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3 424
Heidelbergiſche.
Ssabıbidet
der
— *
——
SS i tteratur.
Se fer Jahrgang.
Erſte Hälfte
Januar bis Juny.
Heidelberg,
Bey Mohr und Zimmer
| 181413 |
u
yet
/
No. 4. Seidetbergifche 1813.
Fahrbüſcher der Litteratur.
“
———n
Correspon dance Iĩtte raire philosophique et critique addressde
a un souverain d’Allemagne depuis 1770. jusqu’en 1782;
Par le baron de Grimm et par Diderot. V. Voll. $;
Paris. F. Buissoan rue Gilles Coeur No. 10. 1812, 8.
Dieres Merk gehört Ju ber Elafie von Werken, welche wii
derlih und verwerflih an fih, der Wergeffenheit übergeben
werden follten , und welche daher nur entiveder wegen des
Eindrucks, den ſie auf ihre Zeit miachen oder dach leicht machen
tinnen, oder. weil ſich in ihnen die Entartung ihres Zeitalters
darftelle, eine ernfthaftere Beurtheilung verdienen können. Wir
sehehn, daß uns nur das Auffehn, welches es erſt in Frank
wii, befonders in Paris, dann bey allen Dilettanten ber
Hanpgädte Europas, endlich in der gangen eleganten Melt
‚erregt dar, zu einer ansführligern Anzeige deſſelben bes
ſtimmte. Mir trennen in diefer Anzeige die beyden erftern
Bände, welche den Zeitraum von 1770 bis 1773 umfallen;
von den drey letztern. —
Nec. iſt nicht geſonnen, den Antheil Diderott, der waͤh⸗
-tend Grimms dfterer Abweſenheit von Paris den Bericht fort⸗
feste, ven Grimms Arbeit zu feheiden, weil beyde damals feit ein
und zwanzig Jahren genau befannt waren, oder wie. die ganze
Philoſophen-Geſellſchaft als Eine Perſon angejehn werden '
innen, und Dec. Überdies nice gefonnen iſt, wis Ar. Amar.
im Moniteur, auf dag Urtheil des Einen oder des Andern, dä
oft beyde frivol find, .zw provsciren, fondern nür hie und da
eismgeines herauszuheben, was zur Kenntnifi der Zeiten, Mäne
ner, Sthriften die es betrifft, etwas beytragen fahn, beibns
ders, wo wir entweder etwas hinzufeben, die andere Seite
der Sache geigen, oder den Verfaffer und feine Abſichten ſelbſt
betradsten Lönnen: Diefem Werke, welchts wir als Gelehrte den
frevoten Eirkikee,:im teren Ton es abgefaßt ift, Aberiffen würden;
4
“
-
*
2. Correspondance dı, Baron de Grimm.
folte man affo wie feinem Verf. nur das quiescat nachrufen.
Da der Werf. feinen Lohn, den Zutritt zu den Großen, den
- Baron, den Minifter dahin hat, fo ſollte die Leichtigkeit und
Dreiftigkeit feines Ton‘, durch den er fic) geltend machte, der
Vergeſſenheit Äbergeben werden, wenn night t das Werk ein.
neues Denkmahl des Tons der Meenfchen und Geſellſchaften
märe, weiche ganz Europa umgeſchaffen, die Religion und den
Stauden ans den: Kerzen getrieben, Die Sitten durch laxe
Moral, frivole Scherze, elenden Wig untergraben, und dem
Lafter durch Rede und That die Worte und den Schleyer der
Tugend negeben haben. Man liedt hier genau das Refultat
und den Widerhall der Unterhaltungen Gey Hollbach, der
Spinay, der. Seofkin (wir fcheuen ung Madame Necker, die,
ob man gleich bey ihr. foupirte, gut und edel war, zu nenneh )
u. a., wo ‘die Weiher der Ton angaben, und Religion, Staat,
Erziehung, Theater, Wiſſenſchaft, ohne Ernk und Anftand
beurtheilten, und aljo jeder, um nicht Pedane zu ſeyn und
laͤcherlich zu werden, einſtimmen mußte; ja, wo es genug
wor, einen gutan Koch zu haben, um auch die Litteratur zu
beherrſchen. Natürlich war es, daß dies tn Frankreich und
durch die Abgdtterey, die unfere Fuͤrſten mit den Phtlofophen.
‘trieben, aud in ganz Europa herrfchend werden mufite. Ir
Frankreich hielt fih der Ton nicht, weil Bald hernach die Dex
volution alles änderte; bey uns aber, in Rußland, Schweden, .
Polen und endlich Tonar in England ward gerade dadurch, daß
Frankreich die Leute von. gutem Ton ausfpie, die heillofe Sute
immer herrſchender. Die Herausgeber dir Correſpendenz haͤt⸗
ten übrigens ohne Nachtheil des Leſers, wie ſelbſt der Pariſer
£obredner Grimms geficht, die Hälfte des Buchs weglaſſen
koͤnnen, fo abwechſelnd auch fein Juhalt iſt. Bald. ſindes
Neuigkeiten des Tags, bald Schauſpiel 2 Bald der Hof (nur:
behutſam), bald die Angelegenheiten Ber. Philoſophen ders :
haupt, über die enticheidend abgeſprochen wird. Der Torisk
nicht bloß leicht, ſondern leichtfertig. und für die Bibelſprache,
für die Sprache der Kirche, die man zu den. fihändtichflen Era.
zählungen braucht, Hätten die vornehmen Leute, an die die.
Berichte gerichtet find, To viel Achtung haben follen, daß Ihnen 3
ihr Mißbrauch mißfallen hätte. Man lernt recht, wie Beam.
"4
Gorrespondancde.du Baron de Grimm. . 38
a Aues Teiche mathht, wie man uͤber Alles hinausſchlüͤpft,
und dem ernfien Wanrz eine Matt, oder, was noch ſchlimmer
if, eine Laͤcher lich keüt anſpruͤtzt, nt bie Billigung der Thoten
zum Praͤfeſtein der We icheit zu machen. Wie wäre and) ſonſt
de He. Grimme, Der Nichts geföfter hat, ſobald zum Baron
von Grimm geworden! Man muß naͤmlich wilfen, daß Grimm,
wachdem man feine erfien Verſuche In Deutſchland Übel aufge⸗
nommen, fih nach Paris begeben- hätte, wo ihm Kiüpfel, der
hernach Hofmeifter des Erbpringen von Gotha wurde, umter
dem Titel eines Voͤrleſers (1749) annahm. In diefem bes
ſchraͤnkten Verhattniß machte Rouſſeau ſeine Bekanntſchaft,
und ſagt ( Tonfessions. livre VIII. ed, Genes. 8. 178g:
Vol. 31. pag. 265): „Es war ein junger Menfh, Namens
Stimm, der dem Erbprinzgen als Vorlefer diente, bis er eine
andre Stelle Rande, und fein ganzer dürftiger Aufzug zeigte,
daß er nöthie Habe, eine zu finden.“ Dachte doch damals der-
erme Jean Jacques nicht, daß der Grimm um 1770, fo von
dbender und ſo bitter hämifch über ihn fchreiben würde! wie
Nex J. S. 129 — 151 und J. S. 187. 188 gefchteht, wobey
‚ man feeylich im der feßten Stelle den feinen Mann nicht vers:
fennen kann, der fid) wohl bewußt bfeibt, daß Bey den Leuten,
deren Gunſt Er fucht, Rouffean doch zu hoch ſteht, ats daß er
ihn ernftlich) angreifen dürfe, ihn alfo nur laͤcherlich macht,
um mitleidig auf ihn herabzuſehen, und wenn nicht.als der
Sröfere, doch als der Weijere, mit dem ſich Beffer leben läßt,
dee beſſer zu gebrauchen iſt, gu erfcheinen Er führt nämlich
I. &. 187 den Brief am, den Rouſſeau fehrieb, um zu der
Statue, die man Boltaire errichten wollte, feinen Beytrag zu
liefern, und der, mie alle feine letzten Briefe den Ders paus
vres a veugtes que nous sommes etc. zur lleberſchrift hatte
(da &rimm dte Sache nur berührt, fo erinnern mir daran,
daß Ronffean diefen Vers annahm , = er fih ven Aumege ..
täufcht glaubte. Die Erzaͤhtung iſt in dem beruͤhmten Brieft
an Hume ſelbſt. Oeuvres de Rousseau ed. 4to. Tom. X.
p- 5357 — 566 )- Grimm mwigelt zuerſt I. &. 188 über den
Vers, und ſagt, Reuffean feße ihn über feine Briefe, wit
die Monnen ihr vivat Jesus, als ein Schutzmittel gegen das
Behexen. Dann itmacht er ihm ein Compliment, daß er wieder
4 correspondance du Baron de Grimm. ,
nach Paris kommen und da leben wolle, unter der Bedingung,
nicht zu fehreiben, cette dernipre clause, fagt Grimm, ne
s’accorde guere avec. nos interets. Aber bald zeigt fih wies
der die wahre Sefinnung: „fein. Brief, heißt es, wäre ein _
Meiſterſtuͤck, wenn er es hätte übers Herz bringen koͤnnen,
nur dies Mal, ohne weitere Comfequenz,. ‚fein plattes” qua-_
train daheim zu laffen.“ Boshafter ift, was er ©. aag bes
richtet, daß Rouſſeau feine Therefe in Hagranti ertappt habe,
und dergleichen fhöne Sachen mehr. Dabey thut er fo vors
nehm, daß es ihm nicht der Mühe werth ift, den Namen des
Schloffes in- der Dauphine', wo fih Rouſſeau auffielt, richtig
zu nennen, Er nennt es Vourbeille, es heißt aber Bourgoin.
Da fieht man, was es mit, den Freundfchaften der Welt für
Bewandtniß hat, thut doh Grimm, als 0b er den Mann
nicht vecht fenne!. und doch hatte er ihn aufgefordert, dem.
Gautier zu widerlegen; man kennt ja Rouſſeau's Brief an
Stimm, wo er, indem er fagt, daß er Gautier nicht mwiders
legen wolle, es mit vieler Kunſt thut. Es war derfelde Roufs .
feau, der (Oeuvr. edit. dvo. Tom. XXXI. p. 209) fagt:
„Diderot hat zahllofe Befanntfhaften, Grimm, ein Fremder
und Neuangekommner, mußte Bekanntſchaften machen, es war
mie herzlich lieb, daß ich fle ihm verfchaffen konnte.“ Dann ..
rechnet Rouſſeau die Bekanntſchaften her, die er ihm vers
fchaffte; aber Grimm ward KHofmeifter des Strafen von Schoms
berg, er ward Freund der Philofophen, da fah er auf Rouſſeau
heran. Man vergleiche das zote Buch der Confeſſionen. Daß
man aber in der Gefellihaft die Schwäche der Menichen, bie
nicht höher ſtehn, als die Geſellſchaft, richtig auffaſſe, beweis
fet Grimms Urtheil uͤber den Prinzen von Ligne, mit deſſen
Schriften man uns neulich hat beſchenken wollen, und die auf
allen Seiten das Urtheil zu beſtaͤtigen Veranlaſſung geben.
Grimm führe naͤmlich S. 209 — 281 einen Brief des Prinzen
an, worin dieſer Rouſſeau einen Aufenthalt auf feinen Guͤ⸗
tern anbietet, und kuͤndigt ihn mit dieſen Worten an: „Der
Prinz von Ligne hat einige Tage, nachdem er Rouffeau bes _
ſucht hatte, ihm den Brief, weichen ic) hier einruͤcke, gefchries
ben; ..aber er hat fein Gluͤck in Paris gemacht, weil man
ihn zu — gefunden hat, und prétention à lesꝑrit
4
EEE
*
Correspondance du Baron de Grimm. 5
etune maladie „ «lont on ne zeldve pas en ce pays-di.
Diefe Urtheile und Arsecdoten des Tags würden wir am lieb⸗
fen ang der Corre ſponden, nehmen, wenn wir nicht geftchn
wählen, daB wir den Baron Grimm zu oft auf dem Wege
%t Unwahrheit gefunden. 3.8. I ©. 53 Heiße es, daß
Dmoifelle Arnsud „> eine Schaufpielerin, die man damals im
Paris unter dem Mamen Sophie kannte, ber Claiton, ale
tieſo fagte, dee Rönig fey Herr ihres Lebens und Vermoͤgens,
Kiht ihrer Ehre, geantwortet babe: Sie Haben Recht, Made⸗
will, wo Michts iſt, hat der König fein Recht verlorem
Aber der neufte Lebenbbeſchreiber der Clairon erzählt gewiß
sihriger, da er auch mit. den memoires Ecrite par elle ieme
(wo fie natürlich Des Witzes ſelbſt nicht gedenkt) beſſer Aßers
enfimmt. Als Mad. Clairon, heiße es dort, bey der Vor⸗
Kelung der Belagerung von Calais das Publicum fo ſchaͤndlich
geäfft,, und der König einen exempt de police zu ihr ſchickte,
um fie nach Fort lEveque zu transportieren, traf diefer eine
ſehr angefehene Parifer Dame bey ihr. Diefe hiekt den Arreft
der Clairon Für. ein Märtprertfum, und nahm fie alfo -in
ihrem einfigigen Wagen auf ben Schoos, 309 mit ihr, wie
im Triumph, dur Paris, um fie an den Ort ihres Arreſts
zu bringen‘, und ber. exempt mußte fid) gegenüber ſetzen, da
er feine Arreſtantin nicht aus den Augen larfen wollte. Dem
exempt legt er nun and) den Wig in den Mund, ber fi
and) beffer für ihn, als für Mad. Arnond paßt. Derſelbe
Fall ift mit Hénault und Zurfausen. Hätte ſich Grimm Bars
anf beſchraͤnkt, den Präfiventen zw tadeln, daß er, nicht zus
frieden, eine vortreffliche Ueberſicht der Gefchichte von Frankreich
gefchrieben zu haben, auch Iheaterdichter habe ſeyn wollen, ſo
möchte das gut feyn, daß er aber.den abrege, von dem er
nichts verſteht, auch beurtheile und den Präfiventen verſpottet,
das verdrießt uns, weil wir ſchon unmwillig find, dal} Duclos
‚memoires secrets fa manche Anecdoten. durch ihre Auctos
ritaͤt in die beſten Geſchichtbuͤcher gebracht haben, die ung
durchaus nicht ſicher ſcheinen. Grimm ſagt J. S. 36: „Der
gute Praͤſident, reich, artig, liebenswuͤrdig in der Gefellſchaft,
führer einen guten Tiſch, und hat alſo ganz Frankreich be ſei⸗
nen Soupers, er hat auch eine Rolle in der Literatur fpielen
6 [Correspondance du‘ Baron de —
| wollen ,„ und es ift ihm gelungen, wenigfieng auf. eine Zeitlaus.
Gein abrégé chronologique de V’histoire.de France iſt das
geprieſenſte Buch dieſes Jahrhundertg, hätte es ein armer
Zenfel im: Dachſtuͤbchen geſchrieben, unfere Bewundrer Härte
kaum einen Blick vol Verachtung darauf ‚gemorfen.“ . Kenze
doch unfer Srimm die Leute, mit denen er zu thun hak,.uob
debt recht gut, darum erwarb er fich auch einen Namen Auch
Zeitung tragen. Das Unrecht gegen Héͤnault vollendet: en: G.
899-394, wo er ähm eine giftige Leichenrede- hält, bey zwri⸗
cher Gelegenheit er auch die Madame Deffagts die mir. ang
. iheer. Cortefpondenz, von dep wir - vielleicht ein ander Mt
sehen, als eine. Seindin der Philoſophen kennen, ausſtellen
kaun. : Bitteren ſchmaͤht en fie noch Tom. IV. pı 973. 274
Wie «6. fih mir der an beyden. Stellen erzaͤhlten Anecdote
vporhalte, wollen mir nicht unterſuchen; da fie an. ſich eis
ſind, und die eine ſich als Dichtung ankuͤndigt. Was Zupltuus
San, angeht, fo war ‚en bekanntlich den Philoſonhen nicht wer
wogen; ( daß Idh. von Müller feine Tafeln oft.anfühskän. Ber
Bichweizergefhichte allein in der Abficht, am: ihm oder den Homilbie
sin, Compliment zu machen, vermuthen wir ;) aber wie in allber Valt
kann Grimm fo hoͤhniſch über.tables, génénlogiques fürchen;
als en J. S. 147 thut, wo er won Compiletimm. ſpricht, ump
doch ſtatt Schöpflin, Schoepffen ſchreibt. Diefe Angrige ſind
um deſto empfindlicher, da fie nice, wie dae Bitterfeiten auf
Nouſſequ dadurch erträglicher werben, daß der Werſ. an ums”
dern Seellen ſich ſebbſt vergißt, um nur die Sache zu betrachten,
Boniden Seellen, die Roufſeau im A— 8: ‘Band angehen,
beſonders Über den Tod Nouſſeau's weiter unten; jetze auxq
.um doch auch Gutes von Grimm zu Sagen, erwähnen. wir. deu
Stelle Tom. II. S. 477: „Spndeffen Nonfenu fein Leben
damit hinbringt, Muſik zu copiren, und, wie ich meine, nun
daran.dentt, fih dem Audenfen der Menſchen zu entpiehens
Echt immer, bald umter den. Pfaffen, bald .unter den Schoͤn⸗
geiſtern einer auf,.der feine Werke keitifiers“ Nun: (price: cm
von la Harpe, Der damals im) den Cirkeln, etwas vorgelefere
haste, worin er Rouſſean gegen Voltaire ſehr herabfabte, wie
(ließe: Es iſt Rouſfſeau's Schickſal, von Leutenn widerlagt
qu werden, die ihn nicht haben verfiehen. moen, edot / ige
" —— ⸗ — — —
F —
©orrespondance du Baron de Grimm. 7
werehen Tönnen. Aber wir kommen auf die Dinge zurück,
m Stimm, wie ein Blinder von der Farbe, urtheilt, weil
de Suignes und Anquäetil du Pereon Theil II. ©. 116 und
7 und &. 151 — 134 auf eben die Weife, als Henault uni
Zurlauben im erften Theil, nur bey weitem noch vornehme
und unwiffender beleidigt werden. Das Geſchwaͤtz uͤber de
Suignes erwähnen wir nicht, d’Arquetils jugendliche Unbe—⸗
fonnenheit und Eitelkeit mochte er gelßeln; aber wer berechtigt
ihn, feinen vornehmen Leuten ©. 132 Ju fägen: Es iſt
einlenchtend, daß das fein Leben unnuͤtz und unarbeitſam ver⸗
lieren heißt, wenn man ans Ende der Welt geht, um eine
Sammlung von Dummpelten zu holen.“ | Sans in ‚feiner
— iſt aber Grimm, wie fein Freund, wenn er uns I,
S. 148 — 160 die Gefhichte der Unruhen erzählt, die bey
Hofe entftanderr , als die Nachricht fich verbreitet hatte, baß
der Kbnig, um dem Kaufe Lothringen eine beſondere Ehre zu
erweifen,, anf Bitten des Defterreichifchen ‚Hofes der Tochter
des Grafen von DBrionne, Schweſter des Prinzen von, Lam
deſc, erlaube Habe, anf dem bal paré gleich nad) den Prinzen
von Gebluͤt eine Menuet Ju tangen. Grimm ruͤckt die Vor
ſtellung, die die Palrs dagegen einreichten, und die der Bir
ſchof von Noyon zuerſt unterſchrieb und hernach übergab, ‚ganz
ein, und man muß. allerdings die Franzofen bedauern, daß
das Lächerlichwerden ſolcher Foͤrmlichkeiten zum Fill ihreg
Reichs beytrug. Eben ſo intereſſant zur Kenntniß des Kleinen
neben dem Sroßen, if Theil II. ©. 231 die Anecdote von
der Schaufpielerin Chantilly, welche Favart, Vpern und Lieder
dichter, dem Marſchall von Sachſen, waͤhrend er Maftriht, belaz
gerte, entführte, diefen in Verzweiflung feßte, jene beprathete,
das Opfer einer lettre de cacher wurde, wo es deun ©: 252
heiße: die beyden Eheleute geven ſich in ide Schickſal, das
ſie nicht aͤndern konnten, weil der Koͤnig die lettre de 5 Cächet,
angeflanden ‚hatte, und die fleine Chantilly war “zugleich dag
Weib Favarts und Geliebte Moritzens von Sachfen Im -
widerlichſten ift uns der Gedanke, daß diefes Buch auf allen
Tolletken ſich findet, darum, weil mit der Sprache der Bibel,
dee Kirche und der Moral‘ deb ſchaͤndlichſto Spott, getrieben -
wird, und Die EIER Dinge ernſtlich, wie die erũ ſten
g
8 eatreebendange: du Baron de Grimm.
frivol behandelt werden. Liederlichkeit iſt ein Scherz und Res
figion befigen ein Verbrechen. Nur einige Beyſpiele Th. I.
©. 158 dep Gelegenheit der. Morffellung über den Menue der
Lothringer heißt es: „Wenn ich, beharrend in der Ketzerey und
in der Unwiſſenheit der geoffenharten Wahrheiten uͤber diefen
wichtigen Punct, das Unglüd hätte, Über die Norftellung des
Adels blob nad, den Regeln der gefunden Vernunft zu urtheis
Ien, fo würde ich behaupten, daß der Verf. der Bittſchrift
nicht einmal den Stand der Frage gefannt hat.“ Eben fo,
wenn es von den Deconomiften heißt I. S. 45: „Die gang
befondere Uebereinſtimmung des Geiſtes dieſer Secte mit dem
Geiſte der Chriſtenſecte hey ihrem Urſprunge koͤnnte ung über
ihre ſchnelle Ausbreitung beunruhigen, koͤnnte uns fürchten
faffen, Geſchmack und Vernunft möhten unter den Mehlhans
fen, die in Flugichriften aufgehaͤuft werden, indeß das Lands
volk fein Brot hat, erftisft werden, und dies wäre in dee
That gereihte Strafe unſerer firafbaren Gleichguͤltigkeit, aber
gluͤcklicherweiſe ſteht geſchrieben, daß die Pforten der Plattheit
die. heilige Stadt Ferney nicht Überwältigen werden.“ Dazu
feße man den empdrenden Ton Über die. Galanterieen Galias
nis, mit dem Grimm befonders verbunden war, I. G. ı
und au. Endlich im zweyten Theile S. 979. 276, wo die
Dede von einer Geſchichte von Siam iſt, die ein gewiſſer
Turpin ‚aus den Papieren eines Miffionairs gufammengetragen
hatte, die aber der Miſſſonair nicht billigte und duch ein
arröt du conseil unterdrücken ließ, „als irrig, ſo Heißt eg
nun bey Grimm, verfälfcht und feldft etwas gottlos, was ide
denn wohl einigen Abſatz verſchaffen fännte.“ Daß fie eg mit
der practiſchen Moral in andern Dingen nicht genauer nah—
men, ſieht man aus den Gräueln, die Stimm auf Peliſſon
waͤlzt, und worin er auch Külhiere, nut. darum], weil er mit
Peliffon Freundſchaft hielt, verwickelte. Th. J. S, 170 - 179
erzaͤhlt er die Bemuͤhungen, die Diderot und andre aumandten,
um bie Vorſtellung des homnme dangereux pon Peliffon zu
; hindern. Wir wollen nur eine Stelle des Briefs, den Dide—
rot deshalb an den Herrn von Sartines, Polizeylieutenant,
ſchrieb "anführen, um zu zeigen , daß fich diefe Parifer alg
kehrer der Welt BE, u konnte ‚eg. auch anderg!
®
N
Correspondance du Baron de Grimm, 8
um doch Friedrich II. (Correspondance avec d’Alembert
ed. 178g. 8. I. Tom. IV. p. ı20.et 132) d’Alsmbert bald
dm neuen Protagoras, bald den neuen Anaxagoͤras, die Fries
deich freylich beyde gleich gut fennen mochte. - „Es gebührt
mie nicht ¶ ſagt Diderot I. ©. 176), Ihnon, gnädiger Herr,
eisen Rath zu geben, können &ie aberabeunrken ,, dab man
nicht ſage, man babe zwey Mal. mit Ohrer Gelaubniß oͤffent
Ih diejenigen Ihrer Mitbürger verhöhnt, die man in alla
Theilen von. Europa in Ehren Hält, deren Werke man nahe
und ferne werfchlingt, die die Ausländer herbeyrufen und bes
lehnen, die man immer anführen wird, die der Ruhm des
Franzdſiſchen Volks aud dann ned) fepn werben, wenn Sie
nicht mehr find; die endlih, welche kein Reiſender gu beſuchen
verfäumt, wenn er bier ifl, und aus deren Bekanntſchaft er
ſich nah feiner Ruͤckkehr ins Vaterland eine Ehre macht; wenn
Sie das koͤnnen, gnaͤdiger Herr, fo glaube ih, handeln Sie
fug u. f. w.“ Se dem halb drohenden, halb prahlenden
Tone geht es noch eine Zeitlaug fort: es wuͤrkte. Das Stuͤck
ward nicht gegeben ; doch bedeckt Grimm Peliffon mit Schimpfi
seden. Aber Peliffon lieh das Stuͤck, worin die Wuth der
keute gegen alle beſtehende Sitte dargefiellt war, in Genf
drucken, dafür zieht er ih Th. II. S. 19— 95 einen neum
ſchrecklichen Sturm zu, der am beiten zeigt, daß es den Lew
sen doch nicht fo unwidtig war, -als fie ung wollen glauben
maden, wenn Delifion über fie herfiel. Wie reisbar das Phi⸗
fofophengefchlecht, gleichwie bey uns auch), war, und mie eine
Verlegung fie aller Befinnung beraubte, davan finden fich hier
viele DBenfpiele, nur eins. Die Enchclopädie wurde bekannt⸗
lich duch & Susr ription zum Druck gebraht, wo dann bie
Seeunde dee Parthey kein Geld fparten, um das Werk zu fürs
dern. (SH. IV. ©. 359 ſteht, daß bie Markiſe von Ferte
Imbault, die Tochter der Geoffrin, kurz vor dem Tode ihrer
Mutter Dig Mechnungen derſelben durchſah, und fand, daß
fie über hunderttauſend Thaler aufgewendet habe, pour sou-
tenir ]’ Ency<lopedie et ses dependances.) Le Breton, heißt
es I. ©. 363, premier imprimeur ordinaire du zoi, und
Brieffon waren, nachdem drey andere, welche Antheil daran
hatten, geſtorbou ‚waren, einzige Verleger der Encyclopaͤdie
”
£
*
“ Cortespondatice du Baron de Grimm.
geworden. : Diveror erhielt fuͤr jeden der 17 Bände Zert abo
Liores, und. noch 20006 auf einmal. Sieben Bände waren
bis Ende 1770 abgedruckt, ' die letzten zehn ſollke TE Breton
erft ganz abdrucken, and dann ale zehn zugleich an: die rk
ſeribenten abliefern laffen , damit nicht die Regierung dit Uns
ternehmung hiadere er aufhalie, weil man es dahin gebrache
harte, daß fie! igndridͤte, daß in der größten Pariſer Drdereh
funfgig: Acheter fih Damit brſchäftigten, den Druck der Encyh⸗
atopadie zu vollinden: So druckte man, denn alle Artiket fo
a, wie die Schriftſteller fie geliefert hatten, und Diversk
„fette nach der letzten Reviſion unter jeden Vogen den Hifcht
zum Abdruck. Dann aber machte ſich der Corrector und Druk⸗
ker noch einmal darüber her und flrichen alle zu freyen Stellen,
alle Ausbruͤthe des Philo ſopheueiſers, kurz, Alled weg, 1ods
von’ fie ziaubten, daß tes die Arfmerffamfeit det Regleruns
erregen Pöndte, und ſtellten dann den Zuſammenhang/, ſo gut
fie konnten, wieder her. „Der Zruck des Werks, ſagt Grimm
&. 366, war fuſt beendigt, als Diderot einen feiner langſten
Artiket von Buchſtaben S brauchte, und En ganz verſtüm—
melt fand. Ge war wie angebontert, in dem Augenblick fa
der Graͤuel des Buchdruckers offen vor ihm; er ſah feine un
feinen Mitarbeiter beſte Artikel duch, und fand faſt berät
diefelde ‚Unordnung, dieſelben Spuren des unvernuͤnftigen
Moͤrders, der Alles verheert hatte. Die Entdeckung fegte ihn
in einen Zuftand von Naferey und Verzweiflung, ben ich mit
vergeſſen werde. Ich war auf dem Lande, er ſchickte mie
einen Boten, um mich mit der unglaublichen Gewaltthat bes
kannt zu machen, und mich nach Paris zurüg zi, rufen, um
mit mir wesen des Entichluffes, den .er zu nehmen hätte, zw
berathſchlagen“ Mun ſchildert Grimm Diderots fchrecdliche
Verzweiflung, und riet S. 368 — 576 zwey Briefe ein, die
ev an te Breton ſchrieb, weiche hinreichend beweifen, .daß er
—* in einer Art von Raſerey befanb. Jetzt wollen wir noch
ein Beyſpiel anfaͤhren, um gu bewetſeſt, daß Grimm (den
wir durchaus nicht ein mauvais sujet nennen wollen, obgleich
uns die Art, wie..man ihn neulich im Morgenblatt No. 219.
dagegen hat vertheidigen wollen, ganz und gat nicht genügt )
ſich der. Phuoſophen und des Tons der Conbverſation zw Sei
Correspo.rdance du Baron de Grimm. 44
| m weiß, wm mie Rönigen, Farſten, Köfen ſich in Ver⸗
bindung zu bringen, und diefe Verbindung durch Diefe Blätter
At unterhalten. Um Die Zeit nämlich, in welche dieſe beyden er⸗
fa Bände fallen, Hatte Srimm die Bekanntſchaft des Könige
son Preußen auf. einer. Reife gemacht, bey der ihm D’Menb
beris und feiner andern Parsfer Freunde Briefe überall: die
‚Hife öffneten, wo Dan fein Yon das Weitere that: In ber
Eeneſpondenz Fried richs mir d'Alembert iſt es der Adte, : den
Srimm zurückbrachte, und im 45ten heiße es (Oeuvres da
Frederic 17860. Tom IV, p. 214. Der Brief ik vom 16.
N. 1569): „Es freut mih, daß ich Seren Grimm habe
dennen lernen... Es ift ein Mann von Kopf und philefophis
ſchem Seiſt, deſſen Grdaͤchtniß voll schöner Kenntuiſſe If. S
hat Ihnen unmöglich hinreichent ſagen tännen, wie ſehr .idh
Sie ſchaͤtz und Aucheil an Allem nehme, as Sie angeht.«
Dafür macht Grinnn denn hier tiefe Büdlinge über drn Brief
den ihm Friedrich ſchrieb, obgleich er (1. 328— 3a) eigen .
ba Nichts ſagt, als daß er ihn gluͤcklich ſchaͤtze, in Paris zu
wen, Friedrich und Cathaxina wußten, wer damuld am fa
uf in Guropa ſchrie, wer am meiſten gehört ward: fir
Banden fi dahin. Auh IE ©; 153 — 160 ruͤckt er dus
wandement ein, das Friedrich verfaßte, um d'Argens aus DER
Stovence wegzuſchtecken, und ihn wieder nach Potsdam zu
beforamen;. wir ⸗ewuͤrden dieſe Seite lieber nicht an Friedelch
ſehen. Es freut: uns Aber, die Madame Necker mitten. untik
dam Daufen- ia andern Gefühlen. zu finden, als ihre Abm _
gäfte: Dies bewoiſet nicht bloß Th. IL S. 5HA— 55 dee
Brief Bokair's an fir, wo es ©; 514 Tpitig Heißt: „IS
ahre, daß Sie feit einiger Zeit mie Madame Deffant: in
uaung ſtehen. Ich gratwitese Ihnen bepden Day. Ich
wollie gerne der Deikte ſeyn, id bin aber om gu Unwidigen
fan“ ſondern auch Grimms eigne ErklaͤenngJ. S. 530;
Hyopatja Necker lebt under lauter Sufttmwaniten , ſie iſt ades
deck fromm nach ihren. Miſe. Cie: wäre: gerne reine uns
richtige Refoxrmirte. oder Socinianerin, oder Deiſtin; aber
um. Etwus zur. ſeyn, entſchließt fie ſich, ſich ber: Midas: her⸗
su Guamiß Fig van einer Fran, Birk Dim Witz dei
Lence Hebte, he: Ihren; Grucd ſaͤen zu hutdigen. Man wirs
42 Correspondance du Baron de Grimm.
gerne hoͤren, wie:fie zu Sn Kenntniſſen am; mag es ihe
Berlobter, das war Gibbon, wie er in der Schweiz war, er⸗
zaͤhlen, ob wir gleich nicht gerne die Seite des Geſchichtſchrkẽ⸗
berg, welcher meht den Franzoſen als den Engländern angehoͤrt,
herausheben. „here Mutter, heißt es ( Memoires de Gib-
bon, .itraduits de -Anglais. 4-Woli 8. Paris an V. de: Ia
republique, Tom; I. p. 103%, War eine ber Religion wegen
gefluͤchtete Franzoͤſin von - guter Familie, die Kerl Curchsd,
Pfarrer im.einem Beinen Ort, Erafly im: Pays de: Quud;7an
der Graͤnze der Franche Comté, geheyrathet hatte. In der
Einſamkeit ‚feines Dorfs gab der Vater der Tochter eine Ikttös
zarifche. und. fegar eine geleifete Erziehung, und Verſtand und
Schoͤnheit der Mademoiſelle Eurdheod, die oft nah Laufanke
kam, ervegten, "allgemeines Auffehn.. Die Erzählımgen. von
einem folchen Wunder erregen anch meine (Gihſens) Aufs
merkſamkeit. Sch ſah, ich liebte fies Ich: fand fie Jelehrt ohne
Dedanterey,, lebhaft in der Unterhaltung, vein in ihren Ge⸗e
fühlen, eteganı m: ihren Manieren.“ Jetzt erzähle er, daß
er ihren Eitern feine Neigung offenbart habe, daß er in Craſſi in
Zaufanne als ihr. Werlohser erſchien — und fir. in England
vergaß. Die Entfchuldigung And die Fakten Worte, die er
Rouſſeau's Briefe, den wir anführen werden, und - den er
kannte, entgegenfegt: „ich feufgte als Liebhaber, ich gehordyae
ale Sohn.“ Man höre Rouffenu ( Oeuvrös ed. 4t0, Toka;
. XVH. p. &): Sie geben mir.einen Auftrag für Madame
Curchod, den sch fehlecht ausrichten werde, eben weil ich fie
achte u. Die Kälte des Hrn. Gibbon macht, daß id nichts
Gutes von ihm hatte, ich babe fen Buch gelefen (er: milnd
das Franzoͤſiſche, das Gibbon ſchriebb, Essai sur l’etude da
Ja littemture.), er haſcht nah Wis, und wird gekaͤnſtelt.
Hr. Gibbon iſt wein Mann nicht, ich glaube nicht, Daß en
der Diann der: Mad. Curchod if. Wer ihren Werth nice
fühle, ift ihrer nicht wuͤrdig; „aber. wer ihn hat fühlen können,
und fih von ihre losreißt, Hi ein Menſch, den man verachten
muß. Sie weiß nicht, was fie will ( fie liebte alfo doch den
etwas unfoͤrmlichen Engländer), der Menſch thut ihr meht
Dienſte, ale ihr eignes Herz. Ich will tauſend Mal Ueber,
daß er ſie arm und frey unter uns laſſe, als daß er ſie un⸗
Correspondance du Baron de Grimm. 13
gädih und reich mie nach England nehme. In Wahrbeis,
id wunfhe, Hr. SGibbon fäme nicht wieder. Ich molkte mie
das verheelen, aber id) Tann nicht; ich wollte es gut machen,
aber ih werde alles verderben.“ Damals lebte nämlich. Ma—
demoifele Curchod, Deren Vater-geitorben war, in Genf, und.
naͤhrte fih und ihre Mutter dadurh, daß fie junge Frauens
zimmer unterrichtete. Mecker sah fie Hier und heyrathete fie,.
— und Gibbon erfchten hernad in ihren Cirkein in Paris.
Eine intereffante Anecdote bringe noch Grimm I. S. 449 über
Erebilion dev, wo der-Schlus fo haͤmiſch und falſch iſt, ale
das Urtheil über Erebillon rihtig, weldhes Grimm I. S. 446 —
448 fällt. „ Man- weiß, fagt Srimm, daß ein Frauengimmer
von angefehener Familie (Miß Gtrafford) von Erebillons : .
Sopha ſo gerührt ward, und fid eine fo große Vorſtellung
vom Verf. machte, Daß fie ausdruͤcklich, nm ihn zu fehn, nach
Paris reifete, und als fie ſich verſichert hatte, daß fie das
Stäk ihres Helden machen könne, ihn ins Geheim heyrathete,
and ihm zu Gefallen ihrem: Vaterlande, ihrem Mamen und
ihrer Familie entfagte. Kerr von Trebillon hat viele Jahre
mie ihr in Paris ſehr in der Stille gelebt, aber in großer
Eintraͤcht. Erſt nach dem Tode der Heldin hat man die nähern
Umkände der romanhaften Heyrath erfahren; da fieht man,
wie ales in der Welt Zufall ift. Der Verf. einer leichtfertigen
Schnarre flöße einer vornehmen Dame eine Leidenfchaft ein,
daß fie Übers Meer geht und ihn aufſucht, und der Liebhaber
der neuen Heloiſe, . der Treufte aller - Liebenden muß feine
Magd heyrathen 1“ Das Legte iſt elend; die. Damen riffen
ſich genug um: NRouffeau, der Übrigens ja ſchon über 40 war,
und Grimm befonders, mußte das ja am Tiſch und im Bett
der Frau dD’Epinay, wo er zu Haufe war, am beften erfahren
fönnen. Zur Seſchichte der Zeit finder ſich bier wenig; nur
merfe man auf die Seenen in der Academie I. 3. 490 — 96,
me der Abbe’ Voiſenon den Bifhof von Senlis in einer dfı
fentlihen Rede ‚perfiffllirt, wo die Theilung der Meynungen
fo weit gehe und führt, lefe IL. S. 078— 87, um zu erflaus
nen, daß die Megierung aus diefen Bewegungen, welche bie
Hauptſtadt theilten , nicht erkannte, mohin es kommen fönne.
Die dreh letztern Bände der Grimmſchen Correſpondenz
umfaſſen die Zeit vom Januar 1774 bis October, 1782; es
fehle, doch ohne Daß wir es bedauern möchten, das.ganze Jahr
1775. Das Merkwuͤrdigſte in diefen Bänden ift die aus ben
Togesberichten ſo deutliche Agitation der ganzen: Volksmaſſe
(das Borfpiel der Nevolution ), welche fih in den Streitigkeiten .- -
fpieler und. ihrer Vorgeſetzten, her Philofenhen, der Frommen,
—
Correspondance du Baron de Grimm.
dar Romanſchreiber, Tänzer umd Muſtter erkennen Hit, alle
ſchlleßen ſich getreulih an einander, und ihre mis unglaublicher
Erbitterung getriebenen Händel, die durch fotche Berichterſtat⸗
ter, al6 Grimm, ganz Europa Intereffirten,, hatten eine Wiichz -
tigkeit, die fie vorher nie gehabt hatten, und auch fo leicht
nicht wieder orhatten werden. Da die Parifer Welt für alle
Hoͤſe und Hauptſtaͤdte die Schule des Tons war, und Alles,
was von daher kam, verfchlangen ward, fo mußte dies natuͤr⸗
lich zuruͤs wirken; bie Schaufpiefer, Dichter, Belletriſten
u. 1. w. handelten nicht für Paris, fie hielten die ganze Eur
ropäifche Menſchheit für ihr Publicum; ihre Streitigkeiten
werden alfo dee Weltgefchichte wichtig, weil fih Demagogen -
- fe die Revolution ‚dadurch bildeten, und die Köpfe erhitzt
warden. GR wäre zu weitläufig und unintereffant, dieſes durch
ale Schauſpiel⸗ und Proceßgeſchichten, welche in dieiem Theile
vortommen, durchzufuͤhren, wir wollen nur Einiges aushe⸗
ben. Vol. IV. ©. 215 erſcheint Hr. de Vismes zum erſten
Mal ander Spitze der Dper, welche freylich nicht Oper, ſon⸗
dern Academie royale de Musique heißt. (Man erinnert
ſich wehl, daß Nouffeau feinen Sct. Preux, oeuvres dd
Rousseau & Neuchatel chez Fauche 1775. 8. Tom, IV.
..p- 42ı fagen läßt: die Oper befteht Hier nicht, wie an ans
dern Orten, aus einer Anzahl Menfhen, die man daffr bes
zahle, daß fie ſich vor andern Leiten fehen laſſen. Freylich
find es Leute, die das Publicum bezahle, und die fih ſehen
laſſen; aber das Alles ſieht gleich ganz anders aus, da es eime
Lönigliche Mademte der Muſik ift, eine Art von Gerichtshof,
der in feiner eignen Sache inapellabel entfcheidet, fonft aber
eben keinen Anipruc auf Gerechtigkeit oder Trene macht.)
Man wird fih fhon nad diefem nicht fehr wundern, daß
Grimm den hohen Kerrichaften fo genaue Nachricht gibt, wie
de Vismes bisher auf die Umſtaͤnde, auf einmal angenommen
Grundſaͤtze, auf hergebrachte Gebraͤuche, keine Mäder ger
nemmen, wie er der Turgot der Oper ſey, worauf dann &. -
5065 — 573 die elenden "Streitigkeiten folgen, an denen dei
Hof Theil nimmt, die den König lebhaft intereſſtren, die ein
Marſchall von Frankreich, dee Herzog von Duras, beylegen.
muß, von denen endlich Griimm &. 371 ſagt: „Gewiß iſt,
daß dieſe Sache bey unſern Soupers mehr den Gegenſtand
der Unterhaltung ausmachte, als der Ruin unſers Handet
die Eroberung von Pondichery und. die ungluͤckliche Expedition
nach St. Lucie.“ Man vergleiche Dies mit dem, was ei“
anderer Augenzeuge, durchaus Hofmann, der bekannte Baron
von Beſenval, Generallieutenant und Schweizeroberſter uͤber
dieſe Cirkel ſagt · Memoites -ecrits par. lui meme 'a Paris
—
Correspoypdanse du Baron de Griwm. is
Bo5. —— eng ‚und man
‚19 über Weniger vermandern. Bey Geimm
©. 368: Man ſproch au coucher du ra
en Fanforenen der Operngottinnen mit ihrem Director.
= iß —* Schuld , meine Herren, fagte der: junge König
‚feinen Sofleuten ; wenn @ie fie weniger lieb Hätten / wuͤr⸗
m weniger ungezogen fm.“ Wis fche fie das Lepte mas
(ehe ‚man gleich we derfelden Bein: „Der WMiniern
=, aß ich tanzen fol, fagte Mademoifelle Grimard, en
V hüten, daß ih ihn vicht ſpringen laſſe.“ Der große
hatte dem Drn. Bismes eines Tags recht ungezogen
geantwortet ; dieſer —— „Aber Hr. Veſtris, wiſſen Sie
ob, mit wen Sie reden? — Mit mem ich code? mit dem
A — — en er Sein 2 weis
chlechter d aters Rollo in der Armida zu
8 wird alſo auf das Fort l'Eveque gebracht. „Geh, ruft
da fein Vater mit Pathos zu, geh, mein Sohn, dies iſt
dt Ihönfte._ Tag Deines Lebens, Nimm meinen Wagen ; fodere
dad Zimmer meines Freundes, des Königs von Pohlen, ich
nude Alles be sahlen,“ Dazu gehört Tom. V. &, 4216,
me der Hof ſich in Brunoy aufhält und Acteicen ber Franß
pe enommmen hat, um fih Dusch Schauſpiele zu uns
wem 4
iche Frivolitaͤt, daß der maitre des menus
> ‚Defenielieh, auf eine bloße Aeußerung es Könies,
er TER ung ehrucdten Städe dea Dichters Bolle zu fehn:
nı Zimmer und Pult aufbrechen läfe: Keeylich.
Bis een in niht, und mußte den Dichter auf dem
en erfischen. laffen; aber dies ift für un« geichgel⸗
Bey eben dieſer Gelegenheit hatten die Herren des Hofc
Pr — alle Shenterdnmen misten. im Ankieiden entführen
— damit ei — „Here den rouss feines Gelichters
Deren. er mit tauſend Loniad’or hatte kau⸗
— und. Kern für zweyhundert befommen, im Nies
ige» icher, glauben win ara heſten rechnen zu boͤnnen,
3 — 176 über ‘eine anftößige, Geichichte ficht, Die:
Marie Antoin ette Gefühl für zus eben nicht. im;
guten Lichte zeigt. Grimm, gie, nt ann, erzähle nur, wie,
dee Graf von Artois, des Rön 8 Bruder, der Herzogin von
Yearbon einen Stoß int Geſicht gibt, und, ſich mit dem Herz,
"yon Bourbon darüber duellirt, er iſt dabey ganz auf
Bourbons, und freut fi ch über. die Auszeichnung , bie
dae Publicum im Theater gab, da es Artois und ıdie
gin fatt empfing, hat auch nur 4 Seiten darüber. Um
aber die Geſchichee in ihrer: ganzen Frivolitaͤt zu Eennen, muß
man Befenval vergleihen. Diefer, bier ganz in feinem Wes
—
i6 __Gorrespondance du Baron dE Grimm)
fen, in ber ganzen Wichtlgteit eines‘ Hofmanns, greund dee
Grafen v; Artois, breitet ſich über: das Taͤlent, daß er. dabey be⸗
wies, weit aus, und enthuͤllt das elende Weſen der Leute, ohne
v
as zu wollen? Memoires de Besenval Tom. I. p. 282 — 599.
“Man denke fait hundert Seiten! und doch ift das richtig.
Mir Finnen Ans, weil das Buch vieleicht nicht jedem zur Hand
iſt, micht enthalten, ben Schluß herzuſetzen, der zu Los,
miſch klagtich iſt, um nicht zu gefällen, ©.328. Apres U’beu-
reuße issue d'un Eevenement qui d’abord avoit si mal toufn&
pour Mr. le comte d’Artois, et qui avoit tant embarassé
et afflig€ le roi et la reine; apres la .part, que j’avois
eue à cette heureuse issue, je devois naturellement m'at-
. tendre à quelque t&moignage de satisfaction: Non seu-'
}ement ni le roi, ni la reine, ni qui que ce füt, ne
men ouvrit'la bouche; mais m&me dans le monde‘
Fhongeur en rejaillit sur le chevalier de Crussol (er
ſchreibt C(***, meint aber diefen ), soit qu’il Veit coure
plus & 'son avantage qu’elle ne l’etoit dans le fond, soit
que tout ce qu'il en dit et le silence que je’ gardai sur
cet objet, ainsi que je le fais toujours sur ce qui’ me: '
regarde fit tourner les yeu% de son cöte! il en eut pres=.
ue tout l’'honneur, et jenen tirai que celui d’Etr& content
e moi; ce qui me suffira toujours. Edeles Seldftbewußts
font — Wir ehren zu Grimm zuruͤck um aus feinem Werfe, -
als wuͤrdiges Seitenſtuͤck zu dem Ebengefagten die Geſchichte
der Sängerin Lagnere hier mitzutheilen. Sie hatte ale gemeine
Dirne die edle Laufbahn begonnen, damals eben den Prinzen vor
Bouillon in einem halben Jahre ruinirt, und das Vermögen eines '
der veichften Generalpächter, Haudry de Soucy, erihäpft..
Sie follte V. S. 244 in der Iphigenia fingen, war aber
während des erften Acts fo betrunken, daß fie hin und her⸗
taumelte, und nur flammelte. Am Zwifchenact wendet md
‘alle Mittel an, um fie nüchtern ju machen, und es geht beſſet;
auch das wird dem König erzähle! „Nun, fagt er dem Mir-
niiſter, und fie iſt in Arte 7“ Jetzt ward fie verdafte: Als
fie aber zwey Tage hernach den Anfang ihrer Rolle:
| O jour fatal que je voulois envain
Ne pas compter parmi ceug de ma vie.
mit Emphafe ſpricht, geräth das Publicum außer ſich vor Ente
zücen, hört gar nicht auf, zu Elatfchen, und der Hof laͤßt ihr
am Ende des erften Acts ihre Befreyang vom Arreit ankuͤndi⸗
gen. Sol man nody Etwas hinzuiegen ?
(Det Beſcchluß folgt: )
— BEER
No. 2. Beldelbersifhe 1813.
Jahrbücher der Litteratur.
ä —————— —— ———————,——————
Correspondance liti£raite philosophique et criügue addressde
A un Souwerain d’Alleınagne par le baron de Grimm
et par Diderot..
( Becſchlus der in No 1. abgebrochenen Ketenfion.) Sr
Venare, ſein letzter Aufenthalt in Paris, und Alles, was
ſich darauf bezieht, nimmt einen großen Theil der drey letztern
Baͤnde ein, welches die Herausgeber aber als bekannt haͤtten
weglaſſen ſollen. Die Grabſchrift, die Rouſſeau Voltaire'n ge:
ſetzt hat, iſt befannt, die einer Dame von Lauſanne IV. ©:
855 verdiente es zu fepn: Ti git l’enfant gätE du monde
qu’il gata. Wie ſeicht Abrigens Grimm ift, fobald es über
altaͤgliches Geſchwaͤtz hinausgeht, ſieht man aus dem Hin⸗
und Serreden tiber Montaigne IIL ©. 109. Ferner über
Sprachen, Schriftſtelier, Voltaire und Corneille. III. S. 118
uf In deinſelben Bande ſleht man auch ©. 2ı3— 26,
tie die Academie in eine Art von Theater ausgeartet ivar,
woman nach dem Beyfall einer gemifchten Verſammlung (IV:
S. 360 un. f- I haſchte, und wo man beflarfcht und nicht bes
Harfe wurde, fo dafi ſelbſt Grimm gefteht, die Zuhörer der
Achdemie beftänden fat aus Sauter Weibern und j ungen Laffen:
Diefe Leute vegierten alfo die itteratur, und Urtheile, wie fie
Srimm IIT: &. 218 — 226 fält, mußten dann allerdings
noch ausgezeichnet ſeyn, fo wenig wir alich begreifen, wie
man fidy dergleichen von Paris aus konnte zuſchicken laffen.
Baren doch Dradame Deffant und andere als Orakel der & tterarur
angeſehen (LV: ©. 562), war dodj Zutritt gu gewiſſen Ger
ſelſchaften das Ziel der Schriftſteller! Wie glücklich find wir
Deutſche Gelehrte, daß es dahin bei uns nie tommen kann!
Nie wird bey uns die Wiſſenſchaft zum Zeiwertreib, die Kunſt
zum Spiel herabſinken, cher vergehen ! Sind doch die Wors-
Iffungen der wand ernden ˖ Gelehrten, die Declamatorien, alle
Zwitteran ſtalt en bald läherlih geworden und aus der Mode
1
48 Correspondance du Baron de Grimm.
gekommen. Naiv ift Grimms Geftändniß IV. S. 39. Nach—⸗
dem er dort über feine Freunde, die Phllofophen, geklagt Hat,
fo feßt er Hinzu: „Unordnung und Anarchie, die unter der
philoſophiſchen Parthey feit dem Tode der Mademoifelle lEſpi⸗
naffe und feit der Unthätigkeie der Madame Geoffrin geherrſcht
haben, beweifen, wie viele Uebel die weile Regierung der
Damen verhätet has, wie viel Stürme zerftreut, und beſonders,
wie viel Lächerlichkeiten verhütet worden. Nie würden wir unter
ihrer ehrmärdigen Leitung die Scenen aefehen haben, zu denen
der Krieg Über die Muſik Anlaß gab.“ Welche Stügen der
Philoſophie, ein padr eitle Weiber! Man darf fich aber nicht
en daß die ſchaamloſeſte Sittenverderdnig Aberall Heraus
leuchtet, da der Beſte unter den Goͤttern der Zeit, Jean Yacı
ques, in feinen Confeffions fo (höne Srundfäge zeige, in der
Heloiſe lehrt, und dem Emil, in der‘ Erziehung am Ideal,
ein fo troͤſtliches Ende gibt, daß Grimm Recht hat, wenn er
ironiſch ausruft: „Wenn Jean Jacques in den Abentheuern
Eduard Bomſtons die Weiber, "welche honett Die Ehe brechen,
etwas zu hart behandelt hat, fo hat er das im feiner Forts
feßung des Emil gewiß wieder güt gemacht. Man kann nicht
ühterefjanter die Ehe brechen, als Sophie thut.“ Freylich muß
tan, wenn Grimm von Nouffeau fpriht, auf feiner Hut
feyn ; denn man vergleiche nur einmal Tom. III. S. 266 die
Sefchichte, wie St. Fargeau's Hund Rouſſeau'n umrennt, mit
derfelben Gefchichte in den Confeſſions! Doc bringt er ein
guͤnſtiges Urtheil Condorcet's Über Jean Jacques bey, das wit
gern unterfchreiben würden, wenn es nicht einfeitig wäre.
„Diefer berühmte Mann, Beißt es, dem das Talent, andere
von dem zu Übergengen, was er haben wollte, daß fie glauben
follten, angebohren war, hat die Wahrheiten‘, die er für nuͤtz⸗
lich hielt, auch populär zu machen gewußt. Sind die Körper
‚der Kinder nicht mehr in Schnürbräfte geſchraubt, wird ihr
Verſtand nicht zu frAh mit Vorschriften überladen, entgehen
fie wenigſteüs in den erfien "Jahren dem Zwange und def
- Dienftbarkeit, fo verdanten fie‘ dies Rouſſeau. Darum trug
auch eine Frau von vielem Gefühl darauf an, daß man ihm
eine Statue errichte, die von Kindern gekrönt würde. — —
Er Hat in unſern jungen Leuten den Enthuſiasmus für die
*
Correspondance du Baron de Grimm. 19
Tugend wieder erweckt, der ihnen fo noͤthig wart, um ihn den
heftigen Leidenſchaften entgegen zu ſetzen. Das find die Ans
frähe, die er an die Dankoarkeit der Menſchen hat. Unter
den neuern Philoſophen iſt er einer von denen, die am mei⸗
fen auf die Gemuͤther gewirkt haben, weil er das Talent
beſaß, die Seele der Leſer ſo zu lenken, wie die alten Redner
(und hätte er fagen follen Sopfiften ) die Seelen ihrer Zus
birer lenkten: Aber and Rouſſeau hatte gegen die Philoſophen
geſuͤndigt, und für alle Sünden ift Vergebung bey Grimm,
aur die. Sopyiften muß man nicht necken. Weil er das thut,
kommt ein elender Schriftfteller, de Querlon, zu der Ehre, den
Torrefpondenten denunciirt zu werden. Diefer Menich, hatte
naͤmlich Noten zu Meontaigne' 8 Reifen gemacht, die auch recht
gern in alten Kaſten auf dem Schloſſe Montaigne's, dad das
mals dem Grafen. Segur de la Roquette gehörte, wo fie der
Canonicus Prunis (III. 94). triumphirend fand, hätten faufen
nögen. Wem fällt Bey ſoichen Gelegenheiten nicht ein, daß
Palifot doch Recht Hat, wenn er gleih ſelbſt nicht beſſer iſt,
mſagen (Geuvres dc Palissat. & Liege 1777 in den Phi-
losophes act, II. Tom. p. 189):
Ces grands mots imiposans d’erreur, de fanatisine. |
De pers&ecuton , viendroient à son secours.
C’est un ressort use qui reussit toujours.
Bie fehr durch bie Furcht gefhimpft, oder laͤcherlich gemacht
ji werden , die angeſehenſten Perſonen des Reichs in Furcht
gehalten wurden ſieht man recht in dem Proceffe Kaynafg, -
wie er (Tont. Y. ©. 306 u. fag.) Die histoire philosophique
des etablissemens etc. unter feinem Namen hatte drucken
laffen, und Deshalb eingezogen werden follte. Er hatte, heißt
es hier (V. Z08), jegt allen Rackſichten entſagt, und, ja,
man erffaune, daß eine Mation fo tief ſinken kann: „Indeß
bezahlt er (Raynal) feine Mitarbeiter gut, und die "einzige
Bedingung , die er macht, iſt: daß, wenn fi ie die Seiftlichen
und die chriſt liche Religion herabſetzen und ſchmaͤhen, ſie den
Theismus ſchonen, weil die Grundſaͤtze des ihm entgegenge—
legten Syſtems, die fih im der erſten Ausgabe faͤnden, viele
techtlihe Leute in England’ und Deutſchiand (alſo nicht in
deantceich) empört hätten,“ wie leer muͤſſen einem jeden
.
\
20 Correspondance du Baron d& Grimm.
dann alle Klagen über Verfolgung erfcheineh, wie fieht mar
ſo deutlich, wer eigentlich verfolgte. Um dies beffer zu zeigen,
wollen wir uns eines Briefs don Voltaire bedienen, der nicht
leicht jedem in die Hand ‘fallen möchte. (Er. ſteht Oeuvres
.de Palissot Tom. VI. p. 395) „Sie haben, fagt dort Vol⸗
taire zu Paliffot, die rechte Saite gefchlagen, mein Herr, ich
habe Freret, deh jüngern Crebillon, Dideror, ins Befängnif
werfen Sehen; :i babe geſehn, wie faft alle andre verfolgt
wurden. Der Abbe’ de Pondes, wie Arius von den Athanas
fianern behandelt, Helvetius eben fo granfam unterdrückt,
Tercier feines Amts, Marmontel feines Vermoͤgens beraubt,
und Bret, fein Cenſor, der ihn durchgelaſſen, in die aͤußerſte
Armuth verſunken.“ Wer ſollte nicht erſchrecken, wenn er ſo Etwas
lieſ't, und nun vergleiche man die Note Paliſfſots S. 393 —
395, die wir unfern Lefern nachzulefen überlaffen, und fehe,
wie fogar Nichts daran iſt; und doch bringt Paliſſot Facta
vor, nit Worte. Wir bleiben nur bey Rouſſeau ſtehen, den
Voltaire, der ihm verfolgt, zu den DVerfolgten rechnet: „Sean
Jacques Rouſſeau, fagt er auf derfelben Seite, der den Wiſ⸗
ſenſchaften nuͤtzlich ſeyn konnte, ward ihr Feind aus laͤcherlichem
Stolze, und ihre. Schmach duch eine fuͤrchterliche Aufführung.“
Das ift noch gelind, es ift in einem Briefe; wir haben andre
Stellen. In der Vorrede zum Leben Peters des Großen ſchilt
er ihn visionnaire, fpricht von einem je ne sais quel con-
trat social ou insocial, nennt ihn am Ende einen Saffen:
buben (man höre: c’est une etrange manie que celle d’un
polisson qui parle en maitre aux souverains et qui pre=
dit infaillibllement la chute prochaine des empires du
fond du tonneau, ot il pröche et quil croit. avoir ap-
partenu autrefois ð Diogeêne). Ja, er ruft ſelbſt den weltli⸗
chen Arm gegen ihn an, und droht ihm damit (vergl. dag
Dictionnaire philosophiques Amsterd. Rey. 1789. article
Pierre le Grand et Jean Jacques Housseau. Tom. VII.
p. 158 — 144). Diefer Eifer fanatifcher Sophiften hat dann
viel Aehnliches mit der Sentimentalitaͤt liederliher Schaufpie;
fer. Tom. III. ©. 6ı u. f. follen die Schaufpieler auf gewoͤhn⸗
liche Weiſe das Publicum gruͤßen, da nimmt die Deschamp
mit liebenswuͤrdiger Naivetaͤt (S. 64) den Schauſpieler
Correspondance du Baren de Grimm. 21
Eelrval bey der Hand (man weiß, was Clairval, Caillot u. a,
den Damen waren ) umd fait laut: „Kommen Sie Clairval,
Se wien den Damen fo gut den Hof ju mahen, Sie
muͤſſen Ste begrüßen.“ Das Publicum Matiht. Dann führe
Grimm eine Herzogin sedend ein, daß uns bey der Art, wie
er mit feinen Herrſchaften fpriht, eine Stelle aus Duclos
einfie. Memoirs secrets Tom. I. p- 397: „Ein fchergens
der Ton deckte am Hofe (des Negenten) alle Sittenloſig⸗
keiten; und dies hat ſich in der großen Welt erhalten.“ Dayı
naht denn auch vortrefflid die Erziehung, von der hier Pröss
hen vorfommen. Man kennt das Verhaͤltniß, in dem Mas
dame de Genlis mit dem Herzog von Orleans fland. Tom. V.
S. 156 erzähle Stimm, mie man der Genlis in Berch ein
deft gibt, wobey die Kinder, die fie erziehen follte, die kanm
zwey Jahr alt waren, fagen muͤſſen: Die. Eine: Maman,
Genlis, ces deux noms lä — sont là (aufs Herz deutend).
Die Andre : Et tous deux font dire de m&äme — jaime,
und das Duo Hatte der Linter s Gouverneur der beyden Brüder
der Prinzeſſinnen erfunden! Etwas Aehnliches iM doch auf⸗
fallender bey Madame Neder, wenn man nicht Hrn. Neckers
Vorliebe für feine Tochter, die jekige Madame Staël Hols
flein, deren ganzer Lebenslauf in diefer Geſchichte Liegt, kennte.
Tom. IV. ©. 290 madıt fie als zwötfjähriges Mädchen Cos
mödien, und befonders eine unter dem Titel: Les inconve-
siens de, la vie de Paris, von der Grimm fagt: qui n’est
pas seulement fort Etonnante pour. son Äge mais qui a
paru m&me fort superieure A taus.ses modèles. Die Cou⸗
plete von Miarmontel bey der Genefung ihres Waters hätte
fie immer fingen mögen, wenn nur nicht die gelehrten Herren,
die bey der Mutter fpeifeten, der Tochter im eilften Jahre fo
viel Weihrauch geftreus hätten. So wie der Madame Staëel
Bildung, aus diefen Anecdoten einleuchtet, fo wirft der Auszug,
den Stimm, IV. ©. 105 —ı20, aus den benden Lobreden,
bie der Abe Morellet und Thomas, und. dem Briefe, den
d Alembert gleich nad) dem Tode der Madame Geofrin über
fie herausgab, ein Licht auf den Charakter diefer Frau. Uns
bat an ihr am wenigſten gefallen, was an einer andern Stelle
ben Grimm vorkommt, daß ihr Mann unter den philoſophi⸗
®
22 6orrespondance du Baron de Grimni.
ſcheh Schreyern an der Ecke des Tiſches einen Platz erhielt,
doch fo, daß er nur eine ſtumme Perſon machte. Wir wollen
fie übrigens, da viel Gutes von the gefagt wird, das freylich
fehr affectirt ausfieht, weder anflagen, noch vertheidigen, der
Verſtaͤndige wird aus einer Note Grimms Tom. IV. ©. 116
leicht fein Urtheil Über ihre Wichtigkeit und die ganze Tendenz
e ihres Handelns bilden: „Das gegen Madame Gerffrin eins
genommene Paölicum glaubte, fie hate die Gelehrten und
Kuͤnſtler (d. h. Schauſpieler) nur darum in ihr Haus gezo⸗
gen, um die Leute von Stande dadurch anzulocken. Gewiß
iſt wenigſtens, daß fie ſchon ſeit geraumer Zeit eine ziemliche
Langeweile in der Geſellſchaft unſerer Litteratoren empfand,
und mit ihren Katzbalgereyen unzufrieden war; noch gewiſſer
iſt, daß Niemand auf die allgemeine Meynung hoͤhern Werth
legte, den Wochſel derfelben beſſer faßte, und ihm mit mehr
Biegſamkeit folgte. Als Helverius fein Bud de Yesprit bes
kannt gemacht hatte, fagte er feinen Freunden: „Wir wollen.
fehn, wie Madame Geoffrin mich aufnehmen wird, wenn ich
dies Thermometer der öffentlichen Meynung befragt habe,
kann ich genau wiſſen, welches Gluͤck mein Wert: macht“
Dies ift zugleich hinreichend, um zu geigen, wie gefährlich. die
Dilettanten den Gelehrten find; das fühlte Diderot auch fehr
gut, und er fagt es in der III. S. 269 eingeräcten Schrift:
Resultat d’une conversation sur les Egards qu’on doit aux
rangs et aux dignitds de la société. ©. 273 heiße 06:
„Er (de Gelehrte) wird die Geſellſchaft von Seinesgleichen
—— vorziehen: denn, in ihr kann er feine Kenntniß
erweitern, und ihr Lob allein kann ihm ſchmeichelhaft ſeyn;
er wird fie der Gefellſchaft der Vornehmen vorziehen , ben des
nen er zum Erſatz feines Zeitverluſts nur. Lafter gewinnen fann.
Er iſt bey ihnen wie ein Seiltänger zwiſchen Niederträchtigkeit
and Hochmuth. Die Niederträchtigkeit beugt das Knie, ber
Hochmuth; wirft den Kopf in den Maren; der wuͤrdige Mann
‚trägt ihn gerade.“ Treffen fih doch manchmal die heterogens
fien Geiſter auf. einen Gedanken ‚- hier ſpricht Diderot wie
Rouſſeau, in jener Note uͤber die Geoffrin Grimm wie der
aͤrgſte Antiphiloſoph, und Tom. HI. S. 2812 treffen wir den
leichten und leichtfertigen Galiani mit unſerm langfamen aͤcht⸗
!
Correspondance du Baron de Grimm. 233
srofaifchen Meiners auf einem Gedanken. Dort heißt es in
dem Briefe an Madame d’Epinay: Ainsi la perfectibilite
nest pas un don fait à l’homme en general mais à la
seule race blanche et barbue. Par alliance la race haza-
nee et barbue „ la race bazande non barhbue et la race
noire ont gagne quelque chose. Iſt das nicht du.Meiners
tout pur ?: Doc iſt noch ein Unterſchied; in Meiners (hwars
jen Brauen wohnte nur Balter Ernſt; Galiani verfteht Spaß.
Politiſche und literarische Motigen finden fich wentge
brauchbare oder zuverläffige. Was den Prinz Eduard angeht,
ben die mehrſten unſerer Lefer wohl aus Moltaire‘s sibcle de
Louis quinze fennen, fo ſcheint es uns nicht recht glaublich,
was Tom. V.- &. 52 erzähle wird, daß er, wie er aus ber
Baftille entlaffers worden, fih drey Jahre bey dee Martife
von Waffe zu Ss. Joſeph in der Vorſtadt St. Germain aufs
gehalten, uns die Pringeffin von Tallmont, in die er verliebt
war, und mis Der er fih doch balgte, zu fehen. Ein maw
vais sujet , wie Eduard, wäre wohl dazu im Stande gewefen,
as Hätte aber doch d’Angerville oder wer fonft Verfaſſer der
vie privee de L,ouis quimze (a Liondres 1781. Littleton,
4 Vol. 8.) ſeyn mag, erfahren; hier heißt es aber ausdruͤck⸗
ih Vol. HI. S. der: „Man ließ ihn drey Tage in Verhaft,
dann brachte man ihn an, din pont Beauvoisin, und dies
nahm ihm alle Luft, nad Frankreich zurück zu kehren,“ und
doch intereffivte den Verf. die Sache; denn in den Beylagen
findet man alle Vaudevilles, die bey der Gelegenheit circulir⸗
tn. Die Anecdoten, weihe Grimm V. &. 45 u. fa. über bie
du Barry beybrings, hätten die Herausgeber ganz. weglaffen
folen, da fie im der vie privee Tom. IV, ſchon benugt find.
Wir waren besierig durch Grimm, der doch in Paris‘ Ichte,
äber den Verf. diefer aus ganz verfchiedenen Büchern mit den
Worten der Merf. zufammengeftoppelten Geſchichte etwas zu
finden; aber er erwähnt ihrer zwar V. ©. 256, wirft aber
nicht einmal bem Berf. vor, daß er aus einem fo bekannten
Bude, als Voltaire's sitcle de Louis quinze fo fehr "fange
Stellen wörtlich einruͤckt. Wahrfcheinlih war es d'Angerville
(Eorrespondaäice. litteraire secrete No. 20 et 21. und
woher? WVon unſerm Müller von Itzehoe, Geſchichte der
3 Correspondancz da Baron de Grimm.
Wald heime zweytem Theil S. 253), andre halten * doch
auch den Mouffle de Georgeville dafuͤr, und dies iſt nicht
gang unbedeutend, da dad einige Nachrichten dieſea Werks
"aus keinen andern Quellen - bekannt ‚fd. Gut ausges
wählt ift aus Millots Memoires de Noailles der Drief der
Prinzeſſin des Urſins, wo fie (III. S. 418 — 419) ihre,
erſte Lage bey Philipp V. und. feiner Gemahlin beichreibt.
Wie tröftete fie fih bald! Gut ift der Artikel über Dorat
V ©. 161-1715 Wer Dorat Sonnen und beurtheilen will,
darf ihn nicht uͤberſehen, fo wenig als zur Ehre von la Harpe
die Anecdote S. 10—ı2, wo Dorass Serretair, der gegen
diefen erbittert mer, und Geld nöthig hatte, ihm, dem Args
ſten Feinde Dorats, Papiere anbietet, deren Bekanntmachung
Dorat verderben mußten, er ſich diefe Papiere verfchafft, und
fie Doras augfiefere. Ruͤhrend iſt die Geſchichte des Dichters
Gilbert, der V. S. ano in feiner Armuch erft wahnfinnig
wird, dann im Wahnſinn feinen” Stubenſchluͤſſel verſchluckt,
und ins. Hötel Dieu gebracht wird, wo ex. nach vierzehn
Tage oder drey Wachen fein Beben hinſchleppt, ala feine lebte
Arbeit aber diefe Verſe eines Pſalms hinterlaͤßt:
- Au banquet de la vie infortuné᷑ convive,
J’apparus un jour et je meurs;
Je meurg, et syr ma tombe oü lentemext j'arrive
Nul ne viendra verser des pleurs.
Es iſt Über Grimme Sphäre, wenn er Buffons epoques de
la ‚nature beurtheilt, und der Wis tft fihaal, wenn er V.
©, 175 über das Gleichniß der Rakete und Flintenkugel, weis
des Buffon Euler'n entgegen .febte, fagts „Sch habe. Herrn
Buffon fagen hören... Kerr Euter hätte fih bey der Rakete
(man denke an die Bedeutung une fusee) beruhigt. Es märe
unſchicklich, ſchwieriger zu ſeyn, als Hr. Euler.“ Wir haͤtten
‚erwartet, er. haͤtte Hrn. Buffons lange Phraſen angegriffen,
das gehoͤrte vor fein forum. Was den Wis Grimms angeht,
-fo ſagt Buffon ſelbſt (histoire naturelle edit. Sya. Paris
376g. Tom. J. p. 245) von feiner Hypotheſe: „Ich haͤtte
ein dickes Buch ſchreiben koͤnnen, wie Burnets und Whiſtons
Buch iſt, wenn ich die. Ideen, welche dag. Syſtem, von dem
ich fo chem geredet Habe, auemachen, amsführen und ihnen
%
Correspondance du Baron de Grimm, 25
ein gesmetrifeges An ſehn hätte geben wollen; aber ich ‘vente,
daß Hypotheſen, fo wahrſcheinlich fie aud immer feyn mögen,
nicht mit fo vielem Aufiehn dürfen behandelt werden, weil dies
wie Marktſchrey erey ausſieht.“ Wir fließen mit einer Bes
merfung über Diderots Declamation gegen die Sefuiten, und
für Dlavides. In Beziehung auf die Erſtern wird es jedem
intereffent ſeyn, den nenflen Bertheidiger der Sjeiniten, Hrn.
Hofprediger Start in Darmfladt, im Triumph der Philoſophie
des achtzehnten Jahrhunderts ( Germantomn, Roſenblatt zwey
Bände: von 67: und 654 S. 1805) im erftien Bande im
fehjehnten und ficdzehnten Kapitel zu vergleichen mit Diderot
ia Tom. V, ©. 368 u. fgg.. Man ficht zugleich, wie bie
Meynung Ihwanft; vor gehn Jahren fchrieen alle wie Diderot,
und jet Hat auch oh. von Müller, Allgem. Geſchichte dritter
Band ©. ae — 27, ſich für die Jeſuiten erflärt, und in der
hat haben die maitres de la terre, an welde Diderot ©. 340:
‚ poflrophirt, nicht wohl gethan, dem Aufruf ſo ohne weiteres
p folgen. Die Geſchichte des Olavides V. &. 840 bis gu
Ende des Bochs ift aud eine leere Declamation, und man
muß deshalb eine Stelle aus Bourgoing tableau de l’Espagne
moderne, troisi&me edition. Paris 1803. 8. Tom. J. p.
369 — 382 vergleichen, no die Geſchichte genau erzählt iſt.
Es heißt am Schluß: „Diavides wurde in ein Kloſter geſteckt,
beklagte ſich aber, daß feine Geſundheit dort litte, erhielt alfe
Erlaubniß, nach Catalgnien zu reifen, um die Wäder zu ger
brauchen. Sr mußte dort feine Wächter, die wohl abſichtlich
niht genau Acht gaben, zu täufchen , - und entwifghte nach
Stanfreich ,„ wo er als Maͤrtprer der Intoleranz aufgenommen
ward. Bey feinem erflen Auftritt ward er von den Philcfos
shen gefucht, durch die Saffreundfchaft getröftet, und von
Dihtern geprieien. Im Yahr 1797 (fa heißt es Bourgoing
S. 330) ſchmeichelte ſich Olavides wohl nicht, ſein Vaterland
wieder zu ſehen, wo man ihn als einen Proſcribirten behans
deit harte, umd aus dem er als Fluͤchtling entkommen war;
aber das Alter, Das Ungläd, große Beyſpiele, hatten-ihn gu
der Religien zurüdgebract, deren Verachtung ınan ihm Schutd
gegehen. Micht bloß fagte er frep ımd ofien, daß er. dei
Chriſtenthum anhange, ſondern er hatte auch ſeine Muße dazu
26 Macbeth von J. €. Kid,
angewendet, die Vertheidigung beffelben zu führen, und dies
bewies in &Snanien, wie es dort befannt wurde, binreihend,
daß er fich aufrichtig bekehret. Ec erfchien 1798 wieder in
Madrid, wo er zwanzig Jahr vorher als Keber war beftraft
worden. Aber Ehrgeiz wie rofl waren in feiner Seele ers
loſchen, er begab ſich nach Andalufien, wo er bey einen Ver⸗
wanen in Der. Stille lebte.
| ch. b.r,
Macbeth, Tragedy by Shakespeare ( Shakspeare) with german
nötes by D. John Christian Fick. Bridges R u for
C. C. F. Breuning. 1812. ! „
Bon dem Abdrucde einer einzelnen Shakſpeariſchen Tra⸗
goͤdie, cwie der gegenwärtige, erwartet man zum mindeſten
einen £ritiihen Tepe, und in den Anmerkungen eine Auswahh
folder, die für beſtimmt gedachte Lejer zwiichen dem zu viel -
und zu menig grade das enthalten, was zur Erläuterung und
Aufhellung des Stuͤckes nothwendig if. Here Fick hat Diele
edilligen Erwartungen nicht erfüllt. Er gibt uns einen überaus ,
ſchlechten Tept, und unter diejem fo willkuͤhrlich hingeſtreute,
unbedeutende, oft faliihe und von Unkunde der Engliſchen wie
der Deutſchen Sprache zeugende Anmerkungen, daß wir kein
Bedenken tragen, ihn einen Stuͤmper zu nennen. Wir
wollen unfer Urtheil mit einigen Beyſpielen belegen. S. 3
ſagt der verwundete Krieger vom Macbonmwald (Macdonel
ſchreibt Ar. F. nad) eigener Willkuͤhr):
And Fortune, on his damned quarr.el smiling
Shew'd like a rebel’s whore.
Daß fo zu leſen iſt, beweiſ't Steewens unmwiderfprechlich " aus
dem Holinshed; gleichwohl behält Hr, F. das finntofe
garzys Wildbrett, bey. — ©. 14: |
— — — — — only J have left to’ say,,
More is thy due than more than all can
More than all macht Einen Begriff aus (wie in Ariofrs
ſchoͤner Zeile:
= ee Michel, piäche mortal, Angel divino,),
und bezeichnet aͤcht Shakſpeariſch den denkbar größten er
thum auf Erden;
Sieh mid ald Schuldner an
gur mehr, als mehr denn alled zahlen kann.
Davon ahndete Hr. F. nichts, indem er ſtillſchweigend More
‚is thy due, ‚even more etc. an die on ſebte. Blu
aan iſt:
Macbeth von J. €; Fick. u.
. safe toward your love and honour .
die richtige Lesart, in der, wie Bladftone zeigt, auf das
befannte Sauf la foy que jeo doy a nostre seignor Ie
roy angeipiele wird. Hr. 3. gibt das laͤngſt verabſchiedete
hief’d. — 8. 38: .
— — — no; this mv hand will rather
The multitudinous seas incarnadine
Making the green — One red.
Dieie Lesart empfichle ih durch die Wortfiellung, als die eins
fig wahre. Was Hr. 5. gewollt har mit: 7
"Making the green, One red — —
begreifen wir nicht. ©. 75 lift Ar. F.:
His title is affear’d
und erflärts „Sein Recht it abgeſchreckt,“ Wahrfcheing
ich wollte er afeard. geben; aber dagegen iſt der Zuiammens
Hang.” Rec. lieſ't mit den befferen Commentatoren af feerd, .
Sein (Macbeths) Titel ift geborgen. — ©. zB:
— — — — — Now o’er the one half world
Nature seems dead, and wicked dreams abuse
The eurtain’d sleep; now witchoraft celebrates. —
Das ſchoͤne sleep wollten einige Englifhe Kunftrichter in slee-
per verwandein; je matter, je beffer, denkt unfer Herausgeber
und folge ibnen. | 2 R
. Die Meinen Anmerkungen unter dem Tert gehören zu dem
Schlechteſten, was und in diefer Art vefannt if. Bald ſcheint
es, der Herausgeber habe fih die erfien Anfänger als feine
Lefer gedacht, bald wieder, als glaube’ ey, Die ſchwerſten Sas
den für befannt vorausſetzen gu dürfen, Mirgendg ift ein feſter
Sefihtspunce, uͤberall Leerheit, Seichtigkeit, Ungrändlichkeit,
Wenn wir. holily duch „heilig, auf eine geredte
Weife“ erflärt fihden, hurly — burly durh „Geraͤuſch,
auf die Schlacht ſich begiehend,“ what thou. art
promis’d duch „mag dir verheißen iftl,“ thou antici-
ar’st durch „du kommſt zuvor, greifft ein,“ birthdom
uch „ Geburtsreht" u. f. w., ſo glauben wir, er wolle
Rindern das ABC eintrichtern. Sehn wir dagegen, daß er
ſtillſchweigend voruͤbergeht bey Stellen, wie: but screw your |
‚courage to the sticking plate, oder ©. 33: he should
have old turning. the key u. a., fo follte man meinen, er
have fein Buch für vecht unterrichtete Lefer beftimmt. Aber das
‚ wahre dee Sache ift wohl, er ſchwieg, wo er nichts wußte.
Diefer Fall tritt ein S. 15: ige a
‚ The xestis labour, which is not ugd for yoy.
<B !
a Macbeth von J. €. Fi.
S. 37: to cotıntenance their horror, &. 56: Impostors |
to true fear, ©. 81: of many worthy fellows, that
were out; ©. 85: the powers above
Put on their instruments. Receive what cheer you may;
The*nigbt is long, that never finds the day u. f. w.
Daß wir Herrn 3. mit ſolchen Vorausſetzungen nicht. zu nahe
treten, beweifen Anmerkungen, wie- folgende: S. 18: un-«
sex me here „entfhledtet mid, wandelt mid
am;“ ©. 22: if the assassination Zu
Could tramel up the consequence, and catch:
With its surcease succefs.
„Wenn der Mord in fid felbft enden , den regelmäßigen Lauf
von Folgen zurüc halten, und fein Gelingen den Stillfiand
fihern könnte;“ ©, 11: that trusted home, „dieſes ftarke
Bertraun®“ (sie); ©. 25: wassel, Webermäfigkeit, Aus
(hweifung im Trinken; &, 20: coigne of 'vantage, vor
theithaft herausſtehender Theil; “ weird sisters, „beherte
Shwefern“ ſtatt Zauberſchweſtern, Schickſalsſchweſtern. —
©. 59. Sn:
Augurs and understood relations have
By maggot - pies and chaughs and rooks brougt forth
The secret’st man of blood. |
wird Augurs duch Wahrfager, maggot-pies durch Maus
denelftern erklärt, Über die understood relations dagegen
kein Wort geſagt. &. Bu: shardborne beetle ift ihm „ein
Käfer in Holzriffen erzeugt;“ S. 83: at first and
last, „dem erfien bis dem letztem“ (welches Deutſch!)
flatt einmal für allemal. Manchmal fcheint dem Her—
ausgeber das Nechte vorgeſchwebt zu haben; aber die Sprache.
wollte nicht folgen, wie &. 19;
My tlıought, whose murder yet is but fantastical ,
Shakes'so my single state of man, that function
ls smother’d in surmise and nothing is,
But what is not. '
„Mein Gedanke, deffen Morb nur noch phantaſtiſch iſt, ers
ſchuͤttert ſo meinen einzelnen Zuftand des Menfchen, daß die
Lebensthaͤtigkeit in der Einbildung erſtickt wird, und (etwak
anderes) für mid, nichts iſt, was nicht if.“ So ©. 73:
To fright you thus, methinks, I am too savage
To do worse to you, were fell cruelty,
Which is tod nigh your Person.
wo die zweyte Zeile umfchrieben wird: . „Noch ſchlechter han⸗
delte ic) gegen euch, wenn id) euch, und eure Kinder morden
ließ (ließe), ohne euch zu warnen. — Ron Spracfehlern
Winzer de daemonologia N. T. 20
haben die ausgehobenen Stellen ſchon Proben geliefert. S. 85
ßt — außerdem: „Sie glaubt, fie ſpraͤche mit ihrem
emahl.*
Wir find es mude, den Augeiasſtall auszufegen; drum,
u noch die Bitte an den Herrn F., er wolle fih aufraffen,
und diefer verunglückten Ausgabe einmal eine gute nachfoigen
laſſen, die wir loben fännen. *
. A. E.
Die Inauguraldiſſertation des Herrn D. Winzer in Wittenberg,
die er am 30. Jul. 1812 vertheidigt hat, führt den Titel:
De Daemonologia in sacris Novi Testamenti libris proposita
Commentatio prima. Viteberg. literis Graefsleri. 57 ©. 4.
Eine fleißige von gründfihem feften Forſchungsgeiſt und
nicht gemeiner Gelehrſamkeit und Belefenheit zeugende Arbeit,
weiche zu den ſchoͤnſten Erwartungen vom Verf. berechtigt. Pie
lehrt uns einen Theologen tennen, der im Ausland darum
wenig befanne ift, weil feine Befcheidenheit und die ſtrengen
Anfoderungen, die er an ſich macht, ihn abgehalten zu haben:
(einen, fi, einige kleine akademiſche Sc:iften abgerechnet,
«is Schriftficller zu zeigen. In diefer Diifertation hat er uns
nur einen Bleinen Theil der ausführlichen Unterſuchung über
die neuteftamentlihe Dämonologie vorgelegt, das Prodmium
und das erfte Capitel von der Eriftenz und den Namen der
Dämonen ; aber auch diefes iſt fo trefflih und wichtig, daf
wir gern etwas dabey verweilen. i
Der Berf. geht aus von den Hauptfäsen der Emanarlons;
Ichre Und Dämonologie der Indier, Perſer und anderer Voͤlker
und der Achnlichkeit der legtern mit der Damonologie des N.
T. Denn wie dort das Neich des Boſen und des Guten eins
ander entgegengefeßt werde, fo im N. T. der Satan dem
guten Geiſt, der fih mir Chriſtus vereinigt und fein Reich dem
von Chriſtus zu fliftenden Reich Gottes; was wohl niemand
lengnen kann , der das M. T. mie hiſtoriſchem Sinn betrachtet
bat. Hierauf erklärt fich der Verf. Über die verjchiedenen Meys
nungen neuerer Gelehrten Über die Dämonologie, ihre hiftorifche
und philofophifche Nichtigkeit und ihren dogmatiihen Werth.
Diejenigen, welche die moralifhe Nothwendigkeit des Satans
vertheidige, oder deſſen Eriftenz geleugnet, weiſ't er ab mit
der Bemerkung , daß aus philofophifchen Gründen weder ges
Imgnet, noch behauptet werden könne, daß ein Teufel exiſtire
eder gedacht werden koͤnne oder müfle. Hierbey möchte er aber
ed; der Philoſophie zu wenig einräumen, Daruͤber, was man
er Winzer de daamonologia N. Tr
⸗
/
wiſſen oder denken fann, gibt die Philofophie bie allergemiffefte
Auskunft, und bliebe man dabeh ſtehen, falite man. dies nur
fet ins Auge, fo wuͤrde alles Ehidanfen und Traͤumen in der
Philoſophie ein, Ende haben. Es täßt fich Teiche zeigen, daß
man einen Teufel nicht denken könne, ohne die reine dee der
Gottheit aufzugeben. Aud die Meynung derör, melde ans
genommen, daß ſich Jeſus und die Apoftel im Portreg diefer
Lehre accommodirt haben, verwirft det Verf. Jeſus habe die
⸗
Lehre vom Teufel nicht etwa bloß in Reden an das Voll und
in Geiprähen mit den Phariidern, wo er xar' dvIponor
hätte fprechen können, vorgetragen, fondern bey jeder Gelege
Seit, ohne äußere Weranlaffung, im vertrauten Gefprähe mi
feinen Juͤngern. Für denjenigen, welcher den ſymboliſchen,
bildlichen Geiſt des Alterchums kennt, liegt darin noch immer
kein enticheidender VDeweis gegen die Accommiodatienstheerie.
Jeſus mußte, um als Volkslehrer zu -wirken, die Meinungen,
weiche feiner Sache nicht hinderlich und Ichädlich waren, niche
nur ftehen laſſen, fondern fogar poſitiv gebrauchen , fo wie er
fih der Sprache feiner Zeitgenoffen bedienen mußte. Haͤtte er
die Lehre vom Teufel widerlegen wollen, ſo hätte er. Zeit und
Kraft auf eine Nebenſache aufgewandt, und die Hauptſache
aus der Acht gelaffen. Konnte er die hohe Beftimmung feiner
Sendung beffimmser und deutlicher ausdrücken, als dadurdy,
daß er fagte, er ſey gekommen, die Werke des Teufels zu zerfidren ?
Die Idee des: Teufels war die hoͤchſte Abſtraction des Boͤſen,
weiche die Zeitgenoffen Jeſu fih machen konnten. Eine Unters
fuhung darüber, wie Jeſus fih uͤher dieſe Vorſtellungen
erhob, wäre wohl nicht überfläfig geweſen. Er, der mitten
inne: zwifchen den beyden Selten der Juden, oder eigent-
lich Über ihnen ftand, mußte gewiß die Nichtigkeit der pha⸗
tifäifchen Vorſtellungen durchfchauen, zumal da fie im A. T.
nur nebendbey und in ſpaͤtern Büchern vorkommen. Sodann
hat der Verf. die Frage mit keinem Worte berührt, ob -auch
die Nelationen der Evangelien fo ganz, auch dem Buchſt ab en
nad), auf Treue und Glauben anzunehmen ſeyen. Wir wollen
mit diefem allen die Accommobationsthesrie nicht fireng vertheis
digen, fondern wir wünfdten nur. den Verf. vorſichtiger in
diefem Stuͤck zu mahen. So fcheint er nicht genug Vorſicht
in Anwendung der Stelle. Joh. 16, 7. 8. 11. gebraucht zu has
ben, aus welcher er beweii’e, daß Jeſus die Saransicehre feines;
wegs unter die Beſtandtheile ſeiner Lehre gezählt babe, weiche
nur auf einige Zeit Gültigkeit haben follten, fondern unter die
mwichtigften,, von welchen die Apoftel nach: feinem Tode mittelft
des heil. Geiſtes die Veraͤchter feiner Religion überzeugen ſoll⸗
ten: Was folge aber Hieraus ? etwa, daß die Lehre vom Teufel ein
Winzer de daemonologia NW F. 34
Hanptbeſtandtheil der chriſtlichen Religion fey? oder nur, daß
fo wie Jeſus fi) Der Sprache und Begriffe feiner-Zeitgenoffen
bediente, ed auch Die Apoftel fo machen doflten und mußten?
Dun Verf. ziehe nun aus jenen Behauptungen den Schluß,
def die Damonologie zum Weſen Les Chrifienchums gehöre.
Hier raͤcht fiy die verſchmaͤhte Philofophie fehr flart an dem
Berf., der gan, allein der Niftorie fi ergeben zu haben fiheint.
Es fommt alles Darauf an, was man unter Ehriftenthum
verkeht. Der Merf. feine alles darunter zu begreiſen,
wos die Apoftel irgend gedacht und geglaubt haben. .Er
faßt alle Hiftoriichen Materialien zufammen, wie, fie vorliegen,
nad) eine Aug ern Beziehung, nah der Beziehung anf bie
Derfonen der erften Lehrer des Chriftenthums.- In diefem Sinne
wollen wir ‚nicht leugnen, daß die Dämonslogıe zum Chriſten⸗
tbum gehöre. . Sollen wir aber wirklich glauben, daß der. Bas
tan noch jeßt die Menſchen beftge, fie frank mache, ausgetrie⸗
ben werden Bönne u. f. w.? Nach tem Verf., wenn. er cons
ſequent verfährt, ift Dies ein weſentliches Stuͤck des Chriſtenthums.
Wir. follen aber im Chriſtenthum nur die Religion: ſuchen, und dem
religiöfen Glauben geyört die Lehre von dem Teufel nicht an,
fondern nur-der Denkart der Zeit; fie iſt ein mpthotogifches Theos
rem, das uns Über etwas verfländigen will, welches bloß und
ollein dem Gefühl angehört, nämlich Über. den Widerſtreit des
Bien und Guten. Sonach müffen wir, um gu -beftimmen,
was Ehrifienthum fe, von einer Idee, von einer innern
Beziehung , ausachen,, wobey übrigens ein fireng hiſtoriſches
Berfahren obwalten fann. Wir befimmen nur, was wir in
der Sefhichte ſuchen wollen; wie fie uns aber dies lieſere,
Dürfen. wir nicht wällkuüͤhrlich beſtimmen. &o wer für die. Ges
ſchichte der Philoſophie nicht bloß Materialien zuſammenraffen,
ſondern Licht und Ordnung in. fie bringen will, muß von der
Speer der Philofophie ausgehen, und in jedem philoſophiſchen
Syſtem den lebendigen Punct aufinhen, durch welchen: es in
die Entwicfelungsgeihichte der Philofophie gehört. Daher ges
böre in eine Acht pragmatiiche. Geſchichte der Philofophie nicht
alles, was. irgend ein Philoſoph gelehrt, fondern nur- dag,
was er eigentlich pbilofophire hat. Diefer Grundfas führe noch
vieles Andere mit fih, was der Verf. auch nicht. anerkennt.
Bir muͤſſen, wenn wir das rein .‚Neligidje in der Lehre des
N. Z. tuchen , Inhalt und Form unterfheiden. Der. Inhake
gehört der Religion an, aber nicht durchaus die Form, dann ges
bört auch legrere nicht zum Chriſtenthum, fondern nur zu ſei⸗
ner Erfcheinung in der damaligen Zeit. jedoch wir. brechen von
diefen Betrachtungen ad, und machen noch ein Paar von den
38 Wirer de dacmonslogia N. T.
Bemerkungen namhafte, womit der Verf. die Liſte der Mmen
dee Dämonen und Teufel begleiten. . . —
Genaue Prüfung verdient, was er vom Antichriſt ſagt.
Er verwirft die collective Erkiärung Schleusners u.a. In
den Stellen 1 Joh. 2, 18. 20. 4, 9. 2. Joh. 7. findet er einen
Antichrift, von andern Gegnern des Chriſtenthums verfchieden, .
und gleichſam the Oberhaupt. E Wie aber der Verf. in dieſen
Stellen die collective Bedeutung Äberfeßen könne, begreifen wir
kaum, da es 1. oh. 8, 23. ausdruͤcklich heißt, der Antichriſt ſey
derjenige, welcher Ehriftum verleugne, und Capı 4, 3. der Geift
des Antichriſts fen fchon in der Welt. Moch deutlicher tritt das
Eollective hervor 2. Joh. 7., mo die oAdvi nAdvor ganz aus—⸗
druͤcktich der Antichrift genannt werden. Anders iſt es freylich
Cap. 2, ıB., wo der Antichrift und die Antichriiterr unterfchiedert
werben. Uns fcheint der Verf. diefes Briefe die Lehre vom Antis
chriſt die er allerdings vorausfeßt, gu deuten And auf feine Weife
auszulegen.) Sicherer und beflimmter ift vom Aütichrift, wiewohl
nicht namentlich, die Rede im 2.Br. an die Theſſ. Eigenthuͤmlich
ift die Anficht, die der Verf. von diefer Lehre hat; er hält dem
Antichriſt für das appositum des Efias, womit er fih auf Theo-
doret. Epit; divin. detret. c. 23. p. 302 flügt. Allein diefe
Dppofition kann wohl ſchwerlich als durchgreifend und fundamıens
tal angefehen werden, da nad) den Evangelten Johannes der. Täns -
fer Elias if. — Der Berf. glaubt einen Unterſchied zwifchen den
Wörtern 6 varavds und ö dıaßokog zu finden, nach den Stellen
Apot..d, 8. 20, 15., wo ö Iavaroz und 6 Kdng unterſchieden
werden. In der erfien Stelle können nicht mit Eihhorn Ö
«dns von der Schaar der Schatten verflahden werden, da in der
tegtern 6 ddng von oi vexpoi deutlich unserfchieden werben;
man könne in der letztern Stelle aber auch nicht unter 6 Aöng
und 6 Savaros die Unterwelt und den. Tod verfichen, da
fie na V. 14. beyde in den Schwefelpfuhl geworfen werden,
welches bekanntlich Die Strafe des Satans fey. Der Apokalypti⸗
“er wiffe demnad) von zweh Fürften der Unterwelt, und es
laͤßt fih vermurhen, daß unter dem Ddvazoz der Satan, untee
dem döng aber der Teufel verſtanden werde, womit das Evang.
Des Nikodemus zufammenflimme, wo der Satan und der Hades
unterfchieden, und jener der Tod, der Todesfürft uns aͤhn⸗
licy, diefer aber bald der Fürft. der Hölle, bald Beelzebub,
bald Teufel genannt, und gefagt werde, daß erfterer von Chris
ſtus der Gewalt des letztern Äbergeben werde. Eine Vermuthung,
die allerdings der Pruͤfung werch ift, aber zu nichts Gewiſſem
und Bedentendem führen möchte. — Wir fehen mit Xerlangen
der Vollendung diejer Arbeit entgegen. —
6 }
; * *
⸗
De 3. Seidelbergiſchen 1813.
Jahrbücher der Litteratur.
%
Hebräisch - Deutsches Handwörterbuch über die Schriften: des
Alien Testaments mit Einschlufs der geographischen Nah-
men und der chaldäischen Wörter beym Daniel und Esra.
Ausgearbeitet von D. Wilhelın Gesenius, ord. Prof. -
Theol.. zu Halle: Zweyter 'Theil, enthaltend ‘die Buch-
staben 5 —æ n, das Verzeichnifs der Personennahmen und
den analytishen Theil. Leipzig 1812. bey Vogel.
©, gänftige Urtheil, das wir Über den erfien Theil diefes
Birterbuhs gefällt haben (Jahrb. ıdıı. Zan.), bat uns ein
zweyjaͤhriges Studium volllommen bewährt; und dieſer zweyte
Teil verdient es nicht weniger. Auch hier liegen ung die Res
fultate einer Wortforſchung vor, die fih auf Benutzung aller
Verarbeiten, auf durchdachte und wiederholte Leſung des A. T., .
Legleichung der Parallelſtellen und Beobachtung des Sprach⸗
gehruachs und auf verfländige Zurathegiehung der verwandten
Diferte gründet, und mit einem Fleiß, einer Umſicht und
Präcifion angeſtellt ift, weiche wahre Hochachtung abnöthigen.
Day wird wenige fehiwierige Stellen des A. T. finden, über
welhe der Verf. nicht, fo weit es die Graͤnzen der Lericogras
phie verſtatten, ein reiflich erwogenes Urtheil niedergelegt hätte.
FaR überall begegnet er dem forſchenden Lofer des A. T. ale
ein bedachtſam zirechtmeifender Rathgeber. Es iſt nicht zu
berechnen, welchen Nutzen diefes Wörterbuch für das Stadium
der Debräifchers Sprache und die Erklärung des A. T. haben
„Nicht raue wird dadurch der bisherigen ſchwankenden,
wikfährtichen Sprachforſchung und Erklärung des A. T. ein
Zieh geſetzt; es˖ Hat nun auch der junge Theolog ein erleichs
terndes, ermunterndes Huͤlfsmittel, durch das er in das fonft -
fo abſchreckende Studium der Hebräifchen Sprache ohne Schwies.
tigkeit eingeführe wird.
In der Vorrede zu diefem zweyten Thelle gibt der Verf.
die von ihm 6sfolgeen Principten der En Sprachſor⸗
4
34. Geſenius Hebr. Deut. Handwoͤrterb. uͤber d. Schr. d. A. T.
ſchung an. Da ihn der Raum hierbey nur zu ſehr beſchraͤnkte,
ſo waͤre zu wuoͤnſchen geweſen, daſi der Verf. eine eigene
Abhandlung darüber abgejondert herausgegeben hätte. Doch
find wir ihm auch für diefe kurzen Andeutungen, welhe durch
den Gebrauch des Wörterbuchs feld ihr hinlaͤngliches Lichte ers
halten, unfern Dank fhuldig, und es war allerdings in ans
derer Hinſicht vortheilhafter, die PDrincipien, nad welchen
das Werk gearbeitet worden, diefen feldft vorzufegen. Sie
dienen zugleich dazu, das Eigenthuͤmliche, was der Verf. Hat,
zu überfehen, daher wir fie bey Ddiefer Anzeige zum Grunde
legen wollen.
1. Wir haben ſchon bey der Anzeige des erſten Theiles
bemerkt, daß ein Hauptverdienſt des Verf. darin beſteht, die
oͤfters von den Auslegern und Lexicographen verkannte Wahr;
heit geltend gemacht zu haben, daß die Hebraͤiſche Sprache
eben ſo, wie jede einzelne Mundart eines ausgebreiteten
ESprachſtammes ihre Provinzialismen oder Idiome,
d. h. ihre eigenthuͤmlichen Wörter und Wortbedenrungen habe,
die fi in Seinem verwandten Dialecte finden. Zwar konnten
eine Menge folcher Provinzialismen dem Zweifel gar nicht
unterliegen, da ihre Bedeutungen zu fehr gefichert find; aber
In einzelnen Fällen hat man wirklich gewagt, eine aus vielen
Stellen, als Hebräifch erweisliche Bedeutung zu bezweifeln oder
zu verwerfen. Mit fcheindarem Rechte that man dies, wenn
ein Wort im Hebräifchen feltener, die Beſtimmung feines
Gebrauchs wenigftens nicht augenfällig und unbeftreitbar iſt,
und wenn obenein die andern Dialerte eine Bedeutung haben,
deren Anwendbarkeit nicht geradehin verwerflidg fcheint. "Auch
find ſolche Fälle fehr fchwierig, und nur ein richtiges Gefühl für
das Schickliche und den Zuſammenhang, eine glücklich gefuns
dene Parallele, die Einftimmung der Nerfionen u. k w. kön:
nen bier zu der Webereinftimmung führen, ob die Bedeutung
eine provinzielle oder die von den verwandten Dialecten dar⸗
gebotene ſey. Der Verf. hat ſich bey mehrern folhen Wörtern,
ungeachtet der möglichen und gewöhnlichen Vergleihung der
Dialerte, mit Recht bloß von dem Zufammenhange, der Anas
logie und den Verſionen leiten laſſen, und hierin die Erwar⸗
Geſenius Hebr. Deut. Handwörterb, über d. Schr. d. A. T. 35
tung des. Rec. vollkommen befriedigt, z. ©. ON) Buͤffel,
nicht: Gazelle; AM ſchweben, wanken; ſchwan⸗
ken; AT no. ı. ferire; urn Weisheit, und: Heil,
3a ruben und opp. Ruhe flören, aufregen, ale")
vorü bergeden (vgl. MODN Thapsacus, woben eins be⸗
ruͤhmte Fuhrt uͤber den Euphrat) insbeſ. ſchoönend gors
übergehen, ſchonen, welche Artikel mufterhaft andgears
beitet find. Mon andern auf diefe Art behandelten Wörtern
hatte Rec. Bisher eine andere Mennung, iſt aber vom Verf.
eines andern belehrt worden. nayin nahmen wir fonft mit
Kofenmülter.n. a. in den Stellen Pf. 9,4. Hiob oe,
"35. in der Bedeutung: Höhe, Haufe; der Verf. aber in *
Bedeutung von vn Erwerb, Beſitz, Schatz, welche ſich
näher an den Debräifchen Sprachgebrauch anfchließt, und das
‘ber den Vorzug verdient. Zwar ift ihe in der erften Stelle der
Parallelismus nicht. günftig, difto mehr aber in der zweyten.
die Bedeutung von D’DEWA Träntrinnen geben wir
Hmm gegen die uns chen früher nicht verwerflich gefchienene :
sabula, Hur den (von —EX posuit) auf. Richtig zieht
auch der Verf. von NORD Jeſ.3 „24. die Bedeutung gefräm
felte Arbeit, Locken vor andern vor, da ſie durch die Oppos
fition mie Kahlheit gefodert wird. Sn Anfehung des Wortes
yo Hiob 6, 25. 1. Kön. 2,8. Hiob 16, 3., von welhem
der Verf. die in den Altern Woͤrterbuͤchern herrſchende Bedeu⸗
tung heftig, kraftig ſeyn, wieder geltend gemacht hat,
And wie noch zweifelhaft. Wenn man in der erſten Stelle die
Verwechſel un g mit y2 annähme, in den andern aber dfe
Bedeutung Feänken gelten ließe, fo wäre es unſtreitig eins
faher, ob es glei ſchwierig iſt, das part. Sn yazı
active für eränfend zu nehmen.
Daß der Verf. dem Mißbrauch der Vergleichung des
Arabiſchen Dialects geſteuert habe, iſt ebenfalls von uns fon
bemerkt worden, und wird faſt durch jede Seite feines Werks -
benrkundet. Hier rügt er befonders zwey Arten diefes Mißs -
%
36 Befenius Hebr. Deut, Handwoͤrterb. uͤber d. Schr. d. A. T.
Brauchs: a) daß man bey mehreren bekannten und herrſchenden
Hebraͤiſchen Stammwoͤrtern das dem Buchſtaben nach entipres
chende Arabiſche Stammwort verglichen, und deſſen Bedeutung,
To gut es gehen wollte, mit der Hebraͤiſchen in Verbindung
gefeßt ; oder gar als Grundbedentung derfelden aufgeftellt hat;
b) daß man bey einem fonft Häufig vorkommenden Hebraͤiſchen
Worte an einer einzelnen. Stelle eine Bedeutung aus dem
Arabiſchen angewandt hat, die mit dem fonftigen Gebrauche
deſſelben in feiner Verbindung’ fteht. Es kann dies nur zu—
1äffig fepn in Fällen, wo der Coͤntext gebieterifch eine andere
als die gemähnliche Bedeutung fodert, deren aber es fehr we⸗
nige geben wird. Ein Beyſpiel der vom Verf. geuͤbten Vor—
fiht in diefen Fällen bietet fih im Artikel "PY dar, wo er-
in der Stelle Jer. 15, 8. die unpaffend fcheinende Bedeutung
Stadt mit der aus dem rabifchen entlehnten Schreden
oder dgl. genau abwägt. Gefallen hat uns hierbey die Ans
nahme eines Zeugma, wodurch die Anwendung der gewoͤhnli⸗
hen Bedeutung noch leichter wird, wiewohl der Gebrauch des
7 in der Bedeutung und si War dim Jeremia befonders eigen ill.
Die Anwendbarkeit der gemmöhnlichen Beteutung ſcheint ung hier
das Uebergewicht zu haben; denn das Fließende der Tonftruction
Bann bey einem Schriftſteller, wie Seremia, eine feltene uns
Hebräifche Bedeutung wenig empfehlen. — Viel zulaͤſſiger
wird hingegen die Bedeutung aus dem Arabifhen dann, wenn
fie mit der, Hebräifchen verwandte iſt (4. B. 727 gehen,
auch f. v. a. la untergehen), wie wohl auch bier
von der gewöhnlichen Hebraͤiſchen Bedeutung nicht ohne Noth
abzuweichen iſt (f. den Artikel 102 und DI). Dagegen
hat der Verf. die Vergleichung des Arabifchen einige Male
treffend benußt, wo fie nicht genug anerkannt war, 3. ©. bey
"33 IV, wollen ı. Mof. 87, 40. (wobey uns aber nidt
gefallen will, daß als Bedeutung des Hiphil Pf. 35, 5. und
des Subſt. TI umh erirren angegeben wird, da und
Flagen allein paffend fheint.. Womit sufammenhängf, daß
der Verf. in jener Stelle das paralleie DYI nah dem Arab.
is ebenfals für umherivren nimmt, da es doch Mich. 2, 18.
r\
“ ö \
beſerins Hebr. Deut. Handiwörterh, über d. Schr. d. A. T. 37
ofenbar mit. ab! eins il, was auch in der Stelle dee
Dalms wegen des parallefen V. ı8., mo "12 vorkommt,
ver Fall gu ſeyn Tcheint.)
3. Ein KHauptverdienft des Verf. if, daß er die etwas
vernachlaͤſſigte Mergleichung der aramäifchen Dialecte mit Gluͤck
benußt hat, wovon wir jhon aus dem erfien Theile ‚Proben
gegeben Haben. Vorrttrefflich iſt auf diefe Meife M) no. II.
Sefallen Haben, wuͤnſchen, begehren, als vers
wandte mie 1 X , ertäutert, wodurch die wielgedeutete Phraſe
FM MY studium in ane ihre einzig richtige Bedeutung er;
bill. Vortrefflich iſt duch das Chald. die Bedeutung von
DEU 2. Sam. 6 6. gefihert, u. a. m. Was vr ber
tifft, das der Werf. nah dem Syr. für leeren PBlap
nimmt, fo dachte Re. immer an die von UN) tretben ads
geleitete Bedeutung Trift, Weidplas, die er auch jetzt |
u nicht ganz aufgeben kann. Denn diefes Verbum kann
vist urfpränglich wegtreiben, ausleeren geheißen haben,
wie der Gebrauch deſſelben vom anfgeregten Meere Jeſ. 57, 20.
und das ahgeleitete Subſt. WIN Erzeugniß beweiſ't. Dann,
wäre jenes Wort ſynenym mit nm. mit dem es and gleiche
Form hat.
Daß das Talmudiſche und Rabbiniſche ein richt gu’ vers
werfendes Huͤlfsmittel der Hebraͤiſchen Wortforfhung fey, iſt
wohl feit Michaelis von mehrern wieder erkannt worden.
Diefer Dialect enthält unſtreitig vieles aus dem Leben der Hebraͤi⸗
hen Sprache Herübergepflanztes, und foweit ihn Rec. kennt,
moͤchte er behaupten,. daf fi in ihm vorzüglich die Sprache
des gemeinen Lebens erhalten habe. (So ſcheint uns das
pron. rel. U alt zu feyn, nur aber zur Sprache des armen
Lebens gehört zu haben.)
4. Berhättntämäßig gu wenig dennte waren vor dem Verf.
die Dialecte im Ruͤckſicht auf die Analogie der Bedens
tungen, d. #. auf die ähnlihe Modification eines und deifels
ben Begriffs unter verfhiedenen Wörtern. Zu fehr bedacht
auf Die Vergleichung der Dialecte unter denſelben Buchſtaben
1
1
u
38 Geſenius Hebr. Deut. Handwörterb. über d. Sche. d. A. A.
verfäumte man häufig die Vergleichung der gleichbedeutenden
oder finnverwandten Wörter in den andern Dialecten, die eine
Menge trefflicher Erläuterungen und Beſtaͤtigungen, aud) neue
Auftlärungen für Bedeutung und Konftruction an die Hand
geben. Sin diefee Benutzung der Dialecte beſteht ebenfalls ein
Kanptvorzug dieſes — —— —— lieb war uns die
Vergleichung des Arab, BT mentitus est arcus für die Er:
Säuterung der Phrafe 70) NOP:. die andere für ſchlaffer
Bogen genommen haben; das Chald. zu Pa.- Aph. ems
pfangen, zur Beſtaͤtigung des ay Hiob 21, 10. u. a. m.
Eine nicht minder reichhaltige und bey weitem nicht hin⸗
kaͤnglich genutzte Quelle iſt ferner die analoge Wendung und
Modification der Bedeutungen in den ſinnverwandten Woͤrtern
der Hebräifhen Sprache ſelbſt. Faſt genügend erläutert ik auf
diefe Weile DA}, in der durch die Verss. beflätigten Bedeu—
tung aufheben für etwas, und WUYT 1. Sam. 14, 47.
fiegen,n oa. m —
5. Ueber Verwechfelung und Verfegung der‘ Buchflaben
ih verwandten. Wörtern, ſowohl in den verſchiedenen Diafecters
als in der Kebräifchen Sprache felöft, Has der Verf. einen
Reichthum von treffenden zum Thelt eigenen Bemerkungen zus
fammengeftellt, wohin befonders ie jedem Buchſtaben des
Alphabets vorangeſtellten Artikel gehoͤren. Er tritt hier der
Einſeitigkeit derer entgegen, weiche die Verwechslung nur nach
durchgehenden Regeln und bey den zunaͤchft ſich entſprechenden
Buchſtaben (wie W und (w) gelten lafien wollen, und nimme
fie auch bey entferntern Buchſtaben an (3. B. in ‚723 und.
er o, ohne doch in Willküͤhr und Geſetzloſigkeit auszu⸗
ſchweifen. Treffend bemerkt iſt auch die Verwandtſchaft zwi⸗
ſchen gewiſſen Claſſen von verbis anom. und defect., wie
NT, 107, 10T, 175 12% 8, NN uam (Bie
die Verba ber legten Art ihre Formen austaufhen;, iR in dee
| Vorrede zum erfien Theile bemerkte. Es gehört dahin auch bie
Bemerkung, welche die. Aufnahme in eine zukünftige neue. Der
Geſenius Sehr. Deut. Handwärterh. über d. Schr. d. 4. T. 39
arhetung der WB aterfchen Grammatif verdient, daf Dain
von 022 und 22737 von 09? entlehnt iſt.)
Wir laſſen nun noch einige zerſtreute Bemerkungen folgen,
theils zur Beſtaätigung, theils zur Berichtigung mancher Artikel.
Die gewöhnliche Erklaͤrung von DYIY 7) blöde, matte
Augen Haben d Hat der Verf. trefflich erläutert, und beftäs
tigt durch die Bemerkung, daß die Drientalen feurige lebhafte
Augen für einen vorzäglihen Täeil- der Schönheit haften. —
Wy Jeſ. 53, 9. hat Rec. laͤngſt für fononnm von 909
genommen. Denkt man ſich, daß diefes Städ im Babyloni⸗
ſchen Exil geſchrieben iſt, wo die reichen maͤchtigen Chaldaͤer
die Unterdrücker der Hebraͤer waren, fo erklaͤrt ſich dieſer
Sprachgebrauch noch leicher. — Ein ſchoͤner Verſuch iſt es,
morr ©pr. 27, 6. von Bi) beten abzuleiten, fo daß es
erbeten, d. 5. erzwungen hieße. Rec. hat das Wort
immer auf No. 2. bezogen und für reichlid) genommen, wo—
durch kein uͤbler Segenſatz entfiehte gwtgemeint find die
Schläge des Freundes, reidlidh die Käffe des
Feindes. Line bekannte Volkserfahrung ſagt: wer frcunds
lich iſt, iſt falſch. DU Sam. 14, 24. gehört wohl zur Ver
deutung treiben, und heißt: abgetriehem — Fein if
die Bemerkung, daß IN von ID verhhieden ſey, und
mehe zerſchlagen, serfhmettern ꝛc. als zerbrechen
heiße, fo wie, Das 90 nicht die Geberden, fondern den
Laut der Wehklage bezeichne. — Sehr ingenids iſt die: Ers
Märung des ſchwierigen DYIM Sei. 28, 2. durch ſchnelt,
. welche Bedeutung aus der erften ſcharf fließs, nach der Anas
logie von "IT. — Pſ. 84, 6. nimmt der Verf. ni»on trop.
und elliptiſch für Wege Gottes Ob eine ſolche Ellipſe
wohl möglich it? — I AN 1. Moſ. 3, a. und KHabak.e,d,,
deſſen Bedeutuns befanntlid nicht leicht iſt, Hat der. Verf. gar
niht angegeben- In der letzten Stelle fcheint es uns bloß
Berflägfung von ?2 in der Bedeutung: ja! zu fepn, und in
der erften fommt es vieleicht unferm fo. — denn nahe —
. 40 Geſenius Sehr. Den. Handworterb. uͤber d. Ahr. d. A. T. |
Hab. 2, 4. ift die Verbindung dee Verbi N) mit BBun
in der Bedeutung ausgefprochen, Gefannt werden“
nicht bemerkt. — Von DN fehle die Bedeutung profecto,
welche Spr. 8, 34. Jeſ. 29. 16. nicht wohl zu läugnen liſt;
wenigſtens haͤtten die Stellen bemerkt werden ſollen; ſo auch
Conſtruction von non mit * Hab. 2, 14. iſt vergeſſen. —
Wie der Verf. DI Br. 2, 7. genommen wiffen will, iſt nicht
bemerft; eben e wenig wie ebendafelbft 80 ſtehe. — Das
Fut. von IN iſt nicht AN), fondern DIN. — Warum
vergleicht der Ber mit An dag „Arab. Wit den plur.
fract., und nicht das Wort 105 feld ? — 2 Jeſ. 48, 6.
haͤtte wegen ſeines beſondern Gebrauchs bemerkt werden ſollen,
heiße es nun Bundesſtifter oder Verkuͤndiger der
Verheißungen.. — an Pred. 3, 11. iſt nicht. erläutert.
Uns fiheint es in der Bereutung des neutefl. x0ouos, aibr
zu fiehen. — Durd einen Drudfehler fteht ſtatt FR, TN-
(Sierbey bemerken wir zugkeich noch, daB &. 396 Sp. 2.
2.17 0.9. Sef flatt Fer. ſteht; S. 771 Sp. 1. 3.13 v. o.
210? ſtatt 205: S. 27ı Sp. 2. 3. 15 v. u. Pf. 17, 6.
ſtatt Pſ.7, 15.; S. 386 Sp. 2. 3. 26 v. o. Süden ſtatt
Weſten.) Bey DII Becher fehlt die Angabe, daß es
foem. if. — Das Wort man fehle, und ift auch in dem
Nachtraͤgen nicht bemerkt. — Das fchwierige Ton 3ad.d,7. -
iſt nicht erläutert. — Von In fehle die Bedeutung Flehen
Zach. 12, 10. — Die Erläuterung von 72 NI 1. Moſ.
32, 14. vorhanden haben wir vergebens gefacht. — De
Gebrauch von N27 Pſ. 90, ı2. iſt Äbergangen. — Die
Eflipfe, mie welcher HD? Di. 115, 14. fleht, hätte auch bes
merkt werden follen. — 2 in der Bedeutung wie Pf. 87, 20.
39, 7. fehlt. — Bey Sm follte die Stelle ef. 56, 10. ans
die Bedeutung postquam oder quia ef. 55, 1. — Die
.n
x
Beaind Gebr. Deut. Haudwoͤreerb. aber d. Chr. d. A. T. A
zeſthet (ya; bo rman die gewoͤhnliche Gedeutung in Zweifel ge⸗
pgen hat, Die ung jedoch beybehalten werden gu maͤſſen ſcheint. —
Das Bnwörtchenn 72. will der Verf. für eine Zuſammenziehung
my Bitte nehmen; uns hat fih immer die Vergleichung
des Rheinländifchen Mein! dargeboten. — Leber on
Zeph. 3, 17., wo es wahrfheinlih vergnägt feyn bedeutet,
it nihts angemerkt. Db es nöthig ift, 122 Zeph. 3, 18, auf
min abfondern zurädzuführen, da es Klagl. 1, 4. bes
Rimmt in .der Bedeutung traurenb vorkommt, und da das
folgende 79 recht gut entfernt heißen konn? — Die Bes
bentung von 222 vereiteln, welche der Verf. Ser. 19, 7.
anwenden will , fcheint nice einmal in den Zufammenhang zu
paſſen. Wir finden in diefer Stelle den häufig vortommenden
Sedanten , daB Jehova Juda rathlos, verlegen, verwirrt mas
Gen wolle, den Rath ausleeren ift alfo ganz ſchicklich
geſagt, wie es fonft heiße: der Rath iſt verloren, verſchwun⸗
den, Ser. 4,9. — "122 unverftändlic (von ber Sprade)
Ezech. 3, 5. fehlt. — Zur Erklärung des 7b 7 Spr. 11,21.
16, 5. wendet ‘der Verf. das Syr. —RX NN an; allein
deſſen Bedeutung vicissim, unum post alterum paßt hier
nicht, auch iſt der Unterfchied des verfchiedenen Praefir wohl
nicht gleihgälttg. Der Zufammenhang fodert etwas wie nims
mermehdr, faßte man nun die Bedeutung von Hand zu
Hand, d. t. von Befchlecht zu Geſchlecht oder dgl., fo wäre
man nicht meit Davon entfernt. — Der pleonaflifhe oder
affirmative Gebrauch von D}, befonders in den Spruͤchwoͤr⸗
tern Ci4, 20. 17, 26. 19, 2. 20, 11.), hätte wohl bemerft
zu werden verdient. — Die eigentfünlihe Bedeutung von .
FM 1. Kön. 18, 7. Schreden, Furcht, Arg wohn fehle
ebenfalls. — Ueber die Form Von in Beziehung auf Pr
6, 3. ik nichts bemerkt. — Der Name Zophar iſt vergeſſen.
Die archapologiſchen, hiſtoriſchen und andern zur Sach—
erklaärung gehörigen Artikel find in der Regel reichhaltig, und.
mit Umsfiche und kreffendem Urtheil gearbeitet. Man findet da
in dev Kürze die Aunleate tiefer und weisläufiger Sorfhungen
42 Geſenins Hebr. Deut. Handwoͤrterb. Über d. Schr. d.A. T.
zuſammengednaͤngt. Vortrefflich iſt der Artikel 2 durch
Sufammenftellung aller Stellen, wo dieſer Mame vorforhmt,
will der Verf. wahrfcheinlich mahen, daß dieſer Name nie
abſolut von den Israeliten gebraucht werde, ſondern immer
nur relativ, im Gegenſatz mit andern Völkern. Hieraus
ſchließt er, daß ihnen dieſer Name von andern Voͤlkern, be⸗
ſonders von den Cananitern, ertheilt wordern ſey, und unter⸗
flüge‘ damit die gewoͤhnliche Etymologie von ur Ganz
uͤberzeugend iſt dieſe Argumentation fuͤr uns nicht geweſen.
Zuvoͤrderſt ſcheint uns jener relative Gebrauch des Namens
nicht ganz entſchieden zu ſeyn; die Stellen 1. Sam. ı3, 3,7.
find dagegen, wo Ebräer in einer Kundmachung Sauls an
das Volk vorkommt, und dann ig, Parallelismus mit Is⸗
rael. Aber auch diefen Gebrauch zugegeben, fo folgt daraus
nicht die behauptete Entſtehung diefes Namens, fondern nur
dies, daf es der eigentlihe Volksname mar, während
Israel und Söhne Israel der genealogiſche Ehrenname
war. Dieſer Volksname konnte nun allerdings auf die Weiſe
entſtehen, wie der Verf. annimmt, aber auch auf andere
Weiſe. Die Hypotheſe (wenn wir uns recht erinnern, ſo hat
fie Wahl vorgetragen), daß die Namen der drey Haupte
zweige des ſemitiſchen Stammes IV ER und 139 u
fpränglich eins feyen, Hat ung immer ſehr einlenchtend geſchienen.
Gegen die Vergleichbarkeit dieſer Namen unter ſich iſt wohl
nichts einzuwenden. Auf jeden Fall iſt es richtig, was der
Verf. bemerkt, daß der angebliche Stammoater aD, nur eine
mythiſche Perfon fey, fo wie @3), D’IXD u. a. —— Die
Artikel Or, MD»: ne j 2 find. vortrefflich gearbei⸗
tet. Was das erſtere betrifft, fo hatte der Rec. ſchon laͤngſt der
Wink von Geddes zu 2. Moſ. 14, 7. auf die von den LXX
angenommene Bedeutung Wagenktämpfer zurädgeführe,
und er ift jeßt daruͤber fo entſchieden, wie man es über bers
gleichen unfihere Begenftände ſeyn kann. Allein in die Stellen
2. Sam. 23, 8. 1. Chron. 11, 11. 12, 18. gehöre das Wort
wahrfcheinlich nike, und ift nur durch Mißverfiändiß der
alten Abſchreiber und Maforerhen hineingefommen, wie dena
Sefenins Hebr. Deut. Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T. 43
in den Stellen der Chronik das Ketib auch anders lieſſt. Es
kann in diefen Stellen nur die Rede feyn von Drey und von
dreyßig Helden, die gleihtam einen Orden vow drepy und
dreyßig Rittern und ihren Obern bildeten. 2. am. 23,8.
iR daher ſtatt — zu leſen entweder mit dem Keri in
V. 18. —— oder mit dem Ketib in 1. Chron. 211, ı1.
poibgir. — ZIm Art. 709 dat der Verf. mit Recht die
ſchiefe Ableitung von MO berumftreifen abgewiefen, welche
nur von denen erfonnen war, welche das vorausgefeßte Alter
des Buchs Hiob vertheidigen wollten. — nom nah den
—— und Tang. bie Bilder des Tpierkreifes, wos
mit ) A Wohnung trefflid übereinftimmt. — ms |
Nachtgeſpenſt durch das Zeugniß der Rabbinen und my
thologiſche Parallelen trefflih erlaͤutert. — naan purpurs
lau, gründlich erwieſen und mit den nöthigen Zeugniſſen
Kst. — DINIY nimmt der Verf. für den Namen eines
Dimons befonders wegen des Gegenfaßes mit Jehova in V. 8.
dagegen ſtraͤubt fich unfer Gefühl, und die Anfiht , die wir
vom ganzen Hebraismus haben, läßt nicht zu, Daͤmonologie
in der Religionslehre, zumal in der .orthodoren, durd) den
Geſetzgeber oder die Priefter fanctlonirten,; vor dem’ Babylor
niſchen Exil anzunehmen. Man mäßte dann menigfiens bie
Abfaffung des gefeßlichen Aufſatzes 3. Moſ. 16. tiefer herab⸗
ſetzen, als fonft der Charakter des Pentatenchs fodert. Jedoch
wir brechen ab , und empfehlen jedem, dem es um grändliches
Studium der Sebrälfgen Sprache zu thun iſt, die Benutzung
dieſes vortrefflichen Woͤrterbuchs.
W. M.
Ueber den Kaiſer Julianus und fein Zeitafter. Ein hiftorifched ‚Ges |
mälde von. Auguft Neander, außerord. Prof. der Theol. zu
veidelberg. Leipsig, bey Friedrich Perthes aus Hamburg: 1812.
172 S. gr. 8
Son int vorigen Jahrganhe (N. 57. &. 903) iſt Ai
Schrift über den Kaifer Zukkan beutheile worden. weiche für
BE: W Meanden-üßer den Kaifer Julian.
die Würdigung dieſes merfwärdigen Mannes einen eigenthäms
lichen Weg nimmt. Die vorliegende Bearbeitung deſſelben
Stoffs wird allen angenehm ſeyn, welche eine billige , unbefans
gene, hiftorifche Würdigung eines auch in feiner Verirrung großen
Mannes zu fhäßen.wiffeg. Man wird feichter zu dem Ger
danfen kommen, daß Julian zu vortheilhaft geſchildert, daß
fein Heidenthum gu fehr idealifirt worden, als daß ihm Uns
reht von Hrn. N. wiederfahren ſey. Da die Sefehe unfrer Zeits
ſchrift ung eine eigentliche Beurtheilung dieſes Werkes, ala eines
inlänbifchen, nicht erlauben, fo fönnen wir bloß durch) die Aus
hedung der characteriftifchen Ideen und die Darſtellung des
Ganges der Unterſuchung unſre Leſer auf ſeine Wichtigkeit
aufmerkſam machen und die darin herrſchenden Anſi ichten bes
zeichnen. Es zerfällt in vier Abſchnitte.
Abſchnitt ı. Das EChriftenehum im Verhaͤltniffe zu dem
Zeitalter, in das ſeine Erſcheinung und Ausbreitung fiel (S.
1 —70). : Die Griechiſche Philoſophie endigte ihren erſten
Lauf mit dem: Scepticismus des gegen feinen eignen Dogmas
tismus gesichteten, zum Bewußtſeyn feiner grund s und bobdens
loſen Unfiherheit gelangenden Verſtandes (unterſchieden von
dem Scepticismus der beginnenden Philofophie, Anm. 1.)
Eden dadurch wurden. aber wiederum objective Religionsformen
dem denkenden menfchlichen Geiſte wichtig; und es erhob ſich
von der Einen Seite ein heftiger Kampf gegen das jenen For⸗
men entgegengefeßte Chriftenthum , von der andern’ erregte das
erwachte Beduͤrfniß einer belebenden Religion Empfänglichkeit
für das Chriſtenthum. Aus dem herrſchenden Unglauben ging
aber der Aberglaube hervor, „der nichts anders if, als das
Gefühl der verlohrnen Verwandtſchaft mit Gott in dem Ins
nern des Menfchen, dem Lebendigen“ (&, 13). Auch von dieſer
Seite mußte ‚jenes Zeitalter vom Chriftenthum ſtark ergriffen
werden, welches verfündigte, daß der Name Chriſti mit dem
Glauben verbunden von der Herrſchaft des Bölen befreye, und
die Wurzel des Aberglaubens wernichtete, indem es das Herz
und den Geiſt von der fihtbaren ſinnlichen Welt zu dem tebens
digen Goit erhob und an die ungertrennliche Gemeinſchaft, in
welche der menfchlihe Geiſt durch Chriſtum mie Gott gefommen
war, erinnerte, Hiernach Wird gezeigt, wie durd den herr⸗
A. Reander über den Hair Julich. Te
fein Scepticismus der Platonismus und der vhilo ſophiſche
un religidie Efletsicismus- (als deſſen Mepräfentane Piutarch
Setratet werden Tann ) den befiem und edlen Menfchen
empfohlen wurde, wwie Die verfeinerte Abftraction und die den
Antheopomorpbiemmus angſtlich meidende Verallgemeinerung die
Sehnſucht nach individuellen religioſen Leben und religiäfer
Semeinishaft reagirend hervorrief, und dadurch Liche zu dem
Poinheiemus und. Haß gegen den Monstheismus als vers
Reintlihe todte zum Acheismus führende Merftandesabftractiom
tlfland, dann wie ein verfeinerter Polgtheismus mit geiftigen Res
Agionsldeen wohl beſtehen konne. ( Die eigentliche. Wurzel. des
Volotheismus ift mehr prastifh als theoretifch, .nir die Ides
Tiner allgemeinen oder befondern. Theofratie konnte den Poly⸗
theismus practiich vernichten, Anm. 6.) Dieſe linterfuchung
führe zu. der Auszeichnung des Charafteriftiihen im Chriſten⸗
tum nis geoffendarter Rigen im Gegenſatz gegen jenen
Reopiatonismus und die Disherige Denkart und Weltanſicht
überhaupt. (Das Chriſtenthum, an keine befondre bürgerliche
Geſell ſchaft gebunden und den Charakter keiner befondern Nar
tisnalität tragend, war die Religion der Menſchheit, etwas
noch nie gedadytes und Bene, und trat in ein ganz anderes
Berhättnig zu. dem Leben der Menihen als die bisherigen
Beigionen , indem es das zeitliche Leben nur als Mittel für
Ye. un ſichtbare Welt darflellte, lehrte daher sine viel höhere
und vollkommnere Moral, ſchien aber den Heiden eben dadurch
Die Liebe zum Marerlande zu unterdrikfen, u. f. w.) Daher
«bob fi zwar ein heftiger Kampf gegen das Chriftenthum,
aber gerade diefer Gegenſatz eröffnete ihm wieder die Gemüs
her. Die reine Dffendarung fand gegenüber dem fchmanfens
den Eklekticismus, Die göttlich s menfchliche Neligion der alle
Beichräntung verachtenden Contemplation. Auch dieſes war dem
Chriftentyum förderlih, daß ed als eine über alle fichtbare.
Formen erhabene, und zwar keine glänzende Ideale der Phantafie
aber aufmunternde Muſter der. Tugend im Wirken und Leiden
Barbictende Weltreligion dem menfhlihen Sefchlehte in einer
Zeit der Auflöſung und firtlihen und politifchen Erfchlaffung
dargeboten wurde. (Mannigfaltige Wendungen des Ekleklicis⸗
mug im Kampfe oder in der Berührung mit dem Chriftenthum ;
die eigenstich charakteriſtiſchen Lehren des letztern geben am
meiften Veranlaſſung zu fremdartigen Mifchungen ; Selten,
Snoficismus. Anm. 6. fg.) | =
Aughmärt 2. Ueber Julians Erziehung und. Bildung
Bis zu feiner Beſteigung des Kaiferthrone ©. -71’— 208.
Schon in der Fugendzeit Julians offendarte. ich fein tiefes
und zugleich hochſtrebendes Gemuͤth im Gegenſatz mit ſeinen
1
“
16 A. Neander über den Kaiſer Zulian,
damaligen boſchraͤnkten und brädenden Lage. Er war damald
voll ungeheuchelten Eifers und inniger Wärme für das Chri⸗
ſtenthum, und verabfchente das Heidenthum. Mah feiner
Zuruͤckkunft aus Cappadocien nah Konftantinopel fam er im
"die Schule des Lacedämonifhen Juriſten Nikokles, deffen phis
loſophiſch allegerifche Auslegung der Dichter des Srichifhen
Alterthums Sultans fenrige Phantafle und feinen nach dem
Verborgenen forichenden Seift noch mehr erreste. Da die das
Göttliche in Knechtsgeſtalt ankündigende Religion fein das
Außerordentlihe und Glaͤnzende fuchende Gemuͤth nicht ans
fpeach, fo bewirkte feit jeiner Verſetzung nah Nicomedien der
Umgang mit den dortigen Neuplatonikern und die Bekannt⸗
fehaft mit den Lehren des Libanius feine Hinwendung zum
Heidenthum um deflo gewiffer,, je mehr feine chriftlihen Leh⸗
rer fi bemüht Hatten, ihn bon aller Verbindung mit den
Neuplatonikern fern zu halten. Nicht ohne Einfluß waren die auf
. Zultan bezogenen Weiſſagungen unter den Heiden von eınem
Manne, der den Glauben an die Götter des Alterthums und
ihre Verehrung wieder herzuftellen. und dann über das Römis
she Reich zu herrſchen beſtimmt ſey. Die Leberzeugung von
einer folhen Beflimmung ward in Julian fowohl duch fein
inneres als fein äußered Leben genähre. Wir machen noch auf
die Charakteriftit der verfchiedenen Neupfatoniler, welhe auf
den Kaifer Julian wirkten, aufmerffam (Vgl. Anm. g. &. 89).
Abſchnitt 5. Ueber Julians religtöje und phuͤoſophifche
Anficht Überhaupt, feine daraus hervoraehende Anſicht vom
Chriſtenthume und die- Mittel, burch welche er feine teligiöfen
Ideen als Kaifer zu realifiren fuchte. S. 105 — 144. Die
allgemeinen aus dem erſten Abſchnitt hervorgehenden Reſultate
werden hier auf den individuellen Eklekticismus des Kaifere
Julianus und deſſen Verhaͤltniß zum Chriſtenthum angewande.
Durch das chriſtliche Princip uaͤberhaupt, nicht durch das bes
ſondre katholiſche, wurde Zulian vom Chriſtenthum entferne.
Bey ihm war Kunſt, Wiſſenſchaft, Staat, ſelbſt der Krieg
mit der Religion verfhmolzen, daher genügt: ihm das Ans
fpruchelofe, demüthige, zu dem jenfelts des irdiihen Lebens
liegenden hinweifende Chriſtenthum nicht. Aus dem Cynismus
Sulian’s, der fih dem Chriſtenthum ſcheinbar fehr näherte, aber.
ſich doc fehr von Lemielben entfernte, werden feine Verſuche,
eine neue Kirche zu gründen, abgeleitet.
Aubſchnitt 4. Meber den Zuftand der chriflihen Kirche
zur Zeit des Kaifers Julian und fein. Verfahren gegen dies
ſelbe. ©. 145 — ı78. Zuerſt von dem Verderbniß der Kirche
in ihrem Innern dur die Vermifhung mit dem Weltlichen,
weiches fie zu bekämpfen aufhörte. Eben dadurch bildete fich
A. Neauder über:den Kalfer Jullan. MM
eine Reastion in der Kicche, welche ſich vornchmlich in den
Unruhen der Denariften zeigte, die hauptfaͤchiich das Ver⸗
derbniß der Kirche durch ihre Vermiſchung des Wehtlihen bes
fimpften, dann aber auch zugleih duch ihre Aeußerangen
über chriftiihe Freyheit Mißverfiändniffe veranlaßten, die
in Hinſicht ihrer Yratur und ihrer Wirkungen fehr ähnlich denen
waren, Durch welche die Bauernunruhen zur Zeit der Nefors
mation hervorgebracht wurden. Um das Merfahren Julian's
gegen die Chriften nicht ungerecht zu beurtheilen, muß befonders
das Verhaͤltniß der feßtern zu den Heiden feit dem Religionskriege
wiſchen Conſtantinus und Licinius beachtet werden. Der
Uevermutd der Chriſten entzändete bey den Heiden Rachſucht,
und bewirkte, nachdem durd Sjulian das Heidenthum tieder
auf den Thron gebraht morden, furhtbare Verfolgung, an
weicher der Kaifer felbfi keinen directen Antheit Hatte. Denn
Glaubenszwang und Verfolgung Maren weder den politifchen,
noch den individuellen religisfen und philoſophiſchen Grunds
fügen Julian's -angemeffen. Mancher bürgerlichen Vortheile
mußte er die Chriſten berauben, weil jene nach feiner Anſicht
mie der Religion enge verknüpft waren. Aus diefem Geſichts,
yanct wird Das Geſetz beurtheilt, welches den Chriften dad
Recht, oͤffentliche Schulen der Rhetorik und Litteratur zu Hals
wa, nahm ( obgleid) allen Sünglingen, auch den Chriftlichen,
bt blieb, ſolche Schulen zu beſuchen). Gleichwohl, fo
Zulian das Tumultuariihe und die Unduldſamkeit hafte,
f6 beförderte er indirect die Werfolgungen wider Die
Chriften, weil er: in feiner religioͤſen Schwärmerey für das
denthum fich es nicht erlaubte, die Chriftenverfolger zu firafen.
iedenheit in feinem Betragen gegen die chriſtliche Geifts
lichkeit und gegen die übrigen Ehriften, und Entwidelung der
Urſachen die ſer Verſchiedenheit. Manche: einzeine den Grund⸗
fügen Juliarnſs widerſprechende Handlungen, 3. B. einzelne
Berfolgungern, werden aus Widerſptuͤchen in feiner Gemuͤthsart,
deren er ſelbſſt ſich nicht unbewußt war, aus. Aufwallunzen der
eidenichafe erklärt. Beine forfakifchen Aeußerungen über das
— Wirkungen augenblicklicher Laune, ſchadeten ihm
ſchon in ſeinem Zeitalter und. bewirkten ungerechte Beurthei⸗
lung feiner Grundſaͤtze. Am deutlichſten offenbarte ſich feine
Idee, das ihm ‚vorihwebende Bild des Alterthums unter vers
änderten Zeiten, und Sitten wieder ins Leben zurüczubringen,,
bey feinem Maßen Aufenthalt zu Antiochien, vor der Eröffnung
des Perſiſchen Kriegs, in welchem Julian (im 32. Jahre feis
nes Lebens ) „als Märtyrer für eine ihm befeelende Idee, die
Barbaren, die Perfer, gu demüthigen,“ fiel, :
\
v
48 8. Vendamb-über De Relig. der Hebr. v. Moſes.
Wir muͤſſen noch bemerken, daß alle hier - angsdenteten-
Entwickelungen durchaus mit Belegen ſorgfaͤltig unterſtuͤtzt ſind,
und daß die ausfuͤhrlichern Anmerkungen am Ende jedes Ab⸗
ſchnitts manche lehrreiche Eroͤrterungen uͤber die philofoppifche
und veligidfe Denkart Julians und feiner Zeit enthalten.
Weber die Religion der Ebräer vor Mofes. Don Lagarud Bet
david. Berlin, bey Julius Eduard Hitzig. 1812. IV, sı ©. &
Daß die, Verfchiedenheit der Namen Gottes im A. T.,
befonders der Senefis, El, Elohim, Jehovah u. f w., nicht
zufällig fenn fönne, fondern auf einem tiefern Grunde beruhen
muͤſſe, vielleicht anf der Verſchiedenheit veligidfer Anfichten
‚ verfchiedener veligidfen Schulen, if längft bemerkt worden,
Kerr Bendavid macht nun in diefer kleinen Schrift einen Vers
ſuch, aus diefen Namen den Zortfchritt der veligiöfen Bildung
des Juͤdiſchen Volks abzuleiten, dem man mit Ausnahme der
gegwungenen Etymologieen, wenn man es nicht fehr frenge
nehmen wiß , das triviale Lob zugeſtehen kann: Se non
vero etc. Er nimmt an, die Aegypter, denen das Juͤdiſche
Volk feine religidfe Bildung verdanfe, hätten drey Grade eis
nes Eultus, der nicht mehr Goͤtzendienſt geweſen fey, ‚gekannt,
. Dualismus, Zebaoıhismus (Dienft des Heers der Narurkräfte),
Spiritualismus oder Theismus. Dee Hebräifche Stamm habe
bis zu Sofeph’s Zeiten ſich noch nicht Über die beyden erftern
oder niedern diefer Stufen erhoben. Paban und fein Geſchlecht
feyen Duatiften gewefen (in ben Theraphim DIES von AN
md N, Stiere des Zorns, findet auh Ar. B. den Sera⸗
pis); Abraham und fein Geſchlecht Zebaorhiften. Der Name
Schaddai, der Bebruͤſtete, weicher dieſe Anſicht bezeichnet
(vor 79 die Bruft, wovon aud DITD Dämonen), bedeute
eben fo die Aypoftafirte Natur im Zebaothismus als die Iſis
der Aegypter. In dem Namen Elohim, wodurch Naturfräfte
bezeichnet worden (von un die Kraft, z. B. 2 B. M. XV,
21), findet der Verf. eine fihere Spur des Polytheismus.
Durch Mofes erhielt endlih das Juͤdiſche Wolf die hoͤchſte
Weihe, es wurde zu der fpiritualiftiichen oder rheiftifchen Ans
he erhonen, welche durch die Namen Jehovah und Ei eljon
ausgedrückt wird, . — 3*
⁊ Lean
—
No. 4. Seidelbersifhe - 4843,
Jahrbücher der Litteratur.
I) Johannes Müller oder Plan im Leben, nebst Plan im Le-
sen, und von den Grenzen weiblicher Bildung. Drey
Reden von D. Karl Morgenstern, Russisch Kaiserl,
Hofrath , ord.. Prof. d. Beredsamkeit und alıclass. Philolo-
gie, der Aesthetik und der Gesch. der Literatur u. Kunst
an der Kaiserl. Universität zu Dorpat etc. Leipzig bey
Göschen 1808. VI u. 1228; 4. (2f|.)
9) Memoria Joannis de Mülter viri summi m corsessüu so»
cietatis Regiae se. Gektingensig inter desideria lugentium
celebrata, interpree Ch. G. Heyne. Die X, Juni
MDCCCIX. Göttingen bey Dieterid. 12 &. 4.
9 Memoriam Joannis Mülleri ... Civibus commendat Aca-
demia Frid. Halensis. Halle im Waifenhaus 1809. 32 S. '2.
4) Johann von Müller der Hiftorifer. Bon A. 9. £. Heeren.
Virtus clara aeternaque habetur. Sallust. Zeipgig bey
Goͤſchen. 92 ©. 8. (8 gr.)
Johann von Müller von Karl Ludwig von Woltmann.
Berlin b. Hitzig ı810. VIII. 316. LXXLSG. 8. (i Thlr. zı gr.)
6) Lobſchrift auf Johann von Müller den Geſchichtſchreiber. Geleſen
in der K. Akademie der Wiſſenſchaften zu Münden am 29ten
Mai ıgır von Friedrich Roth, D. K. Baierifhem Ober⸗
ſinanzrathe und Mitgliede der Akademie. Sulzbach bep Seidel
su 46 S. 8 (24 fr.)
Use {ehe wenige Deutſche Schriftftellee iſt fo viel gefchrie:
bin worden, wie Über Johannes Müller: und wenn ſich
hieraus zwar nicht mit völliger Sicherheit ſchließen laͤßt, daß
diefer ernſte und Gelehrte Hiftoriker ein fehr großes, für ihn
ſich lebhaft intereffirendes Publicum gehavt habe (man möchte
winſchen, daß zur Ehre der vaterländifhen Denfart und des
altkräftinen litteraͤriſchen Geiſtes unferer Zeitgenofien fo etwas
daraus gefolgert werden koͤnnte); fo fcheint doch faft keinem
Zweifel unterworfen , daß der Mann, über deſſen litterärifche
Vidung, Eigenrhämlichkeie und. Wirkſamkeit imegrere Schrift⸗
F 4 |
50. Schriften aͤber Johannes Muͤller.
ſteller, zum Theil vom erſten Rang, ihre Stimme abzugeben
ſich berufen fuͤhlten, mannigfaltigen, vielſeitigen und reichen
Stoff zur Betrachtung dargeboten haben muͤſſe; ein ſolcher
Menſch gleiche einer herrlichen Gegend, in welcher jeder aufs
merffame und gemüthliche Beobachter etwas finder, das ihm
zufagt, deren gelungenfie Schilderung fie nicht erfchöpft,
und die nach vielen mahlerifhen Befchreibüngen noch immer
neue Seiten darbietet, von denen fie mit Theilnahme und
- Liebe ‚aufgefaßt und dargeftellt werden kann. So fiheint os
hannes Muͤller ſeinem Vaterlande, der einfach großen
Schweiz, nicht unaͤhnlich zu ſeyn, welche unzaͤhligemal und
vortrefflich beſchrieben dem für die ſtets neue Herrlichkeit der
Natur empfaͤuglichen Gemuͤthe neue Anſichten und freygebig
lohnende Veranlaſſung zu fruchtbaren. Betrachtungen offenbart.
Sn J. M. ift der Menſch, der Welehrte, der Hiſtoriker,
der Polititer und der Geſchaͤftsmann merfwärdig; und fo wie
dieſe verſchiedenartigen Beziehungen; unter welchen er an ſich
und in der Erſcheinungsweit betrachtet werden kann, oſt in
einander fließen, und ohne gewaltthaͤtige Verletzung. der nur
in ihrer Verſchmelzung beſtehenden Wahrheit, keine ſcharf
abſcheidende Trennung zulaſſen; fo dürfte foft eine willkuͤhrliche
Verbindung, oder richtiger Vermiſchung der Gefichtspuncte,
aus denen fein Wefen, Denken und Wirken angefehen werden
fann, der gerechten Würdigung feines Verdienſtes unvermeidli⸗
chen Eintrag gethan haben. Daß er durch feltene Ausdauer
angeftvengten Fleißes eine bewundernswerthe ‚Fülle gelehrter
Kenntniffe ſich erworben habe, darüber find Alle einverftanden;
bloß Mathematik und Naturwiſſenſchaften ſcheinen ihm fremd
geblieben zu ſeyn, und aus ſeiner, durch genetiſche Bildung
und fruͤhe feſte Richtung des Geiſtes erklaͤrbaren Abneigung
gegen die erſtere machte er ſelbſt kein Geheimniß; dagegen
war philologifhe und theologifche Erudition , Staatswiſſen⸗
ſchaft, Rechtskenntniß, Gefhmad-und Kunſtgeloͤhl ‚auf bad
glücklichfte in ihm vereinigt; er hatte eine Beleſenheit, wie
fie feit Saumaife und Leibnitz nicht Häufig gefunden
ward, eine nie befriedigte, nis erfchlaffende Wißbegierde, eis
nen immer jugendlich + frifchen Eifer für die Fortbildung ſeines
Geiſtes und für die Erweiterung feiner Kenneniffe. Als Menſch
Schriften über Johannes Müller. SL
hitt ee in einer Lichendwärdigfeit hervor, weiche in diefem
Grade außerſt wenigen Gelehrten und Sechriftſtellern zugeftans
den werden Canın 5 Die ihm eirnmwöhrende Mitte und Weichheit,
die in feine ganze Natur innig und unferereintid verwebte
Humanitaͤt, Die vein kindliche Hingebung an jedes ſich freund⸗
lich aukͤndigen de Sute, die warme herzliche Theilnahme an
Andere: Freude Und Kummer, das immer rege Streben zu
begluͤken und zu helfen, die unter keinen Umſtaͤnden erkaltende
Treue, faſt ſchwarmeeriſche Anhänglichkeit an bem Kreife feier
Lieben, die von erſter Kindheit an bis zur Gruft ſich gleich
bleibende Pierät, Die Verföhntlichkeit gegen Feinde, die Zart⸗
heit in gefeliihaftlichent Verhälenifgen, wer mag fie verfennen
über mißbeuten , als wenn‘ alles Menſchliche Tand und Thors
beit it? — Und wie war dei gegen feine Mitmenſchen ſo
nachſichtige Mann ſtreng gegen ſich ſelbſt? wie chat er fich
nie Genage ? wie war et durchdrungen von Pflichtgefuͤhl?
wie beſeelte ihn Kraft, aus Religioſttaͤt, aus lebendigem
Giauben ar Vorſehung und Wuͤrde der Menſchheit entquol⸗
kn? — Für alles dieſes liegen die Bewelſe oͤffentlich in fe
wen ; nicht für das Publicum beftimmiten, nad) feinem Tove
bekannt gemachten Briefwechſel vor; wer fehen will, kann
fehen : einer beurtheilenden Anzeige der Muͤller'ſchen Merk
darf Hier nicht vorgegriffen werden ; es ift genug, im Allge⸗
meinen auf dieſes Urkundenbuch zum Leben And Charakter
Eines edlen Menihen aufmerffani gemacht gu haben:
Das, was der Schriftſteller als Menſch it, darf bey der
Schaͤtzung des Hiſtorikers nicht unbeachtet gelaffen werden.
Diplomatiſch genau und zur entſchiedenen Bereicherung der
änferen Wiſſenſchaft ſammeln, kann der fleißige Gelehrte;
die Materialien lichtvoll zu ordnen, Ereigniſſe und Vegebens
heiten in ihrem Zuſanimenhange und Erfolge anſchaäulich les
bendig in ſchoõner Sprache darzuſtellen, und kreffende Bemer⸗
kungen unð Urtheile einzuflechten, vermag der kunſterfahkne
und gefbte Schriftſteller. Aber dad Streben nad) einen Böhes
ven Ziele, der Alles durchdringende Wille, Mirwelt und Nach⸗
kommen zumi Sdlen und Großen, Guten und ren zu
beſtimmen, ganze Gefchlechter zu begeiſtern fͤr KöhPlnd Zr
gend, die Semüther mit heitigen Entſchließungen gu befruchten;
2 Schriften uber Johannes Müller.
Diefes Streben ;. diefer Wille wohnt nur in einem heiligen
Gemuͤth, das mehr Hat als Wiffenfchaft und Kunft, das von
der Allmacht unausſprechlicher Ahndungen beherrſcht wird.
Solch ein Geiſt bricht in Muͤller's hiſtoriſchen Darſtellungen
durch, und fordert. laut und dringend auf, an den inneren
Menſchen des Schriftftellers zu denken, der als Hiſtoriker bes
urtheilt werden ſoll. Es bleibt daher lobenswerth, wenn zur
Würdigung eines ſolchen Gefchichtfchreibers ein ganz anderer
Maßſtab gebraucht wird, als bey unzähligen andern, äußerlich
verwandten Schriftftelleen gewoͤhnlich iſt; es erfcheint ganz: in
dee Drdnung, wenn ber Charakter des Hiſtorikers nicht iſolirt,
Sondern vielmehr in feiner natürlichen und allein zur wahrhaft
ten Vollſtaͤndigkeit und Einheit der Anficht führenden Verbin—
bung mit dem Charakter des Menfchen dargeſtellt wird; ob
ſich gleich ein richtiges Reſultat unter nicht ausgeſprochenen,
ſondern nur in ihren Wirkungen angedeuteten Vorausſetzungen
auffaſſen und darlegen läßt; und auf keinen Fall iſt eine wis
drige Analyſe (die nicht einmal ſo unwahr zu ſeyn braucht,
wie die von Woltmann'ſche iſt, um verwerflich zu ſeyn)
aller und jeder menſchlicher Verhaͤltniſſe erforderlich, wenn
eine ſo preiswuͤrdige, durch fromme Achtung fuͤr EIN er⸗
zeugte Abſicht erreicht werden ſoll.
I. v. M. verdiente alfo die Ehre, welche ihm in No. 1.
widerfaͤhrt; in ſeinem inneren, wiſſenſchaftlichen Leben herrſcht
zuſammenhaͤngender feſter Plan; in ſeinen Studien und Grund⸗
ſaͤtzen findet ſich eine mit ehrwuͤrdigem maͤnnlichen Ernſte durch⸗
gefuͤhrte Conſequenz, welche ſo einfach iſt, daß ſie von Allen
erkannt und von ſehr Vielen als Richtſchnur angenommen und
befolgt werden kann; die eigenen Bekenntniſſe in Briefen und
die Reſultate ſeiner Beſtrebungen, unvergaͤngliche Denkmaͤler
Deutſchen Fleißes, vaterlaͤndiſchen Sinnes, litteräriſch vers
edelter Nationalität und tief begruͤndeter Frömmigkeit, liefern
den Beweis; und Hr Morgenftern bat diefe reichhaltigen
Materialien zu einer anfchaulihen Darftellung bes mufterhafl
Verdienftlichen im Selbſtbilden, Fortſchreiten und Bewahren
des Spies, mit Umſicht zu finden und mit Beſonnenheit und
rednerifwger Klarheit zu benußen und zu verarbeiten gewußt.
Jedoch irrt er darin, daß er die Müllerihe Planmaͤßigkei
ae )
!
Schriften über Johannes Müler, 83
anf das Außere Leben bes fih einer Höheren Führung vers
trauensooll Hingedenden und feine Bünfche und Abfichten unter -
dem wnerfchtterlichen Glauben an diefelbe gefangen nehmens
ten, auch in Diefer Hinſicht feltenen und von beichränkten, für
folhen Gottesſinn unempfänglihen Egoiften mißverſtandenen
Mannes ausgedehnt hat. immer bleibt dieſe erſte Rede, mit
den ihr beygegeben reichhaltigen und finnvollen Anmerkungen,
ein ſchaͤtzbarer Beytrag zur genaueren Kenntniß und richtigern
Värdigung des menſchlichen und litterärifhen Charakters und
der eigenthuͤmlichen Verdienſte des größten Hiſtorikers, weichen
Deuntſchland Bis auf den heutigen Tag beſeſſen hat. Die Sprache
des Redners iſt koͤrnig, blühend und edel; nur ein einziges
Mal S. 50 fälle fie duch die faſt burleske Parenthefe: „ich
wette, er reif’e noch einmal nad London!“ aus ihrer Wuͤrde;
und in einigen Anmerkungen ift das Beftreben, den Ton und
die Manier zu muͤlleriſiren, allzufihtbar. — Die zweyte Rede
über Plan im Lefen ik dem Geifte und Zwecke nach mie
der erften nah verwandt. Sie gehet von ber Betrachtung des
möglichen Mißbrauches großer Buͤcherſammiungen aus, und
&. DR. erlaubt fih (8.62) eine Anipielung auf Göttingen,
welche um ſo ſchicklicher hätte unterdrückt werden ſollen, weiß
er ſelbſt fie für ungerecht erklaͤrt, wie fie es wirklich if. Das
gegen find Bie Warnungen gegen Biellefevey oder Lefewuth
ganz an ihrer Stelle, und mögen in vielen Städten Deutfch,
lands dringenderesd Bedürfnig ſeyn, und mehr Beherzigung
erheifchen als in Dorpat. Eben fo gerecht find die Klagen
über die Verkehrtheit, weiche das kefeluffige Publicum Deutſch⸗
fands in der Wahl der Bücher beweiſet, und über die empös
vende Vernachlaäßigung feiner Claſſiker, welche fih daffelbe zu
Schulden kommen läßt. Die Hauptfumme aller Weisheit im
Lefen wird fiir fludirende Juͤnglinge darin zufammengefaßt :
„Lies außer den Schriftftelleen, die du deines gegenwärtigen ober
fünftigen Berufs halber leſen mußt, nur die claffiichen!“ Unten
Elafitern werden Diejenigen verftanden, weiche rein menſchliches
Intereſſe baden, indem fie den urfprünglichen Menſchenſinn
für das Wahre, das Gute, das Schöne unmittelbar, und
nicht jeden befonders, fendern den dreyfachen Sinn zugleich
beſchaͤſtigen, den Menſchen im Menſchen aus eigenem hoͤhern
54 Schriften über Johannes Müller,
Leben zu hoͤherm Leben bilden. In den Feldern ber Poeſie,
Beredfamkeit, Berichte und Philoſophie müffen fe geluch
werden. Daß unter unfern Deutfchen Claſſtkern weder Utz,
noch Ramler, weder Gerſtenberg, noch J. NM. Goͤtz
and Claudius, daß von Romanen-Verfaſſern nicht einmal
IJ. T. Hermes und F. H. Jakob i genannt ſind, faͤllt auf;
Garve hat bey den Philoſophen einen Platz gefunden ; wen
auch das Lefen der Humoriſten ( ©. Bo) dem fpäteren Leben
vorbehalten wird, fo Hätten feldft für Ddiefes Hippel und
Sean Paul eine Ehrenmeldung verdient. Die Winke über
Folge und Methode im Lejen find vortrefflih, und verrathen
eben fo viel Erfahrung als Geſchmack und Geiſt. — Die
dritte Nede von den Grenzen weibliher Bildung
tft bey Eröffnung der kaiſ. Töchterfchufe zu Wyborg d. g. Aug.
1805 gehalten worden. Ste verbreitet fih uͤber weiblichen
Beruf und weibliche Bildung, und enthält viel Angemeffenes
und Durcdachtes, wie es von einem ſolchen Verf. erwartet
werden kann.
No, 2. iſt der Ausdruck dankharer Erinnerung an die
Wohlthaten, welche die Goͤttingiſche Sorierät ihrem Mitgliede
zu verdanken hatte; wirklich war fie ihm ihre Fortdauer ſchul⸗
d'g (S. 4), odgleih Rec. bezmeiflen moͤchte, daß, die Erifteng
einer fo geachteten gelehrten Geſellſchaft unter einer fiberalen
und für Kunft und Wiſſenſchaft fi fo guͤnſtig aͤußernden Res
gierung auch nur Einen Augendli gefährdet geweſen feyn
koͤnne; gewiß haben Mißverfländniffe und Irrungen uͤbet
Drganifationgs Formen Zögerungen und daher Beſorgniſſe vers
anlaßt. Doc, bleibe damit dem für alles Litterarifche, und
befonders für Goͤttingens Wohl eifrig thätigen Muͤller das
unbeftrittene Verdienſt (©. 9), die zur Unterhaltung ber
Geſellſchaft erforderlihen Summen gefihert, für Wiedererftats
tung defien, was durch dringende Zeitumflände entzogen worden
war, geforgt, und die zur Fortdauer bee Gelehrten Anzeigen
und ber Commentationen nöchigen Ausgaben gedeckt zu haben ;
auch bewirkte er die, ſpaͤterhin zum Landesgefege erhobene,
Eenfurfreyheit. Daß der Redner. (8. 4) lauter Klagen ers
mähnt, welche von Mehreren über Müllers Geſchaͤftsfah⸗
rung erhoben wurden, iſt Jedem, der mit der Lage der Dinge
Schriften über Johannes Muͤller. 55
im Jahr 1308 niche ganz unbekannt tft, fehr begreiflich; bie
Enden AngelegenHeiten befanden fih in einem ungeheuren
Eis, und es ließ fich kaum ein in denfelben entfichendes
Syſtem ahnden ; Der bald Schreden, bald Freude erregenden
Getuͤhte und Vermuthungen gab es eine Legion; die zudring⸗
fihen Forderungen und Geſuche maren ohne Maaß und Ziel;
Miller mie feinem Enthufiasmus für. Wiſſenſchaft und mit
feinem weichen miennfchenfreunblihen Herzen, das Allen helfen
und jedem Beſorgten Beru,igung verfchaffen wollte, that auf
Einmal gu viel, und berücdfichtiate mehr das Einzelne als dns
Ganze; feine Troͤſtungen, feine Aufmunterungen, feine Hoff⸗
uungsäußerungen wurden als officielle Erklärungen angefehen,
verbreitet und mit Mutzanwendungen ausgeflattet; in den ers
fien vier Wochen feiner dffentlihen Wirkſamkeit mußten ſchon
viele Unzufriedene entfiehen, denen nichts raſch und ihrem
Egoismus gemäß genug ging. Dem Charakter, dem Geiſte und
Willen Müllers laͤßt der feit der erſten jugendlihen Entwicelung
„mit ihm befannte ehrwuͤrdige nunmehr ſelbſt verewigte Heyne
( S. 20 f. ) volle Gerechtigkeit angedeihen; es ift ein gehalt
volles Wort, was er als Refultat Über ihn auffpricht: „non
difitendum est, nostris hisce temporibus hominibusque
eum nec natum fuisse nec nasci debuisse ; alieno itaque
tempore, nec suo nec nostro, eum vixisse.“
No. 3. Der geiftreihe Humaniſt Hr. Prof. Shüs
bleibe in feiner, im Namen der Univerſitaͤt Halle verfaßten,
durch Römifche Eleganz und durch Gedankenreichthum ausges
zeichneten Denkſchrift bey dem’ hiftorifchen Verdienfte Müllers
fiehen, und fiellt das Bild feiner geiftigen Bildung und Wirks
famfeit ats Mufter auf, dem Studirende nachſtreben ſollen.
Deutſchland, fo reid) an vortrefflichen Schriftftellern aller Art,
it arm an großen Hiſtorikern, und frepli wird, um ale
Geſchichtſchreiber ſich auszuzeichnen, ein ſeltener Verein gelehrs
ter Kenntniſſe und ſittlicher und aͤſthetiſcher Eigenſchaften er;
fordert; nicht zu gedenken der ſtark eingreifenden aͤußeren
Verhaͤltniſſe, unter welchen ein im ſtrengeren Sinn’ gutes
hiſtori ſches Werk allcia gedeihen kann; ſeit wann heerſchet
eigentlich Publicitaͤt? ſeit wann Willfaͤhrigkeit der Regierungen,
Archive zu offnen, und das, was daraus muͤhſam gewonnen
56 Schriften über Johaunes Müller,
iſt, befannt machen zu laffen ? und wie befchränfte ſich folche
Willfaͤhrigkeit oft durch Angftliche Ruͤckſichten auf fleiffinnig feftges
Haltene Rechtsformalitaͤten, oder auf vermeintlich nachtheilige
Volksaufklaͤrung, oder auf Beihädigung dis fogenannten Fas
milienglanges.? und wo war Nationaliinn ? wie iparfam wurde
Schriftfielleriiches Kunſttalent in unfern gelehrten Erziehungs
anitalten geweckt, gepflegt und zu einiger Reife gebracht 7 Es
iſt noch immer merkwuͤrdig, daß Deutichland in dem lebten
Miertheile des achtzehnten Jahrhunderts fo wiele gute Hiftorifer
hervorgebracht hat, welche zwar nicht mit den, großen Alten
und ‚mit den durch ihre Werfaffung gehobenen Britten um den
Kranz buhlen können, aber doch nur von einigen Italienern
Der fchönen Zeit und von wenigen Spaniern ubertroffen mers
den. „Illud accedit, fagt der Verf. S. 7 fehr richtig, cur
hoc minus mirabile debeat videri, quod quum historia
nec institui possit, nisi praeparato atio, nec exiguo tem-
pore absolvi, nostris hominibus ad ista studia natis et
factis, aut raro, aut numquam vacatio publici muneris,
isque otii fructus concedatur, quem Humio et Gib-
bono aliisque eorum similibus scimus contigisse. Prae«
stantissimi enim Germaniae historici, vel rei publicae
administratione vel institutione juventutis academicae sic
detinentur, ut miraguli instar sit, eos horis subsicivis
tantum, quantum in hoc arte elaborarint, praestitisse,
nedum ut iis vitio vertendum sit, eos Opus institutum
vel inchoatum reliquisse, vel si ad finem perduxerint,
non omnes summae perfectionis numeros explevisse. Ita-
que nec Mäserum nostrum historiam Osnabrugensem;
nec Sprengelium Britanniae, nec Schillerum hi-
storiam defectianis Belgarum absolvere potuisse , dolen-
dum potius est quam admirandum; ac tanto majore cum
Jaude praedicandum Schlözeros nostros, H.erderos,
Plankios, Schröckhios, Heerenios (Schmid-
tios, Spittleros), longis operibus iisque elegantissi-
mis, quum tot. aliis negotiis districti essent, perhiciendis
pares fuisse.“ Auh Johannes Müller konnte nur unter
vielfachen Lebensmühen, Geſchaͤftszerſtreuungen und läfigen
Unterbrechungen, fein Hauptwerk, die Geſchichte der Schwert
J
Schriften über Johaunes Müller, 87
riſchen Eidsgenoffenfchaft bearbelten. Es war herkuliſcher Fleiß
erforderlich, um Die überall zerſtreuten Materialien und Noti—
gen zuſammen zu. bringen, und es lag in dem durch Local—
und Staatsverhältnifie zerſtuͤckelten Stoffe eine eigenthuͤmliche
Schwierigkeit Der Darſtellung, welche nur vaterländifches In⸗
tereffe gu überwinden vermochte. Der höhere didaktiſche Zweck,
weiher diefee Unternehmung zu Grunde lag, wird ©. ıı
genügend angedeutet und das Verfahren des Geſchichtſchreibers
vollſtaͤndig gerechtfertigt. Auf feine mufterhafte Treue, Wahr⸗
beitsliebe und Unpartheylichkeit wird aufmerkſam gemacht, ohne
die Milde zu verſchweigen, welche ſich in ſeinem Urtheil uͤber
das Tadelnswerthe offenbart, und wovon die Charakteriſtik
K. Ludwig XI. als ſprechendes Beyſpiel in koͤſtlicher Lateini⸗
ſcher Ueberſetzung (S. 15 f.) aufgefuͤhrt wird. Das Verdienſt⸗
liche in der Oeconomie des ganzen Werks, in der genauen und
mahleriſchen Angabe des Schauplatzes, in der anſchaulichen
Darſtellung der Denkart und der Bitten verfloſſener Jahr⸗
hunderte, in der Beſchreibung der Schlachten, in der
Entwidelung der Verfaſſung und Verwaltung der einzelnen
Staaten, in der Beziehung des Einzelnen auf das Ganze, in
dem wuniverfaldiftorifchen Blicke, kurz Alles, was an diefem
Meiſterwerke dem forgfältigen und kunfterfahrnen Beobachter
zuſagt, wird bündig und mit anfchaulicher Klarheit angedeutet
und hervorgehoben. Auch über kleine Gebrechen und Mängel,
über die Zülle der Citate, uͤber die ofe fremdartige und .uns
gleiche Sprache erklärt fih, Hr. S. eben fo gerecht und uns
parthepifeh freymuͤthig, als mit feinem kritiſchen Blicke und
aͤcht antikem Kunſtſinn. Man trennt ſich ungern von einer
materiell und formell fo vollendeten Schrift, und nur in der
Vorausſetzung, daß diefe Bogen, mehr als andere academifche
Selegenheitsfchriften, in das größere Publicum durch Buch
handel gebracht worden find, hat Rec. der Verfuhung Wis
derftand geleiſtet, mehrere herrliche Stellen den Lefern wärtlich
mitzutheilen. -
No. 4. - Einer ber Erfien unſerer Deutſchen Hiſtoriker,
der gelehrte , ſcharfſinnige, geifivole Heeren erachtete es ers
ſprießlich Für Die angemefjene Bildung künftiger Hiſtoriker, an
Joh. Misere zu zeigen, welchen Weg fie zu betreten und
58 . &cheiften über Johannes Nuͤller.
zu verfolgen haben, um die Forderungen und Pflichten‘ guter
Hiftoriter kennen und erfüllen zu lernen.” „Was Müller der
Wiſſenſchaft wurde, das ward er gang durch feine Liebe für
fi. — — Sein Enthufiasmus für die Gefchichte ging aus
dem lebendigften Gefühl ihrer Wuͤrde hervor. Sie war ihm
die erfie der Wiffenfchaften, die Aufbewahrerin alles Großen
und Herrlihen, die Heroldin und zugleich die Bildnerin der
©Staatsmänner und Helden.“ Wir übergehen das nun fattfam
Bekannte aus Müller’s Leben, welches über feine Bildung
zum Hiſtoriker Auffchluß gibt, und verweilen bey demjenigen,
was die Individualitaͤt feines hiftorifchen Charakters näher bes
zeichnet und entwidelt. In der Gefchichte der Schweiz, für
die er ſich beſtimmte, war des Allgemeinen wenig (©. a2),
des Befondern viel; das Studium mußte alfo von dern Ein—
zelnen ausgehen; und fo bildete die Befchaffenheit des Stoffes,
welcher zu bearbeiten war, den Geſchicht forſcher; feinem
Genie blieb es vorbehalten, fih von Erforfhung des Eingelnen
zur Anfiht des Allgemeinen zu erheben; wer mit dem Allge⸗
meinen beginnt, erbaut ein Gebäude ohne Srund. Die Def
fentlichleit der Schweizerifchen Verhandlungen, die zahlreichen
Machrichten darüber in gleichzeitigen Chroniken und die Menge
der vorhandenen Urkunden eröffneten dem Forfchungsfleiße
ein unermeßliches Feld. Für die Trockenheit folher Studien
entfchädigte ſch Müller im Umgange mit Hocdhgebildeten,
geiftvollen Männern und durch Lertüre der Alten und moder⸗
nen Claſſiker; er arbeitete an der Cultur des practifchen polis
tifhen Sinnes, ohne welchen feines Hiſtorikers Bemühungen
Fruchtbarkeit für das wirkliche Leben gewinnen können, und
an Vervolllommnung des fchriftlichen Vortrags. Won wohl
thätiger Wirkung war, daß er veranlaft murde, univerfals
hiftorifche Vorleſungen in Genf zu Halten; durch fie ward er
auf manche Lücken in feinen Kenntniffen aufmerffam, er durchs
dachte den Gegenſtand, worüber er Andere orientiren follte,
mit anfchaulicherer Klarheit, er wurde von der engen Verbin—
dung, worin das Einzelne mit dem Ganzen flieht, auf das
lebendigſte uͤberzeugt, und fie zeichneten ihm den Gang feiner
Forfhungen für das ganze Leben vor, — Seine Schweizers
gefhichte gibt den Maaßſtab, nach weichem fein Biftorifches
Schrriften über Johannes Müller. 59
Verdienſt geraärtiigt werden muß. Er hatte (S. 60) eine
‚reine und fefte Anmſicht von dem Weſen der Geſchichte; fie war
hm treue Erzähterin des Geſchehenen. Er fegte den Ges
ſchichtſchreiber nie Nbder den Geſchichtforſcher; er hat diefen nie
über jenen vergeflen ; und diefe Bewahrung des richtigen Ders
haͤltniſſes zwiſchen beyden ift die Srundbedingung zu einem
großen Hiſtoriker. Wahrheitslicbe war dus oberfte Geſetz,
dem er in feinen Hiftorifchen Beſtrebungen huldigte; er wollte
nichts ſagen, was er nicht felbft ( S. 64) als wahr erkannt
datt. Sein Wert flieht als Mufter tiefer und grändlicher
Forſchung Für die Macwelt da! — In Anfehung der Eoms
pofition waren einfache KHinderniffe zu befeitigen; nur Ein
Hauptpunct konnte feflgehalten werden: Entfiehen und Bes
fiehen der Werfaffung, Begründung und Erhaltung der Freys
heit, hieraus ergaben fih Zufammenhang und Pragmatiemus;
Alles wurde durch inneres Band, durch vaterländifhen Geiſt
ufammengehaften. Doch erflärt der Verf. die Anordnung des
zerſtuͤckelten Stoffes (©. 70.) für die minder glänzende Seite
bed. Werks. Es Bleibt Fjedocd das größte Lob des Geſchicht⸗
ſchreibers im dieſer Ruͤckſicht, daß er, durch einfache chronolo—
giſche Anordnung, der Natur folgte, ohne dem Stoffe Gewalt
anzuchun. Die anziehende Kraft der Schweizergeſchichte bes
ruht anf dem Tebendigen Intereſſe, womit der Verf. an die
Bearbeitung des Stoffes ging, und welhes aus dem tiefen
Studium feines Segenftandes fi immer dauernder und Bräftis
gar entwickelte. Müller hatte eine heitere Anſicht der Welt,
einen lebendigen Sinn für Freyheit und für politifhe Größe;
er wurde unterlüßt von einer bemeglichen Imagination, die
- ee aber immer beherrfchte, Müllers Styl wird (&. 89)
mit Recht ein veredelter Ehronitenfiyl genannt. — „Müller
ſchrieb (S, ge) einen Theil der Deutſchen Geſchichte; im
Deutfcher Zunge und mit Deutſchem Gemuͤthe. Alle edte
Grundzuͤge des Deutſchen Charakters, reiner Wahrheitsſinn,
Frey heisliebe mit Orduung, tiefes und inniges Gefühl für
alles Herrtichs und Große fprechen fih laut darin aus. So
ſteht es da, ein Nationalwerk im höheren Sinn; eine Deuts
fhe Eihe auf Deutſchem Boden. Laut und dankbar nahm
es — fessft mitten in ihren Verirrungen Über das Wefen der
60 Schriften über Johannes Muͤller.
Geſchſchte, gleichſam fi ſelbſt widerfprechend — die Mitwele
auf; daß die kommenden Sefchlechter es nicht vergeffen, das
für Hat der Geſchichtſchreiber geſorgt!“ — Nur fo viel aug
dieſer gehaltreihen Schrift; mer fie noch nicht gelefen hat,
möge dadurch) gereist werden, fih an ihr zu laben; und wer
fih ſchon früher des Genuffes erfreut bat, möge dankbar an
die frohen Stunden erinnert werden, welche fie ihm gewährte.
Sie und die gleich näher zu Hefchreibende Lobfchrift von Roth,
Pland'’s und Heeren’s Schriften über Spittler ( möchte
uns auch recht bald Roth's Denkmal auf diefen ‚mitgetheite
werden!), verbunden mit dem Bruchſtuͤcke aus Schlözer’s
Autobiographie und Joh. Muͤller's Briefe an Bonfterten
und an feinen Bruder, find die befte und fruchtbarfte practis
fhe Anleitung zum biftorifhen Studium, welde dem zum
Beſſeren aufitrebenden Deutſchen Süngling zu feiner gedeihlis
hen, nur aus eigenem Wollen erzeugten Selbftbildung zum
rechten hiftorifhen Studium empfohlen werden kann.
No. 5. Wenn es eine ausführlihde Kritit der von
WBoltmann’fhen Schrift gälte, fo würde fih Rec. aus
Edel vor der lofen Speife fenerlich davon losgefage haben z
es thut aber eine mit vollftändiger Beweisführung ausgeftattete
Darlegung der Verwerflichkeit diefer nur ihrem Verf. ungäns
fligen Schrift Gottlob nicht mehr nörhig, da der Unwille -
darüber von vielen durch Geiſt und Kraft des Gemuͤthe her⸗
vorſtechenden und ihr Stimmrecht beurkundenden rechtlichen
und guten Maͤnnern wiederholt laut ausgeſprochen, und das
Publicum, wenn es des bedurfte, genugſam gewarnt worden
iſt. Mag Kunſtneid, dem auch beſſere Naturen unterworfen
find, mag Schulhaß, wie er einſt den Anti-Ariſtoteliker Des
ter Ramus blutig verfolgte, gereist und zum Böen vers
fuchet Haben; immer tft fchwer zu begreifen, daß Ar. v. W.
in dem von ihm dech gewiß ans Erfahrung fo hoch berechnes
ten Umgang mit Weibern nicht fo viel Feinfinnigfeit und
richtigen Tact erworben haben follte, um das Gemeine und -
Veraͤchtliche eines folhen Verfahrens fogleich zu fühlen und
den erften Gedanken dazu als Ausgeburt eines unglüdlichen
Augenblicks, ſich ſelbſt bloß durch bisweilige Erinnerung daran
ſtrafend, zu unterdruͤcken. Was in aller Welt konnte ihn zu
Schriften über Johannes Muͤller. 61
diefem Schritte bewegen, zu dem litterarifchen Banditenftreiche,
feinem angeblichen „ eben mwortlos gewordenen Freunde meuchs
lriih das Koͤſtlichſte zu vauden, was Sterblihe hienieden
baden und verlieren. können ? und zwar zu rauben mit yer:
ſuͤßenden und Die leidenſchaftliche Sewaltthätigkeie bedeckenden
Lobiprähen und unter der Hülle ſogenannten freyen Kraft:
eifers für Wahrheit und Gerechtigkeit? Beym Himmel, was
konnte ihn beſtimmen zu einem ſolchen, fhon nach den Regeln
alltaͤglicher Klugheitt unverzeihlichen und, nad) den ewigen Ge⸗
fegen innerer Gerechtigkeit in der Weltregierung, unausbleib⸗
lihe Selbſtrache drohenden Schritte? — Wollte man Ken.
v. W. Arges mit Argem vergelten, fo fönnte er leiht mit
vieler Wahricheinlichfeit.begüchtigt werden, day ihm noch etwas,
Unedleres, als bloß armielige und Mitieiden erregende Eitels
feit, angerrieben babe, fo zu handeln; daß es ihm nicht bloß
daram zu thun geweſen ſey, feinen Mamen durch einen ges
fenerten weniger beeinträchtigt zu fehen; daß er vielmehr dar:
anf ausgegangen ſey, im Preusiihen Staate, mit deſſen
Organiſation er fich vielleicht nicht bloß fchriftftellerifch beſchaͤf⸗
tigen wollte, in Dem Staate, wo es damals zum Tone dir
fogenannten guten Geiellihaft gehörte, den vermeintlih ads,
tännigen DE KL ler herabzuſetzen und zu verleumden. ſich patrios.
tiſh wichtig zu machen, indem er mit Einem Hauptſtreiche den,
von mehreren Seiten vergeblich angegriffenen Ruhm des ver;
haften Apoſtatenn zu Boden ſtrecke. Und wenn es Dies nicht
war, was ihn tried; iſt es nicht unbefchreiblich klein, nicht er⸗
tragen zu fönnen, Daß der Mitbewerber um hiſtoriſchen Ruhm,
von Franzdiiichen Feldherren und Staatsmännern gekannt und,
geachtet war. vom Kaijer Napoleon durch eine lange . Audienz,
ausgezeichnet, bald nachher zu einer Minifterftelle berufen
wurde? und wenn dem, aud fpäterhin in feiner naͤchſten Ums
gebung wenig beachteten Hrn. von Woltmann dieles wehe
that, war es nicht Bleinlihe Nahe, die Manen des MWorgezos
genen nur zu feiner Demuͤthigung mehr bekannten und ge—
ehrten zu ſchmahen? — Die erbittertſte Feindſchaft hätte kein
wirkſameres Mittel, dem Herrn v. W. zu ſchaden, erfin—
den fönnen , als er ſelbſt erfunden und angemendet- hat,
Möge ihn Die allgemeine Indignation zur Selbſterkenntniß
fähren! — VWon ſeinem Bude kein Wort; denn es wäre,
als träte man mit ihm ſelbſt gegen ihn in Buͤndniß, wenn
der Inhalt degfelben erneuert und durch Widerlegungen und
Berihtigungen in feiner ganzen Häßlichkeit verjünge würde. _
No. 6. iſt einer der vorzuͤglichſten Auffäge, weiche die
anze Deutſche Litteratur in dieſer Gattung aufzuweiſen hat.
