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Heinrich Freiherr von Haymerle.
Ein Rückblick auf sein Leben
von
Alfred Ritter von Arneth.
Berlin, 1882.
Verlag von Otto Janke.
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Heinrich Freiherr von Haymerle.
Ein Rückblick auf sein Leben
von
Alfred Ritter von Arneth.
Berlin, 1882.
Verlag von Otto Janke.
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jVaum irgend eines Falles wird man sich erinnern, in
welchem das plötzliche Dahinscheiden eines in hervorragender
Stellung befindlichen Mannes so allgemeine und so tief empfun-
dene Trauer hervorrief, wie dies bei dem Tode des Freiherrn
Heinrich von Haymerle geschah. Nicht nur der eigene Monarch
und dessen ganzes kaiserliches Haus wetteiferten der schmerz-
voll darniedergebeugten Wittwe gegenüber in den huldvollsten
Kundgebungen innigster Theilnahme. Fast alle Souveräne, alle
Cabinete Europas, die zu jener Zeit tagenden Repräsentativ-
körper in Oesterreich-Ungarn, die öffentlichen Blätter beeilten
sich, dem gleichen Gefühle wärmsten Ausdruck zu verleihen.
Nicht eine einzige Stimme der Missgunst, des Tadels wurde
laut. Alle überboten sich, in der ehrendsten Weise der erfolg-
reichen Wirksamkeit so wie des edlen Charakters eines Mannes
zu gedenken, der nur sich selbst, seiner ganz ungewöhnlichen
Begabung, seinem Vertrauen erweckenden Wesen und der
Ueberzeugung von seinem seltenen Werthe, die er Jedermann
einflösste, der in Berührung mit ihm trat, sein Emporkommen
verdankte. Die einmüthige Klage über den schweren Verlust,
den nicht nur Oesterreich, den ganz Europa durch den Tod
Haymerle's erlitt, wird gewiss den Vorsatz rechtfertigen, den
wichtigsten Momenten seines leider nur allzu kurzen Lebens
einige Blätter pietätvoller Erinnerung zu weihen.
Heinrich von Haymerle kam am 7. Dezember 1828 in-
Wien als der Sprössling einer Familie zur Welt, welche der
1*
in ihr herrschenden Tradition zufolge im Jahre 1560 aus
Steiermark nach Böhmen gekommen und in der Wallen-
steinischen Epoche ihres Adels verlustig geworden sein soll.
Gewiss ist, dass die Familie Haymerle schon im Jahre 1710
ein Wappen zu führen berechtigt war, dass ihr Kaiser Karl VI.
im Jahre 1735 ein Adelsdiplom verlieh, und sie 1748 von der
Kaiserin Maria Theresia den Ritterstand erhielt. Im böhmischen
Chrudimer Kreise ansehnlich begütert, kam sie während des
siebenjährigen Krieges fast ganz um ihren Besitz. Heinrichs
Vater, der kaiserliche und königliche Hofagent Johann Ritter
von Haymerle starb frühzeitig; seine Mutter aber, die in dieser
Ehe noch zwei Söhne, Alois und Karl*) geboren hatte, ver-
malte sich später zum zweiten Male mit einem geachteten
Wiener Arzte, Dr. Obersteiner, der seinerseits gleichfalls aus
erster Ehe einen Sohn besass. An ihn, den um neun Jahre
älteren Jüngling schloss Heinrich schon als Knabe mit der
vollen Innigkeit eines kindlichen, warm empfindenden Gemüthes
sich an, und noch in viel späterer Zeit kam er oft in rührenden
und dankerfüllten Worten auf das zurück, was der Stiefbruder
ihm gewesen und auch fortan noch war. Denn die Freund-
schaft, die sie Beide schon seit früher Jugendzeit verband,
knüpfte sie als gereifte Männer nur noch enger an einander,
und ungeschwächt dauerte sie fort, bis der Eine von ihnen so
plötzlich in das Grab sank.
Auch mit seinen zwei Brüdern Alois und Karl stand
Heinrich Haymerle schon von ihrer Knabenzeit an in den
besten, auch in den späteren Jahren nie und durch nichts
getrübten Beziehungen. In der Normalhauptschule auf dem
Bauernmarkte in Wien erhielt er seinen ersten Unterricht, und
er that sich vor allen Mitschülern durch ganz ungewöhnliche
Befähigung hervor. So wie hier behauptete er auch in dem
akademischen Gymnasium, in das er gleichzeitig mit seinem
*) Schon am Abende des 17. December 1881 folgte der Jüngste der
drei Brüder, der Major Karl Bitter von Haymerle seinem ältesten Bruder
in gleich rascher und unvorhergesehener Weise im Tode nach.
Bruder Alois trat, in allen Ellassen ununterbrochen den vor-
dersten Platz. Seiner überaus raschen Auffassung, seiner regen
Lernbegierde und seinem ganz vortrefflichen Gedächtnisse
verdankte er dies zunächst. Aber bei allem Ernste, mit dem
er seinen Studien sich widmete, war er von heiterem Tempe-
ramente und für alles Schöne in der Natur wie in der Kunst
äusserst empfänglich.
Als eine seiner charakteristischen Eigenschaften darf her-
vorgehoben werden, dass er schon in früher Jugend Alles,
und mochte es auch eine Kleinigkeit sein, mit der er sich
eben beschäftigte, mit Eifer und Gründlichkeit that und in
jeglicher Sache, an die er Hand anlegte, eine gewisse Vollendung
zu erreichen bemüht war. In den Stunden der Müsse zog
er die Leetüre der Zeitungen den meisten Vergnügungen vor,
und schon als zwölfjähriger Knabe brachte er mit Vorliebe
politische Gespräche aufs Tapet.
Im October 1846 bewarb sich Haymerle, noch nicht ganz
achtzehn Jahre zählend, um Aufnahme in die Akademie, in
welcher auch heutzutage noch neben der juristischen Aus-
bildung gründlicher Unterricht in den orientalischen Sprachen
ertheilt wird, um die jungen Leute zum diplomatischen und
Consulardienste in der Levante vorzubereiten. Sowohl in An-
betracht seiner glänzenden Studienzeugnisse als des Erfolges
der von ihm abgelegten Vorprüfung erhielt er vor den übrigen
Concurrenten weitaus den Vorzug.
Noch nicht anderthalb Jahre befand sich Haymerle in
der orientalischen Akademie , als die Märzbewegung des
Jahres 1848 natürlicher Weise auch ihn, den hochbegabten
Jüngling, der allem Idealen eine glühende Begeisterung ent-
gegenbrachte, mächtig ergriff. Wenn er dem Strome, der
viele Aeltere und Gereiftere mit sich fortriss, etwas zu rück-
haltlos sich hingab, so mag dies einerseits seinem jugendlichen
Alter — denn richtiges Mass halten, ist ja nie und nimmer ein
Attribut der Jugend gewesen — und andererseits dem be-
stimmenden Einflüsse zugeschrieben werden, den damals einer
seiner Lehrer auf ihn ausübte. So kam es, dass man in Folge
seiner unvorsichtigen Reden auf ihn aufmerksam wurde und
ihn am 27. October während eines Spazierrittes, den er allein
unternahm und während dessen er mit Niemand gesprochen
hatte, plötzlich verhaftete. Erst mehr als zwei Wochen später,
am 14. November bestand er sein erstes und einziges Verhör.
Der alleinige Anklagepunkt, der gegen ihn vorlag, lautete, er
habe vier Tage vor seiner Verhaftung dem Pfarrer von Weid-
ling nächst Wien gegenüber republikanische Aeusserungen
gethan. Mit Ruhe und Fassung bestritt der junge Haymerle
die Wahrheit dieser Anklage; schon aus dem Grunde, ver-
sicherte er, sei sie falsch, weil er allzeit eine österreichische
Republik für eine Unmöglichkeit angesehen habe. So tiber-
zeugend klang diese Erklärung, so offen und gewinnend waren
der Ton und die Haltung des Jünglings, der sie abgab, dass
sie sogar auf einer Seite, auf der man weit mehr zu über-
triebener Strenge als zu übergrosser Milde geneigt war,
vollinhaltlich Glauben fand. Die amtliche Bescheinigung liegt
vor, dass kein hinreichender Grund zu strafgerichtlichem Ver-
fahren wider ihn entdeckt werden konnte. Er wurde daher
bald wieder frei und kehrte, um eine trübe Erfahrung reicher,
in die orientalische Akademie zurück.
Fast gewinnt es den Anschein, als ob Haymerle, obgleich
er eigentlich schuldlos erklärt worden war, doch durch eine
Art unbestimmten Gefühles, dass er etwas gutzumachen habe,
zu verdoppelter Anstrengung in seinen Studien und Arbeiten
angetrieben worden sei. Der Bericht, den der damalige
Director der Akademie, Herr Selinger, am 10. November 1850
über ihn dem Ministerium des Aeusseren erstattete, giebt
hievon Zeugniss. Nachdem er in fast enthusiastischen Worten
das Resultat der von Haymerle abgelegten Prüfungen geschildert,
sagt er von ihm:
„Haymerle ist nun, nachdem er die jüngsten Proben
vortrefflich bestanden, in ungewöhnlicher Weise für seinen
Beruf vorbereitet. Er hat sich nicht allein bedeutende Sprach-
kenntnisse eigen gemacht, sondern auch im Reiche ander-
weitigen Wissens tüchtige Schätze gehoben. Er ist ein Mensch
von Herz, von glücklicher Beobachtungsgabe, von schnellem
und in der Regel gesundem Urtheil. Er hat gute Manieren
und Gewandtheit im gesellschaftlichen Verkehre. Ueberdies
gehört Haymerle in die Klasse der nach edlen Zielen strebenden
Jünglinge, und da ein bedeutender Grad von ästhetischer und
sittlicher Bildung mit seinen Bestrebungen in Verbindung steht,
kann ich ohne Unruhe und Besorgniss in seine Zukunft
blicken. -Haymerle wird im Dienste des Staates nicht lang
unbemerkt bleiben. Er wird sich auszeichnen."
Niemand wird bestreiten, dass diese prophetischen Worte
des längst verstorbenen Directors der orientalischen Akademie
glänzend in Erfüllung gegangen sind. Damals bildeten sie
die Grundlage der schon sechs Tage später erfolgenden Er-
nennung Haymerle' s zum Dolmetsch- Adjuncten bei der öster-
reichischen Internuntiatur in Constantinopel. Dem gleichzeitig
an ihn ergehenden Befehle, sich baldigst an den Ort seiner
neuen Bestimmung zu begeben, kam Haymerle unverzüglich
nach. In Corfu, dessen Küste er, nachdem er auf der Beise
nach Triest von Kälte und Schnee arg gelitten und hierauf
eine mehr als unfreundliche Seefahrt zurückgelegt hatte, am
30. December betrat, brachte der erste Anblick des Südens
einen zauberischen Eindruck auf ihn hervor. Noch nach einer
Reihe von Jahren dachte er hieran als an eine seiner „strah-
lendsten Erinnerungen", wie er selbst es nannte, mit Vorliebe
zurück.
Die Empfänglichkeit Haymerle's für die Schönheit der
Natur erhielt leicht begreiflicher Weise durch die entzückende
Lage Constantinopels nur noch lebhaftere Anregung. In be-
geisterten Beschreibungen derselben erging er sich seinen
Wiener Freunden gegenüber, aber freilich kam er dabei auch
immer wieder auf die unvergleichliche Herrlichkeit der Alpen
zurück, von denen er insbesondere die Oesterreichs aufs
genaueste kannte und als wundervoll anpries. Nachdem er
schon lange Zeit in der Levante gelebt hatte, erklärte er doch
die Alpen für reizender als die schönsten orientalischen Land-
schaften. Und am letzten Tage des Jahres 1859 schrieb er von
8
Athen nach Wien: „Hättet Ihr den gestrigen Sonnenuntergang
gesehen, dann wtisstet Ihr erst, welch' prachtvolle Farben der
Natur zu Gebote stehen. Und doch : mein Herz ist daheim."
Man würde jedoch sehr weit irre gehen, wenn man aus
den letzteren und ähnlichen Aussprüchen Haymerle's die
Folgerung ableiten wollte, er habe sich im Orient nicht glück-
lich gefühlt. Nur das geht aus ihnen hervor, dass gerade der
Aufenthalt in der Fremde seinen patriotischen Sinn, seine Liebe
zu Oesterreich kräftigst entwickelte. Als in den letzten Tagen
des April 1854 der damalige Internuntius Freiherr von Brück
zur Feier der Vermälung des Kaisers ein prachtvolles Fest
gab, schrieb Haymerle an seinen Stiefbruder: „Der Ball war
unvergleichlich schön, aber Jeder von uns wäre so gern in
Wien gewesen, dass wir nicht recht froh werden konnten.
Nirgends, gewiss nirgends werden heissere Wünsche für das
Glück unseres Kaisers als in unserer Mitte gehegt; er ist ja
der Träger von Oesterreichs Grösse und Glück."
Als Haymerle diese Worte niederschrieb, war er seit
wenigen Monaten von der ersten diplomatischen Mission zurück-
gekehrt, die ihm bei der Ausübung seines Berufes beschieden
war. Die Instruction, mit der ihn Brück am 10. December 1853
versah, enthält ein ganzes Füllhorn von Aufgaben, zu deren
befriedigender Lösung ihn Brück nach dessen eigenen Worten
in Anbetracht seiner Geschäftskenntniss, Gewandtheit und
Pflichttreue als besonders geeignet ansah. Die Geschäfts-
führung des österreichischen Viceconsuls in Tultscha, gegen
welche mannigfache Beschwerden laut geworden waren, sollte
er unparteiisch, aber streng untersuchen. Fände er den An-
geklagten schuldlos, dann wäre ihm volle Genugthuung zu
verschaffen, im entgegengesetzten Falle aber seine Dienst-
entlassung zu verfügen. In Varna hatte Haymerle Erkundigung
nach der Mannschaft eines bei Baltschyk gescheiterten russischen
Kauffahrers einzuziehen, von der man behauptete, sie sei wider-
rechtlich in das Lager Omer Pascha' s bei Schumla geschleppt
worden. Bestätige sich dies, so habe Haymerle bei dem
türkischen Heerführer energisch auf Freilassung der Gefangenen
zu dringen. Den Besuch bei ihm möge er nicht nur zu sorg-
fältigen Beobachtungen, sondern auch zu nachdrücklicher Vor-
bringung einer Reihe von Begehren im Interesse Oesterreichs
und verschiedener Unterthanen des Kaiserstaates benutzen.
Freudig begrüsste Haymerle den sich ihm darbietenden
Anlass, wenigstens für einige Zeit dem etwas einförmigen
Leben in Pera zu entrinnen, einen, wenn auch nur kleinen
Theil des Inneren der Türkei zu sehen, das türkische Heer
und dessen damals so vielbesprochenen Oberfeldherrn zu be-
suchen und womöglich Beweise seiner eigenen Tüchtigkeit zu
geben. Die Ungunst der Jahreszeit, die hiedurch noch ver-
mehrten Beschwerden der Reise schreckten ihn nicht ab, und
am 28. December schiffte er wohlgemuth nach Varna sich ein.
Zu Pferde begab er sich von dort durch tiefen Schnee und
auf grundlosen Wegen nach Schumla, das er binnen drei
Tagen erreichte. Er fand Omer Pascha nicht nur zur Er-
füllung der an ihn gerichteten Begehren bereit, sondern über-
haupt eifrig bestrebt, der österreichischen Regierung als deren
ehemaliger Unterthan seine Ergebenheit zu beweisen. In fast
dreistündigem Gespräche bemühte er sich, Haymerle von der
Lauterkeit seiner Gesinnungen für Oesterreich zu überzeugen.
Er verpfände sein Ehrenwort, rief er aus, dass er niemals
gegen Oesterreich fechten werde.
Die freundliche Aufnahme, die er bei Omer Pascha ge-
funden, beeinflusste das Urtheil nicht, welches Haymerle über
ihn fällte. Er behauptete von ihm, dass er ohne eigentliche
Genialität sei, und dass ihm nur seine Fähigkeit, in abend-
ländischer Weise logisch zu denken, die grosse moralische
Gewalt verleihe, die er über seine türkische Umgebung aus-
übe. In den Gebrechen und der völligen Unzuverlässigkeit
der Letzteren sah übrigens Haymerle vielleicht die grösste der
Schwierigkeiten, deren Bekämpfung Omer Pascha oblag, und
zu deren Ueberwindung es immerhin einer nicht gewöhnlichen
Kraft bedurfte.
Nach Pera zurückgekehrt, versicherte Haymerle seine
Freunde, er könne nicht sagen, wie froh er sei, die kleine
10
Reise nach Schumla und Tultscha gemacht zu haben. Nicht
nur körperlich habe sie ihm sehr wohl gethan, auch geistig
fühle er sich freier geworden, und die Beschwerden der schon
an und für sich höchst interessanten Reise seien zwar Dicht
gering, aber doch auch nicht so gross gewesen, dass ein junger
und gesunder Mann sie nicht mit Leichtigkeit zu ertragen
vermocht hätte. Für die Reise, die er zurückgelegt, und die
Art und Webe, in der er die ihm er th eilten Aufträge voll-
zogen hatte, erntete Harmerle das volle Lob seines Chefs und
er fand sich dadurch wahrhaft beglückt, denn er gehörte zu
Brueks eifrigsten Verehrern. Eine herrliche Persönlichkeit
nannte er ihn, voll grossartiger Anschauungen, edel und liebens-
werth bis in die innerste Fiber seines Charakters; frei von
aller Pedanterie, aber unbeugsam in Verfolgung des einmal
Gewollten. „Sein Muth wächst mit den Schwierigkeiten",
sagte er wörtlich von Brück, „und kein Standpunkt geht ihm
Über den eines Oesterreichers. Er ist ein wahrhaft genialer
Mann, und die Höhe seines Geistes kann nur mit der Grösse
des "Wohlwollens verglichen werden, das aus allen Beinen
Handlungen spricht".
Ausser dem Lobe seines Chefs, das Haymerle so freute,
trug ihm die Reise nach Schumla auch eine ihm sehr will-
kommene Beförderung ein. Im April 1854 wurde er zum
dritten Dolmetsch bei der Internuntiatur ernannt.
Leider sollte das Ende des Jahres 1854, welches Haymerle
so viel Willkommenes gebracht, ein recht ungunstiges für ihn
sein. Im December erkrankte er so ernstlich, dass ihn Brück,
ohne erst die Ankunft der erbetenen Bewilligung hiezu abzu-
warten, um ihn so rasch als möglich den schädlichen Ein-
"" in des Klima' s zu entziehen, auf eigene Faust über Triest
Wien sandte. So langsam ging hier seine Wiederher-
ng von Statten, dass noch Ende April 1855 der berühmte
Oppolzer eine acht- bis zehnwöchentliche Badekur in
tz für nothwendig hielt und ausserdem widerrieth, Haymerle
end der heissen Jahreszeit nach Constantinopel zurück-
in zu lassen, weil sonst ein ernster Rückfall fast unver-
11
ineidlich erschiene. Oppolzer's Vorschriften wurden pünktlich
befolgt. Im Frtihsommer 1855 unternahm Haymerle mit
seinem Stiefbruder und dessen ihm gleichfalls innig befreun-
deter Gattin eine gemeinschaftliche Reise nach Paris, das er
noch nicht gesehen hatte und lebhaft bewunderte. Die folgenden
Monate verweilte er in Teplitz, und im October war er wieder
in Constantinopel zurück. Im Juni 1856 bereiste er mit einem
ihm besonders nahestehenden, etwas älteren Collegen, dem
Grafen Emanuel Ludolf, jetzt österreichischem Gesandten in
Madrid, die Krim, wo die grauenvollen Spuren des eben erst
zu Ende gegangenen Krieges auf beide Freunde einen
erschütternden Eindruck hervorbrachten. Aber dem wunder-
vollen Reize einer herrlichen Natur verschlossen sie sich darum
doch nicht, und Haymerle pries sie mit eben so grossem Ent-
zücken, als er der überaus liebenswürdigen Aufnahme sich
freute, die er und sein Reisegefährte im französischen Haupt-
quartier bei dem Marschall Pelissier fanden.
Mit gleicher Befriedigung erfüllte ihn eine etwa zwei-
wöchentliche Dienstreise, mit der er im December 1856 von
seinem damaligen Chef, dem Internuntius Freiherrn vonProkesch
betraut wurde. Nach dem nördlichen Kleinasien führte sie ihn,
denn dort war ein Raubanfall begangen worden, an welchem
auch österreichische Unterthanen theilgenommen hatten. Von
dem damaligen Consulats-Kanzler Wassitsch begleitet, begab
sich Haymerle, fortwährend zu Pferde, von Ismid am Marmara-
Meere über Sabandscha und Tereklü nach Boly und kehrte
über Usküb und Adabasar nach Ismid zurück; an Leib und
Seele erfrischt und gestärkt traf er noch vor Jahresschluss
wieder in Constantinopel ein. „Es ist etwas Schönes a , schrieb
er nach Wien, „um das Leben in freier Luft und in so herr-
lichen Gegenden, als ich sie durchstreifte. Magere Kost,
schlechte Nachtlager, elende Pferde, vielfacher Aerger konnten
wohl als Schattenseiten gelten. Aber zu Zweien ertragen Be-
schwerden sich leicht, und freundliche Eindrücke sowie komische
Scenen, an denen es bei Reisen im Innern der Türkei niemals
fehlt, gewährten doppelten Genuss".
