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Full text of "Heinrich Freiherr von Haymerle: Ein Rückblick auf sein Leben"

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Heinrich Freiherr von Haymerle. 



Ein Rückblick auf sein Leben 



von 



Alfred Ritter von Arneth. 




Berlin, 1882. 

Verlag von Otto Janke. 



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Heinrich Freiherr von Haymerle. 



Ein Rückblick auf sein Leben 



von 



Alfred Ritter von Arneth. 




Berlin, 1882. 

Verlag von Otto Janke. 



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jVaum irgend eines Falles wird man sich erinnern, in 
welchem das plötzliche Dahinscheiden eines in hervorragender 
Stellung befindlichen Mannes so allgemeine und so tief empfun- 
dene Trauer hervorrief, wie dies bei dem Tode des Freiherrn 
Heinrich von Haymerle geschah. Nicht nur der eigene Monarch 
und dessen ganzes kaiserliches Haus wetteiferten der schmerz- 
voll darniedergebeugten Wittwe gegenüber in den huldvollsten 
Kundgebungen innigster Theilnahme. Fast alle Souveräne, alle 
Cabinete Europas, die zu jener Zeit tagenden Repräsentativ- 
körper in Oesterreich-Ungarn, die öffentlichen Blätter beeilten 
sich, dem gleichen Gefühle wärmsten Ausdruck zu verleihen. 
Nicht eine einzige Stimme der Missgunst, des Tadels wurde 
laut. Alle überboten sich, in der ehrendsten Weise der erfolg- 
reichen Wirksamkeit so wie des edlen Charakters eines Mannes 
zu gedenken, der nur sich selbst, seiner ganz ungewöhnlichen 
Begabung, seinem Vertrauen erweckenden Wesen und der 
Ueberzeugung von seinem seltenen Werthe, die er Jedermann 
einflösste, der in Berührung mit ihm trat, sein Emporkommen 
verdankte. Die einmüthige Klage über den schweren Verlust, 
den nicht nur Oesterreich, den ganz Europa durch den Tod 
Haymerle's erlitt, wird gewiss den Vorsatz rechtfertigen, den 
wichtigsten Momenten seines leider nur allzu kurzen Lebens 
einige Blätter pietätvoller Erinnerung zu weihen. 

Heinrich von Haymerle kam am 7. Dezember 1828 in- 
Wien als der Sprössling einer Familie zur Welt, welche der 

1* 



in ihr herrschenden Tradition zufolge im Jahre 1560 aus 
Steiermark nach Böhmen gekommen und in der Wallen- 
steinischen Epoche ihres Adels verlustig geworden sein soll. 
Gewiss ist, dass die Familie Haymerle schon im Jahre 1710 
ein Wappen zu führen berechtigt war, dass ihr Kaiser Karl VI. 
im Jahre 1735 ein Adelsdiplom verlieh, und sie 1748 von der 
Kaiserin Maria Theresia den Ritterstand erhielt. Im böhmischen 
Chrudimer Kreise ansehnlich begütert, kam sie während des 
siebenjährigen Krieges fast ganz um ihren Besitz. Heinrichs 
Vater, der kaiserliche und königliche Hofagent Johann Ritter 
von Haymerle starb frühzeitig; seine Mutter aber, die in dieser 
Ehe noch zwei Söhne, Alois und Karl*) geboren hatte, ver- 
malte sich später zum zweiten Male mit einem geachteten 
Wiener Arzte, Dr. Obersteiner, der seinerseits gleichfalls aus 
erster Ehe einen Sohn besass. An ihn, den um neun Jahre 
älteren Jüngling schloss Heinrich schon als Knabe mit der 
vollen Innigkeit eines kindlichen, warm empfindenden Gemüthes 
sich an, und noch in viel späterer Zeit kam er oft in rührenden 
und dankerfüllten Worten auf das zurück, was der Stiefbruder 
ihm gewesen und auch fortan noch war. Denn die Freund- 
schaft, die sie Beide schon seit früher Jugendzeit verband, 
knüpfte sie als gereifte Männer nur noch enger an einander, 
und ungeschwächt dauerte sie fort, bis der Eine von ihnen so 
plötzlich in das Grab sank. 

Auch mit seinen zwei Brüdern Alois und Karl stand 
Heinrich Haymerle schon von ihrer Knabenzeit an in den 
besten, auch in den späteren Jahren nie und durch nichts 
getrübten Beziehungen. In der Normalhauptschule auf dem 
Bauernmarkte in Wien erhielt er seinen ersten Unterricht, und 
er that sich vor allen Mitschülern durch ganz ungewöhnliche 
Befähigung hervor. So wie hier behauptete er auch in dem 
akademischen Gymnasium, in das er gleichzeitig mit seinem 



*) Schon am Abende des 17. December 1881 folgte der Jüngste der 
drei Brüder, der Major Karl Bitter von Haymerle seinem ältesten Bruder 
in gleich rascher und unvorhergesehener Weise im Tode nach. 



Bruder Alois trat, in allen Ellassen ununterbrochen den vor- 
dersten Platz. Seiner überaus raschen Auffassung, seiner regen 
Lernbegierde und seinem ganz vortrefflichen Gedächtnisse 
verdankte er dies zunächst. Aber bei allem Ernste, mit dem 
er seinen Studien sich widmete, war er von heiterem Tempe- 
ramente und für alles Schöne in der Natur wie in der Kunst 
äusserst empfänglich. 

Als eine seiner charakteristischen Eigenschaften darf her- 
vorgehoben werden, dass er schon in früher Jugend Alles, 
und mochte es auch eine Kleinigkeit sein, mit der er sich 
eben beschäftigte, mit Eifer und Gründlichkeit that und in 
jeglicher Sache, an die er Hand anlegte, eine gewisse Vollendung 
zu erreichen bemüht war. In den Stunden der Müsse zog 
er die Leetüre der Zeitungen den meisten Vergnügungen vor, 
und schon als zwölfjähriger Knabe brachte er mit Vorliebe 
politische Gespräche aufs Tapet. 

Im October 1846 bewarb sich Haymerle, noch nicht ganz 
achtzehn Jahre zählend, um Aufnahme in die Akademie, in 
welcher auch heutzutage noch neben der juristischen Aus- 
bildung gründlicher Unterricht in den orientalischen Sprachen 
ertheilt wird, um die jungen Leute zum diplomatischen und 
Consulardienste in der Levante vorzubereiten. Sowohl in An- 
betracht seiner glänzenden Studienzeugnisse als des Erfolges 
der von ihm abgelegten Vorprüfung erhielt er vor den übrigen 
Concurrenten weitaus den Vorzug. 

Noch nicht anderthalb Jahre befand sich Haymerle in 
der orientalischen Akademie , als die Märzbewegung des 
Jahres 1848 natürlicher Weise auch ihn, den hochbegabten 
Jüngling, der allem Idealen eine glühende Begeisterung ent- 
gegenbrachte, mächtig ergriff. Wenn er dem Strome, der 
viele Aeltere und Gereiftere mit sich fortriss, etwas zu rück- 
haltlos sich hingab, so mag dies einerseits seinem jugendlichen 
Alter — denn richtiges Mass halten, ist ja nie und nimmer ein 
Attribut der Jugend gewesen — und andererseits dem be- 
stimmenden Einflüsse zugeschrieben werden, den damals einer 
seiner Lehrer auf ihn ausübte. So kam es, dass man in Folge 



seiner unvorsichtigen Reden auf ihn aufmerksam wurde und 
ihn am 27. October während eines Spazierrittes, den er allein 
unternahm und während dessen er mit Niemand gesprochen 
hatte, plötzlich verhaftete. Erst mehr als zwei Wochen später, 
am 14. November bestand er sein erstes und einziges Verhör. 
Der alleinige Anklagepunkt, der gegen ihn vorlag, lautete, er 
habe vier Tage vor seiner Verhaftung dem Pfarrer von Weid- 
ling nächst Wien gegenüber republikanische Aeusserungen 
gethan. Mit Ruhe und Fassung bestritt der junge Haymerle 
die Wahrheit dieser Anklage; schon aus dem Grunde, ver- 
sicherte er, sei sie falsch, weil er allzeit eine österreichische 
Republik für eine Unmöglichkeit angesehen habe. So tiber- 
zeugend klang diese Erklärung, so offen und gewinnend waren 
der Ton und die Haltung des Jünglings, der sie abgab, dass 
sie sogar auf einer Seite, auf der man weit mehr zu über- 
triebener Strenge als zu übergrosser Milde geneigt war, 
vollinhaltlich Glauben fand. Die amtliche Bescheinigung liegt 
vor, dass kein hinreichender Grund zu strafgerichtlichem Ver- 
fahren wider ihn entdeckt werden konnte. Er wurde daher 
bald wieder frei und kehrte, um eine trübe Erfahrung reicher, 
in die orientalische Akademie zurück. 

Fast gewinnt es den Anschein, als ob Haymerle, obgleich 
er eigentlich schuldlos erklärt worden war, doch durch eine 
Art unbestimmten Gefühles, dass er etwas gutzumachen habe, 
zu verdoppelter Anstrengung in seinen Studien und Arbeiten 
angetrieben worden sei. Der Bericht, den der damalige 
Director der Akademie, Herr Selinger, am 10. November 1850 
über ihn dem Ministerium des Aeusseren erstattete, giebt 
hievon Zeugniss. Nachdem er in fast enthusiastischen Worten 
das Resultat der von Haymerle abgelegten Prüfungen geschildert, 
sagt er von ihm: 

„Haymerle ist nun, nachdem er die jüngsten Proben 
vortrefflich bestanden, in ungewöhnlicher Weise für seinen 
Beruf vorbereitet. Er hat sich nicht allein bedeutende Sprach- 
kenntnisse eigen gemacht, sondern auch im Reiche ander- 
weitigen Wissens tüchtige Schätze gehoben. Er ist ein Mensch 



von Herz, von glücklicher Beobachtungsgabe, von schnellem 
und in der Regel gesundem Urtheil. Er hat gute Manieren 
und Gewandtheit im gesellschaftlichen Verkehre. Ueberdies 
gehört Haymerle in die Klasse der nach edlen Zielen strebenden 
Jünglinge, und da ein bedeutender Grad von ästhetischer und 
sittlicher Bildung mit seinen Bestrebungen in Verbindung steht, 
kann ich ohne Unruhe und Besorgniss in seine Zukunft 
blicken. -Haymerle wird im Dienste des Staates nicht lang 
unbemerkt bleiben. Er wird sich auszeichnen." 

Niemand wird bestreiten, dass diese prophetischen Worte 
des längst verstorbenen Directors der orientalischen Akademie 
glänzend in Erfüllung gegangen sind. Damals bildeten sie 
die Grundlage der schon sechs Tage später erfolgenden Er- 
nennung Haymerle' s zum Dolmetsch- Adjuncten bei der öster- 
reichischen Internuntiatur in Constantinopel. Dem gleichzeitig 
an ihn ergehenden Befehle, sich baldigst an den Ort seiner 
neuen Bestimmung zu begeben, kam Haymerle unverzüglich 
nach. In Corfu, dessen Küste er, nachdem er auf der Beise 
nach Triest von Kälte und Schnee arg gelitten und hierauf 
eine mehr als unfreundliche Seefahrt zurückgelegt hatte, am 
30. December betrat, brachte der erste Anblick des Südens 
einen zauberischen Eindruck auf ihn hervor. Noch nach einer 
Reihe von Jahren dachte er hieran als an eine seiner „strah- 
lendsten Erinnerungen", wie er selbst es nannte, mit Vorliebe 
zurück. 

Die Empfänglichkeit Haymerle's für die Schönheit der 
Natur erhielt leicht begreiflicher Weise durch die entzückende 
Lage Constantinopels nur noch lebhaftere Anregung. In be- 
geisterten Beschreibungen derselben erging er sich seinen 
Wiener Freunden gegenüber, aber freilich kam er dabei auch 
immer wieder auf die unvergleichliche Herrlichkeit der Alpen 
zurück, von denen er insbesondere die Oesterreichs aufs 
genaueste kannte und als wundervoll anpries. Nachdem er 
schon lange Zeit in der Levante gelebt hatte, erklärte er doch 
die Alpen für reizender als die schönsten orientalischen Land- 
schaften. Und am letzten Tage des Jahres 1859 schrieb er von 



8 



Athen nach Wien: „Hättet Ihr den gestrigen Sonnenuntergang 
gesehen, dann wtisstet Ihr erst, welch' prachtvolle Farben der 
Natur zu Gebote stehen. Und doch : mein Herz ist daheim." 

Man würde jedoch sehr weit irre gehen, wenn man aus 
den letzteren und ähnlichen Aussprüchen Haymerle's die 
Folgerung ableiten wollte, er habe sich im Orient nicht glück- 
lich gefühlt. Nur das geht aus ihnen hervor, dass gerade der 
Aufenthalt in der Fremde seinen patriotischen Sinn, seine Liebe 
zu Oesterreich kräftigst entwickelte. Als in den letzten Tagen 
des April 1854 der damalige Internuntius Freiherr von Brück 
zur Feier der Vermälung des Kaisers ein prachtvolles Fest 
gab, schrieb Haymerle an seinen Stiefbruder: „Der Ball war 
unvergleichlich schön, aber Jeder von uns wäre so gern in 
Wien gewesen, dass wir nicht recht froh werden konnten. 
Nirgends, gewiss nirgends werden heissere Wünsche für das 
Glück unseres Kaisers als in unserer Mitte gehegt; er ist ja 
der Träger von Oesterreichs Grösse und Glück." 

Als Haymerle diese Worte niederschrieb, war er seit 
wenigen Monaten von der ersten diplomatischen Mission zurück- 
gekehrt, die ihm bei der Ausübung seines Berufes beschieden 
war. Die Instruction, mit der ihn Brück am 10. December 1853 
versah, enthält ein ganzes Füllhorn von Aufgaben, zu deren 
befriedigender Lösung ihn Brück nach dessen eigenen Worten 
in Anbetracht seiner Geschäftskenntniss, Gewandtheit und 
Pflichttreue als besonders geeignet ansah. Die Geschäfts- 
führung des österreichischen Viceconsuls in Tultscha, gegen 
welche mannigfache Beschwerden laut geworden waren, sollte 
er unparteiisch, aber streng untersuchen. Fände er den An- 
geklagten schuldlos, dann wäre ihm volle Genugthuung zu 
verschaffen, im entgegengesetzten Falle aber seine Dienst- 
entlassung zu verfügen. In Varna hatte Haymerle Erkundigung 
nach der Mannschaft eines bei Baltschyk gescheiterten russischen 
Kauffahrers einzuziehen, von der man behauptete, sie sei wider- 
rechtlich in das Lager Omer Pascha' s bei Schumla geschleppt 
worden. Bestätige sich dies, so habe Haymerle bei dem 
türkischen Heerführer energisch auf Freilassung der Gefangenen 



zu dringen. Den Besuch bei ihm möge er nicht nur zu sorg- 
fältigen Beobachtungen, sondern auch zu nachdrücklicher Vor- 
bringung einer Reihe von Begehren im Interesse Oesterreichs 
und verschiedener Unterthanen des Kaiserstaates benutzen. 

Freudig begrüsste Haymerle den sich ihm darbietenden 
Anlass, wenigstens für einige Zeit dem etwas einförmigen 
Leben in Pera zu entrinnen, einen, wenn auch nur kleinen 
Theil des Inneren der Türkei zu sehen, das türkische Heer 
und dessen damals so vielbesprochenen Oberfeldherrn zu be- 
suchen und womöglich Beweise seiner eigenen Tüchtigkeit zu 
geben. Die Ungunst der Jahreszeit, die hiedurch noch ver- 
mehrten Beschwerden der Reise schreckten ihn nicht ab, und 
am 28. December schiffte er wohlgemuth nach Varna sich ein. 
Zu Pferde begab er sich von dort durch tiefen Schnee und 
auf grundlosen Wegen nach Schumla, das er binnen drei 
Tagen erreichte. Er fand Omer Pascha nicht nur zur Er- 
füllung der an ihn gerichteten Begehren bereit, sondern über- 
haupt eifrig bestrebt, der österreichischen Regierung als deren 
ehemaliger Unterthan seine Ergebenheit zu beweisen. In fast 
dreistündigem Gespräche bemühte er sich, Haymerle von der 
Lauterkeit seiner Gesinnungen für Oesterreich zu überzeugen. 
Er verpfände sein Ehrenwort, rief er aus, dass er niemals 
gegen Oesterreich fechten werde. 

Die freundliche Aufnahme, die er bei Omer Pascha ge- 
funden, beeinflusste das Urtheil nicht, welches Haymerle über 
ihn fällte. Er behauptete von ihm, dass er ohne eigentliche 
Genialität sei, und dass ihm nur seine Fähigkeit, in abend- 
ländischer Weise logisch zu denken, die grosse moralische 
Gewalt verleihe, die er über seine türkische Umgebung aus- 
übe. In den Gebrechen und der völligen Unzuverlässigkeit 
der Letzteren sah übrigens Haymerle vielleicht die grösste der 
Schwierigkeiten, deren Bekämpfung Omer Pascha oblag, und 
zu deren Ueberwindung es immerhin einer nicht gewöhnlichen 
Kraft bedurfte. 

Nach Pera zurückgekehrt, versicherte Haymerle seine 
Freunde, er könne nicht sagen, wie froh er sei, die kleine 



10 

Reise nach Schumla und Tultscha gemacht zu haben. Nicht 
nur körperlich habe sie ihm sehr wohl gethan, auch geistig 
fühle er sich freier geworden, und die Beschwerden der schon 
an und für sich höchst interessanten Reise seien zwar Dicht 
gering, aber doch auch nicht so gross gewesen, dass ein junger 
und gesunder Mann sie nicht mit Leichtigkeit zu ertragen 
vermocht hätte. Für die Reise, die er zurückgelegt, und die 
Art und Webe, in der er die ihm er th eilten Aufträge voll- 
zogen hatte, erntete Harmerle das volle Lob seines Chefs und 
er fand sich dadurch wahrhaft beglückt, denn er gehörte zu 
Brueks eifrigsten Verehrern. Eine herrliche Persönlichkeit 
nannte er ihn, voll grossartiger Anschauungen, edel und liebens- 
werth bis in die innerste Fiber seines Charakters; frei von 
aller Pedanterie, aber unbeugsam in Verfolgung des einmal 
Gewollten. „Sein Muth wächst mit den Schwierigkeiten", 
sagte er wörtlich von Brück, „und kein Standpunkt geht ihm 
Über den eines Oesterreichers. Er ist ein wahrhaft genialer 
Mann, und die Höhe seines Geistes kann nur mit der Grösse 
des "Wohlwollens verglichen werden, das aus allen Beinen 
Handlungen spricht". 

Ausser dem Lobe seines Chefs, das Haymerle so freute, 
trug ihm die Reise nach Schumla auch eine ihm sehr will- 
kommene Beförderung ein. Im April 1854 wurde er zum 
dritten Dolmetsch bei der Internuntiatur ernannt. 

Leider sollte das Ende des Jahres 1854, welches Haymerle 
so viel Willkommenes gebracht, ein recht ungunstiges für ihn 
sein. Im December erkrankte er so ernstlich, dass ihn Brück, 
ohne erst die Ankunft der erbetenen Bewilligung hiezu abzu- 
warten, um ihn so rasch als möglich den schädlichen Ein- 
"" in des Klima' s zu entziehen, auf eigene Faust über Triest 
Wien sandte. So langsam ging hier seine Wiederher- 
ng von Statten, dass noch Ende April 1855 der berühmte 
Oppolzer eine acht- bis zehnwöchentliche Badekur in 
tz für nothwendig hielt und ausserdem widerrieth, Haymerle 
end der heissen Jahreszeit nach Constantinopel zurück- 
in zu lassen, weil sonst ein ernster Rückfall fast unver- 



11 



ineidlich erschiene. Oppolzer's Vorschriften wurden pünktlich 
befolgt. Im Frtihsommer 1855 unternahm Haymerle mit 
seinem Stiefbruder und dessen ihm gleichfalls innig befreun- 
deter Gattin eine gemeinschaftliche Reise nach Paris, das er 
noch nicht gesehen hatte und lebhaft bewunderte. Die folgenden 
Monate verweilte er in Teplitz, und im October war er wieder 
in Constantinopel zurück. Im Juni 1856 bereiste er mit einem 
ihm besonders nahestehenden, etwas älteren Collegen, dem 
Grafen Emanuel Ludolf, jetzt österreichischem Gesandten in 
Madrid, die Krim, wo die grauenvollen Spuren des eben erst 
zu Ende gegangenen Krieges auf beide Freunde einen 
erschütternden Eindruck hervorbrachten. Aber dem wunder- 
vollen Reize einer herrlichen Natur verschlossen sie sich darum 
doch nicht, und Haymerle pries sie mit eben so grossem Ent- 
zücken, als er der überaus liebenswürdigen Aufnahme sich 
freute, die er und sein Reisegefährte im französischen Haupt- 
quartier bei dem Marschall Pelissier fanden. 