De Redner Aberlabt der Nachwelt, den von allen Raͤckſichten
!
6A Schriften über Jobannes Mälkr.
einer befferen Macwelt zur Erbauung. erhalten wird; es find
Meifterfiücke ver-Beredfamkeit, und was Hr. R. m ihrem
Nuhme fagt (S. ad), ift mit dem Urtheile aller Unbefange—
nen volltommen uͤbereinſtimmend. — Was weiter über Ms
Sompofition bemerkt wird (S. 3a fg.), zeichnet fih fo fehr
durch tiefeingreifende Wahrheit und Angemeffenheit aus, daß
es durch einen Auszug nur verlieren könnte; es muß ganz ges
fefen und follte beionders von denen behergigt werden , welche
ihre idealiftifhe Phantasmen der Hiftorifhen Kunft aufzudrin:
gen nicht müde werden. Auch M’s Vortrag wird (S. 37 ft.)
gerecht und erihöpfend beurtheilt. Zuletzt einige Betrachtungen
über des großen Hiſtorikers Schwächen, welche bey feinem
wohlbegruͤndeten vielfachen Werdienfte nicht verfchwiegen oder
verfchleyert zu werden brauhen. Er bat bisweilen dem Slam
ben zu viel eingeräumt (S. 42) und fih, indem er das
Entgegengefeste wird, dem Aberglauben genähert. Er wird
bisweilen von zu lebhafter Theilnahme hingeriſſen. Nicht ims
mer mäßig genug ift fein Lob, und im Vergleichen moberner
Männer mit- den Männern des Alterthums verläßt ihn hie
and da kalte Beſonnenheit. Auch artet feine Umſtaͤndlichkeit
oft in Weirläuftigkeit aus, und in dem Anreihen kleiner Züge
wird der Zuſammenhang vermißt; fein: Vortrag ift ungleich
und nod) mehr feine Sprache. Aber dieſe Fehler finden in
den mannigfahen KHindernifien, mit welhen er fein Leben
lang zu fänpfen hatte, volle Entfhuldigung, Unbeſtritten
bleibt ihm der herrlihe Ruhm, fi über fein Zeitalter ers
hoben, und „jene mehr bewunderte als eingefehene Kunfl
‘der alten ‚Sefchichtichreiber, unter den Dentfchen yuerft: ge
übt zu haben; ia ihm erfcheint ‚vor unfern. Augen bie
Macht, die Würde, die Hoheit, ja die Goͤttlichkeit der Ges
schichte.“ N ; >
Das Verdienſtliche in dem gelungenen Unternehmen, den
größten Deutichen Geſchichtſchreiber von allen Geiten, nah
allen feinen Eigenthuͤmlichkeiten, in einer des. Gegenſtandes
‚würdigen Sprache und in einem dem Muͤllerſchen verbruͤ⸗
derten Geifte, am richtigſten und erfchöpfendften charakterifirt
zu haben, wird die Ausführlichkeit diefer Anzeige rechtfertigen.
Es ift ein zu feltener Genuß, welden eine folhe Rede 9%
Fr ale daß längeres Verweilen bey ihm mißbillige werden
unte.
D. Ludwig Wachler.
( Die Anzeige von drey andern Ehriften üher Iohannes Müuer folgt im
nãchſten Stück.
en u 050.090 3%, 2023027 So
No. 5: Deidelbersifhe 1813.
Jahrbücher der Litteratur.
#
Pi
Wir fügen zu der in No. 4. enthaltenen Beurtheilung
von Schriften. über Johannes Mäller noch die Anzeige von
folgenden drey Reden deſſelben Inhaltes hinzu:
1) Johann:von Müller. Eine Gedächtnifsrede ; gehalten im
großsen Universitäts - Hörsale den 14, Junjus 1809 von D.
Ludwig Woeachler, Consistorialrath und Prof. in Mar-
burg. Daselbst in der Academischen Buchhandlung 1809,
08. 8.
2) Rede zur Gedächtnilsfeyer Johann von Müllers , gehalten
am 14. Junius 1809 im grofsen Auditorium zu Marburg
von C. Rommel, Prof. zu Marburg (jetzt Prof. zu
Charkow)). Marburg, in Commission der Kriegerschen
Buchhandlung. 2358. 85. (3 ggr.)'
, Was Johannes Muͤller weſentlich war und und ferner ſeyn muͤſſe.
Eine Vorleſung/ gehalten am Gedaͤchtnißtage feines Hingangs am
29. May 1818, “im großen afademifhen Saafe zu Aſchaffenburg.
ton Dr. C. J. Windiſchmann, Großber. Hofmed. und
Prof. Winterthur, in der Steineriſchen Buchhandlung. ıyıı.
36 S. 8:. ; \ i
Dı beyden erftern Neden, an demſelben Tage nach einander
zu Marb urg geßaften, rufen die redliche, wohlgemeinte Fürs
firge ins Andenken, welche die. Marburger Hniverfitdt, wi⸗
die Abrigen Weftphäliihen Univerfitäten, in einer den wiſſen⸗
ſhhaftlichen Anſt alten unguͤnſtigen Zeit von Johannes Muͤller
erfuhr; die erſte und dritte find zugleich Denkmale der freunds
ſchaftlichein Verbindung ihrer Merfaffer mit dem verewigten
großen Mann. | -
der €. R. Wädler benukt in No. 1, die Schilderung
des chätigen und "wirfüngsvollen Lebens und die Entwicklung
der Hiftoriichen Verdienſte uuſers Müller, um in feinen Zu⸗
horern gute Vorſaͤtze, Nachahmung des Beyſpiels von Muͤller,
einen Etfer für ‚pad &ute, für Recht und Wahrheit, wis der
BSR Deere 6 —
.
N
66°, Schriften über Jobannes Möller. - >
Verewigte ihn hatte, Liebe der Freunde, wie bie Liebe Mal⸗
ter's zu Bonſtetten, zu erwecken, Wir heben folgende Stele
aus, um die Darftellung und Sefinnung des Nedners zu ber
- zeichnen: „Einen feflen Lebensplan wollen wir fallen und
ſtandhaft verfolgen, denn Mäller”s Beyſpiel Ichrt uns, daB
der Menfh kann, was er will. Sein ganzes Leben war ges
ordnet, um einen vorgefegten Zwed zu erreichen; er freute
fih des herrlichen mähfamen Weges; Anflrengung war ihm
Pflicht, und ohne fie wäre das Leben eine Laft ihm gemwefen.
Der Vorſatz und die Zuverſicht, wirkſam zu werden, zum ges
meinſamen Wohl, gab ihm mehr als alles andere Stanphafs
- tigkeit und Ruhe; Pflicht und Ruhmbegierde machten ihn
jeder Verſuchung unüberwindfih. Chrenftellen fchlug er aus,
zeitliche Wortheite verfchmähete er, weil er für nachkommende
Geſchlechter arbeitete, weil er Völker unterrichten, Troft und
Kath für die unterdrückte Menfchheit erfinden, Freyheit und
Geiſteserhebung in die fernſten Zeiten verfündigen wollte:
Wer ein würdiges Ziel im Auge behält und entfhloffen vers
folge, wird Befland und Kraft ins Dafeyn bringen, und das
durch dem Daſeyn Werth und Fruchtbarkeit verleihen.“ Gehr
“wohl hat uns die S. 024 angeftellte Vergleihung zwiſchen
. Müller und Tacitus gefallen. Ueberhaupt wird niemand dieſe
Rede ohne Belehrung und innige Theilnahme lefen. Die zwölf
Beylagen enthalten einige genanere Ausführungen von Lebens
umftänden und Schickſalen Müllers, welche in dir Rede nur.
angedeutet find, Belege oder Erläuterungen zu einigen Bae—⸗
Hauptungen aus feinen Briefen u. f. w.; endlich die. Rede
des Minifters Simeon an Muͤller's Grabe, und die Lateinis,
ſche Elegie des Herrn Prof. Mitiherlih zu Göttingen auf
Müller, beyde aus dem Weſtphaͤliſchen Monitene abgedruckt.
Sin No. 2. herrſcht eine jugendliche Vegeifterung für.
Muͤller's Größe. als Hifktoriter und eine wohltäuende Webers
zeugung von der Reinheit und Teefflichkeit ‚feines Charaktere +
jedoch mißfallen hat ung die zivar wohlgeiyeinte, aber. unpafiliche
und unbeholfene Ruͤge gegen diejenigen, welche Müller in
: den legten Zelten feines Lebens nicht als geſchickten und im
-allen Lagen‘ gewandten Geſchaͤftsmann anerkennen wollten,
Ein Lobredner Müllers als großen Hiſtorikers und edein
Schriften über Johannes Muͤler. &
Mannes ſollte ſolcher wirklichen oder vermeintlichen Schwächen, i
meihe außer den Srenjen feines Zwecks llegen, entweder nicht
gedenken, oder auch Den Gegnern Gerechtigkeit widerfagren laſſen,
wos freylich mit wwersigen Worten und auf eine für eine Be
haͤhtnißrede paffende Weiſe nicht gefchehen konnte. Eben des⸗
wegen meinen wie aber and, daß diefe Seite von dem Redner
draus nicht Hätte berlihrt werden follen; zumal, ba unfer
großer Hiſtoriker ſelbſt wohl wußte, daß Feine menſchliche
Groͤße voſſkommen tft, auch Miller feiner wahren Beſtim⸗
mung Wohl bewußt, mit dem bitlerften MWorgefähl in den
Gtrudel Ber letzten Jahre feines Lebens einging und nur mit
Ummuth darin blieb -( mas nieinand ohne Rührang, der unge
rehte Richter Muͤller's nicht ohne dem verfannten Maun das
jügefägte Unrecht abzubitten, ih den Briefen des fiebren Theils
von Mällct’s erben wird lefen können ), endlich auch Hr. Roms
mei doh am Ende zu Muͤller's Lobe in dieſer Hinſicht nicht
viel anders zu ſagen weiß, als dafs viceicht Umſtaͤnde obge⸗
valtet, durch weiche feine Wirkjamteit als Gefchäftsmannes bes
ſchrͤnkt worden, und niemand Muͤller's Pläne für fein Ger
fhäftsieben genau gekannt habe. Wäre Müller ein gewandter,
hier, ſtreng und ruͤckchtlos durchfahrender Geſchaͤftsmann
geneſen, fo wuͤrde er zwar nicht nur von rechtſchaffenen Maͤn⸗
nern Weniger verkannt worden ſeyn, ſondern auch ſelbſt der
bergenen Fehlern großer Männer nachſpaͤhenden Laͤſterungs⸗
ſuht, und dem kurzſichtigen, neidiſchen und liebloſen Verklei—⸗
mungöfiniz Ines litteraͤriſchen Pobele und feiner Wortfͤhrer
weniger Wtößen dargeboten haben. Aber er würde dann hicht
der wohlwällchte‘, die. Sitten iind Vorurtheile der verſchiedenen
Zeltaller des menſchlichen Geſchlechts mit Beſcheidenheit, das
GSofſ jeber Art und Zeit anerkennender Billigkeit und ſcho—
nentes Eiebe beuvbtheilende Geſchichtſchreiber geworden ſeyn, als
wien ihn die Nachwelt noch höher ſchaͤzen wird, denn unſer
Zeue tue
Des ängeneßrki war es uns, in’No. 3. wieder bloß den:
wigerichafelichen Wirkungskreis Muͤller's, auf welchem fems
SGroͤße kuhrr, ſeinen edein Charakter, fein tiefes religiðſes Ge⸗
na uub ſetue rebliche Liebe fir Wahrheit und Recht, woraud
des großen Mannes herrliche und erhebende Auſicht der Seſchichte
68 Aus meinem Leben von Goͤthe.
und ſeine belebende und erwaͤrmende Begeiſterung fuͤr die Wiſſen⸗
ſchaft, fuͤr welche er lebte, hervorging, in einer anſtaͤndigen, paſ⸗
ſenden, meiſtens edeln Sprache gewuͤrdigt und als Vorbild zur
MNacheiferung aufgeſtellt zu leſen. Die Auszuͤge aus den ſchriftli⸗
chen Mittheilungen M's an den Verf. uͤber wichtige Intereſſen
der Zeit und Wiſſenſchaft geben noch dieſer Rede einen eigen⸗
thuͤmlichen Werth, und duͤrfen nicht von denen uͤberſehen werden,
welche ſich ein gerechtes und vollſtaͤndiges Urtheil über den fo un⸗
billig verfannten und gewiſſenlos gefhmähten Mann zu bilden
wünihten. Wir würden mehrere Stellen diefer Rede bier au
heben, wenn wir uns, nicht gedrungen fühlten, unfere Lefer zum
Befen diefer lehrreichen Betrachtungen aufjnforhern. a )
Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Göthe. Bwentet
- Theil. Was man: in der Bugend wünſcht, bat man.im Alter die
Füle. Tübingen in der 8. ©. Cottaifchen Buchhandlung. 1818,
573 ©. in il. 8. (S. Jahrg. 1512. No. 15.)
Scehites Bud. Der junge Verfaſſer fist noch in Liebes‘
gram auf feinem: Zimmer. Beobachtungen, die man über
fein Herz anftellt, und die er durchblickt, vermehren feinen
Verdruß. Bald erhält er noch einen befondern Aufieher ale
Stubennachbar, jedoch in. einem Wanne, den er liebt und
Shäßt, und dem er feine Gemuͤthslage ohne Ruͤckhalt vertrauen
kann. Diefer eröffnet ihm gegenfeitig. den Ausgang und nähert
Derhalt jenes verwicelten Handels, und indem er Gretchen
dabey das ruͤhmlichſte Zeugniß gibt, heilt er die verzweifelt:
Liebe des Juͤnglings durch Kraͤnkung ſeines Ehrgeizes. „Ich
kann es nicht laugnen, ſagte Gretchen, daß ich ihm oft und.
getne geſehen habe; aber ich habe ihn immer als ein. Kind
bitradytet, und meine Neigung zu ihm war mahrhafk
ſchweſterlich.“ Bon diefem Froſt gefälter, ermannt fich
Juͤngling aus einer Leidenſchaft, welche ſeine Geſundheit unterm
geub ; und während er fih nunmehr auf die Academie vorbe⸗
veiten ſoll, ohne daß die Arbeit ihm ſchmecken will, ſo ger
er ducch feinen Freund, einen Schüler von Darjes, in p
Studium oder vielmehr die Kritik der Philoſophie. ↄ Unſet
wichtigſte Differenz war die, daß ich behaupyete, eine abgel
'
Aus meinem-Leben von Gothe. .69
@ ;
derte Philsſophi e Fey nicht noͤthig, dem fie ſchon in der
Religion und Poeſie vollkommen enthalten ſey. — Denn da
in dee Poeſie ein’ gewiffer Glaube an das Unmoͤgliche, in ber
Religion ein eben folher Glaube an das Unergründliche ſtatt
finden muß : fo fehienen mie die Phildſophen in einer ſehr
übeln Lage zu ſeyn, die anf ihrem. Felde beydes beweiſen und
erlären wollten." : Nee. wuͤnſcht Seſes kindliche Urtheil, "das
eine große Wahrheit fpielend anspricht, manchem Wellen als
Heilmittel gegen dem dogmatiſchen philofophifchen Spleen vers
ordnen zu können. Wenn jedoeh der Verf. fih als junger
Aritiker am: liebſten mit der Geſchichte feiner Wiſſenſchaft bes
ſchoͤtigt, und alle Meynungen ehren kann, ins Dunkel ‘der.
aAlteſten Griechiſchen Philofophen nicht einzudringen vermag,
Boftates hochachtet und feine Schüler gering ſchaͤtzt, So zieht
er hierauf S. 14 eine Parallele, der er fo eben Ihre Sentenz
gelpeochen hatte. Die Stoa Übrigens wird fein philoſophiſches
Ideal. — Mon Hypshondrifden Amwandiungen geplagt, vers
tioft fi) der nun nicht mehr unbefangene junge- &. ‘am lieb⸗
fin. in die Schasten der Wälder, wohin fein Freund ihm gu
felgen: genörhigt ft, und verfense fi wehmuͤthig in ihre Er⸗
hbebenheit. Durch frühen Iimgang mit Malern 'gensöhnt, wie
fe, die Segenſtaͤnde in Bezug auf die Kun anzuſehen,
wird ex Hier Naturzeichner; feinem eigenen Urtheil nach ohne
beſonderes Glujck, wenigſtens für die Ausführung des Einzel
neB, Das. ihm als Dichter und „Zeichner ſtets hinter der Wir⸗
tung Ded: Genzen verſchwamm. Geine Skizzen werden Ihm
mtimentales: Erinnerungsbuch, feinem Vaier ein Gegenftand
hegender Sorgfalt. Man geftattet ihm weitere Wanderungen
ins benachbarte Gebirg und die Nheingegend, von wo er mit
ahalicher unvoſlkommener Kunſtbeute wiederkehrt. Von dieſen
Eertifereyen werden wir mit: dem jungen Dichter nach Hans
puräcfgegagen, umb lernen: die fo reiche’ dis ſehnſuchtsvolle Seels
(inae: damaligen Lebentvertrauten, feiner wuͤrdigen Schweſter,
achft ihrer: Geſtalt, wiher kennen; einet Freundin, in’ der om
diexes, Verhaͤlentß ihn zwar für Gretchen entſchaͤdigt, ‚aber die
Herzen der Geihwifer ner peinliher ſpannt. Gin birderer
jnupee Engländer’ bewirkt einige Aufloͤſurg, undemit ihm tto⸗
ten wie bepeguter Jahrszeit in die muntere Ingendgeſillſchaft
*
70 Aus meinem Sehen von Goche.
aus beyden Geſchlechtern, welche ſich um das Geſchwilierpaar
ſammelt, ſich nah Wunſch und Loes zuſammenvaart, einen
ungenannten beredten Capuziner zum Maiſter, und den wackern
Freund Horn, der ſich unter andern im komiſchen Melden:
gefang verſucht, zum umentbehrlichen Liebling Hat. — Goͤthe,
bereits inſtuutionenfeſt, verfällt auf Geſchichte der alten Eittes
ratur und Encyclopaͤdismus duch die Werke von Gegner,
Morhof und Bayle. Die alten Sprachen werden ihm immer
aufs neue wichtig; doch vermag er ſich, and Schwaͤche in den
Aübrigen, nur an die Lateiniſche zu halten, worin er es, we
in neuern Sprachen, hauptſaͤchlich durch Lefeüpungen ohne
Srammarit zur beiomdern Fertigkeit bringt. . Der Michaeliszeit,
wo die Asademie bezogen merden fol, drängt Ihn jugendliches
. Mißvergnügen mit feiner Heimath und Ahnung einer; ſchoͤnern
N
Fremde entgegen. Mit diefer Empfindung verſchmelzt fih —
Dec. kennt ein genau ähnliches Beyſpiel hievon — Widerwille
gegen die juriſtiſche Beſtimmung, und der Entwurf einté
geiſt⸗ und genußreichern Lebensplans, in Gedanken auf die
ſoliden Studien des Alterthums gegruͤndet, von gehofften Fort⸗
ſchritten in der Dichtkunſt erheitert, und durch das Bild einet
academiſchen Lehrftelle begraͤnzt. Den Sohn verlange nad
Goͤttingen, der Vater beharrt auf Leipzig. Die Reiſe dahin
wird mis Buchhaͤndler Fleiſcher gemacht, und unter einigen,
theils komiſchen Abentheuern zuruͤckgelegt. Leipzig zeigt dem
erfreuten Ankoͤmmling das Gegenſtuͤck ber Frankfurter Meſſe,
und gewährt ihm in der regelmäßigen Banart 'eine neme, an
ſich wohlthaͤtige Erfcheinung, worin ee ‚nur die gewohnten
Wunder der Alteorhümtichleit vermißt. Zwiſchen Den treuge⸗
fhüderten Verhaͤltniſſen der feingeſitteten Univerſtiaͤt, mo wir
den Staatsrechtslehrer Hofr. Boͤhme und ſeine verſtndeze,
muͤtterlich auf Goͤthen wirkende Gattin beſuchen, ein Gemälde
des vielverehrten Gellert erhalten, Morus und einige
endre Männer im Veruͤbergang erblicken, dammern trublich
Die innen Widerſpruͤche über Wahl tier Beſtimmung, -u0
manchealey Merlegenhaiten gegen die sorgefundene Weit, ihren
Seſchmack und ihre Urtheile, als Grundton hindurch; wobty
fogar. duch Mehlert. geſchreckt, ſcheu der Genine die Fihgel
ehaplahı; aud vleichwie die Garderobe ſich vermandelt,
Aus meinem Leben von Goͤthe.
das Gemath ſich ſelber abſtreifen will, und von einem Infchten
Anflug naturhiſt oriſcher Wiſſenswuͤrdigkeiten unterhaltend ans
geregt, uͤber feine liebſten Erzeugniſſe ein rauchendes Autodafe
veranſtaltet.
Siebentes Bud. Die Blicke auf Dentſche Literatur,
m vorigen Buche ‚mit Ruͤckſicht auf deu Ort gethan, erweitern
id) Bier einleitungsweife aufs Gange, und erſtrecken fi abs -
wechſelnd bis an den Schluß: Ein fehr wichtiges Stoͤck aus
der Geſechichte unſerer Poeſie, vom Geſchichtſchreiber erlebt,
wit Veziehung auf ihn ſelbſt ergriffen, und nach langen Jah⸗
ven poetiſcher Erfahrung mit aller erworbenen durchdringenoen
Sachkenntniß Dargefiell. Er fest voraus, was ſchon im vorfs
gen Buch beyläufig beſprochen war, mämlich das damalige
große Sewäfler um den poesiihen Parnaß, worin Goͤttſched
— wir möchten fagen, als ein edler Wallfifch Kanyte. Indem
ber Derf. den barocken, pedantiihen Ton und Sprachausdruck
jener Zeit in wenigen Worten glüdlid sufammengreift, und die
Wafferfluch aus deſſen Gegenfag ableitet: "fo begiant er hier⸗
auf die litterariſche Erzählung mit den beyden Nuheftährerinnen,
Satire und Kritik. Bey der erfleen werden Liskov und
Babener zufammen abgewogen, und letzterer nach Verdienſt
Aelobt. In der Kritik erſcheint eine troſtloſe Anarchie, weil
teiner. die Conſtitution ahnet oder finhen kann. Gottfchebis
und Breitingers kritiſche Dichtkuuſt zeigen fih im: ihrer
Blöße,: und bie. Verivierung, wird. beklage, in die ſich der
Verf. und feine, Geſellen durch den Abgang eimer ſyſtematiſchen
Lchre-verfegt ſehen, Ueberdies iR .Maugel m einem natianel⸗
len Schalte dee Poefie, bey genugſam worhandenen Talenten,
4. B. Bünthers — inter diefen,-Bendien, und Betrach⸗
mügen wird ©. duch den. Beſuch ſanes Landemanns Joh.
Georg Scko ſſer uͤberraſcht, des fireng: gefittetem, ernſten,
gelehrt⸗ gebil deten, fähigen. jungen Mannes und gewandten
Oqriftſtellers, deſſen kurzer Umgang bodentend und untenriche
nd für ihn wird. Mit ihm werden: Reippigs. große Mom
beſucht, worunter der riefenhafte Gotfchentine ziemiidg einzige
Some liefert. Schlofſers Anweſenheit weroniaße einen Wechſel
des taͤglichen Difches, und hieducch Tomıms: ©. aufs mine mit
enwirtenbem- Monfchea in Seägrung, und — erhe
3
72 Ans meinem · Leben von FR *
an Annchen Die erſte Nachfolgerin. — Aus — breiten,
waͤſſerigen Styl rettet ſich Die Litteratur durch Beſtimmtheit
"und Kaͤrze. Haller, Ramler, Leſſing, Wieland,
Klopſtock, Gerſtenberg, Gleim, Geßner werden
nach dem Charakrer ihrer, damals neuaufgehenden, Erzeugniſſe
gewuͤrdigt, und die Flachheit der ſie beurtheilenden Kritik ge⸗
ruͤgt. Mit der‘ Sache des Geſchmacks verflößt ſich die des
denkenden VBerſtandes, mittelſt Anbruchs einer philoſop hiſchen
‚Auffärung , die jedoch die Theologen zur ſogenannten nadur⸗
'fihen Religion hinneigt, und jene mißverftandene Bibelktittk
eingebt, an deren Machwehen wir noch zur Stunde feiden.
Auf der andern Geite erhebt fü ch der ehrwaͤrdige Bengel,
und unter den Anhängern feines Syſtems Ern fing; während
‚Ernefki mit den Seinigen bie klare Gegenyarthey bilden,
zu der ſich auch der. Verf. nicht ohne Warnungen feines beſſern
Genius Hält. Verbeſſerung wird der Kanzelberedfamkeit And
moraliſch/ theologiſchen Schriftſtellerey durch Je rufa fem,
3o0llikofer, Spalding; der medioiniſchen Särabirt
durch Aaller, Unger, Zimmermann; der ſchwer heilbe;
‘zen jueiftäichen duch'v. Mofer und Puͤtter; der populaͤr⸗
philoſophiſchen durch Mendelſohn und Garde. Kleiſts
Bilderjagd lädt den Dichter zur Nachfolge ein, und gewöhnt.
rihn, in Außern Gegenftänden tiefere Bedeutung zu fehen, wozu
"das launiſche Verhaͤltniß mit Annchen die naͤhern Anlaͤſſe her⸗
leiht. Friedrich de Böoße Adudie Thaten des ſiebenjaäh—⸗
rigen Kriegs vwerichaffen! der Deutſchen Porfie den fehlenden
Stoff und. eigenclichen Lebensgehall. Gleis Kriegslleder,
Mamlers Oden, wor allem: · Winn⸗ vor Barnhelm. —
„Sonde ich, flieht der Berl. @.'165 ff. — und diefe Stelle
verbient wegen Ihrer vharalteriſtiſchen Wichtigkeit ausfheliche
‚Mitcheiung — hats ich durch dieſe curſoreſchen und deſaultoti⸗
ſchen Bemerkungen Aber Deutſche Literatur meine Leſer in
einige Verwirrung geſetzt, fo iſt es mir gegloͤckt, eine Vorffel⸗
fang’ von jenem chaotiſchen Zuſtande zu geben, in welcheri Th
mein armes Gehten Sefand, als, im Confliet zweyer, faͤr das
Nlitterariſche Vaterland fo bedentenden Epochen, fo viel Neues
“auf mich eimdrändte,‘ ehe ich mich mie dem Alten‘ hatte abfin⸗
: bt, To vlel Aur⸗ fein: Rocht noch Aber” mich gelten
Aus meinem Leben von Gothe. 73
machie, da ich ſchon Urfache zu 1 haben glaubte , ihm vollig
entſagen zu Dürfen. Welchen — ih einſchlug, mih aus
Idefee Nord, wenn auch nur Schritt vor Schritt, zu retten,
Bu ih gegenwaͤrtig möglichft zu übertfefern fuchen. Die
weitihweifige Periode, in welche meine Jugend gefallen war,
Harte ich treufleißig, im Gefellſchaft fo vieler wärdigen Männer,
purchgearbeitet. Die mehrern Quartbande Manuſcript, die
ich meineni Water” zaruͤcklieh, konuiten zum genugſamen Zeugs
niffe "dienen , und weiche Maſſe von Verſuchen, Entwürfen,
vis pur Hälfte ausgeführten Vorfaͤtzen, mar mehr aus Mißs
muth ats ans Usberzengting in Rauch aufgenangen. Nun
fernte ich durch Unterredung überhaupt, durch Lehre, durch fo
manche widerſtreitende Meynung, beſonders aber durch) meinen
Tiſch genoſſen, den Hofrath Pfeil, das Bedentende des Stoffs
und das Ehneife der Behandlung mehr und mehr fchäßen, ohne
mir jedoch klar machen jt koͤnnen, wo jenes zu ſuchen und
wie dieſes ju erreichen ſey. Denn bey der großen Beſchraͤnkt⸗
heit meines Zuſtandes, bey ber Gleichguͤltigkeit der Geſellen,
dem Zurädhaften. der Echret , der Abgeſondert eit- gebildeter
Einwohner , bey arz indereutenden Natutgegehtänden, war
sh gendthigt, altes in mir ſelbſt zu ſuchen. "MWerlangte ich
wun zu meinen Gedichten cine wahre Unterlage/ Empfindung
oder Hefl: xion, fo. mußte ih in meinen Buſen greifen; for⸗
derte Ih zu pockifcher: Darftelung eine unmittelbare Anſchauung
des Sefgenſtandes, der Begebenheit, , fo durfte ich nicht aus
dem Rekiſe heranstreten, der mid 'ja betuhren, mir ein In⸗
tereffe einzuflößen geeihnet wor. JA diefem Sinne fchrieb ich
juerft gewiſſe kleink Gedichte: in Pieberform oder freyerm Syl⸗
benmaaß; fie entſpringen aͤus Reflexion, handeln vom Ver⸗
gangenen, und nehmen mekeiſteine epigrammartiſche Wenbung.
nd fo begann difienlige Richtung von der ih) "mein ganzes
Leben Aber nicht abweichen konnte, naͤmlich baffcnige, was
mich eifreute, oder quaͤlte, oder fonſt befchäfttgte, in ein Bild,
ein Gedicht zu verwanbein, und daruͤber mit mie ſelbſt abzu⸗
ſchließen, um fdwohk heine Begriffe von den dußern Dingen
zu berichtigen, ale‘ mich im Innern dethalb zu- beruhigen.
Die Babe htezu war wohl Niemand nörhiger ais mir, den
"feine Mar: immerfort ans einem Ertreme dns ‘andre warf.
J
7 Uns-meinen.Ichen von Ghihe.
Alles was daher. von mir bekannt geworben, find nur Beuch⸗
ſtuͤcke einer großen Confeſſion, weiche ‚vollfländig zu machen
dieſes Büchlein ein gewagter Verſuch if.“ — Wir werden
unten diefe Stelle. zu. gewiſſen Reſultaten brauchen. Aunden,
von dem Dichter durch Eiferſucht gequält, geht für ihn »erlos
ren; die ‚Ältefte feiner überbliebenen dramatiſchen Arbeiten:
Die Laune des Verliebten, . if die: poctifche Ausbeute
diefes Verhältniffes. Die duͤſtern Kruͤmmen und Sergänge
der bürgerlichen Geſellſchaft, ihre geheimen Gebrechen mund
Verbrechen, in die er zum Theil ſelbſt als wohlehätiger Theil⸗
nehmer verflochten wind, fordern ihn zu mehrern Schauſpielen
auf, von denen nur die Mitſchuldigen zur ‚Vollendung
kommen. Er tadelt ſich wegen verſaͤumter theatraliſchen Mas
tive, zu denen er in ſich die naͤchſte Anweiſung fand, naͤmlich
der gutmuͤthigen. genialiſchen Streiche. — Beine. Freundin
Baoͤhme ſtirbt. Bey Gelegenheit: von Gellerts frommen Fu
mahnungen kommt ein Wort über kirchliches Weſen gor, wor⸗
über wir nachher ein anderes zu ſprechen haben. Fuͤr jetzt nur
fo viel, daß unfee Anſichten in her Recenfion des erften Theile
hier durchaus beſtaͤtigt werden, und dag ©. unter mens
gar weltlichen Umgebungen der Zeiten, Orte und Mens
Shen, ohne die.große Beweglichkett feiner Natur, „md ohse
die alles verfchlingende Vorliebe für die beluſtigende Weite ber
Kunft, früh und ..bleibend von dem Geifte des Neligiay ange
faßt worden wäre; obſchon wir jegt von ihm Vernchun daß
er, ſobald er Leipzig orreicht hatte, fi von ber Limhlichen
Verbindung ganz und gar loszuwinden ſuchte, Gellerts Eu
mahnungen zur kirchlichen Erbauung ihm druͤckend wurden,
und er feine religiäfe Gewiffensang mit Kirche und Altar
völlig hinter fi) ließ... Noch etwas über Gellerts moraliſche
Vorlefungen, und die Werunglimpfungen feines Damen bes
der Leipziger Wei. Aehnliche herabwärdigende Hrsheite uͤber
Friedrich II. rauben dem, Verf. mehr umd mehr das angenchätt
Gefühl der Verehrung menschlicher ‚Warzüge. . Aber auch die
Achtung vor den richtenden Mitbürgern, und Danchen bi
Glaube an das Werdienſt gleichzeitiger Shriftkelisr,. ſiult ben
ihm duch einen nenen Freund, den poſſirlichen Tadler wa
eigenfinnigen Zicemeiſter Seprifg: Für parifge Omitn
[4
|
|
us meinem Beben von Goͤthe. 15
gen teitt als Docent Proßffor Ele bins mis Gellerts Voll⸗
meh anf. Ein von Haus unfeem Dichter aufgetragenes
Erithalamium für den Oheim, einen Frankfurter Rechtsge⸗
lehrten, verſammelt, in Ermangelung muntererer Mittel, den
ganzen Olymp; die Ruthe des Lehrers aber: gibt dem Dichter
Veranlaſſang, den himmliſchen Plunder für immer bey Seite
zu legen. Dagegen wird, nicht ohne Einhauchung von Behriich,
auch Cladius fuͤr feinen fremden Woͤrteryrunk bezahlt, den er
Ramlern mit minderem Geiſt abgeborgt hatte; dieſe exotiſchen
Purpurlaͤppchen werden dem Kuchenbaͤcker Hendel in den Kohl⸗
gaͤrten umgehaͤngt, deſſen Vortrefflichkeiten ein Alexandriniſches
Wandgedicht in der Manier bes Meiſters verherrlicht. Mes
don von Ctodius erſcheint auf der Buͤhne; ein Prolog
is. Anttteiwerfen „ Abends im Speiſehaus aus dem Stegreif
entworfen, "wird aus dem Stegreif von Freund Korn zum
Beyfall der luſtigen Sefelifchaft aufgeführt; allein der Arlekin
yermiße ich zuegleich, den Kudenhyumus verlängert auf den
Beiden anzuwenden, und die Publicität, melde das Gedicht -
uf dadurch erhält, bringt die Gefellfchaft in einen böfen Ge⸗
ruch, der ſich bis nach Dresden. verbreitet, und eine, jedoch
wnhelhome Verſetzung von Behrriſch zur Felge Hat, Hieduvch
rerliert G. einen feRen Halt für fein noch wicht ſelbſtſtaͤndiges,
mſtaͤtes Gauath; feine Unzufriedenheit. und Kaͤmpfe wit : ber
Aulenmeit, ‚amd die Bewerkungen, die er über -fih hören
ws, mochen ihn acc dem geheimen Schatz der Erfahrung
lern, zu welchem ihm ſowohl Behriſch, ais ein Hewrlamkter
Streiter aus dem ficbeujähnigen Kries, der Geld. und hof
kon, bloß rärhrelhafte Wege eröffnen, und ihn nn abe
Warten , dieſer Pandorenbüchfe nachjſugehn. |
Ahres Duch. Das vorige if der Litteratur —
zitenwar tiges haustſaͤchlich der zeichnenden Kunſt. Den lies
eencwuͤrdige · Oe ſer auf der Pleißenburg iſt hier dae ee Figur,
ſein Sumfichmratser wird anf doe trefſfendſte gefildert, Mens -
fer als Stecher feiner nebelhaft ammmthigen Jeichaungen - erg
wäher, med ferme allegoriiche Laune durch Beyfniele erläuterh -
Der Verf. nebſt ſeinen Mitſchuͤlern gewinnt durch ihn mehr
an Geſchmack als techniſcher Fertigkeit, in welcher letztern G.
mi aus Mangel an Beharrlichkeit, es nie über den geſchickten
)
76 Aus meinem Leben von Goͤthe.
Dilettanten hinaͤusbrachte. Das Beben ber Maler von DA
genville wird-Audist, und unter Oeſers Führung vermitleiſt
‚der großen ‚Leipziger Sammlungen Einſicht von der Gefchichee
Ber Kunft genommen. Die geichnenden Kunſtwerke erwecken
ader den Verf. mehr zu poetiſchen; er macht Gedichte: zu
Kupfer und: Zeichnungen Ben Caylus werden and Bent
fihe Verdienfte ; die eines Ehrift' und Lippert, von Oeſetn
erüßfnt, und auf feinen verehrten Win kelmann andaͤchtig
von der Kunſtjuͤngerſchaft hingeſchaut. Huber, Kreuchauf,
Wimkler und andre Liebhaber und Sammler der Stadt. —
3,80 mußte die Univerfitäe, wo ih die Zwecke meiner: Fu
milie, ja meine eigenen verfäumte, mich in demjenigen bes
gränden ; worin "ich die größte - Zufriedenheit meines Lebens
Amen follte.* —ı: Sehnſucht nah Licht in den Begriffen’.der
Kumſt, welches durch Leſſings Laokoon angezuͤndet wird.
Mer Unterſchied der bildenden und Redekuͤnſte wird Far, md
der fruchtbare Keim wahrer Aefihertt iſt aufgegangen. Aber
der ˖ Juͤngling begehre nun eine reichere Anfhanung, und end
ichließt ih, heimlich und allein Dresden zu Befihen. 98
Vaters afte Warnung vor den: Epinnemeben der Gaſthbfe und
Ge drieflihe Nachricht ven einem ehrlichen genialifhen Dresds
ner Schufter-, führen ihn in des letztern Quartier. Die Ailb
ſchimmernde Gallerie und ihre Kunſtwelt wird geoͤffnes, und
von dem neuen Gpopten mie gefprächigem Entzuͤcken durchwan⸗
Dom. Der Gallerieinipertor, Nah-Ntebek, vuipfänat "das
verdiente 806 feiner Gefaͤlligkeit, in welches. au der Rec’ —
His Uingenannten Dank iR ja wohl der beſcheidenſte! —
mit einzuſtiminen ſich »erpflichter fühle. In einer Epiſode,
der Myſtification etnes Meulinge, ſchluͤpft G. unaufgehalten
durch die Opinnewebe heim, und überläßt die übrigen. gefluͤ—
gelten⸗Inſecten fammt der verfolgten Drohse ihrem Schicklal.
Bomꝰ Zaabernebel der Kunft umhuͤllt, erblickt er in den Haͤus⸗)
ltchkEiten feines Wirthe Niederlaͤndiſche Schildereyen, und
ſcheivet als guter Freund von ihm, ohne ſich, wie nataͤrlich,
in.feiner hochſtrebenden, vaftlofen Sehnfucht, mit dem behaglü⸗
Sen Handwerker identificiren zu koͤnnen. Det: veidjhaltige
Pavillon der. Antiten wird zur Verwunderung des Leſers,
giech den abrigen Koſtbarkeiten Diesdens, unbeſucht gehuffen,
GN
Mus meinem Beben von Ob. 7
dieſe Erfcheinung jedoch damit erklaͤrt, Daß. der Verf. noch zu
wi von dem und urchgruͤndeten Wer) der Bemäldefammlung
geweien fen, ‚und was er nicht als Natur anichn, an bie
Stelle: des Natur fegen, mit einem befannten Gegenſtand vers
gleihen koͤnne, auf ihn nicht wirffam geweſen ſey. Man
erkennt hierin allerdings den tiefiuchenden, zugleich freyen -
Süngling , dem die nahliegende, frifhe Bilderwelt mit ihrem
Sarbenfpiel mehr zufagt, jals die kältere Schranke der Geſtal⸗
tag mit weife gedämpftem Affeet, zu deren Verſtaͤndniß ein
gereiftes Auge, und zu deren E:fiärung Gelehrſamkeit gehoͤrt.
Hingegen wird noch der Director von Hagedorn und feine.
Privatſammlung gejehen. Die Trümmern Dresdens werfen
ten Steine der Zernichtung zwiſchen das aniprudvolle Kunfts
leben, und predigen aud) bier Staub. und Aſche. Der Zuruͤck⸗
kehrende findet ſich von Freunden umringt, die an ſeiner
geheimnißvollen Reiſe und der. Schuſterherberge rathen, im
ſeinem Innern aber einen Zuwachs von Unruhe, unvermögend,
ju ordnen und fich zuzueignen, mas er gefehen hat. Dog
ergreift ihm wieder das Leben bey freundfchaftlihem Umgang
und -angemeffener Beſchaͤftigung. Eine angenehme Verbindung
fnäpft er mit dem Breitkopfiſchen Hays, in Das ey ung
einführt, und mit defien Genofjen befannt macht. Alles ſteht
hier in Beziehung zur Kunft, wobey fih auch Druckerey und
ſelbſtgeuͤbter Holzſchnitt einfchiebt, und vadirt und geägt wird.
Noch wird Weißen s befonders gedacht, ſammt dem Hilleri⸗
(hen Opernfag, Schieblers, Eſchſenburg's des Mitſtudi—
tenden, und Zachariaͤ des vorübergehenden Tifhgenoffen ;
ein größeree Durchreiſender bleibt aus Jugendgrille ungefehen,
Leſſing. In enifernter Kunftglörie. erfheint noch immer
Bintelmann,. und duch den edeln Fürften von Deffau,
den er besuchen foll, wird Hoffnung, fie in der Nähe zu ers
blicken; aber wie ein Donnerfchlag. fällt die Nachricht von
Binfelmanns Frmordung darein. And unſer Süngling ſelbſt
wird durch den Ausbruch einer lang vorbereiteten Krankheit,
die fih Durch hypochondriſche Zufäle antündigte, an den Rand
bes Grabes gebracht; ein Blutſturz weckt ihn aus dem Schlaf,
das Signal eines erſt bedenklihen, dann langwierigen, reiz,
haten Kraukheitszuſtandes. Dem Arzt und den Freunden wird
[2
78 Aus meinem Leben von Goͤthe
mit warmem Danf unter anziehender Charakteriſirung gelohni
Umfiändticher wird des gelehrten Fanger erwähnt, des nach
Herigen Bibliothekars zu Wolfenbuͤttel, damaligen Nachfolgers
von Behrtſch in deffen Hofmeiſterſtelle./ Er weiß die verbotene
Bekanntſchaft mit G. zu deſſen Wohl zu unterhalten, und das
Vertrauen zwiſchen beyden gelangt zu einer wuͤrdigen Sjnnigs
keit. „Es iſt noch ein Tieferes, das ſich aufſchließt, wenn
das Verhaͤltniß ſich vollenden will, es find die religibſen Se
ſinnungen, die Angelegenheiten des Herzens, die Auf das Uni
vergäugliche Bezug haben, und welche ſowohl den Grund eine
Freundſchaft befeftigen,, als ihreg Gipfel zieren.“ Wir würden
Diefe Stelle, und viele aͤhnliche, preifen, wenn fie ee nit
ſelber thäten. Ein neues Bruchflät der Religionsgeſchichte
wird hier eingeſchaltet. Langer, der fo glücklich iſt, die Um
entbehrlichkeit eines Mittters zu kennen, predigt ihn dem, nad
bimmfifhen Dingen. begterigen, ohnehin in der Bibelreligion
ergogenen Kranken zn feinem Troſt. — Nachdem no ein
—Studententumult erlebt war, fährt der Verf., moch nicht her
geſtellt, im Herbſt 1768 von Leipgig in die Heimath zuräd
Einige Mißklaͤnge des Vaterhauſes werden laut, und der Sohn -
ift weniger als ehedem des Waters Freude: Die betrübte
Mutter wendet ſich von Kerzen zum Chriſtenthum, und findet
hierin die trefflichfte Stüße an Fräulein von Kletfenberg,
die, wenn in der Vaterſtadt ihr Heiliger Werth verhalt, und
‚außer derfelben ungekannt ſeyn Tollte, doch als Ideenbild in
‚ten Bekenntniſſen einer ſchoͤnen Seele fortlebt.
Ehen dieſe greift den, mehr noch geiftig als körperlich, Kranken
mit Langers Mittel an. „Meine Unruhe, meine Ungedutd,
ein Streben, mein Suchen, Forſchen, Sinnen und Schwan—
ten, legte fie auf ihre Weife aus, und verhehfre itite ihre
Weberzeugung nicht, das alles komme daher, weil ich Teihen
verföhnten Sorte habe.“ Auch der leibliche Arge und der Chi⸗
rurg find frommer Art; erſterer ſteht uͤberdem im Ruf and ti
der Meynung, die Univerſalarzney oder doch ein Buͤchlein
davon zu beſitzen. Auch Goͤthe wird luͤſtern nach dieſem [ker
benswaſſer, fludire im flillen häuslihen Verein Wellings
opus, Theophraftus Paracelfus, Bafilius Valen
tinus,-und ſieht fich wirklich einft durch des Arztes geheinn⸗
\
Was meisem Reben: von Goͤche. 19
Cat son einem aefährkden: Parsınamns befrene, und der
Heilung entgegengefäßkt. Er felbft beginnt Hierauf bie phils⸗
fadiige Handarbeit, wird auch unter andern Meifter in Bes
nitung des Kiefekfafte, ohne jedoch der jungfräufigen (Erde
ie aſtrali ſches Kind abzugewinnen. So auch durch einen
Theil der Chernie gewandert, beſieht er ſich in den von Leip⸗
is heimgeſchrie benen Briefen, die der Water gefammelt und
geheftet Hatte. Wir finden hiebey verſchiedene Bemerkungen
Ader ihn ſelbſt und Über das Ganze. Auch wird unter audern
kiebhaberey en die Zeichenktunft wieder vorgenommen, wobey der
Kichenmaler Morgenftern in der Perfpective helfen muß,
die fhädtiche Wirkung des Aetzens entdeckt, und endlih, im
Unmurh über ſich umd feine ‚Arbeiten, vor der abermaligen
Abreife aus dem. väterlihen Haus eine zweyte Hauptverbren ⸗
ung gehalten. — „Umfländlih genug iſt zwar ſchon ‚die
Erzählung von dem, was mic in diefen Tagen berührt, aufs
geregt und beidhäftigt; allein ich muß demohngenchtet wieder
za jenem Intereſſe zuruͤckkehren, das mir die überfinnlichen
Dinge eingeflößt Hatten, von denen ich ein für allemal, in fo
fern es möglich wäre, mir einen Begriff gu bilden unters
nahm.“ — Hier wird des Einfluffes von Arnolds Kirchen—
uud SKebergefchichte mit: Liebe erwähnt, und des Dichters
bemaliges miyftifchsveligiäfes Syſtem entwickelt.
Reuntes Bud. Ein Fragment aus der allgemeinen Deut⸗
ſhen Bibliothek eröffnet das Buch, deutend auf die damalige _
Erfcheinung einer bequemern Kunfllehre, weiche ale Hauptſache
Die Kenntniß der Neigungen und Beidenfchaften fest, Der
Zänysing, von: diefen ihm verwandten Gedanken erfreudigt,
Aber feinen Zuffand und die heimgebrachten idealen Begriffe
mis dem Vater geſpannt, erfüllt gern des lektern Geheiß, im
Frühjzahr die Academie Straßburg zur Vollendung feiner
Srnisien und gwe Promotion zu beziehen. Im Gafthaus abs
geſtiegen, eilt er fogleich den Münfter zu fehn, zu erfteigen,
uud das; blühende. Land zu überfchauen, das ihn auf einige
Zeit beherbergen fol. Die Tiſchgeſellſchaft, in die er empfohr
len wird, bilder wieder eine Eleine Welt für ihn, woraus
wir die hervorſpringendſten Figuren befhrieben erhalten: den
joviafen Dreyer von run, den — Tiſchpraͤſidenten
/
q
80. . Aus meinen ‚Leben vou Käthe:
Actuarius Salgmann (nid Salgniaun)e hernach no
Andre... Durch Balgmann wird er zu einem jnrifkifchen Dies
petenten gebracht, der ihm das Zweckmaͤßigſto giht, ohne ſei⸗
nem Verkande Stoff zur Selhſtthaͤtigkeit zu gewähren. Gen
zogen von den Geſpraͤchen feiner groͤßteneheils mediciniſchen
Tiſchgenoſſen, bahnt er fi) daher wiederum eigene Wege der
Beihäftigung im Maturfudium, Hört Chemie und Anatemie;
Indeſſen tritt der Zeitpunct ein, mo Maris Antojnette
von Oeſterreich auf der Rheininſel bey Straßburg in dit
Haͤnde des ‚Abgefandten ihres königlichen Gemahls übergeben
wird. In dem dazu aufgefchlagenen Gebäude werden die
nach Raphaels Cartonen gewirkten: Tapeten für ©. ein Gegen⸗
fand unerfärtlicer Bewunderung... Die modernen Hauteliſſen
des Hauptſaals jedoch enthalten die omindfeften Scenen auf
Medeens Trauergefchichte,, welche den Schüler des aßegprifchen
Defer in Eifer ſetzen. Die junge ‚Königin zieht in ihrem
Glaswagen vorüber, und bey der Jilumination der Stadb
feſſelt der brennende Gipfel des Muͤnſters vorzuͤglich die Blicke.
Mit der Nachricht von der Ankunft der Neuvermaͤhlten id
der Hauptſtadt, erfhallte auch die von, dem bekannten ns
glück bey. den Hochzeitsfeyerlichkeiten. Letztere gibt eine. ge⸗
faͤhrliche Wendung einem Scherz, den ©. ſich nach fruͤherer
Gewohnheit mit dem gutmuͤthigen Korn erlaubt, indem, er an
ihn nach Frankfurt einen Bericht von Berfailles datirt einſen⸗
det, hierauf wirklich eine Feine Reife macht, und durch ſein
Stillſchweigen in der Vaterſtadt die Beſorgniß erregt, daß er
mit. umgekommen ſey. Saltzmann wird auch in fo. fun Gb
thens Mentor, daß er ihn in die Cirkel und Vergnuͤgumgsortt
des frohen Straßburg einführt, wobey manchekley Gefellfcyaft::
liches vorfommt. In der fortgefegten Schilderung der Speiſe⸗
genoffen ift auch ein freumdfchaftliches Copitel dem ‚würdigen,
Jungs Stilling gewidmet; wobey ein Blick auf die wum
derbare Bildang derjenigen frommen Menſchen fällt, , welchen
dieger merkwuͤrdige Mann hauptſaͤchlich die jeinige verdankt!
(Der Beſchluß foist. )
4
;
Ä
No, 6. Deidelbergifche 1813.
Jahrbücher der Litteratur
— ——, —————— —
Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Goͤthe.
(Beſchluß der m No. 5. abgebrochenen Recenſion.)
Mann wird auch eines rechtlichen, treuen Vermittlers Lerſe
gebaht, welcher im Goͤtz von Berlichingen einer Rolle deit
Namen leiht. — lebriggebliebene Neizbarkeit, in Widerwillen
vor ſtarkem Schall, in leihtem Eckel und Schwindel ſich äußernd,
wird durch männliche Uebungen beſiegt; auch außer der Anatos
mie noh das Clinicum und Entbindungscollegium gehört. Den
innern Drang und Drud vollends abzuwaͤlzen, Hilft der fort
gefeßte Genuß einer freyen, geſelligen, beweglichen Lebensart,
zu deren Kreis auch die Urtheils- und Sprechfreyheit über
Sof und Öffentliche Gegenſtaͤnde gehört, fo wie zu diefen die
Stadtverſchnerung, der Sturz der Jefulteh und die Ungnade
Klinglings. Tin Ludwigsritter, auch ein Tifchgefelle, diene
hier zum Converfationsirricon, ungeachtet er das Unglück
Nat, über Die Abnahme feines Gedächtnis Afters in Ver—
zweiflung zu gerathen. Auf die Meine Comddie, die der Verf.
iin fpielen Täßt, folgt eine erhabene, tiefſchauende Kunftanfiche
von dem Muͤnſtergebaͤude, die denen vorzuglich gu ems
pfehlen ift, welche bey viel Geſchmack an der fogenannten Go—
chiſchen Bauart fih den äftgerifhen Grund ihrer Liebe zu
diefen värerlichen Denkmälern nicht Mar genug gu entziffern
wiſſen. „Soll das Ungeheure, wenn es und als Maſſe ents
gegentritt, nicht erſchrecken, ſoll es nicht verwirren, wenn wie
fein Einzelnes zu erforſchen ſuchen: fo muß es eine unhätärs
lihe, ſcheinbar unmoͤgliche Verbindung eingehn, es muß ſich
das Angenehme zugeſellen.“ So wird denn dieſer gefaͤllige
Coloß, das Werk Erwins von Steinbah, mit den feinften
Bahrnehmiungen gergliedert, und eine Erklaͤrung des Meotts
Änfers zwepten Theis; „Was man in der gegend wuͤnſcht,
82 Ans meinem Leben von Goͤthe.
Hat man im Attee genug!“ in befonderm Bezug auf diefen
Segenftand angehängt. „Unſre Wünfde find Vorgefühle der
Zäbigkeiten, die in ung liegen, Vorboten desjenigen, was wir
zu leiften im Stande feyn werden. Was wir können und
möchten, fielle fi unferer Einbildungskraft außer uns und in
der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnſucht nah dem, was
wir fhon im Stillen befißen.“ . Indem aber diefe Aäcdıpfadhos
logifhe Betrachtung, durch befondre Erfahrungen unterflüßt,
von der Beziehung der Dinge auf unfer Ich ausgeht, erweis
tert fie fi zur edein Allgemeinheit. „Sehen wir nun wähs
rend unſers Lebensganges dasjenige von Andern geleiftet, wazu
wir ſelbſt früher einen Beruf fühlten, ihn aber, mit manchem
Andern, aufgeben mußten: dann tritt das fchöne Gefühl ein,
daß die Menfchheit zuſammen erft der wahre Menich iſt, und
daß der Einzelne nur froh und glücklich feyn kann, wenn er
ben Much hat, fih im Ganzen zu fühlen.“ Die Anwendung
macht fih duch die Meigung und Aufmerkſamkeit, welche G.
in frähern Jahren jenen Bauwerken der rieſenhaften Vorzeit
widmete, und, nachdem er fie aus den Augen verloren, in
jeßiger Zeit dur andre, namentlih Boifferee an deſſen
Kölinifhem Dom, zur Ausführung gelangen ſieht. Won dies
fen Werken der Zeit ſchwingt fi der Verf. zu den Künften
des Augenblis, zu feinen Tanzübungen, in denen ehedem
der Vater ſelbſt fein Lehrer war; jegt wird ihm ein Franzöfis
her Meifter, mit deſſen beyden Töchtern fih eine kleine
Geſchichte anfpinnt, wo doppelte Zärtlichkeit vergeblich nach
Erwiederung feufjt, und, um das Romantifche vollftändig zu
machen, das Wunderbare in Geſtalt einer Kartenfihlägerin die
Schickſalsblaͤtter aufdeckt.
Zehntes Buch. Nach einem Eingang, worin wir ets
was von der Straßburger Meifterfängerzunft glauben hören
zu follen, aber das Verhaͤltniß des Deutſchen Dichters Zur
bürgerlichen Welt hiſtoriſch und fein bemefien finden, wird
uns in Klopftod's Perfon der Augenblick vergegenwärtige,
„wo das Dicptergenie ſich feine Verhaͤltniſſe felber ſchuf, und
den Grund zu einer unabhängigen Würde. legte.“ Der reine
und hohe Sänger des Meffias und fein Wert werden mie
Äharfen Linien umzogen, und mit fchimmernden Farben Übers
Has meinem Leben bon Goͤthe 83
rent. Ihm ‚gegenäber erſcheint ſein warmer Freund Gleim,
ſchwach an eigener Kunſſwuͤrde, groß als Pflegevater fremden
Berdienftes. Die Meintihe Wichtigkeit, welche beyde große,
Männer ihren freundſchaftlichen Privatumftanden und den ges
tingſten ihrer Thaten bepiegeni, bringen Goͤthen ‚und feine
Altersgenoſſen in Gefahr eitter gleichen gegenfeltigen, beſchrank⸗
ten Verzaͤrtelung. Hier tritt aber als herkuliſcher Bekaͤmpfer
eitler Selbſtgefaͤlligkeit Herder dazwiſchen, und ſein dortiger
felgereiher Umgang. Als Reifegefaͤhrte des Prinzen von
Helſtein⸗ Eutin kommt der ſchon duch Schriften berühmte
Mani zu Stihßburg an, und. verweilt daſelbſt als Leidender
an einem Augenübel, deſſen ſchmerzhafte Operation nicht allzu
wohl gelingt. Die anziehende und abſtoßende Kraft dieſer
tief elektriſchen Natur, ſein fanftes und beißendes Weſen, ſein
Achten und Verachten, ſeine weitgreifenden philofophifch hiſto⸗
riſchen Forſchungen; die umfaſſende Verbindung und hohe
Beziehung, worin er die Poeſie erblickt, ſeine Liebe zu Ha⸗
manns Schriften, ſeine Geduld und Ungeduld im Leiden,
ſeine hochtragi ſe che Ergebung in den ungluͤcklichen Ausgang der
Cur, und fo manches Andre, bewegen Goͤthens Herz und
Gaben vielſeitig und heftig. Doch ſteht Herders litierariſche
Unbarmherzigkeit dem unbedingten Vertrauen im Wege, und
die ſchon im Geifte ſich geſtaltenden Bilder des Ss von
Berligingen und Fanft, fo wie die Cabbaliſtik und ihr Zus
geher ( wog doch auch Herder ſich in fruͤherer Zeit neigte!
bleiben ihm verheimlicht. Auch Jung ⸗Stilling wird von
Herdern angezogen und geehrt. Aus der Krankenſtube machen
wir in der andern Haͤlfte des Buchs Ausflüge mit academis
{hen Freunden in das reich audgeftattete Land von Eifaß und
— Hier beginnt ein gehaltvolles Reiſetagbuch, durch⸗
ans charakteriſtiſch und reſtexionenreich; Zäbern, Pfalzburg,
Buchsweiler, die von der Saar benannten Städte und andre,
mit Bau und Straße, Berg und Wald, Fluß und Matte,
Metallwerken und Steinkohlengruben, treten in Maren Ums
tiffen vor und, nebft dem Kohlenphiloſophen, auch dem brennen⸗
den Berg, und allem Intereſſe der Berggegenden, das Soͤthens
nachherige Suſt zu Sionomifhen und techniſchen Betrachtungen
zuerſt, erregt. Allein mit G. ih einer. Sommernacht auf
—
54 _ And aneinem Lehen von Goͤthe.
einem einfam hochgelegenen Jagdſchloß ahnden wir in dieſer
feyerlichen Stille ein neues ſanftes Abentheuer, welches das
Herz des jungen Helden bereits gefeſſelt hält. Wir eiten durch
Zweybruͤcken, Bieſch, und andre fehensmürdige Punste :des
Reviere gerade auf daffelde zuz muͤſſen aber zuerſt in..der
Wohnung des" Landpriefters von Wakefield einſprechen, und
von Herdern ihn vorlefen hören, um defto gefaͤhlvoller und
Aberraſchter den Roman im Hanskreife des Pfarrers von
Seſenheim ‚verwirklicht zu fehen. Was aber der eigene
ländliche Roman des Verf. mit Friederiken enthält, jene
idylliſchen Auftritte, jene unſchuldigen Mummereyen , die ein
reines Vethaͤltniß einfaſſen, und das Poffenhafte burch -uner
wartete Verflechtungen zum Sinn s und Geiſtreichen, durch
Unbefangenheit und natürliches, trenherziges Geſellſchafisweſen
zum Liebenswürdigen fteigern, dieſer inhalt verträgt Leinen
Auszug. Ein Maͤhrchen im Mährhen, die neue Mein:
fine, hat uns der Verf. am Schluſſe nur genannt, und
zuletzt noh Gall's —2— Urtheil uͤber ion gleichjam
zur Vignette gegeben.
Das Urtheil, welches wir uͤber dieſen neuen Band zu
ſprechen uns aufgefordert finden, iſt dreyfach.
Erſtens, das Buch ſelbſt als Kunſt⸗ und Leſewerk Pr
treffend‘, fo erhält es fich durchaus in dem angefangenen Ton
und Gang, wie bey Goͤthens beſonnener Meiſterſchaft auch gu
vermuthen iſt. Es zeigt ſich immer jene wohlberechnete An⸗
lage, die das innere Leben des Helden und die Hauptſeite
ſeiner Biographie als Kuͤnſtlers im Auge behaͤlt, und wodurch
unter anſcheinender Nachlaͤſſigkeit auch aus der Geſchichte ein
poetiſches Ganze wird, von contraſtirenden Epiſoden gehoben.
Es zeigt ſich jenes gelingende Beſtreben, Kleines und Großes
mit Wahrheit und Verſtand zu beſeelen, und eine Herrſchaft
uͤber die Gegenſtaͤnde auszuäben, vermoͤge deren fie ſelber ſicht:
- bar vor uns zu treten, und den Erzähler zu bedecken gezwun⸗
‚gen find. Wenn er gleich flets von fi reden muß, fo ſehen
wir ihn doch nur, fofern er fich ſelbſt pſychologiſches und fünf
Terifches Dbjert wird. Hiermit verbindet ſich innigft das uw
geſchminkte, heitre Eolorit, welches den Malereyen Seinen
t
Ans meinem: Leben non Boͤthe. 85
einfardigen Schimmer , ſondern den durchfichtigen Glanz eines
erhöhenden Glaſes Hehe Es komme Hänge. -in „den reifern
Sahren des Dichters eine unglanblihe Sprachgemalt, die
Frucht der Hebung und eines Temperamentk, das Zwang und
Schwäche leichtlich fühlt, verſtoͤßt und zu befiegen weift. Durch
diefes gemeinfame Zufammenmwirfen fo vieler ſchoͤnen Kunfts
käfte wird jede Zeile angiehend, lebendig und: ihn, und jede
Seite erhält von der ausgebildeten Erfahrung und Beobach⸗
tung’ des vreßgenindten Mannes einen lehrreichem: Inhalt, ſey
8, daß er das Geſchehene in einen Bremsmmnct: zuſammena
fafe, oder feinen Blick in die Gegenwart „;. im.bhe mannig⸗
fahen Lagen, Werfchlingungen, Schwierigbeuen, Morpige une
Anfgaben des Aufiern Lebend‘, Ser. Wiſſenſchaften und Künfte,
in das: Neger und Weben der’ Maigungen: und: Beſtrebungen
des menfchlichen Herzens und Geiſtes verſenke. Auch⸗ wo mau
feines Sy ſterus nicht iſt, wird them Die Gerechtigkein wiherfahr
ren, daß er wicht. leichi etwas ungeprüft beſpreche, und: naeniaen
ohne eins Seite hervorzunehen, die entweder eine Beſtaͤtigung
des Selbſtgeglanbten, vder-eine -intereflante Neuheit, wenig⸗
fiens - eine Aufhellung und Biadung des MWeyrifie Darbieser,
Es mag auch der Monte noch fo viek geben in dieſen fünf
Baͤchern, und ed mag manches an Kurzweil gewoͤhnte, trockene
Herz Hin und wieder einige; Breite fühlen:.: fo gefichen: wir,
die wir gar keine Überdäffige Muße — ndurcheus anges
nehm unterhalten worden zu ſchn. Es iſt dakeine Flaͤche⸗
weile nicht wenigſtens zierliche Heiden ſchmuͤckten, und «9
And vielmehr Plauiſche Gründe, wo im gewundenen Ling.
ſich Landſchaft an Landſchaft. reiht, und manche langhingeſtreckty
Vellchenſäat unſer Auge in Wermundtrung ſetzt. Mas dieſen
Band beſonders wichtig. macht fuͤr den ganzen Kreis der Künfk
fer und Litteratoren, ind. die amfpannenden.: hiſtoriſchen An
deutuungen aus der Geſchichte ideas Fasz ;die Umriſſe dar
Bigeben heiten und die Memſchengemaͤlde. Eier ſpricht der
eek des. von ihm. erfehten, lang in Gedenken getrager
nen , woean ex ſich geweſſen, geſpiegelt, ‚gebildet: hat, wovon
er inen Auszug mit feinem Talent verfehmolgen, in ſich nie
derlegte, und was er nun erß mit. den eigenſten Namen zu
beſeichnen fähig geworden iftı Hier iſt vieles und vorgerufen,
86 Aus einem. Leben von Goͤthe
was mir fände kamiten, wed mie. fo tief beasiffen, ee
belenchteten. vieles auch fo ausgedruͤckt:
Der — — daß ſich ein Jeder
leihe⸗ garent, und gar viel (digen, umſonſt ſich Genie
wird ’
Gileiches wegend.
Und wenn der: erſte Theil fich in eindlichem Gemahl faſt nur
frohfinnig Bahinfisiekte, und eine bunte Europäifche Welt, ohne
ihre Großheit und Bedeutung zu verlieren, f„h um- den Kna⸗
ben wie uns’ -yedffweren Vildorkaͤſtchen und von den Glaͤſern
einer Zauberlastine aufregte: ſo empfindee hier Der Lefer dag
ietlich merfwürdigere Treiben und: Wallen des Juͤnglingsal⸗
vers; die tiefer aufflammenten Anfprühe und Fähigkeiten :
Ben ſchwankenden Gang des’ nach wuͤrdiger Beſtimmung ſich
ſehnenden Meulings; den Sturm eines friſchen Herzens,
welchem alles bedeutend iſt, und nichts genuͤgt; das bald anche
ri, bald zu viel findet; das in den Feſſeln der Menſchlich⸗
keit umhergezogen witd, wohin 28 nicht mag, und ringt, «wor
hin es nicht darf; dar ſich undidie Welt verkennt, vergottert
und verachtet; kurg Bas teagiſche Epos und die epifche Tragoͤdie
eines lebeneluftigen, und doch immer mit fih und dem Leben
entzweyten poetiſchen Gemuͤths, deſſer urbilder, verſchieden
abgeſtuft und geeigenſchaftet, in -der Wirklichteit eines -ulvics
ten Zeitaltere umherfhwärmen, und die Leiden und Freuden
deffelben, doͤch bie erften vorxuͤglich, fe lange mehren heißen,
bis der irre Sup zum Bewußtfehn zu kommen anfängt: Den
gur gründlichen Ruhe: gelangen, ach! Die alerwenigfien., weit
fie den einzigen Bis verihmähen.- nr
Z3weytens. Der Dichter entwickelt Bier fein eignes poe⸗
tifches MNaturel, die Form ſeines Gonies, in feinen. Sebi
beſchaunngen, im den Wirkungen der Dinge auf ihn, und in
dee Scildernitg feiner Geiſtesserſuche und Sewohnheiten.
Man erlaube ung ein Paar "bakunnte Schulausdruͤcke zur "ges
drauchen, weil die Sache damit. am leichteſten abgethan wird.
Goͤthe iſt eigentlich lyt i ſcher Menſch won der ernſtern und
weitumblickenden Art, Er iſt aber dabey hoͤchſt merkurialiſch,
d. i. aller Geſtalten ſaͤhig, Re init klarem Leben aufzunehmen
end wiederzugeben geſchickt. Die von Kindheit auf ihn um⸗
Aus meinen Leben von Bötke, sr
gehende Fälle und Mannigfaltigkeit von wiſſenſchaftlichen, kuͤnſt⸗
leriſhen und gefellfchaftliden Einfläfen, zwang ihn vollende
dies letztere zu werden, wenn es nice im.feiner glücklichen
Natur, feiner Dffenheit und Empfänglichkeit, feiner beweglis
den Phantafie ſchon lag Er ift zum Tragifhen vorzüglich
geneigt; aber kein rein entichiedener Tragiker. Er ift fo we
sig allein zum komiſchen ala allein zum epiſchen Dichter gebos
ren. Das Plaſtiſche feiner Werke iſt ihm weniger natürlich
(font wäre. er vermuthlih auch ein großer Zeichner geworden),
als vielmehr Durch frühe Bildung eingeimpft und durch Kunfts
umgang forterhatten, und konnte vermöge. feiner gefuͤhlvollen
Igrifhen Lebendigkeit, verbunden mit männlihern Bemerkungen :
über den Unterſchied der Künfte, nie fleif und ſtarr bey ihm,
nie zum Fehler, fondern nur zuc Tugend werden; und daher,
nämlich von lyriſcher Saͤnftigung und Herz, kommt es, daß
wir darin ſtets das Zarte und Inmige an ihm bewundern,
und zwar frey von matter Tändelen und Suͤßlichkeit, welchen
fein tragifher Ernf und männlicher Verſtand widerſtrebte.
Keineswegs find alle feine. Werke, groß und Bein, von gleicher
poetifhen Kraft; es wäre eine munderliche Forderung; aber
er verläugnet fich felten. Wir find nicht der. Meynung, daß
in einer Kunf, welche unter allen. die wandelbarſten Mittel
und Werkzeuge hat, ein vorgägliher Kuͤnſtler nicht auch. viel.
Alleägtiches hervorbringen koͤnne. Der Verirrungen in der
Wahl der Stoffe nicht zu gedenken. Auch hat mancher Dichs
ser ftärfere und größere Ideen ausgeſprochen, als. er; aber
kaum einer bat, bey fo viel Originalität und .originellee Ders.
arbeitung des. Empfangenen, fo ‚allgemein zum. Kerzen geredet,
ohne fi im mindeften falfcher Hütfsmittel zu: bedienen. Denn.
Goͤthens Kunft if aͤußerſt Acht und gründlich. Da, wo feine
Vorwürfe zu. mißbiligen find, erweckt er eben deswegen um-
fo groͤßern Verdruß: denn er fchläge damit unmittelbar an den
Innern Stan ; und da diefer die veinften Anforderungen macht,
fo mag er feiner fhönen Kunſt kaum glauben, daß fie. fi
willig. dazu hergegeban habe. Seine Beobachtungsgabe, weiche
allem einen Spiegel darhaͤlt, worin es ſich fangen muß, gehöre
za den größten, ausführlihfien. Daher feine audnehmende
Wahrheit ; durd die Macht der Sprache das Treffende, durch
88 Aus meinem Leben von Goͤthe.
tragiſche Würde das Ergreifende. Sein Liebliches iſt auserle⸗
ſen; ſeine Schauer ſind weniger gewaltig, als durchdringend.
Denn fie find empfunden und beobachtet. Bekanntſchaft mit
alten Ständen und Menſchen, Wiffenfihaften, Künften, Be .
firebungen und Träumen der Menichheit bey einem. außeror⸗
dentlichen Gedähmiß, hat ihm zu allgemeiner Empfänglichkeit
eine Allgemeinheit von Materialien angeeignet, in deren Ders
trieb und Ausftreuung er ſich gefälle, er überall ſelbſt und doch
wieder mahrhaft die Sache if. Umgang mit der vornehmern
Belt hat ihm Überdem, was an Welt in befferm. Sinne
nennt, gegeben.. Mangel an Ausdauer in einzelnen Studien
Hat fein vielſeitiges Wefen nur noch vermehrt, ‚oder vielmeht
begründet, indem er fih einen entichädigenden Auszug ‚von
allem für ſeine innere Kunftwerkftätte verfchaffte, ‚nnd nur in
Einer Kunſt ein volles Ausharren bewies. Alles aber hat er,
aͤchtlyriſch, mit feiner Individualitaͤt verglichen, aus ihr her⸗
ausgeſehen, ohne Schaden fuͤr das Object, weil ihr nichts
fremd war. Denn das wahre Dichtergenie if ein Heilſichtiger,
der eine kleine Welt in fi rägs, und ahnder, was ihm nie
gezeigt worden iſt. Goͤthens munteres Behagen an der Außens
welt und feine Wandelbarkeis in deren Liebhaberen find epiihe
Elemente; fein fauniger Muthwillen ift die Wurzel des Komi⸗
ſchen. Man vergleiche mit dem bisher Geſagten das oben
gelieferte Excerpt von ©. 163 ff., und was er ferner ©. 176
ſagt: „Denn da ung das Herz immer näher liege, als det
Geiſt, und uns dann zu fchaffen macht, wenn diefer fi wohl
zu helfen weiß: fo waren mir die Angelegenheiten des Her—
zens immer als die wichtigfien erfchienen. Sch ermuͤdete nicht,
über Flüchtigleit:der Neigungen, Wandelbarkeit des menſchli⸗
en Weſens, firtlihe Sinnlichkeit, und über alles das Hohe
und Ziefe nachzudenken, deſſen Verknuͤpfung in unierer Natur
als Raͤthſel des Menſchenlebens betrachtet werden kann. Auch
hier. firchte ich das, mas mich quaͤlte, in einen Lind, einem
Epigramm , in irgendeinem Rein loszuwerden, die, weil ft
ſich auf die eigenften Gefühle und auf die befanderfien. Um
fände bezogen, kaum Yemand anderes intereffiren konnten,
mich feld.“ Endlich Über das Didaktiſche und Epifche in ihm |
als vaͤterliche und muͤtterliche Erbſtuͤcke, äußere er füh ©- Ä
Ans meinem Leben von Goͤthe 89
alſo: Mir war von meinem Vater eine gewiſſe lehrhafte
Rebſeligkeit angeerbt; von meiner Mutter die Gabe, alles,
was die Einbkidungskraft hervorbringen, faffen kaun, heiter
and kraͤftig darzuftellen, bekannte Maͤhrchen aufzufriſchen, ans
dere zu erfinden und zu erzählen, ja im Erzaͤhlen zu erfinden.“
— Bie aber das Zufammenftröhmen unendlich vieler Bildungs
mittel uns in. Erſtaunen ſetzt, weiche fi unferm Diditer von .
Kleiirem auf theifs zudrängten, theils neugierig von ihm ers
griffen wurden .; wie dadurch) das abergläubifche Ruͤhmen von
einee beduͤrfnißloſen Wunderkraft des Genies zu Schanden
wird, obſchon fie eine geoße Wahrheit, nur nah Umſtaͤnden,
und nicht in dieſem Zeitalter if, wo überdem der Dichter fo
viel Bildung erwerben, als Talent befigen mußre: fo wun⸗
dern wir uns zugleich Über die unglaubliche Weichtzeit, Bil⸗
dungsfähigkeit, Beſtimmbarkeit, Veraͤnderlichkeit und Neigung
zum NVerieren am Ddiefem fa räftigen Manne, deron -Grund
jedoch. eben in jener allempfaͤnglichen Art zu {schen iR, welche
wir nicht beſſer ats mic dem Mamen der Mevtuvialität
zu benennen willen. Der Inhaber dieſer Naur wWird zwab
nie ſich ſelbſt verlieren, wenn. er ſich behalten will, and:immen
wieder auf flare Puncte kommen, die ihm Breude und. Ehre
bringen; kann aber auch nie fertig.werden , . und: fallt ſogar
öfters zuruͤck, wenn er nicht mit Heldenhafter Ermaumang and
Unterwerfung. allee niedern Reize kebiglih dem Sonnenpuncte
zueilt, mo allein Friede und ewiges Genuͤgen if. Denn we
der Geiſt feinen Urſprung finder,. ift allein eine Schwaͤrme⸗
rey; fondern wo er nicht * — ZUDEM AD:
Und Bier. treffen-wir . >
Drittens auf den: ſitlichen ab religidſen Thril ee
Werks; wobey wie mit unfern Aeußerungen in den erſten Mer
cenfion bloß ſzufrieden zu ſeyn Urfahe haben. Gem. übers
ſehen wir, da wir nice muͤrriſch und lieblos richten "wollen,
fondern loben das Lobenswuͤrdige, und prüfen und unterfcheis
den, als Zugehör des jugendlichen Sinnes, und als Momente
der dichteriſchen Laufbahn, biefes und jenes: Erotiſche. Mur
fofern ..eg einladend iR, verdient dergleichen, Unterbrackung;
wir baten auf. ber andern Seite nichts dagegen, daß : Ber
Dichter fo ehrlich If, ſich und zuigeben wie wiwar Ueber⸗
90 Aus meisten Leben von Goͤthe.
Haupt zeigt er fi allerwaͤres als der Grade, Rechtliche, Un⸗
parthepifche gegen fih und Andre, als der wahrheitliebende
Mann. Und niemand wird bie edeln - moralifhen Maximen
verkennen, die der Verf. auch in diefem Buche niedergelegt
bat. Was aber die veligiäfen Stellen betrifft, fo kommen fie
zum Verwundern und zum Vergnuͤgen aller gründlichen Ges
muͤther fo Häufig vor, daß man zumeilen glaubt, Die Lebends
beichreißung eines angehenden Gottesgelehrten zu lefen, Bes
fätigung genug für unfee Behauptung, dafi dem Verf. Das
Hoͤchſte der Dinge auch das Wichtigſte, und bie Brruͤckſichti⸗
gung dieſes menſchlichen Grundtriebs ein ganz eigenes Bes
duͤrfniß iſt und bleibt; mit welchem wir ihn gleichwohl, da
wir vieles dahin gehoͤrige an ihm ehren und lieben, mit nich⸗
ten alles gutheißen, auch noch jetzt in unentſchiedenem Kampf
erblicken. Wenn nun der Biograph dieſem Theil feiner Les
bensbefchreißung feläft fo große Aufmerkſamkeit widmet, was
iſt billiger, ais daß wir ihm. folgen und ein Gleiches thun 2
Unftreitig: :wied er, der Freund folgerechter Unterhaltungen
Über ehrwuͤrdige Begenflände, es uns am wenigften zum Tas
del anrechnen, jund wird, wenn er diefed lieſſt, umfrer Bitte
Gehör geben, uns nad Gelegenheit ferner eben fo freygebig
mit demjenigen zu befchenfen, was den Zug umfrer innigſten
Neigung zu feinem Herzen ausmacht. Goͤthe hatte das Gluͤck
in einer. durchaus chriſtlichen, an Gottes Wort und Erloͤfungs⸗
werk haftenden Zeit des pinteftantifchen Deutſchlands geboren
und ‚auferzogen zu werden, mo auch die Abfonderung von der
kirchlichen Semeinfhaft nur wiederum aus veligidien Beweg⸗
gründen entfprang, welche nod) einen größern @ifer, als der.
gemeine: war, bezeugten. Mach als er Leipzig. mit Fleiſchern
und deſſen geiftreicher Gattin bezog, und fie Abends in Auer⸗
ſtaͤdt mit einem. vornehmen Ehepaar zufammentrafen (5.68),
verrichten diefe einander fremde Menſchen aus dem gelehrten
und hoͤhern Stand gemeinſchaftlich ein ſtilles Tifhpebet. Man
bemerkte, wie wiel diefer Heine Sittenzug im Vergleich mie
unfern Gewohnheiten fagt, mo man den Welternährer ım fo.
gewiſſer vergißt, als man ſich ſcheut, kindlich zu zeigen, daß
man feiner, gedenke. Goͤthe zeichnet. und beylaͤufg jene Zeit,
ihren. Ton, ihre Spaltungen, ihre Fortſchritte und Abſchwei⸗
Aus meinem Scheu von Bike. 91
füngen, auf eine b—andenswärdige Weils; mer könnte fh bier
fer Dinge fo worurcheilsfey erinnern wollen, und fie fo richtig
nennen, wie er ?_ Aber die ungemeine Veiwegtichteit und es
Ratibarfeie feines Seiſtes, die bey viel ernſtlichem Willen auch
mancher bloßen Wahrſcheinlichkeit gern ein haltbares Intereſſe
abgewinnt, die durchdringend und ſchoͤpferiſch auch aus dem
Bahn Aechtes zu ſcheiden, und gum behaltenswerthen Stoff
mnzuardeiten aufgelegt iſt; Purz: dieſe ehrliche dichteriſche Tole⸗
ranz, mir unzerbrochener, nur verfeinerter Sinnlichkeit vereinigt,
und von den 'näthigen Kenptniffen nicht überall umſchraͤnkt,
bat Goͤthans Glauben an das Ueherirdiſche, und fein Streben
daran), af den Wellen des Zebelaufs mit hinabgetragen, und
ihn der Merifrungen bed letztern theilhaftig gemacht. Daher
denn der ‚mochweindige. Widerſpruch in dem, was Goͤthens
der; und Gemuͤth von goͤttlichen Dingen ſpricht, ind was
feine kritiſch gemachte Vernunft an deu Tag gibt: Er iß bald
geiſtlich - Bat weltbich, balde ſframm baid leichefeetig. und
zeigt uter Forte vollend aen guhgteite hier eine faſt
verwilderte. Wenn er ©. 14 fügt: Des Soͤtrares Schaͤler
ffienen mir Aaroſie Aehnlichdeit mit den Apoſteln zu haben,
die ſich nad. Des. Meiftere Tode. ſogleich entzwenten,. und offeng
bar jeder ur ee befäränfteu Eennesart für das Rechte ere
nnte® u fo: :mrddjte‘ man“ fingen: ma. jenes Apoltyphon
aufgezeichnet fey ? 7 und wo fi” hier die Beſchraͤnktheit offen⸗
hare — — Der Verf. traut in ſolchen Faͤllen zu ſehr feis
Yen: gutem Gedaͤ tuiß, wo: doch Goliches Wiederleſen kaum
der Sache genug thut. Es laͤßt ſich mit gemilderter Beziehung
anf unfern Seyriftkeier anwenden, was er S. 137 von einem
andern: fage * 5 Mat verzieh dem Aütor, wenn er das, was
man fuͤr wahr "und ehrwuoͤrdig hielt, mit Spott verfolgte, um
fo der, als er ‚dadurch zu erkennen gab, da f.2E. ibm Leibft
immerfone „u ſchaffen made.“ — Unb:diefe innere
| Sadrang An Hetlig, und ehrwaͤrdiger, als die abgeſchloſfeuſto
Kit, Sie’ kertig zu ſeyn meint, und nur ſich ſelbſt von der
Vihrhen abgeſchloſſen hat. Den großen Weg. des Unheils,
ben bie, prateſtantiſche — nicht. Confeſſion, ſondern gelehrte
Thidlogis · na tzmuo iur Bi. ©. 1244 ff.: „Auf: dieſem Wege
zınßen pie Thedlogen ſich zu de — mteues er
92 Mus meinen Leben von Goͤche.
ligion hinneigen, und wenn zur Speache kam, in wiefern das
Sicht der Natur uns in den Erkenniniß Gottes, der Merbeffes
rung und Peredlung unſerer ſelbſt zu foͤrdern hinreichend ſey,
fo wagte man gewoͤhnlich ſich zu deſſen Gupſten ohne viel
Bedenken zu entſcheiden. Aus knem Mäsigfeitsprincıp gab
man fodann ſaͤmmtlichen pofitiven "Religionen gleiche Rechte,
wodurch denn eine mit der andern gleichgouͤltig und "unfichen
wurde. Uebrigens lieh man Mean ‚doch aber alles beſtehen,
und weil die Bibel ſo voller Gehalt - iſt, daß ſie mehr ale
jedes andre Buch Stoff. zum Machdenten und Gelegenheit zu.
Betrachtungen über Die menſchlichen Dinge — konnte
fie durchaus nad) wie vor bey allen Kafızelieden ünd fonftigee
religioſen Verhandlungen zum Stande gelegt werben. Allein
dieſem Werke ſtand — unoech ein eigenes Schickſal Bewer
u. ſ. w. Indem er —B— ———— Mſpiration
gedenft, fährt er von Apr vibel fort: „Ip, für mein, Pers
fon Hatte fie lieb und weith: .deiin faf ihr. allein var. ich
meine flttlihe Bildung ſchudig und die —— die
Lehren, die Symbole, dis Sieichniſſe, alles Harte ſich tief bey:
hie: eimgedriktt, und: war :anfı dime oder die: andre Weile wirks
m gmarien:.. — len Fa die BIER ſM talichea
und verdrehenden Angri er, wird nicht aufs
merfen auf ‚diefes, —— Genug des Berfafers z
Gern möchte man es wie eine einfame hole Suml"ändheben,
‘and auf einem freyen Beeté teren, damit es’ nicht sbrk Un⸗
traut .der Meynungen erſtickt * Duch her tee
ſich sim merkwardiger Umſtande an, . für: Asfizg: Deleuchtaug
faum Aline ‚shielicheree Raum zu finden wäre, „als. bar.. Verf,
ung erßifüet. Unſre Zeit, voll’ des Hrängenipen ewigen. Der
duͤrfniſſes, hun and dürftig nach’ Beil,’ ‚juma unter den
germalnienden Schlägen des aͤußern Gefchidis‘; "abet Yon uͤber⸗
gewaliget Sinnlichbeit an Augen, "Ohren: und vlben⸗Gliedern
Sehnde, eilt, nad) einer — welebs ſia wider Maſchichea
— für, Vroſigntismuß ‚ausgibt, in, ihr
A, mächtig him, 09 > Katho ie Eh u
entm nom weiches um "To mehr wahre Ch fen und.
fromme Behreh An feinen Schdeße trägt, ala ſein Gebier weiß
a aser aus der Einfalt⸗ doverſten Kirche und Senn Wunders
an nl Fotm, mathe den Mans hen
en ‚tote „ in Nämischem. Style ſich, xerar
Sein, nr A rifkliches Mitg in diefer Confeſſion, die, jeßt.a
anal ei rm Weg iſt, wird unſre Worte der Haͤrte ER
digen; a wir ſchweigen vorſatzlich von jenen Mißbrauchen,
Ohr dinsieitte Reformaſien / welche wreden auf. Meſentlichs
tech aan iR: Ausbruch arreige wordan: ROTE Kran
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Muss meinem: Lehen won Goͤthe. 93
imer Erſcheinung Liegt nahe. Der gute Jängling und junge
Mann ift immer: religiös. Vollherzig, mit allem phantaftis
fhen Zauber Dee ſchoͤnen Kuͤnſte am Gemüth aufgebildet, mit
aler Reizbarkeit Des Tags begabt, ohne Menfchenkenntniß,
ohne geübte. Unterſcheidungskraft, ohne zureichende Gelehrſam⸗
fit, zu unfräftig und irr, um mit dem Geifte der Wahrheit
felst eine unmistelbare Befreundung zu wagen, tritt er in die
Belt, er ſieht feinen Innern Menichen von den ihm etwa zus
nächft fieehenden Lehrern, die auch Proteflanten zu feyn glauben,
veriaſſen; fie geben ihm Zweifel für Wahrheit, Nichts für
Alles; eine Liechliche "Außenfeite, die ihm unerwecklich fcheint,
kemmt hinzu; er gibt fih die Zeit nicht, beſſere Leititerne zu
ſuchen, und glaubt nichts ‚Äbrig zu haben, als daß er, um
Bas peinigende Mäthiel feines Herzens zur Aufldfung zu brins
gen, wie er irrig fprict, in den Schooß der Kirche zurück
Der Bang älterer Menſchen ift dem ähnlich ;' wielleiche
fehnen fie ſich nur nod etwas mehr nad) Sichtbarkeit der
Kirche und Gemeinſchaft der Slaubigen. Wohl geſchieht es,
Daß, de redticher der Uebergegangene es meint, er deſto ges
wiffer endlich auf Die Wahrheit felber trifft; durch eine finns
liche Kruͤmme, die er wählte, wird er von der Gnade, die
ihn wählt, zum Ueberſinnlichen geführt, das in jenem ſicht⸗
baren Gefäß wie in allen behalten iſt. Vielleicht nod) eigens
finnig aus menfchliher Schaam, feinen überflüffigen Schritt
gu vertheidigen, ift er doch forthin weder petriih, noch paus
lich, noch apolliſch; fondern er ift ein Chriſt geworden —
mirsturque nuvas frondes et non sua poma. Die gejegiiete
Toleranz, weldye die Liebe auch in Abſicht auf die wohlthätige
Berfchiedenheit äußerer Eonfejfionen für das erfie Gebot erklärt,
kommt ihm zu Statten, daß fein frommer Mißgriff weiter
feine Abie Zolgen für ihn hat. Aber er hat bey .dem allen ein
böfes Beyſpiel von der Methode gegeben, wie man.das Uns
weiensliche für das Weſentliche ergreift, und lockt Nachfolger,
weiche auf gleiche Weife duch. die fteinerne Thür und die
Sewölbe eines andern Hauſes am leichreften in jene freye
Kegionen glauben gelangen zu können, wo Gott, im Geiſt
und in der Wahrheit angebetet, ſelber der Tempel iſt. Und
ir dieſen Ton ſtimmt auch Goͤthe, der ſinnreiche Deuter des
en umd. Halbwahren, nachdem er anderwärts der Ders
nunfttrisit gehbuldigt, wenigſtens erflärungsweife ein, und
empfiehlt &- +78 fi. von Seiten menſchlichen Beduͤrfniſſes und
finnficyer ‚ Vernaherung des Weberfinnlichen dasjenige, wovon
ſich eben fo leicht die zweckwidrige Seite hiſtoriſch und pfychos _
iogiſ⸗ ervorwenden ließe. Er hebt die Sacramente, als
weſentliche Theile des Kirchenthums, in ihrem begeiſternden
\
94 Aus meintni Leben von Goͤthhe.
firtlichen Einfluß hervor, und entſcheidet: der Proteltant Has
zu wenig Sactamente. Indeſſen hat Niemand als der Miſ
verſtand irgend einer chriſtlichen Kicche alle und jede Sacra⸗
mente — man muß aber wohl, nah Sprache und Erkennmiß,
wiffen, was diefes Wort fagen will — und vornehmlich die
Wahrheit flreitig gemacht, daß die uns in Chrifto gegebene
Keligion ein großes Sacrament ift, das fi) in unzählige andre
gergliedert, und dem wahren Chriſten aus allen Eonfeifioner
durch fein ganzes Weſen, Thun, Denfen, Empfinden und
Leiven hindurch ; feine unendlichen, kwig lebenden Kräfte und
Adfichten mittheilt. Allein dieſe innere Neligion des Herzens
kann von dem Augenblic an, und in all denjenigen Stuͤcken,
fich mit:der äußern Kirche nicht mehr als volllommen Eine
anfehn (ſ. ©. 181 ), wo fie Verfall und Mifibräuche mahrs
nimme (in weldher Kirche es auch fen ) und fich Unvermoͤgend
fühle, ihr reines Zdeal von Kirhenehum in die Wirklichkeie
heranszupflangen. Sie erträgt alsdann mit goͤttlicher Duldung
das ünvolitommene Mittel, das auch ihr zur erften irdiſchen
Stufe einer himmliſchen Geſinnung wurde, und Bleibt im
Aeußern, wo ihr Menfch geboren iſt. Sie ſucht, wo es ans
geht, an jenem Mittel zum beſſern, zu veredeln, damit es leich—
ter, kraͤftiger, fchöner vermittie, und gebraucht allerdings zur
Erweckung des Herzens auch die Reize der Phantäfle, die uns
ausſprechlich wichtig für die Meligion iſt; erwartet aber die
ganze Erfüllung diefes ihres Wunſches nur von einer Zeit, wo
Das Unſichtbare fih von ſelbſt ins Sichtbare herauskehren, zwi⸗
ſchen dem Widerftrebendften Zriede und aller Fehde ein Ende
ſeyn wird. Inzwiſchen ſucht ſie der innern Sacramente, ohne
Verwerfung der aͤußern, in ſtets wachſender Stärke theilhaftig
zu werden. Sie läßt fih mit Waſſer und Blut von dem
taufen, der da kommt mit- Woſſer und Blut, und einen
Brunn aufthut, welcher in das ewige Leben quiftt; fie erhäfe
die Firmung des wahrheitgengenden Geiſtes; fie genießt dag
wahre Brod vom Himmel gefommen, Nicht ohne das bußfer⸗
tige Herz in täglicher Beichte dem Allwiffenden zu Sffren; fie
ſchließt eine bräutlihe Ehe mit dem Echadenften, den Himmel
und Erde hat, von welcher. das geheime Verhaͤltniß der Ges
fchlechter ein heiliges Sinnbild iſt; fie embfänge die Weihe
eines koͤniglichen Priefterftandes, und das Del der Barmher—
zigkeit aud) in die Wunde des Todes. Bolten wir hier nicht
eins fenn mit dem, was G. ahndete, ohne es unter dem poes
tiſchen Duft erreichen zu können ? Sollten wir hiet nicht mie
dem wahren Katholicismus volllommen eins feyn, Und er mie
ung? Aber follte des Dichters eigener Mißgriff ihm niche
offenbar werden, wenn er 5. De die wiltührliche Erklärung
Aus meinem Leben von Goͤthe. 95
wien lief't, Die er ber Feyer des heil. Abendmahls in der
rimiſch/ kaeholiſchen Kirche aufzwingt (©. 1835)? „Bo —
Miet ee Hin, Die Hoſtie zu empfangen; und daß ja das Ges
heimniß Diefes hohen Acts noch gefleigert werde, ſieht er den
Kid nur in der Berne, es iſt fein gemeines Eſſen und Trins
tn, was befriedigt, es ift eine Himmeloſpeiſe, die nach himm⸗
liſhem Tranke durſtig macht.“ Iſt wohl dieſe ferne Allegorie
eine kirchliche Lehre? Uns dunkt, die Katholiken lehren, wer
ben Leib empfange, empfange audy das Blut; Einige behanps
ten ſogar, Die eingeftaltige Ereheilung fen nur ein Zufaͤlliges,
das die leichtefte Abänderung vertrage. Daß es ein Spaͤteres
iſt, wiſſen wir ja wohl ſaͤmmtlich. — Wenn ferner der Verf.
bey Gelegenheit feiner hermetiſchen Jugendſtudien ſich ein cabs
baliftiicy s myſtiſches Meligionsfpftem erbaut, das von Rechts
wegen den Anfpruc machen muß, durchgreifend, allgütig, und
mit allen möglichen wahren Syſtemen Eins zu feyn — denn
es kann überall nur Ein wahres Spftem höherer Wahrheit
geben — ſo hat derſelbe hiebey vieles fehr ſchon gefehen, noch
ſchoͤner gefant ; aber wir miffen nicht, ob in diefem Spftem,
felbft als abgefomderter Erſcheinung, ihm alles unbedingt zuges
ſtanden werden möge. Daß dem Lucifer als Erfigefchaffenen
von nun an die ganze Schöpfungstraft Übertragen morden,
und von ihm alles Übrige Seyn ausgehn follte, und daß er
feine unendliche Thätigkeit bewiefen, indem ır die fammtlihen
Engel erihaffen habe (©. 331) — das hat unfe:s Willens
fein redyser Cabbaliſt oder Theoſoph jemals behauptet: er würde
ein folches Verlangen für den Hochmuth Lucifers erflärt haben.
Vortrefflich aber fpricht der MWerf. etwas vorher, wo er zu
Langers Umgang einleitet ©. agı, unten: „Die chriftlice
Meligion ſchwankte zwiihen ihrem eigenen KHiftorifchpofltiven
und einem reinen Deismus, .der, auf Sittlichkeit gegründet,
wiederum die Moral begründen follte. Die Werfchiedenheit der
Charaktere und Denkweifen zeigte fih hier in unendlichen Ads
ſtufungen, beſonders da noch ein Hauptunterfchied mit einwirkte,
indem die Frage ensfland, wie viel Antheil die Vernunft, wie
viel die Empfindung an folhen Ueberzeugungen haben koͤnne
und dürfe. Die lebhaftefien und geiftreichften Männer erwies
fen ſich in dieſem Fall als Schmetterlinge, weiche ganz meins
gedenk ihres Maupenftandes .die Puppenhälle wegwerfen, in
der fie zu ihrer organiihen Vollkommenheit gedichen find.
Andere, treuer und befceidener gefinnt, konnte man den Biu—
men vergleichen , die, ob fie ſich gleich zur. ſchoͤnſten Bluͤthe
entfalten, ſich doch von der Wurzel, von dem Mutterſtamme
nicht losreißen, ja vielmehr durch dieſen Familienzuſammen⸗
bang die gewuͤnſchte Frucht erſt zur Reife bringen.“ Wäre
96 Aus meinem Leben von Goͤthe.
"nun der Charakter des Verf. nicht in diefem Süd j
eben fo fhwantend als gierig geweien: fo würde dag giühende
Sintereffe feines Herzens fid) nothwendig unter den vielen, auch
Börperlichen Aufforderungen zur Webergade und zur Beſtaͤndig⸗
keit im Ergriffenen, in die Zufriedenheit des Beſitzes und
fteigenden Wahsıhum aufgeldft Haben. Dagegen ift es merk
wuͤrdig, wie nach den ‚heiligen Stunden, mit Langern am
ande der Verweſung gefenert, eben diefer Kranke, nod frank,
der Meifterin Klettenberg wieder fo viel Vergebliches zu thun
- geben kann. Indeſſen erklärt fih die Sache durch das Ges
tenntmiß ©. 305. „Nun hatte ih von Jugend auf geglaubt,
mit meinem Gott ganz gut zu fliehen, ja id) bildete mir, nad
mancherley Erfahrungen, wohl ein, daß er gegen mich ſogar
im Reſt fiehen könne, und ih war kuͤhn genug zu glauben,
daß ich ihm einiges zu vergeihen hätte. Dieſer Dünkel grün
dete fih auf meinem unendlih guten Willen, dem er, wie
mir ſchien, beſſer hätte zu Hülfe kommen follen. Es läßt fih
denken, wie oft ih und meine Freundin hierüdet in Streit
geriethen, der ſich doch Immer auf die freundlichfie Weile und
manchmal, wie meine Interhaltung mit dem alten, Rector,
damit endigte: daß ich ein märrifcher Burſche ſey, dem man
manches nahfehn müfle.“ Wir vergeffen hiebey nicht, Das
Geweſene vom Jetzigen hiftorifch zu unterfheiden , und haben
uns auch über dag Letztere fhon mehrfach geäußert. leider:
weife wird nad) dem trefflichen Umriß des Klopſtockiſchen Meſ⸗
— ſias ein gleihfam entfchuldigendes Wort angehängt, wobey
wir gern den Vorwurf übernehmen möchten, es lieblos. auf
das Dogma zu deuten (S. 451). „Der mliſche Friede,
weichen Klopſtock bey Conception und Ausführung diefes Ger
dichtes empfunden, theilt fih noch jeßt einem jeden mit, der
die erften zehn Sefänge lieſ't, ohne die Forderungen bey ſich
laut werden zu laſſen, auf die eine fortruͤckende Bildung .nict
gerne Verzicht thut.“ Wenigſtens ift die Bemerkung zweydeu⸗
tig. Denn was dag Artiflifche betrifft, fo wollen wir dem Verf.
nicht widerfprehen. Die geiftliche Bildung aber muß, wie et
felber anderwärts will, als Blume der Wurzel entfleigen, ohne
ſich von ihr gu trennen; fo waͤchſt fie unfterbiich fore, und
bringt Blumen und Früchte ohne Zahl. Sie muß, ohne eine
Umfchränkung zu vertragen, weil fie unendlich ift, der Bil
dung jener ſich felbft bildenden Menſchen im Weſentlichen
gleich fepn, deren der Verf. ©. 380. 381 mit Achtung eri
"wähnt, und die unflreitig das beſte Theil erwählt Haben.
| IMO.
nee EEE Rechen hen
No. 7. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Lehrbuch der civiliſtiſchen Litterairgefchichte, vom Profeſſor Ritter
Hugo in Goͤttingen. Berlin, bei Auguſt Mplius 1812. XII
und 427 ©. 8.
Auch unter dem Titel: |
Zehrbuch eined civiliftiihen Curſus, vom Profeffoer Ritter Yugo in
Goͤttingen. Sechster Band, welcher die civiliſtiſche Litterairge⸗
ſchichte enthaͤlt. Berlin, bei Auguſt Mplius. 1812.
Ge verdient Kerr Prof. Ritter Hugo den Dank aller
geiehrten Eiviliften für fein Unternehmen, die civiliftifche Lits
terärgefchichte zu bearbeiten, und feine Aunfihten und Bemer⸗
kungen über einen fo wichtigen, und das Rechtsſtudium feldft
fo vortheilhaft unterfiügenden, Zweig der Eivilvechtsgelehrfams
kit, au den Gelehrten außerhalb Göttingen mitzutheilen.
Jede Erfcheinung diefer Art muß befonders in unfern Tagen
für den Verehrer des Roͤmiſchen Rechts erfreulih ſeyn, eines
Rechts, das, feiner Innern Wortrefflichkeit wegen, aud bey
ellen Mängeln, die es, wie jede andere menfchlihe Geſetz⸗
gebung, hat, noch immer allen Stärmen getroßt hat, und
gang gewiß ewig froßen wird. ec. iſt lebhaft überzeugt, daß
fine Macht im Stande ift, die Nömifhe Geſetzgebung auf
immer, und mit der Wurzel auszurotten. Wird man fie, ans
gereist von Maͤnnern, die Einfluß auf die Verfaſſungen der
Staaten, aber entweder die Kraft, oder den Willen. nicht haben,
tief in ihre Geheimniſſe einzudringen, auch noch To (ebHaft
verfolgen , fo wird doc) diefe Verfolgung nie von langer Dauer
fon. Das große Raͤthſel wird. immer dieles bleiben, eine
beffere Geſetzgebung an die "Stelle der Römiihen zu feßen.
Nie wird es an Männern fehlen, welche unparthevifche Ver⸗
gleihungen , in Zeiten, wo der Geift der Neuerung ſich bereite
gelegt hat, anftellen werden; und das Reſultat dieſer Operation
wird dem Roͤmiſchen Rechte immer nur neue Anhaͤnger und
7
95 Lehrbuch der auiik.; Bineräugefigiihte v. Pr. R. Hugo.
Verehrer verfchaffen. Bey weitem die meiften, wichtigften und
am tiefen liegenden Wahrheiten Hat die Roͤmiſche Geſetzge⸗
Bing aufgedeckt, Währheiten, die unveränderlich und ewig
find, und eben darum die Grundlage jeder Geſetzgebung feyn
“und bleiben muͤſſen. Schon in diefer Hinficht muß diefe Ge⸗
feßgebung alfo immer, in den Augen aller Vernünftigen, eben
fo angefehen werden, wie jeder gebildete. Selchrte die Claſſtker
des Atterihums anſieht, als bleibendes Denkmal der Kraft des
menſchlichen Geiftes, als Inbegriff der Erfahrungen von Jahr⸗
taufenden, und als erhabenes Mufter für alle Zeiten. Wo iſt
eine Sefepgebung ,. die, in Hinſicht auf Die ungeheuere Summe
der mwichtigften Wahrheiten, welche man in ber Nömifchen
Gefeßgebung findet, fih auch nur von weitem mit diefer meffen
fönnte, und nicht, in ihren glängendften Parthieen, eben diefe
als Duelle und Müfter anerkennen müßte ? Taufend Erfah⸗
rungen haben beivieien, daß, menn jemand eine Sache, die
bereits aufs Beſte ausgeführt worden iſt, von Neuem darftellen:
und verändern will, er nichts Voizũgliches hervorbringen koͤnne;
und eine Sache, die nicht Höher emporſteigen kann, Fällt ihrer
Nalur nach zurück. Die großen Wahrheiten gehen nie ing
Unendliche. Sind fie einmal entdeckt und Beflg in genommen,
fo haben. wir feine aridere Patthey zu ergreifen, als Diefe,
uns aus ihrem Beſitze nicht verdrängen zu laffen. "Keine neuere
Geſetzgebung darf ed wagen‘, 'an den Grundwahrheiten des
Roͤmiſchen Rechts zu rütteln; thut ſie es doch, fo trägt fie
den Keim ihrer eigenen Zeiftörung in fih. Diefes haben auch
die neueſten Geſetzgeber ſehr wohl eingeſehen; und eben des⸗
wegen haben ſie ihre Werke auf dem unerſchuͤtterlichen Römts
(hen Boden weislich aufgeführt. Die füßen Hoffnungen der
vielen Veraͤchter des Romiſchen Rechts, die in deffen Geheim⸗
niffe nicht eingeweiht find, wurden durch diefelbe Geſetzgedung
vereitelt, von der ſie die Erfuͤllung ihrer Wuͤnſche erwarteten,
und noch neuerlich konnte man, bey Ankuͤndigung der Elé-
ments, du droit civil Romain, selon l’ordre des Institutes
de Justinien, par J. G. Heineccius, traduits en Fran-
gais par J. F. Berthelot, die merkwürdige Stelle leſen:
„Le droit civil Romain |vient de recevoir du Gouverne-
ment l’'hommage , que lui avoient rendu tous les gou-
| — — — — —
2
ehrbuch Der eñ viliſt. Lutetaͤrgeſchichte m. Vr. R⸗Hugo. 99
yernements Ecelgirds., On l'enseignera speciglement dang
ms eccoles; ce gera encore pour noys Ja raiaon
ecrite, et le principe, ou le developpement
duCode civil des Francais.“
Was Heren Prof. R. Hugo's Arbeit ſelbſt Betrifft, To
sehen wir Hier Mechenihafs von dem Eindrucke, den Diele auf
mas gemacht Hat, und Mir gehen uniere Gründe ap. Sind
dieſe für ‚Andere nicht überzeugend, fo Wollen mir gerne glaus
ben, daß unſer Urtheil nice richtig if. Mehr kann. von keis
mm Kritiker gefordert. werden.
Bop einem Gelehrten, der, wie Hr. R. Hugo, wahre
un unmideriprechliche Verdienſte um die Roͤmiſche Rechtsge—
lehrſamle«t und Littexaͤrgeſchichte ſhon laͤngſt fich. erworben hat,
der vjeljähräger Rechtalehrer in Sättingen iſt, und der, mie
er an der MWorrede felbft fast, ſchon fo oft und fo lange über
die civiliſtiſche Bisseräsgeichiehte, Coflegien geleſen Hat, laͤßt es
Eh ichen in Moraus erwarten, Daß man in einem Lehrbuche
der civiliſtiſchen Litteraͤrgeſchichte van ihm nicht nur feine Tri⸗
wialitäten , ſondern ſehr piele fchöne und trefflihe Bemerkun⸗
gen, die ihm theils feine Lectuͤre, theils fein eigenes Nach⸗
denken darbieten mußten, antreffen werde. Diele Erwartung
Hat. aud) der Berf. nicht. getaͤuſcht. Er Hat, mit Benutzung
der beften Schriften, mande Irrthuͤmer berichtiget, viele
wiffenswerthe Dinge, die man in andern Lehrbuͤchern der civiliſi.
Litterärgefchichte nicht findet, vorgetragen, und befonders, was
feine Arbeit von den Arbeiten feiner Worgänger unterfcheider,
auf manche Veränderungen in dem Geiſte deß Studiums nad.
in der Verfaſſung Der Lehranfialten aufmerkſam gemadt. Und
wenn gleich auch, mit Benugung des Buches des berühmten
Doctors der Sorbonne, Sean de Launoy, de Scholig
celehrioribus-& Carolo' Magno exstructis, der Antiquitateg
academicae von Hermann Conring, mit Goebels ge
lehrten Maren, wovon die befte Ausgabe durch Heumann
gu Gottingen 2759. 4. beforge wurde; . ferner Der großen
Menge von Schriftſtellern, welche die Sefchichte teinzeiner
Univerfitäten in Europa gefchrieben haben, und vorzäglich der
Schriften der Rechtsgelehrten der verflofienen Jahrhunderte
felöft ; endlich dev vielen: größern und kleinern Werke, welche
7
—
100 Lehrbuch der eiviliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo.
in dem Catalogus Biblioth. Bunauianae Tomo I, Vol. I.
p. 917 sq. in diefer Beziehung angeführt find, die Bemer⸗
tungen des Verf. unendlich reicher hätten ausfallen koͤnnen:
fo kann dody Alles nicht auf einmal gefchehen, und der Verf.
wird fpäter diefe Lücken ſelbſt auszufüllen wiſſen.
Auch finder man bey ihm weit mehr Gchriftfteller ange
führe, als bey Herrn Haubold; aber auch bey ihm fehlt
noch eine urigeheure Menge guter und vorzäglicher Eiviliften,
die mit eben fo viel, und oft mit noch mehr Recht, als ans
‚ dere von ihm angeführte, eine Stelle in feinem Buche hätten
anfprechen koͤnnen; wobey nicht gu leugnen if, daß Kr. Haus
bold oft eine beſſere Auswahl getroffen bat. Kr. Hugo
nimmt in feine civiliſtiſche Litrerärgefchichte eine Menge Juris
fen auf, die Ar. Haubold aus guten Gründen nicht aufı
nahm; und Rec. vergife, bey biefer Behauptung, nicht, daß
Lesterer Institutiones juris romani litterariae, erflerer
aber ein Lehrbuch der civiliſtiſchen Litterärgefchichte fchreis
ben wollte. Nimmt der Verf. das Wort: civiliſtiſch ganz
allgemein:, und bleß im Segenfage von Staatsredht, fo -
Dat er viel zu wenig, nimmt er es aber eingefchränfter, fo
hat er viel zu viel Schrififteller in fein Lehrbuch aufgenommen.
Ja aud im erfien Falle gehören Daniel Paräus ($. 206.)
mit feiner Lehre von dem Widerfiande gegen die Obrigkeit,
Negner Sirtin ($. 211.) mit feinem Buche über die
Megalten, Rümmelin mit feinem Buche über die goldne
Bulle (9. 214.), Johann Hortleder mit feiner Schrift
über den Schmalkaldiſchen Krieg (F. 216.), Melchior
Gol daſt mit feinen Folienten (6. 216.), Londorp mit
feinen Acta publica zur Gefchichte des dreyßigjährigen Krie⸗
ges (G;016.), Theodor Graswinkel mis feinen Vindi-
ciae maris liberi ($. 220.), Georg Buhanan mit ſei⸗
nem Jus regni apud Scotos ($. 2928,), ber Jeſuit Joh.
Mariana mit feinem Buche de rege et regis institutione
($. 234.), der Kardinat Bellarmin, als redlicher Verfech⸗
ter der Rechte des Pabfies ($. 236.), Arumäus, Daniel
Dtto, Reinking, Hippolithus a Lapide, Lampas
dius, Kloc mit ihren ſtaatsrechtlichen Schriften ( $. 259-),
die im 9. 278. angeführten Staatsrechtslehrer, der Stadt⸗
Lehrbuch der civiliſt. Sitterärgefchichte v. Pr, R.Hugo. 101
fhreiber Lünig mit feinem zwölf Folianten ſtarken Reiches
archiv ($. 304. ), und noch viele andere von dem Verf.
genannte Schriftfteller offenbar nicht in die Litteratur des Eis
vileechts, fondern in die des Völker s ober Staatsrechts. Auch
hat der Verf. im fein Lehrbuch gute, mittelmäßige und fchlechte
Ghriftfieller unter einander aufgenommen ; ja man findet darin
feloft einen Petrus Rebuffus, Rebhahn, Ungepaur,
Zaunfhliffer, die Hommel (Litteratura juris $. 149.)
mit volllommenem Rechte unter die Plebejer rechnet, und
wovon der erfte aud von Dumolin (Sur la Coütume de
Paris Tit. I. n. 106.) mißhandelt wird. : Wenn Mec. alle
Gchriftſteller anführen wollte, die der Verf. in feinem Buche
vergefien Hat, und die doch eine ehrenvolle Stelle darin ans
fprehen könnten, fo mäßte er fehr viele Seiten mit bloßen
Namen anfüllen. Inzwiſchen will er nur diejenigen nennen,
die ihm zunächft einfallen. Er vermißt nämlih ungerne fols
gende Namen , die er, ohne chronologifche Ordnung, anführts
C. A. Rupertus, der gelehrte Phllologe und Geſchichts⸗
forſcher in Altorf, dee für die Rechtsgeſchichte mehr leiftete,
als die meiften Suriften vor ihm; Diodor Tuldenns,
Drofeffor in Löwen; Paulus Picus, Alciati's Lehrer,
dee, wie Leßterer, den Responsis der Italieniſchen Rechts⸗
gelehrten den Krieg angeländiget hat; Tiberius Decias
uns, der Die Hesponsa gegen jene heftigen Angriffe, in einem
merfmärdigen Bude, vertheidigte,;, Sylveſter und Peter
Aldobrandini; Clarus Sylvius; Rihard Vitus;
Joſeph Cyrillo, Profeſſor in Neapel; die beyden Payen
von Avignon; die Portugieſiſchen Juriſten Pet. Barboſa,
Arius Pinellus, Emanuel Acoſta, Caldus Pe—
reyra; den Italiener Julius Clarus, einſt ein gefeyers
tee Name; den Niederlaͤnder Joh. a Someren; den Spas
nir Pich ardus, der den größten Inſtitutionen⸗Commentar
fhrieb , übrigens die kindifhe Schwachheit hatte, fih von Ans
dern die Vorrede zu feinen Büchern fchreiben zu laſſen; Die
Srangofen Joh. Copus und Per. Coflalius, aus dem
XVI. Jahrhundert, wovon Erfterer fhon im Jahre 1555 ein
fehe gutes Buch de fructibus fehrieb, und Lebterer von Vie
Im, die nad) ihm kamen, geplündert wurde; Ipho, als der
463 Lehrduch der cibdiliſt. Bitteräpgefchichte v. Pr. R. Hugo.
einzige unter bie Welligen verfehte Juriſt; die beyden Dänen,
Det. Stasehius And Nicolaus Cragius (in de
Ausgabe feiner Annäles Danidi Son 1739 findet man Nach—⸗
richten son feinem Leben); Raoul Fournier, der Sohn
dee Guittadume, deffin rerum quotidianarum libri VI.
auch ın Ottos Thesaurus fiehen; Berenger Fernand,
Profeſſor in Zotilonfe, einft das Drafel der Franzöfifchen
Practiker; Pr. Loriotas, einſt Profefor in Bourges,
Balence und Leipzig; Joh. Mnjoretus, Yon Toulouſe, und
Ptrofeſſor daſelbſt, bekaniit durch feinen Commentar über die
Inſtitutibnen; ber Spunier Pet. de Valaſco et Medi—
Billa, der ken Buch ſchrieb: Rixae et implacabiles con-
certationes Gaji et Proculi, aliorumque veterum juris
äuctörum. Salamanticae ı625. 4.; Stephatus Bodens,
der einen guten Sinftitntionen » Commentar fchrieb, der 1559
zu Paris bey Nivelle in Fol. erfhtenen I; Nicol. Burs
gundus von Enghien, zuerſt Advokat in Gent, dann Pros
‚ feffor in Ingolſtadt, zuletzt Rath bes Gerichtshofes von Bras
Bant, durch mehrere gute Schriften bekannt; Joh. Buteon,
aus der Daupdine‘, deſſen mathematiſch juridifche Schriften
zu Lyon 1559. in 4. heransgefommen find; Jac. Caimus,
von Modena, Srofeffor in Padna, durch feinen Folianten
Variae lucubrationes. Patavii 1654. ſehr beruͤhmt; die Nie
derländer C. DO. Boecdelen und Paul. Buſius, an
welchen letztern Lipfius einen merkwürdigen Brief gefchries
ben hat (Lipsii Epistolae p. m. 142.); Julius a Beyma;
Hen. Broumer; der Römifhe Profeffor Dunt, dard
feinen Streit mie 3. H. Böhmer, und durch fein Bud
über den Urfprung und Fortgang der bürgerlichen Werfaſſung
in Rom; der Neapofitaner F. A. Srimaldi-durd fein ;fehe
gutes Bud de Successionibus legitimis berühmt; Pet.
Franc. Lingfois, von Befancon, durch feinen Commentat
über die 50 Decisiones. Antwerpiae ı622. fol. bekannt.
Er war Advokat in Beſançon; vier Jahre vor ihm, naͤmlich
1618, ließ Merille feinen Commentar über die 50 Deck
siones zu Bourges drucken; aber Linglois Tannte ihn nicht;
wenigſtens fagt er in der Praefat. ad lectorem, daß er von
aflen Interpreten keinen kenne, der bie 5o Deciszories ; sigil
-
n
»
aithuch der civiliſt. Linerärgefihichte 0-9. R. uge 103
ltim et ex professo“ commetatirt habe. Da au anzauch,
mn ik, Daß Linglois mehrere Jahre an feinem Werke
gearbeitet Habe ; da er, in ber Deodication an die Bpaniiche
Infantin, Zfabella Elara Eugenta, feibk: bemerkt, daß
fein Wert lange bey ihm verborgen geweien fey, und da mar
an aus dem Werke ſelbſt deuntlich fieht, daß der Verfaffer
Meriltes Wert weder gefannt, noch benutzt habe, fo müffen
wir annehmen „ Daß beyde Gelehrte zu gleicher Zeit auf den⸗
ſelben Gedanken gekommen fegen, amd keiner von deu Andern
etwas gewußt Habe; was bep alien intereſſanten Materien
imme zu wänfchen wäre. Wilhelm van der Mueten,
bekannt durch feinen Commentar über Srorius Wert, und
dur feine Exercitationes in tit. D. de just. et jur. et
historiam Pomponii de origine juris, folte gar nicht fohten.
Koh. Zerrarius, mit dem Beynamen Montanus, ein
Helle, Nath und der erſte Profsifor der Jurisprudenz, und
der erfie Rector ben der im Jahre 1907 errichteten Uniderſitaͤt
in Warburg, iſt dem Re. um fo mertwärdiger, weil er,
außer Zafe, aus der erſten Hälfte des XVI. Jahthunderts
einen Dentfhen Juriſten keant, ber fo gut, fo kurz, ſo ele⸗
gant und je frey von dem haͤßlichen Fehlern der Vartokiſten
gefdyrieben- Hätte. Seine adnotationes in IV. institutionum
libros, und fein Commentarius ad tit. D. de regulis juris
zeichnen ſich beſonders ans. jene kamen zuerſt in Marburg
15502 und 1836 heraus, und wurden fogleih in Paris ap.
Simonem :Colinaeum 1533. 8. md in &yon 1532, and fpds
ter wieder 3537 und 1544 nachgedruckt; dieſer erſchien zuerſt
in Marsurg 13%, und wurde ſogleich in Lyon 1537 und
.—_ 1546 wieder aufgelegt. Don: jenen befist Nee. ſelbſt
Die Pariſer Ausgabe von 1533, und von biefem die Lyoner
von 1537, was er deswegen anführe, weil er dieſe Ausgaben
weder bey Lipenius, noch ſonſt irgendwo angezeigt findet.
Zerrartus Hatte In feiner Jugend bie Gottesgelehrſamkeit,
die Medichn wand die Rechte ſtudirt, bey welchen leßtern Fache
er blieb. Iharlıs Dumolin, der in der Regel von den
Deutſchen Juriſten feiner Zeis fehv nachtheilig fprady, nannte
der Ferravias.einen „vir excussi judicii.s Er flarb ein
Jahr vor Duaren, ı55B, und gehöre in dem Lehrbuche Dis
408 Sehrbuch der. enilit, Litteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo.
Verf. in den $. 211., wo er den Reihen der dort angeführten
Marburger AJuriften in doppelter Hinſicht, einmal als fruͤhzei⸗
tiger treffliher Deuticher Rechtsgeienter, und: dann als der
ersie Profeffor der Jurispeudenz auf der im Sjahr 1597 neu⸗
errichteten Unwerfitde Marburg (G. A. Hartmann D. qua
Academia praesens Marburgensis eadem cum anno 1597
instituta ostenditur. Marb. 1758.) mit allem Rechte führen
ſollte. — Dem Franzoſen Louis Malquyt, defien zu
Paris 1626 herausnefommenes ſchoͤnes Buh: Vera non si-
mulata ictorum pbhilosophia, Gund ling hundert Jahre
fpäter zu Halle wieder nen auflegen ließ, hätte auch eine
Stelle in des Verf. Lehrbude gebuͤhrt. — Aus dem XVI.
Jahrhundert wären auch noch die Miederländer Jacques
Typot, Det. Delius und Pierre Corneille de
Brederode (unter dem Namen Brederodius befannt) ans
zuführen geweien. Typot, gebärtig von Dieſtem, einer
Stadt in Brabant, fiudirte die Rechte in Stalien, ging nach
Wirzburg, von da nah Schweden, wo ihn Gluͤck und Uns
giäc trafen, von da (1595) an Kaifers Rudolph II. Hof,
der ihn zu feinem KHiftoriographen machte; 7 zu Prag 1600.
©&criften: Historia Gothorum ; de Monarchia; de Salute
Reipublicae; de Justo, sive de legibus etc. — Peck's
theoretifch practiſche Schriften Über mehrere wichtige Materien
Des Civilrechts waren immer fehr gefchäßt, auch erhielt der
Werf. eine ehrenvolle Stelle in der zu Paris erfchienenen Aca-
demie des Sciences et des arts; und Brederode's The-
saurus Sententiarum, von Modius bereichert, war ſtets
der treue Achates der Practiker. Die Stalienr Mafcard,
Mantica, Merlinus, Megufantius, Turreius,
Fachinaͤus, welher letztere auch in Ingoiſtadt Profeſſor
war, Vizzanius aus Bologna, duͤrfen in des Verf. Lehr⸗
buche um fo weniger fehlen, da fie Über mehrere Materien
Hauptbuͤcher geichrieben haben. Ventura Coecus, Pros
feffor in Bologna, hat eine Catalexis in L. ꝗ. D, de Orig.
jur. Boneniae 1563. 4. gefchrieben. Von dem Neapolitaner
Jacobus Gallus haben wir: Clariores juris: Caesarei
apices. Neapoli 1699. 4., und Brentmann ertheilt dies
ſem Rechtsgelehrten die größten Lobfpräcde ( Diss. de zepubl.
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefehichte v. Pr. R. Hugs. 105
Amalphitor. $. 37.) Nicolo Tortorelli, von Fo
gia, Advokat in Neapel, berühmt durch fein Buch: Degli
antichi Giureconsulti Romani. In Napoli 1786. 4. iſt au
vergeffen, und fogar fein Landsmann Siuftiniani hat ihn
überfehen. Alexander Turamini, aus Biena, iſt um
fo merfwärdiger, weil er fi vom Anfange an zur guten
Schule des Connan, Duaren, Baron, Doneau,
Liglius, Eujas hielt, und niche mit dem Strome feiner
Zeit (hwimmen wollte, wo man es dem Marianus So—
sinus, nah) Pasquier, zum Verdienſte anrechnete, daß
er nicht fowiel Zeit mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften verdorben
habe, als Alciatus Noch ein Jahr vor feinem Tode, dee
. 1605 erfolgte, ſtritt er in Ferrara, in einer Rede, mit bes
Bunderswürdiger Dffenherzigkeit für die Franzoͤſiſche Schule,
gegen die Bartoliſten feines Landes. In feinen Gchriften
sergleiht und ſtellt er immer das pofltive mit dem Mares.
ichte zufammen. Du Bosquet, der Herausgeber des Pfels
ns, Carl Ruinus, Alziati's Lehrer, der fi oft bitter
beflagte, daß die Richter fo Häufig gegen feine responsa fpräs
den, Arn. Joh. Corvinus und fein Sohn Arnoldus,
drancois de Roye, Vinc. Cabot, Franc. Davydar⸗
ginte, ZoH Superior, Joh. Brechaͤus, H. ©.
Cmpanus, Profeſſor in Dole, Per. Belojus, Claude
Did, Padilla, Nic Fernandez de Caſtro, Jac.
dena Lande, Tranc. de Petris, D. Laurentius a
Batajana et de Bufilio, ©. Prouftean, Per
Joh und Elaude Chifflet, Puga et Feyoo, Aeze⸗
ma, Yjala, Avellanus, Pet. Burgius, Sabre.
Catius, Joh. Chr. Chriſtius, Chriſtoph. Cole⸗
rus, ac. Conſtantinaus, Caͤſar Coſta, Ant. Guib.
Coſta uss, Hieron. Elenus, Ferandus Adduens
ſis, Mrius Arcas, Antonius Leſcurius, Sam.
Fermat Joh. Filleau, Val. Guil. Forſter, Gab.
de Gaſt Franc. Marſius Gordonius, Hieron.
Groshot, Ed. Heuryſon, Conſtantius Landus,
DetlevuMangebed, Georg Lopez Madera, Per
Martrefir, Marcus Vetranius Maurus, Nieto,
Thomas Ppillon, Per. Perrenon, Pet. Poucetus,
1038 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo. |
Hr. Hugo bat in feinem ganzen Buche nicht einen einzigen
ordnungsmäßigen Wüchertitel, und er ſcheint fich diefe Nach—
läßigkeit, die ‚man auch in feinen übrigen Schriften, mi
Ausnahme feines Index edit, font. Corp. jur. civ., bemerkt,
zum Geſetze gemacht zu haben. Sin keinem Werfe ift die
tumultuarifhe Anführung der Schrififteller zu loben; aber. in
einem litterächiftoriichen Werke ift fie befonders unangenehm.
Man muß vey Hrn. A. Buche immer wieder andere Bücher
bey der Hand haben, um nur die Titel zu wiſſen. Es ift uns
gewöhnlich, daß wir Sachen, bie uns ganz geläufig und gar
zu befannt find, fo kurz als möglich, und felbft mie Nacht
laͤßigkeit anfuͤhren; aber man muß nicht übertreiben ; denn
kein Kenner laͤßt fih täufchen, und er glaubt nicht mehr, ale
er glauben kann, und fein Urtheil nimmt fehr oft die entges
gengefeßte Richtung. Vom $. 24. bis zum $. 37. lieſſt man
nichts, als Namen, und man befommt feinen Titel zu lefen;
man muß, wenn man genauer feyn will, immer fchon bier
fogleich andere Büher zu Nathe ziehen, um nur den Titel
beſtimmt zu erfahren. Und fo geht es durdy Bas ganze Bud)
fort! Welches die beffere, die neuere Ausgabe eines Buches
ſey, ob es auch in einer groͤßern Sammlung, und in welcher
ſtehe, davon erhält man nie Nachricht. Ader bey Hrn. Haus
bold findet man es immer; und die Kenner, denen ihre
Zeit werch iſt, wiſſen es zu ſchaͤtzen, wenn es auch übrigens
durchaus nicht ſchwer für fie ſeyn koͤnnte, die Sache mit Auf
wand von Zeit felbft zu finden. Kr. R. Hugo ſagt zwar, daß
er recht fühle, daß er zum eigentlichen Litterator verdorben fey
(1. Vorrede S. X); allein Rec, glaubt, daß er füch Hier Uns
recht thue, und daß er, durd feinen index edit. font. Corp.
jur. civ., fih als genauen und muͤhſam⸗fleißigen Litterator
fo ſehr legieimirt Habe, daß, wenn er diefes in andern Schrift
‚ten nicht tft, man nichts anderes glauden kann, als: daß er
es hier nicht feyn wolle.
Einem weitern Vorwurfe kann and, diefes Lehrbuch fchwers
Ich entgehen, nämlih dem, daß es die Bücher, aus
denen es feine Sachen nimme und nehmen muß, faft nie,
oder da wicht nennt, wo es fie nennen follte.. So wie
das ansichweißende Anhänfen der Schriftfteller, ein ficheres
— MR
— — — — —— GE? Zr — Ser ” GE
kehrbuch der eiviliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo. 109
Zeigen des verborbenen Geſchmackes if, eben fo iſt die Karg⸗
heit dee Selehriamteit eine der vornehmſten Urſachen des Vers
foles der Wiffenfchaften; und fo wie jeder von natürlichen:
Verſtande geleitete Gelehrte bey Lefung von Schriften. weiche
mit langweiligen Citaten üderladen find, einen unerträgs
lihen Edel empfindet, eben fo endet auf der andern Geite
auch der Lefer, der ſich gern unterrichten möchte, und jene
Schriften lief’e,, worin man, unter dem Deckmantel eines
philofophifhen Styls, unverfiändlihe und rärhfelhafte Sachen
findet, gewoͤhnlich Das Bud), ohne viel mehr zu wiffen, als
er zuvor wußte, amd ohne einmal gu wiffen, wo er ſich nad
beſſeer Belehrung hHinzumenden habe. Wenn man die ges
ſchaͤtzteſten Schrififteller aller Nationen, einen Rapin, Bofs
fnet, FGenelon, Fleury, Mabillon, Dupin, Rols
lin, Dubos, einen Abbe Racine, Barthelempy,
Montesquieu, Bayle, Muratori, Mazzuchelli,
Beccaria, Filangieri, Bandint, einen Hume, Ros
bertfon und Gibbon, in Ihren verfchiedenen Werfen,
aus der Heiligen und profanen ©elehrfamfeit, ohne allen
Nachtheil Für die Sleihfärmigkeit und Fluͤſſigkeit ihres Styls,
jur rechten Zeit und am rechten Drte, die. Schriftfteller zu
Betätigung und Erläuterung ihrer Gedanfen anführen, den
Studirenden die Bahn zu jenen reinen Quellen der Litteratur
and aller gründlichen Wiffenichaft öffnen und erleichtern, und
auf dieſe Art mehr Mannigfaltigkeie und Reichthum in ihre
Schriften bringen fieht: fo haben wir in dieſen berähmten
Namen micht nur für immer ehrwuͤrdige Mufter der Nachs
ahmung, fondern wenn aud der Eine oder Andere diefe großen
Männer in die Claſſe der Pedanten fielen wollte, fo wird
doch ganz gewiß der größte Theil der guten Gelehrten mit der
Belegung dieſes Titels zufrieden feyn, und ganz gern den
Werth des philoſophiſchen Geiſtes der unfruchtsaren Dunkelheit
aller jener Schriftfieller überlaffen, welche die pofltiven Wiſ⸗
fenfchaften gern nad Art der metaphufifchen und mathematis
ſchen Aufgaben behandeln möchten. Glaubt derjenige, welcher‘
in pofitiven Wiſſenſchaften keine Schriftfteller eititt, feinen
Lefeen glauben Machen zu Lönnen, daß er nur aus den Quellen
felbt, und ans feinem eigenen Kopfe Alles fhöpfe, fo irrt er
410 Lechebuch der civil, Atteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo.
gawiß ſehr; wur Unwiſſende wird er überreden foͤrnnen, den
Kenner nie. Dieſer weiß zu gut, wie man ſtudirt, und wie
jeder ſtudiren muß; und je mehr Verftand er einem Schrifts
ſteller zutraut, deſto weniger fann er au von ihm glauben,
daß er ih, aus eitler Anmafiung, von felbft und ohne Grund
und Mor), um einige Jahrhunderte, und in die Kindheit der
Wilfenichaft zurüsfgekellt, und daß er diejerigen großen Mäns
per unbenußt gelaſſen Habe, welche längft vor ihm eben Diele
Quellen mit Sp viel Sraft, Umfaffung, Scharfiinn. und Gluͤck
bearbeitet Haben, daß ihm ſelbſt, in Vergleichung mit dem,
was diefe geleiftet Haben, nur noch fehr wenig zu thun übrig
bleiben kann.’ Warum folte man fih alie den Schein von
«was geben mellen, das, weun es Wahrheit wäre, uns, Rast
Buhm und Ehre, nur gerechten Tadel zuziehen könnte, und
der größte Fehler wäre, den man begehen könnte? Die großen
Chorpphäen der civiliftifhen Gelehrſamkeit Haben fhon laͤngſt
bey weitem das Meifte und Wichtigſte entdeckt; und das Vers
dienft der Neuern beſteht meiftens nur darin, daß fe unter
den verſchiedenen Meynungen und Theorieen Über irgend eine
Segenftand eine auswählen, und hoͤchſtens mir einigen neues
Ständen, die ſelbſt Übrigens ihnen meiftens wieder von dem
| Aeltern an die Hand gegeben werden, wnterfiüßen und befläs
v
tigen. Alle civiliſtiſchen Schriften, welche in unfern Tagen
herausyefommen find, und welche man für die beften der
nauern Jeit Hält, beurfunden die Wahrheit diefes Satzes nur
allzu ſehr. In Lehrbäcern über eine Wiſſenſchaft vollehds
kann der Natur der Sache nad) .nur der bey weitem Mleinfte
und unbedentendfte Theil in neuen Dogmen beſtehen, und die
Kürze, zu der die Compendien verpflichtee find, maht ſchon
an und für fih Mieles dunkel. Warum will man alfo nidye
vedlich Diejenigen nennen, die uns bey dem Schreiben unferer
Buͤcher geleitet, und aus denen wir Das Beſte darig genoms
nen haben? Warum wollen wir nicht die kurzen und dunkelu
Saͤtze unierer Compendien durch jchuldige Anführung Der
Schriftfteller aufhellen, aus denen wir gefchönft haben, da es
fein ſichereres, unfehlbareres und für jeden Lefer augencehmeres
us Auftlaͤrungsmittel, als eben dieſes, geben fann, wodurch
Diefer zugleich auf dem kuͤrzeſten Wege in den Stand geſetzt
wird, ein richtiges Urtheil Über den Werth oder Unmerth eines
vorgetragenen Saßes zu fällen? Warum wıll man dem wis
begierigen Leſer gefliffentlihy dieien angenehmen Dienft verfas
gen, wodurd er, ohne daß das Bud um mehr als einige
Vogen ſtaͤrker würde, über jeden wichtigen Saß, der bev ans
dern Schriftitelern vollſtaͤndig mit allen Gründen und unendlich
beffer entwickelt if, als er in Dem kurzen Paragraphen des
a. on ZU
7: Sp ee ee zu
— —
FEH
.
Krach Dee civiliß. Literäegefepichte v. Br. R. Hugo, 114
ug Compendinms entwidelt werden konnte, den beflen
Commentar zur nähern Aufklärung, zur beffern Prüfung zum
ritigeen Urtheile und zur Mlarften - Meberzeugung erhalten
märde? Hat Der Lehrer und Schriftfteller diefe ſchͤnen Zwecke
siht, fo iſt es ihm bey feinen Bühern mehr um fih ſelbſt,
as um die Befer., zu thun; und er muß bey dieſen nothwens
dig in den - Werdacht fallen, daß er ihnen gefliſſentlich die.
Mittel, feine Säge richtig zu verfiehen und zu beurtheilen,
atziehe; daß es ihm rende mache, wenn fie fih fioer feine
in nuce, Die er aus der volftändigen Ausführung eines
viät genanntes beruͤhmten Schriftſtellers vrtcahirt und väthiels
haft Hingeworfen Bat, Saͤtze, die mit Anführung dieies Schrifts
ſtellirs ſehr Leiche zu verfichen wären, ohne Anführung deſſelben
aber, wie meiſtens alle Ertrafte, entweder unverſtaͤndiich oder
wenigfiens zweyd eutig find, die armen Köpfe zerbrechen; daß
er, durch Verſchweigung feiner Quellen, ſich .einen verfchangs .
ta Hinterhalt machen wolle, um über diejenigen, die ihn.
angreifen, und feine geheimen Vertheidigungsmlitel nicht ken—
nen, immer mit Vortheil herfallen und ihre Angriffe zuräds
(Hagen zu fönnen, und daß er Überhaupt mehr fcheinen wolle,
als er wirklich ift. Der wahre Gelehrte muß fogar den Schein
meiden, als wolle er feinen berühmten Vorgängern Den Ruhm
Ihrer Entdeckungen rauben, und -er ehrt ihr Andenken am
(Hönften denn, wenn er beym Vortrage wichtiger Wahrheiten .
fe als die Entdecker derfelben nennt. Ulric Huber lobt
es mit Recht an Lyklama, feinem Landsmaune, daf er
„alilenissimus a more hujus seculi nimium frequente er
pudendao, describendi alıenas et pro ‚suis audacter ven-
dıtandi cogitationes“ geiwefen fey; und Gebauer fagt
fer ſchön ( Narratio de Henrico Brenckmanno p. 95):
„Sedulo sane cari, ne prudens sciensque vd unam
voculam Brenckmannianae industriae et Jaudi subträhe-
rem. . FR
Auch iſt es anf jeden Fall eine nicht ſehr delikate Fordes
rung, wenn ein Schriftſteller, ſey er, wer er wolle, von dem
lefenden Publikum verlangt, dafi es feinen Saͤtzen, ohne allen
Beweis, gleichſam als Duakeliprücen , dlindlings glauben und
trauen foll. Jeder Scriftfteller ift fchuldig, den fcharfiinnigen
£efer, der immer-die fiherften Denkmäler aufſucht, um das
Seleſene anzunehmen und zu glauven, auf dem kuͤrzeſten Wege
8 den Stand zu eben, ſich nach feiner Wahl davon überzeus
gen zu Fönnen, ohne fih bey den bloßen Worten und ‚Vers
hyerungen des Schrififiellers beruhigen zu muffen, der, wie
jeder Menſch, Irrthuͤmern aller Art aufgefeßt bleibt, mißver—
chen. und haſardiren fann, was er will. - Niemand ann
413 Lehrbuch der etilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
verlangen, daß man ihm aufs Wort glaube, und jeder, der
zuhöre, kann verlangen, daß der, welcher Ipricht, das, was
er vorträgat, beweife. Diefer Beweis fann nun entweder fo
geführte werden, daß man die Gründe für einen Satz ſelbſt,
oder daß man die Schriftfteller anführt, bey denen die Gründe
bereits entwidelt find. Jener Beweis ſchickt fih für ausfährs
lihere Abhandlungen , diefer für Compendien. Wer weder das
Eine, noch das Andere thut, erlaube fih eine nicht zu rehts
fertigende Anmaßung, erfhwert ohne Noth den Lefern ihre
Arbeit, bringe fie um ihre edle Zeit, welche fie beſſer anwen⸗
den koͤnnten, vermindert umd vernichtet feinen Credit bey ihnen,
und macht fie am Ende fo verdriefilih und ärgerlich, daß fie
entweder feine Bücher ungelefen gang auf die Seite legen,
oder nur mit dem größten Widermillen. leſen, ihnen eine nur
geringe Aufmerkſamkeit ſchenken, und die Zeit und den Augens
blic® nicht erwarten koͤnnen, wo fle wieder getrennt von ihnen’
find, und fi wieder einem redlichern, regelmäßigern und ihre
Wißbegierde mehr befriedigenden Schriftfteller uͤberlaſſen koͤn⸗
nen. Wenn man von der boppelfinnigen Pythia oft getaͤuſcht
wurde, fo verläßt man ihren Tempel gern; man horche nicht
mehr auf ihre zweydeutigen Ausſpruͤche, und geht wieder in
die Afademie |
Auch tadelt es der Verf. ſelbſt (6. 248.) an Domat,
daß diefer,, in feinem Werke, weder D’Efpeiffes, noch iv
gend einen andern Autor, nenne.
— Video meliora proboque, deteriora sequor. —
Einem weitern Vorwurfe wırd dieſes Lehrbuh auch wohl
fhwerlich entgehen können, einem Vormurfe, der auch die
Übrigen Schriften des Verf. trifft, und der die Schreibart,
die Manter und den Ton deflelden angeht. Der Styl des
Verf. liebe das Einfache, Narärliche und Fließende nicht, er
weicht von dem gewöhnlichen Style der äÄltern und ' neuern
Kiaffiter und auch unferer beften juriftifhen Schriftſteller ab,
erhält den Lefer immer in einer unangenehmen Epannung,
ermüder ihn, madıt ihn fiets ungufrieden mit fich ſelbſt, laͤßt
ihn ohne Beſchwerlichkeit von einer Stelle zur andern nidt
fortruͤcken, neckt und hält ihn überall in feinem Gange auf,
bringt ihn um viele Zeit, martert ihn ohne Noch, überlaͤßt
ſich nicht felten, flatt gu unterfuchen, einem minder befchwerlis
hen Pyrrhonismus, geht immer nur auf das Ungewoͤhnliche,
Auffallende, Pikante, auf das Raͤthſelhafte in Sache und
Worten aus, fuhr immer nur, fo zu fagen, die Quinteffenzen
auf, und wird dadurch gegiert, gezwungen und dunkel.
(Die Zortiegung folgt, )
EEE
No. 8. HSeidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
©
Lehrbuch der civitiftifchen Zitterärgefchichte vom Prof. Ritter Hugo
in Goͤttingen.
( Sortfegung der in No. 7. abgebrochenen Necenfion, )
R. iſt uͤberzeugt, daß gerade der Verf. am wenigſten noͤ⸗
thig haͤtte, ſeine Buͤcher mit dieſem unaͤchten Schmucke einer
falſchen Gelehrſamkeit aufzuputzen, zu dem gewoͤhnlich nur
diejenigen ihre Zuflucht nehmen, die zu arm ſind, um in
. einem ſoliden Aufzuge erſcheinen zu koͤnnen. Der Verf. hat
zu viele Realitaͤten, als daß er noͤthig haͤtte, nach Mitteln zu
greifen, die tief unter ſeinen Talenten ſtehen. Auch weiß Rec.,
daß ſelbſt die waͤrmſten Verehrer des Verf. dieſes zu allen
Zeiten lebhaft an ihm getadelt haben; und gewiß hat er ſich
ſchon laͤngſt mehr damit geſchadet, als er glaubt. Man ſchiebt
dm Motive unter, die Rec. nicht für wahr hält, die aber,
wenn fie es wären, micht ehrenvoll für ihn ſeyn könnten.
Würde der Verf. in einem weniger gefuchten und weniger duns
kein Style ſchreiben, und würde er zu rechter Zeit und am
tehten Orte die Quellen anführen, aus denen er fhöpft, ges
wiß er würde feine glücklichen Litterärifchen Erfolge nach der
Anzahl feiner Werke zählen. Die Schriften des Verf., fo
wie fie find, find alle nur entweder für feine Zuhörer, denen
er, im mündlichen Vortrage, die Raͤthſel derfelben geloͤſſt hat,
oder für diejenigen, welche die Quellen kennen, und die Bis
der beſitzen, aus denen er fchöpft, oder endlich für diejenigen,
welhe eine Materie ex professo ftudiren und das Pfeinfte
Detail derfelden kennen, verftändlich; für alle Andere bleiben
fie dunkel und befchwerlih, weil man faft feinen einzigen Pas
tagraphen fließend meglefen kann. Daher kommt es auch), daß
feloft mehrere fehr gelehrte Profefforen des Civilrechts in
Deutſchland, die Rec. kennt, kein einziges Buch des Verf.
beſitzen, ja nicht einmal leſen wollen; und, bey diefer Stims -
8
444 Lehrbuch der civilih. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
mung, läßt ſich vielleicht nicht ohne Grund prophezeihen, daß
die Werke des Verf., fo wie fie find, fein hohes Alter erreis
den, und daß hoͤchſtens ein anderer lichtoollerer Gelehrter
fpäterhin das Beſte daraus nehmen, und in einem deutlidern,
fließendern und angenehmern Style, unter Anführung der
Quellen und Scrififieller, welche benußt wurden, vortragen
werde.
Ein Schriftfteller und Lehrer kann feinem Publikum, das
fi) niche bloß mie Ihm allein zu befchäftigen hat, nicht zumu⸗
then, fo vieie Zeit auf die Enthuͤllung feiner Närhiel zu ver
fhwenden ; er ift ſchuldig, fo klar als möglich zu ſchreiben, ſo
Har, daß ihn, wie Johann Campegius von Bologna,
ein Juriſt des XV. Jahrhunderts, und Jaſon's Zeitgenofle,
zu fagen pflegte, felbft die Ignoranten verftehen können. Sehr
mertwärdig ift auch die, wohl etwas zu ſtarke Sprache, welche
der große, fchon bejahrte Cujas nur fünf Jahre vor feinem
Tode, im Jahr 1585, in einer Nede, die er gu Bourged
hielt, gegen die dunkeln Profefforen führte: „Idem quoqus,
fagte er, in doctore nostro requiro, ut nihil unquam tra-
dat obscure in jure, et ut tradat patefacta ratione, clare
et perspicue. Quo enim mihi juris interpres, nisi sit
irn eo, quod in po&ta Aristoteles exigit, ut res palam
ante oculos ponat, et in bono lumine? Quid enim 0%0-
zeıvot illi Heraclito similes, nil nisi cruces atque tor-
menta? Quid item turpius, quam id ipsum
esse obscurum, quod ineum solum adhibetur
usum, ne sint cetera obscura? Ab his nebulis
nebulonibusque dicti sunt procul dubio nodi juris, dicta
legum aenigmata !* Alnfere Nachbarn jenfeits des Rheins
haben uns fchon oft genug, wegen unferer gelehrten Dunkel⸗
beit, ausgelacht, und fchon im XVI. Jahrhundert tadelten fie
es an ihrem hochverehrten Landsmann Dumolin, daß er
feinen Styl nah dem der Deurfhen Schriftfteller gebildet
habe ‚— „qui rendent leurs écrits obscurs et quelquefois
m&me inintelligibles, pour y vouloir affecter une trop
grande erudition.*
Gibbon und Spittler (heinen auf die Schreibart
des Verf. entjcheidenden Einfluß gehabt zu baden; in den
Bepebuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Onge. 115
Shriften diefer beyden Gelehrten fcheint man das Modell des
Styls des Verf. zu erfennen. Aber jede Nachahmung bleibe
immer hinter dem Driginal zuruͤck, und kann zwar bie Fehler,
aber nicht die Tugenden deſſelben erreihen; und dann if
Spittler kein Gibbon, und ſelbſt Gibbon wird, eben
feines gefuchten und minder einfachen Styles wegen, einem
Aume und NRoberefon mit Recht nachgeſetzt. Diefe beyden
großen Schrififteller find auch gedrängt und reichhaltig; aber
fie find zugleich fo klar und durchſichtig, und führen die Quel⸗
Im, woraus fie fchöpfen, immer fo vedlih an, daß fie dem
Lefer nichts zu wuͤnſchen übrig kaffen. Der Verf. fcheint feis
nen Styl auf den- in Deutſchland wegigftens feit einiger Zeit
ziemlih gemeinen Geiſt des Jahrhunderts berechnet zu haben.
Denn leider hat fich der Myfticismus in unfern Tagen ſelbſt
in die fchöne Litteratur eingefhlihen, und es iſt wirklich fo
weit gefommen „ Daß von vielen Spdioten, welche ihren ©es
ſchmack durdy Die Claſſiker der alten und neuen Zeit noch niche
firire Haben, Diejenigen über die Achfel angefehen und verlacht
werden, weiche nicht dunkel und unverfländtich ſchreiben; aber
Nec. frene ſich menigftiens, daß er die myſtiſchen Schriften
immer für Die Peſt der Litteratur gehalten Hat, und er finder
eine tröftende Beruhigung in dem Glauben, daß der Ges
ſchmack für das dunkle Andenten ein Rauſch fen, der nice
lange dauert, und defien man fi ſchaͤmt, fobald er vorüber iſt.
Der Verf. wird ohre Zweifel fagen, er ſupplire und helle
in dem Collegium Alles auf, und feine Lehrbücher ſeyen nur
für feine Zuhörer beftimme, für welche es fogar vielleicht beſſer
ſey, wenn ihnen die Sachen im Buche feldft nicht ganz faßlich
dargefielle werden, um fie an ein fchärferes Nachdenken und
an eine firaffere Spannung der Seelenkräfte bey der Repeti⸗
tion anzuhalten und gleichſam dazu zu zwingen. Allein abges
rechnet, dafs Diefes Motiv immer den Schein hätte, ale wäre
es dem Srundfaße nicht vorausgegangen, fo glaubt Rec., daß
ein Buch, "das auf die Leipziger Mefie kommt, auch für das
uͤbrige Publikum geſchrieben, und nicht bloß für die Studens
ten in Goͤttingen beſtimmt if. Sodann flieht er nicht ein,
warum man auc den Studenten das ohnehin fchon ſchwere
Rechtsſtudium nicht auf jede Art zu erleichtern erachten folte.
416 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Br. R. Hugo.
Wenn man ihnen die Sachen aud noch fo klar vorträgt, fo
bleiben doch immer noch nur gu viele Schwierigkeiten und uns
Üderfteigliche Hinderniſſe, in einer fo vermickelten und fo viele
Kenntniſſe vorausſetzenden Wiſſenſchaft, für fie übrig, an denen
fie ihre Kraft und ihren Scharffinn genug üben können. Der
talentvolle und fleißige Zuhörer bedarf keiner kuͤnſtlich herbey⸗
geführten Schwierigkeiten, um nachzudenken und feine Seelen⸗
kraͤfte anzufpannen, und man beraubt ihn unnöthigerweife
einer Zeit, die er nüßlicher anwenden könnte; und der minder
fähige und minder fleißige Student wird eher von dem foliden
Studium des Nehts verfheuht, wenn er feine einer immer
währenden Spannung unfähigen Geiftesfräfte unaufhoͤrlich und
auch da anftrengen fol, wo man Ihm die Anftrengung eripas
ren könnte. Auch waren die beften ECompendienfchreiber der
ältern und neuern Zeit, - und feldft die Vorgänger des Verf.
auf der Univerfität gu Göttingen, nie der Meynung, daf man
in den Lehrbähern und Compendien die Schwierigkeiten gu
fliffentlih vermehren fol, um die Aufmerkſamkeit und das
Machdenten der Zuhörer zu fchärfen. Alle ihre Schriften die
fer Art find fo klar und faßlih als möglih, und an den
Eompendien von Georg Ludwig Böhmer wird ‘gerade
diefe Klarheit in den Begriffen und Worten mit dem größten
Rechte hauptſaͤchlich geprieſen. Der Verf. ſelbſt ertheilt (6.
576.) dieſen Boͤhmerſchen Compendien ihr gebuͤhrendes Lob,
und doch wie weit ſind nicht die Lehrbuͤcher des Verf. von der
edein und ſchoͤnen Einfalt derſelben entfernt? Iſt einmal der
richtige und kuͤrzeſte Weg entdeckt, warum will man dieſen
nicht auch einfhlagen, und warum foll man einen längern und
langweiligern fuchen, nur um einen befondern gu haben?
Böhmer’s Lehrmerhode ift die befte, weil fie in der Natur
der Sache liegt, von Maren Begriffen ausgeht, dieſe, ohne
alfe gelehrte Umfchweife, deutlich und hell entwickelt, weiter
verfolgt, daraus wichtige und durchſichtige Wahrheiten zieht,
die für jeden Verſtand zugänglich find, und diefe immer ent
weder mit Geſetzſtellen für minder ſchwierige Gäge, oder mit
Schriftſtellern für diejenigen Saͤtze belegt, die zwar aud in
den Geſetzen liegen, aber ohne Huͤlfe derer, welche ihre Muße
und ihren Scharfſinn auf die Erklaͤrung derfelben verwendet
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Lehrbuch Der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R. Hugo, 117
haben, nicht fo leicht. von allen Lefern begriffen werden koͤnn⸗
ten. Eben deswegen wurde und wird über Boͤhmer's Coms
yendin auf allen Liniverfitäten gelefen, chen deswegen werden
diefe von allen WMerfländigen, ohne irgend eine Ausnahme,
hochgeſchatzt; und man kann mit Gewißheit behaupten, daß
fie diefes gluͤckliche Schickſal nicht gehabt haͤtten, wenn ihr
wärdiger Verfaſſer fle nad Art des ii R. Hugo gefchries
ben hätte!
Soviel im Allgemeinen über das vorliegende Buch. Rec.
wii nun, thetls zu Bellätigung diefer allgemeinen Betrach⸗
tungen mit einzelnen Vepfpielen, theils zu Berichtigung und
Erläuterung, tbeils. zum Lobe mandyer einzefnen Saͤtze des
Verf., auch etwas in das Detail der 400 66. gehen, aus des
nen das - Lehrbuch. beſteht.
Sn der ‚Einleitung, die aus 4ı 66. beſteht, trägt der
Berf. mehrere Sachen vor, die man in den bisherigen Lehrs
Gähern der civiliffiishen Litteraͤrgeſchichte nicht findet, die Mans
chem zum Theil unbedeugnd. jcheinen koͤnnen, die es aber in
der That nicht find. Dergleichen Kleinigkeiten werden oft im.
Studium feldft fehr bedeutend, und man muß fie, wenn man
gut fortkommen will, eben fo gut willen, als die wichtigften
Säge. Im $. 3. fpricht der Verf. von den Familiennamen
mehrerer Ciniliften, die man gewöhnlich nur unter ihrem Las
teinifchen Namen kennt... Man könnte, ſtatt der angeführten,
- viele andere Beyſpiele geben, wo es nach fchwerer iſt, aus
dem Lateinifhen den Familiennamen, nder.umgefehrt, heransı
zubringen. So hieß z. B. Antonius Bengeus — Ben—
99, Aegidius Mortenfius hieß Desjarding, Celſus
Hugo Diffurus Heß Deicoufu, Joh, Galli hieß Le
Eog ; und fehr wahrfcheintich vermuther der Verf. an einem
andern Orte ( Livilif, Magazin III. Bd. 4. Heft. &. 440),
daß Adrianus Pulväus in feinem Waterlande Poudrengr
geheißen habe. ©. 3 Note ı) fragt der Werf.: Wie hieß
Sutrherius? Erſt im $. 245. S. 227 fleht die Antwort:
Souttiere, mit der Bemerkung, daß diefer Name erft
fp&e von Ba yle aufgedeckt worden fey. Verſchiedener ift wohl
noch fein Name geichrieben worden; Sontier, Suthier,
Surtizres, SGoutiere, Gouthier Suthikrres,
418 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo,
Guthiedrre, Gouthierre;: Diefe Bverfchledene Namen ger
ben ihm feine Landsleute ſelbſt. Der Verf. fchreibt aber den’ Nas
men doc) nicht richtig, und wie ihn Baple ( Dictionnaire
historique et critique, Tome 11. Edit. Amstel. ‘1740, p.
Baa. col. 1. note 114.) angibt; denn Bayle fchreibt Sous
tiere, der Verf. hingegen Gouttiere. Auch in den Let-
tres choisies ’de Mr. Bayle, Tom. II. Roterd. 1714. p.709
“ficht folgende Bemerkung: „J’ai rencontre depuis-peu dans
Y’Histoire de Bresse de Guichenon .le nom fran-
gois de cet &crivain. C'est Goutiere. Il 'etoit grand
‘Humaniste,; et illustroit ‘par Ià plusieurs: passages du
droit.“ S. 3 Note 6. fragt der Verf. : Welher Name ift
‘der wichtige bey -Viglius -Zuichemus ab Ayta Frisius?
Er läßt diefe Frage unbeantwortet, aber da er ihn gewöhnlich
Zuichem nennt (|. das Negifter S. 427 $. 41. $. 110.
Note 3, $. 112. $. 101. Mote 8. $. 124. Mote a. 6. 1925. im
Terte und in der Mote 1. $. 148. Mote 1.), fo ſcheint er die
fen für den wichtigern gu halten. Dieſes ift aber nicht richtig;
denn der wichtigere und der Familienname iſt ab Aytta, weil
der Water des Viglius ſich bloß Folcardus ab Aytta, ohne
den Beyſatz Zuichemus, nannte. Viglius war aljo der
Vorname, ab Aytta der Familienname, Zuichemus iſt ein
Beyſatz von dem Drte Zuihem, wo, nah Martiniere,
Biglius gebohren, und der, nach Andern, zugleich ein alt
vaͤterliches Familiengut war; und Frifius wurde er von der
Provinz Friesland genannt, worin Zuihem liegt. Martis
niere nennt ihn daher richtig, nach feinem Vor s und Zunas
men, nut Viglins ab Aytta. Auch fein Landsmann, Ulrich
Huber, Hält den Namen ab Ayta für den wichtigern und
- Bamiltennamen (Opera minora et rariora. Trajecti ad
Rhenum 1746. 4. p. ı26) und den Beyſatz Zuichemus nur-
für einen Beyſatz, der den Geburtsort beitimmen foll; fo wie
ee an demfelden Drte und in berfelben. Linie den Joachim
Hopper Snuecanus, von feinem Geburtsorte Sneek, nennt.
Die Geſchichtſchreiber Übrigens, wie Bentinoglio, Wat—
fon und Andere, nennen ihn gewöhnlidy nur mit feinem Bow
namen Viglius, nie aber nennen fie ihn Zuichemus. So
wenig man bey Rofredus den Beyſatz Beneuentanus, bey
Lehrbuch der civiliſt. Ritterärgefchichte v. Pr. M. Hugo. 119
Per. Sregortusg ‚den. Beyſatz Tholofanus, bey Theodos
ins Adam Aus den Beyſatz Sualembergins, bey Hopper
den Beyfag Snecanus für den wictigern Namen halten kann,
eben fo wenig Darf man auch den Beynamen Zuihemus bey
Kiglius ab Ayera für den wichtigern halten. — Daß
enh die Vermögensumſtaͤnde nicht felten: auf die litterariſche
Wirkſamkeit Einfluß haben, wie der Verf. $. 5. bemerkt, iſt
nur allzuwahr. Alciati wollte das ganze Corpus juris gloffis
ven; aber der Krieg fchmälerte feine Einkünfte: er mußte
advociren und Gutachten flellen, und fo unterblieb diefe näßs
ide Arbeit (ſ. Alciati Epistola Francisco & Turnone in-
scripta opp. Tom. I. praefixa p. 2). Die Armuth ik eine
Krankheit, von der die Gelehrten felten geheilt werden; auch
die Juriſten konnten dem bekannten Joh. Pierio Vale—
riano manchen Beytrag zu feinem Buche: de infelicitate
litteratorum liefern. — Sn dem Sage, daß die Aenderung
der Grundſaͤtze der Schrififteller oft Sehr bemerkenswerth fen,
($. 10.) lieferte wohl in neuern Zeiten der Baron von Hont⸗
heim das merfwürdigfte und auffallendfte Beyſpiel. — Wenn
der Verf. ©. 8 6. 15. Mote 3. ſagt, ſehr oft werde Fatte⸗
rini ſtatt Sarti unrichtigerweife genannt, fo iſt hiebey zu
bemerken, daB man eigentlich bey dem Werfe: de claris
Archigymnasii Bononiensis Professartbus. beyde, Sarti
und Fattorini, zugleih nennen follte; denn der erfiere
flaeb, ehe er auch nur den erfien Theil wollender hatte, und
der letztere mußte auch im diefem eben deswegen noch an fehr
vielen Drten nahhelfen. Webrigens nennt der Verf. ( &. 33
Note 5.) felbft den Fattorini flatt Sarti.
Sehr richtig fängt der Verf. im $. 39. eine eigene Periode
in juriftifher Hinfihe mie Polizian an, ungeachtet Coras
(Miscellanea ) behauptet , er habe von dem Roͤmiſchen Rechte
nichts verfianden, und ungeachtet auch Alciatus mit einer
gemachten Geſchichte deffen Ignoranz, als Nechtsverfländiger,
glaubwärdig maden wollte. — Bon $. 4a. bis 6. 88. bes
nußte der Verf. beynahe immer Sarti’s und Fattorint’e
bereits angeführtes Werk, ohne es Übrigens viel zu mennen.
Man fiehe überall, daß es der Verf. emfig ſtudirt, und fofl
allein zum runde gelegt hat. Diefes Werk ift als der beſte
420 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. N. Hugo.
Eommentar zu den fragmentarifhen und oft dunkeln Stellen
des Buches anzufehen. Wo vom . 42. bis $. 88. eine Stelle
rächfelhaft ift, da darf man nur dieſes Werk nachſchlagen;.
man findet da immer. dasjenige Heil und deutlich ‚vorgetragen,
was in dem Buche des Berf. dunkel iſt. Sarti’s und
Fattorini's Werk geht aber nur bie gu Dinus Mugels
lanus, alfo bis zum $. 88. des Lehrbuhes. Don bier an *
muß fodann Tirabofchi zu Hälfe genommen werden. ©. ı6
6. 31. fpricht der Verf. von Diplovatacctus und Pans
zirollus Es iſt an ſich ganz gleichgültig, - ob man einen
Schriftſteller mit feinem vaterländifchen oder mit feinem Lateis
nifhen Namen nennt ; aber da der Verf. in der Regel immer
das erftere thut, fo erfordert es die Gleichfoͤrmigkeit, daß es
überall gefchehe. Deswegen follte Diplovatazzi, Pan—
zirolli, Alctati (8.16 und ©. 106), Sigone, Gem
tili (S. 30 und 108. ©. 164. 190. 191), Ferretti, nidt
Ferret (S. 102), Pietro Vettori, ſtatt Petrus
Victorius (S. 197 $. 140.), Aldo Manuzio (©. 197
6. 141.), Matheo de Afflitte (&.go 6. 113.), Ans
mar du Rival, flatt Aymar Rivallius (©. 146
$6.166.), Baron, flatt Baro (&. 178), Cafaubon,
flat Cafaubonus ($. 194), Broe flatt Broeus (©.
209), Giuſephe Tofcano Mandatorizzo, ſtatt Tot
cant Mandatorizzgi (S. 335 $. 349), Gentien
Hervet, ſtatt GSentianus Herverus (©. ı20), Boyar
oder Bouerry, flatt Boerius (8. 108), Roufard, flatt
Muffard (©. 158), Roncagallo, fiat Ronchegal⸗
Ins (8.91), Juſtel und Voel, flatt Juſtellus umd
Voellus (S. 236) u. f. w. in dem Lehrbuche fiehen. —
Gegen $. 46. Mote 2. G. 31 ift zu bemerken, daß ſchon vor
Mosheim und Spittler, und fogar gleich unmittelbat
nach Erfcheinung des berüchtigten Buches des Aler Matt
chia velli, im 5. 17026 diefes in Italien felbft große Wi⸗
derſacher gefunden habe, und daß, auf Macchiavellis
Bitte, der Doctor Giuſeppe Pozzi di Jacopo, ein
munterer und fpaßhafter Mann, eine nicht ernftlich gemeinte
Vertheidigung des Calendarium verfaßt habe. Fantuzz!
fannte wohl ſchwerlich Spittlers Abhandlung, wenigſtens
Lehrbuch der civlliſ Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R Hugo. 121
zitirt er fie nirgends. — Wenn der Verf. (S, 3ı Note 3.)
bemerkt: „Won dem Anfanae des zweyten Bandes des Wers
tes: de claris archigymussii Bononiensis professoribus,
ift nichts in den Buchhandel gefommen; es exiſtirt aber wer
nigſtens ein Exemplar davon in Deutſchland,“ fo weiß Rec.
nicht, wozu dieſe Bemerkung nüßen foll, und warum der
Verf. nicht lieber geradezu gefage hat, wo es eriftirt. Diefes
ift gerade, ale wie oft Leute fagen: Ich weiß eine Neuigkeit,
aber ich fage fie. nicht! Lieber nichts ale fo gefagt! Warum
die Neugier Anderer vergeblih reizen? Warum eine Sache
als wichtig behandeln, Die. e8 niche ift, und die man, : ohne
‚alles Nachdenken , bloß hiſtoriſch, entweder durch. Leſen, oder
muͤndliche Tradition, erfährt? Diefe Bemerkung des Verf.
erinnert an den Gasus unus deB $. 8, I. de Actionib., wors
ber ſich ſchon fo viele Gelehrte die Köpfe zerbrochen haben,
und. wegen deſſen dem Tribonian fihon fo ‚viele Vorwürfe
' gemacht worden find. — Besen &. 55 Mote 5. ift zu bemers
tn, daß Fatt orini und Sarti von des Gefchichte mit
den gu Amalfi von den Pifanern gefundenen und von Lothar II.
beflätigten Pandekten doch deutlih, genug fprechen, indem dieſe
gleich auf Der 2. Seite $. 5. eine fabula genannt wird. —
Der. $. 48. tft in einem hoͤchſt beichwertichen Style abgefaßt;
Rec. glaubt nit, daß irgend jemand, dem diefer $. vorges
leſen wird „ feinen Inhalt würde faſſen können. — Den $. 56.
Note ı. ©. 45 hätte Sarti Tom. J. p. 52. $. 10. anges
führe werden follen,; denn fo, wie die Note ſteht, muͤſſen
diejenigen, welche Sarti’s Wert nicht kennen, glauben, der
Verf. babe diele Entderfung gemacht. Allein auh Sarti tft
nihe der erfte Entdeder ; deun fhon Duck (de auctorit. jur.
cir. p. m. 355g. et 560.) hat eben fo interpungirt; und auch
Terraffon (Histoire de la jurisprudence romaine p. 429)
‚bemerkte, daß Selden den Rogerius mit dem Vaca—
rius verwechlele — Im $. 56. bemerkt der Verf., daß dag
Eompendium des Vacarius Äber dad Roͤmiſche Recht nicht
bewieſen ſey. Sarti iſt zwar allerdings ( Tom. I. p. 54)
„dagegen ; aber feine Gruͤnde find nicht ftart genug, um den
Glauben an das Chronicon Normannicum zu vernichten.
Das Breyviarium, oder die Excerpti de codice et digestis
/
432 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr, R. Hugp.
novem libri, wovon die Normanniſche Chronik ſpricht, exi⸗
flirten gang gewiß, was auch Sarti dagegen fagen und für
Zweifel und Kppothefen erheben mag. Rec. beruft fi, und
swar, ſoviel ihm bekannt iſt, „zuerft auf. ein Dokument, dag
alle diefe Zweifel auf einmal vernichtet, nämli auf die Man-
tissa de libro rarissimo, Bihliotheca Ant. Augustini, Tar-
raconensis Antistitis, die ®ebauers Narratio de Hen.
Brenckmanno. Goettingae 1764. 4. angehängt iſt. In dies
fer Mantissa fteht (&. 197 Nro. 380.) folgendes Buch, ale
in der Bibliotheca manuscripta latina A, Augustini definds
li: „Incerti auctoris breviarium, sive excerpta ex enu-
cleato jure Digestorum et Codicis, pauperibus Anglicis
destinata, ac novem libris comprehensa. Regulae juris.
Liber in membranis annor. CD. forma folii.“ Diefes ift
nun ganz zuverlälfig daſſelbe Bud, von dem die Normannifdye
Chronik fpricht. Wenn nun ihre Angabe von der Eriftenz defs
felben richtig ift, warum follte die Angabe von dem Verfcſſer
deffelden weniger glaubwürdig ſeyn? Und wenn, in der Bi-
bliotheca manuscripta A. Augustini, ‚dee dort befindliche
Codex auf sin Alter von 400 Fahren, im Jahre 586, wo
diefe Mantissa zu Tarragona gedruckt wurde, gefhäßt worden
iſt, fo fälle deffen Nerfertigung gerade in das Jahrhundert
und in die Zeiten, wo Vacarius, nah der Normannifchen
Chronik, lebte; und alfo wirt eben dadurch die Angabe diefer
Chronik, auch in Abficht auf den Verf. des Breviarium, noch
meiter beftätige. — Die Bemerkung, welche der Verf. im
6. 65. aegen die große Menge von Zuhörern des Albericus
macht, hat keinen hinreichenden Grund, weil nah Ddofres
dus, die Scholae S. Ambrosii, in denen Albericus lag,
ampla conclavia prope S. Ambrosii eeclesiam waren,
ubi ab antiquiori tempore populi Bononiensis conventus ha-
beri solebant, et à magistratibus utbanis jus dicebatıur,
antequam Bulgari aedes ad id fuerint delectae (Sarti
et Fattorini Tom.I. P.I. 9.62 $.5.). — Bey Azo
(5 68.) wäre auch noch zu bemerken geweien, daß zu feinen
Zeiten die fogenannten Coneurrentes oder Antagonistae ent
flanden find, von denen wie in den Schriften der Altern Stas
lienifhen Juriſten fo vieles leſen, die fo oft den Wetteifer,
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. N. Hugo. 123
Neid, Haß und Sturz berühmter Profeſſoren verurfachten,
diefen recht eigentlich zur Qual und zum Aerger beygegeben
waren, ihren Fleiß und Eifer immer in der unangenehmften
Spannung erhielten, und ihnen fehr oft ihr langes Anfehen,
ihren alten Ruhm, ihre Ruhe, Ehre, und das ganze Gluͤck
ihres Lebens raubten. Ein folder Concurrens mußte mit dem
Profeffor In derfelden Stunde und Über denjelben Text leſen.
Nah der Lection trat er mit ihm auf den oͤffentlichen Kampf—
las, in Gegenwart allee Zuhörer von beyden Theilen, und
difpuiirte mie ihm über die in der Lection abgehandelten Artis
tel und Streitfragen. Hier fuchte er nun mit allen Stacheln
feines Scharfſinns und Witzes auf den Profeſſor zu flechen,
diefem eine tödtlihe Wunde um die andere beyzubringen, ihn,
mit allen Kunſtgriffen der Dialectit, aus der Faſſung zu’ brins
gen und in die Enge zu treiben, mit feltenen Texten zu übers
rafchen, mit ganzen Colonnen von Authoritäten zu belagern,
kurz mit allen Waffen der höhern und niederern Seelenkraͤfte,
der fchwerern und leichtern Gelehrſamkeit, feldft der Argliſt
und Chikane, gegen ihn Sturm zu laufen, und ihn dem Ges
fpötte, dem Gelächter und der Verachtung eines jugendlichen
und muchmwilligen Auditoriums preis zu geben. Diefe Diipus
tstionen waren gelehrte Haben, zu denen ſich auch der wärs
digfte und gravitaͤtiſchſte Profeffor primarius, . gar großen
Beluftigung des jungen juriftifchen Anfluges, nolens volens
hergeben, und wobey er ſich fehr häufig proſtituiren laſſen
mußte. Die muthigeen Koncurrenten erlaubten ſich nicht felten
die ausfchweifende Freyheit, Terte zu erdichten und herabzu⸗
(efen , die nirgends eriflirten, nur um den Primarius in eine
angenblicklihe Stockung zu Bringen, und die ehrerbietigen
Schüler ermangelten in folchen Lritifchen Augenblicken nicht,
ihren Lehrer aus vollen Haͤlſen auszulahen. Die ruhigften
und gelaffenften Primarit, welhe, nach ihrem Maturell, nur
gu einem ſtillen und fanfe hinfließenden Leben Hang hatten,
mußten fih Gewalt anthun, aus den“ Schranken ihrer Natur
mit Gewalt hervorbrechen, ihren. Charakter verleugnen, ſich
mit dem größten Widerwillen in das gange Meer von Sabalen,
Rniffen und Chikanen flürgen, in dem der unruhige Kopf,
wie in feinem Elemente, lebt, und, ben den fanfteflen Ges
424 Lehrbuch der civitift, Litterärgefchichte dv. Br R. Hugo.
muͤthsanlagen, ſich tro& den Händeljüchtigften und zaͤnkiſchſten
Menſchen, trotz den tollfien Braufeköpfen, benehmen. Sie
mußten fi erniedrigen, Partheyen unter den Studenten zu
bilden, und diefe feldft mit Selde auf ihre Seite zu ziehen
trahten. Der Sieger wurde meiftens von den Studenten,
wie im Triumphe, nach) Kaufe begleitet. Diefe Sitte wurde
von Italien auch nad Frankreich verpflanzt, und Bartolus
(ad L. ı. $. divus etc. n. ı9. D. de var. et extraord.
cogn.) fpricht von einem folchen gelehrten Kampfe, der zu
Toulouſe zwifhen dem Profeſſor primarius, Quilselmus
a Eunio, und feinem Concurrens, Beltrandus de
Monte Faventino, nah dem Jahre 1340 Statt hatte,
Aber in Italien hielt fih diefe Sitte weit länger. Sehr oft
endigten fih diefe gelehrten Fehden mit Injurien von beyden
Seiten, manchmal fogar mit Thärlihkeiten. Den ECarolus
Ruinus, der doch ſchon vorher einen ehrenvollen Kampf mit
dem gefürchteten Jaſon in Padua beſtanden hatte, jagte
einmal fein Eoncurrens, Franciscus Parmenfis, bloß
durch .ein fanftes Lächeln, fo fehr in die Hiße, daß er in den
heftigften Zorn ausbrach, und fih allen Ansihmeifungen einer
zügellofen Rede ohne Scheu uͤberließ. So wie fih gemeinigs
lich die Unverfhämtheit des Lebens unvermerft auch den Wer—
fen der Schriftftellee mittheilt, fo waren oft auch die Schriften
jener Zeiten der Abdruck jener unanftändigen Kämpfe. Mans
cher Primarius, der in der Difputation von feinem im Ganzen
minder gefchieften Eoncurrens, durch einen gluͤcklichen Einfall,
oder einen liftigen Kunftgriff, in die Enge "getrieben wurde,
fuchte fih nachher, in einer Schrift, zu rähen, und die ven
-biffene Wurh gegen feinen Gegner auszulaffen. Ganz gewiß
waren: die Nachtheile diefer Sitte größer als die NWortheile:
eben deswegen kam fie auch allmählig außer Gebrauch. — In
die zweyte Periode von Irnerius bis Accurfius gehören
auch noh Jacobus Colombinus, der berühmte Feudiſt,
der Engländer Stepdan Langton, der Franzoſe Guy
Foucaut, nahher Pabft Clemens IV., und der, durd
mehrere gefchäßte Schriften befannte, Pabft Innozenz IV.
— Bon $. 75. bis 83. ſtehen ſehr / gute allgemeine Betrachtun⸗
gen über die dritte Periode, von Accurfius bis Bartolus,
-
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Br. R. Hugo. 125
mins aus &GSarti’s und Fattorini’s Werke genommen.
Diee Periode zeigt uns heramirrende Profefforen , weldhe ans
fehnlihe Summen „ aus den Benträgen ihrer Schüler, ziehen.
Die luſtige Stelle des Odofredus (©. 56 Mote 2.) if
aus Sarti T. I. P.I. p. 180 Mote a) entlehnt. Wenn ber
Verf. hier behauptet ($. 75. Note 2.), das Verhättniß zmis
fhen lectio ordinaria und extraordinari in der dritten
Meriode, ſey jegt nicht mehr ins Klare zu Tegen, und es fey
wohl nicht dasjenige, wie nachher zwiſchen einem Publicam
and Privatcollegium gewefen, fo ift Rec. nicht diefer Mey⸗
nung, weil es ſich beftimmt beweifen läßt, daß, auch in der
dritten Periode, lectio ordinaria und extraordinaria ſich
bloß dadurch unterfhieden, daß dieſe von den Zuhörern bezahle
werden mußte, jene hingegen nicht. Schon die Etelle des
Ddofredns, weihe Sarti und aus dieſem der Verf. (©.
