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Herders
ı Sämmtlide Werte,
Herausgegeben
von
Bernhard Suphan.
| Zehnter Band.
THE
HILDT3RAND
LIBRARY.
Berlin,
Weidmannſche Buhhandlung.
1879.
inhalt‘
Seite
Erſter Theil 170. 1788. ....... ennrnennnnnnnnn 1
Zweiter Theil 1780. 1785. aueeesceessesnenn sensennnnnnnnonsnnennenennn snrsnneannannns 153
Dritter Theil 1781. 1786. u... nen —D 269
*) Die „Briefe“ bedürfen zu ihrem Berftändnis keiner hiftoriſchen Borausſetzung
und Grläuterung Der Herausgeber beſcheidet ſich daher, feine Erörterungen und Notizen in
un! u NT. einens Nachwort zu Band XI aufanımenzuftellen. Über die Bezeichnung der Varianten giebt
w.KeFÄ vie Einleitung zu Band I, ©. XXXIX die erforberlige Auskunft. Die ohne vorgeſetztes
N eh Zeidhen gegebene Yebart ift die der erften Ausgabe.
Briefe,
das Studium der Theologie
betreffen.
von
J. G. Herder. '
Erſter Theil.
— — —
Zweyte verbeſſerte Auflage.
—— — — —— — — — —— — — —— —
Weimar,
bey Carl Ludolph Hoffmanns
ſel. Wittwe, und Erben.
1780. 1785.
1) „von J. G. Herder.“ fehlt.
ee a a a pr,
Ta 2 nn ee Eu
Vorbericht
zur zweyten Auflage
Ich darf die Herausgabe dieſer Briefe
haben mir das Zutrauen vieler edeln und
N, 221/. tannten Jünglinge erworben und dies iſt ber
12,762 ich mir wünſchen konnte.
GH) Da manche Materien, die hier nur vorb
fonnten, in meiner Schrift: über den Gei
(U) Boefie genauer entwidelt find: fo habe ich
Auflage vieles weglafjen fünnen, das, na
erſchienen ift, hier in einer unvollkommenen
wäre. Ja ich hätte noch manches weglafjer
nicht gefürchtet hätte, den Faden der Bricht
So fühle ih 3.8. die Materie von Anfü
im neuen Teftament, ohngeadtet der Sı
behandelt ift, dennoch nicht hinreichend für
22,3. wird aber im dritten Theil des vorgenannter
finden. Auch habe ih Manches ausgelaffen,
Studium der Theologie weniger gehörte.
Was ich dagegen eingerüdt habe, find ı
am) dichten Züge vom Charakter Chrifti m
tungen über die Commentare und Barı
jene? wird man aus Veranlafungen unf
beantworten. Warum diefe? wird ihr Inha
Ueberhaupt aber wünſchte id), daß m
feine vollftändige Methodologie zum Stubium
4. 12,79.
— 4 —
heit anſehen möge; eine ſolche zu ſchreiben, iſt mir bey dieſen
Briefen nicht in den Sinn gekommen, da wir [in] derſelben auch
ſchon jo viel und zum Theil fehr gelehrte und ſchätzbare Werke
baben. Meine Briefe find einzelne @elegenheitsbricfe, deren
Materien ich einmal bis zur praftifhen Anwendung im Predigt: (1Y)
amt verfolgen zu können wünſchte.
Faſt hatte ich Luft, einen Kleinen Auflat: Entwurf der
Anwendung dreyer alademifcher Jahre für einen jungen
Theologen, den ich vor einigen Jahren aufgelegt hatte, dieſen
Briefen vorzurüden; da er aber ein eignes Ganze ift, jo mag er
auch einmal als ein foldhes erfcheinen.
Meimar den 17. October 1784.
Herder.
ft mir bey diefen
[in] derfelben auch
ſchätzbare Werfe
eitsbriefe, Deren
dung im Predigt: (IV)
Entwurf der
- einen jungen
tzt hatte, dieſen
iſt, ſo mag er
Herder.
(V)
Ar.
Br.
Inhalt.“
1. Daß man die Bibel menſchlich leſen müſſe, als ein Buch von
menſchlicher Schrift und Sprade. ........nenerseanennensenessenensensnuneen aneneen
2. Das Hebräifche ift als eine Nationalfpracdhe ihrer Zeit und
Gegend zu betrachten und zu gebrauden, Schultens Berbienft.
Auch Poeſien nach unferm Geſchmack müſſe man nicht in der Bibel
an unredtem Orte ſuchen. Eine Probe an der Geſchichte bes
Paradieſes, der erfien Sünde, imgleihen an Bileams Gefchichte.
. d. Bon Lowth's Buch de sacra poësi Hebraeorum. Weberfidht
ber Ebräiſchen Bücher nach ihrer Jüdiſchen Eintbeilung. Bon
den älteften Fragmenten bes Urfprungs der Menfchbeit. Bon
der Batergefchichte der Patriarchen und ihrer Schreibart. ...........
. 4 Bon Mofes Gefegen und feiner Geſchichte. Wie beyde zu
lefen, anzufeben, zu trennen und zu verbinden? Michaelis
Moſaiſches Recht, Jeruſalem, Döderlein, Lilienthal.
Winke auf Liederfammlungen in der Geſchichte Moſes. Ein
Brunnenlied, und ein hönendes Siegslied. .
. 5. Vom Segen Jacobs über feine Söhne. Die Characterſchilde⸗
rung in ihm dur Bilder der Thiere. Judahs Segen. Die
Ausficht des Sterbenden aufs Land der Berbeiffung. „een.
. 6. MUeberfegung des Segen® Iacob8 und Mofes, mit Erläuterungen
einzelner bunfler Stellen und ber Bergleihung beyder. zen.
. 8. Bon ben Poetifhen Zeiten Iſraels in den Büchern ber Helden
und erften Könige. Lebensbefchreibungen Davids. Davids Ehren-
gefang auf Abner. Ueberfeßhn und Aufffärung feiner fo ver-
rätbfelten letzten Worte. infe auf das Leſen ber Propheten,
nad ihren einzelnen Zügen und dem, was Weiflagung bey ihnen
überhaupt war. .
. 9. Vom Bude Jonas, obs Dichtung ſey oder Geſchichte? Sein
Danklied, ein Gelübde nach erhaltener Rettung. Von Ezechiels
Tempel. Gefichtöpunlt der Ebräer zu ihren heiligen Schriften.
Vom Buch der Pſalmen, feinen Verfaſſern, ſeiner Ordnung, Ton⸗
kunſt und dem verſchiednen Charakter verſchiedener Pſalmen. Vom
Rhythmus und Parallelismus der Ebräer überhaupt. zes
Rr.
Br.
10. Ueberſetzung einiger der fpätern Pfalmen. ...........een an
11. Bon der Sanımlung Siunſprüche der Ebräer: beſonders von
Agurs Hamafa am Ende berfeiben. Erklärungen feines erften
Räthſels und ciniger andern feiner Sprüche Bom älteften Lehr
gedicht der Erde, dem Bud, Hiobs. Bom fo genannten Prediger
Salomo, von feiner Ueberſchrift und den zwo Stinmen, die in
ihm wecfeln. Bom Bud Eſther und den übrigen Ebräiſchen
Schriften. .
. 12. Bon der Göttlichteit dieſer Bücher. Worauf fie ſich gründe?
worinn fie beftehbe? wie fie wire? Wie fih dieſe Schriften er
halten haben? in welchem Zuftande fie jegt find? Wunſch und
Plan einer Ausgabe verjelben. Wink auf den Urfprung der Bud-
ftabenjchrift im Verhältniß zu diefen Schriften.
Seite
158
167
185
167
189
Erfter Brief.
Es bleibt dabey, mein Lieber, das befte Studium der Gotte:
gelehrfamkeit ift Studium der Bibel, und das befte Leſen diefi
göttlichen Buchs ift menfhlidh. Ach nehme dies Wort im we
teften Umfange und in der andringendften Bedeutung.
Menihlid muß man die Bibel lejen: denn fie ift ein Bu
duch Menſchen für Menfchen gefchrieben: menſchlich ift die Sprach
menſchlich die äuſſern Hülfsmittel, mit denen fie gefchrieben un
aufbehalten ift; menjchlich endlich ift ja der Sinn, mit dem fic gefaf
werden Tann, jedes Hülfsmittel, das fie erläutert, fo wie der ganze
Zweck und Nuten, zu dem fie angewandt werben fol. Sie für
nen aljo fiher glauben, je humaner (im beften Sinne des Wort:
Sie das Wort Gottes lefen, defto näher Tommen Sie dem Zwe
feines Urhebers, der Menſchen zu feinem Bilde ſchuf, und in alle
Werfen und Wohlthaten, wo er fi uns als Gott zeigt, für ur
menſchlich handelt. ?
Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen hiemit einen Tahlen Gcmeir
ort gejagt haben will; die Folgen dieſes Grundjages, recht gefa|
und im ganzen Umfange erwogen, find ? wichtig.
Zuerft fchließt fi nach ihm fo mander Aberglaube aus, al
jey die Bibel bis auf jede Kleinigfeit ihrer Schreibmaterie, Perge
ment, oder Papier, Griffel oder Feder, bis auf den, der Ein
oder das Andre führt, bis auf jeden Strich oder Charalter ihrer
Schrift und Sprade übermenſchlich, überirrdiſch; mithin ga
1) fann, die Hülfsmittel, die fie erläutern, ber ganze
2) zeigt, gewiß menſchlich.
3) im Umfange erwogen, find vielleicht 4) ber
— —
ungemein und ohne! Bergleihung, weder einem Truge noch Jrr-
thum unterworfen, anzubeten und nicht zu unterfuden, nicht zu
ftubiren, no zu prüfen. Wirklich ein böfer Grundfag, der einen
Menſchen, der ihn wegen feiner lichen Göttlichfeit annimmt, nur
gar zu menſchlich, d. i. müßig und dumm macht, weil er ihm?
die Binde fürs Geficht zieht, und nun fragt, ob er fein Licht ehe?
Ob ein Menſch, der die Bibel abjchreibt, jet auf einmal ein
fehlerfreger Gott werde? können Sie gleih erfahren, wenn Sie
mit Ihrem Abjchreibes einen Verſuch machen wollen. Er wird
jegt Ichreiben, wie er fonft jchrieb, nachdem er nemlich Benauigfeit,
Fleiß, Kenntnig der Sprache und Saden, Zeit, Geduld und eine
leferlihe Hand Bat; die Gottheit wird ihm, weil er etwa jeht 3
Bibel fchreibt, keins von allen diefen Stüden durch ein Wunder
ändern. Das ift nicht etwa feit der Buchdruckerey fo gemorben,
fondern immer und vorher vielmehr alſo gewejen. Kein Per—⸗
gament belommt eine veitere Natur, weil es die Bibel trägt und
feine Dinte wird deshalb unverlöfhbar. Ebräiſche Punkte und
Buchſtaben legen ihre Natur nicht ab, weil fie jegt zum Bud ber
Bücher gehören ; und Alles, was die Zeit an einer Sprade thut
und ändert, bleibt völlig in feinem Gange. Dies find nit Muib-
maſſungen, fondern Facta; von der Art ift auch Alles, was hie:
von abhängt. Verbannen Sie jeden legten Sauerteig der Mey:
nung, al3 ſey die8 Buch in feiner äuffern Geftalt und in feinen
Materialien fein Buch, wie andre Bücher, in ihm fünne es z. E.
feine verſchiedne Lesarten geben, weil es ein göttliche Bud jey.
Es giebt in ihm verſchiedne Lesarten, (und Eine Lesart kann doch
nur die rechte feyn) dies ift Thatfache, Feine Meynung. Mithin
muß man fi) um diefe bemühen, mithin zwiſchen ihnen unterjcheiben
und wählen, mithin giebts eine Wiſſenſchaft über diefe Wahl und
Unterſcheidung, wie bey jedem andern menſchlichen Buche Die
Bibel ift hierinn gewiſſermaßen das menjhlichfte von allen Büchern, 4
denn fie ift ihrem größten Theil und Grunde nad, beynahe das
1) ungemein, obne 2) madt, ihm
I 4
no
—9 —
Irr älteſte. Es gieng durch ſo viele Hände, Völker und Zeiten,
zu und obgleih, wie wir bald hören werden, die Borfehung durd)
nen natürlihe Mittel ganz einzig für die Erhaltung und Aufbewahrung
nur ’ defjelben forgte, wir auch im Ganzen feines Zwecks und Inhalts,
m ? jo fern er für uns dienet, von feiner Unverfälfchtheit ſicher ſeyn
‘he? fönnen; fo müfjen wir doch diefe nie a priori bemeifen, als jei
ein dies Bud! etwa im Himmel gefchrieben worden und nit auf
Sie Erden, von Engeln und nicht von Menſchen. Durch ſolche Vor⸗
vird ausſetzungen thun wir der Bibel nicht Ehre an, ſondern Schande
keit, und Schaden: ein groſſer Theil der frechſten Einwürfe gegen
eine fie ift aus diefem Iuftigen Rüfthaufe genommen, und mande Geg-
jegt 3 ner ftreiten no immer auf foldem Felde, als ob fie für Maho—
der meds Koran und einen Gabriel, der ihn vom Himmel gebracht
den, babe,? ſtritten. Ich mag nicht von diefer 3 Parthey jeyn; nicht,
Ner- weil der Feind fürdhterlih, fondern weil der ganze Streitplan
und Feengrund tft. Für einen jungen Theologen wenigſtens tft der⸗
gleichen unbemwiefene, zum Theil offenbar unwahre und fabelhafte
Hypotheſe gewiß ſchädlich. Sie umhüllet und verjtopft ihm Blid
‚hut 5 und Kopf; fie feflelt feinen Fleiß zu unterjuden, zu jammeln, zu
prüfen, gejund zu erklären, und lähmt, wenn er fie* bat, die
gewiß gute Gabe Gottes, natürlichen Verſtand und Scarffinn.
Viele haben es gerade herausgefagt: ich mag fein Buch lefen, was
IM fein Buch, wie andre Bücher feyn fol, und andre find nad Mühe
& und Duaal zulegt auf eben die überbrüßige Ruhe gelommen. Luther,
en. der ein heller, trefliher Kopf war, bat fi) mit bleiernen Stupibi-
od täten folder Art gar nicht befaßt; und ich bin gewiß, daß es fein
hin guter Kopf thun könne und werde. Wenigſtens bin ih bey mehr
ben ala Einem Subjeft Zeuge darüber, wie ſchwer es hält, einen Men-
ab ſchen zu richtigem Sinn und Blid im Gebrauch der Bibel zu brin-
* gen, wenn Einmal dergleichen faule Sümpfe von Non-fenfe in
rn, 4
2) auf dem Felde, al8 ..... und Gabriel, der... . . gebracht
a3 | 1) beweifen, weil das Buch
! 3) ver 4) ibn
ihm find. Er glaubt immer, wenn er die Bibel angreife, greife
er fein Bud an, und erlaubt fi aljo nicht, zu jehen, was er
fiegt, zu hören, was er höret. Himmliſche Schatten ſchweben ihm
vor, Geftalten aus dem Neih der Peris und Neris; oft auch an
Wahrheit, Nuten und Verhältniß, Geftalten aus diefer Gegend.
Mas das ſchlimmſte ift, fo lernt er durch diefe Verbämmerung in
feinen jungen Jahren Hülfsmittel verachten oder vernachläßigen,
deren Mangel ihm naher immer anklebt, gewiſſermaßen unerfeh-
ih bleibt, und ihn vielleicht gar, meil Feine Blöße fi) gern zeigen
will, wie fie ift, gegen das beſſere Licht recht gebrauchter Hülfs-
mittel zuletzt wapnet. Den Grund vom lebten weiß er vielleicht
jelbft nicht, und jodenn um fo ſchlimmer: nun ftreitet er für Die
Sade Gottes und der Bibel, weil er eigentlich für feine Dürftig-
feit an wahren Einfihten und Hülfsmitteln, d. i. für den Staar
feiner Augen ftreitet.
Verachten Sie aljo nicht, mein Lieber, die Kenntniffe, die
Ihnen zu ſolchem Gebrauch der Bibel angeboten werben; es bleibt
Ihren reifen Jahren ja nachher aufbehalten, welchen Gebraud
Sie davon machen wollen. Laſſen Sie fi felbjt den Mißbrauch,
die oftermals recht ſchnöde Anwendung der fo genannten bibliſchen
Kritik, der Ihnen vor Augen ift, nicht abichreden; fondern lernen
Sie Spraden, verwandte Sprachen, machen fi die Grundſätze die-
fer feinen, gelehrten und philoſophiſchen Wiflenfchaft befannt, fam-
meln, mas Sie! fammeln fönnen, wenn es aud nur von fern
dazu dienet. Halten Sie fi früh ein Exemplar der Bibel in
ihren Grundipraden, wo Sie auf durchſchoſſene Blätter Varianten,
Einwürfe, Muthmaßungen, Bemerkungen, Regeln zu tünftigem
Gebrauch und Urtheil anmerken. Nur jest urtheilen Sie nod
nicht. Sie find noch zu jung; vielleicht iſt auch noch dies ganze
Stubium, infonderheit über das alte Teftament, zu jung, als daf
es reife Endurtbeile gebe. Zehn oder zwanzig Jahre weiter, wer⸗
den Sie und überhaupt wir alle auf? andrer Stelle feyn, als wir
1) Sie dazu 2) wir auf
{or}
—— ⸗⸗
jetzt ſind. Wir werden manches kritiſche Gerüſt weggeworfen haben,
weil die Wand des Gebäudes da iſt, die erbauet werden ſollte;
wir werden manches ſicher annehmen, was uns jetzt noch mißlich
dünkt, und werden uns dabey nicht übler finden. Bis dahin ſeyn
Sie der Biene gleich, die ihren Honig von allerley Blumen famneelt;
nur Honig ſeys, mad Ste fammeln,! nidt Gift, nicht Unrath.
Behalten Ste immer Ihre findlide Einfalt und Hochachtung gegen
die Bibel, wenn Sie fie auch in den Händen Ihrer? Kritifer zumeilen
jehr entmweiht fehen; die Kritif Hatte daran nur zufälliger Weife
Schuld. Ein Spracdmeifter und Ausleger find zwey jehr verſchie⸗
dene Geichöpfe, wie wirs ja bey fo viel läufigen Sprachmeiftern
neuerer Idiome fehen; diefe? können die Sprade verftehn und den
8 Autor ganz und gar nicht; vor feinem fehlichteften Sinn, gefchweige
vor den * Feinheiten deſſelben hängt ihnen die Dede. So kanns
und wirds mwahrjcheinlicher Weiſe mit den Sprachmeiftern der Bibel
auch ſeyn, eben weil fie das ältefte, Tchlichtefte, umfaſſendſte Buch
ift; deswegen aber bleibt Sprachmeifter an ſich (feine Starrheit aus-
genommen) eine gute, nüßliche, unentbehrliche Sade, ja im Gram⸗
matiſchen und in Kleinigkeiten der Kritik leitet oft feine Starrheit
Dienfte. Kurz, mein Freund, verfäumen Sie nichts vom Zubehör
der Theologie und ihrem Gerüfte; vergeflen Sie aber nicht, daß
das Zubehör nit Sache und das Gerüft nicht Gebäude ſey: dies
wird Sie ſowohl vor dem kritiſchen Stolz, der wahren falten Kröte
des guten Verſtandes, ala der unfritiihen Schlaffheit und Schmwär-
merey bewahren. Nächten? ein mehreres hierüber.
N. S. Somohl zur Sprade, als zu den erften Anfangs-
gründen der Kritil gehört mündliche Lehre; ich überhäufe Sie daher
noch mit feinem Berzeihniß von Büchern. Richard Simon it
der Vater der Kritif A. und N. T. in den neuern Zeiten; allein
jest ift für Sie noch nit die Zeit ihn zu leſen. Eine kritiſche
1) von allen und allerley Blumen fammelt; nur... .. was fie ſammelt,
2) ibrer (?) 3) fie 4) gefchweige den
Einleitung in? A. T., wie fie ſeyn follte, haben wir überdem noch 9
gar nicht.*) — Brauden Sie Waltons Prolegomenen, **) Wäh-
ners antiquitates Hebracorum , ***) beydes für Anfänger reiche
und nügliche Bücher; am beiten aber brauchen Sie zuförderit, was
Ihnen Ihre Lehrer über beyde Sammlungen biblifcher Bücher dar-
bieten. Diefe werden genußt haben, was zu nuben war, und fi
jest in allen Bücdherverzeichniffen findet; Die Anfangsgründe jeder
Kunft lernt man am beften aus lebendiger Lehre und Uebung.
Zweyhter Brief.
Daß die Ebräiſche Sprahe von Menſchen, das tft von einer
Nation geſprochen fey, ift bewiefen; daß fic aber auch von Göttern,
von Engeln! und Elohim gefprochen werde, ift noch zu erweiſen:
mithin bleibe ich bey dem Erften.
Und da liegt mir abermals noch nicht dran, ob Adam, Seth,
Noah, Abraham zu Ur in Chaldäa Ebräiſch geſprochen; gnug ihre
Nachkommen ſprachens, Moſes fchricb es, und in diefer einmal
lebendigen menſchlichen Mundart find die älteften und meiften
Schriften des A. T. verfaſſet. Was aljo natürlider, als daß man
fie als lebendige, ala Nationalfprade treibe? und da fie beydes
niht mehr ift, daß man zu der oder zu den Sprachen Zuflucht
nehme , die fie noch am lebendften darjtellen. Unterlafien Sie alſo
nicht, das Arabifche und die verwandten Dialekte mit Fleiß zu erler-
nen; nicht etwa um Wurzeln zu lefen und ins Ebrätfche herüber
*) Wir haben fie jegt in Eichhorn's fchägbarer Einleitung ine
alte Zeftament. Leipzig 1780 -— 83.2
**) Briani Waltoni apparat. biblic. Tigur. 1673. fol. Dathens Aus-
gabe, Leipzig 1777. 8.
***) Gotting. 1743. 2 Vol. 8.
1) Menſchen, von einer .... von Göttern, Engeln
2) „*) ®ir — 1780— 83.” feblt.
2,2
— — — —
zu zwingen, nicht etwa gar, um leichte! Dinge fchwer, und natür-
liche Dinge unnatürlih zu machen, vermöge einer Arabifchen Con-
' 11 jugation; noch meniger fteinerne Schönheiten aus Arabien zu erbet-
' teln, und lebendige damit zu töbten. Ihre Hauptabficht fey, den
Genius der Sprache zu faflen,? Ausdrud und Vorftellungs-
art Drient3 zu empfinden, und das Ebräiſche, eine ältere und ein-
fachere Sprade, nad ihren jüngern und künſtlichern Mundarten 3
wenigftend von fern, in feinen lebendigen Lauten zu hören.
Es ift vielleicht nicht auszuſprechen, was mit dieſer Ueber⸗
zugung: man lerne eine lebendige, menſchliche Nationalſprache,
Gutes gewirkt wird. Seitdem Schultens das Vorurtheil wegbrach,
daß hie Ebräiſche Sprade im Himmel gefprochen werde, und dafür
ihre jüngere Schweiter oder Tochter auf Erden empfahl; ſeitdem
Hat das Studium derfelben in Erklärung der Bibel einen ganz
neuen Schwung befommen. Verſuchen Sie immer feine Schriften,
\ 12 infonderheit feine Drigines,*) bey Ihren Arbeiten, neben hin * zu
leſen. Die lateinische Schreibart darinn ift wie eines gelehrten
Arabers, zu Schön, zu fünftlich: einzelne Sachen, die Etymologien
und Energien find oft zu voll, zu gepfropft; der Geiſt jeiner
° Schriften inbefien 5 ift voll von Lehre und Philofophie Morgen-
ländifcher Sprachen. Diefer Autor bat den Kern gefoftet und nicht
an der Schale gefauet; was wir in Deutichland durch mande feiner
Verächter und Jünger haben, find oft nur geglättete Schalen.
Nehmen Sie's fih überhaupt zur Regel, fi in jeder Scienz
*) Origines Hebr. aB Albert. Schultens Lugd. 1761. groß 4. wo die
‚ Schrift de defectibus hodiernis 1. Hebre® und vindiciae originum dabey
find. Sein Tractat vetus et regia via hebraizandi Lugd. 1738. 4. und 2
excursus de lingua primsva 1739. find felten. Seine lange Borrebe vor
Erpenius Grammatik betrift infonberbeit bie vorgegebne Uebermenfchlichkeit
ber Ebräifchen Sprache.
1) etwa blos um .... etwa gar, leichte
2) fey, Genius der Sprache zu lernen, 3) ihrer .... Mundart
4) Arbeiten, fon jett
5) Schreibart darinn ift eineß ..... indeß ber Geift feiner Schriften
— 14 —
und Kunſt, vorzüglich an den Erſten, den Vorgänger, die
Quelle zu halten; meiſtens bleibt er immer auch Quelle, und die J
andern rauſchen als Bächlein. Ungeachtet ſeines bie und da unfe-
ligen Fleiſſes, der bisweilen ſchwer zu leſen wird, findet man Gold⸗
gruben in ihm; da muß man nicht leſen, ſondern graben — auch
zur allgemeinen Sprachengeſchichte der älteften! Zeit — — | |
Gnug, in der alten, planen, ländlichpoetiſchen,“ unphiloſo⸗
phiſchen, Abſtraktionsloſen Sprache der Ebräer leſen wir das alte '
Teftament; aus diefem Gefichtspunft, auch mas den Geift des Inhalts | |
betrift, laſſen Sie fih nit treiben. Werden Sie mit Hirten ein 13
Hirt, mit einem Boll des Aderbaues ein Landmann, mit uralten
Morgenländern ein Morgenländer, wenn Sie diefe Schriften in
der Luft ihres Urfprungs geniefjen wollen, und hüten ſich infon-
derheit, jo wie vor Abftractionen dumpfer neuerer Schulferker, fo
noch mehr für fo genannten Schönheiten, die aus unfern Streifen
der Gejellihaft jenen Heiligen Urbildern des höchſten Alterthums
aufgezwungen und aufgedrungen werden. Bon Abitraftionen werde
ih fpäter reden; jeßt leben wir infonderheit im Zeitalter der Ele-
ganz, der Allmanahblüthen, mit denen denn aud) Mofes, David
und Salomo überftreuet werden, mie fehr fie es auch verbitten
möchten. Dieſer Pfalm wird Ode, jener eine Elegie nach neuerem -
Schritt; Moſes und die Propheten werden heroiſche Lehrdichter, |
und oft wird die Sade jo behandelt, ala ob diefe heiligen Männer
ihre Stüde ? zu Batteur Einleitung oder in eine Blumenlefe gemacht
hätten. Ein vermobertes florilegium aus Griehen und Römern
wird dazu geihüttet; und nun ift der Aufor, wenn er noch über-
dem viel von Varianten und Ueberjegungen geſchwatzt bat, über
die papierne Krone des Zeitungslobes ſicher. Ich bin fein Feind
Ihöner Stellen und Wehnlichkeiten, wie und moher fie fih finden
mögen; jo mie aber ein jchönes Urbild, zumal wenn Einfalt und
nothgedrungene Wahrheit feine fchönfte Zierde ift, mehr verliert 14
u
1) Spradengefhichte ältefter 2) botanifch = poetifchen
3) jener Elegie; Moſes .... als ob fie wirklich ihre Stüde
— —
En. DIE
‚2445 11cq
» I MUTD Mich
— 16 —
Laſſen Sie mich Proben anführen, denn dieſe enthalten doch
immer die beſtimmteſte Lehre. Die Geſchichte des Paradieſes
und der erſten Sünde fol z. E. nichts als cin allegoriſches
Lied, eine moralifhe Fabel ſeym. Paradies, Baum der Ber-
fuhung, Schlange habe es nie gegeben; das jey nur jo gebichtet,
um dert Menfchen eine jhöne Lehre: mie Sünde entjtehe? und wie 16
Gott Eünden ftrafe? unter der Hülle des Mährchens zu zeigen,
und natürlih macht man es fodenn zur Schönen Hülle. Man giebt
dem Tert Aeſthetiſch und Poetiſch, was man ihm und dem Zu-
fammenhange hiſtoriſch, natürlich nahm — Ich frage Sie, mein
Lieber, ob ihrem unverrüdten Jugendſinn, dem erſten Eindrud
nad, je ein ſolches Lied, eine ſchön erdachte, dazu ſchön vollendete
Fabel, in dieſer einfältigen Erzählung erfchienen tft? Ich Iefe und
leje wieder: fein Ton des Liebes kommt in mein Ohr, fo wenig ala
in der ganzen Geſchichte der Siraeliten oder ihrer Väter, da doch bey
dem Liede Lamechs, den Liedern Mofes, Davids, der Propheten auf
Einmal die Rebe fo unterfchieden fteiget, daß niemand, der nur
einiges Gefühl für Gefang oder Poefie Hat, den höhern Anklang
verfennen Tann. Wo tft das bier im Anfange der Bibel? wo!
fängt das Lied an, wo endigts? wo fängt die Fabel an, wo enbigt
fie? Iſt fein Paradies, fein Baum, Feine Schlange da gemwefen,
find fie nur Geſchöpfe der Zabel, warum nit au Sünde, Adam
und Eva? da doch auf diefe lehtere, als auf Perfonen der
Geihichte, im Berfolg weiter gebauet, und aud auf Sünde
und Verbannung aus diefer Urgegend im Berfolg weiter gerechnet 17
wird. So ifts aljo auch Fabel, dag Adam erichaffen warb? daß
er fo und da und dazu erfchaffen wurde? daß unter folden Um-
ftänden von ihm das Menſchengeſchlecht anfieng? Wir wiſſen alſo
von allen diefen Sachen nichts, und haben am ganzen Mührchen
nicht3 mehr, als die Geihichte vom Prometheus und der Pandora.
Mithin ift auch der Erfolg diefes Mährchens Mährchen: denn bie
Geſchichte von Kain und Abel, von ber Sündfluth, den Reifen
1) bier? wo
Er
der Iſraeliten aus Egypten und in der Wüfi
jo ſtarke poetiihe Stellen und Schilderungen,
und fimpel erzählte Gejchichte nicht haben mö
das ein Gedicht, eine Fabel, ein Figment,
erften lindlichen Zeit der Welt, gerade in ih
fältig, Endlich, poetiſch erzählt wird und jo e
wenn (wie doch alle Geſchichtſchreiber wollen
der Sache fodert) jede Befhreibung die nati
Begebenheit annehmen muß; was bleibt ı
ganzen ältejten Geſchichte?
Laſſen Sie Gegentheild, mein Freund,
wie fie ift, ohne eine neuere, feine Deutung
18 zu legen: wie natürlid und philofophiid
der Sade,? der Sprade, der Zeit, de
Alles! Ein Menjhenpaar ift erſchaffen; de
durch die Hleinfte Kraft. Ein dritter Menjd
Menſchenpaar wäre Verwendung geweſen, ı
Erde jollten ala Brüder einer Familie leben.
alfo Hiftorifche Weſen und ihre Schöpfung,
führung, ° die Lenkung ihrer erften Ke
pfindungen fonnte für kindliche Zuhörer d
fimpler, wahrer, begreiflicher, hiſtoriſch- treue
fie hier erzählt wird. Das Paradies gehört
dies erfte Menfchenpaar, das unter der Erzieh
betrat, nicht einen ausgeſuchten, fichern, zu
Kenntnifje und Pflichten bequemen und ver
Hierauf kommt ſchon die Philofophie: dies
Plan eines &löve de la nature. Vom Aderbı
1) alle das Gedicht, Fabel, Figment, was - .
wenn die Befhreibung (mie... umd die Natır
natürlide Farbe der Begebenheit annchmer
denn aus biefer
2) natürlich, philoſophiſch, augemeſſen
3) Schöpfung, Zufammenfübrung
‚Herbere fämmtl. Werte. X
— 18 —
liche Haushaltung nicht anfangen; ſondern vom Garten, oder ſie
fieng nie an. In ein rauhes Clima oder unter die Zähne der
Thiere konnte die unbewehrte Menſchheit nicht hingeworfen, allen
Elementen nicht Preis gegeben werden; oder ſie gieng zu Grunde. 19
Nahm ſich nun Einmal der Schöpfer der Erde des Menſchen als
ſeinés Kindes und Lieblinges an: wollte Ers, daß dieſer fein Bild
tragen und feine Stelle durh Vernunft, Sprade und Herrichaft
über die Thiere vertreten ſollte; nothwendig mußte er vom erften
Augenblid des Werdens an, dieje in ihn gelegten fo foftbaren und
weitausfehenden Anlagen ausbilden, auf die leichtefte und zu—
glei dringendſte! Weife ausbilden, und fiehe, fo wird Dicfe
ganze Geſchichte pünftlih und natürlid. So fondert Gott
Thiere für ihn aus, die ihn nicht beichäbigen, die fih an ihn
gewöhnen, von denen er lernt, die ihm mit ihrem Kunfttriebe, mit
ihrem ihnen aufgeprägten ? Charakter, ihrer Stimme und Geberde
allmählich Vernunft, Kunft und Sprade bilden. So fondert er
Bäume für ihn aus, die ihm nicht töbten, jondern nähren und
laben, bey denen er die einfachfte kindliche Arbeit und den füßeften
Lohn finde. So giebt er ihm eine Gattin, die fein Herz auf-
ichließt, und ihm eine neue Welt gejelliger Freuden, ein Band der?
Liebe zeigt, die (mie er an Thieren bemerft hatte, und jest felbft
empfand,) über jede andre Xiche gehet. So giebt Gott ihm end-
ich au das kindlichſte Verbot, das feyn fonnte, einen ſchönen
Baun nicht zu berühren, und ftellt ihm einen beſſern, gefundern, 20
vielleicht nicht jo anfchnlichen entgegen; Ipricht ihm Drohungen vor,
die der zu prüfende vielleicht fo wenig begriff, al3 die Kinder un-
gefühlte Drohungen begreifen; fein Gehorſam, feine Enthaltfantkeit,
die Stärke des Unfichtbaren in feiner Seele über die verführendfte
Sichtbarkeit eines verbotenen * Gewächſes, follte und mußte geprüft,
- di. geübt werden, wenn das menjchliche Geſchlecht phyfiih und
1) Veichtefte, dringendfte
2) Kunfttriebe, ihrem auf fie geprägten 3) von
4) eines als ſchädlich verbotnen
— 19 —
moraliſch je beſtehen und fortvauren follte.e Einem ſchwachen und
doch moralifhen Geſchöpf kann nicht alles erlaubt ſeyn; einem
Kinde! nicht alles erlaubt werden. Bon der Stärke über fi
ſelbſt, fi etwas, auch ein reizendes Schäbliche zu verjagen, fängt
alle Tugend des Menſchen, (die er in verflochtnern Umftänden
gewiß nöthig hatte,) jo mie von der Bezähmung feiner Sinne
unter das Gebot des Vaters, alle Neligion der Liebe, Dankbar-
feit und Ehrfurdt an. Unter allen Dingen in der Welt kann id)
mir feine Probe denken, die alfo nöthiger und dem Kindheitſtande
des Menſchen angemefjener geweien wäre, als diefe: fie war Natur
der Sade felbft, denn konnte der Menih giftige Früchte des
Leibes ? und der Seele nah Belieben efien, und doch leben? und
21 wer mußte ihm dieſes jagen? wer fonnte es ihm fo ernftlih und
fräftig fagen,? als fein erziehender Vater? Nun wird ein Kind
immer durch Schaden am beften flug, und eine Mutter läßt den
zarten Liebling auf einer fanften Stelle fallen, um ihn, was?
Fallen fey? auf die befte Art zu lehren; jo machte es die liebreiche
Mutter der Menſchen, und erfahe dazu auch jeden Umſtand.
Eine Schlange mußte die Verführerin feyn, die wahrfcheinlich
von der Frucht naſchte, und dem Weibe zuerft die groſſe Möglich—
feit zeigte, daß man davon eſſen könne, ohne fogleich des Todes
zu fterben. Da die Menfchen alles von Thieren lernten und
abjahen; warum follten fie auch dies nicht lernen und nachahmen?
Die Schlange, dachten fie, ift jo Flug vor allen Thieren; vielleicht
wird fies eben daher? vielleicht Eoftet fie von diefem Gewächs ihre
Meisheit, wie wir von allen® andern Bäumen, Leben, Kräfte,
Gefundheit eſſen. Dazu nannte ihn der Schöpfer fo fonderbar:
1) ſchwachen Geſchöpf Tann mwarlich nicht .... einem Kinde gewiß
2) Früchte Leibes
3) unb wer mußte ihm gerabe diefes fagen, ernſtlich, thätig fagen,
4) Liebling, nur auf fanfter Stelle, fallen, um ihm, was
5) vielleicht nafcht fie von dem Gewächs ..... wie wir von biefem
und allen
2*
—— ——
— DD —
Baum der Erkenntniß. Der Erkenntniß? und verbot ihn ung 7
follte er ihm nicht etwa für ſich behalten? follte er nicht unfihtbn,
davon geniefien und deshalb die Weisheit der Elohim haben ,,
Berbot er ihn etwa aus Mißgunſt? Die kluge Schlange ißt un,
bleibt gefunb: er reizt: ex lot; herab ſank bie ſchöne Jeubeftug,
dem Lüfternben Munde entgegen: das Weib af, ber Mann ab un,
es folgte, mas natürlich folgen mußte. Wir wiſſen nicht, mag & AN
für eine Frucht geweien; die Wirkung derſelben wird und Ober,
aber fo hiftorifch befchriehen, ala der Genuß je einer undelan,
Frucht eines fremden Landes. Sie regt Lüfte auf, fie ſehn A
nadt; bie fonderbare, unangenehme Regung erinnert fie a
Verbot, fie ftehn befhämt Da, fie willen nicht, mas zu thu
fie machen ſich kindiſche Decken. Der Vater fommt, ſeine
tönt (vielleicht wie gewöhnlich, zum Schluß des Tages ſich \\
ſchaft von ihrer Arbeit geben zu laſſen, und fie dadurch
mweifen); aber diesmal eilen fie ihm nicht entgegen, fie
verftedden fi, antworten, entſchuldigen ſich, als —X M
noch nicht lügen gelernet. Der Bater, (über "\ \
ie
an ſchöner Wahrheit der Erzählung nidtz ! gehet, )
zu thun hat, wozu er auch dieſen frühen
ihnen ihr Verjehen zur Pforte eines Ar
doch auch nöthigen Zuftanbes, ihre 24%
fie zu ſchrecken gebrohet hatte, fonden a „\ R
berbere Wohlthat. Nachſehend gen" pP 1? j R
nimmt, ihren Worten nah, die N N —S— os
beftraft fie auch, damit ja nichtz u ,
flucht und geſcheuet von allem Ku‘ N N N Run Ri,
dem Bauch, ißt Erde, eine geſchwo fr hl. k En
Ferſen fie nachftellt, wenn fie — X 8 "op Urg 8
den Menſchen alſo ein ewiges Denk, * Sn . An;
der Berabfheuung, des Elends, a N X x iſt * 24
top U er
ihrer Geftalt nad) ein \geußlig,, IN IN N zur
un U" Ve
1) Wahrheit nichts 9) | bu, Ten
(onen, 8 Sn, *
ta R Oy AR
n 7 ’
en
wurm.! Als folder kroch fie nun den Menfchen vor Augen; wie
vor der Schlange hüteten fie fih vor der Sünde, und auch leiblic
ward das ſchädlichſte Thier der jugendlichen Hütte der Menfchheit,
ihnen als eine liftige ihnen zu fliehende Yeindin gewieſen. Das
Weib weiß jet, wen fie die Schmerzen ihrer Geburt, und die
ſchwerſte Bürde der MWerblichkeit,? den Gehorfam unter den Mann
zuzufchreiben; der Mann meiß, wen er den bejchwerlichen Aderbau
und jeine größere Mühe des Xebens zu verdanken habe. Selbſt der
Tod wird fo ſchön eingeleitet; nicht al8 Tod, von dem Adam
noch nichts denfen konnte, fondern ala ein zur Erde werden,
von der er (abemtals Hiftoriih) genommen ift, alſo ein Rüd-
24 gang in feinen Urfprung, dag zur Ruhe gehen, nad, einem heiſſen
Tage. Der Menſch kennt aljo‘ den ganzen Girfel feines neuen
Lebens, und ift auf ihn als auf eine gemilberte Strafe, durch
eigne Schuld, durchs liebe Muß gewapnet. Der liebreiche Bater
bereitet ihn dazu noch mehr, und ftattet ihn gleichſam aus Durch
die Mitgabe der ihm fo nothwendigen Erfindung eines tüd-
tigern Gemwandes, als feine Feigenblätter waren.“ Hiedurch, da
die Schlange feine Feindin und einmal Tod in der Natur ift,
befommt er zugleich eine® Macht und Geſchicklichkeit über das Leben
der Thiere, die ihm zu feinem neuen Aufenthalt und Werk fo
nöthig war, als zu feiner Kleidung; er verläßt wirklich und hiſto⸗
riſch feinen geliebten Garten, die erfte Pflanzichule feiner jugend-
1) Schadens. Sie Bat ihnen auch jetzt jo empfindlich geſchadet; und
darum ließ Gott eben zur Gelegenheit der Siinde ein fo niebriges, dem
Menfchen bisher nur durch feine Klugheit, künftig durch feine Arglift, feine
Stiche und Beratung bekanntes Gefchöpf, einen fheußlichen zum Zertreten
gemachten Erdwurm zu. |
2) Sünde, und aud fie felbft, (das ſchädlichſte Thier dev jugendlichen
Hütte der Menſchheit,) warb nun körperlich ihre zu fliehende Feindin.
3) Weibheit 4) nun
5) Der Bater wapnet ibn noch mehr, .... Ditgabe einer Erfindung
tüchtigern Gewandes. („ald — waren.” fehlt.)
b) er eine
— 2 —
lichen Kenntnifſe, Pflichten und Reigungen. Dieſer wird ihm j,,
ein! ſchöner Jugendtraum: denn ſiehe! vor feiner Thür wacht —8
Cherub mit der Zlamme des Schwerdis, zu bewahren den Weg |, ‘r
Baum der Gejunbheit, der ihnen gewiß der ſchmerzhafteſte, GröRe;,
Verluft war, ein Verluft, an den? fie jede Krankheit ihrer Ringe ®
jede Mattigleit ihrer ‚felbft, oft gnug erinnerte. Sic fahen jept Kr
Paradies in feiner jerne, vermuthli hinter einem Gebürge *
Donnerwollen bededt: dahin iſt lein Nüdweg, da blift in je, U
Blig die Flamme des Wachters — — Wie natürlich alles,
wahr, wie anfhaulih!® und jagen Sie, mein Freund, wirds u "
Alles nur dadurch, daß man Zug für Zug am Bilde einer Eile,
ten Kindesgeſchichte“‘ des menſchlichen Geſchlechts bier *
Alles ruft ſodann Wahrheit! Wahrheit! fo hat das menig, \
Geſchlecht werden, fo erzogen, fo geprüft, fo fortgeleitet \
müffen, nur alfo fams aud auf feine rauheren Pfade N
natürlichfte, Iehrendfte Diethode.° Meiſterſtüc der Erziehung J
ben im erſten, verflochtenſten Schritte iſt dieſe Geſchi ꝛ
Meiſterſtück einer Erzählung, nach den Farben ber \
heit und Zeit iſt dieſe Erzählung. Zug für Zug I
\
die
der Geſchichte der Voller, der Menſchen in ihrer Ku 4
und
werben, und wie einzelne Völter und Menſchen in iÄ\\\
anfangen, fieng gewiß aud) das menſchliche Geſchlecht «| \ \ \\ N.
und Aufenthalt, erſie Sprahe und Nahrung, \ \
\
Lernen von den Thieren, das eingebildete SP! 4
Sünde und Schaam, das Verbot und die S; \ \N A
a
%
vorgetragen, gebunden und eingeleitet, find die
erzählung über die erfte und ſchwerſte — iR
Geſchlechts, die völig im Ton der Bar \
in® ber eignen Farbe ihres Vorgangs, mit N
M ihm ein 2) groͤheſte Bert S
Dt — —— Yin,
5) feine rauheſten Plate .... AN J te
6) vorgetragen, und gebunden . BIS erg
—
an,
über die ſchwerſte .... era lot ee
— 3 —
die dabey erſcheinen, jener voranſteht. Als künſtlich erfundner
moraliſcher Apologus hat das Ding weder Rahmen, noch Geſichts⸗
punkt, noch Zweck und Maas mehr, auf feiner Stelle: denn
für uns im adtzehenden Jahrhundert wards zunächſt wohl nicht
geſchrieben. Wir müſſen alfo in feinen Zufammenhang, in die
Kindheit unfers Geſchlechts gehen, und nit! warten, daß es zu
um kommt. — —
Meine erſte Probe ift übermäßig lang geworben; ih Tann
aber nicht umhin, noch eine zweyte zu geben, die feine andre jey
ala — die Geſchichte Bileams und feines Eſels.“) Zwi—
ſchen lauter Geſchichte fteht fie: das ift unläugbar; man hat ſich
ihrer aber, als einer Gedichte, fo geſchämet, daß man fic bald
zum Traum, bald zur Fabel im Geſchmack der homeriſchen reden⸗
den Pferde, letztlich (ich nenne den Verfafjer diefer Meynung übri-
gend mit größefter Hodadtung) zu einer Betrugsgeſchichte Bileams,
die Mofes bey den Moabitern gefunden und als folde einrüdte,
zu maden geneigt war. Leſen Sie, mein Freund, die Gedichte
27 im Zufammenhange und urtheilen Sie, ob Jhnen Eine dieſer
Hypothefen, (offenbar aus neuern Zeiten, nad einem neuern
Geſchmack erfonnen,) gnug thut? Vom Traume fteht fein Wort
bier; die homeriſche Fabel paßt auch nicht: denn hier ift fein Hel-
dengefang, wie bey Homer und auf fo etwas find wir hier nicht
bereitet. Als Betrügerey rüdt Mofes das Stück nod weniger
ein:? im Ton der Erzählung klingts fo treu, als feine Geſchichte
*) 4 Mof. 2—24.
1) müffen in .... geben, nicht
2) Bom Traume fteht kein Wort; man muß ihn erft Bineinträumen.
Die homerifche Fabel ift weder lang noch breit gnug, den Mann und ben
Eſel zu bebeden: denn hier iſt kein Gedicht, fein Heldengefang, wie bey
Homer, wo ber Zorn des Helben ven Roffen gleichfam den Mund aufreift
und fie zu feiner Tobesweiffagung zwinget. Auf fo etwas find wir hier
nicht bereitet; da bey Homer das Schnauben und die Stimme des Todes
boten niemand irren kann. Als Betrügerey rüdt Moſes das Std (lefen
Sie den Zufammenhang) nod weniger ein:
— 24 —
des Ausgangs oder als die Erzählung von Berg und Wundern; ja
offenbar giebt Moſes es, Iſrael zum Lobe, zur Beſtätigung
ſeines Muths und Glaubens an Jehovah. Selbſt ein
vom Feinde gedungener Prophet muß auf Gottes unwiderſtehlichen
Antrieb wider Lohn und Willen ſegnen; mehr als Einmal, im
Angeſicht des Königs, mit eigner Gefahr des Lebens, geſchweige
mit Verluſt aller Ehren und Gaben ſegnen und den Gott Jehovah
preiſen — offenbar iſt dieſes der Geiſt der Geſchichte, und
die Abſicht, zu der fie auf dieſer Stelle ſtehet. Sie wiſſen, m. Fr,
wie viel die ältefte Welt von Fluch und Segen, von Bezauberung
mit Ahndungen, Bliden und Worten hielt, und alle Böller in
diefen alten Zuftande noch Halten. Keiner von unfern Königen
würde einen Bileam rufen; daß jener aber ihn rief, daß er ihn fo
cehrend und immer dringender um Fluch bat, daß er feinem!
Segen erfchredend fo viel zutraute und doch nicht die Hand an ihn 28
zu legen wagte, zeigt gnugfam, in weldem Anfehn der Prophet
und fein Handwerk bey den Moabitern geweſen. Moſes verbot ſei⸗
nem Volk da8 Zaubern, das Beihmören; er verbots aber nicht, als
talte, kahle Betrügerey, fondern als einen Dienft frember Götter,
als eine Anwendung verbotner böfer Kräfte, über die Gott Jeho—
vah Macht habe, und die ihn entweihten. Genau in dem Gefidhts-
punkte giebt er auch diefe Gefchichte. Bileam ift zum Verfluchen gela-
den; aber der Gott Iſraels kommt feinem Fluche durch ein hartes nächt⸗
liches Gebot zuvor. Der Wahrfager, vom Schreden Gottes cergrif-
fen, ſchlägt die Reife ab; berrlichere Boten und Geſchenke Tommen,
ihn mitzunehmen; fein Herz gelüftet, — aber das Interdikt liegt
no auf ihm, er bezeugt, daß er Died Band im mindeften nicht
breden könne. Der Gott Jehovah fiehet fein lohnlüfternes Her;,
und will ihn beym Wort halten; es foll vor Balaf und allen
Moabitern gezeigt werden: „fein Wort des Fluchs käme auch von
„der Zunge des gierigften Lohnpropheten hervor, wo Gott ihm
1) rief, fo ebrenvoll und drey mal immer dringender ihn um Fluch
bat, feinem
29
— 25 —
Bann auflege:“ er erlaubt ihm alſo die Reiſe, ſie ziehen. Nun
wendet ſich das Herz des Propheten (denn Balak Fluch zu bringen,
zog Er doch eigentlich nicht hin: die Reiſe war ungereimt und
gefährlich, wenn er ſich dies! treu und deutlich gedacht hätte) er
denkt alfo Gott zu entwifchen, Gott zu betrügen, etwa eine Gelegen-
beit zu finden, wie er mit einem berausgeftoßenen böfen Wort
(dem man immer noch Wirkung zutraute) Balaks Willen doc
erfüllte. Und da ergrimmt Gott fiber den Biehenden, fein Engel
tritt ihn in den Weg, ihn, der die? Stimme Gottes im Träumen
verachtete, jebt härter zu warnen. Das ſtumme dienſtbare Thier
muß das Geſicht ſehen, und will nicht fort; ſchon diefes war (nad)
der angenommenen Denkart der Zeit, zumal nad dem, was vor»
ausgegangen war, und in der Geele eines Schamanen) eine
unglüdlide VBorbedeutung, „ihm fey das Neich der Geifter,
„ver Gott Jehovah, der ihm? in zween Träumen erfchienen mar,
„zuwider. Cr veradtet die VBorbedeutung, ſchlägt fein Thier
und zieht weiter. Das Geficht jperret ihm einen engern Pfad: er
wird gepreßt — achtets noch nicht, ſchlägt und zieht weiter. Seht
fommt er in die* Enge, da kein Ausweg ift: der Bote Jehovahs
erfcheint am furchtbarften; die Eſelin fällt aufs Knie: er ergrimmt,
er wütet und nun ſpricht fie. Site fpricht im Ohr des Schamanen
wirflih:5 denn in eben dem Ton, in dem Alles erzählt wirb, wird
30 auch dies erzählt: in eben der Maafje, wie es heißt, daß Gott
Bileam die Augen öffnete, heißts bier, daß er der Efelin den
Mund geöffnet habe. Dem verwilderten, zornigen Propheten
gehn noch nicht die Augen auf: was das Geficht jagen wolle; und
da öffnet ihm Jehovah die Augen. Er fieht den Boten Gottes mit
1) dies win, 2) die janfte 3) ihm, gewiß zum erftenmal,
4) die größefte 5) fpricht wirklich:
6) gedfnet. Bon einer Dichtung in erhabnen Worten ift bier im
engen Paß ber Erzählung gar nicht die Rebe, und es wird fich gleich ent-
wideln, warım Gott ven Schaman (erlauben Sie mir die ausdrückende
Achnlichkeit) auf eine fo unerhörte Weife, dur den Mund feines Thiers
anſprach.
— KH —
dem furdtbaren, bloßen Schwerbt, der mit ihm zankt, der ihm
vom Erwürgen ſpricht, der feinen Weg verfehrt, d. i. hinter-
liſtig, faljch, verwegen nennet, und ihm! nochmals auf eine fürd-
terlihe Art gebietet, nichts zu reden, als mas ihm der unmittel-
bare Trieb (og, exsaoıs, impetus Jehove) jagen würde. Go
gewarnt zieht er fort und kann nun, Troß feiner Lohngier, nicht
anders. Ale Altäre, alle Opfer auf den Höhen helfen nicht: bier
hilft fein Gott der Höhen; Jehovah begegnet ihm, er kann nit
fluden, er muß fegnen. Zweymal thut ers unwillig, zum britten-
mal, da er göttliche Uebermacht fühlt, thut ers willig, ja legt nod
einen vierten höhern Segen über alle vorigen, er fegnet bis in
die Späteften Zeiten. Niemand, der feine Ausiprüche lieſet,
wird den Enthufiasmus, die höchſte, gleichſam unmittelbare Begei-
fterung verkennen, die in einer menjchlihen Rebe ftatt bat; und‘
fie erjchallet und fliegt auf aus eines Unmilligen Munde, N
gedungen ift, und immer neu gedungen wird, zu fluden, \,
er fegnet. Sie erfchallet aus dem Munde Eines, der Gott AN,
wollte, der mit verfehrtem Wege dahin kam, die Gefichte den
R:
vergaß, und auf alle Ahndungen des Weges nicht merkt \ en ir
zwiefaches Wundergeſicht mußte ihn ſchauderhaft fchreden, \ R
Geſicht war gleichſam ſeine eigne Geſchichte. 6
dem ſtummen Thier den Mund öfnet, ſo —8 nd N
jest wider Willen und Wohlgefallen reden- eg >»
mit dem bloßen Schwerdt auf der Enge beä I \ au Gott
gleichſam noch immer vor ihm. Wer ſich in \, er w Er
damaligen Zeit, zumal in? die Seele eines morg J egeg ger
manen, die immer voll Gefichte, voll Träume, —
in andere Derter und Zeiten waren, und 6 207 "big, der
fie finb, noch jet ſind wer fih in bife hu 8 de Dart, I
— ö
1) verwegen, und dies als Urſache ſeiner
2) den göttlichen Enthuſiasmus Um: Min
ftatt bat; wenigſtens ich kenne nichts über —8 nenn
t r
3) Zeit, i ne.
) Zeit, in Unp —RXR ihm
9....
— Te O KR RR — —— O — ———— ERREGER
— 17 —
EN ſehr an jeinem Ort, die ganze Gefchichte in der natürlichiten
Sradation, die Behandlung Gottes der Denfart Bileams fo
angemejfen, und aud die Sprade des Thiers im Ohr des
Weiſſagers dem Zwed feiner Götterfprucdreife fo zutref-
fend! finden, daß ich in dieſer ganzen Geſchichte, auch von
32 Seite des natürlihen Ausdruds, kein Wort zu ändern wüßte, fo
wenig als an ben hohen Sprüden aus Bileams Munde. Und
deshalb rüdt fie auch Moſes als den höchiten Kranz ifraelitiicher
Siegsgewißheit ein; ein Kranz, den ihm ein abgöttifcher Schaden-
bereiter, ein argliftiger Lohnprophet, unter dem unmittelbaren
Zwange? Jehovahs, als ein rvedendes Thier felbft zollen
mußte. Denten Sie fi eine Situation, wie Iſrael ſchöner und
gewaltiger gefegnet werden Tonnte? Machen Sie aber die Sade
zur Sabel, oder gar zur Betrugsgeichichte; fo gebe ich zu, daß dieſe
Farbe dem Geift unfrer® Zeiten angemeßner jeyn, und ihn eher
jo, fo, befriedigen möge; die Geſchichte ift aber zerrifien, Moſes
Ziel und Bogen ift zerbrochen, die unwiderſtehlichſte Begeifterung
it einc* Talte Betrügerey worden, dem Geift der Zeit, dem Glauben
bes Volks und der Erzählung Moſes jelbft zuwider.“ Ich würde
nicht fertig, wenn ich die unächten Farben durchgehn wollte, die
man aus neuern Zeiten, injonderheit aus Dichtern den guten,
alten Ebräern bie und da aufträgt; doch mein Brief ift ja fchon
eine Abhandlung worden. — —
1) Ort, in ber .... Gottes zu Bileams Seele diefer fo ange-
mejfen, auh die Sprache bes Thiers dem Zwed .... fo treffend
2) Schabenbereiter, argliftiger Lohnprophet, unter gröffeftem, unmit-
telbarften Zwange
3) zur kahlen Betrugsgefchichte; fo gebe ich zu, daß diefe neue Farbe
dem Bon ⸗ſens unfrer
4) Begeifterung ein Lobnerercitium ober eine
5) Moſes zuwider.
— 28 —
Dritter Brief.
Sie haben mich über Lowth mißverſtanden. Ich liebe und
ſchütze ſein Buch *) als angenehm und nützlich, bin auch gar nicht
auf der Seite derer, die in ihren Glaſſius alles zu finden
glauben, was in ihm fteht. So allgemein und zierlich bat Glaſſius
die Sache nicht angefehen: die Vorlefungen über den parabolijchen
Styl der Hebräer, über die ihnen eignen Metaphern, Bilder und
Allegorien, noch mehr die Daritellungen einzelner Stüde und was
barüber gefagt wird, find Ihön; in dem ſchönen Latein werben fie
noch armehmlicher, und mit den Anmerkungen Michaelis, die oft
den Tert übertreffen, und Eine feiner beften Arbeiten find, mirb
das Buch eine gute Einleitung von fern in die poetifchen Schriften
des alten Bundes. Ach wünſche, daß Sie es bald leſen, lieb-
gewinnen, und mit ihm noch ein paar andre Bücher**) verbinden
mögen, die ich für eben fo nüßlih zu dieſem Studium halte.
Ueberhaupt wünschte ih nicht, daß Sie mid in meinen Meynungen
über Bücher oder ihre Verfaffer! für einen Zeitungsrichter halten.
Ich ſchreibe Briefe an Sie und fein Journal; ih bin fein wohl-
beftallter Afterredner hinter Werfen um die Gebühr, nach gegebneit
Geſichtspunkten und Affeftionen, fondern ein älterer Freund, ber
aus der lieben Wallfahrt feiner Lektüre, feines Studiums, Amts
und Lebens Ihnen feine Erfahrungen und Meynungen fagt,? wie
*) de sacra pvesi Hebr®or. Göttingen 1768. 2 Vol. 8.
**) Wilhelm SIones Commentar. poeseos Asiat. edit. Eichhorn,
Lips. 1777. groß 8. Und John Richardſons Abhandl. ilber Sprache,
Literatur und Gebräuche morgenländifcher Völter. Leipzig, 1779. 8 Will
jemand meine Schrift vom Geift der Ebräifhen Poeſie Deflau,
1783. 84. binzufügen; fo babe ich nicht® bagegen.!
1) oder Berfafier 2) Ihnen Erfahrungen, Meynungen, Urtheile jagt,
1) 1779. 8. Man erwartet vom Heransgeber und Borredner biefer beyden Schriften
eine Einleitung ins 9. T., die gewiß nützlich und ihres Verfafſers werth ſeyn wird.
(„Bil — dagegen.” fehlt, wie felbftverftänblih alle Berweijungen auf den Geiſt ber
Ebr. Boefie.)
33
— 29 —
er ſie ſich ſelbſt ſagt, und übrigens ſie Ihrer Prüfung und
Annahme überläſſet. Was hilfts, Bücher zu nennen, oder gar
große Verzeichniſſe davon zu geben, ohne einen treuen! Wink und
Wegweiſer, wie ſolche zu leſen, zu brauchen, zu nutzen ſeyn mögen?
Selten iſt in einem Buch Alles gut, wenigſtens ſelten gut für alle
und jede. Die Zeiten ändern ſich, und ändern mancherley in den
Büchern; zur ſchönſten Bibliothek gehört alſo ein? Ausleger, und
5 das beſte Geſchenk, das einem jungen Menſchen werben kann, find
nicht Bücher, fondern Rath, wie er.die Bücher hraude. - - ..
Was ih an Lowth eigentlih nur als einen Rand. wies,
den Ste nicht überftürzen müßten, war die etwas zu Tünftliche,®
neue Art, mit der er alte ebräifche Poefte, theils allgemein, theils
in einzelnen Slaflen und Stüden behandelt, oder vielmehr, in der
einige feiner Nachfolger feine Meynung weit übertrieben haben.
Nah der Behandlung dieſer letztern hat? David diefen Pſalm als
Idylle beynah zum Zeitvertreib, jene Elegie zur füßen Jugend⸗
übung, der Eine Prophet feine ftärkften Anmahnungen, Flüche und
Troftreden ale Proben ebräifcher Lebrftüde verfaflet, und mit
Behaglichkeit Hingegeben; ich Tann nicht jagen, wie jehr dieſer Geift,
die Bibel anzufehen, dem Gebrauch derjelben ſchadet. Es ift üble
Verdauung in den erften Wegen, aus der in allen übrigen Gefäßen
nichts Gutes kommen kann: es ift erfter, faljcher Geſichtspunkt,
der alle folgende verbirbt und verwirret. Poeſie, wie fie in ber
Bibel ift, ift nicht zum Spaß, nicht zur’ entbehrlichen, müßigen
Gemüthsergögung, noch weniger zu dem fchändlichen Schlendrian
erfunden, dazu wir fie jeht zum Theil anwenden; faſt follte nicht
36 Einerley Name fo verſchiedne Gattungen und Werke bezeichnen.
Der poetifche Ausdrud, die Art der Vorftellung und Wirkung war
damals überall Natur; Erforderniß der Sprade und des
Gemüths deſſen, der Sprach, fo wic des Ohrss und Gemüthre
1) obne treuen 2) gehört ein 3) fünftliche, abgetheilte,
4) dieſer bat 5) Spaß, zur
6) der Sprade, de Gemüths deſſen, der ſprach, des Ohrs
8
So
— 2 —
derer, die hörten, Bebürfniß der Sache, ber Zeit, des
Zweds, der Umftände. Dies fage id nicht, weil ih von ber
Bibel, fondern weil id von Kindheit und Jugend der Belt,
von Drient, von diefer Sprade, von biefem! Bolt und feinen
Büchern rede. Hier wäre uns ein neuer Lowth zu münchen, der
das Fachwerk der Poefie fpäterer Zeiten gleichſam nicht lennte, die
Sammlung diefer Schriften von Anfang an "durchginge und in
jever, in jedem Inhalt berjelben ihren fimpelften Zwed un
Kreis des Werdens zeigte. - Vieleicht wirbs Ihnen nicht unnig,
tommen fegn, wenn id) einige been hierüber, ſofern fir „
Brief faſſen fan, hinwerfe. Sie befräftigen meinen —*
ſatz: „man müſſe die Bibel menſchlich leſen;“ und mich N
die große Verſchiedenheit der bibliſchen Bücher ftökt —8
auf den Weg, fie zu finden. Zwey und zwanzig ober 24 AN
die theils bie Geſchichte von 3500 Jahren begreifen, theil
Verfaſſern nad) ein ganz Jahrtaufend von einander einhen
Urheber? wir theils gar nicht Tennen, theils —— an
men, ala Bücher da find — eine folge Ermbte 1
Schriften, Inhalt und Verfaſſern läßt fih doch
Strohhalm binden, daß man fie, etwa weil eg
in der Dämmerung, im Traum, in Einem
fortlefe — — Axn af = %
Ich fange von feinem begeiſternden Ay, ei
zu Ihnen fol mich begeiftern, und m m AN —*
dieſe Blätter zu einer Muſe, bie Sm, —8 m a
älteften und ehrwürdigſten Sf
fteht, und einige vertrauliche ® Lehre * u N Yon &
Aus den Händen der Ebräcr Ri Im Ri "6 (
kung von Büchern befommen, und mig aaaten Ba |
aud in Eintheilung derfelben — mn in
— —
1 von Bibel, fordern... . Sp, % %,, San,
3) Sen ihrem fillen Xejen ber ätn, J “der, N
und vertraufiche Rn, iy, j ig
v; /
— 31 —
Graden und Unterſchieden der Inſpiration rede, um die wir uns
jetzt noch nicht bekümmern; ſondern weil ihre Eintheilung in
Geſetz, Propheten und heilige Schriften Winke giebt, theils
wie und wenn dieſe Bücher verfaßt ſind? theils wofür ſie bey dem
Volk, dem ſie anvertrauet waren, zuerſt gegolten? Das Geſetz
338 Moſis war der Stamm ihrer Geſetzgebung und Religion;
dies und die ältefte Gefchichte ihres Volks war in feinen Büchern
enthalten. Die frühern! Propheten, (die Bücher von Joſua
bi8 zu den Königen) find eine Fortſetzung dieſer Gefchichte und
beißen alfo, meil (und ohne Zweifel mit Grund und Recht)
geglaubt ward, daß Propheten diefe Geſchichte gefammlet und der
Geſchichte Mofes tachgeoronet haben. Die jpätern Propheten
find die, die wir Propheten nennen, Daniel ausgenommen. Sie
galten ala Erklärer des Willens Gottes, als Anwender des
Geſetzes Moſes auf einzelne Fälle des Staats, auf Zei-
ten und Situationen. Abermals mit Net, denn in dieſem
Sinn, der die eigentliche Prophezeyung nicht immer nöthig machte,
gehört Daniel nicht unter fie, ob er glei in dem Perftande, wie
wir das Wort Prophet nehmen, es im vorzüglichen Grad’ ift, bey-
nah ganz und gar ein Seher der Zufunft.? Jene Propheten ftan-
den unter dem Gefet Mofes, fie waren ? gleichjam der Mund
deffelben für diefe Stelle und Zeitverbindung, fie fonnten
und mußten nad demfelben geprüft werben, und waren mehr
oder minder Demagogen im Staat, mit beflen Umftänden fie auch
genau zufammen gehören. Kurz, fie find gleichjam der ſprechende,
39 athmende Geift der vorhergehenden Geſchichte. — Alle
Bücher endlich, die in diefe zwo Claſſen nicht gehörten, oder die
flein, fpäter befannt oder jpäter gefchrieben maren, wurden als
Beylagen und zum Theil ald Beurfundung und Fortjegung
der vorigen Geſchichte unter dem Namen heiliger Scrif-
ten, binzugethan, und man fiehet in ihnen zum Theil die Sorg-
— — — —
1) erſtern 2) Grad, beynah ganz und gar Seher der Zukunft if.
3) Mofes, waren
nn m — e — — — —ñ
— 82 —
falt,‘ nichts untergehn zu laſſen. In dieſen Geſichtspunct müſſen
wir treten, wenn wir den Unterſchied, oder die Ordnung der
Bücher an Stelle und Ort betrachten wollen — —
Die Bücher Moſes fangen von alten Erzählungen an, bey
denen es der Inhalt und Ton, die Farbe ihrer Erzählung, ihr
Abgebrochenes, ihr Wechſelndes, ſelbſt mit dem göttlichen Namen, ?
kurz, ihre ganze fragmentariihe Zulammenordnung zeigt,
daß Mojes fie nicht erfonnen, ober dur Gabriel aus den Wol⸗
fen empfangen, fondern dab er aus? ältern Traditionen ober
Urkunden geihöpft, und mit einer Genauigfeit zuſammengeordnet
babe, die dem älteften Gefchichtichreiber menſchlicher Dinge fo wohl
anſteht. Die erften 11. Kapitel find offenbar einzelne Stüde,
zum Theil Fragmente; auch im Ton, wie im Inhalt (jelbft 4
dem Namen der Gottheit) unterichieden, und in jedem genau
der Farbe jeder Begebenheit und Zeit folgend. Bon 40
nun an, (Kap. 12.) ſcheint zwar die Geſchichte der Väter zuſam⸗
menbängender zu werben; die Zufammenfügung und Einſchal⸗
tung bleibt aber noch fichtbar, wie infonderheit K. 14. 25.
36. 38. und am beutlichften zulest der Segen „Jacobs
zeigt. Warum ift diefer vom Segen Mofes an die zwölf
Geſchlechte (5. Mof. 33.) fo verfchieden, da der erfte dem legten ®
doch offenbar vorſchwebet? Eben weil jener ein durch die Tra⸗
dition berabgefommenes Heiliges Nationalftüd war, das jept die Zeit
und der Zuftand Sfraels im Munde Mojes natürlich ändern mußte,
aber durchaus nicht weglafien, ſondern vielmehr beftätigen wollte.
Fragen Sie mid nicht, von wem jedes dieſer älteften Stüde
jey? feit wenn und wie es fidh herabgeerbet Habe?? Die Unter-
1) belannt und gefchrieben waren, wurden als Beylagen und zum
Theil Beurkundung und Fortfegung voriger Geſchichte ....
fiebet in ihnen die Sorgfalt,
2) Sarbe der Erzählung, .... ihr felbft mit ...... Namen Wechielndes
3) fondern aus 4) (und felöft . .) 5) da jener dieſem
6) natürlich ändern, aber eben nicht weglaflen mußte.
7) wie fie fih berabgeerbet ?
— 3 —
judung hierüber, wenn fie fi au über Muthmaßungen erhübe,
dürfte Taum ein Brief faflen, und zum Berftande und rechten
Gefühl diefer Stüde ift Ihnen gnug, daß Sie fie als das betradh-
ten, was ſie offenbar find, als Stimme der Väter aus den
älteften Zeiten, wie (in ſchlechten Aehnlichkeiten) zwar alle alte
Nationen baben, feine der bisher entdedten aber etwas hat, das
auch nur von Seite der Simplicität, Genauigkeit und philofo-
41 phiſchen Wahrheit mit diefen, wie ſchmal und Echomäßig fie find,
im, mindeften zu vergleihen wäre. Das Bild der Schöpfung
fängt an, (Kap. ı. bis K. 2, 3.) ein der Kindheit des Menſchen—
geſchlechts und gleihlam feinem erſten Erwaden in die Welt
Gottes, dazu feinen früheſten Bedürfniffen über Ordnung,
Eintheilung der Zeit, Arbeit und Ruhe, über die ebelften !
und zugleich fimpelften Begriffe und Pflichten feiner Erd-
beitimmung jo angemeßnes, mohlgeordnetes, unzertrennliches
Ganze, daß ich mir über diefen „Schild des Achilles voll leben⸗
diger Schöpfung” beynah nichts zu denfen vermag an Urfprüng-
lichfeit und Einfalt. Daß es ein Lied fey, höre ich nicht; daß
e8 aber feine feientififhe Kosmogonie, fondern ein natürlicher ?
erfter Anblid des Weltalls ſey — vielleiht wird man dies jet |
dem beredten und angefehenen Verfafler ver Betrachtungen über |
die vornehmften Wahrheiten der Neligion*) glauben, da
mans einem ältern Schriftfteller nicht hat glauben wollen. Daß
Moſes dies Stück aus ägyptifchen been gezogen, wie der erft
erwähnte Verf. der Betrachtungen meynet,**) will mir nicht zu
42 Sinne: die Ideen und Worte, die ägyptiſch jcheinen, find mehrern
Nationen gemein, und fcheinen vielleicht gar Urideen, Ur—
worte zu feyn, die bey mehreren Völkern aus einer Quelle
floffen. Was follte ein ägyptiſches Stück vor Erzählungen, die
nicht weniger als ägyptiih find, und fehr anti-Äägyptiich Teyn
*) Th.2. St. 4. Braunfchmeig 79. Abſchn. 3. **) Abſchn. 3. St. 4.
1) Bedürfniſſen von Ordnung... . Ruhe, den edelſten
2) ſondern natürlicher
Herders ſämmtl. Werke. X. 3
— 34 —
wollen? und iſt es nicht ganz in ihrem, dieſer letzten, Geiſt, ja
gleichſam! die Urquelle ihrer aller? — — — Ueber die Geſchichte
vom Paradieſe und Fall habe ich im vorigen Briefe geſchrieben;
ich wiederhole, daß ich nichts kindlicheres, ſowohl dem Ton der
Erzählung, als dem Inhalt ſelbſt nach, kenne. Das Verkleidete,
Fabel- und Mährchenhafte, das darinn liegt, iſt Natur der
Sache und Zeit: der Urſprung des Böſen im menſchlichen
Zuſtande kann nie anders, wenigſtens nie nutzbarer als alſo
betrachtet und behandelt werden. Es iſt wie eine Zaubererzählumg
des glücklichen, leider verlohrnen Traumes der Kindheit, und wun⸗
dern Sie ſich immer, wenn ich glaube, daß, ſo wie im erſten
Schöpfungsſtück die einfachſte Naturphiloſophie, Welteinrichtung
und Menſchenordnung, ſo in dieſem die ſimpelſte Philoſophie
über den verflochtnen Knoten der Menſchheit, über ſeine
diſparatſten Ende und Winkel liege. — So iſts mit der
Geſchichte der erſten Menſchengeſchlechter, ihrer Lebensarten, Erfin⸗
dungen, Ausſchweifungen, Schickſale — das ſchöne Lied Lamechs
über die Erfindung des Schwerdts mit eingerechnet. Wollen Sie
über dies und manches Vorhergehende den zweyten Theil der ſo
genannten älteſten Urfunde*) nachleſen, fo werden Sie finden,
daß viele Ideen, die darinn vorgetragen wurden, jet von Ver⸗
faſſern, die fonft fehr verfchievden denken, auf ihre Weiſe? mieder-
holt und von mancherley Seiten befräftigt werden. Mit der
Gefhichte der Sündfluth, die wahrjcheinlih aus mehrern Urkunden
von Tradition genommen ift: mit dem fchönen Symbol des
Regenbogens, der Erfindung des Weins, der älteften Lanbfarte,
(Kap. 10.) der Tradition vom Thurmbau, die auh im Ton gleich:
ſam die Höhe defjelben annimmt, iſts eben alſo. — Ueber einigen
diefer Stüde liegt noch ein tiefer Nebel der Urwelt; indeflen ifts
*) Aeltefte Urkunde des Menſchengeſchlechts. Riga und Yeipzig. 1774.1
1) find, und feyn wollen? und... . Geift, gleichfam
2) Weife vorgetragen,
— — —
1) „*) Aelteſte — 1774.“ fehlt.
— —
unläugbar , daß in den legten Jahren und von den verſchiedenſten
Köpfen auf Einmal, viel Aufflärendes und Gutes über fie gefagt
ey: Jeruſalems Betrahtungen find injonderbeit ala Haupt-
Schrift lesbar. Michaelis Bat in feinen Anmerkungen zum
44 erften Buch Mofes viel Gutes, aber auch, wie mich dünkt,
manches, das für diefe Stüde und ihre Zeiten fremd it. — —
Mit Abrahams Gefchichte,*) fühlen Sie felbft, wie der Ton
näher und vertraulider werde. Er wird aus der Ferne gerufen,
um in einem fremden Lande, das feinen Nachkommen gehören foll,
als Freund des Gottes Jehovah umher zu ziehen, den Namen
deſſelben durch Denkmale, Gebräude, Altäre, noch mehr aber
dur Reinigkeit der Sitten, Gerechtigkeit und veften Glauben fei-
nem Gejchleht aufzuprägen. Ueber die Art, wie Gott mit ihm,
wie er! mit Gott umgehet, wie er 3. E. vor Gott um Sodom
bittet, und Gott ihm die Sterne zeigt, bie Scidjale feines
Geſchlechts entfiegelt, ihm feinen Sohn abforbert u. f. geht nichts -
an Einfalt und Hoheit ſowohl der Sache felbit, ala? der Erzäh—
lung. Ein gleiches iſts mit feinem Betragen gegen Loth, Mel-
chiſedek, Iſaak und Iſmael, Eliefer, die Hethiten; wie fanfter
Regen auf junges Gras, wie Thau auf Rofen, träuft die jugend⸗
liche unſchuldige Erzählung. So gehets fort mit ber Geſchichte
feiner Söhne, Saat, Jacobs, Eſaus, Joſephs und feiner Brüder;
45 die vertraulichite, häuslichſte, unſchuldigwahrſte Altväter- und
Hirtengefhihte. Man ſchwätzet gemeiniglih, daß die Ebräer
feinen hiſtoriſchen Styl haben, und daß infonberheit das erfte
Bud Mofe davon zeuge. Beynah ift mir nie etwas unverftän-
licher geweſen, als diefe Behauptung. Ich Halte ven Ton diefer
und ber fimpeliten Stellen in den übrigen Biftorifchen Büchern ver
Ebräer für deal der Geſchichte folder Zeiten, Sitten und
Völker, ja vielleicht für dem beiten, wahreſten Ton aller Geſchichte.
Verſuchen Sies einmal, und erzählen einem Kinde etwas außer
*) 1 Mof. 12.
1) im, ee 2) als in.
g*
— 36 —
dieſem Tone; machen Sie 3. E. Schnörfel, verändern Umftände
und Redarten, und ftrafen fih, nah dem, mas Sie den Augen
blick anders erzählten, etwa der ſchönen Abmechlelung wegen,
unaufbörlich felbft Lügen; oder machen Sie, ftatt fimpel zu erzäh-
len, Betrachtungen, pragmatiiche Neflerionen; das Kind wird Sie
nicht ausftehen, Sie immer daran erinnern, daß Sie es voraus
jo gelagt, fo erzählt haben, und wenn es endlich nacherzählen joll,
wirds gerade erzählen, wie die Bücher Moſes, das Buch Ruth,
die fchönften Stellen aus Samuel und der Königsgeſchichte. Alle
ältefte Schriftfteller treuer Wahrheit erzählen eben fo, Homer und
Herodot, Kenophon, (mo er nicht philofophirt) und Livius (mo er
nicht Reden einflicht); die legten indeſſen erzählen nad Beichaffen- 46
beit ihrer Nationen und Zeiten. Es ift genau zu bemweifen, daß
wo die Geſchichte durch Philoſophie, erdichtete Charaktere, prag-
matiſche Betrachtungen und gehaltene Reden von dieſem einfältigen
Ton abgeht, fie an Perioden-Schmuck und runder Zier zwar
gewinne, aber an einzelnen, aus einander fallenden veiten Perlen
der Wahrheit verliere,! und zulegt Geſchichte zu ſeyn, völlig
aufhöre. Nichts in der Welt ift auch fchwerer, als dieſer ein-
fältige Ton,? da wir gerade nur fagen, was geſchah; nicht, was
wir denfen, glauben ? oder wähnen, daß geſchehn, geſprochen ſeyn
ſollte — wie Sies leicht durch eignen Verſuch erfahren mögen.
Ich meyne nicht, daß Sie den Narrenton verfuchen follen, in den
einige ſtumpfe“ Wiglinge den Chronikenftyl der Bibel haben lächer
ih machen mollen; jede Sprade, Zeit und Geſchichte Hat ihren
eignen Ton der Erzählung, wie Sies ja felbft in diefen Büchern,
den verſchiednen Zeiten und Sachen nah, finden. Der ver-
trauliche, Häusliche Styl der Patriarchen wird in der Gefchichte
des Zuges der Sfraeliten, ihrer Helden und beroifchen Propheten
1) abgebe, fie au ..... Zier gewinne, an .... der Wahrheit aber verliere,
2) diefer Ton,
3) ABB: faben (im Drudfeblerverzeihniß von A verbeflert.)
4) dem ftumpfe ,
— 57 —
Ihon feierlicher, ftärfer, und oft buch die Natur der Sadıe
faft Epiſch; die BHiftoriihe Schreibart muß fih eben aud im
47 Ton ohn' allen Dünkel und Neflerionsgeift der Geſchichte an-
Ihließen,! fo daß Diefe in der Beichreibung, wie in der Natur
da ftehe und lebe, Und eben bierinn glaube ich, find dieſe
ältefte Familienſtücke Muſter. So viel Erhabenes und wirklid 2
Poetiſches in den Reden Gottes, in den Handlungen und Seg-
nungen der Väter, oft im bloßen Stillfhweigen und in der?
leihten Art ausgerrudt ift, wie die ſchwerſte Sache geübt und
erzählt wird; jo wenig tft alle dies gejucht oder erborgt und Tünft-
lich.“ Ich kenne nichts Edleres, ala die Art, wie Gott zu Abra-
ham fpricht, und diefer ihm folget, als die Gefichte, die er fiehet,
als fein Geipräd mit Melchiſedek und dem Richter Sodoms. Wie
prächtig-⸗wilde dagegen ift Ismaels erftes Abenteuer der Kind-
heit, jene Weifjagung des Engels über ihn in ber Wüfte, die aud
der Erzählung, dem Ort in der Scene, wie feinem Charakter
und Schickſal jo gemäß find! Fürchterlich-eilend ift der Unter-
gang Soboms, ſchweigend-erhaben die Hingabe Iſaaks, füß-
geſchwätzig die Freyerey der Rebecca, furdtfam die Züge
Iſaakls, und füßduftend fein ländlicher väterliher Segen. Wie
geheim und heilig wiederum ift Jacobs Geficht des eröfneten
Himmels, des ihm fo nahen Gottes feiner Väter, mie bitterfüß
und angenehbm-mühfelig die Befchreibung feines Dienftes bey
48 Laban, gleihjam beroifh-nähtlih fein Kampf mit dem Unbe-
fannten, und endlich ® über alle Maaße gewandt und biegfam
die verjchlungene Geſchichte Joſehhs. — Verſuchen Sites, verändern
Sie auch in den fanften Zügen, in den erfcheinenden Nachläßig⸗
l)im Tone der Geſchichte ſelbſt, ohn' allen Dünkel und
Reflerionsgeift anfchließen,
2) Erhabenes, wirklich 3) und ber
4) gefucht, geborgt, fünftlich.
5) auch immer der Erzählung, dem Ort, der Scene, feinem
6) bitterfüß, angenehm mühſelig . . . . Laban, und heroiſch
nächtlich .... Unbelannten, endlich
— 38 —
keiten und Wiederholungen nur Etwas: kleiden Sie die poetiſchen
Züge etwa in hölzerne Verſe nach unſrer Art, oder überladen gar
die ſimpelſte Geſchichte der Welt, deren ganze Natur in dieſer
Einfalt wohnet, mit erdichteten Schönheiten, fo daß! das Still—
Schweigen Rede, der Hirt ein Held in Worten, und die arıne
Familienſcene der reichſte, frembdefte, epifche Kram fey; ſogleich wird
Alles? beynah abſcheulich, Natur und Wahrheit find verlohren.
Schon zum Leſen dieſer Bücher gehört Ruhe, eine Art fanfter
Morgenftille, und am beiten kindliche, jugendliche Einfalt.
E3 ift ſonderbar, wie gern Kinder etwas in foldem Ton lejen
oder hören, daher fie auch diefe Gefhichte fo gern lefen und behal-
ten. Luther jagt von fih, er habe ala Mönd nicht begreifen
können, was Gott mit diefem häuslichen Geſchwätz in feiner Bibel
wolle und habe? als er Ehemann und Vater wurde, lernte ers
begreifen, und commentirte das erfte Buch Mofes faft bis an den
Tag feines Todes. Staatsleute, bloße Gelehrte und Bücherfrämer
oder gar üppige, verborbene Gemüther irren fi noch immer an 49
diefem Buch und haben zum Theil vielen Unfinn 3 darauf gehäufct;
ih freue mich, daß Sie in dieſer Zahl nicht find. Leſen Sie aljo
auch dieſes, mie alle biblifhe Bücher, am liebften ohne gelehrte
Commentare, und fuchen nur bey Schwierigkeiten und unverjtandnen
Stellen Verſtändniß. Der befte Commentar ift, wenn Sie in
Reifebefhreibungen Drients das Leben der Sceniten, ihre
Sitten und Gebräude leſen, und von ihnen in dieje jo ältern
Zeiten der Unfhuld und Stärke hinauffhlieffen. Jeruſalems
Betrahtungen und Mofaifhen Briefe, auch Delany's
Abhandlungen*, über einzelne Punkte diefer Gejchichte find
jodann Wegweiſer zu näherer Beherzigung einzelner Stellen und
Situationen.
*) Revelation examin’d with Candour Vol. . Das Bud ift aud
Deutſch überfekt.
1) Schönheiten, daß 2) fen; Alles wird
3) immer am Buch und .... viel Unfinn
— 9 —
50 Bierter Brief.
Die poetiichen Stellen des erften Buchs Mofes, über die Sie
mich fragen, Tollen unvergefjen bleiben; lafjen Sie mich jet zuerft .
im SHauptanblid feiner Gejchichte fortfahren. Mit dem Anfange
des zweyten Buchs folgt die eigene Geſchichte Mofes, feines Volks
und feiner Geſetzgebung; fie richtig und menſchlich zu leſen, müſſen
Sie den vorigen Geſichtspunkt beybehalten, zuförberft aljo feine
Geſetze und feine Geſchichte unterfcheiben.
Seine Geſetze zeichnen ſich immer felbjt aus, und find wahr-
ſcheinlich ſo Stüdweife und Ordnungsmäßig eingerüdt, als er fie
befannt machte. Nach dem Hauptentwurf, 2. Mof. 19, 3-6. fols
gen die Worte, die Gott felbjt vom Berge ſprach, Kap. 20. und
die Rechte, die er ihnen vorlegte. Kap. 21-23. Das Uebrige ift
Entwurf der Stiftshütte, und deilen, was dazu gehöret. Kap.
25-31. Eine Nachleſe von einigen Hauptgeboten, die jedem Iſrae⸗
liten zu wiſſen noth waren, kommt bey dem zweyten Aufenthalt
Mofes auf Sinai nad, (Kap. 34, 10-26.) und nun wird aus-
gerichtet der Entwurf des Tempeld. Das ganze dritte Buch Mofes
51 Scheint das Negulativ geweſen zu ſeyn, das in der Priefter Händen
war, nad dem fie den Gottesdienſt! verrichteten, über Nein und
Unrein, Ausfag, Grade der Verwandſchaft urtheilten, durch Fefte
die Zeit orbneten, Strafen beftimmten u. dgl. Sie find auch Stüd-
weife gegeben und an einander gefüget, wie oftermals das Ende
und der Anfang? zeigen. Die Weihung Aarons und das Schidjal
feiner Söhne gehört natürlih, theils als Vorbild der Obſervanz,
theil3 ala heilſame Warnung,? in diejen Prieftercoder. Im vierten
Buch kommen manderley Nachholungen und nähere Beitimmungen
vor, ohne Zweifel, wie fie Zeit und Bebürfniß gab; fie find daber,
wie im zweyten Buch, mit hiſtoriſchen Stüden, Rollen der Muſte⸗
1) fie Gottesdienſt 2) oftermal® Ende und Anfang
3) heilſames Nota⸗ bene
m mgpeuuigun Sa men EB ar STE
— 40 —
rung u. f. untermiſcht, die eben ihr Datum nah und nach ir.
\pätern Jahren des Zuges zeigen. Das fünfte Buch endlich it.
wie auch fein Name fagt, eine rührende Wiederholung und Ier:.
Ueberficht der Gefege durch den Geſetzgeber felbft nahe! vor Feincı
Ende; er erflärt, was zu erllären, ergänzt, was zu ergänzen tit,
und nimmt auf die ebelfte Meife Abſchied Lied und Zeuen
(8. 32. 33.) werden noch die lebendigen Dentfäulen feines Amts
und Lebens; nun ftirbt der Stärffte der Meniden, der Gröpc'::
der Gejeßgeber an der Grenze feines unerreihten, von fern über-
jchenen Landes.
Es ift nit ohne Urſache, daß ih Sie auf diefe Lage und.
Geſtalt feiner Geſetze aufmerkſam made. Ecken Sie einen Auagın-
blid, daß gegen gewiſſe Umftände feiner Gefchichte, der Ausführung
feines Bolls, feiner Züge und Reifen auch unauflöslide Zweifel
gefnüpft werden könnten; fie beträfen immer nur Umftände der
Reiſegeſchichte, und nit das Hauptftüd dieſer Bücher, die Ur kun
den der mofaifhen Gefeggebung. Für Diele bürgt eben ihr:
treue Einzelnheit, ihre fimple fragmentarifche Geftalt, wie ſie nach
und nad entftanden, fo beygelegt, und gerichtlich gleichſam beur
fundet find. Keine Hand wagte es? an dieſe Weberbleibfel Des
Mannes Gottes zu taften, fie auch nur in andre Ordnung u
bringen, oder in eine andere Geftalt zu reihen, als ihnen dic
Umftände ihrer Entftehung gegeben hatten. Mich dünkt, dieſe
originelle Armuth und Unordnung ift das größefte Siegel der
Aechtheit jedes Stüds auf feiner Stelle. Lernen Sie Mofen zuerit
in diefem Gefichtspunft, als Geſetzgeber, ſehen und leſen ſeine
Geſchichte zuförderft nur als Erläuterung dazu: fo wird Ihnen
ihon der Umfang und Abel feines Geiftes, feine faft übermenic-
liche Geduld, Stärke und Würde erfcheinen. Wäre nichts wahr
von feinen Wunden oder feiner göttlihen Sendung: wäre alles
nur poetifhe Ausihmüdung fpäterer Zeiten zu einer längjt ver- 5
lebten, an fi ſchon wunderbaren Geſchichte der Väter; fo mird
— —
1) Geſetzgeber nabe 2) es gleihfam
das Studium feiner Gefege und Gefinnungen, feiner Zwede!
und Führung Ihnen einen Mann vorftellen, der Lykurg und
Solon übertrift, und gewiſſermaaße die Grundfteine zum Bau der
reinen Vernunft und menjchenfreundlichen Gejebgebung gelegt hat,
an dem nachher die aufgeflärteften Völfer weiter fortgebauet haben.
Nur freyli baute er noch feinen Pallaſt⸗Tempel von Gefehgebung,
jondern eine Stiftshütte, die ein und altväterifch verborgen, aber
reih und jo voll von Abfichten war, als vielleicht nie ein Tempel
von Staatsverfafiung es geweſen.
Unſre Beit bietet Ihnen zu diefem Studium vorzügliche Hülfs⸗
mittel dar. Michaelis mofaifhes Recht ift ein jehr gebachtes
und gelehrtes Raifonnement über Mofes Gefebgebung; das letzte
Stüd von Jeruſalems Betrahtungen*)? (leider das Icktel)
enthält tiefe Blicke in den Geiſt feiner Geſetze: meines Wiſſens tft
Er der erfte Theolog in Deutfchland, von foldem? Reichthum
ſchöner philofophifchen Kenntniffe und von dem wirklich politifchen
Bid. Wollen fie künftig weiter gehen, und Mofes Angeficht durch
die Dede des Talmud betrachten: fo werde ih Ihnen eine Reihe
54 andrer, aber meiftens fchlechterer Hilfsmittel zu nennen haben, bie
Ughelli grofjentheild gefammlet hat.“ Laſſen Sie fich bey diefer
Gelegenheit für die Spencerſche Hypothefe, daß Mofes auf ägyp-
tifche Geſetze Rüdfiht genommen, kein Grauen einjagen. Spencer
bat fie zum “Theil übertrieben;? an fi) aber tft nichts natürlicher
als diefe Meynung. Moſes war ein Aegypter; Iſrael fam aus
Aegypten; die Denkart beyder war dort gebildet, und wenn Sie
auch die unmittelbarfte Eingebung annehmen, fo bat ſich Gott ja
immer den menſchlichen Seelen nad ihrer Faſſungskraft bequemt,
*) Braunfchweig 1779.1
1) Sefege, Gefinnungen, Zwecke
2) Stüd der Betradhtungen Ierufalems 3) dem
4) andrer Hilfsmittel nennen, bie .... gefamnilet.
5) gemißbraudt;
1) „*) Braunſchweig 1779.” fehlt.
.
B
— 93 —
und, ftatt fie fortzubilden, fie nie zerſtört und neu geichurr
Moſes Gefeßgebung hatte es ja eben zum Zwed, fie von Aeq
mwegzugeftalten; und fo bat diefe Meynung nit nur nichts 11130
liches, fondern fie leitet uns in einen Kreis ber nächſten roca!
Umftände, die Gott zu feinem Zwei gebraudte. — Irıdeii.
rathe ih Ihnen noch nicht, Spencers Buch“) ſelbſt zu len: ı:
bin gewiß, es werden noch mande neue Erläuterungen ins Ya:
fallen, je mehr ſich das ägyptiſche Altertum in der loptiiden und
etwa einmal in feiner Pharaoniſchen Urſprache aufllätt. Bisher ı':
noch nicht Alles von dem bereits entdedten zu dieſem Zwed geſamm
let; ſelbſt Jablonski ſchäzbare Arbeiten find noch nicht rein gemorz-
nene Früchte — —?
„Run aber Mofes und die wunderbare Geſchichte feines
„Zuges?! Wer ift uns Bürge, daß Er fic ſelbſt geihrieben ?
„daß fie nicht vielmehr in fpätern Zeiten, da Alles fon‘ aben
„teuervolle Sage war, zufammengejegt, den Gejegen ſelbſt nur
„zwiichengewebt,® und da niemand mehr richten Tonnte, der Folge
„zeit als ein göttliher Roman aufgehängt ſey? Iſt nicht ihr ganzer
„Zuſchnitt, ihre Form, ihr Ton® darüber beynah Gewährlei
„fung? Nicht mehr, als es die Geſchichte der Stammväter, Die
vorbergehet, in ihrem inhalt und in? ihrem Ton if. Wer Die
Begebenheiten und Umftände dieſes Zeitraums, dieſer Vollsperiode
nad unfern Ereignifien, nad der Wahrſcheinlichleit unſers poli-
tiſchen Zeitlalenders beurtheilen will, muß freylih manches unge-
reimt und alles übertrieben finden; dieſes Mans der Beurteilung
*) Io. Spencer. de legibus Hebreorum ritualibus edit. Pfaff.
Tubing. 1732.:
1) fondern die böchfte Natur, ein Zweck Gottes zu werden — —
2) Arbeiten find für bie meiften, wie verlobren — —
3) und feines Zuges wunderbare Gefchichte ?
4) ſchon wunderbare, 5) untergewebt,
6) ſey? Iſt nicht ihre ganze Abficht, ihr Ton 7) Inhalt, in
1) „*) Io. Spencer. — 1783.“ fehlt.
— 3 —
aber it der Zeit und Sache jelbft entgegen. Der Gott Jehovah,
der mit den Vätern diefes Volls fo umgieng, der den! Stamm-
vater defjelben eben zu Zwecken, die jetzt erfüllt und bejchrieben
56 werden, aus den fernen, höhern Aften holte, Er, der das Volk fo
wunderbar nad Aegypten bradte, und zu einer neuen Republik
bilden wollte; Er Tonnte, und mußte vielleiht, es auf dieſe
wunderbare Weife allein dazu bilden. Wunderbar und doc
höchft natürlich befam es feinen Befreyer: wunderbar war die Aus⸗
führung, denn fie follte dem harten, unbändigen Bolt der erite,
mächtige Eindrud, „daß Gott für Iſrael ftreite!” Bleiben: wun⸗
derbar und aufs höchſte majeftätiich war die Gefehgebung, und fo
viele Wohlthaten der Reife; alle und jede aber find ihrem Drt,
ihrer Zeit, dem großen Zwed, daß ein rohes, ungehorjames Volt,
in dieſer Wüfte, und Abgefchloffenheit zwiſchen lauter feinplichen
Nationen, wie im Treibhaufe, wie in? einer Zuchtſchule des Gottes
Sehovah feine Sitten und Satzungen annehmen, fih zu einem
neuen Volk Paläftina’3 bereiten follte — Alle find dieſem Zwecke
6 angemefjen und dienend, daß fie auf ihrer Stelle zur höchſten
Natur werden. Die Scidjale eines Volks in verſchiednen Beit-
altern feiner Bildung find immer auch verjchieven, und wenn Gott,
von Anfange ber und nicht jett erft fi einmal mit diefem Volt
beichäftigte, jo mußte er feinen Augen, feiner Faſſungskraft gemäß
handeln; ſonach jehe ich nicht? ungereimtes im Kleinen und Größten,
damals und auf der Stelle — — Zudem find Geſetze und
57 Gefchichte unter einander und mit einander vermwebt, infon-
derheit das Wunder der Wunder, die ſinaitiſche Geſetzgebung.
Sie geſchah vor den Augen und Ohren der Nation, fie war? Zweck
des Zuges aus Uegypten, und Grund zu den Wundern aller fol-
genden Züge; ift fie alſo veftgeftellt, jo iſts das Vorhergehende,
das Nachfolgende auch. Und gerade fie iſts am meiften, die Geſetze
find auf fie gegründet, fie mit ihnen verwebt, auf fie wird fich
immer bezogen, und am feyerlichiten bezieht fih Moſes auf fie am
1) umgieng, ben 2) Treibhaufe, in 3) Nation, war
— MM —
Ende feines Lebens. Er läßt fie, und das Wunder der Aus
führung, nebft den andern Wohlthaten Gottes, feinen Belegen um
ewigen Siegel. Ich weiß, mein Freund, wie oft in Saden der
Art der Schluß vom Moralifhguten aufs hiſtoriſch mwahtt,
und was noch viel mehr ift, aufs hiſtoriſch gewiſſe und ſichte
übereilt und verſchwendet wird; mid dünkt aber, bier wird er
nit. Ich Schließe nemlich nicht von der Erzählung der Wunde
auf die Gejesgebung, fondern von der Gejeggebung und dem
durchaus, bis an feinen legten Othem fo treflichen Charakter Moſes
auf die mit der Geſetzgebung engverwebte Geſchichte. ch ſehe
nit, wie beyde zu trennen find, ohne den Text zu zerreifien,
feinen fo auflerorbentlih innigen Zufammenhang zu zerftören, und
den Geift, wie diefer, fo der vorigen und folgenden Geſchichte des
Bolls allgemein Lüge zu firafen. Und mich dünkt, dazu haben
wir nidt Grund, wenn auch Moſes felbft die Geſchichte nicht
. geichrieben hätte, und fie auch nicht zu feiner Zeit verfaßt wäre.
Aus Auffähen feiner Zeit ift fie gewiß verfaflet; das zeigt ihr
Anblid, ihre nad Zeitläuften zerfallende, mit einzelnen Gejegen
abwechſelnde fragmentarifche Geftalt. Jetzo feine Geichichte, (2. Mof. 2.)
nah einem bürftigen Gefcdlechtregifter älterer Zeiten, (Kap. 1.)
jeßt die Begebenheiten der Ausführung (bis Kap. 14.); nun ein
Lied (Kap. 15.); jet Züge, jetzt Geſetze (Kap. 16. und f.); aber:
mals Züge; und fo immer weiter. Niemand kann diefe Geftalt
anders, als aus alten Driginalauffäten erflären, die der Sammler
fo hoch hielt, daß er fie nur zufammenfügen, nicht verändern, jelbft
nit in ein Ganzes binden wollte; mithin bürgt ihre fimple
Armuth für ihr Alter und ihre Gewißheit, wie fih in Saden
jolches Alterthums Bürgſchaft ftellen ober verlangen läßt.
Ich habe nichts dagegen, daß man natürlich zu machen ſuche,
was fich natürlich machen läßt. Wie das Manna nicht die fabel-
bafte Geftalt bat, die man ihm in Zeiten der Unwiſſenheit gab,
jo Hat Jerufalem die Hardtifche Hypotheje*) von den nic ver- 50
*) Hardts Ephemerid. philolog. Helmst. 1703. 4. Disc. XU.
— 45 —
alteten Kleidern, nicht uneben, erneuert, und mir iſts nicht zuwi⸗
der, daß der Ton, wie von dieſen beyden Stücken, Manna und
Kleidern, geredet wird, der Analogie nach noch auf mehreres ange⸗
wandt werde. Sollte es bewieſen werden können, wie ichs doch
noch nicht ſehe, daß die Ebbe und Fluth den Durchgang durchs
Meer bey Suez erleichtert, daß die! Wolfen» und Feuerſäule, das
in Orient gewöhnliche Rauch⸗ und Feuerzeichen geweſen, das dem
Heere voranzieht, und weldes Gott hier unmittelbar lenkte; fo
bleibt Gejeßgebung immer Gefebgebung, wunderbare Vorſehung,
Lenkung, Wohlthat, Strafe Gottes bleiben immer ſolche, fie mögen
durch ſolche oder andere Mittel geſchehen ſeyn. Die Wunder in
Aegypten und in der Wüfte, die fchredlichen Hauptwunder dort
und bier, die feyerliche Geſetzgebung auf Sinai endlich werden nic
natürlih gemacht werden fönnen, und warum jollten fie es wer-
den Dürfen? Der Zmed Gottes bey der ganzen Reife bleibt ficher
und gewiß; dem alle jene Wunder ja nur dienen.
Kümmern Sie fi daher nicht, wenn mande Umftände oder
60 fo genannte Knoten nicht völlig aufgelöjet werden fünnten. Bey
einer jo alten Geſchichte, dazu diefes Volks, iſts unvermeidlich;
und es ift höchſt zu bewundern, wie wir noch fo vieles gewiß
willen und haben. Bey andern, viel berühmtern Völkern haben
wird nit, bey Chaldäern und Aegyptern, Phöniciern, felbit .
Griehen in fo alten Zeiten; es ift alfo auch hier eine wirkliche
Auszeihnung diejes Volkes fihtbar.? Leſen Sie 5. E. Döder—
leing Antifragmente gegen die Einwürfe des Tragnıentiften
über den Durdgang durchs rote Meer, Jeruſalems Betrad-
tungen über die Geſchichte Mofes, und andre Schriften diefer ?
Art, und fagen Sie, was man über Begebenheiten und Bücher
eines jo grauen Alterthums zur Aufllärung beynahe mehr fodern,
mehr verlangen fünne? Wir haben im Deutichen einen Retter
der heiligen Schrift, wie in allen, fo aud in diefen Punkten und
1) fehe, daß das Scilfmeer die Sirbonitifche See, bie
2) es ift alſo wirffihe Auszeichnung Jichtbar. 3) der
— 46 —
und Knoten, den uns Ausländer beneiden dürften, ſo ſtille und
geräuſchlos er lehre: Lilienthal. Seine gute Sache der
Dffenbarung*) iſt eine Bibliothek von Meynungen für und
wider, ein Meer von Gelehrſamkeit und Weberfiht der Einwürfe
und ihrer Antworten, ein wahrer os12: mn diefer Bücher. Sit
er bie und da zu genau, zu pünktlich; jo ift der Fehler für einen 61
Sachwalter der Bibel Tugend. Nun fann jeder prüfen, urtheilen,
wählen — —
Mein Brief wird abermals zur Abhandlung. Was ich über
die Geſchichte der Bücher Mofes gefagt habe, gilt aud von den
Büchern Joſua, der Richter, der Könige, der Propheten. Es ift
gar nicht zu glauben, daß jeder Held, Prophet und König feinen
Strid von Gedichte ſelbſt entworfen ! babe, es wäre dies aud)
eben fein Vortheil: denn menfchlicher Weife gilt ein Zeuge nit
immer vorzüglid in eigner Sade. Es findet ſich nicht die min-
defte Spur in den Büchern felbft, die darauf brächte; und gerade
umgekehrt werden hie und da gewife Sammlungen genannt, die
uns auch die Gejtalt der gegenwärtigen Sammlung erflären.? Im
vierten Buch Mofes, und gerade vor fehr poetifchen Stellen, die
bald folgen, wird an ein Buch der Kriege Jehovahs: (4. Moſ.
21, 14.) im Buch Joſua (Kap. 10, 13.) abermals Hinter dem
fühnen poetiiden Ausbrud, vom Stillftande der Sonne, der zu
viel unnügen Nettungen und Spöttereyen Anlaß gegeben hat, wird
‚an ein Buh der wadern Männer oder der Heldenlieder
(o)3 gedacht, das noch in die Zeiten Davids reichte, und in
welches er feinen Heldengefang auf Jonathan mit hineintragen lich. 62
Der lebte Titel jagt gerade dad, was die Heldenlieder* anderer
*) Königsberg 1760. u. f.1
1) Geſchichte entworfen 2) gegenwärtigen erflären.
3) zu viel unfeligen Nettungen . . . . gegeben, wird... . Män-
ner (NV)
4) Heldenlieder, (die Norbifhen Kiämpe- Biifer)
1) „”) Königsberg — u. f.“ fehlt.
Nationen namentlih jagen. Alle alte Völker hatten dergleichen,
und befäßen wir dieſe aus den Händen der Hebräer; mie trefliche
Stüde würden wir gewiß an oder unter ihnen finden, eben nur
nach der Elegie Davids, dem Geſange der Deborah, (der vermuth-
ih darinn ftand) und dem angeführten Fragment des Joſua zu
urtheilen. Bor der Poefiereihen Geſchichte Bilcams fommt ein
kleines Brunnenlied vor, bei Gelegenheit einer neugefundenen
Quelle, wie abermals mehrere alte Völker Hatten, und einige
unter ihnen gar Töne zu Haben glaubten, das! Wafler hinauf
zu loden.
Steig’ herauf, Brunn! Singet ihm entgegen!
Quelle, die die Fürften und gegraben,
Die des? Volles Edlen und gegeben,
Mit ihren Sceptern,
Mit ihren Stäben.
Ohne Zweifel iſts nur der Anfang des Liebes. Ein gleiches
ifts mit dem höhnenden Siegesliede über die Eroberung der fiege-
riſchen Amoriterſtädte. Alſo fingen die Dichter:
Hinein! hinein nach Chesbon!
Baut und beveitet Sichon!
Ein Feuer geht aus Chesbon,
Eine Flamme brennt aus Sichon,
Sie frißt bis Ar in Moab;
Sie verihlingt die Bewohner von Arnon's Höhn.?
Weh dir, Moab!
Du biſt hin! du Volk des Chemos!
Die Söhne deſſelben hieß er Flüchtige werden,
Hieß ſeine Töchter Gefangene werden,
. Dem Amoriter Könige Sichon.
— —
1) Bölter und einige... . . Tone hatten, denen fie zutrauten, das
2) gegraben, Des 3) die Herm der Hößen des Arnon.
4) werben, Deſſelben Töchter
— 48 —
Ihr Joch iſt dahin!
Von Chesbon bis gen Dibon!
Wir verödeten bis gen Nophach,
Wir verödeten bis gen Medba.
Moab hatten ſie überwunden; jetzt wurden ſie ſelbſt beſieget: da
herum dreht ſich das Lied. Hätten wir die Ebräiſchen Heldenlieder,
ohne Zweifel würden wir manches in Moſe, Joſua, den Richtern,
vielleicht auch Sauls und Davids Geſchichte heller ſehen, als jetzo;
wo wir und wundern müſſen, daß wir nur noch jo wenig Dunkel⸗
heiten und abgeriſſene Stellen finden.
Fünfter Brief.
Sie erinnern mid abermald an einige nähere Crläute- 64
rung der treflichen poetiſchen Stüde diefer älteften Bücher; fo mag
denn, ehe wir weiter gehen, diefer Brief dazu angewandt werden.
Die Weiffagung Jacobs über feine Söhne ift eigentlich fein
Lied, wie 3. E. das Lied Lamechs, Moſes, der Deborah, Davids;
bey dem Liede Mofes, das er das Volk lehrte, in Vergleich feines
Segens über daflelbe, jehn wir diefen Unterfchied deutlid. Es ift
eine hohe Ausficht, eine! beroifche Verkündigung im parabolifchen
Bilderftyl; aber fein Lied, jo wenig als die Weißagung des Engels
über Iſmael, oder Iſaaks über Jakob. Wo kriegeriſche Völker
Helden- und Siegeslieder geſungen hätten, erzählte ſich dies Hir—
tenvolk etwa im ſingenden Ton erhabene Sprüche und Weif-
fagungen feiner? fterbenden Väter.
Der Keim vom Segen Jakobs, fein erfter lebendiger Funke
und gleihfam der Prototyp in des Weißagenden Geele, ift die
Ausficht in das feinen Vätern verheißene Land, das er den Seinen 65
nah Zügen ihres Charakters oder nah Handlungen ihres Lebens
1) eine große 2) Sprüde feiner
— 49 —
vertheilet. Bey Ruben, Simeon, Levi und Joſeph ſehn wir dies
offenbar, weil wir Mehreres von ihrer Geſchichte wiſſen; bey
den andern, bey Juda? vorzüglich, iſts eben ſo wahrſcheinlich.
Er war ein edler Löwe, und ſein Geſchlecht ſollte es bleiben. Ohne
Zweifel liebte Iſaſchar die Ruhe und die Natur: Dan war ein
Kopf voll Anſchläge: Gad ließ fih anfallen, und war denn beherzt;
Aſſer liebte vieleicht Köftlichleit in Speifen,? und Napbthali war
die ſchöne Terebinthe mit prädtigem Wipfel. _ Ein Anfchauliches
jolder Art* gehört ganz in dieſe Zeiten des Hirtenlebens, noch
mehr aber in die ruhig bemerkenden Blicke des Vaters, der das
Leben feiner Söhne beynah ein Jahrhundert vor Augen gehabt,
und was darinn’ lag, mit tiefen Zügen des Leides und der
Freude in fi gegraben hatte. Jehovahs prophetiicher Geift
flammte jet diefe Züge an: lebend ftanden feine Söhne vor
ihm, und lebend warb ihm jet die fünftige Gefchichte ihres
Geſchlechts, in dem ihm verheißenen Lande.® Beihämt fehe ich
Ruben daftehn, einen Mann von Kraft und Würde; er hat aber
die Krone feines Vorzugs dahingeworfen: enttrönet fteht er da
1) Die Keime vom Segen Jacobs, feine erfte lebendige Funken, gleichſam
ber Prototypus in des Weißagenden Seele, ift und jetzo ein beiliged Räthſel.
Wir kennen die Söhne nicht, die vor feinem Lager fanden, auf deren Ange-
fit, Gemüthsart und Charakter ſich doch das Meifte zu beziehen feheint;
mithin ift gleihfam die Uridee des Hinausblicks auf künftige Zeiten fiir un
verbämmert. Die Provibenz in ihren geheimften Schidfalen, fie feyn Wohl-
taten oder Strafen, entwidelt nur Charaktere: fie bequemt fich der Men-
ſchenart ſowohl in Zügen bes einzelnen Menfchen, als ganzer Gefchlechte.
Der ftille Sinn des prophetifhen Hirtenvaters warb vom Himmel geftärkt,
noch in feinen Testen Augenbliden dies ſchlafende Schidfal in ver Seele
feiner Söhne zu bemerken, und das Buch deſſelben in ihren einzelnen Cha—
ralterzügen und Handlungen aufzublättern.
2) bey allen andern, Juda
3) war ein anſchlagvoller Kopf: .... Afler Tiebte Pracht in Speifen,
4) Eine Anfchaulichkeit der Art
5) darinn Göttliches und Geheimes
6) ward Yett die in ihnen Tiegende künftige Geſchichte. (ihres —
Lande.“ feblt.)
Herders ſammtl. Werke. X. 4
— 50 —
und bekommt fein Erbtheil des Eritgebohmen.! Funkelnd im
Auge, mit gehaltner, verborgner Rache ſehe ih Stimeon und Levi; 66
ihre Blutthat kommt vors Angeficht des Waters; der Sicherheit
wegen werben fie zertheilet. So ftehet der Tönigliche Löwe Juda,
ber fih ruhig umberfchauende Iſaſchar, der gewandte Dan, der
rüftige Gad, Naphthali, die ſchöne Terebinthe und der liebesvolle,
mit aller Stärke feines Vaters, mit allen Reizen feiner Mutter
befleivete Joſehh. Die gute Folge feiner Prüfungen ift auf ihm;
das ägyptifche Diadem Frönt fein Haupt, er fteht als Kronenträger
unter feinen Brüdern, aud in feinem fünftigen Erbtheil.? Es
ift unbefchreiblih, wie mit diefer jo naturvollen Deutung*) jedes
Wort, jede Wendung Jakobs eine treffende Wahrheit wird, da
fonft in der Ferne alles fih im prophetifchen Nebel verlieret.? Die
Fruchtbarkeit Joſephs, fein Reichthum, fein Anjehen vor und unter
Fremden; in weldem Bilde konnten fie jchöner erſcheinen, als in
dem Bilde des Zweiges vom* Weinftod feiner fchönen Mutter.
Sie gebar jpät und wenig; mit dem Einen Joſeph aber hat fie 67
viel gebohren; noch in den Söhnen Joſephs windet fih ihr Stamm
prädtig hinauf. Alle Anfeindungen jeiner Brüder (die der alte
Bater, da ihnen Joſeph verzieh, verzeihungsvoll einem Kampfe ver-
gleicht) haben ihn nur ſtark gemadt; alle feindliche Schickſale haben
ihn gewandt gemacht mit Armen und Händen. Konnte Jakob den
— — — —
*) Die Lokalumſtände des Landes, das Jakob ſeinen Söhnen anweiſet,
babe ich im zweiten Theil vom Geiſt der Ebräiſchen Poeſie S. 187 - 209.
aus einander gefett, und den Segen des Patriarchen als eine vVandcharte
Kanaans entwidelt; hier zeige ich auf das Charaktergemälde feiner Söhne.!
1) Borzugs, geil wie Wafler, dahingeſchwemmt: er beftieg das
Bette des Vaters, und fteht entkrönet da. („und betommt — Erftgebohr-
nen.“ fehlt.)
2) Brüdern. („auh — Erbtbeil.” fehlt).
3) Deutung faft jedes .... eine feine, treffende Schönheit wird, die
in der Ferne fonft nichts faget.
4) vom Stamm oder
— — — ——
1) „*) Die — Söhne.” fehlt; vgl. 28.1
— 51 —
erften Regenten Aegyptens in der politifchen Klugheit, die ihm
zugewachſen mar, Ichöner, als im Bilde dieſes gelenfen Schüßen
ſchildern? Konnte er ihn mwürdiger loben, als wenn er ihn mit
dem Manne vergleicht, der mit Gott felbft rang, und errang feinen
Segen? Segen vom Gott diefes Mannes wars,! der ihm half,
Segen vom Gott aller feiner früheften Väter wirds feyn, der ihm
auch die feinem Volke geſchenkte Wohlthaten belohne. Weberfließend
im Dank ſchwingt fi der Geift des fterbenden Vaters in Höhen
und Tiefen, von der unbeiligen Ebne Aegyptens uuf höhere und
höhere Berge, zulegt bis auf die Hügel der Urmwelt,? und bringt
ihm von allen Blumen den Kranz unter feinen Brüdern — —
Sp iſts mit dem Spruche über jeden Bruder: die Verkleidung
defielben in das Bild eines Thiers, eines Baumes, ift? natürlich,
fräftig, und überall, auch bey Iſaſchar, edel. Was Leßing bey
68 der äfopischen Fabel gezeigt bat, gilt bey aller Gattung ſymbo—
licher Sprade: Bilder der Thiere ſchildern am meiften den Cha-
rafter, die Naturart, die ausgezeichnete Bejtandheit eines einzelnen
Weſens; wohin gehörten folche Bilder aljo eigentlicher, als in biefe
große und ewige Stammtafel des Schickſals der Geſchlechte?“
Juda, ala Löwe, Dan als Schlange, Benjamin ala Wolf, Iſa⸗
Ihar ala ein ruhiges, umherblickendes Laftthier, find mehr gemahlt,
als durch viel Geſchwätz in abitraften Worten, die meiftens nur
flüchtige Blüthen der Zeit find, mit der fie fih, dem Dafeyn und
der Bedeutung nah, ändern. Der Charakter der Thiere bleibt
berfelbe, und die Schilderung durd fie ift überdem ganz in der
1) ift8 geweſen, 2) Hügel der erften feligen Zeit,
3) iſt nicht unwürdig, fondern
4) ſymboliſcher Sprache, in Thieren zeigt ſich am meiften Charakter,
Naturart, autgezeichnete Beſtandheit eines einzelnen Wefens; wohin gebör-
ten ibre Bilder alfo eigentlicher, als in dieſe erſte Stammtafel ber
Geſchlechte?
5) ruhiges, ſtill ſich umherblickendes.... als durch alles Geſchwätz
von Porträten in abſtracten Worten, die .... Zeit, Perfiflage eines Tages
und feiner Gefellfchaft find, mit . ... . nach, meiftens enden. Der....
bleibt derſelbe: die Schilderung
4*
— 52 —
Sprache, dem Blick, dem Leben des Hirten und Patriarchen. Er
hatte keine andre Bilder der Vergleichung in ſeiner Seele, keine
andre Worte auf ſeiner Zunge; ſein Segen wird ein Teſtament
in ſinnlichen! Charakteren.
Der Löwe Judah ſey ein Beyſpiel; ich bleibe aber allein
bey'm Bilde dieſes Segens. Jakob will, daß Judah der geehrteſte
ſeiner Brüder ſey, ihr Anführer, König unter ihnen, und Ueber—
winder der Feinde. Im Bilde des königlichen Löwen führt er
die8 aus, der vom Naube prächtig hervorfteigt, und nachdem er
fih in ſtolzer Ruhe gelagert, ficher ift, daß niemand ihn aufzureizen 69
ih erfühne. Oder ohne Gleichniß: Judah fol des Erftgebohrnen
Stelle vertreten, der den Patriarchen» und Führerſtab in feiner
Hand, nicht ablaße, bis er fie alle zur Ruhe bringe, und ihm die
Völker oder Stämme fodann freiwillig anhangen, und fih zu ihm
balten.*)? Er nimmt 2. 11. Beſitz vom Lande, fteigt von feinem 70
*) Wien man das Wort 77% auch? ableite; fo muß es dem Baral-
lelismus nach etwas bebeuten, das dem Gehorſam, der freywilligen
Unterwerfung der Völker, oder dem friedlichen Zuſammenhalten ver
Stämme unter Judah gegenüber ftebet;? und nun mögen Sie ſelbſt wählen:
1) finnlihen Bildern und
2) Der Löwe Judah fey ein Beyſpiel; ohne doch, daß ich mid über
das vielberäthfelte "TOD einlafle. (Der Samaritaner liefet "DD ohne ";
fo fcheinet8 mir, haben alle alte Ueberſetzungen gelefen, und ſich baber nur
fo manderley harte Wörter ie) und ferner umbergetummelt. Mir fchei-
net alfo das ” jung, und ſchon der feftzuftellenben Lesart wegen, in den
Tert gerüdt; überdem bleibt die Sache felbft, daß Meßias, der große König,
aus Judah, befonders aus dem Gefchleht Davids kommen follte, aus fo
vielen deutlichen und prächtigen Stellen der Propheten fo bewährt, daß bier
immer fieben fann, was da ftünde, wenn mans nur — müßte) Kurz ich
bleibe allein bey dem Bilde in Judahs Segen. Jacob weißagt, er werde
der geebrtefte feiner Brüder feyn, König unter ihmen und Ueberwinder ber
Feinde. Im Bilde des königlichen Löwen führt er dies aus, und nachdem
diefer fih in ſtolzer Ruhe gelagert und niemand ihn aufzureizen fich erfüb-
1) „Wie — wird fortgeführet.” folgt in A mit ben angegebenen Änderungen nad
„unterwerfen fi die Bölter.” im Zert.
2) das Wort au 3) Bölter gegenüber ftebet;
— 58 —
Thier, findet ſich in einer ſo traubenreichen Gegend, daß er ſeine
Eſelin an eine koſtbare! Rebenſproſſe binden, ſeine Kleider in
rl) ein Herrſcher, wie Schöttgen vermuthen wollen; ober
O5 ein Friedeſtifter, wie die gewöhnlichſte Exrflärung ift, ober
To, mo, bis fein Raub, feine Beute komme, vom Arab.
vo, davon Ebräiſch theils DD, theils das alte DW noch da ift, welches
aber im Parallelismus hart ift;? oder man leſe gar mit ber Bulgate
maVB, Sendung, Geſandſchaft, die etwa fommt, um Frieden?
70 zu bitten, unb Ehrengeſchenke (DYrTos Mid. 1, 14. 1 Kön. 9, 16.) zu
bringen: ober man tbeile gar nach einer neulich oft beliebten alten Thei-
lung, die ſchon Coccejus, Polus u. a. haben
TInd, His man ihm Geſchenk bringt, (Ef. 18, 7.) wo mir
aber, theils da® ” verbächtig, theild das auf einander floßende 'T® und
791, fowohl den Buchſtaben, als dem Sinn nach Bart und unebräiſch vor-
fommt; oder man mache
DU zu einem Substantivo von 79%, deſſen Form wir nicht haben,
(daß eine ſolche Form, als Substantivum gebräuchlich geweien, ſehen wir
aus dem Namen 75%, ben ber britte Sohn Judah führte, (1 Mof. 38, 5.
Kap. 46, 12.) und in dem Yubah die Kortfekung feines Geſchlechts, nach-
dem bie beyben erften fo traurig umgelommen waren, bofte,) und das
Ruhe,e Sicherheit, Glückſeligkeit bedeute, wie fie der folgende Vers
net, fagt ers ohne Gleichniß: Judah foll immer ein anſehnlicher Stamm
bleiben, den PBatriarhen- und Kührerftab in feinen Händen, den ihm nie-
mand entreifien könne, entreiflen werde. Auch in Kriegszügen (denn das
bedeutet daB 2te Comma bes 10Oten Berfes, Sie mögen num 153% ober
mit dem Samaritaner 1937 Iefen: dies heißt Fahnen, jenes Zug,
Schritt, Gefolge au in mehrern Stellen der Bibel; ich laſſe alſo das
letzte, das ben natärlichften Sinn giebt, und fi mit dem jejet12 fo wohl
verträgt, ftehen:) auch in Kriegszügen alfo, in Zügen nach dem Lande, wo
Judah Ueberwinder feyn follte, werde e8 ihm nie an Führern, an Helden
fehlen, bie vorziehn. Nun kommt © und ihm unterwerfen fi) die Völker.
1) an die koftbarfte
1) da iſt; („welches — Bart iſt;“ fehlt.) 2) kommt, Frieden
3) wir nicht haben*) und das Ruhe,
*) Daß eine ſolche Form als Name, folglich auch als Substantivum .... waren,
hofte. Ob ber Vater, wie mehrmals in dieſem Gegen, auf dieſen Namen angeſpielt habe?
und ob überhaupt eine nähere Erinnerung dabei obwalte? können wir jetzt wohl nicht
mehr entfheiden. Gnug es if auch ohne 1 wirflih bie Form eines Namens von ToW
— SI —
Mein waſchen, feine Zähne in Milh baden Tann. In allen, 71
jcheinet e8, fteht dem alten Vater der Sieger, der König, der
ftolzge und doch liebensmwürdig -fanfte Bezwinger ! in der Geftalt
feines Sohns vor Augen. Er fieht feinen prächtigen Wuchs, die
funfelnden Augen, die mildhweißen Zähne; er fieht ihn auch als
den fünftigen Vorgänger feiner Brüder nicht? unedel: Güte auf
feinen Lippen, Helvenfeuer in feinem Bid. Er feyert ihn mit
allen diefen Zügen; furz, es ift der prächtige Töniglihe Segen:
Jehudah du!
Dich werden preifen deine Brüder!
Deine Fauft wird feyn am Naden deiner Feinde:
Sie büden fih dir deines Vaterd Söhne.
Ein junger Löw’ ift Judah,
Bom Raube, Sohn, bift du empor geftiegen.?
Er wirft fi, ftredt fich nieder, wie ein Löwe,
Wie ein mächtger Löwe, wer reizt ihn auf?
Nie wird der Führerftab vom Judah weichen,
Nie weicht der Königsftab von feinen Zügen,‘
Bis daß da komme — bw
Und Bölfer fih ihm willig unterwerfen.
ausmahlet; oder Sie mögen noch ein triftigers Wort zum Parallelismus,
des Völkergehorſams finden; — zu meinem Zweck gehörts nicht, zu
entſcheiden. Komme dem Kriegesführer Judah Sicherheit, Friede,
Raub, Reid, Gefhent, oder was ihm gebühret; ihm kommt im zwey—
ten liebe die Unterwerfung der Völker, und das Bild wird fort-
geführet.
1) fan. Und fiehe, da ftebt . ... . der folge Bezwinger
2) ihn auch als Erobrer, nicht 3) biſt du fo hoch erwachſen.
4) von Judah weichen, Nie fehlet ein Gebieter feinen Zügen,
da; ob es mir glei den jonft fo beftimmten Bildern dieſes Segens fremde vorlonmt, daß
bier ein Abstractum, Friede, Sicherheit, Rube kommen foll; gefegt au, daß es
der Sieger (82V) tommen machte. Ich glaube ſchwerlich, daß die Stelle je eine allge-
mein angenemmene Erklärung finden werde; gnug, daß fo viel man Deutungen machen
inne, der Sinn und Fortgang des Bildes unzweifelhaft bleibet.
12
— 55 —
Denn bindet er ſein Füllen an den Weinſtock,
An edle Reben ſeiner Eſlin Sohn.
Und wäſcht fein Kleid in Wein,!'
In Blut der Trauben fein Gewand.
Seine Augen glühn von Wein,
Seine Zähne glänzen Milch.
Wollen Sie den fchönjten Kommentar diefer Worte Iefen, fo ifts
Jeſaias. Er mar felbft aus Judah, ein Föniglicher Prophet. Er
Heidet feinen Meßias, den Sohn Davids, in alle Pracht feines
Ahnherrn und Stammmoaters, ala König, ala Löwen, als Sieger, -
als Friedefürften, als Triumphirer im röthlichen Weingewafchenen
Kleide, mit der fanften Sprade reiner Unfhuld und Milde Die
ganze Manier Jeſaias ift gleichfam in diefen Bildern. Ein Tönig-
licher Löwe in Weißagung und Schreibart. David, der erfte und
mächtigſte König aus Judah wars in Thaten; der Meßias als
der größeite Sohn Judah ifts bier als Ideal.“
73 Doch ich vermeile faft? zu lange bey diefem, dem erften
Stück des Auffhluffes im Segen Jacobs, aus dem Charafter
feiner Söhne; ich Tomme auf die zweyte Bemerkung, die ich Hinzu
zu fügen habe, wie jo ganz der Geift des fterbenden Vaters in
dem Lande der Verheißung fchmebt, nach welchem felbit feine
Gebeine lechzen. In der Ferne dort baut er feinen Söhnen Hütten
und giebt ihnen,* was jedes Herz wünſchet. Dem Jehudah ein
Land, vol Wein und Milh, und den SKönigsfcepter unter feinen
Brüdern: dem Sebulon das Ufer des Meers, eine geftübte Aus-
fiht auf Schiffe und Handel: Iſaſchar eine ſchöne ruhige Land⸗
ausfiht:5 Dan feinem Namen nah, das Kichteramt, wie Gab das
Nachſetzen hinter den Feinden. So ferner. Wir finden bey jedem
1) Sein Kleid wuſch er in Wein,
2) der Meßias als Ideal Judah iſts bier als Urbild.
3) mid 4) ihnen gleihfam,
5) Lanbausficht, die meiften® (fo auch bey ihm und nach feinem Cha⸗
ratter) mit Dienftbarkeit verknüpft ift:
— 56 —
Stanme nit die genauefte Erfüllung, weil das Land nicht gam
nah dem Sinn Jakobs und Mofes eingenommen und vertheilt
wurde; allgemein aber iſts unläugbar, daß Iſrael fein Erbtheil im
Lande der Gelobung beſeſſen habe, nach der Vorfchrift diefer veißa⸗
genden! Landcharte. Wo uns Umſtände der Erfüllung fehlen,
müffen wir feine Geheimnifie fuchen, ſondern uns beſcheiden, daß
wir in der jüdischen Gefchichte ja nicht Alles, bis auf den klein⸗
ſten Fled, fennen. Es ift biemit, wie mit jenem Ländchen im 74
Lande der Amoriter, das Jakob dem Joſeph beſonders zutbeilet,
1 Mof. 48, 22. oder wie mit dem Vater Melchiſedels. Sie find
nur dadurch Geheimniffe, daß wir fie nicht wiſſen, daß uns unter
den Fragmenten dieſer älteften Zeit Biftorifche Nachrichten zu ihnen
mangeln. Wir mögen Gott nur für das danken, das wir haben,
und der befte Dank tft ein gutes Verſtändniß. Nächten ein
weiteres von Segen Mojes, dem Gejange der Deborah und andern
Liedern. Leben Sie mwohl.?
Sechster Brief. 75
Sie wünjden, fo wie Juda, auch die übrigen Brüder vor
ihres Vaters ? Bette ftehen zu ſehen; und jo mags denn feyn; ob
e3 gleich bie und da nicht leicht ift.
Berfammlet euch, ich will euch verfündigen, *
Was euch begegnen wird in fpäten Tagen.
Verſammlet euch und hört, ihr Söhne Jacob,
Hört euren Vater Iſrael.
1) Wir wiffen bey .... Erfüllung, weil uns zu viel an der Privatge-
ſchichte der Stämme feblet; allgemein . . . . nach biefer erften weißagenden
2) Segen und Liede Mofes .... Liedern. Ich babe das Stüd nicht
ganz überjegt, weil e8 Michaelis, Schulz, Zeller u. a. neuerlich über-
fest haben, und wir vielleicht bald die Ueberſetzung Mendelſohns, mit
deſſen Pentatevch erhalten werben.
3) vor Vaters 4) vertünben,
Ruben, mein Erſtgebohrner,
Du meine Kraft, der Erſtling meiner Stärke,
Der Vorzug deiner Würde, der Vorzug deiner Macht,
Geht, wie die ſtolze Welle dir vorüber;
Du biſt der Erſte nicht mehr!
Denn du beftiegft ! das Bette deines Vaters,
Du entweyheteft mein Lager, da du es beftiegft.
16 Denten Sie, mit welchem Spruche der Vater anfangen muß. Wie
mit einem Seufzer verlohrner erften Kraft und Jugend ſetzt er
Ruben, feine erfte Vaterfreude, noch einen Augenblid in jeine
Geſchlechtskrone zurüd, um ihm folde auf Einmal und auf immer
vom entweyheten Haupt zu nehmen.
Simeon und Levi, Brüder (find fie)
Mörderwaffen waren ihre Schwerter:
Mein Herz war nicht in ihrem Rath,
Meine Seele ſchaudert zurüd vor ihrer Mordverfammlung;
Als fie vol Grimm den tapfern Mann erwürgten,
Als fie von Blutgier voll den edlen Stier entneruten.
Verflucht ſey ihr rachſücht'ger Zorn:
Verflucht ihr hartverhaltner Grimm!“
Zertheilen will ich ſie in Jacob,
Zerſtreun in Iſrael.
Abermals ein bittres Andenken, deſſen erläuternde Geſchichte wir
glüklicher Weiſe haben;*) ſonſt wäre alles unverſtändlich. Ihr
*) 1Moſ. 34.!
1) Stärke, Der Erſt' an Würde, der Erſt' an Macht. Er
ſchoß, wie Waſſer dahin; nicht ſey er der Erſte! Du beſtiegſt
2) Waffe der Mordthat iſt ihr Schwerdt. Mein Herz ſey nicht
in ihrem Rath, Meine Seele ſchauert vor ihrer Zunft: Denn zor⸗
nig wärgten fie den Mann, Im Luft nach Blut entneroten fie den Stier.
Verflucht ihr Zorn, der Wiltende! Berflucht ihr Grimm, der
Sartverbarrende!
1) „*) 1 Mof. 84. fehlt.
— 58 —
zufolge überſetze ich Mann und Stier wörtlich, ohne den Text
zu ändern.! Sie entneroten den edlen Stier erft, fchnitten ihm
gleihfam die Sehnen ab, und da wars leicht ihn zu tödten: bür- 77
ftend nach feinem Blut lockten fie ihn die Schmerzen der Beichnei-
dung, ? um ihn jegt, als Brüder, zu würgen — Die Seele Jacobs
entjet fi” vor dem Greuel noch jetzo fo fehr, daß ers gleichſam
für gefährlih hält, wenn fie auch im fpäteften Geſchlecht in Woh-
nungen zufammen blieben: er zertheilet fie alfo.
Den Segen Juda's babe ich neulich gegeben; er Hingt * berr-
Ich auf die drey eriten, und der Vater felbft ſcheint fich in ihm
zu erquiden und zu erheben; daher er die Bilder fo majeftätifch -
langſam fortwälzet. Aber wie konnte ich in meiner Sprache auch
dem Namen Judah die Deutung mitgeben, die er in der Urſprache
bat? Lobpreiſer beißt er, und feine Brüder werden ihn
preifen; das erfte Wort, der nur ausgefprochene Name belebt
den Vater. Ich gehe zu Sebulon fort:
Sebulon! am Ufer des Meeres wird er wohnen!
Am Ufer der Schiffe, die Seite geftüst auf Sidon.
Iſaſchar, ein knochiger Eifel,
Der zwifchen zwo Tränfrinnen rußt.
Er fieht, die Ruh ift aut, 78
Das Land umber ift ſchön,
Und neigt die Schulter zu tragen,
Und dienet dem Wafferihlaud.*)5
. — — — — — —
e) ©. die Erklärung dieſer und anderer Stellen der Weißagung
Jacobs im zweyten Theil der bebräifchen Poefie, S. 200. 227. u. f.
1) ändern. Der Seele Jacobs fchauert vor zweyerley in ihrem gott-
loſen Anjchlage; erftlih, daß er blutgierig war; zweytens, daß die Blut⸗
that auf fo unedle Art, mit dem verbaltuen Grimm, mit ber verftellten
Verſchwiſterung und treulofen Sreundichaft ausgeführt wurbe.
2) „ihn in die Schmerzen” (?) oder e8 fehlt „zu dulden“
3) fo ſehr, (flatt im minbeften daran Theil zu nehmen) daß ers ....
Wohnungen (und Mordanfchlägen) zufammen
4) Juda babe ich neulich gegeben, ver Segen Flingt
5) Tribut.
— 59 —
Jit nicht der kurze Spruch auf Sebulon, wie eine freye lange See⸗
ausſicht; und der Charakter Iſaſchars dagegen (faſt auch im Ton,
im Maas der Sylben,) die ruhige, vefte Stille des Laftthiers,
befien Namen er befommt, dem die Lage feines Landes jo wohl
gefällt, und das ruhig, feiner Bürde unbefümmert,! umber fieht.
Ich darf, da Sie Homer gelefen, Ahnen vom unſträflichen? Cha-
vater des Efels nichts jagen; wollen Sie aber feine neuere ſchönſte
Lobrede lefen, jo Iefen Sie Buffon’3 Naturgefchichte.?
(Der Richter) Dan wird Richter feines Volks,
Mie Einer der andern Stämme fraels.?
Eine Schlange wird Dan am Wege feyn,
Eine Wurfſchlang' auf dem Fußſteg'.*
Sie beißt dem Roß die Yerfe,
Daß der Neiter rückwärts ftürzt.
79 Sie haben nicht Urſach', aus der Gefchichte zu deuten: ® ob hier
von der im Stamm Dan entiprungenen Abgötterey, oder gar vom
Antichrift die Rede fey, der aus ihm kommen würde. Mich dünkt,
bier ſey blos von der Klugheit zu urtheilen, und von ber ver-
ſchlagenen Lift die Rede, die in Dans Namen und Charalter lag,
und durch welche fein Geſchlecht Roß und Mann, d, i. den? über-
legenften Feind bezwingen würde. Erfüllt ift die Weifjagung wor⸗
den, denn Dan befam ein Land voll Berge, und’ enger Thäler,
voll Hölen und Fußpfade, wo er feine Kunft bemeifen fonnte, Die
damals und ja auch noch jet im Kriege, zumal ala Bertheidigung
feines Landes, rühmlich galt und gilt. Daß Dan fein Stammes
1) dem die Lage fo wohl gefällt, das fo ruhig, feiner Bürde jo un-
befiimmert,
2) unfträflihen, Ehrwürdigen
3) fo lefen fie Buffon. Das unſchuldige Thier bat die Feder bes
edeln Schriftfteller8 auch mehr verdient, als viele feiner fprechenden Brüder,
die gewöhnlich gelobt werden — —
4) Der Richter, Dan wird .... Wie Einer der Stammesfcepter Ifrael®.
5) Fußſteig'. 6) Ich mag aus der Gejchichte nicht deuten:
7) durch fie fein Gefchleht Roß und Mann, den
— O0 —
fcepter, feine Würde und Anfehn mit andern Brüdern bekräftigt
wird, bezieht ſich auf feine Geburt. Er war der Sohn einer
Magd, und zwar der erfte berfelben; Jacob abelt und Iegitimirt
ihn aljo gleihfam im Namen aller feiner übrigen Brüder dieſer
Abkunft und fpielt zugleih auf feinen Namen und Charakter an,
da er, wegen feiner guten Anjchläge, vielleicht mit Rath unter
feinen Brüdern galt und in Anfehen ftund. — — Nun folgt ein
dazwiſchen geichobener Seufzer, über deſſen nähere Veranlafiung
auf diefer Stelle ich nichts beftimmen mag: !
Auf deine Hülfe hoffe? ich, Jehovah.
Iſts eine bloße Erholung, ein gejchöpfter Ruheſeufzer des ermat⸗
teten Vaters ? oder iſts Hinüberbiid ind Land ber Väter, mit dem
Wunſch eines fanften Ueberganges, und einer Erlöfung in zulünf-
tiger Noth nach Lolalumftänden der Wohnung Dans? ? oder end-
lich erinnert ſich Jacob, bey dem, was er eben über Dan aus
ſprach, ähnlicher Umftände, Nachftellungen und Errettungen feines
Lebens, und dankt Gott für geleiftete Hülfe? Sehen Sie, mas
ih darüber andersiwo*) gejagt habe.*
Gab, (der Kriegshaufe.)
Haufen fallen ihn an;
Er fällt in den Rüden fie an. —
Ich vermag die dreyfache Wortähnlichkeit nicht zu überſetzen.
Bon Aſſer kommt Delreihes Brod,
Er iſts, der Kön’gen niedliche Speife reicht.®
Auch Hier liegt vielleicht 6 die Veranlafiung des Bildes in Affers
Geichidlichkeit und Leben. Wir willen aus der Geihichte Iſaaks
*) Bom Geift der Ebräifchen Poefie Th.2. &. 203. 204.
1) Seufzer, beffen . . . . ich nicht verſtehe.
2) hoffte 3) Ueberganges? („und — Dane?“ fehlt.)
4) Hülfe? Dem lebten gäbe ich nach der Geidhichte und dem Eha-
ralter Jacobs beynahe ven Borzug. („Sehen — babe.” fehlt.)
5) Bon Afler kommt fett Brod, Er bringet niebliche Königsſpeiſe.
6) Auch Bier nehme ich
— 61 —
mit! Efau und Jacob, wie fehr in diefen alten einfachen Hirten-
81 zeiten die Zubereitung einer nieblichen, wohlſchmeckenden Speiſe
geehrt warb, und daß ſich die Hand der Söhne felbft defien nicht
ſchämte. Vielleicht empfahl fich Aſſer biemit vorzüglich feinem
Vater; und es wird die Gelegenheit zur Ausfiht auf fein Land.?
Nichts ift mehr im Geift der Hirtenzeiten als dieſe? Simplicität
veranlaffender Umstände — —
Naphthali, eine wohlgeſchoſſene Terebinthe,
Die ſchöne Wipfel wirft.*
Diefe Lesart, die auch alte Ueberfegungen haben, und wie mid
dünkt, Bochart zuerft in Gang bradte, bat im Bujammenhange
vor der gewöhnlichen Vorzüge; wiewohl ih der Schönheit des
andern Bildes’ wegen faft wünfchte, daß man nur das Tan damit
reimen könnte. — Es folgt auf viele kleine Sterne ein fchöner
glänzender Abendftern, Joſeph; nur er ift den Hüllen der Worte
nad bie und da noch mit Wollen überzogen.
Der Zeig einer frudtbam (Mutter) ift Joſeph,
Der Zmweig einer Fruchtbarn über der Duelle,
Seine jungen Sproffen jchieflen die Mauer hinauf.
82 So bätte ich Luft, ftatt der gewöhnlichen Lesart, die weder gram-
matiſchen noch geiftigen ® Zujfammenhang hat ober giebt, meiftens
mit dem Samaritaner und Araber zu leſen, fo daß? ih in der
erften Zeile gern das Andenten der Mutter Joſephs, der geliebten
Rahel beybebieltee Sie wird einem Weinftod verglichen (ein
gewöhnliches Bild der weiblichen Fruchtbarkeit Pi. 128., 3. u. a.)
der neben der Duelle fteht; fie Bat ihrem Vater zwar nicht viele
Söhne, aber mit dem Einen Joſeph, ihrem Fruchtzweige, viel
1) Segensgeſchichte Iſaals über 2) Land und Schidfal.
3) diefe Unſchuld und 4) giebt.
5) Dies ift die Eine Lesart, die auch alte Ueberfetsungen haben, und
wie mich dünkt, Bochart zuerft in Gang gebracht hat. Sie hat im Zufam-
menbange vor der andern Vorzug:
6) grammatifch noch geiftig 7) fo do, daß
— 62 —
gebohren, deſſen junge Zweige, Jacobs Enkel, die Mauer hinan⸗
ſchieſſen, wie fröhliche Reben.*)
Nun verläßt Jacob das Bild, und muß der beſondern Lebens⸗
geſchichte Joſephs wegen ein andre wählen. “Der ſchöne Joſeph 83
konnte nicht friedlich aufſchieſſen; herbe Schickſale warteten auf ihn:
Sie quäleten und ſchoſſen auf ihn,
Und feindeten ihn an, die Pfeileregierer;
Dod blieb fein Bogen veft,
Seine Händ’ und Arme ftärleten ſich.
Von den Händen des mächtigen Gottes Jacobs,
Bom Namen Des, der Iſrael auf feinem Stein bewadhte,?
Bon deine Vaters Gott; der bir geholfen!
Bom Gott Schabbai; der dich fürber fegnet; *
Segen der Himmel von oben,
Segen des Abgrunds brunten,
Segen an Mutterbrülten, an Mutterleibern.*
Die Segen deines Vaters fteigen mächtig
Weber die Segen meiner Väter
Zum Heiz der Berge der Vorwelt hinan: 5
*) Wie ſchön das Bild ift, fehen Sie felbft; auch iſts ganz Morgen:
ländiſch und Ebräifch. Pf. 128, 3. fteht der weibliche mütterliche Weinftod
auch an einer Wand und fchießt fröliche Reben, und daß das “TO vor fi
vorzlüglih auf die Weinrebenwand pafle, Bat Schultens bewiefen. Mit
Einem Bilde werben alfo Mutter, Sohn und Entel gelobt, jene betrachtet
fib in der Quelle, und freut fich ihrer Reben und Sproffen. Sie fehen,
bag ih »2M2x 22, das ich fr beſſer und auch für hebräifcher halte, als
Mex 22 punktive. Dünkt Ihnen das Andenten der Mutter zu fern: fo
überfeten Sie gleih, Ein fruchtbarer Zweig ift Joſeph, und laffen
e8 eine Anspielung auf feinen Namen feyn.!.
1) Entel, fhon .... Nebenzinten. 2) der Iſraels Stein bewachte,
3) der dich gefegnet; 4) Segen der Mutterbrüfte, ber’ DMutterleibe.
5) Ueber die Segen der ewgen Berge, Den Reiz der ewgen Hügel
binilber
1) „Wie — ſeyn.“ folgt in A im Tert.
— 68 —
Sie werden kommen auf Joſephs Haupt,
Auf die Scheitel des Kronenträgers unter feinen Brüdern — !
84 Ich kenne nichts, das über den Schwung dieſes Segens ginge,?
den Mofes in dem Seinigen felbjt nachahmet, und nicht zu über-
treffen vermag. Joſeph fteht ala ein Beneideter und Verfolgter
da, unter dem Haufen feiner Brüder,’ fie haſſen ihn, fchieffen auf
ihn bittre Pfeile; Er, der Eine gegen Viele, fteht veft, feines
Bogens Senne bleibt ftark, feine Hand leicht, fein Arm mädtig
und bemeglid. Kann ein treffenderes Bild von bittern Schickſalen
in jungen Jahren des Lebens, noch mehr von Scidjalen, durch
Neid, Haß und Verfolgung der Brüder gefunden werden? Gie
verwandeln Spiel in Streit, viele rüften fi) gegen Einen, der
alle befteht. — Und durch wen bejteht er alle? bier fommt Jacob
auf die Geſchichte feine eignen Lebens. Er bat gerungen mit
dem Mädtigen, der ihm den Namen Sfrael gab: Diefer, der
ftarfe Gott Jacobs, bat Joſeph geftärket: der gütige Gott
Jacobs, der dort über dem nadten Stein machte, ald aud Er *
verfolgt, allein und in der Fremde ſeyn mußte, war der Schutz⸗
gott feines Sohns in ähnlichen Umftänden der PVerlaflung, Ein-
ſamkeit und Fremde. Geht etwas über das Nahe und Väterliche
der Bilder? Und ungezmweifelt ift dies der Sinn derſelben.“ Als
Mofes in feinem Segen an dieje Worte fommt, verwandelt er
85 „den Hirten, den Schuggott auf dem Stein Jfraels,” in
den Gott, der ihm im Buſch erichienen; er verftand es alfo,
wie wird verftehen. Jacob und Moſes geben dem mohlthätigften
der Stämme allen Segen, mit denen ihnen Gott felbft erfchienen
war, und fi ihnen offenbart hatte. Daß der Gott, der ſich dem
Jacob im Traum zeigte, gleichſam ald Hirt, ala Auffeher feines
Schickſals über ihm wachte und fegnend auf ihn blidte, daß Jacob
1) Kronenträgers feiner Brüder — —
2) nichts über den Schwung dieſes Segens,
3) als Beneideter und Berfolgter unter einen Haufen Brüder
4) als Er aud 5) Und es ift der Sinn ungezweifelt.
— A —
von dieſer Erideinung an die Gunft feines Gottes gleichfam
zählte, daß ihm ber Stein beiliges Denkmal und Gottes Haus
blieb, das alles wiflen wir, und wie fonnte nun Jacob feiner
Lebensart angemefjener dran denken, von mem konnte er den
Wohlthäter jeines Alters würdiger ſegnen, ald vom Schub» und
Hülfgott feiner einft auch verlafienen Jugend ?*)! Und nun, nod 86
nicht zufrieden, feinem liebften Sohn das Beite aus feinem. Leben,
alles, was Er von Gott erhalten, gegeben zu haben, legt er auch
ale Segen feiner Vorfahren auf fein Haupt.” Den Abraham
hatte Gott unter dem Namen Schaddai gefegnet; auch Abrahams
Segen fol auf Joſephh kommen. Iſaak hatte den Jacob mit
Segen des Himmels von oben, dem befrucdtenden Thau,
mit? Segen der Tiefe drunten aus dem Abyfjus, mit Fettig
feit der Erde gefegnet; beydes giebt er dem Joſeph mit Wucher:
denn ftatt Korns und Weins bie Fülle, giebt er ihm Ueberfluß
an ber beiten, der menſchlichen, mütterliden Fruchtbarkeit,
glücklich zu empfangen und gefund zu tränlen. Ja noch nicht
*) Aufı Joſeph können die Worte „Hirte, Auffeher des Steind“ nicht
gehen: ? denn das fortgehende 2 des Parallelismus bezeugtd, daß eben Gr
von biefen Hirten gelegnet werben foll, wie Mofes ihn von ber Flamme
im Buſch fegnet. Kurz, nichts wird eigentlicher und leichter, als wenn
man DON als DON punltirt, wie auch alte Ueberfeungen gelefen. Jacob
ſelbſt machts Mar,® da er den mädtigen Ringer und ben Wächter bes
Stein in der folgenden Zeile ausprädlich feinen Gott nennet.!
1) dran denken, al$ wenn er ihn den Hirten (Wächter, Bewahrer)
des Stein nennet? Fels konnte ers nicht nennen, denn das ward
nicht; und wenn Moſes dies Wort gebraucht, iſts ein ganz anderes Bild
von Sinai unb den Felſen Arabien bergenommen, die ja diefe Gefchichte
nicht fennet.
2) Gott nennet, und nun, noch . . . gegeben zu haben, aud alle
.... Haupt legt.
3) oben, frudtbaren Thau, und mit
1) „Auf Iofepp — nennet.“ folgt in A mit den angegebenen Änderungen nad
„nicht kennet.“ im Text.
2) die Worte noch weniger geben: 3) Sonnentlar,
— 65 —
genüget, holt Jacob neue Kräfte, nimmt alle Reize der alten Welt,
Gewürze! und Früchte der paradieſiſchen Berge, jener ewigen Hügel
der Vorzeit, die damals wahrſcheinlich im Andenken lebten, als
eine Zt, als eine Welt von Köftlichkeiten, die nicht mehr ſey —
alle nimmt er zufammen, und führet fie in ihrem buftreichen
Kranze auf Joſephs Haupt, der hier in feinem ägyptifchen Schmude
ala Kronenträger da fteht, und diefen? Kranz aus allen Koftbar-
feiten der Vorwelt auch fo vorzüglich verbiente.? | Daß dies der
Sinn der Weiffagung fey, bezeugt theils der Parallelismus, theils
87 die Lesart der meiſten“ alten Weberjegungen; am meiften auch der
Segen Moſes, der dieſe Worte gerade fo verftehet und anmen-
det.*) — ch darf nicht Verzeihung fobern, daß ih fo ausführlich
erlläre: denn der Enthufiagmus des Segens in feinem jchönen
wachſenden Schwunge wird Sie fortreißen, wie er mich fortgerißen
bat. ° Benjamins Spruch ift furz; fein Charakter iſt Wolfesart
und braucht nicht viel Worte.
Benjamin, ein Wolf, er raubet früh,®
Und zehrt den Raub, und theilt noch Abends Beute.
Ein unermüdeter, muntrer, glüdlicher, freygebiger Abentheurer — ?
vermuthlich Benjamins Charafter.
*
* *
*) Man vergleiche in Anfehung einiger Lokalumſtände den 2. Th. vom
Geiſt der Ebräiſchen Poeſie S. 205 = 9.
1) Kräfte, thut noch einen Schwung, nimmt alle Fruchtbarkeit ber
alten Welt, alle Nieblichleiten und Delilatefien, und Gewürze
2) diefen ewigen 3) fo einzig verbienet.
4) tbeil8 ber offenbare Parallelismus, theils bie Lesart bed Sama-
ritanerd und der meiften
5) erfläre: denn faft Reibe für Neibe ift der Segen oft mißverftan-
den, und in feinem ſchönen, immerwachſenden Schwunge felten ganz beber-
ziget worben.
6) Wird rauben früh,
7) „Ein — Abentheurer —” dafiir in A: So viel hatte er nemlich,
nachdem er Tag über davon gezehrt hat, fie Abends noch andern auszutbeilen,
und Viorgend früh wieder mit neuer Munterkeit, mit neuem Glück zu jagen —
Herders fünmtl, Werte. X. 5
— 66 —
Ob meine Zeit gleich kurz, und mein Weg! noch weit iſt,
fonn ih doch nicht umhin, da ih Einmal an diefes Stüd
gegangen bin, nid an ein andres, noch ſchwereres zu machen,
das bievon Erläuterung nimmt, oder ihm auch melde giebt — es
it der Segen Moſes. Er ift ganz verändert: benn Moſes 88
jegnete nicht ala Vater, jondern ala Geſetzgeber, der feinen eignen
Stamm hatte, und allen im Namen Jehovah's? nur vorftand.
hm 3 ftanden feine Söhne um das Bette des Vaters; ſondern ein
Sirael lag vor ihm mit feinem Heer. Ein grofies, von Wanbe-
rungen faft ermattete® Voll, das ihm viel Kummer gemacht, das
Gott * auf manderleyg Art verſucht hatte, und jest fehnlih nad
Ruhe ſeufzte. Alle diefe Umftände alfo, womit fih auch einzelne
Stämme in der Wüfle ausgezeichnet, feine und ihre Lage, beyder
Bedrängniffe und Hoffnung, geben den Ton und Inhalt dieſes
zweyten Segens: fie machen eine Einleitung nöthig, bie Jacob
nicht nöthig Hatte, fie geben einen Schluß, der dort nicht war,
meiftend auch andre Bedürfniffe, andre Wünfche, obgleich nicht
zu läugnen ift, daß der Gefang des Altvaters dem Geift Mofes *
vorſchwebe. Hören Sie den feyerlihen Anfang, mit dem er fi
zuerft legitimiret:
Sehovah kam vom Sinai,
Gieng ihnen vom Seir auf,
Brad auf im Glanz vom Berge Parar,
Er kam von Kadeſch Bergen,
Bon feiner Rechte ſchoß das wallende Feu'r.
Wie liebet er die Stämme! 89
AM Deine Herrlichkeit ift um Dich ber,
Und diefe Dir zu Füßen
Empfangen Deines Mundes Wort. ®
1) Plan 2) Gottes 3) Hier 4) gemadt, Gott 5) Mofes wie _
6) Gott fam von Sinab, Gieng ihnen auf von Seir, Brad
auf im Glanz vom Berge Paran, Erfhien mit Myriaden feiner Hei-
ligen, In der Rechte fein Feuergeſetz. Ein Bater Tiebet er die
Völker. All' ſeine Heiligen an deiner Hand, Umfchlieffen dei⸗
— 67 —
Welch ein Prachtvoller Anfang! Moſes gebietet mit ihm die feier⸗
lichſte Ruhe, ein ehrerbietiges, kindliches Schweigen. In aller
Schreckenvoller Herrlichkeit erſcheint Gott und wird feines Volkes,
ſeiner Kinder väterlicher Lehrer. Sie haben ſich zu ſeinen Füßen
gelagert, und nun wird Moſes Mittler:
Durch Moſen ward uns das Gejeh,
Das Erbtheil der Gemeine Jacob;
Er war in Sirael ein König,
In der Berfammlung aller Volkesfürſten
Zujammt den Stämmen Sfraels.?
Alſo legitimirt, als ihr Fürft unter Fürften, durch den Gott ihnen
ihr herrliches Gejeh gegeben, der auch jest ala Mittler der?’
Stämme rebet, hebt er an:
Ruben lebe! fterbe nicht völlig aus!
Seine Mannſchaft werde zahlreich wieber! *
Db der Segen? auf Ruben? oder nicht vielmehr auf den aus-
90 gelafjenen Simeon fey, defien Zahl 4. Mof. 26,,14. fehr herunter-
ne Füſſe, Zuhorchend deinen Sprüchen.
1) „Welh ein — gelagert," dafür in A: Ich verftehe die Worte,
wie fie jest find nicht anders, als daß Gott einen beilgen Kreis um fein
geliebtes Iſrael fchlieflet. Die himmlifchen Heere, mit denen er von Sinai
aufbrach, werben Diener des Geſetzes, Lagern fih um SIfrael, und horchen
dem Gefeß, jeto von Iſraels Lippen zu. Sie ſehen, wie leicht die Aenbe-
rung wäre, durch die fih das ganze Bild auf die Gefetgebung felbft, auf
Gott bezöge: gnug indeſſen, Moſes gebietet mit diefem Anfange die feyer-
Tichfte Ruhe, das edelſte Schweigen. In Aflaphs 5Otem Pfalm ift eben
eine folhe Sotteserfheinung zu folden Endzweck, offenbar mit Zügen
dieſes Bilde. Der Herr mit allen feinen Heiligen ift da, und ruft jeine
Heiligen der Erde: der glänzende Kreis bat fich gelagert,
2) Er warb” durch Recht ein König, Berfammlet waren bie
Häupter des Volks Mit ven Stämmen Ifrael.
3) als ihr ſelbſtgewählter Fürſt, duch .... au als Mittler bes
Vaters der
4) Ruben lebe! fterbe nicht! Sein Kleine® werde groß!
5) Ich folge dem Samaritaner, der den beten Parallelismus giebt;
ob aber der Segen
5*
— 8 —
gekommen war? oder warum Simeon ausgelaſſen wäre? mag ich
nicht entſcheiden. Der Alexandriner hat ihn in den zweyten Vers
eingeſchaltet; ich wage aber nicht, ihm zu folgen.
Und dies für Judah. Er ſprach:
Höre, Jehovah, die Stimme Judah,
Zu ſeinem Volke führ' ihn ein.
Sein Arm wird für ihn ſtreiten,
Und Hülfe von ſeinen Drängern wirſt du ihm ſeyn.
Wie anders iſt dieſer, als der Segen Jacobs, über Judah! Vor
Augen ſcheint ihn Moſes gehabt zu haben, ſonſt wüfte ich das, „zu
feinem Boll” nit zu erflären. Wahrſcheinlich? iſts das ihm
verjprodene Zoll, das fi nach einem Segen, ben jedermann
im Gebädtniß hatte, ihm willig unterwerfen follte. Aber
wie matt ift diefe Stimme gegen jene. Dort ein mutbiger, rau-
beöftarfer Löwe; bier ein Stamm, der nad dem Ende der Wall-
fahrt dürfte. Moſes giebt ihm nur einen Wint, daß auf die
Kraft feines Arms bei Einnahme des Landes gerechnet ſey, und
wünſcht ihm, was er fich felbit wünjchet, Beyftand Gottes, wenn
fein Arm felbft nicht hinreichte.
Zu Levi ſprach er:
Dein Licht und Recht, Jehovah,
Bleibe deinem ermählten Mann,?
Den du verſuchteſt am Verſuchungsort,
Und babertejt mit ihm am Haberquell.®
Er ſprach zu feinem Vater, feiner Mutter:
„Ich kenn' euch * nicht!“
Und kannte feine Brüder nicht,
Und kannte feine Söhne nicht.
1) erflären. Daß es die Bäter in der Erbe ſeyn follen, ift nicht zu
denken; wahrjcheinlich
2) Dein Licht und Recht, Es bleibe deinem erwählten Manne
3) beym Haderwaſſer. 4) ihn
— 69 —
So werden Sie auch dein Gebot bewahren,
Und balten über deinen Bund:
Sie werden Jacob deine Rechte ehren,
Iſrael dein Geſetz.
Sie werden Weihrauch Dir zum Wohlgeruch anzünden, !
Brandopfer bringen deinem Altar.
Sehovah, jegne feine Kraft,
Nimm an gefällig jeiner Hände Werf.
Zerſchlage fie, die wider ihn ſich Iehnen,?
Und feine Häfler, daß fie nichts vermögen.
Daß der Sprud ein Gebet an Jehovah fey, ift offenbar, und der
92 Inhalt deffelben im Ganzen ift eben fo fihtbar. Wir mwiflen aus
der Geſchichte, daß Levi, befonders das Geſchlecht Aarons über
feinen erhaltenen Vorzug Neider und Feinde batte; wider dieſe
flehet dies Gebet auch für die Zukunft göttlihen Beyftand. Zus
gleih ift die Strenge ihrer Pflichten mit eingewebt, daß fie nah
dem Beyſpiel ihres grofien Pater, des erften Hohepriefters,? in
rechtlichen Ausſprüchen weder Vater noch Mutter kennen müßten,
und Licht und Rechtſchaffenheit, d. i. erleuchtetes, gerechtes Urtheil
allezeit verwalten * laſſen ſollten.
So weit ift fein Zweifel. Ueber die eingemwebte Gejchichte
Aarons ift dies meine Meynung Zu Kades in der MWüfte Bin
(4 Mof. 20.) murrete dad Volk wider Mofen und Aaron, um Waf-
fer; der Ort befam den Namen des Haderorts und Hader-
waſſers, wie jener in Raphidim. (2 Mof. 17.) Aaron bielt fich,
wie es fcheint, gegen das Boll, und vielleicht felbft gegen ſein
Gefhleht, den Stamm Levi, tapfer; mwenigftens fagt die Gejchichte
1) Sie haben bein Gebot bewahret, Und werben halten beinen
Bund: Sie werden beine Rechte Jacob lehren, Iſrael dein Geſetz.
Sie werden Weihrauch vor dich legen,
2) wider ihn aufſtehn,
3) „nah — Hohepriefters,” fehlt. 4) vorwalten (?)
— 70 —
nichts von ſeiner Schwachheit, und ſetzt ihn zuerſt, ſo fern er
die Parthey ſeines Gottes nahm, ausdrücklich Moſes zur Seite.
(4 Moſ. 20, 1:8.) So weit war feine Treue und Standhaftig-
fett rühmlih: Moſes bringt fie hier noch (V. 9.) ala eine wohl:
beftanpne Probe Gott ind Andenten und feinem Geſchlecht, als
Borbild vor Augen. Er will, daß Gott die Familie des Mannes,
den er ſelbſt erwählte, der jo mandes für ihn ausjtand, dem
feine Tage fo bitter wurden, nicht unterfinfen laffe; fie werde,
wie fie bisher fein Gebot bewahret, auch fünftig ihm treu feyn,
und feine Gejege unter Iſrael befolgen. So meit ift das Anden
fen gut; aber Schwachheit miſchte fich zuletzt auch mit der Stärke.
Mofes und Aaron mißtraueten: fie ſchlugen den Fels, fie fprachen
Zweifelworte vorm Volk; da haderte Gott mit ihnen, Aaron mußte
entlleidet werden, und fterben, Mofes ſelbſt durfte das verheiſſene
Land nicht fehen — die traurige Gefchichte fommt dem Segnenven
eben bey feinem Stamm vor Augen. Er wünſcht, daß fie nicht
‚ wieder komme, daß das Richteramt im Namen Gottes, (dad Licht
und: Recht,) nie! müſſe vom Geſchlecht genommen mwerben, wie es
damals Aaron genommen, und feinem Sohn gegeben ward. Er
warnt Levi, bringt ihm die Treue und Standhaftigfeit Aarons,
zugleich aber auch die traurige Gejchichte vor Augen, wie fie ihm
natürlich jest in den legten Momenten feines Lebens, wo er bald
jelbft die Schuld derfelben bezahlen, und mit feinem Stamme das
Land nicht ſehen fjollte, vorlommen mußte? Der Segen iſt in 94
biefer Verbindung ſehr beſcheiden, Familienmäßtg und ernftlich.?
&D
3
Zu Benjamin fprad er:
Des Herrn Geliebter, er wird ficher wohnen,
1) nie mehr
2) Standbhaftigfeit Aarons vor Augen, die diefer Anfangs bewiefen *
batte, er braucht die traurige Gefchichte, wie fle ihm natürlich ift in ben
legten .... ſehen follte.
3) ernftlih. Einige Verſe vorher (Rap. 32, 50. 51.) fagt Gott zu
Moſes felbft die Gejchichte.
Es dedet ihn der Hocerhabene
Den ganzen Tag,
Und läßt ihn ruhen zwifchen feinen Flügeln.!
Sie jehen, daß ich in der zweyten Zeile mit dem griechiſchen Ueber⸗
ſetzer pyhy ftatt des zweyten müßigen 77>9 lefe; denn ſonſt paft
feine der drey Zeilen zu einander.” Wie der alte Jacob dort fei-
nem jüngften Sohne, von dem er fih ungern ſchied, Sicherheit
und Schuß Gottes auf feinen Weg nach Aegypten wünſchte,
und Judah denjelben feinem Vater fo theuer verbürgte;3 fo hier
der alte Moſes bey dem Zuge befjelben ing Land der Verheiffung.
Das Bild des Hocerhabnen, der ihn bebedt, ift von der mitzie-
benden Wolfe Gottes, oder vielmehr von dem Adler, der über
jeinen ungen jchwebet, (5 Mof. 32, 11.) einem Lieblingsbilbe
35 Mofes, hergenommen.* Zwiſchen feinen Schultern beißt alfo
auf feinem Rüden, zwifchen feinen Flügeln, abermals nad dem
Bilde Mofes an mehr als Einer Stelle. Ein ſchönes Gemälde,
liebreih und zart empfunden, das aber fehr verfannt worden. ®
1) Des Herrn Geliebter wird in Ruhe wohnen, Der Höchſte ihn
bebeden ben ganzen Tag, Ihm zwifchen feinen Schultern wohnen —
2) ftatt 759 leſe; wir haben ihm Dank, daß er uns biefe Lesart
behalten: denn .... einander. Wollte man auch mit dem Scamaritaner in
ber eriten Zeile ftatt 77 TI ID Tefen: fo könnte man von der Hanb Got-
tes nicht fagen, daß fie in Sicherheit wohnte, welches offenbar auf Ben-
jamin, den Geliebten Gottes, wie er einft ber Geliebte feines Vaters
war, gebet.
3) wänfchte; („und — verbürgte;" fehlt.)
4) ift entweder von .... Gottes, ober von dem .... Moſes, oder
von beyben m eil dieſes doch das Bild von Jenem wurde, bergenommen.
5) Zwiſchen feinen Schultern beißt über feinem Haupt, fo, baß
er feine beyden Schultern decket. In Benjamins Erbtbeil warb der Wunſch
erfüllet,; denn er wohnte fiher, und die Gegenwart Gotte8 kam auf feine
Berge, Moria und Zion, zu wohnen. So wird alles Ein Bild, und auch
bie Worte: den ganzen Tag, find nicht unbedeutend. Die Wolle Gottes
follte dort immer ruhen, Benjamin nie weiter in beichwerlicher Wallfahrt
ziehen dörfen — — Die Berfchreibung des 7729 war deßwegen leicht,
weil Ein Wort weiter fogleih 1799 folget — —
— 172 —
Zu Joſeph ſprach er:
Gejegnet von Jehovah fey fein Land,
Mit Ihönen Gaben der Himmel von oben *) !
Des Abgrunds drunten.
Was nur die Sonne föftliches treibt,?
Was Föftliches die Monde zeugen,
Was auf den Morgenbergen Beftes ſproßt,
Mas Schönes je der Vorwelt Hügel trugen, ?
Der Erde Köftlichkeit und ihre Fülle,
Komm’ von der Gnade deß, der in dem Buſche wohnt,
Auf Joſephs Haupt,
Komm’ auf den Scheitel* des Gefrönten feiner Brüder.
Ein erftgebohrner Stier ift feine Kraft, 96
Des Einhorns Hörner feine Hörner,
Mit ihnen wird er die Völker ftoßen
Ang Ende des Landes hin.
Das find die zehntaufend Ephraims,
Die? Taufende Manafles.
Daß Jacobs, und im legten Abfchnitt Bileams Segen Die
Grundlage diefes Spruchs ſey, tft unverfennbar: noch immer ruhen
die Wohlthaten Joſephs vor des Segnenden Augen, und feine
Söhne werden in die reihe Schönheit ihres Vaters gelleidet ; indeſ⸗
jen dünkt mich des Urvaters Segen Zug für Zug urfprünglicher
und ſtärker. Die Reihe von Segensquellen, die diefer nannte,
ftrebten die Zeiten hinan, vom Gott der Erjcheinungen feines
*) Ich leſe >3% ftatt >00 nach dem Segen Jacobs, weil fonft ber
Parallelismus zerftüdt wird, und XD als Randglofle zwifchen ftünde; ber
Sinn ift doch berfelbe.
1) Mit Köftlichleit der Himmel von oben *)
2) Was Löftliches die Sonne treibt,
3) Was Löftliche® der Borwelt Hügel trugen,
4) Haupt, Den Scheitel
5) zebentaufend Ephraims, Das find bie
— 73 —
Lebens, zum Segen ſeines Vaters, Großvaters, bis er auf die
älteſten Urhügel kam; er nannte alle, und zog ſie auf die Scheitel
ſeines Diademtragenden Sohnes, der in ſolcher Zier vor ſeinem
Bette ſtand, ausgezeichnet vor ſeinen Brüdern. Bey Moſes hat
ſich dies verändert. Hier ſteht kein Joſeph mehr, hier liegt ein
zahlreiches, nach Erquickung lechzendes Volk; womit lieberm kann
ers, als mit dieſer Erquickung ſegnen? Moſes hat keine Reihe
97 von Vätern, aus deren Munde er Joſeph fo nahe und eigenthüm⸗
ih fegnen kann, ala Jacob; diefe Glieder des Spruchs verändern
fih alfo. Jacob nannte die Fette des Himmeld und der Erbe,
al3 Segen feines Baters, den Er jest feinem Sohne zutheilt;
in Moſes Segen fonnte nur die phyſiſche Quelle hiezu, gleichſam
das Füllhorn der Natur, von oben, von unten, monatlid, jähr-
ih, fern und nahe, jegiger und vergangener Zeiten genannt wer:
den. — — Daß fi die lebten MWorte,! in denen dem Stamm
Ephraim zehntaufend, Manaſſe nur: taufend zugetheilt werben,
auf die Segensworte Jacobs und den Vorzug, den er Ephraim
gab, 1 Mof. 48, 14-20. gezielt werde, merken Sie, ohne daß
ihs nenne. Die Vergleihung tapfrer Kriegäheere mit Hörnern
und Kräften des Stiers tft dem Drient ? gewöhnlich.
Zu Sebulon fprad er:
Freue dich, Sebulon, deines Ausgangs:
Und deiner Hütten, Iſaſchar.
Die Stämme werden Euren Berg ausruffen,
Gerechte? Opfer dafelbft zu opfern.
Der Meere Zufluß werben fte da ſaugen,“
Die geheimen Schätze des Sandes.
98 Daß bey Sebulon vom Handel die Rede ſey, ift unläugbar; es
fteht aber nicht, daß er felbft handeln, ober aufs Meer ausziehen
1) B: Daß mit den legten Worten ° 2) it Orient
3) Iſaſchar deines Bleibens in Hütten — — Ste werben Völker zum
Berge ruflen, Rechte
4) fie ſaugen
— 74 —
ſollte. Die Ausgänge V. 18. ſind' Ausgänge aus der Hütte, wie
der Gegenſatz mit Iſaſchar zeiget; und jagen,” Sebulon werde
ſeine Nachbarſchaft mit Sidon und der Küſte des Handels nutzen;
durch mancherley Betreibſamkeit auſſer ſeinem Hauſe, werde er an
ihren Schätzen, auch den Koſtbarkeiten fremder Nationen Theil
nehmen, mit dieſen ſelbſt, ala den Handelsfreunden Sidons, bekannt
werden, und da die Stämme nach Moſes Abſicht den nachbarlichen
Thabor zum Berge des Herrn ausruffen ſollten, rechtmäßige Opfer
da, und da allein zu opfern: fo würden auch dieſe, ihre Brüder⸗
ftämme an den Koftbarfeiten des Landes Antheil nehmen.“ Sebu⸗
Ion ift, nah dem Wink Jacobs, an bie Seite Sidons gelehnt;
nad dem Bilde Moſes, ein Kind an feiner Seite, das den Zufluß
des Meers fauget, Schäbe, die es nicht felbft Holet, aber ' bie
ihm durch Sidon, feiner Nachbarſchaft und Betreibjamkeit wegen
mit zufliefien. Auch das bier befonders genannte Glas, damals
ein Reichthum von Goldes Werthe, war nicht eingebradte, jon-
dern auszuführende Phöniciiche Waare. Man fieht auch aus diefem
Segen, wie wenig Mofes ein tyrannijcher Pedant war, die Juden 99
von allem, was nicht Jude war, blind zu ſondern. Sebulon
follte die Nachbarſchaft Sidons genießen, und dur ihn und durch
die Nachbarſchaft des Thabors auch die gefammten Stämme des
Landes*). —® Iſaſchar dagegen blieb in feiner Hütte und freute
fich feiner ſchönen, oft bey jedem Schritt neuen Lanbausficht, wie
diefer Stamm wirklich ein ſolches Land überkam.
*) ©. vom Geiſt der Ebräifchen Poefie Th. 2. S. 224.
1) find offenbar nur 2) Beifien,
3) bekannt werden, und fie auf ben Berg des Herrn ruffen, recht
mäßige Opfer bafelbft zu opfern, d. i. fie die jüdiſche Religion kennen leh
ren. Daß von feinen Ausgängen aufs Meer, noch weniger von Krieges:
zügen die Rebe fey, zeigt auch die Ausmalung bes Bildes.
4) fondern
5) genießen, ja fogar fremde Völker zum Berge Jehovahs ruffen und
fie unterrichten, rechte Opfer zu opfern; Bilder und Ausfichten, bie infon-
derheit Jeſaias nachher hoch ausmalet. —
— 5 —
Zu Gab fprad er:
Gelobet jey, der Raum für Gab gemacht!
Wie ein Löwe wohnet er,
Und raubte Arm und Scheitel.
Des Landes Erftlinge erjah er fich,
Da liegt des Helden Erbtheil veitbededt,
Doch kommt er mit den Häuptern feines Stammes,
Mit zu vollführen den Rechtſpruch Jehovah'z, !
Und feine Gerichte mit Iſrael.
Der Sinn des Ganzen tft Har. Gad befam, der Geſchichte nach,
jein erftes Theil am eroberten Lande; doch gelobte er an, mit
100 Iſrael weiter zu ziehn und feine Kriege, die Gerichte Jeho—
vahs, vollführen zu helfen. Jenes ift ver Raum, den Gott für
Gab gemacht, meil er mit feinen Heerden bedrängt war: dies find
die Erftlinge des Raubes, den er von Bajans Bergen verjhlin-
get. Er muß ein tapferer Stamm gemejen ſeyn, wie es fchon der
Segen ſeines Urvaterd ſagte. Moſes ehrt ihn mit dem Bilde bes
Löwen, mit dem Namen bes Kriegesführers, zählet ihn
unter die Häupter des Volks, und ift nicht gleichgültig dar-
über, daB er noch ferner mitziehe, die Eroberung zu vollenden.
Noch in Davids Geſchichte hat der Stamm Gab tapfere Män-
ner*). — —
*) Sp weit! ift alles Har; und auch das Wort 90 in der Mitte
des 21. B. kann fiehen, wie es fteht,? und, mich dünkt, der Sinn ift deut⸗
ih. 7708 heißt bedachet, bedeckt,e alfo eigentlih in Häufern, in
1) Er erfah die Erftlinge fih, Da ift das Theil des Führers in
fihrer Wohnung, Und mit den Häuptern des Volks, Vollführt er och
das Recht Jehovahs,
1) „So weit — natürlich.” folgt in A mit den angegebenen Auberungen im Text.
2) Har: nun aber Bat bad Wort 1720 in der Mitte des 21. B. fo viel Räthfeleyen
veranlaft, das man bei ihm fogar auf den Sarg und das Grab Mofes gerathen, over häu⸗
fig den Xert verändert bat; ich laſſe alles ſtehen, wie es fteht,
3) bedeckt, wie Wohnungen bebedit werben,
— 16 —
Zu Dan ſprach er: 101
Dan, ein junger Löwe,
Wird ſpringen auf aus Baſan
Sie erinnern ſich der Wurfſchlange am Wege in Jacobs Segen,
und denken an Dans buſchiges Berg- und Hölenvolles Land.
Zu Naphthali ſprach er:
Satt von Wohlgefallen,
Bol von Segen Jehovahs,
Befige Meer und Mittagsland.
Zu After jprad er:
Gefegnet ſey vor Jacobs Söhnen Affer!
Sey angenehm vor feinen Brüdern,
Er tunkt den Fuß in Del.!
Eiſen und Erz ſeyn deine Riegel,
Wie lang dein Leben, ſey aud deine Kraft.
, Hier iſt Moſes Wunſch fehr veredelt; und der Beſchluß ift ganz 102
in des Gejeßgeberd Seele, ver das herrliche, ewige Bundeslied
machte.
Niemand, o Iſrael, iſt wie Gott,
Der in den Himmel fähret dir zur Hülfe!
Auf Aetherwollken in feiner Pracht.
Hütten verborgen. So wohnte Sad, fo wollte er wohnen, und Ifrael
lebte nody unter Zelten. Er bat um Obdach für Heerben und Kinder: ba
feine Bitte erfüllt warb, beveftigte er fich, bauete Häufer und Stäbte, deren
Eine, ohne Zweifel ihrer Sicherheit und Bebedtheit wegen, ben Namen
Sopban (4 Mof. 32, 35.) befam; er war alfo wirklich TED PPrIR, ber
Kriegsführer, der jegt unter Dach und Dede wohnte. Gott
hatte ihm Raum gemacht, ihn gefichert, ihm die Erftlinge des Landes gege- 101
ben; der fterbende Mofes erinnert ihn alſo an fein Verſprechen, als an ein
gegebene® Wort der Ehre, noch ferner mit feinen Brüdern zu ziehen, und
den Streit anzuführen. Mich dünkt, die Erflärung ift buchſtäblich, ſchlicht
und natürlich.
1) Er, ber den Fuß in Del tandt
— 1 —
Aus feiner Wohnung redt der Gott des Aufgangs
Herab den ew’gen Arm,
Und ftieß vor deinem Angeficht
Den Feind hinweg,
Und ſprach: vergeh!
Und Iſrael wird fiher wohnen
Allein:
Das Auge Jacobs fiehet
Ein Land vor fih vol ! Korn und Wein,
Und feine Himmel träufeln Than.
Beglüdtes Iſrael,
Mer ift dir gleich?
Du Boll, das Gott errettete,
Er, deiner Hülfe Schild,
Er, deiner Hoheit Schwerbt.
108 Sie werden (Schmeicheley) dir lügen, deine Feinde,
Und du auf ihren Höhen
Einhergehn !
Welch ein Gefehgeber, der alfo ſchloß! Welch ein Volk, das einen
ſolchen Gott, ſolche Hülfe, foldhe Gejeggebung und Verbeißungen
batte!
104 Siebenter Brief.
Mir kommen zu einem poetiſchen Stüd andrer Art, dem
Siegsliede der Deborah. Hier ift Poefie und Geſang. Was
dort im Liede Moſes und der Mirjam am rothen Meere tönt, tönt
bier in Wechſelchören und beynah, möchte ich jagen, in nadı-
ahmendem Tanze. Es iſt das älteſte Pindarifche Lied, das die
Welt hat, und wenn Bromn’s Hypotheje, daß urjprünglich Poeſie,
1) blicket Aufs Land voll
4 ww) xy2y
Muſik, Tanz und Gefehgebung verbunden gemweien, in allen Bey-
ſpielen, die er anführt, jo gegründet wäre, ala bier; fo wäre fie,
was fie nicht ift, Die richtigfte Hypotheſe. Auch hat dies trefliche,
aber ſchwere Lied eine Reihe guter Bearbeiter gehabt*), und ich
werde Sie! infonderheit auf die poetiiche Natur, den Siegs- und
Jubelton des Liedes aufmerlfam zu machen ſuchen. Daß Sie die
Gefhichte zum voraus leſen, ſetze ich vorher:
Da fang Deborah,
Und Barak, Abinoams Sohn,
An diefem Tage fangen fie fo:?
Daß angeführet die Führer Iſraels!
Und willig folgete das Bol,
Zobet den Herrn!
Wie treflih fängt der Gefang an! Iſrael ift eine Republil, der
Deborah nichts zu befehlen Hatte Dank an die Heerführer und
ihre Gefolge ift aljo das Erfte.
Ihr Könige, hört!
Merkt auf, ihr Fürften!
Ich dem Emigen,
Dem Emwigen will ich fingen und fpielen,
Dem Gotte Iſrael.
Die vorige Ankündigung ift alfo nur Einleitung zum Dank an ein
höheres Weſen, das Iſrael half.
*) Rüdersfelder, Mihaclis, Teller, Fette, Schnurrer,
Köhler u. a.!
1) gehabt, von denen ich auffer Michaelis, Rüdersfelder, Teller,
Lette, und den forgfältigften von allen, Schnurrer, befondbers nenne;
welchen letzten ih aber leider! mır aus Auszügen fenne. Ich nute an
meinen Borgängern, was ich nutzen kann, und mwerbe Sie
2) Sohn Abinoams, An ... fie alfo:
1) „*) Rüdersfcldev — u. a.” fehlt.
— 79 —
Ewiger, da du auszogſt
Von Seir;
Da du einherzogſt
Durch Edom:
Da bebete die Erde,
Die Himmel troffen,
Die Wolken goſſen.
Berge zerfloſſen vorm Antlitz Jehovahs,
Der Sinai vorm Antlitz Jehovahs,
Des Gottes Iſrael.
106 Das Lob fängt von Zeiten an, von denen auch päterhin bie
107
Ihönften Siegeslieder beginnen, vom Zuge Iſraels in der Wüſte,
von feiner Gefehgebung und den eriten, herrlichften, mwunderbarften
Siegen. Mofes felbit bat dazu 5 Moſ. 33, 2. den Anklang
gegeben. Was der prächtige Anfang zu diefer Schlacht thue, wird
uns das Lieb felbft jagen.
In Tagen Samgar, des Sohnes Anath,
Sm Tagen Jaels lagen db’ die Mege,
Die Straffengänger giengen frumme Pfade.
Es feyerten die Verfammlungen! Iſraels,
Sie feyerten, bis ich aufftand, Deborah,
Bis ich aufitand, die Mutter Iſraels.
Das Land war unfider, die Strafien öde: wer fih aus feinem
Haufe magte, ſuchte Schleichwege. Auch die Verfammlungen des
öffentlihen Rath, der Staatöverwaltung blieben unbefucht; die
Vormünder des Landes kamen nicht zufammen, noch weniger griffen
fie ans Werk der öffentlihen Rettung oder nur Berathichlagung.
Da magte fies, ein Weib, und ftand auf. Aus eignem Triebe
ftand fie auf, mit Rath und That die Mutter Iſraels zu werben.
Sie hatten fremde Götter ermwählet;
Da war vor den Thoren Krieg.
1) Richter
— 80 —
Kein Schild ward geſehen, noch Speer,
Bey den Vierzigtauſenden Iſraels.
Die erſte Zeile enthält die Urſache des Verfalls; die zweyte und
folgende den ärgſten Verfall ſelbſt. Ueberall Krieg: niemand wagte
ſich aus der Thür ſeines Hauſes: ringsum Anfall, und nirgend
Vertheidigung. Kein Mann zuckte ſein Schwerdt, und ohne Zweifel
war auch die Zahl der Spieſſe und Schwerdter äußerſt geringe
in Iſrael, wie es Kap. 3, 31. unmittelbar vor dieſer Geſchichte
anzeigt. Es koſtete der Deborah Mühe, auch nur den Barak zu
überreden,! daß ers mit ihr wagte; um jo mehr bricht fie jetzt mit
Dank und Lob aus für geleiftete Hülfe:
Mein Herz, ed mwallt den Gebietern Iſraels zu,
Und ihr Freywilligen unter dem Bolt,
Lobet den Emigen.
Ihr Neiter auf weißen Efelinnen,
Ihr Siter auf köſtlichen Deden,
Ihr Wandler auf Strafien, dichtet Gejang.
In beyden Säten jehen wir die Stände der damaligen Republit,
Gebieter, die aufforverten, Bolt, das folgte, beyden dankt
Deborah. Reiter auf weißen Ejelinnen, und die noch dazu
auf geftidten Deden über ſolchen faflen, wenn fie reifeten, d. i.
Vornehme, Reiche, und folde, die zu Fuß wandern
mußten; beyde follen an bie vorige Unſicherheit, V. 6. 7. 8. an
die jetige Ruhe gedenken, und mit ihr anheben Gefang.?
Ein Lieb zur Stimme der Hirten, die zwifchen den Schöpfe-
brunnen
Waſſer den Heerden theilen aus:
1) bereben,
2) Geſang. Daß das Sigen auf Deden zum vorhergehenden
Reiten gehöre, ergiebt der natürliche Zufammenbang, vor- und rückwärts.
Keine ſchöne Efelin, feine reiche Dede über fic gebreitet, war bisher auf
Landftrafien ficher geweſen; jetzo iſts anders. — Alte follen alfo, die dadurch
gewinnen, Reich und Arme follen Geſang dichten, wovon?
Denn dafelbft werden fie fingen die Thaten Jehovah,
Seine Thaten wird preifen das Landvolf Ifſraels,
Dann zieht es fingend in die Thore das Volt Yehovahs.!
Eine Einleitung zum Schlachtgeſange, der fogleih folgen wird.?
Der Schauplat des Sieges foll auch der Ort des Gefanges werden
und die Stimme des Volls, das den Sieg erfochten hat, ſoll aud
das Andenken defjelben erhalten. Am Thabor, zwiſchen den Bächen
109 des Kifon war geftritten: die Negenzeit und das Auffchwellen der⸗
felben Hatte ihnen zum Siege geholfen; bier fol alfo auch fünftig
die Feyer dieſes Tages leben.? Sie wiſſen, wie ehr bey Hirten-
völfern,, zumal im warmen Drient, Brunnen und Schöpfequellen
die Verfammlungsörter de Volle find, mo ausruhend * Lieder
gefungen, alte Thaten gepriefen werden; und wovon konnte in
dieſer quellveihen Gegend würdiger und füglider gefungen
werden, als von der That, die bier geihah, Pie dur das
Landvolk gefchehen, durch die das ganze Land errettet mar,
e
1) Bon der Stimme der Schilßen zwifchen den Schöpfebrunnen; Da
werben fie ſingen, die Thaten Jehovah, Die Thaten feiner Mächtigen
Iſraels, Als einzog in die Thore das Volk Jehovahs.
2) Eine kurze voransnehmende Beſchreibung der Schlacht, die bald
eigentlicher folgen wird.
3) „Der Schauplatz — leben.” Dafür in A: Alle vorher angeredete
follen auf ein Lieb fiimen, und das Beldgefchrey, der tapfre Auf der
Streitenden zwifhen ven Bädhen des Tabor fol ihnen dazu gleich-
fam den Klang geben. Hier gefhah die Schlacht am Wafler Kifon (Kap. 4,
7. 13.) Schützen warens, die bier infonderbeit in den engen Päſſen
firitten, wo Siflera mit feiner Macht und feinen Streitwagen nicht wirfen
tonnte. Diele Bälle find eben die Thore, in die, nach der vierten Zeile,
das Bolf zog, in melde fie die Mächtigen führten. Abermals alfo werden
beyde Stände genannt, und zwifchen biefen Ouellen und Engen und Wafler-
bächen wird der Ort der Schlacht genau bezeichnet. Hier am Thabor
erſchallte ihr Schlachtgefang, und da foll künftig, ale an einen vielbefuchten
Orte, ewig das Andenken diefe® Tages leben.
4) ausrubend daran
Herders ſämmtl. Werke. X. 6
— 23 —
und ! von der die raufchenden Duellen gleihlam noch wieder:
tönten??
Wohlauf! wohlauf! Deborah,
Wohlauf! wohlauf! und dichte Geſang.
Erhebe dich, Baral,
Führ deine Gefangene vor, Abinoams - Sohn !
Die Anmunterung ift dem Iyrifhen Gejange ganz eigen. Wie
Pindar fo oft? fich felbft, fein yeAov 1roe anmuntert, wie David
jo oft Herz und Seele aufruft, wenn beyde ſich zum höchſten Fluge
ihres Gefanges rüften: fo wedt fi Deborah ſelbſt, da fie jetzt die
eigentlihe Befhreibung der Schlacht anhebt, und gleid-
ſam ben tapfern Kampf noch Einmal zu kämpfen ftrebet. So 110
muntert fie auch Baraf an, daß er aufftehen und feine Gefangene
vorführen, d. i. Triumph halten fol in ihrem Lieve. Daß bey
den Alten dieß geſchah, daß bey einem folden Freuden⸗ und
Gefangfeft die Beute vorgeführt, die Gefangenen auch oft zum
Spott dargeftellt werben, daß viele Völker ſelbſt die Thaten, Die
vornehmiten Handlungen des Krieges, tanzend ober fingend in
Geberden nachmachen, ift eine befannte* Sade. Laſſet uns jest
jehn, was geſchehn ſey, und wie es bewirkt worden? ®
Da zog ein ſchwacher Reſt aus, Helden entgegen,
Jehovah's Volk zog mit mir, entgegen den Starken.
Aus Ephraim kam ihr Anfang, die Bewohner Amalelg:®
Mit ihn Tamft, Benjamin, du mit deinen Völkern!
1) „die durch — war, und” fehlt.
2) wiedertönen? Daß diefe Erklärung wahr fey, zeigt die Folge:
denn nun muntert fih Deborah auf, ihnen gleihfam den Gefang vorzu-
dichten, die Schladht vorzumalen:
3) Die Anmunterung follte niemanden fremde dünken, der Pindar
oder die Pſalmen gelefen. Wie jener fo oft
4) ift befannte 5) und wie es geichehen?
6) Es zog das lieberbliebene zu den Helden, Jehovah's Bolt zog
mit mir unter Tapfern. Aus Ephraim kam ihre Wurzel auf Amalet:
111
— 83 —
Aus Machir kamen die Kriegesführer,
Aus Sebulon, die den Stab der Mufterung ! trugen.
Die Fürften Iſaſchar waren mit Deborah,
Iſaſchar, die Schugwehr Baraks,
Sprang mit ihm hinab in das Thal.
Nur an den Bächen Rubens war gar viel Berathung:
Warum ſaſſeſt du da zwiſchen ven Hürden, Ruben ?
Zu hören etwa das Blöden deiner Heerden ?
D an den Bähen Rubens ift gar viel Berathung.
Gilead auch — es wohnt ja über dem Jordan:
Auch Dan, warum follt! es ſonſt an Schiffen wohnen?
Auch Affer fitet am Meeres Ufer ftille,
An feinen Buchten wohnt er ficher ja.?
Aber Sebulons Volk verfhmäht dem Tode fein Leben;
Auch Naphthali erfcheint? auf der Berge Höhn.
Dies ift der Kriegszug, wie treffend, wie Republikaniſch. Mit
Lob und Schande wird genannt, wer fam und davon blieb. Da
die Feigen nicht geftraft werden konnten, werden fie mit der Zunge
112 des Siegsgeſanges verſchmähet. — Der Eingang zum Zuge ift alle
gemein: wenige, Ueberbleibjel eines unterbrüdten Volks
ziehn den Mächtigen entgegen; durch fie, Deborah, ift der Zu-
fammenruf gejchehen! die Stämme werben genannt, wie fie ihr
folgten. Eine Ephraimitin war fie; Ephraim bat alfo bie
Ehre des eriten Range. Auf dem Gebürge wohnte fie, da ift
aljo die Wurzel des Heers und des ganzen Zuges; ohne
1) Zäblenben
2) Deborah, Iſaſchar und Barak fprangen ind Thal. Nur in den
Triften Rubens War viel Gedankenrath. Warum faffef du da zwifchen
den Hürden? Zu hören etwa das Blöcken der Herden? O in den
Triften Rubens Iſt viel Gedanken-Rath. „Silead wohnt ja über
dein Jordan: Auch Dan, was foll er Schiffe fürchten börfen? Aller
figt au Meeres fer, An feinen Krümmen wohnet er.“
3) famı
6*
— HA —
Zweifel! hieß Amalef, die Gegend des Gebürges, wo fie wohnte,
oder wo ihr die erfte Hülfe kam. Auf Ephraim folgt Benjamin,
Manaſſe, Zabulon, das zulegt mit Naphthali (B. 78.) nochmals
genannt wird. Die Stämme feinen fih zu ihr geſammlet zu
baben, wie fie fie nennet: fie lagen wenigitens jo in ihrem Wege.
Aus Ephraim gieng der Zug, Benjamin, das Hinter ihm liegt,
folgte. Es gieng durch Manaffe und Iſaſchar; Sebulon traf dazu,
in deilen Gebiete Thabor lag; nun waren fie an Urt und Stelle.
Ruben kam nicht mit: es ruhete, fagt der Spottgejang, zwifchen
den Träntrinnen jeines Viches, und hörte das Blöden der Schaafe:
für lauter Gedanken und Ueberlegung fann es nicht mitziehn. Daß
e3 die allgemeine Gewohnheit alter Völker bey ihren Siegsfeften
gewejen, die Feigen, die Zurüdgeblicbenen mit Schunpf zu ftrafen,
bezeugen alte und auch noch jet von ungebildeten Nationen neue 113
Schriftſteller. Schimpflider kann Ruben nicht gemahlt werben, als
in dieſer politiichen Weisheit neben feinen Tränkrinnen, beyın Klange
der blödenden Muſik, die es nicht aufgeben wollte. Sie halten fid)
hinter ihrem Sordan fo fiber, al Dan, der See nahe, in feinem
Uferlande, wo es fich allenfalls auf Schiffen retten Tann. So
bleibt auch Afjer an feinen Ufern und Budten;? „die Kananiter
werden niemals zu Schiffe kommen: wir dörfen nicht helfen.‘
Aber Sebulon und Naphthali find da und fie? erhalten die ſchönſte
Krone. Jene, die vermuthlihd am meiften vom Feinde litten, da
ihr Stamm das Kriegsfeld war; diefe, ihre Mitgehülfen,? wackre
Bergbemohner. Das horazifche prodigus anime magnæ ift bier
Ihon in dem älteften Siegeslieve der Welt; es ift auch, mie ein
erhabner,5 fo der natürlichfte Gedanke. — Zwiſchen Iſaſchar und
1) Heers. So nehme ih das Wort Wurzel (für Anfang, Anfang
der Kraft und Bemühung); ohne Zweifel
2) Klange der Mufit, die es nicht aufgeben will, in feinen weilen
Herzensrathe. Sie halten fi hinter ihrem Jordan fo fiher, als Dan,
obgleich der Ser nahe, in feinem Gebürg- und Hölenlande- vor feindlichen
Schiffen. So bleibt auch Aſſer an feinen Ufern und Krümmen;
3) Naphthali kommen, fie 4) Ditgehitlfen und
5) wie der erhabenfte,
— 85 —
Ruben wird jetzo das Loos verwechſelt. Im Segen Jacobs lag
jenes zwiſchen den Tränkrinnen; jetzt thuts dieſes, und jener,
der Eſel, ſpringt mit Barak, gleichſam mit leichten Füſſen, hinab
ins Thal. Wir eilen, da wir Die Völker kennen, die Schlacht
ſelbſt zu jehen. Da die Feinde ihnen jo überlegen find, mas
fann? mas wird helfen?
114 Die Könige famen: und jtritten,
Die Könige Kanaanz ftritten,
Zu Taanach, bey den Waffern Megiddo.
Ihre Luft nah Silber ftillten ! fie nicht.
Dies ift das Eine Heer, und das andere:
Vom Himmel ftritten die Sterne,
Aus ihren Reihen ftritten fie mit Sißra,
Die Bäche Kifon rollten fie weg,
Die gewundnen Ströme, der Kifon —?
Tritt, meine Seele, mit Kraft einher.
Da klapperten ftrauchelnd die Hufe der Roffe,
Sie ſchlugen, ſie ſchlugen zurüd die Nofje der Tapfern — —
Zurüdgemandt nemlich, da fie jegt nicht Schnell gnug flichen konnten.
Wie ftarf und natürlich ift die Beichreibung des Sieges! Ihre
Macht that es nicht, fondern die Gegend, die Jahrszeit, Zu—
fälle göttliher Hülfe. Dort waren Viele, Könige über Könige,
mächtig, ſchon Siegs- und Naubes gewiß, fie dürfteten nach Beute,
die fie aber diesmal nicht einpfiengen. Hier war der Himmel gegen
fie im Anzuge: die Kriegsordnungen, dic Reihen der
115 Sterne:? Gott felbit führte gleichfam fein himmliſches Schladht-
beer auf. Und mie ftritt? wie wirkte dies? Wie die Folge jagt,
dadurh, Daß die Bäche [hmwollen, die Ströme von den
Bergen in die engen Thäler niederftürzten, und Roß
1) exfillften
2) Die Ströme Kedumim, die Bäche Kifon —
3) Kriegsordnungen (nicht die Kreife) der Sterne:
— 56 —
und Mann zurüdftieffen, hinwegſchwemmten.! Schnelle Ueber»
ſchwemmung war aljo die Urſache des Siege, und dieſe kam
vom Himmel; fie ward bey allen alten Nationen Waſſerbrin—
genden Sternen zugefchrieben, fie fam vom Gott des Himmels
und der Sterne. Es mochte immer feyn, daß Deborah auf diefe
Gegend, auf diefe Regenzeit und ihre Ueberſchwemmungen?
gerechnet hatte, als fie Barak ausfoderte, und von Ephraim aus
fo weit nördlich zog, ihren Feind da zu erwarten; der Gott Iſraels
aber wars, der ihre? Unternehmung über alle Erwartung beglüdte.
Ungewöhnliche Regengüffe fielen ein: da ftrauchelten die Roſſe und
die Rüſtwagen, die Sfrael nicht hatte und bier nicht brauchte,
thaten den Feinden jelbft* Schaden; mitten im Getümmel ber
Niederlage ruft Deborah aus:° tritt, meine Seele, mit
Macht! ala ob fie fich über den liegenden Leichnamen fühle. Jetzo
jehen wir, warum jene Befchreibung der Erjcheinung Gottes mit
triefenden Waffern und bredenden Himmelsmwolfen
(B. 4.) den Gefang anfing? Die Ungemitter, mit denen Gott in
der MWüfte von den Bergen aufbrah und mit dem Heer fortzog, 116
verwandelten fih hier in ftrömende Regen. ®
Fluchet Meros, ſpricht der Bote Zehovahs, ?
Fluchet Flüche feinen Bewohnern!
Sie famen nicht mit zur Hülfe Jehovahs,
. Zur Hülfe Jehovahs in feinem tapfern Heer.®
1) Mann zurüdrolten, zurückſtieſſen, wegſchwemmten.
2) Gegend, biefe engen Thäler und Ueberföwemmungen
3) wars, der in ihr rechnete, durch fie rief, und ihre
4) ein: ihre Roffe ftrauchelten, ihre Rüflwagen, die .... brauchte,
tbaten ihnen felbft 5) Deborab:
6) „Die Ungewitter — Regen.” Daflir in A: Bon einem Ungewitter,
wohin es gemeiniglich gedeutet wird, fehe ich bier nichts; es ſteht fein Wort
davon in der bier jo genau befchriedenen Urſache des Sieges. Die Yeinde
find dur Regengüſſe und Ueberſchwemmung in den engen Thälern zwiſchen
ben Bächen Kifon und Kebumim in bie Flucht geehrt, und wie gebets
weiter?
7) ſprach der Engel Jehovahs 8) in ſeinen Tapfern.
— 87 —
Geſegnet unter den Weibern ſey Jael,
Des Keniten Hebers Weib, !
Unter den Weibern der Hütte ſey fie gejegnet.
Waſſer foderte er; fie gab ihm Mil,
In prächtiger Schale brachte fie ihın beraufchende Milc;?
Und die Hände griffen zum Nagel,
Die Rechte zum fchweren Hammer Bin;
Und ſchlug auf Sißra, zerihlug ihn jein Haupt,
Zerquetſcht', durchdrang ihm die Schläfe.®
Zu ihren Füffen lag er gefrünmt,
Sank, und entichlief zu ihren Füflen,
Er krümmete fih und ſank:
Gefrümmet fiel er und war dahin — —
117 Wie nachbildend und gegenwärtig die Beichreibung fey, jagt fid
von felbft. Die Handlung der Jael wird hier nicht in einer mora⸗
chen Predigt, fondern in einem Siegsgeſange gepriejen, als eine
patriotiihe That, .ald die Befreyung Iſraels vom Haupt ihrer
Feinde. Ueber Meros, (einen und unbelannten Fleden) wird Fluch
ausgerufen, weil es Iſrael nicht zu Hülfe kam, und Dagegen die
Befreyerin Jael von der Deborah, ein Weib von einem MWeibe,
gepriefen.* Statt Kühlung gab fie ihm beraufchenden Tranf;
1) Weiber Sey Iael, das Weib des Keniten Hebers,
2) brachte fie Buttermild.
3) Die Rechte zum Hammer der Arbeit. Sie ſchlug auf Siſſera,
und durchbohrte fein Haupt, Zerſchnitt, durchdrang ihm die Schläfe.
4) Fluch ausgerufen, vermutblich weil e8, (dem Gegenfate nach zu
urtheilen) Ifrael felöft bey ber Flucht feiner Feinde nicht zu Hülfe kam,
und biefen vielleicht fihern Durchzug verftattete. Wer auf bie Jael fchilt, weil
fie einen Freund [Feind ?] in ihrer Hütte umbrachte, muß die ganze Kriegsart
der damaligen Zeit verlennen, und fi überhaupt von einen mächtigen
Feinde unterbrüden laſſen, ohne die Hand zu regen. Im defien Seele that
wohl auch Deborah und Ifrael Unrecht, daß fie fih wehrten? nur freylich
nicht Siffern, daß er unterbrüdte. Was hatte er mit feinen Kriegsmagen
in Ifrael, was hatte er in der Hütte feiner Feindin zu thun, und jet von
ihr Wafler zu begehren?
— BB —
Nagel und Hammer ward ihr flatt Schwerdtes. Eine Weiberhand
follte den Helden perfönlih fällen, wie ein Weibermuth mit Wenigen
fein tapferes Kriegäheer ſchlug. Dies ift der Punkt, um ben Deborah
ben Preisgefang windet. Das Heer tft auf der Flucht; wie kommts
nah Haufe? wie wird der Triumphirer Siffera erwartet?
Durchs Fenſter ſah und heulte die Mutter Sißra.
Durchs Gitterfenſter weinete ſie:
„Warum weilt ſein Wagen, zu kommen?
„Warum zögert noch das Raſſeln ſeines Geſpanns?“
Ein tiefer! Zug im Herzen der Mutter! Sie iſt die Erſte, Die
Unglüd ahndet, deren Bruft feinem? Anblid entgegen pocht. Die 118
Weiberſcene geht immer noch fort im Munde des Weibes,
Die Weiten ihrer Frauen antworteten ihr:
Und fie auch kehrte das Wort um zu fich ſelbſt:*
„Wie? jollen fie denn nicht Beute finden und theilen?
„Eine Jungfrau, zwo Jungfrauen für Einen Mann:
„Farbige Kleider für Sißra,
„Farbige Kleider und Goldgeftid,
‚‚ Bunter, doppeltgeftidter Halsfhmud,
„Alles für Siffera Beute — —
Der Spott ift bitter; im Munde der Deborah wollte* er aber auch
nit ſüß ſeyn. Die Feinde famen zu rauben, und jo fonnte man
fie doc Hönen, daß fie jo wenig erlangt haben? Deborah, als
Weib, nimmt fi injonderheit der meiblihen Beute an. Die
Mädchen jelbft und ihre Eoftbarften Kleider hätten in Feindes Hände
geſollt: darauf freueten ſich jene, die Beute theilten fie ſchon unter
ih und ihre Weiber. Diefe, des Sieges ihrer Männer gewiß,
legen jelbft das Ausbleiben derjelben ® darauf aus; und fo webt
1) Tiefer („Ein fehlt.) 2) abndet, die feinem
3) Und fie erwiederte felbft fi ihre Worte:
4) Deborah und der Zeit, der Verfaffung mwolfte
5) derjelden ſchon
— 89 —
119 Deborah das Geſpräch der meifen Gefellfchafterinnen der Fürftin
ein, wie fie fi fobald tröften läßt, und bald felbft ihre Hofnungen
erwiedert; Hofnungen, die, da man den andern Ausgang weiß, fo
betrogen, fo jchimpflih tönen —
So fommen um al’ deine Feinde, Jehovah!