Mit gleicher Befriedigung erfüllte ihn eine etwa zwei- 
wöchentliche Dienstreise, mit der er im December 1856 von 
seinem damaligen Chef, dem Internuntius Freiherrn vonProkesch 
betraut wurde. Nach dem nördlichen Kleinasien führte sie ihn, 
denn dort war ein Raubanfall begangen worden, an welchem 
auch österreichische Unterthanen theilgenommen hatten. Von 
dem damaligen Consulats-Kanzler Wassitsch begleitet, begab 
sich Haymerle, fortwährend zu Pferde, von Ismid am Marmara- 
Meere über Sabandscha und Tereklü nach Boly und kehrte 
über Usküb und Adabasar nach Ismid zurück; an Leib und 
Seele erfrischt und gestärkt traf er noch vor Jahresschluss 
wieder in Constantinopel ein. „Es ist etwas Schönes a , schrieb 
er nach Wien, „um das Leben in freier Luft und in so herr- 
lichen Gegenden, als ich sie durchstreifte. Magere Kost, 
schlechte Nachtlager, elende Pferde, vielfacher Aerger konnten 
wohl als Schattenseiten gelten. Aber zu Zweien ertragen Be- 
schwerden sich leicht, und freundliche Eindrücke sowie komische 
Scenen, an denen es bei Reisen im Innern der Türkei niemals 
fehlt, gewährten doppelten Genuss". 



12 



Auch das Jahr 1857 brachte für Haymerle mehrere Aus- 
flüge, und zwar den ersten nach Trapezunt. Die Lage dieser 
Stadt und die Schönheit ihrer Umgebung gefiel ihm ungemein; 
die dortigen Berge, Wiesen und Wälder aber erinnerten ihn 
so sehr an die Steiermark, dass er sich selbst wie ein öster- 
reichischer Student in den Ferien vorkam. Freilich musste er 
zugeben, dass das Meer der Lage von Trapezunt einen erhöhten 
Beiz verleihe, und dass die Ueppigkeit der Vegetation die der 
Steiermark weit übertreffe. Fallmerayers begeisterte Schil- 
derungen des kolchischen Buschwaldes fand er nicht über- 
trieben; gleich ihm erklärte er, niemals prachtvollere und 
kolossalere Bäume gesehen zu haben, während doch die Rebe 
sich überall zu deren Gipfel hinaufschlingt. Eine Wallfahrt 
nach dem zwölf Stunden von Trapezunt entfernten griechischen 
Kloster Sumelas gewährte ihm vielfaches Interesse; die Ein- 
drücke aber, die er von den Eigenschaften der dort wohnenden 
byzantinischen Mönche in sich aufnahm, müssen die alier- 
ungünstigsten genannt werden. 

An den entzückenden Ausflug nach Trapezunt schloss 
binnen Monatsfrist ein anderer sich an, welcher Haymerle 
kaum geringere Freude bereitete. Am 10. October wurde 
sein geistreicher Chef, Freiherr von Prokesch, plötzlich von 
Reiselust erfasst. Noch in der Nacht liess er den Dampfer 
„Eugen" heizen; ein Theil des Gesandtschaftspersonals, 
Haymerle mit eingeschlossen, begleitete ihn. Am Morgen des 
12. October fand sich die Gesellschaft vor dem hohen, felsigen 
Samothrake, das sie rings umschiffte. Zwei Stunden nach 
Mittag legte sie in Taso an und durchstreifte nun, das vor 
drei und dreissig Jahren von Prokesch niedergeschriebene 
Tagebuch in den Händen, die waldreiche Insel. Die Alter- 
thümer, Sarkophage und Festungsmauern aus atheniensischer 
Zeit, sowie das von den Venezianern erbaute Castell wurden 
besucht und besichtigt. Um Mitternacht ging es weiter nach 
der Stelle, wo Xerxes seinen Kanal gegraben hatte, um den 
Athos vom Lande zu trennen, dann aber bei herrlichstem 
Morgensonnenscheine die wunderbare, in üppigster Vegetation 



13 



prangende Küste entlang und um das Vorgebirge herum, das 
der Athos in senkrechtem, sechstausend Fuss hohem Abstürze 
in das Meer bildet. In der westlichen Bucht, bei dem 
prächtigen Kloster Russico stieg die Reisegesellschaft aus, von 
zweihundert Mönchen empfangen, von denen die älteren 
niemals ein Dampfschiff gesehen hatten. Nach einem herrlichen 
Ritte auf die Berghöhe, von der aus die üppigen Kastanien- 
wälder, das dichte Gehölz, aus welchem überall Klöster und 
Einsiedlerhütten hervorschauen, der Höhenzug des Athos und 
auf beiden Seiten das Meer dem trunkenen Auge sich dar- 
bieten, steuerte man nach dem öden, steinigen Lemnos, das 
am Morgen des 14. October erreicht wurde. Noch an 
demselben Tage trat die Gesellschaft die Rückfahrt nach 
Bujukdere an. 

Kaum war sie dort eingetroffen, so erhielt Haymerle die 
Ernennung zum Legationssecretär bei der österreichischen 
Gesandtschaft in Athen. Nur die Trennung von seinen 
Collegen fiel ihm schwer; sonst schied er ziemlich leichten 
Herzens von Constantinopel, denn er hatte ja selbst bei 
seinem neuen Chef, dem Freiherrn von Brenner, die ersten 
Schritte gethan, um nach Athen versetzt zu werden. Zweifach 
war das Ziel, das er hiedurch zu erreichen sich bestrebte. 
Einerseits wollte er den ihm 'überaus lästigen Dienst eines 
dritten Dolmetsch los werden, der zumeist in der Vertretung 
der für die Betheiligten zwar wichtigen, oft aber recht klein- 
lichen Interessen österreichischer Unterthanen und Schutz- 
genossen vor den türkischen Behörden und Tribunalen bestand. 
Und andererseits hoffte Haymerle durch Erfüllung seines 
Wunsches der Beschränkung seiner Laufbahn auf den Orient 
zu entgehen, und die Anstellung in Athen galt ihm als der 
erste Schritt, dereinst auch im Occident dienstliche Verwendung 
zu finden. 

Die freudige Stimmung, in welcher Haymerle nach Athen 
ging, wurde durch die zuvorkommende Aufnahme, die ihm 
von Seite des Freiherrn von Brenner zu Theil wurde, nur 
noch gesteigert, und den besten Hoffnungen für seinen 



14 



Aufenthalt in Griechenland gab er sich hin. Sie gingen denn 
auch insofern in Erfüllung, als es ihm bald gelang, sich dort 
die Achtung, das Vertrauen und das Wohlwollen der hervor- 
ragendsten Persönlichkeiten in nicht geringem Masse zu 
erwerben. Ausserdem war es ihm hoch willkommen, dass ihm 
in Athen die Aussicht auf eine wenngleich nur vorübergehende 
Selbstständigkeit der amtlichen Stellung eröffnet wurde, auf 
die er in Constantinopel noch lang nicht hätte hoffen dürfen. 
Schon im Winter von 1857 auf 1858 nahm er eine solche 
während einer kurzen Abwesenheit des Freiherrn von Brenner 
zum ersten Male ein. Die Feier des fünfundzwanzig) ährigen 
Jubiläums der Ankunft König Otto's in Nauplia fiel in diese 
Zeit. Oesterreich war hiebei durch eine eigene Botschaft; 
an deren Spitze der Feldmarschall-Lieutenant Graf Alfred Paar 
stand, glänzend vertreten. 

Im Sommer 1858 genoss Haymerle die Freude, die 
Heimat wiederzusehen, und nachdem er einige Wochen in 
Wien zugebracht hatte, begab er sich zur Badekur nach 
Gastein. „Mit Wonne schlürfe ich", schrieb er von dort, 
„die Alpenluft, und ich kann mich an dem langentbehrten 
Grün gar nicht satt sehen." Im Herbste besuchte er seinen 
Stiefbruder in Monza, wo ihm der damalige General-Gouverneur 
des lombardisch-venezianischen Königreiches, Erzherzog Ferdi- 
nand Maximilian, der neun Jahre später in Mexiko ein so 
tragisches Ende fand, in ehrendster Weise entgegenkam. Ueber 
Florenz, Rom und Neapel kehrte Haymerle nach Athen zurück. 
Den sehnlichen Wunsch nahm er aus Italien mit hinüber, dass 
sein Schicksal ihn dereinst in diesem gesegneten Lande Anker 
werfen lassen möge. 

Haymerle's Ankunft in Athen gewährte dem Gesandten 
Freiherrn von Brenner die Möglichkeit, eine längere Urlaubs- 
reise anzutreten; während derselben hatte Haymerle als 
Geschäftsträger zu fungiren. Als so tüchtig bewährte er sich 
in dieser Stellung, dass ihm, als sie durch Brenners Rückkehr 
nach Athen von selbst wieder aufhörte, von Wien aus die 
volle Anerkennung der kaiserlichen Regierung und ihre 



15 



Zufriedenheit mit seinen Leistungen in den wärmsten Aus- 
drücken kundgegeben wurde. 

Auch während eines Theiles des Winters von 1858 auf 
1859 war Haymerle wieder Geschäftsträger in Athen. Den 
Sommer dieses Jahres verweilte er gleichfalls daselbst, und 
aufs Tiefste empfand er das Missgeschick, das die öster- 
reichischen Waffen auf dem Kriegsschauplatze in der Lombardie 
traf und den Verlust dieser herrlichen Provinz nach sich zog. 
„Wie bitter die theuersten Gefühle verletzt werden können", 
schrieb er im November 1859 an seinen Bruder Alois, „das 
erlebt nur der, der sich im Auslande mitten unter den 
gehässigsten Elementen bewegen muss. Die Jahreszahl 1859 
wird man dereinst in dem Herzen jedes Oesterreichers ein- 
gegraben finden, wie in dem jener englischen Königin den 
Namen der Stadt Calais." 

Dennoch freute es ihn, von Ende December 1859 an 
neuerdings die Stellung eines Geschäftsträgers einnehmen, und 
sie, weil Brenner zu Haymerle's lebhaftem Bedauern nicht 
mehr nach Athen zurückkehrte, durch sechzehn Monate, bis 
zum März 1861 bekleiden zu dürfen. „Die Verantwortlichkeit 
erhöht und stärkt das Bewusstsein", sagte er damals hierüber, 
„und das Gefühl, der Wappenhälter seines kaiserlichen Herrn 
und seines Vaterlandes zu sein, ist auch etwas werth." 

Schon früher ist angedeutet worden, dass Haymerle's 
lebhafte Empfänglichkeit für die Naturschönheit des Südens 
auch in Griechenland reichliche Nahrung fand. Weite Aus- 
flüge zu Pferde in das Innere des Landes, durch den 
Peloponnes oder gegen die thessalische Grenze hin wechselten 
mit Segelfahrten auf dem blauen aegaeischen Meere, von einem 
sonnigen Felseneiland zum anderen. Ende April und Anfangs 
Mai 1860 waren er und sein russischer Freund und College 
Baron Staal — jetzt Gesandter in Stuttgart — durch etwa 
vierzehn Tage Gäste am Bord einer griechischen Yacht, auf 
der sie Livadiens Küsten entlang eine wundervolle Fahrt 
zurücklegten. Sie bestiegen den Oeta, der Griechenland von 
Thessalien trennt; sie besuchten die sporadischen Inseln, diese 



1 



16 



Perlen des Archipels, in Syra aber den trefflichen Consul 
von Hahn, den eifrigen Erforscher des nördlichen Albaniens 
und der an dasselbe angrenzenden Theile der Türkei. Mit 
ihm, dem gelehrten Kenner des Homer, durchlebten sie ein 
Stück Odyssee, und ein Schimmer homerischer Poesie verklärte 
die Eindrücke jener Tage und vergoldete die Erinnerung an sie. 

Durch derlei willkommene Zerstreuungen liess sich jedoch 
Haymerle keinen Augenblick abhalten, den öffentlichen Zu- 
ständen Griechenlands mit gespanntester Aufmerksamkeit als 
scharfsinniger Beobachter gegenüber zu stehen. Schon im 
Frühjahre und im Sommer 1860 signalisirte er wiederholt 
deren immer bedenklichere Wendung. Keinen Augenblick 
täuschte er sich darüber, wie König Otto in Griechenland 
immer mehr Boden verlor, und er hielt den Eintritt einer 
Katastrophe bald für unvermeidlich. Zu seinem Glücke sollte 
er sie nicht mehr in Athen erleben, denn als Brenners Nach- 
folger Freiherr von Testa dort eintraf, bat Haymerle, nachdem 
er vierthalb Jahre in Griechenland und mehr als zehn in der 
Levante überhaupt zugebracht hatte, im März 1861 um einen 
längeren Urlaub zur Kräftigung seiner Gesundheit, und um 
dienstliche Verwendung im Abendlande. Am 15. April wurde 
ihm der Urlaub bewilligt; am 4. Mai verliess er Athen, und 
am gleichen Tage kündigte der griechische Geschäftsführer in 
Wien, Herr Lidorikis dem Minister Grafen Rechberg an, dass 
Haymerle als Zeichen lebhafter Anerkennung der Förderung, 
die er als interimistischer Geschäftsträger den vorläufigen 
Verhandlungen zur Erleichterung der commerciellen Ver- 
bindungen zwischen Oesterreich und Griechenland hatte zu 
Theil werden lassen, das Officierskreuz des Erlöserordens ver- 
liehen worden sei. 

Auch der zweite Theil der Begehren Haymerle' s ging, 
und zwar fast noch eher in Erfüllung, als er selbst es ge- 
wünscht zu haben schien. Denn an Stelle des längeren 
Urlaubes, um den er gebeten, trat schon Ende Mai seine Zu- 
teilung zu der kaiserlichen Gesandtschaft in Dresden, wohin 
er sich im Laufe des Juni begab. „War es schon", scnriel 



17 



er nach wenig Wochen seines dortigen Aufenthaltes an den 
Freiherrn von Brenner, „ein Glück für mich, dem Oriente 
überhaupt Lebewohl sagen zu können, so fühle ich es als ein 
doppeltes, dass mich die Woge an dieses wirthliche Gestade 
getragen. Mich überrascht namentlich die Leichtigkeit des 
Lebens sowie die Fülle von Ressourcen, die dem Geiste wie 
dem Herzen sich darbieten. Auch die Umgegend ist reizend, 
doch bin ich auch gegen die Vergangenheit nicht ungerecht 
und zolle der unvergleichlichen Schönheit des Landes der 
Hellenen den verdienten Tribut der Bewunderung. Gern 
weile ich bei den Erinnerungen der vergangenen Jahre, 
wäre es auch nur, weil sie mich Ihnen so nahe gebracht 
haben." 

Die letzten Worte Haymerle's, denen ähnliche Aeusserungen 
in Menge angereiht werden könnten, beweisen das sympathische 
Verhältniss zwischen ihm und seinem bisherigen Chef. Ob- 
gleich er nur durch neun Monate in Dresden verweilte, so 
war dieser verhältnissmässig so kurze Zeitraum für Haymerle 
doch lang genug, um sich auch die wärmste Zuneigung seines 
jetzigen Vorgesetzten, des schon hochbetagten Freiherrn von 
Werner zu erwerben. An Kenntnissen und an Erfahrung 
von Wenigen erreicht, kaum von Einem tibertroffen, war 
Werner ein Mann, an dessen Beifall nicht der gewöhnliche 
Massstab gelegt werden darf, und er zollte ihn Haymerle mit 
fast verschwenderischer Hand. „Sein Diensteifer", schrieb er 
im April 1862 von ihm, „wie seine Geschicklichkeit und seine 
Verlässlichkeit sind des höchsten Lobes würdig. Unermüdet 
ist sein Streben, sich auszubilden, seine gesellschaftliche und 
sittliche Haltung endlich der Art, dass er sich in der kurzen 
Zeit seines Hierseins die allgemeine Gunst und Gewogenheit 
in einem Grade erwarb, wie kein anderer seiner Collegen." 

Aus diesem Berichte des Freiherrn von Werner, zu 
welchem die zu jener Zeit von Wien aus verfügte Versetzung 
Haymerle's zur österreichischen Bundespräsidial-Gesandtschaft 
in Frankfurt am Main die Veranlassung gab, ist auch zu er- 
sehen, dass Haymerle hierin nichts weniger als eine Begünstigung 

t. Arneth, Haymerle. 2 



* m 



18 



erblickte. Denn er war in Dresden äusserst zufrieden, und 
mit Recht legte er auch hier auf die Aussicht hohen Werth, 
in Fällen der Abwesenheit des Gesandten dessen Stelle ver- 
treten zu können, während die gleiche Möglichkeit in Frank- 
furt durchaus nicht vorhanden war. 

Für den Ernst des Strebens, das Haymerle beseelte, und 
den Eifer, mit welchem er darauf ausging, sich auch über die 
Erfüllung seiner nächstliegenden Dienstpflichten hinaus mit 
Allem zu beschäftigen, was zu dem Umkreise seines Berufes 
gehörte, legt auch eine Denkschrift Zeugniss ab, die er im 
October 1862 in Frankfurt verfasste und in welcher er die 
revolutionären Ereignisse, in Folge deren König Otto Griechen- 
land verliess, einer eingehenden Erörterung unterzog. Noch 
heut zu Tage wird jeder, der diese Arbeit mit Aufmerksamkeit 
durchliest, bereitwillig einräumen, dass ihr Verfasser mit den 
äusseren wie mit den inneren Verhältnissen Griechenlands 
vollkommen vertraut war, und nicht nur Scharfsinn, sondern 
auch Unparteilichkeit genug besass, um über sie und die dort 
massgebenden Persönlichkeiten sowie den griechischen Volks- 
charakter überhaupt ein zutreffendes Urtheil zu fällen. So 
manche Schlussfolgerung, die Haymerle als Ergebniss seiner 
an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen zog, ist seither 
in Erfüllung gegangen. 

Auch in Frankfurt erprobte sich neuerdings Haymerle's 
glückliche Gabe, sich rasch nicht nur die Hochachtung, 
sondern auch die wärmsten Sympathieen derer zu erwerben, 
mit denen sein Beruf ihn zusammenführte. Wie Brenner und 
Werner, war ihm bald auch der Bundespräsidial-Gesandte 
Freiherr von Kübeck nicht nur ein wohlwollender Vorgesetzter, 
sondern auch ein eifriger und verlässlicher Freund. Zu seinen 
ihm dem Alter und dem Range nach vorangehenden Collegen, 
den Herren von Dumreicher und Braun wusste er die besten 
Beziehungen herzustellen, und er sagte von ihnen, der Eine 
habe ihn in die Frankfurter Gesellschaft, der Zweite in die 
dortigen Geschäfte eingeführt. In der Ersteren verkehrte er 
viel, und überall war er ein gern gesehener, beliebter Gast. 



19 



Was die Geschäfte anging, so nahmen sie ein Jahr nach 
der Ankunft Haymerle's in Frankfurt einen seit langer Zeit 
nicht erlebten Aufschwung. Die Projecte zur Reform der 
Bundesverfassung geriethen in Fluss, und bekanntlich begab 
sich im August 1863 der Kaiser von Oesterreich zur Abhaltung 
des Fürstencongresses persönlich nach Frankfurt. Auf den 
Verlauf dieses bedeutungsvollen Ereignisses wird hier selbst- 
verständlich nicht näher eingegangen, wohl aber gesagt werden 
dürfen, dass das Scheitern des Planes, der ihm zu Grunde 
lag, die gerechte Würdigung der edlen Intentionen nicht 
beeinträchtigen sollte, deren Verwirklichung damals in Frank- 
furt angestrebt wurde. 

Die ganze Haltung des Kaisers und die Art und Weise, 
in der er die Führerrolle übernahm und ausübte, erregte 
Haymerle's höchste Bewunderung. „Ich spreche nicht als 
Oesterreicher a , schrieb er damals an einen älteren Freund 
und Berufsgenossen, „dem ja sein Kaiser lieb und theuer 
wäre, wenn er auch weniger hervorragende Eigenschaften 
besässe. Aber aus vollster Ueberzeugung kann ich sagen, 
dass sein Auftreten ihm nach allen Seiten hin goldene 
Meinungen gewann. Auf das wetterwendische Beifallsjauchzen 
des Pöbels lege ich gar keinen Werth, aber hoch anzuschlagen 
ist die Achtung, die er seinen Mitfürsten und allen aufrichtigen 
Männern der verschiedensten Parteien einflösste. Voll Rück- 
sicht für die Fürsten vermied er sorgfältig Alles, was auch 
nur die geringste Eifersucht zu erregen vermocht hätte. Es 
kann keinen besseren Präsidenten geben, sagte der Herzog 
von Coburg von ihm, so ruhig und unparteiisch leitete der 
Kaiser die oft recht zerfahrene Discussion, stets die wichtigen 
Punkte herausgreifend und den Faden unverrückt festhaltend. 
Der Eindruck seiner Initiative hat ihm eine grosse Macht in 
die Hände gegeben; Keiner hätte sie rücksichtsvoller gebraucht 
als er, und gewiss gingen alle Fürsten mit der Ueberzeugung 
nach Hause, dass wenn Oesterreich für das Ganze Opfer ver- 
langt, es für seine Ansicht durch Gründe gewinnen, aber 
nirgend das Recht gewaltsam verletzen will. Der Empfang, 

2* 



20 



den die heimkehrenden Fürsten fanden, zeigt deutlich, dass 
man das gewonnene Resultat nicht gering schätzt und es den 
Völkern willkommen ist, wenn die Fürsten die Leitung der 
Geschäfte wieder in die Hand nehmen, die ihnen fast schon 
entschlüpfte. Dieses Hervortreten der fürstlichen Stellung, 
das gemeinsam bethätigte Streben, berechtigte Wünsche der 
Nation zu erfüllen, die persönlichen Bande der Freundschaft, 
die unter den Fürsten sich anknüpften, sind schon an und 
flir sich ein grosser Gewinn. Wenn auch das österreichische 
Prqject nicht gerade verbessert wurde, so ist man bei uns 
doch im Ganzen sehr zufrieden. Man hofft auf eine ruhige 
Entwicklung, ist aber auch auf schwere Complicationen voll- 
kommen gefasst. Von Ueberstürzung ist keine Rede; man 
will dass der Gedanke, dem Oesterreich die Bahn gebrochen, 
sich im Volke recht verbreite und vertiefe, dass sich eine 
starke Partei bilde, mit der man zusammenwirken kann". 