56 Note 2.) anführen, leider fchlechterdings Leine andere Exs
klaͤrung; aber nod) viel deutlicher erklärt fich derfelbe O dos
fredus hierüber an einem andern Drte, nämlich in Pro&mio
Pandect. in princ. n. ı1. Was den Zweifel beteifft, den der
Verf. hierbey Außert, daß nämlich die Lehrer keine Gehalte
hatten, fo mußten fih die Profefforen vecht gut und fchlau zu
helfen; denn von Irnerius an, dem feine Nachfolger veche
gerne folgten, lafen die Profefforen der Irneriusſchen Schule
öffentlich und umfonft nur über das Digestum vetus und den
Codex; die andern und zwar die bey meitem michtigeren
Theile, naͤmlich das infortiatum und novum, erflärten fie
privatim und gegen Bezahlung. Diefes fagt Odofredus
ausdrädlich Comment, ad L. ult. D. de divort. num. ult,
und es ift befannt, daß diefer Mechtsgelehrte den Urſprung
und die Beichaffendeit der Srneriusihen Schule, deren letzter
Sproͤßling er felbft war, am beften von Allen kannte, und
daß wir beunahe Alles, was wir von ihr wiffen, nur durch
ihn wiſſen. Auf diefe Art zwangen die Profefforen ihre Schüs
fer auf indirecte. Weiſe, ihre Privatcollegien zu befuhen, und
jeder Student war gendthiget, dem Profeffor eben fo gut zu
opfern, als wenn er publice gar nicht gelefen hätte. Denn
welcher Schüler hätte nur einen Theil, mit Hiutanjeßung der
zwey andern Theile der fo Hoc verehrten Digeften, hören
® “
‘
126 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo.
wollen? Und was lag dem Profeffor daran, wenn er für das
Privatcollegium recht gut bezahlt war, was, wie wie willen,
geſchah, ob er für das Publicum uͤber das verus etwas oder
nichts erhielt? Er war für das letzte ſchon in dem erfien,
wo nit dem Namen, doch der Sache nah bezahlt. Wer
weiß, ob nicht aus bloßem Kigennus die Eintheilung und Abs
fonderung in Digestum vetus, infortiatum et novum fo
lange und fo religtös bepbehalten worden if. Auch willen wir
nicht, ob die Profefforen der Irneriusſchen Schule, fo lange
fie feine Gehalte vom Staate hatten, nicht wenigſtens andere
Vortheile genoffen, die fie mit einem Publicum, das fie ums
fonft laſen, gerne vergalten. Auf jeden Fall fanden fie in
dem großen Anfehen und der Ehre, die von ihrer Stelle auf
fie ſelbſt zuruͤckfiel, verbunden mit dem Rechte, auch Pris
vatcollegien zu leſen, und, mit diefen, den, Beuteln der Stu⸗
denten zuzuſetzen, eine veichliche Entfchädigung dafür. Das
Infortiatum mußte ihnen befonders ein wichtiger und lieber
Dame feyn, weil er die Grenze bezeichnete, wo fie, auf dem
großen Wege der Digeſten, anfingen, auf Rechnung der Stus
denten zu reifen. Wenn Ddofredus, in feiner Ankuͤndi—
gung, droflig genug fagte: Extraordinarie non credo legere,
quia Scholares non sunt boni pagatores, fo war diefes
eine weder ernfllih adgefaßte, noch ernfilich gemeinte Drohung,
bey der er darauf rechnen konnte, daß fie ihre Wirkung nicht
verfehlen, daß die Studenten in fih gehen, und, um feines
Unterrichts nicht beraubt zu werden, das Honorar entweder
anticipiren , oder den gefhästen Lehrer wenigftens vollftommen
fiher ftellen würden. Non credo legere ift weit weniger ale:
non legani; jenes ift, fo zu fagen, eine Einladung zu Pers
fuaforien; und welche Perfuaforien die fiherften feyen, gab
Ddofredus durch fein angeführtee Motiv deutlich zu erfens
nen. Haͤtte er aber auch feine Drohung ausgeführt, fo wiſſen
wir ja nicht, od er nicht in Umſtaͤnden war, die ihm wohl
erlaubten, eine folhe Probe zu machen, oder ob er nicht anf
irgend eine andere Art eben fo viel, als durch ein privatum
verdienen konnte. — Bey ber dritten Periode hätte auch bes
merkt werden können, daß fchon in diefen Zeiten die Subtilis
täten und Neuerungen die Manier waren, wodurch fich ein
’
y.
u Bi
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. N. Hugo. 127
Profeffor vor dem andern auszugeichnen fuchte, daß diefe Herrn
mit einander oft auf eine wicht fehr würdige Art werteiferten,
ja daß fie ſich manchmal feloft fo weit vergaßen , ihre Hoͤrſaͤle
euh mit ihren Bedienten anzufüllen. — Daß Accurfius,
wie der Werf., der gemeinen Meynung gemäß, im $. 85. bes
bauptet, fih fpät zur Rechtsgelehrſamkeit gewendet habe, iſt
nicht nur fehr unwahrſcheinlich, fondern auch beſtimmt unrichs
tig, und durch zwey glaubwürdige und fehr Alte Schriftfteller
des XIV. Jahrhunderts, nämlich den Philippus Villas
nius und? Domenicus Bandini, widerlegt. Sarti
hat, aus einem bandfchriftlihen Codex der Barberiniſchen
Bibliothek, einen Auszug aus dem Villanius (Tom. 1.
P.2. p. 200. ), und, aus einer Vaticaniſchen Handſchrift,
einen Auszug aus Bandini (T.I. P. ꝗ. p. 205.) gegeben,
welche diefes außer Zweifel feßen; und er felbft, auf diefe
großen Auchoritäten geflügt, und die gemeine und unwahrs
fheinlihe Meynung für eine Fabel erflärend, fagt bes
fimme (T. 1. P. 2. p. 157 et 138. $. V.) von Accurſius:
„A prima aetate literis se dedit, et mira temporis brevi-
tate artes liberales didicit. Mox ad jus civile se con«
tulit in tenera adhuc aetate, à quo Studio nnnquam
deinceps discessit.“ — Cpnus von Piftoja ($. 88.) iſt
ein als Rechtsgelehrter und Dichter gleich merkwuͤrdiger Mann.
Noch vor Bocaccio, nämlih zu Dante’s Zeiten, ſchrieb
er Gedichte „ welche verdienten, feldft von Petrarca, der
ihn gleihfam als feinen Lehrer anfah, gelobt zu werden. Er
lebte, ſtudirte und lehrte zu Bologna die Nechtsgelehrfamteit,
und wurde in Nom Benfiger Ludwigs von Savoyen, der das
ſelbſt Senator und gleihfam Stellvertreter des Kaifers Heinrich
VI. war. Der $. 88. ift ein auffallendes Beyſpiel eines ges
fuhten und abſichtlich dunfeln Styls. Cinus aus Piftoja,
über deffen Verhaͤltniß zu Perrarca und Boccaz bey Panzirof
(Panzirolli ) ein Höhft unhiſtoriſches Gemählde, und feitdem
noh ein Betrug von Doni vorfommt. Er ftarb 1336 oder
1341. &o lautet der ganze Artikel von Cynus. Was
kann ein ſolcher Artikel in der Seele des denkenden Lefers zu:
rädlaffen ? Wozu diefe gefliffentliche Unverſtaͤndlichkeit! Warum
follen fich die Lefer ohne alle Noch die Köpfe zerbrechen ? Wo
‘
r
428 Lehrbuch der einilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo,
ſollen fie erfahren, in was Doni’s Betrug befand? Warum
follen fie eine Sache errathen, die der Verf. kurz vorher viel⸗
leicht feldft nicht mußte? Warum verweif’t der Verf. nicht
vedlih auf Tirabofcht (Tom. V. p. 265), woraus er bie
ganze Sache’ genommen bat? — Sn der Mote ı. zum .88.
kommt fogleich wieder ein ganz ähnliches Manoeuvre vor. Diele.
Note lauter mörtlih fo: „Er (Linus) wird oft bey einer
‚Stelle aus Cajus angeführt, die er aber von Jacobus a
Navanis hatte, und diefer hatte fie wahrfcheinlich nur aus
Boethins“ Was foll abermal Diefes Raͤthſel von Anmers
tung? Warum will der Verf. abermal die guten Lefer vachen,
und im ganzen Cajus fuchen laffen, wo er fie doch nur mit
zwey Worten auf.die, fonft nur mit der größten Mühe zu
findende, Stelle verweifen konnte? Warum gibt er fi bie
Miene des Urhebers diefer fehr richtigen Bemerkung ? Warum
fagt er nicht redlich, daß fie einzig und allein dem gelehrien
Schulting angehört, aus dem er fie genommen hat?
Wie weit befcheidener, anſpruchsloſer, vedlicher, deutlicher,
ſchoͤner, -und fogar noch weit kürzer fagt bier der vortreffliche
Haubold (Institut. jur. rom. litter. $. 24. nota c.):
„De Cajo ex Cino restituto vid. Ant. Schultingius Ipd.
Antej. p.54?* Mit diefen wenigen Worten weiß; Jeder for
. gleich VBefcheid ; jeder weiß fogleich, wo er fi) weiter unters
richten kann, während dir Lefer des Lehrbuhes des Verf. mit
unerträglichem Zeitaufwande alle die vielen Noten zu Cajus "
durchblättern muͤſſen, um eine zwar richtige, aber nicht fehr
wichtige Bemerkung gu finden. Dffendar hat auch nur bie
Hauboldſche Note den Verf. zu der feinigen veranlaft;
aber, weil er die Bemerkungen Anderer nie mit ihren Worten
wieder zuräcd gibt, und weil fein Styl das Natürliche nicht
liebt, fo huͤllte er die fchöne Einfale der Haub ol d ſchen Note
in eine geſuchte Dunkelheit, wobey man niht umhin fann,
ſtets an das Quintilianiſche: „qui, ut aliquid novi afferre
videantur, etiam meliora mutant“ zu denfen. —
(Die Sortfegung folgt, )
EEE
No, 9.- Heidelbergifde 1813.
Jahrbücher der Litteratur.
Lehrbuch der civiliftifchen Eitterärgefcichte vom Prof, Kitter Hugo
in Göttingen. Ä
¶ Sortfegung der in No. 8. abgebrochenen Recenſion.)
In die dritte Periode gehoͤren auch noch Oldradus de
Ponte, Schüler des Dinus, Guilielmus de Mandas
got, Verfaffer des VI. Buches der Dekretalen, und bie fünf
Profeforen zu Toulouſe, Jacobus de Arenis, Öuiliels
mus de Montelauduno, Gencelinus, Lucas de
Penna, Suilielmus de Cuneo. — Sn der Charakter
eiftit der vierten Periode, von Bartolus bis auf Polis
zian ($. 9gı.), hätte vorzüglich bemerkt werden follen, daß,
neben der Dämmerung in der alten Litteratur, im dieſer Periode,
zugleich jene "eckelhaften dialectifchen Streitigkeiten, Unterfcheis _
dungen und Weitſchweifigkeiten, und kurz alles das, was die
(hönen Geiſter an die Thüre des Tempels des Geſchmackes
verweiſen, aufgekommen ſind, und zum großen Schaden des
gruͤndlichen Studiums des Römischen Rechts, nur allzulange
die ſchoͤne Wiſſenſchaft dieſes Rechts verunſtaltet und verwirrt
haben. Der Urſprung jener unzähligen und unnuͤtzen Fragen,
weihe die Echule befhäftigten, die Wiſſenſchaft zu einer uns
fruhtdaren Caſuiſtik herabwärdigten, und jene unermeßlichen
Bände hervorbtachten, welche fie in den folgenden Zeiten fo
veraͤchtlich gemacht haben, muß vorzüglich in diefer Periode
gefuche werden. Wielleiht koͤnnte man behaupten, daß Mangel
und Ueberfluß an Büchern zugleich zur Weitläufigkeit der Werke
der fcholaftiichen Juriften diefer Periode beytragen konnte.
Dieſe traten auf. die Schaubühne der gelehtten Welt, um zu
einer Zeit, wo die Bücher, in Vergleihung mit den fpätern
Zeiten, noch felten waren, eine allzubedeutende Rolle zu fpies
len. . Sie glaubten Alles fagen zu muͤſſen, weil die meiften .
Lefer, die feine oder nur ſehr wenige Bücher hatten, Alles
9
j
130 Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
neu war; fie wollten als Vielwiſſer, Entdecker und fcharffinnige
Dialectiter angefehen fenn , fie beſaßen das große Geheimnmiß
nicht, nur das Wichtige auszuheben, fie fagten zuviel, und
wurden fade, fhwälftig und eckelhaft. In Wergleihung mit
den fruͤhern Zeiten hingegen, und namentlich in Vergleichung
mit dem Zeitalter von Irnerius bis Accurfius, waren
nun (don fehr viele Bücher ihrer Vorgänger in ihren Händen,
und, mit diefen, bereits eine Menge controverfer Rechtsſaͤtze
und Meynungen der Doctoren im Umlaufe. Diefe gaben
ihnen Gelegenheit zu langwierigen Unterſuchungen und zu wies
der nieuen Meynungen, die fie eben fo breit, und mit eben
den langweiligen Umſchweifen darlegten, durch die fie dazu
gekommen find. Wenn die Schrififteller der frühern Periode
nur felten und mit wenigen Worten Andere citirten, fo fing
jege fhon Bartolus an, Auchoritäten mit reicherer Hand
auszuftreuen, und feine Nachfolger wußten bald Fein Ziel und
Maß mehr zu beobachten, fie führten ganze Laftwägen von
Allegaten herbey, und verfchangten die gemeinflen. und undes
deutendften Pläge mit einer ungeheuern Wagenburg von Eitas
ten. Sie erklärten nunmehr nicht fowohl die Geſetze, als
vielmehr Bloß die Meynungen ihrer Worgänger; die Geſetze
waren von der Laft der Meynungen unruͤhmlich niedergedräcke,
und von dem dichten Staube bededt, den die Schule und die
Heerden von Meynungen der Doctoren erregt hatten. — Die
Mote 1. zu $. 94. (S. 75) ift abermal auf gefuhte Art duns
tel. Sie lauter fo: „Auch gegen Laurentius Valla fol
die Lex quinque pedum (c. 5. C. 3. 39.), die ſchon viel
früher Hey Abdelard (wahrſcheinlich einer Verwechfelung mit
Bailardus) vorkommt, gebraucht worden feyn. Er Habe
fi ‚darauf berufen, mander Surift verfiehe die Uſucapion
nach den XII Tafeln nicht.“ Was follen die Lefer mit diefer
Note, die fie nicht verſtehen können ?_ Warum gefiel es dem
Verf. nicht, ihnen eine unnöthige und unnuͤtze Mühe durch
ein kleines Eitat von einer Linie, etwa nur duch: Alcıat
de 5. ped. praescript. liber. n. ı. et 77. (In opp. T. III.
p- 596 et 605) zu erfparen, und, zum richtigen Verftande
der Parenthefe, Sarti Tom. I. P. 1. p. 49. $. 1. anzufühs
ven, aus dem diefe genommen if? Warum der Verf. im
Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte u, Pr. R. Hugo. 131
6.100. Note 3. (S. 79) den fo verdienten Hommel des
wegen über Die Achſel anfehen will, weil er kurz über den
theologifch » juridifchen Proceß des Bartolus gefprohen hat,
weiß Nec. fich nicht zu erflären. Diefer Proceß ift eine fo
anfallende und Argerlihe Erſcheinung in der gelchrten Welt,
daß man noch jeßt mit dem wahren Motiv des Verf. nicht
zeht im Reinen ift, daß man nicht weiß, ob man ihn als
die Wirkung einer ausihweifenden oder gerrütteten Einbildungss
kraft, oder der Spötteren und Irreligion des Verf. anfehen
fol, und dag man nicht begreift, wie ‚ein Gcheiftfteller des
IV. Yahrhunderts es wagen durfte, ein fo nnanftändiges
Buch zu fehreiben, worin die ehrwuͤrdigſten Namen mißbraucht -
und dem Teufel entgegen geftellt werden, um den Lefern den
Civilproceß zu erklären, worin Maria heidnifhe Geſetze
citirt, um das menfchliche Geſchlecht gegen die Angriffe des
Satans zu verwahren, und worin gegen die gemeinften Bes
griffe fo Fehr angeflogen war, daß der böfe Zeind erſt im
Sahre 1311 zur ewigen Verdammniß verursheilt wurde. Wenn
fehr berühmte Selehrte, ein Bayle, Marhand, und au
dee Advofae Terraffon, nebft noch vielen Andern, noch
von Niemand darüber getadelt wurden, daß fie weitkäufige
und umftändliche Ynterfuchungen hierüber angeftellt haben, fo
wird man dem verdienten Hommel wohl aud eine Pleine
Detavfeite verzeihen, die er diefem Gegenſtande gewidmer hat.
— Die Anmerkung über Baldus ($. 101.), daß das Geld,
welches dieger Juriſt mit Fideicommiffen verdient haben fol,
noch neuerlich zu Anipielungen auf Suriften gebraucht worden
fen, muß abermal für alle diejenigen dunkel bleiben, welchen
die Schrift , woraus diefer Übrigens ganz unwichtige Umſtand
entiehne iſt, zufäligerweife nicht zu Gefihte kam. Mancher
Mrofeffor , der Über des Verf. Lehrbuch lefen‘ wollte, müßte,
wenn er auf diefe Stelle fäme, und von feinen Schälen ger
fragt würde, wo jene Anfpielungen gemacht worden fepen,
ohne weitere Umſtaͤnde verflummen, und feine gang nicht uns
rtuͤhmliche Ignoranz geſtehen. Auch gehört fo eine Anmerkung
| gewiß nicht im einen $. eines Leherbuches der civiliftifchen Litte⸗
tärgefhichte; Kr. Haubold wärde fie, nach feinem feinen
gelehrten Tacte, ganz gewiß nicht einmal nar in einen Moss.
‚432 Lehrbuch der eiviliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo.
‚aufgenommen haben. — Baldus muß übrigens am Lefen
‚und an dem Profeffors s Leben eine Freunde wie keiner gehabt
haben ; denn er fagte (in Pro&m. Dig. $. Itaque etc. n. 9.):
.„ Legum doctores in omni loco et omni tempore felices
sunt.“ Aber Panzirolli var nicht diefer Mehnung; denn
‘er feßte unmittelbar dahinter: „Quod an verum- sit, ipse
viderit!« — Sm 6. 103. fagt der Verf. von Ehriſtopho—
rusde Caſtiglione: „Er wird als ein Neuerer genannt,
aber ‚worin befland dies?“ Die Antwort it: Darin, daß
er, nad einer Menge unrühmtlicher Juriſten, welche die Mey⸗
mungen und Erklärungen ihrer Vorgänger höher als die Geſetze
Felbſt ſchaͤtzten, nur jene fludirten und dieſe vernachlaͤſſigten,
und, was die nothwendige Folge dovon war, die falſcheſten
und thoͤrichſten Saͤtze derſelben ohne Pruͤfung annahmen, von
Hand zu Hand weiter gaben, und ſelbſt in die Praxis eins
führten, wieder der erfle und hauptſaͤchlichſte Doctor war, der,
mit Hintanfeßung jener albernen, gemeinen und hochverehrten
Meynungen,, fih Bloß wieder an die Geſetze felöft hielt, dieſe
nad) ihrem wahren Sinne und aus andern Geſetzen zu erflä
ren fuchte, Beine erdichtete, fondern nur ſolche Grundſaͤtze zu
Entfcheidung ſchwieriger Rechtsfragen anmwendete, welche in
den Geſetzen ſeibſt gegründee waren, alle jene divinatoriſchen
Diftinctionen, Limitationen, Ampliationen und Ausnahmen
‚von der Begel, wovon es In den Schriften feiner Worgänger
mimmelte, aus den feinigen verbannte, eben darum den ge
meinen Meynungen der Sjuriften vor ihm, bey jeder Gelege
heit, den Krieg ankündigte, und, weil er viel Scharffinn
befaß, dafür eine Menge neuer Meynungen und neuer Spißs
findigfeiten auffteflte, die vor ihm feiner auf die Bahn gebradt
hatte. Weit er giäcklicherweife, an Raphael Fulgofius,
Raphael Eumanus und Paulus de Caſtro, dr
berühmte Schäfer hatte, die auf der neuen Bahn ihres Mei
ſters mit Gluͤck fortwanderten, und wovon die beyden erfiern
von Jafon (ad L. 1. D. de pact.) öffentlich befchufdiget
werden, daß fie die Schriften ihres Lehrers unter fich getheilt,
und feine Entdelungen untedtmäßigerweife ſich zugeeignet
Haben, fo mußte auch noch der Glanz der Schüler, was
immer dev Fall ift, auf den Lehrer Strahlen zuruͤckwerfen;
Pa
Sehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 133
fo tonnten ſelbſt die Neuerungen feiner Schäler, befonders
wenn Ja ſon's Beichuldigung richtig war, als fein eigenes
Berk angefehen, und fo verdiente er mit Net, ein Neuerer
genannt zu werden. Ohne Zweifel hat diefe nämliche Stelle des
Jaſon, der nicht lange nah Eaftiglione lebte, den fpäs
‚tern Juriften bauptfächli Anlaß gegeben, diefen Rechtsgelehr⸗
ten einen Neuerer zu nennen, ohne feine Schriften felbft zu.
fennen. Sie lautet mwörtlih fo: „Contrariam opinionem
et quidem probabiliter tenuerunt subtiles moderni, Ra-
pbael Fulgosius et Raphael Gomensis, et ante eos fuit
opinio subtilitatum principis, D. Christophori de
Csstiglione, eorum praeceptoris, cujus novas opınio-
nes saepe sihi adscribunt.“ Jaſon muͤſſen wir, ſowohl
wegen dee Zeitalters, in dem er lebte, als wegen feiner eiges
nen Fähigkeiten, für einen competenten Dichter in dieſem
Steeite halten, und, anf feine Treue und Glauben, darf nun
Eoftiglione, von allen Juriſten und für alle Zeiten, ein
Neuerer genannt werden, oder es gibt wenig hiftorifche
Wahrheiten mehe in der Welt. — Wenn der Verf. im $. 109. -
von Raphael Fulgofi und Raphael Raimondi,
boder da Como ſpricht, und nicht das gewoͤhntichere Fulgo-
sius, Comensis, Raimundus waͤhlt, fo. harmonirt es nicht
recht, wenn er nicht auch Bartolo, Baldo, Minucci,
Accorſo, Saliceto, Bonamici, Bonifazio de
Bonoconſiglio, Bulgaro, Calderini, Pacio,
Robortelli, u. fr w. ſchreibt. — Bey Jaſon ($. 108.)
wäre beſonders auch zu bemerken geweſen, daß er, ſelbſt nach
Aleiatus Urtheil, etiam in literis latinis longe praestans
war. Ein poſſirliches Schauſpiel muß es geweſen ſeyn, als
er im J. 1499 zu Pavia vor dem Koͤnig Ludwig XII. vor
fünf Cardinaͤlen und einer großen Menge anderer ausgejzeich⸗
neter Derfonen, in einem Kleide von Goldftoff las, und die
wichtige Theſis, gegen’ mehrere Antagoniften; vertheidigte, daß
die Nittermärde, welche jemand wegen Tapferkeit im Kriege
von feinem Fuͤrſten erhalte, auch, auf die Kinder uͤbergehe. —
Die Note 3. zum 6. 107. hätte abermal mit dem Schriftftefler
belege werden follen, aus welchem fie genommen. if. — Bey
$. 111. Note 2. iſt zu bemerken, daß die Klagen der Practiker
434° Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte dv. Pr. R. Hugo.
und Barbaren gegen die Humaniſten zu allen Zeiten gehört
worden find, ja daß jene auch nod) in unſern Tagen menigs
fiens im Stillen über diefe feufzen. Wie könnte es auch anders
feyn? Keiner will im Alter geftehen, was er in der Jugend
vergebens erlernt Katz Jeder fieht durch feine eigene Brille,
und die Eigenliebe der Menichen geht fo weit, daß fie ſelbſt
die Tugenden, die fie nicht befigen, an Andern eher für Feh⸗
Ice zu halten, als fih eigene Mängel einzugeftehen geneigt
find. — Wenn der Verf. im $. 115. von Marcus Mans
tua fage: „Er ſtarb 1582, und wenn er wirklich Aber go
Jahre alt wurde, fo konnte er freylich den Gojährigen Ceras
als einen ziemlich jungen Mann fchildern“ und dabey wieder,
nad feiner Gewohnheit, weder den Autor nennt, aus dem er
das gojährige Alter des Mantua erfuhr, noch den Schrift⸗
ſteller, bey welchem Zweifel über fein und des Ceras Alter
erhoben worden find : fo ift dies abermal eine, die Manier
des Verf. ganz charakterifirende,, Affectation,, die um fo mehr
zu tadeln iſt, weil fie auch in der allereinfadhften und unwids
tigften Sache von der Welt, woben es fih der Mühe nicht
verlohnt, nur eine Minute Zeit zu verlieren, nad Duntelhels
ten und Raͤthſeln haſcht. Denn kein Profeſſor ift hier im
Stande, den status controversiae Mar einzufehen, wenn er
nicht vorher, mit unnägem Aufwand von Zeit und Mühe,
dem Autor nachgefpürt hat, aus dem die Bemerkung genoms
men iſt; und einer Menge Lefer, welche die Quellen des Verf.
nicht kennen oder nicht befigen, muß die Sache ſtets ein Raͤth⸗
ſel bleiben, das fie nie Löfen können. Es ift unbegreiflich,
wie der Verf. in dergleihen Dingen etwas fuchen mag, wozu
auch nicht die geringfle Kunft erfordert wird, und womit ihm
jeder gelehrte Juriſt, wenn er wollte, ‚und nicht von einem
richtigern Sinne geleitet wäre, nicht hundert s fondern taufends
weiſe aufwarten, und ihn in die größte Verlegenheit fehen
koͤnnte. Was würde denn der Verf. ' dazu fagen, wenn er
z. B. Säge der Art in einem Buche finden würde: „Daß bie
berühmten Römer, welche den Pflug nad dem Commandor
ftabe führten, deswegen kein fo großes Lob verdienen, zeigt
vortrefih Bougainville“ „Daß die erdichteten Hiſtorien
darum Romane genenne werden, weil die Roͤmiſche Geſchichte
Lehrbuch Der civiliſt. Litterärgefhichte u. Br, R. Huge. 135
die Geſchichte aller ührigen Nationen an großen Heldenthaten
fehe weie uͤbertraf., hat Dodwell bewiefen.“ „Daß ein keus
ſches Indiſches Frauenzimmer um feinen andern |Preis, als
am einen Elephanten, zu einer Ausfhweifung gebracht werden
tinne, Hat ein berühmter Sriehifher Geſchicht—
fhreiber behauptet.“ „Daß das Romiſche Recht in Italien
nie ganz außer Gebrauch gefommen fey, hat am beften und
mit vielen Documenten ein Italiener in der erften
Hälfte des 18. Jahrhunderts dewielen.“ „Eine pes
riodiſche Zeitfchrift, die in Frankreich geſchrieben
wurde, erzähle eine fo großmürhige, anßerordenslihe und
tuͤhrende Handlung des Verfaffers des Esprit des Loix, daß
ein gefühloollee Lefer ſich dabey der Thraͤnen nicht enthalten
kann.“ „Schon im 3. 1558 if in Poitiers ein Compendium
des Civilrechts gefchrieben worden.“ „Der Buchhändler Roſſi
bat, in der Vorrede zu einem geſchaͤtzten jurifiifhen Werke,
das im I. 1770 in Stalien in Lateinifcher. Sprache zum
zweytenmale gedruft wurde, mit ſehr guten Gründen bie
Nachtheile der Fideicommiffe aus einander geſetzt.“ Was
wärde der Verf. zu dergleihen Sachen fagen? Er made nur
mie diefen Benfpielen, die Mer, fo wie fie ihm zunaͤchſt in
Die Feder kamen, mniederfchried, feine kleine Probe, und er
wird finden, daß er. audy micht ein einziges dieſer 7 Raͤthſel
dien kann. Und fo wollte ihm Rec. täglih zu Hunderten
aufgeben, und abfihtlih Hat er in dieſer Kritik noch viele
Sachen nicht mit Authoritäten belegt, die der Verf. nicht leicht
wird finden können. In der Vote 3. zu $. 118. (©. 95)
hätte der Verf. den Titel von Hommels biographiichem
Vergeichniffe anführen follen ; denn hundert Lefer werden nicht
wien, daß feine Effigies Ictorum in indicem redactae
darunter verflanden find, und gewiß zuerit in feiner Littera-
tura juris vergeblich nachjuchen. Webrigens haben auch - fhon
Denis Simon und Taifand den Poliziano unter ben
Rechtsgelehrten aufgeführe. — Wenn der Verf. im $. 180.
behauptet, Alciat habe in feinem Leben wohl nie den Cu⸗
jas nennen. hören, fo zweifelt Mec. ſehr Hieran, und er ifl
vielmchr vom ©egentheile uͤberzeugt. Cujas las zum eritens
male im Jahre 1547 Über die Inſtitutionen, und er wurde
4369 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
fogleih beruͤhmt, man verſprach fich fogleich viel von ihm, und
man bewunderte vorzüglicd die Klarheit feines Vortrages, die
immer das Erbtheil der hellen Köpfe if. Dieſes ſagt Pass
quier (Oeuvres T. II. p. 568), der zugleich bemerkt, daß
er feloft diefer erften Lection des großen Mannes angewohnt
habe. Rec. beſitzt ferner ein feltenes, aber nnbedeutendes
Buch, nämlich die Epistolarum legalium , in quibus varii
juris articuli continentur, libri tres von Sohannes
Raymundus von Toulouie, die im J. 1549 zu Lyon ind.
herausgefommen find, worin Cujas in der Dedication, die
der Verf. an diefen richtete‘, fhon den 2. Auguft 1549 und
fünf Jahre vorher, ehe Cujas etwas geichrieben hatte, vir
doctissimus et decus hujus aetatis genannt wird. Da nun
Alciat erft im 3. 1550 in Pavia flarb-, und da’ zwifchen
Toulonfe ind den Yniverfitäten in Dbers Stalien, durch die
Studenten aus Frankreich, welche auf dieje gingen , ſtets eine
Verbindung unterhalten wunde, ſo ift es nicht wahrſcheinlich,
daß Alciat, der gewiß nicht weniger, als die Profeſſoren
gewöhnlih, auf feine Kollegen auf anderen berühmten Unis
verſitaͤten, und namentlich auf der berühmten Univerfirät eines
Landes, in dem er feldft mehrere Jahre als Profeſſor lebte,
neugierig war, vom 9. 1547 an bis 1550 nichts von einem
Profeffor follte gehört haben, der gleich bey Eröffnung feiner
Öffentlichen gelehreen Laufbahn fih berühmt machte, und, was
wohl zu merken if, auf einer Univerfität, wo damals nur die
Sekte der Bartoliften und Barbaren die herrfchende war, dens
felben Weg eingeichlagen,, und diefelbe Lehrart zu der feinigen
gemacht Hatte, wodurch er feldft vor den. meiften Juriſten ſei—⸗
ner Zeit fich fo vortheilhaft ausgezeichnet hat. Wenn der Berf,
in den Zufäßen und Berichtigungen (&. 397) fich verbeſſern
will, und bemerkt, daß es im 6. 122. eine Verwechfelung des
Todesjahres von Alciat mit den drey Andern fey, dafi diefer
ben Eujas wohl nie habe nennen hören, fo verſteht Re.
entweder diefe Erläuterung niche, oder die Sache ifk nicht rich⸗
tig. Denn aus der un richtigen Angabe des Todesjahres
des Alciat (1558), die man im $. ıa2. findet, konnte die
Behauptung ges Verf. unmöglich entfichen, weil die richtige
Angabe (3. 1590) diefe Behauptung noch weit cher recht
Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 437
fertigen und wahrſcheinlich machen könnte. Haͤlt alfo der Verf.
feine Behauptung im $. 122. in den Verichtigungen und Zus
fügen ©. 397 feibft für unrichtig, fo kann fie diefes nicht aus
dem von ihm angeführten , fondern fie muß es aus einem ans
dern Srunde ſeyn. — Bey $. 197. tft gu bemerken, daß
Boerius in der Geſchichte nicht fehr bewandert gewefen ſeyn
möjje; denn er glaubte, die Longobarden feyen Könige gewe⸗
fen, welhe aus Sardinien nah Sjtalien gefommen feyen. —
Om 6. 105. Mote 1. iſt anzuführen, daß Maccioni’s
Differtationen nicht zu Pifa, fondern zu Livorno herausge⸗
fommen find. Selbſt die Dedication au den Mardefe Don
Migele Imperiali Simiana ift nie von Pifa, fons
dern .von Florenz aus gefchrieden. — Bey Biglius im
$. 131. hat der Verf. auf das fhäßbare Wert von Papens
dreht aufmerffam gemacht , deffen, fo wie feines Verfaſſers
ah Reis Ad Praefat. ad Theophilum $. 30.) ruͤhmliche
Erwähnung thut, und das der Aufmerkfamteit des Hrn. Haus
bold entgangen if. — Ranconet ($. 134.) hieß Aimar
de Ranconet. Mach des Präfidenten de Thou Behaupe
tung hat befonders Duaren aus de Ranconer's zerfireuten
Papieren vieles ſich zugeeigner, und in feine Schriften übers
getragen. — Viglinus ($. 131.) iſt auch Deswegen merk
würdig, weil er zuerſt die Baſiliken angezeigte hat, wovon
nahher Gentien Hervet zwey Bände, die er von Aguftin
erhalten hatte, zu Parts 1557 Bol. herausgegeben Bat. —
D5 der Verf. S. 62 $. da. Note 1. wohl daran that, eine
Engliihe Stelle aus Hume anzuführen, weiß Rec. nict.
Soviel ift gewiß, daß von den dermalen lebenden Juriſten
kaum der fechfte Theil diefe verſteht. — S. 1925 Mote 3. gibe
der Verf. gegen Ladvokat, Taifand und Hrn. Haubold,
welche Ameldeuren als Loͤwenklau's Geburtsort nennen,
Coesfeld im Münfterihen an. Er kann Recht haben; aber
6 war abermal feine Schuldigkek, feinen Grund und feine
Quelle anzugeben, und, fo lange er diefes nicht thut, kann
man ihm, auf fein bloßes Wort, nicht glauben. — 6. 140.
Scaliger hieß im Frangäfiihen de L' Escale. — Bey
$. 149. können die Schriften von Brunquell de jurispru-'
dentia per reformationem emendata, von Fried. Friſius
x
138 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
de Ictis, qui reformationem Lutheri adjuvarunt. Lips.
1730, und Heineccius de Ictis reformationi ecclesiae
praeludentibus mit Wortheil benugt werden. — $. 152.
Denis Simon (Tom. I. p. 229) fagt von Didendorp:
„Il passe sans contredit pour le premier Jurisconsulte
d’Allemagne.* Aber mit allem Rechte ift Terraffon (Hi-
stoire de la jurisprudence romaine p. 388. ) dagegen. Sein
fogenanntes Naturreht, deſſen der Werf. als des für das dl
tefte gehaltenen, erwähnt, ift nichts als ein Hang mageres
Skelet des Pandertentitels de jure nat. gent. et civ., daß
nur 24 Duodezfeiten zählt, und das mit nice mehr Recht für
ein Compendium des Naturrechts angefehen werden kann, als
alfe die vielen Commentare der Rechtögelehrten vor Olden⸗
dBörp über jenen. Pandectentitel, von denen fogar die meiſten
diefen Titel weit vollftändiger und beffer, als dieſer, erklärt
haben. Rec. befißt diefes unbedeusende Werkchen ſelbſt. —
6. 158. Mynſinger ift auch darum ein nicht gewöhnlicher
Mann, daß er, nachdem er fchon zu Dole und, unter Bil
glius, zu Padua ftudirt hatte, und bereits verheyrachet war,
noch Sciuer des Zaftus wurde, und mit feiner Frau nad)
Freiburg ging, um unter diefem berähmten Nechtsichrer noch
weiter zu ſtudiren. Diefee Aufzug mit der Frau: muß den
andern Studenten eben fo angenehm geweien feyn, als dem
Zafins, für deffen Gelehrſamkeit er das größte Compliment
war. — 9. 161. Bey Hoppers ift zu bemerken, daß dieſer
von Viglius das do. — 42. Buch der Baflliken ferhalten
hatte, und daß Eujas diefe wieder von Hoppers erhielt,
der in Madrid als Chevalier 1576 geftorben if. — $. 162.
Dem Räwärd gibt der Verf. das Jahr 1533 als Geburts
jahr, Sare ( Onomast. Tom. III. p. 894) und Br. Haut
Bold nennen das 3. 1554, und in dem Speculum Jacobo-
rum. Lips. 1811. p. 11 wird das J. 1555 genannt. Welche
Meynung ift nun von dieſen dreyen die richtige? — $. 166.
Ber Tirayueau nur aus feinen Schriften kenne, follte
nicht glauben , daß diefer Juriſt in feinen Aeußern einer der
größten Elegans feiner Zeit war. Es exiſtirt ein Holzſchnitt
von ihm, wo auf feinen Wangen mehrere Schoͤnpflaͤſterchen
angebracht find, womit der eitle Mann, nad) Art der Damen,
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte vo. Pr. R. Hugo. 139
die Schönheit feines Geſichtes heben und noch höher ſteigern
wolte. Seine Schriften find zu weitläufig; er fhweift immer
aus, und die KHauptfahen werden in Nebenſachen bey ihm
erſauft. — Pratejus, von dem im $. 166. die Rede ift,
hieß im Franzoͤſiſchen Pardoux Duprat, nie Prat.
Seine Jurisprudentia media, die der geſchickte G. Ronille
in &yon 1561 herausgab, war, che Otto fie feinem Thefaus
ns einverleibte, ein feltenes und ſehr gefuchtes Werl. —
6.168. Connan hieß im Sranzgöfiihen Francois Eons
nan, Sieur de Eoulon et de Rabeſtan. Bon
Hotman, Duaren und Turamint werden feine Werke
fehr Hoch gehaften,, von Andern verachtet ; fo verfchteden find
die Meynungen der Gelehrten! Der_unpartheyifche Lefer, den
keine Leidenfchaft Über die Linie treibt, wird in feinen Werken
fehr viel Gutes, "und manchmal ſelbſt vortrefflihe Sachen fins
den. — 6. 179. Die Anmerkung gegen Roaldes, womit
diefer ſehr gelehrte und zu feiner Zeit allgemein gefchäßte
Mann verkleinert werden foll, Hält Rec. für ſehr Übel anges
bracht, und ohne Zweifel wurde fie nur gemacht, um ein fa-
cete dictum des Eujas an den Mann zu bringen, für das
fouft kein fchichlicherer PlagTvorbanden war. Wenn der Verf.
fo gewiß ift, daß Roaldes keiner der vier Eivitiften feines
Rornamens (Franciscus) iſt, von welchen Cujas nur einen
einzigen fchäßte, fo kann er. diefe Gewißheit nicht aus eigener
Veberzeugung und aus der Einfiht der Werke dieſes Rechtes
gelehrten Haben; denn bekanntlich Haben wir kein einziges
Wert von ihm, und, wie de Thou berichtet, gab er auch
nie eines heraus. Aber er kann fie auch nicht durch die Zeugs
niffe feiner Zeitgenofien vom Hoͤrenſagen haben, weil bey dieſen
nur eine Stimme über feine großen Kenntniffe und Gelehrs
famteit it. Cujas, Hotman und Pithou fchäßten Ihn
fehr Hoch. Der Lebtere dedicirte ihm fein Werk über bie
Weſtgothiſchen Gelege; Cujas nannte ihn ommis antiquita-
tis reconditae locupletem penus, und, was mehr als Alles
für feine großen Kenntniffe beweif't, Cujas und Hotman,
die ſich über die Erklärung der I. frater & fratre. D. de
condict. indebit. nicht vereinigen konnten, compromittirten,
nah Teiſſier (additions sur .les Eloges des hommes
440 Lehrbuch der civiliſt. Sitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
savans, tirds de l’histoire de Mr. de Thou) auf feinen
Ausſpruch; und auch Sainte Marthe (Gallorum doctrina
illustrium -elogia L. II. p. 1612) ertheile ihm die größten
Lobfprüche. Woher will aljo der Verf. feine Gewißheit haben ?
und welche Gegengründe will er vorbringen,. wenn Nec. ber
bauptet, daß es, aus den angeführten Gründen, und namentlid)
aus der entfchiedenen Hochachtung, die Cujas für feine
Kenntniſſe hatte, fogar in hohem Grade wahrſcheinlich fey,
Daß gerade er von den vier Franzen derjenige geweſen fey, den
Eujas bauptiählih und allein gefhäße habe? — 6. 17%
Das Umftändlichfie und Wichtigfte, das Über Bourges ges
fehrieben worden ift, und zugleih am meiften in ein inter
effantes Detail geht, find die Meinen Schriften von Nicolas
Catherinot, wovon die neuen Herausgeber der Bibliothek
des P. Lelong ein Verzeichniß giben, das fih auf die Zahl
von 130 belauft, die größtentheils die Geſchichte und Geſetze
von Berry zum Gegenftande baden, dabey aber hoͤchſt ſelten
find. Fuͤr die Univerfirät Bourges ift wohl unter dieſen das⸗
jenige Werkchen das intereffantefte, das den Titel hat: Scho-
larum Bituricarum inscriptio, das zu Bourges im J. 167%
in 4. berausgelommen ift. Diefe Schrift enthält ein Lob der
Univerfisät, und ein Verzeichniß der juriftifchen und mebdicinis
fhen Brofefforen, fo wie eine Menge intereffanter Dinge, die
man fonft nirgends finder. In einem andern Werkchen: Le
Calvinisme de Berry. Bourges, 1684. flieht ©. 4 bey dem
5.1553 folgende intereffante Stelle: „En ce tems les pro-
fesseurs de Bourges Etoient fort suspects d’heresie, Voici
. . * .
leurs noms, avec leurs gages, par curiosite. Francois
Duaren geo livres, Francois Balduin 550 livres,
Hugues Doneau 2do livres, Nicolas Bouguier
200 livres, Charles Girard ıdolivres, Jean Rabbi
140 livres, Andre Levescat ı60 livres, Ant'oine
Lee Cante 45 livres, Henry Eduard (Es follte heißen
Eduard Henry) Ecossois 45 livres. Cette proportion
n'est ni geometrique ni arithmetique, mais burlesque;
parceque le merite des uns et des autres n’etoit point
encore .assez connu,* Üben fo merfwürdig iſt folgende fleis
nere Stelle, die kurz nah) dem 5. 1557 vertommt: „OR
*
Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugs. 141
disoit en ce tems des Antecesseurs de Bourges: Donel-
lus theologatur , Cujacius furatur (wahrſcheinlich hatte
biefes auf die Baſiliken Beziehung), Contius crapulatur,
Bouguerius feriatur.“ Offenbar kommt, bey diefer Schils
derung, Leconte am fchlimmften weg, und das Schlimmfte
für ihn ift dabey dieſes, daß eine folhe Eigenihaft ohne hin⸗
reihenden Grund nicht leicht erdichtet wird. Diefe zwey Stelr
Ien find auch in einem neuern Werke excerpirt; aber Rec.
nennt diefes nicht, um den Verf. gleichfalls Eben fo ſuchen' zu
lafien, wie er feine Lefer immer fuchen läßt. — Sm $. 179.
Note 1. ſagt der Verf. der Bugnerius, defien Roufard,
in der Dedication an L'Hopital erwähne, ſey ein gang
Unbekannter. Er iſt es nicht; es ift derfelde Niclas
Bonguier, von dem Catherinot in den zwey eben ‚ans
geführten Stellen zweymal fpricht, den Alciat in feinem
Emblema XI. mit feinem Bildniffe und fieben Lateiniſchen
Diſtichen, Anulus, in feinem Gedichte, mit vier Hexame⸗
ten, und Duaren mit einer merkwürdigen Rede verewigte,
die er den 25. December 1551 bey deffen Aufnahme zum
Profeffor in Bourges hielt, an deren Ende er ihm große Lobs
fprüche ereheile. Man darf ihn nicht mit Jean Bouguier
verwechfeln, der Parlamentsrarh in Paris war, und von welt
dem ein Recueil des Arrests vorhanden ift, wovon die erfle
Ausgabe im J. 1620 und die zweyte vermehrtere im J. 1629
erfhienen if. Alciat und Anulus nennen den Bouguier
auf Lateinifh Bugerius, Duaren hingegen Buguerius.
Wenn Roufard Bugnerius fchrieb, fo ift biefes entweder
eine Eigen heit deffelden, oder ein Druckfehler, und aus einem -
umurde ein n gegen feine Abſicht. — Bey $. rör. bemerkt
Rec, daß Leconte noch im Jahre 1966 in Bourges über
die Snftiturionen las. Diefes weiß er aus einem Exemplare
der Institutiones juris civilis, Franc. Accursii glossis il-
lustratae. Lugduni, apud Antonium Vincentium 1559. &.
das er befißt, das uifprünglich einem Deutihen Baron, Eus
tih von Sickingen, gehörte, der im Jahr 1566 ben
Leconte in Bourges über dieſes Buch ein Kollegium hörte,
und in welches der Befiser vom Anfange bis zu Ende eine
Menge Randnoten ſchrieb, die Leconte feinen Schäken in
.
442 Lebrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. pr. R. Hugo.
die Feder dictirte. Gleich im Prooemium der Inſtitutlonen
findet ſich folgende Randnote: „Praeceptor meus, Antonius
Contius, in praelectione harum institutionum, in haec
verba : Germanicus, Alemanicus, Sequentia
glossavir etc.“ Leconte las alfo Äber die gloffirten Snflis
tutionen, und in dem Collegium erklärte er feinen Schülern
den Tert und die Sloffe Wo er mit diefer einverfianden
war, da lobte er fie, wo er anderer Mepnung war, entwickelte
er feine Gründe Burg und gut. Die neuere Litteratur ber
Humaniſten fupplirte er immer, befonders aber benukte er,
bey, feinen Erklaͤrungen der Geſetze, die Inſtitutionen des
Eajus, Ulpians Fragmente, des Paulus receptae sen-
tentiae und den Theophilus Won GSchrififielleen führt
er häufig Alciat, Ferrarius, Dldendorp, Baron
und Andere an. Daß das Lefen Äber den Tert und die Gloffe
auf die Art, wie Leconte las, unendlich Iehrreicher und ums
foffender feyn, und folidere Suriften bilden mußte, als wie
heutzutage das Lefen über Compendien, wo man oft das Wich—⸗
tigſte deffen nicht erfährt, was man willen. follte, hält Re
wenigftens für ausgemacht. — Im $. ıdı. Note 1. fragt der
Derf.: „Warum machen die, weiche, nach der Analogie von
Horaz und Properz, durhaus Cujaz fagen wollen, aus
dem Lateinifhen Namen: Contius, nicht den Deutſchen:
Conz?“ Rec. antwortet: weil es in Deutfchland viele gibt,
die Conz heißen, aber keine Contiuſſe find. Dies iſt der
eingig wahre, und zugleich ein fehr richtiges Gefühl für
Schicklichkeit verrathende, Grund des Unterfchiedes. Würden
Die Namen: Horaz, Properz Igemeine Deutfche. Namen
feyn, den ‚unbedeutende oder wohl gar verächtliche Menſchen
führten, gewiß würde man jene berühmten Dichter des alten
Roms in Deutſchland nie fo genannt haben, wie man fie jeßt
gemeiniglich nennt. Auch bemerkt Rec. noch weiter, daß es
einem Deutfchen, der den Lateinifhen Namen Cujacius nicht
franydfiren, fondern germaniſiren will, ohne allen
Anftand, und mit demfelben Rechte erlaubt iſt, Cujaz zu
fagen, mit dem man Horaz, Properz, Lukrez, Labs
tanz, Prudenz, Fulgenz, Aefop, Apoll, Herodot,
Herodian, Heſiod, Homer u. f. m. ſagt. Auch kann
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 143 |
der Verf. um fo weniger etwas dagegen eintwenden, Wenn er
es auch gleich ſchon mehrmalen gethan hat, da er ja felbft im
6.88. 6. gı. und ©. 70 Mote 5. aus dem Stalienifchen
Boccaceio imme Boccaz macht, und hierzu durchaus
nicht mehr Recht Hat, als die, weihe Enjaz fchreiden. —
6.187. Demochares, oder Mouchy iſt au ein in der
Franzoͤſiſchen Polizey nicht unmwichtiger Name ; denn fein Eifer
gegen die Calviniſten trieb ihn fo weit, day er, um diefe aufs
zuſuchen und aufzuſpuͤren, geheime Miethlinge beſoldete. Diefe
wurden Moucharts, nah dem Namen ihres Heren, ges
nannt, und dieſer Name blieb in Frankreich His jetzt den
Poligenfpionen. — Der $. 165. zeichnet fih abermal dur
eine gefuchte Dunfelheit aus; denn man weiß nicht, worauf
Rh die Note x. bezieht, und der Verf. verweif’e in diefer im
Algemeinen bloß auf Melandton’s loci communes, und
äberläßt es den Lefern, in disfen mit Zeit und Mühe zu fus
den, was er feldft auf einem kuͤrzern Wege in einem Schrift
fiellee gefunden hat, den er nicht nennt. — $. 190. Bey
Enjas ſcheint der Verf. den Hauptcharakter uͤberſehen zu
haben, der diefen großen und erfien Kiviliften aller Zeiten
vorzüglich auszeichnet. Denn wer follte e8 glauben, daß ber
untericheidende Charakter des Verf. von fo großen und zahl:
reihen Bänden feine erflaunlihe Kürze iſt? Diefes Urtheil
maß von allem denen befräftiget werden, melche feine Werke
Audiren werden. — Die Note ı. zu $. 240. ift auch wieder
fo dunfel, daß nur wenige Lefer fie verfichen merden. Es
wird nämlich von den beyden Doctoren der Sorbonne, Ars
naud und Micole simpliciter, und ohne das Bud zu
nennen, aus dem es genommen ift, gefagt: „Von ihnen
kommt das „on“ her, welches fih aud bey ihrem Freunde
Domat findet.“ Iſt diefes nicht wieder eine recht adfichtliche
Dunkelheit? Weldyes on kommt von den beyden Doctoren der
Sorbonne Her? Warum machte es der Verf. nicht mit zwey
Woͤrtchen Ddeutliher? Warum follen die. Lefer nur immer
tathen und fuchen? Es it ja doch auch dieſe Notiz wieder
eine rein bifloriiche, die der Verf. nicht durch Nachdenken,
fondern durch irgend ein Buch erfahren bat. ec. hat, um
fid recht zw Überzeugen, ob diefe Dunkelheit nicht vielmehr
\
144 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
fubjectiv ale objectio fen, und ob er dem Verf. nicht Unrecht
thue, namentlich diefe Mote zwey fehr gelehrte Männer, und
die zugleich große Letteratoren und fcharffinnige Köpfe find,
lefen. laffen, und fie Haben ihm erklärt, daß fie nicht wiſſen,
was der Verf. damit wolle. Rec. glaubt aber, daß derfelbe
das an für je meine, wo man nämlich fagt: On a fait
flat: j’ai fair. Aber er gefteht, daß er feiner Sache nicht
gewiß iſt, und daß er nicht darauf wetten möchte, daß er
Recht habe. — Was der Berf. im $. 243. Über Francois
Broe (ſo hieß er im Franzoͤſiſchen) bemerkt, iſt ein aͤchter
Dendant zu feiner oben angeführten Bemerkung über Roal⸗
des. Um etwas anzubringen, das er für ſpitzig Hält, iſt er
hier, wie dort, ungerecht, und läßt ſich zu fehiefen und unrich⸗
tigen Urtheilen verleiten. Troß der Vergleichung des Rechts
mit einem Kfeide oder einem Städe Geld, war Broe ein
fehr gelehrter und fcharfiinniger Mann, der einen der alles
beten Commentare über die Snftitutionen ſchrieb, unter die
vorzäglichften Juriften und Profefjoren feiner Zeit mit Recht
gerechnet wurde, und in denfelben gwey Abhandlungen, die
der Verf. zu feiner Herabfegung anführt, fo viele gute, aus
gefuchte und manchmal ſelbſt vortrefflihe Sachen vortrug, daß
er gar wohl die Ausländer damit hätte locken Lönnen. Meer
man, bdeffen gelehrte Urtheile doch gewiß mehr Gewicht haben,
urtheilt auch ganz anders Über Broe. Er fagt von ihm:
„Elegantiss im a sunt et argumenti valde singularis bina
haec opuscula Franc, Bro&i (Analogia juris ad vestem,
et Parallela legis et nummi), qui eruditissimo ad In-
stitutiones Justiniani commentario inter celeberri-
mos suae aetatis Ictos nomen adquisivit,
quique omni honarum literarum adparatu
instructus fuit, ad illustrandam Jurispru-
dentiam.“ Ein anderer berähmter Kritiker aus &panien
fagt von ihm: „Multa in Franc, Bro&i Commentario ex-
ponuntur adcurate et erudite, et brevis totius juris
Chronologica historia, quae praemittitur, legi mere-
— Der Veſchluß wigt.)
ann ee = 22302 1202.00 22
No. 10. Heidelbergifhe 4813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
öxxxxxxXxXXXXEIEX
nn =
Sehrbuc der civiliſtiſchen Litterärgefhichte vom Prof, Ritter Hugo
in Goͤttingen.
ı Beſchluß der in No. 9, abgebrochenen Necenfion. )
J aber Hat Rec. ſchon viele gefunden, die Broe
gelobt, aber noch feinen, der ihn herabzuſetzen gefucht Hätte;
und er ſelbſt Hat fih fhon fo oft, in feinem eigenen Studium,
von der. Vortrefflichkeit des Broeſchen Kommentars über die
Inſtitutionen zu Überzeugen Gelegenheit gehabt, daB es ihm
wehe that, ein fo umgerechtes Urrheil Über einen Mann zu
leſen, den er feldft immer verehrt Hat und verehren wird.
Bo find denn die Männer, die heutzutage einen ſolchen Com⸗
mentar gefchrieben hätten, oder fchreiben könnten? Und wenn
heutzutage, auf vielen Univerfitäten des In s und Auslandes,
die Ausländer oft durch weit unbedeutendere Schriften der
Profefforen gelockt werden, warum follten fie nicht auch durch
Broe's auf jeden Fall bedeutendere Werke haben gelockt wers
den Binnen? Was Broe, in jenen zwey Vergleichungen,
vorträgt, zeugt offenbar von Gelehrſamkeit und Kenntniffen
mancher Art. Nerräth er aber, in den Titeln jener Schriften,
weniger Geſchmack, fo hat Forcadel für feine verfchiedenen
Schriften noch weit gefhmadlofere und abentheuerlichere ges
wähle, und doch nimmt der Werf. diefen in Schuß. ($.173.),
während er den Broe herabſetzt, ohne Zweifel deswegen,
weil die gemeine Stimme gegen Forcadel und für Broe
fl. — Wenn Semand den $. 245. lieftt, der Fabrors
Werke noch nicht aus eigener Einfiht fennt, fo muß er glaus
ben, diejer gelehrte Mann habe faſt feine Verdienfte um bie
Rechtswiſſen ſchaft; denn alle feine Schriften werden nur ges
todelt, niches wird an ihnen gelobt. Meetman, Reis,
Otto, und alle, welche Fabrot genau kennen, denken ans
ders über dieſen berühmten Gelehrten; auch Peiresc, jenes
j 10
146 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
berühmte Mäcen aller Gelehrten von Verdienſt, fo mie der
Präfident Du Vair, der Fabrot nad Paris gog und ihm
einen Gehalt von 2000 Liores verichaffte, fo wie alle Gelehr⸗
ten feiner Zeit, waren gang anderer Meynung. Seine tiefe
Gelehrſamkeit und feine anferordentlihen Kenntniffe in dem
Kömifchen und Kanonifchen Rechte waren allgemein anerkannt.
—Es iſt nicht zu leugnen, daß man allen Zabrotfchen Ausgaben
fremder Werke viele und große Fehler vorwerfen kann, weil
der gelehrte Mann zu arbeitfam war, und weil — pluribus
intentus minor est ad singula sensus; allein deſſen unges
achter bleibe Fabrot immer ein großer Mann, und wir
wären fehr zu beklagen, wenn wir feinen Theophilusg,
feine Baflliten und feine Ausgabe von Cujas, bey allen Feh⸗
lern, durd) welche diefe Werke verunſtaltet find, nicht hätten.
Ein berühmter Kritiker fagt von ihm: „Fabroti judicium
fuit egregium, eruditio stupenda“ und Reiß, ein gewiß
ſehr competenter Richter, ‘nennt ihn Magnus vir, mit ber
Bemerkung, daß er ihm diefen Namen nicht eipwvıxzasz, fons
dern serio gebe, cum ob diffusam lectionem et eruditio-
nem‘, tum ob juris rom. summam peritiam, nec contem-
nendum judicii acumen, Fabrot's Namen wird ewig
leben, fo lange die Römifhe Rechtswiſſenſchaft leben wird.
Wenn viele Gelehrte, die vor und nad ihm gelebt haben,
fhon längft der Vergeſſenheit übergeben feyn werden, wird
fein unfterblicher Name den Nechtsgelehrten, Antiquaren, Ges
fdrichtfchreibern und Philologen noch immer theuer ſeyn. —
In der Mote zum $. 249. hätte der Werf. fagen follen, wo
der Pariſer Profeffor Daragon feinen Beweis geführt Habe:
denn wie viele werden in Deutfchland diefes erfahren Bönnen?
Daragon führte diefen Beweis in feinem Avertissement,
das an der Spige des „Droit public de la France, ouvrage
posthume de l’Abbe Fleury, publie avec des notes par
J. B. Daragon, professeur en l’Universite de Paris. Paris
1769. 2. Vol. in 12.* flieht. — $. 260. Sehr ohne Grund
wird hier Hilliger's Buch über. Doneau herabgefest.
Wegen der reichen Litterame, die Dillinger, mit dem größs
ten Fleiße, aus den berühmteften Humaniften feiner und der
Vorzeit, bey jedem wichtigen Gabe angeführt Hat, iſt fein
(
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo, 147
Bert zu allen Zeiten in Deutfhland, Frankreich, Holland,
Spanien, Portugal und Stalien nad Verdienft gefchäßt wor⸗
den, und wird ſtets um fo mehr gefhäßt werden, weil man
fehr häufig ganze Stellen aus Werken darin ercerpirt finder,
die heutzutage ſehr felten find. Nichtiger, als der Verf., ur⸗
teilt ein Tcharffinniger Kritifer des Auslandes über Hilliger,
wenn er von feinen Moten zu Donean fagt: „Notata
eruditissima, et selectae.bibliothecae vicem
praestare possunt“ und Vinnius, der fi, durch feine
allgemein beliebten und gefhäßten quaestiones juris, fo bes
eähme machte, Hat in diefen meiftens nur die Noten des
Hilliger benugt, und oft nur abgefchrieden, ohne feinen
Dann zu nennen. Hievon Fönnte Rec. viele Beweiſe geben.
Daß Hilligers Styl in dem Auszuge ſelbſt fchwerfällig,
eifern und dunkel ift, kann nicht geleugnet werden. — Bey
Schilter (9. 268.) iſt fein feltenes civiliſtiſches Buch:
Herennius Modestinus, Argent. ı687. 4. vergeffen, das
übrigens 24 Jahre fpäter von Brenfmanns Diatriba de
Evrematicis. Lugd. Bat. 1711. 18. übertroffen worden iſt. —
Wenn der Verf. im $. 275. bemerkt, daß man oft vergeffe,
wie mannigfaltig Leibnie von Anfange an zur Rechtswiſſen⸗
(haft gehörte, und wie erhebliche Bücher er auch theils über die
jurift. Methode, theild Über das Staatsrecht geichrieben habe, fo
weiß Nec. von folhen, welche in der juriftifchen Litteratur auch
nar ein wenig bewandert find, Niemand, det diefes vergäße. In
allen gangbaren juriftifchen Kitterärgefchichtlichen und bibliographi⸗
fhen Buͤchern, bey Struv, Taifand, Terraffon, Doms
mel, König, Nettelbladt, Lipenu. ſ. w. flieht Leibnig
ats Juriſt, und feine jueiflifchen Schriften werden von mehreren.
von diefen vollfländiger als von dem Verf. aufgezählt. Seine
Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae
ex artis dıdacticae principlis, die in neuerh Zeiten in dem
Thesaurus jurisprudentiae juvenilis. Neäpoli 1754 et 1756,
2. Vol. 8. wieder abgedruckt wurde, nennt Äbrigens Hom⸗
mel „juvenilis admodum, eaque philosopho, nedum Icto,
adeo indigna. ut Christ. Wolfum mirer, in ea iterum
edenda operam perdidisse; und von feiner Ratio Corporis
juris reconcinandi; nachdem er die Ordnung derfelben ange⸗
448 Lehrbuch der eciviliſt. Kitterärgefchichte v. Br. R. Hugo.
führt hatte, bemerkt er: „Praeclarus ordo, si Diis placet!“
Diejenigen, welche Leibnis als Juriſten nicht kennen, wers
den aber gang gewiß auch viele noch befanntere und berühmtere
Juriſten nicht kennen, als Leibnitz ifl. — $. abo. Brums
mer fiarb nicht im J. 1661, fondern im J. 1668. Als er
in diefem Jahre von Paris nad) Lyon reifen wollte, ertranf
er in einem Fluſſe. Sein Buch de lege Cincia fam zuerft
in Paris in demfelben Jahre herans, in dem er ertranf, und
war dem berühmten Sranzöfiihen Staatsminiſter Colbert
dedicist. Er war fo giädlih, der Schüler des Reineſius
zu fen, der, durch Colbert's Verwendung, Ludwigs XIV.
Freygebigkeit rühmen konnte. — 6. 282. Difelius hat das
Beſte in feinen Noten dem Aleander ehtwendet, and Reis
nold behauptet, daß er auch die Sollectaneen des Saumaife
geplündert habe. Demnach war er doc, wenigfiens ein ges
fhichter Eorfart — 6. 290. Die Bemerkung, daß unter
Friedrich Wilhelm kein. Profeffor einer Preußifchen
Univerſitaͤt Erlaubniß erhielt, eine Stelle auswärts anzuneh⸗
men, als wenn allenfalls ein Paar recht große
SGrenadisre flatt feiner gu haben Waren, hätte
auch wieder Hr. Haubold gewiß niche in ein Lehrbuch der
civiliſtiſchen Litterärgeichichte aufgenommen. — $. 2d,. und
6.288, in Thomafius fehr gut geſchildert, und feine Ver⸗
dienfte um die Rechtswiſſenſchaft find fehr richtig beurtheilt. —
6.296. Ludovici’d Schriften waren, nah Gundlings
Behauptung, zu ihrer Zeit fo hochverehrt, daß man fie ſelbſt
den Werten des Cujas vorjog. So eigenfinnig, fonderbar
und undegreiflih ift oft das Schickſal der Schriftfteler; aber
auch Ludovici beweif’t, daß das Gluͤck, wenn es nur eine
Taprice für einen Schrififiellee hat, nie zu lange bey ihm
verweilt. — 6. 297. Heineccius iſt ohne Anftand derjenige
Deutſche Juriſt, welcher im ganzen Anslande und in ganz
Europa für den erſten und berühmteften gehalten wird, und
Rec. glaubt auch, daß er diefen Muf verdiene, weil er Beinen
andern weiß, der thn mit mehr Recht anfprechen könnte.
Heineccius, der fih mit dem Leſen der beften juriftifchen
Schriften genährt hatte, befonders mit. dem der Werke Des
Tujas, vereinigte, in feinen gelehrten Merten, nicht nur
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 149
die wichtigften Beobachtungen derfelben, fondern fügte auch
meißens feine eigenen Betrachtungen bey, die immer inter
effane find. Die neuern Franzoͤſiſchen Rechtsgelehrten ſelbſt
fügen, daß, nach den Werken des Tujns, die des Heinec⸗
ins am nothwendigſten feyen; und fie bemerken, daß man
jene niche fo fortlaufend lefen könne, wie diefe, weil Deis
neccius darin alle Theile des Rechts auf die erſten Elemente
mrüdführe, und deswegen, als ein wahrhaft claffifher Schrifts
fieller, gelefen und ſtudirt werden muͤſſe. In einem neuern
Sranzöfiihen Werke wird Heineccins auteur clair, inge-
nieux, profond et distingu€ dans toute !’Europe genannt,
qui livre a decouvert les secrets du droit romain, et re-
ville 4 une etude d® six mois ce qu’on auroit cherche
laborieuseinent pendant dix anndes. &ehr wahr iſt auch,
wis Camus (Tom. I. p. 316) von ihm fagt: On pre-
tend, qu’aujourdhui en Allemagne l'autorité d’Heineccius
decroit un peu, parceque quelques jurisconsul-
tes, qui sont venus apr&s lui, ont fait mieux,
en profitant de ses recherches. Ein deutliher Beweis |
feiner Klarheit und Vorzüge, liegt darin, daß Gibbon, bey
dem 44. Kapitel feiner Geſchichte, ihn zum Führer wählte,
und durch ihn Beynahe allein in den Stand gefekt wurde, als
Laye eine Abhandlung über das Römifche Recht zu fchreiben,
die jedem Eiviliften Ehre machen wuͤrde. Dies if unftreitig
das größte Lob, das man dem Heinecctus fagen kann. Sn.
Maris wird noch immer über ihr gelefen, und fein fpäteres
Eompendium irgend eines andern Deutihen Suriften hat und
wird ihn ſobald verdrängen fünnen. — $. 325. Noodt hatte
die Originale der Roͤmiſchen Rechtswiſſenſchaft fleißig gelefen,
fo wie die claſſiſchen Autoren des Alterthums, mit deren Hülfe
er jene aufhellte. Diefes bemerkt man an feinem reinen Style,
der aber , weil er zu gedrängt tft, für alle diejenigen fchwer
in verfichen iſt, welche mit der Schreibart dee Tacitus
und Plinius niht vertraut find. In feinem Bude: de
jure summi imperii et lege regia, das auch Barbayrac
ins Framzoͤſiſche Überfege hat, ſtellt er Grundſaͤtze eines aus;
(hweifenden Republikaners auf, und man ftöße nicht felten
auf Stellen, über deren Kuͤhnheit man eiſtaunt, und die des
- 450 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
heftigften Jacobiners würdig wären. — 6. 345. Fuͤr die
Antiquitäten, welche befonders aud) den gelehrten Juriſten ins
tereffiren,, tft bier vorzüglich zu bemerken Johann Arbuths.
not, wegen feines claffiihen Buches: Tabulae antiquorum
nummorum, mensurarum et ponderum pretiique rerum
venalium, das Daniel König aus dem Engtifchen ins
Rateinifche uͤberſetzt, und zu Utrecht im J. 1756 in 4. heraus
gegeben hat. König hat aber getert, wenn er diefes Werk
dem Carl Arbuthnot, dem Sohme des Johann, auf
dem Titelblatte, zuſchrieb. Der Vater, Johann, war der
wahre Verfaſſer, und überließ feinem Sohne, Carl, nur das
Honorar des Buchhaͤndlers. Dffenherziger, als Arbuthnot,
hat noch Fein Schriftfieller geftanden, Baß es ihm, bey der
Herausgabe feines Buches, hauptſaͤchlich nur um das Honorar
zu thun geweſen ſey. Das Werk erlebte zwey Auflagen in
England. Zwiſchen der erſten und zweyten gab der gelehrte
D. Georges Hooper, Biſchof zu Bath und Wells, Uns
terfuchungen über die alten Maaße der Arhener, Römer und
Süden in London 1723 in 8. heraus. Arbuthnot ſelbſt
ertheilt diefem Buche, in der zweyten Auflage feines Werkes,
die größten Lobſpruͤche; aber fein eigenes Buch ift doch das
beffere und gefhägtere — 6. 349. Das für - den Zueiften
wichtige Werk des fcharfiinnigen und wißigen Abbate Gas
gliani wären mohl feine „Brundfaße des Natur- und
Völkerrehts, aus den Schriften dee Freundes
des Mäcenas gezogen,“ wenn fie gedrudt wären, mas
leider nicht der Fall if. Diefes Buch müßte um fo intereffan
ter fenn, weil Niemand mehr, als Sagliani, den Horaz
ſtudirt und durchdrungen hatte, den er auch ing Franzoͤſiſche
übderfeßte, welche Weberfegung aber auch noch ungedruckt if.
Unter fo vielen ernfihaften Werken, die er nach, und nad) her
ausgab, fchrieb er auch im J. 1778 eine Oper: Il Socrate
imaginaro, die von einem großen Tonfeger in Muſik gefeht
wurde, und in der ganzen Welt befanne if. Diefe Oper war
eine beißende Satyre auf einen damals noch lebenden und
functionirenden Neapolitaniſchen Deinifter, der Himmel und
Hölle gegen diefes Werk des Wißes und der Tonkunſt bewegte.
Der eingebildete Sokrates durfte auch, auf koͤniglichen Befehl,
Lehrbuch, der eiviliſt. Litterärgefchichte u. Pr. R. Hugo. 151
eine Zeitlang nicht mehr gegeben werden ; allein das Publikum
| und der König ſelbſt Hatten eine fo große Freude daran, daß
dee Befehl bald wieder zuruͤckgenommen wurde, und nun
mußte der koͤnigliche Minifter es fi) gefallen laffen, als eingebiks
deter Sokrates, nolens volens die Bühne zum zweytenmale
zu betreten, und fi von einem zahlreihen und muthwilligen
Publikum nody mehr ausfpotten zu laſſen, als das erftemat.
Gagliani flarb zu Neapel im J. 1787. Es wäre zu wüns
fhen, daß fein Erbe, Here Azzaroti, feine vielen koſtbaren
Manuſcripte, die Gagliani felbft, in einem Briefe, an
Madame d' Epinay in Paris, vom 15. Dezember 1770 aus
Neapel ſchrieb, aufzähle, und in deren Beſitze Herr Azza⸗
roti fih befindet, allgemein bekannt machte. — $. 352. Den
hier angeführten Italieniſchen Rechtsgelehrten der letzten Des
riode ſollten auh Mazzei, Mangieri, Arcafio, Fea,
gerrante, Pagano, und nocd, viele andere, bengegeben
werden. Maz zei, geboren zu ‘Paola in Ealabrien im Jahre
1709, war berühmter Advokat in Rom, wo er 42 Jahre
iebte, und 1788 farb. Er fchrieb drey geichäßte Schriften :
ı) De matrimonio conscientiae, vulga nuncupato : acce-
dit Diss. de matrimonio personarum diversae religionis.
Romae 1771. &) De legitimo actionis spolii usu Com-
mentarius. Romae 17735. 3) De aedilitiis actionibus lihri
tres. Romae 1786. 4. Mangiert, Profeffor in Neapel,
gab Elementa juris civilis, ‚Neapoli 1766, in swey. flarten
Dctavbänden, und Praclectiones ad Pandectas. Neapoli
‚1767. 1780. 1781. et 1780. in fünf Bänden in 8. heraus.
Bon Arcafio, Profefor in Turin, haben wir 8 Baͤnde
Commentarii jur. civilis. Augustae Taurinorum 1780. et
ında. 8. Bea ift durch feine Vindiciae et observationes
juris. Romae ı782. 8, fo wie durch mehrere anttquarifche
Schriften, Gerrante, ehemals Advokat, nunmehr Juſtiz⸗
minifter in Neapel, durch fein Buch: della Legge Remmia.
Napoli 1780. 8, berühmt. Joſeph Anton Bruni, Pros
feſſor in Turin, fchrieb einen flarfen und großen Quartband
Dissertationes in jus eivile. Augustae Taurinorum 1759.
und der Meapolitanifche Profeffor, Franz Saverio Bruno,
ſechs ſtarke Detavbände Elementi del dritto civile, wovon,
452 Lehrbuch der cwiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
nad dem Tode des Verfaifers, eine neue Auflage im %. 1804
zu Neapel erihienen if. Einer der berähmteften Civiliſten
der neuern Zeit, der als Schriftfiellee und Lehrer, ats feiner
Theoretiker und gehdter Practiker gleich gefchätt war, und
der wohl von allen Civiliften nicht nur von Stalten, fondern
überhaupt von allen Ländern, in der neueften Zeit, das Meifte
geſchrieben Hat, ift der Neapalitaniſche Profeſſor, Joſeph
Pascale Eirtilo,:geboren 1709, T 1776. In den Jah⸗
ven 1797. 1798. 1740. und 1742. gab er einen weitläufigen
Commentar in vier Bänden in 4. Über die Inſtitutionen hers
aus, den im Jahre 1796 in zwey Octavbaͤnde zufammenzog,
weiche er im J. 1785 von dem Abbate Gio. Selvaggi
ins Italieniſche Überfegt wurden. Im J. 1745 ließ er einen
Quartband Institutiones Canonicae, und zwey Jahre früher,
im Sahre 2745 hatte er Betrachtungen über Muratori's
Traktat: Dei diffetti della giurisprudenza romana druden
laffen, die dem Marchefe Tanucsi dedicirt waren. Er fchrieb
Commentare de conditionibus et demonstrationibus, de
legatis et fideicommissis, de vulgari et pupillari substitu-
tione, de jure adcrescendi, de pactis et transactronibus,
de rescindenda venditione, de donationibus, de jure fisci,
die aber erft nach feinen Tode von dem Profeffor des Trimis
nalrechts, Don Michele Leggio im Jahr 1781 herausges
geben wurden. Er gab einen Codex legum Neapolitanazum
in zwey Quartbänden,, und der. Advofat Domenico Bras
cale in Neapel gab nach) feinem Tode 1780 zwölf Auarts
bände -Allegazioni di Giuseppe Pascale Cirillo . heraus.
Anferdem ließ er vom J. 1750 — 1754 fünf Reden, im J.
1773 und 1774 zwey Leichenreden deuden. Er gab die Vin-
diciae secundum Cujacium adyersus Merillium des Dos .
menico Sentile, ‘mit einer gelehrten Vorrede, ſo wie
das Werk des Girolamo Muzio Siuftonopolitano:
Battaglie per la lingua Ikalianos, mit einer Vorrede umd
vielen Anmerkungen heraus. Eirillo war auch Dichter. Er
ſchrieb im J. 1798 La contesa delle Muse, Im J. 1740
das. Drama Le nozze di Ercole e di Ebe, Eine Menge
anderer Poefleen von ihm find in andern Sammlungen zers
fireut ; die einen ftarken Band geben würden. Im J. 1744
|
belthuch der ciohl. Eiterärgefhichte v. Br. R. Huge. 153
gab er auch die Poefieen des Franz Lorezini, mit einer
Vorrede und dem Leben diefes Dichters heraus. Er hinterließ
ach viele juriftifche, antiquarifche, hiſtoriſche Abhandlungen
und Comoͤdien, die noch ungedrudt find. — Der Abbate
Antonio Geno veſi, gleichfalls ein Neapolitauer, geboren
im J. 1712, f 2769, ift al Theolog, kritiſcher und Morals
phitofoph, als philoſophiſcher Juriſt und Staatsokonom glei)
beruͤhmt. Durch ſeine Schriften und muͤndliche Lehren ward
er der Vater der politiſchen Oekonomie in Italien. Franz
Mario Pagand, gleichfalls ein Meapolitaner, geboren in
der Mitte des 18. Jahrhunderts, war der würdigte Schäfer
des Genoveſi, Freund und Vertrauter von Grimaldi
ud Filangieri, und einer der vorzäglichfien Köpfe des
neueſten Italiens und der neueften Zeit. Nachdem er im
25. Jahre Advokat in Neapel geworden mar, murde er.einige
Jahre ſpaͤter Profeſſor des Criminalrechts daſelbſt. Hier
zeichnete er ſich ſogleich vor allen ſeinen uͤbrigen Collegen aus.
Sein Hoͤrſaal war der beſuchteſte von allen, weil von ſeinem
Catheder lichtvolle Grundſaͤtze, erhabene und glaͤnzende Ge⸗
danken, neue und reiche Auſichten und weitgreifende Lehren
floſſen. Seine vielen Schuͤler trugen dieſe einleuchtenden und
wohlthaͤtigen Grundſaͤtze in die Saͤle der Richter, und bald
wurde, in allen Tribunalen, Pagauo's Name eine ehr⸗
wuͤrdige Authoritaͤt. Die erſte Frucht ſeiner philoſophiſchen
Betrachtungen war fein Criminal⸗Proceß, ein merk⸗
wuͤrdiges Buch, worin er die Reform eines‘ Syſtems, voll
der haͤßlichſten Mißbraͤuche, ausdachte, und Mittel: an Die
Hand gab, rwie «8 einzurichten wäre, daß nicht die fehlerhafte
Einrichtung der Gerichte mit: der Beſtrafung der Schuldigen
au) den Linfchuldigen aufopfere. Diefes Merk ift ein wuͤrdi⸗
ger Dendant zu Beccaria’s berühmten Buche, md es ers
hielt nicht nur die Lobſpruͤche der größten Gelehrten von
Europa , fondern auch von der Franzoͤſiſchen Nationalverfamms
lung eine fehr ehrenvolle Erwaͤhnung. Die polttisghen
Verſuche, die auf diefes erſte Werk folgten, muͤſſen jedem
unbefongenen. Lefer eine hohe Idee von dem fchäpferifchen
Seifte des Werfaffers geben. Wan muß darin den erhabenen
Denker, den in der alten und neuen Litteratur vollendeten
454 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte u. Pr. R, Hugo.
Gelehrten, und den großen Polititer bewundern, der würdig
it, neben Mackhtavelli zu fiehen. Diefes Werk liefert
ein Gemählde des Urſprungs, Fortgange und Verfalls der
menfchlihen Gefellfhaften. Es tft eine einfache Gefchichte,
aber nach einer ganz neuen. Zeichnung; es ift nit die Ges
ſchichte des Volles von Athen, oder von Lacedämon, oder von
Rom oder Carthago; es ift die Gefchichte des menfchlichen
Geſchlechts. Diefes Werk iſt zugleih in einem männlichen
und fraftvollen Style gefchrieben; es zeichnet fih nicht durch
eine blumenreihe, fondern gründliche Beredſamkeit aus, die
nicht in Worten, fondern in Sachen befleht; und die Blumen
der Pitteratur find nicht blindlings und unordentlih, fondern
mit Kunf und Vorſicht ausgeftteut. Diefer große Mann,
‚igleich einer der edelften Menſchen, ftarb eitten unwuͤrdigen
und gräßlichen Tod. Sn jener nicht fehr weit von uns ents
fernten: Zeit, wo über Neapel ein Trauerflor gezogen war,
wo Tod und Schrecken diefes fchöne Land verheerten, und
wo fo viele beredte Zungen unter des Henkers Händen vers
flummten, wurde auh Pagano, unſchuldig von einem Nies
derteächtigen angegeben, in einen Kerker gefchleppt, wo er
drepgehen Monate fchmadhtete, und feine Abhandlung über das
‚Schöne ſchrieb, wieder befreht, flähtig nah Nom und Mais
Iand, ‚von dem Franzöfifchen General, der Neapel eroberte,
wieder zurückberufen, zum Mitgliede des proviforifhen Re⸗
gierungsausfchuffes ernanne, Verfaſſer der. Conftitution der
neuen Republik Meapel, abermals eingekerkert, zum Gafgen
verurtheikt, und den 6. Dctober 1800 hingerichtet. — $. 354.
Voltaire gab fih alle Mühe, des Präfidenten Henault's
Wert (Abrôgé chronologique de l'histoire de France)
vortrefflich zu finden; aber d'Alembert fand es nur nuͤtzlich
und bequem. Die berühmte Madame du Deffand ver
langte von d'Alembert, daß er, in dem Discous prelimi-
naire gu feiner Encnclopädie, diefes Buches des Präfidenten
Henault erwähnen möcht. Aber d'Alembert bemerkte
ihr, daß ihm diefes unmöglich fey, parceque dans un ou-
vrage destine à celebrer les grands genies de la nation,
et les ouvrages, qui ont veritablement contribue au pro-
grös des lettres et des sciences, je ne dois pas parler de
*
Lehrtuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo. 155
TAbrégéẽ chronologique. C'est‘ un onvrage utile@g jen
conviens, et assez commode, mais voilä tout en verite:
cest A ce que les gens de lettres en pensent; c'est 1A
ce que !’on en dira, quand le president ne sera plus
(Oeuvres de d’Alembert Tome ı4. p. 321). — And
von dem Baron von Grimm wird der Advokat Job. Nic.
Moreau, wegen feiner Bibliotheque de Madame la Dau-
pbine, hart mitgenommen, in der ganz neu berausgefommes
nen Correspondance litteraire, philosophique et critique,
adressdee a un souverain d’Allemagne depuis 1770 jusqu’en
1782 par le Baron de Grimm et par Diderot. Paris
ıdıa. (Tome I. p. 405 — 405). Dem Biographen ber
beyden Pit hou, dem Advokaten Grosley, geht es darin
gleichfalls jnicht beſſe. Grimm ſagt von Grosley's
Reiſebeſchreibungen von England und Italien, daß ſie enthal⸗
ten — ohservations triviales et bourgeoises, de froides
et mauvaises plaisanteries, und noch weiter bemerkt er:
L'ignorance a ses gradations, comme la science. Il y a
des ignorances d’honnetes gens et des ‚ignorances de la-
‘quais. Celles de Mr. Grosley sont de la même esp£ce.“
— 6.357. Auch über die oͤconomiſtiſchen Philoſophen macht
fh Sreim m in feiner Eorrefpondenz fehr oft luſtig. - Im
6. 365. verdienen auh Dlivier und Paftorer eine rühms
lihe Erwähnung. Sean Dlivier tk duch feine Analysis
philosophica civilis doctrinae. Romae 1777. 4. durd) feine
Principes du droit civil romain. Paris '1786. 2. Tomes. 8.
fo wie Durch fein Buch: Sur la reforme des loix civiles,
‘Paris 1786. 4. Tomes. 8. und Paftoret dur feine, von
der Academie des inscriptions et belles-lettres im Jahr
1784 gekrönte Preisichrift über die Frage: Quelle a ere
linfluence des lois maritimes des Bhodiens sur la marine
des Grecs et des Romains, et de l’influence de la. marine
sur Ja puissance de ces deux peuples. Paris 1784. durch
feinen: Moise considere comme legislateur et moraliste,
Paris 1788. und durch feine, von der Franzöfifchen Academie
den 25. Auguft 1790 gefränte Preisichrift: des lois penales.
Paris 1790. & Vol. 8. frähmlich befannt. — 380. Bon
Selch ow erhielt fhon im Jahr 1764 von dem Staltener
156 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo,
Migliorotto Macciont ein großes Lob; er nannte ihn:
„il dottissimo signor Cristiano de Selchow, celebre pro-
fessore di Gettinga, & cui molto devono gli studiosi
‘ della giurisprudenza, della quale € particolafe ormamen-
20.” — Im $. 318. Mote 1. gibt der Verf. eine intereffante
und nod wenig befannte Nachricht von dem berühmten Dir
niſchen Etatsrathe Johann Jacob Mofer, aus den Pas
pieren des Kanzlers Juftus Henning Böhmer in Halle,
die recht auffallend beweist, wie viele Widerwärtigkeiten . und
Kraͤnkungen die größten und von der Nachwelt verehrteften
Gelehrten in ihrem Leben erfahren, wie unruͤhmlich und uns
ſcheinbar ſie oft ihre gelehrte Laufbahn eröffnen, wis gerade
ide anfängliches Mißgeſchick, indem es ihren Ehrgeiz und
Eifer reizt, ihr größtee Gluͤck wird, wie fie, mit einem felten
Willen und großer Kraft ihe Ziel verfolgen, allmählig alle
ihre Zeitgenofien Äderflügein, und non der allein unpartheyifchen
Nachwelt allein mit Ehrfurcht genannt werden, während die
Namen aller derer laͤngſt der Vergeſſenheit übergeben find,
die bey ihren Lebzeiten .vühmlicher begonnen , aber unruͤhmlich
geendet, und vielleiht den Mann der Nachwelt, in ihrem
thoͤrichten Eigenduͤnkel, tief unter fi geſetzt und veradıtet
Baden. — $. 418. Bon dem großen Nußen der fpftematifchen
Borträge im reinen Nömifhen Rechte konnte fih Rec.
wie überzeugen ; und wenn er, mit Webergehung mehrerer
wichtiger Gründe, die er anführen koͤnnte, nur von der ge
genwärtigen Zeit, wo die fnflematifchen Vortraͤge an ber
Zagesordnung find, in die Zeiten zuruͤckblickt, wo secundum
ordinem institutionum, Pandectarum et Codicis gelejen
wurde, fo findet er nicht, daß jet gründlichere Juriſten, als
ehemals, gebildet werden. Die großen Civiliſten der verfloffenen
drey Jahrhunderte wurden nicht nach fuftematifchen Vortraͤgen
gebildet, und welche Rechtsgelehrte der neuern Zeiten, die
darnach gebildet wurden, können wir ihnen an die Geite
ftelen ? Rec. will damit ducchaus die fpftematifchen Vorträge
nicht verwerfen; er fchägt fie vielmehr, wenn fie gut ausge:
dacht find, fehr Hoch, und glaubt, daß fie dem Verſtande des
Verfaſſers immer geoße Ehre machen; aber er glaubt, daß
man ihren Nutzen gewöhnlich zu hoch taxire, und daf fie,
!
Schuch der. cipiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 457
nd einer Erfahrung, die wenigftens fchon fo alt iſt, daß
man fihh ein Urtheil erlauben darf, niche fähig feyen, grund⸗
lichre und beruͤhmtere Juriſten hervorzubringen, als die niche
ſyſtematiſchen, Die, uns die größten Civiliſten geliefert haben,
die nah immer unerreicht geblieben find. Ueberhaupt glaube
Ru, daB die Heutige Civilrechtsgelehrſamkeit im Gangen tief
mie der ehemaligen Franzoͤſiſchen, in ihren fchänften Periobe,
fiehe, und er iſt, aus zwey Hauptgruͤnden, volllommen übers
zeugt, daß jene glänzende Periode nie wieder zuruͤcktehren
werde. Einmal iſt in diefer das Wichtigſte fchon entdeckt
worden, und weil die wichtigen Wahrheiten nicht in das Uns
endlihe gehen, fo mällen die Nachkommenden Hinter den
Borhergehenden nothwendig weit zuruͤckbleiben. Gobdann muß
gerade die Leichtigkeit der Erſtern, fih der Entdeckungen der
Letztern zu bedienen, fie nachzuahmen, und von ihnen zu ents
lehnen, ein Hauptgrund feyn, warum bie Spätern, in ihren
Berten, unter den Zrühern bleiben. . Diefe Bemerkung iſt
von großer Wichtigkeit, um von dem Vorzuge Rechenfchafe
zu geben, den wir fo.oft dem einen vor dem andern Schrift
ſteller beyzulegen ſchuldig find, und die überdies noch die aufe
fallende Erſcheinung erklärt, warum gerade Diejenigen, welche
mehrere und größere Vortheile, etwas zu lernen und ſich auss
zuzeichnen, zu befigen fcheinen, und auch in der That befißen,
gewöhnlich mit weniger Nutzen lernen, und bey weitem nicht
10 berühmt werden. Denn der glüdliche Erfolg iſt immer der
Sröße der uͤberwundenen Schwierigkeiten angemeffen.
Reck. bricht Hier den Faden diefer vielleicht zu lang auss
gefponnenen Critik mit Gewalt ab. Hochachtung für die.
Talente und Kenntniffe des Verf., die er mit tief empfundener
Wahrheit, und mit guter und großer Ueberzeugung, weit
über feine eigenen, viel geringeren, ſetzt, Liebe für die Willens
ſchaft felbft, und, um ganz offendergig zu. fepn, auch ein
wenig eigenes JIntereſſe fonnten ihn allein zu einem fo weits
läufigen Discurfe verleiten. Einem Schriftfteller, für deſſen
Verdienfte er weniger Hochachtung hätte,, würde er nie fo
viele Seiten gewidmet haben. Die Liebe für die Wiſſenſchaft
beſtimmte ihn, Maͤngel und Gebrechen zu ruͤgen, wodurch
dieſe ſelbſt, wenigſtens nach ſeinem Glauben, verunſtaltet
458 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Huge.
wird ; und fein eigenes Intereſſe befteht darin, weil er nichts
fo ſehr wuͤnſcht, iald die den Sachen nad hoͤchſt fhäßbaren
Schriften des Verf. frey von jenen Mängeln leſen zu können.
Diefe Mängel betreffen den Vortrag, die Gchreibart , die
Form , den Ton und die Manier, Dinge, die der Verf. aͤn⸗
bern kann, fobald er nur will, und wobey nicht Rec. allein,
fondern alle Derehrer der gelehrten Eigenfchaften des Verf.
eine größere Regelmaͤßigkeit ſehnlich wuͤnſchen. ec. tritt alfo,
dur Ruͤgung diefer Mängel, nicht einmal den wahren Ders
Dienften des Verf. zu nahe, weil jene nur auf die Form und
nicht auf die Sache fih beziehen, und weil es nur von dem
Willen des Verf. abhängt, jene nach Belichen abguändern.
Thut er diefes nicht, fo ift Rec. lebhaft uͤberzeugt, daß er für
den größten Theil feiner Lefer unverftändlih bleiben, daß er
fie ohne Noth um viele Zeit bringen, daß er fie mißmuthig
und verdrießlih machen, und. für feinen eigenen Ruhm bey
der unparthenifchen Nachwelt am wenigften forgen wird. Er
fchließe mit folgender vortrefflihen Stelle des eben fo vortrefßs
dD’Alembert: „L’obscurit@ est le plus grand vice de
J’elocution, soit qu’elle vienne du mauvais arrangement
des mots, soit quelle vienne d’une trop grande brievete.
Comme on n’eerit que pour se faire entendre, la pre-
mière chose, & la quelle on doit songer, c’est d’etre
clair. Il faut, dit Quintilien, non seulement qu'on
puisse nous entendre, mais encore qu’on ne puisse pas
ne pas nous entendre. La lumitre dans un écrit doit
&tre comme celle du soleil dans Junivers, laquelle ne
demande point d’attention pour &tre vue.“
Lehrbuch -der gerichtlichen Medicin. Zum Behuf academi-
scher Vorlesungen und zum Gebrauch für gerichtl. Aerzte
und Rechtsgelehrte entworfen von Adolph Henke, der
Arzneikunde und Wundarzneikunst Doctor , Professor der
Medicin an der königl. bairıschen Universität zu Erlangen,
der physikalisch ınedicinischen Societät daselbst zeitigen
Secretair, und einiger gelehrten Gesellschaften in Teutsch-
land, Rufsland und der Schweiz Mitgliede. Berlin 1912,
Bei Julius Eduard Hitzig. X und 358 S. in &. -
Lehrb. d. gerichtl. Arzneywiſſenſch. v Henfe n. Widberg. 159
Handbuch der gerichtlichen Arzneiwissenschaft zur Grundlage
bei academischen Vorlesungen und zum Gebrauche für
ausübende gerichtliche Aerzte von Dr. C. F. L. Wild-
berg, herzogl. mecklenb. strel. Hofrathe, Stadt - und
Districtsphysicus und practischem Arzte zu Neu-Strelitz,
und mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede, Berlin
bei W. Dieterici 1812. VII und 429 $. in 8.
Die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft tehre uns, wie wir die
ans Beobachtung und Erfahrung hergeleiteten Grundfäge der
Naturwiffenfchaft und der Heikunde zur Aufhellung und Ents
fheidung zweifelhafter Rechtsfragen anwenden follen, und iſt
in diefee Hinſicht keine in ſich ſelbſt gefchloffene Wiſſenſchaft,
fondern ihre Beichaffenheit hängt von dem jedesmaligen Zus
ftande der ihr zum runde liegenden Wifenfchaften ab, und
fie wird daher in eben dem Grade vollfommener, als jene
beyden Wiſſenſchaften ſelbſt an Vollkommenheit gewinnen.
Diefe beyderley Wiſſenſchaften aber gründen fi bloß auf Er⸗
fahrung Jund Beobachtung, und gewinnen von dieſer Seite
ihre fchäßbarften Bereicherungen, welche die fogenannten Ber
reicherungen, Vermehrungen und Vollendungen derfelben auf
dem Wege der Speculation weit Hinter fi zuruͤcklaſſen; und
in diefer Hinſicht iſt es namentlich für gerichtliche Arzney⸗
wifienfchaft, weiche dem Leine fpecmlative Wagefäße und Phra⸗
fen, fondern lauter pofltive Srundfäge fuchenden Richter bey
Entſcheidung gewiſſer Nechtsfälle an die Hand gehen foll, ein
ſehr erwünfchter Vortheil, wenn Naturwiſſenſchaft und KHeils
kunde auf dem Wege der Empirie an Vollkommenheit gewins
nen. Diefes gilt aber namentlid) von unfrem Zeitalter, wo,
abgefehen von den mancherley ephemeren Syſtemen und for
genannten Philofophieen, die wie ein berrfchender Genius
epidemicus auf die wifjenfhaftlichen Arbeiten mander Naturs
forfchee und Aerzte einen unverfennbaren Einfluß aͤußern,
demungeachtet der Männer nicht wenige find, die, dem Eins
fluffe jenes Genius epidemicus durch die Feſtigkeit ihres
Charakters widerſtehend, auf dem zwar. fhweren, aber fegens
vollen Wege der Erfahrung und Beobachtung der Summe
unferer Kenntniſſe im Face der Naturwiffenichaft und Heilkunde
täglich nene Wahrheiten hinzufügen. Durch die wohlthaͤtigen
Bemühungen diefer verdienftvollen Männer gewann jeit einem
5
160 Lehrb. d. gerichtl. Arzneywiſſenſch. v. Denke u. Wildberg-
—— ſowohl Naturkunde, als auch Medicin fo manche
ereicherung ihrer Wahrheiten, und eine reichhaltige Quelle
von Bereicherungen und Berichtigungen aͤlterer Grundſaͤtze
oͤffnete ſich hierdurch auch fuͤr die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft;
manche ihrer Lehrſaͤtze erhielten hierdurch eine neue Berichts
gung, manche eine größere Feftigkeit, manche, nunmehr als
trrige erfannt, wurden mit beſſern richtigern vertauſcht. |
Diefe Berticherung, Berichtigung und Verbeſſerung unfer
rer gerichtlichen Argneywiffenichaft brachte nun auch das Beduͤrf⸗
niß neuer Lehrbücher hervor, nachdem die feirher gebräuchlichen
Lehrbücher derfelben der fih immer mehr ausbildenden Wiſſen⸗
fhaft nicht mehr gang anpaffend waren, und Deferent freut
fih in dieſer Hinſicht Hier zwey neue Lehrbücher der gerichtlis
hen Arzuenwilfenfhaft nennen zu dürfen, melde, von deR
‚Händen. zweyer fehr verdienftvollen Deutihen Aerzte uns ge
ſchenkt, in der Litteratur der in Deutſchland gedornen hund
ausgebildeten Wiffenfchaft einen ehrenvollen Plaß einnehmen.
ende Werke find als vollftändige Lehrbücher der gericht
lichen Arzueywiſſenſchaft wegen’ der Ausführlichkeie ‚und Reichs
haltigkeit, womit die darin vorfommenden Gegenftände abge
Handelt find, keines kurzen Auszugs fähig, weswegen Neferent
ſich genoͤthigt fieht, nur einige allgemeine Bemerkungen über
dieselben bier mitzutheilen.
In beyden Werfen. find die neneflen Entdedungen und
Erfahrungen im Face der Naturmiffenfhaft und Heilkunde
mit großem Fleiße benutzt, die eingelnen Gegenſtaͤnde der
gerichtlichen Arzneywiſſenſchaft gehörig deutlich und zweckmäßig
von einander unterfchieden, die mancherley Wege zur Entfcheis
dung und Aufhellung dee dem gerichtlichen Arzte vortommenden
Fragen genau und fehrreih angegeben, die einzelnen Fälle,
deren Erdrterung Segenftand der gerichtlihen Arzneywiſſen⸗
(Haft ik und werden kann, ausfuͤhrlich auseinandergefeßt,
und die Behandlung derſelben ift mit hinreichender Deutlich
Leit angezeigt und mit der reichhaltigften Litteratur belegt.
Veberdies findet auch der Anfänger in beyden Merken nidt
nur eine zwar kurze, doch Iehrreiche Darftellung der gefchichts
fihen Momente diefer Wiffenfchaft, fondern zugleich eine hoͤchſt
faßliche Einleitung, und man möchte fagen Einführung in dies
ſelbe als einen Theil der gefammten Staatsarzneywiſſenſchaft.
Heferent glaube in diefen kurgen Bemerkungen die Ders
dienfte zweyer Werke hinreichend ausgefprochen zu haben, deren
erfterem überdies noch eine gewiſſe Eleganz des Vortrags, Ich
terem ein ausführliches Sachregifter eigen if.
B;
No. 11. Heidelbersifäde 4843.
Jahr buͤcher der Litteratur.
N ke # Y
Nidiniide Heid enlisder, Balladen und Märdpen äberfegt von Wil⸗
beim Carl &rimm. Heidelberg, -bey Mohr und Binimer,
u. XL u. 545 © m8 (5 fi.)
W. dem Entdecker einer wuͤſten Inſel, der durch einen
Sciffbruch auf fie verfhlagen, viele Jahre auf ihr allein zu
leben ſich gendthige ſieht, und nachdem er durch Schickſal oder
Zufall sinige Zeit von ihr entfernt, . neugierig endlich mieder
in die liebgewonanene Heimath zuruͤckkehrt, und jetzt ploͤtzlich
hier eine Hütte, oder ein Haus, dort einen ſchimmernden
Palaſt aufgeführt fieht, freudig erflaunt, dies kleine, fo lange
Bde gebliebene Land fo ſchnell bevoͤlkert, und auch von andern
geihägt und angebaut zu fehn, fo angenehm. und froh war
die Werwunderung des Rec., als er durch vorliegendes Werk
und die mannigfaltigen neueſten Notizen, welche dafielbe enthält
kehrt wurde, wie das Fach der Nordiſchen Litteratur von mehreren,
befonders von dem Berf. des gegenwärtigen Werks, mit einen
fo ſchoͤnen Enthufasmus ergriffen, und miggeinem, mach der
Kürge der Zeit berechnet, kaum glaubliche leiße angebaut
werde. Wie die Nachſchrift beurfundet, fo find wir gu der
zuverſichtlichſten Hoffnung berechtigt, in: Kurzem. fogar die
Hauptwerke diefer Litteratur, namentlich die Edda und ſaͤmmt⸗
lie Sagen nebft allen darin enthaltenen Liedern der Vor⸗
zeit ( Werke, woran -fo. manche tiefgelehrte Kenner des Nor⸗
dens manches Jahrzehend gearbeitet, und erſt einen Bleinen
Theil trotz koſtſpieliger Aufopferungen und Ermunterungen
verfiorbener und lebender Maͤcens, eines A. Magnäus und
Suhm, zu Tage-gefdrdert haben) halbjährig paar und paar⸗
weife (wie fonder Mühe und Koften) vorgeführt zu fehn. _
Auch muß Rec. aufrichtig bekennen, daß die Freude, einen
| Wunſch, das alte Kiempe⸗-Viſebog hier nicht nur vollſtaͤndig
| ondern fogar mit philofogifher Kritik behandelt,
} Werſetzt, ſ —
—
162, - Midänifehe Heidenlleder von W. C. Grimm.
mit eher Einfeitungen und Erklärungen verfehen, und
bald. zu. der Einen Sage den Schluͤſſel, bald den Widerſpruch
einer andetn: geheben; bald Dunkelheiten der Geſchichte durch
die Sage entraͤthſelt, und im Ganzen einen ſo reichen Zuwachs
don poetiſchem Stoffe uns angeeignet zu ſehen, in dem er—
fien Augenblick die Pflihe der Eritifhen Prüfung unterdrückte,
fa wie ſie auch ſchon dur) die a des ganzen Buches
einigermaßen erſchwert war.
Indeſſen hat bey fälterer Anfi cht dieſer Bearbeitung und bey
fluͤchtiger Vergleichung der Originale ſich bald gezeigt, daß der
Kritik gleihwohl noch mandes, und zum Theil fehr ernftliches
a“ erinnern übrig bleibt.
- Wir haben daher die Anordnung und ueberſetung der
| Kfempevtiſer ſelbſt, die Anſicht des Verf. in ſeiner Vorrede,
und den Werth: feines Commentars ‘Aber einzelne Stuͤcke am
Schluſſe des: Werkes einer AmfELNDNMJEN Pruͤfung unterworfen,
— KHefultat folgendes iſt.
Da ein Myerup, der fih Thon vor 27 Sjahren in feir
nen Folfehange, die als zweytes Heft der Levninger
af Middel s Alderens Digtelunft zu Kopenhagen.
(1784. 8:) herauskamen, , als kritifch s Titterarifhen Kenner der
Daniſchen Volkslieder beurkundet har, in Verbindung mie
einem Abrahamfon, dem Veteran der Dänifchen Aeſthetiker,
Sprachkenner ung Alterthumsfreunde, deffen erfteren trefftiche
Anficht feiner varerländifchen Volkslieder längft aus feinen
äffherifch s Pritifchen Bemerkungen über das Lied vom ſchö⸗
nen Midel in Öräters Bragur, 5. Band (Leipzig.
bey Gräff, 1794.), ©. 2ga u. f w. uns Deutfchen befanne
geworden iſt, und einem Rahbek, der in feinen früheren
Jahren Bereits unter den Dichtern des Naterlands genannt
wurde, und durch feine Poetiſte Forfog ( Kiöbenhavn, 1794.
8.) fih als Iyrifchen, und vorzüglich als Liederdichter ausges
Iprochen, und fowohl in feinen Danſke Tilhkuer, ats in dem
gemeinihaftlih mit Nryerup herausgegebenen Bidrag til den
Danfte Digtekunfts Hiſtorie, udedragne af Foreläsninger ,
hoidne over dette Aomne, i Vintren 1798 — ıBoo. ved Pros
feſſorerne Nyerup og Rahbek, (Beytrag zur Geſchichte Der
Daniſchen Dichttunſt, als — aus den, Über dieſen Gegen⸗
Abänifche Heldenlicher von W. C. Grinm. 163
Rand in den Wintern 1798. bis 1800. ‚von den Profefforen
Nyerup und Rahbek ‚gehaltenen Vorleſungen) Kisbenhavn
(Copenhagen ) 1800. u. f, ſich als einen für alle Zweige der
frühen und ſpaͤtern Dichtkunſt mit hohem Eifer hingegebenen
Litterator ausgewiejen hat — eine kritiſche Ausanbe dieſer
Kiempe Bifen oder vielmehr Dante Vifer der gelehrten Welt
verſprechen; fo ift es kaum begreiflich, mie Hr. Sr. eine folche liete⸗
täriich. und aͤſthetiſch-Ekritiſche Ausgabe der alten Daͤniſchen Volkes
lieder nicht lieber abwarten wollte (zumal da das Nonum prema-
tu m annum wohl bey feiner poetifchen Arbeit nöthiger
fheint, als bey einer folden), und uns feine teberfegung
aus einer fo unkritiſchen, wie diefe unftreitig iſt, zu geben
vorzog. Wir wennen hier Hrn. Nyerup zuerſt, welcher niche
vießeicht Cwie in dieſen Jahrbuͤchern, 4. Jahrgang 4. Heft.
April, S. 369 gejagt ift), fondern gang gewiß und ſchon
feit langer Zeit zu einer Ausgabe fi vorbereitet, indem aus
Sräters Bragur 5. Band ©. 311 durch Herrn Peofeffor
Rahbeks Nachricht ſolches bereits ſeit 17 Jahren außer Zweis
fel iſt; außerdem hat Here Prof, Nyernp, VDibliothekar der
koͤniglichen, und früher der Suhmiſchen Bibliothek, dem daher.
ein Reichthum von Materialien feit vielen Jahren zu Gebote
; fland, die Wahrheit diefes Verſorechens bereits duch eine
merkwürdige Probe (ſ. unfere Jahrb. 1811. Mr..24.) bes .
| gründe So willig wir aud) zugeftehen, was Kerr Srimm
©. 42.9— 451 behauptet, daß der Etatsrath Sram in einem
| autographum der fönigl. Bibliothek, welches Hr. Nyerup
‚t ſchon in feiner Vorrede zu den obgedachten Levninger anges
si führe, und nur Kr. Grimm vollftändig mitgetheilt hatte, zu
| hart urtheilt, wenn er die Kiempe Viſer unter dem Titel:
#| „diefer ganze Kram von Altenweiberzeng * abfertigt, und
+) Thomas Bartholin fie ‚geradezu „putidissimas et triviales
Mr cantilenas nennt, omni prorsus Juce indignas, cum ne in-
] star quidem antiquitatis prae se ferant, ad colos (duch
einen Druchfehter fteht bey Hrn. Grimm color) aniles heri
" aut nudius teztius infelici vera compositae; — ſo hat doch,
was den Prisiichen Werth diefer Syv. Wedelſchen Ausgabe der
Kiempe Viſer betrifft, feldft ein Nyerup, den Hr. Grimm
|
|
|
|
|
164 nadannche Heldenlieder von W. C. Srimm.
gewiß nice den Ken. Gram nnd Bartholin gleich ſtellt, im
ſeiner Vorrede zu den Lerninger udgivet af det Kongelige
Biblisyhett Haandſtriſter, Andet Hefte, (S. 8 von Anfang
der Vorrede an gezaͤhtt) folgendermaßen geurrheilt: „Nimmt
dan PDusiiiaem. dieſe beyden Heinen Proben mit Beyfall auf,
fo wird:fich. vielleicht ein Sandwig oder Wandal dadurch zu.
einer. neuen vermehrten kritiſchen Ausgabe des ganzen Kämpfers
liederbuchs bewsgen laflen, da es nicht gerade unferer Litteratur
zu befondesen Eheo gereicht, daß diefe Monumente des Mittels
atters bloß im. diefer erbärmlichen,, unanfehnlichen, von Druck
fehlen angefällten, und ohne wahre Kritik veranftalteten
Ancgaben, mie diejenigen find, Die wir haben, zu lefin find,
von Anders Sorenſen Wedels Ausgabe an, bis zu der neues
ſten, van Nicolaus Ehriftian Hopffnern 1764. gedruckten * —
Auch Sum urtheilt nicht glimpflicher Aber dieſe zuſammen—
geraffte Sammlung Daniſcher Volklieder (ſ. deffen gefammelte
Schein, O. 76, wo er fagt: „nah dem Inhalt der
Niſtunga Gaga find unſre meiften Kjempeviſer gefchmieder,
doch mit dem Unterſchied, daß Sstalienifche und Deutſche Bes
gebenheiten darin fo vorgeſtellt werden, als ob fie in unferm
Morden geſchehen wären. Jeder verfländige Lefer kann daraus
ride abmorfen, wie wenig diefe Kiempevifer in unfrer Ges
fchichte Huͤlſe leifen, und wie fchlimm es ift, daß fo brave
Muͤnner, wie Wedel und Syo. ‚fo viele Zeit und Mahe auf
fie verwondet haben.“
Eben fo ſchlimm, wenn nad ein Paar Jahren eine kri⸗
tiſche Ausgabe der Kjempeviiſer wird erſchienen ſeyn *), fagt
man vielleicht, war es, daß Kr. Grimm auf die alte unkriti⸗
fire fo viele Zeit und Mühe verwendet hat.
Unftreitig aber verdient eine ſolche Uebertragung auch fe
den Dank des Deutfihen Publitums, und wir find keineswegs.
gefonnen, Hrn. Grimm deswegen zu nahe zu treien.
Es fragt ſich jetzt nur, wie Br. Grimm diefes Unterneh⸗
men ausgeführt hat. Unſers CErachtens gibt es FEN
*) So eben leſen wir in Idunna und Hermode, daß dies bereits
geſchehen ift.
Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Brimm. 165
drpeien Arsen U eberſetzungen, Eine, die bloß das Wort wieder
gibt, damit, wenn fie zur Seite flieht, man recht genau mer⸗
fen kann, cujus generis, numeri, casus u. fi w. ddEr cujus
modi, temporis, personae es im Driginal ift, kurz, mad
Art der Schhier s Erercitien in der fireugen Syntaxi conve-
nientiae. Eine andere, die fich micht fowohl nach diefer gram⸗
matiſchen Driginalität, ale nah dem Sinne richtet, umd eine
dritte, der es bloß um den Geift zu thun ifl. Die zweyte
nämlih will uns nicht in den einzelnen Worten der Sprache
mterrichten , fondern in-den Gedanken, und die deitte nicht
in der Form fedes einzelnen Gedanken, fondern in der its
kung des Ganzen, die fie anf gleiche oder doch auf aͤhnliche
Weiſe hervorzubringen firebt.
Hrn. Grimms Ueberſetzungen gehören weder in bie erſte,
noch in die dritte Claſſe, fondern in die zweyte, doch fireifen
le nicht felten an der erftern, nie aber an der dritten.
Tadeln if keine Kunft, wendet jeder Schriftfteller, jeder
Känftler ein, mad) du's beſſer. — Diefe Einmendung gilt
von jedem erften Verſuche, und wir flreiten daher mit keiner
diefer Arten, wir nedmen fie vielmehr alle, «Ben als seite Vers.
fahe und Vorarbeiten mit gebährendem Danke am Allein 8
gibt unter der Anzahl diefer von Hrn. Grium aͤberſetzten
Lieder doch einige, die fhon von Deutſchen Schrifteſtellern
Abertragen waren, und eine Vergleichung mit Ddiefeg feinen
NWorarbeiten muß den Ausſchlag geben, ob fih Hr. Grimm
beſtrebt hat, und ob es ihm gegluͤckt ift, es beffer zu machen
oder nicht. wer
Ein berühmteres Lied unter diefen Daͤniſchen Volksgeſaͤn⸗
gen gibt es unter uns nicht, als die Jungfraun auf Elvershoh.
Eeſt Hat ung Serfienderg, dann Herder, dann Haug bamit
Befannt gemacht.
Dan höre alſo:
Gerſtenberg. |
S. Briefe über die Merfwlirdigkeiten der Kitteratur 1. Sammlung,
©. 110)
Ha legte mein Haupt auf Elvers Höhe ; meine Augenlieder
fanten: Da famen zwo Jungfern, ſich mit mir zu unterreden.
166 Altdaͤniſche Heldenlicder von W. C. Grimm.
Die Eine fireichelte meine weißen Baden, die Andere lifpelte
mir ins Ohr: Steh’ auf, munterer Jüngling, und erbebe den Tanz!
Steh’ auf, muntrer Yüngling, uud erbede den Zanz: Meine
Zungfrauen ſollen die ſchönſten Kieder dir fingen.
Die eine, fo reizend über alle ihres Geſchlechts, hub ein Lied
an, der braufende Strom hielt inne, und floß nicht mehr, die kleinen
Fiſchchen, die in der Fluth ſchwammen, ſpielten mit ihren Verfol⸗
ern.
* Alle kleine Fiſchchen der Fluth ſpielten und hüpften; alle kleine
Vögel des Waldes zwitſcherten durch die Thäler.
Höre, du munterer Süngling, will du bey ung verweilen, fe
wollen wir dich die Runen und Charakteren lehren.
Ich will dich den Wären binden Ichren, und der Drache der
ſich auf Golde lagert, ſoll vor dir weichen.
Ste tanzten bin, fie tanzten her auf der Höhe: aber ber FJüng⸗
ling ſaß, und fügte ich auf feinem Schwerte.
Höre, munterer Süngling, wenn du uns nicht antworte, fo
ze wir die mit Schwert und Meſſer das Herz aus dem Leibe
reißen.
Da krähte der Hahn! zu meinem Glücke! Ich wäre ſan nie
von Elvers⸗Höhe gekommen.
Jedem iungen Dänen, ber nach Hofe zieht, will ich au
niemals auf Elvers Höhe zu fchlummern.
So überfegte Gerſtenberg fchon 1766, mithin vor 49
Jahren, und man muß geftehen, unerachtet die Ueberſetzung
in Profa abgefaßt ift, und dem Ohre durch feine profodifche
Kunſt fchmeichelt, daß der Iprifhe Schwung, der im Originale
lebt, und das zauberhafte Colorit keineswegs dem Verf. ent
gangen ift.
Zwölf Jahre darauf in des trefflihen Herders Volkslie
bern, Leingig ı77d., die mit Recht Stimmen der Voͤlker
heißen, erfhien (1. Th. &. 152) eine neue Webertragung
dieſes Volkslieds, Herzlih und ſchoͤn, aber auch holzſchnitte
mäßig, wie man es von Herdern gewohnt if. Sie lautet
alfo :
Attdänifche Heldenlieder von W. ©. Grinm. 467
Elvershoͤh.
‚ein Zauberlied.
Daäniſch.
Sich legte mein Haupt auf Elvershöb/
Mein’ Augen begannen zu finfen,
Da kamen gegangen zwo Zungfrau'n fchdn,
Die tbäten mir lieblich winken.
Die Eine, fie Hrich mein weißes Kinn,
Die zweyte Kifpelt ins Obr mir:
Steh auf , du muntrer Büngling! auf!
Erbeb’, erbebe den Tanz bier!
Steh auf, du muntrer Büngling, auf!
Erheh', erhebe den Zanz hier!
Meine Jungfrau'n fol’n dir Lieder fingen,
- Die fchönften Xieder zu hören.
Die Eine begann zu fingen ein Lied,
Die Schönfte aller Schönen;
Der braufende Strom , er Hoß nicht mehr,
And borcht den füßen Tönen.
Der braufende Strom, er floß nicht mehr,
. Stand fill und horchte fühlend,
Die Zifchlein ſchwammen in heller Sluth,
Mit ihren Seinden fvielend.
Die Fiſchlein al’ in heller Fluth,
Sie fcherzten auf und nieder,
Die Böglein al’ im grünen Wald,
Sie hüpften , zirpten Lieder.
„Hör an, du muntrer Süngling, bör an,
Willt din bier bey ung bleiben ?
Mir wollen dich Ichren das Runenbuch ,
Und Zaubereyen fehreiben.
Ich will dich lehren, den wilden Bär
Bu binden mit Wort und Beiden;
Der Drache, der ruht auf rothem Gold,
Son ſchnell die flieh'n und weichen.“
Gie tanzten bin, fie tansten ber;
Bu bublen ihr Herz begebtt ,
Der muntre Züngling, er fab da,
Geſtützet auf fein Schwer,
4168 Altdaͤniſche Heldenficher von WB. C. Grimm.
„Hör an, du muntrer Süngling, bör an:
Wit du nicht mit uns fprechen,,
So reißen wir die, mit Mefier und Schwert,
Das Herz aus, ung zu rächen.“
Und da, mein gutes, gutes Släck!
Der Hahn fing an zu kräh'n.
Sch wär fonft blichen auf Elvershöß,-
Bey Elvers Zungfrau'n ſchön.
Drum vath ich ichem Süngling ,
Der zieht nach) Hofe fein,
Er fee fich nicht auf Elvers Höh,
Allda zu ſchlummern cin.
So Herder! Uebrigens bemerkt er in dem Inhaltsver⸗
zeichniß, daß der Zauber des Originals unüberfeßbar fey. Es
mag, aber daß wenigftens ein ähnlicher Zauber hervorgebracht
werden kann, ſcheint uns Haug in feiner trefflichen Bearbei⸗
fung defielben Liedes (f. Epigrammen und vermifchte Gedichte,
2.58. Berlin 1805. S. 393) bewielen zu haben, das zus
gleich unter den Meiſterſtuͤckken der Iprifchen Dichtkunſt nicht
Überfehen zu werden verdient: >
Elverspäp.
Nach dem Dänifchen.
Mich wollte füßer Schlaf
Auf Elversböh umfangen.
Da kamen lieblich und zart,
Zwey Mädchen, nach Feenart
Mebr ſchwebend als gegangen.
Die Eine ſchmückte mic
Mit ihrem Myrtenkranze.
Die zweyte lispelte traut
Mit herzbeſchleichendem Laut: |
„Mein Züngling! Auf zum Zange!"
Die Eine fpielte ‚mir
Mit fanfter Hand am Kinne,
Die zweyte faßte mich frey,
„Wohlauf, mein Tänzer! Herbey!“
Und fang ein Lied der Minne.
[4
Altdaͤniſche Heldenlicder von W. C. Grimm, 4169
Mit allen Sternen fehlen f
Der blaſſe Mond zu laufchen.
Kamm baute die Nachtigall;
Der Strom bielt mitten im Fall,
Der Sturm vergaß zu raufchen.
O Wonnemelodie!
Mit ihren Feinden ſpielten
Die Fiſche ſo wohlgemuth
In monddurchſchimmerter Fluth,
Und Felſen, Bäume fühlten.
Gelobe, muntrer Kant !
Uns Zungfrau'n dich zu weißen,
Hör unfern Gegenverſpruch:
Dann lernfi du das Nunenbuch
Und alle Zaubereyen.
Du follfi den wilden Ur
An feid’nem Kädchen lenken,
Sollſt Drachenbesäbmer feyn,
Und Gold und Edelgchein,
Worauf fie ruh'n, verfchenfen.
Sie huben lockend an
Im Tanze ſich zu drehen.
Khr Blick und Weſen verklärt!
Gelehnt auf’s ruhige Schwert ,
Kalt, ſchweigend blieb ich fliehen.
Komm , ſchöner Küngling , komm!
Du zogerſt? — Wirk du ſprechen?
Verachte nicht unfer Gebot , ö
Son muß dein plößlicher Tod
Uns, die Verſchmaͤhten / rächen.
Sie baten, zürnten, ſchrie'n —
Zwey Dolche blinkten — Wehe!
Gottlob! da krähte der Hahn.
Sonſt war's um mein Leben gethan —
O meidet Elvers Höhe!
Welchen von dieſen drey Vorgaͤngern nun Hr. Semm
übertroffen habe, muß die Vergleichung mit feiner eigenen
Uederfegung zeigen. Hier iſt fie:
172 Altdaͤniſche Helbenkieder von W. €. Grimm.
sder der Nacht ihm zugehört, und felbſt im ferner Ingend
manches herzliche Lied ans inniger Seele mit gejungen hat,
konnte fi bey diefer ga; a priori gefaßten, aber eben darum
aud (ehr verunglädten Kımflregiung nicht enthalten, zu tür
den! — So geht es dem Gelehrten am Pulte!
Man hoͤre Hrn. Gr. (J. c.): „Es findet ſich naͤmlich
in den Daͤniſchen Liedern nur ein zweyfacher Hauptrhythmus.
Erſtlich die Strophe, die aus zwey langen Zeilen beſteht, die
reimen, und wovon jede ſieben bis zehn Hauptaccente bat, in
der Mitte aber einen Abſchuitt. Der Rhythmus ift ganz les
zufammengehatten ( was foll das heißen?), und bewest fi
in der größten Srepheit ꝛc. Späterhin wird fih dies Splben⸗
maaß immer feſter gefegt haben, wie es am ausgebildets
fen (1!) erfcheine in der Elſenhoͤh 2c. *
Zweytens die Strophe, die aus zwey kurzen Zeilen von
vier bis ſechs Accenten befteht, die Leinen Abſchnitt haben,
reimen , männlich oder weiblich, und in mannigfachem dactili⸗
fchen, trochkifchen and jambifchen Rhythmus abwechfeln.“
Das Wahre an der Sache iſt, die Strophen der zweyten
Gattung find wirkliche Diſticha, 3. B. in dem Lied von ded
Königs Tochter in England (man fehe Kiempevtifer, (S. 490):
6.
Og med | til bus I vet hungan | ger ben |
Der föd | de hun | en fün | faa ven. |
T.
Sun tog | det barn, | fwöbte dee | i lün |
Og lag | de de det li forgnl I dte ffrün. |
8.
Hun lag | de derhos | viet falt | og lius,
For det hau | de ey vä | rer i | Guds Huns. |
Und wie man fieht, ohne im mindeſten neue Runflausdrüde
für Ihr Metrum erfinden zu därfen, es find nichts anders als vier⸗
füßige Jamben, mit denen Anapäftie und Spondaͤen, ja wohl
zumeilen auf ein Paeon quartus (vuvw—), abwecfeln,
wobey es denn anf ein oder ein Paar kurzgebrauchter Längen
dem, um die Regeln der Kunft, wie überall, nicht ſehr ver
legenen Volke eben nicht ankommt. 3. B. in eben dieſem Liede:
Atäniiche Heldenlieder. von W. C. Grimm 473
AG. Der Md1de fa as forive tiv ml gers dag
vvu-l|uyo -—- vo
5. Ct. Den Böm | frw tager o | ver fig aa | ben Blan,
Dies if das ganze Geheimniß von den vier bis fechs Accen⸗
kn, wovon Kr. Gr. fpriht, und was eigentlih nicht an dem
fl; denn unter den Accenten verſteht er nicht, wie etwa
Klopſtock, den Nedeton, fondern jede lange, zwiſchen den kurs
jen fih Heraushebende Sylbe. Allein Hr. Er. muß dergleichen
Lieder nte von dem Wolke haben fingen hören; denn die vierte
md fünfte Otrophe haben um deswillen, daß fie an Sylben
uͤberfließen, darum nicht einen einzigen Vocalton der Melodie
Weiter, und Hr. Er. ſtellt fi e8 gewiß ganz irrig vor, wenn
er glaube, daß die erſte Zeile der vierten Str. flatt aus vier,
aus fünf oder ‚gar ſechs Accenten ( welches wie andern Süße
heißen) beſtehe, und ſo muͤſſe geleſen werden:
Det id | de fa} at for | ee tip I4 m gie dag.
Eben fo ift es mit den Liedern ber erften Gattung. Sie
find wirkliche Tetrafticha , nur daß der erfle und dritte Vers
des Reims entbehren können. Sehr viele diefer Fieder aber
teimen auch den erften und dritten Vers, wie z. B. S. 483:
De legte guldtavel ved breden bor d (ausgefprochen bor)
3 glaede og Infi med alde,
De fruer Ivende med aere flor,
Saa underlig Inegen mon falde.
Manchmal reimen ſogar die zwey erſten und zwey lebten Verſe
mit einander, wie z. B. in dem eu von der Königin Berns
gerd ©. 214:
6. Hypor ſtkul le vi] fan me | get Staal fan,
Bi fun | de bande Kand | og Band befina:
> Min Finere Romfru & fare i Mag,
Dver | der vil el | lers kom | meitoer Klag.
Wieder in andern find der erſte und dritte Vers bald gereimt,
bald nicht gereimt, wie z. B. in IV. 27. (nach dem Original
citirt) S. 452:
1. Str. De Növere vilde ſtiele gan,
Saa langt i fremmede lande (ausgeſyr. Tanne)
4
*
8
‘
174 Altdaͤntſche Heldenbeder von W. C. Gricam.
Saa ſtale de bort den Konges barn,
Den Vomfru heed Skion Anna.
Hier reimen nur der zivepte und vierte Ders, wie auch in
Otr. 3. 5. 6, 7. 1%, 18. 14 — a6., hingegen in 2. 4. 8. 9.
10. 11. dann wieder 27. u. f. m. reimen alle vier wechſelnd,
fo daß man offenbar fieht, es iſt gar keine Regel in der Sache,
(zumal ba auch öfters der 2te und Ate Vers nur zur Noth
reimen, wie 3. B. in dem angezonenen Liede Str. 3. fange
und Konge. 4. flamme und haande. 6. frue und trolove u.
ſ. w.) fondern lediglich Zufall. Das Volk befümmert ſich nur
um die Sache und den ſchnellen Ausdrud feines Gefühlten,
aber nit um den Reim. Es will zwar veimen, aber das
muß fein Nachdenken Eoften; gehts nicht fogleich, fo wird auch
geftolpert,, fo gut man kann. Dies ift überall in ‚allen Läns
dern fo gleih, daß man es fogar für eins der ſicherſten Kri⸗
terien des wirklichen Volksliedes annehmen kann. Wo alles
nady den Regeln der firengen Kritik geht, das hat gewiß
das Volk nicht gedichtet.
Zweytens aber hat er dieſes Stolpern felbft wirklich Abers
trieben. Es gefällt ung an ejnem Frauenzimmer, wenn fie
Bey einer gefühlvollen und Überdies gebildeten Sprache doch
an ihren orthographifchen oder feinen grammatifchen Fehlern ihre
Weiblichkeit verräth; aber wenn ein Mann den Styl und die
Schreibart des Weibes nahahmen will, und fie beynahe in
jedem Worte einen Fehler begehen läßt, dann ift es widerlich.
Ehen diefe Widerlichkeit empfanden wir an Kın. Gr. Ueber
feßungen. Sie flolpern zuviel, und wir finden dieſes feines
wegs durdy die Dänifhen Driginale gerechtfertigt.
In dem gegenwärtigen Liede find unter ı2 Neimen nicht
weniger als ſieben, mithin mehr als die Hälfte nicht, und der
achte durch ein bloßes Flickwort (fofort!) gereimt. Dies
heiße fich die Sache leicht machen, und fo ift denn wohl bes
greiflih, . wie man etwa in der nämlichen Jahresfriſt, in
welcher ein anderer Dichter, der dad nonum prematur in
annum vor Augen hat, kaum Ein Lied zu befriedigender Vols
lendung bringt, ihrer Hundert auf einmal druckgerecht zu
machen verfteht. Wir wollen den Beweis führen. Das Dir
nifche fängt an:
Ardänifche Heidenlieder von W. €. Grimm. 175
. Yeg lagd mit Hovet til Elver Hy
Mine Done de finge en Dvale:
Der tom gangen des toe Fomfruer frem ,
Eom gierne vilde med mig tale.
Aber wie Ringe Hr. Grimm ?
Ich legte mein Haupt auf die Cifenbob meine Augen begannen
-m ſchlafen,
Da kamen gegangen zwey Zungfrau'n heran, die wollten Nede fo
‚gem mit mie haben!
Afo ſchla fen und Haben muß fih zumal tn einer fo.
feeyen und weitichweifigen Umſchreibung des „tale“ (reden)
dennoch reimen! Das heißt doch bey einem fo fchönen Liebe,
wie diefes, den Lefer, von welcher Claſſe er auch ſeyd, gleich
im Anfang abfchreden.
So reimt in der zweyten Strophe der Däne: Dre und
tore gut, Kr. Sr. aber flüftern und rüften ſchlecht. In der
fünften ‘der Daͤne: rinde und finde, Hr. Gr. rinnen und
fhwimmen. In der neunten der Däne: Ferd und Sverd,
Hr. Gr. Zug und’ gut, ferner reden, legen, fagen, ſchlafen
uf. w. Das fann doch unmöglich auch die lieblichſten Däs
niihen Gedanken dem Deutſchen Ohre empfehlen. Und bie
Veyſpiele davon find durch das ganze Buch zahllos. Man
(lage auf, mo man will, da veime fih: herab und macht,
zog und mogt (letzteres Wort S. 247 verſtehen wir noch uͤber⸗
dies gar nicht), Wald und Schlaf, ſtark und Wald, lieb
und Schild, auf und Braut (alles auf Einer Seite!) oder
Kiſte und wußte, Leid und neun, Geſicht und mich, Noth
und froh, alſo! und fol! (S. 387) Arm und Karn (Kars
ven). — Doch genug! Weiteres Zeugnifes bedarf es nicht.
Drittens hat Hr. Gr. auh in Hinſicht des Rymu
niht immer die 'gefällige Treue beobachtet.
&o fingt der Däne in der fünften Strophe:
4 2 3 4
u—vu U — lvv—luv — |
De lidven ſmaa Fiske i Floden fvam
Hr. Grimm aber: _
1 2. 3 * 4 5.
v-Iuv—|u —|v v-luV — ,
Mit ihren Floͤſſen fpielten die Fiſchlein Hein
176 Alwaͤntſche Heldenfleder von W. €. Grimm.
und macht aus 4 fünf Fuͤße, oder man müßte die zwey erſten
als einen einzigen Buß (vuu—) annehmen, welches wieder
zu gezwungen ift.
Eden fo in der achten Str. u. f. w. Ja, in Marft
Stig's erftem Lied (S. 388 Kiempertiier, & zug) hat Sr.
Gr. beynahe ein ganz anbered Sylbennaaß, wwenisftens er
kennt man das des Originals keineswegs darin.
Biertens iſt auch, bey aller Abrigen genamen Kenntniß der
Daͤniſchen Sprache, dte dem Hrn. Verf. gar nicht abzufpreden
if, doch hie and Ba der Stumm ſonderbar verfehlte. So übers
ſetzt er in even diefen Liede Ser. a.: .
Den eene begundte en DBife at quaende
San faurt.over alle Quinde.
Und über alle Weiber ſchne
Em Lied hört ich eine beginnen.
da doch das Wort faurt nicht fhnell, fondern fchön heißt,
und nichts anders als das alte fagurt ift; wie es denn Ar. Gr.
ſelbſt Eurg zuvor, fo wie auch anderwärts richtig durch ſchoͤn
uͤberſetzt. Wollte er bier eine Verbeſſerung anbringen 7 ©
iſt fle in der That nicht gerathen. Auch iſt in der 10. Str.
flaıt dem hvaſſen Kniv (ſcharfen Meffer ) die Naivitaͤt mit
dem ſcharfen Mefferlein. gewiß nicht zur rechten Zeit angebradt.
Eben diefe Fehler, die hier an einem einzigen Liede ges
zeigt find, herrſchen durch das ganze Buch, denn gleich Bleibt
ih Hr. Sr. allerdings. Nur einen einzigen haben mehrere
der andern noch, der hier nicht anzubringen war, nämlich die
fonderbare, und wenn wir es gerade herausfagen follen, die
nachläffige Beybehaltung des Däntfhen U in eigenen Namen.
Denn welher Deuiſche wird Vonved anders als Fonfed aus
fprehen? Und hierin erkenne fih doh der Däne in feinem
Wonwed gewiß nicht mehr. So ſchreibt er Vidrich Verlands
( Fidrich Ferlands) Sohn ſtatt Widrick Werlande, Sivard
(Sifard) ſtatt Siward, Hvitting (Hfitting!) ſtatt Hwitting
Danved (Danfed) ſtatt Danwed, Verner (Ferner) S. 150.
ſtatt Werner; ſogar S. 602 Vifferlin, welches beynahe wie
Pfifferling klingt, ſtatt Wifferlin u. ſ. w. Lauter Umſtaͤnde, die
den Genuß dieſer Altdaͤniſchen Reliquien mit Gewalt ſtoͤren.
(Die Fortſetzung folgg, )
No. 12. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
IR WE WED WILL RL WE TL LIND AUß AS
Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Maͤrchen überfegt von Wil«
heim Earl Grimm.
( Sortfegung der in No. 11. abgebrochenen Recenfion, )
is hat Herr Grimm: in allem asg Lieder Abers
feßt, aus welcher Menge, und der dabey nöthigen Eile
fd allerdings alle obigen Erſcheinungen ſehr leicht begreifen
laſſen.
Deſſen ungeachtet find es nicht alle. Denn der erſte Theit
der Danſke Viſer enthaͤlt 26, der zweyte 66, der dritte 19
(nebſt zwey Zugaben), und der vierte und letzte 100, mithin
- allem 190, wiewohl ihre Zahl auf dem Titel zu 200 an⸗
gegeben iſt. Es fehlen alfo in dem ‚gegenwärtigen Werke noch
68 Lieder. Hieruͤber erfiärt fih gwar Kr. Sr. in der Vor⸗
rede S. XI. mit einigem Grund, aber alle diefe 68 Lieder
fallen wohl niche in die nämliche Eategorie, und da Hr. Sr.
durchaus nirgends poetifh, fondern bloß wörtlich oder hoͤchſtens
fongetren uͤberſetze, mithin uns feinen postifhen Genuß bereis
tt hat, fo wäre es wahrfcheinlih nicht Schade gewefen, wenn
er uns in einem Werke, das do einmal mehr für den Littes
rator als ders Lefer, der Vergnuͤgen verlangt, beflimme ift,
auch die Abrigen zum beſten gegeben hätte. Allein auch der
bloße Litterator und Forfcher wird ihm die Uebergehung des
alten Biarfemäl, bey. dem ſich ohnehin duch Wiederherftellung
des wahren alten Geiftes aus dem Studium der immer nod
bedentenden Ueberreſte des Urlieds ein großer kritiſcher Scharfs
finn und das ungwendeutigfie äfthesifche Gefühl Hätte erproben
laſſen, nicht wohl vergeben.
Zudem bat fih Hr. Gr. beynahe aller Nachweifungen auf
das Original Aberhoben, womit wir keineswegs die neue Ciaffis
fiiirung dieſer Lieder in Heldenlieder und Balladen tadeln,
mit der aber die Nachweiſung gleichwohl vereinbar, und eben
19 |
473° altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm.
deswegen, weil die Ordnung des Originals nicht beobachtet if,
vm fp nmerläßlücher war. . .
Aber auch Syv’s hiſtoriſche Einleitungen zu jedem Liede
find durch den Anhang, der einen hiſtoriſchen Excurſus über
das Ganze enthält, keineswegs erſetzt. Denn die Fabel der
34 Heldenlieder zwar iſt vollfländig commentirt, aber von den
Balladen und Maͤhrchen find ihrer 58 ohne Erklärung ac
blieben. Ä |
An den Erceurfen feldft, die allerdings einen ruͤhmlichen
Beweis von des Hrn. Verf. großer Beleſenheit und weitgreh
fender Forſchung ablegen, fanden wir bey ruhiger Anſicht
hauptſoͤchlich viersriey zum Voraus zu tadeln: die undeutſche
Sprache, die unrihtige Schreibung fEeinder , befonders (fans
dinarifher Namen, die ſonderbaren Eitationen umd die an
maßenden Urtheile,
So ſucht Hr. Gr. darin eine Originalitaͤt, daß er das
Huͤlfsverbum auskaͤßt, wo der Deutſche es durchaus nicht ent⸗
Kehren kann, 4 B. S. 440 „daß es nur darauf ankam, ihr
Dafeyn zu heweiſen, nicht dad fie begründet in der Hiſtorie;
— — — (WR?) S. 475 und gering ein ? Waffen verſchnei⸗
der ihn! S. 497 „weil fein. Hals fo hart wie Stahl,“ „daß
Seine Falſchheit dabey! (S. 545) S. 498 in Hbhle gewarı
fen“ ſtaut in eine Höhle u. ſ. w.
| Was iſt ferner Vandlothing! Hedins fied, Glaͤſir val⸗
le? Seit wenn ſagt man die Ingibiorgu von Upſolum?
Iſt das exfiere Skandinaviſch und das zweyte Deutſch? (8
523) ;
Wie Hr. Gr. citirt, daven nur einige auffellende Ben
fniele: Dste von Ärepfingen (Lat. Otto -Frisingensis ). heißt
bey ihm Otto Srifingens! (ſ. ©. 432) Joh. Meſſenius, Prof.
dee Beredſamkeit und der Rechte zu Upfal, nachher koͤnigl.
Afosion zu Stockholm, und zuletzt 18 Jehre (Bis norem
miser integros per annos!) in Gefangenſchaft zu Cajane—
Barg, wo er auch flarb, gab unter vielen gelehrten Werken
auch eine Schrift über die fänf aͤlteſten und !nernehmfrs
Schwediſchen Handelsſtaͤdte Upſal, Gigtun, Eıbasa.. Birk
und Stockholm heraus, und nannte dieſe Schrift mit einst
Griechiſchen Zuſammenſetzung, die fi darauf bezog Nun
m
Wirbänifche Heſdenlieder von W. C. Grimm. 179
führt. Stephan Stephanius in ſeinen Notie uberioribus zum
Saxo Grammaticus S. 156 gelegentlich folgendermaßen an:
Prorsus igitur frustanea est opera Johannis Messenii,
dum in libello quodam suo, quem Sveopenta protopolin
ete. inscripsit, evincat etc. Auch Wet. befipt diefe Schrift
eben fo wenig als Hr. Gr., und hat fie nie gefehen, vermu⸗
thet aber Doch, daB von dem offenbaren Ackufativ protopalin
dee Nominativ protopolis heißen mäle. Allein Hr. Gr.
findet nicht nothig, daran etwas zu ändern, fondern ſchreibt
getreulich nach? „Joh. Meffenins in feiner Meinen (7) Schrift
Sveopenta protopolin! (das Druckfehlerverzeichniß fchweige
hievon.) |
Auf eine andere Art fonderbar citit Hr. Gr. S. 405
Suhm II. 179. 185 und fo öfter. Wo foll der Lefer dieſen
werten Band von Suhm fuhen? Dec. beſitzt die ſaͤmmtli⸗
Gen Suhmifchen Werke, aber nur feine Eritifchen Worarbeiten
jur Nordifchen Geſchichte lamfen unter der Nummer 2 — 10.,
feine Hiflorie af Danmark ı — 7. umd feine Samlede Okrife
ter — 16. — Welche diefer drey Sammlungen meint Kr.
Gr. damit? Das läßt ſich nicht nur nicht errathen, fondern
die Citation paßt nicht einmal, we man auch nachfchlaͤgt. Zus
fälliger Weiſe ift nun vier Bogen weiter Hinter ©. 491 abers
mals Suhm II. agı citire, aber dazu Mord. Fabelzeit geſetzt.
Und ſomit läße fih nun endlich feine Meynung errathen, aber
auch nur errathen! Es hat naͤmlich Graͤter bekanntlich Suhms
Hiſtorie af Danmark, wo nicht aufgefordert von dem ehrwuͤr⸗
digen Verf., doch mit ſeinem Wiſſen und ſeiner Billigung
etwa ſechs Jahre nach feinem Tode in einer forgfältigen Ver⸗
dentſchung unter dem Titel: Peter Friedrich von Suhm's
Geſchichte der Daͤnen. Aus Liebe zu dem Siudium derſelben
und aus Ehrfurcht fuͤr ihren Verfaſſer ins Drutſche uͤbertragen
von Fried. Dav. Graͤter, Leipzig 1804. dey Heinrich Graͤff
in gr. 8. herauszugeben angefangen. In dem, über Suhm,
als Hiſtoriker, ib auf XLII Seiten verbreitenden Vorbericht
mödificire Gr. fein Urtheil Über dieſe Suhmiſche Gefchichte
dee Dänen, ©. XXVIU, „daß fle ein wahrer Nekrolog der
Regierungen, ein drittes Buch der Könige, ein Speculum
resale fey, das, ohne je die Gefahr der Ungnade zu-laufen,
180 Widämiche: Hefdenficder: on W. €. Grinm.
Die. Stelle eines tieien Miniſters und eines freymuͤthigen
GStaatsmannes vertrete“ in Hinſicht der zwey erſten Bände,
die bloß die Gefchichte der Fabelgeit enthalten, und fest hinzu:
„es möge ſeyn; - daß die Fabel in der Gedichte, eben weil
man da nur die firengfte Wahrheit erwarte, fo lehrreich niche
ſey, als fie es in der Sphäre der Kunft zu ſeyn pflege,“ allein
fie feyen daram nicht minder leſenewerth; denn „fie enthalten
eine möglihft s volftändige und möglichft s Hiftorifche Darftellung
der Nordiſchen Fabelzeit, und möäßten in fo ferne: fhon als
bet gelehrteſte Commentar Über das fabelhafte Alterthum, und
ats ein veihhaktiger Anhang zu der, von Dichtern und Kuͤnſt⸗
Teen noch lange nicht nad, Verdienſt gewürdigten Götterlehre
des Nordens auch als ein -abgefondertes Wert für die Liebs
haber und Forfcher der Nordiſchen Morzeit ein fehr ſchaͤtzbares
Handbuch ſeyn,“ daher er ihnen (den zwey erſten Bänden
von Suhms Daͤniſcher Geſchichte) obigen Nebentitel (Hiſto⸗
riſche Darſtellung der Nordiſchen Fabelzeit) ohne Zweifel mit
Recht gegeben habe. Allein Graͤter hat bis jetzt nicht mehr als den
L Bd. herausgegeben, und es iſt alſo auch jede Titation, die ſich
bey dieſem Werke mit II. ſignirt, durchaus falſch. Denn wenn
dieſer Band gleich in der Verdeutſchung in zwey Abtheilun⸗
gen (weil die Verdeutſchung nicht in gr. 4., wie das Daͤniſche
Original, ſondern in 8. gedruckt wurde, mithin der Band zu
dick geworden waͤre) geſondert iſt, ſo ſteht doch auf jeder Ab⸗
theilung Erſter Band, und wer richtig und genau citiren will,
Sam und wird daher eine Seite der zweyten Abtheilung nie
Euhm H. 195, fondern entweder Suhms Geſchichte der Däs
nen’ von Graͤter F. 2. 199, oder Suhms hiſt. Darftellung der
Mord. Fabelzeit mit gleicher Signatur citiren. Daun erſt
weiß der Deutſche ſowohl als der Nordiſche Lefer, woran
er iſt.
Was endlich die abfprechenden- Urtheile betrifft, fo kann
ec. nicht umhin, hauptſaͤchlich zwey verächtlihe, aber wohl
dieſen Männern von Zen. Gr. noch zur Zeit nicht gebührende
Seitenblicke zu ruͤgen. Der erfie betrifft den allgemein bes
kannten, von jedem Liebhaber und Horfcher des Nordifchen
Alterthums ſtudierten, und von allen, die ihn ftudiert haben,
mit-Dant und Hochachtung, die er auch wahrlich verdient,
—
Midänifche Heldenhieder von B. €. Grimm. 481
genannten Thomas Bartholin; aber Hr. Gr., der ihm ohne
Zweifel, falls er fein Buch durchſtudiert, und nicht bloß darin
geblärtert hat, eben fo vielen Dank fchuldig if, kann nicht
umhin, daffelbe zum erſtenmal unter allen Dänen, Schweden,
Islaͤndern, Engländern und Deutfhen, die feiner gedenken,
mit dem Namen eines geſchmacklos gefchriebenen Buches der
Verachtung preis geben zu wollen. In jedem alle iſt das
Urtheil etwas fchief; denn es kam wohl bey feinem Buche
nicht fo fehr darauf an, in welchem Geſchmack, fondern mit
welher Gruͤndlichkeit er feinen Sa& de causis contemtae a
Danis adhuc gentilibus mortis durchgeführt Bat. '
Der zweyte betrifft den cehrmärdigen Suhm. Mit welcher
Einkildung mag wohl Hr. Gr. geftraft feyn, um bey feinem
erften Auftreten im Face der Mordifchen Literatur ſogleich
auch den verdienteften Manen aller Mäcene und Alterthums—
forfcheer des Nordens mit folhem Uebermuthe entgegen zu
teten? Denn Uebermuth iſt es doch in der That, wenn Kr:
Gr., nachdem er fih auf Suhms Interfuhungen Überall ges
föse und berufen hat, &. 509, da er das Dänifche Volkslied
von Hafbur (Habor, Hagbard) und Sigmild mit der Ges
(dichte diefer Liebenden aus dem Saxo Grammaticus commtens
tiren will, fich folgendermaßen erklaͤrt;
„Es folge hier eine Ueberfegung davon, ein Auszug zum
Teil. Auf Suhms Nordiſche Fabeljeit, wo (I. 234—4ı)
die Sage aus dem Saxo eingeräckt worden , konnte nicht vers
wiefen werden, weil er (Suhm) alles mit feinem matten
Si breit gemacht ıc.“ |
Abgefehen davon, daß Suhm, in der ohne Zweifel richti⸗
gen Webergengung, daß Saro nicht als ein trener Geſchicht⸗
ſchreiber berichtet, fondern alle Erzählungen der Vorzeit mit
finee Phantaſie aufgefluge und erweitert hat, fi abſichtlich
Mühe gab, mo möglich Bloß den Hiftorifchen Kern aug bielen
poetiihen Werfchönerungen herauszuhoten, und in feiner Ges
ihichte auf das Werdienft eines Romanſchreibers Verzicht zu
thun; abgefehen davon, dal ſelbſt, wenn, Suhms Styl in
feinee Geſchichte der träfiige und blühende, wie er in feinen
fräderen Schriften war, ‚nicht mehr iſt, in weichem Falle es
do von einem Kın. Sr. mit einiger Achtung zu. bemerken
4183
Alidaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm.
war, fo muͤſſen wir geſtehen, daß, wenn wir Suhms Erzaͤh⸗
lung in Graͤters Werdeutihung (denn darauf beruft fih ja
Hr. Sr. durchaus, niemals auf das Original,
das er auch
nit gelsfen gu haben ſcheint) vor die Hand nehmen, dieſer
ihm angefchuldigte breite Styl neben dem fchmalen Styl des
Hrn. Gr. fih gar nicht fo übel ausnimmt, mie derfelbe feinen
Leſern verſpiegelt. Doch man vergleiche ſelbſt:
Suhm’s
Dän Geh. von Bräter.
1. Bd. 1, Abth. S. 286.
sim ihn daber deſts mehr zu
ehren, wurde ibm feine Schlaf⸗
Hätte bey der Königstechter ſelbi
augewieſen.
Die beyden Glücklichen koſ⸗
ten nun, bezaubert von Liebe und
Wolluſt, ungeſtört mit einander,
und Hagbarth fragte feine gelichte
Signe: |
„Was wird du, wenn dein
Bater mid) aufängt, „und der
Tod dann mein gewiſſes Loos if,
Cbenn ich erfchlug feine Söhne,
und nun balte ich auch dich, fei-
nem Willen zu Trotz, in meine
Arme gefchloffen) was wirfi du
dann, du meine einzige Freude,
was wir du dann thun? mich
vergeflen, wenn du mich verlief?
Dich einer andern Liebe hingeben?
I
Signe erwiederte: Blauber
Geliebter, glaube, daß ich mit
Die ſterben werde, wofern der häß⸗
liche Tod dich in den Hügel legt!
. umfangen.
Srimm’s
Altdän. Heldenlicder.
E. 511. -
Dann, um ibn mebr au ch-
zen, ward ihm feine Schlafſtele
aA ihrem Bett gegeben:
Da nun, in dem Genuß ges
meinfchaftlicher Luſt, fragte Hag⸗
barth die Sygne:
Wenn ich ber Gefangene dei-
ned Daters werde, und einem |
traurigen Tod übergeben, wirſt
du uneingedenk unſres Buͤndniſſes,
deine Liebe einem Andern zuwen⸗
den?‘ fo mir jenes Schickſal bes
gegnet, hoff' ich nicht, daß er
verzeiht, lüſtend feine Söhne zu
rächen ; denn ich habe deine Brü⸗
: der getödtet, und balte dich num,
ohne fein Wiffen und gegen fei-
nen Willen, in gemeinfamer Luft
Sage, Herzliebſte,
was wirft du dann thun, Wann
ich dich nicht mehr, wie fonfl,
umarme ?
Sygne antwortete: Glaube
nicht, lieber Herr, daß ich lieben
möchte, wenn das Verderben über
dich gefommen,, gder meine Beit
Wlatiche Heldenlieder von W. € Grimm,
Subm.
Ha, auf welcherley Art du fiel,
ſey es durch Krankheit, ſey es
durchs Schwert, im Meer oder
auf dem Lande, ſo will ich dir
nachfolgen! jede andere Liebe iſt
mie verhaßt, gemeinſchaftliche
Bärtlichfeit bat und verbunden,
ein gemeinfchaftlicher Tod fol
uns vereinigen !
Deinen Tod werd’ ich felbft
empfinden ‚ und den nicht verlaſ⸗
fen, den ich meiner Liebe wür⸗
dig geachtet babe, den, ber mir
den erſten Kuß gab, der mich
zum erflen Mal die Liche lehrte!
Act Gebuͤbde fall Heiliger ſeyn,
wohn je ein Frauenmund
beit ſprach.
153
Srimm.
verfängeren , wenn Hin trauriger
Tod dich in ben Grabbügel ge
führt! Welcher Zeb dich weg⸗
nimmt, durch Kraukheit/ Schwert,
in Meeres Abgrund, uber anf
dem Felde ich gelobe einen glei»
hen zu flerben, daß, wie im
Brautbett, ein Tod und vereini-
1
Deines Todes Bein werd anch
ich fühlen, und den nicht ver⸗
laſſen, den ich meiner Liebe werth
geachtet, der zuern meines Mun⸗
bes Kuͤſſe genen, und meinen
blühenden Leib. Keine Derbeif
fung ſoll gewiſſer ſeyn, wenn ie
eines Weihes Wort tıyu war.
Wenn uns nicht alles — fo iſt Suhms Sprache die
wahre Sprache der Liebe, und mithin der Natur; Herrn
Grimm's aber ziemlich verfänftelt, und wenn wie dieſer Ver⸗
gleihung ein Quid tanto dignum etc. vorausgefegt hätten,
mödhte wohl mun das —— ſecet Verheißungen ſchr ma⸗
ger ſeyn.
Wenn nun aber Hr. Gr. weiter fortfaͤhrt, dem Saxo
nachzuerzaͤhlen, und am Ende gar es wagt, mit Hexametern
md Pentametern zu fchließen, fo verwandelt fih in der That
der gerechte Unwille über feine unbeſcheibene Art gu metheilen,
in eine mildere Empfindunn.
Zum Beweiſe wählen wir Hier die vier letzten Zeilen:
DaB dort Liebe mir aufblüh” (e) be’ ich die fichere Hoffnung
fol ein Hexameter feyn. 2
— —|— u
Und es wird mir rer, bald Wolluf gewähren ber Tod!
Beid' die Welten fürwahr boch — fie. — se
Eine Nuhe des Geifis, ‚wie in der Lich’ eine Treu.
134 Mtdänifche Heldenlicher von W. C. Grimm.
Weich’ eine Eonftruction ! meld’ eine Sprahe! Kaum wird
man fie, ohne feinen Saxo zur YR zu nehmen, enträrhfeln
tönnen!
Wir kommen nun gu den Errurfionen ſelbſt. Nach einer
allgemeinen Einleitung , worin Kr. Gr. die Erfiärung der
Keldentieder als die Hauptſache diefes Anhangs angibt, bes
merft er, daß die Abſicht defielden fen, theils die Originals
. Einteitungen der Daͤniſchen Ausgabe zu jedem Liede nicht vers
Ioren gehen zu lafien „ theils auch fie bald zu berichtigen, bald
gu ergänzen. Es ift feine Frage, dab Hr. Gr. in diefer Hins
fiht arößtencheils More gehalten hat. Auch liefern feine Be⸗
merkungen in der That viel Neues und Wahres,
Gleich feine erftien Bemerkungen über die drey Lieder von
dem Verrath der Frau Grimilde an ihren Brüdern beflätigen
dieſes Urtheil, und geben einen Beweis, daß der-Berf. bes
zeits den inhalt des Heldenbuchs und der Nibelungen eben fo
wie den Imhalt der Niflunga s, Wilkina⸗ und der Wolſunga⸗ und _
Mornagefts s Saga, desgleihen auch des Anhangs ber jüngerm .
Edda einfindire hat. Er behauptet, daß diefe Lieder mit den
vier erften, d. h. mit dem Deutſchen Heldenepos, und der aus
Deutſchen Sagen entflandenen Wilkina, aber keineswegs mit
den reins nordifchen Vorſtellungen der Wolfunga ıc. uͤberein⸗
ſtimmen. Rec. befigt zwar die meiften diefer Werke, hat aber
jet nicht Muße, fie noch einmal durchgufefen. Er behält ſich
daher eine nähere Prüfung biefer Angabe, an der. er jedoch
im Ganzen nicht zweifelt, bevar. Soviel ift ihm noch vom
ehedem erinnerlih,, daß er die gedachten Dänifchen Volkslieder
felöft einft für Sprößlinge der Deutſchen Sage hielt; wobeg
deffen ungeachtet der Driginalität ihres Vortrags und Seyns
nichts benommen ift.
Wenn Hr. Gr. in der Note gegen den gelehrten Sram
behauptet, daß der Norden den Reim nicht von den Deuts
fhen gelernt Habe, fo ſtimmt ihm Dec. volllommen by. Das
heidniſche Deutfchland hatte gewiß eben fo gut feine Alliteras
tion als Skandinavien, und woher brachten fie wohl die Ans
gelfachfen als eben aus unferm Vaterland? — Ga, Prof.
Sräter har fogar vor einigen Jahren die nicht unwahrfcheins
liche Hypotheſe in feinen Drogrammen hierüber aufgeftellt, dañ
/
Mpänifche Heldenlieder von W. C. Grimm. 188
die verloren geglaubte Proſodie der alten Welt ebenfalls in
nihte anders als in der Alliteration und damit verbimdenen
Bocalen s Correfpondenz möchte beftanden haben. Allerdings
hat fie auch die von Hrn. Prof. Gley entdeckte und der tan⸗
fendjährigen Vergeſſenheit entriffene Evangelien s Harmonie.
Rec., dem der Entdecker feine erfien Abfchriften des Codex zus
ſchickte, freute ſich ſehr, eine ſchon früher darüber geaͤußerte
Vermuthung damals fo vollkommen beftaͤtigt zu finden. Aber
nicht bloß darin, auch in dem Weſſobrunner Fragment offen⸗
bart ſich das, dem Deutſchen Reim vorangegangene Geſetz der
Aliteration, und es freut und, wenn Kr. Gr. bald den Bes
weis gibt, daß auch in dem Eaffeler Fragment von Hiltibrat
and Hathubrat das nämliche herrſche.
Die zwepte Hauptexcurſion betrifft die Gage von ber
Teojanifchen Abkunft der Franken. Mit befonderer Begierde
Ins dies Rec. Gewiß es iſt ein Intereffantes Thema. Aber
nach vielem gelehrten Aufwand hat der Kenner nichts Menes
gelernt, und für den gänzlich ununterrichteten Lefer fehlt es
dem Vortrag an logifher Ordnung und Klarheit der Darftels
Ing. Auch find damit die Meynungen Wendelin’s, Schilter’s,
Ercard’s und Suhm's keineswegs widerlegt. Es wäre ſchon
genug, wenn diefe vier verfchiedenen Meynungen hier nur
gründlich wären beleuchtet worden. Wenn S. 432 nicht mit
völiger Gewißheit behaupter wird, mas Meibom aus dem
Magnum Ghron. Belg. anführe, daß die Stade Kanten am
Rhein Plein Troja genannt werde, fo kann Dec. aus dem vor
dm liegenden Chronicon verfichern , daß es mit diefer Anfuͤh⸗
rung feine Richtigkeit hat, nur mit dem Unterfchiede, daß er
niht Hago von Troja oder Trojanms, fondern Trajanus ges
nannt wird. Die ganze Stelle fieht S. 65, und lautet fo:
Isti duo fratres ( Theodericus, prim. com. Hollandiae,
de Waltgerus ) habuerunt avunculum Hagononem Traja-
num, qui in Troja minori (scilicet Xantis) habitavit etc.
Auch die S. 555 und 456 aus dem Sigebertus Gemblacen-
cs angeführte Stelle finder fih umfländiich in dem Magn.
Chron. Belg. &. 9 und 10 und fängt mit den, für Hrn.
Grimms Behauptung fprehenden Worten an: Porro origi-
nem Regni Francor. hanc esse novimus ex relatu fideli
—
u
466 Alddaͤniſche Heldenlieder won W. C. Griam:
Majorum, wiewohl ih das freylich nicht bloß auf muͤndliche,
ſondern auch fchriftliche Weberlieferung immerhin besichen ließe.
Sa der Note **) S. 440 fagt Hr. Gr.: „Diefe Sage
(oben im Tert aber if wor keiner beſtimmten PDerfonen s Ser
ſchichte, fondern nur davon die Rede, daß die Abkanft der
Branten von ben Trojansen eine allgemeine und fehr atte
Volkeſage geweſen fen) iſt es, welche Meiſter Bioͤrn nach
Norwegen gebracht; ungenau hat man dieſes bisher auf die
. Willina Saga bezogen, es gilt. bloß von diefer.“ Alſo dem
Volks glauben einer Abkunft der Franken von den Trojanern
bat Biden nad dem Morden gebracht? Wohl ſchwoerlich; es
ſcheint, hier iſt Hr. Gr. ſelbſt ungenauer (im Ausdruck, den
vermuthlich meinte er es anders) als feine Borgaͤnger geweſen.
Auf dieſe zwey Hauptercurfionen folgen nun die erflärens
den ‚Bemerkungen zu jedem einzelnen Liede. Da gegenwärtige
Anzeige die gewöhnliche Ausdehnung einer Kritik ſchon Jene
vielletcht aͤberſchreitet, fo wollen wir uns nur auf weniges bes
fhränfen.
©. 485. Das Hogna ſtatt Hozni oder Hogne. H. Mr.
wird im Verfolg feiner Studien diefes a verwerfen, weil es
weibliche Zorm ift, ob gleich Rec. weiß, und es ſelbſt chedem
dern Ohre zu Sefallen brauchte, daß man allgemein Graga
last Bragi oder Brage ſagt.
S. 492. Daß der Name von Wittichs oder Widga's
Mutter wirklich in der Volundar⸗Quida vorkomme, wie Br.
Gr. vermuthet, und daß; es nicht Bodlild, fondern Boͤdmild
der Baudwild Heiße, Hat fih unserdefien theils aus Graͤters
Veberfegung der Wölundar » Auida in Idunna und Sers
mode, theils aus dem herausgegebenen Texte des Co-
dex Reg. von Herrn Hagen beflätigt, womit wir jedoch
nicht Hrn. Gr., der wun eine Abichrift bes Eod. ſelbſt Beige,
eine Neuigkeit fagen, fondern bloß den Befiser feiner Dänis
fhen Heldenlieder zu einer Note vsranlaffen.
S. 406 hat uns der mordlihe Tod wicht fehr gefallen.
Nehme doch der Hr. Verf. die Wahrheit ımd Richeigbeit Dies
ſes Ausdrucks noch eimmal anf die Mage.
©. 508 ift eitirs: (Huon de Bourdeaux. Franz. Volks⸗
buch (7) ©. ag. 50) Möchte fih der Werf. doch näher
Alid ͤntſche Heldenlieder wom A. C. Orkmaı. 187
darüber erklaͤren! Rec. kennt den Hueu be Bourdeaux aus den
Extraits des Romans de Chevallerie — wird der naͤmliche
Roman in Frankreich etwa, wie bey uns der gehoͤrnte Giegs
ftied und die Mepmons s Kinder ıc. dur Krämer auf ben
Märkten, gedruckt in diefem Jahr, verkaufe? und verfteht
Hr. Sr. einen foschen Abdru darunter ?
Was &. 52o von der, zu einem Volkslied gewordenen
Thrymsquida gefagt wird, iſt nicht unintereffant, aber wenn
er am Schluſſe Hloß die Kjempeviſer citirt, find wir nicht zus
frieden. Die Kitation erfeßt die Anführung von Syv's eiges
nen, lehrreichen Worten nicht.
S.. 5024 und 525 fommen drey Straphen aus der Her⸗
vararſaga vor. Man fieht, daß fih Kr. Gr. nicht an die
Eoteinifhe oder Schwedifche Weberjebung gehalten, fondern
aus dem Sfandinavifhen Originale felbft Hat überfeben wol⸗
im. Es ift diefe Probe in der That merkwürdig, indem fie
als Beſtimmungspunct dient, in welch kurzer Zeit der Verf.
und fein gelehrter Hr. Bruder, Jacob Grimm, fi der Stan:
dinavifchen. Sprache durch eilernen Fleiß und enthufiaftifches
Stadium fo weit werden bemächtige haben, daß fie im Stande
find, das kuͤhne Veriprehen am Schluffe Diefes Werkes, die .
noch nicht entzifferten Lieder der Edda zu Überfeßen, in wird
liche Erfüllung zu bringen. Denn Hier erfcheint wenigftens
Hr. W. Gr., der Herausgeber des beurtheilten Werkes, im
der That nach als Anfänger in jener Sprache. Denn wenn
man auch annimmt, daß er nicht die kritiſche Ausgabe des
Magnäanifchen Inſtituts, welches doch zu erwarten iſt, zu
Stunde gelegt Habe, in welchem Falle ſich freylich noch meh⸗
tere. Fehler zeigen, fondern die Vereliſche (ſ. jene Sumtibus
de Suhm, &. 34. 56. 40. und Verel. ed. &. 70 und 71);
fo geben doch die vier leiten Zeilen den Ausichlag. Sie heißen:
beim gief ec Erni
Effum brader
Sa mun af blovi
Siuga minn.
Der Schwede überfest :
Then ſtora Druen
Wardar ing til ficck
488 Altdaͤniſche Heldenlicher von W. C. Grimm. -
Mitt bledh thet vida
| Stall han och ſuga.
Here Grimm aber: | i
Dem Aar geb” ich
Eine Speife;
So and) mag a von meinem
Blute ſaugen.
Man ſieht unſchwer, daß es dem REITER und nit der
Schwediſchen Ueberſetzung nachgebildet iſt, oder feyn fol;
aber es fällt auch plötzlich in die Augen, daß Hr. Sr. bie
beyden Ausdrüde efftum und Sa mum nicht verftanden hat,
nämlich damals, ala er dies ſchrieb. Daß er jetzt in Dereis
nigung feines Fleißes mit einem, zu gleiher That geräfteten
Bruder es nicht verftehen follte, zweifeln wir kaum. Es heißt:
Senem Adler geb ich |
Die lebte *) dev Speifen :
Der wird (fogar) von meinem
Blute nun faugen !
Er Hielt das Skandinaviſche fa’ für fo! es heiße aber ber, und
er kannte mit das pronomen demonstrativum, fa’, fü, pal,
noch nicht. Wie es fcheint, ein wahrer Beweis, daß wenig
ftens Hr. W. ©r. bey Herausgabe des gegenwärtigen Werkes
(Dfterm. ıdıı.) erft bie Standinavifhe Sprache zu lernen
angfangen hat!
S. 537 zu 87. Klage König Waldemar des II, dum bre-
vis esse laboro, obscurus fio. Wer nicht die Gefchichte ie
ner Zeit im Gedaͤchtniß Hat, wird durch die rächfelhafte Ers
Märung des Hrn. Sr. ftatt belehrt, vielmehr irre. Es fol
eine Klage Waldemars des II. und doch über Waldemar den
III. ſeyn! Das fcheint, dem erften Anblick nah, ein Wider:
fpruh, weil die Klage Waldemars auch zur Noth als Klage
um Waldemar Eönnte verftanden werden. Auch begreift mat
auf der Stelle niht, wie KR. Waldemar der IT. um feinen
anfcheinenden Nachfolger, Waldemar den IH., lagen kann.
*) Oder auch, wie der Schwede Üüberfehte, efftum zu erni gejogen,
dem hochfliegenden Adler werd’ ich num ſelbſt zur Speife.
|
Mipänifche Gefdenlicder von W. C. Grimm; 189
Es hätte daher Hr. Sr. die Driginal, Auffchrift in den Kjempe⸗
viſern IV. P. Ne. 43. ©: 567, wo ausdrücklich ſteht: König
Waldemars des II. Klaggedicht über feines- Sohnes Tod nicht
abfürgen, und zur Erläuterung, warum diefer vor ihm geflors
bene Sohn gleichwohl die Regenten⸗Bezeichnung Waldemars
des III. führe, anmerken follen, daß dieſer Prinz bereits zum
König gekrönt war, aber noch vor feinem Water flarb, wie
das auch Nyerup zur Deutlichkeit bemerkt in dem 4. Bd. feis
nee Stildring af Tilftanden i Danmark og Norge, &. 255.
Ueberhaupt komme dieſe Dunkelheit durch Kürze öfters vor,
und man muß zuweilen in der That rathen.
©. 641 zu Ne. 89. Marft Stig (oder Marfhal Stig)
und ſeine Tochter waͤre es nicht unintereſſant geweſen, die
Marmora Danica anzuziehen, wenn gleich die dortigen Data
unerweislich, und die von Stigs Töchtern Ode und Ade, wie
Nyerup fagt, wirklich apokryphiſch find; denn wenn Marſk
Stig ſchon im J. 1298 ftarb, konnten feine Töchter allerdings
nicht erft 1460 begraben werdin.
Andy die Vorrede des Hrn. Verf. fann man von Dunkel
heit nicht frey fprehen, und manches tft fo allgemein und
abfprechend gefagt, daß man, wenn man ſich nad) Beweiſen
und Thatſachen umſieht, in Verlegenheit if. Wir wollen es
nicht rügen, daß Hr. Sr. meint, es fey Zeit, die Aufmerk⸗
ſamkeit endlich auch auf die Poefle des Nordens zu Ienfen,
weiche doch ſchon laͤngſt durch Gerſtenberg, Denis, Herder
und Graͤter darauf gelenkt war. Wenn er aber behauptet,
„Daß es meiſtens nur die Mythologie geweſen ſey, die man
aufgefucht habe, oft nur, um ihr eine Ungerechtigkeit anzus
thun, und fi nah Beweiſen für eine Anſicht umzuſehen, bie
fie im Voraus für eine Nachahmung der Griedjifchen und
Römifhen ausgab, und melde kritiſche hieß,“ ſo verfichen
wir entweder nicht, was Ar. Sr. damit fagen will, oder es
it ein Vorwurf, der entweder nicht gegründet, oder hieher
nicht paffend if. Denn unfers Willens ( abfirahirt von den
Schriftſtellern des Nordens feibft) kennen wir in Deutſchland
big jet feinen, der fill ex professo ‚mit der Erörterung und
Darfielung der Nordifchen Mythologie beichäftigt hätte, ale
Graͤter. Diefer ſtreitet aber ſogar gegen Vergleichungen mit
‘
192 Alldaͤniſche Heldenlieder von W. €. Grimm.
Menge Beyſpiele belegen. Allein er will nur bey. einem eins
gigen fliehen bleiben. Mir vergleichen das bekannte Jaͤgerlied
in zwey Abdruͤcken, welche kaum 2o Jahre aus einander find:
Es blies ein Jäger wohl in fein Horn (ſ. Herder von Deut⸗
ſcher Art und Kunft, deſſen Volkslieder, Stimmen der Völker,
und Sräters Dragur und Arnim’s Wunderhorn ).
Schon in der dritten Strophe fangen beyde Abdräde
( Recenfionen? Hr. Sr. bedient fih immier diefes vornehmen
Ausdrucks bey ſolchen Fällen, und mir können nit nmhin,
auch das gelegenheitlic zu rügen. Verdienen denn wohl .folche
Lichtfinnige Achtlofigkeiten des Volks, ſolche willkuͤhrliche, oft
verfkand » und finnlofen Abänderungen einen Namen, welchen
man den, mit hoher Gelehrſamkeit und Kritik bearbeiteten
Tertausgaben eines Wertftein und Griesbach, eines Ernefli
und. Heyne zu geben pflegt?) — Abdrüde alfo — ſchon in
der dritten fangen fie an abzumweichen, auf folgende Art:
Sräberee Er ſchwung fein Hütchen wohl über den Strauß
— Der Zäger ritt wohl durch einen grünen Buſch
Fr. Es ſprung ein ſchwarzbraun Mädgen heraus
Sp. Da ſprang ein ſchwarzbauns Mägdlein heraus,
Fr. Hob fa fa fa, dra, ra, ra, ra
©. Denn Hopfafa, denn Vallerallera, ꝛc.
5. Stropbe.
gr. Deine grofen Hunde, die thun mir nichts,
ep. Deine großen Hunde, die beifen mir *) nicht,
Sr. Sie wiſſen meine hohe weite Sprünge noch nicht
Sp. Sie kennen meine honette Sprünge noch nicht, ꝛc.
*) Dffenbar nur der Sehler eines Sächfifchen oder überhaupt Nord⸗
lichen Setzers, der den Dativ und ei in on Fällen
nicht za unterfcheiden wußte.
(Der Beſchluß folgt.)
DEZE TEN ae
No. 13. Heibeldergifge 4843,
Jahrbücher der Litteratur.
Urdinifee Heldentieder, Valladen und Märchen überfeht von Wil«
beim Earl Grium.
1 Bechluß der in Ne. 12. ahgehrochenen Pecenfion. >
| Do genug zur Probe. Die hohen weiten Spruͤnge, von
denen ſich das ſchlaffe Gedaͤchtniß nur noch des ho erinnerte,
und daraus honette! Spruͤnge machte, die großen Hunde, die
mir nicht beißen, ſtatt mir nichts thun, und der Jaͤger, der
durch einen gruͤnen Buſch reiten muß, ſtatt daß er ſein Huͤt⸗
chen wohl uͤber den Strauß ſchwingt, das freplich mit den
Geſetzen der Ideenaſſociation ſchwer aus dem bloßen Gedaͤcht⸗
niß zu reſtituiren war, zumal da der Strauß ſelbſt ſchon ein
Gedaͤchtnißfehler und eine Verbeſſerung um des Reims willen
fuͤr das vermuthlich aͤltere Strauch zu ſeyn ſcheint, — dieſe
wenigen, aus einem unzweydeutigen Beyſpiel herausgehobenen
Proben der allmaͤhligen Abartung der Volkslieder von ihrer
Urgeſtalt deuten klar genug auf den Weg hin, auf dem man
weiter zu ſchließen hat; und wenn Hr. Gr. uͤberzeugt iſt, daß
die dee einer folhen Abänderung gar nicht volksmaͤßig ſey! |
(©. XIX der Vorrede) fo iſt es offenbar, daß er das Volk
und ihre Lüeder noch gar nicht aus eigener Erfahrung kennt,
und leßtere bloß an dem Pulte zu ſtudiren angefangen hat.
Es klingt freylich prächtig ( wiewohl dunkel), wenn Br. :
Sr. auf der vorhergehenden Seite (S. XVIII) fagt: „die
Volkspoefie lebt gleihfam .im Ständ der Unſchuld, fie ift nackt,
öhne Schmuck, das Abbild Gottes an ſich tragend; die Kunſt
hat das Bewußtſeyn empfangen, fie kann den Much nicht
mehe Haben, ihren Gegenftand Hinzuftellen, wie er ift, fons
dern er muß umfleidet werden. Es ift darüber fein Streit,
man muß es empfinden, aber diefe Kleidung iſt es, die wir
in den Sefängen der Edda finden, dieſes Gemeſſene, Runde.
Dadurch wird nicht gefagt, daß fie nicht > fehr einfach ſeyn
1
194 Atdänifche Heldenlieder von W. €. Grimm.
koͤnnen, noch wird Über den Rang zwiſchen bepden abgeurtheitt:
wenn wir die Volkslieder wegen det Gewalt und der Wahr⸗
beit lieben, _mit- welcher fie das Leben und das Größte des
Lebens nah vor uns hinftellen ; fo fehen wir in den Kunflges
fangen alle Kräfte der Menſchheit gefteigert, die Helden idealer
und zu den Göttern gerät!“ (Und nun zum Beweis eine
Vergleihung der Thrymsquida mit dem. Dänifchen Volkslied
von dem Tord von Meeresburg! )
Wahrlich ein großer Aufwand von ſchimmernden Gedan⸗ |
ten, um einen verkehrten Schuß zu machen. Denn man darf
nur die Thrymsquida in Gräters befannter Verdeutſchung
in den Nordiſchen Blumen leſen, und dann dieſen Tord von
Meeresburg in Jegenwaͤrtigem Werke, wenn man ſich uͤber⸗
zeugen will, daß in dem letztern nicht das Groͤßte des Lebens
vor uns hingeſtellt, noch weniger aber das Abbild Gottes darin
erfenntlihh, Sondern daß es vielmehr von dem örtlichen
nicht bloß zu dem Menfchlihen, ſondern zu einer wahrhaft
pöbelhaften Verunſtaltung herabgeſunken if. Das läßt ih
auch begreifen, denn wenn man annimmt, daß das Eddiſche
Lied Höchftens in das achte Jahrhundert zuräck zu datiren fe,
(welches in Vergleihung mit den Liedern des Thiodolfs von
Hwin, die doch zum Theil einen großen Theil Kuͤnſtlichkeit
mehr verrathen, wohl nicht zu gewagt iſt) das Dänifche Volks:
lied aber in dns ı6te Jahrhundert ſetzen, fo liegt gerade ein
Zeitraum von acht hundert Jahren mitten inne. Bedenkt mat
nun, wie in odigem Beyſpiel nicht bloß die hohen weiten
Sprünge in dem kurzen Zeitraum von 2o Jahren fehon zu
honetten Sprüngen geworden find, fondern man fich auch die
Freyheit genommen hat, nicht bloß Ausdruͤcke, fondern Um
flände zu verändern, und aus dem Huͤtchen ſchwingen übe
den Strauch ſchon ein Reiten dur den Buſch gu machen ſo
läßt fi) denn wohl auch degreiflih finden, wie jin einem 40
mal längeren Zeitraum nur einige Hauptſtriche des alten Ges
mäldes geblieben, die fhönflen Mittelzuͤge aber nebft dem
ganzen antiken Colorit verwiſcht find.
"Nur ein Paar Züge zur Probe:
Altdaͤniſche Heldenlieder von W. €. Sri, |
Eddiſche Erzählung,
nach Gräters Ucberfehung en
Hinweg flog Locke
Das Federgewand raufckte,
Bis er binausfam
Aus der Gotter Grenzen,
Und bineintrat
Ins Rieſenland.
Thrym ſaß auf einem Hügel,
Der Riefen König!
Er fehnürte den Hunden
‚Das Soldband um,
And feinen Bferden
Strich er die Mahne.
Thbreym
Wie ſtehts bey den Göttern 2
Wie ſtehts bey den Geiſtern?
Warum kommſt du allein
Ins Rieſenland?
Locke.
Unbeil bey den Göttern!
Unheil bey den Geiftern!
Haft du des Donnerers
Sammer. veritedt ?
Shbrym
Ach babe des Donnerers
Hammer verſteckt
Acht Meilen unter der Erde!
Niemand foll ibn
Wieder erhalten,
Bringt man mir nicht
Freya zur Frau.
4195
Diefe Züge Haben fih nun in achthundert — nach und
nach in dem Däntfhen Volkslied nah Hrn. Grimms
Ueberſetzung ©, 142 auf folgende Art veraͤndert und vers
wiſcht:
196 Alwaͤniſche Heldenlieder von W. €. Grimm.
Das war Lade der Diener,
Der fette fich ins Federkleid
So og er in das Norden Gebürg,
Weber das ſalzige Meer fo meit.
Und müten in dem Burgbofe
Da achfelt er fein Kleid,
So ging er in den hoben Saal
Vor den garfligen Tölpel ein. —
Willkommen, Locke, du Diener ,
Willlommen, bil-du büben?
Wie ſteht es auf.der Meeresburg ?
Und wie ſtehts im Lande drüben ?
Wohl flieht es auf des Meeresburg‘,
Und wohl ſtehts im Lande drüben.
Tord bat verloren den Hammer fein,
Drum bin ich kommen berüber.
Tord feinen Hammer nicht wieder kriegt,
Du kannſt die Wort' ihm ſagen,
Fürnf und funfzig Faden tief
Ziegt er in der Erde begraben.
