehen werden kann. In Futda 
waren 270 Mönche unter feiner Obhut verfammelt ; Philos 
ſoph, Dichter, Redner, Aſtronom, Chronifi,' der Griechifchen 
. und Hebräifhen Sprache kundig, hielt er unter Jenen offene 
Schule, ſelbſt nachdem er ihr Abt geworden; in allen religids 
fen und weltlihen Wiffenfchaften wurde dort unterrichtet ‚ von 
allen Seiten firömten Lehrlinge Hinzu; gelehrte Pflanzſchulen 
wurden von. da aus wetteifernd in vielen Klöftern gegründet: 
die Abtey war eine wahre chriftlihe Druidenſchule, ein heller 
Lichtpunct in dem damals fehr verwilderten Morden, und ale 
ſolcher von Völkern und Fürften geehrt. Unter jenem gelehr⸗ 
ten Vorſtand und feinem Nachfolger Strabus fand die Stifs 
tung in ihrem höchften Stange, und was an Dentmalen von 
ihr ausgegangen, wird fo ziemlich ihrem Jahrhundert anger 
hören, 150 Sahre fpäter waren die Mönche ſchon uͤppig und 
Viederlih geworden, und der Kayſer Heinrich nahm jhnen 


N 





— 


‚Diebeyden Alt. Dent. Gedichte a. d. 8. Jahrh. u. Grimm. 343 


darum. einen Theil ihrer Beflgungen weg, und legte fie Aerme⸗ 


m zu. Es war aber Otfried der Ueberſetzer der Evangelien 


von dieſer Fraͤnkiſchen Schule ausgegangen; wenn wir aber 
dies fein Merk mit unierem . Fragment vergleichen, feine ges 


. fhmeidige Soprache Die. runder, ja oft. zierliche Form, die fcharfe 
Herrſchaft der darin waltenden Segel im Segenfaße mit der 


ungetenten Gliederung, dem vollen aber ungeichmeidigen nicht 
ſehr muſikaliſchen Ton des Andern, dann müffen wir ung 
überzeugen, daß Beyde unmöglich zu derſelben Zeit abgefaße 
ſeyn können, fo viel man-and auf die Gewandheit des Dichs 
ters und den Umſtand, daß er eine kunſtgerechte Grammatik 
vor fih hatte, rechnen will. Vielmehr if die Sprache des 
Gedichtes älter, als irgend sines der bisher befannt gemachten 
Heineren Fragmente, das alte Vaterunier, das Freber, bers 
ausgegeben, etwa ausgenommen, das im Sprahbau und im 
den Mortformen unter allen jenem einzigen Ueberreſte am 
nächften koͤmmt. War alfo die Handichrift um jene Zeit wirt 
Ih in Fulda gefchrieben , dann hatte der Schreiber zuverlaͤßig 
ein älteres Original vor ſich, das er wenig oder gar nicht Ans 
derte. . Dran vergleiche aher nun mit Dtfrieds Bibel, Motkers 
zwenhundert Sjahre jüngeren Pſalter, und man mird den Uns 
terfchied in der Sprahe bey weitem geringer, als die zwifchen 
dem Erften und unierm Fragmente finden, fo daß die Ans 
nahme, jenes Driginal fey zwey SJahihunderte älter. ale Rhas . 
banus feineswegs übertrieben fheint. Aber wir haben Gründe, 
auch felbft dies ältere Blatt nicht für die Wrfchrift anzuerkens 
nen. Es ift nämlich die Zabel des Gedichtes eine Gorhifche, 
die Sprache aber eine der Fränkifchen Mundarten. Nun galt 
allesdings die Fabel des Heldenbuches auch im Frankenlande, 
aber fie ging dort keineswegs in Gothifhen Formen um; fie 
war vielmehr als eine Einheimifche aufgenommeny es Waren 
Fraͤnkiſche Helden, Fraͤnkiſche Mamen und Fränkifche Thaten, 
oft gegen den feindlihen Garhifhen Stamm anggeibt, wie 
jene der Burgundionen, Die dann befungen. wurden. Gang 
gewiß hatten die Fränfifchen Stämme ihr eigenes Heldenbuch, 


‚und das gegenwärtige Gedicht war feineswegs ein Theil von 


ihm, es war von einer Sothiſchen Urſchrift Übertragen wor⸗ 
vn: Da dic Dichtung in (ren Lebensaltern ſich gewoͤhnlich 





® 


344 "Die beyden aͤlt. Deut. Gedichte a. d. 8, Jahrb. v. Grimm, 


an die Zeiten glängender Regierungen und eines wohlgegräns 


deten allgemeinen Wohlſtandes zu knuͤpfen pflegt, ſo kann man 


uͤberhaupt die Zeit Theodorichs als die Sammlung und Aufs 
faffung jener Gothiſchen Geſaͤnge vielleicht auch zum Theil 
ihrer Umbildung in die chriftliche Form mit Wahrfcheinfichkeit 
annehmen. In diefe Sammlung war denn auch das Caſſelet 
Fragment aufgenommen, nnd wahrſcheinlich in den Runen des 
Uifilas gefchrieben. Auf diefe Vermutung haben ung die noch 
vorhandenen Spuren jener Schrift im Text. geleitet. Wie 
nämlich die Herausgeber im Weiſenbrunner Geter das Runen⸗ 
hagel gar wohl erkannt, fo finden wir bier außer dem W des 


Urfilas noch Thor oder Thus, fo häufig auch in den Mann 


feripten” der Edda vorkommen, anfangs durch den Querſtrich 
durch dag D bezeichnet, tiefer hinein Durch das linfsgeichwängte 
d, beydes den Lispellaut andeutend. Der Haken abwaͤrts am 
e in den Worten en, seo, enigeru, lettun findet ſich gleich⸗ 
falls häufig in der Edda, um ae zu bezeichnen, z. 2. * 


reidr, Säreida, und wie hier 0; fo. wird dort se moru 


s 
vada der traurige See mit demfelßen Hafen bezeichnet. Die 
Eircumflere endlich Über aenon se, erhinal, hewun, alſo 
alle auf e (deinen das Eir der-Runenfchrift auszudruͤcken und 
anzudeuten, daß ö, oe und ör gelefen werben müͤſſe. 

Ein weiteres großes Verdienſt der Herausgeber iſt die 
Entdeckung der Aliteration in bepden Fragmenten, und die 
Machweiſung, wie fie in, gebundner Rede abgefaßt. Der Vo— 


cal ift das narärlihe Element der Sprache, der Confonant das 


Tehnifhe; jener-mird wie das Leben nicht gelernt, diefer kann 
in fertiger Ausfprache durch Uebung allein erworben werden. 
Bey allen rafchen, ruͤhrigen, firebfamen, Briegerifchen Völkern 
und epifhen Naturen bey Mordländern, Berg: und Wüften 


bewohnern ift die Sprache reih an Mitlautern und Lunfkteis 


hen Verknüpfungen diefer Elemente in fcharfer Zeichnung ohne 
fonderlihe Färbung. Bey Andern, die mehr Iyrifh im Leben 
und im Gefühle fih bewegen, daß der gefpannte Muskel 
ſich loſ't und in innener Fälle runder, herrſcht aud die Muſik 
des Wocales vor, es find Bruft s und Herzenſprachen, wie jene 
Mingerfpragen, Der Nordifchen Kehle aber mußte nun and 


⸗ 


za “ 





Die benden Alt, Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, ' 345 


das Nordifche Ohr zugebilder feyn, und am regfien der Hare 
monte jener ſtark bezeichneten Sprachlaute fih öffnen, fo zu 
reden mehr dem funftreihen Einklang der Anftrumentalbegieis 
tung , als. dem inwohnenden Sefange. Das hat ohne Zweifel 
die Deutfchen und Celtiſchen Voͤlkerſchaften auf die Alliteration 
geführt, ein Heldengefang in ihr. ift ein Waffentanz, worin 
die Ringe der Ruͤſtung Elingen, die Langen gegen einander 
faufen, und "Schwertihtäge von den. Woͤlbungen der Schilder 
widertönen, während Liebesgirren nur im weichen Lüftchen mils 
derer Sprachen fih articuliren kann. Affonanz und Eonfonang 
find wie Naturlaue und Kunſtlaut, jene läuft am Selbſtlauter 
fort, die andere am Mitlauter, jene ift eben. ſelbſtlautend und 
die andere mitlautend, indem fie wahrfcheinlih im Vortrage 
den frey fchweifenden Ton auf eigne Meile band und begraͤnzte. 
Sür den, der die Dinge ohne Eünftlih gemachte Befangenheit 
nimme, wie fie fih ihm geben, iſt es fihon zum Voraus ger 
wiß geweien ; daß eine Erſcheinung, Die fo tief im Geiſte des 
Volles und der Sprache ihre Wurzeln fchlägt, ‚weder von 
einem beionderen Stamme ausgegangen ‚. noch auf einen engen 
Winkel in ihrer Verbreitung fich beſchraͤnkt. Inzwiſchen war 
es nothwendig fuͤr diejenigen , die in der Geſchichte nichts ohne 
den bibliſchen Augenschein gelten lafien, ohne dabey zu. gedens 
fen, daß er dem geträbten Auge doch wieder nur zum Scheine 
werde, und bey denen felbft Gott fein Dafepn durch gehörige 
Erweife in logifcher Form legitimiren muß, bier wieder eins 
mal urkundlich zu beweifen, daß die Geſchichte ihre großen 
Sefege hat, wie der Kimmelsbau, und daß alles, was aus 
ihnen auf die vechte Weife bergeleitet wird ,. Dusch die Beob— 
achtung da wie dort nimmer Lügen geftraft werden kann. Das. . 
Caſſeler Fragment beweiſ't fchlagend, daß die Alliteration, die 
bisher für das Angelſaͤchſiſche erwieſen war, über die ganze 
Niederdeutſch Fränkifhe Poefle, und wenn unfere "Ableitung 
richtig iſt, Aber die Sothifche ſich verbreitete, und das Weißens 
Brunner Gebet vollendet diefen Beweis auch für die Oberdeut⸗ 
ſche oder Sueviſche, der dies Fragment, wie faum zu zweifeln, 
angehört. Wo an ſeltnen Stellen die Alliteration auszugehen . 
feine, iſt es wohl durch die Webertragung der Urſchrift in 
fremde Mundart durch der Sache nicht ſonderlich kundige 


346 ° Die benden Akt. Dem. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm, 
Mönche eingefhlihen. Die Dichtungen aber nun auf biefe 


Weiſe in ihrer urfpränglichen Form wieder hergeſtellt, laſſen 


uns einen tiefen Blick in das Weſen der einheimiſchen Poefie 
thun. Sie reichen nahe in die Zeit von Chilperihs Grab 


hinein, und wie das, was man dort gefunden, Bienen, Sie 
gelringe, Schwert, Meffer, Pferderäftung , Stierbilder und 
einen plaftifch, anfhautihen Begriff von den Außerlichen For 


‚men des damaligen Lebens geben, fo führen uns diefe Ueber⸗ 


bleibſel recht in die Mitte: des dichtenden Geiſtes jener Zeit 
Binein, und wenn wir die Töne, die in den Werken des 


Mittelalters und des Nordens; fo wie in uns ſelbſt von jener 
Zeit noch dunkel nachklingen, um die gewichtigen Worte, in 
denen diefe Nunen Iprechen, fammeln, dann mögen mir den 
Torſo in unferer Anſchauung mit ziemlicher Sicherheit ergäns 
gen, und uns ein ganz angemeſſenes Bild von -dem Weſen 


jener uralten Dichterſchule machen, etwa wie wir. die Altgrie 
chiſchen Philoſophenſchulen ja gleichfalls aus wenigen übrigen 


Sragmenten und dem Beifte des Ganzen gar wohl zu deuten 


vermögen. , Nur über die Vortragsweiſe diefer Werke laͤßt ih | 


fchwer aufs Neine kommen, wahrscheinlich gefhah es ſchwebend 


gwifchen Sage und Lied in einer Art von Necitatif mit Ber 


gleitung irgend eines lautenartigen Inftrumentes, fo daß dit 
Betonung immer auf die alliterirenden Sylben fiel, eine Art, 


wie fie wohl auch die früheren Rhapſoden und die fpäteren 








Conteurs verfchieden von den Liederfängern haben mogten. 
Aber: gewiß iſt, daß auf: fotche Unterlage die ganze fpätere 


Moefle gegründet. war. Das Caſſeler und das Weißenbrunner 
Manuſcript verhaften fich genau gu einander, wie der herois 
fhe und der. mythiſche Theil der Edda, denn auch wir glauben 
mit den Herausgebern, daß der Eingang der Lestern einer 
Art von Deurfcher Voluspa angehört. Die ganze Dichtung 
des Volles war in einem folhen Mythen⸗ und Heldenbuche 
niedergelegt; das Wenige, mas wie im Gebete das Chriſten⸗ 
thum vom Erſten nicht etwa zu ſich hinuͤberziehen mogte, wurde 
verworfen und ging verloren, auf das Andere aber wurde im 
Nerfolge die ganze Dichtung des Mittefalters: aufgeſetzt. Wir 
haben am König Rother noch eine treffliche Urkunde zum Ber 
lege dieſes Zuſammenhanges der fpäteren Zeit mit jenen frühen 


"Die benden Alt. Deut, Gedichte a. d. 8. Jabrb. v. Srimm. 347 


Jahrhunderten. Gerade wie das Caſſeler Fragment aufgeldf't 
aus Altdeutſchem Lied in die Wiltinafage des dreyzehnten Jahr⸗ 
hunderts eingegangen, und dann durch die verfchlednen Umar⸗ 
beitungen des KHildebrandliedes His auf ung gekommen, fo findet 
fi) auch Rother als ein folhes Lied in jener Soge, zugleich 
aber auch früher nod) als Epos ſchon vom Norden nach Star 
lien und Griechenland hinadgetragen. Der Oſantrix der Wil: 
finafage iſt die Nordifchdeutiche Geſtalt des ſuͤdlich Ofigothiſchen 
Rothers, und Benden liegt gerade ein folches altes Gedicht, 
wie das Fuldaer zum Grunde, aus dem es fi in allmählige 
Hortbilänng heraus entwicelt hat. Daß dem fo fey, beweiſen 
außer den noch da und dort durchbrechenden rieſenmaͤßigen 
Umriffen der fräheren Zeichnung , die .mancherley alten Works 
formen, die auch fhon v. d. Hagen aufgefallen, volgodis, 
tror.nde, sprachan, gesamenot, gecirot und viele Andere, 
alles große Werkſtuͤcke eines andern Baues in diefen nur vers 
mauert. Der Versabtheilung muͤſſen wir durchgängig unferen 
Benfall geben, und ee ift ung intereffant geweien, zu vernehs 
men, wie die Heransgeber gegen die Brehung der Eddd im 
Heine Verſe fih erklären, Allerdings läßt ſich wohl Mandıes 
gu ihrer Rechtfertigung bepbringen. Das Griechiſche vollendete 
Epos wie dje Mibelungen und auf gleicher Höhe ſtehende Dich⸗ 
tungen aller Voͤlker gehen allerdings im fenerlihen Schritte 
mit langem Schteppfleid, aber es ift keineswegs Damit ents 
fhteden , daß auch die alten Rhapſoden fo feyerlich gefungen. 
Der Athemzug der Begeifterung iſt tief, aber kurz; wo die 
Dichtung nod fo nahe und fcheitelreht über dem Leben ficht, 
eefcheint auch Ausdruck und That in einem runden engerfüllten 
Augenblicke; erſt wenn das heiße Gewitter voräbergezogen, 
fehen wir zuerſt das Feuer zucken, und die veflectirende - Dichs 
tung dann in einem langen Donnerguge nachrollen; ganz zus 
letzt in zahmer gebildeter Zeit fkehe fie ohne Zuck und Schlag 
ein bloßes Wetterleuchten am fernen Simmel, und die Wolke 
laͤßt fich erfühlend das Feuer in langfamen Kellen austropfen! 
Die alte Sage ift,-fo fcheint es, kurz und eilig wie die Kies 
toglpphenfprache, fie hat viel zu fagen, und wenig Zeit und 
Worte, der Stein, die Rede foll fo viel ats moͤglich Gedan⸗ 
ten in wenig Zügen fallen; fie noch Gefährtin der Heldenzeit 


348 Die beyden alt. Deut. Gedichte a. d. s. Jahrb. v. Grimm, 


und ſelbſt Keldenjungfrau verhätt ſich zur fpäteren Nacherinne⸗ 
rung wie fchrotende Schwertesfchärfe zum heilen Stahlſpiegel 
auf feiner Flähe. Darum iſt wohl Auch Die enge Versabthei⸗ 
fung, wenn fie ein Irrthum if, ein fehr alter, denn offenbar 
iſt der mwelfche kurze epifche Vers, von Norden herab, wie ber 
Alerandriner von Süden heraufgelommen , iaus jenem dadurd 
‚hervorgegangen, daß man bie Alliteration bloß mit dem Meime 
verwechfelte,, und mit dem Sylbenmaße leichter nahm, und 
gerade das gibt zuruͤckwirkend auf das Vorbild diefem einen 
fluͤchtigen, leichtfertigen Anſtrich, der fi mit feinem ernſten, 


bedentfamen innern Charakter gar nicht wohl vertragen will. 


Unter der Rubrik: Zuſammenhang mit dem ganzen Fabel⸗ 
kreis, haben die Herausgeber vortrefflich nach ihrer Weiſe wie 
Geologen eine Erzader, fo das Werk in feiner Lagerung in 
dem großen poetiſchen Gebuͤrgzuge dargeftellt, und fo erſt recht 
feine große Hiftorifche Wichtigkeit herausgehoben. Wir find 
im Stande, aus der Vaticaniſchen Handſchrift No. 314. Dies 
trichs Flucht zu den Hunnen, die Fabel, in die das Fragment 
eingreift, in etwas zu ergängen. Der alte Amelunch erzeugte 
mit einer Gattin, aus Kerlingen geboren, drey Söhne wohls 


| gethan, worunter der ältefte Diether, dann Ermrich fo der uns 


getreueft war, der je von Mutter ward geboren, zuleßt Diets 
mar. Der Vater theift unter die Söhne fein Land, fo daß 


dem Erfigebornen Bifah und Beyerlant, dem Ermrih Puls 


len, Galaber und Wernhers Mark, dem Juͤngſten endlich 
Lamparten alles gar, Roͤmiſch Ere und Ofterlant, Foriul und 
das Inntal zufaͤllt. Ale drey gewinnen Kinder, Ermrid eis 
nen Sohn, Friederich genannt, Diether die beyden Harlunge, 


die Ermrich fieng und ohn’ Schulde hing. Dietmar endlich, 


der Bern gebaut, nahm des Königs Deſau Tochter, und ge 
wann mit ihr zwey fchöne Kind, Dither und den Bernere, det 
mit maniger Mannheit- alle die Wunder hat bereit, davon 
man finget und ſeit; Hildebrand ergog die Soͤhne, die der 
Water fierbend dem Ermeich befohlen. Diefem aber rathen 
Sibich und Nibeftein, daß er mit Dietrich ein Gleiches thue, 
mie mit den Harlungen, während er ihn zu fi Tade, unter 
dem Vorwand, daß er nad dem heiligen Grabe walle, um 


43 
+ 





r 


Die benden aͤlt. Deut, Gedichte a. d. 8. Jahth. v. Grimm, 349 


den Tod der beyden Juͤnglinge zu bäfen. Der Lngetrene 
fendet Randolt von Anton mit dem Auftrage nah Bern, dies 
fer aber ſtatt ihn in die Schlinge gu ziehen, warnt ihn viels 
mehr vor der Verräthery. Wie Ermrich feine Tuͤcke entdeckt 
ſieht, gebieter er eine Heerfahrt, wie größere nicht warb ges 
fehen auf römifh Erd. Er ruͤckt mit mehr ale Boooo in das 
Herzogthum zu Spolet und heißt das Land ode legen mit 
Raub und Brand, bie an Meylan. Aber auch Dietrich hat 
ſich geräftet, ihn zu empfangen, unter dem Rufe Aht Sche— 

velin (oder Echavolin) Berne, Aber volir Berne! (Acht 
(han wohl in Bern, achtet wohl ihr Berner ?) Überfälle er 
Nachts den Feind; Ermrihe Sohn, Friedrich, wird mit 1800 
gefangen , und 26000 fliegen vom Heere erfchlagen. Mach der 
Schlacht aber gräme. fih Dietrich fehr, daß er nicht Gutes ges 
nug beſitze, um feine tapfern Freunde gu belohnen. Da fpricht 
Bertram von Poten, Herr ihr folle nit Sorge han, ich gieb 


end Gutes alfo viel, mit Treuen ich das gerne thun will, _ | 


500 Saummere in Polen, da ih zu Daufe bin. Dietrich 
nimmt das Anerbieten an, und nach dem Golde werben ges 
fendet Hildeprant, Sigebrant, Wolffhart, Helmſchart, Am⸗ 
lant von Gart, Sindolt, Ditleip von Steyer und mit ihnen 
Bertram. Aber ihre Reiſe war alles Ungluͤcks Anfang, wähs 
rend die Boten hochgemutet flreichen mit dem Gute, legt Erm⸗ 
zih ihnen einen Hinterhalt, und als man das Gold führen 
folte gegen Bern herauf, durch Iſterich wird es genommen, 
und die Ritter werden gefangen vor Ermrich geführte zu Mans 
tauwen in die Stadt. Und der Ungetreue fpricht zu ihnen: 
wil Dietrich Idfen euer Leben, er muß mir fürwar geben_als 
les was er je gewann, Gart und Meylan, Bern und Raben, 
Polen und Hifterih, Lamparten und roͤmiſch Erde muß er 
mir alles laffen, alles muß mein eigen weſen, oder: ich laß 
euch micht geneſen. Der Bernere, wie er die Rede vernimmt, 
ſpricht: und waren mein alle Reich, die wollt ich ehe alle lan, 
dann meine getreuen lieben Mann, die Reiche ich eh alle 
verchur, ehe dann ich fie alfo verfur. Er fender einen Boten 
an Ermenrich, daß er ihm feinen Entſchluß anfündige, und 
dieſer ziehe vergnuͤgt mis einem Heere gegen Bern. Mit 


1 


350 Die beuden lt. Deut. Gedichte a. d;6, Jahrh. v. Grium. 


Kräften fie lagen, Raubdes fie -pflagen, und ıhaten Schaden 
Fark allum duch die Mark, das Land fie anzımden ,. fie has 
men was fie fünden, Rauch ging Über Land, der ſtarke Woſt 
und Brand, Rauch Über Bern. Hervortreten Jubart, Cie 
wart, Ekkenat, deren Waren drey und vierzig Mann, die 
Eur, Weib und Kind ließen um den von Bern. Dietrich 
geht hinaus mit Geleit vor Ermrih, mir naffen Augen trübe 
und roth; das Haupt er darnieder bot Ermricd auf die Füße. 
Er ſpricht: gedenke Better fühe, daB ich bin deines Bruders 
Kind, daß meine Sinne noch kranke find, nu thu an mir die 
Ehre, ih will nimmer mehre wider dein Hulde icht begehn, 
noch deines Zornes abgeſtehn. Lange ſchweigt Ermrich,. zuleßt 
fpriht er erbarmungslos: gibt man mir heute Bern nidıt, fo 
glaub mir, daß dir. gefchicht weh von meinen Handen. In 
allen den Landen, die je Land find genannt, wo dic, Legreifet 
mein Hand, da wiget nicht dir alles Gold roth, begreiff ih 
dich fo biſt du todt. Dietrich. bitter zuletzt bloß um Bern, der 
Ungetreue aber erwiedert, nu laß dir ſeyn von mie gach, oder 
id heiß dich fangen und auf einen Baum bangen, dennäds 
ften den ich finde. Zuletzt noch fagt er, um ihn zu kraͤnken, 
er muͤſſe zu Fuße mit den Seinen abziehen. Wehr als rau 
fend Frauen aus der Stadt, Fran Ute an ihrer Spiße, achen 
hinaus ins Lager, und legen Fürbitte um den Fürften ein, fie 
werden aber zornig angefahren; eylet euch von mir wenden, 
oder ich Heiß euch fchänden. Hin fährt nun Dietrich gegen 
Hunnenland mit den Seinen, am 2öten Tage koͤmmt er mit 
Genoſſen in die Stadt Gran, und kehrt bey einem Kaufmann, 
des Königs Palaſt gegenäder, ein. Baid hält die Königin 
Helche ihren Einzug mit Ruͤdiger, und verſchaͤmt birge der 
Held fih hinter den Linen, Rüdiger aber erkennt und bewils 
kommt ihn und ſchenkt ihm, als er fein Unalüd erfahren 
Bon Mark. Auch ben der Königin führe er ihn ein, und auf 
fie, nachdem fie ihn wohl bemwirthet, verehrt ihm zwölf Saum 
möre mit Sur. Batd auch koͤmmt der Kunnenfürft mie fer 
nen Rittern von Epelburg, aud) er nimmt ſich des Geächteten 
an, und fagt ihm 12000 Mann gu, Nüdiger 12000, ud 
Andere nach Vermögen. Bald erhält Dietrich auch Nachricht 














Die beyden Alt. Deut. Gedichte a.d. 8. Jabrb. v. Seium. Ast 


von Amelot, mie er Bern wieder gewonnen durch Ueberfall, 
und nun zieht er aus gegen römifc Reich mit feinen Mannen. 
Am zwölften Tage koͤmmt er vor Bern an, Tidas gewinnt 
ihn Meylan, um ihn fammeln fid wieder feine Freunde. 
Da made auch Ermrich fih auf, um Meylan zu belagern, “ 
Dietrich aber bereitet einen Ueberfall, Wolffhart redet zu feiner 
Schar: nu freut euh Helden gut, wir follen in Mannes 
Blut heute waten bis Über die Sporen, mir follen alſo ſchaf⸗ 
fen, daß Layen und Pfaffen von diefer freyfen Märe fagen. 
Bie ftoßen bald anf den ſichergemachten Feind, da ward ein 
Darruden, da hub ſich ein Zucken, die fcharfen Geren mit 
Handen zufammen fie gerannten, der Dunft aus ihrem Leibe 
rauch, gleich in dem Gebaren gleid als ob ein Wald wäre 
gegündet an mit Feuer. Wolffhart fchreie abermals auf: iſt 
unter ung jemand er fey Kerr oder Fürfte, den von Kerzen 
dürfte, der leg fi) nieder und trink das Blut, und fecht aber 
als ein Held gut. Ermrich wird gefchlagen. und in Ravenna 
eingeichloffen, auf Sibech und Ribeſteins Nat aber entweicht 
er in der Nacht nady Bolonie. Ravenna wird übergeben, 
und von Dietrich dem ungetreuen Wittige übergeben, fo mie 
Meylan dem Tydas, Bern dem Elfan, art: dem Amlolt. 
Dann. reitet der Vernere mit den Hunnen zu Ebel,. ihm 


koͤmmt fein Bruder Diether ın Freude entgegen, Buhurt und, 
Hochzeit mit der Herat. Bald aber kommen wieder Voten 
von Amlolt hergeeilt, um zu verfündigen, wie Wittige Nas 


ben verrathen, und wie Ermrich alle in der Stadt erfihlagen, 
tanfend Frauen enthauptet und fechehundere Kind gehentt, 


und wie er mit einem. Heere von 2ooooo läge im Herzog⸗ 


tham von Spolet, denn er hat das Harlunge Gold, davon 
er noch lange gibt guten Sold. Da gebieter Etzel eine Heers 
fahre nah Gran über acht Wochen, Frau Heide fendet 48 
©aummäre mit Golde roth voraus nah Bern: Bald fans 
melt ſich ein Heer von 150000 um Dietrih, und damit fährt 
er bin dur) Sandes gegen, Yſterich, unterwegs: unterwerfen 
fi ihm wieder Polere die Heichen, und geben hundert Ka⸗ 


ſtellan: bey Padaume wird Ermrihs Sohn Friedrich gefchlas 


gen, Wolffhart fängt Sibechs Sohn Saben, und er wird 


352 Sie binden aͤlt. Deut. Gerichte a. d. 8. Fahr. v. Grimm, 


vor deu Manern gehenkt. Das Heer zieht weiter gegen Ru 
ben, die Frauen werden begraben mit großem Leid, und: es | 
geht num nad Bolonie, wo Ermrich liege. Am Reine (Peiner 

Fluß bey Bologna) lagern beyde Heere, der Feind wird. ums 
" gangen durch die eine Hälfte des Hunnenheeres, Dietrich 
felbft macht den Angriff, Fener flog freislidh aus Heimen und < 
Rähterner War, Ermrihs Heer wird durchbrochen. Am 
Morgen koͤmmt nod König Günther mit: den flarfen Burgos 
nismann gegen die Sieger geritten, alle auf floigen Kaſtellan 
mit Eiien wohl bededet. Erf wird nun ein Seurm gefirktten, 
der härteft der da je geſchah, als ob taufend Schmiede wären 
mit Hämmern über Ambos gethan, Dietrih und Günther, 
Volker von Alzan und Wolffhart kommen zuſammen mit 
Wehr, Schaar nad Schaar wird aufgerieben, am Mittag 
gelagen alle Guͤnthersmannen todt bis auf 3a, der König 
ſelbſt wird flüchtig, Geld, Blumen und Gras, alles rinnt 
von Blute, man fieht die Guͤſſe hinabgehn, als von dem Re⸗ 
gen thut ein Bach, wohl eine deutfche Raſte weit alles mie Tod: 
sen voll lag. Ermrich verlor alle die gar, die er hatt ges 
bracht in den ©treit, der Seinen lebt niemand mehr wann 
1100 Mann; Ribeſtein wird errannt und von Ekkewart ers 
ſchlagen, nur 200 kommen mit Ermrich, Sibig, Wittige und 
Heinze nach Bolonie. Es folgt die Klage und das . Begraben 
der Todten, Ruhe der Streitmuͤden bis zum achtzehnten Tage, 
dann fähre Dietrich wieder gu den Hunnen nad Ebelburg, 
und wird freundlich empfangen, Helche klagt in ihrem Muthe, 
die edeln Recken gute, und wer auf dem Wall verſchied. Hie⸗ 
mit endet ſich das Lied, das zwar in der alten: Form reichen 
Stoff zu einer fchönen Quida bot, hier aber in fpäterer meis 
fierfängerifcher Breite und Berweichtheit nur von ſehr mittels 
mäßigem poetifchem Verdienſt erſcheint, aber fehr wohl bie 
hiſtoriſche Compoſition jenes Dichtungskreiſes zu erlaͤutern und 
“ aufjzullären dient. 











(De BBefhtußg fat.) 


UN ER SINE nn 


ww.“ 


No. 23. Beidelbergifche 4813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





Die beyden aͤlteſten deutſchen Gedichte aus dem achten Jahrhundert 
herausgegeben durch die Brüder Grimm. 


1 Befhluß der in No. 22. abgebrocdhenen Reenfion, ) 


W..⸗ die bey dieſer Gelegenheit von den Verfaſſern ent⸗ 
wickelten, ſehr wohl begruͤndeten Ideen uͤber Dietrich von Bern, 
Ermrich, Sibich, bie Wölfinger und verwandte Gegenſtaͤnde 
betrifft, fo werden wir an einem andern Drte Gelegenheit has 
ben, uns weiter darüber zu verbreiten; bier bemerken wir nur, - 
dag ſchon der Abt Conrad von Lichtenau, Werfaffer der Urfpers 
ger Chronik am Anfange des drengehnten Jahrhunderts, über 
den Zwiefpalt der Pocfie und Geſchichte in der Dietrichsfage 
nachgrübelte, und zu einem aͤhnlichen Reſultat wie die Verff. 
gelangte, wobey ihm aber freplich die wahre Erkenntniß des 
Weſens der Heldenpoefie nicht angemuthet werden darf. Wir 
führen die‘ in mancher Beziehung merfwürdige Stelle hier aus 
feinem Buche, Basler Ausgabe ©. 111 an: „Nah Ers 
wägung aller diefer Umftände mag jeder, dem irgend einige 
Ueberlegungstraft beywohnt, enticheiden, was davon gu halten, 
daß nicht bloß in gemeiner Dichtung und in Volksgeſaͤngen 
aufgenommen, fondern fogar in einigen Chroniken gefchrieben 
it, wie Ermenreih zur Zeit Martians Über alle Gothen ges 
herrſcht, und den Dierrih Dietmars Sohn, feinen Vetter, 
auf Anftiften des Odoacer, gleihfalls, wie fie fagen, als 
Wetter ihm verwandt , von Verona vertrieben, und ihn 
gezwungen, beym Hunnenkoͤnig Attila Zuflucht zu ſuchen, da 
doch Jornandes ausdrücklich erzähle, Hermenreich, der Gothens 
tönig , Habe zur Zeit des Valens und Walentinians über viele 
Könige geherrfcht, und ſey von zwey Brüdern Sarus und Ams 
mins, bie, wie ich glaube, jene find, die gemeinhin (vulgariter) 
Sarelo und Hamidiecd genannt werden, verwundet worden, 
und dann beym erſten Vorbrechen der Hunnen aus ben mäatts 

.. 25 | 





- 


354 Die benden aͤlt. Deut. Gedichte a. d.5. Jahrh. v. Grimm. 


fhen Sümpfen unter Valamber theild an der Wunde, theils 
eus Verdruß über diefen Einbruch geſtorben, Attila aber habe 
fiebenzig Sabre fpäter in den Catalauniſchen Feldern geftritten, 


und fey unter Martian und Balentinian geftorben. Dann erft 


habe unter Leo Theoderih, Dietmars Sohn, den Odoacer Kds 
nig der Nugier und Turcilinguer in vielen Treffen gefchlagen 
und die Herrſchaft Italiens erlangt. Darum mag eine aufı 
‚ merffame Betrahtung diefer Thatfachen wohl entfcheiden,, wie 
es doch, möglich feun mögte, daß Ermenreih den Theoderich 
Sohn des Dietmar zum Attila entweihen machen, da er doch 


feineswegs fein Zeitgenoffe war. Jornandes hat alſo entweder | 
falſch berichtet, oder der gemeine Glauben trägt, oder ein ans 
derer Errhenreich und ein anderer: Theoderich find als Zeitger | 


nofien dem Attila beyzulegen, durd welche alddann der Wibders 
ſpruch ausgeglihen werden mag. Denn jener Ermenreich farb 
lange vor Attila, Theoderich aber wurde nad feinem Tode, 
oder um die Zeit defjelben geboren im fünften. Geſchlechte von 
Vuldulf, Bruder Ermenreihs, beyde Söhne Achiulfs, adı 
ſtammend, deſſen Enkel Eutharik, indem er die Amalafıenta, 
Theoderihs Tochter, zur Gattin nahm, beyde Linien wieder 
miteinander verband. Dietmar feinem Vater aber werden feine 
anderen Brüder beygelegt als Vualamar und Vintimar, wo— 
von der Erſte zur Zeit Attilas lebend nach deſſen Tode ſeiner 
Herrſchaft ſich unterwarf, und ohne Nachkommen ſterbend ſei— 
nem Bruder Dietmar die Regierung überließ, der andere aber 
“einen gleichnamigen Sohn hatte, der nad) des Waters Tode 


Stalien verließ, und nah Ballien gina.“ Man fieht, dieſe 


Chroniken lefen, wenn der Abt recht gefehen, gerade wie dad 
Caſſeler Fragment, wie es fcheint, anders als die Wilkinaſage, 
die doch ganz auf den Liedern derfelden Zeit ruht; Dietrich 
flieht vor Odakers Neid nach Hunnenland, und diefer Odaker 
iſt nihe Ermenrih, fondern Sibih oder Saben. Alles be 
weiſ't, wie vielfältige Geſtalten die Fabel durchgelaufen, gleicht 
zeitig bey vielen Voͤlkern und nacheinander in vielen Zeiten, 
den Letzten ift alles zulege in ein Bild verwachien, wie ein 
Baum im den Knospen viel taufend Pflanzen tränt, deren 
jede verfhieden von der Andern, und die doch eins find in 
ihrer Natur und in ihrem Mutterſtamme. So auch find all 














Die beyden At. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm. 355 


diefe Helden Dietrich und KHiltebrand und Odaker und Ermens 
reih und Attila blühende Baͤume, die viele Länder mit ihrem 
Gezweige Überfchatten, und durch lange Jahrhunderte immer 
diefelben und immer Andere grünen. Alles das iſt in dee 
Schrift fehr gut entwickelt, und dabey nody recht fcharffinnig 
auf die Verknüpfung der Dichtung durch Sibih mit der alten 
Fuchsfabel nachgewieſen. Was den gleichfalls angedeuteten Zus 
fammenhang des Hiltebrand mit dem Odyſſeus betrifft, fügen 
wir nur noch aus der Trojanifhen Geſchichte des Dictis von 
Creta, die man, mie alle Werke dieſer Art, auch achtlos vers 
worfen, während fie ein Neugriechiſches Erzeugniß der frühes 
fien Zeit ohne Zweifel auf alten Sagen und jeßt verlornen 
Urkunden ruht, daß auch Ulyſſes mit dem eignen ohne Thes 
lagon, den er mit der Circe erzeugt, in Achaia vor feiner 
Burg fämpfte, ohngeadhter ihn ein Traum ‚gewarnt, und daf 
ber Süngling unmwiffend den Vater mit der eignen Lanze, die 
er auf ihn hingeſchleudert, toͤdtet. 

Wir muͤſſen den Bemerkungen ein Ziel ſetzen, welche die 
intereſſante Schrift in ung geweckt. Wir loben zuletzt noch 
einmal dag Ganze um die treue Gruͤndlichkeit, um die fchöne 
Liebe zu der Sadıe, um die durchgängige innere Tüchtigkeit, - 
um die a darin herrſchende Geiſtigkeit. | 

Goͤrres. 





Erinnerungen von Friedrich von Matthisson. Erster 
Band. Zürich, bey. Orell, Fuesli und Comp. 1810. Xx u. 
4138. Zw.Bd. 413 ©. gr. 8. (Mit einigen niedi. Vignetten.) 
Die anziehende Darftellungsart des Perf iſt fhon ans 

feinen früher erſchienenen Briefen bekannt. Die Vorzuͤge, welche 

jene Sammlung auszeichneten , — ein heller Blick im Auffafs' 
fen der Segenflände, ein guter Beobachtungsgeiſt, weifer 

Steihmurh und milder Ton in der Beureheilung, metrifchs ' 

ſchoͤne Darftellungen und ein fehe gebildeter, biühender Vor⸗ 

trag — zeihnen auch diefe Erinnerungen, und zwar in einem. 
noch höheren Grade, aus. Mur dürfte der Vortrag hier und. 
da für Proſa vielleicht zu biumenreich feyn, und manchen Schtis 
derungen fcheint faſt bloß das Sylbenmaß zu fehlen, um 





366 Erinnerungen von Fr. v. Matthifon. 


maleriſche Poeſie zu ſeyn. Mehrere der im Jahre 1705, und- 
‚im: J. ı8o2 in einer neuen Auflage, erichienenen Briefe des. 
Herren v. M. find, ihrem weientlihen Inhalte nach, wiewohl 
in’ einer andern Ordnung, mit den fünf in diefem erflen Bande 
vorfommenden Auffäßen verwehrt; allein überall Wird man die 
beiferude und fellende Hand des Verf. gewahr. Manches 
Minderbedeutende,, desgleichen die Ankündigung der künftigen 
Erſcheinung von Büchern, die damals, als die Briefe heransı 
kamen, laͤngſt erfchienen waren, wie Gerſtenbergs Minone, 
Klopſtocks Tod Hermanns u. a. blieb diesmal weg. Einiges 
mal werden jedoch auch Hier noch Werke als künftig erfchels 
nend angekündigt, die wenigſtens zur Zeit der Herausgabe 
diefer Erinnerungen (1810) allgemein, als längft ers 
ſchienen, bekannt find. So wird, um nur ein Bepfpiel ans 
zufuͤhren, & 375 bey Aug. Node bemerft, „wir hätten In 
Kurzem Anen verdeutſchten Vitruv von ihm gu ermars 
ten.“ Diefer Vitruv if aber [hen 1796 zu Leipgig in zwey 
Bänden in 4. erfhienen, und da Hr. v. M. fih nicht fireng 
an die Zeitfolge bindet, und Erinnerungen aus frühen und 


fpäten Jahren an einander reihet, fo hätte dieſe Notiz ente 


weder anders geftellt oder doch nicht ohne eine Anmerkung ges 
geben werden follen. — Drey andre Bände werden noch auf 
diefen erfien folgen, und dieie Sammiung,, die gewiß viele 
theifnehmende Leer finden wird, befchließen. 

Wir gehen zu den einzeinen Anfläßen des erfien Bandes 

“über. I. Der große Bernhardsberg S. 1 — 16. 
Diefe ſehr anzgiehende Beſchreibung las man fchon mit Ver 
gnügen in dem erften Theile der Briefe; hier aber find die 
Materien noch. befler, als dort, geordnet, und die ganze Dars 
fielung zeigt von der glädlichen Zeile des nach mmer groͤßerer 
Vollendung ſtrebenden Verfaſſere. 

IE. Die Feljentuppe von Mayenne. ©. 17— 30, 
Auch dieſe fchöne Schilderung kennt man ſchon aus dem 15. 
Briefe der erſten Auflage. Außer mehreren glädlichen Der 
defferungen im Ausdrucde und einigen paffenden Auslaffungen, 
findet man bier auch ein finnvolles Gedicht: Die Alpenı 
Hirten; — wiederum abgedruckt in der: neueften Sammlung 
der. ei ſchen Gedichte ©. a11. 





Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 387 


HE Darfteliungen aus Frankreich: in drey Abs 
ſchnitten. ©. 31 — 154. Merkwärdige Züge aus dem Naties 
nals Charakter der Franzoſen, Nachrichten von ihrem Theater, 
Beſchretbungen intereffanter Kunftwerke und Alterthümer, und 
lebendige Schilderungen reigender Gegenden wechſeln hier aufs 
angenehmfte mie einander ab. Uebrigens las man die meiflen 
der bier mitgetheilten . Bemerkungen des Verf. über Lyon, 
Avignon, Vaucluͤſe, Cette, Niemes, Montpellier u. ſ. w. 
fhon in feinen Briefen. Aber auch Hier ſtoͤßt man auf manche 
gluͤckliche Verbeſſerung in der Darftellung. Eine der trefflich⸗ 
fen Schilderungen, die des Hafens bey Cette — möge bier 
als Probe der Darftellungsart des Verf. fiehen: „Ein feis 
fher Seewind (heißt es ©. 155) tühlte die Wärme des 
Abende. Die Matrofen ſchwammen zwiſchen den Schiffen im 
Hafen, und die Fiſcher fangen in "ihren Barken. Ich flieg 
hinter der Petersichafize hinab, umd warf mich in die lauen 

Fluthen. Mir der Wonne wird vieleicht felten gebadet. Die 
Geſchwader der Karthager, Syrakuſer und Römer gingen vor 
meinem Geiſte vorüber; die großen Schatten der Scipionen 
äber den Waſſern, und Blagende Stimmen der Heldenvoͤlker 
ſchollen, aus ihren fernen Gruͤften, über die unsrmeßliche 
Meeeresfläche, welche fie vormale herrfihend ummehnten. Ich 
ging nachher noch lange auf dem Mols fpagieren. Allmaͤlig 
verſtummte das Getuͤmmel des Hafens, und man hoͤrte nur 
noch von Zeit zu Zeit in den Schiffen das dumpfige Laͤuten 
der Betglocke. Lange fchom hatte die Flamme des Pharus ger 
lenchtet, als ich in den Gaſthof zuruͤckkehrte. Goldene Bilder 
ans Athen, Miler und Lesbos wirkten fih in meine Träume‘; 
die freundlichen Seftiene, unter deren Einftüffen die glücklichen 
Suͤdlaͤnder, durch überfchwenglihe Fülle des keimenden und 
fruchtenden Lebens, in ewiger Fruͤhlingsjugend frohlocken, fcheis 
nen einladend niederzuſchweben, und der entförperte Himmels⸗ 
chor ihrer feligen Bewohner fang in leiſen Geiftertönen : 
Hoffe freudig, Hoffe muthvoll, Pſyche, bis zur Morgenröthe‘ 
der losgebundenen Schwingen! Hoffnung iſt die Bluͤthe des 
Gluͤcks!:«“ — — 

. IV. Beyer des Wiederfeheng ser dem Schlofſe 
Bodmer. ©. 166 — 178. Ein Beſuch bey dem Dichter 


— 





— 


3585 Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 


v. Salis, aus dem 8. Briefe des zweyten Theile der Briefe, 
fon bekannt. Aus einem andern Briefe jener Sammlung 


iſt auch ein Beſuch des Kern v. Galis bey Herrn v. Matı - 


thiſſon eingeruͤckkt. S. 1659. 160 wird dem edlen Wirich von 
Hutten ein verdientes Todtenopfer gebracht. Außer einigen 


- glücklichen Verbeſſerungen im Ausdrude, ſtoͤßt man in dieſem 


Auffaße auch auf einige gelungene ‚ neu binzugefommene 
Stellen. 

V. Vaterlaͤndiſche Beſuche. ©. 179 — 413. Au 
diefe Nachrichten (a8 man größtentheits (hen ehemals in ben 
Briefen des Verf. mit Vergnuͤgen; nur mit dem Unterfchiede, 


- daß man die aus verfchiedenen Jahren und von verfchiedenen 


[) 


Reiſen Herrührenden Notizen hier in ein Ganzes concentrirt, 
und mit manchem angenehmen Zufaße bereichert findet: Mans 


ches, was nur die Empfänger der Briefe irtereffiren Fonnte, 


ift hier weggeblieben. Die Bemerkungen des Verf. erſtrecken 
fih über Konſtanz, Mörsburg, Memmingen, Ulm, Stuttgart, 
Heidelserg, Mannheim, Frankfurt am Main, Marburg u. 
f. w. Außer der Erwähnung einiger Marburger Gelehrten, fins 
det man auch eine kurze Beſchreibung des bekannten Monu, 
mente der heil. Elifaberh in der dafigen gorhifch « prächtigen 
Elifaberh Kirche. Der trefflichen, über fünf Altäre diefer Kicche 
befindlichen und. größtentheils von Albreht-DAree berrührende 
Gemaͤlde und Schnitzarbeiten findet man jedoch nicht erwaͤhnt. 
Auffallend aber war es ung, Hier ein Urtheil des Verf. wie 
der abgedruckt gu finden, das uns fchon ehemals, als unkuͤnſt⸗ 


leriſch, in den Briefen mißfallen hatte, Nachdem naͤmlich 


Hr. v. M. das merkwürdige und in feiner Art einzige Mor 
nument der heil. Eliſabeth — deflen auh Hr. Fiorillo in 
feinen Meinen Schriften, als eines intereffanten Products aus 
der letzten Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts, erwähnt — 
befchrieben Hat, fügt er folgendes hinzu: „Kein Menſchen, 
freund wird den frommen Wunſch unterdrücken koͤnnen, dieſe, 
den Aufſchließer ausgenommen, keinen Sterblichen zu Nutz und 
Frommen gereichende Gold s und Silbermaſſe, aus dem oͤden 
Gewölbe befreyt, und, sim Beten wohlthaͤtiger Stiftungen, 
unter dem Praͤgſtocke der Münze zu fehen; beſonders in eis 


. nem Lande, wo fd. viele Wittwen und Waifen, deren verkaufte 











Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon | 359 


Männer und Väter in Amerika modern, die Igerechteften Ans 
fprähe auf Entſchaͤdigungen haben, welche nicht allzu tief uns 
ter ihrem Verluſte find.“ (Kann man wohl gebliebene Gatten 
und Väter: auf irgend eine Art mit Geld bezahlen?) „Der 
Geiſt der heiligen Eliſabeth ſelbſt würde ſich dieſer Verwand⸗ 
lung freuen: denn ſie war eine großherzige Frau, die auf 


‚jeden Seufzer lauſchte, um ihn zu ſtillen, und nach jeder 


Thraͤne forfchte, um fie zu trocknen.“ Nachher wird dieſes 
Kunftwert noch einmal, eben fo unkuͤnſtleriſch, eim todter 
Mammon genannt. Was würde aus dem intereffanteften Kunfts 
werfen der Vorzeit werden, wenn man faufmännifch nur den 
größeren Nußen berechnen wollte, ‘den fie, in Geld verwans 
deit, gewaͤhren würden? Könnte man nicht, eben fo konſe— 
quent, auch rathen, die trefflichen Aktargemälde und Schnigr 
arbeiten von Albrecht Dürer, welche diefe Kirche zieren, 
an die Meiftdietenden zu verkaufen, und von dem gelöf'ten 
Kapital Allmofen auszurheilen, oder fromme Stiftungen zu 
gränden ? Ueberdies bedachte Hr. v. M. nicht, wenn er von 
„Wittwen und Waifen redet, deren verkaufte Männer und 
MWäter in Amerika moderten,“ daß dem ehemaligen Negenten 
von Heſſen weder die Elifaberhs Kirche, noch deren Schäße 
angehörten, fondern ein Eigenthum des erſt feit Kurzem auf; 
gehobenen Deutfhen Ordens waren. ‚der mit dem Amerikani⸗ 
ſchen Kriege nichts zu Schaffen hatte! Und gab und gibt es 
nicht, und wird es nicht in allen künftigen Zeiten Kriege ge, 
ben, woran auswärtige Kälfstruppen Antheil nehmen müffen, 
ohne daß der einzelne Bürger oder Krieger fich lebhaft für die 
Sache interefficen folte, um deswillen er kämpfen, dulden 
sder fallen muß? Es ift vielmehr . Sache der jebesmaligen 
Landesregierung, darauf bedacht zu feyn, die Wittwen und 
Waifen der Gebliebenen und die Kinder der Verſtümmelten, 
fo wie diefe Ungluͤcklichen felbft, aus der Staatskaſſe zu vers 
forgen , ohne. deshalb ehrwärdige Kunftdentmale in Elingende 
Münze zu verwandeln! — Uebrigens bat auh Kr. v. M. 
den Geldwerth des Monuments viel zu "hoch angeſchlagen. 
Vielleicht findet fi der würdige und unbefangene Verf., nah 
einer genauern Prüfung unferer Anfiht, bewogen, dieſelbe 


„auch zu der feinigen zu mahen. — Ueber Göttingen und 





"860 Erinnerungen von Fr. v. Mathiſſon. 


mehrere dortige Gelehrte ſagt Hr. v. M. viel Intereſſantes. 
In den Briefen ging er von da gleich nach Hamburg uͤber. 
Hier aber iſt erſt nöh Manches aus dem 5. Briefe des i. Bds. 
über Hannover, Herrnhauſen, Marienwerder u. ſ. w. einger 
ruͤckt. Bey Hamburg iſt wieder in Eins zuſammengeſchmolzen, 
was Hr. v. M. ehemals im 1. Br. des 1. Bos. und im 16. 
Br. des 2. Bobs. (nach der erfien Aufl. der Briefe) in den 
verichiedenen Jahren 1785 und 1794 beobachtet und aufgss 
ſchrieben hatte. Bohn Klopftioch, dem Schaufpielee Schröder 
und dem Dichter Claudius komme hier noch mancher inters 
eilanter Zug vor, wovon die Brief: Sammlıng des Berf. 
nichts enthielt. Dann geht es über Luͤneburg, Braunſchweig, 
Krakau bey Magdeburg ( wo eine rührende Szene des Wieders 
fehens vorkommt), KHalberfladt, mo man auf mehrere anges 
nehme Zufäge flöße, — die Gpiegelberge,. Wernigerode — 
und hierauf folgt eine kurze, gefuͤhivolle Schilderung der herr⸗ 
lichen Sarten s Anlagen zu Woͤrlitz, mit ein Paar neuen Zw 
fäßen und Wendungen. &o hieß es 4. B. fonft in den Briefen, 
Bd. 2. ©. 186: „Du haft die intereffanteften Länder unſers 
Welttheils geliehen, lieber Bonuſtetten! und befonders in 
Italien, Frankreich und England, jede dir erreichbare Blume 
des Schönen, Großen und Nuͤtzlichen gebrochen: aber denne 
würde, bey det Meife durch das Fuͤrſtenthum Deffan, frohes 
Erftaunen fih deiner Seele .bemädtigen“ u: ſ. w. In den 
Erinnerungen, ©. 577, wird dies alles, "mit wenig ver 
änderten Worten, von Forfter gefagt: - „Frohes Erſtaunen 
bemaͤchtigte fich der ſchoͤnen und großen Seele Georg For 
ſters, welcher den Erdball umſeegelt, und in den intereſſan⸗ 
teſten Ländern unſers Welttheils jede nur-irgend erreichbare 
Blume des Großen, Schönen und Nuaͤtzlichen gebrochen hatte, 
bey den reigenden Anfichten des Fuͤrſtenthums Deffau“* u. f. w. 
Seite 579 fg. kommt ein Zuſatz Über Wörlig vom J. dor 
vor, worin der Verf. einige Anfihten und Aeußerungen eines 
Ungenannten in einer Anmerkung zu des Hrn. v. Bonftets 
ren Aufſatz über die Gartenkunſt — inshefondere was den 
Wohnpalaſt zu Woͤrlitz betrifft — berichtige. — Bey Weimar 
verweilt der Werf. mit Liche, und erzählt manches Erfreulich 





Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 361 


vn Wieland, Herder, v. Knebel ua. Bey Herd ep 
it auch won ber künftigen Herausgabe der (ſchon im J. 1796 
erfhienenen ) Deutfhen Bearbeitung der ſchoͤnſten Poeſieen des 
Jakob Balde die Rede. „Bey Knebel Hingegen heifit es: 
„er babe vom Properz eine das Urbild ehrende Kopie vols 
lendet.“ Diefe Weberfegung erichien aber erſt 1798. Indeſſen 
koͤnnte die Ueberſetzung wirkiih ſchon im J. 1794, wo Sr. 
v. M. in Weimar war, vollendet geweſen, aber erfi 4 Jahre 
fpäter erfchienen fen. S. 395 fg. wird Knebels, aus 
Herders Adraften bekannten, Beſuchs bey dem treffliihen 
Dichter Joh. Niklas Goͤtz zu Winterburg erwähnte und des 
gänftigen Urtheils gedacht, welches Friedrich der Große 
Öber die Maͤdcheninſel diefes Dichters fälle. Mufäus und 
Bode erhalten ein verdientes Todtenopfr. Daß Albrecht 
Dürer auch Gchriftfieller war, und ein Buch vom der menſch⸗ 
lichen Propertion und Porträtmalerey ſchrieb, ift doch fo ums 
befannt nicht, als Hr. v. M. ©. 411 vermuthet. Mit ber 
Ankunft -des Den. v. M. in der Gartenwohnung bes Ken. 
v. Bonftetten, unweit Bern, fchließt dieſer erſte Band der 
Erinnerungen 

Nach diefer ausführlichen Anzeige des erfien Bandes Deus 
ten wir noch fürzlid den Inhalt des zweyten an, deſſen 
Inhalt nicht weniger anziehend , als der des erften, if. Wir 
finden Hier folgende Anfiäße: VI. Seefahrt nach Kopens 
bagen. 1794 (©. ı — 54). Zwar ‚größtentheils ſchon aus 
dem 2. Bande der Matthiffon’fhen Briefe bekannt, Hier aber _ 
verbeffert und mit einigen intereffanten, Zufäßen vermehrt. 
VII. Wanderung nah dem Stocdhome, an J. ©. 
v. Salis. 1794 (8.5576). Gteihfalls aus dem legten . 
der Briefe des a. Bandes bekannt, Hier aber verbefiert und 
vermehrt. Unter andern liefet man die fchöne poetiſche Er⸗ 
gießung ©. 75 hier zum erfienmale. VII. Die borromäts 
(hen Snfeln 1795 (8. 77—95). Erfheint bier zum 
erſtenmale. Leider! aber erfährt man, Einige artige Anekdoten 
und gefühloolle Aeußerungen uͤber die reizend⸗ fhöne Gegend 
abgerechnet, nicht viel von, den Inſein und deren Beſchaffen⸗ 
bei. IX. Reife von Lauſanne nad Aoſta. ıdoı . 


362 ‚Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 


(8. 99 — 204). Ein reichhaltiger intereſſanter Aufſatz! Cu 
niges iſt zwar auch fchon aus dem 2. Bd. der Briefe bekannt. 
Man finder aber auch hier manchen erfreufihen Zuſatz. Anı 
ziehend find unter andern die Nachrichten von Gibbon, 


Chandler, Sorani, Alfieri, des Verfaſſers Ä 
Herzensergießung über feine Freundſchaft mit dem edlen Bon 


fetten, u. a. m. X. Acht Tage in Paris. An den 
Fürkten von Anhalt Deffau, 1805 (S. 207 — 274). Ein 
nener Aufſatz. Der Verf.‘ hat feinen kurzen Aufenthalt in ver 


merkwuͤrdigen Kaiſerſtadt fehe gut zu denutzen gewußt. XL 


Acht Tage in den Alpen. An den Erbprinzen von Med 
Ienburg ; Strelig. 1804 (S. 277 — 354). Diefer Auffas if 
einer- der angiehendften dieſes Bandes; veih an ſchoͤnen Schik 
derungen: und intereffanten Anekdoten, aber keines Auszugs 
faͤhig. Eben fo ſchoͤn iſt der XII. Aufſatz: Wallfahrt nad 
der großen Karthauſe bey Grenoble An J. ©. 
v. Sulis. 1808 (&. 357 — 418). Wir können uns nicht 
-enihakten, folgende Stelle aus diefem letzten Auflage herher 
zu feßen: — — ‚Trotz dem feurigen Weine von Aſti, blieb 
mein Gemuͤth beym Hinblicke nad dem verhängnifvollen 
Schlachtfelde von Marengo , nur ernſten und duͤſtern Berrady 
tungen HYirgegeben. Mir war, als fliege, glei) einem Geiſte 
Oſſians, der Schatten did Biederfien der Heerführer alle 
Zeitalter und Mationen, des tapfeın Defatr. dem Partheys 
wuth und Rottengeiſt bis zur Erbitterung verhaßt, Pflichtge⸗ 
fuͤhl und Ehre bis zur Andetung ‚heilig waren, und welchen 











. fogae die Voͤlker am Nilftrome durd den Namen des gerechten 


Sultans ehren, hinter den fchirmförmigen Wipfeln der Pinien 
zuͤrnend empor, und fordern mich auf, fein. lebted, nur me 
nigen befanntes Heldenwort in das Gedaͤchtniß der ihm Ge 
rechtigkeit gewährenden Mitwelt zu prägen. Ich verdanke «6 
einem edlen Krieger, den ich. im Jahre 18083 von Straßburg 
nad) Paris: begleitete, und in deffen Armen Defatxr den be 
neidensmwerthften aller Tode ſtarb. Die ſchoͤne Tirade, melde 
die Zeitblärter ihm in den Mund itegen, und der nur das 


Alexandriniſche Versmaaſi mangelt, um ganz theatraliſch a 


ſeyn, gehört auf die Lippen eines Salliihen Roscius; aber 
fo gefuht und ſtudirt fpriche kein Zeldherr, dem die eifige 


8.8. Huber's fämmtl, Werke, 383 


‚Hand des Todes ſchon an das Herz greift. Er denke nicht am 
die-Stimmfammlung der Nahmelt zu feiner Apotheofe, fons 
dern nur an den entfheidenden Moment der großen Begens 
wart: „Won neuem kann der Sieg ſchwanken, wird dein 
Tod ruchtbar vor der Zeit.“ Schnell, wie die Kugel, die ihn 
traf, ſchlug in feine Seele diefe Vorftellung ein, und ſprach 
fih, mit erhabenem Lakonismus, in ſeinen letzten — aus: 
„Stille davon!“ (N’en dites rien!) 

Auch das Aeußere dieſes Buche tft heſchmackool, ah jes - 
der Auffaß mit einer niedlihen Vignette geziert. Möge der 
wärdige Matthiffon ung bald mit den beyden folgenden " 
Bänden befchenten ! — 6; 





2%. 5. Huber’& fämtlich: Werke feit dem Jahre 1802. Zweiter Theil. 
Tübingen 1810. bey Cotta. 484 ©. (Der erſte Theil, welches 
1806 erfchien, enthält Hubers Biographie und frühern Briefe.) 