Und die ihn lieben, feyn wie der Sonne Aufgang,
In ihrer Jugendkraft!
Finden Sie mir einen Geſang, der dieſem beykomme, unter ſolchem
Volk, in ſolchem Zeitalter! der ſo heldenmäßig, und ſo genau, ſo
ſchwungvoll, und von Zug zu Zug ſo weiblich ſey in Beſchrei⸗
bung der Gefahr, der Noth, des Sieges, des Danks, des Aus-
gangs, des Hohnes.
Achter Brief.
120 Sie haben Recht, das ganze Bud der Richter (ober viel-
mehr der Befreyer, der Helden) enthält poetiſche Beiten.
Unficher zwar, oft! zerrüttet und graufam; zugleich aber lebte die
erfte Machtiproffe des Volks damals, das fich noch nicht lang ins
Ihöne Land gejeßt hatte, und dem jein freyes Ruheleben unter
Hütte und Weinſtock ſüß jchmedte. Gefährliche Zeiten ermweden
immer auch magende Seelen, die Noth des Polls wedt einen
Helden,? der vor fie trete: und fo zog hier der Geift des National:
gottes, Jehovah Einen? nad) dem andern mit Kraft an. hr
unternehmender Geist theilt fih auch der Beichreibung mit, umd
die Geſchichte Gideons, Jephthah, Simſons mit ihren Erfcheinungen,
Proben, Träumen, Gelübden, Abentheuern, Räthjeln werden einem
jugendlichen Xefer wie die Geichichte eines Jugendtraums dünken.“
1) Unficher, oft 2) Seelen, Notb des Bolts einen Helden,
3) Geift Gottes Einen
4) werben jeden jugendlichen Leſer als Geſchichte feines blühendſten
Lebens dünken.
— % —
Die Fabel Jothams iſt, als heroiſche Fabel, zu ihrem Zwed
betrachtet, die ſchönſte, die je gemacht ward, und man ſiehet aus
der Wirkung, die ſie that, daß ihre Sprache ans Herz gieng, und
alſo verſtändlich ſeyn mußte. (Kap. 9, 7:20.) So gehts in die 121
Bücher Samuels und der Könige hinein. Der Anfang von
der Geihichte des Erſten, jo vieles in der Geſchichte Sauls und
der Verfolgungen Davids; unter den Königen infonderheit die eins
gefchaltete Geſchichte der Propheten, Elias, Elifa, Amos, das Leben
und die Himmelfahrt des Erfigenannten, der Tod jenes, den ber
Löwe zertrat, und fo viel Andres, find Meifterftüde hiſtoriſch⸗
poetifher Erzählung; das Wort poetiſch nemlih nur fo
genommen, daß es bie finnlichfte, wahrſte, nachahmendſte Beſchrei⸗
bung der Sache bedeutet, wie fie fih in ihrem Zeitalter zu—
trug, und von den Mitlebenden angejchen! wurde Aus
dem lesten folgt nothwendig, daß dieſe Stüde nach der Gefangen-
haft nicht haben gefchrieben feyn können. Da wars mit den
Zeiten der Poefie aus; weder Sprade, noch Einbildungstraft, noch
Zuftand der Nation Hatte Nahrung für fie: wie ja jedem, ber
einiges Gefühl hat, die Bücher Eſra und Nehemia augenſcheinlich
zeigen.” Sollten alfo au, wie faft nicht zu läugnen ift, Einſchal⸗
tungen in dieſen, jelbft in den Büchern Moſes jeyn; fo beweifen
eben dieje Einfchaltungen ‚,? die meiſtens geographiſch- oder Bifto-
riihe Nandglofien find, das Alterthum des Tertes, den fie
erläutern. Er muß aus alten Zeiten ber ſeyn, da ſchon damals 122
folde Erläuterungen nöthig waren, und ih wünfchte, wir hätten
ihrer bie und da mehr. Zwo Reihen eines folden Zuſatzes, wie
fih 3. E. Saden und Namen geändert, fchlieffen mehr auf, als
Bände heutiger Muthmafjungen und Räthſeleyen. Webrigens zeigt
der Verfolg diefer Nachrichten, daß Alles, obgleih fo zufammen-
gejhoben, gewiß nicht von Einer Hand ſey. Auch daß die Bücher
1) bebente, wie .... zutrug, und angefeben
2) Nation in ihrer erften finnlichen Blüthe nährte fie mehr; mie ja
für jeden, ver .... Nehemia zeigen.
3) beweifen ja eben dieſe Stellen,
der Chronif, als eine Nachlefe Hiftorifcher Sammlungen unter den
beiligen Schriften die legte Stelle haben, zeigt gnugfam, daß es
den älteften! Sammlern nicht gleihgültig war, wo, oder wie fie
etwas Hinjegten? Ohne Zweifel fanden dieje ſchon die ältern Bifto-
rigen Bücher gefammlet da, und benannten fie deswegen aud)
mit dem Ehrennamen der ältern Propheten.
Meine Abficht ift nicht, dieſe Bücher zu durchgehen, und jede
Schwierigkeit, die ihnen gemacht it, aufzulöfen. Außer den Com:
mentatoren bleibt Lilienthals gute Sache mohl das Haupt-
bud, dem fodann die Schriftfteller zunächſt an die Seite treten,
die befonders einzelne Zeiten und Lebensläufe behandelt haben.?
So haben mir 3. €. über das Leben Davids drei nicht zu verach⸗
tende Schriftfteller, Delany, Aden, Chandler. Der erfte ift
123 ein? gutberziger Irrländer, der viele Stüde gut gefaßt, wohl
erläutert, in andern aber * fo feltfame Meynungen bat, daß man
das übrigens fehr unterhaltende Buch Theilmeife nicht ohne Vers
wunderung liefet. Windheim hats überjegt, und feiner Gewohnheit
nad, mit langen, aber ſchlechten Noten vermehret. Aden, unfer
Landsmann, fchreibt ftarf und edel. Da er aber gegen Baile
\chreibt, und zu fehr epanorthifiret, auch übrigens David nicht zum
großen Sfraeliten » Könige mit Fehlern und Tugenden,? wie fie in
der menfchlihen, zumal Königsnatur find, fonden zu einem
Glauben3- und Lebenshelden machen will, fo ſchwirrt die zu
Itraff angezogene Senne öfters über. Ueberhaupt madt ein zu
anhaltender ” Nedner- und Kanzelton, wenn er auch der beite feiner
Art wäre, in Büchern diefes Inhalts bald matt und müde, movon
ih Ihnen mehrere Exempel anführen könnte. Es war eine Zeit
1) Auch die letzte Stelle, die die Bücher ber Chronit, als Nachleie
biftorifher Sammlungen unter den heiligen Schriften haben, zeigt gnugfam,
daß auch den älteften
2) dem die zunächſt .... behanbelt, 3) ein einfältiger,
4) aber (3. E. im Podenpfalne) 5) Größen
6) will; fo zittert oftmals die zu flraff gezogene Senne über.
7) angebaltner
— 2 —
in Deutſchland, da ſolche Schreibart Beredſamkeit, ſchöner Styl
hieß, und man glaubte ſich dadurch nach Boſſuet, Maſſillon, und
ih weiß nicht, nach wem mehr? zu bilden. Selbſt die Moshei⸗
mifche Schriften werben uns Theilmeife, wegen diefer zu fchönen
und ausführliden Beredſamkeit, jegt zumeilen fchwer zu lefen;
damals war ed Ton der Zeit. Der britte Lebensbeſchreiber Davids,
den ich nennen wollte, ift Chandler,*) der Durch feinen Weber- 124
jeger und Anmerfer fidher gewonnen bat. Er bat zur Erläuterung
mander Pjalmen viel Gutes, wie fein Ueberfeger auch Einiges in
der Geſchichte Simſons aufzuklären gefucht hat. — Die befte Xebens-
beſchreibung Davids und Salomo liegt in ihren eignen Schriften,**)
verbunden mit den Umſtänden ihrer Geichichte, Die angenehmiten
Belege ihrer Art. Die fchöne Elegie Davids auf Jona-
tban (das ältefte und vielleicht befte Stüd dieſer Gattung) ,! die
fürzere Elegie auf Abners Tod, fein eigner Abſchied, oder jo
genannten legten Worte find jchöne poetifche Stüde. Ich über:
jeße die erſte nicht, da fie fo oft überfegt, umfchrieben und nad)
geahmt ift; die Todesllage über Abner aber ift kurz, (menigftens
wir wiſſen fie nur in Einer Strophe) und wegen ihrer Biederwahr-
heit mir immer rührend gemwejen:?
Iſt Abner, wie ein Feiger ftirbt, geftorben ?
Nein! deine Hände wurden nicht gebunden !
Und deine? Füße wurden nicht gefefjelt!
Wie man vor Buben fällt, fo fieleft du. —
— oo...
*) Ehandler’s Leben Davids von Dietrich überſetzt.
*+) Niemeier's Charakterifiil der Bibel gehet durch die ganze bib-
liſche Geſchichte, und ift zu bekannt und beliebt, als daß fie meines Lobes
bedörfte.!
1) Gas erſte und vielleicht beſte Stück feiner Gattung),
2) Biederwahrheit vorzüglid rührend:
3) geftorben ? Deine .... gebunden! - Deine
ı) **) Niemeier's — bebörfte. fehlt."
126
— 93 —
Die letzten Worte Davids ſetze ich ohngefähr in die Claſſe der
letzten Worte Moſes, nur jener ſpricht zum ganzen Volk, als
der große Geſetzgeber, Erretter und Wohlthäter deſſelben; dieſer
nur und leider als König zu feinem Geſchlechte.! Jenes it
Lied des Ruhmes einer Nation, dies einer Familie; beyden
aber tönet ihr Preis aus dem Munde der Stifter.
So ſpricht David, Sat Sohn:
So fpridt der Mann, den Gott erhöhet hoch,
Den Jakobs Gott zum Könige gefalbt,
Der Tieblide Pfalmenjänger Iſraels.
Geift Gottes ſpricht in mir,
Auf meiner Zunge tft fein Wort.
Es ſprach zu mir Iſraels Gott,
Es ſprach zu mir Iſraels treuer Schuß.
„Ein gerechter Herrſcher über die Menjchen,
„Ein gerechter Herrfcher, wie Gott verehrt:
„Wie Licht am Morgen, wird er aufgehn:
„Wie die Sonn’ aufgeht
„Am Morgen; und die Nebelmolfen ſchwinden
„Bor ihrem Glanz:
„Und von dem Thau
„Sprießt zartes Gras aus der Erb’ hervor.”
So ſprach er, und fo fteht mein Haus
Denn veft mit Gott.
Denn er fchloß mit mir einen emgen Bund,
In allem veft und treu und wohl verwahrt?
Und das ift al’ mein Glück, al’ meine Freude.
1) ſpricht zum Bolt, und diefer zu feinem Geſchlechte.
2) So ſpricht David, der Sohn Iſai, So jpridt der Dan,
geftellet Hoch! Ein Gefalbeter des Gottes Jacob, Beliebt in
Pſalmen Iſrael.
— 4 —
Und fo denn werden aud die Beliald nicht wurzeln,!
Herausgerißne Dormen find fie alle:
Man faßt fie nicht mit Händen;
Der Mann, der fie anrühret,
Hat feine Hand voll Spieß’ und ſcharfer Lanzen,
Mit euer verbrennt man fie; daß auch ihr Ort nicht mehr ift.?
Der dunkle Spruch, alſo gefegt, wird, dünkt mid, verftänblich,
ſchön und natürlidh, in? jedem Wort ein wahres Familienſtück, die
legten Worte eines abjheidenden Königsvaters. Es 127
ſprich ein Mann, den Gott und zwar zum Könige
Iſraels erböhet, deſſen Gefchleht ex vom Hirtenftabe fo hoch
hinauf gebracht hat. Wird ers wieder finten Iafien? fol, wie in
alten Zeiten in Drient es oft geſchah, die Familie wieder klein
werden? Dem Sterbenden liegt dies fehr am Herzen, daran
bängt jegt all’ fein Wohlfeyn, feine Kümmerniß
oder Yreude An Mifvergnügten fehlts nicht, die ihm
und feinem Haufe ewige Rache geſchworen; werben dieje wurzeln
oder fein Haus? Der Sterbende hat lebend an ihnen alles ver-
ſucht, aber vergebens — — Unfihre Dornen find fie, und fo
läßt er fie nad. Wer fie fanft anrühren will, fticht ſich“— blutig;
Feuer ift der befte Lohn, den fie verdienen — — Und fiehe,
Der Geiſt Jehovahs ſprach in mir, Auf feiner Zunge war fein
Wort. Es ſprach mir der Gott Iſraels, Es ſprach mir ber Fels
Iſraels.
„Ein Herrſcher über die Menſchen, Ein gerechter Herrſcher in
„Gottes Furcht; Wie Licht am Morgen wird er aufgehn, Wie die
„Morgenſonn'. Vor ihrem Glanze fliehn die Nebel, Und Erden⸗
„grüne ſprießet auf vom Thau.“
Nein! auf Gewalt ift micht mein Haus gegründet; Ein ew'ges
Bundniß ſatzt' er mir, In allem veft und treu;
1) Er wirb nit wurzeln laſſen die Vermworfuen,
2) daß fie nicht mehr find.
3) Der Spruch, alfo gefett, wirb, dünkt mich, durch fie verftänblich,
natürlich, ſchön, in
4) fi) und anbre
— HH —
David iſt ſicher über fie und über die Wohlfahrt feines
Hauſes, nit durch ein Menſchenbündniß,! fondern durch einen
göttliden Ausſpruch. Der Gott, der nie trügt, ber Fels
Iſrael, Bat ihm ein Orakel gegeben, das er V. 3. 4. in hoher
Gottesſprache anführt, zu dem er in den erften Verfen mit demü-
thig = ftolgen Lobe fein jelbjt in der Sprade der Götterfprüche
Bileams redet,? und über welches Sie den 72. Pſalm und 2. Sam. 7.
128 als Commentar lefen mögen. Dies Wort Gottes ergreift er, als
einen ewigen, unverlegbaren Bund, als ein Gelübde, das
Gott nicht brechen könne, nicht bredien werde. Aus wirds bald
ſeyn mit den Häffern feiner Familie wie mit ausgerifienen Dornen;
dagegen mit den Seinen ein neuer Morgen aufgehen joll, von defjen
Glanz; und Thau milliges zartes Gras der Erde aufiproßt.* Der
Tönigliche Vater ftirbt rubig.*)>
*) Sie fehen, daß ich den Gottesſpruch des Orakels von -57% anfange,
wozu mich denn der Zuſammenhang und ber 72. Pfalm führet. licher das
RSS bes 5ten Verſes habe ich noch nichts befriebigendes gelefen, ob-
gleih der Sinn des Stüdes im Ganzen Mar if. Sollte Bier nicht ber
Fehler einer frühen Abfchrift vorwalten, die da fie jo viele Glieder der Rebe
mit "> und den folgenben Vers mit NS=I2 anfangen mußte, dieſe beiden
Worte, die völlig wegbleiben können, an eine unrechte Stelle jegte? Denn
daß die Glieder mehrerer Verfe nicht recht abgetheilt find, wird kaum jemand
läugnen.!
1) nicht durch eigne Macht und Menſchenbündniß
2) „zu dem — rebet,” fehlt.
3) brechen Tann, nicht brechen wird.
4) Familie — — („wie — auffproßt.“ fehlt.)
5) Der königliche Vater ftirbt rubig-
Dies ift der Zufammenbang; aber, mi dünkt, Sie fragen, ob er
gewiß fey? Schr gewiß. Die Aenberungen, bie ich gemacht habe, find
Interpunttion , die fich felbft vechtfertiget, ober die Verſetzung zweener Bin-
dungspartiteln I, >, die in ber Rede nicht® ändern, und ber Interpunftion
folgen; fonft wird fein Buchſtab, feine Sylbe geändert. Die zwei erften
Berfe bleiben, wie fie find; im britten fee ich das "> Hin, wo es offenbar
1) „r) Sie — läugnen.“ fehlt.
— 9 —
Die Gedichte der Könige, wünſchte ih, läſen fie mit den
Propheten und diefe mit jenen. Bon den wictigften Propheten
hingehört “37; denn der Gottesſpruch, ber baranf folgt, Bezieher fich
darauf, al8 auf feine Guelle. Diefen fange ih von >57D an, wie es die
nun anbebende Bilderſprache und der offenbare Parallelismus fodert. Leſen
Sie darüber 2. Sam. 7. und Pf. 72. fo darf ih fein Wort zur Erlänterung
binzufegen; die Bilder ſelbſt fogar ſtehen in dieſem Pſalm. Ich laffe im
Orakelſpruch das ? vor TIRI meg, und ſetze es mit > im die folgende
Reihe, das andre Glied des Parallelismus, vor ÖAW, wie offenbar der
Zuſammenhang fodert, fchliefle biefe kurze Zeile mit AI, die folgende mit
92, und laffe, wie ber Parallelismus gebeut, den Gottesſpruch mit
YN2 endigen. Nun fangen die Zeilen an, die fo viel Rätbfelegen ber-
vorgebracht, und mo infonberbeit in ber erften das N> fo anftößig geweſen.
Auch mir ſchiens Tange aljo, fowohl dem Inhalt des vorigen Gottesfpruchs,
als dem Nachſatz, dem zweyten Gliede bes Parallelismus und dem med
des ganzen Segend entgegen. Ich hatte Luſt, es hinwegzuthun, als einen
Fehler des Abſchreibers, der fo viele RD7I zu Anfange ber Zeile ſchreiben
mußte, und alfo nichts als RD fohreiben mollte, ach wo gerate das
Gegentheil fteben follte. Ich wollts in bie letzte Reihe des Aten Verfes, als
» Hinter POT feen u. dgl. Lauter Wagniffe, die völlig unnöthig werben,
fobald man 72 als Eubflantivum, statio, constitutio, stabilimentum,
basis liefet, das e8 fo oft beißt, bier nothwendig beiffen muß, und ſowohl
Sprüchw. 28, 2. als Dan. 11, 20. 21. 38. von der Sicherheit, Grün-
dung, Beveftigung eines Reichs gebraucht wird. An diefer war David
gelegen; es ift der Inhalt des ganzen Stücks, und um, fagt er, fey bie
Conftitution feines Reichs nicht >RDOI fondern auf Bund Gottes gegründet.
Ohne Zweifel kann jenes nicht Gott ſeyn, fondern Gewalt, weltliche Stärke,
Bund mit mächtigen Fürften und Helden. Auf diefe verließ fih David nicht,
wie ers in feinen Pfalmen hundertfach bezeuget; er gründet fein Haus nicht
auf Macht der Menſchen, fondern auf freye Mahl, Gnade und
Bund Gottes, der ewig unverbrüchlich ſeyn muß. So gehts fort, bis zu
Ende des 5ten Berfes. Diefer ift offenbar fchlecht abgetheilt, das 82” muß
fhon den 6ten Vers anfangen, wie vorher und nadber; es ift ja ſammt
dem "> die dftere Bindungspartitel diefer wenigen Verſe. Nun wird, was
finnlo8 war, der ſchönſte, fortgehendſte Sinn; man bat keine Aenderung
nöthig, als daß man dad 1 vor >92 mwegnimmt, das offenbar die falfche
Interpunktion, da man mit dieſem Wort einen neuen Vers anfieng, gegeben.
Mich dünkt, man könne ſich keine Elärere Ergänzung eines jo dunkeln, zer⸗
morfenen, verrätbfelten Stücks denken. Die ganze Irrung ®. 5. kam davon
— 1
wiſſen wir, wenn fie gelebt Haben, und Jeſaia,! Hoſeas,
129 Amos, Micha fallen gar auf Einen Zeitpunkt. D daß wir des
einzigen Jeſaias Hiftorifches Werk (2. Chron. 26, 22.) noch hätten!
Er, der Erfte feiner Art, prägte gleichjan den Typus vieler fols
genden Propheten. Nach ihm ſetze ih den zwar kurzen, aber,
zumal in feinen Sclußgefange fo erhabnen Habakuk. Sodann
möchten Joel und Micha folgen. Hoſea ift kurz und hinreifjend,
Amos landmäßig; die übrigen Heinern mögen in ihrer Ordnung
folgen. Jeremias ijt äußert fanft, weich, und wehklagend; nur
jein Tert Scheint fer verworfen, und feine Zeiten waren traurig.
Ezechiel malet Ein Bild, ein ganzes Kapitel durch aus, und hat ganz
feine eigne, ftarke und vollendete Weife. Er und die lebten Pro—
pheten nad der Gefangenschaft Haben zum Theil neue, fremde,
bie und da noch unerörterte Bilder, die auf ihren Erflärer warten.
Uebrigens tft das Studium der Propheten zu unfver Zeit vorzüg-
li getrieben; der einzige Jeſaias hat eine ganze Reihe gelehrter
Männer) befchäftiget, und der Fleiß einiger derjelben **) Hat jich
*) Michaelis, Lowth, Döderlein, Koppe, Dathe, Struen-
fee n. a.!
**) Michaelis, Döderlein in feiner Ausgabe des Grotius, Dathe
und Struenfee in Ueberfeßungen, Schuurrer in emigen Differta-
tionen u. a.?
ber, daß man 72 als die Partikel anfah und II”8> zufammenfas, wo-
mit freilich aller Sinn eutfloh; und daß man jowohl 8.3. 4. al8 Bere 6.
7. fo widerfimmig und jelbft nur grammatifch abtheilte. Dies ıft meine
Meynung, (Pfeifer und Trendeleuburg neue Verfuche iiber dieſe Stelle habe
ich nicht gelefen) und auf fie ift meine Meberfegung gegründet. Ohne Zwei⸗
fel diktirte David das Stiid in feinen letzten Tagen; es konute alfo wicht
die bearbeitete Abwechſelung in ben Berbindungspartitein haben, die es
haben follte, fie kommen gerabe fo wieder, wie ein Menſch in Eile und im
Teuer ſpricht — —
1) gelebet? Jeſaia
1) „*) Midaelid — u. a.” fehlt.
2) „**) Michaelis — u. a.” fehlt.
Herders jümnıtl. Werke. X. {
— 98 —
über mehrere Propheten verbreitet.! Bey fo vielen Anlockungen 130
und zum Theil neuen Hülfsmitteln wäre es Trägheit, nicht mit
zu gehn, nicht mit zu wollen — —
Das beite Leien der Propheten ift, wenn man eine Zeitlang
jeden allein und nicht alle in der Reihe fortliefet, weil man fi
ſodenn allmälih näher mit feinen Geiſt, mit feiner? Gefchichte
und Sprade befannt madt, und gleihjam in ihm wohnet. Die
Gattung von Commentatoren und Xejern? der Bibel, die Kapitel:
weile Buch⸗aus, Buch ein lefen und commentiren, kommen jelten
in den innern Idiotismus Eines Schriftitellers, den ich mir immer
als Heiligtum, nicht als Heerftraße denke. Da diefe Männer fi)
jo genau auf die Zeiten beziehen, in denen jeder Ichte, aus denen
fie gleihjam fproßten, ohne die fie unverftändlih, oder, was oft
noch ärger ift, halb verftanden werben: da jeder feine eigne Art
bat, Saden zu jehen, Bilder zu malen, ſich in tünjtige Zeiten zu
jegen, und das, was noch nicht ift, zu jchaffen, als obs wäre;
jo dünkt mid, iſt bey Feiner Gattung Schriften das einzelne
Keen, und Erwägen nothwendiger, als bey ihnen. Wie fi ein
Traum, auch der göttlichfte Traum, nad der Seele und der Welt
von Umftänden deſſen, dem er wird, richtet; wie cr jebesmal bie 131
zarteften Blumen ſeines Gartens wählet, den Stranz, den er ihm
vorhalten will, zu flechten und oft mit den geheimften Säften fei-
nes Herzens ihm fein Bild * malet; wie alles, was von ber Lei-
benichaft, der Phantafie, dem Drud unter ſchlechten Zeiten, dem
1) Iefaias bat beynah 6. oder 7. nicht unedle Köpfe befchäftigt,
Döderlein, Struenfee, Michaelis, Dathe, den Biſchof Lowth;
Bogel, Wagner, Sponfel, Reichel ungerechnet. Der Fleiß einiger
diefer Männer bat fi über mehrere Propheten verbreitet, wovon ich Die
Döderleinfche Yortfegung bed Grotius vom Jeremias an, die Dathi-
he und Struenfeeifche Ueberfegung befonders nenne.
2) und nicht in der Reihe fortliefet, ſich mit feinem Geift, feiner
3) Die Eommentatoren und Lefer
4) wie er nur die zarteflen Blumen feines Erdreich wählet, den
. und oft mit den verfchwiegenften Säften des Herzens fein Bild
— 9 —
Vorgefühl beſſerer Dinge abhängt, aufs höchſte individuell iſt,
und nicht von Subjekt zu Subjekt gezogen und gezerrt werden
muß, um den urſprünglichen Sinn der Rede oder Ahndung zu
erhalten:! fo beruht auch, kann man mit Petrus Worten ſagen,
keine Weiſſagung auf eigenmächtiger, willkührlicher, fremder Deu⸗
tung; jeder der heiligen Gottesmänner ſprach vom heiligen Geiſt
getrieben, als ſolcher, einzeln. Selbſt die Theile eines Prophe⸗
ten darf man nicht ſchlechtweg in einander werfen, zu einander
herüber ziehen u. f. Sie können in verſchiednen Zeiten, unter fo
andern VBeranlafjungen und Umſtänden geftellet jeyn, daß man
ihnen Geift und Kraft nimmt, wenn man fie fremde deutet. Kurz,
ein Demagog muß einen einzelnen Kreis des Volks haben, zu
dem er ſpricht, und eine cigne Seele haben, aus der er rebet;?
nimmt man ihm beybes, fo ift fein? jetziger Zweck zu wirken
verlohren.
132 Mich dünft, niemand hindert fi im rechten Gefichtspunft,
Propheten zu Iefen, mehr,* als der nur allgemeine Sentenzen,
dogmatifche Sprüche und Weiffagungen in ihnen aufſucht, und gar
Zwangsmittel hat, einen Propheten hiezu und nad) feinem eignen
Sinn? zu vergeftalten. Dogmatifhe Sprüche und Weiffagungen,
wie wir das Wort jebt nehmen, waren nicht jedes Propheten
Hauptablicht: fie warens nicht an jedem Orte Der Prophet
war fein Prediger nach unſerm Begrif; noch weniger der Erflärer
eines einzelnen Xocus. Führer des Volks, Sprecher des Willens
Gottes über diefe Zeit, diefe Stadt, dieſe Verbindung von Um-
ftänden, das war er; und das konnte er feyn, ohne daß Er eben
unmittelbar vom Meßias weifjagte. Offenbar kommt diejer den
meiften Propheten als Troftbild fünftiger Zeiten vor Augen.
Nachdem ihre Zeit drüdend, und ihre Seele geftimmt war, Bilder
der Zufunft vom höhern Geift zu empfangen, nachdem weifjagten
1) mn urfprüngliden Sinn und Klarheit zu erhalten:
2) bildet; 3) fein Stand, fein 4) fo febr,
5) feinem Sinn
7*
— 10 —
fie, d. i. fahen in die Zukunft. Der Eine fchafft fanfte, der andre
beroifhe Bilder; Ein Maas, Eine Form und Farbe iſt nicht
für alle, nod weniger Eine Manier, die man ihnen aufdränge,
wenn fie glei nicht in ihrem Gebiet, im Kreiſe ihrer Ausficht
läge. Ich Halte nicht viel von denen, die einen Ausleger ber
Propheten darnach allein Ichägen, ob er diefe ober jene Stelle 133
zuerjt und zunächſt auf Chriftum deute? und wenn cr dies nicht
thut, den Stab über ihn brechen: „er könne über den Propheten
nun weiter nicht? gutes jagen.” Sie fchen, mein Freund, mie
unbillig und türkifch das Urtheil fey: es ftrangulirt den Ausleger
und den Propheten, und beyde um etwas, wovon man gar nicht
erweiſen Tann, daß es allein und ausjchlieffend den Propheten oder
den Ausleger machen müffe, oder gemacht! habe. Laſſet uns doch
die heiligen Männer lafjen, wie fie find; nicht, wie wir fie uns
ſchaffen möchten. Es ift immer für ung cine ſchwere Frage, was
ein jeder Prophet fich auch bey feinen unläugbarften Weiffagungen
vom Meßias gedacht habe? mie hell oder duntel er ? in die Zukunft
ſah? Manche Propheten meiffagten und konnten felbft nicht aus-
legen, was fie fahen; andre weiffagen einzelne Züge, bey denen
ihnen immer noch der Umriß des Ganzen gefehlt Haben fann. Ein
Prophet ift fein Evangelift; und ein Zug in einem Propheten
mehr oder minder, ändert ja nichts im Gemälde fänuntlicher
Schriften und ihrer Ausfiht aufs Neid und die Perfon des
Mepias. .
An forgfanften ſuchen Sie, mein Lieber, die einzelnen Stüde
eines Propheten abzutheilen, zu fondern und zu ordnen: denn fei-
ner fette fih Hin, ein Buch zu fchreiben von Anfange bis zum
Ende. Eine richtige Abtheilung hilft aufferorbentlih, und mo dic
Stüde zerftreut fcheinen, eine muthmaaslihe BVerfegung Wo
dunkle Stellen find, ziehn Sie alte Ueberfegungen zu Rath: einige
der fpätern Propheten, infonderheit Jeremias, haben dies vorzüglich
nötig. Werden Sie mit jedem derfelben gleichlam Zeitgenoß,
1) milffe, gemacht 2) er über ihn
— 101 —
theilen mit ihm Leiden und Freuden, gegenwärtigen Drud und
fünftig freyere Ausfiht: o wie wird Ihnen denn einzeln und all
mäblih der edle Geift diefer Männer aufgehn, denen die andern
Völker beynah nichts Aehnliches Haben! Sie werden mit Yejatas
ala Adler! zur Sonne fliegen und mit der Turteltaube Jeremias,
einer Tochter der Seufzer und Thränen, Hagen: mit Habakuk
unter dem Drud feitftehn, und mit Hefekiel auf fremden Bergen,
in ausländiſchen Waſſern, Gefichte jehn, und ſymboliſche Entwürfe,
So mit den andern. Erwarten Sie nächſtens noch über ein paar
Einzelnheiten meine Meynung, und mir gehen fodann aus dem
Heiligtbum der Propheten in den Vorhof der Heiligen Schriften.
— — — — —
135 | Keunter Brief.
Die Propheten, auf die wohl die meiſte Widerrede und Spöt—
terey gefchüttet ift,? find Ezechiel und Yonas. Daß man die ganze
Geſchichte des Leptern gern zu einem Traum, einem Geficht machen
wollen, wird Ihnen befannt ſeyn; und doch ift im Propheten nicht
die kleinſte Spur von Traun oder Geſichte. Als eine Geichichte
fünget3 an, gehet fort und endet. Ich wundre mid, daß Nie-
mand biöher auf die Hypothefe gekommen jey, den ganzen Verfolg
der Begebenheiten als Dichtung anzunehmen, *) wie viele 3. E.
die Geſchichte Hiobs für eine ſolche gehalten, und die Bücher der
Judith, Tobias, Stüde in Efther offenbar find. Das Wunder»
bare, das doc den meiſten Spott auf fich geladen, würde jodenn
HZwedmäßig gewählte Schönheit; und der Sinn des Ganzen bleibt
derjelbe, er mag aus einer wirklichen Geichichte, oder aus einer,
*) In nenern Zeiten ift dieſes geichehen, von Michaelis, Eich—
born, Niemeier u. a.t
1) Sejaias Adler 2) Spöttereyen getroffen,
— -
1) „*) In — u. a.” fehlt.
— 1IR —
ſtatt ihrer geſchaffnen Dichtung folgen: denn die legte iſt doch im⸗
mer auch eine wmoralifhe Geſchichte zur Darftellung Einer ober
mehrerer Lehren. !
Mih dünkt, Site find neugierig auf dieſen Gefichtspuntt ;
bemerten Sie alſo, das Buch hat eine Einheit, Kürze, Rundung,
wie fie das befte morgenländifche Poem? haben fann, und was
mehr als Alles ift, auch Einheit im Zweck, in jeiner moralilchen
Lehre; es ift „die lebendige Darftellung eines Propheten
„in den manderley Fehlern, die das Prophetenamt hatte
„und haben konnte.” Dem Propheten wird aufgetragen, einer
fremden, fernen, reichen, majeſtätiſchen Stadt ſchnelles Unglüd zu
predigen; welches Herz von Fleiſch und Blut thut das gem?
Jona fträubte fi dagegen, wie fich mehrere Propheten beym Auf-
trage ſchwerer Pflichten fträubten. „Was fol ih, ein Jude, dort?
„Wird man ınic nit für einen Narren halten, und mit Spott,
„mit lalter Verachtung ftrafen? oder wenn man mir glaubt, wenn
„man meiner Botichaft Erfolg zutrauet, wird man nich nicht als
„einen Unglüdspropbeten zur Stadt hinaus werfen und mürgen?“
Er mied alfo das ® Beilige Land, er floh, fo weit er konnte,
Weftwärts. Daß das lieben zur Sce in damaligen Beiten bie
fühnfte Flucht, daß die freymwillige Verbannung eines Siracliten
und Propheten aus dem Lande Jehovahs die entichlofjienite Auf-
opferung war, ift für fich felbft klar;‘' die Thorheit des dargeitell-
ten Beyfpield gebt aljo auf offnem Wege? weiter. Feigheit den
Willen Jehovahs zu thun, wird zur verwegenften und zugleich
alberniten Flucht vor ihm auf® dem gefährliiten Elemente.
Der Sturm entfteht: Jona fhläft: das? Loos fällt: er befennt
1) ift doch moraliſche Gefchichte des Geiſtes. 2) beite Gedicht
3) würgen?“ Kr hätte nicht fo denen follen, fo denten bürfen; daß
er aber jo denken konnte, ift leider! zu menfchlich, und baß er wirklich fo
bachte, zeigt der Erfolg; er mieb das
4) war, ſpricht für fich ſelbſt; 5) auf hoher Strafie
6) thun, wird zum verwegenften Trotz deſſelben auf
7) ſchläft rubig. Das
far‘
fe
36
37
138
— 18 —
ſeine Schuld aufrichtig, ja er giebt ihnen ſelbſt den Rath, wie
ihr Schif einzig zu retten ſey. Er wird ins Meer geworfen; der
Fiſch kommt, ihn zu verſchlingen: es iſt ein wunderbarer Fiſch,
den der Mächtige, vor dem er floh, ſelbſt berbeyführt.! Das
Gebet im Schlunde des Filches ift offenbar eine ſpätere Zurüd-
nehbmung, denn man hört darinnen einen ſchon Erretteten dan⸗
fen; furz, die Geichichte ift ? die ſichtlichſte Darftelung, wie wenig
man Gott entfliehen könne, wie alles aud im Grunde des Meers
ihm zu Gebot fey, wie er aber auch den tiefften Seufzer im Bauch
des Fiſches, des Dceand und der Hölle vernehme.? Das dankende
Lied ift fo fanft und Schön, daß ich nicht umhin kann, meinen
Brief damit zu zieren:
Ich rief in meinen Aengſten zu Jehovah,
Und Er antwortete mir.
Bom Bauch der Hölle jchrie id;
Du börteft meine Stimme.
Du warfft mid in die Tiefe,
Ins Herz des Meers.
Mich hatt! der Strom umgeben,
AN deine Wellen, deine Fluthen,
Giengen über mich hin.
Da ſprach ih: „meit bin ich verftoffen
„Bon jener Gegend deines Blids!
„Noch will ich fort und fort zurüde bliden
„Zum Tempel deiner Hoheit.”
Die Wafler drangen mir tiefer bis zur Seele,
Der Abgrund jchloß nid um und um,
Meergras fchlang fih un mein Haupt,
1) den Gott ſelbſt dazu Herbeyführt.
2) kurz, es ift
3) ihm zum Gebot fey, wie er aber auch auf erfolgte Reue und Rüd-
tebr den... . . vernehme. Denten Sie fih Ort und Z<ituation, bie dieſe
große Lehre wunderbarer und auffallender vorftellen könnte, als biefe?
— 210) —
In Klüfte der Berge war ih gelunlen,
Die Erde mit ihren Riegeln war auf mir ciwiglid)
Da licheft du aus der Grube
Mein Leben aufftehn,
Jehovah, du mein Gott!
Als meine Scele über mir verzagte,
Gedacht' ih an Jehovah:
Schnell kam zu dir mein Flehen,
Zum Tempel deiner Hoheit.
Die nicht'gen Lügengögen dienen,
Irren umber Erbarmungslos; !
Sch aber, mit der Stimme des Dankes? will ich kommen,
Und opfern, was ich dir gelobt,
„Meine Rettung, dem Jehovah!“
Ihm will ich fie zufchreiben, ihn mit der Stimme des Belennt-
nißes 3 preifen; mozu denn eben auch, als Gelübbe, dies feyer-
liche Lied gemacht tft. ch darf Sie nit erft aufmerkfan machen,
mein Freund, auf die tiefe Stimme im Sclunde der Noth, die
aus dieſem Liede tönet, auf das milde Lager, das cr bier im
Grunde des Meers Hat, auf die harten Gedanken, die ihm ans
Herz Stoffen: „o wärft du nun im Lande Gottes, dent Pallaft ſei—
„ner Hoheit nah, wo er mohnt, wo er Gebete erhört! Und doch
„will id) nicht ablafien, rückwärts dahin zu bliden, dahin zu
„beten. Und wie die legte Noth zunimmt, bis er befreyet wird.
Nun fühlt er augenfcheinlihe Hülfe Jehovahs, daß diefer nicht nur
in Judäa, daß er überall,* auch im Banche der Erde Gott ſey,
und Gebete höre; alle Götendiener bangen an Nichts, am Winde,
ohne Hülfe und Rettung. — — Seht gehet er nach Ninive und
139
thut Jehovahs Befehl. Wunderbar! man Hört ihn, man ändert 140
fih — über alle feine Erwartung. Es kehret fih alfo das Blatt,
1) Wer Nidstigleiten der vüge nachgeht, Verläſſet deine Gnade;
2) Lobes 3) der Belenntniß 4) Judäa, überall,
— 1) —
die angebrohten Gerichte treffen nicht ein, und fiehe, er ift wieder !
ein Menih, glaubt, der Wahrheit feiner Verkündigung entgehe
danıit etwas, ift unmillig, zürmt, wünſchet fi den Tod. Und
nun fommt die fhöne Enthüllung des Stüds durch den
Kürbis: fo leicht, fo lehrreih, Gottes fo anftändig, den ſchwachen
elenden Propheten fo? beihämend, daß ich mir über den Ausgang
des Buchs, „die größefte Sache durchs Kleinfte anzuzeigen, und
„den Einen Blid Gottes, des Weltinonarchen, über Meer und
„Exde ,? über Ninive und den Kürbis zu ſchildern“ beynahe nichts
finnlicheres, fTindlicheres vente. Die jo gerühmte Popiſche Ver-
gleihung zwifhen dem Helden und dem Sperlinge, der bubble
und world, die in Gottes Augen Eins feyn fol, ift* auf ihre
Theilmahrheit zurüdgeführt, ein Wortllang; bier ift fimple, und
doch fo große Wahrheit. Sie fehen, m. Fr., wie bey dieſer Hypo⸗
theje das Ganze ſchön zufammentrifft, und nicht nur den Iſrae⸗
litifchen Stolz, jondern auch zwey Extreme von Prophetenſchwach⸗
beiten und Fehlern lehrreich ſchildert. Mich dünkt, felbit der
Berfaffer 5 des Propheten Babouc, müßte, wenn er fi in bie
Vrophetenzeit des jüdiſchen Volks zurüdjegen wollte, die Dichtung
141 nüglih und fhön® finden. Se munberbarer und größer die
Mafchienen, deito mehr find fie fodenn an Stelle, und man hätte
fein Gefiht, feinen Traum, feine ungeheuren Rettungen meiter
nötbig.” Sit nun dieſe Geſchichte, als Dichtung, ſchön, treffend,
nüglid; warum follten wir uns mit den Schwierigkeiten den Kopf
1) Erwartung. Abermals die Enthüllung eines öftern Fehlers derer,
die Gott jendet, Mistrauen, Kleinmuth. Jetzt kehret ſich .. . .
nicht ein (und dürfen ja nicht eintreffen, wie der Prophet leibhaft, feiner
bedingten Predigt felbft zu Folge fiehet;) er ift aber wieder
2) fo treffend, fo 3) „über — Erbe," fehlt.
4) ift entweder gerabe falfch, oder
5) diefer an fich unfchuldigen Hypotheſe das Ganze ſchön zuſammen
und umberläuft; eine mit jedem Wort treffende Darftellung ber vielfeitigen
Prophetenfehler. Mich dünkt, ſelbſt der Spötter, etwa ber Verfaſſer
6) Dichtung fein, nütlich, ſchön 7) Rettungen nötbig.
zerbrechen, ob fie auch und wie wenn fie Gefchichte wäre? Was
durd fie gefagt werden fol, jehen wir jo gut in der Fabel als
in der Geichichte; und was brauden wir mehr? —! Noch Ein
Wort von Ezechield Tempel.
Wie viel Myſtiſches über ihn gefagt jey, willen Sie; (menn
Stes nicht willen, verlieren Sie auch nicht viel.) Der ganze Tem⸗
pel, wie er da Steht, und mas er dem Buchſtaben nad vorftclt,
ift meines Erachtens ohne alle Myſtik ganz in der Schreibart die-
ſes Propheten.” Ezechiels Manier ift, ein Bild ganz und meit-
läuftig auszumalen: feine Vorftellung fhien große Geſichte, von
allen Seiten umſchriebene Bilder, fo gar langwierige, fchwere,
Iymbolifhde Handlungen zu fobern; wovon jein ganzes Bud)
voll if. Iſrael in feiner Irre, auf den Bergen feiner Berftreuung,
unter andern Spracden und Völkern hatte einen Propheten nöthig,
wie dieſer war, hatte Sprüche und Darftellungen nöthig, wie er 142
fie ſchildert. So auch diefen Tempel. Ein andrer hätte ihn mit
fliegenden Bildern in erhabnen Sprüchen entworfen; dieſer in
beftimmten Maaßen. Und nit nur den Tempel, fondern aud)
1) „Iſt nun — mehr? —“ Dafür in A: Ich befenne Ihnen indeß,
fo fehr diefe Hypotheſe von feru anladht, fo wenig fehe ich, was ung zu
ihr veranlafien fünnte. Iſt eine Gefchichte, als Dichtung, ſchön, treffend,
erbaben, nuͤtzlich; warum follte fie ſolches, als wirtlihe Geſchichte, nicht
mehr bleiben? Für den Gott Ifraeld, der Propheten erwedte, ift nichts
Fremdes, Unpafiendes in viefer Führung: für ihm ift meber Fiſch, noch
Kürbis Wunder, beyde nicht größere Wunder, als daß ein Jonas und
Ninive fey, und jener dieſer Stadt den lintergang drohen konnte, drohen
follte. Ueberdem ift jeder Heinfte Umftand fo treu, wahr, biftorifch erzählt;
aud der Gefang fteht, als ein triefendes Dankgelübde fo ganz an feiner
Stelle (in den Baucd des Meeres wird er gefett, weil er ba verfprocden
war, alſo als Schuld dahin gehörte) daß ich bey der ſimpeln Erzählung
gern bleibe. So aber gehets! Oft lefen wir als Gedicht gern, was wir
als einfältige Gejchichte vorbeygehn! Der Roman muß uns oft das, was
uns täglid) umgiebt, und gemeiniglich mehr als ein Roman ift, erſt ſehen
lehren — —
2) Der ganze Tempel bleibt, wie er da fteht, und bebeutet, was er
dem Buchftaben noch vorftellt, ex ift ganz in ber Bilderart dieſes Propheten.
— 117 —
Zubehör, Stämme, Verwaltung, Land: das Heiligthun wird
Palaft des Fürjten mitten im Lande. Daß diejer platonifche Ent-
wurf Ezechield nicht erfüllt worden ift, war feine Schuld nidt;
auch die Eintheilung des Landes unter die Stämme, mie er fie
angiebt, ward nicht erfüllt, und jo minderte fich jener von felbft.
Wie fehr ift Iſrael immer, wo es auf feine eigne Beftrebungen
ankam,! nnter den Befehlen, Winken, Verheiſſungen Gottes in
der Tiefe geblieben! Nur eine arme Nachlefe zog ins Land und
bauete; nichts minder ala alle 12. Stämme, und fo mußte aud)
Ezechiels Tempel unterbleiben.?
So vielerleyg, m. Fr., mid) noch in dieſen treflihen Männern,
den Propheten reiste, daß es entzüdend für mid wäre, Ihnen
das Bild einiger der Vornehmften, To wie auch den Inhalt und
die Zwecke ihrer vormehmften? Stüde zu entwerfen*): fo winkt
143 mid doch mein Plan mit ernften Stabe weiter; ich gehe ohne ein
Wort fernerer Vorrede zum dritten Theil der Ebräiſchen Bücher,
den jo genannten „heiligen Schriften” über. Sie find im
heil. Geift, d. i. nach dem Ausdrud der Jüden mit rubigerer Got-
tesweishett gejchrieben; der Trieb der Propheten mar oft Brunft
Gottes, Starke Begeifterung, und Mofes mit feinem Urgefeg, mit
feiner * Poefie= reichen Urgefchichte fteht in der tiefern Ferne, als
der geheime Freund Gottes, der vertraute Mittler feines Volkes.
Sie wiſſen jene Vergleihung der Jüden, da ihnen das Geſetz
2) Im dten Theil der Eihhornfhen Einleitung ins A. T.
ift dies mit fo viel Kenntnig und Wärme gefchehen, daß wenn man weiter
gienge, eber ein Uebermaas zu bejorgen wäre.!
1) wo e8 auf ihn ſelbſt ankam,
2) bauete; nicht Volk, nicht alle 12. Stämme. („und — unterblei-
ben.” fehlt.)
3) reiste, fo entzüdend es mir wäre, Ihnen das Bild eines Seren
den Subalt, die Zwecke feiner vornehnften
4) Urgeſetz, feiner
1) „*) Im ten — wäre.‘ fehlt.
— 168 —
Moſes das Allerheiligſte, die Propheten das Heilige, die andern
heiligen Schriften der innere Vorhof ſcheinen. Die Apokryphiſchen
Schriften möchten ſonach der Heyden-Vorhof genannt werden, bis
dag N. T. einen neuen, geiſtigen Bau beginnet. ch babe mich
ſchon erllärt, daß ich Hier von den Graden, oder der Art der Ein-
gebung nicht rede; indeß dem? Inhalt dieſer Schriften zufolge haben
die Jüden, dünkt mich, mit diefer Eintheilung und Benennung
nidt fo ganz unrecht. Das Geſetz Mofes war die Grundlage
ihrer Berfaffung und ihres Gotesdienftes: die Propheten, bie
Hortführer und Erklärer bdefielben, find gleihfam die Wände 144
des Gebäudes; die heiligen Schriften find die inwendige Bier,
ber foftbare, nützliche Hausrath. In einigen dieſer Bücher ift
eine Summe von Goldkörnern und Golbftüden der Weisheit,
Zudt, und ſchönſten praktiſchen Ertenntniß.
Das Buch der Palmen fängt an. Daß es von veridied-
nen Berfaffern, in mandherley Zeiten, Gelangarten und Situatio-
nen jey, darf ich „Ihnen nicht erſt fagen;? daß es trefliche Stüde
enthalte, noch minder. Der Name Davids bat die Grundlage
dazu gemacht, weil er felbft fchöne Stüde verfaßte, und den gan-
zen muſikaliſchen Gottesdienft in Glanz bradte; die Sänger und
Dichter zu feiner Zeit halfen, die Dichter und Propheten fpäterer
Zeit bauten weiter: denn daß einige Pſalmen das Zeitalter der
Sefangenjchaft verrathen, ift wohl unläugbar. Es gehet alfo beym
Pſalmbuch, wie bey allen Sammlungen jo verjchiedener Saden;
fie werden, zumal wenn man fie in der Folge liefet, ein Laby⸗
rinth, aus dem man nit anders fommen kann, als wenn man
fich gewiffe Hauptmerkmale jegt und darnad ordnet. Davids
Name wird das crfte Merkmal. Die Lieder, die er jelbft gemacht
bat, find doppelter Art, entweder PBrivatgejänge auf Umiftände 145
feines Lebens, oder öffentliche und gottesdienftliche Lieder:
denn wie nah diefe beyde Klaſſen in einander gelaufen? wie viele
von jeinen Privatgefängen über Umftände des Lebens, auch öffent-
1) rede; dem 2) nicht ſagen;
— 109 —
ih, zumal beym Gottesdienst gebraucht find? getraue ich mir!
nit zu beftimmen. Diejer Theil der Pſalmen nimmt große
Erläuterung aus feiner Gefhichte: wir wiſſen, wie frühe und
audgezeichnet er Poeſie und Mufil, die damals meiftens verbunden
waren, liebte. Der ehemalige Hirt und Dichter brachte alſo auch
jegt die härteſten ſowohl, als die milveften Auftritte feines Lebens
in Gefang; fein Herz ftrömte gleichſam? felbft in die Saiten; Lieb
und Harfe wurden ihm Gebet, Troft, Aufmunterung, Dank,
Freude, die füßefte Erquidung und Erholung. Es iſt fhön, daß
uns bey vielen diefer Lieder ein Wink gegeben ift, wenn und mie
fie entjtanden find?? Nuten Sie, mein Freund, dieſe Winte,
und Iefen Diefe, eigentlich Davidiſche Pſalmen, zuerft allein,
gleihfam in die Seele ihres Urheber und ihrer Veranlaffungen
zurüd: die Unterfcheidung wird Ihnen wohl thun.*) Lieblid-
146 keit ift der Charakter und Ton der meilten; David fett (2 Sam.
23, 1.) dies felbit zum Charafter feiner Lieber. **) Seine Pfal-
men jind ihn fo werth, daß er ſich nicht auf Siege, auf Glanz,
auf Vortheile bezieht, die er Iſrael verichafft habe; ſondern auf
feine Lieder. Durd fie hofft er im Herzen feines Volks, jo wie
auf* ihrer Zunge fich felbjt zu überleben; und ihrem Andenfen
angenehm zu bleiben. Es jeht dies voraus, was auch? jehr ver-
muthlih üt: daß feine Lieder ſchon damals nicht blos im Tempel
gefungen worden, ſondern zum Theil® im Gedächtniß Iſraels
*) Sine ſehr fleifige umd reichhaltige Anleitung hiezu if Haffe
Idiognomit Davids, Jena 1784.
**) ch fee nehmlich voraus, daß der Anfang diejes Liedes von David
feröft fey und nicht von einem audern; welches legte zu behaupten wir gar
feinen Grund haben. Kin folder Anfang des Geſanges ift der Begeifte-
rung Orients nicht fremde und fommt 4 Moſ. 24. allein ſchon zweynial vor.!
1) mid 2) gleihfam jedesmal 3) entftanben ?
4) In ihnen hofft ex im Herzen feines Bolts, auf
5) auch jo 6) fondern allgemein
1) „**) IH — vor.” fehlt.
lebten; ich verftehe dies nicht nur von gottesbienftlihen, fondern
auch von andern Liedern, wie wir aus der Elegie auf Jonathan
fehen. Da aljo Gefang die Lieblingsneigung bes großen Königs
war;? da wir fehen, wie ſorgſam er die genannte Elegie auf ſei⸗
nen Freund, ins Buch der Heldenlieder tragen, und Iſrael fie®
auswendig lernen ließ: (2 Sam. 1, 18.) können wir zweifeln, daß
er auch feine Gefänge und die Liebe zu diefer Gattung Dichtkunft
jo meit verbreitet habe, als cr thun fonnte?* Die Palmen jei-
ner Mufifmeifter Affaph, Heman? find davon Zeugen: ich halte
fie für Arbeiten diefer Männer felbft (Mufitus und Dichter war
damals Eins) fie haben alle ihre ® eignen, und die Gefänge Aſſaphs
infonderbeit einen erhabnen Lehrcharakter. In den meiſten von
ihnen fiehet man offenbar, daß fie zum öffentliden Gebraud
find,” und Bmeifels ohne mit größefter Pracht aufgeführt worden.
Sein prädtigfter Pialm, der 50ſte fteht voran; unter den 70.
und 80en find aud von ihn treflihe Stüde. Bey den Palmen
der Kinder Korah, oder des Orcheſters von diefem Namen, wiſſen
wir ihren Verfaffer nicht: Aſſaph fcheinet mirs nicht, David ® auch
nicht. Sie haben einen Fühnen, raſchen, gleihlam ftürmenden
Schwung; und einige 3. E. Pf. 46. 87. enthalten Stellen, bie bey
allen Nationen für die erhabenften gelten müßten. Ohne Zweifel
wurben fie für den Trupp Korah zur Ausführung gemacht, wie
Aſſaph den 77. Plalm für Jedithun machte. Cine Reihe andrer
Pialmen find ohne Ueberichrift, und fie find nicht die fchlechteften.
Einige find Hallelujah-Pfalmen, die wohl unter dem Hall der
1) ſehen. Weberbaupt floß bei ben Iſraeliten Geiftlihes und Welt-
liches immer zufammen; e8 war nur Ein Geift, der beydes belebte.
2) war, fo daß er noch auf feinem Todtenlager feine Leier, nicht vie
Krone, für das fchönfte Eigenthum feines Lebens hielt, und feinem Bolt
vermachte; 3) es
4) zweifeln, wie verbreitet feine Geſänge und die Liebe zu dieſer Gat-
tung Dichtkunſt in feinen Zeiten gewvorden feyn mlifle ?
5) Heman, Sebithun 6) ihren
7) Gebrauch, fiir Volk und Gottesdienft find, 8) David vielleicht
147
— 111 —
Tempeltrommeten ihre befte Stelle finden, andere 3. E. der 104. Pf.
find Hohe Lobhymnen, andre find AJubelgefünge auf Siege ober
148 andre Wohlthaten des Staats. Die Gefänge, für die ich eine
befondre Liebe bege, find die fo genannten Stuffenpfalmen oder
Lieder im höhern Chor, Pi. 120. u. f. Offenbar haben fie eine
ähnliche Länge, beynahe auch Einerley Schwung und Abwechslung;
fie find für mid, beionders Pf. 120. 124. 126.— 29. 133.,
Mufter kurzer und tiefer Herzensregung. Ein paar Klaggefänge
find unter den Pfalmen, die beyde dem Jeremias zugefchrieben
werden, und befonders ſchön find, Pf. 102. und 137., injonder-
beit der letzte. Ein Gejang ift unter den Pſalmen, den ich den
Urpfalm, das Lied der Emigfeit nennen möchte, und der dem
ewigen Moſes zugefchrieben wird, Pf. 90. ich weiß nichts, das ihm
an die Seite zu ftellen wäre. Kurz, bier ift ein Schatz alter
Ebräiſcher Lieder, den ih, wenn die Gefänge mandjer ! andern
Nationen ihm entgegen auf der Schale lägen, gewiß ? vorziehen
würde, vorziehen müßte; viele Chriften und felbit Theologen wiſſen
indeß faum,? was fie an diefem Schat haben — —
Auch das iſt falſch, daß David nur ein Idyllendichter fey,
und daß ihm Pfalmen höherer Art mißlingen. Leſe man doch den
8. 19. 24. 68. 103. 108. 124. 139. Palm, andre ungerechnet ;
149 und fage, was jedem an Stärke und Würde feiner Art abgeht?
— — Einige Pjalnen find von Salomo, die id ihm nicht abzu=
läugnen müßte, da wir andre von fpäterm Urfprunge haben. Das
CSpithalamium des 45. Pſalms, von den Stindern Korah zu fingen
und zu fpielen, ift eine Rofe in feiner Gattung. Läugnen kann
ichs nicht, daß einige Stüde, die den Namen Davids und Salomo
führen, 3. E. Bi. 70. eben nicht von ihnen, fondern auf fie
gemacht zu ſeyn fcheinen, und daß alfo das > nicht fo fchlechthin
den Verfafler, ſondern überhaupt anzeige, „wohin der Pjalm an
Inhalt oder Gefangweije zu referiren ſey“ — — in Sachen der Art
aber werden? wir nie auf ven Grund fommen. Gnug, die fchönen
1) aller 2) fat 3) viele wiffen noch faum, 4) werben und börfen
Stüde find da, von wen fie auch feyn mögen. Käme cs auf
mid an, jo würde ich das Bud nach jeinen Ueberſchriſten ohnge-
fehr fo ordnen: Bf. 1. Vorrede. Pi. 2. Lobgefang auf eines
groffen Königes Reih. Pi. 3— 40. Gefänge Davids, wo beym
legten offenbar ein Schluß ift. Pf. 41 — 49. anonyme Gelänge
für das Geſchlecht Korah, die der prächtige Pſalm Aſſaphs Pf. 50.
beſchlieſſet. Pi. 51 - 70. abermals Gefänge Davids, mit 2 (Bf.
66. 67.) untermilchten anonymen Dankliedern. Pf. 71 — 89.
Geſänge von verjchiednen, meiſtens genannten Berfaflern, mo
beym lebten wieder ein Schluß ſtehet. Pi. 90 — 100. herrliche 150
Anonymen, den Erften von Mofes ausgenommen; morauf wieder
einer von David folgt, und nun eine Menge Dankpſalmen, mei-
ftens anonym. Der 118. fcheint dieſe Parthey zu beichlieflen,
worauf der 119., das befannte moraliſche A. B. C. folget, das ich
nicht für Davidiſch Halte est kommen die treflihen Stuffenpfal-
men Pi. 120 — 34. worauf Stüde verfchtedner Art, zulegt ſeyer⸗
liche Tempelpfalmen enden. Sie ſehen, daß dieſen Abfägen nad
das Pfalmbuh nicht folh ein Wald bleibt, als es dem erften
Anblick nach zu ſeyn fcheinet, und die Jüdiſchen fünf Bücher find
zum Theil darnach georonet. — —!
Ungleid) nügliher wäre es, wenn wir die Mufit jo verſchied⸗
ner Palmen fennten;? allein diefe Hofnung ift unter den Todten.
Das Vergnügen des Ohrs ift die ftolzefte, hinreiſſendſte, innigite,
zugleich aber auch die vorübergehendfte Wohlluft der feinern Sinne;
vielleicht ift Dies auch die Urſache, warum einige Jüdiſche Lehrer,
die meistens zu buchſtäblich über alles urteilen, die Bier? des
Rhythmus und des Gefanges in den heiligen Schriften, als einen
fremden Pug, als eine unmwefentliche oder gar verhüllende
Schönheit des ewigen Wortes anzufehen geneigt find, und David 151
jelbft e8 nicht ala das größefte Verdienft zurechnen, daß er das
1) foheinet — — („und — georbnet." fehlt.)
2) tennten, und uns wieder berzubringen wüßten;
3) warım manche Jildiſche Lehrer die Zier
— 113 —
Gebot der Geſetze in Gefang verwandelt. Wie viel oder wenig
an diefer Bemerkung ſey, fo hats der groſſe Erweis der Zeit beftä-
tigt, daß diefer Putz wenigſtens nicht! ewiger Natur war, und mit
Veränderungen der Jahrhunderte verihmwinden mußte. Pfeifer in
feiner Abhandlung von der Muſik der Hebräer*) hat genugt, was
zu nußen war; meiftens aber muß er von zu neuen Datis auf die
älteften Zeiten fchlieffen.. Nach feinen Unterfuhungen fommt in
den Weberfchriften der Pfalmen felbft wenig hierauf zeigendes vor.
— — Was ih hinzu zu fegen babe, betrift blos den ganzen Gang
des hebräiſchen Rhythmus folcher Lieder.
Belanntermanßen ift viel darüber gejchrieben? und gemuth-
maaßet worden; noch neulich hat Leutwein**) eine kurze Abhand-
lung von Bersbau der Ebräer gefchrieben, die ih Ahnen, ob er
mir gleih im Ganzen zu pünktlich feheinet, zu lefen ſehr rathe.
Mir fommts vor, daß die Ebräer, gegen uns betrachtet, immter
152 nur ein freyes Sylbenmaas gehabt haben.***) Gie batten Metra,
lange und kurze, ohngefehr gleichlaufende und verjchränfte Metra,
wie das der erite Begriff von Mufil, von verſchiedner Tonart und
Leidenschaft fodert. Sie fcheinen auch, nah einigen Pfalmen zu
urtheilen, einen Strophenbau im Ganzen, menigiteng zu einigen
Inſtrumenten und Materien beliebte Gänge gehabt zu haben, auf
melde nachher andre? Gefänge gemacht wurden. Trügt mich aber
mein Obr nicht: jo gebet diefe Beſtimmtheit nicht, bis auf genaue
Zahl, noch minder auf feitgefegte Duantität jeder einzelnen
Sylbe. Offenbar ift diefe Kunft der eigentlichen* Proſodie bey
*) Erlangen 1779.
**) Verſuch einer richtigen Theorie der bibliichen Berstunft, Tübingen
177.
*”*) ©. die Meynungen einiger Rabbinen von der Ebr. Poefie, hinter
Burtorfs Ausgabe des Buchs Coſri. S. 406. ı. f.
1) diefer feinen Bernerkung ..... größefte Erweis .... betätigt, daß
diefer Buß nicht
2) gefchrieben, gezwungen 3) auf die andre
4) Kunft eigentlicher
Herders fümmtl. Werke. X. 8
— 114 —
allen Völkern von der fpäteften Erfindung. Sie fam nur benn
auf, wenn Gedichte nicht mehr fürs freye, Wollufttrunfne Obr
und für die mit dem Gefange lebendig zufammenzitternde Saite,
fondern jhon für Schrift und Buchſtabenmenſur gemacht wurde;
fo weit kams gewiß nicht bey den Hebräern, wenigſtens nicht in
ihren wahren Poetiihen Zeiten. Da ftrömte ihre Rebe in Muft-
kaliſchen Wellen heraus: der Geift ihres Mundes floß mit dem
Geifte, der ihr Saitenfpiel, ihre Tuba belebte, zufammen, und 153
ohne Zweifel warb da bie mächtigfte Wirkung, wo vielleicht der
fühnfte Bruch des Sylbenmaaßes, der ftärffte Kampf der Worte
war. Da geichah es, was unfer deutihe Rouſſeau finget: !
— — Es horchten auf die Lieber
Die Kinder Korah. Aſſaph ftand,
Und ſtaunt' und marf den Pſalter nieder,
Den hohen Pfalter und empfand.
Oder wie Dryden von Erfindung des erften Inſtruments finget:
When Jubal struck the corded shell,
His list'ning brethren stood around.
And wond’ring on their faces fell
To wdrship that celestial sound;
Less than a God, they thought, there could not dwell
Within the hollow of that shell,
That spoke so sweetly and so well.
Bey der Arabifhen Poeſie ift befannter maaßen das eigentlich Pro⸗
ſodiſche Sylbenmaas fpät entitanden. Das feine Ohr der Griechen
bildete es bald aus, inbeflen iſts noch offenbar, was fich in Homer,
ob er gleih durd fo viele Grammatiſche Hände gegangen ift, noch 154
für Freyheiten finden.” Die Römer nahmen ihre künftliche Sylben-
maaße von den Griechen, meil fie felbft — feine hatten, ob ihnen
gleich alte Lieder nicht fehlten, und daß alle Europäiſche Nationen
— — — —— —.
1) unfer Rouffeau
2) waß in Homer, 0b... . ift, noch für Freiheiten leben.
— 115 —
die eigentliche Proſodie ſehr Tpät befommen haben, ift klar aus der
Geſchichte. Den Staliänern ſchufen fie erſt Dante und Betrarka
aus den Provenzalen an; die Provenzalen Haben fie wahrfcheinlich
von den Arabern fich zugebildet, und noch wiſſen wir, daß bie
PVoefiereichften Sprachen Europa's, Staliend, Spaniens, Galliens
Sprade, Sylben zählen, aber nicht meſſen, daß fie auf den
lebendigen Klang des Verſes und der Strophe, nicht aber auf! die
grammatiſche Quantität jeder Sylbe horchen, und fie dennoch dem
feinften Gefange vermählen. In die Deutiche Sprache ift eigentliche
Profodie und Duantität der Sylben nur duch Opitz gelommen,
und wie lang hatte Deutichland vorher Geſänge und Gedichte! —
Es ift aljo auch in diefem Betracht vergeblihe und miderfinnige
Arbeit, eine fremde Profodie, die kaum hundert Jahr alt, die als
eine Buchſtabenkunſt, für gebrudte Gedichte erfunden ift, der uräl-
teften Eisgrauen Poefte der Erde aufzubringen, und fie darnach zu
zerreifien. Keine freye Poetifche Nation, mie ſehr fie in Liedern
155 lebe, wie trefliche Poetiſche Stüde, wie rührende,“ pafjende Melo-
dien fie habe, weiß noch jeßt etmas von diefem Kunftbau Der
Grammatif; und das ältefte Volk diefer Art, dazu von einer jo
furzen, bildervollen, feurigen, gleihjam ganz und gar hieroglyphi-
ſchen Sprade follts gewuft Haben? Chorgejang, Affelt und Paral-
lelismus finds, die ihren Sylben- und Versbau beleben.?
Sie ſchlieſſen leicht, daß ich die Mühe derer beflage, die ihre
erfünftelte Ebräiſche Profodie, das Figment ihrer Phantafie, gar
unfrer Sprade in Ueberjegungen aufbringen, und gern Sylbe
nah Sylbe vorzählen möchten, wo mahrlid (aufs gelindefte zu
reden) der Geiſt längſt dahin ift, und die todte Aſche‘ zermalmter
1) meffen, auf ven .... Strophe, nicht auf
2) Stüde, rührende,
3) haben? Affelt, lebendiger Geift im An- und Fortklange der Reihen,
ber Strophen, der Wiederholungen und Inverfionen its, was ihren Sylben -
und Versbau belebet.
4) Sie fchlieffen leicht, wie mir bie gefallen, die ihre erkünftelte
Ebräiſche Profodie, das Figment ihrer Radbrechung ber Solben, gar unfrer
8
— 116 —
Sylben daliegt. Auch dünkt micha eben fo fremde, wenn Palmen
in Horazifhe Oden, oder in die Pindarifhe Form verlleibet wer-
den. Arme Poeſie der Ebräer, wie ftehft du verwanbelt!! Beſchei⸗
den ſchämſt du dich des zu ſtolzen Gewandes, und ftolz ſchämt ſich
das? frembe Gewand deiner! Unter Hirten gebohren, unter jugend:
lichen Tänzen und zmotönigen armen Chören erwachſen und erzogen,
wie das deine ©eftalt, dein ewiger, immer durchhin Flingender
Parallelismus, der fimpelfte Schritt einer einfältigen Sprache zeiget,
ſollt du plößlih im verfchlungenen Thefeifhen Tanz oder gar auf
dem Kothurn, pindariſch, horaziſch, bacchiſch triumphiren! —
Wenig Dinge in der Welt ſind abſtechender von einander, als dieſe
beyden, der einfältige, unermüdliche Parallelismus der Ebräer,
und jene gerundete ober geſpitzte künſtliche Sylbenmaaße. Kein
Bild bleibt alſo in ſeinem Umriß daſſelbe, keine Strophe dieſelbe,
kein Umriß eines Perioden derſelbe; alles wird verrückt und ver⸗
Ihoben.? Lachen Sie immer über mich, daß ich dieſe fimpeln
Ebräiſchen Lieder? lieber in der ärgften Jüdiſch-Deutſchen Ueber-
fegung, ala in foldem fremden Triumphkleide, wo die arme Ueber⸗
wundne öffentlih zur Schau geführt wird, leſe. Dort höre ich
doch noch durch, mwa8® fie war, was fie ſeyn fol; bier höre ich
den Parallelismus, und fol ihn doch nicht mehr hören: er kuckt
Sprache in Ueberſetzung diejer Heiligen Stüde aufbringen, ihr
Sylbe nach Sylbe gleichſam vorzählen wollen, wo .... und todte Afche
1) Open, daB Siegslied der Deborah in eine Pindarifhe Form ver-
fleibet dafteht. Arme, einfältige Poefle der Ebräer, wie bift du verwandelt!
2) ftolz das
3) Unter Hirten bift dir gebohren, unter ...... erzogen, das zeigt beine
Geftalt, .... Sprade; und nun follt du plöglih im ..... Tanz, auf dem
Kothurn, pindariſch, horaziſch, bacchiſch raſen! — Sie fehen, m. Fr., daß
nichts in ber Welt abſtechender ſey, als dieſe Dinge, der einfältige, ewige,
unermüdliche Parallelismus der Ebräer, und jene gerundete, geſpitzte,
gedrehte künſtliche Sylbenmaaße. Kein Bild bleibt mehr daſſelbe, feine ....
derſelbe; alles wird verzwickt und verſchroben.
4) Lieder weit 5) noch, was
ab
56
— 17 —
überall vor, und foll doch verftedt werden! Glauben Sie, mein
Freund, die Bibel würde lange nicht fo verunftaltet ſeyn, wenn
man fih nicht ihrer Einfalt und Armuth ſchämte. Nun ward fie
vollgepfropft mit fremden, mwiberfinnigen Ideen: die zweyte Zeile
157 des Rhythmus, die urjprünglich nichts als Echo, ein zurüdtönen-
des,? jugendliches Freudengeſchrey, ein erklärender Wiederhall ber
eriten mar, follte immer was unergründliches, ungeſagtes, neues
bedeuten, jedes Wort in ihr follte emphatifch jeyn; und jo zwang
man duch finnlofe Verfhönerung hinein, wofür Zeit, Nation,
Gelegenheit, Zwei, Zufammenhang, Strophe, Poeſie zurüd-
Ichaudern. ®
158 Zehnter Brief.
Ich dachte wohl, daß Ihnen einiges im Schluß‘ meines leb-
ten Briefes auffallend ſeyn würde; Sie zu befänftigen, will ich
alfo nichts weiter gejagt haben, als daß man doc menigitens
Sylbenmaaße in fremden Sprachen wählen müßte, die den Paral-
leliamus der Ebräiſchen Poefie nicht verwirren,d fondern ebnen und
fhlihten, die ihm freundlich dienen, und einen fanften,® gefälligen
Eingang in unſer Ohr geben.” est zum Inhalt der Palmen.
1) tukt immer hinter der Berbrämung vor, und iſt doch verbrämet.
2) Echo, zurücktönendes,
3) in ihr neu ſeyn; und .... Verſchönerung heraus ober hinein,
wofür .... Boefie ſchauert. So viel man auch in den neueften Zeiten vom
Parallelismus fpricht; fo wenig fieht man noch in manchen Stüden feine
Wirkung. Denn macht man nicht immer noch aus Mofe, Propheten und
den Pfalmen Horaziſche, Pindariſche, Rouffeauifche Verſe? und behanbelt
fie, als ob fle als folche gemacht wären? Ich wiederhole es, daß ich ftatt
eines ſolchen traveftirten Davids immer lieber des Rabbi Mofe Stenbels
Jüdiſch⸗Deutſche Berspfalmen*) Iefe.
4) Ihnen der Schluß 5) verzerren, 6) und fanften,
7) geben. Künftig hiervon ein mebrere®.
*) ©. Wagenfeild Benachrichtigung Über einige Yübifche Sachen, Leipzig 1705.
— 18 —
Ich weiß Ihnen keinen befiern Schlüffel zu ihm zu geben, als
die vortreflihe Vorrede Luthers zu dieſem, feinem Lieblingsbuche.
Er wird Ihnen fagen, mas Sie in ihm haben, wie Sie’3 anwen⸗
den und brauchen follen. Ein Magazin folder Art muß uns durch
einzelne Vorfälle im Leben erft recht vertraut! und brauchbar wer-
den. In ähnlihen Umftänden und Gemüthsfafjungen erheben fich
ſolche Lieder gleichſam aus ihrer Aſche hervor, fie werben uns näher
und traulicher, ihr Geift befucht uns in treffenden Sprüden, mir
bören füßen Gejang der fanften Githith, der hellen Kinnohr ober
der gedämpften Adufe von fern tönen, unſer Herz wird ftill oder
freudig — —
Sie erinnern mid an Proben aus diefem Buch, wie ih Ahnen
bie und da aus den vorigen gegeben. Es fey fo; ich? gebe einige,
wie fie mir in bie Hand fallen; Ihr guter Geift wende fie an:
Ich bebe meine Augen zu den Bergen,
Bon dannen mir? Hülfe fommt!
Meine Hülfe fommet von Jehovah,
Der Himmel und Erde fhuf.
„Er wird deinen Fuß nicht gleiten laſſen,
Er wird nicht ſchlummern, der dich bewacht!
Nicht! Schlafen wird er, und nicht fchlummern,
Der Iſrael bewacht.
Sehovah ift dein Wächter,
Jehovah ift dein Schatte,
Er ziehet dir zur Rechten,
Dat Tages dir die Sonne,
Dir Nachts der Mond nicht ſchade.
Jehovah wehret von dir alles Uebel.
Er mwahret die dein Leben,
1) Leben vertraut
2) Es ſey fo; nur erinnern Sie fih, m. gr., daß man Herzens⸗
geſänge ſolcher Art auch durch Kritik entweyhen könne. Ich
3) meine 4) Nein! nicht
159
160
161
— 19 —
Behütet deinen Ausgang
Und Eingang,
Jetzund und immerdar.“
Welche file Ruhe, die in diefem Liebe der Wallfahrt, der Reife
und des Sehnen? nad) Gottes Bergen berrihet! — Den Bug
Gottes zur Rechten, nehme ih für einen gewöhnlichen Idiotismus,
ftatt:? dir zur Hülfe, zur Stärke, zum Beyftande; die Redens⸗
art it häufig befannt: Pf. 73, 23. Pf. 16, 8. uf. — Ein
andres ſchönes Lied, das? ihm vorhergeht:
Zu Jehovah ruff’? ih in meinen Aengften,
Und Er erhöret mid.*
„Herr, rette meine Seele,
Bon Lügenlippen,
Bon Läfterzungen.”
„Was kann dir thun, was fann dir ſchaden,
Die Läfterzunge?”
Sie ftiht wie jpige Pfeile des Starken,
Sie brennt wie glühende Kohlen von Dornen. —*
Wehe mir!
Ein Fremdling bin ich hier in Räuberhorben,
Muß wohnen hier in Kebarenifchen Zelten,
Lang’ ward es meiner Seele,
Mit Einem zu wohnen, der Frieden haft.
Sch ſpreche vom Frieden, und Er fucht Krieg.®
1) Ich weiß nicht, ob ich die ftille Ruhe ausgedruckt habe, die ....
Bergen liegt. Den Zug Gottes ihnen zur Rechten, nehme ich ohne Geogra=
phie für Idiotismus an, ftatt:
2) Ein andres, das 3) ſchrie 4) Er börte mid.
5) Spite Pfeile des Starten [hießtfie, Glübenve Kohlen von Dornen.
6) Ein Frembling bin ih in Mefeh, Muß wohnen in Zelten Kedars.
Lange warb e8 meiner Selle, Mit dem zu wohnen, ber Frieden baft.
Ich ſprach vom Frieden, Er nahms auf Krieg.
Dffenbar tft dies Lied die Klage eines einzelnen verfolgten und
verläumdeten Mannes aus einem unfriedlihen Zelt, oder aus einer
bedrängenden Hütte. Warum es als nmyoynma TS daftehe, weiß
ih nicht; fo, daß ich überhaupt dies Wort lieber von Palmen,
die aus der Wiederkehr mitgebracht find, oder die zum Zuge nad
Serufalem gehören, zu überjegen Luft hätte.*)! Augenfcheinlich ift
das Pſalmbuch Parthieenmweife entjtanden, (mie oben gezeigt wor:
den) und in dem leßten, dem jpätern Theil, find nur wenige
Stüde von David, eine Nachlefe gleihfam; die meiften jcheinen von
andern Berfaffern.?
Wäre Yehovah nicht mit uns gemeien;
Sage nun Iſrael.
Wäre Jehovah nicht mit uns geweſen,
Als Menſchen über uns ftanden;
Verſchlungen hätten fie und lebendig,
In ihrem Grimm, in ihrer Wuth.
Sie hätten uns überſchwemmet, die Waffer,
Der Strom wär’ übergegangen über unfer? Lchen,
Gegangen wären fie über unfer Leben
Die ftolzen Waſſer.
*) S. vom Geift der Ebräifchen Poeſie. Th. 2. S. 367. u. f.
1) Offenbar gebt dies Lied nicht auf die Reife felbft, fondern ift eine
Klage no aus der Gefangenſchaft Hütte. So find mehrere diefer Pfalmen,
die kein Wort von Reife fagen, und doch unter ben noyn NS fteben:
fo, daß .... mitgebracht find, und zu ihr (dem Zeitpunkt und Urjprung
nach) gehören, zu überfeßen Luft hätte. Dies fcheint dem Zweck der Lieber-
ſchrift ſämmtlicher Bfalınen gemäß, die nicht ſowohl Inhalt, als Urfprung,
Berfaffer, Umftände der Entſtehung zu beflimmen ſuchte. Alfo
tönnen unter diefen Yiebern wirklich Stüde von David und Salomo ftehn,
die vorher im Pfalmbuch noch nicht flanden, und jett aus der Gefangen-
ihaft erft mitlamen und binzugefügt wurden.
2) Berfaflern, und kamen auffteigend, d. i. auf der Rückkehr
(Era 7, 9.) mit berüber. Bey den meiften zeigts ihr Inhalt:
3) übergegangen unjerm
Gelobt ſey Gott!
Er gab ung ihren Zähnen nicht zum Raube,
Entlommen tft unfre Seele, wie ein Bogel,
Aus Vogler Strid:
Der Strid ift zerriffen, wir find entjchlüpft.
Unfre Hülfe fteht im Namen Jehovahs,
Der Himmel und Erde fhuf.
Daß der Anfang dieſes trefliden, in verſchiednen Stellen jehr
lebendigen und nachahmenden Liedes nicht ein allgemeiner Sat,
jondern eine beftimmte Erfahrung aus der Vorzeit fey, zeigt der
Fortgang unläugbar. Eben hierauf, daß e3 ein gewiſſes Factum
voriger Begegniffe jey, fteuert fih das Lied und »8, das ich nicht -
163 ausdrüden Tonnte, ift nicht vergebens dreymal wiederholt. Wie
ihön ift der Schwung im Ganzen! wie fhön die Malerey V. 3.
4. 7. —! Hier ift ein anderer Pſalm, offenbar auf dieſelbe
Gefangmeije:
Biel haben fie mich geängftet von meiner Jugend an,
(Sage nun Sirael)
Biel haben fie mich geängftet von meiner Jugend an,
Und doch nicht übermodht.?
Sie haben auf meinem Rüden geadert, die Aderleute,
Und zogen ihre Furchen lang. —*
Jehovah, der Geredhte,
Hat abgejchnitten die Seile der Frevler.
Beichämet werben zurüde weichen,
Alle, die Ston haſſen;
Sie werden jeyn, wie Gras auf den Dächern,
Das, eh’ es reif wird, melfet.
1) Wie ſchön der Schwung im Ganzen, die Malerey V. 3. 4. 7. fey,
mögen Sie fi jelbft erflären. —
2) nicht über mich vermocht.
3) geadert, die Pflüger, Und lang gezogen ihre Furchen. —
— 12 —
Mit dem kein Schnitter die Hand,
Kein Garbenbinder füllet feinen Arm,
Dem nicht die Webergehenden jagen:
„Segen Jehovah auf euch!
Wir fegnen euh im Namen Jehovah.“
Noch ein paar diefer ſchönen Lieber:
An Babels Strömen faflen wir ba,
Und meineten, wenn wir an Zion dadten.
Hin an! die Weiden in ihrem Lande,
Hingen wir unjre Harfen.
Denn da foberten fie, die und gefangen hielten,
Liedesworte von ung:
Unfre Dränger foderten Freude:
„Der Zionglieder, finget und Eins.”
Wie follten wir fingen Jehovahs Lied
Auf fremder Erde?
Vergeß' ich dein, o erufalem, ?
Sp vergefje meiner meine rechte Hand !?
Es ange meine Zung' an meinem Gaumen,
Wenn ich nicht dein gedenke,
Wenn ich nicht über die Erite meiner Freuden,
Steigen laſſe Jeruſalem.
Gedenk, Jehovah, der Edomsſöhne,
Am Tage Jeruſalems.
Sie ſprachen: „reiſſet, reiſſet ein
„Bis auf den Grund!“
Tochter Babels, Verwüſterin,
Heil ihm, der dir den Lohn giebt, und vergilt
Was du an uns gethan.
1) dachten. An 2) dein, Jeruſalem,
3) meine Rechte!
166
— 13 —
Heil ihm, der einft ergreift und jchmettert
Deine Säugling’ an den Fels.
%*
* *
Als Yehovah Zions Gefängnig wandte,
Wie Träumende waren wir da.
Da war voll Lachen unfer Mund, !
Und unfre Zunge voll Jubel.
Da ſprachen fie unter den Heyden:
„Der Herr hat Großes an? ihnen gethan!“
Der Herr hat Großes an? ung gethan:
Deß find wir froh.
D laß’ auch jetzt, Herr, uns Gefangne? wiederkehren,
Wie Quellen wieder fommen im bürren Lande.
Der Siemann fäet mit Thränen,
Und erntet mit Jubelgeſang',
Er geht dahin und weint und träget feine Saat’ hin;
Er kommt zurüd und jauchzt und bringet feine Garben.t
Welch ein ſchönes Stüd, auch als Geſang betradtet! Der Anfang
ift Jubel, als wäre es eine ſchon erlebte,” göttlide Wohlthat;
und das Ende ift nur noch Wunſch, ein® Seufzer um die Wie-
derfehr aus Babel. Sie find ihres Gottes fo gewiß, fie find ihrer
Errettung auch nur im Traum des Andenkens fchon jo froh, daß
die Zulunft ihnen Gegenwart wird, und nur ſpät erft die Seele
zur traurigen Erinnerung aufwacht, dab um fie alles noch dürre
1) Gebein 2) mit
3) Laß, Jehovah, unfre Gefangnen
4) Sie ſäen in Thränen, Und ernten im Jubel. Sie gehen,
und weinen und tragen ihre Saat bin; Sie kommen und jauchzen und
tragen ihre Garben.
5) auch als Poefie betrachtet! Der Anfang ift jhon Jubel, al8 wäre
e8 erlebte,
b) noch
— 14 —
fey, daß fie noch im Lande der Gefangenichaft ſchmachten — —!
Doch mein Brief wird reicher an Verſen, ala an Proje. Leben
Sie wohl.
— — — — — —
Eilfter Brief.
Mi freuet, daB Ihnen das Studium der Pfalmen dur
meine Anfrifchung lieb geworden; wir haben im unferm SBeitalter
auh über fie gute Hülfsmittel erhalten. Auffer Michaelis,
Schulz, Tellers, Knappe, Mendelſohns Meberfegungen? in
Proje, und fo manden hie und da in Verſen haben mehrere
gelehrte Männer in einzelnen Anmerkungen mande Berichtigung
und Erläuterung geliefert*).? Ich gehe zu den Schriften Salomo’8
über — —
Die Sprüde find eins der fchwerften Bücher der Bibel, *
überfett zu werben. Der Geift orientalifcher Sinniprüde ift von
unfrer Art der Sprache und Borftellung fo verſchieden, daB oft
ihr feinfter Wig für ung ftumpf wird,? und die ihnen auffallendfte
Aehnlichkeit verfhwindet. Indeſſen haben auch bier fehr würdige
*) 3.8. Döderlein in feinem Grotius, Datbe in feinem Spri-
hen Pfalter, Knapp, Köhler in mehreren Stüden des Nepertorium,
Haße in der Idiognomik Davids u. a.
1) gewiß, ihrer Errettung .... Andenkens fo froh, daß die Zukunft
Gegenwart wird, und .... alles noch dürre, arme Thränenreihe Saat
ſey — — („daß fie — ſchmachten.“ fehlt.)
2) Knapps Ueberjehungen
3) haben Döderlein in feinem Grotius, Datbe in feinem Syri-
hen Bjalter, Knapp und infonderbeit Köhler in ihren Anmerkungen
.... geliefert. Die legten find ein Magazin kritifcher Belefenheit mit einem
febr reifen Urtheil georbnet.*)
4) find wohl das ſchwerſte Buch der Bibel,
9) Borftellung oft fo weit verfchieben, daß oft der feinfte Wit ftumpf wird,
*) ©. Repertor. für Bibl. und Morgenl. Literat. Th. 4. 5.
1) »*) 3. B. - u a” fehlt.
— 15 —
168 Männer gearbeitet und durh Anmerkungen und Ueberfegungen dem
16
8
Liebhaber fortgeholfen. Ich darf die Namen eines Schultens,
C. 3. und 3. D. Michaelis, Hunt, Reiske, Döderlein nur
nennen, um Sie auf diefe Blumenlefe des morgenländifhen Wites
und Scharfiinnd auch Fritiih aufmerffam zu maden. —! Das
jonderbarfte Kapitel der Sprüchwörter ift wohl das vorlegte und
das jonderbarfte in ihm jein Anfang. Ich Halte es ganz für?
Arbeit oder Sammlung eines Berfafjere, der Agur hieß, ober
fih bier Agur, den Sammler, nenne. Sie enthält finnreiche,
zum Theil fcherzhafte? Sprüde, die unter fih eben in feinem
Zufammenhange ftehen dürfen. Sie kündigen ſich gleich an, für
das mwas* fie find, daher ich mich wundere, wie man fie in ein
Gefpräh verwandeln können:
Worte Agurs, des Sohnes Jakeh,
Machtreden*) ſprach der Mann zu Stbiel,
Zu Ithiel und Udal.
*) Jchı nehme das Wort NÖNMT, wie es bey den Arabern fo gewöhn—
lich iſt, und audh,2 ohne das 7, bey ben Propheten oft als Ueberfchrift
vorlommt. Bey diefen heißts eine Machtreve, und bey jenen iſts ber Titel
zu Sammlungen bentwürdiger Reden, Gedichte und Sprüde, wie wir etwa
das Wort cornu copiz, Anthologie, Florilegium brauden. Sie haben
mebr, als Eine Samafa; und bier hätten wir alſo eine? hebräifhe Hamaſa,
d. i. Sprudfammlung Agurs, des Sohns Jaleh, der feinem Namen
nah, ſelbſt Sammler heißt. Sie find zum Theil mit großer* Vehemenz
und Eifer vorgetragen; und der Anfang jelbft ift eine begeifterte Zuſchrift an
Ithiel und Uchal.
1) verſchwindet. Auch hier hat Döderlein außer ſeinen Noten zum
Grotius auch durch eine eigne Ueberſetzung ſich verdient gemacht; außer und
vor ihm find Michaelis, Schultens, Hunt, auch neulich Reiske,
€. B. Michaelis und Geier, jeder im feiner Art, brauchbar.
2) Ich halte dies ganze Kapitel für
3) zum Theil fehr geflügelte 4) glei an, was
1) „Ih — Uchal.“ flieht in A. mit den angegebenen ÜÄnberungen vor „I nehme
beydes für” im Texte.
3) Sie fehen, m. Fr., ih nehme das .... gewöhnlich ift, und es auch,
3) bier haben wir eine 4) großer Macht,
— 126 —
Ich nehme beydes für Namen feiner Schüler,! und Ithiel wird im 169
Feuer des Parallelismus, wie mehrere Beyipiele find, feyerlich
wiederholet. Sie wifien, daß von Orpheus und Hefiodus an faft
alle? begeifterte Lehrſprüche und Geheimnifie an Schüler, Geweihte,
Jünger geftellt wurden; die Namen Linus, Muſäus, Berfes find
befannt.? Hier finds Ithiel und Udal, die die Götterfprüche hören;
fie fangen beynah mit* einem Räthſel an:
Ich, ein einfält'ger Mann,
Der Menſchen Klugheit hab’ ich nicht;®
Ich Habe Weisheit nicht gelernet,
Und doch weiß ich der Götter Wiſſenſchaft.
Wer fuhr gen Himmel und fuhr hinab?
Wer faßt den Wind in feine Yauft?
Wer band die Waſſer in fein Kleid?
Wer fatte aller Erde Grenzen?
Wie heißt fein Name? wie heißt fein Sohn?
Wille mir das?
So? ſprach immer die Begeifterung der Urmelt, nicht nur in
Morgenlande, jondern aller Orten. Das älteite Gedicht der Nord-
1) Namen (feiner Söhne oder Schiller) 2) an alle
3) wurden; und bie .... find ja fo belannt. 4) fangen mit
5) Ih, der finnlofefte der Männer, Der Menfchen Einficht hab
ih nicht;
6) Heilgen
. 7) Ih nehme die Worte alle, wie fie ba fiehn: ohne Abſatz, obne
Unterredung. Agur, ber fih im Feuer der Rede, als den Sinnlofeften ber
Menfchen anlündigt, der nach den, was Klugheit unter ihnen heißt, nicht
firebet, der feine Weisheit nicht Schulmäßig erlernte oder erkaufte; Er unter-
nimmts demohngeachtet, Sprüche Gottes, Geheimniſſe feiner Heiligen
zu wiflen und zu ſagen. Es ift befannt, wie fehr auch bei beibnifchen
Dichtern, zumal in den älteſten Zeiten, fi das Göttliche, Himmliſche von
dem, was gemeine Menſchen wifien, vom Irrdiſchen zu unterfcheiden juchte,
und mie meiftens Dichter, Philofophen, Gottbegeifterte aller Art fich
zuerft vom gemeinen Wege entfernt barzuftellen ftrebten, ebe fie ihre Gcheim-
niffe, die ihnen von Gott gegebne Weisheit den Geweiheten verlündigen
171
— 17 —
länder, das faft wie biefe Hamaja anfängt, und fih Voluſpa,
Sprache der Weifjagung, nennet, fragt, gerade wie diefe Stimme,
binter jeder geheimen Tradition vom Weltbau oder dem Gefchlecht
Odins: Wer weiß mir das? oder: wifjet ihr das? Geheim-
nifje der Art, Religions» und Naturgeheimniffe, wurden immer
am liebften in Fragen und Räthſel gefleivet. Die Fragen Gottes
bey Hiob, die er ihm als Abgrund ber Meisheit vorlegt, find
hierüber der fchönfte Beweis und menigitens eine Heine Aehnlich⸗
feit mit ihnen bat diefer Sprud Agurs. Er fährt fort:'
Die Neden Gottes find alle geläutert Gold.
Ein Schild ift Er, allen, die auf ihn traun.
Thu nichts zu feinen Worten Hinzu,
Daß, wenn er fharf erforicht,? er dich nicht Lügner finde.
Lefen Sie das 28. Kapitel? Hiobs, Eins der erhabenften
Stüde der Welt, und ich darf Fein Wort mehr jagen. Es zeigt
wollen. Ich könnte Ihnen manderley Stellen Griechifcher Dichter anführen;
erinnere Sie aber nur an fo manche feyerliche Ankündigungen Ebräifcher
Propheten; infonderbeit wenn in Hiob entweder Elihu anfäugt, oder Götter -
und alte Weisheitiprlihe angeführt werden. Cine foldye fol auch bier fol-
gen, und wie abermals der ältefte Zon will, als Geheimniß, in hoben
Näthfelfragen. So
1) Beweis, fo wie fie gewiß das Erbabenfte find, das je in foldyen
Fragen gefagt ward. Cine ..... Spruch Agurs.
Wie aber? mußte Agur alled, was er fo erhaben fragt? Mich büntt,
ja: e8 war eben die auszeichniende Wiflenfchaft der Heiligen, d. i. ber
Srmählten Jehovahs, daß fie Ihn fannten, Ihn, den Weltfchöpfer, ben
Weltregierer, und eben dies, nur Dies preifet Agur. Er will nicht wiſſen,
wie man Himmel und Erden erfülle? den Wind hemme, und Wafler in
fein Kleid, die Himmelsluft binde? fondern wer e8 thue? wie fein Name
umd feines Sohnes Name jey? das wufte Sfrael, das weiß Agur, und
nennets ein Gottesgeheimniß. Daß dies der Sinn fey, zeigt der Zuſatz,
den ich noch für Kortjegung deſſelben Spruchs halte:
2) wenn er prüft,
8) Der Ifraelit ift ftolz auf fein Geſetz, auf die Rebe, die ihm Gott
anvertrauete, Hält fie für geläutert Gold, fir eine Summe aller Weisheit,
der man nicht8 binzutbun müſſe, oder Gott räche jeden falſchen Zufat.
— 128 —
durchhin, daß nicht Naturkenntniß und Erforſchung das wahre Ziel
menſchlicher Weisheit jey; fondern einzig und allein Kenntniß
und Furcht Jehovahs. Es ift, fo wie der 19. 147. Pfalm,
das Lied Moſes, die ganze Dichtung des Buchs der Weisheit K. 7.
bis 11. Sirach 24. 51. der ſchönſte Commentar diefer Worte. !
Zwo Dinge bat ich von dir,
Bermweigre fie mir nicht bis an mein Ende.
Abgötterei und Lügen entferne meit von mir,?
Armuth und Reichthum gieb mir nicht,
Laß mid geniefien mein befchieden Brod,
So lang’ ich leb’ auf Erben.?
Ohne Zweifel wollte Agur doch ſelbſt nicht in daB Verbrechen fallen, wofür
er warnt; und fo konnte wohl feine Weisheit feine andre feyn, als wie wir
fie betrachte, Kenntniß de8 wahren Gottes Jehovah. Leſen fie
das trefliche 28. Kapitel
1) Es fpridt, fo wie ... Sirach 24. 51. hierüber ben ſchönſten Com-
mentar — —
Wer ift num aber der Sohn Gottes, von dem Agur redet? Wäre es
die Tochter Gottes, fo wäre e8 ohne Widerfpruh die ewige Weisheit,
von der, eben in Stellen von Agur® Art, jo ſchöne Perfonificationen vor-
handen: wie 3. E. Sprüdm. 8. und in den eben angeführten Stellen des
Buchs der Weisheit und Sirachs. Jetzt heißets Sohn Gottes, und
Iſrael ift dieſes nicht, das wäre fein Himmelsgeheimniß. Ih muß ihn
wirfli für den annehmen, der frübe fchon als Wort Gottes, Engel
des Angefihts, im N. T. al® Aoyos bezeichnet ift, durch ben die Welt
geſchaffen, die Ende der Erde geftellet, alles das ausgerichtet murde, mas
diefer Gottesſpruch, als That des grofien Unbekannten preifet. Cr fährt
hinauf und binab (Hiob 9, 10-12) faßt Himmel und Erde in feinen Willen,
den Sturm in die hole Hand, Wollen des Himmels als Zipfel feines Klei-
des zufammen, fett alle Grenzen der Erbe; Sohn Gottes, der cwige
Ausrichter feiner Wege. — Ich wünſchte, m. Fr, daß Sie biefe Auf-
löſung einer der fchwerften und fchönften Räthfelftellen der Bibel wenigftens
mebr befricbigte, als die man bisher von ihr gegeben. Der erfte Macht-
ſpruch ift vollendet; es folgen andre einzelne Lehren, Gleichniffe, Rätbfel.
Ih kann nit umhin, noch Eins der fchönften zu nehmen, die je gejagt find:
2) Wahn und Lügen entferne von mir,
3) meines Antbeil® Brod. („So — Erden.“ fehlt.)
— — — — — N llll—
— 19 —
Daß nicht, wär’ ich zu fatt, vielleicht ich löge,
Und fpräde: wer ift Jehovah?
Oder wär’ ih zu arm, vielleiht gar ftähle,
Vergreifend mid am Namen meines Gottes,
Durch falſchen Schwur.!
172 So klingt der Herzenswunſch? eines beſcheidnen Mannes, (ein ſolcher
klingt immer wie Gebet und wird Gebet) der nur die goldne
Mittelmäßigkeit begehrt, verknüpft? mit innerer Zufriedenheit
des Herzend. Er will nichts mehr, ala mas ihm an feinem Theil
„von Haube des Lebens gleichfam durchs Loos“ zufällt, dies will
er aber auch ungeftört! genieflen. Wo nicht beyves ift, wo wir
entweder nichts haben und andre beſchweren müffen; ober zu viel
haben, und dieje ung beneiden, da entgehet uns der größefte Schatz,
Ruhe des Lebens. Agur, als fraelit, drüdt den Schaden und
die Gefahr beyder Extreme noch treffender aus: ber Eine wird zu
fatt, geräth in Wahn, macht fih aus Gott nichts, verachtet den
Namen Jehovahs, denn Er bat feinen Gott im Beutel; der andre,
zu arm, muß lügen,® jtehlen, die Noth treibt ihn zu uneblen
Mitteln des Unterhalts, er wird nieberträchtig, vom Mangel gar
gezwungen, falfch zu ſchwören — Die tieffte Grube von Niedrig-
feit, wohin die Armuth ftürzen kann. Agur, der weiß, wie fehr
menſchliche Herzen fih unähnlih, wie fehr fie von? Umftänden
geändert, ihrer felbft unmürdig werden fünnen, verbittet die Ver-
fudung zu beyden Abmwegen, und münjcht den geraden, goldnen
Weg der Mitte bis am fein ehrliches Grab hin.
1) Ober wär’ ih arm, vielleicht ich ftähle, Und vergriffe mich am
Namen meines Gottes. („Durd — Schwur.” fehlt.)
2) Ich halte die Worte für den Herzenswunſch
3) Gebet) wo Ein Glied der Rebe das andre erläutert. Für Wahn
Thauert ihn und für Lüge, für Stolz und nieberträdtiger Armutb. — —
Sein Wunſch ift, die golpne Mittelmäßigkeit verknüpft
4) ungeflört und unangezerret 5) nichts, vergißt,
6) lügen, vielleicht 7) unähnlich, von
Herders fänmtl. Werte. X. 9
— 10 —
Mie leid thut mirs, daß ich nicht fortfahren lann: Das ganze 173
Kapitel! ift eine vortreflide Zugabe des Parabeln⸗ und Näthfel-
buche; gleichjam eine Rede König Tyrols? an feine Söhne, wie
das folgende lehte die Anrede einer morgenländiichen Winsbeck an
Sohn und Töchter. Ich wieberhole e8, mein Freund, vielleicht
wiffen wenige,? was fie für Schönes, vielfeitig Praktiſches und
Menſchliches an ihrem Bibelbuche haben. — — Ich komme zum
älteften und erhabenften Lehrgedicht aller Nationen, zum Bud
Hiob3.*
Aber, was fol ich darüber fagen? Was über ein Bud
lagen, deſſen Ausfidt mir bald wie der beitirnte Himmel, bald wie
der frölide wilde Tumult der ganzen Schöpfung, bald wie Die
tieffte Klage der Menschheit, von Afchenhaufen eines Fürften,
1) fortfahren fann, in den übrigen Regeln und Rätbſeln Agurs, in
ber ſchönen Hofregel B. 10., in der Schilderung ber gewiſſen, aber unge-
nannten Art Menichen,
Eine Art, die ihrem Vater flucht,
Ihre Mutter felbft nicht fegnet:
Eine Art, fo rein im ihren eignen Augen,
Und ungewafchen von ihrem Kotb:
Eine Art, die hoch die Augen trägt
Und hoch die Augenlieder fchlägt:
Eine Art, die Schwerbter bat zu Zähnen,
Meſſer zu Badenzähnen bat,
Zu frefien die Armen vom Land’ binmweg,
Hinmegaufreflen die Dürftigen unter den Menfchen —
eine Art, die Agur nicht nennt, und niemand nennen muß, ber nicht ſelbſt
verfehlungen werden will. Wie gern ſpräch ich noch von der Halukah mit
ihren zwo Töchtern, die mit fchnappendem Munde: Habb! Habh! rufen:
von den vier umerfättliden und vier verborgnen, und vier unerträglicen
Dingen, von ben vier Heinen Weifen und den vier Prächtiggebenden —
kurz, dies Kapitel
2) eine Rede König Tyrols gleichſam
3) vielleicht die Wenigſten wiſſen,
4) älteſten, gelehrteſten und erbabenften .... zum Hiobs-Buche.
5) wie ein beftirnter Himmel, oder wie .... Schöpfung, untermifcht
mit dem tiefften Klagen der Menfchheit,
— 131 —
die Felfen der Wüſte Arabiens hervor, fürfommt. Meine Stimme
erliegt, eine einzige Beichreibung Gottes in der Natur ober in
feiner Borfehung, eine einzige Empfindung der Quaal, wie fie voll
innigfter Herzenslaute dies Buch giebt, geſchweige die letzte Exfchei-
nung, mo alles Große und Wunderbare der Schöpfung zufan-
mentritt,! den majeftätiihen Thron Gottes zu tragen — einen
174 Einzigen diefer Züge, nur wie ich ihn empfand, zu preifen. Hier
ſey mein Stillſchweigen Lob, bis Ahnen einmal der Sternen-
himmel dieſes Buchs aufgeht, und fein tiefe Meh? felbft in Ihr
Herz tönet.
Wir haben mancherley neuere Hülfsmittel zu ihm.*) Die
Naturgefchichte deſſelben bat Scheuchzer in einem cignen Bude
erläutert; und mehr als alles, erläutert das Leſen arabiſcher
Dichter und Aegyptens, Abeffiniens, Arabiens Naturgeſchichte.
Wo Hiob gelebt habe? und in welder Sprache urjprünglic das
Bud verfaßt jey? wird wohl? ein Räthſel bleiben; gnug, es ift
ein hoher Nachhall der erften Zeiten der Welt und der einfältigen,
175 unſchuldigen, in ihrer Armuth reichhaltigen‘ Naturmweisheit der
Väter und Patriarchen. Eine rechte Ueberfegung des Buchs ift
äußerft ſchwer in unfern jegigen Sprachen; und in Verſen beynah
*) Aufier? Schultens, (den Bogel, wiewohl am interefianteften
Theil des Commentars, nehmlich den? Stellen Arabifcher Dichter, verſtüm⸗
melt herausgegeben) Reimarus, deſſen kurzer Nachtrag das ganze
Geſchreibe feines Schriftftellers, Hofmanns, überwiegt, find Reiske neuere
Anmerhimgen, Michaelis, Edermanns, vorzüglich aber Molden-
bauers und Hufnagels beutfche Ucherfegungen? und Erläuterungen,
Döderleins Anmerkungen zum Grotius u. f. nützliche Beyträge zu feinem
Berftänbniß.
1) zufammenftürmt, 2) und fein Ad 3) ewig
4) himmelhoher Nachhall .... Welt, der einfältigen, unſchuldigen, in
ihrem Reihthum armen
1) „Wuffer — Verftändniß.“ folgt in A mit ben angegebenen Änderungen im Ip.
3) Commentars, den
3) Edermanne, in älteren Zeiten Kortums dentſche Neberfegung
9*
— 12 —
unmöglich. Faſt bleibt! bisher immer noch Luther der Held ber
Bibelüberfegung und (Tros aller verfehlten Stellen) infonberbeit
auch in diefem Bud. Ob die Geſchichte Hiobs Geſchichte oder
Dichtung fey, ift uns Einerley; gnug, er ift im Bude da, er
jpricht? und handelt, hält einen gelehrten Consessum auf feinem
Aichenhaufen über die erhabenften, wichtigften,, ſchwerſten Materien
der Menschheit, über Borfehung und Menſchenſchickſal; und
Gott ſelbſt entwidelt und Löfet den Knoten. Wenn Laften von
Lehrgedichten, Theodiceen und moralifher Naturbefchreibung ver-
gefien? feyn werben, wird dies Buch aufgehen in neuer Himmels⸗—
höhe und Sternenflarheit. — —
Das hohe Lied folgt. Was ih vor 10.% oder mehrern
Jahren davon gehalten, mögen Sie in den Liedern der Liebe*)
lefen; das Buch in einzelnen Stellen fritiich zu behandeln, war
damals meine Abfiht nicht. Damit ic mich nicht in Nebenfachen
verlicfe, und, mie e8 meiltens zu geichehn pflegt, durch unmelent-
lihe Beywerke den Hauptanblid verfehlte,® Hätte ich beynah Luthers
Tert gar bingefegt, weil mir durchaus nicht an Leßarten und Con»
jetturen gelegen war, fondern am Zwecke des Ganzen, an feiner
— — —
*) vieder der Liebe, Leipzig 1778. Das Buch war einige Jahre
früher, als es gebrudt warb, geichrieben. ?
1) Eine -rechte Ueberfegung bat das Buch nicht gehabt, und kauns
nicht haben in unſern jegigen Spraden; zumal in Berfen. Cubens Ueber-
ſetzung if Ihwad, und Edermanns Jamben au ben meiften Orten bem
Terte wibrig, fo ſehr ich den Fleiß deſſelben ſchätze. Der Himmel muß
einen eignen Menſchen dazu außrüften, der uns den Klang bed Buchs nur
von fern gebe; fonft bleibt
2) ſey, intereßirt Sie nicht; gnug .... da, Spricht
3) Menſchenſchickſal; Gott ſelbſt .... Knoten, was wollen wir mehr?
Wenn Welten von Poefie, Lchrgedichten, .... Naturbefchreibung im Abgrund
fiegen und vergeflen
4) vor 5. 5) Benmwerte andre den Hauptanblid verfehlten,
1) „*) Lieder — gefchrieben.” fehlt.
176
— 13 —
auffallenden Form und Geftalt. In diefen Gefichtspunft leſen
Sie das Büchelchen, und gehen nachher jelbft weiter. Die unzäh-
ligen und unfeligen Somimnentatoren älterer Zeit mag ich Ihnen
u nicht nennen; einige der neuern und befiern, die im Gefichtspunft
des Ganzen mit mir einig find, habe ich auf dem Rande ver-
zeichnet. *) 1
Ueber Ruth und die Klaglieder Jeremiä habe ich nichts zu
jagen, nah dem, was ich über Propheten und Gejchichte allgemein
177 und in einer unten genannten Vorrede bejonders ? gejagt habe **).
Wir haben Jeremias Elegie auf den Tod des Königs Joſias nicht,
und müflen uns alſo an diefer Sammlung patriotiiher und rüb-
render Klaggefänge ? erholen. — — Wovon id gern ausführlicher
Ipräde, wäre der Prediger. Ob er von Salomo fey ober nicht
jey? Tann jegt kaum entichieven werden. Vielleicht find auch nicht
alle Stüde des hohen Liedes von ihm; vielleicht auch nicht alle
Sprüde. Wir fahens an den Pjalmen, wir ſehens auch an den
legten Kapiteln der Sprüche, daß man ähnlihe Materien an gewiſſe
Hauptbücher ſchob, und gleihjam an die Nägel bieng, die einmal
dazu beftimmt waren. Davids Name hatte Einmal die Ueberſchrift
— nn
*) Dazu gebören Döderleins Anmerkungen zum Grotius 1779.
und feine Ueberfegung 1783. Kleuters bobes Lied 1780. und das Auch
Etwas über das Hohelied in einigen Stüden des Repertorium. Eich-
horns Einleitung ins X. T. müßte ich bey jedem biblifhen Buch neu=
nen: benn fie verbreitet fi) mit großem Fleiß, Geihmad und Scharffinn
iiber alle Bücher. ?
**) Borrede zu Börmeld Klagegefängen Ieremia’s, Weimar 1781.
1) Commentatoren werbe ich Ihnen vielleicht künftig rennen; vorerft
mögen Ihnen Diderleins Anmerkungen zum Grotius und Leßings
Ecloge Salomonis gnug feyn. Die erften haben meine Arbeit, zu ber ich
bei Gelegenheit eine Nachlefe zu geben gebente, bey weitem verbeflert — --
2) „über Propheten — beſondersé“ fehlt.
8) Sammlung Klagegefänge
1) „*) Dazu — Bücher.” fehlt.
— 14 —
zu den Pſalmen! gegeben; nicht alles aber in den Pſalmen ift von
ibm. Salomons Name galt Einmal für Weisheit, Sprüde,
Räthſel, Praht und Liebe; auch das fpäte Buch der Weisheit
nahm noch feinen Namen an, und fo können auch wahrſcheinlich
in die Bücher feines Namens Stüde gelommen ſeyn, die gleichjam
„Salomonisher Natur“ find, d. i. die? ihn, feine Weisheit, Herr-
lichkeit, Pracht, Liebe befangen oder nahahmten, ihn aber nicht
jelbft zum Berfafler haben. Die Vergleihung mit bem fpäter
gebauten Thirza und viele Lobſprüche? auf ihn felbft, die er kaum
gemacht haben kann im hohen Liebe, verrathen es jedem, der Ger
fühl Hat. Vielleicht ifts mit dem Prediger nicht anders. Das
Ende des Buchs ſcheint eine Sammlung von Sprüden mehrerer
Weiſen zu verrathen (Rap. 12, 11.) und der Name nprrp ent-
ſpräche diefer Angabe nicht übel; auf der andern Seite iſts aber
auch unläugbar, daß der Berfafler von fih, ala Salomo Ipridt,
und fih den Namen nwıp giebt. Woher dies jey? und was er
in feiner Perjon bedeute? verftehe ih nicht, fo wenig als, wer
bie Meifter der Berfammlungen find, die der Hirt (my&) beftellt
bat. War dies eine Akademie von Weiſen, die Salomo ftiftete,
oder die in fpätern Zeiten feinen Namen führte? Gnug; der
Inhalt dieſes Buchs ift eines alten Weifen im Orient, oder ber
Alademie folder Weiſen mwürbig. Sein Bud ift mir aus dem“
Altertbum befannt, das die Summe des menſchlichen Lebens,
feine Abwechslungen und Nichtigkeiten in Gefhäften, Ent-
würfen, Spelulation und Vergnügen, zugleid mit dem,
was einzig in ihm wahr, daurend, fortgehend, wachſend,
1) Liebern 2) find, die 3) Stellen
4) fo wenig als, warum ex fi einen Hirten 9 nennt, ber bie
Meifter ver Berfammlungen beftellt hat? Bielleicht ift dies eine Akademie
der Weifen, die Salomo ftiftete, die feinen Namen führte; die entweder in
feinem Namen fchrieb, ober in ber er rebete, die feine oder er ihre Sätze
in Ordnung bradte. Gnug der Inhalt dieſes Buches ift des größeften Wei-
fen Orients, und ber Alademie ihrer größeften Weifen wirbig. Kein Bud)
it aus dem
179
— 15 —
lohnend ift, veicher,! eindrüdlicher, kürzer befchriebe, als dieſes.
Ein Königswert! — wie denn aud viele Männer von Geſchäften
und Erfahrung, wenigitens in ihrem Alter an ihm? aufferorbent-
lihen Geſchmack gefunden, und darauf zuletzt gleichjam ? ihre Lebens-
mweisheit vebucirt haben. Leute im Gefängniß lefen ben Hiob,
Leute im Kabinett lefen den Prediger am Abend ihrer Tage; Einer
aus ihnen follte ihn auch aus Beyfpielen und Erfahrungen der
Weltgefhichte auslegen. * Was Balo u. a. für politifche Weigheit
in den Sprüchen Salomo's gefunden, ift belannt; mas für all-
gemeine, biftorifch » philofophifche Lebensweisheit im Prebiger fey, ?
ift vielleicht noch nicht dargeftellet, wie ſichs gebührte. Wenige
Worte in ihm find das Refultat großer Bücher, Lebensläufe und
MWeltperioden, und warlich finds, wie das Ende des Buchs rühmet,
lieblihe Worte der Rehtichaffenheit und Wahrheit, Sta-
heln und Nägel in die Seele. — —
Man bat fi viel über den Plan dieſes Buchs befümmert ;
am beten ift wohl, daß man ihn fo frey annchme, als man kann,
180 und dafür das Einzelne nutze. Daß Einheit im Ganzen fey, zeigt
Anfang und Ende: da aber den Morgenländern eigentliche Deduc⸗
tionen einer philoſophiſchen Materie fremd find, und weber dem
Könige Salomo, noch feiner Alademie an einer Dilputation de
vanitate rerum gelegen ſeyn konnte: ® fo beitehet das meifte aus
einzelnen Bemerfungen des Weltlaufs und der ” Erfahrungen
feines Lebens. Dieje find zufammengefchoben und mit den Allgemein-
fügen, was enblih das fimpelfte Reſultat von Allem ey,
leicht ® umfaßt und gebunden. — Mi dünkt, ein tünftlicheres
Gewebe darf man nicht ſuchen. Wäre man indeß hierauf begierig:
fo wundert mis, daß man die zwiefade Stimme im Bud
nicht bemerkt bat, da Ein Grübler Wahrheit ſucht, und in dem
Ton feines Ichs meiftens damit, „daß alles eitel ſey,“ endet;
1) reicher, tiefer, 2) Alter daran 3) darauf gleihfam
4) Tage; niemand als Einer aus ihnen follte ihn auch auslegen.
5) ift, 6) liegen konnte: 7) der vielfeitigften 8) gleichfam
eine andre Stimme aber, im Ton des Du, ihn oft unterbricht,
ihm das Verwegne feiner Unterſuchungen! vorhält und meiftens
damit endet, „was zulegt das Reſultat des ganzen Lebens bleibe?“
Es it? nicht völlig Frag’ und Antwort, Zweifel und Auflöfung,
aber doch aus Einem und demſelben Munde etwas, das beyden
gleihet, und fi durch Abbrüche und Fortfegungen unterjcheibet.
Man kann das Bud alfo gleihlam in zmo Kolumnen theilen, da⸗ 181
von die Eine dem ermatteten Sucher, bie zweyte dem warnenden
Lehrer gehöret; bier ift eine Probe:
1. Der Forſcher. | 2. Der Lehrer.
Kap. 1, 1-11. |
12 » 18.
Kap. 2, 1-11.
12 = 26.
3, 1-15.
16 = 22.
4, 1:16,
5, 9:19.
6, 1-11.
Kap. 7, 1.
‚16.
| Kap. 4, 17. Kap. 5, 1>8.
‚24:30.
|
|
Rap. 7, 2:15.
Kap. 7, 1723.
4
7
7
8, 1. Kap. 8, 2-13.
8, 14 - 17.
9, 1= 3,
9, 11=18.
10, 1= 8,
Kap. 9, 4: 10.
Kap. 10, 4.
1) Bermwegne und Lieberfpannte feiner Unterfiihungen und Be—
mübungen
2) ganzen Buchs und Lebens bleibe?" Das fonderbarfte if, daß
bie und ba die erfte Stimme, durch die zwe yte unterbroden, nadıper
gerade ba fortfährt mo fie e8 lieh: es iſ
— 17 —
Rap. 10, 5 =7. ' Rap. 10, 8-19.
Ä Kap. 10, 20.
| Kap. 11. 12. bis V. 7.
182 Worauf das Thema wiederholt wird, und der Schluß folget.
Nochmals gejagt, ich gebe die Eintheilung nicht für einen ! Dialog
zwifhen Ich und Du aus; inbeßen tft der Unterfchieb doch merf-
würdig und läßt vielleicht eine Zufammenfegung aus mehrern ein-
zelnen Stüden vermuthen. — ? Auch dies Buch hat in den neuern
Zeiten feine Bearbeiter gefunden *).
Ueber die legten Bücher Heiliger Schriften darf ich kurz jeyn.
Das Buch Efther Halte ih für einen Belag zu Beurkundung des
Feſtes Purim, wie etwa die Jüden in ihrer gewaltigen Entfernung
vom Hofe und von den Perfiiden Sitten, vielleiht auch ſchon in
Ipäterer ® Zeit die Geichichte, die ſolches Feſt veranlaßt batte, über-
kamen. Die Grundzüge diefer Geſchichte halte ich aljo für mahr, *
183 nur daß fie bier ganz nad der Weile und Vorftellungsart der
Juden erzählt ift, ob fie wohl Spuren Perſiſcher Sitten noch in
ih träget. Daniel ift die Offenbarung Johannes im U. T.; ich
müßte zuviel jagen, wenn ich etwas davon jagen wollte. — Efra
*) Auffer?) M. Mendelsſohn, deilen ehrerbietigen, pbilofophifchen
Zon id manden unſrer chriſtlichen Ausleger wilnfchte, haben Michaelis
in feiner Ueberfegung und poetifhen Parapbrafe, Kleuter, Struenfee,
Döderlein einzeln oder im Ganzen das ihrige gefagt; von ben ältern
Kommentatoren biefer und gefammter Bücher des A. T. werde ich fpäterhin
im Zufammenhange reden.
1) einen völligen
2) „indeßen — vermuthen. —” dafür in A: genau angeſehen aber,
if die Rüdficht auf einander ımläugbar. —
3) Beurkundigung des Frefte® -... . ihrer Entfernung vom Hofe und
den Perſiſchen Sitten, vielleicht auch ſchon in etwas fpäterer
4) Die Geichichte halte ich für wahr,
1) „Aufſer — reden.” folgt in A im Text.
und Nehemiah find traurige Bücher, fowohl im Inhalt der Ge-
Ichichte, ala im Styl und Ton der Erzählung. Armes Volt, wo
war bir jet bie Zeit und der Geift Mofes, Davids, Salomo,
Jeſaias! Die Bücher der Chronik endlich find eine nübliche Nadh-
lefe von dem, was auffer den fchon geordneten obigen hiftoriichen
Büchern an Volks- und Reichsnachrichten, Chronologie u. dgl. übrig
war, und man bier forgfältig hinzuthat, ohne es bie und da ord—
nen zu können. Nehmen Sie meine Briefe zuſammen und jchliefien,
was für einen Reichthum von Inhalt und verſchiedner Art wir
an biefen fo vielen und vielfahen Jüdiſchen Schriften haben! und
wie arm der dran fey, ber fie ohn Unterſchied, als ein Buch Einer
Zeit und Eines Schreibers stans pede in uno lieft. Er könnte
es nicht ärger machen, wenn er eine Bibliothef von 24 Schriften
und Scriftftellern einer andern Nation, in der verſchiedenſten
Schreibart, Jahrhunderte von einander getrennt, erft durd ! ein-
ander würfe, ſodenn zufammen binden liefie, und nun als Ein
Bud, bie Schrift Eines Menſchen und Tages, läſe. Ich bin 184
gewiß, der erfte Grundſatz eines gefunden, richtigen Leſens dieſer
Büder ift: theile! lies jebes Buch für fi, lies es in feine
Zeit zurüd und gleihfam auf feiner Stelle;? werde mit der Seele
und Schreibart jebes einzelnen Schriftftellers vertraut, und vergiß
jo lang alle andre, bis du zulest von Einer Gotteshöhe (falls
du dahin gelangft) fie alle zufammen, wie Bileam dag Volt, über-
feheft. ?
1) und noch mehr Schriftftellern .... in ben verfchiedenften Arten
der Schreibart, .... getrennt, durch
2) Leſens ift hier: theile! Lies jedes Buch für fich, im feine Zeit zurüd,
auf feine Stelle;
3) überfieheft.
— 139) —
185 Zwölfter Brief.
Sie wollen, daß ih Sie auf jene Gotteshöhe, ſämmtliche
Bücher des alten Teitaments zu! überfchauen, führe; aber, Freund,
wenn auch die fieben Altäre da- und ihre Opfer bereit ftünden,
wo tft der Gott, der mir begegne und mir feine Gefichte über dies
Voll, den Sohn feines Eigentbums, zeige? Ich Schaue ihn,
aber nur von ferne. — —
Die Hauptfache, der Grund von Allem ift, ob die Geſchichte
dieſes Volks wahr? das ift, mit andern Worten, ob dies Volk
Iſrael fey oder je geweſen? Mich dünkt, nur Frechheit ober
Verzweiflung könne dies läugnen. Es war und ift das ausgezeich-
netite Volt der Erde; in feinem Urjprunge und Fortichen bis auf
den heutigen Tag, in feinem Glüd und Unglüd, in Vorzügen
und Fehlern, in feiner Niedrigkeit und Hoheit fo einzig, jo ſonder⸗
bar, daß ich die Gefchichte, Die Art, die Erjiftenz des Volks für
den ausgemadtejten Beweis der Wunder und Schriften Balte,
die wir von ihm wiſſen und haben. So etwas läßt fich nicht dich⸗
186 ten, ſolche Geſchichte mit allem, was daran hängt und davon
abhängt, Turz, fol ein Volk läßt fich nicht erlügen. Seine noch
unvollendete Führung ift das gröffefte Pocm ber? Zeiten, und
geht wahrſcheinlich bis zur legten Entwidlung bes groffen, noch
unberührten Knotens aller Erbnnationen hinaus. — —
ft dies? Faktum bewährt; Tann niemand ala Falſchheit
erweiſen, daß Gott einen Abraham, aus der Familie, aus dem *
Geſchlecht der Vorväter, von der Höhe Aſiens allmälich ins niedre
Paläftina, bis in das noch tiefere Aegypten geführet, fein Ge-
ſchlecht durch einen Joſeph dahin kommen, durch einen Mofes (auf
welche Weile es auch geichehen jey) wieder heraus führen, lange
in der Wüfte umberziehn, zulegt Paläftina, wiewohl unvollkom⸗
men, erobern, dafelbft wohnen, feine mancherley Haushaltung trei-
1) Bücher zu 2) aller 3) dies grofle 4) Familie, bem
ben, endlih es gefangen führen, wieder fommen, ſich neu ein⸗
richten, nah manderley Einfledtungen fremder Völker es zulegt
in den Zuftand ftürzen laffen, mo wirs nod jest fehen; ift Dies
alles, noch ohn’ alles Wunderbare, nur jchlicht - hiftoriih, wie jede
andre Geſchichte wahr; mich dünkt, fo ift Alles geſetzt, Alles zu:
gegeben, was wir wollen, ein Wunder der Zeiten. So find aud
die Schriften wahr, die die Geſchichte dieſes Volks jo Natur: 187
voll, aufrichtig, fimpel, einzig bejchreiben, die jeden Zeitraum, faft
möchte ich jagen, jeden Winkel derjelben in feinem Xicht zeigen,
die mit den Greigniffen ſelbſt nur fo ſchlicht hinabgehn, mie der
Spiegel mit der Perſon, die er darſtellt. So iſt endlih aud der
Geift diefer Schriften mahr, denn er ift nur Geift des
Volks und feiner Gefhichte. Der Gott, der Iſrael fo erwählte,
jo führte; mußte auch fo zu ihm ſprechen, mußte auch alfo von
ihm fhreiben. Die Gefchichte bemeilet die Schrift, die Schrift
die Geſchichte. So eine unbändige Lüge e8 wäre, zu jagen: das
Bolt hat nicht erjiftirt und erfiftirt nicht, jo unbändig iſts, zu
jagen: die Schriften haben nicht erfiftirt, und find (vom Priefter
etwa, den Salmanaffer ins Land fchidte, vom armen Eſra oder
gar von einem Juden der dunteliten Jahrhunderte) erbichtet wor⸗
den. Harduins Hypothele ift Gold gegen diefe Staubeinwürfe. !
Man Tann in manchem Betracht viel eher Griechen und Römern
(gejchweige Chaldäern, Aegyptern) ihre Werke, Schriften und Tha-
ten, als die Begegniffe und Schriften dieſes Volks abläugnen:
denn die Geſchichte und Poeſien der Römer find zum Theil meit ?
‘ minder national gejchrieben, als die Geſchichte und Poeſien dieſes
Volles. So abftehend in Jahren, Inhalt und Abficht fie find, fo 188
ganz find fie in Einem Geift, im Geift feines Gottes und feiner
Geſchichte verfafiet. Das jonderbarfte Wolf hat die ſonderbarſten
Büder, ein Boll, deſſen Religion und Gefchichte ganz von Gott
abhängt und dahin weifet, hat auch Bücher der Art, des Geiftes;
jene Dinge find aus diefen, diefe aus jenen entitanden, und Alles
1) Kotheinwürfe. 2) find weit
— 1 —
iſt im Grunde nur Eins. Ein Gepräge, Ein Charakter, Eine
Beurkundung der Zeiten: ihr Name iſt, das Volk Jehovahs,
wie dort der Name von Ezechiels Stadt und Tempel: main 7"
Ich wünſchte niht, m. Fr., daB Sie mich mißverftünden,
und die Vorzüge diefes Volles in fein natürliches Verdienſt,
jeinen erhabnen, tugendhaften Stammcharakter, oder gar in eine
glänzende Rolle, die es vor allen Völkern der Erbe babe jpielen
jollen, festen. Allem widerſpricht der Inhalt dieſer Schriften felbft.
Ein widerfpenftiges, hartes, undankbares, freches Volt find feine
beften Titel in Mofe und den Propheten, die Wahl deſſelben ift
eine freye Wahl in den Vätern, die Liebe zu ihm ift die Zucht
eines Vaters an feinem übelgerathenen Sohne. — Glänzend von
auffen nad profanen Begriffen follte das Schickſal dieſes Volks
189 nicht feyn, wie etwa der Ruhm der Aegypter, Griechen, Römer.
In Kunſtwerken excellirten fie nicht; der Baum hiezu ward beynah
bis zur Wurzel abgehauen in der Gefebgebung. Handel und
Umlauf unter andre Völker ward ihnen unterjagt; enbli das
fleine Land felbft, das fie befaflen, hats ihnen nicht gnug gefoftet?
Erft Fremdlinge darinn in ihren Vätern, denn Dienftknechte in
Aegypten, jego mit Angft errettet, nun 40 Jahr unirrend, erfterbend
in der Wüſte — hatten fie damit nicht gnug gelitten, daß ihnen
endlich eine Ruheſtäte würde? Noch fanden fie diefe nicht ganz:
fie eroberten das Land nicht, wie fie jollten; blieben Moſes Geſetzen
nicht treu, wie fie follten; Ein Drud, Ein Verfall kam nad dem
andern: ! einzelne Befreyer, wenig gute, noch weniger glänzende
Könige waren ihre Retter; fie waren und wurden der Raub innerer
Theilung, ausmwärtiger Unterbrüdung, Gefangenführung u. f. Wahr-
lich fein Paradies auf Erden! — Indeſſen lag dies Alles fo fehr
im Plan Gottes mit ihnen, hing jo ganz von ihnen ſelbſt ab,
fteht im Liede Mofes, (der Charta magna dieſes Volle, die es
auswendig lernen mußte,) jo beutlih, wird von allen Propheten,
infonderheit von Jeſaia und den Pfalmen, jo rührend gebraucht,
1) Verfall nach dem andern fam:
— 192 —
fo richtig gedeutet, daB es ein fehr fremder Kopf feyn muß, ber
fih ftatt des armen Knechts Jacob, des niedrigen, verachteten 190
Iſrael, ein andres, etwa ein glänzendes Kunftvolf der Erde zu
diefer Anfiht wünfchte! Ein Kunftvoll, das Ideal der Erde in
ſchönen Probuctionen, ein Heldenvoll, das deal menſchlicher
Stärke und Uebermindung, ein politiiches Volf, das Vorbild von
der Nutzbarkeit des Bürgers zum gemeinen Beiten follte dies Wolf
nicht werden; (daher man ſich in folden Feldern andre Mufter
fude:) Volk Gottes follte c8 ſeyn, d. i. Bild und Figur der
Beziehung Gottes auf Menſchen, und diefer auf Jehovah,
den Einzigen, den Gott der Götter. Was diefe Beziehung
ins Licht ftellte, ward mit ihm vorgenommen, und wie es vors
gieng, mit Tugenden und Fehlern, wards aufgeichrieben. Die
Anbetung des Einen Gottes, des Schöpfers, des Vaters der
Menſchen feftzuftellen auf der Erbe, feinen Einfluß in Alles,
feine unmittelbarjte Wirkung in jede Kleinigkeit des Anliegens, der
Hofnung, der Noth der Menſchen, — mie nah er jebem unfrer
Seufzer, unjrer Gebete, unſrer Fehler, unſrer Vergeffenheiten
feiner, wie immer noch fo milde und verzeihenb er jey,? das
Böfe zum Guten zu Tchren, fobald jemand da ift, dies Gute zu
empfangen, und mit einem beſſern Gewande ſich leiden zu laſſen
vom Himmel — — mie tief der Menſch immer unter Gott, unter 191
feinen menſchlichſte Zmweden, Verheißungen und Geboten
bleidbe,? und wohin eigentlich dieſe Zwecke Gottes zielen? Dies,
m. Fr. und viel mehreres im Bande foldher Beziehung ift Geift
und Zwed diefer Geſchichte und diefer Schriften. Gerade hievon
findet man in den Schriften andrer Nationen, zumal des Alter-
thums, nicht3 oder wenige. In den Denkmalen der gebildetften
Völker, der Griehen* und Nömer, werden Materien diefer Art
1) verachteten, und bey Gott doch beliebten Wurmes Ifrael, ....
Erde hiezu wünſchte. Ein folder Wunſch zeigte, daß wir vom offenbaren
Zweck Gottes mit biefem Bolt nicht8 merkten.
2) feiner und immer .... verzeibend fen,
3) unter Gott bleibe, unter ... . Geboten, 4) Bölter, Griechen
— 183 —
nur ſeitwärts, beyläufig, oft mit ſolchem Contraft zu ihrer ander-
weitigen Klugheit und Einficht abgehandelt, daß man ſich ver-
mwundert:? in Judäa aber bezog fich alles darauf; der Name Gottes
war mit dem kleinſten Nagel der Stiftshütte, der Tleinften Opfer-
flaue, der jchlechteften Verrichtung des Lebens verbunden; einen
jolden Geiſt athmen auch dieſe Schriften. Daß 3. E. in den
fremden ausländifhen Hofbuch Efther der Nanıe Jehovah nicht,
daß er in den andern fo pft vorlommt, bat feine Urſache. Daß
Gott ſich in diefem großen Gebäude von Zeiten und Situationen auch
in Schriften fo vielfeitig, vielfältig geoffenbaret, hat ſeine Zwecke
und Beziehung. Daß mehrere Bücher untergiengen, dieſe blieben,
diefe in feiner andern Form und Geftalt blieben, hat gewiß feine Zwecke,
192 auch ohne allen Jüdiſchen Aberglauben betradtet. Ein heiliger
Name ifts, der diefe Bücher umjchließt, der die fernfte Stimme vom
Nachhall der Schöpfung und der früheften Weltfcenen bis auf die
legte, dumpferfterbende Stimme im Schutt der Mauern Jeruſalems
bindet und zuſammenholet, der zu unferm Geift und Herzen aus der
höchſten Höhe, der tiefiten Tiefe, der ferniten Weite, der innigften
Nähe fpricht und Handelt. Wo ift ein fo herrlich Volk, zu dem
feine Götter fi alfo nabten, ala Jehovah zu dieſem Volke?
Wo ift ein fo berrlih Volk, das jo gerechte Sitten und
Gebote hatte, als dieſe Gottesgebote waren?
Sie jehen, m. Fr., wie heilig und hehr mir diefe Bücher find,
und wie ſehr ich (nach Voltair's Spott) ein Jude bin, wenn ich
fie lefe:? denn müfjen mir nicht Grieden und Römer ſeyn, wenn
wir Griechen und Römer lefen? Jedes Buch muß in feinem Geifte
gelefen werden, und jo aud das Buch der Bücher, die Bibel; und
da diefer in ihm offenbar Geift Gottes ift, von Anfange bis zum
Ende, der feinen Ton und Inhalt von der höchſten Höhe bis zur
tiefften ? Tiefe ftimmet, fo können wir wohl nichts widerſinnigers
1) verwundert: (diefe waren auch ihr Hauptzweck nicht, fie fehrieben
nicht, als Kinder Gottes, fondern-al® Kinder der Menden ;)
2) leſe. Der Spott ift äußerfi matt:
3) Inhalt bis zur böchften Höhe und tiefften
— —
-
thun, ale Gottes Schriften im Beifte des Satans leſen, d. i.
die ! ältefte Weisheit mit dem jüngften Dünkel, himmliſche Ein-
falt mit nedendem Modewit verbrämen. Leſe man fo die Schriften
Homers, Plato's, die Traditionen von Pythagoras, den Gefchicht-
Schreiber Herodot und wen man wolle; es ift der nemlide Mis
brauch; der nur bey dieſen Büchern mehr auffällt, weil fie bie
älteften und die von allen andern Büchern verſchiedenſten find, da
fie Sprache? Gottes reden und nicht der Menſchen. Hier? ifts
und bleibt gewiß: „Die Weisheit Gottes fommt nicht in
eine boshafte Seele, und mwohnet nidht in einem dem
Rafter unterworfenen Menjhen. Der Geift der Zudt
fliehet Betrug, und meidhet fern von den Narrengedanten;
er wird gefunden, von denen, die ihn nicht verjuden,
er erfcheint denen, die ihn ſuchen in Herzenseinfalt. In
ihr, der Weisheit Gottes, ift ein verftändiger Geiſt heilig,
eingebohren, vielfadh, fein, beweglid, aufrichtig, unbe-
fledt, offenbar, unverlegbar, ſcharf, hurtig, wohlthätig,
menſchlich, feft, ftandhaft, fiher: er fann alles, und blidt
auf alles, und umfaſſet alle reinen, verftändigen, fub-
tileften Geifter. Die Weisheit ift beweglicher, als alle
Bewegung, fie reiht und umfaſſet alles wegen ihrer
Reinigkeit: denn fie ift Hauch der Kraft Gottes, ein
reiner Ausfluß vom Glanz des Allmädtigen, Abglan;
des ewigen Lichts, ein fledenlofer Spiegel der göttlichen
Wirfung und Abbild feiner Güte. Einzig, wie fie ift,
vermag fie alles, bleibet in ſich felbft und erneuet alles,
fteiget hie und da in heilige Seelen und bereitet Freunde
Gottes und Propheten.” Auch Lefer derjelben, mein Freund,
muß fie bereiten; fonft find wir blind im größeften Lichte — —
— —— — —
1) leſen, die
2) Büchern am meiften auffällt, weil fie von allen andern Büchern
die älteften und verſchiedenſten, Sprace
3) Da 4) Stiavenleihnam.
133
— 16 —
Uebrigens habe ich weit größere Luſt, das Göttliche dieſer
Schriften lebendig anzuerkennen, zu fühlen und anzu—
wenden; als über die eigentliche Art und modum deſſelben in
der Seele der Schreiber, oder auf ihrer Zunge, oder in ihrem
Griffel, oder in ihrer Feder zu diſputiren und zu grübeln. Wir
verſtehen nicht, wie vielfach⸗menſchlich unſere Seele wirkt, und
ſollen entſcheiden, wie viel- oder einfach Gott in fie wirke? Wir
ergründen Tein Wort Gottes in der Natur, jehen nie das innerfte
Wie? einer Sade, fondern! nur meiltens hinten nad und in
der Wirkung, das Daß und etwa dad Warum? das Ießte
meifteng auch nur im fpäten Erfolge; und wir follten das innigfte,
geheimfte Wert Gottes im Allerheiligften der Natur, in ber
195 Seele feiner Knechte und Geliebten, und zwar im feinften
Wie? und Weldhergeftalt? dafelbft erforfchen, ergrübeln, oft
im Streit und Haß ergrübeln wollen? Wir millen von dem
innern Zuftande feines Dinges in der Welt etwas, als durch
eigne Erfahrung oder Aehnlichkeit mit derſelben; (mo uns biefe
fehlt oder nicht gnug thut, wiſſen wir nichts;) und wir follten
vom innerften Zuftande fremder Perſonen entſcheidende Kennt⸗
niß haben, wo die größten Entſcheider und Behaupter es? immer
jelbjt vorausjegen, daß wir nihts Aehnliches in unjercer
Seele erfahren fünnen, oder ja nicht erfahren müjfen, um
niht Schwärmer zu werben. Endlich follen wir in dem ewigen
Streit, zwifhen Wort und Sadhe, Gedankt und Ausdrud
bier an der verflodtenften Stelle Auskunft geben fünnen, da,
jo lange die Menſchen vifputirt Haben, fie ſich über die Grenzen
von beyven, Wort und Sade, Bedankte und Ausdrud,
jelbit in dem und worüber fie difputirten, in der ihnen bemufteiten
Sache des Augenblids und der Gegenwart nie haben einigen können.
Fliehen Sie, m. Fr., die ſcholaſtiſchen Grillen und Grübeleyen
hierüber, den Auskehricht alter barbarifchen Schulen, der Ihnen oft
den beiten, natürlichften Eindrud des Geistes dieſer Schriften '
1) Wie? fondern 2) Enticheiber es
Herders ſämmtl. Werke. X. 10
— 1 —
verdirbt. Sobald Sie ftatt gefunder Anficht, ftatt Tebendige gött- 196
lihe Wirkung zu genieffen und anzumenden, fi in einen Abgrund
einfperren und ein Spinnengeweb ! Philofophiiher Fragen und
Unterfcheidungen theilen, fleucht Sie der Geiſt diefer Schriften.
Er ijt ein natürlicher, freyer, frober, kindlicher Geift; er liebt
* Solche Hölen und Knechtäunterfuhungen nicht. Wenn Sie nicht das
Rauſchen feines Tritts, ala da8 Kommen eines Freundes, oder
einer Geliebten hören; ſondern den Tritt knechtiſch ausmeſſen,
austappen wollen ; jo werben Sie ihn nicht Tommen hören. — —
Sonderbar und äußerjt zu bedauren iſts, daß wir bey diefen
Schriften immer anders verfahren, al® bey allen andern auten,
Ihönen, menſchlichen Schriften; da diefe doch auch, fo fern wir fie
leſen, und verftehn, und empfinden, und anwenden follen, völlig
menschlich, für menjchlihe Augen, Ohren, Herzens- und Seelen-
träfte gefchrieben find. Den Geift Horaz, Homers, Sophofles,
Plato laffe ih aus ihren Schriften auf mid wirken: fie Sprechen
zu mir, fie fingen, ſie lehren mi: ih bin um fie, leſe in ihr
Herz, in ihre Seele; jo allein wird mir ihr Buch verftändlich, jo
alfein habe ich auh, mit den Zeugniſſen der Geſchichte, das beite
Siegel, daß diefe Schriften von ihnen find, weil ihr inneres Bild 197
nemlih, ihr mir gegenmwärtiger, lebendiger Eindrud auf mid
wirkt. Ohnmöglich kann ich von diefer heiligen Schriften eignem
und höhern Geift erfüllt, und von ihrer Göttlichfeit überzeugt
werden, als auf dieſe nemliche Weile. Wunder und Weiffagungen,
die fie enthalten, find nur denn erſt Beweiſe, wenn id ihre
Urfprünglichkeit, ihre Acht» und Wahrheit einzeln oder im?
Zufammenhange der Gefchichte Schon erfannt habe, d. i. wenn ber
Geiſt ihres ganzen Gebäudes ſchon auf mich wirkte, und id von
der Göttlichkeit ihres Inhalts Schon überzeugt bin. Dies kann nun
nicht * anders als meiner Faſſungskraft angemeflen geichehen; ober
man müßte bemeifen, daß, wenn ich diefe Schriften Iefe, ich jogleich
1) und Spinnengeweb 2) Schriften natürlich
3) einzeln im 4) fann nicht
— 147 —
Menih zu feyn aufhöre, und Engel, Stein oder Gott werde.
Hypotheſen ſolcher Art (fie verdienen diefen Namen nicht einmal,
denn fie find jedem gefunden Gedanken! und aller Natur zumider)
können nichts anders als bitten Spott und äußerften Schaden
gebähren.
Um Gottes und unjer felbft willen, m. Fr., laſſen Sie uns
dem Gott und Geifte folgen, der uns diefe Bücher gab, der uns
in ihnen jo anſchaubar, fo vertraut und natürlich redet. Warum
198 redet er alſo? warum ändert er fo oft den Ton? warum bequent
er fih der Seele, der Faflungstraft, dem Gefichtöfreife, dem Aus-
drud jedes diefer Schreiber? warum anders, als daß er vom
verderblihen Abgrunde der Schwärmerey,? aus dem noch feiner
zurüdfam, der fich Bineinftürzte, daß er uns von ihm weg, fern
weg, und nur auf Natur, Natur richten wollte, feine Sprade
ala die verftänblichite, innigfte, natürlichſte, leichtefte Menſchen—
ſprache zu hören und zu vernehmen. Warum ift das Meiſte in
der Bibel Geſchichte? und aud alle Poeſie, Lehre, Propheten:
ſprache auf fimple Geſchichte gebaut? Warum anders, als
weil Gott in der Schrift zu uns fprechen wollte, wie er in ber
Natur zu uns fpricht, in feinem vertrauten Wort, wie in feinen
ofnen Werten, naturvoll, thätlih. Die Sprade in der That
ift die Sprache Gottes: denn fo er Ipricht, jo geichiehts, jo er
gebeut, fo ftehetS da; die vertrauteiten Sprüche und Baterreben in
jeinem Wort find nichts ald ein Aufſchluß? feiner Werke,
jelbft vol That, voll Wahrheit. Je menſchlicher, d. i. Menfchen -
inniger,* vertrauter, natürlider man fi aljo Werk und Wort
Gottes denkt; je gewifjer kann man ſeyn, daß man ſichs urfprüng-
lich,“ edel und göttlih denke. Alles unnatürliche ift ungöttlich;
199 das übernatürlich - Göttlichfte wird am meilten natürlih; denn
Gott bequemet fih dem, zu dem er ſpricht, und für den er
1) find allem Gedanken 2) Myftit,
3) als ber gebeimfte Aufſchluß 4) Menſchlicher, Menfchen inniger,
5) urfpränglich, wie e8 war,
10*
— 148 —
handelt! Er wirkt durch die geheimften, fleinften Räder das
Augenſcheinlichſte, das Größefte — — ?
So dente ih auch von der Abichrift und der Bewahrung
diefer Schriften; Gott forgte für fie, wie ein Autor für fein Bud,
“ wie ein König für die Aufbewahrung feines Willens jorgt; aber,
jo viel wir willen, durhd natürliche Mittel und Wege. Meynen
Sie nicht, daß immer ein dienftbarer Geift dabey ftand, dem Ab-
jchreiber die Hand zu lenfen, oder dem Ueberſetzer ans Ohr zu
rühren, wenn er unrecht überjeßte; der grofe Beweis jo vieler
Abſchriften und Ueberfegungen ift offenbar dagegen. Je natürlicher
Sie über diefe Sachen denken, defto näher find Sie der Wahrheit.
Daß diefe Sprache ſich veränderte, mie alle Spraden, zeigt die
Geſchichte, ja ſelbſt die Schreibart biefer Bücher. Warum hört ?
binter Eſra und Nehemia die Ebräifche Sprade in Büchern auf?
als — weil fie im Leben aufhörte, meil man fie jeßo künſtlich
lernen mußte, und alfo nicht lebendig, rein und natürlich mehr *
Ichreiben konnte. Gott fchafte fein Wunder mit dem lebendigen
Gebrauch der Ebräiſchen Sprade; noch weniger wird ers mit den 200
Buchſtaben, die fie bezeichneten, mit den Schreibmaterialien, von
denen ihre Schrift abhieng, geihaft haben. Es kann immer feyn,
daß die Samaritanifhen oder noch viel rohere Budhftaben 5 die
ältern find, und unfere Ebräifche nur aus Chaldäa kamen. Es ilt
höchſt wahrſcheinlich, daß unſre Punkte nicht vom erften Zeitalter
der Sprache find, noch weniger ihre Accente und heutige Gramma-
tif: denn feine Sprache, vielmeniger die Sprache eines fimpeln
Hirtenvolfes hat auf Einmal Alles, und das künſtlichſte, feinite,
gewiß nicht zuerft. Sie thun aljo wohl, wenn Sie, zumal in
zweifelhaften Fällen ſich in diefe Urzeit und einfache Urſchrift mit
blofjen, vieleicht auch nicht genau abgetheilten Buchftaben und den
1) ſpricht, und weiß alles in feiner Natur zu brauchen.
2) Größeſte — — und handelt, wenn er aufs menfchlichfte fpricht
und handelt, am meiften göttlich.
3) börte 4) mehr in ihr 5) Samaritanifhen Buchftaben
— 149 —
vornehmften matribus lectionis zurüdlefen, oder! die ähnlichen
Laute mit lebendigem Ohr zu hören ftreben: alles dies ift nur
Natur der Sache, der Schrift und Sprache. Nun aber ftehen Sie
auch wie ein Fels feit, daß diefe Schriften im Wefentlichen nicht
verborben, verftümmelt und verlohren auf uns gefommen, daß in
ihnen noch Sinn, Zufammenhang, Inhalt, Wahrheit zu finden
und zu haben jey, fo viel wir davon bebürfen, und das vielleicht
mehr, ala bey irgend einer andern Gattung menſchlicher Schriften:
201 denn offenbar bat hievor die Borfehung nah Zeugniflen der
Gedichte, durch wirkliche, Fräftige facta geforget. Der
Samaritanijche Coder, die alten Weberfegungen und Paraphrafen,
endlich der jpätere Zaun des Geſetzes, die Mafora, find uns bier-
über Bürge; jedes Hülfsmittel in feiner Art. Um von der lebten,
der Maſora ein Wort zu reden, mar fie nicht ein Zaun? der Bibel
in den langen Jahrhunderten der Dunkelheit Europa's? Was
wäre aus ihr, fo lange Zeiten hinab, in jeder Hand der Unmifien-
beit, der Wuth des Aberglaubens, der frechen oder feigen Ber-
ftümmelung geworben, wenn nicht durch oben genannte Kunſt felbit
Buchſtaben, Punkte, Schreibezeihen ala Heiligtümer und Klei-
node gleihfam aufgefädelt worden wären, und für Ganze alſo
nichts beträchtliches verlohren gehen konnte. Freylich war es mit
ihr, wie mit der Arche? Noah: reines und unreines ward in ihr
aufbehalten, wie es bineingegangen war; das war in jener trau-
rigen Sündfluth von Zeiten hoch nöthig. Endlich ift durch Die
Buchdruckerey und hundert andere Dinge der Zuftand ber Littera-
tur verändert; aus den Händen der Juden find diefe Bücher, auch
der Bearbeitung der Urſprache nah, in die Hände der Chrijten
gelommen, die fih in allen Geftalten und Stellungen damit
202 beſchäftigen. Wie unmürdig manche Stellungen ſeyn mögen, jo tft
die Nutzbarkeit ihrer * Bemühungen im Ganzen unverkennbar. Man
—
1) ober gar
2) Testen, oft zu ſehr verachteten Maſora ein Wort zu reden, war fie
nicht ein ächter Zaun
3) Die Mafora war, wie bie Arche 4) biefer
wirft fi auf den Tafeln des Gefehes herum, und macht fie, felbft
durch die Fehler des Herummerfens von ihrem Staube rein, jo daß
wir fie vielleicht einmal dem Volk, dem fie gehören, in einem
Glanz des Urfprunges wieder geben werben, den man freylid
jest bey manden unmwürbigen Bearbeitungen noch nicht gemahr
wird. Trage jeder biezu bey, was? und auf die würdigſte, veinfte,
gewiffenhaftefte Weiſe, wie ers thun kann; und forge injonderbeit,
daß er bey allem Modegeſchrey in diefem Felde des fimpeln Weges
nicht verfehle. Die Bücher des A. T. beitehen aus fo vielen und
jo manderley Schriften, fomohl in der Schreibart, ala nach dem
Genius der Gedanken des Schreibers verſchieden; warum theilet
man nicht mehr die Arbeit, und giebt zuerft einzelne Bücher mit
allem kritiſchen Fleiße heraus? Das Studium der Bibel würde
dadurch natürlih: man vergäße, mo es ſeyn muß, die übrigen
Bücher bey diefem Buche, lernte diefes zuerft in feinem Licht
eben und fjchägen. Das MUeberfegen und Gommentiren aller
Ebräifhen Bücher Reih - hinab, dünkt mich, wie! wenn man ein
Bücherbrett feiner Bibliothef Reih- hinab kommentiren wollte. 208
Auch wünſchte ih jo viel möglich zuerft allen Commentar weg,
und nur eine vollftändige, richtige, fritifhe Ausgabe
einzelner Bücher. Der Maſorethiſche Tert ftünde oben;
jest die Lesarten andrer Eremplare, mozu Stennifot den erften
unvollkommenen, leider gar unfichern, indeß immer doch nüßlichen
Anfang gemacht hat. Lebt kämen die alten Ueberjegungen,
jofern fie nemlih kritiſchen Gebrauch haben; ihre Abweichungen
würden genau? angezeigt und ſodann vermuthet, moher die Abwei⸗
hung kam? wie fie gelefen? oder gehört? oder verftanden? Alles
dieſes furz und genau; das eigne Urtheil fo jelten, ala möglich);
meiftens nur mit Zeichen und verfchienner Drudart angegeben. Die
vierte Columne enthielt Conjekturen, neuerer eigne Meberfegungen,
wo fie fih nemlich auf feine der vorigen Claſſen reduciren, und
nicht gar auf Unwiffenheit gründen; jonft blieben fie meg, und der
1) ale 2) Abweihungen genau
Unterfchied blofier Worte würde gar überfehen. — Wünfchen Sie
niht mit mir, m. Fr., daß! wir eine foldde Bibel, au nur in
den einzelnen Stüden und Büchern, die es vorzüglich
nöthig haben, hätten? Daß? eine Gefellichaft wäre, die fih, da
doch in unjern Tagen dies Studium mehr getrieben, wenigſtens
204 mehr davon geredet wird, als jemals, fih im Stillen, zu einem
jolden Wert verbände!*) Ich kenne freylid feinen Ptolomäus,
der fie dafür bezahlte; dafür fperrete man fie aber auch nicht zu—
fammen, und ihr Wert wäre eine edle,’ freye, klaſſiſche Arbeit.
Wie? wenn wir zu BVirgil, Homer, Theokrit gehen, ift nicht ein
ftiller Fleiß in fo Etwas das erſte Erforderniß, der erfte Griff
zum Werfe? und im Buch der Bücher, das jo viele Männer eigent-
lich auf fich verpflichtet und mit ſich nähret,“ wollten wir nur
immer muthmaaßen, ruffen,? Dogmatifiren, ober gar poetifiren, zer-
fegen und zerreifien; nie ganz und vollftändig liefern, auf ben
Grund gehen, und mas da ift, mit Fleiß und Urtheil® ftille janı-
meln? Webers erſte Buch Mojes hat man mancherley verjudt;
für meinen Plan aber entweder zu viel oder zu” wenig Daß in
205 unſrer Zeit jchon viele ® gejammlete, aber zeritreute Hülfgmittel
dazu find, wiſſen Sie, und Ipäterhin werben wir mehr davon veben ;
jegt fey es genug, daß ich mit Einer kurzen Anmerkung fchlieffe.
— — —
*), Das Repertorium für bibliſche und morgenländiſche
Literatur, Leipz. 1777-79. enthält dazu nützliche Vorarbeiten ; bie meiften
von feinen Berfaflern wären auch vielleicht die Erften zu ſolchem Werke in
Deutichland. Und der Berfaffer der Einleitung ins A. T. könnte dieſes
fein mühfames und rihmliches Werk nicht Schöner als mit dem noch müh—
jamern und rühmlichern dem Tert des U. 8. ſelbſt krönen.!
1) überfehen. — O daß 2) hätten! O daß
3) wäre die ebelfte, 4) und nähret, 5) fchreien,
6) vollfländig und auf .... ift, mit Urtheil
7) hat Meintel eine Polyglottenconferenz,, ein nützliches Buch, gelie-
fert; e8 bat aber für meinen Plan zu viel und zu
8) viele einzeln
1) „Und — Erönen.” fehlt.
—
Die Bibel iſt vielleicht auch darinn Gottes Wort, daß ſie
von Anfange der Welt ſich an der älteſten Schrift! erhalten hat,
die wir aus dem Abgrund der Zeiten kennen. Alle Traditionen
der älteſten Völker ſind einig, daß ein gewiſſer Seth, Theth,
Thoit, Theut (Alles nur Ein Name dem ziſchenden th nad) bie
Buchſtabenſchrift erfunden, und ich wäre, (fo lächerlich eg unſern
gern niederreiſſenden, jelten aber aufbauenden ? Zeiten vorkomme,)
jehr geneigt, dies zu glauben. Nur durch ein folhes Mittel
haben fich die älteften Nachrichten der Welt erhalten, Wort Gottes
bey einer Familie, frey von Hieroglyphen, Abgötterey und Bilder:
dienſt, vein bleiben können, wie es offenbar, beyın Faden dieſer
' Nachrichten, der Zweck Gottes zu feyn ſcheinet. Daß nur Ein
eigentliche Buchftabenalphabet in der Welt jey, und alle Nationen
es nur fopirt haben,? ift beynah erweislich; daß ein Phöniciſches,
Syriſches, Ebräifches, (im Grunde alle nur Eins) die Mutter
jämmtliher in Europa gemejen, tft eben jo unläugbar. Das
ältefte Wort Gottes ift alfo noch mit aller unfrer Schrift ver- 206
wandt; wir brauchen, auch mern wir das ärgfte dagegen fchreiben,
noch immer jene Vatererfindung Gottes oder des Patriarhen an
jeine Söhne, ihnen Wort in Schrift zu geben, und das ältefte
Wort Gottes, die urfprünglidften Nachrichten, ja enblid
den unentbehrlichen Faden aller Menſchengeſchichte, die Zeitred-
nung* ihnen rein und treu zu erhalten. Was .diefer Ge-
danfe der Bibel für eine Würde, den älteften Traditionen für
Natur, der ganzen Idee „eines Worts, einer Schrift Gottes
an die Menſchen,“ für Urſprünglichkeit, Nutzbarkeit, und meit
verbreitete, durch die Gefchichte dofumentirte Wahrheit gebe, wenn
er in alles Licht feiner Wahricheinlichfeit gefett würde, verfolgen?
Sie ſelbſt. — —
Ende des erſten Theils.
1) Welt bie ältefte Schrift
2) unfern alles niederreiflenten und nichts bauenden 3) fopıet,
4) „die urſprünglichſten — Zeitrechnung“ fehlt.
5) und allverbreitete, ..... nebe? verfolgen
| —
Briefe,
das Studium der Theologie
betreffen.
von
% ©. Herder.'
— — — — — — — — —
Zweyter Theil.
— — — — km
Zweyte verbefjerte Auflage.
Weimar,
bey Carl Ludolph Hoffmann
fel. Witwe, und Erben.
1780. 1785.
1) „von I. ©. Herder.” fehlt.
(207)
(208)
Inhalt.
@eite
Br. 13. Vom Anblid, den uns die Schriften des N. T., verglichen
mit dem 4. T., gewähren. Die vergeblihe Mühe, die manche
fid um fie gegeben. Geſichtspunkt zur Harmonie der Evangeliften.
Ob fie einen eignen, falfchen Plan gehabt, bey der Berfaflung
ihrer Gefchichte? ? 209
Br. 14. Ueber ihr Zeugniß, al8 Zeugniß. Nothmwendigfeit der Ge-
ſchichte, die fie befchreiben, als Grund des Chriſtenthums betrach⸗
tet. Ob man zum Glauben diefer Gefchichte zwingen müfle? .... 223”
Br. 15. Wahre und falfche Stüten der Religion Iefu. Das Grab 2
des Heilandes, ein Lehrgedicht.!..uneensenesnesenenesonsnennessesnnnnssnnnnnnnsonnense 234
Br. 16. Bon den Sleichniffen Ehrifti. Erläuterungen des R. T. aus
dem Spracgebraud der Süden. Bon Eommentaren und Para
phrafen des N. T. Der Sieg des Heilandes, eine Ode. ...... 249
Br. 17. Bon den Weiffagungen und Vorbildern des neuen, im Q.
z. -— Ob bloße Accomodation alles gutmache? Zweifel dagegen. v
Ueberjegung und Paraphraſe des 110ten Pfalmes. „nenn. 262
Br. 18. Einige Bemerkungen zum Verbältniß des A. und N. T.;
infonberheit daß der Erweis Jeſu ſich nicht auf rabbinifche Deu⸗
tungen alter Weiffagungen zuerft und allein gründe „use scene 274
Br. 19. Vom ar Plan des iſtenthums. Ob es fih von
allem Guten, das außer ihm ift, abjondern folle? Obs Epo-
pen gewähre? Beylage einer morgenländifchen Fabel und eines v
Eremiten - Hymmuß. ....eascassenee 02 onsnennnnnensennenennnnne Annsennsssanssnsnonenssonenne 301
Br. 20. Bon? Hymnen und Liedern. Beylage eines Gedicht. ........ 319
Br. 21. Bon der Eitation des A. im N. T. Hauptregel die Schriften
der Evangeliften und Apoftel zu leſen. inige Züge zum Bilde
Chriftus. Das Diadem der Fiebe.® ..ueseeseensenr sanssenseensnnensesenennnnne 329
1) „Das — Lehrgedicht.“ fehlt.
2) Br. 20. Ob Beimerle und Empfindungen zufälliger Perſo nen der Chriſtlichen
Geſchichte eine Epopde gewähren ?_ Bon
3) im N. T. — Bon ben zu vielen Erläuterungen bes N. %. Obse aus ——
ländiſchen Selten erläutert werden börfe? Ob jeder Schriftſteller des N T. ein Apoſtel ſeyn
müffe? Ob die Offenbarung Jopanned ſchon erfüllet und verlebt fei? Zugabe einiger Segeln
aus den Yüdifchen Sprüden ber Väter.
Br.
— 16 —
22. Gründe, warım die Paraphraſen ganzer biblifhen Bücher
nicht eben die befte Erflärungsart derfelben ſeyn können. Bon
den Commentaren der Bibel. Zugabe einiger Regeln aus ben
Jüdiſchen Sprüchen der Väter.!..
VBr. 23. Fernere Regeln? zum Xefen bes N. T. Ueber die Göttlich
feit deſſelben. Vom Kanoniſchen Anfeben einzelner Bücher. Von
den Briefen der Apoftel, infonderbeit Pauli. Bom Evangelium
Johannes. Parabeln..
Br. * Prüfung der Urſachen zum Studium ber Theologie. Para⸗
Im. ..
1) Br. 33. Gtellen der Offenbarung Iohannes aus einer Poetiſchen Ueberſetzung
7) Br. 38. Regeln („PBernere” fehlt.)
[
349
364
377
(209)
Dreizgehnder Brief.
Allerdings, m. Fr., gewähren uns die Schriften des N. T.
einen ganz andern Anblid. Hier ift Tein Teſtament auf fteinerne
Tafeln, oder in prächtige Gebräude, Weißagungen und Lieber
geſchrieben; fondern ein Bund und eine Gefchichte des Geiftes,
gefchrieben in die weichen Tafeln des Herzens einer kleinen Heerde.
Der Held, auf den fidh hier alles bezieht, iſt felbft Fein Schrift-
fteller, noch weniger ein Dichter geworden; das Einzigemal, ba
wir ihn in feiner Geſchichte jchreibend finden, jchrieb er mit dem
Finger auf die Erde, und die Gelehrten von achtzehn Jahrhun⸗
beten haben noch nicht errathen, mad er gejhrieben? Die
Geſchichtſchreiber feines Lebens find fo furz, fo einfach, jo gedrängt
in ihren, nur den nothwenbdigften Nachrichten von ihm, daß man
fiehet, prächtige Bücher und Beichreibungen zu entwerfen, wenn
fies auch gekonnt hätten, war nicht ihre Abfiht. Seine menigen
Boten predigten; die mwenigften von ihnen ſchrieben. Die gejchrie-
ben haben, brauchten ihre Feder nur zu Briefen — zu Briefen
210 an einzelne Jünger, Melteften und Gemeinen, über einen Kreis
von Umständen und Beziehungen, wie er ihnen vorlag, und wie
diefe ihren Zuſpruch braudten. Die Zufchrift follte nur den
Zuſpruch erjegen und ſpricht alſo in der vertraulichften Schreibart.
Kurz, der Zwei des N. T. tft nit eine Bibliothek zu ftiften, bie
ewig neue Bibliothelen zeugte, jondern den Bund zu errichten, da
niemand den andern gelehrt unterwiefe: erfenne den Herrn,
fondern alle ihn kennen follten, kindlich und thätig. — —
Mih dünkt alfo, es ſey ſchon Mißanwendung diefer Schriften,
daß man fo viel und in fo andern Geiſt über fie jpreche und
jchreibe, als in dem fie gefchrieben find und in dem fie wahr-
— 158 —
ſcheinlich auch haben gelefen werden wollen. Was in der Welt
helfen alle die gelehrte Erörterungen, wo am Ende doch nidts
heraus fommt, als daß wir — auch dies nicht wiflen: z. E. welchen
Tag und Stunde Chriftus gebohren jey? wo! er in Aegypten
gewefen? moher die Weijen aus Morgenland kamen und wie der
Stern ihnen dad Haus zeigte? wer Petri Schwieger, und ob Wat:
thäus und Levi verwandt geweien? ob Matthäus fein Evangelium
Ehräiich geichrieben und was am Evangelium der Nazarener jey ?
(deren feines wir mwahrfceinli zu fehen befommen werden) wer 211
des Lucas Theophilus war? wenn und wo jeder Evangelift und
Apoftel jeden Buchſtab und Vers feines Evangeliums, feiner Briefe
geſchrieben? an wen er fie couvertirt? wie leferlich oder unleferlich
feine Hand geweſen? — Alle dergleichen gelehrte Unterfuchungen,
die vor einiger Zeit noch Einleitungen ind N. T. bieflen, ob fie
gleich nichts weniger, als jo etwas find, werden hoffentlich bald
in die Claſſe von gelehrten Tragen und Antworten fallen, in
welche fie gehören, in® nimium et inutile der Behandlung diejer
Schriften. Hätte Chriftus für unfre Neugierde forgen wollen, zu
wifien, was er bis zum 30. Jahr feines Alters getrieben? in
welcher Geſtalt ihm der Verſucher erfchienen? wo er die 40. Tage
nad feiner Auferwedung gelebet? mo ber? Himmel jey, in dem er
jegt lebet? wenn er wiederfommen? wo und wie der Thron des
Meltgerichts jeyn werde? Oder gar welder Geftalt, Länge und
Farbe Er? aus melden Zeuge Paulus Oberkleid geweſen? hun-
dert dergleichen curiosa mehr; würde es ihm und den Seinen nicht
ein Leichtes gefoftet haben, uns hierüber zu belehren? Daß fies
nicht gethban, daB uns mit ihrer Zeit auch alle Mittel entgangen
“find, fo etwas zu wiffen und zu erfahren; ift dies nicht Zeugniß
gnug, daß wird nicht wiſſen jolen? Und ih weiß auch nid, 212
wozu wirs wiflen müßten?
1) gebohren? (ſelbſt das Jahr feiner Geburt müffen wir nur erra-
tben:) wo
2) Auferwedung gefchmebet? wo der dritte
— 159 —
Offenbar geben uns die Evangeliften nur die Ichlichtefte Nach-
riht von dem, was ihnen, den Chriften, von Ehrifto zu wiſſen,
nöthig ſchien. Die drey erften menden fi) um gewiſſe Haupt-
punkte, feiner wunderbaren Geburt, der Erklärung Gottes über
ibm bey feiner Taufe, (mozu Johannes Prophetenamt geböret)
feiner Berfuhung, Lehre, Wunder, fcharfen Anmahnungen, feines
Leidens, Todes, Begräbnifjes, feiner Auferftehung endlih und
Erhebung gen Himmel. Dies find die Momente, die fie treiben,
von denen fie die Umftände, jeder nach feiner Art, nad jeiner
Kunde und Abficht, länger oder fürzer, bier oder da erzählen; ihre
Erzählungen find alſo biftorifche Documente und Beläge des alten
Glaubensbelänntnifies, das bald aus ihnen gezogen ward: „geboh-
„ren von Maria der Yungfrauen — bis, wieberfommend, zu
„tichten die Lebendigen und die Toben.” Hierüber find fie mit
den verichiedenften Worten alle Eins; dies ift auch der nützlichſte
und beite Geſichtspunkt zu einer Harmonie derfelben — ein Wort,
das font fo fchredlich mißbraucht wird. Die Leute, die jedes Wort
213 der Evangeliften in Abfiht auf Umjtand, Zeit, Wunder und Lehre
Chrifti, bis zum Kleinften erreı, aaı und rore harmonifiren wol-
len, wiſſen nicht, was fie thun. Sie zwingen und harmonifiren fo
lange, bis nichts mehr barmoniret, bis man fi an den Verwir⸗
rungen! des fchlihten, offenbaren Sinnes der Evangeliſten über-
drüßig liefet. Offenbar war der Zweck diejer nicht, Chronik oder
pragmatifche Gefchichte, fondern ſummariſche Nachrichten nach gewiſſen
‚Hauptmomenten und Merkmalen zu fchreiben; die bey aller Ber-
Ichiebenheit daher in Allen Eins find. An fo verichiednen Orten
zuweilen Matthäus und Lucas Einerley Rede, Gleihniß und
Wunder Jeſu erzählen; fo deutlich erzählen fie doch Einerley Sache
nur vielleiht aus einer andern Duelle geſchöpft, in einer andern
Abficht geordnet. Wiſſen oder wüſten wir diefe, jo würde alles
Harmonie; denn die Harmonie des Geiftes und Zweds ihrer
Erzählung ift unverkennbar.
1) Berzerrungen
Irre ih nicht: fo ift Matthäus der erfte Evangelift geweſen,
unter den vier, die wir haben. ch unterfude nicht, ob er jein
Evangelium zuerft hebräiſch gefchrieben (unwahrſcheinlich ifts nicht);
gnug, wir haben es Griedifh, und dies Griechiſche ift offenbar
vom Ebräiſchen Evangelium der Nazarener jehr verfchieden. Bon 214
diefem willen wir nit gnug, um darüber urtheilen zu können;
was wir aber davon willen, bebt den Verbadht nicht auf, daß es
nicht nach Lieblingömeynungen der Ebioniten eingerichtet, alfo aud)
unfern übrigen Evangelien widerſprechend geweſen. Gnug, Matthät
griechifches Evangeltum mar uns allein beftimmt und wir haben
an ihm, vergliden mit den andern dreyen, unjtreitig bie älteite,
Thlichtefte Volksnachricht vom Leben Jeſu. Er folgt ihm Schritt
vor Schritt auf feinen Reifen, Zügen, Wundern: bey ihm ift fein
Plan, feine Anordnung etwa zum Nefultat eine allgemeinen
Satzes, wie bey Johannes, oder zu einer firengen! Zeitbemerkung.
Er fchreibt, wie er gehört oder gejehen hat, Reiſen, Wunder,
Sprüde, Gleichniſſe, jo daß er nur vielleicht einige derfelben,
wenn fie einander nahe lagen, zujammen bindet, manchmal viele
Wunder in Eins faßt, offenbar aber nur Epitomen, Summarien
des Lebens Chrifti fchreibet. Diefe Blanlofe Einfalt, diefe Kunſtlos
und einzeln aufgenommene Reihe der Erzählung ift mehr Bürge
der Wahrheit, ald wenn er und jeine Brüder zierlich gereibet,
und barmonifirt, wenn fie einander? die Feder geliehen und wie
aus Einem Munde gefprochen hätten. — Dem Matthäus ift Marcus
gefolgt. Daß er ihn vor fich gehabt, ift offenbar, ob ich glei 215
nicht enticheide, in welder Sprade? Die Zufäte, die er madit,
verrathen nicht unmahrfcheinlih Petrus Zuthat; und märe dies
(wir könnens aber nicht ficher bemeifen) jo hätten wir ein Evan-
gelium mit Petrus Autorität und Durchſicht. Lucas bat, wie er
jelbit jagt, aus anderer Erzählungen gefammlet und geordnet; er
beruft fih auf Augenzeugen der Geſchichte, die er mit Fleiß
und Ordnung fchreiben will; diefe Schreibart ift bey ihm auch
1) zu ftrenger 2) gereibet, und gefädelt, Barmonifirt, einanber
durchaus! merfbar. Indeſſen macht er fi) fo wenig, ein prag-
matiſcher Geſchicht⸗ oder ein reingriechifcher Chronikichreiber zu feyn,
anheiſchig, als es ja fein Buch zeige. Ex erzählt die vorläufigen
Umftände der Geburt Yeju, eine Reihe Gleichniffe, Sprüde und
Wunder, die Matthäus nit bat; im Ganzen aber fehen mir,
Einer nimmt das Wort Evangelium, wie der andre, für fimple
Erzählung der Lebensumftände Jeſu, mie fie fih nah treuen
Berichten der Augenzeugen zugetragen haben, ohne für den Tag
und die Stunde jedes Worte, jedes Spruchs und Wunbers zu
ftehen. Wozu follte dies auch? und mie ſchwer wäre es, ohne
daB Judas etwa, ftatt des Beutels, die Fever hätte führen müffen,
geweſen? Somohl die Worte, als die Wunder Chrifti wiberholen
216 fi) oder laufen in einer ewigen Aehnlichkeit fort; ob an dem, oder
dem? hie oder da? jet oder morgen? jo oder aljo verrichtet, thut
bier nichts zur Sache, da es feine in jeder Kleinigkeit verfüängliche
gerichtliche Ausſagen, fondern ſummariſche Nachrichten jeyn jollten,
die, wie au Johannes zu Ende feines Evangelii jagt, mit Fleiß
vieles übergiengen und nur Hauptpunfte in Begebenheiten, Neben
und Thaten bemerkten. Se jchlichter,? wenn ich fo jagen darf, d. i.
je weniger angeftrengt und kritikſüchtig, je aufrichtiger, freyer,
liberaler, Volksmäßiger man diefe Bücher liefet; deſto mehr iſt
man in ihrem Sinn, im Geift ihres Urjprunges, und Inhalte.
Sie hatten gleichfam fein Arg, in dem, was fie auf treuen Glau-
ben und gut Gewiſſen erzählten; fie bauten alfo auch Kabalen
feindfeliger Kritit nicht vor, fo wenig fie eigentlih für ſolche
ſchrieben. Ihre Nede war Mil der Wahrheit, Honig einer frö-
lichen Botfchaft für Kinder, Jünger, Chriſten, einfache, argloſe
Lefer — — Halten Sie alfo, m. Fr., fo viel Sie fünnen, beym
erften Lejen diefer Schriften alle gezwungene Harmonien, Dogma-
tifche Erörterungen und gelehrte Ueppigfeiten im Commentiren aus
andern Nationen, Sprachen und Denlarten von fih entfernt; fie
1) Fleiß, ordentlich fchreiben will; und biefe .... ihm burchaus
2) lofer
Herver® ſammtl. Werte. X. 11
ftören durchaus den erften unverborbenen Eindrud. Leſen Sie jeden 217
Evangeliften allein und meflen ihn nach feiner Abſicht: wenn fie
nachher die drey erften zufammenftellen, jo gejchehe es noch frey,
nit Sylben⸗ jondern Seltionenweile, wie etwa der und jener
diefelbe oder eine ähnliche Nede und Handlung beſchreibet. Seyn
Sie bierinn lieber zu freygebig, als Fritifchlarg; weil die Evange-
lüften feine Kritifer waren und ja bie, an denen die Wunder
geihahen, nicht einmal namentlich nennen, geſchweige daß fie ein
Protokoll über ihre Heilung hätten führen mollen. Aehnliche
Stellen erläutern Sie durch einander, mit der billigen, wilden
Hand, mit der man redlichen, des Sprechens und Schreibens unge:
wohnten Zeugen, ihre Ausſage leicht macht; ftatt, daß der, dem
daran liegt, daß fie fich widerfpreden jollen, fie verwirrt, fie bey
Kleinigkeiten der Verſchiedenheit aus ihrem eignen Sinn treibt und
ihnen, wenn ich jo jagen darf, das Wort! im Munde verfehret.
Sch bin überzeugt, Sie werden fehen, es babe nur Ein Chriftus
gelebet und fo verjchieden man von ihm erzählt Bat: fo fey das
Beugniß aller, gerade im Wefentlichften und Wunderbarften, nur
Ein Zeugniß.? ch begreife nicht, wie der Verfafler des Fragments
über den Zwed Jeſu und feiner Jünger, den lebten einen Plan,
die Geſchichte ihres Meifters wiſſentlich zu verfehren, bat beymeſſen 218
können; in ihrer Erzählung, wie wir fie jebt haben, ift nichts von
biefem Doppelfinn, von diefer fpäter bin ihrem Meifter? geliehenen
Endabfiht merkbar. Entmweber wiſſen wir nichts von Chriſtus, falle
wir dieſen feinen Zeugen nicht glauben börfen; wohl, fo wifjen wir
nichts von ihm, weder böſes noch gutes, und fo mag die Sache
ruhen. Oder wir miflen etwas durch fie und dörfen fie lefen
(denn Griehen und Römer Haben doch fo gut ala nichts Hifto-
riſches von ihm gemelbet,* geſchweige etwas, daß ihnen vorzuziehen
wäre) mohlan, jo müfjen wir fie lefen, wie fie find; nicht fagen,
1) Sinn wirbelt And, .... bie Worte
2) fo fei aller Zeugniß, .... nur Eins.
3) bin ihm 4) geichrieben,
— 1638 —
„das jchreiben fie, das will ich glauben, jenes fchreiben fie zwar
„auch, das glaube ich ihnen aber nicht, das haben fie erdichtet und
„erlogen;“ denn ich fehe gar nicht, wo hier die Grenze zmwifchen
Wahrheit und Lüge ſey? und ob die unbewiejene,! eigne Meynung
eines Leſers achtzehn Jahrhunderte Hinter ihnen dieſe Grenze ziehen
könne? Sit ihnen zu glauben: fo glaube man ihren ganz, denn
offenbar ift von Anfange bis zum Ende ihrer Erzählung ein
Ganzes. Iſt ihnen nicht zu glauben, fo verwerfe man fie ganz,
ſage, daß man dur foldhe Leute gar nicht von Chrifto wiſſen
könne oder wolle, und laſſe fie mit ſich felbft unverworren. Für
219 Kritiker, die eine Römiſche oder Griechiſche Gefchichte ſuchen, haben
fie nicht jchreiben wollen; und es werden ihnen allemal Leſer blei-
ben, wie flein und veracdhtet ihre Anzahl fey, die die Unbefangen-
heit ihres Geiftes, die Planlofe Einfalt ihres Ganges, kurz das
aufrichtige, Lift- und Harmlofe Ganze ihrer Erzählung fo bemer-
fen werben, wie man ein offnes Gefiht und die Kunftlofe Rela⸗
tion eined gemeinen Mannes bemerkt und mit fih einig — —
Vom Evangelium Johannis rede ih bier mit Fleiß noch nidt:
denn es ift ein Dogmatifches Evangelium nad einem eignen Plan
gefchrieben.
Bielleiht wenden Sie ein, daß alle das wohl angienge, wenn
fie nur nit fo wunderbare d. i. unwahrſcheinliche Sachen
erzählten, und daß alſo eben dies Unmahrjcheinlidhe die Grenze
jey, wo der Glaube ihres Berichts aufhöre. So könne man ihnen
3. E. wohl glauben, daß ein Jeſus gelebt, daß fie mit ihm umge-
gangen, daß er dies und jenes geſprochen, gewollt, betrieben habe, (falls
fie recht gefehen und gehört,) daß er gefreuzigt, geftorben, begraben
ſey — Aber nun ja fein Wort weiter. Daß er fo wunderbar gebohren,
ſo wunderbar getauft, gelebt, geftorben, gar auferftanden, gen Himmel
gefahren fey; dies fünne man ficher, als Betrug oder als frommen
220 Irrthum, von ihrer Erzählung jcheiden, das jey gewiß nicht wahr,
weil es — nicht wahrſcheinlich, für uns nicht wahrſcheinlich
1) ob unbewiefene
11*
ift, ober endlich, mweil wird nicht felbft gejehen ober erlebt haben.
— — Die lebte Bedingung tft freylich die befte, die alle fremde
Nachrichten aufbebt und uns zuletzt die Welt fo enge macht, als
den Spannenlangen Umkreis unfrer Sinne oder unfers Leben.
Ich fürdte aber, die Erfte ift nicht zufammenhangender ala bie
Zweyte. Das Wahrſcheinliche ift gerade nicht immer, wenigſtens
nicht ausfchließend und unbebingt, das Kennzeichen der Wahrheit:
fonft müßte jener Indianiſche König recht gehabt haben, der das
Eis Täugnete, weil ihm unmahrjcheinlih war. Jede neue Natur:
entdedung müfte jo lange falfch feyn, bis fie uns a priori wahr
ſcheinlich! würde, und alle individuellen Umstände einer Lebens-
geihichte, die für uns oft unwahrſcheinlich gnug, in ihrem
Zufammenhange aber eben dadurch vielleicht deſto eigenthümlicher
und charakteriſtiſch wahrer find, müften durch dies Maas zu unſerm
Gedankenkreiſe? oder gar zu unfrer Willführ die unmiderjpredlid-
ften Zügen merden. Der nämlide Fall ift mit biefer Lebens-
geſchichte. Das Wunderbare in ihr ift durchaus nicht mehr unmahr-
iheinlih; c8 ift der Perfon, dem Chriftus, fo eigenthümlich, jo
charakteriſtiſch, ſo nothwendig, daß Chriftus Chriftus zu feyn auf 221
böret, wenn er nicht fo gebohren, fo wunderbar thätig, jo lieb
den Himmel, alfo lebte und ftarb, litte, und wieber ermedt wurde.
Augenscheinlich ift dies der Zufanmenhang, der Zweck ihres ganzen
Chriftus; die Sache nehmlich nur als factum betrachtet und alles
Dogmatifche no davon gefondert. Wie fie die Geichichte vorftellen
und erfahren haben wollen; gehörte dies Alles jo weſentlich zu ihm,
als e8 zu Einem von uns nicht gehöre. Mithin können Diele
wunderbaren Facta durch feinen Schluß von unfrer Erfahrung,
und die Analogie, die in ihnen ſelbſt liegt, durch feine Analogie
aus unjerm Leben über den Haufen raifonnirt werben; jo mwenig
ih Cäfarn aus der Geſchichte wegläugnen fann, weil er fein Menſch
unſrer Tage oder einen Riefen läugnen fann, weil er fein Zwerg
ft. Doch ich fühle ſelbſt das Ueberſpannte meiner Folgerungen;
1) uns wahrſcheinlich 2) Kreife
— 165 70 —
wie denn nothwendig alles ſchwankend oder überfpannt merben
muß, wenn man von fo incommenjurabeln Saden, als Raifonne-
ment und factum, Wahrſcheinlichkeit nah unſrer Maasgabe
und Wahrheit einer Geſchichte in Einem Dihem und mie über
Ein = und diefelbe Sache reden fol. Iſts ueraßaoıc eıc aldo
yevos, wenn man auf hiftorische Dinge allgemeine Dogmata bauet;
222 fo iſts folhe nicht. minder, wenn man jene durch Dogmata von
Wahrſcheinlichkeit, Wunderbarem u. d. gl. deren Calcul noch niemand
in der befannteften Sache zur Gemwißheit gebracht hat, wankend
machen wollte. Beyde ftehen völlig auf ihrem eignen, jehr ver-
ſchiednen Grunde. Geſchichte muß man dur Vergleich mit ihr
jelbft, mit ihrem Ort, Zweck, Zeitalter, Zeugniß u. d. gl. glauben,
oder fie ift für ung nicht da; man läßt fie andern und glaubt fie
nidt. ch kann es Saunderfon nicht verdenken, wenn er fich fei-
nen ſichtlichen Begriff von der Sonne machen kann, weil er fie
nicht fiehet; wollte er deshalb aber die Sonne läugnen ober beftim-
men, wie weit die Relation der Sehenden von ihr wahr ober
falih jey; gienge er dabey nicht zu weit? Vielleicht, wenn er
aufs jchärffte ratjonnirte; jpräche er für Sehende am irrften.
223 WViierzehnder Brief.
Keinen Fußbreit Platz babe ich mir mit dem vorigen Briefe
für Dogmata bes Chriftenthbums erftreiten wollen; nur ein ſchmales
Plätzchen für diefe arme, veracdhtete, und doch in fich jelbft jo zu-
jammenbangende, edle Geſchichte. Johannes mag mit feinem
Dogma: „Das Wort war ewig, war Gott und ward Fleiſch“ —
noch ganz an feinem Drte bleiben ; denn daß das ewige Wort Menfch
wurde, fchricb er nicht ald Zeuge, fondern als Lehrer, ber
alfo zu feiner Lehre auch andre Quellen braudt, ala Ohr und
Auge. Aber daß Chriftus Todte erwedt, daß er einen viertägigen
Tobten zum Leben aufrief, daß er einem Blindgebohrnen das
Geſicht, einem dreyßigjährigen Kranken die Gejundheit durch Ein
— 166 —
Wort gab, daß Er ſelbſt, der gekreuzigte, begrabne Chriſtus wieder
erſchienen, wieder geſehen und erkannt ſey, das konnte Er und
ſeine Brüder zeugen. Dazu gehört nur Auge und Sinn, ein
richtiger Verſtand und ein geſundes Urtheil. Und daß die Apoſtel
dies gehabt, daß in ihren Schriften keine Spur von Schwärmerey,
verſchlagener Liſt, betrogener Dummheit, alberner Eitelkeit, Jeſum 224
zu loben oder durch ihn gelobt zu werden, erſcheine; iſt, dünkt mich,
augenſcheinlich. Mögen fie ſich in ihren Anführungen des A. T.,
in ihren Ideen über Jeſum geirrt haben, wie fie wollen (td) rede
davon. noch nicht) das alles gehört nicht zu ihrem ſchlichten, biito-
rifhen Zeugniß, über Saden, von denen fie zeugen fonnten,
zeugen muſten (denn ſonſt konnte feiner ihre Stelle vertreten) und
wenn ſies einmal tbaten, nicht anders, ala alfo zeugen borften.
Wir haben aljo noch! nicht das Mindefte gegen fie; und nod
alles ift für fie.
Wäre Eine falfhe Spur in ihren Schriften, oder in ihrem
Leben: wäre Einer aus ihrem Mittel 3. E. von ihnen abgetreten,
hätte ihre Betrügerey, ihre Verabredung, die Geſchichte Jeſu zu
verftellen, au nur feindfelig entvedt; hätte Judas, der Ver-
räther, e8 auch nur in der Stunde entdedt, da fein Bauch barft
— fo wäre Indicium gegen fie und nun müfte man jchmanten,
prüfen, vechtlich, richterlich, erzkritiſch unterſuchen; noch aber könnte
man nicht ungehörter Sache verdammen und abläugnen. Nun ift
von allem gerade das Gegentheil. Keiner wird feinem Zeugniß
und der Sache deſſelben untreu; fie leben, leiden, fterben darüber; 225
der Verräther büßt feinen Pöbelgeiz mit dem Leben und fonnte
nichts verrathen, als — den Garten, wo Chriftus war, wo ihn
die nächtlihen Diebe fangen konnten.” Die Briefe Petrus und
Johannes find auf die Gefchichte Jeſu nicht nur gebauet, fie find
mit ihnen Eins; die Gefchichte Jeſu ift ihre Seele, wie fie Seele
1) haben nod
2) nichts als — den Garten, wo Chriſtus war, verratben. („wo —
konnten.“ fehlt.)
— 117 —
und ganzes Leben derer war, die fie fchrieben. Diefen Geift
pflanzten ſie fort, mit ihm allein erfüllten fie den Körper ! bes
Chriftentbums, daß er, Trog allem, was ihm Anfangs entgegen
war, faſt zwey Jahrtauſende überlebt bat — wahrlich, eine jonder-
bare Betrügerey, ohne alle und gegen die größeften Anzeigen!
Ein einziges Neich Beelzebubs, das mit fich jelbft fo eins, das in
allen Wirkungen ein Reich? der Wahrheit ift, dem Beelzebub ent-
gegen arbeitet, und dem mir doch den Beelzebub aus unferm Kopf
leihen wollen. —? Noch mehr. Erfiftirten auch nur feindliche
Zeugniffe gegen diefe Gefchichte, zumal in den erften Zeiten, in der
Nation, die dagegen zeugen konnte und fo viel Urſache hatte,
dagegen zu zeugen? — Auch nidt. Joſephus, der ja den Chriften
nicht frohnen dorfte, jagt fein Wort gegen fie, geſetzt auch, daß
er nichts für fie gefagt habe. Iſt fein Stillfchweigen nicht Sprache
226 gnug für fie? Und wäre es wohl wahrſcheinlich, ja nur begreiflich,
daß er von ihnen ganz gefchwiegen hätte? Man nenne feine Stelle
von Chriftus verftümmelt, ich alte fte auch dafür; etwas muß er
indefjen doc von Chrifto gefagt haben, und nah dem, was er von
Sacobus jagt, gewiß nichts Uebels.“ Sobald die Römer von dieſen
Schriften zu reden anfangen, iſts gerade im Geift diefer, wie Pli-
nius Brief zeuget — alſo immer noch Alles hiſtoriſch dafür und
nichts dagegen. — Endlich, könnte man auch nur (ich laße mich,
meinem vorigen Briefe ſelbſt zuwider, ets aAlo yevog herab) einen
Plan wahrfheinlid mahen, nah dem die Apoftel dieſe
Geſchichte erdacht und ausgebreitet? auch nur von fern wahrjcein-
lich mahen, wenn und wie und wodurch ſolches gejchehen? —
Bon allem aber noch nichts; ja das Härfte Gegentheil von Allem.
Die Geſchichte, die fie von Chrifto fchrieben, war den Begriffen
der Nation, war ihren eignen Begriffen entgegen; nichts ftieß
1) Bau 2) eins, in allen Wirkungen Reich 3) leihen —
4) Uebels. Ganz erdichtet kann die Stelle unmöglich feyn, fonft wüfte
ih nicht, warum man nicht auch bie Stellen von Johannes dem Täufer
Herodes Agrippa u. dgl. wegſchneiden könnte, blos, weil fie das N. T
befräftigen, ob fie gleich, eben, wie jene, alle bisher geſehene Codices haben
— 18 —
fie auf den Roman, Alles ſtieß ſie davon ab, und ihnen muſte er
ja ſelbſt, als eine ihnen unbegreifliche! Geſchichte, aufgezwungen
werden. Dieſe breiten ſie nun, als dazu beſtellte und faſt dazu
gezwungene? Augenzeugen, lebend und ſterbend, unter Schmach
und Trübſal, und fo fortgehend, unenthuſiaſtiſch, harmoniſch in 227
Schriften und im Leben, im Leben und im Tode weiter — Ich
hafle alle Declamation bey Biftoriichen Erweiſen: ich babe mir felbft
über diefe Sache viel zu lang geichrieben, weil fich einem Zwei⸗
felnden oder gar Läugnenden doch felten etwas oder gerabe nur
jo viel einreden läßt, ala wenn man dem Blinden von der Farbe
deflamiret: überhaupt find groffe Bände von Beweifen der Wahr-
beit der Chriftlichen Religion feine Speife für mich und ich wünfche
nicht eben, daß fies auch für Sie würden, ja endlich nah Allem
will ih noch fein Wort für die Wahrheit der Chriftlihen Reli⸗
gion (jo verflodten, als man das Wort Religion nimmt) gejagt
haben; allein für die Wahrheit diefer Heinen Geſchichte, mie fie
in ihrem erften Zuſammenhange dort erjcheint,? Tonnte und Tann
ih nicht anders reden, bis man mich eines andern Üüberzeuget. Ich
fage* mit allem nichts mehr: ala leſen Sie unbefangen und im
Bufammenhange ihrer Zeit, ihres Drts, ihrer Umftände, die Ge-
ſchichte ſelbſt; und (mern ich Hinzu ſetzen darf) hüten Sie fi, fo
viel Ste können, vor abftraften, hinkenden Bettelbemeifen. Unglaube
mag die Peft des Chriſtenthums ſeyn; fchlechte Beweis - Metaphyfit
ift feine garftige, faule Seuche. Es fterben mehr Menſchen an
diefer, wie vielleiht an jener; und in unjern Tagen ift fie die 228
Modekrankheit. —
Indem ich Sie auf diefe Bücher felbft und auf die Gründung
des erften Chriftenthums, ala auf den beiten Thatbeweis dieſer
Geſchichte verwieſen, ſchließe ich Fein gründliche Buch aus, das ihre
Uriprünglichleit als Schrift, oder als Sache betrachtet, in ein
1) al8 unbegreifliche 2) nun, als erzwungne
3) wie ih fie mir in ihrem Zuſammenhange dort bente,
4) ſage doch
— 169 —
biftorifches Licht ſetzt. Lardner's, zum Theil Jort ins Schriften;
Houteville, l'Abbadie u. a. unter den Deutihen, Lilien-
tbal, Leß, Nößelt, und! eine Reihe andrer, die ich nicht gelefen;
Bonnet, Grotius, faft ein jeber, der über Wahrheit der Chrift-
lichen Religion jchreibt, muß diefen Punkt wenigſtens Streifmeife
berühren. Eine gute Einleitung ins NR. T. würde manches
Ueberflüßige dieſer Beweiſe abjondern und fur; zufammenfaflen,
was zur Beurkundung und Einficht der Bücher des N. T. und
ihres Inhalts diene. Das befte Organ indefien diefe Schriften
zu leſen und zu gebrauden, ift Einfalt des Herzens, vebliche,
gerade Abſicht.
Ich würde Sie fehr beflagen, m. Fr., wenn Sie von der
biftorifchen Wahrheit der erften Chriftlichen Geſchichte nicht über:
zeugt, beim Studium der Theologie blieben. Nicht, al8 wenn Sie
229 deshalb zu verbrennen und wegen Ihres Unglaubens zu freuzigen
wären; fonbern weil es ihrer Ruhe und Neblichkeit, der Würde
ihres Charakter und dem Eifer, den jeder rechtichaffene Mann
feinem Gefchäft ſchuldig ift, äufferft ſchadete, wenn Sie ein Diener
der Lüge, der Bote? einer Gedichte und Sache würden, die Sie
ſelbſt nicht glaubten. Wie Sie fih auch nachher helfen mollten:
„ich predige gute Moral, fromme Lehre, Meinungen eines guten
Mannes,” Ste werden immer ein weller Zweig am Baum des
ChriftentHums für fih und andre feyn und bleiben. Mich dünkt,
in unſrer Beit follte man manche dergleichen Zweige ahnden! ich
beflage fie und bedaure das Chriſtenthum durch fie. Hätten die
Apoftel jo gedacht, hätten fie fih in der Bruft, als kalte Betrüger
eines nicht⸗ auferſtandnen Chriftus gefühlt und fich mit bebender
Furchtſamkeit zum Erfag ihrer Lüge, die fie unwillkührlich fagen?
müften,, an einige Moral aus dem Munde Jeſu gehalten; wo wäre
Chriftus, wo wäre das Chriftenthum jetzt? Ihre Freudigkeit im
Leben und im Tode kam nur davon, daß fie nothgebrungen und
von Gott beftellt, eine wahre, ſelbſtgeſehene Geſchichte, in»
1) Leg, und 2) Lüge, Bote 3) machen
— 170 —
ſonderheit der Auferſtehung predigen mußten. Gerade die
Simplicität dieſer Lehre, als eines gewiſſen, ſelbſterlebten
Facti trug am meiſten zu der Revolution bey, die das Chriſten⸗ 230
thum machte. Der bloßen Lehren, Zweifel, philoſophiſchen Fragen
und Scrupel über Dienſt und Verehrung Gottes, über Unſterblich⸗
keit und ewiges Leben, war man müde: Jahrhunderte hin war
man durch Diſputiren nicht weiter gekommen, als man Anfangs
war und die menſchliche Seele will Gewißheit, fie dürſtet nad
Factis. Dieſe alfo, die alles enthielten, was jenen fehlte, nahm
man mit gröfter Begierde an: bie Moral des Chriftentbums marb
Thatfache in den Sitten feiner Jünger, die Ruhe, die es gewährte,
war Factum! in ber Heiterkeit ihrer Seelen, das künftige Leben
Factum in der Gefchichte ihres Herrn, Die fie erlebt hatten, für
die fie lebten und ftarben. Diefer kurze, Eönigliche Weg war damals
Triumph bes ChriftentHums und wird zu allen Zeiten fein gemifle- _
fter Triumph feyn. Gehen Sie ans Krantenbett und beſuchen heut
einen ebrlich-treuen Chriften, morgen einen feinen dogmatiſchen
Zweifler; Sie werben feben, wo Würde, Veſtigkeit der Seele,
Ruhe und Großmuth ſey? Oder warum nenne id dad Wort
Krantenbett? beſuchen Sie beide in ihren geſundeſten Tagen, beob-
achten Sie diejelbe eben in jchweren Umständen, bey Verwidelungen
ihres Lebens; und ſehen, wohin fi der Ausfchlag neige? Der
größefte, nützlichſte, glüdfeligite Theil der Menfchen braucht Facta, 231
weil er fih an ſelbſterdachte Hypotheſen nicht halten Tann, weil
jeder Wind fie umreißt oder weil fie für ihn zu fein find. Die
Kraft einer Demonftration tft dem Effect der feinften Muſik, der
Wirkung des feinften Gemälbes und was fonft die menſchliche
Matur zartes empfinden mag, an Feinheit unendlich vorzuziehen;
aber auch nur an Feinheit. Zum täglichen Leben, zum fortwäh⸗
renden, nährenden Genuß brauden mir andre Dinge, als biefe
feinen Effecte; gefunde Speife, gejunde Sinne und ihre Wahrheit.
Auch die köſtlichſte Abftraction mufte ja aus ihnen bereitet werben
1) gewährte, factum
— 11 —
und Tehrt in fie, wenn fie nahrhaft und gefund werden foll, wieber.!
Ein Chrift, der an einen auferſtandnen Chriftus? glaubt und da
it, wo Er ift, figend zur Rechten Gottes, herrſchend in
Kraft und Unfhuld; bat an feinem Facto mehr, als ein andrer
an hundert philojophifchen Zweifeln und Wahriceinlichkeiten über?
die Unfterblichfeit der Seele. Ein Chrift, der an Ehriftum thät-
lich glaubt, d. i. das Factum bes Lebens deſſelben durch jein
Leben ſtill und wirkſam ausdrückt, hat an dieſem thätigen Glauben
mehr, als der gröfte Theoretifer, der allgemeine Moral im Buch⸗
232 ftaben aufputzt. So weitr. Mir iftö immer rührend, wenn eine
Chriftlihe Gemeine mit Herz und Weberzeugung Auferftehungs -
Geburts » Vaffionslieder, ald Facta und Entſchlüſſe über Facta
finget; in ihrer gröften Simplicität ift eine Kraft, die mandes
neuere Machwerk von gereimten oder ungereimtem Raifonnement
weder nahahmen, noch erjegen kann. Auch bier gilts: „Waſſer
thuts nicht, fondern Wort Gottes und Glaube” um welches fich
die beiten Raifonnements der Menſchen nur mie Kränze um den
Stamm flehten. Ich bin überzeugt, daß die alten Hymnen der
Chriftlichen Kirche, die Gefänge des Prudenz u. a. mande Lieber
der Lateinifchen und alten Mährifhen Gemeine, und mas feit den
Zeiten der Reformation ihnen in ihrem Geiſt folgte, daß diefe ein-
fältige, biftoriiche Glaubensgefänge beim größeften, nützlichſten Theil
der Menichen mehr Gutes gefchaft, mehr Unfchuld, Ruhe und Ueber-
zeugung gewirkt haben, als was, an die Stelle gejegt, vor ber
Hand wirken würde. Der Grund des ganzen Chriſtenthums ift
biftorifhe Begebenheit und derſelben reine Erfaffung,
fimpler, ſchlichter thätig-ausdrüdender Glaube.
Eben aber, daß dies fein Grund ift, zeigt, m. Fr., daß Chri-
ſtenthum als ſolches, nie verfolgen kann, nie verfolgen muß.
233 Wer wird den andern mit Feuer und Schwert zwingen, daß er
eine Sade Biftorifch glaube? Ueberzeuge ihn, daß er glaubt;
1) mufte aus ihnen... . in fie nabrhaft und geſund wieber.
2) Chriftum 3) Zweifeln über
— 112 —
wo nicht, jo laß ihn gehen. Er ftebe oder falle dem Richter feiner
Ueberzeugung ; du bift dies nicht. Chriften, die einander zum
Glauben zwingen, oder bes Unglaubens wegen verbrennen oder
verfolgen, follten nur ben Titel ihres Teftaments aufſchlagen: es
beißt Evangelium, es ift Geſchichte. Wer verbrennt einen
andern, weil er ein Evangelium nicht annehmen mil? Behalt, du
andrer, e8 für dich ſelbſt. Wer fchlägt den andern, weil er eine
vor ‚zweitaufend jahren erlebte Geſchichte nicht glauben wollte?
Glaube du fie darum deſto feiter. Ich Habe nie gehört, daß bie
Schüler Sokrates und Plato mit fremden Völkern hätten Krieg
anfangen wollen, weil diefe Völker von ihrem Sokrates und Plato
nichts wuften, etwa weil fie nie! Gelegenheit ober Muße gehabt
hatten, fi vom Dafeyn derſelben in Griechenland zu überzeugen;
und Schüler Chrifti hätten fih fo etwas zu Schulden kommen
laſſen? Wahrlich, fie waren nit Schüler Ehrifti mehr, da fie es
tbaten! .
Funfzehender Brief.
Freylich, m. Fr., facta können nur durch facta beurfundet?
und erhalten werden; der beite Beweis des Chriſtenthums tft alſo
das Chriſtenthum jelbft, feine Gründung und Aufbewahrung, am
meiften feine Darftelung in Unihuld, in thätiger Hoffnung und
in dem Leben, wie Chriftus es lebte. Dffenbar jagt dies Chriftus
felbft in dem belannten Sprud: jo jemand will des Willen
tbun u. f. Gegen feine Feinde beziehet er fich immer auf feine
Werke, auf Thatbeweife feines Charafterd und feiner göttlichen
Sendung; dies ift der Beweis des Geiftes und der Kraft,
der dem Chriſtenthum nie abiterben ſollte, ober e8 wäre mit feinen
alten Wunder- und Weißagungsbemeifen gegen Ungläubige, oder
gegen folche, die feinen Beruf fühlten, diefe Sachen zu unterfuchen,
1) wuften, nie 2) betannt, beurkundet
— 13 —
gefchweige fie blind zu glauben, mißlih daran. Das Chriftenthum
ift überhaupt, wie gezeigt worden, feine Demonftrationsfache, da
Hiftorifche facta in Ewigkeit nicht, wie fehr man auch verwirre und
fnüpfe, werden demonftrirt werden fünnen. Sie wollen aud
235 nicht anders bemonftrirt fegn, als durch hiſtoriſche Ermeife,
durch eigne Weberzeugung und einen reinen Ausdruck derjelben
im! Charakter des Lebens.
Sagen Sie doch, m. Fr., bat je ein Schüler Socrates feinen
Lehrer anders und befler zu ehren geglaubt, als wenn er die Wahr⸗
beit feiner Lehren thätig ausdrüdte? Je mehr er dies thut, je
weiter er bierinn kommt, deſto mehr ift er Socrates Schüler ; übers
zeugt ihn Socrates nicht, jo wähle er fih Epicur, Diogen,? oder
ſich felbft, dem er folge. Wem er folgt, dem folge er auf feine
Gefahr. In den eriten Jahrhunderten behandelte man das Chriften-
thum auch auf eine fo freymwillige, milde, thätige Weiſe; und weder
das Chriſtenthum, noch fein Belenner befand fi dabey übler.
Sobald das Chriſtenthum ſchlaffe Gewohnheit, ererbte8 Gut, oder
gar fürchterliches und doch müßiges Landesgeſetz, fur; Leibes- und
Geelenzwang warb; bliebs fein Chriftentbum mehr. Dies beruhet
nur auf That und Ueberzeugung, auf Geiſt und Wabhrbeit.
Der arme Chriftus, als er in ber Welt wandelte, bewarb er fi
wohl um König Abgarus Gunft, feine Religion daſelbſt politisch,
als einen Erbgebrauch, als eine bürgerliche Landesbebingung ? zu
236 etabliren? Trug er jo etwas den Häuptern Jeruſalems oder dem
Herodes * und Pontius an? Behauptet er nicht vielmehr, bis auf
die legte Stunde, daß fein Neih nit von diefer Welt jey, daß
leiner feiner Diener darum oder dafür mit weltlichen Waffen kämpfen
und fremben Anechten. die Obren abhauen dörfe: daß cr Wahrheit
zu lehren da ſey und Wahrheit fi allein ale Wahrheit fort-
pflanzen müfle — bat er dies nicht in feinen Leben aufs nad-
drüdiichite dur Wort und That bezeugt? Was mic er mehr
1) Ausdrud im 2) Mic.: Diogen, Zeno
3) Erbgebraud und Landesbedingung 4) oder Herodes
— 114 —
als Zwang und vornehme Unterftügung? Floh er nicht die Palläfte
der Grofien? madte er nicht Reulingen den Zutritt zu fich eher
jchwer, als leicht? wards nicht immer erfter Charakter feiner Nach⸗
folge: fih zu verläugnen, mit fi felbft wohl zu Rath zu
gehen, ehe man den mißlichen Schritt tue. So Chriftus; und
deßwegen blieb auch fein Reich Hein und unfichtbar, die Zahl feiner
Jünger war geringe und auch das, was an feinen Jüngern eigentlich
nur Perle des Chriſtenthums war, blieb und ift ein vergrabner
Schatz im Ader. Unfer Leben, ſagt Paulus, ift verborgen
mit Chrifto in Bott; nur wenn er erfcheinen wird, werden
auch wir offenbar werden. — Chriſtus mollte nicht weltlich
herrſchen noch jeine Aufnahme mit Feuer vom Himmel documen-
tiren. Er haßte das erfte, als einen Kunftgrif des Teufels gegen 237
den ganzen Zwed feiner Würde und feines Lebens; das lebte als
eine feindfelige Zernichtung feiner ganzen Abfiht.! Er gieng durch
die Welt, als ein armer Wandrer, der, ala ob alles mit Fluch
und euer gewürzt fey, fo wenig, ala möglich, von ihren Gütern,
Schäten, Hülfgmitteln, Koftbarkeiten berührte. Wie alſo? Er
machte eine freywillige Verläugnung alles? defien, mas der ftillen
Maht und Wahrheit feines Reichs fremd märe, zum
Grundgefeg feiner Nachfolge; und unter uns follte weltliche Hoheit
der? Charakter feiner Herrihaft? Zwang der Geſetze und Verfolgung
jollte Stüße feiner ächten Religion je ſeyn können, feyn dörfen?