Tord feinen Hammer nicht wieder Eriegt,
Das fag’ ich. frey zu bir:
Ihr gebt denn Yungfegu Fridlefsborg
Mit all’ Eurem Gute mir. -
Der ſchoͤne Homerifhe Zug, wie der Niefenkönig, auf dem
Hügel figend, feinen Hunden mit eigener Hand das Golds
band umſchnuͤrt, und feinen Pferden die Mähnen fireiche, iſt
hier bereits gänzlich verloren gegangen. Eben fo auch andere
trefflihe Stellen dieſer Art, wie Freya ob dem unwürdigen
Antrag erzuͤrnt, und alle Goͤtterwohnungen unter ihr erbeben,
und das große bligende Kleindd zerſpringt; wie dann Die
delfen frahen, und flammend die Erde brannte, als Thor,
der Sohn Dding, auf feinem Wagen nach Jörunheim fuhr! —
Was kann man aber wohl einem Volkslied, deffen altes, wahrs
haft ſchoͤnes und mit erhaßenen Zügen ausgeſtattetes Urbitd
man gluͤcklicher Weiſe neben fih Kar, unter folhen Umftänden
für einen Werth beylegen ? poetifchen ? keinen. Haͤtte es wirk⸗
lid) eigenen poetifhen Werth, fo wärs es wahrlich nur Zufall,
Altdaͤniſche Heldenfieder von W. C. Grimm. 197
und würde diefer Werth den Werth) des Urbilds überfteigen,
ein Wunder ! Um wie viel weniger no laͤßt fih ihnen ein
hiforifcher Werth beylegen? Handgreiflich hat man «es ja,
daß aus dem Donnergott Thor ein Nitter Tord (oder Tor)
von Meeresburg, aus dem Thurfenkönig Thrym ein Toͤlpel
(Din. Toffe, offenbar aus Thurs entflanden) Graf, und
endlih aus der Goͤttin Freya eine Jungfrau Fridlefsburg ges
worden ift. Da fuche man nun in der Geſchichte nach dieſer
Fridlefsburg, und nad dem Tölpel und dem Tord! Alles
Suchen und Forfhen ift vergeblih, und wohl kann es in dies
fer Hinfiht einem Sram, und Suhm und Bartholin, die
foihe heilloſe Entftellungen der Geichichte und felbft der Altes
fin Sagen in diefen Volksliedern gewahr wurden, keineswegs
verdacht werden, wenn fie diefen ganzen Kram, als unnüß
für die Geſchichte, Feiner weitern Beachtung würdig halten zu
mäffen glaubten. Ja, es läßt fd kaum Bergen, daß wohl
auch die Hierin enthaltenen Lieder von Grimhild ic. zur Ers
Märung und Würdigung der Eddifhen Lieder über diefe alten
Heldenabentheuer kein größeres Gewicht haben mögen, als das
Volkslied von Torn zur Erklärung der Thrymsquidn, wiewohl
eine Zufammenftellung dieſer Art nichts deſto minder von hohem
Intereſſe ſeyn Tann. Abgeſehen indeſſen von allem hiſtori—
ſchen Werth, und denjenigen Stuͤcken, die noch ſchwache
Wiederklaͤnge aus den Tagen der grauen Vorzeit, auch eben
desiwegen Peine von dem Wolfe urfprünglich gedichtete, fons
dern nur durch feinen Leichtfinn und feine Vergeſſenheit vers
dordene und entftellte Lieder find, fo haben doch auch diefe
Wiederflänge noch einen Werth, indem fie theils unmwiderlegs
lihe Beurkundungen von der ehemiatigen Erifteng eines Urbilde
find, theils uns doch noch manche Ahndungen der urfprünglis
den Schönhete und manche Hauptſtriche des Alterthums duch
Sahrhunderte Herüber gerettet haben.
Auch in diefer Hinſicht verdient das Werk des Krn. Sr.,
deſſen Verdienft um das Dänifche Kjemipevife Bog durch alle
bisher vorgetragenen Einwendungen und Kügen keineswegs
kann geſchmaͤlert werden, in der Bibliothek jedes Forſchers
der Vorzeit und jedes Freundes der Kunſt und des Schoͤnen
zu ſtehn. Er hat ung zuerft durch feine mie Fleiß, Sprachs
498 Cbribl. Kirchengefchichte von A. Michl.
und Sachkenntniß gemachten Ueberſetzungen das Verſtaͤndniß
deſſelben geöffnet, und ung au ihrem Genuffe vorbereitet. Das
fü: gebuͤhrt ihm der Dank Zeitgenoſſen, und wird ihm
hiemit auch von dem Rec. mit der aufrichtigſten. Wahrheits⸗
liebe dargebracht. =
Shriftiche Lirchengeſchihte von Dr. Anton Mict, Koͤn. Bayr.
geil. Rath und öffentl. Lehrer des Kirchenrechts und der Kirchen⸗
geſchichte zu Landshut. I. Bd. Zweyte verm. und verbeff. Auf.
Münden ı8ı2. 596 u. xV1 S. ing... Bd. Zuſaͤtze zum erſten |
enthaftend. 1811. 440 ©. in $.
Man muß fi fehr wundern, in der werbofferten
Auflage diefes für ein Hauptcollegium auf einer berühmten
Univerfität befiimmten Lehrbuchs noch fo viele antihiftoris
fche Anfihten und andere unläugbare Fehler zu finden.
Es iſt Rec. Pflicht, auf einige derſelben, und dadurch auf die
Nothwen digkeit einer genauen Reviſionz die zum Theil eine wohl⸗
vorbereitete Umarbeitung werden müßte, aufmerkfan zu machen.
Daß Jeſus zur geeigneten Zeit als Meſſias erſchienen ſey,
ſoll nach S. 21 auch dadurch erwieſen ſeyn, daß die Juden
keinen Koͤnig aus ihrem Stamme mehr hatten, Antigonus aus
den Maccabaͤern der letzte, und Herodes ein Idumaͤer, ein
Fremdling geweſen ſey. Soll immer noch die Stelle, daß das
Scepter nicht von Juda entwendet werde, auf den Meſſias
bezogen werden, ſo iſt darin offenbar vom Stamm Juda,
nicht von den Juden als Nation die Rede. Vom Stamm
Juda aber war das Scepter ſchon weggekommen, da die Mac—
cabaͤer, in Johannes Hyrcanus, Koͤnige wurden. Denn dieſe
warten vom Stamm Levi. Wäre alſo des Verf. Argumens
fation Über die, Schieklichkeit der Erfcheinung des Meſſias zum
Grund zu legen, fo härte diefer ungefähr 130 Jahre früher,
ehe Johannes Hyrcanus, der Maccabaͤtſche Levite, dag Scep⸗—
ter nahm, auftreten muͤſſen. Schon von dort an war wirklich
das Scepter von Juda's Stamm entwendet. Der Hiſtoriker
darf Chronologie und Geſchichte nicht nach der ——— ums
formen !
Chriſtl. Airchengeſchichte von A. Michl. 199
Die Erzaͤhlung von der chriftl. Donnerlegion unter Ans
teninus Pius verwirft S. 57, behauptet aber, Dio und meh—
rere Auctoren,, auch die Antoniniſche Säule gu Rom ftellen ihn,
den Antonin, ſelbſt, als den Jupiter pluvius ‚dar. —
Die Auctoren fagen hievon kein Wort. - Auf der Säule iſt ein
Regengott, aber nicht Antenin, als foicher, dargeftell. S. Die
Kupferabdräcdke von dieſer Säule, bey Fabretti. vgl. Baum⸗
garten Examen Mirsculi legionis fulminatricis contra
Woolstonum. Halae 1740. 4.
Der Dfterfireit wird &. 54 fo vorgetragen, als ob bie
Frage gewefen wäre, ob die Ehriften ihr Opferfeft am viers
jehnten Monde oder am Sonntage nah dem viers
zehnten Monde feyern follten. Aber, mie man an oder
nah dem. „viergehnten Monde“ Hftern halten könne,
wird niemand begreifen. Die Frage betrifft den viergehns
ten nach dem Neumond: — Hier nennt der Verf. ſchon
die Roͤm. Biſchoͤfe Anicet, Bictor, Stephan ıc. jedesmal
Paͤbſte. Der Hiſtoriker kann doch nichts daran Ändern, daß
bamals, 3. B. in Epprians Briefen, der Roͤm. Biſchof noch
feinen andern Titel hatte, als jeder angefehene episcopus.
In der bekannten Stelle des Juſtinus von der Eudariftie
Apolog. I. $. 65. 66. erkandt fih der Verf. das Wort opfern
eingufhieben, wovon im Terre feine Rede if. Hr. M. übers
fest: worauf wir Brod und Wein mit Waffen, opfern. Der
Teyrt ſagt: Alsdann wird dem Borfteher der Brüder
Drod und ein Becher Waffer mit Wein gemifht dargereicht
(zgooh£perar, affertur, nicht offertur ). Der Lateinifche
Fleury, welchen der Verf. in der Note anführt, hat für mo-
Taoov, Becher, fogar vini et aquae sacrificium einges
heben. Sollen denn aber auch in unfern Zeiten noch dergleichen
piae fraudes fortgefeßt werden ?_ Noch mehr: Juſtin ſagt:
Wir nehmen die Euchariftie nicht als gemeines Brod, nicht
als gemeinen Trank. Vielmehr, wie, durch einen Logos Bots
tes, Jeſus Chriftus, unfer Heiland, Fleiſch geworden ift, und
Zleifh und Blur wegen (Ude) unfers Heils gehabt Hat, fo,
find wir auch gelehrt worden, daß die Nahrung, aus
welcher unfer Fleifh und Blut nad der Umändes
rung (dee Verdauung) zara ueraßoAnv genährt worden,
200. Eprißf: girchengeſchichte on W. Wit.
wenn fie durch Gebet und dad von ihm kommende Wert,
Aöyas 6 rap. adroo, gefegner if, auch Zleiſch und Blut jenes
fleuichgewordenen Jeſu ſey. So Zufin. Der Verf. behauptet,
Juſtin ſtimme ganz genau mit der Lehre von der Transiubs
Rantiation überein. Und doch erklärt Juſtin, dag die Sym⸗
boie der Encariftie eine Nahrung feyen, durch welche
unfer Zleifh und Blut durch Transmutation ge
nährt werden. Auch glauben viele Kirchenvaͤter, daß eben
diefelbe in den Leib der Ehriften verwandelte Nahrung diefem
zur Auferfighung geſchickt mache. Daran atio, daß die ſub⸗
ſtantielle Eigenfchaft jener Symbole, körperlich nahrhaft zu
ſeyn aufböre, . dachte Juſtin nad nicht; er dachte vielmehr
das Gegentheil. Was thut aber Hr. M.? Er, der Hiſtori⸗
ker, laͤßt die Stelle: aus welcher — bis: genährt
werden, ganz weg (©. 61), und fügt alsdann fogleich bey,
daß dieſes (häßbare Document fo genau mit der Lehre feiner
Kirche Übereinfiimme; ungeachtet Überdies Juſtin nicht fast,
daß Brod und Wein Jeſu Leib und Blur irgend werde,
fondern daß pie Symbole diefes ſeyen, weil Chrifius
gefagt habe: dies ift mein Leib, iſt mein Blut! Juſtin
Hiele fih vorſichtig an Jeſu Wort, ohne irgend ausdeuten
zu wollen, in wiefern und wod urch Brod und Wein in
der Euchariſtie Leib und Blue Chriſti ſey. Soll denn nun
eine Ausdeutung , welche notoriich erft im Mittelalter zur Kir⸗
chenlehre canonifirt worden ift, und welche ſelbſt Gregor VII.
lange Anftand nahm, gegen Berengar als Kirchenlehre aus
zufprehen, — foll und darf eine ſolche Auslegung den Hiſto⸗
riker auch in unfern Zeiten noch verleiten, in Leſebuͤchern für
angehende Theologen die Terte des heiliggepriefenen Alterthums
mit der Kirhendogmatit durch Auslaffungen in Harmonie
zu feßen und durd) Einſchiebſel, wie opfern ſtatt dan
bieten, umzuaͤndern?
Dagegen erlaubt ſich aber auch Hr. M. (S. 38) unſern
ſo partheyloſen Leſſing unter die Feinde der chriſtli—
chen Religion zu rechnen. Auch wird, wo irgend von
einer freymuͤthigen Unterſuchung die Rede iſt, gewoͤhnlich die
Andeutung gemacht, daß „der Proteſtant Semler* (©. 36)
„die Proteſtanten Ernefi, Lei, Herder xc.“ (8.56)
Ehriſti. Kirdrengebiräte von A. Dicht, 201
dieſelbe gewagt haͤtten. Allerdings iſt dies gerade proteſtan⸗
tiſch, ungebunden von irgend einer vorgefaßten Meynung oder
Auctoritaͤt jede moͤgliche Hypotheſe in ihrer vollen Staͤrke, in
ihrer groͤßten Wahrſcheinlichkeit zu betrachten, weil ſie, wenn
ihr nicht ihr volles Recht angethan wird, nicht mit Wahrheits⸗
ſinn gepräft, nicht entſchleden angenommen oder verworfen
werden kann. Aber, um ihrer Meynungen willen, Texte des
Alterthums durch Auslaſſungen und Einſchiebſel
umzuwandeln, dies haben Leſſing, Erneſti ꝛc. nicht ger
wagt; dies zu wagen haben ſie auch aus ihrem Proteſtantismus
fiinen Ania genommen, feinen darin -aefunden !
8.62. „Die Taufe war anfangs nur von bem
Biſchofe, weil die Firmung mit der Taufe verbunden‘
war, jedoch mit deſſen Erlanbniß arch von Prieſtern oder
Disfonen, und im Nothfall fogae von Layen ertheilt.“
Anfangs nur von dem Bifhofe? Und doch hatte fetop
Korinth, da Clem. Romanus jenen Brief der Röm. Gemeinde
(nie eines Roͤm. Bilhofe) an die Korinthifhe Gemeinde
dahin ſchrieb, noch feinen über die Presbyters erhobchen, ein«
jeinen und eigenslichen Biſchof! Er nennt nur emioxönong
(im Plural) xai drsaxsvovs, fo daß [ihm Erioxomor und
zpeoßöreno: noch Synonyma find.
Aus Herders Adraſtea 1. St. ©. 1923 werden ©. 76 bie
. wergiichen Worte angeführt: „Im Chriſtenthum gibt es kei—
sen Klerus. Die Menfhheit (die Geſammtheit aller Herzlis
den Verehrer Gottes) ift der erwählte Theil Gottes, Fein
ausfhließender Stand. Vertilgt fol der Name, tie
der Inbegriff, werden. Denn beyde find Reſte der Barbaren,
den nuͤtzlichſten Ständen verähtlih.“ Kr. M. finder dies uns
begreiflih. Die Lehrer, fagt er, der Hiftoriker, wurden bald
Birhöfe, bald Priefter genanne, und führt dabey Act. @o.
V. ım. und ad. an. Was aber fagt die Beweisſtelle hiſto⸗
riſch? Die Presöpters, die Aelteften , werden auch Episkopen,
Aufſeher, genannt, weil fie, aber fie alle, und nicht bloß
Einer unter ihnen, diefes bey der Gemeinde waren. Darf‘
nun der Hiftoriker angehende Theotogen in die Meynung verfehen,
als ob Presbyter, senior, durch Priefter gu uͤberſetzen,
’
202 Chriſtl. Kirchengefthichte von A. Mil,
und 'mit iepeds, sacerdas, damals fynenym geweien fey ? oder
als ob der allen Presbyters gegebene Beyname, Episkopos, das
mals den Begriff eines Biſchofs der fpätern Zeiten angedeutet
Babe.
S. 79 ſagt: „Da die, Proteſtanten den Roͤm.
Primat gerne umgeworfen haͤtten, zugleich aber die
deutlichen Dokumente (7) des Alterthums nicht weglaͤugnen
konnten, kamen einige aus ihnen auf den verzweifelten
Einfall: Petrus ſey niemals zu Rom geweſen u. ſ. w. Die
böfen Proteftanten ! Aber der genaue und partheylofe Hiflorts.”
ter würde, flatt diefes polemifchen Tons, feinen angehenden
Theologen vielmehr dies gefagt haben, daß die Proteftanten
nicht erweistich finden, Petrus ſey als Biſchof zu’ Nom ges
weſen; daß, wenn fein apoftolifhes Dafepn zu Nom
den dortigen. bifhöflihen Primar begründen ;folte, An,
tiochien den ähnlichen Anfpruch auf ein Primat gehabt” hätte:
daß Überhaupt nicht gegen das eigentlihe Primat (wenn
Biichöfe find, fo muß Einer der Erfte unter ihnen fepn!y,
fondern gegen das Supremat und die Hieromonardie
des Bischofs zu Nom proteflirt werde, wie nach dem Einge—
fändniß des Verf. ſelbſt (S. 55) der heilige Cyprian fchon
dagegen Bräftiger, als mir ee wiederholen moͤchten, fich erklaͤrt
hat. Hr. M. erklaͤrt ſelbſt die Iſidoriſchen Decretalien
S. 693 für Erdichtungen; und wer kann hiſtoriſch laͤug⸗
nen, daß das Univerſal⸗Supremat und dann der Hie ro⸗
deſpotismus des Bonifacius VIEL, . weichen Frankreich
fhon unter Philipp dem Schönen zu brechen anfing, rechtlich
betrachtet, nur auf der Zeitmennung ruhte, als ob jene Des
crete uralte und Achte Kirchendocumente wären? Diefe Praͤm iſſe
iſt längft weggefallen; ſelbſt von allen fahfundigen katholischen
Gelehrten ift die vornehmlich durch Proteftanten enthuͤllte pia
fraus, als ſolche, anerkannt; und dennoch) ſollte das Reſultat
nicht zu bezweifeln, die Conclufion ohne Prämiffe
geltend ſeyn? Die kathokiſche Kirche behauptet gu allen Zeiten
die nämliche zu feun. Sobald der Roͤmiſche Primat fo. bes
trachtet wird, wie ihn, nach allerdings deutlichen Documenten
des Alterthums, der Heilige Biſchof Eyprian annahm , fo ifl
Chriſti. Kirchengefchichte von A. Dich, 203
diefer Streit großentheils geendigt. Die katholiſche Kirche ſelbſt
wenigfiens und jeder ihrer. weltlichen Regenten kann, fobald
die Diendo s Decretalten nicht nur an fi, fondern auch, wie
narärlih, zugleich in ihren Folgen und Reſultaten, als das,
wofür fie anerkannt find, behandelt werden, mit Recht nicht
in Verlegenheit feyn, wenn, zum Beyſpiel, rechtmäßig ges
wählten Bifhöfen von einem Primat, welches nicht ein gebietens
des Supremat, nicht Univerfal s Eupremat ift, die Confirmation
(was eigentlich bloß Anertennung der Unitat ſeyn fann)
aus temporären Gründen verweigert wird.
Dem Rec. mangelt die Zeit, bie Parorame des Verf.
weiter fort zu bemerken. Von K. Julian, deſſen richtigere
Schilderung der Verf. aus Hrn. Prof. Neander's hiſto—⸗
tifhem Semälde über den 2. AJulianus und fein
Zeitalter (CLeipzig ıdsa.) erfehen mag, ſpringt er ſogleich
auf Muhammed, das beißt, vom 5. 360 auf das J. 591.
Welche Anordnung der Darfellung! S. ı924 verfihert, Dis
hammeds merkwuͤrdigſte Grundfäge aus dem Koran ausziehen
zu wollen, und gibt fodann an: „Der verfprochene heilige Geiſt
ſen Muhammed felöft, weil man in der Dibel nide
Parakletus, fondern Periklitus (sic) leſen muͤſſe,
welches Wort ſo viel als beruͤhmt heißt, und in der Arab.
Sprache durch das Wort Muhammed ausgedruͤckt wird.“ Mo
ſtuͤnde dergleichen etwas im Koran? Auch das Maͤhrchen vor
der fallenden Suche bey Muhammed wird zweymal wies
derholt. S. 123. 129, Nach Muhammed geht der Verf. auf
Donatiften,, Arianer ıc. zuruͤck. Auch in Hinſicht der Sprache
hat der Verf. nöthig, dem würdigen Ton getreuer gu bleiben.
3. B. ©. 140. „Vom Singen kam es (bey Artus) bald
zum Lärmen.“ ©. 149. Priscillian waͤrmte die gnoftifhen
Stundfäge wieder auf, S. 153 die Lehre des Pelagius zu
verfleiftern. ©. 161. Man hörte nicht auf, an dem
Hern Jeſus gu meiftern. Der IL Bond enthält theile
eine weitere Ausführung einiger Paragraphen des Lehrbuchs,
theils die Ergänzung mancher Materie, wie fie Hr. M. ohne
Zweifel in feinen Vorlefungen zu geben pflegte. Die Behands
lungsart ift die nämliche. Uebrigens füge Rec. auch mit Ders
204 ° Mahn Comm. de Apostolis & J.
genügen die Erklärung bey, daB mande Meaterien hiſtoriſch
richtiger, den Auellen entfprechender, bearbeitet find.
3. €. G. Panlus.
Ern. Aug. Phil. Mahn, Wildunga - Waldecci, nunc ab Or-
dinis theolog. Georgiae Augustae Repetentium Collegio,
Comm. in qua ducibus quatuor Evangeliis Apostolorum-
que scriptis distinguuntur tempora et notantur viae, quibus
Apostoli Jesu doctrinam divinam sensim sensimque ımelius
perspexerint. Goettingae 1811. 151 ©. in gr. 4.
Observationes exeget. ad difficiliora quaed. Vet. 1’. loca. Auct.
E. A. Ph. Mahn. Goetting. b. Pietridh. 1512. 45 ©. 8.
Die erfte diefer Schriften Bat 180g den Preis bey der
theol. Facultaͤt zu Göttingen erhalten. Durch bie zweyte er:
warb fih der Verf. die philofophifche Doctorwärde und die
Erlaubniß zu Vorleſungen. Beyde führen ihn unter die era
getifch s gelehrte Theologen als einen Mann. ein, welcher bey
fhönen Sprachkenntniſſen und großem Fleiß, verbunden mit
einer beſcheidenen, aber nach Gruͤndlichkeit firebenden Prüs
fungsgabe und einer unverfennbaren Empfänglichkeit für das
Natuͤrlich s Wahre und Practifhe, bdie ihn auch zu einem
Freunde Baco's gemacht zu haben fheint, für das Fach der
oriental. und biblifchen Studien durch vergleihende Darſtel⸗
fung verfchiedener Anfichten und durch weitere Verbrteitung
der beſſeren Ideen ſich vorzäglich näglih machen wird. Seine
Arbeiten beweifen auch dur eine Fülle ( bisweilen moͤchte
man fagen, ducch einen lUeberfluß) von Litteratur feine Ads
tung gegen das fhon Vorhandene. Der Anfang altes eigenen
Wiffens ift die Kenntniß und Prüfung der Vorarbeiten. Der
ſicherſte Probierftein, ob ein angehender Gelehrter gu wahren
Erfindungen in feinem Fach Talent‘ habe, iſt, wenn er in
feinen Forfchungen öfters mit den beſten Vorgängern unges
ſucht zufammentriff. Man muß wuͤnſchen, daß dem Verf.
feine jeßige Anftellung zu Eaffel, als Profeffor am Lyceum,
die nörhige Muße und Gelegenheit zu Fortfegung diefer Str
‚ dien nicht beengen möge.
Mahn Comm. de Apostolis I. C. 205
Die Preigfchrift geht aus von Zügen des Plans, welchen
Jeſus hatte, bleibe aber doch allzu fehr bey dem bloß Relis
gios Moratifchen ſtehen. Jeſus will ein Reich Gottes; er
wil es durch Lehren und muftermäßiges Selbſthandeln bes
gründen; er verbietet fih und andern durchaus alle Gewalt.
Nur was aus Lieberzeugung komme, tft daurend! Aber doch
will Zefus nicht, daß diefes Reich Gottes immer nur in eins
jenen und bloß innerlih fey. Die Wesergeugten follen auch
jnfammentreten „ nad) ihrer riorıs in Sefammtheit handeln,
badurh an ihn als Oberhaupt, als einen durch Geil und
Wahrheit, nie durch mwillfährlihe Gebote, wirkfamen Regenten
ſich anſchließen, und wo möglich fi) fo ausbreiten, daß feine
Kirche ein Staat Gottes, ein Simmel auf Erden, fey.
Die eigentlihe Abhandlung ſtellt drey Säge auf: ı. Die
judaizirende Meynung der Apoftel von einem (mit mwunders
barer Gewalt gegründeten ) irdifhen Meffiasreih fey durch
Sefa Ermordung geſchwaͤcht, duch feine Auferfiehfung wieder
erweckt worden (Apg. ı, 6.). Endlih aber haben fie ein
bloß moralifches (?), auf Erden beginnendes, im Himmel
(und auf der paradififh verwandelten Erde ?) fortdaurendes
Gottesreich geglaubt. 9. Jeſu Abſicht, weldhe die gange Menſch⸗
heit umfaßte, haben ſie anſangs nicht durchſchaut. 8. Endlich
aber Chriſtenthum ſvom Moſaiſchen Geſetz trennen und eine
geſonderte Geſellſchaft fuͤr ihre Religion bilden gelernt. Wie
der Verf. dieſe Saͤtze zu erweiſen ſuche, welche Modificatio⸗
nen dabey zu beruͤckſichtigen ſeyn moͤchten, geht uͤber den
Raum einer Necenſion.
Aus der zweyten Schrift geben wir folgende Benfpiele.
Der Verf. beftätigt die Schnurreriihe Erklärung des 91102
niNnD Nicht. 5, 2. Nach dem Arabifhen = 3 meldes im
die Höhe reden bedeutet. Daher ei? Volkshaͤup⸗
ter. Auch Rec. pflege zu uͤberſetzen: Weil ſich Haͤupter
unter Israel erhoben, weil das Volk freygeſinnt ſich gezeigt
bat, dafür preifer Sjcehova! Auch Deut. 3a, 40. findet ſich
die nämliche Bedeutung. (Erod. 32, 25. aber erklärt fih aus
einem ganz verfhiedenen Stammwort ẽ f ausſchuͤtten,
206 Mahn Observat. ad diff. V. T. loca,
leer, kraftlos machen. Day FO, daß Ey
etwas Gegoſſenes und Ede den gießenden
Rüänftler bedeutet. Daher zugleich die: Anfpielung auf das
gegoffene Kalb. „Mofe fah das Volk, daß es. wie aufs
gegoffen war (Profüsum in scelus), weil Aharon es zum’
Sußbild, fusile, gemacht hatte, zum Scheufal vor den
Feinden.) Zu > Rice. 5, 7. 11. vergleicht Hr. M. mit
+ 5 unterfcheiden, entfheiden, richten; ver⸗
ſteht aber darunter nicht Richter, ſondern viros stre-
nuos. Es kann Überhaupt das, was ſich ausfondert,
auszeichnet, vorzüglich iſt, bedeuten. Vgl. IT UN”
Hab. 3, 14. caput eximiorum. Auch .Erdkayi iſt :oft
= duderrol. — ef. ı7, 16. wird nom) als, Subſtantiv,
aegritudo, von’ non angenommen. Collectio frugum erit
in’ diem moestitiae. Zu ef. 22,2. wird ‚bemerkt,
daß Fon dfrers nicht den Berwundeten, ſondern den
Krieger bedeuten muͤſſe. Richt. 20, 3ı. 8. Sam. £, 18.,
wo auch die Aler. TROREINEO: feßte. Der Unterichied ruft
auf dem DenpelIR Cha * it Adit, transfodit und per-
fossus est, \m> aber castra metatus, grassatus est, nad
der Srundbeveutung solvit etiam ‘ad commorandum.
Lebteres Verbum bebdeuter wohl einen der ſich nieders
läßt, sarcinas solvens. Deswegen aber noch nicht: miles,
Sani iſt active transfossor — bellator, passive bon trans-
fossus- Jeſ. 25, 11. wird IT NIIIN ey überfeßt: ma-
nibus adstrictis seu in pugnum compressis. D) fol in
aeternum bedeuten; welches Rec nicht zu ermweifen wuͤßte.
Prov. 7, 21. wird 3 mit Oo uecus dulcis, fructuum
coctione inspissatus, verglichen: inclinavit cum dulcedine
— Be sermonis sui. Vergl. Pf. 55 ae. zu Hohesl.
.Prov. 5, ı9. 7, 18. beſtaͤtigt der Verf. für 0777
die — suavia. Wahrſcheinlich waͤre D’717 und
0777 zu unterfcheiden. Letzteres ift is -Jusit,. Zu DINO
&
[4
De vi vocabuli xrioss auct. G. Chr. Grimm. 207
Hiob 5, 5. wird verglihen („Lo recondidit, und als Pars
tieipiam 'Hiphit Überfege: abscondentes secum aufe-
runt. uvr Habac. 2, 17. haͤlt Herr M. für die dritte
foeminine Perſon des Peal, vergleicht insidiatus est,
und überfeßt: et vastatio bestiarum, (quae) irrumpent.
Chab. 3, 18. wird a9] vom heiligen Reigentanz ev
färt: saliendo colam Jehovam.
H. E. G. Paulus.
De vi vocabuli *Tiets Rom. VIII, 19 seag- qua simul locus
iste Paulinus explanatur. Auct. M. Gottlob Christ.
Grimm, _eccl. Kleinwelsbacensis prope Longosalissam
pastore. Lips. b. Breitkopf. 1812. 96 S. in 8.
Die Methode der eregetifchen Unterſuchung in diefer Eleis
nen Schrift ift fehr richtig. Der Verf. ſucht durch die Präs
dicate den eigentlihen Sinn des vieldeutigen Subjects gu
beffimmen , und zeigt daneben, gleihfam im Vorbeygehen und
ohne Anmaßung, warum nad diefer Vergleihung der Prädis
cate diefe und jene der fonft angenommenen Deutungen des
Subjects nicht zuzugeben ſey. Gerade durch eben diefe Un⸗
terfuhungsmerhode aber fcheint auch des Verf. Erklärung auss
geihloffen gu werden. Er deutet xrioıs, aus dem Gegenfaß
gegen die erften Chriften, die „Erſtlinge der Gottesfähne“
als Nihtchriften, vergleiht Marl. 16, 1. xnpdEnı TO
soayy. naon Ti xriocı, Coloſſ. ı, 25. xnovydeis Ev nam
vij arioeı TH nd ToV 0bpavor, und erinnert an xoauog
ald Synonnmon. Matth. 18, 18. 1. Joh. 3, 1. Die philos
logiſche Moͤglichkeit diefer Bedeutung iſt nicht zu läugnen.
Wie aber paßt fie in den Zufammenhang ? Ders ıg. wird
&.64 fo umfcdhrieben: qui carent nomine atque jure filio-
rum Dei futuraeque salutis promisso, ( = xtioıg ), sperant
adeo expectantque conditionem beatam Dei filiis desti-
natam et asservatam. SKann-aber das Prädicat: fie hoffen
und erwarten die Seligkeit der Chriften, den Nichtchris
fen zugefchrieben werden ?_ Ein folches Erwarten würde ben
Stauden vorausfegen, daß die Ehriften gewiß felig werden. —
Vers 2o. Non suo arbitrio (ut Christiani, qui mala cum
christ. religionis professione conjuncta &xodcıoı susce-
pisse dici poterant) sed per Deum rerum omnium recto-
ıem malis submissi sunt (©. 80), sed Vs. 21. S. 65
sperat 7 xtiorg, fore ut et ipsa, quamvis sit »rioıg
i, e. quamvis filiorum Dei juribus careat, liberetur.
f
208 . Mempria C. G. Heynü auot. Heerei.
Panlus aber ſagt nicht nur liberetur, fondern auch eis is
Ehrvdegiav väs Hobng TAV Tixvav Too Deod. Wie könnte
bey Nichtchriſten eine ſolche Hoffnung. der Befreyung von
Ervenelend angenommen werden, Die fih irgend anf die
Befreyung der Chriſten beziehe? an dieſe fih ans
ſchließe? Der Apoftel konnte nicht vorausſetzen, daß fie den
Chriſten dieſen Vorzug zufchrieben. — Webrigend zeigt der
Verf. fo viele Kenntniffe, Darfiellungsgabe, Gewandtheit im
Lateinifhen Ausdrud und Humanität in der Beurtheilung
Anderer, daß man feine Klagen Über Entfernung von litteras
rifhen Huͤlfsmitteln nicht ohne Theilnahme lefen kann, und
ihm eine feinen Studien angemefiene Lage fehr wünfhen muß.
H. E. G. Paulus.
Memoria Christiani Gottlob Heynii commendata in consessu
reg. Spcietatis Scient. ad d. XXIV. Oct. MDCCCXII. ab
Arn. Herm. Lud. Heeren. Gottingae typis Henrici
Dieterich. 22 &. 4. 3
Here Heeren, von welchem die zahlreihen Freunde und
Schüler Heyne's die verheißene ausführliche Biographie deſſelben
mit Sehniucht erwarten , fchildert hier nur vorläufig mit Ruhe
und Klarheit, wie es eines Geſchichtſchreibers würdig ifl, die
Verhältniffe des Verewigten zur Uuiverfiräe Göttingen, welche
ihm einen fehr großen Theil ihres Ruhms verdankt, befons
ders aber feine Verhaͤltniſſe zu der mit der Univerfirät verbuns
denen Societät der Wiffenfchaften, und gibt einen Umriß von
feinen großen litterarifhen DVerdienften. Die hier mitgetheilten
kurzen Nachrichten von dem frühern Leben Heyne's find zwar
im Ganzen den Freunden defielben ziemlich befannt, fie erhal⸗
ten aber doch einen eigenthümlichen Werth dadurch, DaB der
Verf. einen Auffab von der eigenen Hand des Verflorbenen:
über die Schiekiale feiner Jugend benußte, aus weihem S. 5
“folgende rührende Stelle mitgetheilt wird: „Ex omni mea
juvenili aetate, si eam memoria apud me repeto, nihil
prorsus occurrit, quod: jucupdum memoratu foret. In
summa egestate, in penuria omnium commodorum, quae
vitam optabilem vel tolerabilem saltem reddunt, nil aliud
expertus sum, quam aliorum injurias ac oppressionem,*
Sehr angenehm. waren uns die Bemerkungen über Heyne's
Verbindung mit Muͤnchhauſen, welche auf die gahlreihen im
dem Nachlaſſe vorhandenen Briefe des berähmten Minifters
ſich gründend, den uneigennüßigen Sinn Heyne's gegen frühers
bin verbreitete Fäfterungen ‚des Meides und der Mißgunft recht
fertigen. Auch was ‚über feine Werhältniffe zu Winkelmann
bemerkt wird, iſt fehr lefenswerth.
—— ——
|
Pi
No. 14. Heidelbergifäe | 1813.
Jahrbüder der Litteratur.
LTE
xXX
Das heilige Abendmahl, von Dr. Heinr. Stephani, K. Bayr.
Kreisſchulrath (zu Anſpach) des Kön. St. Michael⸗Ordent
Ehren⸗Nitter, und mehrerer gel. Geſellſch. Mitgliede. Mit 1.
Kupfer. Sanbehnt 29 Krüll. 1811. 155 ©. 8.
Fam Abſchied aus feinen Verhaͤltniſſen als Kreisſchnlrath des
Lechkreiſes richtet der Verf. an die katholiſche Seiftlichs
keit jenes Kreifes, welche als Schulinfpectoren mit ihm in
Verbindung geſtanden waren, dieſe für die Verbündung aller
guten Menſchen, als Ehriften, merkwürdige Schrift mit den
Borten: „Die Guten trennt weder Eonfefflon noch Schickſal.
Sie fühlen fih ewig als Mitglieder jener einzig mahren Kirche,
der Unfichtbaren, verbunden. Hier nur erzieht uns dieſe in
verfchiedenen Abtheilungen füt ihr höheres Neid.“ Eben dies -
ſes rege Gefühl der Vereinigung aller Gutgefinnten herrfcht in
ber ganzen Darftellung. Ungeachtet des Beifs. Erklärung
der / Worte Jeſu beym Abendmahl von allen: bisherigen abgeht,
und feine Beurtheilung der vielfahen Abweichungen von dem
Vorbild. der Stiftung, alle Confeffionen zu einem höheren urs
| frränglichen Zweck mit Enthufiasmas zuruͤckzuleiten ſtrebt,
verfaͤllt er doch niemals in einen polemiſchen Ton. Wie er ſich
ſelbſt charakteriſirt, daß jene feine Amtsbruͤder ihn als einen
Mann Lennen gelernt hätten, der „nichts fo feurig wuͤnſche,
als das Anfehen der Religion in der Welt wieder recht wich
fam machen,“ fo athmen auf diefe fünf Auffäse den
Geiſt der Wahrhaftigkeit und Liebe, in dem Beftreben, durch
Gründe zu Überzeugen, und zu Befolgung der Ueberzeugung
durch lebhafte Darftellung zu rühren. „Ale Syſteme von
GereHämern, auch unfre kirchlichen, haben (&. 7) gewiſſe
Gentralpuncte, auf welchen ihre Haltbarkeit beruht. An diefe
fege man den Hebel freymäthiger Unterfuhung an, und ihre
Waſſen werden zerſtiebend herabrollen und die Sonne der
14
210 Das heilige Abendmabl von H. Stephan.
Wahrheit niche mehr hindern.“ — „Die von Jeſu ange:
fangene (Kobffer 1, 24 8.) Eriöfung, des Mens
fhengefhledhts kann (S. 9) nur dadburd zur Vollendung
- gebracht werden, wenn alle Lehren und Gebräuche der chrifts
lichen Kirche mit dem hohen Zweck der (Heiligung oder) Vers
edlung immer mehr in Harmonie gefeßt werden.“
Nach diefen Srundideen erkennt der Verf. im der "Geyer
des Abendmahls die Abfiht einer fortwährenden Bundess
erneurung herzlih wahrer Chriften für zufammen
wirkende Ausäbung und Verwirklichung defien, was im
Chriſtenthum das Weientlihe if. Jeſu Worte: Dies iſt der
(gemeinfhaftlihe) Kelh des neuen Bundes! feinen ihn
‚geleitet zu haben. Eben diefer Worte wegen ift auch fonft die Idee,
‚die Symbole des Abendmahls mit Bundesfpmbolen zu vergleis
hen, ſchon Öfters aufgefaßt worden. Vgl. Worbs Ueber die
Dundes s und.. Frenndichaftsipmbole der Morgenländer, zur
Erläuterung mehrerer bibl. Stellen. Sorau 1792. Der Verf.
tbut es auf eine in den Hauptgranden und in der Anwendung
eigenthuͤmliche Art.
Faſt alle Voͤlker traten mit ihren Goͤttern * geſchlach⸗
tete Thiere in Verbindung, deren einen Theil man durch Feuer
den Goͤttern gab, den andern aber die Menſchen in einem
gottesdienftlichen Mahl verzehrten. So af man in Verbin⸗
dung mit den Göttern, auch nod zur Zeit des Urchriſtenthums
(1. Kor. 10, 11.). Auch die Israeliten hatten in ſolchen
Dpfermahlen Verbindung mit dem Altar des Sjchovah (eben:
daf. V. 18.), und der Apoftel feßt in jener gangen Stelle das
Mahl des Heren in Aehnlichkeit mit jener die Gottheit und den
Menſchen mit einander verbindenden heilig gehaltenen Mahlen.
Befonders bey Bündniffen wurden unter mancherley Mopifis
sationen, welche der Verf. ausführlich angibt, Thiere zerſtuͤt⸗
kelt, ihr Blut als Bundesblur gebrauht, wie ausdruͤcklich bey
dem theokratifchen VBerfaffungsbund Sehovahs mit den
Seraeliten, Erod. 24, 8. vergl. 19, 1 — 11. das Bundespiut
theils, auf die Seite der Gottheit bin, alio an den Altar,
verfprigt, theild aber in Becher gefüllt und auf die verbüändes |
ten Menichen, nachdem fie ihre Einwilligung in das Bundes
Hefe gegeben hatten, geiprenge wurde. Alsdann wurde mit
—
Das heifige Abendmahl von 9. Siephani. 211
den Opferfleifch und mit Wein, flatt des Blutes, ein Bun⸗
desmahl gefeyert. Sogar wurde nicht felten ſelbſt etwas
von dem Biute under Wein gemilcht, und auf dieſe Tchaners
lichſte Weiſe die Verpflichtung zum Bunde auf Beben und Ted
übernommen. Leber diefe hergerfchätternde Bitte gidt S. no
die ausdruͤckliche Bemerkung dee Saluſt Bell, Gatilin.
c 29. nicht nur Catilina, da er feine. Verbundene vereis
dete, humanı corporis sanguinem vino permixtum circum-
tulisse, fo daß fie davon post exsecrationem alle etwas ko⸗
fleten, fondern es fey auch, was die Hauptſache if, eben
diefesbey den feyerlihen Weihungen Sitte ges
weſen, „sicuti in solemnibus sacris fieri consuevit.“
Diefes letztere, als vorzüglich merkwürdig, hat der Werf. durch
die fprechende Abbildung einer fehönen Gemme verfinnlicht,
unter weiche eben jene Worte: sicuti . . consuevit gefeßt
find, wahrfcheinlich um zu erinnern, daß Hier — was ohnehin
kein billiger Lefer der ganzen Schrift thun fann — nicht an das,
was in Catilina's Handlung aufrährerifches war, zu denken fey,
wo vielmehr auf die Allgemeinheit jener befchriebenen
heiligen Sitte ausdrücklich hing edeutet und ſie hiſtoriſch und
antiquariſch bewieſen werde.
Dieſe allgemeinen Anſichten und Gefühle der Menden
bey Heiligen Bundesmahlen, wie fie befonders au aus Ilias 3,
45 — 301. und Liv. ı, 24. vollkändig zu erkennen find, was
ren, ſchon feit Geneſ. K. 15. 8.06. 8. 3ı, 46. auch bey den
Süden. 2. Sam. 5 20. 1. Kön. ı, 25. Und da Seins beym
Abendmahl den Kelch ausdrüdlih einen Kelch des neuen
Berfaffungsbundes nennt, fo kann fein Zweifel feyn, daß er
dabey an die alte Bundesverfaffung und deren Erod. 24. ers
zählte Einweihung gedaht Habe. Eine aͤhnliche Conſecra⸗
tion ſeines Verfaſſungebundes war alſo ſeine Abſicht. Wie
aber ſein Verfaſſungsbund ſelbſt viel humaner und univerſeller
ſeyn follte, als der noch im unvermeidlichen Particularismus
von Moſe geſtiftete, eben ſo mußte auch in den Symbolen
das particulariſtiſche, das Paſchalamm, weggelaſſen nnd dages
gen etwas allgemein Noͤthiges gebraucht werden. Dies war
das bey dem Paſchamahl vorhandene Brod. Moſe hatte
Fleifch, ein gebratenes Lamm, jur Hauptſpeiſe des Pafchar
®
L
212 Das heilige Abendmahl von H. Gtephani.
mahls gemacht. Dies war ein Felt finnlicher Freude Aber
finnlihe Erldfung Jeſu Bundesmahl fol aufs geiftige
‚gerichtet, fell fo wenig finnlih ‚fen, wie möglich. Moſe's
Bundesſpeiſe, das Lamm, wurde von den Juden der Pas
fh aleid,.0D MA, oöua voo 70x genannt. Einen -
ſolchen Paſchaleib Hatten ſo eben. die‘ Tifhgenoffen Jeſn
nebſt ihm genofien. Noch lagen Biffen davon vor ihnen, weit
das Mahl mie einem folhen Biffen von dem Pafchaleib aes
fehlopgen werden mußte. Hier nahm Jeſus einen Brodkuchen,
ſprach darüber den gewöhnlichen Dank gegen Gott, zerbradh
uud gab ihn (nah Hrn. St: Erklärung) mit den Worten«
dies ik meim Leib, nämlid mein Paſchaleib, — Pas,
was ich ſtart des Pafchaleibs zu nehmen verordne. Der Sinn
wäre: dies tft meine Bunvdedfyeife, das univerfellere, unent⸗
behrliche Symbol der (nicht mehr particnlariftifchen, nicht
bloß nationellen) Verbuͤndung und MWerbräderung aller Gut—⸗
geſinnten. ——
Allerdings frappirt anfangs dieſer Anlaß, mit einemmal
in den Worten Jeſu nichts mehr von dem eigenen Leib und
Blut deſſelben zn finden. Mit einemmal wäre das oupoe auf das
cöya Tod ndoxa zu beziehen. Aber, genauer, wiederhofter,
uneingenommen betrachtend, wird wenigſtens die philologifche
Worterklaͤrung nichts gegen die Anficht einwenden, daß Jeſus
bey den Worten, dies Brod iſt mein Leib, gerade dieſes
‚gedacht haben könne: das alte ouua Toö nacya ift nicht
mehr mein ou, Brod foll dagegen mein odua (sc.
od .naoxa) feyn! Ferner: das alte levitiſche Schladytopfers
Hlut iſt nie „mein“ Blur. In Zukunft fol diefer Wein mein
Diut, das Blut des neuen Verfaffungsbundes
feyn. Er fagt fogar amsdrädlih fogleih in den nächften
Verſen bey Matth. und Markus, daß er keinen Paſchawein
mehr trinke, daB er auf eine neue Weiſe Wein trinten werde.
Das Neue tritt an die Stelle des Alten. So fagte Er bey
Soh. 4, 54. Meine Speife if, daß ich thue den Willen
Gottes, und der Sinn iſt: flatt der Speifen, welche ihr
bringet, if das Wirken nach Gottes Willen-mir zur Nahrung.
Entfcheiden könnte man über die Auslegung, wenn Wir die
Das heilige Abendmahl Ivon H. Stephani. 13
begktitenden Gebaͤrden Jeſu mit Hätten anfehen können. Sah
er bey dem Wort vöum auf das vorliegende odua Toü Tra-
07 Wer kann dies entſcheiden? Aber auch bey der gewoͤhn⸗
lichen Erklaͤcrung ift es ebenfalls nur hinzugedache, daß Jeſus
bey den Worten ooud ov auf feinem Lerb gedeutet oder ger
blidt Habe, Daß man fie lange fo verſtund, beweiſ't nicht,
daß man nicht lange geirrt haben könne. Denkt man fi
lebhaft an den Paſchatiſch Hin, wo Jeſus mit feinen Juͤngern
io lebend faß, fo hat es doch feine eigene Schwierigkeit, gu
denfen : er babe ihnen Brod hingegeben, welches, in irgend
einem eigentlichen Sinn, fein — noch als ein Ganzes
vor ihnen lebender — Leib feyn follte!
Hr. St. vereinigt auch die Übrigen Stellen des N. T.
mit feinee Erklärung. Man konnte fpäterhin die Symbole
Brod und Wein vun xpıoToö, ala xpıosoö nennen, in
ſofern ee ſelbſt ſie feinen Pafchaleib, fein Bundesblut ger
nannt hatte. Wer einem jüdifchen Opfermahl, =) Mar,
beywohnte, erklärte, wie 3. Kor. ı0, 18. fagt, nad) damals
gen Begriffen fih für einen Theilnehmer an dem Altar;
wer den geweihten Becher, das gebrochene Brod der Chriften
genoß, erklärte fich ſelbſt eben fo (V. 16.) für die Theil⸗
nahme an dem, was der Herr für feinen (Paſcha⸗) Leib,
für fein Bundesblut erklärt Hatte, und dadurch für den Vor⸗
fa, ein Tifhgenofe des Herrn (V. 21.), ein Gaſtfreund
bey des Herren Mahl, deinvov xvpıaxoy (11, 20.), und
ein Verbuͤndeter des Geiſtigen Einen ooua Jeſu, der Ge
meinde, zu feyn (10, 17.). Selbſt die legte offenbar geiftig
deusende Stelle fcheint zu zeigen, daß ou im ganzen Con⸗
tepte niche leiblich zu verſtehen ſey. Eine coena dominica
muß doch nicht ein Mahl feyn, wo dominus ve] aliquid de
domino comeditur; etwa wie Hamlet fagt, Act. IV. a sup-
per, not where he eats, but where he is eaten. Wer
dann nach 1. Kar. 11, 21. lieblos und üppig bey einem fols
Gen Chriſtenmahl fih bewies, wer alfo unanftändig und uns
würdig das vom Herrn eingefegte Brod und Wein genoß, der
verſchuldete fih V. 27. gegen das, was der Kerr, flatt der
Paſchaſymbole, feine Symbole, fein oöra x. alu“ genannt
\
[4
MA Das heilige Abendmabl von H. Stephani.
Hatte. Er behandelt das, mas Seins fein ouua genannt hat,
nicht mit würdiger Auszeichnung, dð dıiaxeivov. V. 29. Da
Sefus felb des Bluts noch befonders erwähnt, fo würde
Er, kann man wohl hinzufegen, nicht os, fondern oapE.
Fleifh, dem Blut parallel geftelle haben (wie oh. 6, 54.
‚65.), wenn er an fein eigen Fleifch und Blut gedqcht hätte.
Der Leib, wie auch im Streit über den Kelch oft bemerkt wurde,
‚würde fchon auch das Blut begreifen, wenn von einem bes
lebten Leibe nad) der gewöhnlichen Auslegung die Rede wäre.‘
Rec. bat fih noch die Einwendung gemacht, daß das
Paſchamahl an fi nicht ein Verbändungsmahl, viel—⸗
mehr die Feſtmahlzeit zur Erinnerung an die Erldfung aus
Aegypten war. Der Verfaffungsbund. der Sjsraeliten entftand -
erft nad) dem Auszug. Erod. 24. Allein, daß Jeſus an Feyer
eines Verfaſſungsbundes dachte, bleibt durch feine
eigene Andestung: Tb aiıa uov, TO Tüs xaıyis dadNenz,
worin alle drey Evangelien harmoniren, entfchieden. Jeſus
konnte auch ſchon auf Gottes Bund mit Abraham Senef. 17,9
15, 18. zurüdfehen. Er vereinigt Erinnerungss und Ben
buͤndungs feyer. Aber für das eigentlihe, . particuläre
Erinnerungsfymbol, den Paſchaleib, ſetzt Er ein allges
meinereds. Uebrigens bat, wie auch &. 56 anzeigt, fchon
Pfaff in feinen Institutionibus Theologiae dogm. et
moralis (Ed. II. 1721. ) p. 691 die Andeutung gemacht:
Christus hoc sacramentum institut ad analogiam
coenae Paschalıs.. . Et verba roöro ori To ooud
pov ex phrasiJudaica explicamus: Judaeis enim agnus
Paschalis assus, atque in mensa positus olim dicebatur
—J DIN corpus Paschatis. Mur die Anwen—
2 dung, welche Ar. St. hievon macht, war fuͤr jene Zeit noch
nicht moͤglich, nicht vorbereitet genug.
Aber auch, wenn dieſe Anwendung nicht Über die philolo⸗
giſche Möglichkeit hinaus erwiefen werden fann, bleibt
doch, nad) des Rec. Einfiht, alles das, was Hr. ©t. über
‚die Deutungen der Abendmahlsworte ins Lnbegreiflihe, und
dann uͤber die practifch veredlende Anwendung diefes eigens
thuͤmlichen Chriſtenmahls weiter folgen laͤßt, in gleichem Werth.
Das Heilige Abendmabl von H. Stephan. . 215
Oceimutfiwolles kann nichts darin liegen; denn dies, wenn
es eine Aufgabe für den Glauben feyn follte, müßte von Je⸗
fas in beffimmten Worten zur Aufgabe, zur Glaubensprobe,
gemacht feyn. Oder wußte etwa Jeſus weniger, als ein Cons
dlium im Mittelalter und die fonftigen Verf. von Glaubens—
normen, die angemefjenften Worte für das, was man hier zu
glauben Habe. Das gewiß ausgefprochene iſt, daß feine Hands
lang auf einen neuen Verfaffungsbund fih beziehen
folte., Daß e8 Erinnerungsmahl an Zefa Aufopferung
für eben diefen Bund werden mußte, daß die Chriſten, fo
oft fie es als Ehriften zuiammen aßen, in den bittern Gedans
fen, in den hergerfhürternden Ausruf ansbrehen mußten:
Sie haben uns den Meifter erfhlagen! (1. Kor.
ı1. 26.) dies lag ohnehin in der Natur der Sache. Eben
fo gewiß ift es, daß Brod und Wein nie Symbole eines
Suͤndopfers waren, daß felbft das Paihalamm gu den frohen
Gluͤcksopfern, 8 nicht in die Claſſe der Suͤnd⸗ oder
Schuldopfer gehoͤrte, daß alſo auch bey dem dafuͤr geſetzten
Bundesmahl an alles eher, als an ein Opfer für Süns
den von den erſten Ehriften gedacht werden fonnte, die ale
gebohrne Juden mit der DOpfertheorie von Kindheit auf
beſſer, als mander Theologe, bekannt waren. Selbſt der
Apoftel Daulus hat nie von dem Mahl des Herrn eine Ans
wendung diefer Art gemacht. Die Betrachtung, daß es Buns
desmahl fey, bleibt alfo auf jeden Fall.
Mit ſchoͤnem Enthuſiasmus flellt es denn auch der Verf. |
als Verbrüderung für ein Gottesreich, für eine mit Gott hars
monierende Weltordnung,, ale Erneurung eines Bundesſchwurs
für die Verbuͤndung mit allen Gutgefinnten, als das große
Samtlienmahl aller Gottesfinder unter dem Einen, ewigen, -
heiligen Vater, dar. Er eifert S. 99 darüber, daß es zum
Mahl für die große Süänderzunft gemacht fey. „Wie
woller ihr den Menihen je dahin bringen, den mühevollen
Kampf für die Tugend zu beftehen, wenn ihr ihm ein aͤuße⸗
res Mittel anweiſet, durch defien Gebrauch er ohne innere
Anftrengung den Tugendhafteften gleich geftelle werden könne? “
Er gibt liturgiſche Vorſchlaͤge darüber, Leider feine
J -
!
216 Das beitige Abendmahl von. H. Stephant..
Anfiht au in eine Abendmahlsrede en, melde durchr
aus zweckmäßig fcheine, und verbindet damit paffende Ges
fänge, melde den beften ung befannten nicht nachſtehen. —
Alles diefes aber iſt, wie es jeßt faft nicht anders ſeyn ann,
auf die großen, gemifchten Verfammlungen in Kirchen berech⸗
net. Hierdurch wird immer das Bundesmahl auf die bloßen
Symbole eingefchräntt. Wie ganz anders. mußte es in den
noch befiern Zeiten des Chriſtenthums wirken, wenn verttaute
Chriftenverfammlungen wirklich ihre coena zuſammen afen,
als folhe, die fi ihres Chriſtus freuten, nur ihn und feinen
Bundeszweck, alles Wahre und Gute, zum Tiſchaeſpraͤch
machten, und endlih am Schluß: eines ſolchen aͤchten Chriſten⸗
mahls höher geffimmt und gu manden guten Vorſaͤtzen neu
erwärmt, ihren Jeſus feldft fich vergegenwärtigten,. wie er
einft, am legten Abend feiner kaum begonnenen Lebensbahn,
des Verraths zum Tode gewiß, aber auch gewiß feines Vort
faßes, daß der Sieg des Guten nur durch Weberzeugung, nicht
buch Gewalt zu bewirken fey, die treubleibende kleine
Heerde, wie der alte königliche Prieſter Melchiſedek Genel.
14, 18. durh Brod und Wein zu einem Bundesmahl vers
einigte, welches in der Folge eilf Galilaͤiſchen Männern die
Stärke gab, feine kurze Wirkſamkeit für den gebilderften Theil
dee Welt unverlöfhlid, fegensreih zu machen... Auch die tor
lirte Beyer des Bundesmahls in den Kirchen if allerdings
feinem Heiligen Zweck fo nahe als möglich zu bringen... Et
fcheint aber doch unvermeidlih, daß fie nur wie ein. Symbol
der urfpränglichen Einrichtung bleibe. Die Hauptbedingung
des Effects wird allein in engeren Tirkeln denkbar feyn, mo
wirkliche Chriftusfreunde als ſolche einen heiligen Abend feyern,
wo der Mund von dem, wovon ihr Herz voll iſt, vertraulich
Überfließt, und, gleihfam Kohle an Kohle gelegt, die Ale
der Konvenienzen weggehauht wird. Auch Jeſus erwartete
das Meifte von kleinen Gefellfhaften Sleihgefinnter;
wo zwey oder drey folhe beyfammen wären, wollte er de
Tiſchgenoſſe, der Inhalt ihrer Tifchreden, fenn. Daß alsdann
alle dergleichen kleinere Cirkel gu allgemeinen Zwecken dei
Bundes für alles Gute harmonieren und aus allen Kräften
zufammen wirken, deswegen immer auch zugleich eine Kirche
überhaupt bilden follten, ergibt fi) aus der Natur der Sache.
Geben uns doch die wirffamfien der für ideale Zwecke verein
ten Verbruͤderungen eben dieſes Beyſpiel des Wirkens aus
kleinen vertrauten Kreiſen in Rie vielfacher zufammengefehte
Sefammtheit.“ |
' H. E. G. Paulus.
— — — —
Ueber Rellgionsvereinigung von F. Stewdel. 217
Ueber Neligioncverelnigu Ein Wort Vroͤfung und vfner
(offener) Erflärung als Beytrag zur Pr Des griedens in
der chriſtl. Kirche. Don Fried. Steudel, Diakonus zu Cant⸗
ade Cjeht zu Tübingen). Gtuttgart bey Mezler. 1511. VALLE
und 223 ©. in S.
Rec. will diefe beſcheidene, gher ſtandhafte Proteftation
| gegen Erregung eines neuen Unfriedens zwifhen
der katholiſchen und proteftantifhen Kirche, meift durch fich
ſelbſt, durch Auszüge ihrer eigenen Worte, charakterifiten, da
He fehr vieles Wahre und Sure, nur bisweilen durch eine
verwickelte Periodologte in etwas verdunkelt, darbietet. In
Beziehung auf die „Friedensworte an die katholiſche und
proteſtantiſche Kirche für ihre Wiedervereinigung“ ( Sulzbach
| 1810.) eine Schrift, welche jede Bitterkeit and Lieblofigkeit
zu vermeiden vorgibt, will der Verf. ins Licht ftellen, Daß der
Prtoteſtant weiß, was er glaube und warum er es glaubt,
daß eben deawegen die Proteffanten feine Gründe
haben, fih als religidfe Geſellſchaft aufzuldien
und der Farholifhen beyzutreten. Er wollte nice
einen andern irre madhen in dem, was diefer glaubt,
aber dartegen, daß der Proteftant keinen Grund babe, in dem,’
was er glaube, ſich irre machen zu laſſen.
Die Frtedensworte wiederholen das befannte Wißs
fpiel, daß man entweder Katholik feyn, oder Deift
werden muͤſſe. Wenn die Latholiihe Kirche and, zugeftehe,
daß in ihr zu einer gewiſſen Zeit Mißbraͤuche flatt gefuns
den haben, fo fey fie doch die ächte chriftl. Kirche, und ihr
Syſtem das einzig confequente chriftlihe. Kr. St. iſt
fo friedliebend , nicht fogleich zu fragen, eb es confequent fen,
in einer unträglicdren Lehranftale Mißbraͤuche, ſelbſt durch
den Repräfentanten der infalliblen Kirdye autorifirte Mißbraͤuche
(wid Ablaß um Geld ) jemals einzugeſtehen? Wenn die Ges
ſchichte ſo oft, fo unlaͤugbar dag Gegentheil von Infallibilitaͤt
der Kirche documentirt, fo wird man eher zu einer andern
Antichefe gedrungen : dafl man entweder Proteftant oder Deift
ſeyn müffe! Die untruͤgliche Kirhe, melde ben Dffens
bahrungsglauben fihern fol, ift geichichtlich nicht gu finden.
Er muß alſo entweder rationell gefihert werden, oder
müßte er gar nicht zu fihern ſeyn. Kr. St. erllärt daher
mit ruhiger Beſtimmtheit: was die proteftantifhe Kirche
fy. Sie iſt ihm eine Sefellihaft, welche in Gegenftänden
des relig ißſen Slaubens als enticheidend nur das Ans
fehen der Bibel gelten laffen, von deren göftlihem Ur⸗
fpeunge Der eigene freye Gebrauch der Vernunft
fie überzeuge, und weiche fie nur mit. Huͤlfe ihrer eiges
nen Bernunft erklaͤre. Durch diefen genetifhen Begriff
&
[1
218. UkReber Religionsvereiwigung von F. Gtendel.
der proteſtantiſchen Kirche iſt allerdings gezeigt, daß Proteflans
sismus und Rationalismus nicht einander entgegen, fondern
zugleich zu feßen find. Der Proteflantismus ift bibliſcher
Nationalismus Mur das, mas nod) allzu vieldentig ift
in des Verf. Ausdruck, daß, der Proteffantismus in Hinſicht
der Religion allein das Anſchen der Bibel.gelten laſſe, fors
dert noch genauere Beflimmung. Die Bibel enthält vieles,
was nicht zum Wefentlidhen der Religion gehört, und auch
das zur Religion gehörige gibt fie in einer zur Vollkommenheit
foreichreitenden Entwicklung. Das alte Teftament enthält auch
ſchon Religionsoffendbahrungen, die aus religidjer Begeiſterung
entftunden. Im neuen Teftament aber fihreiten fie zur weites
ren Vervolllommnung fort. Die proteftantifhe Kirche nun,
wenn fie deutlich erflärt, was fie unter dem Anfehen der
Bibel veritehe, eikennt aus vernänftigem Nachdenken, daß
alles, mas in der Bibel als wefentlihe Neligionswahrheit ges
offendahrt iſt, das volllommenfte und zureichendfte unter allen
Religionseinſichten iſt, die als Offenbahrungen aus veligiöfer
Begeifterung en:ftunden. Eben deswegen aber muß diefe Kirche,
auferdem daß fie bey Entdeckung des Uriprungs und des Wort
finns diefer Offenbahrung die eigene Vernunft gebraudht, die
nämliche das Goͤttliche fuchende Geiſteskraft auch noch dazu ges
brauchen, daß fie den übrigen, vielfachen Spnhale der Bibel
von dem unterfcheide, was innerhalb der Bibel als weſentlich⸗
religidfe Wahrheit aus beiliger Begeifterung ung in Lehren oder
Beyſpielen vorgehalten wird. Wie richtig unterſcheidet auch
der äftheriich : philofophiihe Scharffinn Plank's (in feiner
Einleitung in die theol. Wiffenih. fhon 1795.) Bibel und
bibtifch s geoffendahrte Neligionswahrheit. Er erkennt es als
„allgemeine Rege! (IT. Th. &. 404), daß die fuftematiiche
Theologie ihre Schrifebeweife nur aus folhen Stellen ziehen
folle, von denen es gewiß iſt, Daß fie eine Belehrung und
‚gwar eine für alle Zeiten beffimmte Belehrung
über Religionswahrheiten enthalten,“ mit (&.409)
der.doppelten Bemerkung, daß „nicht in allem, was von
Sein und den Apofteln herrährt, ein dogmatiſcher Reli—
gionsunterriche gefucht werden darf, daß man aber auf
jedesmal fih fehr beftimmter Gründe bewußt feyn muͤſſe,
wenn man fi in einem befondern Fall erlauben will, einem
eregetifch wahren Ausiprud, Chriſti oder der Apoftel die dogs
matifche Wahrheit abzufpreihen.“ Wird dieje genauere der
flimmung , daß und in wiefern der Bernunftgebraud, des Pros
teftantismus fi nicht nur auf die Bräliminarien der Theologie,
auh nicht allein auf die Eregeie beziehe, fondern überdies
auf den Inhalt der Dogmatik ſelbſt, als eines Syſtems
oe
ueber Religionspereinigung von F Steudel. 219
der wefentlihen Religionswahrheiten, gewiſſenhaft anzuwenden
und conſequent durchzuführen ſey, vollſtaͤndig erwogen, fo ers
het, daß aͤchter Proteſtantismus jederzeit bibliſcher Ras
tionalismus war, und bleiben wird, nie aber in einen
bloßen Deismus (tn eine alle Dffenbahrungsauctorität laͤug⸗
nende Neligionsphilofophie ) ausarten kann. Die Gottheit
führt die Menfchen durch zwey Wege zu Religionseinfichten.
Entweder ift man, bey den vom Water der Geiſter veranflals
teten Weranlafffingen zur Ueberzeugung, fih des eigenen Nachs
denfens und aller Umſtaͤnde bewußt, wodurd man die Einficht
erreicht; oder wird fie dem Andachtsvollen aus feinem innigften
Gefühl für das Heilig s Religidie mit Begeiſterung offenbar,
d. h. fo klar und wahr, daß er fid feiner Wirkfamkeit dabey
nicht bewußt iſt. So lange die Geſchichte zeigt, daB Bott die
Menſchen auf diefen beyden Wegen za ihrer religiäfen Erziehung
leitete, und fo lange es gewiß ift, daß befonders bey der Re—⸗
ligion Geift und Herz, Nachdenken und Gefühle vereinigt
wirken, einander beleben und berichtigen follen, . eben fo
lange wird fich die bibl. Offenbahrungsiehre nicht vom Ras
tionalismus, und diefer fih nicht von dem Biblicismus
trennen. Diefes beydes aber wird Geſchichte und Menfchens
fenntniß immer zeigen; mogegen es Srrationaligmus
wäre, als Glauben vorzufchreiben, dab auch etwas den aners
kannten, unläugbaren Einfihten entgegengefeßtes dennoch Dffens
bahrungsmahrheit feyn könne. Und fo flimmt auch mit den
Srundideen der Stifter des Proteflantismus jeder Protes
ſtant überein, welcher fi) zum biblifhen Nationalismus in
obigem Sinn bekennt, weil auch Lurher, Melanchthon ꝛc.,
was fie aus der Bibel ale Aufgabe des religiöfen Glaubens
behaupteten , nur wegen der Vorausſetzung behaupter haben,
daß es dort als wefentliche und andern unläugbaren Einfihten
nicht entgegenfiehende Religionslehre vorkomme. Sind denn
gleich die proteftantifchen Gelehrten noch nicht Über den ganzen
Anhalt des biblifhen Nationalismus nad) jedem einzelnen Theil
axegetiſch und dogmatifch einig, ſo ift dies doch nur eine ins
nere Differenz, die bey fo verjhiedenen Stufen von Vor—
fenntniffen und Einfichten bisher unvermeidlich, zugleich aber
‚ein Zeichen des geifligen Lebens und Selbfiforfhens war. Der
Unterfchied felbft befteht nur darin, daß der Eine mehrere,
der Andere wenigere Säße geoffenbart findet, welche er zum
Wefentlihen der Neligionsbelehrung rechnen zu dürfen
überzeugt ifi-. Dawider aber, daß irgend etwas, das in der
Bibel nicht geoffenbare ift, durch irgend eine in Mens
(hen fortdaurende Sjnfallibllität zur Religionswahrheit, oder
auch nur zu einem abjolut nothwendigen zeligidfen Ritus ers
-
\
4‘
220° uUeber Rellgionsvereimigung von F. Gtendel.
hoben merden könne, ſtimmen alle Proteflanten nur defto
kraͤftiger zuſammen, wenn gleich ihre biblifher Nationalismus
bey manchem weniger, bey andern vollftändiger durchgeführt
and wiffenihaftlich ausgearbeitet erfcheint. Leber die negies
rende Stellung des Proteflantismus gibt es eine Differenz;
aber auch der affirmirende Theil deffelben (denn der Bors
wurf, daß der Proteftantismus nur neaierend fey, tft ohner
bin abermals ein bloßes Wortfpiel! ) zeige fih in,allen weſent⸗—
lihen Puncten weit mehr zufammienflimmend,” als die Diffes
renzien es vermuthen laſſen mögen, welche in der That nur
Bas, was zur Einkleidung und unter die temporären Begriffe
I vechnen fey, betreffen. Und fo, mie dieſer affirmirende
heit des Proteſtantismus für Die Religion das Wichtigfle
tft, eben fo bleibe der negterende, die Proteflation gegen
‚allen Slaubensswang, für die Eultur dee Menſchheit
äberhaupe hoͤchſt wichtig. „Nur dagegen (S. 82) firäubte
fi) unfer ganzes Wefen, wo das Sdttlihe durch menichliche
Zugabe entwärdigt, oder gar verdrängt werden follte.“ S.134.
„Selbſt die Taͤuſchung in der Meynung, man’ denke felöft,
iſt noch ehrenvoller und nährender für das Gute, “als das des
müthigende Wegwerfen feiner feloft, womit man fih unfähig
glaube, auch ſelbſt zu denken,“ d. h. anflatt eines gebotenen
Auctoritaͤtsglaubens einen Weberzengungsglauben zu haben, wel⸗
cher allerdings achtbare Auctoritäten auch vergleicht und bes
nu&t, eben deswegen aber z. B weder durd) die rohen Producte
des Mittelalters fidy ſeſſeln läßt, ndch bey einem Kirchenlehrer,
welcher, wie Auguſtinus die Bibel nur lateinifch lefen Fonnte,
richtige Eregefe und Anwendung ſchwerer Stellen erwartet. —
©. 135. „Wer jebt noch dem Chriſtenvolke von einer uns
eräglihen Lehranftalt voripriche (die Friedensworte fpres
hen nad dem Modeton, daß wenigftens das Wolf eine
folche Religion bedärfe!), der muß, wenn er von dem
vernünftigen Theile, ſelbſt der Katholiken, gehört werden mil,
vorher vielleicht mehr als Einen Foltoband fcdhreiben, in dem
er alle Data, welche die Gefchichte zu dem Beweis, daß fein
Forum kein unträgliches if, an die Hand gibt, ale
unftatehaft widerlegt.“ |
Die Friedensworte tragen ©. 32ı darauf au, daß nicht
mehr widrige Vorurcheile aufgewärmt, nicht, mehr
feindfelige Zumuthungen ausgefireut werden
foltten. Dennoch geben fie den Wint ©. 258, daß die
Idee einer unfihrbaren Kirche gegen die Proteftanten Bei
forgniffe von Seiten des Staats verurfachen koͤnnten. Ader
dieſe Kirche hat keine unfichtbare Obern, als Bott und Jeſus!
Ehen diefe Friedensworte. wiederholen. aud) gegen die Refors
f
“
Ueber Religionsversinigung von F. Gtewdel, 221
malion die Vorwürfe von Luthers Leidenfchaftlichleit, und „da
ein Dann, welcher dem gemeinen Mann von Frepheit,
den Zürften von Unabhangigkeit und Einziehung
teiher Pfründen, den Kierifern von Aufhebung des
Coelibats fprah, ſich wohl günfiige Aufnahme habe vers
fprehen können.“ Ganz vorzäglih gut hat Kr. St. das
Hiforiih :Uinwahre dieſer Punete gezeigt, nach dieſem aber
auch den wichtigen Unterſchied beyder Kirhen in Grund⸗
fügen und einzelnen Dogmen treffend ausgezeichnet.
©. 100. „Dat denn er (der Berf. der Zriedensworte) wicht
gehöre von Luthers treuer Vermahnung (1522) an alle Chris
Ken, fih vor Aufruhr und Empoͤrung zu hüten ? nichts von fels
ner Schrift gegen die räuberifchen und mörderifhen Bauern ? ıc.*
„Bar es nicht noch 1530 bey den svangelifchen Fürften Gegen⸗
fand einer reiflihen 1eberlegung, „ob man dem Kayfer mit.
gutem Gewiffen Widerfland thun koöͤnne, wenn er gegen
einen derfelben, um der Religion willen, Gewalt gebrauchen
wÄrde 7" (Auch wie fehr Luther fel6 dem Krieg entgegen
war, weil fein Heldenglaube, daß Sort feine Sache ſchuͤtze,
unerfchätteriich blieb, ift befanne!) Das Secularifiren aber
war ohnehin nicht im Geifte der Reformatoren. Luchagsflagte
darüber, daß ein Theil des Adels die Kioftergüter an ſich
reißen wolle ( Schrödh N. KG. I, 374), und der Ehurfürf
von Sachen verordnete ( ©. 891) feluft, daß alle Einkünfte
der geiftlihen Stellen und Kiöfler genau beredynet werden folls
im, um Kirchen und Schulen zu verforgen, wozu er, wenn
es nöthig ſey, noch Geld herzugeben fih erbot. Leider! aber
mußte Hr. St. mehrmals anmerfen, wie fehr die Friedens:
vurte von dem, was ihr Verf. aus Stellen, die er ſelbſt zur
Hälfte citirte, richtiger willen mußte, gefchichewitrig und
vorfäglih abweichen. Mer follte den Schluß für möglich hal⸗
ten, welchen er $. go macht, daß, weil die Neformation Res
ligions Uneinigkerten verurfachte,, fie alle Schuld der Bartho⸗
lomaͤusn aͤchte, angezündeter Scheiterhaufen u. dgl. trage. War
ten nieht die &cheiterhaufen laͤngſt vor Luther und Huß — aus
unträglicher Machtvolliommenheit — angezündet? Mir Wäre
ſpricht überhaupt S. ı0B das Unläugbare aus: „Nichts von
dem, was Luther (gegen den Katholicismus) als Jrrs
tum beſtimmt verworfen bat, hat unterdeffen
fih als Wahrheit beftätiget, fondern die Macht, welche
er heidenmärhig angriff und in Schranken zuruͤckgewieſen fehen
wollte, ward wirklich dahin getrieben; feine Srundfäße
im Ganzen find von Millionen als hoͤchſte Wohlthat erkannt,
durch neue Stäßen gefihert, und durch weitere Beleuchtung
noch mehr aufgehellt worden.“ ©. 195. „Kein (and nur
22 Ueber Religiomsversinigung von F. Steudel.
hifkorifch:) anfgeflärter Katholik kann läugnen, daß das Gy
fiem des Katholicismus, welches von Luther beftrttren
wurde, die Auffiärung in gewiffen Zweigen der Miffenfchaf:
sen (außer der Philoſophis vornehmlich im Staatsrecht, Kies
chenrecht ꝛc.) nicht begänftigen kann, weil feine Exiſtenz und
"die Heiligkeit derfelben durch fie gefährdet würde .... Darum
lag Frankreich non jeher im. Rampfe mit dem Haupte der ka—
thalifchen Kirche, und darum lag Kayſer Joſeph fo fehr im
Kampfe mit der Hierarchie. Es möchte ſchwer fallen, den
Saß zu beftreiten, daß, mas innerhalb diefer :Zeit für Aufı
flärung im Katholicismus gefchehen iſt, Annäherung iſt zu den
Srundfäsen ‚der proteftantifchen Kirche.“ Wer hat die Unaͤcht⸗
heit der. Pſeudodecretalien gezeigt, wer aber auch von den. Fob
gen diefes nur im Mittelalter möglich geweſenen Products ſich
entfeffeft ?_ Die Friedensworte feldft geben S. 132: den Wink,
daß „Rom nihe mehr in feiner alten Lage fey.“
Sie uͤberſehen daben die natärliche Gegenfrage: ob die alte
Lage mit der Infallibilitaͤt der Kirche uͤhereinkam oder nicht?
und das Dilemma: ob alfo dieſe Infallibilitaͤt entweder jeßt
oder damals als verlegt erfheine? Sie ziehen aus der vers
ände Lage Roms nur die Erwartung (St. S. 83), daß
„ale Dpfer, die mit der Wefenheit des Chriſtenthums
vereinbär find, gebracht werden moͤchten.“ Mit der Weſen—
heit des Ehriftenehums ? Wer aber wird dieſe beflimmen?
Die Exegeſe und Religionsphilofophie der katholiſchen oder der
proteftantifhen Kirche ? —
Der Verf. der Friedensworte ſetzt, wie er nicht anders
kann, das erſtere voraus. Denn Untruͤglichkeit der Kirche und
Primat des Roͤm. Biſchofs als „des goͤttlich autoriſirten Res
praͤſentanten der untruͤglichen Kirche“ ſetzt er ſelbſt als die
Kauptdivergenzpuncte (S. 146. 187). Die Wefenheit des
Ehriftenchums wäre alfo nur auf jener Seite. Auch fein
Vereinigungsplan kommt daher, wie es immer bey zwey Thei—⸗
len, wovon der Eine im MWefentlihen allein Recht gu haben
glaubt, der Fall werden muß, darauf zuruͤck, daß, wenn ein
" Unionsentwurf von beyden Theilen gemacht, dem Pabſt zur
Genehmigung vorgelegt, und von diefem mancher aus den
kirchlichen Einrichtungen fließende Anftoß gehoben würde, man
von den Proteftanten Nadygiebigkeit erwarte, wo die
Anftände einen Blaubenss und Dffenbahrungss
gegenffand betreffen.“ Die Proteflanten alfo müßten
ihre Srundfäße, das Weſentliche ihrer chrifti. Weber
zeugungen,, der Katholicismus dagegen einige Nitus und .
äußere Verhältnife aufopfern! Hr. St. hat gegen dieſes
Opfern Äberhaupt mit großer Klarheit bemerkt, daß fich dar⸗
ueber Neligimnsvereinigung . von F. Oteuda. 223
‚über, ob man von etwas Überzengt ſeyn wolle oder nicht, gar
nicht pacisciren laſſe. Es ift Pflicht, alle mögliche Mittel zur
Ueberzeugung anzuwenden. Mer darf Pflichten aufopfern ?
Welch ein Begriff von Wahrheit und Religioſitaͤt, wenn dieſe
aus gegenfeitigem Accordiren hervorgehen follten! Wegen des
Primats zum Beyſpiel begehren die Friedensworte $. 126. die
Meberzeugung : daß, weit Petrus.von Jeſu einen ‘Primat ums
ten den Apoftelm gehabt habe, umd in Rom geflorben (ep, alſo
fin Rachfolger zu Rom ihm auch im Primate folge.“ Ders
gleichen Schiäffe wirden fodann gebotener Glaube feyn; gegen
fie dürfte es dann feine .Segenfrage mehr geben: ob der Vor⸗
sung des Petrus nicht ausdruͤcklich auf individuelle Eigenſchaften
deſſelben gegründet wurde? und ob fi) dieje durch Jahrhun⸗
derte herab vermittelft des Sibens auf dem Stuhl des Petrus
vererben laffen ? — Der vom Pabſt modificirte Vereinigungsplan
foll, nach, den Friedensworten, „durch den Landesherrn von feis
ner. wänichenswerthen Seite empfohlen, und dem Amte bet
Prediger Schuß, Unterſtuͤtzung und befferes Einfommen vers
fprochen werden. Wer aber die Augen gefliſſentlich ſchließt, det
eignet ſich nicht mehr zum Lehramte.“ Iſt es Geift des Chris
ſtenthums, oder Folge der Ergiehung unter einer.an das Gebieten
gewohnten Kirchenpolitik, welche bey Vorſchlaͤgen dieſer Art
von Urheber dreiſt genug machen konnte, fie Ungeſcheut vor
das Publikum zu bringen? Hr. &t. faßt dies alles mit Recht
in die Worte zufammen: es fol Slaubenszwang einge
führe werden! ©. ı20. ran. „&s aber jemand (zum Predis
ger) sräte und fprähe: Bruder! ich biete dir Ehre und Ga
winn; komm, diene meinem Zweden; da müfte er erwieternz
Es ſtehet geſchrieben, du follft andeten Gott, deinen Herrn und
ihm allein dienen. Und, wie fehr jener auf das Edle feiner
Zwecke fich bernfen und durch Worte der Bruderliebe ihn ges
winnen möchte, er müßte ihn, weil er durch Anbietung irdis
fer Vortheile ihn zu gewinnen gehofft hatte, verachten. Ind
wen wir verachten, dem dienen wir nicht. Noch Diener der
Edle dem , von dem er als der Verachtung werch behandelte
wird.“ — Am meiften wundern wir ung über den (bruͤderli⸗
hen?) Wink der Friedensworte S. 25, daß Eigennuß vors
zuͤglich bey proteffantiihen Seiftlichen fich einſchleiche,
diejer aber und Stolz wider die Vereinigung fampfe. Konnte .
der Friedensflifter nicht bedenken, daß fein Wink nur zur Ben
gleichung zwiſchen den Vortheilen kathol. und proteftantifchse
Kirchenaͤmter und zwiſchen den Ehrenſtellen einea Cardinals,
Biſchofs ꝛc. und eines proteſtant. Conſiſtorialraths auffordere.
Es iſt nicht bekannt, daß irgend die proteſtant. Kirche eine
äußere Vereinigung mit der kathol. für Zeitbeduͤrfniß halte.
224 Lpher-Meigionsvereinigung von F. Strndel.
Der Gedanke von St. fcheint daher der. natuͤrlichſte, diejenigen
Katholiken, weiche ein ſolches Zeitbedürfniß einzufehen behaupten,
. darauf aufmerkſam zu machen, wie fie den umgewandten Ans
trag, durch folhe Mittel Proteftansen zu werden, aurueh nen
würde? Mas die Regierungen betrifft, fo können fie ,.
gleich der Name Primat nod fo milde flirt, doch —— ver⸗
— 5 — daß er eigentlich ein dirigirendes Supremat in ſich
ſchließe, weiches nicht nur auf Staubenseinheit, un auch
auf viele weltliche Verhaͤltniſſe, wie Eheſcheidungen, Ehedis⸗
penſattonen, Verheyrathung zwiſchen Perſonen verſchiedener
Kirchenconfeſſion u. dgl. Einfluß habe, und, zwar nicht mehr ſo,
wie in dem geprieſenen Mittelalter, mit Thronabſetzung 7)
Aufldfung des Unterthaneneydes, aber doch mit einer andy buͤr⸗
gerlich ſchaͤdlichen Ausſchließung aus der Kirche und von der
Seligkeit drohen fönne. Und wenn als ein Hauptgrund
Religionsvereintgung dies angegeben. wird, daß auch Die kirchliche
Geſellſchaft, nah dem Bepfpiet der Staaten, fich zur Centras
difirung der Kräfte neige, fo wird der Staats: und Geſchichts⸗
kundige die Reflexion nicht unterdruͤcken koͤnnen: daß Biefer
Grondſatz auf die Nothwendigkeit einer geiſtlichen Univerſal⸗
monarchie (vgl. S. 66) führen muͤßte, um fo mehr als fix
jene fhon einmal ein Verfuch im Großen gemacht worden - if,
und gegen. den Mißbrauch concentrirter geiftiicher Kräfte, weiche
unaufhoͤrlich auf Erjiehung und Gewiſſen Einfluß haben, die
weltliche Macht in der Continuation immer unterliegen muͤßte,
wenn fie nicht, durch Gewiſſensfrerheit und vorurcheilsfreye Sets
#tesbildung der Pluralitaͤt, ein gleichfalls geiſtiges Uebergewicht
zu erhalten fuchte. Diefe wahren Beſchuͤtzeringen der Staaten
and aller Fortiehritte zum Guten aber fcheinen ung zuzurufen:
- Wenn von Verbeſſerung im Religiöfen die Nede fepn fell, fo
laßt ung nicht ins Mittelalter, nicht in jene frühere Zeit, wo
Sinken und Zerfall des Nöm. Reichs das Charakteriftifche iR,
daft ung vielmehr zu Seins, zu Petrus und Paulus, laßt ung
zum Urchriſtenthum feloft immer mehr zurüdtehren! Das Urs
chriftenthum muß doch das feyn, was die volleſte Karholieität
(Allgemeinheit) verdiente! Und auch im Geifte der proteftant.
Neformatoren war, wie ſchon der fo ruhig forfchende Schroͤckh
im II. Theil der Reformationsgeſchichte &. 8oo urtheilt, die
‚ Wiederherftellung desädten (uralten), allein ges
meinnäßlihen Chriſtenthumss das, was fie nach allen
Kräften wollten. Diefer Geiſt, diefe Tendenz führt zu dem Tens-
tralpunct zuangloſer, übergeugungstreuer Vereinigung; mo ber
Dbrigkeit, mas der Obrigkeit gebührt ( (Gehorſam zum Staates
wohl), Sort aber, was Gottes ift (Verehrung in wahrer Geis
ſtigkeit) gegeben wird. . HE. G. Paulus
— |
4
15. S8seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratu r.
a ET ETF OPT GT TE TAT
[2 J J 1
Bofegarten’s Dichtungen. Neue Kuflage. Erſter Band 232 &. Zwei⸗
tr Band 227 &. Dritter Band 196 5, Vierter Band 231 ©,
Breifswalde , gedr. bey Eckhardt. 8.
—
Bi achtungswerthen Theile des Deutſchen Bestituns,
weihern gemüthvolle, erhebende Dichtungen, dieſe ſconen
Bluͤthen eines höheren Dafeynd, zufagen , und weides fid
nit ducch einige vorlaute Schreier des Tages, dte ihm vor⸗
demonſtriren wollen, was es fuͤr Poeſie und Nichts Poefte
halten fo, irre machen laffen, wird es erfreulich ſeyn, zu
vernehmen, daß Ar. Köfegarten ändefangen babe, feine
bedeutendern Dichtungen zu fammeln, zu fühten und zu ord⸗
nen. Die bereits vor und liegenden vier Baͤnde beurkunden
zur Genuͤge, daß Hr. K. — deſſen Dicterberuf nur det
Unverftand oder böfe Wille verfennen wird, uind dem’ einft
Herder und Schiller dieſen Beruf wilig jugeftahden —
nur Gelaͤutertes geben wollte; denn überall ſtoͤßt man auf
Beſſerungen und forgfältige Seile. Auch in Rackficht der Me;
tif hat diefe Sammlung unſtreitige Vorzůge vor allen bieheri⸗
gen Arbeiten ünſers Dichters. Es kann uͤbrigens nicht die
Abſicht unſrer Anzeige ſeyn, die hier gelleferten Bichtungen,
deren Werth groͤßtentheils ſchon entſchieden iſt, beym Publi⸗
kum erſt einführen zu wollen, ſondern nur von dieſer Ausdabe
der letzten Hand, wodurch Hu’: fich „am Rande: ſeiner
dichtenden Laufbahn einen Denkſtein zu ſezen wunſthte, wel⸗
her die Nachbleibenden für eine Weile nad an den Mer
ſchwnndenen erinnern moͤchte,“ (S. V. d. Worr:) wollen mie
einen treuen und unpartheyhiſchen Bericht abſtatten. Was der
Dieter in diefen vier erften Bänden gab, gehoͤrt mehr oder
weniger dem Epos an; was er der Lyra Anvertrautt, werden
die vier legten Baͤnde liefern, baldiger eig wir
mit Verlangen entgegen ſehen.
15
226. Dichtungen von Kefegarten.
Der erfie Band, enthält die anmuthige ländliche Dich⸗
sung: Jakunde, in fünf EHogen, die man- aud nad)
Voſſens Luife und. Goͤthe's Herrmann und Dorothea mit
Vergnügen leſen wird. Diefe idylliſche Darftelung ſpricht das
Gemuͤth durch edle Einfalt, Zartheit, materifhe Schilderuns
gen reigender Gegenden und eine fräftige und harmoniſche
Sprache an. Das Ganze iſt fehr gut gehalten, und nur fels
ten thut das durchſchimmernde Städtifhe, Gelehrte oder zu
Bleinliche Detail mancher Beſchreibung dem Nührenden und
Maiven Abbrud. Bisweilen Hört man auch den Dichter
zu fehr felbft in den Perfonen dieſer Idyllen fprechen. Die
meiften Charaktere treten indeffen lebendig hervor, nur den
Liebhaber Jukundens lernt man zu wenig, und faft nur aus
feinee Schwefter Thefla Schilderung, kennen. Das Bor
fefen der Stellen aus dem, Plato und einige andere Par
ticen erinnern zu fehr an geehrte Kenntniffe,.die den Idyllen⸗
Menſchen fremd feyn muͤſſen. Der „Bediente, der zu Tiih
(ud, = iſt auch nicht idyllenmaͤßig. Eben fo möchte man einige
zu gemeine Ausdrüde, wie Unrath merken, blühender
Kloß, Kloß des Feldes (für Erde geſetzt), krachen
der Rohrſtuhl, ungewoͤhnliche Wortformen und Provin
zialismen, wie: ſticke le Wände, Gebreite der Schwaden,
lauterlich, u. f. w. wegwuͤnſchen. Bey aller Sorgfalt, die
Hr. K. auf den Versbau gewender hat, laſſen ſich doch noch
manche Verſe nur fchwer fpondiren, wie z. B. S. 43:
„Welcher if fehön, vornehm, und ein Liebbaber der Mädchen.“
Auch fans man wohl nice fagen: „ein Kind, — das ihn
fo heuer gekoſtet.“ Das „theuer erkaufte Kind“ in der
vorigen Auflage ift dem Genius. der Deutſchen Sprache weit
angemeflener. Abſud gefällt ans auch in einem Dentichen Ge
Dichte nicht. „Im gleichen Womene“ if in der feßten Au&
gabe auch niche gut durh „in felbigem Mu“ verändern
worden. Und warum fehlt in allen Ausgaben die fünfte Bitte
im Vaterunſer, da der Dichter fih doch fonft fo genau an
die Worte der Schrift Hält? — — Die beg weitem meir
fien Veränderungen find jedoch wahre Verbeſſerungen. Unte
andern hieß es in der erftien Ausgabe fonft (1. Efloge):
Dichtungen von Koſegarten. 227
Aber es ſenkte ſich das dufire Gewoͤlk, von der Sonne
Scheidendem Strahl mit Gold und Purpur befäumt. Von der
Se ber
Haucht' evquickendes Kühl; und Die Wetterfahne bes Kirchtburms
Dreht' in den Dflen ſich, die gewünſchte iz verkuͤndend.
But heiße es:
Aber das Wetter verzog. Das Bemslk ſank. Fern aus der Eee
ber
vanchet erquickendes Kühl. Von des Oſwind Athem geheben,
Nauſchte Das Meer, und golden und roth sing unter die Sonne.
Hismeilen ift der Grund der Weränderung nicht ganz klar.
& if in der Znueignung der Ausdruck: begießen und
dbrdnen in den Frühen Ausgaben jetzt in fänbern und
waſſeen verwandelt. Der „Sänger der Hohen Johanna “
(Schiller) heißt jeßt! „Der Sänger des Wilhelm
Tell.“ Gluͤcklich, und dem Zujammenhange ängemeffener,
find dagegen die Worte der frühen Ausgaben Ekl.):
Alſo ſprach ſie. Schon eilte der Vater ein Mehrers zu fragen/
Me von Amaltich geführt, Jukunde nabet und Thekla,
Jetzt fo verändert: |
Alfo fprach fie, und ſchwieg. Auch der Pfarrherr ſchwieg, den
ſo eben
Nabten Jukund' und Tbekla, geführt vom edeln Amal⸗
rich.
Die: trefflihe Stelle in der 1. Ekl. von dem im Walde einge⸗
en und aufgeweckten Kinde:
Sanft fie ſchüttelnd, ins Ohr ihr raunend, den toſigen Mund ihr
Deckend mit glühendem Kuß, gelang es mit Noth ihre, dent
Schlummer
Sie zu entreißen. Es ſchlug das Kind die trunkenen Augen
Träumend zum Himmel empor, erblickte die glänzenden Sterne -
Schauerte leif’, und bog fih zurü zum Buſen der Pathin.
Diefe zartempfundne Stelle iſt mit Recht in der neuften Aus—
sabe unverändert geblieben. Kraͤftig und wuͤrdevoll iſt die
Befchreibung des Geſangs der am lifer des Meeres verfams
melten Gemeinde: .
— Scholl der Gemeinde Geſang hinauf zum — Himmel |
u. Dichtungen von Kofegarten.
Voll, fiark, prächtig, harmoniſch; es ſcholl im Den heiligen
A | Ehoryfalm -
Zaut die Poſaune des Meers und des Sturms vichkehlige Drgel.
Mor s und Schlußgeſang der Gemeinde und die Predigt des
Pfarrers find des Dichters gleichfalls würdig; doch iſt die den
Fiſchern und KHüttenbewohnern beygelegte Kenntniß der Geſtirne,
des „Sirius, Rigel und Yed, Azimech, Antar, Arktur * nicht
wahrſcheinlich. Im der 6. El. finden ſich ©. 199 mehrere
gluͤckliche Zu ſaͤtze, die ſich auch in der zweyten Ausgabe noch
nicht fanden. In eben dieſer Ekloge, worin der Pfarrer ei⸗
nen gehabten Traum erzaͤhlt, hieß es ſonſt:
Liebe Tochter, das Wort, was du im Scherze geſprochen,
Stiprt mir ein Traumgeſicht zukück vor die flaunende Seele,
Das ich gefchaut heut Nacht, in der füßen Stunde der Frübe;
Aberes war vermifcht bis jetzt aus meinem Bt.,
/ mütde
Jetzt Heißt gene alſo: |
Liebe Tochter , das Wort, das Sie im Scherze gefprochen ,
Fübhrt mie ein Traumgeficht zurück vor die Haunende Seele,
Das ich gefchaut heut Nacht in der fügen Stunde der Frübe;
Aberes lag verbüflt bis jeßt in meiner Erinne⸗
rung. |
Nur hat ung die Aenderung des traulihen Du in das hoͤfliche
Ste in einer Idylle mißfallen. Noch ftehe Hier eine der ge
lungenſten Befchreibungen aus der zweyten Ekloge:
Lang fchon fand betrachtend alfo der begeiſterte Lehrer,
Anzufimmen gedacht’ er fo eben dei preifenden Frübpſalm ,
Siebe, da trat, wie die Frübe fo feifch, wie der röthliche Nlor-
| a gen
Bluͤhend, zur Thür herein fein erfigebornes Mägdlein.
Blumen, fo eben entblüht, von des Frühthaus Tropfen noch
Ä - blinfend,
Brachte die fromme Tochter dem blumenlicebenden Vater.
| Der zweyte Band enthäle die Inſelfahrt, oder
Aloyfius und Agnes; eine ländliche Dichtung in ſechs
Eklogen, die, nad ihrem Inhalte: die Landung, die
Betfahrt, die Irrfahrt, die Kreuzfahrt, dit
Nachtfahrt und nie Heimf ahrt uͤberſchrieben find, Ein
Dichtungen von Kofegarten. 229
gefihlooller Weihgeſang: Unferer Köntgin, ſteht voran.
Hier nur, zur Probe, zwey Strophen:
Fern, wo die dunkle Fluth, dann laut, dann leiſe,
Am Fuß der heiligen Arkona grollt,
Erklang freywillig die zu Lob und Vreiße —
Der ftimmiteichen Lyra tönend Gold.
Das Lied, das ich ihr abgelauſchet habe,
Reg’ ich- zu Füßen dir, als DOpfergabe.
Der Tochter Deutfchlands, traun! ‚bleibt ewig theuer
Der fügen Heimat traulicher Geſang.
Klingt doch des Franten und des Wälfchen Leyer
So herzlich nicht, als Deutſcher Saiten Klang.
Drum widm’ ich kühnlich dir, o Hochverehrte,
Das ſchlichte Lied, das mich, die Muſe lehrte!
Aa in dieſer zweyten laͤndlichen Dichtung findet man Ken,
8 vertraute Bekanntſchaft mit der Natur, Hohen Sinn fir
Religion und Waterland, und fräftige, maleriſchſchoͤne, oft
redner'ſche Darftellungsgabe wieder. Aber auch hier. ſchimmert
überall der gebildete Gelehrte durch. Des Verf. beffernde
Hand ift auch bey diefem Gedichte nicht zu verfennen. Tiefs
gefühl und anziehend find die Mittheilungen der Schiffenden
über das Meer, in der ı. Ekloge, S. so fg. Der 155. V.
iſt in der neuen Ausgabe ſehr gluͤcklich veraͤndert worden. In
der zweyten Ekloge kommt wieder eine Predigt vor, aber Ton
und Geiſt ſind doch von der in der Jukunde vorkommenden
verſchieden. Diefe- Predigt hat einige ergrelfende Stellen.
Ruͤhrend iſt die Schilderung des im Meer verſinkenden Vaters
Iſorens. Die Beſchreibung des Bernſteinlandes in der dritten
Ekloge hat treffliche Stellen, wiewohl hie und da ein zu ga
lehrtes Anſehen. Zu den ſchoͤnern Stellen gehört folgendes .:
Aloyſius Hand erfiaunend die Wunder der Meerwelt,
Maaß mit pruͤfendem Blick des Abhangs grauſige Tiefen,
Schauete liebend ſodann in die weite Wogende Ferne, ". '
Trank des Atherifchen Strems mit Wollufl ; ‚öffnete lechzend
Stirn und Bruſt dem gr der- fern aus, dem
bed, . -
Ann dns Meer, wlbrang/ —— Haar ihm hob, vn
et © laͤſen —
230 . Dichtungen von Kofegarten.
Brand Tanftichmeichelnd ihm küblte. une fwalte das
Aug' ihm,
Und zum Unendlichen trug der Geift des Unendlichen Anblick,
S. 107 fg. hat ſich der Dichter ſelbſt einen Tieblihen Kranz
gewunden, Kine maleriihe Schilderung der untergehenden
Sonne komme ©. ı10 fg. vor. Die in der 1. Efloge mitges
theilten : Legenden wird man mit großer Theilnahme leſen.
Nur wollen uns ©. 161 die gefhaarten Chöre nicht ges
fallen; auch fonft fanden wir den Ausdrud gefhaart mehr⸗
mals bey unferm Dichter. Das Wort geweft fl. gewefen
©. 165 wuͤnſchten wir aud hinweg. Warum nicht ?
— — — nie fromm fie war, wie fireng’ und wie eifrig.
Die Hymne an die Nacht in der 6. Ekloge ift in dem Geiſte
der Hymnen des Drpheus gedichte. So gelungen auch der
größere Theil feyn dürfte, fa Hat fie doc, einzelne zu presiöfe
©tellen, 3. ©.
Nacht, Bertraute des Herzens, Auslegerin dunkler Orakel,
he PreDbeiiR? Kbenepin Hieroppantin —
ice / — mid, Matter: nicht den, der nie um des
gichtes
Baufel dir untreg ward — —
- — — — Bunnuig
Einverleibe mich dir; und nimmer ende die Braut⸗
nacht!
Zu den ——— — Stellen gehoͤrt in der 5, Ekloge die
Schilderung der Zufammenkunft des Alo yſius mit der Ags
nes am Frähmorgen, und die Schilderung diefes Morgens,
in der 6. EA. die Befchreibung des Sturms u. f. w. Auch
dieſe Eklogen Laffen einen wahlthaͤtigen Eindend in der Seele
uruͤck.
Der dritte Band enthaͤlt Legenden, Sagen der kirch⸗
lichen Vorzeit. Wenn wir gleich in der Bekauntmachung dieſer
Legenden nicht das Hauptverdienſt des Hrn. K. ſehen koͤnnen,
ſo geſtehen wir doch aufrichtig, daß wir die meiſten mit Theil⸗
nahme und nicht wenige auch mit Ruͤhrung geleſen haben.
Bey vielen dieſer Legenden erinnert man ſich der ſchoͤnen
Worte, die einſt Herder ausſprach: „Das Kreuz hat einft
Dichtungen von. Koſegarten. 234
den Wölkern Ruhe gebracht; es lilte Aufruhr, Fehben, Zwie⸗
tracht, und gebot den Gottesfrieden . .. Das Grab
war ihnen eine Ruhekammer, wo himmalifshe Geiſter das ar⸗
Rorbene Saamenkorn zur Aufbläthe eines künftigen ewigen
Frühlings bewahrten.“ . . . „In der Verachtung fanden Diefe
Helden Ruhm, in der MWerfolgung Gewinn, in der Mühe
- Lohn, in der Schwachheit Stärke.“. Einige won Dem K. bes
arbeitete Legenden nähern ſich jedoch zu ſehr dem Tändelnden,
und entfprehen dem von Herder angegebenen Ideale folches
. Bearbeitungen nidt. Eine kurze Ueberſicht wird umnfer Urtheil
befätigeg. Auffallend war «8 uns, hier die Einladung
wieder abgedruckt zu fehen, die in der Infelfahrt ſchon abge⸗
denke ſteht: „Bluͤhe Violen allein, u. f. w.“ Den Anfang
der Legenden machte ein herrlihes Gedicht: Die Auffahrt
der Zunsfrau ©. 11 fg., worin uns nur der Auédruck
irren, von der fcheidenden Jungfrau gebraucht: „Lau
der Sterne nur girrte fie noch mit ſtammelnder Zunge“ ge
Rört Hat. Auch konnten wir den Bildern, worin der Bohn
(Jeſus) als Bräutigam der Mutter (Maria). vorgeRelle
wird, keinen rechten Geſchmack abgewinnen. Außerdem har
uns diefes Gedicht hohen Genuß gewährt, In den fichen
Freuden ©. 52, fg. hat uns die Reverenz, der volks
tommene Ablafi und die Errettung aus des Feges
feners Glut, nice gefallen. . Nah ©. 56 konnte ein Mitter
nichts fernen und behalten, als „ymey ſuͤße Woͤrtchen: Yves
Maria. Diele waren fein Weidſpruch, fein Gebet und —
fein Leibfluch —, und nach ſeinem. Tode wuchs eine Lill⸗
aus ſeinem Grabe, worauf man deutlich und in goldenen
Schriften auf jedem Blatt der Blume leſen konnte: Ave
Maria. . - . Eines zu fehr ſpielenden Inhalts iſt auch Das
Unterpfand. S. 58. In der Legende: die Tängerim,
©. 61 fo. tanzt die nach So Bußtagen in den an aufge
. nommene Seele der Tängerin :
— „mit Senn’ und Mond und Sternen,
Mit den heil'gen Sungfraun , mit der hohen
Gottesmutter, der Gebenedeiten ,
Bmmerdar den hochzeitlichen Reigen.“
22. Dichtungen’ von: Rofeganten,.
Sohannes. auf Pathmoe, ©. 66 fo. iſt eine geiſtvolle
Nachbildung einiger Stellen ber Apokalypſe. (Den Ausdruck
- die &che, für Schkraft, müßten wir jedoch nicht gu
zechtfettigen..) &o großes‘ Bergnägen uns das Lieben und
“ Leiden Ber heiligen Agnes tim zweyten Bande biefer
Kofegartenfchen Sammlung. gewährte, fo wunderten wir uns
doch nicht wenig, biefen ganzen Aufſatz im dritten Bande,
S. 70— go nochmals abgedruckt zu fehen. Nur der heili—
gen Agnes Brantlied, ©. gı, und die Trauung
der heiligen Agnes, ©. 97, find bier Hinzugefoms
men. Die letzte hat recht eigentlich das Spielende mans
har Legende Margaretha und der Drade,
S. 100 fd. Diefe fchöne Legende gab einft Raphaeln die
Idee zu einem feiner finnvofiften, berrlichfien: Gemälde. Hr.
8. Has fie mie Seift bearbeitet. Die Legende: der Garten
des Liebſten, S. 105, Heht auch fhon im zweyten Bande
dieſer Sammlung: abgedrudt, gehört Übrigens auch zu den
Bartenihfundenen. Die Jungfrau von Antiodia, ©.
zıofg., und das Geber der. Heiligen Scholaftifa,
S. 118 fg., zeichnen fih ebenfalls durh Inhalt. und Darſtel⸗
King aus. Minder bedeutend find: die Milch der heilt:
gen Brigitta, © 122. Der Ermel des heiligen
Martinus, ©. 128. Der Brunn des er
BSangeslf, © 1ıdı. Das Amen der Steine, S . 15%.
Der Sig des Heiligen Ailarius, ©. 156. Der
Haudſchuh der heiligen Kunigunde, ©. 108. Die
Katze des Eremiten, ©. 143. Manche find unbedeutende
Anekdoten oder Ditungen, an einen Spruch der Schriften
angeknuͤpft, dergieichen man viele ähnliche im Talmud fin
det, die an Sprüche des alten Teftaments angelnüpft werden.
Einft betete die Heilige Runigunde vor dem Altare; es war
aber gerade keine Zofe da, iht den Handſchuh abzunehmen.
— — doch Kunigunde
Zog ibn ans, und warf ihn forglos von fich.
-Eilig ſtabl durch eine Mauerribe
Sich ein Sonnenſtral herein, und ſchwebend
Hielt der Sonnenſtral der frommen Fürſten Handfchub,
Bis fie dargebracht das fromme Opfer.
2 a
Dichtungen von Koſegarten. 233
Wehen Zwech Haben wohl feihe Erzaͤhlungen? Hier iſt tie
fromme Anwendung:
Denn dem Herrn nit nur, auch feinen Heil’gen
Dienen willig Gottes Elemente !! r
Radegunde, ©. 139. Diefe Legende aus dem Leben der
heittge® Eliſabeth ift Schön erzähle. Einige Altere Chrents
ten nennen das Maͤdchen Hildegundis. ©. Leben der heit.
Eliſabeth. (Zuͤrich 1797.) ©. 119. 120. Das Geſicht des,
Arfenius, ©. 11d fg. Die Kreaturenliebe des heis
ligen Franzistus, ©. 148. Des heiligen Frans
zistus Sonnengefang, ©. 152. Diefe Legenden find
gut erzaͤhlt, nur fällt der Inhalt der zweyten bisweilen ing
Spielende, und in ber dritten iſt einigemaf hart gegen das
Sylbenmaaß gefehlt. So kommt folgennt Zeile in einem
darchaus jambdifchen Gedichte vor: _ 7
euer, Wafer, Luft und Erde. Luſtig If —
Auch iſt das Hebrqaͤiſche Wort Hallelujah, wie faſt von allen
Dichtern, die es gebrauchen, falſch fo ſcandirt: Ha elujad.
Zu den vorzäglichfien Stuͤcken dieſer Sammtung gehört! Die
Brautnacht ver heiligen Cäcilia. ©. 157 fg. Eben
dieſes Lob gebührt der darauf folgenden Legende: Die Zunigs.
Stan von Nikomedia, S. 165 — 192. Dieſes Stuͤck ers
ſchien zuerft einzeln, Berlin ı808., und fchildert auf eine
rährende Art die ftandhafte Frömmigkeit einer edlen chriftlichen
Sungfrau. Einfalt der Darfiellung, ein frommes findliches
Gemuͤth, Ernſt und Trauer, in harmonifchen Trophäen das
Herz anſprechend, machen dieje Legende zu einer hoͤchſt ans
Ben Lectuͤre. Hier nur eine Stelle zur Probe:
Maserkätifch ſtand indeß und ruhig
- Suliane vor der Nichttribune,
Himmelan gewandt ihr klares Auge,
Thränen bebten in den langen Wimpern,
Um. die Lippen zuckt ein leiſes Zürnen,
Holde Schanm erböbete der Wangen
- Blafles Roth. Ihr Haar, der Schling’ eytalitten,
Floß vollringelnd auf die Schultern nieder.
Mur bey wenigen Stellen fließen wir an, EB. 8. 174:
i
234 Dichtungen von Kefsasriem:
Doch verbönend ſprach and Habſucht beuchelad
Sie, die habſuchtfreyeße der Jungfrauen —
Dergleichen kleine Flecken kommen jedoch bey ſo großen ander⸗
weitigen Vorzuͤgen nicht in Betrachtung. Hr. K. hat ſich durch
feine ſchoͤnen Darſtellungen der Bluthen des Glaubens, ber
Liebe, der Hoffnung, der Ergebung und des frommen Helden⸗
ſinns den Dank aller fuͤhlenden Herzen erworben, und eine
liebliche Dichtung: Die heiligen Jungfrauen, an
Irene, ©. 193, beſcließt würdig dieſe Sammlung von Sa⸗
‚gen der chriſtlichen Worzeit.
Der vierte Band enthält Sagen der Morweit:
ruͤgiſche und erfiiche Sagen. Zu den erſten gehören drey Ger
dichte: die Ralunken, das Fräulein von Jarmin
und Rithogar und Wanda. Erinnerungen an alte kräfs
tige Heldenflämme, gelungene Schilderungen der großen Nor—⸗
diſchen Natur, mit eingeflochtenen Betrahtungen der Hinfaͤl⸗
ligkeit alles Sroifhen und der Lnvergänglichkeit des Wahren
und Guten, dabey eine kräftige, volltönende, das Herz ers
greifende Sprache geben diefen Darftellungen, worin ein dem
Dffian verwandter Geiſt wehet, Hohes Intereſſe. Sie wur⸗
den ſchon bey ihrer erſten Erſcheinung mie großem Beyfalle
aufgenommen; ‚wie fehr fie jedoch Hr. K. durch eine forgfäls
tige Zeile der Vollendung. näher zu bringe geſucht habe, davon
findet man beynahe auf allen Blättern Senne ‚Wenn der
Dichter fonft begann :
Natow, fen mir gegrüßt im Schimmer der ſcheidenden Sonne!
Zieblich weber der Schleier des Abends um deine Gefilde.
Deine weißen Mauern find fanft gerötbet, Die Dächer
Feuer im Golde des finfenden Tags. Es dämmern fo ſchaurig
Deine fäufelnden Hain'. Es fpiegeln die Wangen des Himmels
Sich in den Fluthen fo rofig, die deine Ferſe befpülen ;
&o heißt es nun in der neusften Ausgabe:
atom, fen mir gegruͤßt im Schimmer der fcheidenden Sonne,
Natow, tie birgfi du fo fchön am Saum der hallenden Strand-
bucht !
Hochlich ergott mich, o Burg, dich zu ſchaun im Schleier des
| . Swiclicht!
Deine Binnendgetaucht ig des Spatroths flüſſiges Mattgold:
Oichtungen von Kofegarten. 235
Brennend der Fenſtern KEryſtall in dee Glut des gefunfenen
Kichtballs:
Düftefchauernd die Gärten umher! blaudämmernd bie Anböben,
Welche die Welle befpühlt der leifegefräufelten Meerbucht! —
‚Eine rührende Herzensergießung des Dichters, beym Ermähr.
ven der Warne f ©. 26. 27. In dem Gedichte: das
Sräulein von Jarmin, ©. 5ı fg., ſtößt man faſt auf
jeder Seite auf die gelungenften Verbeſſerungen. Nur &. &7
hat uns das Überwachete Mägpiein, das fih in den
vorigen Ausgaben nicht fand, nicht gefallen wollen. Süßdufs
tend find die Blumen, die der Sänger Allwiil, G. 84 fü,
anf der gefallenen Edelmwine Hügel ſtreut. Aus der dritten
Snge: Rithogar und Wanda theilen wir, als Probe,
din Schluß, nach’ den neueften Werbefferungen des - Dichters,
mit, und uͤberlaſſen die Vergleichung mit den fruͤhern Ausgas
dm unfern Lefern ;
Hügel des weißen Geſteins, der taufendiährigen Eiche
Grauer Ernäbrer, du weilſt in des Sande? Seele die Wehr
muth,
den Wimpern.
Nimmer zu tröften vermöcht er fih; in müßiger Trauer
Würd’ er vergehn , ibm würde die Harfe verfiummen für ime
mer 5
Rauſchte die Leier Homers ibm nicht aus den ewigen Lorbern,
Zispelte nicht aus verwitternden Gichen hie Stimme won Cona:
„Alles vergebt! Es vergeht. der Held und des Helden Denkmal,
„Aber das Zied tönt fort, das warm aus. ber Bruſt an das
Herz fpricht.
* Nimmer verballt der Geſang, den Phöhos weibet und Braga!
Die er ſiſchen Sagen find groößtentheils aus fremden
Gegenden auf Deutſchen. Boden heruͤber gepflanzt, und mir
erinnern uns, mehrere derſelben in den non: Hrn. K. chemals
herausgegebenen Blumen geleſen zu haben, die uns aber
jeßt nicht. zur Hand find, um fie. vergleichen zu: kaͤnnen. Man
findet Hier; Finan und Lorma. Ein Geſang des Ofſſian.
(Grey bearbeitet.) Dieſe drey Stuͤcke: die Waffenmeihe,
die verlornen Kinber und Die. wiedergefundenen
[4
Dämmerung mölft, ifm dns Aug’, und sm bebt die Thraͤn' is
236 Taſchenb. d. Gag. u. Leg. v. A. v. Helwig. u. B. v. Fouque.
Kinder — find anziehend durch Inhalt und Darſtellung.
Umad und fein Hund. Line Epifode eines groͤßern erfis
fhen Sefanges. Des Barden Abfhied. Fla' Innis;
die Inſel der Seligeh. Ein reigendes Gemälde! Die Kilda⸗
Klage Dffianund Malvina. Dffians letztes
Lied. (Frey, im elegiſchen Sylbenmaaße, übertragen.) Der
Schwangeſang. Theils in Jamben, theild im elenifchen
Sylbenmaaße uͤberſetzt. Zum Schluß ſtehe Hier noch einge Probe
aus diefen Heldenſtimmen:
Dumpf rings ſchweigen die Felder, wo unfere Saglachten ge⸗
donnert;
Aber es redet das Mahl, das uns die Helden gethürmt.
Oſſian's Stimm’ erſcholl. Frohlockend lauſchten die Väter.
“Komm denn, o Sänger , binweg! Komm zu den Batern/
| Sohn! —
Sit
Taſchenbuch der Sagen und Legenden, ine von Amalie
von Helmig geb. v. Imhof und Fr, Baron de la Möktte
Fouqué. Mit Kupfern. Berlin, in der Realſchulbuchhandlung
(1812.). 185 ©. 12.
Lange Zeit wurden Legenden als Erzeuaniffe eines vers
kehrten Sinnes und verkehrten Geſchmacks Betrachtet; nicht
felten wurden fie durch tändelnde Darſtellungen, wobey man
. den Geiſt dem Spiele mit Bildern aufopferte, dem befferen
Theile der Lefer widrig. Herder war einer der erften, wels
her auf: die reinen Goldkoͤrner, welche ſich in dem Legendens
Staube finden, aufmerffam machte, die ZUge von Einfalt,
Würde und Schönheit hervorhob, die fi in vielen dieſer
tirchlich sreltgiäfen Sagen finden, und fein Urtheil durch eigene
geiftvolle Bearbeitungen - vechtfertigte. Auch Kofegarten
‚gab uns mehrere gelungene Legenden. nd welchem Gefühl
vollen ſollte niche der: herzliche, Fromme Sinn mancher Legem
den‘, wenn fie uns Stauben, Liebe, Hoffaung und Einkehr
in uns ſelbſt mie ruͤhrender Einfalt. empfehlen, angeſprochen
baten? Daß viele gegen hiſtoriſche Wahrheis und gegen Achte
Sittenlehre anſtoßen, und: in's Taͤndelnde und Säppifhe fallen,
b \
TZaſchenb. d. Sag: u, Leg. v. A. vi Helwig u. B. u. Fouque. 237
wird kein Unbefangener laͤugnen. Deſto willkommener aber
muß uns eine Auswahl des Beſſern und eine geiſtvolle, den
frommen Sinn der fruͤhern Jahrhunderte zart auffaſſende Bes
arbeitung jener Sagen und Legenden ſeyn.
Sn dieſer Hinſicht verdient die vorliegende kleine Samm⸗
lung ein ausgezeichnetes Lob, und Nec. bekennt aufrichtig, ſie
mit großem Intereſſe geleſen zu haben. Schon die vorausge⸗
ſchickten trefflichen Stanzen der Fr. v. H. erwecken das guͤn⸗
ſtigſte Vorurtheil fuͤr dieſe Sammlung, und beweiſen, daß
die edle Dichterin nicht einer eitlen Mode des Tages froͤhnen
wollte, ſondern nach einem hoͤhern Ziel geſtrebt und den ges
läuterten Geiſt der Legenden und Sagen rein aufgefaßt habe.
Wir können une nicht enthalten, hier zwey Strophen aus dies
fem ſchoͤnen Geſange, als Probe, mitzutheilen:
ind wie der Sonne voller Schimmer ,
Dem Blick ein heißverzehrend Licht,
Durch bunter Scheiben Farbenflinsmer
Dem ſchwachen Aug’ fich milder bricht ;
So' ſenkt der ew'gen Wahrheit Eonne
Mir fchonend lei umhlilltem Straß!
Den Gkaͤuben, reich an Ahnungswonne,
Mit Hoffnung in dies Erdenthal.
Da reichen Engel Siegesfronen
Dem Leidenden mit Himmelshuld ,
Da flebt der Dulder nicht um Schonen /
Nur um Gehorſam und Geduld;
Da blüh’n aus Wunden Himmelsrofen ,
ae Entbehrung macht die Seelen reich ,
Und durch der Leidenfchaften Toſen |
Schwingt Friede feinen Palmenzweig. \
Stiftungsbrief, den Freunden; gleichfalls von Fr.
v. H. Die Veranlaſſung zu dieſen gefuͤhlvollen Strophen gab
ein treffliches Bild der Maria mit dem Chriſtuskinde,
von Francesco Francia gemalt, das ſich in der Samms
tung der Herren Boiſſeree und Bertram zu Heidei—
berg befindet, und das, als Titelkupfer, hier zum erſtenmale
geſtochen erſcheinet. Der rährende Inhalt diefer Strophen
wird jedes Gefühl anfprehen; eine Stelle derfeiden, worin.
2338 Taſchenb. d. Gag. u. Led. v. A. v. Helwig u. B. v Fouque.
Troſt und Schmerz fo hart mit einander verbunden find, klang
tief in dem Innern des Rec. wieder. — —
en zu.einer genauern Bezeichnung der einzelnen
Sagen und Legenden diefer Sammlung über. Das Geber.
der heiligen Scholaſtika, Legende (von A. v. H.). Es
War tung intereffant, diefe Legende, die auh Koſegarten
bearbeitet hat, nach der doppelten Bearbeitung zu vergleichen;
Kr. K. hat mehr einfach erzählt, Fe. v. H. hingegen das
Ganze dichterifch s freyer behandelt. Wir fegen bie legte Stro⸗
phe, zur Wergleihung, hierher :
”
Kofegarten.
Nach dreven Tagen flarb Scholar
fifa
tind in dem Augenblick, worin
fie farb ,
Sah Benediftus, einer Taube
gleich ,
Bum Himmel ihre reine Seele
5 fhmeben.
Da ſchlug das Herz ibm: Eine
. Stimme fprach ;
„die Kegel, Abt, it aller
A. v. H.
und nach drey Tagen ſiebt er's
RU ſchweben,
Gleich einer Taube, himmel⸗
warts —
Es iſt der Schweſter reines Leben,
Gebrochen, — ſonder Angſt noch
| Schmerz
And eine Stimme läßt fich hören,
In Harfentönen mild verklärt:
„Werth iſt die Regel aller Ehe:
ven,
Ebre wertb;
Doc, größre Ehre würdig iſt die
| Kicbe!“ 2
Die Hülfe ber heiligen Jungfrau, Legende (von
Fr. v. Fougue) ine gut gehaltene Erzaͤhlung von der
Berirrung zweyer feinfinnigen Menfchen, eines Moͤnchs Als
binus tind einer Nontte Verma, die ein Wunder der heil:
Jungfrau und ihr eigener befferer Geift fi) ſelbſt wiedergibt:
Die kräftige, fchöne Darftellung des uns ald Dichter ſehr wers
then DVerfaffers eritipricht dem anziehenden Inhalte. Einige
Ausdrücke, die wir mit andern vertaufcht wänfhten, wie:
»Ich bin den Lebenden wieder, gefhaart,“ oder Härten,
wie wall'nd, werden an dem: fhönen Sanzen kaum bemerkt,
Die Ruͤckkehr der Pförtmertin, Legende (von A. v. H.).
Diefe anmutbig erzählte Legende, weiche Sinnlichkett, Suͤnde,
Buße und Gnade ganz in der Denkart faäher Jahrhunderte vers
finnfiht, und, ale den geläuterten moraliich s religiöjen Ideen
unfrer Zeit nit ganz entfprechend, vielleicht ein verfchtedenes
Urtheil erfahren wird, die jedoch den bewahrten Sinn für das
Höhere auch in einer Sünderin fehr gluͤcklich darftellt, wird
den Lefern des Taſchenbuchs noch aus. dem Morgendlatte
Doch mehr noch ift Die Liche
werth! |
2;
Laſchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwia u. B. 0, Fouque. 239
bekannt feyn , worin die Dichterin zuerſt fle mittheilte. Hier
findet man noch ein fchönes Kupfer ale Beygabe. Adolfss
El, Sage (von A. v. H.). Mech führt eine Ruine bey
Schwalbach diefen Namen, woranf fich dieſe fehr gut erzählte
Sage bezieht. Auch Hierzu ein Kupfer. Der Sancı Elis
faberhben s Brunnen, Legende (von A. v. H.). Diefe
fhöne Dichtung , worin vier fromme Mädhen fh an dem
Ehifaberh s Brunnen die Wunderthaten diefer Heiligen erzählen,
Band zuerft in dem Göttingiſchen Mufenalmanahe vom
J. 1803, und murde gleid anfangs mit verdientem Benfall
aufgenommen. Ste und da iff der Ausdruck glücklich werbeffert.
Zwen treffliche Kupfer, des Inhalts würdig, zieren diefe durch
ihren Iprifch s feyerlihen Ton anziehende Legende. Sanct
Georg und die Wittwe, Legende (von A. v. H.). In
Ruͤckſicht der Darſtellung, eine der gelungenften dieſer Samms-
lung. Auch bey diefer Legende finder fid) ein ſchoͤnes Kupfer.
Der Siegeskranz, Legende von Fr. v. F. (An Profa).
Wir rechnen dieſes fchauerlich » anmuthige Nachtſtuͤck, worin
Leben und Tod fo lieblich aneinander grängen, zu den vortreffs
lihften Dichtungen des geiftvollen Verf. Eine zarte Idee ift
es, dafi Die Braut den entichlafenen Keldenjängling mit dem
Siegeskranze ſchmuͤckt. Möge ung der treffliche Dichter, den
fein Genius mit Zauberhand zu allen Sagen hinzieht, recht
oft mie ähnlichen Gaben befchenten! Das zu dieſer Legende
gehörige Kupfer iſt eines der gelungenen. Das Grab des
heiligen Clemens, Legende (von A. v. H.). Rec. las
diefe zarte Dichtung mit inniger Ruͤhrung und Theilnahme,
und eine Strophe tönte tief in feinem Kerzen wieder. Bachs
dem das am Grabe des heil, Clemens wieder vom Tode ers
werte Rind zuerfi erwacht, fragt es feine freudig, fiaunende
Muster : nt
— „Warum daft bu mid werfen müflen ?
So lieblich träumt’ ich Feine Nacht!
Wie füßen Schlummer ſtörſt du mir,
Ach, nur ein Stündlein ruht' ich hier!“
Ind. dann folge diefe fchöne Strophe:
So fiebt im Erdenſchmerz befangen
Wohl manche Mutter boffnungslos;
Und ſtarrt mit traurigem Verlangen
Hinab zum dunklen Erdenſchooß;
Indeß ‘das Kindlein, woblgebergen „
Bor rauhem Sturm und ſchwüler Olut
Bis zu des ew'gen Tages Morgen
Sn Fühler Stile harmlos ruht;
240 Faſchenbed. Sag. u. Leg. v. A v. Selwig u. Bev. Fonque.
Den langen Schmerz, das kurze Glück
Berfchläfts, wie einen Augenblick!
Die Naht im Walde, eine dramatifhe Sage ( von’ Fr.
v. F.). Dies angiehende Nachtgemälde, deſſen Tendenz eben
fo edel als die Ausführung gelungen ift, rechnen wir gleichfalls
zu den vorzäglichften Stücken der Sammlung, wenn wir gleich
dem Siegeskranze noch den Vorzug vor dieſem Stuͤcke geben
möchten. Auch dürfte manchem die Bekehrung Hagenulphs
und Windrudens zum Chriſtenthume doch etwas zu ſchnetl
bon ſtatten zu gehen ſcheinen. Uebrigens iſt die ganze Unters
redung Karls des Großen mit Windrude, durch die
darin herrſchenden aͤcht⸗ menſchlichen Geſinnungen, hoͤchſt ans
tehend: Auch zn dieſem Auflage gehöre ein Kupfet. Der.
hang durch Koͤln, Sage (von A. v. FH). Der Stoff
diefes fchr intereffanten Aufiages ift ans alten Familien s Nach:
zichten des darin genannten Haufe gezogen. Wir wollen dem
Inhalt deſſelben, voll eigenthuͤmlicher Züge, durch eine fchlichte,
den Geiſt jener fruͤhern Sur Zucht und veligidien Sinn aus
degeichneten Zeit trefflich auffaffende Darftellung gehoben, den
Lejern nicht verrathen, geftehen aber, daß ung deifelbe ein
reines Vergnuͤgen gewährte, und manche Erinnerungen an die
ung werchgewordene Stade Köln wieder aufwedte. Den Bes
ſchluß diefer Sammlung madht: Die Marting: Wand,
Sage (don A. v. H.). Die bekannte Sage von ber Werins
rung des edlen Kabsburgers 8. Maximilians I. auf eine
ungehetire Felfenhöse und defferi wunderbarer Errettang wird
bier einfadh und lebendig erzähle, und diefe Erzählung, die
einen blinden Sänger in den Mund gelege wird, überrafchte
uns um fo angenehmer, da wir kurz vorher eine ſehr geiſtvdlle
Bearbeitung deſſelben Stoff von dem zu früh gefchiederien
Dichter H. 3. v. Coflin, unter der Aufihrift: Kaiſer
Mar, auf der Martinswand in Tyrol. 1499. im
deſſen Gedichte: Sammlung gelcien hatten: Auch bey dieſem
festen Auffage finder fid, ein Kupfer. Noch mäflen wir des
geſchmackvollen Aeußeren der von uns angezeigten Sagen und
Legenden mit Ruhm erwähnen. ‚Außer dem fhönen, nad
Francesco Francia geftohenen Titellupfer find die übri—⸗
gen acht Kupfer fämmtlih nad Zeichnungen bes geiftreichen
Herrn Cornelins aus Düfjeldorf, jekt in Rom, von Lips,
Rift und Bolt fauber gefiohen. Auch der Umſchlag, Bas
gen und Legenden ſymboliſch darftellend, ift geſchmackvoll. Die
„Bedeutung diefer Symbole enthuͤllt ein vor dem Titelblatte
ſtehendes Sonttt von Paul, Gr. v. H*%
K i.
Mn 2 en DR
No: Seidelbergifche⸗4813.
A
-
Jahrbuͤcher der Litkeratur.
1 [#7 * ⸗ Qq 7
Rlusfasscine- A’uno Zödidco arfentale tel: Gibineteo dehe me-
uglie (di. Sum Mans, æ Parigi, "scoßerto’ ‚reoentemente
æreago Je sponde del Tigwein "einapza ‚del -antica Babi-
„Jgpia „, monpmento che serve ad illustzare la stpria del?
. „AStronomia_ ed altri punti interessauti dell Antichitä, da
| "Givse ppe’Hager. ‘Milano, dalta stamperia € fonderiä
U Giui Gitlseppe' Desikfanis a S.-Zeno, num. 534: 1814
‚EB Eger Bol. vhne De: Benusde.und Doblintlen, mit A ober 5
t 125
+
U. dieſem vielverſprechenden Titel lieferte. der Herr By
blieggelag Joſenh Hager, in, Maileyd eig: Prachtwerk zur
Frllärung :des, merkwaͤrdigen Dentmahl⸗as, worüber gu Derfeien
Zeit der, nprewigte Herr -Domkapisuler Friedrich Hugo von .
Dalberg eimen Aufſatz auganheitate,. senken, dr unter dem bes
ſcheidenen Tisel: Ueber das Algyerfifche Monument
von Takte sure, eine Maahma ſrang (ſ. Gatting. ge,
Au. ıdıa. St. 86. ©, Bad ff). .am die Eömigke- Bocietie bee .
Riff. in. Göttingen ejemrg... Jenes Denkwahl wurde gu
Endg det vorigen Jahrhungeng , ‚und dem -Werficherungen.deg
Dem Michaux (ß Milin’s Mag. engycl. VI aunde. T. UL
p.,88),. am Ufer des, „Tigais unterholb Bagdad anten-den
Ruinen eines großen Palaſtes, welchen man, die. Gärten der
Semiramis nennt, gefunden, und Durch, Kein: Diane ſeibſt
In dag, Antifens Kabinett, deu. kaiſerl. Bibliochek zu. Paris ges
bracht. Wie. darauf gegrabenen Fignren und. Zufchriften mit
ſogenaunten Keilbuchſtaben, welche map. für, einen Beweis fer
nes hohen Alterthums mahm,.. veranlaßten den Hru Millin zu
einer Bekanntmachung deſſelben in ſeinen Monomens anti-
ques inedits. Tom. I. p. 58--68 (Paris 1800. 4.) auf
Planche ‚VIE und IX, mie Bemerfungen "von ihm. feldft und
dem em de Sacy. Beyde hielten den Stein für einen Pers
(hen :Zalisıyan, um dag boͤſe Princip zu —— und ſeinem
|
NY
*
242, Austr. d’uno Zodiaoogorjeptale da G. Hager...
Einfluſſe auf die heiligen Gebaͤnde, wozu der Stein gehörte,
ale Kr 34,2 nebenan: ‚eine AIdee — auch der neueſte Ge⸗
Märer Priv: Dalbtrh wuffaßte, \ Ind aus den Hiefikhen Reu⸗
gionsbegriffen des Dualiemus, des Kampfes zwifchen dem
Guten und Boͤſen, auf eine Weife gu erläutern ſuchte, weiche
feinem Nec. in den Goͤtt. gel. Anz. viel Empfehlendes und
Wahrſcheinli ches zu Haken ſcheint. Derſelbe Mer... geſteha iss
Doch, daß jede Erklaͤrung bloße Muchmaßung dleibe, bis die
begleitende Särife: un Elicher hett erklaͤrt ſey. Eben -Karin
fand man Hr. Abt Lichtenftein eine Art von Tranergelang,
weißen ber oberſte Magier den Perſiſchen ober, Sabaiſchen
Frauen bey der Leicheuſeyer zu Ehren der jüngfverinreuen Man⸗
ner, Bruͤder, eher audern: Auderaundeen, mad en⸗ begkeitenden
Klageweibern an einem feſtlichen Tage vorzuleſen dat: Darum
bezog er die Abbildungen, worin Hr. Hager die Vorſtellung
eines der alteſten Thierkreiſe findet, auf die oͤffentliche Trauuer,
weiche man allſaͤhtlich· per Ehren der Verſtorbenen mil’ heftigen
‚Bebräuden zu begehen pflegte & Tentamen Palzeogra-
phſiae Ass yrio =» Persicae;: "aucts Lachteratein p. His
VBeyder Mehnungen errezten aufangs Allgemeine’ —x— —
reit, und faiden‘, wie jede dreiſte Behauptung der Gelehrten,
weiche ihre Erklärungen. mike Veleſenheit und: verfaͤhreriſchen
Scheihgräuden gu unterffägen wiſſen; ihre Lobredner: man
ſehe in Hinſicht des Hager ſchen Wilkes mediciniſch chirutg.
Zeitung vom 16. May 1811. W. 89. und den Fra" Moni⸗
teur .ıBır. N. 837. vom 3. Dec.Doch Kr. v. Dalberg Bar
dehde mr Recht vermorfen :: Sehe die Deutung des’. Herrn
Lithtenftein verliebt ſchondurch Die Bemerkung, daß ’ieh':Die
Inſchriften, von welchen er ausging, von der verkehrten Seite
146 ; alle Haltbarkeit; und mie einem Wierkreife hat die ganze
Darſtellung weiter keine Achnlichktit, als daß Thierfiguren den
Stein in einem Kreiſe zu umziehen ſcheinen. Die Wanter
dee Kin. Hagern in Ber Erlauttrung eines ſolchen Denkuahles
kennt man ſchon aus frͤhern Werfen deifelben, beſonders auch
"aus der Dissertation on the newly discovered Babylonian
‘Inscriptiohs by Joseph Hager ( London ı8oı. ‘4. ); wors
aus man in diefem Werke die Babyloniſchen : Gmeffein s Ins
ſchriſten, Cylinder and Gemmen mit befondern- Bemerkungen
4
Ulnstrı d’uno Zodiago orientale da G, Hager, 243
dariher im 19. Kapitel widerholt findet. Antergeltnerer enthaͤlt
fh daher alles Urtheils Über, die Art, wie dev. Hr. Verf (eine
Behauptungen gu. begründen. fuht, Da er den big ‚selänterg
ten Gtein ſowohl, als ‚die zu Paris‘ befindlichen Hacktein⸗
ans den Ruinen Babylons welche Milin im zweyten B —
der Monum. antig. inedits N. XXIII. p. 263 — 27ı.
Tannt. gemacht hat, nicht bloß, wie Hr, Hager, aus He,
foumenen und unzuverlaͤſſigen Darſtellungen in Kupferſtichen
und Copien,ſondern aus SAr-AEIRRU Abdrüden ber. DOrigie
nele Senyt,... welche fräher der. ar, v v. Dalberg beſaß, jet
das Veufenas- zu Fraukfurt am Main aus deſſen Verlaſſenſchafi
sufbewahrgs, „to iſt es ihm mehr datum, zu thun, feine eigenen
Beobachtungen ,. worauf ihn die, genaue Betrachtung der Abs
druͤce fuͤhrten, mis, den Bemerkungen anderer Erlaͤuterer dem
gelehrten Publikum miszusheilen,. ‚And ai gluͤcklichern Erläutes
rungeverfuchen: den Grund zu legen, als das Unmwahrfheinliche
ie den: Hypotheſen des Hrn. Verf, das Uebereilte in feinen
Shlügen, und das. unkritifche Verfahren in den eingeſtreuten
Etymologieen zu: zeigen, weiches auch ber größte Aufwand von
Gelehrſamkeit dem befonnenen - Forſcher nicht verbirgt. Mit
Recht haͤlt eg der Rec. in dep Gott. gel, Anz. 1012. St. 86.
für wenig verdienſtlich, Die ‚Erklärung eines fo dunkeln Denk⸗
mahles im Einzelnen zu beſtreiten, wenn man nic Wahıs
— an die, Stelle ſetzen könne.
Zwolf Rapitel machen den Inhalt des garden "Wertes
ws; das e er ie, Kapitel beginne mit der Entdeckung, des Steis
nes und mit allgemeinen Bemerkungen über feine Deſchaffen⸗
keit und Wedentung. Das. zwepte Kapitel pefäfge ſich
mit den darauf vorkommenden Figuren; das dr tte betrachtet
die eine Beite. des Thierkreiſes, das vierte, befonders das
fehste Zeichen. defielben, fo wie das fünfte die Wage, über
deren Einführung in den Thierkreis fi das ſech ste Kapitel
verbreitet. Das fiebente Kapitel, welches den erſten Theil
des Werkes ſchließt, enthält Bemerkungen über die Aegyptiſchen
Thierkreiſe, welche man in den neuern Zeiten in genaue Un—
terſuchung gezogen hat. Im zweyten Theile hebt das achte
Kapitel mit den Wintergeihen an; dann geht der Hr. Verf.
Im neunten Kapitel zu den Morgenlaͤndiſchen Thierkreifen
über, und handelt im zehnten Kap. von den Perfi (den, Indi⸗
244 Theke, Kıno Ziödieco- orientäle da O. Hager:
tion - hd Arne,’ ti eiiftreti wort dent Chalsatſchen
Shrecekiife „Deren Rorſtetuns er auf unferm · Denkemahté fem⸗
dei: An —X— wird no’ im zud viyten Kamen von den
Vabyivntſchen und Merfiſchei Schreftzeichen inKeilſr Bed
ſpwchen· "Mon dit Kupfer taPerti, welche Bay Werk yore;
Retie’ Bte. @Fftt ‚ Snicht' ntmetteeb; dert Stein innatutiichet
Groͤße it V — ——— die Fweyte und dekſUede?noch
- befünders die Figuren zur — 7 Seiten des Steines/ doch wer
\
in mehr oder wentger Hntiheheh Nachftichen won -BUR: RW
fin’s Tafeln, dar. Die vierte fiefört einen Hagasar read
nach einer Medaille des Katfers dieſes Mamendk der Sei
Beif nuch einer Nachricht Kerodians V. 3," derſzufbige dee
Elagadat, ein ſehr großer Stein ih Kegetfötn, alten’ abger
rundet, ſchwarz von Farbe und ein Aerolith war, "wg Arte
Dent nahl für einen Mekebtſtein erflärt." Wie‘ ehr: Tante
enthaͤlt die ſchon erwähnten Proben von Babylonſiſchet Nee
fcheift. Ru) Wergehe die Bemerkungen über die verſchiedenen
Thietkteiſe wom Hr. Hager ſeinen Chafdätfeen Chrereteis
in Harinoene zu bringen fücht, um deſto aueſaentte Br
das erlährerte Denkmahl zu reden.
At, Hager {heine den Stein viel zu Hoch ’in! Ba —
thum hinaufzurucken, wenn ee ihn wegen der: Keilin ſchriften
für den vermnuthlich aͤlteſten Thlerkrefs haͤlt, den wit die En⸗
ropa kennen. Der Gött. Ret. bemerkt ganz richtig, deſ:nich
jedes Dentmahl mie Keitfcheift fofort im die ZUR der Abämes
niden hinahfgerücht werden dürfe, da diefe alte Schrifcet eben
fo weit herab fortgefet werden konnte, wie die Hierogtyphen⸗
ſchrift auf dem Stein von Roͤfette. Der Dre, wo vie ſies
Monument gefunden wurde, läßt fein fehr ho hes
Alter vermutben, man müßte es denn aus einer
an,dern Stadt dahin gedradt glauben. Ar: de Say
madite ſchon die Bemerkung, daß der Platz, wo der ‚Stein
gefunden wurde, das alte Kieſiphon ſey, welches erſt die Parr
ther ſtifteten, und bis ins 7te Jahrh. nach C. G. die Reiben
der Perfißhen Könige blieb. ‘Denn wenn man von Bagdad
den Tigris hinab 4—5 geogr. Meilen fuͤdoſtwaͤrts reifet, fw
koͤmmt man auf eine zu beyden Seiten des Fiuffes: mit >
nen weit umher bedeckte Gegend, welche die Araber al Madain
“
u
Nlustr, d’une Zodiaco orientale da.G, Hagen 245
oder die zmey Städte nennen, Pietro delle Valle viaggi I.
. Brief 17. Zves Reifen ©. 110, Unter diefen Trümmern hat
Ah noch ein anſehnlicher Palaft von Backſteinen erhalten, der
von feinem großen Gewoͤlbe, welches von Oſten nach, 7
duch das ganze Gebäude in einer Tiefe von 150 Fuß, in
eine Höhe von 106, und in einer Breite von 85 Zuß, ſtatt
der Hauptthure läuft, bey den Morgenländern Tak / Resra
oder Boden des Kosroes heißt. Dieſer Palaſt liegt auf der
Oſtſeite des Tigris, wie das heutige Bagdad und das alte
Kıefipdon, und Abulfeda Geogr. &. 259 macht dabey die Bes
merkung, daß der Drt auf Perfiih noch immer Thaifafun
genannte werde. Die. beyden Städte, welde der Mame al
Modain bezeichnet, find alſo Ktefiphon und Koche, micht dag
18 geogr. DM. Höher gelegene Seleucia auf der Weftfeite
des Tigeis: denn ein Schriftſieller des 4ten Jahrh., Grego⸗
rins von Nanzianz (orat. II. in Julian. p, 308), erzaͤhlt,
der Stadt Kteſiphon gegenuͤber liege Koche, eine andere mie
diefer dur) Natur und Kunft verbundene und nur burch den
Lgris getrennte Zeflung , fo daß bepde Fine Stadt zu ſeyn
(deinen. Iſt aber diefes der Fall, to darf das Alter unſers
Steines nicht zu Boch hinauf gefeßt werden: man müßte denn
glauben, daß er zugleich mit den Materialien ker Mauern
Babylons, melde feit feinem Verfall duch Selaucia's Aufı
bluͤhen zum Bau ber Käufer, Paläfte und Städte in dieſen
Gegenden verbraudit wurden und uoc; verbraucht werden, nad
Ktefiphon gekommen, und fo aus frühern Zeiten erhalten fey.
Kteſiphon ſelbſt wurde, mie Seleucia, von den Macedoniern
angelegt, daher es fchon Polybins (V, 45.). kennt: aber «8
war ein unbebeutender Flecken, bis die Parther Herren des
ganzen Landes wurden, und Kteſiphon zum gemähnliden
Binteraufenthalt wählten, wie Efbatana zum Sommerſitze.
Strab. XVI. ©. 1079. Unter Verus, dem Collegen Marks
Aurels, nahm defien General, welcher &eleucia . nernichtete,
an Kteſiphon ein, und zerſtoͤrte die Aöniglihe Burg. Dip
Cass. LXX, 2. Aber bie Stadt befand noch bis ind 7te
Jahrhundert, da fie das Eigenthum der Arabiſchen Chalifen
wurde, und durch fie ihren Untergang fand. Bagdad, welche⸗
. 762 gegründet wurde, fcheine mehr aus feinen Trümmern ale
246 NMlustr. d’uno Zodiac orientale da G. Hager.
aus den ‚Steinen bes u weit —— Babylons ER zu
ſeyn. Bon dem großen Gewölbe, das fih von allen Gebaͤu⸗
den, mit welchen einft. die ganze Strecke von © Madain
bedeckt war, allein erhalten hat, gibt man einen Perfiihen -
König Kosroes, andere einen Europäifchen Fuͤrſten oder Caͤſar
als Stifter an, "und laͤßt es in der Zeit Juſtinians, auch
früher oder fpäter, aus Babplonifhen Trümmern erbauen.
Seine Römifhe Banart, wovon man fonft im Drient nichts
Aehnliches finder, verräch einen Baumeiſter aus den Zeiten der
Roͤmiſchen Herrſchaft, fen es nun, daß wirklich ein Roͤmiſcher
oder Griehifher Monarch den Palaft bauen ließ, oder daß
ein Aſtatiſcher Fuͤrſt Furopäifhe Bauleute dazu gebrauchte,
wie Kambyſes zur Anlage von Suſa und Perfepolis Baumeis
fler aus Yegppten kommen ließ. Diod. I. ©. 43. Ar. Mans
‚nert meint daher (Geogr. der Sr. und R. V, 2. ©. 404),
daß Ehosroes, der Sohn des Hormisdas, der zu Ende des
fehsten Jahrhunderts duch innerliche Unruhen auf einige Zeit
ans feinem Reiche vertrieben in Syrien lebte, und durh Uns
terflägung des Römer wieder auf den Thron kam, den Palaſt
gebauet Haben könne. Aus dem Angegebenen erhellet- wenige
ftens fo viel, daß unfer Stein nicht weiter herabgerückt werden
darf; doch fey der Stein, fo alt oder jung er wolle, die
Ketlinfhriften deſſelben find, gleich den Hierogly—
phen in der Rofettifchen Inſchrift, eine aus Höherm Als
terthume beybehaltene Schreibeweife, ber zufölge,
wenn fie mit den fumbolifchen Abbildungen darüber in Bes
ziehung fleht, auch diefe nad) Altern Begriffen erläutert werden
muͤſſen, wenn fie gleich in viel fpätern Zeiten in den Gtein
:gegraben wurden. Fragen wir nun, welches Volkes Begriffe
auf diefem Steine gu fuhen ſeyn; fo widerfpricht fih Hr.
Hager felbft, wenn er darum, weil der Stein in Babylonien
gefunden fey, die Figuren für einen Chaldäifchen Thierkreis
erklaͤrt, die Inſchriften aber, im Gegenſatze der Babyloniſchen
Schreibeweiſe, als Perſiſch charakteriſirt. Eines andern Wis
derſpruches macht er ſich ſchuldig, wenn er der Unmoͤglichkeit,
die Idee eines Thierkreiſes auf unſern Denkmahl durchzufuh—⸗
ren, mit der Bemerkung entgegen zu kommen ſucht, daß die
Chaldaͤer, gleich den Chineſen und Japanern, ihre eigenen
Iiasit. d’uno Zodiaoe orientale da .G. Hager. 24
Zeigen. und Bilder gehabt huben könnten ;; mid zlalchwohl aus
Mangel Veftinnter Machrichten Aber den Chalbaiſchen Thier⸗
fceis die Echefäge und Vorſtellungen der Griechen , Aegyptier,
Indier und anderer Voͤlker zu Hhlfe rufe, um einzelne Figu⸗
ten bes Steines daraus gu 'eriären, nnd den Datz za begruͤn⸗
den, daß in Ehaldda: oder: Babpionien der alteſte Thierkreis,
wie die aͤlteſten Spuren der Religionen und Sagen, des Wifs
fenfhaften und Künfte, der Sitten und Gebraͤuche aller ge
bildeten Voͤlker, der Aegyptier, Griechen und Römer fowoht,
wie der Chineſen, Indier md Perſer, zu finden ſeyen. Kr:
Lichtenſtein, weicher die Figuren mie einer fabäihen Tramers
Mage in Beziehung zu beingen: ſuchtr, ift ebenfalls nicht frey
von dem Vorwurfe, zu viel Fremdartiges unter. einander ges
miſcht zu Haben. Einen beſſern Weg ſehlugen Ar. Millin,
de Sacy und von Dalberg ein, welche ſich durch dem Ort, we
der Stein gefunden worden, berechttgt glaubten, ihn für einen
auf den Strom und die daran liegenden Gebdaͤnde fih beziehen⸗
den Talisman zu haften, und nach diefer : Anfiche die Abbil⸗
dungen: mir den Lehren der Perfiſchen Reltgionsbůcher im
Zuſammenhang brachten.
Die Vermuthung, daß ber Stein ein Aerolich ſeyn koͤnne,
gruͤndet He. Hager auf feine Geſtalt und Farbe. Dieſe
iſt ſchwarz auf der Oberflaͤche und geau im Bruche, jene oval⸗
rund, doch ungleich abgerundet, nad) oben fpigiger, nad uns
ten bauchförmig gewunden, ungefähr doppelt fo breit als Di,
und dreymal fo hoch. Kür einen Meteorftein wäre feine.
Größe fehr bedeutend: denn feine Hoͤhe beträgt mach Hrn.
Mihaur’s Angaben 48 Tentimeter oder anderthalb Fuß, feine
größte Breite 32 Tentimeter oder einen Fuß, und fein Ge
wicht oA SKilogramme oder 44 Pfund. Was. aber mit jenet
Vermuthung flreitet, if gerade das Weſentliche, was Hr
Hager Überfa), feine Maſſe. Hr. Mihaur erklärt. den
Farſiſtan beſtehen; Und Michaur's Vermuthung, daß er and
Stein fuͤr dieſelbe un. mie woraus die Zelfengebirge von
dem Innern von Perfien-in die Gegend gebracht ſey, wo bie
Natur dergleichen Steine nicht erzeuge, iſt ein Grund mehr,
in feinen Abbildungen und Inſchriften Perfiihen Geiſt zu
fühen. Hr. Michaux hielt den Stein für Baſalt, aber Hr.
t
248 Muate. duno Zodisee oientale da :G. Hacat.
Rilin ertloͤn ihn genadepı:fün wine. Rarmar,. wie ihn auch
Hr. Hager immar neunt. Hr. 0. Dalberg, welcher als Cihrifts
ſteller uͤber den Meteorcultus der Alten hier: venaͤglich sine
Stimme Hat, hoftreitat ſchon die Vermuthung das Hen. Ha⸗
ger, da der Saein ein Aarolith ſav, und bexaerkt, daß Die
chewiſche Analyſe ihr als. einen ſchwarzen hituminoͤſen. Mar⸗
wor darſtele. Chaux carbonatze. hituminifene ua Hast.
&o wenig die Matur Bahulonien mit dergleichen Beinen
verfehen hat; ſo haͤufig findet man fie im: jenew Gegenden.
Hr. Beenchamp Heß in den Ruinen von Babylon einen ſchwar⸗
zen Stein ansptaben , weicher anfangs ein. Goͤtzenbild gu ſeyn
ſchien, nach feiner .-Meisigung: aber ſich als eine‘ geſtaltloſe
Maſſe ahne Inſchrift zeigte, wiewohl er Spuren des Meiſſels
trug. Mon derſelhen Oteinart fand ee an mahreren ‚Stellen
große Bloͤcke als Ueherrefte wchrerer Denkmaͤhler. Zu Bruſfa,
gwey Lieuen ſuͤdoſtlich von Hellah in der Wuͤſte trifft man
nah Hru. Beauchamp's Berichte ſchwarze Steine mit Zus
ſchriften, fo. wie in al Kadder, in noch weiterer Ferne, man
morne Statuen. Hr. Hager ſchließt aus dem Gebraeuche des
hoͤchſten Alterthums, die Götter unter, einfachen. Steinen nund
Aerolithen zu verehren, beſonders aber aus dem Sonmenbilde
dee Syrer zu Emeſa, dafi der Stein als Aerolith der ‚Some
gewidmet, und daher die ſymboliſche Darfielung. an feinau
obern "heile eine Abbildung des Sonnenlaunfes oder ein Thier⸗
Preis war. Dagegen bemerft aber Kr, v. Dalberg fehr treft
fend , daß die Ehrfurcht, die man gegen ſolche heilige Steine
hegte, das Eingraben von Figuren und Schrift ausſchloß, wie
es bey dem fegelfdrmigen Steine der papbifhen Veynus umd
bey dem nad) Rom gebrachten Bilde der peſſinuntiſchen 2
bele der Fall war. Auch fchreibt Herodian dem Syriſchen
Elagabal keine eingegeabene Ziguren zu, fendern nur ‚eboxds
zivag Boayeiag za) zönovg, Heime Eden und Gruͤbchen,
woraus man feinen himmliſchen Urſprung erwies: übrigens
war er ein unbeardeitetes Stein ( dypyaoros, nicht 2800
woigrog). Unfer Stein dagegen ifi offenbar von
Menſchen abgefchliffen, um auf den bepden Faden
Seiten mit Figuren und Schrift bedeckt zu werben: den die
Figuren find erhaben auf vertieftem Grunde, die Inſchriſten
Ilustr. Jumn Zodiaco orientale da G. Hager. 249
aber vertieft auf glattgefchlifggger.. Zlaͤche. Seine fonherhare
Seflalt kann unfer Stein Daher auch nicht, wie Ar. Millie
meint, dem, Abſchleifen des Tigerſtromes, fondern muß fie
irgend einem religidien Aberglauben zu verbanten haben. Doc
dat der Stein ‚mehr die Geſtalt eines unfbrmlichen plattges
drädıen Kegels, als einer Pyramide, welche Hr. Millin, wie
wig weiter unten ſehen werden, durch den Perſiſchen Cultus
geheiligt glauht. Aus den bisherigen Angaben geht hervor,
daß der Stein weder ein Aerolith, noch uralt, noch Thalddis
ſchen Urſprungs ſey; ob. er der Sonne gewidmet, und ein
Thierkreis ſeyn könne, wird die nähere Betrachtung der ass
geriſchen Figuren geigen.
Die Ziguren erfüllen den ganzen obern Theil des Steines,
am oberſten Ende durch eine queruͤberliegende Schlange ges
ſchieden, welche den Stein in feiner größten Breite umzieht;
isdoch nehmey fie auf einer der beyden Hauprfeiten des Steines
ein donpeltes Feld und dappelt fo vis! Raum ein, als auf der
andern Beise,. Nur die obern Figurenreihen follen einen
Thierkreis vorflelen; die untere Figurenreihe der einen Seite
foll den. Sommer und Winter im Allgemeinen bezeichnen. Die
fhöne Jahreszeit oder die Zeugungsfraft der Sonne werde
durch den aufrechtſtehenden Phallus oder Lingam neben dem
Thiere mit Dem Widdermanle, . der Winter durch die umge⸗
Rärgte Pyramide oder den Sonnenfiraht neben dem Thiere
mit der Eberſchnauze begeichnet. Hr. Hager lieh fid) Hier durch
die falſche Darſtellung der Millin’jchen Kupfertafeln verleiten ;
denn die beyden Thierfiguren des untern Feldes
find ſich auf dem Steine ſelbſt vollommen gleich,
und haben mit Dem -Thiere des obern Feldes,
welches Hr. Hager für das Zeichen des Steinbocks oder des
BWinterfolftitiums erklärt, zwar nicht die Geſtaltung,
aber Boch das gemein, Daß fie auf befondern Uns
terlagen ruhen, die ihnen das Anfeben von blofs
fen Sphinrartigen Beſchuͤtzern der Altäre geben,
duch welche ihr Hintercheil verdedte wird. Die
Bedeckung des Hintertheiles ſetzt Diele Ihigrfiguren in den
Hintergrund, fo dos nicht ie, fondern die Altäre des
Vordergrundes als der Haupttheil Per allegoriſchen
950. Mustr. d\uno Zodiaco orrentale da G. Hager.
Darftetlung.gu betrachten find. Die befondern Unterlagen
fiellen viele Thierfiguren ats bloße Abbildungen plaſtiſcher
Kunſtwerke dar, weiche man, glei den. Fabelthieren in Pers
fepolis, ans den Beltandehellen dreyer oder: mehrerer Thiere
gufammenfeste, und unterfcheiden fie dadurch von den Thierem,
womit die ganze entgegengefehte Sekte angefülle iſt, fo, daß
fie nicht mir ihnen: ats Thierkreis in Verbindung geſetzt wers
gen Binnen. Das Thier in der Mitte des obern Feldes ers
ſcheint als ein freyes, die beyden andern als gefeffelte
Thtere: denn jenes kniet nur auf dem rechten Vorderbeine,
und hat das linke, aufgerichtet, zur Erde niedergeftellt 5 Die
Vorderbeine der beyden andern Thiere liegen: aber=anf den
Unterlagen Hingeftreckt, und fcheinen, nach den Gypsabdrucke
zw urtheilen, jufammengebunden zu feyn. Das erfte Thier
hat die Beftandtheile reiner Thiere nad Perſiſchen Religions⸗
begriffen, die Beine eines Stieres, den Kopf eines kretiſchen
Widder mit gewundenen Hoͤrnern und einem Ztegenbarte bey
- gefchloffenem Maule, den Hals behaart, den Leid gefiedert mit
kleinen Flügeln auf dem Ruͤcken. Die beyden andern Thiere,
die A. Hager auf eine unbegreiftiche Weife zu Krokodilen ums
Schafft, vergleicht Hr. Lichtenſtein nicht unpaffend mit gefchupps
ten Hyaͤnen; doch erfcheint, die Loͤwentatzen abgerechnet, alles
WMebrige fo zufammengefegt, daß man fein Thier In der Nas
tur von ähnlicher Bildung findet. Die kurzen, fpisigen Hörner
ſtehen völlig fenfrecht, mie bey der Antilope, welhe man
Klippfpringee nennt; zu beyden Seiten derfelben vertritt lok—⸗
kenfoͤrmig gemundenes Haar, desgleihen auch hinten am gans
gen Halfe hinunter hängt, die Stelle der Ohren. Rah Hrn.
Lichtenſtein foll dee Schmuck bes Hauptes keine Hörner vors
ftellen, fondern eher ein ſymboliſches Emblem feyn, deigleichen
auf den Aegyptiſchen Denkmaͤhlern die Scheitel des Serapis
ziert. Der Leib ift fchuppenförmig oder gefiedert, die Schnange
vorn gefrämmt, wie die eines Ebers, aber mit einer weit
herausfichenden, z veyfach ‚gefpaltenen Zunge Hr. Hofrath
Heeren hat in feinen Ideen uͤber die Politik, den Verkehr
:and den Handel der vornehmſten Völker der alten Welt ges
zeigt, daß ſolche willkuͤhrliche Abänderungen in der Zufammens
ſetzung einzelner Theile ganz in dem Geiſte der Kunfl des
)
Ilustr. d’und. Zodiavo-orientale da G. Hager: 251
Derſiſchen Zeitalters waren. Daß auch im Tempel des Belus
der reihen Abbildungen monſtroͤſer Thiergeſtalten aufgeſteüt
ware, Tage Beroſus in einer miv'vom Ken. Dr. Fioris
frenndſchaſtlichſt mitgetheilten Greffe, in excerptis Alex.
Polyhist. ap. Syncellum Chronogr. p. 23 (Script. Byz:
T. V. ed.- Ventt, 2729. fol.), woräber Court de Gebelin
‘Monde primsitif. T. IV. (Histoire du Calsndrier ) p. 488
unter andern fast, daß fie die Chaldaͤiſche Theologie und Loss
mogonte darſtellen ſollten. Haͤtte Ktefias in feiner Beſchreibung
Indiſcher Wunderthiere nicht vielen Übergangen, weil es denen
unglaublich ſcheinen würde, die es nicht gefehen hätten; fo
wñrden wie vieleicht noch in feinen Fragmenten diefe Thiere
erklärt finden, wie Kr. Heeren darin den WMartihera, den
Greif und das Einhorn fand. Am meiften wärde auf fie die
Beſchreibung golbhütender Sreife paſſen, Ctes. Ind. ı2, 100°
ſie als vierfäßige Vögel von der. Groͤße eines Wolfes, mit den
Beinen und Klauen eines Löwen, mit rothen Federn auf der
Druf, und ſchwarzen Federn auf den Abrigen Theilen des
Lelbes, gefhlldert werden, wenn diefen nicht Aelian H. Anim.
IV, 26. den Kopf und Schnabel eines Adlers gäbe. Zwar
erſcheint Dies Wunderthier, deſſen Dichtung fih Aber gang
Afien verbreitet hat, in verfchiedener Geſtalt; doch haben uns
fere Thiere zu wenig von einem Vogel, als daß man fie mit
dem Perfiichen Simurg oder Sirenk vergieihen koͤnnte. Sie
mit dem Ken. v. Dalberg für Bilder guter Genien, Taſchters
und Behrams, zu erklaͤren, die hier, gleich den Sphinrxen
in Acgypten als maͤchtige, wohlthaͤtige Beſchuͤtzer der Gegend
und Bewohner der Gebaͤude ruhen, verbietet die oben ange⸗
führte gefeſſelte Lage der Tiere. Hingegen das Thier im
obern Felde, welches Kr. Millin mit einem Tragelaphos,
Hr. Lichtenftein mit einer geflügelten Gazelle, Hr. Hager aber -
mit dem Steinbock vergleicht, ik nach Ken. de Sacy's gluͤcklicher
Enträrhfelumg, welcher auch Kr. v. Dalberg beyſtimmt, ein
Eymbol des thaͤtigſten und wirkſamſten Izeds Behram, der.
nach dem Jeſcht⸗Vehram Zenbav. II. fih unter alleriey Thiers
geſtalten offenbart, umter andern auch, nach Eorde 8, unter
der Geftalt eines Schafbocks mit veinen — um ‚gebogenen
Hoͤrnern. | |
352 Mustr. dung Zodiaco orientale da.&. Hager.
Mac. Hro- Hager Met dan otzere Feld den Himmel, das‘
untere die Erbe vors er irrt aber, wenn ot, die vier Altäte
des obern. Feldes für Thurme und Palaͤſte erklaͤrt, melde ſich
auf Die gwmälf Sonnenfiatienen beſiehen, Die zwey des unterm
Geides dagegen für Altäte des Feuerdienſtes. Die. Altäre.
des uwtern: Feldes uneerfheiden [ih von den Als
tären des ohern Feldes in nichts als in der bes
beutumgsiafen Berzierang ber Außenſaiten. Alle
hablben ein. eckichtes Piedeſtal und eine an deu Gelten abges
nändete Obexlage ; aber im obern Falde theilen vier Säulen
den Schaft is. dacp gleiche, mit willtährlihen Schnoͤrkeln und
Strichen verzierto, Felder ab, Die Unterlage iſt mit drey wel
leafoͤrmigen Strichen durchzogen, und die Oberlage in fünf
Felder mit Kreifen in ihrer Mitte abgetheiis; im untern Felds
dagegen iſt der Schaft in zwey Felder getheilt, die Unterlage
nur mit zwey Schlangenlinien durchzogen, und die Oberlage
in ſechs VBierecke zerſchnitten. Auf jedem Altare befin⸗
det ſich aber ein beſonderes Symbol: auf einem
Die Figur eines Hufeiſens oder. vielwehr eines Griechifchen
Q in der hertigen Uncielform, zu beyden Seiten unten
gelockt, und ringsum durch drey Linien im nier Theile getheilt:
anf dem andern ein langer und duͤnner, geſchuppter oder ger
fiederter Hals, der, meil der Kopf durch die Deihädigung des
Steines verſchwunden ift-, einem Baumſtamme aͤhnlich; auf
dem dritten und vierten eine paraboliſch geſtaltete Tafel mit
einer Einfagung von“ allen Seiten, und mit ſechs aufwaärtse
gehenden, in der Mitte zufammenlaufenden Adern durchzogen;
anf dem fünften eine liegende, dreyeckichte Ppramibe gleich
einer Räucherferge, deren Bas im Verhältwiß ihrer Höhe
nur gering. ift; auf dem ſechsſten endlich ein deeyeckichtes Taͤ⸗
felchen mit Einfaſſung, gleich den Kreuzen auf den Gräbern
laͤndlicher Kirchhoͤfe auf. einem kurzen Pfehle ruhend. In
dieſen Dingen, nicht in deu Altären, welche
Bloß zu Heiligen Untergeſtelben für die Sym⸗
bole dienen, beruht Die allegoriſche Darfiellung
zu deren Enträthfelung uns neh die ficherjeis
senden Borkenneniffe fehlen. Sonderbar dewer Hr.
Hager die Hufeiſengeſtalt, weil fie einem Griechiſhen 82
—E
Ilustr. duno: : Zodiaoo orimlale da G. Hager. 253
Ahnelt, «uf das an BZeichen im Thierkiriſe ober die Fiſche.
Hr. v. Dalberg muß nar den Mitlin ſchen Kupfebſtich, nice
ben dortrefflichen Gypoabbeuck, augeſchen haben, ald er die
Deriegimgen am Steine Für: Leichte Umriſſe von Regenwolben
eflärte, welche aus dem flammenden Sterne Saſchter (Sirius)
much dem durtinterſtehenden: Gebäude niederfaher, deſſen mit
Schuppen bedeckrer Hells Bielleicht Amordad, der Führer
Taſchters, odet Michta, alſo der. wohlthätige Gentus der
Bike: Ah. Die paraboliſchen Geſtalten der: flagen:: Tafeln
dem dritten nud werten Altave verleiteren deun Hru. Bager,
die für: ATharnie ungeichen, amd durch Main's unnekkoms
nine Darftellmmg) im Kupſerſtiche verfähr‘,. meint er, der eine
ern ur Hat da, um anpudeuten, bu Sk Brorpion
ber —5 — bdieſer, den Winter busitellenden Getet
he, . Hr. — 1heilte dre Kupfsrtafetn na
dan bey den Hauptplatten des Gypſsabdrutkers ad;
vobey⸗dvre kleinen Beitenſtücke aucflelen, und
dahexen unf Der einum Kupfertafel de SEchktangen⸗
ſqgwange die Hälfte der Oterafiguren arm obetn’
Aaude uue einen Alcars mite feinem’ Symbele,
ſo wix Die ausgefrättee Zunge des Thaerro im
unter Pelde, verloren ging, während auf der andern
Amfesapeb bie Schlange und der Wolf Aber dit Graͤnglinien
huandgezeichnvt wenden. Dus Piedeſtal der Altaͤre, weiches
auf den Kupfertafſeln niche ganz treu dargeſtelt iſt, verbietet
er, ſie mir Ben: Hager für Tharme and Palaſte, oder mir
Hm.’ v. Dalberg für Terrpel oder Luffäle zu halten, wenn
fan: ri In Den Werzierungen des Schaftes Thuͤren umd Ai
Mteave, und in din Merjlerungen der Oberlage Togar Acht
lee: mie den Töeigtyphen und Melopen des Gtiechiſchen
Gebmees finder -iiöchte: Welt paffehder und mit der ride
der Yalytnteis ruhenben Thiere wert mehr im Berhaͤltniß fichend
erklaͤrte Hi. Eichtenſtein alles für Leihenmähler, deren Ems
Hand ſchiber zu erklären ſeyn. Nah Eubulus bey Porphyr.
de: Nyitipk. 'antro. Ed. Gantabr. p. 255 sq. heiffgte Zoröns
ſter wine höhe als Bild der Weltordriung darch Mirhra ges
bant · ufide geſchũtzt, woͤrin nad) abgemefjenen Entfernungen
von einander Dinge lagen, welche die Elemente und’ Klimate
6
954 IKuste. d’uno Zbdiaco, orientala da 6. Hager.
Abilfen tollen. Dem cchnulich ſcheinen die Abbildungen bee
beyden Feider auf der eisen. Haupeſeite des Gteinrs zu. fen:
Br. v. Dalberg fand. im umtern Felde ein Opfer: db. Ormuzd
augedentet, und ‚meinte, die.Higende Pyramide fen bie: himmr
küche Pflanze Hom, vielleicht ein aus dem Holze deſſelben
oder aus Mete beſtehendes Opfermeſſer im drepſeitiger Pyraa
midetfprm; oder ein Werkzeug aue Holz zum. Anumachen dep
Opferfeners dur; Reiben ; auch die, aufrecht flehende Gpige '
anf dem. andern Altar. fey win Weller. nder- ein Blatt des Baue
mes Kom. : Bany verſchieden davon urcheilten Kr. Hager, und
Vichtenſtein: nach jenem: folk auf dem einen Altar eine Pyra⸗
wide as ‚Bymbat: des Jeners — auf dem andern -tine .
dreyſeitige Pyramide lingen; die:einen Phalus ger Singers
darſtollez⸗nech dieſem foll auf Dem andern. Br das
Gegenſßhck des Lingem; die Zoninoder das € der Ranus
Urania qugerichtet ſeya, ale Emblem den weiblichen Jomgung;
auf · dem: Leichenmahle neben dem: teens liege cine -Zinur,
weelche durch die Zeit beſchaͤdiget fen ‚und falls man nach achn⸗
lichan Dankmaͤhlern beym Sräfen Caplus en duͤria uma
feehaglid eine Mumie vorsaſteſit habe, oben .einen, Lrichnane
in Leinwand pewidelt. Allein nichts iſt auf dem Driginafe
vollfomimener: und--demtlicher dargeſtellt, als grade dieſe Uegande
Mopramide; dagegen die Pyhramidalfiguren am Schafte Den
Auaͤre nur quf Millin's unwollfommenem Kupfſorſtiche erſchei⸗
nen. Hr. Millin findet in dieſen Pyramidalfiguren, welche
auf dem Originale bloße Vertiefungen in den Feldern zwiſchen
den Säulen ud, etwas Myſtiſches aud Religiäfes, den Grunde
zug aller Keilfchrift als Symbol der Sonne, : ders Strahlen
immer in koniſcher Geſtalt gezeichnet würden, und will deq⸗
halb auch das dreyeckichte Taͤfelchen auf dem letzten Altare für
eine aufrechtſtehende Pyramide angeſehen wiſſen. Umgekehrt
findet Ar, Lichtenflein darin das zweyte Element ‚Der zeugen den
Dyos und der Keilicheift, deren Grundzug ber Pfeil oder
männliche Mirrich ſey, welcher an der linken -Säule Bicfes
Leihenmahtes ſtehe, die Spitze in die Baſis gehefſtet, zur
Andeutung des nach dem Tode und der Begraͤbniß durch neue
Zeugung zu erneuenden Lebens. „Man ſieht, zu welchen Mey⸗
nungen ein unpollkommener Kupferſtich führen kann: der treue
Ihustz.. dung, Zpiliano. ‚oxientala da G. Hager; 255
Bernd des Oextaln⸗les ht ‚wahr einen Mirrich, woch ein⸗
Jeni, no ninen Linga oder Nhallu⸗ über. und an hen Al
ehren Sehen, - Eben ſo nenig. kann der Pfeil neben der Abbll⸗
dung zweyer ſich versinigenden: Bäfle, „mie Hr. Lichtenſtein
meins, der wiermaf geflügelts, Mirrich fepn :..06 if ein gewähus
- per Pfeil, auf bayden ‚Selten befedere: : Nech Dun. Hager
‚Hille, die beydes Otrame zur Bezeichnung des: Ortes, wo di
Btein ein Gegenſtand des Werehrung: mer, Den. Enphras und
Tignis gar, uud der Pfeil iſt Bezeichnung des letztern, weil
im eg Tir ſowohl einem ‚Pfeil. ads ben Tigteflcons
Zwar finden ih der Pfeil auf ‚den verkehrter: Seite⸗
* * nicht zur Hynotheſe pe, wird Dex Ungeſchicklichkeit
des Bilners zugeſchrieben. Hr. Millin weiut, der Pfeil könne
Ma Lauf der Stroͤme bezeichnen, mir auf- unſern hpdrographl⸗
ak Hr. de Sacy erklaͤrt die. Bläffe für eine Abbil⸗
dung Asß- eo erh. oben des. Zeralhy Sand oder des
Woory kaſche insbeſendare, „die ein Geſchenk des Taſchter ſind,
und meins, der Pfeil koͤnne Symbol des Tir ſeyn, welcher
dan Taſchter bealeltet. Hr. Lichtenſtein finder: andem zweyge⸗
ſpaltenen⸗ Strome die Fluͤſſe des Beldal, deren einer „Die uns
ſuldiaea: Seelen im die elpſiſchen Fluren, der andere bis
Beräbptes der Gotter in.den Tartarus fuͤhre. Her ©. Dalberg
Gdlich erkamt den: Strom fuͤr die himmliſche Quelle gerakh⸗
Ed, und den Pfeil für: Taſchtars Pfeil oder ein Bild -bas
Hlitzes und. dee himmliſchen Fetzars; doch gibt er zu, daß
beydes audy deu- Tiger bezeichnen koͤme, deſſin Nome einen
pfeil, bedente. Das Folgende wigd aber zeigen, dab in
dem auf ſeine, Spitze geſtelleen Pfeile fewohl, als in be
Aerliegenden Schlange om obern Ende, nichts weite als
eine Vegrnzung datz Flguren, menn, gleich eine ıfyms
b41iſche —R — eesee an ſu⸗
Bel. tm:
‚ Ursractat man die Anſchtiſten, vwelche auf beyden Haun⸗
kiten dee Oteines im zwey von ‚einander unabhängigen Co⸗
Inmnen, unter den figürlihen Abbildungen ſtehen sie findet
man die-ganze Schrift von allen, Seiten durd Linien einges
foßt, die Kolumnen von ungleicher Länge auf der einen Seite
Pu -_ 1 SE 2ei
956 Musi duns Zidiae ’orkmtald da-C. Kiger.
Var, .äuf der andern "diteih wiy: prall pet
pendſtadar Londen geſchieden, und: jede‘ Melle: von Ser! andern
durch: Quertinien abgerheint. Ebeinnfol fall die Schkanhel nit.
vie: Fegucen Sir beyden Haußſeſeilen von” einunbet Then’
daher ihr Schwanz getade ſo weit herunternreicht, als DR
Banden der mit. einer doppelten -Pigurentuife Bedeckiten Setil
Was der Schlangen: auf der einen te des untern
Weldos' bezwerde⸗, ſriſtet aufi der andeiit- Sei Ye! DR
beyden obern Phyuveneethen ſend nur Auf eintr Sefte BL)
vn Gxhlangihieit gefchleden:; auf der andern Wekte,; Ib
der Pfril dit untere Bigareikreißt Gögränge, : Moden fe ic
mitteibar: an: vinaader. Alleih die aber vikamder — *——
Saar vdrr Dander, welche zur untern ten an Di
IRitgarenreihen dienen, and bey. den febertiähch - —
Vie Stetlenquer durchgizogener EAnien vertreten,
Yen Sthh langenkos ſe hinangtich, daß vie obern 2
beyber Seiten »des Seetmes von -ehtähber vnabhangißz MRS.
An ‚Ber unrichtigen Boramsfegung, daß bie SA Sch
ganem. Sreinnünyiehe, vetgleichen Herr Wet. Und Lichter,
Kein: deſriov fahr: unpafend mir; dem Vaſugh ˖ ver ¶ Braiinen
vder· mit den Symbble der · Jeit, dir Schlange, welche ſich
m den Othwanz beißt. Herr Miullinerkannte die Sqtauge
nach Ihr Geſtalt und Groͤßs für eine Ark Reſenſchlaige,
amd vorhlich ſie mit der —* des Corand; welche den Tri
Gottes: rings umgibt, Was Hier jedoch nit: DEFFFRU til.
He de Sach ˖ und von Doͤlberg glairbtch in der Stage den
Aiſchmsgh (Aemodi) des Zendaveſta zu erkennen, welcher
Wermuthimg der Mangel der n bevden Füge“ widerſpricht, die
Der Zertavefla dem Aſchmogh zuichreibe: Die Abbitdung
ſtebbt nichte ab Fine gewoͤhnliche Schlange
darz weile, da fie die: Figuren ben! Steines in geh.
Theile theilt, nad) Kern Hager andeuten ſoll, daB dis
Babe vun‘ erſten Begriffen det Wölfen genfiffinke nach Oom⸗
‚ mer und Winter verſchieden ſey, den Reichen dee Lichts u
der Brunn:
- ( Dee Beſchluß BR
—— an.
No. 17. 7 Hetb.eltersifge: - 4813,
Japebäder der Litteratun
EN EEE FEEEEEEOELTERRT is... an arı nn \, © —B *
3
Ilustrazione d’uno Zodiaco orientale del Gabinetto delle mes
daglie di Sua Maesta a Parigi, da Giuseppe Hager.
GBeſchluß der in No. 16. AUADTOD NEN Recenſion.
14
| Near man num, sei Selte bes Stefnes als die
erſte gelte, fo geht aus der Lage der oben angeführten
Schnuͤre oder Bänder, wovon freylih die Kupferſtiche nicht
die mindefte Andeutung geben, ia hervot, daß die mit
gedoppelter Figurenreihe Bedeckte' Seite die erſte ſey, was zu⸗
gleich auch die Richtung des Schlangenkopfes mit zweyfach ges
ſpaltener Zunge andeutet. Die letztere Andeutung hat auch Hr.