Durch den Tod des waderen Huber haben nicht bloß defs 
fen nähere Freunde einen bedeutenden Verluſt erlitten, fondern 
auch die ganze gebildete Lefewelt, vermißt durch ihn einen 
Schriftfteller, der fih durch eine gewiſſe Afthetifche Rechtlich⸗ 
keit und Geradheit auf eine erfreuliche Weife bemerkbar ges 
macht hatte. H. ermangelte freylich der eigentlich gelehrten 
Bildung, fein Geiſt war nicht genaͤhrt durch das Studium 
der Aiten, nicht mit Sicherheit ausgebildet durch Logik und 
Philoſpphie, und wir muͤſſen ihm ſogar einen bedeutenden 
Umfang und Tiefe des Geiſtes abſprechen, doch wenn ſich 
dieſer Mangel durch irgend etwas erſetzen oder verhuͤllen laͤßt, 
ſo konnte man in der That bey H. zuweilen in Verſuchung 
kommen, jene hoͤheren Anſpruͤche zu vergeſſen. Man fand bey 
ihm ein redliches, durch Leiden geſtaͤrktes, liebevoll klares Ger 
muͤth, den eigentlihen Boden, auf dem allein die Poeſie 
fi) erzeugen kann, die nie mit einem unreinen oder fehmächs. 
lihen Herzen ſich vertragen mag, man erfannte in ihm einen 
nicht gewöhnlichen combinatorifhen Scharffinn, einige‘ gute 
leitende Aftherifche Anfichten, einen Styl, der anfangs freylich 
von einer gemiffen Muͤhſeligkeit erkaͤltet, ſich in den. letzten 





364 2. 3. Hnber’s- ſaͤmmtl. Werke, 


Sahren zu mehrerer Freyheit hindurch arbeitete u. f. w. Se 
ift es denn als ein verdienfllihes Werk anzuerkennen, daß man 
uns. eine Darftellung feines anziehenden Lebens gegeben, und 
den Anfang gemacht hat, mehrere feiner zerfireuten Schriften 
nebft denen noch ungedrudten zu fammeln. H. felbft war ein 
guter aͤſthetiſcher Deconom, und ließ gewöhnlich feine Auffäge 
und Erzählungen das Publikum zweymal leſen. Wir wollen 
ihm damit keinen befonderen’ Vorwurf machen, fondern une 
gern erinnern, daß jede Schrift, die miche werth iſt, mehrere 
Male gelefen zu werden, auch nicht verdiene, daß man fie ein. 
einziges Mal durchblättere. Bey den meiften Werken H's 


sgritt der erftere Fall wirktih ein. 


Ein nicht geringer Theil der vorfiegenden Schrift enthaͤlt 
Kritiken aus der allg. Lit. Zeit., dem Frepmäthigen u. f. w. 
(S. 105— 242) Wenn wir erwägen, daß mit Ausnahme 
einiger wenigen Beſſern, in den achtziger, und hefonders im 


Anfange der neunziger Jahre, die aͤſthetiſche Kritik der Deut 


fehen gar Praftios und ichläfrig betrieben wurde, indem, damals 
die faſt ausſchließliche Hinneigung zu einer meiſt oberflächlichen 
Politik die Fortſchritte in der Kritik dee Kuͤnſte hemmte, fo 
werden wir mehrere der Huberſchen Recenſionen für ſehr aus 
gezeichnet erklären muͤſſen. So if 5. B. die Kritik von Goe⸗ 
thes Schriften (vom Jahre 1792, ebenfalld abgedrudt, in 
H's vermiſchten Schriften, Berlin 1793.) das fruͤheſte gute, 
Bar anerkennende Wort Über den trefflichen Schriftfteller. Ihr 
gegenüber ficht. als entſchieden verfehlt, die Kritik von Klop⸗t 


ſtock's Hermann’s Schlacht, in. weiches Wert H. nicht ſonder⸗ 


Ti) fi zu finden wußte (©. 110— 120). 

Noch muͤſſen wir hier der Krititen der Goethiſchen Nar 
türlichen Tochter, des ehedem gar fehr gepriefenen, von H. 
aber faſt annihilirten Grafen Donamar u. ſ. w. mit gebuͤh 
rendem Lobe gedenken; vermißt haben wir die des Schlegel⸗ 
fhen Achenäums, dee Nomantifhen Dichtungen von Tieck, det 
£una von Horn, bes Alarcos u. f. w. Trifft H. in bielen 


Mecenſionen zumellen auch in das Blaue hinein, fo if denn 


doch der Anftand, mit der er die Bade treibt, anziehend, 
und es tft deshalb zu wuͤnſchen, daß man in dem folgenden 
Theile forefahre, uns die Kritiken ſaͤmmtlich mitzutheilen, die 








2. F. Huber's ſaͤnml. Werke, 366 


In den einzelnen Journalen und Zeitungen zerſtreut, fo ſchwer 
aufzufuchen find. N 

Wir erhalten ferner in diefem Bande Briefe,. aus dem 
Anfange der neunziger Jahre, faft ganz politifhen Inhalts. 
Wir wollen diefe Briefe nicht recenfiren, da fie jetzt durchaus 
veraltet find, und eigentlih nie für den Druck veſtimmt was 
ren; nur das wollen wir bier nit verhehlen: Haͤtte H. den 
Tacitus gekannt, diefen ewigen Eoder der Adyten Politik, er 
würde jene Briefe ganz anders gefchrieben haben, und Yon 
manchen fchmerglihen Täufchungen, die binterher nicht auss 
bleiben konnten, frey geblieben feyn. i | 

Wir erhalten Hier ferner Erzählungen („Das eins 
fame Todesbere“ und „WWBeltfinn und Frömmigkeit“), benen 
die legte Hand noch fehlt; doch vermiffen wir diefe lebte Hand 
nicht ſonderlich, da fie doch nicht die Poefie würde haben bins 
ein zaubern kaͤnnen, die leider gänzlich mangelt. Leider muͤſſen 
wir fogar noch hingufügen, daß wir bier auch eine gewiſſe 
Laxitaͤt in der Anficht des fittlichen Lebens wahrgenommen has 
ben, die durch einige fchimmernde Halb: Philosophie ſchlecht 
verhuͤlt worden if. Es ift uns um fo fchmerzliher, dieſen 
Vorwurf Hier niederlegen zu muͤſſen, dba uns, tie wir durch⸗ 
aus wicht. verhehlen wollen, Huber als Menſch fehr theuer 
war, und auch die meiften feiner anderen Schriften von einer 
aͤhnlichen Vorwurf völlig frey bleiben. : 
: Endlich erhalten wir hier auch noch Bruchſtuͤcke von Schaus 
fpielen. H. ſprach ſich ſelbſt oftmals mit beicheidener Selbſt⸗ 
kenntniß das dramatiſche Talent ab, dennoch trieb ihn oftmals 
eine unbeſiegliche Neigung dazu hin, und er lieferte dann, 
was ein geiſtreicher, aber unpoetiſcher Schriftſteller liefern 
kann. — Der bier angefangene ‚Jaäffieri“ ermangelt leider 
der tragifhen Kraft, der fortgefeßte Deutihe Hausvater (vom. 
Semmingen) wäre unferes Erachtens nichts Weiter geworden, 
als ein mittelmäßiges Familiengemaͤlde, wie wir deren ſchon 
zue Gnuͤge haben. Es if ſehr wahr, daß wir Deutfhen den 
tiefen und wahrhaft heiligen. Sinn des Familienlebens rein 
und Präftig in. unferem Kerzen aufbewahren; dech eben fo rein 
und Präftig dargeftellt habe wir diefen Sinn wenigſtens auf, 
der Bühne noch niemals. Was dort in diefer Hinſicht gegeben 
wurde , war meiftens nur. Liebäugetep, oder Weichlichkeit oder 
engbräftige Werzagtheit. j | 

Am meiften dürfte zu bedauern feyn, daß das Fleine ans 
gefangene Luftipiel „der Rauſch von geftern“ nicht vollendet 
worden iſt, wir hätten in ihm ein fein gedachtes Diminutios 
Drama erhalten, das, mit Liebe und Sorgfalt auf der Bühne 
dargeſtellt, gewiß eine recht erfreuliche Stunde würde gewaͤhrt 


\ 


366 F. H. Bothe's antikgemeſſene Gedichte, - 


haben. — — Möge uns H's Andenken ſtets thener bleiben. 
Was er wirklich erſtrebt hat, ſteht oft tief unter dem Ideal; 
doch was er wollte, mit ganzer Seele wollte, war rein und 
groß und herrlich. 

Ri ' 





8. 9. Bothe's antifgemeffene Gedichte, eine Achtdeurfche — 
— und Stettin, bei Ir. Nicolai 1812. XXIV und 196 ©. 
l. 8. 


„Griechiſche und Lateiniſche Negeln der Wortmeſſung ans 
zunehmen, iſt nicht partheyiſche Vorliebe für Griechen und Las 
teiner,, fo verzeihlich die hohe Bildung beyder Nationen auch 
eine Solche Vorliebe machen würde; es iſt vielmehr die Webers 
zeugung , daß diefe Regeln nicht fowohl die eines einzelnen 
Volkes, als der Matur felber find, oder mit andern Morten: 
daß Hellas, Noms Lehrerin, die in Rebe ftehende Kunft auf 
ihre erſten Sünde zuräcführte,, die in größerem oder gerins 
gerem Maaß auf alle Sprachen anmendbar find.“ 

Nach diefen Worten der Vorrede glaubte Nec. nichts ge⸗ 
wiſſer, als die Geſetze der Deutſchen —* von Hrn Bothe 
eben ſo mißkannt zu finden, wie ehemals von Conrad Geß— 
ner, und fpäterhin von Claius, der in feiner Grammatica 
: Germanicae Linguae Hexameter gibt, wie: 


Ein Vogel hoch ſchwebe, der nicht ai andere febet. ; 
und Sapphifche Zeilen, wie: 


£öbe mit mondin- der ob allen n Himmeln 


Did mit Heil ſeret benedeyt, regieret. 


in denen die Roͤmiſche Sylbenmeſſung unſerer widerſtrebenden 
Sprache mit Gewalt aufgedrungen iſt Aber zu feinem Erftaus 
nen fand er die Verſe in den Gedichten, bie auf einige, die 
für verunglückt gelten mögen, meift richtig. gemeſſen. Hert 
Bothe fpieit Uzens unſchuldiges Spiel, nur nicht völlig fo 
unfchuldig, und gibt ung für antif gemeffene Gedichte, was 
ächt Deutſch gemeffene find, die nur zufällig mit. der alten 
Meffung übereinftimmen. 3. DB. A 


Malle dahin muthvoll, du — in die Ehen; 

Welche du four anfhaun und Bändigen! Hörft du den Anruf 

Der Drommete? Sie fagt: „Auf, auf, Da die heilige Fahne 
0 m Wehr des Vaterlands! auf, du den göttliche Geifter 


u 





| 





F. 9. Bothe's antitgemeſſene Gedicht. 367 


„Winken hinauf, ſich nach, die erhabene ſonnige Ruhmbahn, 
„Dem Ahnherrn! Durch Nacht und Sturm und Drachen 
hinan ſchwebt ae: 
„Steil der Weg: jedoch oben umher wohnt liebliche Klar⸗ 
| eit 
„Emwiger Himmeldfterne.* 9 


Wenn wir den Pleinkönfigen Anfang des dritten Verſes aus 


nehmen, und den Matthiſſonſchen Unpyrrhichius jedoch, fo 
ift fein Verstaft, der ſich nicht vertheidigen ließe (denn die 


paar trochäifchen, von denen Himmels noch dazu „Sponda’s 


fhwebenden Gang“ nahahmt, duldet der Deutihe Hexame⸗ 
tee), und die’ meiften find fogar vorzäglih fhön. Eben fo 
verhält es fih durchgängig mit den Elegiihen, Sapphiſchen, 
Asklepiadifchen und anderen Versmaßen diefer Sammlung. 
Aus &. XXI der Vorrede fehen wir, daß Hr. Bothe, 
durch Tiedgens und Bieflers Beyfall, und die Mevaille 


des erhabenen Fürften Primas ermuntert, nocd weiter zu- 


gehn geſonnen iſt. Hier erheiicht die Recenſentenpflicht, ihm 
ein warnendes Diſtichon zuzurufen, welches ihm zugleich das 
Ziel, wohin er gelangen wird, vor Yugen ftellen mag: 


\ N — — — — — — 
Bothe, dein antikes Splbenmaß, dad du fo empfiehlſt 
Pruͤfe mit Acht deutſchem Geiſte doch und kritiſchem! 
| D.A E. 


PN a" 





Archäologie der Kirchendogmen von Joh. Ulrich Röder. Coburg 
im Meufel. Leſeinſtitut. 1812. VI und 266ind. 


Nah der Vorrede hat der Verf. nah 55 Dienſtjahren 
im 67. Jahre feines Alters, als Director der herzogl. geh. 
Canzley, Canzler der Negierung und Präies des Confiftoriume 
zu Coburg, wegen Kränklichkeit feine Dimiffion genommen. 
Aus alter Liebe für das Studium der Theologie wendete er, 
bey wiederkehrender Ruhe und Kraft, feine Zeit auf biblifche 
und claffifhe Philologie, Kirchengefchichte und andere theol. 
Huͤlfswiſſenſchaften. Gewohnt mit der Feder in der Hand zu 
tefen, notiete er fich vieles. Einen Auszug dardus, nach den 
Artikeln der Dogmatik geordnet, gibt er als ein Greis von 
„2 Sjahren im gegenwärtigen Werke, welches vornehmlich durch, 
Vergleihung jüdiiher und anderer Volksmeynungen und ‚ges 


lehrter Dogmen die Entſtehung mancher chriftliheer Dogmen 
oder dogmatiſcher Formen freymüthig und. oft fehr richtig be⸗ 


ieuchtet. Sogleich anfangs werden die hiſtoriſchen Belege angen 


— 


Ed 


- 
D 





A 


368 Archäslogie‘der Kirchendogmen don J. U. Röder, 


geben, daß die erften Chriſten lange Juden blieben, nur 
"mit dem Unterfchied „ daß fie an Jeſus, als den gekommenen 
Meſſias und als Reformasor des Judenthums gegen Phariſaͤis⸗ 
mus und Sadducäismus, glaubig geworden waren (Apg. 21, 
20.), da Jeſus feld, nad feiner göttlichen Lebensflugheit, 
. nit anders zerftören zu wollen, als durch Aufbauen des Beſſe⸗ 
ren, nur das Geſetz zu -vervolllommnen,, Matth. 5, 17., nes 
benbey aber noch Opfer und fogar Säße der Traditionarıer 
(Matıh. 23, 2. 23. )-zugulaffen geneigte war, „bis alles ges 
ſchehen ſeyn mwÄrde.“ eu; navra yernca. In der Stelle 
bey Sueton , wo Tiberius die Auden und similia 'sectantes 
aus Rom verweift, findet der Verf. die judaizirende Chriſten, 
. al. Apg. ıB, 2. Wenn Juden ınd Griechen neben einander 
fliehen, als zum Chriftenthum gerufene, wie Röm. 2, 9. 5,9 
a. Cor. ı, 20. 10, 32. , fo verfteht der Verf. unter den legteren 
nur fogenannte Fromme oder Gottfuͤrchtende Apg. 13, 16. 17, 
2. 4. , d.h. jüdifch gewordene. Bon den Griechen feyen viele 
feit den Roͤmerkriegen mit Perfeus, mie Korinth ꝛc. als Sclas 
ven verfauft, auch an Juden nach der Erlaubniß Lev. 25. 44 
gefommen und Profelyten geworden (Joſeph. ctra Apion. 
'2,5.), da, nad Cicero und Juvenal, der Hungrige Grieche 
alles zu thun fähig geweien fey. Unter den Bapßapoıs Röm. 
2, 14. verfieht der Verf. Auden zu Rom. Wie hätte Paulus 
geborne Römer damals Barbaren nennen dürfen? Bis nad 
der Zerſtoͤrung Jeruſalems feyen alfo meift nur Juden und 
Judengenoſſen, Weffianer nah Jeſu Lehre — ChHriftianer, 
geworden. ( Doch haben unflreitig auch manche Heyden den 
Monotheismus aus herzlichen, oder philoſophiſcher Weberzeugung 
angenommen.) Auf ähnliche Weite hat des Verf. faft bey jes 
dem Artikel minder gewöhnliche Bemerkungen, welche die Dres 
fung veigen und gugfeich duch Gedrängtheit angenehm werden. 
Auch Philo, auch die Kabbala werden benußt, und Schriften, 
welche nody nicht zu vergeffen find, wie Gruners, Heilmannd 
Dogmatifen, in neues Andenken gebrachte. Wie felten iſts, 
daß befonders Männer, welche duch ihre Studien und Ge 
fhäfte gewöhnt werden koͤnnen, wie vieles andere, eben ſo 
auch die ethiſche Welt, zu welcher die Theologie gehört, nad 
dem Typus der Außeren Geſetzgehung, der politifhen Net 
verträge, der bürgerlihen Straf s und Genugthungstheorie zu 
betrachten , die reine Neigung in ſich erhalten, wor allem, wo 
nicht den philofophifhen und pſychologiſchen, doc den hiſtori⸗ 
ſchen Entfehungsgrund aufzufuchen und anzuerkennen ! 
| 2. € ©. Paulus. 








No. 24. Seidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


Josephus et Carolus Wehzel de penitiori structura cerebri ho- 

minis et brutorum — cum quindecim Tabulis dwctis in 

aere et totidem linearihus. — Tüubingae apud Cottiam. 

— Dorrede XIV S. 6 Tabellen und. 354 Bogen. 
l. ur 


* > 
Du (don in einem eigenen Prodromus vor drey Jahren 
diefem Werke vorahgegangene Anfündigung, — der viel vers 
fprehende Titel — und ſelbſt auch das fpiendide mit fo vielen 
Kupfertafeln ausgerüftete fo voluminoͤſe Werk felbft, berechtigen 
ig der That zu großen Erwartungen. 

Dit diefen Hoffnungen. erfült begann der Rec. die Durchs 
leſung diefes Werts, und nahdem er ſich mühfam durch dass 
felbe, wie durch eine fandige Steppe durdigewunden, fol er 
getreulich erzählen, was er fand, und was er Über das 
Ganze urtheilt. Die Verf. Heginnen ihr Werk mit der tabels 
lariſchen Anfiht: Die Vergleichungen der Fänge und Breite 
det großen und Eleinen Gehirns bey Foetus, Kindern und Er⸗ 
wachſenen maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechts, wobey Rec. 
vorzüglich aufgefallen iſt, daß das Gehirn eines 115 jährigen 
Knaben 5 Zol Länge und 4 Zoll 3’ Vreite hatte, das eines 
fehsjährigen 6’ Länge und 5’ 6’ Breite, und dag eines 
ausgewachfenen Mannes von 26 Jahren nur 5” 10’ auf 
5” Breite maß. Das Meine Gehirn hatte an Kindern und 
Erwachfenen erftens =’ 6 auf 4 3° Breite: Sollten: 
diefe Beobachtungen richtig feyn, woran Nec. jedoh ſehr zwei⸗ 
felt, fo würde wenigſtens Gall's Meynung dadurch fehe wider 
lege, welcher naͤmlich behauptet, Laß das Meine Gehirn in 
den Sahren der entwickelten Manndarkeit fo fehr an Ilmfang ' 
zunaͤhme. Eine zweyte Tafel enthält die Ausmeffungen der‘ 
Gehirne verfhiedener Säugthiere und Vögel. Eine dritte Tas 
fel enthält das Gewicht des ganzen Gehiens und des großen 

24 | 


\ 





370 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 


und Beinen Gehirns an Menfchen: von verfchiedenem Alter. 
Die vierte Tafel zeige die Gewichte der Gehirne verfchiedener 
Sängthiere und Vögel. Eine fünfte Tafel die Bunahme bes 
"Gewichtes in einem Hühnchen vom 6ten Tage der Bebruͤtung 
des Eyes bis zum 21. Tage nebft der Vergleichung des Ge— 
wichtes des ganzen Körpers. Die fehste Tafel zeigt endlich 


bey DVergleihung der Fänge und Breite des Gehirns die Länge | 


und Breite des vierten ( der Verf. fünften ) Ventrikel an den 
Menſchen und den Thiere. 

Im 6. I Handeln die Verf. mit einer läftigen Weit⸗ 
ſchweifigkeit von den Schleimkoͤrperchen, welche auf der aͤußern 
Flaͤche der harten Hirnhaut neben dem fangen Blutleiter lie⸗ 
gen, und die man gewoͤhnlich Pacchioniſche Druͤſen nennt. 
Auf 17 Folloſeiten erfahren wir weiter nichts, als daß dieſe 
Koͤrperchen nicht in ungebornen, aber wohl in Kindern vom 
erſten Alter vorkommen, daß dieſelben ſowohl uͤber als unter 
der harten Hirnhaut ſich erzeugen, im letzten Fall, wenn ſie 

‚größer werden, durch die harte Hirnhaut durchdringen, auf 
den Venenſtaͤmmen liegen, die an den Blutleiter andringen, 
gerinnbare Lymphe feyen, die verdickt werde, durch Die Ber 
wegung des Hirns beym Athmen durch die Fafern der harten 
Hirnhaut durchgepreßt werde u. fe m. Am Ende folgt das 
naive Geſtaͤndniß, „finem neque ullum habere neque ha- 
. bere posse videntur.“ (1) Iſt wohl etwas im Organismus 
ohne Zweck? 
| $. II. Vergleichung der allgemeinen Form der Gehirne 
des Menfchen,, der Säugthiere, Wögel und Fifhe. Aus dem 
Ganzen iſt nichts zu entnehmen; es herrſcht Äberall nur ein 
unbeflimmter Ausdruck von lang, breit, rund, länglich u. ſ. w. 
Die Verf. hätten dabey mehr Achtung gegen das Publicum 
"zeigen follen, als daß fie Beobachtungen von erweichten und 
‚fauten KHirnen beybringen. Wußten fie denn nicht, Daß das 
Hirn des Stoͤrs immer weich, felbft an lebendigen, und faſt 
waͤſſerig iſt? 

F. III. Weber die Windungen des Gehirns — ſehr fur 
wird diefe wichtige Sache abgethan. Und nur von der Sym⸗ 
‚ metrie der Gehirnwindungen von dem Nichtdafeyn derſelben 
an dem Gehirn der Hafen, Mäufe, Kasten, da Doch dergleis 





nn 





Jeseghus 'et C. Wenzel de penitiori structura etc. 371 


hen Windungen am: feinen Gehirn (Slatterbau) gefunden 
werden. Des Streites, den Gall veranlaßte, ob die Hirnwin⸗ 
dungen zuſammengefaltete Hirnmembrane ſeyen, wird gar 
nicht erwaͤhnt, und uͤber dieſe gewiß ſehr intereſſante Bildung, 
in welcher der Menſch durch die Groͤßen und Tiefen der Fur⸗ 
chen ſich ſo ſehr auszeichnet, gar keine Meynung geaͤußert. 

§. IV. Mikroskopiſche Unterſuchungen der Hirnſubſtanz. Nach 
Prochaska und della Torre (die weit wichtigeren Beobachtungen 
des Felice Fontana Sul Veleno della vipera fcheinen die Verf. 
nicht gefannt zu haben) und der Verf. eigenen Unterfuchungen; 
welche alle zum Ueberdruß weitihweifig in 30 Observationi- 
bus hererzaͤhlt werden, befteht die Hirnſubſtanz aus Kuͤgelchen, 
weiche von einem gellgewebe ,. das die Form aller Organe if, ' 
aufgenommen find. 

. V. Bon ber Beſchaffenheit des gefrorenen Gehirns. 
Sennari war befanntlich der erſte, weicher hierüber Verſuche 
angeftelle hat. Die Verf. ziehen diefes Buch auf 4 Foliofeiten 
wörtlich aus, dann folgen g einzeln erzählte Beobachtungen, 
weraus erhellt, daß fie das nämliche fahen, was Gennari ges 
- fehen har, nämlich Eispiätchen, Riſſe und - Lamellen der 
Hirnſubſtanz — aber dann behaupten fie gegen Gennari, daß 
derselbe geirrt habe zu jagen, eine folche Blätterform fey der 
natürliche Bau des Gehirns, fondern fie glauben vielmehr, 
diefe Seftaltung fey eine Wirkung der Kälte. Es ift wirklich 
zu bedauern, daß die Verf. hier, wo fie auf Wahrheiten gleiche: 
fam mit Gewalt gedrängt werden, doch davon ſich wieder abs 
wenden. Rec. hat viele Beobachtungen an gefrornen Gehirnen 
gemacht, und fich überzeugt, daß dieſe Blaͤttchen, in welche 
die Hirnfubftang durchs. Gefrieren zerfpringt, die eigentliche 
innere. Hirnfaferung ſey, welche wie auch durch das Erhaͤrten 
des Gehirns in Weingetit und mineralifhen Säuren Bemerfen:: 
mie dem Unterſchied, daß hier die Zafern. zufammenhangen,: 
dort aber durch Niffe, die das Eis einnahm, getrennt erfcheinen. 
VI. Die Frage, 0b die graue Subſtanz des Gehirns. 
überall zufammenhange, wird mit nein beantivortet, und dies. 
ſes durch parallele, Horizontale und perpendilulare Schnitte 
der Hirnmaſſe erwiefen. Merkwuͤrdig ift der Schluß: Vero-. 
similiter itaque diversas singularum cerebri partium. 


N 


- 


372 Josephuset!C. Wenzel de penitiori 'structura ele. 


functiones maxima saltem ex parte a cineres, mutua au⸗ 
tem singularum partium conjunctio totiusque nexus a 
medullari cerebii substantia dependet. Gall's Meynung, 
gegen welche die neueren. Hirnforſchungen die direkteſten Des 
weife liefern. 

$. VII. Die erſte Hirnhöhle in der mittleren Scheide⸗ 
wand im Menfhen und Säugehiere. Diefer dreyeckige Raum 
wird, wie die Verf. richtig bemerken, durch die vom Boden 
dee drephornigen Hirnhoͤhle herabſteigende und von einander 
etwas entfernte Marklamelle gebildet. Der Kanati, der von 
den vorderen Gruͤbchen herabgehen foll, bis In den Boden der 
beitten Hirnhoͤhle und vor der vorderen Commiſſur ſich endis 
gen ſoll, eriftiet nicht nach des Rec. Unterfuchungen in durch 
Alkohol erhärteten Gehirnen, und jft gewiß durch die Schweinss 
: borften, deren die Verf. fih bey ihren Unterſuchungen bedient 
haben, kuͤnſtlich durchgeſtoßen worden. 

$. VIII. Die Verf. handeln“ von dem Markhaͤutchen, 
weiches die innern Wände der Hirnhoͤhle uͤberzieht, und fehen 
mit Recht die taenia cerebri den margo intern, collicul. 
opticor., die fimbria hippocampi für Fortſaͤtze deſſelben an — 
alles bekannt und zu weitläufig vorgetragen, daB die taenia 
befonders in älteren Subjecten hornartig. erſcheint, das haͤngt 
nicht von einer verdickten Lymphe ab, wie die Berf. glauben, 
ſondern von einem höhern Grad der Oxydation des Nervens 
marks ſelbſt. 

$. IX. Vermertungen über eine befondere Eigenſchaft des 
Gefaͤßnetzes in den BSeitenhöhlen. — Diefe Eigenſchaft if, 
daß dafielbe oben breiter werde, als in der Tiefe der abſtei⸗ 
genden Hörner der Höhle — allein wiffen denn die Nerf. 
nicht; daß gerade da die Venen aus dem Innern des Hirn— 
über das Corp. striatum und unter der taenia durchgehen, 
um ſich in die membr. vasculosam zu verbreiten, wovon. der 
plexus choroideus nur ein Theil ift, wiſſen fie nicht, daß 
die vena magna Galeni hier entfieht, die fih unter der hin⸗ 
teren Wulft des corp. callosi in das torcular verfent ? Die . 
Bläschen und Anſchwellungen des Gefaͤßnetzes, über weiche 
die Verf. mehrere bugenlange Werhandlungen auf bewaffnetem 


\ we — 


— 





Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 373 


und unbewaffnetem Wege anftellten, find nur Blutaderge⸗ 
fhwäiftchen oder Zellenblaͤschen. (7) 

X, Bemerkungen Über Caldani's Beobachtungen nnd Ver— 
fahe, die jenen Hirntheil betreffen, in welchem die Marffafern 
vorzägfich fich durchkreugen. Caldani meinte, daß, wenn bey 
Apoplerien die geftreiften Körper durch eine zerriſſene Vene 
fitten, alsdann eine Lähmung die entgegengefegte Seite träfe, - 
und auch umgekehrt, daß man bey einer Lähmung der einen 
Körperhätfte nach Schlagflüfen allegeit ſchließen könnte: der 
entgegengefeßte geftreifte Körper fey affizirt. Das erfte geben 
die Verf. gu — das lebte leugnen fie, da auch jeder andere 
Druck auf das Gehirn eine Lähmung der Art bewirken fann. 
Die Verf. glauben, die einzige Durchkreuzung der Hirnfafern 
fey zwifchen den Pyramibdalkörpern des verlängerten Marks, 
und fie wiffen nidts von der Einrichtung des corporis ‚cal- 
losı als desſenigen vorzüglihen Theils des Balkenſyſtems, im 
welchem die Haͤlfte der Pannen yon einer Seite gur andern 
übergehen. 

XI. Ueber die Durchfreuung der Sehnerven. Soͤmmer⸗ 
ring behauptete im Allgemeinen, daß die Sehnerven an der 
Vereinigungsſtelle ſich durchkreuzten. Ackermann bewieß aus 
pathologiſchen Thatſachen, daß dieſe Durchkrouzung der Ner—⸗ 
venfaſern an der beſagten Stelle nur theilweiſe geſchehe, und 
daß in Menſchen, welche alle Gegenſtaͤnde mit zwey Augen 
erreichen, die durchkreuzenden Fibern an Zahl denjenigen gleich 
ſeyen, welche auf der naͤmlichen Seite fortlaufen, in Thieren aber 
um ſo mehr Faſern ſich durchkreuzten, je mehr durch die vorſtehende 
Schnauze die Augen von dem naͤmlichen Geſichtsfeld (horopter) 
abgeleitet wuͤrden. Die Verf. ſtimmen nun im Ganzen Ackermanns 
Meynung bey, glauben aber darin ein eigenes Verdienſt zu haben, 
daß ſie dieſe theilweiſe Durchkreuzung an einigen Sehnerven ſelber 
durch ihre eigene Augen beobachtet haͤtten. Rec. will ihnen 
dieſes Verdienſt nicht benehmen, glaubt aber bemerken zu 
muͤſſen, daß dergleichen Autopſien noch truͤgeriſcher ſind, als 
die aus pathologiſchen Erſcheinungen gezogenen Schluͤſſe, weil 
die Faſern der Vereinigungsſtelle nicht buͤndelartig neben eins 
ander laufen, ſondern, wie dieſes bey allen —— der 


Fall if, fh durchweben. | 





374 Josephus et C, Wenzel de penitiori structura etc. 


. XII. Ueber die Verwachſung der Sehhuͤgel, wo dieſelbe 
ſich an ihrer inneren in den dritten Ventrikel herabſteizenden 
Wand berühren. Die Verf. haben gefunden, daß im Mens 
ſchen eine ſchwache Vereinigung zuweilen da iſt, zuweilen auch 
fehlt — in den Säugthieren haben fie diefe Vereinigung alles 
zeit und auch flärker gefunden.: - Rec. Hält fie für eine bloße 
Verwachſung der Lamelle, weiche den Schhügel uͤberzieht. Neil 
nennt diefelbe die Commissuram cerebri medianam, 

$. XII. Der geroflte Wulſt in dem  abfleigenden Horn 
der Seitenhöhle iſt ein grauer Gyrus, der aus der fossa Syl- 
vii fih in das Hirn heraufwindet, jnd iſt mit der lamina 
medullaris nah Außen überzogen, welche auch den Saum 


dieſes Wulftes bilder — alles dem Zergliederer längft bekannte 


‚Dinge. 

6. XIV. Eine bogenartige runde Erhöhung gegen das 
hintere Korn des Seitenventrikels haben bie Verf. oft im 
Menſchen angetroffen, es fchien ihnen auch von einem unten 
gelegten grauen Gyrus am hintern Hirnlobus zu entflehen. 
Auch Soͤmmerring fpricht davon Hirnlehre $. 34. 
| $. XV. Zirbeldruͤfe — Sandhaͤufſchen. Die Verf. haben 
die Zirbeidräfe im Menfchen meifteng weich und rundlich an 
getroffen, im Thiere härter und länglih, Nur in’neun Zah 
len von hundert war fie hohl mie Waſſer angefülle, oder fehr 
groß, wie eine Walnuß, und hart, Rec. hat diefen. Körper 
einmal in einer Perfon, die an der Mutterwuch ſtarb, ſehr 
‚groß, und mit Waſſer angefült angetroffen. Die Größe dei 
Zirbel richtet ſich nicht nach dem Alter. 


Das Sandhäufhen fanden die Verf. zuerſt im ſiebenten 


Jahre erſcheinen, vorher fahen fie aber ſchon in neugebornen 
‚oder jüngern Kindern einen zähen Schleim an der Zirbeldräle. 
‚Die Steinhen werden gewöhnlich an drey Orten angetroffen, 
entweder auf der Hintern Commiſſur oder zwiſchen den Mark 
ſchenkelchen der- Zirbel im Gruͤbchen, oder in der Subſtanʒ der 
Zirbel ſelbſt. In einem Subjecte fanden die Verf. dieſe Steine 
an allen drey Orten. — Unter dem Mikroskop fcheinen die 


Steinhen meiftens rand, etwas noros, und vielleicht in eine 


feine Zellhaut eingehält. Die Verf. meinen,. daß die Stein 
hen in der Zirbel erzeugt, und von derſelben auggeworfen 








| 


Ä 


i 
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 375 


würden. Das Dafeyn des Sandhäufchen gehört zum natuͤrli⸗ 
chen Zufland. Es fehlt bey allen unterfuchten Säugthieren. 
„- 5. XVI. Sräbchen in der fyloifhen Wafferleitung. Im 
Menſchen haben die Verf. deren viere gefehen, welche conſtant 
find, und. alfo zum natärlihen Bau gehören. 
$. XVII, Blaue Stellen im Boden der vierten (der 
Verf. fünften) Hirnhoͤhle. Diefe entfiehen von Blutgefaͤßen, 
die, menn man das Markhäucchen leife abzieht, unter dem 
Mikroskop wie rothe Punkte erfheinen. Die Verf. äußern 
die Vermuthung, ob nicht hier, wo der KHörnerve entſteht, 
dieſe Stelle etwas dem ähnliches fey, mas das feine Gefaͤßnetz 
"an dem Urfprunge ded Riech⸗ und Sehnerven darftelle ? 
$. XVII. Die Markftreifen in der vierten Hirnhoͤhle. 
1) Die Verf. haben die Markſtreifen in Foetus und Neuge— 
bornen nicht gefunden. 2) Nicht allezeit ſammelten ſich diefe 
Markfaͤden zum Hoͤrnerven, einige davon ſchienen früher zu 
verſchwinden. 3) Die Streifen von der einen Seite ſind 
nicht allezeit von jenen der andern Seite durch die Furche ner 
trennt; viele gehen. auch in einander über, 4) Diele Markſtrei⸗ 
fen dringen tiefer in die Subftanz des verlängerten Marks, 
und ſtellen daher gleihfam Lamellen dar. 5) In den Säugs 
thieren find fie gar nicht anzutreffen. Die Verf. ſchließen dars 
aus, daß diefe Streifen nicht, wie Soͤmmerring und viele 
Anatomen glauben, die Urfprünge der KHörnerven find; was 
fie aber eigentlich find, fagen die Verf. nicht. (Rec. hält fie 
für die Commissurae der Hörnerven, weldye jeder Nerve des 
-- Gehirns hat. Im Foetus iſt diefe Commissura noch nicht auss 
- gebildet, und in dem Saͤugthiere geht diefelde unter der Brücke 
wie ein Ring von einem Hörnerven zum andern, und die 
Pyramidalkoͤrper laufen darüber weg. 
$. XIX. Die grauen zum Hoͤrnerven gehörigen Leifichen. 
‚Die Verf. glauben, daß diefe Leiftchen mit den Mörnerven zus 
fommenhängen — Übrigens findet der Nec. hier fo was neues 
und iunerhörtes nicht, wie die Verf. meinen „in abstrusa 
ferimur &tudio novi et inauditorum,“ diefelden find fchon 
mehreren Zergliederern bekannt gewefen. | 
$. XX. Einige Zellfäden, die an den plexus choroideus 
in der vierten. Hirnhoͤhle gehen. Rec. kennt keinen plexus 





376. Josephus et C, Wenzel de penitiori structura ete. 


ehoroideus in diefer KHirnhöhle Das gefaltete Gefaͤßnetz liegt 
bloß in den Seitenhöhlen, und fleige in Die herabfieigenden 
Körner. Daffelde entfteht von der großen Vene, die ſich in 
den Hintern Blutleiter ergieit, der durch das Tentorjum cer 
rebelli geht, und fih unter den bintern Wulft der großen 
Hirn s Commiffur und den intern Schenkeln des fornix und 
corp. psalloideum durchzieht, den Markſegel, die Vierhuͤgel 
und die Zirbel Übersicht. Diefe wichtigen Thatſachen haben 
die Verf. nirgendwo erwähnt. 

$. XXL Die vierte Hirnhähle in Saͤngthieren. Diefelde 
fen größer als am Menfhen („ang natärlih! da es die 
Höhle des verlängerten Marks ift, welches in den Thieren allen 
weit ſtaͤrter als im Menſchen if“ ). 

- 6 XXII. Bergleihung der Höhlen des Gehirns in Mens 
(hen, Säugthieren, Vögeln und Fiſchen. Das meifte iſt nur 
Wiederholung des Sefagten, wubey noch zwey Ventrikel bey 
Voͤgel und Fiſchen im Sehhuͤgel bemerkt werden. 

$. XXI. Bon dem Drte und der Weile, mie die Ur 
fprünge dee Merven mit ihren Hirnendigungen sufammenkoms 
men. Die Berf, behaupten zuerft gegen &Sömmerring, daß 
das Waſſer der allgemeine Eimpfindungsplas und Verbindungs⸗ 
mittel aller Nerven nicht fey, weil dafjelde nicht allegeit zugegen, 
und wenn es zugegen fey, aus der nad) erloichener Lebens 
wärme geſchehenen Verdichtung des Dunfied erzeugt werde — 
dann führen die Verf. eine Lifte auf von alleır den Hientheilen, 
welche in die Hirnhoͤhle fi endigen, und nun führen fie die 
Nerven auf, welche ſich mit diefen Hirntheilen verbinden, und 
machen dann den Schluß, daß, wo nicht unmittelbar, doch 
mittelbar alle Nerven fih in die Hirnhoͤhle endigen. Und 
wenn es alfo ein Mittel gebe, welches dort die Hirnenden 
vereinigen fönnte, fo feye diefes hierdurch als möglich bewies 
fen. Wirklich eine fonderbare Art des Beweiſes: die Tropen 
fänder von Amerika hängen mit dem Norden von Aflen- zus 
ſammen, alfo wachfen die Ananas in. Kamtſchatka (?). 
XXIV. Bon dem "Hirnanhang. Die Verf. haben alles 
geit diefen problematifchen Körper aus zwey Lappen beſtehend 
gefunden, einen größeren herzfoͤrmig eingefchnittenen, und einen 
kleinen runderen. Daß er in Geiftsstranfheisen Peiner und, 


/ 


. | .. 
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete. 377 


wie dieſelben in einer andern Schrift weitläufig deducire haben, - 
im Epileptiſchen vereptert fey — darin ſtimmen des Rec. Bes 
Shahrungen nicht mit jenen der Verf. überein, der dieſen 
Hirnanhang bey Epileptifchen gefund, und weich aufgeldj’t bey 
ſolchen, in welchen fonft feine auffaliende Spur. von Birns 
krankheit war, angetroffen hat. 

Weber den Trichter des Gehirns haben die Verf. durch 
Einfprügungen gefärbter Fluͤſſigkeitein 12 experimenta anges 
ſtellt, die Hier weitläufig mit allen Umſtaͤnden erzählt werden, ' 
woraus aber nichts weiter hervorgeht, als daß der Trichter 
und der Hirnanhang zellig ſey — .die Sichtung der Zellen 
aber mehr von unten herauf, als vom Hirn herab gegen den 
Hirnanhang gingen. Was zu diefem Schluß berechtige, ſieht 
Rec. nicht ein; da im ganzen Körper die Zellen ſich nach allen 
Beiten hin öffnen. — Im Alter und Krankheiten foll der 
Kirnanhang an Umfang abnehmen. In den meiften Saͤug⸗ 
thieren iſt derjelde auch in Ruͤckſicht auf das ‚Din ‚größer als 
im Menfhen. | 

$. XXV, Die Verf, bemerken hier die jahteeiche Menge 
ber Eleinen Arterien, welche an den Orten des Ansganres der 
vier erſten Nervenpaare bemerkt merden, nicht in der Gefäße 
haut, fondern die Markfafern durchbohrend. 

$. XXVI. Welche Theile des menſchlichen Gehirns am 
meiſten vom gewoͤhnlichen Baue abweichen. Die Verf. zaͤhlen 
hierher die Windungen, den Wulſt am hintern Korn der Seis 
tenhöhle — die Markfireifen im vierten Ventrikel — die 
Commiſſur der Sehhuͤgel und das Sandhäufhen. In Thies 
ren ſeyen die Hirnwindungen beſtaͤndiger und ſymmetriſcher. 
Mit Gall glauhen die Verf. auch an den großen Einfluß der 
Hirnwindungen auf den Charakter der Individuen, welche 
nicht allein unſtatthafte, ſondern abgeſchmackte Meynung ſchon 
ſattſam widerlegt worden iſt. 

$. XXVII. Allgemeine Bemerkungen über die Seftalt der 
einzelnen Dirntheile in Menſchen und Thieren In dieſem $. 
finden fih viele Widerſpruͤche und Unridtigfeiten. 

1) fagen fie: erft dann fey das Hirm in allen Theilen 
vollendee, wenn der Menſch zu empfinden anfange — aber 
im erſten Lebensjahre kämen erft die Markſtreifen an Boden 


N 





378 Josephus et C. Wenzel de penitieri structura etc. 


. des vierten Dentrifels und im fiebenten Lebensjahr erſt das 


Sandhaͤufchen zum Vorſchein — foll dann der Menſch erſt 
im fiebenten Jahre empfinden ! 
| 2) Die Theile, welche im Menfchen evft nach der Geburt 
entſtehen, ſeyen im Thiere nicht da; „allein die Warkfaͤden, 
melde die Commiffur des KHörnerven darfiellen, find aller 
dings in Thieren und weit flärfer da — fie ziehen ſich aber 
nicht von oben durch den "Ventrikel, fondern unten und hinter 
der Brücke, wie ein Markring herum.“ 

3) Die Thiere_feyen daher fchon. fruͤher zu ihren Verrich⸗ 
tungen reif, als der Menſch, weil ihr Gehirn eher vollendet 


fey — allein der Menſch Hat ja auch alles bis auf den Mark 


fireifen, und das Sandhaͤufchen — foll denn diefes die Un 
ſache des menfchlihen Unvermögens in ber Kindheit fen, find 


‚ denn die Verf. blind geweſen, als fie das große Ruͤckenmark 


der Ihiere und die kleineren Hemisphaͤren ſahen? mußten fir 
nicht, daß das Ruͤckenmoͤrk das Drgan der willtührlichen Be 
wegung im Nervenſyſtem fey ? fahen fie richt, daß dieſes die 


- Muskeln der Thiere weit früher vollenden und erregen mußte, da 


alle Nexventhaͤtigkeit bloß darauf verwendet wird, indem die-ins 
nern Geelenvermögen zurücbleiben, da hingegen im Menfchen 


alles auf die Ausbildung der Sinneshügel, und des in der 
Hemisphaͤren enthaltenen Schenkel s und Balkenſyſtems vers 
wendet wird, wodurch die ——— der Organe der Bewe 


gung zut uͤckbleibt7 | 
A) Wie konnten bie Darf. es Hasen; ©. 247 niedergit 


ſchreiben: Homo nonnisi sub septimum annum omnes 


illas animi facultates possidet, quas quidem imposterum 


. 


. Identidem prodit, nova autem et essentiali nulla adau- 


‚get. — IIlo anno cerebrum hominis et quoad totum et 


quoad singulas partes absolutum, esse videtur.“ Es wer 


alfo ſchon Raphael der große Mahler — Mozart der vollendete 


Mufiter, Newton der umfaſſendſte Analytiker in feinem fieben 
ten Sahre? 11 


5) Die Drgane der Höheren Serlenvermögen find nad 
des Verf. Ausſpruch die Markfireifen im vierten Hirnhoͤhlen 
boden und das. Sandhaͤufchen. Fragt man warum, ‘fo heißt 


| 





06: „weil diefe Dinge allein der. Menſch und nice hie Tpiere 


« 





- 


—2 


Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete. : 379 


haben.“ (Allein kennen die Verf. denn den innern- Bau des 
Gehirns fo genau, daB fie diefes behaupten können ? es erhellt 


dieſes wenigſtens aus ihren Unterſuchungen nide, und dann 
: ÄfE dasjenige, was den Menfchen von den Thieren auszeichnet, 


etwas dem Gehirn derſelben abſolut fehlendes? Sind nicht 
die- Hiınvermägen relativ? Wenn die Thiere mehr Mustels . 
kkäfte haben, haben fie nicht deswegen auch größere Marks, 


ſchenkel und ein bey weitem größeres Rüdentuart — dagegen, 
‚ wenn der Menfh an erfand und Nernunft u. f. mw. weit 


über die Thiere hervorſteht — beſitzt derfelbe nicht darum auch 
weit größere Hirnhemisphaͤren? Es iſt unbegreiflih, wie die 
Verf. folhe Ungereimtheiten aufbringen konnten. 

Die XXVII— XXXIT. $$. enthalten nichts als weitlaͤu⸗ 
fige. Erörterung und Anführungen einzelner Beobachtungen über 
die. Ausmeffungen nnd Größen des großen und Beinen Ges 
hirns und verjchiedener Hirntheile in-verfchiedenen Menfchens 
altern und in verfchiedenen Thieren. Ferner Über das Gewicht 


| des großen und Beinen Gehirns, und endlich Aber die allmähs 


lige Zunahme .des Gewichtes am ‚bebrüteten Hühnchen, welches 
alles die von den. Verf. ihrem Hirnwerk vorgeſetzten Ta⸗ 
bellen nicht im Reſultat, ſondern im Einzelnen ausdruͤcken. 

$. XXXIV. Betrachtung des Menfchen: Gehirns in ver⸗ 
Achiedenen Altern. 

a), Die harte Hienhout haͤngt im Foetus und — 
feſt am Schedel, und kann nicht getrennt werden, als durch 
Zerſtuͤckelung des Knochens; in Aelteren hängt fie oft feſt an. 
Man findet darin oft Verknoͤcherungen u. ſ. w. 

b) Die Schleimhaut des Gehirns iſt in Embryonen 
allezeit durchſichtig, ſie haͤngt aber mehr mit der Gefaͤßhaut 
aAuſammen. Bey Erwachſenen kommt fie oft undurchſichtiger 
und weißlich vor, dann iſt aber alsgelt eymphe in ihre Zellen 


“ergojfen. 


> c) Die Pacchioniſchen Koͤrperchen werden in Embryonen 
nicht gefunden, weniger im Neugebornen vor dem ſiebenten 


Jahre; haͤufiger in Alten und ſind krankhaften Urſprungs. 


d) Blaſenwuͤrmer. Die Verf. fanden in dem waſſerſuͤche 
tigen Gehirn einer alten Frau in Mayland 45 Waſſerblaſen 
ſowohl auf. der Oberfläche des Gehirns, als in der Subſtanz 


- 


380 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete. 


der Höhlen und dem verlängerten Mark. — Darunter war 
ein Blafenwurm. Die Zeichen, welche die Verf. angeben, 
fiheinen jedoch diefes noch im Zweifel zu laſſen. — 

e) Die Konfiftenz des Hiens iſt in Kindern wei, und 
hart in alten Leuten. Der Weingeift verhärtet ed. Den Wein 
geift und andere chemifche Reagentien haben die Verf. nie, 
um den innern Bau des Gehirns gu erforfchen, angewendet, 
‚obgleich diefe Ark der Unterfuchung, welche in unfern Tagen 
fo fruchtbar ift, lange fchon bekannt war. 

f) Hirnſubſtanz. Unter dem Mikroskop befteht das Hirn 
des Foetus aus eben fo großen Kügelhen, wie das des Er 
wachſenen. 

. 9 Hirnwindungen, Sie fangen an, ſich zu bilden im 
Smonatlihen Embryo — die Furchen find flächer, je jünger 
das Subject if. Die Menge der Windungen hänge nicht vom 
Alter ab — Krankheiten diefes Organs find oft die Urſache, 

daß fie kleiner merden ober gar verſchwinden. | 

h) Graue und Markſubſtanz. In garten Embryonen find 
diefe 2 Subſtanzen der Farbe. nad) nicht-von einander zu um 
terfcheiden. In Nengebornen und jüngern Kindern iſt oft die 
Markſubſtanz roͤthlich; in Alten iſt die äußere Subſtanz gelb 
lich, die innere blaͤulich. 

i) Die große Hirn⸗ Commiſſur ſey im Foetus vor dem 
ſiebenten Monat geſpalten, wachſe aber nach und nach von 
vorn nach hinten zuſammen. Die Verf. ſcheinen jedoch in 
dieſe ihre Beobachtung ſelbſt einen Zweifel zu ſetzen. 

Ky Der gerollte Wulſt zeigt in Embryonen im Innern 
eine Hoͤhle, welche nachher verſchwindet. 

J) Die geſtreiften Körper find ſchon groß. in Kindern, 
und im fiebenten Jahre nur um eine Linte fehmäler als im 
Erwachſenen. Es fchiene den Verf. , als wenn die geflveiften 
Körper und Sehhuͤgel im Alter abnähınen. 

m) Die Sehhügel find im Foctus grau wie die geftreiften 
‚Körper — die Commiffur, wodurch fie an ihrer inneren 
Wand verbunden find, haben die Verf. an einigen Foetus ans 
getroffen, an anderen nicht. 
| n) Der Hornftreife hat nur im Alter ein hornenes Ans 
fehen ‚ in Kindern ift er gran oder blau. Mur * Waſſer⸗ 











Pa " v 
/ . 


Josephus et ©. Wenzel de penilieri structura etc. 381 


fagten der Hirnhoͤhle bekommt derfeibe öfter ein hornartiges | 
Anfehen. 

0) Die Zirbel if bey Embrponen rund, -Knfenförmig, uns 
aſchgrau — . 

p) Dos Sondhäufchen wird in Embryonen und Kindern 
vor dem fiebenten Lebensjahr nicht gefunden, ob man gleich 
früher ſchon einen zähen klebrigen Schleim an der Stelle- ans 
trifft. 

g) Die Marffireifen am Boden des vierten Ventrikels 
ſind im Embryo noch nicht zu ſehn, aber die grauen Leiſtchen 
fangen ſchon im Smonatlichen Embryo ſichtbar zu werden an. 

r) Das Beine Gehirn iſt im Ganzen weicher als das 
große Gehirn. Der graue Antheit iſt größer in jenem als die 
Markſubſtanz. Die Windungen. des Beinen Gehirns werden 
ſchon im Smonatlihen Embryo ſichtbar, und find im 7monat⸗ 
lichen aufs dentlihfte zu unterfcheiden. Die beyden Hälften 
des kleinen Gehirns liegen um fo näher an einander, je juͤn⸗ 
ger die Subjecte find; im Alten fliehen fie weiter aus einander. 

8) Der Hirnknoten ift im Smonatlichen Foetus halb fo 
groß, als im neugebornen Kind, und, in diefim halb fo groß, 
als in einem Yiährigen Kinde. Auch iſt in jüngeren Supjecs 
ten mehr graue als Markfubftanz in denfelben. : 

Diefem Werke find 15 Kupfertafeln beygefügt, welche 
verſchiedene Hirnſtuͤcke gezeichhet. darfiellen. Ob nun gleidy 
diefe Tafeln von Koͤks Meifterhand gezeichnet find, fo erhals 
ten fie doch darim w:nig Werth, weil die vorgelegten Origi⸗ 
nalien meiſtens verzerrte, verzogene, bereits erweichte Hirn⸗ 
ſtuͤcke darſtellten. Es iſt dieſes beſonders bey Tafel IV. 
V. VII, vorzuͤglich aber bey Taf. VIII. gu ſehen — dage⸗ 
gen find die Tafeln X. XI. XIII. gu loben, wo die ohnehin 
feftere Gehirnmaſſe des vierten Ventrikels feine weitere Praͤ⸗ 
paration bedurfte. — Die Vereinigungsſtelle der Sehnerven 
auf Taf. XIV. iſt offenbar durch die ans eittanderweichende 
Hirnmaſſe in die Breite gezogen, und nicht natürlich. = 

Des Rec. Urtheil Über diefes Werk ift Folgendes : 

Man kann den ausharrenden und eifernen Fleiß nicht 
verkennen, welchen die Verf. auf diefes Werk verwendet has 
ben. Au ſieht man den lobenswerthen Eifer und die große 





332 Jesephus‘et C: Wenzel de penitiori structura etc. 


Wahrbeitslicbe, nur das und nicht mehr zu fagen, als was 
fie ſelbſt geiehen haben, oder die ‚Beobachtungen unmittelbar 
‚ folgern laſſen. — Allein auf der andern Seite muf Rec. auch der 
Wahrheit zue Steuer befennen, daß diefes Hirnwerk, auf welches 
33 Jahre verwendet worden find, ganz und gar ohne ordnende 
Hirnthaͤtigkeit zufammengefchrieben if. Die Sinne und Fin 
ger haben alles gethan. Der ordnende Verſtand has keinen 
Antheil an der Ausführung genommen; — deswegen erfahren 
wir hier auch nichts von’ der Innern Hirnbildung, dem Lauf 
und der Ordnung der Sirnfaferungen, welche dod) lange vor 
unfern Zeiten von Stenon Ridley, vorzüglich aber von Bilis 
und Vienffens genauer gekannt waren. Wir hören nur von 
Ausmeffungen und Gewichte, Hervorragungen, Höhlen, Streit 
Linien — und Diefes alles ohne auh den Aufern organifhen - 
Zufammenhang zu berüdfichtigen, den doch jeder, aud der 
feichtefte Hirnlehrer, beobachtet hat; alles, ohne auf ein Re 
fultat zu kommen, welches für die Phyſiologie oder Pathologie 
irgend eine Anwendung erlaubte. | 

Rec. will ganz davon fchweigen, daß von. den neuern 
Zergliederern dag Gehirn ſchon weit tiefer unterfuht war, als 
fie ide Werk herausgaben. Schon im Jahre 1809 und ıdıo | 
fannte man genau die innere Zaferung des Gehirns, das 
Balken s und Schenkeliuftem und den beyde vermittelnden Stab 
franz. Man kannte die Zortfäge des Hörnerven zum Ruͤcken⸗ 
mark, der Sehnerven gu den Sehhuͤgeln — den wahren Ur 
fprung des. zünften Paares u. ſ. w. — Allein von allen diefen 
einer genaueren Forfchung und gefchicteren innern Präparation 
erfordernden Tharfachen erfährt man bier nichts. Aber haben 
die Verf. denn von außen an dem Gehirn etwas mehr gefchen, 
als die oberflählichftien Profektoren. bisher gewußt haben ? Ih 
muß auch Hier antworten: nichts von Belang! — Was lie 
hier gefunden haben, find drey Dinge, nämlich einige Gräbs 
chen in der Spivifhen Wafferleitung, und einige blaue Fleckt 
chen nnd Zellfäden an der Gefaͤßhaut in der vierten Hirnhoͤhle, 
wenn man diefe — für Entdeckungen will gelten 
laſſen. — 

Dafuͤr aber iſt das Bet ganz entſetzlich weittäufig : : 
ohnehin ermattende Lektüre Über Größe und Gewicht iſt * 











Josephus et C. Wenzel de penitiori structura eic. 383 


zum Ekel miederhoit , außerdem daß dieſes alled, welches 
hinreichend geweſen wäre, in Tabellen bengefügt iſt. Haͤtte 
das Merk daher den beicheidegen Titel‘ an der Stirne de ce- 
rebri dimersionibus geführt, fo wollten wir es als eine fleifige 
Arbeit empfehlen, und nur bemerken, daß das Gange auf wes 
mige Bogen hätte reducirt werden können. — Aber den ans 
maßenden Titel de penitiori cerebri structura fann Rec, keis : 
neswegs gelten laffen. Hier um fo weniger, da nicht einmal 
die ganz oberflähliche Hirnſtructur gehörig aufgededt if. Ich 
bin überzeugt, daß die Älteren: Willis, Vieuſſens, und die 
neueren Hirnforſcher, Neil und Gall, diefen floigen Titel vers 
abfcheuen würden, die doc wirklich angefangen haben, in das’ 
Sinnere des Hirnbaues einzudringen. Aber ob e je in der 
Folge der Zeiten Zergliederer geben- werde, welche von. der 
penitiori structura des Gehirns werden feden können, daran 
zweifele Rec. gar fahr. —’ Rec. weiß wohl, daß die Verf. 
diefen Titel ihres Werkes an Scarpas Werk: de penitiori 
ossiumi structura abgefehen haben — allein‘ fie Hätten nur 
bedenten follen, daß man eher in den Ban ber Knochenzellen, 
als der Innern Hirngebilde eindringen: kann. | 
Zu der chaotifch durcheinanderliegenden Sache koͤmmt nun 
auch der langweilige und fchleppende Styl, — welder nur in. 
Burgen abgebrochenen Sägen dafteht. Die Sprache if durchs _ 
aus fehlerhaft und fehr übelklingend, in lauter Imperfecten: 
distinguebamus, relinquebamus, dissecabamus n. f. w. 
endigend. — Man fieht es fo ganz deutlich, daß dies Ganze 
aus dem Deutfchen ins Lateinifhe, und zwar durch mehrere 
ift Überfeßt worden. Von dem Deuefch s Lateinischen. Text des 
Werks unterfcheider fih gang befonders die Vorrede, welche in 
einem unlateinifchen Bombaſt gefchrieben ift, deſſen Sinn Rec. 
ben aller angewandten Mühe nicht hat endziffern können. — 





Reifen durch das fübliche Deutfchland und Lie Schmeig in den Jah⸗ 
ren 1808 und 1809 mit Bemerfungen und Bepträgen jur Ge: 
ſchichte des Tages von Gottlob Heinr. Heinfe Erſter 
. Band mit. upfern. Leipzig, 1810. bey Hinrichs. 452 S. in 8. 


bung feiner Reifen durch ſolche intereifante Theile von Deutſch⸗ 


* 


384 Reiſen durch das ſaͤdl. Deutſchland ee. von Heinſe. 
Von dem Verfaſſer erwartete man eine beſſere Beſchrei⸗ 


land. Was er ung ſagt, iſt zum Theil fo gemeiner Art und noch dazu 
ſo gemein geſagt, daß mancher Reiſegeſell, dem dieſes Buch 
in die Hand fällt, denken wird, fo etwas hätte Ich auch ſchrei⸗ 
ben wollen. Auf Naturfchilderungen vergichtet er ganz, aus 
dem Grunde, weil er ein kurzes Sefiht babe, als wenit bie 
Schönheit der Natur und der Eindruck ihrer wunderfamen 


- Bildung nur in der Ausſicht niche in der Anfiht zu fuchen 


wäre. Dennoch verfpricht et eine Beſchreibung vom Rheinfall. 
Es bleibt aber auch nur beym Verfprehen: an eine Schilde 
rung iſt nicht zu denken. Weit mehr fagt das beyliegende 
Rupfer, fo unmahlerifh auch bier der Nheinfell genommen 
if. Daß er viele fchöne Gegenden im Mebel ſah, und dürd 
ungünftige Zeit in der Hoffnung mander Ausſicht getaͤuſcht 
wurde, ift dem. zufolge nicht fehe gu, bedauern. Er entichädigt 
dafür durch mandyes Verweilen im Innern ‚ worauf Reiſende 
durch ſo vorzüglich ſchoͤne Gegenden nicht Immer zu achten 
pflegen. Man - wird mit. Bafel, mit Zofiegen, mit der Hel⸗ 
vetiſchen Geſellſchaft, mit Augsburg, Nuͤrnberg ꝛc. durch ihn 
bekannter, als durch andre Reiſende. Selbſt auf dem Poſt—⸗ 
wagen, in den Safthöfen und Herrbergen wird man endlich 


wie zu Haufe dürd feine fehr getreuen und oft ine Einzelne 


und individuelle gehende Darftellungen. Er nüst dem Res 
fenden durch dieſe Detail, und erwirbt fi fogar um Derter 


und Gegenden, dutch die er reifete, Dadurch ein Werdienf, 
daß er das vorhandene und das wuͤnſchenswerthe Gute in 


öffentlichen Einrichtungen und Anftalten mit umfchauender Vers 
gleihung auftellt und vieles auf Diefe Weife zur Betrachtung 
bringt, was von den hoͤhern Staarebehörden. nicht uͤberſehn 
u werden verdient. Wir technen darunter feine Bemerkungen 
ber Wege und Strafien, über den Müngfuß, über Reinlich⸗ 
Leit im Aeußern der. Stäbdte,. Über Pofwefen und Poſttaxen 
mit dem —— —— Gedanken — ob wohl ein Staat 
reich werden könne, der das erfte und einzige VBeförderungs 
mittel des Reichthums, den lebentdigen Vertrieb im mechani⸗ 
ſchen und geiftigen Verkehr gradehin gu Boden druͤckt — und 
vor allen. feine Gedanken und Vorſchlaͤge, mie dem großen 
Ungläd der Erdverfhättung an fo manchen gefährlichen Stel⸗ 
len hoher VBerggegenden durch vernünftige und billige Weg⸗ 
raͤumung der natürlichen Veranlaſſungen vorzubauen wäre. 


ů 








EEE TE — — ne u — ee 


No.25. Seidelbergiſche 1813. 


Jahrbuͤcher der Litteratur. 