Wenn bat das Chriſtenthum eine politiihe Gefeßgebung, fobald
beyde Theile rechter Art waren, auch nur formiren wollen? Gein
Geiſt kann Alles durchdringen und wenn in Rom der Stotcismus,
in Griechenland der Pythagorismus den Gefehen aufhalf, würbe
wahrlich der reine Geift, der Menfchenliebende, allverträglie Sinn
des Chriſtenthums, der Gejeßgebung gewiß nicht Ichaden, wenn
man ihn je jo weit fommen lieffe; um Gottes willen aber glauben
1) letzte als einen völligen Feind feines Geiftes.
2) machte freiwillige VBerläugnung alle
3) und weltliche Hoheit follte ber 4) wenn
— 15 —
Sie nicht, daß irgend ein blinder! Gelten- oder heuchlerifcher
238 Sclavengeift Gejeggebung des Chriſtenthums ſey. Seyn Sie
immer auf Ihrer Hut, wenn bey Sachen folder Art Chriftenthum
angebeftet wird; da lauert gewiß die Schlange Hinter der Rofe.
Wenn Sie einft ein geiftliches Amt befleiven, entfernen Sie fidh,
was Sie fünnen, von jeder dummen Superintendenz über die
Gemüther,? vom politifch - unchriſtlichen Chriſtenthume. Stellen Sie
die Lehre und das Leben, kurz die Gefchichte ihres Herren und ber
Seinen dar, mündlich, thätig, je ftiller und Geräuſchloſer, defto
beſſer; damit die Wahrheit ihr Recht behalte und das Wort Gottes,
jo wie der Charakter? Jeſu im Stillen wirke. Werden Sie fo
glücklich, nur, einige zu überzeugen, daß fie fih, ohne Schmärmerey
und Aberglauben, entſchlößen, dem Leben und ber Lehre Chrifti
männlich zu folgen, nad) feinen Grundſätzen zu leben in Wahrheit
und ftiler Liebe; mögen Sie nun diefe Leute kennen oder nit —
das legte immer um fo beſſer! Laflet uns Chrifto Jünger ziehen;
nicht und. Laſſet uns ihn, nicht uns predigen. Liebe ift Geift
des Chriftenthums, nicht Gebräude; allgemeiner, reiner Geiſt
der Wahrheit, wo Wahrheit fich finde; feine einzelne Claufur
von Worten. Nicht nah Sekte wird Chriftus am Weltgericht
fragen, nit nad den Saum des Node, oder nach erlernten,* im
239 Grabe gebliebnen Formularen; ſondern nah reinem, Tindlichen
Menſchenſinn, nad allgemeiner, ſich jelbft unbewuſter Menfchenliebe.
Was ihr gethan habt, Einem unter diefen Geringften;
das habt ihr mir gethban. Was ihr nit gethban habt
Einem derfelben, Habt ihr mir aud nicht gethan. D Freund,
wenn wir nur dieje einzige Rede Chrifti, nur Die einzige Handlung
von ihm hätten, ala er jenes Kind in die Mitte ftellte und was
er darüber ſprach; könnten wir des Weges, Chrilten zu feyn in
feinem Sinn, im Geift feiner Wahrheit, je verfehlen? Und wie
dDiefe, find ja alle feine Lehren, Handlungen, fein ganzes Leben.
1) daß blinder 2) Superintendenz der Gemütber,
8) und Wort Gottes, Charakter 4) Rode, und erlernten,
— 1716 —
Güte lobt er immer, als die menſchlichſte, billigfte Gerechtigkeit;
Verzeihung, Nachgeben, Duldung, Ueberwindung bes Böfen mit
Guten zeigt er jebesmal als die wirkſamſte, befhämendfte Güte. !
Der Stolz des lauten Guten bat feinen Lohn dahin; das ftille,
verfhwiegne Gute aber ift bey ihm Saft der Natur, Baljam?
des menſchlichen Herzens und Lebens. Zu bauen, mo jedermann
bauet, oben am Kleide zu fliden und die Schüffeln auswärts rein
zu halten, nennet er Pharifäerey und ſpricht ihm, ala der ver-
führendften Heucheley, die das Auge vom wahren Schaden, von
wahrer Beſſerung abziehet, das fürchterlichſte Weh;? aber, da 240
beflern, mo niemand befiert, da helfen, wo niemand hilft, fich der
armen, verlannten, nadten, Hungrigen, gefangnen Menichheit
annehmen, wo und wie fie gefangen liege, darbe und bettle,
geiftig oder leiblich, in Sachen des irrdiſchen oder ewigen Lebens;
das iſt Chriſtenthum, das ift Geift feiner Lehre, feines Lebens,
feiner ewigen Belohnung. Wo in der Welt diefe ftile Saat reiner,
guter, verborgner Thaten auch unter Schnee und Dornen blübe;
wird Chriftus fie finden und in feine Ernte fammlen, alle crift-
liche und undriftliche Spreu aber wird er verbrennen mit ewigen
Feuer — —
Heil dem Chriftenthbum diejer Art, wo und wie e8 blühe und
feime! und Sie, mein Freund, ruffen mit mir Heil! Chriften-
thum der Art ift die Wurzel der Menfchheit, ihr edelſter Lebensſaft
in den verborgenften Gefäßen, Mark Gottes in unjern Gebeinen,
fein jtilles Bild, feine verborgne, aber mächtige Kraft der Schöpfung.
Was mit Trompeten- und Paudenihall, um! Ruhm, Ruben,
Stand, für die liebe lange Weile gethan wird, empfängt, wa3 es
will, Ruhm, Nugen, Stand, kurze Weile; es tft vorüber und hat
feinen Lohn dahin. Das wahre, chriſtliche Gute, im Stillen 241
gethan, aus innrer Weberzeugung und Liebe zur Wahrheit, zur
1) Guten, al8 bie befchämenpfte lite.
2) ıft fein Saft der Natur, ift fein Balfam
3) Befjerung abzeucht, das verberblichfie Web; 4) für
— 17 —
Beyhülfe der armen, nadten, gefangenen und darbenden Menfchheit
— es hat von jeher die Welt erhalten und erhält fie: es geht nicht
unter, es ftirbt nicht, wenn es auch zu fterben fcheint, es geht!
in unfichtbaren Gefäßen, ala Saft des Lebens, ald Ambrofia und
Manna aller Natur, als Gottes Licht, Flamme und Same weiter
und wirkt, wo mans oft nicht ſuchen Sollte. Die künftige Welt
wird nur aus dem beftehen, was in diefer reell, d. i. ächtes
ChriftentHum mar und als folches in fie übergehen fonnte. Die
verborgne Saat wird alsdenn offne? Ernte, das zerftreute Reich
der Glieder Jeſu, die von Einem Geift belebt, in manderley
Geitalten, die Laft des Lebens trugen und den Staub? zu Golde
zu maden jtrebten, werben fich freuen und Eins werden und bey
dem Herrn feyn allezeit. Dies, m. Fr., ſey unfer Chriftus-
fiegel! Seine Taufe, fein Abendmal, fein Gebet, feine Gleichniſſe,
jein Leben, fein Ausgang aus der Welt, fein Eingang in den
Himmel, feyn ftilles Dortjeyn, bis daß er wiederkomme mit feinem
Reid — alles führt, alles zieht uns darauf, Eins zu jeyn
mit Ihm, zu leben in feinem Geift, als Kinder Des
ewigen Vaters im Himmel. Unten.
N. S. Ich Habe Sie mit Fleiß noch zu Ende meines Briefes
an die wenigen und zarten Inſtitute Chrifti, Taufe, Abendmal
und fein‘! Gebet, erinnert. Ich kann mir nichts freundlicheres,®
innigers denken; auch wenn ich fie als blofje Inſtitute (Dogmata
von Geheimniffen noch abgejondert,) betrachte. Wie Chriftus getauft
ward, werden auch wir getauft, mit allen Drey heiligen Namen,
die fi) dort bey und über ihm offenbarten. Sein Abendmal ift
die innigfte Verbrüderung mit uns, daß er Weinjtod jey, wir nur
die Neben, daß fein Saft und Blut in unferm Herzen mwalle und
wallen müfje zum ewigen Leben. Sein findliches Gebet endlich,
ift, wie jenes Buch jagt, „Die herabgelaſſene Herrlichkeit des Herrn,
„zu der die Heiligen Gottes auffleigen und den Urheber aller
1) unter, ftirdt - . . feheint, gebt 2) wird offne 3) Koth
4) Abendmal, fein 5) Mfe.: freunbfchaftlicheres 6) dort iiber
Herders fämmtl. Werke. X. 12
— 18 —
„Dinge um das Leben der Seele, die Bedürfniſſe des Leibes, und
„die Abkehrung vom Böſen zum Guten bitten, mit einer Hand,
„welche dem Vater jchreibt, und zu Ende derjelben mit einer Hand,
„die den Brief mit! Gottes Siegel, den Volltomnienheiten Jehovahs
„ſelbſt, verfiegelt.” Leben Ste wohl und leſen dieſes Gedicht, zum
12, Ye heil nad) einigen Witthofſchen Strophen.*
Das Grab des Heilandes.’ 243
So ſchläfſt Du nun den Todesihlaf im Grabe,
Du junger Held, gefärbt mit ſchönem Blut.
Dein Leben war für taufenn Lebensgabe,
Dein Tod erguidt auch Sterbende mit Muth.
Ruh dann, erlöft von jedem Jammer,
womit Dich Menſchenhärte traf,
in Deiner ftillen Kammer
ben fehwer -errungnen Schlaf.
Du aber Freund, ar dieſem bittern Tage,
komm, ſchau mit mir der Menfchbeit Scenen an.
„Sieh, welh ein Menſch!“ Betracht’ ihn ftill und fage:
wer Menfcher ſegnender je werden kann?
Und dann laß uns der Welt bier denken:
mit weldem Dank fie ihn erfreut?
Aus Liebe fih zu kränten
ift ſüße Dantbarteit.*
1) die mit 2) „xeben — Strophen.“ fehlt.
3) Das Gedicht fehlt in A. Im ciner älteren, unvolllommenen, an vielen Stellen
abweichenden Geſtalt ohne Kenntnis des erften Druckes aufgenommen unter die Gedichte IT,
171 — 173 (1817). Bier fehlt Ste. 9. 14. Die von Herder verworfene Form ift nur mit‘
wenigen Barianten (G.) berildfichtigt.
4) Withof: Der Beiland ſchläft den Zodesihlaf im Grabe, Der er den Tod
buch feinen Tod erſchlug. Was war fo fehr, als Leben, feine Gabe? Bon ihm
erwedt erlebten Todte guug. Ihn (Ihm?) legt, nun alle (allen ‘?] Sammer, Womit
ihn Gottes Härte traf, In feiner Toptenlammer, Der ſchwer errungne Schlaf.
O, wache freund! an biefem Elenbetage: Ih rlüde dir die Marterfcenen an.
Sieh! welch ein Menſch! von, Haupt zu Füße Plage, Wie Gott noch nie, noch nie
Geſchöpfe ſahn. Bier laß uns feine Mühe denken, Wo Mitleid ja, wie Luft,
erfreut. Aus Liebe fih zu Tränfen, Ergögt die Dankbarkeit.
244
— 19 —
In Nazareth, am Galilder- Meere
wer gab dem Jünglinge den hoben Geift,
Der, wie enttommen ſchon ber Erden - Sphäre, !
fein Reich den Himmel, Gott nur Bater beißt
und ſchaut, wie Seine Sonne leuchtet
auf Bf’ und Gute, wie Sein Thau
fo Rof’ al8 Dornen feuchtet
auf Einer Gottesan.
„Auf laßt uns Kinder feyn der Vaterglite
vollflommen, wie der Herr vollkommen ift.“
So pflanzt’ er in der Sterblihen Gemüthe
Unfterblich Weſen, das fich felbit vergißt,
und im Berborgnen fchafft und flehet,
für Menſchen fchafft, für Feinde flebt,
fill für Die Zukunft fäet
und fill von dannen gebt.
„Slüdjeel’ge Armen! Glücklich, die ba leiden
unfhuldig-fanft und im Erbarmen ſchön
aus reinem Herzen Menſchen Fried’ und renden
und Mitleid reichen und den? Haß beftebn.
Seyd fröhlich und getroft: euch Tohnet
im Himmel ew'ger Troft und Lohn;
der Staub, den ihr bewohnet,
ift bald zum Staub’ entflohn.®
„Auf! feyb der Zeiten Licht, das Salz der Erbe,
ein Stern der Nacht, ein Keim der Kruchtbarteit.
In euch ift Glanz, damit Glanz um euch werde,
in euch ift Gold, das ihr den Menfchen leibt.*
Auf! dDringet durch der Sieger Pforte!
Eng’ ift die Pforte, ſchmal ber Weg,
zum böchften Freudenorte
ein unbetretuer Steg.
Er ſprachs umd gieng voran die Dornenpfabe,
die noch dem Sterbenden fein blutig Haupt
im Kranze ſchmückten. Haupt, bu lächelſt Grabe,
Als Hätte Roſ' und Lorbeer Dich umlaubt.
1) &.: der Erden Schwere 2) B.: dem (SDrudfehler?)
3) &.: Wo jeder Gute wohnet, Dem Haß der Welt entflohn.
G.: ift Reichthum, den die Erde weiht.
12*
— 180 —
Entſchlummre. Bald wird Deine Krone,
Ziegprangenb wie der Sterne Glanz,
dem Dienfchengott zum Lohne
ein ew'ger Gotteskranz.
Denn fanft wie Gott, gefällig gleih den Engeln
war Güte nur und Huld fein Königreid).
Mitfühlend unfrer Laſt und unfern Mängeln'
Und Sich allein an Kraft und Würde gleich:
Einfam im lauten Weltgetünmel,
in feine Größe ftill verhüllt;
So ftrahlt am hoben Himmel
die Eonne, Gottes Bild.
Und konnten Dem ein linheil Fromme ftiften ?
Die Priefter ach! ergrimmte fein Bemühn.
Sie riefen ihn aus ihren alten Schriften
und als er fam, erwürgten Priefter ibn.
Zu ſchwer der Heuceley geworden,
entgieng er ihrer Tücke nicht.
Ihn riß der Segensorden
ins ärgfte Blutgericht.?
Wie? hatt’ er nicht Schon lebend gnug gelitten ?
Er, deflen Herz das Mitleid felber war.
Ein zarter Eproß, um den die Stiirme ftritten,
Ein Arzt, dem Fremdes eigen Leid gebar.?
‚Laß diefen Kelch vorübergeben;
Doch Bater, Dar haft ihn erfüllt.*
Dein Wille mag gefcheben;
Nicht ih; wie Du Herr millt."
Er trank den Kelch und als nun feine Glieder
Gefühl der Gottverlafjenheit durchdrang:
Kein Troſt erquidte feine? Augenlieber,
auf die des Hohnes ſchwere Wolte fant:
1) Nur 3. 1-3 nah W.: „Denn fanft wie Gott, geflihlig gleich den Engeln,
Zum Helfen ba, von Eigenliebe fern, Belud er fih mit unfer aller Mängeln,‘
2) W.: „Sie priefen ihn, nur ftoly auf alte Schriften,” und „Ertrug er ihre Tiide
nit: jonft wie oben. '
3) Nur 3. 1-4 nah W.: „Wie hat er nicht, wie vielerlch gelitten, Er, deſſen
Herz die feinfte Liebe war, Das ſchwächfte Rohr, das Wütende beftritten, Dem
Schönheit Haß und Güte Neid gebahr.”
4) G.: gefült. 5) G.: Schon driülckte Nacht bie matten
246
247
213
249
— 131 —
Zerriſſen warb der legten Schmerzen
geliebter Knote, der den Freund
mit Freund- und Mutterbherzen
im Tode noch vereint. !
Da blidt’ er auf und ſah die ſchönen Auen,
bie er dem Sünder Mitleidvoll verbieß:
„Beben! an mich und laß bein Reich mich ſchauen.“
„Hent ſollt Du's fchauen, der Freunden Paradies.
Empfang’ in Deine Vaterhände
den matten Geift: es iſt vollbradyt!
Da kam fein flilles Ende,
fein Auge brach in Nacht.
Nicht Thränen, Freund! ein Leben ihm zu weiben
Die Seines, das nur ift Religion.
Was Ihn erfreute, fol auch uns erfrenen,
was Er verſchmähte, fey uns fchlechter Lohn.
Mit Güte Bosheit überwinden,
Undant der Welt wie Er verzeihn,
im Wohlthun Rache finden,
ſoll Chriſtenthum ung ſeyn.
Und nie, o nie ſey ſeiner Feinde Seele
die Unſre! Was fein Leben ihm betrübt,.
was feinen Geift wie in der Marterhöle
zu feufzen zwang, jey nie von uns geliebt.
Erftorbenbeit und ftolze Ränte,
beym Pöbel Pharifierruhm,
Geſchwätz und Wortgezänte
fey Teufels Chriſtenthum.
Sechzehnder Brief.
Der Meynung bin ich nicht, daß man in allen Gleichniſſen
Jeſu tiefe Geheimniſſe finden oder fie gar als die Kunſtvolleſte
Dichtung betrachten müffe, die je auf Erden gemacht ward. Dichter
zu feyn, war Chriſtus nicht hier und den Aeſop mit Fabeln oder
einen misigen Kopf mit Sinniprüden zu übertreffen, war nicht
— — —
1) Nur Z. 1 nach W.: „Er trank ihn aus”
— 11 —
jeine Abfiht. Auch hierüber, wie über jo manches Andre hat der
Hochheilige Lobreden enipfangen müflen, deren fich jeder, der jene
Zeiten Tennet, ſchämen möchte. Parabeln, wie Jeſus fie ſprach,
waren nicht feine Erfindung: fie find gewöhnliche Einkleivung der
alten Jüdiſchen Lehrer, die wir in ihren Büchern und Commen⸗
taren häufig, oft nicht ungeichidt finden. Nicht in der Einfaflung
liegt der Werth, fondern in dem gefaßten Stein, dem Sinn der
Rede; und auch diefen muß man nicht zerfnirfchen und zerfplittern,
als ob er aljo fchöner würde: in einer Parabel dörfen nicht tau-
jend Sätze gefügt werden; Ein Hauptſatz muß in ihr liegen. Daß
fie als eine Geſchichte, gleichſam als ein Mährchen täglicher Gemohn-
heit, fortläuft, giebt ihr einen lebendigen, reichen, frucdtbarn Gang;
unmöglich aber kann man jedes Glied, als ein neues Ganze voll
Geheimniſſe und Lehren abreigen, ohne daß nicht meiftens der Sinn
der Erzählung überhaupt leide oder gar verſchwinde. Inſonderheit
giengs vielen Gleichniſſen Chrifti jo, weil fie, ein Jahrtaufend her,
gewöhnliche Sontagsterte gemwejen find, die in zweyen Tagen oft
breymal in Einer Kirche Jahr-aus Jahr-ein erfläret werden.
Da wollte, da mufte man doc immer was Neues fagen; jeder
wollte es vor dem andern ausgezeichnet jagen, und jo wurden Die
Verfchneidungen, die Deutungen, die falfchen Gefichtspunfte, die
verzwidten Predigt: Themata, daraus, von denen in grofjen Bürden
die Welt voll ift. Holder Menſchenſohn, mollteft du das, da du
bein einfaches Gleichniß jagteft?
In diefen und andern Sachen, m. Fr., lejen Sie nur einige!
Jüdiſche Schriften, deren eine Reihe auch überjegt ift, um fih an
den parabolifhen Ton zu gewöhnen, und ihn mit fchlichtem Auge,
auf welches Chriſtus jo viel hält, anfchen zu lernen. Gin groffer
Theil feiner Ausdrüde, auch felbjt feiner Gebete, nimmt aus der
damals gewöhnlihen Sprahe der Jüden fein Licht, Drufius, 251
Schöttgen, Lightfoot, Meufhen, Wetftein haben dazu nicht
unnützlich geſammlet. Sie fünnen bey biefen Formeln noch inmer
1) Sie alte
— 13 —
ablondern, was fpäter Jüdiſcher Gebraud und Mißbrauch ift; in»
deſſen bleibt Sprachgebraud der Zeit Doch immer der natürliche
und erjte Umriß der Reden Jeſu: denn er lebte unter dem Volk, er
Iprad zum Volle und mufte aljo nad feiner Weife reden. Inſon⸗
derheit nimmt auch Paulus aus diefer Duelle Licht; da er im Ganzen
feine Sprach- und Schlußart Rabbiniſch gebilvet hatte, und dieſe jegt
auf Saden des ChriftenthHums anwandte. Tauſend Abentheuer im
Ausdrud fallen weg, wenn man Süden als Jüden ſprechen läßt,
nicht als Metaphyſiſche Grammatifer unfrer abendländiſchen Spraden.
Zunädjft treten wohl die Erläuterungen des N. T. aus Joſe⸗
phus und Philo, zween beynah gleichzeitigen Jüdiſchen Schrift-
ſtellern. Krebs, Carpzov und LXöfner haben fih in diefer Bahn
bemühetl. Da das Griechifche des N. T. belanntlih Hellenismus,
eine nah dem Ebräifchen (zum Theil Lateinifchen) und andern
morgenländijchen Dialecten gebildete Schreibart ift; fo find, um ſich
252 zu ihr zu gewöhnen, die Alerandrinifche Ueberſetzung des U. T.
und die von Drigenes geſammlete Dollmetſcher zu leſen nüglid;
nidt, daß man, mie manche rathen, fie immer SKapitelmeije, dein
Ebräiſchen Tert zur Seite, habe, es fey denn, daß man ſie jetzt
eigentlid als Hülfsmittel des Ebräiſchen brauchen wollte; ſondern
frey, ganz, Bücherweife und für fih allein leſen Sie fie. Die
beftüberfegten Bücher nehmen Sie zuerit: erfriihen Ihre Lektüre
durch einige angenehme Apokryphiſche Schriften, mie z. E. das Buch
Sirachs, die Weisheit Salomons, Tobias, die Maccabäer; dies
wird Sie von ſelbſt dem Idiotismus des N. T. zuführen. Ich
wünſchte, daß wir für Diefe Helleniftiihe Sprache mehr ächte Hülfg-
mittel hätten, als wir haben. Statt des langen und unfeligen
Streits: ob das N. T. rein Griechiſch gefchrieben? und obs dem
Geiſt Gottes nicht unanftändig fey, daß er feine Bücher nit im
Attiſchen Dialect jchreiben laſſen? ob der Hellenismus Dialcct
genannt zu werden verdiene? u. d. gl. wäre es nützlicher geweſen,
den Uriprung dieſer vermifchten Mundart aufzufpähen und und
menigftens einzelne tüchtige Beläge zu einen Idiotikon derjelben
zu geben. Das erfte, dünkt mich, ift noch nie vecht gefchehen.
Wörterbüher Haben wir über das Griechiſche des A. T. drey:
Kircher, Tromm und Biel; das Wörterbuch des legten ift das
reihite und das bequeinfte zum Gebraud.! Webers N. T. haben 253
Gataker, Borft, Heinfius, Grotius, auch Ernefti in feiner
Theologiſchen Bibliothek hie und da viel gute Anmerkungen, aus
der Duelle des Hellenisinus geichöpfet; ? an einer völligen Samm⸗
lung und Untereinanderordnung derjelben, kurz, an einem wahren
Wörterbuche des N. T. fehlt e8 una? noch. Bisher dünkt mich
das Schöttgen-Krebjiihe das befte, fo wie ih an kritiſchen
Apparat diefer Art noch immer Grotius und Wetfteins N. T.
für das beite Halte Im letzten find Raphel, Kypke und wer
ſonſt die weltlihen Schriftfteller fürs N. T. (oft mit grofler Mübe
und wmwenigem Gewinn) gebraudt Hat,* genugt. Und wenn man
aus ihm den Saft zöge, in Anjehung der Varianten Griesbachs
u. a. Arbeiten dazuthäte,® ſodann die Conjecturen, die Bowyer
zu fammlen angefangen und Schulz überfegt hat, mit dem, was
zu ihnen fonft noch aufftieße, in einer dritten Columme gäbe:® die
Barianten der merkwürdigſten alten Ueberſetzungen, (die Hülfgmittel
dazu follen fünftig genannt werden) ebenfalls bemerfte; kurz, hier
fo zu Werke gienge, mie dort beym U. T. gezeigt ift — freylid
jo hätte man Vieles in Einem, das man jest nicht hat. Yet
müflen Sie dieſes oder jenes Hülfsmittel einzeln judhen;? und fo 254
lange ift Griesbachs, Wetſteins und Koppe angefangenes
N. T., (wenn Sie das mittlere bey jener theuren Seltenheit hab-
baft werben fönnen,)® ein Auszug von vielen, und Grotius bleibt
Vorgänger und Hauptmann. Ueberhaupt erjpare ich mir die Mühe,
eine Reihe Hülfsmittel bejonderd anzuzeigen, wenn ih Ihnen Eins,
1) Wörterbücher haben wir ihrer, des N. T. umgerechnet, zwei:
Kicher und Tromm; beides aber find uur Wörterbücher, ohne Kritifche
Unterfcheidung. Biels neuen thesaurum tenne ich noch nicht.
2) aus diefer Onelle geliefert; 3) uns vielleicht
4) Raphelius, Kypkte und bie fonft ... .. . gebraucht haben,
5) nutzte, 6) dazutbäte: 7) brauchen;
8) N. T., wenn Sie das mittlere habhaft werben können,
— 15 0 —
Ernefti interpretem N. T. nenne; ein Büdelden, das ftatt vieler
theils jelbft feyn Tann, theild auf den Gebrauch vieler mit dem
geordnetiten Fleiß zeiget.
Indem ich mich auf dies ſchätzbare Buch, und wenn Sie über
einige kritiihe Punkte ein weiteres Raifonnement hören mollen, auf
Michaelis Einleitung ins N. T. beziehe, fahre ich in meinen
nähern Anmerkungen fort. Für Commentaren und Para-
phrafen des N. T. hüten Sie fih Anfangs, wie ih Sie auch
Ihon beym A. T. gemarnet. Der Commentator bringt gern feine
und feiner Zeit Ideen dem alten Schriftiteller in den Mund, wie
mir davon, wenn vom Gebrauch diefer Kommentare zu öffentlichen
Vorträgen die Rede feyn wird, fonderbare Beyfpiele fehen werben.
Der Paraphraft nimmt oft dem! Bufammenhang der Rede Licht
und Schatten; entweder mwäflert er alles in Eine langweilige Brühe,
255 oder er giebt dem Tert feine d. ti. eine ganz neue Verbindung.
In beyden Fall muß das A. und N. T. leiden. Fangen Gie
einen Poeten an zu paraphrafiren, zu profaifiren; er tft fein Poet
mehr, hat Geift und Kraft verlohren, man liefet fi an ihm matt
und müde. So ifts mit der Paraphrafe der Propheten, Lieber,
Palmen, felbft der Lehrbücher des A. T., die doch alle Poetiſch
find. Verſuchen Sie nun gar eine fimple Geſchichte, wie Die des
N. T. ift, zu umſchreiben, zu commentiren und zu verbogmatifiren,
nahdem Ahnen hie oder da der Muth ftehet; der charakteriftifche,
enge, einfache Geichichtichreiber ift verſchwunden, es jtehet ein neues
traurige Mittelding zwiſchen Geſchichte und ihrer Erklärung da.
Endlih unternehmen Sieß gar, Briefe zu paraphrafiren, inſonder⸗
heit Paulliniiche Briefe, die beynahe ſchon Paraphrafen ihrer jelbft
find; man verwirret ih, nit in Paulus oder Petrus, fondern
in deö neuen Peter- Pauls Paraphraſe, weiß zulegt nit, ob man
einen Brief oder eine matte Predigt oder eine holprige Abhandlung
Viefet — kurz es wird ein verzogen, clınd Werl. Paraphrafiren
Sie doch einmal ein Menjhengefiht mit einem Hohlſpiegel oder
1) ninımt dem
— 186 —
einem Bergrößerungsglafe und fehen, wo der Umrik für unfer
natürlihes Auge geblieben? was aus der Menfchenfigur jebo 256
geworden ſey? —! Kein Jota anders mit der aus einander
gerißnen Geftalt diefer Schriften. Wie oft muß der Schriftfteller
jagen, mas er gar nicht fagen wollte! Wie oft mit offnem? Munde
jagen, was cr im Faden feiner Rede faum andeutete, kaum her⸗
winkte. Ein feiner Sinnſpruch, ein Naturvolles Gleichniß Jeſu
wird cin fchlaffer Gemeinort: die herzliche Anrede eines Apoftels,
der Ausguß feiner Empfindungen, Wünſche, Theilnehmung ift Aus-
ruffung und Dellamation geworden, die einem feinen Sinn wibert.
Wollen Sie Broben davon, fo lefen Sie — doch Sie follen vor
der Hand nicht diefer Art leſen.“ Es ift zu beflagen, daß, was
man bey weltlichen Schriftftelern ausziſchen würde, man bey hei-
ligen lobet und gutbeißt; ich weiß feine Urfache, ala weil ung bey
diefen alles gleichgültig ift, und die fchlechteite Behandlung der⸗
jelben noch innmer heilig und andächtig ſcheinet. Käme es jemand
in den Sinn, die Briefe der Sevigne, oder Horaz, Virgil,
den Gornelius Nepos erbärmlic in Deutfche zu umſchreiben;
er würde des? elenveften Geſchmacks beſchuldigt, geieht, daß cr
auch noch fo richtig commentirte. Bey Paulus und des leichten,
lieblihen Johannes Briefen, bey Hiobs, Salomons, Jeſaias hoher
Poefie, bey der Evangeliften Kryitallhellen Erzählung madt man 257
fih daraus fein Gewiffen und paraphrafirt® in die liebe Mutter-
ſprache. Das Gemälde der Seele des Schriftftellers iſt Hin, die
Knofpen der Schreibart find zerzaufet und ihr feinfter Reit ent-
flogen; ſelbſt grammatifch iſt der Lehrling oft übel dran, wenn er
bie und da ohne Urfadhe ein x. für u. liefet und aus der noth-
dringenden Wortbebeutung hinaus commentirt wird. Sie, m. Fr.,
1) geworden ? — 2) ſchreiendem
3) geworden, wofür man edelt. Wollen .... leſen Sie die neuern
Engliich- Deutſchen und Deutfch - Englifchen Parapbrafen, zehn ftatt einer.
(„doch — leſen.“ fehlt.)
4) Nepos fo erbärmlich .... er wilrde des Unſinns und
5) commentirt
— 18577 —
bleiben aljo bey der Quelle und laflen den, der will, vom abge-
leiteten oder verdämmeten See! trinten —
Ich weiß, man Ihüßet fi mit Erasmus und andrer feiner
Zeitgenofjen zum Theil herrlichen Paraphrafen; ohne zu bedenken,
wie andre Sache es damals damit war und jekt ift. Grasmus
und jeine Zeitgenoffen muften erft die Sprade in Gang bringen:
das Griehiihe war dem grofien Haufen unbelannt, das Latein
ward Barbariſch gejchrieben. Er that alfo zwey gute Werke mit
Einem, machte durch Einerley Bemühung zwo Sprachen befannt
und parapbrafirte,? genährt an den Alten, ald — Meiſter. Wo
dieg bey den meiften unſrer Paraphraſen, zumal in der Mutter-
ſprache, ftatt finde? oder was auf diefenn Wege an Erasmiſcher
258 Abficht erreicht? werde? mögen Sie felbft entjcheiden. Durch dieſe
Werke merden mir doch wahrlih weder Griechiſch noch Deutſch
lernen; und an den ſtrengen Umriß des Autors iſt gar nicht mehr
zu denken. Leben Sie wohl.
N. S. Um meinen trodnen Brief und mich ſelbſt zu erhei-
tern, lege ich Ihnen eine Dde auf die Himmelfahrt Chrifti bey,
die Sie vielleicht? noch nicht fennen. Wozu ich es thue? wird
die Folge zeigen.
Der Sieg des Heilandes.
Eine driftliche Ode.5
Die du brünftig dort auf den Waſſern fchmwebteft,
Und mit milden Haud Adams Bruft belebteft,
ALS des Vaters Bild denkend in ihn fuhr,
Groſſe Seele der Natur;
Wehe® reine Yuft um die goldnen Saiten,
Laß dies neue Lied bey verlehrten Leuten,
Feinden ihrer felbit, ſüßbetäubend fchön,
Unfres Schilo Yob erhöhn.
1) bleiben bei der.... will, den verbämmeten Sumpf
2) Mic.: parapbrafirte iiberbem,
3) was in diefer Art erreicht 4) wahrfcheinlich
5) „Eine — Dbe.” fehlt bei Withof. 6) W.: Blafe
Sterne! waren e8, die von ihm erflungen, 259
Flammen funfelten auf zeripaltnen Zungen,
Leuchtend trat er felbft in die Wälder ein,
Feurig muß mein Loblieb feyn.*
Siegreih ftand der Held, dichtgerollte Flammen,
Schlungen fih zum Kranz um fein Haupt zufammen,
Die der Söhnaltar, den er fallen bieß,
Ihm zum Siegeszeichen Tieß.®
Der vereinte Duft, der feit tauſend Jahreu
Bon dem Opferbeerb’ wollicht aufgefahren,
Ward zum Wagen ihm au des Cedrons Strand
Zum Triumph binabgefandt.
Glorreich ließ er fih auf der Wolte nieder,
Der erftaunten Schaar jüngft erfochtner Brüder,
Die ihn fcheiden ſah, ſprach er tröftend ein:
„Mein Berdienft foll euer ſeyn.“
Start mit Blut befpritt, reicher nodh an Balmen,
309 er durch den Klang cherubinicher Pfalmen,
Die im langen Zug, von ber untern Welt, 260
Sid bi8 zum Olymp geftellt.
Jauchzend floß ein Heer prächtger Seraphinen
In Aurorens Schmud um des Himmels Bihnen;
ALS der Bater ihn feinen Throne nah,
Majeftätifch kommen fah.*
„Mein Geliebter, nimm, nimm uun bein Geſchlechte
Dir zu eigen bin, fie mir zur Rechte.
Juda fey dein Theil, dein fey Ephraim!“
Sprad des Vaters Gruß zu hm.
Unfers Schidjal8 Buch ward ihm übergeben,
Bor ihm liegt dev Tod, beys ihm fteht das Yeben,
Macht ſtützt ſeinen Arm, Gilte ruht bey ihr —
Solden Fürſten dienen wir!
Engel find fein Bolt, Menfchen feine Heerde,
Jauchz' ihm, Himmel, zul Schmiege did, o Erde,
Der ift fein Ballaft, diefe feine Luft,
Beyden ift fein Sieg bemußt.
1) W.: Sternen 3) Hiernach zwei Strophen ausgelafſen.
3) 4) Hiernach eine Strophe ausgelaſſen. 5) W.: nebft
261
262
— 189 —
Laß mein brünftig Lied, Schilo, bey dir gelten,
Sp wie Adams Yand bir vor allen Welten,
Wie, vom Geift befeelt, Aſſaphs Saitenipiel
Dir, vor Engel-Lob gefiel.
Schönfter, wie die Welt durch Aurorens Feuer,
So begrüß’ ich dich mit dem Klang ber feier.
Stimmt das Echo jett aud in Thorheit ein,
Soll mein Herz mein Echo feyn.
— — — —
Siebenzehnder Brief.
Mich freuets, daß die Anſpielungen der prächtigen Ode, die
ich Ihnen überſandt, Sie auf die Weiſſagungen und Vor—
bilder des Meßias im A. T. aufmerkſam gemacht haben. Sie
bringen mich damit auf meinen Weg: denn eben wie Sie, halte
auch ich dieſen Punkt für einen der ſchwerſten und feinſten der
Chriſtlichen Lehre — —
Hätten wir blos mit Meynungen alter Juden zu thun, ob
nicht auch Einer oder der andre Rabbi dieſe oder jene Stelle, dies
oder jenes Bild auf den, der kommen ſollte, den Troſt Iſraels
gedeutet; fo wäre die Sade ausgemacht Werl. Sie dürfen nur
jo manche Bücher, die aus und nad den Grundſätzen der Rabbinen
jelbft ftreiten, Martini pugionem fidei, Galatinum de arcanis
catholicae veritatis, injonderheit Schöttgens Jeſus, der wahre
Meßias aufihlagen, wo fo viel Jüdiſche Deutungen unfrer
Weiffagungen auf den Meßias gefammlet find, daß man fih, wenn
dies gnugthäte,! wundern müßte, warum noch nit alle Juden
263 in der Welt befehrt find? Ich fage dies ganz im Ernft. Denn,
wenn ich Bücher der Art in meiner Jugend las (und ich las fie
ber ſchönen Stellen wegen gern) fo wunderte ich mich wirklich, daß
es noh Juden, die nicht zugleich Chriften find, gebe; bis mir in
ipätern Jahren Chriften ſelbſt die Binde von den Augen zogen.
1) Alles thäte
Ich hörte fie nemlih Häufig behaupten: Die Stellen und Weil:
jagungen des U. T. ſeyn in unſerm Gejalbten meijtens nur durch
Hecomodation erfüllt, nicht anders. Im U. T. Hätten fie einen
andern Sinn, andern Zuſammenhang, andre Abficht;! fie ſeyn nur
durh Volkswahn, dur falſche Regeln jüdischer Auslegung und
Deutungskünfte, durch Unwiſſenheit derer, die fie citirt, auf Chriftum
berübergezogen, herübergezwungen. Kurz, wir haben nur durchs bene-
fiium der Allufion und Judendeutung einen accomodirten Chriftus.
Spotten kann ich hierüber nicht, m. Fr., ich bebaure.? Wenn
ih auch nicht die geringfte beffere Auskunft wüfte, ich würde immer
noch, wenn auch zulett nur mich ſelbſt bebauren. Denn benfen
Sie ernftlih und unpartheiiih: wohin die Sache kommt? Ich
wills zugeben, daß Paulus als cin Schüler der Rabbinen, daß
die Evangeliften, fo fern fie ald Jüden für Jüden fchrieben, in
unmefentliden Dingen, zur Grläuterung, zur Sluftration ar
ardowr.ov dergleihen Anspielungen und Lieblingsdeutungen haben
machen dürfen; Die Hauptjadhe, wenn fie ſich auf andre und beflere 264
1) Mie.: Zufammenhang und Abſicht:
2) einen — accomodirten Chriſtus.
Wie diefe Behauptung nun mit den andern Wunderbeweiſen, „daß
„Ehriftus der wahre Meßias fei, zuerft aus dem Weißagungen des X. T.
„klärlich dargethan,“ zufammenhange, mögen Sie felbft Iefen. Da find etwa
noch ein paar oder drei Stellen aus Iefaia, Daniel, den Pſalmen, geblieben,
die noch nicht herausgeworfen find und auf die nun mit groffem Eifer und
noch größerer Macht Alles gebaut wird, bis ein andrer komme und aud
fie für Accomobationen erkläre. Bei einigen iſts fchon geſchehen; das jüngere
Buch defjelben Yehrers ftraft oft das Aeltere; wo nicht, fo ftraft ibn fein
Herr College, und Ifrael irrt umher, wie eine verlohrne Heerde. Sch meine
das junge Chriftlihe Ifrael. Dies läßt fi) weifen, folgt jett dieſem, jett
jenem Stabe: diefer jagt, „da ift eine Quelle, trint!” jener fagt: „Thörichter,
„willt du Sand lecken? da ift Feld, da iſt Wüſte! Die guten Yeute bes
„NR. T. accomodirten nur und müſten wir fie nicht Dem Herkommen nad
„für infpirirt annehmen: wir würden der Sade einen andern Namen gebet;
„ießt nennen wird accomodiren!”
Spotten kann ich hierüber nicht, m. Fr., ich bebaure. Ich bedaure
ein Accomodationschriſtenthum, einen fo accomodirten Chriſtus.
— 191 —
Beweife ftüßte, verlöre durch dieſe mißliche Nachbarfchaft nichts ober
wenig. Seten Sie aber nun, daß fie aud) in der Hauptjade
dergleihen Beweiſe anführten, daß Chriftus felbft fih in feiner
Hauptfache auf folde Accomodationen ftügte, über die wir jetzt
hinaus find; fagen Sie, wo bliebe nun, id will nit jagen:
Theopnevftie, fondern nur das gewiffe! Wert eines Gottes der
Wahrheit? Sandte dieſer feinen Sohn in die Welt, fonnte er
ihn nit unter unfehlbarern Kennzeichen ſenden? Konnte er
ihn und feine Zeugen nicht wenigſtens vor der Anwendung fehl-
barer. Kennzeihen bewahren? Daß Jelus ein reblider Mann
geweien; kann der ſchwache Zmweifler gern zugeben; aber fonnte
der redliche Mann fid nicht trügen? Konnte er fi ? nicht um fo
mehr trügen, als in feiner Seele ein Ueberihmung ? von guten,
für ihn unerreihbaren Abfichten ıdar? Und wenn er fih trog,
auh nur in der Anwendung Einer Weiffagung trog, die eigent-
lich nicht auf ihn geftellt war, die er nur durch Accomodation fich
zum Kleide machte, warum bejtätigte ihn Gott durch Wunder?
durchs größefte Wunder feiner Aufermedung? Wollte er uns eine
265 Fallbrücke bauen zwiſchen Trug im Auslegen und Redlichkeit im
Handeln, zwiſchen fih irren und «3 gutmeynen? Es wäre die
gefährlichite Fallbrüde, die je gebaut ward, nicht bloß für das
Jüdiſche Volk, fondern für alle Völker und Zeiten, denen A. T.
und Chriftentbum je in die Hand käme.“ Wie? ein Chriftus für
alle Zeiten, für alle Nationen gefandt; und nad Jüdiſchen Acco-
modationen, die auch feine Zeit vieleiht nicht alle annahm ,® nur
für fie und zwar für den ſchwächſten, ungelchrteiten Theil derjel-
ben erwiefen? Er kommt vom Gott der Wahrheit, und Diefer
hätte auf die Dänmerung, auf den $ Nebel ciner Zeitverbindung
gebauet ? er hätte ihn durch Wunder fo ? unläugbar; durd) Anwen⸗
dung der Weiffagungen aber fo mangelhaft, To mißlich ermiefen?
1) nur gemißes 2) trügen? ſich 3) Ueberſchwang
4) Jüdiſche ſondern für .... kommt
5) die ja auch nicht ſeine Zeit einmal annahm,
6) Dämmerung, den 7) ſo ganz, ſo
Denn, mas Er und feine Diener für fih anführen, führen Wir
entweder gar nicht mehr an, oder laſſens nur noch Ehrenhalber jo
ftehen; gegentheild, worauf Wir am meiften bauen, darauf bauen
fie nidt, und wer weiß, ob Wir felbft in! kurzer Zeit noch
darauf bauen werden. Der Ausleger kehrt ſich nicht ang Dogma
und fchreidet weg: das Dogma greift ? nad diefen, nad jenen
Halmen; wie wenn der Rain nun da ift und die legte Sichel
ſchlüge; wie denn?
Sie fehen, m. Fr., jede Sicherheit hierinn ift mißlih und im 266
Grunde nicht rechtſchaffen. Auch fernen Zweifeln müflen wir
zuvorkommen; ober fie find ung näher, als mir denfen; und joll-
ten dieſe auch wohl fo fern jeyn? Sollten fie nicht hundert
Chriften aufgeftoffen feyn, die eregefiren oder die die neuen Ere-
geten leſen? Und denn, mas jagen die Juden? Wäre bey fol-
her Lage es? blos halsſtarrige Bosheit, was fie von Anwendung
ihrer Weiffagungen auf unjern Chrütus abhält? Sind nidt
die Weiffagungen und felbit die Reihe von Lehrern, die fie aud
auf den Meßias deuten, ihr? Dagegen aber deuten andre ihrer
Lehrer die? Weiffagungen jo anders; ja mo fies nicht thun, helfen
wir Chriften ihnen,® fie anders als auf Chriftum zu deuten, jelbft
reichlich. Leſen Sic von Jüdiſchen Difputationen $ der Art nur
die amicam collationem Judaei cum Limborchio, die unter bes
Orobio? Namen auch Franzöfifh heraus ift; und jchliegen ſodenn,
ob man fo ganz in Ruhe fortichlendern dörfe? —
Der Pſalm, der am auffallenditen auf Chriftum angewandt
wird, ift der 110te; laſſen Sie uns ihn hören und vergefjen Sie
einen Augenblid noch unfern Chriftus.®
1) felbft, nach der Revolution unter Weißagungen, bie gejchehen ift
und täglich gejchiehet, in
2) greift noch immer 3) es allgemein und
4) Und noch beuten andre Die 5) ihnen ja,
6) Sie Jüdische Commentare und von Difputationen 7) Orobi
8 Chriſtus. Ich bins nicht, der jet fpricht, ſondern irgend ein
berühmter Ausleger unfrer Zeit.
267
268
— 13 —
Ein Kriegs- und Giegeslied.!
Jehovah ſprach zu meinem Könige:
„Sitz her zu meiner Rechten,
„Bis daß ich Deine Feinde Dir
„Zum Schemel Deiner Füße niederlege.”
Gr ſprachs. Wohlan! den Scepter Deiner Siege
Nedt Jovah alfo felbft vom Sion aus:
Nimm ein Dein Neid in Mitte Deiner Feinde.
Sreywillig, auf den Tag, wenn Du gebeutft,
Stellt fih Dein Volk Dir dar,
In beil’gen Kleidern, wie zum Tempeldienſt geſchmückt,
Mie aus der Morgenröthe Schoos der Thau
Etrömt Dir die Jugend Deines Landes zu.?
Geſchworen bat Jehovah,
(Nie reuet ihn der Schwur:)
Mein Königsdiener ſollt Du ſeyn,
Wie einſt Melchiſedek.“
Wohlan denn! Er, der Dir zur Rechten ſteht,
Zermalmt, wenn er ergrimmt,
Die Könige.’
Er fißet unter Völkern zu Gericht,
Und füllt das Land mit Leichen
Und tritt die Häupter ihnen in den Staub — —
1) Ein Siegeslied.
2) &8 Sprach Jehovah zu meinem Herrn: „Sit ber zu meiner RHedh-
„ten Bis daß ich Deine Feinde lege Zu Deiner Füße Schemel.“
Den Scepter Deiner Stärle reckt Jehovah Bon Sion aus:
„Dein Reich fei in der Mitte Deiner Feinde!“
Strads find mit Dir Freiwillige Zum Fe geihmüdt, am Tage
Deiner Macht. Wie aus der Morgenröthe Schoos der Thau Strömt
Deine Jugend zu Dir hin.
3) „Ein Prieftertönig ſollt Du ſeyn, Wie einft e8 war Melchi⸗
ſedel.“ Der Herr zu Deiner Rechten Zermalmt am Tage ſeines
Grimms Die Könige.
Herders fänmtl. Werte. X. 13
— 14 —
Er trant vom Bad am Wege,
Drum bebet er fein Haupt fo ſtolz empor.!
Ich babe dem Pſalm feine myſtiſche Feyerlichkeit gelaflen; bin?
auch in nichts von der gewöhnlicdden Erllärung abgegangen. Und
nun, wie wenn der Pſalm ein Steges- ein Kriegs- und Schladt-
lied auf David wäre? Der Dichter redet feinen König an, und
nennt ihn feinen Herrn; wie fonnte er ihn anders nennen? Er
beginnt mit einem Wort Gottes an ihn; wie wir ja Worte,
Drafel Gotted an David, über feine Macht, feinen Sieg, jein
Königreih haben. Jehovah, den er von feinem Herrn? unter-
ſcheidet, ſpricht dieſem zu, daß er fich zu feiner Rechten fege,
und in mtajeftätifcher Ruhe, gleihjam Gott zur Seite, als fein
Statthalter, ala fein Mitregent auf Zion neben ihm throne,“ bis 269
er alle Feinde unter feinen Füßen fühle — Für den
Anfang eines Loblieves, kann man jagen, was ift natürlicher,
präcdhtiger, al8 dies Bild, dies Wort Gottes? Der König ift,
wie auch der zweyte Palm finget, Sohn Gottes, fein Gefandter,?
fein Erbe der Völker. Gott gab ihm den Thron auf diefem Berge,
nahe den Sebufitern, von Feinden mitten umringt, und befiehlt
ihm, fo fiher, fo ruhig darauf zu thronen, als ob das Werk
jeines Sieges ſchon vollbracht fey, und der Gott zu feiner Seite
(ein gemöhnliher Ausdrud der Pfalmen) alles für ihn bereits
gethan habe.s Die Folge mahlt diefe Kriegsthat Gottes für David,
und mahlt fie majeftätisch, ſchrecklich? Jehovah reckt nur feinen
Scepter, feinen Kriegs- und Befchlöftab von Zion, dem Berge
feines Pallafts aus; und fiehe, es ift ein Wink zu Davids Sieg:
wohin der Scepter reiht, wird Davids Reich; er Herriht — in
1) Und trinkt vom Bach am Wege Und hebt fein Haupt empor.
2) Palm alle feine .... gelaffen, und mich aus den ſchweren Stellen
des 2. und Iten Verſes fo leicht gezogen, als ich konnte; bin
3) Herrn fo hoch 4) Etatthalter, fein Mitregent auf Erben throne,
5) Geſandter, Regent auf Erbe,
6) Thron und befichlt .... thronen, als ob fein Wert vollbracht fei,
und .... fir ihn thäte,
7) göttlich.
— 15 —
der Mitte feiner Feinde. Sobald diefer Wink, dies zweyte
Wort Gottes befielt, ftrömt! Volk, freymilliges Volt zufam-
men, eine Schaar der Weihe gleichlam, der Aufopferung und per-
jönlihen Hingabe für ihren Gott und ihren König In feyer-
lihen Kleidern ericheinen fie, als ob die Schlacht Gottesdienft,
270 der Kampf ein Feſttag des Sieges wäre?. Da fteht aljo die ſchöne,
junge Kriegsfchaar; wie Thau aus dem Schoo8 der Morgen-
röthe floß fie, Mann für Mann, jchnell zuſammen, und fteht in
weiſſen Feſtkleidern und friſchem Jugendglanz da —° fühlen Sic
jelbjt da8 Schöne des Bildes. Und nun thut Gott, der zweymal
ſprach, den dritten, größten Ausfprud, der jo gar Schwur,
ein ewig unverbrüchlicher, unmiderruflider Schwur wird: eine
Belräftigung der zwey erften Gottesworte.* Der König, in deſſen
Namen Gott auszieht, deſſen Reich er unter feinen Feinden gründet,
ſoll und wird in feinem Gejchleht ewig ein König ſeyn; und
zwar König der ältejten, edelſten Weife, j7>, Prieſter und
Fürſt, ein Diener Jehovah's in jeiner heiligen Nähe, Meldi-
fedel, König der Gerchtigfeit und des Friedens, zu
Salem, auf Zions Berge. Sie fehen, wie jhön der Dichter die
größeſte Pflicht derb ſchönſten Verheiſſung einwebet. Er machts
zur Bedingung des hohen, ewigen Schwurs Jehovah über Davids
Haus und Nachkommen, daß er auch ein König der Unſchuld und
Menſchenliebe, nur Diener Gottes an ſeiner erhabnen Stelle,
1) iſt Wink zu Davids Sieg, zu feiner Heldenſtärte. Wohin ....
Reich, eb wird - - in der Mitte feiner Feinde, dahin ſich entweder feine
Eroberingen ausbreiten oder wo eben diefer Gottesſtab die Feinde vom Reich
feines Geſalbten abhält. Sogleidy ba biefer .... Oottes erjheinet, ſtrömt
2) wäre; er iſts auch, deun ihr Schlachtheer und Heerführer vedte ja
den Stab feiner Hoheit aus Zion felbft aus und rief fie.
3) Jugendglanze —
4) Shwur, ewig .... wird: was wirb er anders ſeyn als eine ....
Gottesworte? Das ift er.
5) wird ewig ein König feyn: König, denn Gott hats geſchworen,
und .... Fürſt, Melchiſedek, .... Friedens, des Glücks, der Ruhe
und Wohlfahrt. Sie ſehen, wie .... Pflicht dem höchſten Lobe, der
13 *
Patriarh und Bater feines Volks ſey und bleibe! Der
übrige Theil des Hymnus ift Ausführung des Wortes Gottes in
den eriten Verſen: Jehovah ftreitet für feinen Gefalbten: er hält
Gericht über die Völker: ihre? Niederlage Toftet ihn nur Ein
Wort, ein Urtheil. Zermalmt liegen fie da: der Sieger geht
auf Leihen, tritt auf ihre Häupter; müde von der Schlacht fieht
er einen Bach am Wege und trinkt, und hebt geftärkt fein ſtolzes
Haupt — — Ich darf Ihnen wohl nicht? weiter von der Pracht
dieſes Pſalms fagen. Die Anführung Ehrifti*) wird einer Acco-
mobdationsreihen Zeit leicht zu erklären feyn: „er ftritt mit den
Vharifäern nah? ihrer Weile.” Sie legten ihm Räthſel vor;
er ihnen desgleichen: dies mußte alſo aus dem Kreife ihrer Erflä-
rungsart jeyn u. fe —* Und fo wäre denn diefer Palm auch
abgethan, wie der zweyte längſt abgethan worden, der dieſem übri-
gend genau zur Seite ftcht, und denfelben Anhalt, faft auf eben dem
Gange, nur milder und ruhiger ausführt. Jener ift die drohende Ein-
leitung zu dieſem blutigen Siegshymnus, ein ferner prächtiger Don-
ner vor der Zerfchmetterung ; dieſer ſchildert? dic Zerfchmetterung jelbft.
Erwarten Sie nicht, daß ich auch den andern Palmen, dem 16.
22. 40. 68. u. f. dem 11. 12. 53. Kapitel Jefaiä, dem 9. Kap.
Daniels u. f. meine Feder leihe; ich darfs nit: denn die Sachen
find alle ſchon gefagt und wieberholet.* Ueberhaupt ift jeder Tritt
*) Matth. 22, 43:46.
1) bleibe. (Die gewöhnliche Erklärung „nach der Weife Melchifenets“
ift gut; nur nicht, daß man Reihe, Rodel, Prieſterord mung verſtehe,
denn in folcher ftand Melchifedet nicht. Er war ein Kinziger König, obne
feinesgleihen, wie es aud Paulus erkfäret; und chen deßhalb wird er
Ideal, Vorbild diefes Königes, der regieren foll, wie er regierte, nach
feinen Grundfägen, nad feiner Weiße.)
2) Geſalbten thätlih: er .... Völker — ein prädtiges Bild. Ihre
3) mit ihnen nad 4) ſeyn. —
5) ift drohende .... vor biefer Zerſchmetterung; biefer iſt
6) wiederholet. Beim 16. 22. 40. 68. Pſalm, beim 7. Kapitel Jeſaias
und Daniel® laut; bei andern leiſe, und famı ja nach eben der Analogie
gefagt werben.
271
— 197 —
unſicher, wo man ſo oft ſank, wo man nicht weiß, wie leiſe
oder veſt? warum hier und nicht dahin? man treten ſoll. Haben
doch Juden und Chriſten ihnen nach, es überhaupt geſagt: „die
„Hofnung eines Meßias ſey ihnen nie cin Glaubenspunkt geweſen,
„und dörfe es noch nicht ſeyn: Propheten haben feine neue Glau—
„benglehren aufbringen können, die nicht im Geſetz Mofes ftanden;
„und in dieſem fey Glaube an den Einigen Gott, ein reiner und
„williger Dienft deffelben! die Summe von Mofes Bunde. Der
„Meßias cricheine nur als ein? Troft der Nachwelt, den jeder
„Prophet nah den Bebrudniffen feiner Zeit ſchilderte, ohne des-
„wegen Perſonalcharactere eines einzelnen Menſchen entwerfen zu
„wollen.“ Vieles dergleihen mehr. Sie fehen, m. Fr., es ift
eine gründliche Erwägung der ganzen Sade, ohne herausgerifjene
einzelne Stellen und jo genannte Beweisſprüche nöthig. So lange
dulden Sie fih, oder fchreiben mir, was Sie denken. Mir ifts
oft gegangen, wie des Vrbani Regii guter Ehefrau, Anna, die
dabey gewejen zu ſeyn wünſchte, als Chriftus nach feiner Auf:
273 erftehung anfieng von Mofes und allen Propheten, und
legte ihnen, feinen Jüngern, alle Schrift aus, die von ihm
gejagt war, öfnete ihnen auch das Verſtändniß, daß fie
jelbft auslegen konnten und die Schrift verftunden. Vielleicht
aber, werden unjre Ausleger jagen, bat er da jo jubaifirt, wie
er in feinem Leben jubaifirte; und fo würden fie freylic nicht viel
von ihm lernen. In Moſes z. E. ftehe gar? nichts von ihın u. f. — —
274 Achtzehnder Brief.
Ich kann Ihnen, m. Fr., über die lettberührte Sache nichts
als meine Meynung jagen; überzeugt fie Sie, wird fie Ihnen
ein Band, fih das A. und N. T. harmoniſch zu denken;
1) Gott, veiner, williger Dienft und Herzensliebe deſſelben
2) Meßias fei ein 3) ja
— 198 —
wie froh wäre ih, falls ich Ihnen hiezu auch nur von weiten bie
Spur wide.
Zuerst: bin ich freylich der Meynung, dag man Feine Stelle
bes U. T., wie feines vernünftigen Buchs, aus ihrem Zujanı-
menhange reifen und weil fie in unfern Deutſchen Exemplaren
einmal größer gebrudt ift, nothwendig auf Chriftum deuten müfle;
das Vorhergehende und Nachfolgende handle, wovon es wolle.
Wenn! Gott den David einen Sohn verſpricht, deſſen Reich er
beftätigen und defjen Fehler er mit Menfchenruthen züchtigen wollte;
jo können einzelne Reihen unmöglid jo aus der Rede gerifjen
werden, daß Same, Sohn jest und zwar nur in Einem Com—
mate ausfchließend etwas anders beveute, als es fonjt immer,
als es auch im vorhergehenden und folgenden Sat der Rede fort:
gehend bedeutet. Wenn der ganze Alte Pfalm von Chrifto nicht
handelt und ber 10. Ver: auh mein Freund, der mein 275
Brod aß, tritt mich unter die Füße, follte und zwar aus⸗
Ihlieffend von ihm handeln — viele dergleichen Stellen mehr —
wenn dicd, und zwar ohne weitern Grund, ohne alle Ber-
bindung des Zufammenhanges gelten follte, blos, weil, fo
berausgeriffen, die Worte fih auf einen Umftand des Lebens Jeſu
zu pafjen ſchienen; jo wäre es freylich mit dem Zuſammenhange
des U. T. mißlich. Gegen ſolche Herausreißungen einzelner Verſe
bin ih ganz; denn der Prophet, oder Geſchichtſchreiber oder gar
Gott felbft fprah im Zufammenhange, mie jeder vernünftige
Menſch Sprit, und wie ja das Glorreichſte, immer mit ſich Einige
1) Im Mfe. geben folgende durchſtrichene Sätze voran: „Wenn
1 Mofe 3, 14 von der Schlange die Rebe ift, die bamals und daſelbſt die
Gelegenbeit zum Fall geweſen war, und den Vers barauf von einer ganz
andern Schlange, einem ganz andern Weibe und Weibesfaanten, einem ganz
andern als dem finnlichen Zertreten des Kopfs die Rede feyn fol, wie es
fich jeder natürlich denkt und fid) damals die Menfchen denken muſten; fo ift
dies wenigſtens ein harter Sprung aus dem Zufammenbange, eine plötzliche
Berjekung in eine ganz andre Zeit und Denlart. Wenn Gott dem Abraham
einen Samen verfpricht, in dem alle Bölter der Erde gefegnet werben, und“
— 19 —
Weſen in einem ewigen! Zufammenhange handelt. Alfo muß jeder
Vers auf feine Stelle zurüdgeführt und fo wenig einzeln betrachtet wer-
“den, ala c8 ſeyn fann. Himmel und Erde find Ein Werf und das
Wort Gottes ift gewiß nur Eines. Bon Verſen und Abfähen nad)
unfrer Art wuſte überdem fein Prophet, weder in Schrift noch Sprache.
Zweytens. In dieſen Zufammenhang zurüdgeführt, Tonunts
nun Darauf an, was man Weißagung, Bild, Vorbild nenne?
276 Da es nemlich fein Dictum ift, das der Prophet auswendig lernen
ließ, fein Bild ift, das er, abgeriffen von feiner und aller damals
lebenden Menſchen Faflungsfraft, ala die gemahlte? Geftalt eines
Chriftus von Nazareth darftellte; jo kömmts darauf an, in melden
Zeitumftänden er [prad, in welder Verbindung einer
und andrer Gedanken er dies Bild, jene Ausſicht vorftellig
machte. In diefe müffen wir eindringen, und nod) nichts aus
unfrer Zeit, aus unfrer Gedanfenreihe dazu nehmen. ft nemlich
1 Mof. 3, 15. von Chrifto die Rede, jo kanns nicht anders ſeyn,
ala im Bilde der Umftände, die den Menjhen damals vor Augen
lagen. Die Schlange hatte ihnen gejchadet; fie ward ihnen cin
Bild des Böfen, der Verführung, zugleich aber auch des Fluchs,
der Verachtung und Strafe. Sie follte ihnen ein Symbol? bleiben,
wie niederträchtige Nachftellung und Verführung fich ſelbſt ſchade,
weldhen Lohn fie endlich erhalte. Den Menichen warb die muthige
Ausficht gegeben, daß fie, die Nachkommenſchaft des Weibes (denn
Eva Heißt eine Mutter aller Lebendigen) ftärler und edler ſeyn,“
als Schlange und Alles Böfe. Sie würden diefen daB Haupt zer-
treten, und dieſes fi nur mit einem elenden Ferſenſtiche rächen
können; kurz, das Gute follte Uebermacht gewinnen über das Böſe
277 duch alle edle Streiter, durch jeden treflihen Kämpfer aus dem
Menſchengeſchlechte. Dies war die Ausſicht. Mie belle oder
dunkel fie das erſte Menſchenpaar fah, gehört nicht hieher; gnug,
1) und ja das Glorreichite, mit ſich Einigfte Wefen in ewigen
2) feinem und aller Menſchen Zuſammenhange und Faßungskraft, als
gemahlte
3) ſollte ihr Symbol 4) wären,
wenn der edelſte Streiter gegen das Böſe, der tapferfte Zer-
treter des Kopfs der Schlange aus Eva's Geſchlecht, in dieſer
Ausficht mitftand und allerdings vorzüglich dahin gehörte; fo wars
damals nicht anders als im Umriß der ihnen natürlichen,
finnliden! Bilder, deren Inhalt erſt fünftige Zeiten entwidelter
fahen. Liegen in Umftänden vom Reich Davids und Saloıno
Bilder des Meßias; fo können wir zu ihnen nicht anders gelangen,
als daß wir jene Umftände in ihrer urfprüngliden Geftalt
einfehen lernen -- — Es ift ſchlimm, daß uns zum Ausprud
dieſer Dinge oft felbft die beſtimmten Worte fehlen oder die beiten
mißbraucht worden find. Unter Weißagung denkt fi ein jeder
beynab ein fo klares Dictum, als es uns jegt ift, die wir den
Erfolg wiſſen; unter Vorbild gar etwas Aergers: cine öffentlich
zur Schau geftellte Heilige, in allen Zügen myſtiſche Perfon oder
Sade, die damals ſchon Gott oder Priefter und Prophet, ich weiß
nicht, wie genau und dogmatiſch erflärt habe. Nichts von allen
diefen möchte ich noch darunter verftehen wollen; daher ih das
Vorbild immer lieber nur Bild nennen werde und unter Weifla- 278
gung nur allgemein noh Ausfiht in die Zufunft verftehe,
wie hell ober dunkel, perfonell, oder reell, in Wünfchen ober Ver-
beigungen ſolche feyn mochte. Bild und Ausficht muften? nun
nothivendig jedesmal im Geſichtskreiſe ihrer Zeit, nad Ver—
anlaffungen derfelben, und gerade nur jo meit, als fie die
Worte oder Winte des Propheten geben tonnten, erfcheinen. Wenn
alfo die Ausleger der Bibel unter directen und indirecten Weiſſa⸗
gungen unterfcheiden: jo ift die Sache wahr, nur der Ausdruck
unbequem, weil, wenn dies Bild, jene Verheißung eine ganze
Folgezeit in fi faßt, fie alles im ihr directe enthält, wie bie
Knoſpe den Baum, wie das Ei die Frucht, obmohl erft die Zukunft
jolde entwidelt.? Wenn in Abrahams Nachkommen alle Völker
— —
1) Umriß ihnen natürlicher, ſinnlicher
2) mochten. Diefe muften
3) Die Ausleger der Bibel haben daher immer unter... .. unter
fchieden. Die Sache ift wahr, .... . unbequem: denn wenn .... fallt, fo
— 201 —
der Erde gejegnet werden follten: fo konnte und follte fi Abraham
diefen Segen in feiner Allgemeinheit denken und Alles, wodurch
fein Volt fih um die Völker der Welt verdient gemacht hat, gehört
in ihn. Wenn Chriftus alfo aud) unter diefe edeln Verdiener gehört:
jo gehet auf ihn auch der Segen, nicht indirecte, ſondern directe
und wenn Er der Vornehmſte diefer Anzahl ift, direetissime vor
allen andern; nur daß Abraham noch feine Geftalt nicht deutlich
2379 in diefem Keim, den ganzen Baum feiner Verdienfte noch nicht fo
deutlich in der Knoſpe fah, und, es ſey denn durch befondere Offen-
barung, auch nicht fehen follte. Wenn Chriftus es war, der das
eigentlih ewige Reich ftiftete, das David, Salomo und ihre
Nachfolger nicht ftiften Fonnten; fo gehört er nicht indirecte, ſon⸗
dern directissime in ihre Verheißungen; nur daß fie damals die
Art und Geftalt feines Reichs noch nicht ober nur dunkel
jahen, fih aber ans Wort Gottes hielten und vertrauend fich der
Zufunft überliegen. So ward mit andern Verheißungen fern oder
nah. Sie waren Blide in die Zukunft, nad) den Umftän-
den, die damals vorlagen, in dem Maas von Troft oder von
Lehre, das die damalige Zeit! brauchte. — —
Drittens. Es ift alfo durchaus fein Gegenſatz, daß Weil-
fagungen, die im N. T. auf Chriftum angewandt find, im U. T.
nähere? Umſtände gehabt, auf die fie ſich bezogen, und in
denen gleihfam ihr Um- und Vorriß geweſen; vielmehr finde
ih nichts der menſchlichen Sehart, der ſymboliſchen Veranitaltung
Gottes und der immer nur allmählig alles entwidelnden
BZeitfolge gemäßer, als dieſes. Was konnte fich doch der Pro-
280 phet, was der Zuhörer? an einer Weißagung denken, die in ihren
Zeitumftänden feine Veranlafiung, feine Haltung, Feine finn-
hält fie alles in ihr directe, wie .... Frucht, fo daß die Zukunft folches
nur entwidelt.
1) die Zeit
2) Weiflagungen, die auf Chriſtum geben ober in welchen er zu fin-
den ift, auch nähere
3) Zuſchauer
— 202 —
lihe Eriftenz gefunden und wie cine ungebohrne, Geftaltlofe Men-
ſchenſeele im «dı,s, im Reich der Wefen, das nad) 2. 3. 4000. Jah-
ven einbrechen würde, umhergeſchwebt Hätte?! Es ift fo ganz der
Natur der Zeit, der Geftalt der Schriften und der Schriftſteller,
ja der Abſicht Gottes in dieſem vorbereitenden Kinderteftament
entgegen, daß fie, und zwar zu jeder Zeit gleich, und von An-
fange der Welt an, ſchon Männer gewejen und Chriftum durch
ein unfichtbares Vergrößerungsglas ſchon in Bethlehem gebohren,
ums Galiläiſche Meer mandeln gejchen hätten; und doch ſetzt man
bey mancder Theorie von Weißagungen das immer jchon voraus.
David fol den Judas, der Chriftum verrietb, genau gekannt,
ben Kriegsknecht, der ihm den Eßig reichte und die Glieder durch
bohrte, genau gefehen haben: denn „er hat ja von ihnen geweiſſagt.“
Die Kriegsknechte fpielten vor feinen Augen um Chrifti Kleider,
und Maria ftand dem Propheten Jeſaias leibhaft vor, da er
ſprach: „Siehe eine Jungfrau ift fchwanger.” So iſts mit dem
Eſel, auf dein Chriftus gen Jeruſalem ritt, bey Zacharias; fo mit
Johannes dem Täufer im? Malachias; fie haben alle in enger
Freundichaft, obwohl Jahrhunderte entfernt von einander, gelchet. 281
Nichts zerftört fo ganz den prophetifchen Geift, die nur all:
mählich zunehmende Klarheit und überhaupt den primitiven
Eindrud jeder einzelnen Weißagung, als diefe aus unfern Köpfen
in jene, Beiten gebrachte Helle. — Calvin verbrannte den Servet 3
auch deßwegen, weil er in feiner Bibel bie und da Weißagungen,
die auf Chriſtum gehen follten und er felbjt auf ihn deutete, zu⸗
fürderft auf etwas in ihrer Zeit anmandte und glaubte, daß
dies zu ihrer Zeitbeftimmung gehört Babe; ftatt ihn zu verbren-
nen, hätte ich feine Meynung beberzigt, und unterſucht, was fie
für mehrere oder mindere Wahrjcheinlichkeit gebe? Verbrennens⸗
1) Erfiftenz fand und .... umherflog?
2) und
3) Helle. Statt daß alles ftehn foll, wie es fteht, in feinem eignen
Schimmer; bringt man fein Lichteyen mit ſich und ruft: ei wie Hari —
Calvin verbrammte Servet
werthes iſt nichts in dieſer! Hypotheſe, denn von einzelnen
Weiffagungen folder Art Haben es alle Theologen von jeher
behauptet. Ob nun einige mehr ober weniger diefer Art wären ? ?
das thut zur Sade nichts. Wäre immer der 2. und 110. Pjalın
zuförderft auf David gemacht, auf ihn nemlih, in den Glanz
der Verheigung, die ihm Gott gegeben, ald Vater eines
ewigen Reichs gekleidet; das hindert nichts. eich bleibt Reich,
weder Er noch Einer von feinen irrdiſchen Söhnen bat aber ein
ewiges Neih errichtet, oder konnts errichten, ala Chriſtus.
282 Sowohl in der Verheißung Gottes an den König, als in den
Pjalmen, die ſolche ausmahlen, ift alfo eingewidelt (implicite)
Chrifti? Reich enthalten, David, dem die Verheißung gefchah,
oder der Prophet, der fie ihm in einem jo ſchönen Gefange brachte,
mochten viel oder wenig jehen, wie eigentlich das Reich werden
würde. Sie follten fo viel fehen, ala Gott ſprach; nicht den
Baum, fondern die Knoſpe.“ So ifts mit den Pfalmen aus den
Lebensumftänden Davids, Salomons, der Propheten. Es ift
Thorheit zu denken, daß fie fich in dieſem ober jenem Umſtande,
als Typus einer zukünftigen Begebenheit oder Perſon und Sache
jelbjt Hell und klar gefühlet, daß fie deßwegen diefen und feinen
andern Ausdruf mit klarer Beſonnenheit gebraucht, ſolchen dem
Volk in Wochenpredigten erklärt oder ſich gar felbit zum lebendigen
Typus Chriſti Bingeftellt hätten — unnatürlih, und unbewiejen
ift dieſe Meynung. Sie arbeiteten, mie andre Menſchen, unter
ber Lat des Lebens, die Worte, die fie |prachen, Tamen aus dem
Drang ihres Herzens und alſo aus veranlafjenden Zeitum—
ftänden; die Geſtalt, die fie in der Reihe der Zeiten bat-
ten ‚5 ſahen fie nicht, ſah oft ihre Zeit nicht; dies erblidte erſt
die Zufunft. Da ſah man fie im rechten Licht, auf ihrem fon-
derbaren Stande, in ihren einzelnen Merkwürdigkeiten, man ver-
1) ver 2) wären? (alle finds nicht)
3) in der Weifagung Gottes .... ift alfo Chriſti
4) nicht Baum, fondern Knoſpe.
5) machten,
— WM —
glich! und bauete weiter. Manches Wort, das fie geſprochen, 283
manche Begebenheit, die fie erlebt hatten, warb jego neuer Wink
auf neue Saden im Fortfluß der Zeiten — —
Biertens. Auf dieſen Faden der Entwidlung und Auf-
bellung des Zweds Gottes bey feinen Gefegen, Ber-
heißungen, Gebräuden und Begebenheiten — auf ihn zu
merken, macht die wahre Kette der Weiffagungen und Bil:
der. Immer nemlich erklärte fi der Zweck Gottes mehr: ? er
veranlaßte, daß gewiffe Dinge auffielen, daß andre Dichter und
Propheten fie ausmahlten, und darauf weiter bauten; bis
aus allen vollftändig, ein ziemliches Licht zufammentraf. Inſon⸗
berheit warens Worte Gottes felbft, die gleihfam aus einander
geiponnen, in feinern Fäden zu neuen Geftalten wurden. Der
Segen Abrahams war allgemein; in Iſaak, Jacob, Judah wurde
er beftimmter. Dem legten ward Sieg, Macht, Anfchen,
Ruhe, ein Königreich, oder wenn man will, ein Friedenmacher
verheißen; das Alles blieb noch im Allgemeinen, näher kam die
Entwidelung nit, bis aus Judah der erfte und zugleich mäch—
tigfte, Siegreichfte, anjehnlichite König, der Stammpater des
ganzen Haufes kam, David. Nun fam die Verbeißung wieder; 284
abermald nur angemeffen ihm, feinen Wünſchen, feiner Aus⸗
fiht. Auf Kriege follte ein Friedenskönig erfcheinen, dem
niedrigen Stammvater ward ein langes Königlihes Geſchlecht,
ein ewiges Reich verheißen. Dies entwideln die ſchönſten Pfal-
men, alle im Licht der Verheißung Gottes durch Nathan gegeben,
und alle in demſelben Gottesgeiftee David farb. Das Neid)
Sant, fein Stamm neigte fih; nun kam die Verheißung micber.
Jeſaias entwidelte? ein cwiges Neih aus dem Stamme
Judah, aus Davids Geſchlecht in prächtigen Bildern, zeigte aber
immer mehr, daß es ein geiftiges Reich, eines geringen An-
fanges feyn mwürbe;* fein König muß wie ein Fleines verad-
1) Merkwürdigkeiten, verglich 2) fi Gott mehr:
3) entwidelte dennoch 4) würde; ja
— 0 —
tetes Reis aus der Wurzel Davids aufblühn. Micha, fein
Zeitgenoß, bemerkte das Feine Bethlehem, als die Geburtsftadt
Davids in eben dem Sinne; alle Propheten paaren nun Niedrig-
feit mit Hoheit und machen es fi zum eigentlichen Gefchäft, zu
zeigen, daß diefe von Gott verbeißene, wahre Hoheit und
Herrihaft des ewigen Reichs geiftiger Natur, aus Ber:
ahtung, und Armuth fproffen müffe, Iproffen werde Auch
damals können und müfjen jedem Propheten Data vorgelegen
haben, die die Weißagung ihm und feiner Zeit alſo verſtändlich
machten. Oft redet er das arme, verachtete, gebeugte Iſrael,
oft das Davidifhe Haus, oft wie Jeſaias ſich jelbit an, um
die Vereinbarkeit diefer zwey Extreme, Licht und Schatten,
Niedrigleit und Hoheit, Armutb und ewiges Reich zu
zeigen; das thut aber, wenn man die Sprüde nicht farg! aus-
reißt, dem Zwei des Propheten nichts entgegen. Die obgebachten
Hauptcharaftere blieben der Nachwelt mit ewigen Buchſtaben vor-
gezeichnet:
Abrahbams Segen:
Judahs Herrfhaft und Ruhe:
Davids ewiges Reich des Friedens:
Geiftiger Art und Dauer:
Aus Niedrigfeit, durch Veradtung und Leiden:
Durh Wunder, Lehre, geiftlihde Gaben,
daß fie fünftig überall in die Augen fallen muften. Sie blieben
Hauptcharaktere. — So meit war die Entwidlung gefchehen
und die Gefangenschaft kam. Ehe fte zu Ende gieng, ward dem
betenden Daniel die klärſte Verheißung, fie beftimmte eine Zeit,
die beftimmte Nevolutionen des Volks, der Stadt, des Tempels
286 betraf,“ bis auf die gänzliche Berftörung; kurz, fie ward eine
Fingerdeutung auf die eigentlide Periode? der Erjcheinung
28
SS
1) karge
2) beftimmte die Zeit, betraf Nevolutionen .... Tempels,
3) die Beriode
— 206 —
des Gejalbten; und ift jet Bürge, daß er erfhienen ſeyn
müſſe: denn Stadt und Tempel find zerftöret. Zum zweyten
Tempel Iuden ihn deutlih Haggai und Maladias ein; in
den Büchern der Maccabäer finden wir die Erwartung des Meßias
als Eines, der kommen follte, deutlich. Zu den Zeiten der An-
funft Chrifti gieng, aus Daniel und andern Traditionen die allge-
meine Sage, der große König müſſe kommen, die Zeit jey vorüber,
kurz, (das können wir gewiß jagen,) ift Chriſtus nicht erichienen,
fo bat er nicht erfcheinen follen, jo find die MWeißagungen, Ber-
iprehungen, Zufihrungen der Propheten, zulegt unter fo
beftinmten Umftänden — fronme Träume.
Fünftens. Vielleicht fpricht jemand, mer laugnets, daß ſie
fo etwas geweſen? Iſts nicht wahrſcheinlicher, daß fie es! waren,
ala nit waren? Wer träumt nit? wer ahndet nit in die
Zukunft? wer ſpinnt nicht gern, wenn er fich oder fein armes
Volk tröften fol, die Hleinften Fäden von Hoffnung und Verheißung
zur gemifjeften Erwartung weiter? Wenn ich das Alles, m. Fr.,
allgemein zugebe ; fo kann ichs in diefem Fall nicht glauben, ohne
zugleich die Geſchichte des Jüdiſchen Volks,“ die Haushaltung, die 287
Gott mit ihm hatte, kurz, feine ganze Erfiftenz in und mit dem
alten Zeftament, als Traum aufzugeben oder al3 Betrug zu ver-
dammen. Dazu jehe ich feinen Grund; die ganze jo ausgezeichnete
und zufammenhangende Geſchichte? und Reihe von Schriften, Die
doch wirklich facta find und als Effecte einer Urſache baliegen,
find dagegen. Iſt nun die Sübifche * Geſchichte wahr, ift Jüdi⸗
ches Volt und Gottesbienft, jeine Schriftftellereg, der Geift feiner
Schriften und Begebenheiten — find fie das, mofür fie fi in
Wirklichkeit darftelen und das niemand leugnen fann; fo gehört
1) daß fies geweſen? Iſts nicht mahrjcheinlicher, daß fie fo etwas
2) ohne auch den Charakter des Jüdiſchen Volls, feine Wunder⸗
geichichte,
3) Grund; ja die ganze fo ausgezeichnete Gejchichte
4) dagegen. Erinnern Sie ſich an einen ber worhergehenden Briefe,
den ich über diefe Materie gefchrieben. Ift nun Jildiſche
— 0 —
Geift der Weißagung mit in diefe Gejchichte und Bücher, fo
muß dieſer auh wahr und Abſichtvoll gemejen ſeyn, wie die
Geſchichte.! Seten Sie Einen Augenblid, daß der Tentpel ver-
brannt, die Jüdiſche Republid mit allen den Beftimmungen, unter
denen Chriftus zum zweyten Tempel fommen ? follte , zerftört fey,
und dieſer ſey nicht erichtenen; Tönnten Sie, wenn Sie ein Jude
wären, e3 bleiben? Könnten fie die Göttlichfeit diefer nicht erfüll»
ten, ja dur die Zeit zweyer Yahrtaufende fogar widerlegten
Weißagungen noch behaupten? — Mein Gewiſſen giebt mir Zeug-
niß, daß ich nichts fo fehr, ala den Ton der Controversbefehrer
288 ad absurdum, ad malignum, ad impium et incredulum haſſe:
ich jelbft Halte die Weißagungen des A. T. noch nicht für ganz,
noch nit alle für erfüllt, die legte Entwidlung dieſes Volks,
unfrer Neligion und aller Völker der Erde ınuß das Siegel auf-
drüden, und den größeiten Erfolg gewähren. So viel dünft
mich aber, daß wenn man nit die Chriftlihe Religion, ala
medium terminum, als ein interpositum aliquid annimmt, das
aus der Jüdiſchen geworden, das an? ihre Stelle getreten ift, und
den legten Erfolg aller Weißagungen entwideln fol; — daß,
wenn man diejes nicht annimmt, das U. T. ohne Abſicht auf-
höre, fich felbft widerſpreche, fich eines guten Wahns, der nicht
erfolgt ift, öffentlich zeihe und überhaupt nach allem Gebadten,
Abfichtvollen und Göttlichen, das vorbergegangen feyn fol, auf
eine ſchnöde, unerwartete, unerflärlihe Art ende. Und offenbar
ift doch das Chriſtenthum in diefe Zeiten des Ausgangs mit ver-
flochten! Gerade in der Abenddämmerung des Jüdiſchen Tempels
und Gottesdienfts entflanden, hat es den Saft jener Lehren und
Schriften fi zu eigen gemacht, eine neue Epoche angefangen, ohne
Gerimonien, aber im Sinn und Geift und in der Kraft der Pro-
1) wahr, beftimmt, Abfihtvoll .... Geſchichte; oder alles
widerfpräche ſich und ginge im Traume auf.
2) Republid mit Den Bedingungen und dem Zeitmaaffe, in bent,
unter denen Ebriftus kommen
3) geworden, an
— 208 —
pheten fortzuzeugen und auf eine andre Hoffnung, eine andre
Erfcheinung des Reihs und Trofts Iſraels zu tröften. Aeufferft 253
ſonderbar, daß der Umfturz des Mofaifchen Gottesdienſtes, durch
Mömer- Hände bewirkt, nun gerade auf die Zeit traf, da das
ChriftentHum aus ihm den Saft gezogen und zu feiner Erfiftenz
Wurzel gefaßt hatte; noch ſonderbarer, daß die Prophezeyhung des
Chriſtenthums diejen jo unwahrſcheinlichen, unerwarteten, traurigen
Fall vorherſah, ihn deutlih vorberjagte und ihn immer mit
fih verband, indem fie ihn als einen thätlihen Erweis
Gottes anjah, daß das Weſen gekommen fey, und der Schatte
nun aufhören folle,! die Zeit zu Mofes Dienft fey vorüber, da
in Chrifto Gnade und Wahrheit erihienen; am fonderbarften
enblih, daB diefer thätlihe Zeitenerweis, daß Gott Feine
Opfer, feinen Tempeldienft? im Jüdiſchen Lande mehr wolle,
zwey Jahrtauſende fortgegangen, indeſſen jo wenig Juden -
als Ghriftentfum, weder Propheten, noch Evangeliften und Apoftel
‚untergegangen find, und jene Schriften von ihrem Volk, beyberlcy
Schriften aber vom ? Chriſtenthum immer noch für göttlich an-
gefehen werden und beyde Religionen auf bie Erfüllung eines
legten Erweifes, jene ohne Chriftum, diefe mit Chrifto ald dem
medio termino fünftiger Hoffnung und Erſcheinung warten. Wer
wird Net haben? Das mag der Ausgang zeigen. Wer hat 230
jegt Net? Mich dünkt, die Chriften: denn ihr A. T. ift nicht
ohne Erfüllung ausgegangen und dieſe ift ihnen das Pfand zu
fünftiger höherer Erfüllung. Den Juden ifts unter der Hand
abgeriffen, wie ein verjengter Faden reißt. Nicht blos Hat ihr
Gerimonienbienft jih ohne Abfichten, fondern nah der Ermar-
tung des ganzen Volks, fo viel hundert Jahre durch, (ehe Chri-
ftus kam und feit er gelommen ift) gegen alle Abficht geendet.
Ohne Entwidlung und Zwiſchenſchub des N. T. ift der Moſaiſche
1) vorherſah, deutlih .... verband, ihn als .... anſah, das
Wefen fer gefommen, der Schatte folle num aufhören,
2) fein Zempeldienen 3) Schriften vom
— 209 —
Gerimoniendienft, der fo viel Sahrhunderte mwährte und das
Volk mit Laften belud, Er jomohl! als die Weißagung, die
ſich Jahrhunderte fortipann und das Volk immer mit neuen Ent-
widlungen in Othem zu erhalten juchte — ohne jenes Zwiſchen—
glied der Fortleitung, fage ich, find beyde mwahrjcheinlich immer
ohne geiftlihe, Gotteswürdige Abficht, alſo ein wirklicher
Betrug oder ein eitles Menſchenwerk? gemejen, wogegen doch,
nah meiner UWeberzeugung Geift der Schriften und der
Geſchichte ftreitet. Sie fehen, man muß ein Chrift feyn, felbit
um die Schriften des A. T. nicht zu verläugnen und am Ende
der Welt mit allen Eins zu werden, die in ber wahren Hoffnung
Iſraels je gelebet haben — —
291 Sechſtens. Sie werden jagen: „die Argumente find alle '
„gut, wenn man fchon der Sache gewiß ift oder ihr gewiß feyn
„will; aber für einen fpisfündigen Juden, ober für? einen feinen
„Vernünftler, der immer neue Ausflucht findet, ſey fehr zu fürd-
„ten.“ Ich felbft, m. Fr., fürchte; und wenn das Chriftenthum
feine andere einfachere Documente hätte, jo würde ih auf ein fo
aufammengejettes, auf ein von fo vielen Stellen vieler Pro—
pheten, aus vielen und den verjhiedenften Zeiten, (in jeder auf
verſchiedne Weiſe gejagt) auf ein nur dem Geift, dem Sinn
gefamter Stellen nach,“ gleichſam zufammengeftraltes Zeug:
nid — ih würde, fage ih, auf ein fo zufammengefchtes,
feines, vom Geift der Auslegung fo alter und verſchiedner
Schriften abhangende® Argument mid nie als auf die erfte®
Stübe des Chriſtenthums beruffen, wenns feine andre, kürzere,
unläugbarere Thatbemweife gäbe. Chriftus thuts felbft nicht; und
es ift Misbrauch, wenns von Einem Bemeifer des Chriſtenthums,
1) belnd, fowohl
2) fage ich, ift beides wahrfcheinlich immer ohne geiftliche, ewige,
Gotteswürdige Abſicht, alfo wirlliher Betrug oder Menſchenwerk
3) einen armen Juden, für
4) dem Geifte nad, dem Sinn gefammter Stellen im Zufam-
menbange gemäß, 5) auf erfte j
Herbers fämmtl. Werte. X. 14
— 2310 —
gar zu unſrer Zeit, geſchähe. Er rief nit aus, als er auftrat:
„tommt! und jehet den Meſſias: ich habe alle Kennzeichen aus den
„Propheten an mir: prüft fie, bier ift das lebendige Corpus. Ich
„bin aus Davids Samen, in Bethlehem gebohren u. f. Dies
„it das erſte unumftöslide Hauptargument meiner Religion” — 29%
davon war Chriftus weit entfernt. Er ließ, wie er fagt, den,
der ihn gefandt Bat, er ließ fein Leben, feine Lehre, jeine
Werke, feinen Charakter von fi zeugen; und zeugte nicht
ſelbſt. Schickt Gott einen Meßias, jo muß er ihn auch ermeilen;
und daß er dies thun wollte, ift ja der meiften Weißagungen
Anhalt. Das Bethlehem, das Judah, der zweyte Tempel, die
Zeit der 70. bey Daniel erwieje noch nichts, wenn nicht reellere,
. thätigere Beweiſe wären, die zur Sade gehörten, ja die
die Sade jelbft wären Die genannten Weißagungen find
ja nur eben darum ! Weiffagungen geworden, weil fie zur Sade
gehören, meil fie Charaktere des Reichs Davids und ſei—
ned ewigen Geſalbten, Theilweife, in ihrer Maaſſe find.
Bon willkührlichen Delineationen, Schilderungen und Riffen: mie
der Meßias ausfehen follte? ift in ihnen nicht die Rede. Meßias
Reich Sollte erfcheinen, und als es erſchien, war es fein felbft
Zeuge. Der Anlündiger der Geburt Jeſu fagte es nicht anders
an als thätlih. „Er wird ein König feyn über das Haus
„Jacob ewiglid: er wird fi ala der Sohn des Hödjften
„erweiſen;“ das ift feine Botichaft.? Der Engel jagt den Hirten
die Geburt des Heylandes, des Königs an;? Fein Kennzeichen,
das er ihnen giebt, ala Krippe und Windeln (damit fie ſich nicht 293
an dem Anblid ftießen;) das übrige muß ihnen fünftig das Leben
und Reich Jeſu fagen. Maria kommt nad Bethlehem, nicht aus
eignem Entſchluß, damit fie ja nirgend anders, als am Ort des
Propheten niederfäme; die Gottheit fügets fo, damit auch dieſer
1) nur darım
2) er wird der Sohn des Höchften genannt werden;" das find
feine Ermeije.
3) Königs;
— 211 —
Wink auf Davids Neih in Erfüllung fomme, ohne daß fie daran
denfet. Simeon meiffagt über Chriftum — unter feinen andern
Charakteren, ald den mejentlich erftbenannten: „Licht der Völ—
„ter, vielen ein Fall, andern ein Auferftehn, allen aber ein
„Zeichen des Widerſpruchs, eine im Anfang unbegreifliche, fremde
„Erſcheinung.“ Ohne Zweifel jagte die Mutter dem Kinde alle
Umftände feiner wunderbaren Ankündigung und Geburt: das Kind
erwuchs gleihlam in den Propheten und war ſchon im zwölften
Jahr feines Alters vertraut mit ihnen; noch aber finden mir nicht,
daß es auftrat und ſprach: „id bin der bofnungsvolle Knabe!
„an mir finden fi) alle Kennzeichen des U. T.! Er erwuchs in
der Stille, kam auch unbemerkt und nicht in der Abficht dieſes
Erfolgs zur Taufe Johannes; wo nun unvermuthet das fchöne
Geſicht geihah und Gott feinen Sohn vom Himmel erklärte Er
belohnte biemit feine im Stillen vollendete Bildung, und rief ihm
294 zu, daß es jetzt Zeit fey, vorzutreten und fih ala Sohn Gottes
der Welt zu zeigen. Jeſus folgt der Stimme und bereitet ſich
in der Wüfte, nach der Weile der Propheten, faftend und betend,
zu feinem Beruf: der Verfucher legt ihm mancherley Plane vor,
wie er fih als Sohn Gottes bezeugen fünne? „auch nah Aus-
ſprüchen der Propheten.” Nichts von allem findet Chriftus fei-
nen Beruf, feine Sendung. Was thut Er denn? worinn ſetzt
Er diefe? In das, mas feine erſte Stimme ruft: „das Reid
„Gottes ift kommen!“ in das, was feine Reden und
Wunder zeigen, wie er fie den Jüngern Johannes vorhält, mie
er jo oft den Juden antwortet: „ich habs euch gejagt, und mas
„Hilft jagen? Sehet meine Werfe! glaubet ihnen; nicht mir.“
Chriftus ſelbſt alfo wills nicht, daß man fih mit metaphyfiicher
Deutung der Kennzeihen an ihm allein befchäftige: fein Ned, |
feine Werke, feine Lehre und Wunder find eben die vorausver⸗
fündigten Kennzeichen: dieſe läßt er wirken. Er verbietet es
fogar feinen Schülern lange, es nicht ala Wort, als Predigt anzu-
heften, daß Er der Meßias fen, ſondern befiehlt ihnen dafür fein
Neich zu lehren, andern Begriff davon zu geben, wie er ihn
14*
— 2312 —
ihnen gab; das weitere finde fich felbjt.! Da er feinem Aus-
gange, (der aud dazu gehörte,) näher fam,? feitvem Moſes und 295
Elias mit ihm davon auf jenem Berge ſprachen, rebete er von
feinem Leiden, feiner Auferftehung, als von Saden, die aud
vorher verfündigt feyn, und jebt erfüllt werben müßten, der Zu-
funft feines Reichs unbeſchadet. Vorm Hohenpriefter ſpricht er,
„wer er ſey?“ vermeilet ihn aber auf andre, als Wortbe-
weife; auf feine Erfcheinung mit den Wolfen, auf fein Reich,
auf That. So ftarb er; er erfand — und nun, fagen Die
Upoftel, Hat Gott durch die Auferftehung? ibn zum
Herrn und Chrift gemadt,*) d. i. ihn als ſolchen dargeftellt
und bewiefen. Nun legt er ihnen nochmals alle Schrift
aus, die von ihm gejagt war, und zeigt, daB alle dieſe
facta zum Anbrud, zur erften Ericheinung feines Reichs gehöret:
er geht gen Hinmel und läßt fie als Zeugen deſſen, mas*
gefhehen ſey und nod gejhehen werde. So verfündig-
ten® ibn feine Boten; als einen, von Gott durch Thaten
erwiefenen, von deflen Begebenheiten und Thaten aud
ale Propheten gezeuget. So ward das Chriſtenthum gegründet;
anders, meines Erachtens, kanns auch jet nicht bewieſen werben.
Fehlten die facta, das Neid, die Lehre, die Wunder, bie
Auferftehbung, die Getftvolle Gründung der Neligion 296
Jeſu, die eben der Kern der Prophezeyungen von ihm
find; bloſſe conditiones, sine quibus non, 3. E. dert Stamm,
das Geſchlecht, der Geburtsort, die Jungfrau, der Tempel, die
70. Wochen könnten an fi nichts thun, und mürbens nicht
*) Apoft. 2. 4. 10.
1) (fein Reich, . . . . find ja eben die vorausverkündigten Kennzeichen,
ohne die man ihm nicht betrachten und überhaupt feinen Meßias erwarten
tann.) Diefe läßt er wirken, verbietet... .. . fondern bafür fein Reich
zu lehren, Begriff ..... gab; das andre finde fich felbft.
2) ging:
3) Auferftehung eben 4) das 5) verkündigen
6) non, der
— 213 —
gethban haben. Es konnten viele aus Bethlehem feyn und waren
doch feine Meßias; der niedrige Sohn Davids aber, der fo
und nicht anders das Reich anfieng, der milde, reine,
fräftige Gottesgefandte, der wars, Fein andrer. Bon ihm
zeugten alle Propheten, ala vom Arzt der Kranken, dem
Heiland der Sünder, dem Fegopfer der Welt, dem
ewigen Baum eines neuen Lebens. So ward Chriftus
des ganzen A. T. Mitte und Abſicht, aller Bilder Geift,
aller Typen Erfüllung, aller Berheißungen Kraft und Leben.
Näher oder ferner konnte, mufte nun Alles von ihm handeln;
man fonnte, man mufte Ihn (db. t. fein Reich, feine Lehre,
feine! ganze bis in die Ewigkeit reichende Abficht) fein Leben
und alle facta, die ihn betrafen, überall, d.i. im gefamm-
ten Zmwed der Vropheten ? finden. So erflärte er den Apofteln
die Schrift: fo erklärten fie folche andern und ihren Chriftum in
derjelben.? Will man wiſſen, was er ihnen nad der Auferftehung
297 gefagt hat: jo Iefe man, was fie in der Apoftelgefchichte und in
den Briefen jagen; denn fie werdens doch nicht anders haben
machen wollen, ala ers ihnen gezeigt hatte. Auf dieſem Wege
werden alle Jüdiſchen Kunftgriffe der Auslegung unnöthig.*
Wir fahn, das ganze U. T. beruhe auf einer immer aus-
führlidern Entwidlung gemiffer primitiven Verheißungen,
Bilder, Erfolge und ihres geſammten, zujammenjtralenden
Sinnes, ihrer immer meitern und geiftigern Abſicht; dag N. T.
alfo war eine Erfüllung des Alten, jo wie der Kern erſcheint,
wenn alle Schalen und Hüllen abgemunden find, die ihn ver-
bargen. Sie wurden allmählih und immer feiner abgewunden,
bis Chriftus da ftand, und werden einft allgemein als Eine
Gottesabfiht erkannt werden, wenn Er fommen wird mit
1) und 2) überall in ben Propbeten
3) AB: denfelben. 4) Kunftgriffe unnöthig.
5) ihres Sinne, ihrer geiftigen Abſicht; das ..... Alten, ber
geiftige Kern aller vorigen Hüllen und Schalen. Sie wurden
immer .... und werben allgemein
feinem Reich. Alsdenn wird Niemand mehr glauben dörfen:
denn wird jeder fühlen, jchmeden und jehen. ‘est ifts nur, wie
Er und alle Apoftel jagen, Anfang jeines Reihe, Morgen:
röthe, Keim, Ausjaat. Das Emblem feiner erften Erfcheinung
find Krippe und Windeln, das Kreuz, die verborgne, nur von
den Seinen bezeugte Auferstehung; der Sohn Joſephs aber wird
als Sohn Davids kommen, das Senflorn wird Baum, die ftille 298
Saat eine Freudenernte ! werden; e8 wird ihn jehen jegliches
Auge, aud die ihn ftahen, und werden weinen über ihm
alle Geſchlechte des Landes, als über ihrem geliebteiten
Sohne — —
Siebendens und endlihd. Sie ſehen alfo, m. Fr., daß mit
allen Citationen aus dem A. T. niemand eigentlih zum chriftlichen
Glauben zu zwingen ſey, weil ihre Erfüllung doch abermals auf
dem Geift vieler Begebenheiten, der aus allen zufammengefaßt
und in feiner einzigen Einheit empfunden werben muß, berubet.?
Will jemand fagen, die Propheten haben von gar feinem Meßias
geweiffaget: fie fchrieben aufs Gerathewohl Bilder der Zukunft;
jo mag er diefes, ihnen jelbjt und dem Glauben aller Zeiten ent-
gegen jagen! Sagt er: die Propheten Tonnten, fie dorften*
von feinem Meßias, ala einem Glaubensartifel, mweiffagen: jo gebe
ih ihm das Wort „Glaubensartilel” in dem Sinn, wie wir
nehmen, gern zu. Der Glaube an Einen Gott Yehovah und der
Dienst defjelben nad feinen Befehlen, war eigentlih der einzige
Glaubenzartifel der Juden, d. i. er war ihre Pflicht. Aber zu
einem Troft, zu Berheißungen, zu einer Entwidlung bes 299
geiftigen Sinne Gottes bey feinen Gebräuden und Ver—
beißungen in den Vätern läßt man fi doch nicht zwingen; fie
find auch jenem nicht entgegengeorbnet, fondern liegen ala Stern,
1) Saat Freudenernte 2) feinem vielgeliebteften
3) daß auch mit ..... eigentlich zu zwingen fei, weil .... Bege-
benbeiten berubet.
4) fonnten, borften
— 25 —
ala innere Wohlthat und Abficht Gottes felbft ſchon in Moſes
Gefeßgebung. Entweder muß man annehmen, daß es dem Ewi-
gen allein und ausfhließend und wie am legten Zmed an jenen
äußerliden Hüllen gelegen, und es! ihm gleichgültig geweſen,
wie kahl und leer die Sache außgienge; oder, wenn die Stimme
der Propheten, wenn ihre? Winfe auf ein ander Teftament des
Geiftes, und die immer geiftigere Entwidlung der Vorzeit doch
gerade das Gegentheil bemeifen; jo müfte man bie ganze Sache
Gottes mit diefem Volk aufgeben, und alles zu glüdlich - unglüd-
lihem Menfchenwert mahen; oder — ich fehe Fein drittes, als
das Chriftentbum, die Theil- und Anfangsentwidlung
des vorigen Plans jebt auf neuem, geiftigen Grunde.
Mit dem lebten mird Alles To zufammenhangend, jo Eins; und
abermals, mit der neun Hinficht auf eine andere Zukunft,
neu, fortgehend, Gottes» und der Menſchen würbig!® Auch die
300 Chriſten find Siraeliten, nur mit dem Glauben und der Hofnung
näherer Zukunft, durh den Mann, durch den Gott Eine Ent-
widlung im Stillen gemadt hat, bie andre herrlih und ewig
machen wird. In ihre werden Jude und Ehrift Eins werben, in
dem der beyder Teftamente Hoffnung und Erfüllung,
%a und Amen tft, war, und feyn wird,
301 Neunzehnder Brief.
Sie bemerken vet, m. Fr., daß das Chriftenthun nach dem
Entwurf, den mein legter langer Brief berührte, ein Werk von
1) Abficht in Mofes Geſetzgebung. Man muß annehmen, daß Gott
allein und ausfchließend und als an Testen Zmwede an .... gelegen,
und daß es
2) Propheten, ihre
3) Hier folge im Mſe. durchſtrichen der Satz: „daß, wenn ich ein
gebohrner Jude wäre, ich vielleicht befwegen ſchon ein Chriſt würde, um
fein Ifraelit außer meinem Sande, ohne Tempel, ohune Opfer, Bolt,
Alles, was mich zum Sfraeliten machte, bleiben zu dörfen.“
— 216 —
jchr groſſen Plan ſey, von dem wir nod das Wenigſte erlebt
haben. Zuerft giengs, in die Bilder des U. T. gehüllet, verklei⸗
det einher: Gott fuchte fein Volk zur Prlicht und zum Nachdenken
zu bringen, durch alles, mas er ihm in einer finnlichen! Sprache
und Denlart gebieten und verjpredhen konnte Die Blüthe warb
immer mehr Frucht, und die Erſcheinung derjelben ? konnte nicht
anders bewirkt werben, als daß die Blätter der Blüthe durch die
Gefangenſchaft und das Elend des Volks traurig zerftreut wurden.
Ich bins nicht, der da läugnet, daß die Jüden richt aus dieſem
Zuftande neue Entwidlungen ihrer vorigen Begriffe mitgebracht
haben jollten; mich dünkt, die Sade ift augenſcheinlich, auch Got»
tes, der nichts umſonſt thut, jo würdig. — — Nach langen Zube:
rettungen warb der Geift des A. T. im Chriſtenthum fichtbar;
aber zuerjt niedrig, verachtet, verborgen, bald (melches noch ärger
ift) mit mancherley Gräueln und Laftern bevedt, von denen aud) 302
zum Theil noch das äußere Gefäß nicht rein iſt.“ In diefer mitt:
leven Scene, dem wahren Kinoten der Geſchichte, leben wir nod)
und können vielleicht jegt am wenigften über die eigentliche Wir-
fung des Chriſtenthums auf der Erde Hiftorisch urtheilen. Seine
beiten Wirkungen find verborgen, mie e8 auch die Tugend des
Chriftentfums 5 überhaupt feyn fol; fie framen fi aljo nicht auf
dem Markt aus, fie werden in der Gefchichte öfters nur durd
Uebermaas und Mißbrauch merkbar. In der Kirchengeſchichte
erfährt man davon ordentlich das wenigſte; die geht meiſtens auf
den Landſtraſſen, um die Mauern oder Häuſer der Bekenntniſſe
einher, zeichnet ſie von auſſen und kann auch nicht wohl anders.
In das Innre der Häuſer kommt ſie nicht, und ins Heiligthum
derſelben ſchauet nur der jetzt auch verborgene Chriſtus. Neulich
iſt ein eigentlihes Buch von den Wirkungen des Chriften-
1) in finnlicher
2) Frucht, und das erfte Anſehen berfelben
3) Gefäß vol ift. 4) wir und
5) wie auch die Güte des Chriſtenthums es
thums unter den Völkern erſchienen*), worinn, wie mid
303 dünkt, viel Wahres und Gutes ftehet; ich wünfchte, daß es nur
auch chriſtlich, d. i.! ftil und ohne Declamation gejagt wäre. “Die
befte Wirkung des Chriſtenthums ift, mie das Licht Teuchtet, mie
die Frucht keime — —
Auch darinn haben Sie Net, m. Fr., daß Chriftenthum fich
nicht Stolz; abfondern, und eigentlich Fein Gutes verachten müſſe,
wie oder mo es fih auch finde?? ft Gott allein der Juden
Gott, ſagte Paulus, ift er nicht auch der Heyden Gott? Und
wie? der Gott der Chriften, deren Grundgeſetz der Religion all-
gemeine Wahrheit, allgemeine Liebe ift, Er follte ? ein abge-
ſchrenktes, gehäßiges Weſen feyn? Er follte Wahrheit und Liebe
nicht nad jedem Mans ihrer Reinheit ſchätzen können und jchägen
wollen, überall, wo fie fi finde? *
Allein darinn muß ih Sie, einen zu eifrigen Freund der
Poeſie mißverftanden haben, daß das Chriftenthbum der Gefchichte
feines groſſen herrlichen Plans mwegen, auch prächtige, über alle
Dichtungen der Heyden erhabne Epopeen und Miythologien
gewähre — das kann ih, mie mir die Sache vorliegt, ſchwer⸗
lich glauben. Erinnern Sie fih an unfre vorigen Briefe. Iſts
304 wahr, da das Chriftenthum nur auf factis, auf ftrenge zu bemei-
jenden und von Gott felbjt ermiejenen factis beruhe; jagen Sic,
wollte man ? hierüber mohl dichten? Wollte ein Chrift fo kühn
jeyn, die Phantafien feines Kopfs den Thaterweifen Gottes einzu-
*) Rothe von der Wirkung des Chriftenthums auf die Völler in
Europa, Koppenbagen 1775.1
1) ftehe mag, wenn e8 nur auch chriftlicher, d. i.
2) fid finde?
3) Grundgeſetz Wahrheit und allgemeine Liebe ift, follte
4) können, ſchätzen wollen, ..... finde? Auch bierüber werde ich in
der Folge deutlicher, näher reden — —
5) Sie mifverflanden haben, daß Ehriftenthum
6) mir jetzt die Sache noch 7) Sie, ließe ſich
I) „*) Rothe — 1775.” fehlt.
— 218 —
mifchen, ober zwifchen zu Ichieben, das ift, wenn er es auch wiber
Willen und Willen thäte, fie nach feiner Gedankenweiſe zu verge-
ftalten?! An der Simplicität und Wahrheit diefer Geſchichte Liegt
dem Chriftentbum unendlid. Wer mir ein Evangelium Chriſti
zum Roman macht, hat mein Herz verwundet, wenn ers auch mit
dem fchönften Roman von der Welt getban hätte. Die Dichtung
mag befjer oder fchlechter gerathen, als dem Feinde der Religion
das Evangelium felbft vorkommt; er, der Feind fpottet über die
befiere oder jchlechtere Geftalt, die ihm doch nur geliehen warb:
der Schwache Freund verwirrt fih: der Neuling, zumal der leicht
zu entzünbenbe poetifche Jüngling, fängt Feuer, und nimmt viel-
leiht, der urfprünglihen Wahrheit zuwider,“ Farbe und Einbrud
der Begebenheiten daher, woher er fie nicht nehmen ſolle. Diefe
fommen ihm nachher, auch wo fie ihm nicht kommen follten, in
Liedern, Predigten, in Vorträgen ans Volk wieder; und über-
Baupt,? dünkt mi, erträgts die Abficht, und die Einfalt des
Chriſtenthums nicht, daß feine Geſchichte das Feld mwillführlicher, 305
wenn auch aufs befte gemeynter Dichtungen‘ werde — —
Ich bitte, leſen Sie die Evangeliften in ihrem fimpeln Gange;
was ift da zu dichten? was zu cpopöiren? Daß Chriftus gebohren
wird und in Windeln Liegt, daß er nach Aegypten flieht und
Fremde ihn zuvor finden, anbeten und befchenten, daß er im
Tempel dargeftellt wird und in der Stille erwächſt; daß er durd
Berührungen und Wachtworte? Wunder thut, füße, aber fimple und
nicht zu verändernde Worte des Lebens Spricht, daß er ange-
1) ſchieben, oder gar Diefe Durch jene auszubilden, das if, wenn auch
wider Wiften und Willen, halb ober Seitwärts, zu verdrängen?
2) bat meinen Berftand und mein Herz verwundet, wenns aud mit
dem ſchönſten Roman wäre. Die Dichtung .... Feinde das Evangelium
verfommt, er der Feind fpottet: der .... entzündende Iüngling, fängt
Feuer, und nimmt, der urſprünglichen Wahrheit entgegen
3) kommen ſollen, wieder; überhaupt
4) willtührlicher Dichtungen
5) erwächſt, ſich einmal won feinen Eltern verliert; daß .... Macht⸗
worte unzäliche
— 219 —
feindet, von einem Böſewicht verrathen, von einem furdhtfamen
Schüler verläugnet, falſch angellagt, übel vor Gericht behandelt,
unſchuldig verurteilt, gegeißelt, gefreuzigt wird, am Kreuz nad)
wenigen Worten ftirbt und ins Grab kommt — jagen Sie, mas
wäre an dieſer fo einfachen, zarten, nur durch ihre Einfalt beftehen-
den Menſchengeſchichte, was Stof zur Homerifchen oder Vir⸗
giliichen Epopee gäbe? Ich meyne, natürlichen, nicht herbeygehol-
ten Stof, noch weniger hineingezwungene Dogmatif. Der Heiland
der Menden, hätte er gewußt, daß fein Leben in einer Epopee
306 vorgetragen, eine beilere, ftärfere, veinere Wirkung thäte, als in
einem fimpeln Evangelium; hätte ers nicht alſo befchreiben laſſen?
Nun lefen! Sie beydes in Vergleihung: Ein Kapitel der Paßions⸗
geihichte und viele! Gefänge darüber; und fagen, wo ift mehr
Natur, urprünglide Wahrheit, reiner Begrif der Sache,
Convenienz des Styls zu ihr und endlich gewiß auch mehr
unverfälfchte, ewig? daurende Wirkung?
„Wie aber, die wunderbaren Begebenheiten? die Erfchei-
„nung der Engel, das Erdbeben, die Auferftehung, die Erfcheinung
„der Todten, die Himmelfahrt;* follten die nicht im höchſten Grad
poetiſch ſeyn?“ Ich glaube es wohl: im höchſten, höchſten Grad
poetiſch, aber nicht für uns Menſchen. Beym Wunder liegt uns
blos die äuffere That vor Augen, Wort und Erfolg: je kürzer
dieje befchrieben, je einfacher und wahrer beybe gebunden werben,
(gerade wie die Evangeliſten fie binden: „er ſpricht, fo gefhichts!
Er gebeut, fo ftehet3 da!“) deſto mehr thun fie für uns finnliche,
Zufhauer Wirkung. Wie im Unfihtbaren das Wunder hergieng,
willen wir nicht, daher kanns der Dichter mit hiftorifcher Wahrheit
nicht holen; er muß es durch Dichtungen, die vielleiht —- dem
307 finnlihen furzen Effect haben. Geſetzt, es ftünde immer eine
Schaar Engel bereit, die unjichtbar dem Blinden das Auge öffnen,
— — —
1) laßen? Leſen 2) zehn 3) allein
4) „Begebenheiten? Wunder, Erſcheinung der Engel, Erdbeben, Auf-
„erſtehung, Erfcheinung ber Zodten, Himmelfahrt und dgl.;
— 20 —
die Keime! des Weins (nad einer berühmten neuern Hypotheſe)
in das Waſſer tragen, das Wein werden fol; fagen Sie, tft durch
diefe poetifche oder metaphyſiſche? Lüdenfüllung der Effect des
Dichterd gegen den Effect des Coangeliften vermehrt oder vermin-
dert? Iſt ihm nicht eben der Umriß genommen, der das Werk
unjern fterblihen Augen? zum Wunder madhte? Die Handlung
muß in ihrer neuen Sphäre, zu der fie der Dichter hebt, fo natür-
ih oder fo unnatürlih, fo flein oder fo groß werben, daß wir
fie entweder nicht zu überjehen vermögen, oder daß ihre Größe
verſchwindet.“ Wenn ich zum kleinſten Gefchäft der Welt, in ber
ich lebe, taufend Gefandtichaften® nöthig habe; fo ift Dies chen fo
wenig wahre Hoheit, ala wenn ih in meiner finnlihen Welt zum
Bewegen des Fingers taufend Diener® brauche. Wären fie auch
da; jo müften fie verborgen feyn, wie Gott die Lebenägeifter und
das Wallen unſres Bluts verbarg und nur ihre ſchöne wunder⸗
bare Wirkung von außen zeigte.” Chriftus verſchmähte eg, Myria-
den Engel von Gott zu ruffen, dem Petrus feinen Schmwertichlag
zu erjparen; ja er erſparte ihm den Schwertichlag felbft, ohne
Engel. — — Chriftus ftirbt und die Erde bebt, die Felſen
zerreijien, die Gräber thun fih auf; das ift groß, das ift 308
göttlich. Warum? es thut die Wirkung, die es thun foll: es
erſchüttert uns finnlihe, ſchwache Geſchöpfe, es macht Graufen und
Erſtaunen. Nun laſſen Sie einen Engel lange bereit ſtehn und
auf den Augenblick des Abſchieds warten, daß der Stern vor die
Sonne rücke; die groſſe Handlung, dünkt mich, verliert von ihrer
Größe; auch alle Phyſik der Sonne, des Sterns, und der Fort⸗
1) Dichter nicht holen; es fei denn, durch Dichtungen, bie dem ....
ſchaden. Geſetzt, er hätte .... Blinden den Staar ftehen, Keime
2) dieſe metaphufiiche
3) unfern Augen
4) fie nicht zu überjehen vermögen. („oder — verſchwindet.“ fehlt.)
5) Geſandtſchaften der Engel
6) zum Regen des Fingers taufend Bedienten
7) Wirkung zeigte.
— 21 —
rüdung dabey noch ungerehnet.! Sie ſehen, diefe Dinge liegen
nur als Sinnlichkeiten in unjerm Kreife; aus ihm gehoben,
werden fie metaphyfiiche, oft antiphyſiſche Subtilitäten, die uns an
der Begebenheit felbft cher Zweifel erregen, als daß fie uns von
jener mehrere Ueberzeugung? und Klarheit ſchaffen follten. —
Noch mißlicher iſts mit bloffen Erzählungen aus der fremden
Geifterwelt; der Dichter hat viel zu thun, daß fie nicht Mährchen
werben.
Wenn Engel bey der Geburt oder beym Grabe Ehrifti erichei-
nen: fo erfcheinen fie ala Boten Gottes, ala Geſchöpfe andrer Art,
ſchnell, Herrlih, edel. Ihre Geftalt ift wie der Blig, ihre Kleider
glänzend wie Schnee: ihr Wort ift beyden? gemäß, ausgeipart auf
diefe Stelle, aufs höchſte beftinunt, warum fie und nicht Menschen,
309 dag und nicht mehr, ‚jet und nicht zu andrer Zeit jagen? Sie
treffen als Blitze, fie verfhmwinden als Blige; zur langen Beäugung
oder zum täglihen Umgange taugen fie für unjre Welt nidt.
Kehren Sie dies um; laſſen Sie uns im Dichter Myriaden der
Engel und abgeſchiedenen Geiſter befannt und gemein werden;
faum mehr diejelbe Wirtung Wir werden der Engel gewohnt
ober fie hindern uns im Gange der Erzählung Wenn Chriftus
fih als den Gefreuzigten und Auferftandnen zeigt; je unvermu-
theter, und doch wahr; je herrlicher,“ und doc gewiß und
überzeugend dies gejchehen kann; defto wirkſamer, deſto edler. Und
offenbar haben die Evangeliften beybes verbunden. Er erjcheint
1) dünkt mid, wirb Hein. Sie fagt nichts mehr, als wenn ber
Schulknabe auf horam wartet, daß er aufruffe und die Sanduhr wende;
alle Phyſik ..... noch aufgegeben.
2) fie von jener Ueberzeugung
3) Ihre Idee ift wie der Blitz, .... ihr Wort beiden
4) Sie dem Dichter .... Geifter fo gemein werden, ale dem Wechsler
eine Reihe blanker Ducaten; ganz nicht mehr die Wirkung. Man kann vor
lauter Engeln nicht fort: überall drängen fie ſich in den Straffen, Tiegen in
den Fenftern der Planeten, geben und fommen, und thun doch zum ganzen
Beat — nichts.
5) wahr, herrlicher,
nur und lebt nicht mit ihnen; lebt Stunden unter ihnen, aber wic
ein Geſchöpf aus einer andern, Herrlichen,! ihnen verborgnen Welt,
um die ihn niemand fragen darf, aus der er niemanden antwortet.
Schnell ift er weg, ift anderswo; fie willen aber nicht: wo? bis
es ihm wieder gefällt, fi irgendwo zu zeigen — — Beſtrebe fid
nun der Dichter, uns dies verborgne Reich der Geifter, dieſe unge
fehenen Orte und Ende ans Licht zu bringen und dem Auge des
Leferd To eben zu macen,? ala den Weg einer Landftraffe: er
zeige, mo Chriftus jo lange geweſen? was er getban? momit er
ſich befchäftigt? Laße er ihn thun, was er will; die Erfcheinung 310
unter Menſchen hat jest für ung verlohren; er fommt, als einer,
der von Tabor nah Jeruſalem, von da nah Emahus wandert.
Gar nicht daran zu denken, wie fchmer es feyn werde, Chriftum
in dieſem Zwiſchenzuſtande Träftig,? zu diefer Sache gehörig,
zu beichäftigen, da wir ja aus diefem Zeitraum und aus biejen
Gegenden nichts willen, und nur ahndend, in fhüchternen Wün-
ſchen leiſer Hoffnung bineinträumen müffen, wenn nicht das ganze,
geliebte Bild das werben fol, was der Mond am Tage ift. Warum
ſchwieg ung die Bibel hierüber ? über Gegenftände, nach denen mir
ſchmachten, von denen jedes Wort, jeder Laut ung die* Seele wedt
und das Herz entzündet; warum ſchwieg fie darüber? doch nidt
etwa, daB der Dichter reden und uns ihren Mangel an Nad-
richten in ſüßen Vhantafien® erjegen folte? — Bon der Himmel‘
fahrt, vom Siken zur Rechten Gottes, u. f. wie fie ung der
Dichter mahlen fann, mag ih, wenn ih die Sadhe als Religion
betrachte, kaum etwas hören. Mein Auge reicht nicht fo weit, ben
Triumphirenden Stern nad Stern vorbeyziehen zu fehen, wie ihn
der alte Dtfried und Scultetus ſchildern und fo fchlage ichs
lieber zur Erde, wie mir die Himmelsboten jagen. Soll id, dam:
— — —— — —
1) Stunden mit ihnen, .... aus andrer, herrlicher,
2) Laſſe es fi ein Dichter num in den Sinn lommen, dies ver
borgne .... fo plan zu machen,
3) würdig, kräftig,
4) denen uns jedes Wort, jeder Yant Die 5) in Bhantafıen
— 23 —
Wort dieſer Engel gerade zuwider, Geſänge lang ſtehen bleiben,
und den mein Blick nicht mehr erreicht, mit meiner Phantaſie durch
alle Himmel und aller Himmel Heer verfolgen, ſo unterliegt mein
Geiſt, wie mein Ohr und Auge! Ich habe fo viel geſehen, daß
ih nichts ſah; ich habe fo? viel gehört, daß ich nichts vernommen.
Ich komme herunter und greife zu einem — o wie andern Buche,
meinen treuen Evangeliften. Die jagen nicht mehr, als fie wiſſen:
fie zeugen nicht weiter, ala wir begreifen; die Sache, die wir nicht
begreifen follen, aber willen müfjen, nennen fie nur, und laflen
den Vorhang finfen. Kurz, m. Fr., der Menſchenſohn ift, wie ,
mih dünkt, viel? zu einfältig, ſchlecht und geringe, daß feine
Knechtsgeſtalt Epopee werden wollte; der Sohn Gottes, der
auferwedte König der Ehre aber ift* viel zu erhaben über unfern
Gefichtsfreis, ald daß ihn das Auge verfolgen, die Phantafie
dichteriſch ſchildern könnte. Beyde Ende, Niedrigfeit und Hoheit,
Kreuz und Thron find zwar im Geiſt der Evangeliften, fo mie?
im Herzen feiner Nachfolger Eins; ich zweifle aber, ob ein Menfchen-
werk, gejchweige ein Epifches Thema fie fallen, fie uns zugleich
gegenwärtig maden und daritellend jo verfolgen könne, daß wir
319 nie feines aus dem Geficht verlieren; immer den groſſen Lauf
J Deßen im Auge habend —8
Der da kam vom Vater her,
J Und ging wieder zum Vater,
ne Fuhr hinunter zu der Höll,
er Und wieder zu Gottes Stuhl.
Re — — —
eit, * 1) Bon Himmelfahrt, Sitzen .... mag ich Religionsweiſe gar nicht
pie Y bören. Andreas Scultetuß, ber alte Otfried, die Jeſum Stern nad
age ® Stern vorbeiziehen laſſen, bleiben doch noch in unferm Geſichtkreiſe: fie
. feben, fo weit fie tönnen, wie die Apoftel, und wenden nun ihr Auge zur
ch, v Erden, wie e8 die Himmel$boten fagen. Soll ih mun aber, dem ....
bleiben und ihn bis zum Thron Gottes durch alle Himmel .... verfolgen,
. fo unterliegt mein Geift, Ohr und Auge.
ies ro 2) ſah; ſo 3) iſt viel 4) Ehre iſt 5) Evangeliften, wie
6) fafien, fie barftellendb .... verlieren und immer den groffen Lauf
ſehen —
ien
nur und lebt nicht mit ihnen; lebt Stunden unter ihnen, aber wie
ein Gefchöpf aus einer andern, berrlichen,! ihnen verborgnen Welt,
um die ihn niemand fragen darf, aus der er niemanden antwortet.
Schnell ift er weg, iſt anderswo; fie wiſſen aber nit: wo? bis
es ihm wieder gefällt, fich irgendwo zu zeigen — — Beitrebe fi)
nun der Dichter, uns Dies verborgne Reich der Geiſter, diefe unge-
jehenen Drte und Ende ans Licht zu bringen und dem Auge des
Leſers jo eben zu machen,? als den Weg einer Landſtraſſe: er
zeige, wo Chriftus fo lange geweſen? was er gethban? womit er
ſich beichäftigt? Xaße er ihn thun, was er will; die Ericheinung
unter Menſchen hat jegt für uns verlohren; er kommt, als einer,
der von Tabor nah Jeruſalem, von da nad Emahus wandert.
Gar nit daran zu denken, wie ſchwer es ſeyn werde, Chriftum
in dieſem Zwiſchenzuſtande fräftig,? zu dieſer Sade gehörig,
zu bejchäftigen, da wir ja aus dieſem Zeitraum und aus dieſen
Gegenden nichts wiffen, uns nur ahndend, in ſchüchternen Wün-
Ichen leifer Hoffnung bineinträumen müffen, wenn nicht das ganze,
geliebte Bild das werden joll, was der Mond am Tage if. Warum
ſchwieg uns die Bibel hierüber ? über Gegenftände, nach denen wir
Ihmadten, von denen jedes Wort, jeder Laut uns die* Seele wedt
und das Herz entzündet; warum ſchwieg fie darüber? doch nicht
etwa, daß der Dichter reden und uns ihren Mangel an Nad-
richten in ſüßen Phantaſien? erfegen follte? — Bon der Hinmel-
fahrt, vom Siten zur Rechten Gottes, u. f. wie fie ung der
Dichter mahlen fann, mag ih, wenn ih die Sache als Religion
betrachte, Taum etwas hören. Mein Auge reicht nicht fo weit, den
Triumphirenden Stern nad Stern vorbeyziehen zu fehen, wie ihn
der alte Dtfried und Scultetus ſchildern und fo ſchlage ichs
lieber zur Erde, wie mir die Himmelsboten fagen. Sol ich, dem
1) Stunden mit ihnen, .... aus andrer, herrlicher,
2) Laſſe es fih ein Dichter nun in den Sinn fommen, dies ver-
borgne .... fo plan zu made,
3) würdig, fräftig,
4) denen uns jedes Wort, jeder Laut die 5) in Bhantafien
310
311
— 23 —
Wort diefer Engel gerade zuwider, Gefänge lang ftehen bleiben,
und den mein Blid nicht mehr erreicht, mit meiner Phantafie durch
alle Himmel und aller Himmel Heer verfolgen, fo unterliegt mein
Geift, wie mein Ohr und Auge! Ich babe fo viel gejehen, daß
ih nichts Jah; ich habe fo? viel gehört, daß ich nichts vernommen.
Ich fomme herunter und greife zu einem — o wie andern Buche,
meinen treuen Evangeliften. Die fagen nicht mehr, als fie wiſſen:
fie zeugen nicht weiter, al3 wir begreifen; die Sade, die wir nicht
begreifen follen, aber wiſſen müfjen, nennen fie nur, und lafien
den Vorhang finfen. Kurz, m. Fr., der Menfchenjohn ift, wie ,
mi dünkt, viel? zu einfältig, ſchlecht und geringe, daß feine
Knechtögeftalt Epopee werden mollte; der Sohn Gottes, ber
auferwedte König der Ehre aber ift* viel zu erhaben über unfern
Gefichtsfreis, als daß ihn das Auge verfolgen, die Phantafie
dichteriſch Schildern Tönnte. Beyde Ende, Niedrigfeit und Hoheit,
Kreuz und Thron find zwar im Geift der Evangeliften, jo mie®
im Herzen feiner Nachfolger Eins; ich zweifle aber, ob ein Menfchen-
wert, geichweige ein Epifches Thema fie faflen, fie uns zugleich
gegenwärtig machen und darftellend fo verfolgen fünne, daß wir
319 nie feine aus dem Geficht verlieren; immer den ‚groflen Lauf
Deßen im Auge babend —®
Der da fam vom Bater ber,
Und ging wieder zum Vater,
Fuhr Hinunter zu der Höll,
Und wieder zu Gottes Stuhl.
1) Bon Himmelfahrt, Siten .... mag ich Religionsweife gar nicht
hören. Andreas Scultetus, der alte Otfried, die Jeſum Stern nad
Stern vorbeiziehen laſſen, bleiben doch noch im unferm Gefichtlreife: fie
feben, fo weit fie können, wie die Apoftel, und wenden nun ihr Auge zur
Erden, wie e8 bie Himmel&boten fagen. Sol id mun aber, dem ....
bleiben und ihn bis zum Thron Gottes durch alle Himmel .... verfolgen,
fo unterliegt mein Geift, Ohr und Auge.
2) fab; fo 3) it viel 4) Ehre ift 5) Exangeliften, wie
6) faſſen, fie darftellend .... verlieren und immer ben groffen Lauf
fehen —
— 224 —
Sehen Sie alles, was ich geſchrieben, nicht für Kritik über irgend
einen Dichter, ſondern für das was es iſt, für Warnungen an
einen Schüler der Theologie an, und! ſchreiben mir Ihre Mey-
nung Mir fommts immer vor: die befte Epopee Ehrifti fey
dad Evangelium, und der? befte Hymnus auf ihn ein dant-
bares Herz, ein Chriftliches Leben. Ich wünſche Ihnen beydes,
und lege ein paar Gedichte bey, die Ihnen wahrſcheinlich beſſer
gefallen werden, ala meine tbeologiihen Zweifel. Leben Sie
wohl.?
Streit der Kindlichen Liebe.
Eine morgenländifche Babel.
In Aſiens entlegenften Provinzen
War eine Königin, der Mütter glücklichſte,
Sie hinterließ drey wohlgefinnte Prinzen,*
Wovon fie jeder kindlich Liebete. 3183
Die ftritten; nicht wie Alerander,
Um mandjes Yand, um mandes Meer:
Sie ftritten, edler Streit! nur darum mit einander,
Wer anı erfenntlichften für ihre Liebe wär! — —
Der Kampfplag war ein Tobtentempel,
Bon taufend Lampen aufgebellt.
Hier war der Aſchenkrug der Mutter aufgeftellt.
Hier follte fehn die Morgenmelt
Der Frömmigkeit Triumph und zärtlichfte® Erempel.
Der Aeltfte Tieß in mandem Land’
Nah ſchimmerndem Porphyre fchauen,
Und aus demfelbigen durch großer Künftler Hand
Der Mutter Daufoläum bauen,
Auf welches er den halben Schaß verwandt.
Der Mittelfte bracht’ aus Idume
Des Fleißes und der Flora Zucht,
1) nicht als Entſcheidung, fondern als Zweifel an und
2) Evangelium,®ber
3) Gedichte bei, um Sie für meine armjeligen Zweifel wenigſtens
einigermaßen ſchadlos zu halten — — („Leben Sie wohl." fehl.)
4) drei Prien,
314
Manch ſchön' und feltne Blume,
Mit feiner Wahl, zu ihrem Ruhme
Mit Seufzen abgepflüdt, mit Thränen ausgefucht.
Die alle Tieß er erft zu groſſen Blumenbinden
Durch tugendhafte Schönen winben.
Dam Bing er fie betrübt und ſtumm
Dem Grabmal um.
Der Iingfte trat hierauf aus einer nahen Halle,
Das Haupt verhüllt, hervor, und trug in feiner Hand
Ein Beden von Kryftalle
Und einen ſcharfen Diamant.
„Was kann dein Selim dir, erhabner Schatte, geben?
„Dein Selim, der fo wenig bat!
„Am Tiebften gäb’ er dir fein Leben!
„Sein Leben, bein Geſchenk, Doch e8 gehört dem Staat.
„Smpfange denn fein Blut, das Beſte, was er hat.“
So ſprach er, öfnete mit Schmerzen
Sih eine Aber unterm Herzen,
Ließ ihrem Burpur freyen Lauf,
Ting ind Kryſtall ihn rauchend auf;
Beſtieg mit Demuthsvoller Miene,
Die ſchwarze Tranerbithne
Und fett fein Blut der Mutter Urne bey.
Gerührt erhub das Volk ein jauchzendes Geſchrey:
„Du, Selim, du, baft überwunden!
Die befte Liebe quillt ! aus deinen ftillen Wunden — —
Sie fehen, m. Fr., die Moral der Fabel, im Geift des Chrijten-
thums betrachtet. — Das andre Stüd, womit id Sie jchablos
zu balten gevenfe,? jey ein Lobgeſang auf Gott, von eben dem
Verfaſſer. Es find zwo Stimmen in ihm: die erfte eines Ein-
jieplers in der thebaiſchen Wüfte; Die zweyte cin unfidt-
bares Chor der Geifter, ihm antwortend:
Lobgeſang auf Gott.
1. Eremitifche Felſen,
Traurige Felſen, babt ihr in enren Wildniſſen
on Mit
2) ſchadlos balte,
Herders ſammtl Werte X. 15 ,
— 226 —
Keine denkenden Weſen,
Die des Ewigen Lob mit mir verbreiteten?
2. Den Unendlichen lobt man
Nicht mit Worten allein; beſſer verehret ihn
Die Bewunderung ſprachlos:
Dennoch, ſterblicher Mann, rede! wir antworten.
1. Alle ſüſſen Empfindungen 316
Welten, fterben in mir, fing‘ ich vom Ew'gen nicht;
Aber fing ich vom Ewigen,
So erwaden in mir alle Empfindungen.
2. Unfer Einig Vergnügen ift
In Betrachtungen ihn allezeit anzuſchaun.
Wer ihn einmal nur anfchant,
Sieht nichts anders mehr an, denfet an nichts jonft mehr.
1. Monardieen zerftört er,
Mit geringerer Müh, als ein Gewapneter
Iene Reiche der Bienen
Zart und wächſern im Bau, eilig zu Grunde flürgt.
2. Welten wirft er ins Leere,
Wie ein irrdifher Dann bin auf den Ader gebt
Und des Baterlande Speiſe |
Mit leichtſäender Hand frey in die Lüfte wirft. |
1. Uns, den Erdegefchöpfen,
Baut er einen Pallaft, fiehe, dies Erdenrund!
Rings mit Himmel umwölbet, |
Zu der fröhlichen Reif Hin in die Ewigfeit.
2. Aber uns ein Icrufalem,
Wo die Tächlende Ruh, unfre Gefangene,
Angefettet mit Blumen, 317
Ewig freundlich und froh, mit ung zu Tifche Tiegt.
1. Seine Sonn’ und fein Perlenthau,
Die das niedrige Thal und die erbabenen
Seven Alpen befrucdten,
Epiegeln liberall Gott, überall Gottes Glauz.
2. Aller Bater, ernähbret er,
Schmetterlinge mit Thau, Weiſe mit Wifjenfchaft;
Aber Sonnen mit Erben,
Und mit Blicken der Huld uns, feine Zcligen.
— 2 —
1. Zürnt der hohe Exrhabene,
So verbleichet die Som’, ftehet im Laufe fill,
Und die Erb’ überwirft fich,
Und der furchtfame Mond hüpfet zur Seite weg.
2. Aber lächelt der Emige,
Denn gebieret fein Hauch Seelen zu Zaufenben,
Aus des Möglichen Reiche
Rollen Monde bervor, ihnen zu Wohnungen.
1. Als ich neulich zur Sonne fprad,
Die dort glänzenden Gangs einſam am Himmel ging: *!
„Schöne Some, fleh ftille! " ,
Sprad fie: „Schöner ift Gott!" eilte verſchämt davon.
318 2. Als uns neulich in heller Nacht
Schweſter Luna zufang: „Brüder, der Bater ſchweigt!“
Eangen wir ihr zurüde:
„Wenn er fchiweiget, wie it, wer redet herrlicher ?*
1. Seyd, bellleuchtende Morgenſtern',
Eurem Freunde gegrüßt, aber o lehrt ihn auch
Seinen göttliben Urſprung
Dur die Tochter der Stimm’ edel verberrlichen.
2. Dächten feiner Verherrlichung
Engel Säklen hindurch, Menſchen Neonen nad;
Blieben ihre Gefänge
Doc Gefänge des Staubs, unwerth des Ewigen.
1. Ehrerbietig verſtumm' ich dann
Bor dem ewigen All. Aber je tiefer id)
Bor demſelben verſtumme,
Je mehr bet’ ich es an, je mehr bewundr' ich es.
2. Ehrerbietig verftunnmen wir
Dor dem ewigen All. Aber je tiefer wir
Bor demſelben verſtummen,
Je mehr lieben wir es, je mehr lieben wir es.
1) Die alleine dort ging: Himmels Einöd' hinan: 2) bewunbre ichs.
— BB —
Zwanzigſter Brief.' 319
Berzeihen Sie, m. Fr., dab ich Ihre Bitte nicht erfülle und über
Klopftods Meßias, die heilige edle Epopee unfrer Sprache beſon⸗
ders rede. Ich redete biöher eigentlich nicht von ihm; ſondern
(Sie wiffen, wie Sie ſelbſt die Sache veranlaßt haben) eigentlid
nur allgemein? über Epifhde Gedichte diejes Inhalts.
Klopftod kann Ausfünfte getroffen haben, an die ich nich jo beut-
lich nicht mehr erinnere: denn es ift Sabre ber, ſeit ich feinen
Meßias mit Liebe und Hohadtung gelefen babe. Mic jest in
eine Unterfuhung darüber einzulaffen, ift auch deßwegen meine
Sade nicht, theils weil ich fett Jahren alles, was öffentlicher
Kritit nur ähnlich fiehet, fcheue und lieber mit mir felbft wohne;
theil3 weil diefe Unterfuhung zu unfrer Abſicht gar nicht gehöret.
Mein Zweck ift nämlid nicht, Sie zum Kritilus der Dichtkunſt
zu bilden, fondern vielmehr fie davon mwegzubilden, falls fich die
ſanfteinſchmeichelnde Dichtkunſt mit der Glaubensgeſchichte zu nahe
befreunden follte. An mehreren Jünglingen unſres Poefte - reichen,
weichen Zeitalter8 babe ich diefe freinde Vermiſchung bemerkt und 320
mag aljo felbft meiner Abficht nicht entgegenarbeiten. Zu ihr
müßte ? ich Klopftods Meßias, wie jener Mathematiker den Virgil
durchgehn; alles Dichterifche benfeit fegen und nur Sade, Wahr⸗
heit, Coangelifhe Geſchichte“ ſuchen. Belohnte der Erfolg die
Mühe? Ich entkleidete ein jchönes Werk von feinem Schnud, um
‚ein Skelett zu finden, das weder Sie, noch ih, zu fehen, gewiß
auch nicht der Dichter zu geben wünfchte.®
1) Die erften Abjchnitte des VBriefes in A (S. 335 — 339) enthält der
Anhang (Band XI) unter I.
2) wie die Sache veranlaßt iſt) allgemein
3) feit ich feinen Meßias geleſen. Defto beßer, wenn ers bat.
Mich jet .... Sache nicht, weil ich feit Jahren .... ſelbſt wohne.
Zu unferer Abficht müßte („theil8 weil dieſe — entgegenarbeiten.“ fehlt.)
4) Geſchichte in ihm
5) Im Mſe. ſchließen fich bier folgende burchftrichene Sätze an: „Ueber-
haupt ift jegt, von Klopftod und nicht von Klopftod zu reden, beinah
Lieber befolge ich den zweyten ! Theil Ihres Briefes und
vede von Hymnen weiter. Der Dichter, den wir eben genannt
haben, ift Einer der größeften Hymnen - Dichter. Sprache und Seele
hebt fi, wenn in feinen Meßias Gefänge, Empfindungen, Elegien,
Hymnen tönen: alles wird Jubel, Thräne, Wohlllang. In feinen
Oden find trefliche, einzige Stüde diefer Gattung, ob ih ihm gleich
bie und da in feiner myſtiſchen Metaphyſik über Gott nicht folge.
Gein Pfalın, feine Empfindungen über die Sternenmwelt und überhaupt
über das Heilige ? in der Schöpfung find feyerlihichön und werben
ſich Ihrem ftillen Sinn längft empfohlen haben — — Einen
andern Gang von Hymnen haben wir der einſylbigtönenden Eng-
gleich gefährlih. Gewiße feiner Jünger (Er, der befcheibne, gütige Mann
gewiß nicht) wollen, daß alle von ihm und daß ja niemand etwas über
ihn fagen fol. Nur anſtaunen fol man, nur bemundern, und bazu bin
ich nicht gefchaffen. Das ift ein hartes Gefchäft, ärger als mit ewig auf-
blickendem Kopf und auf- und abgezognen Schultern hartes Holz fägen.
Selbft Toben kann man ihnen nicht zu Dante; wie vielmehr nun, wenn
man die Sade der Wahrheit, Religion und Gefchichte, abgezogen von aller
Dichterei, nadt in ihm fuchte? Und denn feine Jünger? Käme mein
Brief in eines ſolchen Jüngere Hände, fo wäre ich wenigftens ein Judas,
ober ein Chriftusverräther. Einer von ihnen hats laut gejagt, es babe
zwei große Tage fürs Heil der Welt gegeben: Einen, an dem die Erlöjung
durch Chriſtum gefehehen, Einen, ba fie dur Klopftod befungen fei; und
ein ander Jünger that gleich den Dornenfranz binzu, ben beide, Chriflus
und Klopftod, um Einer Sache willen getragen. Wie entfernt bin ich, auch
nur meine Hand an diefen Kranz zu legen, infonverheit, da c8 mein Wert
gar nicht feyn Lönnte, die Rorbeern, die der Dichter jo rühmlich und einzig
trägt, zu vermehren. Ja was hillfe e8 endlich, fein Gedicht mit ber
Geſchichte, den Dichter mit den Evangeliften zu vergleichen, da neulich
Einer feiner Schiller laut gefagt bat, Klopftod babe ben SHefeliel ver-
begert, fo augenſcheinlich verbeßert, daß diefer ihm danken wilrde, wen
er fein Prophetenftüd in diefer Verbeßerung läſe. Diefelbe Stimme (denn
ein Kopf kann e8 wohl nicht gefagt haben) würde ausruffen: was fchabets ?
auch die Evangeliften bat er verbeßert, Chriftum verbeßert — alfo.....
überheben Sie mich der mißlichen Arbeit.
1) dritten
2) Empfindungen ber Sternenwelt und überhaupt des Heiligen
— 20 —
liſchen Sprade, und ihrem hellen Tubaton zu danfın. Syn ihr 321
waren die Palmen lange ſchon in chen dem kurzen metro, das
ihr als die ältefte Volksmelodie jo lieb ift; daher auch Milton
und Neuere die Pſalmen meiftens in diejem und etwa in ein paar
andern Sylbenmaafien gegeben haben.” Ohne Zweifel fennen Sie
mande fchönen Gelänge Addiſons, Popens u. a. auch über
Chriſtliche Gegenftände;*) im Grunde aber iſt? Milton der Vater
diefes Jamben⸗-⸗Hymnus, defien erſten Klang ihm offenbar ber
104. und einige andre 3 Pfalmen gegeben. Sein Lobgejang auf
die Geburt Chrifti ift Ihnen gewiß befannt, aud die Stellen im
Young, die an den Hymnus grenzen. Im Deutichen weiß ich
in diefer Manier nichts, das ich dem ſchönen Kleiftiichen Lobliede:
Groß ift der Herr! vorzöge.. So hier, als in andern Stellen
feiner Gedichte hören * wir den Schüler Gottes im Heiligthum der
Natur, den Mann von gutem Herzen und immer richtigen Ver-
‚Stande. Mid dünkt, er kommt unter allen neuern Dichtern an 322
bündigem Geſchmack dem Dpis am nächſten; in dem Gie aud)
einige männliche Lobgeſänge auf Gegenftände der Religion finden
werden. Meberhaupt find dieſe Gegenftände mit der herzlichen,
wahren Sprade, die ihnen gebührt, von unjern ältern Dichtern
mehr befungen, als von den neuern; laffen Sie fih alfo nidt
*) In einer Deiftifyen Yiturgie (a liturgy un the universal prin-
ciples of Religion and Morality. Lond. 1776.) die ein D. Willianis
beransgegeben, find profaifch und poetifch die beiten Stüde gefamnilet.!
1) in ibm und .... gaben.
2) Gegenſtände; in einer Deiftifchen Yiturgie, bie ein D. Willianıs
vor wenig Jahren berausgegeben,*) ftehen Proſaiſch und Poetiſch die beften
Stücke. Miltons und Thomfons Hymnen find eingewebt; und im
Grunde ift
3) und aubre
4) Gedichte, feines Frühlings, dev Idyllen, des Geburts- und Grab-
liebes hören
5) dem, fo wie in Scultetus und Flemming
1) A gibt als Anmertung *) num ben Titel A liturgy — Lond. 1776.
— 231 —
verdrießen, fi um bie auch weniger befannte Namen, Dad,
Riit, Franke, Scultetus, Flemming u. a. zu bemühen; Sie
finden über Moraliſche und geiftlihe Saden, unter manchem
Gemeinen, zumeilen ſehr ſchöne Stellen, in einer ſchönen herz:
lihen Sprade.*) Unter! den neuern Dichtern finden Sie in
Gellert, Uz, Cronegk theila philofophifhe Hymnen, theils
Chriftliche Lieder, und falls Ihnen die Feine Sammlung Weih-
323 nahtsgefänge E. A. Schmidts zur Hand fommt, werben Sie
auh da gute Stüde, rein gejagt und zart gedacht, antreffen.
Gramers Pialmen und Oden, unter denen feine Auferftehung
befonder8 berühmt ift, darf ich nicht erft nennen oder empfehlen;
und fonft giebt es bie und da zerftreut, vortreflihe Stüde, dic
jemand, doch ohne daß cr die allbefannten Dichter plünderte,
gefammlet herausgeben follte.**) Der Hymnus auf den Gieg
des SHeilandes, den ih ihnen vor einiger Zeit fandte, war
von Witthof, in einer längft vergriffenen? Sammlung feiner
*), In der grofien Anzahl derer, die die Pſalmen verfificirt, muß ich
auch den älteften Dichter der neuern Poeſie, Wedherlin, nennen. Seine
Pſalmen find in einer bündigen, Gedankenvollen Manier; bier und ba aber, _
nach der Weife feines Zeitalters in England, mit Beftimmungen und Wör-
tern liberladen, und alfo für uns unharmoniſch. Es follte fie jemand
fließender machen und die nervenwolle, ſchöne Sprache fänbern.!
**) 88 iſt dies neulih von 9. Füßlhi unter dem Titel gefcheben:
Der heilige Geſang der Deutfhen Züri 1782.
1) neuen; bei denen Alles fih mehr in Worte und Manier zu ver-
laufen ſcheinet. Laßen Sie ſich nicht verbrießen, .... Franke u. a. zu
bemühen; Sie finden .... herzlichen Sprache. In der groffen Anzahl berer,
die die Pſalmen verfifieirt, muß ich infonderheit den älteften Dichter ber neuern
Boefie, Wedherlin, nennen. Seine ‘Pfalmen find in einer bündigen,
Sedantenvollen Manier; bier und da, nad der Weife feines Zeitalters in
England, mit Beſtimmungen und Wörtern überladen, aber ſehr liber die
gemeine Sphüre — — Unter
2) einer beinab unfichtbaren
1) „*) In — fänbern.” fehlt.
— 1 —
Gedichte.*) Die zwey Gedichte, die ich neulich beylegte, find von Göß, ı
deſſen Arbeiten, fo mander Art und fo feinen Geihmads und fo
zerftreut und unter unwürdige verborgen, gewiß vor andern geſamm⸗
let zu werben verdienten. Unter der Karſchin Stüden find einige -
vorzügliche Gedichte diefer Gattung, zur Probe lefen Sie das ie,
7be, 8. 10. 13. u.f. Mich dünkt, es ift Schade, daß die Did-
terin von ihren Jugend» und Volksempfindungen, bie in ihren
Gedichten gerade immer die treffendften Stellen find, unter Klaßiſche 324
Litteratur gerathen ift, bie fie nicht nugen konnte, und wo fie
ſich ſelbſt verlohren. Wenn Ihnen (Hubers) Verfuche mit
Gott zu veden**) in die Hand fallen: fo laſſen Sie fih vom
Titel nicht abjchreden, die mande guten, nur etwas harten Stüde
näher kennen zu lernen. Rammlers kurze Rhapſodie: Zu dir
entfliegt mein Gefang! Gerftenbergs Hymne an Gott
(infonderheit unverkürzt in der erjten Ausgabe des Hypochondriften)
Shafteshuri fo philofophifchen Lobgefang auf die Natur in fei-
ten Moralists, manche jchöne Poefien von Lavater — ohne!
"Zweifel fennen Sie dieſe fhönen Stücke. Ich hätte große Luft,
Ihnen den Anfang der Vorrede des Perfers Sadi? zu feinem
Rofenthal und einen Arabiſchen Lobgefang auf Gott herzufegen,
ber, wie überhaupt mehrere Gebete der Morgenländer, das Hod)-
erhabne Gottes und die Niebrigkeit der Menſchen treflich ſchildert;
doch davon und mandem andern ein andermal. Ich ſetze noch
ein paar Worte hinzu von Liedern.
*) Sie find unter dem Namen: Witthofs alabemifche Gedichte
wiebergebrudt, aber mit Veränderungen, bie mir bie alte Ausgabe noch viel
lieber gemacht haben.!
**) Reutlingen 1775.3
1) Sott von Engeln und Erzengeln, dem Genius bed Menfchen
und einigen abgeſchiednen Geiftern, (infonberheit .. .. fo philofophifcher
Lohgefang auf die Natır und ihren Schöpfer in feinen Moralists, — ohne
2) des Sadi
1) „N Sie — haben.“ fehlt. 3) „**) Reutlingen 1775.” fehlt.
— 13 —
Chriſtliche Lieder ſind dem Herzen faſt noch nützlicher, als
325 hohe philoſophiſche oder poctifhe Hymnen. Der Menſch iſt ſelten
bes Hymnus fähig, und wenn ers ift, ift ers nur in Augen»
bliden des Auffluges, der Aufmallung, der Umfaflung Him-
mels und der Erbe; bald finfen ihm die Flügel und er kriecht!
auf feiner Erbfcholle weiter. Wohl, wenn er auf ihr wenigſtens
Jinget und fein Herz, fein Pulsichlag, fein Geſchäft, fein Leben
ein ftilles, vergnügtes Chriftlihes Lied if. So meifet uns
Chriftus auf die Vögel des Himmels; fo find feine eignen Worte
und Gebete meiftens ftile Lobgefänge in erhabner Einfalt, das
Bater Unjer jelbit ift Eins dergleichen: und fo will Baulus, daß
unfer Herz immer ein foldes Saitenfpiel Gottes feyn fol. Daß
das Chriftenthum ſchöne Gefänge allerley Art und mandherley ?
Inhalts, alt und neu habe; daß unfre Sprade und die Prote-
ſtantiſche Kirche infonderheit einen Reichthum derſelben habe —
lernt nur Der 3 einfehen und ſchätzen, der die Wirkung berjelben,
oft in fehr fimpeln Worten, in Kunftlofen, herzlichen Ausdrücken
und Strophen bey beftimmten Gelegenheiten und einzelnen Fällen
fiehet. Wie der Gefang das Wort belebt: fo beleben Geſänge die
treflichften Lehren und Pflichten des Wortes Gottes. Abſtractio⸗
nen und Tändeleyen follten in Liedern feinen Platz finden; deſto
326 mehr, mas Geift und was Herz ift, in der Religion und im
Leben. Geſänge folder Art find Troft, und Lehre des gemeinen
Volks, eine ihrer Empfindung nahgebrachte Religion, kurz die für
fie belebte Bibel. Ich wüßte nidt, was an Erquidung und
Wirkſamkeit über ein gutes Lied gienge,; nur freylich Die neuge-
machten, umgefehrten und veränderten Lieder find nicht immer
biefe guten, diefe beften Lieder. — — Für heute gnug: und Bier
Etwas zum Erſatz deſſen, mas meinem langen Regifter von Hym-
nen und Liedern abgeht.
— — nn —
1) keucht
2) Art, mancherlei
3) lernt der nur
— U —
Auf den Tod feiner Mutter.
Hellglänzend auf einer Wolfe des Abendroths war der Cherub herab:
geftiegen, der Seele meiner Mutter zu fagen, daß fie vor Gott müßte. Sie
erfhrad fo wenig, als ein junger Held erfchridt, der in ben Pallaft geruffen
wird, aus ber Hand des Königs, für den er gefieget, ben Lorbeer zu
empfangen. Frölich verließ fie den Körper, umſchwebt' ihn und fagte:
„O mein getreuer Gatte, fo müffen wir fheiten! Du mein anın-
feliges Hlittlein, da8 die Sünde mit mir gemicthet bat, jetzt bift bu nieder
gerifien! Du mein irrdifcher Menſch, wie jämmerlich bat fie dich mit blu- 327
tigen Striemen gezeichnet, bis du erliegen mußteft.
„Die bunten Blumen, die ſchönen und glänzenden Mufcheln, die wir
am Meere der Eitelleit mit einander gefammlet, und damit Schürze und
Gewand angefilllet haben, verwelfen und vergeben jetst mit Dir.
„Deine Augen haben ausgeweinet über ihre und anderer Sünden. Sie
bliden nicht mehr gebrochen dem Simmel zu, von wannen bir Hülfe kam.
„Du bift nicht mehr gezwungen, dich unter Kleine Tyrannen zu beugen,
die ſtolzer als große find; noch mit den Kindern der Thorheit auf ber
Sherfläe der Erbe zu laufen.
„Deine Hände, welche ber Nothdurft der Heiligen gebienet, und beine
Füße, die feinen Weg gegangen, als der zum Hauſe Gottes führte, finb
glüdlich gebunden. Die Vorhänge einer tiefen Mitternacht find um bich
gezogen.
„Slüdfelig bift du, mein Leichnam, glüdjelig! Ein Stoß des Dieers
bat dich zerbrochen und an das Ufer geworfen, wo bu heil wirft.
„Run biſt du außer Gefahr, auf aumuthige Abwege zu gerathen,
und ftrafbar oder beftraft zu werten.
„O gnug geplagter, ruhe nur ein wenig im fühlen Echooffe der Erde;
gebulde did, bi® dein Gebein Staub geworden, in der Infel bes Todes.
Bald ſollſt du, mit Strahlen der Ehre gefrönet, in die flilen Auen bes
Frieden® wieder zu dem kommen, von welchen alles, was bu ſchönes
gefehen, matte und entftellte Schattenziige find.
„Wefte, weht ihm Kühlung von biefen Delwipfeln zu! Berwefung,
gehe fanft mit ihm um! Und bu, mein geliebter Cherub, bebede ihn mit
beinen Fittigen, bis die Diorgenröthe der Ewigkeit aubricht.“
So fprah die Seele meiner geliebten Mutter und entflob. Ihr
Scutsgeift, inden er ihr mit ſchimmerndem Finger die geftirnte Straffe
wies, antwortete alfo: „Ich will bey deinem Leichname bleiben, fliehende
Seele, bis du dich ſchöner mit ihm vermäßlen wirft. Ich will nicht zuge-
ben, baß ihm Uebel over Leib wiberfahre. Alle feine Schmerzen find jeto
328
— 235 —
Triebe gemorben. Siehe, ich flelle meinen Reiſeſtab an diefe Euprefle und
lege meine Fittige ab, um nicht von ihm zu weichen; biß er, mit der zwo⸗
ten Erde vernenet, vor dem Meßia erfcheinet und nicht erfehridt, ihn Bru-
der zu nennen; bi® er fein Gefpiele im Reich der Liebe geworden.”
329 Ein und zwanzigiter Brief.
Wir Haben lange gefeyert; es iſt Zeit, daß wir wieder an
die Arbeit gehen, ob ich wohl in Anfehung unjers Plans, da wir
bob auch einmal von Hülfsmitteln Geiftlider PBorträge
reben werden, Die Feyer nicht für Müßiggang Halte Sch bitte
alfo, heben Sie diefe Briefe auf, um fie einmal, wenns Zeit feyn
wird, wiederlefen zu können; jet fahren wir fort, mo wirs lieſſen,
bey der Citation des alten, im neuen Teftament.
Und da dünft mid die fichere Hauptregel diefe, Evange-
liften und Apoſtel jo einfah und ungefünftelt ſprechen
zu lajjen, als fie fpreden, als der Geift ihrer Schriften
überhaupt if. Sie werden nit in dieſem Einzigen Stüd
anders ſeyn, als in allen andern; am wenigſten Judengelehrt,
wisig und rabuliſtiſch, daß fie duch Kunftgriffe der Auslegung
fih eine andere Deutung hätten erſchleichen wollen, als von der
ihre Seele überzeugt war. Sie verftanden in ganzen Ernft die
Stellen, die fie von Chrifto anführten, von ihm: fie fanden ihn
330 überall im A. T. und fagen frey und offenbar: „von diefem Jeſu
zeugen alle Propheten.” Jeſus nicht minder, der in mehr als
Einer Stelle alle Schrift des U. T. auf fich deutet, ſie alfo
allgemein! als Zeugin von fich betrachtet, und ſich in Moſes
und der Propheten Munde findet. Ich fehe nicht, wie man dieſe
Sprüche drehen, die Schärfe derjelben abmeten, geſchweige Chrifto
oder den Seinen Zweckmäßiggeſuchte künſtliche Accomodatio-
nen Schuld geben fünne, von denen ihre Gelehrjamleitlofe Einfalt
jo weit entfernt? war. Vielmehr wird Alles Har und eben, wenn
1) fie allgemein 2) Einfalt überdem entfernt
— 236 —
wir Ihn, feinen offnen Ausfprüden zu Folge, für die totale
Summe, für den letzten geiftigen Inhalt des gefammten A. T.
halten, und fein! Reich als die Verheißung anfehen, die den
Vätern gegeben, von den Propheten immer mehr und ınchr,
heller und dunkler, näher und ferner entwidelt war. Gein
Geift und feines Reichs Zukunft hatte das ganze Gebäude ber
Schriften A. T. erfüllet; und aus dieſem großen Haufe führen
nun Evangeliften und Apoftel an, mas ihnen zunädft tim Auge
und bey der Hand Tiegt, mas fie jett brauchen? Bey Citation
der Stellen machen fie fich feine Sorge, ob dieje zuerft, zunächſt
beweife? ob feine andre treffender jey? ob jene zu ihrer Zeit
nit einen nähern Vorfall betroffen babe? Sie ſprachen zu ihrem 331
Bolt in den allgmein angenommenen Grundſätzen befielben, in
denen auch fie erzogen, unterrichtet, in denen aud die Feinde die⸗
jer Anwendung mit ihnen Eins, unbezweifelt Eins waren, unb
die doch nicht falſch ſeyn müflen, weil der Geift Gottes fie
bejtätigt bat und fie einem vernünftigen, würdigen Got-
tesz3wed des A. T. fo gemäß find. Gnug, die Anführung
des A. T. geſchah in feinem andern Geifte, als in welchem ſämmt⸗
liche Schriften des N. T. geftellet find, im Geift der Einfalt und
thörihten Vredigt. Wo find die Klugen? fagt der Apoftel.
Wo find die Schriftausleger? Wo find die Weltmweifen?
Hat nit Gott die Weisheit diefer Welt zur Thorbeit
gemacht? Weil die Welt in ihrer Weisheit Gott in fei-
ner Weisheit nicht erfannte, gefiel es Gott wohl durd
thörichte Predigt jelig zu machen, alle die, jo daran
glauben. So reden die Apoftel und fo geben fie felbit die Regel,
nah der fie citiren,3 unverholen an. Sie wollen nicht gelebrter
und fünftlicher feyn, als fie find. Sie Sprechen über diefe und
aus diefen Stellen ald Zeugen, daß Gott ihren gefammten Sinn
in Jeſu entmidelt, befräftiget, befiegelt habe. Site räthieln
1) für Summe und Inhalt... . halte, fein
2) brauchen. Sie bringen nit immer den Silberfchrant getragen;
jest thut ein Nagel, ein Hammer Dienfte. 3) citiren, oft und
— 237 —
Jeſum nicht aus ihnen heraus; fondern fie deuten auch dieſe
332 Stellen auf ihn, meil alles fih auf ihn bezogen babe, weil
alles in ihm erfüllt jey und Gott diefe Erfüllung vom Himmel
bemiefen.*)
Veberhaupt, dünkt mis, m. Fr., daß wir die Schriften der
Evangeliften und Apoftel viel zu gelehrt lefen; da beybe doch Feine
Gelehrte waren und eigentlih auch für Gelehrte nicht fchrichen.
Wenn ich bedenke, welde Bürden von Anmerkungen und Erläu⸗
terungen auf diefe Schriften gemälzt ſeyn, unter denen ihr Geift
oft gar nicht fort kann, und feine Wirkung vielmehr verlieret; fo
weiß ih nicht, ob ich das Chriſtenthum bedauren oder bejauchzen
ſoll, daß es in jo gelehrte Hände gelommen? Sie wiſſen, wie
es dein Ariftotele8 ging, da man Jahrhunderte über ihn, als über
lauter Orakel commentiret: fie wiflen, wie dem 4. T. von den
Händen mander Rabbinen, dem Koran von den manderley Secten
der Muhammebaner begegnet worden, ſobald man fi einmal hins
feßte ! zu commentiren und ala ob alles Dunfelheit wäre, erft
Licht hineinzufhaffen. Hiemit war das klärſte Licht dunkel
und die heiterfte Ausficht Nebel; jollte eg mit den Schriften des
N. T., die ausdrüdlih für die Einfältigen gefchrieben find, anders
333 gegangen ſeyn? Nicht, ala ob ich von der Parthey derer fey, die
alles Nachdenken, alle gute, infonderheit Zeit- Ort: Spraden:
fenntniffe, ja gar allen gefunden Berftand haſſen und auf Licht
vom Himmel, auf innere Eingebung warten. Die Apoftel haben
mit ruhigen Geift, mit guter Ueberlegung, mit Zeit» Ort- Sprad-
fenntnifien gejhrieben, jo müflen fie auch gelefen werben, mie
alle andre vernünftige Schriften. Aber nur, daß man nidt zu
viel und zwar fremde Gelchrjamteit Hineinbringe, am mwenigiten,
daß man fie mit Spikfünbdigfeiten, die fie felbit loſe Verfüh—
rung nennen, erwürge. hr Geift ift Nechtichaffenheit und Wahr-
heit,? das Weſentliche in ihnen wird nur durch Uebung erkannt
*) Apoft. 2,22=32. 8.3,16-26. 8.10, 38. 39.
1) dahinſetzte 2) Rechtichaffenheit, Wahrheit,
— 33 —
und lebendig. Erlauben Sie alfo, daß ich ftatt weiterer ſpeciellen
Regeln, die Sie in manderley Büchern finden Tünnen, Ihnen
einige Züge von dem aud in unfern Tagen fo fehr mißhandelten
Chriftus entwerfe. hr Stiller Fleiß wird Diefelbe aus der
Erzählung der Evangelüten fo wie aus der Anwendung der Apoftel
ſich jelbft ausmalen und ins Herz fchildern. !
Einige Züge zum Bilde Chriftus.® 34
"Auf dem ganzen Kampfplatz chriſtlicher Ketzereyen erinnere
ich mich feines unmürdigern Haders, als der unter dem Namen
von Eutyhianern und Neitorianern, von Monophyjiten und
Monotheliten, cigentlih aber von der griedifchen Möndsfubtt-
lität, vom gäbrenden Biihofsftolz und von der unfinnigen Ent-
ſcheidungsſucht der Kaiſer Jahrhunderte lange Zeit geführt "oder
genährt wurde. Mit Mönchsworten wollte man beftimmen, mas
1) „Erlauben — ſchildern.“ fehlt. In A (S. 353 — 366) folgt der
Abſchnitt: „Die Wahrheit — Sammlung zu leſen:“ Bol. den Anhang
’ (B®b. XI) unter II. Darauf folgen in W die „Ausfprüche der Jüdiſchen
Väter,“ wie unten ©. 360 — 363.
2) Diefer Abſchnitt fehlt in A.
3) Im Dife. des fünfundfunfzigften Briefes (Theil V) Bilden folgende
Abſchnitte den Anfang:
„Sie Hagen, daß ih übers N. T. fo kurz gewefen und daß infon-
derheit, auch da ich unter den Dogmatiſchen Artikeln von Ehrifto babe reden
wollen, Sie mir mit Ihrem Apolloniuß von Tyana und Ver—
faßer des Zwecks Jeſn gerade zur Unzeit in Die Quer haben kommen
miüßen, woburd ber ganze Ton polemiſch geworden fei. Nun dann! wir
tönen nachholen und wollen über eine jo Liebe Geſchichte und Lehre nicht
mehr polemifiren.
Auch bier fange ich mit meinem alten Sat an: Sie müßen das Fchen
Jeſu menfhlich leſen: venu und nur denn leſen Sies recht. So ſchrie—
bens die Evangeliſten, ſo laſens die erſten Chriſten, ſo laſens zu allen
Zeiten, auch in den dunkelſten Jahrhunderten die, Dies zur Erbauung,
zur Wahrheit, zur Nachfolge leſen wollten.
— 239 —
feine menfchliche Vernunft, die nicht einmal die Vereinigung unſrer
Seele und unſres Leibes zu Tennen vermag, je wird beftinmen
fönnen, nämlid die Bereinigung der beyden Naturen
Chrijti, und benebelte damit den gefunden Anblid feines gan-
zen Lebens, wie ihn die Evangeliften ohn' alle ſolche Wortbeitim-
mungen geben. Unſre proteftantifche Kirche hat nichts mit dieſem
griehifhen Mönchswahn zu thun: denn ob er fich gleich in diefelbe
bei Gelegenheit eines andern eben fo unfeligen Streit3 von ber
Allgegenwart des Leibes Chrijtt hat einfchleichen wollen; fo haben
doch aufgeflärte Theologen ihm zu rechter Zeit gefteuert./ Einem
335 göttlihen Phantom, das auf der Erde manbelt, darf ich weder
nachahmen noch nachdenken, und da Paulus, da alle Evangeliften
lagen: daß Chriftus ein Menſch wie wir gemefen, aller-
dinge feinen Brüdern gleih und allenthalben wie wir
verfudt, damit er Gehorfam lerne; da alle Apoftel es uns
zur Pflicht machen, ihm auf der Bahn der Tugend im fchmerften
Kampf nahahmend zu folgen: jo ift für jeden Chriften, für jeden
hriftlihen Theologen der menſchliche Chriftus fein Bild in den
Wolken zum Anftaunen, fondern ein Vorbild auf Erden zur Nach—
ahmung und Lehre. Jede Schrift, die dies Vorbild, die Geftalt
des reineften Menſchen auf Erden hiſtoriſch entmwidelt und moralifch
darftellt, ift cin evangeliihes Buch; jede ſcholaſtiſche Spitzfindigkeit
hingegen, die ihn zu einem erhumanen Blendwerf madt, ift den
Schriften de8 N. T. gerade entgegen und fchäblic.!
1) Hier fließen fich im Dife. des 55. Briefes folgende Sätze an:
„Heßens Gefchichte Jeſu hat einen allgemeinen Ruhm der nützlichen
und lehrreichen Entwicklung, infonderheit aus der Gejchichte ihrer Zeiten;
ih babe fie aber leider! nicht, oder nicht ganz geleſen. Wenu ich Einen
Theologen unfrer Zeit lenne, der Chriftum im diefer reinmenſchlichen,
edlen, göttlihen Geftalt ohne Schwärmerei und Scholafticisinus ins Auge
gefaßt und für Menfchen beberzigt bat, iſts Lavater — bie und ba und
id) möchte fagen, fo oft ers kann, im feinen ſchönen, Ichrreichen Schriften.
Wenn Sie bei ibm auf Hypotheſen floßen, die Ihnen übertrieben fcheinen,
fo lagen Sie dieje feiner Individualität; den rein menſchlichen Blid
aber (ich wiederhole den Ausdrud) mit dem er die Geftalt und das Yeben
— 2140 —
1) In Stile und Armuth wuchs der edle Unſchuldige auf,
fern von Serufalem und den Pharifüerichulen, aber auch eben fo
fern von Pracht, Ueppigleit und der verderbenden Eigenliebe.
Seinen armen Eltern untertban, von Jugend auf an ihre harte
Arbeit gewöhnt, und für fi ftille in den Propheten forichend;
fiehe! das ift mein Knecht, den ich erwählet habe, mein 336
Liebling, an dem meine Seele Gefallen bat. Er wird
nicht zanken, noch ruffen: fein Geſchrey wird man nidt
hören auf den Gaſſen. Die Gottheit jorgte dafür, daß er von
feiner verberbenden Form, von feinem aufblähenden Wortgeſchwätz
auch in feinen zartiten Jahren misbildet würde: fein Blid in die
Propheten blieb Kar, fein Herz frey und aufridtig; der Sohn
einer Unbefledten wuchs keuſch und gejund heran, voll Weis-
heit und Anmuth vor Gott und den Menſchen: das Bild
eines Kindes, eines Sünglinges, der einft Mann Gottes jeyn wird.
2) Im dreyzehnten Jahr erwachte feine Seele zuerft — im
Tempel: Hier fand er fih im Haufe Jeines Baters, und
zugleih in feinem Eigenthbum; die Verwundrung derer, bie
ihm zubörten und mit denen er fich befragt. Aber Trotz dieſes
innern Beruf, Trotz dieſes entjcheidenden Winkes für fein ganzes
Leben gieng er mit jeinen Eltern zurüd und blieb ihnen unter-
than. Bis ins dreyßigſte Jahr feines Alters war der Sohn Gottes
auf Erden unbefannt, und ließ feine jugendliche zur männlichen
Weisheit reifen. Ja auch in dieſem Jahr z0g ihn die Gottheit
gleihfam unerwartet und ungeſucht hervor. Eine Stunme vom
Himmel, die ihn den VBielgeliebten, des väterlihen Gottes 337
innige Freude nannte, und das ſchöne Symbol feines Charaf-
ter3, das über ihm ſchwebte, zeigte, meld ein Geift auf ihm
ruhe, und zu melden Bilde er fi in feinen verborgnen Jugend⸗
Jeſu umfaßt hat, machen Sie fi eigen: dem dies Verdienſt, fein ſchönes
Ideal der Menfhlichleit md Menfhentugend, werben ihm aud
feine Feinde nicht nehmen. Ich winſchte, daß er eine Geſchichte des
Lebens Jeſu, nur in Proſe, fchriebe: fic wiirde vielleicht die niltlichfte
feiner Schriften werben.”
— 1 —
jahren gebildet habe. Sohn Gottes war dies göttliche Bild:
Einfalt und Unſchuld, Sanftmuth und Liebe waren der Tauben—
charakter, den die himmliſche Erſcheinung bezeichnen ſollte: ein
heiliges, duldendes Lamm nannte ihn Johannes, als er ihn
ſah. Ein ſolch Gepräge befam auch feine Religion und Lehre: er
der willige Sohn und Gott fein innig-geliebter Pater: alle
Menden Kinder Gottes und Gott ihr innig»geliebter Vater.
Siehe da das Himmelreih, das Chriftus der Erde brachte, die
ältfte, einfache, veine Geftalt, zu der er die Menjchheit hob!
Außer ihr ift auch Fein ChriftenthHum denkbar.
3) Der berufene Prophet Gottes mählte fih einige Männer
zu Schülern, mit denen er ald mit Brüdern umgieng, die er
mehr thätig ala wörtlich lehrte und denen er ihre ſchwerſten Pflichten
zuerft ſagte. So that ers jedem, der ihm folgen wollte und ver-
mied die Menge: ein Kleines, faft verlohrnes Samentorn ließ er
338 auf der Erbe, das er aber auch, wie fein Abſchied und lebtes
Gebet zeigt, deſto werther hielt, und als den koſtbarſten Schab,
als den fhönften Raub feines Lebens in die Hände feines Vaters
legte. Ein aufmunternder Zug der Geſchichte Chriſti! Als die
Gottheit ihren Sohn auf die Erde fandte, mußte fie feinen reinern
Stand für ihn, als die Lebensart eines aufrichtigen, beſcheidnen
Lehrers. Als König würde er Jünger und Anbeter gnug gehabt
haben; aber falſche Jünger, unreine Anbeter, bie dem Glanz fei-
ned Standes mehr als der Wahrheit gefolgt wären, und alfo auch,
da alles Unlautre fi wie ein ſchädlicher Schatte verliert, unmög-
lih die daurende Wirkung hervorgebracht hätten, die jegt von den
wenigen, armen Chriftusfchülern in die Welt verbreitet worden.
Auch darinn follte der reinite Lehrer der Menfchen die härtefte
Prüfung beftehen, daß er fein Werk den Schein nah jo
unvollendet nadlaflen mußte, daß da er die Welt verließ, er das
Samenkorn kaum verweilen ſah, das feine Auferftehung erſt aus
der Erde hervorlodte.e Er tft beitanden in feinem Kampf, der
Anfänger und Bollender des ſchwerſten Glaubens, der
von Gott verlafien dennod dem Pater jeinen Geift empfahl und
Herder ſammil. Werte. X.
— 42 —
fein Haupt fanft neigte; wir follen auf ihn fehen und aud nicht
müde werden und ablafien. Das begrabne Samenkorn muß erfter-
ben; alsdenn bringts Früchte.
4) Wer waren die bitterften Feinde Chrifi? Der geiftliche,
gelehrte, Fromme Stand, Priefter, Gejeglehrer und Canoniiten,
Pharifäer und Heuchler. Sie konnten feine Gegenwart nicht ertra-
gen, weil jeder Blid von ihm ins gefchmüdte unreine Grabmal
ihres Herzens drang und jedes unſchuldige einfältige Wort aus
feinem Munde unter ihrem heuchleriſchen todten Geſchwätz wie Feuer
unter den Dornen wühlte. Wir willen den Mugen Spruch Kaiphas,
mit dem er, um das Volk zu retten, den Verführer des Volks
patriotifh aufopferte, und zum Zeichen der Zeit muß dieſe treffende
Geſchichte Jahraus Jahrein erklärt werden, obgleih Manches noch
gerade denfelben Gang gehet. Aber nicht ohne Urſache haßete dies
Geſchlecht Chriftum: denn ihm felbft mar es das unerträglichfte
in feinem Leben. Sylbendienft und Phariſäismus in allen Stän-
den, Wölfe in Schaafskleidern und. tobte faule Bäume mit pran-
genden Blättern; der Sanftmüthigfte der Menfchen ſpricht und
handelt gegen fie mit einem Eifer, ald ob er ihretwegen allein vom
Himmel herabgelommen wäre. Kein Wunder: denn hat nicht diefe
Gattung von Menſchen von jeher alles Gute in der Welt auf:
gehalten und verfälihet? In jedem Beruf des Lebens warb der
toftbarfte Balſam durch dieſe todte Fliegen zum Gift; der leben-
Digfte Körper von Religion, Lehre, Geſetzgebung, Erziehung,
Anftalt und Uebung ward durch fie zum edeliten Leihnam. An
Güte babe ih Wobhlgefallen und nidt an Opfern: ber
Sabbat iſt für den Menschen, nicht der Menſch für den
Sabbat: Gottes Gebot habt ihr aufgehoben um eurer
Zufäge willen: Müden feigt ihr aus und verfhludt
Kameele: fo und in noch bärtern Ausdrücken ſprach Chriftus und
jo war es fein Wunder, daß der gefunde Menichenfinn und das
veine Gefühl der Humanttät mit ihm zur erften gelegnen Zeit aus
der Welt gefchafft wurde. Die Geſchichte feines Lebens und Todes
ift die ewige Gefchichte der Welt, nur in veränderten äußern Geftalten.
339
340
5) Das Leben Chrifti ift nicht minder ein Mufter der Klug-
beit im Betragen, als der Neinigkeit feiner Abfiht. Wie anders
Ipriht er zu Pharifäern und Sabducäern, zum Boll und den Jün-
gern! wie anders ift er vor Hannas, Bilatus und Herodes! und
allentbalben Derjelbe, feiner würdig. Wie 3. B. er fih über das
Blutopfer Pilatus erflärt, was er Herodes dem Fuchs fagen lieh,
was er, ald man den Zoll foderte, ſprach und that, wie verjchieden
341 er die Verſchiednen, die feine Jünger werden wollten, aufnahm,
wie er ſich gegen die Ehebrecherin, gegen manden Zöllner, gegen
das arme blinde Volt betrug, wie anderd er diefe Frage, jenen
Zweifel jegt auflöfete, jeßt von fich wies, mas und wenn er von
feinem Rei), von des Tempels Zerftörung, von feiner zweyten
Zufunft redete; kurz mas er that und unterließ, ift ein Gemälde
der Klugheit, Heiterkeit und Menſchenweisheit. Aber nichts ift
dagegen dem Charakter feiner ganzen Gefchichte fremder ala der
fünftlihe Betrug, die Doppelzunge, die Glafien- Secten- und
Logen -Gtifterey, die man aus Betrügereyen unfrer Zeit dem offen-
ten der Menfchen Täfternd angedichtet, und damit die einfache,
belle Erzählung der Evangeliften verunziert hat. Dichtete man
über einen Griechen jo etwas: ſo ˖würde jeber Billige es als einen
ihm angeworfenen Schandfled fremder Zeiten und Sitten unmillig
verachten und nun lefen wirs über einen jübifchen, galiläifchen
Ehriftus! —
6) In allen Evangeliften liebt Chriftus den ftarfen, finn-
lichen, betheuernden Ausbrud: denn er war aus dem Volk und
Ipriht zum Volk: er Spricht überzeugt und will überzeugen. Daher
das öftere Wahrlich, Wahrlich: daher die Sprüde und Sprüd-
342 wörter, die Barabeln und Bilder, die Johannes infonderheit in
langen Allegorieen ausführt, daher zumeilen aud) das lebhafte
Wiedergeben der Yrage, ja jelbft hie und da Striche der Ironie
im Ausdrud.! Natürlich iſt dieſer feinfte Idiotismus Chriftt von
—— — —
1) Im Mſe. des 55. Briefes folgen bier die Sätze: „Wie Sokrates
lichte er Analogie und Induction, Gefpräh und Parabel; aber
wie ausgefuchter, reiner klarer ift feine Lehre; wie fchlichter, und göttlicher
16*
— 244 —
Gefühlloſen Auslegern am meiſten überſehen und mißdeutet wor⸗
den. Was z. B. hat man nicht aus der Sünde gegen den Men⸗
ſchenſohn und gegen den h. Geiſt, aus der Vergebung in dieſer
und jener Welt, aus dem Kameel, das durchs Nadelöhr geht,
und ſeiner Anwendung, aus dem Berge, der ſich wegheben ſoll,
damit die Apoſtel größere Dinge thäten, als Jeſus gethan habe,
aus den Schaafen und Böcken, dem Gleichniß von den Arbeitern
im Weinberge, den Lahmen und Krüppeln beym Gaſtmal, ja bey
den meiſten Parabeln gemacht, die eine ſinnreiche Wendung aus⸗
zeichnet! Dinge, die doch ſo klar ſind, ſobald man Chriſtum menſch⸗
lich reden läßt, auf die Veranlaſſung ſeiner Rede merkt und nicht
jedes Wort als ein Geheimniß aus den Wollen holet. Keine
Gebehrde des Auslegers ſchadet dem beitern, freyen, oft lebhaften
Ausdrud Chrifti mehr, als die gedrüdte, frömmelnde, umſchrei⸗
bend⸗ grübelnde, jchwerfällig - gelehrte Mine des Wortreichen Erflä-
vers; und leider ift fie die gemeinfte über feine Reden, wobey man
ganz vergißt, daß Chriftus fein Gelehrter, Tein Prediger, am
wenigften aber ein afcetiicher Mönd war.
7) Was endlich den Charakter Chrifti, fo mie feine Religion,
am augenfcheinlichften auszeichnet, und Diefer, zumal in bebrüdten
Seiten, fo viel Herzen gewonnen bat, ift, daß er ſich injonderheit
der armen, verfallnen, verlaßenen Menfchheit annahm, und alfo
recht eigentlich ein Arzt für Kranke, ein Heyland der Sünder, ein
Hirt der Verlohrnen wurde. Dies ift die Seele feines Lebens,
das Privilegium und gleihfam der Balfam feiner Lehre: freylich
ift fein Tod und Leben. Er ſuchte den Tod nit, um deſto eber zur
Gemeinſchaft der Götter zu fommen: er vertheidigte ſich und zeigte feine
Unſchuld; ging aber dennoch froben Sinnes zum Bater. Vermag jemand
fein letztes Gebet mit der beften Hoffung und Zuverſicht Sokrates zu ver-
gleihen? Jene war Dämmerung, ein fchöner Frühlingsmorgen; dies ifl
die Sonne in ewiger Himmelsklarheit. Er war bei den Seinigen und
bleibt bei ihnen: ihr Oott, ihr Licht, ihr Leben. Er geht im die
Herrlichkeit ded Vaters zurüd, die ewig fein war und ſieht audy da bie
Seinen ſchon bei fich.
343
ein Privilegum, das entjeglih gemißbraudht worden, ein Balfam,
der viele Kranken aus Schuld ihrer falfhen Aerzte zum Tode
befördert bat; demohngeachtet aber bleibt dieſer außzeichnende Zug
das eigentliche Kriterium eines Menfchenheilandes, eines Welter-
löſers. Die natürliche Religion hat viele Gründe und Kräfte, das
Gute im Menfchen zu ftärken und zu entwideln; fein Böſes aber
fann fie ihm nur zeigen, nicht nehmen und ihn über das DVer-
gangene nur ſchwach tröften. Die Religion des Weltheilandes
lodet die Sünder an und zeigt ihnen, wenn fie zurüdfehren, eine
zehnfache Freude des Himmels über diefe Rückkehr, einen zehnfach⸗
344 größeren Lohn vor jedem ftolzen und ftarren Selbftgerediten. Sie
macht alſo den Mangel felbft zum Duell des Weberflußes, indem
fie nit auf die That, fondern auf das Herz fiehet und biejes
beilet: der tiefgefallene, aber wiederkehrende Sohn ift dem Vater
lieber, als der ihn nie verlaffen hatte und auf feine Werkheiligkeit
ftolz if. Diefe tief-blidende, Menfchenfreundlihe Denkart gehet
bey Chrifto durch Reden und Thaten: feine Gleichniße, Sprüde,
Treöftungen und Wunder gründen ſich darauf; fie fodert aber auch
in der Anmendung den reinen Geift Chrifti oder fie wird, mie
jedes erhabne Principiun eines ausgezeichneten Mannes bey feinen
ſchwachen Nachfolgern es leider! geworben ift, eine ſchädliche Arz-
nen, ein Gift zum ärgeren Tode. Daß er fih der Armen, der
Berachteten, der Unmünbdigen annahm, und ale Wohlthaten, die
man ihnen erwiefe, als jelbftempfangene Gütigfeiten ſchätzt und
belohnet, daß fein großes Principium der MWiebervergeltung in
diefer und jener Welt am meiften dahin gerichtet ift, fich des müh—
jeligen, kranken, gebrüdten Theild der Menjchheit anzunehmen;
dies zeigt nicht nur in feiner Perjon ein edles Herz, ſondern ift
auch im erften Chriftenthum, fo lange es eine Religion ber Liche,
345 des Troftes, der Wohlthätigkeit gegen die Armen, der Erziehung
unmünbdiger Kinder war, eine ber größten Triebfedern ihrer Aus-
breitung geweſen, jo daß man ihr wenigſtens die reinften Grund-
füge der Humanität und das Verbienft einer freygemachten Menſch⸗
beit nicht abſprechen kann. Auch durch BHiftorifche Thatjachen ift
— 246 —
Chriftus aljo ein Befreyer der Welt, ein Menſchenheiland worden;
und an feiner Lehre liegts nicht, wenn mitten im Chriftenthum
die gebrüdte Menfchheit hie und da noch fiebenfach leidet. Die
proteſtantiſche Kirche bat, menigitend der Theorie nach, fein Evan-
gelium der Barmherzigkeit und freyen Gottesgnade aus dem Staube
wieder hervor geholt; deſto trauriger aber ifts freylih, wenn im
Munde der Schwäßer, und in der Hand der Defpoten die
erquidendite Lehre ein Duell manches neuen und größeren Jam:
merd geworben. Kurz, das Vorbild der ächten Gottesreligion, die
den Vater ala Kind verehret, und ihn in feinen Kindern liebet,
mithin die ächte Religion der verborgnen, unermüdeten Menſchen⸗
liebe ift in der Denlart und im Leben Chrifti vor uns, und feine
Religion verbienet feinen Namen, als die er felbit Hatte, felbft
glaubte, felbft übte.
*
* *
Dies find cinige Schattenzüge des ſchönen Gemäldes, das
Ihnen die Evangeliften in allen lebendigen Farben geben; ich 346
Schließe ein kleines Gedicht bey, deßen allegorifche Anlage ein Zeuge
feiner ältern Zeit ift, das ich aber, fo meit e8 geſchehen Tonnte,
unfrer Zeit angemefjen gemacht babe.
Das Diadem der Liebe!
1699.
Ich wollt’ um meines Herren Haupt,
das jüngft mit Dornen war umlaubt,
ein Diadem von Seide binden ;?
das follte wie die Unſchuld rein
und zart wie feine Liebe feyn,
mit Blumen wollt’ ichs rings umwinden
Und webte mit demüth’ger Hand
Dentmale von ihm in die® Band.?
1) Die Bellage fehlt in U.
3) Mic.: das rings mit Dornen war umlaubt ein Kronenband von Golde binden,
3) Mie.: und zeichnen mit bemüthger Sand Des Herren Thaten in bies
Band.
347
— 247 —
Ich fit’ ein Heines Palmen -Keis,
das zu Jehovah's ftillem Preis,
zum! Lebensbaum ben Völkern blübet:
Hier einen Weinftod voller? Saft,
die Trauben an ihm voller Kraft,
in denen Gottes Sonne glühet:
den Oelbaum, der vom Felſen ſprießt
und Segen auf die Menſchen gießt:
Ich zeichnete den ſchönen Stern,
der aus des Aufgangs grauer Fern’
berborgieng über ftillen Hügeln:
Die Morgenfonme, groß und gut,
die wie ein Meer voll Gottesglut
uns Heil bringt unter ihren Flügeln;
fie träntt mit Balfamreihem Thau
bie matte Flur, die dlirre Au.
Und von den Bildern ftieg ih ſchon
auf zu Ihm felbft, dent Menſchenſohn,
auf dem bie Friedenstaube fchmebte,
die immer rege, ftill und zart,
ihn mit des Vaters Gegenwart,
die Welt mit feinem Troſt belebte:
Er fühlte fig im Gottes Schoo®
unfhuldig=treu, verſchwiegen⸗ groß.
Ein Hirte, der fein Schäflein fucht,
und fanft e8 Iodt von feiner Flucht
und Tiebreich e8 im Buſen träget:
Ein Arzt für jedes Herzeleid,
Ein Freund für jede Bangigleit,
der Mattes ftärkt, das Kranfe pfleget:®
das fanfte, ftille Gotteslamm,
das fremde Sünden auf fih nahm:
Schon hatt’ er feines Kreuzes Laſt
mit Heldenmuth emporgefaßt,
ſchon ſchwebt' er in ber Dornenfrone:
Bon feinen Lippen fließet ſtumm
2) Mic.: voll von
8) Mfc.: der Matte flärkt, die Kranlen pfleget:
— 18 —
ſein letztes Cvangelium
von Gottes Reich, vom ew'gen Lohne:
ſein Auge bricht in Todesnacht
und Himmel war um ihn erwacht —
Da bebte mir, mir ſank die Hand;
Ich muß, ich muß Dir dieſes Band
Geliebter, unvollendet geben.
Nimm hin es! Deiner Seele Bild,
nur ſchweigend⸗groß und thätig⸗ mild’
in ſtillen Thaten will e8 leben.
Des reinften Herzens Himmelsſchein
will nur ind Herz geftralet feyn.
Zwey und zwanzigfter Brief.!
Sie glauben, ın. Fr., daß ich über die Paraphrafen inſonder⸗
heit des N. T. zu hart geurtbeilt babe; ich glaube es nicht und
wir werben uns einverftändigen, wenn wir uns darüber erllären.
Seber dunkle Ausdrud, wenn ih ihn mit andern Worten
erläre, wird paraphrafirt und muß parapbrafirt werden. So
erklären ſogar Wörterbüher und die kleinſten Anmerkungen: fo
müfjen fremde Spraden, dunkle Schriftfteller, inſonderheit auch
ſtarke Sprüde und Gedanfen paraphrafirt d. i. entwickelt werben,
oder fie bleiben unverftändlid. Auch bier gilts, was Young von
ber Sprache, injonberheit vom freundſchaftlichen Geſpräch fagt:
Speech, Thought’s Canal; Speech Thought’s Criterion too.
Thought in the Mine may come forth gold or droff;
when coin’d in Word, we know its real Worth.
Thought, too, deliver’d is the more possest:
Teaching we learn and giving we retain
the births of intellect; when dumb, forgot.
Speech ventilates our intellectual fire
1) Den in 8 befeitigten zweiunbzmwanzigften Brief der Ausgabe A
(S. 370— 383) enthält der Anhang unter UI. (Band XI)
— 249 —
Speech burnishes our meutal magazine
brightens for ornament and whets for use.
’Tis Thought’s Exchange, which like th’ alternate Push
of waves conflieting, breaks the learned Scum
and defecates the Student’s standing Pool.
goldne Worte, die mehr als eine große Abhandlung fagen — und
die Sie auf Parapbraje, Commentar, Gefpräh, Predigt, kurz auf
die Entwidlung und Erflärung jedes Tertes in jeder Art anmwen-
den mögen.
Bon dem Allen aber war bier nicht die Rede. Die Yrage
war: ob es gut d.i. vorzüglich bildend und gnugthuend fey, ganze,
ja alle Bücher der Schrift in ihren hellen und bunleln Stellen
durchhin zu paraphrafiven, mithin alle Züge derſelben aufzulöjen
und das Ganze in der Form eine? neuen Umrißes, einer neuen
351 Spradart — nit darzuftellen: denn. das Product fteht meiſtens
nicht mehr, ſondern dem Lefer träge und matt vorzulegen? Da
zweifle ih no, m. Fr., und meine Gründe find, dünkt mid,
augenſcheinlich.
Zuerſt: Die Bücher der Schrift ſind Poeſien, oder Geſchichte,
oder Briefe; zu keinem von dreyen ſchickt ſich eine fortgehende
Paraphraſe. Nicht zu Poeſien: ein paraphraſirter Virgil z. B. iſt
ein widriges Ding; niemand mag ihn leſen. So auch eine para⸗
phraſirte Geſchichte: ſie wird, wenn ſie in ihrem urſprünglichen
Umriß etwas taugte, durch die Paraphraſe eine elende Maſſe, ein
überſtopftes oder zerfloſſenes Weſen. Ein paraphraſirter Brief end⸗
endlich; war er an ſich, was ein Brief ſeyn ſoll, Geſpräch, An⸗
rede, Ausguß des Herzens, Bericht, Erzählung: fo Hatte er ber
Paraphraſe nicht nöthig: denn wer wird im täglichen Geſpräch
immer einen PBaraphraften neben fi haben? Hatte er fie nöthig,
und in allen Theilen nöthig: jo mars ein fchlechter Brief ober
eigentlich gar fein Brief, fondern ein Räthfel und hätte ihn Gabriel
ſelbſt geichrieben.
Zweytens: Die fchönfte Deutlichleit und. Klarheit ber
Gedanken beruht auf ihrer Verbindung d. i. auf der Stellung und
\
— 350 —
Anordnung, in die fie der Schriftfteller feßte, auf dem Umriß
und wenn ich jo fagen darf, der Geiftes-Mine, die ihr die den- 352
kende Seele gab. Hierinn befteht das Gepräge jedes eigenthüm-
lichen Autors: in lebendiger Geftalt ftellet es uns fih dar und
mit einem unerflärlichen Vergnügen gehet der Eindrud davon un-
mittelbar in die Seele des Lejenden über. Nothmendig geht alles
dies in der beiten Paraphrafe verlohren. Nicht Paulus, nicht
Petrus jprehen mehr zu mir; fondern der Paraphraft in ihrem
Namen. Er zeigt mir feinen, ftatt ihres Styls, fein Antlitz ftatt
ihres Gefichtes. Nehmen Sie die beiten Paraphrafen der Eng-
lichen Sprade, Lode, Benfon, Clark, Taylor, Wbitby,
Peirce, Pyle u. f.; wer ſpricht in ihnen? Locke oder Paulus ?
Clark oder die Evangeliften und Chriſtus? und fpreden in ihnen
3. B. in Benfon und Whitby nicht die verfchiedenften Schriftfteller
gleih? Den größten Neiz des Leſens aljo, das Urgepräge des
Säriftitellers, mithin die intuitive Seclenfänntniß deſſelben
baben Sie verlohren; und was dafür erlangt? Die Lectüre einer
Schrift, die Feine Schrift mehr ift, vielleicht ein vermäßertes Nach⸗
bild derſelben, eine plaudernde Echo. Die ſchlechtſte Ueberjegung
ift wenigftens der Kupferftich eines Gemäldes; in der beiten Para⸗
pbrafe ift gar fein Gemälde mehr: Compofition und Haltung,
Farbe und urfprünglicher Geift ift in der Urfchrift zurüdgeblieben. 353
Drittens: „Aber die Richtigfeit der Gedanken iſt wenigſtens
hinübergetragen?” Ich zweifle. Leſen fie Lod und Whitby,
Doddridge, und Clarke, Zahariä und Semler; lafien dieſe
berühmten und Ruhmwürdigen Paraphraften ihre Schriftfteller
Eins und dafjelbe jagn? Und Eins hat er doch nur gejagt: fei-
ne Gedanken müßten in jedem Paraphraften diefelben ſeyn, wenn
diefe Art der Darftellung treu und gnugthuend ſeyn follte. Nun
trifft Dies zmar auf alle Auslegungen aller Commentare; allein
mit dem merkwürdigen Unterfchiebe, daß in diefen ber Erklärer,
in jenen der vorgegebne Schriftfteller ſelbſt redet. Die Meynung
des Erklärers darf ich nit annehmen, wenn jeine Gründe mir
nicht hinreichend fcheinen und ich eine beßere Habe. Er mußte
— 231 —
Gründe anführen und ich Tonnte fie prüfen: mein Auge ward im-
mer wachend erhalten: denn ich lad urjprünglich nicht ihn, fondern
den Autor, Bey dem Baraphraften nit alſo. Er ſchwemmte
nid gleichſam hinein in feine Erklärung; fobald ich fein Scif
beftiegen babe, bin ich vom Lande weg und muß ihm folgen.
Fügen Sie nun noch hinzu, daß vielleicht der Paraphraft ſich
354 felbft jo wegſchwemmte, daß wenn er ein Syftem batte, er unwiſ⸗
jend dafjelbe mit feiner Denkart hinübertragen mußte, weil er dem
Schriftiteller mie feine Worte jo auch feine Ideen unvermerft
leihet — welch ein gefährlicher Richtweg wird hiemit jede blendete!
Paraphraſe. Locke gieng gewiß mit treuer Wahrheit- Liebe zu
feinem Paulus; und bat er ihn überall verftanden? Hat er ihm
nicht feine, Locks Gedanken unterihoben? Und mas Lode begeg⸗
net it; wem dörfte e8 nicht begegnen? An Scharfiinn und
Unpartbeilichleit fehlte e3 ihm, der fein Theolog war, gewiß nicht.
Ueberdem m. Fr. iſts eine Art von dummachender Arbeit, fich
frühe an Paraphrafen zu gewöhnen. Den Tert verftehen, d. i.
ſehen müflen Sie doch lernen; warum wollten Sie alfo nit
lieber glei mit eignen Augen fehen wollen und erjt durch fremde
Brillen ihr Geſicht verderben. Lernen Sie die Sprade: nehmen
Sie das Wörterbuh, und allenfalls Anmerkungen, Meynungen,
Sommentare zur Hand: vorzüglih aber jtudiren Sie den Zuſam⸗
menhang und Balten fih an den Geilt des Autors; dieſe fchöne
Mühe, dieſe Geijt- aufwedende, forjchende Geduld wird Ihnen
bald alle fertige Paraphrafen, denen Sie nur nachſchwimmen dorf-
ten, verleiden. Ein Yüngling, der fich ſelbſt Yrüchte lieſet, will
355 nit, daß ihm der gefaute Bilfen in den Mund geftopft werde,
und wer einmal Gefühl vom Geift diefer Schriften hat, wird fi
die füße Beſchwerde nicht dauern laſſen, den Verſtand derſelben
litterariſch und eregetifch fich felbft zu erwerben. Nun weiß er doc,
was dunkel und far fey, und weiß es aus eigner Erfahrung; bey
dem Peraphraften war ihm alles gleich Kar d. i. gleich dunkel.
1) Iſt etwa Berzuftellen: „jede noch fo blendenve” (7)
Damit aber glauben Sie nit, daß ich den Arbeiten der
genannten und nicht genannten verdienten Männer etwas von
ihrem Werth entziehen mollte; fie find alleſammt fehr nützlich
gewejen, nur zu ihrer Zeit und in ihrer Abfiht. Erasmus
3. B. (feine Paraphrafe über das N. T. wird noch lange die Erfte
bleiben) leſen Sie feine Vorrede, feine Dedication an den Kater,
und Sie werben ſowohl die Schwierigkeiten feiner Arbeit ala den
Zwed derſelben aus feinem eignen Munde hören. Ex wollte mit
feiner leichten und ſchönen Paraphraſe janft vorbereiten, die ftrei-
tenden Gemüther unvermerkt vereinigen, vom barbariihen Scho⸗
laſticismus zur Bibel führen, und die unmwißenden Pbilofophafter
feiner Zeit, was in ber Bibel ftehe ober nicht ftehe, in einer
andern als der ihnen gewohnten Sprache lehren. Dies wollte er,
und dies hat er mit einer noch fortgehenden Reformation aus ſei⸗
nen Silberhellen Schriften bewerkitelligt: feine Paraphraſe bleibt
alfo wegen ihrer Haren Denkart und ſchönen Sprache noch Goldes
werth; unmöglih aber mollte der Sprachen Icnnende Mann fie
einem heutigen Lehrlinge ftatt des Tertes geben. Lode hatte zu
feiner Zeit ähnliche Abfichten und auch Er Bat fie erreiht. Durch
feine und feiner Nachfolger Schriften find die ſcholaſtiſchen Spitz⸗
fündigleiten über die Briefe der Apoftel ſehr abgeründet, und
auch unter denen, die nicht Theologen find, ein gemwißes leichtes,
Ichlichtes, praktiſches Wortverftändniß der Schriften des N. T.
verbreitet; jo daß wir auch den verdienten Männern viel Danf
ſchuldig find, die diefen Engliihen Paraphrafen das Deutiche Bür-
gerrecht gegeben haben. Unftreitig haben fie dem beßern erege-
tifchen Geſchmack, nämlih die Schrift im Zufammenhange und mit
gefundem BVerftande zu Iefen, jehr aufgeholfen, wie die Epoche,
die fie gemacht haben, bezeuget. Nun aber hat jedes Ding ſeine
Zeit und da Erasmus, Lode und feine Brüder ſchwerlich zu
übertreffen find; mich dünft, m. Fr., fo fönnte des Paraphrafirens
auch gnug feyn, und da diefe ganze Gattung von Eregeje mehr
für die Ungelehrten ala Gelehrten, am wenigſten aber für ben
356
eregetifchen Lehrling, daß er aus ihnen den Tert verftehen lerne, 357
gejchrieben wurde: jo brauden auch Sie dieſe Gängelmagen mit
Vorfiht, damit Sie ja den freyen Gebrauch ihrer eignen Füße
dabey nicht verlieren.
Die Commentare, über die Sie mich fragen, pflegt man in
Saden- und Wortcommentare zu unterfcheiden und Sie vermuthen
jelbft, melche ich vorziehe ? umftreitig die legten. Im Wortverftande
müßen die guten Commentare aller Länder und Secten Eins jeyn;
mit Anwendung auf Lehren und Saden ifts nicht aljo. Sehen
Sie die großen Realcommentare aus dem Jahrhundert der Refor-
mation an; Lutheraner und Neformirte, Katholiihe und Socinia-
ner, die Myſtiker allenthalben mit eingerechnet, ſchütten, wo es
nur angeht, auch bey unpaßenden Stellen ihr Syftem aus: ſchon
dies hat die Folianten ſehr aufgefchwellt, noch mehr aber die Zeit-
mäßige Anwendung, die fie allenthalben einwebten. Die herzlichen,
Träftigen Commentare Luthers, die gelehrtern des Meland-
thons, die feinen Entwidlungen des Brenz, die feurigern Des
Calvin, u.f. — mer liefet fie jegt? ja, wer hätte Zeit, fie
Reihab zu lefen? Dagegen Pellican, Strigelius, Chytraeus,
358 Hyperius, noch mehr aber Grotius, Clericus, u. f. fih nod
leſen laſſen, meil fie bey dem Wortverſtande bleiben. Ueberhaupt
aber m. Fr. mißrathe ih Ihnen (den einzigen Grotius etwa aus-
genommen) noch alle großen Commentare. Wenn Ihre acabe-
mifchen Studien geendigt find, haben Sie Zeit, die beiten der⸗
felben allmählig kennen zu lernen, und im Amt felbit werben
praftifhe Arbeiten Sie oft gnug zu unferm Serz » erquidenden
Luther, zu unjerm fanften Melanchthon, oder wen Sie jonft
liebgewinnen, führen. Denn das ift der große Vorzug der Schrif-
ten diefer Zeit, daß, da fie die Sade der Religion noch als ein
thätiges Werk des Lebens anjahen, fie auch über die Bibel aus
voller Bruft ſprachen.
Was ich Ahnen ftatt vieler zerftreuenden Commentare über
die Bücher der Schrift anriethe, wäre eine eigne ftille Hebung in —
Ueberfegung derjelben. Nicht daß ich die unzählbaren Weber-
ſetzungen der Bibel im Meßkatalogus mit diefem Rath zu ver-
mehren wünfchte: denn jobald Sie fürs Publikum überfegen, über-
jegen Sie in Ihren Jahren gewiß ſchlecht und mein Zweck ift verfehlet.
Aber wie wenn man einen Autor liebgewinnet, man.ihn gern in
feiner Sprache haben mag, ja auch ſchon beym Lejen im Gemüth
überfegt und ihn in feine Sprache gleichſam hinüberdenket: fo lernt 359
man ihn auch durd jede überwundne Schwierigkeit des wirklichen
Vebertragens zehnfach beffer fennen und anwenden, ala bey dem
forgfältigften Leſen deſſelben. Bereinigen Sie fih zu dieſem Zwed
mit einigen, die Ihnen gleich denken wetteifernd, thetlen unter fich
die Schätze der Schrift nad dem Geſchmack Diefes und Jenes und
Iefen jodann Ihre Arbeiten einander vor. Ich mollte, dab Sie
es auch bey allen vorzüglichen fogenannten Profan - Seribenten aljo
thäten; Ste würden mir gewiß für meinen Rath danken. Ein
guter Autor, den man ſelbſt überjegt hat, ift ung mehr als zehn,
die wir lajen; ja id wollte behaupten, daß jeder gute Theolog
fih feine Bibel ſelbſt müßte überſetzt haben. Unglaublid wären
die Folgen, die mit diefer ftillen Webung fih auf das ganze Stu-
dium und Amt befjelben verbreiteten; gewiß lernte man dadurch
mehr Theologie als durch große Kommentare. In jedem neuen
Jahrzehend ihres Lebens merden Sie dieje alte Jugendüberfegung
mit Freuden leſen und wenn Sie derjelben Ihre weiteren Benter:
fungen jedesmal til Hinzufügen; o Freund, fo befämen Sie damit
eine beßere Theologia viatoris ald die Ihnen im Compendium ber
Dogmatik ſchwarz auf meiß bleibet. Leben Sie wohl und da mir
eben die Jüdischen Pirke-Aboth in die Hand fallen: jo ſetze ich 360
Ihnen einige Lehren ber; vielleicht bekommen Sie Luft, die ganze
Sammlung zu lefen.
Ausſprüche der Jüdiſchen Väter.