12
Auch das Jahr 1857 brachte für Haymerle mehrere Aus-
flüge, und zwar den ersten nach Trapezunt. Die Lage dieser
Stadt und die Schönheit ihrer Umgebung gefiel ihm ungemein;
die dortigen Berge, Wiesen und Wälder aber erinnerten ihn
so sehr an die Steiermark, dass er sich selbst wie ein öster-
reichischer Student in den Ferien vorkam. Freilich musste er
zugeben, dass das Meer der Lage von Trapezunt einen erhöhten
Beiz verleihe, und dass die Ueppigkeit der Vegetation die der
Steiermark weit übertreffe. Fallmerayers begeisterte Schil-
derungen des kolchischen Buschwaldes fand er nicht über-
trieben; gleich ihm erklärte er, niemals prachtvollere und
kolossalere Bäume gesehen zu haben, während doch die Rebe
sich überall zu deren Gipfel hinaufschlingt. Eine Wallfahrt
nach dem zwölf Stunden von Trapezunt entfernten griechischen
Kloster Sumelas gewährte ihm vielfaches Interesse; die Ein-
drücke aber, die er von den Eigenschaften der dort wohnenden
byzantinischen Mönche in sich aufnahm, müssen die alier-
ungünstigsten genannt werden.
An den entzückenden Ausflug nach Trapezunt schloss
binnen Monatsfrist ein anderer sich an, welcher Haymerle
kaum geringere Freude bereitete. Am 10. October wurde
sein geistreicher Chef, Freiherr von Prokesch, plötzlich von
Reiselust erfasst. Noch in der Nacht liess er den Dampfer
„Eugen" heizen; ein Theil des Gesandtschaftspersonals,
Haymerle mit eingeschlossen, begleitete ihn. Am Morgen des
12. October fand sich die Gesellschaft vor dem hohen, felsigen
Samothrake, das sie rings umschiffte. Zwei Stunden nach
Mittag legte sie in Taso an und durchstreifte nun, das vor
drei und dreissig Jahren von Prokesch niedergeschriebene
Tagebuch in den Händen, die waldreiche Insel. Die Alter-
thümer, Sarkophage und Festungsmauern aus atheniensischer
Zeit, sowie das von den Venezianern erbaute Castell wurden
besucht und besichtigt. Um Mitternacht ging es weiter nach
der Stelle, wo Xerxes seinen Kanal gegraben hatte, um den
Athos vom Lande zu trennen, dann aber bei herrlichstem
Morgensonnenscheine die wunderbare, in üppigster Vegetation
13
prangende Küste entlang und um das Vorgebirge herum, das
der Athos in senkrechtem, sechstausend Fuss hohem Abstürze
in das Meer bildet. In der westlichen Bucht, bei dem
prächtigen Kloster Russico stieg die Reisegesellschaft aus, von
zweihundert Mönchen empfangen, von denen die älteren
niemals ein Dampfschiff gesehen hatten. Nach einem herrlichen
Ritte auf die Berghöhe, von der aus die üppigen Kastanien-
wälder, das dichte Gehölz, aus welchem überall Klöster und
Einsiedlerhütten hervorschauen, der Höhenzug des Athos und
auf beiden Seiten das Meer dem trunkenen Auge sich dar-
bieten, steuerte man nach dem öden, steinigen Lemnos, das
am Morgen des 14. October erreicht wurde. Noch an
demselben Tage trat die Gesellschaft die Rückfahrt nach
Bujukdere an.
Kaum war sie dort eingetroffen, so erhielt Haymerle die
Ernennung zum Legationssecretär bei der österreichischen
Gesandtschaft in Athen. Nur die Trennung von seinen
Collegen fiel ihm schwer; sonst schied er ziemlich leichten
Herzens von Constantinopel, denn er hatte ja selbst bei
seinem neuen Chef, dem Freiherrn von Brenner, die ersten
Schritte gethan, um nach Athen versetzt zu werden. Zweifach
war das Ziel, das er hiedurch zu erreichen sich bestrebte.
Einerseits wollte er den ihm 'überaus lästigen Dienst eines
dritten Dolmetsch los werden, der zumeist in der Vertretung
der für die Betheiligten zwar wichtigen, oft aber recht klein-
lichen Interessen österreichischer Unterthanen und Schutz-
genossen vor den türkischen Behörden und Tribunalen bestand.
Und andererseits hoffte Haymerle durch Erfüllung seines
Wunsches der Beschränkung seiner Laufbahn auf den Orient
zu entgehen, und die Anstellung in Athen galt ihm als der
erste Schritt, dereinst auch im Occident dienstliche Verwendung
zu finden.
Die freudige Stimmung, in welcher Haymerle nach Athen
ging, wurde durch die zuvorkommende Aufnahme, die ihm
von Seite des Freiherrn von Brenner zu Theil wurde, nur
noch gesteigert, und den besten Hoffnungen für seinen
14
Aufenthalt in Griechenland gab er sich hin. Sie gingen denn
auch insofern in Erfüllung, als es ihm bald gelang, sich dort
die Achtung, das Vertrauen und das Wohlwollen der hervor-
ragendsten Persönlichkeiten in nicht geringem Masse zu
erwerben. Ausserdem war es ihm hoch willkommen, dass ihm
in Athen die Aussicht auf eine wenngleich nur vorübergehende
Selbstständigkeit der amtlichen Stellung eröffnet wurde, auf
die er in Constantinopel noch lang nicht hätte hoffen dürfen.
Schon im Winter von 1857 auf 1858 nahm er eine solche
während einer kurzen Abwesenheit des Freiherrn von Brenner
zum ersten Male ein. Die Feier des fünfundzwanzig) ährigen
Jubiläums der Ankunft König Otto's in Nauplia fiel in diese
Zeit. Oesterreich war hiebei durch eine eigene Botschaft;
an deren Spitze der Feldmarschall-Lieutenant Graf Alfred Paar
stand, glänzend vertreten.
Im Sommer 1858 genoss Haymerle die Freude, die
Heimat wiederzusehen, und nachdem er einige Wochen in
Wien zugebracht hatte, begab er sich zur Badekur nach
Gastein. „Mit Wonne schlürfe ich", schrieb er von dort,
„die Alpenluft, und ich kann mich an dem langentbehrten
Grün gar nicht satt sehen." Im Herbste besuchte er seinen
Stiefbruder in Monza, wo ihm der damalige General-Gouverneur
des lombardisch-venezianischen Königreiches, Erzherzog Ferdi-
nand Maximilian, der neun Jahre später in Mexiko ein so
tragisches Ende fand, in ehrendster Weise entgegenkam. Ueber
Florenz, Rom und Neapel kehrte Haymerle nach Athen zurück.
Den sehnlichen Wunsch nahm er aus Italien mit hinüber, dass
sein Schicksal ihn dereinst in diesem gesegneten Lande Anker
werfen lassen möge.
Haymerle's Ankunft in Athen gewährte dem Gesandten
Freiherrn von Brenner die Möglichkeit, eine längere Urlaubs-
reise anzutreten; während derselben hatte Haymerle als
Geschäftsträger zu fungiren. Als so tüchtig bewährte er sich
in dieser Stellung, dass ihm, als sie durch Brenners Rückkehr
nach Athen von selbst wieder aufhörte, von Wien aus die
volle Anerkennung der kaiserlichen Regierung und ihre
15
Zufriedenheit mit seinen Leistungen in den wärmsten Aus-
drücken kundgegeben wurde.
Auch während eines Theiles des Winters von 1858 auf
1859 war Haymerle wieder Geschäftsträger in Athen. Den
Sommer dieses Jahres verweilte er gleichfalls daselbst, und
aufs Tiefste empfand er das Missgeschick, das die öster-
reichischen Waffen auf dem Kriegsschauplatze in der Lombardie
traf und den Verlust dieser herrlichen Provinz nach sich zog.
„Wie bitter die theuersten Gefühle verletzt werden können",
schrieb er im November 1859 an seinen Bruder Alois, „das
erlebt nur der, der sich im Auslande mitten unter den
gehässigsten Elementen bewegen muss. Die Jahreszahl 1859
wird man dereinst in dem Herzen jedes Oesterreichers ein-
gegraben finden, wie in dem jener englischen Königin den
Namen der Stadt Calais."
Dennoch freute es ihn, von Ende December 1859 an
neuerdings die Stellung eines Geschäftsträgers einnehmen, und
sie, weil Brenner zu Haymerle's lebhaftem Bedauern nicht
mehr nach Athen zurückkehrte, durch sechzehn Monate, bis
zum März 1861 bekleiden zu dürfen. „Die Verantwortlichkeit
erhöht und stärkt das Bewusstsein", sagte er damals hierüber,
„und das Gefühl, der Wappenhälter seines kaiserlichen Herrn
und seines Vaterlandes zu sein, ist auch etwas werth."
Schon früher ist angedeutet worden, dass Haymerle's
lebhafte Empfänglichkeit für die Naturschönheit des Südens
auch in Griechenland reichliche Nahrung fand. Weite Aus-
flüge zu Pferde in das Innere des Landes, durch den
Peloponnes oder gegen die thessalische Grenze hin wechselten
mit Segelfahrten auf dem blauen aegaeischen Meere, von einem
sonnigen Felseneiland zum anderen. Ende April und Anfangs
Mai 1860 waren er und sein russischer Freund und College
Baron Staal — jetzt Gesandter in Stuttgart — durch etwa
vierzehn Tage Gäste am Bord einer griechischen Yacht, auf
der sie Livadiens Küsten entlang eine wundervolle Fahrt
zurücklegten. Sie bestiegen den Oeta, der Griechenland von
Thessalien trennt; sie besuchten die sporadischen Inseln, diese
1
16
Perlen des Archipels, in Syra aber den trefflichen Consul
von Hahn, den eifrigen Erforscher des nördlichen Albaniens
und der an dasselbe angrenzenden Theile der Türkei. Mit
ihm, dem gelehrten Kenner des Homer, durchlebten sie ein
Stück Odyssee, und ein Schimmer homerischer Poesie verklärte
die Eindrücke jener Tage und vergoldete die Erinnerung an sie.
Durch derlei willkommene Zerstreuungen liess sich jedoch
Haymerle keinen Augenblick abhalten, den öffentlichen Zu-
ständen Griechenlands mit gespanntester Aufmerksamkeit als
scharfsinniger Beobachter gegenüber zu stehen. Schon im
Frühjahre und im Sommer 1860 signalisirte er wiederholt
deren immer bedenklichere Wendung. Keinen Augenblick
täuschte er sich darüber, wie König Otto in Griechenland
immer mehr Boden verlor, und er hielt den Eintritt einer
Katastrophe bald für unvermeidlich. Zu seinem Glücke sollte
er sie nicht mehr in Athen erleben, denn als Brenners Nach-
folger Freiherr von Testa dort eintraf, bat Haymerle, nachdem
er vierthalb Jahre in Griechenland und mehr als zehn in der
Levante überhaupt zugebracht hatte, im März 1861 um einen
längeren Urlaub zur Kräftigung seiner Gesundheit, und um
dienstliche Verwendung im Abendlande. Am 15. April wurde
ihm der Urlaub bewilligt; am 4. Mai verliess er Athen, und
am gleichen Tage kündigte der griechische Geschäftsführer in
Wien, Herr Lidorikis dem Minister Grafen Rechberg an, dass
Haymerle als Zeichen lebhafter Anerkennung der Förderung,
die er als interimistischer Geschäftsträger den vorläufigen
Verhandlungen zur Erleichterung der commerciellen Ver-
bindungen zwischen Oesterreich und Griechenland hatte zu
Theil werden lassen, das Officierskreuz des Erlöserordens ver-
liehen worden sei.
Auch der zweite Theil der Begehren Haymerle' s ging,
und zwar fast noch eher in Erfüllung, als er selbst es ge-
wünscht zu haben schien. Denn an Stelle des längeren
Urlaubes, um den er gebeten, trat schon Ende Mai seine Zu-
teilung zu der kaiserlichen Gesandtschaft in Dresden, wohin
er sich im Laufe des Juni begab. „War es schon", scnriel
17
er nach wenig Wochen seines dortigen Aufenthaltes an den
Freiherrn von Brenner, „ein Glück für mich, dem Oriente
überhaupt Lebewohl sagen zu können, so fühle ich es als ein
doppeltes, dass mich die Woge an dieses wirthliche Gestade
getragen. Mich überrascht namentlich die Leichtigkeit des
Lebens sowie die Fülle von Ressourcen, die dem Geiste wie
dem Herzen sich darbieten. Auch die Umgegend ist reizend,
doch bin ich auch gegen die Vergangenheit nicht ungerecht
und zolle der unvergleichlichen Schönheit des Landes der
Hellenen den verdienten Tribut der Bewunderung. Gern
weile ich bei den Erinnerungen der vergangenen Jahre,
wäre es auch nur, weil sie mich Ihnen so nahe gebracht
haben."
Die letzten Worte Haymerle's, denen ähnliche Aeusserungen
in Menge angereiht werden könnten, beweisen das sympathische
Verhältniss zwischen ihm und seinem bisherigen Chef. Ob-
gleich er nur durch neun Monate in Dresden verweilte, so
war dieser verhältnissmässig so kurze Zeitraum für Haymerle
doch lang genug, um sich auch die wärmste Zuneigung seines
jetzigen Vorgesetzten, des schon hochbetagten Freiherrn von
Werner zu erwerben. An Kenntnissen und an Erfahrung
von Wenigen erreicht, kaum von Einem tibertroffen, war
Werner ein Mann, an dessen Beifall nicht der gewöhnliche
Massstab gelegt werden darf, und er zollte ihn Haymerle mit
fast verschwenderischer Hand. „Sein Diensteifer", schrieb er
im April 1862 von ihm, „wie seine Geschicklichkeit und seine
Verlässlichkeit sind des höchsten Lobes würdig. Unermüdet
ist sein Streben, sich auszubilden, seine gesellschaftliche und
sittliche Haltung endlich der Art, dass er sich in der kurzen
Zeit seines Hierseins die allgemeine Gunst und Gewogenheit
in einem Grade erwarb, wie kein anderer seiner Collegen."
Aus diesem Berichte des Freiherrn von Werner, zu
welchem die zu jener Zeit von Wien aus verfügte Versetzung
Haymerle's zur österreichischen Bundespräsidial-Gesandtschaft
in Frankfurt am Main die Veranlassung gab, ist auch zu er-
sehen, dass Haymerle hierin nichts weniger als eine Begünstigung
t. Arneth, Haymerle. 2
* m
18
erblickte. Denn er war in Dresden äusserst zufrieden, und
mit Recht legte er auch hier auf die Aussicht hohen Werth,
in Fällen der Abwesenheit des Gesandten dessen Stelle ver-
treten zu können, während die gleiche Möglichkeit in Frank-
furt durchaus nicht vorhanden war.
Für den Ernst des Strebens, das Haymerle beseelte, und
den Eifer, mit welchem er darauf ausging, sich auch über die
Erfüllung seiner nächstliegenden Dienstpflichten hinaus mit
Allem zu beschäftigen, was zu dem Umkreise seines Berufes
gehörte, legt auch eine Denkschrift Zeugniss ab, die er im
October 1862 in Frankfurt verfasste und in welcher er die
revolutionären Ereignisse, in Folge deren König Otto Griechen-
land verliess, einer eingehenden Erörterung unterzog. Noch
heut zu Tage wird jeder, der diese Arbeit mit Aufmerksamkeit
durchliest, bereitwillig einräumen, dass ihr Verfasser mit den
äusseren wie mit den inneren Verhältnissen Griechenlands
vollkommen vertraut war, und nicht nur Scharfsinn, sondern
auch Unparteilichkeit genug besass, um über sie und die dort
massgebenden Persönlichkeiten sowie den griechischen Volks-
charakter überhaupt ein zutreffendes Urtheil zu fällen. So
manche Schlussfolgerung, die Haymerle als Ergebniss seiner
an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen zog, ist seither
in Erfüllung gegangen.
Auch in Frankfurt erprobte sich neuerdings Haymerle's
glückliche Gabe, sich rasch nicht nur die Hochachtung,
sondern auch die wärmsten Sympathieen derer zu erwerben,
mit denen sein Beruf ihn zusammenführte. Wie Brenner und
Werner, war ihm bald auch der Bundespräsidial-Gesandte
Freiherr von Kübeck nicht nur ein wohlwollender Vorgesetzter,
sondern auch ein eifriger und verlässlicher Freund. Zu seinen
ihm dem Alter und dem Range nach vorangehenden Collegen,
den Herren von Dumreicher und Braun wusste er die besten
Beziehungen herzustellen, und er sagte von ihnen, der Eine
habe ihn in die Frankfurter Gesellschaft, der Zweite in die
dortigen Geschäfte eingeführt. In der Ersteren verkehrte er
viel, und überall war er ein gern gesehener, beliebter Gast.
19
Was die Geschäfte anging, so nahmen sie ein Jahr nach
der Ankunft Haymerle's in Frankfurt einen seit langer Zeit
nicht erlebten Aufschwung. Die Projecte zur Reform der
Bundesverfassung geriethen in Fluss, und bekanntlich begab
sich im August 1863 der Kaiser von Oesterreich zur Abhaltung
des Fürstencongresses persönlich nach Frankfurt. Auf den
Verlauf dieses bedeutungsvollen Ereignisses wird hier selbst-
verständlich nicht näher eingegangen, wohl aber gesagt werden
dürfen, dass das Scheitern des Planes, der ihm zu Grunde
lag, die gerechte Würdigung der edlen Intentionen nicht
beeinträchtigen sollte, deren Verwirklichung damals in Frank-
furt angestrebt wurde.
Die ganze Haltung des Kaisers und die Art und Weise,
in der er die Führerrolle übernahm und ausübte, erregte
Haymerle's höchste Bewunderung. „Ich spreche nicht als
Oesterreicher a , schrieb er damals an einen älteren Freund
und Berufsgenossen, „dem ja sein Kaiser lieb und theuer
wäre, wenn er auch weniger hervorragende Eigenschaften
besässe. Aber aus vollster Ueberzeugung kann ich sagen,
dass sein Auftreten ihm nach allen Seiten hin goldene
Meinungen gewann. Auf das wetterwendische Beifallsjauchzen
des Pöbels lege ich gar keinen Werth, aber hoch anzuschlagen
ist die Achtung, die er seinen Mitfürsten und allen aufrichtigen
Männern der verschiedensten Parteien einflösste. Voll Rück-
sicht für die Fürsten vermied er sorgfältig Alles, was auch
nur die geringste Eifersucht zu erregen vermocht hätte. Es
kann keinen besseren Präsidenten geben, sagte der Herzog
von Coburg von ihm, so ruhig und unparteiisch leitete der
Kaiser die oft recht zerfahrene Discussion, stets die wichtigen
Punkte herausgreifend und den Faden unverrückt festhaltend.
Der Eindruck seiner Initiative hat ihm eine grosse Macht in
die Hände gegeben; Keiner hätte sie rücksichtsvoller gebraucht
als er, und gewiss gingen alle Fürsten mit der Ueberzeugung
nach Hause, dass wenn Oesterreich für das Ganze Opfer ver-
langt, es für seine Ansicht durch Gründe gewinnen, aber
nirgend das Recht gewaltsam verletzen will. Der Empfang,
2*
20
den die heimkehrenden Fürsten fanden, zeigt deutlich, dass
man das gewonnene Resultat nicht gering schätzt und es den
Völkern willkommen ist, wenn die Fürsten die Leitung der
Geschäfte wieder in die Hand nehmen, die ihnen fast schon
entschlüpfte. Dieses Hervortreten der fürstlichen Stellung,
das gemeinsam bethätigte Streben, berechtigte Wünsche der
Nation zu erfüllen, die persönlichen Bande der Freundschaft,
die unter den Fürsten sich anknüpften, sind schon an und
flir sich ein grosser Gewinn. Wenn auch das österreichische
Prqject nicht gerade verbessert wurde, so ist man bei uns
doch im Ganzen sehr zufrieden. Man hofft auf eine ruhige
Entwicklung, ist aber auch auf schwere Complicationen voll-
kommen gefasst. Von Ueberstürzung ist keine Rede; man
will dass der Gedanke, dem Oesterreich die Bahn gebrochen,
sich im Volke recht verbreite und vertiefe, dass sich eine
starke Partei bilde, mit der man zusammenwirken kann".