Hager aufgefaßt, nur begeht er, um feinen Thierkreis mit
einem Widvderähntigen Thiere zu beginnen, den Zehler, bie
fhte Figur zur erften zu machen, und umgekehrt, da doch
(don die Köpfe aller Thierfiguren die entgegengeſetzte Richtung
von der Linken zur Rechten verrathen. Hr. Millin folgte dies
fee Richtung, welche auch die Inſchriften zeigen, betrachtete
aber die Thiere der Kehrfeite früher, als die Segenftände der
doppelten - Figurenreihe. Kr. Eichtenftein traf zuerſt hierin die
währe Drdnung, indem er Millin's IX. Kupfertafel der vitt
vorangehen ließ, und erklaͤrte ganz richtig die Figuren von der
Linken zur Rechten. Doch ließ er ſich dadurch nicht bewegen,
auch die Inſchriften in gleicher Richtung zu leſen, weil dar⸗
aus, daß die Thiergeſtalten ſaͤmmtlich zur Rechten blicken,
eben ſo wenig die Richtung der Schrift folge, als man auf
Maͤnzen immer dieſelbe Richtung der Thiere oder Menſchen⸗
Epfe mit der Inſchrift finde.‘ Zwar verfannte er nicht, daß
die Inſchrift zuweilen uͤber die Graͤnzliaie zur Nechten hinauds
sehe: aber er erkfärte dies lieber für Schnorkel der“ Anfangs
buchſtaben und uͤberſtuͤſſige Zuge, fo wie den Hleiihen Anfang
mehrerer Zeilen für gereimte Endungen, ungeachtet fich. jene‘
Schnoͤrkel nur M der erſten Zeile finden, dagegen . ‚aber‘ von
FRECHEN
v
2358 Ihustr. d'umq Zodiact otientale da G. Hager.
der linkeſtehenden Columne in die zur Rechten fo eingreifen,
daß offenbar die jedite Golumme fpäter. geſchrielen werd als
die linke. Weil die Ihiergeftalten der Kehrfeite den Altären,
welche Hr. v. Dalberg für Gebäude Hält, zugekehrt find; fo
bezeichnen fie ihm boͤſe Genien oder Divs, welche fic) ‚verbuns
den haben, den Tempeln oder Paläften auf der andern Seite
verderblich zu werden. Allein erſtlich gehören die beyden Voͤ—
gel, wenn man fie auch für Raubvoͤgel halten wollte, zu den
reinen Thieren; zweytens irrte er darin, wenn er fi die
Charfeſters alg anxuͤckend zum Kampfe gegen die Wohnungen
des Lichtes dochte. Dawider ſtreitet nicht nur der Umſiand,
daß die Charfeſters das Ende der Figurenreihe bilden, und
alſo eher abs als vorwaͤrts ziehen; ſondern auch die ruhige
Lage der meiſten von ihnen, und die Richtung der ſchuͤtzenden
Thiere nach derſelben Seite, wohin die Charfefterg gewandt
find. Kr. Hager verfaͤhrt gerade umgekehrt, indem er ſich,
wie die. Sonne im Thierkreiie, den Richtungen der Thiere
‚entgegen bewegt, und vom Schlangenkopfe beginnend „ dab;
‚jenige Seite des Winters oder der Finſterniß neunt, was dem
Hın. v. Dalderg die Lichtjeite fein.
Maren, wir mit diefer Seite den Anfang, wie, es der
Bildner durch die Lage der zur Baſis der Figuren dienenden
Schnur unverkennbar bezeichnet hat; fo ſehen wir oben der
Schlange zunaͤchſt drey [heibenförmige Schilder,
worgn das erſte, beſchaͤdigte, nichts. als eine unabgefchliffene,
rohe Maffe darftellt. Die beyden andern find durch vierſtrah⸗
lige Sterne mit einem Knopfe in der Mitte verziert, movon
der eine zwifchen fämmtlichen Strahlen ausgehende Lichtflams
men. zeigt, der andere, auf einem gleichen vierfirahligen Sterne
ruhend, wie ein Stern von acht Strahlen ericheint.. Herr
Millin hält diefe runden Schilder für Höfe, welche. die. Stern
umgeben, allein auf dem erfien, ziemlich dicken Schilde hat,
ſo viel man uodh ‚Sehen kann, nie sin Stern geſtanden. Hr.
Lichtenftein meint, die drey Sterne flellen die Deichfel des
Magens am Morppole npr, als Spmbol der Sabäifchen, Txias,
dreyer Dbergötter im Morgenlänpiihen Sterndienſt. Allein
die Schilder haben ein dreyfaches Anfehen, und fielen entwe⸗
der drey Arten von Sternen, oder daffelbe — in dreyerley
—
8
IHustr.; d’uno: Zodiaeo orienlale daG. Hagex. 26
Vezichungen vor, als ruhe und migebilidete Maſſe oder wer⸗
dendes Geſtirn, halbvoulendet mit auafprühensen Flammen,
und in vollem Lichte ſtrahlend. Hr. Hager deutet, bie rohe
Maſſe ganz uͤbergehend, den einen Stern zum Tann des Pas
radiefes mie vier Strömen, und den andern zum Symbole⸗
der finfleren Macht, ftatt daß Hr. v. Dalberg ben flammenden
Stern mit Ken. de Sacy für den Taſchter erfidet, der durch
fein Licht die Divs vertreibt. Tafchter wird wenigſtens im
Geht: Tafchrer Zendav. IT. durchans ale ein Stern des Lichte "
and Glanzblttzes gelſchildert, und im .Gten Corde mit Gehram
(den Planeten Mars ) zuſammengeſtellt, weichen Hr. de Sach
auch unter den Sternen des obern Geldes vermuthet, wie er
ihn in dem Mter ihm ruhenden Thierbilde fand. Daß auch
is einer der Thiergeftaiten Taſchter verborgen ſey, [heint Ar
de Sacy minder gluͤcklich zu vermuthen: denn koͤrperlich erfcheint
dieſer JIJed nur im dreyfacher Geſtalt, mit dem Körper eines
ıSjäprigen Juͤnglings, glänzend und lichtweiß, oder eines
Stieres mie Slißenden Augen und goldenen Hoͤrnern, oder
eins Heidenroffes mit gebbenen Reifen Ohren und gofdenem
bochgetragenen Schmelfe.
Beetrachten wir die Figuren der Keheſeite, ſo iſt
das erſte Thier ein Skorpion, nah Hrn. Lichtenſtein sin Bild
des Todes; Das zweyte ein Falke oder Nabe mit Papagepens
ſchnabel auf einen beſondern Geſtelle, welches bloß da zu fepn
(dein, um ben Mogek oberhalb ber Storpionsſcheeren in den
leeren Raum zu bringen - das dritte em Huhn, nah Ken.
Haget eine der Iſis geweihte Sans oder eine Taube. Mr.
de Sacy Häte den einen Vogel für den Kehrkas oder Eorofch, den
andern für den Aufsafhrnosad oder Peroderefch ; dagegen Kr.
kichtenſtern den erften fr. eins behaubte Lerdye auf dem Leichen
mahfe:(.dme DonPilßtog. xopvdarıls ) erklärt, welche auf den
Geäabern einſam zu ſitzen pflege. Der andere Vogtl ſey nicht
Didus Ban. , wis Zr. Millin vermuthe, fordern ein Nabe
oder dor Wovof ‚wein noch jetzt die Brahminen als ein
Embleri: wor ab goſchtedennen Stelen betrachteten. Wenn chen
bey dieſen Thierſiguren die Meynangen fo verſchleden find, fe
Iaffennapioie biteden zunchſt Folgenden monftröfen Ihierges
ſtaſten worh Wentger befkiimmien, — wort fie. nicht aaturhiſtorifch,
\
260 Ilusir; dan Zödiaco orientale da G. Hager.
.fondern- idealifch oder magifch‘, nach Perfiicher Sitte, darge⸗
eilt find. Nur das läßt ih wohl mit Gewißheit behaupten,
daß fie keine Bilder des. Thierkreifes waren. Sie ’gleihen
zweyen Schlangenleibern mit verfchiedenen Köpfen: der Kopf
des erſten fcheine behaart, des zweyten befiedert, und doch Gar
der erſte den Schnabel eines. Raubgogels mit einem Kamme
und Zähnerachen, der zweyte den meitgeöffneten Zähnerachen
eines Saͤngethieres mit langen. gefpigten Ohren, “die: Hr.
Millin und Hager für Hörner halten. Kr. Lichtenfein findet
in den beyden. Schlangen .die Zeichen für die. Planeten Mars
und Saturn, oder Merkur und Venus, und deuntet fie als
Kedu und Rahu, xaxodasiınv und dyaSodaiıar. : Die
ſchwebende Figur, welche den ganzen Raum uͤbes dem Huhne
einnimmt, erflärt er für eine muflifche Muſchel oder einen
Hyſterolich, das. natuͤrliche Idiom des Lingam; Hager für
einen heiligen Machen, das Schiff der Iſis oder der Jungfrau
zur Bezeichnung des Lichtreihes und Sommer ; Sotflitiumg,
wieder Steinbock auf der amdern Seite das Winter : Solftt
tium bezeichne. Hr. v. Dalherg bewmerkt dagegen, mas auch
bey mehreren andern Deutungen erinnert werden kann, daß das
Ass Schiff. als ein rein⸗aͤgyptiſches Bild nicht wohl ia einen
Cyclus Chaldaͤiſcher Mythen paſſe. Den Beſchluß macht ein
ſitzender Schakal; nah Hrn. Lichtenſtein ein Hund, der Sura,
welcher den Mithra begleitet, und bey den Parſen den Las
benshaud der Sterbenden auffängt, oder auch ein Wolf ats
Zeichen des Planeten Merkur, und als Begleiter der Seelen
zue Unterwelt und wieder zus Oberwelt; nah Hrn. Hager
fogar der Widder, oder den Vorſtellungen der Parfen gemäß,
das Lamm als erftes Sternbild im Thierkreiſe. Fuͤr die, weldse
das Thier mehr einem Wolfe ale Lamme oder Widder ähnlich
finden, bemerkt Hager, um feine Idee von einem Thierkreife
wicht aufgeben zu muͤſſen, daß die Brahminen ſtate des Wid⸗
ders ebenfalls ein Thier ihrer Gegend hoͤtten, welches -einem
Kunde, Wolfe oder Fuchſe gleiche, und daß nach Minfrebine
die Sonne auch unter dem Bilde eines Wolfes verehrt ſey.
Beydes beruhet auf nichtigen Gruͤnden: denn nach den Asiatic
Researches (ſ. Jen. A. 2.3. 1012., No. 231. )..feanen die
VDrahminen allechings den Widder, Aur hahen, ſt auch andere
IInati dinnd; Zodiaed: onientald.da: G. Hager. 26£
Beiden und, Bilder, die Biondshrter zu beſtimmem; und bey
Hemer bezeichnet das Wort Arnıäßor, welches gu der Behanp:
mug des Makrobins Anlaß gab nicht. dus Zahr ezuewie man
gewoͤhnlich glaubt, ſondada Rab Mondeswerhlel oder den Mon⸗
deslauf won einem Reumdonde zam andern, Worauf ar en
un Lateinifche Name Lina für Bacina hinweiſet.
Se wenig Grund nach oßigem dB Verf. Dißtungeh der
ziguren— -haben, eben fo zrundlos ciſt fein Urahass Aner die
Babyloniſche Keilfhrift. Hr. Anger behauptit ann
ih, daß zwar die: Perſiſche Keilſchrift eine Mehtwig "von det
Linken zur. Mechten habe, die: Babyrloniſche at perpen dicular
abwärts nach Chineſiſcher Schreibeweife, (6: dafiı'die? Eolumme
gar Rechten den Anfang mache. Zh’idiefer Bebauung vr
anlaften ihn bie bekannten, Inſchriften auf beni; Auckſteinen
und Eytiuberw, weiche er ſe halt, daß ftine Gchäeprung: mie
der von mir erwieſenen Zeichenfäige: voͤllig : sufammenfkimme
Denn biefeiben Bnichriften, weſche in horizentaler Richtung
von der Linken zur Recheen gelefen. werden, 'Isufeır, "als: pers
yendimmiare Enlımmnen betratchtet, non der Nechten zuw⸗Linken
und umgefehre. : Damit: man viedech ſich uͤbergeuge, :taß Am
Angers Meysnung eben fe wenig Airamd babe, als Chardims
ähniıhe Behauptung in Anfshang: der Perfepelitunkfdien. Im
ſchriften an den Senftern: im. Palaſte dei Darius. iſobemerte
ih, daß die-Igvofe. Londaner nfheift in schen: Gehtumin;
worüber ich meine Bemerkungen im Sntelligergbfutt.:Adr :: Ye,
a. 2. 3 1805. No. aoı.. bekannt gemacht. habe, : auf :deväk
erßter Columne fih der Inhalt faͤmmtlicher bis jrtzt -Sefänisten
Backſteine in Meinen Variationen wieder ſindet, Aben fo wir
widerfprechlich eine horizontale. - Richtung von der: "Linden zur
Rechten hat, als die Inſchrift desjenigen Steines, von web
chem hise die Rede iſt. Das Ungmelläffige eines Qupferſtiches
zeigt ſich in den Inſchriften dieſes Steines ſawohl, als im den
allegoraſchen. Abbildungen: doch hat ſie Ar. Millin mit der
moͤglich ſteun Treue geliefert. Weniger richtig. if. der Nachſtich
bey Sagen, , wiewohl auch dieſer treuer genannt werden Hann,
als. Millin’s.. Abtzildungen der Bahyloniſchen Bnackſteinu In⸗
ſchriften, zu deren Lefung ader Copirung nach den Originalen
felba, wegen ihren rohen Maſſe und der vielen beſchadigten
- — v
382 Ihustr‘' d’imo :Zodiaca.orientale da Gu Häger.
Grm; ein: in dieſer "Gchriftuer. vikifach geidtes Ange gehöre.
Ich Habe die verſchiedenen Bruchſtücke aber bekannten Back⸗
ſteine zuſfammengeſtelle, "und fs Mich Jufammenhaltung aller
Engliſchen mb: .Breubiihiit Mihiiuungen gegen nem, im
ihrem. Yuhinlte ‚wenig verſchiedene Inſchriften herausgebracht,
zu deren VBelaimetmachumg ie erenen Kapferſtichen ich His jegt
noch keine Gelegenheit fand. Ueber Her Charakter" der. Keil⸗
ſchrift auf unſerm Steine ihabe ich’ ſchon in dem Anhange zum
erſten Therle von Heeren?s Ideen Aber bie Potitik, den Ver⸗
dehr und den Handel der vornchmſten Volker der: altın. Welet
meine Bemerknagen mitgecheilt; hier finde ˖ nur Hody folgendes
Wenige Naunmi. Der Stein iſt an mehreren Bitellen befchäs
digt, wodarch einzelne Luͤcken, beſonders einzelner Keile, im
der Inſchrift entſtehen; Hiervon verſchieden ſind aboer die mie
Fleiß "geiefenett Lucken; der. Juſchrift in ben :nesiften Zeilen,
weiche deher: zu; rͤhren ſcheiden, weil man nur eine beſtimmte
Zeichenreihe in jede Zeile briagen, ber auch keine Luͤcke am
Endecder Zeilen laffen wollte. Man dehnee daher bry klei⸗
nern Zeichtneeihen die: Keile, vaͤckte bie Schviftzeichen ſelb ſt
meiber aus einander, ober (er "auch nur das letzte ‚Beichen
aus Eude Bir Zeile, Inden mwanden übrigen Ham "unaas
gefüllt Hide Vey groͤßern Zeichenreihen rädte.nian die Zeichen
nicht wur näher zuſammen, und zeichnete fie fo klein als moͤg⸗
lich, ſonbern man erlaubte ſich auch, fiber die Graͤnzlinie Der
Bstien · han aucqugehen. Das lobtere ift jedoch in der erften
Eolumme,d. h. den. darüberſtehenden Figuren zufolge zur
Bien der mit Titer doppelten Fignrenreihe bedeckten EBeite,
wie der Fall; ‚viehmehe erhält: bey einer Wiederholung deſſel⸗
den Jahalts ie ıgte Zeile zwey Beihen mehr als die 1Gte,
welche man zu Aufang der ırten Zeile fekte. Ans dieſem
Grunde fan man bie Scheu, eine Zeichenreihe. zu unterbre⸗
chen, alcht wohl fuͤr eine Folge der Interpunction halten, fa
daß jedes einzelne Zeichen ein "ganzes Wort bezeichnete. Far
eine Wortſchriſt iſt Überhaupt Die Werſchiedendeit der Beichen
gu. Hering, und die Wiederkehr, ja ſelbſt unmistelbare Wieder⸗
delung gläicher Zeichen zu häufig, ale daß man hier Peine
WBuchſtaben⸗ oder wenigfiens Gplbenfhrift vermuthen ſollte.
Bir ledteve ſcheint das -Aenferfkcomplisikee: maticher Zeichen,
—
N
Ilustr. Auno Zodiagn, orientale. darßr Hager. 263
Nam Ende der Zeilen: ifnlieg,fichen, zu ſyrechonz meniafteng
iß die Werfhiedenheit der Zeihen zu graß,, ala daß man as
eine ganz einfache Buchſtabenſchrift benfen ‚fännte, warn. mau
quch noch fo viel Conſonanten und Bocalzeichen ins Alphabes
anfschmen wollte. Entweder. muß man alſo sine geaße Menge
. yon Zeichen als Abkürzungen. ganzar Wirken: betrachten, wie
«6 in der Perſepolitaniſchen Keilfchrift mis dam Königstisel
ber Ball iR; - oder annehmen, ‚Daß in der Babplauiſchen ˖ Keil⸗
ſchrift Die Vocale mit den Conſonanten zu einem einzigen Zeis
den verbunden zu merden pflegen, Die dadurch entſtehendo
Menge der Zeichen hindert Die, Ueberſicht, Bed. alſeo auch die
Ruyifferung fehr; weniger... binden Die. beſchaͤdigten Stellen
der Inſchrift, da fie ih meiſtens durch Zufenganheikung alels
cher Stellen engänzen laſſen. Sp. find in dee erſten Cokınng
gerade da, wo der Stein, am meiſten gelistien bes, Die. ges
and aote Zeile wit der. arten umb ıgten- bis auf die beybay
Schluß zeichen der gten und 1iten geile ſich völlig gleich. Ming
muß bey ſolchen Vergleichungen aher äußert vorſichtig veſah⸗
sen, da zuweilen bey ber, Zuſammenſtimmung aller Zeichen ein⸗
zelne darunter verichteden find, die vielleiche auf. verſchiedene
‚ Beerionen deuten. ©g 4. B., ..um bey ber erben Columge
ſtehen zu bleiben, . die Ste Zeile ‚gleicht der. ten bie auf daB
ale Zeichen,. welches auf die bayden gleichen folgt;. ale nich
dem ten Zeichen iſt die Verſchiedenheit bedsutenh, menn gleich
die Heine, Verfchtedenheit isn. beiten Zeichen von Ende, wa⸗
des mit den eben erwähnten ;benden gleichen - Zeichen {überzin:
Rünmt ‚nur ein Verfehen des Bildners ſcheint, Nimmt man
Wiederholungen einzelner Zeichgureihen für Wörter an, ſo
Hfe-fih die gange Inſchrift ia Wörter von; a.— 5. und, mehr
Zeichen auf, Die meiſtens oͤfter, wiederfehren, haͤngere Zeichens.
reihen wohl, 4, kürzere gar I mal: In Km. Lechtenſteins
Erfiäsung wird man ſelten dexgleichen Wiederholungen ayf
gleihe Weiſe erklärt finden; eine Folge der, yabeichreiblichen
Willkühr, mit welcher ein Drittheil der Keile für uͤberfluͤſſig
erklaͤrt. ganze Zeichen, ja Wörter ausgelaffen, andere Dagegen "
eingeſchaltet, Keile mie Winkeln, und Winkel mit Keilen. fo
vertauſcht ſſind, doß ‚man die Inſchrift des Steines in ber
Entraͤthſelung nicht wieder zu finden weiß. Die bald haͤufigere,
/
DE N |
264 IHustr! dme Zödiacc ofientäle da G- Hager.
Said ſeltenere Wieberholung ganzer Veilen ſowohl, “als kleine⸗
ter Zelchenreihen, Virlleicht auch Die heilige Seen, mit wel⸗
cher man. eine"beftinimte Zerchenreſhhe in jede Zeile‘ Beachte,
verbunden mit bc: allegorifchen! biidungen darüber; laßt
Abrigens vitmge Linen récligibſen als hiſtortſchen, pꝓlitiſchen
oder Wifferſchetftikchen Inhalt“ verlinuthen.“ Iſt vielleicht Die
Zuſchtift eine: fchekilch geſchtiebenek Eocbid oder: CTaviß ?- eine
heilige Geber Zur: Abwendaͤng“ alter Aebel des Leibes und
der Seele; umd- Aberhaupt affer "Anfälle boͤer Genien, welche
wür- ein Mobeb !oher: Prieſter Ichteiben vburfte. ©. Zendav. II.
Jeſchts Bades N. LXX— LXXVIII. Dergleichen Toavide
enthalten jeßt- gewoͤhnlich die Formel in Pehlewi: „Ach Binde
diefe Uebel Ban Fenersı Kraft und Feriers s Schänheit,; umd
Macht des glängenben- Feridun Athvians, durch der Irr⸗ und
Standſterne: Kdaſt w ſ. f.%, und’ werden vorzuͤglich am“ Lage
Eependarmmad das Monats Espendarmad (dan 15. Tag des
Waren- Meonates im Jahre ) ausgefertigt, und“ den Parſen
verkauft, um bie Dews aus ihn Haͤuſern zu vertreiben, oder
ſte wenigſtens zu binden, daß ſie nächte ſchaden können. ©
Zendav. III. Gebraͤuche der Patſen 6. X. Man 'feyert diefen
Tag noch ‚wie man Ihn. ſchon zur Zeit des Agathias beging,
welcher Hast. II. p. 59 davon“ atſo ſchreibt: "Eoprne weno-
adv pelgoba Tur ToV xuxdy Neyoueonv Araipesıy vehod-
or, EG av Te foneröv reiora Kar vv Mir Chor
Grdce Eybuäi Kal onussotid⸗ ———
— edoeßelae ur f. m.
Es Bleibe- jederk! feine Menning een, aber große: Belehrang
in aſtronomiſchen und hiſtoriſchen Kenntniſſen erwarte nie
mand von der vdlligen Entraͤthfelung. Hoffnung 'zi diefer if
jedoh, fobald die Gpracde der Inſchrift Pehlewi iſt, da
nenern Nachrichten zufutge W. Dufeley unter andern Merk
würdigkeiten des Orients au) din Pehlewi⸗ Serteron a
"gebracht haben vom:
Srotefend.
Capita Theologiae Judaeorum dogmäticae e Havn 'Josephi
scriptis collecta. Accessit ...r super ' Josephi de
Capita Theologtae Jud. dogm. auet. Bretschneider. 265
Jesu Christo - testimonio. -Auctore Carolo Gottlieb
Bietschweider,"Iheal. D. er Anmaemont. Superintend.
‚ Lipsiae 1812. ap. Joh. Ambr. Barthium. b ©. in 3.
Sohkphus Hate im Sinn, Über-jüdifhe Religonge
lsören m were Buͤchern za ſchreiben. Aechaͤol. So, 11. vol,
mit I, 1: 2. Lewer! iſt dleſ Arbeit nicht auf uns gekommemn
Sie würde var, da alle Schriften dos J. apolvgeifch für die
Juden find‘, "aiche. unpuurthegdich, dennoch aber fuͤr die Kennt⸗
ih vom Zeitalter des Urchriſtenthums ſehr belehrend ſeyn.
gelehrte Werf. der Dogmatik der apokryph. Schriften
sen Teſtaments (Leipzig 1805.) macht ſich daher ein
wahres Perdienſt, indem er ans den abrig gebliebenen Ber⸗
ten des juͤdiſchen Ptieſtere und Geſchichtſchreibers die zerſtreu⸗
‚tm für die Dogmengeſchichte merkwuͤrdigen Stellen in einem
gefhligen! Lateintſchen Vorrrag nach dem Jahalt ordnet, und
die meiſten zugleich mit den Worten des Driginals ſelbſt aus
führt. Die Ausführung iM gedrängt, genau’, melſt "anf : Kchte
hiſtoriſche Auskegungskunſt gegruüͤndet. Wir erlauben ung einige
ba der Durchſicht aufgefallene Bemerkungen. BR
‚Contra - Apion. 1, 8. erfthrt bekanntlich, daß bie Hebe.
———— ſeit Artaxorxes Zelt nicht ſo glaubwuͤrbig ſeyen, als
die vorhergegangen⸗ n, weil die gendue Sncceffion der
Prop heten nicht gewefenfey. Aa vo u yercstaı
ae Tr Koohnehv dreh Amdoxiv. Der Verf. dentet
die dann, daß, Rah der alten Meynung, der Geiſt,wel⸗
cher den etien Propheten getrieben Hatte, übergegangen: fey
auf ˖den Andern. (So begehrte Eliſa doppelt fo viel Antheil
an Shia's Seiſt, als ein anderer erhalten moͤchte. =. Kin.
2, 9.). Das: Beywort: genaue:Succeflion, ſcheint aber doch
mehr darauf zu gehen, daß, fo lange die Prophetenchoͤre dauer⸗
"gen, der Vorſteher feinen Nachfolger wählte, den er auch ſalbte,
1. Koͤn. 19. 15.” Hierdurch wurde die. Succeſſion axrpıBas
eine.-gena.we. Uevrigens zeigt dies Stelle, daß auh Joſe⸗
phus dis Fortpflanzung (und eben. damit die den National⸗
zweden gemäße Redaction) der Nationalgeſchichte unter die
Gehhäfee der Prophetenchoͤre oder Schulen rechnete. Unter
den Weudtasdten: wartete man, ob je wieder: ein fo gendu
autentfirtes: Pevphet aufitchen würde: 2. Maktab. 14, 41.
266 Capita Theologias Jud. dagm. auot. Breischneider,
Contra Apion. 1. s. $. aa. wird Gott beſchrieben ald non»
Hy Te.xal wereßos Aıuiv dpariorıroz. Er ſey in Dim
ſicht der Geſtalt und Größe für uns durchaus unſichtbar.
Hr. B. aber will, uooſm fep bier ſynondm mit odoia..
37 uogPü Dead Indoyar Ph. a, 6. möge ehem daher erklaͤet
werden. Dies iſt offenbar mggichti Ju welcher Sprache
Bännte das innere, das Welen, odeia, durch einerley Wort
wit dem Aeußern, der Geſtalt, bezeichnet werben ? Auch fagt
ber. Contert bey Sofephus: feine Materie tauge gu einem
Bild von Gott, keine Kunſt vermöge. iin nachzubi A;an.
Beziehen fi Materie, :öAx, und Aunfl auf das Wefen?
richtigere Parallele folgt in der Note 77. Feariozop noppn. —
‘Wir faflen mehrere Bemerfungen Über das, was das
Dogma vom Schickſal nah dem Tode betrifft, als
einen, der merkwuͤrdigſten Puncte in der Dogmengeſchichte zus
fammen. Daß Joſephus, der Phariiker, in mehreren, dog⸗
‚masifchen ;Berftellungen beſonders in dieſer Ruͤckſicht von ben
Phariſaͤern abgewichen ſey, davon haben die von dem Varf.
angeführten Beyſpiele den Rec. nicht uͤberzeugt. Im 7. Buch
vom jän Krieg 8.6, 3. ©. Br fagt Joſ., die fogenanns
ten Dämonten ſeyen Geiſter böfer Menſchen, weils
he die Lebenden anfallen, und die, Welche nicht Hilfe
(duch die Wurzel Baaras und Salomoniſche Sneantasiomen
‚nah Arhävl. B, 2. S. 257) erhalten, tädten. Nun behaup⸗
. sten die Phariſaͤer? „aller Geelen Bätsen eine „unfierblidge
Kraft; unter der Erde aber (vᷣno ZBuros, im Hades) haben
‚fe Strafen oder Belahmungen, je nadbem fir im Leben Tu⸗
‚gend oder Bosheit gehbt haben, zu erwarten; und- für Den
einen Theil komme hinzu ewige Kerkerſchaftt (eloyuor
:aidıoy Teogsiteoder), für den andern. Theil aber bie
Leichtigkeit, wieder ( in einem: Körper) aufgeben.“ Prora-
vny Teö avaßıoöv. Arhärl, 18, 1. 5. Da bier den böfen
Menſchengeiſtern von den Phorifäern eine ewige Einkers
Lerung zur Strafe gemacht werde, ſo ſchließt der. Berk
S. 32. Joſephus feibſt, weicher diefe Seelen noch anf der
Erde als Dämonien. auf:.die Menf wirten: la, mäfe
‚Hierin von der Pharifäiicden Vorſtellungsart abpemächme ſeyn.
Allein die. ewige. Einkerkerung dee Wöfen me, ' wie bie
Capita Theolögise Jud. dogm. äuet. Bretsöhneider. 257
irperliche, PBiederbelebung dir Guten, nicht als etwas ſogleich
nah dem Kommen in den Scheol erfolgendes angenommen;
wiehehr war szene cin hinzukommendes Webel, welches
9. nie ohne Urſache durch ein wpoorideoda bezeichnet.
Die Daͤmonien konnten noch fp lange, bis‘ die Einkerkerung
Iinsufamı ‚,-als Ueſacher menschlicher Krankheiten hier oben von
Sofephns gedacht werden, ohne daß er von (einem
Pharifsismny abwid. Ferner ließen, die-Pharifäer, zum
wenigften, gewiß die Seelen der Guten in einen andern
Körper übergehen, ueraßaivev eis drepov ouua, und
dahurch Sie Erleichterumg genteßen, daß fie aus dem Schatten⸗
fead. wieder aufleben, avaßıoöv. Darhber bemertt
®. 52 ’Qaamquam in N. T. Act. 23, 6 - 8. Pharisaei
mortußurum resurrectionem expectasse dicuntır,
sd an’ te. wd Avaßıddv et Tb neraddaisew dıg Erepov
9öua referr3 non possunt. Non enim dicit Jos,
&orpora mortua vitae 'olim restitutum iri, sed animas
vVedituras esse in vitam; non scribit, animas zig TO adrd
oüua ‘sed: eis trep0v esse transituras; non contendit, hoc
sinul, una die, esse eventurum, sed animas, habere fao-
own» hoc'fariondi, pendere igitur hoc ab animabus ip-
eis, .verliam hanc illis esse dataın., während die böfen See⸗
ten im Hades gefeffelt bleiben.“ Dem ec. ſcheint das, was
Zeſ. als“ phariſaiſches Dogma angibt, mit ber Anzeige des
IE TE micht in Widerſpruch gelegt werden zu muͤſſen. Wer
ſagt: die Duele geht Über in vinen andern Körper, der
laugnet miche, daß diefer andere Körper ſich zum vorigen,
wis Ah ysvuatınöd zum YVuxıxov, wie eine neue dem
geiligeven Zuſtand angemeſſene Frucht zum Saemenkorn
(ı. Kor. 15, 43. 44.) verhalten, atfo ein auferflandener ſeyn
möge, Die paordrn voö avaßıoöv aber iſt ſchwerlich von
ungen den Seelen der Guten überlaffenen Freyheit,
wieder Bbeperlich aufpeteben, warın fie wollten, zu deuten.
Wietinehe iſt wohl dies der Sinn: Wera die böfen Suelm
einft den Zuſatz (zu ihren vorigen Strafen) erhalten, ewig
eingokerkerinzu ſeyn, fo erhalten die” gaten dageyen bie
Leichtigkete, von dem Böden Scheol befreyt, als Hörperkich.
mau behebt Aügpreisten. Ohne Korper naͤmlich wer, nad ber
265 Capita-Theologiae Jud. dogm. auct. Bretschneider.
Vorſtellung ſinnlicher Menſchen, kein volles Gefuͤhi fuͤr Freude
oder Leid.
Wohin aber, dachte man denn, daß die Seelen der Sum
nach dem Tode hinkommeu? und wohin follten fie, mit dem
neben Koͤrper vereinigt, übergehen? Der Esfeener. antwor⸗
tete: die Seele der Guten geht — ohne Körper — ſogleich
in einen Tomos oixeios, im einen Ort, der .(Lünftig) ihre
Heimath ift, in das jenfeits des Oceans liegende Einfium oder
Pargdies (vergl. Luk. 25, 45.). In diefem Sinn fpridt
CB. 7. vom jüd. Kr. 8, 7.) der S. 54. 55 angeführte Elen
gar; und auch hier, um dies im Vorbepgehen zu bemerken,
geht alſo Jeſephus, welcher den Eleazar, zu Maſſada in der
Mähe der Eſſeniſchen Wohnungen, als einen Eſſener ſore⸗
chen laͤßt, nicht von dem Phariſaͤismus ab. Der Sadducaͤer
Raiſonnement ließ die Seelen mit den Koͤrpern vergehen.
Zaddovxanioıg Tas Yovxüs 6 Adyog awvapanigsı Tög od-
voor. Archaͤol. 18, 2.4. Der Phariſaer lieh alle Seelen
zuerft in den Scheol gehen. Dort, ad’ &dov (weiche. Phraſu
= 6md x>ov0g ©. 5ı nicht es wie ©. 53 angibt, post
mortem, ſondern beflimmt in
rung der Böien van den Busen (ein anderer Aufenhalt fir
Abraham und Lazarus, ein anderer für den reihen Praſſer,
— *
a de, in sede inferarum,
bedeutet) ſind Strafen und Belohnungen, alſo eine Abſonde⸗ |
Luk. 16, 22.). Doch ſchweben oft jene, wie fchon nacagewie
fen ift, als Dämonien noch auf der Erde. (Diefe fürden
nur, zu frühe wieder in den. Abgrund getrieben. zu. wer⸗
den. Luk. 8, 31.) Gpäterhin werden. die‘ Höfen in dem |
Scheol confinirt, eioyu@ aidın, die Guten aber in den
Himmel verſetzt. Wenr Joſephus in einer Ermahnunge
rede gegen den Selöftmord dieſes letztere ohne des Hades ſa
gedenken, aus ſpricht ( „&ga dx IoTp,, ört — ua al.
- denxaoı Yoyai uevonaı, ‚X5p09 — —ED day
zarov,. Erden Ex nepırgenig alıyev dyvors ad Ar
:TEVOLRIGOVTM ogacıw“ von Sud. Kr. 3, 8, 6.), ſo weicht
er auch ‚darin vom Pharifäismus. nicht ab. Er nennt mit
das eingreifendfe Motiv, die einßige Verſetzung in des Him⸗
mels Reinheit, ohne laͤugnen zu. wollen, daß die gusen Selm
zunächk nach dem Tode, in dem Hades, u a Aa dem
Capita Theologiae Jud. dogm. auet. Bretschneider. 269
paradifiihen Theil deſſelben, eintreffen, Daß alsdann ben der _
Biederverfegung in Körper nicht an himmliſche, Ayherifche,
fondern an reine, aber irdifche Körper zu denken fey , welche
fe reliete coelo bewohnen follten, folgert jwar Ar. Br. aus
dem Wortchen dedev von Dorther. Dies wäre dann aber
eine Verfchlimmerung ihres Zuftandes, weiche ihnen keine My⸗
thelogie anvichten fonnte. Der Sinn muß alio vielmehr diefer ſeyn,
daß die Seelen der Guten, wenn fie einft in den heiligften Ort
des Himmels verjeßt werden, von Dorther (oder auh: des
wegen) nady mandhem Zeitenwechſel auch wieder mit
reinen Körpern verſehen werden. Nach der Borausiegung, daß die
Beele ohne Körper nicht lebhaft genug empfinde, wurde ohne
Zweifel diejes neue Einwohnern. in Beufhen ( unleidenichaftlis
hen) Körpern als eine Erhöhung der Seligkeit betrachtet und
dabey leicht angenommen, daß Sodann der Selige überall, im
Himmel und auf Erden, fortzuleben vermöge.
Nah all diefem fcheint es, daß zwiſchen den dogmatiſchen
BVorftellungen des Volks, der Pharifder, und des Sofephus _
felbfi kein bedeutender Lnterfchied zu denken ſey.
Ueber die Aechtheit der bekannten Stelle des J. von
Jeſus Archaͤol. 18, 3. 3. ©. 621, vgl. 20,9. 1. ©. 698
ſtimmt Ar. Br. mit Houteville ( Erwiefene Wahrheit der chr.
Religion 1749: ©. 875 — 311) Überein. Daraus, daß Zur
Ein und andere Apologeten, Tertullian, Drigenes jene Stelle
gar nicht benust haben, folge nicht, daß fie.nicht da geweſen
ſey. Schon uſebius habe fie, und ſo alle KHandichriften. Der
Inhalt fen oaſſend, wenn man nur bedenke, daß in den Wors
ten: ö Xoıorös odros 79, der Name Chriſtus nicht dogma⸗
tiſch zu verfichen fen, fondern. als Beyname: „dieſer war
jener Chriſtus,“ naͤmlich der Urheber der Ehriftianer, ö As-
yYöpevog' Xorords. Die bey Joſephus am wenigften zu
erwartenden Worte: Wr Feior mgopnräv zaöra xab
ÄNNa yopia Savudora ep abrod Eipnxöray, feyen nur
fo, wie die Ehriften fih auszudruͤcken pflegten, ausgedrückt.
Mer. iſt der Meynung: Die Apologeten und bejonders Dris
genes, welcher ctra Cels. I, 47..©. 106 der Wuͤrzb. Ausg.
Die minder bedeutenden Stellen von Johannes dem Täufer
‚und Jacobus, als KA GO; "Incos os Asyouivav Xpıiores
270 Capita Thesiogiae Jud. dogm. auei. Breischneider.
ausdruͤcktich benutzt, würden auch diefe vollſtaͤndigere Stell⸗
nicht uͤbergangen hahen, wenn fie damals fo vortheit—
haft gelautet hätte, wie jegt. Joſephus aber müßte
dem Chriſtenthum aͤußerſt guͤnſtig geweſen ſeyn, wenn fis fe,
wie jetzt, gelautet hätte; und doch weiſ't Origenes von ihm,
daß er qν war 75 Inooö Hs Kowosa und (nach
Commentar in Matth.) 'Inooöv. judv 08 xaradebdusroz
elvar Xpıorov. Woher hätte Drigenes dies vermuthen koͤn⸗
nen, wenn Sof. fih fo, wie man. jebt lieft, erklaͤrt hätte.
Wenn die mildernde Deutungen des Verf. gelten follten, fo
würde & Xororös gdros kvouigero ſtatt 9 geichrieben, und
bey Tor Veimv npopnTar, ein os paol, beygeſuͤgt ſeyn
muͤſſen. Bis gegen die Zeit des Eufebius Hin muß alfo wohl
die Stele ſelbſt In einzelnen, aber leicht veränderlihen, War
ten, gegen die Chriſten ungünfliger gelautet Haben. Wie
konnte Sof, die Anhänger Ehrifti als „das Wahre mie
WBergnägen annehmend“ « AAnIn ndonh_dexoevong ſchit⸗
dern und doch ſelbſt Jude blelben? Vermuthlich ſchrieb er
= ααny (vom Sing. AAA7dn5), und charakteriſtrte J fie
als Leute, welche andere Sitten gerne annehmen, rebus
novis intenti. «Eher Bat er Jeſus einen orpopdg oder br
oTp0Bog Arno, einen revolutionären Wann, gu
nannt als einen oopos. Zwiſchen Drigenes und Euſebins
Zeit aber ſchrieben chriſtl. Abfchreiber ooſÿ2,ß), und TAANDE.
Unfere Handſchriften geigen uns natürlich Feine frühere - Lefäs
ärt. Das folgende: noAAod; dt xal Ehinvınodg dnnyl-
zero: 6 Xpıorös oöros zu! würde ohnehin etwas unrichtiges
enthalten, da nicht Jeſus ſelbſt viele Sräctffirende an ſich zog.
Ich denke, in diefer Stelle fen eine unvichtige Wortabthei⸗
"fung, und ſetze eniyaye xd“ „ö Xp. ourog wed.i.adberan®
viele Heiden führte herbey, inducebat, jenes! „der
⸗·Meſſias war dDiefert“ DiefeMSprahgebraud) des ro fft
nicht nur bey Luk. ae, 57., fondern auch 1. Kor. 4, 6., und
ben Sofephus ſelbſt, jüd. Kr. 7,5. 2. in’ ddiim 33 6, we
Deore. jener Aufenf, jenes Loſungswort der Chriſten: Dir
Meifias war diefer! if apa den 'Idod Ads 6 Xoorrsg!
Matth. 54, a, j
w
Capita Theologiae Jud. dogm. äuct. Bretschneider. 971
Dur) diefe, fa unmerkliche, Aenderungen ſcheint ſich der
Text fo, wie ihn Joſephus gefchrieben haben kann, wie fos
dann die Apolegeten und Origenes ihn nicht anyuführen Ur—⸗
fahe hatten, wie aber bald daranf die jeßige Textform aus
jenem gedtldee werden mochte, eutdecken und wiederherftellen
zu lafien. Auch die einzige, noch übrige Wendung, welche
von Joſephus nicht erwartet werden könnte, ſcheint fih zu er:
Mären, wenn man darin eıne Parenthefe vorausſetzt. Er ſagte
SAuh nahdem Pilarus Jeſus mit dem Creuze beftraft hatte,
obrx Enaboavro oiys npcTov Ayamioarres (davn yüp
adrolc, rolenv Exav julpav, radıv dar) ziy Deimy rpo-
Inrör, Tadra xal Ma urpia Iavudora nepl abson
tionxoray ,„ d. i. ließen die, welche ihn zuvor geliebt hatten,
(denn er erfchten ihnen, als er den dritten Tag erreiche hatte,
wieder lebend!) niht ab von den göttlihen Propheten,
als ſolchen, welche biefes und taufend andere Wunderdinge von
ihm gefage Haben follten. Iladeodaı wird oft mit dem
Senitiv confrutrt, wie nadeoduı is 2dadis u. dal. m,
Daß ein Gekreuzigter nad) einiger Zeig Doc wieder hergeftelle
werden koͤnne, mochte Sof. nah der Erfahrung, welche er in
feiner Vita ©. 1031 felbft erzähle, für glaubtıch halten. ei-
enxzora» kann in diefer Eonftruction auch ſubjunctive Bedeu⸗
tung haben. Noch deutlicher wäre dies, wenn angenommen
würde, daß vor radra ausgefallen fey as, welches nad der
Endiguna des Worts weopnrav fehr leicht moͤglich wäre.
Im Ganzen bat dieje kleine Schrift ihre Aufgabe rühms
lich geloͤſſt. Line noch fchwerere wäre übrig; auch aus
Hilo die Alerandrinifch jüdische Dogmengefchichte mit Ahns
her philologiſcher Gruͤndlichkeit darzuftellen. Möchte der ges
lehrte Verf. auch diefe Arbeit unternehmen und dafür eben
fo viel feinen Sinn für Allegorie und religidje Poefle, als
Sprachkenntniß und hiſtoriſche Forſchungsgabe, verwenden. _
2. E. ©. Paulus.
Rerifen deutfcher Dichter und Brofaifien. Herausgegeben son Karl
Heinrich Zördens. Sechſter Band. Leipzig, im der Weid
mannifchen Buchbandlung. 1811. VI und 910 &. in gr. &
Bey, der Anzeige diefes dicken Bandes können wir ung kurz
faffen. Er enchält nichts als Zuiäße, Berichtigungen und Sups
plemente von fehr verichiedenem Amfang und Gehalte. Mancıe
find dem Lıtterasor ſchaͤtzbar, andre aber find auch ſehr unbes
deutend , und wenn Hr. %. fortfahren wird, mit fo weniger
Etrenge und fo leichter Hingebung aufzunehmen, was ihm
3
/ ar
279 Bariton Depiäter Oiahter u. Prefälhen v;.2.’0: Iirdent.
vorkommt, und fogag manche einzelne Scheiften weitläuftig zu
ercerpiven , fo if das Ende diefes Werkes, deſſen qute Seiten
wie bey der Anzeige der fruͤhern Wände gewiß nicht verfannt,
ſondern offen dargelegt haben, kaum abzuſehen. Man findet
‚. bier ganze weitläuftige Stellen aus andern allgemein bekannten
Buͤchern in extenso wieder, abgedruckt, fb daß manchmal drey
bis vier Urtheile über Einen Mann bunt neben einander ftehen;
Auch ift jedes einzelne Gedichtchen, welches in eine andere
Sammlung wieder aufgenonimen wurde, namentlid) verzeichnet. ,
Heben manchen unbedeutenden Artikeln kommen aud recht ins
tereffante vor, wie Joh. Seorg Hamann, Wilh. Heinie,
HM: K. Lenz, Abraham von Sancta Clara, J.
Chr. Krauſeneck u am Don Sophie Brentano
wünichte man dagegen mehr zu leien, als man hier &. 586 fa.
findet. Die Supplemente liefern, von ©. 609g an, zum Theif
ansführliche Aufiäge über Ulrih von Hutten, Martin
Luther (von ©. 654 — 7251), ZN. Meinhard, &
Schatz, Fr. v. Köpfen (ein fehr forgfältig ausgearbeitgter
Artikel), Joh. Zoadh. Eſchenburg. (Unnörhiger, Weile . |
ift hier ©. 777 — 782 der ganze Inhalt der Eichenburgfchen
Beyſpielſammlung angegeben! Solche weitläuftige Regiſter,
die man haͤufig bey Hrn. J. antrifft, vertheuern nur das Werk.
So it auch S. 785 fg. das ganze Handbuch der claſſiſchen
Litteratur, und ©. 787 fg. auch die Schrift Über W. Sha⸗
kespeare ercerpirt worden, wobey man fogar Shakes«
peare's Leben im Auszuge findet! Webrigens find Efhens
burgs zahlreiche Schriften hier mit großem Fleiße zuſammen
getragen.) J. K. F. Manfo. (Zum Theil von Hrn. M. ſelbſt
mitgetheilte Nachrichten.) K. H. Heydenreih. (Warum
wird der fo außerordentlich gerühmte Lehrer Heydenreich's
S. Vig nicht auch genannt? Sonft find die Notizen von H.
Leben und Schriften fehr ausführlih.) Kari Philipp Mos
riß. (Hier wird unter andern and) ein Auszug aus der im
Schlichtegrollſchen Nekrologe befindlichen — zu ſtreng anatomis
renden — Biographie Moritzens mitgetheilt.) Den Be
fhluß dieſes Bandes machen fehr ausführlihe biographifche
und listerärtihe Nachrichten von Karl Ludw. Fernow. —
So ſehra wir eine Fortfesung des angezeigten Werkes wüns
(hen, ſo Annen wir doch auch unſern Wunfd nicht beugen,
daß Hr. J. künftig das Ueberfluͤſſige ausfchließen, und bey
der Auswahl der zu bearbeitenden Artikel — was im erſten
groͤßern Theile diefes Bandes nicht immer gefchehen ift —
ſtrenger ſeyn möne, ſonſt miß dies Werk zu einer ungehcuren
Anzahl von Bänden anwachſen — "| ;
r * Y ”
— er —
BE
No. 18. Hreidelbersifde 4843.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Themis/ oder Beytrage zur Geſetzgebung von D. Baul Soban
Unfelm Feuerbach. Zandsbut bey Krüf 1812. XIV un
85 S. 8.
2) Betrachtungen Über das Geſchwornen ⸗ Gericht von demf elben.
Landshut ben Krüll 1818. vI und 2426, 8,
Das Zenerbah, ben, als er noch dem Catheder anges
Börte, und als er durch theoretiihe Schriften gu belehren fuchte,
feine Talente, feine claſſiſche Bildung, fein heller, klarer Ver⸗
ſtand, fein tiefeindringender Scharfſinn und feine herrliche
Darftellungsgabe in fo kurzer Zeit zu einem Lieblingss Schrifts
ſteller des Deutſchen, juriftifchen, Publicums erhoben, nun,
ds Staatsmann, feine Achtung gegen das ihn achtende Pus
blicum dadurch bekundet, daß er ihm in den angezeigten Schrif⸗
ten eine Auswahl intereffanter, durch feinen jeßigen Beruf
deranlaßter Ausarbeitungen mittheilt, und dadurch ihm gewifs
fermaßen Rechenſchaft Über fein Thun und Wirken in feinem
jeßigen Verhaͤltniſſe ablegt, — das ift in der That eine ers .
freuliche Erfeheinung! Da das Publicum ihn auch in dieſen
Ausarbeitungen finden wird, wie es ihn fannte, fo wird dee
Beyfall, mit welchem diefe Geſchenke ohne Zweifel aufgenoms
men werden, Hm. Seuerbacd, hoffentlich veranlaffen, daß
er fein, auf diefen Fall in der Vorrede von N. 1. gegebenes
Verfprechen , die Themis fortzufegen, vecht bald erfüllen und
dadurch ſich eben fo große Verdienfte um das Fach der Legiss
lation erwerben wird, als er fih bisher um das Fach der Zus
eisprudeng erworben hat. Zür den Rec. wird dadurch Die
Erſcheinung diefer Schriften um fo erfreuficher, denn er iſt
mehr, als irgend einer, davon uͤberzeugt, daß in feinem Fache
die Deutſche Litteratur fo wenig, wie in dem der Legislation,
ſich mit der Litterarır des Auslands zu vergleichen vermöge,
und daß gerade in dem jegigen Zeitpunct es wahrhaft Noth
dr:
274 :Tpemis u. Betracht. über d. Seſchw. Gericht v. Ftuerbach.
thue, die Richtung auf dieſen, bisher, aus fehr natuͤrlichen
Gruͤnden, vernachläßigten Gegenſtand den denkenden Köpfen
der Nation nahe zu legen, damit auch in diefem Puncte dem
Deutſchen Namen die Ehre gu Theil werde, welche ihm ges
buͤhrt.
N. ı. enthält acht Abhandlungen. I. Betrachtungen
Aber den Geift des Code Napoleon und deffen
VWerhältniß zur Geſetzgebung und Berfaffung
Deutſcher Staaten überhaupt und Baierns inss
befondere. Der Verf. entwickelt Hier, wie die Geſetzge⸗
bung des Tode auf den Hauptideen einer volllommenen,
allgemeinen bürgerlihen Freyheit der Perfonen, einer volls
tommenen Gleichheit der Gelege für alle Bürger des Staats,
einee möglichft vollkommenen Freyheit des Eigenthums und
einer abfoluten Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhängigkeit des Staats
von der Kirche in allen bürgerlichen Dingen, als auf ihren
eigentlichen KHauptfäulen ruhe, und wie. diefe Geſetzgebung
eine der Franzoͤſiſchen im Weſentlichen ähnlihe Verfaſſung des
Staats, des Öffentlichen Dienftes und insbefondere der Juſtitz⸗
verfaffung als eine von ihr unabtrennlihe Vorausſetzung bes
trachte. Er entwidelt, wie fih in allen diefen Grundideen
und Vorausſetzungen dieſe Gefebgebung in einem wahren
Widerfireite mit den Srundideen und den Vorausfeßungen der.
Deutfhen Sefeßgebung im Allgemeinen, und insbefondere ‚dee
Baieriihen, befinde, und wie daher ein Staat, welcher den
Code Napoleon aufnehmen wolle, ohne ihn in allen diefen
Beziehungen zu modificiren, und dadurd in feinem ‚innerften
Lebensprincip zu vernichten, fih nothwendig in allen diefen
on zu einem volllommenen neuen Leben umgeftalten
muͤſſe.
Fuͤr denjenigen, welcher bisher an der Behandlung der
vielfältig ventitirten Frage: über die Aufnahme des Code Nas
pofeon in Deurfhen Staaten Antheil genommen hat, enthält
diefe Ausarbeitung in der Sache nichts Neues, aber auch eis
nem foldyen wird dennoch Feuerbachs Darfielung wohl‘
befannter Gedanken Sintereffe abgewinnen, und er wird dabey
auf manche intereffante Mebenerörterung floßen, welche gerade
nicht zu dem allgemein Bekannten gerechnet werden dürfte, wie
—
Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 275
3. B. die Erörterung fiber den Geiſt des, gewoͤhnlich fo ſehr
verfannten neuen, Franzoͤſiſchen Adelsinftteuts. Webrigens muß
man bey diefer Abhandtung nicht Überfehen, daß fie ſchon im
Jahre 1808 gefchrieben wurde. Wenn man hieran denkt, ſo
gewährt es ein eigenes Intereſſe, den Verf. fhon zu einer
zeit auf dem einzig richtigen Wege zu finden, wo die Webers
jeugung von der Nichtigkeit dieſes Weges wahrlich noch nicht
als Gemeingut betrachtet werden konnte.
Da hier der Dre nicht iſt, Über die wichtige Frage, welche
den Segenftand dieſer Abhandiung bildet, gu debattiren, und
da-der Rec. Überhaupt, ans mehreren Gründen, an oͤffentlir
den Debatten über diefen Gegenftand feinen Antheil nehmen
mag, fo unterläftt er eB, dasjenige vorzutragen, was er onſt
wohl bey einzelnen Aeußerungen des’ geſchaͤtzten Verfaſſers zu
etianern haben moͤchte, und er unterläßt es daher auch, fich
über manche wichtige Mebenäußerung zu erflären, 3. B. über
die: daß dem Erbadel die Hofämter für immer vorbehals
ten bleiben follten, — eine Aeußerung, welche diejenigen wohl
fhwerlich umterfchreiben dürften, die nicht von der Nothwen⸗
digkeit einer bürgerlichen Herrihaft des Erbadels, wohl aber
von dem hoch bedeutenden Einfluffe der Hofaͤmter in dem Les
ben, wie es tft, überzeugt find. Gewuͤnſcht hätte aber Rer.,
daß der Verf. die Frage einer genaueren Prüfung würdig ges
funden Hätte: ob es nicht für einen gegebenen Staat, welchen
Nahbarfhaft und Politik mir Frankreich“ verbinden, ſelbſt
dann noch von Snterefie ſeyn könne, den C. N. aufzunehmen,
wenn er fih auch niche Überall, in Anfehung der Grundideen
und der Verfaffung,, Frankreich affimiliren will, und wenn ee
auch demnach den C. N. auf eine Modifications » Netorte brins
gen müßte, wobey ſich der größte Theil feines eigenthämlichen
Geiſtes verflüchtigen dürfte? Dec. glaube diefes aus mehreren
Gründen , wovon der paradorefte wohl der ſeyn mag, daß er
es für eins der größten Uebel hält, welches Deutſchland, im
feiner jegigen Verfaſſung, treffen konnte, wenn jeder Bundes⸗
ſtaat auf den. Gedanken kaͤme, ſich ein eigenes buͤrgerliches
Geſetzbuch zu ſchaffen, welches etwas anders, als einen für
die Localitaͤt modificitten C. M., darſtellen ſollte.
76 Themis u, Betracht. über. d. Seſchw. Bericht u. Feuerbach,
HU. Weber die Rechtskraft und Wolftrelung
eines von einem auswärtigen Berichte geſproche;-
nen Erfenntniffes. Dieſe intereffagte Abhandlung, welche
in einem. Zeitpuncte, wo die dem Art. 1% des C. N. zum
runde liegende engherzige , voͤlkerrechtliche Maxime fih mans
dem Staate empfehlen könnte, als ein wahres Wort gu feiner
Zeit betrachtet werden kann, tft ein ſchaͤtzbares exposd des
motifs gu der nahahmungswärdigen koͤnigl. Baierifhen Ver⸗
ordnung vom 2. Sun. 18011 über den bezeichneten Gegenftand.
Es thut in unfern Zeiten wahrhaft wohl, wenn man einen
Staatsmann von der dee einer Voͤlkergemeinſchaft unter als
. gemeinen Geſetzen des Rechts, und nicht von Maximen auss
geben fieht, welche an die Ehinefiihe Mauer erinnern. Sec.
iſt mie dem Verf. ſowohl in dem Grundſatze, als aud in den
nothwendigen Modificationen deſſelben einverftanden, nicht
aber eben fo mit allen Ausführungen des Details. So iſt
zwar Dec. ganz der Meynung des Verf., daB man im Auss
lande gegen den dafeldft einen Ausländer beklagt: habenden
Sjnländer erlaffene Urtheile als vollſtreckbar betrachten folle,
aber er kann nicht einräumen, daß dieles fchon daraus, Daß
man den Unterthanen geflatte, im Auslande eine Klage gu
erheben, mit Nothwendigkeit folge, und er kann dem Verf.
nicht beyfiimmen, wenn er fagt:. „ich kenne nur das Dis
femma: entweder den auswärtigen Erkenntniſſen Vollſtreckbar⸗
keit gu geflatten, oder alle Klagen dieffeitiger Unterthanen wor
auswärtigen Gerichten gu verbieten, und demnadh deu Art.
14. des C. N. geltend zu mahen.“ Gerade der Art. 24. des
€. N. beweif't, daß des Verf. Dilemma nicht nothwendig iſt,
derin diefer Art. ift zwar auf die Vorausſetzuug der Unvolls
ſtreckbarkeit auswaͤrtiger Sentenzen in Frankreich, aber feines;
wegs auf ein Verbot der im Auslande zu erhebenden Klagen
geſtutzt. Ein ſolches Verbot exiſtirt in Frankreich nicht, und
wuͤrde auch in einem Falle, wo der zu belangende Ausländer.
nur im Auslande Güter befißt, hoͤchſt thörige feyn. In einem
ſolchen Falle uͤberlaͤßt man es in Frankreich dem Franzoſen,
in dem Auslande alle Huͤlfe zu ſuchen, welche er daſelbſt fins
den kann, und man denkt, in dem Auslande werde man ſchon,
durch auferlegte genägende Cautionen pre reconventione et
emis u, Betracht. über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 277
expensis, dafür forgen, daß es auch den möglichen Vernt⸗
theilungen des Klaͤgers nicht an Vollſtreckbarkeit fehle. — So
iſt Rec. zwar daruͤber noͤch im Zweifel, ob ſich die Staaten
gegenſeitig eine Univerſalitaͤt des Concuraproceſſes vermoͤge all⸗
gemeiner Regel zugeben, oder ob ſie eine ſolche Univerſalitaͤt
nur auf beſondere Staatsverteäge gründen ſollen; aber dars
äber ift er nicht im Zweifel, daß der: allgemeine Gantgerichts⸗
fand fremder Staaten nidt, wie der Verf. &. 119 meint,
das Reſultat "einer Uebereinkunft in einzelnen Fällen
werden dürfe, denn auch völferrehhtlihe Marimen dürfen,
wenn nicht jura quaesita verlegt werden ſollen, nur für fols
gende Fälle, keineswegs für den eingelnen, jebt zu beurtheis
Imden Fall verändert werten. — &o kann endlich Rec. unter
den Gründen, warum es für die Vollſtreckung des auswärtts
gen Urtheils eines inländifhen: placet oder pareatis bedärfe,
den zweyten nicht gelten lafien, welcher aus der möglichen
Faͤhrdung wohl begruͤndeter Hypothekenrechte durch die Huͤlfs⸗
vollſtreckungen in die Subſtanz unbeweglicher Guͤter abgeleitet
wird. Wäre nur dieſer Grund, jo würde Rec. ohne Beden⸗
. im die Vollſtreckung, ohne pareatis, geflatten, denn gegen
diefe Gefahren muß die Executionsordnung, nicht das pareatis,
ſchuͤtzen. |
III. Weber den Wilddiebſtahl. Diefe Abhands
ang ift ein expose des motifs der befannten koͤnigl. Baieri⸗
fhen Verordnung vom 9. Aug. 1806. Der firenge Tadel,
weichen dieſe Verordnung erfahren mäfen, veramlaßte ben
Verf. zu diefer Herausgabe ihrer Beweggründe. Was ein
verſtaͤndiger Mann zur Nechtfertigung eines folhen Geſetzes
fagen kann, das bat er wirklich igefagt, Rec. gefteht aber
offenherzig, daß er ſich dennoch mit dem Geiſte diefer Ver—⸗
ordnung nicht auszuſoͤhnen vermag, "und er glaubt, daß ber
größere Theil des denkenden ———— mit ihm in gleichem
Falle feyn werde.
„Wer erweistih mit einem —— Wild angeſchoſ⸗
ſen, oder erlegt hat, ſoll, er habe das Thier in ſeinen Nutzen
verwendet, oder nicht, folgendermaßen beſtraft werden:
1. Wenn er dine angeſeſſene, oder im Staatsdienſte am
geſtelte Perfon, oder ein Jagdbeſitzer ift, mit einer Geldſtrafe
278 Chemis n, Betracht. über d. Geſchw. Gericht 9. Feuerbach.
‚von do — 100 fl., außer dem Erfage, dem Verluſte des Ger
wehrs und der im $. 18. dem Denunciauten zugeſagten Be⸗
Iohnung von 100 fl., wurde die Handlung aber in einem
Marke, Thiergarten, oder eingefriedigten Waldung begangen,
.fo fol an die Stelle der Seldfirafe ı — jährige Gefaͤngniß⸗
fitafe treten. Im Wiederhotungsfalle fol dort an die Stelle
der Geidſtrafe ı — jährige Zuchthausſtrafe, bier aber an Die
Stelle der Sefängnißftrafe eine Sugthausfrafe bis zu 3 Jah⸗
‚ren treten.
2. Diefe letztern Strafen foflen fhon das erſtemal eintres
ten, wenn die Handlung von einer andern, als den subn.ı.
‚genannten Perfonen begangen murde.“
‚Rec. will hier nicht den Mangel des Verhaͤltniſſes —
> welchen jeder darin entdecken wird. Daß eine Perfon aus
n. 2. wegen der Wilderey in einer eingefriedigten Walbung
nur etwa um 1; härter geftraft wird, als wegen einer Wildes
rey an andern Drten, während bey einer Perfon aus n. 1.
in jenem Falle beynahe eine 1ofach härtere Strafe eintrifft,
‚wenn man naͤmlich, nach 6. 10., 10 fl. zu 8 Tage Gefängnig
anſchlaͤgt. Der Geiſt des ganzen Geſetzes iſt es vielmehr,
welchem Rec. den Krieg erklaͤren moͤchte.
Im Allgemeinen nämlich erſcheint es Rec. ein Fehl
griff, wenn man die Wilderey ans dem Gefihtspuncte der
Dievftähle ergreifen will, - Die Handlung des Diebes erfcheint
jedem als niederträchtig, die des Wilderers im Allgemeis
nen nicht. Mec. erkläre fich Diefes daraus, daß, einige Aus
nahmsfaͤlle abgerechnet, welche denn feht wohl -in "einem
eigenen Geſetzo behandelt werden könnten, der animus- lucri-
Jaciendi, welcher den Diebſtahl charakterifirt, bey der Wildes
rey entweder gar nicht, oder doch nicht im eigentlihden Sinn
vorhanden iſt. Die .Zagd s Lieshaberey, welche bekanntlich,
zumal in jüngeren jahren, fo leiht in Jagd-Paſſion uͤber⸗
seht, und welche, da fie aus dem Intereſſe an der Merrfchaft
ber Kunft über die Natur hervorgeht, nicht auf unedler Quelle
ruht, iſt der Regel nach die Erzeugerin diefer Unordnungen.
Ste ift es, die den higigen Jaͤger über feine Gränze hinaus
führt, und Eingriffe in fremde Rechte bey Menſchen ergeugt,
welche, unvermögend, ſich feldft eine Sjagd. zu pachten, ſehr
Venis u. Betracht, über d. Befchm Gericht v. Feuerbach. 279
gerne ihre Kunft ohne Eigennutz üben würden, wenn ihnen
nur ein Jagdberechtigter dieſes geſtatten wollse. Gerade Barum
erſcheint es Rec. als ein befonderer Fehlgriff, wenn der Verf.
die Wilderey mit Sagdgewehr auch nur in irgend: einem
Puncte mit dem bewaffneten Diebflahle zu vergleichen vermag.
Cher- möchte Rec. einen ganz entgegengefeßten Geſichtspunct
wetheidigen. Ihm fcheint es, als ob von den Entſchuldigungs⸗
seünden, welche dem hitzigen, das vielleicht angefchoffene
Wild Über Die Gränge verfolgenden Sjäger zur Seite fliehen,
feiner für. die Handlung desienigen ſpraͤche, welcher mit Netzen
u. dgl. das Wild in fremder Bahn zu fangen fucht, denn bier
ik (dom eher animus lucrifaciendi und ſchmutziger Calcul,
meihen man dort nicht zu erfennen vermag,
Freylich kann die Zlinte auf eine für die Entdeckenden
gefährliche Weiſe mißbraucht werden, und. es fehle nicht am
traurigen Beyſpielen, wo es geihah. Aber worin, fragt Rec.,
liegt hiervon der wahre und entfcheidende Grund ? In eurem
harten, unmenſchlichen Gefegen , möchte er antworten. Es if
nämlich die natürliche Folge unverhältnißmäßig firenger Strafs
gefeße , daß Alles confpirirt, um fie gu umgehen, Bid auf den
Richter zu, welcher fie handhaben fol. Wer könnte es aud
einem Richter verdenfen, wenn er fich heut, einem jungen
Menfchen, der zum erftenmale in feinem Leben eine. Wachtel
in fremden Jagdbezirke ſchoß, zu 3 — zjährigen Zuchthauſe
und zur Zahlung von 100 fl. an den Denuncianten zu verurs .
theilen ?_ Und felbfE den Denuncianten werden dieſe 100. fl.
wie ein Blutgeld druͤcken, und er wird vor feines Gleichen
darum als mit einer levis notae macula behaftet erfcheinen,
weil er aus Eigennug einem ‚gemißbilligten Geſetze einen
Menſchen zum Opfer brachte. . So werden denn die gu harten
Geſetze nur felten angewendet werden, und aus der dadurd
gefteigerten Hoffnung , ungeflraft dem, Vergnügen opfern zu
können, wird fi die Zahl der Eontraventionen gegen das
Geſetz vermehren. Nun aber führt das Ungluͤck für den Con⸗
travenienten den Momente der Entdeckung herbey! Da fteht
nun Die entehrende Strafe mit ihrem ganzen fcheußlichen Ger
folge vor feiner Seele. Er muß die Entdeckung verhindern,
und. fo wird er peinlicher Verbrecher, um nicht als peinlicher
7)
380 Demis u. Setracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach.
Werbrecher behandelt gu werden. Gelbft [die erlaubte Pfäns
Bung der Flinte, welche wohl nicht minder, wie die fämmtlis
hen Privat : Pfänbungen, wenigſtens gegen nicht unbekannte
Perſonen, abgeichaft zu werden verdiente, iſt nicht felten Die
Veranlaſſung der aus der Wilderey fih entwickelnden größeren
Werbrehen, denn die unndthiger Weile ausgeuͤbte Privass‘
Gewalt empört leicht ſelbſt denjenigen, der millig fih der oͤf⸗
ſentlichen Strafe ſeiner Fehler unterwerfen wuͤrde.
Doch Rec. kann hier dieſen Gegenſtand nicht weiter vers
folgen, er glaubt aber, daß geringere, und zwar, der Regel
AB
sad), Geldſtrafen, weit beflimmter der Wilderey entgegenwirz
ten werden, als ſelbſt die Todesſtrafe, denn diefe wird nicht
ausgeuͤbt werden, wohl aber jene, wenn fie fo gewählt find,
daß fie, bey einem dem Volle gegen die Wildfhäden garans
tirten Schuße, die Öffentlihe Meynung für fih gewinnen, und
fhwerlic wird man in einem Lande, weiches fi einer foldhen
milden ÖStrafgefeßgebung erfreut, und welches in der Regel
keine Privats Pfändungen Eennt, von gefährlihen Wilds
dieben hoͤren, schwerlich wird es in einem folchen Lande Leute
geben, - weldye die Wilddieberey als Nahrungszweig treiben,
denn in ihm wird fi nicht die Gewohnheit der Wilddieberey
erzeugen, welche nur auf. ber fange ungejtraft fortgefegten
Betreibung diefes Handwerks wurzelt.
IV. Ueber die Beftehung der näherte:
Ein expose des motifs. der koͤnigl. Baieriſchen Verordnung
vom 9. Jun. 1807 über den bezeichneten Gegenſtand. Jeder
wird daſſelbe mit Intereſſe leſen, und den herrlichen Ausfuͤh⸗
rungen dee Verf. über die zu erhaltende ‚Heiligkeit und Unbe—
flecktheit des Staatsdienſtes und über die traurigen Folgen
einer gutmäthigen Schonung der das Heiligſte herabwuͤrdigen⸗
den Staatsbeamten gewiß mit Ueberzeugung bepfiimmen. O6
daſſelbe von dem Vorſchlage des Verf. gelte, daB man den
Staatsdiener nnd den Beſtechenden ſich gegenfeltig gemiffers
maßen zu Waͤchtern beftellen, und zwifchen beyden ein heilſa⸗
mes Mißtrauen dadurch gründen folle, daß man auf der
einen Seite dem Staatsdiener die Anzeige eines jeden Be⸗
fiehungsfalls. bey Strafe andefehlen, und fein befchwornes
- Zeugniß, wenn es nur durch irgend einen Vermuthungsgrund
Tpemis m. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach, 288
mmterägt werde , gu vollem Beweiſe erheben, auf Der ams
dern Seite aber dem Beſtechenden, für den Fall der von
ihm zuerft geichehenen Denunciation, Straflofigkeit, Wieden
etlangung feines Geſchenks und eine Belohnung von der Hälfte
der von dem Beſtochenen vwerwidelten Geldbuße verheißen folle,
— darüber möchte Rec. nicht fo geradezu enticheiden. IM
genids ift der Gedanke gewiß, auch fürchte Rec. keine
Nachtheile von dem leßteren Theile des Vorſchlags, aber bie
Erhebung des beſchwornen Zeugniffes des Otaatsbeamten zu
vollem Beweiſe ſcheint ihm zu bedenklich zu ſeyn, und dem
GStaatsbeamten, welcher, der Regel nach, nur in Hinficht ſei⸗
ner Kenntniſſe und Faͤhigkeiten, nicht aber in Hinſicht ſeines
‘ Charakters, Pruͤfungen beſtanden hat, einen gu großen Opiel⸗
raum zur Befriedigung unedler Neigungen barzubieten, indem
er, bey der Realifirung dieſes Geſetzesvorſchlags, keineswegs
bloß, wie der Verf. meint, das zu erwirken vermag, daß fein
Feind dem Fiscus in den doppelten Erſatz des angeblih Bars
gebotenen Geſchenks verurtheilt werde, fondern es vielmeht
ihm anheim ‚gegeben if, vermittelt kluger Benutzung eines
fheinbaren Umſtandes, die bürgerliche Ehre feines Feindes zu
brandmarken, was unendlich viel mehr iſt, und was die Nadıs
ſucht öfters wohl gerne durch eigene bodeutende Aufopferungen
zu erkaufen verſucht ſeyn duͤrfte.
V. Weber die Aufhebung der Folter. Eine Abhand⸗
‚lang , welche ‚auch derjenige, der Moer den Gegenſtand derſel⸗
ben fhon lange mit ſich ſelbſt einig ift, doch mit wahrem
Sintereffe leſen wird, weil fie eine wortrefftiche hiſtoriſche Zur
fammenftellung, und über dir Aufhebung der Folter in- Defters
reich ſelbſt Bisher unbekannte Notizen enthält, welche der Verf.
aus einem handſchriftlichen Aufſatze des achtungowuͤrbigen
Sonnenfels entlehnt hat.
VI. Ueber die Colliſion verſchiedener in dem /
ſelben Staatsgebiete geltender Otrafgeſetzge—
bungen. Sin Baiern herrſchen nicht mehr als fünf, an
Geiſt und Inhalt verfchiedene Strafgefeugebungen, — ein
Zuftand, welcher es gewiß für Baiern ganz befonders wan—⸗
ſchenswerth mahen muß, daß feine Hoffnung anf die Erſchei⸗
uung des neuen Strafgeſetzbuchs bald in Erfüllung gehen möge:
-389 Themis u. Vetracht. über d: Gefchte. Gericht v. Feuerbach.
- Daß fih aus diefem traurigen Zuſtande vielfache Collifionen
und aus diefen Anfragen der Gerichte erzeugen mußten, war
narärlih. ‘Den Anfragen diefer Art verdankt diefe Abhand⸗
‘ fung. ihren Urfprung. Der Verf. entſcheidet dafür, daß ein
Baieriſcher Unterthan nach den Geſetzen feines Domicils und,
wenn er in verfhiedenen Diftricten domiciliirt ſey, nad) Der
milderen Geſetzgebung beftraft werden ſolle. Da die gebuldete
Berichiedenheit der Geſetzgebungen in einem Reiche nur das
- durch einen vernänftgen Sinn erhalten kann, daß man ans
nimmt, der Sefeßgeber Habe die verfchiedene Nationalität der
ihm unterworfenen Voͤlker einer befonderen Berädfihtigung
“ würdig gehalten, ſo ift dieſe Entſcheidung gewiß die einzig
PB]
richtige, und es iſt gewiß eben fo rihtig, daß in Anfehung
der.nicht in Baiern Domiciliirten , für. welche diefer Geſichts⸗
punct nicht entſcheidet, die Geſetzgebung des Orts, wo das
Verbrechen begangen worden ift, zur alleinigen Norm für die
richterlichen Urtheile erhoben wird. Es gibt noch andere Staas
ten in Deutfchland, in welchen diefe fhöne Abhandlung von
der Gefehgebung einfweilen zum Mufler gewonnen zu werden
verdiente.
VII Sollen die Criminalprozeßkoſten vor⸗
gehen der Entſchädigungsforderung des Belei—
digten? Der Verf. entfcheidet, mit Ausnahme der Koſten,
welde auf Wiedererlangung und Erhaltung der entwendeten
Sache verwendet wurden, fehr richis fuͤr die verneinende Der
antwortung.
VIII. Entwurf eines Staatsvertrags uͤber
die gegenfeitigen Gerichtsverhältniſſe zweyer
benachbarten Staaten. Dieſer Entwurf iſt auf die
richtigen voͤlkerrechtlichen Grundſaͤtze, welche in der zwoyten
Abhandlung aufgeſtellt worden ſind, geſtuͤtzt, und geht in das
nähere Detail aller derjenigen Fragen ein, über: welche in
Anfehung der Gerichtsverhaͤltniſſe Colliſionen entſtehen können.
Sm Ganzen kann diefer Entwucf recht. wohl zum Mufter für
ähnliche Regulative unter andern Staaten empfohlen werden,
obgleich Rec. damit nicht fagen will, daß nicht in einzelnen
Puncten manches auch wohl anders beſtimmt werden koͤnne.
So iſt . ©. die Frage: ob die Erbſchaftsklage in Anſehung
S* Zr
Lhemis u. Betracht über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 283
ber in ;den verfhiedenen Staaten gelegenen Immobilien
za theilen fey ? in dem 6. 15. bejahend entfchieden und gewiß
fehr richtig, wenn man auch nur in einem der contrahirenden
Staaten von dem, nad) Rec. Meynung, vorzüglicheren Grund⸗
füße ausgeht, daß die immobilien nad den Geſetzen des
Orts, wo fie gelegen find, vererbt würden. Wenn aber der
Staatsvertrag zwifchen Staaten geichloffen wärde, weiche beyde
von dem Mechtsfage ausgehen, daß auch in die Immobilien
nad den Geſetzen des Wohnorts des Erblaſſers geerbt werde,
fo wände aller folide Grund zu der wahrhaft laͤſtigen Theilung
‚der Erbſchaftsklage hinwegfallen, und es würde alsdann viel
yorzüglicher ſeyn, wenn diefe Saaten gegenfeltig die auss
fließende Competenz des Gerichtsſtande des Wohnorts des
Erblaffers "für diefe Klage, welche ohnehin gewiffermaßen ger
mifchter Natur ift, anerkennten.
"N. ©. iſt zwar urfpränglich au durch die Amtsardetten
des Verf. veranlafßt worden, und eben darum fchien es dem
Rec. zweckmaͤßig, die Anzeige diefer Schrift mit der Anzeige
der in der Themis enthaltenen Verufsarbeiten des Verf. zu
verbinden; da aber Hier dem Merf. fein amtlicher Vortrag
nur als Beranlaffung gu einer freyen, wiflenfhaftlichen Bears
beitung des hoch wichtigen Gegenſtands der Seihwornen s Ges
richte gedient hat, und da diefe Behandlung als eine wahrhaft
erſchoͤpfende betrachtet werden kann, fo hatte er allerdings ſehr
gute Grände, fie, als ein. eigenes and felbfiftändiges Werk,
dem Publicum zu uͤbergeben, und dadurch. aud) für das In⸗
tereſſe derjenigen zu forgen, welche zwar wohl der Segenftand
diefes Werks, nicht aber gerade eine Sammlung von Arbeiten
für die Gefeggebung überhaupt intereffiren ſollte. So befcheis
den auch der Verf. bemerkt, daß er feinen eigentlichen Plan,
den Gegenfland der Gejchwornen- Gerichte, in hiftorifcher,
politifcher und criminalrechtliher Hinſicht, gang vollftändig zu
bedandeln , nicht Babe ausführen können, und daf daher, wie
aud) der Titel ankündige, feine Abſicht vor’ der Hand nur
barauf gehe, Betrachtungen Über diefes Thema zu liefern,
fo iſt doch in diefen Betrachtungen wirklich eine fo vollſtaͤndlge
und, Rec. darf dieſes hinzufuͤgen, eine fo meiſterhafte Bes
Handlung des Segenftands enthalten, daß folgenden Bearbeitern
*
224 Themis u. Betracht. uͤber d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach.
ſchwerlich in einer anderen, als etwa in der hiſtoriſchen Hinſicht,
eine fruchtbare Nachleſe verſtattet ſeyn duͤrfte.
- Eine ſolche Behandlung durfte nun ein Gegenſtand aller⸗
dings in Anſpruch nehmen, welcher, neben dem hohen Ins
tereſſe, welches ein Inſtitut an fi verdient, das: von dem
freyen Engländer als einer der Hauptpfeiler feiner conftitutios
nellen Freyheit betrachtet wird, dadurch für Deutſchland, in
diefer Periode der Erifis für. die Geſetzgebungen, nothiwendig
an Intereffe gewinnen muß, daß die. Jury, von Frankreich
aus, nun auch ſchon für manche Deutſchen Länver das Recht
eines Eingesürgerten erlangt hat, und daß daher in einem
jeden Deutſchen Staate, wo diefes zwar noch nicht gefchehen,
aber denn doc auch die wünichenswerthe Neform des bisheris
gen Deutihen Criminalweſens nicht mehr zw umgehen ift, es
‚ wahrhaft an der Zeit fcheint, die Frage: ob man dem Fremd⸗
linge die Graͤnze fchließen,, oder ihn auch bey fh freundlich
willkommen beißen folle? einer ernſtlichen und geneuges
Pruͤfung zu unterwerfen.
Das: nil admirari: war zwar auch in ‚Anfehung diefeg
Gegenftands den Deutichen fehr nahe gelegt worden, als fie
fahen, daß, bey der neuen Eriminalgefeßgebungsreform in
Frankreich, ſich faſt die allgemeine Stimme gegen die Beybe⸗
Haltung der Geſchwornen-Gerichte erklaͤrte, und daB, ohne
den perföntichen Einfluß des Kaifers, welcher diefes Inſtitut
mit einer wahren Vorklicse behandelt, feine Beybehaltung wohl
fhwertih wuͤrde befchloffen worden feyn; indeffen genügen die
Franzoͤſiſchen Acten zu einer vollkoinmen erfdyöpfenden Pruͤfung
der großen Frage allerdings nicht, weil die Gegner der Se
fhwornen; Gerichte Ach Falk ganz auf: die Erfahrungsbeweife
beſchraͤnkten, in welchen ſich die Werwerflichkeit der revolutio⸗
naͤren Jurys freylich auf eine hoͤchſt traurige Weiſe zur Ge—
nuͤge documentirt hatte, bey welchen es aber doch immer noch
hoͤchſt zweifelhaft blieb, ob man daraus wirklich gegen das
Inſtitut ſelbſt etwas folgern könne, oder ob nicht vielmehr
alle Schuld auf die unzweckmaͤßige Einrichtung deſſelben in
dem revolutionaͤren Frankreich falle. Es war daher eine tiefere
Prüfung der Sache durch die Franzoͤſiſchen Vorarbeiten kei⸗
neswegs unnoͤthig gemacht worden, und der Verf. verdient
—
Demis u. Betracht. Aber d. Geſchw. Gericht u, Jeuerbach. 288
wahrhaft den Dank des Publicums, daß er fi biefer Frds
füng in dee Art, wie er es gethan hat, untergog.
Die in dem dry legten Betrachtungen enthaltene Ausfuͤh⸗
rang, daß die Geihwernen s Gerichte in criminalrechtlichen
Hinſicht, d. h. als Mittel für eine richtige, partheyloſe, der
Unſchuld ungefährliche, und doch die Schuld nicht beguͤnſtigende
Ansäbung der Criminalgerechtigkeit, bey weiten an Werth
Hinter gehörig organificten, aus inamoviblen Richtern zuſam⸗
mengefeßten Collegien zuruͤckſtehen, und daß alle theils vorge⸗
(blagenen , theils neuerdings in Frankreich in Anwendung
gebrachten Werbefferungsverfuhe durchaus unvermoͤgend (even,
fe zu einem. gleichen Werthe zu erheben, — darf mit Mech
eine volllommen gelungene, einem Zweifel Raum laffende
genannt werden. Dem Rec., welder immer dieſe Anfiche
Batte, iſt, durch die Lectüre diefer vortrefflichen : Ausführung,
gar manches, was er bisher mehr dunkel ahndete, als ſich
deutlich Dachte, volllommen klar und demtlih, es iſt ihm das
durch feine eigene Anſicht erft zu einer volllommenen Webers
jeugung erhohen worden, und er glaubt, verfichern zu können,
dag es den mehrſten Lefern eben fo erashen, und daß in Aus
kunft über dieſen Punct fchwerlih mehr eine Iheilung bee
Meynungen flatt finden werde. |
Sn polieifcher Hinſicht dagegen, d. h. ale Thell der
Stantsverfaffung eines Volks und als Mittel, die Zrepheit
der Nation gegen die Eigeumacht Weniger zu fihern, finder
der. Verf., in den erfteren. Betrachtungen, das Inſtitut den
Geſchwornen⸗æ Gerichte mit dem inneren Geifle einer, wenn
auch nur eheilweifen Democratie fo innig verbunden, Daß im
ſolchen Verfaſſungen man fehe wohl, wie es in England ges
fhicht, annehmen könne, die criminalrechtlichen Machtheile
des Juſtituts koͤnnten gegen ſeine politiſche Vorzuͤalichkeit, ja
gewiſſermaßen Nothwendigkeit nicht in Anſchlag gebracht wer⸗
den. Nicht fo in reinen, wenn gleich conſtitutionellen Mor
narchieen! Als Schußmittel einer politifhen Freyheit,
welche es Hier nicht aint, Bann in diefen- Werfaflungen das
Inſtitut der Jury nicht gedacht werden, es wuͤrde Daher hier
nur als Schyßmittel der bürgerlichen Srepheit ergriffen:
werden können, wozu ihm denn auch der Verf. zwar die Taugs
anf. Themis u. Betracht, über d. Geſchw. Bericht. v. Feuerbach;
lichkeit nicht abfpricht, wohl aber behauptet, daß ihm feine
voi zuͤglichere Tauglichkeit für diefen Zweck, als den criminals
rechtlich vorgäglicheren Richter s Collegien., zugefchrieben werden
Könne. In diefem Reſultate: daß durch wohl organifirte Ges
richtshoͤfe die perfönliche Freyheit nicht mehr gefährdet und
nicht weniger gefichert werde, als durch Geſchworne, wird
jeder aufmerkſame Lefer. der Schrift gerne mie dem Verf. übers -
.einftimmen , wenn gleih Viele, mit dem Rec., Anfland nebs
men werden, das Näfonnement des Verf. zu unserfchreiben,,
durch weldges er aus der Möglichkeit, daß der Souperaͤn ſich
über .die Schranken: der Conſtitution hinwegſetzen könne, bie
Fragilitaͤt eines in den Geſchwornen gefuhten Schutzmittels
der buͤrgerlichen Freyheit deducirt. Diefes ganze Räfonnement
wuͤrde eben. fo gut gebraucht werden können, um das in wohl:
organifirten Collegien von Nichtern, welche die Conſtitution
für inamovibel erflärt, gefuchte Schuemittelfder Freyheit für:
eine morfche Stuͤtze zu erklären, und eben darum wird Diefes
ganze Näfonnement vollkommen durch die: herrliche Ausführung-
des Berf., am Ende der zweyten Betrachtung, widerlegt, in
welcher die. Srände, warum auch reine Monardieen eine ger
nügende Garantie für die. Erhaltung conflitutioneller Einrich⸗
tungen gewähren, mit Kraft und -Salbung zuſammengeſtellt
find
Wenn nun In reinen Monarchieen das Inſtitut der Ges
fhwornen feinen politifhen Vorzug hat, wer könnte dann,
bey feinen undeftreitbaren criminalrechtlichen Nachtheilen, auch
nur verfuche werden, zwilhen ibm und dem Inſtitute wohl
— BRAD zu . 7.
Schatzkaſtlein des rheinifchen Hausfeeundes von 3. B. Hebel. Tür
bingen in der Cottaiſchen Buchbandlung. 1511. 296 ©. 8.
Dieſes Schagtäflein wird fhon fo weit und -breit gefefen‘
— daß unſere Anzeige zu ſpaͤt kommt. Indeß ſchadet die⸗
ſes nicht; denn was lobenswerth iſt, ſoll man immer loben
und ruͤhmen. Und hiezu haben wir Grund und Urſache.
Gehaptähfein des rbein. Haucfreundes von FB. Hebel, 287:
Denn. wir Haben dieſes Büchlein (fo nennen wir es mit dem
Berfaffer, wegen feines Inhalts und Zwecks, denn nad
feinem Umfange kann es wohl ein Buch heißen) Kindern
u auch Bauersleuten zu lefen gegeben, und fie haben «6
fehr gerähme , und gewuͤnſcht, daß mehr ſolche Wücher ſeyn
möchten. . Der Hausfeeund weiß aber auch recht luſtig und
anmathig zu reden und zu erzählen. Wer fih an feinen Alles .
manniſchen Gedichten erfreut hat, erkennt aud in dieſem
Schagtäftlein feinen Mann wieder. Man ſiehet, wie er oft -
unter dem Volke gewefen, und dem gemeinen Dann ins
Herz und in die Augen und auf den Mund geſchaut hat,
und doch dabey- ein feiner Mann iſt, der zu nehmen und zu
geben weit. Souſt Kanten dieſe Lefetäde in dem Badi⸗
(hen Landkalender, gleichſam um die Zeit gu fürgen und zu
würzen, wie fie denn in einem Kalender fo dürre umd langes
weilig daſteht, oder Einem zugezählet wird, daß man das
bey einer Würze und eines Labfals ungern entbehrt. - Da
hat nun der - Hausfreund allerley aus feinem Schatz bervorr
geholt, - Altes und Meues, und hat es dazu gar nett und
luſtig aufgelußt, fo daß es Herz und Sinnen leichtlich er⸗
freuet, auch manche gute und "ichöne Lehre und Warnung
giebt, wie es dem Hausfreunde gegiemet und wohl anftehet.
Er nimmt: gleich. anfangs. einen: hohen Flug, und wagt fi .
unter das Weltgebäude und zwiſchen die Sonnen und Pas
neten, aber fo hoch er auch ſchwebt, man. erkennt doch ims
mer den alten Kausfreund, und er ſtellt fih ntemals unges .
bährdig und Hochmäthig, und weiß von den ‚Sternen und
ihrem Weſen fo deutlih gu reden, als ob er: fie felber ges...
macht, oder doch wentgfiens unter Auffiht hätte. Man ers
kennt leicht, daß er lange Zeit muß den Kalender regiert
haben. Indeß bleibe er nicht Jange oben, und: fommt bald .
wieder herunter, aber wenn es ihm gemäthlich und dem Lex
fer heilſam iſt, ſieht man ihn wieder in der Höhe bey den
Sternen. Denn laͤßt er ſich hernieder, wo es ihm beliebt,
im Morgenfande zwiſchen Türken und Arabern, oder in eis
nem Semäfe s Garten zwiſchen Naupen und Kohipflangen, in
einer Schule, wo er rechnet, ober in einer Schenke, wo er
z00 @chapfäfiein des thein. Hentfrcundes von J. D. Hehe,
erzähle, was ihm in den Stan kommt, und den Zuhörer
mahr erfreut, ala fein Schäpplein. Es muß Einen dauern,
wie der Hansfreund den Kopf und die Haͤnde fo voll hat,
und man färdten, er möchte fih todt reiſen und erzählen,
ehe das Buch zu Ende if, Da iſt's denn eine große Freude,
gleich im Anfange gu vernehmen, daß der Hausfreund auch
zwey Gehuͤlfen bekommt, nämli den Adjunet und die Ads
janctin , feine Schwiegermutter. - Der Adjunct muß auch fer
glei eine Standrede im Gemäfe s Garten feiner Schwiegen
mutter balten, umd dee Hausfreund faun nun wieder Athem
fehöpfen, und fo loͤſen fie fih einander ab, und bringen
das Buch gluͤcklich und lebendig zu Ende, und werden hof
fentih noch lange fortfahren, Kalender zu machen. Der
Adjunct Kar and noch eine beſondere Geſchicklichkeit, Die der
Geſellſchaft ben dem trocknen Kalender machen, gut zu flatten
kommt. Nämlich er verſteht die Kunft auf dem Blatt zu
peifen,. umd dadurch den Hausfreund fo in Vegeiflerung gu
fegen, daß dieſer fogleich in feiner Weife ein Liedlein begin
net, wie 3: &.2 Der lieb Sort hat zum Fruͤhlig gſeit: Gang,
deck im Wuͤrmli au ſei Tiih u. ſ. w. Mer Hieraus nun
das Schatzkaͤſtlein noch nicht kennt, mags ſelber leſen, und
das wird ihn nicht gereuen. Vor allen lei” es, wer mit dem
Volk viel zu thun hat, und das Volk lieb hat. Auch. kann
man es dem Volke und gemeinen Mann, der etwas leſen
will, in die Hand geben, damit er fi in trodner Zeit daran
erluſtige. Denn ein froher Mur if doch das. halbe Leben.
Kinderiehrer und Schulmeifter koͤnnen auch Nutzen baraus
ziehen. Abfchreiben wollen wir, nichts daraus ; denn das
ganze Blchlein Hat ung gefallen, und wir willen niht, was
wir daraus wählen follen. Auch iſt's gedruckt wohlfeiler , als
wenn man’s abfhreiben wollte. Wir wünfhen dem kalender
machenden Kleeblatt am Oberrhein, daß fie noch lange mit
den Jahreszeiten und Monden fortgehn und Allerley aus ihrem
Schatz hervorlangen mögen.
E. A. K.
nn
No, 419... Hetdelbergifhe: 48143,
Jahrbücher der Litteratur.
EEE EEE Saar
Plitarchi Chaeronensis Vitae Timoleontis 5 — E—— a
Bruti. Animadversionibus instruxit Fridericus Wil-
helmuüs Fabrici, Darimstadiensis. ‚Lipsiae , sumtibus
E. B. Schwickerti. MDeccxil: 180 G. a
%
[2
| ar Fabrici hat nach feiner Berg — dus keinem an
bern Grunde diefe Biographieen ans den übrigen zur Bears
beitung gewählt, als weil er vorzuͤgliches Wohlgefallen an
ihnen gefunden. Einigen Einfluß mag indeß wohl auf ſeine
Wahl die Bred ow ſche Sammlung gehabt haben, und da dieſe
in mehreren Schulen mit gutem Mugen eingeführt ift, fo Hätte
er inimer auch den Philopoͤmen, den- fie mehr Hat, mit neh⸗
men mögen. Mad) dem, was der Herausgeber. hier geliefert
hat, ſcheint er ein junger Phildlog von guten Anlagen, von
ſchaͤtzbarer Bele ſenheit und von vieler Liebe für fein Studium
Er wird 26 darum nicht uͤbel deuten, wenn wir ihm zuvoͤrderſt
im Allgemeinen nuf einige fleine Unarten aufmerkſam machen,
durch die er manchem feiner. Lefer die Bekanntſchaft mit ſich
etwas verleiden wird. Was ſoll z. ©. das beichwerliche Ans
häufen von Citaten ‚in Fälle, die keiner fangen Sfnduetiog
von Benfpielen bedürfen ‚»ja bey: ganz triviellen Dingen. Die
Zeiten von Klotz und Conſorten ſtnd, Bott ſey Dank, vors
uͤber. So werden S. 117 zu dem bekennten Bebrauch des
Ed» nicht weniger als fieden Stellen und fieben Philologen
aufgerufen ; die Bedeutung von Üsezards wird. ©, 74 mit
ı2 Citaten belegt. Und ſo öfters, wo nicht ſeiten das Eine
Citat die andern.überläffe macht, da :fie darin ſtecken. So
forgfältig aber der Herausgeber in der Regel andre zu citiren
pflegt, Fo ſchlecht ſich ſelbſt, z. B. ©. 19 ceterum vide, in-
fra, Was foll dag? vide quae monuimus ad Gracchos; u
jam alibi hanc rem dar S. ı7. 37.182. ıdı und ©: ı@
19
290 Plutarchi Chaerost. Vitäe 'Tinadl. ed. Fabrici..
gar: sic jam supra in Tib. Giaich. c. I. habuimus, was
erſt folge. Ein feltfames Verſehen. Gegentheils vermißt man
hin und wieder fremde Eitate, z. B. bey der Note ©. 89 zu
naidey undtv dıaptpovras, die ihrer Subſtanz nah aus
Wottenbach zu Phaed. S. ıd2; ©. 11 gu dyaxakvrripıon;,
die aus Wefjeling zu Diod. I. ©. 531; S. 55 zu pıxpäs
noopdoeag, die and Coray entlehnt il. S. g verfihert er
durch mehr als ſiebzig Steffen gegen Hermann (ad Viger:
S. 760) beweifen zu Binnen, daß AMag ve auch ohne
za) fichen koͤnne, führt aber keine einzige an.
Nicht minder Röhren in fo kurzen, ja fargen Erklaͤrun⸗
. gen bes Tertes die vielen gelegentlichen Emendationen und
Erläuterungen fremder Schriftſteller, Die wir noch, jumal bey
einen angehenden philologiſchen Schrifikeller, entſchuldigen
wollten, wenn fie nicht zu oft mit faft lächerlicher Gewalttha—⸗
tigkeit durch zwey, drey Wittelglieder, oder nur duch die
Nachbarichaft des Buches, des Kapitels ıc. herbeygezogen wir
den. Man fehe ©. 24 zu Iaptpew, ©. 5i. zu Ede;
©. 59.4u waraormunrınds, &. 65 gu unapew, ©. 118
zu ond rhpas u. ſ. w. In der Eile diefer gelegentlichen Obi
fervationen geſchieht aud) wohl ein fehwer gu verantwortende⸗
unrecht, wie ©. 58, wo man tiefe, daß Wottenbach (ep.
csit, sd Kuhn. 1, 14.) die füße Geſpannſchaft ber Daka
und Grazien im Euripides nicht zu finden gewußt Babe; Dierk
Unwirfenheit muß fortbanern, denn er hat auch an der Spitze
feiner Polymathie der angenehmen Syppgie den wäh,
den Herkules zum Begleiter zu geben, noch immer nicht
für dienlich erachtet. — Die S. 83 getadelte Bemoerkung
von Tzſchucke gehoͤrt nicht zu Eutropius, ſondern zu Florus
H, 9. 25.
Einen wahren Abſcho⸗ Biden wir wifrer Seits —*
Formel, die ungefähre ſo lautet: Hoc jam dudum conjec®
ram, postea vidi.in idem incidisse. — Diefe zwendestige
und erbettelte Anmaßung eines Prisritätsrechres finden wie
zu unferm Leidweien auch hier, 4. B. ©. 49. 74. 112. 120,
und mit einer eigenen Beſcheidenheit widerlich verfeht &. 166.
Endlich Finnen wir unfer Mißfallen Aber die auffallond haͤn
2
Plutarchi Chäeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 294
Ägen Wiederholungen nicht bergen. Don dAGeı» wird G. 87
und S. 133 gehandelt, und doch ſollte ſchon gu Timol. c. 14.
bie Rede davon ſeyn, von Bodv ©. 89 und ©. 138, von
sois BovAogievors, ©. 29 und 8. 48 mit deinſelb en Citat,
son and ©. 85 und ©. 117, von Aınapeiv &.65 und S.
122 mit demfelben Citat, von addoxdrog ©; gı und ©,
i68, von Tb. xaAobusyoy ©. 44 und ©. 95, wovon body
fen gu Timol. c. 9 oder c. ıB. härte geſprochen Werben
ſollen, von sis ubvos ©, 19. 73. Bı. 99 und 148. Das
alles zeugt mehr oder weniger von Eilfertigkeit und von Js
diecretion gegen Lefer und Käufer. Dein darüber, daß haͤu⸗
fig fange Anmerkungen von Henricus Gtephanus, Patmerius,
Moſes du Soul, Coray, Bredow wörtlich eingerädt find,
wollen wir grade nicht rechten, wiewohl dies unfers Erachtens:
auf dem Titel: nicht unbemerkt bleiben ſollte. Die eignen
Anmertungen des Herausgebers verbreiten ſich weder über Die
Kritit des gangen Textes, denn es iſt im Durchſchnitt des
Reiskiſche, noch Über alle Schwierigkeiten der Interpretation;
es find nur beliebige und bisweilen nur zufällige Erlaͤuterun⸗
gen einzelner ‚Hiftorifcher oder grammatifher Dinge, oft nur.
einer artikel, einer Tonftructien, wobey das Triviale nicht
immer vermieden iſt. Alles, was man fohft bey einer Aus
gabe, zumal für Schulen, zu erwarten pflegt, Einleitungen,
Inhalts anzeigen, Regiſter wird hier vermißt, fo daß, was. .
wirklich jum Verſtaͤndniß des Autors gehort und gereicht, ſich
auf wenige Blätter. zufonimenfafen Heß. Daß auch Hier.
ſtrengeren Anfoderungen nicht durchaus Benäge gefchehen, wol⸗
lm wir an einigen Beyſpielen zeigen.
Zu Tim. c. 4. wird (aber erft ben Brutus.c: 1. ©: 123)
—*— für dvädeıkes vorgeichlagen. Daß das letztere
auch richtig fen ,. fieht man aus Caesar.’ c. 35. dnarov d’A-
yadsibas &avıdv. Tim: c. 8: ©. 11 fol nach der Meynung
des Verf. Plutarch bey der Mythe vom Raube der Profers
pina vielleicht an den . Euphorion gedacht haben, mac dem
Scholiaften des Eyripivig Phöniss: V. 688. bey ihm iſt ja
riht von Sicilien, fondern von Theben die Rede. Chen
möchte man die Stelle auf Pindar. Nem. I, 17, vergl. den
x
292 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici.
Schoͤliaſten ad h. 1;, bengichen, wenn nicht die Gage älter
wäre, ale unfre fohriftlichen Denkmaͤhler. GC. ı2. S. i7 u
"Adpavoo s; „qui (quis) praeter Plutarchumi hujus dei
inentionem fecerit, equidem non 'menini.* Erinnert u
fi) nit des Aelian de nat. an. L. XI. c. 20. Au
kommt der Gott auf Siciliſchen Münzen vor. Of. Eckhel
_Doctrin. num. IL &. ı90 und ©. ae4. Weber das vorbe⸗
Deutende Schwitzen der Bildſaͤulen S. 18 war flatt der vagen
Anführumg des Cicero Wefleling gu Diod. XV. 10. gu citis
ren. C. 13. xal cv adınv udelphv xal yuvalıe. Das
für will der Herausgeber leſen: ery adrob Adehphr x. T.
Sehr ungluͤcklich; dann würde ja fie, die zugleih Schweſter
und Gemahlin war, zu zwen Perfonen. Die Lateitter dräden |
fi eben fo aus: Curt. III. 5. illum florem juventae, illam |
vim animi, eundem regem et commilitonem divelli a se. |
Bey bein Philistus c. 16. ©. an. bedurfte es bey der An
führiing von Bredows Note auch einer Berichtigung -deffelden.
Man begreift nicht, da ja Philiſtus nicht als Zeitgenoffe die
fer Begebenheiten won Plutarch dargefiellt wird, warum er
nad Bredow ein fo hohes Alter von 70 — Ba Jahren fol
erreicht Haben. Allerdings iſt es fein anderer, als der fo
Häufig erwähnte Syrakuſiſche Sefchichtichreiber. Man vergleiche
A. F. Nüke Schedae criticae: Halae ıBıe., der ©. 27,
eine gelehrte Anmerkung über ‚urifre Stelle macht, ſich aber
tert, wenn er eine andere Stelle des Plutarch ei Hecah.
ol. c. 1.09 Ts eine Aiovvoio auf denfelben Philiſtus
bezogen willen will. Die. Note von Weſſeling ju Diod. I.
S. 644 war ihm nicht ‘gegenwärtig. — Bey den Born
c. 26. ©. 57 vor dtıopahds voooöyra deiodaı Tour
roũ oehivov If zwar die Vulgata mit Recht beybehalten und.
durch Paralleiſtellen beſtaͤtiget, aber. nicht erwaͤhnt worden,
daß dieſe Wiederholung des Pronomen, wie auch Weiske
de pleonasmis &. 76 andeutet, jedeshial init einer gewiſſen
Bedeutſamkeit verbunden fer. Fehlte Hier das Tooror, fh
fhiene es, als wenn auch die Worte Tor Emioparas 9%
coöyra zum Sprichwort gehörten. Das Sprichwort lautete
‚aber; oöras diraı Ton ‚wehlroy; das. andre iſt Erklärung.
Ei
Plutarchi Chäeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 293
Aehnlich ſchiebt der Deutiche das Pronomen ein. Schiller m
den Kranichen des Ibykus:
Zum guten Zeichen nehm id) euch,
Mein Loos, es iſt dem euren gleich.
Leber jenes Sprichwort felbft wird man auf Interprett. ad
Callimach. T. I. p. 280 ed. Ernesti vermiefen, und findet
dere nichts, als unfre Stelle. Beſſeres würde der Kerauds
seber finden in Laurent. Beger. Exam. quorundam dubio,
zum Berolin. 1604. p. 9 sq. und über den anderweitigen
Gebrauch des Eppih bey Voß zu Virgil. Ecl. VI. v. 68,
Beylaͤufig gälte es hier die Frage, ob Schiller in jener anges
führten Ballade nicht einen Anachroniemus begangen, . daß er
den Fichtenfrang zum Siegeszeichen der Iſthmiſchen Spiele
made. — In demſelben Capitel lieſt man S. 38 zu den
Worten dv ö ui» Tois Övvbın Eyeps dranenapusvoy dieſe
Note : Videter hic ante oculos habuisse verba Hesiodi
ioye x. nu. ı87. ed. Br. Wer? der Autor doch nicht, denn
diefer bedient fich gang gewöhnlicher Nedensarten, die er gar
nit Umgang haben könnte, alſo — wohl der Adler, "daß
einem das Bonmot eines berähmten Gelehrten beyfallen fönnte,
der bey dem fchenen Pferde in Tacit. Annal. I. 66, die mAnds
liche Bemerkung machte, es babe den Kiel in der Anabaſis
(U. @. 10.) vor Augen gehabe Sollte einmal citirt
werden, wärde Il. XIL aoo. zıdß. XIIL daı, noch bezugli⸗
cher geweſen ſeyn.
Befremdend iſt es, daß die Emendation des Dacier_‘Ic-
rüs für ‘Iegas c. 30. ©. 44 darum für unſtatthaft erklaͤre
wird, weil das xadlovusvas dabey ſtehe. „Nam quid apus
erat, ut hoc adjungeretur, si locus nominaretur, qui in
nomine nihil haberet, quod ut verba ai xalodueras
subjungerentur,, requireret, Atſo müßte Achradine c. 18.
auch falſch ſeyn, und es müßte überall, wo. das fogenannte
dabey ſteht, in dem Namen etwas Vefonderes oder Bes
deutendes liegen. Vergleiche doch der Herausgeber feine Citate.
Daß in demſelben Lapitel noch das Werworrene dmaloyov-
Klang TE Truadiouto; surugi mit Bredows Anmerkung
94 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici.
gedeckt wird, nimmt uns ebenfalls Wunder. So viel ließe
ſich dagegen erinnern; hier nur das Eine, daß Jixn dann in
zwey Bedeutungen einmal ale Strafe zu — — — und
hernach als Gerechtigkeit zu arohoyouuevng genommen wers
den mußte; daher auch der Ueberſetzer genoͤthiget worden iſt,
mit einem Worte wie Strafgerechtigkeit ein Abkommen zu
treffen. Warum nicht abroiç Öuodoyovuivas mit den Hande
ſchriften und Coren? Eben fo hätte c. 36. das Fragment
des Sophofles unangetaftet, und Reiske feine Conjectur ode
für Toöde nidyt eingeräumt werden ſollen. Die Eonfiruction
mit dem Genitiv, wenn man unter demfelben, mie natärlich,
ein feidendes Object verſteht, iſt ganz in der Ordnung; ein
Dativ wuͤrde ja ein bethaͤtigtes Subject — hier ein an einem
dritten theilnehmendes — darſtellen. Uebrigens muß man
nach dem Geſetze des Zuſammenhangs roode neutraliter neh⸗
men, was Bredow in der Ueberſetzung verfehlt hat. Zu der
gleich darauf zwiſchen dem Mahler Dionyſius und Nicomachus
gezogenen Parallele erhalten wir ein kahles Citat aus Junius
Cat. Artif. Der Herausgeber hätte ſich hier beſonders uͤber
die ſchwierige Bedeutung des techniſchen Wortes rorog erklaͤ⸗
ren ſollen. Stoff wuͤrde ihm dazu Hagedorn in den Betrach⸗
tungen über die Mahlerey ©. 689 ff., und noch mehr ein
neuerer hypotheſenreicher Schriftſteller Grund Geſchichte der
Mahlerey IE. 329 ff. gegeben ‚haben. |
Tib. Graichus. c. 13. o® —RX oſSTßoc non praesens
ille. Hoc ut nonnulla alia apud. Plutarchum, Latinis
"mum redolet, "Da eönnte man non praesens ille. mit gleis
chem Zug für einen Graͤcismus halten. ©. Matthia Griech.
Grammatik $. 471. Dagegen iſt c. 16. eis Tv dyopar
*taßac, wobey flieht: sic Latini etiam in forum der-
eendere dicunt eine mörtliche Ueberfeßung des Bateinifchen;
be Grieche pflegt das Umgekehrte zu ſetzen.
Bey der verworrenen Materie von den Verhaͤltniſſen *
Nitterſchaft gu den Gerichten C. Gracch. c. 5. war flatt ber
ungeordneten Citate und ſtatt des Rualdus auf Heeren's vors
treffliche Geſchichte der Revolution der Griechen (Kleine hiſt.
Schrifta. Th.) als auf ben beften Commentar zw dieſen bey⸗
Plutarchi Chaeran. Vitae Timet. ed. Fabrici. 295
den Lebengbefchreibungen zu verweiſen. Aus jenem Capitel ließ
fh der Meine Irrthum berichtigen, den Heeren ©. 235 hat,
als ob fih Graichus von der Eurie zu dem Comitium gewandt
babe; er wandte fih von dem Comitium und der Curie zu»
dem Forum. Die Anmerkung über 65 ©. ı1, das als Präs
pofition nie gu undelebten Dingen gefeßt werde, leidet Bes
sihtigung. Cf. Valckenaer ad Thom. Mag. in epp. Ruhnken,
ad J. H. Ernesti ed. Tittntann. ıdı8. p. 186. Weber die
Abſtammung des Marcus Brutus von dem alten. Junius zu
Brutus c, I. p. 114 wäre noch der vortrefflihe Ercurs von
Eckhel a num. Pr 11. Vol. VI. p. 90 sq. nadyu
tragen. C. 45. p. 170 oös Boiyas ävduade zu den von
Sturz de dialect. Maced. p. 3ı citirten Stellen fann man
no Cic. orat. 48. Curt, VI. 11. und Heyne ad Virg.
Ecl. VI. arg. hinzufügen. — Der Vorfhlag c. 51. p. 178
Aria für nIıxös wäre an fih nicht uneben, wenn Adıxaz
unerflärlich wäre, und nicht vielmehr die fhöne finnvolle Bes
deutung hätte, die vornehmlich Valckenaͤr zu den Adaniazusen
p- 928 sygq. ausginander geiegt hat. Man verbinde nur
nDıxos mit Ooden und einev und nicht, wie Bredow ge
than zu haben ſcheint / mit usıdıncas. —
Wir wollen in diefen Berichtigungen nicht fortfahren,
fondern nun noch pflichtmaͤßig und geen hinzufegen, daß mie
auch auf recht gute und treffende Bemerkungen geſtoßen ſind,
wovon nur die zu &Amidog Toiadens yevauevov Tim. c.
p. 8. Die Conjertur napayayai für napaloyai Tim. c. ꝗ.
p. 11. Die Nachweiſung über Xovoö» Edeifay Tim. c. 11.
p: 16. über ueyav adbeodaı c. ıÖ. p. 41. — Die Veſtaͤ⸗
tigung von Stepanus Vermuthung zarixiace zu dem Phae-
. don. .c. 66. gegen Wyttenbach S. 8. — Die Ableitung. von
Aeapyds ©. 28, von Asas, dem aͤoliſchen warv, hätte hier
erwähnt werden mögen. —
Der Verf. iſt gefonnen, wenn dieſe erſte Peobe nicht
mißfallen, eine zweyte Bearbeitung einiger andern Plutarchi⸗
ſchen Biographieen folgen zu laſſen. Da feine Thaͤtigkeit wer
ber des Geiſtes, noch der Kenniniffe ermangelt, fo wird es
nur auf feinen ernſten Willen ankommen, um: etwas Tüchtis
—
296 _Dentfehe Ornithologie von Bekter ic. |
ges fünftig zu leiſten. Wir wuͤnſchen ihm dazu, ſo wie zu
feiner (laut der Vorrede) unternommenen Reife nad) Erants
reich von Herzen Sid 5
}
Deutſche Ornithologie oder Naturgeſchichte aller Vögel Deutſchlande
in naturgetreuen Abbildungen und Beſchreibungen herausgegeben
von Dr. Bekker Lichrbammer, C. W. Bekker und
Bembcke. XXltes Heft. Darmſtadt 4511. im Verlage der
Herausgeber. TO DEE ER 2
Mit Vergnügen zeigen mir die Fortfeßung diefes jedem
Freunde der vaterländifchen Naturgeſchichte befannten —
“an, das, der jetzigen druͤckenden Verhaͤltniſſe ohngeachtet, in
gleicher Schönheit und zu fo geringem Preife fortgeſetzt En
daß auch der minder begüterte Freund der Drnithologte daran
Theil nehmen kann. Es iſt daher vorzüglich geeignet, Aufs
flärung in der Deutfchen Voͤgelkunde zu verbreiten, und die
Verehrer diefer fhönen Wiffenfchaft zu vernichren. Rec. ; der
diefeg Werk, feit es erſchien, ſchaͤtzte und empfahl, wuͤnſcht
daher deſſen moͤglichſte Vervollkommnung, und erſucht die
Herausgeber, dieſem Wunſche nachſtehende Bemerkungen aus
zuſchreiben.
Diieſes Heft enthält die Maturgefchichte des Steinadlers
und des Schleyerkanzes; von jeder Art ſind drey Abhildungen
geliefert.
| Nichts erleichtert mehr das Studium der Naturgeſchichte
als richtige und kurze Kennzeichen der Art; es iſt daher vor
züglich in einem Werke, wie das Vorliegende, hierauf Ruͤck⸗
ſicht zu nehmen, da es hauptſaͤchlich für Lefer beſtimmt if,
die feine wiſſenſchaftliche Naturforſcher find. Allein wir Haben
‚bisher auch in diefem Werke, fo mie überhaupt in den Schrifs
gen der Meueren, die Bechſteiniſchen, Meyerſchen und Wolfi⸗
ſchen nicht ausgenommen, die Vernachlaͤßigurg dieſes fo wich⸗
tigen Theils des ornithologiſchen Studiums bemerken muͤſſen,
da doch Feine gründlichen Fortſchritte zu hoffen find, fo lange |
niche hier auerft | die Unbeſtimmtheit entfernt wird.
Denrfche Ornithologie von Bekker ı0. 297
Unter der Aufſchrift: Kennzeichen der Art werden
hier in swanzig (!) Zeiten befondere Kennzeihen vom alten
Männdyen ‚ dem ganz ( ?) alten Weibchen, dem alten Weibs
then, und dem jungen Männchen vor dem dritten Lebensjahre
geliefert. inne’ würde 06 folder Arts Kennzeichen in Eritaus
nen geraten seyn, und feinen Ausſpruch: Horrenda sunt
nomina specifica veterum sesquipedalia quae descriptio-
nes loco :differentiarum sistunt, dahin abgeändert haben,
dag den Neueren hierin der Vorzug gebühre.
Wir find zwar in der Drnithologie nach nicht fo weit,
von allen Deutihen Voͤgeln Arts Kennzeichen liefen zu können,
und muͤſſen uns daher öfters mit Beſchreibungen behelfen, ins
deffen ift dies mit dem Steinadler der Fall nicht. Beine bis
&uf die Zehen befiederten Beine unterfhriden ihn ſchon von
allen Deutfchen Adlern bie auf Aquila naevia Brissonii und
Aquila imperialis Leisleri, es waren daher nur nod Merk
mahle aufgufuchen,, weiche ihn von diefen beyden trennen.
Bon Aquila imperialis ift der Steinadler durch feinen abge⸗
rundeten Schwanz. und die nicht Über denfelben Hinausragenden
Schwingen, von Aquila naevia durch feine Größe hinlänglich
unterichieden , indem der NMheinadler nur die Größe des rauht
füßigen Buſſords hat, der Steinadler - alfo einige Schuhe
mehr in der Breite mißt. Das Arts Kennzeichen bed Stein⸗
adlers laͤßt fih demnach kurz und befimm auf folgende Weife
angeben. - |
Steinabdler (Aquila fulva Meyeri). Die Deine
bis auf die Zehen befiedert; die Schwingen nicht über den
abgerundeten Schwanz hinausragend ; fieben Fuß breit. ;
Außer der Unfoͤrmlichkeit, woran die von den Herauss
gebern aufgeſtellten Art⸗Kennzeichen leiden, haben fie einen
zweyten noch weſenilicheren Fehler, indem fie nicht die ganze
Art umfaſſe n; denn der alte Vogel, welchen Sinne’ unter dem
Namen Falco Chrysadtos — Goldadler — beſchrieb, iſt
nicht dark enthalten. Die drey bier gelieferten Abdildungen,
wovon zwey die Unterſchrift Goldadler führen, haben ſaͤmmt⸗
lich weiße Schwanzwurzein, fie gehören daher alle gu Falco
fulvus Linnei, und keiner zu Falco in, indem die
298 Dentſche Drnithologie von Bekler.c,
weſentlichen Kennzeichen, dDieagfchgrauem Bänder, fehlen. Wir
fehen daher keinen rund, warum Biefe Steinadler im ums
volltommenen Federfleide Aqua fulva Bekkeri find genannt
worden, da ja ſchon Briffen fie unter dem Namen Aquila
£usca befhrieben hat, und fie zu Aquila fulva Meyeri ges
Hören, . der befanntlih den Gold ; und Steinadler vereinigte
und ihm biefen Namen gab. Wenn alfo Bedflein feinen
Goldadler ausſtreichen fol, mie hier verlangt wird, fo muß
dies aus andern Gruͤnden gefhehen, denn der Bechfleinifche
Goildadler iſt einerley mit dem Linneifchen, ‚von dieſem if
‚aber in dev ganzen Beſchreibung nicht die Rede, es ſcheint
daher, daß ihn die Herausgeber nicht gefannt haben.
Bechſtein und andre Maturforfher haben zwar laͤngſt vers
muthet, daß der Goldadler mit dem Steinadter zu Niner Ay
gehörte, Meyer hat bafür den Beweis geliefert, indem er
nicht nur die Erfahrungen anderer noch lebenden Naturforfchet
hierüber , ſondern auch feine eigenen mittheilte, woraus fi
denn ergibt, daß der Linneifhe Falco fulvus gegen das fies
bente Jahr feines Alters in den Falco Chrysastos Linnei
übergeht. ©. Wetterauer Annalen 1. B. 1. H. S. 139 —ı48.
Bechſtein Hat hierauf auch im dritten Theile feines Taſchen⸗
buches bemerkt, daß nach Angabe der Neueren der Goldadler
ausgemerzt werden muͤſſe. Es befremdete uns daher ſehr, in
Diefem Hefte die Meyeriſche Abhandlung weder angefuͤhrt,
noch benugt zu finden, und wir muͤſſen es den Herausgebern
diderlaffen, wegen bdiefer Vernachlaͤßigung der Wiſſenſchaft
Entſchuldigungagruͤnde vorzubringen, da wir nicht einſehen,
soie dies zu entſchuldigen ſey. Wir bedauern, daß durch dies
sen Fehler die Irrthuͤmer, welche über diefe Adlerart herrſch⸗
sen, noch bey Dielen werden erhalten werden, um fo mehr
Da neuerlih auch Naumann den unverzeihlichen Verſtoß gegen
die Wiffenfchaft beging, und den alten und jungen Steins
adler als zwey verfhiedene Arten auftelte.
Da fih nad der in diefem Hefte enthaltenen Angabe in
dee Sroßherzoglihen Menagerie ein lebender Steinadler bes
findet, fo wuͤnſchen wir, daß die Herausgeber. für deſſen Er⸗
haltung beforgt ſeyn und von ihm, ‚wenn er fih in den
|
Zwey Bredigten von ©. L. Ribſch. 299
Pinneifchen Soldadler wird umgewandelt haben, in einem der
folgenden Hefte eine Abbildung, fo wie die bier unterlaſſench
Berichtigungen nadjlisfern möchten.
Die Abbildungen der Schleyerenlen ſtellen Dam, Weib
und jungen Vogel vor. Wir erhielten oft ım Fruͤhſahr alte
Männchen, die aber ſtets viel heller wie das hier abgebildete
gegeichnet waren. Diefe Eule liebt fo fehr die Wohnungen
bee Menſchen, daß man fie falt den Hausthieren beyzählen
kann; unrichtig iſt es aber, daß man fle vergebens in Waͤl⸗
dern fuche, wie hier angeführe wird, Dec. .hat fie Hfters in
hohlen Bäumen anf den Epern BeIaBBN: die “ac immer
reinweiß Maren.
In Ruͤckſicht der Kupfer muͤſſen wir noch bemerfen, daß
Vie Abbitdungen der Adler vortrefflich ausgeführt find; die
Eulen find nicht ganz fo gut gerathen.
Wir wuͤnſchen, daß die Herausgeber diefes in der That
ſchaͤtzenswerthe Werk ſchneller, wie in der letzteren Zeit ge⸗
ſchehen iſt, fortſetzen, und die hier gemachten Bemerkungen
zu deſſen Vervollkommnung benutzen moͤgen.
—
Zuey Vredigten bey der Ruͤckkebr der Pfarrgemeinde zu Wittenberg
aus der daſigen Schloßkirche in die Stadtkirche gehalten, von
D. €. 2. Nitzſch, der Theol. Vrof. des Conſiſt. Beuf. Pfarrer
und Superint. zu Wittenb. des Witt. Kreiſes Generalſup. Dir
tenberg bey GSeibt, 1812. 64 ©,
- Obgleih nur zwey Predigten, doch — genug,
um ſich vor ganzen Bänden dem Publicum zu empfehlen.
Wie die Zueignung des Verf. an feinen nun verewigten Freund
Reinhatd ein fchönes perfänliches Verhaͤltniß darlegt, fo zei⸗
gen diefe Kanzelreden, daß fe mit den erhabenen Muſtern
unfrer Zeit, mit: den Reinhardſchen, befreundet ſind, aber
ihren eignen Charakter frey behaupten: Durch den ganz ſpe⸗
ciellen Gegenſtand erhalten ſie noch einen eignen Werth m.
des Inhalts und der muftsrhaften Behandlung, -
300 Zivey Predigten von C. & Nitzſch.
An der erſten Predigt nimmt die Gemeinde mit ihrem
Ffarrer von dem Ort Abſchied, wo fie fich feit den Krieges
ftörungen 1807 verfammeln mußten, von der Schloßkirche,
welde Schon durch das Auge auf die aroßen Männer der Res’
formation erinnerte. Der Redner, nicht vorbeplaffend das
Intereſſe der Zeit. und des Otts, redet, nad) einem kurzen
Biftoriihen Eingang, nah Hebr, 18, 7. von den dankbaren
Erinnerungen, mit denen die Gemeinde aus diefem Gottes⸗
Haufe ſcheidet; es find Erinnerungen, ı. an den Stifter uns
fers Glaubens, g. an die Wiederherſteller diefes Glaubens,
5. an die dortige hohe Schule. Er fpriche kurz und klar,
rednerifh und einfach; nicht, wie Viele wollen, immer nur
durch den Verſtand zum Kerzen, und noch weniger, wie eine
neuere Mode wollte, dur den Lnverfiand zum Gemuͤthe.
Keine der Perioden fieht aus, als gehörte fie zu irgend einer
:moraliihen Abhandlung, fondern jede gehört grade gu dieſer
Predigt. Nur durfte immer bey ihren Worgügen der Bes
flimmeheit und Helligkeit das Colorit etwas wärmer feyn.
Wie viel beffer aber Einfachheit und Kürze ergreift, als jeder
beliebte Wortdienſt, das fehe man ©. 15 folg. in der fo
treffenden Hindeutung auf die vier berühmten Bildniffe, welche
diefe Kirche zieren, auf die „zwey fürfllichen Brüder“ ( Fries
drich der Weife und Johann der Beſtaͤndige) „und auf Me
zwey gelehrten Freunde“ (Luther und Melanchthon). Ws
diefe ‘vor den Augen flanden, da bedurfte es grade nur
diefe wenigen Worte, um mit fremmen Gedanken die Her—
gen zu erfüllen. — Gegen das Schlußgebet möchten wir ers
innern, daß es mehr zu ale aus den Herzen der Zuhörer
fprehe, und darum’ auch etwas zu lang ſey. Doch kommt -
ben fo mas das meilte auf den Vortrag an.
Non der zweyten Predigt läßt fich daſſelbe rähmen, "was
von der erfien. Da man nur felten. noch, und nicht ohne
Grund, Predigten allgemeinen Inhalts leſen (und hoͤren)
mag, fo find ſolche fpecielle Reden nicht bloß für den Zuhörer,
fondern für das theologifhe Publicum fehr ſchaͤtzbar. Solche,
fagen mir. Diefe wurde am Neujahrstage ıdı8 bey der
Einweihung der-wiedsrhergeftellten Pfarsticche zu W. gehalten
Ziven Predigten von C. 2. Nitzſch. 31
ber PHU. 4, 4., und das Thema war: Die Freude in dem
Seren, durch weiche wir ihm dieſes Haus weihen ſollen
(Rec. Hätte es in einen einfahen Satz zufammengegogen );
2. ihre Duellen, ©. ihre Wirkungen. Der erfte Theil zeigt
die Liebe. und Achtung für die gemeinfhaftliche Andacht ner
Chriften als .die Quelle, und der zweyte: Danfgefühle, fromme
Entſchloſſenheit eines jeden zur eignen Seelforge, Eifer im
Äffentlichen Bekenntniſſe Chriſti, Sorgfalt gegen jede Enthei⸗
ligung des geweihten Hauſes, fromme Wuͤnſche und Hoffnun⸗
gen als die Wirkung. Auch dieſe Predigt ſchließt mit einem
Gebete, dem wir nur einen Ton tieferer Andacht wuͤnſchten,
wedurch denn einige ſtoͤrende Ausdruͤcke weggefallen waͤren.
Doch das ſind kleine Mängel, und Rec. ſcheut ſich nicht, dieſe
beyden Predigten unter die Muſter in dieſer Gattung zu
ſetzen. Der Leſer legt ſie gewiß nicht ohne eine angenehme
Erbauung aus der Hand, und freut ſich dankbar der belehren⸗
den Zugabe in den hinten angefuͤgten Anmerkungen. Noch
etwas hätte Rec. zur Vollendung der zweyten dieſer Kanzels
reden gewuͤnſcht. Die Zuhörer werden gegen die Nachlaͤſſig⸗
Leit im Kirchenbeſuchen gewarnt, und es wird nur von dems
jenigen Grunde biefes Uebels geſprochen, der. in dem Zuhörer
Siege: aber iſt das nicht bloß die Hälfte defien, wovou zu
fprehen war? Und wer hatte mehr innern und aͤußern Ges
nf, auch Hier ein Wort den künftigen Geiſtlichen an das
Herz zu legen, als diefer ehrwuͤrdige und verdienftvolle- Lehrer
‚auf der Kanzel und auf. dem Katheder ? Doch wollen wir
nicht gu viel tadeln, denn er konnte Gründe haben, warum
er hier grade davon ſchwieg. Dafür fehe man folgendes
lieber bloß als eine gelsgenpeitliche Sergensergießung des
Rec. an.
: DE genug hort man jetzt die Rage, daß die Kirchen
verlaſſen ſtehn; man Hört fie meiſt von dem Prediger, aber
wo wird der Zuhoͤrer dagegen vernommen? Dieſer naͤmlich
will nicht alies das Moraliſirende oder Dogmatifirende, oder
Myſticiſirende, nicht homiletiſche Kuͤnſteleyen hören: dafür
kann er in vielen Blaͤttern und Buͤchern ſich beſſer unterhal⸗
ten, oder auch in guten Geſellſchaften, oder auch etwa vor
—
—
-
x ze Catalogus’ Bibliothecae ed. G. L. Rahner:
Kenutniß der Samminng haben ſich Hirfh, Serz, Her—
ser, von Murr und der noch lebende gelehrte Diakonus
Dedermälfer verdient gemadt. Die Manufcripte find
vornehmlich durc) des unermüderen von Murr Memorabi-
lia Bibliothecarum Norimbergensiam P. IL ( 1768 ) be⸗
kannter geworden. Der jetzige Catalog bietet nun zum Ber
kauf an: A. Manuſcripte. Drep bibliich » hebräifche, bekannt
durch Nagels Differtationen von 1749 und 1769, ein Rabbin.
von Maimonides , einen durd) Schoͤnleben 1958 befchriebenen
Cod. gr. Novi Testam. membz.. Saec, XII. 17 Lateiniſch⸗
Bibliſche, 37 Arabifche und Tärkifhe, ein Perſiſches. Die
neueren Deutichen und Lateiniihen Manuſcripte, welche meiſt
Neiſen, Geſchichte, Diplomatik, fädtifhe Rechtskunde und
Landrechte betreffen, gehen von No. 66. bis 379. Die Was
nuſcripte ‚von claſſiſchen Autoren vollends bis No. 400. in
Terenz cum schol. Sec. XI oder XIL, ſcheint noch nicht bes
nußt. Mach den Manufcripten folgen B. 45 Libri impressi
Seeuli XV. sine notatione unni. Von No, 446. bis
648. libri Sec. XV. impressi cum notatione anni; von
da an bis No. 1794. impressa bis zum Jahr 1550. Diefe
Mummiern enthalten, meil meiltens mehrere Piecen zuſam⸗
men gebunden find, vier Taufende won Incunabeln und
ähnlichen für die Neformationsgeit merkwärdigen gleichs
zeitigen Drucken. Die Beſchaffenheit der vorhandenen
Eremplare iſt getreu angezeigt, faſt bey ‚jeder Raritaͤt werd
bibliographifche Fundgruben nachgewiefen, wo der Geſchma
der Liebhaber durch mehrere Notizen gereist und ‚befriedigt
werden kann; biswelten gibt es jogar ein incognitumg ; meh
es zu Panzer Annales typograph. nachzutragen if. Möge
denn aud) diefe Sammlung erfahren, was der im den Alten
wohlgeuͤbte Derfaffer des Catalogs aus Lucrez troͤſtliches am
führe : dissolvir Natura; neque ad nihilum interimit res,
Haud penitus -pereunt, quaecurique ( perlsse) videntur;
uando aliud ex alio reficit Natura.
⸗. E. © Pantuc
J
No. 20. Seidelbergiſche 4813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Blattdeutſche Gedichte nach dem Willen des Verfaſſers herausgegeben
von Bornemann. Berlin, gedruckt bey Georg Decker.
1810. 8.
Mars eine befondere Aufmerkſamkeit auf alles, was nicht fos
wohl ‚den gebildeten Theil der Nation , als vielmehr die ganze
Nation angeht, ift ung diefe Sammlung Plattdeutſcher Gedichte
zugeführe worden. Nun wende man uns nidyt ein, daß das
Plattdeutſche doh nur Sprahe eines Lleineren Theile der
Deutſchen Nation, ſey, genug es begreift noch mehrere Millios
nen Deutfche; diefe Singewelt iſt alfo immer nod viel zahl⸗
reicher, als die gebildete Waffe der lefenden Mation, aud: hat
dieſer Plattdeutſche Theil der Nation mandye Eigenthümlichkeit,
berühre das Innenmeer, die Oſtſee, wohnt.an großen Stroͤ⸗
men, und würde in diefer mannigfaltig anregenden Beräbr
rung ficher viel eigenehümliche Poefieen bewahrt haben, wenn
ihm niche Gebürge fehlten, weswegen er von dem Wechſel
der Kriege viel rafcher und verheerender gu aller Zeit ergriffen
ward, : und fih inzwiſchen von der Ausbildung der Hochs
deutfchen Mundart fo weit übertroffen ſah, daß er für Staat
und Kirche jene annahm, und die Plattdeutſche Mundart
nur für den vertraufihen häuslihen Kreis bewahrte. Dies
fer Häusliche Kreis wäre es alfo, fammt der’ Kiugheit in der
Beruͤhrung mit der Höheren anders redenden Welt, die dem
Plattdeutſchen Wolfe norhwendig wurde, zugleich Spott über
diefe höheren Kreife, die freylich hinter der freyen Zutraulich⸗
feit in mancherley zuruͤckblieben, während fie ſich fehr übers
legen wähnten. Das wäre uns hauptſaͤchlich naͤchſt manchem
guten Scherz nod im Munde des Plattdeurfch redenden. Vols -
kes übrig; ältere Heldenſage iM faſt ganz verſtummt, fpätere
Kriegslieder ſind Hochdeutſch, aͤltere Kinderſagen finden ſich
nur noch in verſteckten Winkeln, neuere ſind meiſt aus dem
| 20
396 Altdentiche Gedichte von Bornemann.
Hochdeutſchen entlehnt, überall Hat faſt die Aufklaͤrerey bie
Sparbädfen des Volks zerſchlagen und die Flappernden Keller
unter dem Vorwande weggenommen, es fey alte verrufene
Münze. Und doch, wie Haman fo fhön fagt, beſteht in
Bildern der ganze Schatz menfchliher Erkenntniß. Auch in
Diefen Bildern der Volkspoeſie lag ein fo vollländiges Syſtem,
als fie noch beyfammen waren, wie irgend ein neuerer Philos
foph fih nur träumen loffen mag, ſey es. daß er fein Sm
dium mit dem Worte Erfahren, oder mit dem Worte Ofr
fenbaren angefangen hat.
Aus dem Sefagten wird der Inhalt diefer Gedichte den
Leſern erklaͤrlicher werden, die, wenn auch nicht eigentlich volks
mäßig, doch deutlich aus einer wahren Berührung mit dem
Molke hervorgegangen find. Wir fehen nämlich. auch Hier, was
eben als — des Plattdeutſchen angegeben worden, haͤus⸗
liche Luft, ©. 18. 24, Klugheit gegen höhere Kreife, Spott
darüber, insbefondere über Gelehrte (©. 9. 125. 100. 107),
Scherz wie in den meiften übrigen, mande Züge darin find
aͤcht vollsmäßig aufgefaßt, und doch glauben wir, daß dieſe
Lieder fih eher als Sprachſcherz in den gebildeten Hochdeutſchen
Lefe s Kreifen verbreiten würden, wenn” gute Melodieen fih
dazu fänden, als daß fie je zum Volkliede des Plattdeutſch
redenden Volkes werden könnten. Der Grund davon liege nahe,
der Verf. weiß das Piartdeutihe der Markt Brandenburg fo.
gut, wie Voß den Miederfähfiihen und Hebel den Badischen
Volksdialect kannten, aber er lebt eben fo wenig darin, mie
jene; es ift in allen dreyen ein freundliches Verſetzen in die
Sprache der ärmeren Klaffe, aber alle drey tragen noch eine
andere Bildung in fih, die fih nicht in dem Einzelnen mit
dem Molke verbinden ließ, die erſt eine ganze Nation durch⸗
laufen muß, ehe fie ganz vollsmäßig wird. Wir geftchen,
daß in Hebel dieſe Differenz mehr ausgeglichen iſt, aber ſchon
die Wahl Griechifher Sylbenmaſie in manchen feiner Gedichte,
insbeſondere aber das Verweilen bey Dingen, die dem Bor
nehmen. zu erfahren fehr lieb find, die’ aber dem Wolke, weil
es davon umgeben ift, allzubekannt find, zeigen, daſt es doc) mehr
-ein Heraufräden des Volksmaͤßigen zum Genuſſe der höheren
Stände, als Lieder für das Volk find. Offenbar ift fein Schaf
\
’
Altdentfche Gedichte von Bornemann. 307
fäflein des rheinifchen Hausfreundes, ob es gleich in keinem
Dialekte geichrieden, volksmaͤßiger als die Alemannifhen Ges .
dihte. Um den Unterfchied an einem der bier in der Samm⸗
lung mitgetheilten Gedichte im Beyſpiel zu . ‚, fo wählen
wir die Bauernhochzeit ©. 18.
1.
Juchhay Hochtiet!
Hochtiet is huͤt
Kieckt de ſchmucke Brut maal an,
Un den drallen Bruͤggamsmann,
Wie ſe ſick ſo herzig ſchnuͤtern
Un mit Fuͤer Ogen kluͤtern!
Schnuͤtert, kluͤtert friſch drup in
Bruͤtluͤd muͤtten hitzig ſin.
Suhhap Juchhaideldey,
Juchhap. —
2
Juchhad u. . w.
Hei wie de Trumpeten ſchalln,
Un de Pulver Buͤſſen knalln,
Alle Klocken trekt de Koͤſter,
Ingeſegnet haͤt de Preſter,
Hans un Grein biede tru,
Hans un Gret ſin Mann un u Juchhap.
3
Juchhap u. f. w.
Schlagd den brange fe ſchons Herbie
Den kaptealen Herfe Brie.
Stief mit Sandel äberzudert ,'
Daͤt daͤt Herz im Liewe pudert;
Ut de Müler pieperfings
Loͤpt dar Waater rechts und links. u. ſ. w.
Wir fühlen gleich, der Dichter iſt von der Herrlichkeit dies
fer Hirſe nicht mitergriffen, die Hochzeitfreude wird ihm zum
. Spott. Aehnlich finge Schmidt ‚bey der Bauernhochzeit von
dem glänzenden Daumen der Braut beym Schweinebraten als
Spott, und diefes Vornehmfeyn hinderte ihn, Volksdichter zu
werden, ungeachtet mancher glücklichen Anlage. Auch die Platts
dentſchen Hochzeitlieder in der Inftigen Geſellſchaft von Peter
308 Aldentfche Gedichte von Bornemenn.
de Memel. Zippel Zerbſt 1695, ©. 269 und 277 ind nur ein
Scherz des Beſſerunterrichteten, der fi uͤber das Ansfafficen
der Braut, Über das viele Nöthigen beym Eſſen Iuflig mad.
Wirklihe Hochzeitlieder des Volkes machen ih nicht über die
Hochzeit, fondern mit der Hochzeit Inflig. Zum Benfpiel
führen wir aus einer muͤndlichen Mittheilung — in Pom⸗
mern haͤufig gefungene Hochzeitlied an:
De Hochtit.
Küferh feggt unfe Hahn, '
Upt Srieen mul he riden,
Blanfe Sporen fnallı be an, .
Enn Degen an de Eiden ;
As he vor Ukermuͤnde kamm,
War ſeden fine Luͤde?
„De Koh ſtund voͤr dem Für,
„Dat Kalf lag in de Weege,
„De Hund de haart de Votter,
„De Katt de lickt de Schöttel,
„De Scharpenvever fegt dat Hub,
„De Multworm dregt dat Mult ut;
„He drag dat woll vor ene Schün,
„Da doͤſchten dre Kappunen in,
„Doͤſchten dar fhone Hawer Caff
v Dar bruuden fe ſtark Bier aff:
„Dat Bier namm enen Sus
„To'n Gaͤbel ur dem Hus;
„Gaͤſter mit dem langen Schwanz
„Deed mit de Brut den Voͤrdanz/
„Sparling dar gar lütte Ding
„Gaff de Brut den Zroring,
„Adbar mir de fangen Knaken
„Wull de Brut dat Bedd upmafen.*
Wie voltsmäßig Dies Lied aber feyn muß, und bie hochherr—
: fihe Unordnung einer Hochzeit ausdruͤckt, beweiſſt, daß wis
e8 aus einem andern Munde derfelben Gegend folgender a
ſtalt verändert erhalten : : | iR
IE weet enn keed,
Dat ’neemand weet,
Dat kat id von de ople Magret;
Altdentſche Gedichte von Bornemann. 309
As id na Runken keem,
Da ſchale ick minen Wunner ſeen,
De Kart de kneet de Boter,
"De Hund de wuſch de Scöttel,
De Stedermud de feegt dat Huus
De Müf de dDragen dad Mult herut
Achter unfe Schüne,
Dar Runden twee Kaphäne,
De enn de fchlag den Hawer af,
De andre brout dat Beer daraf,
De Kukuk up den Tune
Berfoop ſik in den Schume
De Hene up den Nefte
Verſoop ſik in de Geſte
De Hane up den Wimen
De (dal bynah beſchwimen.
Wir ſehen aus den beyden wohl nicht vollſtaͤndig erhaltenen
Volksliedern den Unterſchied deutlich; fo wenig "der Soldat
fein Epercitium in Liedern abfingen mag, fo wenig der Bauer
den ruhigen Verlauf feiner Beſchaͤftigungen und das Einzelne
feiner Lebensfefte, er möchte nur die Sefinnung des Gefühle
darftellen, was ihn dabey anwandelt. Anders aber begehren
es höhere Stände, und dieſe haben billige Rechte, und wie
können ihnen-diefe Lieder -aufrichtig empfehlen, die manches
recht wahr, mandes recht Eräftig ausiprechen ; mancher Einfall
ift gut, und Ein Lied (des verlorenen’ Hundes Todtenfeyer) hat
wirklich einen rährenden Effect, als 06 es reht von Kerzen
gelungen wäre. Wir wuͤnſchen vom Verf. bald mehr zu lefen,
vielleicht. gelingt es ihm, einmal alles Höhere abzuſchuͤtteln
und gang in der Sefinnung des Volkes zu fingen; in jedem _
Gall iſt es eine angenehme Abwechſelung, fih in bie Eigens
thümfichleiten einer andern wenig gefchriebenen Mundart vers
feßt zu fehen ; die aber den Dialect in verfchiedenen Gegenden
gehört Haben, werden die Werfchiedenheit in demſelben nicht
ohne Verwunderung fehen, während die ESchriftiprache des .
Hochdeutſchen fih immer mehr feſt ftellt, und von der lebenden
Beweglichkeit einer freyen Mundart entfernt.
nn
310 Alopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt,
Klopstock und seine Freunde. Briefwechsel der Familie Kiop-
stock unter sich, und zwischen dieser Familie, Gleim,
Schmidt, Fanny , Mcta und andern Freunden. Aus Gleims
brieflichem Nachlasse herausgeg. von Klamer Schmidt.
Halberstadt, 1810. ım Bureau für Litteratur und Kunst.
LXIV und gı4 ©. II. Band 366. 8.
Der erfte der Hier mitgeteilten 176 Briefe ift vom g. May
"1750, der lebte vom 5. Febr. 1805. Wie Klopſtock, ber
firenge Richter defien, was er geichrieben hatte, der ſelbſt feine
1787 und 1788 entworfene hiftorifche Bruchftüce über den fie
benjährigen Krieg, Friedrihs Sclahten und Heldenthaten,
in der Kolge den Flammen übergab, die Bekanntmachung bie
fer Briefiammlung , wenn er fie erlebt hätte, aufgenommen
Haben würde, läßt ſich errathen. Sicher hätte er wenigftend
darüber gezärnt, daß die Auswahl nicht firenger gemdcht iſt.
Die meilten Briefe des erften Bandes, befonders dic des
redfeligen Schmidt, floßen durch. ihren tändelnden, füßen
und wigelnden Ton zuruͤck. Selbſt die von Klopfiock find
großentheils feines Namens nicht würdig. Die Klopftods
Sulgers und Schuftheiß'fhe Beſchreibuug ihrer Schweis
zerreife, die mehrere Bogen einnimmt, erinnert lebhaft daran,
daß nicht jeder Humor ein Stern e'ſcher ift, und bey dem
von ©. 319 bis 331 fortgehenden gevierten Briefe, durch
deſſen Veranftaltung Sc midt einen Danf verdient zu haben
glaubt, bedauert man, auch den Namen Ramler zu finden.
Doch der zweyte Band entfhädige für Die leeren Garben des
erften. Schmidt ſchweigt ſeit dem 11. April 1755, die uͤbri⸗
gen Freunde aber haben inzwiſchen das Leben auch von der
ernſtern Seite kennen gelernt, und unterhalten ſich nun uͤber
mancherley Gegenſtaͤnde fo, daß man fie gern hoͤrt. DBefons
ders Liefert Diefer Band von Klopfloc, von feinen beyden
Sattinnen und von Gleim mehrere der Aufbewahrung wuͤrt
dige Briefe.
Zur Lebensgefchichte des großen Dichters und feiner Freunde
fpender zwar die vorliegende Brieffammlung nicht !viel; doch ifl
fie nicht aem an mandherley Notizen, wovon hier Einiges folgt.
Bd. I. ©. 55 erfahren wir, daß 19750 Jeruſalem in
Braunſchweig Klopftoc bey. fih Haben wollte, Hingegen
-
Kopfio und feine Freunde von Klamer Schmidt, 311
Sad, der Mofprediger in Berlin, der Meynung war, daß
die Selle nicht für ihm fey, und dagegen einen Plan hatte,
dab Ri. zwey Sjahre in Berlin mit Zufriedenheit und als völs
liger Herr feiner Stunden leben follte.. Aber noch in dem
nämlihen Jahre wurde er (nah) S. ı20) auf Bernſtorffs,
der in Paris auf Kiopftod (wie der legte Marfgraf von
Ansbah in Rom auf feinen Uz) aufmerkſam gemacht worden
war, und Moltke's Empfehlung, von: dem Könige von
Dänemark mit einem Gehalte von 400 Thalern ( 100 Thlr.
auf S. 127 iſt ohne Zweifel ein Druckfehler), wozu in der
‘
Folge (nah ©. 278) noch andre, Vernänfligungen kamen,
nah Kopenhagen berufen, um die Meifiade gu vollenden.
Ruͤhrend iſt &. 132 und an mehrern andern Stellen der Auss
druck von Ki. Liebe zu Fanny Schmidt, welde diefe duch
kalte Unempfindlichkeit erwiederte. Der Todesgefang, welden
Schmidt S. 141 dem Daͤniſchen Könige Regner Lodz
brok zufchreißt, Toll vielmehr, der Weberlieferung zufolge, von
des Königin Aslauga gedichtet ſeyn. Was S. 194 fg. über
Mißbrauch des Wiges und deffen Folgen gefagt iſt, mag, -da
diefe Krankheit immer gewöhnlicher wird, als MWarnungstafel
bier fiehen: „Wie haben Sie doch die Achnlichkeit, die ich
gwifchen der Schwierigkeit, einem Mädchen im Arioft, und
zwischen der, Ihnen zu trauen, angab, fo ſehr nach dem
Wortverftande nehmen könne? Sie wiffen ja, daß man «8
bey einem Einfalle, den der Urheber für witzig hält, eben
nicht übel nehmen muß, wenn etwas zu viel oder zu wenig -
Hefagt if. Warum ſollte man menigftens in einem .Anfalle
von Wis nicht eben fo viel Nachſicht fodern können, als in
einem Rauſche, da man in jenem feiner Zunge eben fo wenig.
maͤchtig iſt, als in’ diefem ?_ Es ift mir aber gleichwohl nichts
verdrießlicher, als daß ih Sie duch einen Fehler von diefer
Art beleidigt babe, vor dem man mich fihon fo oft gewarnt
hat. Der Henker hole doch alle Einfälle und alles Traveſtiren!
Ins künftige milk ich die Luft gu beyden unter die Landplas
sen mit zählen. Ich glaube überhaupt fall, daß von jenem
Griechiſchen Spoͤtter an, der fih durch einen Scherz über die
Einäugigkeit feines Königs um den Kopf gebracht, bis auf
mich, mehr Leute durch den Wis umgelommen find, ale durch
312 Alopſtock und ſeine Freunde von Klamer Schmidt.
den Krieg.“ ©. 255 ſpricht Kl. zum erfienmale von Meta
Moller aus Hamburg, die nachher, als Gattin, das Gluͤck
feines Lebens machte. S. 2ge Hält der Sänger des Meſſtas
feine Beftimmung fih in diefen Worten vor: „Sie war:
Vielen die Menichlichkeit desjenigen, der unvergangner Anbes
tung und Nahahmung würdig iſt, zu zeigen. - Dein Herz
mußte deswegen völlig von dir entwidelt- werden: Wehmuth
und TIhränen mußten es ausbilden. And wenn du zugleich
hiebey zeigteft, ‚daß die tiefe. Unterwerfung und Anbetung der
Vorſicht theurer find, als eine Stäcieligkeit, deren Dauer dir
fo unbefannt war, fo ift für dBih Lohn da.“ Der ©. 3ı5
erwähnte Bramine inspird iſt eine. von Lescalter vers
faßte Ueberfegung aus dem Englifchen des Buchhaͤndlers Dods⸗
lv. Nah ©. 342 rief Voltaire, da ihm eine Dame die:
beften Stellen aus Haller uͤberſetzte, einmal über das andre
aus: „Ah que cela est pitoyable!“ Walhalda (richtis
ger: Walhalla) bezeichnet nicht, wie &. 396 gefagt wird,
die Hölle der Kelten, fondern den Palaft der im Kampfe
gefallenen Helden. Die &. 409g geäuferte Vermuthung, daß
der Brief N. XLVI. niche in Klopſtock's Hände gekommen
ſeyn werde, wird durd die Im nächfifolgenden vorkommenden
Beziehungen auf denfelben unwahrſcheinlich.
- 8b. II. S. 105 erzähle RI. eine fchöne Anekdote von dem
Enthufiasmus, womit Hamburg's Bürger den liebenswürdigen
König Friedrich V. von Dänemark bey feiner Ankunft in
ihrer Stadt. empfingen: „Der König, der von Allen aufrich⸗
tig geliebe wird, die ihn fehn, hat, bey feinem Hierſeyn, von
Neuem erfahren, wie füß es ift, fo menfchlich gu ſeyn, als
er if. Er kam nah Hamburg, tim die vornehmften Straßen
der Stade zu befehn. Die Leute drängten fih fo fehr zu ihm,
daß feine Garde mehrentheils Hundert und mehr Schritte von
ihm entfernt blieb. Die wenigften von diefen Leuten waren
feine Unterthanen ; gleichwohl konnte fein Pferd kaum fort.
Er mußte oft völlig ſtillhalten. Sein Läufer, ber fih unter
den Hals des Pferdes retiriee Hatte, wurde beynahe erftict.
Die Leute faßten das Pferd, faften zuweilen gar den Steigs
bügel und die Füße des Königs an; fahen ihn unaufhörlich an,
riefen ihm unaufhörlich zu: Water! König! Vivat! Hurrah! —
Klopfiod und feine Freunde von Klamer Schmidt, 313
Komm bald wieder, Vater! — und taufend andre Sachen
wurden immer fort gerufen. Der König, der alles ſah, Allen
danfte, uud oft denen verbot, die das Volt abhalten wollten,
feste feinen Hut beynahe nicht auf; obgleich ein. flarkes Ges
witter mit Regen kam.“ S. 169 macht Gleim anf ein Be
duͤrfniß unfrer ſchoͤnen Litteratur aufmerffam, welchem bis
jeßt noch nicht abgehelfen if: Unſre Deutfhen Haben einen Ad⸗
difon,, der fie mit der Naſe auf die Schönheiten im Mefflas
ſtoͤßt, fo nöthig, als die Engländer. Ich las diefe Tage in
Addifon ; und im Lefen dacht" ich, wie viel Schönheiten im
Meffias wären, die Klopſtock weit über Milton ſetzten“ ©.
284 äußert ſich Rt. über Pindar’s Oden und Grillo's
Verdeutſchung derfelden alſo: „Wi Herr Grillo den gans
gen Pindar üderfegen? Mic deucht, er follte nur die ſchoͤn⸗
en Oden wählen. Wenn auch Pindar immer fchön wäre, fo
it es doch unmdglih, daß er uns für feine Materien fo ins
tereffirt, als wir es gewefen ſeyn würden, wenn wir Griechen
wären. Herrn Grillo's Weberfekung gefälle mir von vielen
Seiten; von andern aber nicht: Er iſt zu getreu und zu Pins
darifch in den Beywoͤrtern; und ich wei nicht, ob er dithy⸗
rambiſche Verſe oder Profa Hat mahen wollen. Ich füge
Hrn. Grillo ohne Einfleidung meine Meynung, und das kommt
daher, weil ich die Ausführung feines Unternehmens wuͤnſche.“
Die elendeften Romane finden ihre Verleger; Grillo konnte,
wie &. 380 bemerkt ift, zu feiner Lieberfegung des Pindar,
woran er faft ein ganzes Leben gearbeitet hatte, und von wels
her auch Hr. Klamer Schmide mit Beyfall ſpricht, kei
nen Verleger finden. Nur die Ueberfegung der eilften Olym⸗
pifhen Ode Hi im Goͤttingiſchen Mufenalmanah
1772. &. 208 abgedrudt. Non Mengs kommen ©. 188
folgende Motizen vor: „Er hat Spanien gar nicht lieb; als
lein die anfehnliche Penſion, die fechstaufend Thaler ſchwer
Geld beträgt, wobey das Logis frey ift, und ihm Mautthiere
auf königliche Koften gehalten werden, die Ausſicht, daß die
Hälfte diefer Penfion für feine Frau fortdauern wird, wenn
er vor ihr ſtirbt, werden ihn ſowohl, als feine Frau, unges
achtet le beyde lieber in Rom oder in Dresden wären, bens
noch in Madrid erhalten, und es ift gewiß, daß er nirgends
314 Alopſtock und feine Freunde von Kamer Schmidt.
fo viele Bortheile zuſammen haben wird. Dabey bat er bie
Freyheit, nody fonft zu malen, was er etwa malen will, die
er. vorher nicht hatte, und die ihm nicht wenig einbringt.“
Die ©. ıdg erwähnte Weberfeßung einiger Fragmente aus
Honrer von Klopftoc’s Bruder, von weicher Br. Klas
mer Schmidt (BL. ı. ©. XLVIII) fagt, daß er in kei
nem feiner Handbuͤcher habe finden können, ob und wo jfie
gedruckt fey ? ſteht in Pattzke's Wocenichrift: Der Greis,
Th. 9. St. 107. und 114. Zwar ift dort der Ueberſetzer nicht
angegeben; aber Degen, in feiner Litteratur der Deurfchen
Ueberſetzungen der Sriehen, Bd. ı. S. 385 nenne Klops
ſtockes Bruder, und citirt dabey: Allg. Deutfhe Biblio
thef, Bd. 3. St. 2. (ohne Zweifel die Berliner Kritik,
von welcher der Ueberſetzer, im def oben angeführten Stelle,
beſtimmte Nachricht zu erhalten wuͤnſchte). S. ı96 und 197
geven Ki. Aeußeruagen Über Gerftenberg'’s Ugolino und
über feine eigne Hermanns Schlacht. „Serfienberg
har einen Ugolino gemacht, der trefflich, und , mid daͤucht,
nicht zu ſchrecklich iſt. Ich habe das kleine Verdienft dabey,
ihn aufgemuntere zu haben. — Hermanns Schladt,
ein Bardier für die Schaubähne, liege auch zum Drucke fer
tig. Weil ich mie Ihnen eben fo Ihwage, fe kann ih Ahnen
wohl davon Tagen, daß ich fie ein wenig lieb habe, und daß
fie ſehr vaterländiich ift, und weil mir's mit diefem Vaterläns
diſchen fehr von Herzen gegangen ift, und ich mich daben wer
der auf einen kritiſchen Dreyfuß, noch Vierfuß, hinſetzte, und
nach Herausbrinqung des viellehrenden Babes: Ein Mationats
gedicht intereffirt die Nation, die es angeht! geſchrieben habe;
fo denke ich, daß jenes Vaterlaͤndiſche wieder zu Herzen gehen
fol.“ In Sräter’s Bragur, Bd. 6. Abth. 2. ©. 23ı war
die Frage aufgeworfen: wie es komme, daß Klopftod in
folgender Stelle der 1747 gedichteten Ode, Wingolf:
„Willſt du zu Strophen werden, o Haingefang ?
Willſt du geſetzlos, Oſſian's Schwungt gleich,
Gleich Ullers Tanz auf Meerkryſtalle,
Grey aus der Seele des Dichterd ſchweben ?“
Dffian’s fhon gedenke, von deffen Hederreften doch erſt
Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 315
Macpherfon die erfien Proben dem Publicum mitgethetlt
habe? Hierauf wurde in der Oberdeutſchen Litteraturgeitung
180g. Pr. 149. geantwortet, daß, da von Kl. Oden die erſte
Ausgabe erft 1771 herausgelommen, die Stelle in der 1747
gedichteten Dde, wo Oſſian's Name vorkommt, vermuthlich
af nach der Erfheinung dee Macpherfoniihen Samms
(ung zugefeßt oder umgearbeitet worden fey. Diefe Bermus
thung wird nun durch dasjenige beftätigt, was Ki. S. 198 in
einem Driefe an Gleim vom 19. Dec. 1767 ſchreibt: „Und
meine Oden, bie Sie fonft fo lieb zu haben pflegten, wers
den auch bald entweder gedruckt oder in Manufcript zu Ihnen
tommen. Wo Mythologie vorkommt, da ift es celtiiche, oder
die Mythologie unfrer Vorfahren. Die lange Ode an meine
Freunde ift daher, was die Ausbildung anbetrifft, jetzt gang
anders. Sie heißt Wingolf (ift der Tempel der Kreunds
haft; — Sie Haben doch Mallets Auszug aus der Edda ges
lefen? — ).“ Daß Kl. erfi duch Macpherfon den Kales
doniſchen Sänger kennen lernte, läßt fih darans fchließen, .
weil er S. 214 Macpherfon den Nitter des Barden
Dfftian nennt. Das Honorar, welches Ki. von Hemmerde
in Halle für feine Meiflade erhicht, mar, nah &. a0g, zwölf -
Thaler in Louisd’or für den Bogen, die Einleitung mitgezählt.
Kaifer Joſeph beehrte ihn (S. neo) mit einer goldnen, .
mit Brillanten umgebenen Medaille. Von Angelifa Kaufs
mann ſchreibt Kl. S. ned fg. „Ich bin feit Kurzem in eine
Deutſche Malerin in London, Angelika Kaufmann, beys
nahe verliebt. Sie hat einen Briefwechfel mit mir angefangen,
und will mir ſchicken einen Kopf Oſſians nach ihrer Phantafie,
ihre Portrait und ein Gemälde aus dem Meffias. Außer dem
allen will fie mich auch in Kupfer ſtechen. Wie ſtark dieſes
junge ſchwarzaͤugige Mädchen in der Kunft ii, werden Sie
fehen, wenn ich Ahnen fage, daß ihr die Herren Grofibritans
nier funfzig Suineen für ein Portrait bezahlen.“ Eben der
Brief, von welhen Kl. (S. 2350) an Gleim ſchreibt:
„ Verbrennen Sie diefen, damit er der Gefahr, verlegt zu
werden, fchlechterdings nicht ausgelegt fen,“ kommt jebt, durch
die Druderpveffe_ vervielfältige, vor die Augen des ganzen
316 Niopflod und ſeine Freunde von Klamer Schmidt,
Deutſch lefenden Püblicums! Um auch den Aerzten etwas aus
dieſer Yrieflammlung zum Beten zu geben, ftehe bier, was
‚Ri. S. 238 ſchreibt: Schlagen Sie doc Pfutſch vor, daß
er ihr viel China gibt. Wenn er es gut finder, fo will ich
ihm China, und rechte gute, ſchicken. China können Sie auch
einnehmen, liebſter Gleim! anftatt Brunnen und andre Traͤnk⸗
fein zu trinten. Ich habe fie, bey Gelegenheit des Fiebers,
fo lieb gewonnen, daß ich ihr audy bey allen andern Veran—⸗
laffungen zuſpreche, und mit gutem Erfolge. Ich bin eben fein
Einnehmer; alfo laffen Sie fi meine Empfehlung nur im
mer empfohlen feyn. Statt der China manchmal Quaſſia und
viel Bewegung: dies ift Alte, worauf ich mid im Abſicht
auf die Medicin einlaffe:
“ „Chinare, Quassiare , ensuita ex spatiare:
Et dignus, dignus es intrare |
In nostro docto corpore !*
S. 266. Kl. Urtheils uͤber Gleims rothes Buch: „Ihr
rothes Buch hat mir keine kleine Freude gemacht. Es hat
ſehr viel Neues in Sache und Ausführung ; nur etliche lyriſche
Wiederholungen wuͤnſchte ich heraus, und hier und da eine
Peine Härte.“ Wenn der Hr. Herausgeber diefer Briefſamm—
(was Rec. von dem gemüthvollen Manne gern glaubt) durd
die Bekanntmachung derfelben Niemand beleidigen wollte, fü
laͤßt fich’s nur als eine derjenigen Erfcheinungen,
quas aut incuria fudit ,
Aut humana paruin cavit natura,
erflären, daß er. gleichwohl &. odı in einem Briefe von
Gleim an Kt. die Stelle fiehen lieh: „Claudiys ti
Matthias Claudius. — Ber jolhen Vorfällen kommt man
auf den Gedanken, er zwinge fich zu feinem launigen Charaks
ter. Sagen Sie dem Unhold fein Wort mehr darüber * ©.
315 flieht Kt. Urtheil Über Ffuͤger: „Füger in Wien (er
ift aber kein Wiener) Hat mir vortrefflihe Zeichnungen zum
Meiflas geſchickt. Er iſt leider! unfer größter Maler ; leider,
fage ich, weil er meine fehr geliebte Angelika übertrifft.“
(Nachrichten aus Wien zufolge werden jetzt Fuͤg er's Zeich⸗
Klopſtock und feine Freunde von Alamer Schmidt. 317
nungen zur Mefflade, von Leibold für den Grafen von
Gries, umd von John für Meermann’s Hollaͤndiſche
Ueberſetzung des unfterblichen Gedichts, in Kupfer geflohen.)
S. 396. Ki. Aenßerung Aber Netfon: „Ih babe Nelfou
kennen gelernt; er ift ohne alle Anfprüche, oder (da ich von
ihm rede, muß ih mich anders ausdrüden) er läßt fih nie
gu Anfprüchen herunter. Er hat eine vielleicht fehr ſchwer zu
malende Heiterkeit, die zuweilen ein wenig lähelnd wird.“
Gleim gibt unterm 3. Auguft 1801 von der Herſtellung fels
nes Geſichts ©. 331 folgende Nachricht: „Da ich, feit einks
ger Zeit, nicht mehr recht fehen, und weder lefen, nad, ſchrei⸗
ben konnte, fo habe id mir das eine Auge geflern operirem
laſſen, nämlich das linke. Mein Gtoßneffe, dar Prof. Himly
in Braunſchweig, hat es mir operirt, fo ſchnell, als ſchonend
und gluͤcklich! — Ich befinde mich, nad. der Operation, ſehr
wohl, und wänfche ſehnſuchtsvoll, meinen Klopfto im neuen
Lichte. wieder zu fehn, ehe ich ihn im ewi gen umarme. Ich
habe, bey der Operation, nur zweymal geſeufzt. aus Langer⸗
weile. Nichte wahr? das Heiß’ ich einen Preußiſchen Grena—
dir = Aber am 13. Dec. deffelben Jahre ſchreibt er (S.
858): „Die Hoffnung ift nicht erfüllt. Das mit einem Spieß
durchwuͤhlte Auge ſieht noch nichts, als meine noch immer
dummen Wedel, das andre nur fo viel, daß ih im Zimmer
auf und nieder gehen kann. Seit der Operation hatt? ich feis
nen guten Tag, und hundert und drey und dreyßig fchlaflofe
Nächte. Mein Zuftand iſt trauriger, als ein Klopſtock ihr
befchreiben könnte. Die Langeweile plagt, mich entfeglih. Ju
einer Stadt, in welcher drey Lateinifche Schulen find und ein
Schulmeiſter⸗ Seminarium, Hab’ ich einen guten Vorleſer
auffinden können.“ Der biedre Sänger verlor. nah. und nad
fein Gefihe ganz. Am 18. Febr. 1803, 24 Tage vor feines‘
KRlopkod’s Ende, welchem er noch am 24. Januar hatte
ſchreiben laffen: „Ih flerbe, lieber Klopſtock! — As ein
Sterbender ſag' ih: in: diefem Leben haben wir für und mit
einander nicht genug gelebt; in jenem wollen wir's nachholen,“
führte der Genius mit der geſenkten Fackel ihn in bie nr
zungen des Lichte hinuͤber.
318 Herda von J. ©. Pahl.
Durch die, unter dem Titel: „Etwas über die Freunde
und Freundinnen, von denen bier Briefe vorkommen ,“ dem
Briefwechſel vorausgeichickten, meift biographifhen, Notizen.
und die zur Erläuterung einzelner Stellen der Briefe beyge:
fügten Anmerkungen hat der. Hr. Herausgeber ſich Anfpräche
auf den Dank der Lefer erworben. Nur Folgendes finden wir
bey leßtern zn bemerken: daß, wie ©. 379 gefagt wird, erfl
durh Sam. Gotth. Lange’s odaifhe Verfuche die Deutfchen.
mit reimiofen Dichtungen befannt worden feyen, ift nicht ohne
Einfhränfung richtig 3 Ichon früher machten v. Seckendorf,
Bodmer und Gottſched, ja bereits im fechzehnten Jahr⸗
hunderte Fifhart und Gesner, reimloſe Verſe. Der ©.
381 erwähnte Prediger Alberii ſtarb zu Hamburg. Der
eigentliche Titel der S. 389 angeführten Lieder, deren Ertrag
Gileim für Michaelis Scweftern beflimmte, if: Bl
dichte nach den —
— Erzaͤhlungen und Benäive aus der teutfchen Vorzeit für
Sreunde der vaterländifhen Geſchiche. Bon J. ©. Baht.
Zweyter Band. Freyburg und Konfanz, in der Herderſchen Bug
handlung. 1812. 320 ©. 8
( Sortfegung der im Jahrg. 1812 No. 73. befindlichen Recenfion. )
Alle dieſe Vorzuͤge, welche Rec. von dem erften Bande
dieſes Werks gerühmt hat, gereichen auch dem zweyten zur
Empfehlung. Ee wird alfo genug ſeyn, den Inhalt deffelben
Türzlicdy anzugeben, der in folgenden Auffägen beſteht: Die
Römer und die Germanen. Die im erftn Bande anı
gefangene Erzählung der unanfhörlichen Fehden zwifchen dem
„größten und maͤchtigſten aller Reiche, welche die Annalen des
“menfchlichen Befchlehts ung nennen, — dem Reiche, das in
der Zeit feiner Bluͤte alle civilifirten Länder der Welt umfafite;
— dem an militärifcher Bildung und Stärke vielleicht Feines
der frühern und der fpätern glich — außer dem es einft nir—
gends Eine wiflenfchaftlihe Kultur gab, und in dem alles ſich
"vereinigt fand, ‚was Genie und Geſchmack hervorzubringen
und zu bilden vermochten, — das in der Weltgefchichte ewig
Herda von J. ©, Bahl. 319
als einer der großen Mittelpuncte ſteht, aus dem bie Schick⸗
fale der meiften Voͤlker fid entwickeln, oder in dem fie fi
ſchließen, — das reiher war, als ſonſt irgend eines an bels
denmäthigen, patriotiichen, kraftvollen und felbfifiändigen Mäns
nern,“ und den „Horden Germaniens, die Gott aus ihren
Wildniſſen Hervorgerufen hatte, auf daß fie ſelbſt, und durch
ſie die andern Nationen wiedergebohren würden ‚* ift hier bis
zum Untergange des en Reichs der Roͤmer fork
geführt.
Wie das Reit und das Baus Karls des Grofs
fen unterging. „Es waren — fo fchließt dieſer Aufiag —
in dem Gefchlechte der Karolinger die großen Figenfchaften
und die Tugenden der Väter erlofhen ; darum mußte es uns
tergeben ; und fo wiederholten die Annalen diefes Geſchlechtes
diefelbe Lehre, die Überhaupt das Reſultat aller Geſchichte ift,
daß, was Geift und Muth geichaffen, nur fo lange beftehe,
als Geift und Muth es erhalten!“ Die Stadt Ulm im
Sürftenfriege im Jahre 1552. (Eingefandt.) ©. 188,
wo die Quellen dieſer Erzählung angeführte find, hat der
Setzer aus Schertling Leben einen Schertltosleben
gemacht. Nah ©. 149 ließ K. Kart V. unter andern Gna⸗
dendegeugungen, wodurd er feine Zufriedenheit mit der bes
währten Treue der Ulmer zu erkennen geben wollte, den Wais
fenfnaben in Ulm eine Mahlzeit und — ein Bad zubereiten.
Die Wallfahrt nah Hohenftaufen Auh Rec. Hat
diefe Wallfahrt gemacht, und erinnert fih mit nie erläfchens
dem Vergnügen bes jeden Aisdruck Übertreffenden Genuſſes,
weichen fie ihm gewährte. Was Herr Pahl in feiner Near
tionalchronif der Deutſchen 1805. ©. 88. und:
1806. St. 15. über den Staufen und über Lorch gefagt hat,
iſt Hier weiter ausgeführt. Auf eine mit Kraft und Geiſt
gefchriehene Einleitung, worin die Verdienſte der edten Fürs
fien, die auf dem Staufen vormals ihren Wohnfis hatten,
gefenert werden, folgen eine der Natur durchaus getreue Schil⸗
derung der Anficht diefes intereffanten Berge und feiner Ums-
gebungen, Notizen von Gruͤat, KHohenrehberg und Hohen⸗
flaufen, ein trefflich ausgeführees Gcmählde der großen und
3% Herde son J. G. Baht.
x
fhönen Ausſicht, die der Gipfel des Staufen beherrfcht, Nach⸗
sichten von der jegt bis auf eine Fleine Ruine verſchwundenen
Kaiferburg, die ‚er trug, vom Wäfcherfchlößlein und: vom
Buren, vom Klofter Lorch und von feiner fowohl durch die
Grabſtaͤtte und Bildniffe fo vieler Prinzen und Prinzeſſinnen
aus dem Staufenihen Haufe, als durch die Woͤllwarr'ſche
Todtenhalle merkwürdigen Kirche. Das S. 185 erwähnte
Bid des ungluͤcklichen Konradin von Schwaben, nebft
der Vorfiellung feiner Hinrichtung, iR auch vor dem. zwey⸗
sen Hefte von Preſcher's Alts Sermanien nachgeſtochen.
Sprüche und Anekdoten der Alten. Aus Zind
gref’s Iharffinnigen, klugen Sprüchen der Deutſchen (Straß
burg 1649.) genommen, woraus Herr Wahl ſchon in feiner
Mationalchronit der Deutfchen 1803. St. 4a. mehr
vere Proben Altdeutſchen Witzes mitgerheilt hatte. Kato und
Täfar fanden ’es ihrer nicht unmwürdig, die Apophthegmen
berühmter Nömer zu fammeln. Welcher Deutfche würde eine
mit Geſchmack bearbeitete Sammlung Deutfcher Spruͤche,
wozu es an Materialien feineswegs fehlt, nicht mit Dank
‚aufnehmen? Rudolf von Habſpurg und Ottokar
von Böhmen... Enthält eine Schilderung ihrer, Kämpfe
gegen einander, und zugleich den Beweis, wie gut Rudolf
die Kunft verftand, Mavors Toben durch Hymenaͤus Bande
zu befänftigen. Die Grafen von Babenberg Sn
diefem Auflage, einem Anhange zu dem vorigen, wird dag
Merfwürdigfte aus. der Geſchichte der fräftigfien Männer des
feit 1246 erlojhenen, durch greße Gluͤck⸗ und Ungluͤcksfaͤlle
denkwuͤrdigen, und durch einen ununterbrochen ſich forterbens
den Heldenmuth verherrlichten Gefchlechts der Baben berge
zähle. Blicke auf Lindau. Großentheils aus des
Verfaſſers Chronit der Deutſchen 1808. St. 21. ger.
‚nommen, mit sinigen Zufägen. Auf dem Titelkupfer iſt die
veigende Lage der Stadt dargeſtellt.
nn aa 00020: 7 21200
No.,21. Heidelbersifhe - 4813.
Jahrbücher der Litteratur.
à' 42 2bù6t
Les Ruines de Port - Royal.des Champs, en 1809, année sé-
culaire de la destruction de ce monastere.. Par M. Gre-
goire , ancien Ev£que de Blois, Senateur etc. Nouvelle
Edition, considerablement augmenide. A Paris, chez
Levacher , ‚Libraire etc. 1809. 175 G. $.
Dir Heine Schrift dat eine mehrfahe Wichtigkeit, theils
- al8- Zufammenflellung vieler wichtigen Notizen für die Sa
(dichte des Streites zwifchen. den SJanfeniften und Molini⸗—
fien, eines Streites, welcher zu vielen Ereigniffen unfrer
Zeit in bedeutender noch nicht vollkommen gewuͤrdigter Bezie⸗
hung ſteht, theils als Beytrag zu der Kenntniß der jetzigen
Lage und Geſinnung der Janſeniſten, endlich als ein merk⸗
wuͤrdiges Denkmahl des frommen und religioſen Sinnes ihres
ehrwuͤrbigen Verfaſſers. Wir duͤrfen wohl annehmen, daß
dieſelbe Geſinnung, welche hier ausgeſprochen wird, noch jetzt
die Geſinnung des größten Theils der Parthey ſey, zu wel⸗
her der Verf. ſich ohne Hehl bekennt., und welche ſich mmer
von ihren Gegnern durch Strenge der Grundſaͤtze und Sitten
und Pünktlichkeit in Erfüllung der Pflichten der Religion und
Andacht‘ auszeichnete, ‘was auch ſelbſt die Gegner nicht abzus
leugnen vermochten,, und daher nur als Heucheley und Phari⸗
ſaͤismus verdächtig zu machen fuchten. Wer hatte aber den
SJefuiten die‘ Macht verlichen, die im herzen verborgenen
Motive der Handlungen zu erforfchen ?
Die Zerftörung des Bernhardinen s Riofters Ports Royal
des Champs, welche. der Verf. in Erinnerung bringt, war
allein die Wirkung. des Partheyhaffes ‚der Jeſuiten. Diefed
Tonnen: Kiofter im Jahr 1204 in einem. ſchoͤnen Thal, drey
Myriameter von Paris, Ein Myriameter von Verſailles und
ein halbes Myriameter, von Chevreuſe gegruͤndet, zeichnete ſich
zu der Zeit der au des Dass Streits, waͤh⸗
sı
322 Lesruines d. Port-Royal d, Champs p.M. Gregoire.
rend das in der Haupiſtadt, in der Vorſtadt St. Jaques im J.
1605 gegründete Mönnen s Kiofter Ports Royal (im Segenfaß
gegen das erftere, Port- Royal de Paris genannt) gu ber
foren und bequemen Srundfägen der Franzoͤſiſchen Jeſui⸗
ten fid) bekannte, durch feine Strenge aus. Die gelehrten
Männer, welche in einer abgefonderten Wohnung, les Gran-
ges genannt, In der Mähe des erſtern Kiofterd wohnten, vom
denfelden "Srundfägen der Strenge befeelt, ein Pascal, Sacy,
Dufoffe, Hamon, Nicole und andre widmeten ſich in der Zus
ruͤckgezogenheit emfig den Studien, und erwarben fih durch
ihre Schriften, befonders duch Ihre Buͤcher "für den linters.
richt der Jugend, Werdienfte, welche nur Neid und Mißgunſt
zu fhmälern wagen können. Die wichtigften und verdichteften
Männer Frankreichs, wie ein, Boileau Despreaur und viele
andere zählten fich Öffentlich zu ihren Freunden, und der Tras
giker Racine ſchrieb ſelbſt die Geſchichte dieſes Kiofters, welche
außer ihm von zehn ⸗oder eilf Geſchichtſchreibern, unter ihnen
auch von Mademoiſelle Poulain, bearbeitet worden iſt. Dieſes
große Anfehn von Ports Royal, verbunden mit der Anhänge
lichkeit der Ports Royaliften an den Lehren des SJanfeniug,
war fchon hinreichend, um die Segenparthey zu fanatifcher
Zerftörungsteuch zu reisen. Der Polizey s Eieutenant d'Argen⸗
fon, sifriger Freund der Sefuiten, erhielt den ‚Aufträg , die
Nahe an den unglücklichen ſchwachen Nonnen von Port : Royal
zu uͤben, welhe, fo lange die Geſchichte nicht verfiummt, das
Andenken der Sefuitifchen Parthey jener Zeit verunehren wird.
Mit dreyhundert Mann zog d’Argenfon in der Naht vom
SB, auf den 29. Oct. 1709 aus Paris aus, und ſchloß das
Kloſter ein, wo niemand als 29 meiftens alte und gebrechliche
Nonnen fih fanden, nur zur Unterwerfung unter die Gewalt -
geruͤſtet. Jene Anſtalten ſollten nur dazu dienen, um bey dem
Publikum dieſe tyranniſche Maßregel durch den Schein einer
Emwoͤrung im Kloſter zu entſchuldigen. Während der Terze,
welche die Monnen unter dem Geber für fih und ihre Werfols
ger feyerten, wurden fle von dem Chor ihrer Kirche, hinweg⸗
geriſſen, indem man ihnen kaum Zeit ließ, das mindefte mie
fi zu nehmen, wiewohl fie ſich ohne Murren in ihr Schickſal
fuͤgten. Getrennt wurden ſie in verſchiedene Städte und Klös
Les ruines d. Port-Royal d.Champs p.M. Gregoire; 323
fter verwiefen, und feldft bis in den Tod von der Wuth ihrer
Feinde verfolgt: Der Biſchof Berthier von Blois z. B. vers
ſagte der Priorin, welche in feine Stadt verwieſen war, Die
Sacramente und das Fatholifche Begraͤbniß, weil fie fih weis
gerse durch die Unterſchrift einer Erklärung den Grundſaͤtzen
au entfagen, melche ihe Gewiſſen für. die richtigen erkannte,
Am folgenden Jahre 1710 wurden die Kloftergebäude mit eis
ner Wuth zerftört, die nur gegen eine rebelliſche Stadt oder
einen verruchten Ort hätte angewandt werden mögen, und die ncch
Borhandenen Einkünfte dem leichtfinnigen Kloſter Port: Royal in
Daris geſchenkt. Mit vieler Wärme fchildert der ehrwuͤrdige
Verf. die Frömmigkeit der Nonnen und die ächte chriſtliche
Sefinnung , fo wie die litteraͤriſchen Verdienſte der Gelehrten
von Ports Royal, umd vertheidigt fie gegen ihre Verlaͤumder,
doch ohne den heftigen und erbitterten Ton zu billigen,
melden auch die Dort» Noyaliften hernach, „Öefonders in den
Nouvelles ecclesiastiques, gegen ihre Vaffolger führten.
Niemand, zu welcher Parthey er fih auch bekennen möge,
wird ohne Ruͤhrung das legte Eapitel lefen, welches: Sentt-
ments religieux que doit inspirer l’Annde seculaire de la
destruction de Port-Royal des Champs, uͤberſchrieben ift.