Yaß dein Hans eine Schule der Weiſen feyn, und hänge dich an ben
Staub ihrer Füße und trinke mit Durft ihre Worte.
Sey unter den Schülern Aarond, welcher Frieden lichte und dem
Frieden nachjagte; welcher die Greaturen liebte und fie zum Gefet
anfübrte.
— 25 —
Wer einen Namen fucht, verliert feinen Namen. Wer nicht hinzu
thut, nimmt ab. Wer nicht lernen will im Gejeß, iſt des Todes fchuldig.
Ihr Weifen, gebt Acht auf eure Worte, daß ihr nicht weggeführt
werdet an einen Ort, wo böjes Wafler ift, daß die Schüler, die nach euch
fommen, davon trinten, und fterben, und aljo der Name des Himmels
entheiliget werde.
Ich bin in meinem Leben unter den Weiſen erwachſen, und babe mir
361 nicht8 befler gefunden, als Schweigen. Selbſt die Erllärung bed Geſetzes
it nicht das Hauptwerf, fondern das Thun. Wer viel Worte macht, bringt
Sünde über fih, wie Eva.
Sondre dich nicht von der Gemeine: denn wer ſich von ber Gemeine
fondert, fiehet nicht den Troſt der Gemeine. Verlaſſe dich nicht auf Dich
felbft, bi auf den Tag deines Todes: denn Jochanan, der 80. Jahr Hober-
priefter gewefen, ift noch ein Sadducäer worden. .
Nichte deinen Nächſten nicht, bis du an feiner Stelle geftanben.
Sage nicht8, welches man nicht verftehen kann, daß ſolches am Ende werde
verftanben werben; fage auch nicht, wenn ich Muße haben werde, will ichs
erflären; vielleicht möchteft du nicht mehr Zeit dazu haben.
Wärme dich an dem Licht der Weifen, büte dich aber vor ihren
Kohlen, damit du dich nicht verbrenneſt. Denn ihr Biß ift, wie der Biß
des Fuchſes, ihr Stich, wie der Stich de8 Scorpions, ihr Murmeln, wie
das Zifchen einer feurigen Schlange.
Der Tag ift kurz; der Arbeit ift viel: der Lohn ift groß: der Haus-
vater treibt mit Eruſt zur Arbeit; und doc find die Arbeiter träge. — Es
362 liegt Dir nicht ob, das Werk zu vollenden; es ftehet aber auch nicht bey bir,
es gar zu unterlafien. Alsdenn aber wirb dein Lohn groß und viel feyn,
wenn du viel im Geſetz Terneft, und übeft; er ift treu, welcher ber Herr
deines Werts iſt, und wird dir den Lohn deiner Arbeit bezahlen.
Wer ift ein Weifer? Der von jedermann lernet. Wer ift flarf?
Der feine Begierden bezwinget. Wer ift reih? Der fich über das ihm
beſchiedene Theil freuet. Wer ift gechtt? Der andre Menfchen ehret.
Mache das Geſetz nicht zu einer Krone, damit zu prangen; noch zu
einer Hade, damit zu graben.
Wer von jungen Leuten lernt, ift gleich einem, ber unzeitige Trauben
ißet und Wein aus den frifchen Hefen ber Kelter trinfet; wer von Alten
lernt, ift gleich einem, der zeitige Trauben ißet und alten Wein trintet.
Siehe aber nicht auf Die Kanne, fondern auf das, was darinmen if. Es
giebt neue Kannen voll alten Weins, und alte Kannen, darinn nicht ein«
mal neuer Wein ift. —
Biererleyg Arten find berer, die vor ben Weifen jigen. Einige find
363 dem Schwanm ähnlich, der alles einfauget, Helle und Tribes: andre
— 36 —
einem Trichter, wo, nad man oben eingießet, unten ausläuft. Anbre
einem Seiber: ein Seihetuch läßt den Wein auslaufen unb behält nur die
Hefen; die Bierten einem Siebe, welches das dünne Staubmehl durchfallen
läßt und das Semmelmehl behält. —
Ich darf nicht Hinzufegen, in welde Clafie ih Sie wünfde.
Drey und zwanzigfter Brief. 364
Ich babe nur noch mweniges vom Lejen des N. T. zu ſchrei⸗
ben, und wir gehen zu den eigentlih jo genannten Theologi-
hen Wiffenfchaften über...
Ueber die Göttlichkeit diefer Schriften metaphyſiciren Sie
fo wenig als möglid. Der modus davon ift feine Sade des
Diiputs; und die Sache felbft ift, wie die Göttlichfeit der Schrif-
ten A. T. auf facta gegründet. Iſt Die Geſchichte Chrifti und der
Apoftel wahr: fo gehören diefe Schriften zu ihrer Geſchichte.
Sie enthalten fie, fie befchreiben fie auf die ihr gemäßefte Weile.
Der Geiſt Gottes, der Jeſum von den Todten erweckte, belchte
auch die Apoftel: Jeſus verfprah, Jeſus jandte ihn den Seinen:
Er verſprach ihn ihnen nicht bloß vor Gericht, fondern fie in alle
Wahrheit zu leiten, ala Lehrer feine Stelle in ihnen zu vertreten,
dur fie mit Wirkſamkeit und Gottesfraft zu zeugen. Diefe Wirt:
ſamkeit fehen wir in den Apoſteln; den Geift derjelben in ihren
Schriften. Es ift nicht der Geiſt der Melt, weder ihres noch
unferes Jahrhunderts, jondern der Geift aus Gott, ein Geift der 365
Kindlichkeit, Treue und Einfall.
Meber den Kanon einzelner Bücher Iafien Sie ih noch
meniger in Streit ein. Sie thun wohl, wenn Sie fi alle Gründe
pro und contra befannt maden, und die beiten dahin gehörigen
Bücher Iefen; Sie werben aber finden, daß die größten Diſputan⸗
ten nicht weiter find, als man immer geweſen. Nehmlich, einige
Bücher find ouoAoyovueya, andre avrıleyoueva, mit mehren
oder mwenigern Gründen. Ich zmeifle auch, ob, wenn fi nit
mehr Entiheidungsgründe, Zeugen und Zeugniffe in den
— BI —
erſten Jahrhunderten auffinden, die Sache durch unſer Diſputiren
pro und contra im achtzehnden Jahrhundert je weiter kommen
könne? Sie thun daher wohl, wenn Sie ſich hierüber ſchlicht
nach der Kirche richten, in der Sie lehren: denn es kommt keinem
einzelnen Gliede zu, aus dem Kanon auszuſtoſſen oder dahin auf:
zunehmen, was und in welchem Maas es ihm beliebet. Ber-
fegern Sie feinen, der 3. E. Zweifel gegen die Offenbarung, oder
gegen einige Briefe hätte; Luther felbft Hatte fie Anfangs, obmohl
nicht aus den treffendften Gründen, und unjre Symbolifche Bücher
366 haben hierüber, ala über eine kirhlihhiftorifche Sade, kein Joch
gejchmiebet. Bon der andern Seite aber hüten Sie fih noch mehr
vor der luxurianten Freyheit, BHierinn ja anders, als andre, zu
wähnen. Dogmatifches und Moralifches ift gemiß nichts in dieſen
Schriften, das dem Geift der andern miderfpräde; die Zweifel
gegen fie dünfen mir fo ſchwach, jo wenig jchließend — doch
darinn fage ih nur meine Meynung. Sch jehe es übrigens nicht
ungern, daß infonderheit die Offenbarung Johannes nit durch⸗
bin, fondern nur in den ausgemacht hellen und Haren Stellen
öffentlih gelefen und dem Volk erklärt werde. Es kommt, wenn
Alles genommen wird, zu viel ungemafchenes Zeug hervor, und
der gemeine Mann wird oft mehr geirret, als belehret. Manchen
Ihönen Tanonifchen Büchern gehet3 jo, daß, meil jeder in jebe
Stelle Alles hineinträgt, was ihm beliebet, man mandmal fie
lieber unfanoniid, d. i. zum Heiligtum ftiller Brivat- Erbauung
wünſchte, nit daß fie, wie jo mande Gleichniffe und Epifteln
Sahrhunderte durch zur platten, ausgetretenen Heerftraße wür⸗
den — — Dem Heinen wird indeß Alles rein; dem Unreinen
und Gemeinen tft Alles ärgerlih und unrein.
Hüten Sie fih die Begriffe ver Göttlihleit oder gar der
367 Sanonicität Heiliger Schriften mit dem Dogmatijchen ober
Moraliſchen Theil derfelben zu verwirren; denn damit wird Alles
Verwirrung. Thatſache ift der Grund alles Göttlihen der Reli:
gion, und diefe kann nur in Geſchichte dargeftellt, ja fie muß
jelbft fortgehend lebendige Geſchichte werben. Geſchichte iſt
Herders ſammtl. Werte. X.
— HH —
alfo der Grund ver Bibel, die Wurzel und der Stamm des Baums,
aus dem die Lehren wie Aefte ausgehn, an welchem vie Pflich—
ten! wie Blüthen und Früchte wachſen. Wer diefe ohne Aeſte,
ja gar ohne Stamm und Wurzel will, weiß nit, was er will;
ob ihm gleich niemand zumuthen wird, daß er die Wurzeln und
das Holz des Baumes eſſe. So ifts mit den hiſtoriſchen “Theilen,
jelbft mit den Gejchlechtsregiftern der Bibel. ‚Kein Menſch fobert,
daß man fi an den letzten erbauen fol, oder wie Srommell
that, fie zu Chriftlihen Mufterrollen brauche; jedermann aber fiehet,
daß fie die Stüge der Geſchichte ſeyn, aus der alles auögehet,
auf die fi) alles beziehet, für deren Erhaltung alſo Gott jo forgen
mufte, als für die Aufbewahrung der erhabenften Lehre, der nutz⸗
bariten Lebensregel. Beftehet der menfchlide Körper allein aus
Blut, aus Lebensjäften? braudt er nicht auch Knochen, Häute,
Adern, Nerven und hundert andre Gefäße? ohne bie jene weder
bereitet, noch erhalten, noch genust werden fünnen. Genau fo 368
iſts mit dem Mancherleyg der Offenbarung, in dem fich eben das
feinste, geiftigfte Eins offenbaret.
Studiren fie aljo auch diefe, wie die Schriften des A. T.
einzeln. Die Briefe der Apoftel lefen Sie ald Briefe, vergeflen
Sie Kapitel, Verſe, gewohnte Epifteln, und Iefen, wie wenn fie
ein Chrift des erften „Jahrhunderts wären, und einen Brief aus
den Händen des Apoftels ſelbſt empfingen. Die Briefe eines
Apoſtels vergleihen Sie mit einander, und fuchen feinen Charalter.
Paulus fcheint mir der feurigfte von Geift, Jacobus der ftrengjte
an Eittenlehre, Johannes der zartefte an Geift und Herz. Die
Briefe aller dreyen würden Manche höher fchägen, (jo wie Jeſus
Sirach, Kapitel des Buchs der Weisheit u. f.) wenn fie leider!
nur nit in der Bibel ftänden.
Paulus Briefe find vol Schwung und oft jehr original im
Gange der Gedanken; gewiſſe Lieblingsbegriffe, in bie er ben
Einen groffen Plan Gottes durch Chriftum Heidet, Tom-
1) dem Lehren wie Aefte ausgehn, an melden Pflichten
— 259 —
men in mehrern wieder, und Stellen aus ihnen find fo fchön, daß
man ihnen zum Poem nur bat Verſe geben börfen, mie 3. €.
369 1 Sor. 13. das Prior und andre verfificirt haben. Andre Stel-
len verrathen einen jo Philofophifchen Geift, daß fie Samenkörner
großer Theorien geworden, wie 1 Cor. 12. 15. Er giebt hohe
Gedanken vom Chriftenthum und treffende Regeln der Moral.
Da feine Perioden verfchlungen und lang find, thut man gut,
wenn man fie in ſchweren Stellen zufammenziehet, die Parenthefen
ausläßt oder mildert, und hie und da mit einem Ebräiſchen Grie-
hen auch Ebräiſch-Griechiſch conftruiret und bindet. Koppe bat
dies in einzelnen Fällen glücklich verfuchet.
Die Schriften Johannes find ftille Waſſer, die tief gründen:
die leichteften an Worten, mit dem umfaffendften Sinn. Sein
Evangelium ift, mie feine Offenbarung, voll Plan und Abficht.
An wenige Worte, z. E. Licht, Leben, Wort, Brod des Him-
meld, Waffer des Lebens, zu Chrifto fommen, vom
Bater ihm gegeben, verfiegelt werden u. f. bangen ſich ganze
Reden Chrifti, die mit groffer Sorgfalt, fo wie feine wenigen
genau erzählten Wunder, ausgeführt und zu Einem Zweck
neben einander geftellet find. Ich wollte, daß fi) aus Morgen-
lande einmal Umftände entbedten, zu welder nädften Abficht
Johannes eigentlich fein Evangelium aljo eingerichtet Habe? Gab
370 diefe ihm etwa Johannes, des Täufers Schule? wie mir eine
ſolche Apoft. 19, 3. eben in dem Epheſus antreffen, wo er lebte,
und die auch noch jest in Afien fortwähret: denn umſonſt iſts
doch nicht, daß unfer Evangelift jo oft und ausdrüdlich den Johan⸗
nes unter Chriftum ordnet, und jenen nur als Zeugen dieſes dar⸗
ftelt. (Kap. 1, 6 - 35. Kap. 3, 25 = 36. Kap. 4, 1.2. Kap. 5,
33 - 36. Kap. 10, 40. 42. u. f. bis Kap. 20, 31.) Waren diefe
etwa für die Ehre ihres Johannes härter eingenommen, als bie,
jo Paulus fand und auf Chriftum taufte? Waren fie etwa, wie
fie no jet find, mit Philoſophiſchen Secten verjchlungen, deren
gewohnte, prägnante Lieblingsausbrüde aljo Johannes braucht,
auf Chriftum anwendet und eben damit rectificivet? Eine nähere
17*
— 2 —
er, wo man ihn angriff: feine Zunge war nie müßig, nie verlegen: wenn
man ihn für befiegt hielt, half ex fih am blendendſten hervor. Zulekt tra-
ten zwo Weibsperſonen hinein, jungfräulid, ungeſchmückt, einfältig, edel:
die Eine nannte fih Treue, die andre Liebe. Der Sophift erblakte,
warf fih bin und und ber, zulett verflummte er, ergriff unwillig feine
Papiere, und flieg vom Katheder. Murmelnd foll man ihn fagen gehört
haben: „Dachte ih doch, nur mit Schminke bier zu thun zu haben; und
da zeigen fich die wahren Töchter! der ungefhmintten, unüberwindlichen
Wahrheit.“
3. Das Alter der Keligion. 375
Die Religion freuete fich ihres Alters, ihrer noch fo friſchen Glieder,
ihres noch fo Runzelloſen Angefihte. Die Andacht, ihre Schmweiter,
nahm Theil an ihrer Freude: allerdings, fagte fie, haft bu Urſache, Did
zu freuen, Schweiter; aber auch nicht zu fehr zu freuen, denn deine Jugend
war in mandem doch anderd. Daß nah fo viel Anfällen mächtiger
Feinde du noch erhalten und frifch bift; Haft Du dem zu danken, der als
Bater, in der Kindheit dich pflegte, dein Gott der Wahrheit und Menfchen-
liebe, aber etwas haben beine Kräfte Doch abgenommen, mie du felbft
ſieheſt. Einft Lonnteft bu die Großen zähmen, bie deinen Zaum jett gar
nicht leiden: einft die Armen nähren, die jett hungern; Gefete geben, vie
jetst jeder auf das ſchändlichſte abwirft; der Philofophie gebieten, die nun
über dich zu berrichen firebet; das Volt bewegen, das jett flarr ift; Gott
vorftellen auf Erden, deſſen Ehrfurcht und Andenken jest beynab verſchwun⸗
den, den Satan liberwinden, von deſſen Waffenträgern jett alles voll ift.
Die Religion feufzte: ihr Seufzer war das jchmerzbaftefte Geſtändniß.
Guten Muth, Schmefter, ſprach die Andacht weiter: bedenke, wie berabge-
fommen du vor einigen Jahrhunderten wareſt, und wie dir Gott dur 376
wenige Männer in fo kurzer Zeit aufhalf. Giebt Gott bir deine erſte
Jugend, deine alten Kräfte wieder, und er kanns! denn wollen wir jauch—
zen. Vorjetzt wollen wir demüthig feyn und nicht ablaffen, zu bitten, zu
ſtreben, daß Ers bald thun möge.
Bier und zwanzigfter Brief. 377
Ich bin ſehr bereit, jet näher ans Land zu fteuren, und
die eignen Pläte und Wohnungen Theologiſcher Wiſſenſchaften mit
1) ſich Töchter
— 268 —
Ihnen näher zu beſehen, auch Ihnen zu eignem Anbau der⸗
ſelben mein Gutachten nicht zu verbergen; vorher aber, m. Fr.,
warum wollen Sie and Land? Zum Vergnügen? Wollten wir
da nicht lieber etwas anders befchauen? Warum Theologie eben ?
Ich babe Sie um nichts befraget, fo lange wir ung bey dem
Grunde des Glaubens, bey der Bibel, vermeileten; fie tft der
Grund des Glaubens für jeden Chriften, nicht blos für den
Theologen — — Über jeht, da es eigentlih auf Berufs:
Amts - oder, wie e8 der Pöbel nennt, auf Handmwerfswiffen-
Shaften kommen fol; darf und muß ich do fragen: warum
wollen Sie fi diefen Beruf, Theolog und zwar Prediger
zu feyn, wählen? - Sie wählen auf Beitlebens, auf Zeitlebens
alfo wählen Sie fih ihre Ruhe oder innern Gram, frohe Nup-
barkeit oder unnütze, |päte, vergebliche Neue.
378 Und meiftens fommt beydes auf die Urſachen und Abfichten
an, aus und zu denen wir mähleten. Wie die Wurzel, fo der
Baum und feine Früchte: wie der Geift ift, der uns zu einer
Sache trieb, fo find die Aeußerungen, fo die Folgen. Prüfen
Sie fih hierüber ſcharf, aber männlich und rubig.
Suden Sie Ehre, politiihen Rang in der Welt; warum
wollten Sie fi diefen Stand wählen? Sie kommen in ihm nidt
boh, und wenn Sie am höchſten gefommen find, ſchätzen manche
Sie, des albernen Standes wegen, noch niedrig. Ueberdem ift
wohl nichts unmwürdiger in der Chriftenheit, als ein Ehrwürdiger,
der nah Ehre läuft und nirgend geehrt wird. Politiſche Theo-
logen, feine Minifter » Theologen, mie fie meiftens find, find mir,
zumal in ber Evangelifchen Kirche, die verächtlichften Leute. Dem
armen Dorfpfarrer find fie Engel der Großen: den Großen find
fie meiftens, ihrer friechenden Dienftbarfeit wegen, Engel.” Selten
Salbung aufs Haupt, deito mehr nachgebenve, oft übelriechende
Fußſalbe. Und kurz, ich glaube nit, daß der Mann, der nad)
Ehre läuft, ſich in unfrer proteftantifchen Kirche zu einem Diener
1) Gewürme. 2) Es fcheint ein Genitiv zu fehlen.
— 2 —
des Evangelium, auch nur feiner eignen Ruhe, noch mehr aber
der Würde und Abficht feines Standes wegen, ſchicke — — 379
Suden Sie die Theologie, des Glanzes der Beredſam⸗
feit wegen; Sie irren fih und werben bald mit Ueberbruß Ihren
Irrthum finden. Mit den Demojthenen und Giceronen auf der
Kanzel iſts nicht mweither: fie kommen auch nicht weit bin und wer-
den ihrer Kunft meiftens felbft zuerft müde. Was it bier mit
dem Donner der Kunſt zu donnern? mas mit dem Blisftralen der
Beredfamkeit zu fchleudern? Wo ift Martt? Mo Boll und
Abfiht? Welche ſchnelle Entſchlüſſe find hier zu erregen? melde
Leidenihaften zu empören? melde Neuigkeiten zu deflamiren ?
Schon die Sache der ftillen Vernunft und UWeberlegung, die Mate-
rie des Rechts, der Belehrung, verſchmähet diefen fremden Bomp,
dies widrige Geräufh von Worten; und Religion, das verjchmwie-
gene, beſcheidene Kind des Himmels, jollte ſolche Ankündigung
bedörfen, wollen, lieben? ja nur nicht äußerft verabicheun, haſſen,
flieden? — Meiſtens geſchiehts auh, daß dem Declamator, wenn
die Jugendhitze vorüber ift und mit den ‘Jahren der Berftand
fommt, das Rauch- oder falfche Donnergefäß ſelbſt aus der Hand
fällt. Die Floſkeln der Beredſamkeit um fein Haupt find verwelft; 380
die nichtige Blüthen eines unmelentlihen Ruhms find abaefallen.
Er findet, er muß zu viel prebigen, zu oft über Einerley pre-
digen, über Saden reden, die in Wortſchmuck aufgelöft, nicht
mehr, mas fie find, bleiben, alfo auch nichts mehr wirken, am
wenigiten bey der vermilchten Menge wirken, die ja für das Feine
der Beredſamkeit fein Ohr Hat. Oft werden daher die größeften
Declamatoren zulegt die jchlechteften Prediger oder finds vielmehr
immer gewefen. Wer einer Sade jelbft überbrüßig ift, wirds
Ichmwerlich verbergen, daß nicht auch jeder ihrer überbrüßig werde.
Oder wählen Sie den geiftlihen Stand einer einträglichen
Stelle und der lieben Ruhe wegen, bey der fi fo gut ftubi-
ren lößt? Ich wünſche Ihnen Glüd, wenn Sie beydes und
zwar bald, nicht in den Jahren erft erhalten, da Sie mehr Luft
haben, fih ind Grab zu ftudiren. Wie oft müfjen eben in dieſem
— 265 —
Stande die gejchidteften Candidaten am längften warten, weil fie
fih doch ſchon durd ſich ſelbſt forthelfen, ohne zu betteln! mie
oft müfjen die beiten Köpfe in den beiten Jahren auf einer elen-
den Pfarre das Feld des Kummer adern, mo ihnen das Stubi-
ven wohl vergehet! Erhalten Sie endlich eine befere Stelle, mit
381 welchen Gejchäft » Kleinigkeiten ift fie nicht meiftens beladen, deren
Wirkung aufs Gemüth, e8 ewig zu zerjtreuen und zu zerreiflen,
Shrem ruhigen Studium eben nicht förderlich jeyn wird. Dem
Amt Ahr ruhiges Stubiren eben fo wenig, Mancher, der fih in
feiner, nicht Ihrer Sache zu Ihnen drängt und nicht zulommen
Tann, mird fagen, was jener Bauer zum Bedienten des Biſchofs
Huet jagte, da diefer immer vorgab, fein Herr ftubire: „ich dachte,
der König hätte uns einen Bifhof geben können, der ſchon ftubirt
babe und es nicht jet erſt thun dörfe.“ Warum wollten Sie
alfo, wenn Wiſſenſchaft und Literatur Ihr Zweck ift, nicht diefen
Zwed rein und allein wählen? Werden Sie Lehrer auf Schu-
len oder Academien, im legten Fall dörfen Sie fih ja aus
Ichließend auf Ihre Lieblingswiſſenſchaft legen und können
größern Nuten ftiften. Im geiftlihen Stande ift alle Wiſſen⸗
Ihaft und Literatur nur Mittel zu Ihres Amts Endzweck.
Wollen Sie mit diefem und mit fich felbft in Ruhe und reblicher
Harmonie leben: jo muß feine Nebenfache Hauptwerk werben ; fein
redliher Mann wählet fih ein Amt, damit er nicht das Amt,
jondern ein anderes Ding treibe; font! wird auch gemeiniglich
aus Haupt» und Nebenſache nicht viel.
382 Endlih wäre auch wirklich Ihr Zwei, Fromme Eindrüde
unter den Menſchen zu befördern, fo feyn Sie noch auf guter Hut,
weß Geiſtes und Grundes dieſer Trieb ſey? Ach Halte Sie von
dem Methodiſmus frommer Empfindungen fern, aus dem felten
was Rechtichaffenes wird, oder lange bleibet; ich weiß aber, daß
uns zumeilen eine jugendliche Hite für frommen Enthufiasmus
gilt, und bey den beften Menſchen das Herz den Verftand auch
1) da
— 266 —
übereilet. In Entſchlüſſen aufs ganze Leben hat dies üble Folgen,
und Chriſtus räth nicht umſonſt, eh man ein Haus bauet, zu
ſehen, auf welchen Grund man baue? Faſt iſt kein Stand unter
allen gelehrten Ständen, wo ſo viel Krüppel zuſammen kommen,
als der geiſtliche; Noth, Armuth, niedriger Ehrgeitz, hundert
ſchlechte Vorſtellungen treiben die Menſchen dahin zuſammen, ſo
daß Gott ſtatt der Erſtlinge ſeines Geſchlechts oft mit dem Aus⸗
ſchuß zufrieden ſeyn muß. Ob nun gleich auch hierinn feine Hand 383
im Spiel iſt, und ſelbſt durch dies Unedle bisweilen Zwecke
befördert werden, an welche das blinde Werkzeug nicht denkt: ſo
iſts doch von unſrer Seite Pflicht, jeden Gottesdienſt vernünf⸗
tig feyn zu laſſen, daß es ein lebendiges, reines, ihm wohl-
gefälliges Opfer werde. ch fchreibe Ahnen alfo nicht, mas
ih für die reinen Zmede in Beſtimmung zu biefem Stande
halte; fchreiben Ste mir dieſes aus Ueberlegung und Weberzeugung.
Sch bin fodenn bereit, mid) nad beftem. Wiffen über Alles zu
erklären, morüber Sie mich fragen: denn in der Welt fenne ich
fein belohnenders Geſchäft, ala Jünglingen zur nähern Beſtim⸗
mung ihres Lebensmweges zu dienen. Erlauben Sie, daß ich aber-
mals mit einigen Parabeln von eben dem gelehrten, frommen und
angefehenen Theologen unfrer Kirche ſchließe, von dem aud bie
Beylagen meines legten Briefe waren. Nennen werde ich ihn
fünftig, bey Fällen, mo er uns noch ftrengere Wahrheit wird jagen
müſſen.
1. Der Provinzial. 384
Werner von Oushuſen, ein Provinzial, pflegte, wenn er feinen
Sprengel bereifete, die Geiſtlichen dreyerley zu fragen. Erftlich: wie fie
ing Amt gelommen ſeyn? ob bey Zage, als ihre Vorgefekten machten:
oder bei Naht, als die Leute fchliefen und der böſe Feind jäte? ob auf den
Füffen, durch gutes Verdienſt; oder zu ‘Pferde, auf kräftigen Vorbitten und
Recommendationen? ob durch die Thür — eines orbentlihen Rufs; oder
hinein zum Fenſter? — Dies war bie erfte Frage; die zweyte hieß: wie
fie im Amt lebten? ob bes Herren Weinberg bauend oder von beffen
Früchten zebrend? ob fie andre ftreichelten, falten; ober arzneyeten unb
— 267 —
geſund machten? ob ſie mit ihrer Pflicht ſpielten, oder ſie von Herzen,
mit Mühe trieben? Die dritte Frage war: wie ſie herauszuziehen
gedächten? ob fett an Gütern, von Müßiggang weich, glatt und gleißend
385 an gutem Namen; doer dürre von Kreuz, voll Schwülen bes Knieens vor
Gott, vol Runzeln der Undankbarkeit von Menſchen? Oft verfiummten
die Herren zu dieſen Fragen. Denn wandte er fih an die Jünglinge:
warum fie ind Amt wollten? wie fie zu dem fhweren Schritt, Geiftliche
zu fepn, gelommen wären? Die waren offener; meiftens hörte er aber: „ie,
„das ginge fo! Geiftlich ftudire fich fo leicht; geiftlich gebe jo bald Brobt, und
„fo bequemes Brodt, und wenn man einmal drinnen fey, jo fichered Brobt, und
„fo anftändiges, Ehrwürdiges Brodt. Da bebörfe! man fo wenig Geidid-
„Lichleit, und doch rüde man mit der Zeit weiter.” Der Provinzial fenfzte.
Stlüdtiches Jahrhundert, ſprach er, das den ſchweren Dienft Ebrifti, in
dem Betruß und Baullus nur Leiden, Schmadh und Tod fanden, in To
bequeme Ruhe, Gewinn, und Ehrenſtellen zu verwandeln gewußt bat.
386 2. Die begrabene Wahrheit.
Nur Gott iſts, der die Todten ermedet, es fey denn, daß er etwa
feiner Lieblinge Einem die bimmlifche Gabe leihet. Wir thun wohl, ver-
ſtorbne Heilige wenigitend im Grabe zu ehren und ihr Andenken unter
uns zu erhalten.
So am man neulihd an bie Grabfläte einer fehr berühmten, ber
Sage nah fehr verdienten Berfon, ber Wahrheit. Alle Merkmale gaben®:
bier liege fie und fo grub man ihr mit groffer Begierde, mit unermüdetem
toftbaren Fleiß nad. — Dan fand fie endlich. Keine Infchrift, kein Dent-
mal auf den Trümmern ihres zerfallenen Sarges, als die wenigen Worte,
die man herausbrachte:
„zu meiner Zeit.“
Ihr Leichnam war entftellt, verfiämmelt, mit Unrath bebelt. Keine Würze,
fein Balfam um ihn ber, fondern Unrath, in den er zur Schmach verfenlt
887 war, und den vom heiligen, fehönen Körper hinwegzubringen, Mühe machte.
Siehe, da fand fi endlich ihm unter dem Haupt eine eherne Tafel, mit
der Infchrift:
Ich, die Wahrheit,
Gottes Tochter, der Menfchen Freundin,
durch Satans Lift und Trug der Welt,
durch Fleifches Weichlichleit und Tyranney,
ı) dörfe
— 268 —
durch Priefterträgbeit, der Weltlinugen Bosbeit,
des Witzes Leichtfinm, der Gelehrten Narrheit
und Pöbeld Starrigteit
lieg’ ich erfchlagen bier, mit Koth bebedt.
Du Nachwelt, lebe wohl!
Nach Hundert Jahren
feh ih die Sonne wieder.
Wie erfhrad, wie freute man ſich, da man die Grabfchrift fand. Man
halt die Vorzeit, man pries die glüdliche Nachwelt. Der Wahrheit ward
ein marmorn Grabmal errichtet, Würze bufteten um fie, ihr wurden Kränze
geopfert, die prächtige Grabfchrift enblich binzugetban:
Wären Wir 388
zu unfrer Väter Zeiten geweſen;
wir wollten nicht theilhaft feyn mit ihnen
an der erfchlagnen Wahrheit Blut.
Mattb. 23, 30.
Grabmal und Grabſchrift fielen ſchön ind Auge; die Wahrheit aber erwachte
davon nicht wieder. Man ſagt, fie fchlafe noch in dem geihmüdten Mar⸗
morgrabe, und barre, bis ihre Zeit kommt.
Ende des zweyten Theils.
Briefe,
das Studium der Theologie
betreffend.
von
% G. Herder.
Dritter Theil.
mm — — — — — — —— —
Zweyte verbefferte Auflage.
Weimar,
bey Carl Zudolf Hoffmanns
fel. Wittwe, und Erben.
1781. 1786.
1) „von 3. &. Herder.” fehlt in AB.
Vorbericht
zur erften Ausgabe.
Der Herausgeber bittet beim Lefen dieſes Buchs! den Titel
deſſelben nicht zu vergeilen; es find nur Briefe, Briefe, das
Studium der Theologie nur betreffend. In Briefen erwartet
man feine Abhandlungen, noch weniger Abhandlungen in fteifer
Einförmigfeit und Proportion der Theile. Wie fich die Materie giebt
und wendet, wie fich das Geſpräch zieht und bindet, oft wie Lieb-
haberei oder einzelne Zwiſchenvorfälle es abjegen und lenken, fo
wenden fich,? fo folgen die Briefe; und ich müßte mich fehr irren,
wenn nicht diefer Faden eines lebendigen Zufammenhanges, dies
. 12, yti. Individuelle? ihres Urſprungs und ihrer Beziehung fie eben dazu
machte, was fie in der Handichrift jeyn follten* und nachher im
Drud freilich nicht mehr find. Auch kann ich e8 nicht bergen,
daß bei diefen Briefen, wie fie jeßt gedrudt find, gerade viel-
leicht das Lehrreichite, die genauere Beurtheilung ein-
1) Der Anfang lautet in X:
Bor Allem wirb ber Leſer erfucht, im dritten und vierten Theil biefer
Briefe nachflehende Drudfehler zu ändern, ehe er zum Leſen gebt. Sie
bindern den Berfland oder machen ihn ein paar mal gehäßig und wibrig:
[folgen acht Drudfebler.]
Die übrigen Heinern Drudfehler, Verwechslungen eines Buchſtabs oder eines
Unterſcheidungszeichens werden fih im Leſen felbft finden.
Zweitens bittet ber Herausgeber beim Lefen des Buchs
2) fo fpringen, 3) dieſer lebendige Faden, dies Individuelle
4) follen
— m —
zelner Schriften fehle. Es Hat fi) indeſſen nicht anders (II)
thun lafien und noch weiß ich faun, ob die folgenden Briefe,
in denen die Dlaterien immer fpecieller, andringender, indivi-
bueller werden, gar des Druds fähig jeyn dürften. Die öffent-
lihde Stimme des Markts und die vertrauliche eines Privat-
Briefmechjeld find und bleiben immer ſehr verjchieben.
Gnug, diefe Briefe jollen dag Studium der Theologie ja
nur betreffen; und was betrift eine Sache nicht manchmal
im Privatgeijprähe? est ifts eine Kleinigkeit, ein für andre
unmwichtiger, diefem Paar aber ein wichtiger Umijtand; jetzt
ziehet fie Neigung, Herz, Liebhaberei! dahin, mo andre ein
trodner Plan nicht binziehen würde — furz, wer hat wohl an
den befannten und fo nußreihen Briefen, die neuefte Litteratur
betreffend, (mit denen indeß diefe Briefe nichts gemein haben
fonnten und follten) wer hat an ihnen je ein Syftem der
neuejten Litteratur erwartet?
Den 3. Dec. 1780.2
1) Liebe
2) Unterfohrift in A: Der Herausgeber.
Vorbericht
zur zweiten Ausgabe.
Die Eigenliebe eines Schriftſtellers, falls er ſich beim Schrei-
(III) ben feines Buchs Feiner edlern Triebfeder bewußt ift, müßte ſich
ohne Zweifel jehr gedemüthiget fühlen, wenn nad) wenigen
Jahren, da die Schrift eine neue Auflage erlebt, ihn ſelbſt Schon
ein Theil ihres Inhalts weniger befriedigte, als da er fie zum
erftenmal herausgab. Er könnte ſodann wahrfcheinlich darauf
rechnen, daß in andern Stüden Andre noch unbefriedigter als
Er jeyn werden, und die papierne Ewigfeit feines Werks müßte
dabey manche Gefahr laufen. nn
Dem Schriftiteller, der nicht aus Eigenliebe fchrieb, wird
das an fich unangenehme Gefühl der Unpollfommenheit feines
ehemaligen Werks durch eine andre Vorftellung, wo nicht ver-
jüßet, jo doch gemildert. Er fühlt nämlich, daß die Wiſſenſchaft,
die er bearbeitete, oder feine eigne Känntniß und Erfahrung
fortgerüdt jey, und warum jollte er fich darüber nicht freuen
dürfen? Warum fich nicht freuen dürfen, "daß, wenn er jet
den Weg zu gehen, diefe und jene Materie abzuhandeln hätte,
er fie mit mehrerer Gemwißheit und Sicherheit würde abgehan-
delt, er feinen Weg mit weniger Ummegen würde verfolgt
haben? Wozu wäre das menjchliche Leben, wenn man in ihm
nicht täglich lernte?
(IV) Wenn mir alfo aud) bei diefen Briefen mein Geift oftmals
jagte, daß, wenn ich fie jet zu fchreiben hätte, ich fie bie und
Herbers fänmtl. Werte, X. 18
— HU —
da anders würde gejchrieben haben: fo ſagte mir zugleich mein
Herz, daß ich fie Damals jo gut jchrieb, als es die Gelegenheit
gab und ich fie nach vorliegenden Umftänden zu jchreiben wußte.
Ich habe in dieſer Ausgabe gebeffert, was fich ſowohl in Behand-
lung der Materien als in der Schreibart befjern ließ, und wer
| Geduld hat zu vergleihen, wird auch aus diefen Aenderungen
ı lernen. Umſchaffen ließ ſich indeffen das Buch nicht: denn
es iſt ein Briefwechjel, der fih auf Umftände einer Zeit und
Verfon gründete, und der muß er bleiben. Eben als folder
ift er, wie ich weiß, für manden Jüngling belehrend geweſen,
und wird es, wie ich hoffe, für manchen andern noch jet wer:
den. Geſichtspunkte, Litteratur und Form einer Willenfchaft
verändern ji” mit den Jahren; das Wahre, Wejentliche und
Herzlide der Theologie und NWeligion wird zu allen Zeiten
Daſſelbe jeyn und bleiben.
Weimar, den 8. Jul. 1786.
J. &. Herder.
p.12, Hr.
(M)
Br.
(VI)
Inhalt.
. 25. Auch die Theologie ift ein Tiberales Studium und will feine
Sklavenſeele. Auſicht der Dogmatit, Polemik und der Wiffen-
ſchaften des Ausdruds aus dieſem Geſichtspunkt. Eine Stelle
de8 Marimus Tyrius. Nachſchrift. „u... ..
. 26. Obs einen Zwiſt gebe zwiſchen Natur und Schrift, Vernunft
und Offenbarung? Verhältniß zwifchen ihnen nad) Maasgabe der
Geſchichte der Vienfchbeit. Die Farbe und das Ficht, eine Fabel!
. 27. Fortſetzung der Materie. Lob derer, die die Naturtheologic
fortgebildet. in Platonifche8 Lehrgedicht: Sokrates oder von
der Schönheit. .P
. 28. lieber einige Waturtheologen, infonderbeit Shaftesburi
und Rouffeau. Behutfamteit in Lefung bdeiftifger Schriften.
Der neunzehnte Pſalm. P
. 29. Dogmatik iſt eine Philoſophie aus der Bibel. Anpreiſung
der Philologifhen Methode. Bon der fcholaftiihen Terminologie:
wo und wiefern fie nöthig oder unnöthig ſeye? Wunſch einer
Philoſophiſchen Gejhichte der Dogmatik. Kurze neuere Gefchichte
de8 dogmatifchen Predigtvortrageß in Deutfchland. .
. 30. Bon Gott. Warnungen fir Entweihung feines Namens
durch Geſchwätz, Spisfindigleiten und Battologee. Ob die Kos—
mologiſche Theologie in allem für den gemeinen Mann ſey?
Einige Schriften hiezn. Em Hymnus. P.
31. Ein Pſalm auf die Vorſehung. Vom Gebrauch und Uebung
dieſer Lehre. Vom Göttlichen im Leben eines Menſchen. Von
der geheimen Wiedervergeltung. Von der moraliſchen Regierung
Sotte8 auf unfrer Erde. P.
. 32. Schriften dazu. Lieber die Lehre von den Engeln und
dem lirfprunge des Uebels. Kurzer Entwurf bes Syſtems der
Offenbarung. .P....
. 33. Von den mancherlei Zuftänden ber Menſchheit. Bon der
eriten Unfchuld, der Erbſünde, dem freien Willen nach dem Kal,
1) „Die — Fabel.“ fehlt.
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102
Br.
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der Gnade. Lob der Lutherſchen Schriften. Warnung vor dem
pietiftiichen Dietbobifmus. Ein Hymnus. .
. 34. Bon Apollonius von Tyana. Ob Pbiloftrats Beſchreibung
von ihm Gefchichte oder Roman ſey? Ob er mit Chrifto etwas
gemein Babe? Bon Geſchmack philofophifcher Romane. Ob daB
Chriſtenthum durch Aufpußungen der Art gewinne oder verliere”?
Obs allein in der Aufllärung beftehe? und ob wir jet in ben
männlichen Jahren deſſelben ſeyn? Warnung vor Leſung zu vie-
ler und allerlei Schriften. Luther Borrede zu feinen Werken. ....
35. Leber den Zmwed Jeſu. Vom Zwed des Lebens eines Men-
fen überhaupt: Schwierigkeiten bes Urtheils darüber. Ueber die
Quellen zu Beurtbeilung des Lebens Jeſu: feine Geburt, Er-
zichuug, Taufe, Lehre, Wunder. Wahrfcheinliche Beranlafjung
des Buchs vom Zwei Ielt. .......0nen0renennessnssnsennennenssnnnennnennnnnennensnnnnn
. 36. SFortfegung der Materie. Vom Einzuge Chrifti, feinen
Tode, feiner Wiederkunft, feinem Reich. Bon feinen Jüngern
und der erften Giütergemeinfchaft. ..
. 37. Bom Werk Ehrifti, feinen Aemtern, der Dreieinigfeit, dem
Gebet, der Auferftehung, dem Weltgerichte. Schluß mit einigen
Gedanken des Bao. .necnnsessusenensennenesnnnnnsnnenenuennannnnnsennnnsnnnennenennnsnnne
Fünf umd zwanzigfter Brief.
Die Kleine Gejhichte Ihres Lebens, m. Fr., die Sie mir mit
jo vielem Zutrauen erzählen, ift freilich Antwort auf meine Frage.
Allerdings entjcheiden Umſtände und Zufälligfeiten bei vielen und
den meilten aufs ganze Leben; bei Ihnen aber follen und müſſen
fie nicht entſcheiden. Eindrüde der Jugend vergchen: eine Wolfe
von Zeitentichlieffungen verraucht; Vernunft allein, göttliher Zug
und Trieb des Herzens, innerer und äußerer Ruf von Beweg-
urfahen, Zweden, Fähigkeiten und Kräften, bleibt der Dämon,
der und am gewiſſeſten leitet.! or jest alfo laſſe ich Ihre Blödig-
fett in Ruhe; nur aber dazu, daß Sie fih bei allem, wovon
weiter dic Rede feyn wird, ſchärfer prüfen. Hören Sie mich nod)
als Fremder, als Freund? der Theologie: noch nicht als ein an
fie verfaufter Knecht und Sklave. Uhnftreitig hören Sie ſodenn
edler, williger, freier.
Behalten Sie, mein Freund, diefe erſte Erinnerung: denn ic)
2 weiß nit, warum man bei der Theologie nicht jo freien Sinnes
und beitern Geiftes ſeyn könne, ala bei einer der andern Wiflen-
haften? Theologie iſt gewiſſermaaſſen die liberalfte von allen;
eine freie Gottesgabe and Menſchengeſchlecht, die dieſem auch zu
allem liberalen Guten der Vernunft, einer edeln Tugend und Auf-
Härung geholfen. Theologen waren die Väter der Menjchenver-
nunft, des Menfchengeiftes und Menſchenherzens. Die erften Weifen,
die erften Geſetzgeber und Dichter gingen aus biefem heiligen Hain
aus; und oft nur ſpät haben fich die verſchiedenſten und Tlärften
1) bleibt unfer gewißefter leitender Dämon.
2) Liebling
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Wiſſenſchaften aus der alten Theologie, wie! dic Frucht aus der
Knofpe, losgemunden. Warum follten wir uns nicht dieſes
Urfprunges freuen und mit alle dem Feuer, mit alle der Liebe,
womit Dichter, Propheten, Weife des Alterthums ihre hohen Wahr-
heiten, oft mangelhaft gnug, der Welt Fundthaten, dieſe jet in
einem veinern Lichte, in einer edlern Begeifterung lernen und
lehren? Wenn Orpheus und Homer, Pythagoras und Plato,
Hefiodus und Pindar die Geburt und Herrlichkeit, die Negierung
und Wunder ihrer Götter, die erſten Knoſpen menſchlicher Lehre
und Tugend mit Schwunge, mit Entzüden preilen; warum fchlagen
wir, wenn wir vom wahren, cwigen Gott und feinen Wundern, 3
von feinen Veranftaltungen mit dem? Menſchengeſchlecht zu deſſel⸗
ben ewiger Würde reden, knechtiſch die Augen nieder? Oder glau:
ben wir, daß ſich mitten im Licht am beften mit verbundnen Augen,
mit einer bleiernen Binde um Sinn und Seele, jehen? daß ſich
die Wirkung des edelſten Geiſtes, nur wenn der unſre am unfreic-
ften, unebeljten iſt, am beiten jpüren? lafje? Erwachen Sie, lieber
Jüngling, aus diefem niedrigen Traum? in einem fo ungefunden,
drüdenden Nebelthale. Offenbarung Gottes ift Morgenroth, Auf-
gang der Frühlingsfonne fürs Menſchengeſchlecht mit allem Licht,
mit aller? Wärme und Lebensfülle derjelben; was foll zu ihr die
gedrüdte, grämliche Mine, als ob die zu Bibel und Theologie,
wie der Betteljad zum Betteln gehöre ?
Ach ich gefteh es dir, es ſchmerzt mich nur zu oft,
wenn, wo mein müder Geift Belehrung Gottes hofft,®
ein dumpfes, dürres Blatt mit Talteın Lob’ ihn hönet,
und Tand mit ofen Frönet.?
1) aus der Theologie himmliſchem Schleier, wie
2) Beranftaltungen ums 3) iſt, ſpüren
4) dieſem Sklaventraum 5) Licht, aller
6) den Herrn zu finden hofft,
7) (Withof:) Wan, da mein müder Geiſt was guts zu finden hofft,
Manch abgeſchmacktes Blatt Gott, Wolſtand, Tugend höhnet, Und Tand
mit Liedern krönet.
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4 Der rühnt die Wahrheit hoch; doch Geift und Kraft gebricht!
Der buhlt um ihren Schinud und hat die Wahrheit nicht:
Der mahlt die Tugend ung, doc nicht, daß auch Beichwerbe
in ihr gefällig! mwerbe.?
Mich veizt, was Perfien vom Oromazes? fpridt:
Bon Wahrheit ſey fein Geift, fein Körper fey von Lid;
Da die, die er befämpft,* mit Finfterniß und Lügen
ih und die Welt betrügen — —*
Iſts nicht Tonderbar z. E., was man für dumpfe Vorurtheile
gegen Dogmatil, Homiletil, Polemik, ja gegen Bibel und
Theologie überhaupt hat, als ob da aller geſunde Verſtand im
Lehren und Lernen aufhöre und der elendefte Sklavengeiſt allein in
ihnen jein Theil finde? Was ift denn Dogmatik, recht gelehrt
und recht verftanden, als ein Syſtem der edelften Wahrheiten
fürs Menſchengeſchlecht, feine Geiftes- und ewige Glüd-
5 feligfeit betreffend? cine scientia rerum diuinarum et huma;
narum, mithin die jchönfte, die wichtigfte, die wahrefte Philofophic-
wie fie auch die Kirchenväter geheiffen haben, eine philosophia
sacra. Sie ſpricht von alle dem, wovon die Philoſophie ſpricht:
fie nutzt alles, was die Philofophie Wahres weiß und hat, denn
die Vernunft ift ihr eine edle Gottesgabe; fie ftügt e8® aber mit
mehrern Gründen, fie holts aus einer höhern Duelle, fie ver»
mehrt3 mit unendlihen, neuen, ſchönen Ausfichten — jollte das
Ichte fie deßwegen zur unfreien, brüdenden Sklavenlehre machen?
Iſt nicht Wahrheit überall, auch im Nugen und in Reizen die—
jelbe Wahrheit? Iſt eine Verbindung von Lehren, die alle in
rechten Derbältniß, nit ihren Gründen und Zwecken vorgetragen
1) in ihr zur Wohlluft werde.
2) W.: Der rühmt die Wahrheit audy, allein der Schmud gebricht.
Den Schmud findt diefer zwar, doch Wahrheit fucht er nicht. Dort lodt
der Bortheil wol, allein das Rauhe quählet, Da bier das Wefen fehlet.
3) ®.: von Oromagbes 4) W.: die du belämpfft,
5) W.: betriegen. 6) ſtutzts
— 0 —
werden, nicht Harmonie? Harmonie für den edelſten Sinn der
Menſchheit, den Verſtand, auch! in Anmuth? denn wo iſt der
Weiſe des Alterthums, der uns ein ſolches Gebäude, eine ſolche
Ausſicht von Wahrheiten, Lehren, Pflichten und Hoffnungen gege-
ben hätte, als unſre Chriftlihe, bei Chriften und Unchriften ver⸗
achtete Dogmatik wirklich ſeyn follte?? — — Polemik (das
zarte Nervengebäude unſers Jahrhunderts erzittert bei dieſem ver-
haßten, nicht? ganz ohne Recht verhaßten, wenigſtens unſchicklichen
Namen) Polemik in gutem Verſtande, iſt fie etwas anders, als 6
eine philofophifhe Geſchichte der Dogmatil? und ift fie
nicht eben damit die interefjantefte Geſchichte von einem großen
Wirkungsfreife des Menfhliden Geiftes? Welch Ding
bat mehr Revolution in der Welt gemacht, als Religion? Revo—
Iution und Religion in gutem und böjem Berftande. Sie fennen
das Schöne Bild hievon in Klopftod;*) und die Geſchichte ift der
große Sommentar des Bildes. Man Hat mit ihr und über fie
geftritten, verfolgt, gehaßt und gemorbet; aber fie Gottlob! aud
unterfucht und gelehrt, durch fie erquicdt* und getröftet. Der
menschliche Geiſt hat fih durch den guten Gebrauch derjelben zu
dem gebilbet, was er tft; durch ihren Mißbrauch aber freilich auf
die entſetzlichſte Weiſe aufgehalten und? zerftöret. Sehen Sie nun
eine Gefchichte, die dies alles unterfught, die Fuß für Fuß zeiget,
wie jede Lehre des Chriftenthums allmählig entwidelt, gleichſam im
Kampf erwachſen, unter Feinden und Gegnern mächtig geworben
*) Religion der Gottheit, du heilige Dienfchenfreundin, Aber ein
Schwert in des Rafenden Sand u. f. Gef. 1V. 3. 450.
1) Nuten und Reigen diefelbe Wahrheit. Iſt ein Gebäube, eine
Berbindung von Lehren in ihrem Verhältniß, mit ihren Gründen und
Zwecken, nicht Harmonie? Harmonie .... ber Menfchheit, auch
2) Wahrheit, Lehre, Pflicht und Hoffnung gegeben als .... Dogmatif
feyn ſoll?
3) verbaßten und freilich nicht
4) und an ihr geftritten .... aber auch unterfucht und gelehrt, erguidt
5) aber auf bie entfetlichfte Weife erniedrigt und
— 2331 —
fey? welche Mittel man jedesmal zu ihrer Anfeindung und Ber-
7 theidigung gebraucht ? welche gute und böfe Kunſtworte man erdadht?
was jedes zu jeder Zeit für Zwed gehabt? was für gute und böje
Leidenſchaften fi in diefen abmwechjelnden Kampf der Wahrheit
und Lüge, des Lichts und der Finfterniß gemifcht haben und noch
miſchen? Was denn hinter und unter diefen Meer von Fluthen
und Meinungen cndlih und jest gemifler Grund, Gold» und
Feljengrund ſey? Dies alles und nody jo viel mehr, das die
Sade ſelbſt zeige — jeten Sie davon eine philöfophifce
Geſchichte, die ift, was fie feyn fol, und ihrem Gegenitande in
alle Krümmen, Winkel, Abmwege und Falten folgt; kanns ein
angenehmeres, mannichfaltigeres, belehrenderes Studium, ala fie,
geben? Das Studium des Ausdruds und PVortrages theolo-
gücher Wahrheiten endlich — ift an den Wahrheiten felbft etwas,
find fie, was fie find, die wichtigjten, vielfeitig- und doch einfach:
ften Wahrheiten fürs! menſchliche Weſen; mid dünkt, fo hat das
Studium ihres PVortrages, ihres Ausbruds, ihrer Berebfamteit
alle die Reize, die je eine wahre, nützliche Beredſamkeit haben
kann. Wahrheit und Tugend find die edelſten Schäte der Menſch⸗
beit; und die Wiflenfchaft, die ſolche lehrt und anwendet, ift,
dünkt mich, die ebelfte Wiſſenſchaft von allen, und das iſt Theo-
logie, Lehre von Gott und dem Menjchen.?
8 Wer, mein Freund, fi reines Herzens und edeln Geiltes
fühlt, diefe Erkenntniß und Wiſſenſchaft, als das liebſte Gut, den
Zwed feines Lebens zu treiben: wer fi) vor andern beruffen fühlt,
den Menſchen diefe Wahrheiten ewiger Glückſeligkeit wichtig, aufs
neue wichtig zu maden, die alten Stleinode derſelben, bie und da
vom Roft und Staube der Zeit bebedt, neu zu fäubern und fie
ala Heiligtümer der Ur- und Nachwelt, dem Bolf in neuer
Schöne und Herrlichkeit zu zeigen; wer fi Hohen und reinen
Muthes gnug glaubt, die Vorurtheile des Zeitalters zu verläugnen,
1) find, die bildenbften, wichtigften, vielfeitig einfachiten fürs
2) Wißenfchaft Aller, Theologie, Gotteslehre.
— RB —
lieber, wie Paulus vom Mofes jagt, mit! dem Wolf Gottes
Armuth zu leiden, als nah Ehre, Reichthum, politifcher Hoheit,
finnliher Luft zu laufen; die Schmach Chriſti lieber zu haben,
als die Schäte Aegyptens; der werde, wie chen biefer feltene Mann
den? Timotheus nennet, cin Gottesmenſch, ein Theolog; mo
nicht, jo werde er etwas anders.
Kein Stubium hat vielleicht zu allen Zeiten fo wenige gehabt,
die ihm ganz und treu dienten, als die Theologie; cben weil fic
beinah ein übermenfchlihes, güttliches, das fehryerfte Studium ift.
Leſen Sie hierüber die Briefe Pauli an Timotheus und Titus.
Kein Studium Hat aber auch vielleiht fo viel Gutes und zwar
das cbelfte, ein ftillverboranes® Gute geftiftet, als Theologie,
wenn ihr Schag, aud in irrdifchen Gefäſſen, nur ceinigermaafjen
blieb, was er ſeyn ſollte. Ich will ihr feine Xobrebe halten: denn
fie verfchmähet Lobreden und Ehrenkränze; aber die einfachſte,
edelſte Aufklärung,‘ Wahrheit zur Gottſeligkeit und ihre
Menſchenholde, tröftende Wirkung — fie wärmt und erhält unter
Schnee und Froft die Wurzel, das Mark, den Samen der Menjd-
heit. Unter Prieftern und Layen wird Chriftus fennen, die
jeines Theil® find, die dies Eine Werf® Gottes mit ihm
trieben —
„O Zeus, Athene und Apollo, (rufft ein griechiſcher Redner
„zum Lobe der Philofophie aus) ihr Auffcher menschlicher Sitten!
„Philoſophen müffet ihr zu Schülern haben, die eure Kunft mit
„ſtarker Seele faflend, eine ſchöne und glüdlihe Ernte des Lebens
„zu geniefjen ftreben. Uber e3 ift felten, das Werk diefes Ader-
„baues; es geräth mit Mühe und langjam. Indeſſen wie in
„einer dicken Naht es nur weniges Lichts bedarf zur Erleuch—
„tung: jo bedarf aud das menfchliche Leben dieſes feltnen und
„wenigen Zunders nur bie und da; in diefem und jenem Men- 10
1) fühlt, .... lieber mit 2) wie Baulus den
3) ebelfte, ftillverborgne 4) Aufllärung, die ftille
5) die Ein Verf
De)
— 283 —
„ſchen einen flammenden Funken. Denn des Guten und Schönen
„in der menſchlichen Natur iſt überhaupt nicht viel: der Himmel
„will aber, daß durch dies Wenige das Ganze erhalten werde.
„Nimm dem Leben die Gottesweisheit: ſo nimmſt du ihm ſeinen
„erſten lebendigen Funken der Begeiſterung, wie wenn du dem
„Körper die Seele, der Erde die Fruchtbarkeit, dem Tage die
„Sonne nimmſt: der Körper iſt todt, die Erde unbrauchbar und
„der Tag verſchwunden.“
Nachſchrift. Wollen Sie die ſchöne Abhandlung eines unpar-
theiiſchen Mannes über da3 Studium der Theologie Iejen: jo
befünnmern Sie ih um Nobert Boile, des berühmten, Ruhm-
würdigen Phyfifers, Heine Theologifhe Schriften In
11 ihnen. ift die untenbenannte Abhandlung,*) fo wie eine andre über
die Shreibart der Schrift, über die Verehrung, die
der menfhlide Verftand Gott ſchuldig ift, u. f. fehr!
lesbar. Die Schriften unfrer alten und guten Theologen find voll
diefer Materie; durch fie muß man die Theologie, wie den Baum
an feinen guten Früchten, beurtheilen, ſchätzen und lieben lernen.
Die Folge, wenn wir auf Lebensbeſchreibungen und Amisfüh—
rungen der Theologen kommen, wird uns hierüber ein Mehreres
jagen.” Leben Sie wohl.
*) „Bon ben Vorzligen des theologifchen vor dem Studium der Welt-
weisheit.“ Man bat auch eine deutfche Ueberjeßung von fogenannten aus-
erlefenen tbeologifchen Schriften R. Boile, Halle 1709.
1) if, ſehr
2) fagen; vorjetst feyn Ihnen die Hirtenbriefe Paulli, die Beruffungen,
Klagen und Lobſprüche mancher Bropbeten über ihr Amt und deſſen Wirkung
das bitterfüße Buch, das Sie freudig und Herzlich koften.
— 234 —
Sechs und zwanzigfter Brief.
Sie find alfo auch in den unfeligen Zwift zwiſchen Natur
und Schrift, Natur und Gnade, Bernunft und Offenba-
rung gerathen! fo tief bineingerathen, daß Sie feinen Ausweg
wiffen und glauben, Eins von beiden aufgeben zu müflen, um
das Andre zu erhalten. Ich bitte Sie, m. Fr., fehen! Sie um
ih: es ift nicht Zwiſt, jondern nur verfhiedne Bahn auf Einem
Wege, mehr oder minder zu Einem Biel. Hören Sie mid an.
Es ift nicht gut, daß man Gegenſätze madt, wo feine find;
nod minder, daß man zwiſchen friebfertige Partheien Zerrüttung
ſäet und Eine, weil fie nicht die Andre ift, auf Koften der andern
lobt. Mich dünkt, die Retorfion wird das Mindefte ſeyn, das
darauf folgt. So gings vielleicht zwifhen Theologen und den
fogenannten Naturaliften. Was demonftrirten jene nicht! was
fanden fie nicht für gut zu demonftriren! Die geihlagene Blind-
beit unfrer Vernunft; und denn follte doch diefe ftodblinde Ver⸗
nunft wiederum die Nothwendigkeit, Wirklichkeit, Beichaffenbeit,
Nusbarkeit der Offenbarung, aus fich felbft bis auf ein Haar
demonftriven! Sie bewiefen eine überall ftumme Natur und
lobten doch bei allen Berdanımungen die aufgellärten, wohl⸗
Iprehenden Heiden, die ja nur diefe ſtumme Natur gehört
hatten. Wenns endlih gar auf Natur und Gnade kam; Hint-
mel, welche fonderbare Zänfereien entitanden zwiſchen dieſen beiden
Matronen, Natur und Gnade. Die Eine wollte durchaus nicht
annehmen, was ihr die andre zubereitet hatte, und wenns Ambroſia
und Nectar wäre: fie mußte es erit anders kochen, anders deftilliven.
Keine blieb, wo die andre war, und haberten fo lange, bi3 bie
Stärfere Ueberhand befam, ihre Feindin einſchnürte, daß fie ſich
nicht mehr vegen und vühren follte, und nun fie, als Ueberwin⸗
derin jauchzte. Schöne Vorftellungsart des Einen edlen Werks
Gottes, der Menſchheit und ihrer Bildung, wenn mans alfo zer-
1) erhalten. Ums Himmels willen! fehen
—
3
— 288 —
theilet und gegen ſich ſelbſt aufreibet. Eine ſonderbare Gnade,
die ! die Natur, wie Saturn die Kinder, auffrißt, vernichtet.
D des traurigen Mißverftandes der beiten biblifchen Worte!
14 wehe der unfeligen Uebertragung aus Sprade in Sprache, mo
—
(Dt
zulegt vom Anfange und Urbegriff feine Spur bleibet! Bernunft
und Schrift, Natur und Gnade, Natur und Offenbarung — find
fie nicht alle Geſchenke Eines Gottes? und ? kann der Eine Geber
wohl in fernen beiten Gefchenten gegen fich felbft ftreiten? Und
iind zmei Geſchenke ſich deßwegen entgegen, weil fie mehr als
Eins find? Mic dünkt, der befte Friede, jo wie die Abficht des
Urhebers ift, wenn man beide gut braucht.
Zuerft alfo: Bernunft und Schrift; aber mas heißt Ver-
nunft? was heißt Schrift? Schrift war nit gleich da, als
Offenbarung da war. Gott nahm fich des Menſchengeſchlechts vom
Anfange feiner Bildung an; aber nicht das Erfte, was er ihm
anbilden fonnte, war fchreiben und lejen, wie ers ihn etwa in
die Feder fagte. Der Menſch mußte vieles vorher können, ehe er
diejes konnte, vieles vorher verjtehen, ehe er Schrift verftand und
brauchte. Das meyne ih, der ich doch den Gebrauch der Schrift
jo frühe annehme;*) das jagt übrigens die Natur der Sache.
Es ift mehr als Rabbinifh, die Lehre Gottes, jo fern fie auf
Menſchen wirkt, in Pergament und Griffel bannen; es ift hölzern
und finnlos.? Wie jung find die älteften Bücher der Schrift,
gegen den Anfang des Menfchengefhlehts! Wie weit mehr ward
durchs ganze A. und N. T. Hin geiprocdhen, als gejchrieben, gehört
als gelefen. Schrift ift ja nur Abdruck der Rede: die befte
Erziehung und Untermeifung in jedem täglichen Leben ift ja‘ durd)
*) ©. Th.1. Br. 12. am Ende. [152]
1) &8 wird eine ſchöne Gnade ſeyn, die
2) Gottes? (freilich nicht Ein Gefchent!) und
3) e8 ift miberfinnig und hölzern.
4) die bildendfte Erziehung und Unterweiſung ift ja im jedem tüg-
lichen Leben
— 286 —
viel etwas anders, als durch bloße Schreib- und Leſe-Lectio—
nen. Und wer nun vom Anfange der Welt an, ja dur alle
Nationen den?! Geift Gottes fo feflelt und bindet; wahrlich, ber
bat einen eingeſchränkten, armen und todten Geift Gottes.
Alſo ftatt Vernunft und Schrift zuerft Vernunft und
Offenbarung; aber auch noch fällt mir der Streit zwiſchen bei-
den nicht ins Auge. Wenn Offenbarung die Erziehung des
Menſchengeſchlechts ift, wie fies wirklich war und feyn mußte,
fo bat fie die Vernunft gebildet und erzogen: die Mutter Tann
alfo nicht gegen die Tochter feyn, und die Tochter, wenn jie rech⸗
ter Art ift, Sollte gegen die Mutter nicht ſeyn mollen. Ver—
nunft (ob der Name gleich fehr unbeftinmt und vieldeutig gebraudt
wird) ift der natürliche, lebendige Gebrauch unfrer Seelenfräfte;
wer lehrte und Ddiefe brauchen, ala der Schöpfer, der uns erzog? 16
Vom erften Augenblid unſers lebendigen Daſeyns machte er über
feinen Liebling, den Menſchen, legte? BVeranlaffungen vor und
um ihn, die Kräfte feines Geiftes zu entwideln, die Neigungen
jeine® Herzens zu üben, zu prüfen, zu ordnen und einzufchränfen:
er felbft ging mit ihm um und ging mit ihm durch Lehren, Ver-
bote, Strafen, Erfindungen, Gottesdienſt, Einrichtung u. f. die
erften Schritte feines Lebensganges 3 weiter. Unter alle Nationen
haben fich diefe FSußftapfen‘ des mit uns mandelnden väterlichen
Gottes fernhin verbreitet: überall find fie, ſelbſt nach Jahrtauſenden,
noch fihtbar. Die älteften Traditionen aller Bölfer, ihre fimpeliten
Gebräuche und Einridtungen, an denen dod ihre ganze Eultur®
(fie haben derjelben viel oder wenig,) hangt, find cinander jo
ähnlih, jo nahe verwandt; fie gehen an jo einfache Ende zufan-
men, daß man, durch welde Krümmen und unerforjhbare Abwege
es aud gegangen jey, die eriten Anfänge einer Gottesbildung
1) nun in den älteften Zeiten, ja von .... an, den
2) Liebling, legte
3) Einrichtung die erften Schritte feine befehwerlichen Yebensganges
4) Sp durchhin Mfe. und A. In B: Fußtapfen
5) doch all’ ihre Kultur
nn „287 u—
fchwerlich verfennen oder läugnen fünnte.! Jene Wege der Mit-
teilung ar zu fehen, ift ung jo nöthig * nicht, die Bibel ſelbſt
fagt uns davon wenig: fie faßt die Nahrichten von der erften
Erziehung Gottes, die er dem Menſchengeſchlecht gegeben, mehr in
17 Zeilen ala in Kapitel und Bücher und läßt uns übrigens von ber
Wirkung auf die Urſache ſchlieſſen. Ueberall alfo, wo ich jene
ſehe, ſchlieſſe ich ficher auf diefe; und fo übertrieben mande con-
cordia rationis et fidei, manches osculum ethnicae et Christianae
religionis etc. ſeyn mag, zumal wo man fpätere, blo3 biftorifche
Dinge allgemein machen wollte: ſo dünkt mid, ift doch die erſte
Analogie, der Grund von allem, unläugbar. Scheuen Sie fid
alfo nicht vor diefen heiligen Hainen alter Tradition und Reli-
gionsgebräude, in denen Die menſchliche Vernunft zuerjt erzogen
und gebildet ift: ihre Dämmerung tft fchr angenehm für ung, die
wir jest ein miehreres Licht haben. Es ift jo ſchön und lehrreid),
die Fußftapfen des mit feinen Kindern wandelnden Vater überall
wahrzunehmen, fich zu freuen, wie er aud jenen in der Dämme—
ung fih nicht unbezeugt lich, ich ihnen zu ſuchen gab, ob
jie ihn aud fühlen und finden möchten, dag ih an Reiz
und Belehrung dieje einzelne dunkle Spuren Beiliger Gebräuche,
Allegorien und Traditionen vielem neuem muthmilligen Läug-
nungs- und Vernunft» Geihmäs vorziehen möchte.“ Wie vieles
hatten und mußten diefe Völfer, von dem wir glauben, fie hatten
und wußtens nicht, weil fie es nicht auf unſre Art fagten. Und
18 woher Hatten ſies? als woher wirs haben, durd Tradition einer
urfprünglihen, das menjchlihe Geſchlecht fortleitenden Kinder -
Offenbarung. Wer an die Stelle diefer, einer fortgehenden leben-
digen Cultur, nur immer und überall das Wort Vernunft
jegen und von ihr ald einem Avtomat reden will, das durd fi)
felbft da ift und wirket; mich dünkt, der fpricht dem täglichen
oT mu IT
1) Anfänge der Gottesbildung .. . . ober verkiugnen kann.
2) noth 3) wollen:
4) vorziebe.
— 288 —
Anblick einer Menſchen⸗Erziehung ziemlich entgegen.! “Die gebildete
Vernunft fällt nicht vom Himmel, wie wir jegt noch an fo vielen Lehr -
dürftigen Nationen, an fo vielen Lehr - dürftigen, dabei nicht ? dum⸗
men Menſchen und endlich ja in der Erziehung jedes Kindes jehen.
Alles ift erft pofitiv, ehe c8 abftract wird, Gefet, Lehre, Wahr-
heit, Uebung. So werden Finder erzogen, jo ift die Welt erzogen
worden; es ift fein andrer Gang unfrer Seclenträfte möglid. Noch
jegt fröche der Menfch, wie jener Zerglieberer es beweifen wollte, auf
Vieren, wenn ihn nicht väterliche Erziehung aufgerichtet, pofitive Lehre
und Religion fortgebildet hätte. Zerreiſſet diefe ? Kette, hebt ihn aus
der ihn umfchlieffenden Welt von Sprache, Lehre, Gebräuden,
Unterweifung, Uebung heraus; er iſt fein Menſch mehr: feine
Vernunft entwidelt fi nicht, er ift ein Bürger des Thierreichs,
wohin ihr ihn verpflanzet. Hunderte und taufende von Sahren
bleiben gejcheute, vernünftige Nationen in einem engen Kreife der 19
Gultur jtehen, wenn fie nicht durch äußere, gleichjam treibende
Beihülfe fortgebildet, forterzogen werden. Kurz, Vernunft und
diefe ältefte, dieſe mit unſerm Geſchlecht fortgehende Dffenbarung
verhalten ſich wie Kind und Mutter, wenn jenes diefer ins Geſicht
widerſpricht, daß, weil es jet gehen fünne, es nie das Gehen
von ihr gelernet habe, jo* handelts weber vernünftig noch kindlich.
Sie werben fagen: „mags feyn, daß die Tochter einmal von
„der Mutter gehen gelernt; aber jebt kann fie allein gehen, fie
„braucht ihren Leitband nicht mehr; fie will fie nicht immer hinter
„Th Haben.” Die Mutter darf nichts, als antworten: „gehe
allein! ih will dich nicht hindern, ich dränge mich niemanden auf.
Habe ichs dir doch kaum merken laflen, daß ich dich gehen lehrte!“
Über, m. Fr., alle Vergleihungen hinten, und jo wollen wir uns
1) Haben, von Gott und feiner urfprünglichen, fortleitenden Kinder -
Offenbarung. Die an Stelle diefer fogern immer Vernunft fegen und von
ihr als einem Avtomat reden, vwermifchen offenbar das, was gebilbet wer-
den fol, mit dem, ber da bilbet.
2) fo viel Lehre bürftigen Nationen, Yehre dürftigen, nicht
3) die 4) gelernet, fo
— 989 —
auch diefem nicht weiter überlaffen, ala e3 reihen kann und joll.!
Belanntermaafjen hat ſich die Dffenbarung Gottes in die Geſchichte
eines einzelnen Volks verfchlungen und mit berjelben auf viele
andere fortverbreitet. Diefe Offenbarung in und durch Geſchichte
hat offenbar einen höhern Umfang von Hoffnungen und Lehren,
als die gebildetfte Vernunft der Griehen und Römer fi vorzu-
20 zeichnen gewagt hat; und Doc) ericheint fie in der faßlichiten Geftalt
für Menſchen. Ste macht das Unendlidye endlich; nicht anders
aber, ald daß der Schöpfer ſelbſt in Menfchennatur fein Geſchlecht
belehret, vettet und in die Ewigkeit führet: an ihn, an feine
Begegniffe und Thaten find die größeften Wahrheiten und Hoff-
nungen gefnüpft, deren fi die ınenfchlihe Seele erfreuet und das
Chriftenthum feitdem als ihre Ausbreiterin rühmet.? Hier fcheiden
ſich nun allerdings Vernunft und Offenbarung, aber nicht ala
feindlihe Weſen, fondern wie fih Abftraction und Gefdidte
ſcheidet. Hat jene Gründe, dieſe nicht für ächt zu erfennen: fo
fage fie diefe Gründe und laſſe ihre Aechtheit ebenfalls prüfen.
Sie erlaube aber aud andern, daß fte ſie für ächt annehmen:?
denn Abitraction bat eigentlich über Gejchichte Feine Gefete: feine
Geſchichte in der Welt fteht auf Abitractiong - Gründen a priori.*
Sprit jene: „ich ſcheide mich von dir: denn ich mag meine Lehren,
„meine Hoffnungen, meine Pflichten auf fein fo baufälliges
„Gebäude, als eine Geſchichte ift, ſetzen,“ auch nicht einmal fie
„deran hängen, kurz dich nicht zur Nachbarin haben:” fo mag
1) hinten und die Mutter kann mehr als geben: fie will fie aud
mehr als geben lehren. („und fo — foll.” fehlt.)
2) mit derfelben fortverbreitet. Diefe bat offenbar nur einen höheren
.... gewagt bat: fie macht das Unendliche enblih, den Schöpfer zum
Menſchen, der felbft in Menfchennatur fein Gefchlecht belehret, rettet und
in die Ewigkeit ſich machzengt: an ihn, .... geknüpft, deren fich ſeitdem
das Chriftenthun rühmt.
3) erfennen: nun! fo erkenne fie fie nicht dafür, nachdem nehmlich
ihre Gründe ſelbſt ächt find. Sie erlaube aber andern, daß fie fie dafiir
annehmen:
4) auf Abſtractions-Gründen. 5) Gebäude einer Geſchichte ſetzen,
Herders fänmtl. Werle. X. 19
— 290 —
dieſe antworten: „ſcheide! Meine Facta kann ich nicht auf deine
Art demonſtriren, willt du ſie nicht auf meine Art erkennen, wie
Facta erkannt werden müſſen, jo beneide ich dir dein philofophi- 21
ſches Gewebe, das du aus dir felbit willt gefponnen haben, wie
viel du mir davon auch ſchuldig ſeyſt, nicht. Hänge es an did,
oder made, daß es durch fich felbit beftehe; nur vergönne, daß
ich mein Gebäude auf! eine andre Art, auf einen andern Grund
baue. Ich ſehe, daß in der ganzen Welt Vernunft und Geſchichte
niht nur zufammenhangen, jondern jene aud in einzelnen
Thatfachen und gleichſam Ermwedungen aus dieſer hervorgegangen
ſey. Du abftrahirft von diefen Thatſachen und orbneft die Wahr-
heiten, ihre Refultate an umd unter ? einander, um ihre Scön-
heit und Harmonie zu fühlen, ich gönne dir dein Gefühl und
theile e8 mit dir: nur verläugne ich meine Menjchheit und die
einzelnen Quellen nit, aus denen jene große Wahrheiten geflofjen
find, und in denen ih noch immer mehr, als du in ihrem Abfluß
haft, zu befiten glaube. Laß mir dieſe menſchliche Schwachheit;
deine Abjtraction Habe ih ja doch aud mit dir. Warum mwillt
du intolerant feyn, da ich tolerire? warum foll ich ein reiner
Vernunftgeift werden, da ih nur ein Menſch feyn mag, und
wie in meinem Dajeyn, jo auch in meinem Willen und Glauben
als‘ eine Welle im Meer der Geſchichte ſchwebe? Unendlid)
ift doch immer der Umfang ewiger Wahrheiten, das giebft du zu.
Du giebft alfo zu, daß du, endliche Vernunft, fie nicht überjehen 22
fannft, und in Ewigkeit lernen müffeft, lernen werdeſt. Erlaube
— — — — —
1) an dich, in die Luft ober .... beſtehe. Wer damit zufrieden ſeyn
will und feyn kann, fey e8; nur vergönne, daß id) das Meine auf
2) Geſchichte zufammenbangen, und jene nur in einzelnen Ent-
bedungen aus diefer hervorgehet. Du abftrahirft von dieſen Ent⸗
deckungen und orbneft die Wahrheiten derfelben unter
3) Wahrheiten ber find. Laß mir biefe Menfchlichkeit und Schwach-
beit, an der ich mehr zu haben glaube, als du mit deiner Abftraction baft:
denn ſie babe ich ja doch mit bir.
4) ih ein Menſch bin, und als
— 291 —
mir, daß ich glaube, das ala Bild zu haben, was ich ala Sache
noch nicht überjehen Tann, das ala! Geſchichte zu haben, mas
Emigfeiten hindurch meine Geſchichte feyn oder fie beftimmen wird.
Mein ewiger Vater hat mir diefen kindlichen Aufſchluß, diefe Unter-
mweifung de Evorrroor ev awvıyuarı gegeben, an bie ich mic) durch
Glaube, Liebe und Hoffnung fefthalte und deine Harmonie ewiger
Wahrheiten auch in diefem höheren Licht, mit göttlichen Anſehen
beſtärkt, meiner Faſſung gemäß, im Kreife menſchlicher Geftalten
fihtbar gemacht, auch mit genieße und dankbar fühle? Laß mid!
Zu rechter Zeit, wenn dein Gebäude einmal, vielleicht an ? einem
Strohhalm, wanken wird, kommſt du doch wieder.” Leben Sie wohl.
Die Farbe und das Lit.
Eine Yabel.
Bin ih? wie ober bin ich nicht?
So ſprach die Farbe zu dem Licht.
Ich bin und bin nicht, wechjelsmeife ;
Oft, wenn ich meine Schönheit preife,
Erfahr’ ich meine Nichtigkeit,
Bis Du mich wieder nen beftraleft,
Mir Leben giebft und mich bemaleft.
Du glänzend Licht, ich bitte Dich,
Wer biſt Du? und wie nennt man mich?
Du beißeft Farbe, ſprach das Licht,
Und biſt mein Kınd, Du trreft nicht.
Du fcheinft in Deiner Mutter Schöne,
Wenn ih Dir meine Stralen lehne.
So lange Du nad mir verlangft,
Will ih dich immer neu beftralen
Und Di mit ſchönem Schimmer malen;
—— — — — — ·
1) kanu, als
2) Wahrheiten nur in höherm Nicht, .... gemäß, im menſchlichen
Geftaltentreife fihtbar gemacht, fühle.
3) einmal an
4) Die Fabel fehlt in 9.
19*
— 2982 —
Doch hüte vor dem Stolze Dich,
Ein Nichts biſt Du, Nichts ohne mich.
„Wer aber biſt Du? glänzend Licht ?“
Das, ſprach die Mutter, frage nicht;
Denn was Du von mir lannft erfahren,
Soll Dir mein Stral ſchon offenbaren;
Und ihn auch faſſeſt Du nicht gan —
Ja wenn ih taufend andre Weſen
Zu neuem Abglanz mir erlefen,
So ſehn fie zwar mein Angeficht,
Eind Karben; aber ich bin Licht.
Sieben und zwanzigfter Brief.
Zmeitens. Der Streit zwiſchen Natur und Schrift enticher-
det fih, dünkt mid, aus dem Vorhergehenden ziemlih. Denn
was iſt Natur? was iſt Schrift? Iſt Natur nit auch eine
Schrift, eine ſehr lesbare, hohe Schrift Gottes an die Menfchen ?
Der treflide 19. Palm ertennet fie dafür, und mie viel Pjalmen
und Kapitel der Bibel find nichts ala Blätter diefer Schrift!
lautbar gemachte Töne diefer göttlihen Naturfprade. Das erite
Kapitel der Bibel, fo manche Beichreibungen der Natur, zum Theil
aus dem Munde Gottes felbft, in Hiob, den Propheten u. f. find
dies offenbar, und Paulus fagt mehr als alles, wenn er Diele
Sprade der redenden Schöpfung eine! fürmlide Offenbarung
Gottes nennet, die feinen Heiden von feiner Verantwortung frei-
lafien wird. So liebet Chriftus den Gott und Vater aller Welt,
aller Nationen und Völker; fo predigt Paulus ihn den Hei-
den. Es find fo freie Stellen in mehrern feiner Vorträge und
Briefe, daß ich mich wundere, wie es Einem Barbaren hat ein-
24
fallen können, die Sprache der ganzen Natur, die Schrift Gottes 25
1) jo viel Befchreibungen von Gott und der Natur, .... Propheten
find es offenbar und Paulus fagt mehr als alle Dice, wenn er diefe Sprache
und Schrift eine
— 293 —
an Himmel und Erde zu vernidten, um, wie er thöricht meinte,
ftatt ihrer eine ! andre geltend zu machen, die ja auf allen Blät-
tern von jener redet.
Und mo Wahrheit ift, da ift auh Tugend, dieſer
Wahrheit gemäs. Hat der Heide ein Gejeg, wie Paulus und
die gefunde Vernunft ausdrücklich jagen, hat er Verantwortung
darüber, ein Gewiſſen, ein verflagendes oder beruhigendes Gewiſ⸗
fen, wie Paulus ausdrücklich fagt: wohl! fo hat er auch Zugend!
die ja Chriftus an Heiden und Samaritern fo oft preifet: fo wird
er auch einen Richter haben, der nad) dieſem Geſetzbuch, das
Paulus deutlich nennet, über ihn urtheilet und fein Schickſal
beftimmt. Dies alles ift fo Zar, das Gegentheil davon ift jo
Menſchenfeindlich, VBernunft- und Schriftwidrig, daß ih mid
abermal3 wundere, wie je folde Zwilte und Scheibwände von
pharifätfchen Händen, die die Schlüffel des Himmelreichs beſaßen,
haben aufgeführt werden können. Selbſt die Juden, die jener
Römer odii humani generis convictos hält, Haben nicht aljo
geeifert und entichieden. — Indeß, m. Fr., wenn wir zun Ber-
26 danımen der Heiden feinen Richterftuhl haben; wer hätte uns den-
jelben zu ihrer Seligſprechung eingeräumet? Laſſen wir doch den
Bater der Natur fchalten und richten, wie Er will, nicht wie wird
für gut meinen. Er kann Zeiten der Unwiſſenheit überjehen und
wird Zeiten der gröbern Unmifienheit ahnden — — mas füm-
mert3 und? Chorazin und Bethjaida ift über Tyrus und Sidon
nicht Richter, fondern es ift ein härterer Mitbellagter.
Alſo it in diefem Betracht fein Streit zwiſchen Natur und
Schrift, zwiſchen Geſetzbuch? und Gewiſſen; aber wohl ift ein
großer Unterfchied zwilchen ihnen, der abermals nicht überjehen
werden muß. Natur ift das Werk Gottes; aber wie viel gehört
dazu, dies Werk zu verftehen? in ihm feinen Urheber zu fin-
den und genau alles das von ihm zu finden, was für uns ift?
1) zu verwifden, um wie ex thöricht gemeint bat, eine
2) Schrift, Geſetzbuch
— U —
Wie wenig hat der Künſtler mit ſeinem Werk gemein! und
Gott, der unendliche Künſtler mit ſeinem immer doch von uns nur
endlich zu überſehenden Werke! Er der Vollkommenſte; und uns
dünkts, wir fehen Unvollfommenheiten, Mängel. Er, der Eine,
der Hohe, Seligfte, Belte; und Hier anſcheinende Unfeligfeit, Tod,
Elend, Nichtigkeit der Geftalten. Er, die ewige Harmonie der 27
Harımonien; und bier und da jeltfame Verwirrung, Chaos. Welchen
Heinen Winkel bewohnen wir in der Schöpfung! und wie wenig
jehen wir in diefem fleinen! Winkel! Wie furze Zeit jehen wirs!
dur wie trübe Ferngläfer und Sinne! kommen und willen nid,
was wir waren, gehen hin und willen nicht, was wir ſeyn wer-
den. hr Bewohner andrer Welten, andrer Sterne und Erben,
wiffet ihr mehr? jehet ihr, was um euch liegt, mit eurem Ge⸗
ſchlecht, mit euch felbft und Gottes Natur in mehrerer Harmonie
und Ordnung? fehet ihr au nur Einen Ring, Ein Glied in
der Kette, worinn ihr jchwebet, vor- und rückwärts weiter ? Natur,
ſprich! Natur, du fchmweigeft. Ich ſuche mich blind in den Gejchöpfen
und finde fein Bild nicht; wie follte ichs auch finden, da er fein
Bild bat — und doch jehne ich mich darnach, als ob er meiner
Gejtalt wäre, wie nah einem liebenden nah verftedten Freunde,
deffen Nähe ich ahne. D dag mir Ein Laut feiner Stimme ſpräche!
und fiche! er ſpricht zu mir. Defien Geftalt ich nicht fehen Tann,
deſſen Väterlihes Wort Tann ich hören: er öfnet mir, mie in
der Kindheit, durchs Ohr mein Auge und meine Seele.? Väterlich
unterredet er fih mit mir, was ic in der Schöpfung zu fehen 28
babe? was ih in berfelben jey und feyn foll und ſeyn werde?
Nun wird mir der Heilige, ftumme Tempel lebendig, das ſchöne?
Chaos wird angehende Harmonie und Ordnung; wenigftens befomme
ich einen Leitfaden, mich durchs unermäßliche Gewirr diefer unüber-
jehberen Scenen an meinem Theil herauszufinden, herauszumin-
den. — Noch mehr. Die lehrende Stimme feines Auffchluffes,
— — — — —
1) kleinen verzogenen 2) durchs Ohr, Auge und Seele.
3) ſchöne helle
— 25 —
dieſer Mittelbegriff der Deutung und Beziehung aller
Dinge auf mih und mein! Dafeyn, den ich nimmermehr
gefunden hätte, und jegt nimmermehr verlieren werde; er wird ein
jo fanfter,,? väterlider Ton für mein Herz, wie es fein Bild,
feine Anſicht durchs Auge je? werben könnte. Die Stimme
wedt, wie Jeſaias fagt, mich alle Morgen und bejeelt mir
Harfe und Seele: fie weckt mein Ohr, daß ich höre wie fein
Jünger und nicht ungehorfam zurüdbleibe So hob fie
Adam von der Erde und öfnete ihm Ohr und Auge, lehrte,
ftrafte ihm und verließ auch fein gefallenes, niebergefunfenes
Geflecht nie. Eben in Zeiten der mühleligften Verwirrung kam
fie wieder, und ſchuf Weiſe Gottes, Heilige, reine, geliebte Seelen,
die fie empfiengen, die fie veritanden, die fie andern auszuſprechen,
29 ja fie mit* ihrem Leben zu befiegeln, bereit waren. Das Bud)
der heiligen Natur und des Gewiſſens ward dur den Commentar
der Tradition allmählig aufgeblättert, erläutert, erfläret.
Mit der Zeit wanden fi einzelne Wiffenfchaften vom großen
Knäuel los und die Vernunft der Menfchen fpann ihr feineres
Gewebe — So bei allen Völkern der Erde und bei Einem erwähl-
ten Volke nahm diefe Stimme große Zeiten hindurch eigentlichen
Wohnplag. Die Kette zwiſchen Gott und der Menſchheit war nicht
nur in der öffentlichen Einrichtung des Gottesdienſtes und Landes
bemerkt, jondern fie ward auch durch erlefene Werkzeuge jet und
dann von neuem gereihet, und ziehet ſich in der Geſchichte dieſes
Volks vom erſten Gliede des menfchlichen Gefchleht3 durch einen
andern Adam bis ans Ende des Menſchengeſchlechts hinunter.
Dieſer zweite Menſch, der Sohn und Lehrer, der aus des Ewigen
Schoos kam, brachte die kläreſte, dem menſchlichen Herzen
innigſte Stimme Gottes auf die Erde. Er ein Lehrer, mie
der Propheten feiner Nation feiner geweſen war, verlündigte bie
wahre Religion der Menfchheit, ftiftete Frieden zwiſchen Himmel
1) mein künftiges 2) wirb fanfter, 3) Anficht je
4) auszuſprechen und mit
— 26 —
und Erde, lehrte! und zeigte den Einen Gott der Natur und
Schrift, der Juden und Heiden; aller Menſchen Vater, aller
Sünder Helfer. So ſprach, ſo that er: ſeine Lehre gieng in viele 30
Länder? aus, zerſtörte Götzentempel und eitle Syſteme; der menſch⸗
lichen Vernunft aber half ſie auf, das Herz der Menſchen ſuchte
fie zu läutern und zu bilden? Wie verdorben und gemißbraucht
fie Jahrhunderte hindurch geweſen ift und* zum Theil noch ift, fo
daß fie fih mit Gräueln und Spigfünbigfeiten bedeckt gejehen und
beinah alled Welttheile mit Blut und Laftern überſchwemmt hat:
fo konnte fie felbit dies alles nicht werden, wenn fie an fi nicht
gut war. Es mußte ein koſtbarer, wirkſamer Trank feyn, der fo
ftarkes Gift ward: es mußte ein ſcharfes Werkzeug feyn, das die
menjchlihe Vernunft und Erfindungsfraft bis zu dein Grabe bes
Mißbrauchs jhärfen konnte. In ihren Lehren und Auffchlüffen
gut und groß und weile, tft fie die einfachjte und tiefite Aus-
legung der Natur; in ihrer Gejchichte der umfaflendfte Plan
fürs Ganze der? Menſchheit, und gewiß (denn Geſchichte Tann
1) Das Buch der heiligen Zrabition warb durch den Commentar ber
Natur und des Gewißens allmälich .... erlläret. Dit .... Wißenfchaften
108 unb aud die Vernunft der Dienfchen fpann ihr feinftes Gewebe — —
Nur dei Einem ermwählten Bolte nahm dieſe Stimme andern Weg und
große Zeiten hindurch eigentliden Wohnplatz. Im ihm ward ausgejchlofien,
was zur künftlihen, politiſchen Bildung gehört, und nur der göttliche
Theil im Menſchen bearbeitet. Die Kette zwilchen Gott und der Menſch⸗
heit warb immer nem gereyet: fie ziehet ſich in feiner Gefchichte vom erften
Gliede des menſchlichen Geſchlechts durch einen andern Adam, das Haupt
einer neuen Welt, bis and Enbe de8 Menſchengeſchlechts hinunter. Diefer
zweite Menſch, der Sohn und Jünger aus des Ewigen Schoo8, brachte die
nächſte, dem menfhligen Herzen innigfte Stimme Gottes auf die
Erbe. Er war ein Lehrer, wie ber Propheten feiner Nation keiner geweſen
war und bod die Summe, der Nachhall aller Propheten, hatte bie wahre
Religion des Himmels und der Erde, fiftete Frieden zwiſchen bei-
den, lebrte
2) in alle Welt 3) erheben. 4) geweſen unb 5) und alle
6) Geſchichte, wenn fie auch nur Roman wär, der umfaßendſte,
erhebendfte Blau der
— 121917 —
nur durch Gejchichte entwidelt werden,) die Entwidlerin unfers
ganzen Labyrinths auf Erden — —
Sie fehen, m. Fr., wie! fehr in dieſem Geſichtspunkt der
Zwiſt zwifchen Natur und Offenbarung fchwinde! ine wird die
friedlihe Erflärerin der andern, die Natur der Schrift, bie
31 Schrift der Naturoffenbarung. Diefe ift Tert, vielleicht an ſich
unverftändlicher Text; jene ift Gloſſe oder vielmehr des Textes
Auszug. Die Natur ift ein Patent Gottes für alle Völfer: das
Bud feiner Teftamente eine väterlihe Erklärung, eine geheime
Auslegung und Lehre für feine Hausgenoffien und Kinder. Jene
ift eine Offenbarung Gottes fürs Auge, unendlih, Mar, vielfach,
bleibend;? diefe ift eine vertraute Stimme Gottes für unfer Obr,
verftändlih, ſanft, liebreich. ans Herz dringend. Der Blinde
läugnet jene; der Taube diefe: und beide ſtimmen doch zufammen,
wie Aug’ und Ohr, wie Gegenwart und Zeitfolge.* Uebri-
gens will ich Feine Freundſchaft zwiſchen Vernunft und Dffen-
barung maden, die die Schrift nicht madt; noch weniger zwiſchen
verderbter Natur und Offenbarung. Da paßt vielmehr die Krank⸗
heit und der Arzt, die Armuth unſres Willens und die gütige
Almofe einer höhern Erfenntniß ſob gut zuſammen, daß ſchon nad)
Sirah und dem weifen Salomo beyde zufammen ſeyn müffen;
denn der Herz hats alfo geordnet. Wie verſchiedne und fich
einander entgegengefette Elemente machen in der Natur Gottes
Eine Welt aus!® Feuer und Waffer, Luft und Erde; follte es
in der höhern Natur der Haushaltung Gottes mit Geiftern der Men-
32 [hen anders feyn können?“ anders jeyn dörfen? Das Kreuz
Shrifti und die Unwiſſenheit der Weifen gehört da jo gut zufam-
men ald Nichts und Etwas, aus dem eine Welt ward — —
Sonft, lieber Jüngling, lobe id Sie, daß Sie fi Ihrer
Griechen und Römer fo warm annehmen. Wer wird von einem
1) ſehen, wie 2) blenbenb;
3) Gottes dem Ohr, einfach, ftill, Liebreich,
4) Ohr, wie jeßt und allmälich, wie degenwart und Zukunft.
5) Arzt, Armutb und Allmofe fo 6) Welt! 7) milffen!
— 8 —
Kenophon und Plato, Homer und Pindar, Plutarh und Cicero,
Seneca und Antonin,! ala Naturtheologen betrachtet, Talt reden ?
Was fie Gutes fagen, wer ſagts befjer? und wenn fie nit alles
lagen, oder nicht alles recht ſagen; Tonnten fie dafür? haben wirs
nicht anders woher reiner? — Alſo laſſet uns aud das Gött
liche,? das ſie durchgeht, würdig nutzen und den heiligen Tempel
des Unfichtbaren, den fie in der Natur verehrten, nicht durch
Läfterung® feiner Diener im Vorhofe fchänden. In manden
Griechiſchen Gefängen, in manden Entzüdungen des Sokrates bei
Plato und fonft in fchönen* Stellen des Plutarch, Maximus
Tyrius, Cicero u. a. find Stimmen, die einen Menſchen aus dem
Traum wecken müflen, wenn er irgend ein Gottes- Gefühl bat.
So find auch bei einigen Neuern, felbft in fehr® verjchrienen Natu-
raliften und Deiften Gefühle der Gottheit, Entwidelungen einer 33
ewigen Wahrheit, Harmonie und Tugend, die man in manden
jogenanntfrommen Büchern vergebens ſuchen bürftee Shaftes-
buri’3 Moralists 3. B. infonberheit feinen Lobgejang auf Gott,
habe ich Ihnen, dünkt mich, ſchon genannt, in Rouſſeau's
Glaubensbekenntniß und andern zum Theil übelberüchtigten Schriften
giebt3® dergleichen für die Philoſophie und Naturtheologie herrliche
Stellen. Behalten Sie alſo immer Ihre Heiden lieb, wie Sie fie
lieb gehabt haben und lernen Sie aus ihnen, was zu lernen ift;
weder Schrift, noch Gnade, nod Offenbarung verbeuts Ahnen.
Kein Heiliger wird Ihnen, wie dem Hieronymus im Schlaf erichei-
nen und Sie dafür, daß Sie den Cicero gelefen, geiffeln; ober es
wäre fein rechter Heiliger. Die Kirchenväter haben vieles aus den
Heiden genommen, und mander bat gewünfcht, daß fie noch mehr
aus ihnen genommen, und einige, jetzt verlohren gegangne Stüde
mehr damit aufbewahrt hätten; wir mollen uns dafür an denen
1) Antonin, fie 2) Ycıov,
3) verehrt haben, nicht durch Läfterungen
4) fonft fchönen 5) bei Neuern, felbft ſehr
6) Moralists, infonberheit .... genannt: in Roußeau, ja felöft in
des fogenannten Atheiften Spinoza Schriften giebts
34
— 299 —
noch geretteten erholen. Auch der ſchöne Platoniiche Enthufiagmus,
den Sie in Ihrem Briefe über einzelne Stüde diefer Art äußern,
gefällt mir fehr wohl, und id) weiß ihn mit nichts Beſſerm zu
belohnen, ald mit einer ähnlichen Begeifterung des Dichters, von
dem ich Ihnen vor einiger Zeit die Dde auf die Himmelfahrt
des Erlöſers zuſandte. Vergeſſen Sie jeht meinen Brief und
folgen ihn in feine ſchöne! Einöde. Bol von Ihrem Sofrates,
von dem auch Er voll ift, hören Sie zu:
Sofrates
oder
von der Schönheit.
Als jüngft der laue Mai mid in die Büſche brachte,
Und ih, voll von mir ſelbſt, mein eigen Herz burchbadhte,
Befiel mich Wachenden der Träume? Beilge Ruh.
Ich ſah den Sofrates,® als ſäh' ich das Vergnügen
In leiblicher Geftalt auf Phädons Schulter Liegen,
Ihm warf ein Ahornbaum gefühlte Schatten zu.
Ein Bad floß vor ihm Bin, der mit gebrochnen Güſſen
Sich ſchlurfend durch den Wald verlohr,
Und ftellte mir den murmelnben Stufen,
Des Achelou8 Duelle vor.
Er fang entzüdet* froh mit wunderbaren Tönen,
Und Phädon börte zu, vom allgemeinen Schönen,
Sein Ausbrud ftieg fo hoch, fo tief die Lehre war.
Hier in der Dämmerung noch unentweihter? Buchen
Will ich fein göttlich Lieb zu wiederholen fuchen,
D ftellete Dirs, Freund, mein ſchwacher Nachhall bar!
Dem würdiger als Dir, vor defien friichen Blicken
Der Schöpfung Anmuth' fichtbar Liegt:
Um jene ſchwebt ein Tieblihes Entzüden,
Wenn bier fi Geift und Herz vergrrügt.®
1) heilige
3) (Withof:) Träumen 3) W: ſahe Sokrates, wie (Withof.)
4) W.: Er fange lächelnd 5) W.: unbeneibter
6) O Freund, o ſtellte Dirs 7) Jugend
8) W.: Dir, Freundinn, ſtellt es ſich in neuen Arthen dar! Wem würdiger als
Dir? auf deren friſchen Bliden Des Geiſtes Schönheit ſichtbar liegt. Um jene ſchwebt
ein wallendes Entzücken, Wan der Bernunft und Witz vergnügt.
— 30 —
Gebüfche! rief ex aus, mit Fu bethaute Fluren!
Holdſel'ger Aufenthalt zufriedener * Naturen,
Wie gut verbirgft du mich vor der finnlofen? Welt!
In jenem Tummelplatz? erhitzter Leidenfchaften
Mag Habfucht, Gram* und Stolz an ſchlechten Scelen haften,
Wenn bier mein reger Geiſt zur Weisheit fich gefellt.®
Sie fliehen vor ſich felbft und graben aus ben Grüften
Das Gold hervor, die Rub hinein;
Indeſſen wirb® in diefen böbern Lüften
Mein Herz von ihrem Unmuth rein.
Schon als ich noch im Staub’ der niedern Atmoſphäre?
Getrieben von Geſpenſt der nimmerfatten Ehre,
Bon Lehrfucht tiefberaufcht, nach heller Thorheit lief,“
Gefiel mir nichts fo fehr, Als dieſe ſtillen Grünbe,
Es ſchien mir, ob mein Geift bier was zu fnchen finde,®
Ind ein verftedter Freund mich flüfternd zu fich rief!
Oft fühle ih, Daß ein Reiz, Hart wie Jacchus Säfte:
Allmächtig meinen Geift durchfuhr;
Ach! rief ich dann, ihr bier verborguen Kräfte,
Entdedt euch, ach entbedt euch nur!
Zum Irrthum alt genug, zur Wahrheit laum noch mündig,t?
Bon Prieftern irr gemacht, der Gottheit noch unklindig,
Nief ich die höchſte Kraft, obwohl unmiflend an.
Mein Herz gefiel ihr wohl ,!® das, eh es fie noch kannte,
Schon gegen ihre Glut mit Zärtlichkeit entbrannte;
Zuletzt ergab fie fi) und wieß mir ihre Bahn.
Ein fanfter Frühlingsweſt flieg von ber nahen Fichte,
Und Taufchend ſchwand ern vor mir fort;
Auf einmal fuhr mir etwas vom Gefichte,
Ih ſah — bier fehlen Klang und Wort.
1) W.: ermübeter 3) unfinn’gen
3) W : der unfinngen Welt! Der Stabt, ber (de?) Tummelplatz 4) Harm
5) W.: Laß Habſucht, Harm und Stolz an fchlcchten Leuten haften, Worunter fidh
mein Geift in Tugend wirlfam Bält.
6) W.: bleibt
7) U: der Zauber⸗Atmoſphäre W.: Staub der zauberiihen Sphäre
8) W.: Bon Lehrſucht ganz beraufcht, nach präctger Thorheit Lief,
9) W.: fünbe,
10) 4: Ich fühle, baß .... W.: Ich fühle, daß cin Heiz, flart wic des Liber Säfte
11) X: oft, (wie Withof.) 12) W.: nun erft mlinbig,
13) B.: gut,
14) W.: nächſten Fichte Und Iaufchend ſchwanlt' er
39
— 301 —
Nun ſchien mein alter Stand mir völlig unerträglich,
Seit ich die Schönheit ſah, (die ſeh ich jetzo täglich!)
Die, wie Aurorens Glanz, ſich überall erſtreckt.
Hier ſteh ich bloß vor ihr und frei vom finſtern Nebel,
Worinn der Haufe tappt und der gelehrte Pöbel
Großſprechend und doch tief! bis an den Scheitel ftedt.
Dann fteig’ ich göttlichlühn Hoch über dieſe Tannen,
Zur Schönheit ewigem Revier
Und komme ftet8 Liebtrunkener? von bannen
Und Geift und Sehnfucht bleibt bei ihr.
Ah Phädon, fiehft du nicht die hellen Bäche rinnen!
Entfeßle Deinen Geiſt von den zu groben Sinnen,
Komm! fleuh? an meiner Hand der Quelle jelber zu.
Getroft! Du wirft da nichts von alle dem verlieren,
Was Heinre Lüfte bir bier in die Sinne führen;t /,
Dort wallt ein Meer der Luft voll Anmuth und voll Ruh.
Hier wirft doch nichts fo fehr zur Yabung? als zum Reizen,
Da man dort zum Genufle gebt:
Wer wird, als Kind, nad) Einer Frende geizen,®
Wo jede Fröblichkeit entfteht?
Licht! Schönheit! höchſter Ban! Natur! Selbftftändig Wefen!
Geift! (oder, was Du Dir für Namen auserlefen,)
Bewegerl! ewge Kraft!? Du, die in allem lebt,
Wie ſtark biſt Du! wie groß! wie vielfach ausgegofien!
Auch Ich bin Deiner Art und von dir bergefloffen,
Und fließ’ in Dich zurück, wenn ſich mein Geift erhebt.
Ad, ich beicheide mich und dede meine Bloße,
Um Di allein gefall’ ih mir!
Ein Heiner Theil? der ungeheuern Größe,
Ein Theil, jedoch ein Theil von Dir.
Ganz herrlich, ewig jung, nie fähig zum Beralten,
In täglich fterbenden, ſtets werdenden Geftalten,
Bl Du das, was Du warft, ftetS voll und immer neu.
1) U: Großfpregeriih und tief .... W.: Großſprächriſch, aber doch biß an bem
Scheitel ftedt.
3) A: ftet®, fie liebender, von dannen W.: Rivier Und komm ftetd mehr in fie
verliebt von bannen
3) A: Sinnen, Und fleuch (wie Withof.)
4) W.: bier dir in die Sinnen führen; 5) W.: Wolluft
6) W.: Wer wirb doch da nach einer kindiſch geizen,
T) W.: Beweger! Tugend! Kraft! 8) W.: Nur bloß ein Theil A
— WM —
Hier treten Weſen auf; dort geben Weſen unter;
Du tilgft und zeugeft ſtets, ftet® wirfend, ewig munter !
Sorgft Du, daß jeder Tod ein Brunn des Leben fev.
Dort ſchwand die leichte Pracht? der abgelebten Floren;
Doch Floren folgt Bomona nad:
Und jene wirb von diefer neu gebobren,
Das Grabmahl wird ein VBrautgemach.
Wie tritt fie dort einher in jener hellen Ferne!
Die Schönheit, Gottes Kind, und um fie ber find Sterne,
Und Eonnen ftreuet fie, wie leichte Funken bin.?
Mein Geift verlieret fi in taufend Symphonieen,
In denen Welten dort, wie Gotte8 Heere, zieben:*
D daß ich nicht vor Luft foS oft zerfchmolgen Bin!
Doch nein! in meinem Thal ſtimm' idy mit beilger Feier
In jenen Klang nachahmend ein,
Ja ſchlummernd felöft ſoll meines Herzens Feuere
Ihr Opfer und ihr Abbild ſeyn! —
Doc Unerforſchliche! darf Dich Dein Liebling fragen?
Woher ergieht? fich Doch der Ocean von Plagen,
Der nur des Menſchen Herz mit Sammer ® überſchwemmt!
Nein, ewge Schöne, Du, Dir? kannt nichts Böſes zengen,
Dir if die Güte fo, wie uns das Uebel eigen,
Ich weiß e8, daß Dein Haß nicht unfern Glücksſtand hemmt.
Des Körpers ie innrer Bau, ber Glieder äufre Hillle,
Der Geift, wie fchön find fie gemacht!
Nur unfer Herz, der widerfpenft'ge Wille,
Berläßt Dein Licht und fucht die Nacht.
Allein umfonft, umfonft hat er fein Her; verfchmoren!
Du Schönheit haft Dein Hecht noch nicht auf!! ihn verlobren,
Er fucht und lobet Dich auch wider Willen noch.
1) W.: wirlend und fieta munter 2) W.: ſchwindt bie flilchtge Pracht
3) W.: Wie trit fie da einher in der erbellten Fernel Zu zeugen ihrer Pracht ver-
güldet fie die Sterne Und Sonnen fäht fie da wie leichte Körper hin.
4) W.: Wonach die Kugeln bier wie prächtge Heere ziehen:
6) W.: fon
6) U: In ihren Klang... . Im Schlummer au .... W.: flimmt meine beilge Leier
In ihren Klang nachahmend ein, Und bei der Nacht Nachte] felbft muß mein gebeimes Feuer
7) A: ergeußt (wie Witbof.) 8) W.: Elenb
9) W.: Nein ewge Schönheit, nein, bu 10) W.: Der Theilen
11) W.: Recht nicht ganı auf
43
— 38 —
Kaum fieht er Deine Glut auf jugendlichen Wangen,
Wie Hopfend bleibt fein Herz an ihrem Burpur bangen!
Er wird ein Sklav' um Di und trägt ein ebern Joch.
Ie mehr fein Innerſtes der Schönheit Glanz verbrungen,
Je mehr gebt er der äußern nad:
Er taufchet fie, durch ihren Werth bezmungen,
Mit! Jahren voll von Ungemad.
Bon Thoren nie gefehn, die Nacht und Traum bebeden,
Wirfſt du, fie gleichwohl noch zur Einficht zu erweden,
Dein Leben und Dein Licht auf alle Wefen bin.
Sie zwingt Natur und Kunſt ſich Tiebend? zu verweilen,
Und wo nur Ordnung berrfcht, auch in den Heinften Theilen,
Da wirft Du, Schönheit, felbft dem Triebe Lehrerin.
So labeſt Dur den? Geift an taufendfadhen Bildern,
(Denn Schönheit nährt die Geifter ja!)
Und hört er auf, fich ferner zu verwildern,
Wie ſchnell find Kraft* und Leben bal>
Ja Phädon, wille Du, ein Geift, den Tugend leidet,
It Gottes ſchönſtes Wert, unde wirb mit Recht beneibet,
Denn Tugend? ift ein Schat, ber Kronen überwiegt,
O ewge Schönheit, geuß, geuß Deine ftarle Fluten
In meines Freundes Bruft, fie find ein Strom des Guten,
Bor deflen Duelle fih mein Geift anbetend fchmiegt.
Wie Licht und Wärme dort aus jener Flammenſphäre,
Quillt ächte Weisheit nur aus Dir!
Und tehrt zurüd, wie Ströme zu dem Meere,
Zurück in Dich und ich mit ihr.*
— — — — m
1) W.: Von 2) W.: verliebt ſich
3) W.: ſelbſt den Trieb zur Lehrerinn. So labſt bu noch ben
4) W.: Höhrt er dan auf, fi ferner zu verwilbern, Go find noch Kraft
5) Hier find vier Strophen des Originals ansgelaffen.
6) W.: Kann nimmer ſchöner ſeyn, und 7) W.: DO: Tugend
8) W.: Geuß, ewge Schönheit, doch, geuß bu doch ſtarle Fluten In meines
Bhädons Bruſt, fie find eiu Theil vom Guten, Warum allein mein Geiſt ſich betend
vor dir [hmiegt. Wie Licht und Wärme nur aus jener Flammenſphäre, Quillt wahre
Zugenb nur aus Bir; Und lehrt zurüd, wie Wlüffe zu dem Meere, Und jließt in
dich und ich mit ihr. (Die geiperrten Worte au in 9.)
— 304 —
Acht und zwanzigfter Brief. 4 r
Schämen Sie fih Ihrer Empfindung nit. Es wäre ein
übles Zeichen, wenn Sie ſowohl bei diefem Gefange, als bei den
Gefprähen, die ich Ihnen fonft nannte, unempfindlich geblieben
wären. Im Alter wird die Seele kalt, und! der Schwung bes
Enthuſiasmus nimmt ab; wir werben durch fo mancherlei traurige
Erfahrungen aus der idealiſchen in die Körperwelt, oft in eine
fehr dürre oder unreine Welt zurüdgeftoflen, daß uns der Aufflug
in die blumigen Gegenden der Phantafie wohl vergehet; mehe ?
aber dem Sünglinge, deflen Herz und Sinn für die Reize der
Natur, für die Schönheit der allgemeinen Wahrheit und Tugend
verichloffen ift, der an die Sonne des Himmels mie an einen
falten Fels denket. Ich wünſche mir noch oft die Stunden jener
eriten, Süßen Begeifterung zurüd, da in den Wiſſenſchaften mir
Alles neu war,? da die Wege des Studium und bes Lebens wie
holde Auen im Glanz der Morgenröthe vor mir lagen und ih
noch feine Schlangen, Dornen und Difteln fannte, die leider auch
zu ihnen gehören.
Indeſſen würden wir auf zu weite Abmege gerathen, wenn
ich Ihnen nach einer fo leichten Veranlaffung meines letzten Briefes 45
jest von mehrern fogenannten Naturtheologen* Rechnung able-
gen fol. Bei denen, die ich genannt habe, und über die Sie ein
ausführlicheres Urtheil wünſchen, mags6 feyn; im Anfchung der
Vebrigen wäre es ein zu weiter Spabiergang. Ä
1) kältet fich bie Seele und
2) dürre und fohlammige Welt zurüdgefoffen, daß uns endlich ein
neuer Aufflug dauert; mebe
3) Stunden erfter, füßer Begeifterung, da .... Alles noch
neu war,
4) Indefien flhren Sie mid auf zu weite Abwege, wenn ....
Naturtbeologen, worunter Zie ja auch felbft Deiften zählen,
5) genannt babe, mags
Mih dünkt, e8 müßte ein Thor ſeyn, der dem Lord Shaf-
tesburi einen feinen, ſchönen und gewiß philofophilchen ! Getft
abſpräche. Alle Aufſätze feiner Characteristik’s tragen davon
Spuren; feine Sittenlehrer? find davon voll. — Eins der
wenigen Stüde der Neuern, die man, ſowohl der Compofition als
dem Inhalt nad, den. Alten zur Seite ſetzen könnte. Faft möchte
ih jagen, dag man in ihm alle Blüthen der Leibnigifhen Philo-
fophie (ohne die Spielhypotheien defielben) dazu im jüngften fchön-
ften Slor blühen fehe, ja daß? ein neuer * Plato in ihm vebe.
Zweene feiner beften Schriften*) fcheute Spalding fih nicht zu
46 überfegen, und mich dünkt, der ſchöne Ton, der in Mendels-
ſohns Briefen über die Empfindungen bherricht, ift ein
jugendlicher glüdlicher Nahhall des Engliſchen Philofophen. Vor
einigen feiner Paradoren:? z. €. Laune und Wit fey der befte
Prüfeftein der Wahrheit u. f. hüten Sie fih; er hatte fie felbft
halb 8 in der Laune des Scherzes gefagt und nachher gnug befchränft
und zurüdgenommen. ch weiß alfo faum, warum er bey Eng-
ländern und Deutichen unter den Deiften ftehet; wahrſcheinlich
wegen einiger Spöttereien, die er fich in feinen früheren Schriften
gegen mande ungeſchickte Vertheidiger ihrer fogenannten Religion
erlaubte.” Daß Scherz fein Prüfeftein der Wahrheit fey, hat
*) Die Sittenlebrer und Unterfuhungen über die Tugend,
Berlin 1745. Nachher find ſämmtliche Schriften dieſes Berfaflers überfegt
eribienen: Shafteshuri philoſophiſche Werte, iüberfegt von Voß,
Leipz. 1776. %
1) &8 müßte .... Shaftesburi z. E. einen feinen, |fhönen und
wahrhaftig philofophifchen („Mich dünkt,“ fehlt.)
2) Moralists
3) daß in ihm alle .... dazu eben aufgebrochen im jüngften, fchön-
fen Slor blühen und daß
4) Mſe.: neuerer 5) Für einigen feiner Paradorien:
6) er bat fie Halb
7) Deutſchen (e8 fei benn, daß Deift ein Ehrenname feyn follte)
unter den Deiften ſtehet. („mahrfceinlihd — erlaubte.” fehlt.)
1) „Die Sittenlebrer — Leipy. 1776.” feblt.
Herders fämmtl. Werke. X. 20
— 306 —
Bromn, der berühmte Cenſor der Sitten, ſehr eifrig ! gezeiget;
auch der gutmüthige feine Berfelei zieht ihn in feinem minute
Philosopher Dialog. III. darüber durch — andre Gegner der Dei-
ften ? zu geſchweigen. Auch wegen des Sabes, daß man bie
Tugend um ihr felbjt willen lieben müſſe, bat man ihn ſehr
getadelt, den doch die Enthufiaften der Religion und Yenelon
ſelbſt behauptet ? Haben. In feinem Lobgeſange auf die Natur ſoll
er gar ein Aheift, ein Pantbeift * ſeyn, (mozu Gundling alle
Weifen des Alterthums machte) den Herren entfallen die Namen,
nachdem fie ihre Schlafinüge fchütteln. Gnug, m. Fr., leſen Sie 47
ihn mit Vernunft und Unterfcheidung; deßwegen aber, in dent,
was cr Feines und Schönes hat, mit nit minderm Gefühl
für Wahrheit und Humanität, die Blüthe aller menſchlichen Tu⸗
and — —
Ueber Rouſſeau werde ich vielleicht härter denfen, als Sic
glauben, wenigftens bin ich fein jo blinder Roufjenu » Verehrer,®
daß ih, wie viele, ihn ich weiß nicht für welchen Hinmelsge-
fandten, den volllommenften Erflärer und Märtrer menſchlicher
Wahrheit u. f. Hielte, mich dünkt, er war mehr Märtrer feiner
Krankheit, feines philoſophiſchen Egoismus und einer fonderbaren
menjchenfreundlich = menfchenfeindlicden € Laune. So beredt er iſt,
jo oft declamirt er, infonderheit von fich felbft, jenen großen
Moi, das feine Statue zuerft ausſpricht;“ aud find einige feiner
Hypothefen, in der Allgemeinheit, in der er fie vortrug, ob er fie
gleih nachher immer ® mehr einfchränkte, wohl nicht zu retten
1) Sitten, der ſich nachher ſelbſt den Hals abſchnitt, eifrig
2) Deiften= Gegner
3) die größten Enthufiaften der Religion und ſelbſt Myſtiler behauptet
4) Atheift, Pantbeift
5) Gefühl der Wahrbeit und Liebe -— —
Roußeau. Ich bin kein Roußeau-Verehrer,
6) und feiner menſchenfreundlich-menſchenfeindlichen
7) fo fehr declamirt er, .... dem erften Wort, das jeine Statue
ausſpricht;
8) vorträgt, und nachher nur immer
— 307 —
geweſen. Im Reich der Todten aber wird ſelbſt ſein Feind Vol⸗
taire! ihm nicht mehr läugnen, daß er ein ſtarker kühner Geiſt,
ein beredter Mann und ein ſtrenger, eifriger Liebhaber deſſen
geweſen, was? Er für Wahrheit anſah. Seine Beredſamkeit,
48 ſein Haß gegen die Laſter der Geſellſchaft und der Gelehrten, ſeine
feurige Liebe zu einem Ideal von Tugend und Redlichkeit, ob er
ſie gleich mit faurer Sonderbarfeit vermengte, werden ihn immer
ala einen Coloffus unter den Schriftitelleen unfers Jahrhunderts
daritellen, von dem es Schade ift, daß jugendliche Fehler und
Unglüdsfälle ihn in mandem Gefühl für fein ganzes Leben ver-
darben und die Blüthe feine® Daſeyns zu einer herben Frudt
machten? In diefem Betracht find feine Confessions, die ich
Ihnen indeſſen jet noch nicht zu lejen rathe, das warnendſte Bud)
für einen jungen Menſchen, das jeyn kann. Es zeigt nicht nur,
was für einen böjen Einfluß Verirrungen der Jugend aufs
ganze Leben haben, und welchem gefährlichen Labyrinth man fid)
ausfege, jobald man ohne Grundfäße die gemeine Bahn der Gefell-
Ihaft verläßt: fondern bei Rouſſeau felbft wirds offenbar, aus
welchen trüben, traurigen Quellen der Schimmer jener Lieblings-
grundjäge gefloffen ſey, den man nachher in feinen Schriften
bewundernd anftaunte.* Wenn Sie alfo einmal jeine Schriften
leſen, (no Halte ichs nit für gut und nöthig) fo Iejen Sie
fie nit anders, als hinter feinen Gonfeffionen. Die erften
als ſchöne Declamationen eines vom Wege verirrten Einſamen
49 über ein paradores Thema; mas Wahrheit in ihnen ift, wird
jih Ahnen Theilweiſe doch aufbringen und Gie werden dieſe
eingejchränktere, bewährte Wahrheit defto mehr Tieben.® Sein
Emil ift voll von® Beobachtungen und Lehren für die Menid-
1) Voltaire es 2) das
3) Schade iſt, daß er in keiner andern Nation und Sprache lebte.
4) „In dieſem Betracht — anſtaunte.“ fehlt.
5) Iefen Sie fie, zumal die erften als ſchöne Declamation über ein
parabore® Thema: die Wahrheit wird fi Ihnen .... diefe ‚defto mehr
lieben. 6) voller
20 *
— 308 —
heit: fein Glaubensbefänntniß des Savoyiſchen PVicars in dem-
jelben bat jchöne Stellen über Gott, Gewiſſen, die Stimme !
der Natur und die Vortreflichfeit des Evangelium, bei allen Zmwei-
feln, die er dagegen vorträgt. Diefe haben ihm Verfolgung zuge-
zogen, und fein ſonſt nübliches Buch dem Teuer überantwortet ;
fie ftehen aber in hundert andern Büchern, die überall geleien
werden und beziehen fi meiltens auf den Hauptzmeifel, daß bie
geoffenbarte Religion nit allgemein fey, welches fie auch, als
Geſchichte, offenbar nicht feyn konnte und ſeyn wollte.” Uebri-
gens leſen Sie zu des Rouſſeau Lobreven auf die natürliche Reli-
gion auh Möfers Brief an den PBicar:*) er giebt fein Wort
für die poſitive Religion auf feine Weile; wie denn auch wirk⸗
lich jener Lobpreifende Traum mander Deiften vom Glanz des
allgemeinen Naturlihtse und der allgemeinen Natur - Reli:
gion, der Geichichte der ? Menſchheit nach, nichts ala ein glänzen-
der Traum jeyn dürfte. Wenn haben die Menſchen ſolche natürliche
Religion in aller Reinheit und Würde * gehabt? welche Menfchen ?
und feit mann? wie lange? Und melde Menſchen unter ung
find gefickt, fie zu Haben, fie zu? bewahren, immer darnad)
zu handeln, ja nur ihre gepriefene SHimmelflare® Schönkeit,
Harmonie und Neinigfeit recht zu bewundern? Alle foldhe
Saden in Rouffeau, und feines gleihen muß man, ohne
den Werth der Abjtraction felbft zu?” verfennen, wie Utopilche
Plane Iejen.
*) Schreiben an den Savoyiſchen Bilar, Bremen 1777.
1) Bicars hat fchöne Stellen Liber Gott, Gewißen, Stimme
2) welches fie, auch nur als Geſchichte betrachtet, offenbar wicht
gleich feyn fonnte,* wielleicht aber, was wißen wir? einmal feyn wird.
*(Eitat wie oben) ’
3) wirflih der Loberhebende Traum jener Herren vom Glanz bes
allgemeinen Naturlichts, der Gefchichte und Beſchaffenheit ber
4) in ſolcher Reinheit und Fülle 5) haben, zu
6) ihre Himmelklare
7) ohne ihren Werth zu
50
— 309 —
— — Aber nun genug, m. Fr., denn über die Schriften ber
andern Philofophen Iafje ich mich jett mit Ihnen nicht ein; * Gie
haben andre, unjchädlichere, nötbigere Bücher für jet zu leſen.
Bon Einigen derer, die Sir mir genannt haben,? z. €. von Hume,
Helvetius, Bolingbrofe, Voltaire, halte ich, fie als Philo-
ſophen betrachtet, jo gar viel nit; nur dauert? mich freilich, daß
fie in manchen Antibeiftiichen Syitemen und Wörterbüchern ſchnöde
abgefertigt und faft immer mit Leuten zujammengejeßt werden, bie
weder an Geift noch Abficht das mindefte mit ihnen gemein haben.’
51 Muß es nicht jeden billigen Mann, der diefe Namen anders als
aus Wörterbüchern und Kegerregiftern kennet, beleidigen, wenn ein
Montesquieu und der Narr La-Mettrie, ein Shaftesburi
und Chubb, der ernfte Rouſſeau und der Spötter Voltaire,
in bunten Triumphe neben und durch einander Schau geführet
werden ? ja daß oft ein Menjch über fie, als über die elendeften
Schriftfteller, das Urtheil Spricht, der faum ihr Abichreiber zu feyn
werth wäre.* In unferm Jahrhunderte ift das nicht nur belei-
digend, jondern auch läherlih und ſchädlich. Einmal gelten dieſe
Männer, ein Montesquieu, Rouffeau, Shaftesburi oder
auch Hume, Bolingbrofe, Voltaire in der großen Welt, mas
der Hr. Doctor vielleicht nicht gelten; und wenn aus dein Munde
des Doctor der Paftor 5 nun dergleichen Urtheil weiter, in die
Geſellſchaft, in Bücher, fogar vielleicht auf Kanzel und Altar
bringt, fo Hat er der guten Sade damit eben nicht geholfen.
1) Im Mſe. folgt bier durchſtrichen: „felbft über das Lehrgebäude
Spinoza nicht, von dem ich künftighin Ihnen einiges zu fagen Luft Hätte.
Diefe Schriften find jest für Sie noch nicht zu leſen.“
2) andre, gewißere, unfchäblichere, nöthigere Bücher. Bon Einigen
.... genannt,
3) Wörterbüchern fo ſchnͤde .... immer Leute zufammengefeit wer-
ben, die .... mit einander gemein haben.
4) und ver Lichterzieher Chubb, .... Voltaire, der mit ihm feine
Ader gemein bat, .... Schaugeführt werden? und ein Menfh .... ber
faum den Staub ihrer Füße zu Ieden werth ift.
5) des Hrn. Doctors der Hr. Paftor
— 30 —
Ucberhaupt, m. Fr., Schweigen Eie von diefen Leuten, ehe Sie
fie felbft gelefen Haben; ! auf den index expurgandorum und das
Zeugniß eines Inquifitors verlaffen Sie fih nie.? Hören Sie die
Gründe Ihres Anti - Deiftifchen Collegii; die Geſchichte und den
Geiſt einzelner diefer Schriftfteller müflen Sie aus ihren Schriften
ſelbſt kennen lernen, zu deren Prüfung aber ein fchon geſetzter 52
Berftand gehöret.
Folgen Sie aljo meinem Rath und drängen fi nicht vor-
eilig zum Leſen folder auch berühmten und glänzenden Schriften,
die gegen die Religion gefchrieben mwurben;? möge fih an der
Lecture der Collins, Tindals, Tolands, Morgans, Chubbs,
MWoolitons, d'Argens und Conforten erbauen, wer da will,
wer dazu Amt und Luft bat. Mich freuets fehr, daß die Periode
vorüber ift, da Alles von diefen, zum Theil fehr unmürbigen
Namen ertönte und man mit den Bilbniffen diefer Leute und mit
ihren Widerlegungen Kaften und Keller ſchmückte; auch wünſche
und boffe ih, daß die Zeit bald kommen werde, da man die
bliendendern Namen eines SHelvetius, Hume, Diderot,* in
Urtheilen und Sachen diefer Art auf ihren rechten Werth ein-
Schränken werde. Was follen überhaupt Schriften diefer Gattung,
wenn fie auch fonft die ſcharfſinnigſten und reizendften mären, 5
in den Händen eines zu bildenden Jünglings? Was fol er an
Montesquieuß Geift der Geſetze, an Hume’s Zweifeln
gegen alle Gemwißheit und Moral der menfhlihen Erfennt-
niß, an Helvetius Wetterleuchten des Eſprits (wie Mendels-
john fein Buch nicht unrecht bezeichnet) an Diderots Fiſch, derzg
nicht für alle ift, an Bolingbrofe’s unhiſtoriſchen Zweifeln
1) gelefen; 2) nicht.
3) Geift einzelner Deiften werden Sie daraus felten kennen lernen — —
Verſtehen Sie mid) indeß nicht unrecht. Ich wünfche nichts meni-
ger, als daß Sie fih zum Leſen folder Schriften drängen, bie gegen bie
Religion find;
4) Diderot, von denen jeßt alles tönet,
5) Schriften der Art, wenn fie auch fonft die beften wären,
— 311 —
gegen die Jüdiſche Geſchichte und endlich gar an Voltärs Evan—
gelium leſen und lernen? —ı Es iſt ein unabſehbarer, Schade
und Verderb des Jahrhunderts, daß jetzt Alles Allerlei, fo ver-
miſcht und unordentlih und ohne alle Grundfäte liefet. So wars
nicht bei den Alten: daher dachten und fchrieben fie auch anders.
Ihre Denkart nährte fih an Wenigem und dem Belten: fie feste
ſich inſonderheit in der Jugend erft veft, ehe fie fih ſchmückte.
Werden Sie hierinn, lieber Jüngling, auch ein Alter. Halten Sie
fih an das, mas Ihnen gute Grundſätze, eine vefte Dent- und
Schreibart giebt; und laſſen Dagegen den ? abwechſelnden Flitter⸗
ſtaat der Zeiten einen jeden, der fih damit fchmüden mag. In
Bauıngartens Bibliothef, in Lilienthal und Leland finden
Sie fürs erfte foviel, als Sie von Ddiefer Leute Meinungen zu
wiffen brauchen; jodenn lefen Sie etwa bie beften Schriften ihrer
Gegner, 3. E. Berklei's Alciphron, (ein feines und ſchönes Bud),
nur ſchlecht überſetzt im Deutichen) Stelton’3 Gefpräde, Bent-
lei, Fofter, Littleton, Weſt, allmählig. Ach fage: allmählig:
denn fo wie das zu viele Lejen überhaupt ſchadet: fo ſetzt infon-
54 berheit das Leſen mancher ſchiefen Rechtfertigung eher ſelbſt Zwei⸗
fel in den Kopf, als daß es ſolche wegräumte. Sichern und ver-
wahren Sie ſich zuerft ihre Religion durch eigne Weberzeugung ;
alödenn laflen Sie die Feinde an fih fommen, ohne daß Sie
folde aus Uebermuih ſuchen wollten. — —
Uebrigens wünſchte ih, m. Fr., daß ih Ahnen durch meine
lange Deduction wenigſtens jene edle Befcheidenheit gegen manche
zum Theil verdienſtvolle Namen, die nicht mit gleiher Schuld in
diefem Negifter ftehen, einflößen und Sie injonderheit vor der
religiöfen Kedheit, vor jenem hochmüthigen Trog bewahren könnte,
der gewiß niemand weniger al3 einen Theologen und PVertheidiger
des Chriftenthbums leidet? Was ſolls 3. E. beiffen, daß mir den
1) leſen? was an ihnen lernen? —
2) vefte Schreibart giebt und laßen Sie den
3) denn das zu viele Lefen ſchadet und das Lefen mancher ſchiefen
Rechtfertigung fett felbft Zweifel in den Kopf. Sichern .... ihre Heli»
Namen Deift zum Schimpfs und Elelnamen gemadt haben?
Sind goir denn Feine Deiflen? Alſo Atheiften? Tritheiften ?
Polytheiften? wie wären wir zufrieden, wenn man uns einen fol=
hen Namen gäbe?! War Chriftus nicht jelbft, im reinften ? Ver-
Stande des Worts, ein Deift? und mars nicht fein Zwed, die
Seinen zu reinen, volllommenen Deiften, d.i. zu Dienern und
Kindern Gottes, volllommen, wie der Vater im Himmel vollfom-
men ift, zu mahen? War nicht Deismus, der Glaube an 55
Einen Gott, die Grundlehre der Religion des alten Bundes ?
und iſt fie nicht Grundlehre jeder nüslichen, bildenden Religion
auf der weiten Erde??? Wenns aljo Leute giebt, die die Wahr⸗
heiten ber natürlichen Religion mit mehrerm Fleiß juchen, orbnen,
bemeifen, ans Herz legen, jelbjt wenn fie auch von der Geſchichte
und den Lehren einer geoffenbarten Religion abftrahiren ;* find
fie deßwegen Schimpfes-wertH? Sind Sofrates, Zenophon,
Plato, die Pythagoräer, Cicero, Epiktet, Antonin u. f
Schimpfes - werth,, daß fie die Wahrheiten ihrer Religion und Moral,
jo fern fie fie einfaben, zu gründen, zu bewähren, zu verbinden
ſich rühmlichſt beitrebten? Hat die menſchliche Vernunft, hat felbit
die Chriftlide Religion dadurch gemonnen oder verlohren? und
warum betrachtet man jene, die zu unferer Zeit leben, nicht auch
ala Griechen und Römer? Laſſet fie ihr Werk treiben! treiben
fies gut, fo iſts der Chriftlichen Religion gewiß nicht ſchädlich;
treiben fies übel, fo ift ja auch der Schade ihr und die Religion
zieht fi in ihr eignes, befferes Gebäude. Sind fie Philo-
fophen rechter Art: fo werden fie ein Gebäude unbefehdet Lafjen,
gion: alsdenn .... kommen, ftatt daß Sie fie ohne Veranlaßung aus Ueber-
muth fuchen wollten. — —
Meine Abfiht war nur, Ihnen Beſcheidenheit gegen .... einzuflößen
und Sie vor der religidfen Kedheit und dem hochmüthigen Tot gegen fie,
fo lange Sie infonderbeit Iüngling find, zu bewahren.
1) Atheiften? oder Tritheiſten? Bolytheiften? und wie ... .. wenn
man uns fo nennte? 2) reinen 3) Religion der Erbe?
4) abftrabiren wollten; 5) Mie.: man denn
— 313 —
das nicht auf Abſtraction, ſondern auf Geſchichte gebauet, und
56 alſo nicht ganz ihr! Eigenthum iſt. Kommen ſie in unrechten
97
Angriffen dagegen: fo weile man fie ab; nur mit rechten, ehr-
lichen Waffen, nicht mit unterlegten Minen; font beraubt man fich
ja ſelbſt ſeiner — wo nicht Bürger, jo doch Unterthanen, Hand-
langer und Mitarbeiter. Geſetzt, fie Hätten lauter verſchimmelt
Brod in ihren Taſchen; lich doch Joſua die Gibeoniten mit ihrem
verfchimmelten Brod Ieben und machte fie dafür zu Holzipältern
und Waflerträgern am ? Tempel. Ich dächte, wir machtens, wenn
fie übrigens friedliche Menſchen und nützliche Bürger find, aud
fo, und bie Vernunftbeweife mögen das Holz und Waſſer feyn,
das fie uns zu unferm Opfer mit großem Nußen und nicht ohne
unfere Bequentlichkeit fo reichlich zutragen.? Leben Sie wohl.
Der neunzehnte Pſalm.“
Die Himmel erzählen Jehovahs Ruhm;
Die Sternenhöhe verlündiget5 fein Werk.
Der Tag den Tage, Die Nacht der Nacht
fagen® und ftrömen Erfenntniß fort.
Es iſt nicht Spracde, es ift nicht Wort,
daß man nicht etwa vernäbme® den Schall.
In alle Lande tönt ihr Klang;
zum Ende der Erden fpricht ihr Lied,
wo das Zelt der Sonne ruht.
Aus dem fie? tritt, wie ein Bräutigam
aus feinem Brautgemach;
und freut fih, wie ein rüftiger Helb
auf feine Siegesbahn.
Bom Ende der Himmel geht fie aus,
gebt bis ans Ende deſſelben bin,
und füllt die Welt mit Glut. — —
— —
1) das auf Wunder und Geſchichte gebauet, nicht ihr
2) zum 3) Opfer zutragen.
4) Beilage. („Der — Pſalm.“ fehlt.) 5) zeigt 6) Börte 7) Daber fie
— 314 —
Auch unſer: Geſetz Jehovahs iſt
Tadellos, und berichtigt den Verſtand.
Jehovahs Zeugniß iſt bewährt?
und macht die Einfalt weiſe.
Die Gebote Jehovahs ſind gerecht
und erfreun das Herz.
Lauter find die Befehle Ichovahe,?
ein erleuchtendb Licht dem Auge.
Die Kurt Jehovahs, fie ift rein,
und bleibt in Ewigkeit.
Jehovahs Ordnungen find Wahrheit
und fie rechtfertigen ſich.
Sind köſtlicher als Gold und Edelſtein,
find füßer noch al8 Honig und Honigfeim.
Dein Knecht wird durch fie aufgeflärt,
und wer fie hält, hat großen Lohn.
— — — —— —
Keun und zwanzigſter Brief.
Allerdings ift Dogmatik eine Philofophie und muß als folde
ftudirt werben; nur eine Vhilofophie aus der Bibel geſchöpft und
diefe muß immer ihre Duelle bleiben. Was man au zur Ber:
theidigung jage, jo wars eine falſche Methode, als die Wolftfche
Philofophie fih cine Herrihaft über die Theologie anmaaßte, ihre
Definitionen in jeder Lehre zum Grunde fette, Daraus berleitete,
was ihr gefiel, und nun hinten nad einige biblifche Sprüche zur
Schau führte, die? auch ohngefähr dafjelbe Jagen möchten. Diefe
Behandlung war im Grunde nicht beifer, als die Ariſtoteliſch⸗
Scholaftiide in den mittlern Zeiten; denn ob Ariftoteles oder
Wolf? thut nichts zur Sade. — —
Unftreitig ift bier die Philologiſche Methode beffer, die
zuerit, recht gewählte und Hinlänglich erflärted Sprüche voraus-
1) (Doc unfer) 2) ift vol Treu 3) Der Befehl Jehovahs, er ift lauter,
4) die fo 5) gewählt .... erklärt,
— 315 —
fegt und aus ihnen mit gefundem Beritande Lehren folgert und
fammlet. Wir haben denen Dank, die diefe Lehrart gerettet und
60 beftätiget haben, auch allen denen, die in ihr fortgehen und immer mit
mehrerm Fleiß Sprüche zu wählen, Lehren zu fimplificiren, zu erläu=
tern, zu begründen juchen. In unferer Kirche brach Melandthon,
ein eben fo guter Philofoph als Philolog, die Bahn und machte einc
Menge Schüler. Als diefe von einer abermaligen Scholaftif überjchrieen
wurden, brach Calirtus und feine Gehülfen wieder zu einem befjern
Wege durd. Die Freigeifterei ftand auf; ihr entgegen fette fich die
Philoſophie veſt. Dieſer entgegen regte fich der Pietismus und alles
gährte fo lange durch einander, bis fi mit Hülfe der Sprachen und
des gefunden Berftandes die Philologiſche Lehrart jegt emporge⸗
ſchwungen und mande Fehler ihrer Vorfahren glüdlich verbeflert
hat. Biele unnübe Terminologie ift meggejtreift; mancher fröm-
melnde Unfinn ift zu richtigern biblifchen Begriffen erhellet, andre
Lehren find befjer georbnet worden, und überhaupt wird der Lehr-
ling zum literarifden Verſtande der Bibel forgfältiger ange:
führt, welches unzweifelhaft und gewiß in feiner Art aut ift. Ob
man dabei nun abermals nicht etwas Anders verfäume? ob nicht
manche Lehren überhaupt (auch) ohne darüber predigen zu wollen)
zu troden vorgetragen werben, fo daß bei der an fich unentbehr:
61 lihen Wortkritik oftmals die Sade felbit, ihre Bejchaffenheit,
Wichtigkeit, Würde, Nutzen, Gebrauh, Anmendung, kurz bie
Realität der Dogmatif etwas bintangefegt werden? — Beinahe
jollte man dies aus manchen Beifpielen der Jünglinge, die von
Akademien kommen, vermuthen.! Gie, m. Fr., vergeflen gewiß
Ein3? über dem andern nit. Treiben Eie nit Worte, als ob
feine Sachen dazu in der Welt vorhanden wären. Handhaben Sie
1) frömmelnde Unfiun zu .... erhellet: andre Yehren befer georbnet
und .... angeflihret, welches unzweifelhaft aut if. Ob man babei nicht
0... berfäune? ob nit .... zu trocken, nadt und kalt vorgetragen, bei
der an fih .... bintangefeßt merden — follte man aus manden .... fom-
men, faft vermutben.
2) vergeſſen Eins
— 316 —
die Bibel nicht, ala ob durch Ihre Kritik erft eine Bibel werden
müßte; — dieſer kritiſche Vorwitz fchadet der Weisheit, Wahrheit
und Nutzbarkeit Ihres ganzen dogmatifch-biblifhen Studium mehr
als Sie denken. Es wäre übel, wenn dur Ihre Bemühung erft
eine Bibel oder eine Dogmatif! würde! und fo muß c3 nicht vor-
theilhaft feyn, wenn Sie an Ihrem Glaubensbuh nichts als eine
Fabrik dergleihen curarum academicarum haben. . Kommen Sie
nachher ins Amt, fo jehen Sie, wie unbraudbar Ihnen diefer
Grillengeift tft: fteigen fie weiter ins Alterthum durd) eigne Belcfen-
heit und Uebung hinauf, jo? finden Sie, wie mandjes lange ſchon
gejagt war, was Ihnen Ihr Lehrer, als gejtern erfunden angab.
Melandhtbon,*) Chemnit, Hyperius, Strigelius, Chytracus, 62
Calixtus u. a. waren in rechter Methode der Dogmatif auch feine
Thoren! neben ihnen find Calvins Dogmatik, Gerhard3 loci,
zumal mit Cotta's Zufäben, aud) wohl zu gebrauden und legterc
ein? Meer von Gelehrfamfeit und Kenntniß. Wenn in den neuern
Zeiten durch einiger gelehrten Eregeten 3. E. Mihaclis, Zachariä,
Tellers, Döderleins u. a. Fleiß dies Studium injonderheit in
Prüfung der Beweisftellen gewonnen hat:* fo brauden Sie diefen
Gewinn Still und beſcheiden, ohne vor kritiſchem Dünfel die Sache
jelbft zu verlieren und zulegt vor lauter Eregefe feine Dogmatik
mehr zu haben. Halten Sie fi an einen gefunden und gelehrten
Philologen, der Sadhe und Wort hat: Oeoloyeır der, 8 TEy-
vokoyeır, ſagte Bafilius; vieleicht ſollte man in unfern Seiten
*) Die vollftändigen Titel der bier angeführten Schriften find in
Walchs bibliotheca theolog., in Nößelts, Millers n. a. Anweifungen 62
zur Känntniß theologifcher Bücher zu finden, daß eine neue Ennmeration
überflüßig: wäre.!
1) oder Dogmatit 2) Uebung, fo
3) Thoren: Calvins .... Zufäben, find ein
4) Gelehrten und Exegeten .... Zahariä, Döderleins ....
gewonnen,
— —
1) „*) Die — wäre.” fehlt.
— 37 —
hinzuſetzen: quAoAoyerr uovor. —! Ich wünſchte, daß Sie in
Ernefti Bibliothef die Necenfionen einiger neuen? dogmatiſchen
Bücher, Baumgartens, Clemms, Stackhouſe, Heilmanns,
Barths, Tellers, Michaelis, Gerhards, Zachariä u. a.
68 laſen: feine Urtheile auch über den Vortrag einzelner Lehren find
fehr beftimmt und ſchätzbar; noch beffer wars, wenn ber verbienft-
volle Greis ung felbft mit einem Lehrbuch befchentte.*)
Ich Habe bisher die Bibliſche Theologie als die einzige und
wahre gerühmet; Sic merfen aber felbft, m. Fr., daß id) damit
Teine afroamatifche Genauigkeit ausfchließe, dieſelbe vielmehr
aufs möglichfte wünſche. Zufammengeraffte Worte der Bibel her-
beten, fann jeder Unwiſſende, und Hinter folde Worte feinen
eignen Wahn verfteden, haben alle Schwärmer und Irrgeiſter
gefonnt; id) nannte alfo die Dogmatik mit Fleiß eine Philofophie
und habe ihr längft ſchon in einem eignen Bricfc**) die Geſchichte
der GlaubensIchren und ihres Vortrages, durd alle’ locos
und Jahrhunderte hindurch zur Gefährtin mitgegeben.” Unglaub-
lich ifts, wie durch diefe Geſchichte jede Lehre gleichſam genetiſch
bel und Har, ja aud die dürreſte Terminologie dadurch belebt
64 werde. Man fiehet durchhin, wie jeder neue terminus, jede Claffi-
fication und Antithefe entftanden jey?* auf welcher Seite Recht
und Wahrheit geweſen? ob man jegt noch den Ausdruck, oder die
Eintheilung nöthig Habe? oder ob man fie nicht,? nad Lage der
*) Da dieß nicht geſcheben ift: fo wäre ein dergleichen Buch von feinem
Nachfolger Morus vieleicht noch ermünfchter.!
**) Diefer Brief muß verlohren gegangen feon; oder id babe die
Stelle nicht bemerlt. Der Herausgeber?
1) fogt Vaſilius — („vielleist — woror” fehlt.)
2) Bibliothek einmal die Recenfionen einiger neuern
3) B: und möchte ihr die Gefhichte .... Gefährtinn mitgeben.
4) entftanden? 5) Ausbrud, die .... babe? oder nicht,
1) „*) Da — ermünfchter.” feblt.
2) 8: „*") Diefer — Herausgeber.“ feblt.
— 316 —
die Bibel nicht, ala ob durch Ihre Kritif erft eine Bibel werden
müßte; — dieſer kritiiche Vorwitz fchabet der Weisheit, Wahrheit
und Nutzbarkeit Ihres ganzen dogmatifch-biblifchen Studium mehr
als Sie denken. Es wäre übel, wenn durch Ihre Bemühung erft
eine Bibel oder eine Dogmatif! würde! und fo muß es nicht vor-
theilhaft feyn, wenn Sie an Ihrem Glaubensbudh nichts als eine
Fabrik dergleihen curarum academicarum haben. . Kommen Sie
nachher ins Amt, fo fehen Sie, wie unbraudber Ihnen diefer
Grillengeiſt ift: fteigen fie weiter ins Alterthum durch eigne Belefen-
heit und Uebung Binauf, jo? finden Sie, wie manches lange ſchon
gejagt war, was Ihnen hr Lehrer, als geftern erfunden angab.
Melanchthon,“) Chemnig, Hyperius, Strigelius, Chytraeus,
Calixtus u. a. waren in vechter Methode der Dogmatik auch feine
Thoren! neben ihnen find Calvins Dogmatik, Gerhards loci,
zumal nit Cotta’8 Zuſätzen, auch wohl zu gebrauden und letztere
ein? Meer von Gelehrſamkeit und Kenntniß. Wenn in den neuern
Zeiten durch einiger gelehrten Exegeten z. E. Michaelis, Zachariä,
Tellers, Döderleins u. a. Fleiß dies Studium injonderheit in
Prüfung der Bemweisftellen gewonnen hat:* jo brauden Sie biefen
Gewinn fill und bejcheiden, ohne vor kritiſchem Dünfel die Sade
felbjt zu verlieren und zuleht vor lauter Eregeje feine Dogmatik
mehr zu haben. Halten Sie fih an einen gefunden und gelehrten
Philologen, der Sadhe und Wort hat: @eoloyeır der, 8 rex-
voAoyeıv, fagte Bafilius; vielleicht follte man in unjern Seiten
2) Die volftändigen Titel der bier angeführten Schriften find in
Walchs bibliotheca theolog., in Nößelts, Miller u. a. Anweifungen
zur Känntniß theologifcher Bücher zu finden, daß eine neue Enumeration
überflüßig: wäre.!
1) oder Dogmatit 2) Uebung, jo
3) Thoren: Calvins .... Zufäben, find ein
4) Gelehrten und Exegeten .... Zahariä, Döberleins ....
gewonnen,
1) „*) Die — wäre.” fehlt.
62
— 317 —
binzufegen: # gpıloAoyeır uovor. —! Ich wünschte, daß Sie in
Erneſti Bibliothef die Recenfionen einiger neuen? dogmatiſchen
Bücher, Baumgartens, Clemms, Stackhouſe, Heilmanns,
Barths, Tellers, Michaelis, Gerhards, Zahariä u. a.
63 läſen: feine Urtheile auch über den Vortrag einzelner Lehren find
jehr beitimmt und ſchätzbar; noch beſſer wars, wenn der verdienft-
volle Greis uns felbit mit einem Lehrbuch beichentte.*)
Ich habe bisher die Biblifche Theologie als die einzige und
währe gerühmet; Ste merken aber felbit, m. Fr., daß ich damit
feine afroamatiihe Genauigkeit ausfchließe, dieſelbe vielmehr
aufs möglichite wünſche. Zufammengeraffte Worte der Bibel her⸗
beten, kann jeder Unmwiffende, und hinter ſolche Worte feinen
eignen Wahn verfteden, haben alle Schwärmer und Srrgeifter
gekonnt; ich nannte aljo die Dogmatik mit Fleiß eine Philofophie
und babe ihr längſt Schon in einem eignen Briefe**) die Geſchichte
der Glaubenslchren und ihres Bortrages, durch alle’ locos
und Jahrhunderte hindurch zur Gefährtin mitgegeben.” Unglaub-
lich ifts, wie durch dieſe Geſchichte jede Lehre gleihfam genetisch
bel und klar, ja auch die dürreſte Terminologie dadurch belebt
64 werde. Man fiehet durchhin, wie jeder neue terminus, jede Claffi-
fication und Antithefe entitanden ſey?“ auf welder Seite Necht
und Wahrheit gemefen? ob man jeht noch den Ausdrud, oder die
Eintheilung nöthig habe? oder ob man fie nicht,“ nad Lage der
*) Da dies nicht gefcheben ift: fo wäre ein dergleichen Buch von feinent
Nachfolger Morus vielleiht noch erwünjchter.'
**) Diefer Brief muß verlohren gegangen ſeyn; ober ich babe dic
Stelle nicht bemerft. Der Herausgeber.?
1) fagt Baſilius — („vielleicht — uovov” fehlt.)
2) Bibliothek einmal die Recenfionen einiger neuern
3) V: und möchte ihr die Gefhichte .... Gefährtinn mitgeben.
4) entftanben ? 5) Ausdruck, die .... babe? oder nicht,
1) „*) Da — eriwünfcter.” fehlt.
2) B: „**) Diefee — Herausgeber.” fehlt.
— 318 —
Zeit, mit etwas Bellerm ! vertaufchen fünne? Das lebte ift inſon⸗
derheit für die Katechetik und den Predigtvortiag dienlih: denn
was follen fih Kinder, was follen fi) Zuhörer mit Worten quälen,
zu denen die Beranlaffung längft dahin ift, die unjre Zeit (denn
auch die Art der Sprache und des gemeinen Sinnes verändert ſich)
gerade eher in einer andern Bedeutung aufzunchmen geneigt wäre,
als fie urjprüngli haben follten? Verba valent, sicut nummi,
und fo wie die Philoſophie, ja jede Kunft und Sprache ihre Linea-
mente verändert, warum follte es die fcholaftiihe Dogmatit
nicht, die fofern ja blos Philofophie, Kunit, Sprade ift?
Ich weiß nicht, ob man fich in dem Streit, ob die gelehrte
Terminologie aus der Theologie zu verbannen fey? genau an diefen
Geſichtspunkt gehalten habe; er ift, dünkt mich, der einzige wahre
Geſichtspunkt. Es fragte fih nehmlich; aus welcher Theologie
jollen fie abgefchaft werden? Nicht aus der afroamatischen Dog-
matik; ſonſt müßte dieſe, um eine genaue Wiſſenſchaft? zu ſeyn,
ſich eine neue Terminologie erfinden. Aus der Geſchichte der
Dogmatik noch weniger: denn da find fie res facti, die wir zwar
vergeffen, nicht willen, nie gelernt haben fünnen (woran niemand
zweifelt,) die aber deshalb im Buch der Zeiten, mas fie find, blei-
ben und bleiben werden, ja an benen häufig die Genefts und die
Geftalt unjrer Theologie Tlebt, wie in vielen Proben Ernefti und
andre gezeigt haben. Ob aber verflochtne, abgelebte, ausgeftorbene
Mortkrämereien von der Kanzel und aus? der Katechefe weg—
bleiben können, ja wegbleiben müffen, wer jollte daran zweifeln?
Geht man denn mit? verrofteten Schwertern zu Felde, die jebt
weder treffen noch fchneiden? Oder legt man fih mit Helm und
Panzer zu Bette? oder will man mit? einer alten Lanze Korn
ſchneiden? Nicht anders ifts mit dere ausgeftorbnen Keker- und
Streittechnologie auf Altar und Kanzel. Rede hier, wie deine
1) Mſe.: Beßern 2) Doch nicht aus.... um Wißenfchaft mit Genanigteit
3) Kanzel, aus
4) wer bat daran gezweifelt? Geht man denn mit alten,
5) will mit 6) der alten
7)
— 319, —
Zeit redet: erfläre, wie fie, die umberftehn, dich verftehn und
dir etwa, wenn fie an deiner Stelle ftänden,! den locum erflären
würden. Das alte Rüftzeug lap im Zeughaufe der Dogmatik, auf
Concilien und Synoben; aber wiſſen mußt du’, wo es jteht?
wohin es gehört? wozu es gebraucht warb? obs etma noch, oder
Gottlob! nicht mehr gebraucht werden dürfe? u. f.
66 Sehr hoch, m. Fr., ſchätze ich einen Vortrag, er jey eine
Predigt, oder eine? Katechefe, mo dies Maas dogmatiſcher
Genauigkeit aud in Worten recht angewandt ift, ohne weder
den Verſtande der Zeit, noch dem Begrif der Lehre etwas zu ver-
geben: es ift nicht fo leicht zu treffen, als nıan denke. Kindern
3. €. den zweiten und dritten Artikel, oder die Lehre von den
Sarramenten zu erklären, ohne den unnützen Schulwuft voriger
Jahrhunderte zu wiederholen; zugleich aber auch jo, daß das Kind
fh gegen die ihm vorkommenden Irrthümer daraus? mapnen
könne, Turz, wie fie ein Evangelift, ein Apoſtel, wenn er. jebt
lebte, ihm beigebracht hätte — dies haltet ich für ein Stüd Sokra⸗
tifcher Theologie und Lehrweisheit. Mit flacher Philofophie über
diefe Lehren iſts nicht ausgerichtet; mit bloßem Weglafien deſſen,
was uns nicht gefällt, was fih etwa nidht mit vollem Munde ber-
jagen läßt, ift3 noch weniger gethan.“ Känntniß der Bibel, des
Dogma und feiner Gedichte, Känntniß‘ feiner Zeit und jeiner
Subjecte ift nöthig. Hätten wir doch eine Geſchichte der Dog-
matil, mit dem praktiſchen Endurtheil bei jeder Lehre, wie
fern fie, nah ſolchen Prämifien, jebt am? beiten unfrer Zeit
vorzutragen wäre! Vorarbeiten über einzelne Artikel haben wir
67 infonderheit unter den Semmlerſchen Arbeiten reichlih;® das
1) ftänden, dir 2) Vortrag, eine Predigt, eine
3) Jahrhunderte, zugleich .... gegen alle Irrtbilmer feines Lebens
daraus
4) bätte — halte 5) läßt, noch weniger.
6) Känntniß endlich
7) ſie nun, nach ſolchen Prämiſſen, am
8) haben wir ziemlich;
— 0 —
Werk ſelbſt aber, das ich wünſche, (unpartheiiſch, vollſtändig, philo⸗
ſophiſch, menſchlich) — iſt, To viel ich weiß, noch ungefchrieben.*)
Eine Geſchichte des dogmatiſchen Predigtvortrages
wäre ebenfalls zu wünſchen: denn es iſt ein ſonderbarer Anblick,
wenn man ihn die Zeiten der chriſtlichen Geſchichte hinab! verfolgt
und die Farbe fiehet, die er jedesmal von feinem Zeitalter und
der damaligen Modewiſſenſchaft annahm. Luther 3. B. ſprach die
einfältige, ftarfe, ungefhmüdte Sprache? des gefunden Verftandes;
er ſprach aus Bruft und Herzen, nicht aus Kopf und Gedächtniß.
Seine Predigten find daher infonderheit bei Gemüthsveiten Predt-
gern in unferer Kirche lange das Mufter ihres Vortrages geweſen;*
Chemnig, Matthefius, Weller u. a. predigten ihm nad. Mit
der Zeit artete diefer Vortrag in Heine Mähren, in erbauliche
Etadt - Gejchichten, mohlgemeinte, aber nicht immter beſtehende
Consilia, furz in einen Stadtpfarrer-Vortrag* aus, von dem
wir aus dem vorigen Jahrhundert noch eine Menge Proben haben. 68
Akademien und Höfe wollten ſich unterſcheiden: jene lagen zum
Unglüd in bittern Gtreitigfeiten, diefe waren mit der Seuche eines
Spaniſchen übeln Geſchmacks behaftet; beides, Polemik und cin
Ipigfündiger Gefhmad kam aljo auf die Kanzel. Nun mur-
den ſchrecklich-⸗ dogmatiſche, widerlegende, donnernde; oder emblc-
matijche und Bilderpredigten gehalten, die fi) abermals eine Zeit-
lang erhalten® haben. Männer von feinerm Geift und befjerm
Herzen Ichlungen® ſich an die Myftif; bis endlich aus ihren Nad;-
läffen in unferm Jahrhundert der Pietismus entftand; aus welchem
*) Wer Spittler’8 Kirchengefchichte kennt, wird nicht Tange Darüber
anftehn, von wen ers am Tiebften wünſchen möchte.‘
1) ihn Zeiten hinab 2) Luther ſprach .... Sprade der Wahrbeit,
3) Muſter geweſen:
4) Mährchen, erbauliche Gefchichtehen, .... Stabtpfarrer - und Bürger-
vortrag
5) fih lange erhalten 6) ſchlangen
1) A 8: „*) Wer — möchte.“ fehlt.
— 21 —
ſodann andre Secten bervorgingen,! deren jede ſich ihre eigne
Erbauungs- und Kanzelipradhe oft mit großer Wort-Verwir⸗
rung? und mit einer gar eignen Pfychologie bilden wollte. Weil
diefer Vortrag zum Herzen ſprach, jo konnte das Spanische Bilder-
weien und bloße Wortgeflingel, fo wie auch die rüftige Streit-
theologie ihm nicht beſtehen. Philofophie aber machte fich gegen
ihn auf und unftreitig mit befferm Glüde aud für den menſch—
Iihen Verſtand, der vor allem andern Klarheit liebet; bis endlich
auch fie die ganze Dogmatik und Moral, ja jogar Predigten und
Katechismus in einen neuen Spanifchen Mantel büllte.® | Die
69 Religion gehörte nun zur beften Welt und aus dem vollfom-
menften Wefen folgte der Zuſammenhang aller Dinge,
auch der Sünde, des Lafters, der Gerechtigkeit Chrifti, der
Buße, der ewigen Höllenftrafen, wie zu ermeifen. Wo
fonnte man auch befjer erweiſen, als auf der Kanzel, wo niemand
widerſprach? und fo ward felbft die Kanzel, zumal da Wolf Deutſch
geichrieben hatte, mit einer Terminologie überhängt, die noch nicht
völlig von ihr megbleiben, ja die in unfrer Sprache jetzt beinah
zu Haufe feyn will, ob der gemeine Mann glei, felbft nachdem
er fie hundertmal gehört bat, fie eben* nicht mehr verftehet, als
da er fie zum erftenmal hörte. Bewegungsgründe und ihre
Beftimmung, Triebe und VBolllommenheiten, Wefen und
Möglichkeit, Gefihtspunfte, Lagen, Situationen, Cha-
raktere, Ideale u. dgl. find noch auf der Kanzel, und oft wer-
den fie, ganz unnüg, ja vomd Redner jelbft unverftanven, am
1) Jahrhundert fi) der Pietigmus, aus ihm andre Secten fich gebahren,
2) großer Berwirrung
3) Weil fie zum Herzen ſprach, fo konnte vor ihr [Dife.: „tonnte
ihr“] das blaſſe Spanifche Bilderweſen und Wortgelfingel, fo wie auch die
rüſtige Streittheologie nicht beſtehen. Philoſophie machte fich gegen fie
auf und hüllte Dogmatit, Moral, Predigten, Katechismus in ihren Mantel.
4) ward diefe, zumal Wolf .... Terminologie überflittet, die ....
wegbleiben und in unfrer Sprache beinah .... gleich fie jet, nachdem er fie
hundertmal gehört bat, eben
5) unnütz, vom
Herbers fümmtl. Werke. X. 21
— 52 —
unrechteſten Drt gebraudt. In den damaligen Streitigfeiten über
die Philoſophiſche Art zu predigen famen unter andern Theolo⸗
giihe Gedanken heraus, wo eine philojophifche Predigt in gutes
verftändliches Deutſch überſetzt war: wie oft hätte man zu ſolchen
Ueberfegungen noch Anlaß und bevauret die Menge, die es nicht
thun kann! Nur freilich iſt unfere neuefte Bücherſprache, die ich 70
auf die Kanzel gebränget bat,! nicht aus Wolfs Schriften, Die
nicht mehr gelefen werden: ſondern aus Frankreich, England,
alien und ich weiß nicht mo ber? Die zu vielen Ueberjegungen
(und meiftens dur; Handarbeiter, die den Genius unjrer Sprache
nicht Tennen,) verderben diefe: eine zu? frühe, zu flüchtige, zweck⸗
loſe Lefung folder und allerlei Schriften verberbt? noch mehr.
Unfer Erbeharacter, die Nachahmungsſucht, macht, daß wir immer
borgen und betteln, ja daß, wenn ſich nicht die Sachen jelbft jo
leicht fortbringen laſſen, wir wenigftend Worte, d. i. leere,“ höl⸗
zerne Gefäße mitnehmen und nachher kindiſch zur Schau ftellen.
Ich babe einen Menfchen gekannt, dem man immer anhören Tonnte,
was er zulegt gelefen hatte: einen andern, der in Crebillon ver-
liebt, wirflih Crebilloniſch predigte — Sie fünnen leicht denken,
wie? As Klopftod aufkam, predigte alles Junge, was erhaben
jeyn wollte, in verftümmelten Herametern; hätte das Barden-
luftrum nur etwas länger gedauert, fo hätte man auch Bardiſch
gepredigt. ALS vor wenigen Jahren Alles die Kunſt kennen wollte,
erſchien auch die? Kunſt auf der Kanzel; jetzt, da die jungen Herrn
Bibliſche Ausdrüde in ihre Romanzen und Mondſcheinverſe brin- 71
gen, wäre es ja undankbar, wenn die Kanzel mit der Zeit ihnen
nicht nachginge und auch den Romanzen - und Mondicheinton borgte.*
1) unfer neuere® Büchergeſchwäz, das fich auch auf die Kanzel gebränget,
2) diefe: die zu viele, zu 3) verdirbt
4) betteln, und wenn fi wicht Sachen fo leicht fortbringen laſſen,
wenigſtens Worte, leere,
5) erfchien die
6) Romanzen, Mondicheinverfe und Kraftknüttelreime bringen, ....
ihnen nicht vergölte und .... von ihnen borgte.
— 323 —
D Luther, wenn man da an Did und an Deine reine, vefte,
allverjtändlide Sprache zurückdenlet!
Erlauben Sie, daß ich einige Lehren der Dogmatik durch⸗
gehe, und da doch bei ihnen an der Anwendung! alles liegt, etwa
zeige, wie fie zu Vorträgen dienen fünnen? was bei dieſen etwa
zu vermeiden, bei jenen vorzüglich zu brauchen, zu nutzen wäre?
oder wo Sie fi etwa weiter Raths erholen können?? u. f. Ich
meyne: Raths erholen — nicht in Predigten: denn von diefen Tenne
ich wenige.” Ich habe nie Zeit gehabt, Poſtillen zu leſen, und
mande glänzende Homileten find für mid unbelannte Länder.
Bielleicht gelingt mirs aber, Ihnen hie und da etwas zeigen zu
können, dabei Sie jene entbehren mögen oder* wenigftens ficherer
brauchen. Indeſſen verſpreche ih nur Proben, nichts Ganzes!
Leben Sie wohl.
— — —— - no
Dreiſſigſter Brief.
Gott iſt die Hauptlehre aller Religion, ſo wie die Quelle
aller Erkänntniß, Seligkeit und Tugend. Die erſte Warnung, die
ich zu geben habe, iſt: entweihen Sie ihn nicht, wenn Sie
ihn heiligen ſollen! führen Sie ſeinen Namen auch auf
Kanzel und Altar nicht unnütz. — Wie oft wird er da unnütz
geführt! und fließt als ein leeres Bild- und Silbenwort, ohne
Gedanken, ohne Gefühl und Regung von den Lippen hinunter!
daß es einen Menſchen ſchaudern möchte, ders hört und der an
die Andacht und Hochachtung nur tugendhafter Heiden zurückdenkt,
mit der fie das ewige, höchſte Weſen nannten.“ Eurethalb
wird Gottes Name verläftert unter den Heiden! fagt Pau⸗
lus von den Juden, und von men gölte e8 mehr?
— ——, — —
1) doch an ihrer Anwendung
2) zu vermeiden, zu brauden .... wäre? wo .... könnten?
3) denn dieſer ferne ich wenig. 4) entbebren oder
5) Heiden, mit ber fie .... nannten, zurückdenket.
21*
— I —
Hüten Sie fih aljo, daß Sie ohne Gefühl von Ehrerbietung
und Würde, nie von Gott reden und zu ihm beten. Im Geift
und in der Wahrheit, fagt Chriftus, will er angerufen ſeyn,
damit fein Erfänntnig in und ewiges Leben werde;! und
wie kann es dies werden bei Gebanfenlofem Leichtfinn? Wenn 73
ein Sofrates, nur eine Wahrheit der Philofophie unterfuchend, zu
feinem höchſten Gott betet: wie einfältig und erhaben tft fein Gebet!
Wenn die Pythagoräer Gott lieber ? durch Schweigen, durch ftil-
les Suden und Nachahmen, als durch leeres Wortgeihwäg ehren
wollten: wenn mande Völker den großen Unnennbaren am beiten
mit einem ftillen Schauer kindlicher Liebe anzubeten glaubten; wie?
und wir ® Chriften, denen der Sohn aus feinem Schooße ihn, als
den Vater,“ ald die allmwirfende überallergofiene Duelle alles
Lebens, aller Seligfeit fund gethan bat, wie weit ftehn Wir in
jo manden Büchern, Predigten, Thaten und Gebräuden Binter
ihnen! Nicht, ala ob ich Ihnen jene unlautere Empfindungsquelle,
den Myſticismus, ober gar zum Erſatz der Empfindung, die Talte,
hochtönende Phantafie, ein auffliegendes Odengeſchwätz u. dgl.
anpreifen wmwollte.d Gott wird ſowohl dadurch, als durch jeden
leeren Schein der Heuchelei und der Abgötterei entehret; ja® Durch
diefen wird eine Gemeine oft nur verführt.und geärgert. Reden
Sie von und zu Gott in Einfalt des Herzens, wie Sie denen,
wie Sie ihn erkennen und empfinden. Lernen Sie ihn alſo recht
erfennen, ſicher empfinden; nit durch Worte allein, fondern
durch Gedanken, durch Uebung und Erfahrung.” Dies ift die 74
meditatio, oratio, tentatio, die Luther zum Studium der ‘Theo-
logie vorjchreibt; denn niemand kann einen andern lehren, was
er jelbjt nicht weiß, und niemand einem andern geben, was er
jelbft nicht Hat; alfo —
1) Chriſtus: feine Erkänntniß fei ewiges Leben!
2) betet: wenn die Pythagoräer ihn Tieber 3) glaubten; wir
4) als Bater, 5)ich jene unlautere .... u. dgl. Ihnen zureben wollte.
6) und 7) Gedanken, Uebung, Erfahrung.
— — 4
75
— 325 —
2. In Spisfündige Unterfuhungen über Gottes
Defen und Eigenſchaften laffen Sie ſich vor einer Ber-
jammlung, die zur Seligfeit unterrichtet werden will, nicht ein.
Es ift gut, ja nöthig, daß Sie dieſe Streitigkeiten und wie weit
es der menſchliche Dijputirgeift ! darinn gebracht hat, willen. Ler⸗
nen Sie diejen in allen Verwandlungen und Schlupfwinteln, mie
er fo viele Jahrhunderte ? hindurch Diefelben Fragen und Knoten,
immer in andern Worten, aufgebradht bat, Tennen; nur Ihre
Gemeine verfhonen Sie damit. „Was Gott jey? wie er Eins
„in Dreien, Drei in Einem fey oder gar gemorden?? mas er
„von Ewigkeit ber gethan? wie er aus fich felbft getreten? (ein
„monftröfer Ausdrud!) und endliche Dinge hervorgebracht habe?
„Wie der Unendliche fich jebt zu ihnen verhalte? wie er fie ſehe
„und erfenne? ob in oder außer fih? Er in ihnen ober fie in
„Ihm? ob und wie ihre Veränderung in Ihm feine Veränderung
„zeuge und Er doch in ihrem Zeitraum wirfe, Menfch worden
„ey? u. f.“ Diefe und hundert Fragen mehr, woran die fühn-
ften 5 Geifter gejcheitert find, werden uns ewig Klippen bleiben.
Das Unendlihe mit dem Endlichen zu berechnen: das In oder
außer Gott ertenfiv ober intenfiv zu meſſen u.f.f. — das
Alles ift® nicht Menſchen- jondern Thorenwerf, und mer über
Fragen folder Art die Ketzerkrone verdient, trägt fie weder zum
Nuten, noch mit Ehre. Wir Arme, die wir nicht ? wiflen, mas
wir jelbft find? mollten das Weſen der Weſen kennen, wie es
Tih ſelbſt kennet! Endliche Gefchöpfe, mit Drt und Zeit um-
fangen, wollten ins Unermäßliche gehen, mo fein Drt und Seit
ift, und die Allwiſſenheit, Allgegenwart, Präbdeftination, Juſti⸗
fication in Gott® begründen! Die nicht wiffen, wie fie ihre
Hand regen, wie ihr Geift auf den Körper wirkt, eben da er
1) Disputationdgeift 2) er alle Jahrhunderte
3) Gott eigentlich fei? wie .... ſei und geworden?
4) hervorgebracht ? 5) durchbringendften
6) meffen und was dem anbängt, ift
7) die nicht 8) Zuftification Gottes
— IE —
wirft — wollten demonftriren, wie Gott auf die Welt, auf
andre Geifter, Elemente, Körper wirle? — insania insaniarum!
Für fih bemühen Sie fih bierinn um die befcheidenften,
unverfänglidhften Ausbrüde, ſich zu erflären; fchweigen aber
davon vor der Gemeine.
Mit ihr reden und erklären Sie die Sprade der Bibel.
Diefe fpricht zu Menſchen menſchlich; und ich weiß nit, ob von 76
der Ewigkeit, der Unveränderlichkeit, der Allgegenwart, Allwiſſen⸗
heit, Heiligkeit, d. i. Unvergleichbarteit Gottes, erhabner, faßlicher
und prägnanter geſprochen werben Tann, ala im 90. 102. 139. Pſalm,
in fo ſchönen Stellen des Buchs Hiob, im Jeſaias? und überall
in Mofe und den Propheten, wenn der Name und bie Natur
Sehovahs erklärt wird. Im Johannes, wo Chriftus von Gokt,
feinem Vater fo oft fpricht, thut ers immer auf die Tindlichfte,
innigfte Weiſe. Diefe Stellen mit ihren edlen Begriffen der Jugend
einzubrüden, ihr Gott überall in ber Natur und Schrift unver:
gleihbar, groß und liebenswerth zu machen, von ihm. nie zu
ſprechen, als mit Yaffung, Theilnehmung und Ehrfurdt — dies
ift die ſchönſte Philoſophie des Chriftenthums über Gott, aus fet-
nem und feines Sohnes Munde. Was Philoſophen mit großer
Mühe dunkel und Halb erwiefen, bat Chriftus oft in Ein Wort
der Liebe und kindlichen Einfalt gehüllet; und mande jener Wei-
jen erwiefens aus und nah ihm — —
3. Große Dorologien von Gott, langmweilige Erör—
terungen einzelner und aller feiner Eigenſchaften liebe ich
weder in Predigten, noch in Liedern? und Gebeten. Der 77
Drient liebt fie, trägt fie aber auch wärmer vor; Geift und Sprache
find in ihm einmal dazu gewöhnet. Bei uns werden fie meiftens
erfrome Wortfhollen, kalte Abitractionen, wo Gott von mancher⸗
lei Seiten vifirt wird, oder gar Mönchslitaneien. Nun verbietet
ja Chriftus alle Battologie, als ein Geſchwätz? der Heiden,
und lehrt deßwegen fein kurzes: Unfer Vater im Himmel!
1) Hiob, Jeſaias 2) noch Liedern 3) als Geſchwätz
— 3217 —
und wir Chriften follten dies vergefjen, und in Gefängen und Pre-
digten, dort noch dazu mit oft fo langweiligen Melodien, bier mit
noch langweiligern Perioden Stundenweiſe battologifiren mollen ?
Je ärmer man an Wahrheiten ift, deſto mehr jucht man fich mit
diefem Geſchwätz auszuhelfen: denn! mas wollten nun die Leute,
die jo wenig Artikel der Religion haben, Stundenlang fingen oder
reden, wenn fie nicht no ein prächtiges Nichts über Gott perio-
bifiren, oder verfificiren könnten! Man follte fie zu den Mobebs
der Parſen ſchicken, um ihre Jeſchts berzubeten, ober zu reimen.
Immer ſpricht die Bibel von Gott als einem gegenwär-
tigen, lebendigen, thätigen Wefen, lebendig in allen feinen
78 Merken, thätig in jedem einzelnen Werk, ja im kleinſten Gefchäft ?
unſers Lebens; dadurch wird fein Begriff andringend; dadurch
wird die Lehre von ihm reizend ® und liebreich. Allerdings tft
dies au der einzige Weg, uns Gottes gleihfam zu vergemwiflern,
ihn felbft wahrzunehmen und ihn andern bemerkbar zu machen;
kurz, es ift der Grund aller Religion auf Erven.* Den Unend-
lichen auſſer der Welt begreife ich nicht, er reget mih auch nidt;
denn er ift ferne von mir. Aber der Gott, der mich umgiebt, der
mich durchſchauet, der mich ſchuf, der alles ſchuf, der mich erhält
und führet, der ift mein Gott und Bater!d Mo Kraft in der
Natur ift, iſt Er: wo Geift in der Natur ift, iſts Hauch und
Kraft feines Geiftes: Er in Allen und es beſtehet alles in
ihm. Wo fol ich Dich ſuchen, da du, Herr, nicht wäreft? wo
könnt' ich Bingehen, da du mich nicht führteft? Das Gemebe
1) Ehriften vergeffen dies und battologiren in Geſängen .... Stun-
benweifel Der neue Deismus und die englifhe Prebigtmanier Hilft dieſem
Geſchwätze von Gott ſehr auf: denn
2) al8 gegenwärtig, lebendig, thätig, im feinen Werfen, wie
in jedem einzelnen Wert, im jeglichen Gefchäft
3) wird ibre Lehre reizend
4) Weg Gott zu finden und ibn zu zeigen. („kurz — Erben.” fehlt.)
5) Bater! die Seele meiner Seele, das Herz meine® Herzens, das
Weſen meines, ja aller Weſen mit mir.
— — — — —
meiner Gedanken ift ein Stidwerf deiner Hand; die Pfade met-
nes Lebens ein Labyrinth ! deiner Güte: die ganze Natur dein
Werk, deine Wohnung,? dein Tempel —
Sie iſt die Laute feiner Hand,
die er zu unfrer Luft erfand,
Er gab ihr Millionen Saiten,
und jede klingt und jeder Klang
tönt zum frohlodenden Geſang? 19
der Lehre feiner Heimlichkeiten.
Und diefe unermefine Welt,
die fo viel Weſen in fich hält,
ſeit jo viel taufend, taufend Jahren, *
Und die unendliche Natur
iſt gleichwohl Ein Gedanke nur,
nur Einer von dem Unfichtbaren.
ft Eine Sonne ſchon fo ſchön,
bei der noch taufend andre ftehn,
im Mittel andrer Millionen:
wie prächtig muß die Majeftät,
die diefe Feuerkugeln dreht,
in einem — weldem? — Pallaſt wohnen!
4. Der legte Gedanke führt mid auf Etwas, das ich oft,
injonderheit bei Kindern bemerkt habe. Die über uns jo erhabnen,
jo vielfaffenden Aftronomifhen Beweiſe von der Herrlid-
feit Gottes in der endlojen Sternenfhöpfung find zu
hoch, zu entfernt für fie: fie regten fie, wider meine Erwar⸗
tung, aud mit aller Faßlichkeit und Stärke vorgetragen, lange 80
nicht fo ſehr, als die für uns überjehbaren, menſchlichen, und
1) Luflgarten 2) Braut,
3) gehört zum ewigen Geſang (Withof:) Hört zum Harmoni-
fen Geſang
4) fon feit fo vielen taufend Sahren, (ebenfo W.) 5) weit
wenn ! ich fo jagen darf, Erdenbemweife. Beim gemeinen Mann
habe ich ein Gleiches bemerkt und bei manden theils für wahr
angenommenen, theild beinahe Thon gemachten? Entdedungen, ſchüt⸗
telt er den Kopf und denkt höchſtens: quae supra nos — — Alſo
auch um deßwillen halte ich den Vortrag der Bibel, die vom Him-
mel fo ganz im Bezirk unfrer Erde und von allem auf ihr völlig
zo avdgwrcov fpricht, für den menſchlich-beſten? Vortrag.
Suden Sie für fih alle die erhabnen Entzüdungen zu ſchmecken,
bie in Kopernilus, Keplers, Galiläi, Newtons, Bradleis,
Henſchels u. a. Entdedungen liegen, und die Hugens, Kant,
Lambert, Schmid u.a.*) zum Theil mit edler Wärme vorge-
tragen haben;* nur die Kanzel verfchonen Sie mit Aitronomifchen
Predigten, und nehmen dafür den 8. 19. 104ten Pjalm, ja end-
lich Gott felbft bei Hiob zum Muſter. Hier ift Erhabenheit für
das Gefühl aller: bier erfcheint der Allumfafende im armen engen
Gefichtsfreife unfrer Erde. Auch menn Sie alles, was Ray,
81 Nieumentyt, Derham und andre von der Phyſikotheologie gejchrie-
ben, fich eigen gemacht haben: fo gebrauchen? Sies auf der Kanzel
nur fehr mäßig. Nicht alle Beweife diefer Theologien find gleich gut,
ja da in allen biefen Thatfachen eigentlih nur Ein Beweis liegt:
jo ward, da fi) die Bücher mehreten, das herrlichite Thema zuletzt ein ®
9 Hugens Kosmotheorog: Kants allgemeine Naturgefchichte und
Theorie des Himmels: Königsb. 1755. Lamberts Tosmologifche Briefe:
Schmid von Weltlörpern u. f.!
1) die zu überfehenden, menfchligen, wenn
2) manden fo mwahrangenommenen, zum Theil fo wahrgemachten
3) Himmel jo umkreiſet für unfre Erbe und von allem auf ihr fo
ganz zer avsowrnrov fpridt, für den menſchlichſten, beften
4) Bradleis u.a. .... Lambert, ber mittlere infonberbeit*) mit
edler Wärme bargeftellt hat 5) AB: gebrauchten
6) Leſen Sie auch, was Ray .... gefchrieben; doch auf der Kanzel
brauchen Sied mäßig. Nicht .... gut, und zulest warb das berrlichfte
Thema ein
1) *) S. Kantd allgemeine Naturgefhichte u. Theorie des Himmels: Konigéeb. 1755.
Lamberts boemologiſche Briefe u. f.
— 330 —
bloßer Gemeintitel zum Ausſchreiben andrer Werke. Bonnets
Betrachtungen, Plüche! Schauplatz der Natur (zwei Werte
von Einem Namen und von fehr verfchiedner? Ausführung !)
find Ihnen ohne mich befannt. Reimarus Betrahtungen
über die natürlihe Religion, über die Triebe der
Thiere — Doch wie könnte ich ° Alles anführen in dieſem uner-
mäßlicden Felde! Giebt Ihnen der gütige Himmel einft in einer
Landwohnung Muße, Gejundheit * und Vermögen; jo jey dies
Studium Gottes und der Natur ihre tägliche Freude, und je
näher fie den alltäglichen Wohlthaten Gottes im erjten Artifel
bleiben: deſto befier! Luther macht uns infonderheit auf Auge
und Ohr, (alö auf die5 feiniten, ebelften Sinne, zwei Abgründe
von Wundern!) auf Vernunft und eine Menge fo feiner, uner-
forihlider Seelenfräfte, wie auch auf den ebeln Gliederbau
unſers Leibes aufmerffam. Vom lesten bat don Galen in dieſer
Abficht ein trefliches Buch gefchrieben, und Hallers Phyſiologie,
injonderheit die Theile vom Herzen, von den‘ Sinnen und der
Seele des Menſchen, nebft dem, was er von ber ganzen Lebens⸗
öfonomie eingeftreuet hat, find ein Ocean von Wiſſenſchaft und
Känntniß. Süßmilchs Böttlihe Ordnung bietet Ihnen ein
neues, dem Amt eines Geiftlichen ſehr nahegelegenes Feld? dar; und
wenn ihr eine allgemeine phyfiihe Geographie des Menſchen—
geihlehts unfrer Erde zugeführt würde, wäre e3 ein jchöner
Kommentar über die Worte des Apoftels, Apoft. 17, 26. 27. Ich
würde nicht fertig, wenn ih, Claſſen hindurch, Alles anführen
wollte, was zur Känntniß Gottes in der Natur Vortrefliches
geleiftet ift und gewiß noch geleiftet werden ® wird; überhäufen Sie
ih aber auch in dieſem lockenden Felde nicht mit Arbeit. Vielen
wird vor lauter Leſen das Auge blind; und mehr als Einem
Naturforfcher fagte mans nah, er war ein Freigeiſt. Er über:
1) Bonnets, Plüde 2) und verfchiebner
3) Thiere, vortreflihe Abhandlungen in Buffons Naturgefchichte
— und wie fan id 4) einft eine Landwohnung und Muße und Gefunbbeit
5) Obr, (die 6) Herzen, den 7) bietet ein neues Selb 8) noch werben
on
— Bl —
ſpannte fih mit Hypotheſen, und fehte zulekt ein Ding, mas er
Natur, Nothwendigkeit, emge Ordnung nannte, auf den
Thron der Gottheit. Inſonderheit in Frankreich ift diefer Natur -
Atheismus, der fich oft mit großem Aberglauben und einer fehr
intoleranten Schwärmerei paaren Tann, jest die anftedende Krank⸗
83 Bett.! — Ich bin von meinem Dogmatiſch-homiletiſchen Artikel fo
weit weggekommen, daß ich fchwerlich wieder hineinfommen kann;
alfo Diesmal gnug! Und bier ift zur? veichen Entſchädigung ein
ungedrudter Hymnus:
nu bu de)
Gott!
Du, der Du biſt! — Dies fühl’ ich; den weitern Gedanken nerfchlingt mir
Deiner linendlichleit Meer! — Doc barf ichs wagen, von Dir, Du
Einziger, etwas zu denken, al8 wie im Zxaume, fo fleigt bier
Diefe Regung vom Staube zu Dir! —
Du, der Du wareft!
Eh die Orionen, der ſchimmernde Sand, vor dem Blid Dir
Standen! der Dur fie weghauchſt wie Floden des Schnee® und ewig
Seyn wirft — fage, wie nenn’ ih Di? wo find’ ich den Maasſtab
Deiner Größe? Ich fieh und verſenke mich tief in bie Tiefe,
3 Strebe mit Flügeln des Lichts empor an die Grenzen ber Welten —
Aber ihr flammenden Welten, was ſeyd ihr? Vielleicht nur Atome,
Die das heiſſere Blut des großen Weltthiers durchwallen,
Das vielleicht auf weitern Gefilden mit Tauſenden feiner
Gattung fcherzet? Bielleicht erfüllt in dem röthlichen Strome,
Der aus meinen Adern dahinquillt, ein Heer von Welten
Itzt fein letztes Schickſal! — Wo bin ih? Berlobren in Wundern —
Unermäßlicleit um mich und Unermäßlichleit in mir.
Du, dem bie Fülle der Welten nur Ein Gedanke, der Ausfluß
Seines Schimmers iftl O lehre mich doch, wer knüpfte
So der Weſen unendlichen Faden an einander?
Sprich, wer pflanzte den ungeheuren Lebensbaum, deſſen
1) Aberglauben und Schwärmerei paaret, jetzt die galante Paßion
und Krankheit.
2) hier zur
— 352 —
Wurzel tiefer dringt, als kein Gedanle der Engel,
Hoch ſein Gipfel ſteigt, wo der Raum der Endlichleit aufhört!
Schweig' und verſtumme, mein Geiſt, und Du,! mein Geſang ſchwebe 85
nieber
Und erwache mein Herz! Er fchuf auch dich in der Fülle
Aller der wechfelnden Wunder! Du darfſt ihn verehrten, als Bater,
Ihn verehrten als Vater, im Staube gebüdt, als fein Kind Ihn!
Bift zugegen in feinem großen Haufe, wo Alles
Alles gut ift — nicht möglich das Beſſere — nur ber befchräntte
Dumpfe Will’ e8 verlangt — wo Alles, Alles bereit ift
Zum unendlichen Segen, zur froben Glückſeligkeit, Alles!
Bier venweil’ und rube dich aus und let’ dich im Schatten
Seiner Büte, im Strale der allerwärmenben Sonne,
Dis der Keim deines Glücks durch der Zeiten Jahrhunderte forttreibt,
Und flet8 männlicher wächr zum immergrünenden Baume!
Ein und dreiffigfter Brief. 56
Ich weiß gewiß, daß Gott der Höchte Lebt,
Dur den die Welt in weifer Ordnung fchwebt,
Und ber auch mich fo kunftreich® bat gewebt
In meiner Mutter:
Dep freuet fi mein Herz und ſchenlt die Glieder,
Die ihm ber Herr gefchenlt, bem Herren wieber
Und finget ihm des Danles heil'ge Tieder®
Bergnügt und ftill.
Wie weil’, o Herr, war mit mir Dein Geleit*
Bon Kindheit an, durch alle Lebenszeit! 5
Zumeilen zwar vergaß ich es; doch Heut
Schärf’ ich die Sinne
Und ſeh, wie Hug des Herren Arm regieret,
Und ſeh, wie gut er mich bisher geführet,
So daß mein Fuß fein Unglüd je berübret
Bis diefen Tag.
1) Schweig' denn, und verfiumm’! — Und Du,
3) (Def:) Fünfilic 3) A: (wie Deft:) ihm die allerfhönften Lieder
4) Wie wunderbar hafl du mich, Herr, geleitt, (Deft:) mi doch geleit't
5) (Deft:) durch bie vergangne Zeit
87
— 33 —
Mit Wolluſt haſt du mir das Herz getränkt,
Den Becher voll haſt du mir eingeſchenkt,
So daß noch jetzt mein Geiſt, der deß gedenkt,
Für Freude taumelt.
Vergiß, Herr, mein fo! unbeſonnen Klagen,
AS murrend Dich dein? Liebling durfte fragen:
„Erſchufſt Du mid allein, um mich zu plagen?“
Bergiß es, Herr!
Oft® fpridt der Menſch: „ich weiß, daß Gott mich haft!
„Was drüdt mich fonft des Unglüds Zentner -Laf 9“
Das macht, weil er bed Herren Sinn nicht faßt;
Sonft würd’ er ſchweigen.
Ein Kind, zu Hein, der Mutter Sinn zu deuten,
Und daß die Lieb’ es müß’ am Bande * Teiten,
Damit fein zarter Buß nicht möge gleiten,
Beweint den Zwang.
Bei mir ift nun die Kindheit überhin.
Ich ſeh die Hand, in deren Macht ich bin
Und Gott ift num dem kluggewordnen Sinn
Unendlich klüger;
„Mein Bater! = - Könnteft du dein Kind 5 wohl baflen?“
Sollt' ih denn murrend deinen Arm verlaffen?
Und kröch' ich gleich gebeugt hindurche die Gaflen,
Gott Tiebt mich doc.
So foll denn das mein Wunſch und Borfak feyn:
Zu halten meine Hand vom Unredt rein,?
Und meinen Gott zu lieben und zu fcheum
Bergnügt im Stillen.
Er böret ja des Wildes nächtlich Brüllen
In den Eindden an, die fie verbilllen,
Und öfnet feine Sand, um fie zu füllen
Mit Lebensluft.
Ich weiß gewiß, bag Bott ber Höchſte lebt u. f. — ®
1) (Deſt:) Bergiß mein einft fo 2) A: (wie Deft:) Ws di fo gar bein
3) (Deft:) So 4) X: (wie Deft:) in Bändern 5) (Deft:) den Sohn
8) (Deft:) nun durch 7) U: (wie Deft:) von Allem rein
8) (Def:) Mein Gott if der; ein Gott der herrſcht umb lebt, Durch den die Welt
fo gut, fo weislich ſchwebt, Und ber u. |. w.
— BA —
Mit diefem und feinem künſtlichern Gejange, m. Fr., fange ich
an von der Providenz zu reden. Der Berfaffer, ein fehr eigen-
thümlicher Dichter ! merkt von ſich felbft an, daß in Stunden, ba
er dergleichen Zuſprüche bes Herzens beſonders nöthig hatte, ihm
das kindliche Davidifche Lied befjer gethan babe, als die erhabne
Horaziih - Stoifhe Ode. Mich dünkt, es wird mehrern fo geben,?
und gerade diefen Weg nimmt die Bibel. Ohne Providenz ift
und die Lehre von Gott unnügß: der Gott der Epikurer, ber
außerhalb der Welt wohne, ift? uns ein entbehrliches Weſen
Sie zeigt aljo in lauter menſchlichen, auch in den unbeveutendften
Geſchichten, daß Gott noch * jett, als Vater für Alles forge, daß
dem, der auch das Kleinfte ſchuf, nichts zu Klein ſey. Dies zeigt
fie in Lehren, Beifpielen, Gefängen und Liedern. Pic
größefte Wahrheit, die den Sterblicden zu wiſſen nöthig ift, knüpft
Chriftus an jedes Haar unſeres Haupts, an den Tall eines Sper-
lings. Die erfreulichite Wahrheit, deren Ueberzeugung uns jo 89
wohlthut, breitet er rings um uns aus, er zeigt fie uns in 5 jeder
blühenden eldlilie, in jedem Gejange des Iuftigen, immerver-
gnügten Vogels. Der Fall Ninive's und das Wellen * des Kür-
bis ift im Blick Gottes verbunden ⸗⸗ unzählige Beiſpiele mehr.
Machen Sie fih, m. Fr., in dieſer Hauptlehre fürs menschliche
Geſchlecht dic Bibel, ihre Geſchichten, Pſalmen, auch mande
ſehr rührende und kindliche Chriftliche Poefien und Lieder nicht
nur befannt: fondern prägen fich diefelben in Herz und Seele — —
Mein Rath zum Vortrage der Lehre wird infonderheit der
Methode der Bibel folgen und Ihnen etwa die Punkte zeigen, bie
ih infonderheit wirkſam und Troftreih fürs menſchliche Gemüth
gefunden habe. Prüfen Sie fie nach Ihrem eignen Eindrud.
1) ein eigenthiimlicher und zu ſehr vergeffener Dichter
2) ergeben, 3) ©ott der Stoiter und Epiturer ift
4) auch ben ...., baß Gott auch noch
5) Wahrheit, die uns zu glauben fo wohlthut, verbreitet er rings
um und, zeigt fie in
6) der Tod
— 385 —
Zuerſt. Gott muß den Menſchen als gegenwärtig, als
mitwirkend! in ihr Leben, auch in die kleinſten Umſtände
defielben mit feinen Abjichten verflodten, dargeftellt wer-
den; fonft bleiben die fchönften Lehren von Allgemein her, ent-
fernt, tobt und öde. Wenn nidts in der Welt ohne Gedante
und Abficht ift; follte e3 die Welt der Welt, das menjchliche Leben,
90 und die Triebfeder aller Sichtbarkeit, der Gang des menschlichen
Herzens, feyn können? feyn dörfen? Wenn ich feinem Kinde was
völlig Abfichtlofes zutraue; ſollte ich von der ewigen Weisheit
glauben, die fih ja im Bau des Schauplates fo Abfichtsvoll gezeigt
bat? Und das Schaufpiel ſelbſt, wozu fie jenen aufführte, follte
fih von ihr verlaffen, wie eine Pofje, durchs närrifche Ohngefähr
fpielen und enden? — |
Je mehr Sie aljo Dienfchen aufmerkfam machen können, dieje
Abſichten Gottes bei den Verhängniſſen und Fleinften
Umftänden ihres Lebens zu bemerken, zu erforſchen, zu
befolgen, in allen Führungen, wie Agamemnon, da er vom
Traum erwachte, die Stimme des alten Neftor8 der Welt, und
was er uns jebt und feinem andern, jest und jonjt ninmer,
durch Diefe und feine andre Schickung in der Welt jagen wollte,
zu bören; je mehr Sie dies bei jih und andern bewirken, defto
mehr haben Sie lebendigen Glauben an Gottes Vorſehung
gepflanzt. Siehe, wie die Augen der Knechte auf die
Hände ihrer Herren fehen und die Augen der Magd auf
die Winfe ihrer Frauen; aljo jehen unjre Augen auf
den Herrn unjern Gott. Gleichwie du nicht weiſſeſt den
91 Weg des Windes und wie die Gebeine in Mutterleibe
bereitet werden: fo fannft du Gottes Werk nicht mwilfen,
das er thut überall; aber an dir und gegen dich felbit jollt
du's erfahren und bemerken.
Wir haben einen Freund in uns, der und auf dieſe Fuß⸗
ftapfen der um und mit uns mandelnden Liebe immer aufmerkſam
1) gegenwärtig, mitwirlend
— 336 —
madt; ed ift das zarte! Heillgthum in unfrer Seele, wo die
Stimme und Abſicht Gottes lange Zeit fehr hell und Har wieber-
tönet. Die Alten nannten fie den Dämon, den guten Genius
des Menfchen, dem fie mit fo vieler Jugendliebe huldigten, mit
fo vieler Ehrfurdt folgten. Chriftus begreifts unter dem klaren
Auge, das des Lebens Licht ift und den ganzen Leib licht macht.
David bittet darum, als um den guten, freudigen Lebensgeiſt,
der ihn auf rechter, ebner Bahn führe u. fe Mögen wird nun
Gewiſſen, innen Sinn, Vernunft, den Aoyov in uns nen-
nen, oder wie wir wollen; gnug, es ſpricht laut und deutlich,
zumal in der Jugend, ebe es durch wilde Stimmen von außen
und innen, durch das Gebraufe der Leidenſchaft und das Geſchwätz
einer Tlügelnden Unvernunft allmählig zum Schmeigen gebracht ?
oder irre gemacht wird. Wehe dem, bei dem es fo ftumm und
irre gemacht ward; injonderheit dem Sünglinge und Rinde! Es
wird allmählig ohne Gott in der Welt, geht wie ein irres
Schaaf umher, ohne gejunden, moraliiden Stun, ohne das Gött-
liche! in einer Sache des Lebens an fih und andern zu fühlen.
Nur fo viel haben wir von Gott und feiner Vorfehung, ala wir
beide lebendig erfennen, im Einzelnen und Allgemeinen. Jemehr
wir e8 (ohne Schmwärmerei und Geelentälte) thätig erjehen, wie
und mozu er mit uns handle? defto mehr ift er Unſer, unfer
allein. Laß nun einen Schwäter und Zweifler dagegen fagen,
was er will: Erfahrung geht über Geſchwätz und Zweifel.
Sie fehen, lieber Jüngling, daB Sie fih kaum nützlicher
ums menſchliche Gejchleht machen können, als wenn Sie auf dieſe
Weile ein Engel der Vorſehung werden, Erwachſne und Kin—
der auf die Stimme der fie leitenden, und erziehenden Liebe auf-
merkſam zu maden, aufmerkſam zu erhalten, und injonberheit bei
Kindern die Unfhuld des innern Sinnes, wie eine * zarte Früh—⸗
Iingsfnofpe, die im rauhen Clima diefer Erde fobald verlohren
1) immerdar aufmerffam macht, ein zartes
2) allmälich geſchweigt 3) Gο 4) Sinnes, eine
2
— 37 —
geht, mit göttlicher, mütterlicher Treue zu bewahren. In dieſer
93 und jener Welt werden Ihnen Liebesthränen der erhaltenen, geret-
teten, bemwahrten, zurüdgerufenen intern Glüdfeligfeit und Her-
zens⸗ Unfhuld danten — — Ich komme zum zweiten Punkt, der,
bei der Lehre von der Vorjehung infonderheit Aufmerkſamkeit ver-
dienet: er betrift nemlich die [onderbare geheime Wiederver-
geltung, die ih in Gutem und Böfen, für den knechtlichen
und Findliden Sinn, fo allgemein und bei mandem einzel-
nen Menſchen jehr auszeichnend bemerkt babe: wenigſtens habe
ih fie an mir bemerkt und an allen denen, die ich näher kannte.
Mid wundert, daß diefe Lehre von Shriften jo wenig getrieben
wird, da fie doch auch ſchon Heiden fo bündig eingefehen, und
Chriftus fie als das herrſchende Geſetz Gottes in diefer
und jener Welt wiederholt einſchärfet. In Orient gilt fie in
den meiften Religionen nod davor; unjre Väter haben auch auf
fie ein jchärferes Auge gehabt, als wir, denen ber Geift eigner
Klugheit und Wirkfamkeit in Dingen des allgemeinen Welt - und
Lebenslauf die Augen nur zu oft verblendet.
Chriſtus entdedt uns nehmlich die moralifche Regierung Got-
te8 in der Melt ala eine große, unfichtbare Wange der That
94 und der Folgen: Du kannſt nichts, weder Gutes noch Böſes in
die Eine Schaale legen, ohne daß ſich die andre, mit gleichem, aber
progrekivem Maas der Schwere in guten und böjen Folgen rege.
Fremde empfinden das nit; aber du empfindefts. Vielleicht
empfindeft du's jego nicht, weil du dein Gefühl abgeftumpft haft;
aber fahre fort, du wirfts und vielleicht dann empfinden, wenn
du von dem Arm der vergeltenden Wange erdrüdt wirft. Die
Alten haben gejagt: nichts räche ſich fo ſcharf, als die
Natur; und was und wo iſt nit Natur Gottes? Sie haben
gejagt, daß je langfamer die Rache fomme, deſto ſchwerer
1) verbienet, nebmlih, ber fonderbaren geheimen Wieder-
vergeltung in biefer Welt, die ih .... bei jedem einzelnen
Menſchen fo auszeichnend bemerfe;
Herders fänmtl, Werte. X. 22
— 38 —
fie ftrafe, und fo diefe, wie hundert andre feine Bemerkungen
über das Göttliche in menſchlichen Dingen durd die treffend-
ften Bilder, Sprüdmörter, "Symbole, Fabeln dargeftelt. Die
Schriften des A. und N. T. reden von dieſem Alles durchſchauen⸗
den Auge, das wie ein zweiichneidiges Schwert blidt, und das
Innerſte unfer8 Herzens theilet. Sie reden von jenem Bud Got-
tes, wo Alles angefchrieben wird und in der Folge gewiß zum
Vorſchein fommt, von einer aud in dieſem Leben fortgchenden
Saat und Ernte — Ya, wen! ſpricht nit, mehr als alles,
hierüber fein Gewiſſen, das fortgehende Bewußtſein feines ?
Lebens, das doch eigentlih allein unfer Ich, unſre moraliſche 95
Identität ausmacht? Grazien und Furien ftehn bei jeder Hand—
lung bereit, und zu umfangen und ? fortzubegleiten. ‘Sie beglei-
ten uns auch wirflih und laſſen ſich nicht abtreiben, eine Zeitlang
verſcheucht, kommen fie gerade in der Enge des Lebens am furdt:
barften Ort wieder, uns durch die natürliden Folgen unſrer
Handlung mit Geilfeln oder Roſenkränzen zu lohnen. Alte
Gefhmwüre drehen auf, wenn mans am wenigſten glaubet, und
unjer Herz ahndets, melde noch aufbrechen müfjen und werben.
So binden fih Zeit- und Lebensalter: jo binden ſich Stände
und Menſchen. ever Mangel Iohnt mit Mangel, Lafter mit
Strafen, Verfüumniß mit Bedürfniß: Der Frühling beſtimmt den
Herbit, der Sommer den Winter, die obern die untern, die untern
die obern Stände der menſchlichen Geſellſchaft.“ Gerechter Richter,
wie ſuchſt du Heim! und ifts nicht unfre Blindheit allein, wenn
wir in moraliſchen Dingen nicht eben die Geſetze der Bewe—
gung, des Druds, des Falles, als in der ganzen Phyfifchen
Schöpfung wahrnehmen? Hier haben Sie mwahrlid ein novum
1) dargeftellt; (die Cie auch gefammlet an fo manden Orten, dem
Stobaeo, Pieinelli, Neander, Strucdhytmeier, Huet, Pfanner, Erafmus u. a.
finden können:) die Schriften des A. und N. T. reden von dieſem zwei—
ſchneidigen Schwert, von biefem Buche Gottes; wo .... fommt, von
diefer fortgehenden Saat und Ernte — und dent, wen
2) unſers 3) umfangen, uns 4) Stände des Lebens.
— 89 —
organum theologiſcher Wiſſenſchaft und Uebung, wenn fie das Herz
haben, darauf Ihr Auge zu richten.!
96 Inſonderheit, m. Fr., ſchärfen Ste jedermann ein, daß er
die Macht in feiner Hand babe, die Vorfehung zu zwingen, wie
fie mit ihm umgeben fol, ob mit einem Knecht oder Rinde? Hart
oder Linde? nachdem Er ſich nehmlich gegen fie jelbft bezeiget.
Nah Chrifti Lehre weiß er den? Weg, mit einem Becher Talten
Waſſers den Lohn eines Propheten zu erlangen; aber auch den
Weg, mit den lauteften, jchreiendften Berdienften feinen Lohn
dahin zu haben. Gott ift ung, wie wir wollen, daß er uns ſey;
Richter oder Vater, Tyrann oder Freund und Bruder.
D wer bier das Buch der Menfchenalter und Menfchenjeelen
recht aufzufchlagen, es jedem aufs anfchauendfte zu maden ? wüßte,
wie es einit das Aufwachen in jene Welt auf einmal und ewig
eröfnen wird! Jeder Menih trägt Funken, brennende Funken
diefes Bewußtſeyns in fi; aber ſie glimmen unter der Aſche und
bei vielen werden fie, jo unlöſchbarer Natur fie find,* täglich mit
Waſſer gefühle. Kein rebliher Menſch kann fein Leben überden⸗
denken, geſchweige jchreiben und es den Seinen mit Wahrheit nad-
laſſen wollen, wo ihm diefe Funken Gottes nicht gleichſam zur
Flamme würden; vielleicht oft fo zur Ylamme würden, daß er die
Feder Hinwürfe und fich felbft nicht zu ertragen vermöchte: ° daher
wir aud fo wenig moralijch-treu und göttlich-wahr beſchrie—
bene eigene Lebensbeſchreibungen und Tageregiiter haben.
Die Alten übertrafen uns auch bier vielleicht an Strenge und reb-
licher Wahrheit, wie theil® die Lehren und Uebungen der Pytha⸗
goräer, theils ihre Lebensbeſchreibungen und Aeußerungen von fid
1) Uebung. („wenn — richten” fehlt.)
2) ob knechtlich oder kindlich? Hart oder Linde? nachdem Er
ſich nehmlich ihr bezeiget. Er weiß den
3) eröfnen 4) unerlöfhbarer Natur fie als Gottes Funken find,
5) Kein Menfh kann .... wollen, wo fie ihm nicht zur Flamme
werben, oft fo zur Flamme werben, baß er bie Feder binmwirft und fi
felbft nicht zu ertragen vermag:
9
—
2.92%
— 40 0 —
nah dem Maafie ihres moralifchen Urtheils beweilen. Ein Pre⸗
diger hat nicht blos Gelegenheit, fondern es tft auch feine Pflicht,
mehr als andre von diefem innern Tugebud Gottes in menjd-
lichen Seelen zu leſen und zu erfahren. Auf dem Kranfen- und
Sterbebette wird vieles, mas fonft verjchwiegen war, offenbar;
was fonft gedämpft und unterbrüdt ward, wird laut und revend.
Glücklich, wenn Gott ihm einen Sinn gab, in diefe Schaglammer
göttlihder Gedanken, Abjichten, Zmede und Triebe in Lei—
tung einzelner Menſchen Hineinzufhauen und fie zum Beften
andrer zu gebrauden. Glücklich, wenn er fie dem Menſchen jelbft
zu eröfnen und lebendig zu machen weiß; — ein andrer jollte
auch nicht Prediger werden wollen.