————— 


I) Predigten von E. C. Walz, großherzogl. Badiſchem Oberhofpre⸗ 
diger ze. Carlöruße, in der Ch. Fr. Muͤllerſchen Buchhandlung. 
1813. * | 

2) Botted Verehrungen, gehalten im Betſaal des Peſtalozziſchen Ins 
ſtituts in Iferten, von 8. 9. Dreift, Eand. der Theol., fin. 
Preußifchem Eleve und Geſanglehrer zu Herten. Erftes Heft. 
Nebſt einem Anhange über Veſtalonis Anfichten von der Religion. 
Zürich, bei Drel, Sußli und Comp. 1812. | u 

3) Reden über die chriftliche Religion, von Johann Schulze Halle, 
bei Schimmelpfennig 1811. 


ll. die Geſetze des Inſtituts nicht zu Übertreten, will Rec. 
die Predigten Ne. 1. bloß anzeigen, ihren Charakter durch 
einige Stellen bezeichnen, und das Urtheil darüber dem Leſer 
Äderlaffem Schoͤne, blühende Diktion und Freymuͤthigkeit 


machen ihren Haupt: Charakter aus. Der Predigten find a6, - 


mehrere Feſtpredigten und mehrere andere, die bey wichtigen 
Angelegenheiten für das Land -oder bie großhergoglihe Bas 
milie gehalten werden find. Eine merkwürdige Predigt, nach 
dem Frieden, den Baden mit Frankreich gefchloffen, und wos 
duch deffen weile Regierung das Land gerettet hatte; eine am 
Friedensfeſt, ıBoo; eine bey dem fchnellen Tod des Erbprins 
gen von Baden; eine Trauerrede bey dem Tod der Pringeffin 
Märie von Baden, Gemahlin des Herzogs Wilhelm von 
Braunfhmweig; eine Predigt bey der Geyer der Kurwuͤrde des 
verſtorbenen Großherzogs und eine bey der Feyer einer Wie 
dergemefung bdeffelben, und bey der Wermählung des jehigen 
Großherzogs. Nun einige Stellen, die ſowohl von der Dies 
tion, als von der religidfen Denkart und von der Freymüthigs 
keit des Verf. zeunen. In der Predigt am Friedensfeft heißt 
es: „Nie trauerte die Kirche tiefer, und nie iſt das Chriftens 
thum mehr herabgewuͤrdigt worden, als in unfern Tagen, mo 
e5 r 


4 


3856 Predigten von Walz, Dreiſt und Schule, 


fo, viele Hände das herrliche Gebäude, das Chriſtus aufgeführt 
hat, zu gerträmmern ſuchen. So wurde jener Ungluͤckliche am 
Wege, den ein edelmürhiger Gamariter rettete, nicht mißFe 
handelt, wie die Religion, deren heilige Quelle immer. mehr 
getrübt wird. Werwegene und gezwungene Deutungen und 
» Auslegungen ihrer Lehren, tiefes Schweigen von der hohen 
Würde Sefu, den man bis zu einem Menſchen herab 
lobt, und ihm Ehre genug zu erweiien glaube, wenn man 
von feinem Eifer, Andere zu begiäden, von feiner Leidend: 
aröße und Freudigkeit im Tode fpricht; ermädendes Gerede 
von Vollkommenheit und Tugend, - bey dem man den Schwa— 
chen zu keinem Quell führe, aus dem er ſich zur Tugend ſtaͤr⸗ 
ken, mit dem man einen fummerbeladenen Sünder beruhigen, 
Beinen Leidenden aufrichten und feinen Sterbenden auf fein 
Ende froh machen kann, und dann — was leicht begreiflich 
ift, beweinenswuͤrdige Gleichguͤltigkeit gegen die heilige Schriſt, 
die für Unzaͤhlige eim verſchloſſenes (verächtliches?) Bud if, 
and jeder feichten, wolluſtathmenden Lektüre aufgeopfert wir; 
muthwillige Scherge über die ehrwuͤrdigſten Gegenftände, lee 
Tempel bey vollen Freudenhäufern, entheiligte Feſte und ver 
laſſene Altäre, an denen Chrifins die Müden und Heilsbegie 
rigen erwartet, um fie gu ergreifen; beweiſ't das Alles nid 
unwiderſprechlich, Daß wir nicht mit Gott find?“ Jn 
ber Predigt Aber Matıh. 8, 5— 11. Über die Gleichheit de 
Hohen und Miedrigen, bey ihrer äußeren Ungleichheit, wird 
unter andern gefagt: „Wollt Ihr zuͤrnen, Mächtige der En 
den, wenn Ihr an Euren Untergebenen Schwachheiten gewaht 
werdet? Nahmt Ihr Engel in Eure Dienfte? Und muͤſſet 
Ihr nicht auch beten: „Herr, wer kann merken, wie oft 
fehle? verzeih' uns auch die verborgenen Fehleri — „Er 
unumfchränft gebietet, wie leicht kann der zur Herrſchſucht, — 
“wen kaum Einmal im Jahre widerfprohen wird, wie bald 
kann der zum Eigenfinn, — wer mit dienfifertigen, unterthaͤ 
nigen Sklaven feiner Leidenfchafeen, — diefer Peſt der Fin 
ften, umgeben ift, wie leicht Bann dee zum Stolz verleitt 
werden.“ Endlich jtehe noch eine Stelle aus der Predigt über 
‚ das befannte Gleichniß vom verlorenen Sohne hier. Der Verl. 
bemerkt vorher, daß es auf die Thränen des Wiederkehrenden 





Predigten von Walz, Drei und Schulze. 387 


niht angefommen ſey, fondern auf das Wiederkehren. „Ger 
kehrung,“ fährt er nun fort, „ift kein Geſang nah einer 
unveränderten, - traurigen Melodie, und bey ihre Lönnen bie 
Gebete und Kämpfe nicht vorgefchrieben werden. Ein Menſch 
denke und fühle nicht, wie der Andere. Diefer klagt und jam⸗ 
mert laut; jener Lehre gefaßter und fiiler um. Diefer wirft 
fi) indem Augenblick, wo ein wohlthätiges Licht ihm anfgeht, 
det Tugend in die Arme, und bey jenem fließen Stunden und 
Tage vorüber, bis fein Entſchluß reif wird: ich will mich aufs 
machen und-zu meinem Water gehen. Diefen made fein Kums 
mer beredt, und jener verſtummt nach dem kurzen Seufzer: 
„fey mie Sünder gnädigt“ Dem Einen gelingt es, weinen 
zu können, und.dem Andern blutet bey trockenem Auge das 
Herz. . Aber bey Allen muß Aufrichtigkeit und Eenft, Dauer 
in den Sefinnungen und Empfindungen feyn, bey Allen muͤſſen 
Thaten für die Befferung zeugen.“ Diefe Stellen nur zur 
Probe. Man wird ihrer viele von der nämlichen au in der 
Predigtſammlung finden. 

- Nr. 9. find nur fieben ‚Predigten; aber fie find wichtiger, 
ale manche große, bändereiche Predigtſammlungen. Beſonders 
hat fi) Rec, gefreut, wieder einen: jungen Theologen zu trefs 
fen, der Achte Religioſitaͤt, Wärme dafür, und unverfennbaren 
Eifer, fie in feinen Zuhörern gu beleben, mit dieſen Nedners 
talenten verbindet. Seine Freude iſt noch größer, weil dieſe 
Predigten in einer Zeit erfcheinen, wo der heillofe Geift des 
Beſpekulirens, Bekritiſirens und Beſkeptiſirens, wenigſtens noch 
in manchen theologiſchen Zeitſchriften, ſpukt, deſſen Mitter⸗ 
nachtsſtunde freylich ſehr nahe iſt, weil man aber dafuͤr von 
einem Geiſt, oder vielmehr von hoch und geheimnißvoll toͤnen⸗ 
den Worten eines Myſticismus betaͤnbt wird, der, wie Mehl⸗ 
thau, alle wahre Religiofleät in der Bluͤthe verdirbt. Rei. 
will einige ſchoͤne Stellen ausheben, auf einige ganz vorzügs 
liche Predigten verweilen, und dann einige Bemerkungen 
machen, die, wie er hofft, noch mehr von dem Sintereffe zeus 
gen werden, womit er die Meine Sammlung gelefen hat. &. 
54 trägt er eine große, aber noch fange nicht genug erkannte 
Wahrheit vor, auf weiche die Beſſerungsmethode des Chriftens 
thums berechnet iſt. „ES gibt eine falfhe Beſcheidenheit, 








338 redigten von Walz, Dreiſt und Schulze. 


unter weicher ber heimliche Stolz fi gerne verbirgt, eine 
krankhafte Muchtofigkeit, weiche die Lebenskraft in fi kaum 
fühle, oder jene oben erwähnte Ueberſchaͤtzung alles Fremden, 
Veenachlaͤßigung, Verachtung des eigenen Weſens. Alle dirk 
find von Sohannes ( dem Täufer) gleich ferne. In ihm if 
die wahre Harmonie des Selbfigefähls, Much und Dei 
muth; die Verbindung jener Heyden Gegeniäße, welche in 
der Natur (7) wie im der Menschheit überall wiederkehren, 
aus deren Gleichgewicht allein die Ruhe, die Seligkeit und 
das göttliche Leben (fo wie wahre Sittlihleit) geboren wer 
den.“ Und gleich &. 56 eine trefflihe Darftellung des kräftl 
gen jugendlihen Sinnes, und eine Warnung für die Jugend 
zugleih. „Die Jugend. will fo viel.für fih und aus fid, 
‚und um ihrer felb willen. Die Welt ift neu, die Anziehung 
ſtark, der Wunſch gluͤhend, die Erfahrung ſchwach, Gott und 
das Leben ein Raͤthſel. Hochgeſpannt find die Ahnungen und 
die Anſpruͤche, mächtig die Triebe, die Sehnfuht nah Be 
friedigung. Im Hochgefaͤhl der Kraft glaubt der jugendliche, 
Mensch fih beduͤrfnißlos, glaubt, daß in ihm fey die Macht 
zu walten und zu vollbringen, Alles aufs herrlichſte hinaus 
‚zuführen. Was Natur, Wiffenfhaft, Kunft, Liebe, Freund 
ſchaft darbieten, der jugendliche Menſch möchte es alles ergreis 
fen, in fi giehen, und dann — ein König unter den Leider 
und Seiftern, die mißrachene Geſtalt der Welt um 
geflalten.“ (Sf es doch, als fähe man einen Pädagogen 
aus der neueften Schule vor ſich, oder als habe man eim 
neue Schrift von Miederer gelefen!) Er beginnt den 
Kampf; aber das Leben bekämpft ihn mächtiger. Es demis 
thigt, fodere hohe Entſagung, und gewährt ihm im Reinſten, 
wo er Alles fodern zu können glaubt, in der Förderung feiner 
ſittlichſten, menfchenfeeundlichften Unternehmungen, im Erfor⸗ 
hen der Wahrheit u. f. m. keine Befriedigung. Auf dielem 
Standpunct fühlt dee Menih, daß er ſelbſt nichts if, mob 
vermag ;. daß Gott der mächtige Herr der Welt. ift, und. def 
der Menſch nichts kann und foll, als ihm dienen, feinen Be 
gen nachſpuͤren und nachwandeln. — Hier knuͤpft füh dad 
neue Band, das Bond der Wiederfehr.des Menfchen zu Gott. 
Religio, religatur homo Deo. (Gott gebe, daß and died 


* 


Bredigten von Walz, Dreiit und Gchulje. 389 | 


die Sefchichte unferer anmaßenden, Allwiſſenheit und Allmacht 
ttäumenden Sünglinge werden möge!) Ein fehr ſchoͤnes Bes 
kenntniß it ©. 100 ausgefprohen, über das, was man in 
der feinen Gemeinde des Inſtituts zu Sferten nicht fuche 
und wolle, was man aber fuche und wolle. Was der Verf. 
in den Worten zu ©. 106 fagt, wuͤnſcht Rec. von ihm pfus 
chologiſch und bibliſch ausgeführt. Mac den Winken, die er 
bier gibt, wäre er.befonders dazu geſchickt, und es wäre ein 
Wort geredet zu feiner Zeit. Ueberhaupt ift faft Alles aus der 
Geele des Rec. gefchrieben, was Kerr Dr. über die religiäfen 
Vildungsmittel in jedem Stand und in jeder Lage bemerkt, 
und wie es von ihm auf die Erzieher angewendet wird. Die 
dritte Predigt, über Johannes den Täufer, iſt faſt gang 
muftermäßig; auch dit vierte und fünfte hat viel Hochs 
Religidfes. Nur Hätte der Verf. bey dem Überreihen Gebet 
Jeſu, Joh. 17., bleiben und nicht noch den Anfang der Leis 
densgefchichte hinzufügen follen. Die fech ste iſt die trefflichfte, 
und wäre ganz zweckmaͤßig, wenn fie bios vor den Lehrern, 
und für fie wäre gehalten. worden, wovon aber Rec. am 
Schluß — leider! — das Gegentheil fieht. Rec. wuͤnſcht fehr, 
daß bald eine Fortfegung dief:r Predigten erſcheinen möge. 

Nach dem in ihnen herrſchenden religiäfen, alfo befcheides 
nen und ?indlihen Sinn, ift Nec. überzeugt, daß es der Verf. 
nihe mißverftehen werde, wenn er ihm auch einige mißbillis 
gende Bemerkungen macht; am mwenigften, wenn er weiß, daß 
Rec. in den verfchiedenften und gemifchteften Gemeinden viele 
Jahre fange Prediger, daß es ihm Ernſt war, das Innere 
einer Zuhörer gu treffen, und daß er mancherley, auch mißs 
rathene Verſuche gemacht hat. 

Außer einigen, jedoch nur ganz wenigen unfchickfichen 
Biltern, neben ‚einer fehr fchönen, kräftigen Sprache, z. ©. : 
Sort iſt tiefer als die Hölle, breiter ald das Meer (©: 24), 
ie Schöpfung gähnt; raftlos waltot der Schöpfer (©. 61), 
merkt Rec. nur, daß das, was ©. 66 gefagt wird: „Fürs 
ton, die fih Götter glauben, und Prinzen, die wie Thiere 
eben, fühlen in deinem Genuffe ( Natur) wieder den Seegen 
hrer Menichheit,“ dem widerfprehe, was &. 64 mit Recht 
eſagt wurde: „Es ift wunderbar, wie wenig fie (die Matur) 


390 Predigten von Walz, Dreift umd Säule 


ik — der ihrer unwerth, durch Leidenſchaft hingeriſſen, in 
Unnatur verſunken, von Wahn und Duͤnkel -geblender, den 
Sinn, die Liebe für das Ganze verloren hat. . Es iſt, al 
geäte fie verfhmähend vor ihm zuräd, u. f. mw.“ Beſonders 
möchte aber Rec. auf zweyerley aufmerkſam machen, was in 
unferer Zeit befonders wichtig ift, und wofür fih Kefonders 
jeder junge Prediger zu huͤten bat. ‘ 

Bekanntlich. werden in einer gewiffen theologiſchen Schule 
Die Bibelausdräde, Sort Vater, Sohn, heiliger Geiſt, Ver 
föhnung, Wiedergeburt, ja fogar der nicht biblifche, fondern 
bloß kirchliche: Dreyeinigkeit ‚ und die allverftändiichen: Leben 
und Tod, auch gebraucht, aber in einem ganz andern Binn, 
als fie Jeſus, Paulus, Sjohannes gebraudht haben. : Das 
möhte immer ſeyn, wenn man fern Syſtem oder feine Hypo 
shefen mit diefen Worten auszudruͤcken, für gut fände. Aber 
wenn man infinuirt, oder geradezu behauptet, die Bibel 
verſtehe unter diefen Ansdräden das, was man in jenen Ru 
. ligionephitofophieen darnnter verſteht: fo gibt dies eine Ber 
wirrung, noch ärger ale bey Kants moralifher Interpreta 
sion, bey der man dod wußte, daß es nur: moralifhe Am 
wendung ſeyn follte. Der Verf. bat fih vor diefem Mißbrauch 
biblifcher Ausdruͤcke ſehr gehüter, und die von ihm vorgetrw 
genen Lehren find faft alle ächte, auf Geſchichte ſich gruͤndende 
Chriftenehumsiehren. Nur in der Erften Predige, von der 
Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geift, über Joh 85. 
3—5. if er in diefen Modefehler gefallen. Offenbar ſpricht 
doch Jeſus in dieſer Stelle von etwas, was der Menſch felik 
zu feiner Umfchaffung thun kann (Waffer, Johannes Taufı, 
‚ alfo Benugung der göttlichen Anftalten zu unferer Beſſerung): 
aber auch von etwas, was er nicht thun, fih ſelbſt nicht 
geben kann. (Geiſt.) Wenn ein Menſch nicht einmal ver 
ſteht, wie der Geiſt auf ihn wirkte (V. 8.), fo kann er 
wohl noch weit weniger, felbft und allein das wirken, 
was er feldft nicht begreift. In der angeführten Stelle: 
Ezech. 36, 26. 27. wird auch nicht geſagt: verſchaffet End 
ein. neues Herz und einen neuen Geiftt fondern: „ich wi 
Euch ein neues Herz und einen neuen Geift geben.“ Ohnehin 
Tann man ja, beſonders nad) der. Beiftesausgießung, niet 





Predigten von Walz, Dreit und Schulze. 391 


mehr im Zweifel ſeyn, was Jeſus und feine Apoſtel unter 
Geiſt verfiehen, nämlich eine von Gott gegebene Kraft, das 
auszuführen, was man ausführen fol. And doc fagt der 
Verf. S. &.: „Aus eigener Anftrengung foll der Meufch das 
Menfhlihe erlangen.“ — Das if freylich an ſich wahr. 
Aber er ſetzt hinzu:“‘ „Dies Menichliche aber gewinnt der 
Menſch, wenn er im wahren und vollen Sinn ein Chrift wird, 
sein duch das Thriftenehum, durch die Taufe. Und das fol 
auch das Wort fagen: „Es fey denn, daß jemand von 
Neuem geboren werde ꝛc.“ Mein, es foll weit mehr fagen! 
Sefus unterfheidet ja Watfer (die Taufe) von dem 
Seift! Das Leste war keine Waffers fondern eine Feuers 
tanfe, die auch der Täufer Johannes genau unterfcheidet. 
(Luk. 5, 16.) Wird denn au der. Menſch duch die Taufe, 
durch das Chriſtenthum, alfo durch bloßes Annehmen des Chris 
ſtenthums ſchon rein? Aber was verficht der Verf. unter dem 
Geiſt des Chriftenthums, der feurige Liebe zu Gott, und hohe 
Berleugnung des Irdiſchen hervorbringen foll? Das thut doch 
wohl die Taufe allein nicht? Weit richtiger druͤckt fih der 
Verf. S. 35 Über diefen Geiſt aus, es fen „ein fortgefeßtes, 
ewiges (?) Wirken der Gottheit in der Menfchheie“ (wenig⸗ 
ſtens in einzelnen Menfchen )* eine.edle, heilige, durch ihn 
erregte amd erhaltene Sefinnung.“ Bey diefer richtigen, 
biblifhen Anſicht moͤge er bleiben, und nicht übergehen zu der 
unrichtigen, unbiblifhen- von Niederer, in der Lengburger 
» Rede, der Geiſt Gottes ſey „die in dem Menichen inwohs 
nende göttlihe Idee, durch die er Bild Gottes und aller Res 
figion einzig und allein empfänglih wird ,“ die alſo in allen 
Menfchen ift, alfo nicht von Jeſus gefendert, am Pfingfts 
tag ausgegoffen und Menfhen verfprohen gu wer: 
den brauchte, weil man ihnen fonft — Menſchheit gefender, 
in fie ergoffen und verfproden hätte 

Das Zwepte, worauf Rec. den Verf. aufmerkfam machen 
möchte, iſt die in einem gemifchten Auditorium fo nöthine 
und ſreylich ſchwer zu erreihende Popularität. Er fagt in 
der Vorrede, es ſeyen zwey Drittel: Kinder, gegen Ein 
Drittel Erwwachfener in der Verfammiung Da nun Predigten 
bloß für Kinder nicht möglich feyen, fo habe er fi insbeſondere 


392 Predigten von Walz, Dreifi und Schulze. 


und vorherrichend an die Lehrer gewendet, die Kinder aber 
auch niche vernachläßigen wollen. Zugegeben für den Augens 
blick, daß Predigten bloß für Kinder unmöglich feyen; ſo 
Hätte, wie der Rec. glaubt, .. der Verf. gerade das Gegentheil 
hun, er hätte fih vorzlalih an die Schwäderen, an bie 
Kinder halten, freylih aber die Lehrer nicht vernachläßtgen 
fpllen. Bey Lehrern an einem Erziehungsinftitut, wie beſon 
ders das Peſtalozziſche ift, Test man immer voraus, daß fie 
mis den Neligionsiehren fchon bekannt find, daß nur erinnert, 
aufgefrifhe, neu belebt zu werden braudht, was fchon in dem 
Gemuͤth liege. Gab ihnen der Redner hin und wieder etwas 
zum Nachdenken, eine neue Anliht, ein Wort, eine Sentenz, 
die fo traf: fo war es ſchon genug, und die Kinder verloren 
nichts dabey. Die Kinder aber mußte er in unaufhoͤrlicher 
Beichäftigung erhalten. Haben fie einmal die Aufmerkfamteit 
verloren ; fo feſſelt man fie nicht leicht wieder. Sie langweilen 
fi), und miches iſt verderblicher für Neligiofität, alſo unp& 
Basogifcher, als wenn man Kinder fhon frühe durch Religions 
vorträge langweilt; die ganze Sache wird ihnen dann zumider. 
Eden darum wuͤrde aud) Rec., wie Salgmann that, die 
Vorträge duch Geſang unterbrechen laffen, was der Verf. 
. noch beffer konnte, weil er zugleich Geſanglehrer if. Dee 
lebendige Knabe und Juͤngling may nicht gerne eine Stunde 
unthätig zuhören, fo wenig, wie das Boll. Er will dabıy 
auch thätig feun. Iſt ja doch darauf die Peſtalozziſche Mer 
thode berechnet, und mit Recht! Bey den ©ottesverehrungen 
kann ee aber nichts Anders thun, ale fingen, durch Gefang 
fortfeßen , tiefer eindräcen, was ber Religionsiehrer gejagt 
Hat. Dies wirkt gewiß gut. Man finge nicht bloß für Ans 
dere, fondern auch für ſich, ſingt nicht bloß etwas aus fig 
heraus, fondern auch etwas in fih hinein. Die Ps 
dige über Johannes den Täufer und die lebte, vor der Ifener 
Gemeinde gehalten, zeigen Übrigens, daß der Verf. wohl por 
pulär reden koͤnne, obgleich die legte, für eine fo gemſſchte 
Verſammlung, wegen des: Anfangs und der darin herrfchmden, 
freylih ſchoͤnen Buͤcherſprache noch nicht populär genug iſt. 
Die Stellen uͤber Religion, ans Peſtalozzi's Schriften, 
find in Deutſchland meift bekannt, fo wie Peſtalozzi's Gchriften; 


Predigten von Walz, Dreiit und Schulze, 393 


und Nec. weiß nicht, warum Kr. D. das Gegentheil behaups 
tet. Indeß ift es gut, den Theil des Publikums, der etwa 
diefe Schriften nicht Bennt, oder noch an Peftalogzi'g religidien 
Sefinnungen zweifelt, durch folche Stellen davon zu Äbergeus 
gen. Mur muß Rec. um diefes Zwecks willen wänfchen, daß 
Auszüge aus Niederer wesgelaffen oder mit forgfältiger 
Auswahl gebrauht würden, weil Manches darin eher eine ents 
gegengefegte Wirkung thun möchte. Wie kann z. ©. Nieder 
ter behaupten, Seins habe „fein Werk auf die ganze volls 
fländige Entwickelung des menichlihen Geiftes und Herzens 
gegrändet. (S. ı80) War denn wohl Geift und Herz bey‘ 
den Zifhern und Zöllnern, feinen Schälern, volliftändig 
entwidele? Hein; er entwidelte es erſt durch feine Lehre 
und fein Beyſpiel. Uebrigens iſt es empoͤrend und ekelhaft, 
wenn N. auf ſeine gewoͤhnliche, abſprechende Art behauptet, 
„bey allem bisherigen Kätehismusunterriht müffe es uns 
vermeidlich dahin kommen, daß fih das Kind unter Gott 
etwas denke, yon Ihm etwas hoffe, fodere, erwarte, was 
der Wirklichkeit oder Möglichkeit widerfpreche, und daß es 
dadurch in Zweifel oder practifchen Unglauben fiürgen muͤſſe.“ 
Als 06 N., der fo wenig ſah, allen Katehismusunterricht 
fennte ! Als ob durch keinen Katechismusunterricht, ächte 
chriftliche Religiofitär gewirkt worden wäre! Rec. weiß viele 
hundert Beyſpiele vom Gegentheil. Solche, einen unleidlis 
hen pädagogifhen Papismus athmende Stellen lafie Hr. D. 
nur in Zußunft weg, wenn er Vorurtheile gegen den veligiöfen 
Geiſt im Peſtal. Inſtitut verbannen will. 

Auch Ne. 3. tft nur eine Meine, aus gehn Predigten bes 
fiehende Sammlung ; aber merfwärdig, wie die vorher anges 
zeigte, obgleich in einem andern Sinne So viel Gehalt 
und fo viel hochtoͤnende Phrafen ohne Gehalt, fo viel Plare, 
warme, fräftige, und fo viel unverftändlihe, kalte, matte 
Stellen — freymäthig herausgeſagt — fo viel Sinn und Uns 
finn Hat Rec. nicht leicht in einem großen Buche gefunden, 
als in biefem kleinen Büchlein. ind es ift, als 06 fi mit 
jeder Predigt das Verftändlihe, Warme, Kräftige, der Sinn 
verminderte und das Unverftändliche, Kalte, Matte vermehrte, 
Es war dem Rec., als ob er in Geſellſchaft eines fenrigen,' 


/ 
! 
i 


394 Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze. 


geiſtvollen Juͤnglings wäre, wo über das Heiligſte geſprochen 
und zugleih Wein getrunken würde. Anfangs ſpraͤche der 
Süngling mit vielem Leben und vieler Wärme über Religion. 
Mit jedem Glaſe, das er weiter tränfe, würde er. exaltirter; 
es käme fchon manchmal etwas Unverftändliches, Wibderfinnis 
ges, bis er endlich betrunfen wuͤrde und Unfinn ſpraͤche. 
Sin den erften Predigten find wirklich ausgezeichnet fchöne, 
räftig ausgedräd:e Stellen. &. 148 wird eine Seite des 
Zeitgeifts ſehr gut bezeichnet. S. 157 werden die Worzäge 
des Chriſtenthums, in foferne es die Weiber wieder in ihre 


natürliche Menfchenrechte einfegt, kräftig dargeſtellt. Trefflich 


it es, was der Verf. &. 167 von der Mutterempfindung und 
Mutterfeligkeit ſagt. „Durch das Kind offenbart fich ihr die 
Fülle der Sortheit, und des Himmels Klarheit umſtrahlt ihr 
heiteres Angefiht. Mit dem Muttergefuͤhl endet 'die Einfeitig 
Leit des Geſchlechts; der wahre Beziehungspunct alles (ihres) 
Denkens und Handelns ift gefunden. Das Weib tritt aus 
ihrem früheren, befchränkten Kreife in die große Verkettung 
der Dinge, und wird eine Priefterin der Matur, mit dieſer 
durch füße, unauflöslihe Bande auf ewig verbunden. — — 
Mütter bewahren das große Geheimniß der Liebe in ihrem 
keuſchen Buſen. Denn in Worten darftellen können und duͤr⸗ 
fen fie nicht die Seligkeit, die fie durchgluͤht, das Unendliche, 
was fie bewegt, und wenn fi ihnen aud die Zunge löoͤſ'te, 
würden fie Allen denen Wahnſinn zu fprechen fcheinen, bie 
nicht, wie fie, das hohe Gtäd berühren, ein Ewiges zu er— 
zeugen (zu gebären ), und durch diefes den Kranz der Un— 
fterblichkeit zu erringen.“ - Sin der ganzen Predigt fuhrt er 
Maria als die Sonne der Frauen bdarzuftellen, und er fagt 
unter Andern von ihr (8. 179. 175): „Waria lebte nur 
in ihrem Kinde, und. ihre Tage feheinen ihr nur geſchenkt, 
um fie diefem zu weihen. Ihre Mutterwärme erlaubte ihr 
feinen eigenfüchtigen Gedanken an ſich felbft, ſondern unbe 
tümmert um ihr eigenes Schickſal, begleitete fie mit treue, 
immer wacer Sorgfalt den geliebten Sohn, von der Wiege 
bis ans Stab (?). Ohne Zaudern verließ fie ihre Heimath, 
ihre Freundinnen, alles: Theure und Liebe, und zog in einſa— 
mer, gefahrvoller Flucht Über Berg und Thal durch wuͤſte, 





Predigten von Walz, Drei und Schuhe 395 


traurige Steppen in ein fernes, unfreundliches Sand, um vor 
der mörderifchen Verfolgung eines biutdärftigen, feigen, Boͤſe⸗ 
wichts, das Leben ihres Kindes zu fihern. Und als der Lieb⸗ 
ling ihrer Seele, von feinen Juͤngern verleugnet, von feinen 
Freunden verlaffen,, fein großes Leben verbiutete, fürchtete fie 
weder dies herzzerſchmetternde Schaufpiel, noch den unaus— 
bleiblichen Haß feiner Henker, fondern ftand mis dem Jünger, 
den er lieb hatte, unter feinem Kreuz, um auch im Tode nicht 
von dem zu weichen, ohne weichen ihr das Leben gleichgäftig 
war. Denn die Dutterwärme-hat eine wunderbar s flärkende 
Sewalt und ſtaͤhlt mie Muth und Tapferkeit, felbit die, vers 
"möge ihrer Natur, furdtfamen Frauen, fo daß fle troßdietend 
allen Qualen, unerfchröcden dem Tod ins Auge fehen, wenn 
es das Wohl. oder Wehe ihrer Lieblinge gilt. Daher vergeffen 
"auch edle Frauen flets fih ſelbſt, und ihe Leben wird eine 
Folge von: den Freudenflängen ‚und den Trauertönen, in wels 
chen fi das Herz ihrer Lieben bewegt. Und weil die Mutters 
wärme: fi nur duch großmärhige Entfagung auf eigenen 
(ollen eigenen) Genuß, durch gänzlihe Entäußerung ihrer 
felöft genügt, und weil fle-flets in ihrem Kinde nicht bloß 
Diefes, fondern vielmehr die ganze Menſchheit liebt; fo gedeihe 
auch durch fie in einem folhen Kerzen, am gläcdlichften, ver 
Erde fhönfte Blüte, die Religion.“ Rec. müßte faft die ganze 
Predigt adfchreiden, wenn er alle gemüthliche, gelungene und 
treffende Stellen darin bier bemerklich machen wollte. Maria 
wird darin als die Sonne (das Mufter) der Frauen (befons 
Ders der Mütter ) dargeftellt. Mur begreift man nicht, warum 
er fie manchmal eine ewige Mutter nennt, und woher er 
weiß, daß fie bald nad) Jeſus gen Himmel gefahren fey. Die 
Bibel ſagt fein Wort davon. 
Die dritte Predige ift eine fchöne Anwendung des Muts 
terfinns, den alle Kirchen — wenigfiens ‚haben follten. 
Die fünfte dagegen tft bloß eine Deklamation — Nec 
möchte faſt fagen, eine Capuzinade — gegen das Srdifche, 
Rergänglihe, das Leben. Das ganze Leben’ ift ein Trauers 
fpiel, das Irdiſche ein graufamer, liſtiger Feind, den wir in 
unferem Körper tragen. Der leere Schein wird flatt des Wer 
fens, die Schale ſtatt des Kerns: geliebt (©. 144). Man 


396 Predigten von Walz, Drei und Schulze. 


Bat darin den Schein der Wirklichkeit nur gelogen (S. 146). 
Das Leben ift eine, an Schmerzen und Qualen unerſchoͤpfliche 
Krankheit ; Haß und Feindſchaft begrüßt den Neugebornen!!! 
©: 145 (aud die Mütter?) Das Dafeyn if eine La (&. 
165). Man bemühe fih aber nicht, diefe Paraborieen zu 
widerlegen ; denn fie find fo arg nicht gemeint. Wer die Mut 
terfeligkeie fo ‚befchreibe, wie es der Verf. ganz wahr &. 178. 
373 thut, wer mit ſolchem Jubel redet, von der „Hand der 
ewigen Freundſchaft, und von der heitern, flilen Seligkeit, 
weiche hervorkeimt aus dem ruhigen Anfchauen und Plaren 
Ertennen eines fhönen, eigenthümlihen Weſens, ale eints 
verwandten Gemächs“ ( &. aıB); wer die „Schöne des Das 
feyns“ nennt, die felöft Jeſus freundlich angeblickt Haben fol 
( S. 146), dem iſt das Leben nicht fo fehr zuwider, wie er 
es, um fein Thema auszuführen, manchmal behauptet. 
Aber das fcheint dem Verf. voller Ernft gu fepn, Daß ber 
Menſch ſich felbft eridfen märe, und daß. es die Bibel auch 
in dieſem Sinne nehme. Er erlöfer fih, nah ©. 228. 229, 
wenn das Gute in ihm, das Boͤſe (oder, was dem Verf. 
‚Eine, der Geift den Körper ) uͤberwindet, wenn er ‚einen Set 
renden belehrt, einen Klagenden tröftet, kurz: eine Handlung 
der Wohlthaͤtigkeit ausuͤbt; ja fogar, wenn er „in den Stun 
den der ‚heiligen Begeifterung, an dem Bufen. eines Tiebends 
geliebten Weſens, den Triumph über die Erde (doch fehr im 
diſch) feyert. (Eine ſolche Selbſterloͤſung mag wohl nicht viel 
Weberwindung koſten! Hierher paßte die Erzählung in ber 
£ucinde: „Ich umarmte fie mit eben fo viel Wolluſt als 
Religion.“ Hat bier auch der Geiſt den Körper überwuns 
den? Oder begehrt er ihn nur zu überwinden? Iſt hier auch 
eine Sclaht gegen das Irdiſche, mit klirrenden, eifernen 
Ketten verfehene Heer, das den Gegner (den Geiſt) gu bes 
zwingen droht?) Mag man dies in irgend einer Philofophie 
Erloͤſung nennen; das, was die Bibel’ ſo nennt, iſt es nicht. 
Mach ihr kann fi der Menſch nicht ſelbſt erloͤſen; fie fchreibt 
überall diefe Erloſung allein Sefu zu. Was brauchte es auch 
der ganzen Anflale durch Jefus, wenn fid) der Menſch ſelbſt 
erloͤſen koͤnnte? Mein; „wir werden ohne Verdienft ge 
recht durch die Eridfung, Die duch Jeſus Chriſtus gefchehen 





‚Predigten von Walz, Drei und Schulte. 397 


iſte (Noͤm 3, 24.); und es heißt mit Worten fpielen, oder 
Bidelworte in einem gang andern, widerfprehenden &inne 
nehmen , wenn man von. Selbfterlöfung dur Handlungen der 
Wohlthaͤtigkeit, oder durch Freundfchaftsgenuß redet; es Heißt 
Bibelworte profaniren, wenn man uns verfihert, daß man 
fi) am Buſen eines tiebend s geliebten Weſens erloͤſen koͤnne. 
Unrichtig iſt es auch, daß die Erlöfung nah der Bibel 
fietig (anhaltend) fortfchreite, und fi bis zum Tod wieders 
hole. Verſichert ja der Verf. ſelbſt, &. 201, da Jeſus gefage 
Habe: es ift vollbracht, da ſey „die Schlacht entichieden, und 
der alte Feind der Erde niedergefchmettert worden.“ nd 
Paulus ſagt (Ebr. 10, 14.), Jeſus habe mit Einem Opfer 
‚für die Ewigkeit vollendet, Alle Die geheiligt oder erloͤſet 
werden follten. Endlich ift es eben fo unbiblifh und unrichs 
tg, daß Jeſus das Erloͤſungswerk zuerſt an ſich ſelbſt voll⸗ 
bracht Habe. Freylich hat Er ſich ſelbſt uͤberwunden, eine 
Menge wohlthaͤtiger Handlungen verrichtet u. ſ. w., aber das 
heiße in der Bibel nicht: Erloͤſung. Jeſus, der nie füns 
digte, bedurfte feiner Erlöfung von Sünden; und nur davon 
fol der Menſch erlöfer werden, nicht vom Irdiſchen, in das 
ihn Sort, aus weifen Abfichten,, gelegt hat, aus dem ihn 
auch Sort allein, und nicht er ſich ſelbſt, wegnehmen darf. 
Freylich, in diefem Sinne ift es leicht, zu beweifen, was bie 
- achte Predigt beweifen foll, daß das Chriſtenthum ewig dauren 
werde; denn immer werden wohlthätige Handlungen verrichtet, 
Zreundfchaft genofien werden; immer werden gute Menſchen 
ſich ſelbſt zu uͤberwinden ſuchen. 

Noch manche andere Verwirrungen der Begriffe und Wis 
‚derfprühe finden ih, 3. B. S. 138, daß das, was. einen 
Anfang gehabt, auch verfinfen oder ein Ende haben müffe ; 
ohne den Tod müfe das Ewige in dem Menſchen aufhören 
zu ſeyn. (Als 06 es nun keinen Anfang gehabt Hätte, weil 
der Tod dazwifdhen kam!) Der Tod fplle alles Perſoͤnliche 
von den Worten und Werfen der Menfchen trennen, ©. 143. 
(Wären es dann noch) die Worte und Werke des Individuums ? 
Und find fie es nicht, wie können fie ihm gugerechnet wers 
den 7) Wie ift die Behauptung mit dem zu vereinigen, was 
eine ‚Seite vorher gefags wird: „der Tod has ihn (den Ger 





398  SBredigten von Walz, Dreifl und Schulte. 


lieben, Liebenswuͤrdigen) nicht Euch, und Euch nicht ihm ent 
eiffen, fondern nur die Scheidewand aufgehoben, fo daß Ihr 
jeßt einander näher treten und Euch mit ungeftörter,. inniger 
Liebe für die Ewigkeit umarmen koͤnnt.“ Mad dem Hauptſat 
dee zwepten: Predigt, fol das Chriſtenthum die Meligion bes 
endlofen. Kampf ſeyn, und doch fagt der Verf. am Ente 
in den Werfen, die zu einem Krieg für das heilige Grab ein⸗ 
zuladen feinen : 


Zieht ins Feld zum fihren Siege 
Eurer Sahne nad. rn 
Daß er das Auffallende Liebe, zeigt fih beſonders am Ende 
dieſer Predigt, die mit den Worten ſchließt: 
Kauft ein Sqhwerdt. 

und am Ende der fiebenten, die ſtatt: Amen, Beer m 
Wehe! ruft. 
i Doch, das find nur aleinigkeiten gegen die —— 

die in der Predigt vom Abendmahl ausgeſprochen werden. 
„Der Weltenvater hat menſchliche Bildung angenommen, in 
dem Sohne, damit diefer alle Jahrtauſende hindurch fey und 
bleibe der jungfräufihsreine Leib, worin das innere 
Element des Weltalls, der Vater, wohnt, (8.207) 
„der Stein regt fihb und möhte Blume werden; 
die Pflanze möchte, fich losreißend von ihrem mötterlichen 
Boden, ſich zu der höheren Ausbildungsfiufe der Thiere ers 
Heben“ u. |. w. (S. 290) Wenn man den Wein im Abends 
mahl getrunfen hat, foll man von feiner Bänglichkeit, feinem 
Irrthum mehr wiffen; es foll keine Sünde, keinen 
Zwiefpalt, Pein Verderben mehr geben. „Die teifeften 
AhnungendesBdfen follen verfhwinden; man fol 
verfnäpft werden mit allen hohen edlen Seelen früherer Jahe⸗ 
hunderte, und ihr gerechtes Zärnen über das Gemeine fol 
und ergreifen; wir follen das Bürgerrecht in der Natur und 
Geſchichte erhalten; (mas das wohl feyn mag, das wie noch 
nicht hätten?) das Abendmahl foll eine wahrhafte, ewige, 
unauflöslihe Ehe mit der Natur feyn,“ ©. 300-—306) 
and wie die Phrafen weiter lauten. Und auf wen es ‚nid 
fo wirkt, der ift ein unwuͤrdiger Saft, Iebendigstodt, wahn⸗ 








Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze, 399 


finnig x. (S. 308—3ı0). Ob wohl die Apoftel wärbige 
Säfte waren ? frey von Irrthuͤmern waren fie wenigſtens nicht. 
Was fagen endlich die Lefer zu folgender. Stelle (©. 294): 
„Ihr umarmet in jedem Menichen : Leib die fleifch s gewors 
dene Gottheit, und Eure giäubige Seele empfinde in jes 
dem Kuß von geliebten Lippen die Gnade des Erläfere. 
Endiich fend Ihr wärdig, aud in der einfamen Umarmung 
eines liebenden Weſens, das heiligfte Wunder der Natur 
durch und an Euch ſelbſt zu erfahren, und knuͤpfend das 
hochzeitlihe Band, in der hoͤchſten und folgereihften 
That, Euch als Achte Priefter der Marur zu bewähren, die 
dee Genuß des gefegneten Brods fo reinigte und verflärte, 
daß Ihr verdienet, die Natur auch in der tieffien Mitte ihres 
Senne zu erfaflen, und mit der Fülle der edelſten 
Lebenskraft aufs neue zu feyern das Sakrament 
der unendlihen Liebe.“ — So etwas wurde im neuns 
zehnten Jahrhundert, in Weimar, Öffentlich von der Kanzel, 
vor einer vermifchten Verſammlung von SJünglingen, Mäns 
nern, Jungfrauen und Weibern gepredigt, und follte für Chris 
ſtenthumslehre gelten!! — Kaum glaublih, wenn man e6 
nicht gedruckt laͤſe! Schwerlich kann es ein ſchrecklicher mars 
nendes Beyſpiel geben, wie. der Mißbrauch der ſogenannten 
Naturphiloſophie, und ihr Einmiſchen in das einfache Bibel⸗ 
Chriſtenthum, auch treffliche Koͤpfe zu Unſinn verleiten koͤnne, 
fo daß das Wort Paulus, Roͤm. ı, 2a., an ihnen auf eine, 
jedem Menfchenverftand einleuchtende, Art erfüllt wird. Daß 
es eine folhe Warnungstafel werden möge, das war die Ur⸗ 
ſache, warum Dec. fi) mit dieſer Heinen Sammlung fo lange 
beſchaͤftigt hat. J 





Ueber dad Alter. In Briefen an einen Freund. Nach dem Franzoͤſi⸗ 
fen des Herrn J. H. Meifter bearbeitet von dem Verf. von 
Eugenia’d Briefen. Winterthur, in der Eteinerfchen Buchhand⸗ 
fung. 1810. 

Dieſe dem alten würdigen Salomon Hirzel von dem deuts 
fhen Ueberſetzer, Heinrich Hirzel, Profeffor und Chorherrn 
-am großen Muͤnſter zu Zurich geweihte Schrift it ein wuͤrdiges 
Dentmahl der Achtung und Liebe eines jüngern Freundes, der 
dem Altern fih daducch gefällig zeigen will, "daß er ihm dos 








400 cher das Alter von dem Berk. von Eugenia’s Briefen. 


Alter feld von einer intereffanten Seite darſtelt. Dem Berf. 
diefer leſenswerthen Schrift, der dem Ueberſetzer einige Briefe 
handſchriftlich mittheilte, die Ab im Franzoͤſiſchen Originale 
nicht befinden, gereicht es zur Ehre, zu geſtehen, daß er die 
bekannte Abhandiung des Cicero über den nämlihen Gegens 
fland nicht eher, als nah Wollendung feiner Arbeit nachges 
fehen und durchgeleſen habe. Nur auf diefe Weile if es möglich, 
neue Anfihten einer Sache zu gewinnen, die der Betrachtung 
um fo märdiger ift, als fie fhon das Nachdenken vieler dens 
kenden Menichen vor uns befchäftiget hat. In der That ers 
bielten wir auf diefe Weile einige Kapitel in dem vorliegenden 
‚Werke, die weder von Cicero, noch von andern find berührt 
worden, und das Ganze hat fi dadurch in der Behandlung 
zu einem Originale vollfommen geeignet. Wahr iſt es aber 
auch auf der andern ©eite, was der Verf. befcheiden zugibt, 
daß, wenn man nach dieler Lectüre den alten Nömer wieder 
zur Hand nimmt, man ſich trotz der weitern Umfaſſung des 
neuen Schriftſtellers, und der unfern Anfihten und Beduͤrf⸗ 
niffen weit angemefinern. Behandlung des Gegenſtandes, doch 
weit beruhigter fühle nah dem Lefen des Kicero, der auf der 
“einen Seite die Schlagfchatten, die dem fchönen Helldunkel 
zur Unterflägung dienen, welches einige dem Lichte abgewen⸗ 
deren Theile des Bildes verlieblichen foll, weite befier zu bes 
-Handeln verfleht und z. B. uus auf feine Weife zu bereden 
fucht, im Alter habe es mit dem Sterben feine Gefahr, oder: 
Geiſt und Kraft in feiner lebengreichen Erfcheinung , fogar im 
Geleite der Einbildungstraft, könne fih zumeilen in den ipäs 
teften Jahren, wo nicht lebendiger und flärfer,, doch eben fo 
lebhaft als in der Jugend erwieifen. — Auf der andern Seite 
aber auch wieder gefliffentlih eine Menge von Vorforglichkeiten 
und Verwahrungsmittein gegen die wahrfcheinlichen Unbequems 
lichkeiten des Alters eben darum nicht berührt, weil grade in 
diefer Zuräftung alle mißtrauiſchen Bedenklichkeiten liegen, die, 
wenn man einen beruhigen und tröftlihen Blick aufs Alter 
werfen will, weit von uns entfernt bleiben muͤſſen. Es mag 
in diefer Hinfihe wohl wahr fern, was ein entfernter und 
doch naher Geiftesverwandte in feinem Buche über. practifche 
Lebensweisheit ung zu bedenken gibt: Nichts iſt mißlicher im 
Leben, als bey feinen beflimmten Berdhäftigungen auf einen 
noch entfernten Punct 'hinarbeiten, den man immer im Auge 
behalten will, um nachher nicht zu bereuen, daß man feinen 
Vorbedacht darauf genommen habe. Thue in jedem Augens 
Blicke, was recht tft, fo. wirft du auch für den Fall, der 
kanftig einmal eintreten kann, das vechtegethan haben. 


EEE TREEESTEEBEnen 


l 











No. 96. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





D. nein Joſeph Horſch, Großherzogl. Würd. Medizinal⸗ 
rath, öffentl. ordentl. Lehrer der allgemeinen Therapie, Heilmit⸗ 
tellehre und Klinik an der Julius-Univerſitaͤt ?c. Handbuch der 
allgemeinen Therapie als Leitfaden zu ſeinen Vorleſungen. Wuͤrz⸗ 
burg, bep Joſeph Stahel. 1811, VIII und 414 ©. 8. | 


VWarpotosie und Therapie,* ſagt der Verf. diefed Handbu⸗ 
ches in der Worrede, „können in ihrer wiſſenſchaftlichen Vervoll⸗ 
fommnung nicht weiter fortfchreiten, als durch Anatomie und 
Phyſiologie vorgearbeitet if. Sollen bloße Meynungen aus 
der Therapie verbannt, und foll fie vollftändig und der Idee 
des Lebens entfprechend dargeftellt werden, fo muß fie fi le 
diglih an die Gefege des Organismus halten, indem fie aus 
diefem die Weife deducirt, wie die durch das pathiologifche Geſetz 
degebenen Veränderungen zur Normalität zurückzuführen ſeyen. 
Ueber diefen Gegenſtand habe er fih vor einigen. Jahren im 
erften Hefte feiner kliniſchen Annalen ausfuͤhrlich erklärt, und 
bier habe er den Verſuch gemacht, die Therapie nach dieſen 
Anfidyten zu bearbeiten.“ Nimmt man nun zugleich auf jene 
Erklärung in den kliniſchen Annalen Ruͤckſicht, wo unter ans 
deren (S. 19) gefagt wird, daß die Organonomie bisher der 
Therapie ganz fremd geblieben ſey, oder nicht mehr als einen 
bloß mehanifhen Einfluß, d. h. (mie der Verf. jagt) für 
den Mechanismus mander Erflärungen, gehabt habe, daß die 
Therapie, befonders die. allgemeine, als die eigentlich s Ärztliche 
Theerie, ganz vernachläßiget ftehe, und daß die Indikation für 
den Gebrauch diefer oder jener Methode aufzuftellen nichts heiße, 
als die Therapie fchädlichen Schulbegriffen aufopfern, fo koͤnnte 
man hier eine gänzliche Reform der Therapie erwarten, und 
zu nicht geringen Forderungen an den Verf. ſich berechtigt hal⸗ 
sen, wenn man nicht an vielen unferer neueren Aerzte eine 
ſolche Sene und — auch Verkennung deſſen, was 
26 





2 P. % Horſch Handbuch der allgem. Therapie, 
von den, ihnen freylich oft wenig bekannten Vorgängern ger 


leiſtet worden iſt, ſchon gewohnt waͤre. Mit wie viel mehr 


Einfiht fowohl als Billigkeit Hat fih nicht der um die allger 
meine Therapie wie um andere Theile der Medictn fo hoch⸗ 


verdiente Hufelamd in der Vorrede zu feiner allgemeinen 


Therapeutif ausgedrädkt, indem er fage: „Bon jeher war «4 
das Beſtreben ſelbſtdenkender Aerzte, die Medicin, als Unter— 
ſuchung und Bearbeitung des lebenden Weſens, den Gefegen 
des Lebens zu unterwerfen, ihre Negeln aus dieſen Geſetzen 
abzuleiten, und fie fo, getrennt von den rein chemifchen und 
mechaniſchen Naturwiffenichaften, als eine eigenehümliche ors 
ganifhe oder Lebenswifjenfchaft darzuſtellen. Unverkennbar, 
ame in verfchiedenen Formen ausgedrüdt, blickt dieſe Tendenz 
aus den Schriften eines Baglivi, Stahl, Boerhaave, 
5. Hoffmann, Gaubius, Haller, Zimmermann, 
Eulen x. hervor, und wer die Worte von den Gacın, 
den Geiſt von der Form zu unterfcheiden weiß, wird ſchon is 





ihnen die Keime und Grundzüge unfrer jeßigen verbeſſerten 


Theorie finden" u. f. w. 


So gerne wir aber wirkliche Fortichritte der Wiſſenſchaſt | 


anerfennen und anzeigen würden, fo Haben wir doch bey forgı 


fältigee Prüfung diefer Schrift und Vergleichung derfelden mit 
ihren Vorgängern durchaus nicht finden können, daß der Verf, 





die Therapie durch Anfftellung neuer und wichtiger Grundfäge 


bereichert oder eine reelle Verbeſſerung der bisherigen Curme⸗ 
thoden mitgetheilt Habe, Jeder mie der Litterarue der allen 
meinen Therapie gehörig Vertraute wird hier die bekannten 
. therapeutifhen Saͤtze, nur oft in die neuere Schulſprache eis 
geBleidet und unter die jest bey vielen gewöhnlichen Rubriken 
der Reproduction, Irritabilitaͤt und Senfibilität (wiewohl nidt 
felten auf eine gezwungene Arc) vertheile finden. Wenn de 
Verf. aber auch nicht die Abſicht gehabt Hätte, der Wiſſen⸗ 
ſchaft eine neue und verbefierte Geftalt au geben, fondern wenn 
er blaß das Bekannte in einem guten Kompendium hätte dat 
fielen wollen (was indeffen nach feiner obigen Erklärung nicht 
anzunehmen ift ), muͤſſen wir wieder offen geflehen, daß wir 
ihm aüch in dieſer KHinficht eine befonderen Vorzüge einräumen 
tönnen , Indem in Anfehung der Anordnung und Ausführung 


\ 


8. 3. Horſch Handbuch der allgem. Therapie. 403 


der einzelnen Gegenſtaͤnde fe Manches gu erinnern iſt, weren 
wir nur Folgendes hier ausheben wollen. 

Ein Hauptfehler diefer Schrift, in fofern fie «in Com— 
pendinm ſeyn fol, ift nach unferer Ueberzeugung der, daß He _ 
feine auagewählte Litteratur enthält. Es find (S. 1-4) 
nur die allgemeinen Schriften über Therapie angeführt werden, 
dagegen die Litteratur der einzelnen therapeutifhen Materien 
durchans fehlt. Aber felbft jene-allgemeine Litserame iſt ſehr 
dürftig und fehlerhaft angegeben. So nennt der VWerf. 
unter den Alten wur den Hippokrates, Salenus md 
Aleramder von Tralles. Lebterer gehört aber cher zur 
fpesieflen Therapie, und es mußten dagegen hier wenigſtens 
noch Celſus, Caelius, Aurelianus und andere We 
thodifer genannt werden. Auch Hätten flatt mehrerer Alterer 
Compendien, die in einem Werke, was keine vollſtaͤndige Lits 
teratur enthalten foll, nicht angeführt zu werden brauchen, 
noch manche. Werke, welche eigne Syſteme enthalten, als die 
von Daracelfus, von v. Helmont rc. angeführt werden 
muͤſſen. Außerdem fällt- es befonders auf, daß der Verf. währ 
rend fo manche unbedeutende Schriften von ihm genannt wor⸗ 
den find, die ſchaͤtzbaren Werke von Johann Zunder 
(Conspect. therap. general.), Hebenftreit (Palaeologia 
therapiae), Adermann und Ploucquet gan Abergan⸗ 
gen nn 

Die $. 5. vorkommenden phyſiologiſchen Vorbegriffe haͤt⸗ 
ten —— kuͤrzer angegeben und groͤßtentheils, wie z. B. 
das hier unnoͤthige Detail von der Inſalivation, Deglutition, 
Chymification ꝛc., als aus der Phyſiologie bekannt vorausge⸗ 
ſetzt werden koͤnnen. Uebrigens folge der Verf. bier ganz 
denen Phnfiologen (Walther zc.), welche als Grundfunctio⸗ 
nen Meproduction, Irritabilitaͤt und Genfibilität annehmen, 
einge mit dieien die Reſpiration und thierifche Wärme unter 
die Verrichtungen der Irritahilitaͤt, und gibt hiernach auch Die 
son ihm fogenannte arterielle Stimmung (welche dem ents 
zuͤndlichen Zuftande oder der Synocha entipricht) für eine 
Veränderung der irritablen Organe aus, fo wie er auch die . 
krankhaften Veränderungen der Temperatur unter die der Ir—⸗ 
ritabilitaͤt bezieht. Ob indeſſen die Reſpiration mit Mecht bloß 


44 P. 3. Horſch Handbuch der allgem. Therapie, 


umter die Verrichtungen der Irritabilitat gebracht wird, moͤchtt 
fehr zu bezweifeln ſeyn. Es können wenisfkens die dabey Btatt 
findenden Aeußerungen der Irritabilitaͤt die Nichtigkeit jener 
Saffiication nicht beweifen, indem die Irritabilitaͤts⸗Aeuße⸗ 
rungen aud in anderen ohne Zweifel zur Reproductien bes 
flimmten Drganen, z. B. dem Darmcanale, vorkommen (wie 
denn and) der Berf. ( $. 115.) ſelbſt ſagt, daß diefe Function 
ͤberall mit den Übrigen verfchlungen fey). Und wenn mas 
den Einfluß der Nefpiration auf die Blutbereitung berädfihı 
tigt, und wenn das Blutſyſtem ohne Zweifel ein Hauptipkem 
der Reproduction ift, muß jene Claſſification um fo einfeitiger 
orſcheinen. Sehr willkuͤhrlich iſt es auch, die thieriſche Wärme 
ats eine Werrichtung der Sjrritabilitäe anzufehen. Biel ange 
meſſener haben überhaupt andere neuere Phpfiologen die Ber 
richtungen in Verrichtungen ‚des vegetativen und Werrichtungen 
des fenforiellen Lebens eingetheilt, wobey man dann die bey 
den einzeinen Verrichtungen hervorfichenden Aeußerungen de 
Irritabilitaͤt 2c. doch wohl unterfcheiden kann. Aus allem bier 
fem erhellet nun aber auch), wie wenig es für fih hat, wenn 
die fogenannte arterielle Stimmung (der entzündliche Zuſtand 
oder die Synocha), die Fieber und Entzündungen bloß fr 
Krankheiten der Srritabilität erklärt werden. 
Der erſte Abſchnitt handelt von der Diagnoſe 
und Prognofe. Bey der Lehre von der letzteren wird 
6. 250 fg. behauptet, daß es keine Heilungen gebe, wo bloß 
die natürlihe Kraft des Organismus die Krankheit beſiege, 
ohne daß zugleich äußere Einflüe einwirkten, weil der Menſch 
flets und nothwendig äußeren Einflüffen ausgefegt ſey. Frey 
ih if dee Menich immer Äußeren Einfläffen, und oft auf 
ſolchen, die auf feine Krankheit einen günftigen Einfluß haben, 
ausgefeßt. Es ift aber laͤngſt von Anderen mit Recht bemerft 
worden, daß die Heilung durdy die Natur allerdings auch in 
hoͤchſt fchlimmen Fällen bewirkt worden ift, wo die aͤußeren 
Einfläffe wenigſtens fo wenig günflig waren, daß man ihnen 
feinesweges die Heilung: zufchreiben konnte. — Bey der Mei 
taftaje foll nad $. 262. keine Wanderung eines Stoffes anym 
nehmen feyn, weil fie felbfi bey Krankheiten Start finden 
könne, bey nun die Mifchungsveränderungen fecundär oder 


V. 3. Horfch Handbuch der allgem. Therapie. 405 


von der Art feyen, daß fie nicht in die Wahrnehmung fallen. 
Altein dies beweiſſt bloß, daB nicht jede Metaſtaſe materiell 
iR, wie freylich tängft Andere gezeigte haben. Die wichtigſten 
für ‚die materiellen Metaftafen angeführten Beobachtungen und. 
Strände hat aber der Verf. gar nicht beruͤckſichtigt. Nenn er 
insbefondere $. 266. fragt: Warum hat nicht das beftehende 
Zußgeichwär ein antagoniflifches Organ zur Krankheit hervors 
gerufen und warum das zugeheilte ? und wenn er dabey meint, 
daß Hier bloß auf die Unterdrückung einer Prankhaften Ser 
und Excretion zu fehen fen, fo fcheint er die von den glaubs 
würdigften Beobachtern angeführten Fälle nicht gekannt zu 
haben, wo bey Fußgeſchwuͤren oder Geſchwuͤren der Arme ıc. 
Auswurf von Eiter aus den fonft durchaus nicht verlehten Lun⸗ 
gen erfolgte, nach Befeitigung der Duelle des Liter durch 
Imputation ꝛc. aber alsbald aufhoͤrte, u. f. w. 

Der zweyte Abſchnitt iſt uͤberſchrieben: Theorie 
der Heilkunſt, und handelt von der Heilung uͤberhaupt, 
dem Heilplane, den Curregeln, Gruͤnden der Curregeln, Cur⸗ 
methoden und Heilmitteln, und der Verpflegung der Kranken. 

In dem dritten Abſchnitte, welcher die Ueberſchrift: 
Theorie der Heilung hat, und auch eine allgemeine 
Ueberſchrift der Curmethoden und Heilmethoden enthält (wobey 
wohl Manches kürzer gu faſſen und unter einfachere Geſichts— 
punste zu ſtellen, Manches, zum Theil nachher nocd näher zu 
berübrende, zu berichtigen wäre), behauptet der Verf. mit 
Recht, daß die von vielen Naturphilofophen angegebene Ab⸗ 
theilung der Heilmittel nad den letzten Stoffen, auf welde 
die Chemie zurücdgehen kann, nod für bloß hypothetiſch zu 
Halten und vor der Hand noch nicht in die Therapie einzufuͤh⸗ 
ren fey. Dagegen möchte bey ſeiner Eintheilung der Mittel 
($. 462 — 465.) auh Manches noch für unerwiefen und hoͤchſt 
hypothetiſch zu haften jeyn. Wodurch iſt e8 5. B. erwieſen 
ader nur mwahrfcheinlich gemacht, daß die Metallkalke bloß die 
Neforbtion anfprehen? Aendern "die Neutral⸗ und Mittels 
falge, fo wie die Metallfalge nur die Serretion um? Iſt die 
antiphlogiftifhe Kraft des Salpeters ꝛc. Hierdurch erklaͤrt? 
(Nach $. Bra. follen die Salze freylich auch die Thaͤtigkeit der 
Arterien umftimmen und den Faferftoff im Blute umändern, 


506 8. %. Horſch Handbuch der allge. Therapie, 


woran der Verf. indeffen bey jener früheren Elaffificatten nit 
gedacht zu haben fheint.) Können die adfiringirenden Mittel 
umd das Eifen, welche effenbar auch einen vorzäglichen Einfluß 
auf irritabfe Organe haben, bloß als folde ‚tetrachtet werden, 
welche die Affimilation umändern ? u. f. w. 