Es wird feine Wirkung nicht verfehlen, befonders auf die
frommen Gemuͤther derer, welche, mie hier erzähle wird, Haus
fig nach dem Thal von Ports Royal wallfahrten, um über
diefen Trümmern, gleich wie die Kinder Israels Über den
Stuinen von Jeruſalem, zu weinen, einige Geſaͤnge an dem
Orte, welcher die Wuͤſte genannt wird, zu fingen, und da,
wo die Kirche ehemals ſtand, zu beten und ein Mittagsmahl
— Wir ſetzen den Schluß des Werkes hierher:
En adressant des voeux à l’Eternel, qui pourrait oublier
les desastres d’une Eglise autrefois le modèle de la chre«
tiente! Ont-ils’ donc conjure sa ruine, ces pasteurs qui,
sourds à la voix de la piete et de la patrie, perpetuent
les divisions ? sont-ils dans les decrets du ciel, les cou-
pables instrumens de sa vengeance ?. Un. grand. homme
nous avertit que la. religion, voyageuse sur la terre, ne
demande que la libert du passage. : Des. contrdes, oà
elle fur’ jadis forissante , sont couvertes actuellement des
324 Primiſer's Denkmaͤhler der Kirche z. b. Kreuz in Innsbr.
tendbres de lerreur et de l’infidelite. Quel que soit le
sort que nous reserve la justice olı la misericorde divine,
zestons inviolablement unis à cette église catholique, qui,
. travezsant les äges, eleve sa tête radieuse au milieu des
sectes quelle voit successivement s’@lever, s écrouler au-
tour d’elle, et qui, appuyee sur les promesses .de son
divin fondateur, marche & la consommation des sitcles.“
Denkmaͤhler der Kunſt und des Alterthums in der Kirche zum heiligen
Kreuz gu Innsbruck. Innsbruck, in der Wagnerfchen Buchhants
‚lung 1812. X uhd 108 ©. 8. (Mit 26 Kupferſtichen) i
Diefe Heine intereffante Schrift, als deren Verfaſſer Herr
Dr. Gottfried Primiſſer zu Innsbruck ( bekannt durch
mehre fleißige Beyträge zu dem Tiroler Summer) ſich unter
der Vorrede m nepnt, ſoll der Anfang einer Befhreibung aller
Denfwärdigkeiten der Stade Innsbruck und ihrer Umgebungen
feyn, melde die Wagnerſche Buchhandlung daſelbſt nad und
nad In der Form von Almanachen herauszugeben denkt. Sie
iſt in fünf Abſchnitte getheile, wovon der erfle einen Abriß
von der Geſchichte der Kreuzkirche zu Innsbruck gibt, der zweyte
und dritte die Beichreibung des Denkmahls von Marimilianl. '
enthalten, der vierte, von andern Merkwürdigkeiten der Kirche
Cdem Alterblate von Auerbah von Wien‘, dem Grabmahl der
Graͤfin Honorata Piccolomini u. |. w.), endlich der fünfte
von der fildernen Kapelle handelt, welche von dem Erzherzog
Ferdinand, dem zweyten Sohn des Kaiferd_Ferdinand I. er
bauet und mit der Kreuzkirche verbunden, ihren Namen von
einem filbernen Bilde der Mutter Gottes empfangen bat, und -
die. Grabmaͤhler ihres Stifters und feiner Gemahlin, Philips
pine Welſer, enthält. Zünf merkwürdige Beylagen find „zuge
geben. Das äußert bedeutende Denkmahl Marimilians I. in
dee Krenzkirche zu Innsbruck ift den Gelehrten zwar ſchon
durch die Monumenta austriaca bekannt, aber es verdiente
. auch der Kenntniß und Aufmerkfamteit des größern Publikums
noch mehr empfohlen zu werden, ale es. dur, die wenigen
Reiſenden geſchehen konnte, weiche feiner erwähnen. Die Kirche,
jo wie jenes Denkmahl, iſt eine Stiftung des Kaiſers Ferdi
vrimiſſer Denkmaͤhler der Kirche z. p. Krems in Innsbr. 325
nand I. ; diefer erfüllte damit einen Plan feines Worfahren,
welcher fich ſelbſt in den letzten Jahren feines Lebens mit der
Errichtung feines Grabmahls zu Innsbruck befchäftigte, und
mehrere der Statuen gießen ließ, melde jegt das Grabmahl
zieren. Sein Leihnam wurde daher nur vorläufig zu Deus
ſtadt beygeſetzt, und follte nach feinem Wunſche, fobald das
Innsbrucker Grabmahl vollendet wäre, dahin gebracht werden.
Diefee Wunſch des Kaifers wurde nicht erfüht, und das ſchoͤne
Innsbrucker Grabmahl blieb nur Kenotaphion. Das Monus
ment erhebt ſich in der Mitte der Kirche auf drey Stufen von
roth und weiß gefprengtem Marmor, 6 Fuß 2 Zoll in ber
Höhe, ı3 Fuß in der Länge und 7 Fuß 3 Zoll in der Breite.
Die oberſte der -drey Stufen des Podiums oder der Baſis ziert
eine Einfafung von Metall, Waffen aller Art und Trophäen
darftellend. Die Decke oder der Aufiab des Grabmahls befteht
aus drey Abftufungen aus. vieffärbigem Marmor, 2 Fuß 2 Zoll
hoch. Oben knieet Marimiltan in betender Stellung und
vollem Laiferlichen Ornat. Diefe f[höne Statue von Erz wurde
dur) Ludwig dei Duca gegoſſen, welcher für feine Arbeit eine
Belohnung von 450 Kronen erhielt. An den vier Eden der
mittleen Stufe figen die Senien der vier Carbinaltugenden.
Die vier Seiten des Maufoleums werden duch ſechszehn Pfeis
ler von feinem ſchwarzen Marmor in Felder getheile, welche
in doppelter Neihe, iacht Marmortafein an jeder ſder beyden
langen Seiten und vier an jeder der beyden kurzen, zuſammen
vier und zwanzig Marmortafeln enthalten. Auf diefen find
in halberhobener Arbeit die merkwuͤrdigſten kriegerifhen Thaten,
bie erfie Vermählung und die Krönung des Kaiſers Maris
milian und verfchtedene andre wichtige Ereigniffe in dem
Defterreichifchen Baufe zur Zeit Maximilians dargeftelt. Merks . '
mirdig find auf diefen Darftellungen die Achnlichkeit der Ges
fihtsgüge des Kaifers und. die Bezeichnung der verfhiedenen Abs
Rufungen feines Alters. Ein Theil diefer Darſtellungen ift zufolge
der Behauptung des Freyherrn Sof. v. Ceschi in feiner hands
ſchriftl. Befchreibung von Innsbruck (1776), welche von
Heren Pr. benutzt wurde, der Marimilianifchen Ehren s und
Triumphpforte nachgebildet, welche von Albrecht Dürer anges
fangen und von Hanns Birkmair fortgefcht, niemals vollſtaͤn⸗
326 Brimiſer's Denkmähler der Kirche 3. h. Kreuz in Junsbr.
dig zur Kennmiß des Publikums gekommen if. Es werden
im Auhange zu diefer Schrift die Infchriften der Marmortafeln
mit den Vorſchriften zu diefen Darftellungen in Lateinifcher
Sprache mitgetheitt, in welchen Einmal die porta honoris qus⸗
druͤcklich genannt, viermal darauf mit den Worten: „maneat
pictura antiqua,® verwiefen wird. Vier diefer Tafeln find
durch die Brüder Bernhard und Arnold Abel, Bild—
Baner aus Coͤlln am Rhein, verfertige, die übrigen und vors
züglihern duch Alerander Colin von Meheln. Das
Sanze wurde nach einer von dem letztern Künftlee eingehaues
nen Snfchrift im J. 1566 vollendet. Die beyden erflern Kuͤnſt⸗
ler, welhe vom 3. 1561 bis 1563 zu Innsbruck arbeiteten,
erhielten contractmäßig für die Arbeit einer jeden Tafel a4o
Pfund Pfenninge oder fo viele Gulden, die Unkoſten für die
Herbeyſchaffung des Marmors und alle uͤbrigen Beduͤrfniſſe
mußten vom Kaifer beftritien werden. Da dee Marmor des
Thales Ridnaun im Landgerichte Sterzing theild wegen
der Zarbe, theild wegen der geringern Feinheit des Korus zur
Bearbeitung der Tafeln nicht tauglich gefunden wurde, fo reiss
sen die Brüder Abel auf Befehl des Kaifers felbft nach) Genua,
und holten daher den für alle 24 Tafeln erforderlichen carras
rifhen Marmor, wovon die Koften auf 958 Gulden fih bes
liefen. Zu allen gröbern Arbeiten, ats Geflmfen, Kapitälen,
‚Stufen u. f. w. wurde aber Sterzinger Marmor genommen,
wovon der Wiener Centner etwas mehr als 2o Kreuzer koſtete.
Don dem Kuͤnſtler Alerander Eolin, der am ı7. Aug. 1612
ftarb, und feiner Familie, fo wie auch von feinem, Grabmahi
zu Innsbruck, wird eing genaue Nachricht gegeben. Die Zeich⸗
nungen zu den Grabbildern wurden durch einen Maler zu
- Drag verfertige, über deffen Saͤumigkeit ſich Colin in einem
im Anhange mitgetheilten Schreiben an die Landesregierung
beklagt. Da der Name dieſes Malers nicht genannt wird, ſo
bringt der Verf. in einer Anmerkung in Erinnerung, daß um
diefe Seit Jakob Seiſſenegger, K. Ferdinands I. Hofmaler,
lebte. Aus dieſem Schreiben, fo wie aus einem andern ebens
falls hier mitgetheilten Briefe geht hervor, daß niche Colin
allein die Basreliefs ausarbeitete, fondern die Arbeiten großens
theils unter feiner Auffihe von Gefellen, welche er anf feine
primiſer's Denfmäher der Kirche 4. 5. Kreut in Inntbr. 327
Koften aus den Niederlanden mitgebracht hatte, verrichten ließ.
Eine große Merkwärdigkeit diefes Grabmahls find noch die
28 foloffalen Statuen von Bronze, welhe in zwey Neihen
nach der Länge des Schiffs der Kirche das Grab des Kaifers
ungeben, und theils Heroen des Mittelalters ( König Artus,
König Chlodwig, den Dftgothen Theodorich, Gottfried von
Bouillon), meiftens aber Ahnen und Verwandte des Kaifers
Maximilian darftellen. Aus einem Verzeichniſſe, weldes uns
we Lit. D. im Anhange abgedruckt iſt, erfieht man, daß 37
Statuen das Srabmahl zieren follten. Von den neun fehlens
den Statuen wurden fünf gar nicht gegoflen, von einer fcheint
es bloß bey der Form geblieben zu feyn, drey andere, welche
wirklich vollendet wurden, find verloren oder wieder einges
ſchmolzen worden. In eben diefem Entwurfe wird dem Kats
fer vorgefchlagen, die Namen eines Theils der Statuen zu Ans
dern. So fol 5. ©. Gottfried von Bouillon in Albertum
militem Ducem Austrie patruum, Dietrih von Lern in
Albertum Ducem Austrie, Propatrui filium umgetauft ivers
den, was aber von dem Kaifer Ferdinand nicht genehmigt zu
feyn fheint. Auch die vorhandenen Statuen find nicht: gan
vollftändig ; denn es fehlen vielen der maͤnnlichen Bilder die
Schilder mit den Wappen; den weiblichen die Kerzen. Alles
diefes foll nach einer Nachricht des Herrn von Ceschi nebſt eis
nigen Piedeſtalen und. Schwertern zuerk in das Franciscaners
Kloſter von der Krenzkirche, und nach deffen Aufhebung in das
Schloß Amras, wo fie vwielleihe noch fih finden, gebracht
worden feyn. Sie find der Sage nad von Gregorn Loͤff⸗
ler gegoffen, nad der Behauptung des Herrn von Kescht
- aber gehören einige wenige den Stuͤckgießern Lendenftreich .
und. den beyden Brüdern Godl ( Stephan und Melchior) an.
Dos. ganze Monument iſt von einem durch einen Bdohmiſchen
Schloſſer ſehr fünftlich .gearbeiteten eifernen Gitter umfchloffen,
ran welchem, die Wappen alter Reiche und Länder , die Mar in
-feinem Titel geführt, an der Zahl 36, fich finden. Richt ohne
Verdienft find aud die a3 Kleinen aus Erz gegoffenen Sta⸗
men, welche vorn am Chor der Kirche Über drey Schwibbo⸗
gen oder dem. Hauptgeſimſe in einer Linie ſtehend von der
Höhe auf des Katſere Grab herabſe hen, und Heilige maͤnnti⸗
Li
328 Primiffer s Denlmaͤbler d. irche 3. b. Kreun in Junebr.
chen und weiblichen Geſchlechts von koͤniglichem, herzoglichem
und graͤflichem Stamm, meiſtens Oeſterreichiſcher Verwandt⸗
ſchaft, darſtellen. Die Nachrichten, welche auch uͤber die oben
genannter Gießkuͤnſtter gegeben worden, ſind des Dankes werth.
Da die Brüder Godl, Bildgieſer zu Muͤlein, wie es ſcheint,
Fremde waren, ſo ſoll Stephan Godl nach dem Befehl des fuͤr die
-
Fortbildung feiner Untsrthanen in deu Kuͤnſten ernſilich bes
dachten K. Ferdinand, damals noch Erzherzog, als ihm im
Jahr 1529 fein Dienftgeld um &o fl, gebeffere wird: „vns
vnnd fonnfb niemands, mit feiner kunſt und arbait gewertig
ſein, vnnd fein Werkftatt mit gueten knechten vnnd Juͤngern
verſehen, vnnd inſonders Jünger aufnemmen vnnd halten, die
vnnſers Lands der Grafſchaft Tirol ſein, vnnd dieſelben das
Hanndwerch der Rotſchmiederey trewlich lernen vnnd vnnder
weiſen.“
So ſehr der verdienſtliche Fleiß des Herrn Dr. Primiffer
in diefer Beſchreibung gu loben ift, fo vielen Tadel verdienen
die ungeſchickten Hände, welche Außerft .fchlecht und elend Die
. bepliegenden Kupfertafeln geägt baden, Wenn uns nicht bie
‚in der Jconologia Austriaca mitgetheilten 17 Figuren von
den erwähnten 24 koloſſalen Statuen und die in der Taphor
graphia Austriaca befindlichen Abbildungen der Basıelifs mit
Achtung und Ehrfurcht für das befchriebene Monument erfüllt
hätten, fo würden bie hier gegebenen Abbiltungen die entge
gengefegte Wirkung hervorgebracht haben. Die Verlagshand⸗
fung würde beffer chun, den Fortfeßungen keine Abbildungen
hinzufügen, ale fie durch ſolche Zerrbilder zu verunftalten.
Bruckſtuͤcke einer Geſchaͤftsreiſe * Schleſien, unternommen in den
Jahren 1810, 11, 12, von .Joh. Guſtav Buͤſching,
koͤnigl. Archivar zu Bredfan. . em: Band, mit einem Anhange,
morin vermifchte Auffape, Schlefien betreffend. Breslau, bey
Wilhelm Gottl. Korn, 1813. (8 ©. Titel, Vorrede u ns
haftöverzeichniß. unpaginirt. ) —533 S. 8
Das Werk enthaͤlt vornehmlich die: Refuftate der letzten
Reiſe, welche der Verf. unternahm, um die Bibliotheken und
Archive der aufgehobenen Schleſi ſchen Kloͤſter zu unterſucher,
Bruchtuͤcke · einer Geſchaͤftsreiſe d. Schlefien v. Buͤſchiag. 329
und aus ihnen auszuwaͤhlen, was für die Centralanſtalten im
Breslau wichtig und nuͤtzlich ſeyn konnte. Zugleih wurde auch
auf die Ueberbleibſel der Kunft NRüdfihte genommen, und 0ds
ſchon in keinem Lande die Kunſtwerke durch Brand, Krieg
und Fanatismus fo häufige „ 'vflörung getroffen hat, als in
Sälefien, fo wurde gleihwohl, wie der im Anhang mitges
theilte zum Theil fchon dur Fr. Schlegeld Deutſches Mufeum
befannte Aufſatz uns belehrt, weine nicht unbedeutende Anzahl
von alten auf Holz und Goldgrund gemahften Gemälden, eis
tige felbft aus dem 14. Jahrhundert, zufammengebracdt ; die
meiften vorgefundenen Gemälde waren aber von Willmann,
der im J. 1630 zu Königsberg in Preußen geboren, fich nach
Rembrandt und Nubens gebildet hatte und nad) dem J. 1660
. fh in Breslau niederließ, oder aus feiner Schule; von Will⸗
mannfchen Gemälden find über 150 zufargmengebracht worden.
Wir wänfchen, daß der Verf. die angefangenen Unterfuchuns
gen über die Schleſiſche Kunft und Schleſiſche Künftler weiter
verfolgen möge. Außerdem enthält diefe Neifebeichreibung nicht
bloß Nachrichten von den Bibliothefen und Archiven, von
weichen menige eine fehr bedeutende Ausbeute gaben,. fondern
außer Befchreibungen von merkwürdigen Gegenden , welche der
Derf. bevein’ce, allerley Nachrichten Aber in Schlefien aufbewahrte
alte Sagen, Legenden und überhaupt alles, was fich auf die Vorzeit
bezieht, wie es fich von dem Kifer des Verf. für das Deutſche Alters
thum erwarten laͤßt. Auch einige merkwuͤrdige Urkunden werden
mitgetheilt, unter. andern eine Urkunde des Herzogs von Wallen⸗
ſtein mit deffen eigner hier abgebildeter Unterſchrift. Miemand
wird ohne Vergnügen die Beſchreibung des Zobtenberges bey
Dreslau und das intereffante Journal von der erften Reife des
Verf. auf die Echneefoppe und zu den Quellen der Elbe leſen.
Ein Auszug aus diefem Werke würde bey den vielen einzelnen .
zerſtreuten Motigen, die Wichtigkeit feines Inhaltes nur uns
volltommen darftellen, und iſt ohmehin nicht nöthig bey einem
Werke, das mir zu weit verbreiteter Kenntnißnahme gu
empfehlen wünfhen. Darum möge hier nur noch ‚bemerkt
werden, daß in dem Anhange eine fehr forgfältige litteräs
riſche und bibliographiſche Nachricht Über die Legenden der heit.
Hedwig, beſonders über eine noch unbekannte Deutſche Hands
\
—
330 Idunna u. Hermode und Odina u. Teutona v. Graͤter.
ſchriſt des Lebens dieſer Heiligen mit Federzeichnungen (von wel⸗
chen ein Theil ganz mit der beruͤhmten Hedwigstafel in der
Kirche St. Bernhardi zu Breslau uͤbereinſtimmt), und ein
Lobſpruch der weitberuͤhmten kaiſerlichen und koͤniglichen Haupt⸗
ſtadt Breslau in Schleſien von > m ſonſt unbekannten Elias
Freudenberg (gefeentem Meiſter des Deutſchen Meiſtergeſanges
und Liebhaber der Deutſchen Poeterey), in ndo Verſen, ſich bes
finden. Diefer Lobſpruch ift in einem naiven Handwerksbur—
ſchenton, alfo zwar nicht von hohem poetifchen Werth, welchen
Hr. ©. ihm auch nicht beymißt, aber doch als Denkmahl feis
ner Zeit merkwürdig. Mon Handfchriften für die Altdeutſche
Litteratue boten die Schleſiſchen Bibliotheken fonft nichts dar,
als eine unvollländige Handichrift des Wilhelm von Defters
reich, welche in der Bibliothek der Ritterakademie zu Liegnit
an wurde (©. 409).
—— und Hermode. Eine ER Senne von |
D. Graͤter. Erfter Jahrgang, Yredlau, gedruckt und im
Derlage der Stadt » und Univerfirätd : Yucdruderep bey Graf
und Barth. 1812, 52 Nummern, ohne den aud 23 ‚Nummern
beftehenden Anzeiger. Mit Kupfern, Holzſchnitten, Mufi Ebepin
gen und zwey Regiftern.
Ddina und Teutona. Ein neued Kiterarifched Magazin der teutfchen
und nordifchen Vorzeit. Von 8. D. Bräter. Erſter Band.
Bredlau, 1812. bep Carl Friedrich Barth. Mit einer den Chor
vorſtellenden Titelvignette.
Auch mit den Titein:
Braga und Hermode loder neues Magazin für die vaterlaͤndiſchen Ap
terthuͤmer der Sprache, Kunſt und Sitten. Heraudgegeben von
F. D. Gräter. Sünfter Band. Und
Bragur. Ein literarifched Magazin der Teutfhen und Nordifchen Vor⸗
zeit. Herausgegeben von F. D. Graͤter. Achter Band,
Mach einer von allen Freunden der Deutſchen und Moers
difhen Alterthumskunde beklagten Paufe von zehn Jahren
kehrt Hr. Rector und Prof. Graͤter, um feine eignen Worte
zu brauchen, „in die Gefilde unfrer Götter und Helden, uns
feree Ahnen aus der Ritterzeit und den denkwuͤrdigen Jahr⸗
Idunna m. Hermode and Odina n. Tentona v. Graͤter. 331
Hunderten der Erfindung der Buchdruckerkunſt, der Kirchen⸗
verbefferung und der ihr gefolgren mächtigen - Kämpfe“ zuruͤck.
Im Sept. ıBıı fündigte er eine eigene Alterthumszeitung an,
unter dem Namen Idunna und Hermode, wovon woͤchentlich
vor der Hand ein halber Bogen erſcheinen und deren Beſtim⸗
mung fepn follte, nicht allein die auf das Fach der Deutſchen
und Mordifchen Vorzeit fich beziehenden Nachrichten und Neuig⸗
keiten, nebft ausführlichen Krititen der in demfelben feit dem
‚Anfange des neungehnten Jahrhunderts erfchienenen Schriften,
zu liefern, fondern audy die Anfihten des Hrn. Herausgebers
in Betreff des Prachtwerts über die Nordiſche Mythologie,
welches er, in Verbindung mie trefflihen Känfttern, erfcheinen
zu laffen willens ift, fo mie die Auffoderungen an Känitler,
den merkwuͤrdigſten Theil des Briefwechſels mit ihnen, und
die Schilderung der gu der Ausführung oder den Umgebungen
ihrer Darftellungen erfoderlihen Sitten, Gewohnheits s und
Runftalterehämer minutheilen. Kaum waren von bdiefer Zeis
tung die erfien Stücde in den Händen des Publitums, ale
Hr. Graͤter nod ein zweytes Merk für das Deutiche und Mors
diſche Alterthum ankuͤndigte. Eine Fortfeßung feines mit all
gemeinem Beyfall aufgenommenen litterarifihen Magazins der
Deutſchen und Nordifchen Vorzeit, welches feinen erfien Nas
men Bragur in der Folge mit Braga und Hermode vertaufchte,
folte , unter dem Titel Ddina und Tentona, nad) einem vers
- Anderten Plane 'erfcheinen, und abwechfelnd in Nordiſcher u
Altdeutſcher Litteratur theils in noch nicht urbar gemachten
Geldern der Vorzeit die erften Schritte in Deutfchland zu ihrer
‚Bearbeitung thun, theils zerſtreut und einzeln gedrudte Auf
fäße, die eine gleiche oder ähnliche Abſicht haben, fammeln,
in jedem Bande eine zuvor nie gedruckte, und für die Littes
ratur und Sprache wichtige Handſchrift zuerſt vollländig bes
kannt machen, und zuleßt, wo es Zeit und Raum geſtatten,
theils die in Bragur noch nicht vollendeten Aufiäße ergänzen,
theils duch antikritifche Nachholungen die Angriffe auf den
einen und den andern entiweder abmweifen, oder doch beleuchten.
Wir haben nun den vollftändigen erften Jahrgang von
Idunna und Kermode und den erfien Band von Ddina und
Teutona vor ung liegen, und können nah diefen Proben vers
E -;
a re ggg EEE ———— J
332 ounma u. Hermode und Odin u. Teutona v. Graͤter.
ſichern, daß Herr Rector Graͤter ſein gegebenes Wort mit
Ehren gelöj't Hat, Wie reich an intereſſanten Aufſaͤtzen beyde
Werke find, wird eine kurze ueberſi cht der wichtigſten unter
denſelben bewähren.
In Idunna und Hermode rechnen wir gleich anfangs dahin
die durch mehrere Stuͤcke fortlaufende Vorleſung des Hrn. Her⸗
ausgebers über die Koͤnigsreiſe der Barden und Skalden, mit
den von ihm gedichteten Choͤren der Barden vor der Her—⸗
mannsfchlacht, die an Vegeifterung Klopſtockis Schöpfungen
gleichſtehn, an Kunft fie uͤbertreffen. Ein fehr Ihägbarer Arı
tikel,, gleihfallg von Hrn. Gr. herrährend, find.der Altdeut⸗
ſche chrifilihe Almanad) auf das Jahr 1819. und der von ihm |
erklärte chriſtliche Runenkalender, fo wie er auf fieben in dem
Diaturalienkabinette des Waifenhaufes zu Halle an der Saale -
- aufbewahrten buchenen Stäben eingefchnitten it, indem an
jenen, neben den mancherley Wenennungen der Monate und
Wochentage, den Heiligens und chriftlichen Fefttagen und dem
Deutſchen Ciſioian, ein mit forgfältiger Mühe zufammenge
tragenes Verzeichniß der chriftlihen Volksfeſte und Gebraͤuche,
des Deutſchen Volksaberglaubens und der von den Deutſchen
Volksfeſten eines jeden Monats handelnden Schriften und Auft
ſaͤtzen ſich anreiht. Voll intereſſanter Notizen ſind die Send⸗
ſchreiben uͤber die Alterthuͤmlichkeiten der Schleſiſchen Kloͤſter,
worin Hr. Heinze, Mitarbeiter an der Centralbibliothek zu
Breslau (der naͤmliche, der and) in der Beſorgung dieſer Zeir.
tuna Ken. Graͤter fo thätig unterſtuͤtzt), von den alterthämlis
chen. Entdeckungen und Merfwürdiafeiten feiner mit Hrn. D.
Buͤſching gemachten Neife durch die aufgehobenen Kiöfter Nie
derſchleſiens ausführfihe Kunde gibt, und welche ducch den
'gangen Jahrgang fortlaufen. Die Actenftüde, das Prachtwerk
über die Nordiſche Görterichre betreffend, enthalten Hrn. Gr.
Aufruf an. die Meifter der bildenden Kunft im Ins und Aus
lande, die Mordifche Mythologie in einer Reihe meifterhafter
Darſtellungen der Machwelt zu Überlicfern, mit dem Verzeich⸗
nifje der darzuſtellenden Scenen und Charaktere, und Auszüge
aus dem Briefwechſel Über die Darfiellung der Mordifcen
Sottheit. Eine Probe einer noch unbefannten Deutſchen Webers
ſetzung der Pfalmen. aus dem Karolingifchen Zeitalter, die von
—
—
Anna 1. Hermode und Odina u. Tehtona v. Öräter, 333
ber etwa gleichzeitigen Morkerfihen Ueberſetzung und Lmfchreis
bung gänzlich verfchieden ift, hat Hr. Prof. v. d. Hagen,
dee fie von Hrn. Legationsrath v. Dies in Berlin zur des
fonntmahung in dieſer Zeitung erhalten hatte, mitgetheilt
Hrn. Sr. Ueberſetzungen des Liedes von dem Zinnifhen Koͤ⸗
nigsfohne Wölunder und des Grotta⸗Sangs erregen zwey—⸗
fohes Intereſſe in einer Periode, in weicher fo viele würdige
Gelehrte die Edda zum Gegenſtande ihrer Befchäftigung ers
tohren Haben. Hr. Prof, Preicher gibt eine Abbildung und
Erflärung der Schrifizeihen an dem alten Roͤtherthurm im
Roththale der Srafihaft Limpurg, die er für Etruskiſche hält,
und worüber er fih nachher, in’ feinem Altgermanien, 5. 1.
©. 5— 44 noch ausführlicher geäußert hat. Die Supplique
der gemeinen Frauen im Tochterhaus zu Nürnberg Anno 1498
beweif’e zwar allerdings, was fie beweifen fol; daß es näms
ih auch im alten Deutfchland privilegirte Bordelle gab. ‚Aber
auch noch früher und an andern Drten, außer Nürnberg,
eriftivten dergleichen. Sie wurden Öfter& fogar zu Lehen ges
geben, wie 5. B. von dem Bifchofe von. Wuͤrzburg den ges
fürfteten Grafen von Kenneberg, und ſchon 1440: befchwerte
fi) der Erzbiſchof Dieterih-von Mainz über die Bürger zu
Mainz, daß. fie ihm Abbruch gethan am geiftlichen und welt
lichen Rechten — — an den ehelichen und auch denen gemeis
nen Frauen und Töchtern — — an der Bulerey. Mon fehe
Knorre’s rechtl. Abhandlungen und Gutachten, &. 108. Für
Sprachforſcher und. Litteratoren find das Frenkisgaz Morgans -
Lioth, das auch durch Schönheie und Fülle der Gedanken ſich
auszeichnet, die Nachricht von. alten bibliſchen Gloſſarien,
v. d. Hagen's Konjectur Über den Verfaſſer des Nibelungen⸗
Liedes und Docen über eine Sammlung alter Gedichte, fo
wie für die Sittengefchichte des Mittelalters. der Bund der
Trinker, merkwürdig. Auch Haug's gluͤckliche Nahbidungen
mehrerer lieblichen Dichtungen des Mittelalters verdienen eine
ruͤhmliche Erwähnung. Der Anzeiger, wovon im Jahr 1819
23 Nummern erfchienen find ‚ enthält eine Menge intereſſanter
Notizen und. Anfragen.
Der erfie Band von Ddina und Tentona gibt, unter den
fünf Rubriken; Dichtungen, Unterſuchungen und litterariſche
334 Jdunna u, Hermode und Odina m. Teutona v. Bräter,
- Anfiäße , Sammlung und genauer Wiederabdruck feltener his
florifcher und epifher Altdeuticher Volkslieder, Handſchriften
und antifririfche Nachholungen, gleihfalls lauter Artikel, von
denen jeder feines Platzes würdig if. Vorzuͤgliche Aufmerk
ſamkeit verdienen : des Herausgebers Programm über eine
von ihm mit Gluͤck verfuchte Griechiſche Nachbildung in
Homeriſcher Sprache und Verſen der in.feinen Gedichten, ©.
225 — 242, erzählten Shirners Fahrt; Moͤller's Preisſchrift
über die von der Lniverfität zu Kopenhagen 1800 ausgeſetzte
Mreisfrage: Ob die Einführung der Nordifhen Mythologie
ſtatt der Griechiſchen für die fchöne Litteratur des Mordens
zutraͤglich wäre? welche Frage Möller ſehr richtig dahin bes
antwortet, daß die Einführung und der allgemeinere Gebrauch
der alten Nordiſchen Mythologie, wegen ihrer Neuheit und
wegen bes größern Intereſſe und vaterländifchen Mitgefuͤhls,
welches fie errege, allerdings für die fchöne Litteratur des
Mordens fehr nuͤtzlich wäre, dabey aber die Sriechifche keines
wege verbannt werden foll, und nur nicht die eine mit der
andern vermifcht werden dürfe; das von dem Ken. Heraus—
geber perfaßte, zur großen Vequemlichkeit der Wefiger der
Schöning s Tharlaciihen Ausgabe der Heimskringla gereichende
Verzeichniß aller in den zwey erfien Bänden derfelben vorkoms
‚ menden Skalden und Skaldenlieder; ebendeffelben Programm
Über das Alter und den Urfprung des Deutfchen Königstitels,
der nad dieſen Linterfuchungen zwifchen das fünfte und feste
Jahrhundert zu feßen iſt; Leon’s Ueberſetzungen von zehn
Minneliedern aus der Maneffiihen Sammlung in unfre beu
tige Deutfhe Sprache, nebft einem beherzigenswertken Nor
berichte Über die Foderungen, die an folhe Nachbildungen ju
machen find; Helga⸗Quida Haddingia Scata, von Hrn. Gr.
nad) einer ihm verflatteten Abichrift aus dem Vidaliniſchen
Eoder der Edda mitgetheilt, und mit einer Lateinifhen Ueber⸗
fegung und Erläuterungen verfehen; und die erfle entdeckte
Handſchrift des Reinecke Fuchs in Flammändifher Sprache,
nebſt einer als Einleitung vorausgeſchickten Geſchichte der Corn⸗
burger Bibliothek, worin dieſe Handſchrift gefunden —
und ihrer Merkwuͤrdigkeiten.
m
D
Narrenbuch von Fe. 9. v. d. Hagen. 335
wii wird: jeder Freund "der Alterthumgkunde ſich mit
der Auffoderung vereinigen, die ſchon vor 19 Jahren Fuͤlle⸗
born an den Ken. Herausgeber ergehen ließ:
Laß ferner Rrigws Ruhm den Söhnen Teut's erfchallen ,
u g, wie in der Walfyren Sang,
Me Volk der Wanen und Aögarden,
sche "Bor unferm Blick vorübergehn,
De Und der vergeffnen Vorwelt Barden
Mit ihren Liedern auferfichn!
Rarrenbuch. Herankgegeben durch Frie drich Heinrih von der
Hagen. Halle, in der Vengendes Buchhandlung 1811. VI
und 541 S. 8.
Bey der gegenwärtigen Lage der Litteratur und des Buch⸗
Handels, da die Geſchaͤfte deſſelben beynahe gänzlich ſtocken,
muß es auffallen, daß ein Bud, wie das vorliegende, einen
Verleger gefunden, und ein Gelehrter, der ſchon manchen
edien Stein aus den Schachten der Deutſchen Vorzeit mit
Liebe und Treue zu Tage gefördert hat, demſelben feine Zeit
und Mühe zum Opfer bringen mogte. Kr. Prof. v. d. Has
gen erklärt in der Vorrede die vier Dichtungen, Die er hier
in erneuerter Geſtalt vorführt, für die trefflichfien und ergoͤtze
lichſten in ihrer Art, und ſagt zum Schluſſe: „Gelingt es
mir, wie ich wuͤnſche und hoffe, dieſen unverwuͤſtlichen alten
Volksdichtungen wieder allgemeinen Eingang zu erwerben: ſo
wird ein zweytes Bändchen noch einige derſelben nachbringen.“
Wir möoͤchten aber gerne fragen: Was wird damit gewonnen,
wenn Schwaͤnke und Poffen (mitunter anch Zoten), die nur
vor dreyhundert Jahren das Zwergfell erſchuͤttern konnten,
von nneem aufgewaͤrmt werden? wenn man die: niedrige
Volksklaſſe, nachdem endlich in unfern Tagen ihr mwenigftens -
einiges. Gefühl für das Schickliche beygebracht worden ift,
durch Buͤcher, wie das vor uns liegende (welches ſie aber
ohnedem ſchwerlich kaufen und leſen wird), wieder auf die
Stufe hinunterzudruͤcken ſucht, auf welcher ſie vor einigen
Jahrhunderten ſtand? Sicher wuͤrde von allen den Narren,
336 Rarrenbuch von Fe. 8. 5.0. Ca. .
deren facetiad hier zum Beſten gegeben werden, jetst. Feiner
um 80000 Athlr. angeichlagen werden, wie folches mir bem
Saͤchſiſchen Hofnarren Elaus, den in der Erstheilcag jeder
der erbenden Fuͤrſten gern haben wollte, der Hal geweien
* fol. Das war aber auf ein Waun, bey welchem,
nad) des bekannten Theologen Diet er ich Verſicherung, „die
Hochweiſeſten und Verſtaͤndigſten hätten in die Schule gefuͤhrt
werden koͤmen.“ Auch Rom hatte im Zuſtande Der Rohheit
feine Fescenninen, aber Horaz, der in einem gebildeten Zeits
alter tebte, Säfte da, wo er das Bild des Dichters zeichnet,
(Epist. II. ı, 190. sqgq.) aud den Zug nicht fehlen :
Torquet ab obscoenis jam nunc sermonibus aurem. _
Sollte dem Volksdichter allein erlaubt feyn, das Gegentheil
‚zu thun? Indem wir uns hieräder auf bie Enticheibung
eines jeden Linbefangenen berufen, bemerken wir noch, daß
im Narrenbriche nachfolgende Stücke erneut find! 1. Ges
ſchichte der Schildbürger, ‚oder das Lalenbud.
(Die erfte Ausgabe erfhien 1597.) I. Salomon und
Markolf. (Dabey if die von Newber zu Nürnberg,
wahrſcheinlich um 1560, gedruckte Ausgabe zu Grunde. gelegt;
augesogen aber find die aus der Alteften befannten Stellen, die
frähern poetiſchen Bearbeitungen und die Lateinifche Urfchrift.)
III. Der Pfarrherr vom Kalenberg. (Bey biefer
Geſchichte, die fhom im Jahr 1400 vorhanden geweien ſeyn
fol, ift die Ausgabe von 1620 benugt,) IV. Peter Leu,
oder der andere Kalenberger, duch Achilles Zas
fon Widmann von Hall. (Nach den Ausgaben von 1560
und 1620.) |
Dee Anhang gibt ausführfiche Litterarnotizen uͤber de
worfichenden Gefchichten , und bewährt von neuem die Graͤnd⸗
lichkeit, womit Hr. Prof. v. d. Hagen bey‘ feinen Forſchun⸗
gen zu Werke geht. Nur Schade, daß mit bdiefem Reid
thume von Kenntniſſen din bantunewerigeres Bert SARSSTTA
| mocden iſt!
No: 39. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
wi h &
RLAD IRRR RR ER AL LBBRa RR ar
‘
u 1
: Die bedden aͤlteſten deutſchen Gedichte aus dem achten Jahrhundert:
das Lied von Hildebrand und Hadubrand und Dad NWeißenbruns
| ner. Geber zum erſtenmal in ihrem Metrum dargeftelt und her»
ausgegeben durch die Brüder Grimm. Caſſel bep Thurneifen.
e1812. | ——
gibt es fi‘, daß etwa zufällig der Baumkranz an einer Stelle
nah der Sonnenfeite auseinandergeht, und ein Lichtſtrahl nun
eine weite, lichtbeglängte Ferne in das beſchattete Auge bringt,
die ein Schritt aufgethan, und ein Kolgender verdecken wird.
Unaufgehalten fheint der Sonnenblick durch unfer Auge in die
Seele, und auch ihre Höhen und Tiefen werden Hell beleuchs
tet, und. zwey- Sernen, die in Raum und Zeit, find in eine
vertraute Nähe auf uns angeruͤckt. Auch dem Wanderer durch
die Nacht alter Jahrhunderte werden folche Lichtblicke wohl
gegönnt, wenig Töne oder Züge können bisweilen ein Jahr⸗
tauſend ihm bedeuten, ein Pergamentblart in den rechten Brenn⸗
punct Hineingeftellt, faßt das Bild einer ganzen verganges
nen Welt oder mehrerer Himmelszeichen. Zweyen folher Spies
gel vieler Menfhenalter, wohl früher fchon bekannt, aber
angelaufen und geträbt, und wie es mit koſtbaren Inſtrumen⸗
ten auf den Sternwarten zu gehen pflegt, ungebraucht und
beftäube bloß als Gegenſtaͤnde der Neugierde aufbewahrt, has
ben die Herausgeber Helle und Geſicht wieder gegeben, und
funftverftändig den Einen gegen den Himmel, gegen die Erde
den Andern aufgerichtet, und nun erſt ift die Koftbarkeit der
lichtſtarken tief in die Zeit eindringenden Werkzeuge Mar ges
worden vor aller Welt. Die Caßler Handfchrift des Hilde—
brand und der Anfang des Weißenbrunner Gebetes find die
einzigen Weberrefte der alten einheimifchen Sermanijchen Mythe
in einheimifcher Mundart aufgefaßt. Mach grünt wie vor der
22
5 . 4 i R
| Bhab⸗ilen, wenn wir im Schatten alter Waͤlder gehen, be⸗
|
338 Die beyden Alt, Deut, Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm,
Miftel auf den Eichen vom goldnen Meſſer unberuͤhrt. aber
jener inythiſche Wandervogel mit leuchtendem Gefieder hat
länaft den Herchniſchen Maid verlaffen, noch tönt durch die
Edda fein Sefang und durch diefe Blätter, aber auch ang dem
Norden ift der Vogel längft wieder weggezogen, auf jener
Eisinfel zwiſchen Morgen und Mitternaht hat man feiner
Schmwungfedern noch gefunden, und damit die alte Heldenfadef
aufgefchrieden, und nur die füdliche Nachtigall ift noch in unfern
Wäldern laut. Wie in uns, den Nachkommen, noch das’ alte
Leben lebt, ob es gleich in andern Formen ausgefchlagen , fo
iſt allerdings im Großen und im Ganzen auch die Maffe der
Sjdeen in Poefie, minder in der Myıhe bis auf uns gekom—
men, aber die alten Formen, freyfih das Sterblichfte von
Allem, find mit den Zeiten hingegangen. Nur diefe bepden
Greiſe find von allen Seihlechtern, die mit ihnen und zuver
gelebt, bis gu diefem Tage hinaufgefommen; fie haben noch
. die Miene, und die Form und das Weien ihrer Zeit, und wie
“jene Sünglinge, die fo viele Jahrhunderte im Berg durch
ſchliefen, bis die Münzen, die fie mitgenommen, zu Schau
ftüden wurden, das Vaterhaus nicht fanden, und die Sprache
der Mitbürger nicht verſtanden und nicht verflanden wurden,
fo auch reden diefe Deutſch, das taufend Deutfche nicht ver
ftehen, von hochberuͤhmten Helden, die taufend ihrer Ente
nicht mehr kennen. Die Herausgeber, indem fie die alten ehr
würdigen Geflalten in die neue Welt eingeführt, mußten dar
her ihnen zu Dolfmerichern dienen, und die gründliche Treue,
mit der fie ihrem Geſchaͤfte ſich unterzogen, iſt das erſte Der
dienft , das fie um diefe Fremdlinge in der eignen Heymath
ſich erworben. Allerdings haben Eckhard und Reinwald
vecht gute ‚Vorarbeiten geliefert, welche die neuen Bearbeiter
auch dankbar anerkennen, aber das Erfhöpfende, Durch das
Beherrihen aller verwandten Sprachformen erft möglich .ger
macht, Haben fie hinzugethan, und das Gute zum Veffern,
ja ganz nahe zum Beften bingeführt, das etwa noch duch
neuere hiftorifche Urkunden erteicht werden mag. . Wie wiffen
daher zur gegebnen Erklärung des Textes nichts Sonderliches
beysufügen; das Menige, was uns bey genauerer Berrachtung
vorgefommen, fügen wir hier mit kurzen Worten bey.
’ |
Die beyden Ält. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 339
In der erften Zeile „sih urhettun aenon muotin,“ fich vers
heifhen, betheuern, geloben nod in der hiefigen Landesmunds
art; bey aenon muotin mögten wir doch die alte Erklärung
eines Muthes, eines Sinnes vorziehen, die vielfache Zahl läßt
fi) allenfalls no in heutiger Sprachform „einmätbiglichen“
geben.. „Untar heriunt.ıeim“ bey Jfidor von Sevilla: „infaene
haerduom,“ dux effectus est, alfo Heerthum, Heerfahrt.
Bey „Sumu Faterungo* dachten wir zuerft an Edelingon,
Frilingon, befanntlid in den Sähfiihen Miundarten Edels
geborne, Freygeborne: in Sothifcher Form wird das i zum u,
und nun Niflungen, Nebelgeborne, Aumlungon, Amelunger,
Aumlas Seborne, die Abkoͤmmlinge des Urftiers, Ulfungon
oder Wöifunger, NWolfgeborne ‚Enkel der liftigen Locke u. f. w.
Sunu Faterungo würde dann freylich etwas feltfam tautolos
giſch, aber doch wohl der alten Sprache nicht zumider ! Sohn
Vatergeborner, und die.ganzge Stelle alfo nad) unfrer Anſicht:
Die Sage erzählt, daß gelobten eines Sinnes Hiltebracht und
Hathubrant Heerfahrt, Sohn Vaters Abkoͤmmling. In der
dritten Zeile „garutun“ mit gerben überfegt, if ung zuwider
in epifcher Dichtung; gatawıs, garawa, garawomes, gart,
garotig gigarotin, gigarwa, find häufig bey Difried vor
kommende Formen von derfelben Wurzel gar abgeleitet, wos
von gareiten , bereiten, und allerdings aud) gerben, aber doch
wohl nur als eigenthümlicher technifcher Ausdruck. Iſidors
Ueberfeger dat C. V. 9. 7. „chigarwan zi hinifli,“ reparari
ad veniam, wobey an gerben nicht zu denfen, nod weniger
in der Stelle am Eingange „Dhuo ir himilo garwida, dhar-
war ih“ als er den Himmel bereitete, da war ich. „ Ubar
zinga“ erinnert uns. an die Rhinga, Fuͤrſten, Wornehme
des Rhabanus, fo daß die Stelle alsdann gelefen würde
„Helden vor den Erften, wenn fie zum Kampfe ritten“ was
die allzu kuͤhne Konftruction, welche die andere Lesart fodert,
unnöthig machen würde. Darum muß wohl auch der Vers
der Helga Quida: „Siss mundu Helgi hringom rada“ nicht
mit Sräter „Nimis sero o Helgi annulis imperabis,
fondern vielmehr proceribus imperabis überfeßt werden. Bey
„fohem uuortum “ mögte ein Unterfchied eintreten zwiſchen
fouum, few, wenig und fokem mwechfelnd, vielfach, manchericy, ſo
#8
u ‚340 Die beyden äft. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm,
bey Otfried: „Fehemio muate -uble jo guate“. variabili ani-
mo, malo bonove, Wo das wenig nicht wohl paflen will.
Bey „en“ leitet der untere Hacken auf die Wermuthung , daß
es auch Ahne heißen könnte; „dreuuer* Dreyfadengewand,
will uns nicht wohl zu Binne, wir werfen auf geradewohl
die Vermuthung hin, daß es auch driwerbe, vreyfad, beißen
Lönnte, fo daß gelefen würde: wenn du mir Einen (oder
Ahn) anfageft, ich geb dirs dreymal wieder, oder made
dirs zu Gefallen dreymal wett. Das glei Folgende könnte
andy verfianden Werden, allem Wolfe, jedem Kind im Königs
reich bin ich befannt. „Trote“ Fret im bieflgen Landesdias
lect ausdruͤckend eine herbe Kräftigkeit, ferah bep Oifried und
fonft meiſt Leben, daher „ferahes frotoro“ eigentlich lebens
fräftiger. Daß die Weberfeßung der Herausgeber „arbeo laosa
heraet*“ (eruelosan man, König Rother 2907) durdy erbenlos
fes Hausgeräthe richtig, und an die Herat dabey miche zu
gedenken ift, können wir aus Dietrihs Flucht zu den
Hunnen beflätigen. Helche fchlägt. darin dem Vogt von
Bern vor, eine Frau aus ihrer Kunne gu fieyen, ihrer
Schwefter Kind, Fıau Herrat ginannt, die fhöneft, die num
lebendig iſt. Dietrich verfammelt feine Freunde im Rath, und
Hildebrandt raͤth ihm eifrig dieſen Worfchlag anfunehmen,
aber. nur aus allgemeinen Gründen ,. um die Freundſchaft mit
dem Hunnenkoͤnig bauernder zu machen; von eigner Sipp⸗
ſchaft mit der Braut, oder daß er fie gu Haus zurückgelaften,
wird nichts darin ermähnt. Die Hochzeit wird wirklich aus
gerichtet, und der Berner erhält Siebenbuͤrgen zur Morgens
gabe. Daffelde Gedicht veranlaft uns, im gleich Folgenden
nicht zu leſen „feit Dietrihs meines Vettern Elend ſich ans
hub,“ fondern vielmehr, wie fih weiter unten rechtfertigen
wird: „feit Dietrich zu darben begann um meines Waters
willen; faterero für Väter, hereron minon, meinen Ber
ten, findet ſich öfter bey Otfried. Bey „ummettiri“ mögten
- wie doch unmädhtig vorziehen, ee (Dietrich) war fo freunds
verlaßner Mann, und Ottakern nicht gewachſen. Mit. dem
Folgenden würden wir einen neuen Sinn anheben: „Bis da, wo
Dietrich zu darben begann, war er (Hiltebrand) immer an
Volkes Spitze.“ Bey „Welaga (Welaganu. Difried) nu wal-
Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Zabrh. v. Grimm, 341
tant Got“ wird Mar, daß die feltfame Phraſe im König
Rother „dag weiz der waldindiger (anderwärts waldendinger)
Got“ falſch gelefen I für: dag weis der waltende ber Got.
Sn banın nigifastan, fünnte banun auch han, fan die Ban⸗
ner heißen ‚. die Banner fliegen laffen heiße zum Streite ziehen,
das Banner binden, bie Waffen niederlegen. - |
Die Unterfuhung über Sprache und Alter der Handfchrift
iſt vorerefflich geführt, nur kann leider ſolchen Forfhungen
nur allzu wenig fihere hiſtoriſche Grundlage gegeben werden,
weil man bey den feltnen nody übrigen Dentmahlen beynahe
nichts weiß über Zeit und Ort ihrer Entftehung. Es ift gewiß,
daß, fo wie die Deutfhe Nation in drey Hauptſtaͤmme gers
fiel, den Gothiſchen, den Suevifhen oder Dberdeutihen „ und '
den Fräntifchen oder Miederdeutfchen, fo auch allerdings die
Sprache in drey Idiome auseinandergehen mußte. Aber gerade-
in jener fruͤheren Zeit mußte das Allgemeine des Geſammtbe⸗
griffes noch fehr hinter dem Beſondern einzelner Formirung-
zuruͤckbleiben. Denn das ift der Charakter alter Zeit und des
früheren Naturlebens, daß die größte Meannigfaltigkeit von
Formen fich darin hervorehut, die zwar alle einfady und eins
fältig, aber in dieſer einfachen Einfalt mit der fchärfitien Eu
genthämlichkeit ausgeprägt find. Erft im Laufe der Zeiten
fammelt fi das Nächftverwandte, allmählig auch das Fernere;
das Band eines Geſammtbegriffes fängt an wie eine Wahls
verwandtfchaft fie zu umfchließen; das Gemeinfame- nimmt zu,
und muß immer mehr berwiegend werden, wie das VBelons
dere aufgerieben wird; zuletzt, wenn alle Eigenthümlichkeiten
ber Grundformen ausgeglichen und mehr oder weniger ausge;
fogen find, flehen einige große Maffen oder gar nur Eine da,
die in ihrer Kugelsünde alle Typen und Geſtalten bezwungen
Hält. So iſt es um die gefellichaftlichen Verhaͤltniſſe in Deutſch⸗
land beichaffen geweſen, und fo find die verſchiednen großen
Sprahftämme erwachſen, die jest auf Europäifcher Erde fies
hen. Jedes der vielen hundert Völker, die nad) und nah
Deutſchland umhegte, waren eben fo viele verfchtebne Perfos
nen, jede in gang abgeſchloſſener Eigenthuͤmlichkeit, die als
foiche auch vor altem ſich geltend machte. Darum kämpften.
und ſtritten fie häufig mit einander, ob fie gleih alle als
Pr
342 Die beyden aͤlt. Deut. Gedichte a; d, 8, Jahrh. 9, Grimm,
Blutsverwandte an der Spr ache ſich erkannten; nur allmaͤhlig
arbeitete jene dreyfache Bundsgenoſſenſchoft aus dem Streit
der Elemente ſich heraus. So ift es auch mit der Sprache
vom Befondern zum Allgemeinen vorgefchritten; im Anfang
Hatte gewiß jcdes Wolf feine eigene fcharf beffimmte, von allen
Andern abweichende, und doch wieder mit allen Andern zus
fammendängende Mundart; ganz Ipät erft Bann man von Obers
und Niederdeutſchem Dialect, den aͤußerſten nach Verfchlingung
afer andern allein gurückbleibenden Segenfäßen reden. Darum
weiche jede der noch Übrigen Urkunden der früheren Sahrhuns
derte im Sprachbau und Mörterformen von der Andern ab,
wie Ihre geflagt, und darum muß jede fchatf betrachtet wie
‚die Gegenmwärtige aus Dbers und Niederdeutfcher Mundart ges
miſcht erfcheinen. Wir find mit den Verfaffern einserfianden,
daß die Caſſeler Handſchrift in dem Klofter von Fulda gefchrier
ben worden, alle äußern Merkmale fcheinen dahin - übereinzus
flimmen, daß fie etwa der. Zeit, wo Rhabanus dort Abt war,
angehört. Diefer Präftige, geiftreihe Mann war netit Als
cuin, Claudius, Sohannes Scotus, Schüler des ehrwuͤrdigen
Beda, und während der Erfte die Franzoͤſiſche Schule in Pas
ris, der Andere die Sjralieniiche in Pavia gründete, fliftete er
in jener Abtey die Miederveutfhe, während jene von St.
Ballen als die Oberdeutſche angefehen werden kann. In Futda
waren 270 Mönche unter feiner Obhut verfammelt ; Philos
ſoph, Dichter, Redner, Aſtronom, Chronifi,' der Griechifchen
. und Hebräifhen Sprache kundig, hielt er unter Jenen offene
Schule, ſelbſt nachdem er ihr Abt geworden; in allen religids
fen und weltlihen Wiffenfchaften wurde dort unterrichtet ‚ von
allen Seiten firömten Lehrlinge Hinzu; gelehrte Pflanzſchulen
wurden von. da aus wetteifernd in vielen Klöftern gegründet:
die Abtey war eine wahre chriftlihe Druidenſchule, ein heller
Lichtpunct in dem damals fehr verwilderten Morden, und ale
ſolcher von Völkern und Fürften geehrt. Unter jenem gelehr⸗
ten Vorſtand und feinem Nachfolger Strabus fand die Stifs
tung in ihrem höchften Stange, und was an Dentmalen von
ihr ausgegangen, wird fo ziemlich ihrem Jahrhundert anger
hören, 150 Sahre fpäter waren die Mönche ſchon uͤppig und
Viederlih geworden, und der Kayſer Heinrich nahm jhnen
N
—
‚Diebeyden Alt. Dent. Gedichte a. d. 8. Jahrh. u. Grimm. 343
darum. einen Theil ihrer Beflgungen weg, und legte fie Aerme⸗
m zu. Es war aber Otfried der Ueberſetzer der Evangelien
von dieſer Fraͤnkiſchen Schule ausgegangen; wenn wir aber
dies fein Merk mit unierem . Fragment vergleichen, feine ges
. fhmeidige Soprache Die. runder, ja oft. zierliche Form, die fcharfe
Herrſchaft der darin waltenden Segel im Segenfaße mit der
ungetenten Gliederung, dem vollen aber ungeichmeidigen nicht
ſehr muſikaliſchen Ton des Andern, dann müffen wir ung
überzeugen, daß Beyde unmöglich zu derſelben Zeit abgefaße
ſeyn können, fo viel man-and auf die Gewandheit des Dichs
ters und den Umſtand, daß er eine kunſtgerechte Grammatik
vor fih hatte, rechnen will. Vielmehr if die Sprache des
Gedichtes älter, als irgend sines der bisher befannt gemachten
Heineren Fragmente, das alte Vaterunier, das Freber, bers
ausgegeben, etwa ausgenommen, das im Sprahbau und im
den Mortformen unter allen jenem einzigen Ueberreſte am
nächften koͤmmt. War alfo die Handichrift um jene Zeit wirt
Ih in Fulda gefchrieben , dann hatte der Schreiber zuverlaͤßig
ein älteres Original vor ſich, das er wenig oder gar nicht Ans
derte. . Dran vergleiche aher nun mit Dtfrieds Bibel, Motkers
zwenhundert Sjahre jüngeren Pſalter, und man mird den Uns
terfchied in der Sprahe bey weitem geringer, als die zwifchen
dem Erften und unierm Fragmente finden, fo daß die Ans
nahme, jenes Driginal fey zwey SJahihunderte älter. ale Rhas .
banus feineswegs übertrieben fheint. Aber wir haben Gründe,
auch felbft dies ältere Blatt nicht für die Wrfchrift anzuerkens
nen. Es ift nämlich die Zabel des Gedichtes eine Gorhifche,
die Sprache aber eine der Fränkifchen Mundarten. Nun galt
allesdings die Fabel des Heldenbuches auch im Frankenlande,
aber fie ging dort keineswegs in Gothifhen Formen um; fie
war vielmehr als eine Einheimifche aufgenommeny es Waren
Fraͤnkiſche Helden, Fraͤnkiſche Mamen und Fränkifche Thaten,
oft gegen den feindlihen Garhifhen Stamm anggeibt, wie
jene der Burgundionen, Die dann befungen. wurden. Gang
gewiß hatten die Fränfifchen Stämme ihr eigenes Heldenbuch,
‚und das gegenwärtige Gedicht war feineswegs ein Theil von
ihm, es war von einer Sothiſchen Urſchrift Übertragen wor⸗
vn: Da dic Dichtung in (ren Lebensaltern ſich gewoͤhnlich
®
344 "Die beyden aͤlt. Deut. Gedichte a. d. 8, Jahrb. v. Grimm,
an die Zeiten glängender Regierungen und eines wohlgegräns
deten allgemeinen Wohlſtandes zu knuͤpfen pflegt, ſo kann man
uͤberhaupt die Zeit Theodorichs als die Sammlung und Aufs
faffung jener Gothiſchen Geſaͤnge vielleicht auch zum Theil
ihrer Umbildung in die chriftliche Form mit Wahrfcheinfichkeit
annehmen. In diefe Sammlung war denn auch das Caſſelet
Fragment aufgenommen, nnd wahrſcheinlich in den Runen des
Uifilas gefchrieben. Auf diefe Vermutung haben ung die noch
vorhandenen Spuren jener Schrift im Text. geleitet. Wie
nämlich die Herausgeber im Weiſenbrunner Geter das Runen⸗
hagel gar wohl erkannt, fo finden wir bier außer dem W des
Urfilas noch Thor oder Thus, fo häufig auch in den Mann
feripten” der Edda vorkommen, anfangs durch den Querſtrich
durch dag D bezeichnet, tiefer hinein Durch das linfsgeichwängte
d, beydes den Lispellaut andeutend. Der Haken abwaͤrts am
e in den Worten en, seo, enigeru, lettun findet ſich gleich⸗
falls häufig in der Edda, um ae zu bezeichnen, z. 2. *
reidr, Säreida, und wie hier 0; fo. wird dort se moru
s
vada der traurige See mit demfelßen Hafen bezeichnet. Die
Eircumflere endlich Über aenon se, erhinal, hewun, alſo
alle auf e (deinen das Eir der-Runenfchrift auszudruͤcken und
anzudeuten, daß ö, oe und ör gelefen werben müͤſſe.
Ein weiteres großes Verdienſt der Herausgeber iſt die
Entdeckung der Aliteration in bepden Fragmenten, und die
Machweiſung, wie fie in, gebundner Rede abgefaßt. Der Vo—
cal ift das narärlihe Element der Sprache, der Confonant das
Tehnifhe; jener-mird wie das Leben nicht gelernt, diefer kann
in fertiger Ausfprache durch Uebung allein erworben werden.
Bey allen rafchen, ruͤhrigen, firebfamen, Briegerifchen Völkern
und epifhen Naturen bey Mordländern, Berg: und Wüften
bewohnern ift die Sprache reih an Mitlautern und Lunfkteis
hen Verknüpfungen diefer Elemente in fcharfer Zeichnung ohne
fonderlihe Färbung. Bey Andern, die mehr Iyrifh im Leben
und im Gefühle fih bewegen, daß der gefpannte Muskel
ſich loſ't und in innener Fälle runder, herrſcht aud die Muſik
des Wocales vor, es find Bruft s und Herzenſprachen, wie jene
Mingerfpragen, Der Nordifchen Kehle aber mußte nun and
⸗
za “
Die benden Alt, Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, ' 345
das Nordifche Ohr zugebilder feyn, und am regfien der Hare
monte jener ſtark bezeichneten Sprachlaute fih öffnen, fo zu
reden mehr dem funftreihen Einklang der Anftrumentalbegieis
tung , als. dem inwohnenden Sefange. Das hat ohne Zweifel
die Deutfchen und Celtiſchen Voͤlkerſchaften auf die Alliteration
geführt, ein Heldengefang in ihr. ift ein Waffentanz, worin
die Ringe der Ruͤſtung Elingen, die Langen gegen einander
faufen, und "Schwertihtäge von den. Woͤlbungen der Schilder
widertönen, während Liebesgirren nur im weichen Lüftchen mils
derer Sprachen fih articuliren kann. Affonanz und Eonfonang
find wie Naturlaue und Kunſtlaut, jene läuft am Selbſtlauter
fort, die andere am Mitlauter, jene ift eben. ſelbſtlautend und
die andere mitlautend, indem fie wahrfcheinlih im Vortrage
den frey fchweifenden Ton auf eigne Meile band und begraͤnzte.
Sür den, der die Dinge ohne Eünftlih gemachte Befangenheit
nimme, wie fie fih ihm geben, iſt es fihon zum Voraus ger
wiß geweien ; daß eine Erſcheinung, Die fo tief im Geiſte des
Volles und der Sprache ihre Wurzeln fchlägt, ‚weder von
einem beionderen Stamme ausgegangen ‚. noch auf einen engen
Winkel in ihrer Verbreitung fich beſchraͤnkt. Inzwiſchen war
es nothwendig fuͤr diejenigen , die in der Geſchichte nichts ohne
den bibliſchen Augenschein gelten lafien, ohne dabey zu. gedens
fen, daß er dem geträbten Auge doch wieder nur zum Scheine
werde, und bey denen felbft Gott fein Dafepn durch gehörige
Erweife in logifcher Form legitimiren muß, bier wieder eins
mal urkundlich zu beweifen, daß die Geſchichte ihre großen
Sefege hat, wie der Kimmelsbau, und daß alles, was aus
ihnen auf die vechte Weife bergeleitet wird ,. Dusch die Beob—
achtung da wie dort nimmer Lügen geftraft werden kann. Das. .
Caſſeler Fragment beweiſ't fchlagend, daß die Alliteration, die
bisher für das Angelſaͤchſiſche erwieſen war, über die ganze
Niederdeutſch Fränkifhe Poefle, und wenn unfere "Ableitung
richtig iſt, Aber die Sothifche ſich verbreitete, und das Weißens
Brunner Gebet vollendet diefen Beweis auch für die Oberdeut⸗
ſche oder Sueviſche, der dies Fragment, wie faum zu zweifeln,
angehört. Wo an ſeltnen Stellen die Alliteration auszugehen .
feine, iſt es wohl durch die Webertragung der Urſchrift in
fremde Mundart durch der Sache nicht ſonderlich kundige
346 ° Die benden Akt. Dem. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm,
Mönche eingefhlihen. Die Dichtungen aber nun auf biefe
Weiſe in ihrer urfpränglichen Form wieder hergeſtellt, laſſen
uns einen tiefen Blick in das Weſen der einheimiſchen Poefie
thun. Sie reichen nahe in die Zeit von Chilperihs Grab
hinein, und wie das, was man dort gefunden, Bienen, Sie
gelringe, Schwert, Meffer, Pferderäftung , Stierbilder und
einen plaftifch, anfhautihen Begriff von den Außerlichen For
‚men des damaligen Lebens geben, fo führen uns diefe Ueber⸗
bleibſel recht in die Mitte: des dichtenden Geiſtes jener Zeit
Binein, und wenn wir die Töne, die in den Werken des
Mittelalters und des Nordens; fo wie in uns ſelbſt von jener
Zeit noch dunkel nachklingen, um die gewichtigen Worte, in
denen diefe Nunen Iprechen, fammeln, dann mögen mir den
Torſo in unferer Anſchauung mit ziemlicher Sicherheit ergäns
gen, und uns ein ganz angemeſſenes Bild von -dem Weſen
jener uralten Dichterſchule machen, etwa wie wir. die Altgrie
chiſchen Philoſophenſchulen ja gleichfalls aus wenigen übrigen
Sragmenten und dem Beifte des Ganzen gar wohl zu deuten
vermögen. , Nur über die Vortragsweiſe diefer Werke laͤßt ih |
fchwer aufs Neine kommen, wahrscheinlich gefhah es ſchwebend
gwifchen Sage und Lied in einer Art von Necitatif mit Ber
gleitung irgend eines lautenartigen Inftrumentes, fo daß dit
Betonung immer auf die alliterirenden Sylben fiel, eine Art,
wie fie wohl auch die früheren Rhapſoden und die fpäteren
Conteurs verfchieden von den Liederfängern haben mogten.
Aber: gewiß iſt, daß auf: fotche Unterlage die ganze fpätere
Moefle gegründet. war. Das Caſſeler und das Weißenbrunner
Manuſcript verhaften fich genau gu einander, wie der herois
fhe und der. mythiſche Theil der Edda, denn auch wir glauben
mit den Herausgebern, daß der Eingang der Lestern einer
Art von Deurfcher Voluspa angehört. Die ganze Dichtung
des Volles war in einem folhen Mythen⸗ und Heldenbuche
niedergelegt; das Wenige, mas wie im Gebete das Chriſten⸗
thum vom Erſten nicht etwa zu ſich hinuͤberziehen mogte, wurde
verworfen und ging verloren, auf das Andere aber wurde im
Nerfolge die ganze Dichtung des Mittefalters: aufgeſetzt. Wir
haben am König Rother noch eine treffliche Urkunde zum Ber
lege dieſes Zuſammenhanges der fpäteren Zeit mit jenen frühen
"Die benden Alt. Deut, Gedichte a. d. 8. Jabrb. v. Srimm. 347
Jahrhunderten. Gerade wie das Caſſeler Fragment aufgeldf't
aus Altdeutſchem Lied in die Wiltinafage des dreyzehnten Jahr⸗
hunderts eingegangen, und dann durch die verfchlednen Umar⸗
beitungen des KHildebrandliedes His auf ung gekommen, fo findet
fi) auch Rother als ein folhes Lied in jener Soge, zugleich
aber auch früher nod) als Epos ſchon vom Norden nach Star
lien und Griechenland hinadgetragen. Der Oſantrix der Wil:
finafage iſt die Nordifchdeutiche Geſtalt des ſuͤdlich Ofigothiſchen
Rothers, und Benden liegt gerade ein folches altes Gedicht,
wie das Fuldaer zum Grunde, aus dem es fi in allmählige
Hortbilänng heraus entwicelt hat. Daß dem fo fey, beweiſen
außer den noch da und dort durchbrechenden rieſenmaͤßigen
Umriffen der fräheren Zeichnung , die .mancherley alten Works
formen, die auch fhon v. d. Hagen aufgefallen, volgodis,
tror.nde, sprachan, gesamenot, gecirot und viele Andere,
alles große Werkſtuͤcke eines andern Baues in diefen nur vers
mauert. Der Versabtheilung muͤſſen wir durchgängig unferen
Benfall geben, und ee ift ung intereffant geweien, zu vernehs
men, wie die Heransgeber gegen die Brehung der Eddd im
Heine Verſe fih erklären, Allerdings läßt ſich wohl Mandıes
gu ihrer Rechtfertigung bepbringen. Das Griechiſche vollendete
Epos wie dje Mibelungen und auf gleicher Höhe ſtehende Dich⸗
tungen aller Voͤlker gehen allerdings im fenerlihen Schritte
mit langem Schteppfleid, aber es ift keineswegs Damit ents
fhteden , daß auch die alten Rhapſoden fo feyerlich gefungen.
Der Athemzug der Begeifterung iſt tief, aber kurz; wo die
Dichtung nod fo nahe und fcheitelreht über dem Leben ficht,
eefcheint auch Ausdruck und That in einem runden engerfüllten
Augenblicke; erſt wenn das heiße Gewitter voräbergezogen,
fehen wir zuerſt das Feuer zucken, und die veflectirende - Dichs
tung dann in einem langen Donnerguge nachrollen; ganz zus
letzt in zahmer gebildeter Zeit fkehe fie ohne Zuck und Schlag
ein bloßes Wetterleuchten am fernen Simmel, und die Wolke
laͤßt fich erfühlend das Feuer in langfamen Kellen austropfen!
Die alte Sage ift,-fo fcheint es, kurz und eilig wie die Kies
toglpphenfprache, fie hat viel zu fagen, und wenig Zeit und
Worte, der Stein, die Rede foll fo viel ats moͤglich Gedan⸗
ten in wenig Zügen fallen; fie noch Gefährtin der Heldenzeit
348 Die beyden alt. Deut. Gedichte a. d. s. Jahrb. v. Grimm,
und ſelbſt Keldenjungfrau verhätt ſich zur fpäteren Nacherinne⸗
rung wie fchrotende Schwertesfchärfe zum heilen Stahlſpiegel
auf feiner Flähe. Darum iſt wohl Auch Die enge Versabthei⸗
fung, wenn fie ein Irrthum if, ein fehr alter, denn offenbar
iſt der mwelfche kurze epifche Vers, von Norden herab, wie ber
Alerandriner von Süden heraufgelommen , iaus jenem dadurd
‚hervorgegangen, daß man bie Alliteration bloß mit dem Meime
verwechfelte,, und mit dem Sylbenmaße leichter nahm, und
gerade das gibt zuruͤckwirkend auf das Vorbild diefem einen
fluͤchtigen, leichtfertigen Anſtrich, der fi mit feinem ernſten,
bedentfamen innern Charakter gar nicht wohl vertragen will.
Unter der Rubrik: Zuſammenhang mit dem ganzen Fabel⸗
kreis, haben die Herausgeber vortrefflich nach ihrer Weiſe wie
Geologen eine Erzader, fo das Werk in feiner Lagerung in
dem großen poetiſchen Gebuͤrgzuge dargeftellt, und fo erſt recht
feine große Hiftorifche Wichtigkeit herausgehoben. Wir find
im Stande, aus der Vaticaniſchen Handſchrift No. 314. Dies
trichs Flucht zu den Hunnen, die Fabel, in die das Fragment
eingreift, in etwas zu ergängen. Der alte Amelunch erzeugte
mit einer Gattin, aus Kerlingen geboren, drey Söhne wohls
| gethan, worunter der ältefte Diether, dann Ermrich fo der uns
getreueft war, der je von Mutter ward geboren, zuleßt Diets
mar. Der Vater theift unter die Söhne fein Land, fo daß
dem Erfigebornen Bifah und Beyerlant, dem Ermrih Puls
len, Galaber und Wernhers Mark, dem Juͤngſten endlich
Lamparten alles gar, Roͤmiſch Ere und Ofterlant, Foriul und
das Inntal zufaͤllt. Ale drey gewinnen Kinder, Ermrid eis
nen Sohn, Friederich genannt, Diether die beyden Harlunge,
die Ermrich fieng und ohn’ Schulde hing. Dietmar endlich,
der Bern gebaut, nahm des Königs Deſau Tochter, und ge
wann mit ihr zwey fchöne Kind, Dither und den Bernere, det
mit maniger Mannheit- alle die Wunder hat bereit, davon
man finget und ſeit; Hildebrand ergog die Soͤhne, die der
Water fierbend dem Ermeich befohlen. Diefem aber rathen
Sibich und Nibeftein, daß er mit Dietrich ein Gleiches thue,
mie mit den Harlungen, während er ihn zu fi Tade, unter
dem Vorwand, daß er nad dem heiligen Grabe walle, um
43
+
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Die benden aͤlt. Deut, Gedichte a. d. 8. Jahth. v. Grimm, 349
den Tod der beyden Juͤnglinge zu bäfen. Der Lngetrene
fendet Randolt von Anton mit dem Auftrage nah Bern, dies
fer aber ſtatt ihn in die Schlinge gu ziehen, warnt ihn viels
mehr vor der Verräthery. Wie Ermrich feine Tuͤcke entdeckt
ſieht, gebieter er eine Heerfahrt, wie größere nicht warb ges
fehen auf römifh Erd. Er ruͤckt mit mehr ale Boooo in das
Herzogthum zu Spolet und heißt das Land ode legen mit
Raub und Brand, bie an Meylan. Aber auch Dietrich hat
ſich geräftet, ihn zu empfangen, unter dem Rufe Aht Sche—
velin (oder Echavolin) Berne, Aber volir Berne! (Acht
(han wohl in Bern, achtet wohl ihr Berner ?) Überfälle er
Nachts den Feind; Ermrihe Sohn, Friedrich, wird mit 1800
gefangen , und 26000 fliegen vom Heere erfchlagen. Mach der
Schlacht aber gräme. fih Dietrich fehr, daß er nicht Gutes ges
nug beſitze, um feine tapfern Freunde gu belohnen. Da fpricht
Bertram von Poten, Herr ihr folle nit Sorge han, ich gieb
end Gutes alfo viel, mit Treuen ich das gerne thun will, _ |
500 Saummere in Polen, da ih zu Daufe bin. Dietrich
nimmt das Anerbieten an, und nach dem Golde werben ges
fendet Hildeprant, Sigebrant, Wolffhart, Helmſchart, Am⸗
lant von Gart, Sindolt, Ditleip von Steyer und mit ihnen
Bertram. Aber ihre Reiſe war alles Ungluͤcks Anfang, wähs
rend die Boten hochgemutet flreichen mit dem Gute, legt Erm⸗
zih ihnen einen Hinterhalt, und als man das Gold führen
folte gegen Bern herauf, durch Iſterich wird es genommen,
und die Ritter werden gefangen vor Ermrich geführte zu Mans
tauwen in die Stadt. Und der Ungetreue fpricht zu ihnen:
wil Dietrich Idfen euer Leben, er muß mir fürwar geben_als
les was er je gewann, Gart und Meylan, Bern und Raben,
Polen und Hifterih, Lamparten und roͤmiſch Erde muß er
mir alles laffen, alles muß mein eigen weſen, oder: ich laß
euch micht geneſen. Der Bernere, wie er die Rede vernimmt,
ſpricht: und waren mein alle Reich, die wollt ich ehe alle lan,
dann meine getreuen lieben Mann, die Reiche ich eh alle
verchur, ehe dann ich fie alfo verfur. Er fender einen Boten
an Ermenrich, daß er ihm feinen Entſchluß anfündige, und
dieſer ziehe vergnuͤgt mis einem Heere gegen Bern. Mit
1
350 Die beuden lt. Deut. Gedichte a. d;6, Jahrh. v. Grium.
Kräften fie lagen, Raubdes fie -pflagen, und ıhaten Schaden
Fark allum duch die Mark, das Land fie anzımden ,. fie has
men was fie fünden, Rauch ging Über Land, der ſtarke Woſt
und Brand, Rauch Über Bern. Hervortreten Jubart, Cie
wart, Ekkenat, deren Waren drey und vierzig Mann, die
Eur, Weib und Kind ließen um den von Bern. Dietrich
geht hinaus mit Geleit vor Ermrih, mir naffen Augen trübe
und roth; das Haupt er darnieder bot Ermricd auf die Füße.
Er ſpricht: gedenke Better fühe, daB ich bin deines Bruders
Kind, daß meine Sinne noch kranke find, nu thu an mir die
Ehre, ih will nimmer mehre wider dein Hulde icht begehn,
noch deines Zornes abgeſtehn. Lange ſchweigt Ermrich,. zuleßt
fpriht er erbarmungslos: gibt man mir heute Bern nidıt, fo
glaub mir, daß dir. gefchicht weh von meinen Handen. In
allen den Landen, die je Land find genannt, wo dic, Legreifet
mein Hand, da wiget nicht dir alles Gold roth, begreiff ih
dich fo biſt du todt. Dietrich. bitter zuletzt bloß um Bern, der
Ungetreue aber erwiedert, nu laß dir ſeyn von mie gach, oder
id heiß dich fangen und auf einen Baum bangen, dennäds
ften den ich finde. Zuletzt noch fagt er, um ihn zu kraͤnken,
er muͤſſe zu Fuße mit den Seinen abziehen. Wehr als rau
fend Frauen aus der Stadt, Fran Ute an ihrer Spiße, achen
hinaus ins Lager, und legen Fürbitte um den Fürften ein, fie
werden aber zornig angefahren; eylet euch von mir wenden,
oder ich Heiß euch fchänden. Hin fährt nun Dietrich gegen
Hunnenland mit den Seinen, am 2öten Tage koͤmmt er mit
Genoſſen in die Stadt Gran, und kehrt bey einem Kaufmann,
des Königs Palaſt gegenäder, ein. Baid hält die Königin
Helche ihren Einzug mit Ruͤdiger, und verſchaͤmt birge der
Held fih hinter den Linen, Rüdiger aber erkennt und bewils
kommt ihn und ſchenkt ihm, als er fein Unalüd erfahren
Bon Mark. Auch ben der Königin führe er ihn ein, und auf
fie, nachdem fie ihn wohl bemwirthet, verehrt ihm zwölf Saum
möre mit Sur. Batd auch koͤmmt der Kunnenfürft mie fer
nen Rittern von Epelburg, aud) er nimmt ſich des Geächteten
an, und fagt ihm 12000 Mann gu, Nüdiger 12000, ud
Andere nach Vermögen. Bald erhält Dietrich auch Nachricht
Die beyden Alt. Deut. Gedichte a.d. 8. Jabrb. v. Seium. Ast
von Amelot, mie er Bern wieder gewonnen durch Ueberfall,
und nun zieht er aus gegen römifc Reich mit feinen Mannen.
Am zwölften Tage koͤmmt er vor Bern an, Tidas gewinnt
ihn Meylan, um ihn fammeln fid wieder feine Freunde.
Da made auch Ermrich fih auf, um Meylan zu belagern, “
Dietrich aber bereitet einen Ueberfall, Wolffhart redet zu feiner
Schar: nu freut euh Helden gut, wir follen in Mannes
Blut heute waten bis Über die Sporen, mir follen alſo ſchaf⸗
fen, daß Layen und Pfaffen von diefer freyfen Märe fagen.
Bie ftoßen bald anf den ſichergemachten Feind, da ward ein
Darruden, da hub ſich ein Zucken, die fcharfen Geren mit
Handen zufammen fie gerannten, der Dunft aus ihrem Leibe
rauch, gleich in dem Gebaren gleid als ob ein Wald wäre
gegündet an mit Feuer. Wolffhart fchreie abermals auf: iſt
unter ung jemand er fey Kerr oder Fürfte, den von Kerzen
dürfte, der leg fi) nieder und trink das Blut, und fecht aber
als ein Held gut. Ermrich wird gefchlagen. und in Ravenna
eingeichloffen, auf Sibech und Ribeſteins Nat aber entweicht
er in der Nacht nady Bolonie. Ravenna wird übergeben,
und von Dietrich dem ungetreuen Wittige übergeben, fo mie
Meylan dem Tydas, Bern dem Elfan, art: dem Amlolt.
Dann. reitet der Vernere mit den Hunnen zu Ebel,. ihm
koͤmmt fein Bruder Diether ın Freude entgegen, Buhurt und,
Hochzeit mit der Herat. Bald aber kommen wieder Voten
von Amlolt hergeeilt, um zu verfündigen, wie Wittige Nas
ben verrathen, und wie Ermrich alle in der Stadt erfihlagen,
tanfend Frauen enthauptet und fechehundere Kind gehentt,
und wie er mit einem. Heere von 2ooooo läge im Herzog⸗
tham von Spolet, denn er hat das Harlunge Gold, davon
er noch lange gibt guten Sold. Da gebieter Etzel eine Heers
fahre nah Gran über acht Wochen, Frau Heide fendet 48
©aummäre mit Golde roth voraus nah Bern: Bald fans
melt ſich ein Heer von 150000 um Dietrih, und damit fährt
er bin dur) Sandes gegen, Yſterich, unterwegs: unterwerfen
fi ihm wieder Polere die Heichen, und geben hundert Ka⸗
ſtellan: bey Padaume wird Ermrihs Sohn Friedrich gefchlas
gen, Wolffhart fängt Sibechs Sohn Saben, und er wird
352 Sie binden aͤlt. Deut. Gerichte a. d. 8. Fahr. v. Grimm,
vor deu Manern gehenkt. Das Heer zieht weiter gegen Ru
ben, die Frauen werden begraben mit großem Leid, und: es |
geht num nad Bolonie, wo Ermrich liege. Am Reine (Peiner
Fluß bey Bologna) lagern beyde Heere, der Feind wird. ums
" gangen durch die eine Hälfte des Hunnenheeres, Dietrich
felbft macht den Angriff, Fener flog freislidh aus Heimen und <
Rähterner War, Ermrihs Heer wird durchbrochen. Am
Morgen koͤmmt nod König Günther mit: den flarfen Burgos
nismann gegen die Sieger geritten, alle auf floigen Kaſtellan
mit Eiien wohl bededet. Erf wird nun ein Seurm gefirktten,
der härteft der da je geſchah, als ob taufend Schmiede wären
mit Hämmern über Ambos gethan, Dietrih und Günther,
Volker von Alzan und Wolffhart kommen zuſammen mit
Wehr, Schaar nad Schaar wird aufgerieben, am Mittag
gelagen alle Guͤnthersmannen todt bis auf 3a, der König
ſelbſt wird flüchtig, Geld, Blumen und Gras, alles rinnt
von Blute, man fieht die Guͤſſe hinabgehn, als von dem Re⸗
gen thut ein Bach, wohl eine deutfche Raſte weit alles mie Tod:
sen voll lag. Ermrich verlor alle die gar, die er hatt ges
bracht in den ©treit, der Seinen lebt niemand mehr wann
1100 Mann; Ribeſtein wird errannt und von Ekkewart ers
ſchlagen, nur 200 kommen mit Ermrich, Sibig, Wittige und
Heinze nach Bolonie. Es folgt die Klage und das . Begraben
der Todten, Ruhe der Streitmuͤden bis zum achtzehnten Tage,
dann fähre Dietrich wieder gu den Hunnen nad Ebelburg,
und wird freundlich empfangen, Helche klagt in ihrem Muthe,
die edeln Recken gute, und wer auf dem Wall verſchied. Hie⸗
mit endet ſich das Lied, das zwar in der alten: Form reichen
Stoff zu einer fchönen Quida bot, hier aber in fpäterer meis
fierfängerifcher Breite und Berweichtheit nur von ſehr mittels
mäßigem poetifchem Verdienſt erſcheint, aber fehr wohl bie
hiſtoriſche Compoſition jenes Dichtungskreiſes zu erlaͤutern und
“ aufjzullären dient.
(De BBefhtußg fat.)
UN ER SINE nn
ww.“
No. 23. Beidelbergifche 4813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Die beyden aͤlteſten deutſchen Gedichte aus dem achten Jahrhundert
herausgegeben durch die Brüder Grimm.
1 Befhluß der in No. 22. abgebrocdhenen Reenfion, )
W..⸗ die bey dieſer Gelegenheit von den Verfaſſern ent⸗
wickelten, ſehr wohl begruͤndeten Ideen uͤber Dietrich von Bern,
Ermrich, Sibich, bie Wölfinger und verwandte Gegenſtaͤnde
betrifft, fo werden wir an einem andern Drte Gelegenheit has
ben, uns weiter darüber zu verbreiten; bier bemerken wir nur, -
dag ſchon der Abt Conrad von Lichtenau, Werfaffer der Urfpers
ger Chronik am Anfange des drengehnten Jahrhunderts, über
den Zwiefpalt der Pocfie und Geſchichte in der Dietrichsfage
nachgrübelte, und zu einem aͤhnlichen Reſultat wie die Verff.
gelangte, wobey ihm aber freplich die wahre Erkenntniß des
Weſens der Heldenpoefie nicht angemuthet werden darf. Wir
führen die‘ in mancher Beziehung merfwürdige Stelle hier aus
feinem Buche, Basler Ausgabe ©. 111 an: „Nah Ers
wägung aller diefer Umftände mag jeder, dem irgend einige
Ueberlegungstraft beywohnt, enticheiden, was davon gu halten,
daß nicht bloß in gemeiner Dichtung und in Volksgeſaͤngen
aufgenommen, fondern fogar in einigen Chroniken gefchrieben
it, wie Ermenreih zur Zeit Martians Über alle Gothen ges
herrſcht, und den Dierrih Dietmars Sohn, feinen Vetter,
auf Anftiften des Odoacer, gleihfalls, wie fie fagen, als
Wetter ihm verwandt , von Verona vertrieben, und ihn
gezwungen, beym Hunnenkoͤnig Attila Zuflucht zu ſuchen, da
doch Jornandes ausdrücklich erzähle, Hermenreich, der Gothens
tönig , Habe zur Zeit des Valens und Walentinians über viele
Könige geherrfcht, und ſey von zwey Brüdern Sarus und Ams
mins, bie, wie ich glaube, jene find, die gemeinhin (vulgariter)
Sarelo und Hamidiecd genannt werden, verwundet worden,
und dann beym erſten Vorbrechen der Hunnen aus ben mäatts
.. 25 |
-
354 Die benden aͤlt. Deut. Gedichte a. d.5. Jahrh. v. Grimm.
fhen Sümpfen unter Valamber theild an der Wunde, theils
eus Verdruß über diefen Einbruch geſtorben, Attila aber habe
fiebenzig Sabre fpäter in den Catalauniſchen Feldern geftritten,
und fey unter Martian und Balentinian geftorben. Dann erft
habe unter Leo Theoderih, Dietmars Sohn, den Odoacer Kds
nig der Nugier und Turcilinguer in vielen Treffen gefchlagen
und die Herrſchaft Italiens erlangt. Darum mag eine aufı
‚ merffame Betrahtung diefer Thatfachen wohl entfcheiden,, wie
es doch, möglich feun mögte, daß Ermenreih den Theoderich
Sohn des Dietmar zum Attila entweihen machen, da er doch
feineswegs fein Zeitgenoffe war. Jornandes hat alſo entweder |
falſch berichtet, oder der gemeine Glauben trägt, oder ein ans
derer Errhenreich und ein anderer: Theoderich find als Zeitger |
nofien dem Attila beyzulegen, durd welche alddann der Wibders
ſpruch ausgeglihen werden mag. Denn jener Ermenreich farb
lange vor Attila, Theoderich aber wurde nad feinem Tode,
oder um die Zeit defjelben geboren im fünften. Geſchlechte von
Vuldulf, Bruder Ermenreihs, beyde Söhne Achiulfs, adı
ſtammend, deſſen Enkel Eutharik, indem er die Amalafıenta,
Theoderihs Tochter, zur Gattin nahm, beyde Linien wieder
miteinander verband. Dietmar feinem Vater aber werden feine
anderen Brüder beygelegt als Vualamar und Vintimar, wo—
von der Erſte zur Zeit Attilas lebend nach deſſen Tode ſeiner
Herrſchaft ſich unterwarf, und ohne Nachkommen ſterbend ſei—
nem Bruder Dietmar die Regierung überließ, der andere aber
“einen gleichnamigen Sohn hatte, der nad) des Waters Tode
Stalien verließ, und nah Ballien gina.“ Man fieht, dieſe
Chroniken lefen, wenn der Abt recht gefehen, gerade wie dad
Caſſeler Fragment, wie es fcheint, anders als die Wilkinaſage,
die doch ganz auf den Liedern derfelden Zeit ruht; Dietrich
flieht vor Odakers Neid nach Hunnenland, und diefer Odaker
iſt nihe Ermenrih, fondern Sibih oder Saben. Alles be
weiſ't, wie vielfältige Geſtalten die Fabel durchgelaufen, gleicht
zeitig bey vielen Voͤlkern und nacheinander in vielen Zeiten,
den Letzten ift alles zulege in ein Bild verwachien, wie ein
Baum im den Knospen viel taufend Pflanzen tränt, deren
jede verfhieden von der Andern, und die doch eins find in
ihrer Natur und in ihrem Mutterſtamme. So auch find all
Die beyden At. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm. 355
diefe Helden Dietrich und KHiltebrand und Odaker und Ermens
reih und Attila blühende Baͤume, die viele Länder mit ihrem
Gezweige Überfchatten, und durch lange Jahrhunderte immer
diefelben und immer Andere grünen. Alles das iſt in dee
Schrift fehr gut entwickelt, und dabey nody recht fcharffinnig
auf die Verknüpfung der Dichtung durch Sibih mit der alten
Fuchsfabel nachgewieſen. Was den gleichfalls angedeuteten Zus
fammenhang des Hiltebrand mit dem Odyſſeus betrifft, fügen
wir nur noch aus der Trojanifhen Geſchichte des Dictis von
Creta, die man, mie alle Werke dieſer Art, auch achtlos vers
worfen, während fie ein Neugriechiſches Erzeugniß der frühes
fien Zeit ohne Zweifel auf alten Sagen und jeßt verlornen
Urkunden ruht, daß auch Ulyſſes mit dem eignen ohne Thes
lagon, den er mit der Circe erzeugt, in Achaia vor feiner
Burg fämpfte, ohngeadhter ihn ein Traum ‚gewarnt, und daf
ber Süngling unmwiffend den Vater mit der eignen Lanze, die
er auf ihn hingeſchleudert, toͤdtet.
Wir muͤſſen den Bemerkungen ein Ziel ſetzen, welche die
intereſſante Schrift in ung geweckt. Wir loben zuletzt noch
einmal dag Ganze um die treue Gruͤndlichkeit, um die fchöne
Liebe zu der Sadıe, um die durchgängige innere Tüchtigkeit, -
um die a darin herrſchende Geiſtigkeit. |
Goͤrres.
Erinnerungen von Friedrich von Matthisson. Erster
Band. Zürich, bey. Orell, Fuesli und Comp. 1810. Xx u.
4138. Zw.Bd. 413 ©. gr. 8. (Mit einigen niedi. Vignetten.)
Die anziehende Darftellungsart des Perf iſt fhon ans
feinen früher erſchienenen Briefen bekannt. Die Vorzuͤge, welche
jene Sammlung auszeichneten , — ein heller Blick im Auffafs'
fen der Segenflände, ein guter Beobachtungsgeiſt, weifer
Steihmurh und milder Ton in der Beureheilung, metrifchs '
ſchoͤne Darftellungen und ein fehe gebildeter, biühender Vor⸗
trag — zeihnen auch diefe Erinnerungen, und zwar in einem.
noch höheren Grade, aus. Mur dürfte der Vortrag hier und.
da für Proſa vielleicht zu biumenreich feyn, und manchen Schtis
derungen fcheint faſt bloß das Sylbenmaß zu fehlen, um
366 Erinnerungen von Fr. v. Matthifon.
maleriſche Poeſie zu ſeyn. Mehrere der im Jahre 1705, und-
‚im: J. ı8o2 in einer neuen Auflage, erichienenen Briefe des.
Herren v. M. find, ihrem weientlihen Inhalte nach, wiewohl
in’ einer andern Ordnung, mit den fünf in diefem erflen Bande
vorfommenden Auffäßen verwehrt; allein überall Wird man die
beiferude und fellende Hand des Verf. gewahr. Manches
Minderbedeutende,, desgleichen die Ankündigung der künftigen
Erſcheinung von Büchern, die damals, als die Briefe heransı
kamen, laͤngſt erfchienen waren, wie Gerſtenbergs Minone,
Klopſtocks Tod Hermanns u. a. blieb diesmal weg. Einiges
mal werden jedoch auch Hier noch Werke als künftig erfchels
nend angekündigt, die wenigſtens zur Zeit der Herausgabe
diefer Erinnerungen (1810) allgemein, als längft ers
ſchienen, bekannt find. So wird, um nur ein Bepfpiel ans
zufuͤhren, & 375 bey Aug. Node bemerft, „wir hätten In
Kurzem Anen verdeutſchten Vitruv von ihm gu ermars
ten.“ Diefer Vitruv if aber [hen 1796 zu Leipgig in zwey
Bänden in 4. erfhienen, und da Hr. v. M. fih nicht fireng
an die Zeitfolge bindet, und Erinnerungen aus frühen und
fpäten Jahren an einander reihet, fo hätte dieſe Notiz ente
weder anders geftellt oder doch nicht ohne eine Anmerkung ges
geben werden follen. — Drey andre Bände werden noch auf
diefen erfien folgen, und dieie Sammiung,, die gewiß viele
theifnehmende Leer finden wird, befchließen.
Wir gehen zu den einzeinen Anfläßen des erfien Bandes
“über. I. Der große Bernhardsberg S. 1 — 16.
Diefe ſehr anzgiehende Beſchreibung las man fchon mit Ver
gnügen in dem erften Theile der Briefe; hier aber find die
Materien noch. befler, als dort, geordnet, und die ganze Dars
fielung zeigt von der glädlichen Zeile des nach mmer groͤßerer
Vollendung ſtrebenden Verfaſſere.
IE. Die Feljentuppe von Mayenne. ©. 17— 30,
Auch dieſe fchöne Schilderung kennt man ſchon aus dem 15.
Briefe der erſten Auflage. Außer mehreren glädlichen Der
defferungen im Ausdrucde und einigen paffenden Auslaffungen,
findet man bier auch ein finnvolles Gedicht: Die Alpenı
Hirten; — wiederum abgedruckt in der: neueften Sammlung
der. ei ſchen Gedichte ©. a11.
Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 387
HE Darfteliungen aus Frankreich: in drey Abs
ſchnitten. ©. 31 — 154. Merkwärdige Züge aus dem Naties
nals Charakter der Franzoſen, Nachrichten von ihrem Theater,
Beſchretbungen intereffanter Kunftwerke und Alterthümer, und
lebendige Schilderungen reigender Gegenden wechſeln hier aufs
angenehmfte mie einander ab. Uebrigens las man die meiflen
der bier mitgetheilten . Bemerkungen des Verf. über Lyon,
Avignon, Vaucluͤſe, Cette, Niemes, Montpellier u. ſ. w.
fhon in feinen Briefen. Aber auch Hier ſtoͤßt man auf manche
gluͤckliche Verbeſſerung in der Darftellung. Eine der trefflich⸗
fen Schilderungen, die des Hafens bey Cette — möge bier
als Probe der Darftellungsart des Verf. fiehen: „Ein feis
fher Seewind (heißt es ©. 155) tühlte die Wärme des
Abende. Die Matrofen ſchwammen zwiſchen den Schiffen im
Hafen, und die Fiſcher fangen in "ihren Barken. Ich flieg
hinter der Petersichafize hinab, umd warf mich in die lauen
Fluthen. Mir der Wonne wird vieleicht felten gebadet. Die
Geſchwader der Karthager, Syrakuſer und Römer gingen vor
meinem Geiſte vorüber; die großen Schatten der Scipionen
äber den Waſſern, und Blagende Stimmen der Heldenvoͤlker
ſchollen, aus ihren fernen Gruͤften, über die unsrmeßliche
Meeeresfläche, welche fie vormale herrfihend ummehnten. Ich
ging nachher noch lange auf dem Mols fpagieren. Allmaͤlig
verſtummte das Getuͤmmel des Hafens, und man hoͤrte nur
noch von Zeit zu Zeit in den Schiffen das dumpfige Laͤuten
der Betglocke. Lange fchom hatte die Flamme des Pharus ger
lenchtet, als ich in den Gaſthof zuruͤckkehrte. Goldene Bilder
ans Athen, Miler und Lesbos wirkten fih in meine Träume‘;
die freundlichen Seftiene, unter deren Einftüffen die glücklichen
Suͤdlaͤnder, durch überfchwenglihe Fülle des keimenden und
fruchtenden Lebens, in ewiger Fruͤhlingsjugend frohlocken, fcheis
nen einladend niederzuſchweben, und der entförperte Himmels⸗
chor ihrer feligen Bewohner fang in leiſen Geiftertönen :
Hoffe freudig, Hoffe muthvoll, Pſyche, bis zur Morgenröthe‘
der losgebundenen Schwingen! Hoffnung iſt die Bluͤthe des
Gluͤcks!:«“ — —
. IV. Beyer des Wiederfeheng ser dem Schlofſe
Bodmer. ©. 166 — 178. Ein Beſuch bey dem Dichter
—
—
3585 Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon.
v. Salis, aus dem 8. Briefe des zweyten Theile der Briefe,
fon bekannt. Aus einem andern Briefe jener Sammlung
iſt auch ein Beſuch des Kern v. Galis bey Herrn v. Matı -
thiſſon eingeruͤckkt. S. 1659. 160 wird dem edlen Wirich von
Hutten ein verdientes Todtenopfer gebracht. Außer einigen
- glücklichen Verbeſſerungen im Ausdrude, ſtoͤßt man in dieſem
Auffaße auch auf einige gelungene ‚ neu binzugefommene
Stellen.
V. Vaterlaͤndiſche Beſuche. ©. 179 — 413. Au
diefe Nachrichten (a8 man größtentheits (hen ehemals in ben
Briefen des Verf. mit Vergnuͤgen; nur mit dem Unterfchiede,
- daß man die aus verfchiedenen Jahren und von verfchiedenen
[)
Reiſen Herrührenden Notizen hier in ein Ganzes concentrirt,
und mit manchem angenehmen Zufaße bereichert findet: Mans
ches, was nur die Empfänger der Briefe irtereffiren Fonnte,
ift hier weggeblieben. Die Bemerkungen des Verf. erſtrecken
fih über Konſtanz, Mörsburg, Memmingen, Ulm, Stuttgart,
Heidelserg, Mannheim, Frankfurt am Main, Marburg u.
f. w. Außer der Erwähnung einiger Marburger Gelehrten, fins
det man auch eine kurze Beſchreibung des bekannten Monu,
mente der heil. Elifaberh in der dafigen gorhifch « prächtigen
Elifaberh Kirche. Der trefflichen, über fünf Altäre diefer Kicche
befindlichen und. größtentheils von Albreht-DAree berrührende
Gemaͤlde und Schnitzarbeiten findet man jedoch nicht erwaͤhnt.
Auffallend aber war es ung, Hier ein Urtheil des Verf. wie
der abgedruckt gu finden, das uns fchon ehemals, als unkuͤnſt⸗
leriſch, in den Briefen mißfallen hatte, Nachdem naͤmlich
Hr. v. M. das merkwürdige und in feiner Art einzige Mor
nument der heil. Eliſabeth — deflen auh Hr. Fiorillo in
feinen Meinen Schriften, als eines intereffanten Products aus
der letzten Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts, erwähnt —
befchrieben Hat, fügt er folgendes hinzu: „Kein Menſchen,
freund wird den frommen Wunſch unterdrücken koͤnnen, dieſe,
den Aufſchließer ausgenommen, keinen Sterblichen zu Nutz und
Frommen gereichende Gold s und Silbermaſſe, aus dem oͤden
Gewölbe befreyt, und, sim Beten wohlthaͤtiger Stiftungen,
unter dem Praͤgſtocke der Münze zu fehen; beſonders in eis
. nem Lande, wo fd. viele Wittwen und Waifen, deren verkaufte
Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon | 359
Männer und Väter in Amerika modern, die Igerechteften Ans
fprähe auf Entſchaͤdigungen haben, welche nicht allzu tief uns
ter ihrem Verluſte find.“ (Kann man wohl gebliebene Gatten
und Väter: auf irgend eine Art mit Geld bezahlen?) „Der
Geiſt der heiligen Eliſabeth ſelbſt würde ſich dieſer Verwand⸗
lung freuen: denn ſie war eine großherzige Frau, die auf
‚jeden Seufzer lauſchte, um ihn zu ſtillen, und nach jeder
Thraͤne forfchte, um fie zu trocknen.“ Nachher wird dieſes
Kunftwert noch einmal, eben fo unkuͤnſtleriſch, eim todter
Mammon genannt. Was würde aus dem intereffanteften Kunfts
werfen der Vorzeit werden, wenn man faufmännifch nur den
größeren Nußen berechnen wollte, ‘den fie, in Geld verwans
deit, gewaͤhren würden? Könnte man nicht, eben fo konſe—
quent, auch rathen, die trefflichen Aktargemälde und Schnigr
arbeiten von Albrecht Dürer, welche diefe Kirche zieren,
an die Meiftdietenden zu verkaufen, und von dem gelöf'ten
Kapital Allmofen auszurheilen, oder fromme Stiftungen zu
gränden ? Ueberdies bedachte Hr. v. M. nicht, wenn er von
„Wittwen und Waifen redet, deren verkaufte Männer und
MWäter in Amerika moderten,“ daß dem ehemaligen Negenten
von Heſſen weder die Elifaberhs Kirche, noch deren Schäße
angehörten, fondern ein Eigenthum des erſt feit Kurzem auf;
gehobenen Deutfhen Ordens waren. ‚der mit dem Amerikani⸗
ſchen Kriege nichts zu Schaffen hatte! Und gab und gibt es
nicht, und wird es nicht in allen künftigen Zeiten Kriege ge,
ben, woran auswärtige Kälfstruppen Antheil nehmen müffen,
ohne daß der einzelne Bürger oder Krieger fich lebhaft für die
Sache interefficen folte, um deswillen er kämpfen, dulden
sder fallen muß? Es ift vielmehr . Sache der jebesmaligen
Landesregierung, darauf bedacht zu feyn, die Wittwen und
Waifen der Gebliebenen und die Kinder der Verſtümmelten,
fo wie diefe Ungluͤcklichen felbft, aus der Staatskaſſe zu vers
forgen , ohne. deshalb ehrwärdige Kunftdentmale in Elingende
Münze zu verwandeln! — Uebrigens bat auh Kr. v. M.
den Geldwerth des Monuments viel zu "hoch angeſchlagen.
Vielleicht findet fi der würdige und unbefangene Verf., nah
einer genauern Prüfung unferer Anfiht, bewogen, dieſelbe
„auch zu der feinigen zu mahen. — Ueber Göttingen und
"860 Erinnerungen von Fr. v. Mathiſſon.
mehrere dortige Gelehrte ſagt Hr. v. M. viel Intereſſantes.
In den Briefen ging er von da gleich nach Hamburg uͤber.
Hier aber iſt erſt nöh Manches aus dem 5. Briefe des i. Bds.
über Hannover, Herrnhauſen, Marienwerder u. ſ. w. einger
ruͤckt. Bey Hamburg iſt wieder in Eins zuſammengeſchmolzen,
was Hr. v. M. ehemals im 1. Br. des 1. Bos. und im 16.
Br. des 2. Bobs. (nach der erfien Aufl. der Briefe) in den
verichiedenen Jahren 1785 und 1794 beobachtet und aufgss
ſchrieben hatte. Bohn Klopftioch, dem Schaufpielee Schröder
und dem Dichter Claudius komme hier noch mancher inters
eilanter Zug vor, wovon die Brief: Sammlıng des Berf.
nichts enthielt. Dann geht es über Luͤneburg, Braunſchweig,
Krakau bey Magdeburg ( wo eine rührende Szene des Wieders
fehens vorkommt), KHalberfladt, mo man auf mehrere anges
nehme Zufäge flöße, — die Gpiegelberge,. Wernigerode —
und hierauf folgt eine kurze, gefuͤhivolle Schilderung der herr⸗
lichen Sarten s Anlagen zu Woͤrlitz, mit ein Paar neuen Zw
fäßen und Wendungen. &o hieß es 4. B. fonft in den Briefen,
Bd. 2. ©. 186: „Du haft die intereffanteften Länder unſers
Welttheils geliehen, lieber Bonuſtetten! und befonders in
Italien, Frankreich und England, jede dir erreichbare Blume
des Schönen, Großen und Nuͤtzlichen gebrochen: aber denne
würde, bey det Meife durch das Fuͤrſtenthum Deffan, frohes
Erftaunen fih deiner Seele .bemädtigen“ u: ſ. w. In den
Erinnerungen, ©. 577, wird dies alles, "mit wenig ver
änderten Worten, von Forfter gefagt: - „Frohes Erſtaunen
bemaͤchtigte fich der ſchoͤnen und großen Seele Georg For
ſters, welcher den Erdball umſeegelt, und in den intereſſan⸗
teſten Ländern unſers Welttheils jede nur-irgend erreichbare
Blume des Großen, Schönen und Nuaͤtzlichen gebrochen hatte,
bey den reigenden Anfichten des Fuͤrſtenthums Deffau“* u. f. w.
Seite 579 fg. kommt ein Zuſatz Über Wörlig vom J. dor
vor, worin der Verf. einige Anfihten und Aeußerungen eines
Ungenannten in einer Anmerkung zu des Hrn. v. Bonftets
ren Aufſatz über die Gartenkunſt — inshefondere was den
Wohnpalaſt zu Woͤrlitz betrifft — berichtige. — Bey Weimar
verweilt der Werf. mit Liche, und erzählt manches Erfreulich
Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 361
vn Wieland, Herder, v. Knebel ua. Bey Herd ep
it auch won ber künftigen Herausgabe der (ſchon im J. 1796
erfhienenen ) Deutfhen Bearbeitung der ſchoͤnſten Poeſieen des
Jakob Balde die Rede. „Bey Knebel Hingegen heifit es:
„er babe vom Properz eine das Urbild ehrende Kopie vols
lendet.“ Diefe Weberfegung erichien aber erſt 1798. Indeſſen
koͤnnte die Ueberſetzung wirkiih ſchon im J. 1794, wo Sr.
v. M. in Weimar war, vollendet geweſen, aber erfi 4 Jahre
fpäter erfchienen fen. S. 395 fg. wird Knebels, aus
Herders Adraften bekannten, Beſuchs bey dem treffliihen
Dichter Joh. Niklas Goͤtz zu Winterburg erwähnte und des
gänftigen Urtheils gedacht, welches Friedrich der Große
Öber die Maͤdcheninſel diefes Dichters fälle. Mufäus und
Bode erhalten ein verdientes Todtenopfr. Daß Albrecht
Dürer auch Gchriftfieller war, und ein Buch vom der menſch⸗
lichen Propertion und Porträtmalerey ſchrieb, ift doch fo ums
befannt nicht, als Hr. v. M. ©. 411 vermuthet. Mit ber
Ankunft -des Den. v. M. in der Gartenwohnung bes Ken.
v. Bonftetten, unweit Bern, fchließt dieſer erſte Band der
Erinnerungen
Nach diefer ausführlichen Anzeige des erfien Bandes Deus
ten wir noch fürzlid den Inhalt des zweyten an, deſſen
Inhalt nicht weniger anziehend , als der des erften, if. Wir
finden Hier folgende Anfiäße: VI. Seefahrt nach Kopens
bagen. 1794 (©. ı — 54). Zwar ‚größtentheils ſchon aus
dem 2. Bande der Matthiffon’fhen Briefe bekannt, Hier aber _
verbeffert und mit einigen intereffanten, Zufäßen vermehrt.
VII. Wanderung nah dem Stocdhome, an J. ©.
v. Salis. 1794 (8.5576). Gteihfalls aus dem legten .
der Briefe des a. Bandes bekannt, Hier aber verbefiert und
vermehrt. Unter andern liefet man die fchöne poetiſche Er⸗
gießung ©. 75 hier zum erfienmale. VII. Die borromäts
(hen Snfeln 1795 (8. 77—95). Erfheint bier zum
erſtenmale. Leider! aber erfährt man, Einige artige Anekdoten
und gefühloolle Aeußerungen uͤber die reizend⸗ fhöne Gegend
abgerechnet, nicht viel von, den Inſein und deren Beſchaffen⸗
bei. IX. Reife von Lauſanne nad Aoſta. ıdoı .
362 ‚Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon.
(8. 99 — 204). Ein reichhaltiger intereſſanter Aufſatz! Cu
niges iſt zwar auch fchon aus dem 2. Bd. der Briefe bekannt.
Man finder aber auch hier manchen erfreufihen Zuſatz. Anı
ziehend find unter andern die Nachrichten von Gibbon,
Chandler, Sorani, Alfieri, des Verfaſſers Ä
Herzensergießung über feine Freundſchaft mit dem edlen Bon
fetten, u. a. m. X. Acht Tage in Paris. An den
Fürkten von Anhalt Deffau, 1805 (S. 207 — 274). Ein
nener Aufſatz. Der Verf.‘ hat feinen kurzen Aufenthalt in ver
merkwuͤrdigen Kaiſerſtadt fehe gut zu denutzen gewußt. XL
Acht Tage in den Alpen. An den Erbprinzen von Med
Ienburg ; Strelig. 1804 (S. 277 — 354). Diefer Auffas if
einer- der angiehendften dieſes Bandes; veih an ſchoͤnen Schik
derungen: und intereffanten Anekdoten, aber keines Auszugs
faͤhig. Eben fo ſchoͤn iſt der XII. Aufſatz: Wallfahrt nad
der großen Karthauſe bey Grenoble An J. ©.
v. Sulis. 1808 (&. 357 — 418). Wir können uns nicht
-enihakten, folgende Stelle aus diefem letzten Auflage herher
zu feßen: — — ‚Trotz dem feurigen Weine von Aſti, blieb
mein Gemuͤth beym Hinblicke nad dem verhängnifvollen
Schlachtfelde von Marengo , nur ernſten und duͤſtern Berrady
tungen HYirgegeben. Mir war, als fliege, glei) einem Geiſte
Oſſians, der Schatten did Biederfien der Heerführer alle
Zeitalter und Mationen, des tapfeın Defatr. dem Partheys
wuth und Rottengeiſt bis zur Erbitterung verhaßt, Pflichtge⸗
fuͤhl und Ehre bis zur Andetung ‚heilig waren, und welchen
. fogae die Voͤlker am Nilftrome durd den Namen des gerechten
Sultans ehren, hinter den fchirmförmigen Wipfeln der Pinien
zuͤrnend empor, und fordern mich auf, fein. lebted, nur me
nigen befanntes Heldenwort in das Gedaͤchtniß der ihm Ge
rechtigkeit gewährenden Mitwelt zu prägen. Ich verdanke «6
einem edlen Krieger, den ich. im Jahre 18083 von Straßburg
nad) Paris: begleitete, und in deffen Armen Defatxr den be
neidensmwerthften aller Tode ſtarb. Die ſchoͤne Tirade, melde
die Zeitblärter ihm in den Mund itegen, und der nur das
Alexandriniſche Versmaaſi mangelt, um ganz theatraliſch a
ſeyn, gehört auf die Lippen eines Salliihen Roscius; aber
fo gefuht und ſtudirt fpriche kein Zeldherr, dem die eifige
8.8. Huber's fämmtl, Werke, 383
‚Hand des Todes ſchon an das Herz greift. Er denke nicht am
die-Stimmfammlung der Nahmelt zu feiner Apotheofe, fons
dern nur an den entfheidenden Moment der großen Begens
wart: „Won neuem kann der Sieg ſchwanken, wird dein
Tod ruchtbar vor der Zeit.“ Schnell, wie die Kugel, die ihn
traf, ſchlug in feine Seele diefe Vorftellung ein, und ſprach
fih, mit erhabenem Lakonismus, in ſeinen letzten — aus:
„Stille davon!“ (N’en dites rien!)
Auch das Aeußere dieſes Buche tft heſchmackool, ah jes -
der Auffaß mit einer niedlihen Vignette geziert. Möge der
wärdige Matthiffon ung bald mit den beyden folgenden "
Bänden befchenten ! — 6;
2%. 5. Huber’& fämtlich: Werke feit dem Jahre 1802. Zweiter Theil.
Tübingen 1810. bey Cotta. 484 ©. (Der erſte Theil, welches
1806 erfchien, enthält Hubers Biographie und frühern Briefe.)
Durch den Tod des waderen Huber haben nicht bloß defs
fen nähere Freunde einen bedeutenden Verluſt erlitten, fondern
auch die ganze gebildete Lefewelt, vermißt durch ihn einen
Schriftfteller, der fih durch eine gewiſſe Afthetifche Rechtlich⸗
keit und Geradheit auf eine erfreuliche Weife bemerkbar ges
macht hatte. H. ermangelte freylich der eigentlich gelehrten
Bildung, fein Geiſt war nicht genaͤhrt durch das Studium
der Aiten, nicht mit Sicherheit ausgebildet durch Logik und
Philoſpphie, und wir muͤſſen ihm ſogar einen bedeutenden
Umfang und Tiefe des Geiſtes abſprechen, doch wenn ſich
dieſer Mangel durch irgend etwas erſetzen oder verhuͤllen laͤßt,
ſo konnte man in der That bey H. zuweilen in Verſuchung
kommen, jene hoͤheren Anſpruͤche zu vergeſſen. Man fand bey
ihm ein redliches, durch Leiden geſtaͤrktes, liebevoll klares Ger
muͤth, den eigentlihen Boden, auf dem allein die Poeſie
fi) erzeugen kann, die nie mit einem unreinen oder fehmächs.
lihen Herzen ſich vertragen mag, man erfannte in ihm einen
nicht gewöhnlichen combinatorifhen Scharffinn, einige‘ gute
leitende Aftherifche Anfichten, einen Styl, der anfangs freylich
von einer gemiffen Muͤhſeligkeit erkaͤltet, ſich in den. letzten
364 2. 3. Hnber’s- ſaͤmmtl. Werke,
Sahren zu mehrerer Freyheit hindurch arbeitete u. f. w. Se
ift es denn als ein verdienfllihes Werk anzuerkennen, daß man
uns. eine Darftellung feines anziehenden Lebens gegeben, und
den Anfang gemacht hat, mehrere feiner zerfireuten Schriften
nebft denen noch ungedrudten zu fammeln. H. felbft war ein
guter aͤſthetiſcher Deconom, und ließ gewöhnlich feine Auffäge
und Erzählungen das Publikum zweymal leſen. Wir wollen
ihm damit keinen befonderen’ Vorwurf machen, fondern une
gern erinnern, daß jede Schrift, die miche werth iſt, mehrere
Male gelefen zu werden, auch nicht verdiene, daß man fie ein.
einziges Mal durchblättere. Bey den meiften Werken H's
sgritt der erftere Fall wirktih ein.
Ein nicht geringer Theil der vorfiegenden Schrift enthaͤlt
Kritiken aus der allg. Lit. Zeit., dem Frepmäthigen u. f. w.
(S. 105— 242) Wenn wir erwägen, daß mit Ausnahme
einiger wenigen Beſſern, in den achtziger, und hefonders im
Anfange der neunziger Jahre, die aͤſthetiſche Kritik der Deut
fehen gar Praftios und ichläfrig betrieben wurde, indem, damals
die faſt ausſchließliche Hinneigung zu einer meiſt oberflächlichen
Politik die Fortſchritte in der Kritik dee Kuͤnſte hemmte, fo
werden wir mehrere der Huberſchen Recenſionen für ſehr aus
gezeichnet erklären muͤſſen. So if 5. B. die Kritik von Goe⸗
thes Schriften (vom Jahre 1792, ebenfalld abgedrudt, in
H's vermiſchten Schriften, Berlin 1793.) das fruͤheſte gute,
Bar anerkennende Wort Über den trefflichen Schriftfteller. Ihr
gegenüber ficht. als entſchieden verfehlt, die Kritik von Klop⸗t
ſtock's Hermann’s Schlacht, in. weiches Wert H. nicht ſonder⸗
Ti) fi zu finden wußte (©. 110— 120).
Noch muͤſſen wir hier der Krititen der Goethiſchen Nar
türlichen Tochter, des ehedem gar fehr gepriefenen, von H.
aber faſt annihilirten Grafen Donamar u. ſ. w. mit gebuͤh
rendem Lobe gedenken; vermißt haben wir die des Schlegel⸗
fhen Achenäums, dee Nomantifhen Dichtungen von Tieck, det
£una von Horn, bes Alarcos u. f. w. Trifft H. in bielen
Mecenſionen zumellen auch in das Blaue hinein, fo if denn
doch der Anftand, mit der er die Bade treibt, anziehend,
und es tft deshalb zu wuͤnſchen, daß man in dem folgenden
Theile forefahre, uns die Kritiken ſaͤmmtlich mitzutheilen, die
2. F. Huber's ſaͤnml. Werke, 366
In den einzelnen Journalen und Zeitungen zerſtreut, fo ſchwer
aufzufuchen find. N
Wir erhalten ferner in diefem Bande Briefe,. aus dem
Anfange der neunziger Jahre, faft ganz politifhen Inhalts.
Wir wollen diefe Briefe nicht recenfiren, da fie jetzt durchaus
veraltet find, und eigentlih nie für den Druck veſtimmt was
ren; nur das wollen wir bier nit verhehlen: Haͤtte H. den
Tacitus gekannt, diefen ewigen Eoder der Adyten Politik, er
würde jene Briefe ganz anders gefchrieben haben, und Yon
manchen fchmerglihen Täufchungen, die binterher nicht auss
bleiben konnten, frey geblieben feyn. i |
Wir erhalten Hier ferner Erzählungen („Das eins
fame Todesbere“ und „WWBeltfinn und Frömmigkeit“), benen
die legte Hand noch fehlt; doch vermiffen wir diefe lebte Hand
nicht ſonderlich, da fie doch nicht die Poefie würde haben bins
ein zaubern kaͤnnen, die leider gänzlich mangelt. Leider muͤſſen
wir fogar noch hingufügen, daß wir bier auch eine gewiſſe
Laxitaͤt in der Anficht des fittlichen Lebens wahrgenommen has
ben, die durch einige fchimmernde Halb: Philosophie ſchlecht
verhuͤlt worden if. Es ift uns um fo fchmerzliher, dieſen
Vorwurf Hier niederlegen zu muͤſſen, dba uns, tie wir durch⸗
aus wicht. verhehlen wollen, Huber als Menſch fehr theuer
war, und auch die meiften feiner anderen Schriften von einer
aͤhnlichen Vorwurf völlig frey bleiben. :
: Endlich erhalten wir hier auch noch Bruchſtuͤcke von Schaus
fpielen. H. ſprach ſich ſelbſt oftmals mit beicheidener Selbſt⸗
kenntniß das dramatiſche Talent ab, dennoch trieb ihn oftmals
eine unbeſiegliche Neigung dazu hin, und er lieferte dann,
was ein geiſtreicher, aber unpoetiſcher Schriftſteller liefern
kann. — Der bier angefangene ‚Jaäffieri“ ermangelt leider
der tragifhen Kraft, der fortgefeßte Deutihe Hausvater (vom.
Semmingen) wäre unferes Erachtens nichts Weiter geworden,
als ein mittelmäßiges Familiengemaͤlde, wie wir deren ſchon
zue Gnuͤge haben. Es if ſehr wahr, daß wir Deutfhen den
tiefen und wahrhaft heiligen. Sinn des Familienlebens rein
und Präftig in. unferem Kerzen aufbewahren; dech eben fo rein
und Präftig dargeftellt habe wir diefen Sinn wenigſtens auf,
der Bühne noch niemals. Was dort in diefer Hinſicht gegeben
wurde , war meiftens nur. Liebäugetep, oder Weichlichkeit oder
engbräftige Werzagtheit. j |
Am meiften dürfte zu bedauern feyn, daß das Fleine ans
gefangene Luftipiel „der Rauſch von geftern“ nicht vollendet
worden iſt, wir hätten in ihm ein fein gedachtes Diminutios
Drama erhalten, das, mit Liebe und Sorgfalt auf der Bühne
dargeſtellt, gewiß eine recht erfreuliche Stunde würde gewaͤhrt
\
366 F. H. Bothe's antikgemeſſene Gedichte, -
haben. — — Möge uns H's Andenken ſtets thener bleiben.
Was er wirklich erſtrebt hat, ſteht oft tief unter dem Ideal;
doch was er wollte, mit ganzer Seele wollte, war rein und
groß und herrlich.
Ri '
8. 9. Bothe's antifgemeffene Gedichte, eine Achtdeurfche —
— und Stettin, bei Ir. Nicolai 1812. XXIV und 196 ©.
l. 8.
„Griechiſche und Lateiniſche Negeln der Wortmeſſung ans
zunehmen, iſt nicht partheyiſche Vorliebe für Griechen und Las
teiner,, fo verzeihlich die hohe Bildung beyder Nationen auch
eine Solche Vorliebe machen würde; es iſt vielmehr die Webers
zeugung , daß diefe Regeln nicht fowohl die eines einzelnen
Volkes, als der Matur felber find, oder mit andern Morten:
daß Hellas, Noms Lehrerin, die in Rebe ftehende Kunft auf
ihre erſten Sünde zuräcführte,, die in größerem oder gerins
gerem Maaß auf alle Sprachen anmendbar find.“
Nach diefen Worten der Vorrede glaubte Nec. nichts ge⸗
wiſſer, als die Geſetze der Deutſchen —* von Hrn Bothe
eben ſo mißkannt zu finden, wie ehemals von Conrad Geß—
ner, und fpäterhin von Claius, der in feiner Grammatica
: Germanicae Linguae Hexameter gibt, wie:
Ein Vogel hoch ſchwebe, der nicht ai andere febet. ;
und Sapphifche Zeilen, wie:
£öbe mit mondin- der ob allen n Himmeln
Did mit Heil ſeret benedeyt, regieret.
in denen die Roͤmiſche Sylbenmeſſung unſerer widerſtrebenden
Sprache mit Gewalt aufgedrungen iſt Aber zu feinem Erftaus
nen fand er die Verſe in den Gedichten, bie auf einige, die
für verunglückt gelten mögen, meift richtig. gemeſſen. Hert
Bothe fpieit Uzens unſchuldiges Spiel, nur nicht völlig fo
unfchuldig, und gibt ung für antif gemeffene Gedichte, was
ächt Deutſch gemeffene find, die nur zufällig mit. der alten
Meffung übereinftimmen. 3. DB. A
Malle dahin muthvoll, du — in die Ehen;
Welche du four anfhaun und Bändigen! Hörft du den Anruf
Der Drommete? Sie fagt: „Auf, auf, Da die heilige Fahne
0 m Wehr des Vaterlands! auf, du den göttliche Geifter
u
|
F. 9. Bothe's antitgemeſſene Gedicht. 367
„Winken hinauf, ſich nach, die erhabene ſonnige Ruhmbahn,
„Dem Ahnherrn! Durch Nacht und Sturm und Drachen
hinan ſchwebt ae:
„Steil der Weg: jedoch oben umher wohnt liebliche Klar⸗
| eit
„Emwiger Himmeldfterne.* 9
Wenn wir den Pleinkönfigen Anfang des dritten Verſes aus
nehmen, und den Matthiſſonſchen Unpyrrhichius jedoch, fo
ift fein Verstaft, der ſich nicht vertheidigen ließe (denn die
paar trochäifchen, von denen Himmels noch dazu „Sponda’s
fhwebenden Gang“ nahahmt, duldet der Deutihe Hexame⸗
tee), und die’ meiften find fogar vorzäglih fhön. Eben fo
verhält es fih durchgängig mit den Elegiihen, Sapphiſchen,
Asklepiadifchen und anderen Versmaßen diefer Sammlung.
Aus &. XXI der Vorrede fehen wir, daß Hr. Bothe,
durch Tiedgens und Bieflers Beyfall, und die Mevaille
des erhabenen Fürften Primas ermuntert, nocd weiter zu-
gehn geſonnen iſt. Hier erheiicht die Recenſentenpflicht, ihm
ein warnendes Diſtichon zuzurufen, welches ihm zugleich das
Ziel, wohin er gelangen wird, vor Yugen ftellen mag:
\ N — — — — — —
Bothe, dein antikes Splbenmaß, dad du fo empfiehlſt
Pruͤfe mit Acht deutſchem Geiſte doch und kritiſchem!
| D.A E.
PN a"
Archäologie der Kirchendogmen von Joh. Ulrich Röder. Coburg
im Meufel. Leſeinſtitut. 1812. VI und 266ind.
Nah der Vorrede hat der Verf. nah 55 Dienſtjahren
im 67. Jahre feines Alters, als Director der herzogl. geh.
Canzley, Canzler der Negierung und Präies des Confiftoriume
zu Coburg, wegen Kränklichkeit feine Dimiffion genommen.
Aus alter Liebe für das Studium der Theologie wendete er,
bey wiederkehrender Ruhe und Kraft, feine Zeit auf biblifche
und claffifhe Philologie, Kirchengefchichte und andere theol.
Huͤlfswiſſenſchaften. Gewohnt mit der Feder in der Hand zu
tefen, notiete er fich vieles. Einen Auszug dardus, nach den
Artikeln der Dogmatik geordnet, gibt er als ein Greis von
„2 Sjahren im gegenwärtigen Werke, welches vornehmlich durch,
Vergleihung jüdiiher und anderer Volksmeynungen und ‚ges
lehrter Dogmen die Entſtehung mancher chriftliheer Dogmen
oder dogmatiſcher Formen freymüthig und. oft fehr richtig be⸗
ieuchtet. Sogleich anfangs werden die hiſtoriſchen Belege angen
—
Ed
-
D
A
368 Archäslogie‘der Kirchendogmen don J. U. Röder,
geben, daß die erften Chriſten lange Juden blieben, nur
"mit dem Unterfchied „ daß fie an Jeſus, als den gekommenen
Meſſias und als Reformasor des Judenthums gegen Phariſaͤis⸗
mus und Sadducäismus, glaubig geworden waren (Apg. 21,
20.), da Jeſus feld, nad feiner göttlichen Lebensflugheit,
. nit anders zerftören zu wollen, als durch Aufbauen des Beſſe⸗
ren, nur das Geſetz zu -vervolllommnen,, Matth. 5, 17., nes
benbey aber noch Opfer und fogar Säße der Traditionarıer
(Matıh. 23, 2. 23. )-zugulaffen geneigte war, „bis alles ges
ſchehen ſeyn mwÄrde.“ eu; navra yernca. In der Stelle
bey Sueton , wo Tiberius die Auden und similia 'sectantes
aus Rom verweift, findet der Verf. die judaizirende Chriſten,
. al. Apg. ıB, 2. Wenn Juden ınd Griechen neben einander
fliehen, als zum Chriftenthum gerufene, wie Röm. 2, 9. 5,9
a. Cor. ı, 20. 10, 32. , fo verfteht der Verf. unter den legteren
nur fogenannte Fromme oder Gottfuͤrchtende Apg. 13, 16. 17,
2. 4. , d.h. jüdifch gewordene. Bon den Griechen feyen viele
feit den Roͤmerkriegen mit Perfeus, mie Korinth ꝛc. als Sclas
ven verfauft, auch an Juden nach der Erlaubniß Lev. 25. 44
gefommen und Profelyten geworden (Joſeph. ctra Apion.
'2,5.), da, nad Cicero und Juvenal, der Hungrige Grieche
alles zu thun fähig geweien fey. Unter den Bapßapoıs Röm.
2, 14. verfieht der Verf. Auden zu Rom. Wie hätte Paulus
geborne Römer damals Barbaren nennen dürfen? Bis nad
der Zerſtoͤrung Jeruſalems feyen alfo meift nur Juden und
Judengenoſſen, Weffianer nah Jeſu Lehre — ChHriftianer,
geworden. ( Doch haben unflreitig auch manche Heyden den
Monotheismus aus herzlichen, oder philoſophiſcher Weberzeugung
angenommen.) Auf ähnliche Weite hat des Verf. faft bey jes
dem Artikel minder gewöhnliche Bemerkungen, welche die Dres
fung veigen und gugfeich duch Gedrängtheit angenehm werden.
Auch Philo, auch die Kabbala werden benußt, und Schriften,
welche nody nicht zu vergeffen find, wie Gruners, Heilmannd
Dogmatifen, in neues Andenken gebrachte. Wie felten iſts,
daß befonders Männer, welche duch ihre Studien und Ge
fhäfte gewöhnt werden koͤnnen, wie vieles andere, eben ſo
auch die ethiſche Welt, zu welcher die Theologie gehört, nad
dem Typus der Außeren Geſetzgehung, der politifhen Net
verträge, der bürgerlihen Straf s und Genugthungstheorie zu
betrachten , die reine Neigung in ſich erhalten, wor allem, wo
nicht den philofophifhen und pſychologiſchen, doc den hiſtori⸗
ſchen Entfehungsgrund aufzufuchen und anzuerkennen !
| 2. € ©. Paulus.
No. 24. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Josephus et Carolus Wehzel de penitiori structura cerebri ho-
minis et brutorum — cum quindecim Tabulis dwctis in
aere et totidem linearihus. — Tüubingae apud Cottiam.
— Dorrede XIV S. 6 Tabellen und. 354 Bogen.
l. ur
* >
Du (don in einem eigenen Prodromus vor drey Jahren
diefem Werke vorahgegangene Anfündigung, — der viel vers
fprehende Titel — und ſelbſt auch das fpiendide mit fo vielen
Kupfertafeln ausgerüftete fo voluminoͤſe Werk felbft, berechtigen
ig der That zu großen Erwartungen.
Dit diefen Hoffnungen. erfült begann der Rec. die Durchs
leſung diefes Werts, und nahdem er ſich mühfam durch dass
felbe, wie durch eine fandige Steppe durdigewunden, fol er
getreulich erzählen, was er fand, und was er Über das
Ganze urtheilt. Die Verf. Heginnen ihr Werk mit der tabels
lariſchen Anfiht: Die Vergleichungen der Fänge und Breite
det großen und Eleinen Gehirns bey Foetus, Kindern und Er⸗
wachſenen maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechts, wobey Rec.
vorzüglich aufgefallen iſt, daß das Gehirn eines 115 jährigen
Knaben 5 Zol Länge und 4 Zoll 3’ Vreite hatte, das eines
fehsjährigen 6’ Länge und 5’ 6’ Breite, und dag eines
ausgewachfenen Mannes von 26 Jahren nur 5” 10’ auf
5” Breite maß. Das Meine Gehirn hatte an Kindern und
Erwachfenen erftens =’ 6 auf 4 3° Breite: Sollten:
diefe Beobachtungen richtig feyn, woran Nec. jedoh ſehr zwei⸗
felt, fo würde wenigſtens Gall's Meynung dadurch fehe wider
lege, welcher naͤmlich behauptet, Laß das Meine Gehirn in
den Sahren der entwickelten Manndarkeit fo fehr an Ilmfang '
zunaͤhme. Eine zweyte Tafel enthält die Ausmeffungen der‘
Gehirne verfhiedener Säugthiere und Vögel. Eine dritte Tas
fel enthält das Gewicht des ganzen Gehiens und des großen
24 |
\
370 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc.
und Beinen Gehirns an Menfchen: von verfchiedenem Alter.
Die vierte Tafel zeige die Gewichte der Gehirne verfchiedener
Sängthiere und Vögel. Eine fünfte Tafel die Bunahme bes
"Gewichtes in einem Hühnchen vom 6ten Tage der Bebruͤtung
des Eyes bis zum 21. Tage nebft der Vergleichung des Ge—
wichtes des ganzen Körpers. Die fehste Tafel zeigt endlich
bey DVergleihung der Fänge und Breite des Gehirns die Länge |
und Breite des vierten ( der Verf. fünften ) Ventrikel an den
Menſchen und den Thiere.
Im 6. I Handeln die Verf. mit einer läftigen Weit⸗
ſchweifigkeit von den Schleimkoͤrperchen, welche auf der aͤußern
Flaͤche der harten Hirnhaut neben dem fangen Blutleiter lie⸗
gen, und die man gewoͤhnlich Pacchioniſche Druͤſen nennt.
Auf 17 Folloſeiten erfahren wir weiter nichts, als daß dieſe
Koͤrperchen nicht in ungebornen, aber wohl in Kindern vom
erſten Alter vorkommen, daß dieſelben ſowohl uͤber als unter
der harten Hirnhaut ſich erzeugen, im letzten Fall, wenn ſie
‚größer werden, durch die harte Hirnhaut durchdringen, auf
den Venenſtaͤmmen liegen, die an den Blutleiter andringen,
gerinnbare Lymphe feyen, die verdickt werde, durch Die Ber
wegung des Hirns beym Athmen durch die Fafern der harten
Hirnhaut durchgepreßt werde u. fe m. Am Ende folgt das
naive Geſtaͤndniß, „finem neque ullum habere neque ha-
. bere posse videntur.“ (1) Iſt wohl etwas im Organismus
ohne Zweck?
| $. II. Vergleichung der allgemeinen Form der Gehirne
des Menfchen,, der Säugthiere, Wögel und Fifhe. Aus dem
Ganzen iſt nichts zu entnehmen; es herrſcht Äberall nur ein
unbeflimmter Ausdruck von lang, breit, rund, länglich u. ſ. w.
Die Verf. hätten dabey mehr Achtung gegen das Publicum
"zeigen follen, als daß fie Beobachtungen von erweichten und
‚fauten KHirnen beybringen. Wußten fie denn nicht, Daß das
Hirn des Stoͤrs immer weich, felbft an lebendigen, und faſt
waͤſſerig iſt?
F. III. Weber die Windungen des Gehirns — ſehr fur
wird diefe wichtige Sache abgethan. Und nur von der Sym⸗
‚ metrie der Gehirnwindungen von dem Nichtdafeyn derſelben
an dem Gehirn der Hafen, Mäufe, Kasten, da Doch dergleis
nn
Jeseghus 'et C. Wenzel de penitiori structura etc. 371
hen Windungen am: feinen Gehirn (Slatterbau) gefunden
werden. Des Streites, den Gall veranlaßte, ob die Hirnwin⸗
dungen zuſammengefaltete Hirnmembrane ſeyen, wird gar
nicht erwaͤhnt, und uͤber dieſe gewiß ſehr intereſſante Bildung,
in welcher der Menſch durch die Groͤßen und Tiefen der Fur⸗
chen ſich ſo ſehr auszeichnet, gar keine Meynung geaͤußert.
§. IV. Mikroskopiſche Unterſuchungen der Hirnſubſtanz. Nach
Prochaska und della Torre (die weit wichtigeren Beobachtungen
des Felice Fontana Sul Veleno della vipera fcheinen die Verf.
nicht gefannt zu haben) und der Verf. eigenen Unterfuchungen;
welche alle zum Ueberdruß weitihweifig in 30 Observationi-
bus hererzaͤhlt werden, befteht die Hirnſubſtanz aus Kuͤgelchen,
weiche von einem gellgewebe ,. das die Form aller Organe if, '
aufgenommen find.
. V. Bon ber Beſchaffenheit des gefrorenen Gehirns.
Sennari war befanntlich der erſte, weicher hierüber Verſuche
angeftelle hat. Die Verf. ziehen diefes Buch auf 4 Foliofeiten
wörtlich aus, dann folgen g einzeln erzählte Beobachtungen,
weraus erhellt, daß fie das nämliche fahen, was Gennari ges
- fehen har, nämlich Eispiätchen, Riſſe und - Lamellen der
Hirnſubſtanz — aber dann behaupten fie gegen Gennari, daß
derselbe geirrt habe zu jagen, eine folche Blätterform fey der
natürliche Bau des Gehirns, fondern fie glauben vielmehr,
diefe Seftaltung fey eine Wirkung der Kälte. Es ift wirklich
zu bedauern, daß die Verf. hier, wo fie auf Wahrheiten gleiche:
fam mit Gewalt gedrängt werden, doch davon ſich wieder abs
wenden. Rec. hat viele Beobachtungen an gefrornen Gehirnen
gemacht, und fich überzeugt, daß dieſe Blaͤttchen, in welche
die Hirnfubftang durchs. Gefrieren zerfpringt, die eigentliche
innere. Hirnfaferung ſey, welche wie auch durch das Erhaͤrten
des Gehirns in Weingetit und mineralifhen Säuren Bemerfen::
mie dem Unterſchied, daß hier die Zafern. zufammenhangen,:
dort aber durch Niffe, die das Eis einnahm, getrennt erfcheinen.
VI. Die Frage, 0b die graue Subſtanz des Gehirns.
überall zufammenhange, wird mit nein beantivortet, und dies.
ſes durch parallele, Horizontale und perpendilulare Schnitte
der Hirnmaſſe erwiefen. Merkwuͤrdig ift der Schluß: Vero-.
similiter itaque diversas singularum cerebri partium.
N
-
372 Josephuset!C. Wenzel de penitiori 'structura ele.
functiones maxima saltem ex parte a cineres, mutua au⸗
tem singularum partium conjunctio totiusque nexus a
medullari cerebii substantia dependet. Gall's Meynung,
gegen welche die neueren. Hirnforſchungen die direkteſten Des
weife liefern.
$. VII. Die erſte Hirnhöhle in der mittleren Scheide⸗
wand im Menfhen und Säugehiere. Diefer dreyeckige Raum
wird, wie die Verf. richtig bemerken, durch die vom Boden
dee drephornigen Hirnhoͤhle herabſteigende und von einander
etwas entfernte Marklamelle gebildet. Der Kanati, der von
den vorderen Gruͤbchen herabgehen foll, bis In den Boden der
beitten Hirnhoͤhle und vor der vorderen Commiſſur ſich endis
gen ſoll, eriftiet nicht nach des Rec. Unterfuchungen in durch
Alkohol erhärteten Gehirnen, und jft gewiß durch die Schweinss
: borften, deren die Verf. fih bey ihren Unterſuchungen bedient
haben, kuͤnſtlich durchgeſtoßen worden.
$. VIII. Die Verf. handeln“ von dem Markhaͤutchen,
weiches die innern Wände der Hirnhoͤhle uͤberzieht, und fehen
mit Recht die taenia cerebri den margo intern, collicul.
opticor., die fimbria hippocampi für Fortſaͤtze deſſelben an —
alles bekannt und zu weitläufig vorgetragen, daB die taenia
befonders in älteren Subjecten hornartig. erſcheint, das haͤngt
nicht von einer verdickten Lymphe ab, wie die Berf. glauben,
ſondern von einem höhern Grad der Oxydation des Nervens
marks ſelbſt.
$. IX. Vermertungen über eine befondere Eigenſchaft des
Gefaͤßnetzes in den BSeitenhöhlen. — Diefe Eigenſchaft if,
daß dafielbe oben breiter werde, als in der Tiefe der abſtei⸗
genden Hörner der Höhle — allein wiffen denn die Nerf.
nicht; daß gerade da die Venen aus dem Innern des Hirn—
über das Corp. striatum und unter der taenia durchgehen,
um ſich in die membr. vasculosam zu verbreiten, wovon. der
plexus choroideus nur ein Theil ift, wiſſen fie nicht, daß
die vena magna Galeni hier entfieht, die fih unter der hin⸗
teren Wulft des corp. callosi in das torcular verfent ? Die .
Bläschen und Anſchwellungen des Gefaͤßnetzes, über weiche
die Verf. mehrere bugenlange Werhandlungen auf bewaffnetem
\ we —
—
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 373
und unbewaffnetem Wege anftellten, find nur Blutaderge⸗
fhwäiftchen oder Zellenblaͤschen. (7)
X, Bemerkungen Über Caldani's Beobachtungen nnd Ver—
fahe, die jenen Hirntheil betreffen, in welchem die Marffafern
vorzägfich fich durchkreugen. Caldani meinte, daß, wenn bey
Apoplerien die geftreiften Körper durch eine zerriſſene Vene
fitten, alsdann eine Lähmung die entgegengefegte Seite träfe, -
und auch umgekehrt, daß man bey einer Lähmung der einen
Körperhätfte nach Schlagflüfen allegeit ſchließen könnte: der
entgegengefeßte geftreifte Körper fey affizirt. Das erfte geben
die Verf. gu — das lebte leugnen fie, da auch jeder andere
Druck auf das Gehirn eine Lähmung der Art bewirken fann.
Die Verf. glauben, die einzige Durchkreuzung der Hirnfafern
fey zwifchen den Pyramibdalkörpern des verlängerten Marks,
und fie wiffen nidts von der Einrichtung des corporis ‚cal-
losı als desſenigen vorzüglihen Theils des Balkenſyſtems, im
welchem die Haͤlfte der Pannen yon einer Seite gur andern
übergehen.
XI. Ueber die Durchfreuung der Sehnerven. Soͤmmer⸗
ring behauptete im Allgemeinen, daß die Sehnerven an der
Vereinigungsſtelle ſich durchkreuzten. Ackermann bewieß aus
pathologiſchen Thatſachen, daß dieſe Durchkrouzung der Ner—⸗
venfaſern an der beſagten Stelle nur theilweiſe geſchehe, und
daß in Menſchen, welche alle Gegenſtaͤnde mit zwey Augen
erreichen, die durchkreuzenden Fibern an Zahl denjenigen gleich
ſeyen, welche auf der naͤmlichen Seite fortlaufen, in Thieren aber
um ſo mehr Faſern ſich durchkreuzten, je mehr durch die vorſtehende
Schnauze die Augen von dem naͤmlichen Geſichtsfeld (horopter)
abgeleitet wuͤrden. Die Verf. ſtimmen nun im Ganzen Ackermanns
Meynung bey, glauben aber darin ein eigenes Verdienſt zu haben,
daß ſie dieſe theilweiſe Durchkreuzung an einigen Sehnerven ſelber
durch ihre eigene Augen beobachtet haͤtten. Rec. will ihnen
dieſes Verdienſt nicht benehmen, glaubt aber bemerken zu
muͤſſen, daß dergleichen Autopſien noch truͤgeriſcher ſind, als
die aus pathologiſchen Erſcheinungen gezogenen Schluͤſſe, weil
die Faſern der Vereinigungsſtelle nicht buͤndelartig neben eins
ander laufen, ſondern, wie dieſes bey allen —— der
Fall if, fh durchweben. |
374 Josephus et C, Wenzel de penitiori structura etc.
. XII. Ueber die Verwachſung der Sehhuͤgel, wo dieſelbe
ſich an ihrer inneren in den dritten Ventrikel herabſteizenden
Wand berühren. Die Verf. haben gefunden, daß im Mens
ſchen eine ſchwache Vereinigung zuweilen da iſt, zuweilen auch
fehlt — in den Säugthieren haben fie diefe Vereinigung alles
zeit und auch flärker gefunden.: - Rec. Hält fie für eine bloße
Verwachſung der Lamelle, weiche den Schhügel uͤberzieht. Neil
nennt diefelbe die Commissuram cerebri medianam,
$. XII. Der geroflte Wulſt in dem abfleigenden Horn
der Seitenhöhle iſt ein grauer Gyrus, der aus der fossa Syl-
vii fih in das Hirn heraufwindet, jnd iſt mit der lamina
medullaris nah Außen überzogen, welche auch den Saum
dieſes Wulftes bilder — alles dem Zergliederer längft bekannte
‚Dinge.
6. XIV. Eine bogenartige runde Erhöhung gegen das
hintere Korn des Seitenventrikels haben bie Verf. oft im
Menſchen angetroffen, es fchien ihnen auch von einem unten
gelegten grauen Gyrus am hintern Hirnlobus zu entflehen.
Auch Soͤmmerring fpricht davon Hirnlehre $. 34.
| $. XV. Zirbeldruͤfe — Sandhaͤufſchen. Die Verf. haben
die Zirbeidräfe im Menfchen meifteng weich und rundlich an
getroffen, im Thiere härter und länglih, Nur in’neun Zah
len von hundert war fie hohl mie Waſſer angefülle, oder fehr
groß, wie eine Walnuß, und hart, Rec. hat diefen. Körper
einmal in einer Perfon, die an der Mutterwuch ſtarb, ſehr
‚groß, und mit Waſſer angefült angetroffen. Die Größe dei
Zirbel richtet ſich nicht nach dem Alter.
Das Sandhäufhen fanden die Verf. zuerſt im ſiebenten
Jahre erſcheinen, vorher fahen fie aber ſchon in neugebornen
‚oder jüngern Kindern einen zähen Schleim an der Zirbeldräle.
‚Die Steinhen werden gewöhnlich an drey Orten angetroffen,
entweder auf der Hintern Commiſſur oder zwiſchen den Mark
ſchenkelchen der- Zirbel im Gruͤbchen, oder in der Subſtanʒ der
Zirbel ſelbſt. In einem Subjecte fanden die Verf. dieſe Steine
an allen drey Orten. — Unter dem Mikroskop fcheinen die
Steinhen meiftens rand, etwas noros, und vielleicht in eine
feine Zellhaut eingehält. Die Verf. meinen,. daß die Stein
hen in der Zirbel erzeugt, und von derſelben auggeworfen
|
Ä
i
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 375
würden. Das Dafeyn des Sandhäufchen gehört zum natuͤrli⸗
chen Zufland. Es fehlt bey allen unterfuchten Säugthieren.
„- 5. XVI. Sräbchen in der fyloifhen Wafferleitung. Im
Menſchen haben die Verf. deren viere gefehen, welche conſtant
find, und. alfo zum natärlihen Bau gehören.
$. XVII, Blaue Stellen im Boden der vierten (der
Verf. fünften) Hirnhoͤhle. Diefe entfiehen von Blutgefaͤßen,
die, menn man das Markhäucchen leife abzieht, unter dem
Mikroskop wie rothe Punkte erfheinen. Die Verf. äußern
die Vermuthung, ob nicht hier, wo der KHörnerve entſteht,
dieſe Stelle etwas dem ähnliches fey, mas das feine Gefaͤßnetz
"an dem Urfprunge ded Riech⸗ und Sehnerven darftelle ?
$. XVII. Die Markftreifen in der vierten Hirnhoͤhle.
1) Die Verf. haben die Markſtreifen in Foetus und Neuge—
bornen nicht gefunden. 2) Nicht allezeit ſammelten ſich diefe
Markfaͤden zum Hoͤrnerven, einige davon ſchienen früher zu
verſchwinden. 3) Die Streifen von der einen Seite ſind
nicht allezeit von jenen der andern Seite durch die Furche ner
trennt; viele gehen. auch in einander über, 4) Diele Markſtrei⸗
fen dringen tiefer in die Subftanz des verlängerten Marks,
und ſtellen daher gleihfam Lamellen dar. 5) In den Säugs
thieren find fie gar nicht anzutreffen. Die Verf. ſchließen dars
aus, daß diefe Streifen nicht, wie Soͤmmerring und viele
Anatomen glauben, die Urfprünge der KHörnerven find; was
fie aber eigentlich find, fagen die Verf. nicht. (Rec. hält fie
für die Commissurae der Hörnerven, weldye jeder Nerve des
-- Gehirns hat. Im Foetus iſt diefe Commissura noch nicht auss
- gebildet, und in dem Saͤugthiere geht diefelde unter der Brücke
wie ein Ring von einem Hörnerven zum andern, und die
Pyramidalkoͤrper laufen darüber weg.
$. XIX. Die grauen zum Hoͤrnerven gehörigen Leifichen.
‚Die Verf. glauben, daß diefe Leiftchen mit den Mörnerven zus
fommenhängen — Übrigens findet der Nec. hier fo was neues
und iunerhörtes nicht, wie die Verf. meinen „in abstrusa
ferimur &tudio novi et inauditorum,“ diefelden find fchon
mehreren Zergliederern bekannt gewefen. |
$. XX. Einige Zellfäden, die an den plexus choroideus
in der vierten. Hirnhoͤhle gehen. Rec. kennt keinen plexus
376. Josephus et C, Wenzel de penitiori structura ete.
ehoroideus in diefer KHirnhöhle Das gefaltete Gefaͤßnetz liegt
bloß in den Seitenhöhlen, und fleige in Die herabfieigenden
Körner. Daffelde entfteht von der großen Vene, die ſich in
den Hintern Blutleiter ergieit, der durch das Tentorjum cer
rebelli geht, und fih unter den bintern Wulft der großen
Hirn s Commiffur und den intern Schenkeln des fornix und
corp. psalloideum durchzieht, den Markſegel, die Vierhuͤgel
und die Zirbel Übersicht. Diefe wichtigen Thatſachen haben
die Verf. nirgendwo erwähnt.
$. XXL Die vierte Hirnhähle in Saͤngthieren. Diefelde
fen größer als am Menfhen („ang natärlih! da es die
Höhle des verlängerten Marks ift, welches in den Thieren allen
weit ſtaͤrter als im Menſchen if“ ).
- 6 XXII. Bergleihung der Höhlen des Gehirns in Mens
(hen, Säugthieren, Vögeln und Fiſchen. Das meifte iſt nur
Wiederholung des Sefagten, wubey noch zwey Ventrikel bey
Voͤgel und Fiſchen im Sehhuͤgel bemerkt werden.
$. XXI. Bon dem Drte und der Weile, mie die Ur
fprünge dee Merven mit ihren Hirnendigungen sufammenkoms
men. Die Berf, behaupten zuerft gegen &Sömmerring, daß
das Waſſer der allgemeine Eimpfindungsplas und Verbindungs⸗
mittel aller Nerven nicht fey, weil dafjelde nicht allegeit zugegen,
und wenn es zugegen fey, aus der nad) erloichener Lebens
wärme geſchehenen Verdichtung des Dunfied erzeugt werde —
dann führen die Verf. eine Lifte auf von alleır den Hientheilen,
welche in die Hirnhoͤhle fi endigen, und nun führen fie die
Nerven auf, welche ſich mit diefen Hirntheilen verbinden, und
machen dann den Schluß, daß, wo nicht unmittelbar, doch
mittelbar alle Nerven fih in die Hirnhoͤhle endigen. Und
wenn es alfo ein Mittel gebe, welches dort die Hirnenden
vereinigen fönnte, fo feye diefes hierdurch als möglich bewies
fen. Wirklich eine fonderbare Art des Beweiſes: die Tropen
fänder von Amerika hängen mit dem Norden von Aflen- zus
ſammen, alfo wachfen die Ananas in. Kamtſchatka (?).
XXIV. Bon dem "Hirnanhang. Die Verf. haben alles
geit diefen problematifchen Körper aus zwey Lappen beſtehend
gefunden, einen größeren herzfoͤrmig eingefchnittenen, und einen
kleinen runderen. Daß er in Geiftsstranfheisen Peiner und,
/
. | ..
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete. 377
wie dieſelben in einer andern Schrift weitläufig deducire haben, -
im Epileptiſchen vereptert fey — darin ſtimmen des Rec. Bes
Shahrungen nicht mit jenen der Verf. überein, der dieſen
Hirnanhang bey Epileptifchen gefund, und weich aufgeldj’t bey
ſolchen, in welchen fonft feine auffaliende Spur. von Birns
krankheit war, angetroffen hat.
Weber den Trichter des Gehirns haben die Verf. durch
Einfprügungen gefärbter Fluͤſſigkeitein 12 experimenta anges
ſtellt, die Hier weitläufig mit allen Umſtaͤnden erzählt werden, '
woraus aber nichts weiter hervorgeht, als daß der Trichter
und der Hirnanhang zellig ſey — .die Sichtung der Zellen
aber mehr von unten herauf, als vom Hirn herab gegen den
Hirnanhang gingen. Was zu diefem Schluß berechtige, ſieht
Rec. nicht ein; da im ganzen Körper die Zellen ſich nach allen
Beiten hin öffnen. — Im Alter und Krankheiten foll der
Kirnanhang an Umfang abnehmen. In den meiften Saͤug⸗
thieren iſt derjelde auch in Ruͤckſicht auf das ‚Din ‚größer als
im Menfhen. |
$. XXV, Die Verf, bemerken hier die jahteeiche Menge
ber Eleinen Arterien, welche an den Orten des Ansganres der
vier erſten Nervenpaare bemerkt merden, nicht in der Gefäße
haut, fondern die Markfafern durchbohrend.
$. XXVI. Welche Theile des menſchlichen Gehirns am
meiſten vom gewoͤhnlichen Baue abweichen. Die Verf. zaͤhlen
hierher die Windungen, den Wulſt am hintern Korn der Seis
tenhöhle — die Markfireifen im vierten Ventrikel — die
Commiſſur der Sehhuͤgel und das Sandhäufhen. In Thies
ren ſeyen die Hirnwindungen beſtaͤndiger und ſymmetriſcher.
Mit Gall glauhen die Verf. auch an den großen Einfluß der
Hirnwindungen auf den Charakter der Individuen, welche
nicht allein unſtatthafte, ſondern abgeſchmackte Meynung ſchon
ſattſam widerlegt worden iſt.
$. XXVII. Allgemeine Bemerkungen über die Seftalt der
einzelnen Dirntheile in Menſchen und Thieren In dieſem $.
finden fih viele Widerſpruͤche und Unridtigfeiten.
1) fagen fie: erft dann fey das Hirm in allen Theilen
vollendee, wenn der Menſch zu empfinden anfange — aber
im erſten Lebensjahre kämen erft die Markſtreifen an Boden
N
378 Josephus et C. Wenzel de penitieri structura etc.
. des vierten Dentrifels und im fiebenten Lebensjahr erſt das
Sandhaͤufchen zum Vorſchein — foll dann der Menſch erſt
im fiebenten Jahre empfinden !
| 2) Die Theile, welche im Menfchen evft nach der Geburt
entſtehen, ſeyen im Thiere nicht da; „allein die Warkfaͤden,
melde die Commiffur des KHörnerven darfiellen, find aller
dings in Thieren und weit flärfer da — fie ziehen ſich aber
nicht von oben durch den "Ventrikel, fondern unten und hinter
der Brücke, wie ein Markring herum.“
3) Die Thiere_feyen daher fchon. fruͤher zu ihren Verrich⸗
tungen reif, als der Menſch, weil ihr Gehirn eher vollendet
fey — allein der Menſch Hat ja auch alles bis auf den Mark
fireifen, und das Sandhaͤufchen — foll denn diefes die Un
ſache des menfchlihen Unvermögens in ber Kindheit fen, find
‚ denn die Verf. blind geweſen, als fie das große Ruͤckenmark
der Ihiere und die kleineren Hemisphaͤren ſahen? mußten fir
nicht, daß das Ruͤckenmoͤrk das Drgan der willtührlichen Be
wegung im Nervenſyſtem fey ? fahen fie richt, daß dieſes die
- Muskeln der Thiere weit früher vollenden und erregen mußte, da
alle Nexventhaͤtigkeit bloß darauf verwendet wird, indem die-ins
nern Geelenvermögen zurücbleiben, da hingegen im Menfchen
alles auf die Ausbildung der Sinneshügel, und des in der
Hemisphaͤren enthaltenen Schenkel s und Balkenſyſtems vers
wendet wird, wodurch die ——— der Organe der Bewe
gung zut uͤckbleibt7 |
A) Wie konnten bie Darf. es Hasen; ©. 247 niedergit
ſchreiben: Homo nonnisi sub septimum annum omnes
illas animi facultates possidet, quas quidem imposterum
.
. Identidem prodit, nova autem et essentiali nulla adau-
‚get. — IIlo anno cerebrum hominis et quoad totum et
quoad singulas partes absolutum, esse videtur.“ Es wer
alfo ſchon Raphael der große Mahler — Mozart der vollendete
Mufiter, Newton der umfaſſendſte Analytiker in feinem fieben
ten Sahre? 11
5) Die Drgane der Höheren Serlenvermögen find nad
des Verf. Ausſpruch die Markfireifen im vierten Hirnhoͤhlen
boden und das. Sandhaͤufchen. Fragt man warum, ‘fo heißt
|
06: „weil diefe Dinge allein der. Menſch und nice hie Tpiere
«
-
—2
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete. : 379
haben.“ (Allein kennen die Verf. denn den innern- Bau des
Gehirns fo genau, daB fie diefes behaupten können ? es erhellt
dieſes wenigſtens aus ihren Unterſuchungen nide, und dann
: ÄfE dasjenige, was den Menfchen von den Thieren auszeichnet,
etwas dem Gehirn derſelben abſolut fehlendes? Sind nicht
die- Hiınvermägen relativ? Wenn die Thiere mehr Mustels .
kkäfte haben, haben fie nicht deswegen auch größere Marks,
ſchenkel und ein bey weitem größeres Rüdentuart — dagegen,
‚ wenn der Menfh an erfand und Nernunft u. f. mw. weit
über die Thiere hervorſteht — beſitzt derfelbe nicht darum auch
weit größere Hirnhemisphaͤren? Es iſt unbegreiflih, wie die
Verf. folhe Ungereimtheiten aufbringen konnten.
Die XXVII— XXXIT. $$. enthalten nichts als weitlaͤu⸗
fige. Erörterung und Anführungen einzelner Beobachtungen über
die. Ausmeffungen nnd Größen des großen und Beinen Ges
hirns und verjchiedener Hirntheile in-verfchiedenen Menfchens
altern und in verfchiedenen Thieren. Ferner Über das Gewicht
| des großen und Beinen Gehirns, und endlich Aber die allmähs
lige Zunahme .des Gewichtes am ‚bebrüteten Hühnchen, welches
alles die von den. Verf. ihrem Hirnwerk vorgeſetzten Ta⸗
bellen nicht im Reſultat, ſondern im Einzelnen ausdruͤcken.
$. XXXIV. Betrachtung des Menfchen: Gehirns in ver⸗
Achiedenen Altern.
a), Die harte Hienhout haͤngt im Foetus und —
feſt am Schedel, und kann nicht getrennt werden, als durch
Zerſtuͤckelung des Knochens; in Aelteren hängt fie oft feſt an.
Man findet darin oft Verknoͤcherungen u. ſ. w.
b) Die Schleimhaut des Gehirns iſt in Embryonen
allezeit durchſichtig, ſie haͤngt aber mehr mit der Gefaͤßhaut
aAuſammen. Bey Erwachſenen kommt fie oft undurchſichtiger
und weißlich vor, dann iſt aber alsgelt eymphe in ihre Zellen
“ergojfen.
> c) Die Pacchioniſchen Koͤrperchen werden in Embryonen
nicht gefunden, weniger im Neugebornen vor dem ſiebenten
Jahre; haͤufiger in Alten und ſind krankhaften Urſprungs.
d) Blaſenwuͤrmer. Die Verf. fanden in dem waſſerſuͤche
tigen Gehirn einer alten Frau in Mayland 45 Waſſerblaſen
ſowohl auf. der Oberfläche des Gehirns, als in der Subſtanz
-
380 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete.
der Höhlen und dem verlängerten Mark. — Darunter war
ein Blafenwurm. Die Zeichen, welche die Verf. angeben,
fiheinen jedoch diefes noch im Zweifel zu laſſen. —
e) Die Konfiftenz des Hiens iſt in Kindern wei, und
hart in alten Leuten. Der Weingeift verhärtet ed. Den Wein
geift und andere chemifche Reagentien haben die Verf. nie,
um den innern Bau des Gehirns gu erforfchen, angewendet,
‚obgleich diefe Ark der Unterfuchung, welche in unfern Tagen
fo fruchtbar ift, lange fchon bekannt war.
f) Hirnſubſtanz. Unter dem Mikroskop befteht das Hirn
des Foetus aus eben fo großen Kügelhen, wie das des Er
wachſenen.
. 9 Hirnwindungen, Sie fangen an, ſich zu bilden im
Smonatlihen Embryo — die Furchen find flächer, je jünger
das Subject if. Die Menge der Windungen hänge nicht vom
Alter ab — Krankheiten diefes Organs find oft die Urſache,
daß fie kleiner merden ober gar verſchwinden. |
h) Graue und Markſubſtanz. In garten Embryonen find
diefe 2 Subſtanzen der Farbe. nad) nicht-von einander zu um
terfcheiden. In Nengebornen und jüngern Kindern iſt oft die
Markſubſtanz roͤthlich; in Alten iſt die äußere Subſtanz gelb
lich, die innere blaͤulich.
i) Die große Hirn⸗ Commiſſur ſey im Foetus vor dem
ſiebenten Monat geſpalten, wachſe aber nach und nach von
vorn nach hinten zuſammen. Die Verf. ſcheinen jedoch in
dieſe ihre Beobachtung ſelbſt einen Zweifel zu ſetzen.
Ky Der gerollte Wulſt zeigt in Embryonen im Innern
eine Hoͤhle, welche nachher verſchwindet.
J) Die geſtreiften Körper find ſchon groß. in Kindern,
und im fiebenten Jahre nur um eine Linte fehmäler als im
Erwachſenen. Es fchiene den Verf. , als wenn die geflveiften
Körper und Sehhuͤgel im Alter abnähınen.
m) Die Sehhügel find im Foctus grau wie die geftreiften
‚Körper — die Commiffur, wodurch fie an ihrer inneren
Wand verbunden find, haben die Verf. an einigen Foetus ans
getroffen, an anderen nicht.
| n) Der Hornftreife hat nur im Alter ein hornenes Ans
fehen ‚ in Kindern ift er gran oder blau. Mur * Waſſer⸗
Pa " v
/ .
Josephus et ©. Wenzel de penilieri structura etc. 381
fagten der Hirnhoͤhle bekommt derfeibe öfter ein hornartiges |
Anfehen.
0) Die Zirbel if bey Embrponen rund, -Knfenförmig, uns
aſchgrau — .
p) Dos Sondhäufchen wird in Embryonen und Kindern
vor dem fiebenten Lebensjahr nicht gefunden, ob man gleich
früher ſchon einen zähen klebrigen Schleim an der Stelle- ans
trifft.
g) Die Marffireifen am Boden des vierten Ventrikels
ſind im Embryo noch nicht zu ſehn, aber die grauen Leiſtchen
fangen ſchon im Smonatlichen Embryo ſichtbar zu werden an.
r) Das Beine Gehirn iſt im Ganzen weicher als das
große Gehirn. Der graue Antheit iſt größer in jenem als die
Markſubſtanz. Die Windungen. des Beinen Gehirns werden
ſchon im Smonatlihen Embryo ſichtbar, und find im 7monat⸗
lichen aufs dentlihfte zu unterfcheiden. Die beyden Hälften
des kleinen Gehirns liegen um fo näher an einander, je juͤn⸗
ger die Subjecte find; im Alten fliehen fie weiter aus einander.
8) Der Hirnknoten ift im Smonatlichen Foetus halb fo
groß, als im neugebornen Kind, und, in diefim halb fo groß,
als in einem Yiährigen Kinde. Auch iſt in jüngeren Supjecs
ten mehr graue als Markfubftanz in denfelben. :
Diefem Werke find 15 Kupfertafeln beygefügt, welche
verſchiedene Hirnſtuͤcke gezeichhet. darfiellen. Ob nun gleidy
diefe Tafeln von Koͤks Meifterhand gezeichnet find, fo erhals
ten fie doch darim w:nig Werth, weil die vorgelegten Origi⸗
nalien meiſtens verzerrte, verzogene, bereits erweichte Hirn⸗
ſtuͤcke darſtellten. Es iſt dieſes beſonders bey Tafel IV.
V. VII, vorzuͤglich aber bey Taf. VIII. gu ſehen — dage⸗
gen find die Tafeln X. XI. XIII. gu loben, wo die ohnehin
feftere Gehirnmaſſe des vierten Ventrikels feine weitere Praͤ⸗
paration bedurfte. — Die Vereinigungsſtelle der Sehnerven
auf Taf. XIV. iſt offenbar durch die ans eittanderweichende
Hirnmaſſe in die Breite gezogen, und nicht natürlich. =
Des Rec. Urtheil Über diefes Werk ift Folgendes :
Man kann den ausharrenden und eifernen Fleiß nicht
verkennen, welchen die Verf. auf diefes Werk verwendet has
ben. Au ſieht man den lobenswerthen Eifer und die große
332 Jesephus‘et C: Wenzel de penitiori structura etc.
Wahrbeitslicbe, nur das und nicht mehr zu fagen, als was
fie ſelbſt geiehen haben, oder die ‚Beobachtungen unmittelbar
‚ folgern laſſen. — Allein auf der andern Seite muf Rec. auch der
Wahrheit zue Steuer befennen, daß diefes Hirnwerk, auf welches
33 Jahre verwendet worden find, ganz und gar ohne ordnende
Hirnthaͤtigkeit zufammengefchrieben if. Die Sinne und Fin
ger haben alles gethan. Der ordnende Verſtand has keinen
Antheil an der Ausführung genommen; — deswegen erfahren
wir hier auch nichts von’ der Innern Hirnbildung, dem Lauf
und der Ordnung der Sirnfaferungen, welche dod) lange vor
unfern Zeiten von Stenon Ridley, vorzüglich aber von Bilis
und Vienffens genauer gekannt waren. Wir hören nur von
Ausmeffungen und Gewichte, Hervorragungen, Höhlen, Streit
Linien — und Diefes alles ohne auh den Aufern organifhen -
Zufammenhang zu berüdfichtigen, den doch jeder, aud der
feichtefte Hirnlehrer, beobachtet hat; alles, ohne auf ein Re
fultat zu kommen, welches für die Phyſiologie oder Pathologie
irgend eine Anwendung erlaubte. |
Rec. will ganz davon fchweigen, daß von. den neuern
Zergliederern dag Gehirn ſchon weit tiefer unterfuht war, als
fie ide Werk herausgaben. Schon im Jahre 1809 und ıdıo |
fannte man genau die innere Zaferung des Gehirns, das
Balken s und Schenkeliuftem und den beyde vermittelnden Stab
franz. Man kannte die Zortfäge des Hörnerven zum Ruͤcken⸗
mark, der Sehnerven gu den Sehhuͤgeln — den wahren Ur
fprung des. zünften Paares u. ſ. w. — Allein von allen diefen
einer genaueren Forfchung und gefchicteren innern Präparation
erfordernden Tharfachen erfährt man bier nichts. Aber haben
die Verf. denn von außen an dem Gehirn etwas mehr gefchen,
als die oberflählichftien Profektoren. bisher gewußt haben ? Ih
muß auch Hier antworten: nichts von Belang! — Was lie
hier gefunden haben, find drey Dinge, nämlich einige Gräbs
chen in der Spivifhen Wafferleitung, und einige blaue Fleckt
chen nnd Zellfäden an der Gefaͤßhaut in der vierten Hirnhoͤhle,
wenn man diefe — für Entdeckungen will gelten
laſſen. —
Dafuͤr aber iſt das Bet ganz entſetzlich weittäufig : :
ohnehin ermattende Lektüre Über Größe und Gewicht iſt *
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura eic. 383
zum Ekel miederhoit , außerdem daß dieſes alled, welches
hinreichend geweſen wäre, in Tabellen bengefügt iſt. Haͤtte
das Merk daher den beicheidegen Titel‘ an der Stirne de ce-
rebri dimersionibus geführt, fo wollten wir es als eine fleifige
Arbeit empfehlen, und nur bemerken, daß das Gange auf wes
mige Bogen hätte reducirt werden können. — Aber den ans
maßenden Titel de penitiori cerebri structura fann Rec, keis :
neswegs gelten laffen. Hier um fo weniger, da nicht einmal
die ganz oberflähliche Hirnſtructur gehörig aufgededt if. Ich
bin überzeugt, daß die Älteren: Willis, Vieuſſens, und die
neueren Hirnforſcher, Neil und Gall, diefen floigen Titel vers
abfcheuen würden, die doc wirklich angefangen haben, in das’
Sinnere des Hirnbaues einzudringen. Aber ob e je in der
Folge der Zeiten Zergliederer geben- werde, welche von. der
penitiori structura des Gehirns werden feden können, daran
zweifele Rec. gar fahr. —’ Rec. weiß wohl, daß die Verf.
diefen Titel ihres Werkes an Scarpas Werk: de penitiori
ossiumi structura abgefehen haben — allein‘ fie Hätten nur
bedenten follen, daß man eher in den Ban ber Knochenzellen,
als der Innern Hirngebilde eindringen: kann. |
Zu der chaotifch durcheinanderliegenden Sache koͤmmt nun
auch der langweilige und fchleppende Styl, — welder nur in.
Burgen abgebrochenen Sägen dafteht. Die Sprache if durchs _
aus fehlerhaft und fehr übelklingend, in lauter Imperfecten:
distinguebamus, relinquebamus, dissecabamus n. f. w.
endigend. — Man fieht es fo ganz deutlich, daß dies Ganze
aus dem Deutfchen ins Lateinifhe, und zwar durch mehrere
ift Überfeßt worden. Von dem Deuefch s Lateinischen. Text des
Werks unterfcheider fih gang befonders die Vorrede, welche in
einem unlateinifchen Bombaſt gefchrieben ift, deſſen Sinn Rec.
ben aller angewandten Mühe nicht hat endziffern können. —
Reifen durch das fübliche Deutfchland und Lie Schmeig in den Jah⸗
ren 1808 und 1809 mit Bemerfungen und Bepträgen jur Ge:
ſchichte des Tages von Gottlob Heinr. Heinfe Erſter
. Band mit. upfern. Leipzig, 1810. bey Hinrichs. 452 S. in 8.
bung feiner Reifen durch ſolche intereifante Theile von Deutſch⸗
*
384 Reiſen durch das ſaͤdl. Deutſchland ee. von Heinſe.
Von dem Verfaſſer erwartete man eine beſſere Beſchrei⸗
land. Was er ung ſagt, iſt zum Theil fo gemeiner Art und noch dazu
ſo gemein geſagt, daß mancher Reiſegeſell, dem dieſes Buch
in die Hand fällt, denken wird, fo etwas hätte Ich auch ſchrei⸗
ben wollen. Auf Naturfchilderungen vergichtet er ganz, aus
dem Grunde, weil er ein kurzes Sefiht babe, als wenit bie
Schönheit der Natur und der Eindruck ihrer wunderfamen
- Bildung nur in der Ausſicht niche in der Anfiht zu fuchen
wäre. Dennoch verfpricht et eine Beſchreibung vom Rheinfall.
Es bleibt aber auch nur beym Verfprehen: an eine Schilde
rung iſt nicht zu denken. Weit mehr fagt das beyliegende
Rupfer, fo unmahlerifh auch bier der Nheinfell genommen
if. Daß er viele fchöne Gegenden im Mebel ſah, und dürd
ungünftige Zeit in der Hoffnung mander Ausſicht getaͤuſcht
wurde, ift dem. zufolge nicht fehe gu, bedauern. Er entichädigt
dafür durch mandyes Verweilen im Innern ‚ worauf Reiſende
durch ſo vorzüglich ſchoͤne Gegenden nicht Immer zu achten
pflegen. Man - wird mit. Bafel, mit Zofiegen, mit der Hel⸗
vetiſchen Geſellſchaft, mit Augsburg, Nuͤrnberg ꝛc. durch ihn
bekannter, als durch andre Reiſende. Selbſt auf dem Poſt—⸗
wagen, in den Safthöfen und Herrbergen wird man endlich
wie zu Haufe dürd feine fehr getreuen und oft ine Einzelne
und individuelle gehende Darftellungen. Er nüst dem Res
fenden durch dieſe Detail, und erwirbt fi fogar um Derter
und Gegenden, dutch die er reifete, Dadurch ein Werdienf,
daß er das vorhandene und das wuͤnſchenswerthe Gute in
öffentlichen Einrichtungen und Anftalten mit umfchauender Vers
gleihung auftellt und vieles auf Diefe Weife zur Betrachtung
bringt, was von den hoͤhern Staarebehörden. nicht uͤberſehn
u werden verdient. Wir technen darunter feine Bemerkungen
ber Wege und Strafien, über den Müngfuß, über Reinlich⸗
Leit im Aeußern der. Stäbdte,. Über Pofwefen und Poſttaxen
mit dem —— —— Gedanken — ob wohl ein Staat
reich werden könne, der das erfte und einzige VBeförderungs
mittel des Reichthums, den lebentdigen Vertrieb im mechani⸗
ſchen und geiftigen Verkehr gradehin gu Boden druͤckt — und
vor allen. feine Gedanken und Vorſchlaͤge, mie dem großen
Ungläd der Erdverfhättung an fo manchen gefährlichen Stel⸗
len hoher VBerggegenden durch vernünftige und billige Weg⸗
raͤumung der natürlichen Veranlaſſungen vorzubauen wäre.
ů
EEE TE — — ne u — ee
No.25. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
—————
I) Predigten von E. C. Walz, großherzogl. Badiſchem Oberhofpre⸗
diger ze. Carlöruße, in der Ch. Fr. Muͤllerſchen Buchhandlung.
1813. * |
2) Botted Verehrungen, gehalten im Betſaal des Peſtalozziſchen Ins
ſtituts in Iferten, von 8. 9. Dreift, Eand. der Theol., fin.
Preußifchem Eleve und Geſanglehrer zu Herten. Erftes Heft.
Nebſt einem Anhange über Veſtalonis Anfichten von der Religion.
Zürich, bei Drel, Sußli und Comp. 1812. | u
3) Reden über die chriftliche Religion, von Johann Schulze Halle,
bei Schimmelpfennig 1811.
ll. die Geſetze des Inſtituts nicht zu Übertreten, will Rec.
die Predigten Ne. 1. bloß anzeigen, ihren Charakter durch
einige Stellen bezeichnen, und das Urtheil darüber dem Leſer
Äderlaffem Schoͤne, blühende Diktion und Freymuͤthigkeit
machen ihren Haupt: Charakter aus. Der Predigten find a6, -
mehrere Feſtpredigten und mehrere andere, die bey wichtigen
Angelegenheiten für das Land -oder bie großhergoglihe Bas
milie gehalten werden find. Eine merkwürdige Predigt, nach
dem Frieden, den Baden mit Frankreich gefchloffen, und wos
duch deffen weile Regierung das Land gerettet hatte; eine am
Friedensfeſt, ıBoo; eine bey dem fchnellen Tod des Erbprins
gen von Baden; eine Trauerrede bey dem Tod der Pringeffin
Märie von Baden, Gemahlin des Herzogs Wilhelm von
Braunfhmweig; eine Predigt bey der Geyer der Kurwuͤrde des
verſtorbenen Großherzogs und eine bey der Feyer einer Wie
dergemefung bdeffelben, und bey der Wermählung des jehigen
Großherzogs. Nun einige Stellen, die ſowohl von der Dies
tion, als von der religidfen Denkart und von der Freymüthigs
keit des Verf. zeunen. In der Predigt am Friedensfeft heißt
es: „Nie trauerte die Kirche tiefer, und nie iſt das Chriftens
thum mehr herabgewuͤrdigt worden, als in unfern Tagen, mo
e5 r
4
3856 Predigten von Walz, Dreiſt und Schule,
fo, viele Hände das herrliche Gebäude, das Chriſtus aufgeführt
hat, zu gerträmmern ſuchen. So wurde jener Ungluͤckliche am
Wege, den ein edelmürhiger Gamariter rettete, nicht mißFe
handelt, wie die Religion, deren heilige Quelle immer. mehr
getrübt wird. Werwegene und gezwungene Deutungen und
» Auslegungen ihrer Lehren, tiefes Schweigen von der hohen
Würde Sefu, den man bis zu einem Menſchen herab
lobt, und ihm Ehre genug zu erweiien glaube, wenn man
von feinem Eifer, Andere zu begiäden, von feiner Leidend:
aröße und Freudigkeit im Tode fpricht; ermädendes Gerede
von Vollkommenheit und Tugend, - bey dem man den Schwa—
chen zu keinem Quell führe, aus dem er ſich zur Tugend ſtaͤr⸗
ken, mit dem man einen fummerbeladenen Sünder beruhigen,
Beinen Leidenden aufrichten und feinen Sterbenden auf fein
Ende froh machen kann, und dann — was leicht begreiflich
ift, beweinenswuͤrdige Gleichguͤltigkeit gegen die heilige Schriſt,
die für Unzaͤhlige eim verſchloſſenes (verächtliches?) Bud if,
and jeder feichten, wolluſtathmenden Lektüre aufgeopfert wir;
muthwillige Scherge über die ehrwuͤrdigſten Gegenftände, lee
Tempel bey vollen Freudenhäufern, entheiligte Feſte und ver
laſſene Altäre, an denen Chrifins die Müden und Heilsbegie
rigen erwartet, um fie gu ergreifen; beweiſ't das Alles nid
unwiderſprechlich, Daß wir nicht mit Gott find?“ Jn
ber Predigt Aber Matıh. 8, 5— 11. Über die Gleichheit de
Hohen und Miedrigen, bey ihrer äußeren Ungleichheit, wird
unter andern gefagt: „Wollt Ihr zuͤrnen, Mächtige der En
den, wenn Ihr an Euren Untergebenen Schwachheiten gewaht
werdet? Nahmt Ihr Engel in Eure Dienfte? Und muͤſſet
Ihr nicht auch beten: „Herr, wer kann merken, wie oft
fehle? verzeih' uns auch die verborgenen Fehleri — „Er
unumfchränft gebietet, wie leicht kann der zur Herrſchſucht, —
“wen kaum Einmal im Jahre widerfprohen wird, wie bald
kann der zum Eigenfinn, — wer mit dienfifertigen, unterthaͤ
nigen Sklaven feiner Leidenfchafeen, — diefer Peſt der Fin
ften, umgeben ift, wie leicht Bann dee zum Stolz verleitt
werden.“ Endlich jtehe noch eine Stelle aus der Predigt über
‚ das befannte Gleichniß vom verlorenen Sohne hier. Der Verl.
bemerkt vorher, daß es auf die Thränen des Wiederkehrenden
Predigten von Walz, Drei und Schulze. 387
niht angefommen ſey, fondern auf das Wiederkehren. „Ger
kehrung,“ fährt er nun fort, „ift kein Geſang nah einer
unveränderten, - traurigen Melodie, und bey ihre Lönnen bie
Gebete und Kämpfe nicht vorgefchrieben werden. Ein Menſch
denke und fühle nicht, wie der Andere. Diefer klagt und jam⸗
mert laut; jener Lehre gefaßter und fiiler um. Diefer wirft
fi) indem Augenblick, wo ein wohlthätiges Licht ihm anfgeht,
det Tugend in die Arme, und bey jenem fließen Stunden und
Tage vorüber, bis fein Entſchluß reif wird: ich will mich aufs
machen und-zu meinem Water gehen. Diefen made fein Kums
mer beredt, und jener verſtummt nach dem kurzen Seufzer:
„fey mie Sünder gnädigt“ Dem Einen gelingt es, weinen
zu können, und.dem Andern blutet bey trockenem Auge das
Herz. . Aber bey Allen muß Aufrichtigkeit und Eenft, Dauer
in den Sefinnungen und Empfindungen feyn, bey Allen muͤſſen
Thaten für die Befferung zeugen.“ Diefe Stellen nur zur
Probe. Man wird ihrer viele von der nämlichen au in der
Predigtſammlung finden.