Endlich, m. Fr., kommt Alles, wie Sie jehen, darauf an:
wie fern ein Menjch hienieden im Einzelnen ſowohl ala im Allge- 98
meinen ! moraliihe Regierung Gottes erfennen, anneh-
men, und anwenden wolle; ohne diefen Sinn und Willen und
Glauben find alle Worte von der Vorjehung ſchöne, aber Nutz⸗
Iofe? Mähren. In unferm Zeitalter ftürmt Alles darauf, uns
dDiefe Weberzeugung zu rauben, und wir müflen uns ſchämen, ftatt
in fo viel Jahrhunderten weiter, vielmehr in unfrer Weisheit und
Weltbetrahtung gegen Griechen und Römer hierinn merklich zurüd-
gekommen zu feyn, wie fo viel neuere philofophifhe Geſchich—
ten der Welt bemweilen. Jene fahen und hatten doch noch bei
dem, was fte thaten und fchrieben, einen unmandelbaren, gewiſſen,
feiten Zweck: da8 allgemeine Gute, auf welches die Götter ſchau⸗
ten, und für das aud fie bandelten, lebten und ftarben, war
ihnen doch wenigſtens, wenn auch mit vielen falihen Begriffen
des Ruhms, der Vaterlandsliebe u. f. durchflochten, Zar vor
Augen; ? was aber haben wir? Im unfrer Gedichte und Men-
fchenverwaltung werden Phyſiſche Zwecke geſucht; die Moralifchen
dagegen vergefien oder lächerlich gemadt. „Mit Phyſiſchen Kräften,
1) Einzelnen und Allgemeinen 2) ſchöne, Nutzloſe
3) „mar — Augen;” fehlt.
„nicht mit Moraliihen, beißt es, muß man fein Glüd bauen; ber
„Rare, der ed mit diefen ſucht, gebt, wie das Meer der Welt-
99 „geichichte zeigt, gewiß unter. Je mehr zum Gebraud und zur
„Regierung der Menſchen fich die legten, die Phyfiſchen Hülfsmit-
„tel, in Erfindungen und Werkzeugen vermehrt! Baben; deſto
„mehr kann man der unzuverläßigen, ſchweren Moraliihen Kräfte
„entbehren.” Alſo Iebe wohl Borfehung! Die ganze Gefchichte
ift deine Grabftäte. Siehe gutherziger Wandrer, wie e8 alle den
Schädeln ging, die je auf dem Felde der Menſchheit moralische
Zwecke ſuchten: als Thoren Tiegen fie da und werben von Thoren
beweinet; aber die Nephilim, die berühmten, großberzigen Tyran-
nen, die Unterbrüder und Betrüger ihres Brudergeſchlechts leben! — ?
Doch, dünkt' mich, nicht fo ganz und gar; oder fie leben
vieleicht fi zur Schande, und der moraliſche Tobtenfchäbel, ber
bier wenigftens in ſich Troft und Leben genoß, fand gewiß auch
bie und da die Zuftimmung andrer Menſchenherzen, und gejeßt,
daß er feinen Zweck bier nicht völlig erreichte, jelbft für dieſen
verfehlten Zweck in? einer andern Welt Belohnung. Freilich,
m. Fr., iſt unfre Erde weder das Land des Lohne, noch das
Baterland wahrer, ewiger Tugend: fie felbft und ihr Schichſal ift
bier nur Stüdwerf, A. B. C. oder höchſtens Buchftabenfehung,
100 ein unvolllommner, unvollendeter Anfang. Unfre Erde dreht fi
und wir drehen uns mit ihr: fie ſchwankt mit den Jahrszeiten;
und auf ihr ift nichts ewig. Weder Leimhütten, noch Pyramiden:
weder Schand- noch Chrenfäulen. Wer fich hienieden üchter,
ewiger Tugend rühmt und für fie einen irrdifch-ewigen Lohn, *
wenn auch nur im Nahruhm der Menſchen, in der Unfterblichkeit,
erwartet; der zeigt, daß er von ächter Tugend und ihrem Lohne
1) Hilfsmittel vermehrt
2) den moralifhen Schädeln ging; aber die Nephilim,.....
Tyrannen leben! —
3) leben fih zur Schande, und ber moralifche Todtenſchädel, ber
bier in ſich Leben genoß, fuchte und fand gewiß in
4) für fie ewigen, irrdiſchen Lohn,
u MB
— 2 —
feinen Begriff habe.“ Weber jene, noch dieſer kann irrdiſch
ſeyn. Unſer moraliſches Dafeyn ift bier gewiß nur auf ber
erften Stufe, in der erften Knoſpe. Hiernah hat die Vor⸗
fehung das Clima und den Boden ded Gartens eingerichtet:
die Blume oder die Frucht fol bier nicht reif werben. Deßwegen
macht die Bibel nicht Tugend und ſelbſtgemeinte Vollkommenheit,
fondern Glauben, Liebe, Hoffnung, die Kindertugenden, zu
Führerinnen unfres Lebens. Nicht Pyramiden de Ruhms, noch
Schlöffer der Wolluft; ein Kreuz ift aufgerichtet über alle Natio-
nen, dadurch wir näher zu Gott kommen follen und der Weg
über und an demfelben beißt Geduld, moralifde Erziehung,
Prüfung. Damah muß auch die allgemeine Geſchichte
betrachtet, gelefen, angewandt werden; fie iſt uns menigftend das
große Lehrbuch der Nichtigkeit aller menſchlichen Dinge 101
und zeigt ung damit jehr augenjcdeinlih, was nicht der rechte
Meg und Zweck des Menſchengeſchlechts hienieden? fey, wenn fie
und auch nicht mehr zeigte. Nützlich und ſchön find alle Bei-
träge, die fie alfo darftellen und erklären, fie mögen Gejchichte
oder Vhilofophie, Gedicht oder Predigt beiffen.? Schriften der
Art Halte ih für die würdigfte Beichäftigung des leſenden oder
ſchreibenden menjchlihen Geiftes; Schade aber, daß ihrer nicht fo
gar viel find, wenigſtens daß ich foldher nicht jo gar viel Tenne.
Was kann der menfhliche Geiſt Erhabeners feyn, als ein Zu-
Thauer und Ausleger der Vorfehung ewiger Weisheit und
Menihenliebel — Leben Ste wohl.
———
Zwey und breiffigiter “Brief. 102
Sie fragen mid nad Schriften, die von fo befondern Zügen
und? Merkmalen der Borjehung handeln, als von welden
1) ädhter, ewiger Tugend ... keinen Begriff hat.
2) Dinge: fie zeigt und wenigftend, was nicht ber rechte Weg und
Zweck binieben 3) fie feyn Gefchichte ... . . Prebigt.
— 343 —
neulich die Rede war;“ ich verweiſe Sie darauf, worauf ih Sie
. fon verwies, auf fih und auf die lebendige Erfahrung in
ihrem Kreiſe. In Bücher kommt davon menig: in Perfonalien,
Rob -» und Leichenpredigten nichts. Einzelne Geſchichten und Tage-
bücher, die Menſchen von fich ſelbſt jchrieben, wären dazu bie
beiten Beläge; allein ihrer find nicht viel in diefer Abficht ver-
fafjet: obwohl demohngeachtet ich Feine einzelne, eigengejchriebene
Geſchichte eines noch jo wenig merkwürdigen Menfchen gelefen habe,?
darinn nicht die Züge dieſes Gemäldes vorkämen. Seyn Sie alfo
auf diefe aufmerffam, nachdem fie Ihnen zu Händen kommen, und
halten fi außerdem an gute PBarticular-Gefhihten. Im
Bejondern und Einzelnen, m. Fr., ift überall die befte, nahr-
baftefte und bejtimmteite Belehrung. Im Allgemeinen ſowohl der
Philoſophie, als Gejchichte fliegen nur die Himmelsvögel; auf ber
103 Erde wächſt Heil: aus dem Staube quillt Leben. — Verachten
Site indefien auch die allgemeinen bündigen Beweife und Betrad)-
tungen nicht, die Sie bei Jeruſalem, Reimarus, Spalding,
Fofter, Clarke und font häufig auch über bie Vorfehung finden,
auh Jacobi Betradhtungen über die Abfihten Gottes, die
angenehme Schrift eines jehr popularen Theologen, haben Biezu
viel Guted. Dom Geſetz der Wiebervergeltung hat Hale ein Bud
gejchrieben, das von Geßner fehr gelobt wird; ich habe es aber
nicht gelefen. Im Deutſchen giebts ein jehr? dickes Bud, fatum
theologico -historicum, ober Brunner vom göttlihen Geſchick; Die
Beifpiele find gut und übel, gar nicht gewählt und das Bud in
einem feinen Geiſt gefchrieben.* Die vielen Schriften über uner-
fannte Sünden, Wohlthaten, Gerichte, Strafen von Ger:
ber, Balm, Hellmund u.a. follten bieher gehören; ich Tenne
fie aber zu wenig. In den Schriften und Predigten unfrer alten
Theologen, 3. E. Luthers, Matthejius, Herbergers, Scri-
ver3 u.a. findet man mehr dergleichen Einzelnes ala in neuern;
1) welchen wir neulich geredet; 2) gelejen,
3) fchredlich 4) B: „Im Deutichen — gefchrieben.” fehlt.
indefien auch in Einigen von ihnen find mit unter Mährchen.
Moraliſche Gedichte über Vorſehung und ihre Scenen im menfd- .
lichen Leben darf ich Ihnen nicht lange erft nennen: in Uz, Witt-
hof, Kleift, Gleims Halladat, u. a. kennet fie jeder. Bei ben 104
älteften Griechen! in Homer, den Tragikern, Pindar, wiſſen
Sie, ift alles Heilig: Alles ift in ben Händen der Götter und
im Knoten des unüberwindliden Schickſals. Dies trägt mit dazu
bei, jenen alten Thaten und Gedichten eine Art von Erhaben-
beit, Würde, und Einfalt zu geben, die uns fremb ift: denn
bei und wird alles dieſes ohne? Götter, gemein und alltäglid
behandelt. Auh in ihre profaiihe Schriften geht dies über:
Sofrates bei Plato, Marl-Antonin, Epiktet, felbft der
wisige Plutarch,“ die Pythagoräer find andächtiger, oder wenn
wir wollen, abergläubijcher gegen die Vorjehung, als viele unfrer
Chriften. Plutarch bringt diefen Zug jelbft in alle feine Hel⸗
den; und mie gläubig die alten Römer an Vorſehung waren, ift
aus Livius, Gicero u. a. befannt gnug! Vieles davon mar
allerdings Aberglaube, vieles Staatslift ober everbte Gewohnheit:
man muß aljo auch bier mit prüfendem Auge lefen; doc wo
müßte man biefes nicht?
Am meiften Balten Sie ſich, m. Fr., an? das eigentliche
Arhiv von Urkunden der Vorſehung, die Bibel. Hiob und
der Prediger, auch manche Propheten und Pfalmen knüpfen Zweifel 105
gegen die Vorfehung; andre Propheten, andre Pfalmen, vor allen
aber Chriftus löſen fie auf;® und vielleicht ift feine Scene der
Vorſehung, Feine Sünde, Strafe, Wohlthat und Art? der
Belohnung, die nicht in dieſem einfältigen und dod fo vielfachen
Buch ihre Lehre und Beifpiel fände. Auch einige Apokryphen,
3. E. Weisheit, Sirach u. f. find dazu nützlich.
1) ven Griechen, 2) wird ja alles ohne
3) Plato, Plutarch, 4) , Vieles — nicht?” fehlt. 5) ſich an
6) Propheten knüpfen Zweifel; andre Propheten, das Buch der Pfal-
men, Ehriftus vor allen, löfen auf;
7) Wohlthat, Art
— Yu —
Ueber die Engel, als Diener der Vorſehung haben Sie, wie
mich dünkt, genau den Geſichtspunkt, den die Schrift angiebt.
In der Sprache der Ebräer iſt die ganze Natur Engel Jehovahs:
alle kleine Umſtände ſind ſeine Diener, alle Zufälligkeiten ſeine
Boten. Er wirkt in jeder kleinſten Handlung fo ganz und unmit-
telbar, ala ob diefe Handlung in Ewigkeit fein Hauptgejchäft wäre.
Ketten Sie aljo, fo viel Sie können, dieſe edeln Werkzeuge der
Vorſehung von der Kleinlichkeit, in melde! fie Mönchsbegriffe,
ſchlechte Gemälde und ärmliche Gedichte verengt haben. Im U. T.
find Engel die Fürften des Himmels, die Regenten der Natur,
Machthaber der Elemente, ganzer Königreihe und Länder; und
doc lagert fih um Einen Gerechten wiederum ein Heer, die ganze
106 Natur mit Flammen und Winden wird Iebendig und fchlägt ein
Lager auf, wenn Gott winft. Oder fie erzeigen ſich im neuen
Bunde den Menfchen jo vertraut, daß, da Chriſtus Himmel und
Erde verföhnt und Alles zu Einem gemacht hat, fie, Die Das Ange:
fiht Gottes Schauen, zugleich der zarten ? Unſchuld der Kinder bie-
nen; — mie entfernt find fie in diefem allen von unjern gewöhn-
lichen Begriffen und poetischen Maſchienen! Kurz, lehren Sie, m
Fr., die Menjchen inſonderheit, daß die ihnen nächſten und ange-
meſſenſten Werkzeuge der Vorſehung fie felbit, dag Menſchen
gegen einander Engel feyn fünnen und feyn müffen,? bier in Liche,
Gefälligkeit und Reinheit; damit fies dort an Erkenntniß, Macht
und GSeligleit werden! — —
Der Urfprung des Uebels endlich ift wohl die ſchwerſte
Frage, die e8 in der Welt giebt; der Baum ber Erfenntniß des
Guten und Böfen war bie ältefte Prüfung des Menfchen und wird
ohne Zweifel auch die letzte bleiben. Was die Vernunft hierüber
an Zweifeln jagen kann, bat Baile; mas fie an Auflöfung ver-
1) die 2) zarteften
3) angemeßenften Engel als Werkzeuge ber Borfehung fie ſelbſt,
Menſchen, einer dem andern feyn müßen,
4) feyn mögen
— 346 —
ſuchen mag, Leibnitz geſagt; machen Sie ſich dieſe Raiſonnements
wohl bekannt; hüten ſich aber, daß Sie Ihre Heerde in keine
metaphyſiſche! Dornhecken führen. Offenbar find wir bier auf der 107
erften Stufe von Moralität und Einfiht, und nur in der Hof-
nung, daß wir nah unfern Anlagen gewiß weiter hinauf-
rüden werden, liegt mahrer Erſatz gegen unſre Mängel und
wirkliche Unvollflommenheiten: da8 übrige ift nur Troft armer hülf-
Iofer Aerzte. Mer ung einreden will, daß hier Fein Uebel, Feine
Unvollfommenheit jey, lügt; und wer uns damit tröften will, daß
doch das kleinſte Etwas befler als Nichts jey, hat auch nicht viel
gefaget. Gnug, fo viel fehen wir: bei allem Wechfel der Geftal-
ten, bei allem Tode voll Aufopferung und Zerftörung, der in der
phyſiſchen Schöpfung herriht, find die Geſetze diefer Abmeds-
lung, fo weit wir fie überjehen fünnen, gut und Gottes würdig.
Tag und Naht, Zonen und Jahreszeiten, Lebensalter und gegen⸗
feitige Aufreibung der Geſchöpfe: alles dienet Einem großen und
guten Gele. Tod bringt Leben; einzelner Untergang
beförbert eine höhere Ordnung; und nichts gebt eigentlich
in der phyfifhen Natur unter. Sollte es in der moralifchen,
der wahren Natur, dem Vorrathshauſe aller Triebfebern, und
Kräfte anders ſeyn ? ſollte es bier nicht im eigentlichſten Verſtande
ſo ſeyn müſſen? Wenn kein ſichtbares Staubkorn verlohren
gehen kann; wird eine unſichtbare Gewalt untergehen oder nicht 108
nach beftimmten Geſetzen in ihrer Natur fortgehn und wachſen?
Aber freilich, diefe Geſetze find feiner und von verflochtnerer Art
ala die bei der Körpermelt: unfre Vernunft fieht bei ihnen nicht
weit, weil fie zu wenig vor fih Bat, nur Ein Glied des Ver-
hältniſſes nämlich, nicht eine Reihe von Gliedern vor- und rüd-
wärts.? Wir wiſſen nicht, was wir geweſen find; wir haben feine
phyfiichen Data vor ung, was wir ſeyn werden? die Analogie
verläßt uns auf beiden Seiten. Es muß alſo wirklich Geſchichte
— —
1) Heerde nicht in metaphyſiſche
2) nehmlich, ohne die Kette vor- und rückwärts.
an die Stelle des Raifonnements treten und dieſe Geſchichte beur-
fundet und commentirt die Offenbarung. Sie zeigt nicht nur,
daß der Menſch noch nicht im Seyn, fondern erft im Werben fey; fons
dern fie zeigt auch, was er werben folle und durch welche Uebergänge
ers werden werde? | Was alle Völker dumpf gefühlt und einige
zum Theil in jo liebliche Fabeln eingelleivet haben: das beur-
fundet ung die Schrift Hiftorifh. Sie begnügt fih nicht mit
lieblihen Yabeln und einem Nebel der Morgenröthe,; ſondern giebt
Unterricht, Lehre, Beiſpiele, Thatſachen ver Geſchichte.
Der ganze Entwurf der Offenbarung nämlid, (wenn man
der großen Regierung Gottes durch alle Zeiten einen menjchlichen
109 Begriff fubftituiren darf,) jcheint an die ee vom Bilde Gottes
d. ti. vom Menſchen als feinem Sohn, feinem Stellvertreter und
Kinde, feinem moraliihen Abdruck und Nachahmer gelnüpft zu
ſeyn; welches auch die Einzige und höchſte Idee ift, durch melde
fih der Menſch an die Gottheit fchließen Tann. Zum Bilde diefer
Gottähnlichfeit war er erfchaffen; niemand anders als der Sohn
Gottes im reinften, höchſten Verſtande des Worts konnte in
unjrer Natur uns dazu Lehrer, Mittler, Vorbild werben, fo
daß wir nad immer mehrerer Gottähnlichkeit ftreben und zu ihr
— ——
1) Sie zeigt nicht nur, daß der Menſch noch nicht im Seyn, fonbern
im Werden fey; fie zeigt auch, was er werben folle und burdh welche Ueber⸗
gänge er daB, maß er ift, geworden? Was alle Bölter dumpf gefühlt und
zum Theil in fo lieblihe Fabeln von der Pſyche, die ihren Amor beleuch-
tete und verlor, ihn jetzt fucht und harte Prüfungen ausftehn muß, bis ihr
endlich in der Testen und ſchwerſten, Amor ſelbſt wieder erfcheinet und
fie zu feiner ewigen Braut madt, von den Gefahren Herkules und fei=
ner unfterblihen Hebe, fo vielen andern mehr — was fie, wie iu ber
Morgenröthe, im Nebel fo Yiebliher Fabeln, Allegorien, Bilder geahndet
und von Ferne gefehn baben: das beurkundet uns die Schrift hiſto—
riſch, mit der erhebendften Lehre, mit der umfaßendſten Einfalt.
Der ganze Entwurf der Offenbarung ift nehmlich an bie Idee vom
Bilde, vom Sohn, vom Kinde Gotte8 genüpft: zu bem ber Menfch
erichaffen mar, zu dem niemanb anders al8 der Sohn Gottes in
unfrer Natur uns führen konnte, zu dem wir einft in höherm Glanz
— 538 —
zu gelangen, für dieſes und jenes Leben eine aufmunternde unfterb-
liche Hofnung haben. Hierauf beruhen die jogenannten vier Stände
oder Zuftände des Menſchen; fie find gleichſam der Knote jei-
ner Ver⸗ und Entwidelung Hierauf beruht das Syftem
unſrer fogenannten Heilsordnung, die drei Artifel unfres Belännt-
nifjes u. f£_ Bei diefem Glauben des Chriftenthbums bleiben Sie,
m. Fr., denn rechtverftanden ift er eine fehr einfache, Herz» erhe⸗
bende, reine Philoſophie über das menſchliche Leben, an Thatjachen
gefnüpft, und laſſen fih von der ſchönen Hofnung, die er uns
giebt, durch feine Klügelei weglocken. Selbſt die Lehre der Drei-
einigfeit, auf die wir getauft find, ift in feine Defonomie ver:
webet; und ich kenne überhaupt feine Aenverungen, die, fobald 110
fie das Wefentlihe des Chriftenthbums betreffen, es wirklich befier
machten oder ihm nur nod feine zufammenhangende Geftalt ließen.
Nehmt diefen Pfeiler, nehmt diefen Balfen aus dem Gebäude; es
ftürzt. Untergrabt diefe, jene Mauer; fie müfjen mit ber Zeit
alle finten. Und das Ganze diefes Gebäudes ift in der Schrift
doch jehr unverkennbar vorgezeichnet. —
tommen follen, als wir im Anfange gejchaffen waren. Hierauf beruben bie
fogenannten vier Stände oder Zuftände bes Menſchen; fie find der Knote
feiner Ber- und Entwidlung Hierauf beruht das ganze Syſtem
unfrer Heilsordnung, die drei Artikel unfres Belänntnißes; wer uns einen
nahm, that fo übel, al8 ob er uns alle drei nähme. Bei diefem Glauben
bes Ehriftenthums bleiben Sie, m. F., und laßen ſich durch keine Klügelei
wegloden. Selbft die Lehre der Dreieinigleit, auf bie wir getauft find, ift
in feine ganze Oekonomie verwebt; und ich lenne keine neue Aenderungen,
ſobald fie das Wefentliche des Chriſtenthums betreffen, die es beßer mach⸗
ten oder nur nicht ganz zerſtörten. Nehmt dieſen Pfeiler, nehmt jenen
heraus; und es ſtürzt. Untergrabt dieſe, jene Mauer; fie müßen alle finten.
Auch iſt das Ganze dieſes Gebäudes in der Schrift ſo unleugbar, ſo unver⸗
kennbar! — —
Selbſt die Dogmatiken gefallen mir nicht, die von der umfaßenden
Einfalt der Schrift abgehen und ihren vielſeitigen Entwurf ausſchließend
in Eine Metapher, Ein Bildwort z. E. Bund, Weg, Licht, Leben
und bergl. ſpünden.
— 349 —
Daher gefallen mir auch jene tropiſchen Dogmatiken nicht,
die von der reichen Einfalt der Schrift auch dadurch abgehen, daß
ſie ihren vielſeitigen Entwurf ausſchließend in Eine Metapher, in
Ein Bildwort z. E. Bund, Weg, Licht, Leben u. dergl. ſpünden.
Die Schrift hats nicht gethan: fie braucht viele Bilder; worauf
fie alle8 bauet, ift der Zuftand, die Natur! des Menſchen.
Bleiben Sie auch hierinn bei der Einfalt Ihrer Symbole und
hüten fih vor dem Gothiſchen Geſchnörkel eines metaphorifchen
Gebäudes. Warum foll man mit Mühe fi) erft das Xicht ver-
bauen; um nachher die Dunkelheit «mit Fackeln oder Lämpchen zu
erleuchten? Stet animo fixa sententia: ovdev areg yoapng. Ut
non nostras sed sancti spiritus sententias proferamus, non pro-
priis praesumta opinionibus sed divinis testimoniis munita. eben
Ste mohl.?
Drei und dreiffigfter Brief.
Erwarten Sie nit von mir einen vollftändigen Commentar
über alle Lehren der Dogmatit; Dogmatiken find gnug in der
Welt und auch an Negiftern zu Theologischen Büchern fehlts nicht.
Sie kennen Buddeus Isagoge, die Fabrize, Pfaff, Wald,
Miller, neulih auch Niemeier und Nößelt, dern Theolo-
giſche Bücherkenntniß und Prediger-Bibliothef fehr braud-
bare „Handbücher find: meine Abficht ift nicht, fie zu compiliren
oder zu vermehren. Auch eigentlihe Anmweifungen zum Stu-
dium der Theologie find fo viel und zum Theil von jo geichid-
ten Leuten, einem Melandthon, Chyträus, GStrigeliug,
Gerhard, Mabillm, Fleuri u.a. kürzer ober länger, über
dieſes oder jenes Fach beſonders; daß es auch hier unnüß wäre,
eine Reihe oftgefagter Dinge wieder zu jagen, und noch verbrüß-
1) it Zuftand, Natur 2) „Stet — wohl.” fehlt.
3) neulih auch Nößelt, defien Theologifhe Bücherkenntniß
ein fehr brauchbares Handbuch if;
— 850 —
licher, ſie in Privatbriefen auszuſchreiben. Einige von dieſen
Methoden ſind auch zuſammen gedruckt, da Sie denn auf einer
Auction für ein paar Groſchen die Gedanken der größten und
gelehrteſten Männer über die Methode in mancherlei Stu- 112
dien, (eines Erasmus, Grotius, Naudeus, Scioppius,
Campanella u. a.) haben können. Meine Abfiht ift nur, da
jede Zeit ihre eigne Mängel und Vortheile, Hinderniffe und
Vollkommenheiten, Hülfsmittel und Fehler bat, Ihnen
nah der unfrigen, wie ih fie etwa fennen gelernt babe,! über
einzelne Lehren, Materien, Wiſſenſchaften u. f. einige gutgemeinte
Winke zu geben. Ich weiß, für Sie find Winfe gnug.
Und fahre alfo fort, wo wirs ließen, über die manderlei
Zuftände der Menfhheit zu reden nad unfrer Dogmatik.
Den Stand der erften Unſchuld überhäufen Sie ja nidt
mit jüdiſchen Grillen, zumal in Vorträgen ans Boll. Unſchuld
mars und feine Dämonifche Klugheit: Integrität aller Neigungen
und Kräfte; feine geprüfte Vollkommenheit und Tugend, Die ja
bei der eriten Probe fo übel beitand. Je mehr man ohne und
wider die Schrift das Ideal diefes Standes auf eine myſtiſche
Weiſe hinaufſchraubt; deito mehr läuft man Gefahr, wider den
ganzen Plan der Heildordnung, ja zulebt gegen die menjchliche
Natur felbft, erhabnen Unfinn zu reden. Ueber Einiges dieſer Art
bat fih Schon Liskov hergemadt; und in unſrer Zeit hat man 113
noch niehrere Behutſamkeit nöthig, da ja die Philofophen aller
Länder vom primigenen Naturmenfhen, ihrem élève de la
Nature jo gut und genau unterrichtet jeyn wollen —
Wie über diefen, Zuftand der Mährchen, fo enthalten Sie fi)
über den zweiten und den Uebergang jenes, in dieſen, unnöthiger
Grübeleien und Hypotheſen. Folgen Sie Far der Geichichte der
Schrift, wie fie uns Adams Fall beſchreibt; es iſt Geſchichte,
aber unfer aller Geſchichte. Wie Er fehlte, fehlen wir: Die
Jugend des Menfchengefchlechts ift unfer aller Jugend. Ich begreife
1) gelernt,
es nit, wie man jo außerordentliche Schwierigfeit findet, eine
natürlide! Sündhaftigfeit der Menſchen anzunehmen; mic
dünft, die Erfahrung bei denen, die unſres Herzens und Bluts
find, follte e8 ung, wenn die Bibel auch nicht? davon fagte, von
ihrer Kindheit an lehren. Wer Tann, wer darf fih rühmen, daß
Er der primigene Adam, der natürlihe, noch unangetaftete Keim
aller menſchlichen Kräfte und Tugenden, kurz da8 vollfommene
Exemplar der menjhliden Natur ſey? und daß er als ſolches
gebohren worden? Und das war Adam, wie uns die Schrift
faget. Nun breitete? fih durd feine Schuld, die Gott vorber-
114 gefehen und in den Plan feiner höhern Barmherzigkeit und Men-
ſchenordnung eingefchloffen hatte, gleih von ihm durch alle Kanäle
ſeines Geſchlechts Schmachheit, Mangel, Sünde, Unvollfommen-
beit, Keime zu Irrthümern, Laftern und Thorheiten? herunter.
Wir Tommen, fo wie mit einzelnen fehr beftimmten Gefichts-
zügen, Kräften und Anlagen, jo aud mit eben fo bejtimmten
Sndifpofitionen, Neigungen, Mängeln auf die Welt, die fich oft
Ihon in den erften Zeiten der Kindheit fonderbar äußern. Die
Philoſophen, die alle menſchliche Seelen für gleich und gleich leer
halten, die fie einem Kreidemeiffen und Sonnenreinen Papier ver-
gleichen ,‚* find von meiner Philofophie nit. Meines Bedünfens
ijt die menſchliche Seele eine volle Knofpe von guten und böfen
Anlagen und Dualitäten: es giebt Familienbildungen, wie Fami—
lienfranfheiten und Character. In der jungen, neugebohrnen
Knoſpe kann alfo fehr beftimmt der Wurm, ja Würmer vielerlei
Art nagen: fie nagen .leiver! in ihr aud wirklich. Was man von
der allgemeinen Bollfommenheit, von der NReinigfeit und
Würde der menfhliden Natur fpridt,? mag im Allgemeinen
wahr feyn; wo erfiftirt aber das Allgemeine in Einem Men-
1) natürliche Berborbenbeit und
2) fei? und als folde8 gebobren worden? Und das war Adam!
das follten, und fönnten wir alle noch fern! Nun aber breitete
3) Laftern, Thorbeiten 4) vergleichen u. dgl.
5) Natur baber fpricht,
Ihen? Niemand ehrt das Ideal der Menfchheit mehr, als die
Bibel, da fie e8 ja fogar zum Nachbilde Gottes erhebt: aber 115
eben weil fie es fo ehret, jo fuchet fie nicht die Schmachheiten,
Mängel und Krankheiten unſres Geſchlechts zu verichleiern und zu
verſchönen, da diefe ja wahrlih nicht Bild Gottes in ung find;
vielmehr meggethan ,! geheilt, übermannt werben müffen, wenn je
das hohe Bild in Zügen unfrer einzelnen Natur lebend und
berrfchend erfcheinen ſoll. Sie ftelt Adam als den Keim zum irr-
difchen, Chriftun als den Vorgänger zum höhern Leben dar; und
zeigt nun, wie Gott unter die Sünde Vene und die Unſchuld
Diefes feinen ganzen Plan verfaflet, den Entwurf des menjchlichen
Geſchlechts auch dur mande Abfälle ? und Mißtöne jo herrlich
zufammengeoronet bat, daB wir auf der Spur des lebten gei-
ftigen Adams, ein jeder aus feiner einzelnen Berborbenheit und
Todesgeſtalt? eben zum Biel jenes hohen Bildes hinaufftreben
ſollen. Trägt biezu auch frühe Pädagogie bei, (und allerdings
ſoll ſie's thun) fo thue ſie's; nur fie verhele die Krankheit nicht,
der fie Arzt feyn fol: denn die erfte Tugend des Arztes ift die
Krankheit zu kennen und bi8 auf den Grund zu erforjden.
Die philofophifchen Zweifel gegen die fogenannte Erbfünde find
alfo, dünft mich, nicht weit her; und bie pädogogiſchen Zweifel 116
unfers Jahrhunderts vielleicht Died ſonderbarſten von allen.
Führen Sie, m. Fr., in diefer ganzen Lehre fih und Ihre
Gemeine aus dem Felde des allgemeinen Raifonnements auf That,
Geſchichte, Erfahrung Es ift merflih, daB Die größeiten
Zweifler hierüber gerade die wenigfte Erfahrung gehabt zu haben
icheinen: denn Helvetius Syſtem 3. 3.5 ift offenbar gegen die
Natur und auch bei Rouffeau, dieſem fonderbaren menfchen-
1) Schwachheiten, die Mängel, die Krankheiten und Giftfeime zu ver-
ſchleiern und zu überfchönen, die ja... . find umd mweggetban,
2) Geſchlechts durch Abfälle 3) Todeslarve
4) ſoll oder fie giebt Verdacht, daß fie ein fchlechter Arzt fer:
5) pädagogiſchen unſers pädagogifchen Jahrhunderts bie
6) denn z. E. Helvetius Syſtem
— 39 —
freundlichen Menſchenfeinde, haben Grillen gegen die Theologie
oder fein volles Herz ihn bier, wie ſonſt mehrmals, irre geführet.“
Wer Tann Erbkrankheiten annehmen, ohne daß es, jelbit nad
dem Syſtem der Philofophen von Verbindung der Seele und des
Körpers, nicht auch Erbfehler gebe? und wer würde, bei jeber
andern Materie, nicht die Unzuläßigfeit eines abftracten, all-
gemeinen deals in lauter einzelnen Fällen einer bloßen
Geſchichtſache rügen? Weiſen Sie alfo Ihre Menjchen an, den
Engel im Menſchen nicht vorauszuſetzen, fondern auszubil-
den, das in ihm liegende Gold nicht Schladenlos anzunehmen,
damit man fih Mühe erfpare; fondern es zu reinigen, zu läu-
117 tern. — Uebrigens find feine Vorwürfe, die man dem Syſtem
der Bibel macht, ungegründeter, als die von ihrer Menjchenfeind-
ſchaft in Anjehung diefer Lehre. Sie ift gewiß Menfchenfreundin:
denn ihr Ideal der Menfchheit geht über alle philofophifche Ideale
hinaus — |
Die harten und zum Theil ſchimpflichen Streitigkeiten über
den freien Willen des Menſchen nad) dem Fall find mei-
ſtens duch Perfönlichkeiten der Streitenden jo ? hart gemacht wor⸗
den; mich dünkt, da wir jeßt aus dem Drange der Zeiten hinaus
find, follten wir aus und nad der Bibel bald Schluß faſſen kön⸗
nen. Sie fpricht nehmlich keinem Menfchen ein Vermögen in
natürlichen Dingen ab; nur von geiftliden, göttlichen, himm⸗
liſchen Dingen und auch bei diefen nicht blos vom Wollen, fon-
dern vom primitiven Erfennen? und von der ganzen Geftalt
des Menſchen zu feiner Gottgefälligfeit ift die Rede, und
da, dünkt mich, muß man die Offenbarung beftimmen laſſen, was
ihres Theile ift. Ihre göttliche Wahrheiten Hat fi der menſch⸗
liche Verſtand nicht erfunden noch * erfinden fünnen: das ift res
facti. Gott bat alfo die Erziehung des Menfchengefchlehts in
höherer, bejondrer Zuthat angefangen, und wer will nun Gren⸗
1) mehrmals, weggeftrömet.
2) Berfönlichleiten fo 3) vom Ertennen 4) unb
Herders fämmtl, Werke. X. 23
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zen beftimmen, wo er aufhören Tann, darf und foll? m 118
natürlichen Sachen haben wir alles durch Erziehung und durd den
fortgehenden Einfluß andrer Menfchengeifter und Menfchenberzen
auf uns; in göttlihen Saden follten ! wirs nicht Haben? da jol
der menschliche Verftand Alles aus fich erfinden, das menfchliche
Herz Alles aus fi thun fünnen? Und gerade ift dies doch das
Schmerite, fo für unfre Natur da ift:? ein Entwurf Gottes, zu
dem, auch biftorifeh genommen, unſere Erfindungsfraft blind,
unjre Beitimmungsfraft tobt ift; und ewig blind und tobt ſeyn
würde, wenn der Vater fein Gejchlecht nicht mit Licht und Gnade
erfüllet hätte. Jetzt, da es erfüllt ift, da Licht und Gnade zuvor-
fommend um und in uns leuchtet; jegt wäre es zu difputiren Zeit,
wo menſchliches und göttliches Vermögen fih in jedem Strich ber
Erfenntniß, in jedem nisua und actu der Entſchließung unfrer Secle
trennen? ja mir follten über diefen Abgrund der Abgründe nur
etwas entſcheiden dörfen? Gie, m. Fr., werden hierüber nicht
Grübler, nit Richter; fondern folgen dem Haren Wort der Offen-
barung. Gott ifts, der in uns wirkt beide das Wollen
und das VBollbringen: er wirkt durh Natur, er wirkt dur)
Wort und Gnade Denn, iſt auch die Natur nit fein? ift 119
auch fie nit; find nicht alle? Kräfte in ihr Gnade? oder iſt
feine Gnabe Unnatur? oder wirkt fie nicht unfrer Natur Di.
unferm BebürfniB aufs höchſte gemäß, und ift für uns, jelbit
den Ausdrüden der Schrift zufolge, ein Geift, der in Jedermann
nach jeiner Weile zum gemeinen Nuten wirket?“ — Entfernen
Sie fih, Freund, aus dem ſchwarzen Irrhain alter fcholaftiicher
oder rhetorifcher Unterſcheidungen und Spisfündigfeiten, der nur
gepflanzt wurde, um zu verfeßern oder zu diſputiren; und bleiben
Sie in Saden von fo hiftorifher, praktiſcher Art auch auf
dem jchlihten Geſchicht- und Erfahrungsmege der Bibel.
1) follen 2) da ift, Geift gegen Fleiſch, Himmel gegen Erbe!
3) fie nicht und alle
4) gemäß und für uns, dem Anfcheine na, identiſch? —
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Noch minder theilen Sie den Kümmel der Unterſuchung aufs
neue und wollen beſtimmen: wie Gott nun bei dem Wort
wirke? wie bei dieſem und jenem Wort? auf welchen Fleck
unſres Weſens? und wie man jede Kraft, jede Gnade, jedes
Amt, jede Handlung ſtellen müſſe und ordnen? Ich wiederhole,
was ich oft ſchon geſagt habe: der Geſchichte der Dogmatik wegen
müſſen Sie dieſe Benennungen und Claſſificationen wiſſen und ſich
erklären können; verſchonen Sie aber damit Kinder und Gemeine.
120 Bleiben Sie bei dem jimpeln Wort Gottes: Buße und Glaube
ala Wert; Gejet und Evangelium ala Mittel, zu betrachten,
reduciren bierauf die manderlei Aemter, Gnaden, Hand-
lungen, Kräfte, und zeigen immer, daß hier nur Ein Gebäude
von verfhiednen Seiten gezeichnet, und zerlegt wird.*) Wol—⸗
len Sie diefes nun aud auf die Seelenfräfte des Menschen
anwenden und zeigen, wie der Verſtand erleuchtet, das Herz
verändert, und neugelenft werde? fo thun Sie e8;! hüten fich aber
gar fehr für der zu philoſophiſchen Zerlegung der Seelenfräfte etwa
zu emer eigenmädtig-langmeiligen GSelbft- Befjerung.?
Wiedergeburt und Glaube ift das Prineipium, die eigentliche
energifche Kraft, der lebendige Funke eines neuen Geſchöpfs zu
einem neuen himmlischen Dafeyn;3 nicht philofophifche Aufklärung,
nicht allmählige gutgemeinte Beſſerung, nachdem und miefern c3
nehmlid uns aufzuflären und uns zu beflern beliebt. Die lebte
halte ich gerade für die fehönfte Schlaffucht, ja für jenen kalten
Brand der Seele, da man fih mit den lieblichiten Opiumträumen
*) Mir find bierliber einige Programme von Hrn. D. Tittmann
in bie Hand gelommen, die biefe Materie, der Schrift gemäß, fehr beut-
ih jondern.!
1) wird: fo thun Sies;
2) eigenmädtigen, langweiligen Belehrung.
3) Principium, der eigentliche lebendige Funte eines neuen Geſchöpfs
vor Gott, eines himmlischen Dafeyns;
1) von Tittmann .... gelommten, bie mir fehr gefallen Haben.
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in Schlaftrunkenheit wiegt — — ! Wollen Sie von ber Natur, 121
Kraft und Nothwendigfeit diefes lebendigen Principium,
des Glaubens, auch auf eine fehr Iebendige, beitimmte Weiſe
geredet hören, jo lefen Sie Luthers Schriften. Er zeigt3 hundert⸗
mal und ausführlih, wie wenig der Bettelfad von allmähliger
Selbftbefierung in ſich halte; wie noch weniger er chriſtlich jey
und vor Gott gelte. Er felbit aber beflagte es jchon, wie
. wenige zu feiner Zeit den rechten Begriff von dem, was Er wah-
ren, lebendig - machenden Glauben nannte, faßten, und ihn nad
feinem Sinn praftiih zu machen wüßten.? Unter unfern neuern
Theologen habe ich injonderheit bei Ernefti öftere Rettungen und
die ächte Beitimmung dieſes Alt-Lutherifchen Begriffs gegen die
neueren philofophijchen Belehrungsfyftene, in denen alles jo fein
langfam und demonftrirt zugeht, gefunden. So haben fih aud
neulih einige Wirtembergifhe Theologen diefer Lehre angenom⸗
men und ihren Begriff, wie mich dünkt, bel und praftiih aus
der Schrift erwiejen —*
Die Lehre der Rechtfertigung ift mit jener vom Glau-
ben jo nahe verwandt, daß Eine mit der andern ftehn und fallen
muß; auch bei ihr, dem Eckſtein des Lutherthums, halten Sie fich
vorzüglih an Luthers Schriften. Mich dünkt, es war Spener, der 122
Zweifel gegen dies * Syſtem gefaßt hatte, die ihm unmiderleglich
dienen; er las Luthers Schriften, und feine Zmeifel verſchwan⸗
den. Aber, wie gejagt, Luther Hagte ſchon zu feiner Zeit, daß
1) Schlafſucht und den Falten Brand ber Seele mit ben Tieblichften
Dpiumträumen jenes Biſchofs aus Laodicen. — — Meiftens aus Eng-
liſchen Schriftftelleen und Prediger» Philofophen ift die Syſtem zu uns
gelommen, dem Glaubensbelänntniß Luthers und unfrer ältern Theologen
völlig fremde.
2) „Er ſelbſt — müßten.” fehlt in A; dafür: „Der Geift feiner
Schriften wäre Feuer, dieſe dürre Dornheden zu Afche zu machen; wenns
noh Mode wäre, die Schriften des leider Auguſtiner-Mönchs, Luthers
zu lefen — —
3) neulid Cleß und Storr in ein paar Schriften dieſer ....
helle aus der Schrift erwieſen — 4) ſein
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nicht alle ihn hierinn begriffen und da jebermann von Glauben,
Rechtfertigung und guten Werfen fchrie,! wenige feinen Sinn
und Geift gefaßt hätten; die Folgen unmittelbar und lang nad
feinem Tode habens traurig gnug gewieſen. Alfo gehen Sie, m.
Fr., auch, wenn Sie hierinn Lehre und Auflöfung verlangen,
zu ihm felbft, Diefem lebendigen Glaubensmann und ädhten
Sohn Paulus. In feinen Schriften tft ein fo gejunder Berftand
mit folder Stärke des Muths und Wärme bes veblichen Herzens
verbunden, daß ich oft, von der Falten Grübelei jüngerer Zeit
ermattet, mich nur an ihm erquidt babe.
Uebrigend, m. Fr., hüten Sie fih für dem heiſſen Schmwefel-
babe des Myſticismus, der in ältern und neuern Zeiten feinen
dumpfen, erjtidenden Nebel auch über diefe, Die Iebenbigiten,
blühendften Lehren des Chriſtenthums ausgebreitet hat; er ift das
entgegenftehende Extrem gegen die unzeitig « philofophirende Schlaff-
123 heit und Kälte. Zu welchem Unfinn! in welche Gräuel und Krank⸗
heiten bat er nicht feine Sünger und Freunde verleitet! und wie
entfernt ift feine Hölen- und Tiefenphilofophie gegen die klare,
freie Himmelsluft der Bibliihen Methode. Seinem Schädel ein
Loch zu bohren, daß Geift vom Himmel bineinregne, den dunfeln
Grund der Seele fo lange zu verdunfeln, bis er von fich felbit
Licht werde, und der Chriftus in ung bervorjpringt; oder bie
Gnadenhandlungen in Slaufuren zu faſſen, jeder ihre Tage und
Zeit zu beftimmen und dem H. Geift einen Galender vorzeichnen
zu wollen ,? nach dem er operire; Bänke der Belehrten und Halb-
befehrten zu machen, und darauf die Sige, vom erſten Schlage
an bis zum legten Durhbrud, zu numeriren; fein und etwa
feines Bekehrers enges, arınfeliges Beifpiel zum allgemeinen Muſter
und Modell fämmtlicher Belehrungsgaben und Zuſtände und
1) verſchwanden. Luther Hagt oft, daß fchon zu feiner Zeit wenige
ihn begriffen und da alle von .... fchrieen,
2) Elaufuren faflen, .... Zeit beflimmen und .... Calender vor⸗
zeichnen,
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Gnaden zu ſtempeln! und den Dunſtkreis feiner Schwitzſtube zum
Thermometer aller menſchlichen und göttlichen Gefühle jedermann
an die Thür zu firiren — o Freund, Freund, welde Schwad-
beiten, SKleinheiten, Engheiten, oder auch Pharifäereien, Gräuel
und Pedanterei! Weiß davon die Bibel? redet fie davon Ein
Wort? zeigen Chriftus, Paulus, Johannes, Jacobus,
Petrus ung auf den Weg hin? — Aus der Thebatichen Wüſte
ift der zehrende, erftidende Oftwind gelommen, nicht vom Him-
mel, nit vom? Geifte de Lebens. In die Wüſte gehört
er auch; wo alle Verridtungen und Geſchäfte des menfchlichen
Lebens aufhören und weder Gras noch Laub wächſt. Heiligen
Styliten, Fakirs und Derwifchen gehört er, und die mögen ihn
auch behalten, ihren Bauch füllen mit Dftwind, wie ber
Prophet jagt und lebendige Maufoleen werden. Dein Gott fey
Licht: Dein Glaube Thätigfeit, und Liebe; damit leuchte, damit
erwärme und laß übrigens den Geift wehen, mo und wie er zu
wehen für gut findet.
Hymnus.
Du, der alles bewegt und regiert, durch den ich auch ſelber
Bin, was ich bin, durch den, in dem die Naturen alle
Sind, was ſie ſind, der allen auch Alles iſt, Nähe und Ferne,
Tief' und Höhe, und Minder und Mehr, und in allen Geſtalten
Ausfüllt, was ſie von Liebe wiſſen, von Glück und von Weisheit!
Siehe, von Deiner Güte, von Deiner Wahrheit, da nahmſt Du
Einen der Tropfen und miſchteſt ihn ein in die Seelen der Menſchen,
Daß er Quell ihnen ſey und immerwährende Nahrung,
Und in mancherlei Bild, in manchen Geſtalten und Arten,
Trüber und heller, und ſtets nach Jedes Weiſe verändert,
Immer, getragen in ſich, die Quelle des ſüſſeſten Friedens
Und der bitterſten Schwermuth, der Stachel höhern Verlangens —
Immer durſtend nach Mehrerm und niemals gänzlich geſättigt,
Nimmer ganz rein; doch ſchimmert es durch dies göttliche Etwas;
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1) machen 2) der Wüſte .... nicht vom Himmel und vom
pas
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— Hat von diefem Strale, von biefem Ausflug auch Etwas
Meine Seele berührt — Du, der mich immer und aller
Orten begeiftert, mir war von Kindauf jüßere Freude,
Tiefer Entzüden! ſich fpiegeln mir Tieß die etwigen Wunder
Seine Natur, die, obangethan felbft mit Seiner Gewalt, mit
Seinen Anfehn und Glanz, doch immer ewig nur Ihn zeigt —
Ihn, den großen Führer, den Geift, den erſten Beweger,
Bon dem Leben ausgeht und Rath und Mittel und Ende,
Und durch alle Adern, Natur, der fichtbare Gott, Tebt!
Laß von Deinem Schimmer, von diefer Gewalt, bie mich anfaßt,
Wenn ih rund um mich feh Deine Werl’, in befcheivener Demuth,
Aufgelöft im Gefühl meines Nichts; zum Troſte der Menfchen,
Ihnen zur Freude, mir aber zum Glück — Ein Wort laß mich fingen,
Einen Ton ohne Kunft, fo wie die Füll' ihn mir darreicht
Defien, was mich umgiebt; damit ihr Geift fi) ermanne,
Sich ihr Herz befräftige, frei und edel zu handeln,
Nicht zu forgen des Glücks, das aus der Fülle des Daſeyns
Der bedenkt und felbften Sich giebt, durch welchen fie ba find,
Der fein göttliches Merk durch alle Zeiten binausführt! —
Bier und dreiſſigſter Brief.“
Seyn Sie fiber, m. Fr., daB Apollonius von Tyana
unjerm Chriftus nicht fchade, und wenn auch noch zehn „weile
Männer,“ wie Damis, oder „Attiiche Sophiſten,“ wie Philo—
ftrat, oder „Wahrbeitliebende Philofophen“ wie Hierofles und
Blount, ihn bis zum Himmel erhöben. Leſen Sie fein Leben
bei Philoftrat und fragen Ihr unbeftochenes Urtheil. Es ift ein
Roman von Anfang bis zu Ende: ein Roman, bei den Ihnen Chri-
jtus entweder gar nicht einfällt, oder etwa jo einfällt, wie man ?
die fchlichte, arme Wahrheit bei der reichiten aufgepugteften Lüge
gevenfet. Was bielte man von einem Menſchen, der den Tele-
mad, oder die Neifen des Cyrus als eine Geſchichte? Läfe,
weil ihre Legenden an Namen ber Gefchichte gefnüpft find? Mit
1) Der vier und breiffigfte Brief. 2) manan 3) als Gefchichte
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dem Zauberer und Wunderhelden, Apollonius von Tyana, iſts
nicht anders.
Sie wiſſen, in welchem Zeitalter Philoſtrat lebte und wie
vol damals alles von Philoſophiſchen Romanen war. Seitdem
die unglückliche Alerandriniiche Philoſophie Wurzel gefaßt und mit 129
ihrem Unkraut das ganze Römische Reich durchfrochen Hatte, ward
das nüchterne Denken Schwärmerei, die Philoſophiſche Geſchichte,
die die keuſcheſte ſeyn follte, ward Roman der Romane. Man
ftopfte die Namen der alten Philojophen mit Zauberei, Wundern
und Fabeln aus und ließ fie durch Nefromantifhe Künfte von
den Todten berauffommen. So erjhien Pythagoras mit feiner
goldnen Hüfte, Abaris mit feinem Wunberpfeil, Empebofles, Epi-
menides, Archytas u. a! Zum Glück Haben wir ja noch Die
Leben des erften vom Porphyrius, Jamblichus und jo viel fchöne
Ueberbleibfel des philofophilch - theurgiichen Geſchmacks diefer Zeiten,
daß darüber weiter Feine Frage feyn ſollte. Der Geſchmack war
leider! nun allgemein: eine Reihe Kaifer liebten ihn aus man-
herlei Urſachen vorzüglih: man wußte ? die thörichtiten Dinge mit
der gefunden Vernunft zu reimen, wenn es nur wunderbar, groß,
theurgifch ins Ohr fiel. Die Homerifche, Xenophontiſche Dichtung
gab keinen Neiz mehr: felbft Plato mar. zu fimpel: das Gericht
mußte mit jhärfern Würzen zubereitet werden; und fo wurde das
Ideal des Wahren und Guten eine Geftalt, wie fie — Ammo-
nius, Porphyrius, Plotinus, Jamblihus, Philoftrat an 130
ihren magiſchen Helden ſchildern. Ich ſetze den lebten in die Klaſſe
jener und beflage, daß er in fie Fam. Er war Sophift und wollte
eigentlich fein Philoſoph ſeyn; hatte aber die Ehre, in das gelehrte
Kränzchen der Kailerin Julia zu kommen, die nad Spartians
Bericht eine Afiatin von Geburt, unter Prieftern und Weiſen
erzogen, eine fchredliche Paßion für diefe Wunderweisheit hatte, und
da ihr die Kommentare des weifen Mannes Damis von einem
Verwandten defjelben Täuflih aufgeſchwatzt waren und fie fih an
1) u. a. auf der Bühne. 2) fie wußten
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deſſen Styl nicht erbauen fonnte, ob ihr gleich die Materie ſehr
wohl gefiel: jo gab fie dem Schönfchreiber Philoftrat, fie in beffere
Form zu bringen, Auftrag. Diefer, den die Wahrheit des In⸗
balts weiter nicht anging, ſah, dab ſich daraus was machen ließe;
und fo madte ers denn. Cr giebt felbft darüber jo rhetorifche
Auskunft, daß dieſer Held z. E. ihm gerade recht gemejen, weil
: er weder früher noch fpäter, ala — anderthalb Jahrhunderte vor
ihm gelebt, daß er aus Sagen des Volle, aus Tempelmährcen,
aus?! Briefen Apollonius an Könige, Länder und Städte, (Die
nah den vielleicht auch unächten Proben, die wir haben, nichts
131 von feinem Leben enthielten und vornehme Orakelſprüche waren)
endlih aus dem weiſen Marne Damis und Mörigenes, die er
jelbit bei aller Gelegenheit herunterjett, gefchöpft habe; ? und nad
dem er nun aus Städten, aus Tempeln, aus Nachrichten, aus
Briefen von Elis, Delphos, Indien, Aegypten, (0 des Rhetors!)
alles, alles Zuverläßige gefammlet, fo ſchreibt er der SKaiferin
Julia ein Leben, zierliher als der meife Mann Damts fchreiben
tonnte. Das lebte glaubt ein jeder: denn der Sophift, der fich
(mern diefe Schriften von ihm find,)® an nicht minder, als neun
und funfzig Leben der Sophilten, vier und ſechzig Beſchrei⸗
bungen von Gemählven, fammt allen griechifchen und Trojani-
chen Helden im Malen geübt hatte, der Tonnte ja jett wohl einen
Apollonius malen, wie man ihn gern ſah. Man merkt, er geht
auf der Tradition, wie auf feurigen Kohlen, Tann fie nicht zart,
nicht delifat genug behandeln, eilt immer davon weg und iſt defto
reicher an Einſchaltungen, vornehmen Sittenfprüchen, entfernten
Wunderdingen, Reiſen. Sein jchönfter Schauplag iſt Aften, der
Caucafus, Ganges, Aegypten, die Mondsgebürge, wo Teiner hin-
fragen konnte. Auch ift das ganze Buch in feiner Anlage, Yort-
132 leitung, in Bertheilung der Epijoden, Neben, Sentenzen, Wundern,
Fabeln, kurz in der ganzen Haltung von Anfange bis zu Ende,
1) Tempelmährchen, (fchöne Quellen!) aus 2) gefchöpft;
3) „(wenn — find,)” fehlt. 4) Wunder, Fabeln u. f. kurz
vom Augenblide, da Proteus ſich gebähren läßt, bis zum letzten
Kapitel, wo Philoſtrat in aller Welt, felbft nur das leere Grab
des Unfterblichen ſucht, fo fihtbar Roman, daß es feines wieder⸗
Iommenden guten Freundes von Apollonius, des Euphrates, bedarf, !
um das zu ſehen und durchhin zu fühlen. Nichts ſtimmt ja mit
Geographie und Geſchichte: im ganzen Altertum ift Apollonius
nur als Magus befannt, und felbft Lucian denkt an ihn, als
an den Bater der Betrügereien und bes CErzbetrügers, eines
Uleranders: Tragödie nennt er fein Werf und Weſen. — Hätte
ein Chriſt aud nur die Hälfte folcher Auffchneibereien fih zu
erzählen getrauet, wie würde man ihn verladen und wegwerfen!
und nun, da der Gott Apollonius auf Erden wandelt, hat ınan
nicht Worte gnug, ihn zu Toben.
Ferne ſeys von mir, Ahnen ein Buch verleiden zu wollen,
das als Noman betrachtet, vielleicht das ſchönſte diefer Zeit ift.
Ich babe gegen den Schreiber Philoſtrat nichts und beflage nur
jedes Zeitalter, mo felbft das deal des Wahren und Guten,
wie diefer Apollonius doch ſeyn fol, und dazu aus Fliden aller 133
Werfen der Erde von Pythagoras bis zu Jarchas, vom Ganges
und den Mondögebürgen bis zu den Säulen Herkules zufammen-
gejeßt und creirt wird — mo felbit dies deal ſolche pretiöje
Pralereien nöthig hatte,? fih zu empfehlen. Um des Himmels
willen, was ift dagegen der arme, einfältige Chriftus! und wem
hats je in den Sinn fommen können, die zwei zu vergleichen oder
gar, wie der Gemahl der Julia that, ihre Bilbniffe neben einan⸗
ber zu ftellen und Orpheus und Abraham mit ihnen! Wenn
ſpricht Chriſtus fo erhabne diktatorifhe Machtſprüche, die plötzlich
die Melt ändern? wenn jchreibt er an Könige und Länder fo vor»
nehme, einſylbige Briefe, die fie plöglih neu befeelen? Wenn
zog er, von allen Tugenden begleitet, durch Welttheile und Städte
und gab fie an den Thoren an — wie ſolch übertriebenes, einen
Meilen ganz unmwürdiges? Pralen das ganze Buch burchgehet.
1) braucht, 2) bat, 3) ſolch unfinniged und einem Weifen unwürdiges
Wenn trieb er auf fo erhabne Weije Sittenteufel aus, verftand
‘ die Spradhe der Sperlinge, ftillte, da er fiumm war, die Wuth
bes Volks durch ein Winfen des Haupts — ! mehr, ala Vater
Zevs bei Homer thun konnte. Die vornehme Art, wie Apollonius
mit Königen, Weifen, gejchmeige mit Teufeln? und dem Möbel
134 umgeht, die gebieterifche Weisheit, die er überall ausframet, jene
Africanifch - Indianischen Yabeln und Mährchen,? womit der Vor:
trag aufgeheitert wird, die wichtigen Saden, die er den Schatten
Achilles fragt, die fehöne Art, wie er den Fuß aus der Kette
zieht,* und nad) gehaltner Redes vor dem Tyrannen verfhmwin-
det — doch, wo kann ich die Affectationen herzählen, die das
ganze Buch durchgehend Wer dieje mit Chrifto vergleicht, weiß
nicht, was er redet; wer fie aber Chrifto vorzieht und wie Hadrian
und Garacalla, hehr und göttlich preifet, deſſen Urtheil begehre ich
in diefer Sache nicht zu haben” — —
1) Haupts, durch ein Niden der Nafe — 2) geſchweige Teufeln
3) die Africaniſch-Indianiſche Lügenmenge, 4) Mſe.: zeucht
5) und nachher nach gehaltner Sophiſtenrede 6) durchherrſchen.
7) Statt: „doch, wo kann — haben“ folgt in der älteren Redaction
(Dife.) die Stelle: „Kurz, bis aufs letzte leere Grab des unſterblichen Man-
nes, das Philoftrat in allen Ländern vergebens ſuchte, geht bie gebieterifche,
zwedmäßige Auffchneiderei durch; und ich wünſchte nichts, als daß Apollo-
nius guter Freund, Euphrates, wieberläme und den Philoftrat lüfe Er
würde und Berichtigung geben — doch was darfs feiner? eines Fein-
des? Lucian ift da, der ibn [Rüde von 17/, Zeilen, zu ergänzen
aus ©. 362 3. 8. 9] nennt: fo fennt ihn das ganze Alterthum: Das
zeigen auch die Titel aller feiner vorgegebenen Schriften. Es find
Aftrologien, Opfer- und Wahrfagungsbilcher, Orakel u. dal.; ich glaube,
Sie werben nach feinen begierig feyn, felbft nicht nach dem, das er aus
der Höle Trophonius brachte. Wahrſcheinlich find auch die vorgegebnen
Briefe nicht von ibm; fo wenig als bie toftbaren Reden, die Philoftrat
einwebt und bie ihm ſelbſt, dem Sophiften, fo ähnlich find. Sie jehen
aber, wie mans machen muß, damit man Tempel befommt und ein Gott
werbe; nehmlich den Lieblingsihwachheiten feiner Zeit dienen, mit fich koft-
bar und groß thun, uud bei guten Naturgaben die Welt, inſonderheit die
Großen, die immerbar betrogen feyn wollen, betrügen. Ich bin der Ehre
herzlich müde, bie Severus feiner Mutter zu Gefallen Chriſto anthat, da
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Ich bin weitläuftig, m. Fr., aber unfre Zeit erforberts viel-
leicht, da fie an Romanſucht, und pretiöfer ' Aufſtutzung der leere:
ften Wahngeftalten, zur höchſten Bewunderung der Caracallen,
Julien, und Severe, jener Zeit nicht nachgeben möchte. Hat man
Chriftum jelbft nicht oft jo aufgepuget und pußt ihn zum Theil
noh auf? Gnoftiih, Alexandriniſch, Scholaftiih, Ariſtoteliſch,
zulegt Sokratiſch, Apolloniſch, theurgiſch und ich mag nicht weiter
jagen, wie?° Bat man nicht gar das Syitem aufgebracht, daB man
das Chriſtenthum für unfre Zeit nothwendig ſo? aufihmüden
müffe? Denn, was Chriftus und die Apoftel gepredigt haben,
ſey nur Kindheit des Chriftenthumg;‘ wir, wir jeyn in den
männlichen Jahren. Man bat dazu zwo verſchiedne Lehrbegriffe
(nicht Lehrarten) erdacht, deren Einer für die Schmaden, der
andre für die Starken ſey und die fih gar nicht ähnlich ſeyn dör⸗
fen. So wird der Irrthum, die Lüge, der Betrug beveftigt und
Chriftus und die Apoftel zum Theil ſelbſt zu Magiern, oder zu
betrogenen Betrügern 5 erniedrigt. Das fonderbarfte ift das, daß
man jih über die Schranken beider Klaſſen, der geheimen und
offenbaren Wahrheit nicht vereinigen ® Tann, daß es immer Ueber-
läufer giebt, die diefe und jene geheime Wahrheit der Eingeweihten
auch den Layen ausſchwätzen und endlid gar die Aufklärer, die Denker
jo intolerant geworden find, daß fie auch den Pöbel mit Schimpfen,
(mit Feuer und Schwert, wenn fies hätten!) zu ihrer geheimen Phi-
er ihn zwifchen Apollonius und Orpheus in feinem weiſen Götzen-Tempel⸗
chen hatte. Es war der elende Geſchmack der Zeit, alles, was nicht zufam-
men gehört, Chriſtus und Belial zu paaren, ein Geihmad, ven bie Aleran-
driniſche Schule aufgebracht hatte und der endlich in nichts, als Verwirrung
aller Ideen, Berfälfhung der ſchlichten Wahrheit, in Unwiſſenheit und
Barbarei endigte. Auch unfere Zeit liebt diefen Geſchmack fehr und Chriftus
muß mit Sofrates — ich weiß nicht, mit wern mehr? — ewig verglichen
werben und parabiren.“
1) pretiöfer Auffchneiderei und
2) zulegt, ih mag nicht fagen, wie? 3) Chriſtenthum fo
4) gepredigt; fei nur Kindheit des Chriftenthums, Anfang:
5) Magiern, boppelfinnigen Betrligern 6) Klafien nie vereinigen
loſophie, zu ihrem theurgifchen 1 Gnofticiamus zwingen wollen. Nach
aller Geſchichte Chriſtlicher Jahrhunderte ſehe ich auf dieſem Wege fei-
nen Segen. Betrügeret beiteht nicht, doppelte Lehre hält nie Stich;
Verkleidung, Ueberkleifterung der Wahrheit, und endlich gar Schimpf
und Kabale? hat immer geſchadet. Weder durch Gnoftiihe und
136 Platoniſche, noch durch Scholaftiich - Ariftoteliiche Philofophie hat
das Chriftenthbum gewonnen; die folgende Zeit mußte immer los⸗
reiſſen, was die vorige unnüß anbeftete und ich fehe fein Ende
alles Zanks und Haders, ala offene Wahrheit, reine Aus-
legung der Schrift, gefunde Einfalt.? Man lafle Chriftum
nit mehr jagen, ald er gejagt bat; laſſe ihn aber auch das jagen,
was er fagt, oder man entjage* fich feiner. Es ift Frechheit,
jemand zu einer Hypotheſe Des oder jenes zwingen zu wollen;
geſchweige zu einer neuausgedachten, allen Gejegen und Regeln
gejunder Philoſophie und Auslegung mwiderjprechenden 5 Hypotheſe,
wenn fie ung auch die klärſte dünkte. Nur gegenfeitige Toleranz,
Beſcheidenheit, Freiheit und Wahrheit können mit der Zeit die
Gemüther einigen, jo fern fie zu einigen find, und es ift lächer⸗
lid, wenn die, die vor kurzem verfolgt wurden, jet verfolgen
wollen und menigftens auf gut Julianiſch höhnen oder ſchimpfen.
Das find nit Waffen im Streit der Chriftlichen Wahrheit! auch
taugen überhaupt Waffen nicht in einem Reich, mo Alles Ueber-
zeugung, Liebe, und Ruhe jeyn fol.
Noch wundert mid, daß man das Chriſtenthum immer allein
137 in fogenannte Aufflärung des Spyitems, in Spekulation
ſetzt; da es doch offenbar mehr ala dieſes oder vielmehr ganz etwas
anders® feyn fol. Difputiren wird Chriftus freilich weder können,
1) erhabnen 2) Zwang
3) al8 Wahrheit, Auslegung der Schrift, NReinigteit,
Einfalt.
4) fagen, ober entjage
5) neuausgedachten, den Gefegen und einem Jahrhunderte lang ange⸗
nommenen Lebrbegrif widerſprechenden
6) doch ganz mad anders
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noch wollen, er wird feine der Künfte verftehen, morinn unfre
Zeiten ihre Meiſterſchaft jegen, und aljo gern ein Kind, ein Idiot
gegen fie ſeyn und bleiben; wie aber? erſchien er dazu auf Erden?
wies er dazu die Apoftel an? zeigte er nicht immer, daß fein
Evangelium gerabe dad Gegentheil, eine Lehre für die Einfältigen,
für die am Joch der Phariſäer und Dijputanten Abgematteten,
eine Religion für Herz und That, nidt für Wort und Katheder
ſeyn ſollte? Glaubt man aljo, daB das Chriftenthun jest
in männliden Jahren fey, fo zeige man jeine Früchte, nit
auf den Blättern des Syftens, ſondern in Werfen, in Berfaf-
jungen, in der Geftalt der Erde. Dan zeige, daß es einfältigere,
weiſere, beſſere Menſchen gebe, als Chriftus war, wirkſamere Lehrer,
als e3 die Apoftel waren: man zeige die Chriftlicden Königreiche,
Staaten und Gemeinen, wo das ftile Gute praftifch viel weiter
ift, als es Chriſtus und die Apoftel in ihren armen Anfängen
pflanzten. Kann man dies nicht zeigen, was rühınt man fich denn
mit der bloßen Aufflärung in Buchftaben, in Sylben, die doch oft 138
auch zweideutig anug if. Wehe Ihnen, m. Fr., wenn Sie das
Reich Chrifti als ein ſolches Buchſtaben- und Sylbenreih anjchen
lernten und an Chrifto feine andre Geſtalt, ala eine Materie zu
prebigen, zu kritiſiren, zu polemifiren ſähen! Der Baum Ihrer
Religion wäre damit verborret, vielleicht auf Lebenszeiten. Wahr-
id, er hats nicht zum Zweck gehabt, daß jedes Jahrhundert ihn
immer auf neue Weile aufpugen, mit frifhen Lumpen behängen
und auf neue Manter Herr, Herr fagen ſollte. Cr haßte Leute,
die dieſes thaten, und! entjagte fi) von ihnen; er wird fie auch
am legten Tage nicht Tennen:? folde Herr-Herr-Sager verderben
die Well. Wo aller Saft in die Blätter geht, können feine Früchte
werden; wenn irgend eine arıne Blüthe ericheint, jo wird fie von
drüdenden Blätter- und Wortkram erftidt. Wohlangebrachte, ein-
fältige, mäßige Worte erzeugen Thaten; Gedankenloſe, üppige,
1) haßte dieſe Leute bei Lebzeiten und
2) fernen, ja
— 367 —
übermäßige Worte haſſen Thaten, vernichten fie von Grund auf.
Gebe uns Jehovah bald die Periode, da niemand dein andern ing
Ohr ſchreit oder ihn darüber ſchlägt! und höhnet: „wie er Gott
erfennen ſoll?“ jondern fie ihn alle Tennen, klein und groß. Gebe
139 er uns bald die Zeit, da die Geſchichte Jeſu eine lebendige Schrift
in unjerm Herzen und für unfern Charakter? werde.
Zu diefem Zwed, m. Fr., lefen Sie wenig und dies Wenige
gut und tief: denn ich babe Ihnen ſonſt fchon gejagt, daß uns
auch deßwegen die Alten an Stärfe und Zuverläßigfeit der Denf
art jo fichtbar übertreffen, weil fie wenig und das Wenige oft und
gut laſen. Sie ſuchten Gold und wandten es auch ald Gold an:
wir wühlen im Staube, wo wir meiftens auch nur Staub finden.?
Was Hilfts Ihnen, m. Fr., wenn Sie in Ihrer Lectüre täglich
vom Tuch Petri, Reines und Unreines, ſpeiſen? wird dadurd Ihr
Geſchmack, Ihr Magen, Ihre Gejundheit gut? oder nicht äußerft
überladen oder verderbet?* Der gejunde Menſch braucht wenig,
auch im Lejen; er lieſt leicht zu viel, zumal wenn er dur cin:
ander liefet, wie ih an Ihnen merke. Prüfen Sie fih jelbft auf-
richtig, und fagen Sie: ob Ihnen die unzähligen Journale, die
vielen theologischen Streitichriften und Hetzereien nugen oder ſchaden?
Wenn nichts weiter, fo verrüden fie den rechten Gefichtspunft, fie
verderben Ihnen den erften, gejunden, ruhigen Anblid, den Sie
nothiwendig von der Religion in Ihren Jahren haben follten, und
140 haben fönnten. Seht tauchen Sie ſich jeben Augenblid ind Meer,
ungewiß, ob Sie eine Perlen» oder Kothmuſchel, eine Korallen:
ſtaude oder eine Ströte Hafen, wo Sie nicht gar einem Hayfıld)
zum Raube werben.
1) oder fchlägt
2) und Charakter
3) im Koth, wo wir meiftens auch nur Koth finde.
4) In der älteren Rebaction folgt noch der Sat: „Ich nehme mich
von bdiefer Regel nicht ans: denn auch ich babe viel zu viel, aus zu
mancherlei Sprachen, unb weil ein Gebränge von Umſtänden und Pflichten
e8 foderten, manches zu vermiſcht gelefen.“
— 368 —
Was hats Ihnen z. E. geholfen, daß Sie das Buch vom
Zweck Jeſu jetzt ſchon geleſen haben?! für Ste wars weder geſchrie⸗
ben, noch herausgegeben: Sie könnens weder berichtigen, noch
widerlegen. Nicht wahr? als Sie von Kind auf die Gejhichte der
Evangeliften laſen, ſahen Sie was anders darinn, als Ihnen.
diefer? Autor zeigt; aber wo zeigt er falſch? wo und woher its
nothmendig andere? Sie wiſſens nit: „bei ihm ift doch aud
manches jo mwahrjcheinlih, fo vernünftig!“ und Gegentheild war
Ihr erfter Eindrud fo einfacher, fo angenehmer, jo jchlicht- wahrer!
Wo liegts nun? mo ift der Arzt für Ihre eiternde Wunde? und
Ihr erſtes Gefühl ift — mwenigftens auf eine Zeit — manfenb
gemacht, hr erfler Eindrud ift verlohren. Sehen Sie, das find
die Schönen Folgen der zu frühen Lectüre durch einander. Wollen
Sieg annehmen: jo will ih Ihnen nächſtens über den Inhalt des
Buchs meine Meinung jagen. Leben Sie wohl.
Luthers Vorrede zu feinen deutſchen 141
Büchern 1539.
Gern hätte ich8 gefeben, daß meine Bücher allefammt wären babinten-
; blieben und untergangen. Und ift umter andern Urfachen Eine, daß mir
grauet für dem Exempel: denn ich wohl fehe, was Nutzes in ber Kirche
geihafft ift, da man hat aufjer und neben der heiligen Schrift angefangen,
\ viel Bücher und große Bibliothelen zu fammeln, fonderlih ohne allen
* Unterfcheid allerlei Väter und Lehrer aufzurafien. Damit nicht allein bie
edle Zeit und Stubiren in ber Schrift verfäumet, fondern auch bie reine
Erkänntniß göttliches Worts endlich verlobren ift, bis bie Bibel, wie dem
fünften Bu Moſe geſchah, zur Zeit Joſiah, unter der Bank im Staube
vergeſſen ift.
Auch ift das unfre Meinung geweſt, da wir bie Bibel ſelbſt zu ver-
deutſchen anfingen, daß wir hofften, e8 follte des Schreibens weniger und
des Studirend und Leſens im der Schrift mehr werden: denn auch alles
andre Schreiben, in und zu der Schrift, wie Johannes zu Chrifto weiſen
fol, wie er ſpricht: „ich muß abnehmen, diefer muß zunehmen; bamit ein
jeglicher ſelbſt möcht' aus ber friſchen Quelle trinfen, wie alle Väter, bie
1) gelefen? 2) anders in ihnen, als biejer
— 369 —
142 etwas Guts haben wollen machen, haben thun müflen. Denn fo gut wer-
dens weder Concilia, Väter noch wir machen, wenns auch aufs Köchfte und
befte geratben kann, als die H. Schrift, d. i. Gott ſelbſt gemacht bat, ob
wir wohl auch den H. Geift, Glauben, göttliche Rede und Wert haben
möüfien, fo wir follen felig werben; als die wir müſſen die Propheten und
Apoftel laſſen auf dem Pult fiten und wir bienieben zu ihren Füſſen hören,
was fie fagen, und nicht fagen, was fie hören müſſen. —
— Ueber. das will ich dir anzeigen eine rechte Weife in der Theologie
zu ſtudiren, der ich mich gelibt Habe: wo bu diefelbe bälteft, follt du alfo
gelehrt werben, daß bu felbft könneft (mo e8 noth wäre) ja fo gute Bücher
maden als die Väter und Eoncilia. Und ift das die Weife, die David
(ohne Zweifel auch alle Batriarchen und Propheten fie gehalten) im 119. Pfalm
lehret. Da wirft bu brei Regeln innen finden, durch den ganzen Palm
reichlich fürgeftellet, und heiſſen alfo: oratio, meditatio, tentatio.
Erſtlich folltu willen, daß die H. Schrift ein fol Buch ift, Das aller
andern Bücher Weisheit zur Narrheit macht, weil keins vom ewigen Leben
143 lehret, obne dies allein. Darum folltu an deinem Sinn und Berfland
firads verzagen, denn damit wirftu e8 nicht erlangen, ſondern mit folder
Vermeſſenheit dich felbft und andre ftärzen vom Himmel (wie Lucifer geſchah)
in Abgrund der Höllen. Sondern Iniee nieder in deine Kammer und bitte
mit rechter Demuth und Ernft zu Gott, daß er dir durch feinen Sohn
wolle feinen H. Geift geben, der dich erleuchte, leite und bir Verſtand gebe.
Wie du fiebeft, daß David bittet: „Leite mich, Herr! Unterweiſe mich! führe
„mich! zeige mir," und der Worte viel mehr: fo er doch den Tert Mofis
und ander mehr Bücher wohl fonnte, aud täglich hörete und Tas: noch
will er den rechten Meifter der Schrift jelbft dazu baben, auf baf er ja
nicht mit der Vernunft brein falle und fein ſelbſt Meifter werde: denn ba
werben Rottengeifter aus, bie fich laſſen dünken, die Schrift fey ihnen unter-
worfen und leichtlich mit ihrer Vernunft zu erlangen, als wäre es
Marcolphus oder Efopus Fabeln, da fie feines H. Geiſts noch Betens
zu dürfen.
Zum andern folltu meditiren db. i. nicht allein im Herzen, fonbern
auch äußerlich die mündliche Rede und buchſtabiſche Wort im Buch immer
144 treiben unb reiben, lefen und wieberlefen, mit fleißigem Aufmerlen und
Nachdenken, was der H. Geift Damit meinet. Und bite dich, daß du nicht
überbrüßig werbeft oder denkeſt: Du habeſt es einmal oder zwei gnug gele-
fen, geböret, gejagt, und verfteheft es alles zu Grund: denn da wird kein
jonderliher Theologus nimmermehr aus, und find wie das umgeitige Obſt,
das abfället, ehe e8 Halb veif wird.
Zum dritten ift da tentatio, Anfechtung: bie ift der Prüfeftein: bie
lehret dich nicht allein wiflen und verftehen, fondern auch erfahren: wie
Herders fümmtl. Werke. X. 24
— 310 —
recht, wie wahrhaftig, wie füße, wie lieblich, wie mächtig, wie tröftlich
Gottes Wort ſey — Weisheit über alle Weisheit. Sobald Gottes Wort
aufgehet durch dich: fo wird bi der Teufel heimſuchen, dich zum rechten
Doctor machen, und durch jeine Anfechtungen lehren, Gottes Wort zu
fuchen und zu lieben. Denn ich felber habe fehr viel meinen Papiften zu
banken, daß fie mich buch bes Teufels Toben fo zerfchlagen, zerbränget,
und zerängftet, d. i. einen ziemlichen guten Theologen gemacht haben, dahin
ih fonft nicht kommen wäre.
Siebe da haſtu Davids Regel. Studirefi du nun wohl diefem Erem-
pel nach, fo wirft bu mit ihm auch fingen und rübmen: „Das Gefet deines 145
Mundes iſt mir lieber, denn viel taufend Stüd Golde8 und Silbers. Du
„machft mich mit beinem Gebot weifer, benn meine Feinde find, ich bin
„gelebrter, denn alle meine Lehrer, ich bin klüger denn die Alten, denn id)
„halte deine Befehle." Und wirft erfahren, wie ſchaal und faul dir ber
Väter Bücher fchmeden werben; wird auch nicht allein ber Wiberjacher
Bücher verachten, ſondern dir felbft, beide im Schreiben und Lehren, je
länger je weniger gefallen. Wenn bu bieher kommen bift, fo boffe getroft,
daß bu habeft angefangen, ein rechter Theologus zu werben, der nicht allein
die jungen unvolllommenen Cbriften, fondern auch die zunehmenden und
volllommenen mögeft lehren: denn Chriftus Kirche Bat allerlei Chriften
in fi, jung, alt, ſchwach, frank, gefund, ftark, friiche, faule, alberne,
meife u. f.
Fühleſtu dich aber und läfſeſt dich bünken, du habeſt es gewiß unb
kitzelft dich mit deinen Lehren ober Schreiben, als babeft bu es fehr köſtlich
gemacht, gefället dir auch fehr, daß man did vor andern lobe, willt auch
vielleicht gelobet feyn, fonft wiärdeft dur trauren und ablafien. Biſt bu der
Haar, lieber, fo greif dir felbft! an deine Obren und greifeft bu recht, fo
wirt du? finden ein ſchön Paar großer langer rauder EfelSohren: fo wage
vollend die Koft daran und fchmüde fie mit güldnen Schellen, auf daß, mo 146
du gebeft, man dich hören könne, mit Fingern auf dich weifen und fagen:
febet, ſehet, da gehet das feine Thier, das fo Löftliche Bücher fchreiben und
treflich wohl predigen kann. Alsdann biſt du ſelig und überſelig im —
Himmelreich? — jal da dem Teufel ſamt ſeinen Engeln das Feuer bereit
iſt. Summa laſſet uns Ehre ſuchen und hochmüthig ſeyn, wo wir mögen;
hier ſey Gottes die Ehre allein.
1) ſelber 3) wirſtu
147
— 311 —
Fünf und dreiffigfter Brief.
Kennen Sie, m. Fr., eine feinere Kritif und Philofophie als
die über den Zwed eines Menſchen? über den geſammten Zwed
der Handlungen feines Lebens? Wer fennetö bei fich felbit oft
und allemal? wer immer bei andern, ſelbſt bei feinen geheimften
und innigften Freunden? Wer endlih bei Menfchen, die Jahr⸗
hunderte, Jahrtauſende vor uns gelebt, die wir nur aus dem
Zeugniß anderer, ihrer Mitgenoffen oder gar ihrer Nachkömm⸗
linge anjehn und Ichägen lernen?! Wer kennets bei ihren ver>
flochtenſten Handlungen? wer injonderheit bei den verflochtenſten
Handlungen ungemeiner, fonderbarer, gar wunderbarer
Menſchen? und jagen wir nicht, indem wir ihnen diefen Namen
zugeftehen, ober nachdem die Zeit fie als ſolche erwieſen hat,? daß
ihr Zweck des Lebens, das Triebrad der innerften Wirkungen
ihrer Seele, ſchwer zu erforfchen, ja beinah3 ohne Vergleihung
ſey? Und mas läßt ſich denn, ohne dieſe Vergleihung mit uns
oder mit andern, vom innerften, totalen Zmwed eines gefamm-
148 ten Menfchenlebens und feiner angewandten Kräfte fiher beftimmen?
Gefteht nicht ein jeder: hier ſey mwenigftens die größefte Behutfam-
feit nöthig? „Das menfchliche Leben, jagt ein Schriftiteller,
„ſcheinet in einer Reihe ſymboliſcher Handlungen zu beftehen, durch
„welche unfre Seele ihre unſichtbare Natur zu offenbaren fähig tft
„und gleichſam eine anſchauende Erkenntniß eines* wirkjamen
„Daſeyns außer fich mittheilet. Der bloße Körper einer Handlung
„tann uns ihren Werth niemals entveden; fondern die Vorftellung
„ihrer Bewegungsgründe und ihrer Folgen find die Mittelbegriffe,
„aus welden unjre Schlüffe mit Beifall oder Unwillen gebildet
„werden.” Welche Sorgfalt haben wir aljo nöthig, über folche
Schlüffe, ala über unfer eigen Stid- und Machwerk zu machen!
1) gar Naclömmlinge anfehn Ternen?
2) erwieſen, 3) erforfchen, beinah 4) ihres
24*
— 32 —
Nur die rohen Materialien liegen vor uns; mas wir daraus berei-
ten, ift unfre Geftalt, der Wahn und Traum unfrer Geele,
und wenn Hume fogar zwiſchen der fimpelften phyſiſchen Urſache
und Wirkung, zwiſchen einer vor uns liegenden Kraft und dem
unmittelbaren fihtbaren Erfolg feine Kette findet, mithin genöthiget
ift, die dem Anſchein nach offenbarften Bemerkungen unjrer Seele
in ein bloßes Ahnen nad) der Analogie ähnlicher Fälle auf-
aulöfen; ? wer wird bei einer ungleich feinern Verbindung zwiſchen 149
Bewegurfahen der Seele und ihren äußern Verſuchen und
Proben nicht zehnmal forgfamer jeyn? Der Eine, der wichtigſte
Theil ift Hier völlig unſichtbar; und die fihtbare Probe, moraus
wir auf ihn fchließen, ift unvollkommen, zerftüdt und mangelhaft
in unferm Anblid. Der Eine von jo feiner; der andre von fo
veränderlicher, taufend Zufällen? unterworfner grober Natur, das
Band endlich zwiichen beiden mehr zu ahnen, ala zu erfaflen,
mehr zu glauben, ala zu beweifen. ever Menjch fieht jede Sache,
gejhweige ein fo vieljeitiges Ding, ala ein Menſchenleben ift,
mit fo andern Augen an, prüft fie nach andern Grundfäten, ver-
gleiht fie mit fo andern Fällen, beurteilt fie mit jo andern
Launen; dag im eigentlichften Berftande Gott nur allein der
Kenner und Richter unfrer Herzen und ihrer wahren fort-
gehenden Abſicht if. Der den für uns felbit oft rätbfelhaften
Zwed unſers Lebens erjann und feftitellte, Er überfieht auch
unfern Zwed des Lebens, prüfet ihn bei jeder einzelnen Hand»
lung, entwidelt unfer Herz bis auf feine verworrenften? Gefpinnfte
und verfolgts bis in die Labyrinthe, Die wir gern vor uns felbit
mit Nacht bededten. Er läutert ung, wie Gold im Dfen,
und nimmt den Gerechten an, wie ein vollflommenes 150
Dpfer. — Bor Gottes rihtendem Auge muß der Menſch aljo
den Zweck feiner Handlungen prüfen; nicht fie einrichten nach dem
Auge der Menfchen, feiner Zeitgenoffen ober der jo oft irrenden
1) findet, alfo die dem Anfchein nad .... Fälle auflöfet;
2) veränderlicher, Zufällen 3) auf vermorrenfte
15
Ne
— 313 —
und nie doch zur End- Richterin ! beftimmten Nachwelt. „Das
„Syitem des heutigen Jahres, jagt der oben angezogene Schrift:
„fteller, wird das Mährchen des morgenden ſeyn. Schöpft Muth,
„ihr armen Sterbliden, die ihr unter den Nachwehen eurer guten
„Abfichten verzweifelt und die Yerfenftihe eurer Unternehmung
„Fühlt. Der Wille der Vorfehung muß uns angelegentlicher ſeyn
„als der Dünkel unfrer Zeitverwandten und Nahfommen — —
„Meberhaupt, laſſet uns nie die Wahrheit der Dinge nad der
„Gemächlichkeit Ihägen, uns jelbige vorftellen zu können.
„Es giebt Handlungen höherer Ordnung, für die feine Glei-
„Hung durch die Satzungen der Welt herausgebracht werden Tann.
„Eben das Göttliche, das die Wunder der Natur und die Dri-
„ginal⸗Werke der Kunft zu Zeichen macht, unterfcheibet die Sit
„ten und Thaten ausgezeichneter, ausermählter Menſchen. Nicht
„nur das Ende, Sondern der ganze Wandel eines Chriften
„(geichweige Chriftt) ift der Meifterplan des unbelannten, verborg⸗
„nen Werfmeifters, der Himmel und Erbe gemacht hat — —“
Glauben Sie nicht, daß ich fo fortfahren werde, m. Fr.,
denn fonft ſchiene e8 gar, als ob wir vom Lebenszweck eines Men:
ſchen, geſchweige Chriſti gar nichts wiſſen könnten; und alsdenn
hörte ſowohl bei mir, als bei den Gegnern meiner Meinung alles
Urtheilen und Fragen auf, wie dies eigentlich? immer die Folge
ſeyn muß, wenn man über Geſchichte zu ſtrenge metaphyſiciret.
Meine lange Einleitung follte nur fo viel jagen: eine menjchliche
Geſchichte müffe man menſchlich, nah ihrem natürliden Zu>
fammenhange, in ihrer eigenen Farbe, nah ihrem eignen
Geift beurtheilen; nicht ihr den unfrigen, und mit ihm den -
Zufammenhang unſers Wahns, unſrer Willkühr, fo wie die
Säfte unſers Herzens leihen.
Und nun mwieberhole ich, m. Fr., die Frage: haben Ste wohl,
ale Sie von Kind auf die Geſchichte Jeſu lafen und hörten, den
1) fo oft auch irrenden und niemals zur Richterin
2) und Schreiben auf, wie eigentlich
— 314 —
Zweck, den ihr der Verfaſſer des von Ahnen gelefenen Buchs*)
giebt, fo gar! al fortgehenden Zweck des Lebens in ihr gehö-
vet? Ich kann taufend ? mit Ihnen fragen, und bin gewiß, das 152
entfchiedenfte Nein! zur Antwort zu erhalten. Wenn nun Binter
taufenden ? Einer auftritt, und fagt: „ich Habs! ich Habe den
„ächten, wahren Zweck des Lebens Jeſu gefunden. Er mar ein
„moralifcher Betrüger, der König feyn, der das Synebrium, da
„feine Gewalt Hatte, von feinen Stühlen ftürgen; fich aber und
„die Seinen hinaufſetzens wollte -— —“ wird man nicht dieſen
Einen ſcharf anfehn und fragen: „woher haft du das? woher
weißt du's? Haft du etwa andre Nachrichten, andre Dofumente,
„als wir? —“ Und menn er gerade fagen muß: „nein! die
„babe ich nicht; ich fchließe es aber aus euren eignen“ Doku⸗
„menten!” wird man ihm nicht noch fchärfer ins Geficht fehn
und fagen: „moher ? beweije deine Schlüffe. Denn NB. Schlüffe,
„deine Schlüffe finds nur; buchftäblich fteht davon nichts gefchrie-
„ben. Jene mußt du beweiſen, wie fi irgend Ein biftorifches
„Mrtheil beweiſen läßt.“
Und wie beweijet der Autor dies fein Urtheil über den gan-
zen Zweck eines Lebens? Damit, daß Chriftus auf einem Ejfel
gen Jeruſalem reitet, die Wechsler aus einer der Vorhallen des
Tempels treibt, einer herrſchenden Religionsjecte (gar nicht der
Obrigkeit) ihrer Heuchelet in Religionsfadhen wegen Wehe zuruft 153
und vielleicht Jahre® vorher feine Schüler ins Land umbhergejandt
batte, die Ankunft eines ® Reichs Gottes zu verfündigen. Alfo
aus einigen einzelnen, berausgerifjenen Handlungen, die
theils ſelbſt nicht jagen, was fie mit aller ihnen erwieinen Gewalt
jagen follen; theils, wenn fie felbit (mie e8 doch gar der Fall
*) Ueber den Zwed Iefu und feiner Sünger.!
1) hörten, biefen Zwed, fo gar
2) taufend und zehntaufend 3) binaufpflanzen
4) feldfteignen 5) unb Sabre 6) des
1) „*) Weber — Yünger.” fehlt.
— 395 —
nicht ift) zweideutig wären, nach aller natürlichen Billigfeit mit
anbern Tlärern, ja mit dem ganzen Leben in Zufammenbang
geftellt und aus allen nun erſt gefolgert werben müßte: „was
„ver Zweck und die Summe des Ganzen gemwejen ſey?“ Und mo
bat dies der Autor gethban? wo in der Welt hat ers thun können ?
Er Sieht fih im ganzen Geift und Yacit der Gejchichte Jeſu fo
fehr widerlegt, daß er zu dem fchredlihen Nothzwange feine
Zufludt nehmen muß: „wir haben ganz und gar Feine ädhte
„Geſchichte von Jeſu. Die Evangeliften und Apoftel haben gedich⸗
„tet, feine Handlungen in einen ganz andern Zuſammenhang geſtellt,
„ala in dem fie wirklich fich zugetragen u. f.” Iſt dies nun,?
jo veißt der Faden aller Unterfuhung auf Einmal ab. So willen
wir im adtzehnden Jahrhundert nichts Rechte von Chrifto und
ber Verf. obgenannter philofophifher Unterfuhung muß, ftatt aus
154 einem fo unfidern Grunde zu folgern, erſt felbjt eine Gejchichte
Jeſu fchreiben. Er thut dies auch wirklich in feinem Bud; nur
freilih, daß fie eine Gejchichte aus dem achtzehnden Jahrhundert,
ohne und gegen alle Beweife aus dem Erften und alfo gewiß jeine
Geſchichte d. i. ein erzwungner Wahn über einzelne, aus ihrer
Drdnung und Abficht geriffene Umftände feyn möchte. ch halte
es für äußerft unnüße Arbeit, Licht in die Sonne zu tragen und
weitläuftig ermeifen zu wollen, mas ja alle Blätter der Gefchichte
fagen: daß Chriftus e8 auf Fein irrbifches Reich angelegt habe,
daß gerade das Entgegengeſetzte auf die entſchiedenſte Weiſe der
Zweck feines Lebens geweſen ſey; oder daß er der äußerfte Thor
hätte ſeyn müffen, wenn er auf ſolchem Wege zu ſolchem Biel
ging — — Indeſſen, da auch Sie irre gemacht find: fo will ih
nur einige Züge binwerfen, die feine andere Abficht haben, als
Sie auf das zufammenhangende Ganze jelbft zu weiſen.
Arm und in niedrigem Stande war? Chrütus gebohren, jo ward
er erzogen, und fein Erempel eines großen Standes, nad dem Er
1) Er fieht fich jo fehr im ganzen Geiſt .. Iefu wiberlegt,
2) nun und wirds Einen Augenblid zugegeben, 3) wurde
— 376 —
hätte Streben follen, ftand ? ihm vor Augen. Nazareth war eine
ſchlechte Stabt und Galiläa, eine arme, unterbrüdte Provinz, Er
war feinen Eltern unterthban, heiſts, half feinem Vater im 155
Handwerk, und ließ fih alio, (das iſt ermwiefen!) an ihren Stande
bis zum dreiffigiten Jahr feined Lebens gnügen. Hätte ihm nun
auch feine Mutter alle die Engelmährchen (jo wird und muß fie
der Verf. nennen) frühe erzählt, Die vor und bei feiner Geburt
fih zugetragen haben follten, daß aljo jtatt des Johannes feine
Mutter die Ehrfüchtige aus dem Stamme Davids gemejen wäre,
die ihm dergleichen Funken des Chrgeizes frühe in die Bruft gefäet
hätte; fo konnte fie theila ohne neuen Unzufammenhang dieſer
Erzählung nichts hineinfüen, als was ihr? der Engel gelagt, mas
fie von den Hirten vernommen haben wollte, (und weder jene,
noch dieſe, jprehen von einem weltlichen Weich oder geben dazu
die mindeſte Hoffnung) theils jehen wir offenbar, daß ihre ehr-
jüchtige Lüge auf ihren Sohn lange Zeit nicht? gewirkt haben muß:
denn er blieb bis zum dreiffigften Jahr, was fein Vater mar,
und in feinem Haufe. Ja, wenn noch fpäterhin feine Brüder zu
ihm jagen: „gehe hin! in Serufalem, am Feſt iſt Schauplag eines
„Propheten!” was antwortet er ihnen?
Bis dahin ift aljo alles aus der Luft gegriffen; und nun,
die Geſchichte, wie fie da liegt, betrachtet, geht Schritt für Schritt
dem erfonnenen Wahn? entgegen. Einen Sohn Gottes, ein
ewiged Reich auf dem Stuhl Davids fündigt der Engel an: einen
Heiland, einen Erlöfer von Sünden, ein Neih des Friedens
zwiſchen Gott und Menſchen verkündigen die andern; nichts
aber, als arme Windeln werden den Hirten zum Zeichen gegeben,
daß fie ja feinen* weltlihen König erwarten und fuchen follen.
1) war
2) Unzufammenbang der Lüge nichts bineinfäen, als was nach unfrer
Erzählung ihr
3) dem Wahn
4) Menſchen, kündigen die andern und ihr gefammtes Chor an:
und bie arınen Windeln .... gegeben, daß fie feinen
— 37 —
Zacharias in feinem Lobgefange erwartet einen geiſtlichen Erlöfer,
wie fein Sohn ein Prophet, ein geiftlicher Vorbote feyn follte.
Simeon fiehet ein Licht der Völker zum BPreife feiner Nation;
aber feinen irrdiſchen König; vielmehr lieſet er in dem Scidjal
des Kindes, daß es zum Fall, zum Aergerniß, zum Wider:
ſpruch! in Iſrael geſetzt fey, eben weil e3 auf eine fo fonderbare,
ungeglaubte Art das Reich Gottes verfündigen und alfo nothwen-
dig allgemeinen Widerſpruch haben müßte. Halte man alle dieſe
Umftände des Anbruhs feiner Erfheinung zufammen, bei
der Doch nothwendig, wie bei einem aufgehenden Stern vom Evan-
geliften die? Erwartung aufs höchfte gejpannt werben mußte, und
157 fehe die durchhingehende Demuth, die gehaltne jtille Beſcheiden—
beit und Geiftigfeit (wenn ih fo jagen darf) ſowohl des Hel-
den jelbft als feines Berfündigers, jelbft in der Glorie des
Anfangs diefer Geſchichte? — leſe man diefes und zwinge das
Samenlorn des irrdiſchen Reihe hinein! Wo fand fid Chriſtus
zum eritenmal zu Haufe? wo erwachte zuerjt feine jugendliche Seele
mit ihren Lebensplane? Im Pallaft oder im Tempel? Und in
diefem als ein irrdiſcher König oder ala Schüler, Lehrer, Pro-
phet? Wie bier die aufbrechende, noch hakbgeſchloſſene Blüthe
war, jo war die Frucht feines Lebens. Es ift die allgemeine
Srfahrung, daß diefe fi immer in jener anlündigt, und daß
man von jener ficher auf diefe, nicht auf ihr gerades Gegentheil,
Ichließet.
Er kam zur Taufe Johannes: noch eine verhüllete Knoſpe,
offenbar ohne Unterſcheidung, ohne Erwartung der Begebenbeit,
die vorging. Möge fein Better Johannes über ihn gedacht haben,
was er wollte: wie beſcheiden antwortet ihm Jeſus! Möge er
auh nachher von ihm und diefer Begebenheit ſprechen, was er
will: immer fagt Jeſus: „ich nehme nit Ehre von Menfchen,
1) Widerfprechungszeichen 2) Stern die
3) darf) ſelbſt in der Glorie des Anfangs biefer Geſchichte, die ber
Autor ohne Zweifel Roman heißen wirb und die bier alfo mwenigftens nur
ein geiſtiger, himmliſcher Roman fein könnte
— 318 —
„ih bedarf nicht Kohannes Zeugniß!“ Und diefes jagt er nicht! 158
etwa aus liftiger Ehrbegierde, wie ein Scythe, der fliehend fiegen
oder wie Cäfar, der zurüdichiebend die Krone haben will: fondern
eben, da er ſcharf für feine Ehre, für fein Anſehn, nur für fein
rechtes Anſehn ftritt; und dies mar allerdings von ſolcher Natur,
daß es des Vetters Johannes ? nicht nöthig hatte. Sey aljo die
Erklärung bei der Taufe ein Geficht gemefen! (daran zweifelt nie-
mand, denn die Taube ließ fi) wohl nicht greifen, faß ihm auch
nicht auf dem Kopfe; die Zeit ift auch vorüber, da ſich ganze Länder
darüber trennten, ob der Schein dabei erichaffenes oder unerfchaffenes
Licht war) ſey es auch fogar Johannes Gefiht allein geweſen, ohne
daß die Menge es ſah, oder eine Menge babei war; alles dies
thut, dünkt mic), abermals nichts zur Sade:? denn gnug! bie
gehörte oder erbichtete Stimme rief ihm nit zu: „jey König!“
jondern „ſey Prophet! Du bift mein Vielgeliebter!” So ver-
‚ ftand fie Chriftus: denn fogleich nach der Taufe ſuchte er — nicht
den Königspallajt, fondern die Wüfte, fih zum Propheten zu
weihn mit Faften und Beten: und eben dahin führte ihn der
Geift: derfelbe Geift, der bei der Taufe auf ihn herab fam und
alſo doch der Geift "vom Zwede feines Lebens ſeyn mußte.* Der
Better hatte es aljo vor der Hand übel ausgedacht, daß er die 159
Stimme nichts anders fagen ließ und feine andre Erſcheinung
ausſann; fie accrebitirted Chriftum gar nicht zu den Zweck, in
bem er fih nach des Voll! Wahn ald Meßias darftellen mußte.
Und welche Kühnheit ift endlich dies erbichtete Complot, zu dem
doch Fein Schatte vom Schatten in der Geſchichte vorhanden ift!®
Was Half denn Chrifto die ganze Lüge der himmlifhen Taube
zu einem Königsfcepter? Hätte? er fie auch auf dem Kopf mit
fih getragen; dabei aber den Geift, der ihn befeelte, den Cha-
1) Und fagt biefes nicht 2) Vetters⸗Johanns
3) war; thut, dünkt mich abermals nichts zu diefer Sache:
4) Geift: der Geift, ber über ihn bei der Taufe berablam und aljo
ein Geiſt dieſes Zwecks ſeyn muſte.
5) Erſcheinung heckte: fie kreditirtete 6) vorhanden! 7) B: Hatte
— 379 —
rakter eines Bielgeliebten Gottes, der um ihn, wie Grazie,
flog, nicht thätlich in feiner Perſon gezeiget:! fo war ja bie
Züge belachenswertb.
Sehen wir die Geſchichte abermals, wie fie dafteht, in ihrer
unfhuldigen Beſcheidenheit von Seiten Jeſu, Johannes, des wun⸗
derbaren Symbols ſelbſt, nebſt allem, was vorging und folgte;
welch einen gegenfeitigen Sinn verräth fie, als jene Betrugsge⸗
Ichichte Dichte! „Ein Gottes- Lamm, das die Sünden ber Welt
„trägt!” das war Johannes erfte Anficht, fein erfter ? Winf und
Bud auf Jeſum. Himmliſchen Geift erkannte er in ihm, zu
dem alle feine (Johannes) Gaben nur Erdenfrüdhte wären. Auf
160 ihm ruhe Prophbeten-Geift ohne Maas, ein auszeichnenbes ?
Gottes» Siegel. Zu dem Zwecke wies er Jeſu Schüler zu —
Schüler, nicht Unterthanen, nicht Knechte. Wer jagen kann, daß
Johannes Predigt, wie er fie der gefammten Nation jomohl, als
einzelnen Ständen that, ein irrdifches Weich habe vorbereiten
können oder vorbereiten * wollen; der kann alles fagen! —
Fürchten Sie nit, daß ich die ganze Geſchichte jo durchgehen
und jebes verrenfte Glied, jeden verftellten Umstand zurechtftellen
werde; nur noch wenige entjcheivende Hauptzüge! Als Jeſus in
der Wüſte faftend und betend ſich zum Prophetenamt zubereitete,
legte ihm Satan auch den Plan vor, ein Herr der Welt zu
werben, und wofür hielt ihn Jeſus? Yür das, was er war, für
einen ſchlechten Zweck feines ® Lebens, der durch Nieberträctig-
teit, durch Teufeld- Anbetung erlauft würde und den Dienft
Jehovahs, zu welchem Er dajey, gerad wideripredhe.” Laſſen Sie
diefe Geſchichte für Gejchichte oder für Gefiht und Symbol ® gel-
ten: (unter lauter Geſchichte fteht fie und ſoll zur Geſchichte berei-
1) Hätte er .... getragen; und zeigte ben Geiſt, der ihn befeelte,
den Bielgeliebten .... nicht thätlich:
2) Anficht, erfter 3) das ausgeichnende
4) können, vorbereiten 5) vor, Herr 6) des
7) Jehovahs widerſpreche.
8) oder Geſicht, für Symbol oder für Wahrheit
ten!) ald Geſchichte der Seele Jeſu, ala Symbol Jeines
nun öffentlih-angehenden Lebens müfjen Sie fie gelten
lafien, und da iſts gerade die Herrlichfeit der Erde, die Diefer
Süngling auf dem Scheidwege feines Lebens ausſchlägt. Die 161
erfte That, die er begann, nachdem ihn Engel des Sieges nad)
jeinem beftandenen Kampf umfingen,! war, daß cr ans Galiläifche
Meer ging, und fih aus feiner Gegend, von feinen Bekannten,
in feinem Stande Schüler wählte; einzelne erwachſene Schüler,
wie fie damals jeder Nabbi, jeder Lehrer hatte Site begleiteten
ihn, wie es bei den Jüdiſchen Lehrern Gewohnheit war; er trug
ihnen fein Wort vor, wie mehrere ihr Wort vortrugen, in Para-
bein und Sprüden, noch mehr in feiner ganzen Lebensweiſe
und Ordnung Wer diefe Schüler mit den Unjern vergliche,
ginge völlig aus jener Zeit heraus, in der man weder unjre Lehr⸗
methode, noch die Policei unfrer Staaten juchen muß. Im Füdi-
ſchen Lande, fehen wir, waren dieſe erwachſnen Schüler nit auf-
fallend; der wahren Weisheit find fie aud in andern Ländern nie
auffallend geweſen: denn will dieſe nicht Männer? lehret fie fich
nit einzig in Thaten und in ber ganzen ? Lebensweiſe? Wie
wurde Socrates, wie wurden in Rom die Redner und Führer des
Staats von erwachſnen Lehrlingen, die fih nah ihnen bilden
wollten, täglich beſucht und begleitet ? |
Und was jprad er nun zu diejen Sünglingen und Männern? 162
worauf bereitete er fie? zu fiten auf zwölf Stühlen? oder zu
leiden, zu dulden, fich felbft und alles verläugnen zu lernen,
nah Ruhm vor Gott, nad feiner Gerechtigkeit, Liebe und Lohn
zu trachten und alles dagegen zu verahten? Die Reden eu,
die wir haben, find alle moralifcher, und von der höchften mora-
lifchen Natur; infonderheit ift8 die jogenannte Bergpredigt, bie
doch eigentlih als eine Einleitung feiner Jünger in ihre
neue Schülerpflidt und aljo aud in ben ganzen Lebens⸗
zwed ihres Lehrers und ihrer ſelbſt dafteht. In ihr find
1) des Siege umfingen, 2) und ganzer
— 881 —
offenbar die angezeigten Pflichten und Beſtrebungen nicht nur etwa
vorläufige Erforderniſſe zum Reich Gottes, ſondern aufs augen⸗
ſcheinlichſe Seligkeiten des Reichs Gottes ſelbſt, dazu er ſie
beruffen bat und einladet, das alſo unſtreitig geiſtiger Art
it. Die Verläugnung alles Irrdiſchen tft jein erftes Erforderniß
und mit ber Freiheit, die e8 der Seele verleihet, zugleich fein
Haupflleinod. — Und genau ift dies der Geiſt aller Reden Sefu.
Er jpriht von fih als einem Arzt der Kranken, einem Hirten
verlohrner Schafe, einem Verkündiger des Evangelium für Arme,
als einem geiftlihen Säemann, Fiſcher u. dgl. nie aber, aud
163 feinem ins Ohr, von fi als einem fünftigen Ufurpator.! Lefen
Sie doch alle Aeußerungen Chriftt über fich, über fein Wort, über ven
Zwed feines Lebens ;? und laſſen den gefunden Sinn, die offenbare
Billigkeit richten. Die haben wir nur, fie haben wir allein, fie
ſchließen alle Erbenpolitil, wie Feuer das Waſſer aus; und wo find
nun die politiihen Reden Jeſu? mo find die Matinees Royales aus
feinem Munde??? Die muß man uns erft geben. Das wenige,
das bieher gezogen wird, die paar Parabeln, die ausbrüdlich dem
großen Haufen dunkel ſeyn jollten, erklären fi ja, mwenn man
fie mit dem Klärern vergleicht, felbft, und Haben ihre Auslegung
mit ſich. Chriftus z. B. will die Urſache“ angeben, warum jein
fo reines, geiftiges Wort nicht überall fo rein falle? warum fo
viel Same verlohren gehe und das Ne noch jo viel faule Fiſche
ziehe. Dies war den nähern Schülern zu wiſſen und zu behalten
nöthig; daher es Chriftus auch in einigen Gleichniſſen wieberholet.
Er rechtfertigt damit fih und feine Lehre, er warnt,® ermahnt,
tröftet, muntert auf — — Was foll ich Alles durchgehn? In
diefem Geift wurden auch die Apoftel zur eriten Probe ausge-
fand. Als Hirten zu verlohrnen Schafen, ala Arbeiter
in die Ernte, wo fo wenig ächte Arbeiter wären. Sie follten
1) Ufurpatoren. 2) fih, fein Werk, feinen Zweck bes Lebens;
3) politifhen? Die Matinees Royales aus Ehrifti Munde?
4) Chriſtus will Urſache 5) Lehre, warnt
— 32 —
aber freilih mehr zu ihrem Lehrer einladen, als daß fie felbft
ſchon lehren konnten: fie follten nur verfündigen, daß das 164
Reich Gottes in folden, vom Voll! verfannten und verfäumten
Begriffen daſey: fie follten die vom “oc der Phariſäerei zerdrück⸗
ten Gemüther zum janftern Joh Jeſu, d. i. zu feiner erquidenden
Lehre, laden. — — Daß diefes Punc für Punct dem Sprad-
und Sadhengebraud der Zeit gemäß ſey, kann aus den Scrif-
ten Jüdiſcher Lehrer deutlich erwiejen werben; Lightfoot, Schött-
gen u. a. habens aud wirklich, ja ich möchte jagen, Wort für
Wort ermiefen.?
Und nun die Wunder Jeſu? Warum fie nicht mehr, nicht
tiefer wirkten, gehört bieher nit; daß Chriftus fie aber nicht als
eine Leiter zum Thron gebraudt Habe, ift augeniheinlid. Cr
entfloh ihnen fo oft und allemal, wo er fie ala Marktichreierei
thun follte: er that fie, fo viel möglich, geheim; verbot ihre Aus-
breitung, entfloh dem Boll, das ihn eines Bauchwunders wegen,
zum Könige machen wollte, und fagte ihm, er fagte® jeinen Yein-
den, die Wunder foberten, darüber die ernite, bittere Wahrheit,
daß er zu etwas Anderm und Beiferm gelommen fey, als ein
Wunderthäter für ihre finnlihen Bebürfniffe zu werden Was
folte, mas fonnte er mehr thun? its nicht fonderbar,® daß 165
Chriftus, er made, wie ers will, es niemals zu Dank madt?
Thut er Wunder; fo ift er Marktichreier und Betrüger; thut er
fie nicht, fagt er, daß feine Lehre, fein Zeugniß, fein Wert
und Zmwed auf Erden von Wundern unabhängig fey (mas jegt
ja bei allem, mas Wahrheit ift, unfre ® Philofophen demonftriren)
fo it er „Augen- und Wunderſcheu: er will feine Handlungen
nicht laſſen prüfen.“ Läßt er jene Leute auf den Gafien ruffen,
jo thut er nicht vet, er Hätte ihn gebieten follen, zu ſchweigen;
1) ſolchen, von ihnen
2) kann beutlich erwiefen werben. („Ligbtfoot — erwieſen.“ fehlt.)
3) ihm, fagte
4) als ihr Marktichreier und Wunberthäter zu werben.
5) klaglich, 6) alle
— 383 —
verbeut er einzelnen Leuten (denen fich allein verbieten läßt:
denn dem großen Haufen das Gefchrei unterfagen, heißt: ihn zu
größerm Geſchrei auffobern und alle Steine fchreienb machen) ver»
beut er einzelnen Menſchen, die er eben durch das Gefühl der
Dankbarkeit in feiner Gewalt hat, das Auspofaunen feiner Wun-
der: fo ift ihm das „Ehrgeizige Argliſt.“ Ohne Zmeifel fällt
Ihnen die Fabel von jenem Mann, Sohn und Efel ein; und. nun
rathen Sie dem Mann, wie ers mit feinem Sohn! und Ejel
machen fol, um ja den rechten Zmed feiner Reife jedem Vorüber⸗
gehenden jo klar zu machen, ala Er, fein Sohn und das Laft-
thier? felbft find — —
Gnug für heute. Ich fehe, ih muß noch einen neuen Brief
166 dran wagen, meil die wirklich wichtigern Bebenflichfeiten noch
unberührt find. Glauben Sie nit, daß ich vom Verf. des Buchs
ſchlecht oder gar hämiſch, läfternd und lieblos denke, meil ich bie
Sache jo anders anjehe, als er fie angefehen bat. Vielleicht ift
das mehr unfre Schuld, als die Seine. Warum fchrauben wir
jeden Zug im Leben Jeſu jo oh? warum machen wir alles
menſchliche in ihm fo un- oder übermenfhlih? Da fol er
nichts, wie andre Menſchen, gethan, gedacht, gefühlt haben; Er,
der doch nach dem fo öftern Zeugnik der Apojtel und nah dem
. offenbarften Anblid feines Lebens ein Menſch, wie wir, an
Gejinnungen und Gebehrden d. i. an Lebensplan? und Lebens»
weile, ſelbſt am Mitgefühl unfrer Schwadheiten und alle
der Seiten der Menfchheit, wo fie Mitleid und Erbarmen nöthig
bat, ein Menſch wie wir war, doc ohne Sünde. Eben das war
der Zweck und Knote feines irdifchen Lebens,“ um in Gehorſam,
Geduld und Mitgefühl unfrer Schwachheiten geübt zu werben, und
denn Richter und Borfprecher ſeyn zu können auf dem Throne der
Gottmenſchheit. Wenn fo oft diefer laute Ton vom Zwed des
1) mit Sohn 2) Er, Sohn und Eſel 3) d. i. Lebensplan
4) war Zwed und Knote feines niebrigen Lebens,
5) Ton bes
— 334 —
Lebens Jeſu verfannt, und Er auch im Geringften jo unüber—
fehbar und unergründlich gemacht wird, daß ſich aller geſunde
Anblick auf ihn verlieret; freilid fo drängt fich bei andern bas 167
Gefühl, daß das doch nicht Alles, jo angeſehen, natürliche
Anfiht fey, zur größten Schiefheit ihres Blicks zuſammen. Gie
wollen durchaus nicht jtehn, wo jene ftanden, meil das unmöglich
der rechte Geſichtspunkt ſeyn könne, und treten, wo fie noch übler
jehen, auf die fchrägefte Gegenfeite.e a, mußten fie, da es noch
Zeit war, mit ihrem Urtheil ſchweigen, lebten fie vielleiht an
Dertern, wo fi nur jo etwas merken zu lafjen, ihr entichiebenfter
Schimpf und Ruin geweſen wäre; mas bleibt ihnen übrig, m. Fr.,
ala gegen den jchreienden Wöbelverfiand, (mie fie es wenigſtens
dafür halten) ihre bittre Galle zufammen zu drängen und wenn
fie fie im lebendigen Leben bei Leibesgefahr bis zur Verhärtung
in fih halten mußten, ihr wenigftens in Schriften und auf folche
Weiſe Luft zu ſchaffen? Kein Kluger wird es aljo dem Heraus-
geber verübeln, daß ‘er die Schrift, die in vielen Händen war,
befannt gemacht und nad der Weije der alten Aegypter den Kranken
an den Markt gelegt bat, da nun jeder, der da will, ihn furiren,
oder an ihm doktern ober an und über ihm ftubiren Tann! —
Was mich fchmerzt, it, daß man die Schrift (nicht auf eines jonft
jehr verdienten todten Mannes, denn dem kann unſer Urtheil nicht
mehr fchaden, ſondern) auf Rechnung eine eben fo verdienten
lebenden Mannes*) ſetzt, defien? Denf- und Schreibart Doch mit 168
dem Geift dieſes Buchs fo Iontraftirt, daß ich eher mich felbit, als
ihn zum Verfaſſer angeben möchte. Aber fo tft die Deutungsfucht
der Menſchen; fie findet e8 immer leichter, nach dem Autor zu
rathen und ihn zu läftern, als das Buch zu widerlegen und zu
*) Auch diefer ift jett in der Ewigkeit und bat in feinem Leben gnug-
ſam bezeugt, daß er gegen das Chriftenthum nicht gefehrieben Habe und nicht
ſchreiben mwollte.!
1) Bat, daß nun jeder .... ftubiren könne. 2) deſſen Seele,
13,,9 Auch — wollte.“ fehlt.
169
— 385 —
verbefjern. Ich wollte, daß ftatt alles Gejchreies dagegen jemand
in der Stille ein befjeres: vom wahren Zwed Jeſu und jei-
ner Jünger gejchrieben hätte, von dem, als von einem Evan-
gelium für unfre Zeit, ohne ein Wort Widerlegung, das Erfte
wie die Nacht vom Tage verbrungen wäre. Sie fagen vielleicht:
warum fchrieben Sies nit? meine Antwort iſt unverholen, meil
ichs mir nicht zutraute und auf andre gefdhictere Schriftfteller, Die
zu ſolchen Widerlegungen dafind,! warten konnte. Auch jetzt hätte
ih fein Wort davon gefagt, wenns mir von Ihnen nicht abge-
zwungen wäre. Leben Sie wohl.
Seh und dreifligfter Brief.
„Hats nicht aber edle Menfchen gegeben, die eine Reihe von
„Sahren, die fchönfte Zeit ihres Lebens, gut durchlebt Hatten und
„doch von ihrer Höhe fielen? Ihre reine Abfiht ward unrein,
„ihr Eifer fürs allgemeine Befte ward Eigennug? und Habſucht,
„ihr edelſter Stolz Eigenfuht und Hochmuth. Wäre es nun jo
„mit Sefu — —“ Laflet uns fein wäre? fonderd wars? ſetzen:
nicht was gefchehen feyn könnte, fondern was geſchehen jey? fragen.
Und da ift von jener Suppofition® nichts gejhehen. Die uns
feinen legten Einzug erzählt haben, jagen und aud: „ed war ein
„Einzug zum Tode, er mußte e8 vorher, er kündigte ihn aufs
„Ipeciellfte mit allen Umftänden an;“ ja, fie jagen zugleih: „woher
„er folches gewußt habe?" Durchs Geficht jenes Berges nehmlich,
da Mofes und Elias von feinem Ausgange zu Jeruſalem mit
ihm ſprachen, und er von Stund an von Leiden, Kreuzigung und
Tod redete. „Aber wenn ers eben darauf gewagt hätte?" Und
was hätte er denn gewagt? Was unternahm, was that er? Die
170 Taubenkrämer aus dem Tempel treiben, konnte ja nad Jüdiſchem
— — — — —
1) Widerlegungen in Amt und Solde ftehn,
2) Befte Eigennuß 3) von jenem Wäre
Herders ſämmtl. Werke. X. 25
‘
— 386 —
Rechte jeder Zelot, ohne dazu einen Schein von der Policei oder
dem Synedrium zu bedürfen, die ihn auch wahrſcheinlich verſagt
hätten. Den Heuchlern Wehe zugeruffen hatte er längſt; jetzt that
ers lauter, weil ſeine Zeit kurz war und dringend ſeine Eile. Es
war die letzte Stunde am Tage feines Lebens. Und noch, mie!
hängt das Alles mit Thron und Königreih zufammen? Dorfte
ers nicht dem Pilatus ins Gefiht jagen: „mein Reich ift nicht
von diefer Welt. Wer bat mich dir überantwortet? nicht deine
Römer!" Konnte ers nicht der Rotte, die ihn fing, ins Geficht
jagen: „ihr fommt zu mir, wie zu einem Mörder. Bin ich nicht
täglich bei euch im Tempel gewejen und babe gelehret und ihr
habt mich nicht gegriffen; aber dies ift Eure Stunde.“ Und mo
griff man ihn? Außerhalb der Stadt, im Garten: weil er fi
in Jeruſalem nicht mehr fiher wußte für? Nachftelungen und
erlauften Mördern. Worüber traf man ihn? Im Gebet. Wer
war bei ihm? feine arme wehrloſe Jünger, die ihn fogleich fliehend
verließen. — Wahrlich, wenn dieſe Umftände hiſtoriſche? oder
gerichtliche Ermweife feines Aufruhrs, feiner Empörung gegen bie
Landesobrigfeit waren; jo bewahre Gott einen jeden vor dem Blut- 171
urtbeil folcher Deuter.* Nach achtzehn hundert Jahren wiſſen fie
die Sache beſſer, als der Partheilofe Richter, Pilatus: denn der
bezeugt Einmal über das andre und bis an fein letztes blutiges
Wachen der Hände, daß Er feine Schuld an ihm finde.
Iſts nicht ſchrecklich, feiner trüben Laune® fo freien Lauf zu
laſſen, daß man die unſchuldigſten, beftgemeynten 7 Dinge, ärger
ala die Feinde jelbft, zu Bergen des Verraths und ber finnlofe-
ften Unternehmung thürmet? Sprach Chriftus nicht, wie lange
vorher, jo auch infonberheit jego von feiner Zukunft zum Reich,
als einem ganz andern Reihe? Sprach er nicht lange vorher
1) Und mein! wie
2) weil er lange in Ierufalem nicht ficher gewefen für
3) wenn das hiſtoriſche 4) Philoſophen.
5) bezeugt mal über mal 6) feiner Galle 7) beftgemeinteften
ſo? Er mies feine eitlen Jünger und ihre närriihe Mütter mit
ihren Rangjtellen ab und prebigte ihnen dagegen Knechtsdemuth.
Auch eben jeht in ben letzten Tagen jagt er ihnen fein bittres
Schickſal voraus, ein Schickſal der Kreuzigung und bes Todes;
jagt der Stabt, dem Tempel, dem ganzen Lande Ruin und Unter-
gang voraus und das noch eben in ber Generation, die Damals
um ihn ftand, die ihn überleben und dies traurige Schidfal
erleben würde; und dies Alles, wie wir aus ber Anklage ber
172 Zeugen jehen, beförberte ja eben mit fein Ende. —! D, wenn
wir die Sache fehen wollen, wie fie da ift: wie natürlicher Liegt
Alles! Sind nicht die Nägel, die ihn ans Kreuz heften mußten,
viel ungejucdhter vor und? und waren alle die Umſtände und
Neben, wie fie die Evangeliften anführen, nicht eine viel mehr
pragmatifche Beförderung feiner Gefangennehmung und feines
Todes? Leſe man den Joſephus, und fehe ins Buch der dama⸗
ligen Seit: paßt etwas mehr hinein, als die Geſchichte, wie fie
fih hier zutrug und genau, mie fie bier erzählt wird? Was
ift jodenn aber unfchuldiger, als die letzten Neben und Schritte
Jeſu? Gewiß, er lief nicht ins Schwert: er ftürzte fi nicht ins
Verderben. Er fah den Kelh kommen und wünſchte, daß er
vorüberginge; da es aber ſeyn mußte, jo nahm er ihn — aus
den Händen nicht feiner Feinde, jondern des Vaters.
Haben Sie je, m. Fr., am Scidfal eines Unfchulbigen in
der Römiſchen, Griehifhen, ja jeder bürgerlichen Gejchichte Theil
genommen, jo werben Sie's bier thun können, wenn Sie ben
Gang des ſchändlichen Nachtgerichts und infonderheit die man
1) Sprach er nicht Tange vorher fo? mies feine .... Knechts⸗
demutb? Sagte er auch jetzt nicht in dem letzten Tagen ihnen das bit-
terfte Schichſal voraus, ein Schidfal bis zu Kreuzigung und Tode?
fagte er nicht der Stabt, dem Tempel, dem ganzen Lande baffelbe,
einen völligen Ruin und Untergang eben in ber Generation voraus, bie
damals ſchon um ihn fland, ihm Überleben, aber auch dies traurige Schid-
fal erleben würde? Und beförberte dies Alles, wie wir aus ber Anklage
ber Zeugen feben, nicht eben mit fein Ende? —
25 *
— 388 —
nichfaltigen Bemühungen Pilatus, den offenbar-Unſchuldigen 173
[08 zu maden, verfolgen. Und wenn Sie je Simplicität, ein-
dringende Wahrheit in der Erzählung eines Tumultmordes aner-
fannt haben, fo ifts bier. Nennen Ste Einen Umftand, ber
gegen den Charakter der Perfonen und der ganzen Zeitverbindung
wäre! —
„Aber noch vor feinem Ende hat Chriftus eine offenbare Un-
„wahrheit gejagt, wo ihn die Zeit unmiderleglich Lüge geftraft hat.
„Er wollte nehmlih wiederfommen, ſichtbar in der Generation
„wiederkommen, die damals lebte und wie lange ift die tobt!”
Ich muß fagen, daß eigentlich im ganzen Buche mir dies das auf-
fallendfte gewejen, zumal da der Autor e8 auf eine jo ſchneidende
Spige ftellt und von nichts Wenigerm jpricht, als von einem fo
offenbaren Erweiſe der Falſchheit des Chriſtenthums, als wir nur
immer den Mahomedanern vormwerfen könnten, wenn die Lüge
wahr wäre, daß Mahomed am dritten Tage habe aufftehen mollen
und noch bis jetzt nicht aufgeftanden ſey. Auch jeßt es der Verf.
fehr ins Licht, warum diefer Lügen - Erweis dein Chriftenthum
habe bleiben müfjen und nit aus feinen Büchern hinmeggetilgt
jey? Gutherzig glaubte man immer: „er werde, werde kommen!
„Er babe e8! zugelagt und die Zeit, die höchfte Zeit ſey da!”
So ſey Einer nah dem andern, zulegt auch der alte Johannes
mit feinem „Kinblein! es ift die lebte Stunde!” geitorben und
nun ftehe der Fleden unausgetilgt, unaustilgbar da — —? Was
wäre gegen das fürchterlihe Argument zu jagen ?
Nichts, als was Chriftus jagt: „von dem Tage und von ber
„Stunde weiß niemand, aud die Engel im Himmel nicht, aud)
„des Menſchen Sohn nicht; allein der Vater!" Das jteht fo
offen da, als jenes Verſprechen und, mid dünkt, dadurch wird
das 3 fchneidende Schwert auf Einmal ſtumpf. Wußte Chriftus
niht3 von dem Tage und der Stunde, befannte ers frei, daß
1) Er hab's ja fo 2) unaustilgbar — —
3) als jene Verheißung und, mid dünkt, fie macht das
174
— 389 —
ers nicht wiſſe; fo darf ers auch nicht gewußt haben, eben meil
erd nicht wußte. Er mußte auch nicht, ob auf jenem Feigenbaum
Feigen waren, ja er irrte fi fogar, da er fie darauf ver:
muthete, wie das unläugbar dafteht. Hier will ers ausdrücklich
nicht wiffen und fo dorfte er ſich aud nit irren. Er ſpricht
aber von einer doppelten Zukunft, die er ziemlich unterfcheibet:
vom Untergange Jeruſalems und des Tempels, deſſen Zeit er
175 weiß und die er mit ausgezeichneten ! Umftänden vorherfaget. Die
gefchahe in der Generation, die um ihn ftand; dagegen ift aljo
nicht3 zu fagen. Mit diefer verbindet er eine andre, höhere, von
jeiner fihtbaren Ankunft und der völligen Revolution aller Sicht⸗
barkeit; deren Zeit aber weiß er nit. Er knüpft fie nur mit
einem „bald nah dieſem!“ dem Ende Jeruſalems nehmlich an
jene und läßt fie in diefem ungewiſſen Bald ſchweben. Die Apo-
jtel desgleihen und find der abmeifenden Rede eingedenf, die ſelbſt
der aufermwedte, erhöhete Chriftus, der jeßt ohne Zweifel in die
Dauer und Revolutionen des Reichs Gottes tiefer hineinfah, ihnen
noch unmittelbar vor feiner Auffahrt? gab: „es gebühret eud)
„nicht zu wiſſen Seit oder Stunde, welde der Vater
„Seiner Macht vorbehalten hat.” Hiemit weiſen fie die Yra-
gen der Neugierde ab, beharren aber auf dem „Bald!“ ihres
Herrn und knüpfen eben die Lehren und Beweggründe der Wach⸗
famfeit, einer augenblidlichen Treue und eines ftünblichen War-
tens daran, die Chriftus in fo ernften * Gleichniffen daran knüpfet.
Sie fegen alfo nad ihrem menschlichen und Jüdiſchen Geſichtskreiſe
beide dicht zufammen oder gar unter einander, wie ed aud?
176 die Evangeliften zu thun fcheinen; dies alle aber ift Bürge von
ihrer Integrität? und Redlichkeit in Aufbehaltung dieſer legten
Worte. Sie fegen fomohl das: „bald nah dieſem“ ala das
1) den ausgezeichnetften
2) auferwachte, erhöhete Chriſtus, der jetzt ohne Zweifel ſchon mehr
wußte und in die Dauer des Reichs Gottes tiefer hineinſah, ihnen noch
unmittelbar am Fußſchemel feiner Auffahrt
3) rührenden 4) auch felbft 5) Ingenuität
— 590 —
„in diefer Generation” als dad „von dem Tage und ber
„Stunde weiß niemad” treu zufammen, die fi) fonft zu wider-
ſprechen ſcheinen; daß fie fich aber nicht widerſprechen, hat die Zeit
erwiefen. Eine Zufunft, das Bild der andern, ift erfüllt zu ber
Zeit, die Chriftus nannte; Die andre wird erfüllt werden. Er
wußte nicht ihre Zeit: wir follen fie nicht wiſſen: das Einzige
moralifhe „bald“ fol uns in Erwartung und Zubereitung halten.
Wo ift nun, m. Fr., dieſes zweiſchneidigen Schwerts Schärfe?
wo wäre fie jelbft, wenn wir gerade zu befennen müßten, Jeſus
babe fi in der Nähe dieſes Bald, wie dort bei dem Feigenbaum,
geirret? mas fchabete es, da ers ausdrücklich nicht willen, alfo
auch nichts beftimmen wollte? Und wie matt wirb nun ber
Spott des Verf. über die Rechnung Petri von taufend Jahr und
Einem Tage! Sie fagt nicht ! mehr, ala: „ich weiß nit! und
„ihr jollts nicht willen! Ahr follt aber ftünblich warten und den
„Aufihub zu eurer Beſſerung brauchen.“ —
Auf mande andre Kleinigkeiten und Nedereien lafje ich mich 177
nit ein. Iſt Chriftus gerechtfertigt, fo finds aud die Apoftel
nah ihrem Maaße. War der Lehrer fein Betrüger, fo mer:
dens auch die Schüler nicht ſeyn, wenigſtens nicht ſeyn dörfen.
Hat der Herr kein irrdiſches Reich begehret: ſo dörfens auch die
Knechte nicht bemänteln und in ein geiſtlich Reich verwandeln.
Sie waren die rechten Verwandler! ſie, denen noch bis zur letz⸗
ten Minute der Auffahrt hin, felbft da fie ihn auferwedt in einem
jo neuen Leben gefehen und gehört hatten, der irrdiſche Traum
ihrer Nation, immer im Herzen ftedte. Und wenn und mo ver-
wandelten fie? wer hatte fie die? Kunft gelehrt, aus einer fo
andern eine jo andre Sache berauszubringen, biefe in einen fo
treflihen Zuſammenhang zu feben, ber doch jetzt in allen unfern
Evangelien, vom erften bis zum lehten Zuge unläugbar ift, auf
den fih von nun an ihre ganze Denk-Seh⸗ Schreib- und
Wirkungsart, ja ihre Mühe, Arbeit, Noth und Tod beziehet,
1) nichts 2) die’ Chymifche
eine Wahrheit, für! die fie leben, für die fie fierben. So was
erlügt fih nit: e8 wäre in ber Welt bie einzige Lüge. — Und
fie verbergen ihre vorigen elenden, fleiichlichen Begriffe auch nicht,
178 verſchweigen nicht die Mühe, die Jeſus fich mit ihnen, Unwürdigen,
gegeben habe u. f. — Was in aller Welt wärs, warum man
diefen Leuten alles Natürlide nicht glauben und alles Unnatür-
liche Unzufammenhangende, Unbewieine und ewig Unermeisbare
(wenn nehmlich feine neue Documente gefunden werben) aufbürben
wollte! Mich dünkt, wenn die Geſchichte Jeſu verftimmt merben
follte, fie hätte mit mehrerer Wahrſcheinlichkeit können ver-
ftimmt werben. —?
Auf die einzelnen Spöttereien über die Begeifterung voll füßen
Weins, über die Apoftel- Kaffe und Gütergemeinichaft, über ihre *
Citationen aus dem U. T., ihre Erweiſe und Predigten laſſe ich
mi nicht ein; über Einen diefer Punkte habe ich meine Meinung
ſchon gejagt, über die andern wird ein andermal Beit ſeyn. Es
ift Zeit⸗widrig,“ fih die Jüdiſche Policei, wie die unfre zu den⸗
fen, und wenn die erften Chriften im Feuer bes eriten Eifers, in
Furcht vor dem Drud ihrer Yeinde, vielleicht auch gar in trügen-
der Erwartung bes nahe bevorftehenden Endes von Judäa, den
Verſuch einer Platonifchen Republit machten, der fih in kurzem
179 von felbft aufhob; wer ſahe die unnöthige Laft davon eher ein,
als die Apoftel felbft und ® der fo bitter beurtheilte Petrus ?
Sie ſchafften Rath, jo gut fie konnten und fagten: „es taugt
niht! Wir find nicht zu Sekelträgern beruffen.“
Mid dünkt, die Integrität, womit das Alles erzählt und gar
nicht verheelt ” wird, bürgt uns ja gnug für bie Unſchuld ber
That jelbft und für einfältige Wahrheit auch diefer Geſchichte — ®
1) beziebet, für 2) Unnatürliche, Herbeigezwungne,
8) werben. Der Autor aber war zu aufgebracht, zu böfe — —
4) Gütergemeinfchaft, ihre 5) lächerlich,
6) Apoftel und 7) ibealifirt
8) für Unschuld und einfältige Wahrheit — —
Sage man endlich von ihren Citationen aus dem A. T. was
man wolle; ihre Zuhörer und Feinde fagtene damals nicht, fie
legten eben fo aus. Und wenn man nit fo ausleget, wenn der
ganze Zwei „eines moralijhen, geiftigen, ewigen Reichs,
„das aus Niedrigfeit und Armuth, eben durd einen
„Mann, wie Chriftus war, entjtehn follte” — wenn dieſer
Zweck aus dem A. T. verlohren ginge; was bliebe? Wie Hein
würden die Propheten mit ihrem irrdiſchen und doch ewigen
Davids » Heide? In Judäa und Serufalem ſolls jeyn und bis
an die Enden der Welt reihen? Auf Erden? irrdifh? und
ewig? Wem läge, wenn nichts mehr ift, an dieſer arınfeligen
Subenhoffnung? follte aber ein „neues, geiftiges, moraliſches
Reich” entitchen, wo ewige Wahrheit unjer Gut, Gerch- 180
tigleit und Friede unfer innerer und ewiger Lohn feyn follte;
jo zeige man den andern Mann, aus diefem und jedem
andern Volke, durch den es in aller Reihe von Jahr—
hunderten, dazu in folder Klarheit, in foldem! Um:
fange entftanden fey, wie durh den armen Menſchen
Jeſus Chriftus. Mid dünkt, der Zwed Jeſu und feiner
Jünger liegt im großen Erfolg der Zeiten aller Welt vor
Augen —
Sieben und dreiffigiter Brief. 181
Faft zu lange haben wir uns bei Widerlegungen aufgehalten:
wir müflen eilen, und das Wenige, das id) von Behandlung ein-
zelner Lehren allgemein jagen wollte, leider! mit biefem Briefe
vollenden.
Aus allem Vorigen merken Sie,? m. Fr., daß Sie faft nicht
genau und fimpel gnug bei der Geſchichte Jeſu bleiben Tönnen.
Sie ift für Einfültige und Kinder gefchrieben; werden Sie aljo
1) Klarheit, ſolchem 2) Sie fid,
— 33 —
auch ein Kind mit Kindern. Machen Sie ihnen Jeſum Tiebens-
würdig durch fich felbit, durch feine ächte Himmelsmeisheit,
durch feine ftille leidende Geftalt und unfterblide Menſchen⸗
güte. Dazu find alle feine Handlungen, Reden, Gleihniffe und
fein letztes Schickſal fo und nicht anders beichrieben: er follte uns
mehr, als Sokrates, feyn; nicht nur das Vorbild, fondern aud
der Vollender unſers Glaubens und der ausdaurendften Tugend-
ftärfe.!
Auch der zmeite Artifel Ihres Glaubensbelänntniffes weijet
auf diefe Hiftorifche Schriftmethobde. Warum merden die Stuffen
182 der Erniedrigung und Erhöhung da ausführlich erzähle? ala weil
die ältern Jahrhunderte der Kirche fie bey Chrifto infonderheit
über feine? Geſchichte für den ädten Glaubensgrund hielten.
Folgen Sie diefer Methope, fo bier, als beim dritten Artife. So
einzeln deilen Worte daftehn, jo ſchön gehören fie zufammen, infon-
derheit wenn Sie dazu die Veranlafjungen in der Geſchichte der
erften Jahrhunderte ſelbſt unterſuchen Kings Geichichte Diefes
Glaubensbefänntnifiee, wie auch was Amyraut (Amyraldus)
Parter u. a. drüber gefchrieben und die fonft vom Glauben der
eriten Jahrhunderte Hiftoriih und dogmatiſch gehandelt haben, *
müfjen Ihnen geläufige Bücher werden. Eine Reihe Autoren haben
die Kirchenväter zu mancherlei Zwecken ercerpiret — doch davon
Tünftig.
Die Bemerkung Ernefti über die fogenannten drei Aemter
Chrifti ift nicht ohne Grund, daß fie nehmlich, theild ala Meta-
phorn, theils in ihrer Coordination mit fih und dem Wert
Chrifti, nicht die beſte Lehrart für die dogmatiſche Theologie find;?
er bat auch gezeigt, daß unfere ältere Theologen fie nicht
braudten. Man kann aber diefem Mangel auf einmal ent-
1) feyn: unfer lebendiger Glaubensedftein.
2) da fo Reihab und auf erzählt? als weil die ältern Jahrhunderte
bei Chriſto infonderheit feine
3) die muthmaasliche Beranlakung in .... Jahrhunderte Yefen.
4) gehandelt, 5) Lehrart find;
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fommen ‚! wenn man allgemein zeigt: unter welden Namen und 183
Bildern Chriftus im A. und N. T. in feiner Perfon und in
feinem Wert abgebildet werde. Man zeigt fobann: warum ihrer
jo viel find? weil feiner nehmlich alles fagt, was gefagt werben
ſollte, und fo führt man fie auf einander, löfet die tropifchen:
Lamm, Dpfer, Bürge, Hoherpriefter, u. f. auf und bildet
fie in der Ordnung, bie jeber Lehrende fich 2 felbit ſuchen mag,
zu Einem vollen Begriffe. Ich für mein Theil bleibe im popu⸗
laren Bortrage am liebſten bei Luthers Begriff in feiner Ausle-
gung des zweiten Artikels: er ift, bünkt mich, der leichtefte, auch
Kindern und Alten verftänblih und zugleih ein prägnanter,°
frudtbarer Begriff, wie alle Worte diefer Auslegung zeigen. Man
bat bier die beſte Gelegenheit, ſehr gemeine * und doch irrige Ideen
von der Herren» Gewalt des Teufels, dem Chriftus uns abgefauft
babe, von der magischen Kraft feines Bluts und viel andre unmür-
dige Vorftellungen zu vermeiden und zu verbeflern. Die Gnug-
thuung und Aufopferung Jeſu erfcheinen bier im reineften Geſichts⸗
punfte eines vettenden ® Freundes, ber fein Blut, fein ganzes
Selbit, Leben und Tod an mich maget und der jett aus Gerech⸗
tigkeit und Liebe mein Herr iſt. Auch die Art feines Dienſtes,
der Zwed feiner Erlaufung wird bier fo mürbig bejchrieben, 184
daß Fein Mißbrauch der Lehre von der Verfühnung Jeſu leicht
möglich ift, wenn man ber Simplicität dieſes Artikels folget.
Jedesmal bewundre ih Luthern von neuem über die treffende
Faßlichkeit und Stärke feines Heinen Katechiſmus.“ Auch ber
1) Dan fan, da fie einmal noch in unfern Lehrbüchern leben, die⸗
fem Mangel entlommen,
2) in einer Ordnung, bie jeber ſich
3) Ih für mein Theil bleibe bei Luthers .... Artilels: er bat
mid erworben, gewonnen u. f. Diefer, dünkt mich, ift der Teichtefte,
Kindern .... ein jo prägnanter
4) Gelegenheit, gemeine 5) eines Netter und
6) Jeſu wohl möglich if, den fonft andre Borftellungsarten gern mit
fih führen. Jedesmal bewundre ich Luthern über .... Katechiſmus von
neuem.
— 35 —
dritte Artilel, der überdem mit dem zweiten auf eine ſehr gute
Art gebunden ift, it voll von biefer Fräftigen ! Popularität und
Wahrheit. Da ift von feinen Schwärmereien über Gnaben - Wir-
tungen, fondern ? von mandherlei Gaben des Geiftes die Rebe,
bie zuerſt Hiftorifch auf den Urfprung und die Gründung der
Kiche zurüdgeführt werden müflen, jodann auf uns bezogen, ?
in fo fchöner Ordnung fteben, daß die Erklärung dem Artikel
felbft Wort für Wort, Schritt für Schritt folge. Es ift eine
Freude, eine gute Katechefe darüber zu hören, mit der Kunftlofen
Einfalt und Fülle von Wahrheit,* ala ob Täuflingen in der eriten
Kirche das Glaubensbefänntniß abgefragt und erflärt würde; man
genießt aber nicht immer die Freude. Es ift im Fortgang der
Zeiten jo viel Spreu über beide Artikel gefchüttet, daß, wenn ber
Lehrer Alles der Art mitnehmen will, oft die ſchönſte Saat, voll
von lebendigen Früchten müßig und tobt wird.
185 Ueber die Lehre von der Trinität, die aud in der Delo-
nomie der Zeiten, jo wie in ber Heildorbnung felbft, die® drei
Artifel bindet, jeyn Sie fein Neuesſuchender Grübler. Reden Sie
mit Kindern und Alten die Sprache der Bibel, erflären diefe und
zeigen den Einfluß und Zuſammenhang diefer mit allen andern
Lehren.” Arianiſche und Semi - Arianijche Grübeleien dünken mich
ein unnüges® Gefpinnft, meil fich jenfeit der Welt und Zeit von
uns nichts mehr ergrübeln läßt: der Socinianismus ift offenbar
der Schrift entgegen. Denn wie oft fpricht diefe vom Daſeyn
Jeſu vor der Welt oder damit auch hier feine Metaphor ftatt fände,
vom Daſeyn Jeſu vor Johannes, Abraham u. f. — Die Bücher,?
die dies am llärften jagen, follten aljo von den Socinianern lieber
1) ausgefuchten 2) Schwärmereien, fondern
3) Kirche, dann auf uns bezogen werden und
4) und Wahrbeit- Fülle,
5) Lehrer ja Alles der Art mitnehmen will, oft die lebenbigfte
Saat müßig
6) Zeiten und Heilsordnung bie 7) allen Lehren. 8) unnüt
9) entgegen. So oft fpridt .... Welt; die Bücher
— 396 —
ganz weggeläugnet, als eben jo armſelig verdrehet ! werden. Aber
Unitarier, im guten Berftande des Worts, müſſen wir Alle
feyn: denn die Lehre von Einem Gott ift der Grundftein des
A. ſowohl als N. Teftaments und die Dreigötterei iſt klarer
Unfinn.?
Die Lehre des Gebets zu Gott jollte man nicht ala knecht⸗
liche Pflicht, fondern als ein Bedürfniß der menſchlichen Natur
und als die höchſtes Wohlthat Gottes treiben. Wer bemeifen
will, daß er nicht beten könne, nicht beten Dörfe; der bete nicht.
Um eine Wohlthat * Zutrauensvoll, demüthig, kindlich zu bitten,
dazu zwinget man niemand. Die Noth allein muß einen Harten
diefer Art zwingen: denn in der Angit, in Befümmerniffen und
Verwicklungen feines Schickſals, betet auch der Stoiker und Epi-
furer. Chriftlides Gebet ift Zutrauensvoll, kindlich. Man
Ipriht zu Gott als einem gegenwärtigen, vertrauten Freunde, der
unfre Noth weiß und fie mit ung fühle. Auch bier wirfen Bei-
ſpiele, infonderheit frühe Beifpiele und Erfahrungen am ınei-
jten. Die Erempel der alten Patriarchen, denen die Vorfehung
fo nahe war, die hohen Sprüde der Apoftel und Propheten, end-
lih am meiften die Tiebreihen, andringenden Berheifjungen und
das Beiipiel Jeſu, find der Vorſaal voller Gemählde zu unferer
Ermunterung; Noth aber und das Gefühl der Bebürfni find die 6
ächte Schule des Gebets jelbft. Erwecke im Menfchen einen freien
kindlichen Geift zu Gott, und dieſer Geift wird, wie der Apoftel
jagt, auch ohne Wort im Herzen beten;? fehlt jener dem Men—⸗
ſchen, jo erjterben ihm alle Worte des auswendiggelernten Gebets
um
1) eben verbrebet
2) Berftande müßen wir Alle ſeyn: benn .... ift Grunbflein bes 4.
und N. Teftamentes und der Tritheismus ift Unfinn
3) als Bedürfniß .... und als höchſte 4) Wohlthat zu Bitten,
5) muß ihn zwingen: in
6) find die Gallerie zur Ermunterung; Noth und Gefühl ber Bedilrf-
niß aber die
7) Wort immerbar beten;
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— 397 —
auf feinen Lippen. Dies tft alſo die Bahn, auf der es der
187 Lehrer zu treiben bat und das Gebet Jeſu bleibt der Edelge⸗
ftein aller feiner Gebete! Es enthält die Summe unſrer Bebürf-
niffe und Ausfihten in den reinften, Türzeften, ganz kindlichen
Worten —
Bon den andern Mitteln der Gnade werden wir im prafti-
Ihen Zufammenhange reden; laſſen Sie uns jest mit einigen Wor-
ten von ben lebten Dingen der Welt jchließen.
Hier leben wir nit ewig und follen bier nicht ewig leben:
Pilger find wir auf der Erde, die ihr himmliſches Vaterland
ſuchen. Eine Lehre, die ung alfo bier nur fo ruhig und zufrieden
mit der Welt machen will, ift nicht die wahre Glaubenslehre der
Chriſten, fie weiſet auh nicht zur ächten? Nachfolge Jeſu. Es
ſoll uns hier gefallen, aber nicht zu ſehr: ſelbſt unſre Erdenglück⸗
jeligfeit und Tugend fol nur Erziehung, Reife und aljo das
Mittel, nicht der lebte Zweck unſres irrdiſchen Daſeyns werben.’
Allerdings find in Gottes Reich alle Mittel auch Zwede, und dem
Menſchen muß fein Erdenleben, wenn e3 zu einem höhern der
Meg feyn foll, gewiß ein ganzer und jo weit es möglich ift, ein
genau =-erforichter * Mittelzmed werden; jedermann fiehet aber,
wenn er nit Sophift jeyn will, den großen Unterſchied zwiſchen
188 beiden Abjchweifungen, in denen man entweder blos für die Erbe
oder blos für den Himmel zu leben meinet.d° Wir fucden ein
ewig NReih: im Himmel fol unjer Baterland ſeyn bei Chriſto
bier aber follen wir uns dazu bereiten und es im Vorſchmack der
Tugend felbft thätlich genießen lernen — —®
Sie fehen alfo, m. Fr., Uniterblichkeit der Seele tft eine
Hauptlehre des Chriftenthung; aber nicht ihre einzige Lehre. Noch
weniger daß es fie von philofophifchen Erweiſen allein abhangen
1) fein Edelſtein aller Gebete. 2) wahren
3) nicht letzter Zweck feyn. 4) gewiß ein genau erforfchter
5) beiden. („Abfchweifungen — meinet.” fehlt.)
6) Chriſto. („bier — lernen — —“ fehlt.)
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ließe, die oft zu viel und alſo nichts beweiſen, ob es wohl dieſe
nicht verfchmähet. Auch Sie bemühen fi) nad ben beiten ber-
felben,, infonderheit aus den fprechenden Wahrfcheinlichleiten, Die
uns dad Schidfal, die Geftalt und Beſchaffenheit des Men-
ſchengeſchlechts im feiner ganzen Zmweideutigteit giebt. Rei—
marus, Mendelsfohne, Bonnets, und andrer Schriften
hierüber find Ihnen befannt und find jedermann ? ſchätzbar, der
die ebelite Hoffnung der Menichen » Natur liebet. Als Chriſt grün-
den Sie bei und Hinter alle diefem unfre Hoffnung der Unfterb-
lichfeit auf facta, die gewiſſeſten theuerften facta. Die ganze Dffen-
barung, jede nähere Erweiſung Gottes auch im A. T. gründet fid
auf eine Fortdauer der Menihen nah dem Tode, ohne die 189
Alles Hienieden, ſelbſt das Göttlichfte in menfchlichen Seelen, ein
Traum oder ein unvollendetes,® ja beinah Abfichtlofes Stückwerk
wäre. Gott ift nit ein Gott der Todten, fondern ber
Lebendigen, fagt Jefus; ihm leben fie alle und Er, der ewige
Gott des Lebens, Hat dies mit einer dem menſchlichen Geichlecht
angemefjenen, immer mehr entwidelten Klarheit im gan-
zen Lauf * feiner Offenbarung erwiefen. Bald nahm er, als Adam
des Todes geftorben war, den gerechten Henocd von der Erbe und
zeigete den Menſchen, daß er für feine Lieblinge, auch alfo für
den gejtorbnen Adam, für den erichlagnen Abel eine Welt habe,
in der es befier jey, als bier. Der im Wafler untergegangene
erfte Zeitraum ® fcheint bei vielen Vöolkern den Grund zum Tarta-
rus gelegt zu haben; uud eine Verfammlung der Väter, ein
Reich der Seelen ift auch den einfältigften Völkern nicht fremde.
Dahin ging Abraham, ob er gleih in einem fremden Lande
begraben ward; dahin foderte Gott von ihm feinen Liebling Iſaac
1) Chriſtenthums; nur fo daß es fie nicht von phifofophilchen Ermei-
fen abbangen läßt,
2) und jedermann 3) Seelen Traum unb unvollenbetes,
4) angemeßenen, Stuffenmweife immer .... im Laufe
5) eine Stabt habe, wo es befer fei, als bier. Die im Waßer
erfänfte erſte Welt
— 399) —
ab und Abraham traute eg, mie Paulus jagt, dem! Herrn zu,
daß er ihn daher auch wiederbekommen könnte. Die Erwedungen
der Propheten fowohl, als viele Stellen in Hiob, den Pfalmen ?
190 u. f. zeigen ein. durchgängig geglaubtes Reich der Schatten, d. i.
. der 3 abgeſchiednen menjhlichen Seelen; bis in den lebten Prophe-
ten, wenn aud nur in Gleichniſſen, Bildern, Tröjtungen, der
Begriff der Unfterblichleit, der Auferwedung, des Lohns
und der Strafen der Zukunft allmählich immer * Tlärer gemacht
wird. Das Beijpiel des aufermedten Jeſu geht wie eine Sonne
binter dem Sternenheer hervor: er Heißt, der Erftling, der
König der Ermwedten aus dem Todtenreihe, aus und nad
deflen Erſcheinung fi) die Apoftel ihre Begriffe von der Gewiß⸗
heit und Beſchaffenheit des Fünftigen Zuftandes, des
erwedten geiftigen Leibes u. f. offenbar bilden. Ich mwünfchte,
daß, da wir einen Phädon, Cato, ja fogar einen Heman
über Die Unfterblichfeit in Gefprähen haben, wir aud einige
Geſpräche zu Entwidlung der eigentlih chriſtlichen Begriffe
über diefe Materie erhielten; an Stoff zu einer angenehmen und
ihönen Einkleidung follte e8 ® nicht fehlen. Urtheilen Sie darüber
nad den ſchönen Stüden, die Lavaters Ausfihten in Die
Emwigfeit und von ältern Theologen, Chyträus, Pb. Nicolai,
Amyrauts, u. a. Schriften enthalten.
Die Lehre vom künftigen Weltgericht enthält vieles in
191 Gleihniffen und Bildern, die infonderheit zu unjrer Zeit, in ber
der Kleinfte ® Theil der Menihen an ein fihtbares Weltgericht
glaubt, behutſam entwidelt werden müfjen, damit man nicht mit
Zügen der Einfleivung der Wahrheit ſelbſt ſchade. Dahin gehören
die aufgeſchlagnen Bücher, der weiſſe Thron, die Trommeten u. f.
Auch der Hauptſitz dieſer Lehre Mattb. 25. ift voll parabolifcher
Züge: denn niemand wird fih doch Schaafe und Böde oder einen
ſolchen Dialog am legten Weltgeriht denken, wie die Parabel
1) traute e8 bem 2) Hiob, Pſalmen 3) Schatten, ber
4) Zukunft immer 5) ſollts 6) geringfte _
Chrifti ihre bier fchildert; aus deren kleinſtem Zuge indeß die Lichte
Wahrheit herrlich und unverkennbar ftrale.! Was brauchts der
aufgeichlagnen Bücher, wo unfer völlig erwachtes Bewußtſeyn,
Die ganze Summe unſers Lebens, die gleihfam in Iebendigen
Funden? in uns aufglüht, ja endlich die ganze Geftalt unſres
neuermwedten, geiftigen Körpers, der, wie er dafteht, ganz Aus-
drud der Seele und ihres innerften Bewußtſeyns feyn muß,°
aufgefhlagne Bücher gnug find? Was darf es eines langen Ber-
hörs, wo Gute und Böfe ſich wie Schaafe und Böde unterfcheiden
und die Entſcheidung des Richters , ja die verborgenfte Moralität
oder Immoralität des Menſchen jet als ein helles? Natur-
geſetz fo offenbar und allgemein wird, als irgend ein Naturgefet
der Welt it? Alles wird Wiedervergeltung, natürlihe Ernte 192
einer natürlihen Saat; auf dies? große Geſetz reducirt Chriftus
auh in ben einzelnen, beftimmteften Fällen und Situationen des
Lebens alles Widerſprechende deſſelben.“ Halten Sie fih aud in
diefen Lehren an feine Gleichniffe, und Reden vorzüglid. In
dem, mas fie jagen und nicht fagen, find fie voll Menſchenliebe
und Weisheit. Der Sprud, nah dem Chriftus Matth. 25. urthei-
len wird, ift der ächte Coder des Menjchenfinnes, der einzigen
ächten Religion der Erde; wäre der Mann, der ihn ausſprach,
nicht Richter der Menfchheit, fo verdiente ers zu ſeyn, weil er
alfo richtet!
Und nun, m. Fr., nehme id auf eine Zeit von Ihnen
Abſchied. Sie haben gnug Materie zu Iefen, zu ſtudiren: ftudiren
Sie fleißig, denn ein” Stubium der Dogmatif in und aus ber
Bibel ift das mahre, veſte Gebäude des Körpers, den aller Vor-
trag® nur befleidet. Auch von der hriftliden Moral ift Dog-
matik der einzige Grund, ja fie ift felbft zehnfache Moral in jedem
1) denfen, und aus jebem Zuge ftralt ja die lichte .... unverlennbar !
2) die in lebendigen Zahlen 3) Bewußtſeyns ift,
4) als helles 5) das 6) Fällen Alles.
7) ein ächtes 8) Vortrag ja
ihrer lebendigen Glieder. Die Offenbarung ift das Herz, Glau-
benslehre der Lebenzfaft des Chriftenthums; ift diefer gefund, find
193 die innern edlern Theile, die ihn bereiten, wahre Gefäße! des
Lebens, jo wird auch die äußere Geftalt feines Körpers blühend
jeyn und Hände und Füße werden munter wirken. Grlauben Sie,
daß ich mit einigen ſchönen Gedanken aus Bako ſchließe und leben
indeffen mohl.?
Das erite Geſchöpf Gottes war Licht: Licht in ber Geiftermwelt ift Wif-
fenfohaft und Weisheit. Der Tag, da Gott alles überfab und anfchauete,
war? der beiligfte der Tage.
Ehriftus zeigte feine Macht mehr durch Wahrheit, al8 durch Wunber:
er bezwang mebr die Unwiffenheit als bie Natur. Die Gabe bes Geiftes
bildete fih in der Gabe der Spracden, der Hülfsmittel ber Wahrbeit.
Der menſchliche Verſtand macht ſich ſelbſt Mühe und braucht nicht
forgfam und bequem guug bie Hülfsmittel, die in feiner Sand find. Die
Kräfte des Berftandes aus der Dialektik zu - beflern, ift feine Hoffnung:
benn wenn bie erften Begriffe der Dinge zu leicht und verkehrt erfaßt oder
undeutlih und leichtſinnig abgezogen find, fo können fie durch Reden, Bara-
phrafiren und Difputiren nicht verbeffert werben. Die Arznei ift kleiner
als bie Krankheit.
194 Es giebt mancherlei Krankheiten im menfchlichen Wiffen: eine Schmink⸗
gelebrfamfeit, eine Zankgelehrſamleit, und ganze Willenfhaften voll Mei⸗
nungen und Falſchheit. Es giebt auch böſe Säfte des menschlichen Willens:
eine ummäßige Liebe zum Alterthum ober zur Neubeit;* Miftrauen in den
menſchlichen Berftand, daß alle® ſchon erfunden fey und nichts mehr erfun-
ben werben fünne, oder eine Losſprechung und Gutbeifjung aller Meinungen,
Ketzer und Selten — — u. f.
Einige ſuchen in der Wiſſenſchaft ein Ruhebett, auf dem ihr braufen-
der Geift fhlummre. Andre einen Thurm, von bem fie hochmüthig berab-
ſchauen. Andre eine Burg, worinn fie ftreiten. Andre eine Werkftatt und
Bude, worinn fie handwerken, verlaufen, verbienen. Wenige fuchen in ihr
die reihe Schablammer, das große Rüftbaus Gottes zu feiner Ehre und
der Menſchen Wohlfart.
Borzeitige kecke Suftemenfucht fchadet der wahren Wiflenfchaft gänzlich.
En bald des Jünglinges Glieder und Lineamente ausgebildet find, wächfet
1) bereiten, Gefäße 2) ſchließe. Leben Sie wohl.
3) Mſc.: ward 4) zu Alterthum oder Neuheit;
derbers fänntl, Werte. X. 2b
— 40 —
er nicht mehr. So lange die Wiſſenſchaft in Aphorismen und Beobach—
tungen ausgeftrenet ift, kann fie wachſen: vorn ber Methode umzäunt und
umfchlofien, lann fie etwa erläutert, gefeilt, zum Gebrauch bequem gemacht
werden, an Gehalt aber nimmt fie nicht mehr zu. Iſt fie in Klaffen und 195
Handwerte gebracht: fo lebe wohl, allgemeine weitere Ausfiht! Diefe
giebts nur auf Thürmen und Höhen; nicht auf ebnen Boden, in Werk⸗
ftäten oder in engen Gefängnißbölen.
Der Meufh, wenn er fein Werk überficht, findet alles Eitelkeit, und
leere Plage des Geiſtes. Du Gott, ber fein Werk überfah und ruhend ſich
befien freute, du, der das fichtbare Licht zum Erftlinge der Schöpfung
machte und das geiftige Licht, das Meifterftüd deiner Werke, dem Menſchen
ind Angeficht hauchte; laß uns, wenn wir in deinem Werft arbeiten, auch
feiner Ruhe theilhaft werden und unfre Wiflenfchaft wenigftens ein Allınofe
ber Liebe für die Dürftigen! unfres Geſchlechts feyn.
1) für Dürftige
Ende des dritten Theils.
Halle, Buchdruckerei des Waifenhaufeg,
Herders
Sämmtliche Werte
Herausgegeben
von
Bernhard Suphan.
Elfter Band.
Berlin,
Weidmannſche Buhhandlung.
1879.
Inhalt“
Seite
Briefe, das Studium ber Theologie betreffend. Bier-
ter Theil. 1781. 1786. . . 1
Anhang. Drei Briefe aus der erften Ausgabe. 1780. nes 129
Stüde aus älteren Rebactionen ber erften drei Sammlungen. 1780. 150
Briefe an Theophron. (Briefe, das Studium ber Theologie
betreffend. Fünfter Theil) (1781.) 1808... 155
Bom Geift ber Ebräiſchen Poeſie. Eine Anleitung für bie
Liebhaber berfelben, und der älteften Gefchichte bes menfchlichen
Geiſtes. 1782. 1787. ... 213
*) Die Bezeichnung der verfhiedenen Lesart in den „Briefen“ entſpricht bem unter
dem „Inhalt” von Band. X gegebenen Nachweiſe. Bei ber Schrift „Bom Geiſt der
Ebräiſchen Poeſie“ genligte es, den Originaldruck beider Auflagen mit X zu bezeichnen,
ba bie zweite vom Jahre 1787 (B) eine bloße Titelauflage if. Bericht und Anmerkungen
zu beiden Werten werden am Schluffe von Banb Xu zufammengefaßt.
pa nee (AN a)
Briefe,
das Studium der Theologie
betreffend.
von
J. ©. Herder.‘
Bierter Theil.
Zweyte verbefferte Auflage.
— —r — — — — — — —t—— — —- — — — — —
Weimar,
bey Carl Ludolf Hoffmanns
fel. Witiwe, und Erben.
1781. 1786.
1) „von J. ©. Herder.“ fehlt in AB.
Br.
Br.
Br.
(II) Br.
Br.
Inhalt.
38. Vom Bortrage überhaupt. Bon den mancderlei Gattungen
befielben in ber Schrift. Was fie uns biemit habe fir ein Muſter
feyn? was für Mannichfaltigleit verfchaffen wollen? .....
39. Bom Zufammenbange der Schrift, von ihrer fortgehenden
Zeihen- und Thatenſprache. Philoſophie iiber Sprade und Bil-
der ift die feinfte Philofophie, der Schlüſſel zur Symbolik, wie
diefe zum Zufammenbange der Bibel. Summe ber Bibel. Bei-
lage: einige Gedanken Luthers. .
40. Ob die Schrift ein eigentliches Predigt⸗ Vorbild gebe? Was
Predigt ſey? und movon ihre Form beftimmt werde? Bon
der Homilie, ber älteften analytifchen Predigtweife, ihrem Wefen
und ihren Vorteilen. Einige Gedanken Luthers.
. 41. Kurze Geſchichte der analytifchen Prebigtmethove. Von der
Barabel. Vom Tert aus der Geſchichte. Bücher unb Uebungen
ierÜüber. onsesanssscnessnnsonnssunnesuonsconsunnnunsennnnsunsansnennnununstsossunnennassnsssnensnens
. 42. Bon Lebrterten: Schwierigleiten bei denfelben. Gebrauch der
Römiſchen Redner. Bon Regeln der Berebfamleit bei ben Alten
und Neuern. Bon den vier Worten: hören, leſen, fprechen, fchreiben.
. 43. Bon den Uebungen der Berebfamleit bei den Alten und
Neuern. Praktifche Ausmalung der Parabel vom Weltgerichte. ....
. 44. Entwurf der Anwendung eines biftorifhen Texts, von ber
Ankunft der Weifen. Einige Mißbräude einzelner, berühmten
Prebigtmufter. .
. 45. Bon ber Difpofition. Vom tabellarifhen Bortrage. Vom
Dialogen, als eier Uebung zur fließenden Schreibart. Bon
Uebungen im öffentlichen Schulunterridt, als einer Vorübung
des Predigerftandes. Nachſchrift. .
46. Bon der Poefie, als einer Bilbnerin bed Vortraged. Vom
Lehrgebicht, der Ode, dem geiftlichen Liebe. Bon ben neuen Ber-
bejjerungen alter Lieber. ſchichte des Kirchengeſanges neuerer
Zeiten. Kraft ber heiligen Mufil. ceeseeccssessessnnensanenonnsosnnennnensnnusennonenn
47. Bom Gebraud ber biblifhden und Chriftlichen Epopee. Ob
man ihre Sprade? ob man bie Empfindungen einzelner Per-
fonen derſelben nachahmen müffe? Ob ihre Fabel biblifche Wahr-
1*
199
206
216
230
241
254
272
282
293
Dr.
Br.
beit, Erflärung oder gar Verichönerung der Bibel ſey? Gren-
zen im Gebraud ber linterfchiede beflen, was in ihnen Fabel
und Wahrheit if, an Dante und Milton gezeiget. Charalter
Klopflodd. Bon der Poefie, aus Baco. .
48. Bon der Kirchengefhichte. Allgemeine Methode ihres Studium.
Lebensbeſchreibungen einzelner Berfonen von ihnen felbft, von
andern. Einige vorzügliche berfelben. Bon Briefen berühmter
Männer. Methode zu Unterfuchungen einzelner Begebenheiten ber
Kirchengefhichte, infonderheit Der Reformation. Bacons Gebanten
über Geſchichte, Kirchengeſchichte, Lebensbeſchreibungen u. f.
. 49. Ob die Menge von Büchern bie Welt gebeſſert babe? Worauf
e8 beim Lefen anlommt? Ob man ba8 Geiftliche und Göttliche
— unmittelbar treiben müſſe? Eine Paſtoral-Theologie in
erſen. .
50. Anzeige künftiger Materie. Ueberſicht einiger Vortheile bes
neueren Studium der Theologie. Bom Treiben der Spraden
und bes Literar-Tertd. Bom Ueberfeken. Bon Prüfung ber
Beweisftellen. Bon Bereinigung der Partbeien. Vom äußerlichen
Zufande unfrer Kirche. Empfehlung der Borbilder unfrer alten
Theologen. Shaftesburi Briefe an einen Schüler ber Theo⸗
logie. Pythagoräiſche goldne Sprüde. Hemſterhuis Gebanten
iiber den Gang der Wiflenfchaften, Religion und Gefetgebung.
Seite
323
343
375
199
Acht und dreiffigfter Brief.
Weder Ihnen, no mir, m. Fr., fol unfre biöherige Feier
geſchadet Haben: der Same der Willenfchaft bedarf auch in den
beiten Gemüthern nicht minder Zeit zu feimen und bervorzublühn,
als der natürliche Same in der Erde. Ihre Anfragen und Zwei⸗
fel über meine vorhergehenden Briefe find treu aufbewahrt und
jollen zu rechter Zeit beantwortet werden; jetzt laffen Sie uns vor
allen Dingen zu einiger Ründe unſers Werks Tommen, und da
doch niemand die Wiffenfchaften, blos um fie zu wiſſen lernet;
vom Gebraud, vom Nutzen, von der Anwendung reden, zu
denen auch Sie! Theologie lernen und treiben: denn das Ziel
beitimmt die Laufbahn.
Es ift, außer Ihrer Selbftbildung, die Bildung und Beſſe⸗
rung andrer, durch Bortrag Ich fage: Vortrag, nit Pre-
digt: denn das unſchuldige Wort ift verfchrieen und ich begreife
unter meinem Ausdrud aud etwas mehr, ala man gemeiniglich
200 Predigen nennt. So wie nämlich dur die Sprade unfre Geban-
ken beftimmt und geordnet werden, wie wir durch das Lehren
andrer am beften felbft lernen? und wie überhaupt das, was
man Bildung der Seele nennt, nicht blos durch eine Reihe von
Gedanten oder durh die Materie defien, was man meiß,
geihätt werden Tann, fondern aud und vornämlid die Form,
wie man es weiß und gegen Andre äußert, kurz, Denkart und
Lebensweife dazu gehöret: fo ift, und zwar in einem weitläuf-
tigern Verftande als Demofthenes das Wort brauchte, auch hier
1) denen Sie 2) beiten lernen
— 6 —
das Erſte und Letzte Handlung Was bülfe ! Ihnen alles Stu⸗
diren der Bibel, der Dogmatik, Polemik, Moral und aller geift-
lichen Wiflenfhaften, wenn fie wie todtes Kom in Ahnen ver-
Ihloffen lägen und weder durch Sprade, noch durch Uebung
nüglih würden? ? Leider verlieren mir heut zu Tage bei unferm
gar zu vielen Wiſſen und Lernen oft den Zweck, wozu wir ler-
nen? und ob etwas davon in unferm Leben zur Anwendung
tauge?
Die Bibel, das Buch Gottes aus fo vielen Zeit- und Men-
ſchenaltern bat auch darinn etwas Beſondres, daß ihr Vortrag
auf fo mannichfaltige ? Weife, gleihlam für alle Zeiten und Men-
fhen wechſelt. Welh eine Gattung von Vortrage gäbe es,
die nicht in ihr irgendwo angewandt wäre? Alle * Arten der 201
Poefie und Profe, die verfchiedenften Vorträge fo verſchiedener Bücher
und Zeiten über das ganze Einerlei und Mandherlei von Materien
in ihrem reife, liegt vor ung: ein Garten voll Blumen und
Früchte, da jede Biene faugen, jeder Wurm und Menſch jeine
Nahrung finden kann. Was will uns der Schöpfer mit dieſem
reihen Anblid jagen? Was anders, ala daß er jede Gabe ber
Natur, jede unfhuldige Neigung einer menjchlichen Seele in ihrer
Art ehre?® Selbſt mit feiner himmliſchen Kraft und Wahrheit
bequemt er fi einem eben, wirkt in ihn, wie fein Bedürfniß
es erfobert, reicht ihm Geiſtesſpeiſe, wie feine Seele, fein Geihmad
und Organ fie Foften kann und mag. So wirkt die Sonne mit
ihren Stralen, jo der Thau und Regen mit feiner befruchtenden
1) Gedanken und Materie gefchätt werben Tann, fonbern aud
Form, Außerung auf andre, georbnete Hanblung und Lebens-
weise fobert: fo ift auch hier, in einem .... brauchte, Handlung das
Erfte und Letzte. Was bölfe
2) wenn es wie .... läge unb mweber durch Sprade, noch Uebung
nuützlich würde?
3) fo unendlich viele 4) „Alle* aus dem Mſe. ergänzt.
5) irgendwo auch angewandt wäre? Arten .... über Einerlei und das
ganze Mancherlei .... vor uns: ein bunter Garte
6) Gabe, jede unfchuldige menfchlihe Neigung in ihrer Art ehret?
— 7 ,—
Erquidung ähnlih der Natur jeder Pflanze: ' fo handelt Gott in
der Natur, fo wollte er auch in der Schrift handeln. Nichts iſt
fremder ? dem Wort Gottes, als eine einfchränfende Clauſur von
Morten, ein einfürmiger ‚3 bölzerner Vortrag für alle Seelen, der
fodenn wirklich für feine Seele wäre: denn fie find ja von eben
demfelben Gott und Schöpfer nit alle fo einförmig * gebildet.
Alſo iſts eben die edle, große Manier, die wir der Bibel abler-
202 nen follen, uns felbjt treu zu feyn im? Erfänntniß der Wahrheit,
in ihrem Vortrage aber allen allerlei zu werden, weil man fonft
feinem was recht? wird. So wenig Gott mit feiner Offenbarung
dadurh an Wahrheit, Beftimmtheit und Einheit verlor, daß er
fih jedem Zeitalter, jedem Schreiber und jeder Menfchenart
bequemte: fo wenig lafjet ung glauben, daß bie fo mannichfaltige
Schrift auf dem Wege der Mannichfaltigfeit durch und etwas ver-
lieren werde. Je vefter ein Menich iſt, deſto mehr kann er fi
andern bequemen; je reicher und ftärfer, deſto vielfacher und kräf—
tiger andern dienen.
Meg aljo mit der einzäunenden Methode, die gewiſſe Sylben
itatt der Sachen feßt, die jene do nur bedeuten! Meg mit
dem einförmigen Bortrage, der das Kind unſrer Schmachheit und
Unmifjenheit, oder unfers Eigenfinnd und einer ftarren Gewohn⸗
heit, nicht aber® der Wahrheit und bes göttlichen Verſtandes ift!
Bon dem, was wir Predigt nennen, liefert uns die Bibel, der
Handwerksform nah, Fein Mufter, gejchweige daß fie uns ein ein-
ziges unveränderlihes Mufter gebe. Dieſe wie jede andere Form
eines Vortrages ift mit der Zeit und nah Bebürfniffen der Zeit
203 entftanden: mit folden bat fie abgewechjelt, nach folden muß fie
1) Jeden, fließt in ihn ein, wie... . erfobert, wie feine Seele .
Dıgon Geiftesfpeife Toften kann und mag. So mobificirt fi} die Sonne
. Erquidung jeder Pflanze:
2) ferner 3) einförmiger, willkührlicher
4) einförmig gleich
5) Alſo iſts auch die größefte Methode, die wir... uns ſelbſt treu im
6) Schwachheit, (oft Unwißenheit) oder unſers Eigenfinns, nicht aber
_s—
gemefien,! gebildet und beurtheilt werden. Moſes und die Pro- |
pheten, Propheten und die Apoftel, dieſe und Chriſtus; alle jagen
Gottes Wahrheit mit Gottes Kraft, nur jeder ſagt fie auf feine
Meife, und keine zwei Propheten, Teine zwei Apoftel find fich ein-
ander bierinn völlig ähnlich. Jeder fpricht, nachdem ihm der Geift
gab auszufprechen, treu feinem Eindrud der Wahrheit. In die-
jem, in der Materie jelbit, liegt der Same zum ganzen leben»
digen Gewächs, die Beitimmung feiner Form und ganzen Erſchei⸗
nung, jo wie der Geift den Körper, wie jedesmal und in jeder
Gattung der Schreibart ? der Sinn den Vortrag bildet.
Wie erguidend und aufmunternd diefe reiche Abwechſelung des
Bortrages der Bibel ? jey, werden Sie einmal in manden Ermat-
tungen Ihres Amts fühlen. Wer wollte, wer könnte über eine
hölzerne Metaphyfil, wenn fie * Autorität der Bibel hätte und ihre
Scholaftif zum ewigen Wortwirbel aufdränge, Jahraus Jahrein
Lebenzlang und immer auf einerlei Weife Ieiern? Wie warb bein
menfchlihen Geifte zu Muth, als er Jahrhunderte lang an einer
übelverftannnen Scholaftif des Ariftoteles fauen mußte? und mie
ergehets noch fo manden, die ſich freiwillig ähnliche Ketten ſchmie⸗
den? Glüdlih, daß uns die Bibel ſolche nicht $ fchmieden wollte! 204
Sie ift ein Garten,” kein Kerker; eine Welt voll Abwechſelung
und Fruchtbarkeit der Gedanten,® fein Arbeitshaus, mworinn man
immer auf Einerlei Weiſe rafpeln müßte. Jetzt erholen Sie ſich
an dieſem, jegt an jenen Geifte, an feinen Sprüchen, an feiner ?
1) ein einzige8 unausweichliches Mufter gebe. So wohl dieſes, als
jedes andern Vortrages Form und Zufchnitt ift mit der Zeit .... bat er
abgewechſelt, nach ſolchen muß er gemeßen
2) liegt Same und Beflimmung ber Form, fo wie .... Gattung
der Sprache und Schreibart
3) und auffrifchend diefe reihe Abmechjelung ber Bibel
4) Metaphyſik, bie
5) Wie wards dem menſchlichen Geifte, al8 er Jahrhunderte unter
einer übelverſtandnen Scholaftit des Ariftoteles erlag?
6) daß fie ung die Bibel nit 7) Sarte, 8) Geifter und Gebanten,
9) fih an dem, jett an jenem Geifte und feinen Sprüchen und feiner
nn ———
— 9 —
Einkleidung. Die alte Wahrheit wird Ihnen, wird ihren Zuhörern
damit neu: die neue Situation des Mannes, die neue Anwendung
ſeiner Lehre belebt Ihnen gleichfalls aufs neue! Herz und Seele.
So erheitert uns die friſche Luft und ſo wird die todtgeathmete
Luft durch neue Pflanzen und Kräuter lebendig. Es iſt kein Zwei⸗
fel, daß Sie jetzt dieſen, jetzt jenen? Schriftſteller der Bibel ver-
trauter, näher, inniger fühlen werben; Gie finden 3 alfo im alten
Wort Gottes immer einen neuen Freund, die Bürde Ihres“ Amts
und Lebens mit Ihnen zu tragen, und werden über die mancherlei
Kräfte, Gaben, Sprachen und Aemter, die Paulus ala Erweiſe
und Kennzeichen des Einen Geiftes fo hoch rühmet, Gott preifen.
Uebrigens laſſen Sie fih durch feine der Einkleivungen bes
Bortrags der Bibel je von der Einen Wahrheit entfernen, die in
205 ihnen allen als Seele lebet: denn wie jenes Sklaverei war, wäre
diefes gar kindiſch. Allenthalben ift Einkleidung nur Mittel der
Lehre; die Wahrheit felbit ift Zwei, und nur? Schwädlinge ver-
gefjen dieſen über jener. Mich dünkt, diefe Warnung ift infon-
derbeit zu unſrer Zeit nöthig, da man fich bei dem Einzelnen ber
Bibel fo fehr aufhält und Kleinigkeiten oft jo 6 genau treibt, daß
mande vor lauter Bäumen den Wald nicht fehen lernen. Sie
werden viele Erempel Hiervon kennen und noch mehreres vielleicht
auch an fih in ihrem fpätern Leben einfehen lernen. Nicht daß
ih den Fleiß im Einzelnen ? gering ſchätzte: alles Ganze beiteht
nur aus Theilen und meine Briefe haben bisher zur 3 größeften
Sorgſamkeit bierinn ermuntert; nur muß man nicht, über dem
‚Kleinen und Allerkleinften das Größefte von allem, den Inhalt?
1) Zuhörern neu: die neue Situation des Mannes und der Anwen-
bung feiner Lehre belebt Ihnen aufs neue
2) diefem, jet jenem 3) feben 4) des
5) durch die mandherlei Einfleibung nicht von der Einen Wahrbeit,
die durchhin berrfäht, entfernen: denn das wäre, wie jenes Sklaverei war,
gar kindiſch. Einkleibung ift nur Mittel .... Zwed; nur
6) Kleinigteiten fo 7) Einzelnen verriefe oder
8) unb alle meine Briefe bisher haben ja zur 9) Allem, Inhalt
— 10 —
der gejammten Schrift verfehlen. Nur! der Bid aufs Ganze
macht im Kriege den Helden, im thätigen Leben den Mann von
Geſchäften, in der Kunft den Künftler, in der Wiſſenſchaft den
Weiſen, im Studium der Theologie den Theologen; ohne ihn ift
der erſte nur ein Soldat, der zweite ein Taglöhner, der dritte ein
Handwerker, der vierte, jo Gott will, ein Gelehrter und ber letzte
ein Sylbenkrämer.
Neun und dreilfigfter Brief.
Site haben recht, m. Fr., daß, wenn nur die Summe deſ—
fen, wa8 ung die Bibel lehrt, Theologie und in feiner
Anwendung praftiihe Theologie ift, hierauf au der Haupt-
blid eines Schülers und Lehrers derfelben gerichtet ſeyn müſſe,
folglih e3 nicht darauf allein anfomme, was jeder ? Splitter und
Nagel einzeln an feinem Drt bebeutet babe, fondern was er im
ganzen Gebäude, darinn ihn die Vorſehung, über Zeiten und
Völker hinaus, gefett hat, ung jeßt bedeute. Das erſte ift zur
Känntniß? deſſelben allein betrachtet; das lebte zum Gebraud)
defielben für unfre Zeit nöthig. Das erfte macht den Biblifchen
Antiquar; das zweite den Biblifhen Theologen. Möge es feyn,
daß jever einzelne Stein des Gebäudes, weder fi) ala Theil, noch
das ganze Gebäude überfah, zu dem er als Theil gehörte;* (er
borfte und follte e8 auch nicht; es war auch, der Natur der Sache
nah, unmöglih;) mit und im Gegentheil, die wir vor dem
vollendeten Gebäude ftehn, ifts anders. Da wäre es, dünkt
mid, Kleinfinn, wenn mir nicht weiter fehen wollten, als jeder 207
einzelne Theil fehen konnte: denn eben zur ganzen Anficht ftehet
1) Allein
2) Theologie ift, folglich hierauf der Hauptblid .... müße, es nicht
allein darauf ankommt, was ein jeder
3) Erforihung 4) überſah: („zu — gebörte;" fehlt.)
— 1 —
ja das! ganze Gebäude da. Mich dünkt, infonderheit bei der
Typik follte Dies Hauptgefichtspunft werden. Es wäre nehmlich
gar nicht die Frage mehr, ob ber und jener im U. 7. ſich ſelbſt
als Typus deutlich erkannt? ob feine Zeit ihn dafür erkannt
babe? fonden ob im DBerfolg der Zeiten auf ihn ala Vorbild
geriefen jey? und ob (wie wohl das letztere mit großer Weisheit
gedeutet werben müßte) nicht die offenbare Analogie der Sachen
und Bilder ihn als foldhes zeige?? Nur die fpätere Auf-
Härung, die beutlihe Entwidlung des fortgehenden Sinnes in
der Zeitfolge, ſamt der Analogie? des Ganzen zeigt uns das
Gebäude in feinem Lit und Schatten, aud da3 Maas des Lichts
und des Verhältniffes in jedem Theile. Das Wort Bild, Figur,
Vorbild wird beinah fo verändert in den Stuffen feiner Bebeu-
tung, als die Farben» und Lichtbredungen eines Gemählbes; und
Welt und Wort Gottes ift uns ja ein Gemählde — — Offen-
bar ift feine Wiffenfchaft der Theologie fo fein, als dieſe über ben
ganzen Zujammenbang der Bibel und die Berhältniffe
ihres fortgehbenden Gebäudes. Sie erfobert einen Mann
208 und feinen Schüler, einen Mann von gutem Beritande, von bel-
lem Kopf und zugleih von gutem Herzen, der dazu im rechten
Standpunft ftehet. Ich glaube, daß ohngeachtet manches Leber-
triebenen einige ältere Zeiten, und zwar ungelehrte, aber richtig -
fühlende Lefer * der Bibel weiter darinn geweſen, als einige fehr
gelehrte Klüglinge jegt find. Dur Unglauben fowohl ala durch
Aberglauben wird jede gute Sache übertrieben: 9 der eine fieht gar
1) Da wäre e8 Blindheit und Meiner Sinn, wenn wir .... einzelne
Ziegel fehen konnte: eben .... ſteht das
2) Zeiten der Geiſt auf ihn als Borbild gewielen, ober ob .....
ihn als folchen zeige?
3) Aufflärung, bie Deutung des Geifled oder bie Analogie
4) von tiefem und zugleich hellen Kopfe, dazu von gutem Herzen und
im rechten Standpunkt flebend. Ich glaube auch, daß mandhe ältere Zeiten
und fonft ungelehrte, aber richtige Leſer
5) Durch Unglauben oder Aberglauben übertreiben diefe die Sache öfters:
— 12 —
feine, der andre überall Bilder der Zukunft und beide werben
meiſtens von einer Prunk⸗Gelehrſamkeit beftocdden, entweder einer
alten Heiligen aus dem Kalender zu thun, oder! einen neuen in
ihn thun zu können. Wir find jeßt in ber Zeit des Heraus⸗
thuns; es wird auch wiederum eine andere der Reftitution Tom-
men, ohne doch daß man die Sade jo übertreibe, wie unläugbar
einige Jahrhunderte vor uns fie übertrieben haben. Das Sichten
it gut; nur wäre e8 fchlimm, wenn uns zulett gar nichts im
Siebe bliebe. — Ueberhaupt kenne ih keine feinere Philoſophie,
als die über Sprade und Bilder, über ihren abwechſelnden,
und Doch immer fortgehenden, ſich immer mehr aufflärenden, im⸗
mer mehr verfeinernden Sinn im Auge? vieler fortgehenden
Zeitalter. Es gehöret mehr dazu, als daß man die tropos ber
Metaphor, Allegorie, u. f. aus der Rhetorik oder das Kapitel von 209
der ſymboliſchen Erfänntniß in der Logik gelefen habe; und
do find gerade die, Die jelbit weder Philofophen, noch Dichter,
noch Redner find, die es menigftens in biefem Felde nicht find,?
gemeiniglich die enticheidendften, abfagendften Richter. Chriftus
und die Apoftel, die noh ganz in einer Symbolfprade lebten,
Kirchenväter und alte, geprüfte Theologen, die auf Stubien ber
Art fih Lebenslang wandten, find ihnen ein wegzuwiſchendes
Pünktchen des Buchſtabs. Die fchönften Stellen der Propheten
werden ihnen poetiiche Tiraden; alle Sprache der erften Welt durch
Anftalten, Gebräuche find nichts, weil Wir ja nichts dergleichen
haben und bei unſern Gebräuden nichts denken: ber Zufammen-
hang des prophetifhen und apoftoliihen Worts* wird Flickwerk
und fein Ausgang, wie eine übelverlöfchende, ausgebrannte Lampe.
Hüten Sie ih, m. Fr., allen Menihen, Göttern und Beitaltern
nit mehr Sinn, d. i. thätig- und fill -fortgehende Weisheit
1) von ihrer Gelehrſamkeit beftocden, entweber ... ... Kalenber ober
2) aufllärenden oder vertiefenden Sinn in den Augen
3) e8 am mwenigften in biefem Felde find
4) Zufammenkang des Worte Gottes
zuzutrauen, als wir felbft in unfrem Hirn ober in unfrer Lehr⸗
ftube haben — —!
Trotz alfo mancher abjchredenden Urtheile unſrer Zeit üben
Sie fih, m. Fr., in dieſer Symbolik, als dem feinften Studium
210 der Bibel. Treten Sie in die fihern Fußſtapfen Chrifti, der Apo⸗
ftel, auch des letzten Buchs der Schrift, und fchließen nad dieſer
Analogie weiter. Es verftebt ? ſich felbft, daß Sie dies mit
FZürfiht und Behutſamkeit thun; denn meiſtens hat der Mangel
diefer der Sache ſelbſt geichade. Da man gar nicht unterſchied,
was zur Erläuterung ober zum Erweiſe, als Zierrath ber
Rede oder ala Weſen der Sache in den Schriften der Propheten
und Mpoftel fand, oder in unjern Schriften baftehn jollte: fo
mußte auf dieſer Schatten» und Lichttafel alles verwirrt und die
befte, wahrefte Deutung, entweder zu einem Niefenmaafle erhöht ?
oder mit den gröbften Farben vermablt, lächerlih und‘ widrig
werden. Das war Fehler des Misbrauchs, nicht der Sade; und
ein guter Gefhmad, fo wie ein ftilles richtiges Urtheil kommt
diefem Mißbrauche zuvor. Hüten Ste fi dabei für jedem will
führlichen, abgejchränften, ſowohl zu nahem als zu fernem Geficht3-
punkt, und opfern ja nidt Einem Bilde, Einem Lieblingstropus
alles auf. Das legte ift der Fehler geweien, der die ganze Sym⸗
bolif der Schrift, weil fie ſonach durchaus übertrieben wurde,
vielen verhaßt gemacht hat; ein rechter, weiſer, fchöner Gebraud
211 wird fie wieder zu Ehren bringen und in ihrer Naturvollen, blei-
benden,d angenehmen und ans Herz redenden Sprache ins Licht
fielen. Ih wollte, daß wir eine Schrift von ber Bilder-
ſprache der Ebräer nur mit dem Geſchmack hätten, wie wir fie
über Stüde der Griechiſchen Bilderfprade haben — —
Die Summe des A. und N. T. ift Chriftus mit feinem
unfihtbaren ewigen Reiche; was hätte die menſchliche Natur
1) Sinn, thätig- und ſtille-fortgehende Weisheit zugutrauen, als wir
felöR in unfrer Hirm- oder Lebrftube haben — —
2) begreift 3) alles Verwirrung und .... Riefenmaaffe verzerrt
4) oder 5) einzigbleibenden,
— 14 —
wohl anders, worauf ſie hoffen, wornach ſie ſtreben könnte, als
eben dies Reich, das die Propheten verhießen, das Chriſtus der
Welt brachte, worauf auch alle Guten und Wahren zu aller Zeit
wirkten? Wenns eine Abſicht Gottes mit unſerm Geſchlecht giebt,
(und ſie giebts gewiß!) ſo iſts dieſe, keine andre. Sie iſt das
Herov, der einzige lebendige Funke im Menſchengeſchlecht, ders
erhält und vor der Verwefung fiert. Hätten die Propheten es
auf ein irrdiſches Neich des Meſſias angetragen; fie wären meine
Propheten nicht: denn alles Irrdiſche ift zeitlich und vergänglid.
Irrdiſche Ewigkeit ift ein folder Widerſpruch, als ewige Erden⸗
feligfeit oder nad unſerm jeßigen Zuftande vollflommene Erben-
tugend. Hätten die Apoftel auf eben dergleichen Reich geftürmet ;
mit Wundern und Sprachen wären fie meine Apoftel nicht, denn
fie hätten dergleichen Reich wahrlich fchlecht angerichtet. Nun 212
fie aber das file Senflorn des Himmelreichs, unter Leiden und!
Beratung unter die Völker jäeten, und das Net zogen voll guter
und böfer Fiſche, die auf einen fünftigen Tag der Auswahl war-
ten: nun fie bie ftille Perle der andern Welt fuchten und das
Blutkreuz, zu einem Baum des Todes und Leben, wie eine
befchwerliche Himmelßleiter über unfre Welttheile pflanzten: fo folge
ih ihnen, denn wo fie ihr Erbtheil fuchten, fuche ich das Meine.
Wäre Jeſus nicht der Chriftus, fo verdiente ers zu feyn fchon
durch feine Weisheit und ftille Tugend; nun ift ers, ohne unfern
Wahn, durh das Werk feiner in die Ewigfeit fortgehenden Wir-
fung und Geelenerrettung. —
Was tft Schöner, als die Sonne?
Geiner Wahrheit ewig Gut.
Was ift ftärker, als das Schidjal?
Seiner Liebe ftile Gut.
Seine Demuth, feine Hoffnung,
Die in Menfchenherzen ruht — —
und einft aufgehen wird, das Heinfte Senflorn zum größeften Baume.
1) mit Yeiden, mit
213
— 1 —
Beilage.
Einige Gedanfen Luther.
Die Schrift ift wie ein Ring. Wenn der an Einem Ort bräde,
wäre er nimmer ganz. |
Es iſt fein Wort im N. T., das nicht Hinter fich fehe in das Alte:
durchs Evangelium find die Propheten aufgethan. Wir follen binterrüd
laufen und das N. aus dem N. gründen: wir müſſen zuridftubiren und
aus dem N. das A. lernen.
Was bilfts, daß wir die Schrift fo reichlich haben und hören, und
nichts davon uns nütze machen? wie eine Magb, bie mitten in Blumen
ſäße und feine wollt’ abbrechen, einen Kranz zu flechten.
Ich babe nun etliche Jahr die Bibel jährlich zweimal ausgelefen und
wenn fie ein großer, mächtiger Baum wäre und alle Worte wären Aeftlein
und Zweiglein, fo babe ih doch an allen Aeftlein und Reislein angeflopft
und gern wiſſen wollen, was daran wäre und was fie vermöchten und alle-
zeit noch ein paar Früchte heruntergeflopfet.
Dan muß aus der Schrift den rechten Schat, Kern, Saft unb
Schmad nehmen, welches ift das Erempel des Glaubens und ber Liebe.
214 Darauf folltu fehen, wo e8 Gott berausgefchrieben hat, da barfft du. nicht
tief darnad graben. Darnach, wenn bu dies fürnehmſte Stüd haft, fo
fannft du heimliche Deutung mit einführen und als ſchöne Spangen dazu
heften. Die Figuren flreiten aber nicht, fondern fie ſchmücken ben
Glauben.
Es leidet fih nicht, daß ein jeber mit feinem Kopf in die Schrift
falle und darinn grüble und mehre wie er will. Es foll ſich def niemand
unterwinben, er babe denn den H. Geiftl. Hieronymus und Origenes haben
dazu geholfen, daß man fo allegoriret bat: Gott vergebe e8 ihnen. Iſt
eitel Lappen= und Kinderwerk, ja Affenfpiel, mit der Schrift alfo gaufeln,
Als wenn ih aus Dietrid von Bern wollte Ehriftum machen und aus
dem Riefen den Teufel und aus dem Zwerge die Demuth, aus feinem
Gefängniß den Tod Ehrifti, oder fonft irgend ein Ritterfpiel oder Hiftorien
vor mich nehmen, daß ich meine Gedanken an ilbet” und damit fpielet’,
wie ber gethan hat, ber Ovidii metamorphoseos! V ganz auf Chriftum
gezogen. Oder wenn id St. Georgen Legende nähme und fpräde:
St. Georg wäre Chriſtus, die Iungfrau, fo er erlöfete, wäre die Ehriften-
1) Metamorphosior
Beit: der Drade im Meer wäre der Teufel, das Pferd die Menſchheit
Chriſti. Wer fichet nicht, daß ſolche Deutung eitel Gaulelwert if?
Als ich jung war, da war ich gelehrt und fonberlich, ehe ih in die 215
Theologie am, da ging ich um mit Allegorien, Tropologien, Analogien
und machte eitel Kunfl. Nun babe ichE fahren laſſen und ift meine befte
Kunft, tradere scripturam simplici sensu: denn literalis sensus, ver
thuts, da ift Lehre, Kraft, Leben und Kunft innen.
Mit Allegorien fpielen in ber Chriſtlichen Lehre iſt fährlih. Die
Wort find bisweilen fein Tiebli und geben glatt ein; es iſt aber nichts
dabinter, dienen wohl für die Prediger, bie nit viel ſtudiret
haben, wiſſen die Hiftorien und dem Tert nicht recht auszulegen, fo grei-
fen fie zu den Allegorien,, barinnen nichts gewiſſes gelchret wird, darauf
man fußen und gründen lönnte. Barum follen wir ung gewöhnen, daß
wir bei dem gefunden und Haren Zert bleiben: fonft geben wir dem Läfterer
redliche Urſach zu ſpotten, al® ob unfre Lehre eitel ſolch Deutelwerk wäre u. f.
— — — —æ—
Vierzigſter Brief. 216
Mit Fleiß habe ichs bemerkt, m. Fr., daß die äußere Form
unſrer Predigten in der Bibel kein Vorbild finde: denn welches
wäre dies Predigtvorbild? Die Patriarchen ſegneten ihre Söhne,
fie empfahlen ihnen des Herrn Weg; aber fie prebigten nicht nad)
unjrer Weile. Moſes fünftes Buch ift eine Anrede ana Volk aus
feinem und über fein ganzes Leben; die Berzlichite, ftärkfte,
dringendfte Anrede, zulegt mit den lauteften Stimmen des Fluchs
und Segens, denen fein ewiges Lied und fein demüthiges Segens⸗
gebet folget; es tft aber nicht das Mufter unfrer gewöhnlichen
Predigt. So ifts mit den Anreden der Propheten: fte ftehen wie
Berge Gotte da; wer vermag zu jagen: Berg, komme zu mir!
Bon Chrifto Haben wir Sprüde und Barabeln, zum Theil mit
ihrer Auslegung; auch einige herzliche Anreden an feine Schüler
und an das Volk; die Form unſrer Predigt gebricht ihnen. “Die
Briefe der Apoftel find — Briefe: zum Theil mit einer theore-
tiſchen und praftifchen Abtheilung; fie find uns Texte zu Prebig-
ten geworben, über die wir prebigen; wie unterfchieven ift aber 217
— 17 —
Brief und Predigt! Alſo bliebe und nichts, als die Relation
Lucas von den Predigten ber Apoftel; diefe aber ift nur Relation,
biftorifher Auszug; feine Form einer nachgefchriebenen Rebe.
Meines Willens find auch alle diefe Vorträge von einander felbit
verfchieden: und welcher unter ihnen wäre eigentlih unfre Predigt?
Sie ſehen aljo, m. Fr., an der Form liegts nit: die muß
von der Materie beflimmt werden: nur die Zeit bat fie gebildet.
Das Wefentlihe, das alle Vorträge der Bibel gemein haben und
auch unſre Predigten mit ihnen gemein haben follten, ift, daß fie
den Willen Gottes verlündigen, daß fie Wort und Rath
Gottes von unfrer Glüdfeligfeit menſchlichen Herzen und
Gewiſſen darlegen. Das thaten fie alle, Patriarden und Pro-
pheten, Chriftus und die Apoftel, jeder auf feine Weife; das follen
wir auf unfere Weife thun, aus und gemäß der Bibel; dies
ift Prebigt. |
Je mehr wird alſo aus der Bibel, je gemäßer wirs ihr und
uns felbft und unferm Kreiſe thun; deſto befler prebigen mir.
218 Mid dünkt alſo, das erſte Geſetz einer guten Predigt jey,
daß fie nicht Nede, Nebnerei in unferm Namen werde. Got-
tes Willen predigen wir, nicht den unfern, fein Thema ftellen
wir dar, nicht unfer Thema. Sobald Predigt, was fie im Munde
der Apoftel eigentlih war, Botſchaft zu feyn aufbörte, ward fie
Erflärung des Worts Gottes, ihrer Schriften und ihrer
Lebre, Anwendung beifen, was vorgelefen war, in einem
ftillen chriſtlichen Kreiſe. Dies hieß Homilie und war nicht
eigentlih Dration, Rede. Dieſe ift erft ſpäter mit Kanzeln und
Redeſtülen aufgelommen und noch unterfcheiden die blühenbiten
Redner unter den Kirchenvätern,! Chryfoftomus ſelbſt, Homilie
und Rede. Mich dünkt, Natur und Zweck unterjcheiden fie auch;
und jene, die Homilie mar die Mutter dieſer.
Auslegung der Bibel Halte ih aljo für die vornehmfte,
befte Predigt uud das Wort post illa follte manchen heiligen Red⸗
1) von Kirddenvätern [So aud im Mie.]
Herders fjümmtl. Werke. XI. 2
— 1 —
ner erinnern, wie fremde biefem Drt und dieſer Zeit der Pfauen-
ihmud feiner Beredſamkeit ſey. Er gebt post illa verba Christi
et apostolorum, wie der Pfau inter der Taube, wie der Markt⸗
fchreier hinter einem beſcheidenen Mann einher.” Wer die gericht- 219 .
lihen Reden Demofthened und Cicero ſchlechthin zu Muftern
unſrer Predigten nimmt, bat weder Begriff von Predigt, nod von
gerichtlicher Rebe; beider Zwede bat er nicht verftanden.
Da mit der Reformation das Wort Gotte8 und ber gute
Geſchmack wieder auflan; fo gleih traten bie Confefioren in Die
Fußftapfen der alten Kirche, fie hielten Homilien, fie erflärten
das Wort Gottes und wendeten es an. So find die Predigten
Zutbers, Chemnitz, Bullingers u. a. bis biefe gefunde, alte
und populare Predigtart vom Dogmatiich » polemijchen Geift, zuletzt
gar von Philofophie und Rednerei verdrungen warb und mans
für befier fand, fich jelbft, als Wort Gottes und Chriftum zur
predigen.
Erlauben Sie, m. Fr., daß ich von diefer, der fimpelften
und älteften Methode zu predigen, die Sie die analytiſche, ober
biblifhe Predigtart nennen mögen, meine Gedanken weiter
eröfne. Ich Halte fie, an ihrem Ort, zumal aud in unſrer Zeit
für die befte; für junge Leute injonderheit ift ſie die ficherfte
Pforte zu einer reihen guten ? Predigtübung.
Wir haben ein Wort Gottes, das wir lejen, verftehn, anwen⸗
den und andern erklären jollen: zu deſſen Erflärung, Lehre und 220
Anmendung Prediger eigentlih beruffen und angemielen werben;
den meiften unfrer Predigten liegen gar Texte vor: — worauf
weijet uns dies Alles, als auf Homilie, auf eine erflärende,
anmwendende Predigtmethbode Wir follen nehmlich nicht ein
Wörtlein des Texts, dag Wort Und etwa, wählen, daraus ein
ſcholaſtiſches oder vebnerifches Thema [pinnen, dies abbaipeln und
weiter Tert und Wort Gottes ſeyn lafien, wo fie find; dazu
1) Taube, wie ber Affe binter dem Menfchen einber.
2) die unausweichliche Pforte aller guten
braucht e8 eine Bibel. Bibel wird in ſolchen Predigten nicht
geprebigt, ber Tert in feiner ganzen, lebendigen Anficht nicht
gebraucht; allenfalls könnte man da auch immer über ein Compen-
dium der Philofophie oder wie Kaiſersberg that, über Brands
Narrenſchiff predigen und die Predigten wären confiftenter. Sekt,
fobald ein Redner der Art fein fauerfüßes Thema ankündigt, iſts
nicht, als ob er die Schlummerkörner eines großen Mohnhaupts
über die Verfammlung ftreute? Der Eine Theil dent: was foll
mir das? Kann mir diefer über einen jo allgemeinen, in der
Luft fchwebenden Sag, über eine in Predigtwinbeln eingefehnürte
Pflicht ober Tugend fagen, mas ich nicht längft aus ficherern
221 Quellen, mit beftimmtern Begriffen und Erfahrungen, befjer wüßte?
Er predigt! und fo prebige er denn! Sein großes, ewiges Thema
ift: Hilfts nicht, fo ſchadets nicht; ſchadets nit, fo hilfts
nit; das er durch Theile und LUnterabtheilungen, nebſt introitu
und exordio, jechlerlei usu und Application allemal ftrenge durch⸗
führt. Er beweiſets heute nud über acht Tage und über hundert
Jahr, wenn er noch lebt, wird erö wieder bemweifen.!
Nehmen Sie nun im Gegenteil das Wort Gottes, oder
Ihren Tert, wie er dalieg. Das meifte davon ift Geſchichte,
Parabel, und auch alle Lehre mit foldhen verwebet: was nun
natürlicher, als daß fie diefe, ala das was fie tft, zeigen, ihren
Tert oder feine Situation beleben und folde in jedem Heinen
Bliede des Ganges und Fortganges anwendend verfolgen.
Sie kündigen den Inhalt Ihres Terxts beicheiden an, ſuchen die
Situation in ihm mit wenigen Worten intereffant zu machen,
oder feine Lehre in Situation zu verwandeln. Diefe begleiten Sie
nun durch alle Theile der vorliegenden Geſchichte, Lehre oder Para-
bel kurz und lebendig: Sie generalifiren das Beſondre, partikula⸗
riſiren das Allgemeine, machen Ihren Tert zum Tert der Welt,
2 Ihre Geſchichte und Parabel zur Geſchichte und Parabel des
menſchlichen Herzens, die Situation, die fie anzeigten, in
1) lebt, wieber.
28
— 20 —
allen Krümmen zur Situation unſers Lebens. Da kann Ihnen
Niemand entkommen, wenn er auch wollte: da darf niemand auf
Application warten, weil alles Anwendung iſt: da ſoll niemand
beim Thema verachtend einſchlafen, weil es kein trockner Satz,
fein! universum in nuce iſt, ſondern alles bier Thema des
menjhliden Sinnes und Leben? wird. De te narrätur
fabula! heißt beftändig, wenn e8 auch mit feinem Wort gejagt
würde: die Sade ſpricht, die Situation fommt an uns, fchlingt
ſich um uns und läßt nicht eher ab, bis die Predigt aus tft, bis
jeder fühlt, daß fie aus fey, und fie gern länger wünſchte. Ste
führten den Zuhörer nicht auf der gefchlagenen, außgetretenen
Zanditraße, wo es fo wenig eine Freude ift, andre zu leiten, als
jelbft mitzugeben ,? zumal man ja immer nur wie das Sprüdmort
jagt, der Nafe folgen darf. In natürlichen, ungefuchten, immer
abwechſelnden und doch zufammenhangenden Labyrinthen führen
Ste ihn zum Ziel Ihrer Wallfahrt und behalten den Leitfaden
immer in Ihrer Hand; der Zuhörer muß folgen. Zudem wächſt
Ihre Predigt von Anfange bis zu Ende aud in Intereſſe, im 2923
Affelt; fie wird in ihrer Grundlage eine Fabel, eine leben-
dige Situation, oft ein Drama des menjhliden Herzens
(ih weiß, Sie ftoffen ih am Wort nit) mit Knote und Ent-
widlung, fur; ein unzertrennbares Ganze Der Zuhörer
bat den Vortbeil, daß er immer nur Bibel, für fi belebte
Bibel böret, ja gemwiffermaaffe vor und um fich fiehet. Er Hat
den Vortheil, daß er fih nachher Stüd für Stüd, Wort für Wort
eines Jeden zu erinnern weiß, mas gejagt ift, infonderheit was
für ihn gejagt ift; er darf nur den Tert vor fih nehmen und
ihn wie einen fortfließenden Strom oder wie einen Luſtweg, mo
überall erinnernde Denkmale ftehn, hinabwandeln. Er bekommt |
auch auf dieſe Weiſe feine Bibel lieber, da er fie verftehen lernt
und auf allen Seiten die: Gefhichte feines Herzens in ihr
liefet; bei der andern Methode mag er alles lernen, nur nicht die
1) Sat, als ein 2) ift, zu leiten, al® mitzugeben,
— 21 —
Bibel, die ſich ihm ja nur in ausgerupften, herbeigezwungnen
Stellen darbeut oder in ewigen Hohltönen, die Sprache der Bibel
ſeyn ſollen und es nicht ſind, um ſein Ohr ſchallte. Auch Sie
bekommen die Schrift lieber, die ſich Ihnen auf ſolche Weiſe in
einer Fülle und Mannichfaltigkeit darbeut, die Sie nie arm
224 werden läßt, da Sie nach jener Mönchsmethode in weniger Zeit
Blut- und Mäufearm find, weil Sie nad ihr ja immer nur vom
Allgemeinen zehren ! und ſich dies Allgemeine zu bald aufißt. Hier
werden Ste immer neu, wie Ihr Tert, wie Ihre Gefdidte:
diefe läßt fih in verſchiednen Jahren auch verſchieden anſehen
und hat überhaupt tauſend Geſichtspunkte, wenn die kalte, jcho-
laſtiſche Abftraction nur Einen oder gar feinen bat. Die Mor-
genröthe jedes Morgens gehet uns ja mit neuer Huld auf und
jede Abendfonne mit neuer Schönheit unter: jever Frühling, jede
wieder kommende Jahreszeit hat ihre neuen, unerjchöpflichen ? Reize.