An dem vierten Abſchnitte, wo von ber Entfer 
nung Der Hinderniffe der Heilung gehandelt wird, 
Hat der Verf. ſich felbft auf das Detail des Ausziehens frems 
der Körper aus dem Speiſecanale, der Luftröhre ꝛc. der Be 
handlung der Brüche, Knochenbruͤche, Eiterung, Geſchwuͤre x. 
eingelaffen. Ob died hier nöchig und am vechten Orte war, 
möchten wir ſehr bezweifeln. Wollte man hier irgend auf 
führlih und gruͤndlich ſeyn, fo würde ein großer Theil der 
Chirurgie und fpeciellen Therapie hierher gezogen werden maͤſ⸗ 
fen. Auch find offenbar viele von diefen Gegenftänden nicht 
ale bioße Hinderniſſe der Heilung, fondern als wirkliche 
Keankheit:n gu betrachten und ſchon um deswillen an anderen 
Orten abzuhandeln. 

Bey dem fünften Abſchnitte, wo die augle'erchbe 
Methode nah der gemöhnlihen Ordnung abgehandelt wird, 
‚bemerken wir unter andern Folgendes. Daß das kuͤnſtliche 
Erbrechen bey dem Keichhuften gang contraindicire fen, -wie 
6. 561. gefagt wird, möchte doch zu bezweifeln feyn,. wem 
auch dies Mittel von Manchen zu allgemein. bey diefer Krank: 
heit ernpfohlen worden if. — 6. 568. iſt die Efelcne mit 
wirkliches Erbrechen erregenden Mitteln nicht ſchicklich zuſam⸗ 
mengeftelet worden. — Ben der Lehre von dem Blutentziechen 
Hat der Verf. ($. 617.) mit Recht bemerkt, daß fehr viel 
von der Stelle abhänge, an welcher die Aderlaß vorgenommen 
werde, aber dabey vergeffen , ſich näher darüber auszulaſſen, 
wie es doch die Wichtigkeit diefes Gegenſtandes erforderte, 

Der fehste Abſchnitt hat die Ueberſchrift: Umäns 
derungen in den erften Wegen und den Säften,. 
und es werden darin abgehandelt die Segengifte, Adforbtion 
und Einhällung fremder Stoffe, die auflöfende, anfeuchtende, 
verbünnende,, erweichende und austrodnende Methode, die 
Umänderung der Reforbtion und Gecretion und die allgemeine 
Umänderung des Blutes und der Säfte. Daß aber jene Ueber⸗ 


— 





V. J. Horſch Handbuch der augem. Therapie. 407 


ſchrift niche paſſend ſey, indem manche diefer Methoden fich 
befannttich nicht bloß auf die erfien Wege und die Gäfte bes 
jiehen , bedarf kaum bemerkt gu werden. - 

Der fiebente Abſchnitt handelt von der Umändes 
rung der irritablen und fenfiblen Organe Es 
iR darin befonders die fo wichtige antiphlogiſtiſche Methode 
($. 812.). gu dürftig dargeſtellt, und es iſt mancher dazu ges 
höriger wichtiger Mittel, als der Pflangenfäuren, des Sauer⸗ 
honig-3 2c., der erfchlaffenden oder erweichenden Mittel, hier 
gar nicht gedacht, audy nicht die nach dem verichiebenen Grade 
des entzündlichen Zuftandes erforderliche Kinrichtung jener Mes 
‚ thode angegeben worden, welches Letztere doch für Anfänger 
fehr wichtig if. — Die antagonififche Methode wird auch 
niche ſchicklich bloß unter der Rubreit: Umänderung der irri⸗ 
tablen und ſenſiblen Organe, abgehandelt, da ſie ſich auch auf 
andere Theile bezieht, wie der Verf. (6. 871.) ſelbſt bemerkt, 
und eben ſo fragt es ſich, ob es bloß bey dieſer Methode der 
ſchickliche Ort war, von dem thieriſchen Magnetismus, ber 
Electricität und dem Galvanismus zu handeln, da diefe doc) 
wohl nicht bloß oder vorzugsweiſe antagoniftifch wirken. Uebri⸗ 
gens kann auch das Nähere von der Anwendung dieſer und 
anderer Hier abgehandelter Mittel der Argneymittellehre, wenn 
man diefe nicht Überhaupt mit ber Therapie verbinden will, 
überlaffen werden. 

Am achten Abfhniite wird noch von der Reguli⸗ 
rung der gewähnlihen Lebenscinftäffe. gehandelt. 
Hier vermiffen wir unter andern befonders bey dem über bie 
Nahrungsmittel Sefagten eine genaue Beruͤckſichtigung des 
Sinftinctes oder befonderen Verlangens der Kranken zu gewiſſen 
Dingen, $. 926. aber, wo von zweckmaͤßigen Bewegungen 
die Nede ift, die Beruͤckſichtigung des Hochathmens, auf defs 
fen Wichtigkeit in neueren Zeiten befonder von Densier 
anfmerffam gemacht worden iſt. 

Webrigens ift der Druck diefer Schrift durch eine große 
Menge von Fehlern entſtellt worden. 

Eonradi. 


408 Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 


Enschiridion Hermeneuticae generalis tabularum veteris et novi. 
. Foederis. Authore (auctore) Jahanne Jahn, Philos. et 
Theol. Doct. Eccles. metropol. ad S. Stephanum Viennae 
Canon. capit. Afchiepisc. consistori consiliar. olim L. L. 
O. O. Archaeol, bibl. introd. in V. T: et dogm. Prof Caes, 
Reg. P. et O. Viennae 1812. In liıbraria Camesina. VIIL 
188 ©. in 8. 


Bereits vor at Jahren ( 1805) hatte Hr. ». Jahn, 
ats er noch Profeffor der Orientaliſchen Sprachen u. ſ. w. an 
der Univerſitaͤt zu Wien war, ein Lehrbuch der allgemeinen 
Hermeneutik des A. und N. Zeflaments völlig zum Drude 
ausgearbeitet, und dte nahe Erfcheinung deſſelben öffentlich ans 
gekuͤndigt. Indeſſen waren Umflände eingetreten, welche die 
Herausgabe deſſelben verhinderten, wozu noch kam, daß Hr. 
D. Zahn im Jahr 1806 feine Lehrftelle an der Univerſitaͤt 
. mit einer andern Beſtimmung vertauſchte. Er änderte daher 
fein Vorhaben, die Hermeneutik herauszugeben, nnd legte 
das Manufcript davon in feinen Pult zuruͤck, um es hier 
feinem Schickſale zu Überlaffen. Allein es gelangten der Ans 
forderungen und Aufmunterungen, die Hermeneutik in den 
Drud zu geben, fo viele und -fo bedeutende an ihn, daß 
er denielben nicht glaubte länger widerfiehen gu dürfen. Er 
nahm das Manuſcript wieder vor, fand aber bey Durchles 
fing defielben, daß er es in derjenigen Geſtalt, die er ihm 
ehemals gegeben hatte, nicht mehr könne erfheinen Laffen. 
Dies bewog ihn, das Buch ganz umzuarbeiten, und daffelbe, da 
es vorher bloß zum Leitfaden bey Morlefungen dienen foßte, 
jebt fo einzurichten , daß es auch zum Privatgebrauche nuͤtzlich 
wäre. Und bierauf bezieht. fih der Titel deſſelben: Enchiri- 
dion. Um Wiederholungen zu vermeiden, faßte er darin die 
allgemeinen Regeln der Hermeneutik, welche ſowohl auf das 
N. als auf das N. Teſtament anwendbar find, zuſammen, 
und erläuterte fie, um das Verſtehen derielben gu erleichtern, 
mis zweckmaͤßigen Beyſpielen, jedoeh mehr aus. dem U. alß 
aus dem N. Teſtamente. Auch einige auf die dogmatiſche 

Theologie ſich beziehende Beyſpiele nahm er auf, um zu geb 
gen, wie wichtig die Hermeneutik für die‘ theologiſchen 
en fen. . 





Enchiridion Hermeneuticae auct, Jahn. 409 


Die Einleitung, welche unter der Ueberſchrift: Praelimi- 
naria Hermeneuticae, vorangefchickt ift, beſtimmt zuerſt ($. 1.), 


was es heiße: einen Sceiftfieller verfiehen, und was alles - 


zum Verftändniffe deffelben erforderte werde, mit befonderer 
Ruͤckſicht auf Schriften aus dem Alterchume, und unter diefen 
vorzüglich auf die heilige Schrift, wobey zugleich fehr richtig 
die Urfachen angegeben find, warum Schriftfieller aus dem 
Alterthume ichwerer gu verftehen find, als neuere Schriftſteller. 
Der Zweyte $. handelt vom Auslegen ( interpretari ), wels 
bes nah Hrn. D. Jahn zerfällt in das Weberfeßen ( ver- 
tere), und in das Erflären (enarrare ), und von den Er— 
forderniffen einer guten Ueberſetzung und Erklärung, wovon 
die letztere nah Hrn. Jahn feyn muß 1) grammatifch; 


8) hiſtoriſch; 3) Hifkorifch : eheologifh. Dagegen wird ſowohl | 


die mythiſche, als auch die pinchologifche und moralifche Auss 
fegung der Bibel in einer diefem $. angehängten Anmerkung 
verworfen. Weber bie erflere wird folgendes Urtheil gefällt: 


interpretatio mythica, quae veritatem historicam facto» _ 


rum extraordinariorum V, et N. F. tollit, superstruitur 


analogiae aliarum gentium, quarum antiquior historia est 


mythologica, acsi Hebraicae genti nihil esset privum, 
cum tamen nemo non. videat, ei etiam 'alia quam plu- 
rima. esse peculiaria. Allein ein Volt kann mehreres ihm 
Eigenthuͤmliches haben, wie denn wirklich faſt jedes Wolf feine 
Eigenthuͤmlichkeiten hat, und dabey doch darin mit andern 
Völkern übereinfommen, daß feine frühere Gefchichte in Diys 
then gehälls iſt, woraus es oft ſchwer ift, die eigentlichen His 
ſtoriſchen Facta, die dabey zum Grunde kiegen, herauszufinden. 
Es laͤßt ſich vielmehr fragen, Sobald man fih nicht an bie 
Dogmatik binder:. da die Wrgefchichte aller alten Voͤlker mys 
thiſch iſt, warum follte allein die Lrgefchichte des Hebraͤiſchen 
Volkes nicht mythiſch feyn, von dem dies wegen feines hohen 
Alterthumes um fo mehr zu vermuchen if? Herrn Jahns 
Urtheil Über die pſychologiſche Erklaͤrungsart uͤberlaſſen wir 
den Leſern ſeiner Hermeneutik ſelbſt nachzuſchen. Der Ste 
und 4te $. handeln von der Natur, dem Nutzen und der 
Mothwendigkeit einer bibliſchen Hermeneutik, die in der Ans 
merkung zu $. 4. beſonders gegen diejenigen Lehrer der katho⸗ 


410 Enchiridion Hermenenticae auct. Jahn. 


liſchen Kiche in Schutz "genommen wird, welche behanpten, 
man möffe ſich wegen der vielen mit einander fireitenden &xs 
Härungen der Bibel an die Tradition halten, woben die rich⸗ 
tige Bemerkung gemacht wird, wenn dies gefchehen foHe, fo 
bedürfe es, um auszumitteln, ‚welches eigentlich aͤchte Tradis 
tion ſey, einer neuen patriftifchen Hermeneutik, da die Kirchens 
väter, die Aufbewahrer der Tradition, oft eben. fo fchwer und 
Öfters noch fchwerer zu verfichen ſeyen, als die Bibel ſelbſt, 
und dann möchte es noch mehrere verfchiedene Meynungen 
hierbey geben, als bey der Erklärung der Bibel. Bey der 
6. 5. gelieferten Geſchichte und Litteratur der biblifchen Kers 
menentit vermißte Rec. ungern Morus Acroases academicae 
super Hermeneutica N. T., herausgegeben von Eihftädt, 
und Keils vorzügliches Lehrbuch der Hermeneutik des NR. T. 
(Leipzig 1810.) nebft der nachher davon erfhienenen Lateinis 


ſchen Ueberſetzung. Bon den fieden auf diefe Einleitung fols 


genden Kapiteln handelt das erfte von $. 6—ıd. de sensu. 


Herr D. Zahn unterfdheidet $. 6. notio, Begriff, und 


sensus, ®inn; jener fomme einzelnen Wörtern zu, dieſer 
gehe aus ganzen Saͤtzen hervor, und fey das gegenfeitige 
Verhälmiß der Begriffe, welche ein Schriftftellee mit Worten 
bezeichnete. Einen Unterſchied zwiſchen sensus literae und 
sensus literalis e:tennt Hr. D. Jahn nicht an, da nad 
der Natur der Lareiniihen Sprache beyde Ausdräde ſpnonym 
feyen. Eben fo wird die Annahme von mehr ats Einem buch—⸗ 
fäblihen Sinne in ber Heil. Schrift $. g. mit Recht beftrits 
ten, nur bey Weiffagungen wird ein doppelter Sinn zugegeben, 
ein fubjectiver und dunkler, der dem Geiſte des Weiſſa⸗ 
genden vorfhwebte, und ein objectiver, den die Gottheit 
Bey ihrer Offenbarung durch Weiffagungen zum Zwede Hatte, 
und der erſt in der Folge durch die Erfüllung der Weiſſagun⸗ 
gen vollkändig eingefehen wArde (qui a Deo revelante in- 
tendebatur, et demum complemento historiae pandelsatur). 


- Richtig wird $. 10. bemerkt, daß die ercgetiihe Wahrheit 


eines Sinnes nicht mit defien reelle und objectiver Wahrheit 
verwechfele werden dürfe. In Beziehung auf diefe Bemerkung 
werden nun $. ı2. gute Norfchriften über das Verhalten des 
Eregeten bey Stellen, deren Sinn exegetiſch wahr und richtig, 
aber fonft Schwierigkeiten unterworfen if, gegeben, fo wie 
das, was $. 7. und 8, über den Sprachgebrauch als ein Mit⸗ 
tel, den wahren Sinn zu finden, geſagt ift, viel Belchrendes 
enthält. Im 6. 14., welcher von dem mittelbaren oder ſym⸗ 
bolifhen ( myſtiſchen, typiſchen) Sinne handelt, wird die 
Eintheitang defielden in einen allegorifhen, anagogis 
ſchen und tropologiſchen als unbibliſch und unlogiſch 





Enchiridien Hermeneuticae auct. Jahn. 411 


verwerfen, jedoch wird $. 25. ein unmtttelbarer Sinn zuge⸗ 
geben, und aus Stellen der Heil. Schrift erwieſen, und die 
Kennzeichen deſſelben $. 16. angegeben, Accommobdationen in 
egegetifcher Hinficht werden $. 17. zugeftanden,, aber auch' nur 
in dieier, wicht in dogmatiſcher Hinſicht. Dies veranlaßte 
Heren Zahn noch einmal auf die von Kant porgefchlagerre - 
morafifehe Erflärung der heil. Schrift zuruͤck zu kommen über 
die er ſich $. 18. auf folgende Art Außert: per vagam, ar. 
bitrariam et violentam tractationem hanc s. scripturae, 
quae nüllis regulis coercetur, quaecunque imaginationis 
somnia et portenta sacris libris adfıngi possent, et ip 
eorum auctoritas in gravissimum diserimen adduceretur. 
Doh geſtattet Hr. Jahn dem practiihen Neligionsiehrer, 
an folhe Stellen der heil. Schrift, welde an .fih nicht mos 
raliſchen Inhaltes find, einen moralifhen Sinn anzufnäpfen. 
Dies ſey immer geichehen, und könne auch nicht eigentlich 
Erfiärung genannt werden. Das zweyte Kapitel, weiches de 
contextu orationis, substrata materia, consilio authoris 
(fo fhreibt Hr. Jahn immer flatt auctoris), aliisque ad- 
functis handelt, enthält: nicht weniger näßlihe Belehrungen 
über dieſe Gegenflände. Zuerfi wird 6. 29. der contextus 
eingetheilt in einen proximus, remotus und remotior, und 
eine jede diefer Arten von Zufammenhang der Rebe erklärt. 
Dann wird $. ao. die Beweiskraft des Contextes auseinander⸗ 
gefeßt, und 6. 2ı. die befländige Vergleihung deſſelben ems 
pfohlen. Hierauf werden $. oa. Borfchriften gegeben in Bes 
ziehung auf den Zuſammenhang zweydeutiger umd wichtigerer 
Sibelſtellen, und von: 6. 23. bie a6. wird gezeigt, welche 
Ruͤckſicht der Erflärer auf den Zwei des Scriftfiellees, auf 
die Veranlaffung zu feiner Schrift, auf den Gegenſtand, wor 
mit er fi beichäftigt, umd auf die Übrigen Umflände zu nehmen 
habe, weiche biebey in Betrachtung kommen. Das dritte Ras 
pitel gibt von $. a7. bie 3a. Anmeifung über den Gebrauch 
und die Benutzung dee Parallelftellen bey der Erklärung der 
heit. Schrift, wie dieſelben aufzufinden, welche Vorſicht bey 
Vergleichung derfelben anzuwenden, und welche Fehler befons 
ders bey Wergleihung von Parallelſtellen aus andern Schrift⸗ 
fleflern zu vermeiden fenn. Dann wird unterfuht, was es 
mit den in dem N. T. angeführten Stellen des A. T. für 
eine Bewandtniß habe, und in wiefern die Analogie des Glau⸗ 
bens und der Lehre zur Erklärung der heil. Schrift zu benutzen 
ſey. In Vegiehung auf Stellen ans Profanſchriftſtellern, 
weihe Häufig zur Erklärung bibliſcher Stellen angeführe wers 
den, fagt Ar. Jahn 6. 50.: phrases alierum linguarum, 
quae prorsus nullam habent cum linguis Biblicis et cum 


412. EEinchiridion Hermenenticae — Jahn. 


rebus in Bibliis commemoratis connexionem, sensum s#4« 
crae $cripturae nequaquam probare, sed duntaxat inter- 
dum aliquatenus illustrare possunt. Rec. feßt hinzu: de 
Häufig die nämlichen Wörter und Phrafes in den Profans 
fhriftftelleen eine ganz andere Bedeutung und einen ganz ans 
dern Sinn haben, als in den Schriften des A. und N. 
Zeftamentes, fo bat fi der Bibelerklärer um fo mehr zu hüs 
ten, ſich duch dergleichen aͤhnlich oder gleichlautende, aber 
etwas ganz anders amdeutende Wörter und Phrafes nicht irres 
führen zu laffen, ein Fall, in dem. fih Häufig die Verfaſſer 
von fogenannten animadversionibus ex auctoribus profanis 
ad illustrandos libros sacros befanden. Was die aus dem 
4A. T. in dem N. T. citirten Stellen betrifft, fo gibt Herr 
Jahn in $. 3r. im Allgemeinen die Regel, sola ılla V. F. 
loca, in N. F. allegata, censeri proprie explicata, I. ex 
quibus argumentum positivum. et absolutum ad compro- 
bandam omnibus lectoribus vel auditoribus veritatem du- 
citur, et II. quorum sensus in contextu orationis A. F. 
ex legibus interpretationis prorsus idem, etsi. fortasse 
minus sublimis, esse comperitur. Als eigentliche Parallels 
fielen läßt er jedoch keine aus dem A. T. in dem MN. T. 
angeführten Stellen, und zwar mit Recht, gelten. Es kann 
aus ihrer Anführung höchftens erkannt werden, wie man fie 
zu den Zeiten des N. T. verfiand, und welden Sinn mar 
ihnen beylegte, jund das nicht einmal immer, da fo Häufig 

telien des A. T. in dem N. T. auf gang andere Gegens 
flände angewandt werden , als diejenigen waren, von melden 
fie eigentlich handeln. Daher auh Kr. Jahn alle die in 
dem N. T. angeführten alttefiamentlichen Stellen, melde 


nicht unter den von ihm durch die eben angeführte Negel 


genauer beflimmten altteftamentlihen Stellen begriffen find, 
zu den exegetifhen Accommobdationen zählte. Wenn noch außen 


‚dem 6. 39. der Analogie des Glaubens und Ider Lehre, wie 


diefe im Ganzen in der heil. Schrift und in den erfien kirch⸗ 
lichen Schriftftellern nach den Apoſteln und Evangeliften ent 


halten ift, nebft den Paralleifiellen, ein befonderes Gewicht 
beygelegt wird, fo geichieht dies keineswegs in der Abſicht, 


die Lehrfäge ider Kirche und der Dogmatik zur Regel ımd 
Richtſchnur der Erflärung der heil. Schrift zu machen, fon 
dern Hloß in fofern fie der Erklärung dogmatifcher Stellen zur 


‚Beftätigung dient. Longe absumus, fagt in diefer Nüdfiht 


Kr. Jahn, ut ad authoritatem ecclesiae catholicae,(de qua, 
ubi Hermeneuticam tractamus, sermo esse nequit, pro 
vocemus, sed testimonium duntaxat antiquissimorum ec 
clesiae doctorum de sensu locorum dogmaticorum urgemuß. 








Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 413 


Daß übrigens die Art und Welle, wie dogmatifche Stellen 
von den erſten Kirchenlehrern verflanden wurden, allein fiir 
den Eregeten kein Grund ſeyn dürfe, fie eben fo zu verfiehen, 
wird gewiß jeder Lnbefangene gerne zugeben. Kr. Jahn 
felöft deutet darauf hin, wenn er. den 6. von der Analogie 
des Glaubens mit folgenden Worten fchließt: In usu her- 
meneutico analogiae doctrinae duo extrema, utpote vitia 
aequalia, vitanda sunt: primum quidem, ne locis sacrae 
scripturae tribuatur sensus illi analogiae doctrinae oppo- 
situs; dein ne e contrario verbis sacrae scripturae, ut 
‚huic analogiae conformentur, vis inferatur, .quod esset 
sacris. libris inferre sensum, qui ex ipsis efferendus fuis- 
set. Mach diefen genauern Beflimmungen des Gebrauches 
der Analogie des Glaubens bey der Erklärung der heit. Schrift 
wird fich denfelben auch der Proteflant gerne gefallen laſſen, 
und nichts Erhebliches dagegen einzuwenden haben, wenn er 
ihm auch gleich niche das Gewicht beylegen follte, den ihm die 
katholiſche Kirche beyzulegen pflegt. Er wird menigftens von 
ihm. keine Beſchraͤnkung der nöthigen Freyheit bey Unterfuchung 
und Feſtſetzung des Sinnes bibliſcher Stellen färdten, noch 
fih durch ihn verleiten laffen, von den übrigen Mitteln zur 
Erklärung der heil. Schrift nicht den gehörigen Gebrauch zu 
machen. Regeln über die Erkennung und eregetifhe Behands 
lung der Tropen in der Bibel, wohin auch die Allegorien, 
Bilder, Gleichniſſe und Fabeln gehören, gibt das vierte Kas 
pitel von $. 535. — 40. In dem fünften Kapitel, welches von 
$. 41. bis 46. von den Emphafen handelt, find die Kenngeis 
hen, wodurch fih wahre Emphafen von Frdichteten untericeis 
den, vorzüglich gut angegeben ($. 44. und 45.). Das fechste 
Kapitel befchäftige fi mit den in der Bibel vortommenden 
anfcheinenden Widerfprühen, und der Art und Weiſe, fie zu 
heben (von $. 46. bi8 55.) Da Herr Zahn von dem 
Srundfage ausgeht, daß die Bibel ein göttlich infpirietes Buch 
ſed, To ift es natürlich, daß er auch keine wirklichen Widers 
ſpruͤche darin darf Statt finden faffen. Er zeigte daher, wie 
Die Widerfprühe in den bibliſchen Schriften mit Huͤlfe der 
Kritik oder der Hermenentit zu heben feyen. Ungeachtet bey 
einem minder fireng dogmatifchen Begriffe von der Inſpiration 
Der heil. Schrift daran gezweifelt werden kann, daß fie fich 
‚auch auf die Vermeidung aller Widerfprüche in der Bibel ers 
ſtreckt habe, wenigſtens ſolcher, von welchen fein wefentlicher 
Theil der Religion abhängt, fo iſt es gleichwohl die Pflicht 
des Eregeten , zu verfuchen, die wirklichen oder anfcheinenden 
Widerfprähe zu heben, und des Hermeneuten, zu geigen,, wie 
dies am beſten geichehen könne. Die Anweifungen, welche Hr. 


! 


dia, Eichiniken Hermenentioas-auct; Tahn- 


Hahn dazu gibt, wird daher jeder eben fo nothwendig afs 
zweckmaͤßig finden. In dem fiebensen und lebten Kapitel, 
welches von $. 54—7ı. de audiendis et legendis interpre- 
tibus et de exercitatione hermeneutica handelt, werden 
zuerſt Borichriften über die von dem angehenden Eregeten ans 
zufiellenden Uebungen in der Erklärung der Heil. Schrift ertheilt; 
dann folgt eine kurze Ueberſicht der vorzuͤglichſten jüdifchen und 
chriſtlichen Erklärer der Bibel aus der Altern und neuen Zeit, 
mit treffenden Bemerkungen über ihre Vorzüge und Mängel, 
Hierauf wird gezeigt, welcher Gebrauch von den vorhandenen 
Kommentaren und Erklärungen. der Bibel zu machen fey. Ends 
lich werden angehenden. Exegeten. eigeue Uebungen im Inte 
pretiren, ſowohl iin Leberfegen, als auch im Erklären und 
Paraphraſiren und Analyſiren bibliiher Schriften als vorgägs 
lich nüßlich empfohlen, um fich gu guten Eregeten zu bilden. 
MMach diefer Inhaltsanzeige des wor uns. liegenden wen. 
Handbuches der biblifchen Hermeneutik halten wir es für üben 
fluͤffig, moch etwas zum Lobe und zur Empfehlung defielben 
hinzuzufügen. Kerr Jahn, ber ſchon durch mehrere Schi 
ten feine grändlihe Gelehrſamkeit bewährte, und um das 
Bibelſtudium fi) vorzügiiche Verdienſte erwarb, hat ſich un 
Kreitig dur die Herausgabe jenes Handbuches ein neues Ber 
dienft erworben. Es ift eine erfreutihe Erfcheinung, wenn 
Maͤnner, wie Hr. Jahn in Wien und Hr. Hug in Fre 
Burg, mit einander in der Vefdrderung grümdlicher theologiſcher 
Keuntniſſe unter Katholiten und Proteftanten wetteifern. Wenn 
aud die Jahniſche Hermeneutik nichts enthält, was nicht ſchon 
in mehrern von Prdteflanten verfaßten Hermeneutiken, wor 
hin die. Hermeneutiten von Bauer, Meyer, Seiler und 
andern für das A. und N. Teſtament, und die von Ernefi, 
Bed und Keil für das N. T. gehören, vorgetragen mordes 
wäre, ſo ift doch unter den von Katholiken bisher verfaßten 
Lehrbüchern der Hermeneutik keines demfelben gleich zu feßen, 
und ſelbſt der Proteſtant wird darin viele nüßliche NWorfhrifi 
ten und treffende Winke finden. Es if daher gewiß für uw 
fere Lefer keine unangenehme Nachricht, wenn wir ihnen dr 
baldige Erfcheinung der fhon vor mehrern Jahren von Hr. 
Sahn verfprochenen eregetifchen Abhandlungen. über. dogmati⸗ 
fche Hauptitellen der Bibel, verbunden mit Erklärungen der 
im 4. T. befindfichen Meiffagungen auf den Meffias, ankän 
digen, wozu er am Schluffe feines hermeneutiihen Handbuches 
die. gewiffe Hoffnung macht, fo wie es, ungeachtet des treffls 
shen Hebraͤtſchen Wörterbuches von Geſenius, das wir nut 
beſitzen, zu bedauern ift, daß Hr. Jahn die Ausarbeitung 








Ueber Spittier von Bland, Heeren und Hugo. 415 


Ines aͤhnlichen, früher fchon v bräi⸗ 
fen ea ante een Hat. ihm angefangenen He r 


Le 





1) Ueber Spittler als Hiſtoriker. Bon Dr. ©. J. Planck. 
, Göttingen ‚bey Er und Ruprecht. ı811. = & 8. 


3) Spitrtler. Bon Heeren nnd Hugo, nebk einigen _Anmere” 


kungen eined Ungenannten. Aus dem Baterländifhen Muſeum, 
Dem civiliftifden Magazine und dem Morgenblarte zufammen abs 
gedrudt. Nebſt einem Gac Simile. Berlin, bey Auguſt Moplius. 
1812. ©. 8. | = 

Haben gleih an Spittler's Grabe nicht fo viele Stims 
men fidy zur Feyer feines Andentens erhoben, wie bey dem 
Tode des ihm um kurze Zeit vorangegangenen Johannes vor 
Müller, an deffen Kenotaph Heyne, Wachler, Rommel, Shüg, 
Windiſchmann, Heeren und Roth ihre Kraͤnze tranrend hefte⸗ 
ten: ſo hat doch ein ſehr ehrenwerthes Kleeblatt in Goͤttingen 
den Manen des vormaligen Kollegen und vieljaͤhrigen Freundes, 
durch die vor uns liegenden Aufſaͤtze, ein ſchoͤnes Todtenopfer 
gebracht. 

An Nr. 1. ſchildert die Hand eines Meiſters in ber hiſto⸗ 
eifhen Kunft, was Spittler als Hiſtoriker war, und wie 
er es geworden. Das Wefentlihe diefer Darftellung beftehe in 
folgenden Zügen: Sp. fey der Hiftoriker, der er war, das 
durch geworden, daß er, bey fehr vortrefflichen natürlichen Ans 
lagen, einem hoͤchſt fcharfen geifligen Auge, einem eben fo feis 
nen Gefühle, und einem eben fo leichten Faſſungs⸗ als gefuns 
den Beurtheilungsvermoͤgen, zuerft mit dem gelehrten Forfchen 
und Sammeln in dem weiten Gebiete der Geſchichte angefans 
gen, und zu gleicher Zeit einen großen Theil der Kraft feines 
Geiſtes auf ein eifriges Studium der Philofophie in ihren 
ältern und neuern Formen verwendet habe. In allen feinen 
größern Werken finde der ſachkundige Beurtheiler nichts mehr 
gu bewundern, als das gluͤckliche Treffen, oder vielmehr die 
verfiändige Auswahl des Stoffs, den er fih zur Bearbeitung 
heraushob, und die fehle Enthaltſamkeit, womit er auf bie 
Bearbeitung von diefem fi beichräntte. Ihm fey es vielleicht 
zuerſt ganz Par geworden, daß die Gefchichte eines Staates . 
noch etwas anders ſey, als die Geſchichte feiner Negenten. 
Den jeder biftorifchen Arbeit habe er es fih zum Gelege ges 
mache, fich zuerft in den Befiß des ganzen Stoffe zu feßen, 
der dabey zu bearbeiten war. An feinem frühen Entſchluſſe, 
fih zum gelehrten Hiftoriker zu bilden, Habe wahrſcheinlich 
theils das damals In Stuttgart rege gewefene Intereſſe an Fors 
fhungen über die vaͤterlaͤndiſche Geſchichte, theils der Umgang 





— 


416 Ueber Spiütler von Planck, Heeren und Hugo. 


und das Beyſpiel feines Lehrers Vol z großen Antheil gehabt. 
Bey der Theologie habe er damit angefangen, daß er fie his 
ſtoriſch ſtudirte, woven fih auch die Wirkung fon in den 
erfien Proben feiner Schriftſtellerey auf eine auszeichnende 

Weiſe gezeigt habe. In jeder feiner hiftorifchen Arbeiten fehe 
man den Gelehrten, dem kein Theil feiner Wiſſenſchaft, oder 
feine Provinz ihres unermehlichen Zeldes ganz fremd und ums 
befannt war. in Styl und feine Sprache habe bisweilen 
Anfloß erregt, wenn man mehrmals darin auf Ausdruͤcke oder 
Deywörter, die man nicht erwartet hatte, gefloßen, oder von 
Wendungen, auf die man nicht vorbereitet war, überrafcht 
worden fey ; aber für den unterrichteten Leier habe fie dadurch 
defio mehe Belchrendes und Anziehendes erhalten, woben kem 
Gedanke an Affecrtation bey ihm habe auftommen koͤnnen, da 
er aus fo vielen andern Zeihen gewahr worden fey, daB Sp. 
eher zu forelos, als zu befümmert für feinen Styl geweſen. 
Da er meiftens forafältiger, als nöthig, und auc, vielleicht 
forgfältiger, als zuweilen gut geweien, jeden Schein eines 
bloßen Auslegens von Litterarue und Gelehrſamkeit vermieden 
habe, fo finde man in mehreren feiner Schriften faft feine 
Citate, fondern meiften« nur die hiſtoriſchen Sauptquellen für 
den behandelten Segenftand, und für jeden Zeitraum, durch 
welche feine Gefchichte durchgeführt werden mußte, in Befons 
derm angegeben. Doc davon fep er in fpätern Jahren etwas 
zuruͤckgekommen, und feine Vorrede zu einer ſpaͤtern Ausgabe 
feiner Kirchengefchichte laſſe Ichließen, daß er jetzt wenigſtens 
feinen angehenden Hiſtoriker von der Verpflichtung, feine 
Quellen und Autoritäten anzugeben, mehr dispenfire, ja ſich 
felbft als erprobten Seihichtforfeber nicht mehr davon dispen⸗ 
firt haben würde, wenn er noch eine der Acheiten, zu denen 
er die Plane ſchon Tängft entworfen gehabt, hätte vollenden 
tönnen. Den größten Netz habe für ihn das Entdecken und 
neuer Quellen für die Sefchichte gehabt. 

In Nr. 2. Hat Hr. Prof. Hugo die Auffäge, wodurch 
Hr. Prof. Heeren und er, theils im vaterländifchen Mw 
feum, theils im civiliſtiſchen Magazin, Spittler’s Andenfen 
gefeyert haben, nebſt den Anmerkungen eines Ungenannten 
‚dem im Morgenbiat 1311. Nr. go. gı. 95 — 95. befindlichen 
Abdeude des größten Theils der obgenahten Pland’ichen 
Schrift Aber Spittler als Hiſtoriker, zuſammendrucken lafı 
fen, und dadurch das Publikum mit einer ſchaͤtzbaren Samm⸗ 
lung von mancherley intereſſanten Notizen uͤber Spittler und 
ſeine vielſeitige Wirkſamkeit beſchenkt, die nicht unterhält, 
fondern auch rnit 


— 72.72.00 : * 








No. 27. Seidelbergifce 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


— —— —i—— — 





Rechtsfaͤlle zur Erlaͤuterung der Gerichtsverfaſſung und Prozeßord⸗ 
nungen Weſtphalens. Herausgegeben von Dr. B. W. Pfeiffer, 
Subflitut ded koͤnigl. Generalprocureur's am Appellatiöndhofe zu 
Caſſel. Erfter Band, drittes Stüdf. Hannover, bey den Ger 
bruͤdern Hahn. XVI. ©. 201— 516. Anhang S. 83— 126, 


We beeilen uns, dieſe intereſſante und —— — 
lung, deren frühere Hefte bereits in unſern Jahrbuͤchern (Jahrg. 
1811. ©. 241 — a60) mit verdientem Lobe angezeigt worden 
find, dem juriſtiſchen Publicum zur Kenntniß gu bringen. 
Auch das vorliegende dritte Heft, welches: den erſten Band bes 
fhließt, ſteht den früheren in feines Hinfiht an Intereſſe nach, 
ja wie find geneigt, ihm einen eigenthümlichen Werth in fos - 
fern gugufchreiben , ‚als. fi einige Abhandiungen deſſelben 
(nämlid, die 20. und 21.) nicht bloß auf die Unterſuchung 
und Entwickelung einzelner abgefondert aufgegriffener proceffuas 
liſchen Puncte beziehen, fondern ‚vielmehr die ſyſtematiſche 
Darftellung und Erklärung ganzer Nechtsmaterien zum Gegens 
fand haben, daher es denn auch kommt, daß diefes Heft, 
obwohl es ftärker ausgefallen iſt, wie die beyden vorhergehens. 
den zuſammengenommen, döh nur 7 Abhandlungen enthält, 
wogegen die beyden früheren Hefte zufammen 125 Aohandlungen - 
darbieten. Jene 7 Abhandlungen find von 18 Nechtsfällen 
begleitet, morunter jedoch die zahlreichen Ansziige, die der 
Verf. aus den Urtheilen der Kranzdfifchen ſowohl, wie Weſt—⸗ 
phälifchen Höheren Gerichtshoͤfen mittheilt, nicht an ‚begriffen 

find. / 
- Die erfte Abhandlung ( die i6te der —— 

von ©. 201 — 232) führt den Grundſatz aus daß der Fremde, 
wegen Werbindlichkeiten, die er gegen einen Meftphalen übers 
nommen bat, vor den Gerichten des Königreichs belangt wers 
den kann, wenn er gleich kein Bermögen im Lande beſitzt, und 

27 


x 


448 Nechtefaͤlle von B. W. Pfeiffer. 


wenn gkleich die Verbindlichkeit noch vor Einführung des Geſetz⸗ 
buche Napoleons eingegangen wurde. Die Übrigen Zragen, 
zu denen der hier in Frage kommende Artikel 14. des €. ©. 
wohl Veranlaffung gegeben hat, namentlich in wiefern perfdns 
liche Gegenwart des Fremden im Lande erfordert werde, oder 
in wiefern auch andere als vertragsmäßige Verbindlichkeiten 
unter die Dispofition des vorangezsogenen Artikels begrifen 
feyen, ‚berührt der Verf. mit Mecht nur vorübergehend, weil 
ruͤckſichtlich ihrer die Stimmen jebt wohl nicht weiter Igetheilt 
foyn dürften. Auch die erſte der Bier eigentlich im Unterfw 
hung kommenden Fragen, bie der Verf. aus der Eigenthuͤm 
lichkeit der Franzoͤſiſchen und ‚Weitphätiichen Serichtsverfanung 
fehr richtig bejaht, und bie, wie der Verf. nachweiſſt, umter 
den Franzoͤſiſchen Rechtsgelehrten im Grunde nie als firdtig 
angeicher. worden if, duͤrfte jetzt felbit unter den Deutichen 
Juriſten als entfchieden angenommen werden. - Der Caſſel 

Appellationsgerichtshof hat zwar in Sem vom Verf. mitgetheil⸗ 
ten abten Mechesfalle die entgegengeſetzte Meynung amgensmt 
men, allein die hier aufgeführten Gründe dürften wohl ſchwerlich 
jemanden Überzeugen, und es ift auch diefes Erkenneniß bereit 
duch den Weftphälifchen Staatsrarh caflirt worden. Die zweyte 
oben ermähnte Frage wird vom Verf. gleichfalls bejaht, und 
wir nehmen Bein Bedenken, ihm hierin volllommen beyzm 
„yflichten, zwar nicht. aus dem Grunde ( worauf auch der Verſ. 
ſelbſt nicht fein Hauptgewicht legt), weil die Competenz ſich 
jedesmal nad) dem Zeitpuncte richte, wo der Nechtsftreit bey 
dem Gerichte anhängig gemacht werde Edenn hätte der Ge— 
feßgeber wirklich. Beym Ast. 14. die Anfiht gehabt, weihe, 
wie der Verf, zeigt, die Franzoͤſ. Zuriften damit zu verbinden 
pflegen, fo würde eben dadurch der obige. Grundſatz vom Gt 
‚feßgeber feldft in diefer Hinficht eine Modification erlitten 


Haben), wohl dber wegen der ſtaatsrechtlichen Ruͤckſichten, dit 


diefem Art. ganz unbezweifele zum Grunde liegen. Wir ms 
ben hierbey zugleih auf die mufterhafte Ausführung dieſer 
Trage in dem vom Verf. mitgerheilten Erkenntniffe des Di 
ſtrictstribunals zu Rinteln aufmerkfam, welches zwar durch 
das bereits erwähnss Erfenntniß des auch hierin die entgegen 


geſetzte Meynung adoptirenden Appellatiouehofes zu Caſſel aufı 


= Sechisfälle von B. W. Bier. 4419 
gehoben wurde, indeſſen durch ein caffirendes Erkenntnift des 
Weſtphaͤli ſchen Staatsrathes ruͤckſichtlich dee ihm flatuirten 
Hrincipes wieder hergeſtellt worden iſt; aus der Franzoſiſchen 
Praxis theilt der Verf. ein Erkenntniß des Appellationshofes 
ja Trier mit, worin beyde Fragen gleichfälls bejahend entſchie⸗ 
den worden find. — Die Abhandlung unter Nr. XVII. (G. 

232 — 264) betrifft die ſehr fchwierige Frage, nad) welchen 
Seundfägen ſich die Tompetenz der Weltphätifhen Gerichte 
Über Magen zwiſchen Ausländern richte? Nachdem der Verf. 
bie verſchiedenen Anfihten der Franzöfifhen und Deutſchen 
Rechtsgelehrten Über diefe Frage durchgegangen hat, fo pflich⸗ 
tet ee dee Grolmanſchen oder vielmehr Locrefhen Ans 
ſicht bey, ‘zufolge welcher zn die: verfchiedene Eigenschaft 
des Geſetzes, vom welchem die Entfcheidung des in Frage 
fiehenden Rechtsſtreites abhängt, den Ausichlag gibt. Der 
Verf. zeige fehr deutlich, daß fih die gange Sache lediglich 
anf die Frage reducire, welchen Gefegen Aberhaupt ein Indi— 
viduum unterworfen fey (ein Geſichtspunct, den wir ſchon in 
der erſten Ausgabe des Zahariäfhen Compendiums ange 
beutet gefunden haben), daß hierüber der Art. 3. des C. N. 
ausdruͤckliche Beſtimmungen aufftelle, und daß ruͤckſichtlich der 
perſoͤnlichen Verbindlichkeiten der allgemeine Grundſatz, welcher 
den Kläger an den Gerichtsſtand des Wohnſitzes verweiſe, ent⸗ 
ſcheide ( wofür in dem unter Nr. 28. mitgetheilten NMechtsfalle 
ein Erkenntniß des Appellationshofes zu Paris und des kaiſerl. 
Caſſationshofes fpricht), jedoch mit Beräciichtigung der in den 
Art. 11. und 13. enthaltenen Modificationen (von denen bie 
leßtere in dem. unter Nr. 27. mitgetheilten Rechtsfalle zur 
Sprache fam, und von dem Appellationshofe gu Paris anges 
wendet wurde). Die Klagen auf Privarfatisfaction wegen 
peinlicher oder poligeplicher Vergehungen beurtheilt der Verf., 
wie uns ſcheint, gang richtig nach dem $. 1. Art. 8., ohne 
zu unterfcheiden, ob diejelben zugleich mit der —— oder 
erſt nach derſelben angebracht ſind, ſo wie auch die dinglichen 
Klagen wegen beweglicher Sachen ganz im Geiſt der Franzoͤ⸗ 
fiihen Legislation unter den 6. 3. des Art. 3. rangirt werden. 
Dagegen verwirft er für Weftphalen die Anwendbarkeit der 
Ausnahme, welche die Franzoͤſiſchen Suriften Hinfichelich der 


7 vr Rechtefaͤlle von 8%. W. Pfeiffer. 


zwiſchen Ausländern anf Meſſen und Märkten eingegangenen 
Verbindlichkeiten von den bisher ausgeführten - Grundſaͤtzen mas 
chen, weil diefe Ausnahme in Frankreich felber nicht auf dem 
€. N., fondern. auf einer in feiner KHinficht in jenem anges 
deuteten , von jeher befolgten practifchen Anficht beruhe. Der 
gogte won dem Appellationshofe zu Taffel entichiedene Rechtsfall 
enthält eine Anwendung: des in Anfehung der Klagen auf Pris 
vatſotisfaction aus Poligey +», oder peinlihen Vergehen ausger 
. führten Grundſatzes, doch bemerken wir, daß der Gerichtshof 
in dem vierten Entfheidungsgrunde fih auch ausdruͤcklich mit 
darauf flüge, daß die hier angeftellte Klage, wenn fie gleich 
nur bewegliche Sachen zum Gegenſtand habe, dennoch nach 
der Beſtimmung des $. 2. Art. 5. zu beurtheilen fey, weichem, 
wie wir gezeigt haben, die Anficht des Verf. widerſtreitet. 
In der Abhandlung XVIII. (©. 265— 277) unterſucht 
der Verf. die Frage, ob eine caflationsfähige Ueberſchreitung 
der richterlichen Gewalt auch darin liege, daß ein Sericht nad 
Willkuͤhr und ohne durdy ein Geſetz dazu ermächtigt zu fenn, 
eine Verurtheilung ausiprehe? Diefe Unterfuhung ſcheint 
durch den zu ihr gehörenden So. Nechtsfall veranlaßt . worden 
zu ſeyn, worin der Weſtphaͤliſche Staatsrath ein friedensrichs 
terlihes Erkenntniß aus dem Grunde caffitte, weil es eine 
Verurtheilung ohne ein dazu ermäcdhtigendes Geſetz enthalte, 
mithin eine förmliche Weberfchreitung der. richterlihen Gemalt 
involvire. Der Verf. bemerkt, daß in dem königl. Decrete 
vom 20. May 1809 die Weberfchreitung der richterlichen Ge 
walt und das Erkennen wider eine ausdruͤckliche geſetzliche 
Vorſchrift als verfchtedene Kaffationsarände aufgeführt feyen, 
welches in fofern wichtig fey, als das Rechtsmittel der Caſſa⸗ 
tion nur aus dem erfteren Grunde gegen friedensgerichtliche 
Erfenntniffe Statt finde. Hieraus deducirt denn der Verf., 
daß, da das Erkennen wider ein ausdruͤckliches Geſetz keine 
-Weberfchreitung der richterlichen Gewalt enthalte, Biefes im 
Ganzen noch viel weniger von dem Falle behauptet werden 
fönne, wenn ohne alle gefeßlihe Beftimmung erkannt fey. 
Das erwähnte Staatsraths-Erkennuniß fey daher nur auf den 
Fall zu beichränken, wenn eine Verurtheitung ohne alle geſetz⸗ 
liche Beſtimmung ausgefprochen ſey, weit hier. freplich nichts 


4 








Mechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 421 


anders als richterliche Willkuͤhr zum Grunde liege; aber uns 
ſcheint, daß, wenn der Verf. dies als richterliche Willtähe 
anfehen will, diefe gewiß in einem noch höheren Grade da 
vorhanden fey, wo der Richter mit Hintanſetzung eines aus⸗ 
druͤcklichen Geſetzes etwas anderes erkennt. 

XIX. (S. 278 — 501) Muß der, welcher gegen eine 
Ehefrau klagt, ſelbſt dafuͤr ſorgen, daß dieſelbe von ihrem 
Ehemanne autoriſirt werde, oder kann er, wenn bies unters 
bleibt, ein Sontumacial + Urfheil gegen fie auswirken ? Die 
hier in Unterfuhung gezogene Frage ift bey dem gänglichen 
Mangel beftimmter gefeßlicher Dispofittonen um fo intereffans 
tr, als die Fälle, welche die Entſcheidung derfelben nothwens 
dig machen, ‚der Natur der Sache nach nicht felten feyn 
innen. Der Verf. geht zuvoͤrderſt mehrere der bisher verſuch⸗ 
ten Beantwertungen durch, und zeigt, daß diefelben theils dem 
beabſichtigten Zweck nicht entſprechen, theils nicht aus geſetzli⸗ 
chen Verfuͤgungen gerechtfertigt werden koͤnnen. Dies fuͤhrt 
ihn auf den Grundfatz, daß die Entſcheidung hier nun theils 
aus den mittelbaren Quellen des neuen Rechts, d. h. den ſtatt⸗ 
gehabten oͤffentlichen Verhandlungen, theils aus der uͤber dieſen 
Gegenſtand bereits fixirten Franzoͤſiſchen jurisprudence herge⸗ 
nommen werden koͤnne, und fo tritt er denn Der durch bey— 
nahe alle Franzoͤſiſche Rechtsgelehrten vertheidigten, durch die 
Franzoͤſiſche Praris fanctionirten und auch bereits durch die 
geſchaͤtzteſten Deutihen Bearbeiter des neuen Prozeſſes adops 
tirten Meynung bey, daß es nämlich lediglich die Sache des 
Kiägers fen, für die Erfüllung derjenigen Bedingungen zu 
forgen , unter denen eine Ehefrau allein ſich rechtlich gu vers 
theidigen im Stande ift, daß. dieier mithin den Ehemann zur 
Ertheitung der Autorifation auffordern müffe, dieſe aber als 
ine bloße Formalitaͤt im Weigerungsfalle des Chemannes vom 
Seriche fofort zu fuppliren fey. Zur Erläuterung der in tiefer 
Y.-Bandlung aufeftellten Grundſaͤtze hat der Verf. fünf Rechts⸗ 
öle mitgetheilt, wovon drey (Nr. 31. 33. 34.) aus der 
franzoöſiſchen jurisprudence entlehnt find, die beyden übrigen 
ingegen (Mr. &e. 35.) Erfenntniffe des Appellattonshofes zu 
‚affel enthalten, von ‚denen beionders das letztere eine auffak 
nde Abweichung von den hier vorgetragenen Grundſaͤtzen 


in 





4 


ſchriften bey Strafe der Michtigkeit zu beobachten feyen, die 
‚ bie Act. 7. und 8. der Prozeßordnung für die Inſinuation der 


es dem Verf. gefallen hätte, die !verneinende Beantwortung 


ſich mis den äußeren Formalitäten des. Inſinuationsactes bes 
ſgqaͤſtigt, vielleicht weit man eben annahm, dieſen Punct ein 


422 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer. 


enthält, indem es von dem Geſichtspuncte ausgeht, daß es 
lediglich die Pflicht der verklagten Ehefrau ſey, für die Er 
theilung der ihr nöthigen Autorifation Sorge zu tragen. 
XX. (S. 301 — 442) Ucber die gejeglihen Erforderniſſe 
der Appellationseinwendung und deren bey Strafe der Nichtig⸗ 


keit zu beobachtende Foͤrmlichkeiten. Der Verf. liefert ung hier 


eine ausführliche, aus dem Geiſte der Geſetze gefchöpfte und 


‚mir den Entfcheidungen der oberften Gerichtshöfe verglihene 


Darſtellung der angedeuteten Materie, für weiche muͤhſame 
2. das juriſtiſche Publicum dem Verf. deflo mehr Dank 
wiſſen muß , je einflußreicher und fchädlicher alle Mißgriffe in 
dieiem Puncte zu feyn pflegen, und je nüglicher daher in je 
der Hinfihe die Kenntniß einer fläten und fichern Praxis ſeyn 
muß. Der Verf. hat diefe Abhandlung in zwey Abfchnitte 
eingetheil. Die erfte, Die von der gefeglihen Friſt der Apı 
pellationseinwendung handelt, beſchaͤftigt ſich vorzäglich mit 
folgenden vier Fragen: 1) von der Dauer der Appellationss 
friſt im "Allgemeinen ; 2) von der Begründung ‚des Laufes ber 
Appellationsfrift durch die Inſinuation des Erfenntniffes erfter 
Inſtanz. Hier folgt nun die ganze Lehre -von den Erforder⸗ 
niffen, deren‘ Beobachtung die Gültigkeit diefer Appellationgfrifl 
vorausſetzt. Der Verf. kommt Hier natürlich auch auf bis 
Brage, 06 bey diefer Inſinuation auch alle diejenigen Bon 


Vorladungen vorfchreiben? Wir hätten gern gewuͤnſcht, daß 


diefer Frage etwas ausführlicher gu rechtfertigen, als es durch 
die mitgetheilten zwey Auszüge aus Erkenntniſſen des Caffeler 
Appellationshofes gefchehen konnte. Denn wenn, wie leicht 
gezeigt werden. kann, die Beflimmungen der Art. 7 und & 
unmittelbar aus dem Zweck der Anfinuation felber hergenome 
men find, fa möchte es in der That ſchwer feyn, Gründe auf⸗ 
zufinden, welche eine folhe Verfhiedenheit in dem einen und 
in dem andern Falle rechtfertigen koͤnnten, zumal da es in der 
Lehre von der Appellation keinen einzigen Artikel gibt, Der 


4 





Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer. 423 


für allemal in den Art. 7 und B. erledige gu haben. : $) Von 
der Berechnung der Appellationsfrift. Hier befchäftige ſich der 
Verf. vorzüglich mit der Frage, ob die Bellimmung des Art. 
965., daß im Fall der Entfernung der Parthey der Frift für 
jede 5 Mpriameter ein Tag hHinzugefäge werden folle, auch 
auf die Appellationsfrift anwendbar fen, und der Derf. vers 
neint fie, weil der Art. 993. nur ben Fall vor Augen habe, 
wo eine Parthey die andere vorlade oder zu etwas auffordere. 
SR es aber auf der andern Seite nike merkwürdig, daß die 
duch den ‚Aufenthalt außerhalb des Königreichs verurfachte 
Entfernung nad ausdruͤcklicher Beſtimmung des Art. 547. die 
Appellationsfrift verlängert? Dieier Artikel war freylich noth⸗ 
wendig, weil ohne ausdruͤckliche Dispofition die Ausdehnung 
des Art 25. anf bie Appellationsfiit in keiner Hinſicht zu 
rechtfertigen geweien wäre; für die Anwendung des Art. 953. 
bedurfte es aber Peiner ſolchen ausdruͤcklichen Beſtimmung, 
weil dieſer ganz am Ende der Proz. Ordn. unter der Rubrik 
allgemeine Verfügungen enthalten iſt, alſo ſchon durch 
feine Stellung den weiten Umfang feiner Anwandbarkeit an⸗ 
deutet. Auch ift es nicht zu leugnen, daß dieſer Artikel nicht 
bloß von dem delai genEral fixd pour lesajourne- 
mens etc., fondern Üverhaupt aud von allen autres actes 
faits à personne ou domicile redet. Wir würden 
es daher gern gefehen haben, wenn fih der Verf. fpeciell mie 
der Frage befchäftige hätte, mie die Appellationseinwendumg 
gefihehen muͤſſe, und wann diefelde für interpomire gu halten 
fey ? kann dies nur in dem, dem Appellaten Ju infinuirenden, 
Acte gefchehen, und muß diefe Inſinuation nothwendig inners 
halb der vorgefchriebenen. Appellationgfrift erfolgen, fo if 08 - 
augenfälig, daß der Entfernte nicht der naͤmlichen Friſt ges 
nießt, wie derjenige, bey dem diefe Entfernung nicht eintritt, 
und bat man diefer Entfernung, wenn fie dur Aufenthalt 
außerhalb dis Königreichs veranlaßt iſt, Einfluß auf die Aps 
pellationsfriſt gegeben, fo ift niche abzufehen, warum dies nicht 
bey der Entfernung im Königreich gleichfalls der Fall ſeyn 
fol, da doc dieſelbe nach Art. 953. Tonft allgemein vom Ber 
feßgeber auch berüdfichtiger ifl. Webrigens wendet man ja den 
Art. 935. auch in Anfehung der Ausſchließung des Inſinua⸗ 


42% Rechtsfaͤle von B. W. Pfeiſter. 


tionstages auf die Appellationsfriſt an, und gegen die. Bemer⸗ 
fung des Verf., daß dies in der Matur der Sache liege, und 
ſich auch ohne gefeßlihe Dispofition fhon von, felbft verfiche, 
Käße fi immer wieder fragen, wozu denn jene ſpecielle Des 
flimmung , wenn dies auch wirklich Die Anficht des Gefetzgebers 
gewefen wäre ?. daher wir auch die Entiheidung des Appella⸗ 


tionshofes von. Turin in dem vom Verf. angeführten Urtheile, 


wornach der Art. 1033. (963.) aud in Hinficht des Infinuas 
tionstages nicht auf die Appellationsfrif: anwendbar ſeyn ſoll, 
nicht anders als fireng confequent finden koͤnnen. Indeſſen ift 
die Praris der Frangöfiihen fowohl, wie der Weftphäliichen 


Gerichtshoͤfe in dieſer Hinſicht einmal entichieden, ein Um⸗ 
ſtand, wodurd man fich vielleicht von einer. theoretifhen Um 
terfuchung der Frage ‚dispenfirt. glaubte... Mur bemeiten wir 


noch, daß die Strände des Appellationshofes von Turin ung | 


unter diefen Umftänden mehr Gewicht zu verdienen fcheinen, 
ols der Verf. ihnen einräumen will. 4) Bon der Eigenfcaft 
der Appellationgfrift als abfofutes fatale, oder in wiefern die 
Defertion von Amtswegen berücfichtigt werden könne? Der 
Merf. beziehe ih mie Recht in Hinſicht der ausführlicheren 
Erdrterung diefer ſehr wichtigen und außerordentlich beftrittenen 
Frage auf die gründlichen Ausführungen der Herren Hager 
mann und v. Strombecd; er felber tritt der verneinenden 
Meynung des letzteren NRechtsgelehrten bey, indem er fehr rich 
- gig zeigt, Daß der Hauptgrund des Hrn. Hagemann, wor 
nach diefer die ganze Sache auf den Geſichtspunct der us 
competeng zurückzuführen fucht, hier nicht zugreifen kann, ohne 
die bisher mit diefem Ausdru verbundenen Begriffe gaͤnzlich 
zu verwwirren. Die Praxis des Caſſelſchen Appellationshofes 
über dieſe Frage hat fih noch nicht firiet, indem zufolge der 
von dem Verf, mitgetheilten Auszüge ans den Erkenntniſſen 
diefes Gerichtshofes fogar eine und die nämliche Section dei 
felben in verfchiedenen Fällen verfchieden erfannt hat. — Der 
zweyte Abſchnitt diefer Abhandlung beſchaͤftigt fi nun mit den 
Foͤrmlichkeiten der Appellationsangeige im Einzelnen, und vor 
allen Dingen erörtert der Verf. Hier die allgemeine Frage, ob 
bloß der Art. 356. oder auch der Art. 6. der Pros. Ordn. als 
Duelle der Vorſchriften anzufehen fey, die bey Strafe der 


N 


’ 





Kechtsfälle von B. W. Pfeiffer. 425 


Nichtigkeit bey der Appellationdeinwendung beobachtet: werben 
müffen. Der Verf. enticheider für das erflere, weil, wenn 
gleich der Art. 368, die für die Untergerichte vorgeichriebenen 
Negein auch für. anwendbar in der Appellationsinſtanz erkläre, 
dies denno.h durch den Zufab im übrigen ausdrüdlid nur. 
anf diejenigen Segenftände beſchraͤnkt werde, woruͤber die Lehre 
von dem Appellationsverfagren nicht eigene Regeln aufftelle, 
wohin aber die Appellationsanzgeige gehöre, als deren Erforder⸗ 
niffe der Art. 356. einzeln aufzähle. Allein es ift ja natuͤrlich, 
daß die Appellationsangeige, wovon im erſten Verfahren gar _ 
wicht die Rede ſeyn konnte, vermöge ihrer. eigenthümlichen 
Natur befondere Beflimmungen nöthig machte, die erſt hier, 
aufgeführt werden mußten; außer diefen follen denn aber Die 
übrigen (les autres r&gles, wie fi vieleicht ber 
Franzoͤſiſche Text Deutlicher ausdruͤckt) für die Untergerichte 
vorgefchriebenen Negeln in der Anpellationsinftan; zur Anwens 
dung fommen. Wäre der Art. 368. dem Art. 356. unmittels. 
bar als Nahfag angehängt, fo würde die Sache noch weniger 
zweifelhaft feyn; dies konnte num freylich nicht gefchehen, weil 
man nidye nur die Anwendbarkeit der für die Klage vorgefchries 
benen Regeln, fondern auch aller. Übrigen. Vorfchriften des 
untergerichtlihen Verfahrens, die nicht fchon durch wideripres. 
ende Beflimmungen für das Apprllationsverfahren von felber - 
als unanwendbar dargeftelle find, auf die Appellationsinftang 
damit ausdräden wollte; allein es fheint ung, als ob dieſer 
Artikel ruͤckſichtlich jedes einzelnen Acts ald Anhang des dens. 
felben betreffenden Artikels angefehen werden muͤſſe. Aud) 
führt die der Erklärung des Verf. zum Grunde liegende Ans - 
fiht etwas zu weit, wie er felder $. 19. bey ‚der Frage von 
der Deichaffenheit der Sinfinuation und der Form ihrer Bes 
werkſtelligung anzuerfennen ſcheint. Der Verf. folgert, feiner 
Anſicht gemäß, daß die Angabe des Patents, die Unterſchrift 
den Anwalds zweyter Inſtanz und die Bezeichnung des Das 
tums mit Buchſtaben nicht nöchig feyen. Die Praxis des 
Appellafionshofes zu Caſſel war anfangs Aber diefe Frage ger 
theilt, indem die erfie Section nach der Anfiht des Werf., 
die dritte aber für die entgegengefeßte Meynung entfchied; 
indeſſen Af die letztere in fpäteren Erkenntniffen auch, der Mey⸗ 


426 Nechtsfälle von B. B. Pfeifer. 


nung des Berf. bengetreten. Ben ber hierauf folgenden Unter⸗ 
fahung , 05 naͤmlich die im Art. 356. vorgefchriebenen Erfot⸗ 
derniffe bey Strafe der Nichtigkeit zu beobachten jenen, ‚erkennt 
der Berf. es felder an, dab die in diefem Artikel angedrohte 
Drullicät nur die Form der Infinuation zum Gegenkand Habe, 
Dennoch erfahren wir, daß der Caſſeler Appellationshof von 
jeher unbedenklich angenommen babe, daß die ſaͤmmtlichen 
Erfordernifie diefes Artikels bey Strafe der Nichtigkeit zu bes 
obachten feyen; ein Verfahren, welches der Verf. zwar durch 
die nachtheiligen Folgen, weiche dis entgegengefekte Erklärung 
Baben würde , zu rechtfertigen fucht, dag wir aber mit der bey 
den fräheren Fragen vom Gerichtshof beobachteten Scrupulo⸗ 
ſitaͤt nicht zu vereinigen wien, und vielleicht dürfte das ber 
Natur dere Sache nah flets ſchwankende Princip der Zweck⸗ 
miäßigfeit, wornacd der Verf. alle ditjenigen Puncte, worüber 
der Art. 356. nichts Specielles beſtimmt, beurtheilt wiſſen 
will, nicht weniger nachtheilige Folgen haben, als vom Verf. 
vorher angegeven worden find. Der Verf. nimmt hierauf in 
‘den. $$. 9— 56. die einzelnen im Art. 856. aufgeftellten re- 
quisita mit feiner gewohnten Gruͤndlichkeit und Scharffinn 
Buch, und belegt alle Grundfäge mit Auszügen aus Erfennt 
nifien fowohl der Franzoͤſiſchen, ale der Weftphälischen oberften 
Gerichtshoͤſe. Es würde zu meitläuftig werden, dem »Berf. 
in diefer feiner Entwickelung zu folgen; wir beichränfen uns 
daher uur auf dasjenige, worüber uns befondere Bemerkungen 
aufgeftoßen find. In diefer KHinficht find wir freylich völlig 
mit dem Verf. einverſtanden, wenn er bey der Unterſuchung 
der Frage, ob die für die Appellationsangeige vorgefchriebene Vor⸗ 
ladung bloß im Allgem-inen die gefeßliche Frift andeuten dürfe, 
oder die Dauer derielben Tpeciell angeben müffe, fih gegen die 
allgemeine Praxis des Caſſeler Appellationd: Gerichtshofes für 
Die letztere erfiärt, and wir glauben, daß In bem unter Nr. 36. 
mitgetheilten Urcheite des Turiner Anpellationg : Gerichtshofes 
dieſer fich durch die Gruͤndlichkeit feiner Entfheidungen durch⸗ 
gehends fo fehr auszeichnende Gerichtshof alles erichöpft habe, 
was für diefe letztere Meynung gefagt werden kann; allein 
unferer Meynung nad fireiten biefe Gründe auch fo fehr gegen 
die vom Kaffeler Appellations, Gerichtshofe ig Anjehung der 


mo. 