Aus Haymerle's eigenen Worten sieht man, wie sehr der 
Glanz, den die Abhaltung des Fürstentages auf seinen Kaiser 
und auf Oesterreich zurückwarf, seinem patriotischen Sinne 
wohlthat und ihn erquickte. Als ein Glück erklärte er es, 
dass er diese Zeit in Frankfurt mit erleben, sich an den dort 
vollbrachten Arbeiten betheiligen durfte. Darum bereitete ihm 
auch der erste österreichische Orden, den er überhaupt erhielt 
— der der eisernen Krone, — als von der Hand des Kaisers 
selbst kommend, doppelte Freude. 

Der Frankfurter Fürstentag brachte jedoch fiir Haymerle 
auch noch einen zweiten, gleichfalls nicht gering anzuschla- 
genden Gewinn. Denn man wird es ohne Zweifel als die 
Wirkung seiner näheren Bekanntschaft mit den leitenden 
Personen im österreichischen Cabinete, die den Kaiser nach 
Frankfurt begleitet hatten, und des günstigen Urtheils, das sie 
über ihn fällten, ansehen dürfen, wenn ihm beim Ablaufe des 
Jahres 1864 ein Auftrag zu Theil wurde, der Zeugniss ablegt 
für das ganz besondere Vertrauen, welches man schon damals 
in ihn setzte. Nach Beendigung des deutsch-dänischen Krieges 
wurde er zur Wiederanknüpfung der diplomatischen Verbin- 



V 



21 



düngen nach Kopenhagen geschickt. Der aufrichtige Wunsch der 
kaiserlichen Regierung, mit Dänemark von nun an wieder in 
ein dauerndes VerhäJtniss der Freundschaft und des Vertrauens 
zu treten, konnte dort in der That nicht leicht durch ein 
geeigneteres Organ zum Ausdrucke gebracht werden, als 
Haymerle es war. Der vorurtheilslose, unparteiisch abwägende, 
versöhnliche Sinn, der ihn beseelte, und dem es gleichwohl dort, 
wo dies Noth that, nicht an Festigkeit uud Entschiedenheit 
gebrach, übertrug sich wie von selbst auch auf seine 
Geschäftsführung. 

So gern er auch in Frankfurt verweilt hatte, so freudig 
folgte doch Haymerle dem ehrenvollen Rufe, der an ihn erging, 
und auch die Gelegenheit, den Norden kennen zu lernen, 
nachdem er so lange Zeit im Süden gelebt, war ihm will- 
kommen. Um ein Uhr Nachts, bei heulendem Sturme, schiffte 
er am 17. December in Travemtinde auf dem kleinen, aber 
seetüchtigen Dampfer Freya sich ein. Er freute sich darüber, 
dass der wilde Tanz der Wogen, dem das Schiffchen folgen 
musste, ihm nichts anhaben konnte und er von der See- 
krankheit verschont blieb. In Kopenhagen brachten sowohl 
die Stadt als die Bevölkerung einen durchaus günstigen Ein- 
druck auf ihn hervor, und man wird wohl sagen dürfen, dass 
der letztere ein wechselseitiger war. Mit nicht gewöhnlicher 
Zuvorkommenheit kam man ihm- entgegen, und er konnte 
seine innere Bewegung nicht unterdrücken, als ihn bei seiner 
ersten Audienz der König der hohen Achtung versicherte, die 
sich die österreichischen Truppen als tapfere Krieger während 
des Kampfes und als milde Sieger nach demselben in ganz 
Dänemark, bei der Nation sowohl als der Armee erworben 
hatten. Auch der glimpflichen Behandlung der Einwohner 
Jütlands durch die kaiserlichen Officiere und Soldaten sowie 
der Gefangenen in Oesterreich wurde von dem Könige in den 
rühmendsten Ausdrücken gedacht. 

Nachdem er im August 1865 mit befreundeten Gefährten 
einen kurzen Ausflug nach Schweden unternommen, erhielt 
Haymerle im September die Ankündigung, dass Graf Felix 



22 



Wimpffen, jetzt Botschafter in Rom, zum definitiven Geschäfts- 
träger in Kopenhagen ernannt worden sei; ihm selbst wurde 
durch seine Beförderung zum Honorar-Legationsrathe die wohl- 
verdiente Anerkennung zu Theil. Der König von Dänemark 
aber verlieh ihm bei seiner Abreise, die sich, da er die Ankunft 
des Grafen Wimpffen in Kopenhagen abwarten musste, bis zu 
Ende des Januar 1866 hinausschob, das Commandeurkreuz erster 
Classe des Danebrogordens, das er ihm beim Abschiede mit 
den huldvollsten Worten persönlich überreichte. 

So lebhaft wirkte in Haymerle noch der reizvolle Eindruck 
nach, welchen Florenz vor mehr als sieben Jahren auf ihn 
hervorgebracht hatte, dass er eine Anstellung bei der dortigen 
kaiserlichen Gesandtschaft jetzt sehnsüchtig wünschte. Darum 
war es ihm nicht gerade willkommen, als er von Kopenhagen, 
statt nach Florenz, wieder nach Frankfurt, aber freilich in 
eine höhere Stellung versetzt wurde, als er sie früher dort 
eingenommen hatte. 

In Frankfurt eingetroffen, erhielt Haymerle die Erlaubniss 
zu einer Reise nach Wien, die er denn auch noch in der 
ersten Hälfte des Februar antrat. Aber diesmal konnte er 
nur kurze Zeit in seiner Vaterstadt verweilen, denn die sich 
vorbereitenden traurigen Ereignisse des Jahres 1866 riefen 
ihn schon im März wieder nach Frankfurt zurück. 

Mit dem tiefsten Schmerze empfand Haymerle die ver- 
hängnissvolle Wendung, welche die deutschen Angelegenheiten 
nahmen, und die völlige Vernichtung der stolzen Hoffnungen, 
die er noch vor weniger als drei Jahren, zur Zeit des Fürsten- 
tages gehegt hatte. Allerdings waren sie seither schon sehr 
verblasst und in immer grössere Befürchtungen verwandelt 
worden; zu ihnen gesellte sich für Haymerle noch die lebhafte 
Besorgniss um das Los seiner Brüder Alois und Karl, die 
Beide in der österreichischen Armee standen. Beide waren 
vermalt, und in wahrhaft rührenden Worten gab Haymerle 
seinen Schwägerinnen gegenüber der Theilnahme Ausdruck, 
mit welcher deren Angst um das Schicksal ihrer Gatten ihn 
erfüllte. 



23 



Freilich blieb ihm nur sehr wenig Zeit, diesen traurigen 
Gedanken nachzuhängen, denn an Stelle der früheren Behäbig- 
keit der deutschen Bundesversammlung war jetzt die grösste 
Aufregung getreten, und die Thätigkeit der österreichischen 
Präsidialgesandtschaft musste eine fieberhafte genannt werden. 
Die überaus zahlreichen Berichte Kübecks, zum grossen Theile 
von Haymerle verfasst, geben hievon Zeugniss, und gleichzeitig 
sind sie ein Beweis der seltenen Gewandtheit, mit welcher 
Haymerle die Feder zu fuhren verstand, während der seelen- 
volle, markige Ton, den er anschlug, keinen Zweifel auf- 
kommen lässt, dass er das, was er niederschrieb, auch tief 
und innig empfand. So rührt Kübecks Bericht über die 
Sitzung der Bundesversammlung vom 14. Juni, in welcher 
Preussen seinen Austritt aus dem Bunde erklärte, worauf der 
Ausbruch des Krieges folgte, von Haymerle her. Und ein 
Gleiches ist mit einem zweiten, am 25. Juli aus Augsburg 
erstatteten Berichte Kübecks der Fall, in welchem derselbe 
gegen den damals auftauchenden Plan der Errichtung eines 
norddeutschen und eines süddeutschen Bundes, welch letzterer 
unter Oesterreichs Führung gestellt werden sollte, ernstliche 
Vorstellung erhob. Der Zukunft Oesterreichs wie Deutsch- 
lands, heisst es in diesem Berichte, werde der Kaiserhof durch 
ein völliges Ausscheiden aus einer derartigen Verbindung weit 
bessere Dienste als durch ein Festhalten an derselben leisten. 
Ausserdem könne Oesterreich den deutschen Regierungen, die 
an seiner Seite den Kampf aufgenommen hatten, bei den 
Friedensverhandlungen gewiss günstigere Bedingungen ver- 
schaffen, wenn es das volle Opfer seiner bisherigen Stellung 
in Deutschland bringe, als wenn es sich hiezu nicht zu ent- 
schliessen vermöge. Und aus einem noch vorhandenen Privat- 
briefe Haymerle's wissen wir mit Bestimmtheit, dass diese 
Ansicht nicht allein die seines Chefs war, sondern dass sie 
von ihm selbst vollinhaltlich getheilt wurde. 

Aus Augsburg ist dieser Brief und auch Kübecks gleich- 
zeitiger Bericht datirt, weil die Bundesversammlung am 11. Juli 
den Beschluss gefasst hatte, ihren Sitz dorthin zu verlegen, 



24 



wenn die Kriegsereignisse sie zwängen, Frankfurt zu verlassen. 
Nachdem am 13. Juli der Commandant des achten Armeecorps, 
Prinz Alexander von Hessen, dem Freiherrn von Kübeck er- 
klärt hatte, für die Sicherheit der Bundesversammlung und 
die Möglichkeit ihrer unbehelligten Abreise von Frankfurt nicht 
länger mehr einstehen zu können, war am 14. Juli die Ueber- 
siedlung nach Augsburg vollzogen worden. Haymerle verfugte 
sich gleichfalls dorthin, doch erhielt er schon Ende Juli den 
Befehl, sich schleunigst nach Wien zu begeben, um seinen 
ehemaligen Chef, den Freiherrn von Brenner, der zum Bevoll- 
mächtigten Oesterreichs flir den Friedensvertrag mit Preussen 
ernannt worden war und sich Haymerle als Mitarbeiter aus- 
gebeten hatte, nach Prag zu begleiten. Unverzüglich kam 
Haymerle diesem Auftrage nach, und in so befriedigender 
Weise erfüllte er auch diesmal seine Aufgabe, dass er auch 
jetzt wieder zur Wiederanknüpfung der diplomatischen Be- 
ziehungen mit Preussen ausersehen wurde. Am 22. September 
traf er in Berlin ein, doch blieb er dort nicht lange in selbst- 
ständiger Stellung, dfenn schon im November wurde Graf 
Wimpffen zum österreichischen Gesandten daselbst ernannt. 

Ihrer Zufriedenheit mit Haymerle's Diensten gab seine 
Regierung im Januar 1867 durch dessen Beförderung zum 
wirklichen Legationsrathe einen ihm sehr willkommenen Aus- 
druck. Er fand darin einigen Trost fär eine langwierige und 
schmerzliche Erkrankung, die ihn bald darauf befiel und nach 
mehrmonatlichen Leiden zwang, um längeren Urlaub zu 
bitten. Nachdem er ihn erhalten, verliess er am 1. Mai 
Berlin und begab sich vorerst nach Frankfurt, das er trotz 
der herzlichen Aufnahme, die ihm von seinen dortigen Freun- 
den und Bekannten zu Theil wurde, doch unter so völlig 
veränderten Verhältnissen nur mit den wehmtithigsten Gefühlen 
wieder betrat. Er blieb auch nicht länger als vierundzwanzig 
Stunden in Frankfurt, und in langsamen Tagereisen setzte er 
seinen Weg über Baden und durch die Schweiz nach Aix-les- 
Bains fort, wo er vorerst sein Domicil aufschlug. Der längere 
Aufenthalt daselbst bekam ihm wohl; noch in späteren Jahren 



25 



erinnerte er sich dankbar desselben und empfahl wohl auch die 
dortige Badekur recht angelegentlich Kranken, deren Leiden 
ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit dem seinigen darzubieten 
schien. 

Nach Wiedererlangung seiner Gesundheit schickte sich 
Haymerle zur Bückkehr nach Berlin an, als er von Wien 
aus wenigstens vorübergehend eine andere Bestimmung erhielt. 
Nichts ist begreiflicher, als dass die seltene Tüchtigkeit, die 
er noch auf jedem Posten bewiesen hatte, den er einnahm, 
dass insbesondere seine bewunderungswürdige Gewandtheit in 
der Redaction politischer Depeschen und Aufsätze den Gedanken 
wachrief, ihm künftighin in dem Centralpunkte, von welchem 
dieselben auszugehen haben, dem Ministerium der auswärtigen 
Angelegenheiten eine seinen ungewöhnlichen Fähigkeiten an-, 
gemessene Stellung anzuweisen. Desshalb wurde Haymerle 
im Juli 1867 nach Wien berufen und dort dem Ministerium 
des Aeussern zur Dienstleistung zugetheilt. Aber er fühlte 
sich daselbst nicht gerade behaglich, und er machte aus seinem 
lebhaften Wunsche kein Hehl, auch in Zukunft seine Laufbahn 
im Auslande zurücklegen zu dürfen. 

Unter den verschiedenen Beweggründen, die ihn hiezu 
bestimmten, war wohl keiner von mächtigerer Einwirkung 
auf ihn, als die allmälig in ihm herangereifte Absicht, sich zu 
vermalen. Früher war er immer ein eifriger Anwalt der 
Ehelosigkeit jüngerer Diplomaten gewesen, und scherzweise 
erzählte er wohl, wie er an seinem Freunde Staal einen 
Gesinnungsgenossen gefunden. Einstimmig hätten sie Beide 
das Glück der Freiheit von ehelichen Banden gepriesen und 
sich verschworen, sich,, niemals in solche schlagen zu lassen. 
Nach Abtragung ihrer Dienstschuld an ihre Regierungen 
würden sie sich gemeinsam nach Egypten, dem Lande der 
Euhe und Beschaulichkeit zurückziehen und dort ihr Leben 
beschüessen. 

Baron Staal hatte zuerst den Beweis geliefert, dass man 
derlei Pläne nur entwirft, um sie unausgeführt zu lassen, indem 
er sich im Jahre 1866 mit einer Fürstin Gortschakoff ver- 



26 



malte. Aach Haymerle war schon ziemlich lange von jenen 
früheren Anschauungen zurückgekommen, deren Festigkeit 
bereits sein erster Aufenthalt iu Frankfurt etwas erschüttert 
zu haben scheint. Wenigstens ist in einem Briefe, den er 
noch vor seiner Versetzung nach Kopenhagen von Frankfurt 
aus schrieb, die erste Andeutung zu finden, dass er Heirats- 
gedanken nicht mehr so unzugänglich war als zuvor. Noch 
lebendiger wurden sie in ihm, als er neuerdings nach Frank- 
furt zurückkam. Wie es schon früher geschehen war, ver- 
kehrte er auch jetzt wieder mit Vorliebe in den Häusern 
Tettenborn und du Fay; dort lernte er eine Nichte beider 
Frauen, Fräulein Therese von Bernus kennen, die einen 
tiefen Eindruck auf ihn hervorbrachte. Als er sich im Juli 
1866 mit seinem Freunde Dumreicher von Frankfurt über 
Heidelberg nach Augsburg begab, verweilten Beide durch 
einige Stunden im Stifte Neuburg, der unfern von Heidelberg 
reizvoll am Neckar gelegenen Besitzung des Freiherrn von 
Bernus. Die Tochter des Hauses, Fräulein Therese, war die 
liebliche und liebenswürdige Führerin der zwei Freunde durch 
die Räumlichkeiten des in so mancher Beziehung sehr inter- 
essanten Gebäudes. Ihr überaus gewinnendes Aeussere, ihr 
ganz ungewöhnlicher Verstand und die geistvolle Lebendigkeit 
ihres Wesens nahmen Haymerle rasch gefangen, und der Ge- 
danke an sie beschäftigte ihn von nun an so sehr, dass er 
bei der Rückkehr von Aix-les-Bains nach Berlin wieder auf 
Stift Neuburg vorsprach. Vier oder fünf Tage verweilte er 
daselbst, dann begleitete er die Familie Bernus nach Schloss 
Aubach im Schwarzwalde, einer Besitzung des Herrn du Fay. 
Hier erstarkten die bereits angesponnenen Fäden zu jenem 
innigen Bande der Liebe, das zwei gleichgesinnte Menschen 
für die Zeit ihres Lebens zu glücklichster Vereinigung an 
einander knüpfen sollte, bis der jähe Tod des Einen es ge- 
waltsam zerriss. 

Einem vierzehntägigen Aufenthalte in Aubach machte 
Haymerle's plötzliche Berufung nach Wien, von der soeben die 
Rede gewesen, ein ihm recht unerwünschtes Ende. Aber sein 



27 



Entschluss stand fest, und schon im August verlobte er sich 
von Wien aus mit Fräulein von Bernus. Von einem kurzen 
Besuche bei seiner Braut kehrte er noch einmal nach Wien 
zurück, und schmerzlichst empfand er es, dass gerade zu der 
Zeit, in der er im Begriffe stand, sich ein eigenes Familien- 
leben zu schaffen, dasjenige, dem er bisher trotz seines Ver- 
weilens in der Fremde doch immer noch angehört hatte, 
zerstört wurde. Denn am 23. October 1867 verlor er seine 
Mutter, der er immer ein treu anhänglicher, liebevoll für 
sie besorgter Sohn gewesen, nach langer Krankheit durch 
den Tod. 

In den letzten Tagen des November verliess Haymerle 
Wien und begab sich nach Neuburg, wo am 19. December 1867 
seine Vermälung stattfand. Des vorangegangenen Trauer- 
falles wegen wurde sie ohne alle Festlichkeit vollzogen. Nur 
wenige Verwandte wohnten der Trauung bei, die in der 
Capelle des Schlosses nach katholischem, in einem eigens dazu 
hergerichteten Saale aber nach protestantischem Ritus, dem die 
Braut angehörte, vor sich ging. 

„Es war ein feierlich schöner Tag", schrieb Haymerle 
kurz darauf an seinen Bruder Alois, welcher der Hochzeit 
nicht hatte beiwohnen können, „nur der Gedanke, dass 
Mutter diese Freude nicht mehr erlebte, trat trüb und schwer 
vor meine Seele. Der Eindruck, welchen Theresen's Persön- 
lichkeit auf die Brüder gemacht, ist mir eine Bürgschaft, 
wie glücklich die gute Mutter über unseren Bund gewesen 
wäre". 

Die Hochzeitsreise, welche Haymerle und seine junge 
Frau unmittelbar nach ihrer Vermälung antraten, führte sie 
über Basel, Genf und Lyon nach dem südlichen Frankreich. 
Avignon mit dem ernsten Charakter seiner Landschaft und 
dem mächtigen Palaste der Päpste gefiel ihm sehr, aber sein 
ganzes Herz gewann Nimes, denn nirgends fand er so an- 
sprechend wie hier die Erinnerungen an das Alterthum mit 
dem. modernen Leben vermittelt. In Marseille beglückte ihn 
der Anblick des Meeres, das er seit zwei Jahren nicht mehr 



28 



gesehen hatte, und das grossartige Treiben im Hafen erweckte 
sein lebhaftes Interesse. Zu Cannes schien ihm das Klima 
milder als dasjenige Griechenlands zu sein, der Aufenthalt 
daselbst wurde aber durch den in Mentone noch verdunkelt. 
Im März 1868 siedelten Haymerle und seine Frau nach 
San Remo über, wo sie die Luft erquickender fanden als in 
dem landschaftlich schöneren Mentone. 

So glücklich nun auch das neuvermälte Paar den Winter 
an der Nordküste des mittelländischen Meeres verlebte, so 
ernstlich beschäftigte sich doch Haymerle mit Planen für seine 
zukünftige amtliche Stellung. Neuerdings und mit verdoppelter 
Stärke kehrte der Wunsch in ihm zurück, der Gesandtschaft 
in Florenz zugewiesen zu werden. Wenn er ihn jetzt noch 
lebhafter als in früheren Jahren empfand, so lag die Veran- 
lassung hiezu darin, dass Freiherr von Kübeck, der zuletzt in 
Frankfurt sein Chef gewesen, nun als Gesandter Oesterreichs 
bei Victor Emanuel beglaubigt war. Sowie noch jeder Vor- 
gesetzte Haymerle's, hatte auch Kübeck sich eine überaus 
günstige Meinung von ihm gebildet und er sagte ihm eine 
glänzende Laufbahn vorher. Lag daher Kübeck daran, 
Haymerle wieder an seiner Seite zu haben, so hätte der 
Letztere unter Niemand lieber als unter Kübeck gedient, denn 
in ihm erblickte er nicht nur ein nach jeder Richtung hin 
nachahmungswürdiges Beispiel, sondern er hing auch mit aller 
Seele an Kübeck und trug diese Gesinnung bis zu dessen 
allzufrühem Tode unverändert in sich. 

Mit solcher Gewissheit glaubte Haymerle auf Erfüllung 
seines Wunsches zählen zu dürfen, dass er alle Vorbereitungen 
traf, sich von San Remo die Riviera entlang direct nach 
Florenz zu begeben. Aber auch jetzt wieder scheiterte sein 
Lieblingsproject , denn nicht nach Florenz , sondern nach 
Constantinopel , wo noch immer sein früherer Chef, Freiherr 
von Prokesch, jedoch nicht mehr als Internuntius, sondern als 
Botschafter Oesterreich vertrat, wurde Haymerle bestimmt. 
Er ging nach Wien, wo er einige Tage verweilte, und legte 
dann auf dem Donauwege und über das schwarze Meer binnen 



29 



drei Tagen die Reise nach Constantinopel zurück; am 18. Juni 
1868 fand dort die Ankunft statt. Bei Prokesch, von welchem 
Haymerle, seitdem er zum ersten Male unter ihm gedient, 
wiederholte Beweise der Güte und des Wohlwollens empfangen, 
fanden er und seine Frau, und zwar im engsten Sinne des 
Wortes die liebenswürdigste Aufnahme, denn durch mehrere 
Wochen beherbergte er sie bei sich, bis sie die ihnen bestimmte 
Wohnung beziehen konnten. Nachdem dies geschehen und 
sie sich behaglich eingerichtet hatten, wurde ihr häusliches 
Glück noch dadurch erhöht, dass ihnen am 25. October ein 
Töchterchen zur Welt kam, welches in der Taufe die Namen 
Marie Caroline Wilhelmine erhielt. 