Aus Haymerle's eigenen Worten sieht man, wie sehr der
Glanz, den die Abhaltung des Fürstentages auf seinen Kaiser
und auf Oesterreich zurückwarf, seinem patriotischen Sinne
wohlthat und ihn erquickte. Als ein Glück erklärte er es,
dass er diese Zeit in Frankfurt mit erleben, sich an den dort
vollbrachten Arbeiten betheiligen durfte. Darum bereitete ihm
auch der erste österreichische Orden, den er überhaupt erhielt
— der der eisernen Krone, — als von der Hand des Kaisers
selbst kommend, doppelte Freude.
Der Frankfurter Fürstentag brachte jedoch fiir Haymerle
auch noch einen zweiten, gleichfalls nicht gering anzuschla-
genden Gewinn. Denn man wird es ohne Zweifel als die
Wirkung seiner näheren Bekanntschaft mit den leitenden
Personen im österreichischen Cabinete, die den Kaiser nach
Frankfurt begleitet hatten, und des günstigen Urtheils, das sie
über ihn fällten, ansehen dürfen, wenn ihm beim Ablaufe des
Jahres 1864 ein Auftrag zu Theil wurde, der Zeugniss ablegt
für das ganz besondere Vertrauen, welches man schon damals
in ihn setzte. Nach Beendigung des deutsch-dänischen Krieges
wurde er zur Wiederanknüpfung der diplomatischen Verbin-
V
21
düngen nach Kopenhagen geschickt. Der aufrichtige Wunsch der
kaiserlichen Regierung, mit Dänemark von nun an wieder in
ein dauerndes VerhäJtniss der Freundschaft und des Vertrauens
zu treten, konnte dort in der That nicht leicht durch ein
geeigneteres Organ zum Ausdrucke gebracht werden, als
Haymerle es war. Der vorurtheilslose, unparteiisch abwägende,
versöhnliche Sinn, der ihn beseelte, und dem es gleichwohl dort,
wo dies Noth that, nicht an Festigkeit uud Entschiedenheit
gebrach, übertrug sich wie von selbst auch auf seine
Geschäftsführung.
So gern er auch in Frankfurt verweilt hatte, so freudig
folgte doch Haymerle dem ehrenvollen Rufe, der an ihn erging,
und auch die Gelegenheit, den Norden kennen zu lernen,
nachdem er so lange Zeit im Süden gelebt, war ihm will-
kommen. Um ein Uhr Nachts, bei heulendem Sturme, schiffte
er am 17. December in Travemtinde auf dem kleinen, aber
seetüchtigen Dampfer Freya sich ein. Er freute sich darüber,
dass der wilde Tanz der Wogen, dem das Schiffchen folgen
musste, ihm nichts anhaben konnte und er von der See-
krankheit verschont blieb. In Kopenhagen brachten sowohl
die Stadt als die Bevölkerung einen durchaus günstigen Ein-
druck auf ihn hervor, und man wird wohl sagen dürfen, dass
der letztere ein wechselseitiger war. Mit nicht gewöhnlicher
Zuvorkommenheit kam man ihm- entgegen, und er konnte
seine innere Bewegung nicht unterdrücken, als ihn bei seiner
ersten Audienz der König der hohen Achtung versicherte, die
sich die österreichischen Truppen als tapfere Krieger während
des Kampfes und als milde Sieger nach demselben in ganz
Dänemark, bei der Nation sowohl als der Armee erworben
hatten. Auch der glimpflichen Behandlung der Einwohner
Jütlands durch die kaiserlichen Officiere und Soldaten sowie
der Gefangenen in Oesterreich wurde von dem Könige in den
rühmendsten Ausdrücken gedacht.
Nachdem er im August 1865 mit befreundeten Gefährten
einen kurzen Ausflug nach Schweden unternommen, erhielt
Haymerle im September die Ankündigung, dass Graf Felix
22
Wimpffen, jetzt Botschafter in Rom, zum definitiven Geschäfts-
träger in Kopenhagen ernannt worden sei; ihm selbst wurde
durch seine Beförderung zum Honorar-Legationsrathe die wohl-
verdiente Anerkennung zu Theil. Der König von Dänemark
aber verlieh ihm bei seiner Abreise, die sich, da er die Ankunft
des Grafen Wimpffen in Kopenhagen abwarten musste, bis zu
Ende des Januar 1866 hinausschob, das Commandeurkreuz erster
Classe des Danebrogordens, das er ihm beim Abschiede mit
den huldvollsten Worten persönlich überreichte.
So lebhaft wirkte in Haymerle noch der reizvolle Eindruck
nach, welchen Florenz vor mehr als sieben Jahren auf ihn
hervorgebracht hatte, dass er eine Anstellung bei der dortigen
kaiserlichen Gesandtschaft jetzt sehnsüchtig wünschte. Darum
war es ihm nicht gerade willkommen, als er von Kopenhagen,
statt nach Florenz, wieder nach Frankfurt, aber freilich in
eine höhere Stellung versetzt wurde, als er sie früher dort
eingenommen hatte.
In Frankfurt eingetroffen, erhielt Haymerle die Erlaubniss
zu einer Reise nach Wien, die er denn auch noch in der
ersten Hälfte des Februar antrat. Aber diesmal konnte er
nur kurze Zeit in seiner Vaterstadt verweilen, denn die sich
vorbereitenden traurigen Ereignisse des Jahres 1866 riefen
ihn schon im März wieder nach Frankfurt zurück.
Mit dem tiefsten Schmerze empfand Haymerle die ver-
hängnissvolle Wendung, welche die deutschen Angelegenheiten
nahmen, und die völlige Vernichtung der stolzen Hoffnungen,
die er noch vor weniger als drei Jahren, zur Zeit des Fürsten-
tages gehegt hatte. Allerdings waren sie seither schon sehr
verblasst und in immer grössere Befürchtungen verwandelt
worden; zu ihnen gesellte sich für Haymerle noch die lebhafte
Besorgniss um das Los seiner Brüder Alois und Karl, die
Beide in der österreichischen Armee standen. Beide waren
vermalt, und in wahrhaft rührenden Worten gab Haymerle
seinen Schwägerinnen gegenüber der Theilnahme Ausdruck,
mit welcher deren Angst um das Schicksal ihrer Gatten ihn
erfüllte.
23
Freilich blieb ihm nur sehr wenig Zeit, diesen traurigen
Gedanken nachzuhängen, denn an Stelle der früheren Behäbig-
keit der deutschen Bundesversammlung war jetzt die grösste
Aufregung getreten, und die Thätigkeit der österreichischen
Präsidialgesandtschaft musste eine fieberhafte genannt werden.
Die überaus zahlreichen Berichte Kübecks, zum grossen Theile
von Haymerle verfasst, geben hievon Zeugniss, und gleichzeitig
sind sie ein Beweis der seltenen Gewandtheit, mit welcher
Haymerle die Feder zu fuhren verstand, während der seelen-
volle, markige Ton, den er anschlug, keinen Zweifel auf-
kommen lässt, dass er das, was er niederschrieb, auch tief
und innig empfand. So rührt Kübecks Bericht über die
Sitzung der Bundesversammlung vom 14. Juni, in welcher
Preussen seinen Austritt aus dem Bunde erklärte, worauf der
Ausbruch des Krieges folgte, von Haymerle her. Und ein
Gleiches ist mit einem zweiten, am 25. Juli aus Augsburg
erstatteten Berichte Kübecks der Fall, in welchem derselbe
gegen den damals auftauchenden Plan der Errichtung eines
norddeutschen und eines süddeutschen Bundes, welch letzterer
unter Oesterreichs Führung gestellt werden sollte, ernstliche
Vorstellung erhob. Der Zukunft Oesterreichs wie Deutsch-
lands, heisst es in diesem Berichte, werde der Kaiserhof durch
ein völliges Ausscheiden aus einer derartigen Verbindung weit
bessere Dienste als durch ein Festhalten an derselben leisten.
Ausserdem könne Oesterreich den deutschen Regierungen, die
an seiner Seite den Kampf aufgenommen hatten, bei den
Friedensverhandlungen gewiss günstigere Bedingungen ver-
schaffen, wenn es das volle Opfer seiner bisherigen Stellung
in Deutschland bringe, als wenn es sich hiezu nicht zu ent-
schliessen vermöge. Und aus einem noch vorhandenen Privat-
briefe Haymerle's wissen wir mit Bestimmtheit, dass diese
Ansicht nicht allein die seines Chefs war, sondern dass sie
von ihm selbst vollinhaltlich getheilt wurde.
Aus Augsburg ist dieser Brief und auch Kübecks gleich-
zeitiger Bericht datirt, weil die Bundesversammlung am 11. Juli
den Beschluss gefasst hatte, ihren Sitz dorthin zu verlegen,
24
wenn die Kriegsereignisse sie zwängen, Frankfurt zu verlassen.
Nachdem am 13. Juli der Commandant des achten Armeecorps,
Prinz Alexander von Hessen, dem Freiherrn von Kübeck er-
klärt hatte, für die Sicherheit der Bundesversammlung und
die Möglichkeit ihrer unbehelligten Abreise von Frankfurt nicht
länger mehr einstehen zu können, war am 14. Juli die Ueber-
siedlung nach Augsburg vollzogen worden. Haymerle verfugte
sich gleichfalls dorthin, doch erhielt er schon Ende Juli den
Befehl, sich schleunigst nach Wien zu begeben, um seinen
ehemaligen Chef, den Freiherrn von Brenner, der zum Bevoll-
mächtigten Oesterreichs flir den Friedensvertrag mit Preussen
ernannt worden war und sich Haymerle als Mitarbeiter aus-
gebeten hatte, nach Prag zu begleiten. Unverzüglich kam
Haymerle diesem Auftrage nach, und in so befriedigender
Weise erfüllte er auch diesmal seine Aufgabe, dass er auch
jetzt wieder zur Wiederanknüpfung der diplomatischen Be-
ziehungen mit Preussen ausersehen wurde. Am 22. September
traf er in Berlin ein, doch blieb er dort nicht lange in selbst-
ständiger Stellung, dfenn schon im November wurde Graf
Wimpffen zum österreichischen Gesandten daselbst ernannt.
Ihrer Zufriedenheit mit Haymerle's Diensten gab seine
Regierung im Januar 1867 durch dessen Beförderung zum
wirklichen Legationsrathe einen ihm sehr willkommenen Aus-
druck. Er fand darin einigen Trost fär eine langwierige und
schmerzliche Erkrankung, die ihn bald darauf befiel und nach
mehrmonatlichen Leiden zwang, um längeren Urlaub zu
bitten. Nachdem er ihn erhalten, verliess er am 1. Mai
Berlin und begab sich vorerst nach Frankfurt, das er trotz
der herzlichen Aufnahme, die ihm von seinen dortigen Freun-
den und Bekannten zu Theil wurde, doch unter so völlig
veränderten Verhältnissen nur mit den wehmtithigsten Gefühlen
wieder betrat. Er blieb auch nicht länger als vierundzwanzig
Stunden in Frankfurt, und in langsamen Tagereisen setzte er
seinen Weg über Baden und durch die Schweiz nach Aix-les-
Bains fort, wo er vorerst sein Domicil aufschlug. Der längere
Aufenthalt daselbst bekam ihm wohl; noch in späteren Jahren
25
erinnerte er sich dankbar desselben und empfahl wohl auch die
dortige Badekur recht angelegentlich Kranken, deren Leiden
ihm eine gewisse Aehnlichkeit mit dem seinigen darzubieten
schien.
Nach Wiedererlangung seiner Gesundheit schickte sich
Haymerle zur Bückkehr nach Berlin an, als er von Wien
aus wenigstens vorübergehend eine andere Bestimmung erhielt.
Nichts ist begreiflicher, als dass die seltene Tüchtigkeit, die
er noch auf jedem Posten bewiesen hatte, den er einnahm,
dass insbesondere seine bewunderungswürdige Gewandtheit in
der Redaction politischer Depeschen und Aufsätze den Gedanken
wachrief, ihm künftighin in dem Centralpunkte, von welchem
dieselben auszugehen haben, dem Ministerium der auswärtigen
Angelegenheiten eine seinen ungewöhnlichen Fähigkeiten an-,
gemessene Stellung anzuweisen. Desshalb wurde Haymerle
im Juli 1867 nach Wien berufen und dort dem Ministerium
des Aeussern zur Dienstleistung zugetheilt. Aber er fühlte
sich daselbst nicht gerade behaglich, und er machte aus seinem
lebhaften Wunsche kein Hehl, auch in Zukunft seine Laufbahn
im Auslande zurücklegen zu dürfen.
Unter den verschiedenen Beweggründen, die ihn hiezu
bestimmten, war wohl keiner von mächtigerer Einwirkung
auf ihn, als die allmälig in ihm herangereifte Absicht, sich zu
vermalen. Früher war er immer ein eifriger Anwalt der
Ehelosigkeit jüngerer Diplomaten gewesen, und scherzweise
erzählte er wohl, wie er an seinem Freunde Staal einen
Gesinnungsgenossen gefunden. Einstimmig hätten sie Beide
das Glück der Freiheit von ehelichen Banden gepriesen und
sich verschworen, sich,, niemals in solche schlagen zu lassen.
Nach Abtragung ihrer Dienstschuld an ihre Regierungen
würden sie sich gemeinsam nach Egypten, dem Lande der
Euhe und Beschaulichkeit zurückziehen und dort ihr Leben
beschüessen.
Baron Staal hatte zuerst den Beweis geliefert, dass man
derlei Pläne nur entwirft, um sie unausgeführt zu lassen, indem
er sich im Jahre 1866 mit einer Fürstin Gortschakoff ver-
26
malte. Aach Haymerle war schon ziemlich lange von jenen
früheren Anschauungen zurückgekommen, deren Festigkeit
bereits sein erster Aufenthalt iu Frankfurt etwas erschüttert
zu haben scheint. Wenigstens ist in einem Briefe, den er
noch vor seiner Versetzung nach Kopenhagen von Frankfurt
aus schrieb, die erste Andeutung zu finden, dass er Heirats-
gedanken nicht mehr so unzugänglich war als zuvor. Noch
lebendiger wurden sie in ihm, als er neuerdings nach Frank-
furt zurückkam. Wie es schon früher geschehen war, ver-
kehrte er auch jetzt wieder mit Vorliebe in den Häusern
Tettenborn und du Fay; dort lernte er eine Nichte beider
Frauen, Fräulein Therese von Bernus kennen, die einen
tiefen Eindruck auf ihn hervorbrachte. Als er sich im Juli
1866 mit seinem Freunde Dumreicher von Frankfurt über
Heidelberg nach Augsburg begab, verweilten Beide durch
einige Stunden im Stifte Neuburg, der unfern von Heidelberg
reizvoll am Neckar gelegenen Besitzung des Freiherrn von
Bernus. Die Tochter des Hauses, Fräulein Therese, war die
liebliche und liebenswürdige Führerin der zwei Freunde durch
die Räumlichkeiten des in so mancher Beziehung sehr inter-
essanten Gebäudes. Ihr überaus gewinnendes Aeussere, ihr
ganz ungewöhnlicher Verstand und die geistvolle Lebendigkeit
ihres Wesens nahmen Haymerle rasch gefangen, und der Ge-
danke an sie beschäftigte ihn von nun an so sehr, dass er
bei der Rückkehr von Aix-les-Bains nach Berlin wieder auf
Stift Neuburg vorsprach. Vier oder fünf Tage verweilte er
daselbst, dann begleitete er die Familie Bernus nach Schloss
Aubach im Schwarzwalde, einer Besitzung des Herrn du Fay.
Hier erstarkten die bereits angesponnenen Fäden zu jenem
innigen Bande der Liebe, das zwei gleichgesinnte Menschen
für die Zeit ihres Lebens zu glücklichster Vereinigung an
einander knüpfen sollte, bis der jähe Tod des Einen es ge-
waltsam zerriss.
Einem vierzehntägigen Aufenthalte in Aubach machte
Haymerle's plötzliche Berufung nach Wien, von der soeben die
Rede gewesen, ein ihm recht unerwünschtes Ende. Aber sein
27
Entschluss stand fest, und schon im August verlobte er sich
von Wien aus mit Fräulein von Bernus. Von einem kurzen
Besuche bei seiner Braut kehrte er noch einmal nach Wien
zurück, und schmerzlichst empfand er es, dass gerade zu der
Zeit, in der er im Begriffe stand, sich ein eigenes Familien-
leben zu schaffen, dasjenige, dem er bisher trotz seines Ver-
weilens in der Fremde doch immer noch angehört hatte,
zerstört wurde. Denn am 23. October 1867 verlor er seine
Mutter, der er immer ein treu anhänglicher, liebevoll für
sie besorgter Sohn gewesen, nach langer Krankheit durch
den Tod.
In den letzten Tagen des November verliess Haymerle
Wien und begab sich nach Neuburg, wo am 19. December 1867
seine Vermälung stattfand. Des vorangegangenen Trauer-
falles wegen wurde sie ohne alle Festlichkeit vollzogen. Nur
wenige Verwandte wohnten der Trauung bei, die in der
Capelle des Schlosses nach katholischem, in einem eigens dazu
hergerichteten Saale aber nach protestantischem Ritus, dem die
Braut angehörte, vor sich ging.
„Es war ein feierlich schöner Tag", schrieb Haymerle
kurz darauf an seinen Bruder Alois, welcher der Hochzeit
nicht hatte beiwohnen können, „nur der Gedanke, dass
Mutter diese Freude nicht mehr erlebte, trat trüb und schwer
vor meine Seele. Der Eindruck, welchen Theresen's Persön-
lichkeit auf die Brüder gemacht, ist mir eine Bürgschaft,
wie glücklich die gute Mutter über unseren Bund gewesen
wäre".
Die Hochzeitsreise, welche Haymerle und seine junge
Frau unmittelbar nach ihrer Vermälung antraten, führte sie
über Basel, Genf und Lyon nach dem südlichen Frankreich.
Avignon mit dem ernsten Charakter seiner Landschaft und
dem mächtigen Palaste der Päpste gefiel ihm sehr, aber sein
ganzes Herz gewann Nimes, denn nirgends fand er so an-
sprechend wie hier die Erinnerungen an das Alterthum mit
dem. modernen Leben vermittelt. In Marseille beglückte ihn
der Anblick des Meeres, das er seit zwei Jahren nicht mehr
28
gesehen hatte, und das grossartige Treiben im Hafen erweckte
sein lebhaftes Interesse. Zu Cannes schien ihm das Klima
milder als dasjenige Griechenlands zu sein, der Aufenthalt
daselbst wurde aber durch den in Mentone noch verdunkelt.
Im März 1868 siedelten Haymerle und seine Frau nach
San Remo über, wo sie die Luft erquickender fanden als in
dem landschaftlich schöneren Mentone.
So glücklich nun auch das neuvermälte Paar den Winter
an der Nordküste des mittelländischen Meeres verlebte, so
ernstlich beschäftigte sich doch Haymerle mit Planen für seine
zukünftige amtliche Stellung. Neuerdings und mit verdoppelter
Stärke kehrte der Wunsch in ihm zurück, der Gesandtschaft
in Florenz zugewiesen zu werden. Wenn er ihn jetzt noch
lebhafter als in früheren Jahren empfand, so lag die Veran-
lassung hiezu darin, dass Freiherr von Kübeck, der zuletzt in
Frankfurt sein Chef gewesen, nun als Gesandter Oesterreichs
bei Victor Emanuel beglaubigt war. Sowie noch jeder Vor-
gesetzte Haymerle's, hatte auch Kübeck sich eine überaus
günstige Meinung von ihm gebildet und er sagte ihm eine
glänzende Laufbahn vorher. Lag daher Kübeck daran,
Haymerle wieder an seiner Seite zu haben, so hätte der
Letztere unter Niemand lieber als unter Kübeck gedient, denn
in ihm erblickte er nicht nur ein nach jeder Richtung hin
nachahmungswürdiges Beispiel, sondern er hing auch mit aller
Seele an Kübeck und trug diese Gesinnung bis zu dessen
allzufrühem Tode unverändert in sich.
Mit solcher Gewissheit glaubte Haymerle auf Erfüllung
seines Wunsches zählen zu dürfen, dass er alle Vorbereitungen
traf, sich von San Remo die Riviera entlang direct nach
Florenz zu begeben. Aber auch jetzt wieder scheiterte sein
Lieblingsproject , denn nicht nach Florenz , sondern nach
Constantinopel , wo noch immer sein früherer Chef, Freiherr
von Prokesch, jedoch nicht mehr als Internuntius, sondern als
Botschafter Oesterreich vertrat, wurde Haymerle bestimmt.