*  Mechisfälle von B. W. Pfeiffer. 427 


geſetzlich vorgeſchriebenen Bezeichnung des Gerichtshofes, vor 
welchen die Vorladung geſchieht, angenommene Praxis, daß 

wir uns wundern, wie dies dem Verf. hot entgehen moͤgen, 

jamal da dieſe Anwendung in dem erwähnten Turiner Erkennt 

niffe ausdruͤcklich hervorgehoben wird. Eben fo wenig können 

wir mit dem Verf. Üdereinflimmen, wenn er $. 2o. G. 3go 

behaupten will, daB wefentlihe Mängel der Abſchrift der Ap⸗ 

pelletionsangeige nicht in Betrachtung kommen können, wenn 

fie fih nur im Original ˖ nicht befinden ; fein Grund, daß der 
Art. 8. die Strafe der Nichtigkeit auf die unterbliebene woͤrt⸗ 

lihe Webereinftimmng nicht feftfege, laͤßt ſich leicht duch die 

Bemerkung befeitigen, daß der Artikel die Zuſtellung der Abs 

fhrift der zu infinuirenden Schrift bey Strafe der Nichtigkeit 
vorſchreibt, daß aber dieſe Korderung für erfuͤllt nicht anges 

ſehen werden faun, wenn die infinuirte Schrift in den weſente 
lichen Puncten von der zurücdbehaftenen abweicht; fie hört bier 
enf, dem Begriff einer Aöfcheift zu entſprechen, die doc für 
den Appellaten immer Original ſeyn fol, und hinſichtlich wel⸗ 
her auch der ganze Zweck, warum das urfprängliche Original 
beym Appellanten zuruͤck bleibt, nur in fofern erreicht werben 
kann, als es mit der infinuieten Abfchrift treu Abereinftimmt. 
zu ‚einer Vergleichung der Abſchrift mit dem Original bey ber 
Sinfinuation ift aber deu Appellat niche verbunden, weil er ſich 
auf die gefeglihe Vorſchrift, daß ihm eine Abſchrift zugeſtellt 
werden folle, berufen kann — Die $$. 21 — 27. enthalten 
die Entwickelung des Grundfages, daß die Inſinuation m 
den Appellaten in Perſon oder an feinem Wohnſitze geichehen 
muͤſſe, und im 6. 27. wird dann ein kurzes resume der ſaͤmmt⸗ 
ithen bey der Appellationsangeige theils mwefentlichen, theils 
entbehrlichen Förmlichkeiten gegeben. Die Folgen der 65. 28. 
bis 53. enthalten die Entwickelung einiger allgemeinen Grund⸗ 
fäße, die fi auf folgende drey Hauptpuncte reduciren laſſen. 
- 2) Weber den Einfluß der Nichtigfprehung einer Appellationse 
anzeige auf die Befugniß ju appelliven; der Verf. verweiße 
bier mit Recht auf die unter Mr. IL. dieſer Sammlung entr 
haltene Unterfuhung diefer Frage... 2) Weber die Fälle, im 
denen auf wirklich vorhandene Nichtigkeiten dennod nicht er⸗ 
kannt werden kann. Der Verf. ſtellt als Princip den Grundſat 





— 


* 


42 Dtechiöfälle von B. W. Pfeiffer. 


auf, daß dies nur unter der Vorausſetzung geſchehen koͤnne, 
daß von Geiten des Appellaten eine ausdeüdliche oder ſtill⸗ 
fhmeigende Entfagung angenommen werden könne; und hierauf 
geht er denn Die einzelnen Handlungen durch, in denen eine 
folche ſtillſchweigende Entfagung enthalten fer. Dahin rechnet 
er mit Recht die unterlaffene Rüge. der Nichtigkeit, eine ger 
hoͤrig begründete contumacia, und alle Handlungen, die der 
Appsllat zufolge der nichtigen “Appellationsangeige vornimmt, 
fofern darin eine nothwendige Anerkennung der mit Nichtigkeit 
betroffenen Handlung enthalten iſt, 3. E. die Sinfinuation. der 
Anwatdsbeftellung nicht an den Aprpellanten in Perſon, fon 
dern an feinen auf eine nichtige Weiſe beflellten Anwald. 


Sehr gegwungen fcheint es uns aber, wenn der Verf. .$. 30. 


auch den Fall mit unser die Eategorie der Entfagung zu trans 
gıren ſucht, wenn der Appellat feine Behauptung der Nichtig⸗ 
keit der Appellationsangeige weder mit fpeciellen Thatamftänden 
Belege, noch auch der Beweis derielven vorzulegen im Stande 
äft; denn hier iſt wenigftens redhtlih genommen der bier in 
Unterſuchung flehende Fall, daß auf eine in der That vorhans 
dene Nichtigkeit dennoch nicht erkannt wird gar nicht vorhans 
Den. 3) Ueber die Anwendbarkeit der geieglichen Foͤrmlichkeiten 
Der Apvellationsanzeige auf die in der Appellationdinflang ans 
gebrachte Bitte um ein Verbot der vorläufigen Vollſtreckung 
und auf die Sincıdentappellation. In Hinſicht der letzteren 
wird diefe Anwendbarkeit mit Necht vom Verf. geleugnet, weil 
gerade der eigenehämtihe Charakter der Sncidentappellation 


darin befiche, daß fie kein ſelbſtſtaͤndiges Rechtsmittel bilde. 


Ruͤckſichtlich der Bitte um ein Verbot der vorlaͤufigen Woll—⸗ 
ſtreckung entwickelt der Verf. zuvoͤrderſt den bier zwiſchen dem 
Appellaten und Appellanten Statt findenden Unterſchied, und 
zeigt hieraus, daß die Frage eigentlich nur in Beziehung auf 
Den letzteren zur Sprache kommen könne; indeſſen leuanet er 
auch hier die fragliche Anwendbarkeit, weil der Art. 869. nur 
eine Vorladung und die Mittheilung des Gefuhs an den Aps 
pellaten vorfchreibe, man alfo nichts mehreres und am wenig 
fien bey Strafe der Michtigkeit fordern dürfe. 

XXI. (S. 447— 510.) Das Verfahren in Eheſcheidungs⸗ 
fahen ıft ganz unabhängig von den Vorfchriften der bürgerlichen 


' 


Nechtsfälle von B. W. Pfeiffer, 49 


Progeßorbnung, und erhält durch die Verfügungen bes Geſetz⸗ 
buhs Mpoleons feine umabänderlihe Beſtimmung. Diefe 
Ueberfchrift zeigt Den Gegenſtand und den Zweck diefer Abhands 
fung deutlich an. Der Verf. geht dabey von der Grundanſicht 
ans, daß das gerichtlihe Verfahren ben Ehefheidungen gar 
fein proceffualifhes Verfahren. gehannt werden könne, fondern 
dem Merfahren bey Adoptionen und Sinterdictionen gu vergleis 
den fey, daß es aljo gewiffermaßen als eine weſentlich noth⸗ 
wendige Form erfheine, deren Beobachtung zur rechtlichen 
Begründung einer Ehefcheidung eben fo nothwendig ſey, wie 
zus giftigen Exiſtenz einer Schenkung oder hypothecariſchen 
Schuld ver ſchreibung die gefeglihe Witwirfung von Motarien. 
Daher denn auch jeder Schritt fireng zu beobachten fey, indem 
feine Hintanſetzung die Nichtigkeit des ganzen Verfahrens zur 
Folge Habe. Der Verf. geht Hierauf den Gang des Eheſchei⸗ 
dangsverfahrens, in fofern aus beflimmiten Urfachen geklagt 
wird., in feinen Hauptmomenten duch, und zeige Schritt für: 
Schritt duch ein ſtetes Ruͤckblicken auf den gewöhnlichen pros 
ceffualifhen Gang die Eigenthämlichkeiten des erfteren, z. €. 
daß die unterlaffene Mitwirkung des ministere publique Hier 
nicht etwa nah Art. 425. Nr. 8. der Prog. Ordn. die re- 
qu&te civile begründen, fondern Überhaupt das ganze Verfah⸗ 
ren- nichtig machen mürde, daß die Nothwendigkeit der Anwälde 
hier nicht eintrete, daß ein Erkenntniß über die Zulaͤſſigkeit 
der Ehefcheidungstlage immer weientlich fen, wenn es yleich 
nach allgemeinen proceffualifchen Beflimmungen nur in fofern 
erfordert werde, ale Einreden gegen die Zuläffigkeit vorgebracht 
feyen, daB Ferner das Erkenntniß in der Hauptſache unmittels 
bar auf diefes Admiffionserfenntniß folgen müffe, ohne Zwis 
fhenraum aud nur eines einzigen Tages, daß gegen das in 
der Hauptſache erfolgende interlocutorifhe Erkenntniß feine 
"Berufung Statt finde, daß der in Gemaͤßheit deffelben unters 
nommene Zeugenbeweis überall nicht an die Vorſchriften der 
Proz. Ordn. gebunden fey, daß eine Entfagung auf die ges 
ſetzlich zuſtehenden Rechtsmittel von keiner Wirkung fey, daB 
- das Rechtsmittel ber Oppofition ſich nur auf die. in der Appels 
lationsinflang ergangenen Contumatialerkenntniſſe beſchraͤnke ıc. 
Alle dieſe Grundſatze ſind mit Ausſpruͤchen der Franzoͤſiſchen 


4320 Rechtsfälle von B. W. Breiter, 


Ger ichtohoͤfe belegt worden, wovon: ber Verf. unter Nr. 57. 
bis 43. incl. mehrere in extenso mitgetheilt Bat. | 

XXI. (8. 510 — 816) Die gegenfeitige Aufhesung 
( Tompenfation ) der Progeßfoften gwifchen Ehegatten: und Bers 
wandten ift nicht fireng verboten, fondern der richterlichen Bes 
urtheilung üderloffen. Diefe Abhandlung enthält bloß eine 
Rechtfertigung dee. Deutfchen Ueberſetzung des Art. 87. der 
Proz Ordn., indem ber Verf. zeigt, daß fie, wie der Frans 
zöffhe Tert, die Compenfation nicht unbedinge — 
fendern nur facultativ. mache. 

Der Anhang enthält sub nr. Ir. (©. 85 — 86) eis 
Scchreiben des. Herrn Juſtizminiſters über- die Unanwendbarkeit 
dar buͤrgerlichen Proz. Ordn. im Eheſcheidungsverfahren, und 
sub nr. III. (B7— 1518) gibt ber MWerf: nach einer gewiſſen 
Materienordnung Auszüge aus Erkenntnifien des koͤnigl. Staates 
rathes und des Caſſeler Appellationg : Serichtehofes: über vers. 
mifchte proceffualifche Rechtsfragen. Den m. Band beſchließt 
ein smectmäßiges Sachregiſter. = 





Handbuch zum fofematifchen Studium deb neuften vömifchen Privat 
rechts nach den Grundſaͤtzen des Herrn Oberappellationsraths 
Guͤnther, von D. Ehriſtian Friedrich Gluͤck, Hofrath 
und oͤffentlichem ordentlichem Lehrer der Rechte auf der Friedrich⸗ 
Alexanders-Univerſitaͤt in Erlangen. Erfter Theil, welcher die 
Einleitung und die Litteratur des Juſtinianeiſchen Rechts enthält. 
Erlangen, bey 3. 9. Palm. 1812. Ku — 370 S. gr. % 
(1 Rthlr. 20 gr. ) 

Auch unter dem Titel: 

Einleitung in dad Studium des Römifchen Privatrechts zur Beriat⸗ 

gung und Ergänzung des erſten Theils des Pandeeten = SEM 
‚ tare. 


Diefes Handbuch enthält den Anfang eines Commentars 
üder die Sünther’fhen principia juris romani, weiche der 
Wurf. in feinen, jetzt ſyſtematiſchen, Vorlejungen über die 
Pandecten erläutert. Es geht Über die vier erfien Bogen des 
Guͤnth er'ſchen Lehrbuchs, und handelt alio von den Quellen 
des Rechts im Allgemeinen, "denen des Romiſchen und dene 





Handß. fottem. Gtudium d. n. R. Privatrechts v. Gluͤck. 40 


des heutigen Roͤmiſchen Privatrechte. Zugleich gibt es, und 
Guͤnther“s Beyſpiel, ein ſehr reichhaltiges Verzeichniß der 
Ausgaben der Quellen und juriſtiſchen Schriftſteller. 

Nach der Abſicht des Werf. ſoll dieſes Buch der Aufang 
eines Commentars ſeyn, der vorzuͤglich beſtimmt iſt, feines 
Zuhörern die Stelle eines nachzuſchreibenden Hefts zu vertre⸗ 
in. ‚Betrachtet man daſſelbe ans dieſem Geſichtspuncte, ſo 
laſſen ſich, unſerer Meynung nah, gar manche nicht. unge⸗ 
gruͤndete Erinnerungen dagegen machen. Gchan bie Nuͤtzlich⸗ 
keit foichee gedruckten Hefte an fich iſt ſehr problematiſch da 
fe, ohne den muͤndlichen Vortrag zu erfehen oder überfläffig 
zu machen, fo leichte bey den Studierenden Unfleiß und Mas 
gel an Aufmerffamfeit erzeugen‘, und vielleicht laſſen fie ſich 
nur für die Inſtitutionen vertheibigen, wo Re dem Anfänger die, 
ihm fo nöthige Vorbereitung zur Vorleſung erft möglich mas 
den oder doch wefenslich erleichtern, und auch Hier nur, wenn 
fie nicht, wie die bisher erfchienenen,, zugleich auf den untew 
richteten Leſer, fondern allein anf die Beduͤrfniſſe des Schuͤ⸗ 
lers berechnet find. Wil man aber auch folhe Commentare 
für die. Pandecten gelten laſſen, fo fcheine dem Mec. denn 
doch dieſer nicht hinlänglich auf feine Beſtimmung berechuet, 
und fonach nicht gung zweckmäßig gu ſeyn. Gar Manches if 
darin aufgenommen, was in feine Vorleſung gehört, mie Die 
ganze Litteratur (S. 809 — 370); gar Manches, weitjäufig 
ausgeführte, was in Pandecten s Vorlefungen, wenn es nicht 
ganz Übergangen werden foll, doch hoͤchſtens nur berührt wer⸗ 
den Tann, wie die äußere Rechtsgeſchichte, welche einen fd 
großen Theil des. Buches füllt. - Andere Dinge find. viel gu 
weitläufig abgehandelt, als daß dies für irgend eine Vorleſung 
zweckmaͤßig ſeyn koͤnnte, 3. die Novellen: dagegen iſt Maus 
des auch für diefen Zweck nicht Hinlänglich erörtert, wie die. 
Lehre von der Interpretation. 

Außer. dem eben angegebenen Zwecke hat der Verf. noch 
den Nebenzweck, ſeinen Commentar uͤber Hellfeld in den hier 
abgehandelten Lehren zu ergängen und gu berichtigen. Es iſt 
gewiß ein Beweis von großer Unbefangenheit und fchöner 
Wahrheitsliebe, wenn ein Scriftteller feine Degehungs s und 
Unterlaffangsfünden wieder gut macht: und eben fo ficher iſt 


* 


432 Handb. 3. follem. Studiums d. n. R. Privatrechts v. Gluͤck 


dies ſehr intereſſant und nuͤtzlich, wenn es, wie hier, von 
einem gelehrten und viel geleſenen Schriftſteller geſchieht. 
Deſſen ungeachtet koͤnnen wie auch dieſer Beſtimmung des. 
Hier angefangenen Commentars weder unſern Beyfall geben, 
noch in dieſer Ruͤckſicht feine Fortſetzung wuͤnſchen, und dies 
um ſo weniger, als dadurch das ſchleunige Fortſchreiten des 
ſchaͤtzbaren Commentars Über Hellfeld (der ſchon lange zu feir 
nem: Bortheile die Eigenichaft als gedrucktes Heft verlohren 
Hat) nothwendig erfchwert werden muß. Eine neue Darſtel⸗ 
lung deffelden Stoffes, bey welcher, wie dies hier gewöhnlich 
geſchieht, fogar nur ſtillſchweigend gebeffert wird, gibt Feine 
Ueberſicht der geänderten Saͤtze und neuen Ausführungen, 
weiche man kaum durch forgfältiges Leien und Wergleichimg 
Beyder Werke ertennen kann; wobey man denn mit Zeitvers 
duft ganz daffelde oft zweymal zu leſen ‚gendthigt wird. Ein 
sswel:intereffanteres Geſchenk würde ung der Verf. fiher mas 
chen; wenn er fih entſchließen könnte, die Nefultate - feiner 
neuern Studien unter der- form von ———— und ZW 
fügen uns mitzutheilen. * 
Mach dem Bisherigen ſcheint alſo das vorliegende Merk 
feiner eigentlichen Beſtimmung nach feinen vorzuͤglichen Beyfall 
zu verdienen. Betrachtet man es nur an ſich, ohne dieſe (pe 
ciellen Beziehungen, fv muß man dagegen fehr viel vortheifs 
Hafter davon urtheilen. Es hat nicht allein alle Vorzuͤge der 
Stüädihen Werke (die wohl als befannt hier vorausgefeßt 
werden können), ſondern zeichner fih auch vor dieſen, befons 
ders da, wo der Verf. ſich auf pofitivem Grund und Boden 
befindet, noch fehr zu feinem Vortheile aus. “Unrichtigkeiten 
und Uebereilungen finden fid) dabey freylih auh (4. B. ©. 
. 030 vergl. mit S. 274): wir tragen jedoch billig Bedenken, 
durch Aufzählung derfelben diefe Anzeige zu vergrößern, um 
fo mehr, als dieſelbe im Allaemeinen gegen den Plan des 
Verf. gerichtet iſt, und wir nicht gerne den ungegründeten Bers 
dacht auf uns laden möchten, daß es .unfere Abſicht fen, Die 
DVerdienfte des Werf,, oder den m des Buches an fi 
herabzuwuͤrdigen. 





No.28. Seidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


DT N 7 7 7 0 © 





Carl Caspar Creve, Dr., grosherz, Frankf. geh. Rath, Pro- 
fessor der Zoonomie und besonderen Heilkunde an der 
medicinisch - chirurgischen Specialschule etc. Ueber den 
Chemismus der Respiration. Frankfurt 1812. 68 &. in 4. 


Mine Schrift zeichnet ſich nicht durch neue, aber doc durch 
fonderbar zufammengefeste ältere ‚Anfichten aus. Der Verf. 
hätt zwar das Athemholen für einen Proceß der Verbrennung, 
aber einen folhen , bey welchem fih das Licht nicht entwickelt, 
weil der Sauerftoff hier nicht an den Waſſerſtoff, der allein 
nad ihm einen Lichtgehale hat, fondern an den Kohlenftoff 
fih bindet. 

Der Berf. behauptet ferner, fih auf die Verſuche von 
Berthollee und Allen und Pepys ſtuͤtzend: das eingeathmete 
Sauerftoffgas zerſetze fih in den Lungen, umd hange dem 
Kohlenftoff an. So werde nur Kohlenjäure erzeugt, aber es 
dringe ein Sauerfloffgas in das Blut, die Roͤthe des Blutes 
Bange allo von dem Mangel an Kohlenftoff ab; fo wie die 
Reizkraft des Blutes ihm urfpränglich zufomme, und durch bie 
Anhäufung des Kohlenftoffs vermindert werde, wenn ihm 
der Sauerftoff den Kohlenftoff entziehe, fo werde es wieder 
reizfaͤhig. Endlich behauptet er, daß beym Achemholen auch 
die Stickluft zerſetzt und ein Theil davon zur MWerediung des 
TIhierfloffes dem Blute anhinge. Was nun das erſte hier zu 
erörternde Phänomen angeht, nämlih ob Sauerſtoffgas nur 
mit dem Kohlenftoff eine dunkle Verbrennung untergehe, fo 
Breitet diejes gegen die Erfahrung. Denn ı) verbrennen bie 
Metalle und ſelbſt das Waſſerſtoffgas, ohne Licht zu erzeugen, 
venn die Verbrennung langfam und nad und nach geichieht, 
vie wir diefes felbft an den Drathen der Voltaiſchen Säule 
eben, wenn diefe nur mie wenig Plattenpaaren geichloffen 
Bird — und wie es bey jedem ſich in der Luft orydirenden Metall 
nd dem Ranzigwerden der Dele und des Fettes offenbar wird, 

28 


434 Weber den Ehemidmns der Reipiration von Ereve. - 


welches alles eine Merbindung des Sauerftoffes mit dem Waſ—⸗ 
feeftoff und dem Metalle ift, welche als langfame Verbrennung 
Bein Licht entwickelt. — 2) Dagegen verbrennen die nämlis 
hen Stoffe mir dem grelleften Lichte, wenn diefeiben unter 
einer mit Sauerſtoffgas gefüllten Glocke ſich entzünden und 
fchnell verbrennen. 

Wir lernen aus dieſen Verſuchen zugleih, daß es das 
Sauerftoffgas. ift, welches das Licht hergibt, weswegen ich 
auch diejen als den wahren Lichtträger bezeichnet habe. Die 
Holzkohle, die Wachs- und Talglichter, die Stahlfeder, vers 
brennen und. fchmelzen hier mit dem hellſten Lichte. 

Es folge daraus, daß alio, 06 ein Körper heil oder dun⸗ 
fel verbrenne, bloß allein davon abhange, ob er ſchnell ober 
langſam fich mir der Baſis des Sauerftoffes verbinde — und 
06 bey dieſer Verbindung mehr oder weniger Lichtſtoff frep 
werde. Denn verdunftet er in materieller Hülle, fo erzeugt 
er nur Wärme, wird er gänzlich mit dichteren Stoffen vers 
bunden, oder was man fagt latent, wird auch dieje nicht eins 
mal am Thermometer gefpärt. 

- Die wichtige Frage, ob Sauerſtoffgas bey dem Procef 
des Athemholens ins Blut dringe, beantwortet der Verf. vors 
züglih nad den VBerfuhen von Allen und Pepys mit Nein — 
er glaubt daher, daß bag Sauerftofigas nur dazu diene, dem 
Blute feinen Kohlenftoff abzunehmen , und zwar in den Puns 
gen, und daß diefes fofort feine NRöthe und reizende Eigen⸗ 
fhaft wieder annehme, welche es durch den Kohlenftoff verloren 
gehabt Hat, Allein diefe Annahme wird gar nicht durch dieſe 
Verſuche erzwungen,, denn biefe befagen weiter nichts, als daß 
bey jedem Achemzug ungefähr fo viel Sauerfloffgas weggehe, 
als fohlenfaures Gas der eingeathmeten Luft wieder benge 
miſcht werde — ob aber dieſes fohlenfaure Gas in den Lungenzels 
len gebilder werde, oder 05 es aus dem Blute feldft in die eins 
geathmete Luft Übergehe, und dafür: eben fo viel Cubikzoll 
Sauerfioffgae an das Blut übergehen und fih demfelben Hey 
mifchen, iſt Dadurch keineswegs ausgemacht. 

Wenn ısir alfo darchun können, daß diefes letztere ger 
(hehe, nämlich daß in den Lungen wirklich nicht Kohlenſtoff 
an den Sauerſtoff des Sauerfioffgajes trete, fondern wirklich 











Ueber den Chemismus der Meipiration von Eräve. 435 


foßlenfaure Lymphe an die auszuhauchende Luftmaffe übergehe, 
wenn wir ferner ermeifen können, daß das Bauerfloffgas 
wirklich noch in dem Zufland der Erpanfion eines Theils feines 
Waͤrmeſtoffs beraubt ins Blut uͤbertritt, fo fliehen die Vers 
ſuche des Berthollet, des Allen und Pepys richtig da, und 
doch ift es falih, daß die Kohlenfäure in den Lungen erzenge 
wird. Daß aber in der Lymphe des Venenbluts und auch des 
flagnirenden Arteriendiutes nur kohlenfaure Lymphe feye, und 
nit bloß kohlenſtoffhaltige; dieſes zeige ſich augenſcheinlich 
durch die chemiſche Analyſis, welche uns bey gelinderem Waͤrme⸗ 
grad in dem Retortenhals eine große Menge kohlenſauren 
Ammoniak zeigt, und bey ſtaͤrkerem Feuer Kohlenſaͤure und 
gekohltes Waſſerſtoffgas entwickelt. — Ferner, daß das Sauer⸗ 
ſtoffgas ſelbſt aber in die Lungenzellen ins Blut tritt, dieſes 
zeigen offenbdar die muͤhſamen Verſuche, welche ich über das 
Blut angeſtellt, und die ich in meiner Antritts-Diſſertation 
pro loco in facultate obtinendo in Jena vertheidigt habe. 
In den Adern der lebendigen Thiere, vorzüglich in den durchs 
fihtigen Adern des Netzes und des Gekroͤſes fieht man die 
Beinen Luftbläschen unter der Form von Kügelhen, melde 
durch das Kochen als Luft entweichen, das nämliche geſchieht, 
wenn das Blut gefchlagen wird. Die unter dem Recipienten 
der Luftpumpe gelammelte Luft verhält fi mit dem Phosphors 
Endiometer geprüft als wahres. Sauerfloffgag, woben alle 
Blutkuͤgelchen großentheils verfhwinden, und das Blut feine 
Coagulabilitaͤt verliert, welche allein von der Figirung dee 
Bauerftoffgasbafis an den Eymeisftoff herkommt, und alfo 
hier um fo weniger ftatt finden kann, als die Sauerftoffluft 
durch das Kochen, Peitſchen, Schütteln zc. wieder ausgetrieben 
wird. 

Was das wirkliche Eintreten des Sauerftoffgafes ins Blut 
noch mehr beftätige, ift die Vereitung eines kuͤnſtlichen Bluts, 
welche ung ſchon Lavoifter gelehrt hat, und weldies barin 
befteht,, daB man etwas Eyweis mit Waſſer mifht, und dazu 
einige Srane phosphorfaures Eifen binzufent, und das Ges 
mifch in einer. Glasroͤhre ſchuͤttelt, wobey Sauerftoffgas abfors 
bire wird, und die Fluͤſſigkeit ſich roͤhhet. Das Sauerſtoffgas 
wird hier in dem Zuftand des Gas oxygene naissant, Wie 


N 436 neber den Chemiſsenns der Nefpiration von Ereve. 


es Fourcroy nennt, der Fluͤſſigkeit bepgemifcht, umd es ent 
ſteht dadurch Lad phosphate de fer suroxygené avec exchs 
de sa base, welches die Urſache der rohen Bintfarbe ift. 
Das nämliche geihieht au am Oxygenpol einer Voltaiſchen 
Säule; hier tritt da8 Gas .oxygene naissant an die Lymphe 
und röthet fie, wie diefes ſchon mehrere Naturforſcher beob⸗ 
achtet haben. 

Es gibt wohl keine Thatfache der neueren Chemie und 
Phyſiologie, welche weniger beftreitbar wäre als Diele, und 
es wundert den Rec. um fo mehr, warum Hr. ER. Ereve 
die Stände für diefe Wahrheit, welche er in feiner phyſiſchen 
Darftellung der Lebensträfte fhon vor 16 Jahren dem gelchrs 
ten PDublicum vorgelegt bat, fo wenig geachtet hat, daß er 
deren nicht einmal in feiner Schrift Erwähnung gethan Bat. 
Es ift diefes überhaupt der Sinn des Zeitalters, und leider 
die verwerflihe Sitte der Deutihen Gelehrten, daß fie die 
Erfindungen ihrer Landsleute entweder zu verläugnen oder hers 
. abzufesen fuhen, und dagegen fremder Nationen Männer ers 
heben, und als ihre Meifter anzuftaunen fih nicht fchämen, 
die weit unter ihnen ſtehen. 

Diefe Verläugnung meiner Entdedung fällt Hrn. Kreve 
vorzüglich zur Laſt, da er mein Buch bey einem Entftchen 
gelefen,, und als Augendfreund in den Jahren, in welchen «6 
erfchien, öfters mit mir über phyfiologifhe Gegenſtaͤnde fi 
unterhalten bat. Ich habe kieber einen offenbaren Widerfprud 
als ſolche Verlaͤugnung, es liege darin eine gewilfe Verachtung 
gegen den Verf., welhen man gegen andere große Wänner 
des Auslandes nicht einmal nennen mag ! 

Sch ſchweige darum auch hier, und fage nichts ſowohl 
von jenem allgemeinen Geſetz, vermöge welchem jener Träger 
des Lichtes der Sauerftoff fih mit allen Stoffen der Erde vers 
bindet, als von jenen folgereihen Wirkungen, welche das mit 
Bauerftoff verfehene Blut auf das Gefäß und Mervenfpftem 
hervorbringt, und wovon auch jene Stockung des Blutes her 
geleitet werden muß, welche in den Lungen entfleht, wenn die 
Aeſte des paris vagi find verlegt oder durdfchnitten worden. — 
Unerflärbar find demjenigen die Erfcheinungen, welche bey dies 
fen Verfichen von Dupuytren und Emmert vorfallen, welche 





Ueber den Chemismus der Nefpiration von Ereve, 437 


die Wechſelwirkung des Blutes auf diefen Nerven des Keinen 
Gehirns und umgekehrt nicht einfehen und verfiehen kann. 

.. Der Verf. kommt endlich auf die Behauptung, daß auch 
der Salpeterfloff der atmosphärifchen Luft fih aus dem Stick⸗ 
gas entbinde, und bey dem Athemholen ins Blut übergehe — 
allein da derfelbe für dieje feine Behauptung in dem Experi⸗ 
mente keinen Beweis findet, weil die Reſultate der hieruͤber 
angeftellten Verſuche meiftens auf keine Abforbtion des Setick 
gaſes hindeuten, fo will er aus anderen Gründen, nämlich das 
durch, daß die Thiere eine fo große Menge Stickgas gebrauchen, 
um die thierifhe Materie daraus zu bilden, und daß nice 
umfonft bey weiten der größte Theil der atmosphärifchen Lufe 
Stickgas ſey, den Beweis hernehmen, daß diefe Aufnahme 
durdy bie Runge gefchehen muͤſſe. 

Allein der Verf. flieht nicht ein, "wie fehr er hier gegen 
die erfien Srundfäge einer wiſſenſchaftlichen Phyſiologie vers 
ſtoͤßt — denn e6 find zwey polarifh einander entgegengefeßte 
Spfteme, welche das Leben begründen; das eine dieſer Sy⸗ 
ſteme ift das Pneumatiſche, wodurch das Licht unter der des 
potenzirten Geſtalt des Sauerftoffgafes in den Koͤrper eingeführte 
wird ; das find die Lungen. — Das andere iſt das Splandnis 
(he Syſtem, modurd die Erdefloffe duch das ihnen beywoh⸗ 
nende latente Licht veredelt zugebracht werden. Nun ift aber 
der Salpeterftoff das eigentliche wahrhaft thieriiche Erdprincip, 
es kann daflelbe alfo eben fo wenig durch die Punge eingehen, 
als die Luft durd, die Eingeweide der Verdauung in den Körs 
per gebracht werden fann. Wir können alfo eben fo wenig 
Stiefgas im Athmen verzehren, ats wir Sauerſtoffgas effen 
Pönnen. Dieſes muß durch die Lunge, jenes durch den Darmı 
tanat beyfommen. | | 

Fragt man nun aber, wie bey Thieren, die aus lauter 
Pflanzenſtoffen ſich naͤhren, der Stickſtoff werde, ſo antworte 
ich durch eine viel wahrſcheinlichere Hypotheſe, daß dieſes 
durch eine Veredelung des Kohlenſtoffs geſchehe, welcher den 
einheimiſchen Stoffen des Thierkoͤrpers, vorzüglich den Speichel 
Magen s und Darmiäften beygemiicht, das Lichtprincip dieſen 
raube und mit fich vereinige. So entfteht der Kohlenftoff durch 
die Vegetation aus dem Hydrogen, welches in verfchiedenem Grade 


438 Weber den Chemismus der Nefpiration von Créve. 


der Verdichtung und Austreibung des Lichtpeineips die Stoffe 
des Mineralreihs darftelle, von den kaliſchen Salzen und Er 
den an bis zum dichteften Metalle, welcher Verwandlung die 
Desorydation der Laugenſalze und Davys wichtige Entdeckung des 
Dotaffium auf eine auffallende Weiſe Beftätigung gibt. — Nehr 
men wir noch hinzu, daß diefer ehierifche Stoff (Salpeterſtoff) 
bey feiner Verbrennung in Kohlenfäure und Waſſer zerfällt, 
wie diefes die Procefie des Ausachmens und dee Hautdunſtung 
zeigen, nehmen wir ferner, daß die ftärkeren chemifchen 
Heagentien durch Trennung und Wiederverbindung alle Stoffe 
des Pflanzen » und Mineralreihs liefern, indem fie in ihre 
unteren Siuffen zerfallen, und Kalien, Kalkerde, Talkerde, 
Kiefelerde, Ammontum, Effigfäure, Benzoefäure, Zuckerſaͤure etc. 
— phosphorfaure Deie — Schwefel, Harze, ja Eifen liefern, 
fo iſt wohl die hier vorgetragene Theorie, daß dag Azot eine 
Veredelung des Erdftoffes zur Thierſubſtanz fen keineswegs mehr 
eine Hypotheſe zu nennen — und der Verf. hätte wohl beffer 
gethan, ftatt dem Prunk undeftimmter Franzoͤſiſcher und Eng 
ländifcher Verſuche feinen alten Deutfchen Freund niche zu vers 
läugnen. 
Ackermann. 


Bruchſtuͤcke zur Menſchen⸗ und Erziehungskunde religioſen Inhalts 
Zweptes Heft. Frankfurt a. M. in der Andreaͤiſchen Buchhand- | 
fung ı8gıı. XXIV und 299 S. Drittes Heft. Ebendaſ. 1812. 
247 ©. Viertes Heft. Ebendaf. 1813. 352 ©. 


Die bepden letztern Hefte haben noch den befondern Titel: 
Die Lehre von Gott. Ein Bruchſtuͤck zur Vereinigung der bepden 
Spfteme , ded Glaubens ohne Wiffenfchaft, und des Willens ohne 
Glauben. 





"Bir kennen fhon aus dem erften Hefte diefer Bruchſtuͤcke 
den Verf. als einen redlihen Wahrheitsforfcher und religisfen 
Selbſtdender. Seinem Charakter getreu fucht er in dieſen bey 
den Heften überall auf jenen tieferen Punct binzuführen, von dem 
alle Religion und ale Beruhigung ausgeht, auf den Glauben. 
Das zweyte Heft Hat befonders die religidfe Bildung der Jw 
gend zum Zwei. Er legt den Katechtsmus der chrif: 


⸗ 


Bruchſtuͤcke zur Menfchen- m. Erziehungsk. rel. Inhalts. 439 


liden Lehre von Hoffmann in Schmiedebderg (defs 
fen. Werth auch in unfern Jahrb. 1810. ates A. 40. aners 
fannt worden ) zum Grunde, und empfiehlt den Vorſchlag 
deſſelben, die religsöfen Lehren mehr, als es in der letzteren 
Zeit gefchehen, zur Sache. des Gedaͤchtniſſes zn machen. Er, 
preiße der bisherigen Vernachlaͤßigung gegenüber mit guten 
Gruͤnden die Cultur dieſes Seelenvermoͤgens an (mir erinnern 
uns hierbey an die trefflichen Lehren in Herbarts Pädagos 
git Über den Einfluß des Gedaͤchtniſſes auf den Charakter ). 
„Die Unſchuld,“ fagt er ©. 7, „hat an dem Gedaͤchtniß 
einen Wächter, einen. Stellvertreter, einen Beyſtand; der 
Gedaͤchtnißſtarke verliert nie jo oft Gott aus den Augen, die 
Lehren der Wahrheit find ihm tmmer gegenwärtig, und wenn 
fein Wiffen auch das Auffommen ‚firäfliher Gedanken und 
Seläfte nicht zu hindern im Stande ift, fo tritt es doch ihren 
Forticheitten in den Weg.“ Der Einwurf, daß es thöricht 
fey, Kinder Dinge auswendig lernen zu laffen, die ihr Ders 
ftand nicht begreift, wird dadurch widerlegt, daß die finnvols 
len Sprüche der Weifen doc etwas haben, was das kindliche 
Herz gar wohl verſtehe: auch merde das, was in den jahren 
der Kindheit nicht verſtaͤndlich ſey, es oft plößlich bey fpäteren 
Anlaͤſſen. Was unier Verf. aus Hoffmann anführt, und ſelbſt 
ſagt, fol man billig gu Herzen nehmen. Auch if das fehr 
zu loben, daß er nadydrüclic gegen das Aufblähen des vers 
meintlichen Wiffens redet. Was nun über alles dieſes gefagt 
iſt, trägt allerdings zur Loͤſung der wichtigen Aufgabe bey, 
die Neligionslehren fo zu übergeben, daß fie mit dem gangen 
Gemuͤthe empfangen und in einem feinen guten Kerzen bes 
wahrt werden : : aber uns fheint doch noch mehr dazu nöthig 
zu ſeyn, namentlid ein folcher flufenmeifer Unterrihe, worin 
fein Wort vorkommen darf, das nicht von dem kindlichen Sinne 
verflanden wird. 

In dem Hoffmanunſchen Katehismus find die Religions— 
lehren auf ein ganzes Jahr in 5a Wochen vertheilt. Linfer 
Verf. folge diefem Gange und trägt die Glaubens s.und Sits 
tenlehren durch religidfe Betrachtungen vielfeitig und erbaulich 
vor. Der evangelifche Geiſt befeelt ihn. Er verweiſet überafl 
auf Selbſterkenntniß, Demuth und Ergreifung der hoͤhern 


440 Bruchftuͤcke zur Menfchen. m. Erziehuugtk. rel. Inhalts. 


Kraft. Der Stufengang in biefen Betrachtungen iſt eine gute 
Spee, die Ausführung ift nur nicht methodifh genug, da 
fhon bey den erflen tiefere Neflerionen vorfommen, und bie 
leßteren grade nicht weiter eindringen, da auch überhaupt nicht 
pſychologiſch genug die zugleich erwachfende Erkenntniß Gottes 
und Erfenneniß unfrer ſelbſt entwicelt wird. Man lieſet oͤf⸗ 
ters fromme und fchöne Gedanken, mie etwa folgender if 
(©. 184): „Das Gebet foll den Wünfhen Abbruch thun, 
den Durft des Herzens ftillen, nicht ihn vermehren — erfens 
nen follen wir, daß Bott Alles wohlgemacht, feinen Ruhm vers 
tünden , nicht Klage führen.“ Mit den Gedanken eines Aus 
guſtinus hat ſich der Verf. befonders befreundet. Im Gebraude 
der Bibelſtellen wäre einiges zu tadeln. ©. 170 werden bie - 
Worte Jeſu Joh. 13, 27. (dur einen Druckfehler, deren 
ſich auch mande in den Namen finden, ſteht Joh. 1, 27.) 
in einem ganz andern Sinne angeführt, als fie Jeſus ge 
braucht; und 1. Joh. 4, 19% iſt auch nicht im richtigen Sinne 
angewandt. ü 

Das dritte Heft enthält Selbſtbetrachtungen. Die Gründe 
und Anfichten des Theismus und Naturalismus find da mit 
vieler Beleſenheit und nad) den neueften Bewegungen in der 
Philoſophie zufammengeftellt; es fpricht da weniger ein ſchul⸗ 
gerechter Syſtematiker als ein gläubiges Gemuͤth, das aber 
noch Befeftigung in feinem Glauben ſucht. Wer das Gemwirre 
müde ift, das dur die Sophifterenen alter und neuer Zeit 
ausgefponnen worden, den mögen diefe Monologen anfpres 
den und mit manchem glädlichen Gedanken flärten. Sie 
(ehren jene Wifferey des Duͤnkels verachten, und weifen hin 
auf das Eine, was Moch tft; fie wiederholen in vielfacher 
Beziehung die heilige Wahrheit, daß jene Wiſſenſchaft fih 
nur zu fehr zeigt als Kind des menihlihen Stolges, und alſo 
nur Unruhe mit fih bringt, daß dagegen der kindliche Sinn 
dahin führt, wo nur allein Wahrheit if, zu Got. Warum 
haſchen wir nach den herumflatternden Meynungen wie nad 
Schmetterlingen (nah dem Gleichniß S. 6), da wir das 
Ewige nahe genug finden können, und es bey uns ficht, am 
das feftzuhalten, was unerfchätterlihe Nube gewährte? Gewiß 
liegt dieſes in der religidfen Bildung. Die jebige Generation 








Bruchſtuͤkke zur Menfchen- u. Erziehungsk. rei. Inhalts. Adi 


muß durch die Abterung ihrer Lehrer von dem Ewigwahren 
hart buͤßen; und man will durch ein ſolches Ängftliches Haſchen 
nach Lehrmeynungen das Verlohrne wieder finden! Umſonſt! 
— Der wuͤrdige Verf. verdient Dank, daß er ſo mit ganzer 
Seele feinen Zeitgenoſſen ſagt, das einzige Rettungsmittel fuͤr 
ſie und ihre Kinder ſey die Religion. 

In dem vierten Hefte werden die philoſophiſchen Betrach⸗ 
tungen über den Theismus und Naturalismus fortgeſetzt; ebens 
fals weniger logifch als gemächlih. Wenn der Def. 1. B. 
fagt: „Vernunft und Darenn find nicht ohne Bewußtſeyn 
denkbar — Bewußtſeyn, Daſeyn und Vernunft find Eins. 
Alles, was der Vernunft ermangelt, iſt ſo gut als nicht da;* 
fo könnte man ihn eines argen Idealismus beſchuldigen, wos 
von er indeffen weit entfernt ift; er will hier nicht reden, wie 
in einem firengen Syftem, fondern zum Herzen. Und diefes 
gewinnt uͤberall auch in diefen Selbſtbetrachtungen, deren Ziel⸗ 
punct zuweilen in einem Sag bündig ausgeſprochen wird, wie 
z. B.: „So wie die Demuth von dem Menichen ſcheidet, 
der Knecht dem Herrn glei ſeyn will, ift fein guter Geiſt 
von ihm gewichen.“ Es find über den Glauben und die Gnade 
Stellen in diefem Buche, die zu ihrem Lobe Auguftinifch heißen 
mögen, und würde von Glaube, Liebe und Hoffnung nut 
noch etwas mehr aus ihrem innern Weſen gefprohen,, das 
Heißt freyer von den Neflerionen und der Sprache unferer Zeit 
"und mehr in ungeträßtem Zuftande der Andacht, ſo würden 
wir das Buch manchen Schriften des Auguftinus unbedenklich) 
gleich ſetzen. A 

Die zweyte Abtheilung des vierten Hefte handelt von dem 
Naturalismus, und ſucht denfelben mit dem Theismus zu vers. 
einigen. Aber weder die Angabe des Unterfchieds von beyden, 
z. B.: „daß der Maturalift Gott in, der Theiſt Sort über 
die Natur ſetzt,“ noch die Identificirung, daß beyde doch 
daſſelbe meinten, wird die metaphyſiſche Speculution befriedi⸗ 
gen. Der hoͤchſte Begriff, worin ſich alles einigen ſoll, der 
vom Seyn, iſt zwar in. vielen Beziehungen aufgeftelle, und 
zwar oft parador,, aber zum Verwundern äbereinftimmend mit. 
Yusfprüchen mancher alten Theofogen und Scholaſtiker: allein 
follte die Sache auf diefem metaphyſiſchen Wege ausgefuͤhrt 


443 Bruchftüde zur Menſchen⸗ u. Ersichungsf. tel. Inhalts. 


werden, ſo war eine durchgaͤngig logiſche und ſchulgerechte 
Behandlung noͤthig. Daß Gott erſt durch die Welt Daſeyn 
hat, aber die Welt durch Gott ihr Seyn, kann, ſo wie es 
hier vorgetragen wird, weder dem Glauben, noch dem Wiſſen 
ganz genuͤgen. Ueberhaupt ſcheint uns grade darin eine In⸗ 
conſequenz zu liegen, daß durch das Begreifen der Glaube 
begruͤndet und empfohlen werden ſoll. Denn wer das Heil 
im Wiſſen ſucht, dem iſt und bleibt doch einmal der Begriff 
das Erſte, und wer es im Glauben ſucht, der kann nicht mehr 
die jen Glauben begründen wollen, ſondern er hat nur die 
. darin gefundene unmittelbare Gewißheit in einzelnen Lehren 
zu exponiren und Mar zu machen. Er ann fchlechterdings keine 
Vereinigung beyder Syſteme erwarten; nur eine Kritik der 
Vernunft fann beyden gemein bieiben. Sonach finden wir 
die veligidfe Seite des Buches als die beffere, und freuen 
uns, daß berfelbe Geiſt diefe Betrachtungen vom Anfang bis 
zu Ende unterhält. Es ift in der That erbaulich, in ein gots 
tesglaubiges Gemuͤth zu blicken, das von Zweifeln und Ders 
irrungen des Zeitgeiftes angefloßen, mit Ernft und redlichem 
Denken Wahrheit fucht, und am Ende in feinem Glauben fih 
geſtaͤrkt fühle. 


D. Car. Aug. Theoph. Keilii, Theol. dogın. in academia 
Lipsiensi Prof. P. O. Eccles. cathedr. Misenens. Capitu- 
laris, Consistorii regii Lips. Assess. Elementa Hermeneu- 
tices Novi Testamenti latine reddita a Christ. Aug. 
Godofr. Emmerling, Past. apud Probstheyd. substit. 
societ. philolog. Lips. sodal. Lipsiae MDCCCXI. impensis 
Fried. Chr. Guil. Vogelii. XXVI und 205 ©. gr. 8. 


Wir dürfen diefe Schrift bereits als bekannt vorausſetzen, 
denn fie ift bloß eine Weberfeßung des fihäßbaren 1809 ev 
fhienenen Keilſchen Lehrbuchs der Hermeneutik des N. T. 
Warum aber diefe Anderthalb Jahre fräher in Deutfcher 
Sprache erihienene Schrift jetzt Fateinifch erfheint, dan 
über ertheilt die jeßt neu hinzugefommene Zueignungsfchrift 
an D. Johann van Voorft, Profeflor der Theologie zu 
Leyden, einigen Aufſchluß. Es bezeugte nämiih Herr van 
Voorſt dem Verf. bald nah Erſcheinung feines Deutſchen 








D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 443 


Lehrbuchs den Wunſch, daß er daffelbe, da es in einigen Puncten 

viel reihhaltiger ſey, als Ernefli Interpres N. T., und andre 

Puncte genauer und den gegenwärtigen Beduͤrfniſſen anger 

meſſener abhandle, gern bey feinen hermeneutifchen Vorleſun⸗ 

gen zum Grunde legen möhte, welches aber nad) Hollaͤndiſcher 

Bitte nicht gefhehen könnte, wenn nicht eine Lateinische Vers 

fion des Buchs eriftirte. Er fragte daher bey Hrn. D. Keil 
an, ob diefer feldft eine Lateinifche Verſion veranflalten, oder 

ihm oder irgend einem andern Gelehrten die Veranſtaltung 

einer ſolchen Verſion überlaffen wollte. Der Verf., geneigt, 

jenen Gründen Gehör zu geben, und zugleich die größere Vers 
breitung und Nußbarkeit feines Lehrbuchs zu befördern, konnte‘ 
ſich ſelbſt nicht zu einer Lateinifchen Weberfeßung eines Buchs 
entſchließen, das er, vorzüglich in Hinſicht auf den Deutſchen 
Buchhandel, Deutſch abgefaßt hatte; aber eben fo wenig 
mochte er unbedingt diefe Arbeit einem Andern uͤberlaſſen. Er 
hielt es alfo für das Beſte, einem jungen Gelehrten, Herrn 
Emmerling, der fih fchon durdy mehrere Beweiſe von 
Kenntniſſen und Fleiß ruͤhmlichſt empfohlen hatte, dieſe Arbeit 
fo, daß fie unter feiner eignen Leitung vorgenommen würde, 
gu übertragen ; worauf fie zu feiner Befriedigung vollendet ward. 
Billig Hiele er es nun, diefe Schrift in ihrer neuen Geſtalt demjeni⸗ 
gen Gelehrten zu dediciren, der ihm auctor suasorque biefer 
Ueberfegung gewefen war. Bey diejer Gelegenheit bemerft Hr. K. 
noch, wie fehr ihn, befonders um einer Urſache willen, van 
Voorſt's günftiges Urtheil uͤber fein hermeneutifches Lehrbuch 
erfreut habe. Da er nämlich gleich zu Anfang diefer Schrift 
erklärte, daß fie ganz nach den Grundſaͤtzen der grammatifchs 
hiftorifchen Sinterpretation abgefaße fey, und fie dennoch von 
Senem mie Bepfall aufgenommen ward: fo fehließt er mit 
Recht, daß der Holländifche Gelehrte von diefer grammatiſch⸗ 
hiflorifchen Interpretation des N. T. nicht weiter für die heis 
ligen Bücher oder für die Religion ſelbſt Gefahr befürchte, 
wie er doc) fräher, als er fih über Erneftt's Verdienft um 
die Auslegung des N. T. vernehmen ließ, zu befürchten ſchien, 
indem er glaubte: es werde dadurch die Meynung derer be⸗ 
guͤnſtigt, welche annehmen, daß Jeſus und ſeine Apoſtel ſich 
zu den Volksmeynungen ihrer Zeitgenoſſen accommodirt haben. 





ik D. Reilii Elementa Hermeneut. N. T. 


Diefe Anerfennung der Vorzuͤglichkeit und Unverdaͤchtigkeit ber 
Bier empfohlenen grammatiſch : hiftorifdyen Interpretationsme—⸗ 
thode erfreute den Hrn. Verf. um fo viel mehr, je beflimmter 
er darauf dringt, daß durch diefe Methode nicht etwa ein bloß 
möglicher Sinn, den eine Stelle der Schrift Haben fänne, folle 
aufgefunden , fondern folle vielmehr gelehrt und erwielen wers 
den, daß dieſer Sinn, den man angebe, wegen aller Hiftoris 
fhen Argumente, die in Betrachtung kommen, der Stelle 
nothwendig eigen ſeyn müffe, und daß ein Schriftfteller, der 
fih fo ausdruͤckte, keinen andern, als diefen Sinn feinen Les 
fern habe mittheilen wollen , je .entfchledener cr aber auch zus 
gleich erflärt, daß es auf diefe Bekimmung : welches der Sinn 
der vorliegenden Schrift fey und feyn muͤſſe? ganz allein ans 
komme; dagegen die Frage, wie wahr oder falih, gefällig 
oder mißfällig, das DVorgetragene fey, den Ausleger als folchen 
nicht befümmere. Zugleich aber bemerkt Hr. K., dab bey dies 
fer Ausdehnung defien, was die hiflorifche interpretation zu 
leiften Habe, dem Wunſch derjenigen Beurtheiler diefes Lehrs 
buche zu wenig habe Genuͤge geleitet werden können, weldye 
‚glaubten, daß alles, was zur hifterifhen ‚Interpretation gehört, 
lieber in Einem Kapitel zufammengefaßt, als in mehreren 
Abſchnitten zerfireut feyn dürfte; Dagegen Er vielmehr in allen 
einzelnen Abfchnitten diefer Anmeifung auf diefe hiftorifche Sins 
terpretation babe Rädfihe nehmen müffen. Vurch diefe Ber 
merkung führe uns der Verf. zum Hauptinhalt feines Werts 
und zur Anordnung des Ganzen; welches wir aber übergehen, 
da diefe wohlgerathene Heberfeßung, einzelner Hinzugefommener 
Motigen Aber die allerneufte Litteratur der beyden legten Jahre 
abgerechnet, aufs genauefte mit dem ſchon befannten früher erſchie⸗ 
nenen in dieſen Jahrbuͤchern, Jahrgang ı8ı0. Stück ı0, 
©. 145, von einem andern Necenfenten angepeigten Deut: 
fhen Lehrbud gufammenfiimmmt : und ba in andern dfi 
fentlihen Beurtheilungen deffelben bereits Erinnerungen über 
die Anordnung der einzelnen Parthieen diefes Werks gemacht 
find, wogegen fih Hr. K. in der vorhin gedachten Bemerkung 
vertheidige. Lieber heben wir, um den Geift dieſes trefflichen, 
durch bündige Srundfäge, treffende Beyſpiele und reiche Litte⸗ 
ratur ausgezeichneten Lehrbuchs zu charakterifiren, Einiges von 
dem aus, was Die Kauptfache bey diefer Anweiſung ausmacht, 
naͤmlich, was die von unferm Verf. fo dringend empfohlene 
grammatiich hiſtoriſche interpretation betrifft. 