Als Legationsrath nahm Haymerle nun die erste Stelle 
nach dem Botschafter ein. Dieser Umstand zog für ihn die 
günstige Wirkung nach sich, dass er, als Prokesch im De- 
cember für zwei Monate Constantinopel verliess, um Egypten 
wieder zu besuchen , als Geschäftsträger fungirte. Gerade 
damals war der Zwiespalt der Pforte mit Griechenland wegen 
der offenkundigen Bestrebungen dieses Staates, sich Kreta 
anzueignen, zu seinem Höhepunkte gediehen. Am 15. December 
verwarf Griechenland das türkische Ultimatum, die beider- 
seitigen Gesandten verliessen ihre Posten und immer wahr- 
scheinlicher wurde der Ausbruch eines Krieges. Ganz ausser- 
ordentlich kam es Haymerle zu Statten, dass er durch seine 
frühere Dienstleistung in der Türkei und in Griechenland mit 
den Verhältnissen beider streitenden Theile so genau bekannt 
war. In Folge dessen errang er sich rasch die Geltung, welche 
die Stimme eines wahrhaft Sachverständigen immer und überall 
findet, und daher war auch sein Antheil an der befriedigenden 
Lösung des Zwiespaltes kein geringer. Von allen Seiten wurde 
dies gleichmässig anerkannt, und von Wien aus wurde, nachdem 
Prokesch im Februar 1869 nach Constantinopel zurückgekehrt 
war, Haymerle's eifriges, umsichtiges und taktvolles Wirken 
aufs Wärmste belobt. 

Das Jahr 1869 barg jedoch für Haymerle noch viel 
freudigere Ereignisse in seinem Schosse. Nachdem er im Mai 



30 



mit Frau und Kind heitere Tage auf den Prinzeninseln verlebt, 
brachte er den Herbst in Therapia am Bosporus zu. Dort 
erhielt er die erste Nachricht von dem Beschlüsse des Kaisers 
von Oesterreich, sich über Constantinopel zur feierlichen Er- 
öffnung des Suezkanals zu begeben. Am 25. October trat 
der Kaiser von Pest aus die Reise nach dem Orient an. Am 
28. October um fünf Uhr Abends traf er in Varna ein und setzte 
vier Stunden später bei herrlichstem Wetter die Seefahrt nach 
Constantinopel fort. Am 29. zur Mittagsstunde erfolgte die 
Ankunft daselbst, und Haymerle fühlte sich glücklich, nun 
schon zum zweiten Male den Kaiser, dessen Auftreten in 
Constantinopel er als einen glänzenden und hocherfreulichen 
Erfolg bezeichnete, im Auslande begrüssen zu können. Mit 
tiefster Dankbarkeit nahm er die Beweise der Huld seines 
Monarchen entgegen, die ihm auch diesmal zu Theil wurden. 
Das Komthurkreuz des Franz-Joseph-Ordens mit dem Sterne 
wurde ihm verliehen, und persönlich kündigte der Kaiser ihm 
seine Absicht an, ihn zu seinem Gesandten in Griechenland 
zu ernennen. Im December erhielt Haymerle die amtliche 
Ausfertigung hierüber, und nun schied er auch bald von 
Constantinopel. So zufrieden er selbst und seine Gemalin 
sich auch dort gefühlt hatten, so freudig schritten sie doch 
Beide an ihre Uebersiedlung. Er war beglückt durch den 
weit höheren und ganz selbstständigen Posten, den er nun 
einnahm, sie aber brachte dem Lande der Hellenen all das 
lebhafte Interesse entgegen, das als Erbstück ihres kunst- 
sinnigen Vaters auf sie übergegangen war. Die Seefahrt nach 
Athen ging ungemein glücklich von Statten, und am 13. 
Januar 1870 überreichte Haymerle dem Könige Georg sein 
Beglaubigungsschreiben. 

Drei Monate war Haymerle in Athen, als ein schreckliches 
Ereigniss diese Stadt und das ganze Land in gewaltige Auf- 
regung versetzte. Unter den Fremden, die alljährlich Griechen- 
land zu besuchen pflegen, befand sich damals Lord Muncaster 
mit seiner Gemahn. Mit ihr und einigen Freunden — unter ihnen 
ein englischer und ein italienischer Gesandschafts -Secretär — 



31 



unternahm er am 11. April eine Fahrt nach Marathon. 
Vier Stunden von Athen entfernt, wurde die Gesellschaft von 
Räubern überfallen, geplündert und dann in die Berge ge- 
schleppt. Von dort sandten die Räuber die von ihnen gefangenen 
Frauen und hierauf Lord Muncaster selbst nach Athen; sein 
Ehrenwort hatte er ihnen verpfänden müssen, zu ihnen zurück- 
zukehren, wenn er die Gewährung ihrer Forderungen nicht 
zu erreichen vermöchte. In einem Lösegelde von einer Million 
Drachmen, vollständiger Amnestie und der Freilassung zweier 
Genossen bestanden ihre Begehren. Deren Verweigerung 
würde, Hessen sie drohend erklären, mit dem Tode der Ge- 
fangenen beantwortet werden. 

Unbeschreiblich war die Verlegenheit der griechischen 
Regierung, die von allen Seiten zur Ergreifung energischer 
Massregeln gegen die Räuber gedrängt wurde. Nicht Jeder- 
mann dachte so billig wie Haymerle, der zwar die verübte 
Schandthat nicht weniger streng verurtheilte als die Anderen 
es thaten, aber doch auch die Hindernisse nicht verkannte, 
auf welche die Absicht stossen würde, die Gefangenen zu 
retten, ohne sich zu erniedrigenden Zugeständnissen an die 
Räuber herbeilassen zu müssen. Und wenn man von der 
griechischen Regierung die völlige Ausrottung der Räuber 
kategorisch verlangte, so sah natürlich auch Haymerle die 
Erreichung dieses Zieles als höchst wünschenswerth an. Aber 
er verhehlte sich doch nicht, dass sich ihr in einem Lande, 
in welchem hiebei auf Mithülfe der Bevölkerung in gar keiner 
Weise zu zählen war, Schwierigkeiten entgegenthürmten, zu 
deren Besiegung die der griechischen Regierung zu Gebote 
stehenden Mittel kaum zulänglich erschienen. Nur allzu rasch 
gingen Haymerle's Besorgnisse in Erfüllung. Gegen seine 
Warnung trachtete man die Räuber zu umzingeln, und am 
22. April vollführten die griechischen Truppen einen energischen 
Angriff auf sie. Ein Theil der Räuber fiel in die Gewalt der 
Soldaten, ein anderer entkam auf türkisches Gebiet, von den 
Gefangenen aber fand man nur mehr die grässlich ver- 
stümmelten Leichname vor. Dass man die Räuber, deren man 



32 



habhaft geworden, dem Henker überlieferte, konnte an dem 
Schicksale ihrer unglücklichen Opfer nichts mehr ändern und 
Hess es nicht minder schrecklich erscheinen.' 

Anmuthend wirkt es, die Lebhaftigkeit des Interesse's zu 
beobachten, welches Haymerle bei seinem zweiten Aufenthalte 
in Athen in weit höherem Masse als bei dem ersten den 
archäologischen Forschungen sowie überhaupt Allem entgegen- 
brachte, was auf die althellenische Kunst und ihre Werke sich 
bezog. Schon der anregende Verkehr mit einem so glühenden 
Verehrer der Antike, einem so ausgezeichneten Kenner und 
Forscher wie Prokesch hatte Haymerle für diese Richtung 
gewonnen, und der rege Kunstsinn seiner Gemalin zog ihn 
noch weiter in derselben fort. Kam überdies noch deren Vater 
Bernus zu ihnen nach Athen, wie er denn wirklich fast einen 
ganzen Winter dort zubrachte, so war des begeisterten Wett- 
eifers in Kunststudien vollends kein Ende. Die Resultate seiner 
Beobachtungen und mehr noch die neuen Erscheinungen auf 
dem Gebiete der Nachgrabungen und sonstigen Erforschungen 
berichtete Haymerle regelmässig an Prokesch, und seine ziem- 
lich zahlreichen Briefe an ihn zerfielen stets in zwei von 
einander völlig verschiedene Theile, von denen der eine der 
politische, der andere aber der archäologische genannt wer- 
den darf. 

Trotz des mannigfachen Reizes, den eine solche Lebens- 
weise unzweifelhaft darbot, ist doch nichts begreiflicher als 
dass Haymerle, dessen Gemalin die klimatischen Verhältnisse 
in der Levante keineswegs wohlbekamen, seinen Posten in 
Athen gegen einen im westlichen Europa vertauschen zu 
können wünschte. Hiedurch wäre er auch dem Wohnsitze 
seines Schwiegervaters näher gekommen, denn dorthin zog es 
ihn und seine Gemalin immer wieder am meisten, und am 
liebsten verbrachten sie seine Urlaubszeit in dem waldesgrünen 
lauschigen Thale bei Heidelberg oder auf der reizenden Villa, 
die ihr Schwager, Freiherr von Erlanger, auf dem mittelalter- 
lich-geschichtlichen Boden der carolingischen Pfalz zu Ingel- 
heim im herrlichen Rheingau besitzt. Diesen Lieblingswunsch 



33 



in regelmässig wiederkehrenden Fristen zu erfüllen, wurde 
Haymerle durch seine im Januar 1872 geschehene Ernennung 
zum Gesandten im Haag wesentlich erleichtert. 

Ueber Neapel und Rom begab er sich nach Wien, und 
von dort nach dem Haag, wo er in den letzten Apriltagen 
eintraf. Nun begann für Haymerle eigentlich die ruhigste und 
behaglichste Zeit seines wechselvollen Lebens. In glücklichstem 
Zusammensein mit seiner Gemalin, die ihn am 15. Sep- 
tember 1874 mit einem langersehnten Sohne beschenkte, in 
trautestem Familienleben, auf einem Posten, auf dem ihm mehr 
die Rolle eines Beobachters der Weltereignisse als die eines 
Mitwirkenden an denselben beschieden war, flössen seine Tage 
in einer ihm bisher unbekannt gebliebenen, beneidenswerthen 
Ruhe dahin. Aber Niemand konnte weiter davon entfernt 
sein als er, diese Zeit der Ruhe als eine des Müssigganges zu 
betrachten. Gerade das Gegentheil war der Fall; auch jetzt 
wieder widmete Haymerle allen Vorkommnissen des öffent- 
lichen Lebens rege Aufmerksamkeit, und das Ergebniss seiner 
Beobachtungen und Betrachtungen legte er in Berichten nieder, 
welche die überaus günstige Meinung, die seine Regierung 
von ihm hegte, nur noch, befestigten und erhöhten. Allgemein 
erkennbaren Ausdruck fand dieses Urtheil über ihn durch 
seine Erhebung in den österreichischen Freiherrnstand, welche 
am 14. April 1876 in Anbetracht seiner, wie es in dem amt- 
lichen Actenstticke heisst, mehr als sechsundzwanzigj ährigen, 
sehr ehrenvollen und vielbewegten Dienstleistung, seiner un- 
gewöhnlichen Befähigung und der ganz ausgezeichneten Hal- 
tung geschah, die er als Gesandter in Athen und im Haag 
beobachtet hatte. 

Man würde übrigens Haymerle Unrecht thun, wenn man 
aus dem Eifer, mit dem er die Pflichten seines Berufes erfüllte, 
den Schluss ziehen wollte, er sei durch denselben ganz ab- 
sorbirt worden. Dem war keineswegs so; er legte vielmehr 
für das Meiste von dem, das sonst die Menschen beschäftigt 
und anregt, grosses Interesse an den Tag. Um aus Vielem 
nur Eines herauszugreifen, wird hier erwähnt werden dürfen, 

v. Arneth, Haymerle. o 



34 



dass Alles, was mit der Erziehung zusammenhing, von jeher 
ein Gegenstand seines Nachdenkens war. Schon vor Jahren, 
als er sich zum ersten Male in Griechenland befand, war er 
nicht sparsam mit Rathschlägen, die sich auf die Heranbildung 
des einzigen Sohnes seines Stiefbruders bezogen. „So ent- 
schieden ich stets der Meinung bin u , schrieb er dem Vater 
ans Athen im Januar 1858, „dass ein Mädchen, welches im 
Schosse der Familie Ziel und Aufgabe seines Lebens zu finden 
hat, nicht ohne dringende Notwendigkeit von der Seite seiner 
Eltern genommen werden soll, ebenso fest steht meine Ueber- 
zeugung, dass dem Knaben, will man einen tüchtigen Mann 
aus ihm machen, die Reibung mit anders gearteten Charakteren 
Noth thut Das Leben fordert seine Schule. Sowohl der 
nöthigen Selbstständigkeit als der gleichfalls unerlässlichen 
Fügsamkeit in äussere Verhältnisse wird man nur in unaus- 
gesetztem Verkehre mit Anderen t heilhaft; der Alleinstehende 
wird leicht verschlossen oder ein Träumer. Ich bin daher 
entschieden dafür, dass ein Knabe unter Altersgenossen auf- 
wachse: einem aufmerksamen Beobachter wird es ohnedies 
bald klar werden, ob er nicht eine Ausnahme macht und die 
Erziehung im väterlichen Hause ihm besser bekömmt. Bei 
der Wahl einer Erziehungsanstalt würde mich nur der Gedanke 
leiten, diejenige herauszufinden, welche die Berührung mit der 
Natur am meisten berücksichtigt und Intensität, nicht aber 
Vielseitigkeit der Bildung vorzugsweise anstrebt. tt 

Etwa vierzehn Monate später kam Haymerle seinem Stief- 
bruder gegenüber neuerdings auf diesen Gegenstand zurück. 
„Tritt bei Deinem Sohne", schrieb er ihm im März 1860 
ebenfalls aus Athen, „noch keine Lieblingsrichtung hervor? 
Sobald sich diese in unzweifelhafter Weise kundgibt, wirf ihn 
mit aller Macht hinein. Die allumfassende, encyclopädische 
Bildung bleibt stets unfruchtbar, obgleich sie das Ideal continen- 
taler Erziehung ist. Nur einseitige Menschen leisten Tüch- 
tiges, das beweisen uns die Engländer, die nicht gerade viel, 
das aber gründlich lernen und deren ganze Erziehung auf 
klassische Bildung, Entwicklung des religiösen Gefühls, Ge- 



35 



horsam in grossen Dingen, möglichste Selbstständigkeit in den 
täglichen Vorfallen des Lebens, endlich auf Anregung zu 
körperlicher Thätigkeit, insbesondere zu solcher sich richtet, 
die mit Gefahren verbunden ist. Ein achtzehnjähriger Eng- 
länder kann an Energie und Reife des Entschlusses füglich 
einem einundzwanzigjährigen Festländer an die Seite gestellt 
werden". 

Den Anschauungen, die er hier aussprach, blieb Haymerle 
auch in viel späteren Jahren, ja man kann wohl sagen, Zeit 
seines Lebens treu. Immer warf er der gegenwärtigen Er- 
ziehungs- und Bildungsmethode vor, dass sie zu viel nach der 
Schablone arbeite und generalisire, dass sie dem Einzelnen 
keine Zeit lasse und keine Möglichkeit gewähre, die ihm eigen- 
artige Anlage und Richtung zu entwickeln, eine bestimmt aus- 
geprägte Individualität zu werden. Immer gab er seiner Vor- 
liebe für die englische Erziehungsmethode Ausdruck und hob 
rühmend hervor, dass sie ihr Hauptaugenmerk auf Charakter- 
bildung richte, wenn er auch zugestand, dass etwas tiefere 
Studien den Engländern nicht schädlich sein würden. Schon 
in der Jugend müsse man, wiederholte er oft, Alles wach- 
halten und fördern, was Eigenart bekunde. Weniger Gelehrte 
brauchen wir, pflegte er zu sagen, und mehr Individualitäten 
und Charaktere. 

Brachte nun auch Haymerle, wie man sieht, dem eigent- 
lichen Gelehrtenthum nicht übergrosse Sympathieen entgegen, 
so schätzte er nicht nur die Gelehrsamkeit an Anderen hoch, 
sondern er war geradezu unermüdlich in der Fortentwicklung 
seiner eigenen Bildung. Rühmte er sich doch als Minister in 
öffentlicher Rede vor der österreichischen Delegation, mit 
Gregorovius befreundet zu sein. Und mitten im rastlosesten 
Getriebe des Geschäftslebens Hess er nicht ab, an dem Borne 
der Wissenschaft durch eifrige Lecture zu schöpfen. Hatte 
er in seiner Jugend die Nationalökonomie zu seinem Lieblings- 
studium erkoren, so blieb er ihr auch späterhin noch treu, 
widmete aber dem Staats- und Völkerrechte sowie der Ge- 
schichte nicht weniger Zeit. Noch in den letzten Monaten 



36 



seines Lebens las er die Weltgeschichte Ranke's, beschäftigte 
sich mit den Schriften des damals noch lebenden Bluntschli, 
den fast gleichzeitig mit ihm ein gleich plötzlicher Tod dahin- 
raffte, und vertiefte sich dann wieder in die Memoiren 
Metternichs, deren Publication er von Anfang an mit stets 
sich gleich bleibendem Interesse gefolgt war. 

Wenn man von Haymerle's Studien spricht, darf ein 
Gebiet nicht ausser Acht gelassen werden, auf dem er es zu 
ganz ungewöhnlicher Vollendung brachte, das der fremden 
Sprachen. In der orientalischen Akademie legte er die Grund- 
lage hiezu; ausser dem Französischen, der Sprache der 
Diplomatie, und dem Italienischen, das in der Levante die 
Geschäftssprache der NichtOrientalen bildet, wurde in der 
Akademie das Türkische, Arabische, Persische und Neu- 
griechische gelehrt. Zu den rtihmenswerthen Fortschritten 
Haymerle's in all' diesen Sprachen gesellte sich später die 
praktische Ausbildung, die sich insbesondere auf das Fran- 
zösische, das Italienische, das Türkische und das Neugriechische 
erstreckte. Nebstbei trieb er aus Privatfleiss das Englische 
mit Erfolg, und wenn sein Beruf ihn nach Ländern führte, 
in denen eine andere Sprache als die hier genannten herrscht, 
ging Haymerle eifrig darauf aus, sie sich in möglichst kurzer 
Frist anzueignen. So lernte er in Kopenhagen Dänisch, und 
es existiren sogar Briefe von ihm in dieser Sprache. Im 
Haag aber trachtete er Holländisch zu lernen, was ihm bei 
seinem seltenen Talente für derlei Studien auch leicht gelang. 

Haymerle' s steter Drang nach Vermehrung seines Wissens, 
dieser charakteristische Zug seines ganzen Wesens, äusserte 
sich bei ihm auch im Verkehre mit seiner Umgebung durch 
seine im Allgemeinen mehr forschende als expansive Be- 
theiligung am Gespräche, wenn nicht etwa die Ausübung 
seines Berufes ihn zum Heraustreten aus dieser Reserve ver- 
anlasste. Selbst in alltäglichen Dingen war ihm jede Gelegen- 
heit zur Erweiterung seiner Kenntnisse willkommen. Auf 
Reisen war es ihm ein stetes Bedürftiiss, sich über die gerade 
vorkommenden topographischen Verhältnisse genau zu 



37 



orientiren. Mit dem Interesse eines Generalstabsofficiers er- 
kundigte er sich beständig nach Wegen, Entfernungen, Ver- 
kehrsmitteln. Das in solcher Weise angeknüpfte Gespräch 
benutzte er dann wohl auch zu weiteren Fragen über Land 
und Leute, über wirtschaftliche, politische und Culturzustände. 
Mit Vorliebe suchte er jederzeit bei Fachmännern Belehrung 
über Dinge, die dem wissenschaftlichen, dem künstlerischen, 
dem technischen Gebiete angehören. Und leicht lässt sich 
ermessen, welch reiche Schätze des Wissens ihm eine solche, 
ein ganzes Leben hindurch unter den verschiedensten Himmels- 
strichen, von einem Ende Europa's zum andern geübte Praxis 
allmälig zuführen musste. 