Er ging nach Wien, wo er einige Tage verweilte, und legte
dann auf dem Donauwege und über das schwarze Meer binnen
29
drei Tagen die Reise nach Constantinopel zurück; am 18. Juni
1868 fand dort die Ankunft statt. Bei Prokesch, von welchem
Haymerle, seitdem er zum ersten Male unter ihm gedient,
wiederholte Beweise der Güte und des Wohlwollens empfangen,
fanden er und seine Frau, und zwar im engsten Sinne des
Wortes die liebenswürdigste Aufnahme, denn durch mehrere
Wochen beherbergte er sie bei sich, bis sie die ihnen bestimmte
Wohnung beziehen konnten. Nachdem dies geschehen und
sie sich behaglich eingerichtet hatten, wurde ihr häusliches
Glück noch dadurch erhöht, dass ihnen am 25. October ein
Töchterchen zur Welt kam, welches in der Taufe die Namen
Marie Caroline Wilhelmine erhielt.
Als Legationsrath nahm Haymerle nun die erste Stelle
nach dem Botschafter ein. Dieser Umstand zog für ihn die
günstige Wirkung nach sich, dass er, als Prokesch im De-
cember für zwei Monate Constantinopel verliess, um Egypten
wieder zu besuchen , als Geschäftsträger fungirte. Gerade
damals war der Zwiespalt der Pforte mit Griechenland wegen
der offenkundigen Bestrebungen dieses Staates, sich Kreta
anzueignen, zu seinem Höhepunkte gediehen. Am 15. December
verwarf Griechenland das türkische Ultimatum, die beider-
seitigen Gesandten verliessen ihre Posten und immer wahr-
scheinlicher wurde der Ausbruch eines Krieges. Ganz ausser-
ordentlich kam es Haymerle zu Statten, dass er durch seine
frühere Dienstleistung in der Türkei und in Griechenland mit
den Verhältnissen beider streitenden Theile so genau bekannt
war. In Folge dessen errang er sich rasch die Geltung, welche
die Stimme eines wahrhaft Sachverständigen immer und überall
findet, und daher war auch sein Antheil an der befriedigenden
Lösung des Zwiespaltes kein geringer. Von allen Seiten wurde
dies gleichmässig anerkannt, und von Wien aus wurde, nachdem
Prokesch im Februar 1869 nach Constantinopel zurückgekehrt
war, Haymerle's eifriges, umsichtiges und taktvolles Wirken
aufs Wärmste belobt.
Das Jahr 1869 barg jedoch für Haymerle noch viel
freudigere Ereignisse in seinem Schosse. Nachdem er im Mai
30
mit Frau und Kind heitere Tage auf den Prinzeninseln verlebt,
brachte er den Herbst in Therapia am Bosporus zu. Dort
erhielt er die erste Nachricht von dem Beschlüsse des Kaisers
von Oesterreich, sich über Constantinopel zur feierlichen Er-
öffnung des Suezkanals zu begeben. Am 25. October trat
der Kaiser von Pest aus die Reise nach dem Orient an. Am
28. October um fünf Uhr Abends traf er in Varna ein und setzte
vier Stunden später bei herrlichstem Wetter die Seefahrt nach
Constantinopel fort. Am 29. zur Mittagsstunde erfolgte die
Ankunft daselbst, und Haymerle fühlte sich glücklich, nun
schon zum zweiten Male den Kaiser, dessen Auftreten in
Constantinopel er als einen glänzenden und hocherfreulichen
Erfolg bezeichnete, im Auslande begrüssen zu können. Mit
tiefster Dankbarkeit nahm er die Beweise der Huld seines
Monarchen entgegen, die ihm auch diesmal zu Theil wurden.
Das Komthurkreuz des Franz-Joseph-Ordens mit dem Sterne
wurde ihm verliehen, und persönlich kündigte der Kaiser ihm
seine Absicht an, ihn zu seinem Gesandten in Griechenland
zu ernennen. Im December erhielt Haymerle die amtliche
Ausfertigung hierüber, und nun schied er auch bald von
Constantinopel. So zufrieden er selbst und seine Gemalin
sich auch dort gefühlt hatten, so freudig schritten sie doch
Beide an ihre Uebersiedlung. Er war beglückt durch den
weit höheren und ganz selbstständigen Posten, den er nun
einnahm, sie aber brachte dem Lande der Hellenen all das
lebhafte Interesse entgegen, das als Erbstück ihres kunst-
sinnigen Vaters auf sie übergegangen war. Die Seefahrt nach
Athen ging ungemein glücklich von Statten, und am 13.
Januar 1870 überreichte Haymerle dem Könige Georg sein
Beglaubigungsschreiben.
Drei Monate war Haymerle in Athen, als ein schreckliches
Ereigniss diese Stadt und das ganze Land in gewaltige Auf-
regung versetzte. Unter den Fremden, die alljährlich Griechen-
land zu besuchen pflegen, befand sich damals Lord Muncaster
mit seiner Gemahn. Mit ihr und einigen Freunden — unter ihnen
ein englischer und ein italienischer Gesandschafts -Secretär —
31
unternahm er am 11. April eine Fahrt nach Marathon.
Vier Stunden von Athen entfernt, wurde die Gesellschaft von
Räubern überfallen, geplündert und dann in die Berge ge-
schleppt. Von dort sandten die Räuber die von ihnen gefangenen
Frauen und hierauf Lord Muncaster selbst nach Athen; sein
Ehrenwort hatte er ihnen verpfänden müssen, zu ihnen zurück-
zukehren, wenn er die Gewährung ihrer Forderungen nicht
zu erreichen vermöchte. In einem Lösegelde von einer Million
Drachmen, vollständiger Amnestie und der Freilassung zweier
Genossen bestanden ihre Begehren. Deren Verweigerung
würde, Hessen sie drohend erklären, mit dem Tode der Ge-
fangenen beantwortet werden.
Unbeschreiblich war die Verlegenheit der griechischen
Regierung, die von allen Seiten zur Ergreifung energischer
Massregeln gegen die Räuber gedrängt wurde. Nicht Jeder-
mann dachte so billig wie Haymerle, der zwar die verübte
Schandthat nicht weniger streng verurtheilte als die Anderen
es thaten, aber doch auch die Hindernisse nicht verkannte,
auf welche die Absicht stossen würde, die Gefangenen zu
retten, ohne sich zu erniedrigenden Zugeständnissen an die
Räuber herbeilassen zu müssen. Und wenn man von der
griechischen Regierung die völlige Ausrottung der Räuber
kategorisch verlangte, so sah natürlich auch Haymerle die
Erreichung dieses Zieles als höchst wünschenswerth an. Aber
er verhehlte sich doch nicht, dass sich ihr in einem Lande,
in welchem hiebei auf Mithülfe der Bevölkerung in gar keiner
Weise zu zählen war, Schwierigkeiten entgegenthürmten, zu
deren Besiegung die der griechischen Regierung zu Gebote
stehenden Mittel kaum zulänglich erschienen. Nur allzu rasch
gingen Haymerle's Besorgnisse in Erfüllung. Gegen seine
Warnung trachtete man die Räuber zu umzingeln, und am
22. April vollführten die griechischen Truppen einen energischen
Angriff auf sie. Ein Theil der Räuber fiel in die Gewalt der
Soldaten, ein anderer entkam auf türkisches Gebiet, von den
Gefangenen aber fand man nur mehr die grässlich ver-
stümmelten Leichname vor. Dass man die Räuber, deren man
32
habhaft geworden, dem Henker überlieferte, konnte an dem
Schicksale ihrer unglücklichen Opfer nichts mehr ändern und
Hess es nicht minder schrecklich erscheinen.'
Anmuthend wirkt es, die Lebhaftigkeit des Interesse's zu
beobachten, welches Haymerle bei seinem zweiten Aufenthalte
in Athen in weit höherem Masse als bei dem ersten den
archäologischen Forschungen sowie überhaupt Allem entgegen-
brachte, was auf die althellenische Kunst und ihre Werke sich
bezog. Schon der anregende Verkehr mit einem so glühenden
Verehrer der Antike, einem so ausgezeichneten Kenner und
Forscher wie Prokesch hatte Haymerle für diese Richtung
gewonnen, und der rege Kunstsinn seiner Gemalin zog ihn
noch weiter in derselben fort. Kam überdies noch deren Vater
Bernus zu ihnen nach Athen, wie er denn wirklich fast einen
ganzen Winter dort zubrachte, so war des begeisterten Wett-
eifers in Kunststudien vollends kein Ende. Die Resultate seiner
Beobachtungen und mehr noch die neuen Erscheinungen auf
dem Gebiete der Nachgrabungen und sonstigen Erforschungen
berichtete Haymerle regelmässig an Prokesch, und seine ziem-
lich zahlreichen Briefe an ihn zerfielen stets in zwei von
einander völlig verschiedene Theile, von denen der eine der
politische, der andere aber der archäologische genannt wer-
den darf.
Trotz des mannigfachen Reizes, den eine solche Lebens-
weise unzweifelhaft darbot, ist doch nichts begreiflicher als
dass Haymerle, dessen Gemalin die klimatischen Verhältnisse
in der Levante keineswegs wohlbekamen, seinen Posten in
Athen gegen einen im westlichen Europa vertauschen zu
können wünschte. Hiedurch wäre er auch dem Wohnsitze
seines Schwiegervaters näher gekommen, denn dorthin zog es
ihn und seine Gemalin immer wieder am meisten, und am
liebsten verbrachten sie seine Urlaubszeit in dem waldesgrünen
lauschigen Thale bei Heidelberg oder auf der reizenden Villa,
die ihr Schwager, Freiherr von Erlanger, auf dem mittelalter-
lich-geschichtlichen Boden der carolingischen Pfalz zu Ingel-
heim im herrlichen Rheingau besitzt. Diesen Lieblingswunsch
33
in regelmässig wiederkehrenden Fristen zu erfüllen, wurde
Haymerle durch seine im Januar 1872 geschehene Ernennung
zum Gesandten im Haag wesentlich erleichtert.
Ueber Neapel und Rom begab er sich nach Wien, und
von dort nach dem Haag, wo er in den letzten Apriltagen
eintraf. Nun begann für Haymerle eigentlich die ruhigste und
behaglichste Zeit seines wechselvollen Lebens. In glücklichstem
Zusammensein mit seiner Gemalin, die ihn am 15. Sep-
tember 1874 mit einem langersehnten Sohne beschenkte, in
trautestem Familienleben, auf einem Posten, auf dem ihm mehr
die Rolle eines Beobachters der Weltereignisse als die eines
Mitwirkenden an denselben beschieden war, flössen seine Tage
in einer ihm bisher unbekannt gebliebenen, beneidenswerthen
Ruhe dahin. Aber Niemand konnte weiter davon entfernt
sein als er, diese Zeit der Ruhe als eine des Müssigganges zu
betrachten. Gerade das Gegentheil war der Fall; auch jetzt
wieder widmete Haymerle allen Vorkommnissen des öffent-
lichen Lebens rege Aufmerksamkeit, und das Ergebniss seiner
Beobachtungen und Betrachtungen legte er in Berichten nieder,
welche die überaus günstige Meinung, die seine Regierung
von ihm hegte, nur noch, befestigten und erhöhten. Allgemein
erkennbaren Ausdruck fand dieses Urtheil über ihn durch
seine Erhebung in den österreichischen Freiherrnstand, welche
am 14. April 1876 in Anbetracht seiner, wie es in dem amt-
lichen Actenstticke heisst, mehr als sechsundzwanzigj ährigen,
sehr ehrenvollen und vielbewegten Dienstleistung, seiner un-
gewöhnlichen Befähigung und der ganz ausgezeichneten Hal-
tung geschah, die er als Gesandter in Athen und im Haag
beobachtet hatte.
Man würde übrigens Haymerle Unrecht thun, wenn man
aus dem Eifer, mit dem er die Pflichten seines Berufes erfüllte,
den Schluss ziehen wollte, er sei durch denselben ganz ab-
sorbirt worden. Dem war keineswegs so; er legte vielmehr
für das Meiste von dem, das sonst die Menschen beschäftigt
und anregt, grosses Interesse an den Tag. Um aus Vielem
nur Eines herauszugreifen, wird hier erwähnt werden dürfen,
v. Arneth, Haymerle. o
34
dass Alles, was mit der Erziehung zusammenhing, von jeher
ein Gegenstand seines Nachdenkens war. Schon vor Jahren,
als er sich zum ersten Male in Griechenland befand, war er
nicht sparsam mit Rathschlägen, die sich auf die Heranbildung
des einzigen Sohnes seines Stiefbruders bezogen. „So ent-
schieden ich stets der Meinung bin u , schrieb er dem Vater
ans Athen im Januar 1858, „dass ein Mädchen, welches im
Schosse der Familie Ziel und Aufgabe seines Lebens zu finden
hat, nicht ohne dringende Notwendigkeit von der Seite seiner
Eltern genommen werden soll, ebenso fest steht meine Ueber-
zeugung, dass dem Knaben, will man einen tüchtigen Mann
aus ihm machen, die Reibung mit anders gearteten Charakteren
Noth thut Das Leben fordert seine Schule. Sowohl der
nöthigen Selbstständigkeit als der gleichfalls unerlässlichen
Fügsamkeit in äussere Verhältnisse wird man nur in unaus-
gesetztem Verkehre mit Anderen t heilhaft; der Alleinstehende
wird leicht verschlossen oder ein Träumer. Ich bin daher
entschieden dafür, dass ein Knabe unter Altersgenossen auf-
wachse: einem aufmerksamen Beobachter wird es ohnedies
bald klar werden, ob er nicht eine Ausnahme macht und die
Erziehung im väterlichen Hause ihm besser bekömmt. Bei
der Wahl einer Erziehungsanstalt würde mich nur der Gedanke
leiten, diejenige herauszufinden, welche die Berührung mit der
Natur am meisten berücksichtigt und Intensität, nicht aber
Vielseitigkeit der Bildung vorzugsweise anstrebt. tt
Etwa vierzehn Monate später kam Haymerle seinem Stief-
bruder gegenüber neuerdings auf diesen Gegenstand zurück.
„Tritt bei Deinem Sohne", schrieb er ihm im März 1860
ebenfalls aus Athen, „noch keine Lieblingsrichtung hervor?
Sobald sich diese in unzweifelhafter Weise kundgibt, wirf ihn
mit aller Macht hinein. Die allumfassende, encyclopädische
Bildung bleibt stets unfruchtbar, obgleich sie das Ideal continen-
taler Erziehung ist. Nur einseitige Menschen leisten Tüch-
tiges, das beweisen uns die Engländer, die nicht gerade viel,
das aber gründlich lernen und deren ganze Erziehung auf
klassische Bildung, Entwicklung des religiösen Gefühls, Ge-
35
horsam in grossen Dingen, möglichste Selbstständigkeit in den
täglichen Vorfallen des Lebens, endlich auf Anregung zu
körperlicher Thätigkeit, insbesondere zu solcher sich richtet,
die mit Gefahren verbunden ist. Ein achtzehnjähriger Eng-
länder kann an Energie und Reife des Entschlusses füglich
einem einundzwanzigjährigen Festländer an die Seite gestellt
werden".
Den Anschauungen, die er hier aussprach, blieb Haymerle
auch in viel späteren Jahren, ja man kann wohl sagen, Zeit
seines Lebens treu. Immer warf er der gegenwärtigen Er-
ziehungs- und Bildungsmethode vor, dass sie zu viel nach der
Schablone arbeite und generalisire, dass sie dem Einzelnen
keine Zeit lasse und keine Möglichkeit gewähre, die ihm eigen-
artige Anlage und Richtung zu entwickeln, eine bestimmt aus-
geprägte Individualität zu werden. Immer gab er seiner Vor-
liebe für die englische Erziehungsmethode Ausdruck und hob
rühmend hervor, dass sie ihr Hauptaugenmerk auf Charakter-
bildung richte, wenn er auch zugestand, dass etwas tiefere
Studien den Engländern nicht schädlich sein würden. Schon
in der Jugend müsse man, wiederholte er oft, Alles wach-
halten und fördern, was Eigenart bekunde. Weniger Gelehrte
brauchen wir, pflegte er zu sagen, und mehr Individualitäten
und Charaktere.
Brachte nun auch Haymerle, wie man sieht, dem eigent-
lichen Gelehrtenthum nicht übergrosse Sympathieen entgegen,
so schätzte er nicht nur die Gelehrsamkeit an Anderen hoch,
sondern er war geradezu unermüdlich in der Fortentwicklung
seiner eigenen Bildung. Rühmte er sich doch als Minister in
öffentlicher Rede vor der österreichischen Delegation, mit
Gregorovius befreundet zu sein. Und mitten im rastlosesten
Getriebe des Geschäftslebens Hess er nicht ab, an dem Borne
der Wissenschaft durch eifrige Lecture zu schöpfen. Hatte
er in seiner Jugend die Nationalökonomie zu seinem Lieblings-
studium erkoren, so blieb er ihr auch späterhin noch treu,
widmete aber dem Staats- und Völkerrechte sowie der Ge-
schichte nicht weniger Zeit. Noch in den letzten Monaten
36
seines Lebens las er die Weltgeschichte Ranke's, beschäftigte
sich mit den Schriften des damals noch lebenden Bluntschli,
den fast gleichzeitig mit ihm ein gleich plötzlicher Tod dahin-
raffte, und vertiefte sich dann wieder in die Memoiren
Metternichs, deren Publication er von Anfang an mit stets
sich gleich bleibendem Interesse gefolgt war.
Wenn man von Haymerle's Studien spricht, darf ein
Gebiet nicht ausser Acht gelassen werden, auf dem er es zu
ganz ungewöhnlicher Vollendung brachte, das der fremden
Sprachen. In der orientalischen Akademie legte er die Grund-
lage hiezu; ausser dem Französischen, der Sprache der
Diplomatie, und dem Italienischen, das in der Levante die
Geschäftssprache der NichtOrientalen bildet, wurde in der
Akademie das Türkische, Arabische, Persische und Neu-
griechische gelehrt. Zu den rtihmenswerthen Fortschritten
Haymerle's in all' diesen Sprachen gesellte sich später die
praktische Ausbildung, die sich insbesondere auf das Fran-
zösische, das Italienische, das Türkische und das Neugriechische
erstreckte. Nebstbei trieb er aus Privatfleiss das Englische
mit Erfolg, und wenn sein Beruf ihn nach Ländern führte,
in denen eine andere Sprache als die hier genannten herrscht,
ging Haymerle eifrig darauf aus, sie sich in möglichst kurzer
Frist anzueignen. So lernte er in Kopenhagen Dänisch, und
es existiren sogar Briefe von ihm in dieser Sprache. Im
Haag aber trachtete er Holländisch zu lernen, was ihm bei
seinem seltenen Talente für derlei Studien auch leicht gelang.
Haymerle' s steter Drang nach Vermehrung seines Wissens,
dieser charakteristische Zug seines ganzen Wesens, äusserte
sich bei ihm auch im Verkehre mit seiner Umgebung durch
seine im Allgemeinen mehr forschende als expansive Be-
theiligung am Gespräche, wenn nicht etwa die Ausübung
seines Berufes ihn zum Heraustreten aus dieser Reserve ver-
anlasste. Selbst in alltäglichen Dingen war ihm jede Gelegen-
heit zur Erweiterung seiner Kenntnisse willkommen. Auf
Reisen war es ihm ein stetes Bedürftiiss, sich über die gerade
vorkommenden topographischen Verhältnisse genau zu
37
orientiren. Mit dem Interesse eines Generalstabsofficiers er-
kundigte er sich beständig nach Wegen, Entfernungen, Ver-
kehrsmitteln. Das in solcher Weise angeknüpfte Gespräch
benutzte er dann wohl auch zu weiteren Fragen über Land
und Leute, über wirtschaftliche, politische und Culturzustände.
Mit Vorliebe suchte er jederzeit bei Fachmännern Belehrung
über Dinge, die dem wissenschaftlichen, dem künstlerischen,
dem technischen Gebiete angehören. Und leicht lässt sich
ermessen, welch reiche Schätze des Wissens ihm eine solche,
ein ganzes Leben hindurch unter den verschiedensten Himmels-
strichen, von einem Ende Europa's zum andern geübte Praxis
allmälig zuführen musste.
Es versteht sich wohl von selbst, dass Haymerle bei
seiner regen Vaterlandsliebe und bei dem Ernste, den er
seinem Berufe entgegenbrachte, Oesterreich in den Ländern,
in denen er eben beglaubigt war, würdig und erfolgreich zu
vertreten, gerade das, was sein Heimatland betraf und sich
dort zutrug, mit gespannter Aufmerksamkeit und tief-
empfundener Theilnahme verfolgte. Sein höchstes Interesse
nahmen Oesterreichs innere Zustände in Anspruch, und mit
seinem Urtheile über dieselben hielt er gegen vertraute Freunde
nicht zurück. Dem Constitutionalismus als solchem brachte er
keineswegs, wie so Viele seiner Berufsgenossen, irgend welche
Feindseligkeit entgegen. Voll und ganz stand er auf dem
einmal gegebenen Boden der Verfassung, und daher der Partei,
die ihn vertritt, wohl auch am nächsten, wenn er auch häufig
ihre Haltung nicht billigte. Die Zweitheilung des Reiches
bedauerte er tief, und nicht eine Stärkung, sondern eine
Schwächung der Machtstellung desselben erblickte er in ihr.