Gleich zu Anfang des erften Hauptabſchnitts de recta 
cognitione sensus librorum N. T. p. 11. wird auf gehörige 
Beſtimmung und Auseinanderfesung des Weſens diefer grams 
matifch s biftorifchen Sinterpretation vorbereitet. Es heiße näms 
lich: da den Sinn einer Rede oder Schrift erfennen nichts 








— — een ae — 


D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 445 


anders ſey, als eben dasjenige dabey denken, was der Redner 
oder Schriftſteller dabey gedacht hat, und dabey hat gedacht 
wiſſen wollen, und in welchem Fall man den richtigen Sinn 
derſelben gefaßt habe: ſo ſey die Erforſchung des Sinnes einer 
Rede oder Schrift offenbar eine hiſtoriſche Unterſuchung, in 
welcher Ruͤckſicht die Erklaͤrung eines Schriftſtellers, namentlich 
auch der Buͤcher des N. T., eine hiſtoriſche genannt werden 
konne. Da aber dieſer Sinn der Buͤcher des N. T., welcher 
nur ein einziger feyn könne, zunaͤchſt nothwendig aus den von 
ihren Verfaſſern jedesmal gebrauchten Worten erkannt werben 
muͤſſe, indem diefe das Huͤlfsmittel eines Schriftftellers zur 
Bezeichnung feiner Begriffe und Vorftellungen ſeyn: fo werde 
in fofeen die Erflärung diefer Bücher eben fo, wie die jedes 
andern Schrififtellets, eine grammatifche ſeyn müffen. Aber 
freylich fey dieſe grammatifche Erklärung von jener hiſtoriſchen 
keineswegs verichieden, und Bönne daher auf keine Weife von 
ihr getrennt oder ihr entgegengefeßt werden; vielmehr feyen 


beyde aufs genauefle mit einander verbunden. Die biftorifhe 


koͤnne und dürfe nie eine andre als grammarifche ſeyn; Dages 
gen aber folle und muͤſſe auch die grammatifche immer eine 
hiftorifhe feyn. (Merichieden find beyde doch gemwiffermaßen, 
fofeen die Hiftorifhe einen größern Umfang hat, als die grams 
matifche ; denn die feßtere befchäftige fih mit den Worten, des 
ren Form, Bedeutung, Mobdification und der Beziehung der 
verfchiedenen Wörter, die einen Satz, und der verfchiedenen 
Säge, die ein Ganzes bilden, zu einander. Die Exftere fucht 
den ganzen Ideenkreis des Schriftftellers nach allen feinen los 
calen, temporellen, individuellen Ruͤckſichten und Beziehungen 
ins Auge zu faffen, mozu die grammatifhhen Operationen nur 
den Weg bahnen mußten. Daher Rec. in feinen hermeneutis 
ſchen Vortraͤgen am liebften die grammatifche Snterpretation 
als die erfie, die hiſtoriſche als die zwente Stufe der Achten 
ungertvennlich verbundenen grammatifch s hiftorifhen Auslegung 
dargeftelle Hat. Aberfreylich laͤßt fih auch fchon der Sinn mans 
ches einzelnen Worts, z. B. nioris, dıxaootyr, bıög Isoo, 
ayıaseıy u. dal. nicht ganz beſtimmt auffaffen, ohne daß man 
hiſtoriſch tiefer in die damaligen Ideen und Beziehungen eins 
zugehen fuhrt; und in fofern ift fchon die grammatifche Erdrtes 
rung eines einzelnen Worts eine hiftorifhe Unterfuhung; und 
die grammatifche und Hiftorifhe interpretation fliehen in der 
ensften Werbindung, ja laufen in eins zufammen.) — Hierauf 
wird ©. 14 jur Vorzgeichnung des ganzen Planes diefer Theorie 
hinzugefügt: weil aber der Sinn einer Schrift nicht immer 
einzig und allein aus den darin gebraudten Worten erkannt 
werden koͤnne, fondern aud) noch mehrere andre Umftände das 





446 | D.Keilii Elementa Hermeneut. N. T, 


bey in Betrachtung kommen: fo werde bey vollfländiger Er⸗ 
Märung eines Schriftftellers auf folgende fünf Städe zu fehen 
fepn: daß man ı) die Bedeutung und den Sinn aller einzelr 
nen in einer Schrift vorfommenden Worte und Redensarten 
fenne ; 2) den Zufammenhang mehrerer mit einander verbuns 
denen Worte und Saͤtze, fo wie alle größern oder kleinern 
Theile der vorliegenden Schrift genau erforfhe: 3) den Sinn 
folder Stellen, in denen eine bildlihe oder anderweitige bes 
fondere Art des Vortrags herrſcht, richtig auffaſſe; 4) auch alle 
die Nevenumftände kenne, weiche auf die Beflimmung und ges 
nauere Erfenntniß des Sinnes einen Einfluß haben: und ends 
lich 5) alles, was der Schrififieller fagt und vorträgt, nad 
denjenigen Vorftiellungen, die er nad dem jedesmaligen Ges 
genftand feiner Rede Hatte, richtig zu beflimmen fuche. Es 
würde uns zu weit ‚führen, dieſe einzelnen Puncte, welche 
Hr. 8. mit Recht in feiner nun folgenden Anweifung zur 
volltändigen Erforfhung des Sinnes der Bücher des N. T. 
näher beleuchtet, weiter zu verfolgen. Wir können bloß darauf 
hinweifen, wie er theils jeden eingelnen der gedachten Puncte 
eben fo .gelehre, als bündig und einleuchtend, wenn gleich 
überall, dem Zweck diefes Lehrbuchs gemäß, in einem fehr ges 
drängten Vortrage abzuhandelu fucht, und befonders über Die 
Erfenntniß der Bedeutungen einzelner Worte und Redensarten 
in befondern zu ertlärenden Stellen des N. T. und die Bes 
flimmung ihres jedesmaligen Umfange und Sinnes, wie über 
die richtige Erfenntniß des Zufammenhangs mehrerer mit eins 
ander verbundenen Worte und Säße in den Büchern des N. 
T., fomwohl des grammatifhen, als des topiihen Zufammens 
Hangs, ein gang etgenthämliches Licht verbreitet; theils ſchon 
bey Bemerkung der Vorkenntniſſe, die ein Ausleger des N. T. 
zur Erklärung deffelden mitbringen muß, auf forafältige Bes 
obachtung und Unterfcheidung der Neligionsmeynungen der 
Suden, der eigenthümlichen chriſtlichen Neligionsiehren, und 
endlich der Religionsmepnungen der von der apoftoliihen Lehre 
fhon früh abweichenden und dem Chriſtenthum ſich Widerfegens 
den Partheyen, aufs beftimmtefte dringt; vorzüglich aber um 
den für die hiftoriiche interpretation erheblichiien Punct, die 
Erläuterung des jedeemaligen Inhalts einer Stelle nad) den. 
Vorftellungen des zu erklärenden Schriftftellers und feiner ers 
fien Lefer betreffend, fih ein ausgezeichnetes Verdienft erworben 
hat Man muß fih, wird hier $. 94. ©. 157 mit Recht ges 
fordert, von allen in der vorliegenden Schrift erwähnten oder 
auch nur berübrten , ſowohl finnlihen als intellectuellen, Ges 
genftänden eben diejelben Worftellungen zu verfchaffen fuchen, 
die der Schrififteller davon hatte, und die feiner Seele bey 








D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. AUT 


Abfaffung der zu erflärenden Schrift vorichwebten. Um aber 
dies mie gluͤcklichem Erfolg zu können, muß der Ausleger nicht 
nur mit den Vorftellungen von den abgehandelten oder auch 
bloß beruͤhrten Segenfländen, ſich vermittelft der dienlichen 
Huͤlfsmittel Hinlänglidh bekannt gemacht haben, fondern nun 
auch dieſe Kenntniß auf die dahin einfchlagenden Gegenflände 
richtig anwenden. Wie diefe Regel nun zu befolgen ſey, ı) in 
Anfehung der Vorftellungen von finnlihen und der Erfahrung 
unterworfenen Dingen, 3. B. oriyn, xoaßBaros Mark. IIL,4, 
mögen nun ſolche ausdrädlich erwähnt, oder mag bloß auf fie 
angeipielt feyn, =) in Anſehung der Worftellungen von intels 
tectuellen Dingen. und vorzüglich Religionsmepnungen, 3. ©. 
dıaßoAos, oaravas, fowohl in Stellen, wo nad folchen 
Meynungen geredet und gefhrieben wird, als bey Stellen, in 
denen ſolche Meynungen beftritten und widerlegt werden : ſucht 
unfer Verf. fo beſtinmt, als es bey ſolchen fchmwierigen Fragen 
möglich if, gu lehren. So wird ©. 144 f. wegen ber richtis 
gen Auffaffang der Borftellungen jener Zeit von intellectuellen 
Segenftänden , vorzüglich von Religionsmepnnungen, der Grund⸗ 
fab aufgeſtellt: fobald es einmal hiſtoriſch gewiß oder auch nur 
wahrfcheintich ſey, daß der zu erflärende Schriftftellee von eis 
ner Sache dieſe oder jene Vorftellung gehabt habe, ſo muͤſſe 
dieſelbe billig in allen auf dieſelbe fih beziehenden Stellen 
(verſteht ſich: deffeiben Schriftſtellers!) zum Grunde gelegt, 
und das, was er fage, darnach beſtimmt werden, befonders 
wenn die Stelle dadurch volllommen deutlich werde, und das 
in demfelden Geſagte auch mit anderweitigen Aeußerungen des 
Schriftſt ellers Äbereinflimme und in der genaueften Verbindung 
damit fiehe, oder ſich wenigftens nirgends Etwas finde, das 
der Annahme dieler Vorftellung widerfpräche. Wenn hiernaͤchſt 
als ein ſehr ſchaͤtzbares Huͤlfemittel, den Sinn einer Stelle 
nach den Worftellungen des Schriftftellere zu beftimmen, fowohl 
die Vergleihung anderer Parallelftellen deſſelben Schriftftellere, 
als die Vergleichung der Paralleiftellen der übrigen Scrifts 
fieller des N. T. empfohlen wird, fo wird zugleich, um jeden 
Mißbrauch diefer letztern, nad) der fonft angenommenen ana- 
logia scripturae, gu begegnen, ©. ı50 erinnert: Die Erwaͤ⸗ 
gung deffen, was den anderweitig befannten Srundfägen und 
Meynungen der N. T. Schriftfteller gemäß oder nicht gemäß 
iſt, könne bloß dazu angewandt werden, zu zeigen, daß dies 
oder jenes der Sinn einer Stelle nicht ſeyn könne; keineswegs 
aber möge fie dazu dienen, den Sinn einer Stelle felbft vers 
mittelft derfelben zu erkennen, weil daraus, daß ein Schrifts 
ſteller dieſes oder jenes gefage Haben koͤnnte, moch nicht folge, 
daß er es auch wirklich gefagt Habe. Auch werden noch über 


445 D.Keiliı Elementa Hermeneut. N.T. 


wirfliche oder fcheinbare Widerfpräde in den Büchern bes N. 
T. und das Berhalten des Auslegens in Anſehung derſelben 
bedeutende Winke hinzugefügt. Doc ik mit allen dieſen Bes 
merfungen und Örundiägen, weiche Hr. 8. im erfien Haupt 
theil feiner Theorie de recta cognitione sensus librorum 
N. T. beygebracht hat, das Ganze, was zur Thestie der his 
ſtoriſchen Suterpretation gehört, noch wicht vollendet, fondern 
es muß auch ans dem zweyten Saupttheil de ratione, sensum 
librorum N. T. recte cognitum alios docendi ned Einiges 
hieher gezogen und hier ins Andenken gebracht werden. Wie 
besnägen uns jedoch damit, bloß auf dasjenige, was der Verf. 
von 6. 115. an über die Ruͤckſicht des Auslegers auf Stellen 
hiſtoriſchen Inhalts, befonders anf E:zählungen von wunder 
baren Brgebeuheiten,, ferner auf Gtellen dogmatifchen und 
meoraliihen Inhalts erinnert, aufmerffam zu madhen, und fos 
wohl auf die große Behütſamkeit, als auf die Liberalität der 
Principien unſers Verf. hinzuweiſen, wenn er ben Stellen 
hiſtoriſchen Inhalts nicht bloß Auffaffung der Erzählungen nach 
ihrem urfpränglidhen Sinn, fondern aucd Würdigung Derfelben 
und ihrer Beſchaffenheit, und feltfi eine Erforſchung ihrer 
Quellen empfiehlt ; wie dies vornehmlich bey Erzählungen wuns 
derbarer Begebenheiten der Fall ift, wobey möglichfle Befcheis 
denheit und Borfiht in den Erflärungsverfuhen darüber mit 
Mehr gefodert wird; und wenn er bey Stellen‘ Dogmatifchen 
und moralifhen Inhalts nicht bloß lehrt, fie im Geiſt jenes 
Zeitalters aufzufaffen, fondern aud auf Beachtung ihrer gan⸗ 
gen Sefchaffenheit, ihrer Quellen und ihrer Tendenz, recht 
ernftlih dringt, damit man lerne, das Allgemeingältige vom 
Localen, Temporellen und Sjndividnellen gehörig zu fondern. 
- Wir fließen mit dem aufrichtigen Wunſch, daß diefe treffliche 

Theorie zur Leitung angehender nicht allein, fondern auch fchon 
geübter Schriftforfher auf Pie rechte Hahn der gründlichen 
und beicheidenen aͤcht hiftorifhen Forfhung, wobey man der 
Willkuͤhr ſelbſterwaͤhlter Deutungen einzelner GSchriftftellen im 
neuen und neuften Geſchmack am fiherften entgeht, recht wirke 
fam ſeyn möge; und wir flimmen volllommen in den Aus 
ſpruch des würdigen Verf. &. XIII der Zueignungsichrife mit 
ein: Certissime mihi persuasum habeo, tum demum Ii- 
Prorum sacrorum interpretationi melius, quam hucusque 
factum est, consultum iri, ubi grammatico - historicae 
illius interpretandi rationis praecepta, quae equidem hoc 
libello enarrare atque commendare studur, ab omnibus 
non modo probata fuerint, huicque rei unice apte judi- 
cata, sed in ipsis etiam libris illis interpretandis diligen- 
ter observata. 


— r. 


—22222020 














No. 29. Heldelbergifäe 1812. 
Jahrbücher der Litteratun 





Verſuch aus der harten und weichen Tonart jeder Stufe ber Diatonifch 
bhromarifhen Tonleiter vermittelfſt des enharmoniſchen Tonwech⸗ 
ſels in die Dur und Moll Tonart der uͤbrigen Stufen auszuwei⸗ 
den. Von H. Eh. Koch. Rudolſt. Hof⸗Buch⸗ und Kunfle 
handlung. 1812. 16 Bogen Querquart. 


Eu. Sammlung und fehr ausführliche Mufterfarte von ens 
barmonifchen Ausweihungsformeln, aus jedem Ton in jeden 
andern (die ganz gewöhnliche Ausweihung in die Dominante 
und Unserbominante ausgenommen), näßlich für den Minders 
geösten, um fih im Fall des Beduͤrfniſſes darans Raths er⸗ 
holen, und das zu feinem Zwecke paſſende Muſter copiren zu 
koͤnnen. * 

Die Ausweichungsformeln, ſaͤmmtlich in Notenbeyſpielen 
von 2 bis 4 Tacten vierſtimmig anf zwey Notenlinien im G 
und F Schläffel ausgefchrieben, find unter folgenden Rubriken 
geordnet: 

1. Abſchnitt. Ausweichung aus den harten Tonarten in 
andee Dur Tonarten. De Ne 

2. Abſchn. Ausweichung aus den harten T. A. in die 
Moll s Tonarten. 

3. Abſchn. Ausweihung aus den weichen T. A. in Dav 
Tonarten. J > eh 

4. Abſchn. Ausweihung aus den weichen T. A. in Mol 
Tonarten. 

5. Anhang. | — 

Der Berf. beanägt ſich aber nicht, von der Ausweichung 
aus-der Tonart Einer Stufe (5. ©. den gewöhnlichen Nor⸗ 
mal; Tonarten C dur und A moll) nad) allen ondern Durs 
und Mel : Tonarten, Muſter zu geben, fondern gibt Ausweis 
chungsmuſter aus allen Tonarten in ae andern, und über 
manchen diefer vielen Specialfaͤlle finden fi fogar nach zwey 

29 


450 Verſuch aus ˖ der harten u. weichen. Tonart ıc. von Koch, 


verfchiedenartige gemein angegeben, im Ganzen wohl: über 
. zbo Formelin! 

Daß diefe große fo weit getriebene Ausführlichleit, wie 
der Verf. in der Vorrede behauptet, ihren eignen Nutzen habe, 
will Rec. nicht widersprechen: allein er ift Üübergengt, daß das 
Werk dennody an Brauhbarfeit und Faßlichkeit gewonnen has 
ben wuͤrde, wären die verfchiednen Formeln anders geo:dnet, 
und fämmelich auf Ausweichungen aus zwey Normal s Tonarten 
reducirt worden. 

Sucht man z. ©. die verſchiednen unter vierzehn Rubris 
ten des Werks zerftreuten Formeln zum Webergang aus einer 
harten Tonart in die harte der zunächfl darüber liegenden Taſte 
auf, fo finder man: @ Formeln von C nad Cis, 2 von G 
— Des, ı von Cis—D. ı von Des nad D, 2 son D nad 
Es, ı von Es. nad E, 1 von E nah F, ı von F nach Fis 
(warum feine nah Ges?), ı von Fis nah G, ı von G 
nad) As, ı von As nad) A, 2 von A nah B, 2 von B na 
H, e von H nad) C. 

Alſo 20 Formeln für ı4 im Grunde doch gleichartige Faͤlle, 
welche ſich ſaͤmmtlich unter Eine Rubrik Hätten ſubſumiren laſ⸗ 
ſen: denn offenbar koͤnnte doch eine Ausweichungsformel von 
C nah Cis als Mufter des Uebergangs von F nad) Fis, von 
Des nad D, von Es nad E u. f. w. gelten. Es ift überall 
derfelbe Fall, nur auf eine andre Stufe transponirt, nnd im 
der That find-denn aud) jene 2o Formeln bloße Tramspofitios 
nen von den vier erften Blattfeiten; fo ift der Mebergang von 
F nad) Fis, ©. 8, eine bloße Trangpofition des gleichen Fals 
les von C nad Cis, S. ı, und der von G nad As S. 11 
eine pure Transpoſition des Falls von C nad) Des. 

a, die Ausweihungsformel um eine Meine halbe Stufe 
aufwärts von C nad Cis, koͤnnte gar füglih auch auf die 
‚Fälle der Ausweihungen um einen großen halben. Ton aufs 
wärts dienen, und es wäre nicht einmal fehr nöthig geweſen, 
eine eigne Formel von C nad Cis und eine eigue von C ned 
Des auszuſchreiben, indem jeder auch nur irgend Geuͤbte gar 
leicht diere in jene umichreiben wird, und umgekehrt. 
Denn ganz lo wie der Verf. S. ı von C nad Cis dur 
geht, even jo kann man mittelft bloßem Wmfchreibens nach 








Verſuch aus ber harten u. weichen Tonart ꝛe. von Koch. Ası 


Des dur gehen, und umgekehrt iſt der ©. ı befindliche Ueber⸗ 
Yang von C nad) Des dur. 


7 6 b7 

5 A b5 b5 6 hb7 
3 5 3 2 | 53 b3 b4 b5 | b3 
G 


C, A,*G, bA | bG, bE, bA, bA | bD 
(eigentlich ; 
6 

bb5 

b5 


C, A, *6, bA | bG nf.) 
leicht umzuſchreiben in einem Uebergange von C näch Des dur: 
7 ei 
5 a6 *5 *7 *6 *5 #5 
a 3 51*83 *5 *4 *3 *3 
C, A, *G,*G | F, *D, *G, *G | *C. 


Ja ſogar die Mebergangsformel aus Cis dur nad Es duss 
©. 2: 
| 7216 6 
*5 1 — *55 *65 by 
*3 *5 — *3 58 b4 
*+G | *C, *C, *H, C | bH; bH — 


(eigentlich: 
7 6 | 
*5 #5 — *5 b5 ı 6 
#3 %3 — *53 55 db4 
*G |*C, *C, *H, C | bH, u. ſ. w.) 
laͤßt ſich auf die hoͤchſt einfache Formel aus C nad D: 
‚6 *6 7 
3 8 3 by 5 4 *3 
| GI C, C,H, bBH | A;A— 
reduciren, und hätte ſich leicht aus ihr deriviren laffen; und 
eben fo die Formel von Cis nad) As, ©. 3; 


452 Werſuch aus der harten m. weichen Tonart ıc. von Kol. | 


*6. 6⸗ b7 
5 — 5 4 5 6 h 
«3 0 — 3 *%2 25 b3 ba 27 56 
*C, *C, *D, bE | bD, PH, bE, bE | bA. 


ei entlich: 
—— 266 


5 bb5 h5 
+3: b5 


*C, *C, *D, bE | bD, u. ſ. w.) 


(wo der enharmonifde Webergang von Cis dur nad) Des dur 
ſchon beym Schritte vom Sten zum 4ten Akkord duch bloße ° 
Ruͤckung geichehen iſt, und dann erft eine ate Wendung von 
Des nad As dur gefchteht) auf die ganz gewöhnliche Auswei⸗ 
Yung in die Dominante: 
6 — 
5 — 679 
3 —- 3 — 37 4 *3 
C, C, D, D|cC, A,D, D| G. 
Das bisher Geſagte zeigt, wie manchfacher Abkürzung die 
Tabelle der Ausweichungen aus harten Tonarten nach ander 
Tonarten empfänglich geweien wäre. J 
Aber nicht größere Kürze allein wuͤrde der Gewinn einer 
derartigen Anordnung geweſen feyn. Wie vieles würde dad 
ohnehin ſchon fo brauchbare und gemeinnüßige Werk noch 98 
wonnen haben, wenn die verſchiednen unter verſchiednen Spe⸗ 
cial: Rubriken zerſtreuten, aber zu einem und demſelben Zwecke 
dienenden Formeln alle in Eine Tabelle zuſammengeſtellt wis 
ven und zuſammen uͤberſchaut werden koͤnnten. Go}. d 
beftehen die vom Verf. gegebenen Formeln zu Vebergängen in 
die Tonert der naͤchſten halben oder Meinen Stufe aufmärtd 
(die bloßen Transpofitionen nicht mitgezähle), ans den vier 
folgenden: | 


* 
6 6 *6 *6 

3 — 5 *3 *4 * | 
&, G | «E, *F, *6, *G | *0. 


8 
*6 %*5 5 6 *6 N 
53 7 5 3 %*3 *4 *5 *5 
2. C, A, *G, *G|*F, *D, *G, xG | *&ı 





Verſuch aus der harten und weichen Tonart ıe. vom Koch, 453 


by ’ 
R b5 b5 6 br 
83835 „m ea b5 135 b4 b5 96 
3. G|C, A, *G, bA|bG,bE, bA, bA|bD. 


bb — b7 
3517 2e 35 — 15° 35 55 
4 G|C, H, bC, bh, bg|bD, bA, bD, 


Diele, zu Erleihterung der Anwendung auf andere Fälle, 
aus Tonarten mit Kreugen aud noch verwandelt und umge⸗ 
fohrieben in Tonarten mit Veen, und umgekehrt 


6 
bh5 bb6 5 6 b7 , 
5— 7 b3 b2 23 24 b5 b6 
5. C,C, G, bbA|bG, bG, bA, bBA|bD. 


6 

bb5 b5 bMä 6 by 
3 3 „ 55 353 3 ba b5 b5 
6..C, A, *G, bA|bG, bE, bA, bA|bD. 
* 6 In *7 
5 *5 55 6 *65 *5 
353 3. 9 3 *5 *5 *4 *5 *5 
7 G|C, A, *6G, *G|*F, *D, #G, *G | *C. 
* 6 * 

| *4 *6 — +5 *5 *5 

3 547535 *5 — *3 *3 *5 

8 G|C, H, H, *a, *t|*C, *G, C., 


würden (allenfalls in der Ordnung: ı, 2, 7, B, 3, 4, 9.6) 
eine niche nur vollftändige Tabelle der Ausmeihungsformeln 
für alle ähnliche Fälle geben, woher fih dann leicht dur 
bloße Transpofition Ausweihungen von C nad) Des, von 
Cis nah D, von Des nah D, von D nad) Es, von Es 
nad E; von E nad) F, von F nad) Fis oder Ges, von Fis 
oder Ges nah G, von G nad) Gis oder. As, von Gis oder 
As nah A, ‚von. .A.nady B, von B nach H oder Ces, von 
da nah C, nnd nach Belieben auch in noch fremdartigere 


— 





\ 
454 Verſuch aus der harten u. weichen Zonart ze. von Koch. 


Tonarten, 3. ©. von D nad) Dis m. f. w. nachbilden ließen, 
fondern es wärbe durch Zufammenftellung, aller zu Gebote fe 
henden Formeln auf einem Plage dem Anfänger noch oben 
drein Die weitere Ueberſicht gewährt, daß .er, um mach bee 
Tonart der naͤchſt obern Tafte auszuweichen, unter den bey 
fammenftehenden Formeln die Wahl Habe, und daß er Aber 
Dies diefe Art von Modulationen nach Belieben in die Form 
entweder von Ausweichungen, um einen großen oder um einen 
Meinen halben Ton, ausführen und fchreiben könne, je nadı 
dem die eine oder andre Form etwa eine allguungemöhnlide 
Bezeichnung ‚erfordern würde, oder je nachdem die eine oder 
andre den demnädhft folgenden Harmonieen am fchicklichften 
zufagt. 

Und wollte man dann, wie denn der Verf. gethan dat, 
und aud) wirklih von reellem Nutzen ift, diefe Formeln in 
Beziehung auf weiche Tonarten alle auch noch einmal befonders 
ausichreiden, fo wäre gewiß alles gethan, was Ausfuͤhrlichkeit | 
mit Anfchaulichkeit und Wollftändigkeit verbunden, Leiten füns 
nen, und dabey koͤnnte das Werk doc noch allenfalls durd 
größere Manchfaltigkeit von Formeln, 5. B. (tum immer bp 
den oben ausgehobenen Fällen der Ausweichungen in die nähft 
höhere Tafte zu bleiben ) | 

54 #5 8 *7 — *5 





7 p6 b5 6 5 — 
*2 *5 b4 b3 bb — 3 
C, bH, A, bA|G, bA, bA, bAl 
u. dgl. bereichert werden. | 


Uebrigens ift der Sag überall rein und korrekt ( Kleinig 
keiten, wie 5. B. ©. 61 fünftes Beyſpiel, können ja uͤberſehen 
werden!) — das Aeußere der Auflage beweiſ't die Aufmerk 
ſamkeit, welche die Verlagshandlung. dem Werke des geſchaͤh⸗ 
sen Schriftſtellers fchuldig zu ſeyn geglaubt: doch iſt das Heine 


Tatchenb. f. Forſt⸗ u. Kaghfrenunde von R.v. Wildungen. 455 


Erraten s Bergeihnig nicht vollſtaͤndig. Merst ©. 61 Vierte: 
Formel. . 
Dannheim. Gottfried Weber. 





Taſchenbuch für Fort = und Jagdfreunde, für die Jahre 1809 — 1832 
von £. C. E. F. Ritter von Wildungen, Eonial. Weſtphaͤli⸗ 
ſchem Confervateur der Forſte und Gewaͤſſer des Werra: Depars 
temente u. ſ. w. 


Der Berf. befchließt Hiermit ſehr ehrenvoll die Herausgabe 
feines allgemein beliebten Taſchenbuchs, deffen Fortſetzung bes 
kanntlich die Herren Laurop und Fiicher ‚übernommen haben, 
doch können wir dem Lefer zum Troſte fagen, daß Herr von 
Wildungen auch ferner thätig dafür feyn wird. 

Die Vorderſeite des Umſchlags ziert eine Abbildung des 
Geweihes des bekannten Schsundfechzigers, die KHinterfeite 
des Umſchlags ein mißgeſtaltetes Geweih, nach Ruͤdinger, 
eben fo. ſtellt das Tirellupfer die Mißgeſtalt eines Hirſches, 
fo wie die Vignette einen Rehbockskopf mit unfoͤrmlichem Haupt⸗ 
ſchmuck vor. So lange umire Sjagdfreunde noh nicht einmal 
die Thiere Deutichlande kennen, möchte es wohl zweckmaͤßiger 
feyn, ſtatt der pathologifchen Gegenftände, die ins Unendliche 
gehen , feltene Thiere abbilden zu laffen. Aus denfelben Grüns 
den koͤnnen wir auch nicht die Abbildung des Bläßhirfches bils 
ligen, von dem der Herausgeber in der erften Abhandlung Nach⸗ 
richt gibt, da ſolche Spielarten leicht befchrieben werden können. 
II. Das Murmelthier, von Herrn Hofrath Blumenbach, nebſt 
Abbildung. Here Blumenbach liefert in dieſer gehaltvollen 
Abhandlung erft einen Auszug aus Stumpfs Werk, und trägt 
dann das noch Fehlende nah. Rec., der lange Zeit mehrere 
diefer Thiere lebend beſaß, kann als Nachtrag noch bemerken, 
daß die Wurmelthiere wirkliche Naubthiere find, fie verfolgen 
und morden Thiere, die ihnen an Größe nicht viel nachſtehen, 
und zehren fie auf; auch Fiſche freffen fie gern, fie fangen 
immer am Kopfe derfelben an, und laſſen nichts mie die Fiofs 
fen uͤbrig. Sie erwachen wie die Fledermäufe, wenn firenge 
Kälte auf fie wirken kann, und Saufen herum; bemühen ſich 


456 Taſchenb. f. Forſt⸗ u. Jagtfreunde von R. v. Bidengen. 


aber dann einen wärnıeren Aufenthaltsort zu finden. Time 
Erfheinung , die bey beyden noch micht befriedigend erklärt if, 


Gert Olumenbad Gemerkt, Die Berderzähne ber Durmeiihien 


hätten die mertwärdige Eigenfchaft, daß fie, wenn fie abgehracen 
wärden, in SKurgem wieder zur gchörigen Länge nachwüchfen, 


Dies Haben wir bey andern Thieren, 5. ©. bep den Marten 


auch bemerft, deren Zähue wir mit einer ſcharfen Zange ab⸗ 
fprengten , und die demungeachtet ihre gehörige Größe und 


Form wieder erhielten. III. Der bärtige Atpengeyeradier, vom 
Herausgeber, mit zwey Abbildungen, welche den alten nd 
jungen Bogel barfieflen. Eine ſehr gute Zuſammenſtellung des 


Belaunten aus der Narurgeichichte Diefes miertwärdigen Boyeld. 


Die Abbildung des jungen Vogels iſt ſehr ſchön, es iR dm | 
Copie aus dem Meyerifchen Taſchenbuch; die des alten Bed 


it aber nicht fo gut ausgefallen, auch if fie von einem ſchlecht 
‚ausgefiopften Exemplare genommen. IV. Der große Brad 
vogel, von Herrn Hofrath Merrem in Marburg, mit ent 
fhönen Abbildung. Eine fchr intereffante Abhandlung. Ga 
den Lnterfcheidungstennzeichen der Gartungen Scolopax ud 
Numenius find Lage, Form und Ränder der Naſenloͤcher ww 
gefien, die bey beyden Sartungen fehr werfchieden find. And 
möchten wir Herrn Merrem mit darin beyftimmen, da 
Scolopax suborynata, pygmaea und alpina zu den Strand 
Käufern gehörten. Die Tringa alpina hat den Schrifſtellern 
fon viele Mähe gemacht, noch in dem neueften Werke di 
Herrn Bechſteins kommt fie doppelt als Numenius variabils 
und als Tringa alpina vor; Buffons Abbildung pi. enl. 852 
Bat zu diefen Verwirrungen Gelegenheit gegeben, indem de 
bier im Herbſtkleide abgebildete junge Wogel mit einem Hal 
geraden Schnabel begabt tft, ein Fall, der bey dem junge 
Vogel diefer Art leicht eintritt, wern man ihm beym Ausſtopfen 
den Schnabel in der Mitte zufammenbinder. Der Numeniws 


variabilis, oder die Tringa alpina, welches derfelbe Verl 


iR, hat einen fehr deutlich bogenförmig nad unten gekruͤmm 
ten Schnabel, und gehört dennoch nicht zu den Strandlänfemn. 
Kern Bechſteins Numenius pygmaeus ıft Beine eigne Art, 





fondern der junge Vogel von N:umenius suborynata; deſſen 


Numenius pusillus iſt aber gleichfalls ein wirklicher Grat 





Takcbenb. f. Jorſt⸗ u. Zandfrenude vom R. v. Wildungen. 457 


vogel. V. Der Goldregenpfeifer,, mit einer Abbildung, von 
Herrn Hofrat) Merrem. Der Goldregenpfeifer gehört zu dem 
Vögeln, die zwenmal im Jahre maufern, und deren Sommers 
Heid fehr von dem verfchieden ift, das fie im Winter tragenz 
bier ik ein im Mauſern begriffener Vogel abgebildet. Beſſer 
würde es wohl geweien feyn, wenn man einen ſolchen Vogel, 
der bereits fein Hochzeitliches Kleid erhalten, gewählt hätte, 
denn wenn wir Vögel darftellen wollen, die ſich im Webers 
gange aus einem Kleide ins andere befinden, fo können wir 
jo. viel verſchiedene Abbildungen liefern, als es Individuen gibt. 
Die Abbildung dieſes Negenpfeifers tft niche fo gut wie bie 
übrigen gerathen, befonders fcheint der Schnabel cher einem 
Naben, als einem Choradrius anzugehören. Wenn der Kr. 
Verf. fagt: gewöhnlich Hat ee nur drey Zehen, doch hat Kr. 
Mrofeffoe Schneider zu Frankfurt an der Dder eine kurze Hin⸗ 
tergehe mit einem Nagel bemerkt; fo mülfen wir dagegen ers 
innern, daß dann Herr Prof. Schneider einen jungen Vogel 
von Vanellus melansgastes vor fi gehabt habe, aber feinen 
Sofdregenpfeifer , auch können wir Herren Merrem nicht darin 
beuffimmen, daß die Kiebige und Regenpfeifer zu vereinigen 
feyen, ob wir ihm gleich einräumen muͤſſen, daß der Vanel- 
lus melanogastes ein wahrer Regenpfeifer ift; wenn au 
gleich alle neueren Schriftfteller ihn zu den Kiebizen zählen. 
VI. Beyträge zur Forſt- und Sagdchronit, vom Herausgeber. 
VII. Verſuch einer Anleitung zum Aufiuchen und Erkennen 
der Zorfipflangen und der bey uns einheimifchen wilden Thiere 
nach den befannteften Eintheilungsmerhoden für Anfänger , die 
ſich fetoft unterrichten wellen, von ©. F. D. aus dem Winkel. 
Für den Anfänger eine nüßliche Anleitung, die ſich beſonders 
durch die Wärme empfiehlt, die der Verf. für feinen Gegens 
flan empfindet, und durch das Öftere Hinweiſen auf das nie 
‚genug zu -empfehlende Studium der Natur ſelbſt. Nur ſtellt 
der Verf. das Beſtimmen der Naturkörper feinen Schülern 

etwas zu leicht vor, denn ſelbſt bey dem Beyſpiel, das der 
Verf. von der gemeinen gelben Bachftelze anführt, würde ſich 
manche. Schwierigkeit gezeigt‘ haben, wenn ed eine gelbe Bachs 
ſtelze im Jugendkleide geweſen wäre, die beſtimmt hätte werden 
folen. Denn da wir in der Drnithologie die Artkennzeichen 


458 Taſchenb. f. Forſt u. Yaabfreumde von. v. Wildungen, 


faſt durchaus von dem Farbenkleide zu nehmen gezwungen find, 
und dies nah Alter, Geſchlecht und Jahrszeit bey vielen Voͤ— 
geln abändert, fo möchte ein richtiges ornithologiſches Syſtem 
wohl noch fange zu den frommen Wünfchen gehören, und das 
um fo mehr, da unfre Schriftſteller dieſen Mangel noch nit 
einmal gu fühlen fcheinen. VIII. Die Wolfsjagd, vom Ken 
ansgeber. Bon Bauern wird ein Wolf getrieben und erlegt, 
worüber fih der Verf. komiſch beklagt. IX. Etwas über die 
Flintenfleine, vom Heren Prof, Wurzer in Marburg. Eine 
mit vieler Laune gefchriebene intereffante Abhandlung. X. Aus 
zug aus einer feltenen alten CThronik, Sjagdbegebenheiten be 
treffend. XL Warum wird das Holz noch immer nicht wohl 
feiler, vom Herausgeber. Enthält fehr zu beherzigende. Wahr 
heiten. Der Hauptgrumd liege wohl darin, daß das Holz nicht 
wie die Krebsſcheeren nachwaͤchſt. XII. Noch etwas uͤber 
fuͤrſtliche Jagdluſt der Vorzeit, vom Herausgeber. XIII. Das 
mittlere Waldhuhn, vom Herausgeber. Wie Recht erklärt 
aud der Berf., der dieſes MWaldhuhn in der Sammlung des 
Heren Hofrath Meyer zu Offenbach fahe, ſolches für eine 
. eigne Art; wir flimmen ihm nicht nur darin bey, ſondern 
find auch Übergeugt, daß jeder Naturforſcher, der dieſen Vogel 
in der Natur fiehe, ihm die Artrechte zugeſtehen werde. 
XIV. Unverdienter Bannfluh. XV. Naturhiſtoriſche Bericht 
tigung. Es fenen nicht Leoparden, ſondern Unzen gewelen, 
deren fih Kaifer Leopold der Erfte ben der Jagd - bediente. 
XVI. Der Genickfang. XVII Nachlefe zur Zorfts und Jagdı 
litteratur der letzteren Jahre. XVII. ‚Neues Bedenken de 
eigentlichen Brunfizeit der Mehe. Der Herausgeber nimmt 
mie Recht Anſtand einer nicht hinlaͤnglich verbärgten That 
fahe, die gegen gründliche Beobachtungen. reitet, Glauben 
beyzumeſſen. Wenn in der Naturgefchichte folhe Beobachtum 
gen, welche allen Verdacht einer Täufhung tragen, für Er 
fahrungen gelten follten,, fo würden wir nie aufs Meine darin 
fommen. XIX. Zirbeindß sErndte. XX. Anekdoten. XXL 
Auszug aus einem Brief einer Ruffiihen Dame. XXI. Cu 
dichte. Das Yägerlied vom Herausgeber, und Morgenieufet 
einer gärtlihen Jaͤgergattin, von Sun, zeichnen ſich vo 
züglich aus. 














Geognoſtiſche Fragmente von R. v. Raumer. 459 


Bir wünfhen, daß die nachfolgenden Jagdkalender fi 
als wuͤrdige Brüder an dieſen letztgebornen anreihen möchten. - 


; 

Geognoſtiſche Fragmente von Karl von Raumer. Mit einer 
Karte, Nürnberg, bei 3. R. Schraag. 1811. VE und 78 ©. 
gr. 8. (54 fr.) 

Herr von Raumer bildete ih, wie wir aus dem Vor⸗ 
berichte zu diefem Buͤchlein ſehen, in der trefflidhen Schule des 
großen Werners zum Gebirgsforfcher, und legt ung in dies 
ſen Sragmenten die Exfilinge feines kitterariichen Wirkens dar. 
Es find Beobachtungen, welche er uns als die Reſultate viers 
jähriger Arbeiten Bennen lehrt, und die von ihm in Gemein, 
fhaft mie den Herren v. Engelhardt und v. Prayftas 
nomwsti angeftelle wurden. Die zum Theil neuen Anfichten 
des Verf. und die aus diefen entlehnten Schlußfolgen verdies 
nen, ungeachtet wir nränchen einen bloßen hupothetifchen Werth 
beyzumeſſen vermögen, die Aufmerkſamkeit des geognoftiichen 
Publikums. Wenn wir nun zwar, und dies, wie der Erfolg 
darthun wird, nicht ohne Grund, mit den Anfichten des Hrn. 
v. N. keineswegs gang uͤbereinzuſtimmen vermögen, fo find 
wir doch weit entfernt, den Kenntniffen und den Talenten 
dieſes jungen Schriftftellers nicht Gerechtigkeit widerfahren zu 
laffen, mir alauben vielmehr, daß fih die Wiſſenſchaft noch 
mancher gelungenen Arbeiten von ihm zu erfreuen haben wird, 
zumal wenn er es fi) angelegen feyn läßt, eine mehr plane 
und Mare Darfiellung zu gewinnen. 

Nach diefen vorläufigen Bemerkungen wenden wir ung 
wieder zu den vorliegenden geognoftifchen Fragmenten. Zuerft, 
als ‚allgemeine Ueberfiht, eine Anzeige des Inhaltes. 

Ueber. die Spenitformation, nad) Beobachtungen im Saͤch⸗ 
ſiſchen Erzgebirge. Zuerft beſtimmt der Verf. den beobachteten 
gandfirih, und handelt nun von dem Suͤdoͤſtlichen Theil defs 
felben,, namentlich von der Gegend zwifchen Königftein, Gott; 
landen, Lungwis und Kauſche, fodann von dem mittleren 
Theile, insbefondere von der Gegend zwiſchen Lungwitz, 
Srund, Lotzen und Kaufhe, und endlich von dem nordwefts 
lihen Theile, nämlich von der Gegend zwiſchen Grund, Doͤ⸗ 


460  Besgnofifche Gragmente von K. v. Raumer. 


bein. Landen und Logen. Hierauf folgen Betrachtungen über 
Die Berbreitung des Syenits und Über das Verhaältniß der 
Openirformation zur zweyten Porphyrformation nnd dieſer 
Zormation zur Gchieferformation der Urzeit, Üben das Ber 
Halmif des Syenits zum Uebergangsgebirge mund über ähnliche 
Berhälmiffe in andern Gebirgen, weiche denen im öflidhen 
Erzgebirge analog icheinen, fo am Harze, im Thäringer Wald⸗ 
gebirge und im Gebirge an der Bergſtraße. Als beſonderer 
Abſchnitt erfcheinen die Fragmente eines Aufſatzes über dis 
Zıöggevirge. Hier ifl die Rede vom rohen Todes Liegenden, 
von Heims Zwifchenlagern, nom Mandelſtein und von der 
Bildung der Konglomerate. Erlänternde Anmerkungen, weldt 
als Noten gleich unter dem Terte, auf den fie füch beziehen, 
ihren ‘Pias hätten finden follen, befchließen das Ganze. 
Der beichräntte Raum diefer Blätter erlaube uns nicht, 
die Beobadytungen des Hrn. v. R. im Detail zu verfolgen, 


nur bey zwehen, von demielben -aufgeftellten Hypotheſen se 


fatten wir uns, ihrer vorzuͤglichen Wichtigkeit halber, zu ven 
weılen. Die eine betrifft feine Anſicht Über die Uebergange 
Furmation, die andere macht uns mit feiner Meynung übe 
die Natur des Sranites bekannt, welcher den Brocken bilde. 
Im oͤſtlichen Theile des Saͤchſiſchen Erzgebirges fand de 
Verf. mannigfaltige Verfchiedenheiten von Thonfchiefer , mit 
Lagern von Alaun » und Kiefelfchiefer, einem grauwacen 
ähnlichen Sefleine, Kalkſtein, Porphyr und einer gneus 
artigen Gebirgsare, an den, unmittelbar auf den Granit 
folgenden Gneus gleichfärmig gelagert. An diefe reiht ſich 
mit jüngerem Granite und manchen anderen untergeordneten &u 
gern. (Gneus, Porphyr u. f. w.) verſchiedentlich abwechſelnd 
Syenit. Auch hier bemerkt man gleihförmige Lagerung. Diele 
‚Erfheinung war für uns, ungeachtet fie mir manchen frühere 
Beobachtungen, auf welche man eine von obiger ganz verſchit 
dene Anficht des Lagerungs : Verhältniffes der “Syenit : und 
Morphyr : Formation zu denen bes älteren Urgebirges begruͤnbet 
hatte, dennoch nicht fehr befremdend, wohl aber erfaunten 
wir Über die Nefultate, die Hr. v. R. darans ziehen wih, 
indem er &. 3ı fagt: „Wir fanden die Uebergangs-Ge— 
birgsarten nirgends in abweichender.oder abweichender 








Geognoſtiſche Fragmente von K. v. Naumer. Abt 


md Äbergreifender Lagerung auf den’ Urgebirgsarten, 
vielmehr Ääberall, wo wir das gegenfeitige Verhaͤltniß beyder 
‚beobachten Tonnten , fahen wir jene in gleichförmiger Lagerung 


auf diefe folgen. Da nun die gleichförmige Lagerung mehrerer. 


Sebirgsarten auf einander, nach den Srundfägen der Werneris 
fhen Seoguofle , die ununterbrochene Folge der Momente ihrer 
Bildung beweif’t, fo flreiten diefe Beobachtungen gegen ' die 
Trennung des Uebergangs ; Gebirges vom Urgebirge, und ges 
gen die Annahme zweyer befonderer Epochen ihrer Bildung.“ — 
Wir hätten folglich, nah des Verf. Behanptung, eine Zors 
mation weniger, indem die Ur- umd Uebergangs » Gebirge 
einer und derſelben Bildungs: Periode angehören follen. Ges 
gen diefe Anficht reitet indeſſen fo viel, Fine Fi uns unmögs 
(ih mit derfelben vereinigen können. betrachtet die 
zwiſchen dem Gneuſe älterer und dem 2. jüngerer Bil⸗ 
dung, und dem Syenite vorfommenden Lager als den aners 
tannten Lebergangs ; Gebirgslagern durchaus analog. - Allein 
diefer Sag ſcheint uns keineswegs erwiefen. Weder der LKalkſtein 
noch die Grauwacke tragen dies fuͤr die Gebirge der Ueber⸗ 
gangs Periode ſonſt fo bezeichnende Merkmal — Verſteinerun⸗ 
gen. Es iſt keine Rede von ähter Grauwacke, die ſich hier 
"findet, fondern nur. von einem grauwadenähntlihen 
Seftein. Der Kiefel s und der Alaunichtefer können feinen 
evidenten Beweis führen, denn wir treffen bepde im Urgebirge, 
als ‚untergeordnete Lager des Lirtbonfchiefers, und unter aͤhn⸗ 
lichen Verhaͤltniſſen im Webergangsgebirge. Die beobachteten 
Lager s und gneusartigen Gefleine, welche fih, nad allen bie 
ber bekannt gewordenen Thatſachen, nicht mit dem Begriffe 


vom tiebergangsgebirge vereinigen laffen, fcheinen uns, nebſt 


dem. Sranite fpäterer Formation und dem Syenit, weit cher 
jüngfte Bildungen des Urgebirges zu ſeyn. In keinem Fafle 
aber, angenommen ſelbſt, daß der Verf. richtig gefehen und 
git.igere hätte, koͤnnen wir auf das einzelne und lofale Vor⸗ 
kommen eine allgemeine Regel begiänden. Im $ 8., wo 
von den Verhaͤltniſſen anderer Gegenden, welche denen im 
öftlichen Erzgebirge beobachteten analog fcheinen, die Nede if, 
ſagt Ar. v. R., man habe bisher angenommen, das Webers 
gangsgebirge liege manteiförmig um den Granit des Wrodens 


— 


462 Geognoſtiſche Fragmente von K. v. Raumer. 


herum. Dieſer Annahme aber ſtehe das Fallen der GSebirgt— 
ſchichten entgegen , welche nicht, wie dies ſeyn mäÄßte, wäre 
jener Satz gegruͤndet, in W. weſtlich, in &. ſaͤdlich und in 
D. Sftlih, fondern, den von Lafino angeftellen Berbach 
tungen zu Folge, wenige Fälle ausgenommen, allegett nad) ©. 
und ©. D. fih fenten. Das Webergangs s C Schiefer: ) du 
Dirge bilder demnach keinen umlaufenden Schichtenmantel um den 
Brocken, alsum ein herausragendis Grundgebirge, der Granit 
beſtimmt das Fallen nicht, wie dies fen mäßte, wenn er dad 
Grundgebirge wäre, der Thonfchiefer fälle im Gegentheile im 
DM. W. vom Granite wieder zu, und ſonach bleibt, nad 
Hen. v. R. Dafürbatten, . mir die Alternative: den Granit 
des Brockens fänichr mächtige Lager in den Schiefern any 
feden, oder als Übergreifend und abweichend auf dem Schie 
fergebirge. Uns iſt nun. zwar bis jegt Leine Stelle am Hark 
bekannt geworden, wo ein volltommen deutliches Zw 
falten des Thonfchiefers und der Grauwacke gefänden wor 
den wäre; allein geſetzt auch, daß dies gefchehen ſeye, fh 
wird man doch wohl zu Folgerungen der Art, wie Kr. v. 8. 
fi erlaubte, nicht eher fich berschtigt glauben, als bis zugleich 
mie Gewißheit das Anfgelagertfeyn des Granites anf’ dem 
Schiefer dargethan ti. Ein weiterer Grund, welchen de 
Derf. für feine Hypotheſe aufführe, ift die Gleichfoͤrmigkei 
der Richtung der Schichten: Abfonderungen des Granites mit 
jenen der Grauwacke und des Thonfchiefers. Gegen bieft 
Behauptung Rreiten indeffen gleichfalls bewaͤhrte Beobachtun 
gen, welche wohl eine Abtheilung des Granits in Bänke, aber 
durchaus feine Steihförmigkeit der Richtungen der Schichten 
wahrnehmen ließen. Mithin können wir auch den Satz, daß 
der Sranit des Brodens ein mädhtiges Lay! 
im Thonfhiefers Gebirge ſey, nicht für erwieſen I 
trachten. 






L. C. S. 


Memorabilien der Heilkunde, Staatsarzneiwiſſenſchaft und Thierhei⸗ | 
funk. Herausgegeben von 3. 3. Ka uſch, Doctor der Arne 
Funk, - Magifter der Weltweißheit, Resierungs s und Medirinl: 








Memorabflien der Hellfimbde ır. von J. J. Kauſch. 463 


rathe bei der königl. preußiihen Zignigifhen Regierung von 
Schleſien, gractifchem Arzte zu Lignig, Mitgliede der gelehrten 
Geſellſchaften zu Erlangen , Erfurt und Bredlau. Erfted Bänd- 
chen. Mit ı Kupfer. Zuͤllichau, in der Darnmannifden Buch 
handlung. 1813. XXVI und 250 ©. in 8. 


Der ſchon duch mehrere Werke ruͤhmlichſt befannte Kr, 
Verf. eröffnet mir diefem erſten Bande eine in zwangloſen 
Heften nach und nach erfheinende Bekanntmachung merkwuͤr⸗ 
diger, aus dem geſammten Gebiete der practiihen Heilkunde 
berfiammender Beobachtungen und Erfahrungen, zu deren 
Sammlung ihm fein Amt als Regierungs » und Medicinats 
rath der koͤniglich Preußischen Lignitziſchen Megierung von 
Schlefien die trefflichſte Gelegenheit darbieter. Alles Merk 
wärdige nämlich, was in den ſechzehn Kreifen des Lignisifchen 
Regierungs s Departements bey einer Menſchenzahl von mehr 
als ſechsmal handerttauſend Seelen in allen Zweigen des Me 
dicinalwelens aus den Händen von mehr als fiebenzig Aerzten 
und einigen hundert Wundaͤrzten entweder durdy die angeords 
neten Ganitätsverichte, oder aud auf andern Wegen zum 
Vorſchein kommt, gelange zu feiner Wiffenihaft, und feet 
ihn auf foiche Weile bey dem ungemeinen Reichthum und der 
vietverfprehenden Ergiebigkeit dieſer Quelle in den Stand, 
uns von Zeit zu Zeit eine Auswahl jener für unfere Kunft 
fo viel veriprechenden Schäße mitzutheilen, die dann bey der 
befannten Sachkenntniß des Herrn Verfaffers uns eine reiche 
Herndte an neuen und fhäßbaren Kenntniffen verfpricht, welche 
nah dem Verſprechen des Herrn Verf. noch durch anderweitige 
Anfiäße Über Gegenflände der anf dem Titel genannten Faͤchet 
vermehrt werden foll. 

Der Herr Verf. iſt einer von den Maͤnnern, welche zum 
Beſten der guten Sache dem in unſern Tagen einerſeits durch 
den roheſten Emptrismus, andrerſeits durch ſublime Specular 
tion und ſinnloſen Myſticismus ſo ſehr beleidigten Geiſte aͤcht 
rationeller Empirie, als dem einzig ſichern Wege aller Heil—⸗ 
kunde, mit feſtem Character treu geblieben ſind, und dieſer 
Geiſt iſt von ihm auf fein Werk übergegangen, weichem fos 
mit reine Erfahrung und Beobachtung zum Grunde gelegt ift, 


t 


Abk Memorabiiien der Heiltuebe ıc. von J. J. Kauſch. 


von weichem. alle bloß im die theoretifche Heilkunde einfhla 


genden Gegenſtaͤnde ausgeichloffen find, und weiches mithin 
vorzugsweiſe für den practifhen Heilkuͤnſtler geeigner iſt, die 
fem aber wegen der Wichtigkeit der darin enthaltenen Aufı 


fäge und der edeln prunklofen deutlihen Einfachheit der Schreib 


art in jeder Nückfihe empfohlen werden kann. 


Der vorliegende erfie Theil enchält Folgende Auffäge: | 


ı) Ein für unheildar erflärter Beinfraß mit hectiſchem Zieber, 
ben welchem die Operation des Gliedes als einziger Ausweg 


erklärt worden, gluͤcklich ohne dieſelbe geheilt. a) Ein fa 


allgemeiner Beinfraß bey einem Mädchen, bey welchem dus 
eine carioͤſe Schläflelbein ausgefhworen und von der Nalur 
wieder erfegt worden. 5) Gefchichte und Heilung eines Dpi 
fihotonus. 4) Heilung einer Fractura cranii ohne Teepanas 
tion. und ohne Wegnahme des abgebrochenen Knochenſtuͤck. 
5) Erfahrangen über den Gebrauch des Arſeniks gegen Wehr 
feiieber. 6) Weber die Wirkſamkeit der Flinsberger Mineralt 
quelle in Schleſien. 7) Weber die vorzägliche Wirkſamkeit 
‚der Arnicablumen bey einer Brufterfchätterung. 8) Eine Gradi 
pperation. 9) Leber eine Pfeudoorganifation des Darmkanalt 
30) Geſchichte der Rinderpeſt im Herbſte 1311. im Lignitzi 
ſchen Regierungsdepartement. 11) Leber die Schaͤdlichkeit des 
Waſfſers Der kupfernen Ofentoͤpſe. 11) Krankengeſchichte eins 
Wahnſinnigen, welcher zweymal durch Mercurialpraͤparate ge 
heilt wurde. 13) Gutachten Über einen gewiſſen Gemuͤther 
zuſtand bey einem Manne. 14) Ein Todesfall auf eine ſehr 
geringe Veranlaffung. 15) Weber Frühlingsturen und einige 
herrfchende Fehler und Worurtheile bey Brunnen s» und Bade 
anftalten. 16) Aeußerſt merfwärdiger Verlauf einer Milzbrand⸗ 


agizootie. 17) Ueber die Urſache und Maskirung rheumatiſcher | 


Krankheiten. 


An diefe größern Aufläge ſchließt ſich noch eine kleine ' 


Sammlung practifcher Miscellen von nicht minderer Wichtig 
keit an. 


EEE EEE 








No. 30. Heidelbergifhe 4813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


IST RT TS LE IR 








1) Handbuch ‚der Mineralogie von C. U. ©. Hoffmann. Erſter 
Bond. XXIV und 685 &. Zweyten Banded erfte Abtheilung. 
382 ©. Sreiberg, bei Eraz und Gerlach. 1811 und 1812. 8. 

2) Dad Minerafreid. Ein Handbuch für die Hörer (I? !!) der 
BHilofophie. Von Reginald Kneifl aus den frommen Schu⸗ 
fen, Profeffor der Zoologie und Mineralogie an der K. K. Thes 
refianifhen NRitterafademie. Erfter Band. IV und 362. 3m. 
Band 327 ©. Wien, bei Geiftinger. ıgır. 8. 

3) Handbuch der Mineralogie. Bon Dr. I. W. Blanf, Großher⸗ 
zoglichem geiſtlichem Rathe und Profeffor der Philofophie und 
Narurgefchichte. Würzburg, bei Nitribir. 1811. 596 ©. 8. 

4) Lehrbuch der Mineralogie mit Beziehung auf Technologie und Epos 
graphie (,) für Schulen und den Brivatunterriht, von I. & 
©: Meinede. Halle, bei Hemmerde und Schwetſchke. 1808. 
xIV ud 286 8 Ka 

5) Erkenntnißlehre der anorganifhen Naturförper. Mit Hinficht auf 
die neueſten Entdeckungen und Berichtigungen und mit fleter Ans 
wendung auf dad ‚bürgerliche Leben. Kür den Seibſtunterricht 
bearbeitet (,) nebft einem Verſuche zu einer vergleichenden Mis 
nerafogie (,) von Dr. 3%. ©. Lenz, Bergrath und Profeffor 
der Mineralogie. Erfter Band und zweyten Bandes erfter Abs 
ſchnitt. XII und 534 S. Zmepter Band, zwepter bis neunter 
Abſchnitt. 606 S. Gießen in Heflen, bei G. Muͤller. 1813. 

6) Lehrbuch der Mineralogie in kurzem Auszug der neueren minera⸗ 
logiſchen Spſteme, zum Gebrauch akademiſcher Vorleſungen und 
Errichtung mineralogiſcher Sammlungen (,) von E. J. Ch. Es⸗ 
per. Erlangen bei Palm. 1810. VIII und 510 S. 8. 


N. Ausbeute der letzteren Meſſen an mineralogifhen Hand⸗ 
und Lehrbuͤchern war fo bedeutend, daß wir, bey dem bes: 
ſchraͤnkten Raume, dieſer Blätter, uns veranlaßt finden, die 
Anzeige mehrerer derfelben mit einander -zu verbinden. 

Unter den vorliegenden Schriften verdient ohne Zweifel 
Fr. 1. die meifte Aufmerkſamkeit. Hr. Hoffmann, Inſpec⸗ 
tor bey der Freyberger Mineralien s Niederlage, und befannt 
30 


466 Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ır. 


durch das feit 1803 eingegangene Bergmaͤnniſche Journal, 
deffen. Mitherausgeber er war, wermißte bey der zahlreichen 
Drenge mineralogficher Lehrblicher eines, in weichen des vers 
dienftoollen Werners Methode in Ihrer ganzen Reinheit 
Dargeftellt würde, das keine Zufäße und Angaben aus anderen 
Werken (auf die der Verf. im Allgemeinen keinen, oder nur 
einen ſehr geringen Werch gu legen für gut findet) ent 
hält, aus welchem alle ſchwankende, nur nah einem flüchs 
tigen Ueberblicke obenhin entworfene Beſtimmungen mit Sorgs 
fele werbanne wären. Er übernahm das gewiß verbienftliche 
Berk, diefe Aufgabe zu Idfen, eine Sache, die, im Vorbey⸗ 
gehen geſagt, für ihn mit weniger Schwierigkeiten verknäpft 
war, als für jeden andern Schriftfieller, da wir vorausfegen 
dürfen, daß der Verf. dem mittheilenden Berner, deſſen 
Dictate er benußte, feine zuſammengetragenen Materialien 
ftets zur präfenden Durchfiht vorgelegt haben wird. Unter 
ſolchen Aufpicien leidet es durchaus feinen Zweifel, daß Kr. 
H. etwas Selungenes liefern konnte. Auch verfihert er, daß 
er mit der angefirengteften Mühe geftrebt habe, um Wer: 
ners Angsben und Bellimmungen welche flets den Stempel 


der hoͤchſten Conſequenz und Genauigkeit tragen, und auf wies 
derholte forgfältige Beobachtungen ſich gründen, rein und ger 


fihter von allen fremdartigen Zufägen zu erhalten, von deren 
Nichtigkeit er nicht vollkommen uͤberzeugt war, alles neu Hims 
zugekammene mit der firengfien Kritik gu pröfen, und fid 
immer duch Autopfie von der Wahrheit aller von ihm aufge 
führten Beflimmungen zu verfihern und nichts aufzunehmen, 
was nur in irgend einer Hinſicht zweifelhaft fchien. Mit der 
leßteren Behauptung fleht freylich Die unmittelbar darauf fols 
gende Aeuferung in einigem Widerfpruche, indem Hr. H. es 
bedauert, daß er bey jenem Geſchaͤft fehr den Befig einer 
eigenen Sammlung vermißt habe und gendthiget gewefen fey, 
ſich theils mit feinen früheren Beobachtungen (alfo aus der 
Erinnerung ), theils mit dem nichts weniger als volfländigen 
akademiſchen Eabinette zu begnügen. Dabey rühme er jedoch 

zugleich die Willfährigkeie der Beſitzer der verfchiedenen Frey⸗ 
berger Privatſammlungen, welche ihm den Gebrauch derſelben 
verſtattet. Sehr auffallend war es uns, daß Kr. H. gar 





Mineralogiſche Handbücher yon Hoffmaun &. 467 


nichts uͤber Werner's trefflihe Sammlung ſagt. Gollte ihm 
ber Gebrauch derſelben (zumal zu dieſem Zwecke, welcher doch 
nethwendig für den grofen Mann Intereſſe haben mußte, da 
von richtiger Verbreitung feiner Anfichten die Rede if) nicht 
frey geftanden haben? Hier mäÄßten ſich dem Verf. die beften, 
ja mitunter vielleicht einzigen Mittel gu neuen Beobachtungen 
dargeboten haben. — Außer dem erwähnten Zwecke hatte der 
Verf. zugleich Die Abfihe, dem größern Publikum ein brauche 
bares Hälfsmittel zum Selbſtſtudium der Mineralogie «in die 
Hände zu liefern. Was das letztere betrifft, fo möchten wie 
faft zweifeln, daß, bey dem theuern Preife, den das Bud 
‚wegen ber vielen noch folgenden Bände erhalten muß, daffelde 
in viele Hände kommen werde. 

Der erfie Band des Hoffmannfhen Handbuches ums 
faßt übrigens, nad) einer allgemeinen Einteitung, die Kennzei⸗ 
hen s Lehre und die Grundſaͤtze der oryktognoſtiſchen Eiaffificas 
tion und Nomenclatur der Foſſilien. Bey dem Abfchnitte 
von den regelmäßigen äußeren Geſtalten finder fi) ein Anhang 
über die Methode Hauͤh's, über deſſen Vezeichnungsart und 
Nomenclatur der Kruftalle u. f. w. 

Was den applicativen Theil der Oryktognoſie betrifft, fo 
hat Hr. H. die Gattungen fo auf einander folgen lafien, wie 
fothe von Arn. Werner in dem neuefteften Entwurfe feines 
Syſtems geordnet worden. Wir werden, mit Rüdiiht auf 
das 1805 bey Mayr in Salzburg erfchienene und darauf in 
Leonhard’s Taſchenbuch für die Mineralogie 5. Band ©, 
861 u. f. mit den damals neueften Veränderungen befannt ges 
machte Werner'ſche Syſtem, eine gebrängte Weberfiht der 
wichtigften Aenderungen ausheben. 

Nach dem Augit folgs der Diopfid als Gattung, dann 
tommen Beluvian, Sroffular, Leuzit u. f. w. Der Automolit 
it nach dem Pirop eingeordnet, an diefen reihen fih Zeilanit, 
Spinell u. f. w. Auf den Demanthipath folgen Topas, Jo— 
lich, Euklas u. f. w. Der Beril und der fchörlartige Beril 
find nicht mehr Arten einer Gattung, ſondern jeder macht 
eine eigene Gattung aus. Der Piftazie, welcher vordem feine 
Stelle zwifhen dem Augit und Veſuvian einnahm, erfcheint 
jege nach dem Schörl, dann kommen Zoiſit, Authophyllit (in 








465 RNincralogiſche Handbücher von Hoffmann ıc. 


zwey Arten, firabliger und Slätteriger U. abgerheilt), Ask 
nie n. fe w. Da dem Zeuerfleine finden wir Krifopras, 
Plasma, Heliotrop, Kalzeden n. {. w. Die Gattung des 
Menitits iR in zwey Arten, brauner und grauer Denilit, ads 
gerheilt. Der Fettſtein ſicht zwifchen Opatjespie und Katzen⸗ 
auge, anf biefen folgt eine neue Gattung, Baferfiefel, nad 
Berner ein inniges Gemenge von Auarz und asbeſtartigem 
Tremolithe, welches Ach durch Farbe, Bruch, Bruchſtücke, 
Grad der Duschicheinenheit und den katzenaugenartigen Schein, 
fo wie dur die Schwere ganz vorzüglich charakterifirt. Hier⸗ 
auf Obfidian m. f. w. Mach dem Lazulie folge Blauſpath, 
dann Andalufit, Feldſpath ( unter den Arten deſſelben bemers 
ten wir auch den glafigen Feldſpath). Der Bariolit macht 
sine Unterart des dichten Zeldfpathes aus. Ferner Spodumen, 
Skapolith (in zwey Arten grauer und rother getheile), Ich⸗ 
thyophthalen ( Apophyllite), Majonit, Mephelin und Eis 
ſpath. Als Nachtrag folgen am Schluſſe der erſten Abtheilung 
des zweyten Bandes — ſo weit iſt das Werk bis jetzt erſchie⸗ 
nen — einige neue Gattungen des Kieſelgeſchlechtes, Pyreneit 
(zwifchen Leuzit und Melanit), Kolophonit (zwiſchen Allo⸗ 
chroit und Granat) und Lievrit (Yenit, zwiſchen Schoͤrl und 
Piſtazit), welche von Werner in feinem letzten oryktognoſti⸗ 
ſchen Lehrkurſe 18148312 vorgetragen und in das Syſtem aufı 
genommen wurden. | 

KHinfihtlih der genauen Einrichtung des appiicativen Theis 
les ſelbſt bemerfen wir, daß bey jeder Gattung zuerſt die 
Erpmologie der Benennung entwicdelt ift, auf diefe folge dis 
ausführlichere äußere Charakteriſtik, an deren Schluſſe flet# 
eine fehr zweckmaͤßig verfaßte, gedrängte fummariiche Leber 
ſicht der weſentlichſten und unterjcheidendften Kennzeichen jeder 
Gattung und Art zu finden if, dann die phyſikaliſchen nad 
chemifhen Merkmale, zuletzt allgemeine Bemerkungen über 
die geognoftifchen Verhaͤltniſſe der Foſſilien. Die geograzhis 
fhen Notizen und die litterärifchen Nachweiſungen find, im 
Ganzen. ziemlich fpärlich auegefallen. Dagegen hat der Berf., 
was ung, bey einem Handbuche, deſſen Hauptzwed if, Wer⸗ 
ner’s Wethode in ihrer ganzen Reinheit darzuftellen, durds 
aus unzweckmaͤßig ſcheint, die Lehre von dem Gebrauche ber 


Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ꝛc. 469 


Zofflien mit seiner großen Ausführlichkeit behandelt. Ueber⸗ 
haupt Tann, nad, unferem Dafürbelten, bey einer wahrhaft 
ſyſtematiſchen Abtheilung der Weineralogie, die oͤkonomiſche 
Mineralogie eben jo wenig eine Stelle finden, als z. ©. die 
Gaͤrtnerey in einem Lehrbuche der Botanik abgehandelt werden 
darf. Die Lehre von dem Gebrauche der Foffilien gehört aus⸗ 
fhließlih in das Gebiet der Technotegie und Dekonomie, und 
es fiehe wahrhaft poifierlih aus, wenn man, wie z. ©. in 
dem vorliegenden Werke ©. 49 Il. Bandes, einen tabellaris 
ſchen (7) Gebrauchszettel vom Quarze finder! Auch willen 
wie nicht, wie die Aeußerung des Hrn. H. (Vorr. ©. XIX), 
daß außer Völker's Handbuch der Hkonomifch s technifchen 
Mineralogie kein anderes Werk eriftire, welches, diefen Gegen» 
fand mit einiger Ausführlichleit behandle, zu deuten iſt. Aus 
welhem Grunde übergeht er Schmieder's Lirhursil. Ein. 
Bud, welches eben fo gut, wo nict beſſer, als Voͤlker's 
Handbuch ift, und in jedem Zalle exiſtirt, denn es ift befannts 
lich im Jahre 1803 bey Cruſtus in Leipzig gedruckt ‚worden, 
Fuͤr Unkenntniß der mineralogifchen Litteratur dürfen wir jene 
Arußerung wohl niche gelten laſſen, fie muß alfe Animofität 
gegen Sch mieder feinen. 