So ifts mit allen lebendigen Gegenftänden der Natur, jo ifts mit
allen Situationen der Bibel. Sie verjüngen fih für uns und
wir verjüngen und mit ihnen. Mich dünkt, man dürfe, man
önne- feine zwo Predigten über ein Evangelium Halten, die in
verfchiebnen Jahren ſich völlig gleich feyn dörften, glei jeyn könn⸗
ten: denn wir ſchwimmen ja immer im Strom der Zeit weiter,
unsre Ausfiht, unsre Beberzigung wird aljo anderd. — Uber,
wenns wäre, wenn man fih für dem Einerlei fürdhtete: ei welche
Menge von Geſchichten, PBarabeln, Sprüden, Situatio-
225 nen, liegt außer, liegt oft dicht am Text dar, die man mit ihm
in Verhältniß ftellen, in Verbindung ziehen und dadurch fich
und feinen Vortrag erneuen und beleben darf! Wer, als ein
Tantalus, wollte in diefem Strom dürften? Und da in der
Bibel wiederum fo viele und vielerlei Denkarten von PBerjonen,
1) Fülle, im unerflärbarften Reichthum, in einer Mannid-
faltigleit barbeut, die Sie... .. find, weil Sie ja immer nur im: Allge-
meinen leben
2) jede auch wieder kommende Jahrszeit hat ihre neue, unerichöpfliche
— 1) —
Büchern, Zeiten find und man diefen ganzen Garten voll Blu-
men und Früchte vor fih, zu feinen Gebrauh frei, ja zur
Benugung des ganzen Gartens fih verbindlihd gemadt hat:
können es und die Himmlifhen und Irrdiſchen vergeben, daß wir
ftatt alle deſſen Spinnegeweb theilen, fremde faljchglängende Rhe—
torif oder enge Scholaftit predigen und damit die Welt einihlä-
fen? Wo bleibt das Wort Gottes, das mir den Menfchen in
allen feinen Theilen lieb machen jollen? wo bleibt unfer
Gewiflen und unfre Pflicht?
Bon frühauf, m. Fr., üben Ste fi aljo in dieſer analy⸗
tifhen Lehrmethode, die Sie auf das Einzelne wie auf das
Allgemeine, aufs Alte und Neue aufmerkſam macht und Ihnen
alle Schätze der Bibel und des menjchlichen Herzens öfnet. Das
befte Symbolum jenes tauben Allgemeinen wären etwa bie übel
verftannnen Worte Davids:*) „all mein Heil und Thun ift, 226
„wo nichts wächſt;“ das Symbolum diefer Methode ift Frucht⸗
barkeit, Nutze, lebendige Gegenwart in jedem Momente.
Zu Anfange wird diefe Lehrart ſchwer: denn fie fobert Mate-
rialien, immer neue, frifhe Materialien und ja immer Gegen:
wart des Geiftes und Herzens. Sie will einen muntern
Geift, der immer vom Allgemeinen aufs Befondere bliden, im
Bejondern das interepantefte Allgemeine auffinden kann: fie läßt
fih alſo nit durch Regeln, aber wohl durch Beispiele, dur
lebendige Uebung lernen und am meiften fobert fie den freien,
willigen Geift, der Gott von Herzen, mit ganzer Seele zu dienen
Luſt hat. Sie Hafjet alles Wortgeklingel, alle nachgemacte, aus-
wendiggelernte Perioden » Fragmente und Sylbenweiſen: kurz, fie
bafjet die Imechtifhe Drefchmethode, da man immer und ewig
leeres Stroh fchläget. Aber eben durch ihre Schwere und Schwie-
rigfeit lohnt fie. Sie zwingt, fih um Materie zu bemühn, die
Schrift, den Lauf der Welt, die Geſchichte des Reichs Gottes
fennen zu lernen, gute Mufter infonberbeit des Alterthums, die
*) 2 Sam. 28,5.
— 23 —
gern immer das Beitimmte, Bejondre, Facta, Situationen;
lebendige und bargeftellte Anſicht Liebten — diefe zu leſen, fid
227 mit ihrem Geifte zu nähren und aus ihrer Wirkung wenigſtens
den edeln Zweck zu lernen, ja nicht unnüte Worthelden jeyn zu
wollen auf der Erde! Hüten Sie fih, m. Fr., frühe vor diefem
Abgrunde ohne Erlöfung.
Einige Gedanfen Luther?.
Laß deinen Dünlel fahren und Halte von der Schrift, als von ber
reihften Bundgrube, die nimmermehr gnug ausgegründet werben mag.
Es ift der größten Plagen Eine, daß die Schrift jo verachtet ift, auch bei
denen, die dazu geftiftet find; und es find doch nicht Leſewort, wie fie
meinen, fonbern eitel Lebewort drinnen, die nicht zum Speluliven unb
hoch zu dichten, fonbern zum Leben und Thun dargeſetzt find. Mir if
alfo, daß mir ein jeglicher Spruch die Welt zu enge madt. Ein Sprud
der Schrift gilt mehr, denn aller Welt Bücher.
Der Harnifh ift gut: wer ihn weiß zu brauden. Wer mit
dem Zert wohlgefaßt ift, der ift ein rechter Paftor und das ift auch
mein befter und Chriftlicher Rath, daß man aus der Quelle Waſſer ſchöpfe,
1) Im Mie. folgt Hier durchſtrichen: „Nur im Befondern ift Heil,
nur im Einzelnen, genau Beftimmten if Freude und Anmuth. So—
lange ich (denn freilich kann ich auch hier aus eigner Erfahrung für Schaden
warnen) folange ich, wie es junge Leute meiftens pflegen, aus Mangel ber
Materie oder nach verlodenden glänzenden Borbildern im Allgemeinen
blieb und ſchön berrbetorifirte, fehlte e8 mir zwar nicht an Zuhörern; biefe
drängten fi aber des glänzenden Vortrags wegen, wie zu einer Komödie
um mich: umringt waren bie Kirchen von Roß und Wagen, aber vielleicht
die gute Srucht fehlte. Ich lernte es immer mehr, infonderbeit einzig aus
Luthers Schriften, den Himmelweiten Schleier abzumerfen, und baflir das
Einzelne zu erfaffen, zu beleben; das Prebigen warb mir immer ſchwe⸗
rer und — leichter. Bis mir jet nichts in ber Welt ſchwerer ift, als
allgemeine Worte zu fagen, bie feinen beftimmten Sinn haben, die man
wie eine wächlerne Nafe drehet. Mir wirds oft ſchwindlich im eigentlichften
Verſtande, wenn ich fie von andren hören [muß], mein Kopf wird ftumpf und
dumm, auf ganze Tage. Und wenn man folhe von Jünglingen leſen und
hören muß: wer möchte nicht meinen? Die verberben fich damit auf Lebens⸗
zeit. Sie fahren ihren Vätern nach und ſehen das Licht nimmermehr.
— —4 —
d. i. die Bibel fleißig leſe und treibe. Da liegts an einem guten Prediger,
daß er könne eine Sache für ſich nehmen und kurz, mit zweien, dreien 228
Worten faflen und fchließen; darnach, wo es noth if, auch ausſtreichen
und erflären mit Sprüden und Erempeln, daß aus einer Blume eine
ganze Wiefe werde. Gleichwie ein Goldſchmied einerlei Stüd Silbers
dicht und did über einander in einen Klumpen fchlagen und wiederum
breit, aus unb zu bünnem Blech fchlagen kann, baß es beide eine lange
und kurze Prebigt und doch einerlei und nicht wiberwärtig fey: denn Got⸗
tes Wort foll reichli bei und wohnen, daß man ber Schrift gewaltig fey.
Sonft kommts enbli dahin, daß ein jeber predigt, was er will, und flatt
des Evangelii und feiner Auslegung wiederum von blauer Enten
wird geprebigt werben.
Ach, fie wollen nun alle nach der Dialectic und Rhetorik prebigen,
machens alfo raus und bunt, baß weder das Boll, noch fie ſelbſt etwas
davon verftehen. Kinfältig zu prebigen, ift eine große Kunfl. Chriſtus
thuts felber: er redet allein von Aderwert, vom Senflorn und braudt
eitel gemeine Gleichniſſe. Wer feine Gleichniß in Predigten berfürbringen
kann, ſolches behält der gemeine Dann. Der befte Prediger ift ber, von
dem man kann fagen, wenn man ihn gehört bat, das bat er
gefagt; wenn er gleich nicht viel Sprüche führet und anzeucht, wenns nur
recht iſt, das er predigt und dem Glauben gemäß.
Eines Lehrers fürnemſtes Amt iſt, recht, richtig, ordentlich zu lehren, 229
daß er ſehe auf den Haupthandel, Argumenta und Gründe, Summa, wor⸗
auf er ſtehe und alſo den Zuhsörer lehre und unterrichte, daß ers recht ver⸗
ſtehe und lönne ſagen, auf dem ſtehts eigentlich. Wenn das geſchehen iſt,
alsdenn mag er rhetoriſiren, ſpatzieren, mit Worten ſchmücken ꝛc.
Richtet euch nicht allerding nach andern, ihnen nachzuahmen und zu
folgen: ihr könnt meine und eines andern Predigt von Wort zu Wort nicht
erlangen; ſondern faſſet aufs einfältigſte und kürzeſte zuvor, worauf
die ganze Sache und Predigt ſtehet und befehlets darnach unſerm
Herrn Gott.
Wenn ihr ſehet, daß die Leute mit großem Ernſt und Luſt zuhören,
fo beſchließet: zum nächſten kommen fie deſto lieber wieder.
Ein und vierzigſter Brief.
Sie fragen, m. Fr., wie Sie ſich vor dem angezeigten
Abgrunde Scholaſtiſch⸗rhetoriſcher Nichtsſagereien hüten könnten?
welche beſſere Muſter Sie zu befolgen hätten? Ich habe Ihnen
— HH —
fhon einige genannt, und das befte ift, Tein Mufter nachzu—
ahmen, fondern auf dem Wege lebendiger Uebung fich felbft
Mufter zu werden. Damit Sie mich inbeflen nicht mißverftehn,
jo erkläre ich mich weiter.
Die Apoftel waren Boten einer neuen Botſchaft in alle Welt;
fo neue, unerhörte, vom Geift infpirirte Boten zu ſeyn, müfjen
wir nicht affectiren: mir predigen aus ihnen, nach ihnen und
jedermann fann fie ja leſen. Die beiten SKirchenväter waren
zugleich die fimpelften Homileten. Ich laſſe manden ihren Wit,
ihre Allegorien, ihre glänzenden Tiraden ; aber ihre Kürze, Ein-
falt, ihr Anſehen, ihren herzlichen, oder wenn ich jo jagen darf,
Bruftvortrag (eloquentiam pectoris)! beneide ih mandhem. Es
231 tft eine Schande, daß viele Prediger unter Poftillen alt und grau
werben und menigitens einen Baſilius und Chryfoftomus nie
fennen gelernt haben; bierin beſchämet uns vielleicht die Römiſche
und Griechische Kirche. Die Franzöfiihe Kanzelberedſamkeit hat
fih ſehr nah Chryfoftomus gebildet; und in der Griechiſchen
Kirche find in den feltnen Predigten, die fie aufgiebt, noch von
Baſilius Einfalt Spuren. Wenn die eigentlich » hriftliche Epoche
wenigſtens ein filberneß Zeitalter gehabt hat, fo wars das Jahr⸗
hundert, da diefe Männer und neben ihnen ein Eujebius, Atha-
nafius, Gregorius, Ambrofius, lebten. -— In den Mönds-
jahrhunderten verjchlimmerte fi die Beredſamkeit jehr und aud
Tauler ift außer feiner freilich fehr bejtimmten, veften und ich
möchte fagen, ehernen Myſtik, außer feiner nervichten Sprache,
fein Mufter. Wer zwo Predigten von ihm gelefen bat, bat fie
alle gelefen: er zieht zufammen mit feiner Myftil und die Geele
ihrumpft mit Gewalt über ihn ein. Luthers freie Herzensſprache
und reiche biblifche Analyfe Habe ich Ihnen ſchon empfohlen ; mir
bat fie zuerft den beſſern Weg gezeigt, ohne daß ich fie je hätte
nahahmen können oder wollen: denn er ſpricht auch in ihr als
Luther, der fih nichts übel nimmt und übrigens auf Predigten
1) ;‚(eloquentiam pectoris)‘ fehlt.
— U —
nicht viel Zeit wenden fonnte. In feinem Jahrhundert predigten 232
mehrere 3. €. Jonas, Matthefius, Weller, Chemnik u.a. nad
feiner Weife; die analytifhe wurde ! damals die erſte Proteftan-
tifche, allgemeine Lehrart. In neuen Predigten bin ich fehr unbe-
wandert. In unfern berühmten brei Predigt - Nationen, Englän-
dern, Franzofen und Deutichen giebtö fehr viel, viel gute analytifche
Predigten: wie ich mich denn über die Parabeln Chriſti und über
andre Biftorifche Terte einiger ? trefliher Mufter erinnere; ver-
zeihen Sie mir aber, daß ich mein Gedächtniß nicht martere. Auf
Nahahmung oder gar auf Plünderung folder Stüde käme es doch
überdem gar nicht an; fondern auf Unterfuhung des Weges,
den ihre Berfafler gingen und auf dem? fie zu ihrer Vollkom⸗
menbeit gelangten. Lafien Sie uns aljo nad dieſem umberfchaun.
Der ſchönſte, rundefte Tert, über den zu predigen tft, ift *
eine Parabel, und ich bin baher ben Vätern gut, daß fie fo
viele in die Evangelien brachten: fie hätten ftatt mander ſich wie
berholenden Wunder noch mehrere, ala bie vom verlohrnen Sohn
und fonft einige Matth. 13, 21. Luc. 18, 21. Bineinbringen kön⸗
nen. Die Fabel Halte ih für die Perle des Bortrages in
der Moral, Beredſamkeit und Dichtkunſt. Gewiſſermaaße ift 233
fie der Keim aller ſchönen Einkleidung, alles wahren Shmudes
der Rede. Die beiten Wortblumen, das Bild und die Alle-
gorie find eine verkürzte Yabe. Auch der wahre Gang der
Geſchichte und Erzählung, fo wie die fürzefte Anfchaulichkeit
aller Moral und allgemeinen Lehre liegen in ihr. — Chri⸗
ſtus jelbft fand es gut, feine jchönften Lehren und Geheimniſſe
des Reichs Gottes in Parabeln zu kleiden; aus ihnen muß alfo
auch der Keim bes ächten hriftlihden Predigtvortrages, wie
vielleicht alles guten Vortrages, bervorgehn: denn wozu anders ®
wählte Jeſus eine Parabel, als daß er fie zur gefchlanfen, Ieben-
‘
1) Weife, es wurde 2) und fonft einiger
3) den fie ſelbſt gingen unb durch ben 4) ift wohl
5) Anichaulichleit von Moral und allgemeiner 6) denn warım
— 97 —
digen Fabel feiner Lehre und der Situation machen mollte,
die in ihr liegt? Diefe gehe alfo aus ihr hervor: aus dem
Samenkorn fprofle der ganze Baum mit feinen Weiten und Zwei⸗
gen; und je geſchlanker fi die Parabel um uns ſchlingt, je
mehr fie mit fortgehender, wadhjender Stärke uns immer
mehr umfafjet, die Tiefen ihres Inhalts oder unfrer Seele
öfnet und zulegt, als eine fabula morata voll großen Aufſchlufſ⸗
ſes und ächter Lebensmweisheit! in uns bleibet; deſto befier
war die fie dahin einführende Predigt. Sie muß ein jo ganzes
231 Werk feyn, als ihr Tert es üft: fein Wort in ihr weder zu viel,
noh zu wenig; voll Abwechſelung und Fortgang, voll Sit-
ten und Entwidlung Der Knote werde in ihr fo angezogen
und interefjant gemadt, ala überall, wo in der Erzählung, Hand⸗
lung und Geſchichte ein Knote ift; denn um ihn fchlingt, in ihn
verſtrickt fih die Aufmerkfamleit des Zuhörers. Nur Einige Pre-
digten von biefer Art über die reichiten Gleichniffe mit größeftem
Fleiß und Wetteifer ausgearbeitet, prägen der Seele eine gute
Form ein, bie nachher auch bei der verjchiebenften Materie ihren
ftrengen Umriß, ihre tühtige Wirkung zeiget. Hier gewöhnt
man fih zu einer Einheit des Blicks bei der größten Abwech⸗
felung des Ganges, zu einem fräftigen, vielfahen und
immer beftimmten Ausdrud, zu einem Reihthum der Materie
an Sitten, Gedanken, Schilderungen u. dgl. endlich zu einem
bis ans Ende wachſenden Numerus der Rede. — Scheuen Sie
fih nit, um bier zur Vollfommenheit zu gelangen, vor ben
Regeln und Vorbildern der Griechen; denn dieſe find, in allem,
was Ausführung und Ausbildung, Einfleidung und Fabel
ift, allein Meifter. Homer und Sopholles find in thätiger
Entwidelung des volllommenften Mythiſchen Gebäudes, jo wie
235 Ariftoteles in den feinften Bemerfungen und Regeln darüber,
die ewigen Mufter, die auch der H. Baſilius felbft anpreifet.
Niemand in der Welt hat befier, als Homer, bemiejen, wie man
1) vol Simmelsauffhluß und Lebensweisheit ganz
— 213 —
die einfachfte Fabel mit der reichften Natur beleben, mit der
größeiten Einfalt fo vielfah maden Tann, als die weite
Schöpfung. Wie einfadh leitet er den Plan fort und läßt ihn
am Faden feiner Hand immer wachſen! wie weile vertheilt er
Liht und Schatten, führt jeden Gott und jede Begebenheit zu
rechter Zeit herbei, und eilt immerdar zum Ziele. In biefem
großen Anblid feine Iliade ala ein Mufter der einfaden und
pathetijhen, die Odyſſee als ein Vorbild der verwidelten
Sittenfabel zu lefen, frühe zu leſen und von einem Lehrer, wie
Ariftoteleg war, darüber ftrengen Unterricht zu hören, gewöhnt,
dünkt mid, die Seele zu Bildung eines einfachen und reidh-
abwedjelnden Plans auf Zeitlebens. Sophofles, mit feiner fur-
zen, geründeten Darftellung einer menſchlichen Fabel, führt
eben des Weges, und da! er überdem auch die Affekten ganz
in feiner Gewalt Hat und fie mit jedem Fortfchritt der Scene,
wie aus einem Knäuel hervormwindet: fo ift aus ihm für den,
der zu lernen weiß, viel zu lernen.” Glüdlich ift der, dems gege-
ben ward, diefe Eindrüde von Entwidlung der [hönften und 236
mädtigjten Form der Rede frühe zu empfangen und fi in
den jchönften Jahren darnach zu bilden; denn alle Redekunſt hat
fih an Poefie und Fabel gebildet.
| Zunädft an der Parabel fteht die Gefchichte und da dieſe
in der Schrift auf morgenländifche Weife, d. i. einfältig und
findlich bejchrieben fteht, fo kann ein guter und ſchicklicher
Abſchnitt derfelben an Fruchtbarkeit der Materie oft wirklih für
eine Yabel gelten: man kann ihre fo einfahe Züge aufbellen,
als obs Geſchichte der menjhlihen Seele wäre. Im N. T. erzählt
Johannes zu diefem Zwed die Gefhichte am Iehrreichften. Eben
1) hören, bilvet, dünkt mich, die Seele zur Einfalt und Abwed-
felung des Plans auf Zeitlebend. Sophokles ift dies alles in kurzer,
geründeter Darftellung und da [„gegrändeten“ in B ift Drudfehler.]
2) fo ift er zu biefer zufammengebrängten, fanften Bewe-
gung des Herzens, mit wenigen Worten, in fo weniger Zeit das größefte
und einfachfte Muſter.
— 29 —
durch Bemerkung der kleinen Umſtände und daß er ſie, wie
einen ſanften Bach zwiſchen Blumen und engen Ufern ſich fort⸗
winden läßt, dadurch macht er auf jedes Moment des Fort-
gangs aufmerffam: unvermerkt wird feine Erzählung zum ſchönen
Ganzen, gleihfam zur Yabel! des menihliden Lebens, zum
Spiegel menihlider Gefinnungen und Geftalten. Verſuchen
Sie in diefem Geſichtspunkte feine Geſchichte vom Täufer, fein
237 Geipräh Jeſu mit der Samariterin, den Inquiſitionsproceß des
Blindgebohrnen, die Auferwedung Lazarus, die Leidensgeſchichte u. f.
zu lefen:? wer, indem er bie feinen Züge nur halb bemerft, über
eine ſolche Geſchichte nicht predigen, und die Saiten des menid- .
lichen Herzens berühren fönnte: der wäre zu dieſem Geſchäfte wohl
unbraudbar — Ihm zunächſt ftünde Lukas, der in feinen beiden
hiſtoriſchen Schriften feine Züge des Geſprächs und der Bemerfung
dem Gefchehenen einmebt, deſſen fich injonderheit einige Feſtlectio⸗
nen zu erfreuen haben.? So hat Klopftod den Gang der Jünger
nah Emahus aus ihm ſchön nachgebildet: jo find die Geſchichten
der Ankündigung und Geburt Johannes und Jeſu, wie aud) einige
andre, die die andern Evangeliften nicht Haben, erzähle. In den
Büchern Mofes find viele dergleihen Erzählungen; nicht minder
in der Lebensgefhichte Samuel, der Könige, ‚der Propheten. Wer
über die Gejhichte Kain und Abels, Abrahams und Melchifebets,
Iſaaks Aufopferung, Jacobs und Joſephs Schickſale, über Stüde
aus Mojes, Aaron, Samuels, Sauls und feiner Nachfolger,
Elia, Daniels, Jeſaias u. f. Leben oder Schriften nicht * zu pre-
238 digen wüßte; worüber follte der predigen? So hat Lavater bie
Geſchichte Jonas und der erften Apoftolifhen Kirche; andre,
(Engländer infonderheit) haben merkwürdige Charaktere, Gefpräche,
Situationen des A. und N. T. gleihfam nur lebendig auf-
—
1) zum fhönften Ganzen, zur Fabel gleihfam
2) Blindgebohrnen, am meiften aber die Auferwedung Lazarus zu lefen:
3) Züge bes Dialoge und der Bemerkung mit einmwebt, daß fich
infonberbeit einige Geſchichten der Fefte deßen zu erfreuen haben.
4) u. f. nicht
— 80 —
genommen; und Charakterſtücke der Menſchheit an ihnen
gezeichnet. Yoriks Predigten, wo er nicht feiner komiſchen Laune
zu ſehr den Bügel läßt, find voll feiner Züge in dieſer Gat-
tung — —
Auch Hier, m. Fr., rathe ich Ahnen zum Studium ber Grie-
hen. Lehrender und feiner ala Plato und Zenophon den Sofrates
aufnahmen, wird Taum eine andre, nur menſchliche Hand zeichnen.
Die Geſpräche? des erften find den beiden größeften Rednern der
Welt, dem Demofthenes und Cicero, die Duelle? ihrer fhönften
Lebend- und Sittenmweisheit gemefen: und von dem legten werden
. fein Cyrus, Agefilaus u. f. als fhön-entworfene Gemählde ewig
Ieben.° Ob Voltaire gleich nicht ganz mit Unrecht jagt: der Mono»
log baflet den Dialogen; denn auch Cicero war glüdlicher in feinen
Reden ala Gefprädhen; fo ift doc gewiß, dab aus Geſprächen,
wie Plato’8, Cicero's u.f. (ih* wollte, man könnte auch 239
fagen, Menanders) der Styl eine Gelenkigkeit, eine Biegfam-
feit belommt, die ſonſther ſchwerlichd zu erlangen ftehet. Auch
Plutarhs, und unter den Neuen Addiſons Schriften find zu
diefer Abficht fehr nüglid. Plutarchs moralifche und hiſtoriſche ®
Auffäge*) haben eine Honnetetät (nalorayadıar), die ich außer
den Sokratiſchen Schriftftellern faum irgend kenne; aud die Aber
von Religiofität (desaudauuorın), der ih den harten Namen Aber-
glaube bei ihm nicht gern geben möchte, ift für einen Theologen
*) Bon einigen jeiner beiten moralifchen Stüde haben wir eine gute
Ueberfetung: Auserlejene moralifde Schriften von Plutard,
Züri, 1769. 3 Bände. Addiſons Zufhauer und andre Schriften ſind
durch Ueberſetzungen gleichfalls gnugſam befannt.‘
1) Dialoge 2) Cicero, Duelle
3) letzten wird fein Cyrus, Agefilaus u. f. ewig leben.
4) aus Dialogen, wie Plato's (id 5) fonft wohl nirgendber
6) Infonderheit empfehle ich Ihnen auh Plutarchs Schriften: feine
moraliſchen und hiſtoriſchen
1) „*) Bon — belannt.” fehlt.
— 31 —
lehrreich Seine Philoſophie iſt gewiſſermaaße nur belebte
Geſchichte, mit der jene? auch ganz durchwebt iſt; und ich weiß
nicht, ob es nützlichere Schriften gebe, als die, ſo Weisheit und
Geſchichte in Einen Kranz flechten.
Sie werden ſich wundern, daß ich Ihnen immer noch von
feinem Griechiſchen oder Römiſchen Redner ſage; hören Sie aber
240 Cicero ſelbſt erzählen: woran er ſich zum Redner gebildet babe? >
An Philoſophie und Geſchichte. Er an Plato und Demofthes
ned; Demofthenes an Thucydides und Plato; die Poefie ging allen
vorher, jonft hätten fie ſämmtlich nicht werben können, was fie
geworden. Mich dünkt, dies ift der Weg der Natur, den
auch die Schrift in der Einkleivung ihres Vortrages beftätigt. Die
Zeiten der Poefie gingen voraus: die Geſchichte folgte: Lehre
und Rede entwand fih aus diefer * und blieb ihr, als Freundin
zur Seite. Gnug für Beute. Leben Ste wohl.
241 Zwei und vierzigfter Brief.
„Wenn nun aber nothwendig der Tert ein Yehrtert wäre?“ 5
So ift fein andrer Rath, ala daß Sie ihn zur Gefhichte machen,
zur Geſchichte ihres und jeden Herzens, zur Situation
der Menſchheit: auf Einmal haben Sie wieder das große, freie
Feld vor fih. Sie generalifiren und vereinzeln, bliden über Zei⸗
ten und Völker hinaus und ſchränken fich wieder aufs menfchliche
Herz ein; — andre Auskunft giebt? nicht. Das Herz ift die
Triebfeber von allem: ihm zu gut erleudten Sie den Berftand
und müflen alfo das Licht vefielben bis zu feiner Wärme leiten.
Mögen Sie über eine Lehre oder über eine Pflicht prebigen;
(ih erblöde, wenn ih nur die allgemeinen Namen Lehre, Pflicht
und denn da3 arme Wort Predigt binfchreibe) die allgemeine
1) Aber von demdauorıa, .... ift angenehm und lehrreich.
2) fie 3) gebilbet? 4) ibr 5) if?“
Lehre und Pfliht Tann nur im Befondern, im Einzelnen
eriftiren, aller zu ferne und feine Dunft! Hilft nichts. Auf dies
Beiondre müfjen Sie alfo dringen, die Philofophie und Dogmatif
fo ſehr vom Himmel berabruffen, daß fie jegt nur in dieſem
Kreife wohne und feinen andern Raum zu baben, zu begehren
ſcheine. ft Ihre Predigt fo ganz und eigen für ? Ihre Berfamm- 242
lung, daß fie nirgend anders, als bier gehalten werden Tann:
behandelt fie ſowohl Lehre als Pfliht nur als AInterefje und
Situation diefer Menjhen, entwidelt die Hinderniffe, die
beide bier finden, lehret diefe Zuhörer und niemanden ® in ber
Welt fonft, berathichlagt mit ihnen, muntert fie auf, treibet fie
an u. f. deito befjer ift die Lehr- die Pflihtenpredigt und bie
beſte ift die, die im Allgemeinen, Unbeftimmten gar nicht umber-
taumelt. Sie fehen aber, daß dieſer Vortrag der fchwerfte und
Ipätefte ift, wenn er rechter Art jeyn fol. Er erfobert die Er-
fabrung jo mohl, als das Anſehn eines Vaters, eines Weiſen,
nit den Leichtjinn eines Jünglinges,“ der mit allgemeiner
Lehre und Altflugheit oder gar mit feiner frechen Beftrafung
und Anmunterung, ftatt Erbauung, vielmehr Edel und Verdruß
erregt. Und doch find ſolche gewäßerte Lehrprebigten die häufig-
ften von allen in Schrift und Sprade. Erröthen muß man, wenn
Jünglinge fo lehren und zurecht weiſen oder gar donnern und zer⸗
ſchmelzen! Was würde ein alter Römer und Griede, mas gar
ein Morgenländer jagen, wenn er in unjre Verfammlung träte,
und den unbärtigen Knaben im Prieftergemande vor alten, mwür-
digen Männern und Greifen ſolche Täfterlihe Jugendübungen 5 243
halten hörte! Gehe, würde er ihm fagen, in den Wintel, in
den Schatten der Schule, du Lehrling, und entweihe nicht - mit
Knabengeſchwätz ben Kreis einer heiligen Berfammlung! — Ernefti
bat es mehr als einmal bemerkt, mie wenige auch jonft berühmte
Leute Glaubenzlehren auf die rechte Art zur Chriſtlichen
1) zu ferne Dunft 2) fo fehr für 3) lehret fie umb niemand
4) Jünglinges und Thoren, 5) Iugenblibung
— 33 —
Diſciplin machen; und Lebenspflichten aus den rechten Glau⸗
bensquellen herzuleiten wüßten. Schon Luther bat darüber
oft geklaget. Nichts iſt dabei eckler, als die allgemeinen Schil⸗
derungen von ſogenannten Charakteren, Tugenden und Laſtern.
Witzige Franzoſen und unwitzige Wochenſchriftſteller haben ſie in
Gang gebracht und zur Kanzel paſſen ſie, als ob dieſe mit Augs⸗
burgiſchen Pfennigbildern behangen wäre: denn Bilder dieſer Art
find meiſtens die Ideale ſolcher Predigten an Farben! und Zeich⸗
nung... Wers bedenkt, was es für ein verflochtnes Ding ſey mit
dem Wort Tugend, Later, Sitten, Gemüthsart, menjd-
liher Charakter: wers gelefen Bat, daß Gott der Herr felbft
jagt: das Herz des Menſchen ift ein trogig und verzagt
Ding, wer kanns ergründen? Yh allein fanns ergrün-
den, der Herzen und Nieren prüfet; ber wird fchaubern,
244 wenn er die leichtfinnigen, elenden Schilderungen höret. Kein
Schüler Ariftoteleg, der nur feine Ethik und Moral, oder nur
Eicero’3 Buch de officiis gelefen, würde jo ſchwätzen; und ein
Chrift, über Sachen, die das emige Heil angehn und unfre Bil-
dung dazu befördern follen, darf fich nicht der Sudeleien ſchämen?
D Freund, Yreund, eilen Sie nicht zu jung, zu leichtfinnig, zu
oft auf die Kanzel. Sie haben ja andre Uebungen für fi in der
Stille, die Sie weiter bringen werden; und müflen Sie ja pre
digen, jo legen Sie das Gewand der Beſcheidenheit an von Kopf
zu Füſſen. Nichts fteht einem jungen Redner beſſer, als dieſes;
zumal einem jungen geiftlihen Redner. Ueben Sie fi vorher in
allen andern Gattungen des Vortrages, und lafien Sie biejen,
den eigentlihen Lehr⸗ oder Strafvortrag bis auf die Zeit, da
Ihnen Amt, Pflicht, Bedürfniß und Gewiſſen Anlaß ? und Gele
genheit gnug geben werben, in ihm zu reden. Go lange lehren,
befiern und ftrafen Sie ſich ſelbſt — —
1) als ob fie... . bebangen würde; biefe find auch meiſtens ihre
Ideale an Farben
2) Anfehn
Herbers fänmtl. Werle. XL 3
}
un |
Ich fahre fort, Ihnen einige Schriften und Uebungen zu
nennen, die zur äußern Bildung dieſes Wortrages dienen und
fange abermals von den Griehen an. Hier mögen nehmlich num
die eigentlihen Redner der Griehen und Römer ftehen, deren 245
Namen und Rubm überall befannt, deren Borzug von fo großen
Männern zergliebert und dargeftellt ift. Ich habe fie zulekt gelaſ⸗
fen, denn fie erfodern die größefte Vorfichtigleit in der Anwen⸗
dung. Um uns ift fein Griechenland, fein Rom: wir reden weber
vor dem Senat, noch auf dem Markte; eine falihe Nachahmung
alfo, infonderheit deſſen, was man die Figuren und Blumen
des Vortrags nennet, wäre! eher lächerlich als rühmlid. Es
gehört eine genaue Känntniß der Sachen, der Geſchichte, des
Zuftandes der Republik, in der der Redner fprah, des
Geſchäfts, über welches er fprah u. f. dazu, um das Einzige
und Beſte von allen, den Geift des Redners, mit dem er bie
lebendige Situation, die vor ihm lag, erfaßte, ſich zu eigen
machte und fie in feinem fchönen, rührenden Wortgebäude dahin-
ftellte — um diefen zu erreichen. Hier iſts billig, daß wir von
den Römern zu den Griechen gehn und jene erft kennen lernen;
wenn auch aus Feiner andern Urſache, jo aus ber, daß wir ihre
Republik, infonderbeit zu der Zeit befler fernen, da ihr größefter
Redner, Cicero, lebte Diefer bat fich felbft fehr ins Licht
gejett: von feinen Neben und Werken haben wir eine weit vollen-
detere Ausgabe, als von feiner Griechiſchen Vorgänger Schriften: 246
feine Werfe erflären fi auch einander, da niemand befier, als
er, über die Redekunſt gefchrieben und jeine Briefe, deren zum
Glück fo viel überblieben, der Schlüffel feines ganzen Lebens find.
Ich wünſchte, m. Fr., daß Sie diefen großen Republifaner, und
unermübeten Geſchäftsmann jo merthgewönnen, als ers verdient,
und dazu, bitte ih, Middletons Leben von ihm vorläufig zu
Iefen ; eine Xebensbefchreibung, wie wir fie von allen großen Män-
nern des Altertbums haben ſollten. Sie werben in ihr mit bem
1) würde
— 36 —
Geiſt ſeiner Briefe, ſeiner Geſchäfte, ja mit allen großen Römern
bekannt, die zu ſeiner Zeit lebten: Ihr Geiſt wird erhoben, mit
Römern Römiſch zu denken, Römer Römiſch zu leſen. Von dieſer
Vorbereitung gehen Sie in Stunden der Erholung auf ſeine?
rhetoriſchen Schriften, de inventione, de oratore, de claris ora-
toribus, und infonderheit zu feinem ſchönen Redner ſelbſt ad
Brutum: Sie lernen in ihnen wie Rom überhaupt, fo auch infon-
derheit das? hohe Ziel kennen, das dieſe des Nachruhms merthen
Seelen ſich zur Beredſamkeit aufſteckten. D wie entfernt find unſre
trägen, kriechenden Zeiten von ber unabläßigen Uebung, von der
immer thätigen Gefchäftigkeit, von dem edlen Durft nach öffent-
247 lihem DVerbienft . und unfterblihem Namen, in denen fich jene
großen Männer umberbrängten. Aus Gejchäften, in Geſchäfte
floß ihre Rede: fie wandten auf beide Dinge,? (die von einander
auch unabtrennlih find,) mehr Zeit und Mühe, ala wir davon
nur Begrif haben. Die Gabe der Sprade und des Vortrags galt
damals, was jebt das leidige Geld oder ein höchftvenerirliches
Reſcript gilt, die zu unfrer Zeit alle Rede- und Beweiskraft mit
fih führen. — Bon diefen rhetoriichen Schriften gehen Sie zu
feinen philofophifchen Auffägen über, in deren Einkleidung Plato
meiftens fein Mufter war. Sie werben fehen, was bei ihm bie
Vhilofophie war, wie er fie als die Mutter der Erfindung, als
die Schatlammer aller wahren Beredſamkeit preifet. Exit nad
diefem allen, und infonderheit auch nach einer zuvorerlangten
gründlichen Känntniß des Geiftes der Römiſchen Geſchichte, erft
jet wagen Sie fih am feine Reden: denn nun find Sie vorbe-
reitet, fie nicht falſch anzuwenden und etwa Ziegenwolle an dieſem
goldnen Widder der Beredſamkeit zu fcheren. — Mit ihnen aus-
gerüftet, werden Sie ſodenn, wenn Sie Zeit und Luft haben, zu
ben Griechen übergehen können; wo ich aber befenne, daß ich,
außer einigen Schulreven des Sokrates, ihre Redner felbit noch
1) gehen Sie auf feine 2) ihnen Rom, wie Griechenland und das
8) Sachen,
3*
— 36 —
nicht gelefen habe? Die Laufbahn, die ich Ihnen vorgezeichnet, 248
ift fo groß und einem Menſchen, der frühe in Arbeit ift, bleibt
zum vechten Leſen fo wenig Zeit übrig, daß man fi oft das
Befte verfagen und aufliparen muß. Sie werben ein Mann wer-
den, ehe Sie mit gehöriger Reife und Auswahl in Ihren Neben-
ftunden nur das Befte von dem gelefen, was ich Ihnen als gol-
dene Grundlage des Denkens und Ausdrucks ſchon vorgeleget habe.
Ich Schließe alfo noch mit wenigen Anmerkungen meinen
Gefegichweren Brief. Zuerft: Regeln der Beredfamkeit fuchen
Sie ja nur, vorzüglich wenigftend, in den Alten. Die Neuern
können Wohlredenheit haben, und es find große Schriftfteller der
Art in allen gebilveten Nationen; Beredfamteit aber wohnte
nur da, mo Republik war, wo Freiheit herrſchte, wo öffentliche *
Berathſchlagung die Triebfeder aller Gejchäfte und endlich mo Rei⸗
nigfeit und Anbau der Sprade in der Würde war, in ber fie
außer Rom und Griechenland nirgend geweſen. Was man aud
fage, mir find Barbaren und tragen noch gnug Zeichen unirer
Abkunft an und. Das Ohr unfers Volls ift ftumpf und nur nad
dem Ohr der Hörer bildet fih Zunge und Rebe. Unfre Sprade
ift gegen die Römische und Griechiſche unperiodiſch, zerftüdt, mit 249
Confonanten und Hülfsmwörtern überladen; es ift fo unmöglich,
daß fie fih zur Griehifhen Ründe, zum Römiſchen Numerus
erhebe, als es ja bewieſen ift, daß fie eigentlich gar feine Perio⸗
den bat, nehmlid was jene Sprachen periodum nannten. Da wir
nun überdem außer der Kanzel, auf der die Beredſamkeit in fo
falter Luft ift, faft gar Teine Gelegenheit zu öffentlihen Reden
haben: da unfre Spiele, und gefellihaftlichen Uebungen gewiß nicht
oratoriſch, am menigiten politifch - oratoriih find: da von jeher
Deutihland das Vaterland des Geremoniels, und einer hölzernen
Knechtſchaft gemejen; jo iſts ja Thorheit, Regeln einer Kunft zu |
Juden, mo bie Kunſt ſelbſt fehle, fie mit Pflaftern falben zu
wollen, wo fie nicht athmen Tann und nie geathmet hat. — Seyn
1) Redner noch nicht gelefen. 2) berrichte, öffentliche
Sie alfo ſicher, daß fo wie wir feinen Demofthenes und Cicero-
weder gehabt haben, noch haben werden, wir auch feinen Pro-
feflor der Redekunſt haben können, der Cicero und Duintilian
überträfe. In Feiner Dratorie können Sie aljo etwas beßers finden,
als was diefe, und zwar aufs beftimmtefte, gründlichite, jchönfte
gefagt haben. Sie und Ariftoteles, Dionyfius von Halilar-
naß in feinen Urtbeilen über einzelne Redner, Longin über das
250 Erhabne und der Verf. des Geſprächs über den Verfall der
Beredfamkeit Haben an Oratoriſcher Anmeifung beinah alles
erihöpfet; fo, daß den Erasmis, Vossiis, und ihres gleichen wohl
nichts übergeblieben ift, als fie zu erläutern und etwa anders zu
oronen. Gehen Sie alfo immer lieber gleich zur Quelle und halten
die angezeigten Schriftfteller ala Schäge der Vernunft, Kunft und
Sprade lieb und werth. — Auch die Anmeifungen zur geiftlichen
Beredfamkeit haben ihr Gutes aus ihnen, wie ich das nur noch
neulih, da ih PB. Gisberts Anweifung zur geiftlihen Berebfam-
feit durchlief, beinah mit Verbruß wahrnahm. Was er aus ben
Alten, auch etwa aus den Kirchenvätern, anführt, ift gut; was
er felbft dazu und darüber jagt, ift Franzöſiſcher Flitterftaat, der
Dunft ! einer onction (ein Lieblingswort ber Franzöſiſchen Kanzel-
redner!) den ich nicht begehre. Am beften haben die gethan, bie
von diefer Art der Wohlredenheit nur kurz, in Geſprächen etwa,
geredet und das Auszeihnende berfelben ? bemerkt haben. Unter
diefen find mir Fenelons Gefpräde von der geiftliden
Beredſamkeit bie liebiten: ich gebe ihm völlig Beifall und er
bat feine Gedanken mit einer Wärme und Lieblichleit gefagt, die
ih ihm beneide. Ich liebe diefen Mann beinah vor allen feinen
251 Landaleuten, aud wo ich nicht mit ihm übereinftimme: alle feine
Schriften fliefjen wie Milch und Honig: es mar eine große, reine
und zarte Seele in ihm. — In ziemliche $ Entfernung hinter ihn
ftelle ih ein Engliſches Geſpräch: Theodor, oder bie Kunft zu
predigen von David Fordyce: es ift angenehm und fein
1) Duft 2) und ihr Auszeichnendes 8) große
— 38 —
geſchrieben, Hinten aber von einem ſehr ſchlechten, zugeipigten
Mufter des Jacob Fordyce begleitet. Sonft find Dyporins,
Dfterwalds, la Blacette u. a. Anmweifungen befannt und beliebt;
dem letztern find in ber Deutfchen Weberfegung Mosheims und
anbrer Gedanken von ber geiftlihen Berebjamleit beigefüget. Leber
mehrere fehen Ste, wenn Sie Luft haben, in ben Anweifungen
zur Theologischen Bücherkunde, in Homiletifen,! Baftoral-
Theologien u. f. nad. Unter den jehtlebenden Theologen Deutich-
lands find infonderbeit Miller, Jacobi und Seiler auch wegen
ihrer Popularität in Vorſchriften dieſes Faces berühmt, jo wie
fie anderweit mancherlei Verdienſte haben. Vielleicht kennen Sie
diefe und andre Autoren beßer, als ich, der wenig neue Schriften
zu lejen Zeit bat; wenn ih daher manche übergangen hätte, fo
rechnen Sie mirs nidt zu — —
Zweitens. Das Kunftwerk aller Redeübung Liegt, dünkt
1 W389, mich, in den vier Worten: hören, lejen, ſprechen, ſchreiben.
Nachdem diefe von Kindauf vet beftimmt und geordnet mer- 252
den, nachdem ftehet man entweder auf einem feften Cubus, in
Sprade und Denlart, oder auf abrollendem Sande und immerbar
gleitenden Steinen. Der Züngling, und fhon das Kind, müßen
zuerſt hören lernen, ebe fie fprechen, lefen ober gar fchreiben: je
befjer ihnen erzählt und zugeſprochen wird, je reiner fie dieſe
erfte gute Form in Ohr und Seele faflen, defto ſchöner wird ihre
Denlart und Sprade werden. Wer bier immer Penelons zu
Bildnern der erften Jugend hätte! Auf dies Hören folgt Nach⸗
erzählen, freie Selbftäußerung und Wiederholung. Hier
bemerkt man bald den Umriß der Form, ber in ber Seele des
Kindes und Jünglings Liegt, der man alfo dadurch zu Hülfe
fommen muß, daß man die Aufmerkſamkeit hie oder dahin lenket.
Aufs Erzählen folgt das Lefen, dies fo wie jenes. Das Vor⸗
lefen geht vor dem eignen Leſen, das laute vor dem ftillen
Leſen lange vorher und Eins wird aus dem andern nur langfam.
1) Bücherkunde, Homiletifen,
— 39 —
Se befier hier gewählt wird, je mehr aud die Stimme und ber
Wohlklang des Vorlefenden ind Ohr fließt: deſtomehr bilvet fich
das Nacherzählen, das Nachſchreiben, das eigne Schreiben
felbft im Perioden und in der Form der Rede. Es giebt Schrift»
253 fteller, deren Perioden ich nicht ertragen, nicht vorlefen Tann und
für Gelb nicht auswendig lernen möchte; ed giebt andre, wo Form
und Inhalt aus meiner Seele genommen fcheinen, aljo auch
gleihfam unmittelbar in mich flieflen und das Saitenfpiel meiner
Gedanken regen. Die erften lesbaren Schriftfteller einer Nation
haben auf die ganze Denk» und Schreibart derfelben Einfluß; jebe
neue Mode des Geſchmacks kann ihn überfpülen, ſchwer aber weg⸗
thun. Die Schreibart und Gedankenreihe jebes ſelbſtidenkenden
neuen Schriftfteller8 bat auf einen Kreis feiner Lejer und Hörer
Einfluß. Es Hat Einfluß, ob viel gehört und vorgelefen?
oder nur ftille durchlaufen wird u.f. Das Schreiben endlich
ift das Schwerfte von allen und follte billig, (auch nur dag Nach⸗
fhreiben und jede Privatübung) das fpäteite und folibeite Bau⸗
wer? werden. — Doc davon, wie von mehrern Saden, künftig.
Leben Sie wohl.
254 Drei und vierzigfter Brief.
Ich vermuthete es, daß meine Regeln und Claſſen geiftlicher
Vorträge ohne Beilpiele Ahnen wie gemahlte Wollen ! vorlommen
_ würden; allein was laſſen fih für Beilpiele in einem Briefe geben?
Hier iſt am beiten, daß Sie felbft Leute, deren Vortrag und
Charakter Sie liebgemonnen haben ,? hören, fi ihnen anvertrauen,
fie befragen und bei eignen Aufjähen und Uebungen das Urtbeil
derjelben, wie Gold, werthachten. Wählen Sie darinn nad ihres
Herzen? unbeftohnem Rathe; nur überlaflen Sie? ſich alsdenn
1) Himmelswolten
2) Vortrag, Charakter und Amtdotreue Sie Tiebgewonnen,
3) Mfe.: „Sie” durchſtrichen.
— 40 —
einem ſolchen Vater Ihrer Seele ganz und unverbolen. Auch
bierinn waren die ältern Zeiten klüger und emfiger, als unfre
Tage, in denen ein jeder noch ungebilveter Yüngling, ber Herr
und Meifter feines Geſchmacks if. Griechen und Römer gaben
fih erwachſen, oft ſchon als Männer, die Geſchäfte verwaltet hat-
ten, in die Schule ber Weifen und Reber: fie lernten bis an
den Tag ihres Todes. Dadurch erhielten fie ſich eine Jugend ber
Seele, die unfre Jünglinge oft, wenn fie von Alademien kommen,
ſchon verlohren haben: fie fanden fi oft und frühe bei ihrem 255
Meifter und Lehrer in Geſchäften ein, ber außer eignen Verrich⸗
tungen, die ihm der Staat auftrug, fein größeres Verbienft kannte,
ala mit ihnen zu berathſchlagen, ihnen Rath zu geben und durch
fie zu wirken. Die Lebendart der angejehenften Römer, ihrer Hel-
den und Senatoren, war dazu eingerichtet, und wie viele Beifpiele
haben wir, daß Kriegs» und Staatsmänner, die die Welt ewig
mit Hochachtung nennen wird, vom Feld» oder Triumpbzuge, von
einer Amtsverwaltung, in der fie Königen geboten und Welttheilen
Befehl gaben, fill ! in die Schulen der Weiſen fehrten, ja beiderlei
Sachen zu Einer Zeit beididten. Seine beiten xhetorifhen und
philofophifhen Schriften jchrieb Cicero unter den verworreniten,
gefährlichiten Staatsläuften, ald Mann, nicht als Züngling: er
fchrieb fie an lauter Männer von Geichäften, die ihn darum
befragten, die darauf antworteten, die fih daraus belehrten —
Himmel, in wie andrer Zeit leben wir jet! Schon auf Schulen
wird der Jüngling ein Autor, auf der Akademie ift er Recenfent,
und wenn er nah brittehalb Jahren zurüdlommt, ift er auf
Lebenszeit überfüllt mit Weisheit. Jenes belannte Gedicht, wie
man r fein Leben eintheilen fol,
Vitam vivere si cupis beatam — — 256
viginti studiis dabis severis,
triginta pete litium tribunal,
quadraginta stylo polita dicas,
quinquaginta velim diserta scribas — —
1) ftille
— 4 —
iſt jetzt völlig eine Fabel; wir leben .zu frühe und alſo leben wir
gar nicht — —
Bei allen, die etwas geleiftet haben, werden Sie finden, daß
fie das Beſte nur in reifern Jahren leifteten; und immer mehr
duch Erfahrung,! dur den praftiihen Rath von Männern in
Geſchäften, ala unter der Schulruthe und in den flüchtigen Jahren
des fie überfüllenden Akademischen Lebens lernten. Die erfahren-
ften Leute fuchten e8 immer bei ihren Lieblingen zu verhüten, daß
fie nicht zu früh veiften, und die, in denen eine gute Saat war,
ließen fih warnen. Ich glaube daher, daß die Jahre nach ber
Alademie mit die entjcheidendften find aufs ganze Leben. Da wird
der Jüngling ein Mann und fteht, wie Herkules zwifchen zmween,?
oft viel mehreren Wegen. Welchen Weg er nun wählt, mworinn
er fih übt, welche Schriften er lieſet, welchen Yreund ober Anfüh-
257 ver er jetzt erhält, der ihm zeige: „unter dem Vielen, zum Theil
„MWideriprechenden, was bu in zu kurzer Zeit ohne Reife und
„Metheil gehört haft, kannſt du diefe Saat füglich untergehn laffen,
„jene mußt du mit Gewalt ausrotten, denn es ift Unkraut; aber
„diefe baue an, jenem Exempel folge, bies übe, verjuche jenes!
„u.f.” Hierauf kommt es, wenn ih nach meiner Erfahrung
wenigſtens fchließen foll, enticheivend an. — — Suden Sie fid,
m. Fr., einft folden Freund, und wie Shakeſpear jagt:
grapple him to thy soul with hooks of-steel —
Er ſey Ihnen Beifpiel, Rath und lebendiges Mufter — Meine
Beifpiele Tönnen bier nichts, als trodne und todte Erläuterungen
ſeyn, wie man einen dunkeln oder allgemeinen Sat erläutert —
Ich ſchlage die Bibel auf, mie fie fällt und nehme aljo das
letzte Gleichniß Chrifti, die Parabel vom jüngften Gerichte. *)
Daß fie anziehend -hön, voll Abwechslung und hohen Sinnes,
dabei ganz menſchlich und moralifh, zur Bildung der Gefinnungen,
*) Matth. 25.
1) Erfahrung, und 2) zwei,
— 1 —
ja felbft Erregung der Affecten (fofern diefe ! nehmlich die Predigt 258
erregen fol) geſchaffen, voll Schreden und Liebe ſey, darf ich nicht
erweilen. Sie fühlens felbft und werdens ganz zu fühlen fuchen,
ehe fie darüber ein Wort reden. Iſt nun bie ganze fürchterlich -
Ihöne Darftelung in Ihrer Seele: jo ftellen Sie fie auch als eine
ſolche dar.
Sie bereiten ſich und bie Gemeine zuerſt durch ein dahin
gehöriges ernft » beiliges Lieb vor: Ihr Gebet ift eine flille Anrede
an den Unfichtbaren, der einft fihtbar, an den Gebuldig » tragen-
den, ber einft Richter und Enticheiber ſeyn wird und fo kurz das
Gebet ift, (ich liebe keinen ſtürmenden Auffchrei zu Anfange der
Predigt) jo zeige ed, daß Sie durchdrungen von Ihm find, ben
Sie, den wir alle einft fehen werben und mit Ihm den Lohn
unſrer Thaten. Diefer ftille Schauder, wenn er in Ihnen Wahr⸗
beit ift, wird fich mittheilen,? wird Ihre Gemeine ergreifen und
fie aufmerffam machen auf die Stimme deß und von dem, ber
kommen foll, auf den unfre Hoffnung ober unſer geheimes
Schreden wartet.
Seht verlefen Sie Ihren Tert mit ebrerbietiger und natür-
licher Stimme. Sie zeigen mit kurzem Nachbrud an, was im
Evangelio liegt, was die legte Stimme des hinwegſcheidenden 259
Menjchenarztes den Seinen, feinen vertrauten Freunden, für einen
Auffhlup der Tegten Weltentwidlung Hinterlafien wollte.
Sie enthüllen fogleih in wenigen Worten die Sprade ver Wahr-
beit, des reinen, umfaflenden Menfhenfinnes in diefer Bara-
- bel und daß folde gleihfam von den legten Bliden Chriſti
auf die, fo er verließ und auf die Welt, in ber er fie ließ, ver-
anlafjet worden. Sie zeigen unsre Unwiſſenheit und Neugierbe
über diefen Ausgang ber Dinge: daß derfelbe gewiß fey, in ber
Natur aller Sichtbarkeit und Welt» und Menſchenverfaſſung liege ;
1) fie fhön, anziehend, voll .... Sinnes, ganz .... moralifch, zu
Erregung der Affecten (fofern fie
2) fortpflanzen,
— 43 —
daß ihn aber die Vorſicht unſrer ahnenden Vernunft mit einem
Schleier bevedt babe, und nur die Hand eines Vaters, eines
Bruders der Menfchheit, einft unſres Genoflen hienieden und künf⸗
tig des großen Entſcheiders jelbft, folden für Yreunde, für Lieblinge,
für Brüder, die in feinem Namen noch viel thun, viel leiden follten,
babe megziehen können, wegziehen dörfen. Sie fagen kurz: warum
Chriftus über ſolche Sachen der fernften Zukunft in Bildern,
auch bier halb in einer Parabel geſprochen; daß er biemit auch
für uns ben Grad des Lichts und der Dämmerung, der Neu-
260 gierbe in Fragen und Zweifeln und ber Gewißheit in Gefinnungen
und Thater habe beftimmen mollen. Weil dies Alles Wahrheit
ift, der unfer eigner Gefichtöfreis, dad Bebürfnig unfrer Empfin-
dungen und Ausfichten in jede, zumal die allgemeine letzte Zukunft
beiftimmet, fo können Sie ficher feyn, daß wenn Sie diefen
Standpunkt mit der Beſcheidenheit zeigen, die Ihnen die Sache
felbft an die Hand giebt, auch der Leichtfinnige und Zweifler vor»
jest darauf werbe beftehen müſſen. —
Sie geben zum Gleichniß felbft, und da Ihnen ſogleich
der Anfang von einer feierlichen Gerichtserfheinung zum Aus-
einanderthun, zur Scheidung ſpricht: fo werben Sie nothwen⸗
dig dahin gewiejen, den jetigen Zuftand des Miteinanderfeyns,
der fcheinbaren Verwirrung des Guten und Böfen zu bemerfen.!
Sie zeigen: daß er ſey? und warum er ſeyn müffe? Hier haben
Sie in Ausfprücden der Bibel felbft, injonderbeit in Ausfprüchen
Chrifti, fo? dringendwahre, menſchliche und rührende Auffchlüffe,
daß jeder, der auch noch fo ſehr darüber ſeufzete und zweifelte, ein -
nothwendiges Bedürfniß unfres jehigen Zuftandes der Menſch⸗
261 beit, und einen Zwed?® Gottes dabei erfennen müßte. Tugend
und Lafter, Leid und Freude, unfre ganze Erziehung und Uebung
und Wirkung auf andre ift dazu eingerichtet, fo daß alles auf-
börte, wenn (maß Schwärmer oft haben bewirken wollen) biefe
1) Böfen zurüdyunehmen. 2) fo fchöne,
8) zweifelte, nothwendiges Beblrfniß ..... und Zwed
— 44 —
weiſe, gütige, väterliche Vermiſchung der Vollkommen⸗ und Unvoll⸗
kommenheiten, der Schwachheit und Stärke, bes Lichts und ber
Schatten aufhört. Wir find bier alle ſämmtlich noch nicht, was
wir feyn follen und feyn wollen; wir follens aber werden und
bier zu werben ftreben; dieſe drei Worte beſtimmen bie ganze
Bahn unfrer Wallfahrt hienieden mit allen pofitiven und negativen
Kräften. —
Wenn Sie diefe Wahrheit zur größten Anfjchaulichleit gebracht,
wenn Sie alle Saiten der Hoffnung, Yurdt, Freude, des Seuf⸗
zens, Leidens, der Schauervollen großen Erwartung geweckt haben,
die Töne der Welt vollen gleichſam im! wilden und doch weilen
Tumult unter einander; fiehe! fo wird Stille! Der Entſcheider
fommt und löfet fie auf.? Sie laſſen ihn in Ihrer Rede auch in
ber Stillen Herrlichleit und Majeftät erjcheinen, mie er im
Tert erfcheint, im ſchweigendlauten Triumph eines getöbteten Men-
ſchenſohns und Menſchenrichters. Sie erflären kurz dahin die 262”
Bilder und befreien fie von den irrigen Vorftellungen des Pöbels.
Sein Verl ift ftille Entſcheidung: wie ein Hirt die Schafe
von den Böden ſcheidet. Ich beuge mich vor der alles ? durch⸗
faflenden Majeftät in einem Hirtenbilde. Nothwendig wird hier
Ihr Vortrag bimmlifcher, erhabner. Sie zeigen, daß Gutes und
Böfes feine vefte Natur, feine unwanbelbaren, ewigen Gejete
babe, wie die ganze Schöpfung; denn das Reich deflelben ſey das
unfichtbare Neih der Kräfte, und aljo die eigentlide vor Gott
gegenwärtige Zeiten-Vermaltung. Sie ziehen dem Betruge feinen
. verhüllenden Schleier weg und entblößen ihn dem untrüglidhen
göttlichen Auge; ja fie ruffen unfre wahre Natur, das ewige
Unfidtbare in uns, unfer innerftes Bewußtfeyn auf, daß es
als Abglanz des göttlichen Auges felbft in fidh jehe und mitzeuge. —
Der Beweis diefer veiten, ewigen Wahrheit kann wieder zu einer
Stärke gebracht werben, daß Alles um und an uns Licht, Auge
1) Welt — rollen im 2) und bringt fie auseinander.
3) erhabnen, alles
— u —
Gottes, ein aufgeſchlagnes, allleſerliches Buch werde, und auch
in unſerm Gefühl die ſcheidende gerecht⸗ allmätptige Hand des ”
Weltrichters ſich offenbare.
263 Auf diefem Punkte, der fo gewiß if, als alle Gefehe ber
Natur, auf denen Himmel und Erde ruhen, ſchlagen Sie das
Buch der innerften Wahrheit tiefer auf und verfünbigen den
Grund der Entfcheidung von den Lippen des Weltrichters: denn
ih bin hungrig gemejen u. f. Hier läßt fi Ihre Ueberrebung
vom richtenden Thron auf die innerften Bedürfniſſe der Menſch—
heit, den Grund aller ihrer Pflichten und Brubderverbindung nie⸗
der und entwidelt das Herz-ergreifende, freundfchaftliche und bei-
nah ! nachbarliche Geſpräch unfers Freundes und Mitmenfchen
Jeſu. Sie zeigen, mas dad Herz feiner Religior, das Weſen
feiner Niederlunft auf Erden und alfo auch nothwendig der ein-
ige Entſcheidungsgrund feines ? künftigen Urtheils ſey, nehmlich
die in alle Krankheiten, Schwähen, Bedrückungen und Dürftig-
fetten der menfchlihen Natur verbreitete Mitempfindung?
Jeſu. Sie zeigen, wie er fi nicht habe wollen durch tobten
Götzendienſt anbeten laſſen: fondern, fo wie Gott, der Weltfchöpfer,
die ewige Quelle alles Lebens, in alles Lebendige verbreitet, jedem
bürren Zweige,“ jeder Blatt» und Fruchtknoſpe Leben, Saft,
264 Gebeihen zuführet und in Allem Er felbft Iebet; fo fey ber große
Menſchenarzt und Menfhenheiland in allen Krankheiten,
Shwähen, Unterdrüdungen und Leiden ® feines Brubervolfs,
der Menfhennatur gegenwärtig. und wolle und begehre von
jebem, ber helfen kann, Hülfe Sie zeigen, daß Gott bewegen
feine Schöpfung gleihfam fo unvollendet gelaffen und in jedem ®
menſchlichen Exrbenzuftande Leid und Freude, Kraft und Schwad-
beit, Reichtum und Armuth, Finſterniß und Belehrung, Unfchuld
und Unterbrüdung fo wunderbar ? gepaart, fo veft zufammengefügt
1) und erflärt das Herzdurchſchneidende, beinah 2) bes
3) Dürftigleiten allverbreitete Natur und Mitempfinbung
4) dirren Äft- und Zweiglein, 5) Unterbrädungen, Leiden
6) gelaßen, daß er in allem 7) genau
— 4 —
babe, daß Eins dem Andern helfen, daß der arme mit Unvoll-
kommenheit umgrenzte Menſch die Schöpfung Gottes volllommner
machen, felbft dadurch volllommmer werden und mit feiner ſchwachen
Hand das thun fol, was die Allmacht felbft hier nicht thun konnte.
Sie zeigen, daß Gott deßwegen unfre Kräfte, Aemter, Plätze,
Gelegenheiten, Bebürfniffe, felbjt unfer Urtheil, Gefühl und
Mitgefühl fo vertheilt, fo verfhieden gemacht Habe, daß
jeder die Welt gleihfam von einer anbern Seite fiehet, die Bebürf-
niffe der Menfchheit anders empfindet, kurz in einem eignen Kran-
kenhauſe feines Geichlehts, wo Er Arzt feyn ſoll umd es feiner 265
für ihn ſeyn Tann, lebet. Auch diefe Wahrheit kann zu einer
Innigkeit gebracht werden, daß gleihfam der ganze Baum unſers
Menichenfinne® und Mitgefühls in allen Aeften und Zweigen fich
bis zur Wurzel beweget. Und nun machen Sie den Chriftum
gegenwärtig, deſſen höchſter Name auch auf dem Richterthrone ber
Welt Menſchenſohn ift; ber nur deßwegen vom Himmel kam,
um biefe allumfaflende Menſchenliebe, Menſchenempfindung
und Mitwirkung durch Lehre, That und feine ftille Aufopferung
zu vollführen, den Baum zu pflanzen, der voll hülfreiher Arznei
und Erquidung durch Menſchen, als feine Glieder, für Menfchen,
als feine Glieder, zum Himmel, zum ewigen Reich fich jelbft lohnen⸗
ber Früchte emporblühn, an und durch welchen Alles gefund, Beil,
gerettet, geftärkt, getröftet, erquidt werben fol. Mein Sinn erliegt
unter biefem großen, lieblihen Bilde! welcher Menſchenverſtand
wärs, der ihm widerſpräche! welches Menſchenherz, das dies nicht
als einzige Summe aller Religion, als höchſten Zweck aller
Verbindungen auf Erben anerfennte und ausruffen müßte:
„wäre er nicht Menfchenheiland, Menichenrichter, fo könnte, fo age
„ollte nur Er es ſeyn! Nur durch ſolche Bemühungen Tann
„daB Menfchengefchleht gerettet, nur nah ſolchen Gejehen von
„einem väterlichen Echöpfer gerichtet werden!" — !
1) ‚Nur nah ſolchen Gefeten, nur durch folhe Bemühungen
2... gerettet und gerichtet werben!” —
— 47 —
Abermals gehen Sie von dieſer umfaſſenden Höhe in die ſtille
Kammer des menſchlichen Herzens: denn Sie entwickeln im Geſpräch
Chriſti weiter, daß feine That der Menſchenhülfe bei ihm Lohn !
und Andenken finde, wenn fie nicht mit der beſcheidnen Demuth,
mit der einfältigen, freudigen Unfhuld und Willigkeit gefchah,®
daß es der Wohlthäter Chrifti jelbft nicht weiß, daß ers gethan
babe. Sie führen dieſen ftillen Sinn abermals ins Leben Chrifti,
in feine Lehre, feine Thaten, feine lebte Aufopferung und ſchmel⸗
zen ben auf feine Werke, ja gar auf feine Empfindungen hoch⸗
müthigen Lohndiener gleihfam ing? Nichts bin. Sie entwideln
feine Anmaaſſung aus der Antwort dieſer Selbftgerechten und
brüden ihm nad Ausfprücen Chrifti das * Siegel auf die Stirn,
daß fein Lohn dahin ſey. Dagegen richten Sie vie gebeugte
Pflanze, die verborgne Grafesblume auf, bie weder ihre Geftalt,
267 noch ihren Tieblichen Duft kennet, die aber der Weltheiland Tennet,
der einft auch eine zertretne Blume war, wie fie! und fie ſich zu
feinem ewigen Kranz des Lohns und einer untrennbaren Himmels-
gemeinschaft ® ſammlet. Kommt ber zu mir, ertönt die Liebliche
Stimme und in ihr wirb jedes Wort von Gewidt und Fol-
gen. Hier beginnet, auch ungenannt ber dritte Theil, Lohn
und Strafe.
Wie zart und menſchlich, daß das Urtheil des Richters Ein-
ladung, brüberlide Einladung wird ins gemeinfchaftliche
Reih des Vaters! Er nennet fie Lieblinge, Gefegnete
Gottes; denn giebt wohl eine liebreihere Auszeichnung, als
wenn Gott einem Menſchen den ftillen, zarten Sinn giebt, dies
unfihtbare Reich des wahren, verfchwiegenen Guten zu ſuchen und
dagegen alle Eitelfeit der Welt als ein Nichts aufzuopfern? ®
1) im Dialog weiter, daß feine That der Menſchenhülfe Lohn
2) geſchehe, 3) hochmüthigen Menfhen ind 4) brüden ibm das
5) kennt und aus ber der Weltheiland, (auch einft eine gertretene Blume
wie fie!) fich feinen ewigen Kranz bes Lohns und feiner Himmelsgemeinſchaft
6) als wen Gott ben ftillen, .... Reich zu ſuchen und dagegen alle
Eitelleit, als Nichts aufzuopfern?
— 48 —
Welchen großen Begriff giebt ein Reich, das von Grund⸗
legung ber Welt auf fie gewartet hat!! Sie waren gleich⸗
fam ber med, die Perle der Schöpfung; das Unfichtbare und
Ewige, in dem fie lebten, war gleichlam ber Kern und Inhalt
alles vergänglichen Sichtbaren der Erbe: der Kern gebt jetzt her⸗
vor, die Schale fällt: die Blume wird gewonnen, die Pflanze, 268
auf der fie beroorging, verborret — ?
Alle edlen und ſchönen Begriffe der Emigfeit, die auf uns
wartet, liegen ® in diefen bolbeinladenden Worten. Nähe Got-
tes, innige Gemeinſchaft mit Ihm, Genuß ber Gefellfhaft
aller Edlen und Guten, die fein Bilb* trugen, die der armen
Menfchheit, jeder auf feine Weife, halfen, Er mit ihnen und
fie mit Ihm. — Sie werben gleichſam bie Glorie der Herrlich-
feit des Welt⸗Erlöſers, feine Mitbulder bienieben find feine ewige
Gefpielen im Reich der Freude: genieflend die Schönheit Gottes,
als feine Lieben: fein höheres Erkänntniß ift ihre Wonne; feine
Liebe und ihre Dankbarkeit, die Harmonie mit ihm in feinem
neuen Reihe wird ihnen ein ewiger Quell neuen Gehorfams, neuer
Freude. Keine träge Muße ift bie Seligkeit der Mitherrſcher
Chrifti, fo® wenig fie e8 bier war; ſondern ermeiterte Thätig-
feit, Pflege der Gottesfhöpfung, wie fie bier die Menfchheit
pflegten. Hier ein Blid auf das PVerbältniß ihres Heinen Ver⸗
bienftes hienieden zu ihrem großen Lohne; und doch betrachtet es
Chriftus als Berbienft und ehrt es und giebt ihm alle feine Herr-
lichkeit und Freude nur aus Erkänntlichkeit gleihfam, ala das 269
dankbare Andenken eines Fremdlinges, der einft arm, verbannt,
1) gewartet!
2) das Unfichtbare Ewige war ber Kern und Inhalt des vergänglichen
Siätbarn: der Kern .... fällt: die Perle wirb gewonnen, e8 verborrt bie
Muſchel. —
3) Ewigkeit Tiegen 4) die feiner Seele Bild
5) Sie werben bie Glorie feiner Herrlichkeit, feine Mitbulber bienieden
werben ihm ewige Geſpielen.... Harmonie mit ihm ift ihnen ewiger Brunnquell
neuen... Freude. Seligleit ber Mitberrfher Chriſti ift nicht Muße, fo
— 49 —
gefangen, nackt, dürftig war und ſich, da er jetzt zu Ehren
gefommen, wegen ihres. guten Willens um ihn, abfindet!! ch
jage, ein Bid auf das Verhältnig ihrer einen That bienieben
zu feinem großen ? Lohne — wie beugt, wie erhebt er die Seele!
Siehe gen Himmel und zähle die Sterne, und ſchwinge di durch
die Unermäßlichkeit bin; denn komme auf dein Staublorn, die
Erde, zurüd und miß die wenigen Schritte von der Wiege zum
Grabe, miß deinen armen Naupengang und fhäte den Becher
Taltes Waſſers, den du dem Durftenden, die Hüllen, die du dem
Nadten gabeſt. Miß und mäge die Leiben biefer Zeit und ihre
nichtswürdige Schmach und ihre an fi ſchon lohnende Mühe,
gegen das, was dir bereitet iſt von Anbeginn der Welt und wach—
jend in Ewigkeit dauret — Sie fehen, m. Fr., die Fülle des
Segens und Sie merlen es leicht, wie hart. der Fluch der Ver—
dammten dagegen fallen werde. Da die Worte einander entgegen-
gejegt find, fo darf und mill ich nicht weiter paraphrafiren;
glüdlih, wenn Sie einen Funken jener brennenden Fadel, einen
Schauer jener von Gott entfernten, in die Abgründe der Schöpfung
verbannten, unter Fluch und Quaal der Verführten und Verführer
270 lebenden, ewig vermundeten Seelen und ihter furdtbaren Gejell-
Ihaft in das Herz derer werfen können, die rings um Sie
figen und mit Ihnen fühlen. Freilich find unfre Organe von
Fleiſch und Blut nit für daurende Empfindungen aus jener
Welt. Wenn diefe Empfindungen aber nur der Zuftand unfrer
um einen Schritt meiter entwidelten * Menfchheit find; und dieſer
Schritt mit aller Wahrheit, aller Ueberzeugung, die in uns liegt,
entwidelt würde — wenn Sie diefe Situation ” in den Umkreis
dieſes Lebens brächten, einen jeden an die erinnerten, die ſchon
vor ihm bingegangen, die er gefannt, geliebt, beleidigt, verachtet,
1) Verhältniß ihres Verdienſtes bienieden (fo nennt e8 Chriſtus und
ehrt ed. ... nur als Ertänntlichleit, als .... abfinbet!)
2) großen ewigen
3) in bie werfen können, bie um Sie fiten, um Sie fühlen.
4) nur die einen Schritt weiter entwidelte 5) Situation ganz
Herders fänmtl. Werke. XI. 4
— 50 —
vernachläßigt, geärgert, gepflegt und emporgehoben habe und die
alle jetzt, wie ein verſchwundner Traum, im Reich der Wahrheit
auf ihn ! warten, jo daß nur unſre eingeſchränkte Sinnlichkeit, die
im Nu aud wie ein Traum dahin feyn wird, es verhindert, daß
wir ihre Geftalten nicht fehen, die Stimmen ihres Schickſals nicht
hören können — ? wenn Sie endlich einen jeden auf den Augen-
blid führen, da beim Ausgange aus diefer Welt ihm fein innerftes
Bewußtſeyn wie ein eröfnetes Buch feyn wird und ers ala Stimme
in Sich felbft mitnimmt, was er geweſen ſey? was er feyn
werde? — — mitten im Gefühl dieſer Ueberzeugung abgebrochen,
die ganze Predigt mit einem Gebet und einem Liebe verfiegelt, das 271
des legten Eindruds, den Jeſus nachlaſſen wollte, werth
ift — — o Freund, wäre ein ſolcher Vortrag, ein dargeitell-
tes Wort Gottes, eine belebte Barabel Jeſu, die in jedem
Worte nur Wahrheit fucht und ewige Wahrheit findet, märe fie
nicht auch ein labender Waſſertrunk dem dürſtenden menſchlichen
Geift und Herzen im Namen deß gegeben, deß das Wort ift?
Leben Sie mohl.
Bier und vierzigfter Brief. 272
Ich glaubte neulich nicht, daß der Umriß eines einzigen Ter-
tes meinen Brief füllen würde und batte mir vorgenommen, in
den Parabeln rüdmärts zu gehen und wenigſtens noch das Gleidh-
niß von den betrauten Knchten, von den wartenden $ung-
frauen u. f. praltiih auszumalen. Sie werdens mir jeßo zu
thun erlafien: denn ich kann doch in Briefen feinen Vorrath geben,
und zum Beilpiel mag Eines gnug ſeyn. Jedes Gleihniß muß
endlich Doch auf feine Art, als eine eigne Welt von Situation
und Lehre behandelt werden; und der durchgehende, jo ganz
reine und menjhlide Sinn Chriſti ift ? in allen augenſcheinlich. —
1) auf ihn, auf ihren Lohn ober Strafe 2) hören —
3) Sim ift
Ich wende mich aljo jogleich zur zweiten, der hiftorifchen Gat-
tung und nehme dazu ein jehr fchlichtes Beifpiel, die fogenannte
Ankunft der Weifen aus Morgenlande.
Wollen Sie ein kirchliches Lehrthema daraus zichen, fo ifts
der Ruf der Heiden zur Kriftliden Religion, von melden
273 nad der uralten Meinung diefe Geſchichte ein Vorbild war.! Ich
27
an
bleibe indeſſen, infonderheit zum erftenmal, gern bei der natür-
lichſten? Anwendung und da doch die ganze Gefchichte, ſelbſt in
des Zweiflers Augen, als der außerordentlihde Fall und
Gang einer göttliden Vorjehung baliegt; fo ift, dünkt mich,
am leichteſten und augenjcheinlichjten auch dahin das Ganze zu
binden. a, da die Lection beim Anfange eines neuen Jahres
vorlommt, mo ein Jedweder gern wie auf einem Grenzitein feines
Weges? fitet, und zurüd und vormärts blidt; warum follte man
nicht Diefen Zeitpunkt nußen und ihn mit dem ebengenannten
Geſichtspunkt vereinen?
Um hiezu zu gelangen, ſetzen Sie die Gejchichte zuerft in ihr
jonderbares Licht. Jeſus, gebohren zu Bethlehem, zur Zeit
des Wüterichs Herodes, der ſelbſt nicht feines Weibes, nicht
feiner Kinder, bei dem mindeften Argwohn ſchonte; und fiehe! da
müßen Fremblinge, man weiß nicht, woher? man meiß nicht,
wozu? kommen, um feinen Argwohn zu erregen. Der Stern, ein
jo ungewöhnlicher Weder und Leiter, muß fie berbringen, muß
fie nah Jeruſalem führen: mit einer Frage, worüber Serufalem
erfhridt, das, nach der damals allgemeinen Erwartung vom
Meſſias, über folde Nachricht nicht erfchreden ſollte Herodes
erichridt gleichfalls und rüftet in der Stille jogleich feinen Arg-
1) Im Mic. folgt bier durchſtrichen: „Sie haben dazu auch groffen
Stof im Evangelium, zumal, wenn fie die ſchöne Epiftel des Tages aus
Jeſaia: mache dich auf, werde Licht! dazu nehmen; und ba wir alle
Heiden geweſen, zum Theil es noch find, oder gem wieder werben möchten,
fo kann es Ihnen an vielfadher Belehrung und Anmenbung nicht fehlen.“
2) natürlichſten, menſchlichſten
3) Grenzſtein des Vergangenen
48
— 2 —
wohn.! Er läßt feine Weifen verfammeln und fragt fic um Rath;
fie geben ihm denjelben, fie zeigen ihm die Straße, die fie jelbft
nicht gehen. Aus dem Schriftforfcher wird der Staatsmann, der
jene Fremblinge heimlich zu ſich fodert, mit großem Fleiß bie
Chronologie des Sterns lernet, fie an den rechten Ort weilet,
ihnen die fhönften Aufträge giebt und fie freundlich wieder zu fich
ladet. Welche Gelegenheit haben Sie bier, bei jedem Schritte die
Dürftigkeit des menſchlichen Raths, zumal menſchlicher Stla-
verei und politifher Arglijt gegen den reichen, hohen Nath
Gottes zu zeigen! "Die Unfhuld der Weifen gegen die Ber-
ſchmitztheit Herodes, ihre Freimüthigkeit gegen die Sklave:
rei Jeruſalems, die im Traum erſchrickt und wieder einſchläft, die
thätige Einfalt jener, gegen die unnütze Weisheit der Schrift⸗
gelehrten, ihre Ruhe mitten in der Gefahr gegen Herodes
Unrube, der ganz ohne Gefahr war u. f. f. — Alle dies läßt
fih ? in ein Licht ſetzen, das den Zwift menfchlider Gefinnungen
und Handlungswetfen, ihre Größe und Kleinheit, gnug zeiget.
Ueber allem Halten Sie nun gleihjam den Stern, das wadhende
Auge der Borfehung Gottes und feiner Abſicht Ihren 275
Hörern gegenwärtig: find? jene Weifen aus dem Tumult des
Erſchreckens, Fragens, Willens, Betrügens heraus: fo erfcheinet
ihnen wieder ihr * fichrer Himmelsbote. Er giebt ihnen, was ihre
Reiſe begehrte, den Anblid des Kindes, und die liebreihe Anbe-
tung feiner. — Hier find Sie nun wie in der Mitte des Kno⸗
tens. Was follte der Stern? mas follte die Reife? was will
die Anbetung? indem Sie über diefe Fragen die kurze, Zeit-
und Ortmäßige Auskunft geben, die über außerordentliche Begeg-
niſſe der Art jedem Beſcheidnen gnug ift, fo haben Sie Gelegen-
beit, die jonderbaren Schickſale mander Menſchen ins Licht zu
1) ſollte, Herodes erfchridt und in .... Argwohn rüftet.
2) u. f. f. laßen ſich
3) gegenwärtig: Sie erheben ſich zım Sprache der Propheten, bie
immer alfo Göttliches und DMenfchliche® paaren. Kaum find
4) ihr Stern, ihr
— 535 —
ftellen, die ihnen und andern jo oft Thorheit fcheinen. Sie
betrachten die mancherlei Wege, wie Gott auf Menſchen wirkt,
wie er zu jebem auf feine Art ſpricht und jedem feine Freude,
den unſchuldigen Wunſch feines Herzens ! gemwähre. Sie ſetzen
dabei das einzige Kennzeichen feit, das einen Menjchen auch bei
den ſonderbarſten Urtheilen andrer über fih beruhigen kann und
muß, nehmlich Ruf Gottes, Ueberzeugung feines Gemif-
ſens. Sie zeigen, daß hierüber niemand Richter fey, als der
276 Menih, deſſen der Ruf, deſſen die Pflicht iſt; daß feine zwei
Menſchen bierinn völlig Einerlei Wege in der Welt haben, und
wie vorfichtig man überhaupt jeyn müfle, einen andern auf feiner
Lebensbahn durch Bedenklichkeiten oder Nachläßigkeiten zu irren.
Ja indem Sie die Folgen diefer Reife und Anbetung, die auch
die Weiſen felbft nicht überfahen, entveden, daß dadurch unſchul⸗
diges Blut veranlaflet und abermals wieder durch die dargebrach⸗
ten Gefchente für die Bedürfniffe des kleinen Ylüdtlinges
gejorgt ward, jo ziehen Sie den Knoten jo mander fürdhterlid
und doch Schuldlojen Schidjale recht veft ums menfchliche
Herz. Das Weinen Rahels und ihrer Töchter, das Sllagge-
ichret der Mutter und Säuglinge auf Bethlehems Gefilden fchreibt
uns die Warnung mit blutigen Zügen ein, aud bei unihuldi-
gen Handlungen und Abfihten Vorſicht zu gebrauden und
manche klagende Folge zum Voraus zu fühlen, ehe fie felbft unver-
. meiblich und unmiberruflich da ift. Aus der Schrift und aus dem
thättgen Leben, zeigen Sie den Natternbiß fpäter, vergeblicher
Neue in feinen fürdterlihen Wunden, und beveftigen dagegen das
menichlihe Herz, wenn fein Weg rein und gemiß ift. Gie
bringen e8 vor das Auge des ewigen Richters, der nicht nad)
277 Folgen, jondern nah Abſichten richtet, der die wohlgerathenite,
lautefte That oft mie faljhe Gold verjchmähet und dagegen die
redliche Einfalt wie ein edles Weihrauchopfer annimmt, ja oft aus
denen dem Anſchein nah mißrathenen Folgen einer guten
1) Freude, feines Herzens Wunfch
— 54 —
löblichen Handlung zu rechter Zeit andre hervorbringt, an denen
der Urheber ſelbſt verzagte. Indem Sie auch dieſe dem ſchwachen
Gefäß der Menſchheit fo nothwendige und tröſtende Wahrheit aus
Bibel und Geſchichte enthüllen, bemerfen Sie eben in dieſer
Geſchichte die Schonung des väterliden Gottes, ber dieſe
Fremdlinge die Folgen ihrer Ankunft nicht jehen, nit erleben
ließ und fie dur einen andern Weg in ihr Land zurüdleitet.
Unvermerit fommen Sie bei diefer in vielen Lebensläufen jo oft
erfahrnen Milde, auf die Sie die Menſchen nicht aufmerkſam gnug
machen können, zur Entwidlung bes Knotens, den! wunderbar -
errettenden Ausgang. Die Fremdlinge fomohl als das Kind
werben gefichert;? Herodes Liſt und Blutvurft wird an beiden
thöriht zu Schanden. Nachdem er fein graue Haar und Die
wenigen Tage, bie er zu leben Hatte, noch mit dem Blut dieſer
Unſchuldigen befudelt, ftirbt er erjchredlih und muß dem flüchtig-
geworbnien Kinde Land und Welt räumen. — Wunderbar:erret-
tende, fchredlih-rächende Vorſehung! Ste räht Sünden dur 278
größere Sünden, Argwohn durch Mord, Lift durch PVereitelung
bes Rathes, durch blutige und doc unnütze Verzweiflung. Schred-
lihe Exempel ber Nache jprechen hierüber blos durch den Fort⸗
gang der Frechheit, dur das Gelingen des Lafters, das fich
zulest doh mit Ohnmacht und Berzweiflung ftrafet. Und
wie nahe können diefe Beiipiele dem menſchlichen? Herzen, auch
wenn es fein Herodes» Herz tft, gebracht werden! In jeder Leiden»
Ihaft und Falſchheit ftedt ein Keim dieſer göttlichen Hache: * der
erfte Schritt iſt unſer, der zweite und taufendfte? nimmermehr.
Endlih die ſchöne Errettung diefer unjchuldigen Lieblinge Got-
tes zeigt: wie Gott taufendmal errettet babe und tauſendfach
erreiten fünne © und werde. Hier erheben Ste die Seele zu bem,
1) Mſe., AB: den 2) Fremdlinge, das Kind wird geficert;
3) Erempel fpreden .... der Frechheit, des Lafters, der Ohn—
macht, ber Verzweiflung. Und wie nahe können fie dem menfchlichen
4) ftedt cin Herodes: 5) taufenbe
6) Lieblinge zeigt: wie Gott . . bat, tauſeudfach erretten kann
— 55 —
der die Sterne zählt und uns kennet, ſie in ihre Bahnen wies
und auch unfer Schickſal, fo verwirrt es ſcheinen möge, lenket.
Hebet eure Augen in die Höhe u. f. el. 40, 26-31. —
Indem Sie diefe Wahrheit, wie einen Wanberftab des Lebens,
Ihrem Zuhörer in die Hand geben, daß er weder vermeflen, noch
Heinmrüthig werden kann, noch darf, noch will; und ihn mit diefer
Sicherheit, die fo veft, als fein eignes Dafeyn tft, ins neue Jahr
279 ſenden; mich dünkt, jo hätten Sie Ihre Geſchichte, Ihre Stunde,
\
Ihren Ort fo wohl genuget, daß niemand vor der Hand eine ahbre
Anwendung des Evangelium begehren würde. — — '
Und nun, ın. Fr., erlaffen Sie mir weitere Beifpiele, injon-
derheit über Lehrterte; auch Dies war Einer, und jeder in ber
Welt muß es billig ſeyn. Wir haben an Ichönen Lehrprebigten
fo eine Menge, daß ich Eulen nad Athen trüge, wenn ich hinter
Spalding, Serufalem, Sad, Ernefti, Zollilofer, Teller,
Cramer,? Maifillon, Bourdaloue, Tillotfon, Clarke,
Foſter, Barrom u. f. f. mit Lehrvorträgen fommen wollte. Ich
fenne die wenigften diefer berühmten Männer ganz; die ich aber
fenne, überheben mid) meiner Mühe völlig, Spaldings Prebig-
ten 3. B. haben eine fo redliche Einfalt und Würde, die
Predigten Ernefti eine dogmatiſche Beftigkeit und Beftimmtbeit,
Jeruſalems eine jchöne philoſophiſche Klarheit, Cramers einen
Strom der Beredfamleit u. f.? Es find, jagt Paulus, verſchiedne
Gaben, verſchiedne Kräfte, verſchiedne Aemter; an jedem brauche
man da3 Seine und tadle ihn nicht über dag, was Er nicht bat,
und das ja eben deshalb andre haben. Ein Necenfenten - Wahn
250 diefer Art ift für den Lernenden kleinlich‘ und kindiſch. Sad
1) und unfer
2) hinter Ernefti, Spalbing, Sad, Jerufalem, Zollitofer,
Cramer,
3) haben eine Einfalt uud Ründe, Ernefti eine bogmatifche
Beftigleit und chriftlihe Difeiplin, Jeruſalems eine philoſophiſche Klar-
beit, Eramers einen beredten Strom von Worten u. f.
4) Diejer Recenjentenwahn wäre kleinlich
— 56 —
predige als Sack, Spalding als Spalding; und Sie lernen von
beiden.
Noch ärger iſts, wenn man einzelne Vorträge, als Glau-
bensbelänntniffe anfiehet und gar von dem, was ein Menſch in
diefen paar Predigten nicht gejagt hat, d. i. nicht jagen fonnte,
nicht jagen wollte, fogleich frech ſchlieſſet, daß ers nicht glaube.
Fliehen Sie, ala eine Peſt, dies Inquifitionsurtheil. So ifts z. €.
Crugott gegangen, deſſen Predigten an Klarheit und hellem,
ſchönem Umriß menige ihres gleichen haben; er ift, ich weiß nicht
weßwegen?! verfehrieen und das Gute feiner Schriften wird bes
etwa Mangelnden megen nicht gebraudt. — Hüten Sie fih über-
haupt, m. Fr., für aller ausſchlieſſenden und einförmigen
Behandlung Einer Lehre, Einer Situation, Eines Textes.
Wie ich über die Vorjehung bei Gelegenheit dieſes Terts, dieſer
Situation rede, kann und werde und muß ich ja nicht bei jeder,
der verjchiebeniten andern reden: fonft thäte ich weder mir, noch
der Lehre, noch dem Wort Gottes ein Gnüge, und würde in kurzer
Zeit ein tönendes Erz, eine Hingende Schelle. Wer immer ber-
ſelbe ift, ift immer derſelbe, d. i. ſehr wenig; die reichfte Manier 281
ift die gelentjte, die biegſamſte, die fich jeder Gejchichte, jedem
Tert anfchmiegt, die dem überfließenden ? Reichthum Gottes in der
Natur und Schrift nachſtrebet. Glauben Sie nit, daß hierdurch
die Einheit leide: fie leidet gewiß nicht, wenn Sie — recht und
ftreng difponiren. Leben Sie wohl.
Fünf und vierzigfter Brief. 282
Difpofition ift allerdings das Hauptwerk der Rede; ſie ift
das Gebäude, ohne welches alle äußere Belleivung nichts ift;
deshalb, m. Fr., habe ih Sie für allem Ausmwendiglernen ſchöner
1) weßmwegen? als Socinianer
2) Tert anfchlingt, die dem überfließenbdften
— 57 —
Ausdrücke, bunter Floskeln und Sentenzen jo ernſtlich gewarnet.
Dieſe loden ungemein ab vom Wege und der Jüngling, der ſol⸗
hen Irrlichtern folgt, ift verloren. Ein Menſch, der ſchöne
Worte haſcht, der halbe Seiten von Mobefentenzen ausjchreibt, hat
faum mein Vertrauen mehr: er thut eine Kopflofe, kindiſche Arbeit.
Alle Blumen des Vortrags müflen aus der Sache felbit, an bie-
fem Ort, an diefer Stelle, wie Blumen aus dem Schoos ihrer
Mutter Erde hervorgehn; die Kunft des Gärtners pflanzte und
wartete fie nur eben an der beiten Stelle. Da muß fein Bild,
fein Sat, fein Comma ſeyn, das nicht aus diefem Thema, wie
ein Alt und fein Zweig, ober wie eine Blüthe und ein! Blatt
des Baums, aus folder Wurzel, an joldem Stamm gleichfam
283 nothwendig erwüchſe. Wenns Hier’ nicht fteht, ſtehe es nirgends
und die Rede ift unvollftändig: fie hat, was man an Gemählden
fagt, ein Loch, eine Lüde. Deßhalb bin ich eben von ver Fabel,
der Parabel ausgegangen, um Ihnen Gefühl von biefer Einheit
im Ganzen, von dieſem Raftlofen Gange einer Einzigen Hand»
lung, von diefem in allen heilen lebendigen wirlſamen Gan-
zen zu geben; ? babe ich diefen Eindrud verfehlt, fo war meine
Mühe vergebens. Alle Fehler verzeihe ich gern, nur bie Fehler
der Diipofition nit. Steht, was unter einander gehört, neben;
was neben einander gehört, unter einander; wiederholen fich
die Theile auf die ſchnödeſte Weife, fo daß, wenn „von ber
Gefangennehmung Chrifti“ geredet werben joll, gefragt wird:
.1) wer ihn gefangen genommen bat? 2) von wem er ift gefangen
genommen morden? und wird doch friſch darüber als über zwei
Himmel» weit verſchiedne Theile gepredigt: weiß endlich der Conci⸗
pient gar feine Sätze berauszuziehen, fie weder unter» nach neben
einander zu orbnen; weiß er durchaus nicht, was dieſer, was jener
Theil der Rede fey oder ſeyn foll — o weh! weh! gehe er hin
und lerne Logik!
1) aus feinem Thema, wie ein Aft, Zweig, ja wie eine Blüthe, ein
2) allen lebendigen Theilen wirkfamen Gebäude zu geben;
— 58 —
Wenn Baumgartens tabellariſche Methode (die unſtrei⸗
tig übertrieben ward) etwas Gutes hat: ſo iſts dieſes, daß fie zur 284
Diſpoſition gewöhnet; dazu iſt die frühe Erlernung einer oder
der andern Wiſſenſchaft, die es nehmlich am füglichſten erträgt, in
wohlgefügten Tabellen die beſte Methode. Dem Auge und
ver Seele giebt fie unvermerkt einen logifhen Anblid. Ach
weiß es fehr wohl, daß fraufe Köpfe auch durch alle tabellarijche
Form nicht glatt werden, wie ed Erempel von Baumgarten Schü-
lern jelbft bemeijen; ich weiß es auch wohl, daß, wenn man in
jedem Perioden wieder unendlich Hein biponirt, man ein moleste
sedulus, ein improbe artificiosus, ein Müdenfeiger und Kümmel⸗
jchneider werde, der vor lauter Deutlichfeit Stockdunkel, vor lauter
Ordnung vermotren wird und zulest das Ganze gar aus dem
Geſichte verliert. Mißbräuche einer Sache heben aber die Sache
nicht auf; ja je feiner und nothwendiger diefe ift, deſto mehr kann
und wird fie gemißbraudt werden. So iſts mit der Logik und
Difpofition gegangen;! immer aber bleiben fie Grundlage des
Vortrags. Die Natur hats nicht mangeln lafien an ſchönen
Formen; vefte Formen aber, richtige? und gerade Linien
machte fie überall zum Weſen der Sache, das? fie mit Schlänge-
lungen und Krümmen nur überfleivet. Wenn Wolfs und infon-
derheit des Philofophen Baumgartens Schriften aud fein Ver- 285
dienft hätten, jo wäre e8 das, daß fie Ordnung in den Begriffen
und die legten eine Spartanifhe Kürze und Strenge in Worten
ehren. So fehr Baco ben Wis liebte, jo genau bifponirt find,
feine beiten Schriften, injonderheit dad Organum und de augmen-
tis scientiarum. Ariftoteles ift ein veiter Knochenmann, wie
der Tod: ganz Difpojition, ganz Ordnung Wenn Wintel-
manns Geſchichte der Kunft fein ander Verdienſt hätte, jo wäre
ed das, daß man in ihr, wie in einem Griechiichen Tempel zwi-
ihen Säulen und ſchöngeordneten Ausfichten über Zeiten und
1) Logit, Philoſophie und Difpofition ergangen ;
2) ridte 3) Wefen, das
— 59) —
Völter wandelt; fie ift das ſchöne Ideal einer wohlausgetheil-
ten, hochangelegten Kunſtgeſchichte. Sole Bücher leſen Sie,
m. Fr., excerpiren diefelbe und lernen darnach Ihre Gedanken
ordnen. Wer nicht difponiren fann, kann weder lernen, nod
behalten, noch wiederholen; noch weniger werdens bie können,
die ihn hören. Es ift arena sine calce; bie geflügelten Worte
verfaufen — —
Eine ganz andre Frage ift: ob man die Difpofition mie ein
nacktes Geripp binftellen jol? Das -thut die Natur nicht umd
286 die arme, eingefchränkte Nachahmerin derfelben, die Kunft, ſolls
noch weit minder; am mindften fol es aus Urjachen, die ich bereits
angeführt babe, eine Predigt. Natürlide Orbnung und eine
fortgebende Analyje des Worts Gottes ift ihr die beite
Difpofition ; ſonſt Schütt fie fih, bei jo oft gehörten Saden, kaum
für langer Weile. Auch bier, dünkt mid, find die philofophifchen
Vorträge der Griechen Muſter. Wie natürlih ſpricht Plato,
Kenophon, Marimus Tyrius, u.a. und doch wie orbentlidh!
wie gebunden! So iftö mit Cicero, unter den neuern Lateinern
mit Erasmus, Grotius, Ernefti u. a. Frankreich hat in ſei⸗
nem Boffuet, Fenelon, Roufjeau, Buffon, jhön- oder gar
erhaben » fortitrömende Schriftfteller; England bat fie an feinem
Addifon u. a.; wogegen jedermann doch gewiß den fpigen Witz,
die unlogiiche Verwirrung oder das abgejchnittene Geiſtweſen andrer
Schriftiteller unjanft empfindet.
Die befte Methode, wie man die Eden des Lehrvortrages
abründet, ift, dünkt mid, die Form des Geſprächs, in der!
fih die Alten daher jo fleißig übten. Sie entlamen damit beim
Lehroortrage nicht blos der einförmigen, eintönigen Steifheit, fon-
287 dern auch dem anmaaflenden Egoismus; dem fonft, wenn ber
Lehrer immer allein ſpricht, kaum zu entlommen if. Mancherlei
Meinungen und Einmwürfe konnten fie im Gefpräd vortragen,
ohne daß die Rede abgerifien und hödericht erſchien: fie konnten
1) mid, der Dialog, in dem
— 60 —
abwechſeln, ohne in Declamation zu verfallen, die, wenn man
immer allein ſpricht, beinah unvermeiblih wird: fte konnten end-
lich die Haltung der Sadhen und Gründe fo fein, Licht und
Schatten in einander fo verfhmwebend maden, daß dagegen
der arme Monolog vom SKatheber, wie jein hölzernes Satheber
felbft daftehet. In den neuern Zeiten haben Fenelon, Shaftes-
buri, Littleton, Hurd, Diderot u. a. diefe ſokratiſche Methode
erwählet; auch dem Theologen find Uebungen in ihr nit nur
zur Katecheſe, ſondern überhaupt den Lehrton ſclicht,
ſanft, eben zu machen, eine ſehr nützliche, obwohl nicht leichte
Mühe! Mit Frag und Antwort iſts nicht gethan, ſondern wie
gefragt, mie geantwortet, wie Wahrheit, Lehre und Unterricht
gleihlam aus der Seele hbervorgeholt werde?? Verſuchen Sies
jelbft einmal, m. Fr., nur eine Predigt durchaus zum Geſpräch?
zu machen und ſich dabei ftrenge Geſetze des leichten Ueber—
ganges, der fanfteiten piyhologiihen Form zu geben: Gie
werben, wie ſchwer es fey, fühlen, aber doch wird Sie eine öftere 288
Uebung der Art nicht gereuen.
Sch Tomme mir jelbft, wie ein Pedant, vor, da ich in Einem
Briefe über fo mancherlei Mebungen des Vortrags rede, To viele
Schriften und Schriftfteller nenne und fie dem Scheine nad nur
von den Lippen fließen laſſe; welches ich fonft nicht liebe. Wie ift
ihm aber zu thun, m. Fr.? da das Brieffchreiben eine jo lang-
weilige Sade ift und fi über alle diefe Dinge der beſte Unter-
riht nur mündlich oder noch beffer thätig geben läßt.“ Ver⸗
zeihen Sie daher au, daß ih vom Leſen, Ercerpiren, vom
Memoriren deſſen, was man liefet u. f. gar nichts fage; es
kommt jo jehr darauf an, was man, wozu man liefet? daß ich
bie meiften, auch die genaueften fchriftlichen Anweisungen hierüber
immer unbeftimmt und mangelhaft gefunden babe. Wir
1) Theologen ift fie zur Katechefe und liberhaupt .... machen, ber
befte, aber nicht leichte Weg.
2) Seele geholt wird? 3) Dialog 4) mündlich, thätig giebt.
5) Ercerpiren, gat Memoriren beffen, was man liefet, gar nichts
brauchen Heut zu Tage zu viel, und find mit zu viel ſchlechtem
umgeben. Wir wollen und müflen alfo in compendio Iefen und
Doch ift Dies compendium für viele fehr ſchädlich. Alſo non multa,
sed multum! tft bier die goldene Negel und die zweite vielleicht
noch güldnere: Iefen und lernen Sie jo leicht nichts ohne Uebung,
289 ohne Anwendung, wie fih diefe nur immer nah der Natur
jeber Lectüre nehmen läßt. Suchen Sie daher auch, fo bald Sie
fönnen, in Lehr⸗ und zwar in öffentlide Lehrübung zu
fommen. Auf Schulen, nit in der Kirche; nicht des lieben
Brot3, jondern Ihrer eignen Bildung ! wegen, fobald Ihnen nur
einigermafien bie Lehre anftehet. Ich fehe es als ein Glüd mei-
ner beiten Jünglingsjahre an, daß ich lehren mußte,? lehren
fonnte und zwar würdige Sachen an lehrbegierige Schüler, öffent-
lich, nah meiner eignen Auswahl lehren konnte. Ich weiß,
jo wenig ih Habe, was ih damit gewonnen — etwas, das
mir das emige Lefen und Zuhören fchmerlih würde gegeben
haben — 3
„Schulen, jagt Luther, find kleine, doch ewige und nüßliche
Concilien: fie haben ein köftlih Amt und Werk und find die evelften
Kleinode der Kirche. Ich wollte, daß feiner zu einem Prediger
ermwählt würde, er märe denn zuvor Schulmeifter geweft. Seht
wollen die jungen Gefellen von Stund an alle Prediger werben
und fliehn der Schulen Arbeit.” Sie fliehn fie aber oft, weil fie
ihr nicht vorftehn fünnen und noch öfter flieht die Arbeit fie: denn
2% zu einem Schullehrer wird doch, aud nur der Oberfläche nad),
mehr erfobert, als zu einem fogenannten Kanzelredner. Bon bdie-
fern heißts oft nach dem befannten Räthjel: „Es fteht ein Männ⸗
1) Im Me. ſteht zuerft: „Ermedung“ 2) mußte und
3) Lefen und Hören nicht geben konnte. Im Dife. folgt hier noch durch⸗
firigen: „ich erinnere mich diefer Zeiten, ohmgeachtet des Nebels, der um
fie lag, al® ber angenehmften Tage meiner Jugend. Yeben Sie wohl und
nehmen beute mit einem fo fchulmeifterlichen Briefe vorlieb, den ich nicht
würbiger vertreiben und abwechfeln kann, als mit folgenden gewiß golbe-
nen Sprüchen eined Pythagoras unferer Nation.”
„lein im Holz: es fchreit und fchreit und darf ihm niemand ant-
„mworten.“
In Unterweifung der Kinder lernt man dad einfältige
ChriftentHum erfennen und ſchätzen; in Unterweifung ebelgearteter
fleißiger Jünglinge lernt man die Blüthe jeder Wiffenfchaft ſuchen
und finden. Dan wird jung mit jungen Geelen, gleichſam
geſchlank und munter, die Welt noch einmal als Jüngling anzu»
jehen und zu koſten; nur freilich gehören dazu nicht Jahre, in
denen Körper und Seele eintrümmt. Prediger, die gute Schulleute
waren, (wenn fie e8 nur nicht zu lange blieben) lernt man bald
unterjcheiden, an Drbnung, Wiſſenſchaft, reeller, praftifcher Kännt⸗
niß; denn nach unſrer Lage des geiftlihen Standes können es
nur Schulen feyn, die dem Gandidaten candidam vestem ciner
woblbeftandenen Prüfung, eines öffentlichen guten Verdienſts geben.
Die gemöhnliden tentamina ermweifen wenig; bie homiletifchen
Uebungen nad der gebräuchlichen Art fodern und geben auch nit 291
viel. In Leſung guter Autoren und in lebendiger Uebung, zumal
auf Schulen; da liegt Stof zur Lehrart, zum öffentlihen or:
trage, zur feineern Bildung der Seele. Folgen Sie meinem Rath
und Sie werden die Früchte Davon genieflen.
Nahihrift. Die paar Proben von Predigtentwürfen, bitte
ih, betradten Sie nicht ala Difpofitionen (die mir leichter, aber
Ihnen unnüßer gemwejen wären) nod weniger als vollftändige
Reden, darnach Sie etwa meinen Vortrag beurtheilen wollten.
Es find nichts als Schattenriffe, bie und da gezeichnete Punkte,
die nun erft in der Ausarbeitung oder lebendigen Behandlung zur
Geftalt, zum Geihöpf werden müſſen. Es kann manches in ihnen
weit bergeholt jcheinen, was es im lebendigen Vortrage, in der
Bindung aller Glieder zum Ganzen nit ift. Alia legentes, alia
audientes magis adjuvant. Excitat, qui dicit; spiritu ipso, nec
imagine et ambitu rerum, sed rebus ipsis incendit. Vivunt
enim omnia et moventur excipimusque nova illa velut nascentia
— 63 —
cum favore ac solicitudine. Von einer durch die Rede belebten
292 Situation, wie z. E. eine Parabel, eine Geſchichte ift, läßt ſich
im Ton des Referenten wenig fagen, fo wenig als von dem Gange
einer jeden menſchlichen oder moralifden Handlung.! Uebrigens
paſſet injonderheit auch auf Predigten jener Ausſpruch des Pli-
nius: ardua res est vetustis novitatem dare, novis auctoritatem,
obsoletis nitorem, obscuris lucem, fastiditis gratiam, dubiis fidem,
omnibus vero naturam et naturae suae omnia. Schreiben Sie
ihn fih in Ihre Homiletif.
293 Sechs und vierzigfter Brief.
Bon Zeit zu Zeit babe ich Ihnen poetische Stüde gefandt, auch
von einigen Gedichtarten, 3. E. von Hymnen, Liedern, der Parabel, der
Fabel? u. ſ. w. einige Worte mit einfließen lafjen; ich glaube doch nicht,
daß Sie diefe Dinge für Lüdenbüßer angefehen haben: denn ich wüßte
nicht, was bei einem Briefwechfel unſrer Art für Lüden zu büßen
wären? Der Briefihreiber hört zu fchreiben auf, wenn er will,
und der Leſer zu leſen auf, wenn der Brief aus ift; auch kann
ed und bei der übergroßen Menge von Gegenftänden und Materien,
über die mir reden, gewiß an einigen Reihen mehr nicht fehlen.
Ihr guter Sinn und Genius wird Ahnen längft gefagt haben, daß
die PVoefie die Bildnerin des, Vortrages, die Schatzkammer
großer Gedanken und rührender Befhreibungen, endlich
die fünftlihfte Form der Einkleidung fey, an der die Rebe
und überhaupt die Profe zu lernen habe. Wir bemerken daher
vielfach, daß ſowohl in der Schrift, aus den Liedern und Gefängen
294 Gottbegeifterter Propheten, als auch in der Gejchichte aller Völker,
die Profe aus der Poeſid bervorgegangen ſey und gleihjam an
1) eine Parabel, Geſchichte ift, läßt fih als bloßer Referent wenig
fagen, fo .. ... einer menfchli oder moralifch belebten Handlung.
2) Ausſpruch Plimus: 3) 3. E. Hymnen, Liedern, Parabel, Fabel
4) bemerften
— 6A —
und um ihr Geftalt gemonnen habe. Auch Kritik und Rebekunft
begann an ihr, wie die Lehren des Plato, Ariftoteles, Cicero,
Duintilian, unter den Neuen Roffius, Rolling u. a. zeigen.
Poeſie ift die Blüthe der menſchlichen Seele, jo wie die bil-
denbfte Ergögung ? der Jugendjahre unſeres zu bald verblühenden
Lebens.
Damit ich indeflen die Grenzen des theologischen Gebrauchs
derjelben richtig beftimme, fo merken Sie leiht, daß bier nicht
von eigner Poeterei die Nebe feyn kann, nach der der Jüng⸗
ling etwa ftreben müſſe: mi dünkt, ich babe Sie hievor, mie
vor allem Diebital fremder, poetifh- und proſaiſcher Blumen,
und eines jeden üppigen Schmuds der Rede längjt und oftmals
gemarnet. Wäre die Poefie zu nichts brauchbar, ala daß man
mit bunten, glänzenden Lappen aus ihrem Trödel feine Blöße
deckte, oder gar damit feine einfache, ehrbare Kleidung verungierte;
welcher befcheidne Menſch wollte nicht diefe Tröbelbude, fo weit er
könnte, fliehen? Unglüdlih aber, wer die Poeſie dafür anfieht!
Sie tft, wie gefagt, der vollkommenſte Ausdrud, die Fünft:
lichſte Form? ver Rede, die bei aller fcheinbaren Freiheit die 295
ftrengften Gefege über ih, die bejtimmteften Regeln um
fih bat und auf die treffenpfte ? Weife Gedanken und Worte
paaret. Indem fie nun die edelſten Gedanken meden und fie
mit den beften Worten paaren fol: jo gewinnt man an ihr
durh Anhalt und Form ein Gutes, was jonft nirgend zu
erlangen ſtehet, man erhält Regeln und Vorrath, beides auf
die angenehmfte, Teichtefte Weile. Wie die Fabel, das Geipräd,
die Parabel für einen jungen Theologen zu brauden jey, * babe
ih mit menigem angedeutet; lafien Sie uns jet von andern
— — ——
1) A. und Mſe.: Ergötzung; B: Ergetzung
2) Ausdruch, die erhabenſte, ſchönſte Form 3) treffendſte, beſte
4) auf die liberalſte, leichteſte Weiſe. Ich weiß nicht, wofür
Ihre Seele mehr geſchaffen iſt, ob für den Inhalt oder die Form? für
den Vorrath oder die Regel? ich dächte aber, Sie verbänden beides, wie
Körper und Seele. Wie Fabel, Dialog, Parabel zu brauchen ſei,
— 65 —
Gedichtarten, zumal der! bibliſchen Epopee, dem Liede, dem
Lehrgedicht reden.
Das Lehrgedicht iſt, wie ſeiner Form nach, ſo auch in
ſeinem Gebrauch, wohl das leichteſte. Niemand wird weder in
der Geſellſchaft, noch auf der Kanzel in Alexandrinern reden, wenn
er bei gutem Verſtande iſt; auch wird er mit feinem Einzigen
Verſe (es müßte denn eine jonderbare Veranlaffung feyn) weder
im Umgange, nod vor der Gemeine prangen; an ihnen aber
lernen, wie ftarfe, wahre, große Gedanken in die fürzefte, ftärkite
296 Sprache gefaßt werben, um als Edelgefteine in Golde zu glänzen,
das wird Er. Dazu ftellet ihm die Schrift felbft fo erhabne Lehr⸗
gedichte, ala das Buch Hiob, der Prediger und einige Pro-
pheten find, vor; dazu? find auch die Dichter erhabner Lehr-
gefänge, Mofes, David, Jeſaias, begeiftert. Die wahre Ode,
ja jelbft der Hymnus ift nur ein höheres Lehrgedicht mit
einem beftimmteren Plane, in einem höheren ? Fluge der Begeifte-
rung. (Wollen Sie mir bierinn nit glauben, fo lefen Sie _
Zwingli’s ſchöne Vor- und Nachrede zu feinem Pindar, und
Sie werben fehen, mie er jelbft diefen jo mythologifhen Dichter
einem “Theologen lehrreich finde.) Sie werben aljo die uns ange-
mefjenern Lehr- und Odendichter jo unfrer, wie andrer Nationen,
dadurch ehren, daß Sie wahre edle Gedanken in der erhabenften, .
Ihönften, Türzeften Sprache von ihnen ausdrüden lernen. *
Was das geiftliche Lied betrift, fo ift der Gebrauch davon,
wie ich ein andermal bereit? bemerft habe, dem popularen, praf-
tifhen Theologen noch ungleich nüslicher, als die erhabenfte Ode.
Das Gefangbuh ift die verjificirte Bibel für den gemeinen
1) der Epopee, der
2) Lehrgedichte an den Schriften Hiob8, Salomo's und ber Pro⸗
pheten vor, und dazu
3) ein erhabneres Lehrgedicht mit beſtimmterem Plane, im
höhern
4) die gründlichen und und angemeßenern .... ehren, daß fie wahre
edle Gedanken von ihnen in der .... Sprache lernen.
Herders fümmtl. Werte. XI. 5
— 6 —
Chriſten: fie iſt fein! Troſt, fein Lehrer, feine Zuflucht und
Ergötzung zu Haufe; in öffentlider Verſammlung follen Gejänge 297
und die Töne, die fie begleiten, wie aufichwingender Aether, wie
erquidende Himmelöluft ſeyn, die Seelen der Verfammleten zu
vereinigen und zu erheben. Was hiezu die Muſik, injonderheit
die höchſte von allen, Heilige Muſik, thun kann, läßt fich nicht
beichreiben, fondern empfinden. Sie rührt durch ihre Einfalt, fie
erhebt durch ihre Würde. „An der Muſik, fagt ein Autor, find
„wir weiter, als in der Poeſie, befonders nachdem Gott das
„erftaunenswürdige Inſtrument, die Orgel, bat erfinden laſſen;
„fe, die alle Sprachen redet, die mit der fühlen Lodftimme der
„Liebhaberin die Liebe Gottes in das horchende Ohr der Andacht
„haucht und feine Schreden in das Ohr des Tyrannen brüllt: fie,
„die vielftimmige Poſaune des Lobes Gottes, feiner jchallenden
„Wunder und ihrer eignen Majeſtät, der Ewigkeiten würdig.“
Wenn dies ift,? welden Gebrauch follten wir von ber Kirchen-
muſik machen! mit welcher Feierlichkeit und Würde jollten wir —
nicht die H. Cäcilie, fondern die himmliſche Andacht felbft auf
ihrem unfichtbaren Aethertbrone zu uns berabziehen und in unſre
heilige Berfannlung laden! ? — Erlauben Sie, m. Fr., daß ic
über Kirchenlieder und Kirchenmuſik, (emem Theologen doch immer
wichtige Gegenftände,) nad ber Lage unſrer Zeit Ihnen meine 29%
Gedanken etwas ausführlicher herſetze; ich weiß, Sie gehen gern
diefe nicht unnöthigen Schritte mit mir.
So wie bei allen Völfern der Gottesdienit eine Art Würde
und Feierlichkeit des Alterthumes gehabt und zu erhalten gefucht
bat, jo* follten aud bey uns die Spuren, die davon etwa noch
vorhanden ſeyn möchten, nicht gänzlich meagetilgt werben. Die in
der Mufif wie im Gefange, im Liebe wie in der Predigt bie
1) nütlicder und mannidfalter. Das Geſangbuch ift die belchte
Bibel für den gemeinen Ehriften, fein
2) ift, (und wer kanns läugnen ?) 3) berabziehen, herabladen!
4) Sottesdienft Altertbum, Würde, Feierlichkeit gehabt bat, fo
Sprache des Gottesdienftes und der Religion üppig und weiblich
machen wollten, follten eher verwiefen werden, ala jener Grieche,
der einige Griffe der Tonart weicher machte; — verwieſen nehm-
lich, nicht aus der Welt, fondern vom öffentliden Gebraude.
Was follen ung Gejänge, die der größefte Haufe nicht mitfingen
fann und — nicht veritehet? mas follen ung andre, die Nie-
mand ! fingen fann, meil fie zerhadt und durch fogenannte Ber-
ſchränkungen, (Enjambements) Reihab Reihauf geflidt find? Der
Kichengefang geht langſam und feierli daher; was follen
ihm Sprünge? Der Kirchengefang ift für die Menge; alfo
299 auch für die Bebürfniffe derfelben; für ihre Denk- und Schart,
für ihre Situation und Sprade. Sie follen bier zu Gott beten,
wie fie aus ihrem Herzen beten würden; nur veredelte Sprache
ihres Herzens. Ein Mufter? foll der Geſang feyn, das fic fi
aus eignem Triebe zum Mufter nähmen, weil fie allenfalla fo
innig fühlen, aber es nicht fo gut fagen könnten. Was follen fie
nun mit der gezierten Bücherfprahe?? mit der poetiſchen, oder
gar abitraften Tändelei? Und würden ihnen dazu ihre Lieber,
Gefänge, die von Jugend auf die Gefährten ihres Lebens und
wirtlih einmal, wie es aus ber Geſchichte ihrer Verfaſſer oft
bewiefen werden fann, die treuen Kinder der Noth, eine wahre
Herzenzfprache des Dichters felbft waren, würden biefe ihnen genom⸗
men oder gar verftümmelt; und ihnen dafür poetifche Exercitien,
müßige Reim- und Yugendübungen, die ohne Veranlaffung und
Beruf, ohne Noth und Trieb des Herzens, aus Muße, zur
Ergekung, oder gar aus Ruhm- und Modeſucht und für den Druder
zum Lohn gemacht wurden, in die Hände gegeben; * wäre Dies
ein billiger Taufh für Leute, denen doch eigentlih (denn Vor⸗
nehme, Reiche, Ueppige, Gelehrte, finden wenig Geſchmack an
1) fein Menfh 2) Herzend. Mufter 3) mit ber Bücherſprache?
4) und wirklich einmal ihrem Wefen und Urfprunge nad die treuen
Kinder der Noth und Herzensſprache waren; würden .... ober verflüm-
melt; und ihnen .... Jugendübungen, die ohne Veranlagung, Beruf, Noth,
Trieb .... gemacht wurben, gegeben;
5*
— 68 —
Kirchenliedern) denen doch eigentlich das Geſangbuch gehöret.
Sie trauen mir zu, daß ich hierüber ohne den mindeſten Reid !
ſpreche; ich glaube auch, Sie halten mich nicht für den Barbaren, 30
der manden Wuft unfrer Gefangbücher nicht mit Veradtung und
Mitleid fühlte; viele find ein zufammengefloffener — mas foll id
jagen, See? oder Sumpf? wo das Beite unter dem Schlechteften,
die Perle im Unrath? liegt. Man fchaffe aljo manden alten
Unrath 3 weg! feinem vernünftigen Menſchen wirds einfallen,
Dagegen zu ſeyn, daß Ochſen- und Taubentothhändler aus Dem
Tempel vertriebın und das Heiligthum gefäubert werte. Auch
iſts ganz ohne Zweifel, daß die beiten Gefänge der beiten Meifter
oft Stellen, Ausdrüde, Berfe haben, die für ung nidt mehr
jangbar find; Diefe thue man auch weg, oder befiere fie; aber
unvermerft gleihjam und gelinde Unvermerkt und gelinde;
nidt, daß man ftatt Ein Glied einzulenten, den ganzen Mann
alle Gelenke und Glieder, aus bloßer Wortziererei zerbricht, ihm
nit nur Bart und Haar, wie Hanon den Gejandten Davids,
fondern Nafe und Ohren, Daumen und Zehen, wie Og zu Baſan
feinen funfzig Königen verfchneibet und fie nun unter feinem Tifch
mit Brojamen ſpeiſet. Wie beicheiven waren die erjten Verfuche,
Spaldings, Zollilofers u. a. einer Sammlung feinerer Men-
ſchen aud ein feinercs Geſangbuch, infonderheit zum Privat-
gebrauch zu geben! und was für Licenzgen find darauf bie und 301
da erfolget! Habe ich doc ein Geſangbuch gefannt, wo es dem
Sammler erfter Grundjag war: „fein Lied ungeändert zu laffen,
nichts! aufzunehmen, was nicht geändert jey oder geändert würbe.“
Gar nicht die Frage mehr: ob zu ändern noth jey? ob es zu
ändern lohne? ob Leute, Die nichts, gefchmweige einen Geſang
Luthers befjern können, die Lebenslang nie von Poeſie geträumt
haben, ob Leute diefer Art die gewiſſermaaßen ſchwerſte Arbeit,
dem Geifte eines andern zu dienen und ihm ſanft aufzubelfen,
1) Neid oder Privatabficht 2) Strom 3) Mift
4) nichts dahin 5) ob fie bie
— 69 —
übernehmen können, übernehmen dörfen?! Bon allem feine Frage:
fie ändern aus gnäbigfter fpeciellee Commißion und man führt
ein. — Nun: wahrlih, chriftlicher und poetiſcher Geift läßt fich
nicht committiren, und die Sade Tann feine andre Folgen haben,
als die fie ſchon hat, nehmlih, daß Deutichland ein Babel wird,
wie von Dialekten und Herrfchaften, jo von Gefangbüdern und fo
Gott will, auch bald von neu überfegten Bibeln.?
Laſſen Sie fih, m. Fr., durch diefe neue Liebergeburten
nicht abfchreden,® den alten Gefang in feiner Würde und Einfalt
zu ftubiren und fortzulicben. Wir haben an ihm einen Reichthum
302 an Sprade und religiöfer Empfindung,* der ſich faft von den
Kirchenvätern beraberbet; und ich wünfchte, daß wir noch mande
von ihren Hymnen, nicht den Worten, fondern dem Geift nadh,®
in unfrer Sprade hätten. Selbſt das Mönchlatein der mittlern
Zeiten hatte manche Gejänge von einem Ton der Andacht, eier
und Demuth, der beinahe in unfern Spraden feinen Ausdrud
findet, wovon ich Ihnen ja nur das fonft elende: stabat mater
dolorosa, das jchredliche: dies irae, dies illa und mande andre
befannte Cantionen zu nennen brauche. Einige unjrer Lieder, Die
Luther u. a, überjegten, find aus ſolchem ältern Latein, und wenn
der Ausdrud bie und da zu veraltet ift, fo follte man ihm, dünkt
mich, nadhelfen, ohne, jo viel möglich, feine Kraft zu ſchwächen
und dem ganzen Liede® die Geftalt feines Alterthums zu nehmen.
Wer mird ein Strasburgifches Münfter oder eine notre Dame in
Paris zerftören, um ein lichtes Opern - und Lufthaus an feine
Stelle zu pflanzen? — --- In den Gefängen der Böhmischen Brüber ?
1) können, dörfen ?
2) Bibeln. Warum follte fich nicht auch jeder summus episcopus
in feinen brittehalb Meilen Landes feinen eignen Chriftus und Luther in
Proſe und Reimen felbft beftellen und fabriciren ?
3) neue Glättungen nicht hinweglocken, 4) und Empfindung
5) dem freien Geift und Ton nad, 6) B: Leibe (Drudfehler)
7) Bier folgt im Dife. durchſtrichen: „die ich Theils aus einer fchön-
gebrudten Ouartausgabe von 1566. theil® aus einer andern mit Horns
beſcheidnen Peränderungen kenne,”
ift oft eine Einfalt und Andacht, eine Innigkeit und Brüber-
gemeinjhaft, die — wir wohl laſſen müffen, weil wir fie nicht
mehr haben. Es ift Schade, daß aus biefen Bergen! nicht wenig-
ften® das Gold geſucht und etwa nah unferm Bebürfniß zum
gemeinen Nugen verwandt ? wird; doch vielleicht ifts auch beſſer, 303
daß ed für wenige Liebhaber aufbewahrt bleibe. Die Gefänge
Luthers, (ob einige gleich, melches ich jehr bevaure, zu Zeitmäßig
und perfönlih find,) einige ſehr ſchätzbare Lieder aus dem vorigen
und dem Anfange diejes Jahrhunderts find voll Melodie ,? und
Herzensſprache; man jpüret aber, daß es mit dem Kirchengejange
von Zeit zu Zeit abwärts gehe: er wird feiner und bie Kraft ver-
liert fi; lieblicher, und er hört faft auf, Chorgefang zu werben.
So, dünft mid, bat infonberheit eine befannte fromme Schule
Deutſchlands den Kirchengefang zuerſt entnerut und verderbet. Sie
ftimmte ihn zum Kammergeſange mit lieblichen weiblichen Melodien,
voll zarter Empfindungen und Tänbeleien berunter, daß er alle
jeine Herzen = beherrfchende Majeftät verlor; er warb ein ſpielender
Weichling. Ach fchreibe dies immer no mit Hochachtung gegen
Einige große Männer diefer Schule, die fih auch durch Gefänge
verdient gemacht haben; aber im Ganzen — auf Tändeleien ber
Art Tonnte wohl nichts als philofophiihe Kälte und poetifches
Schnigwerf folgen. Es ift übel, daß bei der großen Menge
ſchlechter Lieder, die in unfern alten Gefangbüdern find, die
guten faft nirgend in Einem zulammen, jondern hin und wieder
in Provinzialgefangbüchern abermals unter Wuſt fteden; ‘ und 301
viele ſolcher Art haben gar Nationalmelodien, ohne die fie Halbtobt
find. Eine Biene des chrifilihen Geſanges müßte alſo zuerft die
beiten aus allen Provinzen, felbft ohne den Unterſchied der Pro-
1) ®ruben 2) Nuten anders verwanbt
3) einige noch ſchätzbare Lieder .... voll von Melodie
4) Im Mie. folgt bier durchſtrichen: „So find die meiften von
S. Dad in Deutichland faft unbelannt, die doch, wenn man ihnen einige
Härten nähme, den beften neuern gleichfommen würden, ob fie wohl nicht
eben ganz im Evangelijchen Geift find. So iſts mit Alberti u. a. Liedern.
teftantifchen Religionen, mit ihren Melodien, alt und neu jammlen
und dies wäre die Grundlage eines guten Geſangbuchs für
Deutihland. Die ſchlechten müßten, ohngeachtet des Namens und
Standes ihrer Verfaffer weg- und auch aus den guten müßten
ſchlechte Verſe wegbleiben, denn viele find überdem zu lang und
das Schlechte weglaffen ift beffer, als jchleht verändern. Selbft
bei B. Gerhards, Speners, Franke, Scriverß, Freiling-
baufens u. a. Liedern wäre dies zuweilen nöthig; noch mehr bei
Angelus, Rifts, Heermanns, Hermanns u.a. Aus den
Neuern müßten nur die binzugethan werden, die ſangbar und für
die Gemeine verſtändlich; nicht aber die blos gereimte ! Abftractio-
nen ober poetifhe Tiraden find. Alle Aenderungen müßten nur
dahin abzweden, daß das Anſtöſſige weggethan, nicht aber dem
Berfaffer feine Farbe genommen, noch weniger das Lieb in unjre
Gedankenweiſe umgejchmolzen werde.“ Einige der neuen Berbeßrer
ſcheinen fich dies ftrenge Geſetz vorgefegt zu haben; ob es überall
305 glüdlich befolgt fey? 3 ift eine andre Frage. Kurz, einem praftifchen
Theologen iſts nöthig, daß er die beften alten und die beiten, oder
beftveränderten neuen Lieder Tenne; die Gegeneinanderhaltung beider
ift ein großes Stubium der Sprade und Empfindungsart über geift-
liche Gegenftände und die eindrüdlichiten Materien * der Predigt.
Was die Kirchenmufif anbetrift, jo haben wir ohne Zweifel
befiere und mehr befjere Kirchenftüde in Tönen, als in Worten ;
denn bei den gemeinen Kirchenfantaten ift der Text meiftens mit»
telmäßig oder elend. Hier haben wir noch vieles für die Andacht
zu wünſchen, ehe der goldne Traum Klopftods*) erfüllt wird.
Lejen Sie die Vorreden Luthers zu feinem Geſangbuch und was
*) ©. Klopftods Open, S. 227. die Chöre.
1) fangbar, für bie Gemeine verftändlich; nicht gereinte
2) nur feyn, das Anftößige mwegzuthun, nicht dem Verfaßer feine
Farbe zu nehmen, no .... umzufchmelzen.
3) ob ſie's überall glüdlich befolgt haben?
4) Gegeneinanderaltung iſt . ... Empfindung über geiftlide Gegen-
fände und die fchönften Materien
— nn —
er ſonſt bei aller Gelegenheit von der Muſik ſpricht, wie er ſie
nächſt der Theologie, als eine zweite Theologie preiſet, und
ſagen, was nach dieſem Begriff unſre Muſik des Gottesdienſtes
für eine andre Sache ſeyn könnte! Noch neulich habe ich dies an
Händels Meſſias aufs neue gefühlt und geahnet. O Freund,
welch ein großes Werk iſt dieſer Meſſias, eine wahre chriſtliche
Epopee in Tönen! Wenn Sie gleich von Anfange die ſanfte
Troſtesſtimme vernehmen und zur ! Ankunft des Meſſias in der 306
ganzen Natur Berg und Thal ebnen bören, bis fih Die
Hoheit, die Hoheit des Herrn offenbaret und alle Welt
ihn Shaut mit einander: wenn Sie die ſchauerliche Arie: wer
mag ertragen den Tag, wenn er fommt? und fein Läute-
rungsfeuer durch Ihr ganzes Weſen fühlen: und nun ber frö-
liche belle Bote erjcheint,? der mit feinem Lerchengefange Froh⸗
loden in Zion bringt und die Völker, die fo tief in den
Kreuggängen des Dunkels wandeln, nun jehn ein groß
Licht, bis der ganze helle Morgen anbridt; wenn ® ſodann das
Einzige Chor in feiner Art: es ift ung ein Kind gebohren,
alle Namen des Neugebohrnen wie Silbertropfen * vom Himmel
berabzählt, und plöglich alles fchweiget, und die fanftefte Hirten-
mufif Naht und Schlummer verbreitet — ? Sie wiſſen, m. Fr.,
mit Worten läßt ſich über alle dies nichts jagen. Hören Sie die
Arie: „er wird Hirte ſeyn: kommt her zu ihm, die ihr
mübjelig ſeyd“ hören Ste das Chor: „Sieh da ift Gottes
Lamm” und darauf denn das Herzdurchdringende Solo: „er
war verfhmähet: deine Schmach zerbrad fein Herz: ſchau
an und ſieh, ob irgend ſey ein Jammer glei jei-
nem Jammer“ und Alles, Alles was folgt, bis zu dem in
die Ewigfeiten hbineingehenden Hallelujah! ewig und emig!
Vernehmen dann nach einer furzen Pauſe das fanfte, gewiſſe: 307
1) TZroftesftimme, fodenn zur 2) und der .... Bote kommt,
3) Morgen da ift; warn 4) Xhautropfen
5) Schlummer macht und die Anlunft vorbereitet --
„ih weiß, daß mein Erlöfer lebt” und fühlen den allgemei-
nen Todesjhlaf und die Auferftehung und wenn bie liebliche
Trommete tönt, die ſchöne Frühlingsverwandlung, und hören
das Geſpräch jenfeit des Grabes:! Tod, wo ift dein Pfeil?
und abermal Alles, Alles, bis alle Chöre aus allen Welt- Enden
dem Preiswerthen Lamm Dank und Hoheit zu Füſſen legen,
auf ewig und ewig — hören Gie dies und haben nur einiges
Gefühl für Religion und Töne; wie werden Sie an mande
unſrer Kirchenmuſiken denten? Und doc ift alles jo einfach! und?
Worte aus der Bibel — ja Gottlob! nur Worte aus der Bibel;
feine |hön-gereimte Gantate. Leben Sie wohl.
308 , Sieben und vierzigfter Brief.
Das Wichtigſte und zugleich Gefährlichlte der ® Gedichte für
einen Theologen ftehet mir noch bevor, nehmlih die biblifche,
die hriftlihe Epopee. Wie bat ein Süngling unfers Zeit-
alters dieſe Dichtungen, die die gerühmteften Werke unferer Mufe
find, zu leſen, zu gebrauden? -Trauen Sie mir zu, m. Fr. daß
ih aud bier unpartheiiich nah meinem beſten Gefühl der Wahr»
heit reden werde.
Am menigften liefet man fie dazu recht, wenn man die Blu-
men ihrer Spracde lernen, und diefe in Liedern, Oden, Gebeten,
gar in Abhandlungen und Predigten anwenden will. Die epifche
Mufe Hat ihren eignen Gang, ihre eigne Sprade; zumal die
neuere Epifhe Mufe. Homer ift gegen fie ein Sind und bie
Profe riecht ihr zu Füſſen. Wollen Sie fi hievon überzeugen:
jo leſen Sie Klopftods Proſe. Nichts ift beſcheidner, fanfter und
wie ein Schriftiteller Sagt, Lammesfrommer als fie: fie fliegt nicht,
fie geht einfältig an der Erde. Ein gleiches ifts mit der Profe
309 Miltons und beiden großen Schriftftellern, die in beiberlei Styl
1) den Dialog über dem Grabe: 2) und nur 3) Das wichtigfte der
— 74 —
Mufter ſeyn können, geſchieht das empfindlichſte Unvecht,! wenn
unverſtändige Jünglinge die neugeſchaffne, hohe Götter- und
Empfindungsiprache derfelben zu einer Pandorenbüchſe maden, aus
der fie Scilvereien, lyriſche Gedichte, geradbrechte Lieder und
Empfindungen jhütteln, die ihren Verfaflern jelbft und ſodenn
einer Reihe, wie es heißt, fympathifirender Leſer allen gefunden
Blick über Sachen diefer Art und den eignen Ausdrud ihres Her-
zens rauben.? Im Felde der Theologie, im einfältigen Zuſpruche
der Homilie, des Gebets, des Kirchengejanges haſſe ich dieſe glän-
zenben Lappen auf den Tod. Sie find fremder Bettelftaat: Die
Worte kommen nicht von Herzen und gehn nicht zu Herzen: fie
find lau Waſſer, das jeder Gejunde von fich ſpeiet. —
Ein gleiches ifts mit den nachgeahmten Empfindungen einzel=-
ner Berfonen der poetifhen Fabel. Fühle fie mit, indem *
du fie Tiefeft: mache dir draus eigen, was, als Summe des
Eindruds, dir in der Seele bleiben fol; in deinen PVortrage
aber, von welder * Art er auch wäre, tändle, juble nicht nad).
Du bift feine der Weiber am Kreuz oder in der Arche, weder
Maria noh Eva, weder Cidli noch Kerenhapud. Der Erlöfer 310
will von dir nicht bejammert, bemeint, bejauchzet; jondern ver»
ftanden, geliebt, verfündigt und befolgt ſeyn. Laß Teufel und
Seraph, Eloah und Adramelech, den wimmernden und die wüten-
den Teufel ihre Sprache reden, rede du die Deine. Wie Gott
im Himmel befungen, wie der Erlöfer in der Hölle angefehn wird,
wife der Dichter; du lerne ihn anfehn und preifen, wie er fi
uns auf Erden, in feiner Natur, in feinem Wort offenbarte.
Eben jo ifts mit dem eigentlihen Fabelwerk des Dichters.
Als Dichter wars ihm nöthig; die Epopee muß Begebenheit in
Fabel verwandeln, fie mit Fabeln ausfüllen, rund maden,
beben und fränzen: der Theolog und Chrift muß das aber von
— — —
1) geſchieht die empfindlichſte Schande an,
2) Blick und eignen Ausdruck rauben.
3) indeß 4) aber, welcher
— 75 —
ihr nicht lernen. „Der Dichter, ſagt Klopſtock ſelbſt, mahlt einen
„hiſtoriſchen Grundriß nach den Hauptzügen aus, die er in demſel⸗
„ben gefunden zu haben glaubet. Zugleich weiß man von ihm,
„daß er dies für nicht mehr als Erdichtungen ausgiebt.“ Er
will alſo ſelbſt, daß wir, was er zu finden glaubte, ſuchen
ſollen, ob auch wir es finden? und ja, (wie er bald in der Folge
hinzuſetzt) Erdichtung und Wahrheit von einander ſondern.
311 Ein ſchwacher Kopf iſts, der beides für Eins nimmt, der aus
Klopſtock lernen will, wie Chriſtus gen Himmel gefahren ſey und
die Welt erlöſet habe? ein ſo ſchwacher Kopf, daß Klopſtock kaum
glaubt, daß ſo was im Ernſt geſagt oder in ſeinem Gedicht geſucht
werden könne. Er will, daß man auf ſeiner Hut ſey, Geſchichte
und Gedicht, ſelbſt nicht im Leſen, im Feuer der Einbildung
und Mitempfindung ſelbſt! nicht, zu verwechſeln, geſchweige im
bleibenden Eindruck; und es iſt ein läſterndes Lob, das ? ihm ein
Epigramm gemacht hat, daß Gott zwei große Tage der Welt gege-
ben, Einen, da der Meffias erlöfete, den Zweiten, da SKlopftod
feine Erlöfung fang. Hätten wir ftatt Vier, nur Einen Evan»
geliften; er würde das Lob verachten und gewiß verachtets ber
beſcheidne, edle Dichter, der Dichter und kein Evangeliſt ift.? Er
vergleicht fih*) nur mit dem dogmatifchen oder moralifhen
Denker, der aus den biftorischen Wahrheiten der Religion Folgen
berleitet: „fie dachten, jagt er, auf verſchiedne Weiſe, über bie
„Religion nad.” Wie ih nun den Dogmatiker prüfe: ob er recht
312 folgert? jo Tann, jo darf, fo muß ich den Dichter prüfen, ob er
für mein Auge recht jah? Wie bei jenem zwiſchen Wahrheit und
Folge allemal ein Unterſchied bleibt; fo bei diefem * zmifchen der
biftorifchen Wahrheit, wie fie dafteht, und der Dichterifchen 5
Fabel, die er erfann; gefegt, daß er fie ſich auch als mögliche,
*) S. Abhandlung von ber heiligen Poeſie vor dem Meſſias.
1) Feuer der Einbildungstraft felbfi 2) läfternder Wib, den
3) beſcheidne Dichter, der Dichter und Fein göttlicher Evängeliſt ift.
4) dieſem (Hier hinkt die Bergleihung ziemlih) 5) AB: bichtrifchen
wahrſcheinliche, ja wenn gar ala wirkliche Wahrheit dachte. Was
fann der Lefer dafür, wenn er fih etwa folden! Satan und
Adramelech, ſolchen Triumph Chrifti über diefelben, ſolchen Eloah
und Ababonna ſolche Verrihtungen und Geſandſchaften derſelben,
ja fogar einen ſolchen Verjöhner und Verſöhnten, Gerichteten
und Richter, eine ſolche Erlöfung und Verföhnung nidt denken
könnte? Gnug, daß er fich dies alles zu denfen bemühte, wie
Er es in der Bibel fand und über alle das furchtfamer denket,
wovon er nichts in? der Bibel findet u.f. Der Dichter Bat ihm
alles dies zugegeben, ſobald er jein Werk, die Ausmahlung bib-
liſcher Gegenftände, Erdichtung nannte: als ſolche will er
fie aud allein gelefjen und beurtbeilt haben? Das ſchöne
Gemählde 3. €. der Angelila vom Befeflenen und dem milden
Sohannes ift Klopftods und ihr Bild; nicht ein Gemählde Lulas,
des Mabhlers.*
Wenn aljo ein Lobrevner faget: „Rlopftod babe die Bibel 313
„verfhönert! Jener Prophet, diefer Evangelift würde, wenn
„er feinen Meſſias läfe, ihm danken, daß er diefen Gefang, jene
„Geſchichte alſo verfhönert habe:“ jo achten Sie, m. Fr., auf
den Aberfinn nicht, den jeder gejunde Verftand und der Dichter
jelbft verſchmähet.“ Bibel und Gedicht, Filtion und Geſchichte
jtehen in feinem Betracht auf gleihem Grunde: der Dichter jelbft
wird erwürgt, wenn man ihn als Verbeſſerer der Bibel, als
Gefchichtichreiber behandelt. Sie, bitte ih, leſen Klopitod,
Lavater, Bodmer und mer fonft über Geſchichten der Bibel
gedichtet Hat, ja nicht, damit Sie die Bibel aus ihnen ver-
1) ſich ſolchen
2) Gnug, daß er ſich die letzten Stücke dächte, wie Er ſie in der
Bibel findet und über die erſten furchtfamer dächte, weil er nichts davon in
3) alles zugegeben, wenn er .... nennet: als folde will er fie aud)
allein geleſen, beurtheilt haben.
4) it Klopſtocks, nit der Bibel — — 5) Hat
6) alfo verſchönert:“ fo Hören Sie, m. Fr., einen Aberfinn, den
jeder gejunde Verſtand verfchmähet.
— 7 —
ſchönern; ſie aus- oder vielmehr mit dem Dichter anſchauen und
betrachten lernen — ! das mögen Sie, wenn ſich die Vorſtellungs⸗
art des Dichters mit der Ihrigen paaret. Vergeſſen Sie aber
auch bier nit, daß es nur Borftellungsart, d. i. Ihre? und
des Dichters Einbildung fey, wenn Sie, was nicht daſteht,
binzuthun, wenn Sie, was im eignen Umriß der Evangeliften
daftebt,? jo und nicht ander ausmahlen. Meine Warnung
biebei erſtreckt ſich auf Alles, was zum Gedicht gehöret, aufs Thema
und den Gang der Handlung, auf Perjonen und Meinungen,
auf Empfindungen und Charaktere.
314 „Alſo auch auf den Gang der Handlung, den dod die
„Bibel felbft dem Dichter vorzeichnete?" Mich dünkt, ja: ich fage
aber nur meine Meinung. Wenn ih mir 3. B. an der Ber-
fühnung, der Erlöfung, dem Gebet Chriſti in Gethjemane, dem
Richter, dem Satan u. f. nicht das dächte, mas der Dichter an
ihnen fchildert: wenn ich mir am Leben Chrifti bei jedem Umſtande
auch nicht die Farbe dächte, die Lavater daran fiehet: jo bin
ich hierüber ganz ruhig und nehme blos und allein die Bibel zu
meinem Gewährömann. Im Gange der äußern Begebenheit hat
die Epopee der Geſchichte folgen müflen: * Klopſtock fonnte die Bege-
benbeit nicht herkommen laſſen, wie fie Homer herlommen Täßt,
der über eine mündliche Sage, eine felbft fchon zur Fabel gemordne .
Geſchichte dichtete. Beſcheiden ließ er alſo ftehen, mas fteht, und
1) Klopftod ja nit, damit Sie die Bibel aus ihm verſchönern;
fie aus⸗ oder vielmehr mit ihm empfinden lernen —
2) Borftellungsart, ihre 3) im Umriß baftebt,
4) Meine Warnung erftredt fih auf Alles, Wert, Thema, Gang ber
Handlung, PBerfonen, Meinungen, Empfindungen, Charaftere.
„Alſo auch auf Wert? Gang der Hanblung, den doch die Bibel
vorgezeichnet?” Mid; dünkt, ja: ich fage aber nur meine Meinung. Ich
vente mir nicht an der Verſöhnung, .... dem Satan, was ber Dic-.
ter am ihnen ſchildert: fo kanns, fo wirds mehrern feyn; bierüber ift die
Bibel allein Gewährsmann. Im Gange der äußerlichen Begebenheit
bat die Epopee einer fehr genau und umftänblich befchriebenen Geſchichte
folgen müſſen:
— 78 —
wollte ſeine Dichtung der Geſchichte! nur anfügen, nur zmifchen-
ſchieben. Dies ift jo auffallend, daß man die bibliiche Begeben⸗
beit ? aus ihm berausheben könnte und die Dichtung, das Werk
feiner Mufe, ftünde in einzelnen Situationen beinahb ganz da
Cidli und Semida, Abdiel und Abadonna, die fterbenbe
Maria, Porcia und Solrates, die auferwedten Eriheinen-
geriht, Himmel und Hölle endlich, gejchweige die einzelnen
Gejänge und Thaten der eingeflodhtenen Perfonen fönnen allein
gelejen werden, weil fie fo eigentlich doch an dieje biblifche Geſchichte
nicht ? gefnüpft find, daß diefe ohne jene nicht verftändlid wäre.
Kurz, m. Fr., Sie fehen, die Handlung, d. i. der ganze Gang
der Epopee des Dichters und die bibliide Geſchichte find zwei
ganz verfchiebene Dinge, die nur ein ſchlechter Leſer verwirrt und
verwechfelt. Sn der Republil des Plato —
Doch wir find ja beide nicht in ber Republik des Plato;
lofien Sie mid alfo Hinter diefen Warnungen aufrichtig jagen,
wie ih das Leſen Klopftods, Miltons, Bodmers und welches bib-
lichen Dichters Sie mehr wollen, jedes in feiner Maaffe, gut
und nußbar glaube. Der erſte Epifche Dichter des Chriftenthums
in einer neuern Sprade, Dante, zeigt und, mie mid bünlt,
ziemlih genau die Shwäden und Kräfte dieſer poetifhen
Gattung, meil wir ihn, als einen alten Mönchspichter, jebt
ganz * unpartheiiſch anſehn und beurtbeilen. jedes Kind und jeder
Weiſe Ipriht von ihm: „Schade der vortrefliden Stellen! fie
1) Er mußte freilich alfo ftehen laſſen, was fteht, und die Dichtung
ber Geſchichte
2) Geſchichte
3) gefchmeige ihre Sefänge und Thaten, können allein gelefen werben,
weil fie fo eigentlich an dieſe biblifche Geſchichte Doch nicht
4) Miltons, Dante, Bobmers .... in feiner Maaffe herrlid-nutbar
glaube! Dante, der erfte ...., Sprade zeigt uns, dünkt mich, bie
Shwäden und Kräfte diefer Gattung im unzmweifelbafteften Lichte,
weil wir ihn, als einen alten Mönchspichter, ganz
den, das Gericht auf Thabor, Adams Traum vom Welt⸗ 315
— 79 —
316 „machen fein Ganzes. Seine Beſchreibungen, Charaktere, Natur-
„gemählde, Gleichniffe, einzelne Geſchichten leben: feine Sprade ift
„einzig, fie fchlingt fich jedem Gegenftande, hoch und niedrig, gut
„und ſchlecht an, fie geht. mit ihm durch Fegfeuer, Himmel und
„Hölle. Ueberdem ift der Dichter voll Gelehrfamfeit, voll der
„treflichſten moralifchen Gefinnungen; beinah eine Encyklopädie des
„Wiffens feiner Zeit — 1Schade aber, es macht Alles für uns
„fein Ganzes. Sein Fegfeuer ift blos unter dem Tritt der fort-
„gehenden Zeit in Aſche verfunfen: viele feiner Situationen im
„Himmel und Hölle gleichfalls, in denen er fich doch dem frengften
„Ueblichen feiner Zeit bequemte. Die Zufammenfaffung,
„die Haltung, gejchweige der Rahme vom Bilde, kurz die damals
„geglaubte religiöſe Wahrheit vieler Gegenftände ift für uns dahin;
„nur einzelne Stüde, Figuren und Situationen daraus intereffiren
„uns, ala ob fie noch vor uns fünden und dies find die ewig -
„bleibenden, fich immer miederholenden Situationen der Menſch⸗
„beit; das andere ftudiren wir der Gelehrſamkeit, der Kunft, des
„Ausdruds wegen, wie man ein altes Kunftwerf ftubiret u. f.*
So urtheilen wir jebt alle ziemlich .einftimmig über den Epifchen
Dichter der Hölle, des Fegfeuerd und des Paradiefes und mie
317 über ihn das Urtheil der Zeit zur völligen Rechtskraft gekommen
ift: jo follen, jo dürfen wir auch bei neuern Dichtern, Milton,
Klopftod u. a. feinem Wink folgen. „Nuge nehmlich, fpricht es
zu uns, im Einzelnen das viele, zerftreuete Gute, Große und
1) „Schade aber, es macht Alles kein Ganzes. Sein Fegfeuer ift für _
‚uns 5108 unter dem Tritt ber ftillfortgehenden Zeit burchgefallen: unzähliche
„feiner Situationen in Himmel und Hölle gleichfalls, in denen er ſich doch
„nach dem firengften Ueblichen feiner Zeit bequemte. Die Zufammen-
„fFaffung, die Haltung, gefchweige der Rahme vom Bilde ift für uns
„dahin; wir Iefen nur einzelne Stüde, Figuren, Situationen, daraus,
„das andre fludiren wir, um daran zu lernen u. f.“ Wie nun in biefem
Fall das Urtbeil der Zeit zur völligen Rechtskraft gelommen ift: fo follen,
fo bürfen wir ihm auch bei neuern Dichtern, Milton, Klopftod u.a.
(Taßo gehört gar nicht hieher) folgen: nehmlich, „nuße im Ginzelnen das
unendlich viele, zerftreuete, fihere Gute, Groſſe und Schöne; um das
— 80 —
Schöne, das beine Dichter dir darreihen; um das Andre, was
du mit deinem Lehrbegriff, mit deiner Schriftauslegung nicht zu
verbinden weißt, befümmere dich nit, thue als obs nit Da
wäre. Das Ganze aber ſtudire ale Kunftwerf, als Dichtung.
Bon Milton z. E. darfft du nicht eben lernen, wie Gott philoſo⸗
phirt, wie Engel zu Felde ziehn und der Teufel Brüden ſchlägt;
du Haft anug an feinem menſchlichen Gefichtäfreife, an feiner
paradiefifchen Seligleit und Liebe, feiner traurig» frölichen Ausſicht
in bie fihtbare, uns geoffenbarte Ferne, endlich an feiner berr-
lichen Sprade und Versart, wie an dem durchhingehenden männ⸗
lich = eveln Geift des alten Barden. So ift Bodmer voll Moral:
er bat die vielfachften Kenntniſſe, Sinnfprüde, Fabeln und Dich⸗
tungen aus fremden Landen und Köpfen in feine Gebichte ver-
webet: jo daß man fie bierinn oft als mofaifche Arbeit betrachten
fönnte.! Klopftod endlich — leſen Sie feine Vorrede von der
heiligen PBoefie und jehen, worauf Ers felbft anträgt. Mora-
liſche Schönheit, ftille Erhabenbeit, die die ganze Seele 318
beweget, einfältige Würde und ernfte Lieblichkeit, bie
den mädtigften Eindrud nadlafien, find fein Zmed; und wo
er ihn erreichte, bat ihn vielleicht feiner, wie Er, erreihet. Die
Anlage feines Gedichts ift ein Werk der Jugend; aber auch bie
beiten Scenen feiner erften Gefänge find ein Werk derjelben, die
erfte friſche Blüthe feines Geiftes, die erſte überftrömende ? Fülle
eines fanften, zarten Herzens. In den folgenden Gefängen wird
Andre, was bu mit deinen Ideen, mit deinem Lebrbegrif, .... thue als obs
nicht in ber Welt wäre; das Ganze aber ftubire als Dichtung, als Roman.
Die neuere Epopee ift überhaupt mehr dem Roman, als der alten Epopee
ähnlich. Siehe fie alfo als eine Jagd, oder als einen Markt an, wo bir
Alles zwar nicht in der firengften Verbindung zu Einem daſteht, doch
aber fo viel Angenehmes, Nutzbares, Vortrefliches aufſtößt. Bon Mil-
ton 3. €.
1) Geift des göttliden Sänger. So iſt Bodmer voll Moral und
eingewebter vielfacher Känntnig, wie Sulzer in feinem Wörterbud oft
gezeigt bat.
2) derjelben, voll erfter Blüthe und überſtrömender
die Sprache vefter, der! Umriß firenger; und poetifch ftubirt hat
der Dichter feine Geſchichte, wie fie gewiß menige ftubirt haben.*
Einzelne Scenen aus der Bibel, 3. E. die Jünger nah Emahus,
die Neue Judas u. f. find faft bis zur? Täuſchung auögemahlet:
Sprade und Bersart find neugefchaffen, taufendgeftaltig, ernft und
lieblih. Die dem Meffias eingemwebten Hynmen voller Begeifterung, *
und im Ausdrud der ftillen Majeftät, der janften Güte ift Klop⸗
jto vielleicht der erfte Dichter. Leben Sie wohl.
319 Beilage.
Bafo’3 Gedanken über Poeſie und Theologie.
Alle menfchlihe Lehre theilt ſich nad dem drei Kräften unfrer ver-
nünftigen Seele, die ihr Sit ift, in Gefchichte, Poefie und PBhilofophic.>
Die Gefchichte gehört dem Gedächtniß, die Poefie der Einbilbung, die Phi-
Tofophie der Bernunft. Auch die Theologie, ob fie wohl höheren Urſprungs
und Inhalts ift, lann doch von ber menſchlichen Seele nicht anders als in
diefen drei Eellen und Behältniffen gefaßt werden, wie ein und daſſelbe
Gefäß verſchiedne Säfte, durch verſchiedne Deffnungen, in fih aufnimmt.
Sie beſteht alfo aus der Beiligen Geſchichte, aus göttlihere Poeſie,
wie 3. E. die Barabeln, und aus einer ewigen Philofophie, welches ihre
Pflichten und Lehren find.
Die Poeſie gehört der Einbilpungstraft, die fehr freie Trennungen
und Verbindungen der Dinge Tiebet. Sie ift nicht Geſchichte, fondern eine
willkührliche Nachahmung berfelben, historia ad placitum confieta. Die
erzäblende Dichtung ahmt gefchehene Dinge bis zur Täufhung nad, erhöht
fie aber öfters über die Glaubmwürbigfeit. Denn da bie finnliche Welt unter
390 der Würde unfrer Seele bleibt, fo giebt ihr da8 die Poefie, was ihr bie
Geſchichte verfaget; befriedigt ba8 Gemüth mit Schatten der Dinge, ba bie
arme Wirklichkeit es nicht befriedigen kann. Eben die Poeſie zeigt, daß
1) Sprade und ber
2) gewiß niemand zu unferer Zeit flubirt Bat.
3) find beinahe zur
4) Seine auch dem Meßias eingewebten Hymnen find VBegeifterung
5) Poeſie, Philofopbie. 6) Geſchichte, göttlicher
Herders fännmtl. Werte. XI. 6
— 82 —
unſre Seele zu einer hellern Größe, zu einer volllommenern Ordnung, zu
einer? ſchönern Mannichfaltigkeit gemacht ſey, als ihr die Natur nach dem
Fall gewähret. Deßwegen bichtet fie größere Thaten, gerechtere Folgen,
eine fehönere? Abwechſelung, als die Geſchichte zeiget. Es ift etwas Bött-
liches in ihr, meil fie die Seele erhebt, den Lauf der Dinge uns unterwirft,
nicht aus dem Lauf der Dinge, wie Vernunft und Gefchichte fodern. Sie
fhmeichelt alfo dem menfchlihen Gemüth und infonderbeit mit der Zon-
tunft® vereinigt, bat fie große Gewalt über daſſelbe. — Die Dramatifde
Boefie it eine anſchaubare Geſchichte; fie hat einen Schauplag, der fo groß
als die Welt ift und Könnte ſehr auf die Sitten wirten, wenn fie bazu*
gebraucht würde. Kluge Männer und große Philofophen haben fie für ein
Saitenfpiel der Seele angefehen: denn es ift ein Gebeimniß ber Natur,
daß die Menfchen in der Berfammlung mehr bewegt werden, und ben Ein⸗
drüden offener ſtehen, als wenn fie allein find. — Die Parabolifche Poefie
endlich iſt gleichlam mas Heilige8 und Erhabnes, wie fie denn auch bie
Religion felbft gebraucht, den Menſchen Göttliches mitzutbeilen. Sie ift
indeffen auch durch Teichtfinnige, üppige Köpfe befledt morben.
Die Allegorie ift von einem zwiefacdhen, einander entgegenftebenden 321
Gebrauch: bald dient fie zur Hülle, bald zur Erläuterung: bier ent-
hüllet und lebret, dort verbüllet fie und Eleibet ein. Als Lehre haben fie
infonderbeit die Alten häufig gebraudt; denn, da die Erfindungen und
Schlüſſe der menſchlichen Vernunft, die uns jett befannt und geläufig find,
damals neu und ungewohnt waren, und faum gefaßt wurden, wenn man
fie nicht ſinnlich machte: fo erfchienen fie in folden Bildern, Fabeln, Para⸗
bein, Räthſeln und Sprüden,5 wie z. E. Menenius Agrippa durch eine
Fabel das Römiſche Bolt zufrieden ftelltee Wie die Hieroglyphen älter
find, als die Buchſtaben; fo find die Parabeln älter ale die Beweisgründe.
Noch jetzt und immerhin wird diefe Kraft den Parabeln bleiben: denn kein
Beweis, kein wahres Erempel ift fo deutlich, fo anfchaulich mie fie.
Der zweite Gebrauch der Parabolifchen Boefie ift zur Hülle; zur
Einhillung der Saden, deren Würbe einen Schleier fovert. So bat man
Geheimnifje der Religion, der Politit und Pbilofophie in Parabeln und
Sabeln gekleidet, und die Schriften diefer Art finb von menſchlichen Merten
bie älteften; auch die, die fie aufgefchrieben, haben fie nicht erfunden. Es
ift ein zartes Lüftchen, das aus ben Trabitionen älterer Völker die Flöte 322
der Griechen berührt Bat. — Sonft ift die Poefle eine Pflanze, die von
1) Größe, einer .. Orbnung, einer 2) Folgen, ſchönere
3) und mit der Tonkunſt infonberheit
4) Schauplatz, fo groß als die Welt und Fönnte ..... wenn fie fo
5) Räthieln, Sprüden,
— 83 —
0
der üppigen Erbe ohne Samen hervorſchießt, ſich weit ausbreieet und über
andre Wiſſenſchaften emporwächſt. Sie iſt ein Traum der Wiſſenſchaft und
Wahrheit: ſüß, mannidfaltig,t fie hat mas Göttliches in ſich, wie alle
Träume; aber man muß auch aufwachen und in den Aether ver wahren
Wiſſenſchaft Hinaufftreben.
Die wahre Wiffenfchaft if, wie die Waſſer, eines doppelten Urfprung®:
vom Himmel umb von der Erde: jenes ift die Theologie, dies die menfch-
lihen Wiſſenſchaften. Das Meer der Theologie befährt man nur fidher im
Schif der Kirche, mit dem Magnet der Offenbarung: die Sterne ber Pbilo-
fopbie find bier nicht hinreichend u. f.
323 Acht und vierzigfier Brief.
Aus den ätherifhen Feldern der Poefie Tommen wir wieder
zum fihern Boden der Geſchichte. Baco vergleicht, ich weiß nicht
melde Hiftorie mit dem Bilde des Polgphemus, dent fein Auge
fehlt; der Kirchengefchichte fehlt die Auge gewiß, wenn fie nicht
- ala lebendiger Commentar des Wortes und der Regierung
Gottes betrachtet, und lebendige Menſchen kennen Iehret. Alle
Saffificationen von Kaifern, Königen, Biſchöfen, Kebern; Die
leeren Titel von Concilien, Synoden, Lehren, Schriften find
Fächer, in die man etwas legen, aus denen man aud nchmen
fann, wenn — etwas drinnen ift, wenn Lehrer und Buch es
darein legen. Nicht der ift ber beſte Leſer der Kirchengefchichte,
der alle diefe Saden auf der Schnur hat; (auch Spielzeug und
Glasperlen fann man auf der Schnur haben) fondern der Kleinode
befist, (falls er fie auch nicht immer bei der Hand hätte,) der fie
uns zu zeigen nicht vorenthält, aber auch das Beite mit ihnen,
ben Geift? der Geſchichte, Regeln ihres Gebrauds uns
394 mitſchenket. Ein lebendiger Lehrer ift bier inſonderheit nutzbar:
denn die beite Lehre ift fein mündlicher VBortrag,? die Art,
1) mannicdfalt,
2) ihnen, Geift 3) Bortrag felbft, .
6*
— HA —
wie Er Monumente, Begebenheiten, Perſonen, Schriften, Sachen
behandelt und anſieht. Die Bücher, die in unſern Händen
find, ſind meiſtens nur Compendien, trockne Auszüge und Weg-
weiſer. Selbſt kann der. Zehrling no nicht zu allen Quellen,
Geſchichten, Begebenheiten und Ketzern laufen oder fie prüfen: !
ein ſchriftliches Urtheil in ein paar Worten hilft auch nicht viel
und ift oft kaum dem Weifern,? der felbft gelefen und geprüft
bat, verftändlid. Alfo gehört zur genaueften und vielfachſten aller
lebendigen Wifienfchaften, der Hiftorie, au ein zcopwr db. i. ein
Einfehender, der ? erfenne, durchſchaue, lehre.
Die Compendien dieſer Art, größere und Hleinere, über das
A. und N. T. Tonnen Sie in allen mehrmals angezeigten Bücher-
regiftern finden; dahin will ih Sie hierüber, wie über* die
Schriften von Gonnerion der Bibel mit der weltliden
Geſchichte, über die Hiftorien der Kaifer, Könige, Con—
eilien, PBatriarden, Päbſte, Keger und Kirhengebräude
Einmal für alle verwiefen haben. Mosheims Kirchengeichichte
bat ein paar gute Ueberfeger und litterarifche Bereicherer erhalten; 325
Baumgartens, Pfaffs, Jablonski, Walde, Cotta u. a.’
Kirchengeſchichten find bekannt und aud in ihren literariihen An-
zeigen nützlich.“) Auch einzelne Fachwerke ber SKirchengefchichte,
Päbſte, Concilien, Duellen bat Wald mit feiner befannten
literariichen Genauigkeit abgehandelt,* und feine Geſchichte der
Keger ift, wenn fie vollendet wird, das vollitändigfte, deutlichite,
ficherfte Buch, das wir über diefe Materie haben. Semmlers
2) Spittlers Grundriß der chriftlichen Kirchengefchichte (Göttingen
1782.) verdient vor allen vorbergenannten das Stubium eines jungen Theo-
logen. Auch in ven Fleinften Zügen ift er ein reiche® Gemählde voll Gelehr-
famfeit und feinen Urtbeile.
1) Begebenheiten, Ketzern, Schriften laufen und fie prüfen:
2) oft dem Weifern nur, 3) ein Wißer, (150000), der
" 4) bierliber,, über 5) erhalten: Jablonsti, Eotta u.a.
. 6) Walch Bat eimelne .... Quellen, abgehandelt,
— 868 —
Verdienſte in der Kirchengeſchichte, zumal in der Geſchichte der
Meinungen, Lehren, der Auslegung u. f. find unverkennbar;
feine meiſten Schriften aber fodern einen gejeßten, prüfenden Leſer,
der fie um fo reichliher nuten kann, meil er in ihnen einen
Vorrath von Excerpten und vielen Anlaß! zum Denken zugleich
findet. Arnold warb der Geſchichte nützlich, nicht allein durch
das, was er fchrieb, ſondern noch vielmehr durch das, mas er
veranlaßte: ein Gleiches hat Semmler bemwirtet.?
326 Zuerſt, m. Fr., halten Sie ſich in der Kirchengefchichte recht 3
veft an das Compendium, das Sie mählen und an ben Vortrag
Ihres Lehrers darüber: bei der Geſchichte ift Memoria localis des
Hauptbuchs oder der Hauptbücdher vorzüglich nöthig.* Frühes Um⸗
beripagieren macht fonft auf Lebenslang Verwirrung. Wenn Sie
fh auf dieſe Weife in den vornehmften Gängen des Gebäubes
auch chronologiſch veſtgeſetzt und fich Die rechten Denkzeichen ficher
gemacht Haben: jo können und mögen Sie einzelne Ausſichten
verfolgen, denn freilich das Bildendfte der Geſchichte ift nicht ihr
Allgemeines , fondern das Beſondre. Da wird fie harafteri-
ſtiſch: da fiehet ınan Fußftapfen Gottes in Begegnifien, Zufällen,
Gaben, Tugenden und Fehlern: da ftärkt man fein Urtbeil, fei-
nen Glauben und Charakter. Einzelne Lebensbeſchreibungen
merfwürbiger Perfonen, wenn ihr Leben gut, treu, tief, zumal
von ihnen felbft beichrieben ift, dienen biezu am meiften.d Man
macht fih nehmlih aus dem allgemeinen Abriß der Gefchichte
befannt: wo die Perfon ftand? und was fie etwa im Zufammen-
bange des Gemähldes der Gefchichte, menigftens nah ® Angabe
— —— —
1) Leſer, fie find auch wegen ihrer Fülle und Trockenheit ohne Com⸗
mentar für einen Anfänger nicht wohl zu brauden. Gin Geübter kann
fie um fo reichlicher nugen, weil er in ihnen Vorrath und Anlaß
2) veranlafßte. („ein — bewirtet.” fehlt.) 3) Sie ſich recht
4) bei der Gefchichte ift dies infonberbeit und beinahe Memoria......
Hauptbücher nöthig.
5) ift, find bier wohl das Erſte, was anzuratben wäre.
6) des ganzen Gemähldes nad
— 86 —
dieſes Buchs, dieſes Lehrers, bedeutet haben ſoll? und betrachtet
fie ſodenn als Portrait einzeln. Man wohnet mit dem Manne 327
eine Zeitlang, lernt feine Beweggründe und Triebfedern, aus eig-
nen Schriften und Handlungen, wohl gar aus jeinem
Selbſtbekänntniß fennen, ſtudirt injonberheit an ihm die Flei-
nen Züge, mo fi der Menſch, der einzelne Menſch, verräth:
hieraus bildet fih allmählih ein Bild und Urtheil. Man lemt
bafien oder lieben, bewundern oder verachten; allemal aber lernt
man. Sie fehen, m. Fr., Elogia, Lobreden und Leichengedichte
find hiezu nicht tauglid. Da fit der Mann auf einem Trag-
jefjel oft ohne Beine, oder liegt in feinem Leichenhabit im Sarge:
da kann man ihn nidt, wie er ift und war, kennen lernen.
Hiſtoriſche Ideale find als Romane nusbar: fie firengen an, fie
muntern auf, fie zeigen injfonderheit die Seele deß, der fie aus-
dachte; ich Liebe aber! ungleih mehr Portraite als ideale,
beftimmte Handlungen ala Allgemeinfäge, kleine, unvermerfte
Charalterzüge, als alles Gerede darüber. ft eine Lebensbe-
jhreibung enblih gar von der Art, daß fie weber Ideal noch
Bild giebt, jo wird fie fehr langweilig, oft unausftehlid. Man
weiß nicht, was man liefet und je weiter man fommt, je mehr
füngt e8 an zu fehlen. Für den Regifter - Lericon= und Chroni-
fenjchreiber ift ein ſolches Leben jehr brauchbar; aber nit für 328
den Schüler der Theologie, für den unbefangenen Philofophen
einer Geſchichte der Menjchheit.?
Einige jehr merkwürdige Leute jchrieben ihr Leben ſelbſt; und
es ift zu beflagen, baß wird von einigen, felbjt Griechen und
Römern verlohren haben. Ich will nur von der chriftlichen Epoche
reden; dod mich nicht eben an die Theologie binden.” Augu—
ftins Confeßionen, die Ihnen ohne Zweifel jchon belannt find,
wurden auch dadurch nütlih, daß fie Petrarka's Confeßionen
veranlaßten, welche letzten eine intereffante Schrift find. Sie haben
1) indeßen 2) brauchbar. („aber — Menfchheit." fehlt.)
3) reden. („do — binden.“ fehlt.)
— 87 —
mit zu ben lehrreichen Memoires de Petrarque beigetragen, aus
denen man dieſen für alle Wiflenfchaften merkwürdigen Mann von
fo vielen Seiten Tennen lernet.*). Cardans, Buchanans,
Thuans, noch mancher andern eigne Lebensbeſchreibungen gehören
zwar nicht hieher; die erfte aber ift für einen geſetzten Mann,
wenigſtens als eine pſychologiſche Seltenheit merfwürbig.! Huetü
commentarius de rebus ad eum pertinentibus find bie und da
329 kleinlich; aber Iehrreih und angenehm, ſowohl für den Theologen
. 12,493.
als PHilologen.? Peterſens Leben von ihm felbft beihrie-
ben (ich fchreibe, wie mirs ing Gedächtniß kommt) zeigt den lie-
benswürbigen, Geiftvollen und kindlichen, nur über gemifje Punkte
ſehr ſchwachen Mann in feiner ganzen Geftalt und dabei lernt
man mande andre neben ihm fennen, denen es nicht eben zur?
Ehre gereichet. Don des Antiſtes Breitingers Leben hat Pfen-
ningers Chriftlihes Magazin einige merkwürdige * Aufläge
gegeben; es wäre gut, mern es mehrere der Art liefern Fönnte.**)
*) Sie find in einen jehr guten Auszuge überfett: Nachrichten
zu dem Leben des Kranz Petrarka aus feinen Werten und
ben gleichzeitigen Schriftftellern, Lemgo 1774. u. f.1
**) (58 bat einige andre 3.8. Detingers Leben, fo wie das Wir-
tenbergifche Repertorium Johann Balentin Andreä Leben aus befien
eiguer Beſchreibung geliefert. Es wäre gut, wenn ein eigned Buch bie
LebenShbeichreibungen, die merkwürdige Menſchen von fich felbft gefchrieben
haben, entweder ganz oder in Auszügen, zweckmäßig fammlete. Sie find
jet zu zerftreut und oft an Derter begraben, wo man fie zu fuchen nicht
eben Luft bat.*
1) gehören nicht hieher; laſſen Sie mich aber von einigen andern
ſchwätzen.
2) angenehm, weil der vielgelehrte Mann in mancherlei Verhältnißen
ſtand und in einer merkwürdigen Zeit lebte.
3) lommt) iſt für einen Theologen intereßant: man lernt den Tiebens-
würdigen, wirklich gelehrten, Geiftoollen und recht kindlichen, nur über
gewiße Punkte ſchwachen Mann in feiner ganzen Geftalt und mande andre
neben ihm fennen, denen es nicht fo zur
4) Magazin merkwürdige
1) „*) Sie — u. f.” fehlt. 2) „**) Es hat — Luft hat.“ fehlt.
— BB —
Noch eine Reihe eigner Lebensbeichreibungen minder merkwürdiger
Theologen, 3. E. Franz Junius, Urfinus,! Joachim Lange,
Breithaupts, u. a. könnte ih Ihnen anführen; und ich möchte
faft jagen, auch bei dem unmerkwürdigſten Manne wird ſchon die
Art, wie? er fich jelbft anfiehet und von fi) redet, nützlich. Noch 330
mehr Hleine Aufſätze und Diarien eigner Lebensbefchreibungen,
3. B. des verdienten Kemnig u.a. fann’ ih Ihnen einmal zei-
gen. Intereſſant ift aud) das Leben der Shwärmer und Selbft-
peiniger,* von ihnen felbft gefchrieben; nur muß man heiter und
geſetzt ſeyn, um es zu lefen, und auch bei den beften wird es dem
Lefenden® oft warın und enge. So giengd mir noch neulich mit
bes berühmten Hieronymus Wolfe Leben von ibm felbit fo arm-
jelig und traurig geſchrieben; der berühmten und gelehrten Schur-
mannin euuAnoıa habe ih, Troß ihres ſchönen Anfanges, faft
nie 6 zu Ende bringen können. Sehen Sie meine Anmerkungen
nit für eitle Gelehrjamkeit an; fie fünnen Ihnen einmal, wenn
Sie auf Lebensbefchreibungen geftellt find, nüglich ” werden. Wie
einer ift, jo thut er: wie er denkt, fo fchreibt er; am meiften,
wenn er von fi ſelbſt fehreibet. In ſolche Spiegel menſchlicher
Gemüther 6 und Lebensweiſen zu ſehen, ift nüßlicher, als bei
ſchlechten Journalen und Romanen feine Zeit zu verlieren.? Dies
Lefen bringt Neuheit ins Leben; es ift, als gewinne man täglich
einen neuen Freund 19 oder Warner — —
Da die menigften merkwürdigen Männer, (da8 Auge ber 331
Gedichte!) von fich felbft gejchrieben baben; jo muß man ben
1) 3. E. Urſinus, 2) wird es ſchon, wie
3) Lebensbefchreibungen, bie und ba zerftreut, Tann
4) Unglüdliden, 5) e8 einem
6) Leben fo gut und fo armfelig und traurig gejchrieben”*) und der
berühmten, gelebrten .... habe ich nie
7) einmal nütlich 8) Gemütber, Gaben
9) zu verlieren oder zu verderben. 10) einen Freund
*) ©. Reisk. Orator. graec.
Nachrichten andrer von ihnen trauen, und nur die beften aus
jolden wählen. Bon bem Leben der Apoftel willen wir menig;
vom Leben der Kirchenväter mehr, wo Cave, Arnold,! Eleri-
tus, Stolle, noch befjer aber einige Franzoſen zu brauchen find,
die das Leben einzelner Kirchenväter gejchrieben haben. Won biefen,
wenn Sie die wichtigſten kennen gelernt, werden? Sie mohl über
bie dunkeln Jahrhunderte, ob es gleih auch in ihnen äußerft
interefjante Männer giebt, zuerſt fortipringen und fih ums Jahr⸗
hundert der Reformation und um die neuern Zeiten befümmern.
Hier wird der berühmten Männer und ihrer Leben viel; man
muß alfo auswählen und unwichtigere flüchtig Iefen. Luthers
Leben fteht Ihnen billig vor andern? vor und da wir fo viel
Beihreibungen von ihm haben, mag ich Ihnen nichts als die ein-
fältigfte, Keilg merkwürdige Lebenzumftände Luthers vor-
ſchlagen. Thun Sie des Mannes eigne Briefe Hinzu; (o daß
wir dieſe in ihren urkundlichen Sprachen vollftändig gefammlet
hätten!) jo kennen Sie ihn gnug: denn er mahlt fi in jeber
332 Zeile. Melanchthons Leben von Samerarius, Huttens von
Burkhard, Zwingli’s von Nüfcheler, Chytraei von Schütz,
Occolampadii von Grynaeo, Arminü von Brand u. f.f. find
befannt; von andern z. E. Carlſtadt, Flacius, Reudlin,
Beza, J. Gerhard u. f. f. find* fie fchlechter, aber doch zu
brauchen. Bon den beiden auch in der Theologie fo großen Män-
nern Erasmus und Grotius ift Burigny’s wohl das befte
Leben; nur ift die deutſche Weberfegung vom Leben des letztern oft
unverſtändlich.“)* Ihnen diefe Männer empfehlen, hieſſe unnüte
*) Das Leben Erasmus dagegen bat im Deutfchen auch durch bie
Zufäge des Herausgebers viel gewonnen, unb ift einem jungen Theologen,
der das Jahrhundert der Reformation kennen will, zu leſen faft unentbehr-
lid. Erasmus Leben von Burigny, herausgegeben von Henke,
Halle 1782.1
1) wo Arnold, 2) können 3) allen
4) Grynaeo u. f.f..... Reudlin, find
5) nur ift des Teßten Deutſche Ueberfeung nicht die befte.
— 80 —
Arbeit: ſie und eine Reihe anderer Philologen, Theologen und
Philoſophen, von denen man, zum Theil auch in Sammlungen,
jehr ! gute Lebensbeſchreibungen hat, find billig die Weder unſres
Fleiſſes und unfrer Kräfte. Wer wird nicht einen Savonarola,
Bembo, Galiläi, Sarpi, einen Baco, Locke, Carteſius,
Copernikus u. f. f. kennen lernen? und wer fie nicht wollen ken⸗
nen lernen,‘ wenn unter ihren Lebenäbeichreibern ein Picus,
Caſa, Biviani, Grifelini, ein Mallet, Clerk, Borelli,
Gaſſendi iftu.f. Schade, daß wir Deutichen hier abermals jo 333
bintenan ftehn! Unſre berühmteiten Männer, felbft Keppler,
Leibnig u. a., deren Wiflenfchaften doch mwenigitend dem Namen
nach gerühmt werden, liegen nad dem Ausdrud Eines ächt deut⸗
ſchen Mannes, noch unbegraben: und was fol nun gegen fie
ein armer Theolog erwarten? Man ſcharrt ihn ein und ftraft ihn
mit einer Leichenrede, die billig Abdanfung heißt. Unſer Weft-
minfter ift leider! das legte Blatt jchmußiger Journale — —
Giengs gelehrten Männern fo: fo fann man auf das Leben
frommer Männer noch weniger rechnen. Unfre Arndt, Spe-
ner, Franke u. f. haben feine Lebensbejchreibung erhalten, bie
ihrer werth ſey: defto reicher find wir an Geſchichten der Erweckten,
Miedergebohrnen und öfter erbärmliden, als erbauliden legten
Stunden. Und do ift das Andenken eines unermübeten, recht:
ſchaffenen, edeln Mannes wie ein ſchönes Räuchwerk, wie
eine lindernde Salbe Sein Name tft füß, wie Honig im
Munde und wie ein Saitenfpiel beim Wein. Dies ift
Sirachs Ausdrud und er hat ſelbſt in den legten Kapiteln feines
Buchs ein ſolches Weirauchopfer den Edelſten feines Volks ange- 334
zündet. Fenelons Name 3. B. lebt er nicht in feinen eignen
Schriften und ſelbſt in Ramſays jonft ſehr unvollitändigem Leben
erquidend und ſchön? aud die? Britten haben ſowohl ihren from-
1) man zum Theil fehr
2) Name lebt.in feinen Schriften und im Ramf ays fonft unvoll-
ſtändigen .... ſchön: bie
— 1 —
men als gelehrten Männern ſchöne! Denkmale errichtet. Im
Brittiſchen Magazin find ihrer eine Reihe überſetzt; und andre, wie
3.8. Berfeleys, Hammonds, Herbert, Herveys, Watts,
Doddridge? u. f. eriftiven einzeln. In Deutichland find Nach⸗
rihten von guten Predigern und ihrer Amtsführung
geſammlet; aber vol zu gemeiner unmerkwürdiger Dinge, bie ihren
Zweck jchwerlich erreichen. Es jcheint, daß bei den Deutichen alles
platt ſeyn ınüfle.°
Für Sünglinge ift der Nuge guter Lebensbefchreibungen ein-
leudtend. Sie mögen fromme oder gelehrte, weije ober arbeit-
fame Männer darftellen; (und die beften waren nicht Eins ohne
das Andre) fo find fie ihnen Lehrer und Yreunde, die fie auf-
weden, treiben, warnen, oft mit Schaam und Wehmuth zerichmel-
zen. Wenn alles um einen Jüngling ſchläft, und er nicht das
Glüd oder den Muth hat, einem ihn unterftügenden, erhebenden
335 Mann befannt zu werben: fo wird der Zug einer Lebensbeſchrei⸗
bung, die ihm zu rechter Zeit in die Hand kommt, ihm Stimme
der Unfichtbarfeit, entweber einer beſſern Vorwelt, oder einer für
ihn befiern Zulunft, ein Engel des Raths und Troſtes. Immer
wurden die wirkſamſten Dienfchen nur durch Betipiele, durch Muſter
gebildet, durch Lebendige und dur tobte — — *
Inſonderheit zeigt das Beifpiel der meiften und ich möchte
jagen, aller großen Männer, baß 5 feine den Geift bildende Wiſ⸗
ſenſchaft eigentlih von der andern abgetrennt jey, fondern alle
1) viele
2) und bie beiern, wie 3.6. .... Herbert8, Doddridge
3) Statt: „ES ſcheint — müffe.” gibt das Mſe. zuerft durchſtrichen:
„Der Sammler (ich weiß nicht, mer er ift?) hätte im den Fitteraturbriefen
die fcharfe aber wahre Critik über Panli's Helden Iefen unb anwenden
follen; denn feine Helden erfodern noch mehr Auswahl, Fleiß und
Zuthat als jene, die oft ihr Name, oft allein das Feld ihres Berufes
ſchon bebet.” oo.
4) Beifpiele, Mufter, Vorbilder gebilbet; durch lebendige oder
tobte — —
5) zeigt das Leſen aller, daß
einander helfen, alle auf einander mweijen und wie mehrere Blumen
aus einer Wurzel wachſen.! Große Fortfchritte in der Theologie
find zum Theil von ſolchen bewirkt worden ,? die eigentlich nicht
Theologen waren, wie Eradmus, Reuchlin, Grotius, Boyle
u.a. zeigen; oft thaten bie Theologen nicht? dabei,’ als neiden,
hindern. Ueberall, m. Fr., Tommts auf Luft und Liebe, auf
willigen Dienft und freien Blid an; Handwerkerei und Knechts⸗
bienfte fördern den guten Geift feiner Wilfenfchaft und Kunft auf
der Welt, babe fie einen Namen, welchen fie wolle.*
Zum Leben merkwürdiger Männer gehören auch ihre Briefe;
nur muß man jenes ſchon zum Theil inne haben und dieſe müffen
intereffant ſeyn. Der Welt liegt davon ſchon ein Berg vor Augen,
daß es jetzt jehr noth thut, zu wählen, und irgend ein guter,
belejener Theolog - follte eine Mantifje machen, wo die beiten
anzutreffen und wie fie zu lejen wären? Davon künftig. — —
Doh mo will ih bin, wenn ich in der Weitläuftigfeit fort-
führe und mie von Lebensbeichreibungen und Briefen von
allen Theilen der Geſchichte fprähe? Ich wills auch nicht und
merfe nur Eins überhaupt an. Wollen Sie, m. Fr., einen Zeit-
punkt, eine Begebenheit und Veränderung in der Geſchichte näher
fennen: fo wenden Sie ſich gleich zu den Quellen, zu gleich—
zeitigen GSchriftitelleen und wo möglih, zu Denkwürdigkei—
ten, Memoires, Conmentarien, Relationen der Augenzeugen oder
derer, bie in die Handlung verflocdhten waren. Wären einige
davon auch einfeitig und partheiiſch: das entdedt fich bald: von
der Gegenfeite wird fodenn auch jemand dafeyn, der die Stimme
1) Im Mic. folgt bier durchſtrichen: „Der ftatiftifche Theolog Sarpi
konnte fi nie auf Phyſik, Mathematik, Aftronomie, Anatomie ausführlich
legen; die größeften Entbedungen dieſer Wißenſchaften äußerte er aber, che
fie gemacht wurden, und trug fie als Keime in feiner Seele.” Dazu das
Citat: „Sarpi Leben von Grifelini.”
2) ſolchen gemacht,
3) u. a.; oft thaten die Theologen nichts dagegen,
4) fördern guten, willigen Geiſt nicht.
336
— s3 —
erhebt; und kurz, Sie gewinnen durch Augenzeugen immer veſten
Fuß und Standpunkt. Gehen Sie aber hinterrücks und hören
zuerſt, was unſere Zeitgenoſſen ſagen, ſo ſtoſſen Sie oft von einem
Blinden auf den andern Blinden: denn zuletzt! ſchöpften vielleicht
337 ale aus Einer — unfihern Quelle. Ueberhaupt ift das Hinter-
vüdsgehen weder der anftändigfte, noch der bequemfte ? und ficherfte
Dep. Für uns 3. €. giebts in den neuern Jahrhunderten feine
merkwürdigere Begebenheit als die Reformation; und fie allein bis
auf alle Heine Umstände zu fennen, foderte Jahre, ja vielleicht
ein Leben. Des lebten ift bie Begebenheit, jo groß und unſchätz⸗
bar fie tft, wohl nicht werth. Aber fie aus den Hauptquellen
der damaligen Zeit, nad ihren Trichfedern, den vornehmiten
Urfaden und Hinderniffen, die ihr folde und feine andre
Richtung gaben, enblih nah den Folgen und den Hauptver-
änderungen der Folgen bis auf unjre Zeit kennen zu lernen,
das muß und fann man ohne Riefenmühe, jobald man fi nur
aus bem Gerede unfrer Zeit wegmadt und an bie Quellen ber
Begebenheit felbft wandert. Ohne diefe edle Kühnbeit bleibt felbft
ein Geiftliher der Proteftantifchen Kirche immer halb blind. Er
fennt weder die Reformatoren, noch die ſymboliſchen Bücher,
noch die Form und Einrihtung feiner Liturgie, noch den
Standpunft gemiffer Streitigfeiten und Glaubenslehren recht,
wenn er dies Studium nit für fi ſelbſt mit * einigem Fleiße
getrieben. Er weiß weder, was fie wollten? noch warum fie nicht
weiter Tamen? noch warum Er in der Livrei daftehet, in welcher
338 er daftehet und was Er jetzt fol? Er wird aljo entweder ein
1) dafeyn, kurz, Sie gewirmen Fuß und Standpunkt. Geben Sie
aber von hinten zurüd, und Hören, was Ihre Zeitgenoffen fagen; fo ftoßen
.... andern: zulekt
2) das Nüdlingsgehen weder der kürzeſte, noch anftändigfle, noch
bequemfte
3) Rieſenmühe. Ein Geiftliher der Proteftantifhen Kirche iſt ohne
die Studium immer balb blind.
4) Studium nicht mit
— 4 —
bloßer Sklave von Hörenfagen oder er macht mit feinen Zmeifeln,
mit feinen Berihtigungen des proteſtantiſchen Lehrbegriffs, mit
feinen neuen Entdeckungen zu Wiedervereinigung der Kirche u. dgl. !
oft fehr unnüge Irrung. — Ein gleiches ift, wenn Sie Luft
haben, eine Lehre, Meinung, Methode, Wiflenjhaft bis
auf die Quelle zu verfolgen. Immer nur von der Duelle ange-
fangen, das ift der fürzefte, obgleich nicht immer ber leichtefte und
alatteite Weg. Sie gehn ſodenn mit dem Strome hinab und jehen
und lernen vielerlei auf dem Wege, bis Sie vielleiht das Ende
des Stroms als einen ftehenden Zufammenfluß finden, an weldem
Störde, Raben und Eltern fi rings umber freundlich beiprechen ?
und zur lieblihen Zeitkürzung Fröihe und Würmer leſen. Ein
anbermal mehr hierüber. Leben Sie wohl.
Deilage.
Einige Gedanfen Baco’8 über Geſchichte
und Kirchengeſchichte.
Ohne Geſchichte der Wiflenfchaft ift die Gefchichte der Welt, wie dic
Bildfäule Bolyphems, ohne Auge. Im Einzelnen bat man etwas von jener, 339
nüchterne Erzählungen nämlich von? Selten, Schulen, Büchern, Autoren,
Succeſſionen der Wiffenfchaften; auch einige arme Abhandlungen von Erfin-
dern; aber die wahre Geſchichte der Wiflenjchaft, was vom erften Gebächt-
niß an für Künfte und Wiffenfchaften geblüht und wo fie geblübet? ihr
Altertum, ihre Fortfchritte und Wanderungen ‚+ (denn Wiffenfchaften man-
dern wie Völker) wie fie gefunfen, vergefien, wieder aufgerichtet find: im
jeder Wiſſenſchaft die Gelegenheit der Erfindungen, ihre Lehrart, die Art
des Anbaues, Selten, Streitigkeiten, Käfterungen, Lobſprüche, Ehren: die vor-
nehmſten Autoren, Bücher, Schulen, Alademien, Gefellfchaften: vor allem aber,
was die Seele der bürgerlichen Gefchichte ift, daß Urſachen und Folgen ver-
1) tamen? noch was Er jett fol? und wird entmweber .... ober er
macht mit feinen Zweifeln, Berichtigungen, neuen Entbedungen u. dgl.
2) vielerlei, da der lebte fiehende Zufammenfluß oft nur für die
Störde, Raben und Eiftern ift, die fi rings umber beſprechen
3) Erzählungen von 4) Fortſchritte, Wanderungen 5) Lehrart, Art
— 985 —
tnüpft, die Natur der Gegenden und Völker, ihre Schiklich- ober Unſchik⸗
lichleit zu dieſer oder jener Wiflenfchaft, die günftigen oder ungünftigen
Zufälle der Zeit, Eifer und Mifchungen der Religionen, die Bosheit oder
Gunſt der Geſetze, treflihe Verdienſte einzelner Menfchen in Betracht gezo-
gen würben! — eine foldhe Gefchichte ift noch zu wünſchen. Sie muß nicht
fritifch, mit unnützem Lobe oder Tadel der Zeiten gefchrieben werden, fon-
340 dern biftorifh mit fparfam untermiſchtem Urtheil. Die Materialien nehme
man nicht von Krititern, fondern aus ben vornehmften Büchern jeber Zeit,
tofte ihren Inhalt, ihren Styl, ihre Methode? und ruffe den Genius der
Zeit, wie durch eine Beſchwörung von den Todten hervor. Der Zweck
einer ſolchen Geſchichte fey nicht leeres Gepränge der Wiſſenſchaften, fie in
fo vielen Bilbniffen prächtig einherzutragen, nod aus zu großer Tiebe auf
jede Kleinigfeit in ihmen begierig zu feyn, fie zu willen, zu unterfuchen, zu
erhalten; fondern Klugheit der Gelehrten zu befördern, wie die bürgerliche
Geſchichte die Staatsmänner Klugheit Iehret: denn aus der Kirchengefchichte
lernt ber Theolog mehr geiftlihe KRiugheit,? als aus des heiligen Augufti-
nus und Ambrofius Werfen.
Die Kirchengefchichte ift entweber bie eigentlich=foldhe, die die Schick—
fale der Kirche befchreibt, wie fie bald als“ Arde auf ben Wogen bes
Weltmeers ſchwebt, oder wandert, mie bie StiftShütte in ber Wüſte, ober
rubt, wie bie StiftShütte im Tempel. Oder fie ift die Gefchichte ber
Prophezeiungen und ihrer Erfüllung, die aber mit großer Weis-
beit, NRüchternheit und Ebrerbietung bebandelt werden muß, oder man
unterlaffe fie gar. Die Erfüllungen Gottes find fortgehenb und pilnftlich
341 zugleich: fie werben Gradweife den Zeitaltern zugetbeilt, zugewogen, obgleich
Ein Zeitalter ihr höchſter Punkt if. Sie haben bie Natur ihre® Urhebers,
dem Ein Tag, wie taufend Jahre und taufend Jahre, wie ein Tag find.
Die Geſchichte der Rache und Providenz Gottes ift enblich bie
dritte Kirchengeſchichte; denn obgleich bie Rathſchläge Gottes unerforichlich
dem Menfchen find, felbft wenn diefer® auch aus dem Heiligthum nad
ihnen blidte; fo find fie doch zuweilen mit fo großen Buchftaben argezeich-
net, daß auch der Vorüberlaufende fie leſe.
Die bürgerlihe Geſchichte ragt unter menſchlichen Schriften hoch
hervor: denn ihrer Treue find bie Beifpiele der Vorfahren, ber Wechfel ber
Dinge, bie Grunbfteine der bürgerlichen Klugheit, der Menfchen Name und
Ruf anvertrauet. Es ift aber ſchwer, die Vergangenheit fo zu befchrei-
ben, daß das Gefchehene noch einmal gejchehe. — Die allgemeine Geſchichte,
—
1) würbe 3) Inhalt, Styl, Methobe,
3) lehret und aus der Kirchengefchichte der Theolog . . Klugheit lernt,
4) fie als 5) er 6) Vergangenheit zu
— 96 —
die nur das Große zeigt und das Kleine übergehet, weiſet oft mehr Pomp,
als den wahren Zunder der Dinge und ihr feineres Gewebe. Wenn ſie
auch Marimen einmiſcht, fo giebt fie den menſchlichen Handlungen vielleicht
mehr Wichtigleit und Klugheit, als fie in der That haben: fie wird eher
eine Satyre aufs menfchlihe Leben, als eine Geſchichte. Nur Gott iſts,
ber das Größefte and Kleinfte hänget. — Wenn aber einzelne Leben mit
Fleiß und Urteil beichrieben werben, wo Großes und Kleines, Wichtiges 342
unb Unmichtigeß bei einander feyn ınuß, fo hat man eine treue Erzählung,
bie man fi zum Vorbilde ftellen darf. Es ift zu vermunbern, daß unfre
Zeit fo wenig ihren Bortbeil tennet und bie Leben ihrer beften Menſchen
untergeben läſſet. Ein neuerer Dichter bat davon dies ſchöne Bild. Am
Haben der Parce hängt eine Gedächtniß⸗ Münze mit bes Berftorbnen
Namen. Sobald die Parce fchneidet und ber Faden fällt, raubt bie Zeit
Münze und Namen, fie in den Strom ber Bergefienheit zu werfen. Am
Strom fliegen unaufhörlid große Schaaren von Bögeln; die piden, was
bineinfält auf, laſſens aber meiftens bald wieder finten. Die einzigen
Schwäne finds, bie, was fie erbafchten, zum Xempel ber Unfterblichteit
tragen; es giebt aber nicht viel folder Schwäne — —
Neuu und vierzigfter Brief. 343
Es dünkt Ihnen, daß ih zum Stubium der Theologie viel
fodere. Es kann feyn! aber, m. Fr., ich fodre ja nicht alles auf
einmal, ih warne Sie ja, in jedem Briefe beinah, vor dem zu
vielen, unordentlichen und übereilten Leſen. Ich glaube nicht, daß
die Menge der Bücher die Welt, auch nur die Wiſſenſchaft, fo
verbefiert habe, ala wenn nur wenige, fernbafte, gute Bücher
wären, die deſto fleiffiger, einfältiger, tiefer gelefen würden; viel-
mehr bedaure ich einen jeden, der unter einer zu großen Laft von
Buchſtaben daherfrieht und nie ſelbſt zum Verſtande der Wahr-
beit fommt. Wenn Ihnen bierüber ein? Buch voll ädter, alter
Grundſätze, Temple's moralifhe und Hiftorifhe Denk—
würdigfeiten vor Augen kommt: fo lefen Sie die Abhandlung:
ob die Menge der Bücher und das ungeheure Wachsthum der
—
1) wären und 2) ein fehr ſchones
— 97 —
Erkenntniß, der Frömmigkeit und der Liebe zum allgemeinen
Beſten ſonderlich zuträglich geweſen? Die Erfahrung Ihres Lebens
muß Ihnen, ſo jung Sie ſind, längſt ein Gleiches gezeigt haben.
344 Wären Sie in meiner Nähe, ich hätte Ihnen lange, lange
nicht fo viel Lefereien genannt, als ich Ihnen jet auf dieſe ober
jene Ihrer Anfragen nennen mußte. Unfre Zeit ift einmal! das
Leje-Fahrhundert: Sie hören diefe Bücher, (ſehr oft Die unrech⸗
ten) fo oft nennen, rühmen und gewöhnlich das Neuefte am höd-
ten preifen. Da mußte ich nun meine Briefe an das Fnüpfen,
was vor Ihnen, was um Gie liegt, und wie jener Geſetzgeber
(verzeihen Sie die thörichte Vergleihung) nicht gerade immer bie
beiten Gelege gab, fondern nur, die für das Zeitalter ihn die
beften dünkten, jo babe ich aud Ahnen manches genannt, wovon
ih für mich gefhwiegen hätte; um Ihnen nun auch bei dieſem
wenigſtens den beften Gefichtspunft zu zeigen und Sie für etwas
Hergerem ? zu bewahren. Niemand vielleicht wünjcht ? mehr ale
ih, daß wir nod mit Apoftolifcher oder Pythagoräifcher Einfalt
ftudiren fünnten; Fünnen wird aber? zu unfrer Zeit?
Ueberdem, m. Fr., wenn Ste näher ſehen und meine Briefe
ordnen, werden Sie finden, daß ich Sie, verglichen mit andern
Anweiſungen, eben fo ſehr nicht überhäufe. Bibel, Dogmatil,
Vortrag find meine drei Hauptgegenftände, denen Alles andre
345 nur dienet. Zu dieſen dreien fünnen und dörfen Sie fi den
fürzeften Weg wählen, alles meglafien, was * Sie gleich im Anfange
finden, daß es Sie nicht fürdre, fondern hindre. Hier hat jeder
Menſch fein eignes Gefühl zum ficherften Wegweiſer: der Lehrer
1) zuträglich gewefen? Diefer und feine andre Auffüte werden Sie
auf eine fehr einfache Bahn führen. — Wären Sie ganz in meiner Gewalt,
ich hätte... .. Ihnen jest nennen mußte. Es ift unfre Zeit einmal
2) Briefe wenigflend an Etwas Inlipfen und wie jener .... dünkten,
babe ich auch manches genannt, wovon ich filr mich Ihnen gefchwiegen
hätte, um Ihnen nehmlich auch bei diefem den beften .... Sie wenigftens
für etwas Ärgerm
3) winfchte 4) wo
Herbers fämmtl. Werke. XI.
— O8 —
und Freund zeigt nur dic allgemeine Straße. Ein aufmerffamer,
fleißiger, edler Menih kann an Einem Buch mehr lefen, als andre
an hundert Büchern und das befte Buch bleibt doch immer unfer
innerer Sinn, der nur erwedt werben kann, und ſodann praf-
tiiher VBerftand, Erfahrung.
So bitte ih Sie auch, im Anfange fehr darüber wegzuſehen,
was nur Mühe, nur Fleiß in einem Bude tft und ben Geift des
Autors dafür zu koſten. Jenes merfen Sie fi, ala Fachwerk, als
Repofitorium, zu dem Sie im Falle der Noth wallfahrten können;
der Geift des Autors allein ift die bildende Form, ftärft die
Kraft der Gefundheit, oder wird Arznei der Seele! Mid
dünkt, es ift Klopjtod, der da jagt, daß er nur wenige Freunde
von Büchern babe; die Knechte der Gelehrſamkeit aber beijeit
thue und zu fünftigem Knechtes⸗-Gebrauch bewahre. Yür einen
Süngling iſts nothwendig, daß er einen gleichen Unterfchied mache,
fih zuerft um die Freunde bewerbe und mit ihnen wie mit einem
Chor von Liebhabern vertraulich werde.? In biefe ermählte Zahl,
die Sie lefen und wiederlejen, laſſen fte feine Weberläufer, feine
Stuger mit Zeitungspäſſen ausgerüftet, eine Gaufler und Skla⸗
ven oder Sie werden unvermerkt in ihrer Gejellichaft ſchlechte — —
Einheit und Ruhe ift die Mutter der Glüdfeligfeit des Men⸗
chen, die Yorm aller Stärle, Größe und Schönheit; aber freilich
Einheit mit Mannichfaltigfeit gepaart, Ruhe in Wirkung.
Alfo laſſen Sie fih auch nit von denen hinreiffen, die Ihnen
Trägheit für Ruhe, d. i. Nichts ? für Etwas verlaufen, und immer
rufen: Chriftum lieb, haben ift befjer ala alles wiflen. Alles
wird fein Menſch willen wollen und nur ein Thor* es zu willen
1) können, das legte ift bildende Form, Kraft der Geſund—
heit, Arznei der Seele.
346
2) zu fünftigem Gebrauh an Ketten lege. Für den Jüngling ifts -
gut, daß er fich zuerfi um Die Freunde bewerbe und in fie, wie zu einem
Griechiſchen Phalanx und unüberwindliden Chor von Fiebhabern, feine
Zeele mit ftelle.
3) Ihnen Faulheit fir Ruhe, Nichts 4) Narr
— 99 —
glauben; mit dem Nichtöwifien und Nichtlernen aber gewinnt man
Chriftum nicht lieb, fonft wäre jeder Ignorant der größeſte Chri⸗
ftus » Liebhaber. Was wäre ed, wenn ich Ihnen durch alle Briefe
zugeruffen hätte: „haben Sie Chriſtum lieb! und lernen Sie nidt
viel;" das Letzte lernt ſich freilich eher, als das Erfte.
Zu allen Zeiten hat? Leute gegeben, die die Gelehrjamteit
347 ala einen Buchſtabenkram veradhteten; der Geift kehrete aber des⸗
halb bei ihnen um fein Moment eher over lieber ein. In unſrer
Melt ift, fo viel wir wiſſen, fein Geift ohne Körper wirkſam;
feiner, auch nicht der geiftigfte Endzweck, läßt fih ohne Mittel
und Uebung erreihen. Wer immer aufs Göttlide, Unmittelbare
ftürmt, fommt nicht weit; er verbraucht in kurzer Zeit feine Kräfte
oder wird hundertfach betrogen und haſcht Dunftwolfen ftatt feiner
ätherifchen, himmliſchen Schönheit.! Wer ſuchte das Reich Gottes
unmittelbarer, als Chriftus? und doch veradhtete er fein Mittel
einer wahren, lebendigen Erlänntnig. Er nahm zu an Weisheit,
jo wie an Alter, an Gnade bei Gott und bei den Dienfchen. °
Inſonderheit rathe ih Ihnen, m. Fr., beim Ueben Ihrer
Seelenkräfte nicht alles unmittelbar haben zu wollen und nicht
jeden Augenblick auf den Zweck dieſes Gelernten für Ihr Amt
loszugehn; ſonſt wird unſer Lernen überhaupt fehr ® enge und
fleinlid. Julian nahm den Chriften die heidniſchen Schriftiteller,
und fagte: fie follten dafür das Evangelium treiben: er thats
gewiß nicht in guter Abfiht. Und eine beßre fünnen duch die
nicht erreichen, die immer von Geift Gottes, Neih, Evangelium
348 reden und beinah nicht willen, woher fies nehmen? ober wohin
fies thun jolen? Der Geift Gottes wirkt dur das Wort und
1) Dinft-Wolten für feine himmlische Schönheit.
2) und doch ſprach er nicht: „wirf das Neb, fo wirft bu das Reich
„Gottes finden, fondern Fifche und den Stater.” Uebel gnug-aber, wer
blos für Fiſche und den Stater in der Welt iſt! —
3) Infonderbeit beim Yernen, beim Ueben der Seelenträfte kann man
nicht alle8 unmittelbar haben und muß nicht jeden Augenblid auf ben
letten Zmed der Sade losgehn: fonft wirb unfer Lernen jehr
7 *
— 190 —
mit dem Worte: er wirkt pädagogifch durchs ganze Leben, aber
auf unsre Gedanken, mittelſt unjrer Gedanken, zu unjrer und
durh unfre Seelenbildung Er wirkt durch uns auf andre nad
der Form, die ihnen erfaßbar ift, d. i. durch bie ihnen ein-
leuchtendfte Gedanken- und Handlungsmeile. Wer da will, daß
feine Frucht im Keim, in der Blüthe, in einer Hülle mache, jon-
dern uns lauter Manna vom Himmel regne; der kann lange war-
ten! Alles Erfenntniß, wie aller Vortrag, kurz alle Fertigkeit
wird nur durh Hebung, und aud die Schule des Geiftes Gottes
iſt Schule. |
Ich weiß fehr wohl, daß aud feine Uebung ohne Kräfte
etwas Hilft; ſie iſt nicht einmal, wenn mir uns verftehn mollen,
möglich. Sch weiß auch wohl, daß die beften Kräfte fich Leicht
üben, ja gar?! manche Uebung überfpringen und fi der Welt
wie das, was fie aud find, als Gottesgabe, oder in auſſer⸗
ordentlichen Fällen mit dem Gepräge einer himmlischen Sendung
und Begrifterung zeigen; mögen fie ſich ala foldhe zeigen und
nicht erft lange davon reden! noch weniger müffen fie andre bere- 349
den wollen, daß auch fie Himmelspropheten feyn und dafür Kännt⸗
nifje und Gaben der Erde verläugnen dürfen.” Ein Menid
fann ihm nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben!
das fagt der Größte unter allen, die ein Weib gebahr und hielt
das Beite, was er hatte,? doch nur für eine Erdengabe. Chri-
tus preijet den Eugen, Schriftgelehrten Haushalter, der aus fei-
nem Schatz Altes und Neues hervorzubringen mußte;* ein gleiches
lobt Paulus am Zimotheus und ftellet ung im ganzen Laufe nad
Gottjeligfeit und Weisheit, die Griechiſchen Läufer, Ringer und
Kämpfer zum Mufter dar.