Es versteht sich wohl von selbst, dass Haymerle bei 
seiner regen Vaterlandsliebe und bei dem Ernste, den er 
seinem Berufe entgegenbrachte, Oesterreich in den Ländern, 
in denen er eben beglaubigt war, würdig und erfolgreich zu 
vertreten, gerade das, was sein Heimatland betraf und sich 
dort zutrug, mit gespannter Aufmerksamkeit und tief- 
empfundener Theilnahme verfolgte. Sein höchstes Interesse 
nahmen Oesterreichs innere Zustände in Anspruch, und mit 
seinem Urtheile über dieselben hielt er gegen vertraute Freunde 
nicht zurück. Dem Constitutionalismus als solchem brachte er 
keineswegs, wie so Viele seiner Berufsgenossen, irgend welche 
Feindseligkeit entgegen. Voll und ganz stand er auf dem 
einmal gegebenen Boden der Verfassung, und daher der Partei, 
die ihn vertritt, wohl auch am nächsten, wenn er auch häufig 
ihre Haltung nicht billigte. Die Zweitheilung des Reiches 
bedauerte er tief, und nicht eine Stärkung, sondern eine 
Schwächung der Machtstellung desselben erblickte er in ihr. 
War sie aber einmal vollzogen und von allen gesetzgebenden 
Factoren feierlich anerkannt, dann sollte sie seiner Meinung 
nach auch in ihren Consequenzen vollstreckt und jeglicher 
Versuch unterlassen werden, sie nachträglich wieder zu ver- 
kümmern. Selbst ein gläubiger Katholik und Alles von der 
Hand weisend, was eine Erlahmung des religiösen Gefühles 
in der Bevölkerung herbeifuhren könnte, bewahrte er sich 



38 



jedoch auch in diesen Dingen ein ganz selbstständiges Urtheil. 
„Wenn ich sehe a , schrieb er im Januar 1875 an einen Berufs- 
genossen, „dass die Civilehe seit vielen Jahren in den am 
meisten katholischen Ländern ohne irgend eine Gefährdung der 
Religion und der Sitte besteht und von der Kirche dagegen 
nicht die leiseste Einsprache erhoben wird, so kann ich den 
Abscheu nicht begreifen, mit welchem Viele diese Einrichtung 
betrachten. Sie im Namen conservativer Grundsätze bekämpfen, 
muss vollends eine Begriffsverwirrung genannt werden." 

Von aussergewöhnlichen Erlebnissen Haymerle's während 
der Zeit seiner Anstellung im Haag ist nur ein kurzer Aus- 
flug nach England zu erwähnen, den er mit seiner Frau im 
Sommer des Jahres 1875 unternahm und dessen er sich 
ungemein belobte. „Wir haben", schrieb er zu Ende des 
September aus Stift Neuburg an einen seiner Brüder, „in 
Manchester das industrielle, in Liverpool das handeltreibende, 
in Nordwales das landschaftlich reizende, vegetationsstrotzende 
England, auf den Schlössern des Herzogs von Devonshire, des 
Earl ofWarwick und inWindsor die Grossartigkeit englischer 
Landsitze, wenn auch nur flüchtig gesehen. Im unabsehbaren 
London waren wir durch acht oder neun Tage, Einen der 
bleibendsten Eindrücke nahm ich von Oxford, einem Con- 
glomerate von Universitäten, oder wenn Du willst, von 
Theresianen *) mit den wunderbarsten Gebäuden und Ein- 
richtungen mit mir fort." 

Mehr als vier Jahre hatte Haymerle den Posten eines 
österreichischen Gesandten im Haag bekleidet; er fühlte sich 
dort zufrieden und glücklich und wünschte wenigstens vor 
der Hand keine Veränderung in seiner Stellung. Aber gerade 
die lebhafte Billigung der Art, in der er sie ausfüllte, lenkte 
neuerdings den Blick seiner Regierung auf ihn, als es darum 
sich handelte, für einen sehr hervorragenden Platz im 
Ministerium des Aeussern eine Arbeitskraft zu gewinnen, die 

*) Das There8ianum, die bekannte, von der Kaiserin Maria Theresia 
gestiftete und nach ihr benannte Erziehungs- und Unterrichtsanstalt 
in Wien. 



39 



der mit ihm verbundenen Aufgabe in jeder Beziehung ge- 
wachsen erschien. Wenngleich durchaus nicht unempfänglich 
flir das Ehrenvolle, das in einem solchen Projecte lag, hiess 
Haymerle doch die erste Nachricht von demselben nichts 
weniger als willkommen. Er hebte seine Unabhängigkeit und 
legte den höchsten Werth darauf, im diplomatischen Dienste, 
als der Carriere, der er angehörte, zu verbleiben; der 
Wirkungskreis im Ministerium sagte seiner Geschmacksrichtung 
nicht zu. „Du weisst", hatte er noch im April 1876 an einen 
ihm nahestehenden Freund geschrieben, „dass mir persönlich 
nichts Unerwünschteres begegnen könnte, als eine Verwendung 
im Inlande." Nur wenige Monate später trat jedoch das, 
was er so sehr gefurchtet, ihm wirklich entgegen, und mit 
völliger Unterordnung seiner selbst und seiner Interessen fugte 
er sich dem, was seine Regierung über ihn beschloss. 

So kam es dass Haymerle, nachdem er am 7. August 1876 
den Haag verlassen hatte, um den ihm alljährlich bewilligten 
Urlaub anzutreten, auf seinen dortigen Posten nicht wieder 
zurückkehrte. Zahlreiche Kundgebungen sehr hervorragender 
Personen, unter ihnen auch der jetzt verstorbenen Königin 
Sophie liegen vor, die den Beweis liefern, wie lebhaft man im 
Haag sein Scheiden und das seiner Gemahn beklagte. Die 
letzten Monate des Jahres 1876 verbrachte er in Wien, im 
Ministerium des Aeussern dienstlich verwendet. Aber zu einer 
bleibenden Anstellung daselbst kam es auch jetzt wieder nicht. 
Er erreichte vielmehr, und zwar in weit glänzenderer Weise, 
als er vor neunzehn und auch noch vor zehn Jahren es sich 
hatte träumen lassen, seinen sehnlichen Wunsch, eine diplo- 
matische Anstellung in Italien zu erhalten. Am 14. Januar 1877 
wurde er zum Botschafter am königlich italienischen Hofe 
und gleichzeitig zum Geheimen Rathe ernannt. 

Haymerle war nun der glückliche Besitzer eines Postens, 
den er selbst immer für den beneidenswerthesten in der ganzen 
diplomatischen Laufbahn erklärt hatte. Durch die Verleihung 
desselben wurde er zum ersten Male in seinem Lehen in eine 
Stellung versetzt, * in der er eine im grossen Style angelegte 



40 



Geschäftsthätigkeit zu entwickeln vermochte. Mit freudigem 
Stolze erfüllte ihn diese Erkenntniss, und sie trieb ihn an, 
sich so rasch als möglich an den Ort seiner neuen Bestimmung 
zu begeben. Am 30. Januar traf er in Rom ein; König 
Victor Emanuel, der damals in Neapel verweilte, kam, wie 
er selbst versicherte, eigens zu dem Zwecke nach Born, um 
Haymerle's Beglaubigungsschreiben persönlich entgegen zu 
nehmen. Dieser Schritt des Königs, und mehr noch die Art 
und Weise, in der er sich in der ersten Audienz, die er 
Haymerle gewährte, mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit ihm 
gegenüber aussprach, Hessen keinen Zweifel aufkommen an 
seinem ernstlichen Willen, mit Oesterreich und dessen Bot- 
schafter die besten Beziehungen zu unterhalten. In über- 
strömenden Ausdrücken der Dankbarkeit und der Bewunderung 
gedachte er des Besuches des Kaisers in Venedig. Damals 
habe er ihm, fügte Victor Emanuel hinzu, sein Ehrenwort 
verpfändet, sein Freund zu sein und es unter allen Umständen 
bleiben zu wollen; unverbrüchlich werde er hieran festhalten. 
Auch die Minister seien, versicherte der König, fest ent- 
schlossen, mit der österreichischen Regierung in freundschaft- 
lichem Einverständnisse zu leben. 

Die Aeusserungen Melegari's, des damaligen Ministers 
der auswärtigen Angelegenheiten im Cabinete Depretis, ver- 
vollständigten das, was der König gesagt hatte. Bis auf die 
Zeiten der Kaiserin Maria Theresia ging der Minister zurück, 
um den Beweis zu führen, dass das Haus Habsburg-Lothringen 
mit Italien innig verbunden sei. Jetzt noch lebe, liess er sich 
vernehmen, die Regierung der grossen Kaiserin als eine reich 
gesegnete in den Herzen der Italiener fort, während die 
spanische und die französische Herrschaft dort nur traurige 
Erinnerungen zurückgelassen hätten. Allerdings habe später 
das Erwachen des italienischen Nationalgefühls zu Streit und 
Kampf gegen Oesterreich geführt. Seitdem sich jedoch die 
italienische Nation selbstständig constituirte, müsse in der 
engsten Freundschaft mit Oesterreich die beste Politik Italiens 
erblickt werden. 



41 



Für Haymerle lag nicht die geringste Veranlassung vor, 
an der Aufrichtigkeit der Sprache des Königs und seines 
Ministers auch nur den leisesten Zweifel zu hegen. Auch 
unterschätzte er den Werth dieser Anschauungen für seine 
eigene Stellung in Rom und für die freundlichen Beziehungen 
zwischen den beiden Nachbarstaaten nicht. Noch viel höher 
hätte er ihn veranschlagt, wenn ihm nicht bekannt gewesen 
wäre, dass der König trotz energischer Versicherungen des 
Gegentheils doch nicht jenen constant wirkenden Einfluss auf 
die Angelegenheiten seines Landes, und insbesondere auf 
dessen auswärtige Geschäfte nahm, die eine vollkommen ver- 
lässliche Bürgschaft dafür dargeboten hätte, seine eigenen 
Impulse seien identisch mit denen, voü welchen seine Staats- 
verwaltung ausging. Und noch weniger zuversichtlich war 
trotz aller persönlichen Ehrenhaftigkeit seiner Mitglieder auf 
das Wort eines Ministeriums zu bauen, von dem man heute 
nicht wissen konnte, wie lang es sich im Amte behaupten 
und ob es nicht schon morgen politischen Gegnern Platz 
machen werde. 

Der Gang der Ereignisse bewies am besten, wie richtig 
Haymerle die Lage der Dinge in Italien beurtheilte. So eifrig 
auch der König versichern mochte, er werde Zeit seines 
Lebens des kaiserlichen Besuches in Venedig voll Dankbarkeit 
eingedenk sein, so bald trat doch derselbe, wenn auch nicht 
im Gedächtnisse des Königs, so doch in dem der Italiener in 
den Hintergrund zurück. Ihre Aufmerksamkeit wurde durch 
die Entwicklung der Dinge im Orient immer mehr gefesselt. 
Steigende Unruhe bemächtigte sich der Geister auf der Halb- 
insel, auf welcher sich Jedermann für Politik interessirt und 
gar Mancher sie auf eigene Faust machen möchte. Die 
Irredentisten erhoben wieder und in drohenderem Tone ihre 
Stimme, und sie verhehlten auch ihre Hoffnung, ja ihre Erwar- 
tung nicht, bald wieder zu einer activen Rolle berufen zu werden. 

Die italienische Regierung hielt sich zwar diesen Umtrieben 
fern, aber sie that doch nichts oder nur wenig, um ihnen zu 
steuern, und auch die versprochene Einmischung des Königs 



42 



liesß sich vermissen. Wenn aber Beide, der König und seine 
Regierung diese Versäumniss mit allerlei Vorwänden, ins- 
besondere mit der Hinweisung auf die feindselige Sprache, 
deren sie die österreichischen Journale anzuklagen suchten, zu 
entschuldigen sich bemühten, so gewährten sie hiedurch 
Haymerle ziemlich leichtes Spiel. Er sei, erklärte er ihnen, 
«nicht zum Verfechter der Haltung der Wiener Blätter bestellt. 
Aber man möge ihm doch die Artikel vorweisen, in denen sie 
es unternähmen, an dem territorialen Besitzstande Italiens zu 
rühren. Weder Vereine noch Journale gebe es in Oesterreich, 
die sich die Schmälerung des italienischen Gebietes zur Aufgabe 
machten, und die italienische Fresse möge sich dies zum 
Beispiel dienen lassen. Angriffe auf seine Politik könne 
Oesterreich ruhig hinnehmen, nicht aber solche auf die 
Integrität des Staates. Triest und Trient bildeten für Oester- 
reich keine Frage, und sie müssten aufhören, eine solche für 
Italien zu sein oder auch nur zu scheinen. 

Von keiner Seite konnte man gegen eine solche Sprache 
Stichhaltiges einwenden, und Victor Emanuel benutzte den 
Anlass, den der am italienischen Hofe beim Jahreswechsel 
gebräuchliche Besuch der Repräsentanten der fremden Mächte 
ihm darbot, um Haymerle neuerdings der Lauterkeit seiner 
Gesinnungen für Oesterreich und der Zuverlässigkeit seines 
verpfändeten Wortes zu versichern. Er wisse, so schloss der 
König das Gespräch, dass Haymerle es sich angelegen sein 
lasse, jeden Keim eines Zwiespaltes zwischen Oesterreich und 
Italien aus dem Wege zu räumen, und er sage ihm dafür 
seinen herzlichsten Dank. 

Dies waren die letzten Worte, die Haymerle aus dem 
Munde des Königs zu vernehmen vergönnt war, denn wenige 
Tage später, am 9. Januar 1878 starb Victor Emanuel 
plötzlich und sein Sohn Humbert bestieg nach ihm den Thron. 
Die Erklärungen, die er Haymerle gegenüber bei dessen 
erstem Empfange in warmem und herzlichem Tone abgab, 
entsprachen ganz den so oft wiederholten Aeusserungen seines 
verewigten Vaters. Und auch Depretis, der schon seit einiger 



43 



Zeit das Portefeuille der Finanzen mit dem der auswärtigen 
Angelegenheiten vertauscht hatte, liess sich fortwährend in 
dem gleichen Sinne vernehmen. Noch in dem Augenblicke 
geschah dies, als er Haymerle seinen Rücktritt als einen nahe 
bevorstehenden ankündigte. Sowohl in den Anschauungen des 
Königs, sagte er ihm, als in der Haltung der italienischen 
Regierung gegen Oesterreich werde dadurch keine Aenderung 
herbeigeführt werden, dass nun Cairoli mit seinen politischen 
Gesinnungsgenossen an das Staatsruder trete. 

Es ist eines von Haymerle's grossen Verdiensten, dass 
er — vielleicht der Erste unter seinen diplomatischen Collegen 
— die Natur der Gründe deutlich erkannte, die den Wechsel 
des Ministeriums herbeigeführt hatten. Sie lagen alle in der 
Entwicklung der inneren Angelegenheiten des Königreiches 
und die Italia irredenta hatte nichts damit zu schaffen. Jene 
Entwicklung aber trieb immer mehr dazu, den südlichen 
Provinzen des jungen Einheitsstaates einen grösseren, ja man 
wird wohl sagen dürfen, einen überwiegenden Antheil an der 
Leitung der Geschäfte zuzuwenden. Die Traditionen der 
piemontesischen Regierung wurden als Fesseln empfunden, 
und Italien suchte naeh neuen Männern, die der Politik der 
jüngsten Grossmacht auch neue Bahnen eröffnen sollten. 

Weder die Illusionen der Anhänger der Rechten, die 
ihre demnächstige Rückkehr zur Macht mit einer gewissen 
Zuversicht vorhersagten, noch die Befürchtungen, dass die 
Staatsmänner der Linken nichts Eiligeres zu thun haben 
würden, als sich in politische Abenteuer zu stürzen, wurden 
von Havmerle getheilt. Er hatte dessen auch kein Hehl und 
zog hieraus bald den Vortheil, dass die neuen Minister es mit 
Dankbarkeit empfanden, der Vertreter Oesterreich-Ungarns 
stehe ihnen ohne Misstrauen gegenüber, und er bringe ihren 
politischen Bestrebungen nicht weniger Interesse und Sympa- 
thieen entgegen, als er ihren Vorgängern gegenüber an den 
Tag gelegt hatte. 

War nun auch der Wechsel des Ministeriums in Italien 
durch die inneren Verhältnisse dieses Landes herbeigeführt 



Ix 



worden, so trat doch bald, und vielleicht gerade in Folge der 
beschwichtigenden Wirkung, welche die Einsetzung der neuen 
Regierung auf sie ausübte, Alles, was sich auf die äusseren 
Angelegenheiten, insbesondere die orientalische Frage bezog, 
mit verdoppeltem Gewichte in den Vordergrund. Jedermann 
erinnert sich noch der Beunruhigung, mit welcher die Erwar- 
tung, Oesterreich könnte zur Wahrung seiner Interessen im 
Orient einen entscheidenden Schritt thun, der in der Besetzung 
türkischer Nachbarprovinzen bestünde, die Italiener erfüllte. 
Die Parole gab man aus, dass hierin eine Störung der 
zwischen Oesterreich-Ungarn und Italien bestehenden Macht- 
verhältnisse zu Ungunsten des Letzteren erblickt werden 
müsse. Während die Einen zu Protesten hiegegen riethen, 
wollten die Anderen Ersatzansprüche erheben. Worauf die- 
selben abzielten, darüber Hessen die Irredentisten einen Zweifel 
nicht aufkommen. 

Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte eine so erregte 
Stimmung in dem Nachbarlande die österreichisch-ungarische 
Monarchie doch ziemlich ruhig lassen können. Am Vorabende 
der Entscheidung in einer wichtigen Phase der Orientkrise 
erheischte sie jedoch grosse Aufmerksamkeit und eine Energie 
und gleichzeitig eine Vorsicht, wie sie nur ungewöhnlich be- 
gabte Diplomaten zu rechter Zeit und am rechten Orte zu 
vereinigen und an den Tag zu legen wissen. 

In Haymerle war der richtige Mann für eine so überaus 
schwierige Aufgabe gefunden. Sie bestand darin, der 
italienischen Regierung darzuthun, dass eine Oesterreich feind- 
liche Haltung nur ihre eigene Isolirung herbeiführen müsse, 
während eine Handlungsweise, die ohne jeden Hintergedanken 
der in Venedig besiegelten Versöhnung und Freundschaft 
entspräche, der Stellung und den Interessen Italiens nur nützlich 
sein könne. 

Um so feineren Tact erforderte die Durchführung dieser 
Aufgabe, und um so mehr nahm sie alle rein persönlichen 
Eigenschaften des Botschafters in Anspruch, als sie durch 
nothgedrungene Reklamationen gegen allerlei Ausschreitungen 



45 



und Kraftäusserungen der italienischen Comitati nur noch zu 
einer verwickeiteren wurde. Denn da sich diese Reclamationen 
immer nur auf kleine, mehr symptomatische Vorfälle bezogen, 
so lag die Gefahr nicht fern, sie bei weniger geschickter 
Behandlung leicht den Charakter von Nergeleien annehmen 
zu sehen. Aber Haymerle wusste seine Haltung weit über 
einen solchen Vorwurf zu erheben. Dies konnte ihm nur 
dadurch gelingen, dass er die allgemeinen, die staatsmännischen 
Gesichtspunkte hervorzukehren und alle kleineren Beschwerden 
unter Vermeidung einer auf augenblicklichen Erfolg zielenden 
Geschäftigkeit mehr nebensächlich zur Erledigung zu bringen 
verstand. Die glücklichen Resultate dieser Wirksamkeit kamen 
zunächst auf dem Berliner Congresse zur Geltung, indem dort 
Oesterreich keinen Widerspruch von Seite Italiens erfuhr, als 
es darum sich handelte, für die Occupation Bosniens und der 
Herzegowina das einstimmige Votum der Mächte zu erlangen. 
Haymerle hatte in bewunderungswürdiger Weise die ihm 
gestellte dornenvolle Aufgabe gelöst und als Unterfeldherr 
Erfolge errungen, die für den ganzen politischen Feldzug eine 
entscheidende Bedeutung besassen. 

Die Erwähnung des Berliner Congresses fuhrt wie von 
selbst auf die zweite Phase der staatsmännischen Wirksamkeit 
Haymerle's, seitdem er durch seine Ernennung zum Botschafter 
des Kaisers in Italien in die vorderste Reihe der diplomatischen 
Personen getreten war. Neben den Grafen Andrässy und 
Kärolyi zum Bevollmächtigten Oesterreichs beim Congresse 
ernannt, kam Haymerle hiedurch in directen Contact mit 
den leitenden Staatsmännern unserer Zeit. Lord Beacons- 
field, sein unmittelbarer Nachbar am Congresstische, trat bald 
mit ihm in freundschaftlichen Verkehr; für die russischen 
Bevollmächtigten aber war seine genaue Kenntniss der Detail- 
fragen ein nicht ganz bequemes Element, mit welchem sie zu 
rechnen genöthigt waren. 

Diese Detailfragen, die durch politische Erwägungen allein 
nicht gelöst werden konnten, sondern welche concrete Kennt- 
niss der localen Verhältnisse, der ethnographischen und 



46 



commerciellen Beziehungen sowie der stufenweisen Ent- 
wicklung der Orientvölker erheischten, bildeten überhaupt 
das Gebiet, auf welchem Haymerle sich vorzugsweise zu be- 
wegen gleichsam von selbst angewiesen war, denn auf dem 
der grossen Politik führte naturgemäss der österreichische 
Minister des Aeussern für seine Regierung das Wort. Da 
zeigte es sich denn, dass der Mann, welcher eine Reihe von 
Jahren hindurch als eifriger Beamter und scharfsinniger Be- 
obachter in Constantinopel verweilt, der auch in Griechenland 
seinem Staate gedient und ihn dort rühmlich vertreten hatte, wie 
kaum ein Zweiter berufen und geeignet erschien, dem Minister 
des Aeussern an jenem Tische zur Seite zu sitzen, an welchem 
nicht nur europäische, dem Willen und Können der Mächte 
unterworfene Fragen, sondern auch solche behandelt wurden, 
an deren kleinen, aber unveränderlichen Bedingungen auch die 
schöpferische Staatskunst sich resultatlos verschwendet, wenn 
sie nicht den an und für sich unscheinbaren Launen von Berg- 
und Thalkrümmungen, Flussrichtungen, Volkssitten und 
Handelsgepflogenheiten sich billig und verständig zu fügen 
weiss. In all diesen Fragen hat Haymerle Oesterreich in 
Berlin nicht nur erfolgreich, sondern man wird wohl den 
Ausdruck gebrauchen dürfen, geradezu ruhmvoll repräsentirt. 
Denn im Laufe der Berathungen des Congresses ist es der 
dort versammelten Diplomatie gar häufig klar geworden, dass 
keine Congressmacht in ihrem Missionspersonal fachmännisch 
gebildetere und verlässlichere Kräfte zählte als die österreichisch- 
ungarische Monarchie. In allen Subcommissionen fiel ihren 
Vertretern eine leitende Rolle zu, und sogar mancher Antrag, 
der in öffentlicher Congresssitzung von einer anderen Macht 
gestellt wurde, war, wenn nicht von Wien aus fertig mit- 
gebracht, doch von österreichischer Seite ausgearbeitet worden. 
Die Verfechtung solcher Anträge im Schosse des Congresses 
musste Graf Andrdssy seinem Collegen überlassen, und auch 
diese Aufgabe verstand Haymerle in einer Weise zu lösen, 
die ihm neben seinem Minister in der Geschichte des Congresses 
einen sehr hervorragenden Platz sichert. 