- Nr. 9. find nur fieben ‚Predigten; aber fie find wichtiger,
ale manche große, bändereiche Predigtſammlungen. Beſonders
hat fi) Rec, gefreut, wieder einen: jungen Theologen zu trefs
fen, der Achte Religioſitaͤt, Wärme dafür, und unverfennbaren
Eifer, fie in feinen Zuhörern gu beleben, mit dieſen Nedners
talenten verbindet. Seine Freude iſt noch größer, weil dieſe
Predigten in einer Zeit erfcheinen, wo der heillofe Geift des
Beſpekulirens, Bekritiſirens und Beſkeptiſirens, wenigſtens noch
in manchen theologiſchen Zeitſchriften, ſpukt, deſſen Mitter⸗
nachtsſtunde freylich ſehr nahe iſt, weil man aber dafuͤr von
einem Geiſt, oder vielmehr von hoch und geheimnißvoll toͤnen⸗
den Worten eines Myſticismus betaͤnbt wird, der, wie Mehl⸗
thau, alle wahre Religiofleät in der Bluͤthe verdirbt. Rei.
will einige ſchoͤne Stellen ausheben, auf einige ganz vorzügs
liche Predigten verweilen, und dann einige Bemerkungen
machen, die, wie er hofft, noch mehr von dem Sintereffe zeus
gen werden, womit er die Meine Sammlung gelefen hat. &.
54 trägt er eine große, aber noch fange nicht genug erkannte
Wahrheit vor, auf weiche die Beſſerungsmethode des Chriftens
thums berechnet iſt. „ES gibt eine falfhe Beſcheidenheit,
338 redigten von Walz, Dreiſt und Schulze.
unter weicher ber heimliche Stolz fi gerne verbirgt, eine
krankhafte Muchtofigkeit, weiche die Lebenskraft in fi kaum
fühle, oder jene oben erwähnte Ueberſchaͤtzung alles Fremden,
Veenachlaͤßigung, Verachtung des eigenen Weſens. Alle dirk
find von Sohannes ( dem Täufer) gleich ferne. In ihm if
die wahre Harmonie des Selbfigefähls, Much und Dei
muth; die Verbindung jener Heyden Gegeniäße, welche in
der Natur (7) wie im der Menschheit überall wiederkehren,
aus deren Gleichgewicht allein die Ruhe, die Seligkeit und
das göttliche Leben (fo wie wahre Sittlihleit) geboren wer
den.“ Und gleich &. 56 eine trefflihe Darftellung des kräftl
gen jugendlihen Sinnes, und eine Warnung für die Jugend
zugleih. „Die Jugend. will fo viel.für fih und aus fid,
‚und um ihrer felb willen. Die Welt ift neu, die Anziehung
ſtark, der Wunſch gluͤhend, die Erfahrung ſchwach, Gott und
das Leben ein Raͤthſel. Hochgeſpannt find die Ahnungen und
die Anſpruͤche, mächtig die Triebe, die Sehnfuht nah Be
friedigung. Im Hochgefaͤhl der Kraft glaubt der jugendliche,
Mensch fih beduͤrfnißlos, glaubt, daß in ihm fey die Macht
zu walten und zu vollbringen, Alles aufs herrlichſte hinaus
‚zuführen. Was Natur, Wiffenfhaft, Kunft, Liebe, Freund
ſchaft darbieten, der jugendliche Menſch möchte es alles ergreis
fen, in fi giehen, und dann — ein König unter den Leider
und Seiftern, die mißrachene Geſtalt der Welt um
geflalten.“ (Sf es doch, als fähe man einen Pädagogen
aus der neueften Schule vor ſich, oder als habe man eim
neue Schrift von Miederer gelefen!) Er beginnt den
Kampf; aber das Leben bekämpft ihn mächtiger. Es demis
thigt, fodere hohe Entſagung, und gewährt ihm im Reinſten,
wo er Alles fodern zu können glaubt, in der Förderung feiner
ſittlichſten, menfchenfeeundlichften Unternehmungen, im Erfor⸗
hen der Wahrheit u. f. m. keine Befriedigung. Auf dielem
Standpunct fühlt dee Menih, daß er ſelbſt nichts if, mob
vermag ;. daß Gott der mächtige Herr der Welt. ift, und. def
der Menſch nichts kann und foll, als ihm dienen, feinen Be
gen nachſpuͤren und nachwandeln. — Hier knuͤpft füh dad
neue Band, das Bond der Wiederfehr.des Menfchen zu Gott.
Religio, religatur homo Deo. (Gott gebe, daß and died
*
Bredigten von Walz, Dreiit und Gchulje. 389 |
die Sefchichte unferer anmaßenden, Allwiſſenheit und Allmacht
ttäumenden Sünglinge werden möge!) Ein fehr ſchoͤnes Bes
kenntniß it ©. 100 ausgefprohen, über das, was man in
der feinen Gemeinde des Inſtituts zu Sferten nicht fuche
und wolle, was man aber fuche und wolle. Was der Verf.
in den Worten zu ©. 106 fagt, wuͤnſcht Rec. von ihm pfus
chologiſch und bibliſch ausgeführt. Mac den Winken, die er
bier gibt, wäre er.befonders dazu geſchickt, und es wäre ein
Wort geredet zu feiner Zeit. Ueberhaupt ift faft Alles aus der
Geele des Rec. gefchrieben, was Kerr Dr. über die religiäfen
Vildungsmittel in jedem Stand und in jeder Lage bemerkt,
und wie es von ihm auf die Erzieher angewendet wird. Die
dritte Predigt, über Johannes den Täufer, iſt faſt gang
muftermäßig; auch dit vierte und fünfte hat viel Hochs
Religidfes. Nur Hätte der Verf. bey dem Überreihen Gebet
Jeſu, Joh. 17., bleiben und nicht noch den Anfang der Leis
densgefchichte hinzufügen follen. Die fech ste iſt die trefflichfte,
und wäre ganz zweckmaͤßig, wenn fie bios vor den Lehrern,
und für fie wäre gehalten. worden, wovon aber Rec. am
Schluß — leider! — das Gegentheil fieht. Rec. wuͤnſcht fehr,
daß bald eine Fortfegung dief:r Predigten erſcheinen möge.
Nach dem in ihnen herrſchenden religiäfen, alfo befcheides
nen und ?indlihen Sinn, ift Nec. überzeugt, daß es der Verf.
nihe mißverftehen werde, wenn er ihm auch einige mißbillis
gende Bemerkungen macht; am mwenigften, wenn er weiß, daß
Rec. in den verfchiedenften und gemifchteften Gemeinden viele
Jahre fange Prediger, daß es ihm Ernſt war, das Innere
einer Zuhörer gu treffen, und daß er mancherley, auch mißs
rathene Verſuche gemacht hat.
Außer einigen, jedoch nur ganz wenigen unfchickfichen
Biltern, neben ‚einer fehr fchönen, kräftigen Sprache, z. ©. :
Sort iſt tiefer als die Hölle, breiter ald das Meer (©: 24),
ie Schöpfung gähnt; raftlos waltot der Schöpfer (©. 61),
merkt Rec. nur, daß das, was ©. 66 gefagt wird: „Fürs
ton, die fih Götter glauben, und Prinzen, die wie Thiere
eben, fühlen in deinem Genuffe ( Natur) wieder den Seegen
hrer Menichheit,“ dem widerfprehe, was &. 64 mit Recht
eſagt wurde: „Es ift wunderbar, wie wenig fie (die Matur)
390 Predigten von Walz, Dreift umd Säule
ik — der ihrer unwerth, durch Leidenſchaft hingeriſſen, in
Unnatur verſunken, von Wahn und Duͤnkel -geblender, den
Sinn, die Liebe für das Ganze verloren hat. . Es iſt, al
geäte fie verfhmähend vor ihm zuräd, u. f. mw.“ Beſonders
möchte aber Rec. auf zweyerley aufmerkſam machen, was in
unferer Zeit befonders wichtig ift, und wofür fih Kefonders
jeder junge Prediger zu huͤten bat. ‘
Bekanntlich. werden in einer gewiffen theologiſchen Schule
Die Bibelausdräde, Sort Vater, Sohn, heiliger Geiſt, Ver
föhnung, Wiedergeburt, ja fogar der nicht biblifche, fondern
bloß kirchliche: Dreyeinigkeit ‚ und die allverftändiichen: Leben
und Tod, auch gebraucht, aber in einem ganz andern Binn,
als fie Jeſus, Paulus, Sjohannes gebraudht haben. : Das
möhte immer ſeyn, wenn man fern Syſtem oder feine Hypo
shefen mit diefen Worten auszudruͤcken, für gut fände. Aber
wenn man infinuirt, oder geradezu behauptet, die Bibel
verſtehe unter diefen Ansdräden das, was man in jenen Ru
. ligionephitofophieen darnnter verſteht: fo gibt dies eine Ber
wirrung, noch ärger ale bey Kants moralifher Interpreta
sion, bey der man dod wußte, daß es nur: moralifhe Am
wendung ſeyn follte. Der Verf. bat fih vor diefem Mißbrauch
biblifcher Ausdruͤcke ſehr gehüter, und die von ihm vorgetrw
genen Lehren find faft alle ächte, auf Geſchichte ſich gruͤndende
Chriftenehumsiehren. Nur in der Erften Predige, von der
Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geift, über Joh 85.
3—5. if er in diefen Modefehler gefallen. Offenbar ſpricht
doch Jeſus in dieſer Stelle von etwas, was der Menſch felik
zu feiner Umfchaffung thun kann (Waffer, Johannes Taufı,
‚ alfo Benugung der göttlichen Anftalten zu unferer Beſſerung):
aber auch von etwas, was er nicht thun, fih ſelbſt nicht
geben kann. (Geiſt.) Wenn ein Menſch nicht einmal ver
ſteht, wie der Geiſt auf ihn wirkte (V. 8.), fo kann er
wohl noch weit weniger, felbft und allein das wirken,
was er feldft nicht begreift. In der angeführten Stelle:
Ezech. 36, 26. 27. wird auch nicht geſagt: verſchaffet End
ein. neues Herz und einen neuen Geiftt fondern: „ich wi
Euch ein neues Herz und einen neuen Geift geben.“ Ohnehin
Tann man ja, beſonders nad) der. Beiftesausgießung, niet
Predigten von Walz, Dreit und Schulze. 391
mehr im Zweifel ſeyn, was Jeſus und feine Apoſtel unter
Geiſt verfiehen, nämlich eine von Gott gegebene Kraft, das
auszuführen, was man ausführen fol. And doc fagt der
Verf. S. &.: „Aus eigener Anftrengung foll der Meufch das
Menfhlihe erlangen.“ — Das if freylich an ſich wahr.
Aber er ſetzt hinzu:“‘ „Dies Menichliche aber gewinnt der
Menſch, wenn er im wahren und vollen Sinn ein Chrift wird,
sein duch das Thriftenehum, durch die Taufe. Und das fol
auch das Wort fagen: „Es fey denn, daß jemand von
Neuem geboren werde ꝛc.“ Mein, es foll weit mehr fagen!
Sefus unterfheidet ja Watfer (die Taufe) von dem
Seift! Das Leste war keine Waffers fondern eine Feuers
tanfe, die auch der Täufer Johannes genau unterfcheidet.
(Luk. 5, 16.) Wird denn au der. Menſch duch die Taufe,
durch das Chriſtenthum, alfo durch bloßes Annehmen des Chris
ſtenthums ſchon rein? Aber was verficht der Verf. unter dem
Geiſt des Chriftenthums, der feurige Liebe zu Gott, und hohe
Berleugnung des Irdiſchen hervorbringen foll? Das thut doch
wohl die Taufe allein nicht? Weit richtiger druͤckt fih der
Verf. S. 35 Über diefen Geiſt aus, es fen „ein fortgefeßtes,
ewiges (?) Wirken der Gottheit in der Menfchheie“ (wenig⸗
ſtens in einzelnen Menfchen )* eine.edle, heilige, durch ihn
erregte amd erhaltene Sefinnung.“ Bey diefer richtigen,
biblifhen Anſicht moͤge er bleiben, und nicht übergehen zu der
unrichtigen, unbiblifhen- von Niederer, in der Lengburger
» Rede, der Geiſt Gottes ſey „die in dem Menichen inwohs
nende göttlihe Idee, durch die er Bild Gottes und aller Res
figion einzig und allein empfänglih wird ,“ die alſo in allen
Menfchen ift, alfo nicht von Jeſus gefendert, am Pfingfts
tag ausgegoffen und Menfhen verfprohen gu wer:
den brauchte, weil man ihnen fonft — Menſchheit gefender,
in fie ergoffen und verfproden hätte
Das Zwepte, worauf Rec. den Verf. aufmerkfam machen
möchte, iſt die in einem gemifchten Auditorium fo nöthine
und ſreylich ſchwer zu erreihende Popularität. Er fagt in
der Vorrede, es ſeyen zwey Drittel: Kinder, gegen Ein
Drittel Erwwachfener in der Verfammiung Da nun Predigten
bloß für Kinder nicht möglich feyen, fo habe er fi insbeſondere
392 Predigten von Walz, Dreifi und Schulze.
und vorherrichend an die Lehrer gewendet, die Kinder aber
auch niche vernachläßigen wollen. Zugegeben für den Augens
blick, daß Predigten bloß für Kinder unmöglich feyen; ſo
Hätte, wie der Rec. glaubt, .. der Verf. gerade das Gegentheil
hun, er hätte fih vorzlalih an die Schwäderen, an bie
Kinder halten, freylih aber die Lehrer nicht vernachläßtgen
fpllen. Bey Lehrern an einem Erziehungsinftitut, wie beſon
ders das Peſtalozziſche ift, Test man immer voraus, daß fie
mis den Neligionsiehren fchon bekannt find, daß nur erinnert,
aufgefrifhe, neu belebt zu werden braudht, was fchon in dem
Gemuͤth liege. Gab ihnen der Redner hin und wieder etwas
zum Nachdenken, eine neue Anliht, ein Wort, eine Sentenz,
die fo traf: fo war es ſchon genug, und die Kinder verloren
nichts dabey. Die Kinder aber mußte er in unaufhoͤrlicher
Beichäftigung erhalten. Haben fie einmal die Aufmerkfamteit
verloren ; fo feſſelt man fie nicht leicht wieder. Sie langweilen
fi), und miches iſt verderblicher für Neligiofität, alſo unp&
Basogifcher, als wenn man Kinder fhon frühe durch Religions
vorträge langweilt; die ganze Sache wird ihnen dann zumider.
Eden darum wuͤrde aud) Rec., wie Salgmann that, die
Vorträge duch Geſang unterbrechen laffen, was der Verf.
. noch beffer konnte, weil er zugleich Geſanglehrer if. Dee
lebendige Knabe und Juͤngling may nicht gerne eine Stunde
unthätig zuhören, fo wenig, wie das Boll. Er will dabıy
auch thätig feun. Iſt ja doch darauf die Peſtalozziſche Mer
thode berechnet, und mit Recht! Bey den ©ottesverehrungen
kann ee aber nichts Anders thun, ale fingen, durch Gefang
fortfeßen , tiefer eindräcen, was ber Religionsiehrer gejagt
Hat. Dies wirkt gewiß gut. Man finge nicht bloß für Ans
dere, fondern auch für ſich, ſingt nicht bloß etwas aus fig
heraus, fondern auch etwas in fih hinein. Die Ps
dige über Johannes den Täufer und die lebte, vor der Ifener
Gemeinde gehalten, zeigen Übrigens, daß der Verf. wohl por
pulär reden koͤnne, obgleich die legte, für eine fo gemſſchte
Verſammlung, wegen des: Anfangs und der darin herrfchmden,
freylih ſchoͤnen Buͤcherſprache noch nicht populär genug iſt.
Die Stellen uͤber Religion, ans Peſtalozzi's Schriften,
find in Deutſchland meift bekannt, fo wie Peſtalozzi's Gchriften;
Predigten von Walz, Dreiit und Schulze, 393
und Nec. weiß nicht, warum Kr. D. das Gegentheil behaups
tet. Indeß ift es gut, den Theil des Publikums, der etwa
diefe Schriften nicht Bennt, oder noch an Peftalogzi'g religidien
Sefinnungen zweifelt, durch folche Stellen davon zu Äbergeus
gen. Mur muß Rec. um diefes Zwecks willen wänfchen, daß
Auszüge aus Niederer wesgelaffen oder mit forgfältiger
Auswahl gebrauht würden, weil Manches darin eher eine ents
gegengefegte Wirkung thun möchte. Wie kann z. ©. Nieder
ter behaupten, Seins habe „fein Werk auf die ganze volls
fländige Entwickelung des menichlihen Geiftes und Herzens
gegrändet. (S. ı80) War denn wohl Geift und Herz bey‘
den Zifhern und Zöllnern, feinen Schälern, volliftändig
entwidele? Hein; er entwidelte es erſt durch feine Lehre
und fein Beyſpiel. Uebrigens iſt es empoͤrend und ekelhaft,
wenn N. auf ſeine gewoͤhnliche, abſprechende Art behauptet,
„bey allem bisherigen Kätehismusunterriht müffe es uns
vermeidlich dahin kommen, daß fih das Kind unter Gott
etwas denke, yon Ihm etwas hoffe, fodere, erwarte, was
der Wirklichkeit oder Möglichkeit widerfpreche, und daß es
dadurch in Zweifel oder practifchen Unglauben fiürgen muͤſſe.“
Als 06 N., der fo wenig ſah, allen Katehismusunterricht
fennte ! Als ob durch keinen Katechismusunterricht, ächte
chriftliche Religiofitär gewirkt worden wäre! Rec. weiß viele
hundert Beyſpiele vom Gegentheil. Solche, einen unleidlis
hen pädagogifhen Papismus athmende Stellen lafie Hr. D.
nur in Zußunft weg, wenn er Vorurtheile gegen den veligiöfen
Geiſt im Peſtal. Inſtitut verbannen will.
Auch Ne. 3. tft nur eine Meine, aus gehn Predigten bes
fiehende Sammlung ; aber merfwärdig, wie die vorher anges
zeigte, obgleich in einem andern Sinne So viel Gehalt
und fo viel hochtoͤnende Phrafen ohne Gehalt, fo viel Plare,
warme, fräftige, und fo viel unverftändlihe, kalte, matte
Stellen — freymäthig herausgeſagt — fo viel Sinn und Uns
finn Hat Rec. nicht leicht in einem großen Buche gefunden,
als in biefem kleinen Büchlein. ind es ift, als 06 fi mit
jeder Predigt das Verftändlihe, Warme, Kräftige, der Sinn
verminderte und das Unverftändliche, Kalte, Matte vermehrte,
Es war dem Rec., als ob er in Geſellſchaft eines fenrigen,'
/
!
i
394 Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze.
geiſtvollen Juͤnglings wäre, wo über das Heiligſte geſprochen
und zugleih Wein getrunken würde. Anfangs ſpraͤche der
Süngling mit vielem Leben und vieler Wärme über Religion.
Mit jedem Glaſe, das er weiter tränfe, würde er. exaltirter;
es käme fchon manchmal etwas Unverftändliches, Wibderfinnis
ges, bis er endlich betrunfen wuͤrde und Unfinn ſpraͤche.
Sin den erften Predigten find wirklich ausgezeichnet fchöne,
räftig ausgedräd:e Stellen. &. 148 wird eine Seite des
Zeitgeifts ſehr gut bezeichnet. S. 157 werden die Worzäge
des Chriſtenthums, in foferne es die Weiber wieder in ihre
natürliche Menfchenrechte einfegt, kräftig dargeſtellt. Trefflich
it es, was der Verf. &. 167 von der Mutterempfindung und
Mutterfeligkeit ſagt. „Durch das Kind offenbart fich ihr die
Fülle der Sortheit, und des Himmels Klarheit umſtrahlt ihr
heiteres Angefiht. Mit dem Muttergefuͤhl endet 'die Einfeitig
Leit des Geſchlechts; der wahre Beziehungspunct alles (ihres)
Denkens und Handelns ift gefunden. Das Weib tritt aus
ihrem früheren, befchränkten Kreife in die große Verkettung
der Dinge, und wird eine Priefterin der Matur, mit dieſer
durch füße, unauflöslihe Bande auf ewig verbunden. — —
Mütter bewahren das große Geheimniß der Liebe in ihrem
keuſchen Buſen. Denn in Worten darftellen können und duͤr⸗
fen fie nicht die Seligkeit, die fie durchgluͤht, das Unendliche,
was fie bewegt, und wenn fi ihnen aud die Zunge löoͤſ'te,
würden fie Allen denen Wahnſinn zu fprechen fcheinen, bie
nicht, wie fie, das hohe Gtäd berühren, ein Ewiges zu er—
zeugen (zu gebären ), und durch diefes den Kranz der Un—
fterblichkeit zu erringen.“ - Sin der ganzen Predigt fuhrt er
Maria als die Sonne der Frauen bdarzuftellen, und er fagt
unter Andern von ihr (8. 179. 175): „Waria lebte nur
in ihrem Kinde, und. ihre Tage feheinen ihr nur geſchenkt,
um fie diefem zu weihen. Ihre Mutterwärme erlaubte ihr
feinen eigenfüchtigen Gedanken an ſich felbft, ſondern unbe
tümmert um ihr eigenes Schickſal, begleitete fie mit treue,
immer wacer Sorgfalt den geliebten Sohn, von der Wiege
bis ans Stab (?). Ohne Zaudern verließ fie ihre Heimath,
ihre Freundinnen, alles: Theure und Liebe, und zog in einſa—
mer, gefahrvoller Flucht Über Berg und Thal durch wuͤſte,
Predigten von Walz, Drei und Schuhe 395
traurige Steppen in ein fernes, unfreundliches Sand, um vor
der mörderifchen Verfolgung eines biutdärftigen, feigen, Boͤſe⸗
wichts, das Leben ihres Kindes zu fihern. Und als der Lieb⸗
ling ihrer Seele, von feinen Juͤngern verleugnet, von feinen
Freunden verlaffen,, fein großes Leben verbiutete, fürchtete fie
weder dies herzzerſchmetternde Schaufpiel, noch den unaus—
bleiblichen Haß feiner Henker, fondern ftand mis dem Jünger,
den er lieb hatte, unter feinem Kreuz, um auch im Tode nicht
von dem zu weichen, ohne weichen ihr das Leben gleichgäftig
war. Denn die Dutterwärme-hat eine wunderbar s flärkende
Sewalt und ſtaͤhlt mie Muth und Tapferkeit, felbit die, vers
"möge ihrer Natur, furdtfamen Frauen, fo daß fle troßdietend
allen Qualen, unerfchröcden dem Tod ins Auge fehen, wenn
es das Wohl. oder Wehe ihrer Lieblinge gilt. Daher vergeffen
"auch edle Frauen flets fih ſelbſt, und ihe Leben wird eine
Folge von: den Freudenflängen ‚und den Trauertönen, in wels
chen fi das Herz ihrer Lieben bewegt. Und weil die Mutters
wärme: fi nur duch großmärhige Entfagung auf eigenen
(ollen eigenen) Genuß, durch gänzlihe Entäußerung ihrer
felöft genügt, und weil fle-flets in ihrem Kinde nicht bloß
Diefes, fondern vielmehr die ganze Menſchheit liebt; fo gedeihe
auch durch fie in einem folhen Kerzen, am gläcdlichften, ver
Erde fhönfte Blüte, die Religion.“ Rec. müßte faft die ganze
Predigt adfchreiden, wenn er alle gemüthliche, gelungene und
treffende Stellen darin bier bemerklich machen wollte. Maria
wird darin als die Sonne (das Mufter) der Frauen (befons
Ders der Mütter ) dargeftellt. Mur begreift man nicht, warum
er fie manchmal eine ewige Mutter nennt, und woher er
weiß, daß fie bald nad) Jeſus gen Himmel gefahren fey. Die
Bibel ſagt fein Wort davon.
Die dritte Predige ift eine fchöne Anwendung des Muts
terfinns, den alle Kirchen — wenigfiens ‚haben follten.
Die fünfte dagegen tft bloß eine Deklamation — Nec
möchte faſt fagen, eine Capuzinade — gegen das Srdifche,
Rergänglihe, das Leben. Das ganze Leben’ ift ein Trauers
fpiel, das Irdiſche ein graufamer, liſtiger Feind, den wir in
unferem Körper tragen. Der leere Schein wird flatt des Wer
fens, die Schale ſtatt des Kerns: geliebt (©. 144). Man
396 Predigten von Walz, Drei und Schulze.
Bat darin den Schein der Wirklichkeit nur gelogen (S. 146).
Das Leben ift eine, an Schmerzen und Qualen unerſchoͤpfliche
Krankheit ; Haß und Feindſchaft begrüßt den Neugebornen!!!
©: 145 (aud die Mütter?) Das Dafeyn if eine La (&.
165). Man bemühe fih aber nicht, diefe Paraborieen zu
widerlegen ; denn fie find fo arg nicht gemeint. Wer die Mut
terfeligkeie fo ‚befchreibe, wie es der Verf. ganz wahr &. 178.
373 thut, wer mit ſolchem Jubel redet, von der „Hand der
ewigen Freundſchaft, und von der heitern, flilen Seligkeit,
weiche hervorkeimt aus dem ruhigen Anfchauen und Plaren
Ertennen eines fhönen, eigenthümlihen Weſens, ale eints
verwandten Gemächs“ ( &. aıB); wer die „Schöne des Das
feyns“ nennt, die felöft Jeſus freundlich angeblickt Haben fol
( S. 146), dem iſt das Leben nicht fo fehr zuwider, wie er
es, um fein Thema auszuführen, manchmal behauptet.
Aber das fcheint dem Verf. voller Ernft gu fepn, Daß ber
Menſch ſich felbft eridfen märe, und daß. es die Bibel auch
in dieſem Sinne nehme. Er erlöfer fih, nah ©. 228. 229,
wenn das Gute in ihm, das Boͤſe (oder, was dem Verf.
‚Eine, der Geift den Körper ) uͤberwindet, wenn er ‚einen Set
renden belehrt, einen Klagenden tröftet, kurz: eine Handlung
der Wohlthaͤtigkeit ausuͤbt; ja fogar, wenn er „in den Stun
den der ‚heiligen Begeifterung, an dem Bufen. eines Tiebends
geliebten Weſens, den Triumph über die Erde (doch fehr im
diſch) feyert. (Eine ſolche Selbſterloͤſung mag wohl nicht viel
Weberwindung koſten! Hierher paßte die Erzählung in ber
£ucinde: „Ich umarmte fie mit eben fo viel Wolluſt als
Religion.“ Hat bier auch der Geiſt den Körper überwuns
den? Oder begehrt er ihn nur zu überwinden? Iſt hier auch
eine Sclaht gegen das Irdiſche, mit klirrenden, eifernen
Ketten verfehene Heer, das den Gegner (den Geiſt) gu bes
zwingen droht?) Mag man dies in irgend einer Philofophie
Erloͤſung nennen; das, was die Bibel’ ſo nennt, iſt es nicht.
Mach ihr kann fi der Menſch nicht ſelbſt erloͤſen; fie fchreibt
überall diefe Erloſung allein Sefu zu. Was brauchte es auch
der ganzen Anflale durch Jefus, wenn fid) der Menſch ſelbſt
erloͤſen koͤnnte? Mein; „wir werden ohne Verdienft ge
recht durch die Eridfung, Die duch Jeſus Chriſtus gefchehen
‚Predigten von Walz, Drei und Schulte. 397
iſte (Noͤm 3, 24.); und es heißt mit Worten fpielen, oder
Bidelworte in einem gang andern, widerfprehenden &inne
nehmen , wenn man von. Selbfterlöfung dur Handlungen der
Wohlthaͤtigkeit, oder durch Freundfchaftsgenuß redet; es Heißt
Bibelworte profaniren, wenn man uns verfihert, daß man
fi) am Buſen eines tiebend s geliebten Weſens erloͤſen koͤnne.
Unrichtig iſt es auch, daß die Erlöfung nah der Bibel
fietig (anhaltend) fortfchreite, und fi bis zum Tod wieders
hole. Verſichert ja der Verf. ſelbſt, &. 201, da Jeſus gefage
Habe: es ift vollbracht, da ſey „die Schlacht entichieden, und
der alte Feind der Erde niedergefchmettert worden.“ nd
Paulus ſagt (Ebr. 10, 14.), Jeſus habe mit Einem Opfer
‚für die Ewigkeit vollendet, Alle Die geheiligt oder erloͤſet
werden follten. Endlich ift es eben fo unbiblifh und unrichs
tg, daß Jeſus das Erloͤſungswerk zuerſt an ſich ſelbſt voll⸗
bracht Habe. Freylich hat Er ſich ſelbſt uͤberwunden, eine
Menge wohlthaͤtiger Handlungen verrichtet u. ſ. w., aber das
heiße in der Bibel nicht: Erloͤſung. Jeſus, der nie füns
digte, bedurfte feiner Erlöfung von Sünden; und nur davon
fol der Menſch erlöfer werden, nicht vom Irdiſchen, in das
ihn Sort, aus weifen Abfichten,, gelegt hat, aus dem ihn
auch Sort allein, und nicht er ſich ſelbſt, wegnehmen darf.
Freylich, in diefem Sinne ift es leicht, zu beweifen, was bie
- achte Predigt beweifen foll, daß das Chriſtenthum ewig dauren
werde; denn immer werden wohlthätige Handlungen verrichtet,
Zreundfchaft genofien werden; immer werden gute Menſchen
ſich ſelbſt zu uͤberwinden ſuchen.
Noch manche andere Verwirrungen der Begriffe und Wis
‚derfprühe finden ih, 3. B. S. 138, daß das, was. einen
Anfang gehabt, auch verfinfen oder ein Ende haben müffe ;
ohne den Tod müfe das Ewige in dem Menſchen aufhören
zu ſeyn. (Als 06 es nun keinen Anfang gehabt Hätte, weil
der Tod dazwifdhen kam!) Der Tod fplle alles Perſoͤnliche
von den Worten und Werfen der Menfchen trennen, ©. 143.
(Wären es dann noch) die Worte und Werke des Individuums ?
Und find fie es nicht, wie können fie ihm gugerechnet wers
den 7) Wie ift die Behauptung mit dem zu vereinigen, was
eine ‚Seite vorher gefags wird: „der Tod has ihn (den Ger
398 SBredigten von Walz, Dreifl und Schulte.
lieben, Liebenswuͤrdigen) nicht Euch, und Euch nicht ihm ent
eiffen, fondern nur die Scheidewand aufgehoben, fo daß Ihr
jeßt einander näher treten und Euch mit ungeftörter,. inniger
Liebe für die Ewigkeit umarmen koͤnnt.“ Mad dem Hauptſat
dee zwepten: Predigt, fol das Chriſtenthum die Meligion bes
endlofen. Kampf ſeyn, und doch fagt der Verf. am Ente
in den Werfen, die zu einem Krieg für das heilige Grab ein⸗
zuladen feinen :
Zieht ins Feld zum fihren Siege
Eurer Sahne nad. rn
Daß er das Auffallende Liebe, zeigt fih beſonders am Ende
dieſer Predigt, die mit den Worten ſchließt:
Kauft ein Sqhwerdt.
und am Ende der fiebenten, die ſtatt: Amen, Beer m
Wehe! ruft.
i Doch, das find nur aleinigkeiten gegen die ——
die in der Predigt vom Abendmahl ausgeſprochen werden.
„Der Weltenvater hat menſchliche Bildung angenommen, in
dem Sohne, damit diefer alle Jahrtauſende hindurch fey und
bleibe der jungfräufihsreine Leib, worin das innere
Element des Weltalls, der Vater, wohnt, (8.207)
„der Stein regt fihb und möhte Blume werden;
die Pflanze möchte, fich losreißend von ihrem mötterlichen
Boden, ſich zu der höheren Ausbildungsfiufe der Thiere ers
Heben“ u. |. w. (S. 290) Wenn man den Wein im Abends
mahl getrunfen hat, foll man von feiner Bänglichkeit, feinem
Irrthum mehr wiffen; es foll keine Sünde, keinen
Zwiefpalt, Pein Verderben mehr geben. „Die teifeften
AhnungendesBdfen follen verfhwinden; man fol
verfnäpft werden mit allen hohen edlen Seelen früherer Jahe⸗
hunderte, und ihr gerechtes Zärnen über das Gemeine fol
und ergreifen; wir follen das Bürgerrecht in der Natur und
Geſchichte erhalten; (mas das wohl feyn mag, das wie noch
nicht hätten?) das Abendmahl foll eine wahrhafte, ewige,
unauflöslihe Ehe mit der Natur feyn,“ ©. 300-—306)
and wie die Phrafen weiter lauten. Und auf wen es ‚nid
fo wirkt, der ift ein unwuͤrdiger Saft, Iebendigstodt, wahn⸗
Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze, 399
finnig x. (S. 308—3ı0). Ob wohl die Apoftel wärbige
Säfte waren ? frey von Irrthuͤmern waren fie wenigſtens nicht.
Was fagen endlich die Lefer zu folgender. Stelle (©. 294):
„Ihr umarmet in jedem Menichen : Leib die fleifch s gewors
dene Gottheit, und Eure giäubige Seele empfinde in jes
dem Kuß von geliebten Lippen die Gnade des Erläfere.
Endiich fend Ihr wärdig, aud in der einfamen Umarmung
eines liebenden Weſens, das heiligfte Wunder der Natur
durch und an Euch ſelbſt zu erfahren, und knuͤpfend das
hochzeitlihe Band, in der hoͤchſten und folgereihften
That, Euch als Achte Priefter der Marur zu bewähren, die
dee Genuß des gefegneten Brods fo reinigte und verflärte,
daß Ihr verdienet, die Natur auch in der tieffien Mitte ihres
Senne zu erfaflen, und mit der Fülle der edelſten
Lebenskraft aufs neue zu feyern das Sakrament
der unendlihen Liebe.“ — So etwas wurde im neuns
zehnten Jahrhundert, in Weimar, Öffentlich von der Kanzel,
vor einer vermifchten Verſammlung von SJünglingen, Mäns
nern, Jungfrauen und Weibern gepredigt, und follte für Chris
ſtenthumslehre gelten!! — Kaum glaublih, wenn man e6
nicht gedruckt laͤſe! Schwerlich kann es ein ſchrecklicher mars
nendes Beyſpiel geben, wie. der Mißbrauch der ſogenannten
Naturphiloſophie, und ihr Einmiſchen in das einfache Bibel⸗
Chriſtenthum, auch treffliche Koͤpfe zu Unſinn verleiten koͤnne,
fo daß das Wort Paulus, Roͤm. ı, 2a., an ihnen auf eine,
jedem Menfchenverftand einleuchtende, Art erfüllt wird. Daß
es eine folhe Warnungstafel werden möge, das war die Ur⸗
ſache, warum Dec. fi) mit dieſer Heinen Sammlung fo lange
beſchaͤftigt hat. J
Ueber dad Alter. In Briefen an einen Freund. Nach dem Franzoͤſi⸗
fen des Herrn J. H. Meifter bearbeitet von dem Verf. von
Eugenia’d Briefen. Winterthur, in der Eteinerfchen Buchhand⸗
fung. 1810.
Dieſe dem alten würdigen Salomon Hirzel von dem deuts
fhen Ueberſetzer, Heinrich Hirzel, Profeffor und Chorherrn
-am großen Muͤnſter zu Zurich geweihte Schrift it ein wuͤrdiges
Dentmahl der Achtung und Liebe eines jüngern Freundes, der
dem Altern fih daducch gefällig zeigen will, "daß er ihm dos
400 cher das Alter von dem Berk. von Eugenia’s Briefen.
Alter feld von einer intereffanten Seite darſtelt. Dem Berf.
diefer leſenswerthen Schrift, der dem Ueberſetzer einige Briefe
handſchriftlich mittheilte, die Ab im Franzoͤſiſchen Originale
nicht befinden, gereicht es zur Ehre, zu geſtehen, daß er die
bekannte Abhandiung des Cicero über den nämlihen Gegens
fland nicht eher, als nah Wollendung feiner Arbeit nachges
fehen und durchgeleſen habe. Nur auf diefe Weile if es möglich,
neue Anfihten einer Sache zu gewinnen, die der Betrachtung
um fo märdiger ift, als fie fhon das Nachdenken vieler dens
kenden Menichen vor uns befchäftiget hat. In der That ers
bielten wir auf diefe Weile einige Kapitel in dem vorliegenden
‚Werke, die weder von Cicero, noch von andern find berührt
worden, und das Ganze hat fi dadurch in der Behandlung
zu einem Originale vollfommen geeignet. Wahr iſt es aber
auch auf der andern ©eite, was der Verf. befcheiden zugibt,
daß, wenn man nach dieler Lectüre den alten Nömer wieder
zur Hand nimmt, man ſich trotz der weitern Umfaſſung des
neuen Schriftſtellers, und der unfern Anfihten und Beduͤrf⸗
niffen weit angemefinern. Behandlung des Gegenſtandes, doch
weit beruhigter fühle nah dem Lefen des Kicero, der auf der
“einen Seite die Schlagfchatten, die dem fchönen Helldunkel
zur Unterflägung dienen, welches einige dem Lichte abgewen⸗
deren Theile des Bildes verlieblichen foll, weite befier zu bes
-Handeln verfleht und z. B. uus auf feine Weife zu bereden
fucht, im Alter habe es mit dem Sterben feine Gefahr, oder:
Geiſt und Kraft in feiner lebengreichen Erfcheinung , fogar im
Geleite der Einbildungstraft, könne fih zumeilen in den ipäs
teften Jahren, wo nicht lebendiger und flärfer,, doch eben fo
lebhaft als in der Jugend erwieifen. — Auf der andern Seite
aber auch wieder gefliffentlih eine Menge von Vorforglichkeiten
und Verwahrungsmittein gegen die wahrfcheinlichen Unbequems
lichkeiten des Alters eben darum nicht berührt, weil grade in
diefer Zuräftung alle mißtrauiſchen Bedenklichkeiten liegen, die,
wenn man einen beruhigen und tröftlihen Blick aufs Alter
werfen will, weit von uns entfernt bleiben muͤſſen. Es mag
in diefer Hinfihe wohl wahr fern, was ein entfernter und
doch naher Geiftesverwandte in feinem Buche über. practifche
Lebensweisheit ung zu bedenken gibt: Nichts iſt mißlicher im
Leben, als bey feinen beflimmten Berdhäftigungen auf einen
noch entfernten Punct 'hinarbeiten, den man immer im Auge
behalten will, um nachher nicht zu bereuen, daß man feinen
Vorbedacht darauf genommen habe. Thue in jedem Augens
Blicke, was recht tft, fo. wirft du auch für den Fall, der
kanftig einmal eintreten kann, das vechtegethan haben.
EEE TREEESTEEBEnen
l
No. 96. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
D. nein Joſeph Horſch, Großherzogl. Würd. Medizinal⸗
rath, öffentl. ordentl. Lehrer der allgemeinen Therapie, Heilmit⸗
tellehre und Klinik an der Julius-Univerſitaͤt ?c. Handbuch der
allgemeinen Therapie als Leitfaden zu ſeinen Vorleſungen. Wuͤrz⸗
burg, bep Joſeph Stahel. 1811, VIII und 414 ©. 8. |
VWarpotosie und Therapie,* ſagt der Verf. diefed Handbu⸗
ches in der Worrede, „können in ihrer wiſſenſchaftlichen Vervoll⸗
fommnung nicht weiter fortfchreiten, als durch Anatomie und
Phyſiologie vorgearbeitet if. Sollen bloße Meynungen aus
der Therapie verbannt, und foll fie vollftändig und der Idee
des Lebens entfprechend dargeftellt werden, fo muß fie fi le
diglih an die Gefege des Organismus halten, indem fie aus
diefem die Weife deducirt, wie die durch das pathiologifche Geſetz
degebenen Veränderungen zur Normalität zurückzuführen ſeyen.
Ueber diefen Gegenſtand habe er fih vor einigen. Jahren im
erften Hefte feiner kliniſchen Annalen ausfuͤhrlich erklärt, und
bier habe er den Verſuch gemacht, die Therapie nach dieſen
Anfidyten zu bearbeiten.“ Nimmt man nun zugleich auf jene
Erklärung in den kliniſchen Annalen Ruͤckſicht, wo unter ans
deren (S. 19) gefagt wird, daß die Organonomie bisher der
Therapie ganz fremd geblieben ſey, oder nicht mehr als einen
bloß mehanifhen Einfluß, d. h. (mie der Verf. jagt) für
den Mechanismus mander Erflärungen, gehabt habe, daß die
Therapie, befonders die. allgemeine, als die eigentlich s Ärztliche
Theerie, ganz vernachläßiget ftehe, und daß die Indikation für
den Gebrauch diefer oder jener Methode aufzuftellen nichts heiße,
als die Therapie fchädlichen Schulbegriffen aufopfern, fo koͤnnte
man hier eine gänzliche Reform der Therapie erwarten, und
zu nicht geringen Forderungen an den Verf. ſich berechtigt hal⸗
sen, wenn man nicht an vielen unferer neueren Aerzte eine
ſolche Sene und — auch Verkennung deſſen, was
26
2 P. % Horſch Handbuch der allgem. Therapie,
von den, ihnen freylich oft wenig bekannten Vorgängern ger
leiſtet worden iſt, ſchon gewohnt waͤre. Mit wie viel mehr
Einfiht fowohl als Billigkeit Hat fih nicht der um die allger
meine Therapie wie um andere Theile der Medictn fo hoch⸗
verdiente Hufelamd in der Vorrede zu feiner allgemeinen
Therapeutif ausgedrädkt, indem er fage: „Bon jeher war «4
das Beſtreben ſelbſtdenkender Aerzte, die Medicin, als Unter—
ſuchung und Bearbeitung des lebenden Weſens, den Gefegen
des Lebens zu unterwerfen, ihre Negeln aus dieſen Geſetzen
abzuleiten, und fie fo, getrennt von den rein chemifchen und
mechaniſchen Naturwiffenichaften, als eine eigenehümliche ors
ganifhe oder Lebenswifjenfchaft darzuſtellen. Unverkennbar,
ame in verfchiedenen Formen ausgedrüdt, blickt dieſe Tendenz
aus den Schriften eines Baglivi, Stahl, Boerhaave,
5. Hoffmann, Gaubius, Haller, Zimmermann,
Eulen x. hervor, und wer die Worte von den Gacın,
den Geiſt von der Form zu unterfcheiden weiß, wird ſchon is
ihnen die Keime und Grundzüge unfrer jeßigen verbeſſerten
Theorie finden" u. f. w.
So gerne wir aber wirkliche Fortichritte der Wiſſenſchaſt |
anerfennen und anzeigen würden, fo Haben wir doch bey forgı
fältigee Prüfung diefer Schrift und Vergleichung derfelden mit
ihren Vorgängern durchaus nicht finden können, daß der Verf,
die Therapie durch Anfftellung neuer und wichtiger Grundfäge
bereichert oder eine reelle Verbeſſerung der bisherigen Curme⸗
thoden mitgetheilt Habe, Jeder mie der Litterarue der allen
meinen Therapie gehörig Vertraute wird hier die bekannten
. therapeutifhen Saͤtze, nur oft in die neuere Schulſprache eis
geBleidet und unter die jest bey vielen gewöhnlichen Rubriken
der Reproduction, Irritabilitaͤt und Senfibilität (wiewohl nidt
felten auf eine gezwungene Arc) vertheile finden. Wenn de
Verf. aber auch nicht die Abſicht gehabt Hätte, der Wiſſen⸗
ſchaft eine neue und verbefierte Geftalt au geben, fondern wenn
er blaß das Bekannte in einem guten Kompendium hätte dat
fielen wollen (was indeffen nach feiner obigen Erklärung nicht
anzunehmen ift ), muͤſſen wir wieder offen geflehen, daß wir
ihm aüch in dieſer KHinficht eine befonderen Vorzüge einräumen
tönnen , Indem in Anfehung der Anordnung und Ausführung
\
8. 3. Horſch Handbuch der allgem. Therapie. 403
der einzelnen Gegenſtaͤnde fe Manches gu erinnern iſt, weren
wir nur Folgendes hier ausheben wollen.
Ein Hauptfehler diefer Schrift, in fofern fie «in Com—
pendinm ſeyn fol, ift nach unferer Ueberzeugung der, daß He _
feine auagewählte Litteratur enthält. Es find (S. 1-4)
nur die allgemeinen Schriften über Therapie angeführt werden,
dagegen die Litteratur der einzelnen therapeutifhen Materien
durchans fehlt. Aber felbft jene-allgemeine Litserame iſt ſehr
dürftig und fehlerhaft angegeben. So nennt der VWerf.
unter den Alten wur den Hippokrates, Salenus md
Aleramder von Tralles. Lebterer gehört aber cher zur
fpesieflen Therapie, und es mußten dagegen hier wenigſtens
noch Celſus, Caelius, Aurelianus und andere We
thodifer genannt werden. Auch Hätten flatt mehrerer Alterer
Compendien, die in einem Werke, was keine vollſtaͤndige Lits
teratur enthalten foll, nicht angeführt zu werden brauchen,
noch manche. Werke, welche eigne Syſteme enthalten, als die
von Daracelfus, von v. Helmont rc. angeführt werden
muͤſſen. Außerdem fällt- es befonders auf, daß der Verf. währ
rend fo manche unbedeutende Schriften von ihm genannt wor⸗
den find, die ſchaͤtzbaren Werke von Johann Zunder
(Conspect. therap. general.), Hebenftreit (Palaeologia
therapiae), Adermann und Ploucquet gan Abergan⸗
gen nn
Die $. 5. vorkommenden phyſiologiſchen Vorbegriffe haͤt⸗
ten —— kuͤrzer angegeben und groͤßtentheils, wie z. B.
das hier unnoͤthige Detail von der Inſalivation, Deglutition,
Chymification ꝛc., als aus der Phyſiologie bekannt vorausge⸗
ſetzt werden koͤnnen. Uebrigens folge der Verf. bier ganz
denen Phnfiologen (Walther zc.), welche als Grundfunctio⸗
nen Meproduction, Irritabilitaͤt und Genfibilität annehmen,
einge mit dieien die Reſpiration und thierifche Wärme unter
die Verrichtungen der Irritahilitaͤt, und gibt hiernach auch Die
son ihm fogenannte arterielle Stimmung (welche dem ents
zuͤndlichen Zuftande oder der Synocha entipricht) für eine
Veränderung der irritablen Organe aus, fo wie er auch die .
krankhaften Veränderungen der Temperatur unter die der Ir—⸗
ritabilitaͤt bezieht. Ob indeſſen die Reſpiration mit Mecht bloß
44 P. 3. Horſch Handbuch der allgem. Therapie,
umter die Verrichtungen der Irritabilitat gebracht wird, moͤchtt
fehr zu bezweifeln ſeyn. Es können wenisfkens die dabey Btatt
findenden Aeußerungen der Irritabilitaͤt die Nichtigkeit jener
Saffiication nicht beweifen, indem die Irritabilitaͤts⸗Aeuße⸗
rungen aud in anderen ohne Zweifel zur Reproductien bes
flimmten Drganen, z. B. dem Darmcanale, vorkommen (wie
denn and) der Berf. ( $. 115.) ſelbſt ſagt, daß diefe Function
ͤberall mit den Übrigen verfchlungen fey). Und wenn mas
den Einfluß der Nefpiration auf die Blutbereitung berädfihı
tigt, und wenn das Blutſyſtem ohne Zweifel ein Hauptipkem
der Reproduction ift, muß jene Claſſification um fo einfeitiger
orſcheinen. Sehr willkuͤhrlich iſt es auch, die thieriſche Wärme
ats eine Werrichtung der Sjrritabilitäe anzufehen. Biel ange
meſſener haben überhaupt andere neuere Phpfiologen die Ber
richtungen in Verrichtungen ‚des vegetativen und Werrichtungen
des fenforiellen Lebens eingetheilt, wobey man dann die bey
den einzeinen Verrichtungen hervorfichenden Aeußerungen de
Irritabilitaͤt 2c. doch wohl unterfcheiden kann. Aus allem bier
fem erhellet nun aber auch), wie wenig es für fih hat, wenn
die fogenannte arterielle Stimmung (der entzündliche Zuſtand
oder die Synocha), die Fieber und Entzündungen bloß fr
Krankheiten der Srritabilität erklärt werden.
Der erſte Abſchnitt handelt von der Diagnoſe
und Prognofe. Bey der Lehre von der letzteren wird
6. 250 fg. behauptet, daß es keine Heilungen gebe, wo bloß
die natürlihe Kraft des Organismus die Krankheit beſiege,
ohne daß zugleich äußere Einflüe einwirkten, weil der Menſch
flets und nothwendig äußeren Einflüffen ausgefegt ſey. Frey
ih if dee Menich immer Äußeren Einfläffen, und oft auf
ſolchen, die auf feine Krankheit einen günftigen Einfluß haben,
ausgefeßt. Es ift aber laͤngſt von Anderen mit Recht bemerft
worden, daß die Heilung durdy die Natur allerdings auch in
hoͤchſt fchlimmen Fällen bewirkt worden ift, wo die aͤußeren
Einfläffe wenigſtens fo wenig günflig waren, daß man ihnen
feinesweges die Heilung: zufchreiben konnte. — Bey der Mei
taftaje foll nad $. 262. keine Wanderung eines Stoffes anym
nehmen feyn, weil fie felbfi bey Krankheiten Start finden
könne, bey nun die Mifchungsveränderungen fecundär oder
V. 3. Horfch Handbuch der allgem. Therapie. 405
von der Art feyen, daß fie nicht in die Wahrnehmung fallen.
Altein dies beweiſſt bloß, daB nicht jede Metaſtaſe materiell
iR, wie freylich tängft Andere gezeigte haben. Die wichtigſten
für ‚die materiellen Metaftafen angeführten Beobachtungen und.
Strände hat aber der Verf. gar nicht beruͤckſichtigt. Nenn er
insbefondere $. 266. fragt: Warum hat nicht das beftehende
Zußgeichwär ein antagoniflifches Organ zur Krankheit hervors
gerufen und warum das zugeheilte ? und wenn er dabey meint,
daß Hier bloß auf die Unterdrückung einer Prankhaften Ser
und Excretion zu fehen fen, fo fcheint er die von den glaubs
würdigften Beobachtern angeführten Fälle nicht gekannt zu
haben, wo bey Fußgeſchwuͤren oder Geſchwuͤren der Arme ıc.
Auswurf von Eiter aus den fonft durchaus nicht verlehten Lun⸗
gen erfolgte, nach Befeitigung der Duelle des Liter durch
Imputation ꝛc. aber alsbald aufhoͤrte, u. f. w.
Der zweyte Abſchnitt iſt uͤberſchrieben: Theorie
der Heilkunſt, und handelt von der Heilung uͤberhaupt,
dem Heilplane, den Curregeln, Gruͤnden der Curregeln, Cur⸗
methoden und Heilmitteln, und der Verpflegung der Kranken.
In dem dritten Abſchnitte, welcher die Ueberſchrift:
Theorie der Heilung hat, und auch eine allgemeine
Ueberſchrift der Curmethoden und Heilmethoden enthält (wobey
wohl Manches kürzer gu faſſen und unter einfachere Geſichts—
punste zu ſtellen, Manches, zum Theil nachher nocd näher zu
berübrende, zu berichtigen wäre), behauptet der Verf. mit
Recht, daß die von vielen Naturphilofophen angegebene Ab⸗
theilung der Heilmittel nad den letzten Stoffen, auf welde
die Chemie zurücdgehen kann, nod für bloß hypothetiſch zu
Halten und vor der Hand noch nicht in die Therapie einzufuͤh⸗
ren fey. Dagegen möchte bey ſeiner Eintheilung der Mittel
($. 462 — 465.) auh Manches noch für unerwiefen und hoͤchſt
hypothetiſch zu haften jeyn. Wodurch iſt e8 5. B. erwieſen
ader nur mwahrfcheinlich gemacht, daß die Metallkalke bloß die
Neforbtion anfprehen? Aendern "die Neutral⸗ und Mittels
falge, fo wie die Metallfalge nur die Serretion um? Iſt die
antiphlogiftifhe Kraft des Salpeters ꝛc. Hierdurch erklaͤrt?
(Nach $. Bra. follen die Salze freylich auch die Thaͤtigkeit der
Arterien umftimmen und den Faferftoff im Blute umändern,
506 8. %. Horſch Handbuch der allge. Therapie,
woran der Verf. indeffen bey jener früheren Elaffificatten nit
gedacht zu haben fheint.) Können die adfiringirenden Mittel
umd das Eifen, welche effenbar auch einen vorzäglichen Einfluß
auf irritabfe Organe haben, bloß als folde ‚tetrachtet werden,
welche die Affimilation umändern ? u. f. w.
An dem vierten Abſchnitte, wo von ber Entfer
nung Der Hinderniffe der Heilung gehandelt wird,
Hat der Verf. ſich felbft auf das Detail des Ausziehens frems
der Körper aus dem Speiſecanale, der Luftröhre ꝛc. der Be
handlung der Brüche, Knochenbruͤche, Eiterung, Geſchwuͤre x.
eingelaffen. Ob died hier nöchig und am vechten Orte war,
möchten wir ſehr bezweifeln. Wollte man hier irgend auf
führlih und gruͤndlich ſeyn, fo würde ein großer Theil der
Chirurgie und fpeciellen Therapie hierher gezogen werden maͤſ⸗
fen. Auch find offenbar viele von diefen Gegenftänden nicht
ale bioße Hinderniſſe der Heilung, fondern als wirkliche
Keankheit:n gu betrachten und ſchon um deswillen an anderen
Orten abzuhandeln.
Bey dem fünften Abſchnitte, wo die augle'erchbe
Methode nah der gemöhnlihen Ordnung abgehandelt wird,
‚bemerken wir unter andern Folgendes. Daß das kuͤnſtliche
Erbrechen bey dem Keichhuften gang contraindicire fen, -wie
6. 561. gefagt wird, möchte doch zu bezweifeln feyn,. wem
auch dies Mittel von Manchen zu allgemein. bey diefer Krank:
heit ernpfohlen worden if. — 6. 568. iſt die Efelcne mit
wirkliches Erbrechen erregenden Mitteln nicht ſchicklich zuſam⸗
mengeftelet worden. — Ben der Lehre von dem Blutentziechen
Hat der Verf. ($. 617.) mit Recht bemerkt, daß fehr viel
von der Stelle abhänge, an welcher die Aderlaß vorgenommen
werde, aber dabey vergeffen , ſich näher darüber auszulaſſen,
wie es doch die Wichtigkeit diefes Gegenſtandes erforderte,
Der fehste Abſchnitt hat die Ueberſchrift: Umäns
derungen in den erften Wegen und den Säften,.
und es werden darin abgehandelt die Segengifte, Adforbtion
und Einhällung fremder Stoffe, die auflöfende, anfeuchtende,
verbünnende,, erweichende und austrodnende Methode, die
Umänderung der Reforbtion und Gecretion und die allgemeine
Umänderung des Blutes und der Säfte. Daß aber jene Ueber⸗
—
V. J. Horſch Handbuch der augem. Therapie. 407
ſchrift niche paſſend ſey, indem manche diefer Methoden fich
befannttich nicht bloß auf die erfien Wege und die Gäfte bes
jiehen , bedarf kaum bemerkt gu werden. -
Der fiebente Abſchnitt handelt von der Umändes
rung der irritablen und fenfiblen Organe Es
iR darin befonders die fo wichtige antiphlogiſtiſche Methode
($. 812.). gu dürftig dargeſtellt, und es iſt mancher dazu ges
höriger wichtiger Mittel, als der Pflangenfäuren, des Sauer⸗
honig-3 2c., der erfchlaffenden oder erweichenden Mittel, hier
gar nicht gedacht, audy nicht die nach dem verichiebenen Grade
des entzündlichen Zuftandes erforderliche Kinrichtung jener Mes
‚ thode angegeben worden, welches Letztere doch für Anfänger
fehr wichtig if. — Die antagonififche Methode wird auch
niche ſchicklich bloß unter der Rubreit: Umänderung der irri⸗
tablen und ſenſiblen Organe, abgehandelt, da ſie ſich auch auf
andere Theile bezieht, wie der Verf. (6. 871.) ſelbſt bemerkt,
und eben ſo fragt es ſich, ob es bloß bey dieſer Methode der
ſchickliche Ort war, von dem thieriſchen Magnetismus, ber
Electricität und dem Galvanismus zu handeln, da diefe doc)
wohl nicht bloß oder vorzugsweiſe antagoniftifch wirken. Uebri⸗
gens kann auch das Nähere von der Anwendung dieſer und
anderer Hier abgehandelter Mittel der Argneymittellehre, wenn
man diefe nicht Überhaupt mit ber Therapie verbinden will,
überlaffen werden.
Am achten Abfhniite wird noch von der Reguli⸗
rung der gewähnlihen Lebenscinftäffe. gehandelt.
Hier vermiffen wir unter andern befonders bey dem über bie
Nahrungsmittel Sefagten eine genaue Beruͤckſichtigung des
Sinftinctes oder befonderen Verlangens der Kranken zu gewiſſen
Dingen, $. 926. aber, wo von zweckmaͤßigen Bewegungen
die Nede ift, die Beruͤckſichtigung des Hochathmens, auf defs
fen Wichtigkeit in neueren Zeiten befonder von Densier
anfmerffam gemacht worden iſt.
Webrigens ift der Druck diefer Schrift durch eine große
Menge von Fehlern entſtellt worden.
Eonradi.
408 Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn.
Enschiridion Hermeneuticae generalis tabularum veteris et novi.
. Foederis. Authore (auctore) Jahanne Jahn, Philos. et
Theol. Doct. Eccles. metropol. ad S. Stephanum Viennae
Canon. capit. Afchiepisc. consistori consiliar. olim L. L.
O. O. Archaeol, bibl. introd. in V. T: et dogm. Prof Caes,
Reg. P. et O. Viennae 1812. In liıbraria Camesina. VIIL
188 ©. in 8.
Bereits vor at Jahren ( 1805) hatte Hr. ». Jahn,
ats er noch Profeffor der Orientaliſchen Sprachen u. ſ. w. an
der Univerſitaͤt zu Wien war, ein Lehrbuch der allgemeinen
Hermeneutik des A. und N. Zeflaments völlig zum Drude
ausgearbeitet, und dte nahe Erfcheinung deſſelben öffentlich ans
gekuͤndigt. Indeſſen waren Umflände eingetreten, welche die
Herausgabe deſſelben verhinderten, wozu noch kam, daß Hr.
D. Zahn im Jahr 1806 feine Lehrftelle an der Univerſitaͤt
. mit einer andern Beſtimmung vertauſchte. Er änderte daher
fein Vorhaben, die Hermeneutik herauszugeben, nnd legte
das Manufcript davon in feinen Pult zuruͤck, um es hier
feinem Schickſale zu Überlaffen. Allein es gelangten der Ans
forderungen und Aufmunterungen, die Hermeneutik in den
Drud zu geben, fo viele und -fo bedeutende an ihn, daß
er denielben nicht glaubte länger widerfiehen gu dürfen. Er
nahm das Manuſcript wieder vor, fand aber bey Durchles
fing defielben, daß er es in derjenigen Geſtalt, die er ihm
ehemals gegeben hatte, nicht mehr könne erfheinen Laffen.
Dies bewog ihn, das Buch ganz umzuarbeiten, und daffelbe, da
es vorher bloß zum Leitfaden bey Morlefungen dienen foßte,
jebt fo einzurichten , daß es auch zum Privatgebrauche nuͤtzlich
wäre. Und bierauf bezieht. fih der Titel deſſelben: Enchiri-
dion. Um Wiederholungen zu vermeiden, faßte er darin die
allgemeinen Regeln der Hermeneutik, welche ſowohl auf das
N. als auf das N. Teſtament anwendbar find, zuſammen,
und erläuterte fie, um das Verſtehen derielben gu erleichtern,
mis zweckmaͤßigen Beyſpielen, jedoeh mehr aus. dem U. alß
aus dem N. Teſtamente. Auch einige auf die dogmatiſche
Theologie ſich beziehende Beyſpiele nahm er auf, um zu geb
gen, wie wichtig die Hermeneutik für die‘ theologiſchen
en fen. .
Enchiridion Hermeneuticae auct, Jahn. 409
Die Einleitung, welche unter der Ueberſchrift: Praelimi-
naria Hermeneuticae, vorangefchickt ift, beſtimmt zuerſt ($. 1.),
was es heiße: einen Sceiftfieller verfiehen, und was alles -
zum Verftändniffe deffelben erforderte werde, mit befonderer
Ruͤckſicht auf Schriften aus dem Alterchume, und unter diefen
vorzüglich auf die heilige Schrift, wobey zugleich fehr richtig
die Urfachen angegeben find, warum Schriftfieller aus dem
Alterthume ichwerer gu verftehen find, als neuere Schriftſteller.
Der Zweyte $. handelt vom Auslegen ( interpretari ), wels
bes nah Hrn. D. Jahn zerfällt in das Weberfeßen ( ver-
tere), und in das Erflären (enarrare ), und von den Er—
forderniffen einer guten Ueberſetzung und Erklärung, wovon
die letztere nah Hrn. Jahn feyn muß 1) grammatifch;
8) hiſtoriſch; 3) Hifkorifch : eheologifh. Dagegen wird ſowohl |
die mythiſche, als auch die pinchologifche und moralifche Auss
fegung der Bibel in einer diefem $. angehängten Anmerkung
verworfen. Weber bie erflere wird folgendes Urtheil gefällt:
interpretatio mythica, quae veritatem historicam facto» _
rum extraordinariorum V, et N. F. tollit, superstruitur
analogiae aliarum gentium, quarum antiquior historia est
mythologica, acsi Hebraicae genti nihil esset privum,
cum tamen nemo non. videat, ei etiam 'alia quam plu-
rima. esse peculiaria. Allein ein Volt kann mehreres ihm
Eigenthuͤmliches haben, wie denn wirklich faſt jedes Wolf feine
Eigenthuͤmlichkeiten hat, und dabey doch darin mit andern
Völkern übereinfommen, daß feine frühere Gefchichte in Diys
then gehälls iſt, woraus es oft ſchwer ift, die eigentlichen His
ſtoriſchen Facta, die dabey zum Grunde kiegen, herauszufinden.
Es laͤßt ſich vielmehr fragen, Sobald man fih nicht an bie
Dogmatik binder:. da die Wrgefchichte aller alten Voͤlker mys
thiſch iſt, warum follte allein die Lrgefchichte des Hebraͤiſchen
Volkes nicht mythiſch feyn, von dem dies wegen feines hohen
Alterthumes um fo mehr zu vermuchen if? Herrn Jahns
Urtheil Über die pſychologiſche Erklaͤrungsart uͤberlaſſen wir
den Leſern ſeiner Hermeneutik ſelbſt nachzuſchen. Der Ste
und 4te $. handeln von der Natur, dem Nutzen und der
Mothwendigkeit einer bibliſchen Hermeneutik, die in der Ans
merkung zu $. 4. beſonders gegen diejenigen Lehrer der katho⸗
410 Enchiridion Hermenenticae auct. Jahn.
liſchen Kiche in Schutz "genommen wird, welche behanpten,
man möffe ſich wegen der vielen mit einander fireitenden &xs
Härungen der Bibel an die Tradition halten, woben die rich⸗
tige Bemerkung gemacht wird, wenn dies gefchehen foHe, fo
bedürfe es, um auszumitteln, ‚welches eigentlich aͤchte Tradis
tion ſey, einer neuen patriftifchen Hermeneutik, da die Kirchens
väter, die Aufbewahrer der Tradition, oft eben. fo fchwer und
Öfters noch fchwerer zu verfichen ſeyen, als die Bibel ſelbſt,
und dann möchte es noch mehrere verfchiedene Meynungen
hierbey geben, als bey der Erklärung der Bibel. Bey der
6. 5. gelieferten Geſchichte und Litteratur der biblifchen Kers
menentit vermißte Rec. ungern Morus Acroases academicae
super Hermeneutica N. T., herausgegeben von Eihftädt,
und Keils vorzügliches Lehrbuch der Hermeneutik des NR. T.
(Leipzig 1810.) nebft der nachher davon erfhienenen Lateinis
ſchen Ueberſetzung. Bon den fieden auf diefe Einleitung fols
genden Kapiteln handelt das erfte von $. 6—ıd. de sensu.
Herr D. Zahn unterfdheidet $. 6. notio, Begriff, und
sensus, ®inn; jener fomme einzelnen Wörtern zu, dieſer
gehe aus ganzen Saͤtzen hervor, und fey das gegenfeitige
Verhälmiß der Begriffe, welche ein Schriftftellee mit Worten
bezeichnete. Einen Unterſchied zwiſchen sensus literae und
sensus literalis e:tennt Hr. D. Jahn nicht an, da nad
der Natur der Lareiniihen Sprache beyde Ausdräde ſpnonym
feyen. Eben fo wird die Annahme von mehr ats Einem buch—⸗
fäblihen Sinne in ber Heil. Schrift $. g. mit Recht beftrits
ten, nur bey Weiffagungen wird ein doppelter Sinn zugegeben,
ein fubjectiver und dunkler, der dem Geiſte des Weiſſa⸗
genden vorfhwebte, und ein objectiver, den die Gottheit
Bey ihrer Offenbarung durch Weiffagungen zum Zwede Hatte,
und der erſt in der Folge durch die Erfüllung der Weiſſagun⸗
gen vollkändig eingefehen wArde (qui a Deo revelante in-
tendebatur, et demum complemento historiae pandelsatur).
- Richtig wird $. 10. bemerkt, daß die ercgetiihe Wahrheit
eines Sinnes nicht mit defien reelle und objectiver Wahrheit
verwechfele werden dürfe. In Beziehung auf diefe Bemerkung
werden nun $. ı2. gute Norfchriften über das Verhalten des
Eregeten bey Stellen, deren Sinn exegetiſch wahr und richtig,
aber fonft Schwierigkeiten unterworfen if, gegeben, fo wie
das, was $. 7. und 8, über den Sprachgebrauch als ein Mit⸗
tel, den wahren Sinn zu finden, geſagt ift, viel Belchrendes
enthält. Im 6. 14., welcher von dem mittelbaren oder ſym⸗
bolifhen ( myſtiſchen, typiſchen) Sinne handelt, wird die
Eintheitang defielden in einen allegorifhen, anagogis
ſchen und tropologiſchen als unbibliſch und unlogiſch
Enchiridien Hermeneuticae auct. Jahn. 411
verwerfen, jedoch wird $. 25. ein unmtttelbarer Sinn zuge⸗
geben, und aus Stellen der Heil. Schrift erwieſen, und die
Kennzeichen deſſelben $. 16. angegeben, Accommobdationen in
egegetifcher Hinficht werden $. 17. zugeftanden,, aber auch' nur
in dieier, wicht in dogmatiſcher Hinſicht. Dies veranlaßte
Heren Zahn noch einmal auf die von Kant porgefchlagerre -
morafifehe Erflärung der heil. Schrift zuruͤck zu kommen über
die er ſich $. 18. auf folgende Art Außert: per vagam, ar.
bitrariam et violentam tractationem hanc s. scripturae,
quae nüllis regulis coercetur, quaecunque imaginationis
somnia et portenta sacris libris adfıngi possent, et ip
eorum auctoritas in gravissimum diserimen adduceretur.
Doh geſtattet Hr. Jahn dem practiihen Neligionsiehrer,
an folhe Stellen der heil. Schrift, welde an .fih nicht mos
raliſchen Inhaltes find, einen moralifhen Sinn anzufnäpfen.
Dies ſey immer geichehen, und könne auch nicht eigentlich
Erfiärung genannt werden. Das zweyte Kapitel, weiches de
contextu orationis, substrata materia, consilio authoris
(fo fhreibt Hr. Jahn immer flatt auctoris), aliisque ad-
functis handelt, enthält: nicht weniger näßlihe Belehrungen
über dieſe Gegenflände. Zuerfi wird 6. 29. der contextus
eingetheilt in einen proximus, remotus und remotior, und
eine jede diefer Arten von Zufammenhang der Rebe erklärt.
Dann wird $. ao. die Beweiskraft des Contextes auseinander⸗
gefeßt, und 6. 2ı. die befländige Vergleihung deſſelben ems
pfohlen. Hierauf werden $. oa. Borfchriften gegeben in Bes
ziehung auf den Zuſammenhang zweydeutiger umd wichtigerer
Sibelſtellen, und von: 6. 23. bie a6. wird gezeigt, welche
Ruͤckſicht der Erflärer auf den Zwei des Scriftfiellees, auf
die Veranlaffung zu feiner Schrift, auf den Gegenſtand, wor
mit er fi beichäftigt, umd auf die Übrigen Umflände zu nehmen
habe, weiche biebey in Betrachtung kommen. Das dritte Ras
pitel gibt von $. a7. bie 3a. Anmeifung über den Gebrauch
und die Benutzung dee Parallelftellen bey der Erklärung der
heit. Schrift, wie dieſelben aufzufinden, welche Vorſicht bey
Vergleichung derfelben anzuwenden, und welche Fehler befons
ders bey Wergleihung von Parallelſtellen aus andern Schrift⸗
fleflern zu vermeiden fenn. Dann wird unterfuht, was es
mit den in dem N. T. angeführten Stellen des A. T. für
eine Bewandtniß habe, und in wiefern die Analogie des Glau⸗
bens und der Lehre zur Erklärung der heil. Schrift zu benutzen
ſey. In Vegiehung auf Stellen ans Profanſchriftſtellern,
weihe Häufig zur Erklärung bibliſcher Stellen angeführe wers
den, fagt Ar. Jahn 6. 50.: phrases alierum linguarum,
quae prorsus nullam habent cum linguis Biblicis et cum
412. EEinchiridion Hermenenticae — Jahn.
rebus in Bibliis commemoratis connexionem, sensum s#4«
crae $cripturae nequaquam probare, sed duntaxat inter-
dum aliquatenus illustrare possunt. Rec. feßt hinzu: de
Häufig die nämlichen Wörter und Phrafes in den Profans
fhriftftelleen eine ganz andere Bedeutung und einen ganz ans
dern Sinn haben, als in den Schriften des A. und N.
Zeftamentes, fo bat fi der Bibelerklärer um fo mehr zu hüs
ten, ſich duch dergleichen aͤhnlich oder gleichlautende, aber
etwas ganz anders amdeutende Wörter und Phrafes nicht irres
führen zu laffen, ein Fall, in dem. fih Häufig die Verfaſſer
von fogenannten animadversionibus ex auctoribus profanis
ad illustrandos libros sacros befanden. Was die aus dem
4A. T. in dem N. T. citirten Stellen betrifft, fo gibt Herr
Jahn in $. 3r. im Allgemeinen die Regel, sola ılla V. F.
loca, in N. F. allegata, censeri proprie explicata, I. ex
quibus argumentum positivum. et absolutum ad compro-
bandam omnibus lectoribus vel auditoribus veritatem du-
citur, et II. quorum sensus in contextu orationis A. F.
ex legibus interpretationis prorsus idem, etsi. fortasse
minus sublimis, esse comperitur. Als eigentliche Parallels
fielen läßt er jedoch keine aus dem A. T. in dem MN. T.
angeführten Stellen, und zwar mit Recht, gelten. Es kann
aus ihrer Anführung höchftens erkannt werden, wie man fie
zu den Zeiten des N. T. verfiand, und welden Sinn mar
ihnen beylegte, jund das nicht einmal immer, da fo Häufig
telien des A. T. in dem N. T. auf gang andere Gegens
flände angewandt werden , als diejenigen waren, von melden
fie eigentlich handeln. Daher auh Kr. Jahn alle die in
dem N. T. angeführten alttefiamentlichen Stellen, melde
nicht unter den von ihm durch die eben angeführte Negel
genauer beflimmten altteftamentlihen Stellen begriffen find,
zu den exegetifhen Accommobdationen zählte. Wenn noch außen
‚dem 6. 39. der Analogie des Glaubens und Ider Lehre, wie
diefe im Ganzen in der heil. Schrift und in den erfien kirch⸗
lichen Schriftftellern nach den Apoſteln und Evangeliften ent
halten ift, nebft den Paralleifiellen, ein befonderes Gewicht
beygelegt wird, fo geichieht dies keineswegs in der Abſicht,
die Lehrfäge ider Kirche und der Dogmatik zur Regel ımd
Richtſchnur der Erflärung der heil. Schrift zu machen, fon
dern Hloß in fofern fie der Erklärung dogmatifcher Stellen zur
‚Beftätigung dient. Longe absumus, fagt in diefer Nüdfiht
Kr. Jahn, ut ad authoritatem ecclesiae catholicae,(de qua,
ubi Hermeneuticam tractamus, sermo esse nequit, pro
vocemus, sed testimonium duntaxat antiquissimorum ec
clesiae doctorum de sensu locorum dogmaticorum urgemuß.
Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 413
Daß übrigens die Art und Welle, wie dogmatifche Stellen
von den erſten Kirchenlehrern verflanden wurden, allein fiir
den Eregeten kein Grund ſeyn dürfe, fie eben fo zu verfiehen,
wird gewiß jeder Lnbefangene gerne zugeben. Kr. Jahn
felöft deutet darauf hin, wenn er. den 6. von der Analogie
des Glaubens mit folgenden Worten fchließt: In usu her-
meneutico analogiae doctrinae duo extrema, utpote vitia
aequalia, vitanda sunt: primum quidem, ne locis sacrae
scripturae tribuatur sensus illi analogiae doctrinae oppo-
situs; dein ne e contrario verbis sacrae scripturae, ut
‚huic analogiae conformentur, vis inferatur, .quod esset
sacris. libris inferre sensum, qui ex ipsis efferendus fuis-
set. Mach diefen genauern Beflimmungen des Gebrauches
der Analogie des Glaubens bey der Erklärung der heit. Schrift
wird fich denfelben auch der Proteflant gerne gefallen laſſen,
und nichts Erhebliches dagegen einzuwenden haben, wenn er
ihm auch gleich niche das Gewicht beylegen follte, den ihm die
katholiſche Kirche beyzulegen pflegt. Er wird menigftens von
ihm. keine Beſchraͤnkung der nöthigen Freyheit bey Unterfuchung
und Feſtſetzung des Sinnes bibliſcher Stellen färdten, noch
fih durch ihn verleiten laffen, von den übrigen Mitteln zur
Erklärung der heil. Schrift nicht den gehörigen Gebrauch zu
machen. Regeln über die Erkennung und eregetifhe Behands
lung der Tropen in der Bibel, wohin auch die Allegorien,
Bilder, Gleichniſſe und Fabeln gehören, gibt das vierte Kas
pitel von $. 535. — 40. In dem fünften Kapitel, welches von
$. 41. bis 46. von den Emphafen handelt, find die Kenngeis
hen, wodurch fih wahre Emphafen von Frdichteten untericeis
den, vorzüglich gut angegeben ($. 44. und 45.). Das fechste
Kapitel befchäftige fi mit den in der Bibel vortommenden
anfcheinenden Widerfprühen, und der Art und Weiſe, fie zu
heben (von $. 46. bi8 55.) Da Herr Zahn von dem
Srundfage ausgeht, daß die Bibel ein göttlich infpirietes Buch
ſed, To ift es natürlich, daß er auch keine wirklichen Widers
ſpruͤche darin darf Statt finden faffen. Er zeigte daher, wie
Die Widerfprühe in den bibliſchen Schriften mit Huͤlfe der
Kritik oder der Hermenentit zu heben feyen. Ungeachtet bey
einem minder fireng dogmatifchen Begriffe von der Inſpiration
Der heil. Schrift daran gezweifelt werden kann, daß fie fich
‚auch auf die Vermeidung aller Widerfprüche in der Bibel ers
ſtreckt habe, wenigſtens ſolcher, von welchen fein wefentlicher
Theil der Religion abhängt, fo iſt es gleichwohl die Pflicht
des Eregeten , zu verfuchen, die wirklichen oder anfcheinenden
Widerfprähe zu heben, und des Hermeneuten, zu geigen,, wie
dies am beſten geichehen könne. Die Anweifungen, welche Hr.
!
dia, Eichiniken Hermenentioas-auct; Tahn-
Hahn dazu gibt, wird daher jeder eben fo nothwendig afs
zweckmaͤßig finden. In dem fiebensen und lebten Kapitel,
welches von $. 54—7ı. de audiendis et legendis interpre-
tibus et de exercitatione hermeneutica handelt, werden
zuerſt Borichriften über die von dem angehenden Eregeten ans
zufiellenden Uebungen in der Erklärung der Heil. Schrift ertheilt;
dann folgt eine kurze Ueberſicht der vorzuͤglichſten jüdifchen und
chriſtlichen Erklärer der Bibel aus der Altern und neuen Zeit,
mit treffenden Bemerkungen über ihre Vorzüge und Mängel,
Hierauf wird gezeigt, welcher Gebrauch von den vorhandenen
Kommentaren und Erklärungen. der Bibel zu machen fey. Ends
lich werden angehenden. Exegeten. eigeue Uebungen im Inte
pretiren, ſowohl iin Leberfegen, als auch im Erklären und
Paraphraſiren und Analyſiren bibliiher Schriften als vorgägs
lich nüßlich empfohlen, um fich gu guten Eregeten zu bilden.
MMach diefer Inhaltsanzeige des wor uns. liegenden wen.
Handbuches der biblifchen Hermeneutik halten wir es für üben
fluͤffig, moch etwas zum Lobe und zur Empfehlung defielben
hinzuzufügen. Kerr Jahn, ber ſchon durch mehrere Schi
ten feine grändlihe Gelehrſamkeit bewährte, und um das
Bibelſtudium fi) vorzügiiche Verdienſte erwarb, hat ſich un
Kreitig dur die Herausgabe jenes Handbuches ein neues Ber
dienft erworben. Es ift eine erfreutihe Erfcheinung, wenn
Maͤnner, wie Hr. Jahn in Wien und Hr. Hug in Fre
Burg, mit einander in der Vefdrderung grümdlicher theologiſcher
Keuntniſſe unter Katholiten und Proteftanten wetteifern. Wenn
aud die Jahniſche Hermeneutik nichts enthält, was nicht ſchon
in mehrern von Prdteflanten verfaßten Hermeneutiken, wor
hin die. Hermeneutiten von Bauer, Meyer, Seiler und
andern für das A. und N. Teſtament, und die von Ernefi,
Bed und Keil für das N. T. gehören, vorgetragen mordes
wäre, ſo ift doch unter den von Katholiken bisher verfaßten
Lehrbüchern der Hermeneutik keines demfelben gleich zu feßen,
und ſelbſt der Proteſtant wird darin viele nüßliche NWorfhrifi
ten und treffende Winke finden. Es if daher gewiß für uw
fere Lefer keine unangenehme Nachricht, wenn wir ihnen dr
baldige Erfcheinung der fhon vor mehrern Jahren von Hr.
Sahn verfprochenen eregetifchen Abhandlungen. über. dogmati⸗
fche Hauptitellen der Bibel, verbunden mit Erklärungen der
im 4. T. befindfichen Meiffagungen auf den Meffias, ankän
digen, wozu er am Schluffe feines hermeneutiihen Handbuches
die. gewiffe Hoffnung macht, fo wie es, ungeachtet des treffls
shen Hebraͤtſchen Wörterbuches von Geſenius, das wir nut
beſitzen, zu bedauern ift, daß Hr. Jahn die Ausarbeitung
Ueber Spittier von Bland, Heeren und Hugo. 415
Ines aͤhnlichen, früher fchon v bräi⸗
fen ea ante een Hat. ihm angefangenen He r
Le
1) Ueber Spittler als Hiſtoriker. Bon Dr. ©. J. Planck.
, Göttingen ‚bey Er und Ruprecht. ı811. = & 8.
3) Spitrtler. Bon Heeren nnd Hugo, nebk einigen _Anmere”
kungen eined Ungenannten. Aus dem Baterländifhen Muſeum,
Dem civiliftifden Magazine und dem Morgenblarte zufammen abs
gedrudt. Nebſt einem Gac Simile. Berlin, bey Auguſt Moplius.
1812. ©. 8. | =
Haben gleih an Spittler's Grabe nicht fo viele Stims
men fidy zur Feyer feines Andentens erhoben, wie bey dem
Tode des ihm um kurze Zeit vorangegangenen Johannes vor
Müller, an deffen Kenotaph Heyne, Wachler, Rommel, Shüg,
Windiſchmann, Heeren und Roth ihre Kraͤnze tranrend hefte⸗
ten: ſo hat doch ein ſehr ehrenwerthes Kleeblatt in Goͤttingen
den Manen des vormaligen Kollegen und vieljaͤhrigen Freundes,
durch die vor uns liegenden Aufſaͤtze, ein ſchoͤnes Todtenopfer
gebracht.
An Nr. 1. ſchildert die Hand eines Meiſters in ber hiſto⸗
eifhen Kunft, was Spittler als Hiſtoriker war, und wie
er es geworden. Das Wefentlihe diefer Darftellung beftehe in
folgenden Zügen: Sp. fey der Hiftoriker, der er war, das
durch geworden, daß er, bey fehr vortrefflichen natürlichen Ans
lagen, einem hoͤchſt fcharfen geifligen Auge, einem eben fo feis
nen Gefühle, und einem eben fo leichten Faſſungs⸗ als gefuns
den Beurtheilungsvermoͤgen, zuerft mit dem gelehrten Forfchen
und Sammeln in dem weiten Gebiete der Geſchichte angefans
gen, und zu gleicher Zeit einen großen Theil der Kraft feines
Geiſtes auf ein eifriges Studium der Philofophie in ihren
ältern und neuern Formen verwendet habe. In allen feinen
größern Werken finde der ſachkundige Beurtheiler nichts mehr
gu bewundern, als das gluͤckliche Treffen, oder vielmehr die
verfiändige Auswahl des Stoffs, den er fih zur Bearbeitung
heraushob, und die fehle Enthaltſamkeit, womit er auf bie
Bearbeitung von diefem fi beichräntte. Ihm fey es vielleicht
zuerſt ganz Par geworden, daß die Gefchichte eines Staates .
noch etwas anders ſey, als die Geſchichte feiner Negenten.
Den jeder biftorifchen Arbeit habe er es fih zum Gelege ges
mache, fich zuerft in den Befiß des ganzen Stoffe zu feßen,
der dabey zu bearbeiten war. An feinem frühen Entſchluſſe,
fih zum gelehrten Hiftoriker zu bilden, Habe wahrſcheinlich
theils das damals In Stuttgart rege gewefene Intereſſe an Fors
fhungen über die vaͤterlaͤndiſche Geſchichte, theils der Umgang
—
416 Ueber Spiütler von Planck, Heeren und Hugo.
und das Beyſpiel feines Lehrers Vol z großen Antheil gehabt.
Bey der Theologie habe er damit angefangen, daß er fie his
ſtoriſch ſtudirte, woven fih auch die Wirkung fon in den
erfien Proben feiner Schriftſtellerey auf eine auszeichnende
Weiſe gezeigt habe. In jeder feiner hiftorifchen Arbeiten fehe
man den Gelehrten, dem kein Theil feiner Wiſſenſchaft, oder
feine Provinz ihres unermehlichen Zeldes ganz fremd und ums
befannt war. in Styl und feine Sprache habe bisweilen
Anfloß erregt, wenn man mehrmals darin auf Ausdruͤcke oder
Deywörter, die man nicht erwartet hatte, gefloßen, oder von
Wendungen, auf die man nicht vorbereitet war, überrafcht
worden fey ; aber für den unterrichteten Leier habe fie dadurch
defio mehe Belchrendes und Anziehendes erhalten, woben kem
Gedanke an Affecrtation bey ihm habe auftommen koͤnnen, da
er aus fo vielen andern Zeihen gewahr worden fey, daB Sp.
eher zu forelos, als zu befümmert für feinen Styl geweſen.
Da er meiftens forafältiger, als nöthig, und auc, vielleicht
forgfältiger, als zuweilen gut geweien, jeden Schein eines
bloßen Auslegens von Litterarue und Gelehrſamkeit vermieden
habe, fo finde man in mehreren feiner Schriften faft feine
Citate, fondern meiften« nur die hiſtoriſchen Sauptquellen für
den behandelten Segenftand, und für jeden Zeitraum, durch
welche feine Gefchichte durchgeführt werden mußte, in Befons
derm angegeben. Doc davon fep er in fpätern Jahren etwas
zuruͤckgekommen, und feine Vorrede zu einer ſpaͤtern Ausgabe
feiner Kirchengefchichte laſſe Ichließen, daß er jetzt wenigſtens
feinen angehenden Hiſtoriker von der Verpflichtung, feine
Quellen und Autoritäten anzugeben, mehr dispenfire, ja ſich
felbft als erprobten Seihichtforfeber nicht mehr davon dispen⸗
firt haben würde, wenn er noch eine der Acheiten, zu denen
er die Plane ſchon Tängft entworfen gehabt, hätte vollenden
tönnen. Den größten Netz habe für ihn das Entdecken und
neuer Quellen für die Sefchichte gehabt.
In Nr. 2. Hat Hr. Prof. Hugo die Auffäge, wodurch
Hr. Prof. Heeren und er, theils im vaterländifchen Mw
feum, theils im civiliſtiſchen Magazin, Spittler’s Andenfen
gefeyert haben, nebſt den Anmerkungen eines Ungenannten
‚dem im Morgenbiat 1311. Nr. go. gı. 95 — 95. befindlichen
Abdeude des größten Theils der obgenahten Pland’ichen
Schrift Aber Spittler als Hiſtoriker, zuſammendrucken lafı
fen, und dadurch das Publikum mit einer ſchaͤtzbaren Samm⸗
lung von mancherley intereſſanten Notizen uͤber Spittler und
ſeine vielſeitige Wirkſamkeit beſchenkt, die nicht unterhält,
fondern auch rnit
— 72.72.00 : *
No. 27. Seidelbergifce 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
— —— —i—— —
Rechtsfaͤlle zur Erlaͤuterung der Gerichtsverfaſſung und Prozeßord⸗
nungen Weſtphalens. Herausgegeben von Dr. B. W. Pfeiffer,
Subflitut ded koͤnigl. Generalprocureur's am Appellatiöndhofe zu
Caſſel. Erfter Band, drittes Stüdf. Hannover, bey den Ger
bruͤdern Hahn. XVI. ©. 201— 516. Anhang S. 83— 126,
We beeilen uns, dieſe intereſſante und —— —
lung, deren frühere Hefte bereits in unſern Jahrbuͤchern (Jahrg.
1811. ©. 241 — a60) mit verdientem Lobe angezeigt worden
find, dem juriſtiſchen Publicum zur Kenntniß gu bringen.
Auch das vorliegende dritte Heft, welches: den erſten Band bes
fhließt, ſteht den früheren in feines Hinfiht an Intereſſe nach,
ja wie find geneigt, ihm einen eigenthümlichen Werth in fos -
fern gugufchreiben , ‚als. fi einige Abhandiungen deſſelben
(nämlid, die 20. und 21.) nicht bloß auf die Unterſuchung
und Entwickelung einzelner abgefondert aufgegriffener proceffuas
liſchen Puncte beziehen, fondern ‚vielmehr die ſyſtematiſche
Darftellung und Erklärung ganzer Nechtsmaterien zum Gegens
fand haben, daher es denn auch kommt, daß diefes Heft,
obwohl es ftärker ausgefallen iſt, wie die beyden vorhergehens.
den zuſammengenommen, döh nur 7 Abhandlungen enthält,
wogegen die beyden früheren Hefte zufammen 125 Aohandlungen -
darbieten. Jene 7 Abhandlungen find von 18 Nechtsfällen
begleitet, morunter jedoch die zahlreichen Ansziige, die der
Verf. aus den Urtheilen der Kranzdfifchen ſowohl, wie Weſt—⸗
phälifchen Höheren Gerichtshoͤfen mittheilt, nicht an ‚begriffen
find. /
- Die erfte Abhandlung ( die i6te der ——
von ©. 201 — 232) führt den Grundſatz aus daß der Fremde,
wegen Werbindlichkeiten, die er gegen einen Meftphalen übers
nommen bat, vor den Gerichten des Königreichs belangt wers
den kann, wenn er gleich kein Bermögen im Lande beſitzt, und
27
x
448 Nechtefaͤlle von B. W. Pfeiffer.
wenn gkleich die Verbindlichkeit noch vor Einführung des Geſetz⸗
buche Napoleons eingegangen wurde. Die Übrigen Zragen,
zu denen der hier in Frage kommende Artikel 14. des €. ©.
wohl Veranlaffung gegeben hat, namentlich in wiefern perfdns
liche Gegenwart des Fremden im Lande erfordert werde, oder
in wiefern auch andere als vertragsmäßige Verbindlichkeiten
unter die Dispofition des vorangezsogenen Artikels begrifen
feyen, ‚berührt der Verf. mit Mecht nur vorübergehend, weil
ruͤckſichtlich ihrer die Stimmen jebt wohl nicht weiter Igetheilt
foyn dürften. Auch die erſte der Bier eigentlich im Unterfw
hung kommenden Fragen, bie der Verf. aus der Eigenthuͤm
lichkeit der Franzoͤſiſchen und ‚Weitphätiichen Serichtsverfanung
fehr richtig bejaht, und bie, wie der Verf. nachweiſſt, umter
den Franzoͤſiſchen Rechtsgelehrten im Grunde nie als firdtig
angeicher. worden if, duͤrfte jetzt felbit unter den Deutichen
Juriſten als entfchieden angenommen werden. - Der Caſſel
Appellationsgerichtshof hat zwar in Sem vom Verf. mitgetheil⸗
ten abten Mechesfalle die entgegengeſetzte Meynung amgensmt
men, allein die hier aufgeführten Gründe dürften wohl ſchwerlich
jemanden Überzeugen, und es ift auch diefes Erkenneniß bereit
duch den Weftphälifchen Staatsrarh caflirt worden. Die zweyte
oben ermähnte Frage wird vom Verf. gleichfalls bejaht, und
wir nehmen Bein Bedenken, ihm hierin volllommen beyzm
„yflichten, zwar nicht. aus dem Grunde ( worauf auch der Verſ.
ſelbſt nicht fein Hauptgewicht legt), weil die Competenz ſich
jedesmal nad) dem Zeitpuncte richte, wo der Nechtsftreit bey
dem Gerichte anhängig gemacht werde Edenn hätte der Ge—
feßgeber wirklich. Beym Ast. 14. die Anfiht gehabt, weihe,
wie der Verf, zeigt, die Franzoͤſ. Zuriften damit zu verbinden
pflegen, fo würde eben dadurch der obige. Grundſatz vom Gt
‚feßgeber feldft in diefer Hinficht eine Modification erlitten
Haben), wohl dber wegen der ſtaatsrechtlichen Ruͤckſichten, dit
diefem Art. ganz unbezweifele zum Grunde liegen. Wir ms
ben hierbey zugleih auf die mufterhafte Ausführung dieſer
Trage in dem vom Verf. mitgerheilten Erkenntniffe des Di
ſtrictstribunals zu Rinteln aufmerkfam, welches zwar durch
das bereits erwähnss Erfenntniß des auch hierin die entgegen
geſetzte Meynung adoptirenden Appellatiouehofes zu Caſſel aufı
= Sechisfälle von B. W. Bier. 4419
gehoben wurde, indeſſen durch ein caffirendes Erkenntnift des
Weſtphaͤli ſchen Staatsrathes ruͤckſichtlich dee ihm flatuirten
Hrincipes wieder hergeſtellt worden iſt; aus der Franzoſiſchen
Praxis theilt der Verf. ein Erkenntniß des Appellationshofes
ja Trier mit, worin beyde Fragen gleichfälls bejahend entſchie⸗
den worden find. — Die Abhandlung unter Nr. XVII. (G.
232 — 264) betrifft die ſehr fchwierige Frage, nad) welchen
Seundfägen ſich die Tompetenz der Weltphätifhen Gerichte
Über Magen zwiſchen Ausländern richte? Nachdem der Verf.
bie verſchiedenen Anfihten der Franzöfifhen und Deutſchen
Rechtsgelehrten Über diefe Frage durchgegangen hat, fo pflich⸗
tet ee dee Grolmanſchen oder vielmehr Locrefhen Ans
ſicht bey, ‘zufolge welcher zn die: verfchiedene Eigenschaft
des Geſetzes, vom welchem die Entfcheidung des in Frage
fiehenden Rechtsſtreites abhängt, den Ausichlag gibt. Der
Verf. zeige fehr deutlich, daß fih die gange Sache lediglich
anf die Frage reducire, welchen Gefegen Aberhaupt ein Indi—
viduum unterworfen fey (ein Geſichtspunct, den wir ſchon in
der erſten Ausgabe des Zahariäfhen Compendiums ange
beutet gefunden haben), daß hierüber der Art. 3. des C. N.
ausdruͤckliche Beſtimmungen aufftelle, und daß ruͤckſichtlich der
perſoͤnlichen Verbindlichkeiten der allgemeine Grundſatz, welcher
den Kläger an den Gerichtsſtand des Wohnſitzes verweiſe, ent⸗
ſcheide ( wofür in dem unter Nr. 28. mitgetheilten NMechtsfalle
ein Erkenntniß des Appellationshofes zu Paris und des kaiſerl.
Caſſationshofes fpricht), jedoch mit Beräciichtigung der in den
Art. 11. und 13. enthaltenen Modificationen (von denen bie
leßtere in dem. unter Nr. 27. mitgetheilten Rechtsfalle zur
Sprache fam, und von dem Appellationshofe gu Paris anges
wendet wurde). Die Klagen auf Privarfatisfaction wegen
peinlicher oder poligeplicher Vergehungen beurtheilt der Verf.,
wie uns ſcheint, gang richtig nach dem $. 1. Art. 8., ohne
zu unterfcheiden, ob diejelben zugleich mit der —— oder
erſt nach derſelben angebracht ſind, ſo wie auch die dinglichen
Klagen wegen beweglicher Sachen ganz im Geiſt der Franzoͤ⸗
fiihen Legislation unter den 6. 3. des Art. 3. rangirt werden.
Dagegen verwirft er für Weftphalen die Anwendbarkeit der
Ausnahme, welche die Franzoͤſiſchen Suriften Hinfichelich der
7 vr Rechtefaͤlle von 8%. W. Pfeiffer.
zwiſchen Ausländern anf Meſſen und Märkten eingegangenen
Verbindlichkeiten von den bisher ausgeführten - Grundſaͤtzen mas
chen, weil diefe Ausnahme in Frankreich felber nicht auf dem
€. N., fondern. auf einer in feiner KHinficht in jenem anges
deuteten , von jeher befolgten practifchen Anficht beruhe. Der
gogte won dem Appellationshofe zu Taffel entichiedene Rechtsfall
enthält eine Anwendung: des in Anfehung der Klagen auf Pris
vatſotisfaction aus Poligey +», oder peinlihen Vergehen ausger
. führten Grundſatzes, doch bemerken wir, daß der Gerichtshof
in dem vierten Entfheidungsgrunde fih auch ausdruͤcklich mit
darauf flüge, daß die hier angeftellte Klage, wenn fie gleich
nur bewegliche Sachen zum Gegenſtand habe, dennoch nach
der Beſtimmung des $. 2. Art. 5. zu beurtheilen fey, weichem,
wie wir gezeigt haben, die Anficht des Verf. widerſtreitet.
In der Abhandlung XVIII. (©. 265— 277) unterſucht
der Verf. die Frage, ob eine caflationsfähige Ueberſchreitung
der richterlichen Gewalt auch darin liege, daß ein Sericht nad
Willkuͤhr und ohne durdy ein Geſetz dazu ermächtigt zu fenn,
eine Verurtheilung ausiprehe? Diefe Unterfuhung ſcheint
durch den zu ihr gehörenden So. Nechtsfall veranlaßt . worden
zu ſeyn, worin der Weſtphaͤliſche Staatsrath ein friedensrichs
terlihes Erkenntniß aus dem Grunde caffitte, weil es eine
Verurtheilung ohne ein dazu ermäcdhtigendes Geſetz enthalte,
mithin eine förmliche Weberfchreitung der. richterlihen Gemalt
involvire. Der Verf. bemerkt, daß in dem königl. Decrete
vom 20. May 1809 die Weberfchreitung der richterlichen Ge
walt und das Erkennen wider eine ausdruͤckliche geſetzliche
Vorſchrift als verfchtedene Kaffationsarände aufgeführt feyen,
welches in fofern wichtig fey, als das Rechtsmittel der Caſſa⸗
tion nur aus dem erfteren Grunde gegen friedensgerichtliche
Erfenntniffe Statt finde. Hieraus deducirt denn der Verf.,
daß, da das Erkennen wider ein ausdruͤckliches Geſetz keine
-Weberfchreitung der richterlichen Gewalt enthalte, Biefes im
Ganzen noch viel weniger von dem Falle behauptet werden
fönne, wenn ohne alle gefeßlihe Beftimmung erkannt fey.
Das erwähnte Staatsraths-Erkennuniß fey daher nur auf den
Fall zu beichränken, wenn eine Verurtheitung ohne alle geſetz⸗
liche Beſtimmung ausgefprochen ſey, weit hier. freplich nichts
4
Mechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 421
anders als richterliche Willkuͤhr zum Grunde liege; aber uns
ſcheint, daß, wenn der Verf. dies als richterliche Willtähe
anfehen will, diefe gewiß in einem noch höheren Grade da
vorhanden fey, wo der Richter mit Hintanſetzung eines aus⸗
druͤcklichen Geſetzes etwas anderes erkennt.
XIX. (S. 278 — 501) Muß der, welcher gegen eine
Ehefrau klagt, ſelbſt dafuͤr ſorgen, daß dieſelbe von ihrem
Ehemanne autoriſirt werde, oder kann er, wenn bies unters
bleibt, ein Sontumacial + Urfheil gegen fie auswirken ? Die
hier in Unterfuhung gezogene Frage ift bey dem gänglichen
Mangel beftimmter gefeßlicher Dispofittonen um fo intereffans
tr, als die Fälle, welche die Entſcheidung derfelben nothwens
dig machen, ‚der Natur der Sache nach nicht felten feyn
innen. Der Verf. geht zuvoͤrderſt mehrere der bisher verſuch⸗
ten Beantwertungen durch, und zeigt, daß diefelben theils dem
beabſichtigten Zweck nicht entſprechen, theils nicht aus geſetzli⸗
chen Verfuͤgungen gerechtfertigt werden koͤnnen. Dies fuͤhrt
ihn auf den Grundfatz, daß die Entſcheidung hier nun theils
aus den mittelbaren Quellen des neuen Rechts, d. h. den ſtatt⸗
gehabten oͤffentlichen Verhandlungen, theils aus der uͤber dieſen
Gegenſtand bereits fixirten Franzoͤſiſchen jurisprudence herge⸗
nommen werden koͤnne, und fo tritt er denn Der durch bey—
nahe alle Franzoͤſiſche Rechtsgelehrten vertheidigten, durch die
Franzoͤſiſche Praris fanctionirten und auch bereits durch die
geſchaͤtzteſten Deutihen Bearbeiter des neuen Prozeſſes adops
tirten Meynung bey, daß es nämlich lediglich die Sache des
Kiägers fen, für die Erfüllung derjenigen Bedingungen zu
forgen , unter denen eine Ehefrau allein ſich rechtlich gu vers
theidigen im Stande ift, daß. dieier mithin den Ehemann zur
Ertheitung der Autorifation auffordern müffe, dieſe aber als
ine bloße Formalitaͤt im Weigerungsfalle des Chemannes vom
Seriche fofort zu fuppliren fey. Zur Erläuterung der in tiefer
Y.-Bandlung aufeftellten Grundſaͤtze hat der Verf. fünf Rechts⸗
öle mitgetheilt, wovon drey (Nr. 31. 33. 34.) aus der
franzoöſiſchen jurisprudence entlehnt find, die beyden übrigen
ingegen (Mr. &e. 35.) Erfenntniffe des Appellattonshofes zu
‚affel enthalten, von ‚denen beionders das letztere eine auffak
nde Abweichung von den hier vorgetragenen Grundſaͤtzen
in
4
ſchriften bey Strafe der Michtigkeit zu beobachten feyen, die
‚ bie Act. 7. und 8. der Prozeßordnung für die Inſinuation der
es dem Verf. gefallen hätte, die !verneinende Beantwortung
ſich mis den äußeren Formalitäten des. Inſinuationsactes bes
ſgqaͤſtigt, vielleicht weit man eben annahm, dieſen Punct ein
422 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer.
enthält, indem es von dem Geſichtspuncte ausgeht, daß es
lediglich die Pflicht der verklagten Ehefrau ſey, für die Er
theilung der ihr nöthigen Autorifation Sorge zu tragen.
XX. (S. 301 — 442) Ucber die gejeglihen Erforderniſſe
der Appellationseinwendung und deren bey Strafe der Nichtig⸗
keit zu beobachtende Foͤrmlichkeiten. Der Verf. liefert ung hier
eine ausführliche, aus dem Geiſte der Geſetze gefchöpfte und
‚mir den Entfcheidungen der oberften Gerichtshöfe verglihene
Darſtellung der angedeuteten Materie, für weiche muͤhſame
2. das juriſtiſche Publicum dem Verf. deflo mehr Dank
wiſſen muß , je einflußreicher und fchädlicher alle Mißgriffe in
dieiem Puncte zu feyn pflegen, und je nüglicher daher in je
der Hinfihe die Kenntniß einer fläten und fichern Praxis ſeyn
muß. Der Verf. hat diefe Abhandlung in zwey Abfchnitte
eingetheil. Die erfte, Die von der gefeglihen Friſt der Apı
pellationseinwendung handelt, beſchaͤftigt ſich vorzäglich mit
folgenden vier Fragen: 1) von der Dauer der Appellationss
friſt im "Allgemeinen ; 2) von der Begründung ‚des Laufes ber
Appellationsfrift durch die Inſinuation des Erfenntniffes erfter
Inſtanz. Hier folgt nun die ganze Lehre -von den Erforder⸗
niffen, deren‘ Beobachtung die Gültigkeit diefer Appellationgfrifl
vorausſetzt. Der Verf. kommt Hier natürlich auch auf bis
Brage, 06 bey diefer Inſinuation auch alle diejenigen Bon
Vorladungen vorfchreiben? Wir hätten gern gewuͤnſcht, daß
diefer Frage etwas ausführlicher gu rechtfertigen, als es durch
die mitgetheilten zwey Auszüge aus Erkenntniſſen des Caffeler
Appellationshofes gefchehen konnte. Denn wenn, wie leicht
gezeigt werden. kann, die Beflimmungen der Art. 7 und &
unmittelbar aus dem Zweck der Anfinuation felber hergenome
men find, fa möchte es in der That ſchwer feyn, Gründe auf⸗
zufinden, welche eine folhe Verfhiedenheit in dem einen und
in dem andern Falle rechtfertigen koͤnnten, zumal da es in der
Lehre von der Appellation keinen einzigen Artikel gibt, Der
4
Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer. 423
für allemal in den Art. 7 und B. erledige gu haben. : $) Von
der Berechnung der Appellationsfrift. Hier befchäftige ſich der
Verf. vorzüglich mit der Frage, ob die Bellimmung des Art.
965., daß im Fall der Entfernung der Parthey der Frift für
jede 5 Mpriameter ein Tag hHinzugefäge werden folle, auch
auf die Appellationsfrift anwendbar fen, und der Derf. vers
neint fie, weil der Art. 993. nur ben Fall vor Augen habe,
wo eine Parthey die andere vorlade oder zu etwas auffordere.
SR es aber auf der andern Seite nike merkwürdig, daß die
duch den ‚Aufenthalt außerhalb des Königreichs verurfachte
Entfernung nad ausdruͤcklicher Beſtimmung des Art. 547. die
Appellationsfrift verlängert? Dieier Artikel war freylich noth⸗
wendig, weil ohne ausdruͤckliche Dispofition die Ausdehnung
des Art 25. anf bie Appellationsfiit in keiner Hinſicht zu
rechtfertigen geweien wäre; für die Anwendung des Art. 953.
bedurfte es aber Peiner ſolchen ausdruͤcklichen Beſtimmung,
weil dieſer ganz am Ende der Proz. Ordn. unter der Rubrik
allgemeine Verfügungen enthalten iſt, alſo ſchon durch
feine Stellung den weiten Umfang feiner Anwandbarkeit an⸗
deutet. Auch ift es nicht zu leugnen, daß dieſer Artikel nicht
bloß von dem delai genEral fixd pour lesajourne-
mens etc., fondern Üverhaupt aud von allen autres actes
faits à personne ou domicile redet. Wir würden
es daher gern gefehen haben, wenn fih der Verf. fpeciell mie
der Frage befchäftige hätte, mie die Appellationseinwendumg
gefihehen muͤſſe, und wann diefelde für interpomire gu halten
fey ? kann dies nur in dem, dem Appellaten Ju infinuirenden,
Acte gefchehen, und muß diefe Inſinuation nothwendig inners
halb der vorgefchriebenen. Appellationgfrift erfolgen, fo if 08 -
augenfälig, daß der Entfernte nicht der naͤmlichen Friſt ges
nießt, wie derjenige, bey dem diefe Entfernung nicht eintritt,
und bat man diefer Entfernung, wenn fie dur Aufenthalt
außerhalb dis Königreichs veranlaßt iſt, Einfluß auf die Aps
pellationsfriſt gegeben, fo ift niche abzufehen, warum dies nicht
bey der Entfernung im Königreich gleichfalls der Fall ſeyn
fol, da doc dieſelbe nach Art. 953. Tonft allgemein vom Ber
feßgeber auch berüdfichtiger ifl. Webrigens wendet man ja den
Art. 935. auch in Anfehung der Ausſchließung des Inſinua⸗
42% Rechtsfaͤle von B. W. Pfeiſter.
tionstages auf die Appellationsfriſt an, und gegen die. Bemer⸗
fung des Verf., daß dies in der Matur der Sache liege, und
ſich auch ohne gefeßlihe Dispofition fhon von, felbft verfiche,
Käße fi immer wieder fragen, wozu denn jene ſpecielle Des
flimmung , wenn dies auch wirklich Die Anficht des Gefetzgebers
gewefen wäre ?. daher wir auch die Entiheidung des Appella⸗
tionshofes von. Turin in dem vom Verf. angeführten Urtheile,
wornach der Art. 1033. (963.) aud in Hinficht des Infinuas
tionstages nicht auf die Appellationsfrif: anwendbar ſeyn ſoll,
nicht anders als fireng confequent finden koͤnnen. Indeſſen ift
die Praris der Frangöfiihen fowohl, wie der Weftphäliichen
Gerichtshoͤfe in dieſer Hinſicht einmal entichieden, ein Um⸗
ſtand, wodurd man fich vielleicht von einer. theoretifhen Um
terfuchung der Frage ‚dispenfirt. glaubte... Mur bemeiten wir
noch, daß die Strände des Appellationshofes von Turin ung |
unter diefen Umftänden mehr Gewicht zu verdienen fcheinen,
ols der Verf. ihnen einräumen will. 4) Bon der Eigenfcaft
der Appellationgfrift als abfofutes fatale, oder in wiefern die
Defertion von Amtswegen berücfichtigt werden könne? Der
Merf. beziehe ih mie Recht in Hinſicht der ausführlicheren
Erdrterung diefer ſehr wichtigen und außerordentlich beftrittenen
Frage auf die gründlichen Ausführungen der Herren Hager
mann und v. Strombecd; er felber tritt der verneinenden
Meynung des letzteren NRechtsgelehrten bey, indem er fehr rich
- gig zeigt, Daß der Hauptgrund des Hrn. Hagemann, wor
nach diefer die ganze Sache auf den Geſichtspunct der us
competeng zurückzuführen fucht, hier nicht zugreifen kann, ohne
die bisher mit diefem Ausdru verbundenen Begriffe gaͤnzlich
zu verwwirren. Die Praxis des Caſſelſchen Appellationshofes
über dieſe Frage hat fih noch nicht firiet, indem zufolge der
von dem Verf, mitgetheilten Auszüge ans den Erkenntniſſen
diefes Gerichtshofes fogar eine und die nämliche Section dei
felben in verfchiedenen Fällen verfchieden erfannt hat. — Der
zweyte Abſchnitt diefer Abhandlung beſchaͤftigt fi nun mit den
Foͤrmlichkeiten der Appellationsangeige im Einzelnen, und vor
allen Dingen erörtert der Verf. Hier die allgemeine Frage, ob
bloß der Art. 356. oder auch der Art. 6. der Pros. Ordn. als
Duelle der Vorſchriften anzufehen fey, die bey Strafe der
N
’
Kechtsfälle von B. W. Pfeiffer. 425
Nichtigkeit bey der Appellationdeinwendung beobachtet: werben
müffen. Der Verf. enticheider für das erflere, weil, wenn
gleich der Art. 368, die für die Untergerichte vorgeichriebenen
Negein auch für. anwendbar in der Appellationsinſtanz erkläre,
dies denno.h durch den Zufab im übrigen ausdrüdlid nur.
anf diejenigen Segenftände beſchraͤnkt werde, woruͤber die Lehre
von dem Appellationsverfagren nicht eigene Regeln aufftelle,
wohin aber die Appellationsanzgeige gehöre, als deren Erforder⸗
niffe der Art. 356. einzeln aufzähle. Allein es ift ja natuͤrlich,
daß die Appellationsangeige, wovon im erſten Verfahren gar _
wicht die Rede ſeyn konnte, vermöge ihrer. eigenthümlichen
Natur befondere Beflimmungen nöthig machte, die erſt hier,
aufgeführt werden mußten; außer diefen follen denn aber Die
übrigen (les autres r&gles, wie fi vieleicht ber
Franzoͤſiſche Text Deutlicher ausdruͤckt) für die Untergerichte
vorgefchriebenen Negeln in der Anpellationsinftan; zur Anwens
dung fommen. Wäre der Art. 368. dem Art. 356. unmittels.
bar als Nahfag angehängt, fo würde die Sache noch weniger
zweifelhaft feyn; dies konnte num freylich nicht gefchehen, weil
man nidye nur die Anwendbarkeit der für die Klage vorgefchries
benen Regeln, fondern auch aller. Übrigen. Vorfchriften des
untergerichtlihen Verfahrens, die nicht fchon durch wideripres.
ende Beflimmungen für das Apprllationsverfahren von felber -
als unanwendbar dargeftelle find, auf die Appellationsinftang
damit ausdräden wollte; allein es fheint ung, als ob dieſer
Artikel ruͤckſichtlich jedes einzelnen Acts ald Anhang des dens.
felben betreffenden Artikels angefehen werden muͤſſe. Aud)
führt die der Erklärung des Verf. zum Grunde liegende Ans -
fiht etwas zu weit, wie er felder $. 19. bey ‚der Frage von
der Deichaffenheit der Sinfinuation und der Form ihrer Bes
werkſtelligung anzuerfennen ſcheint. Der Verf. folgert, feiner
Anſicht gemäß, daß die Angabe des Patents, die Unterſchrift
den Anwalds zweyter Inſtanz und die Bezeichnung des Das
tums mit Buchſtaben nicht nöchig feyen. Die Praxis des
Appellafionshofes zu Caſſel war anfangs Aber diefe Frage ger
theilt, indem die erfie Section nach der Anfiht des Werf.,
die dritte aber für die entgegengefeßte Meynung entfchied;
indeſſen Af die letztere in fpäteren Erkenntniffen auch, der Mey⸗
426 Nechtsfälle von B. B. Pfeifer.
nung des Berf. bengetreten. Ben ber hierauf folgenden Unter⸗
fahung , 05 naͤmlich die im Art. 356. vorgefchriebenen Erfot⸗
derniffe bey Strafe der Nichtigkeit zu beobachten jenen, ‚erkennt
der Berf. es felder an, dab die in diefem Artikel angedrohte
Drullicät nur die Form der Infinuation zum Gegenkand Habe,
Dennoch erfahren wir, daß der Caſſeler Appellationshof von
jeher unbedenklich angenommen babe, daß die ſaͤmmtlichen
Erfordernifie diefes Artikels bey Strafe der Nichtigkeit zu bes
obachten feyen; ein Verfahren, welches der Verf. zwar durch
die nachtheiligen Folgen, weiche dis entgegengefekte Erklärung
Baben würde , zu rechtfertigen fucht, dag wir aber mit der bey
den fräheren Fragen vom Gerichtshof beobachteten Scrupulo⸗
ſitaͤt nicht zu vereinigen wien, und vielleicht dürfte das ber
Natur dere Sache nah flets ſchwankende Princip der Zweck⸗
miäßigfeit, wornacd der Verf. alle ditjenigen Puncte, worüber
der Art. 356. nichts Specielles beſtimmt, beurtheilt wiſſen
will, nicht weniger nachtheilige Folgen haben, als vom Verf.
vorher angegeven worden find. Der Verf. nimmt hierauf in
‘den. $$. 9— 56. die einzelnen im Art. 856. aufgeftellten re-
quisita mit feiner gewohnten Gruͤndlichkeit und Scharffinn
Buch, und belegt alle Grundfäge mit Auszügen aus Erfennt
nifien fowohl der Franzoͤſiſchen, ale der Weftphälischen oberften
Gerichtshoͤſe. Es würde zu meitläuftig werden, dem »Berf.
in diefer feiner Entwickelung zu folgen; wir beichränfen uns
daher uur auf dasjenige, worüber uns befondere Bemerkungen
aufgeftoßen find. In diefer KHinficht find wir freylich völlig
mit dem Verf. einverſtanden, wenn er bey der Unterſuchung
der Frage, ob die für die Appellationsangeige vorgefchriebene Vor⸗
ladung bloß im Allgem-inen die gefeßliche Frift andeuten dürfe,
oder die Dauer derielben Tpeciell angeben müffe, fih gegen die
allgemeine Praxis des Caſſeler Appellationd: Gerichtshofes für
Die letztere erfiärt, and wir glauben, daß In bem unter Nr. 36.
mitgetheilten Urcheite des Turiner Anpellationg : Gerichtshofes
dieſer fich durch die Gruͤndlichkeit feiner Entfheidungen durch⸗
gehends fo fehr auszeichnende Gerichtshof alles erichöpft habe,
was für diefe letztere Meynung gefagt werden kann; allein
unferer Meynung nad fireiten biefe Gründe auch fo fehr gegen
die vom Kaffeler Appellations, Gerichtshofe ig Anjehung der
mo.
* Mechisfälle von B. W. Pfeiffer. 427
geſetzlich vorgeſchriebenen Bezeichnung des Gerichtshofes, vor
welchen die Vorladung geſchieht, angenommene Praxis, daß
wir uns wundern, wie dies dem Verf. hot entgehen moͤgen,
jamal da dieſe Anwendung in dem erwähnten Turiner Erkennt
niffe ausdruͤcklich hervorgehoben wird. Eben fo wenig können
wir mit dem Verf. Üdereinflimmen, wenn er $. 2o. G. 3go
behaupten will, daB wefentlihe Mängel der Abſchrift der Ap⸗
pelletionsangeige nicht in Betrachtung kommen können, wenn
fie fih nur im Original ˖ nicht befinden ; fein Grund, daß der
Art. 8. die Strafe der Nichtigkeit auf die unterbliebene woͤrt⸗
lihe Webereinftimmng nicht feftfege, laͤßt ſich leicht duch die
Bemerkung befeitigen, daß der Artikel die Zuſtellung der Abs
fhrift der zu infinuirenden Schrift bey Strafe der Nichtigkeit
vorſchreibt, daß aber dieſe Korderung für erfuͤllt nicht anges
ſehen werden faun, wenn die infinuirte Schrift in den weſente
lichen Puncten von der zurücdbehaftenen abweicht; fie hört bier
enf, dem Begriff einer Aöfcheift zu entſprechen, die doc für
den Appellaten immer Original ſeyn fol, und hinſichtlich wel⸗
her auch der ganze Zweck, warum das urfprängliche Original
beym Appellanten zuruͤck bleibt, nur in fofern erreicht werben
kann, als es mit der infinuieten Abfchrift treu Abereinftimmt.
zu ‚einer Vergleichung der Abſchrift mit dem Original bey ber
Sinfinuation ift aber deu Appellat niche verbunden, weil er ſich
auf die gefeglihe Vorſchrift, daß ihm eine Abſchrift zugeſtellt
werden folle, berufen kann — Die $$. 21 — 27. enthalten
die Entwickelung des Grundfages, daß die Inſinuation m
den Appellaten in Perſon oder an feinem Wohnſitze geichehen
muͤſſe, und im 6. 27. wird dann ein kurzes resume der ſaͤmmt⸗
ithen bey der Appellationsangeige theils mwefentlichen, theils
entbehrlichen Förmlichkeiten gegeben. Die Folgen der 65. 28.
bis 53. enthalten die Entwickelung einiger allgemeinen Grund⸗
fäße, die fi auf folgende drey Hauptpuncte reduciren laſſen.
- 2) Weber den Einfluß der Nichtigfprehung einer Appellationse
anzeige auf die Befugniß ju appelliven; der Verf. verweiße
bier mit Recht auf die unter Mr. IL. dieſer Sammlung entr
haltene Unterfuhung diefer Frage... 2) Weber die Fälle, im
denen auf wirklich vorhandene Nichtigkeiten dennod nicht er⸗
kannt werden kann. Der Verf. ſtellt als Princip den Grundſat
—
*
42 Dtechiöfälle von B. W. Pfeiffer.
auf, daß dies nur unter der Vorausſetzung geſchehen koͤnne,
daß von Geiten des Appellaten eine ausdeüdliche oder ſtill⸗
fhmeigende Entfagung angenommen werden könne; und hierauf
geht er denn Die einzelnen Handlungen durch, in denen eine
folche ſtillſchweigende Entfagung enthalten fer. Dahin rechnet
er mit Recht die unterlaffene Rüge. der Nichtigkeit, eine ger
hoͤrig begründete contumacia, und alle Handlungen, die der
Appsllat zufolge der nichtigen “Appellationsangeige vornimmt,
fofern darin eine nothwendige Anerkennung der mit Nichtigkeit
betroffenen Handlung enthalten iſt, 3. E. die Sinfinuation. der
Anwatdsbeftellung nicht an den Aprpellanten in Perſon, fon
dern an feinen auf eine nichtige Weiſe beflellten Anwald.
Sehr gegwungen fcheint es uns aber, wenn der Verf. .$. 30.
auch den Fall mit unser die Eategorie der Entfagung zu trans
gıren ſucht, wenn der Appellat feine Behauptung der Nichtig⸗
keit der Appellationsangeige weder mit fpeciellen Thatamftänden
Belege, noch auch der Beweis derielven vorzulegen im Stande
äft; denn hier iſt wenigftens redhtlih genommen der bier in
Unterſuchung flehende Fall, daß auf eine in der That vorhans
dene Nichtigkeit dennoch nicht erkannt wird gar nicht vorhans
Den. 3) Ueber die Anwendbarkeit der geieglichen Foͤrmlichkeiten
Der Apvellationsanzeige auf die in der Appellationdinflang ans
gebrachte Bitte um ein Verbot der vorläufigen Vollſtreckung
und auf die Sincıdentappellation. In Hinſicht der letzteren
wird diefe Anwendbarkeit mit Necht vom Verf. geleugnet, weil
gerade der eigenehämtihe Charakter der Sncidentappellation
darin befiche, daß fie kein ſelbſtſtaͤndiges Rechtsmittel bilde.
Ruͤckſichtlich der Bitte um ein Verbot der vorlaͤufigen Woll—⸗
ſtreckung entwickelt der Verf. zuvoͤrderſt den bier zwiſchen dem
Appellaten und Appellanten Statt findenden Unterſchied, und
zeigt hieraus, daß die Frage eigentlich nur in Beziehung auf
Den letzteren zur Sprache kommen könne; indeſſen leuanet er
auch hier die fragliche Anwendbarkeit, weil der Art. 869. nur
eine Vorladung und die Mittheilung des Gefuhs an den Aps
pellaten vorfchreibe, man alfo nichts mehreres und am wenig
fien bey Strafe der Michtigkeit fordern dürfe.
XXI. (S. 447— 510.) Das Verfahren in Eheſcheidungs⸗
fahen ıft ganz unabhängig von den Vorfchriften der bürgerlichen
'
Nechtsfälle von B. W. Pfeiffer, 49
Progeßorbnung, und erhält durch die Verfügungen bes Geſetz⸗
buhs Mpoleons feine umabänderlihe Beſtimmung. Diefe
Ueberfchrift zeigt Den Gegenſtand und den Zweck diefer Abhands
fung deutlich an. Der Verf. geht dabey von der Grundanſicht
ans, daß das gerichtlihe Verfahren ben Ehefheidungen gar
fein proceffualifhes Verfahren. gehannt werden könne, fondern
dem Merfahren bey Adoptionen und Sinterdictionen gu vergleis
den fey, daß es aljo gewiffermaßen als eine weſentlich noth⸗
wendige Form erfheine, deren Beobachtung zur rechtlichen
Begründung einer Ehefcheidung eben fo nothwendig ſey, wie
zus giftigen Exiſtenz einer Schenkung oder hypothecariſchen
Schuld ver ſchreibung die gefeglihe Witwirfung von Motarien.
Daher denn auch jeder Schritt fireng zu beobachten fey, indem
feine Hintanſetzung die Nichtigkeit des ganzen Verfahrens zur
Folge Habe. Der Verf. geht Hierauf den Gang des Eheſchei⸗
dangsverfahrens, in fofern aus beflimmiten Urfachen geklagt
wird., in feinen Hauptmomenten duch, und zeige Schritt für:
Schritt duch ein ſtetes Ruͤckblicken auf den gewöhnlichen pros
ceffualifhen Gang die Eigenthämlichkeiten des erfteren, z. €.
daß die unterlaffene Mitwirkung des ministere publique Hier
nicht etwa nah Art. 425. Nr. 8. der Prog. Ordn. die re-
qu&te civile begründen, fondern Überhaupt das ganze Verfah⸗
ren- nichtig machen mürde, daß die Nothwendigkeit der Anwälde
hier nicht eintrete, daß ein Erkenntniß über die Zulaͤſſigkeit
der Ehefcheidungstlage immer weientlich fen, wenn es yleich
nach allgemeinen proceffualifchen Beflimmungen nur in fofern
erfordert werde, ale Einreden gegen die Zuläffigkeit vorgebracht
feyen, daB Ferner das Erkenntniß in der Hauptſache unmittels
bar auf diefes Admiffionserfenntniß folgen müffe, ohne Zwis
fhenraum aud nur eines einzigen Tages, daß gegen das in
der Hauptſache erfolgende interlocutorifhe Erkenntniß feine
"Berufung Statt finde, daß der in Gemaͤßheit deffelben unters
nommene Zeugenbeweis überall nicht an die Vorſchriften der
Proz. Ordn. gebunden fey, daß eine Entfagung auf die ges
ſetzlich zuſtehenden Rechtsmittel von keiner Wirkung fey, daB
- das Rechtsmittel ber Oppofition ſich nur auf die. in der Appels
lationsinflang ergangenen Contumatialerkenntniſſe beſchraͤnke ıc.
Alle dieſe Grundſatze ſind mit Ausſpruͤchen der Franzoͤſiſchen
4320 Rechtsfälle von B. W. Breiter,
Ger ichtohoͤfe belegt worden, wovon: ber Verf. unter Nr. 57.
bis 43. incl. mehrere in extenso mitgetheilt Bat. |
XXI. (8. 510 — 816) Die gegenfeitige Aufhesung
( Tompenfation ) der Progeßfoften gwifchen Ehegatten: und Bers
wandten ift nicht fireng verboten, fondern der richterlichen Bes
urtheilung üderloffen. Diefe Abhandlung enthält bloß eine
Rechtfertigung dee. Deutfchen Ueberſetzung des Art. 87. der
Proz Ordn., indem ber Verf. zeigt, daß fie, wie der Frans
zöffhe Tert, die Compenfation nicht unbedinge —
fendern nur facultativ. mache.
Der Anhang enthält sub nr. Ir. (©. 85 — 86) eis
Scchreiben des. Herrn Juſtizminiſters über- die Unanwendbarkeit
dar buͤrgerlichen Proz. Ordn. im Eheſcheidungsverfahren, und
sub nr. III. (B7— 1518) gibt ber MWerf: nach einer gewiſſen
Materienordnung Auszüge aus Erkenntnifien des koͤnigl. Staates
rathes und des Caſſeler Appellationg : Serichtehofes: über vers.
mifchte proceffualifche Rechtsfragen. Den m. Band beſchließt
ein smectmäßiges Sachregiſter. =
Handbuch zum fofematifchen Studium deb neuften vömifchen Privat
rechts nach den Grundſaͤtzen des Herrn Oberappellationsraths
Guͤnther, von D. Ehriſtian Friedrich Gluͤck, Hofrath
und oͤffentlichem ordentlichem Lehrer der Rechte auf der Friedrich⸗
Alexanders-Univerſitaͤt in Erlangen. Erfter Theil, welcher die
Einleitung und die Litteratur des Juſtinianeiſchen Rechts enthält.
Erlangen, bey 3. 9. Palm. 1812. Ku — 370 S. gr. %
(1 Rthlr. 20 gr. )
Auch unter dem Titel:
Einleitung in dad Studium des Römifchen Privatrechts zur Beriat⸗
gung und Ergänzung des erſten Theils des Pandeeten = SEM
‚ tare.
Diefes Handbuch enthält den Anfang eines Commentars
üder die Sünther’fhen principia juris romani, weiche der
Wurf. in feinen, jetzt ſyſtematiſchen, Vorlejungen über die
Pandecten erläutert. Es geht Über die vier erfien Bogen des
Guͤnth er'ſchen Lehrbuchs, und handelt alio von den Quellen
des Rechts im Allgemeinen, "denen des Romiſchen und dene
Handß. fottem. Gtudium d. n. R. Privatrechts v. Gluͤck. 40
des heutigen Roͤmiſchen Privatrechte. Zugleich gibt es, und
Guͤnther“s Beyſpiel, ein ſehr reichhaltiges Verzeichniß der
Ausgaben der Quellen und juriſtiſchen Schriftſteller.
Nach der Abſicht des Werf. ſoll dieſes Buch der Aufang
eines Commentars ſeyn, der vorzuͤglich beſtimmt iſt, feines
Zuhörern die Stelle eines nachzuſchreibenden Hefts zu vertre⸗
in. ‚Betrachtet man daſſelbe ans dieſem Geſichtspuncte, ſo
laſſen ſich, unſerer Meynung nah, gar manche nicht. unge⸗
gruͤndete Erinnerungen dagegen machen. Gchan bie Nuͤtzlich⸗
keit foichee gedruckten Hefte an fich iſt ſehr problematiſch da
fe, ohne den muͤndlichen Vortrag zu erfehen oder überfläffig
zu machen, fo leichte bey den Studierenden Unfleiß und Mas
gel an Aufmerffamfeit erzeugen‘, und vielleicht laſſen fie ſich
nur für die Inſtitutionen vertheibigen, wo Re dem Anfänger die,
ihm fo nöthige Vorbereitung zur Vorleſung erft möglich mas
den oder doch wefenslich erleichtern, und auch Hier nur, wenn
fie nicht, wie die bisher erfchienenen,, zugleich auf den untew
richteten Leſer, fondern allein anf die Beduͤrfniſſe des Schuͤ⸗
lers berechnet find. Wil man aber auch folhe Commentare
für die. Pandecten gelten laſſen, fo fcheine dem Mec. denn
doch dieſer nicht hinlänglich auf feine Beſtimmung berechuet,
und fonach nicht gung zweckmäßig gu ſeyn. Gar Manches if
darin aufgenommen, was in feine Vorleſung gehört, mie Die
ganze Litteratur (S. 809 — 370); gar Manches, weitjäufig
ausgeführte, was in Pandecten s Vorlefungen, wenn es nicht
ganz Übergangen werden foll, doch hoͤchſtens nur berührt wer⸗
den Tann, wie die äußere Rechtsgeſchichte, welche einen fd
großen Theil des. Buches füllt. - Andere Dinge find. viel gu
weitläufig abgehandelt, als daß dies für irgend eine Vorleſung
zweckmaͤßig ſeyn koͤnnte, 3. die Novellen: dagegen iſt Maus
des auch für diefen Zweck nicht Hinlänglich erörtert, wie die.
Lehre von der Interpretation.
Außer. dem eben angegebenen Zwecke hat der Verf. noch
den Nebenzweck, ſeinen Commentar uͤber Hellfeld in den hier
abgehandelten Lehren zu ergängen und gu berichtigen. Es iſt
gewiß ein Beweis von großer Unbefangenheit und fchöner
Wahrheitsliebe, wenn ein Scriftteller feine Degehungs s und
Unterlaffangsfünden wieder gut macht: und eben fo ficher iſt
*
432 Handb. 3. follem. Studiums d. n. R. Privatrechts v. Gluͤck
dies ſehr intereſſant und nuͤtzlich, wenn es, wie hier, von
einem gelehrten und viel geleſenen Schriftſteller geſchieht.
Deſſen ungeachtet koͤnnen wie auch dieſer Beſtimmung des.
Hier angefangenen Commentars weder unſern Beyfall geben,
noch in dieſer Ruͤckſicht feine Fortſetzung wuͤnſchen, und dies
um ſo weniger, als dadurch das ſchleunige Fortſchreiten des
ſchaͤtzbaren Commentars Über Hellfeld (der ſchon lange zu feir
nem: Bortheile die Eigenichaft als gedrucktes Heft verlohren
Hat) nothwendig erfchwert werden muß. Eine neue Darſtel⸗
lung deffelden Stoffes, bey welcher, wie dies hier gewöhnlich
geſchieht, fogar nur ſtillſchweigend gebeffert wird, gibt Feine
Ueberſicht der geänderten Saͤtze und neuen Ausführungen,
weiche man kaum durch forgfältiges Leien und Wergleichimg
Beyder Werke ertennen kann; wobey man denn mit Zeitvers
duft ganz daffelde oft zweymal zu leſen ‚gendthigt wird. Ein
sswel:intereffanteres Geſchenk würde ung der Verf. fiher mas
chen; wenn er fih entſchließen könnte, die Nefultate - feiner
neuern Studien unter der- form von ———— und ZW
fügen uns mitzutheilen. *
Mach dem Bisherigen ſcheint alſo das vorliegende Merk
feiner eigentlichen Beſtimmung nach feinen vorzuͤglichen Beyfall
zu verdienen. Betrachtet man es nur an ſich, ohne dieſe (pe
ciellen Beziehungen, fv muß man dagegen fehr viel vortheifs
Hafter davon urtheilen. Es hat nicht allein alle Vorzuͤge der
Stüädihen Werke (die wohl als befannt hier vorausgefeßt
werden können), ſondern zeichner fih auch vor dieſen, befons
ders da, wo der Verf. ſich auf pofitivem Grund und Boden
befindet, noch fehr zu feinem Vortheile aus. “Unrichtigkeiten
und Uebereilungen finden fid) dabey freylih auh (4. B. ©.
. 030 vergl. mit S. 274): wir tragen jedoch billig Bedenken,
durch Aufzählung derfelben diefe Anzeige zu vergrößern, um
fo mehr, als dieſelbe im Allaemeinen gegen den Plan des
Verf. gerichtet iſt, und wir nicht gerne den ungegründeten Bers
dacht auf uns laden möchten, daß es .unfere Abſicht fen, Die
DVerdienfte des Werf,, oder den m des Buches an fi
herabzuwuͤrdigen.
No.28. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
DT N 7 7 7 0 ©
Carl Caspar Creve, Dr., grosherz, Frankf. geh. Rath, Pro-
fessor der Zoonomie und besonderen Heilkunde an der
medicinisch - chirurgischen Specialschule etc. Ueber den
Chemismus der Respiration. Frankfurt 1812. 68 &. in 4.
Mine Schrift zeichnet ſich nicht durch neue, aber doc durch
fonderbar zufammengefeste ältere ‚Anfichten aus. Der Verf.
hätt zwar das Athemholen für einen Proceß der Verbrennung,
aber einen folhen , bey welchem fih das Licht nicht entwickelt,
weil der Sauerftoff hier nicht an den Waſſerſtoff, der allein
nad ihm einen Lichtgehale hat, fondern an den Kohlenftoff
fih bindet.
Der Berf. behauptet ferner, fih auf die Verſuche von
Berthollee und Allen und Pepys ſtuͤtzend: das eingeathmete
Sauerftoffgas zerſetze fih in den Lungen, umd hange dem
Kohlenftoff an. So werde nur Kohlenjäure erzeugt, aber es
dringe ein Sauerfloffgas in das Blut, die Roͤthe des Blutes
Bange allo von dem Mangel an Kohlenftoff ab; fo wie die
Reizkraft des Blutes ihm urfpränglich zufomme, und durch bie
Anhäufung des Kohlenftoffs vermindert werde, wenn ihm
der Sauerftoff den Kohlenftoff entziehe, fo werde es wieder
reizfaͤhig. Endlich behauptet er, daß beym Achemholen auch
die Stickluft zerſetzt und ein Theil davon zur MWerediung des
TIhierfloffes dem Blute anhinge. Was nun das erſte hier zu
erörternde Phänomen angeht, nämlih ob Sauerſtoffgas nur
mit dem Kohlenftoff eine dunkle Verbrennung untergehe, fo
Breitet diejes gegen die Erfahrung. Denn ı) verbrennen bie
Metalle und ſelbſt das Waſſerſtoffgas, ohne Licht zu erzeugen,
venn die Verbrennung langfam und nad und nach geichieht,
vie wir diefes felbft an den Drathen der Voltaiſchen Säule
eben, wenn diefe nur mie wenig Plattenpaaren geichloffen
Bird — und wie es bey jedem ſich in der Luft orydirenden Metall
nd dem Ranzigwerden der Dele und des Fettes offenbar wird,
28
434 Weber den Ehemidmns der Reipiration von Ereve. -
welches alles eine Merbindung des Sauerftoffes mit dem Waſ—⸗
feeftoff und dem Metalle ift, welche als langfame Verbrennung
Bein Licht entwickelt. — 2) Dagegen verbrennen die nämlis
hen Stoffe mir dem grelleften Lichte, wenn diefeiben unter
einer mit Sauerſtoffgas gefüllten Glocke ſich entzünden und
fchnell verbrennen.
Wir lernen aus dieſen Verſuchen zugleih, daß es das
Sauerftoffgas. ift, welches das Licht hergibt, weswegen ich
auch diejen als den wahren Lichtträger bezeichnet habe. Die
Holzkohle, die Wachs- und Talglichter, die Stahlfeder, vers
brennen und. fchmelzen hier mit dem hellſten Lichte.
Es folge daraus, daß alio, 06 ein Körper heil oder dun⸗
fel verbrenne, bloß allein davon abhange, ob er ſchnell ober
langſam fich mir der Baſis des Sauerftoffes verbinde — und
06 bey dieſer Verbindung mehr oder weniger Lichtſtoff frep
werde. Denn verdunftet er in materieller Hülle, fo erzeugt
er nur Wärme, wird er gänzlich mit dichteren Stoffen vers
bunden, oder was man fagt latent, wird auch dieje nicht eins
mal am Thermometer gefpärt.
- Die wichtige Frage, ob Sauerſtoffgas bey dem Procef
des Athemholens ins Blut dringe, beantwortet der Verf. vors
züglih nad den VBerfuhen von Allen und Pepys mit Nein —
er glaubt daher, daß bag Sauerftofigas nur dazu diene, dem
Blute feinen Kohlenftoff abzunehmen , und zwar in den Puns
gen, und daß diefes fofort feine NRöthe und reizende Eigen⸗
fhaft wieder annehme, welche es durch den Kohlenftoff verloren
gehabt Hat, Allein diefe Annahme wird gar nicht durch dieſe
Verſuche erzwungen,, denn biefe befagen weiter nichts, als daß
bey jedem Achemzug ungefähr fo viel Sauerfloffgas weggehe,
als fohlenfaures Gas der eingeathmeten Luft wieder benge
miſcht werde — ob aber dieſes fohlenfaure Gas in den Lungenzels
len gebilder werde, oder 05 es aus dem Blute feldft in die eins
geathmete Luft Übergehe, und dafür: eben fo viel Cubikzoll
Sauerfioffgae an das Blut übergehen und fih demfelben Hey
mifchen, iſt Dadurch keineswegs ausgemacht.
Wenn ısir alfo darchun können, daß diefes letztere ger
(hehe, nämlich daß in den Lungen wirklich nicht Kohlenſtoff
an den Sauerſtoff des Sauerfioffgajes trete, fondern wirklich
Ueber den Chemismus der Meipiration von Eräve. 435
foßlenfaure Lymphe an die auszuhauchende Luftmaffe übergehe,
wenn wir ferner ermeifen können, daß das Bauerfloffgas
wirklich noch in dem Zufland der Erpanfion eines Theils feines
Waͤrmeſtoffs beraubt ins Blut uͤbertritt, fo fliehen die Vers
ſuche des Berthollet, des Allen und Pepys richtig da, und
doch ift es falih, daß die Kohlenfäure in den Lungen erzenge
wird. Daß aber in der Lymphe des Venenbluts und auch des
flagnirenden Arteriendiutes nur kohlenfaure Lymphe feye, und
nit bloß kohlenſtoffhaltige; dieſes zeige ſich augenſcheinlich
durch die chemiſche Analyſis, welche uns bey gelinderem Waͤrme⸗
grad in dem Retortenhals eine große Menge kohlenſauren
Ammoniak zeigt, und bey ſtaͤrkerem Feuer Kohlenſaͤure und
gekohltes Waſſerſtoffgas entwickelt. — Ferner, daß das Sauer⸗
ſtoffgas ſelbſt aber in die Lungenzellen ins Blut tritt, dieſes
zeigen offenbdar die muͤhſamen Verſuche, welche ich über das
Blut angeſtellt, und die ich in meiner Antritts-Diſſertation
pro loco in facultate obtinendo in Jena vertheidigt habe.
In den Adern der lebendigen Thiere, vorzüglich in den durchs
fihtigen Adern des Netzes und des Gekroͤſes fieht man die
Beinen Luftbläschen unter der Form von Kügelhen, melde
durch das Kochen als Luft entweichen, das nämliche geſchieht,
wenn das Blut gefchlagen wird. Die unter dem Recipienten
der Luftpumpe gelammelte Luft verhält fi mit dem Phosphors
Endiometer geprüft als wahres. Sauerfloffgag, woben alle
Blutkuͤgelchen großentheils verfhwinden, und das Blut feine
Coagulabilitaͤt verliert, welche allein von der Figirung dee
Bauerftoffgasbafis an den Eymeisftoff herkommt, und alfo
hier um fo weniger ftatt finden kann, als die Sauerftoffluft
durch das Kochen, Peitſchen, Schütteln zc. wieder ausgetrieben
wird.
Was das wirkliche Eintreten des Sauerftoffgafes ins Blut
noch mehr beftätige, ift die Vereitung eines kuͤnſtlichen Bluts,
welche ung ſchon Lavoifter gelehrt hat, und weldies barin
befteht,, daB man etwas Eyweis mit Waſſer mifht, und dazu
einige Srane phosphorfaures Eifen binzufent, und das Ges
mifch in einer. Glasroͤhre ſchuͤttelt, wobey Sauerftoffgas abfors
bire wird, und die Fluͤſſigkeit ſich roͤhhet. Das Sauerſtoffgas
wird hier in dem Zuftand des Gas oxygene naissant, Wie
N 436 neber den Chemiſsenns der Nefpiration von Ereve.
es Fourcroy nennt, der Fluͤſſigkeit bepgemifcht, umd es ent
ſteht dadurch Lad phosphate de fer suroxygené avec exchs
de sa base, welches die Urſache der rohen Bintfarbe ift.
Das nämliche geihieht au am Oxygenpol einer Voltaiſchen
Säule; hier tritt da8 Gas .oxygene naissant an die Lymphe
und röthet fie, wie diefes ſchon mehrere Naturforſcher beob⸗
achtet haben.
Es gibt wohl keine Thatfache der neueren Chemie und
Phyſiologie, welche weniger beftreitbar wäre als Diele, und
es wundert den Rec. um fo mehr, warum Hr. ER. Ereve
die Stände für diefe Wahrheit, welche er in feiner phyſiſchen
Darftellung der Lebensträfte fhon vor 16 Jahren dem gelchrs
ten PDublicum vorgelegt bat, fo wenig geachtet hat, daß er
deren nicht einmal in feiner Schrift Erwähnung gethan Bat.
Es ift diefes überhaupt der Sinn des Zeitalters, und leider
die verwerflihe Sitte der Deutihen Gelehrten, daß fie die
Erfindungen ihrer Landsleute entweder zu verläugnen oder hers
. abzufesen fuhen, und dagegen fremder Nationen Männer ers
heben, und als ihre Meifter anzuftaunen fih nicht fchämen,
die weit unter ihnen ſtehen.
Diefe Verläugnung meiner Entdedung fällt Hrn. Kreve
vorzüglich zur Laſt, da er mein Buch bey einem Entftchen
gelefen,, und als Augendfreund in den Jahren, in welchen «6
erfchien, öfters mit mir über phyfiologifhe Gegenſtaͤnde fi
unterhalten bat. Ich habe kieber einen offenbaren Widerfprud
als ſolche Verlaͤugnung, es liege darin eine gewilfe Verachtung
gegen den Verf., welhen man gegen andere große Wänner
des Auslandes nicht einmal nennen mag !
Sch ſchweige darum auch hier, und fage nichts ſowohl
von jenem allgemeinen Geſetz, vermöge welchem jener Träger
des Lichtes der Sauerftoff fih mit allen Stoffen der Erde vers
bindet, als von jenen folgereihen Wirkungen, welche das mit
Bauerftoff verfehene Blut auf das Gefäß und Mervenfpftem
hervorbringt, und wovon auch jene Stockung des Blutes her
geleitet werden muß, welche in den Lungen entfleht, wenn die
Aeſte des paris vagi find verlegt oder durdfchnitten worden. —
Unerflärbar find demjenigen die Erfcheinungen, welche bey dies
fen Verfichen von Dupuytren und Emmert vorfallen, welche
Ueber den Chemismus der Nefpiration von Ereve, 437
die Wechſelwirkung des Blutes auf diefen Nerven des Keinen
Gehirns und umgekehrt nicht einfehen und verfiehen kann.
.. Der Verf. kommt endlich auf die Behauptung, daß auch
der Salpeterfloff der atmosphärifchen Luft fih aus dem Stick⸗
gas entbinde, und bey dem Athemholen ins Blut übergehe —
allein da derfelbe für dieje feine Behauptung in dem Experi⸗
mente keinen Beweis findet, weil die Reſultate der hieruͤber
angeftellten Verſuche meiftens auf keine Abforbtion des Setick
gaſes hindeuten, fo will er aus anderen Gründen, nämlich das
durch, daß die Thiere eine fo große Menge Stickgas gebrauchen,
um die thierifhe Materie daraus zu bilden, und daß nice
umfonft bey weiten der größte Theil der atmosphärifchen Lufe
Stickgas ſey, den Beweis hernehmen, daß diefe Aufnahme
durdy bie Runge gefchehen muͤſſe.
Allein der Verf. flieht nicht ein, "wie fehr er hier gegen
die erfien Srundfäge einer wiſſenſchaftlichen Phyſiologie vers
ſtoͤßt — denn e6 find zwey polarifh einander entgegengefeßte
Spfteme, welche das Leben begründen; das eine dieſer Sy⸗
ſteme ift das Pneumatiſche, wodurch das Licht unter der des
potenzirten Geſtalt des Sauerftoffgafes in den Koͤrper eingeführte
wird ; das find die Lungen. — Das andere iſt das Splandnis
(he Syſtem, modurd die Erdefloffe duch das ihnen beywoh⸗
nende latente Licht veredelt zugebracht werden. Nun ift aber
der Salpeterftoff das eigentliche wahrhaft thieriiche Erdprincip,
es kann daflelbe alfo eben fo wenig durch die Punge eingehen,
als die Luft durd, die Eingeweide der Verdauung in den Körs
per gebracht werden fann. Wir können alfo eben fo wenig
Stiefgas im Athmen verzehren, ats wir Sauerſtoffgas effen
Pönnen. Dieſes muß durch die Lunge, jenes durch den Darmı
tanat beyfommen. | |
Fragt man nun aber, wie bey Thieren, die aus lauter
Pflanzenſtoffen ſich naͤhren, der Stickſtoff werde, ſo antworte
ich durch eine viel wahrſcheinlichere Hypotheſe, daß dieſes
durch eine Veredelung des Kohlenſtoffs geſchehe, welcher den
einheimiſchen Stoffen des Thierkoͤrpers, vorzüglich den Speichel
Magen s und Darmiäften beygemiicht, das Lichtprincip dieſen
raube und mit fich vereinige. So entfteht der Kohlenftoff durch
die Vegetation aus dem Hydrogen, welches in verfchiedenem Grade
438 Weber den Chemismus der Nefpiration von Créve.
der Verdichtung und Austreibung des Lichtpeineips die Stoffe
des Mineralreihs darftelle, von den kaliſchen Salzen und Er
den an bis zum dichteften Metalle, welcher Verwandlung die
Desorydation der Laugenſalze und Davys wichtige Entdeckung des
Dotaffium auf eine auffallende Weiſe Beftätigung gibt. — Nehr
men wir noch hinzu, daß diefer ehierifche Stoff (Salpeterſtoff)
bey feiner Verbrennung in Kohlenfäure und Waſſer zerfällt,
wie diefes die Procefie des Ausachmens und dee Hautdunſtung
zeigen, nehmen wir ferner, daß die ftärkeren chemifchen
Heagentien durch Trennung und Wiederverbindung alle Stoffe
des Pflanzen » und Mineralreihs liefern, indem fie in ihre
unteren Siuffen zerfallen, und Kalien, Kalkerde, Talkerde,
Kiefelerde, Ammontum, Effigfäure, Benzoefäure, Zuckerſaͤure etc.
— phosphorfaure Deie — Schwefel, Harze, ja Eifen liefern,
fo iſt wohl die hier vorgetragene Theorie, daß dag Azot eine
Veredelung des Erdftoffes zur Thierſubſtanz fen keineswegs mehr
eine Hypotheſe zu nennen — und der Verf. hätte wohl beffer
gethan, ftatt dem Prunk undeftimmter Franzoͤſiſcher und Eng
ländifcher Verſuche feinen alten Deutfchen Freund niche zu vers
läugnen.
Ackermann.
Bruchſtuͤcke zur Menſchen⸗ und Erziehungskunde religioſen Inhalts
Zweptes Heft. Frankfurt a. M. in der Andreaͤiſchen Buchhand- |
fung ı8gıı. XXIV und 299 S. Drittes Heft. Ebendaſ. 1812.
247 ©. Viertes Heft. Ebendaf. 1813. 352 ©.
Die bepden letztern Hefte haben noch den befondern Titel:
Die Lehre von Gott. Ein Bruchſtuͤck zur Vereinigung der bepden
Spfteme , ded Glaubens ohne Wiffenfchaft, und des Willens ohne
Glauben.
"Bir kennen fhon aus dem erften Hefte diefer Bruchſtuͤcke
den Verf. als einen redlihen Wahrheitsforfcher und religisfen
Selbſtdender. Seinem Charakter getreu fucht er in dieſen bey
den Heften überall auf jenen tieferen Punct binzuführen, von dem
alle Religion und ale Beruhigung ausgeht, auf den Glauben.
Das zweyte Heft Hat befonders die religidfe Bildung der Jw
gend zum Zwei. Er legt den Katechtsmus der chrif:
⸗
Bruchſtuͤcke zur Menfchen- m. Erziehungsk. rel. Inhalts. 439
liden Lehre von Hoffmann in Schmiedebderg (defs
fen. Werth auch in unfern Jahrb. 1810. ates A. 40. aners
fannt worden ) zum Grunde, und empfiehlt den Vorſchlag
deſſelben, die religsöfen Lehren mehr, als es in der letzteren
Zeit gefchehen, zur Sache. des Gedaͤchtniſſes zn machen. Er,
preiße der bisherigen Vernachlaͤßigung gegenüber mit guten
Gruͤnden die Cultur dieſes Seelenvermoͤgens an (mir erinnern
uns hierbey an die trefflichen Lehren in Herbarts Pädagos
git Über den Einfluß des Gedaͤchtniſſes auf den Charakter ).
„Die Unſchuld,“ fagt er ©. 7, „hat an dem Gedaͤchtniß
einen Wächter, einen. Stellvertreter, einen Beyſtand; der
Gedaͤchtnißſtarke verliert nie jo oft Gott aus den Augen, die
Lehren der Wahrheit find ihm tmmer gegenwärtig, und wenn
fein Wiffen auch das Auffommen ‚firäfliher Gedanken und
Seläfte nicht zu hindern im Stande ift, fo tritt es doch ihren
Forticheitten in den Weg.“ Der Einwurf, daß es thöricht
fey, Kinder Dinge auswendig lernen zu laffen, die ihr Ders
ftand nicht begreift, wird dadurch widerlegt, daß die finnvols
len Sprüche der Weifen doc etwas haben, was das kindliche
Herz gar wohl verſtehe: auch merde das, was in den jahren
der Kindheit nicht verſtaͤndlich ſey, es oft plößlich bey fpäteren
Anlaͤſſen. Was unier Verf. aus Hoffmann anführt, und ſelbſt
ſagt, fol man billig gu Herzen nehmen. Auch if das fehr
zu loben, daß er nadydrüclic gegen das Aufblähen des vers
meintlichen Wiffens redet. Was nun über alles dieſes gefagt
iſt, trägt allerdings zur Loͤſung der wichtigen Aufgabe bey,
die Neligionslehren fo zu übergeben, daß fie mit dem gangen
Gemuͤthe empfangen und in einem feinen guten Kerzen bes
wahrt werden : : aber uns fheint doch noch mehr dazu nöthig
zu ſeyn, namentlid ein folcher flufenmeifer Unterrihe, worin
fein Wort vorkommen darf, das nicht von dem kindlichen Sinne
verflanden wird.
In dem Hoffmanunſchen Katehismus find die Religions—
lehren auf ein ganzes Jahr in 5a Wochen vertheilt. Linfer
Verf. folge diefem Gange und trägt die Glaubens s.und Sits
tenlehren durch religidfe Betrachtungen vielfeitig und erbaulich
vor. Der evangelifche Geiſt befeelt ihn. Er verweiſet überafl
auf Selbſterkenntniß, Demuth und Ergreifung der hoͤhern
440 Bruchftuͤcke zur Menfchen. m. Erziehuugtk. rel. Inhalts.
Kraft. Der Stufengang in biefen Betrachtungen iſt eine gute
Spee, die Ausführung ift nur nicht methodifh genug, da
fhon bey den erflen tiefere Neflerionen vorfommen, und bie
leßteren grade nicht weiter eindringen, da auch überhaupt nicht
pſychologiſch genug die zugleich erwachfende Erkenntniß Gottes
und Erfenneniß unfrer ſelbſt entwicelt wird. Man lieſet oͤf⸗
ters fromme und fchöne Gedanken, mie etwa folgender if
(©. 184): „Das Gebet foll den Wünfhen Abbruch thun,
den Durft des Herzens ftillen, nicht ihn vermehren — erfens
nen follen wir, daß Bott Alles wohlgemacht, feinen Ruhm vers
tünden , nicht Klage führen.“ Mit den Gedanken eines Aus
guſtinus hat ſich der Verf. befonders befreundet. Im Gebraude
der Bibelſtellen wäre einiges zu tadeln. ©. 170 werden bie -
Worte Jeſu Joh. 13, 27. (dur einen Druckfehler, deren
ſich auch mande in den Namen finden, ſteht Joh. 1, 27.)
in einem ganz andern Sinne angeführt, als fie Jeſus ge
braucht; und 1. Joh. 4, 19% iſt auch nicht im richtigen Sinne
angewandt. ü
Das dritte Heft enthält Selbſtbetrachtungen. Die Gründe
und Anfichten des Theismus und Naturalismus find da mit
vieler Beleſenheit und nad) den neueften Bewegungen in der
Philoſophie zufammengeftellt; es fpricht da weniger ein ſchul⸗
gerechter Syſtematiker als ein gläubiges Gemuͤth, das aber
noch Befeftigung in feinem Glauben ſucht. Wer das Gemwirre
müde ift, das dur die Sophifterenen alter und neuer Zeit
ausgefponnen worden, den mögen diefe Monologen anfpres
den und mit manchem glädlichen Gedanken flärten. Sie
(ehren jene Wifferey des Duͤnkels verachten, und weifen hin
auf das Eine, was Moch tft; fie wiederholen in vielfacher
Beziehung die heilige Wahrheit, daß jene Wiſſenſchaft fih
nur zu fehr zeigt als Kind des menihlihen Stolges, und alſo
nur Unruhe mit fih bringt, daß dagegen der kindliche Sinn
dahin führt, wo nur allein Wahrheit if, zu Got. Warum
haſchen wir nach den herumflatternden Meynungen wie nad
Schmetterlingen (nah dem Gleichniß S. 6), da wir das
Ewige nahe genug finden können, und es bey uns ficht, am
das feftzuhalten, was unerfchätterlihe Nube gewährte? Gewiß
liegt dieſes in der religidfen Bildung. Die jebige Generation
Bruchſtuͤkke zur Menfchen- u. Erziehungsk. rei. Inhalts. Adi
muß durch die Abterung ihrer Lehrer von dem Ewigwahren
hart buͤßen; und man will durch ein ſolches Ängftliches Haſchen
nach Lehrmeynungen das Verlohrne wieder finden! Umſonſt!
— Der wuͤrdige Verf. verdient Dank, daß er ſo mit ganzer
Seele feinen Zeitgenoſſen ſagt, das einzige Rettungsmittel fuͤr
ſie und ihre Kinder ſey die Religion.
In dem vierten Hefte werden die philoſophiſchen Betrach⸗
tungen über den Theismus und Naturalismus fortgeſetzt; ebens
fals weniger logifch als gemächlih. Wenn der Def. 1. B.
fagt: „Vernunft und Darenn find nicht ohne Bewußtſeyn
denkbar — Bewußtſeyn, Daſeyn und Vernunft find Eins.
Alles, was der Vernunft ermangelt, iſt ſo gut als nicht da;*
fo könnte man ihn eines argen Idealismus beſchuldigen, wos
von er indeffen weit entfernt ift; er will hier nicht reden, wie
in einem firengen Syftem, fondern zum Herzen. Und diefes
gewinnt uͤberall auch in diefen Selbſtbetrachtungen, deren Ziel⸗
punct zuweilen in einem Sag bündig ausgeſprochen wird, wie
z. B.: „So wie die Demuth von dem Menichen ſcheidet,
der Knecht dem Herrn glei ſeyn will, ift fein guter Geiſt
von ihm gewichen.“ Es find über den Glauben und die Gnade
Stellen in diefem Buche, die zu ihrem Lobe Auguftinifch heißen
mögen, und würde von Glaube, Liebe und Hoffnung nut
noch etwas mehr aus ihrem innern Weſen gefprohen,, das
Heißt freyer von den Neflerionen und der Sprache unferer Zeit
"und mehr in ungeträßtem Zuftande der Andacht, ſo würden
wir das Buch manchen Schriften des Auguftinus unbedenklich)
gleich ſetzen. A
Die zweyte Abtheilung des vierten Hefte handelt von dem
Naturalismus, und ſucht denfelben mit dem Theismus zu vers.
einigen. Aber weder die Angabe des Unterfchieds von beyden,
z. B.: „daß der Maturalift Gott in, der Theiſt Sort über
die Natur ſetzt,“ noch die Identificirung, daß beyde doch
daſſelbe meinten, wird die metaphyſiſche Speculution befriedi⸗
gen. Der hoͤchſte Begriff, worin ſich alles einigen ſoll, der
vom Seyn, iſt zwar in. vielen Beziehungen aufgeftelle, und
zwar oft parador,, aber zum Verwundern äbereinftimmend mit.
Yusfprüchen mancher alten Theofogen und Scholaſtiker: allein
follte die Sache auf diefem metaphyſiſchen Wege ausgefuͤhrt
443 Bruchftüde zur Menſchen⸗ u. Ersichungsf. tel. Inhalts.
werden, ſo war eine durchgaͤngig logiſche und ſchulgerechte
Behandlung noͤthig. Daß Gott erſt durch die Welt Daſeyn
hat, aber die Welt durch Gott ihr Seyn, kann, ſo wie es
hier vorgetragen wird, weder dem Glauben, noch dem Wiſſen
ganz genuͤgen. Ueberhaupt ſcheint uns grade darin eine In⸗
conſequenz zu liegen, daß durch das Begreifen der Glaube
begruͤndet und empfohlen werden ſoll. Denn wer das Heil
im Wiſſen ſucht, dem iſt und bleibt doch einmal der Begriff
das Erſte, und wer es im Glauben ſucht, der kann nicht mehr
die jen Glauben begründen wollen, ſondern er hat nur die
. darin gefundene unmittelbare Gewißheit in einzelnen Lehren
zu exponiren und Mar zu machen. Er ann fchlechterdings keine
Vereinigung beyder Syſteme erwarten; nur eine Kritik der
Vernunft fann beyden gemein bieiben. Sonach finden wir
die veligidfe Seite des Buches als die beffere, und freuen
uns, daß berfelbe Geiſt diefe Betrachtungen vom Anfang bis
zu Ende unterhält. Es ift in der That erbaulich, in ein gots
tesglaubiges Gemuͤth zu blicken, das von Zweifeln und Ders
irrungen des Zeitgeiftes angefloßen, mit Ernft und redlichem
Denken Wahrheit fucht, und am Ende in feinem Glauben fih
geſtaͤrkt fühle.
D. Car. Aug. Theoph. Keilii, Theol. dogın. in academia
Lipsiensi Prof. P. O. Eccles. cathedr. Misenens. Capitu-
laris, Consistorii regii Lips. Assess. Elementa Hermeneu-
tices Novi Testamenti latine reddita a Christ. Aug.
Godofr. Emmerling, Past. apud Probstheyd. substit.
societ. philolog. Lips. sodal. Lipsiae MDCCCXI. impensis
Fried. Chr. Guil. Vogelii. XXVI und 205 ©. gr. 8.
Wir dürfen diefe Schrift bereits als bekannt vorausſetzen,
denn fie ift bloß eine Weberfeßung des fihäßbaren 1809 ev
fhienenen Keilſchen Lehrbuchs der Hermeneutik des N. T.
Warum aber diefe Anderthalb Jahre fräher in Deutfcher
Sprache erihienene Schrift jetzt Fateinifch erfheint, dan
über ertheilt die jeßt neu hinzugefommene Zueignungsfchrift
an D. Johann van Voorft, Profeflor der Theologie zu
Leyden, einigen Aufſchluß. Es bezeugte nämiih Herr van
Voorſt dem Verf. bald nah Erſcheinung feines Deutſchen
D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 443
Lehrbuchs den Wunſch, daß er daffelbe, da es in einigen Puncten
viel reihhaltiger ſey, als Ernefli Interpres N. T., und andre
Puncte genauer und den gegenwärtigen Beduͤrfniſſen anger
meſſener abhandle, gern bey feinen hermeneutifchen Vorleſun⸗
gen zum Grunde legen möhte, welches aber nad) Hollaͤndiſcher
Bitte nicht gefhehen könnte, wenn nicht eine Lateinische Vers
fion des Buchs eriftirte. Er fragte daher bey Hrn. D. Keil
an, ob diefer feldft eine Lateinifche Verſion veranflalten, oder
ihm oder irgend einem andern Gelehrten die Veranſtaltung
einer ſolchen Verſion überlaffen wollte. Der Verf., geneigt,
jenen Gründen Gehör zu geben, und zugleich die größere Vers
breitung und Nußbarkeit feines Lehrbuchs zu befördern, konnte‘
ſich ſelbſt nicht zu einer Lateinifchen Weberfeßung eines Buchs
entſchließen, das er, vorzüglich in Hinſicht auf den Deutſchen
Buchhandel, Deutſch abgefaßt hatte; aber eben fo wenig
mochte er unbedingt diefe Arbeit einem Andern uͤberlaſſen. Er
hielt es alfo für das Beſte, einem jungen Gelehrten, Herrn
Emmerling, der fih fchon durdy mehrere Beweiſe von
Kenntniſſen und Fleiß ruͤhmlichſt empfohlen hatte, dieſe Arbeit
fo, daß fie unter feiner eignen Leitung vorgenommen würde,
gu übertragen ; worauf fie zu feiner Befriedigung vollendet ward.
Billig Hiele er es nun, diefe Schrift in ihrer neuen Geſtalt demjeni⸗
gen Gelehrten zu dediciren, der ihm auctor suasorque biefer
Ueberfegung gewefen war. Bey diejer Gelegenheit bemerft Hr. K.
noch, wie fehr ihn, befonders um einer Urſache willen, van
Voorſt's günftiges Urtheil uͤber fein hermeneutifches Lehrbuch
erfreut habe. Da er nämlich gleich zu Anfang diefer Schrift
erklärte, daß fie ganz nach den Grundſaͤtzen der grammatifchs
hiftorifchen Sinterpretation abgefaße fey, und fie dennoch von
Senem mie Bepfall aufgenommen ward: fo fehließt er mit
Recht, daß der Holländifche Gelehrte von diefer grammatiſch⸗
hiflorifchen Interpretation des N. T. nicht weiter für die heis
ligen Bücher oder für die Religion ſelbſt Gefahr befürchte,
wie er doc) fräher, als er fih über Erneftt's Verdienft um
die Auslegung des N. T. vernehmen ließ, zu befürchten ſchien,
indem er glaubte: es werde dadurch die Meynung derer be⸗
guͤnſtigt, welche annehmen, daß Jeſus und ſeine Apoſtel ſich
zu den Volksmeynungen ihrer Zeitgenoſſen accommodirt haben.
ik D. Reilii Elementa Hermeneut. N. T.
Diefe Anerfennung der Vorzuͤglichkeit und Unverdaͤchtigkeit ber
Bier empfohlenen grammatiſch : hiftorifdyen Interpretationsme—⸗
thode erfreute den Hrn. Verf. um fo viel mehr, je beflimmter
er darauf dringt, daß durch diefe Methode nicht etwa ein bloß
möglicher Sinn, den eine Stelle der Schrift Haben fänne, folle
aufgefunden , fondern folle vielmehr gelehrt und erwielen wers
den, daß dieſer Sinn, den man angebe, wegen aller Hiftoris
fhen Argumente, die in Betrachtung kommen, der Stelle
nothwendig eigen ſeyn müffe, und daß ein Schriftfteller, der
fih fo ausdruͤckte, keinen andern, als diefen Sinn feinen Les
fern habe mittheilen wollen , je .entfchledener cr aber auch zus
gleich erflärt, daß es auf diefe Bekimmung : welches der Sinn
der vorliegenden Schrift fey und feyn muͤſſe? ganz allein ans
komme; dagegen die Frage, wie wahr oder falih, gefällig
oder mißfällig, das DVorgetragene fey, den Ausleger als folchen
nicht befümmere. Zugleich aber bemerkt Hr. K., dab bey dies
fer Ausdehnung defien, was die hiflorifche interpretation zu
leiften Habe, dem Wunſch derjenigen Beurtheiler diefes Lehrs
buche zu wenig habe Genuͤge geleitet werden können, weldye
‚glaubten, daß alles, was zur hifterifhen ‚Interpretation gehört,
lieber in Einem Kapitel zufammengefaßt, als in mehreren
Abſchnitten zerfireut feyn dürfte; Dagegen Er vielmehr in allen
einzelnen Abfchnitten diefer Anmeifung auf diefe hiftorifche Sins
terpretation babe Rädfihe nehmen müffen. Vurch diefe Ber
merkung führe uns der Verf. zum Hauptinhalt feines Werts
und zur Anordnung des Ganzen; welches wir aber übergehen,
da diefe wohlgerathene Heberfeßung, einzelner Hinzugefommener
Motigen Aber die allerneufte Litteratur der beyden legten Jahre
abgerechnet, aufs genauefte mit dem ſchon befannten früher erſchie⸗
nenen in dieſen Jahrbuͤchern, Jahrgang ı8ı0. Stück ı0,
©. 145, von einem andern Necenfenten angepeigten Deut:
fhen Lehrbud gufammenfiimmmt : und ba in andern dfi
fentlihen Beurtheilungen deffelben bereits Erinnerungen über
die Anordnung der einzelnen Parthieen diefes Werks gemacht
find, wogegen fih Hr. K. in der vorhin gedachten Bemerkung
vertheidige. Lieber heben wir, um den Geift dieſes trefflichen,
durch bündige Srundfäge, treffende Beyſpiele und reiche Litte⸗
ratur ausgezeichneten Lehrbuchs zu charakterifiren, Einiges von
dem aus, was Die Kauptfache bey diefer Anweiſung ausmacht,
naͤmlich, was die von unferm Verf. fo dringend empfohlene
grammatiich hiſtoriſche interpretation betrifft.
Gleich zu Anfang des erften Hauptabſchnitts de recta
cognitione sensus librorum N. T. p. 11. wird auf gehörige
Beſtimmung und Auseinanderfesung des Weſens diefer grams
matifch s biftorifchen Sinterpretation vorbereitet. Es heiße näms
lich: da den Sinn einer Rede oder Schrift erfennen nichts
— — een ae —
D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 445
anders ſey, als eben dasjenige dabey denken, was der Redner
oder Schriftſteller dabey gedacht hat, und dabey hat gedacht
wiſſen wollen, und in welchem Fall man den richtigen Sinn
derſelben gefaßt habe: ſo ſey die Erforſchung des Sinnes einer
Rede oder Schrift offenbar eine hiſtoriſche Unterſuchung, in
welcher Ruͤckſicht die Erklaͤrung eines Schriftſtellers, namentlich
auch der Buͤcher des N. T., eine hiſtoriſche genannt werden
konne. Da aber dieſer Sinn der Buͤcher des N. T., welcher
nur ein einziger feyn könne, zunaͤchſt nothwendig aus den von
ihren Verfaſſern jedesmal gebrauchten Worten erkannt werben
muͤſſe, indem diefe das Huͤlfsmittel eines Schriftftellers zur
Bezeichnung feiner Begriffe und Vorftellungen ſeyn: fo werde
in fofeen die Erflärung diefer Bücher eben fo, wie die jedes
andern Schrififtellets, eine grammatifche ſeyn müffen. Aber
freylich fey dieſe grammatifche Erklärung von jener hiſtoriſchen
keineswegs verichieden, und Bönne daher auf keine Weife von
ihr getrennt oder ihr entgegengefeßt werden; vielmehr feyen
beyde aufs genauefle mit einander verbunden. Die biftorifhe
koͤnne und dürfe nie eine andre als grammarifche ſeyn; Dages
gen aber folle und muͤſſe auch die grammatifche immer eine
hiftorifhe feyn. (Merichieden find beyde doch gemwiffermaßen,
fofeen die Hiftorifhe einen größern Umfang hat, als die grams
matifche ; denn die feßtere befchäftige fih mit den Worten, des
ren Form, Bedeutung, Mobdification und der Beziehung der
verfchiedenen Wörter, die einen Satz, und der verfchiedenen
Säge, die ein Ganzes bilden, zu einander. Die Exftere fucht
den ganzen Ideenkreis des Schriftftellers nach allen feinen los
calen, temporellen, individuellen Ruͤckſichten und Beziehungen
ins Auge zu faffen, mozu die grammatifhhen Operationen nur
den Weg bahnen mußten. Daher Rec. in feinen hermeneutis
ſchen Vortraͤgen am liebften die grammatifche Snterpretation
als die erfie, die hiſtoriſche als die zwente Stufe der Achten
ungertvennlich verbundenen grammatifch s hiftorifhen Auslegung
dargeftelle Hat. Aberfreylich laͤßt fih auch fchon der Sinn mans
ches einzelnen Worts, z. B. nioris, dıxaootyr, bıög Isoo,
ayıaseıy u. dal. nicht ganz beſtimmt auffaffen, ohne daß man
hiſtoriſch tiefer in die damaligen Ideen und Beziehungen eins
zugehen fuhrt; und in fofern ift fchon die grammatifche Erdrtes
rung eines einzelnen Worts eine hiftorifhe Unterfuhung; und
die grammatifche und Hiftorifhe interpretation fliehen in der
ensften Werbindung, ja laufen in eins zufammen.) — Hierauf
wird ©. 14 jur Vorzgeichnung des ganzen Planes diefer Theorie
hinzugefügt: weil aber der Sinn einer Schrift nicht immer
einzig und allein aus den darin gebraudten Worten erkannt
werden koͤnne, fondern aud) noch mehrere andre Umftände das
446 | D.Keilii Elementa Hermeneut. N. T,
bey in Betrachtung kommen: fo werde bey vollfländiger Er⸗
Märung eines Schriftftellers auf folgende fünf Städe zu fehen
fepn: daß man ı) die Bedeutung und den Sinn aller einzelr
nen in einer Schrift vorfommenden Worte und Redensarten
fenne ; 2) den Zufammenhang mehrerer mit einander verbuns
denen Worte und Saͤtze, fo wie alle größern oder kleinern
Theile der vorliegenden Schrift genau erforfhe: 3) den Sinn
folder Stellen, in denen eine bildlihe oder anderweitige bes
fondere Art des Vortrags herrſcht, richtig auffaſſe; 4) auch alle
die Nevenumftände kenne, weiche auf die Beflimmung und ges
nauere Erfenntniß des Sinnes einen Einfluß haben: und ends
lich 5) alles, was der Schrififieller fagt und vorträgt, nad
denjenigen Vorftiellungen, die er nad dem jedesmaligen Ges
genftand feiner Rede Hatte, richtig zu beflimmen fuche. Es
würde uns zu weit ‚führen, dieſe einzelnen Puncte, welche
Hr. 8. mit Recht in feiner nun folgenden Anweifung zur
volltändigen Erforfhung des Sinnes der Bücher des N. T.
näher beleuchtet, weiter zu verfolgen. Wir können bloß darauf
hinweifen, wie er theils jeden eingelnen der gedachten Puncte
eben fo .gelehre, als bündig und einleuchtend, wenn gleich
überall, dem Zweck diefes Lehrbuchs gemäß, in einem fehr ges
drängten Vortrage abzuhandelu fucht, und befonders über Die
Erfenntniß der Bedeutungen einzelner Worte und Redensarten
in befondern zu ertlärenden Stellen des N. T. und die Bes
flimmung ihres jedesmaligen Umfange und Sinnes, wie über
die richtige Erfenntniß des Zufammenhangs mehrerer mit eins
ander verbundenen Worte und Säße in den Büchern des N.
T., fomwohl des grammatifhen, als des topiihen Zufammens
Hangs, ein gang etgenthämliches Licht verbreitet; theils ſchon
bey Bemerkung der Vorkenntniſſe, die ein Ausleger des N. T.
zur Erklärung deffelden mitbringen muß, auf forafältige Bes
obachtung und Unterfcheidung der Neligionsmeynungen der
Suden, der eigenthümlichen chriſtlichen Neligionsiehren, und
endlich der Religionsmepnungen der von der apoftoliihen Lehre
fhon früh abweichenden und dem Chriſtenthum ſich Widerfegens
den Partheyen, aufs beftimmtefte dringt; vorzüglich aber um
den für die hiftoriiche interpretation erheblichiien Punct, die
Erläuterung des jedeemaligen Inhalts einer Stelle nad) den.