So weit unfere Anficht über Mr. ı., dem mir übrigens 
ein gefchmackvolleres Aeußere wuͤnſchten. 

Wir kommen nun zu den Abrigen Schriften, ben. wie 
wir weniger zu verweilen gefonnen find. 

Was Nr. 2. betrifft, fo ift dies eine erbärmliche, auf 
Loͤſchpapier abgedruckte Kompilation, vor deren Ankauf wir 
jeden Freund der mineralogifchen Litteratur hiermit beſtens ges 
warnt haben wollen. Um nur Erwas zum Beleg des Geſag⸗ 
ten anzuführen, denn es wäre eine Verſchwendung von Tinte 
und Vapier, wollten wir über das Ganze ausführlich Handeln, 
entlehnen mir folgende Stelle aus der fehr dürftigen Vorrede. 
„Allein bey diefem Verſuche,“ ſagt der Hr. Prof. Kneifl, 
„befonders da er zum Schulunterricht beftimme iſt, kommt es 
uf ein feſt gegründetes Syſtem an, welches wir bisher vers 
nißten — (man denke!) — und defien Mangel dlieſes Stu— 
yium nicht wenig erfchwerte. Diefes Syſtem fann — meines 
Erachtens — fo wie bey der Zoologie (?TT!!).— nur .auf 


470  Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ıc. 


auf immeren — alfo auch Bier — bey Unorganiſchen — nut 
auf chemifchen Srundfägen berufen.“ — Welche herrliche 
Foriſchritte muͤſſen die Hörer der Philoſophie umter Her 
Kneifis einſichtsvoller Leitung in der Mineralogie machen! 

Nr. 3. und 4. find, ihrer Mittelmaͤßigkeit umgeachtet, 
doch zum Unterricht in Schulen, zumal wenn der Lehrer gu 
hoͤrig abs und zuzugeben weiß, nicht gang unbrauchbar. Nr.b. 
it, wie wir auch aus der Vorrede erfahren, nichts als ein 
Auszug aus der ſyſtematiſchen Weberfiht der Herren Leon 
hard, Merz und Kopp. 

Beffer als die vorhergehenden und nad Nr. 1. unter den 
oben angeführten Lehrbüchern das vorzuͤglichſte, ift Nr. 5. die 
Erkenntnißlehre der anorganifchen Naturkoͤrper. Hr, Lenz, 
der, Seit einer Neihe von Jahren fchon, mit warmem Eifer 
und einer lobenswerchen Regſamkeit für die Verbreitung ded 
minerafogifhen Wiſſens wirkt, und namentlich durch die Srin 
dung der Societaͤt zu Siena ſich ein bleibendes Verdienſt en 
worden hat, beſtimmt dies Werk zunächft für feine Lehrſtunden. 
Dos Wernerifche Syſtem liegt dabey zum Grunde, und 
das. Ganze ſoll aus fünf Bänden beſtehen, wovon’ der erf 
nad) einer kurzen Einleitung den präparativen Theil, oder dad 
Syſtem der äußeren. Kennzeichen, die Zirkon s und Kiel 
Drdnung umfaßt. Im wweyten Bande finden -mir die übrigen 
Erb s und Steinarten, nebft den Salzen und Inflammabilien 
abgehandelt und zugleich ein Regiſter Aber die beyden Bände, 
weiches wohl zweckmaͤßiger den Beſchluß des ganzen Werke 
gemacht hätte, da die Eintichtung, welche der Verf. wählt, 
Bingegen zu zweyhfachem Nachſchlagen in vielen Faͤtken Anlaß 
geben muß. Fuͤr den dritten Band find die Metalle, fir en 
vierten «die vergleichende Mineratogte und für dem fünften die 
Gebirgsarten beflimmt. Wir werden feiner Zeit darauf juräd 
fommen. 
L. C. S. 





Denkwuͤrdigkeiten, Charakterzuͤge und Anekdoten aus dem Leben det 
vorzuͤglichſten deutſchen Dichter und Proſaiſten. Herausgegeben 
von Karl Heinrich Joͤrdens Erſter Band. XVI und 


Dentwärdigkeiten rc. von K. H. Jordens. 471 


364 S. Zweiter Band. VIII und 380 S. Leipzig, bei Kummer. 

1812. 8 

Hr. 3. fah fih „bey der Bearbeitung des Lexikons Deuts 
fher Dichter und Profaiften genoͤthigt, alles, was nur über 
diefe Schriftfteller in biographifcher oder Litterarifcher Ruͤckſicht 
gefchrieden und ihm zugänglich mar, durchzulefen. Da konnte 
es, wie er fortfähre, nicht fehlen, Daß ihm auf diefem Wege 
manche intereffante Merkwuͤrdigkeit, mancher treffliche Charaks 
terug, manche angenehme und wißige Anekdote aus dem Les 
ben derfelben entgegen kam, deren Wiedererzählung ſich indeffen 
nicht für das Lexikon eignete; obwohl er auch da’ ſchon, um 
die Trockenheit der Lexikons-Lectuͤre aufzuheitern, fih 
hin und wieder einiges davon eingumifchen erlaubte. Es fchien 
ihm aber eine befondre Sammlung folder Denkwuͤrdigkeiten, 
Charakterzuͤge und Anekdoten für das gebildetere Publikum 
nicht ohne Unterhaltung und Nutzen zu feyn.“ 

.. Wir Haben einigemal des Lexikons Deutfcher Dichter und 
Profaiften in unfern. Jahrbüchern nach Werdienft erwähnt, bes 
dauern jedoch, Hier offenherzig geftehen zu müffen, daß wir 
mit dem Plane und der Ausführung diefer Denkwuͤrdigkeiten ıc. 
nicht fonderlich zufrieden feyn können. Kr. J. fänat immer 
mehr an, zu fehr den bloßen Sammler ohne beftimmiten Plan 
zu machen. Mas ihm von einem nur einigermaßen befannten 
Manne in die Hände fällt, wird fogleich der einen oder ans 
dern Sammlung einverleibt, bald darauf findet er noch etwas 
anders, und dies gibt denn fogleich wieder Nachtraͤge, und fd 
ift niche eher ein Ende diefer Sammlungen abzufehen, als bie 
der Verleger es feinem Intereſſe angemeffener finder, fie zu 
- fchließen. Ein Werk, welches nur die trefflichiten Deutfchen 
Dichter und Profaiften aufftellte, ihre Hauptlebensumſtaͤnde 
erzählte, ihren Charakter fcharf auffaßte und ihre Schriften 
mit Genauigkeit verzeichnete, und das fih auf eine kleinere 
Anzahl von Bänden befchränfte, wuͤrde ung weit willfommener 
ſeyn, als diefe ganz ins Unbeſtimmte gehende Doppelreihe von 
Bänden, wo des Unbedentenden fo viel vorfommt und Mies 
derholungen gang unvermeidlich find. Beym Schluß des gans 
zen Werkes möchte denn immer ein Supplementband folgen, 


ia 


472 Denulwuͤrdigkeiten ic. von R. H. ZFördent. 


der fih aber nur auf wichtige and bedeutende Nachtraͤge ers 
firecden und alles gu fehr ans Kieinliche gränzende entfernen 
mößte. Wenn aud von einem folhen Werke nur alle zw 
oder drey Jahre ein Band erichiene, fo würden die Lefer an 
Inhalt gewinnen, was fie allenfalls an Umfang einbüßten. 
Diefer Erinnerungen ungeachtet, leugnen wir nicht, daß 
auch das vorliegende Wert manchen interzffanten Charakterzug, 


manchen finn s und geiftvollen Gedanken eines achtungswerrhen 


Mannes aufbewahrt habe: nur kommt des Minderbedeutenden 
zu viel dagwifchen vor. Was Hrn. J. in Gedaͤchtnißſchriften, 
Journalen, Anekdoten: Sammlungen u. f. w. von einem be 
fannt gewordenen Manne aufitieß, wird bier mitgerheilt, und 
aud) einige ZÄge verdankt er fchriftlichen Deittheitungen. Schon 
die Namen der hier aufgeführten Perfonen laſſen vermuthen, 
daß man auf manche intereffante Züge floßen werde, und fohat 
es Rec. auch wirklich gefunden. Im erſten Bande kommen 
folgende Artikel vor: Jod. Jak. Engel.. Unter mehreren 
Anekdoten mag bier folgende ſtehen: „Engel war einft ba 
dem verfiorbenen Fuͤrſten S. zur Tafel geladen. Bey Tiſche 
kam unter andern auch die Nede anf den berühmten Belt 
umfegler Cook, und daß er bey feinen Entdeckungsreiſen fein 
Leben habe einbäßen muͤſſen. Engel führte darüber haupt 
fählih das Wort. Auf einmal fragte ihn der Zärft — um 
doch auch fich mie in den Discours zu mifhen — „kam Cost 
auf feiner erften Meife um’s Leben, Kerr Profeffor?“ — 
„Ich glaube, ja!“ erwiederte Engel, „doch machte er ſich 
nicht viel daraus, und trat bald die zweyte an.“ Salomoun 
Geßner. Hier kommen einige nicht unintereffante Zäge vor, 
die Geßners feinen Take für das Läcerliche und fein vor 
züglihes Talent zu komiſch-⸗ grotester Darftellung bewaͤhren, 
wovon er in jüngern Jahren und im gefchloffenen Zirkeln bis 
weiten Gebrauch machte. Joh. Sam Papke Abt 
Gotth. Käftner. Gottl. Wild. Bürmann. Von dis 
fem armen, aber immer frohen Dichter werden ein Paar Ge 
dichte in extenso eingerädt. Joh. Ehre. Rof. Job 
Peter Uz. Gottl. Wilh. Rabener. Hier eine Mein 
Ane:dote von ihm. „NR. hatte jemanden den Titel Hoc⸗ 
wohlgeborner araeben, und befam Wohledier juruͤd; 





























Denlwuͤrdigkeiten ze. von K. 9. Zördens. 473 


er gab ihm Hierauf Wohlgeborner, und befam Edler 
dafuͤr; auf fein nunmehriges Geborner follte er verflage 
werden, wußte aber feinen Eorreipondenten zu bedeuten, daß 
ein Geborner einen Mann von Geburt anzeige, und ihn 
eben dadurcd von allen unedlen Geſchoͤpfen, die nicht geboren, 
fondern geheckt, geworfen, gefafelt, geſetzt, gebracht oder ges 
ſchuͤttelt würden, unterfheide.* Martin Lurcher. Wenn . 
gleich die meiften der hier aufgeftellten Züge von Eucher ſchon 
befannt find, fo gewährte doch deren Zufammenftelung viel 
Vergnägen, und man lerne Luthern daraus auch als Mens 
fhen Hochihägen. Sehr intereffanet find auch des großen Res 
formator8 Aeußerungen Über den Geift einer aͤchten Bibel⸗ 
Ueberfeßung, 8. 149.180. Man fließt daraus, daß Luther 
ängfiliche Spibenzählerey und ſtlaviſche Wörter s Liebertragung 
von aͤchter Dolmetſchung und Auffeffung des Geiftes gar wohl 
zu unterfcheiden wußte. Hier ehe nur eine kräftige Stelle: 
„Wenn Chriſtus fprihe: Ex -abundantia cordis etc. und ich 
fol dolmetſchen: Aus dem Weberfluß des Herzens redet der 
Mund ; fage mir, ift das Deutſch geredet? So wenig, als 
Ueberfluß des Kachelofens, fondern alfo redet die Mutter im 
Haufe und der gemeine Mann auf dem Markte, dem du auf 
das Maut fehen fol: Web das Herz voll iſt x. Stem, da 
der Engel Marien größer, Waria voll Gnaden; wo redet der 
der Deutſche Mann fo? Er muß denken an ein Faß vol 
Bier, oder Beutel voll Geldes. Darum hab’ ichs verdeutſcht: 
Dun Holdfelige! Und Hätte ich das befte Deutſch follen 
nehmen, fo hätt ich alſo verdeutſchen muͤſſen: Gott grüße 
dich, du liebe Maria! Denn fo viel will der Engel fagen, 
und fo würde er geredee haben, wenn er hätte wollen fie 
Deutſch grüßen“ u. f. w. Ulrih von Hutten. Nur ein 
Maar fcherzhafte Anekdoten von diefem großen Manne! Joh. 
Wild. Ludwig Gleim. Hier finder man viele intereffante 
Sharafterzäge zuſammengeſtellt. Doch möchte man bie und da 
mehr Ordnung in der Zufammenftellung wuͤnſchen. Nachdem 
ſchon Gleims Leben ats Hauslehrer, Gecretär, feine vers 
traute Freundſchaft mie Kleift u. f. w. erwähnt worden iſt, 
folgen einige Züge aus feinem Univerfitätsieben. Aune Louiſe 
Karſchin. Ihe Leben wird, nad den vorhandenen Water 


474 Denkwuͤrdigkeiten ꝛc. von K. H. Joͤrdens. 


rialien, ausfuͤhrlich erzaͤhlt. Ewald Chriſtian v. Kleiſt. 
Wenn gleich das Meiſte von dem hier Geſagten ſchon bekannt 
war, fo liefet man es doch immer wieder mit neuer Theil 
nahme. Konrad Arnoid Schmid. Nur ein Paar Züge 
von Shmids Gutmuͤthigkeit. Ludw. Heinrich Chrph. 
Hoͤlty. Hier tft, wie billig, Voſſens trefflihe Biographie 
von Hölty auf das treulichfte benußt worden. Gottfried 
Auguft Bürger. Die wichtigften Lebensumftänte und Char 
raftergüge von diefem, von dem Rec. gelannten und geliebten 
herrlichen Balladen » Dichter find aus den bekannten Quellen 
recht gut zuſammengeſtellt, auch ift die legte, unglüͤckliche His 
rathsgefchichte deſſelben ausführlich erzählt worden. Joh. 
Matth. Dreyer. Ein Paar Anekdoten von diefem nidt 
unmwichtigen Kopfe. Paul Meliffus. Nur ein Paar Wort 
Aber diefen, 1600 als Bibliothekar zu Heidelberg geftorbenen 
Dieter, der eigentlih Schede oder Schedius hieß, und 
ein, nah den Marthiffonfhen Veränderungen abgedruck 
tes Gedicht deffelden. Da es hier darum zu thun mar, den 
Dichter in feiner ganzen Eigenthuͤmlichkeit kennen zu lernen, 
fo hätte fchieflicher der unveränderte Originaltext dieſes füßen 
Liedes, den man in der Sammlung der Zürcherifchen Streit 
ſchriften zur Verbefferung des Deutfchen Geſchmacks wider die 
Gottſchediſche Schufe 3. Bd. g. St. finder, mitgerheift werben 
follen. | | 
Im zweyten Bande kommen folgende Artikel vor: Gott; 
hohd Ephraim Leffing. Man finder Hier alleriey, zum 
Theil vecht intereffante Nachrichten Über Leſſing aneinander ge 
reiht. Manchmal fehle jedoch der innere Zufammenhang; auf 
Widerſpruͤche finden fih. So heißt es S. 8: „Leidenihaft 
war feine Spielfucht gewiß nicht.“ (Der Ausdruc tft auch nicht 
gut gewählt.) „Dan kann bloß-fagen, daf er fi) ohne rehtn 
Spielgeift zuweilen in ein zu hohes Spiel einließ.“ Dagegen 
heißt e8 ©. 25: „Sein liebſtes Spiel war Farao, das ei 
nen ganzen Reiz vom ‚hohen Gewinn zu haben fcheint, und & 
fpielte es mit ſtarker Leidenfhaft.“ „Reffing felhft ſagte, 
Daß er nicht mit dem Spiel fpiele, fondern mit dem Spiel 
Beinen Scherz treibe.“ Mofes Mendeldfohn. Neues fand 
Rec. hier-nicht, aber alle hier gefammelten Charakterzuͤge ſtellen 


Denkwuͤrdigkeiten 1. von K. H. Joͤrdens. 475 


den lichenswürdigen Weiſen in einem vortheilhaften Lichte dar. 
Smmanuel Kant. Der 9. fand hier viele Vorarbeit. 
Was er Hier aus den verichiedenen Nachrichten zufammen reihte, 
macht uns den tiefen Denker auch als edlen Menfhen, wisis 
den Ropf und geiftreihen Geſellſchaſter achtungsmwerth. Daß 
Kant, der fo hohen Sinn für Poeſie Hatte, auch ſelbſt Verfe 
gemacht babe, ift nicht fo allgemein befannt. Wir rücen dar 
her das von Hrn. J. &. 119 mitgetheilte, von Kant auf 
den im J. 1780 in Königsberg verflorbenen Kriegsrath und 
Profeffov der R. D. 2’ Eſtocq verfertigte Epigramm hier ein: 


Der Weltlauf fchildert fich fo jedem Auge ab, 

Wie ihn der Spiegel malt, den die Natur ihm gab. 

Dem fcheintd ein Baufelfpiel zum Lachen, dem zum Weinen, 
Der lebt nur zum Genuß , der andre nur zum Gcheinen, 
Gleich blinde Thorheit gaft einander fpörtifch an. 

Wird eine Regel nur dem Herzen nicht entriffen:: | 
Sep menſchlich, redlich, treu und ſchuldfrey im Gemiffen! 
(So lautet L Eſtoc q's Lob!) das andre ift nur Spiel: 
Denn Menſch und weile ſeyn, it Sterblichen zu viel! 


Sriedrih Gedike. Den größten Theil diefes Auflages 
nehmen Briefe Gedike's an feine Geliebte ein, die nyr nad) 
vielen überwundenen Hinderniſſen feine Gattin wurde. Chris 
ſtian Sriedrih Daniel Schubart. Manches von dem 
hier Meitgetheilten hat ung Herr J. ſchon mit denfelben 
Worten in feinem Leriton Deutfcher Dichter und Proſaiſten 
zum Beſten gegeben. Solche Wiederholungen waren bey dem 
nicht ganz feſten Plane des Verf. unvermeidlich. Georg 
Chriſtoph Lichtenberg. Auch in dieſen nicht uninters 
eſſanten Zuſammenſtellungen fehlt es nicht an einzelnen Wieders 
holungen aus dem früheren Werke des Hrn. 3. : Die drey 
Wisipiele mit Wäitz und ſpitz findet man auch ‚hier wieder 
abgedruckt. Aber was der ganze wörtliche Abdruck des Gedichte 
auf die. ſchwimmenden Batterien im J. 1782 in dieſer Thas 
rakteriſtik fol, fehen wir nicht ein. Manche wisige Einfälle 
Lichtenbergs find dagegen ihrer Stelle würdig. Johann 
Karl Auguft Mufäus. Ueber diefen wackern Mann möhte 
man gerne noch mehr leien, als man hier finder. Ein ihwas 
ches Urtheil des Hrn. J. finde ih S. 283: „Wenn wir 
auh der Phyfiognomtif des fchwärmeriihen Lavater 
fonft nicht viel verdanken, fo ift das Verdienſt doch groß ges 
mug, die phyftognomifhen Reiſen (von Mufäus) 
verartlafit zu haben.“ Kenner haben über Lavaters Wert 
kangft ein ganz anderes Urtheil gefällt! Schön und herzlich 
fiud Herders Worte bey Mufäus Tode, ©. 2d8— 292. 


484 ‚Bugabe. su den-Werken dets Wandebecker Veten. 


and wenn dies eine Eigenheit aller guten Humoriſten if, fi 
gebährt ihm gewiß vorzhglich das Lab dee Ungeſuchten um 
des Gehaltvollen feines duschbligenden Ernſtes. Beine har 
moniſche Decke. ſcheint manchmal Klänge ans höheren Gphärs 
ya vernehmen, und will fie nachfingen in wehmuthereicha 
Liedern, wie in dem bekannten bey dem Grabe feines Bat 
(.Friede fey um diefen Srabftein her“ ), einem der zärtlich 
ſten und zaͤrteſten, die in irgend einer Sprache gedichte fa: 
und mird bamm, wieder zerriffen von dem Schariwari di 
Außenwelt, den’ Re zur Entſchaͤdigung und jedermänniglidm 
Beſſerung in Pofſen nachwirbelt. Als Repräfentant der Den 
‚ben Nawetät gefällt er ſich befonders in der Kinderſtube, I 
findlihen Feſten — denn er ift ſelbſt ein fehr lichenswärdign, 
ſehr kluges Rind, ein großer Unmandiger — im Thun m 
Treiben des ehrlichen Landmanns, den er auch wohl wii 
lich idealiſirt, ums ſalſche ‚Größe: Beifer zu befchämen, und U 
‚Beichnung aller Charaktere, die zu den. Söhnen und Tuͤchten 
Bei Unſchuld und Natur gehören. Ueber dieſem Allen adtt 
ſqhwebt der Geiſt Der Religion, oder vielmehr des Chriſtenthum 
and er auf: deffen Firigen. In ihm findet er den eigentlichs 
Erſatz für jedes: Kleine and Große, was die Welt ihm mel 
uud nicht gewähren kann. Won dieſem Punct gehen ſem 
‚Gefühle; feine Betrachtungen aus, und kehren jedesmal dal 
zuruͤck. Er iſt der Mittelpunct feiner Gelehrſamkeit und DW 
tojophie, und der Prüfftein, woran er die Lehren feiner ZW 
genuffen anterſucht. An ihm hält er unerſchuͤtterlich; und ve 
die Zeit fi) neben ihm davon entfernt, fo eilt er im enine® 
geſetzter Michtung inniger in deſſen Tiefen hinein ; wie fe## 
:geiftfiher wird, fo wird er geiftlicher und erleuchteter. : 
Aäyelt‘ er Aber die Wermweisheit der Wernunfe, zachtigt P 
dann mit feharfer Setßel, und je gutherziger er iſt, ‚deko we 
niger kann er die Bitterkeit Über die Mißleitung des Zeitalt 
unterdrüädden. Denn er if Menſchenfreund im höhern Gi 
and begehrt nicht ſowohl der Menſchheit finntiche Zufriedenhen 
als ihr unfterbliches Heil. Als er ſich aber mehr und 
vereinyelt fieht in feinen Meynungen, und das Alter ihm da 
Muthwillen gedämpft hat, ſieht er noch da ats ein ſtilen 
rehrwurdiger Wahrheitsprieſter, der: Deffen, was er denkt UM 





Zugabe zu den Werken des Wandebecker Wien. 49 


nicht dar, daß man nicht mehr jung if, wenn man alt if. 
Was aber den Inhalt anlangt, der doch ben einer Schrift die 
Hauptſache if, da mieine ich Wort gehalten zu haben. Und 
wenn einige Lefer etwas Anders erwartet haben, fo tft der 
Bote unichuidig daran, ift auch unverlegen darüber. Ihn ges 
tenet feine Ueberzeugung miche, und er weiß, auch am (Grabe, 
für ſich und feine Lefer nichts Beſſers* m. f. wm. Was nen 
Wort und Weile anlangt, fo mÄffen wie bezeugen, daß anfer 
der größern Ernfthaftigkeit, auf die ja ein Jeder zuruͤckkom⸗ 
men muß, und die dem. Verf. innerlich nie fremd war, wie 
fein Alter , d. t. Altersihwäde, an ihm wahrnehmen fonnten. 
Auch feine Poeſie hat ihren Jugendreiz bey weitem nicht eins 
gebuͤßt. Wir wänfchen ihm daher Gluͤck zu einer Erfcheinung, 
die bey Männern feiner Art zwar nicht gu den feltenen, aber 
doch überall zu den erfreulichen gehört. Den Inhalt betreffend, 
fo verzeichnen wie ihn Hier mit einigen Bemerfungen. ı) Das 
heilige Abendmahl. Diefer Auffab ſchließt fih eigentlich 
an den 7. Brief an Andres im VI. Bande an. Der Berf. 
ſucht zu zeigen, daß es kein bloßes Gedaͤchenißmahl, ſondern 
ein geheimnißvollee Genuß fey, durch weichen das verlorene 
Leben des inwendigen Menſchen wieder entzändet, die Freyheit 
des Willens wiedergebraht und der Sünde Geſetz in den 
Gliedern getödter werden folle; als wozu afle Religionen und 
Philoſophieen nur Projecte, Vorfchläge und Wege feyen. Er 
belegt feine Lehre mit Schriftſtellen, die er entwidelt, und 
zeigt ihre Uebereinſtimmung mit der der Kirchenvaͤter und Lus 
thers. So viel Belkanntes hierin liegen mag, fo leiht die 
Hand des Verf. der Darfellung ihr eigenes Verdienſt; und 
denjenigen Lefern, deren Urtheil die Sache vorgelegte zu wers 
den vornehmlich beftimme if, möchte er and) manches Neue 
gefagt haben. Zum Schluß gibt er eine Stelle aus Luthers 
E:mahnung an den chriflihen Adel Deutſcher Nation, bie 
dem DBerf. gleihfam zus Sachbefähigung dient, und wo «6 
am Ende heißt: „Einen Doctor. der heiligen Schrift wird 
dir Niemand mahen, denn allein der heilige Geiſt im Him⸗ 
mel; und der frage nicht nach rothen oder braunen Pareten, 
noch was des Prangens ift, auch nicht ob einer jung oder alt, 
Lay oder Pfaff, Mönch oder weltlich ſey.“ — Wir Haben 


Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten. 496 
denen -ded) nur eins das rechte feyn kann. Iſt Rec. „par 
theyiſch,“ ſo iſt er es nicht für den Mann, - den er nie. ges 
fehen , mit dem er nie Briefe oder Gruͤße getaufche hat, ſondern 
für eine Sache, ohne die er fo wenig als Asmus und Ans 
dres rathen kann. And zwar nachdem er fie mit allen. ews 
fordetlichen Mitteln unparthepifch gepräft hat, und täglich zw 
prüfen im Stande ift. 

Benn Vieles untergegangen iſt, fo Bee die Verdienſte 
eines Claudius bleiben; und wenn er. nicht mehr hier-ifb, 
fo wird er fih nicht ſchaͤmen, sHefchrieben zu haben. Dafür 
bat er den Pfortner Hinzuftellen gleich Anfangs nicht geichent. 
Und wenn du denn, frommer Greis, dieſes Urtheil für ein 
anftändiges Kränzlein halten kannſt, fo nimm es von unbes 
fannter Hand freundlich hin, und haͤng es an dein Stusens 
fenfter , damit, ‘wenn: dein leßter Erdentag hereinfcheint, er 
es anicheine, und verfläre, und das vergängliche Laub, oder 
vielmehr den beſſern Kranz, den du dir felber gewunden haſt, 
verwandle in. eine MINELIBEIHLAGE Krone der Gerechtigkeit. 

‚1IMO, : 
— —— — 
Abentheuer auf einer Reiſe in die andere Welt, von Heinrich Fiel⸗ 
ding, Esq. Aus dem Engliſchen. Leipzig, in Kommiſſion bei 


Cnobloch. 1812. VIII und 255 S. Nebſt einem Anbange⸗ 
XLVI S. in 8. 


Wenn gleich Fieldings Journey from this world to 
the next, wovon vorliegende Schrift eine mohlgerarhene 
Weberfegung gibt, den übrigen Geiſteswerken des berühmten 
Verf. nicht gang gleich kommt, den feineren Geſchmack bißs 
weiten nicht befriedigt, und manche einzelne Gerichten zu weit 

ausfpinnt, fo fehlt es doch auch diefer Schrift nicht an Zügen 
aAIcchter Laune und Satire, und fie kann einige Stunden recht 
angenehm unterhalten. Gleich der Anfang — der Zufland 
des Verf. in den erften Augenblicden nah feinem Tode — 
zeugt Yon Wis und Laune. Leſenswerth iſt die Befchreibung 
vom Palafte des Todes, intereffant und mit Acht; fatirifchen 
Zügen durchwebt die Schilderung des Gerichts, welches Minos 
über die Seelen Hält, die nah Einfium verlangen. Die 
Abentheuer, die dem Verf. in dem Haine der Seligen ber 
gegnen, find zum Theil von ſeltſamer Art. Orphens fpielte 








No. 33. Bvetrelvergiſche | 1813. 
Jabrbacher der gitteratun 





1) Neue Aufſchkaͤſſe über die Natur und Heilung des Scharlachftebers, 
von :Gottfried Ehrikian Neid, ver AR. Dr. und Pros 
feſſor zu Berlin. Halle und Berlin, im. Wenlsge. Dit: che 
ſes. 1810. XXVIII und 276 G. in dt. 8. ze 

a) Geichicher des Scherlachfiebers ‚ feiner Epidensieen :und Heilmee⸗ 
der, mit Ruͤckſicht auf die neuerdings vorgeſchlagene Anwendung 
der Abfuͤhrmittel in demſelben, bearbeitet von Traygott Wilh 
Suft. Benedict, der AW. Dr. und praft. Arzt und Augen» 

arzt zu Cheinnit in Sachſen Cjegt Profeſſor zu DER Leip⸗ 

zig, bei Nettam. 1810. XXIV und 212 — 


Das EUER und feine Rur befchäftigt feit einigen 
Jahren die Deutſchen Aerzte mehr als jemals, und wird jetzt 
faſt ein ſtehrndet Artikel in unſerer neueſten practiſchen Litte⸗ 
ratur. In der Thai iſt die groͤßere Aufmerkſamkeit, welche 
unſere Aerzte ſeit dem letzten Decennium dieſer nicht nur an 
ſich noch fehr unaufgeklaͤrten, ſondern ohne Widerrede in den 
neueſten Zeiten immer mehr von ihrem ehemaligen einfacheren 
‚und fpecifiich eigenthuͤmlicheren Charakter abweichenden Krantı 
heit widmen, nicht ohne Grund. Dürfte man auch jetzt ſchon 
‚mit Gewißheit' fagen — mas ſich nur erſt hoffen und wänfchen 
‚läßt, — fie ift auch nicht ohne Erfolg! Die Scharlachkrank⸗ 
‚heit, weiche noch. in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahrhun⸗ 
derts in dere Negel und in der Mehrzahl ihrer, Epidemieen 
für eine Jiemlich leichte und gefahrlofe Krankheit gelten tonnte, 
‚und einen gutartigen Charakter hatte, insbefondre wenn fie 
‚nicht mit weißem und rothem Frieſel verbunden war (was noch 
jIn jener Zeit in der Regel nicht der Fall war), ericheint num 
feit etwa 2o Jahren und darüber (und befonders auffallend in 
‚den legten ı0 Sahren) in der Regel als eine gefahrpofle Krank 
heit, die in vielen Fällen, ja in mehreren der neueften Epides 
‚mieen in den meiften Fällen einen bösartigen, inſidieuſen. | 

52 | 


N. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf; v. Reich u. Benediet. AOL 


folglich von dieſer abhaͤngig iſt, ſo kann ſie nicht zugleich et⸗ 
was Unabhaͤngiges ſeyn, was ſie doch ſeyn muͤßte, wenn ſie 
die letzte Urſache der Materie waͤre. — Es winde demnach 
ein Irrthum ſeyn, in der Kraft das ſuchen zu wollen, was 
die Materie hervorgebracht hat, weil dieſe durch Raum und 
zeit beſchraͤnkt, der Hypotheſe gemäß, die Kraft emehält, dee 
das Höhere diefer Karegorien nicht untermorfen ſeyn follte.* 
&.58 fo. — „Die Kraft ift bloß etwas Hypothetiſches, Eins 
gebildetes; die Materie muß daher ale der Punct betrachtet 
werden, von welchem ale unfere Unterfuchungen. über die Ars 
fahen der Phänomene anheben muͤſſen (!)., — Gebraucht 
man alfo den Ausdruck Kraft, fo darf man nicht vergeflen, 
daß derfelde bloß unfere Unwiſſenheit über den leuten Grund 
der Dinge verbirgt, und daß er nur einen imaginären Werth 
befißer, den der Verſtand ihm leihet. Der Glaube an «ine 
befondere Lebenskraft, als Princıp der Vitalitaͤt betrachtet, hat 
daher Leinen gröfern Werth, als der Glaube an die Kraft 
der Materie Überhaupt. Diefe Lebenskraft, dieſes Nichts 
in meinem Kopfe, diefe Form des Vorfellungsı 
vermögens meines Geiftes ( o weh!) kann unmöglich. alle 
Wirkungen der objectiven Materie beſtimmen, woraus der Or⸗ 
ganismus gufammengefeßt ift. Die diefes behauptenden Phyſio⸗ 
logen verwechfeln das angeführte Nichts mit dem Weſen, das 
dieſer bloß fubjectiven geiftigen Fähigkeit (nämlich) dem Vor⸗ 
ftelungsvermögen ihres Gehirnes) die objectiven Materialien 
zukommen läßt, woraus fie fubjectiv eine allgemeine dee ab⸗ 
leiten, die donn den Namen Vitalitaͤt oder Lebenskraft bes 
tommı*“ ©. 60 fa. (Ob fih wohl der Verf. unser jenem 
„Weſen, das der bloß fubjectiven geiftigen Fähigkeit, das fol 
ſeyn dem DVorftellungsvermögen felbft, die objectiven Materias 
lien zukommen läßt,“ etwas nur halb Klares und Sinnhabens 
des denken kann?) — „Der erfte Schritt zu dem Zwecke der 
Kenneniß des lebenden Organismus ift geſchehen, wenn mas 
ser herkoͤmmlichen Linserfcheidung der Körper in belebte und 
anbelebte die richtige Bedeutung gibt, dis fie als bloß formel⸗ 
ler Unterſchied der ſchon porhandenen Materie bekommen muß.“ 
8. 62. — Doc genug pon diefen Verirrungen eines rohen 
Materialismus, zu dem man fich in diefer Art nur mit kaum 


R. Aufſchluͤſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Genedtet, 503 
in welchen die Oberhaut zu dem menfchlichen Körper und zu 
der Äußern Atmosphäre ſteht, oder in welchem fie als Vermitt⸗ 
lerin zwifchen beyden wirkt, iſt ihm das ber Wärmeleitung ; 
zu diefem komme noch ein zweytes, dem erſten fubordinirtes, 
nämlich das der Verdunſtung; und die wefentlichfie Beſtim⸗ 
mung der Oberhaut iſt alfo nah Hrn. R. in ihrem natärlis 
hen Zuftand die, freyen Wärmeftoff und Ausdänftungsmaterie 
an bie freye Luft abzugeben. Beyde Verrichtungen der Dbers 
haut erfolgen aber, nah Hrn. R., nad beftimmten, allgemein 
phyſiſchen Geſetzen, welhe der m. Organismus ganz mit der 
äußern Natur gemein habe, und von welchen das erfte und 
oberſte (auf welches Hr. R. ein befonders großes Gewicht legt, 
und es zum hoͤchſten und allgemeinften Geſetz für die Körpers 
(edre, und fomit zum oderfien Princip der Naturforfhung ers 
heben will) Bas Geſetz der Temperatur und das andere, aus 
diefem abgeleitete, das Geſetz der Verdunſtung heißt. Die 
nähere Beſtimmung und Anwendung des Temperaturgefeßes 
unternimmt der Verf. auf folgende Weile. (Wir mäffen diefe 
Deduction des Verf. aus mehreren fehr zerfirene und getrennt 
von einander daliegenden Sägen zuſammenleſen, fo wie übers 
haupt logifche Anordnung und Zufammenreihung der Haupfſaͤtze 
und ihrer Beweiſe in dem theoretifhen Theil diefes Werkes 
ſehr vermiße wird.) „Die Temperatur jedes phyſiſchen Körs 
vers wird entweder durd die Entbindung oder das Freywerden 
des in der Subſtanz eines jeden gebunden geweſenen Waͤrme⸗ 
floffes, oder durch die Aufnahme des ihm von Außen her mits 
getheiften , geleiteten, ‚oder veflectirten Waͤrmeſtoffs beftimmt. 
Findet alſo irgend eine conflante Differenz gwifhen der Tems 
peratur des lebenden Menfhen und der Teniperatur irgend 
eines unbeiehten Körpers ſtatt, fo kann fich dieſe Differenz 
doch nue auf die Quelle der verfchiedenen Temperaturen ber 
ziehen (S. 48). Der lebende Menſch, wie die atmosphärifche 
Luft, find als phufiihe Weſen dem allgemeinen Temperaturs 
geſetz glei unbedingt unterworfen. Diefem Geſetz zufolge 
 möffen von zwey mit einander in Berührung fehenden Koͤr⸗ 
pern der: wärmere dem Bältern feinen Ueberftuß an freyem 
| Warmeſtoff fo lange mittheifen, bis nach einem andern Natur⸗ 
geſetze (7), nämlich dem der Dichtigkeit ihrer Subſtanz, ihre 


504 N· Kutſchitte n. Geſch. d. Schatlachl. v⸗Rtich m Bad 


Temperatur gleich iſt. Wenn alſo die Temperatur des lebenden 


Menſchen und der atmosphaͤriſchen Luft von einander abhwei— 


| 


hen, fo muß der eine von ihnen dem andern fo viel von fir 


‚nem Uebermaaß an freyem Wärmeftoff mittheilen,, als dieſet 


aufnehmen kann. Nun iſt aber die Temperatur der frepen 
atmosphärifchen Luft an allen Orten des Erdbodens niemalt 


\ 


höher , fondern immer niedriger, als die des (ebenden Mer 
fchen, (Diefes ift eine offenbare und durch die bekannteſtn 
Thatfachen nachzumeifende. Unrichtigkeit, wie Jeder wiſſen muß, 


dem. bie genauen thermometrifchen Beobachtungen mehrere 
Meifeniden ꝛc. in den Sandmwäften Lybiens und Nigritiens, auf 
den Maldiviſchen Inſeln, in Java. und andern gleichartigen 
Klimaten befannt find. Der Verf. will fih zwar gegen di 
Kraft dieſer Einwuͤrfe dadurch retten, daß er auf den Unter 
ſchied zwiſchen der geleiteten, der zuruͤckgeworfenen, und der 
ſtrahlenden Waͤrme, und zwiſchen dem wahren Maaß der ab 
zuosphärifhen Wärme provocirt, und daraus folgert, daß in 
allen den Fällen, wo die Luftwärme größer, als die des Min 
Shen gefunden wird, das Thermometer die wahre Temperattt 
der freyen Luft gar nicht anzeigen koͤnne. Allein, wenn auf 
jme Verhaͤltniſſe der Leitung, der Reflerion und der Strahlung 
allerdings.-für die temporaͤre und locale Erhöhung der atmos 
phaͤriſchen Temperatur ‚mit in Betracht kommen, befindet ſich 
denn der menſchliche Körper nicht von diefer Luft mit die 
fer, fein Waͤrmemaaß oft um mehrere Grade uͤberſteigenden, 
Temperatur umgeben ?_ Iſt es dann nicht einerley, aus wi 
hen Urfachen die den Menfchen umgebende atmogphaͤriſche Euf 
wirklich wärmer it, als der menfchlihe Körper ? And fon 
dann, wenn und weil dadurch jene Behauptung deg Verf. WM 
zichtet wird, auch feine Folgerung gültig feyn?) „Es ik M 
her, fhließt unfer Verf. dennoch friſchweg, abfolut nochwendi 
daß der immer wärmere menfchliche Körper der immer kaͤlteren 
‚atmosphärifchen Luft fo viel von feinem Ueberſchuß an fregen 
Waͤrmeſtoff mittheilt, als dieſer davon aufnehmen kann.“ Odet, 
wie ed ©. 69 heißt, „die Luft, als der kaͤltere Körper, mus 
‚dem Menſchen immer einen Antheil von dem Prinsip di 
‚Wärme pder dem Woͤrmeſtoff entziehen, wodurch feine eigen 
thuͤmliche Temperatur beſtimmt wird,“ Wenn indeſſen, hrt 


| 


— — — — — EEE 


3. Huftchtäte u-Drfch.d. Schanfarhf, v. Meich.n. Vencdiet. #05. 


der Verf. fort, Diefe Entziehung der Wärme aus dem mens 
lichen Körper durch die Aufiere Puft, ber Erfahrung zufolge, 
doch nicht bis zu dem Grade der nölligen Ausgieihung der 
beyderfeitigen Temperaturen geſchleht, wenn im Gegentheil der 
lebende menſchliche Körper beſtaͤndig dieſelbe Temperatur / von 
+ 28 — 30 Graden Reaum, behält, fo rähre Diefes bloß (1) 
davon her, daß durch die Verdauung dem lebenden Menſchen 
die Menge des freyen Waͤrmeſtoffes wiedergegeben wird, welche 
die Armosphäre ihm bFftändig entzieht. Das Athemhalen hat 
an dieſer Erhaltung der conſtanten Temperatur des Menſchen 
gar keinen Antheil. (So verſichert der Verf., ja er kann ſich 
von ſeinem Erſtaunen gar nicht erholen, daß Phyſtologen und 
Aerzte vom erſten Rang eine aller Vernunft und Erfahrung ſo 
widerſprechende Meynung haben unterſchreiben koͤnnen. Wir, 
unſererſeits, finden es unbegreiflich, wie ein Arzt von Scharf⸗ 
ſinn und Kenntniſſen glauben kann, daß die drey hier dagegen 
angefuͤhrten, durchaus unhaltbaren Argumente auch nur einiges 
Gewicht haben koͤnnen.) „Weit gefehlt alſo (7), daß der 
Nutzen des Athemholens in der Erzeugung und Vermehrung 
der thieriſchen Waͤrme beſtehen koͤnne, beſteht er im Gegen⸗ 
theil offenbar in der beſtaͤndigen Verminderung dieſer Waͤrme. 
(Wir werden dem Verf. fuͤr dieſe wichtige Entdeckung und 
Bereicherung unſerer Phyſiologie großen Dank ſchuldig blei⸗ 
ben!) — Die Oberhaut iſt dazu beſtimmt, der umgebenden 
immer kuͤhleren Luft einen Theil des freyen Waͤrmeſtoffs mit⸗ 
zutheilen, der ſich im Innern des Koͤrpers entwickelt, oder, 
wie es S. 77 heißt, durch ihre Subſtanz hindurch den Waͤrme⸗ 
ſtoff entweichen zu laſſen. (Warum und wodurch die Oberhaut 
dieſe Beſtimmung habe, ob etwa durch eine befondere Organi⸗ 
fation, und ob es eines befondern organifirten Weberzuges bes 
dürfe, um die Wärme aus dem Innern des Körpers durch ihn 
entweichen zu laſſen? ob und aus welchen Gründen die Wärme 
nicht eben fo leicht aus einem ‚Körper oder Theil ohne Ober⸗ 
haut, als aus einem mit Oberhaut, ob ſie nicht eben ſo leicht 
aus einer dicken Oberhaut als aus einer duͤnnen entweichen 
koͤnne? darüber geht der Verf. gang ſtillſchweigend weg. Und 
doch hätte er gerade dieſe Puncte am genaueſten eruiren müfs 
ſen, weil ſie die eigentlichen Wendepuncte ſeiner Theorie vom 


= oe — 


“ 


— ed — m ——— — 


·j— — 


m = u = 7 u. a 02o\r — m ww 


N. Aufſchlaͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. n Neich u. Benedici. 50 


Aufnahme von gewiſſen Beſtanbtheilen der Atmosphäre, es fey 
Sauerſtoff oder Stickſtoff ꝛc., in die Lunge beym Athemhoͤlen; 
als etwas Ungereimtes, zu Felde zieht, ohne‘ uͤbrigens einen 
andern. Grund dagegen anjuführen, als: „es ſey eine abſolure 
Unmoͤglichkeit, daß der Körper gleichzeitig (?) anf demielden 
Weg etwäs verliere, auf welchem er etwas embfange!); ‚und 
66 insbejondere die Nord s und Nordoſtwinde eine eigens 
tchaͤmlich beffimmenden Einfluß auf die Ergengung des Scharlach⸗ 
flebers Babe, wie er ſelbſt Anfangs gemeint habe. Er verneint 
aber in Bolge fpäterer Erfahrungen dieſe Frage, wiewohl er 
den Einſtuß von rauhen und fhneidenden Winden auf das 
Afterben der Oberhaut nicht geradezu laͤugnen wii. Daß aber 
von diefem allein oder audj nur zunaͤchſt die Erjeugurig dei 
Scharlachfiebers herruͤhren folle, könne deshalb nicht-angenoms 
men werden, weil ſich erftlich. nicht würde begreifen laſſen, 
warum did Menfhen das Scharlachfieber in der Hegel nur 
einmal bekommen, weil ferner victe Menfchen troß der Eins 
wirtung der kalten Winde auf fie das Scharlachfieber doch nie 
befommen, und weil Diele vom Gcharlachfieber Jahre tang 
verihont bleiben, die doch an Drten wohnen, wo alle Sahre 
die ſchneidendſten Nord⸗ und Norboſtwinde wehen. Der Verf. 
findet es daher weit narärliher , das Scharlachfieber als eine - 
Metamorphofe der Oberhaut zu betrachten, melde derjenigen 
ganz analog fey, die ſich gewöhnlich gu gewiſſen Jahrszeiten 
bey allen (7) tebenden Organismen ereigne, nämlich‘ als eine 
Art Mauſcen oder Miebern, dem das Haͤren bey den Säugr 
thieren, und ein analoges Metamorphofiren der Auffern Hille 
bey den Ampfisien, den Inſecten und Würmern (wirklich 
auch ber allen Thierarten diefer letzten beyden Maffen ?: auch 
bey den wur ein Jahr und kürzer febenden? das Verpuppen 
fol auch wohl Bieruntee gehören?) entfprehe. Der Menſch 
fey diefen Veränderungen fo, wie jedes andere: Thter,‘ ‚unters 
worfen, wenn fie fchon bey’ ihm weniger in die Augen Iprins 
gen ; denn jedes Jahr fchäle er ſich nah und nad über die 
ganze Oberfläche ab. (Und warum befommt denn nun der 
Menſch nicht jedes Jahr das Scharlachfieber ? fühlte der Vers’ 


 faffer, wie fehr er feine Hypotheſe ſelbſt im Augenblick des | 


Aufbauend untergeäßt? und daß Alles folgende; mas er aber 


. 





10 RiAelſolste ei Seh: 1. Mein. Be 


das Periodiſche in den Meränderungen am Körper, als etwat 
nicht weiter zu. Ergründendeg,, fagt, gar nicht geeignet ift, fie 
zu vetten, oder nur einigermaßen gu flügen ?) Hier abermals, 
als vermeinte ‚Folge der bisherigen Auseinanderfekung (?), 
die Behauptung, daß das Scharlachfieber von keinem eigen 
thuͤmlichen Gift in der Luft herruͤhre, und daraus zugleich dad 
Reſultat, daß das Scharlachfieber auch nicht auſteckend ſeyn 
tönne ‚eben weil kein eigenes Scharlachgift exiſtire, und feine 
Erifteng auch nie werde beiviefen werden können. Anflekung 
tönne nur. durch unmittelbare Berührung des Anftetungefofet, 
oder durch. Einathmen der mit dem Anſteckungsſtoffe gefhwäns 
gerten Luft im eingefchloffenen Raume erfolgen. (Der WVerf., 
der zwifchen Anftecfung im engern Sinne, durch wirkliches 
Contagium, und zwifchen epidemifch s atmosphärifcher Infection 
durch atmosphärifch verbreitete Miiasmen. zu wenig.- unterihel 
det, beruft fih hier auf einige Beobachtungen von Mictam. 
ſteckung des Scharlachfiebers in Familien, wo die Geſchwiſter 
mit ‚dem: Scharlachkranken im genaueften Umgang blieben. 
Jedem Argte werden dergleichen Fälle vorgelommen ſeyn. Aber 
glaubt der Verf., mit diefen Fällen, die gar nicht zu den pa⸗ 
thologifhen Problemen gehören, ‚wirklich die, zahllofen Fälle 
von unzweifelhafter Anftefung des Scharlachfiebers widerlegen: 
zu können? ). 

Der Berf. berührt jet die Frage, warum die Menſchen 
gewöhnlich nur einmal in ihrem Lebeh vom Scharlachfieber 
befallen werden. Das hic Rhodus, hic salta, mochte der 
Verf. wohl gefuͤhlt haben, denn an der Loͤſung dieſer Frage 
mußte ſich der Gehalt ſeiner Theorie wie an einem Probierſtein 
zeigen.» Allein zum größten Befremden des Lefers bleibt der 
Verf. bloß dabey fiehen, fie aufgeworfen zu haben, und mad 
auch nicht einen Verſuch, fie zu beantworten. Er ſchluͤpft übe 
fie weg, ald wenn gar nicht viel an ihr gelegen: wäre. Sum 
Leſer mönen ſelbſt zuſehen, wie fie mit dem Maufern fertig 
werden, und wie fie die jährliche Wiederholung, deffelden mit 
dem einmaligen Erkrankten am Scharlachfieber reimen mögen! 
Heißt dies eine Theorie motiviren, durch die, man eine anden 
auf fiheren Thatfahen ruhende in den Staub. treten will? — 
Die nicht felten vorfommende Bermehrung der, Kantansbir? 











N Acfiblühe m. Seſch. d. Shallochſ. u. eich m Benin, 514 


Rung im Anfang des Scharlqche, bis zu ſtarken Schweißen, 
löugnet der Verf. nicht, aber er weiß fie auf eine neue Weife 
gu erllären, und mit feiner Theorie, der fie freylich ſtark zu 
widerſprechen ſcheint, in Einklang zu bringen. Da, ſagt er, 
die Erzeugung der neuen Oberhaut nicht auf einmal und gleich⸗ 
maͤßig vor ſich geht, und da bey warmer Temperatur der Zim⸗ 
merluft der beichleunigte Umiauf und die Verfluͤchtigung (ohne 
Wärmeentweihung?) der Saͤfte Folgen der durch bie ‚Äußere 
Wärme verminderten oder. unterdrücken Eptweichung der freyen 
thieriſchen Wärme ſeyn muͤſſen, fo practditiren ſich die vers, 
fluͤchtigten Saͤfte auf der verhaͤltnißmaͤßig kuͤhleren Oberflaͤche 
des Körpers in Geſtalt von Schweißtroͤpfchen, weil der damit 
verbundene Waͤrmeſtoff ſchneller entweicht, indem er ſich den 
umgebenden- kühleren, mehr oder minder dichteren Körpern 
mittheilt. (Alfo auch In derfelben warmen Zimmertemperatur, 
welche die Entweihung des Wärmeftoffs verhindert ? und auch 
unter der warmen und fo fdhlecht mwärmeleitenden Federbetts 
decke? Melde vortrefflihe Conſequenz bier wie Im Folgenden!) 
Daher fcheinen alle bedeckten Theile immer ‚mehr zu fshwigen, 
als die unbedeckten (fcheinen fie nur diefes?); daher ſchwitzt 
man auch im der falten Luft bey ſtarker Bewegung bloß an 
den bedeckten Theilen. — Von der befondern Beſchaffenheit 
der Oberhaut in einzelnen Individuen haͤngt großentheils die 
Verſchiedenheit der Erſcheinungen und des Verlaufes des Schars 
lachs ab. Derfonen. mit dirderer und fefterer Oberhaut erfrans 
fen deshalb (7) ftärker, als. zärtere und fchmächlichere Wiens. 
fhen mit feinerer Oberhaut, weil bey jenen verbältnißmäßig 
nicht fo piel Wärme und Ausdüänftungmaterie entweichen kann. 
— Dis Heftigleit oder Gelindigkeit der Zufälle richtet fih nach 
der Jahrszeit, und nach dem Verhalten, dem der Kranke uns 
terworfen wird. Se kälter die atmosphärifche Luft oder Wit⸗ 
terung überhaupt iſt, defto unbedeutender muß auch die Kranks 
heit ſeyn. Diefes ift zwar, wie der Verf. ſelbſt ald Einwurf, 
den man ihm machen würde, anführt, der täglichen Erfahrung 






gerade zuwider, indem diefer zufolge das Scharlachfieber im Wins 


ter und Frühjahr weit gefährlicher und. tödtlicher iſt, als im 
Herbſt; allein er iſt demohngeachtet von der Nichtigkeit feiner. 
Behauptung Äberzeuge, und Hält die Erfahrung in diefem Fall nur 


No. 33. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





\ 


1) Neue Aufſchluͤſſe über Die Natur und Heilung des Schartachficbers, 
von Gottfried Chriſtian Reich 
2) Geſchichte des Scharlachfiebers, von zeige ®. ©. Benebich 
C Beſchluß der in No. 32. abgebrocdenen Necenflon.. ) 


Da. boͤsartige Scharlachfieber iſt, nach dem Verf., keines⸗ 
wegs Folge einer angeblichen Bbsartigkeit des vermeintlichen 
Scharlachgiftes. Er behaͤlt jene Unterſcheidung bloß aus Nachs 
giebigkeie ben, indem er vollkommen übergeuge iſt, daß es nue 
eine einzige Art: von Scharlachfieber gibt. Alle heftigeren und 
gefahrvelleren Zufälle in diefem nur einftweilen von ihm zus 
gegebenen bösartigen Gcharlachfieber werden auf Rechnung des 
im Körper zurädgehaltenen Wärmefloffes gefchrieben; wobey 


‚ die übermäßig geheizten Zimmer, deren Temperatur in Nord⸗ 


deutfchland,, wenn des Verf. Verfiherung gegründet wäre abep⸗ 


nahe 34 Jahre lang derjenigen einer Ruſſiſchen Bad s —* 


| 
3 
r 


2* a u 7. 8 


Schwitzſtube nahe fommen müfite, befonders übel wegfommen. 


— Der Berf. geht hierauf zu der Betrachtung der Nachkrank⸗ 


heiten über, unter welcher Rubrik er aber auch folhe Symptome 
mit aufzaͤhlt, welche an ſich eigenthümliche und conflante Bes 
gleiter des Scharlachfiebers ſelbſt find, und nur bedingterweife 
au als Nachkrankheiten nach geendigter Aöfchuppung fich wies 
der erneuern koͤnnen, nämlich die Bräune, und das Sieber, 
über weiche beyde Erfcheinungen und ihr Verhaͤltniß zum Schars 
lahausichlag jedoch der Verf. allzukurz weggeht. Beſonders 
haͤtte die ſo haͤufig bey Scharlachepidemieen beobachtete Braͤune 
ohne Scharlachausſchlag, uͤbrigens aber mit allen Symptomen 
der epidemiſchen Fieberkrankheit, Inähere Erwägung verdient. 
Die Übrigen von ihm unter diefer Tategorie betrachteten Zus 
fälle find: Geſchwulſt und chronifhes Anfchwellen der KHalsı 


" und Ohrendeäfen, Entzündung und Wereiterung derfelben; 


| 


(Hier lefen wie die merkwürdige Aeußerung des Verf.: „feits 
dem er die Marimen befoige habe, die fi er den phyſiſch⸗ 





| 


544 N. Aufſchluͤfe m. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benakt, | 


chemiſchen Verhaͤltniſſen des Menichen zur Außenwelt ergeben, 
ſen es ihm Mar geworden, daß ale Entzündungen pur leide | 
Uebel find, die fih binnen wenigen Tagen, oft binnen weni 
gen ‚Stunden heben laffen, ohne des. großen antiphlagiftifcen 
Apparate zu bedürfen, zu welchem man gewöhnlich greift“) 
waͤſſerige Geſchwulſt und Waſſerſucht (welche gerade durh 
fortgeietes warmes Verhalten entſtehen fol, . indem dadurch 
Yufleden und endlichen Verwachſen der alten und ueuen Ober 
haut, fomit: Anhänfens der Ausduͤnſtungsmaterie in dem Zell 
gewebe unter, der neuen Oberhaut bewirkt werde. Die gar 
nicht feltıne Wahrnehmung der ſtaͤrkſten Waſſergeſchwuͤlſte nah 
der ſtaͤrkſten Abſchuppung iſt der Verf. geneigt, für eine Tin 
fang zu halten. ); Hautausſchlaͤge, Nervenbeſchwerden (die 
niemals als Kolge von Erkältung und einer von dieſer herge 
(eiteten Unterdrückung der Bautausdänftung ſeyn follen, Inden 
durch die Kälte die Hautausdunſtung vielmehr übermäßig vet 
mehrt werde; wovon aber diefe Nervenbeſchwerden herruͤhren, 
fagt uns der Verf. nicht.); trockener und feuchter Hufen, 
Ausflug aus den Ohren und andere Geſchwuͤre. Man kam 
fi denken, daß der Verf. an diefen wie an den Übrigen Rad 
Brantheiten kein Scharlachgife einen Theil haben laͤßt. — Die 
Mrognofe muß natürlih unter den Anfihten des Verf. eine 
andere Geſtalt gewinnen, als fie bey den übrigen Scheiftfel 
fern bisher gehabt hat. Der Verf. verweilt insbefondere bey) 
Cappel's prognoftiichen Beobachtungen und Lehrfägen übt 
das Scharlachfieber und ber die Umftände, nad denen fü 
die Gefahr deffelden richtet; wobey begreiflicher Weiſe Mt 
Verf. jede andere Gefahr beym Scarlachfieber, als die von 
gu warmen Verhalten entfiehen fol, und fo auch jede I 
ſpuͤnglich gefährlihere und maligne Art von Scharlachfieber 
verwirft. Hier erfahren wir zuerfi vom Verf. , welche Anfiät 
er von dem ppretologifchen Werhältniß des Scharlachs habe. 
» Das Abfterben der Oberhaut, fagt er, erſchwert die Functie‘ 
nen der Haut, macht alfo, daß mehr Wärmeftoff und Aut 
duͤnſtungsmaterie im Rörper zuruͤckbleibe, als gefchehen folk, 
und bringt fo ein Fieber zuwege, das dem intenfiven Grad 
diefer Störungen angemeffen ift, und dem Scharlachuͤbel not‘ 
wendig und durchgehende (!) den Tharakter der Synode auf 








\ i 


BtS- 9% Mufkhfüffen, Geſch. d. Scharlachf. v. Reich n. Betr. 


kung der Nachkrankheiten findet ex nichts: zu erinnern. noͤthig, 
weil diefe nur Folgen des ſchlechten Verhaltens feyen. Der 
Merf. ſchließt dieſe Abhandlung mit einer kurzen relapituliren 
den Zufammenftellung deſſen, was auf die von der Vlieſſinger 
Geſellſchaft der. Wiſſ. vorgelegten Preisfragen (gu deren Ge 
antwortung eigentlich der Verf. diefe Schrift ausgearbeitit 
Hatte) Bezug hat, und mit einem alphabetiſchen Verjeichniß 
der Schriftſteller über das Scharlachſieber. 