1) üben, gar
2) Gottesgabe, als ein vom Himmel gefallenes Bild, wie himm⸗
liche Sendung und Begeifterung zeigen; nur zeigen fie fich als folde
und fprechen nicht! noch weniger bereden fie andre, Himmelspropheten zu
ſeyn und dafür .... zu verläugnen.
3) was er war, und ſprach, 4) Mie.: wüßte:
— 101 —
Uebrigens gehörets allerdings zu jeder Laufbahn, fein Ziel
zu wiffen und Ihr Amt muß Ihnen allerdings der legte, nur !
nicht immer der nächſte Zwed bleiben. Discendum, jagt der
weife Geßner, deſſen Isagoge voll trefliher Regeln zur Wiſſen⸗
Ihaft ich Ihnen fehr anrathe, discendum, quidquid discendi occa-
sio offertur, licet non statim scias, quorsum prosit: sic pecunias
colligunt homines. Non? multum discent, qui diligenter nimis
computant: das iſt wahr und ermeifet fih in vielen Exempeln.
Bako Flagt an mehr ala Einem Ort, daß die meiften bei ihrem
350 Studiren nur immer glei) usum, usum haben wollen und alfo —
lafjet und doch dem Dinge nur feinen rechten Namen geben — nicht
für8 Amt, fordern für Yaulheit und Brot ftudiren. Was hätte
ed Ihnen geholfen, m. Fr., wenn id in allen diefen Briefen Ihnen
von nichts als fogenannter PBaftoral- Theologie, d. i. wie
Sie fi zur Bocation melden, eine Probprebigt fabriciren, gegen
den Superintendenten und patronum fich betragen, auf der Kan-
zel ftehen, zur Beicht fiten, und wenn Sie mübe find, zu
Bett liegen Sollen? und ja ihre jura? für fih und für den Nad-
folger zu wahren haben — wenn ich Ihnen bievon hundert goldne
Kegeln vorgeichrieben hätte? Das Allgemeine davon finden Sie
in Bundert Büchern, das Bejondre müflen Sie in jedem Lande
aus der Kirchenordnung, der Agende, endlih aus dem großen
Tröſter, usu, lernen und wahrlich da lernt ſichs ja endlich. Es
wäre auch jchlimm, wenn das nur Waftoral-: Theologie wäre.
Da Ichriebe man ſodenn fidher auf jedes Compendium: wem
Gott ein Amt giebt u. f. und hätte gerade für Die, Die
nichts als jura stolae einfodern können, das beite Motto
gejchrieben. *
1) gehört® mit zu diefer Laufbahn, daß Sie ihr Ziel wifen; Ihr
Amt muß Ihnen letzter, nur
2) homines. Er fest auch gleich das Richtmaas hinzu, wie er feinen
Rath verftanden haben will: non
3) iura, inra stolae und coloniae
4) hätte in feinem Yeben fein beßeres Motto gefchrieben.
Ich hätte große Luft Ihnen eine eigne, vollftändige Paſtoral⸗
Theologie in Berfen zu geben. „In Verſen?“ allerdings und 351
dazu in Reimen, die Troß ihrer Rauhigkeit recht für ihren Gegen-
ftand gemacht find und ich gewiß nicht befler machen fünnte.!
Dazu eine Paftoral- Theologie, die nicht vollftändiger, vielfeitiger,
wahrer, lehrender? feyn könnte. Sie glauben, ich fcherze? ich
ſcherze nit. Und dazu ift fie von einem der angejehenften, gelehr⸗
teften, frömmften, verdienteften ° Theologen unfrer Kirche; von
demfelben, von dem ich Ihnen vor geraumer Zeit einige Parabeln
gab und ihn nicht nannte, weil ich ihn hier nennen wollte. Cr
bat in ihr beinah alle Erfahrungen feines Lebens, (und in ‚Seinen
Aemtern fonnte er deren viel haben) den ganzen Schab feines
Herzens über das, was geiftliches Amt,‘ was dieſes Standes Leid
und Freude, Schimpf und Ehre ift, ausgefhüttet. Und in einer
Sprache, die ih ihm beinah in jedem ® abgebrocdhnen Artikel, in
jeder verfürzten Sylbe, in jedem Reim und Nichtreim beneibe.
Und mit einem Salz! einer Wahrheit! wo es fein feyn fol, mit
- einer Feinheit! mo es gerabe heraus feyn fol, mit einer Deutic-
beit! — Kurz, m. Fr., bier ift das Gedicht. (Denn ich weiß,
Sie würden jett doc nichts weiter in meinem Briefe lefen!)
Leſen Sie, aud mo es Ihnen, wegen jeiner abgelommenen Form,
zuweilen etmas langmeilig jeyn jollte, mit Ruhepunkten fort und 352
ja zu Ente. Mo Sie Mitbrüder finden, die Stüde aus dieſer
Paftoraltheologie, in gutem und böſem Verftande, nöthig haben,
jeyn Ste damit nicht karg.
1) die recht dazu gemacht find und ich gewiß nicht machen könnte.
2) lehrender, berzlicher
3) verbienteften, gröfieften
4) Erfahrung feines Leben® .... baben) allen Schay .... Amt
und Pflicht,
5) ibm in jedem Brovinzialwort, in jedem
353
Das gute Leben eines entigaftenen
Dieners Gottes.
von
Johann Balentin Ardreä,
Würtembergifchem Hofprebiger, Abbt, Eonfiftorial- Rath, Gene Generalfuperintenbenten u. f.
gebohren 1586. geftorben 1654.
ALS ich in meinen jungen Tagen
Oft Hört’ von guten Pfränden jagen,
Wie daß nit feiftre Suppen wären,
ALS die man geb’ geiftlichen Herren,
Die möchten! mit geſchmutztem Mund’
Umgaffen mande gute Stund’:
Da dacht’ ich, hats die Gelegenheit,
So muß ich au ins lange Kleid
Und ſehen, wie ichs dahin bring’,
Daß ih um lange Bratwärft fing‘.
Denn follt’ ich viel umgehn mit Rechten,
So müßt ich erſt mein'n Kopf ausfechten.
Sollt' ih denn jeden Bauren falben,
So wär’ ich fehmedend *) allenthalben:
Hie will doch auch feine Feder glüden —
Meine Sad wird fih auf bie Kanzel ſchicken.
Da reb’ ich, muß ein ander ſchweigen,
Da poch' ich, muß ein ander leiben,
Da geb ich vor, ein ander nad,
Da fchlaf ich zu,**) ein ander? wahl!
Hiezu war ih nun mohlgerüft:
Dann alle Künft’ in mich genift.
Ich hatt' durchlernt der Logik Strid,
Und der Rhetorik Büchlein dich,
Ich hatt erlernt des Himmels Sphär’
Und was die Phyſik fürbringt mehr,
Und was von Sitten Ethik ſagt,
Und was Homerus einhertagt —
Das kunnt' ich gar, als wärs nur Kraut,
Kein Baur hätt' mir das zugetraut.
*) Riechend. **) dormito.
1) B: mochten 3) Mic.: andrerx
Vi ld] 5
— 10 —
Drauf fiel ich ins Compendium,
Und kehrt mich auch drinn dreimal umt,
Bis ih von Kunſt ganz lberging
Und mir die Wig zum Maul aushing:
Auch mir mein Rödlein raufcht daher,
als ob ich ſchon Decanus wär”.
Was ih nun ſah, das konnt’ ich richten,
Was mir fürkanı, das konnt’ ich fchlichten,
Was mir aufgeben, warb vollendt,
Was die Augen gfeben, machten die Händ.
Rod war fein’ Stell’ mir ausgeleert,
Wiewohl ich wol der beften werth.
Jedoch dacht' ich: nit jede Pfarr
Wird für dich feyn bie lange Harr'.
Gleichwohl muß feyn diaconirt,
Und dann bald drauf wohl paftorirt,
So g’räth® denn auf das Decanat,
Bi8 daß du wirft nein Herr Prälat:
Wil man did) denn zum Probft auch haben,
Sp mangelt3 dir nit an den Gaben.
Doch b'hüt mich Gott vorm Harzen- Wald,
Den Bergen und ben Klüften kalt:
Dann mein Baud ift an Wein gewöhnt,
Darum bed Bachus- Sau mir ziemt.
Da kann ich noch mein Glück erfchleichen,
Inzwiſchen mich mit Wein bereichen:
Es geht doch fo, wer wenig bett
Der kommt mit von feiner ringen Stät.
Soll ih meinen Karren weiter führen,
So muß nichts mangeln an dem — Schmieren.
Noh mußt’? einen Paß ich thun quittiren,
Daß ich auch möcht' die Kanzel zieren.
Es gſchwand mir manchmal vor den Leuten,
So ging mir aus die Red zu Zeiten:?
Da mußt’ ich andre zu mir bringen,
Die mehr umgangen mit den Dingen,
Ale die, fo gute Poftillen gemacht,
Und fonft dern Namen hochgeacht,
1) Mic: mußt A: mußte 2) Hiernach zwei Zeilen ausgelaffen,
355
Die mußten mir wol unter die Preß,
Bis ich davon brächt' alle ER,
Und käm' in mich die Quint-Eſſenz,
Auch manch' unaufgefucht' Sentenz:
Damit ich wär' für Groß und Klein
Gewürfelt, wie ein Müllerſtein,
Und ja kein Casus käm' auf die Welt,
Dem ich nit hätt' ſein Thema g'ſtellt.
Alſo hatt' ich mich ausgerüſt,
Und fehlt nur, daß man es auch wüßt.
Drauf 309 ich ine gelobte Land,
Da Wein wie Wafler, Korn wie Sand,
Und ſucht' mir aus ein’n feinen Platz,
Da ih mich einließ wie eine Rap’.
Ich fragt die Keut’, wo wär’ der Heerb,
Da man hätt', wa® man nur begehrt:
Da wär’ Wein, Korn, Obft, Holy und Weid'.
Ich Hört’ nit allıweg guten! Beſcheid.
356 So wollt! das Pflafter in den Flecken
Mid auch zuweilen Taffen fteden:
Da gfiel mir mit der Kirchenthurm,
Dort waren nit recht gericht die Uhren.
Bald wollt das Pfarrhaus mir nicht ein,
Bei mir follt8 wohl noch anders feyn.
In Summa was ich contemplirt,
Das ward von mir all reformirt.
Ih war der Daun, auf den gewart’t,?
Was man fo lange Zeit gejpart,
Ein’r jeden Laus ein’ Stelz zu maden --
So ging id) um mit Narrenfachen.
Indem reift ich durchs grüne Gras,
Beil da ein jchönes Wiefthal was:
Da traf ih an eine alt’ Perſon,
Bon Haaren weiß, von Gfidht noch fchon;*)?
Die ging mit einem Recdenitil
Im Gras um, thät doch nit gar viel —
Cin’'m* Pfarrer fie ſich wol vergleicht,
Doch hätt’ ich g’meint, fie hätt’ ſich gefcheucht
*) Schön.
1) Mic.: gutn 2) A: gewart, 3) A: ſchon; (ſchön) 4) Andrei nu. Mic: Eim (A: Ein)
— 116 —
Mit grober Arbeit fi zu plagen
Und möcht dod wol ein Kunſtbuch tragen,
Darinn lefen, wie mander Mann
So meiflerlih in Bann getan — —
Drauf mußt’ ich den Dann vegiftriren, 357
Und in die Schul’ erſt wieder führen.
Sprad: bona dies, alter Herr,
Was habt ihr da für ein Gefcherr ?
Er antwort: semper quies! fchnell,
Mein Domine, das Gras ich zähl',
Daß mir fein Hälmlein komm' davon.
Ih dat’: „mit den Mann kriegft zu thun! —“
Darauf mich räufper’ und fo anfang’:
„Ich weiß nicht, ob ich irre gang’ —
Mid dünkt, Ihr feyb des Dorfs Paſtor?“
Er ſprach: „ih bins lang gweſen vor,
Eh dann der Herr die Welt erfehn,
Bor vierzig Jahren iſts gefhehn,
Und möcht’ nun? wünſchen, daß ein Junger
Auch unter meine Bauern donner.
Denn mir entgeht alle? Kraft und Saft:
Je matter Leib, je mehr man fchafft,
Ye wen'ger Kunft, je mehr mans treibt,
Je unwerther, je mehr man bleibt.“
Ih ſprach: „mein lieber alter Herr,
Ihr habt euch nu gemäftet fehr
Und babt der alten Baten viel,
Drum wollt* Ihr lehren um den Stil.
Das möchten doch wir Junge leiden,
Die jetzund zehren auf bie Kreiben,
Erwarten Glüd bei gefunden Leib’ 358
Einen guten Dienft, und reiches Weib.”
Der alte Herr ſprach: „mein Studio)”,
Dich dünkt, Eur’ Kunft, die mach’ fich los.
Die Logik wird fi in euch regen,
Daß Ihr mit mir rebt fo verwegen.
Wißt Ihe, was Luther in ber Sad’
Einsmals zu einem Nasweiſen ſprach?
1) Ludreã: Sie 3) U: nur 3) Mic.: all 4) AB: wollt’
— 10 —
„Wir Alte, die mit Angſt und Flehen
Dem Teufel in ven H = = = gſehen,
Grüßen vor Euch Gnad- Dolterlein
Auf weiden Bolftern gfefien fein — !
Gudt vor fo lang’ darein als wir,
Der Scherz wird euch geliegen fchier.” *)
Der Filz war mir fehr ungewohnt,
Sch wünſcht', ich hätt’ des Manns gefchont,
Drum 309 ich bald ein’ andre Pfeifen,
Sprach: alter Herr, laßt das flrftreichen,
Es war mein Ernſt ja uimmermehr;
Ih bin Euch zu dienen gwogen ſehr,
Nu will ih was beſcheidners tagen,
De illo tempore was fragen,
Ihr könnt mir geben guten Beſcheid:
Was warn zu Eurer Zeit für Leut,
Die, feloft in Künften wohl fubirt,
Die Jugend löblich angeführt?“
Er ſprach: „Ich denk der guten Tag’!
Da war an Glehrten wenig Klag'.
Sollt' ich die tapfern Leut' all nennen,
Ich glaub’, ich wiirde viel nit kennen.
Die ſeyn nun todt und leben noch —
Nu lebeu viel und faulen doch.
Ich dank ihn'n ihrer guten Lehr’;
Doch, wie ich fommen bin bieber,
Hab’ ich viel anders müflen lernen,
Die Hülfen brechen und den Kernen
Mit bitterm Schweiß berfürgewinnen —
Das werbt Ihr auch noch einmal innen! —”
Ich ſprach: „Ihr gabt aufs Geiftlich" Acht,
Und der PBhilofophie nichts acht,
Daber möcht e8 mohl fommen ſeyn,
Daß Euch die Welt nit wollt ein.“
Er lacht' und ſah mid höniſch an:
„Was meint Ihr denn, daß ich getban? *
*) bald vergeben.
1) Anbreä: fei A: „fein *)“ mit der Anmertung: „*) Es muß ein Schreibfehler
in biefen zwei Berfen feyn; der angeführten Stelle in Luther entfinne ich mich eigentlich nicht.”
3) Hiernach zwei Zeilen ausgelaſſen.
— 10 —
Ich war Grammartig*) und was fein 350
Und pochet überzwerch binein.
Ih redt tbörlih an mandem Ort
Ind madt mid maufig immer fort.
Im Kopf hatt’ ih manches Geſperr
Und fonft viſirlich' Sachen mehr,
Ih log did, daß bie Ballen floben
Und edet aus, was krumm gebogen.
Meint Ihr, daß man zu unfern Zeiten
Hab’ Meifter gemacht? aus Eſelshäuten?
Oder dab’ einen beißen treiben,
Das er fein Lebtag wird verfchweigen ?
Oder bab’ fo grob numerirt,
Daß aus zwei über fieben wird?"
Der alt! Herr hatt’ mich wieder gfchredt
Und mir mein’n Meifterfchrei beftedt.
Noch wehrt’ ih mich mit aller Kunft,
Daß ih nit hätt’ ftubirt umfonft.
Und Sprach: „dörft' ih ein Einges fragen ?
Sp Yhr die Künſt Habt all’ getragen,
Wie iſts doch möglich, daß ein Bauer,
Der nur umgeht mit Arbeit fauer,®
Euch Toll erft anders deponiren ? +
Er ſprach: „ja freilich deponiren, 361
Bis dag verfhwindt der Luft Gebäu,
Bis daß verdaut der Bappenbrei,
Bis daß verraudt des Hirnes Dampf,
Bis daß vertobt der Witze Kanıpf,
Und nun die Praktik kommt zu Haus
Die all’ Theorit treibet aus.
Da findt ſich erft, was wir gethaır.
Daß wir uns haben — brauchen la'n.“
Die Ding’ mir Spanifhe Dörfer waren,
Ich hatt’ dergleichen nie erfahren.
„Wie? fagt’ ich, follt’ der geiftlih’ Stand
Bon Bauren haben fein’n Berftand ?
*) Im biefen Worten find Anfpielungen auf bie fieben freien Künfte ber damaligen
Zeit: Grammatik, Poetil, Rhetorit, Mufil, Logik u. f.
1) Mie.: gmadt 2) Hiernach zwei Zeilen ausgelaffen.
3) A: Wie ift do .... Baur, Der .... faur, 4) Andrea: informieren.
— 109 —
Soll nit die hohe Schul’ uns weiſen,
Wie wir bezähinen die Unweifen?
Was wär’ denn bie Theologei
Anders, al8 eine Bauern Kirchmeih ?"1
Er ſprach: „ih muß Euch das verzeihen,
Weil Ihr noch lauft unter den Freien:
So Ihr einsmals kommt in den Karren,
Sp wird man mit Euch anders narren.?
Da müßt Ihr glauben, wiffen, thun,
Leiden, laffen, fürdten und bon,
Was niemand darf, kann, mag, noch will,
Und diefe® alles in der Still’;
369 Denn wer fich diefes will beichweren,
Der mag feine Pfarr ein’m* andern leeren.”
Ich bat durch Gott den alten Herren,
Er wollt’ die Sache ınir* erflären,
Denn ich fragt nicht aus Uebermuth,
Sondern wie thät ein junges Blut.
Könnt’ ih der Sachen ha'n Bericht,
Mein Tag wollt’ ichs vergeflen nicht.
„Gern, gern, gern, fprach mein alter Held,
Die Weiſ' mir nu viel baß gefällt.®
So hört mit Fleiß, was ihr nit gewußt
Und büfjet denn den Pfarrersluft.2
Höret zuvor mein's Dorfs Beſchwer,
Judt euch die Haut, fo kommet ber.
Ih hab gefagt, ein PBiarrer glaubt,
Das kaum ein Menfh bringt in fein Haupt.
Er glaubt ein’n Gott, deß niemand® adıt;
Ein jeder nach ſein'm Götzen tracht.
Er glaubt ein'n Himmel, der wird verfehmädt ;?
Ein jeder gern bier? ewig zecht.
Er glaubt ein’ Höll, die niemand fleucht;
Ein jeder die breite Straſſe zeucht.
Er glaubt ein Gericht, das niemand bejorgt;
Ein jeder auf die Race borgt.
1) Mic.: Bauren Kirchweih ?” 2) Hiernach zwei Zeilen ausgelafien.
3) A: eim 4) U: Saden mir Andreä: Sade nur
6) Hiernach ſechs Zeilen ausgelaffen. 6) Anbreä: Das niemands
7) A wie Andrei: der verfchmächt; 8) A wie Andrei: bie
— 110 —
Er glaubt ein’n Lohn, den Niemand will;
Ein jeder will bier Hül nnd Fül.
Er glaubt ein göttlih Regiment;
Ein jeder meint, das Glück ſey blind.
Er glaubt ein'n Tod, der Alles fcheidt;
Und jeder pocht auf lange Zeit.
So glaubt er, was bie Welt verneint, !
Und ihren Augen ungereimt;
Damit zeucht er den fchweren Karren
Und wird gehalten für ein'n Narren.
Darnach fo weiß ein Seelenbirt,
Das die Welt ungern innen wird.
Er weiß, daß großer Herren Pracht
Bei Gott aufs äußerſt ſey veracht.
Er weiß, daß großer Hirten Schlaf
Dem Wolf liefert manch armes Schaaf.
Er weiß, daß große Leutefchinder
Berflucht ſeyn auf Kindeskinder.?
Er weiß, daß große Federhanen
No kommen in den Pfuhl zufammen.
Er weiß, baß die groß’ Ueppigkeit
Der Welt gereicht zu Schmach und Leid.
Er weiß, daß jedes falfche Herz
Sich ſelbſt noch flärkt zu ewgem Schmerz.*
Das weiß er, wills ſchon niemand wiffen
Und wird fehr oft darob gefchmiffen.
Damit zeucht er den ſchweren Karren
Und wird gehalten für ein'n Narren.
Drittens, fo muß ein Paftor tbun,
Das jedermann will überftehn.
Er muß die Wahrheit jedem geigen,
Darüber zeigt man ihm die Feigen.
Er muß aufwifchen jebe Stunb:
Darüber man ihm übels gunt.
Er muß in die Pet und Lazareth,
Da mancher weit fürüber gebt.
1) Anbreä: vermein -
2) Andrei: weiß, dei groffen Herren Pracht Bei Gott aufs Äußerfi wird veradht.
3) Hiernad zwei Zeilen ausgelaffen.
4) Andrei: Sich felbft noch ftedt in ewig Schmerz.
5) Andrei: Darliber wird jm zeigt
.-»
or
— 11 —
Er muß zum Feur, Galgen und Rab
Zum! Gefängniß*? und der Huren Bad.
Er muß verzweifelt‘ Buben tröften,
Die Ruchloſen durchs Geſetze röften:
Er muß jedermann helfen, bitten,
Rathen, warnen, kratzen und beſchütten.
Er muß in alle Pfützen treten,
All' Unluſt putzen und ausjäten —
Das muß er thun ohn ſeinen Dank,
Bis er drob wird alt, krumm und krank.
Damit zeucht er den ſchweren Karren
Und wird gehalten für ein'n Narren.
Viertens ein Prediger muß leiden,
Da ſonſt der Thurm zu iſt beſcheiden.
Er leibt.der Leut' Abgötterei,
Aberglaub, Fluchen,“ Zauberei.“
Er leidt Verachtung Gottes Lehr,
Dafür Wolluſt wird trieben mehr.
Er leidt Ung'horſam und Geſpött,
Da mancher Pfaff vor Ohren gebt.”
Er leidt Zorn, Neid, Rachgier und Grimm,
Zant, Hader, Schelten, Ungeftiim.
Er leidt Ehbruch, Unzucht und Schand,
So nur geachtt für Narrentand.
Er leidet groß’ und fleine Dieb,
Finanz und was ihm fonft nicht lieb.“
Damit zeucht er 2c. ıc.
Zum fünften muß ein Briefter Taffen,
Das die Welt liebt ohn' alle Maaſſen.
Er läßt dem Hof fein weiches Kleid
Und bleibt ihm die Kameelhaut beſcheid.
Er läßt der Schul’ ihr’ große Wit,
Und übt fich in der Liebe Hit.
Er läßt der Reihen Silbergefhirr®
Und trinkt die Bächlein in der Irr.
Er Täßt der Aufgeblafnen Wind,
Und ſich bei Ehrifti Demuth findt.
1) Andrei: Ohn 2) Mic.: Gfängniß 3) Unbreä: Aberglaub, Seg, und
4) Hiernach zwei Zeilen ausgelaſſen. 5) Unbrei: Das mander Pfaff für Obren gebt.
6) Mic.: Silbergſchirr
— mm m
— 11 —
Er läßt des Fleifches Luft und Geilheit
Und bindt ſein'n Rücken jederzeit.
Er läßt ſein Recht, ſein'n Nutz, ſein'n Fried,
Und gnügt ſich, daß er Chriſti Glied.
Das alle8 muß er willig Laffen
Und noch dazu fich felber haſſen.
Damit zeucht er ac. ıc.
Zum ſechsten fürcht ein geiftlih Dann,
Das fonft bei andern leicht gethan.
Er fürdt mit Scheu das End der Welt,
Dafür mandyer fein Hauptgut*) zählt.
Er fürdt der Kirchen böfe Feind’,
Gewalt und Witz, die manches Freund.
Er fürdt der Aergerniß Gefahr,
Darinn fid) übt die größte Schaar.
Er fürdt des Glückes gute Wort’,
Daß nicht die Seele werd’ bethört.
Er fürdt fein’s eignen Gewiffens Stimm’,
Daß es nicht fehreie wider ih.
Er fürchte der böſen Geſellſchaft? Schein
Ohne welche mander nit fann feyn.
Er fürchte der hoben Gaben Glanz,
Die fonft auch Guts verblenden ganz.
Das if fein’ Sorg, fein’ Furcht, fein’ Angft,
Welchs alls die Welt verlacht vorlangſt.
Damit zeudt er u. f.
Zum fiebenten ein Cleriens,
Was niemand will, wohl nehmen muß.
Er nimmt wenig, al® niemand glaubt:
Denn der thut wohl, der Pfründen beraubt. *
Er nimmt das Schlechtſt' vom Pfleger. fein,
Die ſchwächſte Frucht, dei‘ faurften Wein.
Er nimmt mit Müb, das faur verdient,
Noch hält man als für Gefchent die Pfründ',
Er nimmt mit Schmerz von feinen Bauren,
Die ihn bezahlen, wie die Lauren.
*) Kapital.
1) Hiernach zwei Zeilen ausgelaſſen. 3) Mic: Gſellſchaft
3) N wie Andrei: b’raubt 4) Andreä: ond
366
367
— 13 —
Er nimmt als faul von falfcher Hand,
Der gilft,*) als er den Tod empfand.
Er nimmt mit Dank, was umgern gebt,
Und bitt ein’n Dieb um Seinigs ftet.'
Alfo muß er im Bettel reifen
Und endlich laſſen arme Waifen:
Damit zencht er 2c. ꝛc.
Wie dünkt Euch nun, mein junger Hach?
Iſt Euch zu Pfarr nochmal fo ga?!
Gelüft Euch noch der Pfarrer Braten?
Ober wollt’ ibr der gern entrathen ?”
Ich ſprach: „o Tiebfter Water mein,
Eur Red, die gehn ins Herz hinein.
Ich bin erfhlagen und erflummt;
Und dankt doch Gott für diefe Stund.!
Doch bitt' ich, wollt mich weiter lehren,
Ro ih mich nun hinaus foll kehren?
Denn id einmal Gott bin verbunden — —“
368 Er ſprach: „der Weg ift längft gefunden.
Ihr Habt gewählt den höchſten Stand,
Der bat mehr Gfahr, denn Meeres Sand.
Und wird durd die Welt ſtets angeramnt,
Darım bebürft Ihr Gottes Hand.
Kein Stand auf Erd je werther war,
Als der durch Gott beruffen bar,
Sein Wort und Willen zu verkünden
Dadurch? zu pflegen Gottes Kinden:
Sein’ Wahrheit und Gerechtigkeit,
Sein’ Wahrheit und Barmberzigfeit,
Sein’ Langmuth und auch großen Zorn,
Sein’ Wunder und des Heiles Horn,
Fürtragen durch des Geiſtes Sprach,
Den Frommen zu gut, der Welt zu Rad:
Da Gott ein’ Menſchen Zung’ und Hand
Gebraucht gleihfam zu ſein'm Beiftand,
*) Die Gebühren giebt, als ob er ben Tod Litte.!
1) Hiernach zwei Zeilen außgelaffen. \
9) Andrei: Bnd dardurch
1) „*) Die — litte.“ fehlt.
Herbers fänmtl. Werte. XI. 8
— 14 —
Sein Geift und Pfand zu bifpenfiren,
Damit in fein Reich einzuführen.
Ihm wird vertraut Gott's liebſtes Gut,
Und Jeſu Ehrifti Fleiſch und Blut,
ALS auch des Geiftes Freubenst,
Damit befeligt manche Seel’:
Den Stand laßt Euch fein Menſch erleiden,
Bor dem all’ andre Ständ’ ſich neigen.
HM nun der Stand fo hoch und werth, 369
So hat er billig fein’ Beſchwerd'.
Der Teufel it keinm! Ding fo feind
Als mo Ehrifti Pferch wohl verzäunt.
Die Welt braucht nimmer mehr Betrug,
Als daß der Pfaff werb gichweigt mit ug.
Das eigen Fleiſch läßt nit fein’ Tüd,
Daß e8 ein fromm, treu Herz berid.
So bringt der Baalspfaffen Schaar
Der Kirchen erft die größte Gfahr:
Denn nie kein Blutvergiejfen bat
Wie Heuchelei, der Kirch' geſchadt.
Da man fi felbft, nicht Chriſtum ſucht
Und mangelt ſtets an guter Frucht,
Da man mehr wigt und Flügeln will,
Als Chrifti Einfalt ftedt das Ziel,
Oder fonft gebt im großen Haufen, —
(Den Leitbämmeln all’ nah hinlaufen!)
In Summa, wer nicht fleißig wacht,
Der ift in manche Gfahr gebradit.
Ye mehr Gefahr, je minder Sold,
Ein® Gotte8=- Diener fol kein Gold.
Wer bie fein’ VBefoldung will einnehmen,
Den wird der Herr einmal nicht kennen.
Hie ſolls feyn g’arbeitt, ghüt und gmacht,
Dort wirds ſeyn belohnt* und hochgeacht:
Hie ſolls ſeyn mühſam und unwerth,
Dort wirds ſeyn ruhſam und geebrt.5
Kein Frommer legt hie Gülten an, 370
Wie der aus V, X machen kann.®
1) 4: keim 2) Andrei: Dann 3) Mie.: Eim 4) Mic.: blohnt
5) Hiernach zwei Zeilen ausgelafſen. 6) Hiernach vier Zeilen ausgelaffen.
371
— 15 —
Fromm Geld läßt fi) nit 3’ Fuß ereilen,
Wie böſ' Geld? von den’'n auf den Säulen.
Fromm Geld? vergnügt, wie e8 Gott fügt;
Böſ' Geld! verftiebt, mie viel man trägt.
Wollt Ihr nun weiden Chriſti Heerd,
So ſeht, daß Ihr beruffen werbt,
Durch Chriſti Ordnung, nicht oblique
Durch Gſchlecht, Weib, Geld, und fonft inigue.
Gott ruft recht durch der Obern Mund,
Er ruft? auch in des Herzens Grund,
Und wie der fromme Luther meint,
So ftünd’ auch fehr viel bei der G'meind'.
Eilt nicht zu fehr, Gott weiß euch wohl,
Eur Theil Euch noch wohl werben ſoll.
Laß laufen, was nicht bleiben will,
Gott findt Die Seinen in der Still.
Wahrlich, dag man viel Mietbling’ duldt,
Das ift des Lofen Laufens Schuld.
Kein Wurm dem Körper ift fo gefähr,
Als der gern an fein Stelle wär.
Den Leichnam läßt man faum erfalten,
So will fhon Ein'r fein’'n Dienft verwalten.
O wenn Berfolgung reget fi,
Wie mander [hrie nicht: bie bin ich!
Seyd Ihr denn zu der Kirchen kommen,
Den ſchweren Eid auf Euch genommen;
So rüft Euh nu mit Herz und Muth,
Daß Ihr All's nehmen wollt für gut:
Ya wie Iener uns thät befcheiden,
Müßt Ihr auch Ternen henken leiden.
Weh Eud, fo man Euch zuviel lobt!
Wohl Euch, wenn die Welt heftig tobt!
Weh Euch, fo Euch der Dienft wird ſüß!
Wohl Euch, fo Ihr findt viel Verdrieß!
Weh Euch, fo Euch die Welt gefällt,
Wohl Eu, fo fie Euch Fallen ftellt!?
1) Anbreä: Bößgelt 3) Anbreä: Fromgelt
3) Andrei: Gott brufft recht buch _ben obern Mund, berufft
4) Andreä: noch werben 5) Hiernad zwei Zeilen auegelaffeı.
8*
— 116 —
Weh Euch, fo Ihr auf Titel ſchaut!
Wohl Eu, fo wenigs Euch vertrant.'!
So könnt Ihr Gottes Haushalter feyn, "
Der Welt ein Dran, ein’ Ruth und Pein.
Noch müfjen wir das Hauskreuz tragen,
Wie jeder Ehmann wirb beladen,
Was jedem gefchieht, das kann und werben,
AU täglich FAUL gehörn auf Erden.
Wollt Ihr denn bie den kürzten Weg,
Daß Euch begnüg göttliher Seg,
So laßt nit z’viel auf Erden ga’n,
Der Himmel fieht Euch befier an.
Gewöhnt Eur’ Leut zu fchlechter Art,
Nichts ehers lernt fih, als Hoffart.
Laßt Arbeit tbun, was effen will;
Zur Ruh bleibt Zeit noch überviel.
TZraut nit zu wohl eim jeden Maul, 372
Das Böſ' if friſch, das Gut’ gebt faul,
Veracht nit leihtlih arm’ Gefalt,
Gott viel Geheimniß babei vorbehalt,
Glaubt auch nit Alles, was man leugt,
Unzeitig Eifer manden treugt,
Ih geb Euch noch das zu B’richt,
Verlaßt Euch auf kein'n Menfchen nidt.
Gott fey Euch einig Euer Scopus,
Dazu der Menih Euch helfen muß.
Sonf, wo ohn Gott der Menſch foll helfen,
Da gilts laufen, ſchmieren und gelfen
Und iſt doch nichts als Wort und Schein;
Der g’winnts, ber über Euch kann ſeyn — —"?
Ih ſprach: „mein lieber frommer Herr 2
Wär’ ich vorlängften kommen ber,
Dein’ Obren follten kürzer feyn,
Mein Rüſſel abgelehrt und rein.
Ich hab gefolgt der Narren Zunft,
Da überherrſcht die Unvernunft;*
1) Siernad zwei Zeilen außgelaffen. 3) Hiernach ſechzehn Zeilen ausgelafien.
8) Andrei: Mein lieber frommer, weifer Herr, („Ib ſprach“ zwei Zeilen vorher.)
4) Hiernach vier Zeilen ausgelaſſen
— 17 —
Legt mir nun ab! mein’n Ning und Hut*)
Das Röcklein und das Sträußlein gut,
Damit wenn ich fomm’ unter bie Leut',
Ich nit umgeh, als der nit gfcheibt.“
Das ſchlug meim alten Herren zu,
Er ſprach: ich nichtzit‘**) Lieber thu,
373 Als jungen Leuten, bie noch jähren,
Was ihnen noch weit fehlt, zu lehren.
Es mag es aber, was nod glikt,
Und noch wohl hintern Ohren ſchwitzt,
Nit allmeg leiden, baf wir Geden®
Ihn'n wollen ihre Kunft erfchreden.*
Doch muß ich leider auch befennen,
Und werd’ e8 mit mei'm Schmerzen innen,
Das nit Alles, was ſchwarz, geiftlich ift,
Daß nit All Geiſtlichs lauter Ehrift,
Daß nit All Lauters ift gefund,
Daß nit All Sfundes if fürn Mund.
Hierauf bat mich der ehrlih Dann
Ih wollt mit ihm zu Haufe gahn,
Daſelbſt ein Süpplein helfen cfien
Das Schwäten wird fich nicht vergefien.
Er muß beimtragen an der Stangen,
Den bübfchen Vogel, den er gfangeı
Und ihn ſein'r alten Mutter bringen,
Die weiß doch auch von biefen Dingen
Und fagt mandem umfonft den Tert — —
Das Haus, das ſey ba allernädft, 5
Da er mit feinem Holderftod
"Oft fpalten manden biden Blod,
tieb’ und Leid williglich gelait,®
Mand tiefe Hauswunden geheilt
— - — —
*) Die alademiſche Magiſterzierde **) Nichte.
1) Andrei: Bud legt mir ab 3) Hiernach zwei Zeilen ausgelaffen.
3) Andrei: gewhen 4) Hiernach ſechs Zeilen ausgelaffen.
5) Anbreä: von biefen Dingen Darumb fie auch den jungen Tropffen Die
Bänffedern weiß auszu pfropffen, End fag ihn vmbſonſt ihren Text, Das Haus,
das ſey doch allernechſt,
6) Andrei: gelailt, [getailt?)
1) „’*) Nichte.” fehlt.
— 118 —
Bor mandem Sturmmind fih gebudt!
Bor mandem Unglüäd fi entzudt — — !
Alfo ging ih mit Scham und Freud’ 374
Mein Herz mar eng’ und ſich ausbreit.
Mein’ Kunft war Mein und bört’ doch viel
Mein’ Reu war groß, eilt doch zum Ziel. _
IH wollt nit, daß ich welſche Land
Dafür hätt giehn allefammt:
Denn ein Deutfh Herz, fo man das findt,
Iſt wertber als viel fremb Gefind.?
Der fagt, was fehlt, und räth dazu,
Hiemit fommt man mit Gott zur Ruh.
Was aber nur ſchwätzt: mum! mum! mum!
Und wirft den Brei im Maul berum,
Das braucht viel Zeit, Geld, Müh und Sorg,
Daß man im Eitlen gar erworg. — —
Nun wünſch' ih, dag all’ meine Gfellen
Ihn'n auch abtrennen Ian die Schellen,
Und geben fi in Chriſti Orden,
Der nie keim Frommen füß ift worden.
Hiemit folg’ ih mein’m Alten nah —
Wer beſſers weiß, der befler' die Sad.
Funfzigſter Brief. 375
Es ift ein Kennzeichen Ihres richtigen Verftandes und guten
Herzens, daß Sie das überjchidte Gedicht aufgenommen, wie es
aufzunehmen war, nicht ala Gefpött, fondern zur Beſſerung, nicht
lachend, jondern ernſtlich. Die ernfthaften Stellen der letten
Hälfte find Ihnen, fagen Sie, vorzüglich lieb gemejen und eine
Reihe Priefterlehren, die nicht ſchöner gedacht, gefühlt und gejagt
: werden können,“ follen Ihnen güldene Regeln bleiben. Mögen ®
fie es! denn gewiß das Schlechte, Niedrige, Erbärmliche bei unſerm
1) Hiernach cine Zeile auögelaffen. 2) Andreä: fremdes Sfind, 3) &: biezu,
4) Löunten 5) Bleiben
— 19 —
Stande ift eher zu beweinen, als zu beladen, eher zu ! bemitlei-
den, als zu veradten,; zumal der arme Geiftlihe an manchem
nit Schuld hat.
Wir werben alfo manche Sprüche dieſes Gedichts zum Grunde
legen, wenn wir künftig von Amtsführung, Amtspflicdten,
von Berlündigung des Wortes Gottes, Katecheſe, Zu-
376 ſpruch der Kranten, Beiht, Taufe, Abendmal, Seelen-
forge, äußerlider Situation eines Predigers u. f. reden mer»
den. Zu alle diefem aber ift noch Zeit, und wir brauchen neue
Kräfte, friſche Erholung; jetzt laflen Sie ung noch mit ein paar
Bliden das große Feld der neuern Theologie überjehen und denn
auf eine Zeit berzlichen Abfchied nehmen: denn auch viel Schrei-
ben, wie viel Predigen, macht den Leib müde.
Das unläugbare? Gute unjrer Theologie ift mohl das fleißige
Treiben der Spraden und des Litterar-Terts: bierinn
find wir wahre Lutbheraner, denn auch Luther ging bievon in
Widerlegung feiner Feinde und SHervorbringung der reineren 3
Lehre au. „Die Sprachen, fagt er, machen für ich jelbit feinen
„Theologen, aber fie find eine Hülfe: denn fol einer von einem
„Dinge reden, jo muß er die Sache zuvor wiflen und verftehen.
„Wenn ich jünger wäre, wollte ich die Ebräiſche Sprache ex professo
„lernen: denn ohne fie fann man die Schrift nimmermehr vecht
„verfteben.. Auch das N. T. ift voll Ebrätfcher Art zu reden:
377 „darum haben fie recht gejagt: Die Ebräer trinken aus der Brunn-
„quelle; die Griehen aus den Wäflerlein, die aus der Quelle
„fließen; die Lateiniihen aber aus der Pfügen. Die Ebrätjche
„Sprache ift die befte und reinfte, fie bettelt nicht und bat ihre
„eigne Farbe. Sie ift wohl vor andern einfältig, aber majeftätifch
„und herrlich; fchleht und von wenig Worten, aber da viel hinter
„it, alfo daß ihr es feine nachthun kann. Die andern betteln,
„haben viel Compofita, deren die Ebräifche feine bat u. f.“ Wie
viel er auf den reinen, veiten Wortfinn alte, bat er in ganzen
1) beladen, zu 2) unläugbarfte 3) reinen
— 120 —
ZTractaten gewiefn — — Sie hierauf und auf die natürliche
Geftalt der Schrift zu meilen, war meine erfte Sorge: denn feine
wahre, ächte Theologie wird ohne Wortverftand und Bibel. Es
wäre finnlos, wenn wir die vielen Hülfsmittel und Bemühungen
unſrer Zeit dazu nicht brauchten.
Nur, m. Fr., machen Sie fih nit zu früh ans Weber-
ſetzen oder gar Kritifiren und Verſtümmeln des Tertd. Zur voll:
ftändigen Kritif haben mir noch eine Reihe von Vorbereitungen
nöthig und zum Weberjegen fcheint mir unfer neueftes Zeitalter 378
nicht das bequemfte. Wir verftümmeln die Sprache, fehreiben Kraft
[08 oder geziert; kurz, das reine, ächte Deutih, das unsre Vor⸗
1. 2,909. fahren jchrieben, ehe fo viele fremde Sprachen in Deutfchland
befannt waren, bat fih in der neuelten Zeit ziemlich verlohren.
af} 2.38. Es wird fich wiederfinden und vielleicht aus unſerm Verderbniß
‘ j}
eine reihe, ſchönere Sprache hervorgehn; warten Sie alfo und
üben fi) in der Stille. Vor der Hand lafien Ste Luthers Ueber-
fegung gelten und tragen in Ihr Exemplar die Berichtigungen bei;
oder wenn Sie fih, zumal in den poetiſchen Büchern des A. T.,
üben wollen, jo arbeiten Sie für fih ſelbſt. Das N. T. ift in
den Lehrichriften noch ſchwerer zu überjegen, als das alte; damit
fönnen Sie nah den angenommenen Begriffen unfrer Zeit noch
weniger Ehre einlegen, es ſey denn, daß Sie paraphrajiren
wollten, wie alles paraphrafiret. Verſtändniß aber ift die beite
Paraphraie.
In der Glaubenslehre nugen Sie injonderheit den Fleiß
unjrer Zeit die Beweisftellen zu prüfen, ihren richtigen Sinn im
Zufammenhange zu beftimmen und die Begriffe ſelbſt fich verftänd- 374
ih machen zu wollen. Ich nehme den Mißbrauch und manche
Mebertreibungen aus; ſonſt war aber auch diejes die ächte Methode
Luthers und der Reformatoren, die einem Lehrlinge der Theologie
infonderbeit anftehet. Nur hüten Sie fich biebei für unbegrünbeter
Neuerungsſucht, für Bartheilichkeit und Edel gegen gewiſſe Lehren,
die die Schrift Doch offenbar enthält und für denen mande ſich
mehr jhämen und fie nicht jehen wollen, ala daß fie jo ungewiß
— 121 —
jeyn follten. Seyn Sie auch hierinn einfältigen Auges und lafjen
fih ja, fobald über Theologie geftritten wird, auf feine Seite ein.
Bleiben Sie in Ruhe und nutzen beide Partheien in dem, mas
fie recht ober beſſer fagen: die Hißigjte, wie jener Bauer im Diſpu⸗
tationsfaal fagte, hat wahrjcheinlich Unrecht.
Es ift übel, daß es Partheien in der Religion giebt; wenn
man fie aber zu früh ober überhin und durch Schleichwege ver-
einigen will, thut man ficherlihd minder Nugen ala Schaden.
Man ſchmiedet neue, vielleicht feinere Fefleln, die aber eben ihrer
30 Feinheit wegen unauflöslicher werben, als die alte vaflelnde Kette.
Eine halb»erfannte Wahrheit, wenn man fie zum Geſetz macht,
ift oft brüdender, als eine vumme plumpe Lüge; und jobald Fürften
fih bei der Religion ins Spiel mifchen, iſts um Vereinigung und
freie Unterfuhung gethan. Nur die Wahrheit kann uns ver-
einigen; nur eine gleihmäßige, ungezwungene, belle und richtige
Auslegung des Worts Gottes kann jeder Parthei die Schup>
pen von den Augen nehmen. Hierauf laflet uns alfo arbeiten,
biernad überall ftreben und das übrige Gott und ber Zeit laffen.
Was wir uns fo lange jhuldig find, ift Toleranz und gegenjeitige
Freiheit — amici usque ad aram. Unſre Zeit ift, dünkt mich,
bierinn nicht fo weit, als ſie e8 zu ſeyn vorgiebt, und die am
meiften von der Toleranz reden, üben fie oft am menigften aus.
Der äußere Zuftand mander Kirchen und Religionen ift
von der Art, daß die Hoffnung einer Verbefierung oder die Furcht
eines völligen Verfall beinah unvermeidlich fcheinen. Die tiefe
Verachtung, die die fogenannten Pfleger und Säugammen der
381 Kirche gegen ihren Säugling haben; die Armuth, und Knechtichaft,
in die der Stand der Geiftlihen hie und da gefallen ift und von
Zeit zu Zeit mehr fällt, zufammt dem herrſchenden öfonomifchen
Geift, der alle Stände belebet; die kalte Gleichgültigfeit, Die fich
gegen alles, was Religion ift, ſchon bis auf den Pöbel hinab
verbreitet; Ddiejes und noch manches mehr muß mit ber Zeit noth-
wendig eine Aenderung ! bewirken. Ins Beſſere? ins Schlechtere?
1) Zeit Anderung
— 12 —
was weiß ih? — Gnug, mein Freund, auch aus dem Schlech⸗
teften muß endlich das Beſſere werden. Die Hefen des trüben
Tranks ſenlen fi endlih: der Trank wird helle. Der Gang der
Vorſehung fchreitet weiter.
Kümmern Sie fi hierüber nicht anders, als daB Sie fi
frühe die Gefchidlichkeiten erwerben, die auch in dieſer Rückficht
Ihre Zeit fodert. Die Kirche Gottes ſchwimmt auf dem MWelt-
meer, und jo muß man biejes mit feinen Untiefen, Klippen und
Brandungen kennen lernen. Stubiren Sie alfo das Kirchenrecht,
die weltlihe, die Staatengefchichte, ſofern fie infonderheit Ihren
Stand angehet und ſuchen fih, worinn es feyn kann, die praf- 882
tiſche Klugheit zu verfchaffen, die auch einen Theologen nicht miß-
jieret. Oft ftiftete Ein Dann für ein ganzes Land Gutes; oft
that Einer der ganzen Kirchenverfaſſung deſſelben unmwieberbring-
lichen Schaden. Es ift nit gut, wenn ein Geiftlicher ſich in
weltliche, ihm freinde Händel miſchet; es ift aber auch eben fo
ihlimm, wenn man ihn in Geſchäften, woran er Theil haben
fol, nur immer als das fünfte Rad am Wagen mitführet.
Auch zu diefem Zweck ſeyn Ihnen die Vorbilder unfrer alten
Theologen und NReformatoren vor Augen. ever arbeitete nad
feinen Kräften, nad feinen Gaben und Einfichten, jeder nach dem
Zuftande feines Landes mehr oder minder, glüdlich oder unglüd-
ih; alle aber wie arbeitfam,! wie muthig und entjchlofien!
Müßiggänger find wir gegen einen Luther, Melandthon,
Zwingli u.f. Sie banbelten, fie veranftalteten? mehr, als fie
jchrieben: fie Ichrieben mehr, als wir zu lejen vermögen. Sie
ſprachen aus der Bruft, aus dem Herzen, über Saden und nicht
über Worte; felbft über Worte, als obs Sachen wären. Unire
Stimme ift ermattet und Heinlaut: unsre höchfte Gabe ift Vorfid-
tigfeit * und unfre Schriftftellerei jo oft müßige Kunft. Welche 383
Menge Lumpen wird, zumal in unferm Baterlande, von Geift-
1) Kräften, Gaben .... Landes; aber alle, wie arbeitfam,
2) bandelten, veranftalteten 3) Gabe. Borfichtigkeit
— 13 —
lichen beſchrieben; und wer jchreibt mehr Makulatur, wie fie?
Hüten Sie fih, m. Fr., daß bei Ihnen die Schriftftellerei je eine
Tagarbeit, ein Brotfiubium ! werde. Es ift dies Eine der unehr-
barften Profeffionen unfrer Zeit, mit der man mehr als das
Papier verderbet; ? lieber wählen Sie fi eine Hände» Arbeit, bei
der Ihnen Kopf und Herz gejund bleibe. Es ift nicht auszu⸗
lagen, wie elend ein Menih daran ift, wenn Wahrheit, Wiflen-
haft und Menſchenbildung bei ihm QTaglöhnerei ° werden — —
Endlich, m. Fr., die Theologie ift nicht Wort» nicht Sylben-
und Bücher Studium, fondern Erfänntniß der Wahrheit zur Gott-
feligfeit, aljo Sache, Gefchäft, Uebung. Hiezu gewöhnen Sie fi)
täglid mit Gottesfurcht und Lebensmweisheit; und auch hiezu find
Ihnen die ältern Schriften thätiger Theologen bejonders zu
empfehlen. Sehen Sie ihre Uneigennüßigfeit, ihren Eifer, ihre
Reinheit in Befolgung deflen, mas fie für wahr und recht hielten.
Das Leben derjelben war furz, wie das unfere; aber fie ver-
384 längerten es durch Mühe, dur Thaten, wir verfürzen das unjere
duch unnüße Gelehrſamkeit, Weichlichfeit, Feigheit. Ste leben
noch, ob fie gleich geftorben find; mir, bie wir oft bei Leibesleben
todt find; wer wird uns nennen? welche menjchliche, chriftliche
Anstalt, welch errungenes Gute, welcher unfterbliche ſchöne Same,
wird fih, wenn wir wie ein Traum dahin find, unſres Namens
und Dafeyns freuen? —
Leben Sie wohl. Ach Iege Ihnen, da wir vielleiht auf
lange Zeit jcheiden, zwo Beilagen bei, die meine Briefe fehr erſetzen
können. Die erfte beiteht aus Shaftesburi’s zehn Briefen an |. 2, 27}
einen Lehrling der Theologie.*) Sie find furz, hie und da etwas .
Lordmäßig, auh von Shaftesburi’s Privatblid, wie Er bie
*) Sie find bier nicht abgedrudt, weil fie im Brittifhen Theo—
logifhen Magazin (Band 3. S. 521.) bereits überſetzt zu finden.
1) Schriftftellerei Zagarbeit, Brotſtudium
2) Brofeßionen, womit Sie mehr als das Papier verderben;
3) wie elend es ſei, wenn .... Menſchenbildung Taglöhnerei
— 1211 —
Theologie anſah, nicht frei: überdem find fie im Anfange diejes
Jahrhunderts und für einen Engländer geſchrieben, der auf Eng:
lands Weiſe ftudiret. Indeſſen, was er von der wahren Philo⸗
fopbie, der leeren Spekulation, der Akademiſchen Polyhiſtorie, der
geiftlihen Ehrfucht und der wahren Freiheit zu denlen, von den 385
Schriften der Griehen und dem Schönen und Reinen, wornach
man im Studium aller Art ftreben müfje, mas er vom Geift der
Duldung und Chriftlicden Einfalt, von feinen und Locke's Schrif-
ten fagt, u. f. ift vortreflih. Vielleicht vergefien Sie meine Briefe
über den feinigen und ich bins nicht unzufrieden; bei meinen Bei-
lagen Batte ich dies mehrmals zum eigentlihen Zwecke.
Die zweite Beilage follten Pythagoräiſche Sprüche und
goldne Regeln ſeyn, die ih Ihnen jeden jungen Zag als neue
Entſchließungen wünſchte. Sie find von dem Dichter, dem Sie
Ihr Vergnügen über das Gedicht, Sokrates oder von der mora-
liſchen Schönheit zu danfen haben, und den Sie, Trog mander
Härten feiner Versart für einen Plato - Shaftesburi in dieſer fchö-
1, gg.nen Begeifterung erkannten, Witthof. Das Gedicht, das ich
jegt meyne, war das Erſte! in feinen fittliden Gedichten;*)
juden Sie fih die Sammlung felbjt auf. — Was ih Ihnen g86
gebe, find einige Gedanken Hemfterhuis in feiner Ideenreichen
*) S. Witthofs Anfmunterung in fittliden Gedichten. Dortmund,
1755. Im der neuen Ausgabe feiner fogenannten Alademifchen Gedichte
ficht e8 Th. 2. S. 112. aber bis zum Unfänntlichen und nad meiner Mei⸗
nung nicht immer glidlich veränbert.'
1) dem vortrefliden Dichter, dem Sie ... . Schönheit ſchuldig
find, Witthof. Iſt es nicht Schande für uns, baf die fo lang angetün-
digte neue Ausgabe feiner Gedichte noch nicht zu Stande gekommen ift, ja
vielleicht gar nicht zu Stande kommen wirb? und melden Lehrdichter haben
wir, der, wie er, mit fo richtigen Gedunten bie fehöne VBegeifterung eines
Blato- Shaftesburi verbände? ob wir gleich an vortreflien Lehrdichtern
nicht arm find, und ihm freilich bie und da Umriß, Berfification und
Wohlklang fehle. Kurz, dies Gedicht ift das Erfte
1) „*) In der — verändert.” fehlt.
Schrift: sur ’homme et sur ses rapports; Sie merfen leicht,
wo ich nad einer Reihe meiner Briefe damit binausmill.
— m
Einige Gedanfen Hemfterhuis über den Gang
der Wiffenfchaften, Religion und Geſetzgebung.
Die Wiflenfchaft des menſchlichen Geiftes ſcheint fi um bie Vollkom⸗
menbeit, wie die Kometen um bie Sonne in fehr eccentrifchen Krümmen zu
bewegen. Sie bat, wie diefe, ihre Peribelien und Apbelien; wir kennen aber
durch die Geſchichte faft nur anderthalb Hevolutionen, zwei Peribelien und
das Aphelium zwiſchen ihnen.
Ich merke an, daß in jedem Berihelium ein allgemeiner Geift regierte,
der feinen Ton und Farbe auf alle Wiſſenſchaften und Künfte oder auf alle
Zweige menfchliher Känntniffe verbreitete. Im unferm Beribelium ift® ber
387 Geift der Geometrie oder Symmetrie: diejenigen Wifienfchaften werben in
ibm volltommen, die und nah ben Maas fie fihb auf Geometrie und
Arithmetik beziehen Taffen Im Perihelium ber Griechen könnt' es Geiſt der
Moral oder der Empfindung beißen: die Ideen von Liebe, Dankbarkeit,
Undankbarkeit, Haß, Nahe, Eiferfucht waren ihnen faft eben fo klare, voll«
fommene und beftimmte Beziehungen als uns Dreied und Eirkel. Betrach⸗
tet man endlich den Styl ber Künfte bei den Aegyptern und Etrustern, 1
fo wirb man bald gewahr, daß der Allgemeingeift ihres Perihelium Geift
des Wunderbaren gewefen, ber eine rohe Erhabenheit mit fich führte.
Solcher allgemeine Ton nun in jedem Perihelium ift nicht allen
Zweigen der menſchlichen Känntmiffe gleih günſtig. Werft einen rothen
Fichtftral auf verfchiebene Karben: das Rothe wird er verfhönern, bie
andern Karben wird er verfchlimmern, ſchwächen, mehr oder weniger ändern.
Bergleicht 3. E. in unferm Perihelium bie Linie mit dem Sonnenftral, dem
Hebel: die Zahl mit dem Beſitzthum, beide mit Dauer und Bewegung;
Optil, Mechanik, Delonomie, Aftronomie, werden fidh veroolllommen, aber
Moral, Bolitit, die fchönen Künfte — zarte Blumen, die einft auf Xtti-
gss Them Boden fo frifh, fo blühend fanden — fie erblafien, fie mwelten in
unfern trodnen Klimaten, Trotz ber gelebrteften und forgfältigften Wartung.
Die Stärke dieſes allgemeinen Tons in jedem. Perihelium wird durch
die fruchtlofen Arbeiten ber ſonderbaren Menfchen offenbar, die von Zeit
zu Zeit in einem Perihelium gebohren werden, dem ffle remde fcheinen.
1) Etruriern,
— 1% —
Demokritus und Hippokrates hatten denfelben Zweck, den wir haben, bie
Philoſophie auf genaue Erfahrungen bauen zu wollen: Archimedes wandte
fhon feine bemundernsmwürbige Geometrie auf bie Mechanik an; aber weder
Einer noch der andre vermochte etwas gegen die Herrichaft bes Allgemein-
geiftes. — Gegentheils bie Lieblingswillenfchaft der Zeit, die dem berrfchen-
ben Geiſt berfelben ähnlicher ift, als die andern alle, wird auch auf alle
andern ohne Unterfchieb und Rüdficht angewendet. Dies bringt eine unge-
beure Menge neuer Ideen hervor, die nad dem Maas, als die Anwen⸗
dung ungereimt war, auch bifparat, falfch und fo entfernt won einander
ſeyn müfjen, daß die Anſchauungskraft fie nicht zu vergleichen vermag. So
fommt ein gewiffes Falſche auf, aber der Menſch, ein natürlicher Freund
der Wahrheit, haſſet zuletzt das Falſche. Das giebt ihm benn Edel am
Ganzen und führt ihn durch Frivolität zur Indolenz, die ihn werbindert,
bie Wahrheit von neuem bervorzugraben, bie durch eine ungeheure Dienge
unnüter Ideen fo gräulich verftellt warb —
Hätten die Menfchen mit Fleiß Anftalt gemacht, eine Geſellſchaft
einzurichten, worinn es die möglichitwenigfte Religion und Tugend gäbe: 389
augenſcheinlich hätten fies nicht beſſer machen Können, als fies jett gemacht
haben. Und noch betümmert fi die Gefetgebung nicht um die Natur
diefer Religion und Jugend; bringen fie nur nicht phyſiſche Wirkungen
bervor, die die einförmige Bewegung ihres großen Mechaniſmus binbern
könnten. Religion entfpringt nur aus Beziehung jedes Individuum aufs
böchfte Wefen, und dieſe Beziehung offenbaret fih nur durch ben mora-
tifhen Sinn. Der moralifde Sinn ſchwächet ſich aber von Tag zu Tage,
nah dem Maas, als die Wirkfamleit der Menſchen eingefchräntt, beftimmt
und durch die Geſetze verwaltet wird.
Will man von den angenommenen Religionen urtbeilen, infonber-
beit in Jahrhunderten, wo bie Gefetgeber fie mit politifhen Satzungen
vermifcht oder verwirrt haben: fo merke man zuvor, baß fie fi in ſolchem
Zuftande nicht wie die Wahrheit nackt zeigen, fondern bald durch Wilfen-
fhaften und Tugenden der Menſchen verziert, bald durch Geſetze, Gebräuche,
Sitten, Künfte der Zeit verunftaltet, bald durch Fanatismus, Lafter und
Leidenſchaften entweihet und verunreiniget find. Vom Chriftentbum nad
dem gemeinen Schlage der Chriften heut zu Tage urtbeilen, wäre Die
ungereimtefte Sade. O quamı contemta ros est homo, nisi se supra
humana surrexerit._ Glücklicher Weife ift biefe Kleinheit des Menfchen
mir fein Werk, die Folge vom Mechaniſmus der Gefellfhaft —
Nimmt man der chriftlihen Offenbarung alles weg, was ihr ange- 390
hängt und falfch ſcheint: wirft man alle unverfchämte Auslegungen weg,
die Menſchen über das gaben, was fie doch ſelbſt als Wort des böchften
— 127 —
Gottes anklimdigten: fo wird man finden, baß fie die einzige Religion
fey, die ben Menſchen zur Glüdjeligleit, al8 Individuum, ruft, bie ein-
zige, die ihn von den Banden ber Gefellichaft losmacht und ihm felbft
wiebergiebt, bie einzige endlich, die die Pflichten gegen die Gefellichaft
nicht anders betrachtet, als fofern fie Beziehung haben auf die Pflichten
zum böcften Wefen, die boch allein die wahre Glüdfeligleit jedes ein-
zelnen Geſchöpfs find. — Ich denke nicht daran, baß die chriftliche Religion
no bie veftefle Stütze der gegenwärtigen Geſellſchaft in Europa fei.
Diefer Gebante allein follte ven? Ungläubigen binreichen, fie als ehrwürdig
zu betrachten und zu bebanbeln.
Es ift nicht ehrwürdigeres in ber Welt, ald Theologen und Philo-
ſophen, wie's deren auch noch heut zu Tage giebt. Aber von einer Seite
die fogenannten Orthoboren, deren Härte, Eigenfinn, Dummheit, wenige
Känntniß und ungemeffene Ehrſucht ihnen die Anmaafjung giebt, „ale
Menfchen follen fo venten und begreifen, wie fie;" und von der andern
Seite die Schwärme der fogenannten Philoſophen, bie eben fo eitel und
unaufgeflärt als die Ortbodoren, durch Unorbnung, after oder Sopbis-
men ihr moralifches Bewußtfeyn auf eine Zeitlang zum Schweigen gebracht
391 haben und bie? Irreligion noch mit mehr Eifer, als jene anbre ibre
Orthodoxie predigen, die gern alle Menſchen belehren möchten, bamit
ihnen nur niemand einen allgegenwärtigen Gott zeige, den fie fürchten,
oder fie an ein Organ erinnere, das auch nach biefem Leben bleibt und
gewiß in dem Maas beunrubigen wird, ald mans vernadläßigt bat;
diefe fogenannte Orthodoren, fage ih, und dieſe vworgegebne Philo-
fopben find zwo fchäbliche Gattungen, die fih einander grauſam bekriegen.
Wäre ber Krieg noch von der Art, daß er ewig dauern könnte, fo würde
das Uebel wenigften® nicht fchlimmer. Wie aber der, ber feinen Gegner
läherlih machen kann, in unferm Jahrhunderte ohne Zweifel viel Bor-
tbeil bat über ven, ber ihn nur ſchwarz machen kann; fo folgt, daß die
zweite Gattung wahrſcheinlich das Mebergewicht haben dörfte. Xrauriger
und abſcheulicher Anblid einer Verſammlung Menſchen, in der es weber
Sitten noch Religion mehr geben wird; es fei dem, daß man auf ber
einen Seite dahin komme, die Kirche von biefen harten Köpfen zu reinigen,
indem man niemand zur Priefterfchaft läßt, als Männer, die erleuchtet
und durch überlegte Erziehung menſchlich und ihres Standes werth geworben;
und daß, auf der andern Seite man dahin komme, die Wahrheiten ber
Bhilofophie fo belle und popular zu machen, daß die elenden Sopbismen
der Philoſophen von der zweiten Gattung felbft Kinder nicht mehr über⸗
reden —
ı) für bie 2) gebracht, bie
Welch ein Reichtum von Ideen, über die wir fünftig zu 392
reden haben! Laſſen Sie und, m. Fr., unter dem traurigen
Zwift von Meinungen, der jeßt die Theologie zerreißt und in
dem Falten Apbelium, in dem die Religion vielleicht überwintert,
dennoch getroften Muths nad der wiederlehrenden Sonne bliden
und auch in der dunfeln Nacht brenne unfre Lampe! !
1) A: in dem vielleicht bie Religion überwintert, zum Licht, zur Sonne
ſtreben. Mſe. in dem vielleicht Die Religion überwintert, zur Sonne, zur
Sonue ftreben.
Ende des vierten Tbeils.
Anhang.
Drei Briefe aus der erſten Ausgabe.
Stücke aus älteren Hedactionen.
1780.
Herbers fümmtl. Werte. XI. 9
335
Zweiter Theil.
. I.
Zwanzigſter Brief.
(Bgl. Bd. X, 2281.)
Sie meinen, m. Fr., daß wenn auch die nadte Geichichte
der Evangeliften nicht Epiſcher Stoff ſei; jo fünne ja der Dichter
durh Beiwerke, durch feine oder andrer eingewebter Perjonen
Empfindungen, endlich daß er den Briefen der Apoftel zu Folge
die facta der Evangeliften mit ihren groffen, ewigen Folgen beflei-
det — dadurch könne und dörfe fih der fruchtbare Dichter Epopec
ſchaffen. Es fei eben feine Kunft, durch einen Bauberftab Blu-
men heroorzuruffen, wo feine find, und eine Wüſte in Paradies
zu verwandeln. Ih weiß, Sie meinen nit allein fo; es ift
dies das gewöhnliche Lob der Zeitungsjchreiber, und cinige gute
Köpfe find daher gar auf den Abmweg gelommen, Cpopeen über
Dinge zu ſchreiben, wovon fie gerade nichts wuſten und fein Sterb-
licher etwas weiß, 3. E. die Schöpfung der Hölle, den Abfall der ver-
dammten Geifter u. f. Das ſey Epifche Kunſt! Dichtung! Dichtung,
in der endlih das berühmte Heldengedicht „Nimrod“ das größefte
336 deal bleibt, und meinen Wunſch nah immer aud bleiben
möge. Laffen Sie uns fehen, wiefern Ihre Grundfäge Beftand
haben? — — .
Sie jeßen eine Epopee, deren Hauptperſon und Hauptge-
ſchichte durch keine willführliden Dichtungen bereichert werden
fönne no dörfe; und pflanzen nun poetiihes Beiwerk umher;
aber was wäre dies poetifche Beiwerk? Perſonen? Sm unfrer
9%
— 132 —
Geſchichte giebts Feine, die am facto eigentlich Theil hätten; Jeſus
ftehet allein da und muß vollenden. Auch Biftorifch thun feine
Jünger nichts: fie entlaufen. Der Eine verräth feinen Herrn;
der andre verläugnet feinen Herrn: der dritte fieht ihn am Kreuz
— mas thut dies, daß aus der Geichichte Poem werde? Laſſen
Sie diefe Perfonen über ihre Yehltritte, ja über die Begebenheit
ſelbſt, Empfindungen haben und äußern, bie fie wollen; es find
Dinge, die als facta betrachtet, wegbleiben fünnten, ober zum
Theil, wollte Gott! meggeblieben wären. Lehrreiche, nützliche,
rührende excursus mögen fie werden, an denen man fi) allenfalls
erholet, die aber, Ihrem Ausdruck zu Willen, aus der Wüſte
fein Paradies ſchaffen. Je mehr der Dichter fie nöthig Hat, je
öfter er fie berbeiholen, je länger er fie reden lafien muß; deſto
mehr zeigt er, daß die Haupthanblung feines Gebichts ihn an Stof 337
arm ließ. Es wird zulegt lauter Rand am Gefäße und man fieht
nit, mo das Gefäß fei. Empfindungen, die die umftehenden
Perfonen, Engel, Teufel, Menihen, über den Vorgang der
Gefhichte äußern, find gut; noch beffer aber, wenn fie fie nicht
äußern dörfen, wenn jene aus dem facto ſelbſt zu uns fprechen
und fih in unjer Herz lagern. Wäre dies nicht; jo würde man
jener bald matt und müde. Wenn alles im Himmel und Erbe
empfindet, und das Meifte Einerlei empfindet, alfo auch Einerlei
äußert, fiehet man ſich jo umringt, daß man zulegt felbft nicht
empfinden mögte, zumal wenn die Sache nicht mithülfe. — End-
lih die in den Vorgang gelegte Folgen — fie wären freilich das,
was auf Einmal alle meine Zweifel aufhübe, wenn fie nur in
der Begebenheit, im Borgange jelbft ſichtbar zu machen wären.
Es ift leicht zu jagen: ich finge Erlöſung, aber wie ſchwer, fie zu
fingen und zu zeigen! Es ohne ein Dogmatifches Wort darüber thätlich
darzuftellen, wie in diefem Blut Verſöhnung Gottes und ewiges
Menfchenheil floß. Es ald Handlung zu zeigen, wie durch die
Kreuzigung Menſchen erlöft find? wovon fie erlöft find? welche
Menihen? und mas davon genau jeder Moment des Ganges ber
Handlung bewirkt habe? Gefchieht dies nicht (und ich zweifle, obs 338
— 13 —
geſchehn könne?) fo bleiben alle Worte nur Worte; ja fie machen
vieleicht, wenn wir ihren Grund in der Handlung ſelbſt nicht
ſehen, und mit ihr bie und da feinen Zufammenhang in der Dar»
ftellung des Dichter gewahr werben, eher einen unangenehmen
Eindrud, ala, wie mans oft nennet, ein heiliges, myſtiſches Dun⸗
tel — — Kurz, Beiwerke als Beiwerke betrachtet, erdrüden und
bindern die Handlung, aus ber fie nicht folgen, mit der fie nicht
Eins find. Bringe der Dichter Hundert Nebenperfonen hinan,
verwidle er fie in Händel, gar in Liebesbegebenbeiten unter ich,
wie er wolle; fie nehmen fo lange an der Hauptperfon nicht Theil,
zerftreuen von ihr und ftehen ihr im Wege. Fremde Zierrathen,
Vielbeit der Köpfe, goldner Schmud in einem Gemählde hilft
nid. Ob ein Engel den Kreis ums Kreuz macht, oder ein
Menſch; ob zwei oder Fein Todesengel umher fliege; Kreuz ift
Kreuz, Tod ift Tod und in der Sade, der Handlung muß ihre
Wichtigkeit liegen, anfhaubar, durch ſich anſchaubar, wirfend,
tbätlid — — So denke ih, und fage nur meine Meinung,
nit von Seite eines Gedichts und feiner Talente, fondern von .
339 Seite der Religionsgeſchichte, alfo des Inhalts, als Inhalts,
wegen. Mein Zwei ift nit, Sie zum Critikus der Dichtkunft
zu bilden, da ich Briefe über das Studium der Theologie
ſchreibe; über jene habe ich jet Fein Urtheil. Der größefte Dichter
der Welt kann feine Talente an einen Gegenftand wenden, ber
diefe Talente nicht nöthig Hat, fie vielleicht auch, andrer Rückſich⸗
ten wegen, nicht wünjchet; die Talente bleiben indeß, was fie find,
Schüler der Poefie werben fie immer ſuchen, finden und fchäten.
Set habe ich mit dem Schüler der Bibel zu Schaffen in einer
Sade, die fein Gedicht ift und auf diefem Wege willführlicher
Dichtung auch wohl nicht werben fol.
Sie verzeihen alfo auh, m. Fr., daß ich Ihre zweite Bitte
nicht erfülle und über Klopftods Meßias rede.
II.
Ein und zwanzigſter Brief. 353
(Bel. Bo. X, ©. 238 1.)
„Die Wahrheit, fagt ein Chriftliher Schriftiteller, iſt nicht
„eine äußerlice Rede, noch äußerliches Zeugniß; fie ift Werk und
„Wefen. Hiervon wiflen nichts die Schwäzzer, die feufche Tochter
„tehret nicht bei ihnen ein. Sie haben was von ihr gehöret; aber
„nichts von ihr gefehen; ſie haben fie nennen hören, aber fie nie
„gelannt; denn würden fie etwas davon erfennen, fo würde man 354
„an ihnen fehen, mas Geift und Weſen tft.” .
Wie mißlich überhaupt es mit Erläuterungen des N. T.
jet, wie mißdeutet und mißbraucht fie oft werben, der eigentlichen
Abſicht des Schriftitellers zumider, will ich Ihnen lieber an mei-
nem eigenen Beilpiel zeigen. Daß der Sprachgebrauch, ſelbſt der
heilige Spracdhgebrauh der Juden ſich feit der Babylonifchen
Gefangenſchaft merklich verändert habe, willen Sie und weiß ein
jeder; ob man gleich die eigentliche Duelle dieſer Veränderung jo
genau und in beitimmten Fällen nicht weiß; aus feiner Urfache,
ala weil man die Sache entweder noch nicht jo Icharf unterfucht
bat oder weil uns hiſtoriſche Data dazu mangeln. Ein gelchrter
Abenteurer *) ging nach Dften und brachte Bücher**) der alten
Chaldäiſch-Perſiſchen Religion mit, die zwar niemand in ber Welt
für Urbücher des Mannes halten wird, deſſen Namen die angegebne
Religion führet, die aber eine mweitläuftige Liturgie, mithin auch
das Syftem derjelben enthalten, jo fern es in einer Liturgie liegen
fann. Ob dieſe Liturgie die urälteite fer? können mir ſchwerlich 355
enticheiven, noch weniger von welchem Dato jedes Kirchenbuch,
jedes Miffal, jede Agende jei, (denn anders find doch dieſe Bücher
nichts) : dieſe können und werden mwahrjcheinlich von weit fpäterer
— —
*) Perruu d'Anquetil.
**, Zend-Avcsta, Ouvrage Je Zorvastre. Par. Lil.
— 135) —
Zeit und Abſchrift ſeyn, als die Verfaffung dieſer Liturgie,
geſchweige als die uralte Religion felbft. Hierüber tft feine Frage;
es braucht auch feiner jo gelehrten Erweiſe, da die Vernunft, die
Analogie aller Liturgieen und Kirchenbücher in allen Religionen,
ja endlich der Anblid einiger diejer Bücher felbft, es offenbar erge-
ben. Von dem Allen war, wie gejagt, die Nebe ganz und gar
nicht. Die Frage war: ob diefe Bücher nicht noch in ihren trüben,
Ipäten Nachläßen, felbft wenn fie in dem groflen Zmifchenlauf von
Jahrhunderten mit andern Sekten vermischt worden, etwa eigen-
tbümlichere, urjprünglichere, einheimilchere Nachrichten von dieſer
alten Religion und Gefetgebung gewähren fünnten, als wir, von
ben entfernten, fremben, verfälfchenden Griechen her haben? Die
zweite Frage war: wirft diefe Entdeckung, es jei nun einer Duelle
oder eines Morafts, nicht Licht auf Völker und Selten, die diefer
alten Sitteneinrihtung näher gemohnt, gar, wie manche Gnoftifche
356 Selten, aus ihr ausgegangen, vielleicht wieder in fie zurückgefloſſen
find, wenigſtens von der Denfart derer, die nad jener Religion
gebildet waren, Yarbe und Anftrih angenommen haben? Mid
dünkte, ja! und ich denfe noch immer ja, wenn ih, ohne alle
Hypothefe und Deduction offenbare Gleichheit bemerfe. Von
manden Secten Orientaliſcher Philoſophie iſt dieſe Aehnlichkeit
unläugbar: ſie mögen dorthin gegeben oder dorther genommen
haben: die Aehnlichkeit iſt auffallend, ſie iſt da. Daß von dieſen
Secten nun auch vor Chriſti Geburt bereits Judäa nicht befreiet
geblieben, iſt bewieſen; obwohl niemand genau zeigen kann, ſeit
wenn? wie? und wo ſie ſich verbreitet? Gnug, ihre Spuren ſind
da und zur hiſtoriſchen Deduction fehlen uns — Data. Nun
dünkt mich, drittens, eben jo augenſcheinlich, daß manche Ver⸗
änderung im Sprachgebrauch der Juden und im Lehrbegriff ein⸗
zelner von ihren Secten, eben mit dieſen jo genannten Heilig⸗
thümern des höhern Aſiens, d. i. ihrer ſo verbreiteten Philoſophie
hie und da keine geringe oder flüchtige Aehnlichkeit habe, daß in
einigen Grundbegriffen, die vom Geiſt der Commentatoren ſelbſt
den älteſten und ſo anders geſinnten Schriften des A. T. frühe
— 13 —
angebildet wurden, auch manches daber gefloffen jeyn mag. Spu⸗ 357
ven in den fo genannten Apokryphiſchen Schriften follen in Pro⸗
grammen*) gezeigt jeyn, die ich nicht geleſen; bei einigen Lehrſätzen
der Phariſäer, (und fie waren doch die eigentliche bogmatifche
Secte der Juden) noch mehr bei dem Chaldäifchen Paraphraſten
u. f. ift die Aehnlichkeit unverkennbar. — Nun ift die Frage:
breitete fich nicht daher auch einiger Schimmer jelbft auf den Sprad-
gebrauch der N. T. Schriften? Dieſe Tonnten doch in feinen andern
Ausdrüden reden, als üblih waren, als verjiunden wurden: felbit
Chriftus konnte fih ja feine neue unerhörte Sprache vom Himmel
bringen, daß feine Zeitgenoſſen, Menſchen, ihn verftünden. Er
iprach die gewöhnliche Sprache feiner Zeit, wie die Evangeliften fie
uns aufbewahrt und fo viele fie aus Jüdiſchen Schriften, zum
Theil viel fpäterer Zeit, nicht unglüdlich erläutert. Alle dies
find nur Ausflüffe, ſpäte Abflüffe; wie wenn wir die Quelle fän-
den? wenn wir fie auch nur in einem trüben Sumpf, vermijcht
mit vielem Unrath fünden? Schadete nichts. Sie follte nidt
Sachen, fondern Worte, nicht Geheimniffe des Himmels, fondern
die Bilder, die Ausbrüde der Zeit erläutern, in die fie, bie und
da, weils Sprahgebraud war, eingelleivet werben mujten. Hät⸗ 358
ten fih nun auch diefe fremden Urbegriffe jpäterhin mit andern
Secten vermifcht; ſchadete wieder nichts: man ſähe ja die Ver-
mifhung, die Ableitung und die Punkte, wo ſich beide zufanı-
mengebogen haben. Kurz, bier wäre in der Welt von nichts, als
von Spradgebraud die Rede, die hier in einem fpäter- früher -
bieber = dorther⸗ zujammengeflofienen Religions- und Philoſophie⸗
Iyftem, (von dem der Name Zoroafter und Zerbufcht ganz und
gar wegbleiben könnte) etwa Erläuterung fände, wie man fie zu
Erklärung des Chaldaiſmus Helleniimus, Phariſäiſmus, Gnofti>
ciſmus (oder wie mans nennen will) bie und da vergebens gejucht
batte. Da begriffe es ſodenn ein jeder, daß jeder Ausdrud nun !
*) Des Herın Prof. Fabers zu Anſpach.
1) nur (2)
— 1317 —
von der Weise abhange, wie er jet gebraucht fei? daß Jeſus,
wenn er Phariſäiſche Begriffe anführt, er dieſe ja widerlegen, um⸗
bilden, ihre Nichtigkeit zeigen Tönnen, mie ers, bei Johannes
infonderheit, fo oft thut. Es verftünde fi von felbft, daß wenn
jene ein falſches Wort, ein falfches Licht, ein falfches Leben,
ſuchten; er fie auf die rechten Ideen diefer Art führen könnte, eben
indem er ihre Ideen berichtigt und miberleget: denn Ausdrücke
bilden fich ja erft in Gebrauch deffen, der fie mit Ideen
359 begabt und verbindet — — So dachte ih;*) aber, ich weiß
nicht, woher eine Reihe Freunde und Feinde anders dachten.
Diefe glaubten aus Gründen, die fie felbft wiffen mögen, da ich
das gerade Gegentheil jage, „ich hätte Chriftum aus Zoroaſter
(dem einfältigen Fabelnahmen!) debuciren wollen und ihm Zoroafters
Philoſophie Schuld gegeben“ — eine Thorbeit, von der ih im
ärgften Fieber nicht zu träumen vermödte, jo fehr ift der ganze
Anblid der Evangeliften, die ganze Lehre und Abficht Jeſu
dem fremden Gemisch von Ideen entgegen. Phantafiereiche Freunde
find gar weiter gegangen und haben in den reiniten, klärſten
Begriffen Jeſu eine Art Philoſophiſch⸗Orientaliſcher Myſtik gejucht,
vor der ich ſchaudere, und mir, ftatt ihrer, lieber jene gehäffige
Deutung, die doch endlih nur auf mid fällt und andern nicht
ſchadet, zurüdwünfdhe. Wenige haben ben reinen Zweck des Buchs,
der blos ein factum, Aehnlichteit, Sprachgebrauch anbetrift, ein:
gejehen und meines Willens niemand ihn litterariih, unbefangen
fort» oder zurüdgeführet. So wird man verftanden!
360 Eine andre Probe des Erläuternd. Sie wiflen, mie viel
man über die Yebensumftände der Apoftel, über die Ver—
anlajfjungen, Drt, Zeit, Schriftftellerei ihrer wenigen
Schriften gejchrieben und gerathen bat! Die beiden Briefe Jacobi
und Judä find auch in dieſer Mufterung geweſen; und ich habe
gerade nicht Luſt anzuführen, was darüber difputirt fei. Cinige,
wie mid noch jetzo dünckt, ganz offenbare Stellen des N. T.
*) S. Erläuterungen des N. X. aus einer Diorgenländifchen Duelle. [1775]
— 1385 0 —
(Matth. 13, 55. 56. verglichen mit Matth. 10, 2.3. Matth. 1, 25.
Luc. 2,7. 505. 7,3. 5. Apoft. 1, 13. 14.) und andre Urfachen,
die ich in dem unten benannten Schriftchen *) angeführet, bewogen
mich meine Meinung zu jagen, wen ich für Verfafler diefer zwo
Briefe halte? Es ift nur Meinung, die ich niemand aufdringe,
die auch zum Lefen und Gebrauch der beiden Briefe nicht gehört:
(denn Brief bleibt Brief, welder Jacobus, „ein Knecht Gottes
und Jeſu Ehrifti“ ihm auch gejchrieben habe und der Name macht
weder Brief noh Werth.) ine Reihe unbefangener Lefer find
meiner Meinung geworden; von denen, die ihren Kopf von eig-
nem Syſtem ober von ihrem Lardnner voll hatten, habe ichs nicht
erwartet, gräme mich auch nicht darüber: denn was liegt über-
baupt an der ganzen Meinung, fic werde bahin- ober bortbin 361
entſchieden? Nun hören Sie aber, was kommt? „ft der Brief
„von feines Apoftels Hand: fo geht er Uns Hier nicht an und
„ih kann nicht begreifen, warum wir ihn für canonifch halten
„wollten.“ Da erichrede ich, nicht über meine Hypotheſe, (bie
babe ich noch) fondern über die fchredlihe Folgerung, die aus
ihr und fo entichetdend gemacht wird. Iſt denn Markus, ift Lucas
ein Apojtel? und find ihre Schriften deßwegen nit canoniſch?
Und wer in der Welt hat je Dies Zeichen der Canonicität geftellt ?
Und wie viele Schriften des A. T., deren Verfaſſer wir gar nicht
wien, find do im Canon! Und denn, zu allem Ueberfluß,
fteht diefer Jacobus, als Bruder Jeſu, nicht ausdrüc—
lich (und von den Jüngern und den zween Jacobis unter ihnen,
eigentlich unterjchieden) unter der Zahl derer, die bei der
Himmelfahrt waren und alfo aud (denn der Contert ber
Nede Apoft. 1, 13. 14. Apoft. 2, 1. geht fort) den Geiſt em—
pfingen, mit allen feinen Gaben? Und er fol feinen cano-
nifhen Brief ſchreiben können, Ichreiben müfjen und dörfen, der
Uns hier anginge? da er doch offenbar mit den Apofteln vereint,
der feierlichiten Begeifterung genieflet, an der Marcus und Lucas
*) Briefe zweener Brüder Jeſu in unferm Canon, Lemgo 1775.
— 139 —
362 und Paulus nicht Theil nahmen und doch Kanoniſche Bücher ſchrie⸗
ben — -- Sie jehen, jo wird man gedeutet!
Aller guten Dinge find drei; alfo des Mißverjtandes drittes
und Gott gebe! letztes Beiſpiel. Bereit3 vor 6. oder 7. Jahren
entwarf ich eine Erklärung — nicht der Offenbarung Johannis,
jondern ihrer Bilder, als ſymboliſche Sprache, ala Poeſie
betrachtet. Dieſe ſchien mir, (jo wenig ichs übernahn, fie auf
Saden zu deuten, die fie ausfchlieffend und unfehlbar bedeuten
müßten) fo leicht und dabei jo ſchön, fo groß, jo edel: die Bilder
der Propheten erjchienen bier neu,! fein und Lehrreih; daß ich,
begeiftert vom Bud, es ganz in Jamben fleivete und mit einem
leichten Commentar verſah, der die Bilder, infonderheit aus dem
A. T. nur entwideln, in ihrem ſprechenden Zuſammenhange
nur vorführen folltee Das Mier. ward durch Zufälle von einer
Reihe jehr verfchiedener Perjonen gelefen und ich an feine Heraus-
gabe mehr ala Einmal erinnert. ch nahms nach Jahren vor,
ftrih zuerft Die Jamben weg, und ließ den Commentar, wie er
363 gemejen.*) Se mehr ich die Bilderreihe des Ganzen mit der
Weißagung Chrifti Matth. 24. 25. und ihrer fchredlichen Erfül-
lung nad Joſephus verglich, deito mehr dünkte mih Aehnlich—
feit, Analogie, Aufſchluß der Gefihte und ihrer Bilder. Ich
wagte es, dieſe zu bemerken, ließ mir aber unmöglich in den Sinn
fommen, zu meinen, daß hiemit das Bud „ſchon durchgängig
erfüllet fei,“ und glaubte nit, daß jemand auf Erben mir bie
Meinung andichten fünnte. Die ganze Zerſtörung Jeruſalems ſah
id an, mie Chriftus fie anfieht, als Zeihen, Unterpfand,
Vorbild des lebten größeren Ausganges der Dinge und eben
diefen in jenem Zeichen und Unterpfande zu entwideln, bielt
ih für den Endzweck diejer Weiſſagung und ihrer Gefichte, wenig-
ſtens mie ich fie, ohne Prophet zu jeyn, erläutern könnte. Ber:
törung Jeruſalems an fi war von Ehrifto ſchon geweißagt; dazu
*) Diaran — Atha, das Buch von der Zukunft des Herrn: 1779. } 2,403.
1) jo neu, (7) \
— 140 —
börfte eö feines neuen Propheten. Selbſt das Ende der Welt
hatte Jeſus mit ihr verbunden und feine Ankunft in jener erften
Zukunft, nur noch einfah, in Gleichnißen vorgebilbet. et
gefhah dem „Johannes in eben bdiefer Verbindung bie höhere
Aussicht: fein Bild geht mehr auf Serufalem allein; alles
befommt Rieſenmaas, wird Ausficht höherer, endlicher, allgemeiner
Zukunft, obwohl in Bildern von jener. Dies fage ich fo deutlich, 364
jo oft und wiederholt, als es fih, ohne Edel, wiederholen ließ;
jchreibe und ruffe bei jedem Bilde: „dies ift feine Genefis, fein
„eriter Umriß; aber dies ifts nicht allein, dieſe ganze fchredliche
„Seihichte ift nur Unterpfand, Symbol, Zeichen einer andern
„Erfüllung!“ erkläre zuletzt diefe Verbindung, wiefern ich die Eine
Begebenheit ald Symbol der Andern glaube (die zweite betailliren
fann und mag ich nicht: denn ich bin fein Prophet:) Ieite eben
daher, daß die Offenbarung nicht an die Gemeinen Judäas geſchickt
jet, ſondern nah Afien, an Städte, die die Zerſtörung Jeruſa⸗
lems nicht traf; zeige, daß jene zum Anjchauen und Empfang dieſer
böhern, freiern Weifjagung nidt fo fähig waren, daß fie
den Gefichtspunft verengert haben würden, zeige, (jo fern es ſich
ohne Zeichen⸗ und Zeitendeutung thun ließ) daß, und wie es ein
Buch für alle Zeiten fei u. f. Das alles fteht nun jeit 7 Jahren
gejchrieben (denn im erften Mier. hatte ich wenig oder nichts von
Jeruſalems Berftörung), jebt liegts gedrudt da: die eriten Briefe
des Buchs ala Eingang, die legten Kapitel des Ausgangs, meine
Zugabe des Gelichtspunfts zum Ganzen, alles ift darauf gerichtet:
es ift Nerve und Zwed der ganzen Arbeit, den ich unverkennbar
glaubte. Und fiehe, da erichallen Stimmen: „ic babe dem Buch 365
„Seine Nußbarkeit für unſre Zeiten benommen, da ichs auf eine
„längft verlebte Begebenheit gedeutet. Ich babe diefem jeinen
„Zroft, jenen feinen Gott geraubet, dies Bild entjehlich verklei⸗
„nert, jenes — — u.f. f.“ Ich ftehe erftaunt da, jehe die an,
die das Buch mit mir gelefen; dieſe haben mich verftanden, auch
der, der — — nur bie nit; die lefen das Buch durch und leſen
gerade das Gegentheil, von allem, was ich gejchrieben babe. Was
— 141 —
ift da zu thun, m. Fr., wenn man fi nicht ewig felbft erklären
will? Beinah, möchte ich jagen, nicht ſchreiben, ſondern Iprechen
und antworten; nicht druden laſſen, fondern zu leſen geben, dem,
der Iefen mag. Das gebrudte Zeug kommt Jedermann, oft zur
unrecteften Zeit in die Hände; man fliegt? durch und fpricht nun
drüber: andre ſprechen nah: jo macht fich die Mähre. Zu mei-
nem Zwed gehörte ed nicht einmal, zu unterfuhen: ob das Bud
vor oder nad Jeruſalems Zerftörung gefchrieben fei? wenn ich '
nit eben eine Stelle des Buchs damit zu erklären gedacht hätte.
Bor oder nad der Zerftörung gefchrieben, für Anhalt und Zweck
bleibtö immer bafjelbe, ein Bilderbuh vom Ausgange der
366 Sichtbarkeit und der Zufunft des Reichs Jeſu in Bil-
dern und Gleichniſſen feiner erften [hredlih-tröftlichen
Ankunft. Möge ich die Zahl des Thiers getroffen oder nicht
getroffen haben; es gehört nicht zur Reihe der Symbole, d. i. der
dur fich fpredenden Bilder; Johannes ſetzt fie, als eigent-
liches Räthſel nur hinzu, und Buch bleibt Bud, wenn man aud
das Räthjel nicht riethe. Wer kann, rathe beffer; nur er thue es
und gebehrde fi nicht, als obs längſt gethan fei, oder er es,
fobald ihm nur die Luft ankomme, unftreitig beſſer thun könne.
Weber dieſe jest fo gemöhnliche Goliathsſprache werben in kurzem
die Kinder laden — — Doch wo fomme ih bin? Gerade als
ob Sie Zeitungsfchreiber und ich der arme Beklagte wäre, der fi
vor Ihrem Tribunal über Leben und Tod vertheidigt. Die Iete
Mühe halte ich für fehr unnütz, und jedes Wort dabey verlohren.
Was man fchreibt, muß fich jelbft vertheidigen, oder es iſt bes
Advokatenlohns nicht werth. Leben-Sie wohl und erfrifchen fich
an beiliegenden treflichen Vorſchriften, wie man das Geſetz (zu
anderm Zweck, ald Kunftrichter darüber zu werden) ftudiren müffe.
Sie find aus der Sammlung der Jüdiſchen Pirfe-A both, und
machen Ihnen vielleiht Luft die ganze Sammlung zu lejen: [X,
254, s60 - 256, 368.
— 142 —
IH.
Zwei und zwanzigfter Brief.
(Bol. Bd. X, ©. 2481.)
Sie kommen auf Ihre Lieblingsmeinung zurüd: „auch die
„Offenbarung Johannis „zeige, mie Poefiereih das Chriftenthum
„ſei!“ und ic antworte gern: „allerdings, wenn Chriftliche Poefte
„ift, wie bie in Johannis Offenbarung.“ In ihr ift feine will-
kührliche Dichtung; die Dichtung ſelbſt it Sade, ift Wahr-
370
beit. Nur dadurh, daB Sade und Wahrheit in allem Glanze
von Hoheit, in aller Majeftät wichtiger Folgen ericheint, wird fie
Poefie oder gar Lobgefang der Chöre. Faſt gichts Feine mefent-
liche Lehre des Chriſtenthums, die bier nicht in allem Zauber
herrlichſter Ausficht erſcheine; und doch tft diefer Zauber abermals
gröfte Einfalt, fimple Wahrheit. So erfcheinen die hohen Lehren
der Auferftehung, der Erhöhung Jeſu, der Erlöfung der
Menſchen durd fein Blut, ihrer Auferftehung, ihrer Herr-
lichfeit mit ihm, und des ftillen Chriftuslebens, in dem fie
ihm bier leben und feine Zufunft erwarten. Ein großer Poetifcher
Commentar wäre zu jchreiben, wenn man die Bilder der Dffen-
barung mit den Bildern der Vropheten, mit den Worten und 371
Gleichniſſen Chrifti verglihe, und in beiden die hohen Lehren, bie
wie ewge Firfterne des Chriſtenthums daftehn und glänzen, zeigte.
Sie ftehn und werden daſtehn in ewigen Jugendlichte.
Hierüber find wir alfo Eins; und nun fragen Sie mid, wie
ih mit meiner Hypotheſe auszukommen gedächte, wenn das Bud
nah der Zerftörung Jeruſalems gefchrieben wäre? Mich dünkt,
jehr wohl: das Gefiht nähıne Züge einer verlebten Begeben-
beit, um die größere, deren Vorbild jene jeyn follte, dem
Seher und Lefer, zumal der erften Seit, deſto furchtbarer,
aber auch deſto kenntlicher zu malen. Johannes ſollte bleiben,
bis Chriſtus kam: er blieb ſo lange, und erlebte in den Schick⸗
ſalen der untergehenden heiligen Stadt, ſo wie die ſchrecklichſte
— 13 —
Erfüllung von dem, was Chriftus gejagt Hatte, alfo auch die
fürdhterlichften VBorboten von dem, iwas noch gefchehn follte. Mit
Feuerflammen grub ſich alles in fein Herz, in fein Gedächtniß:
lange trug ers vielleicht, wie Daniel feine Gefichte, bei fi; bis
der Pofaunenhall und die Ericheinung am Tage des Herrn ihm
nun plötzlich den Sinn dieſer Bilder, höhere Zufunft wies. Sonad)
372 waren alle Züge des Gefichts ihn verftändlih: cr hatte fie als
Glieder einer Begebenheit, ala Ahndungen einer Zukunft feines
Herrn lange in ſich geheget; der Geiſt Jehovahs kam jebt und
wehte die Funken an und machte fie zum Feuerbilde einer höhern,
weitern, allgemeinern, eben jo gewiſſen, ihm eben fo gegenwärtigen
Zukunft. Mich dünkt, m. Fr., diefer Standpunkt mache die Hypo-
theje, oder befjer zu jagen, den Anblid des Buchs felbit leichter;
und noch immer bliebe, fo wie die Weiffagung Chrifti, fo bie
erlebte Zerftörung Jeruſalems Stof der Farben und Umriß der
Bilder. Auf diefe Weife trennte fih nun die Deutung ganz von
Harenberg und feinen Genofien, ohne deßwegen Bengeln einen
Schritt näher zu treten; wer überhaupt jenem und dieſem in Aus-
legung einzelner Bilder folgen, ober gar fagen will, „man müße
„von Deutung einzelner Bilder auf einzelne Begebenheiten anfangen,
„die Offenbarung Johannis auszulegen,” mwohlan! der folge, der
zerftüde und deute. Ich gehe nicht mit, lafje mir auch den Haupt-
anblid des Buchs nicht rauben: denn in allem, was Bild, Sym-
bol, Gedicht ift, ift der Anblid des Ganzen Gemwährsmann und
Wegweiſer zu Allem.
373 Das kann Einmal niemand läugnen, daß ed Inhalt des
Buchs ſei: Ein Serufalem geht unter, Ein andres geht
auf, und in beivem fei Zukunft des Herrn. Auf diefe wird
bereitet durh Ankündigung, Erfcheinung, Briefe, Stimmen und
Namen, in Verheiffungen und Drohungen, liebreich und fchredlic.
Die Erjcheinung defien, der auf dem Thron fißt mit dem ver-
ſchloſſenen Buch, die Symbole der Entfiegelung,, die drauf folgende
Trommeten und lebten Zeugen bereiten bierauf und führen in
ihrer hieroglyphiſchen Sprache allmälig dahin. Ehe die Tepte
— 14 —
Trommete ertönet, ftehet der Engel mit dem Buche der neuen
Verheißung da; fobald fic ertönet, find die Stimmen und Sym⸗
bole des neuen Königes und Reihe da, und von jebt an wett-
eifern Boten und Gefichte, Engel und Chöre, um über dem Sturz
des Einen den Triumph des andern zu zeigen: fo gehets bis zu
des Buchs Ende. Das Lamm und die Ungeheuer, die Hure und
bie erjcheinende neue Braut find offenbar dieſelbe Gegenſätze in
andern Bildern; alles geht aljo an jo wenige und zarte Ende
zufammen, daß es ein Tod des Buchs wäre, zu zerreifien, zu
dehnen, aus= und durch einander zu werfen; alles aber jpricht für
fih felbft, wenn man die Züge zuſammen ſetzt, und in Einem die 374
Erklärung des Andern liefet. Erlauben Sie, indem ih das Buch
blog als Poefie, ala Epopee der Ankunft eines höhern Reichs
betrachte, noch einige Worte zu verlieren.
Daß alle Chriften die Wiederfunft ihres auferwedten, gen
Himmel genommenen Königs hofften, willen wir aus Evangeliften
und Apofteln. Welche Anrede, welh ein Gruß fonnte nun erwar⸗
teter und berzlicher feyn, als
— Gnad’” und Frieden Euh von dem, der ift
und war und Tommt!
Und von den fieben Geiftern feines Throns,
und von dem treuen Zeugen, Jeſu Chrifto,
dem Erjterwedten aus der Todten Schaar,
dem Fürften aller Erdefürften, der
uns liebete und wuſch mit feinem Blut
von Sünden ung, und ftellet’ uns vor Gott
ein Priefter - Königreih. Ihm ſey der Ruhm
die Macht der Emigfeiten. Sieh er kommt
in Wolfen, ihn wird fchauen jebes Aug’
und die ihn ftachen; meinen wird ob ihm
jedwedes Boll der Erde. Amen Ya!
Ich bin das A. und D., Anfang und End’,
ſpricht Gott der Herr, der ift und mar und kommt,
der Allbeherrfcher.
375
— 15 —
Nun legt der Adler feine Schwingen, um ſogleich prächtiger auf-
zufliegen, wenn die Erfcheinung deß, der tobt war und lebet, felbft
anbebt:
Ich war im Geift an meines Herren Tag’
und hörte hinter mir Trommetenſchall,
der ſprach: Ich bin das A und O,
der Erft’ und Letzte. Schreib’ — — Ich wandte mid,
zu fehen, wer mir ſprach: und ſah, als ich
mich wandte, fieben Leuchter Gold und fah
in ihrer Mitte, wie des Menfchen - Sohn.
Gekleidet war er im Zalar, die Bruft
mit Gold gegürtet. Weiß fein Haupt und Haar
wie Wolle, weiß mie Schnee. Es flammeten
376 die Augen Feuerflammen. Silbererz
im Ofen glühend, glühete fein Fuß:
Die Stimme raufchete, jo raufcht das Meer,
und fieben Stern’ bielt feine rechte Hand,
und aus dem Munde baudht’ ein ſcharfes Schwert,
zweifchneidig. Und fein Angeficht
war, wie die Sonne glänzt in ihrer Macht.
Ich jah und ſank zu feinen Füßen Bin,
ein Todter. Da kam auf mich feine Hand:
Erzittre nicht, ſprach er, ich bin der Erfte
und Letzte und der Lebende.
Todt war ich, fiehel und ich lebe
von Ewigkeit zu Emigfeit.
Des Todes und der Hölle Schlüßel
find mein! —
Wenn nun ber Alllebende weiter fpricht, und fich jedem der Sei-
nen innig nahe und gegenmwärtig zeigt in feiner Kirche: er läßt
das Schwert feines Mundes blinden und fchneiden, jeine Stimme
rauschen, feine Augen bligen, feinen Fuß zermalmen; aber auch
377 feine Hand aufrichten, die Sterne in ihr glänzen, und die Sieges⸗
Herders fämmtl. Werte. XI.
— 1 —
fränze aus der andern Welt, Paradies und Manna, SYerufalems
Thore, und Pfeiler, das Buch des Lebens und den Thron von
ferne herſchimmern — welch ein Eingang ift dies! melde Zube-
reitung zum Buch voll feiner Gegenwart und Stimmen des Gei-
fies! Was kann auf foldhe fiebenfahe Glanzpforte anders als
folgender Tempeleintritt folgen:
Ich ſah und fieh! im Himmel öfnete
fih eine Thür, und jene Stimme fprady,
die als Trommetenhall einft redete:
Steig’ her, ih will dir zeigen, was nachher
gefchehn fol. Alfobald war ich im Geiſt
und fieh, e8 ward gejegt ein Thron im Himmel!
Und auf dem Thron ſaß Einer. Der da faß
war anzujhaun, wie Jalp- und Sardisglanz.
Ein Regenbogen mar rings um den Thron,
zu fhauen, wie Smaragd. Und um den Thron
da waren vier-und zwanzig Stühle. Auf
den Stühlen vier und zwanzig Xelteften,
mit glänzenden Talaren angethan,
auf ihren Häuptern güldne Kronen. Blite
und Donnerftimmen gingen aus vom Thron
und fieben Yadeln brannten vor dem Thron,
bie fieben Geifter Gottes. Vor dem Thron
war ein Gryftallmeer. Und in Thronesmitte
und Thronesfreife, des Lebendigen
ein vierfah Bild voll Augen um und um:
Das erite Lebende dem Löwen gleich,
das zweite gleich dem Stier, das dritte Menſch
am Antlitz und das vierte Adlersflug.
Sechs Flügel hatte jedes rings umher
und Augen um und an; und Ruhe nie,
nicht Nacht und Tag. Sie rufen: beilig, heilig, heilig
ift Gott, der Herr, der Allgemwaltige,
ber war und ift und kommt. —
378
379
380
— 147 —
Ich vergeffe aufzuhören, denn der Geſang hebt fi immer mehr.
Das vierfache Lebendige fällt nieder und preifet. Das verfiegelte
Buch erjcheinet: der Aufruhr zmifchen Himmel und Erden, bie
Angft geht an, daß niemand es zu Öfnen vermag, und fiehe, da
tritt da3 Lamm hervor
— ber Löw'
aus Judah Stamm, der überwunden hat!
Die Wurzel David, aufzuthun das Buch
zu brechen ſeine Siegel.
Es nimmt das Buch und die ganze Schöpfung erſchallet in Lob⸗
geſängen ſeiner Wohlthat: es bricht die Siegel und Erſcheinungen
gehn hervor, Eine fürchterlicher als die andre, bis eine Höhe des
Wehklagens, der Furcht, der Angſt wird, für der meine Hand
ſchauert. Nun wird Stille, nun gefchieht die Auszeichnung, nun
erfcheint die groſſe Schaar Erretteter
— aus allen Völkern, Heiden, Sprachen,
Sie ftanden vor dem Thron und vor dem Lamm
mit weiflen Kleidern angethban und Palmen
in ihren Händen, riefen allefammt
mit groffer Stimme: Heil ſey unferm Gott,
der auf dem Throne figet und dem Lamm!
Und alle Engel ftanden um den Thron
und um bie Aelteften und um die Vier
Zebendigen, und janten vor dem Thron
aufs Angeficht und beteten Gott an!
Einer der Xelteften erklärt dem Seher die groffe Schar:
— Sie find es, die entlommen find
der groſſen Trübjal, denn fie reinigten
und belleten ihr Kleid im Blut des Lamms.
Drum find fie nun vor Gottes Thron,
ihm dienend Tag und Nacht in feinem QTempel.
Der auf dem Throne fitt, wird fie befchirmen,
fie werden nicht mehr hungern,
10 *
no dürften: auf fie brennt nicht mehr die Sonne
noch Eine Glut. Denn dort im Thron das Lamm
wird weiden fie und leiten fie
zu frühen Waflerquellen.
Und Gott wird trodnen alle Thränen
von ihren Augen.
Erwarten Sie nit, daß ich fo reichlich fortfabre, denn fonit
müßte ich alles abjchreiben, die fchöne Stille vor dem Kriegstumult
und die fürdterlihen Kriegstrommeten, den ſchönen Friedensengel,
der vor ber legten vorhergeht, und die heiligen, mächtigen, berr-
lihen zmween Zeugen. Seht da die fiebende Trommete erjchallet,
wird gleihfam das Thema des Buchs laut. Die Stimmen ruffen
das kommende Reich im Himmel aus; Symbole am Himmel zeigen
e8 der Erde. Das Weib erjcheint und gebiert den Tünftigen
groffen König: der Drade ericheint und verfolget ihn bis zum
Thron feines himmliſchen Vaters. Nun wird Streit im Himmel,
auf Erden: nun verändern ſich die Bilder und alles ift wider ein⸗
ander, das erhabne, heilige Lamm und die unten mwütenden Unge⸗
heuer. Der Zornkelch wird eingefchenkt: die Sichel fchlägt zur
Weinlefe, zur Ernte: die legten Pfannen voll Glut aus dem Tem⸗
pel Gottes, voll Angſt und Noth fallen nieder: die Stadt geht
im fürchterlihen Brande unter. Sogleich nad allen vorherge-
gangenen tröftenden Zwilchenftimmen und Symbolen wird Lobge-
fang im Himmel, der Sieger erfcheint, hinweggeräumt werben bie 382
Feinde, die erften Tobten erftehn, das Gericht wird gehalten,
Serufalem kommt vom Himmel, die neue felige Zeit geht an.
Sieh da, die Hütte Gottes bey den Menfchen,
Er wird bey ihnen wohnen und fie werden
fein Bolf ſeyn:
Und er, der Gott bey ihnen
ihr Gott jeyn.
Und Gott wird trodnen alle Thränen
von ihren Augen: Tod wird nicht mehr feyn,
— 149 —
noch Trauer, Müh und Klage wird mehr ſeyn,
denn alles Erfte ift vergangen.
der auf dem Thron ſaß, ſprach:
Ich made alles neu!
Und ſprach zu mir:
Es ift gefhehen! — Ach bin A und O,
Anfang und Ende. Ich, dem Durftenden
geb’ ich vom Lebenswaſſerquell umfonft.
Mer überwindet, wird dies Alles erben,
ich werde Gott ihm feyn,
Er wird mir Sohn feyn.
Beliebts Ahnen, jo fteht Ihnen das ganze Mier. in diefem Syl⸗
benmans zu Dienft. Für heute gnug.
lest, wie dem zu Muth ſeyn muß, der den ganzen Sinn und
Zweck des Buchs auf Serufalem deutet, oder der im ganzen Werf
nichts Schönes findet, weil e8 — einmal einige zweibeutige Urtheile
gegen fich gehabt Hat, oder ber es in heiliger Wuth deßhalb gar
baffet und verachtet. —
Vetabo, sub iisdem
sit trabibus, fragilemque mecum
solvat faselum — — eben Sie wohl.
Und denken Sie zu guter
IV.
Stücke ans älteren Nedactionen der erfien drei Sammlungen 1780.
1.
[Nachſchrift zu Theil I. IL]
Doch was tommt mir da? Ein Bund gebrudter Bücher und unter
biefen auch Briefe, das Studium der Theologie betreffend —
meine Briefe. Nun m. Fr. da baden Sie für Ihr Stubium der Theologie,
wie foll ich ſagen? fchlecht oder gut geforget. Die Zeit mags lehren! ich
wollte indeß, ich läugne e8 nicht, das Wort ſchlecht und nicht gut fchrei=
‘ben, nad meinem erften Eindruck. WPrivatbriefe mit freien Meinungen bie
und da, zumal über eine folche Sache, als in unfern Zeiten die Theologie
ift, leſen fich gebrudt nicht, wie fie fich gefchrieben Iafen. Es fehlt ihnen
Sand und Siegel, der Bein und gleihfam die Gegenwart des Freundes:
fie ſtehen als Anfchlagezettel auf dem Markt, oder gar als ein kritiſches
Allgemeingefhwäp da, woran es und beiden doch gewiß micht gelegen war:
fie werden jett nicht vom Freunde, fonbern eher vom Feinde, vom Auflaurer,
furz von jedermann mit allerlei Sinn und Blid gelefen. — — — — —
Wir find Gottlob in die Zeiten gerathen; ba es kein ärgere Schimpf⸗
wort giebt, als daß jemand noch Chriftentbum babe und fi von Bibel
und Evangelium, als von Wort und Lehre Gotte8 zu reden getraue. So⸗
gleich ift er aller Läfterung wertb, bie auf ihn auch mit einer Kühnheit
und Kedheit geworfen wird, von ber faum eine andre Zeit Begriff hatte.
Man verzeibt ſich dabei die ungereimteften Lügen, Unwahrheiten, über bie
jeder errötbet, nur micht der, der fie ins Publicum fchreibt. Man bat von
mir eine Reihe dergleichen gefchrieben, und noch neufich habe ich mit Erftau-
nen lejen müſſen, daß ich ven Grotius für einen Buben halte. Den Gro—
tius? ich? der diefen Mann bei jeder Gelegenheit (Sie haben mid ja auch
mündlich von ihm fprecdyen gehört!) nicht anders als mit der größten Hoch⸗
achtung nerme und wo ich auch nicht feiner Meinung bin, z. &. über feine
Lehre von ber Gnugthuung, u. bgl., die ja feine beften Freunde nicht
befriedigte, ihn für einen Mann balte, der und auch in der Theologie jo
— 151 —
viel, viel Licht gegeben — — Aber, fo gehts! man fchreibt Ted in die
Belt, und gerade die fchreiben am kedften, die wohl wißen,. daß man
ihnen nicht antworten werbe — — interim aliquid haeret und unfer
Bublitum nimmt alles auf.
In alle diefem Betracht haben Sie mich mit Ausgabe biefer Briefe
ſchlecht berathen: denn wißen Sie, woflr man fie halten und muftern
wird? für etwas, dem Sie bei Ihrem beſcheidnen Titel:
Briefe, das Studium ber Theologie betreffend
gewiß vorbauen wollten u. ſ. f. IX, 272.)
Indeſſen Hoffe ich, wird und mag aud bie Bekanntmachung bdiefer
Briefe ihr Gutes haben, infonderheit wenn fie unbefangenen, jungen Lejern
in die Hände kämen, und bie und da das Glüd bätten, ihre Freunde und
Begmweifer zu werden. Aus einer Reihe von Erfahrungen mwenigftens find
fie gefohrieben und wenn fie ſich feinen Lobſpruch anmaaſſen, wünſchten fie
fih den, den Bafcal fo hoch⸗hält, daß man in ihnen feinen Autor, ſon—
dern einen Menſchen fände,! einen Menfchen, ber ſich zeigt wie er ift,
mit Tugenden und Fehlern. Ihr Berfaßer, der die Theologie für die höchſte
Wißenſchaft eines Sterblicden hält, bilbet ſich nicht ein, bie Theologie, auch
nur die Bibel ausftubirt zu haben, noch weniger fie in einige Briefe faßen
zu tönnen: das wißen Sie, m. Fr., und wißen, wie wenig ich überhaupt
von meiner Autorfhaft halte Web Babe ich in dieſen Privatbriefen gewiß
niemanden tbun tünnen ober thun wollen; und wenn wir über manche
Punkte anber® belehrt werben, (die Kunftrichter merben nicht ermangeln,
uns des ihren zu belehren) fo haben wir vielleicht, wenn es der Rebe wertb
ift Materie zu einem neuen Bändchen von Briefen, das Studium der
Theologie betreffend: denn dieſe Herren fchreiben ja ihre Recenfionen
eigentlich zu unferer Belehrung, daß wir von ihnen Theologie lernen. Und
fo wollen wir denn lernen: fammeln Sie alſo die Recenfionen, als Briefe
an Sie, den Herausgeber, fleißig. Ueber die beften Materien bin ich Ihnen
ja überbem noch meine Meinung ſchuldig. Für beute und vielleicht ein
Jahr gnug! Erlauben Sie, baß ich mit einigen fchönen Gedanken Baco's
fhliefie: [X, 401 3.5 —402.]
x
1) Die erſte Reaction enthält das vollſtändige Eitat: „On w’attend peut-otre
de voir vn auteur et on trouve vn homme, au lieu quo ceux qui ont le gout
bon et qui en voyant vn livre, croyent trouver vn hLommıe, sont tout -surpris de
trouver vn auteur. Ceux-la honorent la nature, qui lul apprennent, quelle
peut parler de tout, m&öme de Theologie, Pascal.“
— 11 —
2.
Bier und dreiſſigſter Brief.
Sie legen mir die Laft auf, von einigen neuern Schriften, bie in
unfre Materien ſchlagen, meine Meinung zu fagen; gewiß eine Laft! Einige
Schriften, die Sie nennen, babe ih gar noch nicht gelefen; von denen, bie
ich gelefen babe, will ich fchreiben, do nur — meine Meinung, feinen
Urtheilsfprucd, weder der Berbammung noch Seligpreifung.
Steinbarts® Syſtem der reinen Bhilofopbie — er hate
Glückſeligkeitslehre des Chriſtenthums nennen wollen — ift, wie
mid dünkt, feinem Philoſophiſchen Theil nach ein ſchätzbares Buch, das
manche wohl nicht fchreiben könnten, die es veradten. Gin ſehr klarer
Blid auf die Dinge, bie er vor fi nimmt, eine bündige Kette von Bemer-
fungen und Schlüßen, eine gewiße freiheit des Geiſtes und Leichtigleit des
Stil unterfcheiden den Schriftfieller fehr: daher er auch fo ausgebreitet
gelefen und gelobt worben.- Das Principium feiner Moral, freie, kind⸗
liche Liebe zu Gott, unferm Vaterl ift unmwiderfprechlich nicht nur
für die Vernunft das edelfte, fondern auch fo jehr aus der Lehre und dem
Sinn Ehrifi. Noch auffallender bat der Berfafler dies Alles gemacht, da
er feine natürliche, kindliche, freie Moral den brüdenden, engen Grund-
fügen ber Schule entgegenfetst, in der er, nach feinem Borbericht, erzogen
worden und aus welcher er fich zu biefer freien, Lichten Gottesanficht, wie
er jagt, nicht ohne Milde beroorgearbeitet. So weit ift, dünkt mich, das
Buch unwiderſprechlich ſchöͤn und braudbar. — —
Nun aber wundert® mid, warum ber Berf. nicht, ohne fich weitern
Anftoß zu ſuchen und berzubolen, fein Gebäude auf die freie lichte Höhe,
die er erftiegen zu baben glaubt, frei aufführt? warum er immer in bie
Tiefe des Nebelthals, wie e8 ihm dünkt, vom Athanafifch- Auguftinifch=
Anſelmiſchen Syſtem zurüdblidt, und die nicht an dem ruhigen Orte läßet,
wo ibm fo wohl iſt? Die meiften diefer Lehren find, nabe betrachtet,
wirklich nicht das, wofür fie der Berf. anfteht; wenigſtens. find fies nicht
im Bortrage beßerer, ältern und neuern Theologen, und gewiß
nit im Munde der Schrift, die uns endlich ber erfte Theolog feyn
muß. Auch nah der Geſchichte find die Dogmata nicht fo verftanben,
wie fie der Autor vorftellt, und den beften Gefichtspuntt zur Anwendung
bat er ihnen nicht gegeben. Bom U. T. Hält ber Berf. fo wenig, baß
manche Ausdrüde darüber ärgerlich find, felbft wenn er daſſelbe aud nur
al® zubereitende Gefhichte zur Erſcheinung Ehrifti betrachten wollte.
Auch als folches verbient es ftubirt zu werben: denn Chriſtus ftudirte es,
und in jeder weltlichen Wißenfchaft Hält man die gemetifche Geſchichte,
— 153 —
die zu⸗ und vorbereitenden Schritte zum Syſtem für den wahren Kern
ber Entdeckungen, für die bildendſte, lehrreichſte Lektüre. Im Schimmer ber
Morgenröthe und bei jedem Schritt der fteigenden Sonne gibts Regungen
und Schönheiten der Natur, die bei der höchſten Mittagshöhe nicht find;
buch jene muß das Auge auf diefe bereitet und fortgeführt merben.
Barum, warum ließ uns Gott biefen ganzen Gang einer lebendigen
Geſchichte? etwa weil fie unnütz war? und follte fie unnütz feyn, weil biefer
und jener fie nicht benugen mag, und beffen nicht werth findet? Bezieht
fih nicht alle Folge auf die Borzeit, fo wie bie Vorzeit auf bie Folge
umb alle Theile eines Gebäudes auf einander? und follte man bie Geſtalt,
jelbft den Zmed Chriſti recht fehen können, wenn alle Anftalten und Zube-
reitungen auf ihn in den Schatten gebrängt würden? Durch folche Dinge,
m. Fr., laßen Sie fih nicht irre maden, das Syſtem bes A. und N. X.
feinen Dnellen, ben Stuffen feiner Zubereitung, dem Faden
feiner Entwidlung nah zu lieben und zu fludiren. Auch kehren Sie
fih an feine Klaffifitation der Dolumente des Chriſtenthums nicht;
fie find nicht fo verſchieden, als fie der Autor angibt. Diefe und andere
Aenferungen der Art haben mir wehgethan, wie blutende Wunden im
Buche ober im Geift des Autors; und fie gehörten doch alle zu feinem
eigentlihden Zwede fo wenig. Da biefer eigentlih nur philopbile Moral
feyn fol, warum fland biefe nicht allein? warım mifchte fie ſich in bie
Geſchichte und in ein Syftem, das nur aus Geſchichte befteht und
auf ihr ruhet? — Uebrigens ſchätze ich den Scarffinn und Bortrag des
Verf. fehr, jo daß ich, was er verfproden bat, Unterrichts⸗ und Lehr⸗
bücher in mehren Wißenfchaften (mur nicht theologiſchen Inhalts), von
ihm wünfde. Nicht tbeologifhen Inhalts: denn das eigentliche Syſtem
der Schrift hat, dünkt mich, das Buch nicht berührt, vielmeniger umge⸗
floßen oder etwas an bie Stelle gelekt, was in jenem nicht urfpränglicher,
beßer, kräftiger erſchiene — — —
1) Im Mic. ſchließt fih Hier eine Beipreihung an von Leß Dogmatit, bann bie
nadymals in Brief 34 aufgenommene Gtelle Über das Buch Bom Zwed Jeſu.
Briefe |
an
nf YhAten,
ee Cheophrom ve mizn
fies ıb3 4
(Briefe, das Studium der Theologie betreffend. Fünfter Teil).
(1781.) 1808.
ou
Borberidt.
— — —
In den Briefen, das Studium der Theologie betreffend,
die von den verſchiedenſten und der Sache verſtändigſten Rich⸗
tern wohl aufgenommen find, hatte ihr Berfaßer den . Zwed,
dem ftudirenden Jünglinge während jeiner Akademiſchen Jahre
zu Hülfe zu kommen und bie und da fein Urtheil zu leiten.
Ein Syftem oder einen cursum Academicum zu geben,! deren
wir ſchon ſehr viel und freilich für unſer Decennium feinen
haben, war dabei feine Abficht nicht.
In den vorangezeigten Briefen, die mit dem vorigen Bud)
nicht anders zufammenhangen, als wie fih der Tag aus der
Dämmerung des Morgens hebet, wird der Inhalt allgemeiner,
und auch für foldhe, die nicht Theologen find, aber Religion
und Theologie kennen wollen, wie der Verfaßer hofft, nicht
unbelehrend feyn. Er führt feinen Theophron jetzt zur Ueber-
fiht deßen, was er gelernt bat, zur freien Beurtheilung
beßelben und allmählih zur Webung, infonberheit bei dem
bildfamften und wichtigften Theile der Menichen, der Jugend.
1) Die Worte „zu geben” fehlen im Mic. Sie ergeben ſich aus einer
Stelle der Nachſchrift (vgl. ©. 150): „Wer möchte Bier ein Syſtem?
wer lönnte e8, wem es ber Briefſchreiber geben wollte, andy nur ertragen?"
A 12,8. Er begleitet ihn zulett in fein Amt und lehrt ihn die ver-
ſchiedenſten Verhältniſſe der Menfchen kennen, auf welde
Religion wirkt, und auf welde fie nicht wirkt: welche Lehren
und Gebräude durch Mißbrauch und Unverftand gemein gewor-
den und melde uriprünglide Achtung und Ehrfurdt jie ver-
dienen; jo daß er feinen Zweck erreicht fühlte, wenn Diele
Schrift ein Handbuh des Jünglinges, der von Alademien
fommt, des angehenden Predigers und aud ein Lieblingsbuch
derer würde, die Religion, Theologie, und ihre äußere Ein-
richtung zu ſchätzen geſetzt oder zu lieben geneigt find.
Inhalt
Seite
Briefe an Theophron. . 155
Br. 1. Ueber Bollendung der Alabemifchen Laufbahn. zen. 161
Br. 2. Wie die Bibel ald Gottes Wort zu lefen ſei? Bon
der Ehräifchen Poeſie. Entwurf zu einem Werte, vom Geifte v
derſelben. ..... 166
Br. 3. Fortſetzung. Antwort auf Vorwürfe, betreffend das
Unfittlide und Wilde mancher Ebräiſchen Poeſien. 173
Br. 4. Ob Gott unmoraliſche Dinge in der Bibel befohlen habe?
Ueberſicht der Geſchichte Iſraels nach dem Zwecke Gottes. Bon
den ſpätern (apokryphiſchen) Schriftſtellern der Juden. Wie
die in verſchiednen Zeiten ſo verſchiedne Auslegung der Schrift
und fo verſchieden aus derſelben gezogene Lehre mit dem Zweck
Gottes in Anfehung feiner Religion und Offenbarung beiteben
lönne? ..... —R& 181
Br. 9. Fortſetzung, die Geſchichte der Kirche hindurch. Bemer⸗
tungen über das fruchtbarſte Studium der letztern. „essen 194
Br. 6. Bon der vermeinten Gefahr für das Chriſtenthum in
unfern Zeiten: ob für daßelbe 8 fürchten ſei. Proteſtantiſche
Religionsfreiheit. Toleranz. merkungen über die Natur
von Religions⸗Revolutionen. 201
[Aaus Br. 60 — Theil 5, Br. 10.] .... 210
Erfter Brief.
Ihre Akademiſche Laufbahn ift alſo geendet, glüdlich geendet.
Ich freue mid, mein Freund, mit Ihnen; und wie gern möchte
ih der Brabevta ſeyn, der Ihnen den Kranz reichte, wenn bier
ſchon Kranz zu reihen wäre. Aber daran ift noch nicht zu geben-
fen. Sie treten jet erft in die Schranten und find alfo noch
fern vom Ziele. Nicht was Sie gelernt haben, fondern mozu
Sieg lernten? wie glüdlich oder unglüdlihd Sie es durchs ganze
Leben bin anwenden? Das ift ächtes Studium der Theologie,
Sinn Gottes und göttliher Dinge, R0000orvn.
Den Siegesläufern fteht der Kranz am Ende
Der Laufbahn vor:
Den Kämpfern um die Weisheit wird ihr Kranz
Im Tode und in andrer Welt.
Aus vielerlei Urſachen find unfere Akademien nicht dazu ein-
gerichtet, daß fie praftifche Weiſe Einer Art, geſchweige ausge⸗
bildete Theologen hervorbringen fönnten, zu denen, wie mich dünkt,
viel Meisheit des Lebens gehöret. Kinder fommen hinauf: unveife
Sünglinge gehen meiftens hinunter. In fo kurzer Zeit lernen fie
alles; haben aljo auch nad jo Furzer Zeit alles gelernet, und
swar hörend alles gelernt, ohne Frage, ohne andringenden ein-
zelnen Unterricht, ohne Gefpräh und Uebung. Dazu alles unter
und durch einander gelernt, nachdem die Glode ſchlug, nachdem
der KLectionenzettel es anlündigte, nachdem der Profeßor Beifall
batte oder nahe wohnte. Und nicht immer in einer Form gelernt,
die zum Vorbilde der Denkart des Jünglings, zu feiner Anwen⸗
dung, Weisheit und Glüdjeligleit diente: oft mit Gezänt und
Gewäſch, verbrämt mit Zoten und Poßen, die für einen Weilen,
Herders fänmtl. Werke. XI. 11
— 12 —
geſchweige einen Lehrer der Jugend, nicht gehören: oft mit ſcho⸗
Taftiicher Spigfündigfeit und kritiſcher Trodenheit, die für Den
gröfieften Haufen der Hörenden ſchwerlich nutzbar feyn möchte;
endlih doch immer entfernt von praktiſcher Anſicht, vieljähriger
Uebung und der goldnen geprüften Lebensweisheit, die ſich nie
aus Büchern, geſchweige durch ein Syitem, erlernen läßt. Wir
Ihiden alle unſre Gerechtigkeit über Land, jagte jene Fakultät,
darum haben und üben wir felbit feine; von wie manchen anderen
Fakultäten möchte dies (ich ſpreche völlig ohne Neid und Misgunft)
gelten. „Wir jchiden unſre Meisheit und Religion über Land;
balbjährig kommen neue Zugvögel, die aufpiden, mas wir ihnen
vormwerfen, und wieder wegziehn: wir reden und aus, oder fie
faugen und aus, und in wenig Jahren werden wir bei den ewigen
Mieberholungen und Ausleerungen unſer jelbft veraltete bürre
Gebeine.” Das ift nun eben das traurige Schidfal unfrer Aka⸗
demien, das fih zum Theil nicht ändern läßt, zum Theil gewiß
geändert werden wird, wenn unjern Guratoren die Augen auf.
gehn und fie audh über Wißenfchaft und Bildung der ſchönſten
Jugendjahre menſchlich denken lernen. Jetzt jucht jeder gute,
infonderheit junge und muntre Lehrer gegen dieſe Austrodnung
feiner Geiftesfäfte als feinen gefährlichiten Feind zu ftreben und
jeder Lehrling von feinen Sinnen wird weit entfernt ſeyn, die
enge Alademifche Form für das Mejen der Wißenfchaft zu halten
und fi dieſe von feinem Lehrer und Catheder unabtrennlich zu
denfen. Die Alademie ift ein Marftplag, wo Allerlei gum Ber-
auf fteht, und wo er nun aud Allerlei, Gutes und Schlimmes,
erwifcht hat; jegt Fehrt er in feine Heimath und dent: wozu kann
ichs anwenden? was babe ich erhandelt?
Unendlich hats mich gefreuet, mein Freund, daß Sie fchon
während Ihrer Akademiſchen Jahre meife und vorfichtig an den
fünftigen Gebrauh dachten. Sie wählten fih alte und junge
Lehrer, und nugten beide auch in Anfehung der ausfchliefjenden
Eigenſchaften und Bolllommenpheiten ihres Vortrags. Von jenen
lernten Ste jung und munter benfen, frei urtheilen, erfinden,
— 18 —
wünjchen ; von dieſen weile ordnen, bejcheiden Hoffen und was ſchon
da ift Iehrreih nugen und anmwenden. Und o wie liebten, wie
ehrten Sie Ihre Lehrer! Wie dur einen Kuß des Zutrauens
und der Freundſchaft Bingen Sie an ihrem Munde, an ihrer Seele!
Als Sie mich zum letztenmal bejuchten, wie froh, mie beicheiden
und gutmütbig ſprachen Sie über alles, was Sie und Ihre Lehrer
anging! Theile Ihres Herzens waren diefe, und von Ihrem lieb⸗
ften und vertrauteften Lehrer ſprachen Sie ja, als ob ih den
Perſius von feinem Cornutus ſprechen hörte. Die Fehler der
ſchlechtern, mit denen Sie alfo auch weniger Gemeinschaft hatten,
bededten Sie oder erflärten Sie mit einer jugendlichen Güte und
Billigfeit, ald ob ein mwohlgerathner Sohn von böfen Eltern oder
Blutsfreunden ſprechen müßte. Und endlih, mie entfernt waren
Sie von jenem Gaßen- und Bubenftol;, von jener unmißenven
Anfgeblafenheit, mit der fo viele verdorbne und kaum mehr gut
zu machende Jünglinge von Akademien kommen. Sie jagten nicht:
„ih babe bei dem Apoſtel Baulus, ja bei Einem, ber mehr als
„Baulus ift, weil er ihn beßer verfteht, ala Paulus fich jelbft
„verftanden bat, logirt! beim Sankt Johannes habe ich geſpeiſt!
„beim S. Chryjoftonus bin ich im Seminarium gewefen, und
„Luther und Melanchthon waren meine Herzensfreunde;“ wie ich
dergleichen oft mit Entjegen und Abſcheu gehört habe. Die groffen
Geftalten der Vormelt jchwebten Ihnen als Sterne vor, die den
Lauf Yhres Schiffes lenkten, die Sie aber nicht Heftweife in Fächer
gepadt und in Tonnen gefalzen mit fich führten. D Freund, biefe
ftile Gluth, dies warme, unjchuldige, beſcheidne und doc fo hoch
und edel emporfchlagende Herz, wie ſehr habe ichs in Ihnen gelie-
bet, ja wie oft in Ihnen beneibet und aud meinen Söhnen
gewünſchet! Ziehen Sie aljo glüdlih in Ihr Vaterland, in Ihre
einfame Landheimat ; jeder ſchöne Hain wird Ihnen Akademie und |
Tempel, hr Kleines Zimmer Stoa und Pöcile jeyn. Die Hülfe,
die Sie Ihrem alten Bater ermweifen, der Unterricht Ihrer jüngern
Geſchwiſter, der auf Sie wartet, der Kreis Ihrer Verwandten
und Freunde, auch der Umgang der Freunde Ihres Vaters, von ;
11*
RR ‚el
— 164 —
denen Sie mir ſo viel Hochachtungswürdiges, Gutes und Rühren-
des erzählt — alles dies ift die ſchönſte Laufbahn, die Sie ſich
nah der Akademie wählen und wünſchen lünnen, und ich möchte
mit Ihnen wieder jung feyn, um die Freude zu empfinden, wenn
Sie Ihre grünen vaterländiichen Berge und Auen und Fluren? und
Seen und Hütten wieberfehen, die Sie an lauter Auftritte Der
ſchönſten Zeit Ihres Lebens, der Kindheit und Jugend erinnern
werden. Meine Briefe, wenn Ihnen etwas daran liegt, jollen
Sie oft beſuchen, und die reiche Ausfaat derer, die ih noch zu
beantworten babe, foll Ihnen, wie ich hoffe und mwünfde, eine
glüdlihde Ernte werden. Vorzüglich wollen wir und an unfer
beiverjeitiges Tag - und Lebenswert, Studium ber Theologie, der
Religion und Amtsführung halten. Nun läßt fich überfehen, was
Sie gelernt haben: denn der Gang ift vollendet: ich kann zu Ihnen
viel freier reden, als ich damals reden mußte. Nun läßt ſich auch
berzbafter reden, was fünftig Ihr Werk fegn wird: denn Sie
fangen es an, Sie legen die Hand an den Pflug und merden, wie
ih hoffe, nie zurüdiehn. Wie angenehm wirb es mir feyn, in
alle Ihre verjchiednen Situationen einzugehen und Ihre erften
Empfindungen bei jedem Verſuch, bei jeder Uebung, mit der
jugendlichen Offenherzigkeit in mein Herz gegoßen zu fühlen, wie
ichs von Ihnen gewohnt bin. Ich werde Ahnen in diejer nicht
nachbleiben und oft um Sie feyn, wenn Sie meine Briefe em-
pfangen, lejen und auch in Anwendung berjelben an mich denten.
Vergeßen Sie nit, m. Fr., Sie find jet in der Blüthe des
Lebens. Auf der Univerfität mußten Sie oft Ameife ſeyn, jetzt
jeien Sie zurüd- und vorwärts- und auf allen Seiten umber bie
honigſuchende, unverbroßene, alles wohlordnende, fleiſſige, nügliche
Biene. Leben Sie wohl.
1) 8.: Flur
weiter Brief.
Ich merkte e8 wohl, daß Ihre eriten Zweifel die Saite treffen
würden, die Sie auch während Ihres Aufenthaltes auf Akademien
zumeilen berührten, nämlih, daß Ahnen das Lejen der Bibel fo
geftört und entweiht fei. Sie können den kritiſchen Blick nicht los
werben, zu dem fich einmal Ihr Auge gewöhnet: die Bücher bes
A. T. dringen fih Ihnen unvermerft ala alte, vielleicht unvoll-
ftändige, unkritiſch geordnete oder gar verftümmelte, dem größten
Theil nad) poetifche Nefte des Morgenlandes auf, an denen wir
immer noch zu fliden und auszubehern hätten oder die wir nicht
dichteriſch und poetiſch gnug darzuftellen wüßten. Im N. T. gebe
es Ahnen faft noch übler. Der kritiſche Gefichtspunft bei den
Büchern deßelben made fie beinah zu kahlen Stoppeln und Ueber-
bleibfeln der Ernte von falfhen Evangelien und Schriften ber
Idioten, die die erjte Kirche überdedt Hätten. Sie wißen nicht
gnug zu jagen, wie jehr der Eindrud Ihren Geiſt verwirre und
Ihr Herz zerreiffe. Sie wollen mande Fritiiche Gelehrſamkeit Ihrer
Hefte aufgeben und wünſchen fi dagegen die Unſchuld, die Rein⸗
beit und Einfalt wieder, mit welder Sie in Ihrer Kindheit
Moſen und Hiob, die Palmen und die Propheten, Johannes und
Chriftus laſen.
Fühlen Sie ganz, m. Fr., den Mangel Ihrer Seele und
machen fich denſelben nicht leicht; faßen Sie aber auch Herz, alle
Schiefheiten zu überwinden, Berg und Thal zu ebnen, und wieder
zu dem geraden Sinn zu gelangen, der Sie in Ihrer Jugend
einft beglüdte und ohne den wir nie glüdlich werden können.
Kein Bub in der Welt Tieft fih gut ohne innere Luft und
Freude. Mer den Homer nur kritiih, als Pedant oder Schul-
meifter lieſt, lieft ihn gewiß fchleht und wird nit, was er in
fid hat, empfinden; gejchweige wer ein miorgenländifches Bud, das
zur Critik nicht gefchrieben ift, wer Gottes Wort fo liefet. Wie
ein Kind die Stimme feines Vaters, mie ber Geliebte die Stimme
feiner Braut, jo hören Sie Gottes Stimme in der Schrift und
— 166 —
vernehmen den Laut der Ewigkeit, der in ihr tönet. Sch gebe
Ihnen einige Rathihläge an die Hand, die ich bewährt gefunden
babe, da ich auch an diefer Krankheit lag und mir das Wort Got-
tes, wie Sie fih ftarf und wahr ausdrüden, in der Hand ber
Eritit vorlam, wie cine ausgebrüdte Citrone; Gottlob! es ift mir
jegt wieder eine Frucht, die auf ihrem Lebensbaum blühet.
Zuerft. Lejen Sie die Bibel nicht vermilcht, Jondern in ein-
zelnen Büchern, in denen Sie eine Beit lang, die beften Stunden
des Tages, gleihjam ganz leben. Wählen Sie dazu die heiterften,
etwa die Morgenftunden, und trinken tief, jo viel möglich jeßo
ohne Critik, den Geiſt des Autors. Vermeiden Ste, jo viel Sie
Iönnen, bie fchönen neuen holprigen Ueberfegungen, zumal in Jam⸗
ben, oder in noch fünftlichern Sylbenmaaſſen, die meiftend ben
Sinn und Geift des Driginals rein wegnehmen. Hören Sie bei
poetiichen Büchern den einfältigen wiederholenden Chorgejang; bei
biftorifchen Schriften gehen Sie gleichfalls zurüd in die Kindheit
ber Welt, in die Armuth und Dürftigkeit ihrer Verfaßer. In
diefer armen Hütte wohnt Gott: zu diefer Kindheit ſpricht ihr Vater.
Zweitens. Suchen Sie do ja nicht in diefen Büchern Kunft,
Schminke, erbettelte Schönheit, jondern Wahrheit, Empfindung,
Einfalt, und erinnern Sie ſich hiebei an viele meiner Briefe. So
manchmal Sie mid) damals nicht begreifen fonnten und mir wider:
ſprachen; fo fehr werden Sies jetzt, und für diefe Wahrheit und
Einfalt Gott preifen. Die höchſte Natur ift immer Poeſie: bie
tieffte Empfindung fpridt immer erhaben. Die Wilden verftehen
fih alle bei ihren ſtarken fortreißenden Bildern, und die Leiden-
Ihaft braucht feine Poetik, ſich, wie fie ift, darzuftellen und zu
ſchildern. Oft wenn Ihnen Bilder diefer Art fern zu liegen und
weit bergeholt fcheinen: fo erinnern Sie fih, es ift ein altes,
morgenlänbifches Buch, das Sie lefen. Diefe Leute hatten einen
andern Gefichtöfreis, eine andre Sprache, ala wir; mas ung fern
dünkt, konnte ihrem Herzen und ihrer Einbildungskraft am nächften
liegen. Ein Gequälter ſpricht und jeufzet noch immer, wie Hiob
feufzet, wenn auch nicht in dem Fortgange von Bildern und hoher
— 167 —
Sprache. Mögen es Einvrüde meiner Kindheit ſeyn oder ein
Traum der Gewohnheit, die frappanteiten Stellen in der Bibel
dünfen mir von der höchſten und zugleich fo einfahen Natur zu
ſeyn, daß ih auß aller Welt nichts an ihre Stelle zu ſetzen
wünſchte. Wenn ih da in gelehrten Kommentaren und Para⸗
phrafen oder gar auf der Kanzel viel von Bilderſprache und Bil-
derſprache ſprechen höre, die man in unser gutes, reinverftänbliches,
d. i. metaphyſiſches, abftraftes und verftändliches Deutich überjegen
müfle: fo weiß ich oft nicht, wo ich bin ſoll. Jene Sprade ver-
fteht alle Welt, weil fie die Sprade des menſchlichen Her-
zens ift; dieſe Sprache verfteht niemand.
Dritten. Um fih in die Einfalt, Stärfe und Würde ber
Schrift zu erheben, nehmen Sie bisweilen einen der ältern Kom-
mentare zur Hand, injonderheit aus dem Jahrhundert der Refor⸗
mation. Nicht eben um in jeder Stelle alles das zu finden, mas
damals eine jede der Religionspartheien in fie legte: denn bei dem
damaligen euer des Streits traf eine jede derſelben ihr Syftem
an, mo fied nur antreffen wollte; jondern weil man damals noch
Sachen im Worte Gottes fuchte, nicht blos Sylben und etwa
den literarischen Sinn in der dürftigften Anſicht. Es fteht Ihnen
frei, Hinweg zu thun, mas Sie fremde und ungehörig finden;
aber die Wahrheit verfündende, herzliche Manier der Kommenta-
toren machen Sie fih zu eigen, und wenn nicht mehr, jo ſtehen
die gemeiniglich gröffer gebrudten Worte des bibliichen Tertes unter
den fleinern Buchſtaben des Kommentars da, wie Palläfte unter
Hütten, wie Niefen unter den Zwergen. Das opposita juxta se
posita kommt da Ihrem Auge und Gemüth zu Hülfe, und es ent-
wideln fih Gedanken Ihrer Seele, die oft weit gnug von bem
oft nur einfeitigen, zeitmäffigen und individuellen Kommentar
abgehen. Der Paraphrajen aber entwöhnen Sie fih gänzlich.
Viertend. Inſonderheit laßen Sie fih dur alles Flittergold,
das man neuerer Zeit den biblifchen Poeſien anheftet, nichts von
dem, was Gang der Geſchichte, hiſtoriſche Wahrheit oder gar gött-
liche Offenbarung iſt, rauben; ſonſt haben Sie nichts gewonnen
N
— 18 —
und alles verlohren. Die jungen Poetafters , die einer hriftlichen
Gemeine nichts als ein Füllhorn poetiiher Blumen am Wort
Gottes vorzubalten wißen, find arme Tröpfe, und verlieren Sie
für fi die innere Ueberzeugung, daß Sie an allen Anftalten Got-
menschlicher Seelen haben, was hülfe Ihnen die buntefte perfiiche
Tapete? Wird alle Sprache Gottes, werden alle Erſcheinungen
und Wunder, die erhabeniten Charaktere der Menſchheit, die reich-
sten Weißagungen und fchönften Ausfichten für unſern Geiſt in
poetiihen Schaum und willführliche, menigftens abgelebte Dichtung
aufgelöft: fo wünſchte ih, daß Sie dafür lieber Griehen und
Römer läfen. Deren ihre Poeſie ift unftreitig runder, und die
Kunft an derjelben beitimmter; die heiligen Dädalus - Säulen
Drients find dagegen roh Werk, wenn man nämlih nidts als
Menſchenwerk in ihnen zu juchen Luft bat.
Ich muß mich über den lesten Punkt mehr erklären: denn
hier liegt der Leichnam. Die ülteften Stüde der Bibel find
unftreitig in der Urſprache der Menſchheit d. i. in Bildern, in der
Sprade der Leidenſchaft und der Anfchauung beichrieben; es wäre
nicht gut, weder jo rührend noch jo urkundlich treu und ficher,
wenn fic anders befchrieben wären, Alfo muß man fie auch in
diefer Iefen und fühlen; ja alles zu Hülfe nehmen, was uns in
den Ton derſelben bringt, wie ich Ihnen früher oft gezeigt babe.
Aber wenn e3 nun auch Poeſie ſeyn foll, daß Gott die Welt, daß
er Menſchen im Paradieſe gefchaffen, daß dieſe ſich durch den erften
kindlichen Ungehorſam daraus entfernt, daß er jelbft oder durch
Engel den Menſchen erſchienen fei und ihre Erziehung und Bil-
dung von früh auf fortleitend geführt habe: wenn es poetijcher
Styl feyn fol, daß er Abraham erſchienen, daß Sodom und
Gomorrha untergegangen find, daß er Mofen erwelt und bie
Siraeliten durchs Meer geführet, daß er auf Sinai fein Gefeh
gegeben und durch die Propheten geredet habe: m. Fr., wenn dem
fo ift, verwünſche ih diefe ganze Poefie und wünſchte mir an
ihrer Stelle die nadtfte, trodenfte Geſchichte. So müßte ich Doc,
— 169 —
was gefchehen und wie es gejchehen fei? jetzt weiß ich, wenn
die Hypotheſe gelten joll, nichts rechtes mehr. Leſen Sie ein-
mal die Bundert Hypotheſen, mit denen man an der Gefchichte
des Falls, der Sündfluth, Bileams fchraubet. Leſen Sie ein-
mal die neueften Dffenbarungen, der Walfifh, der den Jonas
verſchlang, ſei ein Schiff geweſen, dad Wallfiſch geheifien, und
von Gott gefandt, wie der König von England die Schwalbe
oder den Pelikan ausfchidt; Elias fei nichts als vom Donner
erihlagen; Elia habe das Eifen ſchwimmend gemadt d. i. er habe
es durch ein Stüd Holz vom Grunde heraufgeholet, er habe bie
Koloquinten eßbar gemacht, dadurch daß er Mehl dazu gerühret,
weil das Mehl die Koloquinten fehr eßbar made; Bileam fei jelbft
die Eſelin gewefen, wit der er den Dialog gehalten: „wie fommts,
„daß meine alte Eſelin plöglich jo ſcheu wird? mag fie ſich nicht
„etwa gar einbilden, einen Engel Gottes zu ſehen?“ u. dgl. un⸗
Statthaftes kindiſches Gewäſch mehr, wogegen man fi gern bie
Hardtiſchen Hypotheien, daß Jonas im Wirthähaufe, zum
Wallfiſch genannt, übernachtet, wieder zurückwünſchte: leſen
Sie diefe Dinge, die von Meße zu Meße Parade nahen, Sie
werden gern wieder in die Einfalt zurüdfehren, mit der Sie in
Ihrer Kindheit diefe Gejchichten laſen und an feine Poeſie dachten.
Lefen Sie die meiften neuen geichraubten Weberjegungen des A.
und N.T., die auf Stelzen gehen und ordentlich nicht wißen, wie
hoch fie ihre Füße ſetzen follen: Sie werden gern zur alten fimpeln
Ueberjegung Luthers zurüdiehren. Das ift leider! das 2008 ber
Menſchheit: man_übertreibt alle, auch_die beten Saden und Hypo⸗
thejen; und eben dadurch daß man übertreibt und zu beiden Seiten
ausfchweift, findet man endlich die glüdliche Mitte der MWahrbeit.
Wahrli es ift ein feiner Faden, der bie Bibel A. und N. T.
infonderheit an denen Stellen durchgehet, in denen fih Bild und
That, Geſchichte und Poeſie mifhet! Grobe Hände können ihn
jelten verfolgen, noch meniger entwideln, ohne ihn zu zerreifien
und zu vermwirren, ohne entweder der Poefie oder der Gefchichte
wehe zu thun, die fih in ihm zu einem Ganzen fpinnet. Die
J_12, syn.
— 170 —
Geſchichte der Ausleger, inſonderheit des A. T., beweiſet dies
gnugſam, wie es auch ſchon Hieronymus und Erasmus erlannt
haben. Da heißt es recht: auslegen gehört Gott zu, oder dem
Mann, auf dem der Geiſt der Götter, der Genius alter Zeiten
und gleichſam der Kindheit des Menſchengeſchlechts ruhet. Kom⸗
men Leute dazu, die von ihm nichts wißen, denen nichts fremder iſt
als poetiſches Gefühl, inſonderheit des Morgenlandes: und wenn ſie
die gröſſeſten Dogmatiker und Critiker von der Welt wären, die Pflanze
entfärbt ſich von ihrem Anhauch, ſie verwelkt unter ihren Händen.
Sie fehen felbft, m. Fr., daß ich Ihnen im kurzen Raume
dieſes Briefes feine Anmweifung geben kann, mie biefer Faden bib⸗
liſcher Poeſie und Auslegung zu verfolgen if. Alles kommt auf
Lolal - Umftände, auf Zeit, Ort, Zufammenhang, Abfiht und
Genius des Schriftftellers, und am meiften auf den inneren guten
Sinn deßen an, der da liefet. Das Leſen niorgenländifcher Poefien
und Neifebefchreibungen, das Leſen anbrer Dichter überhaupt,
erwedt den Sinn, mo er da ift; wo er nicht ift, kann er nicht
erwedt werben, und es wäre beßer, manche Perſonen hätten feinen
Dichter und feine Reifebefchreibung gelefen. Sch gebe Ihnen einige
wenige Proben und Merkmale, die Sie in Entwidelung biejes
freien Gewebes weiter verfolgen werden. — — —!
* *
*
Ste _wünfchen eine Ausgabe der Bibel zu haben, in ber jedes
Bud; und jedes Stüd eines Buchs ohne Kapitel- und Bersab-
theilung in fein urfprüngliches Licht geſetzt, Poefie und Geſchichte
forgfältig abgetrennt, und auch wo ihre Farben zujammenflieflen,
diefe durch den Drud oder durch furze Anmerkungen richtig unter
1) „Bon bier an [>= Theil 5. Brief 51, 8 Seiten 4° Miſe.] eregefirt
ber Berfafier eine Reihe biblifcher Poeſien oder poetiich erzählter Geſchich-
ten, von Lamechs Lied, Henochs Hinnahme, dem Thurmbau zu Babel,
dem Stillftand ber Sonne auf Joſua Befehl u. a. Da aber biefe alle
in dem fpäter erfehienenen Geift der Ebräifhen Poefie ausführlicher
vorlommen, fo bleiben fie bier filglih weg." Anm. ©. Müllers.
— 171 —
ſchieden wären. Ich wünſche es auch, und noch mehr, ich muß
Ihnen ſagen, daß ich ſeit Jahren ſchon mit dieſem Gedanken um-
gegangen bin, und, wenn nicht, wie ich ſchwerlich glaube, durch
den Druck und für die Welt, wenigſtens für mich und meine
Freunde, ſie nicht als Bibel, ſondern als Sammlung alter Schrif⸗
ten alſo zu überſetzen und zu vollenden wünſche. Zum Voraus
aber gehört ein Werk dazu, das ich Ihnen näher bejchreiben muß,
weil es theils Ihre Zweifel ſehr auflöft, theild Sie überhaupt auf
eine Bahn lenket, die es Ihnen nie gereuen wird, betreten
zu haben.
) ? Dies Werk nämlich handelte: von der Poefie der Ebräer,
12,789! und würde fih mit dem grofjen und fehr verdienten Lowth nur, 2,57
wenig begegnen, wie Sie aus der nähern Anzeige felbft einjehen
werben.
Zuförberft ginge eine Unterfuchung über die Sprade ber
Ebräer voraus: was in ihrem Bau und Gebraud vor andern
Poetifches fei? woher es fo jei? und mas falich hineingetragen
werde? Dies wäre eine Philofophie nicht bloß über ihre fimple
Form und Grammatik, jondern auch über die reihen Fundgruben
und Origines der Sprache, dazu wir fehöne Vorarbeiten haben.
Denn ih muß Ihnen nur fagen, daß ich gar nicht von der Mei-
nung bin, daß die Ebräiſche Sprache zu heiligem und poetiſchem
Gebrauh jo arm gewejen, ala man gemeiniglich annimmt. Site
war nad) den wenigen Büchern über jo wenige Gegenftände, die
wir haben, reich, jehr reich. Ihre Fundgruben find reich und
vol tönenden Metalla: alles in der Spradhe ift Verbum, und
alles was Verbum ift, mahlt, Handelt, tönt und lebet. Man
glaubt lauter Chor und Rhythmus zu hören, jo wie man in ber
Form und Beugung lauter Bilder und Hieroglyphen fiehet. Wüßten
wir noch etwas von ihren Ton, von dem lebendigen Rhythmus
der ccente, die auf ein finnliches Volk fo lebhaft wirken, meil
fie vom Tanz oder von den Gebehrden unterftügt werben, die Die
Stelle aller unfrer feinen und ftummern Linterfcheidungszeichen
vertreten; gingen wir nur nicht meiftens durch eine jo überfeine,
— 12 —
fünftlide Grammatik, die ihrem urfprünglichen Bau oft ſehr frembe
und ein junges Nabbinifches Machwerk ift, zur Sprade: wie
ander8 würde uns von Jugend auf alles werden! Wüßten wir
uns nun überdem von unfrer Denkart voll Beichaffenheiten und
Abftraftionen zu entfernen, und in die Fülle jener Sinnlichkeit,
jenes Lebens vol Anſchauung und Leidenſchaft zu wandern: wie
anders würde fih Ohr und Geiſt zu einen fogenannten Hebrais-
mus, der damals nichts als Ausprud der vollen Natur war,
gewöhnen! Welch ein poetifches Wörterbud, wie eine ächt pbi-
loſophiſche Grammatif und Poetik würde fih unfre Seele zu ihr
ſchaffen! Sie find noch jung, m. Fr., und haben Beleſenheit,
Genie und Fleiß gnug, helfen Sie mir zu dieſem Geſchäfte.
Das zweite ‚rooAeyouevov wäre eine Art poetifher Kos=
mologie aus den Urbegriffen der Ebräer, fo fern fie in ihren
älteften Urkunden, ihrer Sprade oder in der Sprade und Bor-
ftellungsart verwandter Nationen liegen: denn es ift ausgemacht,
daß in diefer Fundgrube von Begriffen, mas ein Volt von Gott,
der Welt, der Schöpfung, der Menfchheit und ferner nad feiner
Sprache und älteften Traditionen denket, der Stof liegt zu feiner
ganzen poetiihen Form und Weisheit. Nun iſts eben fo auöge-
macht, daß viele dieſer herrlichen Ideen dem Volk Sirael nicht
ausfchlieffend eigen find, fondern durch mehrere verwandte Völker
und Dialekte laufen, wie ich zur Probe deffen dad Bud Hiob
und bie Arabifche Sprache anführe. Auf viele folder alten Grund -
und Urideen bauete noch Mahomed bei feiner Nation fort und
Ihmüdte fie aus in feinem Koran. Diefe würde ich, auch bei
mehreren Völkern, vergleichen, unterfuchen, welche Vorſtellungs⸗
arten aus den eriten Kapiteln Moſes am reichften fortgegangen?
welche durch die Moſaiſche Geſetzgebung und die fernere Geſchichte
abgebogen und minder urbar gemacht find? womit fie fo nachge-
blieben? womit fie etwa erjegt find? u. f.
Hiernach käme die dritte Vorbereitung, die eigentlichen
Geſchlechtsnachrichten dieſes Volks von Abraham. bis
zu Moſes. ch würde unterfuhen, mas zu ber fonberbaren
— 13 —
Auszeihnung dieſes Volks Gelegenheit gegeben; mas die Ideen
von dem Bunde, den Gott mit den Vätern gemadt, von ihrer
Lebensart, Reifen, Schickſalen, Segensſprüchen, Berbeifiungen u. f.
theild auf Mofen, theils fpäterhin auf Dichter und Propheten
gewirkt haben. Hieher käme die Entwicklung des Segens Jakobs
und die ganze Geftalt von Hirtenpoefie, die die Sprache und
Dichtkunſt dieſes Volks früh angenommen und nie verloren hat.
Bergleihung mit andern, injonderheit morgenländifhen Völkern
sthut auch bier das Befte, und die Einleitung des Sale zu feis
nem Koran und das mandherlei Gute, womit Homer, Oßian
und die Dichtkunſt andrer Völfer eingeleitet ift, mögen bier zur
Probe dienen. Nächſtens rede ih Ihnen vom Werk felbft und
beginne alsdann ſogleich mit Gottes erhabnem Knechte Moſes.
Dritter Brief.
In einem Bude von der Poeſie der Ebräer kommt
Mofes als Dichter, als Geſetzgeber und als Held in Betrachtung;
in dieſem dreifachen Charakter hat er auf den Getft feines Volks
gewirtet. Sein Gefang am rothen Meere ift der Vorklang aller
iſraelitiſchen Stegslieder, fein Lied am Ende des Lebens das
Vorbild, ja ich möchte jagen die poetiſche Summe aller Propheten
Iſraels, im Ton und Anklange, in feinem Inhalt, in feiner
Hauptwendung. Sehen Sie nur den Anfang Jeſaias, des erha-
benften der Propheten: warum ift diefes Stück vorausgefegt, als
weil es wie Mofes Lied anfängt, und gleichſam das Crebitiv bez
Propheten it? Segen und Fluch, Drohung und Verheißung,
kurz Garizim und Ebal find der Inhalt aller Propheten, und
wenn Mofes der Verfaßer des 90ten Pfalms ift, fo bat er das
Mufter göttlicher Weisheit im ftillen Blick über das menfchliche
Leben gegeben, dem auch die Weisheit der Propheten nachftrebte.
Als Gefeßgeber wirkte Mofes auf den Geift feines Volks mit
Rieſenſtärke. Daß er fie zum Ader- und Hirtenvolf made,
— 14 —
und jo viel es feyn konnte, Handel und Eroberung ausſchloß: daß
er Theofratie, Tempel, PrieftertHum unter ihnen gründete
und Iſrael zum Volk Gottes zu maden fuchte: daß er endlich
das Recht der Propheten feftfegte, und neben den Prieſtern,
ja felbft unter den Königen auf fie ald Dratel Gottes, ald Ret—
ter des Staats wies; dies alles hat den Gang der Poefie unter
den Ebräern ziemlich geleitet. Land- und Hirtenmäffig ift
ihre Poeſie dem größten Theile nah. Länblid find ihre Bilder,
im Hirten» und Aderleben der gröffefte Reichthum ihrer Sprache»
(ih nehme die Sprade des Heiligthums aus); felbft die Sieges-
lieder der Ebräer find urfprünglic landmäſſig, und die Prophe⸗
ten dem größten Theile nah noch mehr. Diefe Sproße ift bei
den Ebräern hoch binaufgeblühet, wie viele Pfalmen und das
Hohelied, ja das Siegslied der Deborah felbit bezeugen. Es müfte
fehr angenehm und aufllärend feyn, dieſen Geift der Ebräiſchen
Land» und Hirtenpoefie durch Die verfchiedensten Schriften des
A.T. zu verfolgen. Aber noch ſchöner, daß fih der Palmzmeig
des Heiligthums mit dem friedlichen Delzweige der Landpoefie
zufammenjchlang: heilig ward ihre Pocfie, eine ehovah - Dpfer-
und Tempelpoefie bis auf ©leichniße, bis auf die gemeinften
Bilder. Bis zur Verwundrung groß tft der Reichtum der Sprache
an Ausdrücken dieſer Gegenftände; und cs kommt nun auf treue
Unterfußung an, melde Borftellungsarten unter dem Wolf herr-
ſchend zu machen, es dem Moſes gelungen? welde andre er ver-
drängen wollte? wie weit er fie verbränget habe? u. f. Hier wird
von Jehovah, jeinem Geſetz, Tempel, Opfern, dem heiligen
Lande, feiner Providenz, Engeln, dem Scheol die Rede: wie
weit fein religiöfer und politiicher Entwurf je zur Ausführung
gelommen? Wie weit ihn einzelne Propheten befolgt und erneuert
haben? Die Erfiftenz der Propheten im Bolf nah Mofes Geſetz
befommt bier jhre grofje Stelle: dies Geſetz rief fie auf, ſchränkte
fie ein und gab ihren Gottes - Orafeln Zweck, Geift und Leben.
Endlid die Geſchichte der Thaten Mojes. Sie fehen,
m. Fr., wo id hinaus will, und ich darf mich nicht weitläuftig
= 1
— 15 —
über alle Zeiten erklären. Bon melden Bildern und hohen
Gedanken diefe Geſchichte eine Duelle gemefen? Was für Bor-
ftellungsarten fie von andern benachbarten Völfern und Gegenden,
3. E. Aegypten, Sinai, Arabien, Moab, Midian, Amalek, ver-
anlaßt habe? Dieſe Gejchichte durch die Zeiten Joſua, der Rich⸗
ter, Samueld verfolgt und mit Jothams Fabel geihmüdt, mit
der Deborah Siegögefange gefrönet, kommen wir zu ben Prophe-
tenfhulen, die Samuel anlegte, der aber felbft nicht Dichter war,
und endlih zur zweiten Blüthe der Ebrätfhen Poeſie. David
und Salomo mit ihren unvermelflihden Pſalmen, Sprüden,
Weisheits- und Hirtenliedern. Fürchten Sie nit, daß ich hier
jo weitläuftig feyn werde, wie bei Mofes: der Boben ift zube-
reitet und nun kann, was darauf wachen will, ſproßen und wach⸗
fen. Hier ift ein fchöner Garte morgenländifcher Dichtkunft: nur
muß er nationell, zeitmäffig, und bie und da gar indivi—
duell betrachtet werden: ſonſt verwüftet man ihn, ftatt ihn zu
geniefien und anzubauen. Daß bei beiden Königen ſowohl ihre
Thaten und Anftalten ala ihre Poefien jelbft in Betracht kommen, !
und überhaupt berubet das Intereßanteſte dieſer Periode auf ber
Darftellung fchöner oder auf der Erklärung dunkler Stellen ihrer
Schriften, wo noch bie und da die Arbeit fehr belohnet.
Und fo kämen wir auf die dritte Periode, die Zeit Hiskia
und der Propheten. Hier fommt der große Jeſaias ind Licht,
auch mit der Wirkung, die er auf die folgenden gethan bat. Jeder
Prophet würde in feinem Kreis, auf feine Vorbilder, Zeitum⸗
ftände, Zwede, Folgen zurüdgeführt, feinem etwas Binzugelogen,
was er nicht bedarf; feinem etwas aus einer jüngern ober gar
aus unfrer Zeit angebichtet, was ihm fremd if. Auch im finn-
lihen Kreife feiner Ausfichten und feiner Zukunft wird feiner
geftört und etwa mit geiſtigen Ideen, mit Metaphyſik überhäufet ;
der Gang Gottes wird ſchlicht hinab verfolgt, wie er felbft bie
Zeiten ordnete, die Geifter medte, die Welt in diefem neuen Kreife
1) Ausgefallen ift etwa: „verftehet fich“
7.12, 703 *
— 176 —
allmählich aufklärte, aber immer auf ſeiner Hoffnung, in ſeinem
Troft beveſtigte, ſtärlte. Sie merken leiht, m. Fr., daß Moſes,
David und Jeſaias die Hauptformen ſeyn, auf die das Meiſte hier
zurückkommt, und die ich inſonderheit wohl ausgebildet wünſchte. —
Um Sie bei meinem grofien Plan, der vielleicht immer Plan
bleiben wird, nicht darben zu laßen, will ich einige Folgen daraus
ziehen, die Ihre Zweifel über das Unfittlihe und Wilde
mander Ebräiſchen Poefien angehn, und wie ich hoffe, zur
Ruhe legen.
1) Der Ausdrud der Poeſie geht mit den Zeiten,
den Sitten, der Denkart der Nation Eines Weges. Die
Beichreibung muß der That felbit entipredden: der Ausdruck ridh-
tet fich jebesmal nad) der innern Empfindung. Da nun die Sit-
ten aller Nationen ober auch die Sitten einer Nation in verſchied⸗
nen Beitaltern einander nicht gleich feyn können, jo wäre es
ungereimt, von den furdtjamen Hirtenvätern blutige Kriegslieber,
und von einem umberirrenden, verwilderten Volke Geſänge des
Hofs zu fodern. Zeiten des Kriegs bringen andre Gefänge hervor
ala Zeiten des Friedens; und der Gejang der Heldin Deborah
kann nicht Mingen, wie der 23fte Palm, oder wie das Hohelied
Salomonis.
2) Noch behutiamer muß man feyn, alte Nationen über ihren
Grad des Wohlftandes und der gemeinen Moral nidt nad
unſrer Zeit zu richten: denn fie haben ja nicht zu unfrer Seit
gelebet, und beides find die feinften Blüthen und Refultate von
den Verhältnißen der Zeitumftände. Griechen und Römer haben
fo viel Unanftändiges, als es die Ebräer nicht haben; bei ihnen
legt mans zureht und verhüllts, bier deckt mans auf und ver-
ſpottets. Wer von einem morgenlänbifchen Wolfe die Sitten des
Abendlandes, und von Amos dem Kuhhirten oder von Ezechiel in
der Gefangenfchaft die Yeinheit an Ausdrud fobern will, die in
der Geichichte der Urmwelt oder in den Salomonifchen Schriften,
zumal im Hohenliede herrſchet, der weiß nicht, was er fobert.
Die Schriften wären nicht aus der Zeit, von dem Voll, von den
— 177 —
Verfaßern, wenn ſie ſich alle gleich oder alleſammt wie das
ausſähen, mas wir jährlich zur Meße tragen.
3) Ueberall alfo muß man auf individuelle und Beit-
umftände fehen, unter benen etwas zum Vorſchein fam und ja
nicht alles in Alles miſchen und werfen. Abrahams Furchtſamkeit
in Aegypten gehört fo gut an Ort und Stelle, als Simfons
Kühnheit. Moſes Gejehgebung war jo verhältnißmäſſig und rela»
tiv gut, ala jede gute Gefehgebung feyn muß und nicht anders
als alfo jeyn kann; fie paßt nicht auf jedes andre in ber blinden
Menge, das jagt Chriftus felber: Um eures Herzens Härtig-
feit willen bat euch Mofes folde Geſetze gegeben; märet
ihr gejcheuter,, zarter, williger geweſen, ihr hättet andre empfangen,
denn au die euern habt ihr ja nicht gehalten. Das jagt
Chriftus, und was würde er fagen, wenn er uns an biefen
Gefegen hangend und in feinen Chriftengemeinen Davids Fluch⸗
pjalmen noch berfingend befuhte? Wo find eure Sebufiter, eure
Philifter und Königsfeinde, die ihr verflucht ? und wie getraut ihr
euch, das mir in den Mund zu legen, ber felbit, wenn er geichol-
ten ward, nie wiederſchalt und fluhte? Laßet einen bedrängten,
heftigen König, dem Thron und Leben fauer gnug ward, feinem
Herzen Luft maden, und ihn in feinem Kreife, im Drange feiner
Noth, fluchen, beten, hoffen, wünſchen, wie erö für gut findet;
wer jeyb ihr aber, daß ihr, ganz aufler feinen Umſtänden, aufler
feiner Welt von Empfindungen, ihm die Worte nachplerret, und
damit nicht nur die Heiligkeit eurer Andacht ftöret, ſondern gar
meine Perſon läftert? Aus allen Zeiten und Sitten jollt ihr
lernen, dazu find fie euch und zwar fo treu vorgezeichnet; lernt
ihr aber daraus, wenn ihr fie nachbetet?
4) Der gröfiefte Mißbrauch von Allen ift, wenn man Gott
zufchreibt, was in ber Bibel gethan und erzählt wird, follte es
auch Satan in ihr thun oder erzählen; es fteht ja, jagt man, in
der Bibel. Diefer Mißbrauch wird wirklich zum Unfinn, und doch
begeht man ihn öfter, ald man denket. Weil David ein Mann
nah dem Herzen Gottes, d. i. ein in feinen meiſten Hand»
Herders fünmtl. Werfe. XI. 12
— 1718 —
lungen und Abfichten reblicher und fehr löblicher Yürft beißt, To
muß er alles im Namen Gottes gethban, fo muß aud Gott burd)
ihn die Sünde mit Urias und Bathjeba getan haben, über Die
der Schuldige jo Bart büſſen mufte! Was fehlte Verdrehungen
folder Art zur Gottesläfterung, wenn fie nicht offenbar ungereimt
ind Auge fielen? Im Buch Gottes, der Bibel, fteht alles beichrie-
ben, wie im Bud Gottes, der Natur, zwilhen Erb und Himmel,
allerlei, Gutes und Böfes enthalten if. Annalen müßen treu
befchrieben werden, und dieſes find Annalen der Menschheit.
D, mein Freund, wenn Sie die Bibel mit menſchlichem
Blick und Herzen durchgehn, wenn Sie aud den Faden der Ent-
widlung Gottes nach Zeiten, Lebensart, Perſonen, Sitten ver-
folgen, welche Wahrheit werden Sie finden, und bei allem Wun⸗
derbaren mancher Geſchichte welche aufpringende Wahrheit! Hier
ift fein wunderbares Gemiſch von Yabeln und Dichtungen, wie in
andern alten, zumal DMorgenländer - Sagen. Wie fimpel ift die
Erzählung von den erſten Zeiten der Welt bis auf die Patriarchen,
wo doch nah der Art aller andern Nationen die kühnften Lügen
und Wundergeſchichten ftehen follten! Hier ift nichts dergleichen,
ja zu mander jener ungeheuren Traditionen, wie 3. E. von Nie-
fen, Himmelsftürmern u. dgl., finden wir bier den beſcheidnen fo
natürlihen Aufſchluß. Die Art, wie Gott mit den Menfchen in
diefem Zeitraum umgeht, Tann nicht natürlicher gedacht werben;
aller Prunk, alles Ieere Blendwerk iſt fo entfernt von ber
Erzählung, daß ja nicht einmal gejagt wird: wie Gott erfchienen
ſei? in welder Geftalt er zu Menfchen geredet habe? Ein Blei-
ches ifts mit der fimpeln, jo hirtenmäſſigen Erzählung von den
Patriarhen. Nichts wird verfchönert, nicht? übertrieben; auch das
Wunderbare wird fo natürlih, daß man in ihrem Zelt, bei ihren
. Hütten und Heerben felbft fiten und Engel erwarten möchte. Wie
ausgeipart ift überall die Erfcheinung! Abraham, der Vater des
Glaubens, geniefjet fie oft; er zieht ald Fremdling umher und
mit ihm follte der Grund des Bundes und der Verheißung gelegt
werden. Dem Iſaak erfcheint das Geficht feltmer, nur bei dem
— 19 —
Altar feiner Opferung; cr muß gleihfam auf den Glauben feines
Baters bauen und von ihm leben; dem Jakob nur in der Nadıt,
nur im Traume. Ihr Zutrauen indeß zu dem Engel Gottes, ber
fie begleitete, ift unerſchütterlich, wird ihnen gleihlam natürlich:
ed iſt fchlichter Glaube ihrer Lebens- und Jugenderfahrung. Bei
der Gefchichte Mofes fängt das höhere Wunderbare an; biefe
Geſchichte mar aber auh Grund der ganzen Gefebgebung, die auf
Zeiten und Jahrhunderte hinab feierlih gemacht werben follte.
Nur durch folde Mittel konnte dem harten ungebilveten Wolf
Auge und Ohr gleihfam mit Gewalt geöfnet werden. Die Aegyp-
tiihen Wunder und Plagen richten ſich genau nad) den Begriffen
des Negypterlandes, das feiner Gefehgebung, feinen Clima und
Aberglauben nah in ciner Naht von Wunderkünften feiner Zau-
berer lebte. Die Ausführung aus der Knechtſchaft und die Reife
durchs Meer jollte jo wunderbar und aufferordentlich jeyn, damit
es eine eigentliche Loskaufung wäre und Sirael feinem Gott und
Herrn gleichſam Leibeigen zugehörte. Sie wurden aus dem Glut-
ofen der Sklaverei errettet, wie fie fich felbft nicht erretten konn⸗
ten: im Meer wurden fie, wie Paulus Träftig und fcharffinnig
jagt, auf Mofen getauft: in der Wüſte ala Kinder ernährt, damit.
Iſrael Gott als fein Eritgebohrner, verirrter und wiedergefundner
Sohn diente. Mofes bat alle diefe Umftände in feinem fünften
Bud, zumal in feinem herrlichen legten Liede, jo treu erflärt, fo
erhaben und andringend genußt, daß man ſieht, auch hier ift nichts
verichönert, nichts durch die ſpätere Fama vergrößert worden.
Alles muß zur Zeit Mofes aufgefchrieben feyn, denn feine Gejeße,
feine Reden beziehen fi drauf und wideln fich gleihjam in bie
Gefchichte ein. Die gröbiten Fehler und Ausfchweifungen des
Volks find mit aufgeichrieben, fie werden dem Volke fo oft ins
Angeficht wiederholet, die wunderbaren Wohlthaten der Ausführung,
ber Gejebgebung, des Manna, des Tranks immer dabei angeführt,
daß es gar nicht denkbar ift, wie fie ſich ſolche Sachen hundertmal
ins Geſicht jagen laßen, wenn fie nicht vor ihren Augen gefchehen
wären. Sie werden zu Tode gequält: fie fterben in der Wüſte:
12*
— 10 —
Mofes felbft ftirbt auf das Bekenntniß — o freund, ſolche ganze
Zeiträume von Geſchichten und ihren unläugbaren biftorifchen
Folgen laßen ſich nicht erdenken; fie tragen auch bei alem Wun⸗
derbaren das Siegel der Wahrheit, des Orts, der Zeit, des
Zwecks zu offenbar und urfundlih an fih. Wie die Ausführung
aus Aegypten, fo follte auch der erfte Eintritt ins Land, ber
Mebergang über den Jordan, die erfte Eroberung wunderbar wer⸗
den, fürs feige Volk ein Zeichen, daß Gott fie ins Land einführe,
dag der Schall feiner Gegenwart bie Feinde bezwingen werde, Daß
es aber auch nicht ihrer- fondern um feines Heiligthums willen
gefchehe, wenn er ihnen diefe Stätte gönnet. Nun aber, nach
diefer erjten Berfiherung fehmweigen auch alle Wunder. Ihr Arm
muß für fie ftreiten, und fie felbjt die Folgen ihrer zu baldigen
Ruhe und Gemädhlichkeit tragen. Späterhin werden ihnen Helden
gewedt, aber auch Helden mit natürlichen Kräften; die Lade Got-
tes erjeht ihnen ihre Schwachheit und Ohnmacht nit. Sie befom-
men Könige, und wie natürlich bier alles zuging, mögen Sie 3. E.
in Schuppius Salomo oder Regentenfpiegel Iefen: ein Schrift-
fteller, der von Deutichland mit Unrecht vergeßen und voll ver-
ftändiger vielfacher Bemerkungen if. Tout est comme ches nous,
ift hier das Nefultat der Geſchichte. Der Staat blübte, ſank und
verfant mittelft jehr natürlicher Urſachen, und die Propheten konn⸗
ten nichts als leider die Urfachen zeigen. Wenn ein Wundermann,
wie Elias oder Elifa, dazwiſchentritt: wie ausgezeichnet ift feine
Erſcheinung! Wie genau in die Zeit, die Umftände, unter die
Könige und zu den Zweden, die fie felbft angeben, gehörig! Es
waren die Testen himmlischen Stimmen, ein verjunfnes Boll zu
retten: Baals Reich war im höchſten Flor: das Land im gröften
Drud von innen und außen: der völlige Ruin nabte: fonnte noch
etwas König und Volk vom PVerberben zurüdhalten, jo mußte es
die Macht Elias ſeyn, aber auch diefe war jest ohnmädtig. Er
ward verfolgt, war jeines Lebens überdrüßig, und Gott nahm
ihn zu fi; mie auch die Offenbarung dieſen Zwed feiner als eines
legten Zeugen in ihrem majeftätiichen Bilde darſtellt. Der Ruin
—— *“
— 181 —
alfo beider Königreiche folgte, und o wie traurig - natürlich iſt alles
bei diefem Ruin! ſowohl bei der Gefangennehmung ald Rüdkunft
von Babel. Da bauen fih feine Mauern auf den Klang der
Harfe wieder! Die Geſchichte der Hohenpriefter, der Makkabäer,
der Herodianer ift ja die natürlichfte Gejchichte der Erde. Nur
Alles ift auch bier nationell erzählt, jede Begebenheit in der Farbe
gezeichnet, die man an ihr ſah und mit dem Namen Yehovah
Glück und Unglüd, Lafter und Strafen, Lob und Tadel, Alles,
Alles gebunden. Er verftodt Pharao und ermedt Simfon: er
läßt David das Volt zählen und firaft ihn darüber; er heißt
Simei fluchen und bezahlt ihm die Bosheit; wer fieht nit, daß
dies alles prophetiſch⸗ theokratiſcher Styl, Nationalton, kurz die
eigne Farbe der Begebenheiten fei, die auch zur Treue ihrer Dar-
ftellung gehöret. Doch ich weiß ja fein Ende und mie viel hätte
ich noch über die poetische Geſchichte dieſes Volles, über das Wun-
derbarsNatürlide in ihr, über den offenbaren Zweck Gottes bei
und mit demjelben zu fagen! Ein andermal. Leben Sie mohl
und ftubiren mit Kindern die Geſchichte, fo werden Sie überall
ihren jchönen Aufſchluß finden.
Bierter Brief.
Was wollen Sie damit jagen, m. Fr., daß Gott unmoralifche
Dinge in der Bibel befohlen habe? Welches find diefe? Kann
ein Menſch von fo zartem Gemüth, wie Sie, einen Sieg, ein
Opfer der Liebe, mie offenbar die Foderung an Abraham war, fo
verfennen, daß fie Ihnen Lafter werde? Hatte ihm Gott den ein-
jigen, geliebteften Sohn nicht lange verſprochen und endlich als
das Ziel feines PVerlangens, ala den Grund des ganzen Bundes
fünftiger Verheißungen, kurz als ein eigentliches Freundſchafts⸗
und Liebesgefchent gegeben? Da er ihn nun von ihm foberte,
was ward anders, als Kampf der Liebe, ein Opfer ber Freund
haft, das Gott dem Scheine nad foderte, um es ihm nit nur
— 152 —
zu laßen, (denn was mollte Gott mit dem Anaben?) fonbern als
ben höchiten Sieg ber Treue gegen ihn aufs reichlichfte zu belohnen ?
Das ift ja ganz in die Gejchichte verwebt, daß ich beinahe nichts
Frecheres und Menſchlichkeitsloſeres kenne, ala die Einwürfe der
Deiften gegen diefe Geſchichte.
Der Befehl Gottes gegen die Kananiter ift Bart, aber fteht
geradezu da; er war eine fürchterlihde Ausnahme und läßt ſich
durch alle erbettelten politiichen Gründe nicht wegftreichen aus Der
Geſchichte. Er ift ein harter Fall, wie bier ein Erbbeben, dort
eine Waßer- und Hungersnoth, eine Dürre, Krieg und Peftilenz,
die auh in Gottes Neid, nah feinem Befehl und Zulagen,
gefchehen und fi nicht wegraiſonniren laßen von ber Erbe.
Jene Eroberung geihah durch menjchlihe Hände; aber wie ungern
gingen dieſe daran! fie jündigten ja nicht in excessu, jondern in
defectu, und mußten jelbjt dafür büſſen. Alfo fieht man, daß
biefe Reihe durchaus nicht in die Reihe blos menſchlicher Begeben-
beiten gehört oder gehören fol, die fih durch ein altes Anrecht
der Väter an ein Land, das fie vor Jahrhunderten jelbft geräumt
batten, oder durch die Alternative, daß den Einwohnern ja noch
die Beichneidung oder die Flucht möglih mar, ober durch das
barte Kriegsrecht der damaligen Zeit, oder endlich gar durch bie
übermadten Sünden der Nation pur menschlich rechtfertigen lieſſe.
Wehe dem Volke, das ein anderes Volk austilgen will, um feine
Sünden zu ftrafen! Wehe dem Götenpriefter, der ein Buch de
optimo imperio s. commentarius in librum Josuae, ala eine Boli-
tik für unfre Zeit jchreiben wollte! Dazu Steht das Faktum nicht
da! Dafür habens die Iſraeliten ſelbſt nicht angefehen. In ſei⸗
nem Kriegsrecht befahl Moſes, der grünen Bäume aud in Feindes
Land zu fohonen, und Menſchen jollten nicht geſchont werben?
Dadurch daß ein Frembling, wie Abraham, einigemal das Land
durchzieht, ſollen feine Nachkommen das Recht erhalten, nachdem
fie fih Jahrhunderte in ein ander Land gewandt, es mit flürmen-
der Hand zu crobern und feines Säuglinges zu ſchonen? Nim-
mermehr! Und Redtfertigungen diefer Art, zu unfrer Zeit, wären
— 18 —
eine Schande der Menſchheit. Das harte Kriegsrecht der dama⸗
ligen Zeit kann entichuldigen, nicht‘ rechtfertigen: denn die Iſrae⸗
liten griffen an, und jene in ihren vermauerten Städten wohnten
frieblih. Daß Mofes die Abgdtter feiner eignen Nation des Todes
werth bielt, war eine andre Sache: dazu hatte er ala Gejehgeber
Recht, aber über diefe Völker war er nach menſchlichem Rechte
nicht Geſetzgeber. Ich rathe Ihnen alfo, daß Sie alle diefe Bet-
telgründe, die eher die Sache verderben ala gut machen, fahren
loßen und fih an das halten, was über die Begebenbeit in der
Schrift felbit gefagt wird. Sie wird als ein hartes Fatum vor-
geftellt und anbefohlen; ja das Volk muß dazu gezwungen werben,
denn es will mit aller Gewalt zurüd und lieber nach Aegypten.
Sie wird von Gott angeordnet, nicht vergangne Sünden der Nation
zu ftrafen (mie viel andre Sünder lebten damals auf der Erde!)
ſondern das Land von einer abgöttiſchen Nation frei zu machen,
damit fein Heiligtum daſelbſt wohnen und biefes nicht durch jene
verunreiniget werden möchte, wie ja, da Gottes Befehl nicht ganz
in Erfüllung kam, fo oft geihah. Ausftoffen wollte er die Völker
vor Sfrael ber durch ein panijches Schreden; er übernahm alfo
felbft die Sache und will ſich zur Verantwortung fodern laßen,
wie er fich über Peft und Erbbeben verantworten wird. MIN er
aber das Land nicht auf einmal ausräumen, damit es nicht zu voll
von Thieren werde: giebt er in feinem Geſetz die zärteften Befehle
über die Armen und Fremdlinge, über Wittmen und Waifen, ja
jelbft über die Jungen ber Vögel; wahrlih, jo wird es bem
' Befehlshaber, der die Dijpofition nimmt, weder an Barmherzigkeit,
noh an Urſachen des Verftandes gefehlt haben, jo und nid -
anders das Schidjal für jet zu ordnen. Gut, daß es uns nicht
traf! daß wir weder die ſeyn dürfen, bie dabei litten, noch bie
Hände, die es ausführten! Offenbar jehen wir indeß, daß es
Grund aller der Abfichten war, die Gott mit und durch Iſrael
ausführen wollte! Dies Land gehörte fo fehr dazu, als feine
1) Im Mſe. [- Theal5, Br. 53] fchließt ſich bier folgender
Abſchnitt au:
— IH —
Lage und leſen Sie einmal, wie der Verfaßer bes Buchs der
Weisheit den Gütigen rechtfertigt, der diesmal jo hart ift; es ifl,
bünkt mich, alles, was fi) darüber jagen läßt.
Sie fragen mid, m. Fr., „ob es wohl einen größern und eigenthüm⸗
lihern Zwed ber Offenbarung geben lönne, als eben die Richtung der
Sittlihleit der Menſchen?“ Ich getraue mich nicht, hierüber zu
enticheiden, da ich das Decorum Gottes nicht überſehe und e8 dem höchſten
Weſen nicht vorzufchreiben wage, wie er das menſchliche Geſchlecht führen
und leiten fol? Darf id aber nad dem, was Gott gethban bat, auf
das fohließen, was er thun konnte und wollte, fo bünkt mid, er fing
von dem Punkt au, von dem auch alle nahre Sittlichleit anfängt, ber
Aufflärung des menſchlichen Geſchlechts durch fein Erlennt-
niß. Mit diefem Grlänntniß hatte er das menſchliche Geſchlecht ausge»
flattet, wie mit dem koftbarften Schatz der größeften TWahrbeit, aus ber mit
der Zeit alle den Menfhen nöthige Wahrheiten der Weisheit und
Sittlichleit entwidelt werben follten. Dieſe Wahrheit blieb vor der Sünd-
fluth rein; der Menſch konnte in Lafter, nicht aber in Ab- oder Ungöt-
terei verfallen, weil er dem Urfprunge ber Offenbarung näher war und
das Leben der Väter des Geſchlechts länger währte. Nach der Sündfluth,
da Gott die Wildheit und Verwirrung der Erdbewohner voransfah, gab
er die Noachiſchen Gebote und ficherte nur infonderbeit das Leben ber
Menfhen, ja er hemmte auch nur den Blutdurft der Menjchen gegen lebende
Thiere. Je mehr die Nationen wuchſen und jede ſich auf ihren Mittelpuntt
zufammenbrängte, beflo rauber wurben fie gegen Fremdlinge, gegen eine.
Die Milde, mit der noch zu Abrahams Zeiten die Kriege geführt zu feyn
fcheinen, und die man meiftend antrift, wenn Eleine Haufen des Raubes
und Tributs wegen mit einander fämpfen, ſcheint abgenommen zu haben,
je mebr die Böller in großen Schaaren auf einander drängten und vor
einander die Thore fchloffen. In diefen Zeitpunkt traf Iſraels Krieg und
viel fpätere Kriege der Griechen und Römer zeigen, wie entfernt noch
damals die Ideen eine Natur- und Völkerrecht geweſen. Wie jung
find fie felbft in Europa noch und wie jelten if ihre Ausübung! Gott
mufte bei dem vermilderten Bolt, das er erwählte, noch mit ber erften
Katehiimusfrage, daß mur Ein Gott fei, anfangen und auch diefe nicht
als Lehre fondern als erſtes Staatsgeſetz, durch Verbote und Stra-
fen, durch einen ganzen Gottesdienft, da er als König unter ihnen,
zwar nicht in Geflalt, aber in einem Pallaſt erſchien und durch Alles,
Alles an fi erinnerte, einfchärfen. Noch zeigt die Geſchichte, wie hart
und ſchwer e8 ihm Jahrhunderte Hin fiel, diefe Xehre, nur als Inſtitut,
— 155 —
Es ift faum zu läugnen, daß aud die Lage dieſes Landes
zu den Zwecken Gottes mit feinem Volk gehörte. Aus dem höhern
Aften rief er den Abraham herab, und es hat alle Anzeichen des
Altertbums und der Naturkunde vor fih, daß fih das Menſchen⸗
gejchleht von der Höhe Aftens herab, und feine Cultur von Dften
nad Weften verbreitet Habe. Iſrael mußte in Aegypten dienen,
und mie feine güldne Kleinode, fo aucd einige Schäße feiner Geſetz⸗
gebung und Einrichtung zum Raube erbeuten; nun bildete er fein
Volk in der rauben Wüfte, nun pflanzte ers, wie Mofes fagt,
zwiſchen feine heiligen furchtbaren Berge: unfern vom Meere, aber
nicht bis ans Meer, auch war ihm der eigene Handel unterfagt:
unfern von der Wüfte, aber nicht in ihr, nur durch fie wie durch
eine Mauer gefihert. Auf der andern Seite war Libanon dieſer
Zaun, und jo war die Gegend, nah Mojes unerfülltem Plan,
rings umſchloßen von Wüfte, Meer und Gebirgen. Der milde
Weinftod ward in den Mittelpunft der alten Welt, nah an die
Küfte verpflanzt, von der Griechenland kurz vorher die Buchſtaben
empfing, die Ufer Europens und Afrifas Golonien, und aus
deren Thale die ganze Welt einft Weisheit und Religion empfangen
jollte; denn gewiß, das haben wir doch von diefem Bolf empfangen,
durch fo viele Gebräuche, Opfer und Strafen aufrecht zu erhalten unb bas
ſinnliche Bolt nur für Abgötterei, Hurerei und Laftern zu bewahren. Dem
unſchuldigen Beleibiger mußten Freiftäbte errichtet werben: felbft das Geſetz
fonnte ibn nicht vor der Rache des Bluträchers ſchützen. So langſam
gings mit der Sittlichkeit bes Menſchengeſchlechts in feinen großen Berbin-
dungen des mancherlei Intereße unb der vielfachen heftigen Leidenſchaften;
ja was ift endlich alle Sittlichleit ohne Erkenntniß? Sie ift nicht mög⸗
lich; fie ift micht daurend. Gott fing alfo vom rechten Anfange an, und
pflanzte Ertenntniß, damit e8 durch fich felbft triebe und rechtichaffne
Früchte brächte. Auch Sittlichleit gehörte zu diefen richten; bie Gott dem
Baum nicht aufbängen fonnte, wenn fie der eigne Saft des Baums nicht
lebendig hervortrieb. Das Geſetz hielt den Menſchen nur gefangen und
umfchränfte ihn von außen, bamit er fi aus innerer eigner Beſtimmung
mit ber Zeit befer und freier äußern könnte. Gott fing auch bier bie
Schöpfung mit Licht an; aus welchem zus rechter Zeit bie Lebensvolle Sonne
wurde. Leben Sie wohl.
— 156 —
fo verachtet uns auch fein Name feyn mag. Die Lehre des Einen
Gottes hat dies Volk gegründet auf der Erde, und fie ift der
Grund aller gejunden Theologie und Weltweisheit; Abgötterei und
Götzendienſt hat die klügſten Völker bethört und Sahrtaufende bin
in Lüften, Sinnlichkeit und Abfcheulichkeiten feitgehalten. Dies
Volk bat die einfachſten und meileften Nachrichten vom Urjprunge
bes Menſchengeſchlechts erhalten und gleihlam aus der Nadt der
Zeiten und den Trümmern der Völkerwanderung gerettet; es giebt
uns die ältefte Charte der Menſchenwohnungen und Erdengeſchlech⸗
ter. Sein Mofes wagte es zuerft, eine metaphyſiſche Lehre zur
Grundfäule feines Staats zu maden, die Unfichtbarfeit, Einheit
und höchſte Güte des Schöpfers der Welt für ein Volk zu natio-
nalifiren und dieſem groffen Gedanten alles unterzuordnen. Als
Griechenland noch in der tiefiten Barbarei lag, wagte er3, einen
Freiftaat zu gründen, deſſen Oberherr, ein unfichtbares Wefen,
nur Opfer der Xiche, des Danks und der Neinigfeit verlangte,
und feine Befehle durch Licht und Recht ſpräche: deßen lieber
brüderliche, von einander unabhängige Stämme, und ihr genaues
beiliges Band Religion, Ein Gott und Ein Tempel wäre. Die
Diener dieſes Gottes und Königs machte er von allem Eigenthum
los, vertheilte fie überall umher, daß fie mit Gottesfurdt, Gefeten
und Wißenſchaften alles Volk berathen, allen Stämmen zu Hülfe
fommen follten. Einen irrdiſchen stönig ſchloß er zwar aus; er
jahe ihn aber vorher und gab auch ihm feine Schranken, fein
Königs» und Kriegsrecht. Den Verfall in Sitten dur Priefter
jah er vorher; er gab ihnen aber die Propheten ala aufjerordent-
liche Stimmen, als dicetatores und censores morum zu Hülfe;
‚und welch ein Bolf in der Welt bat in fo frühen Zeiten eine
Reihe jo mächtiger, jo reiner Stimmen gehabt, als Iſrael an ſei⸗
nen Propheten? Welchen Dichter Griechenlands oder Roms wagen
wir, in Anfehung der erhabenen reinen Moral und des umfaßen-
den Nationalgeiftes, neben einen Jeſaias zu ftellen? Und weld
ein König der Aegypter, Scythen und Indier Bat wie David
gejungen und gelehrt? Der Entwurf Gottes durch Moſen ift nie
— 13171 —
zur Vollkommenheit gelommen; was aber in Uebung fam, tft vor-
treflih und für die ganze Welt erjprießlich gewefen — gerade ber
Segen, zu welchem Iſrael in Abraham gefett ward.
Als es feiner Abweichungen megen verfiel und nah Chaldäa
und Babel zerjtreuet ward, breitete es feine Lehren von Einem
Gott ſchwächer umher, weil es ſelbſt noch fo lange der Abgötterei
und dem Aberglauben gedient hatte; als es aber, durch Züd-
tigung klüger geworden, zurüdfam und jetzt felbft über feine
vorigen Gögenbilder erröthete, ging auch mit ihm eine andre Zeit
an. Man fing an, über das Geſetz und bie Propheten zu alle-
gorifiren, einen neuen, vielfahen Sinn hineinzulegen, ber freilich
dem alten Geſetz fremd war, der aber immer eine Erweiterung
und Verfeinerung ihrer been, wenn aud am unredten Dit,
zeigte. Man ſuchte das finnliche Gebot, die Geſchichte, Gelege
und Hofnungen des Volks zu vergeiften, erfann fubtilere Deus
tungen und Traditionen, um, menn fie das Geſetz nicht ändern
fonnten, rationem legis zu verändern; je mehr man fich bei fei-
nen Erwartungen trog, deſto höher jchrob man fie und legte fie
immer in die nahe Zukunft: bis endlich Gott, wider ihr Erfen-
nen und Wollen, auch dies gut machte und den in die Welt
fandte, der den Zaun bes Geſetzes brach, der Geift aus dem
Buchſtaben zog, und Leben aus dem Tode. Alle Allegorien, Hof:
nungen und Berheiffungen hatten nur auf ihn bereitet; die Heiligen
Gefäße, die man Chaldäern und Griechen geraubt und ala Deu-
tungen in die fimple Stiftshütte des Geſetzes Gottes getragen hatte,
wurden nun, zum Nutzen der ganzen Erde, ein Raub dieſes
demüthigen Ueberwinders.
Die Sache kommt mehr ins Licht, wenn wir die griechiichen
Juden, ihre Ueberfegung, Auslegung und zulegt die Apokryphen
betrachten, die fie den Ebräifhen Büchern zur Seite febten. Die
fogenannte Ueberfegung der 70. Hat viel und weit umher gewir⸗
fet. Bor den Zeiten Chrifti war eine grofie Menge derer, bie
oeßouevorı Tov Yeov, Gottesfürdtige hieſſen, ohne die Befchnei-
dung und das ftrengere Geſetz Mofes anzunchmen. Ihre erhabenen
— 188 —
und reineren Begriffe von Gott, als die meiſten und ſelbſt die
beſten der griechiſchen Weiſen gehabt hatten, breiteten ſich umher,
wirkten auch in andern Geſtalten, und die Alexandriniſche Philo⸗
ſophie, die jüdiſche, heidniſche und chriſtliche Begriffe zufammen-
miſchte, war ſpäterhin das Phänomenon dieſer groſſen Gährung.
Die Allegorieſucht der griechiſchen Juden, die ſich auch ins Chri⸗
ſtenthum mengte, zeugte von einer Menge feinerer Ideen, bie
man nur nicht zu laßen wußte und dem ſimpeln bibliſchen Text
ſehr unzeitig anſchob. Sie wurden indeß verarbeitet: die Denkart
erweiterte und verfeinte ſich; und ſelbſt unter den neuern hebräiſchen
Commentatoren iſt eine Menge ſcharfſinniger Gedanken, die nur
dadurch lächerlich werden, daß ſie auf einer unrechten Stelle ſtehen
oder daß man ſie lächerlich anſieht. Die Apokryphen endlich —
ſo ſehr man neueres Tages auf die Dummheit, den Stolz und die
Betrugsſucht ihrer Verfaßer zu ſchelten gewohnt iſt (woraus nicht
viel kommt, und was man ſchon oft gehört bat) — To nützlich
und lehrreich waren für ihre Zeit die Einkleidungen und der Inhalt
mancher. Das Buch Sirach iſt ein ſchönes Buch: eine Blüthen⸗
menge von Moral, wie man in der damaligen Zeit nirgends ſonſt
findet. Das Buch der Weisheit bat ſchöne Stellen, und ſchon
das, daß fein Verfaßer die Perfon Salomos annahm, zeigt, daß
er alle Weisheit ausfhütten und an diefen Namen heften mwollte,
die nur in feiner Gewalt war. Alle Bücher diefer Art unter
fremdem Namen find gewiß nicht Betrug, wenigftens nicht immer
ftolzer bösartiger Betrug geweſen. Man rief einen ehrmürbigen
Schatten hervor, in deßen Munde die Wahrheit Autorität hatte:
man gab jeinen Gedanken eine Einkleivung, die damals gang und
gäbe war und bis in bie eriten Jahre des ChriftentHums hinunter
dauerte. Auch ift diefe Mode nicht jüdiſchen ober chriftlichen
Scäriftftellern allein bräuchlich geweſen, wie man bisweilen anzu-
nehmen jcheint; fie war auch heidniſchen Philoſophen gemein, und
e8 it nur Fehler des Zeitalter und der bald einbredenden Bar-
barei geweſen, daß man echtes und Unächtes nicht zu unterjchei-
den wußte und beides für Eins annahm. Wenn diefe Barbarei
— 189 —
nad Europa wiederläme, und man die Begebenheiten Telemadhs,
die Reifen Cyrus oder den Phädo unfers deutſchen Plato für ächte
Weberbleibjel der Griechen anfähe, hätten ihre PVerfaßer daran
Schuld? Hatten fie diefen Betrug zur Abfiht? — Wenn man
alfo auch in der damaligen Zeit Einkleidungen und Romane liebte,
die wir heut zu Tage fo ſehr lieben und für unſchuldig halten,
wenn fie nur gut find; warum mollen wirs nicht leiden, daß man
Dihtungen, wie das Buh Tobiä, Yudith find, machte, oder
dem Salomo, Eſra, Barud u. a. eine beftimmtere Sittenlehre,
eine entwideltere Weisheit in den Mund legte, als man zum
Bedürfniß der neuern Zeiten in dieſen ältern Büchern zu finden
glaubte. Das Buch der Weisheit follte eine Art von Cyropäbie,
dad Bud Tobiä ein Emil feiner Zeit, Jeſus Sirad ‚eine Sit-
tenlehre und Erempelbud aus der Jüdischen Gefchichte, die Bücher
der Makkabäer Heldenbüder der fpätern Zeit, und felbft das
verfchriene vierte Buch Eſra eine Art Theodicee feyn, mie fein
BVerfaßer fi den Ausgang der Verheiſſungen Gottes über Iſrael
dachte, und fich feine Zweifel über die zögernde Erfüllung derſel⸗
ben aufzuflären ſuchte. Ob er ſich diefelben ſchlecht oder gut auf-
Härte? darüber haben wir unſer Urtheil frei: denn alle diefe find
nur menfchliche Bücher; aber an ihrer Nutzbarkeit in der damaligen
Zeit haben wir um fo weniger zu zweifeln, da mir ihren fo weit
umber verbreiteten Gebrauch nicht abzuläugnen vermögen. Im
N. T., und ſelbſt von Chrifto, werden apokryphiſche Stellen ange-
führt; dieſe Bücher waren damals allgemein befannt, ihre Bor:
ftellungen waren Volksmäßig, dem Bebürfniße und der Hofnung
der Zeit näher: ihre Sprache verftändlicher, als die ältern, zumal
Ebräiſchen Schriften, und in der Einkleidung der meiften ift eine
offenbar moraliſche Abficht unverfennbar.! Wir müßen fie alfo
—
1) Im Mic. [> Theil 5, Br. 57] fchließt fih bier der Sag an:
„Der Verf. der Offenbarung Johannes, wer er auch feyn möge, bat gewiß
das vierte Buch Efra vor ſich gehabt; ober dies Buch ihn; oder beide nutz⸗
ten eine gemeinfchaftlidye Quelle: Eins von allen dreien ift unläugbar. —”
nit aus unſrer, fondern aus ihrer Zeit beurtheilen, und als
Brüde des Ueberganges vom A. zum N. T. find fie ſowohl der
Sprade ald Dentart nach vortreflih zu gebrauden. Auch Sie,
mein Freund, lagen fi nicht vom neuern Gefpött über die Juden,
ihre Hoffnungen und Betrügereien abhalten, die beften dieſer
Schriften kennen zu lernen. Gamerarius und Drufius haben ſich
um einige verdient gemadt: doch iſt für fie noch nidt alles
gefchehen, was fie verdienen. Der große Bibliothekar Deutich-
lands, Yabricius, ift auch hier Hauptwegweiſer, miewohl nicht mit
vollendetem Urtheil. Inſonderheit wünſchte ich, daß Sie das fchöne
Buch Sirachs im Griechiſchen liebgewönnen (mas im Ebräiſchen
den Namen trägt, iſt ein ſchlechteres Flickwerk) und daß wir von
einem Manne, der Belefenheit, Gleihmuth und Scharffinn dazu
hätte, eine gute kritiſche Geſchichte ſämmtlicher Apokryphen
erhielten.
Ich habe mich weitab verirret, und komme zurück — zu
Chriſto. Auch er war ein Iſraelit, und das himmliſche Reis fet-
ner Religion, das alle Völker befeligen follte, war ja auf den
wilden und dürren Weinftod der Jüdiſchen Religion gepflanzet.
Ich beuge mi vor feiner ftillen und erhabnen Geitalt, die mit
reinem und hellem Blid die Schriften des A. T. las und injon-
derbeit auf das, was Leben in ihnen ifl, auf das Wort Got-
tes als Zeugniß von ihm und feinem höhern Reich zeigte Er
fuchte den Geift und ließ den todten Buchftab liegen. Den Sad⸗
ducäiſmus kritiſcher Freigeifteret ſowohl als den Phariſäiſmus kri⸗
tiſch⸗ dogmatiſchen Aberglaubens ging er vorbei, und drang durch
die Mitte beider auf That, auf rein zu erfaßende göttliche That,
auf menſchliche Veredlung und die fimple fchlichtefte Wahrheit.
Erfänntniß Gottes, des Vaters der Menſchen, war ihm Geligfeit
und das ewige Leben; mit biefem Evangelium, mit diefer Philo-
ſophie und Moral fandte er die Apoftel in alle Welt aus: ber
Leihnan des Mofatfchen Geſetzes konnte und borfte nun vermo-
dern, denn die Zeit feines Lebend war vorüber: fein Geift war
in alle Welt gegangen alle Völker zu lehren.
— — MUebrigend lags weder in Gottes Zweck, noch in Chrifti
Beruf bier auf Erden, die Hermeneotif und Dogmatif der Juden
gelehrt zu verbeßern. Die Apoftel citiren nad der Weife, mie
damals alles citirte. Plötzlich änderte Gott den Lauf der Dinge
und des menschlichen Geiftes nit. Auf fpisfündige feine Gelehr-
ſamkeit fonnte und follte die Religion Jeſu nicht gebauet werden;
ihre beſte Wirfung entftand eben daher, daß fie fih von folder
entfernte. Ahr Weſen war That, anichaubare, fimple, unwider⸗
ftehliche Wahrheit.
MWundern Sie fih alfo auch nicht, daß Gott den Lauf der
Dinge jo fortgehen ließ und der gelehrten Auslegung ber
Schrift, der künſtlichen Schuldogmatif durh Wunder nicht zu
Hülfe kommen modte. Keine Gabe des Geiftes beftand in der
erften Kirche darin, daß ein Kirchenvater, der fein Ebräiſch mußte,
e8 auf einmal verftand und jett allwiflend gleichſam, mande
Theile der Bibel plöglic anders anjah. Origenes, Chryfo-
ftomus, Hieronymus, Theodoret legten beßer aus als andere,
weil fie beßer auszulegen gelernt hatten; feine Wundergabe hin-
derte den heiligen Clemens, daß er nit, nad. der gewöhnlichen
Art feiner Zeit, allegorifirte und die Gefchichte des Vogels Phönix
erzählte. Um Gottes willen aber, dies war auch der Zmed des
Chriftentgums nicht. Lefen Sie einmal die fimpeln, ächten
Stüde der erften Kirche; an Gelehrſamkeit werden Sie dabei nicht
denfen; ber Geift der Einfalt, Mäſſigkeit, des herzlich brüber-
lichen Zutraueng, der Gottes» und Chriftusliebe wird Sie
ergreifen, und eben der ward, der die Kirche baute und erhalten
follte. Nicht feine Gelehriamfeit und Dogmatiimus; die gingen
den Gang aller übrigen Wißenjchaften und Künſte. Es iſt ſchlimm,
wenn man nur dies im N. T. und in der chriftlihen Kirchen
geichichte ſucht; das findet man fehr ſpät, und leider! in Zeiten,
denen zum Chriftentbum mwieberum viel Anderes fehlte.