War sie aber einmal vollzogen und von allen gesetzgebenden
Factoren feierlich anerkannt, dann sollte sie seiner Meinung
nach auch in ihren Consequenzen vollstreckt und jeglicher
Versuch unterlassen werden, sie nachträglich wieder zu ver-
kümmern. Selbst ein gläubiger Katholik und Alles von der
Hand weisend, was eine Erlahmung des religiösen Gefühles
in der Bevölkerung herbeifuhren könnte, bewahrte er sich
38
jedoch auch in diesen Dingen ein ganz selbstständiges Urtheil.
„Wenn ich sehe a , schrieb er im Januar 1875 an einen Berufs-
genossen, „dass die Civilehe seit vielen Jahren in den am
meisten katholischen Ländern ohne irgend eine Gefährdung der
Religion und der Sitte besteht und von der Kirche dagegen
nicht die leiseste Einsprache erhoben wird, so kann ich den
Abscheu nicht begreifen, mit welchem Viele diese Einrichtung
betrachten. Sie im Namen conservativer Grundsätze bekämpfen,
muss vollends eine Begriffsverwirrung genannt werden."
Von aussergewöhnlichen Erlebnissen Haymerle's während
der Zeit seiner Anstellung im Haag ist nur ein kurzer Aus-
flug nach England zu erwähnen, den er mit seiner Frau im
Sommer des Jahres 1875 unternahm und dessen er sich
ungemein belobte. „Wir haben", schrieb er zu Ende des
September aus Stift Neuburg an einen seiner Brüder, „in
Manchester das industrielle, in Liverpool das handeltreibende,
in Nordwales das landschaftlich reizende, vegetationsstrotzende
England, auf den Schlössern des Herzogs von Devonshire, des
Earl ofWarwick und inWindsor die Grossartigkeit englischer
Landsitze, wenn auch nur flüchtig gesehen. Im unabsehbaren
London waren wir durch acht oder neun Tage, Einen der
bleibendsten Eindrücke nahm ich von Oxford, einem Con-
glomerate von Universitäten, oder wenn Du willst, von
Theresianen *) mit den wunderbarsten Gebäuden und Ein-
richtungen mit mir fort."
Mehr als vier Jahre hatte Haymerle den Posten eines
österreichischen Gesandten im Haag bekleidet; er fühlte sich
dort zufrieden und glücklich und wünschte wenigstens vor
der Hand keine Veränderung in seiner Stellung. Aber gerade
die lebhafte Billigung der Art, in der er sie ausfüllte, lenkte
neuerdings den Blick seiner Regierung auf ihn, als es darum
sich handelte, für einen sehr hervorragenden Platz im
Ministerium des Aeussern eine Arbeitskraft zu gewinnen, die
*) Das There8ianum, die bekannte, von der Kaiserin Maria Theresia
gestiftete und nach ihr benannte Erziehungs- und Unterrichtsanstalt
in Wien.
39
der mit ihm verbundenen Aufgabe in jeder Beziehung ge-
wachsen erschien. Wenngleich durchaus nicht unempfänglich
flir das Ehrenvolle, das in einem solchen Projecte lag, hiess
Haymerle doch die erste Nachricht von demselben nichts
weniger als willkommen. Er hebte seine Unabhängigkeit und
legte den höchsten Werth darauf, im diplomatischen Dienste,
als der Carriere, der er angehörte, zu verbleiben; der
Wirkungskreis im Ministerium sagte seiner Geschmacksrichtung
nicht zu. „Du weisst", hatte er noch im April 1876 an einen
ihm nahestehenden Freund geschrieben, „dass mir persönlich
nichts Unerwünschteres begegnen könnte, als eine Verwendung
im Inlande." Nur wenige Monate später trat jedoch das,
was er so sehr gefurchtet, ihm wirklich entgegen, und mit
völliger Unterordnung seiner selbst und seiner Interessen fugte
er sich dem, was seine Regierung über ihn beschloss.
So kam es dass Haymerle, nachdem er am 7. August 1876
den Haag verlassen hatte, um den ihm alljährlich bewilligten
Urlaub anzutreten, auf seinen dortigen Posten nicht wieder
zurückkehrte. Zahlreiche Kundgebungen sehr hervorragender
Personen, unter ihnen auch der jetzt verstorbenen Königin
Sophie liegen vor, die den Beweis liefern, wie lebhaft man im
Haag sein Scheiden und das seiner Gemahn beklagte. Die
letzten Monate des Jahres 1876 verbrachte er in Wien, im
Ministerium des Aeussern dienstlich verwendet. Aber zu einer
bleibenden Anstellung daselbst kam es auch jetzt wieder nicht.
Er erreichte vielmehr, und zwar in weit glänzenderer Weise,
als er vor neunzehn und auch noch vor zehn Jahren es sich
hatte träumen lassen, seinen sehnlichen Wunsch, eine diplo-
matische Anstellung in Italien zu erhalten. Am 14. Januar 1877
wurde er zum Botschafter am königlich italienischen Hofe
und gleichzeitig zum Geheimen Rathe ernannt.
Haymerle war nun der glückliche Besitzer eines Postens,
den er selbst immer für den beneidenswerthesten in der ganzen
diplomatischen Laufbahn erklärt hatte. Durch die Verleihung
desselben wurde er zum ersten Male in seinem Lehen in eine
Stellung versetzt, * in der er eine im grossen Style angelegte
40
Geschäftsthätigkeit zu entwickeln vermochte. Mit freudigem
Stolze erfüllte ihn diese Erkenntniss, und sie trieb ihn an,
sich so rasch als möglich an den Ort seiner neuen Bestimmung
zu begeben. Am 30. Januar traf er in Rom ein; König
Victor Emanuel, der damals in Neapel verweilte, kam, wie
er selbst versicherte, eigens zu dem Zwecke nach Born, um
Haymerle's Beglaubigungsschreiben persönlich entgegen zu
nehmen. Dieser Schritt des Königs, und mehr noch die Art
und Weise, in der er sich in der ersten Audienz, die er
Haymerle gewährte, mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit ihm
gegenüber aussprach, Hessen keinen Zweifel aufkommen an
seinem ernstlichen Willen, mit Oesterreich und dessen Bot-
schafter die besten Beziehungen zu unterhalten. In über-
strömenden Ausdrücken der Dankbarkeit und der Bewunderung
gedachte er des Besuches des Kaisers in Venedig. Damals
habe er ihm, fügte Victor Emanuel hinzu, sein Ehrenwort
verpfändet, sein Freund zu sein und es unter allen Umständen
bleiben zu wollen; unverbrüchlich werde er hieran festhalten.
Auch die Minister seien, versicherte der König, fest ent-
schlossen, mit der österreichischen Regierung in freundschaft-
lichem Einverständnisse zu leben.
Die Aeusserungen Melegari's, des damaligen Ministers
der auswärtigen Angelegenheiten im Cabinete Depretis, ver-
vollständigten das, was der König gesagt hatte. Bis auf die
Zeiten der Kaiserin Maria Theresia ging der Minister zurück,
um den Beweis zu führen, dass das Haus Habsburg-Lothringen
mit Italien innig verbunden sei. Jetzt noch lebe, liess er sich
vernehmen, die Regierung der grossen Kaiserin als eine reich
gesegnete in den Herzen der Italiener fort, während die
spanische und die französische Herrschaft dort nur traurige
Erinnerungen zurückgelassen hätten. Allerdings habe später
das Erwachen des italienischen Nationalgefühls zu Streit und
Kampf gegen Oesterreich geführt. Seitdem sich jedoch die
italienische Nation selbstständig constituirte, müsse in der
engsten Freundschaft mit Oesterreich die beste Politik Italiens
erblickt werden.
41
Für Haymerle lag nicht die geringste Veranlassung vor,
an der Aufrichtigkeit der Sprache des Königs und seines
Ministers auch nur den leisesten Zweifel zu hegen. Auch
unterschätzte er den Werth dieser Anschauungen für seine
eigene Stellung in Rom und für die freundlichen Beziehungen
zwischen den beiden Nachbarstaaten nicht. Noch viel höher
hätte er ihn veranschlagt, wenn ihm nicht bekannt gewesen
wäre, dass der König trotz energischer Versicherungen des
Gegentheils doch nicht jenen constant wirkenden Einfluss auf
die Angelegenheiten seines Landes, und insbesondere auf
dessen auswärtige Geschäfte nahm, die eine vollkommen ver-
lässliche Bürgschaft dafür dargeboten hätte, seine eigenen
Impulse seien identisch mit denen, voü welchen seine Staats-
verwaltung ausging. Und noch weniger zuversichtlich war
trotz aller persönlichen Ehrenhaftigkeit seiner Mitglieder auf
das Wort eines Ministeriums zu bauen, von dem man heute
nicht wissen konnte, wie lang es sich im Amte behaupten
und ob es nicht schon morgen politischen Gegnern Platz
machen werde.
Der Gang der Ereignisse bewies am besten, wie richtig
Haymerle die Lage der Dinge in Italien beurtheilte. So eifrig
auch der König versichern mochte, er werde Zeit seines
Lebens des kaiserlichen Besuches in Venedig voll Dankbarkeit
eingedenk sein, so bald trat doch derselbe, wenn auch nicht
im Gedächtnisse des Königs, so doch in dem der Italiener in
den Hintergrund zurück. Ihre Aufmerksamkeit wurde durch
die Entwicklung der Dinge im Orient immer mehr gefesselt.
Steigende Unruhe bemächtigte sich der Geister auf der Halb-
insel, auf welcher sich Jedermann für Politik interessirt und
gar Mancher sie auf eigene Faust machen möchte. Die
Irredentisten erhoben wieder und in drohenderem Tone ihre
Stimme, und sie verhehlten auch ihre Hoffnung, ja ihre Erwar-
tung nicht, bald wieder zu einer activen Rolle berufen zu werden.
Die italienische Regierung hielt sich zwar diesen Umtrieben
fern, aber sie that doch nichts oder nur wenig, um ihnen zu
steuern, und auch die versprochene Einmischung des Königs
42
liesß sich vermissen. Wenn aber Beide, der König und seine
Regierung diese Versäumniss mit allerlei Vorwänden, ins-
besondere mit der Hinweisung auf die feindselige Sprache,
deren sie die österreichischen Journale anzuklagen suchten, zu
entschuldigen sich bemühten, so gewährten sie hiedurch
Haymerle ziemlich leichtes Spiel. Er sei, erklärte er ihnen,
«nicht zum Verfechter der Haltung der Wiener Blätter bestellt.
Aber man möge ihm doch die Artikel vorweisen, in denen sie
es unternähmen, an dem territorialen Besitzstande Italiens zu
rühren. Weder Vereine noch Journale gebe es in Oesterreich,
die sich die Schmälerung des italienischen Gebietes zur Aufgabe
machten, und die italienische Fresse möge sich dies zum
Beispiel dienen lassen. Angriffe auf seine Politik könne
Oesterreich ruhig hinnehmen, nicht aber solche auf die
Integrität des Staates. Triest und Trient bildeten für Oester-
reich keine Frage, und sie müssten aufhören, eine solche für
Italien zu sein oder auch nur zu scheinen.
Von keiner Seite konnte man gegen eine solche Sprache
Stichhaltiges einwenden, und Victor Emanuel benutzte den
Anlass, den der am italienischen Hofe beim Jahreswechsel
gebräuchliche Besuch der Repräsentanten der fremden Mächte
ihm darbot, um Haymerle neuerdings der Lauterkeit seiner
Gesinnungen für Oesterreich und der Zuverlässigkeit seines
verpfändeten Wortes zu versichern. Er wisse, so schloss der
König das Gespräch, dass Haymerle es sich angelegen sein
lasse, jeden Keim eines Zwiespaltes zwischen Oesterreich und
Italien aus dem Wege zu räumen, und er sage ihm dafür
seinen herzlichsten Dank.
Dies waren die letzten Worte, die Haymerle aus dem
Munde des Königs zu vernehmen vergönnt war, denn wenige
Tage später, am 9. Januar 1878 starb Victor Emanuel
plötzlich und sein Sohn Humbert bestieg nach ihm den Thron.
Die Erklärungen, die er Haymerle gegenüber bei dessen
erstem Empfange in warmem und herzlichem Tone abgab,
entsprachen ganz den so oft wiederholten Aeusserungen seines
verewigten Vaters. Und auch Depretis, der schon seit einiger
43
Zeit das Portefeuille der Finanzen mit dem der auswärtigen
Angelegenheiten vertauscht hatte, liess sich fortwährend in
dem gleichen Sinne vernehmen. Noch in dem Augenblicke
geschah dies, als er Haymerle seinen Rücktritt als einen nahe
bevorstehenden ankündigte. Sowohl in den Anschauungen des
Königs, sagte er ihm, als in der Haltung der italienischen
Regierung gegen Oesterreich werde dadurch keine Aenderung
herbeigeführt werden, dass nun Cairoli mit seinen politischen
Gesinnungsgenossen an das Staatsruder trete.
Es ist eines von Haymerle's grossen Verdiensten, dass
er — vielleicht der Erste unter seinen diplomatischen Collegen
— die Natur der Gründe deutlich erkannte, die den Wechsel
des Ministeriums herbeigeführt hatten. Sie lagen alle in der
Entwicklung der inneren Angelegenheiten des Königreiches
und die Italia irredenta hatte nichts damit zu schaffen. Jene
Entwicklung aber trieb immer mehr dazu, den südlichen
Provinzen des jungen Einheitsstaates einen grösseren, ja man
wird wohl sagen dürfen, einen überwiegenden Antheil an der
Leitung der Geschäfte zuzuwenden. Die Traditionen der
piemontesischen Regierung wurden als Fesseln empfunden,
und Italien suchte naeh neuen Männern, die der Politik der
jüngsten Grossmacht auch neue Bahnen eröffnen sollten.
Weder die Illusionen der Anhänger der Rechten, die
ihre demnächstige Rückkehr zur Macht mit einer gewissen
Zuversicht vorhersagten, noch die Befürchtungen, dass die
Staatsmänner der Linken nichts Eiligeres zu thun haben
würden, als sich in politische Abenteuer zu stürzen, wurden
von Havmerle getheilt. Er hatte dessen auch kein Hehl und
zog hieraus bald den Vortheil, dass die neuen Minister es mit
Dankbarkeit empfanden, der Vertreter Oesterreich-Ungarns
stehe ihnen ohne Misstrauen gegenüber, und er bringe ihren
politischen Bestrebungen nicht weniger Interesse und Sympa-
thieen entgegen, als er ihren Vorgängern gegenüber an den
Tag gelegt hatte.
War nun auch der Wechsel des Ministeriums in Italien
durch die inneren Verhältnisse dieses Landes herbeigeführt
Ix
worden, so trat doch bald, und vielleicht gerade in Folge der
beschwichtigenden Wirkung, welche die Einsetzung der neuen
Regierung auf sie ausübte, Alles, was sich auf die äusseren
Angelegenheiten, insbesondere die orientalische Frage bezog,
mit verdoppeltem Gewichte in den Vordergrund. Jedermann
erinnert sich noch der Beunruhigung, mit welcher die Erwar-
tung, Oesterreich könnte zur Wahrung seiner Interessen im
Orient einen entscheidenden Schritt thun, der in der Besetzung
türkischer Nachbarprovinzen bestünde, die Italiener erfüllte.
Die Parole gab man aus, dass hierin eine Störung der
zwischen Oesterreich-Ungarn und Italien bestehenden Macht-
verhältnisse zu Ungunsten des Letzteren erblickt werden
müsse. Während die Einen zu Protesten hiegegen riethen,
wollten die Anderen Ersatzansprüche erheben. Worauf die-
selben abzielten, darüber Hessen die Irredentisten einen Zweifel
nicht aufkommen.
Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte eine so erregte
Stimmung in dem Nachbarlande die österreichisch-ungarische
Monarchie doch ziemlich ruhig lassen können. Am Vorabende
der Entscheidung in einer wichtigen Phase der Orientkrise
erheischte sie jedoch grosse Aufmerksamkeit und eine Energie
und gleichzeitig eine Vorsicht, wie sie nur ungewöhnlich be-
gabte Diplomaten zu rechter Zeit und am rechten Orte zu
vereinigen und an den Tag zu legen wissen.
In Haymerle war der richtige Mann für eine so überaus
schwierige Aufgabe gefunden. Sie bestand darin, der
italienischen Regierung darzuthun, dass eine Oesterreich feind-
liche Haltung nur ihre eigene Isolirung herbeiführen müsse,
während eine Handlungsweise, die ohne jeden Hintergedanken
der in Venedig besiegelten Versöhnung und Freundschaft
entspräche, der Stellung und den Interessen Italiens nur nützlich
sein könne.
Um so feineren Tact erforderte die Durchführung dieser
Aufgabe, und um so mehr nahm sie alle rein persönlichen
Eigenschaften des Botschafters in Anspruch, als sie durch
nothgedrungene Reklamationen gegen allerlei Ausschreitungen
45
und Kraftäusserungen der italienischen Comitati nur noch zu
einer verwickeiteren wurde. Denn da sich diese Reclamationen
immer nur auf kleine, mehr symptomatische Vorfälle bezogen,
so lag die Gefahr nicht fern, sie bei weniger geschickter
Behandlung leicht den Charakter von Nergeleien annehmen
zu sehen. Aber Haymerle wusste seine Haltung weit über
einen solchen Vorwurf zu erheben. Dies konnte ihm nur
dadurch gelingen, dass er die allgemeinen, die staatsmännischen
Gesichtspunkte hervorzukehren und alle kleineren Beschwerden
unter Vermeidung einer auf augenblicklichen Erfolg zielenden
Geschäftigkeit mehr nebensächlich zur Erledigung zu bringen
verstand. Die glücklichen Resultate dieser Wirksamkeit kamen
zunächst auf dem Berliner Congresse zur Geltung, indem dort
Oesterreich keinen Widerspruch von Seite Italiens erfuhr, als
es darum sich handelte, für die Occupation Bosniens und der
Herzegowina das einstimmige Votum der Mächte zu erlangen.
Haymerle hatte in bewunderungswürdiger Weise die ihm
gestellte dornenvolle Aufgabe gelöst und als Unterfeldherr
Erfolge errungen, die für den ganzen politischen Feldzug eine
entscheidende Bedeutung besassen.
Die Erwähnung des Berliner Congresses fuhrt wie von
selbst auf die zweite Phase der staatsmännischen Wirksamkeit
Haymerle's, seitdem er durch seine Ernennung zum Botschafter
des Kaisers in Italien in die vorderste Reihe der diplomatischen
Personen getreten war. Neben den Grafen Andrässy und
Kärolyi zum Bevollmächtigten Oesterreichs beim Congresse
ernannt, kam Haymerle hiedurch in directen Contact mit
den leitenden Staatsmännern unserer Zeit. Lord Beacons-
field, sein unmittelbarer Nachbar am Congresstische, trat bald
mit ihm in freundschaftlichen Verkehr; für die russischen
Bevollmächtigten aber war seine genaue Kenntniss der Detail-
fragen ein nicht ganz bequemes Element, mit welchem sie zu
rechnen genöthigt waren.
Diese Detailfragen, die durch politische Erwägungen allein
nicht gelöst werden konnten, sondern welche concrete Kennt-
niss der localen Verhältnisse, der ethnographischen und
46
commerciellen Beziehungen sowie der stufenweisen Ent-
wicklung der Orientvölker erheischten, bildeten überhaupt
das Gebiet, auf welchem Haymerle sich vorzugsweise zu be-
wegen gleichsam von selbst angewiesen war, denn auf dem
der grossen Politik führte naturgemäss der österreichische
Minister des Aeussern für seine Regierung das Wort. Da
zeigte es sich denn, dass der Mann, welcher eine Reihe von
Jahren hindurch als eifriger Beamter und scharfsinniger Be-
obachter in Constantinopel verweilt, der auch in Griechenland
seinem Staate gedient und ihn dort rühmlich vertreten hatte, wie
kaum ein Zweiter berufen und geeignet erschien, dem Minister
des Aeussern an jenem Tische zur Seite zu sitzen, an welchem
nicht nur europäische, dem Willen und Können der Mächte
unterworfene Fragen, sondern auch solche behandelt wurden,
an deren kleinen, aber unveränderlichen Bedingungen auch die
schöpferische Staatskunst sich resultatlos verschwendet, wenn
sie nicht den an und für sich unscheinbaren Launen von Berg-
und Thalkrümmungen, Flussrichtungen, Volkssitten und
Handelsgepflogenheiten sich billig und verständig zu fügen
weiss. In all diesen Fragen hat Haymerle Oesterreich in
Berlin nicht nur erfolgreich, sondern man wird wohl den
Ausdruck gebrauchen dürfen, geradezu ruhmvoll repräsentirt.