: Wie haben es für Pflicht gehalten, bey der Anjeige dieſet 
Keich’fchen Schrift fo ausfuͤhrlich zu ſeyn, weil die Tendenn 
derſelben keine geringere ift, als die bisher allgemein ange 
wommene Lehre von eimem befondern der Scharlachkrankheit jt 
Stunde liegenden atmosphaͤriſchen, bald mehr bald weniger 
contagiöfen Miasma ganz zu vernichten, und die bicher im 
Gangen. herrſchend geweiene Therapie diefer Krankheit voͤlig 
1 reformiren. Es .bedarf maferer Erinnerung nicht, daß dieſe 
brab ſichtigte Reſorm ſich nicht auf die längft von allen guten 
Jerzten verlaſſene heiße und erhitzende Behandlung der Schar 
lachkranken, fondern nur anf die jeßt ziemlich allgemeine Gt 
folgung eines gemäßigt warmen Verhaltens und eines mehr 
oder weniger antiphlogiftifch s Diaphoretifchen Kurplans (IM 
einfahen Scharlach) beziehen: kann. Diefem iſt freylich d4 
Verf. kalte, ja bis unter dem Gefrierpunct erfältende Hehandı 
lung diefer Krankheit und feine Entfernung aller übrigen im 
neren Kurmittel immer noch ſehr entgegengefeßt. ; Wenn Wit 
aber auch zugeben wollen, daß diefe Methode des Hrn. R. 
in den Fällen eines gelinden und gutartigen Scharlachs, NM 
bey Übrigene gefunder und kraftvoller Konftitution der Indivi 
buen, öfters ohne allen Macheheil angewendet, ja daß fie m 
ter beſtimmten Umftänden von Nuten für die Abkürzung di 
Krankheitsverlaufes ſeyn kann, fo werden wir darum de& 
nicht glauben, daß diefe Methode audy in den Fällen des Bl 
artigen und gleich vom Anfang an mit dem Charakter ein 
Synochus, oder aber eines Typhus, oder wentgſtens mit fa 
ſcher Tendenz zu diefem, eintretenden Scharlachs nügtich me 
angezeigt ſeyn werde. Wir werden fie vielmehr in diefen Säl 
len, und überall, wo das — zuverläffig exiſtirende und © 
dem Verf. nichts weniger als widerlegte — Scharlachmiad 





524 Minceralogiſche Studien von Leonhard und Gelb, 


Gattung, welche Hr. 2. wegen ihrer täufchenden Aehnlichkeit 
mit. Baft fo benannt hat, finder fih zu Offenheim in de 
Wetterau, und foll, wenigftens zum Theil, von der Erle 
(alnus glutinosa ) und zwar von der Rinde herruͤhren. Rec, 
Der die baflartige Braunkohle aus Autopfie kenne, muß gefle 
hen, daß fie ſich ſehr als neue Art charakterifir. — IV. Mir 
neralogifhe Notizen von Leonhard. Nicht minde 
reichhaltig.  Sphene ale Einfhluß im Bergkryſtall aus dem 
Chalomcher Gebirge der Dauphinde und einige Bemerkungen 
über dieſes Mineral, wichtig für die Charakteriſtik deſſelben. 
— Analzim aus Foſſe. Vorkommen in einem bafaltifchen Mans 
delſteine, mit Zeolith ꝛc. — Melanit und Leuzit in Deutſch 
land entdeckt (am Kaiſerſtuhl im Breisgau in einer etwa 
aufgelösten gränfteinartigen Gebirgsart). — Neue Kryſtal⸗ 
form des Gediegen⸗Wismuths ( fechsfeitige Säule mir dry 
Flaͤchen zugeipißt). — Anatafe vom St. Gotthard. — Koh⸗ 
Ienfaurer Strontian von Bräunsdorf bey Freyberg (— dielet 
Foſſil wurde von manchen Naturforfchern für Arragon gehal 
ven). — Unbekanntes Mineral in der Gegend von Schem— 
nis gefunden. — V. Mineralogifhe Motigen von 
Selb. Intereſſant. Frequenz bes Angits am Kaiferkufl 
im Breisgau. — Webergänge des Baſalts in Klingfleinpen 
phyr. — Kepftallformen des Gediegen » Wismuchs anf det 
Grube Sophia (Tetraeder, vierfeitige Tafel, Oktaeder, , drep 
feittige Doppelppramide ), — : : Ueber den Silbergehalt 4 
Wismurh Silbererzes und deſſen Kryſtallgeſtalt. — Tafıl 
Förmige Kryflalle von Bleyglanz. — VI. Weber das it 
Unsarn entdecdte phosphorfaure Rupfer. Bor 
Leonhard. Der Fundort dieſes in vierfeitigen Doppelppte 
miden phosphorfauren Kupfers iſt Libethen bey Neuſoif. Al 
Anhang einige chemiſche Notizen von Buchholz, welche du 
Angaben des Verf. durch die Analyſe rechtfertigen. — Vi : 
Defhreibung einer Suite von Öebirgsantenan | 
der Auvergne, von Leonhard. Als Einieltung lm 
fehrreiche Bemerfungen von Dolomiten und Bud Alt | 
Vulkane der Auvergne, aus dem Journal des mines und 8 | 
Buch's Reife entlehnt. Nun folgen die mit wieler Grändid! 
Beit entworfenen Bejchreibungen der Gebirgsarten, devam 32 
fih auf 71 belauft. Die Sammlung bietet eine jiemlih ml ' 
fländige Suite der Gebirgsarten diefes merkwürdigen Lanl 
dar. Im Allgemeinen find Bejchreibungen von Gebirgdaie) 
ohne daß man Gelegenheit hat, die Exemplare feldft mil * | 
Texte vergleichen gu fönnen, von feinem befondern J 
die vorliegenden machen indeß bier eine Ausnahme, indem Mt | 
als interejfante Belege beym Nachleſen der Schriften, weißt 





546 Exfahe. u. Vb. 2. Axantb. d.mei. Geſchlecht v. Roezele. 


der kuͤrzeſten Zeit zur möglihft gründlichen Einſicht gelang. 
Die erfie Beraniafung zu diefer Arbeit gab ihm (©. 7) ein 
vor fünf Jahren erhaltener obrigkeitliher Auftrag, Vorſchlaͤge 
zur Berbefierung des Geburtshätfeweiens zu machen ; und da 
ihm die grändlidde Verbeſſerung diefes Zweiges der Med. Ber 
faffang von einer gwedimäßigern Einrichtung des Unterrichtes 
and der Bilbungsanftalten ausgehen zu müfen ſchien, fo wew 
dete er hierauf vorerfi feine vorzäsliche Aufmerffamkeit. Die 
Arbeit wuchs ihm unter den Händen zu einem Umfange heran, 
Die mit in feinem urfprünglichen Vornehmen lag, und er 
glaubte durch die Öffentliche Mitteilung derſelben nägtich few 
ga Eöunen, beſonders duch Nebeneinanderſtellung feiner Auf; 
sen mit der treflichen Nolde ſchen Kritik, indem er vorzägfih 
auf diejenigen Puncte Rückſicht nahm, wo er verfchiedeng 
Meynaung mit demfelben war. 

Da, wo von dem Umfange umb Inhalt der Einfeitung 
die Rede if, beißt es: unter Geburtshälfe feye dem Ginm 
des Wortes nad offenbar nichts anderes zu verſtehen, als dis 
Kälfe, die beym Gebaͤren geleitet wird, und unter Seburs⸗ 
dälfeunft, von andern unridtig Entbindungsfunk genannt, 
die Kunſt, jene Hülfe zweckmaͤßig zu teilen; in den Lehrvor⸗ 
trag der Geburtshuͤlfekunſt dürfe nichte aufgenommen werden, 
als die Regeln and Vorſchriſten, welche fih auf den Beyſtand, 
und die Hälfeleiftung bey der Geburt Beziehen, und ae 
Saͤtze, auf welche fi jene Regeln zunaͤchſt Rügen 3 es few 
daher eben ſo unrecht, Krankheiten der Wödnerinnen und 
Neugebornen in den Lehrvortrag der Gehurishälfe aufzunch⸗ 
men, als den propaͤdentiſchen Unterricht zu weit ausgubehmen, 
and den Vortrag and auf Unvorbereitete berechnen zu mols 
fen, wodurch, mie der Verf. richtig zeiat, die Möglichkeit 
einer ſyſtematiſchen und gründlihen Darftellung aufgehoben 
wird. Ihrer Natur nach zerfallen aljo die Gegenflände bei 
Lehrvortrages der Geburtshülfekunſt in die eigenelihb u 
Burtshälflihen, und die (näheren) propädbeutifchen. Du 
aber das obftetrigiihe Verfahren feinem Zwecke und Mefen nad 
verſchieden ift mach der Befchaffenheit der Geburt, je nadhbım 
dieje entweder A. Geſundheit gemäß vor fih geht, oder B. bu 
Normalität diefer Fuuction geftört, aufgehoben If: fo zerfah 





Erfahr. u. Abh. d. Kraulh. d. weibl. Geſchiechts v. Naegele. 849 


Hierauf kommt der Verf. für die zweyte Abtheilung, auf 
das Verhalten ſowohl der Gebaͤrenden als der bey der mE 
Gegenwärtigen für die normale Geburt zu fprechen. 

In der erſten Abtheilung des zweyten Haupttheiles ( wi 
pathologifch s therapeutiſchen Theiles ) follen die Abnormitaͤten 
der Geburt nad) ihren Hauptverſchiedenheiten, oder die allge 
meinen Formen von Störung diefer Verrichtung noſologiſch abs 
gehandelt, Die Vorgänge, anf denen die Ruͤckkehr oder möglichfie 
Annäherung zur Normalität beruhet, ausgemittelt, hiernach 
die allgemeinen Regeln für das Turverfahren befkimmt, nnd 
endlich die vorzuͤglichern der Geburtshuͤlfe eigenchämlichen Bes 

handlungsarten ( methodus curandi obstetricia generalis ): 
die Application der Geburtszangen, die känkliche Veraͤnderung 
ber Fruchtlage, die känftlihe Entbindung vermittelſt bloßer 
Hände, die Entbindung auf freemdem Wege (Sectio csesarea) 
und die Perforation und Embryotomie ausfährlich exponirt 
werden. S. 2od. „Mit disfen Operationsarten, ihrer Name ° 
Beſtimmung, Wirkungsart und der Art, fie zu verrichten, muß 
bier der Schäler bekannt gemacht werden, wie auch mit ihres 
allgemeinen Anzeigen. Die VBefonderheiten derſelben, ihre 
Modificationen,, in fpeciellen Fällen, und ihre befendern Ar 
geigen find Gegenftände der- fpeciellen Therapie, und koͤnnen 
durchaus nur da gründlich und deutlich abgehandelt werben. 
— „Hier foll der practiſche Unterricht, oder die Uebungen am 
Fantome, an Leichen u. f. w. beginnen, und neben dem ea 
retiſchen Unterrichte fortgeießt werden. 

In der andern Abtheilung des zwepten Haupttheiles, weiche 
die fpecielle Pathologie und Therapie der Geburt enthält, ſol⸗ 
len die befondern Formen von Abnormität der Geburt mebfl 
‚ Ihren wichtigen und häufigern Complisationen, nach ihren 

Zeichen, Unterfcheidungsmerkmaten, Urſachen, Wirkungen, Aus— 
gaͤngen und Folgen dargeſtellt, die Curregeln beßimmt und die 
Behandlungsarten angegeben werden, anf bie in. der Übrigen 
Heilkunde allgemein angenommene Weiſe. 

S. 1095 — 116 if ausführlich gezeigt, daß die Normalis 

tät Der Geburt nicht allein anf der gegenfeitigen Proportion 
swiichen den beyden Dauptmomenten des Mechanismus ber 
Geburt, nämlich dem artiven und paffisen Dioment (den aus⸗ 


v 


% 


5580 :..Erfahr. 0. Abh. d. Kranky:d, weibl. @efchlechts n.acyle.. | 


treibenden Kräften und der Frucht und den zum Durchgang 
derſelden beſtimmten Wegen) beruhet, fondern auch (da ale 
Normalitaͤt des Mechanismus irgend einer Function immer 
eine relative iſt) auf dem Verhaͤltniſſe dieſer Proportion N 
den organifchen Functionen, die von dem Gehärungsacte im 
fluirt werden, und zu der Stimmung der Vitalitaͤt bes Abel 
gen individuellen Organismus uͤberhaupt. Dieſemnach ergebm 
ſich zwey Hauptgattungen von Abnormität ber Geburt, je 
nachdem das eine, oder das andere der eben erwähnten Ver 
hältniffe ich von dem Mormalzuftande entfernen : naͤmlich M⸗ 
naormitaͤten der Geburt wegen fehlerhafter Beſchaffenheit det 
ihren Mechanismus bedingenden Momente, und Abnormitaͤten 
ber Geburt wegen normwidrigen Zuftandes des übrigen Orgw 
memus, inwiefern er von der Geburt influire wird. Bat 
die weitere Eintheilung der erfien Hauptgattung von Abnormi 
täten beteiffe, fo möffen wir une hier befchränfen , anzugeben, 
daß des Verf. Hauptaugenmerk darauf gerichtet war, die Ein 
theilung auf die weſentlichen Verſchiedenheiten zu gründen, di 
einzelnen. Abnormitäten unter möglihft allgemeine Geficht: 
puncte zu bringen, und ‚jene nad) jeder andern Eintheilunge— 
weiſe unausweichlichen , zahlreichen Unterabtheilungen zu wi 
meiden, welche die Ueberſicht erichweren, den Schüler auftt 
Stand ſetzen, dem Lehrer zu folgen und ihn verwirren, md 
weiche fih zue Bearbeitung. zum Zwede einer fpeciellen Pather 
logie und Iherapie der Geburt durchaus nicht eignen. — Au 
‚der Neflerion auf die Wirkungsart die Fehler Der , einzelnen 
Momente, vwoelche jene Hauptmomente des Mechanismus con 
ſtituiren, ergibt fih aber offenbar, daß ihr Einfluß auf den 
Berlauf der Geburt ſich darin vereinigt: denſelben entwedt 
zu erſchweren, ober in höherem Grade der Abnormitaͤt gaͤnjlich 
gu unterbrechen, unmöglich zu machen (eine bloße gradualt 
Verſchiedenheit) oder. ihn übermäßig zu. beichleunigen. Hier— 
Durch iſt unter den Störungen der Mechanik der Geburt ein 
in Hinſicht auf Ihre Urfache und ihren Einfluß weſentlich 
Hauptverſchiedenheit gefegt. Diele beyden Gattungen von A 
nermität find aber für.fich verſchieden, je nachdem ihr Grund 
entweder im. einem Fehler der austreibenden Kräfte, ober dei 
dieſen entgegenfichenden Objectes liegt, und. im letzteren Zeh 


® 


‘ 
& 1 





Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechts v. Naegele. ST 


parates dieſer Art, fuͤr deſſen mitgetheilte genaue und deutliche 
Schilderung der Verf. den Dank ſeiner Berufsgenoſſen ver⸗ 
dient. Der Fall iſt kaͤrzlich folgender: Anna Chröſtin ä 
Dienftähler, die Frau eines Zimmermanns zu Dhäne Int 
Sroßherzogthum Berg, 36 Jahre alt, feit 15 Jahren verhey⸗ 
‚Bather, befand fiih in dem erften 6 Jahren ihres Eheflantes 
volfommen wohl, war von gefunden blühenden Ausfehen und 
gerade und wohlgebaut, einige Brönathe nach ihrer vor-5 Jahr 
ten erfolgten , "fünften, glaͤcklichen Miederfunft fing fle an, ar 
ehesmatifcher und gichtifcher Affertion,, ale Zolge einer Verkaͤl⸗ 
fung, ‚zu leiden. Unter dfterem Wechſel mit VBeflerbefinden 
nahm das Hebel zu, und machte ihr das Gehen aͤußerſt der 
ſchwerlich. 2 Jahre nachher gebar fie ein todtes Kind. Die 
Geburt war fchwierig, wurde jedoeh duch die Naturkraͤfte 
vollendet; und die Hebamme, welche ihr beygeſtanden, eine 
alte erfahrene Frau, verfiherte beſtimmt, daß die Barten Ger 
burtstheile von allee Mißſtaltung freu geweſen feyen. Hierauf 
nahm ihre Krankheit, die gichtiſche Affection, wieder fo gu, 
daß fie nur mie vieler Mühe, und nicht ohne Stock gehen 
konnte, endlich fat ein halbes Fahr zu Bette zubringen mußte; 
und, ale fie wieder anfing zu gehen, ſchien das rechte Bein 
wie gelähmt zu feyn, und bey einiger Anftrengung fühlte fie in 
demfelben, fo wie in dem rechten Huͤftgelenke Heftige Schmers 
gen. — Im Anfange ihrer fiebenten und lebten Schwangers 
ſchaft, weicher in den Frähling ‚fiel, ungefaͤhr 5 Vierteljahr 
nach der vorewähnten Niederkunft, fhienen ihre Kräfte und 
ihre Gefandhelt wieder zu kehren. Zum Erftaunen ihrer Bes 
kannten fing fie wieder an, ihre Gartenarbeiten felbft zu vers 
richten, gu pflanzen, gu graben, und befand fi fernerhin 
wohl, wie dies auch ihre Befichtsfarbe zeigte; obfchon der cons 
tracte Zuftand ihres Körpers auch aͤußerlich fihtbar war. Der 
Ruͤckgrath war gefrümmt. Die Hebamme, welche fle unters 
ſucht Hatte, verficherte, daß es außer dem Kaiferfchnitte Leif 
Mittel gebe, fie von ihrem Kinde zu befreyen. Daſſelbe fand 
der zur Niederkunftszeit herzugerufene Geburtshelfer. Er vers 
tichtete die Operation gang nach den Regeln der Kunſt. Das 
Kind gab_ keine Zeichen des Lebens von fih; es hatte an beys 
den Seitenwandbeinen einen tiefen Eindruck. — Während der 


a 


SO Wise. Neperterium der Mineralögie von Leonhard. 
Welches nebft den drey Lendenwirdeln nur B "Ungen und 5 
Quentchen wiegt. — Mit als eigentlih Hierher. gehorend, 
fondern feiner aͤußerſten Seltenheit wegen, fügt ber Verf. noch 
die ihm von Baudelocque in einem Briefe mitgerheilte 
Beſchreibung eines hoͤchſt mißſtalteten Skelettes bey, deſſen 
Becken dieſer im erſten Bande feiner Anleitung zur Entbdin⸗ 
dungskunſt tm Vorbeygehen erwähnt hat. — Am Schlaufe 
legt er dem Urtheile der Sachkundigen eine Bemerkung vor, 
km durch die Erfahrungen anderer entweder beftätigt oder wis 
berlegt gun werden. Er fand naͤmlich an ben bey weitem mei⸗ 
ſten, ihm gu Geſicht gekommenen, durch vorhergegangene mehte 
oder weniger gleichmaͤßige Knochenerweichung deform geworde⸗ 
nen Becken, die Verengerung des Beckeneinganges an der 
linten Seite in ſtaärkerem Maße, als an der rechten. 
Schon vor fünf umd miehrern Jahren theilte er dieſe Bemer—⸗ 
fang mehreren berühmten Anatomen und Geburtshelfern mit, 
md erhielt durchgehende Beſtaͤtigung derfelden. Zum Belege 
führt er außer den Becken aus feiner eigenen Sammfung eine 
bedeutende Anzaht von andern befchriebener deformen Becken 
an, und theilt aledann feine Meynung über die Urſache diefer 
Eriheinung aus Gründen mit, deren Beherzigung wir des 
Intereſſe wegen, welches diefe Bemerkung in practiicher Hin 
fiht hat, den Sahlundigen empfehlen, uns aber ſowohl hier | 
über, als Über den Werth dieſes ganzen, an Gegenſtaͤnden 
reichhaltigen Werkes, des Urcheiles nach den Gefegen umferes 
Sinftitutes begeben. J. Fries. 





Allgemeines Repertorium der Mineralogie. Von C.C. Leon 
| hard, der W. W. Dr. grofsherzogl. Frankfurtischem 
General - Inspektor der Domänen etc. Erstes Quinquen- 
nium. Jahre 1606 — 1811. Frankfurt a. M. 1311. Inder J, 

C. Hermann’schen Buchhandlung. Vill und 212 S. in. 

(2 fl. 30 fr.) 

Diele Nachweiſung alles Miffenswärdigen in dem Gebiete 
der Mineralogie während der genannten Periode fchließe ſich 
an das rähmlıchhtt befannte Taſchenbuch des Verfaffers an, E— 
find der Abichnitte gehen. Die Bearbeitung ift mit Fleiß und 
Sorgfalt ausgeführt, und wir empfehlen dieſes Werk dem 
wiffenjchaftlihen Mineralogen als jehr gutes Huͤlfsmittel. 








Domitii .Ulpiani. fragmentä. 673 


‚Anfiht: das werf. die Wiſſenſchaft gefördert und mit — 
Reſultaten — J oder — J 


4 





N t 


Domikii Ulpidni fragmenta libri regularum singularis, uti videtur, 
vulgo XXIX tituli ex corpore Ulpiank‘ Denuo revensuit 
Gustavns Hugo, . — Mylii un, VI um 
52 S. 8. u: ‚ 

Da berahente — hat auch durch dieſe Arbeit 

feine vielen .‚Merdienfte ums neichrtes und wiſſenſchaftliches Stu⸗ 

Dinm. den Roͤmiſchen Rechts vermehrt. Schon das iſt danfenst 

werth, daß er, nachdem ſetne frühere Ausgabe‘ (von 1788 ) 

vergriffen war, abermals Selegenheit gab, dieſes ſchaͤtzbare 

Buͤchlein fuͤr einen ſolchen geringen Preis anzuſchaffen, daß 

son der. Seite fein Hinderniß den darüber zu haltenden Vor⸗ 

jefungen ‚und eiguem Studium, welche den größten Nutzen 
gewähren muͤſſen, im Wege ſteht. Aber — :wie fih vom Her⸗ 
ausgeber, ber bey jeder Ausgabe einer eignen Schrift faſt ein 
neues Buch liefert, nicht anders erwarten: ließ — auch das 
denuo recensyit ſteht nicht muͤſſtig auf dein Titel, und fo 
darf ſich auch die Kritik Ulpians Vortheile von dieſer Arbeit 
verſprechen. Worin das in dieſer Beziehung Geleiſtete beſtehe/ 
gitze Die kurze Vorrede (die ausfuͤhrlichere der erſten Ausgabe 
iſt wessebhieben ) im Algemeimen an, und Me ae lee 
näher: darzulegen. 

‚Ulpians Worte felbk leſen wie bier mehr. * — ſon 
fraͤher gedruckt waren, als in der Ausgabe von 1788, in wel⸗ 
ger: manche Conjecturen Andrer und eigne etwas zu raſch auf⸗ 
genommen ſind. (Manche der: damaligen Lesarten vel incuris 
£uzlerat, vel:nimium fere |gtammaticae studiung' erkenda« 
vorat Heißt. ed in der Vorrede.) .Hierher gehörige Aenderun⸗ 
gen bemerkte: Dec. in. den. erſten 16 Titeln, die er "genauer 
ohngefaͤhr eben fe viele größtentheits beyfallswerthe. 

So if z. B. t. a. $. 6. anflatt des von Schulting vorgeſchla⸗ 
genen, der, genauen. consequutio temporum angemeffenere 
nolit wieder das. in den Handſchriften vorfommende nollet 
geſetzt, ohnſtreitig weil Ulpian in dieſen Seinheiten Age ſo 


— —X ie — — — un 


.. 
2 u 





Frauendienſ von 8. Tied. 683 


einer aften Handfchrift bearbeitet und peraußgegeben von Ludwig 
Tieck. Stuttzart und Tübingen, in der 9. ©. Cottaiſchen 

Buchhandlung 1812. 

Man hat in England und anderwaͤrts an alten Bildern 
verſchiedner Jahrhunderte die Bemerkung gemacht, wie Fami⸗ 
lien, Städte, Nationen in der Phyfionomie der Außeren For⸗— 
men zu allen Zeiten im Ganzen fich gleich geblieben, fo daß 
es fcheint, als 06 der herrſchende Grundton jeglihen Volkes 
im Derlaufe feiner Entwicklung nur durch alle die mitklingens 
den Töne umlaufe, und fo die Harmonie des Beyeinander⸗ 
feuns fih in die fließende Aufeinanderfolge ausbreite. Dieſe 
Seelenwanderung ift befonders und vor allem in der Kunſt 
gu bemerken, die Funken, die bey. ihrem. erften Aufbligen jes 
der Nation zu Theil geworden, laufen mit dem Leben an den 
Seichlehtern wie an goldnen Ketten fort, auffnifternd bey 
jedem Ringe, obgleich in vielen Farben fpielend, doc, immer 
daſſelbe Feuer. Was daher je recht eigentlich in einem Wolke 
gelegen und aus ihm hervorgedrungen, welche dichterifche Ader 
je in ihm gefchlagen, und geblutet, die kann nimmermehr gang 
in ihm verfiegen, fie hat ihre Fülle vielleicht duch Einwins 
‚dung in ein anderes Gefäß entladen, aber. Nerv und Muskel 
treiben in ihr fort, und es wird derfelbe Lebensgeift abgefchies 
den. immer braust auf gleiche Weile der. Waſſerſturz ſchaͤu— 
mend durch die Lüfte, immer fliehen an ihm diefelden Zarbens 
bogen, obgleich Luft und Licht und Waffertropfen immer andere 
und andere vorübereilen, und einzig der Fels unten immer 
derſelbe ſteht. So ift denn auch die Minnepoefle in three 
Weile fo nationell, wie der Pfalter der Hebräcr, keineswegs 
aus dem Volk entwichen, das fie fo viele Jahrhunderte ger 
pflegt, während die ganze Lyrik des neueren Romanes auf ihr 
, bat fie ſelbſt in threr alten Einfalt in den Herzen eine 
Stätte fi) bewahrt, umd immer einen Mund gefunden, der 
das Wort für ſie gethan. Man kann Tiec® gang eigentlich im 
ſeinen Beftrebungen und dem, mas er geleifter, als den Mins 
nefänger dieſer Zeit erkennen, ats den, über weichen jene 
ſchneeweißs Taube fenkrecht ihren Stahl herabgeſendet, daß 
er unter allen Sprachen am geläufigften jene alte Kerzen 
ſprache ſpricht. Sein ganzes Weſen neigt jüh gegen jene Zeit, 





B 
2 
ne 


554 Frauendienſt von 2. Tieck. 


in die er feine Wurzeln gefchlagen, und die wie eine Seife | 


flimme aus ihm herausgefprochen ; gern und freudig wärden 
jene zwölf alten Meifter, die ten Geſang gegründet, thn- als 
den Ihrigen erfennen, und den befreundeten. &eift in Liebe 
. verehren. Sa man möchte fügen, er bat unter der Genoſſen 
fhaft gefeffen,, und ift der Leßte von dem fchönen Bunde noch 
geblieben, wie alle Chroniken von Johann de Mehun bericı 
ten, daß er Carl den Großen und nah ibm noch vierthalß 
Jahrhunderte vor feinem Tod gefehen: Eben jener teichte 
Spott, der luftige Wis und das milde Laͤcheln, das fo haͤu 
fig feinen redenden Mund zu oft nur das Auge umfpielt, mie 
das Alles ihn nebſt jener Richtung fo ganz eigenthuͤmlich bu 
zeichnet, zeigt, wie der Minne Kind in ihn erwachſen, vid 
zeit und Menſchenthun gefehen, und feine Strahlenpfeile ſchei 
telrecht durch den unter ihm fichenden Frühling ſchießt. hm 
fam es daher vor Allem gu, die alte vieltönige, laͤngſt ven 
ſtummte Laute von neuem zu beſaiten und den ſchlafenden Bis 
derhall in ihr zu wecken. Bodmer hatte die alten Lieder 
in ihrem Werthe zuerſt erkannt, und ſie in die Welt geworfen, 
die damals mit wichtigeren Dingen beſchaͤftigt, ihrer nicht ach⸗ 
tete. Da führte der ihnen fo nahe befreundete Dichter die 
Vergeßnen von neuem in unfere Mitte ein, und wußte ihnen 
bie Aufmerkfamkeit zu gewinnen. Mit treuer Liebe hat er 
ihrer fid) angenommen, bis fie mit Fertigkeit die Sprache der 
Zeit geredet; alles hat er an ihnen gethan, was man einem 
erften Berfuche ind Große Hin immer anmuthen mag. Nun 
fie Luft und Piebe zur fautern Quelle feibft erregt, tauchen fie 
freudig in ihren Maren Wellen wieder unter. Sind die Deut 
fchen einmal erſt bey einer Meverrafhung in ben rechten Ge— 
fihtspunct gebracht, und zur ruhigen Befinnung gefommen, 
dann fann man bie Fortbildung ruhig ihrem freyen ins 

firebenden Sinne überlaffen. Seit jenem Anftoße ift die Minne⸗ 
poefie in ihrer ganzen Wurde anerkannt und geachtet worden, 
wie ein ungebundener verwaister Reim hatte fie trauernd in 
der Nation geftanden, nun aber if plößlich im vieler Bruf 
der Anklang erwacht, der fie bindet, und fie zieht nun wie 
freudig in die Hetzen ein. Eine fchöne Jungfrau wandell 
biefe Kunſt durch Blumen und den Klee fieben Erpfallen 








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Frauendient von 8. Tieck. ses 


Bälle und mehr, jeder in eigner Farbe den Gonnenfchein bre⸗ 
hend, fängt fie mit gewandter zarter Hand, und wirft fie 
tunftreih, daß bald diefer, bald jener auf und mniederfteigt, 
und fie bald paarweis, bald zu drey und drey umd vier und 
vier einander fi) begegnen, und bald diefes, batd jenes mit 
dem andern fi) im Farbenſcheine gattet, und der leichte Tanz 
in immer andern und andern Figuren fi verſchlingt. Eng 
umfchrieben iſt der Kreis diefer Lyrik, aber in diefen Kreis 
find alle erfinnlichen Formen eingeichrieben, gerade wie die 
Natur in wenige Elementen fo viele Kryſtalle und das Leben 
feine Blätter und Gebilde wirft. Die reine oft fehnende, oft 
jauchzende Luft ift die Poefie in diefer Kunft, das reine aͤther⸗ 
helle Waſſer diefes Diamanten wird eben nur durch den äußern 
Schnitt in jenes fpielende Zarbenmeer zerſetzt. Eines fehlte 
noch bisher, feit man dies erkannt, die Faffung zu dem Edel— 
ftein, das Leben zu dem Liede. Leber Berg und Aue zieht 
hin das luſtige Voll, an Kreugwegen und Madonnenbildern 
führt es feine Tänze auf; wir hören die Weife und den Ges 
ſang, aber wir möchten auch die Neife kennen, und was bie 
Eingebung des einen Augenblickes mit der des Folgenden vers 
knüuͤpft. Das iſt uns hier im Frauendienft gegeben, es find 
die Dentwärdig/e.ten aus dem Leben eines Minneſaͤngers der 
guten ‚Zeit, die uns hier aufgezeichnet find; was von eptfcher 
. Handlung feine Iprifchen Begeiſterungen zufammenhielt, hat 
‚ er uns erllärt, und damit erft iſt das ganze Gemälde dieſer 
poetiſchen Weltanihauung vor uns ausgebreitet. Gar wohl 
ſchickt ſichs zu diefem Zwecke, daß der Herausgeber die zwi⸗ 
ſchen den Liedern durchlaufende Poeſie in Profa aufgelöst, die 
ungebundne Rede gibt fo den Goldgrund, der die Farben des 
Lieds entzündet, daß fie wie fchöne, grüne Inſeln aus dem 
in Lichewellen fchlagenden Meere heraufbluͤhen. Zugleich wird 
dadurd dag langmeilige, breite glücklich vermieden, das die 
erzählenden Gedichte einer Zeit, die an dem kuͤhlen, friichen, 
aber farb » und geruchtofen Quellwaſſer heiteren Lebensgefühles 
fih ergößte, für eine fpätere haben muß, die aus allen ©les 
menten fih ihre Labfal miſcht. Haͤufig murmeln die Worte 
biefer Erzählungen in unerihönflicher Geſpraͤchigkeit wie Wald⸗ 
baͤche ohne fonderlihen Gedankenaufwand dahin, aber die Zus 


u. 12 
N 


886 Frauendienſt von £, Tieck. 


hörer fpiegeiten fi, wie es fcheint, fo vergnuͤgt, wie Gras, 
Kraut und Baum und Stern in ihrem Silber, und waren 
nicht zu ermuͤden, denn ihre Liebe ſprach fie Daraus an. Jetzt 
Reht die elegante Welt wohl aud hinaus zu ihnen, um eins 
mai wieder die rechte Landluſt zu genießen, ſie trinkt in der 
Eurzeit das Waller aus Bechern zur Stärkung der fchlaffen 
Fiber und lobt den Trunk gar fehr gegen jedermänniglich, 
folte fie aber ihres Herzens Gedanken recht unummunden kund 
geben, fie könnte nicht anders, als «es für ein abominables 
Geſoͤff, eine fade Brühe erklären, die ihr Neißen in den Dar⸗ 
men macht, zu welchem offenherzigen Geſtaͤndniß ſie denn auch 
die Sudelkoͤche, die ihr Thees Effenzen und Kaffe⸗Surrogate 
ihrer Fabrik unaufhoͤrlich anruͤhmen, aufs Belle animiren. 
Dieſe Wellen find nun hier gluͤcklich zur Conſiſtenz eines In— 
bepps verdickt, und auch fo mag er Vielen weit ‚weniger als 
. Bett Webers Kraftbrühen munden, die auffchlagen wie 
Queckſilber im Magen, und den herrlichen Nachgeſchmack 
zurüctaffen. Jene aber, die in ihrer und aller Zeit nur auf 
Die Laute des großen Sylbengeſpraͤches horchen, das tief im 
barmenden Tumulte der Geſchichte die Geifter diefer Zeiten 
halten, ohne zu merfen auf das Saufen und Raſcheln der lee⸗ 
sen Spreu, die der Wind umtreibt, werden gar wohl willen, 
was fie daran haben, ein Blatt aus der Weltgefhichte des 
Herzens, wie deren in jedem Jahrhunderte nur eines umge 
fhlagen wird. Seit Ulrich von Lichtenftein, hat die Erdaxe 
Saum dem Aftronomen merklich in ihrer Stellung fih geändert, 
das Leben aber und die Menfchenwele hat eine gängliche ms 
wälzung erfahren, kehrte er ſelbſt zuräd, er würde wohl bie 
Dreugierde der Stümpffien regen. Statt deffen bat er eim 
Buch aus feinem Sarg gereicht, in dem es treulich aufgefchries 
ben, wie ihm zu Muth gewefen, und wie ihm feine Zeit ev 
ſchienen; wir follten denken, daß es uns merkwuͤrdiger ſeyn 
mäßte, als eines der fechs und dreyßig Paviangefchlechrer zu 
beſchauen. Sein Gewerb ift Nitterehum im Minnedienft, von 
feüHefter jugend bat er fih ihm ergeben, alte einfach kompo⸗ 
nirte Bilder gehen an uns ‚vorüber, ein rumder voller Tenor 
fingt daraus in kunftlofer Modulation hervor, anfangs nue in 
einzelnen Accorden fih verjuchend, dann zu eine yufamıman 








588 Frauendienſt von 8. Tieck. 


konnte der Ueberfluß ſich gar wohl anhaͤufen, und mitunte 
eine ans Orientaliſche graͤnzende Pracht ausgelegt werden. Un 
indeſſen nicht ungerecht die Zeiten zu beurtheilen, müßte man 
genauer den Zuftand des Landmanns in jenen Jahrhunderten 
fennen. Wir ſollten denken, der Aderbau fey etwas fo fe 
tige, fich ſtets gleichbleibendes, daß der Zuftand feiner Pflege 


in allen Perioden fo ziemlich derfelde geweſen; bey dem Bl 


felverhältniß von Stadt und Land muͤßte die Bluͤthe jenm 
auch größeren Wohlftand der Bauern nach ſich ziehen. Vieler 
Hudel war noch nicht erfunden, ‚unter dem Drucke litten nır 
Einzelne, die Mehrzahl war nach dem treuherzigen,, fo wenig 
abgefeinten Charakter der Zeit gewiß billig, Ulrich ſelbſt aͤußert 
darüber durchaus rechtlihe Sefinnungen, und daß man anfyu 
ſchrieben, wie die Bauern eines Orts in Lothringen allnaͤchtlich 
die Fröfche im Sumpfe zum Stillſchweigen ſchrecken mußten, 


damit fie den Schlaf des Abtes im benachbarten Kloſter nidt 


ſtoren möchten, beweist, daß man den Vorgang für Fol 
eines uͤppigen, frechen Uebermuths genommen. Aber geficer! 
war die Ruhe und die Freude nit auf Erden, wie fie d 
denn am wenigften nody in heutiger Stunde iſt; nur wenn 
das Gethier ſchlaͤft, wagen die Scherze und das Schöne fih 
auf kurze Zeit hervor, bald aber hoͤrt man wieder unten Im 
Stalle wiehern. und ſtampfen und heulen mit Gebruͤll durdı 
fhofen,, und alles flieht eilig von dannen, wenn bie gute 
Geiſterſtunde ausgefhlagen. So folgt denn auch hier auf di 
Freude bittres Leid, Klee und Gebluͤme wird zu Heu gemäß, 
und die fprudelnden Lebenswaͤſſer werden in enge Banden fih 
geichlagen. : Gerade wie der Franzoͤſiſche Troubadur, Huge 
Brunet, Mage auch Ulrich, ich habe ſchoͤne gluͤckliche Ze 
ten der reinen Minne gefehen, aber fie find verfchwunden, 
aber alles ift verloren und dahin: fo muß alles Leben und aled 
Epos in die Klage enden, und der Erdgeift wird die Menid 
heit Magen, ift ihre wahnfinnige Geſchichte einft geſchloſſen. 
Was weiter dies Buch ſehr ſchaͤtzbar macht und andrerieitd 
auch wieder beweist, wie das darin befchriebene Leben wirklich 
gelebt worden, ift der Umſtand, daß wir darin die vollſtindigt 
Liederfommlung eines Lyrikers beflgen, von dem erflen Anfan 
gen herauf, wo er nicht ſchreiben gekonnt, bis er allein v8 








. ” 592 Bibliotheque francaise par J. B. Engelmann. 


dieſe, deren Originale wir nice kennen, uns doch durchaus 
fehr wohl angefprohen, und wir nirgendwo Anftoß gefunden 
Haben, während wir und mit Widerwillen von den meifteh 
-geugefottenen Minneliedern neuerer Kunſtdrechsler abwenden, 
die aus den abgefallenen Spänen in der Werkftätte zur Abs 
wehsiung einmal ein gothiſches Mücenhäuschen zuſammenleü 
men , in das fie die weggefangenen Ideen eines alten Oaͤngert 
einfperren und gu Tod ſich zoppeln laflen. Nicht wie dieſe 
bat Tieck gethan, der Dichter konnte nice in beffere Haͤnde 
fallen, und wir mäffen ihm Dank wiflen, daß er fo wohl 
und treu an ihm gehandelt. 





J. Goͤrres. 





Bibliotheque francaise pour la jeunesse. 


Auch unter dem Titel: 
Choix de lectures instructives et amusantes pour la jeunesse 
par J. B. Engelmann, Tome I. II. Heidelberg et Franc- 
fort. 1813. 322 ©. : 


Wir zeigen dem pädagogifhen Publicum mit Vergnuͤgen 
diefes Wert an, weil wir die Beduͤrfniſſe einer ſolchen Lee 
türe kennen, und das hier finden, was man in vielen fol 
hen Sammlungen vergeblich ſucht. Die Kenner der Franzi 
ſiſchen Litteratur und Sprache halten die Aufiäge groͤßtentheils 
zur Bildung in dieſer Sprache geeignet, und haben nur hier 
und da einiges zu tadeln, z. B. in mehreren Aufſaͤtzen einen 
etwas gezierten Vortrag, was der Frangofe ampoule& nennt. 
Der Paͤdagog erfreut fi auch der guten Auswahl: 3. B. 

das Leben Düvals wird hier der Jugend wieder erzähle, an 
deſſen erhebdenden Einfluß wir uns noch immer erinnern.. Au 
iſt für Mannigfaltigkeit geforgt. 


©. 





Alrich von Hutten gegen Defd. Crakantd. . 597 


Eine Parthey nichts als Unruhen, Zwiſte and Schimpfs 
wörter, die Andere nichts ats Cenſuren, Bullen und 
Scheiterhaufen hat?“ Iſt es aber nicht ſonderbar unb 
faft undegreiflih, wie Erasmns glauben konnte, Daß in Luthers 
Bade uur von bdifputablen Schulfeagen die Rede ſey, ba er 
ſelbſt in der erfien obigen Aufzählung fo vieler Mißhräuce, 
. welche mancher brave Gelehrte nebſt Luther abgeſtellt wmänfche 
ee, fo manchen wichtigen Bunct angefuͤhrt hate, an dem 
weit mehr Schaden oder Befſerung bangen. mußte, als an 
dem größten Theil des Symbolum Athansfianem. lad. ges 
rade diefe Puncte waren doc Luthers Hauptbeſchwerden gegen 
den Römifchen Stuhl! Erasmus ſcheint wirklich alles dieſes 
Nothwendige, worin er mir Luther Abereiakam, nur Deswegen 
von Luthers. Sache abzufondern, weil‘ er feld und fo mancher 
Redliche, auch ohne Bucher, es für hoͤchſt noͤhig hielt umd ger 
halten hatte. Aber war darum chem das, was Ergenns als 
die Sache (nice Luthers, fondern) des Evangelinume 
anfah und fo benanmte, weniger auch in Luthers ganzer . Un⸗ 
ternehmung das Wefentlihe 7. Sin der That kannte Erasmus 
and, von dein, was er zu. ben bleßden Gehulfsagen rochnen 
wollte, mauches nur deswegen für fo unbabensend anfchen, 
weit es bloß die Säge an ſich, nicht aber die Grundſaͤtze 
davon in’ Betrachtung zog. Man mochte rubig digpmticen, ; 06. 
die Yuctoritht des paͤbſtl. Stuhle von Chriſto, ober. nem der 
Kirche ſey, wenn, nur nicht in beyden Fällen bie Idee 
poſtuliet warde, daß jene Auctorität menſchlicher Kirchenvor⸗ 
ſteher in jedem Fall ein Recht enthalte, irrefragable Vorſchrif⸗ 
ten fuͤr Lehre und Leben der .Chriften im Namen Sein, der 
Apoſtel und der „Anfallibien“ Kirche zu geben, Disfes Prins, 
cip iſt es, worauf ale Differenz ruht: und ein ſolches 
Princip, anf weiches fi die pPaͤbſtliche Machtvoll⸗ 
kommenheit viele taufendmale ale auf ein ihr vom Himmet 
verliehenes apoftofisches Morrscht berufen hat, um für ihre 
Beftimmungen in dev Kirche immer, im Staate aber aud), fo 
oft es thunlich ſchien, unbedingten Gehorſam gu fordern, konnte 
Erasmus nie unter die bloße Schulftage zählen. Wer an jes 
nem Princip nicht feit hieit, konnte: vielmehr nicht Roͤmiſch⸗ 
katholiſch heißen. Das irrefragabte: Feſthalten aller Mike 
braͤuche, die Erasmus ſelbſt rüge, woher anders entftand es, 


r 


498 nid. vom Sa 


anf Religion bezogen zu 
daß er deu mie Ihm- in 
nicht zum Tode verurthei 
Prinrip bereits, feinen i 
Kern in den: Bann geth 
Erasmus war alſo von jı 
als von Luther ſelbſt, in 
Iſt es Henn etwas Groß 
Bin: ſterben wärde, noch 
bdelehrenund überz 
Nicht einmal das macht 
man ihn zum Mider 
wird es anders: ansiegen ; 
roth, als gebraten werden 
a!) — Sm runde | 
des Eradinuis.eigentiich d 
Sucher weſentlich beabfid 
uAbereinſimnte, daß ce "ei 
geugung: hatte umb fie ni 
weil — und dies war of 
Ser Diehatmonio ! — 
han datf ſagen, Luther 
dung mit dern, was in 
war, im entſchiedenſten 
oben beruͤhrte Bedruͤckung 
Neberzengungaefreyheit, je 
penſationen und Indulger 
Achkeit u. dgl. m; waren 
wider‘, weil der Geſchma 
auch die Sittlichkeit dadaı 
gidſen Luther war eben 
Gfaubendeifer,, fein‘ Defi 
fein Gefaͤhl für prackifd 
Tonnte. Daraus entfiund 
Der keiner Darchey ; 


Nirich von Hatzen genen Dei. rind. 639 


elle (©. 0,5), am wenigſtan ermwagen keunte, eine zum 
Partheymachen, auch zu einfeltigen Behauptungen feicht. vogs 
leitende Heftigkeit. Was konnte Lucher dagegen, : daß er ‚aß 
‚Augufkiner s Eremite moͤnchiſch ergogen war ? daß er nur durch 
‚Die heftigſten Anſtrengungen, wo ein gewalkfam erregtes Wahr⸗ 
Heitsgefüht den Eraftwolen Geiſt drängt, ſich aus dem Tiefften 
mporarbeiten mußte? daß er- die. milde Bildung. Buch Dem 
Maren -Sinn ‚der TClaſſiker nicht genoſſen? nicht Durch jen⸗ 
‚Uebungen im Interpretiren, die Vielſeitigkeit der menschlichen 
Wegriffe leicht zu verſtehen und zu ertragen gelernt hatte 7 Es 
her,“ fagt Er, dagegen. ©. 953 recht aus ſe ine m Herzen har⸗ 
ms ‚könnte dreymal und viermal mein. Bruder ſeyn, mad: ip 
koͤnnte feine ganze Lehre billigen; darum müßte ich- aber dag 
immer ſeinen ungehenren Starrfiun im Behaupten und fein 
heftiges -Schmähen, wegu er immer bereit IR, ger ſehr mige 
billigen (non. possem non vehementer.improhsze tantam 
an asseverando pervivaciam, tam arerbam uhi- 
'Que’paratam maledicentiam). Anch kann ih mich 
immer noch nicht Adergeugen, daß ber Get Cheiſti, workhee 
an Milde nichts: geht, in einem Herzen wohne, anf dam-(p 
wie Bitterkeit herausſtroͤmt. Moͤchte mich dad meins Wars 
muthung Hier täufhen! =. Achnlihe Zweifel. Ahern dep Geiſt 
Chriſti, ob er in dem nie ‚heftig Bewegen, alſo nie begeiſtart 
ſcheinenden ‚Erasmus mohne, hatte Luther auch wider Er, ger 
Aaßert. Warum alio-Erasamıs von Luthar diffentiste, dies Sag 
meift in der Derfbntichkeie, nicht in dem Meſentlichen der 
Umternchmung Luthers. Dagegen. charakterifist Die Peorföns 
lLach keit des Erasmas in Hinſicht anf dieſe Sache fi 
ſelbſt chenfalls fo, daß. gewiß. nicht Luther lallein, fondern wohl 
: jeder Menſchenbeobachter und Geſchichtkenner mit derſelben mie 
‚gafammentveffen möchte. Wie dort bie Heftigkeit, fo führte hier 
Idie Milde auf ein: Extrem. Wer kann ohne Laͤcheln uͤberden⸗ 
zken, was ©. 278 als der: legte Vorſchlag der Erasmiſchen 
Gutmaͤthigkeit ? oder Klugheit 7 ausgeſprochen iſt: „ Was na 
e Mebergeugung des gelehrreren Theils der Freunde des Evange⸗ 
Stums gar allgemeinen Wohlfahrt des Chrikens 
oil and zur Ehre Chrikt etmas beytragen kans, das 
«merbeän geheimen Brisfen dam Pobpe und dem 





Wach’ von Hutlen gegen Deid. Eradiuuh PL 
Au ihr, fe Hat die Kirche in der Geueinfhaft der 
Srommien ihren Sitz. (So barmonirte Er. auch. mit Piss 
tbers Idee von der unfihtbaren Kirche, als Gemein; 
ſchaft der. Heiligen/) Diefer Kirche wird H. aber auch’ einen 
Biſchof geben; er wird erlauben, daß er Metropefltan: 
wehrte Habe, da es fd viele Erzbiſchoͤſe in diefen Gegenden 
¶ Deutfſchlands ıc.) gibt, die nie einen Apoftel gefehen haben 
und Nom den Petrus und Paulus fah, die ohne Widerſpruch 
die größten Apoſtel waren. Was liegt nun Ungerelmites darin, 
wenn man Anter den Metropolitanbifchdfen den "von Nom den ' 
erfien Rang (primum: löcum ) einräumt.‘ Denn: daß ich 
ie ungeheure Gewalt, welde fich die Päsfte (dur 
apoſtol: Jurisbietion aͤber Die ganze Kirche und durch eine Gottes 
Stelle vertretende Registarion!) ſeit einigen Jahrhunderten ans 
maßten, vertheidige, wird niemand von mir gehört Haben. 
Soch, Hatten kann einen heillvſen Pabſt nicht vertragen ? 
Bir wauͤnſchen aber alle, daß der Pabſt ein Mann ſey, ber 
verdiene, auf Petri Stuhl' zu figen. „Und. wenn er. es 
Nicht verdiene?“ Do ſetze man ihn ab. ben fo ſollte man 
auch alle Biſchoͤfe abſetzen, die nicht ihre Pflicht thun! — 
„Uber. die aͤrgſte Peſtilenz für die Weie kain ſeit "vielen Jah 
ven von Rom her!“ Wollte Sort, man fönnte dies 
täughen. Inzwiſchen haben wir jet einen’ Pabſt (Hadrian 
VE), der, wie ich glanbe, aus allen Kräften daran arbeiter, 
Siefon" Stuhl. und diefen Hof von feinem Schmutze gu reinigen.“ 
— Ss offen: erklärte fich der nad) "Temperament und Bildung 
daßerft humane Erasmus. Ein wahrer Vortheil War es auch 
Far ihn, daß er:feine Sponpia ‘gerade unter Hadrian VI, zu 
gebrauchen hatte: Bedaͤchtlich ſetzt er dann aber doch hinzu: „Und 
detie Liebe iſte nach Paulus, weiche Alles hofft.“ Den 1.Sept 
268628. erklaͤrte Hadrian VI. in feinem erſten Conſiſterium zu 
‚ Wem ‘feine Vorſatze zur Reform der paͤbſti. Curie? den 14. 
Sept. ſtarb der das Beſſere wollende Nicht⸗Italiaͤner ünter 
dem Achfelgusten: feiner welttlugen neuen Umgebungen. Wie 
(hlimm;, "wenn Reformen nur von der vorübergehensen Per⸗ 
Ä ſonlichkeit· abhangen und dabey die Seundmeynungen gegen fie 
x tet Bleiben tollen. _ Eben ſo offen und wahr aber ſagt Erasmus 
Hard der. andern Parchey „Men wir. unaufhorlich 


ee 


85: Einige Bert kb. d. Bere.2. Yastsmit u. 5.5.0 Gescher. 


‚Beine irrigen Bogriffe verbinde), im dem erfien Ormaben der. 
Demmiratien einiges Algemeime über , Dänte, 
iusten, Gefaße, Nerven ıc. vorzuiragen, und bie werkhies 
dene Texiur friſche Städe umd beſenders verfertigte Pra⸗ 
parate zu verſtanlichen; fo wie es wohl nachher yiemicch vom | 
der Willlähr des Lehrers oder dem Zufluffe der Cadever abs. 
hängen dürfe, in weicher Ordnung bie Berträge auf einander 
folgen ſollen, womit es ſich aber bey Schriften über Anatomie 
anders verbalte m. |. w. , 
Mac biefen voransgefchidten Bemerkungen über bie Gefie 
Art des Borteags der Anatomie anf lniverktätn, wodurch | 
Vieles Gındinm dem Phyfiologen wie dem Chirurgen gleich 
angenehm , faßlich umd leicht gemacht werben könne, eheitt und 
der Berfaſſer die Beichreibung zwther verſchiedenen Durch⸗ 





mit 
den als Netze und Gekroͤſe bekamten Zertfeguugen 

die Bildung und Entſtehung dieſer Sortfekungen und ber Id, 
forung der verſchiedenen Blaͤtter derſelben, fo wie das Bes 


der Netze, als Fortſaße des Bauhfells, verſachten 
Präparationen erleichtern allerdinge die Löfung. der Aufgabe: 
der Demonftration des Bauchfells, und eigenen ih dazu, dem 
Anfänger fhneller und ficherer eine !lare Vorſtelung von eines 
Membran zu verfchaffen, die bald die Wände der Bauchhͤhle 
Aberzieht, bald die ın der Höhle eingeichloffenen Eingeweide 
umfleider, bald diefe als eine Bräde verbindet, bald wieder 
frey flottirende Anhängiel bildet, und dach einen Überall gu 
ſchioſſenen Sack ausmacht. — Die bepden Abbildungen, We. 
son. die eine die Fläche eines Querdurchſchnittes Des Unterleibet 
(deſſen einichligßende und eingefchlofiene Theile zu der beabſih⸗ 
tigen Darftellung befonders präparirt worden Kuh), Die ander 
die Flaͤche eines Durhichnittes der Länge mad darſtelt, ui 
ſprechen, wenn fie chen der Verf. für flähtig entmerfen 
gibt; ihrem Zwecke. ——— 
Dieſe Darſtellungen wuͤrden nicht weniger, als jene Bewcere 
tungen Aber den beym Vortrage der Anatomie eirzuſchlagenden 
Bes das ruͤhmliche Strehen des Berf.: den Unterrvicht zu ven 
beffern und gemeinnäßiger zu machen, beurfunden, wenn dies 
nicht ein Verdienft wäre, welches er fi, außer andern Arbei⸗ 
‚sen ähnlicher Art, vorgügfich durch fein, ver —— | 
fo vortheilhaft ſich auszeichnendes, Lehrbuch der 
ſchon erworben hat. — 


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610 Ueber d. Bereinig, d. beuden pr. Rischenparthenen u. Sad, 


Beth von Hofmann, (von Alpen, patrissiidher Aufruf zur 
ellgemeintn Brisiniguna, Bert. &. XVII. XVII. ) „arbeite 
ten mist aller Anfirensung au biefer Bereinigung, und ale 
fanfte, friedtiehende Männer, Erasmus, Melauchihen, 
Delolampad, Bacer, Hedio, Eaffander, Gefomdes | 
aber Auge Grotins in einer eigenen Schriſt: Wunfc fr 
dem kirchlichen Erieden.“ Au if es befannt, daß diefer Ga 
genſtand (aber eine allgemeine kirchliche Bereinigung) auf 
dem Aeichetas zu Regensburg, 1641. zu Speier, 2d44, 

Berms, 1545, und zu Augsburg, 1848, in Vetradkeumg ge⸗ 
zogen worden il. Die Bereinigung wäre and, wenisfiens 
umter den Protefianten, chen Damals füher zu Gtanbe gekom 
men, wenn Zwinglis und Delolampans Briefe wit 
eben im Druck erfhienen wären, und wenn niit Bucer 
eine Vorrede dazu gemacht hätte, in melher er Deklolamı 
pad feinen Vater und Lehrer nannte, und Zwingli wegen 
einiger freyen Ausdrüde über das Abendmahl ( Plant 3.%. 
3. Th. ©. 585) vertheidigte; wenn nicht die Amsdorfe dan 
Ehurfärften fo gereizt hätten, dab er Luthern fehrieb, er mös 
den Öteasburgern in keinem Punct nachgeben, nnd wenn nick 
Luther fo märrifch nnd reigbar werden wäre, daß ſelbſt feine 
SBertrautefien nicht mit ihm zurecht tommen konnten (Plant, 
4.9. ©. 30, Note). Das geihah in einer Zeit, we mas 
Die Vorfiellungsarten noch für weit: wichtiger hielt, we bi 
Lutheraner noch ein großes Gewicht auf ihre Anficht won der 
Gegenwart Jeſu im Abendmahl, und die Neformirtew. auf 
ihre Philofophumenen von der Praͤdeſtination legten. Date wie 
mehr follte man es jebt erwarten, da die meiſten Ichetifdgen 
und reformirten Theologen dieſe Borfiellungserten - faft gan 
aufgegeben haben, und Alle indem. übereinfiimmen, was der 
würdige Sad in feiner Vorrede ( &. IX) jagt: -„ Wer von 
einer befondern Worfiellungsart: in Religionsiaden bebanptet, 
fie berreffe nicht das Weſentliche des chriftlichen Glaubens um 
rechtfertige nicht die Verſagung kirchlicher Gemeinſchaft, Ber 
ift noch Peineswegs ein Sndifferentift, dem Wahrheit und Jrer 
thum einen gleihen Werth ober Unwerth haben.“ WBorflek 
lungsartch und Wahrheit find ſehr verichieden. Die Wehrheꝛ 
kaun bey vielerley Vorſtellungsarten heſtehen. 





aber d.WBerciuig. d. beyden pr. Hischenparthegen v. ad. 611 


Sack bringt nun diefen Segenftand der Vereinigung ber 
beyden proteftantifhen Kirchen wieder zur Sprache. Er ers 
zaͤhlt zuerſt, was Preußens Negenten fett 150 jahren gethan 
Haben, um den Kirhenfrieden zu erhalten und zu fördern. 
Mertwürdig ift in dieſer Hinfiht das, von 27 Perfonen uns 
terfchriebene, ganz den Geiſt des trefflichen Alphons Turres 
tin, ihres Haupts, arhmende Schreiben der Genfer Theologen, 
an Friedrich J., worin fie diefe Wereinigung „une sainte 
rdunion“ nennen, „qui est si juste en elle même, si con- 
förme’aux. maximes de PEvangile, si utile pour Vinterdt 
oommun de la religion protestante, si necessaire, pour 
sous garentir des entreprises' (nicht des wahren Catholi⸗ 
cismus, fonden:) du papisme, qui ne cherche qu'à 
nous perdre les uns et les autres, enfin qui est souhaitde 
avec tant d’ardeur par tous les.gens de bien, .et qui ne 
sauroit manquer, si elle est une fois conclue, de contri- 
buer infiniment, à &tendre les bornes de notre sainte 
reformation“ (S. 905), und worauf der König untworter: 
Ganz ındbefendre aber erfreut ed mich, daß gerade Eure 
Kirche in diefem Betracht fih mir anfchließt, da fie durch das 
große, ehrenvolle Anfehen, deſſen fie unter allen Evangeli⸗ 
ſchen genießt, dieſem wichtigen Geſchaͤft ein fo bedewtendes 
Gewicht mehr verleihen wird; und in der That, was könnte 

wohl für Euch ſelbſt würdigeres, und: der Stelle, die Ihr in 
Ber reformirten Kırde einnehmet, irgend angemefleneres ges 
fiheben ‚sale daß Ihr, "die Ihr vormals mit der Fackel des 
Slaubens der evangeltfchen Kirche voran ginge, ihr nun auch 
ein leuchtendes Beyſpiel chriftlichen Eifers und chriftlicher Milde 
vor Augen ſtellet.“ Sack redet von den Bemühungen : des 
geoßen Leibniz und des erften KHofpredigers Jablonsky, 
mit dem Abt Molanus, um die Wereinigung der beyden 
. &enfeflionen, wozu :der König durch mancherley Veranſtaltun⸗ 
| gen mitwirkte, und von den gleichen Grundſaͤtzen, die fein 
- Nachfolger, Friedrich Wilhelm J., befolgte. Wie Religidſitat 
ı unter Friedrich II. verfiel, und unter Friedrich Wilhelm II. 
Wach) verkehrte Mittel wieder gehoben werden follte, wird kurz 
und ‚mit vieler Klugheit berührt. Nun zeigt er, was die jegige 
Degierung zum Näherbringen der beyden proteftantifchen” Kirs 


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22 MWnfangtgr. der Häpern Wnalafis von Vodnenderger. 


niffes hieß, die erfie abgeleitete Function, ber Erw 
nent des zweyten Differentialverhälsniffes aber die zwepte 
abgeleitete. Function genannt wird. Daher müflen wir 
- 08 billigen, daß der Verf. gleih zu Anfange feiner Schrift 
fhon den Begriff der Grengverhältniffe zum“ Grunde gelegt 
Bat, mit welhem diejenigen, welche die Schriften Yon Atı 
himedes und Euclides ſtudirt Haben, fchon früher befannt 
geworden find. ee 
Nach diefen nöthigen Vorbemerkungen theilen wir eine 
kurze Inhalts » Anzeige mit. Die Einleitung handelt S. ı— 
46 den binomifhen Lehrfas und die erſten Varbereitungs 
gründe der Differentiatrechnung in zwey Capiteln befriedigender, 
als. gewöhnlid, ab. In der Diffewentiafrechnung felbft werden 
©. 47— ade in acht Capiteln die Differentiale der einfachen 
und gufammengefeßten Functionen einer veränderlichen Größe; 
Die Anwendungen des Tapylorifchen Gases. auf Functionen 
mehrerer veränderliher Größen; die größten und Tleinften 
Werthe gegebener Zunctionen ; die Tangenten frummer Linien, 
Die Krümmungskreife und Evoluten; die Quabdraturen und 
Mectificationen krummer Linien, nebſt Berechnungen der Oben 
Mähen und des Inhaltes runder Körper; endlich die Beſtim⸗ 
mungen der Tangenten und Krümmungss Halbmeffer krummer 
Linien, ihre Quadratur, Angabe der DOberflähe und des In—⸗ 
balts runder Körper, wenn die Ordinaten von einem Puncte 
- ausgeben, mit vieler Ausführlichleit gruͤndlich und faßtich dan 
geftelt. Es war. ung hierbey ſehr erfreulich zu ‚bemerken, daß 
der Verf. hierin fchon Anwendungen auf Quadraturen, Wectis 
ficationen und. Cubaturen. vorgetragen hat, da dies dem Ans 
fänger die aufgeftellten Säße der Theorie fehr erläutern und 
fein Much durch dergleichen lehrreiche Anwendangen, wenn er 
durch den Kampf mit fchwierigern. Lehren gefchwächrt ſeyn ſolte 
wieder geftärkt und erhoben wird. — Die Integralreds 
nung lehrt. mit. gleichee Gruͤndlichkeit in: fliehen. Kepttein 
©. 253 — 352 die integration rationaler- und irratisnaler 
Bunctionen einer veränderlihen Größe; die Integration der 
Rreis s und logarichmifchen,, wie auch erponentiellen Functio⸗ 
nen; die Sintegration durd Annäherung und jene der Göhern 
Integrale; endlich die integration der: Differentiaigteichungen 
der erfien Ordnung mit zwey veränderlichen Größen und jene 
der Differentialgleihungen der zweyten Ordnung. nd 
ndem wir dieies Werk jedem Freunde der hoͤhern Anas 
lyſis beftens empfehlen, möchten wir den würdigen Berf. aufs 
fodern, zum Behufe der allererfien Anfänger «ine turye 
Anleitung zu diefem wichtigen Studium audguarbeiten und bes 
kannt zu machen, welche als erſter Curſus bey deze ‚Kim