47 



Von den übergrossen Anstrengungen, welche der ihm 
zufallende Antheil an den Arbeiten des Berliner Congresses 
ihm auferlegt hatte, suchte Haymerle auf Stift Neuburg und 
in dem Nordseebade zu Blankenberghe Erholung. Mit dem 
lebhaftesten Interesse verfolgte er von dort aus jede Kund- 
gebung, die sich auf das eben Erlebte sowie auf den Eindruck 
bezog, den die Resultate des Congresses überall und ins- 
besondere in England hervorbrachten. „Du begreifst", schrieb 
er in den ersten Augusttagen aus Blankenberghe einem in 
England ansässigen Freunde, der ihm regelmässig die dortigen 
Parlamentsverhandlungen zusandte, „Du begreifst wie mich 
alle diese Reden, Lobpreisungen und Kritiken interessiren, da 
ich als Einer der Auguren das Wahre vom Falschen, das vom 
Parteigeiste Eingegebene von den wirklichen politischen Ge- 
danken zu unterscheiden vermag. England hat nicht nur vor 
und auf dem Congresse eine grosse Rolle gespielt; der Kurs, 
den es steuern wird, seine Erfolge und seine Fehler werden 
auf lange Zeit hinaus massgebend sein für die Entwicklung 
der Weltpolitik. Die Reden Hartingtons und Gladstone's 
enthalten ohne Zweifel viel des Bestechenden, ja des Wahren. 
Aber bei den grossen Interessen, die auf dem Spiele stehen, 
liegt doch eine kleinliche und advokatische Argumentation 
darin, wenn man sagt: Du hast Russland das Protectorat und 
die Oberherrschaft über die Türkei bestritten und nimmst es 
nun wenigstens zur Hälfte selbst. Wenn irgendwo, so gilt in 
der Politik das Wort: Ja Bauer, das ist ganz was Anderes. 
Desshalb muss man an die Vorgänge auf dem Congresse auch 
einen anderen Massstab anlegen als etwa an Parlaments- 
debatten. Nicht Argumente stehen sich da gegenüber, sondern 
der verschiedene Wille der Mächte". 

„Zu meinem berühmten Nachbar am Congresstische, Lord 
Beaconsfield stand ich", fuhr Haymerle im Verlaufe dieses 
Briefes fort, „allerdings in den besten Beziehungen. Von ihm 
besitze ich ein Autograph, um das Du mich beneiden könntest, 
eine in der Sitzung, in welcher über die bosnische Ange- 
legenheit verhandelt wurde, mit Rothstift meisterhaft gezeichnete 



48 



Eiche. „Eine Ihrer bosnischen Eichen" sagte Beaconsfield 
lächelnd,- als er mir die Zeichnung übergab u . 

Mehr noch als das, was man in England sprach und 
schrieb, verfolgte Haymerle dasjenige, was sich in Italien 
zutrug, mit gespannter Aufmerksamkeit. Schon im Sommer 
1878 war dort zunächst durch die Besetzung Cyperns von 
englischer und dann durch die Occupation Bosniens und der 
Herzegowina von österreichischer Seite, während der Abschluss 
des Berliner Vertrages Italien keinen unmittelbaren Gewinn 
brachte, eine tiefgehende Verstimmung erzeugt worden, deren 
Spitze zunächst gegen den Vertreter Italiens in Berlin, den 
Grafen Corti sich kehrte. 

Haymerle war der festen Ueberzeugung, dass dem Letzteren 
von Seite seiner Landsleute schweres Unrecht geschehe. In 
dem soeben erwähnten Briefe sagte er dies offen, und gleich- 
zeitig sprach er sich auch über die Stellung Oesterreichs zu 
Italien aus. „Wir sind a , so lauteten seine Worte, „aufrichtige 
Freunde Italiens; wir wollen weder etwas revindiciren noch 
restauriren und unsere Rechnungen sind abgeschlossen, aber 
wir werden auch nicht einen Fuss breit Landes hergeben, sie 
mögen gegen uns schreien oder uns schmeicheln. Sie sollen 
also nur erkennen, dass sie ganz fruchtlos nach unseren 
Ländern, sei es laut begehren oder auch nur schielen, welche 
übrigens, nebenbei gesagt, weit glücklicher und besser ad- 
ministrirt als die italienischen sind. Denn die sogenannten 
Schmerzenstelegramme werden meistens in Verona und in Rom 
fabricirt". 

„Uebrigens fängt man", fuhr Haymerle fort, „auch in 
Italien schon an, sich des Spectakeis zu schämen. Jedenfalls 
war der Lärm ein verunglückter und er trug den Italienern 
von allen Seiten nur Zurechtweisung ein. Beinahe haben sie 
die vortreffliche Stellung, die sich ihre Bevollmächtigten auf 
dem Congresse bei allen Mächten erwarben, wieder verspielt, 
und sie sind viel zu klug, um das nicht 'einzusehen." 

Mit dieser letzteren Bemerkung hatte Haymerle doch nur 
in so fern Recht, als das unmotivirte Geschrei gegen den 



N 



49 



Grafen Corti allmälig wieder verstummte, während die Agi- 
tationen der Irredentisten von der ganzen Revolutionspartei in 
Italien mehr und mehr zu ihrer eigenen Sache gemacht 
wurden. Das Ministerium Cairoli liess dieser Bewegung freien 
Lauf, wenn sie ihm auch in ihrer Rückwirkung auf das Ver- 
hältniss Italiens zu Oesterreich höchst unwillkommen war. 
Es beschränkte sich darauf, sie durch den Mund eines seiner 
bedeutenderen Mitglieder, des Ministers des Innern, Herrn 
Zanardelli, der am 3. November vor seinen Wählern in Arco 
hierüber sprach, höchlich zu tadeln. Aber gleichzeitig erklärte 
der Minister, die Regierung könne nach den einmal bestehenden 
Gesetzen solche Bestrebungen nicht hindern, und Oesterreich, 
welches diese Gesetze kenne, habe um so weniger deren 
Aenderung und die Schmälerung der den Italienern zustehenden 
Freiheiten begehrt, als es von der loyalen Gesinnung der 
königlichen Regierung ohnedies tiberzeugt sei. 

Ein schreckliches Ereigniss, das ganz plötzlich und un- 
vorhergesehen sich zutrug, öffnete jedoch auch in Italien mehr 
als es bisher der Fall gewesen war, die Augen vor dem Ab- 
grunde, dem man zutrieb. Schon in den letzten Tagen des 
Juli hatten der König und die Königin eine Rundreise nach 
Turin, nach Mailand und Venedig angetreten und waren 
überall aufs herzlichste und glänzendste aufgenommen worden. 
Im Beginn der zweiten Hälfte des November begaben sie sich 
nach Neapel und wurden dort gleichfalls mit Enthusiasmus 
empfangen. Während der Fahrt durch die Stadt versuchte 
jedoch ein Mann aus der niedersten Volksklasse, Namens 
Passanante, ein Attentat auf den König zu verüben, aber er 
wurde hieran durch Cairoli gehindert. Mit der ganzen 
Lebendigkeit ihres Naturells feierten nun die Italiener das 
Misslingen dieses Anschlages. In Neapel zogen sechzigtausend 
Menschen vor den Palast, den König mit begeisterten Zurufen 
zu begrüssen; in den meisten Städten des Landes fanden 
stürmische Loyalitäts- Demonstrationen statt, und in Rom, 
wohin Haymerle seit dem 12. October zurückgekehrt war, 
sah er es mit freudiger Bewegung mit an, wie eine nach 

v. Arneth, Haymerle. £ 



50 

Tausenden zählende Volksmenge unter Vorantritt von Fackel- 
trägern und in Musikbegleitung über die Piazza Colonna nach 
dem Capitol zog. Als sie an dem von Hayme^le bewohnten 
Paläste Chigi vorüber kam, durch dessen glänzende Erleuchtung 
er gleichfalls Theil nahm an ihrer Demonstration, hielt sie an 
und brach in begeisterte Hochrufe aus auf Oesterreich und 
dessen Kaiser. Nicht blos die Journale, sondern auch 
politische Kreise gaben dieser Kundgebung die Deutung, die 
Bevölkerung wolle das gut machen, was bisher aus ihrer 
Mitte an Oesterreich gesündigt worden war. 

So gern nun auch Haymerle diesen Gedanken und den 
Ausdruck hinnahm, der ihm gegeben worden war, so wenig 
verkannte er doch all das Missliche, das daraus hervorgehen 
könne, wenn die Bevölkerung einer grossen Stadt sich gewöhne, 
die Vertreter der fremden Mächte in so unmittelbarer Weise 
von ihrer Befriedigung oder der Missbilligung ihrer Haltung 
zu unterrichten, und das Geschrei „fiiori i lumi, a mit welchem 
man vor anderen Botschaftspalästen deren Beleuchtung erzwang, 
gab ihm Recht. Er schloss daher auch der von dem fran- 
zösischen Botschafter Marquis de Noailles ausgehenden An- 
regung zu Schritten sich an, um ähnlichen Kundgebungen 
der Bevölkerung in Zukunft zu steuern. Und wirklich gingen 
die nächsten Festtage ohne irgendwelche Ausschreitungen 
vorüber. Denn schon am 24. November traf das italienische 
Königspaar wieder in Rom ein und es wurde dort mit den 
lautesten Freudenbezeugungen empfangen , von denen zum 
ersten Male auch die strengkatholische Partei und der bisher 
der italienischen Sache abgewendete Theil des römischen Adels 
sich nicht ausschlössen. 

Politisch viel wichtiger war es, dass auch die Führer der 
republikanischen Partei wie Saffi und Mario nicht umhin 
konnten, das Attentat zu verdammen und es in ihren Organen 
zu beklagen. Das Ministerium schöpfte aus alledem den Muth 
zu etwas entschiedenerem Auftreten. Es verbot der Gesellschaft 
der Irredentisten sowie dem Vereine der sogenannten Flücht- 
linge aus Trient und Triest, bei den Feierlichkeiten, die bei 



51 

der Ankunft des Königspaares stattfanden, als Corporation zu 
erscheinen. Und der Kriegsminister liess den Gerichtsbehörden 
den Auftrag zugegen, gegen die Theilnehmer an den Barsanti- 
Olubs einzuschreiten, die sich die Lockerung der Disciplin in 
der Armee zur speciellen Aufgabe gemacht hatten. Aber 
durch all' diese Massregeln konnte das Ministerium Cairoli 
das Schicksal nicht mehr von sich abwenden, mit welchem 
die conservativer gewordene Strömung der öffentlichen Meinung 
es bedrohte. Schon im December 1878 musste es einem neuen, 
dem dritten Cabinete Depretis weichen. 

Indem Letzterer zugleich die Leitung der Departements 
der auswärtigen Angelegenheiten und des Innern tibernahm, 
trat er als Träger des ersteren Portefeuilles in die gleichen 
und ebenso befriedigenden Beziehungen zu dem Botschafter 
Oesterreichs zurück, wie sie während seiner früheren Amts- 
führung zwischen ihnen bestanden hatten. Kein Vorwurf 
seiner Gegner hatte ihn empfindlicher getroffen und keinen 
trachtete er eifriger zu widerlegen als den, dass seine Politik 
die Früchte der Zusammenkunft des Kaisers Franz Joseph 
mit König Victor Emanuel in Venedig gefährdet habe. Mit 
Wärme und mit Nachdruck gab er dem Freiherrn von Haymerle 
gegenüber wiederholt die Erklärung ab, während der freilich 
ganz ungewissen Dauer seines Ministeriums werde das befrie- 
digende Verhältniss Italiens zu Oesterreich nicht nur nicht 
getrübt, sondern eifrig gepflegt und immer stärker befestigt 
werden. 

Mit ebensoviel Dankbarkeit nahm Haymerle diese Vei> 
Sicherungen entgegen als es ihn freute, dass auch die Hand- 
lungen des Ministers Depretis seinen Worten nicht wider- 
sprachen. Daher beglückwünschte er ihn auch aufrichtigen 
Herzens, als in den ersten Tagen des April 1879 die italienische 
Kammer den Massregeln, die er zur Bekämpfung und Unter- 
drückung der von den republikanischen Vereinen in Mailand 
und anderen Städten herbeigeführten Unruhen getroffen hatte, 
ihre Billigung aussprach. Was nur Erfreuliches für die 
italienische Regierung sich zutrug, begegnete der lebhaften 



52 



Theilnahme des bei ihr beglaubigten Botschafters Oesterreichs. 
Dabei wusste er seine Pflicht gegen den Staat, dessen officieller 
Vertreter er war, mit seinen Sympathieen für das Land, in 
welchem er ihn repräsentirte, in wahrhaft bewunderungs- 
würdiger Weise in Einklang zu bringen. So wie er es jenem 
Freunde gegenüber einmal in vertraulicher Mittheilung gethan, 
so zog er in Italien vor Jedem, bei dem er es für gut an- 
gebracht hielt, mit schärfster Präcision die zu beobachtende 
Grenzlinie. Völlige Unantastbarkeit des österreichischen Ge- 
bietes, gänzliche Ausschliessung jeder eine etwaige Schmälerung 
desselben in ihren Kreis ziehenden Discussion, und totale 
Aussichtslosigkeit aller hierauf gerichteten Bestrebungen, dies 
war das oberste Axiom, welches Haymerle mit aller Ent- 
schiedenheit aufstellte und dessen unverrückbare Beobachtung 
er von Jedermann in Italien kategorisch verlangte. Halte man 
aber auf italienischer Seite hieran fest, dann könne man von 
Oesterreich der ausgiebigsten Beweise rückhaltlosen Wohl- 
wollens, und zwar ebensowohl auf dem Gebiete der allgemeinen 
Politik als dem der freundnachbarlichen Beziehungen beider 
Staaten zu einander gewiss sein. 

Es wurde Haymerle nicht schwer, die Sympathieen Oester- 
reichs für Italien, wenn letzteres jene erste Bedingung treulich 
erfüllte, zu allgemein erkennbarem Ausdrucke zu bringen, da 
er sie für seine Person auch wirklich empfand. Ein Haupt- 
mittel, die Italiener hievon zu überzeugen, bestand in dem 
warmen Antheil, den er auch ihren inneren Angelegenheiten 
und Zuständen jederzeit widmete. So lang er in Rom weilte, 
interessirte er sich ebensosehr für die Frage der Mahlsteuer 
als für das Verhältniss Italiens zum Papste, für die Reform 
des Wahlgesetzes wie für die finanziellen Angelegenheiten des 
Landes. Und auch dadurch wusste er sich Ansehen und 
Hochachtung zu erringen, dass er nicht in den bei Diplomaten 
fast zur Regel gewordenen Fehler verfiel, ausschliesslich in 
der vornehmsten Schichte der Gesellschaft zu verkehren und 
den politisch meistens viel wichtigeren und einflussreicheren 
Kreisen und Personen fremd gegenüber zu stehen. Gar oft 



53 



hat er schriftlich und mündlich die Absurdität eines solchen 
Verfahrens gepredigt, und nirgends kam es ihm mehr zu Gute 
als in Rom, dass er von demselben sich jederzeit frei hielt. 

Nicht wenig trug auch, ihm dort die allgemeinen Sym- 
pathieen zu gewinnen, die Lebhaftigkeit des Interesse' s bei, 
das er und seine Gemahlin flir die Ueberreste des Alterthums 
und die Werke der Kunst an den Tag legten. Jedermann 
weiss ja aus eigener Erfahrung, wie sehr es erfreut, wenn das 
gefällt, was man besitzt, und diese Eigenschaft einzelner Indi- 
viduen überträgt sich auch auf die Bevölkerungen ganzer 
Städte und Länder. Nicht unbemerkt blieb es in Rom, dass 
das Ehepaar Haymerle mit gleichem Eifer, wie es vor einer 
Reihe von Jahren in Athen ihn bewiesen, jetzt auch in Rom 
zu den Ruinen, den prächtigen Bauten, den Kunstschätzen 
pilgerte, wie fast jeden Tag die Zeit der Müsse einer solchen 
Wanderung geweiht war. Und nicht wenig trug endlich, sie 
Beide beliebt zu machen, die edle Gastfreundschaft bei, die 
sie übten, und durch welche sie ihr Haus zu einem mit Vor- 
liebe aufgesuchten Sammelplatze für Alle gestalteten, die in 
irgend einer Beziehung Anspruch auf gesellschaftliche oder 
persönliche Geltung erheben konnten. 

Treue Pflichterfüllung ist das untrüglichste Mittel, sich 
nicht nur die Anerkennung derer, ftir die sie geübt wird, 
sondern auch die Achtung derjenigen zu erwerben, die hiebei 
zwar nicht betheiligt, aber Augenzeugen derselben sind. Und 
den Anblick solch treuester Pflichterfüllung hat Haymerle so 
wie überall, wo er gewesen, so auch in Rom unausgesetzt 
dargeboten. Nur mochte er dort in Folge der hervorragen- 
den Stellung, die er daselbst einnahm, noch mehr bemerkt 
werden, als es wohl anderwärts geschehen war. 

Haymerle besass eine ebenso ausserordentliche Arbeits- 
kraft wie Arbeitslust; die Arbeit war sein Lebenselement. 
Wer sich, wie es auch heutzutage noch nicht selten geschieht, 
unter einem Diplomaten einen Mann vorstellt, der nur die 
äusseren Formen ernst nimmt und in das Wesen der Dinge 
nicht eindringt, der hätte in Haymerle gerade das Gegentheil 



54 



gefunden. Die äusseren Formen hatten für ihn keinen höheren 
Werth, als den sie wirklich verdienen, aber er war zu sehr 
ein Kind seiner Zeit, seine Auffassung war eine zu sachliche 
und realistische, als dass er sich je in blossen Formen zu 
verlieren vermocht hätte. Durchaus ein Diplomat der moder- 
nen Schule, voll scharfer Beobachtungsgabe und voll Schnei- 
digkeit, ein Interesse seines Staates oder eines der Angehörigen 
desselben zu schützen, war er ein sprechender Beweis für die 
Unrichtigkeit der so oft wiederholten Behauptung, dass der 
Telegraph die diplomatische Vertretung überflüssig mache* 
Auch ohne besondere Instruction fand er allzeit den richtigen 
Weg. 

Dass Haymerle eine lebhafte Vaterlandsliebe besass und 
den Enthusiasmus seiner Jugend für sein theures Oesterreich 
sich bis in die reiferen Jahre zu bewahren gewusst hatte, er- 
füllte die Italiener gleichfalls mit Respect. Und wirklich kann 
seine heisse Liebe zu Oesterreich die nie erschlaffende Trieb- 
feder seiner ganzen Thätigkeit genannt werden; er war ein 
Grossösterreicher im vollsten Sinne dieses Wortes. Im Dienste 
seines Staates, seines Kaisers kannte er keine Lässigkeit, 
keine Ermüdung. Nicht ein Opfer, nein, ein Bedürfhiss, ein 
Herzenstrieb war es ihm, jede Stunde des Lebens dem zu 
weihen, was er als seine Pflicht erkannte. Nichts war ihm 
zu geringfügig, sich damit zu beschäftigen, sobald er einen 
Vortheil für Oesterreich darin wahrnahm. Und er begnügte 
sich nicht damit, die Liebe zu Oesterreich rein und unver&lscht 
in der eigenen Brust zu tragen, sondern er trachtete auch, 
so oft sich ihm ein Anlass hiezu darbot, sie in den Herzen 
seiner im Auslande lebenden Landsleute anzufachen und zu 
stärken. Alle Oesterreicher zog er an sich heran, und er 
wünschte, sie sollten das Botschaftshotel als österreichischen 
Boden, als Heimatsland betrachten. Jedem von ihnen brachte 
er ein warmes Herz entgegen, und auch er selbst blieb dabei 
nicht ohne Gewinn, denn es that ihm wohl und war ihm Be- 
dürfhiss, von der Heimat zu reden und ihr in ihren ver- 
schiedensten Elementen und Bestrebungen nahe zu treten. 



55 

Wie oft sprach er nicht seinen jüngeren Landsleuten, auch 
wenn sie nur geringem Stande angehörten, aus Anlass ihrer 
Einberufung zu den Waffenübungen Muth zu, tröstete sie 
über das manchmal recht schwerwiegende Opfer, das sie, dem 
Gesetze gehorsam, bringen mussten, und suchte sie mit der 
Ueberzeugung zu erfüllen, die liebe zum Vaterlande könne 
keinen schöneren Ausdruck finden, als wenn ihm gegenüber 
Jeder in seiner Sphäre seine Pflicht thue. 