Denn im Laufe der Berathungen des Congresses ist es der
dort versammelten Diplomatie gar häufig klar geworden, dass
keine Congressmacht in ihrem Missionspersonal fachmännisch
gebildetere und verlässlichere Kräfte zählte als die österreichisch-
ungarische Monarchie. In allen Subcommissionen fiel ihren
Vertretern eine leitende Rolle zu, und sogar mancher Antrag,
der in öffentlicher Congresssitzung von einer anderen Macht
gestellt wurde, war, wenn nicht von Wien aus fertig mit-
gebracht, doch von österreichischer Seite ausgearbeitet worden.
Die Verfechtung solcher Anträge im Schosse des Congresses
musste Graf Andrdssy seinem Collegen überlassen, und auch
diese Aufgabe verstand Haymerle in einer Weise zu lösen,
die ihm neben seinem Minister in der Geschichte des Congresses
einen sehr hervorragenden Platz sichert.
47
Von den übergrossen Anstrengungen, welche der ihm
zufallende Antheil an den Arbeiten des Berliner Congresses
ihm auferlegt hatte, suchte Haymerle auf Stift Neuburg und
in dem Nordseebade zu Blankenberghe Erholung. Mit dem
lebhaftesten Interesse verfolgte er von dort aus jede Kund-
gebung, die sich auf das eben Erlebte sowie auf den Eindruck
bezog, den die Resultate des Congresses überall und ins-
besondere in England hervorbrachten. „Du begreifst", schrieb
er in den ersten Augusttagen aus Blankenberghe einem in
England ansässigen Freunde, der ihm regelmässig die dortigen
Parlamentsverhandlungen zusandte, „Du begreifst wie mich
alle diese Reden, Lobpreisungen und Kritiken interessiren, da
ich als Einer der Auguren das Wahre vom Falschen, das vom
Parteigeiste Eingegebene von den wirklichen politischen Ge-
danken zu unterscheiden vermag. England hat nicht nur vor
und auf dem Congresse eine grosse Rolle gespielt; der Kurs,
den es steuern wird, seine Erfolge und seine Fehler werden
auf lange Zeit hinaus massgebend sein für die Entwicklung
der Weltpolitik. Die Reden Hartingtons und Gladstone's
enthalten ohne Zweifel viel des Bestechenden, ja des Wahren.
Aber bei den grossen Interessen, die auf dem Spiele stehen,
liegt doch eine kleinliche und advokatische Argumentation
darin, wenn man sagt: Du hast Russland das Protectorat und
die Oberherrschaft über die Türkei bestritten und nimmst es
nun wenigstens zur Hälfte selbst. Wenn irgendwo, so gilt in
der Politik das Wort: Ja Bauer, das ist ganz was Anderes.
Desshalb muss man an die Vorgänge auf dem Congresse auch
einen anderen Massstab anlegen als etwa an Parlaments-
debatten. Nicht Argumente stehen sich da gegenüber, sondern
der verschiedene Wille der Mächte".
„Zu meinem berühmten Nachbar am Congresstische, Lord
Beaconsfield stand ich", fuhr Haymerle im Verlaufe dieses
Briefes fort, „allerdings in den besten Beziehungen. Von ihm
besitze ich ein Autograph, um das Du mich beneiden könntest,
eine in der Sitzung, in welcher über die bosnische Ange-
legenheit verhandelt wurde, mit Rothstift meisterhaft gezeichnete
48
Eiche. „Eine Ihrer bosnischen Eichen" sagte Beaconsfield
lächelnd,- als er mir die Zeichnung übergab u .
Mehr noch als das, was man in England sprach und
schrieb, verfolgte Haymerle dasjenige, was sich in Italien
zutrug, mit gespannter Aufmerksamkeit. Schon im Sommer
1878 war dort zunächst durch die Besetzung Cyperns von
englischer und dann durch die Occupation Bosniens und der
Herzegowina von österreichischer Seite, während der Abschluss
des Berliner Vertrages Italien keinen unmittelbaren Gewinn
brachte, eine tiefgehende Verstimmung erzeugt worden, deren
Spitze zunächst gegen den Vertreter Italiens in Berlin, den
Grafen Corti sich kehrte.
Haymerle war der festen Ueberzeugung, dass dem Letzteren
von Seite seiner Landsleute schweres Unrecht geschehe. In
dem soeben erwähnten Briefe sagte er dies offen, und gleich-
zeitig sprach er sich auch über die Stellung Oesterreichs zu
Italien aus. „Wir sind a , so lauteten seine Worte, „aufrichtige
Freunde Italiens; wir wollen weder etwas revindiciren noch
restauriren und unsere Rechnungen sind abgeschlossen, aber
wir werden auch nicht einen Fuss breit Landes hergeben, sie
mögen gegen uns schreien oder uns schmeicheln. Sie sollen
also nur erkennen, dass sie ganz fruchtlos nach unseren
Ländern, sei es laut begehren oder auch nur schielen, welche
übrigens, nebenbei gesagt, weit glücklicher und besser ad-
ministrirt als die italienischen sind. Denn die sogenannten
Schmerzenstelegramme werden meistens in Verona und in Rom
fabricirt".
„Uebrigens fängt man", fuhr Haymerle fort, „auch in
Italien schon an, sich des Spectakeis zu schämen. Jedenfalls
war der Lärm ein verunglückter und er trug den Italienern
von allen Seiten nur Zurechtweisung ein. Beinahe haben sie
die vortreffliche Stellung, die sich ihre Bevollmächtigten auf
dem Congresse bei allen Mächten erwarben, wieder verspielt,
und sie sind viel zu klug, um das nicht 'einzusehen."
Mit dieser letzteren Bemerkung hatte Haymerle doch nur
in so fern Recht, als das unmotivirte Geschrei gegen den
N
49
Grafen Corti allmälig wieder verstummte, während die Agi-
tationen der Irredentisten von der ganzen Revolutionspartei in
Italien mehr und mehr zu ihrer eigenen Sache gemacht
wurden. Das Ministerium Cairoli liess dieser Bewegung freien
Lauf, wenn sie ihm auch in ihrer Rückwirkung auf das Ver-
hältniss Italiens zu Oesterreich höchst unwillkommen war.
Es beschränkte sich darauf, sie durch den Mund eines seiner
bedeutenderen Mitglieder, des Ministers des Innern, Herrn
Zanardelli, der am 3. November vor seinen Wählern in Arco
hierüber sprach, höchlich zu tadeln. Aber gleichzeitig erklärte
der Minister, die Regierung könne nach den einmal bestehenden
Gesetzen solche Bestrebungen nicht hindern, und Oesterreich,
welches diese Gesetze kenne, habe um so weniger deren
Aenderung und die Schmälerung der den Italienern zustehenden
Freiheiten begehrt, als es von der loyalen Gesinnung der
königlichen Regierung ohnedies tiberzeugt sei.
Ein schreckliches Ereigniss, das ganz plötzlich und un-
vorhergesehen sich zutrug, öffnete jedoch auch in Italien mehr
als es bisher der Fall gewesen war, die Augen vor dem Ab-
grunde, dem man zutrieb. Schon in den letzten Tagen des
Juli hatten der König und die Königin eine Rundreise nach
Turin, nach Mailand und Venedig angetreten und waren
überall aufs herzlichste und glänzendste aufgenommen worden.
Im Beginn der zweiten Hälfte des November begaben sie sich
nach Neapel und wurden dort gleichfalls mit Enthusiasmus
empfangen. Während der Fahrt durch die Stadt versuchte
jedoch ein Mann aus der niedersten Volksklasse, Namens
Passanante, ein Attentat auf den König zu verüben, aber er
wurde hieran durch Cairoli gehindert. Mit der ganzen
Lebendigkeit ihres Naturells feierten nun die Italiener das
Misslingen dieses Anschlages. In Neapel zogen sechzigtausend
Menschen vor den Palast, den König mit begeisterten Zurufen
zu begrüssen; in den meisten Städten des Landes fanden
stürmische Loyalitäts- Demonstrationen statt, und in Rom,
wohin Haymerle seit dem 12. October zurückgekehrt war,
sah er es mit freudiger Bewegung mit an, wie eine nach
v. Arneth, Haymerle. £
50
Tausenden zählende Volksmenge unter Vorantritt von Fackel-
trägern und in Musikbegleitung über die Piazza Colonna nach
dem Capitol zog. Als sie an dem von Hayme^le bewohnten
Paläste Chigi vorüber kam, durch dessen glänzende Erleuchtung
er gleichfalls Theil nahm an ihrer Demonstration, hielt sie an
und brach in begeisterte Hochrufe aus auf Oesterreich und
dessen Kaiser. Nicht blos die Journale, sondern auch
politische Kreise gaben dieser Kundgebung die Deutung, die
Bevölkerung wolle das gut machen, was bisher aus ihrer
Mitte an Oesterreich gesündigt worden war.
So gern nun auch Haymerle diesen Gedanken und den
Ausdruck hinnahm, der ihm gegeben worden war, so wenig
verkannte er doch all das Missliche, das daraus hervorgehen
könne, wenn die Bevölkerung einer grossen Stadt sich gewöhne,
die Vertreter der fremden Mächte in so unmittelbarer Weise
von ihrer Befriedigung oder der Missbilligung ihrer Haltung
zu unterrichten, und das Geschrei „fiiori i lumi, a mit welchem
man vor anderen Botschaftspalästen deren Beleuchtung erzwang,
gab ihm Recht. Er schloss daher auch der von dem fran-
zösischen Botschafter Marquis de Noailles ausgehenden An-
regung zu Schritten sich an, um ähnlichen Kundgebungen
der Bevölkerung in Zukunft zu steuern. Und wirklich gingen
die nächsten Festtage ohne irgendwelche Ausschreitungen
vorüber. Denn schon am 24. November traf das italienische
Königspaar wieder in Rom ein und es wurde dort mit den
lautesten Freudenbezeugungen empfangen , von denen zum
ersten Male auch die strengkatholische Partei und der bisher
der italienischen Sache abgewendete Theil des römischen Adels
sich nicht ausschlössen.
Politisch viel wichtiger war es, dass auch die Führer der
republikanischen Partei wie Saffi und Mario nicht umhin
konnten, das Attentat zu verdammen und es in ihren Organen
zu beklagen. Das Ministerium schöpfte aus alledem den Muth
zu etwas entschiedenerem Auftreten. Es verbot der Gesellschaft
der Irredentisten sowie dem Vereine der sogenannten Flücht-
linge aus Trient und Triest, bei den Feierlichkeiten, die bei
51
der Ankunft des Königspaares stattfanden, als Corporation zu
erscheinen. Und der Kriegsminister liess den Gerichtsbehörden
den Auftrag zugegen, gegen die Theilnehmer an den Barsanti-
Olubs einzuschreiten, die sich die Lockerung der Disciplin in
der Armee zur speciellen Aufgabe gemacht hatten. Aber
durch all' diese Massregeln konnte das Ministerium Cairoli
das Schicksal nicht mehr von sich abwenden, mit welchem
die conservativer gewordene Strömung der öffentlichen Meinung
es bedrohte. Schon im December 1878 musste es einem neuen,
dem dritten Cabinete Depretis weichen.
Indem Letzterer zugleich die Leitung der Departements
der auswärtigen Angelegenheiten und des Innern tibernahm,
trat er als Träger des ersteren Portefeuilles in die gleichen
und ebenso befriedigenden Beziehungen zu dem Botschafter
Oesterreichs zurück, wie sie während seiner früheren Amts-
führung zwischen ihnen bestanden hatten. Kein Vorwurf
seiner Gegner hatte ihn empfindlicher getroffen und keinen
trachtete er eifriger zu widerlegen als den, dass seine Politik
die Früchte der Zusammenkunft des Kaisers Franz Joseph
mit König Victor Emanuel in Venedig gefährdet habe. Mit
Wärme und mit Nachdruck gab er dem Freiherrn von Haymerle
gegenüber wiederholt die Erklärung ab, während der freilich
ganz ungewissen Dauer seines Ministeriums werde das befrie-
digende Verhältniss Italiens zu Oesterreich nicht nur nicht
getrübt, sondern eifrig gepflegt und immer stärker befestigt
werden.
Mit ebensoviel Dankbarkeit nahm Haymerle diese Vei>
Sicherungen entgegen als es ihn freute, dass auch die Hand-
lungen des Ministers Depretis seinen Worten nicht wider-
sprachen. Daher beglückwünschte er ihn auch aufrichtigen
Herzens, als in den ersten Tagen des April 1879 die italienische
Kammer den Massregeln, die er zur Bekämpfung und Unter-
drückung der von den republikanischen Vereinen in Mailand
und anderen Städten herbeigeführten Unruhen getroffen hatte,
ihre Billigung aussprach. Was nur Erfreuliches für die
italienische Regierung sich zutrug, begegnete der lebhaften
52
Theilnahme des bei ihr beglaubigten Botschafters Oesterreichs.
Dabei wusste er seine Pflicht gegen den Staat, dessen officieller
Vertreter er war, mit seinen Sympathieen für das Land, in
welchem er ihn repräsentirte, in wahrhaft bewunderungs-
würdiger Weise in Einklang zu bringen. So wie er es jenem
Freunde gegenüber einmal in vertraulicher Mittheilung gethan,
so zog er in Italien vor Jedem, bei dem er es für gut an-
gebracht hielt, mit schärfster Präcision die zu beobachtende
Grenzlinie. Völlige Unantastbarkeit des österreichischen Ge-
bietes, gänzliche Ausschliessung jeder eine etwaige Schmälerung
desselben in ihren Kreis ziehenden Discussion, und totale
Aussichtslosigkeit aller hierauf gerichteten Bestrebungen, dies
war das oberste Axiom, welches Haymerle mit aller Ent-
schiedenheit aufstellte und dessen unverrückbare Beobachtung
er von Jedermann in Italien kategorisch verlangte. Halte man
aber auf italienischer Seite hieran fest, dann könne man von
Oesterreich der ausgiebigsten Beweise rückhaltlosen Wohl-
wollens, und zwar ebensowohl auf dem Gebiete der allgemeinen
Politik als dem der freundnachbarlichen Beziehungen beider
Staaten zu einander gewiss sein.
Es wurde Haymerle nicht schwer, die Sympathieen Oester-
reichs für Italien, wenn letzteres jene erste Bedingung treulich
erfüllte, zu allgemein erkennbarem Ausdrucke zu bringen, da
er sie für seine Person auch wirklich empfand. Ein Haupt-
mittel, die Italiener hievon zu überzeugen, bestand in dem
warmen Antheil, den er auch ihren inneren Angelegenheiten
und Zuständen jederzeit widmete. So lang er in Rom weilte,
interessirte er sich ebensosehr für die Frage der Mahlsteuer
als für das Verhältniss Italiens zum Papste, für die Reform
des Wahlgesetzes wie für die finanziellen Angelegenheiten des
Landes. Und auch dadurch wusste er sich Ansehen und
Hochachtung zu erringen, dass er nicht in den bei Diplomaten
fast zur Regel gewordenen Fehler verfiel, ausschliesslich in
der vornehmsten Schichte der Gesellschaft zu verkehren und
den politisch meistens viel wichtigeren und einflussreicheren
Kreisen und Personen fremd gegenüber zu stehen. Gar oft
53
hat er schriftlich und mündlich die Absurdität eines solchen
Verfahrens gepredigt, und nirgends kam es ihm mehr zu Gute
als in Rom, dass er von demselben sich jederzeit frei hielt.
Nicht wenig trug auch, ihm dort die allgemeinen Sym-
pathieen zu gewinnen, die Lebhaftigkeit des Interesse' s bei,
das er und seine Gemahlin flir die Ueberreste des Alterthums
und die Werke der Kunst an den Tag legten. Jedermann
weiss ja aus eigener Erfahrung, wie sehr es erfreut, wenn das
gefällt, was man besitzt, und diese Eigenschaft einzelner Indi-
viduen überträgt sich auch auf die Bevölkerungen ganzer
Städte und Länder. Nicht unbemerkt blieb es in Rom, dass
das Ehepaar Haymerle mit gleichem Eifer, wie es vor einer
Reihe von Jahren in Athen ihn bewiesen, jetzt auch in Rom
zu den Ruinen, den prächtigen Bauten, den Kunstschätzen
pilgerte, wie fast jeden Tag die Zeit der Müsse einer solchen
Wanderung geweiht war. Und nicht wenig trug endlich, sie
Beide beliebt zu machen, die edle Gastfreundschaft bei, die
sie übten, und durch welche sie ihr Haus zu einem mit Vor-
liebe aufgesuchten Sammelplatze für Alle gestalteten, die in
irgend einer Beziehung Anspruch auf gesellschaftliche oder
persönliche Geltung erheben konnten.
Treue Pflichterfüllung ist das untrüglichste Mittel, sich
nicht nur die Anerkennung derer, ftir die sie geübt wird,
sondern auch die Achtung derjenigen zu erwerben, die hiebei
zwar nicht betheiligt, aber Augenzeugen derselben sind. Und
den Anblick solch treuester Pflichterfüllung hat Haymerle so
wie überall, wo er gewesen, so auch in Rom unausgesetzt
dargeboten. Nur mochte er dort in Folge der hervorragen-
den Stellung, die er daselbst einnahm, noch mehr bemerkt
werden, als es wohl anderwärts geschehen war.
Haymerle besass eine ebenso ausserordentliche Arbeits-
kraft wie Arbeitslust; die Arbeit war sein Lebenselement.
Wer sich, wie es auch heutzutage noch nicht selten geschieht,
unter einem Diplomaten einen Mann vorstellt, der nur die
äusseren Formen ernst nimmt und in das Wesen der Dinge
nicht eindringt, der hätte in Haymerle gerade das Gegentheil
54
gefunden. Die äusseren Formen hatten für ihn keinen höheren
Werth, als den sie wirklich verdienen, aber er war zu sehr
ein Kind seiner Zeit, seine Auffassung war eine zu sachliche
und realistische, als dass er sich je in blossen Formen zu
verlieren vermocht hätte. Durchaus ein Diplomat der moder-
nen Schule, voll scharfer Beobachtungsgabe und voll Schnei-
digkeit, ein Interesse seines Staates oder eines der Angehörigen
desselben zu schützen, war er ein sprechender Beweis für die
Unrichtigkeit der so oft wiederholten Behauptung, dass der
Telegraph die diplomatische Vertretung überflüssig mache*
Auch ohne besondere Instruction fand er allzeit den richtigen
Weg.
Dass Haymerle eine lebhafte Vaterlandsliebe besass und
den Enthusiasmus seiner Jugend für sein theures Oesterreich
sich bis in die reiferen Jahre zu bewahren gewusst hatte, er-
füllte die Italiener gleichfalls mit Respect. Und wirklich kann
seine heisse Liebe zu Oesterreich die nie erschlaffende Trieb-
feder seiner ganzen Thätigkeit genannt werden; er war ein
Grossösterreicher im vollsten Sinne dieses Wortes. Im Dienste
seines Staates, seines Kaisers kannte er keine Lässigkeit,
keine Ermüdung. Nicht ein Opfer, nein, ein Bedürfhiss, ein
Herzenstrieb war es ihm, jede Stunde des Lebens dem zu
weihen, was er als seine Pflicht erkannte. Nichts war ihm
zu geringfügig, sich damit zu beschäftigen, sobald er einen
Vortheil für Oesterreich darin wahrnahm. Und er begnügte
sich nicht damit, die Liebe zu Oesterreich rein und unver&lscht
in der eigenen Brust zu tragen, sondern er trachtete auch,
so oft sich ihm ein Anlass hiezu darbot, sie in den Herzen
seiner im Auslande lebenden Landsleute anzufachen und zu
stärken. Alle Oesterreicher zog er an sich heran, und er
wünschte, sie sollten das Botschaftshotel als österreichischen
Boden, als Heimatsland betrachten. Jedem von ihnen brachte
er ein warmes Herz entgegen, und auch er selbst blieb dabei
nicht ohne Gewinn, denn es that ihm wohl und war ihm Be-
dürfhiss, von der Heimat zu reden und ihr in ihren ver-
schiedensten Elementen und Bestrebungen nahe zu treten.
55
Wie oft sprach er nicht seinen jüngeren Landsleuten, auch
wenn sie nur geringem Stande angehörten, aus Anlass ihrer
Einberufung zu den Waffenübungen Muth zu, tröstete sie
über das manchmal recht schwerwiegende Opfer, das sie, dem
Gesetze gehorsam, bringen mussten, und suchte sie mit der
Ueberzeugung zu erfüllen, die liebe zum Vaterlande könne
keinen schöneren Ausdruck finden, als wenn ihm gegenüber
Jeder in seiner Sphäre seine Pflicht thue.
Es konnte unmöglich ausbleiben, dass der, welcher seinen
Staat in so musterhafter Weise im Auslande vertrat, auch in
seiner eigenen Heimat zu immer höherer Geltung gelangte.