Vorftellungen des zu erklärenden Schriftftellers und feiner ers
fien Lefer betreffend, fih ein ausgezeichnetes Verdienft erworben
hat Man muß fih, wird hier $. 94. ©. 157 mit Recht ges
fordert, von allen in der vorliegenden Schrift erwähnten oder
auch nur berübrten , ſowohl finnlihen als intellectuellen, Ges
genftänden eben diejelben Worftellungen zu verfchaffen fuchen,
die der Schrififteller davon hatte, und die feiner Seele bey
D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. AUT
Abfaffung der zu erflärenden Schrift vorichwebten. Um aber
dies mie gluͤcklichem Erfolg zu können, muß der Ausleger nicht
nur mit den Vorftellungen von den abgehandelten oder auch
bloß beruͤhrten Segenfländen, ſich vermittelft der dienlichen
Huͤlfsmittel Hinlänglidh bekannt gemacht haben, fondern nun
auch dieſe Kenntniß auf die dahin einfchlagenden Gegenflände
richtig anwenden. Wie diefe Regel nun zu befolgen ſey, ı) in
Anfehung der Vorftellungen von finnlihen und der Erfahrung
unterworfenen Dingen, 3. B. oriyn, xoaßBaros Mark. IIL,4,
mögen nun ſolche ausdrädlich erwähnt, oder mag bloß auf fie
angeipielt feyn, =) in Anſehung der Worftellungen von intels
tectuellen Dingen. und vorzüglich Religionsmepnungen, 3. ©.
dıaßoAos, oaravas, fowohl in Stellen, wo nad folchen
Meynungen geredet und gefhrieben wird, als bey Stellen, in
denen ſolche Meynungen beftritten und widerlegt werden : ſucht
unfer Verf. fo beſtinmt, als es bey ſolchen fchmwierigen Fragen
möglich if, gu lehren. So wird ©. 144 f. wegen ber richtis
gen Auffaffang der Borftellungen jener Zeit von intellectuellen
Segenftänden , vorzüglich von Religionsmepnnungen, der Grund⸗
fab aufgeſtellt: fobald es einmal hiſtoriſch gewiß oder auch nur
wahrfcheintich ſey, daß der zu erflärende Schriftftellee von eis
ner Sache dieſe oder jene Vorftellung gehabt habe, ſo muͤſſe
dieſelbe billig in allen auf dieſelbe fih beziehenden Stellen
(verſteht ſich: deffeiben Schriftſtellers!) zum Grunde gelegt,
und das, was er fage, darnach beſtimmt werden, befonders
wenn die Stelle dadurch volllommen deutlich werde, und das
in demfelden Geſagte auch mit anderweitigen Aeußerungen des
Schriftſt ellers Äbereinflimme und in der genaueften Verbindung
damit fiehe, oder ſich wenigftens nirgends Etwas finde, das
der Annahme dieler Vorftellung widerfpräche. Wenn hiernaͤchſt
als ein ſehr ſchaͤtzbares Huͤlfemittel, den Sinn einer Stelle
nach den Worftellungen des Schriftftellere zu beftimmen, fowohl
die Vergleihung anderer Parallelftellen deſſelben Schriftftellere,
als die Vergleichung der Paralleiftellen der übrigen Scrifts
fieller des N. T. empfohlen wird, fo wird zugleich, um jeden
Mißbrauch diefer letztern, nad) der fonft angenommenen ana-
logia scripturae, gu begegnen, ©. ı50 erinnert: Die Erwaͤ⸗
gung deffen, was den anderweitig befannten Srundfägen und
Meynungen der N. T. Schriftfteller gemäß oder nicht gemäß
iſt, könne bloß dazu angewandt werden, zu zeigen, daß dies
oder jenes der Sinn einer Stelle nicht ſeyn könne; keineswegs
aber möge fie dazu dienen, den Sinn einer Stelle felbft vers
mittelft derfelben zu erkennen, weil daraus, daß ein Schrifts
ſteller dieſes oder jenes gefage Haben koͤnnte, moch nicht folge,
daß er es auch wirklich gefagt Habe. Auch werden noch über
445 D.Keiliı Elementa Hermeneut. N.T.
wirfliche oder fcheinbare Widerfpräde in den Büchern bes N.
T. und das Berhalten des Auslegens in Anſehung derſelben
bedeutende Winke hinzugefügt. Doc ik mit allen dieſen Bes
merfungen und Örundiägen, weiche Hr. 8. im erfien Haupt
theil feiner Theorie de recta cognitione sensus librorum
N. T. beygebracht hat, das Ganze, was zur Thestie der his
ſtoriſchen Suterpretation gehört, noch wicht vollendet, fondern
es muß auch ans dem zweyten Saupttheil de ratione, sensum
librorum N. T. recte cognitum alios docendi ned Einiges
hieher gezogen und hier ins Andenken gebracht werden. Wie
besnägen uns jedoch damit, bloß auf dasjenige, was der Verf.
von 6. 115. an über die Ruͤckſicht des Auslegers auf Stellen
hiſtoriſchen Inhalts, befonders anf E:zählungen von wunder
baren Brgebeuheiten,, ferner auf Gtellen dogmatifchen und
meoraliihen Inhalts erinnert, aufmerffam zu madhen, und fos
wohl auf die große Behütſamkeit, als auf die Liberalität der
Principien unſers Verf. hinzuweiſen, wenn er ben Stellen
hiſtoriſchen Inhalts nicht bloß Auffaffung der Erzählungen nach
ihrem urfpränglidhen Sinn, fondern aucd Würdigung Derfelben
und ihrer Beſchaffenheit, und feltfi eine Erforſchung ihrer
Quellen empfiehlt ; wie dies vornehmlich bey Erzählungen wuns
derbarer Begebenheiten der Fall ift, wobey möglichfle Befcheis
denheit und Borfiht in den Erflärungsverfuhen darüber mit
Mehr gefodert wird; und wenn er bey Stellen‘ Dogmatifchen
und moralifhen Inhalts nicht bloß lehrt, fie im Geiſt jenes
Zeitalters aufzufaffen, fondern aud auf Beachtung ihrer gan⸗
gen Sefchaffenheit, ihrer Quellen und ihrer Tendenz, recht
ernftlih dringt, damit man lerne, das Allgemeingältige vom
Localen, Temporellen und Sjndividnellen gehörig zu fondern.
- Wir fließen mit dem aufrichtigen Wunſch, daß diefe treffliche
Theorie zur Leitung angehender nicht allein, fondern auch fchon
geübter Schriftforfher auf Pie rechte Hahn der gründlichen
und beicheidenen aͤcht hiftorifhen Forfhung, wobey man der
Willkuͤhr ſelbſterwaͤhlter Deutungen einzelner GSchriftftellen im
neuen und neuften Geſchmack am fiherften entgeht, recht wirke
fam ſeyn möge; und wir flimmen volllommen in den Aus
ſpruch des würdigen Verf. &. XIII der Zueignungsichrife mit
ein: Certissime mihi persuasum habeo, tum demum Ii-
Prorum sacrorum interpretationi melius, quam hucusque
factum est, consultum iri, ubi grammatico - historicae
illius interpretandi rationis praecepta, quae equidem hoc
libello enarrare atque commendare studur, ab omnibus
non modo probata fuerint, huicque rei unice apte judi-
cata, sed in ipsis etiam libris illis interpretandis diligen-
ter observata.
— r.
—22222020
No. 29. Heldelbergifäe 1812.
Jahrbücher der Litteratun
Verſuch aus der harten und weichen Tonart jeder Stufe ber Diatonifch
bhromarifhen Tonleiter vermittelfſt des enharmoniſchen Tonwech⸗
ſels in die Dur und Moll Tonart der uͤbrigen Stufen auszuwei⸗
den. Von H. Eh. Koch. Rudolſt. Hof⸗Buch⸗ und Kunfle
handlung. 1812. 16 Bogen Querquart.
Eu. Sammlung und fehr ausführliche Mufterfarte von ens
barmonifchen Ausweihungsformeln, aus jedem Ton in jeden
andern (die ganz gewöhnliche Ausweihung in die Dominante
und Unserbominante ausgenommen), näßlich für den Minders
geösten, um fih im Fall des Beduͤrfniſſes darans Raths er⸗
holen, und das zu feinem Zwecke paſſende Muſter copiren zu
koͤnnen. *
Die Ausweichungsformeln, ſaͤmmtlich in Notenbeyſpielen
von 2 bis 4 Tacten vierſtimmig anf zwey Notenlinien im G
und F Schläffel ausgefchrieben, find unter folgenden Rubriken
geordnet:
1. Abſchnitt. Ausweichung aus den harten Tonarten in
andee Dur Tonarten. De Ne
2. Abſchn. Ausweichung aus den harten T. A. in die
Moll s Tonarten.
3. Abſchn. Ausweihung aus den weichen T. A. in Dav
Tonarten. J > eh
4. Abſchn. Ausweihung aus den weichen T. A. in Mol
Tonarten.
5. Anhang. | —
Der Berf. beanägt ſich aber nicht, von der Ausweichung
aus-der Tonart Einer Stufe (5. ©. den gewöhnlichen Nor⸗
mal; Tonarten C dur und A moll) nad) allen ondern Durs
und Mel : Tonarten, Muſter zu geben, fondern gibt Ausweis
chungsmuſter aus allen Tonarten in ae andern, und über
manchen diefer vielen Specialfaͤlle finden fi fogar nach zwey
29
450 Verſuch aus ˖ der harten u. weichen. Tonart ıc. von Koch,
verfchiedenartige gemein angegeben, im Ganzen wohl: über
. zbo Formelin!
Daß diefe große fo weit getriebene Ausführlichleit, wie
der Verf. in der Vorrede behauptet, ihren eignen Nutzen habe,
will Rec. nicht widersprechen: allein er ift Üübergengt, daß das
Werk dennody an Brauhbarfeit und Faßlichkeit gewonnen has
ben wuͤrde, wären die verfchiednen Formeln anders geo:dnet,
und fämmelich auf Ausweichungen aus zwey Normal s Tonarten
reducirt worden.
Sucht man z. ©. die verſchiednen unter vierzehn Rubris
ten des Werks zerftreuten Formeln zum Webergang aus einer
harten Tonart in die harte der zunächfl darüber liegenden Taſte
auf, fo finder man: @ Formeln von C nad Cis, 2 von G
— Des, ı von Cis—D. ı von Des nad D, 2 son D nad
Es, ı von Es. nad E, 1 von E nah F, ı von F nach Fis
(warum feine nah Ges?), ı von Fis nah G, ı von G
nad) As, ı von As nad) A, 2 von A nah B, 2 von B na
H, e von H nad) C.
Alſo 20 Formeln für ı4 im Grunde doch gleichartige Faͤlle,
welche ſich ſaͤmmtlich unter Eine Rubrik Hätten ſubſumiren laſ⸗
ſen: denn offenbar koͤnnte doch eine Ausweichungsformel von
C nah Cis als Mufter des Uebergangs von F nad) Fis, von
Des nad D, von Es nad E u. f. w. gelten. Es ift überall
derfelbe Fall, nur auf eine andre Stufe transponirt, nnd im
der That find-denn aud) jene 2o Formeln bloße Tramspofitios
nen von den vier erften Blattfeiten; fo ift der Mebergang von
F nad) Fis, ©. 8, eine bloße Trangpofition des gleichen Fals
les von C nad Cis, S. ı, und der von G nad As S. 11
eine pure Transpoſition des Falls von C nad) Des.
a, die Ausweihungsformel um eine Meine halbe Stufe
aufwärts von C nad Cis, koͤnnte gar füglih auch auf die
‚Fälle der Ausweihungen um einen großen halben. Ton aufs
wärts dienen, und es wäre nicht einmal fehr nöthig geweſen,
eine eigne Formel von C nad Cis und eine eigue von C ned
Des auszuſchreiben, indem jeder auch nur irgend Geuͤbte gar
leicht diere in jene umichreiben wird, und umgekehrt.
Denn ganz lo wie der Verf. S. ı von C nad Cis dur
geht, even jo kann man mittelft bloßem Wmfchreibens nach
Verſuch aus ber harten u. weichen Tonart ꝛe. von Koch. Ası
Des dur gehen, und umgekehrt iſt der ©. ı befindliche Ueber⸗
Yang von C nad) Des dur.
7 6 b7
5 A b5 b5 6 hb7
3 5 3 2 | 53 b3 b4 b5 | b3
G
C, A,*G, bA | bG, bE, bA, bA | bD
(eigentlich ;
6
bb5
b5
C, A, *6, bA | bG nf.)
leicht umzuſchreiben in einem Uebergange von C näch Des dur:
7 ei
5 a6 *5 *7 *6 *5 #5
a 3 51*83 *5 *4 *3 *3
C, A, *G,*G | F, *D, *G, *G | *C.
Ja ſogar die Mebergangsformel aus Cis dur nad Es duss
©. 2:
| 7216 6
*5 1 — *55 *65 by
*3 *5 — *3 58 b4
*+G | *C, *C, *H, C | bH; bH —
(eigentlich:
7 6 |
*5 #5 — *5 b5 ı 6
#3 %3 — *53 55 db4
*G |*C, *C, *H, C | bH, u. ſ. w.)
laͤßt ſich auf die hoͤchſt einfache Formel aus C nad D:
‚6 *6 7
3 8 3 by 5 4 *3
| GI C, C,H, bBH | A;A—
reduciren, und hätte ſich leicht aus ihr deriviren laffen; und
eben fo die Formel von Cis nad) As, ©. 3;
452 Werſuch aus der harten m. weichen Tonart ıc. von Kol. |
*6. 6⸗ b7
5 — 5 4 5 6 h
«3 0 — 3 *%2 25 b3 ba 27 56
*C, *C, *D, bE | bD, PH, bE, bE | bA.
ei entlich:
—— 266
5 bb5 h5
+3: b5
*C, *C, *D, bE | bD, u. ſ. w.)
(wo der enharmonifde Webergang von Cis dur nad) Des dur
ſchon beym Schritte vom Sten zum 4ten Akkord duch bloße °
Ruͤckung geichehen iſt, und dann erft eine ate Wendung von
Des nad As dur gefchteht) auf die ganz gewöhnliche Auswei⸗
Yung in die Dominante:
6 —
5 — 679
3 —- 3 — 37 4 *3
C, C, D, D|cC, A,D, D| G.
Das bisher Geſagte zeigt, wie manchfacher Abkürzung die
Tabelle der Ausweichungen aus harten Tonarten nach ander
Tonarten empfänglich geweien wäre. J
Aber nicht größere Kürze allein wuͤrde der Gewinn einer
derartigen Anordnung geweſen feyn. Wie vieles würde dad
ohnehin ſchon fo brauchbare und gemeinnüßige Werk noch 98
wonnen haben, wenn die verſchiednen unter verſchiednen Spe⸗
cial: Rubriken zerſtreuten, aber zu einem und demſelben Zwecke
dienenden Formeln alle in Eine Tabelle zuſammengeſtellt wis
ven und zuſammen uͤberſchaut werden koͤnnten. Go}. d
beftehen die vom Verf. gegebenen Formeln zu Vebergängen in
die Tonert der naͤchſten halben oder Meinen Stufe aufmärtd
(die bloßen Transpofitionen nicht mitgezähle), ans den vier
folgenden: |
*
6 6 *6 *6
3 — 5 *3 *4 * |
&, G | «E, *F, *6, *G | *0.
8
*6 %*5 5 6 *6 N
53 7 5 3 %*3 *4 *5 *5
2. C, A, *G, *G|*F, *D, *G, xG | *&ı
Verſuch aus der harten und weichen Tonart ıe. vom Koch, 453
by ’
R b5 b5 6 br
83835 „m ea b5 135 b4 b5 96
3. G|C, A, *G, bA|bG,bE, bA, bA|bD.
bb — b7
3517 2e 35 — 15° 35 55
4 G|C, H, bC, bh, bg|bD, bA, bD,
Diele, zu Erleihterung der Anwendung auf andere Fälle,
aus Tonarten mit Kreugen aud noch verwandelt und umge⸗
fohrieben in Tonarten mit Veen, und umgekehrt
6
bh5 bb6 5 6 b7 ,
5— 7 b3 b2 23 24 b5 b6
5. C,C, G, bbA|bG, bG, bA, bBA|bD.
6
bb5 b5 bMä 6 by
3 3 „ 55 353 3 ba b5 b5
6..C, A, *G, bA|bG, bE, bA, bA|bD.
* 6 In *7
5 *5 55 6 *65 *5
353 3. 9 3 *5 *5 *4 *5 *5
7 G|C, A, *6G, *G|*F, *D, #G, *G | *C.
* 6 *
| *4 *6 — +5 *5 *5
3 547535 *5 — *3 *3 *5
8 G|C, H, H, *a, *t|*C, *G, C.,
würden (allenfalls in der Ordnung: ı, 2, 7, B, 3, 4, 9.6)
eine niche nur vollftändige Tabelle der Ausmeihungsformeln
für alle ähnliche Fälle geben, woher fih dann leicht dur
bloße Transpofition Ausweihungen von C nad) Des, von
Cis nah D, von Des nah D, von D nad) Es, von Es
nad E; von E nad) F, von F nad) Fis oder Ges, von Fis
oder Ges nah G, von G nad) Gis oder. As, von Gis oder
As nah A, ‚von. .A.nady B, von B nach H oder Ces, von
da nah C, nnd nach Belieben auch in noch fremdartigere
—
\
454 Verſuch aus der harten u. weichen Zonart ze. von Koch.
Tonarten, 3. ©. von D nad) Dis m. f. w. nachbilden ließen,
fondern es wärbe durch Zufammenftellung, aller zu Gebote fe
henden Formeln auf einem Plage dem Anfänger noch oben
drein Die weitere Ueberſicht gewährt, daß .er, um mach bee
Tonart der naͤchſt obern Tafte auszuweichen, unter den bey
fammenftehenden Formeln die Wahl Habe, und daß er Aber
Dies diefe Art von Modulationen nach Belieben in die Form
entweder von Ausweichungen, um einen großen oder um einen
Meinen halben Ton, ausführen und fchreiben könne, je nadı
dem die eine oder andre Form etwa eine allguungemöhnlide
Bezeichnung ‚erfordern würde, oder je nachdem die eine oder
andre den demnädhft folgenden Harmonieen am fchicklichften
zufagt.
Und wollte man dann, wie denn der Verf. gethan dat,
und aud) wirklih von reellem Nutzen ift, diefe Formeln in
Beziehung auf weiche Tonarten alle auch noch einmal befonders
ausichreiden, fo wäre gewiß alles gethan, was Ausfuͤhrlichkeit |
mit Anfchaulichkeit und Wollftändigkeit verbunden, Leiten füns
nen, und dabey koͤnnte das Werk doc noch allenfalls durd
größere Manchfaltigkeit von Formeln, 5. B. (tum immer bp
den oben ausgehobenen Fällen der Ausweichungen in die nähft
höhere Tafte zu bleiben ) |
54 #5 8 *7 — *5
7 p6 b5 6 5 —
*2 *5 b4 b3 bb — 3
C, bH, A, bA|G, bA, bA, bAl
u. dgl. bereichert werden. |
Uebrigens ift der Sag überall rein und korrekt ( Kleinig
keiten, wie 5. B. ©. 61 fünftes Beyſpiel, können ja uͤberſehen
werden!) — das Aeußere der Auflage beweiſ't die Aufmerk
ſamkeit, welche die Verlagshandlung. dem Werke des geſchaͤh⸗
sen Schriftſtellers fchuldig zu ſeyn geglaubt: doch iſt das Heine
Tatchenb. f. Forſt⸗ u. Kaghfrenunde von R.v. Wildungen. 455
Erraten s Bergeihnig nicht vollſtaͤndig. Merst ©. 61 Vierte:
Formel. .
Dannheim. Gottfried Weber.
Taſchenbuch für Fort = und Jagdfreunde, für die Jahre 1809 — 1832
von £. C. E. F. Ritter von Wildungen, Eonial. Weſtphaͤli⸗
ſchem Confervateur der Forſte und Gewaͤſſer des Werra: Depars
temente u. ſ. w.
Der Berf. befchließt Hiermit ſehr ehrenvoll die Herausgabe
feines allgemein beliebten Taſchenbuchs, deffen Fortſetzung bes
kanntlich die Herren Laurop und Fiicher ‚übernommen haben,
doch können wir dem Lefer zum Troſte fagen, daß Herr von
Wildungen auch ferner thätig dafür feyn wird.
Die Vorderſeite des Umſchlags ziert eine Abbildung des
Geweihes des bekannten Schsundfechzigers, die KHinterfeite
des Umſchlags ein mißgeſtaltetes Geweih, nach Ruͤdinger,
eben fo. ſtellt das Tirellupfer die Mißgeſtalt eines Hirſches,
fo wie die Vignette einen Rehbockskopf mit unfoͤrmlichem Haupt⸗
ſchmuck vor. So lange umire Sjagdfreunde noh nicht einmal
die Thiere Deutichlande kennen, möchte es wohl zweckmaͤßiger
feyn, ſtatt der pathologifchen Gegenftände, die ins Unendliche
gehen , feltene Thiere abbilden zu laffen. Aus denfelben Grüns
den koͤnnen wir auch nicht die Abbildung des Bläßhirfches bils
ligen, von dem der Herausgeber in der erften Abhandlung Nach⸗
richt gibt, da ſolche Spielarten leicht befchrieben werden können.
II. Das Murmelthier, von Herrn Hofrath Blumenbach, nebſt
Abbildung. Here Blumenbach liefert in dieſer gehaltvollen
Abhandlung erft einen Auszug aus Stumpfs Werk, und trägt
dann das noch Fehlende nah. Rec., der lange Zeit mehrere
diefer Thiere lebend beſaß, kann als Nachtrag noch bemerken,
daß die Wurmelthiere wirkliche Naubthiere find, fie verfolgen
und morden Thiere, die ihnen an Größe nicht viel nachſtehen,
und zehren fie auf; auch Fiſche freffen fie gern, fie fangen
immer am Kopfe derfelben an, und laſſen nichts mie die Fiofs
fen uͤbrig. Sie erwachen wie die Fledermäufe, wenn firenge
Kälte auf fie wirken kann, und Saufen herum; bemühen ſich
456 Taſchenb. f. Forſt⸗ u. Jagtfreunde von R. v. Bidengen.
aber dann einen wärnıeren Aufenthaltsort zu finden. Time
Erfheinung , die bey beyden noch micht befriedigend erklärt if,
Gert Olumenbad Gemerkt, Die Berderzähne ber Durmeiihien
hätten die mertwärdige Eigenfchaft, daß fie, wenn fie abgehracen
wärden, in SKurgem wieder zur gchörigen Länge nachwüchfen,
Dies Haben wir bey andern Thieren, 5. ©. bep den Marten
auch bemerft, deren Zähue wir mit einer ſcharfen Zange ab⸗
fprengten , und die demungeachtet ihre gehörige Größe und
Form wieder erhielten. III. Der bärtige Atpengeyeradier, vom
Herausgeber, mit zwey Abbildungen, welche den alten nd
jungen Bogel barfieflen. Eine ſehr gute Zuſammenſtellung des
Belaunten aus der Narurgeichichte Diefes miertwärdigen Boyeld.
Die Abbildung des jungen Vogels iſt ſehr ſchön, es iR dm |
Copie aus dem Meyerifchen Taſchenbuch; die des alten Bed
it aber nicht fo gut ausgefallen, auch if fie von einem ſchlecht
‚ausgefiopften Exemplare genommen. IV. Der große Brad
vogel, von Herrn Hofrath Merrem in Marburg, mit ent
fhönen Abbildung. Eine fchr intereffante Abhandlung. Ga
den Lnterfcheidungstennzeichen der Gartungen Scolopax ud
Numenius find Lage, Form und Ränder der Naſenloͤcher ww
gefien, die bey beyden Sartungen fehr werfchieden find. And
möchten wir Herrn Merrem mit darin beyftimmen, da
Scolopax suborynata, pygmaea und alpina zu den Strand
Käufern gehörten. Die Tringa alpina hat den Schrifſtellern
fon viele Mähe gemacht, noch in dem neueften Werke di
Herrn Bechſteins kommt fie doppelt als Numenius variabils
und als Tringa alpina vor; Buffons Abbildung pi. enl. 852
Bat zu diefen Verwirrungen Gelegenheit gegeben, indem de
bier im Herbſtkleide abgebildete junge Wogel mit einem Hal
geraden Schnabel begabt tft, ein Fall, der bey dem junge
Vogel diefer Art leicht eintritt, wern man ihm beym Ausſtopfen
den Schnabel in der Mitte zufammenbinder. Der Numeniws
variabilis, oder die Tringa alpina, welches derfelbe Verl
iR, hat einen fehr deutlich bogenförmig nad unten gekruͤmm
ten Schnabel, und gehört dennoch nicht zu den Strandlänfemn.
Kern Bechſteins Numenius pygmaeus ıft Beine eigne Art,
fondern der junge Vogel von N:umenius suborynata; deſſen
Numenius pusillus iſt aber gleichfalls ein wirklicher Grat
Takcbenb. f. Jorſt⸗ u. Zandfrenude vom R. v. Wildungen. 457
vogel. V. Der Goldregenpfeifer,, mit einer Abbildung, von
Herrn Hofrat) Merrem. Der Goldregenpfeifer gehört zu dem
Vögeln, die zwenmal im Jahre maufern, und deren Sommers
Heid fehr von dem verfchieden ift, das fie im Winter tragenz
bier ik ein im Mauſern begriffener Vogel abgebildet. Beſſer
würde es wohl geweien feyn, wenn man einen ſolchen Vogel,
der bereits fein Hochzeitliches Kleid erhalten, gewählt hätte,
denn wenn wir Vögel darftellen wollen, die ſich im Webers
gange aus einem Kleide ins andere befinden, fo können wir
jo. viel verſchiedene Abbildungen liefern, als es Individuen gibt.
Die Abbildung dieſes Negenpfeifers tft niche fo gut wie bie
übrigen gerathen, befonders fcheint der Schnabel cher einem
Naben, als einem Choradrius anzugehören. Wenn der Kr.
Verf. fagt: gewöhnlich Hat ee nur drey Zehen, doch hat Kr.
Mrofeffoe Schneider zu Frankfurt an der Dder eine kurze Hin⸗
tergehe mit einem Nagel bemerkt; fo mülfen wir dagegen ers
innern, daß dann Herr Prof. Schneider einen jungen Vogel
von Vanellus melansgastes vor fi gehabt habe, aber feinen
Sofdregenpfeifer , auch können wir Herren Merrem nicht darin
beuffimmen, daß die Kiebige und Regenpfeifer zu vereinigen
feyen, ob wir ihm gleich einräumen muͤſſen, daß der Vanel-
lus melanogastes ein wahrer Regenpfeifer ift; wenn au
gleich alle neueren Schriftfteller ihn zu den Kiebizen zählen.
VI. Beyträge zur Forſt- und Sagdchronit, vom Herausgeber.
VII. Verſuch einer Anleitung zum Aufiuchen und Erkennen
der Zorfipflangen und der bey uns einheimifchen wilden Thiere
nach den befannteften Eintheilungsmerhoden für Anfänger , die
ſich fetoft unterrichten wellen, von ©. F. D. aus dem Winkel.
Für den Anfänger eine nüßliche Anleitung, die ſich beſonders
durch die Wärme empfiehlt, die der Verf. für feinen Gegens
flan empfindet, und durch das Öftere Hinweiſen auf das nie
‚genug zu -empfehlende Studium der Natur ſelbſt. Nur ſtellt
der Verf. das Beſtimmen der Naturkörper feinen Schülern
etwas zu leicht vor, denn ſelbſt bey dem Beyſpiel, das der
Verf. von der gemeinen gelben Bachftelze anführt, würde ſich
manche. Schwierigkeit gezeigt‘ haben, wenn ed eine gelbe Bachs
ſtelze im Jugendkleide geweſen wäre, die beſtimmt hätte werden
folen. Denn da wir in der Drnithologie die Artkennzeichen
458 Taſchenb. f. Forſt u. Yaabfreumde von. v. Wildungen,
faſt durchaus von dem Farbenkleide zu nehmen gezwungen find,
und dies nah Alter, Geſchlecht und Jahrszeit bey vielen Voͤ—
geln abändert, fo möchte ein richtiges ornithologiſches Syſtem
wohl noch fange zu den frommen Wünfchen gehören, und das
um fo mehr, da unfre Schriftſteller dieſen Mangel noch nit
einmal gu fühlen fcheinen. VIII. Die Wolfsjagd, vom Ken
ansgeber. Bon Bauern wird ein Wolf getrieben und erlegt,
worüber fih der Verf. komiſch beklagt. IX. Etwas über die
Flintenfleine, vom Heren Prof, Wurzer in Marburg. Eine
mit vieler Laune gefchriebene intereffante Abhandlung. X. Aus
zug aus einer feltenen alten CThronik, Sjagdbegebenheiten be
treffend. XL Warum wird das Holz noch immer nicht wohl
feiler, vom Herausgeber. Enthält fehr zu beherzigende. Wahr
heiten. Der Hauptgrumd liege wohl darin, daß das Holz nicht
wie die Krebsſcheeren nachwaͤchſt. XII. Noch etwas uͤber
fuͤrſtliche Jagdluſt der Vorzeit, vom Herausgeber. XIII. Das
mittlere Waldhuhn, vom Herausgeber. Wie Recht erklärt
aud der Berf., der dieſes MWaldhuhn in der Sammlung des
Heren Hofrath Meyer zu Offenbach fahe, ſolches für eine
. eigne Art; wir flimmen ihm nicht nur darin bey, ſondern
find auch Übergeugt, daß jeder Naturforſcher, der dieſen Vogel
in der Natur fiehe, ihm die Artrechte zugeſtehen werde.
XIV. Unverdienter Bannfluh. XV. Naturhiſtoriſche Bericht
tigung. Es fenen nicht Leoparden, ſondern Unzen gewelen,
deren fih Kaifer Leopold der Erfte ben der Jagd - bediente.
XVI. Der Genickfang. XVII Nachlefe zur Zorfts und Jagdı
litteratur der letzteren Jahre. XVII. ‚Neues Bedenken de
eigentlichen Brunfizeit der Mehe. Der Herausgeber nimmt
mie Recht Anſtand einer nicht hinlaͤnglich verbärgten That
fahe, die gegen gründliche Beobachtungen. reitet, Glauben
beyzumeſſen. Wenn in der Naturgefchichte folhe Beobachtum
gen, welche allen Verdacht einer Täufhung tragen, für Er
fahrungen gelten follten,, fo würden wir nie aufs Meine darin
fommen. XIX. Zirbeindß sErndte. XX. Anekdoten. XXL
Auszug aus einem Brief einer Ruffiihen Dame. XXI. Cu
dichte. Das Yägerlied vom Herausgeber, und Morgenieufet
einer gärtlihen Jaͤgergattin, von Sun, zeichnen ſich vo
züglich aus.
Geognoſtiſche Fragmente von R. v. Raumer. 459
Bir wünfhen, daß die nachfolgenden Jagdkalender fi
als wuͤrdige Brüder an dieſen letztgebornen anreihen möchten. -
;
Geognoſtiſche Fragmente von Karl von Raumer. Mit einer
Karte, Nürnberg, bei 3. R. Schraag. 1811. VE und 78 ©.
gr. 8. (54 fr.)
Herr von Raumer bildete ih, wie wir aus dem Vor⸗
berichte zu diefem Buͤchlein ſehen, in der trefflidhen Schule des
großen Werners zum Gebirgsforfcher, und legt ung in dies
ſen Sragmenten die Exfilinge feines kitterariichen Wirkens dar.
Es find Beobachtungen, welche er uns als die Reſultate viers
jähriger Arbeiten Bennen lehrt, und die von ihm in Gemein,
fhaft mie den Herren v. Engelhardt und v. Prayftas
nomwsti angeftelle wurden. Die zum Theil neuen Anfichten
des Verf. und die aus diefen entlehnten Schlußfolgen verdies
nen, ungeachtet wir nränchen einen bloßen hupothetifchen Werth
beyzumeſſen vermögen, die Aufmerkſamkeit des geognoftiichen
Publikums. Wenn wir nun zwar, und dies, wie der Erfolg
darthun wird, nicht ohne Grund, mit den Anfichten des Hrn.
v. N. keineswegs gang uͤbereinzuſtimmen vermögen, fo find
wir doch weit entfernt, den Kenntniffen und den Talenten
dieſes jungen Schriftftellers nicht Gerechtigkeit widerfahren zu
laffen, mir alauben vielmehr, daß fih die Wiſſenſchaft noch
mancher gelungenen Arbeiten von ihm zu erfreuen haben wird,
zumal wenn er es fi) angelegen feyn läßt, eine mehr plane
und Mare Darfiellung zu gewinnen.
Nach diefen vorläufigen Bemerkungen wenden wir ung
wieder zu den vorliegenden geognoftifchen Fragmenten. Zuerft,
als ‚allgemeine Ueberfiht, eine Anzeige des Inhaltes.
Ueber. die Spenitformation, nad) Beobachtungen im Saͤch⸗
ſiſchen Erzgebirge. Zuerft beſtimmt der Verf. den beobachteten
gandfirih, und handelt nun von dem Suͤdoͤſtlichen Theil defs
felben,, namentlich von der Gegend zwifchen Königftein, Gott;
landen, Lungwis und Kauſche, fodann von dem mittleren
Theile, insbefondere von der Gegend zwiſchen Lungwitz,
Srund, Lotzen und Kaufhe, und endlich von dem nordwefts
lihen Theile, nämlich von der Gegend zwiſchen Grund, Doͤ⸗
460 Besgnofifche Gragmente von K. v. Raumer.
bein. Landen und Logen. Hierauf folgen Betrachtungen über
Die Berbreitung des Syenits und Über das Verhaältniß der
Openirformation zur zweyten Porphyrformation nnd dieſer
Zormation zur Gchieferformation der Urzeit, Üben das Ber
Halmif des Syenits zum Uebergangsgebirge mund über ähnliche
Berhälmiffe in andern Gebirgen, weiche denen im öflidhen
Erzgebirge analog icheinen, fo am Harze, im Thäringer Wald⸗
gebirge und im Gebirge an der Bergſtraße. Als beſonderer
Abſchnitt erfcheinen die Fragmente eines Aufſatzes über dis
Zıöggevirge. Hier ifl die Rede vom rohen Todes Liegenden,
von Heims Zwifchenlagern, nom Mandelſtein und von der
Bildung der Konglomerate. Erlänternde Anmerkungen, weldt
als Noten gleich unter dem Terte, auf den fie füch beziehen,
ihren ‘Pias hätten finden follen, befchließen das Ganze.
Der beichräntte Raum diefer Blätter erlaube uns nicht,
die Beobadytungen des Hrn. v. R. im Detail zu verfolgen,
nur bey zwehen, von demielben -aufgeftellten Hypotheſen se
fatten wir uns, ihrer vorzuͤglichen Wichtigkeit halber, zu ven
weılen. Die eine betrifft feine Anſicht Über die Uebergange
Furmation, die andere macht uns mit feiner Meynung übe
die Natur des Sranites bekannt, welcher den Brocken bilde.
Im oͤſtlichen Theile des Saͤchſiſchen Erzgebirges fand de
Verf. mannigfaltige Verfchiedenheiten von Thonfchiefer , mit
Lagern von Alaun » und Kiefelfchiefer, einem grauwacen
ähnlichen Sefleine, Kalkſtein, Porphyr und einer gneus
artigen Gebirgsare, an den, unmittelbar auf den Granit
folgenden Gneus gleichfärmig gelagert. An diefe reiht ſich
mit jüngerem Granite und manchen anderen untergeordneten &u
gern. (Gneus, Porphyr u. f. w.) verſchiedentlich abwechſelnd
Syenit. Auch hier bemerkt man gleihförmige Lagerung. Diele
‚Erfheinung war für uns, ungeachtet fie mir manchen frühere
Beobachtungen, auf welche man eine von obiger ganz verſchit
dene Anficht des Lagerungs : Verhältniffes der “Syenit : und
Morphyr : Formation zu denen bes älteren Urgebirges begruͤnbet
hatte, dennoch nicht fehr befremdend, wohl aber erfaunten
wir Über die Nefultate, die Hr. v. R. darans ziehen wih,
indem er &. 3ı fagt: „Wir fanden die Uebergangs-Ge—
birgsarten nirgends in abweichender.oder abweichender
Geognoſtiſche Fragmente von K. v. Naumer. Abt
md Äbergreifender Lagerung auf den’ Urgebirgsarten,
vielmehr Ääberall, wo wir das gegenfeitige Verhaͤltniß beyder
‚beobachten Tonnten , fahen wir jene in gleichförmiger Lagerung
auf diefe folgen. Da nun die gleichförmige Lagerung mehrerer.
Sebirgsarten auf einander, nach den Srundfägen der Werneris
fhen Seoguofle , die ununterbrochene Folge der Momente ihrer
Bildung beweif’t, fo flreiten diefe Beobachtungen gegen ' die
Trennung des Uebergangs ; Gebirges vom Urgebirge, und ges
gen die Annahme zweyer befonderer Epochen ihrer Bildung.“ —
Wir hätten folglich, nah des Verf. Behanptung, eine Zors
mation weniger, indem die Ur- umd Uebergangs » Gebirge
einer und derſelben Bildungs: Periode angehören follen. Ges
gen diefe Anficht reitet indeſſen fo viel, Fine Fi uns unmögs
(ih mit derfelben vereinigen können. betrachtet die
zwiſchen dem Gneuſe älterer und dem 2. jüngerer Bil⸗
dung, und dem Syenite vorfommenden Lager als den aners
tannten Lebergangs ; Gebirgslagern durchaus analog. - Allein
diefer Sag ſcheint uns keineswegs erwiefen. Weder der LKalkſtein
noch die Grauwacke tragen dies fuͤr die Gebirge der Ueber⸗
gangs Periode ſonſt fo bezeichnende Merkmal — Verſteinerun⸗
gen. Es iſt keine Rede von ähter Grauwacke, die ſich hier
"findet, fondern nur. von einem grauwadenähntlihen
Seftein. Der Kiefel s und der Alaunichtefer können feinen
evidenten Beweis führen, denn wir treffen bepde im Urgebirge,
als ‚untergeordnete Lager des Lirtbonfchiefers, und unter aͤhn⸗
lichen Verhaͤltniſſen im Webergangsgebirge. Die beobachteten
Lager s und gneusartigen Gefleine, welche fih, nad allen bie
ber bekannt gewordenen Thatſachen, nicht mit dem Begriffe
vom tiebergangsgebirge vereinigen laffen, fcheinen uns, nebſt
dem. Sranite fpäterer Formation und dem Syenit, weit cher
jüngfte Bildungen des Urgebirges zu ſeyn. In keinem Fafle
aber, angenommen ſelbſt, daß der Verf. richtig gefehen und
git.igere hätte, koͤnnen wir auf das einzelne und lofale Vor⸗
kommen eine allgemeine Regel begiänden. Im $ 8., wo
von den Verhaͤltniſſen anderer Gegenden, welche denen im
öftlichen Erzgebirge beobachteten analog fcheinen, die Nede if,
ſagt Ar. v. R., man habe bisher angenommen, das Webers
gangsgebirge liege manteiförmig um den Granit des Wrodens
—
462 Geognoſtiſche Fragmente von K. v. Raumer.
herum. Dieſer Annahme aber ſtehe das Fallen der GSebirgt—
ſchichten entgegen , welche nicht, wie dies ſeyn mäÄßte, wäre
jener Satz gegruͤndet, in W. weſtlich, in &. ſaͤdlich und in
D. Sftlih, fondern, den von Lafino angeftellen Berbach
tungen zu Folge, wenige Fälle ausgenommen, allegett nad) ©.
und ©. D. fih fenten. Das Webergangs s C Schiefer: ) du
Dirge bilder demnach keinen umlaufenden Schichtenmantel um den
Brocken, alsum ein herausragendis Grundgebirge, der Granit
beſtimmt das Fallen nicht, wie dies fen mäßte, wenn er dad
Grundgebirge wäre, der Thonfchiefer fälle im Gegentheile im
DM. W. vom Granite wieder zu, und ſonach bleibt, nad
Hen. v. R. Dafürbatten, . mir die Alternative: den Granit
des Brockens fänichr mächtige Lager in den Schiefern any
feden, oder als Übergreifend und abweichend auf dem Schie
fergebirge. Uns iſt nun. zwar bis jegt Leine Stelle am Hark
bekannt geworden, wo ein volltommen deutliches Zw
falten des Thonfchiefers und der Grauwacke gefänden wor
den wäre; allein geſetzt auch, daß dies gefchehen ſeye, fh
wird man doch wohl zu Folgerungen der Art, wie Kr. v. 8.
fi erlaubte, nicht eher fich berschtigt glauben, als bis zugleich
mie Gewißheit das Anfgelagertfeyn des Granites anf’ dem
Schiefer dargethan ti. Ein weiterer Grund, welchen de
Derf. für feine Hypotheſe aufführe, ift die Gleichfoͤrmigkei
der Richtung der Schichten: Abfonderungen des Granites mit
jenen der Grauwacke und des Thonfchiefers. Gegen bieft
Behauptung Rreiten indeffen gleichfalls bewaͤhrte Beobachtun
gen, welche wohl eine Abtheilung des Granits in Bänke, aber
durchaus feine Steihförmigkeit der Richtungen der Schichten
wahrnehmen ließen. Mithin können wir auch den Satz, daß
der Sranit des Brodens ein mädhtiges Lay!
im Thonfhiefers Gebirge ſey, nicht für erwieſen I
trachten.
L. C. S.
Memorabilien der Heilkunde, Staatsarzneiwiſſenſchaft und Thierhei⸗ |
funk. Herausgegeben von 3. 3. Ka uſch, Doctor der Arne
Funk, - Magifter der Weltweißheit, Resierungs s und Medirinl:
Memorabflien der Hellfimbde ır. von J. J. Kauſch. 463
rathe bei der königl. preußiihen Zignigifhen Regierung von
Schleſien, gractifchem Arzte zu Lignig, Mitgliede der gelehrten
Geſellſchaften zu Erlangen , Erfurt und Bredlau. Erfted Bänd-
chen. Mit ı Kupfer. Zuͤllichau, in der Darnmannifden Buch
handlung. 1813. XXVI und 250 ©. in 8.
Der ſchon duch mehrere Werke ruͤhmlichſt befannte Kr,
Verf. eröffnet mir diefem erſten Bande eine in zwangloſen
Heften nach und nach erfheinende Bekanntmachung merkwuͤr⸗
diger, aus dem geſammten Gebiete der practiihen Heilkunde
berfiammender Beobachtungen und Erfahrungen, zu deren
Sammlung ihm fein Amt als Regierungs » und Medicinats
rath der koͤniglich Preußischen Lignitziſchen Megierung von
Schlefien die trefflichſte Gelegenheit darbieter. Alles Merk
wärdige nämlich, was in den ſechzehn Kreifen des Lignisifchen
Regierungs s Departements bey einer Menſchenzahl von mehr
als ſechsmal handerttauſend Seelen in allen Zweigen des Me
dicinalwelens aus den Händen von mehr als fiebenzig Aerzten
und einigen hundert Wundaͤrzten entweder durdy die angeords
neten Ganitätsverichte, oder aud auf andern Wegen zum
Vorſchein kommt, gelange zu feiner Wiffenihaft, und feet
ihn auf foiche Weile bey dem ungemeinen Reichthum und der
vietverfprehenden Ergiebigkeit dieſer Quelle in den Stand,
uns von Zeit zu Zeit eine Auswahl jener für unfere Kunft
fo viel veriprechenden Schäße mitzutheilen, die dann bey der
befannten Sachkenntniß des Herrn Verfaffers uns eine reiche
Herndte an neuen und fhäßbaren Kenntniffen verfpricht, welche
nah dem Verſprechen des Herrn Verf. noch durch anderweitige
Anfiäße Über Gegenflände der anf dem Titel genannten Faͤchet
vermehrt werden foll.
Der Herr Verf. iſt einer von den Maͤnnern, welche zum
Beſten der guten Sache dem in unſern Tagen einerſeits durch
den roheſten Emptrismus, andrerſeits durch ſublime Specular
tion und ſinnloſen Myſticismus ſo ſehr beleidigten Geiſte aͤcht
rationeller Empirie, als dem einzig ſichern Wege aller Heil—⸗
kunde, mit feſtem Character treu geblieben ſind, und dieſer
Geiſt iſt von ihm auf fein Werk übergegangen, weichem fos
mit reine Erfahrung und Beobachtung zum Grunde gelegt ift,
t
Abk Memorabiiien der Heiltuebe ıc. von J. J. Kauſch.
von weichem. alle bloß im die theoretifche Heilkunde einfhla
genden Gegenſtaͤnde ausgeichloffen find, und weiches mithin
vorzugsweiſe für den practifhen Heilkuͤnſtler geeigner iſt, die
fem aber wegen der Wichtigkeit der darin enthaltenen Aufı
fäge und der edeln prunklofen deutlihen Einfachheit der Schreib
art in jeder Nückfihe empfohlen werden kann.
Der vorliegende erfie Theil enchält Folgende Auffäge: |
ı) Ein für unheildar erflärter Beinfraß mit hectiſchem Zieber,
ben welchem die Operation des Gliedes als einziger Ausweg
erklärt worden, gluͤcklich ohne dieſelbe geheilt. a) Ein fa
allgemeiner Beinfraß bey einem Mädchen, bey welchem dus
eine carioͤſe Schläflelbein ausgefhworen und von der Nalur
wieder erfegt worden. 5) Gefchichte und Heilung eines Dpi
fihotonus. 4) Heilung einer Fractura cranii ohne Teepanas
tion. und ohne Wegnahme des abgebrochenen Knochenſtuͤck.
5) Erfahrangen über den Gebrauch des Arſeniks gegen Wehr
feiieber. 6) Weber die Wirkſamkeit der Flinsberger Mineralt
quelle in Schleſien. 7) Weber die vorzägliche Wirkſamkeit
‚der Arnicablumen bey einer Brufterfchätterung. 8) Eine Gradi
pperation. 9) Leber eine Pfeudoorganifation des Darmkanalt
30) Geſchichte der Rinderpeſt im Herbſte 1311. im Lignitzi
ſchen Regierungsdepartement. 11) Leber die Schaͤdlichkeit des
Waſfſers Der kupfernen Ofentoͤpſe. 11) Krankengeſchichte eins
Wahnſinnigen, welcher zweymal durch Mercurialpraͤparate ge
heilt wurde. 13) Gutachten Über einen gewiſſen Gemuͤther
zuſtand bey einem Manne. 14) Ein Todesfall auf eine ſehr
geringe Veranlaffung. 15) Weber Frühlingsturen und einige
herrfchende Fehler und Worurtheile bey Brunnen s» und Bade
anftalten. 16) Aeußerſt merfwärdiger Verlauf einer Milzbrand⸗
agizootie. 17) Ueber die Urſache und Maskirung rheumatiſcher |
Krankheiten.
An diefe größern Aufläge ſchließt ſich noch eine kleine '
Sammlung practifcher Miscellen von nicht minderer Wichtig
keit an.
EEE EEE
No. 30. Heidelbergifhe 4813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
IST RT TS LE IR
1) Handbuch ‚der Mineralogie von C. U. ©. Hoffmann. Erſter
Bond. XXIV und 685 &. Zweyten Banded erfte Abtheilung.
382 ©. Sreiberg, bei Eraz und Gerlach. 1811 und 1812. 8.
2) Dad Minerafreid. Ein Handbuch für die Hörer (I? !!) der
BHilofophie. Von Reginald Kneifl aus den frommen Schu⸗
fen, Profeffor der Zoologie und Mineralogie an der K. K. Thes
refianifhen NRitterafademie. Erfter Band. IV und 362. 3m.
Band 327 ©. Wien, bei Geiftinger. ıgır. 8.
3) Handbuch der Mineralogie. Bon Dr. I. W. Blanf, Großher⸗
zoglichem geiſtlichem Rathe und Profeffor der Philofophie und
Narurgefchichte. Würzburg, bei Nitribir. 1811. 596 ©. 8.
4) Lehrbuch der Mineralogie mit Beziehung auf Technologie und Epos
graphie (,) für Schulen und den Brivatunterriht, von I. &
©: Meinede. Halle, bei Hemmerde und Schwetſchke. 1808.
xIV ud 286 8 Ka
5) Erkenntnißlehre der anorganifhen Naturförper. Mit Hinficht auf
die neueſten Entdeckungen und Berichtigungen und mit fleter Ans
wendung auf dad ‚bürgerliche Leben. Kür den Seibſtunterricht
bearbeitet (,) nebft einem Verſuche zu einer vergleichenden Mis
nerafogie (,) von Dr. 3%. ©. Lenz, Bergrath und Profeffor
der Mineralogie. Erfter Band und zweyten Bandes erfter Abs
ſchnitt. XII und 534 S. Zmepter Band, zwepter bis neunter
Abſchnitt. 606 S. Gießen in Heflen, bei G. Muͤller. 1813.
6) Lehrbuch der Mineralogie in kurzem Auszug der neueren minera⸗
logiſchen Spſteme, zum Gebrauch akademiſcher Vorleſungen und
Errichtung mineralogiſcher Sammlungen (,) von E. J. Ch. Es⸗
per. Erlangen bei Palm. 1810. VIII und 510 S. 8.
N. Ausbeute der letzteren Meſſen an mineralogifhen Hand⸗
und Lehrbuͤchern war fo bedeutend, daß wir, bey dem bes:
ſchraͤnkten Raume, dieſer Blätter, uns veranlaßt finden, die
Anzeige mehrerer derfelben mit einander -zu verbinden.
Unter den vorliegenden Schriften verdient ohne Zweifel
Fr. 1. die meifte Aufmerkſamkeit. Hr. Hoffmann, Inſpec⸗
tor bey der Freyberger Mineralien s Niederlage, und befannt
30
466 Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ır.
durch das feit 1803 eingegangene Bergmaͤnniſche Journal,
deffen. Mitherausgeber er war, wermißte bey der zahlreichen
Drenge mineralogficher Lehrblicher eines, in weichen des vers
dienftoollen Werners Methode in Ihrer ganzen Reinheit
Dargeftellt würde, das keine Zufäße und Angaben aus anderen
Werken (auf die der Verf. im Allgemeinen keinen, oder nur
einen ſehr geringen Werch gu legen für gut findet) ent
hält, aus welchem alle ſchwankende, nur nah einem flüchs
tigen Ueberblicke obenhin entworfene Beſtimmungen mit Sorgs
fele werbanne wären. Er übernahm das gewiß verbienftliche
Berk, diefe Aufgabe zu Idfen, eine Sache, die, im Vorbey⸗
gehen geſagt, für ihn mit weniger Schwierigkeiten verknäpft
war, als für jeden andern Schriftfieller, da wir vorausfegen
dürfen, daß der Verf. dem mittheilenden Berner, deſſen
Dictate er benußte, feine zuſammengetragenen Materialien
ftets zur präfenden Durchfiht vorgelegt haben wird. Unter
ſolchen Aufpicien leidet es durchaus feinen Zweifel, daß Kr.
H. etwas Selungenes liefern konnte. Auch verfihert er, daß
er mit der angefirengteften Mühe geftrebt habe, um Wer:
ners Angsben und Bellimmungen welche flets den Stempel
der hoͤchſten Conſequenz und Genauigkeit tragen, und auf wies
derholte forgfältige Beobachtungen ſich gründen, rein und ger
fihter von allen fremdartigen Zufägen zu erhalten, von deren
Nichtigkeit er nicht vollkommen uͤberzeugt war, alles neu Hims
zugekammene mit der firengfien Kritik gu pröfen, und fid
immer duch Autopfie von der Wahrheit aller von ihm aufge
führten Beflimmungen zu verfihern und nichts aufzunehmen,
was nur in irgend einer Hinſicht zweifelhaft fchien. Mit der
leßteren Behauptung fleht freylich Die unmittelbar darauf fols
gende Aeuferung in einigem Widerfpruche, indem Hr. H. es
bedauert, daß er bey jenem Geſchaͤft fehr den Befig einer
eigenen Sammlung vermißt habe und gendthiget gewefen fey,
ſich theils mit feinen früheren Beobachtungen (alfo aus der
Erinnerung ), theils mit dem nichts weniger als volfländigen
akademiſchen Eabinette zu begnügen. Dabey rühme er jedoch
zugleich die Willfährigkeie der Beſitzer der verfchiedenen Frey⸗
berger Privatſammlungen, welche ihm den Gebrauch derſelben
verſtattet. Sehr auffallend war es uns, daß Kr. H. gar
Mineralogiſche Handbücher yon Hoffmaun &. 467
nichts uͤber Werner's trefflihe Sammlung ſagt. Gollte ihm
ber Gebrauch derſelben (zumal zu dieſem Zwecke, welcher doch
nethwendig für den grofen Mann Intereſſe haben mußte, da
von richtiger Verbreitung feiner Anfichten die Rede if) nicht
frey geftanden haben? Hier mäÄßten ſich dem Verf. die beften,
ja mitunter vielleicht einzigen Mittel gu neuen Beobachtungen
dargeboten haben. — Außer dem erwähnten Zwecke hatte der
Verf. zugleich Die Abfihe, dem größern Publikum ein brauche
bares Hälfsmittel zum Selbſtſtudium der Mineralogie «in die
Hände zu liefern. Was das letztere betrifft, fo möchten wie
faft zweifeln, daß, bey dem theuern Preife, den das Bud
‚wegen ber vielen noch folgenden Bände erhalten muß, daffelde
in viele Hände kommen werde.
Der erfie Band des Hoffmannfhen Handbuches ums
faßt übrigens, nad) einer allgemeinen Einteitung, die Kennzei⸗
hen s Lehre und die Grundſaͤtze der oryktognoſtiſchen Eiaffificas
tion und Nomenclatur der Foſſilien. Bey dem Abfchnitte
von den regelmäßigen äußeren Geſtalten finder fi) ein Anhang
über die Methode Hauͤh's, über deſſen Vezeichnungsart und
Nomenclatur der Kruftalle u. f. w.
Was den applicativen Theil der Oryktognoſie betrifft, fo
hat Hr. H. die Gattungen fo auf einander folgen lafien, wie
fothe von Arn. Werner in dem neuefteften Entwurfe feines
Syſtems geordnet worden. Wir werden, mit Rüdiiht auf
das 1805 bey Mayr in Salzburg erfchienene und darauf in
Leonhard’s Taſchenbuch für die Mineralogie 5. Band ©,
861 u. f. mit den damals neueften Veränderungen befannt ges
machte Werner'ſche Syſtem, eine gebrängte Weberfiht der
wichtigften Aenderungen ausheben.
Nach dem Augit folgs der Diopfid als Gattung, dann
tommen Beluvian, Sroffular, Leuzit u. f. w. Der Automolit
it nach dem Pirop eingeordnet, an diefen reihen fih Zeilanit,
Spinell u. f. w. Auf den Demanthipath folgen Topas, Jo—
lich, Euklas u. f. w. Der Beril und der fchörlartige Beril
find nicht mehr Arten einer Gattung, ſondern jeder macht
eine eigene Gattung aus. Der Piftazie, welcher vordem feine
Stelle zwifhen dem Augit und Veſuvian einnahm, erfcheint
jege nach dem Schörl, dann kommen Zoiſit, Authophyllit (in
465 RNincralogiſche Handbücher von Hoffmann ıc.
zwey Arten, firabliger und Slätteriger U. abgerheilt), Ask
nie n. fe w. Da dem Zeuerfleine finden wir Krifopras,
Plasma, Heliotrop, Kalzeden n. {. w. Die Gattung des
Menitits iR in zwey Arten, brauner und grauer Denilit, ads
gerheilt. Der Fettſtein ſicht zwifchen Opatjespie und Katzen⸗
auge, anf biefen folgt eine neue Gattung, Baferfiefel, nad
Berner ein inniges Gemenge von Auarz und asbeſtartigem
Tremolithe, welches Ach durch Farbe, Bruch, Bruchſtücke,
Grad der Duschicheinenheit und den katzenaugenartigen Schein,
fo wie dur die Schwere ganz vorzüglich charakterifirt. Hier⸗
auf Obfidian m. f. w. Mach dem Lazulie folge Blauſpath,
dann Andalufit, Feldſpath ( unter den Arten deſſelben bemers
ten wir auch den glafigen Feldſpath). Der Bariolit macht
sine Unterart des dichten Zeldfpathes aus. Ferner Spodumen,
Skapolith (in zwey Arten grauer und rother getheile), Ich⸗
thyophthalen ( Apophyllite), Majonit, Mephelin und Eis
ſpath. Als Nachtrag folgen am Schluſſe der erſten Abtheilung
des zweyten Bandes — ſo weit iſt das Werk bis jetzt erſchie⸗
nen — einige neue Gattungen des Kieſelgeſchlechtes, Pyreneit
(zwifchen Leuzit und Melanit), Kolophonit (zwiſchen Allo⸗
chroit und Granat) und Lievrit (Yenit, zwiſchen Schoͤrl und
Piſtazit), welche von Werner in feinem letzten oryktognoſti⸗
ſchen Lehrkurſe 18148312 vorgetragen und in das Syſtem aufı
genommen wurden. |
KHinfihtlih der genauen Einrichtung des appiicativen Theis
les ſelbſt bemerfen wir, daß bey jeder Gattung zuerſt die
Erpmologie der Benennung entwicdelt ift, auf diefe folge dis
ausführlichere äußere Charakteriſtik, an deren Schluſſe flet#
eine fehr zweckmaͤßig verfaßte, gedrängte fummariiche Leber
ſicht der weſentlichſten und unterjcheidendften Kennzeichen jeder
Gattung und Art zu finden if, dann die phyſikaliſchen nad
chemifhen Merkmale, zuletzt allgemeine Bemerkungen über
die geognoftifchen Verhaͤltniſſe der Foſſilien. Die geograzhis
fhen Notizen und die litterärifchen Nachweiſungen find, im
Ganzen. ziemlich fpärlich auegefallen. Dagegen hat der Berf.,
was ung, bey einem Handbuche, deſſen Hauptzwed if, Wer⸗
ner’s Wethode in ihrer ganzen Reinheit darzuftellen, durds
aus unzweckmaͤßig ſcheint, die Lehre von dem Gebrauche ber
Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ꝛc. 469
Zofflien mit seiner großen Ausführlichkeit behandelt. Ueber⸗
haupt Tann, nad, unferem Dafürbelten, bey einer wahrhaft
ſyſtematiſchen Abtheilung der Weineralogie, die oͤkonomiſche
Mineralogie eben jo wenig eine Stelle finden, als z. ©. die
Gaͤrtnerey in einem Lehrbuche der Botanik abgehandelt werden
darf. Die Lehre von dem Gebrauche der Foffilien gehört aus⸗
fhließlih in das Gebiet der Technotegie und Dekonomie, und
es fiehe wahrhaft poifierlih aus, wenn man, wie z. ©. in
dem vorliegenden Werke ©. 49 Il. Bandes, einen tabellaris
ſchen (7) Gebrauchszettel vom Quarze finder! Auch willen
wie nicht, wie die Aeußerung des Hrn. H. (Vorr. ©. XIX),
daß außer Völker's Handbuch der Hkonomifch s technifchen
Mineralogie kein anderes Werk eriftire, welches, diefen Gegen»
fand mit einiger Ausführlichleit behandle, zu deuten iſt. Aus
welhem Grunde übergeht er Schmieder's Lirhursil. Ein.
Bud, welches eben fo gut, wo nict beſſer, als Voͤlker's
Handbuch ift, und in jedem Zalle exiſtirt, denn es ift befannts
lich im Jahre 1803 bey Cruſtus in Leipzig gedruckt ‚worden,
Fuͤr Unkenntniß der mineralogifchen Litteratur dürfen wir jene
Arußerung wohl niche gelten laſſen, fie muß alfe Animofität
gegen Sch mieder feinen.
So weit unfere Anficht über Mr. ı., dem mir übrigens
ein gefchmackvolleres Aeußere wuͤnſchten.
Wir kommen nun zu den Abrigen Schriften, ben. wie
wir weniger zu verweilen gefonnen find.
Was Nr. 2. betrifft, fo ift dies eine erbärmliche, auf
Loͤſchpapier abgedruckte Kompilation, vor deren Ankauf wir
jeden Freund der mineralogifchen Litteratur hiermit beſtens ges
warnt haben wollen. Um nur Erwas zum Beleg des Geſag⸗
ten anzuführen, denn es wäre eine Verſchwendung von Tinte
und Vapier, wollten wir über das Ganze ausführlich Handeln,
entlehnen mir folgende Stelle aus der fehr dürftigen Vorrede.
„Allein bey diefem Verſuche,“ ſagt der Hr. Prof. Kneifl,
„befonders da er zum Schulunterricht beftimme iſt, kommt es
uf ein feſt gegründetes Syſtem an, welches wir bisher vers
nißten — (man denke!) — und defien Mangel dlieſes Stu—
yium nicht wenig erfchwerte. Diefes Syſtem fann — meines
Erachtens — fo wie bey der Zoologie (?TT!!).— nur .auf
470 Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ıc.
auf immeren — alfo auch Bier — bey Unorganiſchen — nut
auf chemifchen Srundfägen berufen.“ — Welche herrliche
Foriſchritte muͤſſen die Hörer der Philoſophie umter Her
Kneifis einſichtsvoller Leitung in der Mineralogie machen!
Nr. 3. und 4. find, ihrer Mittelmaͤßigkeit umgeachtet,
doch zum Unterricht in Schulen, zumal wenn der Lehrer gu
hoͤrig abs und zuzugeben weiß, nicht gang unbrauchbar. Nr.b.
it, wie wir auch aus der Vorrede erfahren, nichts als ein
Auszug aus der ſyſtematiſchen Weberfiht der Herren Leon
hard, Merz und Kopp.
Beffer als die vorhergehenden und nad Nr. 1. unter den
oben angeführten Lehrbüchern das vorzuͤglichſte, ift Nr. 5. die
Erkenntnißlehre der anorganifchen Naturkoͤrper. Hr, Lenz,
der, Seit einer Neihe von Jahren fchon, mit warmem Eifer
und einer lobenswerchen Regſamkeit für die Verbreitung ded
minerafogifhen Wiſſens wirkt, und namentlich durch die Srin
dung der Societaͤt zu Siena ſich ein bleibendes Verdienſt en
worden hat, beſtimmt dies Werk zunächft für feine Lehrſtunden.
Dos Wernerifche Syſtem liegt dabey zum Grunde, und
das. Ganze ſoll aus fünf Bänden beſtehen, wovon’ der erf
nad) einer kurzen Einleitung den präparativen Theil, oder dad
Syſtem der äußeren. Kennzeichen, die Zirkon s und Kiel
Drdnung umfaßt. Im wweyten Bande finden -mir die übrigen
Erb s und Steinarten, nebft den Salzen und Inflammabilien
abgehandelt und zugleich ein Regiſter Aber die beyden Bände,
weiches wohl zweckmaͤßiger den Beſchluß des ganzen Werke
gemacht hätte, da die Eintichtung, welche der Verf. wählt,
Bingegen zu zweyhfachem Nachſchlagen in vielen Faͤtken Anlaß
geben muß. Fuͤr den dritten Band find die Metalle, fir en
vierten «die vergleichende Mineratogte und für dem fünften die
Gebirgsarten beflimmt. Wir werden feiner Zeit darauf juräd
fommen.
L. C. S.
Denkwuͤrdigkeiten, Charakterzuͤge und Anekdoten aus dem Leben det
vorzuͤglichſten deutſchen Dichter und Proſaiſten. Herausgegeben
von Karl Heinrich Joͤrdens Erſter Band. XVI und
Dentwärdigkeiten rc. von K. H. Jordens. 471
364 S. Zweiter Band. VIII und 380 S. Leipzig, bei Kummer.
1812. 8
Hr. 3. fah fih „bey der Bearbeitung des Lexikons Deuts
fher Dichter und Profaiften genoͤthigt, alles, was nur über
diefe Schriftfteller in biographifcher oder Litterarifcher Ruͤckſicht
gefchrieden und ihm zugänglich mar, durchzulefen. Da konnte
es, wie er fortfähre, nicht fehlen, Daß ihm auf diefem Wege
manche intereffante Merkwuͤrdigkeit, mancher treffliche Charaks
terug, manche angenehme und wißige Anekdote aus dem Les
ben derfelben entgegen kam, deren Wiedererzählung ſich indeffen
nicht für das Lexikon eignete; obwohl er auch da’ ſchon, um
die Trockenheit der Lexikons-Lectuͤre aufzuheitern, fih
hin und wieder einiges davon eingumifchen erlaubte. Es fchien
ihm aber eine befondre Sammlung folder Denkwuͤrdigkeiten,
Charakterzuͤge und Anekdoten für das gebildetere Publikum
nicht ohne Unterhaltung und Nutzen zu feyn.“
.. Wir Haben einigemal des Lexikons Deutfcher Dichter und
Profaiften in unfern. Jahrbüchern nach Werdienft erwähnt, bes
dauern jedoch, Hier offenherzig geftehen zu müffen, daß wir
mit dem Plane und der Ausführung diefer Denkwuͤrdigkeiten ıc.
nicht fonderlich zufrieden feyn können. Kr. J. fänat immer
mehr an, zu fehr den bloßen Sammler ohne beftimmiten Plan
zu machen. Mas ihm von einem nur einigermaßen befannten
Manne in die Hände fällt, wird fogleich der einen oder ans
dern Sammlung einverleibt, bald darauf findet er noch etwas
anders, und dies gibt denn fogleich wieder Nachtraͤge, und fd
ift niche eher ein Ende diefer Sammlungen abzufehen, als bie
der Verleger es feinem Intereſſe angemeffener finder, fie zu
- fchließen. Ein Werk, welches nur die trefflichiten Deutfchen
Dichter und Profaiften aufftellte, ihre Hauptlebensumſtaͤnde
erzählte, ihren Charakter fcharf auffaßte und ihre Schriften
mit Genauigkeit verzeichnete, und das fih auf eine kleinere
Anzahl von Bänden befchränfte, wuͤrde ung weit willfommener
ſeyn, als diefe ganz ins Unbeſtimmte gehende Doppelreihe von
Bänden, wo des Unbedentenden fo viel vorfommt und Mies
derholungen gang unvermeidlich find. Beym Schluß des gans
zen Werkes möchte denn immer ein Supplementband folgen,
ia
472 Denulwuͤrdigkeiten ic. von R. H. ZFördent.
der fih aber nur auf wichtige and bedeutende Nachtraͤge ers
firecden und alles gu fehr ans Kieinliche gränzende entfernen
mößte. Wenn aud von einem folhen Werke nur alle zw
oder drey Jahre ein Band erichiene, fo würden die Lefer an
Inhalt gewinnen, was fie allenfalls an Umfang einbüßten.
Diefer Erinnerungen ungeachtet, leugnen wir nicht, daß
auch das vorliegende Wert manchen interzffanten Charakterzug,
manchen finn s und geiftvollen Gedanken eines achtungswerrhen
Mannes aufbewahrt habe: nur kommt des Minderbedeutenden
zu viel dagwifchen vor. Was Hrn. J. in Gedaͤchtnißſchriften,
Journalen, Anekdoten: Sammlungen u. f. w. von einem be
fannt gewordenen Manne aufitieß, wird bier mitgerheilt, und
aud) einige ZÄge verdankt er fchriftlichen Deittheitungen. Schon
die Namen der hier aufgeführten Perfonen laſſen vermuthen,
daß man auf manche intereffante Züge floßen werde, und fohat
es Rec. auch wirklich gefunden. Im erſten Bande kommen
folgende Artikel vor: Jod. Jak. Engel.. Unter mehreren
Anekdoten mag bier folgende ſtehen: „Engel war einft ba
dem verfiorbenen Fuͤrſten S. zur Tafel geladen. Bey Tiſche
kam unter andern auch die Nede anf den berühmten Belt
umfegler Cook, und daß er bey feinen Entdeckungsreiſen fein
Leben habe einbäßen muͤſſen. Engel führte darüber haupt
fählih das Wort. Auf einmal fragte ihn der Zärft — um
doch auch fich mie in den Discours zu mifhen — „kam Cost
auf feiner erften Meife um’s Leben, Kerr Profeffor?“ —
„Ich glaube, ja!“ erwiederte Engel, „doch machte er ſich
nicht viel daraus, und trat bald die zweyte an.“ Salomoun
Geßner. Hier kommen einige nicht unintereffante Zäge vor,
die Geßners feinen Take für das Läcerliche und fein vor
züglihes Talent zu komiſch-⸗ grotester Darftellung bewaͤhren,
wovon er in jüngern Jahren und im gefchloffenen Zirkeln bis
weiten Gebrauch machte. Joh. Sam Papke Abt
Gotth. Käftner. Gottl. Wild. Bürmann. Von dis
fem armen, aber immer frohen Dichter werden ein Paar Ge
dichte in extenso eingerädt. Joh. Ehre. Rof. Job
Peter Uz. Gottl. Wilh. Rabener. Hier eine Mein
Ane:dote von ihm. „NR. hatte jemanden den Titel Hoc⸗
wohlgeborner araeben, und befam Wohledier juruͤd;
Denlwuͤrdigkeiten ze. von K. 9. Zördens. 473
er gab ihm Hierauf Wohlgeborner, und befam Edler
dafuͤr; auf fein nunmehriges Geborner follte er verflage
werden, wußte aber feinen Eorreipondenten zu bedeuten, daß
ein Geborner einen Mann von Geburt anzeige, und ihn
eben dadurcd von allen unedlen Geſchoͤpfen, die nicht geboren,
fondern geheckt, geworfen, gefafelt, geſetzt, gebracht oder ges
ſchuͤttelt würden, unterfheide.* Martin Lurcher. Wenn .
gleich die meiften der hier aufgeftellten Züge von Eucher ſchon
befannt find, fo gewährte doch deren Zufammenftelung viel
Vergnägen, und man lerne Luthern daraus auch als Mens
fhen Hochihägen. Sehr intereffanet find auch des großen Res
formator8 Aeußerungen Über den Geift einer aͤchten Bibel⸗
Ueberfeßung, 8. 149.180. Man fließt daraus, daß Luther
ängfiliche Spibenzählerey und ſtlaviſche Wörter s Liebertragung
von aͤchter Dolmetſchung und Auffeffung des Geiftes gar wohl
zu unterfcheiden wußte. Hier ehe nur eine kräftige Stelle:
„Wenn Chriſtus fprihe: Ex -abundantia cordis etc. und ich
fol dolmetſchen: Aus dem Weberfluß des Herzens redet der
Mund ; fage mir, ift das Deutſch geredet? So wenig, als
Ueberfluß des Kachelofens, fondern alfo redet die Mutter im
Haufe und der gemeine Mann auf dem Markte, dem du auf
das Maut fehen fol: Web das Herz voll iſt x. Stem, da
der Engel Marien größer, Waria voll Gnaden; wo redet der
der Deutſche Mann fo? Er muß denken an ein Faß vol
Bier, oder Beutel voll Geldes. Darum hab’ ichs verdeutſcht:
Dun Holdfelige! Und Hätte ich das befte Deutſch follen
nehmen, fo hätt ich alſo verdeutſchen muͤſſen: Gott grüße
dich, du liebe Maria! Denn fo viel will der Engel fagen,
und fo würde er geredee haben, wenn er hätte wollen fie
Deutſch grüßen“ u. f. w. Ulrih von Hutten. Nur ein
Maar fcherzhafte Anekdoten von diefem großen Manne! Joh.
Wild. Ludwig Gleim. Hier finder man viele intereffante
Sharafterzäge zuſammengeſtellt. Doch möchte man bie und da
mehr Ordnung in der Zufammenftellung wuͤnſchen. Nachdem
ſchon Gleims Leben ats Hauslehrer, Gecretär, feine vers
traute Freundſchaft mie Kleift u. f. w. erwähnt worden iſt,
folgen einige Züge aus feinem Univerfitätsieben. Aune Louiſe
Karſchin. Ihe Leben wird, nad den vorhandenen Water
474 Denkwuͤrdigkeiten ꝛc. von K. H. Joͤrdens.
rialien, ausfuͤhrlich erzaͤhlt. Ewald Chriſtian v. Kleiſt.
Wenn gleich das Meiſte von dem hier Geſagten ſchon bekannt
war, fo liefet man es doch immer wieder mit neuer Theil
nahme. Konrad Arnoid Schmid. Nur ein Paar Züge
von Shmids Gutmuͤthigkeit. Ludw. Heinrich Chrph.
Hoͤlty. Hier tft, wie billig, Voſſens trefflihe Biographie
von Hölty auf das treulichfte benußt worden. Gottfried
Auguft Bürger. Die wichtigften Lebensumftänte und Char
raftergüge von diefem, von dem Rec. gelannten und geliebten
herrlichen Balladen » Dichter find aus den bekannten Quellen
recht gut zuſammengeſtellt, auch ift die legte, unglüͤckliche His
rathsgefchichte deſſelben ausführlich erzählt worden. Joh.
Matth. Dreyer. Ein Paar Anekdoten von diefem nidt
unmwichtigen Kopfe. Paul Meliffus. Nur ein Paar Wort
Aber diefen, 1600 als Bibliothekar zu Heidelberg geftorbenen
Dieter, der eigentlih Schede oder Schedius hieß, und
ein, nah den Marthiffonfhen Veränderungen abgedruck
tes Gedicht deffelden. Da es hier darum zu thun mar, den
Dichter in feiner ganzen Eigenthuͤmlichkeit kennen zu lernen,
fo hätte fchieflicher der unveränderte Originaltext dieſes füßen
Liedes, den man in der Sammlung der Zürcherifchen Streit
ſchriften zur Verbefferung des Deutfchen Geſchmacks wider die
Gottſchediſche Schufe 3. Bd. g. St. finder, mitgerheift werben
follen. | |
Im zweyten Bande kommen folgende Artikel vor: Gott;
hohd Ephraim Leffing. Man finder Hier alleriey, zum
Theil vecht intereffante Nachrichten Über Leſſing aneinander ge
reiht. Manchmal fehle jedoch der innere Zufammenhang; auf
Widerſpruͤche finden fih. So heißt es S. 8: „Leidenihaft
war feine Spielfucht gewiß nicht.“ (Der Ausdruc tft auch nicht
gut gewählt.) „Dan kann bloß-fagen, daf er fi) ohne rehtn
Spielgeift zuweilen in ein zu hohes Spiel einließ.“ Dagegen
heißt e8 ©. 25: „Sein liebſtes Spiel war Farao, das ei
nen ganzen Reiz vom ‚hohen Gewinn zu haben fcheint, und &
fpielte es mit ſtarker Leidenfhaft.“ „Reffing felhft ſagte,
Daß er nicht mit dem Spiel fpiele, fondern mit dem Spiel
Beinen Scherz treibe.“ Mofes Mendeldfohn. Neues fand
Rec. hier-nicht, aber alle hier gefammelten Charakterzuͤge ſtellen
Denkwuͤrdigkeiten 1. von K. H. Joͤrdens. 475
den lichenswürdigen Weiſen in einem vortheilhaften Lichte dar.
Smmanuel Kant. Der 9. fand hier viele Vorarbeit.
Was er Hier aus den verichiedenen Nachrichten zufammen reihte,
macht uns den tiefen Denker auch als edlen Menfhen, wisis
den Ropf und geiftreihen Geſellſchaſter achtungsmwerth. Daß
Kant, der fo hohen Sinn für Poeſie Hatte, auch ſelbſt Verfe
gemacht babe, ift nicht fo allgemein befannt. Wir rücen dar
her das von Hrn. J. &. 119 mitgetheilte, von Kant auf
den im J. 1780 in Königsberg verflorbenen Kriegsrath und
Profeffov der R. D. 2’ Eſtocq verfertigte Epigramm hier ein:
Der Weltlauf fchildert fich fo jedem Auge ab,
Wie ihn der Spiegel malt, den die Natur ihm gab.
Dem fcheintd ein Baufelfpiel zum Lachen, dem zum Weinen,
Der lebt nur zum Genuß , der andre nur zum Gcheinen,
Gleich blinde Thorheit gaft einander fpörtifch an.
Wird eine Regel nur dem Herzen nicht entriffen:: |
Sep menſchlich, redlich, treu und ſchuldfrey im Gemiffen!
(So lautet L Eſtoc q's Lob!) das andre ift nur Spiel:
Denn Menſch und weile ſeyn, it Sterblichen zu viel!
Sriedrih Gedike. Den größten Theil diefes Auflages
nehmen Briefe Gedike's an feine Geliebte ein, die nyr nad)
vielen überwundenen Hinderniſſen feine Gattin wurde. Chris
ſtian Sriedrih Daniel Schubart. Manches von dem
hier Meitgetheilten hat ung Herr J. ſchon mit denfelben
Worten in feinem Leriton Deutfcher Dichter und Proſaiſten
zum Beſten gegeben. Solche Wiederholungen waren bey dem
nicht ganz feſten Plane des Verf. unvermeidlich. Georg
Chriſtoph Lichtenberg. Auch in dieſen nicht uninters
eſſanten Zuſammenſtellungen fehlt es nicht an einzelnen Wieders
holungen aus dem früheren Werke des Hrn. 3. : Die drey
Wisipiele mit Wäitz und ſpitz findet man auch ‚hier wieder
abgedruckt. Aber was der ganze wörtliche Abdruck des Gedichte
auf die. ſchwimmenden Batterien im J. 1782 in dieſer Thas
rakteriſtik fol, fehen wir nicht ein. Manche wisige Einfälle
Lichtenbergs find dagegen ihrer Stelle würdig. Johann
Karl Auguft Mufäus. Ueber diefen wackern Mann möhte
man gerne noch mehr leien, als man hier finder. Ein ihwas
ches Urtheil des Hrn. J. finde ih S. 283: „Wenn wir
auh der Phyfiognomtif des fchwärmeriihen Lavater
fonft nicht viel verdanken, fo ift das Verdienſt doch groß ges
mug, die phyftognomifhen Reiſen (von Mufäus)
verartlafit zu haben.“ Kenner haben über Lavaters Wert
kangft ein ganz anderes Urtheil gefällt! Schön und herzlich
fiud Herders Worte bey Mufäus Tode, ©. 2d8— 292.
484 ‚Bugabe. su den-Werken dets Wandebecker Veten.
and wenn dies eine Eigenheit aller guten Humoriſten if, fi
gebährt ihm gewiß vorzhglich das Lab dee Ungeſuchten um
des Gehaltvollen feines duschbligenden Ernſtes. Beine har
moniſche Decke. ſcheint manchmal Klänge ans höheren Gphärs
ya vernehmen, und will fie nachfingen in wehmuthereicha
Liedern, wie in dem bekannten bey dem Grabe feines Bat
(.Friede fey um diefen Srabftein her“ ), einem der zärtlich
ſten und zaͤrteſten, die in irgend einer Sprache gedichte fa:
und mird bamm, wieder zerriffen von dem Schariwari di
Außenwelt, den’ Re zur Entſchaͤdigung und jedermänniglidm
Beſſerung in Pofſen nachwirbelt. Als Repräfentant der Den
‚ben Nawetät gefällt er ſich befonders in der Kinderſtube, I
findlihen Feſten — denn er ift ſelbſt ein fehr lichenswärdign,
ſehr kluges Rind, ein großer Unmandiger — im Thun m
Treiben des ehrlichen Landmanns, den er auch wohl wii
lich idealiſirt, ums ſalſche ‚Größe: Beifer zu befchämen, und U
‚Beichnung aller Charaktere, die zu den. Söhnen und Tuͤchten
Bei Unſchuld und Natur gehören. Ueber dieſem Allen adtt
ſqhwebt der Geiſt Der Religion, oder vielmehr des Chriſtenthum
and er auf: deffen Firigen. In ihm findet er den eigentlichs
Erſatz für jedes: Kleine and Große, was die Welt ihm mel
uud nicht gewähren kann. Won dieſem Punct gehen ſem
‚Gefühle; feine Betrachtungen aus, und kehren jedesmal dal
zuruͤck. Er iſt der Mittelpunct feiner Gelehrſamkeit und DW
tojophie, und der Prüfftein, woran er die Lehren feiner ZW
genuffen anterſucht. An ihm hält er unerſchuͤtterlich; und ve
die Zeit fi) neben ihm davon entfernt, fo eilt er im enine®
geſetzter Michtung inniger in deſſen Tiefen hinein ; wie fe##
:geiftfiher wird, fo wird er geiftlicher und erleuchteter. :
Aäyelt‘ er Aber die Wermweisheit der Wernunfe, zachtigt P
dann mit feharfer Setßel, und je gutherziger er iſt, ‚deko we
niger kann er die Bitterkeit Über die Mißleitung des Zeitalt
unterdrüädden. Denn er if Menſchenfreund im höhern Gi
and begehrt nicht ſowohl der Menſchheit finntiche Zufriedenhen
als ihr unfterbliches Heil. Als er ſich aber mehr und
vereinyelt fieht in feinen Meynungen, und das Alter ihm da
Muthwillen gedämpft hat, ſieht er noch da ats ein ſtilen
rehrwurdiger Wahrheitsprieſter, der: Deffen, was er denkt UM
Zugabe zu den Werken des Wandebecker Wien. 49
nicht dar, daß man nicht mehr jung if, wenn man alt if.
Was aber den Inhalt anlangt, der doch ben einer Schrift die
Hauptſache if, da mieine ich Wort gehalten zu haben. Und
wenn einige Lefer etwas Anders erwartet haben, fo tft der
Bote unichuidig daran, ift auch unverlegen darüber. Ihn ges
tenet feine Ueberzeugung miche, und er weiß, auch am (Grabe,
für ſich und feine Lefer nichts Beſſers* m. f. wm. Was nen
Wort und Weile anlangt, fo mÄffen wie bezeugen, daß anfer
der größern Ernfthaftigkeit, auf die ja ein Jeder zuruͤckkom⸗
men muß, und die dem. Verf. innerlich nie fremd war, wie
fein Alter , d. t. Altersihwäde, an ihm wahrnehmen fonnten.
Auch feine Poeſie hat ihren Jugendreiz bey weitem nicht eins
gebuͤßt. Wir wänfchen ihm daher Gluͤck zu einer Erfcheinung,
die bey Männern feiner Art zwar nicht gu den feltenen, aber
doch überall zu den erfreulichen gehört. Den Inhalt betreffend,
fo verzeichnen wie ihn Hier mit einigen Bemerfungen. ı) Das
heilige Abendmahl. Diefer Auffab ſchließt fih eigentlich
an den 7. Brief an Andres im VI. Bande an. Der Berf.
ſucht zu zeigen, daß es kein bloßes Gedaͤchenißmahl, ſondern
ein geheimnißvollee Genuß fey, durch weichen das verlorene
Leben des inwendigen Menſchen wieder entzändet, die Freyheit
des Willens wiedergebraht und der Sünde Geſetz in den
Gliedern getödter werden folle; als wozu afle Religionen und
Philoſophieen nur Projecte, Vorfchläge und Wege feyen. Er
belegt feine Lehre mit Schriftſtellen, die er entwidelt, und
zeigt ihre Uebereinſtimmung mit der der Kirchenvaͤter und Lus
thers. So viel Belkanntes hierin liegen mag, fo leiht die
Hand des Verf. der Darfellung ihr eigenes Verdienſt; und
denjenigen Lefern, deren Urtheil die Sache vorgelegte zu wers
den vornehmlich beftimme if, möchte er and) manches Neue
gefagt haben. Zum Schluß gibt er eine Stelle aus Luthers
E:mahnung an den chriflihen Adel Deutſcher Nation, bie
dem DBerf. gleihfam zus Sachbefähigung dient, und wo «6
am Ende heißt: „Einen Doctor. der heiligen Schrift wird
dir Niemand mahen, denn allein der heilige Geiſt im Him⸗
mel; und der frage nicht nach rothen oder braunen Pareten,
noch was des Prangens ift, auch nicht ob einer jung oder alt,
Lay oder Pfaff, Mönch oder weltlich ſey.“ — Wir Haben
Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten. 496
denen -ded) nur eins das rechte feyn kann. Iſt Rec. „par
theyiſch,“ ſo iſt er es nicht für den Mann, - den er nie. ges
fehen , mit dem er nie Briefe oder Gruͤße getaufche hat, ſondern
für eine Sache, ohne die er fo wenig als Asmus und Ans
dres rathen kann. And zwar nachdem er fie mit allen. ews
fordetlichen Mitteln unparthepifch gepräft hat, und täglich zw
prüfen im Stande ift.
Benn Vieles untergegangen iſt, fo Bee die Verdienſte
eines Claudius bleiben; und wenn er. nicht mehr hier-ifb,
fo wird er fih nicht ſchaͤmen, sHefchrieben zu haben. Dafür
bat er den Pfortner Hinzuftellen gleich Anfangs nicht geichent.
Und wenn du denn, frommer Greis, dieſes Urtheil für ein
anftändiges Kränzlein halten kannſt, fo nimm es von unbes
fannter Hand freundlich hin, und haͤng es an dein Stusens
fenfter , damit, ‘wenn: dein leßter Erdentag hereinfcheint, er
es anicheine, und verfläre, und das vergängliche Laub, oder
vielmehr den beſſern Kranz, den du dir felber gewunden haſt,
verwandle in. eine MINELIBEIHLAGE Krone der Gerechtigkeit.
‚1IMO, :
— —— —
Abentheuer auf einer Reiſe in die andere Welt, von Heinrich Fiel⸗
ding, Esq. Aus dem Engliſchen. Leipzig, in Kommiſſion bei
Cnobloch. 1812. VIII und 255 S. Nebſt einem Anbange⸗
XLVI S. in 8.
Wenn gleich Fieldings Journey from this world to
the next, wovon vorliegende Schrift eine mohlgerarhene
Weberfegung gibt, den übrigen Geiſteswerken des berühmten
Verf. nicht gang gleich kommt, den feineren Geſchmack bißs
weiten nicht befriedigt, und manche einzelne Gerichten zu weit
ausfpinnt, fo fehlt es doch auch diefer Schrift nicht an Zügen
aAIcchter Laune und Satire, und fie kann einige Stunden recht
angenehm unterhalten. Gleich der Anfang — der Zufland
des Verf. in den erften Augenblicden nah feinem Tode —
zeugt Yon Wis und Laune. Leſenswerth iſt die Befchreibung
vom Palafte des Todes, intereffant und mit Acht; fatirifchen
Zügen durchwebt die Schilderung des Gerichts, welches Minos
über die Seelen Hält, die nah Einfium verlangen. Die
Abentheuer, die dem Verf. in dem Haine der Seligen ber
gegnen, find zum Theil von ſeltſamer Art. Orphens fpielte
No. 33. Bvetrelvergiſche | 1813.
Jabrbacher der gitteratun
1) Neue Aufſchkaͤſſe über die Natur und Heilung des Scharlachftebers,
von :Gottfried Ehrikian Neid, ver AR. Dr. und Pros
feſſor zu Berlin. Halle und Berlin, im. Wenlsge. Dit: che
ſes. 1810. XXVIII und 276 G. in dt. 8. ze
a) Geichicher des Scherlachfiebers ‚ feiner Epidensieen :und Heilmee⸗
der, mit Ruͤckſicht auf die neuerdings vorgeſchlagene Anwendung
der Abfuͤhrmittel in demſelben, bearbeitet von Traygott Wilh
Suft. Benedict, der AW. Dr. und praft. Arzt und Augen»
arzt zu Cheinnit in Sachſen Cjegt Profeſſor zu DER Leip⸗
zig, bei Nettam. 1810. XXIV und 212 —
Das EUER und feine Rur befchäftigt feit einigen
Jahren die Deutſchen Aerzte mehr als jemals, und wird jetzt
faſt ein ſtehrndet Artikel in unſerer neueſten practiſchen Litte⸗
ratur. In der Thai iſt die groͤßere Aufmerkſamkeit, welche
unſere Aerzte ſeit dem letzten Decennium dieſer nicht nur an
ſich noch fehr unaufgeklaͤrten, ſondern ohne Widerrede in den
neueſten Zeiten immer mehr von ihrem ehemaligen einfacheren
‚und fpecifiich eigenthuͤmlicheren Charakter abweichenden Krantı
heit widmen, nicht ohne Grund. Dürfte man auch jetzt ſchon
‚mit Gewißheit' fagen — mas ſich nur erſt hoffen und wänfchen
‚läßt, — fie ift auch nicht ohne Erfolg! Die Scharlachkrank⸗
‚heit, weiche noch. in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahrhun⸗
derts in dere Negel und in der Mehrzahl ihrer, Epidemieen
für eine Jiemlich leichte und gefahrlofe Krankheit gelten tonnte,
‚und einen gutartigen Charakter hatte, insbefondre wenn fie
‚nicht mit weißem und rothem Frieſel verbunden war (was noch
jIn jener Zeit in der Regel nicht der Fall war), ericheint num
feit etwa 2o Jahren und darüber (und befonders auffallend in
‚den legten ı0 Sahren) in der Regel als eine gefahrpofle Krank
heit, die in vielen Fällen, ja in mehreren der neueften Epides
‚mieen in den meiften Fällen einen bösartigen, inſidieuſen. |
52 |
N. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf; v. Reich u. Benediet. AOL
folglich von dieſer abhaͤngig iſt, ſo kann ſie nicht zugleich et⸗
was Unabhaͤngiges ſeyn, was ſie doch ſeyn muͤßte, wenn ſie
die letzte Urſache der Materie waͤre. — Es winde demnach
ein Irrthum ſeyn, in der Kraft das ſuchen zu wollen, was
die Materie hervorgebracht hat, weil dieſe durch Raum und
zeit beſchraͤnkt, der Hypotheſe gemäß, die Kraft emehält, dee
das Höhere diefer Karegorien nicht untermorfen ſeyn follte.*
&.58 fo. — „Die Kraft ift bloß etwas Hypothetiſches, Eins
gebildetes; die Materie muß daher ale der Punct betrachtet
werden, von welchem ale unfere Unterfuchungen. über die Ars
fahen der Phänomene anheben muͤſſen (!)., — Gebraucht
man alfo den Ausdruck Kraft, fo darf man nicht vergeflen,
daß derfelde bloß unfere Unwiſſenheit über den leuten Grund
der Dinge verbirgt, und daß er nur einen imaginären Werth
befißer, den der Verſtand ihm leihet. Der Glaube an «ine
befondere Lebenskraft, als Princıp der Vitalitaͤt betrachtet, hat
daher Leinen gröfern Werth, als der Glaube an die Kraft
der Materie Überhaupt. Diefe Lebenskraft, dieſes Nichts
in meinem Kopfe, diefe Form des Vorfellungsı
vermögens meines Geiftes ( o weh!) kann unmöglich. alle
Wirkungen der objectiven Materie beſtimmen, woraus der Or⸗
ganismus gufammengefeßt ift. Die diefes behauptenden Phyſio⸗
logen verwechfeln das angeführte Nichts mit dem Weſen, das
dieſer bloß fubjectiven geiftigen Fähigkeit (nämlich) dem Vor⸗
ftelungsvermögen ihres Gehirnes) die objectiven Materialien
zukommen läßt, woraus fie fubjectiv eine allgemeine dee ab⸗
leiten, die donn den Namen Vitalitaͤt oder Lebenskraft bes
tommı*“ ©. 60 fa. (Ob fih wohl der Verf. unser jenem
„Weſen, das der bloß fubjectiven geiftigen Fähigkeit, das fol
ſeyn dem DVorftellungsvermögen felbft, die objectiven Materias
lien zukommen läßt,“ etwas nur halb Klares und Sinnhabens
des denken kann?) — „Der erfte Schritt zu dem Zwecke der
Kenneniß des lebenden Organismus ift geſchehen, wenn mas
ser herkoͤmmlichen Linserfcheidung der Körper in belebte und
anbelebte die richtige Bedeutung gibt, dis fie als bloß formel⸗
ler Unterſchied der ſchon porhandenen Materie bekommen muß.“
8. 62. — Doc genug pon diefen Verirrungen eines rohen
Materialismus, zu dem man fich in diefer Art nur mit kaum
R. Aufſchluͤſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Genedtet, 503
in welchen die Oberhaut zu dem menfchlichen Körper und zu
der Äußern Atmosphäre ſteht, oder in welchem fie als Vermitt⸗
lerin zwifchen beyden wirkt, iſt ihm das ber Wärmeleitung ;
zu diefem komme noch ein zweytes, dem erſten fubordinirtes,
nämlich das der Verdunſtung; und die wefentlichfie Beſtim⸗
mung der Oberhaut iſt alfo nah Hrn. R. in ihrem natärlis
hen Zuftand die, freyen Wärmeftoff und Ausdänftungsmaterie
an bie freye Luft abzugeben. Beyde Verrichtungen der Dbers
haut erfolgen aber, nah Hrn. R., nad beftimmten, allgemein
phyſiſchen Geſetzen, welhe der m. Organismus ganz mit der
äußern Natur gemein habe, und von welchen das erfte und
oberſte (auf welches Hr. R. ein befonders großes Gewicht legt,
und es zum hoͤchſten und allgemeinften Geſetz für die Körpers
(edre, und fomit zum oderfien Princip der Naturforfhung ers
heben will) Bas Geſetz der Temperatur und das andere, aus
diefem abgeleitete, das Geſetz der Verdunſtung heißt. Die
nähere Beſtimmung und Anwendung des Temperaturgefeßes
unternimmt der Verf. auf folgende Weile. (Wir mäffen diefe
Deduction des Verf. aus mehreren fehr zerfirene und getrennt
von einander daliegenden Sägen zuſammenleſen, fo wie übers
haupt logifche Anordnung und Zufammenreihung der Haupfſaͤtze
und ihrer Beweiſe in dem theoretifhen Theil diefes Werkes
ſehr vermiße wird.) „Die Temperatur jedes phyſiſchen Körs
vers wird entweder durd die Entbindung oder das Freywerden
des in der Subſtanz eines jeden gebunden geweſenen Waͤrme⸗
floffes, oder durch die Aufnahme des ihm von Außen her mits
getheiften , geleiteten, ‚oder veflectirten Waͤrmeſtoffs beftimmt.
Findet alſo irgend eine conflante Differenz gwifhen der Tems
peratur des lebenden Menfhen und der Teniperatur irgend
eines unbeiehten Körpers ſtatt, fo kann fich dieſe Differenz
doch nue auf die Quelle der verfchiedenen Temperaturen ber
ziehen (S. 48). Der lebende Menſch, wie die atmosphärifche
Luft, find als phufiihe Weſen dem allgemeinen Temperaturs
geſetz glei unbedingt unterworfen. Diefem Geſetz zufolge
möffen von zwey mit einander in Berührung fehenden Koͤr⸗
pern der: wärmere dem Bältern feinen Ueberftuß an freyem
| Warmeſtoff fo lange mittheifen, bis nach einem andern Natur⸗
geſetze (7), nämlich dem der Dichtigkeit ihrer Subſtanz, ihre
504 N· Kutſchitte n. Geſch. d. Schatlachl. v⸗Rtich m Bad
Temperatur gleich iſt. Wenn alſo die Temperatur des lebenden
Menſchen und der atmosphaͤriſchen Luft von einander abhwei—
|
hen, fo muß der eine von ihnen dem andern fo viel von fir
‚nem Uebermaaß an freyem Wärmeftoff mittheilen,, als dieſet
aufnehmen kann. Nun iſt aber die Temperatur der frepen
atmosphärifchen Luft an allen Orten des Erdbodens niemalt
\
höher , fondern immer niedriger, als die des (ebenden Mer
fchen, (Diefes ift eine offenbare und durch die bekannteſtn
Thatfachen nachzumeifende. Unrichtigkeit, wie Jeder wiſſen muß,
dem. bie genauen thermometrifchen Beobachtungen mehrere
Meifeniden ꝛc. in den Sandmwäften Lybiens und Nigritiens, auf
den Maldiviſchen Inſeln, in Java. und andern gleichartigen
Klimaten befannt find. Der Verf. will fih zwar gegen di
Kraft dieſer Einwuͤrfe dadurch retten, daß er auf den Unter
ſchied zwiſchen der geleiteten, der zuruͤckgeworfenen, und der
ſtrahlenden Waͤrme, und zwiſchen dem wahren Maaß der ab
zuosphärifhen Wärme provocirt, und daraus folgert, daß in
allen den Fällen, wo die Luftwärme größer, als die des Min
Shen gefunden wird, das Thermometer die wahre Temperattt
der freyen Luft gar nicht anzeigen koͤnne. Allein, wenn auf
jme Verhaͤltniſſe der Leitung, der Reflerion und der Strahlung
allerdings.-für die temporaͤre und locale Erhöhung der atmos
phaͤriſchen Temperatur ‚mit in Betracht kommen, befindet ſich
denn der menſchliche Körper nicht von diefer Luft mit die
fer, fein Waͤrmemaaß oft um mehrere Grade uͤberſteigenden,
Temperatur umgeben ?_ Iſt es dann nicht einerley, aus wi
hen Urfachen die den Menfchen umgebende atmogphaͤriſche Euf
wirklich wärmer it, als der menfchlihe Körper ? And fon
dann, wenn und weil dadurch jene Behauptung deg Verf. WM
zichtet wird, auch feine Folgerung gültig feyn?) „Es ik M
her, fhließt unfer Verf. dennoch friſchweg, abfolut nochwendi
daß der immer wärmere menfchliche Körper der immer kaͤlteren
‚atmosphärifchen Luft fo viel von feinem Ueberſchuß an fregen
Waͤrmeſtoff mittheilt, als dieſer davon aufnehmen kann.“ Odet,
wie ed ©. 69 heißt, „die Luft, als der kaͤltere Körper, mus
‚dem Menſchen immer einen Antheil von dem Prinsip di
‚Wärme pder dem Woͤrmeſtoff entziehen, wodurch feine eigen
thuͤmliche Temperatur beſtimmt wird,“ Wenn indeſſen, hrt
|
— — — — — EEE
3. Huftchtäte u-Drfch.d. Schanfarhf, v. Meich.n. Vencdiet. #05.
der Verf. fort, Diefe Entziehung der Wärme aus dem mens
lichen Körper durch die Aufiere Puft, ber Erfahrung zufolge,
doch nicht bis zu dem Grade der nölligen Ausgieihung der
beyderfeitigen Temperaturen geſchleht, wenn im Gegentheil der
lebende menſchliche Körper beſtaͤndig dieſelbe Temperatur / von
+ 28 — 30 Graden Reaum, behält, fo rähre Diefes bloß (1)
davon her, daß durch die Verdauung dem lebenden Menſchen
die Menge des freyen Waͤrmeſtoffes wiedergegeben wird, welche
die Armosphäre ihm bFftändig entzieht. Das Athemhalen hat
an dieſer Erhaltung der conſtanten Temperatur des Menſchen
gar keinen Antheil. (So verſichert der Verf., ja er kann ſich
von ſeinem Erſtaunen gar nicht erholen, daß Phyſtologen und
Aerzte vom erſten Rang eine aller Vernunft und Erfahrung ſo
widerſprechende Meynung haben unterſchreiben koͤnnen. Wir,
unſererſeits, finden es unbegreiflich, wie ein Arzt von Scharf⸗
ſinn und Kenntniſſen glauben kann, daß die drey hier dagegen
angefuͤhrten, durchaus unhaltbaren Argumente auch nur einiges
Gewicht haben koͤnnen.) „Weit gefehlt alſo (7), daß der
Nutzen des Athemholens in der Erzeugung und Vermehrung
der thieriſchen Waͤrme beſtehen koͤnne, beſteht er im Gegen⸗
theil offenbar in der beſtaͤndigen Verminderung dieſer Waͤrme.
(Wir werden dem Verf. fuͤr dieſe wichtige Entdeckung und
Bereicherung unſerer Phyſiologie großen Dank ſchuldig blei⸗
ben!) — Die Oberhaut iſt dazu beſtimmt, der umgebenden
immer kuͤhleren Luft einen Theil des freyen Waͤrmeſtoffs mit⸗
zutheilen, der ſich im Innern des Koͤrpers entwickelt, oder,
wie es S. 77 heißt, durch ihre Subſtanz hindurch den Waͤrme⸗
ſtoff entweichen zu laſſen. (Warum und wodurch die Oberhaut
dieſe Beſtimmung habe, ob etwa durch eine befondere Organi⸗
fation, und ob es eines befondern organifirten Weberzuges bes
dürfe, um die Wärme aus dem Innern des Körpers durch ihn
entweichen zu laſſen? ob und aus welchen Gründen die Wärme
nicht eben fo leicht aus einem ‚Körper oder Theil ohne Ober⸗
haut, als aus einem mit Oberhaut, ob ſie nicht eben ſo leicht
aus einer dicken Oberhaut als aus einer duͤnnen entweichen
koͤnne? darüber geht der Verf. gang ſtillſchweigend weg. Und
doch hätte er gerade dieſe Puncte am genaueſten eruiren müfs
ſen, weil ſie die eigentlichen Wendepuncte ſeiner Theorie vom
= oe —
“
— ed — m ——— —
·j— —
m = u = 7 u. a 02o\r — m ww
N. Aufſchlaͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. n Neich u. Benedici. 50
Aufnahme von gewiſſen Beſtanbtheilen der Atmosphäre, es fey
Sauerſtoff oder Stickſtoff ꝛc., in die Lunge beym Athemhoͤlen;
als etwas Ungereimtes, zu Felde zieht, ohne‘ uͤbrigens einen
andern. Grund dagegen anjuführen, als: „es ſey eine abſolure
Unmoͤglichkeit, daß der Körper gleichzeitig (?) anf demielden
Weg etwäs verliere, auf welchem er etwas embfange!); ‚und
66 insbejondere die Nord s und Nordoſtwinde eine eigens
tchaͤmlich beffimmenden Einfluß auf die Ergengung des Scharlach⸗
flebers Babe, wie er ſelbſt Anfangs gemeint habe. Er verneint
aber in Bolge fpäterer Erfahrungen dieſe Frage, wiewohl er
den Einſtuß von rauhen und fhneidenden Winden auf das
Afterben der Oberhaut nicht geradezu laͤugnen wii. Daß aber
von diefem allein oder audj nur zunaͤchſt die Erjeugurig dei
Scharlachfiebers herruͤhren folle, könne deshalb nicht-angenoms
men werden, weil ſich erftlich. nicht würde begreifen laſſen,
warum did Menfhen das Scharlachfieber in der Hegel nur
einmal bekommen, weil ferner victe Menfchen troß der Eins
wirtung der kalten Winde auf fie das Scharlachfieber doch nie
befommen, und weil Diele vom Gcharlachfieber Jahre tang
verihont bleiben, die doch an Drten wohnen, wo alle Sahre
die ſchneidendſten Nord⸗ und Norboſtwinde wehen. Der Verf.
findet es daher weit narärliher , das Scharlachfieber als eine -
Metamorphofe der Oberhaut zu betrachten, melde derjenigen
ganz analog fey, die ſich gewöhnlich gu gewiſſen Jahrszeiten
bey allen (7) tebenden Organismen ereigne, nämlich‘ als eine
Art Mauſcen oder Miebern, dem das Haͤren bey den Säugr
thieren, und ein analoges Metamorphofiren der Auffern Hille
bey den Ampfisien, den Inſecten und Würmern (wirklich
auch ber allen Thierarten diefer letzten beyden Maffen ?: auch
bey den wur ein Jahr und kürzer febenden? das Verpuppen
fol auch wohl Bieruntee gehören?) entfprehe. Der Menſch
fey diefen Veränderungen fo, wie jedes andere: Thter,‘ ‚unters
worfen, wenn fie fchon bey’ ihm weniger in die Augen Iprins
gen ; denn jedes Jahr fchäle er ſich nah und nad über die
ganze Oberfläche ab. (Und warum befommt denn nun der
Menſch nicht jedes Jahr das Scharlachfieber ? fühlte der Vers’
faffer, wie fehr er feine Hypotheſe ſelbſt im Augenblick des |
Aufbauend untergeäßt? und daß Alles folgende; mas er aber
.
10 RiAelſolste ei Seh: 1. Mein. Be
das Periodiſche in den Meränderungen am Körper, als etwat
nicht weiter zu. Ergründendeg,, fagt, gar nicht geeignet ift, fie
zu vetten, oder nur einigermaßen gu flügen ?) Hier abermals,
als vermeinte ‚Folge der bisherigen Auseinanderfekung (?),
die Behauptung, daß das Scharlachfieber von keinem eigen
thuͤmlichen Gift in der Luft herruͤhre, und daraus zugleich dad
Reſultat, daß das Scharlachfieber auch nicht auſteckend ſeyn
tönne ‚eben weil kein eigenes Scharlachgift exiſtire, und feine
Erifteng auch nie werde beiviefen werden können. Anflekung
tönne nur. durch unmittelbare Berührung des Anftetungefofet,
oder durch. Einathmen der mit dem Anſteckungsſtoffe gefhwäns
gerten Luft im eingefchloffenen Raume erfolgen. (Der WVerf.,
der zwifchen Anftecfung im engern Sinne, durch wirkliches
Contagium, und zwifchen epidemifch s atmosphärifcher Infection
durch atmosphärifch verbreitete Miiasmen. zu wenig.- unterihel
det, beruft fih hier auf einige Beobachtungen von Mictam.
ſteckung des Scharlachfiebers in Familien, wo die Geſchwiſter
mit ‚dem: Scharlachkranken im genaueften Umgang blieben.
Jedem Argte werden dergleichen Fälle vorgelommen ſeyn. Aber
glaubt der Verf., mit diefen Fällen, die gar nicht zu den pa⸗
thologifhen Problemen gehören, ‚wirklich die, zahllofen Fälle
von unzweifelhafter Anftefung des Scharlachfiebers widerlegen:
zu können? ).
Der Berf. berührt jet die Frage, warum die Menſchen
gewöhnlich nur einmal in ihrem Lebeh vom Scharlachfieber
befallen werden. Das hic Rhodus, hic salta, mochte der
Verf. wohl gefuͤhlt haben, denn an der Loͤſung dieſer Frage
mußte ſich der Gehalt ſeiner Theorie wie an einem Probierſtein
zeigen.» Allein zum größten Befremden des Lefers bleibt der
Verf. bloß dabey fiehen, fie aufgeworfen zu haben, und mad
auch nicht einen Verſuch, fie zu beantworten. Er ſchluͤpft übe
fie weg, ald wenn gar nicht viel an ihr gelegen: wäre. Sum
Leſer mönen ſelbſt zuſehen, wie fie mit dem Maufern fertig
werden, und wie fie die jährliche Wiederholung, deffelden mit
dem einmaligen Erkrankten am Scharlachfieber reimen mögen!
Heißt dies eine Theorie motiviren, durch die, man eine anden
auf fiheren Thatfahen ruhende in den Staub. treten will? —
Die nicht felten vorfommende Bermehrung der, Kantansbir?
N Acfiblühe m. Seſch. d. Shallochſ. u. eich m Benin, 514
Rung im Anfang des Scharlqche, bis zu ſtarken Schweißen,
löugnet der Verf. nicht, aber er weiß fie auf eine neue Weife
gu erllären, und mit feiner Theorie, der fie freylich ſtark zu
widerſprechen ſcheint, in Einklang zu bringen. Da, ſagt er,
die Erzeugung der neuen Oberhaut nicht auf einmal und gleich⸗
maͤßig vor ſich geht, und da bey warmer Temperatur der Zim⸗
merluft der beichleunigte Umiauf und die Verfluͤchtigung (ohne
Wärmeentweihung?) der Saͤfte Folgen der durch bie ‚Äußere
Wärme verminderten oder. unterdrücken Eptweichung der freyen
thieriſchen Wärme ſeyn muͤſſen, fo practditiren ſich die vers,
fluͤchtigten Saͤfte auf der verhaͤltnißmaͤßig kuͤhleren Oberflaͤche
des Körpers in Geſtalt von Schweißtroͤpfchen, weil der damit
verbundene Waͤrmeſtoff ſchneller entweicht, indem er ſich den
umgebenden- kühleren, mehr oder minder dichteren Körpern
mittheilt. (Alfo auch In derfelben warmen Zimmertemperatur,
welche die Entweihung des Wärmeftoffs verhindert ? und auch
unter der warmen und fo fdhlecht mwärmeleitenden Federbetts
decke? Melde vortrefflihe Conſequenz bier wie Im Folgenden!)
Daher fcheinen alle bedeckten Theile immer ‚mehr zu fshwigen,
als die unbedeckten (fcheinen fie nur diefes?); daher ſchwitzt
man auch im der falten Luft bey ſtarker Bewegung bloß an
den bedeckten Theilen. — Von der befondern Beſchaffenheit
der Oberhaut in einzelnen Individuen haͤngt großentheils die
Verſchiedenheit der Erſcheinungen und des Verlaufes des Schars
lachs ab. Derfonen. mit dirderer und fefterer Oberhaut erfrans
fen deshalb (7) ftärker, als. zärtere und fchmächlichere Wiens.
fhen mit feinerer Oberhaut, weil bey jenen verbältnißmäßig
nicht fo piel Wärme und Ausdüänftungmaterie entweichen kann.
— Dis Heftigleit oder Gelindigkeit der Zufälle richtet fih nach
der Jahrszeit, und nach dem Verhalten, dem der Kranke uns
terworfen wird. Se kälter die atmosphärifche Luft oder Wit⸗
terung überhaupt iſt, defto unbedeutender muß auch die Kranks
heit ſeyn. Diefes ift zwar, wie der Verf. ſelbſt ald Einwurf,
den man ihm machen würde, anführt, der täglichen Erfahrung
gerade zuwider, indem diefer zufolge das Scharlachfieber im Wins
ter und Frühjahr weit gefährlicher und. tödtlicher iſt, als im
Herbſt; allein er iſt demohngeachtet von der Nichtigkeit feiner.
Behauptung Äberzeuge, und Hält die Erfahrung in diefem Fall nur
No. 33. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
\
1) Neue Aufſchluͤſſe über Die Natur und Heilung des Schartachficbers,
von Gottfried Chriſtian Reich
2) Geſchichte des Scharlachfiebers, von zeige ®. ©. Benebich
C Beſchluß der in No. 32. abgebrocdenen Necenflon.. )
Da. boͤsartige Scharlachfieber iſt, nach dem Verf., keines⸗
wegs Folge einer angeblichen Bbsartigkeit des vermeintlichen
Scharlachgiftes. Er behaͤlt jene Unterſcheidung bloß aus Nachs
giebigkeie ben, indem er vollkommen übergeuge iſt, daß es nue
eine einzige Art: von Scharlachfieber gibt. Alle heftigeren und
gefahrvelleren Zufälle in diefem nur einftweilen von ihm zus
gegebenen bösartigen Gcharlachfieber werden auf Rechnung des
im Körper zurädgehaltenen Wärmefloffes gefchrieben; wobey
‚ die übermäßig geheizten Zimmer, deren Temperatur in Nord⸗
deutfchland,, wenn des Verf. Verfiherung gegründet wäre abep⸗
nahe 34 Jahre lang derjenigen einer Ruſſiſchen Bad s —*
|
3
r
2* a u 7. 8
Schwitzſtube nahe fommen müfite, befonders übel wegfommen.
— Der Berf. geht hierauf zu der Betrachtung der Nachkrank⸗
heiten über, unter welcher Rubrik er aber auch folhe Symptome
mit aufzaͤhlt, welche an ſich eigenthümliche und conflante Bes
gleiter des Scharlachfiebers ſelbſt find, und nur bedingterweife
au als Nachkrankheiten nach geendigter Aöfchuppung fich wies
der erneuern koͤnnen, nämlich die Bräune, und das Sieber,
über weiche beyde Erfcheinungen und ihr Verhaͤltniß zum Schars
lahausichlag jedoch der Verf. allzukurz weggeht. Beſonders
haͤtte die ſo haͤufig bey Scharlachepidemieen beobachtete Braͤune
ohne Scharlachausſchlag, uͤbrigens aber mit allen Symptomen
der epidemiſchen Fieberkrankheit, Inähere Erwägung verdient.
Die Übrigen von ihm unter diefer Tategorie betrachteten Zus
fälle find: Geſchwulſt und chronifhes Anfchwellen der KHalsı
" und Ohrendeäfen, Entzündung und Wereiterung derfelben;
|
(Hier lefen wie die merkwürdige Aeußerung des Verf.: „feits
dem er die Marimen befoige habe, die fi er den phyſiſch⸗
|
544 N. Aufſchluͤfe m. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benakt, |
chemiſchen Verhaͤltniſſen des Menichen zur Außenwelt ergeben,
ſen es ihm Mar geworden, daß ale Entzündungen pur leide |
Uebel find, die fih binnen wenigen Tagen, oft binnen weni
gen ‚Stunden heben laffen, ohne des. großen antiphlagiftifcen
Apparate zu bedürfen, zu welchem man gewöhnlich greift“)
waͤſſerige Geſchwulſt und Waſſerſucht (welche gerade durh
fortgeietes warmes Verhalten entſtehen fol, . indem dadurch
Yufleden und endlichen Verwachſen der alten und ueuen Ober
haut, fomit: Anhänfens der Ausduͤnſtungsmaterie in dem Zell
gewebe unter, der neuen Oberhaut bewirkt werde. Die gar
nicht feltıne Wahrnehmung der ſtaͤrkſten Waſſergeſchwuͤlſte nah
der ſtaͤrkſten Abſchuppung iſt der Verf. geneigt, für eine Tin
fang zu halten. ); Hautausſchlaͤge, Nervenbeſchwerden (die
niemals als Kolge von Erkältung und einer von dieſer herge
(eiteten Unterdrückung der Bautausdänftung ſeyn follen, Inden
durch die Kälte die Hautausdunſtung vielmehr übermäßig vet
mehrt werde; wovon aber diefe Nervenbeſchwerden herruͤhren,
fagt uns der Verf. nicht.); trockener und feuchter Hufen,
Ausflug aus den Ohren und andere Geſchwuͤre. Man kam
fi denken, daß der Verf. an diefen wie an den Übrigen Rad
Brantheiten kein Scharlachgife einen Theil haben laͤßt. — Die
Mrognofe muß natürlih unter den Anfihten des Verf. eine
andere Geſtalt gewinnen, als fie bey den übrigen Scheiftfel
fern bisher gehabt hat. Der Verf. verweilt insbefondere bey)
Cappel's prognoftiichen Beobachtungen und Lehrfägen übt
das Scharlachfieber und ber die Umftände, nad denen fü
die Gefahr deffelden richtet; wobey begreiflicher Weiſe Mt
Verf. jede andere Gefahr beym Scarlachfieber, als die von
gu warmen Verhalten entfiehen fol, und fo auch jede I
ſpuͤnglich gefährlihere und maligne Art von Scharlachfieber
verwirft. Hier erfahren wir zuerfi vom Verf. , welche Anfiät
er von dem ppretologifchen Werhältniß des Scharlachs habe.
» Das Abfterben der Oberhaut, fagt er, erſchwert die Functie‘
nen der Haut, macht alfo, daß mehr Wärmeftoff und Aut
duͤnſtungsmaterie im Rörper zuruͤckbleibe, als gefchehen folk,
und bringt fo ein Fieber zuwege, das dem intenfiven Grad
diefer Störungen angemeffen ift, und dem Scharlachuͤbel not‘
wendig und durchgehende (!) den Tharakter der Synode auf
\ i
BtS- 9% Mufkhfüffen, Geſch. d. Scharlachf. v. Reich n. Betr.
kung der Nachkrankheiten findet ex nichts: zu erinnern. noͤthig,
weil diefe nur Folgen des ſchlechten Verhaltens feyen. Der
Merf. ſchließt dieſe Abhandlung mit einer kurzen relapituliren
den Zufammenftellung deſſen, was auf die von der Vlieſſinger
Geſellſchaft der. Wiſſ. vorgelegten Preisfragen (gu deren Ge
antwortung eigentlich der Verf. diefe Schrift ausgearbeitit
Hatte) Bezug hat, und mit einem alphabetiſchen Verjeichniß
der Schriftſteller über das Scharlachſieber.
: Wie haben es für Pflicht gehalten, bey der Anjeige dieſet
Keich’fchen Schrift fo ausfuͤhrlich zu ſeyn, weil die Tendenn
derſelben keine geringere ift, als die bisher allgemein ange
wommene Lehre von eimem befondern der Scharlachkrankheit jt
Stunde liegenden atmosphaͤriſchen, bald mehr bald weniger
contagiöfen Miasma ganz zu vernichten, und die bicher im
Gangen. herrſchend geweiene Therapie diefer Krankheit voͤlig
1 reformiren. Es .bedarf maferer Erinnerung nicht, daß dieſe
brab ſichtigte Reſorm ſich nicht auf die längft von allen guten
Jerzten verlaſſene heiße und erhitzende Behandlung der Schar
lachkranken, fondern nur anf die jeßt ziemlich allgemeine Gt
folgung eines gemäßigt warmen Verhaltens und eines mehr
oder weniger antiphlogiftifch s Diaphoretifchen Kurplans (IM
einfahen Scharlach) beziehen: kann. Diefem iſt freylich d4
Verf. kalte, ja bis unter dem Gefrierpunct erfältende Hehandı
lung diefer Krankheit und feine Entfernung aller übrigen im
neren Kurmittel immer noch ſehr entgegengefeßt. ; Wenn Wit
aber auch zugeben wollen, daß diefe Methode des Hrn. R.
in den Fällen eines gelinden und gutartigen Scharlachs, NM
bey Übrigene gefunder und kraftvoller Konftitution der Indivi
buen, öfters ohne allen Macheheil angewendet, ja daß fie m
ter beſtimmten Umftänden von Nuten für die Abkürzung di
Krankheitsverlaufes ſeyn kann, fo werden wir darum de&
nicht glauben, daß diefe Methode audy in den Fällen des Bl
artigen und gleich vom Anfang an mit dem Charakter ein
Synochus, oder aber eines Typhus, oder wentgſtens mit fa
ſcher Tendenz zu diefem, eintretenden Scharlachs nügtich me
angezeigt ſeyn werde. Wir werden fie vielmehr in diefen Säl
len, und überall, wo das — zuverläffig exiſtirende und ©
dem Verf. nichts weniger als widerlegte — Scharlachmiad
524 Minceralogiſche Studien von Leonhard und Gelb,
Gattung, welche Hr. 2. wegen ihrer täufchenden Aehnlichkeit
mit. Baft fo benannt hat, finder fih zu Offenheim in de
Wetterau, und foll, wenigftens zum Theil, von der Erle
(alnus glutinosa ) und zwar von der Rinde herruͤhren. Rec,
Der die baflartige Braunkohle aus Autopfie kenne, muß gefle
hen, daß fie ſich ſehr als neue Art charakterifir. — IV. Mir
neralogifhe Notizen von Leonhard. Nicht minde
reichhaltig. Sphene ale Einfhluß im Bergkryſtall aus dem
Chalomcher Gebirge der Dauphinde und einige Bemerkungen
über dieſes Mineral, wichtig für die Charakteriſtik deſſelben.
— Analzim aus Foſſe. Vorkommen in einem bafaltifchen Mans
delſteine, mit Zeolith ꝛc. — Melanit und Leuzit in Deutſch
land entdeckt (am Kaiſerſtuhl im Breisgau in einer etwa
aufgelösten gränfteinartigen Gebirgsart). — Neue Kryſtal⸗
form des Gediegen⸗Wismuths ( fechsfeitige Säule mir dry
Flaͤchen zugeipißt). — Anatafe vom St. Gotthard. — Koh⸗
Ienfaurer Strontian von Bräunsdorf bey Freyberg (— dielet
Foſſil wurde von manchen Naturforfchern für Arragon gehal
ven). — Unbekanntes Mineral in der Gegend von Schem—
nis gefunden. — V. Mineralogifhe Motigen von
Selb. Intereſſant. Frequenz bes Angits am Kaiferkufl
im Breisgau. — Webergänge des Baſalts in Klingfleinpen
phyr. — Kepftallformen des Gediegen » Wismuchs anf det
Grube Sophia (Tetraeder, vierfeitige Tafel, Oktaeder, , drep
feittige Doppelppramide ), — : : Ueber den Silbergehalt 4
Wismurh Silbererzes und deſſen Kryſtallgeſtalt. — Tafıl
Förmige Kryflalle von Bleyglanz. — VI. Weber das it
Unsarn entdecdte phosphorfaure Rupfer. Bor
Leonhard. Der Fundort dieſes in vierfeitigen Doppelppte
miden phosphorfauren Kupfers iſt Libethen bey Neuſoif. Al
Anhang einige chemiſche Notizen von Buchholz, welche du
Angaben des Verf. durch die Analyſe rechtfertigen. — Vi :
Defhreibung einer Suite von Öebirgsantenan |
der Auvergne, von Leonhard. Als Einieltung lm
fehrreiche Bemerfungen von Dolomiten und Bud Alt |
Vulkane der Auvergne, aus dem Journal des mines und 8 |
Buch's Reife entlehnt. Nun folgen die mit wieler Grändid!
Beit entworfenen Bejchreibungen der Gebirgsarten, devam 32
fih auf 71 belauft. Die Sammlung bietet eine jiemlih ml '
fländige Suite der Gebirgsarten diefes merkwürdigen Lanl
dar. Im Allgemeinen find Bejchreibungen von Gebirgdaie)
ohne daß man Gelegenheit hat, die Exemplare feldft mil * |
Texte vergleichen gu fönnen, von feinem befondern J
die vorliegenden machen indeß bier eine Ausnahme, indem Mt |
als interejfante Belege beym Nachleſen der Schriften, weißt
546 Exfahe. u. Vb. 2. Axantb. d.mei. Geſchlecht v. Roezele.
der kuͤrzeſten Zeit zur möglihft gründlichen Einſicht gelang.
Die erfie Beraniafung zu diefer Arbeit gab ihm (©. 7) ein
vor fünf Jahren erhaltener obrigkeitliher Auftrag, Vorſchlaͤge
zur Berbefierung des Geburtshätfeweiens zu machen ; und da
ihm die grändlidde Verbeſſerung diefes Zweiges der Med. Ber
faffang von einer gwedimäßigern Einrichtung des Unterrichtes
and der Bilbungsanftalten ausgehen zu müfen ſchien, fo wew
dete er hierauf vorerfi feine vorzäsliche Aufmerffamkeit. Die
Arbeit wuchs ihm unter den Händen zu einem Umfange heran,
Die mit in feinem urfprünglichen Vornehmen lag, und er
glaubte durch die Öffentliche Mitteilung derſelben nägtich few
ga Eöunen, beſonders duch Nebeneinanderſtellung feiner Auf;
sen mit der treflichen Nolde ſchen Kritik, indem er vorzägfih
auf diejenigen Puncte Rückſicht nahm, wo er verfchiedeng
Meynaung mit demfelben war.
Da, wo von dem Umfange umb Inhalt der Einfeitung
die Rede if, beißt es: unter Geburtshälfe feye dem Ginm
des Wortes nad offenbar nichts anderes zu verſtehen, als dis
Kälfe, die beym Gebaͤren geleitet wird, und unter Seburs⸗
dälfeunft, von andern unridtig Entbindungsfunk genannt,
die Kunſt, jene Hülfe zweckmaͤßig zu teilen; in den Lehrvor⸗
trag der Geburtshuͤlfekunſt dürfe nichte aufgenommen werden,
als die Regeln and Vorſchriſten, welche fih auf den Beyſtand,
und die Hälfeleiftung bey der Geburt Beziehen, und ae
Saͤtze, auf welche fi jene Regeln zunaͤchſt Rügen 3 es few
daher eben ſo unrecht, Krankheiten der Wödnerinnen und
Neugebornen in den Lehrvortrag der Gehurishälfe aufzunch⸗
men, als den propaͤdentiſchen Unterricht zu weit ausgubehmen,
and den Vortrag and auf Unvorbereitete berechnen zu mols
fen, wodurch, mie der Verf. richtig zeiat, die Möglichkeit
einer ſyſtematiſchen und gründlihen Darftellung aufgehoben
wird. Ihrer Natur nach zerfallen aljo die Gegenflände bei
Lehrvortrages der Geburtshülfekunſt in die eigenelihb u
Burtshälflihen, und die (näheren) propädbeutifchen. Du
aber das obftetrigiihe Verfahren feinem Zwecke und Mefen nad
verſchieden ift mach der Befchaffenheit der Geburt, je nadhbım
dieje entweder A. Geſundheit gemäß vor fih geht, oder B. bu
Normalität diefer Fuuction geftört, aufgehoben If: fo zerfah
Erfahr. u. Abh. d. Kraulh. d. weibl. Geſchiechts v. Naegele. 849
Hierauf kommt der Verf. für die zweyte Abtheilung, auf
das Verhalten ſowohl der Gebaͤrenden als der bey der mE
Gegenwärtigen für die normale Geburt zu fprechen.
In der erſten Abtheilung des zweyten Haupttheiles ( wi
pathologifch s therapeutiſchen Theiles ) follen die Abnormitaͤten
der Geburt nad) ihren Hauptverſchiedenheiten, oder die allge
meinen Formen von Störung diefer Verrichtung noſologiſch abs
gehandelt, Die Vorgänge, anf denen die Ruͤckkehr oder möglichfie
Annäherung zur Normalität beruhet, ausgemittelt, hiernach
die allgemeinen Regeln für das Turverfahren befkimmt, nnd
endlich die vorzuͤglichern der Geburtshuͤlfe eigenchämlichen Bes
handlungsarten ( methodus curandi obstetricia generalis ):
die Application der Geburtszangen, die känkliche Veraͤnderung
ber Fruchtlage, die känftlihe Entbindung vermittelſt bloßer
Hände, die Entbindung auf freemdem Wege (Sectio csesarea)
und die Perforation und Embryotomie ausfährlich exponirt
werden. S. 2od. „Mit disfen Operationsarten, ihrer Name °
Beſtimmung, Wirkungsart und der Art, fie zu verrichten, muß
bier der Schäler bekannt gemacht werden, wie auch mit ihres
allgemeinen Anzeigen. Die VBefonderheiten derſelben, ihre
Modificationen,, in fpeciellen Fällen, und ihre befendern Ar
geigen find Gegenftände der- fpeciellen Therapie, und koͤnnen
durchaus nur da gründlich und deutlich abgehandelt werben.
— „Hier foll der practiſche Unterricht, oder die Uebungen am
Fantome, an Leichen u. f. w. beginnen, und neben dem ea
retiſchen Unterrichte fortgeießt werden.
In der andern Abtheilung des zwepten Haupttheiles, weiche
die fpecielle Pathologie und Therapie der Geburt enthält, ſol⸗
len die befondern Formen von Abnormität der Geburt mebfl
‚ Ihren wichtigen und häufigern Complisationen, nach ihren
Zeichen, Unterfcheidungsmerkmaten, Urſachen, Wirkungen, Aus—
gaͤngen und Folgen dargeſtellt, die Curregeln beßimmt und die
Behandlungsarten angegeben werden, anf bie in. der Übrigen
Heilkunde allgemein angenommene Weiſe.
S. 1095 — 116 if ausführlich gezeigt, daß die Normalis
tät Der Geburt nicht allein anf der gegenfeitigen Proportion
swiichen den beyden Dauptmomenten des Mechanismus ber
Geburt, nämlich dem artiven und paffisen Dioment (den aus⸗
v
%
5580 :..Erfahr. 0. Abh. d. Kranky:d, weibl. @efchlechts n.acyle.. |
treibenden Kräften und der Frucht und den zum Durchgang
derſelden beſtimmten Wegen) beruhet, fondern auch (da ale
Normalitaͤt des Mechanismus irgend einer Function immer
eine relative iſt) auf dem Verhaͤltniſſe dieſer Proportion N
den organifchen Functionen, die von dem Gehärungsacte im
fluirt werden, und zu der Stimmung der Vitalitaͤt bes Abel
gen individuellen Organismus uͤberhaupt. Dieſemnach ergebm
ſich zwey Hauptgattungen von Abnormität ber Geburt, je
nachdem das eine, oder das andere der eben erwähnten Ver
hältniffe ich von dem Mormalzuftande entfernen : naͤmlich M⸗
naormitaͤten der Geburt wegen fehlerhafter Beſchaffenheit det
ihren Mechanismus bedingenden Momente, und Abnormitaͤten
ber Geburt wegen normwidrigen Zuftandes des übrigen Orgw
memus, inwiefern er von der Geburt influire wird. Bat
die weitere Eintheilung der erfien Hauptgattung von Abnormi
täten beteiffe, fo möffen wir une hier befchränfen , anzugeben,
daß des Verf. Hauptaugenmerk darauf gerichtet war, die Ein
theilung auf die weſentlichen Verſchiedenheiten zu gründen, di
einzelnen. Abnormitäten unter möglihft allgemeine Geficht:
puncte zu bringen, und ‚jene nad) jeder andern Eintheilunge—
weiſe unausweichlichen , zahlreichen Unterabtheilungen zu wi
meiden, welche die Ueberſicht erichweren, den Schüler auftt
Stand ſetzen, dem Lehrer zu folgen und ihn verwirren, md
weiche fih zue Bearbeitung. zum Zwede einer fpeciellen Pather
logie und Iherapie der Geburt durchaus nicht eignen. — Au
‚der Neflerion auf die Wirkungsart die Fehler Der , einzelnen
Momente, vwoelche jene Hauptmomente des Mechanismus con
ſtituiren, ergibt fih aber offenbar, daß ihr Einfluß auf den
Berlauf der Geburt ſich darin vereinigt: denſelben entwedt
zu erſchweren, ober in höherem Grade der Abnormitaͤt gaͤnjlich
gu unterbrechen, unmöglich zu machen (eine bloße gradualt
Verſchiedenheit) oder. ihn übermäßig zu. beichleunigen. Hier—
Durch iſt unter den Störungen der Mechanik der Geburt ein
in Hinſicht auf Ihre Urfache und ihren Einfluß weſentlich
Hauptverſchiedenheit gefegt. Diele beyden Gattungen von A
nermität find aber für.fich verſchieden, je nachdem ihr Grund
entweder im. einem Fehler der austreibenden Kräfte, ober dei
dieſen entgegenfichenden Objectes liegt, und. im letzteren Zeh
®
‘
& 1
Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechts v. Naegele. ST
parates dieſer Art, fuͤr deſſen mitgetheilte genaue und deutliche
Schilderung der Verf. den Dank ſeiner Berufsgenoſſen ver⸗
dient. Der Fall iſt kaͤrzlich folgender: Anna Chröſtin ä
Dienftähler, die Frau eines Zimmermanns zu Dhäne Int
Sroßherzogthum Berg, 36 Jahre alt, feit 15 Jahren verhey⸗
‚Bather, befand fiih in dem erften 6 Jahren ihres Eheflantes
volfommen wohl, war von gefunden blühenden Ausfehen und
gerade und wohlgebaut, einige Brönathe nach ihrer vor-5 Jahr
ten erfolgten , "fünften, glaͤcklichen Miederfunft fing fle an, ar
ehesmatifcher und gichtifcher Affertion,, ale Zolge einer Verkaͤl⸗
fung, ‚zu leiden. Unter dfterem Wechſel mit VBeflerbefinden
nahm das Hebel zu, und machte ihr das Gehen aͤußerſt der
ſchwerlich. 2 Jahre nachher gebar fie ein todtes Kind. Die
Geburt war fchwierig, wurde jedoeh duch die Naturkraͤfte
vollendet; und die Hebamme, welche ihr beygeſtanden, eine
alte erfahrene Frau, verfiherte beſtimmt, daß die Barten Ger
burtstheile von allee Mißſtaltung freu geweſen feyen. Hierauf
nahm ihre Krankheit, die gichtiſche Affection, wieder fo gu,
daß fie nur mie vieler Mühe, und nicht ohne Stock gehen
konnte, endlich fat ein halbes Fahr zu Bette zubringen mußte;
und, ale fie wieder anfing zu gehen, ſchien das rechte Bein
wie gelähmt zu feyn, und bey einiger Anftrengung fühlte fie in
demfelben, fo wie in dem rechten Huͤftgelenke Heftige Schmers
gen. — Im Anfange ihrer fiebenten und lebten Schwangers
ſchaft, weicher in den Frähling ‚fiel, ungefaͤhr 5 Vierteljahr
nach der vorewähnten Niederkunft, fhienen ihre Kräfte und
ihre Gefandhelt wieder zu kehren. Zum Erftaunen ihrer Bes
kannten fing fie wieder an, ihre Gartenarbeiten felbft zu vers
richten, gu pflanzen, gu graben, und befand fi fernerhin
wohl, wie dies auch ihre Befichtsfarbe zeigte; obfchon der cons
tracte Zuftand ihres Körpers auch aͤußerlich fihtbar war. Der
Ruͤckgrath war gefrümmt. Die Hebamme, welche fle unters
ſucht Hatte, verficherte, daß es außer dem Kaiferfchnitte Leif
Mittel gebe, fie von ihrem Kinde zu befreyen. Daſſelbe fand
der zur Niederkunftszeit herzugerufene Geburtshelfer. Er vers
tichtete die Operation gang nach den Regeln der Kunſt. Das
Kind gab_ keine Zeichen des Lebens von fih; es hatte an beys
den Seitenwandbeinen einen tiefen Eindruck. — Während der
a
SO Wise. Neperterium der Mineralögie von Leonhard.
Welches nebft den drey Lendenwirdeln nur B "Ungen und 5
Quentchen wiegt. — Mit als eigentlih Hierher. gehorend,
fondern feiner aͤußerſten Seltenheit wegen, fügt ber Verf. noch
die ihm von Baudelocque in einem Briefe mitgerheilte
Beſchreibung eines hoͤchſt mißſtalteten Skelettes bey, deſſen
Becken dieſer im erſten Bande feiner Anleitung zur Entbdin⸗
dungskunſt tm Vorbeygehen erwähnt hat. — Am Schlaufe
legt er dem Urtheile der Sachkundigen eine Bemerkung vor,
km durch die Erfahrungen anderer entweder beftätigt oder wis
berlegt gun werden. Er fand naͤmlich an ben bey weitem mei⸗
ſten, ihm gu Geſicht gekommenen, durch vorhergegangene mehte
oder weniger gleichmaͤßige Knochenerweichung deform geworde⸗
nen Becken, die Verengerung des Beckeneinganges an der
linten Seite in ſtaärkerem Maße, als an der rechten.
Schon vor fünf umd miehrern Jahren theilte er dieſe Bemer—⸗
fang mehreren berühmten Anatomen und Geburtshelfern mit,
md erhielt durchgehende Beſtaͤtigung derfelden. Zum Belege
führt er außer den Becken aus feiner eigenen Sammfung eine
bedeutende Anzaht von andern befchriebener deformen Becken
an, und theilt aledann feine Meynung über die Urſache diefer
Eriheinung aus Gründen mit, deren Beherzigung wir des
Intereſſe wegen, welches diefe Bemerkung in practiicher Hin
fiht hat, den Sahlundigen empfehlen, uns aber ſowohl hier |
über, als Über den Werth dieſes ganzen, an Gegenſtaͤnden
reichhaltigen Werkes, des Urcheiles nach den Gefegen umferes
Sinftitutes begeben. J. Fries.
Allgemeines Repertorium der Mineralogie. Von C.C. Leon
| hard, der W. W. Dr. grofsherzogl. Frankfurtischem
General - Inspektor der Domänen etc. Erstes Quinquen-
nium. Jahre 1606 — 1811. Frankfurt a. M. 1311. Inder J,
C. Hermann’schen Buchhandlung. Vill und 212 S. in.
(2 fl. 30 fr.)
Diele Nachweiſung alles Miffenswärdigen in dem Gebiete
der Mineralogie während der genannten Periode fchließe ſich
an das rähmlıchhtt befannte Taſchenbuch des Verfaffers an, E—
find der Abichnitte gehen. Die Bearbeitung ift mit Fleiß und
Sorgfalt ausgeführt, und wir empfehlen dieſes Werk dem
wiffenjchaftlihen Mineralogen als jehr gutes Huͤlfsmittel.
Domitii .Ulpiani. fragmentä. 673
‚Anfiht: das werf. die Wiſſenſchaft gefördert und mit —
Reſultaten — J oder — J
4
N t
Domikii Ulpidni fragmenta libri regularum singularis, uti videtur,
vulgo XXIX tituli ex corpore Ulpiank‘ Denuo revensuit
Gustavns Hugo, . — Mylii un, VI um
52 S. 8. u: ‚
Da berahente — hat auch durch dieſe Arbeit
feine vielen .‚Merdienfte ums neichrtes und wiſſenſchaftliches Stu⸗
Dinm. den Roͤmiſchen Rechts vermehrt. Schon das iſt danfenst
werth, daß er, nachdem ſetne frühere Ausgabe‘ (von 1788 )
vergriffen war, abermals Selegenheit gab, dieſes ſchaͤtzbare
Buͤchlein fuͤr einen ſolchen geringen Preis anzuſchaffen, daß
son der. Seite fein Hinderniß den darüber zu haltenden Vor⸗
jefungen ‚und eiguem Studium, welche den größten Nutzen
gewähren muͤſſen, im Wege ſteht. Aber — :wie fih vom Her⸗
ausgeber, ber bey jeder Ausgabe einer eignen Schrift faſt ein
neues Buch liefert, nicht anders erwarten: ließ — auch das
denuo recensyit ſteht nicht muͤſſtig auf dein Titel, und fo
darf ſich auch die Kritik Ulpians Vortheile von dieſer Arbeit
verſprechen. Worin das in dieſer Beziehung Geleiſtete beſtehe/
gitze Die kurze Vorrede (die ausfuͤhrlichere der erſten Ausgabe
iſt wessebhieben ) im Algemeimen an, und Me ae lee
näher: darzulegen.
‚Ulpians Worte felbk leſen wie bier mehr. * — ſon
fraͤher gedruckt waren, als in der Ausgabe von 1788, in wel⸗
ger: manche Conjecturen Andrer und eigne etwas zu raſch auf⸗
genommen ſind. (Manche der: damaligen Lesarten vel incuris
£uzlerat, vel:nimium fere |gtammaticae studiung' erkenda«
vorat Heißt. ed in der Vorrede.) .Hierher gehörige Aenderun⸗
gen bemerkte: Dec. in. den. erſten 16 Titeln, die er "genauer
ohngefaͤhr eben fe viele größtentheits beyfallswerthe.
So if z. B. t. a. $. 6. anflatt des von Schulting vorgeſchla⸗
genen, der, genauen. consequutio temporum angemeffenere
nolit wieder das. in den Handſchriften vorfommende nollet
geſetzt, ohnſtreitig weil Ulpian in dieſen Seinheiten Age ſo
— —X ie — — — un
..
2 u
Frauendienſ von 8. Tied. 683
einer aften Handfchrift bearbeitet und peraußgegeben von Ludwig
Tieck. Stuttzart und Tübingen, in der 9. ©. Cottaiſchen
Buchhandlung 1812.
Man hat in England und anderwaͤrts an alten Bildern
verſchiedner Jahrhunderte die Bemerkung gemacht, wie Fami⸗
lien, Städte, Nationen in der Phyfionomie der Außeren For⸗—
men zu allen Zeiten im Ganzen fich gleich geblieben, fo daß
es fcheint, als 06 der herrſchende Grundton jeglihen Volkes
im Derlaufe feiner Entwicklung nur durch alle die mitklingens
den Töne umlaufe, und fo die Harmonie des Beyeinander⸗
feuns fih in die fließende Aufeinanderfolge ausbreite. Dieſe
Seelenwanderung ift befonders und vor allem in der Kunſt
gu bemerken, die Funken, die bey. ihrem. erften Aufbligen jes
der Nation zu Theil geworden, laufen mit dem Leben an den
Seichlehtern wie an goldnen Ketten fort, auffnifternd bey
jedem Ringe, obgleich in vielen Farben fpielend, doc, immer
daſſelbe Feuer. Was daher je recht eigentlich in einem Wolke
gelegen und aus ihm hervorgedrungen, welche dichterifche Ader
je in ihm gefchlagen, und geblutet, die kann nimmermehr gang
in ihm verfiegen, fie hat ihre Fülle vielleicht duch Einwins
‚dung in ein anderes Gefäß entladen, aber. Nerv und Muskel
treiben in ihr fort, und es wird derfelbe Lebensgeift abgefchies
den. immer braust auf gleiche Weile der. Waſſerſturz ſchaͤu—
mend durch die Lüfte, immer fliehen an ihm diefelden Zarbens
bogen, obgleich Luft und Licht und Waffertropfen immer andere
und andere vorübereilen, und einzig der Fels unten immer
derſelbe ſteht. So ift denn auch die Minnepoefle in three
Weile fo nationell, wie der Pfalter der Hebräcr, keineswegs
aus dem Volk entwichen, das fie fo viele Jahrhunderte ger
pflegt, während die ganze Lyrik des neueren Romanes auf ihr
, bat fie ſelbſt in threr alten Einfalt in den Herzen eine
Stätte fi) bewahrt, umd immer einen Mund gefunden, der
das Wort für ſie gethan. Man kann Tiec® gang eigentlich im
ſeinen Beftrebungen und dem, mas er geleifter, als den Mins
nefänger dieſer Zeit erkennen, ats den, über weichen jene
ſchneeweißs Taube fenkrecht ihren Stahl herabgeſendet, daß
er unter allen Sprachen am geläufigften jene alte Kerzen
ſprache ſpricht. Sein ganzes Weſen neigt jüh gegen jene Zeit,
B
2
ne
554 Frauendienſt von 2. Tieck.
in die er feine Wurzeln gefchlagen, und die wie eine Seife |
flimme aus ihm herausgefprochen ; gern und freudig wärden
jene zwölf alten Meifter, die ten Geſang gegründet, thn- als
den Ihrigen erfennen, und den befreundeten. &eift in Liebe
. verehren. Sa man möchte fügen, er bat unter der Genoſſen
fhaft gefeffen,, und ift der Leßte von dem fchönen Bunde noch
geblieben, wie alle Chroniken von Johann de Mehun bericı
ten, daß er Carl den Großen und nah ibm noch vierthalß
Jahrhunderte vor feinem Tod gefehen: Eben jener teichte
Spott, der luftige Wis und das milde Laͤcheln, das fo haͤu
fig feinen redenden Mund zu oft nur das Auge umfpielt, mie
das Alles ihn nebſt jener Richtung fo ganz eigenthuͤmlich bu
zeichnet, zeigt, wie der Minne Kind in ihn erwachſen, vid
zeit und Menſchenthun gefehen, und feine Strahlenpfeile ſchei
telrecht durch den unter ihm fichenden Frühling ſchießt. hm
fam es daher vor Allem gu, die alte vieltönige, laͤngſt ven
ſtummte Laute von neuem zu beſaiten und den ſchlafenden Bis
derhall in ihr zu wecken. Bodmer hatte die alten Lieder
in ihrem Werthe zuerſt erkannt, und ſie in die Welt geworfen,
die damals mit wichtigeren Dingen beſchaͤftigt, ihrer nicht ach⸗
tete. Da führte der ihnen fo nahe befreundete Dichter die
Vergeßnen von neuem in unfere Mitte ein, und wußte ihnen
bie Aufmerkfamkeit zu gewinnen. Mit treuer Liebe hat er
ihrer fid) angenommen, bis fie mit Fertigkeit die Sprache der
Zeit geredet; alles hat er an ihnen gethan, was man einem
erften Berfuche ind Große Hin immer anmuthen mag. Nun
fie Luft und Piebe zur fautern Quelle feibft erregt, tauchen fie
freudig in ihren Maren Wellen wieder unter. Sind die Deut
fchen einmal erſt bey einer Meverrafhung in ben rechten Ge—
fihtspunct gebracht, und zur ruhigen Befinnung gefommen,
dann fann man bie Fortbildung ruhig ihrem freyen ins
firebenden Sinne überlaffen. Seit jenem Anftoße ift die Minne⸗
poefie in ihrer ganzen Wurde anerkannt und geachtet worden,
wie ein ungebundener verwaister Reim hatte fie trauernd in
der Nation geftanden, nun aber if plößlich im vieler Bruf
der Anklang erwacht, der fie bindet, und fie zieht nun wie
freudig in die Hetzen ein. Eine fchöne Jungfrau wandell
biefe Kunſt durch Blumen und den Klee fieben Erpfallen
|
|
|
Frauendient von 8. Tieck. ses
Bälle und mehr, jeder in eigner Farbe den Gonnenfchein bre⸗
hend, fängt fie mit gewandter zarter Hand, und wirft fie
tunftreih, daß bald diefer, bald jener auf und mniederfteigt,
und fie bald paarweis, bald zu drey und drey umd vier und
vier einander fi) begegnen, und bald diefes, batd jenes mit
dem andern fi) im Farbenſcheine gattet, und der leichte Tanz
in immer andern und andern Figuren fi verſchlingt. Eng
umfchrieben iſt der Kreis diefer Lyrik, aber in diefen Kreis
find alle erfinnlichen Formen eingeichrieben, gerade wie die
Natur in wenige Elementen fo viele Kryſtalle und das Leben
feine Blätter und Gebilde wirft. Die reine oft fehnende, oft
jauchzende Luft ift die Poefie in diefer Kunft, das reine aͤther⸗
helle Waſſer diefes Diamanten wird eben nur durch den äußern
Schnitt in jenes fpielende Zarbenmeer zerſetzt. Eines fehlte
noch bisher, feit man dies erkannt, die Faffung zu dem Edel—
ftein, das Leben zu dem Liede. Leber Berg und Aue zieht
hin das luſtige Voll, an Kreugwegen und Madonnenbildern
führt es feine Tänze auf; wir hören die Weife und den Ges
ſang, aber wir möchten auch die Neife kennen, und was bie
Eingebung des einen Augenblickes mit der des Folgenden vers
knüuͤpft. Das iſt uns hier im Frauendienft gegeben, es find
die Dentwärdig/e.ten aus dem Leben eines Minneſaͤngers der
guten ‚Zeit, die uns hier aufgezeichnet find; was von eptfcher
. Handlung feine Iprifchen Begeiſterungen zufammenhielt, hat
‚ er uns erllärt, und damit erft iſt das ganze Gemälde dieſer
poetiſchen Weltanihauung vor uns ausgebreitet. Gar wohl
ſchickt ſichs zu diefem Zwecke, daß der Herausgeber die zwi⸗
ſchen den Liedern durchlaufende Poeſie in Profa aufgelöst, die
ungebundne Rede gibt fo den Goldgrund, der die Farben des
Lieds entzündet, daß fie wie fchöne, grüne Inſeln aus dem
in Lichewellen fchlagenden Meere heraufbluͤhen. Zugleich wird
dadurd dag langmeilige, breite glücklich vermieden, das die
erzählenden Gedichte einer Zeit, die an dem kuͤhlen, friichen,
aber farb » und geruchtofen Quellwaſſer heiteren Lebensgefühles
fih ergößte, für eine fpätere haben muß, die aus allen ©les
menten fih ihre Labfal miſcht. Haͤufig murmeln die Worte
biefer Erzählungen in unerihönflicher Geſpraͤchigkeit wie Wald⸗
baͤche ohne fonderlihen Gedankenaufwand dahin, aber die Zus
u. 12
N
886 Frauendienſt von £, Tieck.
hörer fpiegeiten fi, wie es fcheint, fo vergnuͤgt, wie Gras,
Kraut und Baum und Stern in ihrem Silber, und waren
nicht zu ermuͤden, denn ihre Liebe ſprach fie Daraus an. Jetzt
Reht die elegante Welt wohl aud hinaus zu ihnen, um eins
mai wieder die rechte Landluſt zu genießen, ſie trinkt in der
Eurzeit das Waller aus Bechern zur Stärkung der fchlaffen
Fiber und lobt den Trunk gar fehr gegen jedermänniglich,
folte fie aber ihres Herzens Gedanken recht unummunden kund
geben, fie könnte nicht anders, als «es für ein abominables
Geſoͤff, eine fade Brühe erklären, die ihr Neißen in den Dar⸗
men macht, zu welchem offenherzigen Geſtaͤndniß ſie denn auch
die Sudelkoͤche, die ihr Thees Effenzen und Kaffe⸗Surrogate
ihrer Fabrik unaufhoͤrlich anruͤhmen, aufs Belle animiren.
Dieſe Wellen find nun hier gluͤcklich zur Conſiſtenz eines In—
bepps verdickt, und auch fo mag er Vielen weit ‚weniger als
. Bett Webers Kraftbrühen munden, die auffchlagen wie
Queckſilber im Magen, und den herrlichen Nachgeſchmack
zurüctaffen. Jene aber, die in ihrer und aller Zeit nur auf
Die Laute des großen Sylbengeſpraͤches horchen, das tief im
barmenden Tumulte der Geſchichte die Geifter diefer Zeiten
halten, ohne zu merfen auf das Saufen und Raſcheln der lee⸗
sen Spreu, die der Wind umtreibt, werden gar wohl willen,
was fie daran haben, ein Blatt aus der Weltgefhichte des
Herzens, wie deren in jedem Jahrhunderte nur eines umge
fhlagen wird. Seit Ulrich von Lichtenftein, hat die Erdaxe
Saum dem Aftronomen merklich in ihrer Stellung fih geändert,
das Leben aber und die Menfchenwele hat eine gängliche ms
wälzung erfahren, kehrte er ſelbſt zuräd, er würde wohl bie
Dreugierde der Stümpffien regen. Statt deffen bat er eim
Buch aus feinem Sarg gereicht, in dem es treulich aufgefchries
ben, wie ihm zu Muth gewefen, und wie ihm feine Zeit ev
ſchienen; wir follten denken, daß es uns merkwuͤrdiger ſeyn
mäßte, als eines der fechs und dreyßig Paviangefchlechrer zu
beſchauen. Sein Gewerb ift Nitterehum im Minnedienft, von
feüHefter jugend bat er fih ihm ergeben, alte einfach kompo⸗
nirte Bilder gehen an uns ‚vorüber, ein rumder voller Tenor
fingt daraus in kunftlofer Modulation hervor, anfangs nue in
einzelnen Accorden fih verjuchend, dann zu eine yufamıman
588 Frauendienſt von 8. Tieck.
konnte der Ueberfluß ſich gar wohl anhaͤufen, und mitunte
eine ans Orientaliſche graͤnzende Pracht ausgelegt werden. Un
indeſſen nicht ungerecht die Zeiten zu beurtheilen, müßte man
genauer den Zuftand des Landmanns in jenen Jahrhunderten
fennen. Wir ſollten denken, der Aderbau fey etwas fo fe
tige, fich ſtets gleichbleibendes, daß der Zuftand feiner Pflege
in allen Perioden fo ziemlich derfelde geweſen; bey dem Bl
felverhältniß von Stadt und Land muͤßte die Bluͤthe jenm
auch größeren Wohlftand der Bauern nach ſich ziehen. Vieler
Hudel war noch nicht erfunden, ‚unter dem Drucke litten nır
Einzelne, die Mehrzahl war nach dem treuherzigen,, fo wenig
abgefeinten Charakter der Zeit gewiß billig, Ulrich ſelbſt aͤußert
darüber durchaus rechtlihe Sefinnungen, und daß man anfyu
ſchrieben, wie die Bauern eines Orts in Lothringen allnaͤchtlich
die Fröfche im Sumpfe zum Stillſchweigen ſchrecken mußten,
damit fie den Schlaf des Abtes im benachbarten Kloſter nidt
ſtoren möchten, beweist, daß man den Vorgang für Fol
eines uͤppigen, frechen Uebermuths genommen. Aber geficer!
war die Ruhe und die Freude nit auf Erden, wie fie d
denn am wenigften nody in heutiger Stunde iſt; nur wenn
das Gethier ſchlaͤft, wagen die Scherze und das Schöne fih
auf kurze Zeit hervor, bald aber hoͤrt man wieder unten Im
Stalle wiehern. und ſtampfen und heulen mit Gebruͤll durdı
fhofen,, und alles flieht eilig von dannen, wenn bie gute
Geiſterſtunde ausgefhlagen. So folgt denn auch hier auf di
Freude bittres Leid, Klee und Gebluͤme wird zu Heu gemäß,
und die fprudelnden Lebenswaͤſſer werden in enge Banden fih
geichlagen. : Gerade wie der Franzoͤſiſche Troubadur, Huge
Brunet, Mage auch Ulrich, ich habe ſchoͤne gluͤckliche Ze
ten der reinen Minne gefehen, aber fie find verfchwunden,
aber alles ift verloren und dahin: fo muß alles Leben und aled
Epos in die Klage enden, und der Erdgeift wird die Menid
heit Magen, ift ihre wahnfinnige Geſchichte einft geſchloſſen.
Was weiter dies Buch ſehr ſchaͤtzbar macht und andrerieitd
auch wieder beweist, wie das darin befchriebene Leben wirklich
gelebt worden, ift der Umſtand, daß wir darin die vollſtindigt
Liederfommlung eines Lyrikers beflgen, von dem erflen Anfan
gen herauf, wo er nicht ſchreiben gekonnt, bis er allein v8
. ” 592 Bibliotheque francaise par J. B. Engelmann.
dieſe, deren Originale wir nice kennen, uns doch durchaus
fehr wohl angefprohen, und wir nirgendwo Anftoß gefunden
Haben, während wir und mit Widerwillen von den meifteh
-geugefottenen Minneliedern neuerer Kunſtdrechsler abwenden,
die aus den abgefallenen Spänen in der Werkftätte zur Abs
wehsiung einmal ein gothiſches Mücenhäuschen zuſammenleü
men , in das fie die weggefangenen Ideen eines alten Oaͤngert
einfperren und gu Tod ſich zoppeln laflen. Nicht wie dieſe
bat Tieck gethan, der Dichter konnte nice in beffere Haͤnde
fallen, und wir mäffen ihm Dank wiflen, daß er fo wohl
und treu an ihm gehandelt.
J. Goͤrres.
Bibliotheque francaise pour la jeunesse.
Auch unter dem Titel:
Choix de lectures instructives et amusantes pour la jeunesse
par J. B. Engelmann, Tome I. II. Heidelberg et Franc-
fort. 1813. 322 ©. :
Wir zeigen dem pädagogifhen Publicum mit Vergnuͤgen
diefes Wert an, weil wir die Beduͤrfniſſe einer ſolchen Lee
türe kennen, und das hier finden, was man in vielen fol
hen Sammlungen vergeblich ſucht. Die Kenner der Franzi
ſiſchen Litteratur und Sprache halten die Aufiäge groͤßtentheils
zur Bildung in dieſer Sprache geeignet, und haben nur hier
und da einiges zu tadeln, z. B. in mehreren Aufſaͤtzen einen
etwas gezierten Vortrag, was der Frangofe ampoule& nennt.
Der Paͤdagog erfreut fi auch der guten Auswahl: 3. B.
das Leben Düvals wird hier der Jugend wieder erzähle, an
deſſen erhebdenden Einfluß wir uns noch immer erinnern.. Au
iſt für Mannigfaltigkeit geforgt.
©.
Alrich von Hutten gegen Defd. Crakantd. . 597
Eine Parthey nichts als Unruhen, Zwiſte and Schimpfs
wörter, die Andere nichts ats Cenſuren, Bullen und
Scheiterhaufen hat?“ Iſt es aber nicht ſonderbar unb
faft undegreiflih, wie Erasmns glauben konnte, Daß in Luthers
Bade uur von bdifputablen Schulfeagen die Rede ſey, ba er
ſelbſt in der erfien obigen Aufzählung fo vieler Mißhräuce,
. welche mancher brave Gelehrte nebſt Luther abgeſtellt wmänfche
ee, fo manchen wichtigen Bunct angefuͤhrt hate, an dem
weit mehr Schaden oder Befſerung bangen. mußte, als an
dem größten Theil des Symbolum Athansfianem. lad. ges
rade diefe Puncte waren doc Luthers Hauptbeſchwerden gegen
den Römifchen Stuhl! Erasmus ſcheint wirklich alles dieſes
Nothwendige, worin er mir Luther Abereiakam, nur Deswegen
von Luthers. Sache abzufondern, weil‘ er feld und fo mancher
Redliche, auch ohne Bucher, es für hoͤchſt noͤhig hielt umd ger
halten hatte. Aber war darum chem das, was Ergenns als
die Sache (nice Luthers, fondern) des Evangelinume
anfah und fo benanmte, weniger auch in Luthers ganzer . Un⸗
ternehmung das Wefentlihe 7. Sin der That kannte Erasmus
and, von dein, was er zu. ben bleßden Gehulfsagen rochnen
wollte, mauches nur deswegen für fo unbabensend anfchen,
weit es bloß die Säge an ſich, nicht aber die Grundſaͤtze
davon in’ Betrachtung zog. Man mochte rubig digpmticen, ; 06.
die Yuctoritht des paͤbſtl. Stuhle von Chriſto, ober. nem der
Kirche ſey, wenn, nur nicht in beyden Fällen bie Idee
poſtuliet warde, daß jene Auctorität menſchlicher Kirchenvor⸗
ſteher in jedem Fall ein Recht enthalte, irrefragable Vorſchrif⸗
ten fuͤr Lehre und Leben der .Chriften im Namen Sein, der
Apoſtel und der „Anfallibien“ Kirche zu geben, Disfes Prins,
cip iſt es, worauf ale Differenz ruht: und ein ſolches
Princip, anf weiches fi die pPaͤbſtliche Machtvoll⸗
kommenheit viele taufendmale ale auf ein ihr vom Himmet
verliehenes apoftofisches Morrscht berufen hat, um für ihre
Beftimmungen in dev Kirche immer, im Staate aber aud), fo
oft es thunlich ſchien, unbedingten Gehorſam gu fordern, konnte
Erasmus nie unter die bloße Schulftage zählen. Wer an jes
nem Princip nicht feit hieit, konnte: vielmehr nicht Roͤmiſch⸗
katholiſch heißen. Das irrefragabte: Feſthalten aller Mike
braͤuche, die Erasmus ſelbſt rüge, woher anders entftand es,
r
498 nid. vom Sa
anf Religion bezogen zu
daß er deu mie Ihm- in
nicht zum Tode verurthei
Prinrip bereits, feinen i
Kern in den: Bann geth
Erasmus war alſo von jı
als von Luther ſelbſt, in
Iſt es Henn etwas Groß
Bin: ſterben wärde, noch
bdelehrenund überz
Nicht einmal das macht
man ihn zum Mider
wird es anders: ansiegen ;
roth, als gebraten werden
a!) — Sm runde |
des Eradinuis.eigentiich d
Sucher weſentlich beabfid
uAbereinſimnte, daß ce "ei
geugung: hatte umb fie ni
weil — und dies war of
Ser Diehatmonio ! —
han datf ſagen, Luther
dung mit dern, was in
war, im entſchiedenſten
oben beruͤhrte Bedruͤckung
Neberzengungaefreyheit, je
penſationen und Indulger
Achkeit u. dgl. m; waren
wider‘, weil der Geſchma
auch die Sittlichkeit dadaı
gidſen Luther war eben
Gfaubendeifer,, fein‘ Defi
fein Gefaͤhl für prackifd
Tonnte. Daraus entfiund
Der keiner Darchey ;
Nirich von Hatzen genen Dei. rind. 639
elle (©. 0,5), am wenigſtan ermwagen keunte, eine zum
Partheymachen, auch zu einfeltigen Behauptungen feicht. vogs
leitende Heftigkeit. Was konnte Lucher dagegen, : daß er ‚aß
‚Augufkiner s Eremite moͤnchiſch ergogen war ? daß er nur durch
‚Die heftigſten Anſtrengungen, wo ein gewalkfam erregtes Wahr⸗
Heitsgefüht den Eraftwolen Geiſt drängt, ſich aus dem Tiefften
mporarbeiten mußte? daß er- die. milde Bildung. Buch Dem
Maren -Sinn ‚der TClaſſiker nicht genoſſen? nicht Durch jen⸗
‚Uebungen im Interpretiren, die Vielſeitigkeit der menschlichen
Wegriffe leicht zu verſtehen und zu ertragen gelernt hatte 7 Es
her,“ fagt Er, dagegen. ©. 953 recht aus ſe ine m Herzen har⸗
ms ‚könnte dreymal und viermal mein. Bruder ſeyn, mad: ip
koͤnnte feine ganze Lehre billigen; darum müßte ich- aber dag
immer ſeinen ungehenren Starrfiun im Behaupten und fein
heftiges -Schmähen, wegu er immer bereit IR, ger ſehr mige
billigen (non. possem non vehementer.improhsze tantam
an asseverando pervivaciam, tam arerbam uhi-
'Que’paratam maledicentiam). Anch kann ih mich
immer noch nicht Adergeugen, daß ber Get Cheiſti, workhee
an Milde nichts: geht, in einem Herzen wohne, anf dam-(p
wie Bitterkeit herausſtroͤmt. Moͤchte mich dad meins Wars
muthung Hier täufhen! =. Achnlihe Zweifel. Ahern dep Geiſt
Chriſti, ob er in dem nie ‚heftig Bewegen, alſo nie begeiſtart
ſcheinenden ‚Erasmus mohne, hatte Luther auch wider Er, ger
Aaßert. Warum alio-Erasamıs von Luthar diffentiste, dies Sag
meift in der Derfbntichkeie, nicht in dem Meſentlichen der
Umternchmung Luthers. Dagegen. charakterifist Die Peorföns
lLach keit des Erasmas in Hinſicht anf dieſe Sache fi
ſelbſt chenfalls fo, daß. gewiß. nicht Luther lallein, fondern wohl
: jeder Menſchenbeobachter und Geſchichtkenner mit derſelben mie
‚gafammentveffen möchte. Wie dort bie Heftigkeit, fo führte hier
Idie Milde auf ein: Extrem. Wer kann ohne Laͤcheln uͤberden⸗
zken, was ©. 278 als der: legte Vorſchlag der Erasmiſchen
Gutmaͤthigkeit ? oder Klugheit 7 ausgeſprochen iſt: „ Was na
e Mebergeugung des gelehrreren Theils der Freunde des Evange⸗
Stums gar allgemeinen Wohlfahrt des Chrikens
oil and zur Ehre Chrikt etmas beytragen kans, das
«merbeän geheimen Brisfen dam Pobpe und dem
Wach’ von Hutlen gegen Deid. Eradiuuh PL
Au ihr, fe Hat die Kirche in der Geueinfhaft der
Srommien ihren Sitz. (So barmonirte Er. auch. mit Piss
tbers Idee von der unfihtbaren Kirche, als Gemein;
ſchaft der. Heiligen/) Diefer Kirche wird H. aber auch’ einen
Biſchof geben; er wird erlauben, daß er Metropefltan:
wehrte Habe, da es fd viele Erzbiſchoͤſe in diefen Gegenden
¶ Deutfſchlands ıc.) gibt, die nie einen Apoftel gefehen haben
und Nom den Petrus und Paulus fah, die ohne Widerſpruch
die größten Apoſtel waren. Was liegt nun Ungerelmites darin,
wenn man Anter den Metropolitanbifchdfen den "von Nom den '
erfien Rang (primum: löcum ) einräumt.‘ Denn: daß ich
ie ungeheure Gewalt, welde fich die Päsfte (dur
apoſtol: Jurisbietion aͤber Die ganze Kirche und durch eine Gottes
Stelle vertretende Registarion!) ſeit einigen Jahrhunderten ans
maßten, vertheidige, wird niemand von mir gehört Haben.
Soch, Hatten kann einen heillvſen Pabſt nicht vertragen ?
Bir wauͤnſchen aber alle, daß der Pabſt ein Mann ſey, ber
verdiene, auf Petri Stuhl' zu figen. „Und. wenn er. es
Nicht verdiene?“ Do ſetze man ihn ab. ben fo ſollte man
auch alle Biſchoͤfe abſetzen, die nicht ihre Pflicht thun! —
„Uber. die aͤrgſte Peſtilenz für die Weie kain ſeit "vielen Jah
ven von Rom her!“ Wollte Sort, man fönnte dies
täughen. Inzwiſchen haben wir jet einen’ Pabſt (Hadrian
VE), der, wie ich glanbe, aus allen Kräften daran arbeiter,
Siefon" Stuhl. und diefen Hof von feinem Schmutze gu reinigen.“
— Ss offen: erklärte fich der nad) "Temperament und Bildung
daßerft humane Erasmus. Ein wahrer Vortheil War es auch
Far ihn, daß er:feine Sponpia ‘gerade unter Hadrian VI, zu
gebrauchen hatte: Bedaͤchtlich ſetzt er dann aber doch hinzu: „Und
detie Liebe iſte nach Paulus, weiche Alles hofft.“ Den 1.Sept
268628. erklaͤrte Hadrian VI. in feinem erſten Conſiſterium zu
‚ Wem ‘feine Vorſatze zur Reform der paͤbſti. Curie? den 14.
Sept. ſtarb der das Beſſere wollende Nicht⸗Italiaͤner ünter
dem Achfelgusten: feiner welttlugen neuen Umgebungen. Wie
(hlimm;, "wenn Reformen nur von der vorübergehensen Per⸗
Ä ſonlichkeit· abhangen und dabey die Seundmeynungen gegen fie
x tet Bleiben tollen. _ Eben ſo offen und wahr aber ſagt Erasmus
Hard der. andern Parchey „Men wir. unaufhorlich
ee
85: Einige Bert kb. d. Bere.2. Yastsmit u. 5.5.0 Gescher.
‚Beine irrigen Bogriffe verbinde), im dem erfien Ormaben der.
Demmiratien einiges Algemeime über , Dänte,
iusten, Gefaße, Nerven ıc. vorzuiragen, und bie werkhies
dene Texiur friſche Städe umd beſenders verfertigte Pra⸗
parate zu verſtanlichen; fo wie es wohl nachher yiemicch vom |
der Willlähr des Lehrers oder dem Zufluffe der Cadever abs.
hängen dürfe, in weicher Ordnung bie Berträge auf einander
folgen ſollen, womit es ſich aber bey Schriften über Anatomie
anders verbalte m. |. w. ,
Mac biefen voransgefchidten Bemerkungen über bie Gefie
Art des Borteags der Anatomie anf lniverktätn, wodurch |
Vieles Gındinm dem Phyfiologen wie dem Chirurgen gleich
angenehm , faßlich umd leicht gemacht werben könne, eheitt und
der Berfaſſer die Beichreibung zwther verſchiedenen Durch⸗
mit
den als Netze und Gekroͤſe bekamten Zertfeguugen
die Bildung und Entſtehung dieſer Sortfekungen und ber Id,
forung der verſchiedenen Blaͤtter derſelben, fo wie das Bes
der Netze, als Fortſaße des Bauhfells, verſachten
Präparationen erleichtern allerdinge die Löfung. der Aufgabe:
der Demonftration des Bauchfells, und eigenen ih dazu, dem
Anfänger fhneller und ficherer eine !lare Vorſtelung von eines
Membran zu verfchaffen, die bald die Wände der Bauchhͤhle
Aberzieht, bald die ın der Höhle eingeichloffenen Eingeweide
umfleider, bald diefe als eine Bräde verbindet, bald wieder
frey flottirende Anhängiel bildet, und dach einen Überall gu
ſchioſſenen Sack ausmacht. — Die bepden Abbildungen, We.
son. die eine die Fläche eines Querdurchſchnittes Des Unterleibet
(deſſen einichligßende und eingefchlofiene Theile zu der beabſih⸗
tigen Darftellung befonders präparirt worden Kuh), Die ander
die Flaͤche eines Durhichnittes der Länge mad darſtelt, ui
ſprechen, wenn fie chen der Verf. für flähtig entmerfen
gibt; ihrem Zwecke. ———
Dieſe Darſtellungen wuͤrden nicht weniger, als jene Bewcere
tungen Aber den beym Vortrage der Anatomie eirzuſchlagenden
Bes das ruͤhmliche Strehen des Berf.: den Unterrvicht zu ven
beffern und gemeinnäßiger zu machen, beurfunden, wenn dies
nicht ein Verdienft wäre, welches er fi, außer andern Arbei⸗
‚sen ähnlicher Art, vorgügfich durch fein, ver —— |
fo vortheilhaft ſich auszeichnendes, Lehrbuch der
ſchon erworben hat. —
4
-
u en
u"
610 Ueber d. Bereinig, d. beuden pr. Rischenparthenen u. Sad,
Beth von Hofmann, (von Alpen, patrissiidher Aufruf zur
ellgemeintn Brisiniguna, Bert. &. XVII. XVII. ) „arbeite
ten mist aller Anfirensung au biefer Bereinigung, und ale
fanfte, friedtiehende Männer, Erasmus, Melauchihen,
Delolampad, Bacer, Hedio, Eaffander, Gefomdes |
aber Auge Grotins in einer eigenen Schriſt: Wunfc fr
dem kirchlichen Erieden.“ Au if es befannt, daß diefer Ga
genſtand (aber eine allgemeine kirchliche Bereinigung) auf
dem Aeichetas zu Regensburg, 1641. zu Speier, 2d44,
Berms, 1545, und zu Augsburg, 1848, in Vetradkeumg ge⸗
zogen worden il. Die Bereinigung wäre and, wenisfiens
umter den Protefianten, chen Damals füher zu Gtanbe gekom
men, wenn Zwinglis und Delolampans Briefe wit
eben im Druck erfhienen wären, und wenn niit Bucer
eine Vorrede dazu gemacht hätte, in melher er Deklolamı
pad feinen Vater und Lehrer nannte, und Zwingli wegen
einiger freyen Ausdrüde über das Abendmahl ( Plant 3.%.
3. Th. ©. 585) vertheidigte; wenn nicht die Amsdorfe dan
Ehurfärften fo gereizt hätten, dab er Luthern fehrieb, er mös
den Öteasburgern in keinem Punct nachgeben, nnd wenn nick
Luther fo märrifch nnd reigbar werden wäre, daß ſelbſt feine
SBertrautefien nicht mit ihm zurecht tommen konnten (Plant,
4.9. ©. 30, Note). Das geihah in einer Zeit, we mas
Die Vorfiellungsarten noch für weit: wichtiger hielt, we bi
Lutheraner noch ein großes Gewicht auf ihre Anficht won der
Gegenwart Jeſu im Abendmahl, und die Neformirtew. auf
ihre Philofophumenen von der Praͤdeſtination legten. Date wie
mehr follte man es jebt erwarten, da die meiſten Ichetifdgen
und reformirten Theologen dieſe Borfiellungserten - faft gan
aufgegeben haben, und Alle indem. übereinfiimmen, was der
würdige Sad in feiner Vorrede ( &. IX) jagt: -„ Wer von
einer befondern Worfiellungsart: in Religionsiaden bebanptet,
fie berreffe nicht das Weſentliche des chriftlichen Glaubens um
rechtfertige nicht die Verſagung kirchlicher Gemeinſchaft, Ber
ift noch Peineswegs ein Sndifferentift, dem Wahrheit und Jrer
thum einen gleihen Werth ober Unwerth haben.“ WBorflek
lungsartch und Wahrheit find ſehr verichieden. Die Wehrheꝛ
kaun bey vielerley Vorſtellungsarten heſtehen.
aber d.WBerciuig. d. beyden pr. Hischenparthegen v. ad. 611
Sack bringt nun diefen Segenftand der Vereinigung ber
beyden proteftantifhen Kirchen wieder zur Sprache. Er ers
zaͤhlt zuerſt, was Preußens Negenten fett 150 jahren gethan
Haben, um den Kirhenfrieden zu erhalten und zu fördern.
Mertwürdig ift in dieſer Hinfiht das, von 27 Perfonen uns
terfchriebene, ganz den Geiſt des trefflichen Alphons Turres
tin, ihres Haupts, arhmende Schreiben der Genfer Theologen,
an Friedrich J., worin fie diefe Wereinigung „une sainte
rdunion“ nennen, „qui est si juste en elle même, si con-
förme’aux. maximes de PEvangile, si utile pour Vinterdt
oommun de la religion protestante, si necessaire, pour
sous garentir des entreprises' (nicht des wahren Catholi⸗
cismus, fonden:) du papisme, qui ne cherche qu'à
nous perdre les uns et les autres, enfin qui est souhaitde
avec tant d’ardeur par tous les.gens de bien, .et qui ne
sauroit manquer, si elle est une fois conclue, de contri-
buer infiniment, à &tendre les bornes de notre sainte
reformation“ (S. 905), und worauf der König untworter:
Ganz ındbefendre aber erfreut ed mich, daß gerade Eure
Kirche in diefem Betracht fih mir anfchließt, da fie durch das
große, ehrenvolle Anfehen, deſſen fie unter allen Evangeli⸗
ſchen genießt, dieſem wichtigen Geſchaͤft ein fo bedewtendes
Gewicht mehr verleihen wird; und in der That, was könnte
wohl für Euch ſelbſt würdigeres, und: der Stelle, die Ihr in
Ber reformirten Kırde einnehmet, irgend angemefleneres ges
fiheben ‚sale daß Ihr, "die Ihr vormals mit der Fackel des
Slaubens der evangeltfchen Kirche voran ginge, ihr nun auch
ein leuchtendes Beyſpiel chriftlichen Eifers und chriftlicher Milde
vor Augen ſtellet.“ Sack redet von den Bemühungen : des
geoßen Leibniz und des erften KHofpredigers Jablonsky,
mit dem Abt Molanus, um die Wereinigung der beyden
. &enfeflionen, wozu :der König durch mancherley Veranſtaltun⸗
| gen mitwirkte, und von den gleichen Grundſaͤtzen, die fein
- Nachfolger, Friedrich Wilhelm J., befolgte. Wie Religidſitat
ı unter Friedrich II. verfiel, und unter Friedrich Wilhelm II.
Wach) verkehrte Mittel wieder gehoben werden follte, wird kurz
und ‚mit vieler Klugheit berührt. Nun zeigt er, was die jegige
Degierung zum Näherbringen der beyden proteftantifchen” Kirs
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22 MWnfangtgr. der Häpern Wnalafis von Vodnenderger.
niffes hieß, die erfie abgeleitete Function, ber Erw
nent des zweyten Differentialverhälsniffes aber die zwepte
abgeleitete. Function genannt wird. Daher müflen wir
- 08 billigen, daß der Verf. gleih zu Anfange feiner Schrift
fhon den Begriff der Grengverhältniffe zum“ Grunde gelegt
Bat, mit welhem diejenigen, welche die Schriften Yon Atı
himedes und Euclides ſtudirt Haben, fchon früher befannt
geworden find. ee
Nach diefen nöthigen Vorbemerkungen theilen wir eine
kurze Inhalts » Anzeige mit. Die Einleitung handelt S. ı—
46 den binomifhen Lehrfas und die erſten Varbereitungs
gründe der Differentiatrechnung in zwey Capiteln befriedigender,
als. gewöhnlid, ab. In der Diffewentiafrechnung felbft werden
©. 47— ade in acht Capiteln die Differentiale der einfachen
und gufammengefeßten Functionen einer veränderlichen Größe;
Die Anwendungen des Tapylorifchen Gases. auf Functionen
mehrerer veränderliher Größen; die größten und Tleinften
Werthe gegebener Zunctionen ; die Tangenten frummer Linien,
Die Krümmungskreife und Evoluten; die Quabdraturen und
Mectificationen krummer Linien, nebſt Berechnungen der Oben
Mähen und des Inhaltes runder Körper; endlich die Beſtim⸗
mungen der Tangenten und Krümmungss Halbmeffer krummer
Linien, ihre Quadratur, Angabe der DOberflähe und des In—⸗
balts runder Körper, wenn die Ordinaten von einem Puncte
- ausgeben, mit vieler Ausführlichleit gruͤndlich und faßtich dan
geftelt. Es war. ung hierbey ſehr erfreulich zu ‚bemerken, daß
der Verf. hierin fchon Anwendungen auf Quadraturen, Wectis
ficationen und. Cubaturen. vorgetragen hat, da dies dem Ans
fänger die aufgeftellten Säße der Theorie fehr erläutern und
fein Much durch dergleichen lehrreiche Anwendangen, wenn er
durch den Kampf mit fchwierigern. Lehren gefchwächrt ſeyn ſolte
wieder geftärkt und erhoben wird. — Die Integralreds
nung lehrt. mit. gleichee Gruͤndlichkeit in: fliehen. Kepttein
©. 253 — 352 die integration rationaler- und irratisnaler
Bunctionen einer veränderlihen Größe; die Integration der
Rreis s und logarichmifchen,, wie auch erponentiellen Functio⸗
nen; die Sintegration durd Annäherung und jene der Göhern
Integrale; endlich die integration der: Differentiaigteichungen
der erfien Ordnung mit zwey veränderlichen Größen und jene
der Differentialgleihungen der zweyten Ordnung. nd
ndem wir dieies Werk jedem Freunde der hoͤhern Anas
lyſis beftens empfehlen, möchten wir den würdigen Berf. aufs
fodern, zum Behufe der allererfien Anfänger «ine turye
Anleitung zu diefem wichtigen Studium audguarbeiten und bes
kannt zu machen, welche als erſter Curſus bey deze ‚Kim