Es konnte unmöglich ausbleiben, dass der, welcher seinen 
Staat in so musterhafter Weise im Auslande vertrat, auch in 
seiner eigenen Heimat zu immer höherer Geltung gelangte. 
Man wusste das in Rom, uud es trug nicht wenig dazu bei, 
das Ansehen, welches Haymerle dort genoss, noch beträchtlich 
zu erhöhen. Denn das Wesen diplomatischer Vertretung liegt 
ja nicht bloss in der intelligenten Ausfuhrung erhaltener In- 
structionen und in der richtigen Information der eigenen 
Regierung. Es liegt hauptsächlich in der persönlichen Wert- 
schätzung, deren sich der Diplomat sowohl in dem Staate, 
den er vertritt, als in dem Lande erfreut, in welchem er 
dient. Und die Erkenntniss der Geltung, welche Havmerle 
bei der österreichischen Regierung besass, trug nicht am 
wenigsten dazu bei, ihm auch in Rom eine immer festere 
Stellung zu erwerben. So tief eingewurzelt war sie schon 
nach einem bloss dritthalbjährigen Aufenthalte Haymerle's in 
Italien, dass auch ein damals eintretendes, für Havmerle ganz 
unvorhergesehenes Ereigniss, welches in Italien sehr grosses 
Aufsehen erregte, sie nicht zu erschüttern vermochte. 

Gegen die Mitte des Juli 1879, gerade in dem Augen- 
blicke, als wieder einmal das Cabinet Depretis einem Ministerium 
Cairoli Platz machte, verliess Havmerle eilfertig Rom, weil 
eine Besorgniss erregende Krankheit seines Söhnleins ihn 
nach Stift Neuburg rief, wohin ihm seine Gemalin mit ihrer* 
Kindern vor einigen Wochen vorangegangen war. Nachdem 
die ärgsten Befürchtungen glücklich überstanden waren, über- 
siedelten sie insgesammt nach dem Bade Rippoldsau in einem 
jener engen Thäler des Schwarzwaldes, in denen die Nadel- 



56 



holzwälder bis hart an die stillen Ortschaften reichen. Dort 
fand er, wie er in einem Briefe an seinen Bruder Alois 
schrieb: „O Wonne, keinen einzigen Bekannten", und er 
hoffte mit Zuversicht darauf, sich durch längere Zeit der er- 
sehnten Ruhe erfreuen zu dürfen. Man kann freilich nicht 
sagen, dass er in ihrem Genüsse durch das Erscheinen der 
von eben diesem Bruder verfassten Schrift: „Italicae res tt 
eigentlich gestört worden sei. Aber bei der lebhaften Theil- 
nahme, die er Allem, was seine Angehörigen betraf, jederzeit 
widmete, und bei der Eigentümlichkeit seiner Stellung in 
Italien konnte doch die gewaltige Aufregung, welche diese 
Publication hervorbrachte, auch ihn nicht ganz gleichgültig lassen. 

Alois Ritter von Haymerle, damals Oberst im General- 
stabe, hatte schon vor der Ernennung seines Bruders Heinrich 
zum Botschafter in Rom dort die Stelle eines österreichischen 
Militär-Attaches eingenommen. Etwas mehr als zwei Jahre 
hindurch hatten beide Brüder mit ihren Familien in glücklicher 
Vereinigung in einer und derselben Stadt zugebracht, da traf 
den Jüngeren von ihnen die Reihe, das Commando einer 
Brigade zu übernehmen. In Folge dessen musste er in der 
ersten Hälfte des April 1879 von Rom scheiden und sich 
nach Königgrätz begeben, wohin seine neue Bestimmung ihn 
rief. Von hier aus veröffentlichte er unter dem oben citirten 
Titel das Ergebniss der Beobachtungen, die er in seinem 
Fache in Italien gemacht hatte, und die Folgerungen, die er 
aus ihnen hinsichtlich eines etwaigen militärischen Conflictes 
zwischen diesem Staate und Oesterreich zog. . 

Es ist leicht begreiflich, dass man in Italien auf den 
Gedanken gerieth, dass die Arbeit des Obersten Haymerle 
zunächst der Inspiration seines Bruders, des Botschafters, ihr 
Entstehen verdanke, und doch war nichts grundloser als diese 
allerdings naheliegende Vermuthung. Der militärische Theil 
der Broschüre kam dem Botschafter Haymerle zum ersten Male 
zu Gesicht, als sie gedruckt vor ihm lag; in dem politischen 
dagegen fand er freilich zumeist nur seine eigenen Anschauungen 
wieder. In der ganzen Angelegenheit aber zeigte er neuerdings 



57 



recht deutlich, wie sehr er sich zu seinem Vortheile von dem 
gewöhnlichen Schlage der Diplomaten unterschied, die vor 
nichts angstvoller als vor einem offenen und freimüthigen Worte 
zurückbeben und deren oberster Lebensgrundsatz in nichts 
Anderem besteht, als jeder entschiedenen Aeusserung sorgfältig 
aus dem Wege zu gehen, um sich nur ja nicht zu compro- 
mittiren. Haymerle fand und vertrat es nach jeder Richtung 
hin, sein Bruder habe wenigstens in politischer Beziehung nur 
die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt, während er 
sich über die militärische Seite der Arbeit kein Urtheil erlaubte. 
Ob es gerade zweckmässig war, dass sie schon so bald nach 
dem Rücktritte seines Bruders von dem Posten eines öster- 
reichischen Militär- Attaches in Rom und während einer Zeit 
veröffentlicht wurde, in der er selbst noch als Botschafter dort 
beglaubigt war, liess Haymerle freilich dahingestellt sein. 

In dem Augenblicke, in dem dies Alles sich zutrug, 
hatte es übrigens schon den Anschein gewonnen, als ob 
Haymerle jenen Posten nicht lang mehr beibehalten sollte. 
Die Veröffentlichung der „Italicae res a war zwar ohne allen 
Einfluss hierauf geblieben; ja er hatte im Gegentheil mit 
nicht geringer Befriedigung wahrnehmen können, dass durch 
sie seine eigene Stellung in Italien, das Vertrauen, das man 
dort zu ihm hegte, keine Beeinträchtigung erlitt. Aber schon 
in Rippoldsau waren ihm die ersten Andeutungen zugekommen, 
dass man in Wien an eine andere Bestimmung für ihn denke. 
Obgleich noch nicht darüber im Klaren, worin sie eigentlich 
bestehen sollte, waren doch er selbst und seine Gemahn 
hiedurch in nicht geringe Beunruhigung versetzt worden. 
Jeder Veränderung würde er, schrieb er in den ersten Tagen 
des September aus Ingelheim an seinen Bruder, den schönsten 
Posten zum Opfer bringen müssen, den der Staatsdienst nur 
bieten, der jeden Wunsch, jeden Ehrgeiz befriedigen könne. 
Ueber ihn hinaus liege nur Ungewissheit und Sorge. Dennoch 
habe er, so viele sachliche und persönliche Gründe auch dafür 
sprächen, den an ihn ergangenen Ruf nicht absolut ablehnen 
können. 



1 



58 



Man weiss dass derselbe darin bestand, Haymerle möge 
statt des zu freiwilligem Rücktritte entschlossenen Grafen 
AndrAssy das Portefeuille des kaiserlichen Hauses und der 
auswärtigen Angelegenheiten übernehmen. 

„Du kannst Dir kaum vorstellen", so lauten die Worte, 
welche Haymerle am 17. September schon von Wien aus an 
seinen Bruder Alois richtete, „wie schwer mir der Entschluss 
wurde, die Stelle anzunehmen. Es gibt kein Bedenken, 
das ich mir nicht gemacht und das ich nicht dem Kaiser in 
anderthalbstündiger Audienz vorgetragen hätte. Ich fand einen 
so ausgesprochenen Wunsch, eine so ausgesprochene Erklärung, 
dass kein Anderer dem Kaiser entspreche und dass meine 
Wahl nicht erst von heute datire, sondern nur nach Erwägung 
aller von mir geäusserten Bedenken geschehen sei, dass ich 
schliesslich den Muth zu einem entschiedenen Nein nicht 
in mir fand. Ich entwickelte auch dem Kaiser mein Programm, 
welches, so weit dies von uns abhängt, ein durchaus fried- 
liches, und zwar nicht blos auf Erhaltung des Friedens, sondern 
auf Verbreitung einer friedlichen Stimmung gerichtetes ist. Die 
entschiedenste Billigung wurde mir zu Theil. u 

„Jetzt muss ich meine Bedenken hinter mich werfen und 
muthig vorwärts schauen. Illusionen mache ich mir keine, 
und den Schmerz, unsere wundervolle Existenz in Rom auf- 
opfern zu müssen, werden sowohl ich als Therese niemals 
ganz verwinden.« 

Mit kaiserlichem Handschreiben vom 8. October 1879 
wurde Haymerle's Ernennung zum Minister vollzogen und 
am selben Tage legte er den Diensteid in die Hände seines 
Monarchen ab. Am nächsten Tage geschah die Vorstellung 
der Beamten des Ministeriums. Haymerle richtete eine An- 
sprache an sie, die mit den folgenden Worten schloss: 

„Das Werk, welchem Graf Andrässy durch acht Jahre 
seine hingebende Thätigkeit gewidmet hat, und zwar mit 
einem Erfolge, welchen nur derjenige beurtheilen kann, dem 
der vollste Einblick in die politischen Verhältnisse der 
Monarchie gewährt war, habe ich nun fortzusetzen, und 



59 



hiebei hoffe ich mich von Ihrem Vertrauen unterstützt zu 
sehen. Darum habe ich Ihnen nur Eine Bitte zuzurufen: 
„Sursum corda! a 

Nur mit Wehmnth kann derjenige, der sich die Aufgabe 
gestellt hat, wenngleich nur in raschen Zügen den Lebenslauf 
des Freiherrn von Haymerle zu skizziren, an dessen letzte 
und glänzendste Periode, an die nur allzu kurze Zeit heran- 
treten, während deren er an der Spitze des Ministeriums der 
auswärtigen Angelegenheiten stand. Dieser Wehmuth gesellt 
sich das Bedauern, dass aus leicht begreiflichen Rücksichten 
gerade diese Action Haymerle's nicht mit jenem Eingehen 
auf deren einzelne Richtungen und Theile besprochen werden 
kann, wie dies hinsichtlich seiner früheren Lebensabschnitte 
versucht wurde. Denn aus der von ihm übernommenen 
Mission hat ihn der Tod wie mit besonderer Tücke gerade in 
einem Augenblicke gerissen, in welchem er selbst im Begriffe 
gewesen zu sein scheint, einen weiteren Ausblick auf sein 
Wirken in's Grosse, auf seine Ideen und Plane zu eröffnen. 
Personen, die fortwährend mit ihm verkehrten, wissen von 
ihm selbst, dass er mit dem Gedanken sich trug, seine Scheu 
vor Programmen und principiellen Excursen gerade in der 
bevorstehenden Session der Delegationen insofern zu über- 
winden, als er sich über die Beziehungen der Monarchie zu 
allen Mächten aussprechen wollte. Nicht nur vom Gesichts- 
punkte der orientalischen Frage aus, der seit Jahren als der 
für die österreichischen Interessen allein ausschlaggebende 
angesehen wird, und dem er so tiberwiegende Geltung ein- 
zuräumen keineswegs geneigt war, gedachte er dies zu thun. 
Die Kothbticher, welche während seiner Amtsführung erschienen, 
und von denen ihm insbesondere das letzte so anerkennende 
Nachrufe verschafft hat, geben nur lückenhafte Aufschlüsse 
über das Ganze seiner Politik oder über das, was er als 
Ganzes anzustreben beschlossen hatte. Niemand kann an 
Stelle der nun für immer geschlossenen Lippe das Wort 
nehmen und verkünden, was ihr nicht beschieden war zu 
enthüllen. Aber man kann doch auf gar manche Anfänge 




60 



hindeuten, welche weit über das stricte Programm einer blossen 
Vollstreckung des Testamentes des Grafen Andr&ssy hinaus- 
gehen und die Bahnen ganz selbstständigen Wirkens sehr 
deutlich erkennen lassen. 

Um ihre Richtung und die durch sie erreichten Erfolge, 
sowie diejenigen, auf welche sie berechtigte Aussicht verlieh, 
gehörig würdigen zu können, wird man gleichsam symptomatisch 
verfahren müssen. Denn da die äussere Politik mit den 
fremden Staaten gemacht wird, muss man sie auch von dem 
Standpunkte beurtheilen, welchen deren Regierungen ihr 
gegenüber einnehmen. 

Während der vor Kurzem zum Abschlüsse gebrachten 
Verhandlungen der Delegationen ist von Seite des Regierungs- 
vertreters die Mittheilung gemacht worden, dass wenigstens 
bis dahin über eine Zusammenkunft der Kaiser von Oester- 
reich und Russland eine Verhandlung nicht gepflogen worden 
war. Aber es ist ungesagt geblieben, ob dies nicht geschah, 
weil eine solche Zusammenkunft nicht thunlich, oder weil sie 
nicht nöthig befunden wurde. lOhnc den Eingeweihten spielen 
zu wollen, wird der aufmerksame Beobachter wohl unbedenklich 
das Letztere annehmen können. Offenbar ist es Haymerle 
schon früher und wohl auch schon vor der Entrevue in 
Danzig gelungen, sei es durch specielles Entgegenkommen, 
sei es durch die friedliche Tendenz seiner Politik im All- 
gemeinen die Empfindlichkeiten an der Newa zu beschwichtigen 
und wenigstens die officiellen Kreise Russlands von den 
conservativen und friedliebenden Absichten des österreichischen 
Cabinetes zu üherzeugen. 

Das intime Verhältniss zwischen Oesterreich und Deutsch- 
land, von Haymerle, so viel es an ihm lag, aufs sorgfältigste 
befestigt und genährt, konnte nur allzu leicht in Russland, 
das lässt sich kaum bestreiten, Besorgnisse erwecken, die mit 
der Zeit auch ohne einen eigentlichen Conflict der beider- 
seitigen Interessen zu einem gespannten, wenn nicht zu einem 
feindseligen Verhältnisse zu führen vermochten. Noch bei 
Lebzeiten des verstorbenen Czars Hess es sich Fürst Bismarck 



61 



angelegen sein, einem solchen Unglücke — denn das wäre 
es fiir den Weltfrieden geworden — durch Betonung einer 
versöhnlichen Politik im voraus zu begegnen und so den 
panslavistischen Hetzern in St. Petersburg den Vorwand zu 
Alarmrufen zu benehmen. Es lässt sich nicht vermuthen, 
dass Baron Haymerle in diesem Bestreben hinter dem Fürsten 
Bismarck zurückgeblieben sei. Und ist es ihm gelungen, ein 
Verhältniss herbeizuführen, welches ihn die Danziger Zusammen- 
kunft ohne alle Besorgniss betrachten liess, so hat er damit 
etwas gethan, wofür man ihm in Oesterreich zu lebhaftem 
Danke verpflichtet zu sein hat. Denn über die Zweckmässig- 
keit von Allianzen lässt sich streiten. Darüber sind jedoch die 
Verständigen und Besonnenen überall einig, dass es Thorheit 
wäre, einem mächtigen Nachbar gegenüber einen Zustand 
aufkommen zu lassen, der zwischen Krieg und Frieden 
schwankt. Wenn wir in Frieden mit einander leben, so wollen 
wir auch Ruhe vor einander haben. Der Freund kann seine 
Stimme geltend machen, nicht der Feind; darin bestanden 
Haymerle's Principien, und Niemand wird bestreiten, dass sie 
die richtigen waren. 

Dass während der Amtsführung Haymerle's das Ver- 
hältniss Oesterreichs zu Deutschand ein thurmhoch über alle 
Zweifel hinausragendes war und auf vollster Uebereinstimmung 
hinsichtlich der Beurtheilung aller politischen Fragen beruhte, 
ist Jedermann bewusst und braucht hier nicht näher nach- 
gewiesen zu werden. Italien gegenüber beharrte Haymerle 
als Minister auf der gleichen Bahn, auf der er als Botschafter 
gewandelt war. Mit welchem Erfolge dies geschah, hat der 
Besuch des italienischen Königspaares in Wien am deutlichsten 
bewiesen. Ohne dass politische Abmachungen von irgend 
einer Seite beabsichtigt waren, ging die so überaus herzliche 
Begegnung der zwei Monarchen vor sich. Sie wird ihre 
Früchte tragen und ihre Resultate werden unauflöslich mit 
dem Namen des Mannes verknüpft sein, der das Verdienst, sie 
geschaffen zu haben, sowohl als Botschafter wie als Minister wohl 
zum grösseren Theile für sich in Anspruch nehmen durfte. 



62 



In England trat kurz nach Haymerle' s Ernennung -zum 
Minister statt des ihm persönlich befreundeten und für Oester- 
reich so wohlwollenden Lord Beaconsfield Gladstone an's 
Ruder. Wie seit diesem Zeitpunkte die Ansichten dieses 
Staatsmannes über Oesterreichs Wirken und Zielpunkte sich 
änderten, zeigt die Verschiedenheit seiner jetzigen von seiner 
früheren Sprache so deutlich, dass man fiirwahr kein grosser 
Politiker zu sein braucht, um dies zu erkennen. Und man 
wird kaum fehlgehen, wenn man der jeden Zweifel von 
vorneherein abschliessenden Deutlichkeit, mit welcher Haymerle 
manchmal einer von der britischen Regierung ausgehenden 
Anregung ein entschlossenes „Nein" entgegensetzte, diese 
Wirkung zuschreibt. Denn es hiesse den englischen National- 
charakter verkennen, wenn man nicht annähme, dass gerade 
Haymerle's entschiedene Haltung den Beziehungen Oesterreichs 
zu England wesentlich genützt habe. Unmöglich konnten 
die Briten eine Sprache übel aufnehmen, die sie selbst mit 
solcher Vollendung zu reden verstehen. Und derjenigen 
Haymerle's ist es wohl zunächst zu verdanken, dass die 
montenegrinische Frage auch ohne Anwendung, die noch viel 
schwierigere griechische aber sogar ohne Androhung von Ge- 
walt in befriedigender Weise gelöst wurde. 

Ueberhaupt trat bei der Thätigkeit, die Haymerle als 
Minister entwickelte, noch weit mehr als bei seiner früheren 
als Botschafter die ganz eigentümliche Erscheinung zu Tage, 
wie sehr er mit seinem im Allgemeinen so milden und ver- 
söhnlichen, zumeist nur auf Beschwichtigung und Frieden 
ausgehenden Wesen doch auch energisches Auftreten zu ver- 
knüpfen verstand. Nicht minder kam dies in den von ihm 
ausgehenden amtlichen Actenstücken als in dem mündlichen 
Verkehre mit ihm zu Tage, wenn es um die Geschäfte des 
Staates sich handelte. Da hielt er mit seiner Meinung nur 
selten zurück; er bediente sich vielmehr in schneidiger Weise 
der scharfen und sachlichen Dialektik, die ihm eigen war, 
um seine Ansicht zur Geltung zu bringen. Und jederzeit 



63 



wies er es weit von sich ab, das Wort zu benutzen, um seine 
wahren Gedanken nur um so sorgfältiger zu verbergen. 

Eine andere Eigenschaft, die Haymerle besonders als 
Minister zu bethätigen Gelegenheit hatte, bestand in der 
Schnelligkeit, mit der er sich in ihm ganz neue, seinem 
Gesichtskreise bisher ziemlich fremde, technische Fragen 
hineinzufinden und die Punkte, auf die es hauptsächlich an- 
kam, in eine knappe, präcise Formel zusammenzudrängen 
vermochte, welche jedes Ausweichen unmöglich machte. So 
wusste er rasch die handelspolitischen Interessen der Monarchie 
zu ergründen, und jederzeit bestrebte er sich mit besonderem 
Eifer, sie zu verfechten und zur Geltung zu bringen. Dass 
die Eisenbahnverbindung mit dem Orient, wenn sie zu Stande 
kommt, auch seinen Namen verkünden wird, ist bekannt. 
Und von Tag zu Tag tritt "es deutlicher hervor, dass er auch 
in Serbien dem freundschaftlichen Einflüsse Oesterreichs die 
Oberhand zu verschaffen verstand, ohne der Unabhängigkeit 
dieses Landes und dem nationalen Stolze seiner Bewohner 
irgendwie zu nahe zu treten. 

Dies sind im Wesentlichen die Erfolge, welche man der 
österreichischen Politik, so lang ihre Leitung in Haymerle's 
Händen ruhte, wohl ohne den Vorwurf der Parteilichkeit auf 
sich zu ziehen, wird nachrühmen dürfen. Ja man würde sogar 
Gefahr laufen, sie zu unterschätzen, wenn man nicht noch 
eigens darauf aufmerksam machen wollte, dass in Folge der 
Kürze des Zeitraumes, der seinem Wirken als Minister gegönnt 
war, nur die Anfänge desselben, und nicht dessen letzte Er- 
gebnisse zu Tage treten konnten. Auf dem Gebiete der 
äusseren Politik kann man ja binnen zwei Jahren die Früchte 
nicht ernten, die man in so viel sorgenvollen Stunden mit 
nie rastender Hand in das manchmal recht sterile Erdreich 
zu säen sich bemühte. Sie in ihrer vollen Entfaltung zu 
schauen, war auch Haymerle nicht beschieden, aber so viel 
sah man doch schon bei seinen Lebzeiten von ihnen, dass 
dieser Anblick Niemand im Zweifel lassen konnte über das, 
was Oesterreich an ihm verlor. 