Man wusste das in Rom, uud es trug nicht wenig dazu bei,
das Ansehen, welches Haymerle dort genoss, noch beträchtlich
zu erhöhen. Denn das Wesen diplomatischer Vertretung liegt
ja nicht bloss in der intelligenten Ausfuhrung erhaltener In-
structionen und in der richtigen Information der eigenen
Regierung. Es liegt hauptsächlich in der persönlichen Wert-
schätzung, deren sich der Diplomat sowohl in dem Staate,
den er vertritt, als in dem Lande erfreut, in welchem er
dient. Und die Erkenntniss der Geltung, welche Havmerle
bei der österreichischen Regierung besass, trug nicht am
wenigsten dazu bei, ihm auch in Rom eine immer festere
Stellung zu erwerben. So tief eingewurzelt war sie schon
nach einem bloss dritthalbjährigen Aufenthalte Haymerle's in
Italien, dass auch ein damals eintretendes, für Havmerle ganz
unvorhergesehenes Ereigniss, welches in Italien sehr grosses
Aufsehen erregte, sie nicht zu erschüttern vermochte.
Gegen die Mitte des Juli 1879, gerade in dem Augen-
blicke, als wieder einmal das Cabinet Depretis einem Ministerium
Cairoli Platz machte, verliess Havmerle eilfertig Rom, weil
eine Besorgniss erregende Krankheit seines Söhnleins ihn
nach Stift Neuburg rief, wohin ihm seine Gemalin mit ihrer*
Kindern vor einigen Wochen vorangegangen war. Nachdem
die ärgsten Befürchtungen glücklich überstanden waren, über-
siedelten sie insgesammt nach dem Bade Rippoldsau in einem
jener engen Thäler des Schwarzwaldes, in denen die Nadel-
56
holzwälder bis hart an die stillen Ortschaften reichen. Dort
fand er, wie er in einem Briefe an seinen Bruder Alois
schrieb: „O Wonne, keinen einzigen Bekannten", und er
hoffte mit Zuversicht darauf, sich durch längere Zeit der er-
sehnten Ruhe erfreuen zu dürfen. Man kann freilich nicht
sagen, dass er in ihrem Genüsse durch das Erscheinen der
von eben diesem Bruder verfassten Schrift: „Italicae res tt
eigentlich gestört worden sei. Aber bei der lebhaften Theil-
nahme, die er Allem, was seine Angehörigen betraf, jederzeit
widmete, und bei der Eigentümlichkeit seiner Stellung in
Italien konnte doch die gewaltige Aufregung, welche diese
Publication hervorbrachte, auch ihn nicht ganz gleichgültig lassen.
Alois Ritter von Haymerle, damals Oberst im General-
stabe, hatte schon vor der Ernennung seines Bruders Heinrich
zum Botschafter in Rom dort die Stelle eines österreichischen
Militär-Attaches eingenommen. Etwas mehr als zwei Jahre
hindurch hatten beide Brüder mit ihren Familien in glücklicher
Vereinigung in einer und derselben Stadt zugebracht, da traf
den Jüngeren von ihnen die Reihe, das Commando einer
Brigade zu übernehmen. In Folge dessen musste er in der
ersten Hälfte des April 1879 von Rom scheiden und sich
nach Königgrätz begeben, wohin seine neue Bestimmung ihn
rief. Von hier aus veröffentlichte er unter dem oben citirten
Titel das Ergebniss der Beobachtungen, die er in seinem
Fache in Italien gemacht hatte, und die Folgerungen, die er
aus ihnen hinsichtlich eines etwaigen militärischen Conflictes
zwischen diesem Staate und Oesterreich zog. .
Es ist leicht begreiflich, dass man in Italien auf den
Gedanken gerieth, dass die Arbeit des Obersten Haymerle
zunächst der Inspiration seines Bruders, des Botschafters, ihr
Entstehen verdanke, und doch war nichts grundloser als diese
allerdings naheliegende Vermuthung. Der militärische Theil
der Broschüre kam dem Botschafter Haymerle zum ersten Male
zu Gesicht, als sie gedruckt vor ihm lag; in dem politischen
dagegen fand er freilich zumeist nur seine eigenen Anschauungen
wieder. In der ganzen Angelegenheit aber zeigte er neuerdings
57
recht deutlich, wie sehr er sich zu seinem Vortheile von dem
gewöhnlichen Schlage der Diplomaten unterschied, die vor
nichts angstvoller als vor einem offenen und freimüthigen Worte
zurückbeben und deren oberster Lebensgrundsatz in nichts
Anderem besteht, als jeder entschiedenen Aeusserung sorgfältig
aus dem Wege zu gehen, um sich nur ja nicht zu compro-
mittiren. Haymerle fand und vertrat es nach jeder Richtung
hin, sein Bruder habe wenigstens in politischer Beziehung nur
die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt, während er
sich über die militärische Seite der Arbeit kein Urtheil erlaubte.
Ob es gerade zweckmässig war, dass sie schon so bald nach
dem Rücktritte seines Bruders von dem Posten eines öster-
reichischen Militär- Attaches in Rom und während einer Zeit
veröffentlicht wurde, in der er selbst noch als Botschafter dort
beglaubigt war, liess Haymerle freilich dahingestellt sein.
In dem Augenblicke, in dem dies Alles sich zutrug,
hatte es übrigens schon den Anschein gewonnen, als ob
Haymerle jenen Posten nicht lang mehr beibehalten sollte.
Die Veröffentlichung der „Italicae res a war zwar ohne allen
Einfluss hierauf geblieben; ja er hatte im Gegentheil mit
nicht geringer Befriedigung wahrnehmen können, dass durch
sie seine eigene Stellung in Italien, das Vertrauen, das man
dort zu ihm hegte, keine Beeinträchtigung erlitt. Aber schon
in Rippoldsau waren ihm die ersten Andeutungen zugekommen,
dass man in Wien an eine andere Bestimmung für ihn denke.
Obgleich noch nicht darüber im Klaren, worin sie eigentlich
bestehen sollte, waren doch er selbst und seine Gemahn
hiedurch in nicht geringe Beunruhigung versetzt worden.
Jeder Veränderung würde er, schrieb er in den ersten Tagen
des September aus Ingelheim an seinen Bruder, den schönsten
Posten zum Opfer bringen müssen, den der Staatsdienst nur
bieten, der jeden Wunsch, jeden Ehrgeiz befriedigen könne.
Ueber ihn hinaus liege nur Ungewissheit und Sorge. Dennoch
habe er, so viele sachliche und persönliche Gründe auch dafür
sprächen, den an ihn ergangenen Ruf nicht absolut ablehnen
können.
1
58
Man weiss dass derselbe darin bestand, Haymerle möge
statt des zu freiwilligem Rücktritte entschlossenen Grafen
AndrAssy das Portefeuille des kaiserlichen Hauses und der
auswärtigen Angelegenheiten übernehmen.
„Du kannst Dir kaum vorstellen", so lauten die Worte,
welche Haymerle am 17. September schon von Wien aus an
seinen Bruder Alois richtete, „wie schwer mir der Entschluss
wurde, die Stelle anzunehmen. Es gibt kein Bedenken,
das ich mir nicht gemacht und das ich nicht dem Kaiser in
anderthalbstündiger Audienz vorgetragen hätte. Ich fand einen
so ausgesprochenen Wunsch, eine so ausgesprochene Erklärung,
dass kein Anderer dem Kaiser entspreche und dass meine
Wahl nicht erst von heute datire, sondern nur nach Erwägung
aller von mir geäusserten Bedenken geschehen sei, dass ich
schliesslich den Muth zu einem entschiedenen Nein nicht
in mir fand. Ich entwickelte auch dem Kaiser mein Programm,
welches, so weit dies von uns abhängt, ein durchaus fried-
liches, und zwar nicht blos auf Erhaltung des Friedens, sondern
auf Verbreitung einer friedlichen Stimmung gerichtetes ist. Die
entschiedenste Billigung wurde mir zu Theil. u
„Jetzt muss ich meine Bedenken hinter mich werfen und
muthig vorwärts schauen. Illusionen mache ich mir keine,
und den Schmerz, unsere wundervolle Existenz in Rom auf-
opfern zu müssen, werden sowohl ich als Therese niemals
ganz verwinden.«
Mit kaiserlichem Handschreiben vom 8. October 1879
wurde Haymerle's Ernennung zum Minister vollzogen und
am selben Tage legte er den Diensteid in die Hände seines
Monarchen ab. Am nächsten Tage geschah die Vorstellung
der Beamten des Ministeriums. Haymerle richtete eine An-
sprache an sie, die mit den folgenden Worten schloss:
„Das Werk, welchem Graf Andrässy durch acht Jahre
seine hingebende Thätigkeit gewidmet hat, und zwar mit
einem Erfolge, welchen nur derjenige beurtheilen kann, dem
der vollste Einblick in die politischen Verhältnisse der
Monarchie gewährt war, habe ich nun fortzusetzen, und
59
hiebei hoffe ich mich von Ihrem Vertrauen unterstützt zu
sehen. Darum habe ich Ihnen nur Eine Bitte zuzurufen:
„Sursum corda! a
Nur mit Wehmnth kann derjenige, der sich die Aufgabe
gestellt hat, wenngleich nur in raschen Zügen den Lebenslauf
des Freiherrn von Haymerle zu skizziren, an dessen letzte
und glänzendste Periode, an die nur allzu kurze Zeit heran-
treten, während deren er an der Spitze des Ministeriums der
auswärtigen Angelegenheiten stand. Dieser Wehmuth gesellt
sich das Bedauern, dass aus leicht begreiflichen Rücksichten
gerade diese Action Haymerle's nicht mit jenem Eingehen
auf deren einzelne Richtungen und Theile besprochen werden
kann, wie dies hinsichtlich seiner früheren Lebensabschnitte
versucht wurde. Denn aus der von ihm übernommenen
Mission hat ihn der Tod wie mit besonderer Tücke gerade in
einem Augenblicke gerissen, in welchem er selbst im Begriffe
gewesen zu sein scheint, einen weiteren Ausblick auf sein
Wirken in's Grosse, auf seine Ideen und Plane zu eröffnen.
Personen, die fortwährend mit ihm verkehrten, wissen von
ihm selbst, dass er mit dem Gedanken sich trug, seine Scheu
vor Programmen und principiellen Excursen gerade in der
bevorstehenden Session der Delegationen insofern zu über-
winden, als er sich über die Beziehungen der Monarchie zu
allen Mächten aussprechen wollte. Nicht nur vom Gesichts-
punkte der orientalischen Frage aus, der seit Jahren als der
für die österreichischen Interessen allein ausschlaggebende
angesehen wird, und dem er so tiberwiegende Geltung ein-
zuräumen keineswegs geneigt war, gedachte er dies zu thun.
Die Kothbticher, welche während seiner Amtsführung erschienen,
und von denen ihm insbesondere das letzte so anerkennende
Nachrufe verschafft hat, geben nur lückenhafte Aufschlüsse
über das Ganze seiner Politik oder über das, was er als
Ganzes anzustreben beschlossen hatte. Niemand kann an
Stelle der nun für immer geschlossenen Lippe das Wort
nehmen und verkünden, was ihr nicht beschieden war zu
enthüllen. Aber man kann doch auf gar manche Anfänge
60
hindeuten, welche weit über das stricte Programm einer blossen
Vollstreckung des Testamentes des Grafen Andr&ssy hinaus-
gehen und die Bahnen ganz selbstständigen Wirkens sehr
deutlich erkennen lassen.
Um ihre Richtung und die durch sie erreichten Erfolge,
sowie diejenigen, auf welche sie berechtigte Aussicht verlieh,
gehörig würdigen zu können, wird man gleichsam symptomatisch
verfahren müssen. Denn da die äussere Politik mit den
fremden Staaten gemacht wird, muss man sie auch von dem
Standpunkte beurtheilen, welchen deren Regierungen ihr
gegenüber einnehmen.
Während der vor Kurzem zum Abschlüsse gebrachten
Verhandlungen der Delegationen ist von Seite des Regierungs-
vertreters die Mittheilung gemacht worden, dass wenigstens
bis dahin über eine Zusammenkunft der Kaiser von Oester-
reich und Russland eine Verhandlung nicht gepflogen worden
war. Aber es ist ungesagt geblieben, ob dies nicht geschah,
weil eine solche Zusammenkunft nicht thunlich, oder weil sie
nicht nöthig befunden wurde. lOhnc den Eingeweihten spielen
zu wollen, wird der aufmerksame Beobachter wohl unbedenklich
das Letztere annehmen können. Offenbar ist es Haymerle
schon früher und wohl auch schon vor der Entrevue in
Danzig gelungen, sei es durch specielles Entgegenkommen,
sei es durch die friedliche Tendenz seiner Politik im All-
gemeinen die Empfindlichkeiten an der Newa zu beschwichtigen
und wenigstens die officiellen Kreise Russlands von den
conservativen und friedliebenden Absichten des österreichischen
Cabinetes zu üherzeugen.
Das intime Verhältniss zwischen Oesterreich und Deutsch-
land, von Haymerle, so viel es an ihm lag, aufs sorgfältigste
befestigt und genährt, konnte nur allzu leicht in Russland,
das lässt sich kaum bestreiten, Besorgnisse erwecken, die mit
der Zeit auch ohne einen eigentlichen Conflict der beider-
seitigen Interessen zu einem gespannten, wenn nicht zu einem
feindseligen Verhältnisse zu führen vermochten. Noch bei
Lebzeiten des verstorbenen Czars Hess es sich Fürst Bismarck
61
angelegen sein, einem solchen Unglücke — denn das wäre
es fiir den Weltfrieden geworden — durch Betonung einer
versöhnlichen Politik im voraus zu begegnen und so den
panslavistischen Hetzern in St. Petersburg den Vorwand zu
Alarmrufen zu benehmen. Es lässt sich nicht vermuthen,
dass Baron Haymerle in diesem Bestreben hinter dem Fürsten
Bismarck zurückgeblieben sei. Und ist es ihm gelungen, ein
Verhältniss herbeizuführen, welches ihn die Danziger Zusammen-
kunft ohne alle Besorgniss betrachten liess, so hat er damit
etwas gethan, wofür man ihm in Oesterreich zu lebhaftem
Danke verpflichtet zu sein hat. Denn über die Zweckmässig-
keit von Allianzen lässt sich streiten. Darüber sind jedoch die
Verständigen und Besonnenen überall einig, dass es Thorheit
wäre, einem mächtigen Nachbar gegenüber einen Zustand
aufkommen zu lassen, der zwischen Krieg und Frieden
schwankt. Wenn wir in Frieden mit einander leben, so wollen
wir auch Ruhe vor einander haben. Der Freund kann seine
Stimme geltend machen, nicht der Feind; darin bestanden
Haymerle's Principien, und Niemand wird bestreiten, dass sie
die richtigen waren.
Dass während der Amtsführung Haymerle's das Ver-
hältniss Oesterreichs zu Deutschand ein thurmhoch über alle
Zweifel hinausragendes war und auf vollster Uebereinstimmung
hinsichtlich der Beurtheilung aller politischen Fragen beruhte,
ist Jedermann bewusst und braucht hier nicht näher nach-
gewiesen zu werden. Italien gegenüber beharrte Haymerle
als Minister auf der gleichen Bahn, auf der er als Botschafter
gewandelt war. Mit welchem Erfolge dies geschah, hat der
Besuch des italienischen Königspaares in Wien am deutlichsten
bewiesen. Ohne dass politische Abmachungen von irgend
einer Seite beabsichtigt waren, ging die so überaus herzliche
Begegnung der zwei Monarchen vor sich. Sie wird ihre
Früchte tragen und ihre Resultate werden unauflöslich mit
dem Namen des Mannes verknüpft sein, der das Verdienst, sie
geschaffen zu haben, sowohl als Botschafter wie als Minister wohl
zum grösseren Theile für sich in Anspruch nehmen durfte.
62
In England trat kurz nach Haymerle' s Ernennung -zum
Minister statt des ihm persönlich befreundeten und für Oester-
reich so wohlwollenden Lord Beaconsfield Gladstone an's
Ruder. Wie seit diesem Zeitpunkte die Ansichten dieses
Staatsmannes über Oesterreichs Wirken und Zielpunkte sich
änderten, zeigt die Verschiedenheit seiner jetzigen von seiner
früheren Sprache so deutlich, dass man fiirwahr kein grosser
Politiker zu sein braucht, um dies zu erkennen. Und man
wird kaum fehlgehen, wenn man der jeden Zweifel von
vorneherein abschliessenden Deutlichkeit, mit welcher Haymerle
manchmal einer von der britischen Regierung ausgehenden
Anregung ein entschlossenes „Nein" entgegensetzte, diese
Wirkung zuschreibt. Denn es hiesse den englischen National-
charakter verkennen, wenn man nicht annähme, dass gerade
Haymerle's entschiedene Haltung den Beziehungen Oesterreichs
zu England wesentlich genützt habe. Unmöglich konnten
die Briten eine Sprache übel aufnehmen, die sie selbst mit
solcher Vollendung zu reden verstehen. Und derjenigen
Haymerle's ist es wohl zunächst zu verdanken, dass die
montenegrinische Frage auch ohne Anwendung, die noch viel
schwierigere griechische aber sogar ohne Androhung von Ge-
walt in befriedigender Weise gelöst wurde.
Ueberhaupt trat bei der Thätigkeit, die Haymerle als
Minister entwickelte, noch weit mehr als bei seiner früheren
als Botschafter die ganz eigentümliche Erscheinung zu Tage,
wie sehr er mit seinem im Allgemeinen so milden und ver-
söhnlichen, zumeist nur auf Beschwichtigung und Frieden
ausgehenden Wesen doch auch energisches Auftreten zu ver-
knüpfen verstand. Nicht minder kam dies in den von ihm
ausgehenden amtlichen Actenstücken als in dem mündlichen
Verkehre mit ihm zu Tage, wenn es um die Geschäfte des
Staates sich handelte. Da hielt er mit seiner Meinung nur
selten zurück; er bediente sich vielmehr in schneidiger Weise
der scharfen und sachlichen Dialektik, die ihm eigen war,
um seine Ansicht zur Geltung zu bringen. Und jederzeit
63
wies er es weit von sich ab, das Wort zu benutzen, um seine
wahren Gedanken nur um so sorgfältiger zu verbergen.
Eine andere Eigenschaft, die Haymerle besonders als
Minister zu bethätigen Gelegenheit hatte, bestand in der
Schnelligkeit, mit der er sich in ihm ganz neue, seinem
Gesichtskreise bisher ziemlich fremde, technische Fragen
hineinzufinden und die Punkte, auf die es hauptsächlich an-
kam, in eine knappe, präcise Formel zusammenzudrängen
vermochte, welche jedes Ausweichen unmöglich machte. So
wusste er rasch die handelspolitischen Interessen der Monarchie
zu ergründen, und jederzeit bestrebte er sich mit besonderem
Eifer, sie zu verfechten und zur Geltung zu bringen. Dass
die Eisenbahnverbindung mit dem Orient, wenn sie zu Stande
kommt, auch seinen Namen verkünden wird, ist bekannt.
Und von Tag zu Tag tritt "es deutlicher hervor, dass er auch
in Serbien dem freundschaftlichen Einflüsse Oesterreichs die
Oberhand zu verschaffen verstand, ohne der Unabhängigkeit
dieses Landes und dem nationalen Stolze seiner Bewohner
irgendwie zu nahe zu treten.
Dies sind im Wesentlichen die Erfolge, welche man der
österreichischen Politik, so lang ihre Leitung in Haymerle's
Händen ruhte, wohl ohne den Vorwurf der Parteilichkeit auf
sich zu ziehen, wird nachrühmen dürfen. Ja man würde sogar
Gefahr laufen, sie zu unterschätzen, wenn man nicht noch
eigens darauf aufmerksam machen wollte, dass in Folge der
Kürze des Zeitraumes, der seinem Wirken als Minister gegönnt
war, nur die Anfänge desselben, und nicht dessen letzte Er-
gebnisse zu Tage treten konnten. Auf dem Gebiete der
äusseren Politik kann man ja binnen zwei Jahren die Früchte
nicht ernten, die man in so viel sorgenvollen Stunden mit
nie rastender Hand in das manchmal recht sterile Erdreich
zu säen sich bemühte. Sie in ihrer vollen Entfaltung zu
schauen, war auch Haymerle nicht beschieden, aber so viel
sah man doch schon bei seinen Lebzeiten von ihnen, dass
dieser Anblick Niemand im Zweifel lassen konnte über das,
was Oesterreich an ihm verlor.
64
Wie schon früher angedeutet wurde, ist in Oesterreich
das Portefeuille, dessen Träger Haymerle war, ein zweifaches,
indem es neben den auswärtigen Angelegenheiten auch die
des kaiserlichen Hauses umfasst. So unsägliche Mühe, Arbeit
und Sorgen die ersteren, so bereiteten ihm die letzteren nur
Freude. Denn die einzige wichtige Verhandlung, welche in
diesem Theile seines Geschäftskreises vorkam, war die, welche
sich auf die Vermälung des Kronprinzen Rudolph von
Oesterreich mit der Prinzessin Stephanie von Belgien bezog.