64 



Wie schon früher angedeutet wurde, ist in Oesterreich 
das Portefeuille, dessen Träger Haymerle war, ein zweifaches, 
indem es neben den auswärtigen Angelegenheiten auch die 
des kaiserlichen Hauses umfasst. So unsägliche Mühe, Arbeit 
und Sorgen die ersteren, so bereiteten ihm die letzteren nur 
Freude. Denn die einzige wichtige Verhandlung, welche in 
diesem Theile seines Geschäftskreises vorkam, war die, welche 
sich auf die Vermälung des Kronprinzen Rudolph von 
Oesterreich mit der Prinzessin Stephanie von Belgien bezog. 
Als treuer Anhänger des Kaiserhauses, als begeisterter Patriot 
schätzte Haymerle sich glücklich, bei einem von ganz Oester- 
reich mit so inniger Theilnahme begrüssten Ereignisse zu 
persönlicher Intervention berufen zu sein. Seine Freude hier- 
über wurde dadurch nicht wenig vermehrt, dass ihm der 
Kaiser bei diesem Anlasse die höchste Auszeichnung verlieh, 
deren er ihn überhaupt theilhaft machen konnte. Und in dem 
Umstände, dass ihm sein Monarch das Grosskreuz des 
St. Stephansordens mit den huldvollsten Worten persönlich 
überreichte, durfte Haymerle mit Recht ein unschätzbares 
Kennzeichen vollster Zufriedenheit mit seiner aufopfernden 
Dienstleistung von einer Seite erblicken, auf welcher An- 
erkennung zu finden den grössten Werth für ihn besass. 

Wer die Thätigkeit Haymerle's als Minister des Aeussern 
zu besprechen unternimmt, wird wenigster« mit einem Worte 
auch seiner Beziehungen zu den unter ihm dienenden Beamten 
gedenken müssen. Die wahrhaft ergreifenden Kundgebungen 
der Theilnahme und der Treue, die gerade aus ihrem Kreise 
bei seinem plötzlichen Hinscheiden laut wurden, beweisen 
wohl am besten, was er ihnen war. Nur die kurze Dauer 
seiner Geschäftsführung trug Schuld, wenn er für so Manchen 
unter ihnen noch nicht so viel hatte thun können, als sein 
den Menschen überhaupt und insbesondere denen, die in 
nähere Berührung mit ihm traten, so überaus wohlwollender 
Charakter es ihn selbst wünschen Hess. Diese Liebe zu den 
Menschen im Allgemeinen war ja einer der bezeichnendsten 
Züge seines Wesens, und sein ganzes Leben hindurch wurda 



65 



er gleichmässig von ihm beherrscht. Wir kennen Briefe von 
ihm, etwa zwanzig Jahre vor seinem Tode, und solche, die 
kurz vor demselben geschrieben sind. Am Anfange wie am 
Ende dieses langen Zeitraumes spricht er es gleichmässig aus, 
dass er den Charakter der Menschen nur günstig beurtheilen 
könne. „Immerdar", schrieb er im Jahre 1862 an eine ältere 
Freundin, die vor einigen Jahren verstorbene Gemalin des früheren 
russischen Gesandten in Athen und Bern, Frau von Ozeroff, 
„immerdar bleibe ich meiner Maxime treu, „de voir tout en 
rose". Und in einem Briefe aus derselben Zeit und an die- 
selbe Freundin sagt er: „Für mich ist es ein Glaubensartikel, 
die Menschen für gut und für loyal zu halten. Obgleich schon 
ziemlich weit vorgeschritten im Leben, war ich glücklich 
genug, diese mir so theure Meinung weit öfter bethätigt als 
erschüttert zu sehen". 

„Obgleich ich viele Illusionen abgestreift", schrieb 
Haymerle elf Jahre später aus dem Haag an einen Freund, 
„so habe ich mir aus meiner Jugend doch die Oeberzeugung 
herübergerettet, dass es sehr viele achtungs- und lobenswerthe 
Persönlichkeiten gibt, dass die Menschen heute nicht schlimmer 
als ehedem sind und man sich nur Mühe geben muss, mit ihnen 
zu denken, um sie auch zu verstehen und oft zu entschuldigen". 

Niemand wird über den grossen Werth in Zweifel sein 
können, den eine so humane Gesinnung eines Chefs für 
dessen Untergebene haben muss. Aber freilich artete sie bei 
Haymerle auch nieinals in Schwäche aus, und er, der selbst 
so viel leistete, verlangte auch viel. Unabhängigkeit der 
Gesinnung und des Urtheils, Eifer und Thatkraft schätzte er 
vor Allem, und die Männer, bei denen er eigenen Ideen und 
Ansichten begegnete, zog er den Uebrigen vor. 

Ganz besondere Theilnahme brachte er jederzeit seinen 
jüngeren Berufsgenossen entgegen. Bei der Aufnahme in den 
diplomatischen Dienst war er streng, und weit grössere An- 
forderungen stellte er, als es in früheren Zeiten der Fall 
gewesen war. „Nur Solche sollen", pflegte er zu sagen, „in 
den Dienst eintreten dürfen, welche die volle Eignung hiezu 

y. Arneth, Haymerle, 5 



66 



besitzen. Sie später aus demselben auszuscheiden, wenn ihre 
beste Kraft verbraucht ist, fällt viel schwerer, weil sich oft 
ein anderer Beruf nicht mehr ergreifen lässt." 

Mit allen jüngeren Diplomaten sprach Haymerle gern, 
um sich ein richtiges Urtheil über ihre Fähigkeiten und ihren 
Charakter bilden zu können. „Sie sind", wiederholte er oft, 
„die Werkzeuge, deren man sich bedienen muss, und Jeder 
hat mitzuarbeiten an dem Gedeihen des Ganzen". Darum 
interessirte er sich auch für Jeden, und Wenige werden sein 
Zimmer verlassen haben, ohne ihm einen wohlmeinenden Rath, 
eine Aufmunterung zu verdanken. 

Der überreichen positiven Thätigkeit Haymerle' s als Minister 
steht auch, wenn man sich dieses Ausdruckes bedienen darf, 
eine negative Seite derselben gegenüber. In einer Zeit, in der 
in allen Ländern, und in Oesterreich gewiss nicht weniger, ja 
vielleicht mehr noch als in den anderen Staaten das Getriebe 
der sich aufs heftigste befehdenden Parteien die allgemeine 
Aufmerksamkeit nicht nur auf sich lenkt, sondern man wird 
wohl sagen dürfen, Jedermann unwiderstehlich in seinen Kreis 
zieht, ist es nicht nur vielfach bemerkt, sondern auch recht 
bitter getadelt worden, dass Haymerle sich jeder Parteinahme 
sorgfältig enthielt. Insbesondere von Seite derer geschah dies, 
die gleichsam instinktmässig herausfühlten, dass er zum mindesten 
ihrer Auffassung der staatsrechtlichen Verhältnisse Oesterreichs 
näher stehen müsse als der ihrer Gegner. Denn wenn sie ihre 
Hauptaufgabe darin sahen und auch heute noch erblicken, 
einer noch weitergehenden Schwächung * der obersten Staats- 
gewalt, als ihrer Ansicht nach durch die Zweitheilung des 
Reiches ohnedies schon herbeigeführt wurde, durch thatkräftige 
Bekämpfung der immer mehr überhandnehmenden föderalisti- 
schen Tendenzen zu steuern, so glaubten sie in dem Minister, 
der diese Staatsgewalt nach Aussen hin zu repräsentiren hat, 
naturgemäss einen Verbündeten zu besitzen und daher auch 
von seiner Seite eine ausgiebige Unterstützung ihrer Bestre- 
bungen in Anspruch nehmen zu dürfen. Dass dieselbe aus- 
blieb, hat sie nicht selten mit Unmuth wider Haymerle erfüllt, 



67 



und ihrem Urtheile über ihn, das in Bezug auf seine Thätig- 
keit nach Aussen hin nur ein anerkennendes war, manchmal 
auch einen anderen Beigeschmack gegeben. 

Die Passivität der Haltung Haymerle's in Bezug auf die 
inneren Angelegenheiten des Staates und auf die sich um ihret- 
willen befehdenden Parteien soll hier in gar keiner Weise ein 
Gegenstand der Anklage oder der Verteidigung sein. Aber 
ganz objectiv wird wohl der Standpunkt beleuchtet werden 
dürfen, den er für den einzig richtigen ansah und desshalb 
auch stets gleichmässig festhielt. Er täuschte sich keineswegs 
darüber, dass in anderen Ländern der Minister des Aeussern 
zur Einflussnahme auf die inneren Staatsangelegenheiten be- 
rechtigt, ja dass eine solche unter Umständen auch nothwendig 
sei. In Oesterreich schien er ihm jedoch von einer derartigen 
Einmengung durch die ganz eigentümlichen staatsrechtlichen 
Verhältnisse der Monarchie verfassungsmässig ausgeschlossen 
zu sein. Eine von seiner Seite ausgehende Ingerenz in die 
inneren Fragen, sei es in Oesterreich, sei es in Ungarn, hielt 
er daher für einen Eingriff, der mit der Verfassung sich im 
Widerspruch befände und aus diesem entscheidenden Grunde 
gerade von dem, der die Verfassung hochhalte und sie als den 
alleinigen und unerschütterlichen Rechtsboden aller öffentlichen 
Thätigkeit betrachte, sorgfältigst vermieden werden müsse. 

Hiezu kam noch, dass Haymerle in dem richtig gehand- 
habten Parlamentarismus einen mächtigen Hebel zur Geltend- 
machung der Rechte Aller sah. Er glaubte desshalb auch, 
dass jede Partei einen bestimmten Zeitraum hindurch am Staats- 
ruder sein, jede Opposition aber erst erstarken und gerade 
durch diese Gegnerschaft sich klären müsse, um fähig zu 
werden, wieder Regierungspartei zu sein. Er wies dabei auf 
die Heimat des wahren Parlamentarismus, auf England hin, 
wo keine Partei vor Ablauf einer gewissen Zeit wieder ans 
Ruder zu kommen erwartet. Denn sie weiss, dass sie nach 
ihrem Sturze einige Zeit der Sammlung und Läuterung braucht, 
um die Kräfte, die sie bei angestrengter Arbeit für das öffent- 
liche Wohl verlor, zu ersetzen, und die Fehler, welche jede 

5* 



68 



Partei, da sie aus leicht irrenden Menschen zusammengesetzt 
ist, macht und machen muss, wieder zu überwinden und in 
Vergessenheit zu bringen. Wie der Einzelne nicht ewig dauert, 
pflegte Haymerle zu sagen, so auch nicht die Partei. Aber 
der Einzelne sterbe, die Partei hingegen ersetze in dem Kampfe, 
den sie als Opposition führe, die ihr im Besitze der Macht im 
Laufe der Zeit verloren gegangenen Kräfte. Zur Herbei- 
führung vorzeitiger Lösungen in das Getriebe hineinzugreifen, 
hielt er für einen Fehler, weil er nur das als dauernd ansah, 
was aus sich selbst heraus sich zu entwickeln vermochte. 

Dies kann im Wesentlichen als der Gedankengang ange- 
sehen werden, durch welchen Haymerle bestimmt wurde, sich 
aller Einmischung in die inneren Staatsangelegenheiten gewissen- 
haft zu enthalten. Das was er von der Vergänglichkeit der 
Herrschaft der einzelnen Parteien dachte, dehnte er übrigens 
auch auf die Stellung der einzelnen Staatsmänner aus. „Ein 
wahrer Staatsmann", sagte er gern, „kann seine Zeit nur 
beherrschen, wenn er ihr voraneilt, wenn er vorwärts und nicht 
zurück blickt, wenn er Vergangenes nicht erhalten, sondern 
Neues erschaffen will. Aber auch der bedeutendste Staats- 
mann hat nur eine ihm bemessene Zeit, über welche hinaus er 
keinen Versuch machen soll, sich am Ruder zu erhalten". 

Auch auf sich selbst und seine eigene Stellung wandte 
Haymerle diese Grundsätze an, und Niemand war weiter davon 
entfernt als er, sich mit seinem Portefeuille für verwachsen zu 
halten und an dasselbe sich zu klammern. Der Gedanke eines 
Rücktrittes vom Ministerium hatte nichts Beunruhigendes für 
ihn, und so sandte er einmal während der Delegation im 
November 1880 seiner Frau ein französisches Journal, das 
meldete, seine amtliche Stellung sei erschüttert. „Wäre es 
wahr", fügte er wörtlich hinzu „so würde ich mich wahr- 
scheinlich weniger desshalb grämen, als die Leute es meinen". 

Bei diesem Anlasse mag es nicht unwillkommen sein, die 
günstige Ansicht zu vernehmen, welche Haymerle von dem 
Grafen Kälnoky hegte. Als die Baronin Haymerle einmal 
ihrem Bruder als eifrigem Sammler von Autographen die Hand- 



69 



schrift Kdlnoky's schenkte, sagte scherzend ihr Gemal: „als 
Zukunftsmusik". Und ernst werdend fügte er hinzu: „Ich 
werde ihn einmal zu meinem Nachfolger vorschlagen". 

Den Delegations -Verhandlungen, in denen man ihm mit 
dem grössten Vertrauen entgegen kam, widmete er stets das 
regste Interesse, und er war sich der Pflicht wohl bewusst, 
die ihm während derselben oblag, Rechenschaft zu geben über 
die Art und Weise, in welcher die auswärtigen Angelegen- 
heiten von ihm geleitet worden waren. Dieser Pflicht kam er 
bereitwilligst und mit dem ganzen Ernste nach, der den 
Grundton seines Wesens bildete. In seinen Mittheilungen 
und Aufklärungen ging er stets so weit, als er es bei dem 
jeweiligen Stande der Fragen und deren confidentiellem 
Charakter nur immer für möglich hielt. „Du weisst", schrieb 
fer damals einem Freunde, „am Amte liegt mir wenig, nur an 
der Sache". 

Wie lebhaft er sich eines Erfolges freute, wenn auch ein 
Anderer als er selbst ihn davon trug, wird durch einen Brief, 
den er am 2. November 1880 aus Budapest an seine Frau 
schrieb, deutlich bewiesen. „Der Kriegsminister Graf Bylandt 
hielt", so lauteten seine Worte „eine nahezu zweistündige, 
wirklich gelungene Rede, die den günstigsten Eindruck her- 
vorbrachte; hätte man sofort abgestimmt, so wäre das Resultat 
nicht zweifelhaft gewesen. Aber freilich", fügte er mit einem 
Seitenblicke auf seine eigene Aufgabe hinzu, „wie viel leichter 
ist es doch, über ganz positive Dinge, aus denen ja doch der 
Geschäftskreis des Kriegsministers besteht, zu sprechen und 
durch Sachkenntniss den Zuhörern zu imponiren, als über 
das so vage Thema der äusseren Politik «nit seinen so über- 
aus heiklichen Seiten zu reden, ein Thema, zu dessen Beur- 
theilung sich Jeder für competent hält". 

Schon am Beginne des Sommers 1880, des ersten, der 
Haymerle als Minister in Wien fand, war er, wie früher sein 
Vorgänger Graf Andrdssy, vom Kaiser eingeladen worden, im 
Parke von Schönbrunn eine Wohnung zu beziehen. Im 
Mai 1881 wiederholte sich diese Einladung, der Haymerle 



wmmmmmm 



70 



auch diesmal voll Dankbarkeit nachkam. Die Zeit seines dortigen 
Aufenthaltes zählte Haymerle stets zu den genussreichsten des 
Jahres; gab sie ihm doch Veranlassung zu täglichen Aus- 
flügen in die herrliche Umgebung und in seinen geliebten 
Wiener Wald, für den er seit seiner Kindheit eine lebhafte 
Vorliebe hegte. In den letzten Tagen des Juni ging er auf 
Urlaub; zunächst nach dem Stifte Neuburg, dann aber nach 
dem Bade Neuenahr, das er nach mehrwöchentlichem Aufent- 
halte mit anscheinend günstigen Resultaten für seine Gesund- 
heit verliess. An beiden Orten und ebenso in Ischl, wohin 
er sich an das kaiserliche Hoflager begab, tiberliess er sich 
rückhaltslos seiner alten Naturschwärmerei. Mit verdoppelter 
Stärke erwachte die Vorhebe für das heimatliche Hochgebirge 
wieder in ihm. Die frischgrünende Alpennatur erfüllte ihn mit 
Entzücken, und eine Fahrt auf dem See von St. Wolfgang, eine 
bezaubernde Aussicht auf den Dachstein, ein Spaziergang auf 
schmalem Uferpfade den Attersee entlang erquickten ihn an 
Leib und Seele mehr als jede andere Erholung. 

Am 23. August begab sich Haymerle nach Wien, von 
da aber nach Budapest, wo er, da seine Gemalin mit den 
Kindern einstweilen auf Stift Neuburg zurückgeblieben war, 
einige Zeit hindurch allein verweilte. In Budapest stellte sich 
plötzlich ohne irgend eine erkennbare Veranlassung ein aller- 
dings nur kurzdauernder Anfall von Brustbeklemmung ein, 
der sich im letzten Drittheile des September in Salzburg 
wiederholte. Das Project, sich in der dortigen Gegend anzu- 
kaufen, hatte ihn nach dieser Stadt geführt, in der er mit 
seiner Familie wieder zusammentraf. Am 28. begab er sich 
von Salzburg nach Linz, von dort aber, statt daselbst, wie 
er beabsichtigt hatte, einen Tag zu bleiben, in Folge der Be- 
rufung zu einem Ministerrathe noch während der Nacht nach 
Wien. 

Hier, oder besser gesagt in Schönbrunn wiederholten sich 
die früheren Anfälle, aber doch nur in schwacher Form, und 
man musste sie bei dem Mangel an objectiven Symptomen 
einer nervösen Reizbarkeit zuschreiben. Haymerle übersiedelte 



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nach Wien und blieb sogar, da ihm die grösste Ruhe em- 
pfohlen war, durch einige Tage zu Bette, verliess es jedoch 
am 9. October wieder. Während dieser ganzen Zeit verkehrte 
er wie sonst mit seinen Beamten, und man konnte nicht be- 
merken, dass die fortgesetzte Arbeit einen nachtheiligen Ein- 
fluss auf seinen Zustand ausübe. Es lag daher auch kein 
ausreichender Grund vor, bei ihm auf Aenderung dieses 
Verfahrens zu dringen. 

Am Morgen des 10. October empfing Haymerle noch 
einige ihm nahestehende Verwandte, und um ein Uhr früh- 
stückte er in Gegenwart seines Arztes. Hierauf conferirte er 
durch etwa eine halbe Stunde mit seinen Käthen, während 
seine Frau auf sein dringendes Begehren mit den Kindern 
spazieren fuhr. Als sie sorglos heimkehrte, fand sie ihn todt. 
Denn als er um drei Uhr einen anscheinend leichten Anfall 
verspürt hatte und der allein im Zimmer anwesende Diener 
ihm ein bereitstehendes Medicament reichen wollte, starb er 
ohne Kampf, sowie ein Licht verlöscht. Eine plötzliche Durch- 
bohrung der schlaffen Herzmuskel hatte seinem Leben ein 
Ende gemacht. 

Mit überraschender Schnelligkeit durchflog die Trauerbot- 
schaft ganz Wien, und der Telegraph überbrachte sie dem 
Kaiser, der sich kurz zuvor zur Gemsenjagd nach Steiermark 
begeben hatte. Die frühere Absicht, dort durch einige Tage 
zu verweilen, gab der Kaiser augenblicklich auf, und noch 
am selben Abende kündigte er diesen Entschluss dem ober- 
sten Beamten des Ministeriums, Sectionschef von Kallay an. 
„Ich kehre", so lauteten die Worte seines Telegramms, „mor- 
gen nach Schönbrunn zurück, wohin ich Sie ersuche, gleich 
nach meiner Ankunft zu kommen. Bis ich persönlich in der 
Lage sein werde, es zu thun, bitte ich Sie, der Baronin 
Haymerle meine innigste Theilnahme an dem mich tief er- 
schütternden und unendlich schmerzenden Verluste auszu- 
sprechen u . 

Schon am folgenden Tage führte der Kaiser diesen Vorsatz 
aus, und er wohnte auch dem Leichenbegängnisse, das am 



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13. October in feierlichster Weise stattfand, persönlich bei. 
Die in Wien anwesenden Erzherzoge folgten dem Beispiele 
des Monarchen. Die Kaiserin, der Kronprinz und seine Ge- 
mahn, die übrigen Mitglieder des Kaiserhauses, wie sie der 
Reihe nach in Wien eintrafen, besuchten die Baronin Haymerle 
und brachten ihr den Ausdruck ihres tiefempfundenen Beileides 
dar. Der König und die Königin von Italien, welche Haymerle 
so nahe gekannt und so hochgeschätzt hatten, schlössen kurz 
nach ihrer Ankunft in Wien dieser Kundgebung sich an, und 
zahllos waren die Beweise der Theilnahme, welche in einem 
kaum jemals erlebten Masse der mit Recht tieftrauernden 
Witwe zukamen. Denn ohne jegliche Vorahnung war ihr 
ja der, für den sie ausschliesslich lebte und an dem sie, so 
wie er an ihr, mit jeglicher Lebensfaser hing, plötzlich ent- 
rissen worden. Nirgends aber wurde dieses allgemein sich 
kundgebende Mitgefühl schmerzlicher empfunden als in Oester- 
reich selbst. Denn auch wer den nun Verewigten nicht per- 
sönlich gekannt hatte, war doch von der Ueberzeugung 
durchdrungen, dass das Vaterland einen ihm treu anhänglichen, 
mit unübertroffener Selbstaufopferung erfolgreich dienenden, 
hochbegabten, dass es einen seiner besten, seiner edelsten 
Söhne verloren habe. Und darum wird auch sein Andenken 
in Oesterreich immerdar ein hochgehaltenes sein! 



Druck der Norddeutschen Buchdruckerei, Berlin, Wilhelmstrasse 32. 



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