Als treuer Anhänger des Kaiserhauses, als begeisterter Patriot
schätzte Haymerle sich glücklich, bei einem von ganz Oester-
reich mit so inniger Theilnahme begrüssten Ereignisse zu
persönlicher Intervention berufen zu sein. Seine Freude hier-
über wurde dadurch nicht wenig vermehrt, dass ihm der
Kaiser bei diesem Anlasse die höchste Auszeichnung verlieh,
deren er ihn überhaupt theilhaft machen konnte. Und in dem
Umstände, dass ihm sein Monarch das Grosskreuz des
St. Stephansordens mit den huldvollsten Worten persönlich
überreichte, durfte Haymerle mit Recht ein unschätzbares
Kennzeichen vollster Zufriedenheit mit seiner aufopfernden
Dienstleistung von einer Seite erblicken, auf welcher An-
erkennung zu finden den grössten Werth für ihn besass.
Wer die Thätigkeit Haymerle's als Minister des Aeussern
zu besprechen unternimmt, wird wenigster« mit einem Worte
auch seiner Beziehungen zu den unter ihm dienenden Beamten
gedenken müssen. Die wahrhaft ergreifenden Kundgebungen
der Theilnahme und der Treue, die gerade aus ihrem Kreise
bei seinem plötzlichen Hinscheiden laut wurden, beweisen
wohl am besten, was er ihnen war. Nur die kurze Dauer
seiner Geschäftsführung trug Schuld, wenn er für so Manchen
unter ihnen noch nicht so viel hatte thun können, als sein
den Menschen überhaupt und insbesondere denen, die in
nähere Berührung mit ihm traten, so überaus wohlwollender
Charakter es ihn selbst wünschen Hess. Diese Liebe zu den
Menschen im Allgemeinen war ja einer der bezeichnendsten
Züge seines Wesens, und sein ganzes Leben hindurch wurda
65
er gleichmässig von ihm beherrscht. Wir kennen Briefe von
ihm, etwa zwanzig Jahre vor seinem Tode, und solche, die
kurz vor demselben geschrieben sind. Am Anfange wie am
Ende dieses langen Zeitraumes spricht er es gleichmässig aus,
dass er den Charakter der Menschen nur günstig beurtheilen
könne. „Immerdar", schrieb er im Jahre 1862 an eine ältere
Freundin, die vor einigen Jahren verstorbene Gemalin des früheren
russischen Gesandten in Athen und Bern, Frau von Ozeroff,
„immerdar bleibe ich meiner Maxime treu, „de voir tout en
rose". Und in einem Briefe aus derselben Zeit und an die-
selbe Freundin sagt er: „Für mich ist es ein Glaubensartikel,
die Menschen für gut und für loyal zu halten. Obgleich schon
ziemlich weit vorgeschritten im Leben, war ich glücklich
genug, diese mir so theure Meinung weit öfter bethätigt als
erschüttert zu sehen".
„Obgleich ich viele Illusionen abgestreift", schrieb
Haymerle elf Jahre später aus dem Haag an einen Freund,
„so habe ich mir aus meiner Jugend doch die Oeberzeugung
herübergerettet, dass es sehr viele achtungs- und lobenswerthe
Persönlichkeiten gibt, dass die Menschen heute nicht schlimmer
als ehedem sind und man sich nur Mühe geben muss, mit ihnen
zu denken, um sie auch zu verstehen und oft zu entschuldigen".
Niemand wird über den grossen Werth in Zweifel sein
können, den eine so humane Gesinnung eines Chefs für
dessen Untergebene haben muss. Aber freilich artete sie bei
Haymerle auch nieinals in Schwäche aus, und er, der selbst
so viel leistete, verlangte auch viel. Unabhängigkeit der
Gesinnung und des Urtheils, Eifer und Thatkraft schätzte er
vor Allem, und die Männer, bei denen er eigenen Ideen und
Ansichten begegnete, zog er den Uebrigen vor.
Ganz besondere Theilnahme brachte er jederzeit seinen
jüngeren Berufsgenossen entgegen. Bei der Aufnahme in den
diplomatischen Dienst war er streng, und weit grössere An-
forderungen stellte er, als es in früheren Zeiten der Fall
gewesen war. „Nur Solche sollen", pflegte er zu sagen, „in
den Dienst eintreten dürfen, welche die volle Eignung hiezu
y. Arneth, Haymerle, 5
66
besitzen. Sie später aus demselben auszuscheiden, wenn ihre
beste Kraft verbraucht ist, fällt viel schwerer, weil sich oft
ein anderer Beruf nicht mehr ergreifen lässt."
Mit allen jüngeren Diplomaten sprach Haymerle gern,
um sich ein richtiges Urtheil über ihre Fähigkeiten und ihren
Charakter bilden zu können. „Sie sind", wiederholte er oft,
„die Werkzeuge, deren man sich bedienen muss, und Jeder
hat mitzuarbeiten an dem Gedeihen des Ganzen". Darum
interessirte er sich auch für Jeden, und Wenige werden sein
Zimmer verlassen haben, ohne ihm einen wohlmeinenden Rath,
eine Aufmunterung zu verdanken.
Der überreichen positiven Thätigkeit Haymerle' s als Minister
steht auch, wenn man sich dieses Ausdruckes bedienen darf,
eine negative Seite derselben gegenüber. In einer Zeit, in der
in allen Ländern, und in Oesterreich gewiss nicht weniger, ja
vielleicht mehr noch als in den anderen Staaten das Getriebe
der sich aufs heftigste befehdenden Parteien die allgemeine
Aufmerksamkeit nicht nur auf sich lenkt, sondern man wird
wohl sagen dürfen, Jedermann unwiderstehlich in seinen Kreis
zieht, ist es nicht nur vielfach bemerkt, sondern auch recht
bitter getadelt worden, dass Haymerle sich jeder Parteinahme
sorgfältig enthielt. Insbesondere von Seite derer geschah dies,
die gleichsam instinktmässig herausfühlten, dass er zum mindesten
ihrer Auffassung der staatsrechtlichen Verhältnisse Oesterreichs
näher stehen müsse als der ihrer Gegner. Denn wenn sie ihre
Hauptaufgabe darin sahen und auch heute noch erblicken,
einer noch weitergehenden Schwächung * der obersten Staats-
gewalt, als ihrer Ansicht nach durch die Zweitheilung des
Reiches ohnedies schon herbeigeführt wurde, durch thatkräftige
Bekämpfung der immer mehr überhandnehmenden föderalisti-
schen Tendenzen zu steuern, so glaubten sie in dem Minister,
der diese Staatsgewalt nach Aussen hin zu repräsentiren hat,
naturgemäss einen Verbündeten zu besitzen und daher auch
von seiner Seite eine ausgiebige Unterstützung ihrer Bestre-
bungen in Anspruch nehmen zu dürfen. Dass dieselbe aus-
blieb, hat sie nicht selten mit Unmuth wider Haymerle erfüllt,
67
und ihrem Urtheile über ihn, das in Bezug auf seine Thätig-
keit nach Aussen hin nur ein anerkennendes war, manchmal
auch einen anderen Beigeschmack gegeben.
Die Passivität der Haltung Haymerle's in Bezug auf die
inneren Angelegenheiten des Staates und auf die sich um ihret-
willen befehdenden Parteien soll hier in gar keiner Weise ein
Gegenstand der Anklage oder der Verteidigung sein. Aber
ganz objectiv wird wohl der Standpunkt beleuchtet werden
dürfen, den er für den einzig richtigen ansah und desshalb
auch stets gleichmässig festhielt. Er täuschte sich keineswegs
darüber, dass in anderen Ländern der Minister des Aeussern
zur Einflussnahme auf die inneren Staatsangelegenheiten be-
rechtigt, ja dass eine solche unter Umständen auch nothwendig
sei. In Oesterreich schien er ihm jedoch von einer derartigen
Einmengung durch die ganz eigentümlichen staatsrechtlichen
Verhältnisse der Monarchie verfassungsmässig ausgeschlossen
zu sein. Eine von seiner Seite ausgehende Ingerenz in die
inneren Fragen, sei es in Oesterreich, sei es in Ungarn, hielt
er daher für einen Eingriff, der mit der Verfassung sich im
Widerspruch befände und aus diesem entscheidenden Grunde
gerade von dem, der die Verfassung hochhalte und sie als den
alleinigen und unerschütterlichen Rechtsboden aller öffentlichen
Thätigkeit betrachte, sorgfältigst vermieden werden müsse.
Hiezu kam noch, dass Haymerle in dem richtig gehand-
habten Parlamentarismus einen mächtigen Hebel zur Geltend-
machung der Rechte Aller sah. Er glaubte desshalb auch,
dass jede Partei einen bestimmten Zeitraum hindurch am Staats-
ruder sein, jede Opposition aber erst erstarken und gerade
durch diese Gegnerschaft sich klären müsse, um fähig zu
werden, wieder Regierungspartei zu sein. Er wies dabei auf
die Heimat des wahren Parlamentarismus, auf England hin,
wo keine Partei vor Ablauf einer gewissen Zeit wieder ans
Ruder zu kommen erwartet. Denn sie weiss, dass sie nach
ihrem Sturze einige Zeit der Sammlung und Läuterung braucht,
um die Kräfte, die sie bei angestrengter Arbeit für das öffent-
liche Wohl verlor, zu ersetzen, und die Fehler, welche jede
5*
68
Partei, da sie aus leicht irrenden Menschen zusammengesetzt
ist, macht und machen muss, wieder zu überwinden und in
Vergessenheit zu bringen. Wie der Einzelne nicht ewig dauert,
pflegte Haymerle zu sagen, so auch nicht die Partei. Aber
der Einzelne sterbe, die Partei hingegen ersetze in dem Kampfe,
den sie als Opposition führe, die ihr im Besitze der Macht im
Laufe der Zeit verloren gegangenen Kräfte. Zur Herbei-
führung vorzeitiger Lösungen in das Getriebe hineinzugreifen,
hielt er für einen Fehler, weil er nur das als dauernd ansah,
was aus sich selbst heraus sich zu entwickeln vermochte.
Dies kann im Wesentlichen als der Gedankengang ange-
sehen werden, durch welchen Haymerle bestimmt wurde, sich
aller Einmischung in die inneren Staatsangelegenheiten gewissen-
haft zu enthalten. Das was er von der Vergänglichkeit der
Herrschaft der einzelnen Parteien dachte, dehnte er übrigens
auch auf die Stellung der einzelnen Staatsmänner aus. „Ein
wahrer Staatsmann", sagte er gern, „kann seine Zeit nur
beherrschen, wenn er ihr voraneilt, wenn er vorwärts und nicht
zurück blickt, wenn er Vergangenes nicht erhalten, sondern
Neues erschaffen will. Aber auch der bedeutendste Staats-
mann hat nur eine ihm bemessene Zeit, über welche hinaus er
keinen Versuch machen soll, sich am Ruder zu erhalten".
Auch auf sich selbst und seine eigene Stellung wandte
Haymerle diese Grundsätze an, und Niemand war weiter davon
entfernt als er, sich mit seinem Portefeuille für verwachsen zu
halten und an dasselbe sich zu klammern. Der Gedanke eines
Rücktrittes vom Ministerium hatte nichts Beunruhigendes für
ihn, und so sandte er einmal während der Delegation im
November 1880 seiner Frau ein französisches Journal, das
meldete, seine amtliche Stellung sei erschüttert. „Wäre es
wahr", fügte er wörtlich hinzu „so würde ich mich wahr-
scheinlich weniger desshalb grämen, als die Leute es meinen".
Bei diesem Anlasse mag es nicht unwillkommen sein, die
günstige Ansicht zu vernehmen, welche Haymerle von dem
Grafen Kälnoky hegte. Als die Baronin Haymerle einmal
ihrem Bruder als eifrigem Sammler von Autographen die Hand-
69
schrift Kdlnoky's schenkte, sagte scherzend ihr Gemal: „als
Zukunftsmusik". Und ernst werdend fügte er hinzu: „Ich
werde ihn einmal zu meinem Nachfolger vorschlagen".
Den Delegations -Verhandlungen, in denen man ihm mit
dem grössten Vertrauen entgegen kam, widmete er stets das
regste Interesse, und er war sich der Pflicht wohl bewusst,
die ihm während derselben oblag, Rechenschaft zu geben über
die Art und Weise, in welcher die auswärtigen Angelegen-
heiten von ihm geleitet worden waren. Dieser Pflicht kam er
bereitwilligst und mit dem ganzen Ernste nach, der den
Grundton seines Wesens bildete. In seinen Mittheilungen
und Aufklärungen ging er stets so weit, als er es bei dem
jeweiligen Stande der Fragen und deren confidentiellem
Charakter nur immer für möglich hielt. „Du weisst", schrieb
fer damals einem Freunde, „am Amte liegt mir wenig, nur an
der Sache".
Wie lebhaft er sich eines Erfolges freute, wenn auch ein
Anderer als er selbst ihn davon trug, wird durch einen Brief,
den er am 2. November 1880 aus Budapest an seine Frau
schrieb, deutlich bewiesen. „Der Kriegsminister Graf Bylandt
hielt", so lauteten seine Worte „eine nahezu zweistündige,
wirklich gelungene Rede, die den günstigsten Eindruck her-
vorbrachte; hätte man sofort abgestimmt, so wäre das Resultat
nicht zweifelhaft gewesen. Aber freilich", fügte er mit einem
Seitenblicke auf seine eigene Aufgabe hinzu, „wie viel leichter
ist es doch, über ganz positive Dinge, aus denen ja doch der
Geschäftskreis des Kriegsministers besteht, zu sprechen und
durch Sachkenntniss den Zuhörern zu imponiren, als über
das so vage Thema der äusseren Politik «nit seinen so über-
aus heiklichen Seiten zu reden, ein Thema, zu dessen Beur-
theilung sich Jeder für competent hält".
Schon am Beginne des Sommers 1880, des ersten, der
Haymerle als Minister in Wien fand, war er, wie früher sein
Vorgänger Graf Andrdssy, vom Kaiser eingeladen worden, im
Parke von Schönbrunn eine Wohnung zu beziehen. Im
Mai 1881 wiederholte sich diese Einladung, der Haymerle
wmmmmmm
70
auch diesmal voll Dankbarkeit nachkam. Die Zeit seines dortigen
Aufenthaltes zählte Haymerle stets zu den genussreichsten des
Jahres; gab sie ihm doch Veranlassung zu täglichen Aus-
flügen in die herrliche Umgebung und in seinen geliebten
Wiener Wald, für den er seit seiner Kindheit eine lebhafte
Vorliebe hegte. In den letzten Tagen des Juni ging er auf
Urlaub; zunächst nach dem Stifte Neuburg, dann aber nach
dem Bade Neuenahr, das er nach mehrwöchentlichem Aufent-
halte mit anscheinend günstigen Resultaten für seine Gesund-
heit verliess. An beiden Orten und ebenso in Ischl, wohin
er sich an das kaiserliche Hoflager begab, tiberliess er sich
rückhaltslos seiner alten Naturschwärmerei. Mit verdoppelter
Stärke erwachte die Vorhebe für das heimatliche Hochgebirge
wieder in ihm. Die frischgrünende Alpennatur erfüllte ihn mit
Entzücken, und eine Fahrt auf dem See von St. Wolfgang, eine
bezaubernde Aussicht auf den Dachstein, ein Spaziergang auf
schmalem Uferpfade den Attersee entlang erquickten ihn an
Leib und Seele mehr als jede andere Erholung.
Am 23. August begab sich Haymerle nach Wien, von
da aber nach Budapest, wo er, da seine Gemalin mit den
Kindern einstweilen auf Stift Neuburg zurückgeblieben war,
einige Zeit hindurch allein verweilte. In Budapest stellte sich
plötzlich ohne irgend eine erkennbare Veranlassung ein aller-
dings nur kurzdauernder Anfall von Brustbeklemmung ein,
der sich im letzten Drittheile des September in Salzburg
wiederholte. Das Project, sich in der dortigen Gegend anzu-
kaufen, hatte ihn nach dieser Stadt geführt, in der er mit
seiner Familie wieder zusammentraf. Am 28. begab er sich
von Salzburg nach Linz, von dort aber, statt daselbst, wie
er beabsichtigt hatte, einen Tag zu bleiben, in Folge der Be-
rufung zu einem Ministerrathe noch während der Nacht nach
Wien.
Hier, oder besser gesagt in Schönbrunn wiederholten sich
die früheren Anfälle, aber doch nur in schwacher Form, und
man musste sie bei dem Mangel an objectiven Symptomen
einer nervösen Reizbarkeit zuschreiben. Haymerle übersiedelte
71
nach Wien und blieb sogar, da ihm die grösste Ruhe em-
pfohlen war, durch einige Tage zu Bette, verliess es jedoch
am 9. October wieder. Während dieser ganzen Zeit verkehrte
er wie sonst mit seinen Beamten, und man konnte nicht be-
merken, dass die fortgesetzte Arbeit einen nachtheiligen Ein-
fluss auf seinen Zustand ausübe. Es lag daher auch kein
ausreichender Grund vor, bei ihm auf Aenderung dieses
Verfahrens zu dringen.
Am Morgen des 10. October empfing Haymerle noch
einige ihm nahestehende Verwandte, und um ein Uhr früh-
stückte er in Gegenwart seines Arztes. Hierauf conferirte er
durch etwa eine halbe Stunde mit seinen Käthen, während
seine Frau auf sein dringendes Begehren mit den Kindern
spazieren fuhr. Als sie sorglos heimkehrte, fand sie ihn todt.
Denn als er um drei Uhr einen anscheinend leichten Anfall
verspürt hatte und der allein im Zimmer anwesende Diener
ihm ein bereitstehendes Medicament reichen wollte, starb er
ohne Kampf, sowie ein Licht verlöscht. Eine plötzliche Durch-
bohrung der schlaffen Herzmuskel hatte seinem Leben ein
Ende gemacht.
Mit überraschender Schnelligkeit durchflog die Trauerbot-
schaft ganz Wien, und der Telegraph überbrachte sie dem
Kaiser, der sich kurz zuvor zur Gemsenjagd nach Steiermark
begeben hatte. Die frühere Absicht, dort durch einige Tage
zu verweilen, gab der Kaiser augenblicklich auf, und noch
am selben Abende kündigte er diesen Entschluss dem ober-
sten Beamten des Ministeriums, Sectionschef von Kallay an.
„Ich kehre", so lauteten die Worte seines Telegramms, „mor-
gen nach Schönbrunn zurück, wohin ich Sie ersuche, gleich
nach meiner Ankunft zu kommen. Bis ich persönlich in der
Lage sein werde, es zu thun, bitte ich Sie, der Baronin
Haymerle meine innigste Theilnahme an dem mich tief er-
schütternden und unendlich schmerzenden Verluste auszu-
sprechen u .
Schon am folgenden Tage führte der Kaiser diesen Vorsatz
aus, und er wohnte auch dem Leichenbegängnisse, das am
VMW^PVMBliPI^RMmHM^IIHMHMMBMaaOTMnHt--
72
13. October in feierlichster Weise stattfand, persönlich bei.
Die in Wien anwesenden Erzherzoge folgten dem Beispiele
des Monarchen. Die Kaiserin, der Kronprinz und seine Ge-
mahn, die übrigen Mitglieder des Kaiserhauses, wie sie der
Reihe nach in Wien eintrafen, besuchten die Baronin Haymerle
und brachten ihr den Ausdruck ihres tiefempfundenen Beileides
dar. Der König und die Königin von Italien, welche Haymerle
so nahe gekannt und so hochgeschätzt hatten, schlössen kurz
nach ihrer Ankunft in Wien dieser Kundgebung sich an, und
zahllos waren die Beweise der Theilnahme, welche in einem
kaum jemals erlebten Masse der mit Recht tieftrauernden
Witwe zukamen. Denn ohne jegliche Vorahnung war ihr
ja der, für den sie ausschliesslich lebte und an dem sie, so
wie er an ihr, mit jeglicher Lebensfaser hing, plötzlich ent-
rissen worden. Nirgends aber wurde dieses allgemein sich
kundgebende Mitgefühl schmerzlicher empfunden als in Oester-
reich selbst. Denn auch wer den nun Verewigten nicht per-
sönlich gekannt hatte, war doch von der Ueberzeugung
durchdrungen, dass das Vaterland einen ihm treu anhänglichen,
mit unübertroffener Selbstaufopferung erfolgreich dienenden,
hochbegabten, dass es einen seiner besten, seiner edelsten
Söhne verloren habe. Und darum wird auch sein Andenken
in Oesterreich immerdar ein hochgehaltenes sein!
Druck der Norddeutschen Buchdruckerei, Berlin, Wilhelmstrasse 32.
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