Irren Sie fih aljo nit, wenn Sie die Auslegung der
Schrift in der eriten Kirche bald Jüdiſch, bald Alerandriniich
finden, nachdem biefe ober jene Schule herrſchte: das ging alles
— 182 —
ſeines natürlichen Weges. Wären Origenes und Hieronymus
Biſchöfe geweſen, ſo würden ſie für das Sprachſtudium der Bibel
auch mehr gethan haben; nun waren fie unterdrückt ober einge-
ſchränkt. Dogmatifche, ftolge, bald auch verfegernde und verfolgende
Biihöfe erhoben das Haupt, und es wird ſchon eine traurige
Geſchichte, die vom vierten und den folgenden Jahrhunderten.
Selten waren die Synoden Werkftätten des h. Geiftes; oft ward
der befere, beſcheidnere, gelehrtere Theil unterbrüdt, und der
ſchreiende, betrügerijche, pöbelhafte, unmißende Theil, der Hof und
Mönche auf feiner Seite hatte, fiegte. Leſen Sie die Thaten des
heiligen Cyrillus; Ihnen wird fhauern! Leſen Sie das Leben
des guten verjagten Chryfoftomus, die Geſchichte der Verdam⸗
mung Drigenes, der Entjegung Photius u. f£ Ihnen wird
ſchauern! Gewiß auf folde Punkte, auf die ſcheußliche Art,
wie fi) der Lehrbegrif der Chriften bisweilen entwidelt und ihre
Bibelgelehriamleit zu- oder abgenommen bat, Tann der Haupt-
zweck des Geiftes Gottes in Leitung feiner Kirche nicht gegangen
fegn! Uber freilich alles tft bet ihm Ein Zwei, Eine Wirkung.
Auch aus dem ärgften Böjen Teimt ein Gutes, woran die Werk⸗
zeuge jenes nicht dachten ; oder wenn es fein höchſtes Maas erreicht
bat, veibet es fich jelbit auf und macht einem Beßeren Platz. Da
die Subtilität der griechiſchen Mönche und ihre häßliche Wuth nicht
weiter fteigen fonnte, zerfiel fie durch fich ſelbſt Auf die ſpitzeſten
Wortitreitigkeiten folgte dummer Aberglaube, dem nachher felbft
Mahommed recht kam. Die Barbarei Occidents ward der naße
Schleier, mit dem der dampfende, eritidende Mönchsgeift Orients
wie mit einer Wolfe bededt wurde, daß ſich der menſchliche Geiſt
nur wieder erholte und, wenn aud nur fpät, nad Jahrhunderten
wenigſtens, zu fich jelbft kam.
Sn Deeident gings nicht andere. Der gröbere Dogmatifmus
diefer gröberen Nationen ward Kirchengeſetz, Ritual, Hierar-
hie, Ariſtoteliſche Philoſophie, zuletzt der kühnſte, beinah
atheiftiihe Scholaſticiſmus; bis auch dieſer in ſich zerfiel und
feine eignen Waffen gegen fich felbft vichtete oder abftumpfte. Das
— 13 —
Gebäude der Hierardie erlag unter feiner eignen Laft von über»
Ipannten Mißbräuchen und Laltern; der Scholafticiimus gleid-
falls. Im Reiche Gottes ift eine ewig rege Duelle von Wahr-
beit: wenn fie am gewaltjamften verftopft wird, bridt fie am
ftärfften hervor; nur ſuche man fie und jede Gute am rechten
Drte. Wer die Kirhenväter lefen will, um aus ihnen beftimmte,
reinbeftimmte Dogmatil, Auslegung der Bibel oder gar, wenn fie
orientalifhe Mönde find, Hoffitten zu lernen, ber ginge einen
weiten Ummeg und Täme jchwerlid zum Ziele. Als Kirchen⸗
väter Iefe ex fie, d. i. als Väter, Vorfteher, Negenten der Kirche.
Bon den meiften find ihre Briefe und ihr Leben am lehrreid-
ften, aus dem man dann den Plag lernet, in dem fie in ber
Kirche ftanden. Clemens von Alerandrien, Origenes, Hie-
ronymus und menige andre lebten als eigentlide Gelehrte;
Ambrofius, Chryfoftomus, Baſilius waren Redner, und
die beiden legten, ehe fie Bilchöfe waren, Mönde: fo muß man
auch ihre Reden Iefen. Tertullian und Cyprian, Atha-
naſius und Auguftinus waren mit Kegereten beichäftigt; fie
muß man aljo am vorfichtigften lejen. Und vielleicht am vorfich-
tigften unter allen den Auguftinus. Sein Wiz und Scharffinn,
jeine Gelehrſamkeit und fein Eifer find zu blendende, jcharfe und
ipite Waffen, als daß man fie nicht ſehr behutſam gebrauchen
müßte. Sein Bud de civitate Dei und de doctrina christiana,
die auch häufig allein und mit vielen Noten gebrudt find, find
wohl die angenehmften und lehrreichſten feiner Schriften. Die
Apologeten des Chriftenthums, zumal die ältern, find unjchuldig
und nüblih zu lefen: man lernet aus ihnen, infonderheit aus
Yuftin und Drigenes, das Chriſtenthum auf eine fimple, vor-
theilhafte Weiſe fennen; und o daß es in Manden zu dieſer
Geftalt zurückkehrte! Gelehrfamteit allein thuts nicht, ewige Ver⸗
feinerung fcholaftiicher Begriffe noch weniger. Das Amt des
Lehrers ift Hirten- Treue: das Chriftentfum Lauterfeit, That
und Wahrheit. Es werde nun aus vielen oder wenigen Stellen
der Schrift gezogen, ja gejebt, es hätte auch im Syſtem mande
Herdere fänmtl. Werte. XI. 13
— 14T
unbeftimmte Säge und in der Auslegung mande faljche
Allegorien mit fih; diefe find in der Geſchichte der Wißenſchaft,
nicht aber immer fo fehr der praftifhen Wahrheit oder ber
ganzen Geftalt des Chriſtenthums mwidtig. Leben Sie wohl
und erwarten Sie nod eine lange Hälfte eines fo langen Briefes.
Die Materie geht über alle Jahrhunderte hin und beſtimmi ja den
rechten Blick zur ganzen Kirchengeſchichte.
Fünfter Brief.
Auch in den dunkeln Zeiten des Papſtthums müßen Sie,
m. Fr., den vorigen Geſichtspunkt beibehalten: „der geſammte
„Zwed des ChriftentbHums fei etwas anders als gelehrte
„Erxregetit und Dogmatik, fo unſchätzbar dieſe feyn mögen.“
Auch in den dunkelſten Zeiten gabs fromme Chriften, die vielleicht
mit weniger Erfenntnig, als wadre brave Barbaren, die fie waren,
mehr Gutes als die hocherleuchteten Chriften andrer Zeiten thaten.
Sie ftehen nicht alle eben unter den Zeugen der Wahrheit:
unter diefe famen nur die, jo Auffehen machten, und der gröffefte
Theil redlicher Chriften lebt zu allen Zeiten thätig file und ver-
borgen. Selbft das gröbfte Papſtthum konnte hiezu viel Gutes
Ihaffen. Mit dem Anjehen, das damals im ganzen Europa der
nordifhen Nationen die Bifchöfe Hatten, was konnte gethan wer-
den! Wie viel Gutes ift auch getban, wenn nicht von Päpften
und Geiftliden, jo von Kaifern, Königen, Fürften und Laien,
deren viele e8 in ihrer dumpfen Herzlichleit gut meinten. Sie
braudten, ſie genoßen felbft nicht jo viel, und konnten alfo
mehr thun, mehr geben: denn das Meifte, wovon auch bis jekt
noh Kirchen und Wißenfchaften erhalten werden, ift ja aus jenen
Zeiten. Die dunkle Pracht der Ceremonien, die hohe Andacht des
katholiſchen Gefanges, Klöfter und Altäre, und felbjt die Sparſam⸗
feit der Lehre; alles ohne Zweifel trug bei, den Eindrud in etwas
harte Gemüther defto tiefer, ftärfer, rührender zu wachen;
— 19 —
fie fonnten dabei, (was fie ja auch nicht einmal gefaßt hätten,) manche
Feinheit und Schlüpfrigkeit des Lehrvortrages gern entbehren. —
Dabei ſchlich fih durch alle diefe Jahrhunderte die Myſtik
dur; eine Art fimpler Theologie für den gemeinen Mann,
auf den überfeine Dogmatit und Scholaſticiſmus nichts vermochte.
Gene war eine Sammlung weniger, aber ftarfer Wahrheiten,
dumpfer und unentwidelter, aber deſto mädtigerer Gefühle, die
von denen, die fie predigten, immer wiederholt, auf die, und zwar
mit mehrerer Aufrichtigfeit, Redlichkeit, Macht „gebrungen wurde,
als der ſcholaſtiſche Dilputirgeift zu feinen müffigen! Abfichten
brauchte. Es kommt bier gar nicht darauf an, was diefe Myſtik
und ihre dunkle Pfychologie für unfre Zeit fe? ob fie fih zu
unferer Philoſophie rein und gut entwideln laße; fondern was
fie in jenen dunkeln Zeiten war und ſchafte? — Und da fchafte
fie unnennbar vieles Gute dur ihre Simplicität, Herzlichkeit und
Stärke. In allen europäiſchen Sprahen ift Dichtkunſt und
Myſtik das Erſte geweſen, das fie emporgebradt Hat. Wenn
in der Theologie alles lateiniih war, und der Scholafticiimus fich
jogar in feiner andern Sprade erflären fonnte, fo predigte und
Ichrieb die Myſtik in der Sprade des Landes, und de ge-
meinen Mannes: in allen europäiihen Sprachen find ihre
älteften und noch zum Theil fehr merkwürdigen Produktionen
Erbauungsbüder, Gefege, Lieder. In Deutichland darf ic
Sie nur an Tauler und die deutihe Theologie erinnern;
nennen Sie mir viel neuere, auch nur der Sprache und dem Syftem
nah jo jtarle und fimple Erbauungsjchriften! Auch Luther liebte
fie und gieng gewißermaffen von ihnen aus. Eben daß aud er,
wie die Myſtiker getdan hatten, in der Landesſprache und für
den gemeinen Mann fchrieb, das- machte ihn zum Mann Gottes
für die Nation und half feinen gelehrtern Verbeßerungen unjäg-
ih. — Sie ſehen alſo, e8 bat auch in bunleln Zeiten und in
der katholiſchen Kirche nicht fo an Licht gefehlt, daß alle Menfchen
1) V.: mäffigen
13*
aus völligem Mangel der Erlänntniß Gottes hätten verlohren gehen
müßen. Obne feine Schuld wird Gott gewiß feinen einzigen verlohren
gehen laßen: er wird fein Erkänntniß und feine Frömmigkeit genau
nad dem Grade des Lichts prüfen, das er gehabt, und nad der
Neblichleit, die er bewiefen. Tag und Naht, Morgen» und Abend-
Dämmerung find fein Werk und alle gehören zur Drbnung feiner
Geſchöpfe. Konnte wohl ein armer Laie dafür, daß Irrthümer,
Duntelbeit und Lafter in feiner Kirche herrichten? und wie leicht fomımt
ein rebliches Gemüth zu der Erkänntniß, die ihm zur Seligfeit noth if !
Sie denken leicht, daß ich damit bie unſchätzbare Wohlthat
des mehrern Lichts, der wahrern, gewißern Schriftauslegung,
der reinern, jfimplern Moral und Dogmatif aufs höchſte ſchätze
und verehre; wollte Gott, daß fie auch fogleich die mehrern Früchte
gebracht hätte, die fie hätte bringen follen. Wer klagte darüber
mehr, als die, die und dies mehrere Licht brachten? Wie oft klagt
Luther: daß mit der mehrern Belanntmahung, Leichtigkeit und
Klarheit des göttlichen Wort? auch die Geringihäßung und Ber-
achtung deſſelben wachſe! Wie bald gerieth die proteftantifche Kirche
von der Herzlichleit Luthers, von ber Haren Faplichleit Melan-
chthons aufs neue in die unverftändliche bittere Polemik, wie fie
nur zu den Zeiten der griechiihen Mönche geweien feyn Tonnte;
fogar dag man viele eigentliche Streitigfeiten und Unterſcheidungen
derfelben, nur jest zu andern eben fo geift- und berzlofen Zwecken,
aufnahm. Eigentlie Religion des BVerftandes und Herzens blieb
auch in diefen Zeiten, wie fies immer geweſen, von der blofjen
Streit» Theologie gefonbert, in guten, ftillen Menſchen wohnend.
Viele bückten ſich unter das Joch elender Sophiftereien, weil fies
nicht abzuſchütteln vermodten, und lehrten und thaten Gutes, wie
und ſoweit fie fonnten. Es ft die Erfahrung aller Jahrhunderte,
daß die beften Männer immer zugleih bie verträgliditen und
praktiſchten geweſen; fie und nur fie allein nennt man mit
Hochachtung und Liebe und wünjcht fie feiner Zeit wieder. Denten
Sie in den neuern Sahrhunderten nur an Arndt, Spener,
MWerenfels, Arminius, Grotius, Lode, Boyle u. a.; ſetzen
— 197 —
Sie die ſpitzeſten Dogmatiker, die gröſſeſten Streithelden und Ge⸗
lehrten, die ihnen das Leben oft ſauer gnug machten (geſetzt auch,
daß alles Recht auf der Seite der Letztern geweſen wäre und ſie
für Wißenſchaft und Lehre unſäglich viel gethan hätten,) ihnen
entgegen; ſtehen Sie wohl einen Augenblick an, welche Seite,
welchen Namen bei der Nachwelt Sie wählen würden? —
Sie ſehen alſo, m. Fr., wie Sie Kirchengeſchichte, den
Gang der chriſtlichen Theologie und Religion, zu betrachten
haben; verbinden Sie im Leben, wie in der Betrachtung, die bei⸗
den letztern, und vergeßen eine über der andern ja nicht. Die
gemeine Kirchengeſchichte vergißt oft Religion über der Theologie
und wißenſchaftlichen Känntniß. Sie verfolgt nur immer Gelehr⸗
ſamkeit, Lehrbegrif, höchſtens fügt ſie Kirchengebräuche und Kirchen⸗
herrſchaft dazu, und es iſt vollendet; herrſchende Sitten, Einfluß
der Religion in Begebenheiten, Stände, ſelbſt in Irrthümer
und Ketzereien, vergißt ſie oftmals. Das Vorbild, das die
Magdeburgiſchen Centurien nach Beſchaffenheit ihrer Zeit
gaben und geben mußten, iſt, auch bei veränderten Zeiten, geblieben:
ſelbſt Mosheim ſchreitet noch nach dem Zuſchnitt einher. Arnold
bahnte ſich einen andern Weg; Schade aber, daß er ihn zum Ab-
wege machte. Er thut der eigentlichen, nicht blos ber herrichen«
den Theologie wehe, wo er ihr wehe thun Tann, und nimmt
gemeiniglich die Parthie aller Ketzer und Schwärmer. Myſtiſche
Theologie und Religion ift ihm einerlei, bie doch auch beide noch
ſehr verſchieden find, denn jene, bie er oft in Sümpfen und
Pfühlen auffuht, bat unläugbar auch viel Elend, Krankheit, Be-
trügerei, Verwirrung und andre üble Folgen mit fich gehabt. Ein
Leſer und Schriftfteller der Kirchengejchichte muß Feine Vorliebe für
ein Spftem, eine Wißenfchaft, irgend eine Theologie, ein Land,
ein Volt, eine Sekte haben. Wo Wahrheit und Güte, Aufklärung
des menjchliden Geiſtes und Verbeßerung des menjchlichen Herzens
ift, fie möge dur Orthodoxie oder Heterobogie, (wies dieſe oder
jene Parthei nennen möchte) beförbert worden feyn; überall wo
dieſer Schag ift, muß auch fein Herz ſeyn. — Darum mißrathe
ih Ihnen nicht, wenn Sie einmal im Amt find, Arnold zu lejen.
Sie werden viel, fehr viel aus ihm lernen; nur müßen fie mit
prüfender Aufmerkſamkeit und veften Charakter zu ihm geben, und
bie, fo ihn über einzelne Kirchen und Selten verbeßert haben, 3. €.
Groſch, Pfanner, Cyprian über die Iutherifche Gejchichte mit
ihm lefen. Leider ift fein Buch in dem, mas er Gutes bat,
(3. E. Darftellung wirklich frommer Perfonen, praktiſcher VBerdienfte,
Auszügen aus guten, bei ihm meiftens fchlecht überjegten Schrif⸗
ten u. f.) noch unübertroffen; und für einen Geiftlihen find biefe
doch bei der Kirchengeichichte fehr nusbar, angenehm und bildend.
Ein Mann ift ihm in der lutherifchen Kirche gefolgt, deßen Kirchen⸗
geichichte hie und da mit vielem praktiſchen Urtbeil gefchrieben ift:
MWeismann; nur ift fie einförmig und auch im Styl unangenehm
gejchrieben. Semler ging einen andern Weg und fieng injonder-
beit mit Unterfuhung bes Lehrbegrifs in verſchiednen Zeiten an;
feine selecta capita und fein fruhtbarer Auszug der Kirden-
geſchichte find eine Vorrathskammer von vorgeräumten Materialien
zu einer infonberheit gelehrt richtigen Kirchengeſchichte; Materialien,
aber noch faum die Geſchichte jelbft.
Der Vorarbeiten, m. Fr., müßen überhaupt noch viele jeyn,
ehe wir zur ganzen pragmatifhen Ueberſicht der Geſchichte
des ChriftentbHums kommen. Nicht bloß die Geſchichte Der
Wißenſchaften, und zwar einzelner Wißenfchaften, z. €. der
Dogmatif, der chriftlihen Moral, der Schriftauslegung, Myſtik
und Aſcetik müßte (nicht etwa nur lehrenweife, ſondern mie fie
zufammenhängend in ganzen Perioden geherricht und gewirkt haben)
philofopbifch getrieben werden: der Einfluß äußerer Umftänbe,
des Rituals, der mweltlihen und Kirchenherrfchaft müßte zufammen-
bängend und philoſophiſch betrachtet jeyn; fondern auch wiederum
die Gefchichte einzelner Meinungen, Selten und Kegereien,
wie fie fih und was fie in der Welt verändert haben, die Reli
gionsgeſchichte einzelner Länder und Menſchen müßte zum allge-
meinen Zufammenhange eingeleitet und infonderheit die Gefchichte
der Sitten der Völker viel mehr bearbeitet ſeyn, als fie bisher
— 19 —
vielleicht bearbeitet worden. Es geht mit der chriftlichen Kirchen⸗,
wie mit der gelehrten und politiichen Geſchichte: das Haupt gilt
uns für den Körper, die Gedankenreihe einzelner Menſchen
für den herrichenden ganzen Zuſtand.
Erinnern Sie fih alfo, m. Fr., woran id Sie fonft ſchon
erinnert habe: wenn Sie mit dem allgemeinen Anblid der chrift-
lichen Kirchengejchichte in dem Autor, über ben Sie gehört ober
an den Sie fi gewöhnt haben, fertig find, fo maden Sie fih
an die Einfiht der Geihichte einzelner Partheien, Kirchen,
Selten, Länder, oder auh Wißenfhaften und Lebrformen:
buch das Bejondre gewinnen Sie am meiften. Cine Geichichte
der Dogmatik z. E. zuſammenhängend und philoſophiſch gefchrieben,
wie aufllärend, bepernd und angenehm iſt fie? Sie zeigt die Ver-
änderungen der Lehre nach dem Gange und Fortgange der Zeit,
den Wahsthum und die Abnahme des Lichts und der Wahrheit.
Sie giebt uns alſo Kriterien von beiden, zeigt Eine Lehre in
vielen Meinungen, vielen Geftalten, madt aljo unpartheiifch, Tühl,
tolerant, und lehrt ung Gott für die Zunahme des wahren Lichts,
der wahren Einfalt und Seelenfreiheit von Herzen und praktiſch
danken. — Hätten wir nur eine folde Geſchichte der Dogmatik!
Es haben ſchon mehrere gewünſcht, daß Semler feine zerjtreuten,
theil3 Borreden, theils Anmerkungen von der Geſchichte der Glau-
benslehren, nur etwas beftinmter und deutlicher geordnet, zuſam⸗
men bruden lieſſe. — Eine Geſchichte der myſtiſchen Theologie
haben Poiret und Arnold geſchrieben; beide aber waren ſelbſt
Myſtiker, und behielten aljo nicht freien Kopf und Standpunft.
An eine wahre Geſchichte der Moral ift, meines Wißens, noch
gar nicht gedacht: fie ift äußert ſchwer, wenn fie alles, Grund⸗
füge, Sitten, Natur-, Gefellfhafts- und Völkerrecht
umfaßen will, wie fie fol. Selbit die Geſchichte der Scrift-
auslegung, die bie fleinfte von allen wäre, tft noch kaum beifam-
men und vollendet. Was Richard Simon in ihr geletftet, ift
nur bie und da zeritreut von Wetftein, Ernefti, Michaelis,
Semler u. a. fortgeführt worden: Heels Geſchichte der Critik
— 20 —
it unvolllommen, aber doch als Negifter der neuen Schriften
nützlich.
Die Geſchichte einzelner Partheien iſt zum Theil mit
groſſem Fleiß bearbeitet worden; meiſtens aber von ihnen ſelbſt ober
von Feinden: zwifchen beiden ift ein freier, mittlerer Standpunkt
nöthig. Ich will an alle die Ordensgeſchichten der Katholiken nicht
denfen, die von ihnen jelbft gefchrieben find; auch die befern von
ihnen, wenn fie von den Proteftanten reden, wie gehen fie ſchief
und irre, Boßvet von den Beränderungen ber Kirche; vollends
gar ein Maimbourg und Catrou von Lutheranern, Cal—
viniften, Anabaptiften — mer wirb, mer kann ihnen glauben?
Hier übertreffen wir Proteftanten an Unpartbeilichkeit fie offenbar.
Sleidan, Sedendorf, Salig u. f. find wahre und geprüfte
Scähriftfteller: der erfte wird, fo lange Latein gefchrieben und ge»
Iefen wird, einer der fchönften Schriftfteller bleiben — Schade,
daß Böhm die Ausgabe von ihm, die er dem Thuan der Eng-
länder entgegenfegen wollte, nicht ausgeführe. Eine Geſchichte
des Proteftantiimus, wo er und etma Salig aufgehört haben,
fehlt und. Comenius und l'Enfants Gefchichte der Hußiten,
Neals Geichichte der Puritaner, Sewels der Duäder, Regen⸗
boogs der Nemonftranten, Schyns der Mennoniten, Cranz der
Herrnhuter u. f. find befannte Bücher; vollftändige gute Geſchichten
der Socinianer, Wiedertäufer, Freidenter, Shwärmeru. f.
baben wir, meines Wißens, noch nicht, ob wohl Vorarbeiten und
einzelne Beiträge dazu gnug find. Colbergs platonifch herme-
tiſches Chriſtenthum taugt nichts, Füßli Beiträge zur Kirchen»
geſchichte, die injonderheit Schwärmer, Myſtiker, Manichäer u. f.
dur alle Jahrhunderte betreffen, ift ein Werk voll Materialien,
aber unorbentlih und jauer zu leſen. Beauſobre Geſchichte der
Manichäer und älterer Sekten ift eine fehr lesbares nur gelinde-
partheitiches Werl. Wenn wir einmal zufammen find, mollen wir
Miller und Nößelt durchgehn, und ich kann Ihnen ſodenn furz,
was ich fenne und nicht kenne, fagen: den alles zu wißen und
gelejen zu haben, ift Wind; dazu reicht nicht das menjchliche Leben.
— u —
Sin der Reformationsgefchichte fremder Länder fteht Burnet von
England, NRobertfon von Schottland oben an; die Deutichen
haben bei der Reformation ihrer Provinzen, Fleden und Stäbte
meiftend zu weitläuftig und ausführlich erzählt. Wir haben über
die Reformation einzelner Länder Deutſchlands ungleih mehr
Documente, Beiträge, Urkundenjammlungen als gute Geſchichten.
Auch das ift vielleicht gut, denn jeder befümmert fi vog um ſeine
Provinz am meiften. —
Gnug und mehr als gnug. Sie fjehen, m. Fr., mie entfernt
wir noch find, eine wahre, vollftändige, pragmatifhe Geſchichte
des ChriftentHums mit alle dem Einfluß, den es gehabt oder
nicht, zu befiten. Hätten wir fie, fo wären Ihre Zweifel, „wie
„jo verfhiedne Meinungen und Auslegungen der Schrift
„mit dem Zwed Kriftlider Offenbarung beftehen fön-
„nen?“ gewiß gehoben. Sie würden jehen, daß dieſe Verſchieden⸗
beit gelehrter Meinungen entweder lange nicht fo viel Einfluß in
die Geftalt der Menſchheit gehabt bat, ala man fich vorftellt,
und das ChriftenthHum dabei feinen Schritt immer fortgegangen
jet, weil es auf etwas Weſentlicheres gejtellt war; ober daß es
nad) der Natur der Dinge nicht ander8 habe feyn können, und
daB auch jede Dämmerung, jede Eflipfe ihren guten Zweck
erreichte. —
Sechster Brief.
Fürchten Sie nichts, m. Fr., auch für unfre jegigen Revo-
Iutionen und Gährungen in der Chriftenheit, zumal im Lehrbegrif
und in der Schriftauslegung: nah allen ältern Beifpielen ber
Geſchichte, nach aller Analogie der Haushaltung Gottes auf Erben
haben Sie fürs ganze, wahre Chriſtenthum nichts zu fürchten.
Iſt Chriſtenthum und Gelehrfamteit, Scholafticimus und
Chriftenthun nicht einerlei, wie ich Ihnen, dünkt nich, fehr belle
‚gezeigt habe, und der Anfang des Chriftenthums, fowie das N. T.
— 22 —
ſelbſt, es Sonnenklar weiſet: ſo können jene dies auch nicht um⸗
ſtürzen und vernichten. Es ſteht zu ſeiner Zeit richter und ſchöner
wieder da, und jene Bemühungen des menſchlichen Geiſtes, ſie
mögen nun Kämpfe oder Krämpfe heiſſen, haben ihm, wie es
ſodenn offenbar wird, zu dieſer richtern und ſchönern Geſtalt, wenn
auch auf ihre eigne Koſten, mitgeholfen.
Nichts iſt bei dem menſchlichen Verſtande fürchterlicher, als
wenn er ſtillſteht; ja es iſt dies gänzliche Stilleſtehn beinahe
nicht anders als unter dem äuſſerſten Druck der Barbarei und
Thierähnlichkeit möglich. Der Druck äuſſerer Gewalt hält den
menſchlichen Geiſt nicht auf; er ſpornt ihn vielmehr an, daß er
ausreißt und über Felder und Gärten ſetzet. So lange Europa
wirklich barbariih war, wollten ihm feinere Begriffe nicht ein:
man brutalifirte diefe vielmehr nad feiner Weiſe. Da es dur
hundert und taufend Stöſſe einmal etwas in Gang kam, bielt
niemand diefen Gang auf, weder Bann noch Inquiſition, weder
Schwert noch Kegerfeuer. Vielmehr trieben dieſe thörichten Zwangs⸗
mittel aus dem Aeuſſerſten ins Aeufferfte, aus dummer Bar-
barei zu dummer Sophifterei, aus grobem Aberglauben in
den Atheismus, der ja befanntermaafjen auch in dunklen
Jahrhunderten des Kirchenzwanges und in ihnen vielleicht allein
berrichte.
Freiheit muß der menjchliche Geift haben; geſetzt er mißbrauche
auch die Freiheit. Das Wort Gottes muß er verftehn und aus-
- legen fönnen, wie ers für recht und mahr findet; gejegt er lege
| auch falfch aus. “Gott fah voraus, daß Adam fallen würde, und
dennoch ſchuf er ihn frei; und mußte ihn frei ſchaffen, wenn er
‘fein Bild, ein Menſch ſeyn ſollte.
Freiheit iſt der Grundſtein aller proteſtantiſchen Kirchen, wie
ſchon ihr Name ſagt. Freiheit iſt der Grundſtein des geſunden
Verſtandes, aller willigen Tugend des menſchlichen Herzens, aller
Wohlfahrt des Weiterſtrebens. „Aber doch eine Freiheit mit
.WEGeſetzen?“ Allerdings mit Geſetzen; nur die der geſunde Verſtand
I dafür erfennet, die die Freiheit ſich ſelbſt wählet. Auf ihnen,
4
— 03 —
d. i. auf Wahl und Orbnung zur Glüdfjeligfeit, beruht Freiheit:
Geſetze find ihr Weſen und müßen ihr Wefen bleiben; ober fie ift
des Mortichalles nicht mehr werth.
Als Deutichland die Ketten des Papſtthums brach, was hatte
ed für Recht dazu? Das Recht der Menjchheit, Freiheit.
Nicht weil der Fürft es wollte, reformirte Luther; oder er wäre in
Saden der Religion ein jchlechter Reformator gewejen, der alte
Mahrheiten und Auslegungen, über die der Yürft nichts ordnen
fonnte, aus Sflavengemalt aufhob. Er reformirte, weil ihn Ge⸗
wißen und Weberzeugung trieb: und die Fürften lieſſen refor-
miren, theil3 weil fie auch überzeugt waren, theils weil fie, mie
es die Vorficht ihres Amts erfoberte, politifhgut fanden. Der
Menſch, der im Lutherthum oder in einer proteltantifchen Kirche
Gewißen und klare Weberzeugung aufheben will, ift der ärgite
Anti-Lutheraner. Er hebt das Principtum der Reformation, ja
aller gejunden Religion, Glüdfeligkeit und Wahrheit, nämlich
Freiheit des Gewißens auf; er verdammet Luther, alle feine
Gehülfen, alle freien, wahren Männer der Vorzeit in ihren
Gräbern.
Auch laßen fich Hier feine äufferen Klaufuren ſtecken, „jo weit
fol die Freiheit gehen und weiter nicht.” Wahre Freiheit muß
fih von innen felbft befchränfen. Und wahrlih fie beſchränkt
fih ſchärfer als alle Klaufuren, weil fie nur aus innigfter
Ueberzeugung, nah Wahl und Prüfung des Beten handelt. —
Bon äuffern Beziehungen, Pflichten und Obliegenheiten ift bier
nicht die Rede, jondern von innerer Natur der Wahrbeit.
„Aber, wie diefe geäuffert werden? fteht da night der Fürſt,
der Stand, das Amt entgegen?” Der Fürft, der proteftantifche
Fürſt nicht; ſonſt wäre er ärger, als der katholiſche Papft, und
wir Tehrten lieber unter diefen. Sein Proteftantiimus beruht auch
auf Ueberzeugung, alfo auf Freiheit; fonft würde er fein proteftan-
tiſcher Fürst haben werden können; er läge noch unter dem Papft-
thum. Nach allen Begriffen der proteftantifhen Lehre ift er auch
fein Richter, kein Entjcheiver über das Wort Gottes (dies tft fein
//
— MM —
eigner, unabhängiger, höchſter Richter) er ift Fürſt, d. i. Ent-
Scheider über äufferliche politiſche Ordnung. Glaubt er, daß irgend
Eine Meinung in der Welt diefe aufbebe, jo kann, fo muß er
fie, ſeines Amts wegen, einfchränfen und ihren böfen Einfluß
hindern — aber nur als äufjern, böfen Einfluß, und aud dies
nach Regeln der gefunden Bernunft und Ichärfften Ueber-
jeugung, in der er, wie der geringfte Unterthan, unter Gott ftebt.
\ „Aber follte nit der Stand Hindern?” Das glaube ich
„| leider! d. i. alte Vorurtheile des Standes. Aber haben dieſe, blos
weil fie alt find, auch Recht? follen fie nicht mit möglichftem Be⸗
ftreben von jedem reblihen Mitgliede des Standes geprüft und zur
Wahrheit gebracht werden? ift ihre Procraftination nicht lächerlich
und ſchädlich? — Kein Vorurtheil kann gegen Wahrheit beftehn;
feine Ueberzeugung fann und fol nad Vorurteilen des Standes,
Alters, Rangs oder weßen es fei, gemuftert werben. — Das
Amt endli kann gar fein Hinderniß freier Ueberzeugung werden,
oder cd müßte Diener ver Unredlichkeit und Lüge, d. i. Heud-
ler, und zwar feinem erften Grundfage nah, Heuchler fodern.
Der thut der Religion und dem proteftantifchen Lehramt viel Ehre
an, der jo von ihnen denfet! —
Unläugbar gut iſts alfo, daß eine billige, niemand vervor-
theilende Toleranz auch in mehrern Ländern Deutſchlands Platz
‘ | nimmt; es wäre ja endlich Zeit dazu, Wie jhön wäre es, wenn
Kr Tray auch die Tatholiichen Länder Deutichlands "uns näher cücten,, "und
If za Ne 4 alle Deutfchen als Brüder, als Glieder Einer Nation und
Sprade fih einander mehr fennten und auf Ein Gutes gemein-
Ihaftlih wirkten! Ich ſage gemeinihaftlih, nicht identisch:
denn das ijt unmöglich. Ich kenne feine gröffere Intoleranz, als
die neue, die alles in Eine Lehrform des Nichtglaubens werfen
und mit Gewalt werfen will. Laß jeden nad feiner Leber-
zeugung glauben; und wenn du ihn ändern willſt, jo fobre nicht,
fo table und Eritifire nicht, jondern überzeuge du ihn.
{
Auch ehe ih von ben neuen Unterfuhungen über bie
Religion feine fo gefährlichen Folgen, als Sie, mein Freund, ver-
* 12, 39,
— U —
muthen. Taugen fie nicht, fo gehn fie von felbft unter: fie find
Spreu, die der Wind zerfireuet. Taugen fie etwas, fo nutzen
fie der Religion; fie hellen fie auf, fie maden fie grünblicher,
geprüfter, rein. Das Schif auf dem Meere braucht Wind; der
menfchliche Verſtand will fortgefehte, auch gegenjeitige Unter-
juhung und Prüfung. Mich dünkt, mande gute Folgen diejer
Unterfuhungen find ſchon jegt unverkennbar. Hat? Deutfchland
genußt oder gejchadet, daß Spalding, Yelir Heß, Sad, Bam-
berger u. a. ung mit Fofter und Shaftesbury, Buttler und
Law, Benſon und Lode befannt gemadt haben? Zuerſt fchrie
alles: „Naturaliimus! Deiſmus! Arianer! Socinianer! Das Chriften-
„thum geht unter, wenn den Ueberjegern nicht mit Gewalt gefteuert
„wird!“ Der Erfolg hats anders gewiefen. Das Chriftenthum
ift, mo es war; aber Gottlob! ein deutſcher Scholaſticiſmus tft
zum Theil untergegangen, der in Predigten, Lebrvorträgen, Er⸗
bauungsbüdern und überall herrſchte. Das Gift, das diefe Schrif-
ten zu uns bringen follten, bat in Deutichland nirgends, oder bei
ſehr ungefunden Perjonen gefaßt, vielmehr find manche dieſer
Schriften, 3. E. Shaftesbury, Hutdhejon, Law, Benjon in
Deutihland ſchärfer und wahrer beurtheilt worden, als in Eng-
land felbft, oder werden es noch werden. Wir haben dagegen
Schriften erhalten, die wir an jchöner Einfalt und Gründlichkeit
jenen vorziehen oder an die Seite feßen können; unſre theologiſche
Belanntihaft mit England bat Deutihland genutzt und nicht ge-
ſchadet. Irre ich nicht, fo wars die Bekanniſchaft mit Engländern,
Locke, Benfon, Lardner u, f., die Michaelis z. E. aus der
engern Bahn feiner Vorgänger zog, und bat feine tiefere Critik,
feine Gelehrſamkeit, fein Scharffinn Deutſchland genugt oder ge-
ſchadet? Thun Sie doch einen Blid ind alte Etymologifiren des
Texts, ins Allegorifiven des Geſetzes Moſes und urtheilen! Er
bat gelernt und gelehret; von andern genommen und weiter mit⸗
getheilet. Die Wißenſchaft ift aljo fortgegangen und die Critik
gejundern Berftandes worden — ift Dies Nutzen oder Schaden?
Mit Heilmann ward ein Gleiches. Der Neid gegen ihn bat fi
— 206 —
gelegt, und man erkennet ſeine Verdienſte, oder wenigſtens die
Hofnung, die er mit Recht veranlaßte.
Hierüber iſt nun ziemlich entſchieden; ſollte über manches
andre, das uns näher liegt, es weniger ſeyn? Sollte Semler
ſich immer verantworten dörfen, daß er, als Lehrer theologiſcher
Gelehrſamkeit, ſolche ausbreiten, auch wo ers glaubt, erweitern
müße? Die meiſten feiner Probleme find hiſtoriſch und litera—
rich; über die kann für und wider geſprochen werden, unb ber
beßte Ermeis muß gelten. Das wibrige Betragen gegen ihn bat
den widrigen Effeft hervorgebracht, daß bei ihm die Schreibart ſich
verwidelt, und bald zu viel, bald zu wenig faget. Nutze man
die Materialien, die er zufammenträgt, und wähle fie aus und
ordne fie beßer; bei mwenigerm und beferm Widerſpruch würde ihr
BVerfaßer jelbit fte vielleicht ruhiger georbnet haben. — Die allge:
meine D. Bibliothet (die meine Yreundin nicht ift und der zu
Liebe ich alſo nicht urtheile), follte fie wohl ganz ohne Nutzen,
ganz ſchädlich geweſen ſeyn? Ich Habe fie nur in ben erften
Bänden gelefen: der Ton, in dem fie damals anftimınte, war
allgemein verfchrieen; ich möchte indeß jagen, jelbft bis auf fein
Tehlerhaftes bat er Gutes bewirket. Daß der Hauptrecenfent B.
damals fo wenige een hatte, fich jo fehr wiederholte, aber
fehr deutlih, plan und gemeinnüßig es immer aufs neue vor-
trug: „unnüße Spekulation fei nicht Religion, fie folle und könne
„nicht Religion des Volks ſeyn,“ daß er bei Gelegenheit biefe
und jene Lehre zu fimplificiren fuchte, u. f. — jollte dies nicht bei
Vielen, infonderheit Laien und Meltlihen, ſein Gutes erreicht
haben? Auch bei Geiftlihen, fogar bis zum Uebermaaſſe. Allee
will jetzt popular feyn! alles in der D. Bibliothek gelobt werben!
Man_beftrebt fi heterodor zu ſeyn, wie man einft orthobor zu
ſeyn ſich beſtrebte. Diefer Schaum wird weggehen; die allgemeine
Bibliothek wird vergeßen und auf ihren Werth zurüdgejegt werben,
wie man Clerfs, Baile, Löfhers Nournale auf ihren Werth
zurüdgefett bat; das Gute inbeßen, das fie ftiftete, feis wenig
oder viel, furz, was Werth in ihr bat, wird bleiben. So auch
— 207 —
mit Eberhards, Steinbartz u.a. Schriften. Wer kann läug-
nen, daß in jenem mande feine Philoſophie über Moral und
Glaubenslehren, fo wie in diefem eine Art von popularem Syftem
der Glüdjeligfeit ſei. ft dies nit neu, nicht vollftändig,
nicht völlig chriſtlich; ift jene Philofophie zu enge und thut man-
chen Lehren des Chriftentbums Unrecht — wohlan, man zeige e8!
man liefere was befers! man fee ftatt des fchlechten ein gutes
Bud. Nur ftillftehen kann der menjchliche Verftand nicht, damit
dogmatiſche Mönde Muffe und Ruhe haben. Noch weniger richten
fie etwas aus, wenn fie in dummer Trägheit nur Hagen, feufzen,
fluden, verläumden; da zeigt man nur immer, daß man feine
Arme und Waffen zur Bertheidigung habe oder zu brauden Luft
babe; und beides ift übel.
— — Ich feße Ihnen, mein Freund, einige Erfahrungen
ber, die ich in ber ganzen Kirchengefchichte bemährt finde: menden
Sie fie zu Ihrer Ermunterung, Hoffnung und Troſt auf unfre
Zeit an.
Erſtlich. Jedesmal, wenn eine Gährung war, wenn eine
Revolution der Wißenſchaft oder Religionägeftalt bewürkt wurde,
war nicht? fchmerer, ala ih in Grenzen zu halten: man ſchritt
leiht von Einem Aeuſſerſten aufs andre. Sie wißen, als die
Reformation entftand, brach der Socinianiſmus ſowohl, als bie
Schmärmerei mit hinein: zwei Uebel, an denen die edlen Refor-
motoren nur ſehr zufälliger Weile Schuld waren. Die feinen Köpfe
Stalieng wollten, da Einiges der Vernunft näher gebracht war,
ihr Alles gleihförmig machen, und fingen aljo in der Theologie
von vorm, vom Artikel der Dreieinigleit, an. Sie kamen nidt
viel: weiter, und ſchadeten auch fo fehr nicht; damals und jet
erfennet ein Jeder, der richtige Schriftauslegung liebt, da, wenn
Eine Parthei in der Welt dem N. T., infonderheit dem Evan-
gelium Johannes, offenbar zuwider lehret, .jo ſeis der Socinia⸗
niſmus. Zuletzt hat er ſich ſeiner ſelbſt geſchämt und ſeinen Lehr⸗
begrif, ſo viel es angieng, verfeint und bemäntelt; vielleicht würde
ers eher gethan haben, wenn man ihn nicht verfolgt hätte und
l
\
\
)
8
— 208 —
mit Servet und andern jo hart umgegangen wäre. Ein Gleiches
ward mit den Wiedertäufern, Duädern, Schwärmern. Ihre Hibe
ift abgegährt; Duäder und Mennoniten, Schwenkfelder und Puri-
taner leben ruhig und haben ihre ausjchweifenden, übertriebnen
Meinungen felbjt aufgegeben. Wie würde For fih wundern,
wenn er Barklays gelehrte, ruhige Apologie läſe. Laßen Sie
uns die auf unjre Zeiten anwenden. Welcher unſrer jetigen
eifrigen Aufklärer hat fich eines Damme, Reihe u. a. nit ſchon
‚jebt zu ſchämen; in kurzer Zeit wird man über mandes andre
nod mehr erröthen.
Zweitend. Wenn eine PBarthei im erften Eifer ift, wirft
fie am meiften. Eine neue Zunft greift fi mehr an. Wer
Mideripruh befürchtet, rüftet fich zum Miberftande oder kommt
ihm zuvor. Wer angreift, iſt meiftens fühner, als mer blos ver-
theidigt. Die ganze Geſchichte ift hierüber Zeuge. Die Patres bes
Orstorii ſchoßen bald nad ihrer Stiftung am blühendſten hervor:
da gabs einen Morin, Malebranche, R. Simon, die fie jegt nicht
mehr haben. Was die Jeſuiten thaten, thaten fie im Anfange bes
Ordens. Jede neue Alademie betätigt daßelbe u. f. fe Mit der
Zeit legen fih die ftolzen Wellen der Jugend; der Mann jchämt
fih der Ausfchweifungen derfelben und wenn er Hug tft, wendet
er auch fie zum Beften. Glauben Sie gewiß, jo wirds aud in
wenigen Jahren mit der Criſis unfrer Zeit gehen. Auf mandes
fürdterlihe Eisgebäude wird man hinbliden und fragen: wo tft
e8? Das gute Waßer indeßen, woraus es beitand, und das Die
freundliche Frühlingsfonne mit ihrer mächtigen Gluth nur auf-
löste, dies blieb und fließt erquickend weiter.
Drittend. In jedem Zeitpunkt des Strebend und Fortitre-
bens giebt3 immer Gegenpartheien, die für und wider ein-
ander gebohren zu feyn feinen und bie ſich einander oft nahe
gnug leben. Die Oottheit hat fie in Einen Zeitraum gejeht: ihre
Kräfte mäſſigen einander, daß ein drittes mittleres Gute aus ben
zufammengejetten Bemühungen beider herauskommt. Denken Sie
an die Independenten und Katholiken, an die Freidenker und Burita-
— 20 —
ner in England, in Holland an den Carteſianiſmus und Cocce⸗
jiſmus, die auch zu Einer Zeit waren; in Frankreich an die
Jeſuiten und Janſeniſten; endlich an Wolf und Lange, Wolfianer
und Herrnhuter in Deutſchland. Ich mag zu unſrer Zeit niemand
nennen; mich dünkt aber, der beſcheidne kluge Mann und Süng-
ling bleibt in der Mitte und lernt, wenn etwas zu lernen ift,
von beiden. Je unpartheiifcher und verträglicher ers thut, deſto
mehr ift er jener Ruhe, feines Beften und de Ruhms der
Nachwelt verfichert.
Endlich am allerwenigften laßt uns uns aufbrängen, ober
andre verdrängen und verfolgen. Schämt fich jet Holland nicht,
daß es feinen Grotius verfiieß? Sachſen nicht, daß es feinem
Melandihon jo trübe Stunden madte? Jetzt chen wir jebes
unwürdige Werkzeug der Verfolgung in feinem Licht und nennens
bei jeinem Namen. Sobald aljo die Sache verwidelt ift, jo fage ,
man: non liquet und überlaße ed dem Sönige, der Licht und
Finfterniß Schaft und ändert Zeit und Stunde Er giebt
den Meilen ihre Weisheit und den Perftändigen ihren.
Verſtand. Er fähet die Weifen in ihrer Spigfündigfeit
und ftürget der Verfehrten Rath. Er weiß, was in Fin-
fterniß lieget, denn bei ihm ift eitel Licht!
Herders fümmtl. Were. XI. 14
Sechzigſter Brief.
— — Sie wißen, m. Fr., man bildet fi nur in gewißen Jahren:
denn bleibt die Denkart, wie fie ift und auch das ift Wohlthat bes menfch-
lihen Lebend. Man foll nicht immer Knabe und Kind feyn und fidh wie-
gen laſſen von allerlei Winde der Lehre; einmal foll man doch auch unter-
fucht, ausgelernt haben und wenigftend durch ftille, vefte That lehren. —
Dies ift die Moral der Männer; bie der Jünglinge ift aber zu lernen,
aus ihrer und für ihre Zeit zu lernen, fortzugeben mit dem Schidfal, das
ung, wenn wir nicht freiwillig folgen, fortreißt. Wie lächerlich iſts, daß
wenn Diefes, Jenes nicht vor einigen Jahren gejagt warb, es and nun
nicht gefagt werden Lönne und börfe? Und gewiß! manches warb gefagt,
was wir nur vergeßen oder überhört haben. Sie fagen, 3. E. meine
beicheibnne, mit Gründen, wie id glaube, unwiderleglichen Gründen gefagte
Meinung: wie Klopftods Meßias von einem jungen Theologen zu lejen
fei? babe einige befrembet. Ich glaube e8 wohl, denn ein junger Menſch
im erften euer feiner Einbildbung und Liebe zu ibealifhen Gefchöpfen
läßt fih nicht gern darinn flören: er fieht ben für feinen Feind an, ber
ibm den Eindrud ſchwächt oder raubet; auch ift das meine Wbficht nicht
gewefen. Sie war nur, Wahrheit und Dichtung zu unterfcheiden ober wenn
Sie wollen, dichteriſche und biftorifche Wahrheit. Wenn mir der Süngling
hierüber nicht dankt, wirb mir der Mann danken; wenn nicht die jeßige
Zeit, fo die folgende. — — —
Erimen Sie fih, m. Fr., an bie Zeit, da Klopſtocks Meßias zuerft
erihien. Sollte Alles, was man damals über ibn, liber die Zuläßigkeit
biblifhder Epopeen und Religionsfictionen fagte, falfch gemefen feyn? Alles?
Ich zweifle. Freilich vieles war nicht nur falſch gefagt, ſondern gerabezu
elend; mich dünkt aber, das Behere, was Prüfung verdient hätte, warb
mit jenem zu fehr überjehen und verworfen. Die binreißenbe Sprache, bie
überaus ſchöne Sinnlichkeit Überwand: fie bezwang den Berftand damals,
ob fie ihn aber immer bezwingen möchte? Gnug, die wahre Schönheit bes
unfterbligen Gedichts muß durch alle Prüfungen gewinnen: durchs Boliren
und Läutern glänzt das Gold neu und fchöner hervor. [Bgl. ©. 74 fag.]
— 21 —
— — lieberhaupt, fagt ein Gelehrter, vielleicht ber pbilofopbifchte
Gelehrte, den Deutſchland feit Leibnitz Zeiten gehabt bat, Leßing; „über-
„haupt weiß ein jeder, der mit den Wißenfchaften ein wenig befannt gewor-
„der, daß es mit der eingebilbeten ftrengen Ordnung, nach welcher bie
- „verfohiebnen Disciplinen und Studien mit ber Jugend getrieben werben
„ſollen, eine Grille if. Alle Wißenfchaften reichen ſich einander Grunbfäße
„dar und müßen entmweber zugleich ober eine jebe mehr als Einmal getrie-
„ben werben.” Ich bitte, leſen Sie die ganze Stelle S. 535 — 61.1 des erfien
Theild der Titeraturhriefe und Sie werden mich, wenn Ihnen ber böfe
Feind je den Gedanken eingiebt, mit einem Alabemifchen Tages⸗ und
Stundenkalender verfchonen.
Uebrigens einen ſolchen Kalender für alle Welt, für bie verfdiebenften
Subjecte an Fähigkeiten, Zwecken, Hilfsmitteln, Erziehung, Umftänben
u. f. f. zu fchreiben, wie Ihre Freunde zu wünfden fcheinen; ift das wohl
Auftrag für einen beſcheidnen, vernünftigen Menfchen? Sie kannte ih und
fonnte alfo an Sie fchreiben, an die ganze Welt Briefe, vertraute Briefe,
mit Einlaßung aufs kleinſte Detail, mit allmißenbem und allweifen Rathe —
das kann man nicht, wenigftens ich kanns nicht, mein Lieber. Kür alle
Theologen auf allen Akademien Deutfchlands, rei und arm, dum und
Hug, faul und fleißig, alt und jung, Zug- oder Sitodgel ein Lectionarium
zu fohreiben — das fohreibe der, der nichts beftimmters, beßers zu geben
weiß. Ich könnte nichts drüber, als etwa wie Luther vom Reichstage
der Doblen und Krähen, dahinter bod ein groffer Ernſt ift,
ſchreiben.
Mir ſelbſt fallen einige Blätter in die Hand, die nicht vor gar langer
Zeit, wie mich dünkt, fo kurz, wahr und bündig geſchrieben find, als es
bei Allgemein- Dingen der Art nur immer möglich feyn möchte. Gefällt
Einem Ihrer Freunde der Blan: fo mag er ihn mit Gott befolgen. [X,4
„Entwurf der Anwendung breyer alabemifher Jahre für
einen jungen Theologen.”]
1) (8. Br. 1, 10, Schriften 6, 31 8. Freies Gitat.]
14*
Vom Geift
der
Ebräiſchen Poeſie.
Eine Anleitung
für die Liebhaber derſelben und der älteſten
Geſchichte des menſchlichen Geiſtes.
— — — — — —
von
6 Herder.
Erfter Theil!
Laden⸗Preiß 20 Grofden.
Deßau, 1782,
Auf Koften der Verlags-Kaſſe, und zu finden in der
Buchhandlung der Gelehrten. 7,2, m.
1) Zweite Auflage:
Erfter Theil.
Leipzig,
bei 305. Philipp Haugs Wittwe, 1787.
4m % (Himueme)
fir 280, 250.292.24
bein Mfg mat Fir PT Yon bye 13,957
U Sun Mr ir Bgm 12,006.
a Er ee
Mgmt 245 PEN 280.
Urs nf
pn Meittuh "12,008 nf Vafenı
„ai Jap gl A mn Tran I wre ” BP 9,203 (fi 12, yır).
Entwurf des Buchs,
‚ nach feiner erjten Ankündigung in ben Berichten 12,382, 0
der Buchhandlung der Gelehrten. ——
— — wo. Karben fm
Jedermann ift des Biſchofs Lowth fchönes und allgepriefenes +77. 7.
Bud de sacra poösi Hebraeorum befannt; man wird aber aus
dem nähern Inhalt der obengenannten Schrift fehen, daß diejelbe
weder eine Ueberſetzung noch Nachahmung deflelben fey, und neben
oder hinter ihm für Liebhaber der älteften, fimpelften und erhaben-
ſten Poeſie überhaupt, vielleiht aud für alle, die dem Gang
göttliher und menjchlider Kenntniffe in unſerm Geſchlechte nach⸗
forſchen, nicht unangenehm oder unnütlich ſeyn dürfte.
In einer vorläufigen Einleitung werden die drey Haupt-
ftüde unterjucht, auf die fich die Poefie der Ebräer in ihrem
Urfprunge gründet. LZuförderft das Poetifhe im Bau und Reich⸗
tum ihrer Sprade: ſodann die Urideen, die fie von ben älte-
ften Zeiten empfangen Hatten, und die gleihlam eine fo erhabne
(IV) als fimple poetiihe Kosmologie find: drittens die Geſchichte
ihrer Väter bis auf ihren Gefeßgeber, und was in ihr Grund
zur Auszeihnung ſowohl des ganzen Volks, ala beſonders
der Schriften und Poefien derjelben gemeien.
Das Werk jelbft fängt vom groſſen Geſetzgeber des Volks
an: was er durch feine Thaten, durch feine Gefetgebung, und
drittens durch die Darftellung beyber in Geſchichte und eigner
— 216 —
Poefie auf den Geift des’ Volls und jeiner Nachkommenſchaft
gewirkt oder nicht gewirkt bat? Melde Ideen der Borwelt er
weiter geführt ober verändert ? welchen Anblid des Landes, der
Nationen rings umher er ihnen einprägen wollte? und endlich
wodurd er die Poefte diefer Nation zu einex Hirten- und Lan⸗
despoefie, zu einer Stimme des HeiligtHums und der Pro-
pheten gebilbet? Die Urſachen diefer Dinge werden aus der
Geſchichte entwidelt und ihre Wirkungen in den lebhafteften Bey-
jpielen der folgenden Zeiten gezeiget.
Es wird fodann die Gefchichte felbft vom Geſetzgeber bis
zum blühendften und mächtigſten König des Volks fortgelcitet,
unter welden und deſſen Sohne auch die zweyte Blüthe der
Poefie eintritt. Die jchönften Erſcheinungen derjelben werben aus
den Urſachen ihrer Entftehung erklärt, in ihr morgenländiſches (V)
Licht gefegt, und was fie auch, im Fortgang der Zeiten gewirkt
haben, entwidelt. Es verfteht fih, daß die angenehinften und
lehrreichſten Stüde in einer leöbaren, ihrem Geiſt angemeßnen
Veberfegung dem Werk eingeichaltet werben.
Sp gehts zur dritten Periode der Dichtkunſt hinab, längft
vor dem VBerfalle des Volks, nämlich zur Stimme der Propheten.
Die Charaktere diefer patriotifchen und göttlichen "Demagogen’
werden entwidelt, Aufſchluß und Einleitung zu ihren Schriften
gegeben, und die erhabeniten, jchönften und rührendften Stüde
berjelben abermals dem Werk einverleibet.
Es Tommen jet die klagenden Stimmen bey und nah dem
Verfall der Nation, die Hoffenden und aufmunternden zu
Wiederaufrihtung berfelben: die Wirkungen der gefammten
Schriften des Volks, da fie fich jet mit andern Spraden, injonder-
heit der Griechiſchen vermifchten: die Wirkungen derſelben durch
die Schriften und Lehrer des Chriftenthbums bis zu unſern
Zeiten. |
Einige Abhandlungen zum Ende des Buchs unterſuchen die
Geſchichte der Behandlung diefer Poefieen von Juden und (VI)
andern Bölfern: das verſchiedene Glück der Nahahmungen
—”
—
_ —
— lt —
derſelben zu verſchiednen Zeiten und in verſchiednen Sprachen;
endlich was das Phänomenon und das Reſultat dieſer
Schriften und ihres Geiſtes in der ganzen uns belannten
Gefhichte der Kultur und ihrer Weltveränderungen jeyn
möchte ?
Man fehe diefe Ankündigung nicht für Ruhm ober „Groß-
ſprecherey, ſondern für das Ziel an, das ſich der Verfafler des
Buchs vorſetzte. In magnis voluisse sat est, iſt auch bier fein
Wahliprud..
Der Berfaffer.
—
Vorrede.
Die vorgeſetzte Ankündigung überhebt mich der Mühe, über
den Zweck und Plan dieſes Buchs weitläuftig zu werden; ich zeige
alſo nur im kurzen an, wie er im erſten Theil ausgeführt ſei.
Es ſollte dieſer erſte Theil die allgemeinen und characte⸗
riſtiſchen Grundzüge der Ebräiſchen Poeſie faßen, ihre Cosmo-
logie, die älteſten Begriffe von Gott, der Schöpfung, der Vor⸗
ſehung, von Engeln und Elohim, den Gherubim, einzelnen
Gegenftänden und Dichtungen der Natur u. f.; zufammt injon-
berheit den Sagen der Väter, bie, wie überall, fo vorzüglich bei
biefem Volk, die Anlage zum Gebäude feiner ganzen Denkart,
mithin auch der Genius feiner Boefie find. Diefe recht darzu-
jtelen und zu entwideln, war hier um fo viel nöthiger, da die vIII
meiſten Sagen diejer Art felbft poetiiche Farbe haben und leider!
oft ſehr verkannt find. Ihh habe mich hiebei der mühjamften
Kürze befligen, nicht etwa unmöthig zum hundertften mal zu
jagen, was ſchon neun und neunzig mal gejagt war, und wo
ih8 der Verbindung megen thun mußte, ging ich jo fchnell
brüber, ala möglih: denn wo bei alltäglihen Sachen das Lefen
ſchwer wird, wird das Schreiben noch viel jchwerer.
Dafür juchte ich lieber, dunfle- oder misdeutete Geſchichten,
bes Paradiefes, des Falls, des Thurmbaus, des Kampfs mit
Elohim u. f. nebſt einzelnen mythologiſchen Dichtungen und Ber-
fonificationen ins Licht zu ſetzen, die jomohl den Charakter der
Ebräiſchen Poeſie aufs deutlichfte in Proben zeigen, als aud
fünftighin ung vom nupbarften Gebrauch ſeyn werden: denn
— 219 —
ehe man viel von Schönheit oder Häßlichkeit einer Sache ſpricht,
IX muß man ſie erſt verſtehen lernen. Rechter Verſtand der Worte,
Bilder und Sachen giebt benen, bie Gefühl haben, ohne viele
Rede und Anpreifung, Begrif der Schönheit. Wers nicht hat,
dem Tann es duch Ausruffungen, durch Herbeiholung vieler
ähnlichen Stellen aus andern Dichtern, geſchweige durch allge-
meine Betrachtungen über die Poefie und ihre mandherlei Arten
ichwerlich gegeben werben. Bon biefem allen hielt ich alfo mein
Buch frei.
Und überfegte lieber _fchöne Stellen, fo viel ich Tfonnte;
biefe mögen feinem zu viel dünken, denn fie find der Zwed
meines Buchs. Sie find die Sterne diefes fonft öden Raums:
en, ver He find bie Frucht und mein Buch nur Schale. Wäre mirs
Map ?! gelungen, die Proben, die ich bier gab, in ihrer alten Würde
und Einfalt ſchön und gut darzuftellen, fo hätte ich mein Biel
wenigftens nicht ganz verfehlet: denn ich bin auch hierin von
x Luthers Meinung, „daß wir die Propheten müßen laffen auf:
dem Pult fiten, und wir hienieden zu ihren Füßen hören, was
fie fagen, und nicht fagen, was fie hören müßen.” In dieſer
frühen Zeit fam mir vorzüglich dad Buch Hiob zu Hülfe, und:
ih wünſchte, daß ih nur etwas von dem ausgebrudt hätte,
was meine Seele bei diejer hohen, einfältigen, vielleicht älteften
Kunftcompofition empfindet. Ardua res est, vetustis novita-
tem dare, novis auctoritatem, obsoletis nitorem, obscuris
lucem, fastiditis gratiam, dubiis fidlem, omnibus vero natu-
ram et naturae suae omnia — wie wünfchte ich, etwas davon
bei meinen Patriarchen, bei meinem Hiob und Moſes erreicht
zu haben! Mit Gelehrſamkeit und fremden Buchſtaben habe ich
meinen Text nicht überſchwemmen mögen; für den Ungelehrten
find fie nicht und der Gelehrte, der die-Urſprache und die alten 599.
Ueberjegungen zur Sand nimmt, kann ſie fich leicht fuppliren;
xı ja es ift eine Freude für ihn, infonderheit den jungen Gelehr- |
ten, wenn er fi die Gründe fuppliten darf, wenn ihm aud |
etwas übergelaßen ift, aufzuſuchen, zu vergleichen, zu benfen.
) Ark ah Ffm 12,907,
— ZN) —
Daher habe ich auch die reiche Beihülfe neuerer Philologen —
gebraucht, wo ich konnte, ohne damit zu prangen oder ſie
widerlegend Schau zu führen. Denen, die ich genutzt, wird
mein ſtiller Gebrauch Dank ſeyn; wo ich nicht ihrer Meinung
ſeyn konnte; — da war ich meiner eignen Meinung.
Und um auch dieſe jedesmal im mildeſten Licht vorzutragen,
habe ich den bei Materien dieſer Art ſonſt ungewöhnlichen Weg
2. der Geſpräche )gewählet. Wie ſchwer es mir ward, weiß id)
7 n ag 44. ſelbſt, und um die Grazien des Platoniſch⸗ Shaftesburi-
oder Diderotihen und Leßingſchen Geſprächs zu bublen,
v wäre bei Sachen dieſes Zweds und Inhalts Thorheit der Thor-
7 heiten gewejen. Hier waren weder ausgefuchte Situationen
anzulegen, noch neue Charaktere zu entwideln, noch enblih XII
Ideen aus der Seele des Antwortenden hervorzufpinnen; worinn
die größefte Kunft injonderheit des lehrenden Geſprächs beftehet.
Zu erfinden war bier überhaupt nichts, jondern zu erklären,
zu zeigen, zu finden: alſo Demonftrator und dem demonftrirt
wird, Freund mit Freund, Lehrer mit Schüler mufte und konnte
bier allein iprehen. Mein Borbild in groffen Stellen der Ge⸗
ſpräche war nicht Plato, fondern das Buch Cosri oder gar
ber Katechismus.
Aber warum wählte ich denn die Form der Geſpräche?
Aus mehr als einer Urſache. Zuerft und zuförderft der Tieben
Kürze wegen. Im Geſpräch drüdt ein Buchſtab, der Abfah einer
neuen Reihe, ein kurzes Wie? oder Woher? aus, wozu man im
bogmatifchen Vortrag Perioden und halbe Seiten noth bat. Bon
jenen breiten Formeln und Webergängen: „dagegen fünnte man
fagen, hiewider ift gejagt worden u. f. f.“ blieb ich verjchonet.
Zweitens. Auch vom einförmigen, fteifbehauptenden oder gar
widerlich deflamirenden Katheber- und Kanzelton fonnte ich ver- XIII
Ihont bleiben, dem fonft der dogmatiſche Vortrag über Sachen
diefer Art, ein ganzes Buch durch, fchwerlich entgehen möchte.
Auch der fchlechtefte Dialog macht die Sache lebendig, vielfeitig,
menſchlich, wenn er nur nicht (wie hier manchmal der all war)
3 224,
— 2211 —
zu trodne Dinge betrift und zu lange währet. Drittens ent-
fam ich mit ihm, wofür ich Gott herzlich danke, der Nothmwendig-
feit, widerſprechen, ftreiten, citiren zu müßen; und damit ent»
fam ich einem grofien Uebel. Hier fprecden Alciphron und
Eutyphron: jener fpriht manchmal wie das Publicum von
hundert Köpfen; aber fie fprechen unter einander, fie belehren
und widerlegen niemand in der Welt außer ihnen. Wer nicht
von Eutyphrons Meinung feyn will, bleibe von Alciphrong ober
von — feiner eignen Meinung. — Darf ichs endlich bekennen:
je älter ich werde, je ſchwerer wird mir der Ton der Lehre.
XIV Wen lehrt man, wenn man ein geſammtes Publikum lehret?
wo wohnt dies? und in welchem Ton foll man zu ihm reden,
daß man nicht zu hoch, nicht zu niedrig rede? Alſo ſprechen
hier zwei einzelne Menſchen; wer will, höre ſie an, beſſere ſie,
lerne oder lehre.
Darf ich ſagen, wen ich mir am liebſten zu Leſern wünſche?
Aciphron ift_ein Jüngling; er ſtudirt dieſe Poeſie nicht aus
Zwang, nicht des leidigen Berufs und Brots wegen, ſondern
aus Liebe; alſo Jünglinge und Liebhaber der Schrift, Liebhaber
der älteften, einfältigften, vielleicht _herzlichiten Poeſie ber Erbe,
Liebhaber endlich der älteften Geſchichte des menichlichen Geiftes
und Herzens — unbefangne, frifche, muntre Menfchen der Art
wünjhte ih mir vorzüglih zu Leſern. Bon der Kinpheit und
Jugend des menſchlichen Geſchlechts läßt fi mit Kindern, mit
Sünglingen am beiten fpredhen; Zeiten vor dem Moſaiſchen
XV Knechtsdienſt fühlen die am beiten, die noch fein och der
Regeln erbrildt hat, denen die Morgenröthe der Welt Morgen-
vöthe der Seele feyn fol. Wenn etwas an meinem Bud) ift,
jo ift der mein Freund, der es ohne Lob und Zabel Lejern
folder Art in die Hände fpielet. Jeder kann ja auslaſſen,
was ihm nicht gefällt, dazu ift der Inhalt der Geſpräche vor-
gezeichnet.
Und wenn, wie id wünſche, unter biefen Junglingen
Theologen find, darf ich fie mit Einem Wort befonders anreden?
|
ri. 245”
J.f Ga 5
7.90,3
— m —
Der Grund der Theologie ift Bibel und der Grund des N. 7.
ift das alte. Unmöglich verftehn wir jenes recht, wenn wir
dieſes nicht verftehen: denn Chriſtenthum ift aus dem Juden⸗
thum hervorgegangen, der Genius ber Sprade ift in beiberlei
‚ Büchern berfelbe. Und den Genius der Sprade können wir
nie beßer, b. i. wahrer, tiefer, vieljeitiger, angenehmer ftudiren,
als in Poeſie, und zwar fo viel möglich in den älteften Poelien
derielben. Es ift falih und verführend, wenn man jungen
Theologen das N. T. mit Ausſchließung des alten anpreifet;
ohne diefes ift jenes auf eine gelehrte Weife nicht einmal ver-
ftändlid. Dazu ift in ihm, dem A. T., eine jo reiche Abwechſ⸗
lung von Geſchichten, Bildern, Charakteren, Scenen: in ihm
jehen wir die vielfarbige Dämmerung, der ſchönen Sonne Auf-
gang; im N. T. fteht fie am höchften Himmel und jedermann
weiß, welche Tageszeit dem finnliden Auge die erquidenbfte,
die ftärkendfte ift. Studire man alſo das U. T., auch nur als
ein menſchliches Buch vol alter Poeſieen, mit Luft und Liebe;
fo wird ung das Neue in feiner Reinheit, feinem hohen Glanz,
feiner überirrdifhen EC chönheit von jelbit aufgehn. Sammle
man den Reichthum jenes in ſich; und man wird auch in diefem
fein leerer, Gejchmadlofer oder gar entweihender Schwäßer werben.
Weimar, den 9. April 1782.
Herder.
08
— 24
J. -
Inhalt des Geſprächs. Zt Ay gem” 221/
Borurtbeile gegen bie Ebräiſche Poefie und Sprache. Urfachen berfel-
ben. Bom Hanblungsvolley in ihren Verben; durch biefe wirb eine
Sprache poetiſch. Auch die Nomina ſtellen Handlung dar. Ihr Neich-
thbum an Namen: in welden Gattungen er zu fuchen ſei? Heichthum
an Naturnamen, Synonymen, Zahlwörtern, Wörtern des Schmud$
und der Ueppigfeit aus benachbarten Bölkern. Warum fi das
Ebräiſche nicht wie das Arabifche fortgebildet? Bon Wurzeln der Ber-
ben: fie vereinigen Bild und Empfindung Namenbildung der Norb-
und Siüdländer. Unterfchied der Ausſprache beider. Bon Ableitung
ber Wurzelwörter. Wunſch eines philofophifhen Wörterbuchs. Bon
den Zeiten der Verben, und dem poetifchen Genius berfelben. Zuſam⸗
menfegung vieler Begriffe in Ein Wort. Buchſtabengemählde. Wie
man ſich an ihre Entziffrung zu gewöhnen babe? Vom Paraflelismus, 235
Grund befielden im Ebenmaafie, das auch das Ohr Liebe. Vom
Barallelismus in Griechiſchen Sylbenmaaſſen. Wie fern er in ber
Natur der Rede und des Affelts Liegt? nach mancherlei Inhalt. Aehn⸗
lichkeit deſſelben auch hei norbifhen Bältern. Warum ihn infonderbeit
die Ebräiſche Sprache ausgebildet? Wirkung und Nuten beflelben.
Ob die Ebräiſche Sprache ohne Vocalen geichrieben worden?! Ob fie
von Anfange an fo viel regelmäffige Conjugationen gehabt? Stubium
berfelden, als einer poetiſchen Sprade. Studium ihrer Gedichte.
Beilage eines Gedichts über Schrift und Sprache. J. 242.
2 Alciphron. Finde ich Sie doch mieber bei dieſer armen
barbarishen Sprade! Da fieht man, was Yugendeindrüde thun
und wie unumgänglich nöthig e8 fei, daß wir von frühauf mit
dem alten Unrath der Zeiten verjchont bleiben: man wird feiner
nachher im Leben nicht los.
1) „Ob — worden?” aus dem Mic. ergämt.
— mM —
Eutyphron. Sie ſprechen ja wie einer der neuen Aufklärer,
! bie die Menſchen von allen Vorurtheilen der Kindheit und mo mög-
lich pon der Kindheit ſelbſt frei machen wollen. Kennen Sie diefe 77. 22..
. arme barbarifhe Sprade? und warum dünkt fie Ihnen alfo?
A. Leider kenne ich fie gnug, bin in der Kindheit mit ihr
gequält worden und werde noch gequält, wenn ich in der Theologie,
Philofophie, Geſchichte und mo weiß ich mehr? den Nachhall ihres
hohen Unfinns höre. Das Geflapper der alten Cymbeln und Pau-
fen, kurz die ganze Janitſcharenmuſik milder Völler, die man den
orientalifchen Parallelismus zu nennen beliebt hat, ift mir babet
im Ohr und ich fehe no immer den David vor der Bundeslade
tanzen oder den Propheten. einen Spielmann ruffen, daß er ihn
begeiftre.
E. Es fcheint, Sie haben fih mit der Sprade befannt
gemacht, aber nicht aus Liebe.
A. Dafür kann ich nidt; gnug, recht nach der Methobe, mit 3
allen Danziſchen Regeln. Ich habe gar die Regeln citiren können
ohne daß ich ihren Inhalt mufte.
E. Defto ſchlimmer! und ich begreife, warum Sie ihr fo
abgeneigt find. Aber, m. Fr., muß man einer übeln Methode
wegen die Wißenſchaft haßen, die wir das Unglüd hatten, zuerft
in folder Form zu ſehen? Schätzen Sie den Mann blos nad
feinem Kleide? zumal wenn es ein fremdes ihm aufgezwungenes
Kleid mar?
A. Das nit! und ich bin geneigt, alle Vorurtbeile fahren
zu laßen, fobald Sie fie mir als folche zeigen. Mid dünkt aber,
es wird ſchwer halten: denn ich habe beides, Sprache und Inhalt,
ziemlich geprüft.
E. Wir wollen verſuchen und Einer von uns foll den andern
(ehren. Es wäre traurig mit der Wahrheit, wenn Menſchen ſich
nicht über fie vereinigen könnten; und ich verwünſchte alle Ein-
drüde meiner Jugend, wenn fie mir Zeitlebens nichts als Sklaven-
feßeln jeyn müßten. Wißen Sie aber, e8 find bei mir feine Jugend⸗
eindrüde, was ich vom poetiſchen Geift diefer Sprache halte. Auch
— 225 —
ich habe ſie gelernt, wie Sie; es daurete lange, ehe ich wiederum
Geſchmack an ihr gewann, bis ich allmählich in den Geiſt kam, in
4 dem ſie mir jetzt eine heilige Sprache, die Mutter unſrer edelſten
Kenntniße und jener frühen Menſchenbildung iſt, die ſich nur auf
einem ſchmalen Strich der Erde fortgebreitet und ohn unſer Ver⸗
dienſt auch zu uns kam.
A. Das geht ſtark auf eine Vergötterung los.
E. Auf keine Vergötterung. Wir wollen ſie als menſchliche
Sprache, auch ihren Inhalt nur menſchlich betrachten; ja, damit
Sie noch gewißer werden, daß ich Sie nicht überſchleiche, wir wol⸗
len nur von ihr als einem Werkzeuge alter Poeſie reden. Gefällt
Ihnen dieſe Materie? ſie iſt gar nicht verfänglich.
A. Vielmehr, ſie iſt mir in hohem Grad erfreulich. Ich rede
gern von alten Sprachen, wenn man von ihnen nur menſchlich
redet. Sie ſind die Form, in der ſich menſchliche Gedanken, gut oder
ſchlecht, gebildet haben: ſie geben die unterſcheidendſten Züge vom
Charakter und der Sehart einzelner Völker, mo man aus der Ver⸗
gleihung mit andern immer lernet. Heben Sie aljo immer! an, aud)
von diefer Mundart morgenländifcher Huronen zu reden; menig-
ſtens wird una ihre Armuth bereichern und auf eigne Begriffe führen.
E. Was halten Sie einer poetifhen Sprade, fie möge Huro-
nen oder Dtabiten zugehören, am nothwendigſten? Nicht wahr,
Handlung, Darftelung, Leidenihaft, Gejang, Rhythmus?
5 U Allerdings.
E. Und welche Sprache diefe Stüde vorzüglich ausgebilvet
bat, die ift eine vorzüglich poetische Sprade. Sie wißen, m. Fr.,
daß die Sprachen ziemlich ungebilbeter Völker dies im hohen Grab
jeyn können, ja daß fies vor manchen neuern zu fein gebilbeten
wirklich find, Ich darf Sie nicht daran erinnern, unter welchen
94 3 Volk — ja zu welchen Zeiten ſelbſt der Griechiſche Homer ſang.
. Daraus folgt noch nicht, daß jede barbariſche Nation ihren
Homer und Oßian habe.
1) „immer” aus dem Mfe. ergämt.
Herders fünmtl. Werte. XI. 15
— 226 —
E. Vielleicht hat manche mehr als dies; nur freilich für ſich
und nicht für andre Sprachen. Um von einer Nation zu urthei⸗
len, muß man in ihre Zeit, ihr Land, ihren Kreis der Denkart
‚und Empfindung treten, ſehen, wie fie lebt? mie fie erzogen wird?
was für Gegenſtände fie fieht? was für Dinge fie mit Leidenichaft
liebt ? wie ihre Luft, ihr Himmel, der Bau ihrer Organe, ihr
Tanz, ihre Muſik fei? Dies alles muß man nicht ala Frembling
oder Feind, jondern ala ihr Bruder und Mitgebohrner kennen
lernen; und denn fragen, ob fie einen Homer oder Oßian in ihrer
225}
Art, für ihre Bebürfnipe Habe? Sie fehen, bei wie merigen -
Böllern der Erde wir dieſe Unterfuhung angeftellt haben, ober
jegt erſt anftellen fönnen? Bei den Hebräern fünnen wird gewiß;
ihre Poeſien find vor uns.
AU. Aber welche Poefien! und in welder Sprahe! Wie
unvollflommen ift fie! wie arm an eigentlichen Namen und beftimm-
ten Beziehungen der Dinge auf einander! Wie unftät und unge-
wiß find die Zeiten ihrer Verborum, daß man ja niemals weiß,
ob von heut oder gejtern oder von taujend Jahren rüd- und vor-
wärts die Rede fei! Adjektiven, die doch fo fehr mahlen, bat fie
beinah gar nicht, und muß fi mit Zufammenfetung einiger Bet-
teleien behelfen. Wie ungewiß und weit bergeholt ift die Bebeu-
tung ihrer Wurzelwörter, und mie gezwungen die Ableitung von
denfelben ! Daher denn die jchredlichen Katachrejen, die meitherge-
juchten Bilder, die ungeheuern Verbindungen der entfernteften
Begriffe. Ihr Parallelismus ift eintönig; eine ewige QTavtologie,
dazu ohne Maas der Worte und Sylben, das fih nur einiger-
‚ maafjen dem Ohr empföhle. Aures perpetuis tavtologiis Jaedunt,
fagt Einer der größten Kenner berjelben, Orienti iucundis, Euro-
pae invisis, prudentioribus stomachaturis, dormitaturis reliquis
und das ift wahr! Das fehn Sie bei allen Gefängen und Vor⸗
trägen, die den Geift diefer Sprache athmen. Endlich fie hatte ja
gar feine Vokalen; denn diefe find ein neueres Machwerk: fie fteht
als eine todte Hieroglyphe, jehr oft gar ohne Schlüßel und Gemwiß- 7
heit ihrer Bedeutung, wenigſtens ohne fichere Ausſprache und
— MM —
Känntniß ihres alten Rhythmus da. Was iſt da von Homer und
Oßian zu reden? Es wäre, als ob Sie dieſe in Mexico oder auf
den beſchriebenen Felſen Arabiens ſuchen wollten.
E. Ich danke Ihnen für den ſchönen Faden den Sie unſerm
Geſpräch geben. Sie haben eine ſo reiche Materie hervorgelangt
und wirklich auch ſo überdacht und ſchön geordnet, wie mans von
einem Kenner mehrerer Sprachen erwarten konnte. Laßen Sie
uns zuerſt vom Bau der Sprache reden.
Nicht wahr, Sie ſagten, daß Handlung und Darſtellung das
Weſen der Poeſie ſei, und welcher Theil der Sprache mahlt Hand⸗
lung, oder vielmehr ſtellt fie ſelbſt dar, das Nomen oder Verbum?
| AU. Das Verbum!,
E. Alſo die. Sprache, die viel ausprüdende, malende Verba
hat, ift eine Poetiſche Sprade: je mehr fie auch die Nomina zu
Verbis maden kann, defto poetifcher tft fie. Ein Nomen ftellt im-
mer nur die Sade tobt dar: dad Verbum ſetzt fie in Handlung,
diefe erregt Enpfindung, denn ſie ift felbft gleichfam mit Geift
8 befeelet. Erinnern Sie fih, mas Lehing*) über Homer gezeigt
bat, daß bei ihm alles Gang, Bewegung, Handlung jei, und daß
darinn eben fein Leben, feine Wirkung, ja das Wejen aller Poeſie
beftebe. Nun ift bei den Ebräern beinahe Allee Verbum: d. i.
alles lebt und handel. Die Nomina find von Verbis hergeleitet
und gleichſam noch Verba: fie find wie lebendige Weſen in ber
Wirkung ihres Wurzelurfprungs jelbft aufgenommen und geformt.
Bemerfen Sie in.neuern Sprachen, was für Wirkung es in der
Poeſie thut: wenn Verba und Nomina noch nicht weit getrennt
und jene zu dieſen werden können. Denfen Sie an das Englische,
das Deutiche; die Sprade, von der wir reden, iſt gleichlam ein
Abgrund der Verborum, ein Meer von Wellen, wo Handlung in
Handlung raufchet.
A. Mid dünkt aber, diefer Reihthum müße doch immer im
Verhältniß mit andern Theilen der Rede bleiben: denn wenn alles
—
*) Leßings Laokoon: Berlin 1766.
15 *
— 228 —
Handlung wird, ſo iſt ja zuletzt nichts, das da handelt. Sub-
jectum, praedicatum, copula — fo heißts in der Logif.
E. Für die Logif- ift diefe Ordnung gut und für das Mei-
ſterwerk berfelben den Syllogismus ift fie nothwendig; für Die
Poeſie nicht alfo, und ein Gedicht in Syllogismen könnte niemand
lefen. In ihr ift die Copula das Hauptwerk, die andern Theile
find nur Bebürfniß oder Beihülfe Wenn ih alfo zugebe, daß
für einen abftraften Denter die Ebräiſche Sprache nicht eben bie
befte wäre; fo ift fies dieſer handelnden Geftalt nach deito mehr
für den Dichter. Alles in ihr ruft: „ich lebe, bemege mich, wirfe.
„Mich erihuffen Sinne und Leidenſchaften, nicht abftrakte Denker
„und Bhilofophen: ich bin alfo für den Dichter, ja ich felbft bin
„ganz Dichtung.”
A. Aber wenn Sie Nomina, zumal Abjektiven brauchen ?
E. So haben Sie fie auch: denn jede Sprache hat, was fie
brauddet; nur müßen Sie nicht jede nach unjerm Bebürfniß beur-
theilen. Hundert Namen von Sachen bat diefe Sprache nicht,
weil das Volk die Sachen felbft nicht Hatte und kannte; fo wie fie
hundert andre bat, die wir nicht haben. An Abftraktionen ift fie
arm, aber an finnlihen Darftellungen reich und fie bat eben deß⸗
wegen fo viel Synonymen von Einer und derfelben Sache, weil
diefe jedesmal in ihrer ganzen Beziehung mit allen begleitenden
finnlihen Umftänden genannt und gleihfam gemahlt wurde. Der
Löwe, das Schwert, die Schlange, das Kameel haben in den
morgenländifchen, zumal ber gebildeten berfelben, der Arabifchen
Sprache fo viel Namen, weil jeder die Sache urſprünglich in eig-
ner Anficht ſchilderte und diefe Bäche nachher zufammen kamen.
Auch im Ebrätfchen iſt diefer Ueberfluß an finnlichen Bezeichnungen
jehr merkbar und dod wie wenig haben mir von ihr übrig! Mehr
ala 250 botanifhe Namen in einem jo Heinen Bud als unſre
Reſte der Ebrätfchen Schriften find; Schriften fo einfürmigen
Gegenftandes, meiſtens Gefchichte oder Poefie des Tempels; denken
Sie, wie rei die Sprache wäre, wenn wir fie in Pocfien über
das gemeine Leben und alle Scenen beßelben, ja wenn wir nur
9
10
— 29 —
das noch hätten, mas in dem übriggebliebenen genannt wird. Viel⸗
leiht gings hier, wie faft bei allen alten Völkern; aus der Sünb-
fluth der Zeiten ift nur foviel, als Noah im Kaften retten fonnte,
gerettet worden.
A. Mih dünkt, wir haben gnug, da in dieſen wenigen
Büchern ſelbſt Eincerlei mehrmal vorfommt. Aber wir kommen
von unfrer Nede. Ich glaube es wohl, daß die Sprache von ber
wir reden in Händen andrer Völker reich werden fonnte: wic bt -
ih die Arabiſche vorgebilvdet! und auch die Phönicier mögen
Woaaren- und Zahlausprüde gnug gehabt haben; dies arme Hirten -
und Bettlervolf aber? Wohin fonnte das die Sprache bilven ?
E. „Wohin fie ihr Getft rief und ihr Bebürfniß wandte. Es
wäre ungerecht, von ihnen ein phöniciiches Waarenverzeichniß oder
Arabiihe Spekulation zu fodern, da fie weder hanbelten noch ſpe⸗
fulirten; indeß in der Sprache muß dieſer Reichtum da geweſen
11 ſeyn, denn phöniciſch, arabiſch, chaldäiſch, hebräiſch ift im Grunde
nur Eine Sprade. Das Hebräifche hat große Zahlwörter, Die es
uns kurz auszudrüden fchwer wird: es bat eine Menge Namen zu
Bezeichnung der Naturprodukte, ja ſelbſt der Arten des Schmuds
und der Ueppigfeit mit denen fie zeitig gnug befannt wurden.
Den Phöniciern, Iſmaeliten, Wegyptern, Babyloniern kurz den
gebildetiten Völkern der alten Welt nahe und gleihjam im Mit-
telpuntt der damaligen Kultur ward die Sprache geredet, fie nahm
alſo von allen Umliegenheiten gnug an. Hätte fie fortgelebt; es
hätte alles an fie gereihet werben können, was an die Arabijche
gereihet it, die fih mit Recht rühmen kann, eine der reichften
und gebilbetften Sprachen der Welt zu jeyn.
A. Die Nabbinen haben ja an fie gereibet.
E. Nicht eben Perlen, auch leider nit nad dem Genius
ihrer uralten Bildung. Das arme Voll war in die Welt zer-
ftreuet: Die meiften bildeten alfo ihren Ausdrud nach dem Genius
der Sprachen unter denen fie lebten und es warb ein trauriges
Gemifh, an das wir bier nicht denken mögen. Wir reden vom
Ebräiſchen, da es die lebendige Sprache Kanaans war und aud
— 20 —
bier nur von ihren ſchönſten reineften Zeiten, ehe fie mit der
Chaldäiſchen, Griechiſchen u. a. vermifcht ward. Da laſſen Sie fie
doch wenigitens als ein armes, aber ſchönes und reincd Landmäd⸗
den, als eine Land- und Hirtenſprache gelten: Den Bug, den fie
von ihren Nachbarinnen annahm, hätte ich ihr gern verziehen.
A. So mag fie gelten! Die einzelnen Züge ihrer Einfalt
infonderheit bei Naturfcenen habe ih ala Kind mit Freude gefühlt.
Aber, m. Fr., mid dünkt, Diefer Züge ift doch fo wenig: es
fommt alles fo eintönig wieder: nichts bat Umriß: ſchildern end-
lich, fein ausmahlen können ihre Dichter gar nidt —
E. Mid dünkt, fie fehildern, wie wenige unjrer Dichter,
nit fein und überfein, aber ftarf, ganz, lebendig, Bon ihren
Verbis haben wir geredet: fie find ganz Handlung und Bewegung:
die Wurzeln derjelben find Bild und Empfindung Die Nomina,
noch halb Verba, find oft handelnde Weſen und erfcheinen in einer
ewigen Perfonendihtung. Ihre Pronomina ftehen hoch hervor,
wie in jeder Sprache der Leidenſchaften. Den Mangel der Adick-
tiven erjegen fie ſich durch Zuſammenſetzung andrer Wörter, daß
abermals die Beichaffenheit jelbjt Sache, gleichſam ein eignes ban-
delndes Mefen wird; mich dünkt, durch alle das wird die Sprade
jo poetiih, als irgend Eine auf der Exbe.
A. Es wird am beften ſeyn, wir reden durch einzelne Bei-
ipiele: fangen Ste von den Wurzeln, den Verbis an.
E. Die Wurzeln ihrer Verben, fagte ich, find Bild und Empfin-
dung und ich weiß feine Sprade, wo dic einfache und leichte Ver-
fnüpfung beider fo finnlih und merkbar wäre. Freilich beſcheide ich
mich: nicht finnlih und merkbar für ein Ohr, das nur an Töne Nor:
diſcher Sprachen gewöhnt ift, aber Ihnen, m. Fr., die Sie die
Namenbildung der Griehen Tennen, Ihnen wird es kaum ſchwer
werden, einige Schritte weiter zu gehen und die freilich ftärfere,
aber deßhalb nicht gröbere Wortichöpfung des Orients mitzufühlen.
Ich wiederhole e8 nochmals, bei ihren prägnantiten Worten ift
Bild und Empfindung: die Sprade ift mit voller Bruft, mit noch
unausgebrauditen ftarfen Organen, aber unter einem reinen und
12
— 2331 —
leichten Himmel, mit fcharfem Blid, immer gleihlam die Sache
jelbft erfaßend und faft nie ohne Spur der Leidenſchaft gebildet
worden.
A. Bild und Empfindung? Stille und Leidenihaft? ſtarke
und doc leichte Töne? Sie verbinden feltfam.
E. Wir wollen alfo teilen. Alle Nordifhen Sprachen ahmen
den Schall der Natur nad; aber rauh, gleihfam nur von außen.
Sie fnarren, rauſchen, ziſchen, krachen mie die Gegenftänbe felbft;
weile Dichter benugen dies mit großer Sparjamleit; jchlechte über-
14 treibend. Der Grund hievon liegt offenbar im Clima und im
Organ, wo und von wem die Sprache urjprünglich gebildet wor-
den? Je ſüdlicher, deſto feiner wird die Naturnahahmung.
Homers flingendfte Verſe Inarren und zifchen nicht: fie tönen. Die
Worte find ſchon durch ein feineres Medium, die Empfindung,
gegangen und gleihjam in der Region des Herzens gebildet. Sie
geben alfo nicht grobe Bilder des Schalles, jondern Bilder, auf
die das Gefühl fein fanfteres Siegel drüdte, die e8 im Innern
modificirte. Von dieſer Verbindung des Gefühle von innen und
de8 Bildes von auffen im Ton, in der Wurzel der Verben, jagte
ih, find die morgenländifchen Sprachen ein Mufter.
A. Um des Himmels willen, die barbarifchen rauhen Kehlen-
und Gurgeltöne! Und Sie wagen fie mit dem Griechifchen Silber:
laut zu vergleichen ? |
E. Ich vergleiche nicht: jede Sprache leidet bei folder Ber:
gleihung. Nichts iſt nationellee und individueller als das
Vergnügen des Ohrs, fo wie die charakteriftiihen Biegungen der
Sprachorgane. Wir z. E. feten eine Feinheit darinn, nur vorn
zroifchen Zung' und Lippe zu reden, und den Mund als ob mir
im Raub und Nebel lebten, wenig zu öfnen: Clima, Sitten
und Gewohnheit fodern es, die Sprache jelbit iſt dazu allmälich
gebildet. Der Staliäner, noch mehr der Grieche, denkt nicht jo:
15 die Sprahe Jenes ift vol runder Bolalen, Dieſes voll Di-
phthongen, beide fpreden ore rotundo und beißen die Lippen
nit an einander. Der Orient holt die Töne tiefer aus der
Bruft, aus dem Herzen bervor: er ſpricht gleihjam, wie Elihu
anbebt:
Der Rede bin ih voll!
mich ängftiget der Othem meiner Bruft!
Er gährt in mir, wie der zugeftopfte Moft,
wie der neue Schlauch zerreißt.
Reden will id und Luft mir machen,
meine Lippen will ih öfnen und antworten:
Wenn diefe Lippen ſich öfneten, ward es gewiß lebendiger Saut,
Bid der Sache im Athen der Empfindung; und das iſt, dünkt
mich, der Geift der Ebräiſchen Sprade. Sie tft voll Athems der
‚Seele: fie tönt nicht wie die Griechiſche, aber fie haucht, fie lebet.
Das ift fie und, die wir ihre Ausfpradhe zum Theil nicht kennen
und ihre tiefiten Kehlbuchftaben ala unausfprehlich daftehn laſſen;
in den ältern wildern Zeiten melde Fülle der Scele, welcher
Hauch des lebendigen Worts muß fie begeiftert haben! Es war,
wie fies nennen
— Geiſt Gottes, der in ihnen fprad,
Des Allmächtgen Othem, der fie belebete.
A. Abermals fehlt nicht viel zur Apotheoje; doch es mag fo
ſeyn ınit dem Laut der Empfindung im Anfchaun und Gefühl der 16
Sade jelbft gebildet. Aber wie ſtehts nun mit der Ableitung aus
diejen Wurzelmörtern? Sind fie nit ein verwachſnes Dornge-
büſch, wie auf einer Inſel, die noch fein menſchlicher Yußtritt
berührte ?
E. In ſchlechten Wörterbüchern freilich und mande der gelehr-
teften holländischen Philologen baben uns auch den Weg, mit Beil
und Art in der Hand, ziemlich erſchweret; es wird aber eine Zeit
fommen, da das verwadhine Gebüfh ein angenehmer Palmenhain
jeyn wird.
A. Das Gleihniß iſt morgenländiſch.
E. Die Sache auch. Die Wurzel des Mutterworts wird in
der Mitte daſtehn und um ſie her der Hain ihrer Kinder. Man
wird in den Wörterbüchern durch Geſchmack, Fleiß, geſunden Ver⸗
ſtand und die Zuſammenhaltung mehrerer Dialekte dahin kommen,
—— — —— — — .— - —
— 233 —
das Weſentliche und Zufällige in der Bedeutung zu unterſcheiden,
die ſanften Uebergänge zu finden und auch in Ableitung der Wör⸗
ter, in Anwendung der Metaphern eine wahre Erfindungskunſt des
menſchlichen Geiſtes, die Logik der Bilderſprache früherer Zeiten
inne werden. Ich freue mich auf die Zeit, und auf das erſte
Wörterbuch, das dies in vorzüglichem Grade thun wird; jetzt ſtudire
ich die beſten die wir haben, Caſtelli, Simonis, Cocceji und
17 auch ihre reichen Beihelfer, Schultens, Schröder, Storr,
Scheid und wer ſonſt einzeln oder mit andern dazu beiträgt.
A. Es wird alſo wohl noch, Zeit bedörfen, ehe man in Ihrem
Palmenhain eines Morgenländiſchen Wörterbuchs luſtwandle. Wol⸗
len Sie indeß nicht eine Probe der Ableitung geben?
E. Die finden Sie, auch wie die Wörterbücher jetzt find,
überall. Schlagen Sie die erfte Wurzel nah, und fehen, wie fich
das Wurzelmort „er ift hingegangen“ fanft ableitet. Eine Reihe
Ausdrüde des Verlufts, des Verſchwindens, des Todes, des eitlen
Raths, leerer Mühe und Arbeit gehet in fanften Uebergängen
daher: und wenn fie ſich in die Zeit des Wanderns, bes Weg⸗
ziehens, in alle Situationen des Hirtenlcbens verfegen: fo tönet
aud) noch in der entfernteften Bedeutung etwas vom Urflange bes
Wort, dem Bilde der eriten Empfindung. Das macht denn die
Sprade jo finnlih, den Ausdrud der Poeſie jo gegenwärtig und
rührend! Solder Wurzeln tft diefe Sprache voll und unſre Com-
mentatoren, die eher zu hart, als zu leiſe treten, zeigen fie gnug-
fam. Sie fönnen nit umhin, fie müßen wo möglich alle Wurzeln
und Adern jenes Baums entblößen, felbit wo man nur jeine Blüthe
und Früchte fehen wollte.
18 A. Das find alfo die Schwarzen Ihrer Polmenplentege
E. Sehr nothwendige und nützliche Leutel Wir wollen fie
linde Balten, denn aud wenn fie zuviel thun, thun fies in guter
Abfiht. Haben Sie nod etwas gegen bie Ebräifchen Verba ?
A. Ziemlih viel. Was ifts für eine Handlung, die gar
feine Zeiten unterſcheidet? Denn im Grunde find doch beibe
tempora der Ebräer Aoriſten, d. i. unbeftimmte Zeiten, die zwiſchen
— 234 —
der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ſchweben; alſo haben
ſie ſo gut als nur Ein tempus.
E. Braucht die Poeſie mehrere? Ihr iſt alles Gegenwart,
Darſtellung einer Handlung, ſie möge vorbei oder zukünftig ſeyn
oder fortdauern. Für die Geſchichte kann der Mangel, den Sie
bemerken, ziemlich weſentlich werden; auch haben die Sprachen,
die feine Zeitbeſtimmungen lieben, dieſe am meiſten im Styl der
Geſchichte ausgebildet. Ber den Ebräern iſt die Geſchichte ſelbſt
eigentlich Poeſie, d. i. Tradition einer Erzählung die auch als
gegenwärtig gemahlt wird: alſo Hilft dieſe Unbeſtimmtheit oder
Verſchwebung der Zeiten ausdrücklich der Evidenz, der hellen und
klaren Gegenwart deßen, was beſchrieben, erzählt oder verkündigt
wird. Iſt dies nicht im hohen Grad poetiſch? Haben Sie nie,
m. Fr., im Styl der Dichter oder Propheten gefühlt, wie ſchön die
Zeiten wechſeln? wie, was Ein Hemiſtichium in der vergangnen
Zeit ſagt, das andre in Futuro ausſpricht? Es iſt, als ob das
letzte die Gegenwart der Sache daurend und ewig machte, indeß
das erſte der Rede eine Gewißheit voriger Zeiten giebt als ob alles
ſchon vollendet wäre. Das Eine tempus vermehrt das Wort vor⸗
das andre rückwärts; alſo wird eine Art ſchöner Abwechſlung auch
dem Ohr bereitet und die Gegenwart der Darſtellung auch ihm
ſinnlich. Setzen Sie hinzu, daß die Ebräer wie die Kinder alles
auf einmal ſagen wollen, daß ſie in Einem Schall Perſon, Zahl,
Zeit, Handlung und noch mehr ausdrucken: wie ungeheuer viel
trägt dies zur plötzlichen Darſtellung Eines ganzen Bildes bei! Sie
ſagen mit Einem Wort, was wir oft mit fünf oder mehr Worten
jagen müßen. Bei uns hinken dieſe in kleinen oft unaccentuirten
Sylben vor oder nach; bei ihnen ſchlieſſt ſich alles als Anklang
oder als ſonore Endung dem Hauptbegrif an. Er ſteht in der
Mitte, wie ein König; ſeine Diener und Knechte, dicht an ihm, ja
mit ihm Eins, ſteigen wie eine kleine metriſche Region vollſtimmig
auf einmal hervor — dünkt Ihnen das nichts zur poetiſchen
Sprache? Tönende Verba, die ſo viele Begriffe auf einmal geben,
ſind die ſchönſte Gewalt des Rhythmus und der Bilder. Wenn
—2
9
— 235 —
20 ich die Worte „wie er mir gegeben hat“ in Einem ſchönen Laut
hervortreten laſſen kann, iſts nicht poetiſcher und ſchöner, als wenn
ich ſie ſo einzeln und zerſtückt herzähle?
A. Fürs Auge habe ich dieſe Sprache bisweilen als eine
Sammlung von Buchſtabengemälden angeſehen, die gleichſam ent⸗
ziffert werden müſſen, halb wie eine Sineſiſche Schrift. Ich be⸗
klagte oft, daß Kinder oder Jünglinge, die ſie lernen ſollen, nicht
frühe zu dieſer Entzifferung, einer Analyſe mit den Augen, ge⸗
wöhnt werden, die ihnen beßer thun würde, als manche ſchwer⸗
fällige Regeln. Ich habe Exempel geleſen, daß junge Leute,
inſonderheit von ſinnlicher Anſchauungskraft, in kurzer Zeit ſehr
weit gekommen ſeyn auf dieſem Wege; uns beiden iſt dies Glück
nicht geworden —
E. Es wird uns allmählih, wenn wir Auge und Ohr zu-
fammen noch dazu gewöhnen. Sie werden ſodenn merken, mie
wohlllingend Vocalen und Conjonanten vertbeilt, wie anpafjend
mande Partileln und vorklingende Schälle zu ihrer Bedeutung
jelbjt find. Inſonderheit werden auch mit diefen wenigen viel-
tönigen Wörtern die metriſchen Regionen zu einander beftimmt:
beide Hemiftichten fommen in eine Art Symmetrie, wo Wort dem
Wort, Begrif dem Begrif gegenüber ftchet; in einer Abwechſlung,
21 die zugleih Parallele ift und einen zwar freien, aber ſehr ein-
fahen und wohlllingenden Rhythmus giebt.
A Da kommen Sie zu dem gepriejnen Parallelismus, mo
ih fchwerlic Ihrer Meinung ſeyn werde. Wer etwas zu jagen bat,
ſage e8 auf einmal oder führe das Bild regelmäßig fort; mwieberhole
fih aber nit ewig. Wer jede Sache zweimal jagen muß, zeigt
damit nur, daß er fie zum erftenmal Halb und unvollkommen ſagte.
E. Haben Sie noch nie einen Tanz gejehen? und nichts vom
Chorgefange der Griehen, der. Strophe und Antiftrophe, gehört ?
Wie, wenn die Poefie der Ebräer ein folder Tanz, ein kurzer
und einfacher Chorgefang märe ?
A. Thun Sie die Siftern, die Paufen und Cymbeln Hinzu,
jo wird der Tanz der Wilden volljtändig.
0
— 236 —
E. Und wenn ers würde? Der Name muß uns nie ab-
Ihreden, wenn die Sache felbft gut if. Antworten Sie. Beruht
nit aller Rhythmus, Tanz und Wohlllang, ja ich möchte ſagen
alle Anmuth jo wohl in Geftalten als Tönen auf Symmetrie?
und zwar auf einer leicht zu fafienden Symmetrie, auf Simplicität
im Ebenmaaſſe?
A. Ich will das nicht leugnen.
E. Und ift nicht der Ebräiſche Parallelismus das fimpelfte
Ebenmaas in Gliedern der Gedichte, Bildern und Tönen? Die 22
Sylben wurden noch nicht genau ffandirt und gemefien, auch nicht
einmal überall gezählt; aber Symmetrie in ihnen ift dem blödeften
Ohr vernehmbar.
A. Muß fies aber auf Koften des Verftandes ſeyn?
E. Wir wollen noh beim Bergnügen des Ohrs bleiben.
Alle Sylbenmaafle der Griechen, die künſtlichſten und feinften die
je eine Sprache Hervorbradte, beruhen auf Ebenmaas und Har⸗
monie. Der Herameter, in dem bie älteften Gedichte gejungen
wurden, ift den Tönen nach cin fortgehenvder, nur immer ab-
wechielnder Parallelismus. Diefen noch genauer zu machen jeßte
man infonderheit bei der Elegie den Pentameter Binzu, der in
feinen zwei Hemiftichien offenbar wieder Parallelismus ift: “Die
Ihönften und natürlichiten Odengattungen finds durch den ‘Baralle-
lismus, fo daß man beinah jagen kann: je mehr in einer Strophe
nebft einer wohlklingenden Abwechſlung leichter Parallelismus hör⸗
bar wird, deſto angenehmer iſt die Strophe. Ich darf Ihnen nur
den Sapphiſchen und Alcäiſchen Versbau oder den Choriamb zum
Beiſpiel anführen. Alle dieſe Sylbenmaaße find künſtliche Rün⸗
dungen, ſchöngeflochtne Kränze von Worten und Tönen; in Orient
ſind die beiden Perlenſchnuren noch nicht zu Einem Kranze gewun⸗
den, fie hangen einander einfach gegenüber. Bon einem Chor
Hirten erwartet man feine Dädaliihe oder Theſeiſche Labyrinth: 23
tänze: fie antworten oder jauchzen einander zu: fie tanzen einander
entgegen. Mich dünkt, auch diefe Einfalt hat ihre Schönheit.
A. Für den Sinn des Parallelismus, welche Schönheit ?
24
— 271 —
E. Die beiden Gliever beftärfen, erheben, befräftigen ein-
ander in ihrer Lehre oder Freude. Bei Jubelgeſängen iſts offen»
bar: bei Klagetönen will es die Natur des Seufzers und ber
Klage. Das Othemholen ftärkt gleihjfam und tröftet die Seele:
der andre Theil des Chors nimmt an unferm Schmerz Theil und
ift das Echo, oder wie die Ebräer jagen, die Tochter der Stimme
unſres Schmerzes. Bei Lehroden bekräftigt Ein Spruch den andern:
es ift als ob der Vater zu feinem Sohne ſpräche und die Mutter
ed wiederholte. Die Rede wird dadurch fo wahr, herzlich und
vertraulihd. Bei Amöbäiſchen Gefängen der Liebe giebts die Sache
jelbft: die Liebe will füßes Geſchwätz: Wechſel der Herzen und ber
Gedanken. Kurz, es ift jo ein einfältiges fchmwefterlihes Band
zwifchen biefen beiden Gliedern der Empfindung, baß ich auch auf
fie die fanfte Ebräifche ODde anwenden möchte:
Wie Tieblich iftS und angenehm,
daß Brüder mit einander wohnen!
Wie fanftes Del aufs Haupt hinab,
wie e8 hinab die Wange fließt,
hinunter fließt die Wange Aarons —
und rinnt zu feines Kleives Saum,
wie Hermons Thau bernieber rinnt
bie Berge Iſraels zu fegnen,
zu fegnen ewiglid —
A. Großer PVertheidiger des Parallelismus! aber, "wenn fid
auch das Ohr daran gemöhnte, wie der Verſtand? Er wird immer
zurüdgebalten und fommt nicht weiter.
E. Für den Verſtand allein dichtet die Poefte nicht, ſondern
zuerft und zunächſt für die Empfindung. Und ob diefe den
Parallelismus nicht liebt? Sobald fi das Herz ergießt, ſtrömt
Welle auf Welle, das ift Parallelismus. Es hat nie auögeredt,
bat immer etwas neues zu fagen. Sobald die erfte Melle janft
verfließt oder fi) prächtig bricht anı Feljen, kommt die zweite Welle
wieder. Der Pulsichlag der Natur, dies Othemholen der Empfin-
dung ift in allen Reden bes Affelts und Sie wolltens in der Poefie
nicht, die doch eigentlich Rede des Affekts ſeyn foll?
— 238 —
A. Und wenn fie Rede des Berftandes ſeyn wollte und feyn
müßte ?
E. So wendet fie das Bild und zeigts von der Gegenfeite.
Sie wendet den Sprud und erklärt ihn oder drudt ihn ins Herz:
abermals PBarallelisınus. Welchen Vers halten Sie im Deutjchen 25
zum Lehrgedicht für den beiten?
A. Ohnſtreitig den Alerandriner.
€. Und er ift ganz Parallelismus; ja forfchen Sie genau,
warum er zu Einprägung der Lehre fo Fräftig jet, Sie werden
finden er iſts gerade des Paralleliamus wegen. Alle jimplen Ge-
fänge und Kirchenlieder find feiner voll, und der Reim, das grofje
Vergnügen norbifcher Ohren, ift ja ein fortgehender Parallelismus.
U. Den Reim haben uns die Morgenländer zugebradt und
den einförmigen Gang der Kirchenlieder nicht minder.. Jenen haben
die Saracenen, dieſen die Dorologien eingeführt: ſonſt würden
und Tönnten wir beider entbehren.
E. Glauben. Sie das? Lange vor den Saracenen find Reime
in Europa geweſen, Affonanzen vor oder hinter den Wörtern,
nachdem ſich das Ohr eines Volkes gemöhnt hatte und feine Sprache
es ertrug. Auch die Griechen haben jo fimple Hymnen und Chor-
gefänge, als unfre Kirchenlieder eben feyn Fönnten. Nur freilid
hat der Ebräifche Parallelismus vor unfern Nordifhen Spraden
das voraus, daß er mit feinen wenigen Worten die Region ſchön
ordnet und zulegt prädtig in der Luft verhallen läßet; für uns
alſo ift er beinah unüberfegbar. Wir brauchen oft zehn Worte 26
wo jene drei brauchen, die Kleinen Worte fchleppen oder vermirren
fid und das Ende vom Liede ift Härte oder Ermattung. Man
muß ihn aljo nit ſowohl nachahmen, als ftubieren. In unſrer
Sprache müßen wir die Bilder mehr fortleiten und ihren Wort-
bau ründen. Denn wir find an den Numerus der Griechen
und Römer gemwöhne. Bei Meberfegungen aus Drient aber
laße man ihn: mit ihm verlöre! fih ein groffer Theil der
1) Mfe.: verliert
— 239 —
urjprüngliden Einfalt, Würde und Hoheit der Sprade. Es
beißt auch hier:
Er fpridt, fo geſchiehts,
er gebeut, jo ſtehets da!
A. Die einjylbige Kürze dünkt mich aber doch auch erhaben.
E. Der einfylbige Lakonismus ift weder freundſchaftlich, noch
poetifh. Auch bei einem Monarchenbefehl wollen wir Wirkung
des Befehls ſehen und fo ift wieder Parallelismus da, Befehl und
Folge. a endlich der kurze Bau der Ebräiſchen Sprache macht
ja den Parallelismus felbft beinah immer zum Monarchen » Befehle.
Sie wuften nichts vom oratoriihen Numerus einer griechifchen
oder lateinischen Redperiode. Wenige Worte ftieß der Hauch ihres
Geiſtes hervor; dieſe bezogen fi) auf einander und weil die Sprache
27 fo einförmige Beugungen hat, wurden fie einander ähnlich, machten .
fih durch ihren Schall, jedes Wort durch jeine Stelle und das
Ganze durch die gleihe Empfindung jelbjt zum Rhythmus. Die
beiden Hemiftihien wurden Wort und That, Herz und Hand,
oder wie es die Ebräer nennen, Eingang und Ausgang und fo
ftand das leichte Tongebäube fertige. Haben Sie noch etwas gegen
den Parallelismus ?
A. Ih Habe fogar no etwas für ihn. Denn von Seite
des Verſtändnißes habe ich dem Himmel oft gedankt, daß cr da
war. Wo blieben wir mit unfrer Erklärung jo mander dunkeln
Wörter und Stellen, wenn eben Er ung nicht auf die Bahn
brädte? Er ift, wie die Stimme eined Freundes, der im wüſten
Walde von weiten ruft: „hieher! hier wohnen Menfchen! aber freilich
die alten Ohren find gegen dieſe Stimme taub. Sie gehn, die Echo
jelbjt ala Perfon aufzuſuchen und wollen im zweiten Gliede ber
Rebe immer einen neuen Wunderfinn finden.
E. Laßen Sie fie gehn und uns nur auf dem rechten Wege
halten. Was den wüften Wald anbetrift, den!’ ich, Sie übertreiben
bie Sade, da Sie wenn Sie ſich erinnern, Anfangs unfer® Ge-
ſprächs, die Ebräiſche Sprache eine tobte, Hieroglyphe ohne Voka⸗
len, ja naar ohne Schlüßel der Bedeutung nannten. Glauben
— 240 —
Sie wirklich, daß die Morgenländer ganz ohne Volalen geſchrieben
haben ?
A. Viele ſagens. 28
E. So fagen fie etmas miberjprechendes. Wer wird Buch⸗
ftaben fchreiben, ohne Hauch, der fie befeelet? da auf den legten
alles ankommt und er im Grunde auf eine allgemeine Art eber
zu bezeichnen ift, als die mancherlei Schälle der Organe. War
man über das Schwerere weg: jo ließ man gewiß das Leichtere
nit nad, an dem doch der ganze Zweck der Arbeit hing.
A. Wo find denn diefe Vokalen?
€. Leſen Sie hierüber eine Schrift,*) die biefen wie mehrere
Punkte des lg Alterthums in ein trefliches Licht fegt. Cs
ift die erfte Einleifing über diefe Sprade und Sctiften, wo ſich
Geihmad u lehrſamkeit in gleidem Grade vereinigt. inige,
wiewohl wenige Vokalen (denn die unfern find allerdings ein junges
Machwatk der Rabbinen) werden ſehr wahrſcheinlich; und die
matres lectionis find, dünkt mid, von ihnen noch Reſte. Freilich
auf grammatiihe Pünktlichkeit wars in ſo alten Zeiten nicht ange-
jeben: die Ausiprache war vielleicht jo undifciplinirt, wie Otfried
von der alten Deutfchen Sprache fagte. Wer hat noch ein Alphabet
für jeden Vokal dieſes Dialekts unſrer Rede erfunden? und mer
brauht3? Sie ftehen als allgemeine Merkzeihen da, und jeber 29
modificirt den Schall nad feinen Organen. Eine Reihe feiner
grammatiſchen Regeln über die Verändrung der Vokale, die Ab-
leitung der Conjugationen u. f. find, fürdte ih, Wind.
A. Und doch wird die Jugend damit gequälet. Ich habs
mir nie einbilden können, daß eine fo rohe Sprade mie die
Ebräiſche fo viel regelmäßige auch in der Bedeutung von einander
unterjchiedne Conjugationen haben follte, ala man den Jünglingen
bei jedem Wort zu finden einbläuet. Die vielen Anomalien und
Defectiven zeigend. Der groffe Troß folder Eintheilungen ift aus
andern Morgenländiichen Sprachen her, nad denen die Rabbinen
*) Eihhorns Einleitung ins A. T. Leipzig 1780. Th. I. ©. 126.
— 241 —
auch diefe zu modificiren beliebten. Ins Eleine Ebräiſche Zelt trug
man, was nur hinein Tonnte.
E. Auch bier muß man nicht übertreiben. Die künftliche
Form der Sprade gefaßt haben, ift gut und für uns jet nöthig,
ob es gleih unwahrſcheinlich ift, daß fie von den frübeften Zeiten
dagemejen und auch von jedem Ebräer jo gedacht worden fei. Wie
wenige ſelbſt unfrer Schriftfteller Baben die ganze Form ihrer
Sprache bis auf jede feine Biegung im Kopf, daß feine Abweichung
ftatt fünde? Und denn, wie verändert fi) der Bau der Spracde
30 mit den Zeiten! Es ift gut, daß wir endlid Männer befommen,
die auch über die Grammatif diefer Sprache denen.
A. Und mid dünkt, jeder müfte ſich feine philoſophiſche
Grammatif felbft maden. Er laße bismeilen die Volalen und
andere Lejezeihen weg, fo gehn die Conjugationen viel näher an
einander; er braudt nicht erſt dem Wort fiebenmal den Hals um-
zufehren, bis e8 in eine Form will.
E. Er fannn aber auch ein zweiter Masklef over Hutdin-
fon auf dieſem Wege werben. Am beften ift, daß man das Auge
fleißig durch Paradigınen, jo wie das Ohr durch lebendige Schälle
übe und beide an einander gemöhne So fommt man in den
Genius der Sprade und verkürzt fich den Weg der Regeln. Die
Spradhe wird und nicht mehr Schulmäßig und Rabbiniſch, jondern
Alt⸗Ebräiſch, d. i. eine Dichterſprache werden. Mit Gedichten in
ihr müßte der Knabe aufgeweckt, der Jüngling belohnt werden und
ih bin gewiß nicht nur Knaben fondern aud Alte würden ihre
Bibel wie einen Homer oder Oßian liebhaben, wenn fie wüſten,
was in ihr fteht.
A. Ich vieleiht auch, wenn Sie mit mir fortgingen,
wie jebt.
E. Wir wollen die Sache auf unjern Spaßiergängen, am
31 liebften in der Morgenſtunde treiben. Die Poeſie der Ebräer
gehört unter den freien Himmel und wo möglih, vord Auge der
Morgenrötbe.
4. Warum eben dahin?
Herdere fümmtl, Werte. XI. 16
— 242 —
E. Weil fie die Morgenröthe der Aufklärung der Welt ge-
weien, und wirklich noch jeßt eine Poefie! der Kindheit unfres
Geſchlechts it. Man fieht in ihr die früheften Anſchauungen, Die
fimpelften Borftellungsarten der menſchlichen Seele, ihre einfachfte
Bindung und Leitung. Wenn ein Menfch nichts von ihrem wun⸗
derbaren Inhalt glaubte, die Naturſprache in ihr müfte er glauben,
denn er würde fie fühlen; bie erften Anſchauungen ber Dinge
müften ihm lieb werden, denn er würde an ihnen lernen. Ihm
rüdte in ihr die frübefte Logik der Sinne, die einfachite Analytik
und Moral, kurz die ältefte Gejchichte des menjchlichen Geifte und
Herzens vor Augen; — wenn es Poefie der Kannibalen wäre,
hielten Sie fie zu diefem Zweck nicht Aufmerlens werth ?
A. Wir fehen uns aljo morgen.
E. Und voraus lefen Sie etwa dies Gebiht: was es für
Wunder und Wohlthat fei, daß und eine Sprade aus fo fernen
frühen Zeiten her töne.
Sprade und Sdrift.*)
Heil dir! unfihtbar Kind des Menſchenhauchs,
der Engel Schwefter, füße Sprache Du!
Ohn' deren treuen Dienft das volle Herz
Erläge unter der Empfindung Laft.
Kein Lied von Alters ber befuchte je
ein menfchlid Ohr: bie Vorwelt wäre flumm:
verhallt des Menfchen wie bes Thieres Tritt:
des Weifer Herz auch feiner Lieder Grab.
Allmächtiger, der Herz und Zunge band,
ber einem ſchwachen Hauch, bem leeren Schall
Gedanten, Herzensregung, Allmacht lieh,
zu tönen über ferne Zeiten bin,
*) Zum Theil nach einem Englifchen Gedicht, ber Introduction zu
den Works of the Caledonian Bards Vol. 1. Edinb. 1778.
1) „eine Boefie” aus dem Mſe. ergänzt.
— 1 —
der dem Gedanken Flügel gab und Kraft
auch ſeines Gleichen zu erſchaffen, Kraft
des Bruders Seele mit der Worte Licht
zu überſtrömen, zu erquicken ſie
mit ſüßer Tön' unſterblichem Geſang.
Verborgner Gott! in deiner kleinſten That
ſo tief verborgen! Meine Zunge harrt,
die Seele fortzuſtrömen, weiß nicht wie?
Mein Herz verlangt ſich auszugieſſen, ſich
zu Bilden in des Hörers Ohr; das Ohr
empfängt den Laut und fagts ber Seele an;
“und unerſchöpft bleibt meine® Herzens Duell.
Ja höher wallt er aufl Der Worte Licht
entflammet meinen Geift, der Töne Kraft
erhebt mein Herz; und o ein leerer Hauch
giebt flüchtigen Gedanken Ewigkeit!
Denn Du, o Schöpfer, gabft dem Menfchenfinn
bein zweite® Kunftgeheimniß, auch dem Schall
Geftalt zu geben, ihn zu feßeln neu
mit ſchwacher leifer Züge Engelsfchrift.
Sie leſend weißagt, fpricht der ftille Geift
mit frembem, fernem Geifte, weckt aus ſich
Gedanken, die ibm Zug und Bild nicht gab,
fliegt in entfernte Zonen, ahndet tief
ih in der Vorwelt Herz: die göttlichften
Geftalten fleigen vor ihm auf: er blickt
in aller Weifen Bufen, böret noch
bein hohes Lied Homer und Oßian.
Und ſeyd denn ihr werfcharret, heilige
Urväter unſrer Lieder, Sprach’ und Schrift?
Ihr frühen Weifen, denen Gott zuerft
den Mund befeelt’ und aufthat ihren Blick,
zu ſehn den Unfichtbaren überall,
ben Unnennbaren, Ziefverborgenen
zu nennen, ihn gu bilden feinem Bolt
nicht in Geftalten, in ber Töne Kraft.
Seyd ihr vergehen, denen Gott zuerfi
bie Hand gelentet, der Vergeßenheit
Reich zu zerfiören? zu vertrauen uns
16*
was fie erblidten, was Gott ihnen fprad.
Hat eure Harfe keinen Ton für uns?
und euer Morgenroth für uns lein Licht?
Sch ſeh, ich fehe fie. Sie fchlummern da
in ihren beilgen Gräbern. Wag’ ich es
den dunkeln Schleier anzurühren nur,
der auf den Tobten liegt? Ich tret’ Hinzu:
e8 glänzt ihr Angefiht: fie fchlummern fchön.
Und o ein hoher Harfenlobgefang
umringt mein Ohr! — Sie gehn baber vor mir
in glänzendſchöner Pracht und Majeftät.
Jeſaias, Hiob, Moſes und der Hirt,
lieblich gelrönt mit Pſalmen Ifraels.
Die Harfen in der Hand Tobfingen fie
wie Morgenftern’ um ihres Schöpfer Thron,
und Erd’ und Himmel ftaunen, fühlen neu
die Hand, die fie, auch fie, zu Liedern ſchuf.
Erzengel des Gefanges, ſchwebet ihr
binweg? binauf? und laßet, laßet mir
aus eurer Harfe feinen leiſen Laut,
aus eures Bufens Fülle feinen Ton,
fein Lüftchen von ber Gottesflamme Sturm?
Sol der Gejang der Allmacht Tange noch
in ftarren Bildern ſchlafen? fol der Kranz
vom Lebenshbaum der Schöpfung, Moder feyn,
verehrt und dumpfbenebelnd Aug’ und Geift?
Kommt, beilge Schatten, fommt und beiliget
mir Lipp’ und Sprade! Keine Spracde je
tann eures Liedes Gott unbeilig ſeyn,
den alle Zungen loben! Steht mir bei,
daß ih von eurem Fußtritt nur die Spur,
von euren Bildern, euren Tönen nur
den Schatten, nur den Nachhall gebe, treu
enträtbfelnb alter Züge Gottesfhrift
und eured Herzens bocheinfältgen Sinn.
Andeuten will ich, was mein Mund verſchweigt,
und eure Kraft verfenfen in mein Herz.
36 u.
" Inhalt des Gefpräde. ,
229.
Aufgang ber Worgenröthe. Bild ber Weltſchöpfung in ihr. Frühetter ud IST Ar
Anblid der Natur. Erſtes Gefühl des groffen Geifte® als eines mäch⸗ fuhr Tem
tigen Wefens. Ob dies Gefühl ſtlaviſche Furcht oder viehiſche Stu-
pibität gewefen? Wahrſcheinlicher Urfprung ber Ideen bes Schredlichen
in den alten Religionen. Probe reiner Begriffe von Gott bem Mäd-
tigen: von ihm dem Webermächtigen aud in Gedanken der Weisheit.
Bon den Elohim. Wahrſcheinlicher Urſprung des Begrifs berfelben.
Ob er zur Mbgätterei Anlaß gegeben? Wie nothwendig und nügfic der
Begrif von Einem Gott der menfchlihen Vernunft gewefen? Berbienft
der Poefie, die ihm beveftigt und ausgebreitet. Winfaches Mittel dazu,
der Parallelismus Himmels und ber Erde. Was die morgenlänbifche
Poefie aus der Verbindung beider Begriffe gewonnen? Wie fie Gott
ſchildere, in Ruhe und in That. Sein Wort. Frühere Begriffe von
den Engeln. Bilder von Gott al8 dem immer wirkſamen Haushalter
der Schöpfung. Beilage eines morgenländifcen Lobgefanges.
Die Morgenröthe war noch nicht angebrochen, als die beiden
Freunde fih am beftimmten Ort, einer angenehmen Höhe von
ſchöner Ausficht, zufammenfanden. Noch fahen fie alles Formlos
und in ben Schleier der Nacht gehüllt, vor fi liegen: da regte
37 ſich der Hauch der Nacht, und es erſchien die liebliche Morgenrötbe,
Sie ging hervor, wie der Blid Gottes auf eine zu erneuende
Erde: um fie ſchwebte die Herrlichleit des Herrn und meihte ben
Himmel zu feinem prächtigen ftillen Tempel, Je mehr fie ſich
erhob, je mehr hob und läuterte fi das golbne Blau: es ſonderte
fih von den Waßern, Nebel und Dünften, die zur Erde fielen,
bis es wie ein himmliſcher Ocean, wie ein Sapphier mit Golde
durchwebt, daſtand. Je mehr fie ſich erhob, deſto mehr Hob ſich
die Erde: es theilten fi auf ihr die dunkle Maſſen, bis auch fie
wie eine Braut dafland, geihmüdt mit Kräutern und Blumen,
und mwartend auf den Segen Jehovens. Die Seele des Menſchen
beitert fich wie der Morgenhimmel: fie hebt ſich aus dem Schlaf,
wie die jungfräulide Erde; feiner aber diefer angenehmen Augen-
blicke ift beiliger, al8 das Werden des Lichts, der Anbrud der
Dämmerung, wenn, mie die Ebräer jagen, die Hindin der Morgen
röthe mit den Schatten kämpft und mit zujammengebognem Haupt
und Knien den Augenblid erwartet, der fie von der Angſt erlöfe.
Es ift wie eine Geburt des Tages: janfter Schauer bebt durch alle
Weſen, als ob fie die Gegenwart Jehovahs fühlten. Die älteſten
Völker trennten das Licht der Morgenröthe vom Sonnenlidhte, und
bieltens für ein unerfchaffnes Wejen, für einen Glanz, der vom
Throne Jehovahs herſchimmre, aber zurüdgenommen werde, jobald
die irrdifche Sonne erwadt. Sie tft der Statthalter der Gottheit, 38
nachdem fi) Jehovah jelbft verborgen.
Eutyphron. Feiern Sie, Freund, diefen einzigen ſchönen
Anblick. Er ift die Morgenröthe des menſchlichen Wißens geweſen,
und mar vielleiht die Wiege der erften Poeſie und Religion
der Erde.
Alciphron. Sie find der Meinung bes Verfaßers der
ältejten Urkunde; denken Sie aber, was man ihm entgegen-
gejegt hat.
E. Zu unjerm Zweck nichts und wird ihm nichts entgegen-
ſetzen können, jolange Morgenröthe, Morgenröthe ſeyn wird. Haben
wir nicht eben jegt alle Scenen diejer groſſen Weltihöpfung geſehen
und gefeiert? Vom ſchwarzen regen Nachtgemählde bis zum präch⸗
tigen Emporftcigen der Sonne, mit der alle Wefen, in Luft und
Wafler, Meer und Erde zu erwachen ſcheinen. its Einwurf,
daß mit der Sonne nicht zugleich Mond und Sterne aufgehen?
und fehlte etwas, als daß man nod den zweiten Einwurf machte:
jeden Tag jei ja ein ganzer Morgen und bier fei er in ſechs Tage
und Tagwerke veriheilt: — Doch mas ftören wir uns die foftbare
Stunde? Nicht nur der erfte kurze Bericht von der Schöpfung,
— UT —
fondern aud alle Ebräiſche Loblieder auf Idiefelbe, ja die meilten
Namen der ſchönen Gegenftände, die wir jeßt vor und um uns
39 jehen, find wie im Anblid diefer Dinge felbft gebildet worden:
dies gab aljo die ältefte Naturpoefie der Schöpfung.
A. Wenn? und von wem gebildet ?
E. Das weiß id nit: in die Wiege des Menſchlichen Geiftes
mag und kann mein Verftand nicht bringen. Gnug, bie fo poetifce
Wurzeln der Sprade find da, die Lobgeſänge und glüdlicher Weile
auch der erfte Umriß des Gemählber ift da,*) nad oder mit dem
fi beide gebildet zu haben jcheinen. Wie? wenn wir bier bie
erften been von Anſchauung der Natur, von Bindung und Fort-
leitung ihrer jo manderlei Scenen auffudten, die in dieſer kind⸗
lichen ſchönen Naturpoefie liegen? Wir könnten unsre Morgenftunde
faum würdiger feiern.
. U. Sehr gen: und id) bin überzeugt, daß dem groffen Wefen,
das ung umgiebt und_erfüllet, nichtö angenehmer fei, als ein Lob⸗
gejang unſrer unterjuchenden Gedanken. Der Morgen des Tages
wird uns an die Morgenröthe der Welt erinnern und auch unirer
Seele Jugend und Morgenröthe geben. — Ueberhaupt habe ichs
bemerkt, daß die Poeſie jedes Volks fih nad dem Clima richtet,
in dem fie tft gebildet worden. Ein niedriger, Falter, neblichter
Himmel giebt au Bilder und Empfindungen der Art; mo er rein,
frei, weit ift, befommt auch die Seele Umkreis und Flügel.
40 E. Ich hätte dagegen mandes; laßen Sies indefien gut
jeygn. Wir wollen weder auf Sinat no Tabor, fondern, mo
möglich, auf den Berg der Berge, die erfte Höhe irrdiſcher
Schöpfung treten und wahrnehmen, wie fih da Morgen gebar,
wie_ba die erite Poeſie der Welt warb? Dünkt Ihnen aber der
Flug zu hoch, die Gegend zu fürdhterlih und einfam; nun jo laßen
wir und, wo wir wollen, nieder, und am liebften, dünkt mich, Bier.
Nacht iſt überall Naht, und Morgen Morgen; überall ift Himmel
und Erde und der Geift Gottes, der fie erfüllet, der den Menſchen
) 1 Mof. 1.
— 248 —
anhauchte und erhob, der ihm mit dem Anblick Himmels und der
Erde Naturpoeſie des Herzens und des Verſtandes eingoß.
A. Fangen Sie alſo vom erſten der menſchlichen Urbegriffe an.
E. Bon wem könnte ——— ala Dom Kamen Dh Der
in diefer alten Poefie alles belebt und bindet. Sie nannte ihn
den Gewaltigen, den Starken, deßen Uebermadt fie allenthalben
ſahen, deßen Gegenwart fie ungefehn mit Schauer der Ehrfurcht
fühlten, den fie alfo, wie das Wort eigentlich fagt, verehrten, bei
dem fie ſchwuren, den fie vorzüglid Er, den groffen Geiſt nannten,
den alle wilde und kindliche Nationen der Erde noch ſuchen, fühlen
ı und anbeten. D Freund, aud bei den wildeften Völkern, wie
erhaben wird Poefie und Empfindung dur das -allgegenmärtige 41
\Gefühl dieſes groffen, unfichtbaren Geiſtes. Haben Sie in einer
der neuern Reifen *) die Geſchichte jenes Amerikaners gelefen, der
den groffen Waßerfall zu fehen reifte? Bon fern fchon, da er das
erhabne Geräufch hörte, ſprach er mit dem groffen Geift: als er
näher Hinzu Tam, fiel er nieder und betete an. Nicht aus Inechti=
cher Furcht oder dummer Stupibität, fondern im Gefühl, daß in
einem fo wunderbaren, grofien Werk der groffe Geift ihm gleidh-
jam näher fei, dem er alfo auch das Befte, mas er an fich "hatte,
auf eine kindliche Weife mit furchtlofen Bitten verehrte. Sein
Gefühl ift die Gefhichte aller alten Völker, Sprahen, Hymnen,
Namen Gotted und Neligionsgebräude, wo aus Trümmern ber
Urmelt Ihnen eine Schaar von Dentmalen und Beweiſen befannt
ſeyn wird.
A. Sie find mirs; aber die Philofophen haben diefen Schauer
der Ehrfurcht ganz anders erfläret. Furcht und Unmißenheit,
jagen fie, haben Götter erfonnen: knechtiſches Entfegen, brutale
Stupibität Habe ihnen zuerft, als mächtigen, aber Schabenfrohen
Weſen, kurz als unfihtbaren Teufeln geopfert. In allen Sprachen
babe die Religion von Furt den Namen und im Ebrätfchen führen
fte eine Reihe der älteften Gottes-Namen zum Beweiſe an.
*) Carver's Reifen.
— 249 —
42 E. Die Hypothefe ift alt, wie das meifte, was in diefer Art
vorgebradht wird; ich fürchte aber, fie ift fo falfch als alt: denn
nichts wird _vom falten, zumal fchiefen Denker leichter mißverftanden,
als das ſchlichte Menſchengefühl. So viel ich Refte des Alterthums
fenne, fo viel Zeugen, dünkts mich, vor mir zu fehen, daß bies
Gefühl der Anbetung blos und zuerft nicht jHavifcher Knechtsdienſt,
nod weniger viehiſche Stupibität gemein. Dadurch, daß alle
Völker Götter verehren, unterfcheiden fie fih eben vom Thier und
faft überall in der Welt ift die Empfindung übermädtig geweſen:
unſer Dafeyn jet Wohlthat, nicht Strafe, das groffe Weſen fei
gut, und der Dienft, den man ihm zu bringen habe, dörfe fein
Entjegen feyn, das ihm wie dem Teufel opfre.
A. Sind Ihnen aber nicht fo viel fchredliche Gebräuche be-
fannt, und haben Sie die Bücher des Mannes*) nicht gelejen, der
alle Religion aus Vermwüftung der Welt, Sündfluth, fchredlichen
Ahndungen neuer Umftürze berleitet?
E. Laſſen Ste ihn ſchlafen. Er mar Auffeher über Brüden und
Deiche, und mußte alſo Amtöhalber eine Wapßerphilofophie haben. Seine
Bücher find fo ſchlecht, feine Gelehrſamkeit jo unficher, feine Ein-
43 bildungsfraft jo verworren, daß fie alle ziemlich den Waßern ber
Sündfluth gleichen. Wir wollen auf veiten Boden treten und jagen:
allerdings mifchte ſich die Religion vieler alten Völker mit Schreden
und Furt, zumal der Völker, die in rauhen Gegenden, unter
Felſen und brennenden Bergen, an einem wilden Meer, in Hölen
und Klüften wohnten, oder dad Andenken fürchterlicher Begeben-
beiten, groſſer Verwüftungen u. f. erhalten wollten. Das find
aber offenbar Ausnahmen; denn die ganze Erde ift feine ewige
Sündfluth, fein brennender Veſuv. Die Religion der Völker in
janften Erbdftrichen finden wir fanft, und auch bei den fchredlichften
Nationen ift das Dafeyn eines mächtigen guten Geiftes nie ganz
ausgetilget, ja beinahe noch immer berrichend geweſen. Endlich
ſcheinen alle dieſe Zufähe, das Werk des Schreckens, des Aber:
elZ,N pm
*) Boulanger.
— 250 —
glaubens und Pfaffendienfts, wirklich jpätern Zeiten anzugehören :
die Begriffe der älteften Religion find groß und ebel. Das menſch⸗
liche Geſchlecht fcheint mit einem fchönen Schag einfacher, reiner
Känntniße ausgeftattet zu feyn; nur die Abartungen, die Wande⸗
rungen, die Unglüdsfälle haben ihn mit falſchem Metall vermehrt
und vertaujchet, bis denn die Vernunft allmälich ihr Geihäft ange-
treten, den Scha zu muftern und zu jäubern. Laßen Sie indeßen
diefen Tumult von Völfern; wir reden ja nur von Einem Boll,
Einer Sprade —
A. Mm der doch auch die älteften Namen Gottes nicht von 44
Güte und Liebe, ſondern von Stärke und Verehrung fagen.
E. Das müßen fie jagen: das ift das erfte Gefühl der Men-
ihen von dieſem unbegreiflihen Urheber. Macht, unendliche Ueber-
macht Seiner ift, was ein ſchwaches Erdengeſchöpf zuerft von ihm
empfindet. Es fühlt fi fo tief unter ihm, da ja fein Othem in
Gottes Hand, da fein Dafeyn felbft nur eine Folge feines Wil⸗
len, feiner uns unbegreifliden Kraft if. Das alte Bud Hiob
ift bier der lautefte Beweis auf allen Blättern:
Wohl weiß ich, daß das alfo ift:*)
was iſt ein Menfch, entgegen Gott?
Im Herzen weife, ſtark von Kraft;
wer wiberftünde ihm; und bätte Ruh?
Der Berge weghebt und fie wißens nicht,
der fie umkehrt in feinem Grimm.
Er bebt die Erd’ aus ihren Gründen auf:
da zittern ihre Säulen.
Er ſpricht der Sonne und fie geht nicht auf:
bie Sterne fiegelt er in ihre Wohnungen:
und fpannt die Himmel aus allein,
und wanbelt auf des Meeres Höh.
Den Wagen und das Nordgeftirn,
die Siebenftern, bes tiefen Südes Kammern
bat Er gemadt. —
Macht große Dinge, unerforfhlich groß, 45
thut Wunderbinge, unauszählbar viel.
*) Hiob 9.
46
— 251 —
Schau! mir vorüber geht er; ich ſeh ihn nicht:
vorüber mir; ich werd' ihn nicht gewahr.
Er reißt hinweg, und wer mag wiederbringen?
wer zu ihm fagen: was madıft bu?
Glauben Sie nit, daß dies hohe Gefühl, Gefühl der Natur fei?
und daß je heller, je umfaßender ein Volk überall Kraft Gottes
fiehet,, auch der Ausdruck davon regfanter jeyn werde? Selbſt die
Weisheit dieſes Gottes, momit er alles, womit er das empfindende
Geſchöpf gebildet Hat, ift ihm nur Uebermacht, ein ungeheures
Meer von Beritandes - Kräften, in defien Abgrunde es verfinket.
Wißen Sie davon in der Ebräifchen Poefie feine Probe?
A. Sie meynen meinen Lieblingspfalm;*) er mag auch jetzt
mein Morgengebet feyn:
Jehovah du erforfcheft mich
und fenneft mid.
Ich fite oder ſtehe auf; fo weißt du «8,
fiehft meine Gedanten weit von fern.
Geh’ oder lieg' ih, Herr, bu bift um mich; **)
al meinen Wegen bift du tiefvertraut.
Ich hege nichts auf meiner Zunge;
fieh, Herr, du weißt es ganz.
Denn um und um baft du mich ja gebildet,
haft ringsum deine Hand auf mir gehabt:
Em Wunder ift dies dein Erkenntniß mir,
ift mir zu hoch; ich reiche nicht daran.
Wo foll ich hingehn, Herr, vor deinem Geiſt?
Wo fol ih hinfliehn, Herr, vor deinem Anblid?
Stieg’ ich gen Himmel; bu bift dal
macht’ ich mein Bett im Abgrund’; da bift bu!
ſchwäng' ih mid) auf der Morgenröthe Flügel,
und wohnt’ am letten Dieer;
Auch da muß deine Hand mich führen,
auch da mich deine Rechte leiten.
*) pſ. 139.
**) Gigentlih: du fichteft mich: das im Deutfchen ungewohnte Bild
ſchadet indeſſen auf dieſer Stelle ver Empfindung, bie durch ben ganzen
pPſalm berrfchet.
— 12 —
Und ſpräch' ich: Finſterniß ſoll um mich lauren,“)
die Nacht ſoll Licht mir ſeyn;
Auch Finſterniß verfinſtert mich nicht bir!
die Nacht iſt hell dir wie der Tag:
Licht und das Dunkel iſt dir gleich.
Denn du haſt inne mich im Innerſten:
in meiner Mutter Leib' umgabſt du mich.
Dich preis' ich, daß ich ward! ein hohes Wunder!
Wunder ſind deine Werke alle:
das fühlet meine Seele tief.
Nicht war dir mein Gebein verhüllt,
als in der Hülle ich gebildet warb:
als ich in tiefer Erbennacht
ein Kunſtgeweb', geftidt warb.
Umwickelt noch, ſah fon bein Auge mid,
auf deinem Buch war alles fchon gefchrieben,
die Tage meines Lebens ſchon bezeichnet.
Wie ſchwer find, Gott! mir deine Gebanten!
es übermältgen ihre Summen mid).
Sollt' ich fie überzählen;
mehr als der Sand am Meer wär’ ihre Zahl.
Aufwachend wie vom Traum, bin ich noch ganz bei bir.
E. Sie haben mit dem Ausbrud des Originals tapfer
gefämpft; wißen Sie aber, daß die herzliche Einfalt Luthers, felbft
wo fie minder treu tft, mir zum Gebet der Empfindung rührender
dünft? vielleicht weil fih mein Ohr frühe daran gewöhnt bat.
Nennen Sie. mir einen ſolchen Hymnus vol ber fhönften Natur-
theologie bei andern jo alten Nationen? Hier find die reinften
Begriffe von Gott, feine Allwißenheit und Vorwißenſchaft, feine
innige Känntniß der menjchlihen Seele, feine Allgegenmart, die
Uebermacht feiner Gedanken in Bildung unſrer, wie in aller Dinge
Bildung und Leitung mit Innigkeit gefchildert. Selbft der Gedanke,
mit dem manche der neuen Philojophen jo groß thun, daß Gott
feinem Dinge auf der Welt zu vergleihen, daß Nacht ihm hell
*) Wenn 970 bier biefe Bedeutung bat, fo mirb ber finnliche Ein-
drud der Finfterniß lebhaft gefchilvert. Der 11. u. 12. 2. foll dem Bau
ber Berfe nach offenbar Gegenſatz ſeyn.
— 263 —
48 wie der Tag ſei, iſt in vielen Stellen Hiobs und der Propheten,
ja endlich in dem bloſſen Wort Heilig! d. i. völlig unvergleichbar,
fo eigentlich dargeftellet, daß ich feinen reinern Deismus wüßte,
als der in dieſen Lobgeſängen des A. T. herrſchet.
A. Erinnern Sie fi aber auch, wie jung dieſe ſchöne Stel-
len find, und daß in dem älteften Lobgejange der Schöpfung *)
noch die Elohim herrſchen.
E. Ohne Zweifel fand Moſes ſie in dieſem alten Schöpfungs⸗
bilde; denn er, der große Verfolger der Vielgötterei und alles
deſſen, was zu ihr führet, würde ſie gewiß nicht hineingeſetzt haben.
A. Das glaube ih auch: und er ſetzte vielleicht zu ihnen das
Wort ſchuf im Singulari, um der Pielgötterei vorzubeugen; deß⸗
wegen bleibt doch der erite Begrif der Elohim polytheiftiih. Es
find die Elohim, nad deren Weisheit die Schlange die erften Men-
ſchen lüftern machte,“*) und die mwahrjcheinlih nad der Meinung
Eoa’3 eben von diefem Baum ihre Weisheit aßen. Sie willen,
wie der Drient alles mit unfihtbaren Weſen bevöllert, wie er
inſonderheit Ein Geſchlecht von feinen Geiftern bat, die von den
Düften der Bäume leben, Kriege mit böfen Riejengeiftern führen
und fih der Pflanzen, Bäume, Blumen, Berge, ja der Elemente,
49 Sterne u. f. annehmen. Der MBolytheismus diefer Art ift allen
ungebildeten Nationen eigen und fo fonnte die reiche Einbildungs-
fraft der Morgenländer unmöglid davon frei bleiben. Sie jahen
alles als lebend an und begabten aljo auch alles mit lebendigen
Weſen; das find die Elohim, Adonim, Schabim der Ebräer, bie
Jzeds der Parſen, die Lahen der Tibetaner, (ein Name, der mit
Elohim ſelbſt Aehnlichkeit zu haben fcheint) die Dämonen der Orphi⸗
hen Hymnen, kurz die älteften Geifter und Götter der ungebil-
beten Welt.
E. Gefecht, dab das Alles fo wäre! Finden Sie etwas
niedriges darinn, daß ein ſchwaches Geſchöpf von geftern, wie der
Menſch ift, das die Schönheit der Welt bewundert und den Urheber
1Moſ. 1. **) 1 Mof. 3.
derfelben nicht fichtbar antrift, das überall Macht und Weisheit,
eine fich wiedergebährende Schöpfungstraft fiehet und an einzelnen
Schönen Dingen hangt, daß es diefen Dingen aud einzelne unficht-
bare Schöpfer, Erhalter und Erneurer gebe? Dem finnlichen
Auge ift der Schauplag der Welt leer von Urſachen und doc fo
überfhwänglih voll von Wirkung; wie leicht alfo, daß man fi
einzelne Urheber dachte, wo Einer dies, der andre jenes ſchöne
Geſchöpf, einen Baum, eine Pflanze, ein Thier, gleihfam mit
Liebhaberei am Werke, mit einem tiefen Gefühl deſſen, was jedes
brauchte und in feiner Natur genieflen könnte, ausgebildet. Diele
Schöpfer festen ſich in jedes Theilchen ihres Gefhöpfs mit Theil- 50
nehmung und Liebe; und die gemeinere PVorftellung verwandelte
alfo bald die Pflanze in fie, ober fie in die Pflanze Man glaubte,
daß der Genius jedes Iebendigen Werks mit ihm untergehe und
fih in ihm verjünge — kurz, dieſe Elohim wären ſodenn Genien
der Schöpfung geweſen, denen die jpätere Mythologie eine Reihe
Mähren anichuf, wovon der ältere Glaube mwahrjcheinlich nicht
wuſte. Als die eigentlichen Engel auflamen, von denen wir bald
eben werben, kamen diefe Elobim und Naturgenien berunter:
jene fanden um Gottes Thron und waren Himmelsfürften; dieſe
nur Schußgeifter der Gejchöpfe, alſo jubalterne Geifter. Die ſpätere
Mythologie Orients Hat viele Fabeln über die Verhältnige und
den Streit beider gegen einander, wie gern die Genien der Natur
hinter den Vorhang des groffen Königs, in ben Rath der Engel
laufen, wie fie bewacht und beftraft worden u.f. Wenn die
Geneſis der Vorftelung von den Elohim völlig jo gemejen wäre,
ala ich fie jegt gefchildert, war fie nicht unſchuldig? und könnten
Sie etwas dagegen haben ?
A. Menihlih und poetifh nichts: vielmehr thut fie der Ein-
bildungstraft wohl. Dan ift gem in einer Welt, die ringsum
belebt ift, wo fich jede Blume, jeder Baum, jeder Stern mit uns
| freuet, feinen eignen Geift bat, und fein Leben fühle. Was
indefien der Einbildungskraft wohl thut, dürfte dem Verftande 51
nicht jo gar gefällig feyn.
+
— 1 —
E. Warum nicht? Zum Polytheismus ift dieſer Begrif auch
in den älteften Zeiten bei diefen Völkern nicht geworden. Aus
einem Pfalm Davids fehen wir, daß man fih die Elohim ale
Geiſter gedacht, an deren Bortreflichkeit beinahe der Menſch reiche,
und im eriten Schöpfungsbilde ift der Begrif der Einheit Gottes,
des Schöpfer8 unverfennbar. Dies, dünkt mich, Hat der Poeſie
diefer Morgenländer eine Erhabenheit und Wahrheit, eine Einfalt
und Weisheit gegeben, die glüdlicher Weile die Leiterin der Welt
ward. Es ift unfäglih, was für Schäbe der Erkenntniß und
Moralität des Menſchengeſchlechts am Begrif der Einheit Gottes
zu bangen beftimmt waren. Er wandte vom Aberglauben, mithin
auch von Abgötterei, Laſtern und Sceujalen privilegütrter gött-
licher Unordnung meg: er gemöhnte daran, überall Einheit des
Zwecks der Dinge, mithin allmälih Naturgefege der Weisheit,
Liebe und Güte zu bemerken, alfo aud in jedes Mannichfaltige
Einheit, in die Unordnung Ordnung, ins Dunkel Licht zu bringen.
Indem die Welt durch den Begrif Eines Schöpfers zu Einer Welt
(xoouos) ward, machte fih auch der Abglanz derſelben, das
Gemüth der Menſchen dazu, und lernte Weisheit, Ordnung und
Schönheit. Welche Lehre und Poeſie der Erde Biezu beigetragen
52 bat, Hat die nützlichſten Dinge bemirket; unfre Poeſie hats vor»
züglid. Sie ift der ältefte Damm gegen die Abgötterei gemefen,
den wir kennen: fie goß den erften fchönen Lichtftral der Einheit
und Drbnung ins Chaos der Weltihöpfung. Und mißen Sie,
wodurd fie dies alles bemwirfet?
A. Wodurch?
E. Durd ein fehr einfaches Ding, den Parallelismus Him-
mel3 und der Erde. Auf Eine Weife muften die Geſchöpfe abge-
trennt und geveihet werben; je leichter, wahrer, jchöner, und viel-
faßender die Abtheilung, defto mehr Tonnte fie ewige Form werben
und dieſe warbs. "
U. Wo?
E In diefer ganzen Poefie, die ich deßhalb beinah cine Poefie
Himmeld und der Erde nennen möchte. Das ältefte Schöpfungs-
bild ift ganz auf fie eingerichtet; die fogenannten Tagewerke find
darnach eingetheilt. Wenn der Himmel erhöhet ift, wird die Erde
aufgeführt und gezieret: wenn Luft und Waßer bevölkert find, wird
die Erde bevölkert. Der Parallelismus Himmels und der Erbe
geht nachher durch alle Lobgeſänge, die fih auf dies Bild von der
Schöpfung gründen, dur die Palmen, wo die ganze Natur auf-
geruffen wird, den Schöpfer zu preifen, durch die feierlichften
Anreden Mofes und der Propheten, kurz fie macht den größeiten 53
Ueberblid der Poeſie und Sprade.
A. Die Eintheilung dünkt mich aber ohne Verhältniß. Was
ift Die Erde gegen den Himmel und der Himmel gegen die Erde!
E. Der Zweck diefer Poeſie ift au, das Unermäßliche Des
Himmels gegen das Staublorn der Erde, Himmelshöhe gegen unſre
Niedrigkeit zu ſchildern. Hierauf weiſen die Wurzeln der Sprade,
alle ihre Befchreibungen und Bilder. Sind Ihnen davon feine
Beifpiele im Gedächtniß?
A. Beiſpiele über Beifpiele:
Der Himmel ift mein Thron:
Die Erde meiner Füße Schemel.
E. Ein fo großes Bild, daß ich hinzuſetzen möchte:
mein Saum ift die Unendlichkeit. —
Dber bei Hiob: *)
Willt du Eloahs Weisheit finden?
Willt du Schaddai Urkraft gründen?
Höhen der Himmel finds, was willt du thun ?
Ziefen ber Tiefe finde, was weißeft du?
Ihr Maas ift länger als die Erbe,
ift breiter al8 das Meer! —
Da jehen Sie den Begrif der Unendlichkeit einer finnlihen Welt.
Das, was wir Univerfum nennen, Tannten diefe älteften Völker
nit. Der Name Welt oder Aeon führte ihnen in fpätern Zeiten 54
den Begrif alles Verächtlihen, Kleinen, Verjchwindenden mit fi.
Die Himmel alterten und wechjelten wie ein Kleid: die Erde iſt
*) Siob 11.
en
en
— 237 —
ein Schaupla der Phantome, Ieerer Erfiheinungen und eine Grabes-
ftäte; aber der Gott Himmels und der Erde ifts, der vor den Bergen
war und mit den ewigen Himmeln bleibet. Er iſt, der beide ſchuf
und erneuet, vor dem die Himmel fliehn und die Erde ins Uner-
meßliche verjtäubet.
A. Ich fehe nicht, mas die Poefie mit diefem verhältnißlojen
Paralleliamus gemonnen habe?
E. Mid dünkt viel. Sie ward damit auf den Weg geführt,
das Unendlide und Endliche zu vergleihen, das Unermeßliche und
das Nicht3 zu paaren. Alles Schöne, Große, Erhabne ift bei den
Morgenländern himmliſch; das Niedrige, Schwache, Kleine bleibt
am Staube der Erde. Alle Kräfte fteigen vom Himmel; was unten
ift wird von obenher durch unfichtbare aber mächtige Bande regiert,
geleitet, geordnet. Oben glänzen bie ewigen Sterne, da fließt der
reine Himmel, da mwölbt fih das heilige Blau; bienieden tft alles
Wandelbarfeit, Erdenform , Staub und Verweſung. Je mehr die
menſchliche Seele beides verband und in Einen Blid zu bringen
lernte: defto mehr ward ihr Blick groß, richtig, weile. Sie lernte
das Niedre durch das Obere beftimmen, meßen und zählen: fie
befam einen Punkt über diefer Welt, die Welt felbft zu lenken
und zu regieren. Glauben Sie nit, daß eine bloße Erdenpoefie
ein jehr eines Infekt jeyn müßte, fo fein fie wäre? Alle erhabne
und erhebende Moefie ift himmliſch.
A. Mih dünkt, die Mutter Erde iſts, die allen Geftalten
Umriß, mithin auch Schönheit verleihet.
E. Die Morgenländer paaren alfo aud Himmel und Erbe.
Bon jenem holt ihre Poeſie Erhabenheit, Umfang, Licht, Kräfte,
fo wie unfre Seele fon den Eindrud des Erhabnen belommt,
wenn wir die Augen gen Himmel richten. Die Erde wird des
Himmels Braut, das Werkzeug und der Schauplaß feiner Wirkungen ;
nur nicht fein ewiger Schauplag. Auh im Bau des Menfcen
vereinen fih Himmel und Erbe; aus diefer ift fein Leib, von jenem
weht fein lebendiger Athem. Wie das Staublorn, auf dem wir
wandeln, vom Himmel umgeben tft: jo ſchwimmt unfre enge Sicht-
Herders fämmtl. Werte. XI. 17
— 288 —
barkeit im unermeßlichen Ewigen, voll Glanzes, voll Kräfte und
Reinheit. Mich dünkt, die Poeſie iſt groß, die uns im groſſen
Anblick deßen, was wir ſind und nicht ſind, des Hohen und Niedri⸗
gen, der Schwachheit und Stärke feſthält; ſie wäre trügeriſch und
täuſchend, wenn ſie uns nur Ein Glied dieſes Verhältnißes gäbe
und das andre verſtümmelte oder verſchwiege. Alles Erhabne will
etwas Unendliches und Unermeßliches, kurz Himmels-Höhe, ſo wie 56
alles Schöne und Wahre beſtimmte Schranken will, das iſt Erde.
A. Sie rechtfertigen ihren Parallelismus ſehr und ich bin
begierig, ihn für mich durch die Poeſien Hiobs, der Pſalmen und
der Propheten zu verfolgen: ob auch, wie Sie ſagen, ſo viel
Groſſes und Schönes daran geknüpft ſei? daß es des öftern Zu⸗
rufs lohne:
Vernehmt ihr Himmel, meinen Geſang!
Und Erde, höre die Worte meines Mundes!
Laßen Sie mich jet jehen, wie der Eine Gott Himmels und der
Erde auch in der Poefie beide zufammenfaße und binde ?
E. Er bindet fie, Theil in Ruhe, Theile in ‘Handlung.
In Ruhe, wenn er ald ein König des Morgenlandes im Himmel
thronet und mit Einem Wort Schöpfung gebietet. Auch hier ift aber-
mals der erite und erhabenfte Paralleliamus die Grundform der
Borftellungsart fünftiger Zeiten geworben:
Gott ſprach: fei Licht!
und es ward Licht. |
Auf vielfahe Weile wird dies erhabne Sprechen Gottes in der
Poefie der Ebräer die Form zu den fürzeften und ftärkiten Bildern,
in denen e3 immer beißt:
Er ſpricht, fo geſchiehts,
er gebeut, fo ſtehets da.
„se fremder und unerklärter die Sache war, die Gott gebietet und 57
die auf feinen Befehl wird, defto wunderbarer, deſto fchöner:
Er ſpricht dem Schnee: fei da auf Erben!
Dem Regenguß; der Regen ſtrömt mit Macht.
— 259 —
Ein Bjalm ,‚*) der oft nur zu geiſtlich gedeutet worden, mahlt dies
Bild aus:
Er endet aus fein Wort auf Erben;
fein Wort läuft fchnell.
Wie Wolle ſendet er den Schnee,
wie Afche ftreuet er den Reif.
Er wirft fein Eis wie Biffen:
vor feinem Froft, wer kam beftehn?
Ausfenbet er fein Wort aufs neu:
ba ſchmelzen fie:
jein Othem webt; die Waßer rinnen wieder.
Hier wird das Wort Gottes als Bote perfonificiret, und das thun
die Ebräer oft.
A. Sie thun mohl daran: denn wenn der Befehl und bie
Wirkung nur immer wiederholt wird: jo müfte die erhabne Poefie
in kurzem fehr eintönig und einförmig werben.
E. €3 fehlt ihr nicht an Perjonificationen: eben hiezu ift
der ganze Dienft der Engel in ihr regjan. Die ältefte Idee war
nidt, daß fie um den Thron Gottes ala müßige Geſchöpfe ftehn
58 und fingen; bie ganze Natur war vielmehr auf fein Wort Engel
und belebtes Wejen:
Die Winde fendet er als feine Boten:
fein Diener iſt der flammende Blik.
Das Bub Hiob ift voll diefer Perſonifikationen. Inſonderheit
gaben die Sterne einen der frühften und fchönften Begriffe von
den Boten Gottes, den Engeln. Ihre Erhabenheit und Schön-
beit; ihr untrübbarer Glanz und emwiger Gang erregte bald bie
Idee des Nubelganges, der Mufif, des Tanzes. Die Sterne
wurden Töchter Gottes, die frohloden und um feinen Thron jauch⸗
zen: ſie wurden bald da3 Heer feiner Streiter, eine glänzende
Schlachtordnung, bald auch das Sinnbild feiner Boten und Diener.
In Hiob werben wir herrliche Beifpiele davon fehen, auch wiederum
in Gegenfat feiner armen niedrigen Erden - Knete So ward
— -
*) Bf. 147.
17*
— HB —
der Gott aller Elohim d. i. der Genien und Regenten ver Schöpfung
noch in einem höhern Berftande der König der Engel und Him-
meläheere, Jehovah Zebaoth; obgleich dies ein ziemlich fpäter
Begrif mar.
A. Warum fpät?
E. Weil man fih in früheren Seiten Gott nicht ſowohl als
einen müßigen Himmels - König, fondern als einen überall wirf-
famen Hausvater und Haushalter Dachte, der, fo wie im erften 59
Schöpfungsbilde ihm nichts zu ſchaffen zu Hein gemefen war, aud
täglich alles neu fhafft und ordnet. Täglich fpannet er den Him-
mel allein aus, wie er ihn zum erftenmal fpannte und geht deß⸗
halb auf den Wogen des Meers an die äußerfte Grenze des Hori-
zonts, wo er fein Zelt aufrichtet. Täglich ruft er die Morgenrötbe,
wie er fie zum erftenmal bervor rief und theilt den Regen aus,
und öfnet die Schäge feiner Haushaltung. Er knüpft die Wollen
wie Schläude, und zieht Kanäle im Himmel und giebt den Bliken
Befehle, leidet die Blumen und nährt die Pflanzen, erzeugt den
Thau, und forgt für Alles unter dem Himmel. Hiob und die
Palmen find voll von Bildern, wo dem immer thätigen Haus-
vater fein Geſchäft, feine Kreatur zu Hein if. Was dies ber
Ebräiſchen Poeſie für eine Herzlichleit, für ein wachendes, immer
neugeftärktes Zutrauen auf Gott gebe, läßt fich beßer empfinden
als jagen. Und nicht der Ebräiſchen Poefie allein; alle Poefie
Morgenlandes ift von Lobpreifungen Gottes voll, die fchwerlich
zu übertreffen ſeyn möchten, fo wie finbliches Vertrauen auf ihn
und Ergebung in feinen Willen der Grund ihrer Religion ift.
A. ts ein guter Grund? Werden die Menfchen nicht träge
und unwirkſam, wenn Gott überall, auch im kleinſten Dinge der
Natur allein wirket? Lagern Gottes Heere fih überall und ver: 60
fürzen uns bie Arbeit, mas brauchts menſchlicher Mühe, menſch⸗
licher Klugheit ?
E. Auch Hiervon wird Zeit feyn, zu reden: jebt ift bie
Sonne ziemlih hoch und damit e8 nicht auf uns treffe, was Sie
eben diefer Poeſie vorrüdten,; jo auf! Wir gehen jest zu unſrer
— 2361 —
Arbeit und jehen und morgen wieder. Hier ift die Probe eines
Lobgefanges, deren ber Orient unzählihe Bat: er befingt den großen
Hausvater der Natur, den Schöpfer aller Weſen.
Lobgeſang
aus dem Perſiſchen.“) fl. /2, 364
Im Namen Defen, Defen Name Zuflucht,
deß Lob bie Zier ift hochberebter Zungen,
ber Höchſte, Einige, Allwißend, Ewig,
der Macht verleiht dem Schwachen, dem Verlaßnen.
Die Himmel zierte er mit Sternenſchaaren,
und ſchmückt die Erd' mit Menſchen, wie mit Sternen.
Er wölbte das Gewölb' der rollenden Sphäre,
und hob empor das Vier der Elemente.
Der Roſenknoſpe Buſen giebt er Düfte
und kränzt den Mutterbufch mit Blumenkindern.
Er webt das Brautlleib für des Frühlings Bräute
und lehret die Cypreß' am Seesufer
ihr reizendes, ihr ſchönes Haupt zu heben.
Mit Fortgang krönet er die gute Abſicht
und niebriget den Stolz der Selbflanmaaffung.
Er wachet Mitternacdhts bei des Einfamen Lampe,
und bringt den Tag bin mit den Kindern der Betrübniß.
Aus feinem Meer entipringt die Frühlingswolle,
bie Rofen und den Dorn zugleich bewäßert.
Aus feinem Garten weht des Herbftes Lüftchen,
das wie mit Gold beftreut den grünen Raſen.
Wenn Er erfcheint, fo flammt ber Kreis des Tages,
ein jedes Stäubchen bolet von ihm Kräfte;
Berbirg’ er fein Geficht; die mächtgen Sphären
ber groffen Xichter ſänken fchnell ing Nichts Bin.
Bom bimmlifchen Gewölbe tief zum Abgrumd,
weß Weges wir Sinn und Gebdanten richten:
*) Aus dem Specimen of the instituts of Timour by Hunter and
White,
— 262 —
wir eilen aufwärt® ober fleigen nieber,
tein Staub ift, den nicht feine Macht erfüllte.
Weisheit verwirrt fih über feinem Wefen:
das Korichen feiner Weg’ ift übermenfchlich,
die Engel erröthen, daß fie ihn nicht faßen,
die Himmel ſtaunen, daß fie fi) beiwegen.*)
*) Es follten bier noch ein paar Lobgeſänge dieſer Art ftehn; fie find
aber aus Mangel des Raums und wegen Aechnlichleit der Züge weggelaſſen
worden.
63 II.
Inhalt des Geſprächs.
Nacht und Dämmerung: das Reich der Ungebohrnen. Hiobs Befchrei-
bung der alten Naht. Ob die Morgenländer fi ein Chaos gedacht?
Ihre Bilder vom älteften Zuftande der Erde. Der Nachtgeift Über ben
Waßern. Urfprung des finnlihen Begrifs vom Geiſte. Stimme eines
Nachtgeiftes bei Hiob. Aufgang bes Fichte. Seine Freuden - Erfchei-
nung. Reiche Bilder deſſelben in der Poeſie ber Morgenländer. Per-
fonificationen bes Lichts und ber Morgenröthe. Poetifhe Bilder des
Himmels, als einer Wölbung aus Waßern, als eined Vorrathshauſes
der Erquidung, als eine® Sapphierd und hausväterlichen Zeltes.
Boetifche Geogonie der Morgenländer. Wie angemeßen fie ber Narır-
geſchichte unſrer Erbe jei? Belebung der Pflanzen. Was fie der Poeſie
für zarten Geift und umfaßende Empfindung gebe? Warum bie Ehräer
feine Hymnen auf die Sonne ober andre Gefticne haben? Perfoni-
ficationen. Schöner und wahrer Gebraud derjelben in ber Ebräifchen
Dichtkunſt. Bilder ber Sterne al® Engel, als Töchter Gottes, ale
eines Kriegsheers, als einer Heerde Schanfe des oberften Hirten. Ein-
zelne Dichtungen über dieſelbe. Bom lebendigen Mitgefühl der mor-
genländifchen Poeſie mit Thieren. Bon Gott, al8 ihrem allgemeinen
Hausvater. Warum in ihr Thiere zumeilen dem Menſchen vorgezogen
werden? Vom Menſchen. Davids Loblied auf die Schöpfung. Mil-
tons Hymnus aufs Ticht.
64 Den folgenden Tag verfehlte Alciphron feine poetiſche Mor⸗
genjtunde nit. Ich werde Sie heut, fagte Eutyphron, vor ein
veicheres Gemälde führen, als Gebes Tafel mar, denn mir werben
uns bei einzelnen Begriffen nicht, wie geftern, verweilen börfen,
Fällt Ihnen nichts bei diefer graufen Hülle ein, in welche Sie jett
alle Weſen, ala ob fie des Lichtes warteten, eingehüllt fehen?
— 24 —
Alciphron. Sie meinen den Zuftand der Verſtorbnen bei
den Morgenländern ?
Eutypbron. Davon wollen wir unſer Geſpräch nicht begin-
nen; ich dachte an einen Scheol, aber an den Zuftand der Unge-
bohrnen, die aufs Licht warten, und mit demfelben nicht Unglüd,
jondern Freude hoffen. Erinnern Sie fih an die Naht, in die
Hiob feine Geburtsftunde verwünſcht. In ihr ſchlafen ungebohrne
Nähte und Tage: Gott blidt von feiner Höh auf fie und ruft,
wie es ihm gefällt, diefe oder jene: fie freut fih, wenn fic fich
ans Chor ihrer Mitſchweſtern, in den Reihentanz des Jahrs
anfhließen Tann:
Es vergeh der Tag, da ich gebobren bin!
Die Nacht, in ber man fprady: es ift ein Sohn gebohren! -
Der Tag fei Finfternig!
Gott frage von oben nie nad ihm,
fein Licht glänz’ Über ihm auf.
Es ergreif’ ihn Dunkel und Todesnacht!
die Wollen wohnen über ihm!
es erichred’ ihn alles Unglüd.
Die Nacht! fie nehme Dunkel hinweg,
daß fie ſich nie anfchließe den Tagen des Jahre,
in bie Zahl der Dionden komme fie mie!
Die Nacht! fie fei einfame Nacht,
fein Freudegeſang tön’ in ihr auf!
Es verfluchen fie, die den Tag verfluchen,
die das Ungeheur zu erregen fertig ftehn.
Und finfter werden ihrer Dämmrung Sterne!
Sie hoffe des Lichts; es komme kein Licht;
fie fhaue nie die Wimper des Morgenroths.
Daß fie nicht zufchloß meiner Mutter Leib
und meinen Augen all mein Leid verbarg —
Haben Sie bie alte Nacht, in die der Unglüdliche feinen Tag
zurüdwünjcht, oder überhaupt das Dunkel einer Sternlofen, ein-
famen, traurigen Finſterniß, die vergeben? auf den Morgen wartet,
ſchrecklicher gejchildert gelefen? Kein Freudegeſang kommt in fie;
nur das Zaubermurmeln derer wird in ihr gehört, die den Tag
verwünfden, daß er nicht aufgehen fol, damit er fie in ihrem
⸗
u |
66
67
"12, 92.
— 265 —
finſtern Geſchäft nicht ſtöre. Sie wißen, wenn Shakeſpear ſolche
Nächte beſchreibt! —
A. Er giebt dem Morgenländer nicht nah; aber, m. Fr.,
mich dünkt, vom Buftande ber ungebohrnen Kinder handelt die
Stelle nidt.
E. Das Reich der Ungebohrnen ift [Hl und Formlos, wie
die Naht: fie werden in der Dunkelheit, im Mittelpunkt der Erbe
gebildet, wie geftern der ſchöne Palm ſagte. Da warten fie des
Lichts, wie jegt alle Gefhöpfe der Morgenröthe warten — denn
ſchlägt ihre Geburtsftunde: Gott ruft fie.
A. Die Vorftellung ift fo finnlid.
E. Wie überhaupt alle Dichtungen der Ebräer. Sie kennen
z. E. fein Chaos, in dem fih vor unfrer Welt die Atomen im
Tanz umbergetrieben hätten; eine Fiktion, die wir den Griechen
Ihuldig find. Uber ein finftreg Meer kennen fie, auf dem der
regende Wind Gottes ſchwebet; und mich dünkt, dag Bild ift um
jo viel jchöner, als es mwahr if. So war wirkli der erſte Zu-
ftand unſrer Erde, wie der Bau derfelben lehrt: jo muß fie Aeonen
bin unter Waßer geitanden haben, bis fie durchs Wunder ber
Schöpfung neu bewohnbar ward. Das Bild hat Natur und
Schranken; jenes Ungeheur von Chaos hat beides nid.
A. Mich bat infonderheit immer der Geift durchſchauert, ber
auf diefem öden und tiefen Nachtmeer ſchwebete.
€. Er ift den Morgenländern das erfte und natürlichfte Bild
von dem, was Leben, Kraft, Bewegung in der Schöpfung ift,
gewefen: denn der Begrif des Geiftes fcheint urjprünglich aus dem
Gefühl des Windes, zumal in der Nacht, vermijcht mit Kraft und
Stimme, gebildet.
A. Sie erinnern mid an jene Erſcheinung eines Nachtgeiftes
bei Hiob — es ift Bild und doch fein Bild: ein vorüber liſpelnder
Hauch, ein Murmeln wie die Sprache des Windes; aber aud
Kraft des Windes, Geiftes- Kraft: er richtet die Haare empor: er
erregt alle Schreden der Seele; he harrows up the soul with fear
and wonder:
— 26 —
Es ſtal ſich zu mir hin ein flüſternd Wort,
mein Ohr vernahm: es ſprach ein leiſer Laut.
In der Nachtgeſichte Schrecknißſtunden,
zur Zeit, wenn tiefer Schlaf auf Menſchen fällt;
da ergrif mich Furcht und Zittern;
all' mein Gebein fuhr Schauer durch.
Ein Geiſt ging vor mir über,
all meine Haare ſträubten ſich empor.
Er ſtand: ich kannt' ihn nicht!
Ein Schattenbild war mir vor Augen,
da flüftert es mir leiſe zu:
„Wie kann ein Menſch u. f.
E. Es it, wie Sie jagen, Bild und fein Bild, Stille und
Stimme; und mädtige Wirkung allein muß die formloſe Geftalt 68
bezeichnen. Je gebundener, deſto ſchwächer wären die Züge. Man
greift gleihfam nah dem Geift und fühlt, daß er Geftalt, alfo
auh Schranken habe und das muß nicht feyn. Er iſt ein Sohn
des Windes und muß mit dem Winde verfaufen. Aber fehen Sie,
da ift der fchöne Morgen! wir mollen die Nachtgeſichte ruhen lafjen
und den Vater des Lichts anbeten:
Zehovah, bu mein Gott, bift ſchön und berrlich,
bift prächtig ſchön geſchmückt.
Er Hleidet fi in fein Gewand, das Licht,
Er breitet aus die Himmel, wie ein Zelt.
Als der erfte Morgenftral aufging, nannteft du felbit, Schöpfer,
das Licht gut und weihteſt es ein, daB es uns ewig ein Sinnbild
beiner Gegenwart und Gottesihöne, aller Freude und Reinigkeit,
aller Weisheit, Güte und Seligfeit würde. Gott wohnt im Licht,
und fein Antlig lacht VBatergüte, Vaterfreude. Er läßts in allen
Guten, und um fie ber leuchten: in ihre Dunkelheit fandte Er den
erften Stral: in ihre Nacht des Todes und der Trübjal fenbet Er
den Stral ewiger Freude und Hoffnung. Sein Gottes - Ruhm ift,
daß er das Licht ſchuf: fein Vaterruhm, daß ers auch in menſch⸗
lihen Seelen fchaffet und aus diefer Dämmerung in lichtere Woh-
nungen binüber leitet. Gibts in der Schöpfung ein Geſchöpf, das
würdiger wäre das Kleid Jehovahs zu feyn, der feinem Weſen nad) 69
— 260 —
ewig im Dunkel wohnet? Licht iſt ſein ſchnelleſter Bote, beinah
mit Schwingen ſeiner Allgegenwart, ſo wie mit den Bildern ſeiner
Gedanken, ſeiner Freuden, beflügelt.
A. Die Poeſie der Ebräer wird ſchöne Lichtbilder haben.
E. Keine Poeſie in der Welt hat vielleicht ſchönere: der
Name des Lichtes ſelbſt tönt in ihr hoch und edel, ein Sinnbild
aller Freude, aller Entzückung. Wie ſie die Finſterniß grauſend
und fürchterlich mahlt: ſo reizend ſtellt ſie ihr das ſchöne Auge
des Tages, die Wimper der aufbrechenden Morgenröthe entgegen.
Alle Bilder der Dämmrung haben in ihr die Nebenidee des War⸗
tens, der Hoffnung, des Verlangens und die Morgenröthe erfüllt
dieſe Freude. Der Morgenſtern den wir da vor uns ſehen, iſt
ihr ein ſchöner Sohn der Dämmrung, denn wie Alles, ſo hat
auch Licht und Finſterniß ihren Pallaſt, ihre eigne, unzugangbare
Wohnung. Die Morgenröthe erſcheint bei Hiob als ein Held, der
die Mißethäter aus einander treibt, den Räubern ihren Schutz und
Arm, die Dede des Dunkels nimmt, allen Dingen Geftalt giebt
und wie mit neuaufgeprägtem Siegel fie verwandelt. Aus dem
Leibe der Morgenröthe wird der Thau gebohren, ein zahlreiches
Heer ihrer glänzenden Kinder. Sehen Sie die jchöne Mutter da
70 vor ih, die Licht und Dunkel fo lieblich mifcht und wie das Belt
des Himmels fih über uns allgemach mölbet!
Er fitet überm Erbentreife:
Die Welteinwohner find Heufchreden vor ihm!
Er dehnt die Himmel wie ein Fell:
Er ſpannt fie wie ein Zelt zur Wohnung aus —
Wollen Sie auch etwas von der Himmelsmythologie hören?
A. Es fol ja eine große Streitigleit zwifchen den Orienta⸗
liſten obwalten, was Moſes mit feiner Ausbreitung zwiſchen
Waßern und Waßern gemeint babe? Db fie ein Belt, eine Dede,
oder gar ein gläferner Fußboden fei, in dem bie Vögel des Him⸗
mels fliegen ?
E. Es brauchte feines Streits, denn die Bilder find alle
gewöhnlich; recht verftanden aud alle paßend und ebel. Die ältefte
— 268 —
Idee iſt wohl nicht von einem gläſernen Fußboden, da man ja
das Glas ſelbſt ſo ſpät kennen lernte, und noch viel ſpäter damit
pflaſtern konnte. Die älteſte Mythologie wölbt den Himmel aus
Waßern, ja ſelbſt den Thron Gottes beveſtigt ſie mit Dunkel
zwiſchen ihnen. Noch im berühmten Lobgeſange Davids heißts:
Er breitet aus den Himmel, wie ein Zelt,
Aus Waßern wöolbt' er feine Säle ſich,
Die Wollen find fein Wagen,
Der Winde Flügel tragen ihn —
Sie fehen, auch in fo fpäten Zeiten ift noch von feinem Glasboden 71
die Rede, ſondern von einem Zelt, von überhimmlifhen Sälen,
aus Waßern gewölbet. Und das ift auch die Tradition der
Araber. Aus Waßern ruft Gott die Himmel Bervor und Hat
diefelbe, mie einen Rauch gebildet. Bewundern Sie die ſchöne
Wahrheit diefer Vorftellungen auch als Bilder der Naturgeſchichte.
A. Ich habe fie immer geliebt und auch die Beichreibungen
ber Wollen, der Blige, des Regens find mir ſchön gemein. Es
ſcheint, die lechzenden Morgenländer ſuchten am Himmel nichts als
ein Vorrathshaus ihrer Erquidung, eine Fülle des Segens, den
ihnen jo oft ihr Land, ihre Erde verjagte.
E. Und fie haben die jchöne Idee in eine Mannichfaltigkeit
von Bildern gefleive. Bald knüpft der obere Hausvater bie
Wolfen wie Schläude, und das dünne Luftgewebe zerreißt ihm
nicht: in ihnen ift Waßer des Lebens für Menſchen und Bieh.
Bald treibt er fie gefüllet biehin und dorthin, wo er ein Land
ergquiden will; und er erquidts mit einer Yyreigebigfeit, daß auch
die Wüſte überfließt, in der fein Menſch ift, in der fein Gräschen
wächſet. Sein wunderbarer Gang in dieſen Waflern wird oft bes
Schrieben, wie er bie und dort einem Lande zu Hülfe eilet und
auf die fchwellenden Himmels - Fluthen tritt. Er bat Vorraths⸗
gemwölbe von Waßern droben und zieht Furden am Himmel und 72
jpaltet Kanäle, damit er fie leite. Bald zerreißt er fein Zelt und
läßt regnen, bald fpaltet er den Himmel oder öfnet die Fenſter
feiner Burg und fättiget mit Strömen. Das Ilekte find wahr⸗
— 2%: —
ſcheinlich ſchon fpäte Bilder, da man fi Gott als einen König
des Himmels dachte.
A. Mid dünkt, daß man ſich ihn frühe fo gedacht habe.
E. Noch früher aber ala Hausvater, der Menihen und Vieh
hilft. Sehen Ste fo viele Pjalmen und Stellen der Propheten:
was für herzliche Gebete nad Regen, nad Waßern der Erquidung
fteigen gen Himmel empor! Wie warten aller Augen! mie banlt
ihm die verlechzte nun neu befeelte Zunge! Die fhönften Bilder
der Freigebigkeit, der allgemeinen Güte und Vorforge Gottes find
von Negen und Thau hergenommen; jo wie auch das herzlichite
Gebet und Zutrauen zu ihm immer als Durft, ala brennender,
ſchmachtender Durft gemahlt wird:
Wie der Hirfch fich fehnet nach frifhen Quellen,
fo fehnet meine Seele fih zu bir.
Meine Seele dürftet bin zu Gott,
zu dem lebenbgen ®ott!
Wenn werd’ ich zu ihm kommen
und ſchaun fein Angeficht! —
73 Bilder der Art geben der Poeſie ein gemeinfchaftliches Mitgefühl
zwifchen Thieren, Menſchen, Pflanzen und allem, was da lebt;
der oberfte Hausvater ift ihr Aller Vater.
A. Aber wie warb denn der Himmel eine Befte?
E. Er wards wegen feiner fapphiernen Geftalt, wegen ſeines
Glanzes, feiner PVeftigkeit und Schönheit. Vielleicht war Eine der
älteften Ideen die, daB dieſe Vefte Eis fei, aus ber fich auch der
Hagel herabſchlage. Die Araber haben Bilder, nad denen ber
Blig aus diefem himmlischen Sapphier in Funken jprühet. Endlich,
da man fih den Himmel als einen Tempel und Pallaft Gottes
dachte, fo warb dieſer Heilige Azur gleichſam der Fußboden feiner,
die Dede unfrer Wohnung. Doc jcheint mirs, war den Belt
bewohnern immer das himmlische Zelt am liebften. Täglich laſſen
fies Gott auffpannen, und e8 am Ende des Horizonts an Die
Säulen des Himmels, die Berge, beveftigen; es ift ihnen ein Zelt
der Sicherheit, der Ruhe, einer väterlihen Gaftfreundfchaft, in der
Gott mit feinen Geſchöpfen lebet.
— 270 —
A. Und wie betrachteten fie die Erbe?
E. Sie können ſichs felbft jagen, wenn Sie in dem Lobgefange *)
fortfahren, in den David die Bildung der Schöpfung verfaßt Hat.
1. Die Erd' bat er auf ihr Gewicht gegründet, 74
fie wanlet nun und nimmermehr.
Mit Fluthen, wie mit einem Kleid’ umhüllt er fie. -
Ueber den Bergen ftanden die Waßer;
vor deinem Schelten flohen fie.
Bor deiner drohnden Stimme ftürzten fie hinab.
Da ftiegen die Berg’ empor,
da Tiefen Thale ſich nieder,
nieder an ihren Ort, wo bu fie gründeteſt.
Da fetteft du den Fluthen Grenze,
daß fie nicht Überjchritten und kämen wieder,
und überbedten das Laub.
Du Tiegeft Brunnen quellen in ven Thalen,
zwifchen den Bergen rannen fie bin.
Sie geben Trank dem Thier des Feldes,
Löfhen dem Wilde feinen Durft:
Ueber ihnen fiben bie Vögel,
fie fingen unter den Zweigen bervor:
Die Berge wäßerft du aus deinen Waßerfälen;
mit deiner Arbeit Yrudht**) erfättigft du die Welt,
machſt Gras auffprieflen für das Bieh:
und Saat, den Menſchen zum Gebraud.
Daß fie das Brot fih aus der Erd’ erziehn,***)
und ihr Geficht von fetter Speif’ aufglänze: 5
auch Wein ſich pflanzen, der des Menſchen Herz erfreut,
Brot, das da ftärkt des Menſchen Herz.
*), Bf. 104.
**) Mit der Frucht deiner Arbeit b. i. mit dem, was deine Schöpfung
gutes beroorbringt. Gott wird als ein Hausvater vorgeftellt, der immerdar
für die Erbe ſchaffet und waltet.
**) Die Erziehung des Brots aus der Erbe geht nicht auf Gott, fon» 75
bern auf den Menfchen. Gott bat Saat für ihn wachen laſſen, damit er
fie nun füe und fi Brot verſchaffe. Ich babe die Dilticha des 14. und
15. Verſes verſetzt. Sie belommen dabur mehr Symmetrie, und felbft
in Worten eine Art von Zufammenflang und Ordnung.
— 2711 —
Es faugen Gottes Bäume fih voll Saft:
die Cedern Libanons, die Er gepflanzt:
damit darauf die Vögel niften,
bie Geier, deren Haus bie Tannen find.
Dem Steinbod ſchuf er jene hoben Berge; '
der Bergmaus jchuf er in dem Felſen Zuflucht. —
E. Mit wie frölihem Blick überjchauet der Dichter die Erde!
Sie ift ein grüner Berg Jehovahs, den er aus den Waßern hob,
ein Zuftgefilde, das er zur Wohnung fo vieler Lebendigen über die
Meere beveſtigte. Die Reihe von Bildern, die bier der Dichter
fortführt, ift gerade die Naturgefhichte der Erde. Erſt ftehen
Waßer über den Bergen: Gottes Befehl fchredt fie hinunter. Nun
fteigen die Berge hervor; num laßen Thale ſich nieder, die die
Maper durchbrechen und ebnen. Endlich fest Gott den Fluthen
Grenze und beveftigt da3 Land. Nun quillen Brunnen in ben
Thälern: nun rinnen Ströme zwiſchen den Bergen, fie haben ſich
76 ſchon ihr Bette gegraben. An ihnen verfammlen fi Thiere, an
ihnen fingen die Vögel; denn das Ufer der Flüße bedeckte fich
zuerit mit Bäumen. Wir werden in Hiob erhabnere Bilder vom
Bau der Erde jehen; mahrere und ſchönere find ſchwerlich möglich.
U. Und freilih die Naturwahrbeit vollendet ihre Schönheit.
Was wollen alle Mytbologien, wenn fie mich nichts lehren? Was
bilfts mir, wenn die Nordiihe Edda von Himmel ala dem Hirm-
ſchädel eines erfchlagenen Niefen redet, und daß die Erbe aus ſei⸗
nem Gebein, die Ströme aus feinem Blut entftanden? Die Poefte
vereinige Schönheit mit Wahrheit, und belebe beide mit theil-
nehmender Empfindung: fo ift fie Poeſie des Herzens und Des
Veritandes.
E. Die Naturpoefie der Morgenländer fcheint mir alle drei
Stüde zu vereinigen. Welche Theilnehmung 3. E. giebts in ihr
mit Blumen, Pflanzen und Kräutern! Weil fie allem gemifjer-
maaſſe ein Leben zufchrieben, alles fo gern perjonificirten, jo warb
Gott auch Vater der Pflanzen, der feinen Segen in fie gelegt
hatte, daß eve ſich nach ihrer Art fortpflanze und befaame: Vater
der Pflanzen, der fie mit Regen erquidt, mit feinem Frühlings⸗
— 24 —
und als fie fahn wie beine Pfeile glänzten,
wie deine Fichten Spiefle fchoflen,
eilten fie weg.
Eine erhabnere Perſonifikation halte ih Taum für möglich. Die
ganze Natur horcht, die fchnellfte Natur fteht ſtill, die glänzendfte
wird verbunfelt. Und fo find die! Sterne bie Kriegäbeere, Die
jauchzenden Kinder Gottes: was rein, ſchön und unfterblih iſt, su
wird mit den Sternen verglichen, und die Engel find oft in fie
perjonificirt.
A. Wozu aber werden dieſe glänzenden Heere gefandt und
gebraucht ? .
E. Wozu Gott feine Diener fendet. Die Sonne iſt ſchon
ihrem Namen nad Bote; als Urquell des Segens und der Schön-
beit wird fie nie verehrt. Auch die Erziehung der Pflanzen wird
nicht ihr, jondern dem oberften Vater zugefchrieben, der fie durch
Luft, Thau und Regen erquidt und tränfet. Sie führt nur bie
Zeiten herbei: ein König der Erbe, aber unter Gott. Die Sterne
als feine Kriegsſchaar zieht aus und ftreitet. Ihnen ſchrieb man
die Waßergüße, die Ueberjhwemmungen zu und im Xiede Der
Deborah ift eine fchöne Berfonification hierüber. Erſcheinen fie als
Engel, jo können biefe Boten auch fehlen: auch fie ergreift er auf
Irrbahnen, aud ihnen vertraut er nicht ganz: in ihrem Glanze
findet er Flecken, die Himmel find nicht rein vor ihm. Endlich
wenn zukünftige Tage der eigentlihen Regierung Gottes erfcheinen
jollen: denn wirb die Sonne fiebenmal heller leuchten, denn wird
des Mondes Licht wie der Sonne Glanz feyn. Jede Poefie, die
die Natur der Dinge fo hoch zufammenfaßt, die alles in Regeln
und einen großen Chorgefang bindet, die Gott, als den großen
Hirten des Himmels vorftellt, der die Sterne als feine Schanfe 81
fennet und bervorruft und fie in mandherlei Bildern auf der blauen
Flur des Himmels weibet, der den Orion gürtet und die Nacdht-
wandrerin über den Verluft ihrer Kinder tröftet, der das fchmeiter-
1) „die” aus dem Mic. ergänzt.
— a —
liche Band des Siebengeſtirns band, und ſeine geheimen Schätze
in Süden verhüllt hat: eine ſolche Poeſie iſt die Tochter Himmels
und der Erde. Wenn wir zum Buche Hiobs kommen, welche hohe
Sternenausſicht wird es uns geben! —
A. Ich freue mich darauf, und werde immer mehr mit der
älteſten Poeſie der Welt verſöhnet. Mit Thieren und lebendigen
Geſchöpfen iſt fie ganz ſympathetiſch. Mich freute es in meiner
Kindheit, wenn ich fand, daB fie die Thiere, (vom Stummfeyn
benannt,) ald Brüber der Menfchen betrachtet, denen nur bie
Sprache fehlet. Lebendige nennen fie die Thiere des Feldes, weil
die Hausthiere gleihjam ftill und todt leben. Mich freute es, wenn
ih die Ausbrüde vom Laut und den Sprachen ber Thiere fo
energiih in diefer Sprade fand: wenn der Prophet mit bem
Kranich oder der Turteltaube girret, mit dem Strauß in der MWüfte
ächzt. ch freute mid, wenn ich die Geftalt des Hirfches, des
Löwen, des Stiers; bei andern ihre Stärke, Pracht, Gejchwindig-
feit; bei andern ihre ſcharfen Sinne, ihre Lebensart, ihren Cha-
rakter, auch in Worten geſchildert fand, und wünſchte, daß wir
82 Statt mancher heiligen Gejänge mehr Fabeln, Gleichniße, Räthſel
von Thieren, kurz mehr Naturpoefie hätten: denn fie dünkte mid
bei diefen Völkern die glüdlichite und reinfte.
" €. Der Name Gottes gehört immer mit dazu: denn Er tft
der Hausvater diefer ganzen lebendigen Schöpfung. Er giebt jedem
Speife: er erfreut alle Augen, die auf ihn warten. Die jungen,
häßlichen Naben erhört er und er wird fogar der Gemfe Hausvater,
ber die Zeit ihrer Schwangerfchaft bemerkt und ihr in ihrer ein-
famen, ſchweren Geburt aushilft. Cr lebt mit jedem Thier in
feinem Kreiſe, fühlt feine Noth, erfüllt feine Wünſche, weil er
allen ihre Natur gegeben. Ihm ift nichts wild, nichts dumm und
veradhtet. Er brüllet mit dem Lömen nah Raub und blidt im
Auge des Adler von feinem Bergichloß hinunter. Der Waldefel
lebt auf feiner Weide und der Habicht fleucht durch feinen Ver⸗
ftand. Sein ift das Reich der Ungeheuer, die große Tiefe: das
häßliche Crokodill liebt Er und Behemoth ift gar der Anfang ber
18*
— 276 —
Wege Gottes, d. i. fein herrlichſtes Meifterftüd auf Erden. Kurz,
diefe Poefte ift vol Naturgefühl, von allgemeiner Ordnung und
Güte Gottes in feinem weiten Reiche. Sie ift- am Buſen ber Natur
gefäugt, im Schoos der groffen Mutter erzogen.
A. Jetzt merke ich (worüber ich mich fonft nicht ohne Anſioß SS)
gewundert habe) woher in ihr den Thieren jo gar bisweilen über
den Menſchen der Borzug gegeben wird, und Bileams Efclin Dem
Engel mehr gilt ala der Prophet auf ihr? Im Buch Hiob erfreut
fid) Gott über Roß und Löwen, er tft ftolz über Behemoth und
den Leviathan, und fchmweigt vom Menſchen --
E. Auch der Menih wird in ihr nicht übergangen: er iſt ja
das Ebenbild Gottes, das Meifterftüd feiner Werke, einer der ficht-
baren Elohim bier auf Erden. Davon cin andermal. Bollführen
Sie jeht Ihren Lobgefang,*) ih will mit dem Meinigen fließen :
U. Er fchuf den Mond zur Theilerin der Zeiten,
die Sonne kennet ihren Niedergang.
Du ſchaffeſt Finfterniß, da wird es Nacht.
Da regen fi) des Waldes Thiere:
Die jungen Löwen brüllen nad Raub,
fie fodern ihre Speife auch von Gott.
Nun geht die Sonn’ auf und fie eilen fort,
fie lagern fi in ihre Hölen wieder.
Dann gebt der Menſch aus an fein Werl;
er gebt zum Aderbau bis an den Abend.
Wie viel find deiner Werke, Gott!
und alle fie Haft weislih Du gefchaffen:
Die Erd’ ift deines Haushalts voll.
Das große Meer! fo weit, fo breit! 5
Da wimmelts! da ift feine Zahl!
Da ift lebendges, Mein und groß!
Da geben Schiffe!
Da ſcherzt der Leviathan,
von dir gebildet, daß er im Weltmeer fpiele.
Zu dir hofft alles auf!
Daß du ibm Speife gebft zu feiner Zeit.
*) Bf. 104.
— 27 —
Du giebſt: ſo ſammlen ſie.
Du öfneſt deine Hand: ſie werden ſatt des Guten.
Du wendeſt weg dein Angeſicht;
die Kreatur erſchrickt.
Du nimmſt den Othem ihnen weg: ſie ſterben,
fie lehren wieder in ihren Staub.
Du haucheſt deinen Otbem aus:
fie werden neugefchaffen,,
Das Angeficht der Erde formt ſich neu.
Jehovahs Ruhm, er bleibt in Ewigkeit!
In feinen Werten freut Jehovah ſich.
Er blidt die Erd’ an und fie bebt:
Er rührt die Berg’ an und fie rauchen.
Id will Jehovah fingen mein Lebenlang,
will meinen Gott lobpreifen, fo lang’ ich bin.
Und füß wird tönen mein Gefang von ihm. ‘
Ih werde fröfich in Jehovah feyn.
Preif ihn, den Herren, meine Seele,
Hallelujah!
E. Meinen Gegengeſang bleibe ich ſchuldig. Da Sie doch
85 aber Hymnen wollten; bier iſt einer, ganz in morgenländiſchen
Bildern. Meines Wißen⸗ giebts nur Einen Ton des Lobgeſanges
in allen jetzt lebenden Europäiſchen Sprachen; und der iſt der Ton
Hiobs, der Propheten und Pſalmen. Milton hat ihn inſonderheit
in fein unfterblid Gedicht eingewebet; mit ſchwächern Tritten
betrat Thomfon feine Spur und bei uns hat ihn Kleift jehr“philo-
ſophiſch verihönert: Diefen Ton, diefe Bilder find mir der
Ebräiſchen Einfalt ſchuldig.*)
*) Es ſollte bier Miltons Hymnus auf alle Geſchöpfe der Natur oder Kun
Adams Morgengeſang (Paradise lost B. VI.) ſtehn; er mußte aber weg⸗
bleiben, weil er zu lang ift und im Ganzen doch nur die Bilder des 104.
und 148. Pſalms wieberbolet.
9.9), vu.
1 —
Miltond Anrede ans Liht.*) Ss
Heil, Heilig Licht, dir! Himmels erſtes Kind,
oder des Ewigen mitewger Stral!
(Dürft’ ih fo nennen dich:) denn Gott ift Licht
und unzugangbar wohnt’ er ewiglich
im Lichte; wohnet ewig da in bir,
du Ausfluß- Glanz vom unerfchaffnen Glanze.
Oder börft bu lieber reinen Yetber - Strom
dich nennen? deßen Duell — wer zeigt ihn an?
Eh diefe Sonn’, eh diefer Himmel ward,
wart Du und Heideteft auf Schöpfere Wort
die Welt, die aus der dunkeln Tiefe ftieg
den Unding' abgewonuen, feftlid an.
Dich feh’ ich wieder nun, mit kühnerm Flug’,
entronnen jenem SHöllenpfule, ber
mich lang in feinen dunkeln Gründen, lang’
in äußerfter und mittler Finfterniß
aufhielt, als ich von Naht und Chaos fang
mit anderer als Orpheus Leier: denn
bes Himmel® Mufe hatte mich gelehrt
hinab⸗ und wieder Aufzufchwingen mich
ans Tagslicht. (Schwer! und feltne Rücktehr!) Dich
befuch’ ich wieder unverfehrt und fühle
bie grofie Lebenslampe. Du beſuchſt
nicht diefe Augen, bie vergebens rollen
zu finden deinen fcharfen Stral; fie finden
fein Dämmerliht. So bat ein bider Tropfe 87
verfinftert fie, verfchleirt mit Duntelbeit.
Und dennoch Hör’ ich nicht zu wandeln auf
da wo die Mufen ihren Silberguell,
den Sonnenbligel und ben Schattenhain
beſuchen; immer noch getroffen von
dem Liebespfeil des heiligen Geſangs.
Did, Sion, fonderlih und jene Blumenftröme
die unten beine beilgen Wurzeln fpülen,
und fingend flieffen; Such befuch’ ich mächtlich.
Und denn vergeß’ ich auch zumeilen nicht
*) Paradise lost B. II.
— 279 —
bie andern Zwei, die mir an Schidfal glichen,
(0 gli ich ihnen auch an Ruhme fol)
den blinden Thamyris, den blinden Mäoniden,
auch den Tireſias und Phineus, die Propheten
ber Borwelt. Und genährt dann mit Gedanlen,
die wie von felbft in Sarmonien flieffen,
fing’ ich, fo wie die wache Nachtigall
im Schatten fingt und in dem dickſten Laube
ihr Nachtlied flötet.
Mit dem Jahre kehren
Jahrszeiten wieder, aber mir nur lehrt
der Tag nicht wieder, nod der füße Morgen,
ber fchöne Abend; nicht der Frühlingsanblick
mit jungen Blüthen; nicht die Sommer - Rofe;
bie Heerben; ober gar bu göttlich Menfchen- Antlig!
An deren flatt umringt mich eine Wolf‘,
ein immermwährend Dunkel. Abgefchnitten
bin ich von den lieboollen Menfchenpfaden,
und ftatt bes Buchs ber fchönen Wißenſchaft
ift vor mir nur ein großes leeres Blatt,
auf dem bie Werke der Natur für mid .
verlöfcht und ausgetilget find. Der Weisheit
ift diefer Eingang zu mir hart verfagt.
Um fo viel mehr, o du des Himmels Licht,
ſchein' inwärts in mir und durchftrale mir
den Geift in allen Kräften. Pflanze da
mir Augen und treib’ allen Nebel weg
von innen, daß ich Dinge ſchau und fage,
die nie ein flerblich Auge fehen wird.
IV. SH
Inhalt des Gefpräde,
Uebergang zum Buch _Hiod. Beſte Art es zu lefen. Schilderungen von
Gott dem Richter über Sternen, dem Schöpfer der Welt, dem Stiller
des Uingewitter8 auf dem Meer. Charakter Elihu's in feinen Schil⸗
derungen. Proben davon. Rede Gottes aus dem Ungewitter. Erläu-
terung ihrer hoben Naturbilder. Bo der Naturpoefis überhaupt. Ob 2F
fie feine oder eine todte Dichtlunft fei? Zweck der Raturpoefie. Erſtes
Werkzeug derfelben, Berfonification, Belebung. Proben aus Hiob. Ob
und warum bie älteften Zeiten bierinn fo großen Vorzug vor unfern
Schilderungen haben? Zweites Werkzeug der Naturpoefie, daß fie Aus-
legerinn der Natur werde. Probe aus Hiob. Einfluß der Naturpoeſie
auf die Empfindung. Drittes Mittel, daß fie Entwurf und Wbficht
babe. Probe aus Hiob. Beilage einiger Perfonificationen aus Oßian. 297
Als Eutyphron ſeinen Freund beſuchte, fand er ihn beym
Leſen des Buchs Hiob.
Alciphron. Sie ſehen Ihren Schüler und ich leſe dies Buch
mit Vergnügen. Zwar kann ich mich noch nicht an die langen
Reden, an die einförmigen Klagen und Rechtferügungen, noch
weniger an die Rettungen der Vorſehung, die wenig retten möchten,
gewöhnen: vom Faden des Geſprächs im Buch weiß ich noch nichts.
Aber die Naturbeſchreibungen in ihm, die hohen und doch ſo ein⸗ 90
fachen Neben von Gottes Eigenſchaften und feiner Weltregierung
erheben die Seele. Wollen Sie mir zuhören; fo will ih, (mie
diefe Leute fagen,) die Schätze meines Herzens eröfnen und Ahnen
einige Stellen lejen. Sie müßen mich nachher in Anfehung des
Plans, Alters und Urhebers des Buchs auf den rechten Weg
” führen: das babe ich für Sie verſparet.
— 2831 —
Eutyphron. Es iſt nicht uneben, daß Sie Stüde heraus
heben; das Buch in Einem Athem fortzulefen, ift für uns viel-
leicht zu ftarfe Speiſe. Wir lieben Kürze im Geſpräch, deutliche
Fortleitung der Ideen, die bier nah unfrer Manier nicht fort-
geleitet werden. Die Morgenländer hören fi in ihren Zuſammen⸗
fünften geruhig aus; ja fie lieben lange Reden, zumal in ſolchen
Berfen. Es find Perlen aus der Tiefe des Meere ; leicht gereihet,
aber köſtlich: Schätze der Wißenſchaft und Weisheit in Sprüchen
ältefter Zeit — |
A. Welcher Zeit? Man muß fih wundern, bier fo viel
Erfahrungen voll reiner Naturideen zu finden; und doch find auf
der andern Seite andre Begriffe noch fo findlih, jo arm —
E. Lagen Sie Zeit und Urheber; und halten fih an das
Werk in feiner Dürftigkeit und in feinem Reichthum. Ohn' alle
Miderrede ift das Buch aus ſehr alten Zeiten, und jo nehme ichs
mit einer Art von Ehrfurdt in die Hand, wenn ic) mir feine
Begriffe zu entziffern wage. Ueber Länder und Zeiten denfe ich,
über die Ruinen groffer Revolutionen des Geſchmacks, ja vielleicht
dreier oder vier Jahrtauſende tönt mir eine Stimme entgegen und
ba fage ih, flatt das Buch zu richten oder es gar nad meiner
Zeit zu bequemen:
Wir find von geftern ber und wißen nichts;
Ein Scatte nur ift unfer Erdeleben.
Die Väter Icehren uns und fagens ung,
aus ihrem Herzen geben ihre Neben. —
Fangen Sie alfo mit fchönen Stellen von Gott und der Natur
an: mein Ohr ift frei, die Begriffe der älteften, Findlihen Welt
zu hören:
A. Gewalt und Schreden if um ibn; *)
Entſcheider ift er in der Himmel Höhn!
Sind feine Heere nicht ohn' alle Zahl?
Und alle übermag fein Licht.
Und fol der Menſch rechtfertig feyn vor Gett?
9) Hiob 25.
Und rein vor ihm beſtehn ein Weibesfohn ?
Sieb, felb der Mond ift weg mit feinem Zelt:
Die Sterne find nicht rein vor feinem Blick
Und follt der Menſch e8 feyn, der Wurm?
Ein Erbentind, die Made! —
E. Große Porftellung von Gott, dem oberften Himmels-
rihter! — Unter Stemen und Engeln entſcheidet er. Zahllos
find feine glänzenden Heere; er überglängt fie alle: d. i. fein Licht, 7
feine Reinigfeit, die Wahrheit feines Urtheilsfpruchs überwindet fie.
Der Mond mit feinem Gezelt tft verfhwunden: bie Sterne find
nit rein vor feinen Augen. Und nun von biefen lichten Him-
melshöhen ein Blid auf den Menſchen, der ihn vors Gericht
fodern will —
follt’ der Menſch es feyn, der Wurm?
Ein Erdenfind, die Mabe? —
A. Ihre Erklärung der dunkeln Worte: „er machet Frieden
„zwiſchen feinen Hohen: über wem fteht nicht fein Liht? Der
„Mond zeltet nicht vor ihm” gefällt mir. ch fehe den Richter
Morgenlandes, der zwiſchen Engeln und Geftirnen richtet. Wie
ſchön ift der 'finftre Mond in die Dichtung gefaßt: fein Zelt ift
abgethan vom Himmel; er bat fi vor des Richters Blick ver-
borgen.
E. Fahren Sie fort mit Hiobs Spruche;*) er übertrift jenen.
A. Wem hilft du? Dem, der feine Stärke hat?
Wen retteft du? der fich nicht retten kann?
Wem giebft du Rath? der ohne Weisheit if?
Und Haft ihn wahrlich reich und tief berathen!
Wen lehren deine Reden?
und weßen Othem weht aus dir? —
E. Auf wen, meinen Sie, geht die Stelle?
A. Mich dünkt: auf Gott. Hiob will ſagen: Gott bedörfe 93
ſeiner Vertheidigung nicht; es ſei ja Gottes Odem ſelbſt, der aus
ihm wehe, und das ſchwache Geſchöpf könne ſeinen Schöpfer nicht
vertreten.
*) Hiob 26.
— 283 —
E. Ich unterbreche Sie nicht weiter.
A. Die Schatten regen ſich,
der Abgrund und was ihu bewohnt.
Entbdedt ift vor ihm die Verweſung!
Enthüllt fteht die Vernichtung vor ihm da!
Ausbreitet er den Nord nun Übers Leere,
er hängt die Erb’ auf übers Nichts:
Inäpft Waßer ein in feine Wollen,
und ihnen reißt die Wolle nicht:
beveftigt ringsum feinen Thron,
legt ringsum feine Wolf’ um ihn umber:
und zirtet ab der Waßerflächen Grenze,
bis wo das Licht ind Dunkel ſich verliert! —
Des Himmels Säulen zittern:
fie beben, wenn er fchilt.
Mit feiner Macht peiticht er das Meer:
mit feiner Weisheit bändigt er
der Wellen Stol;.
Denn madt fein Hauch den Himmel wieder ſchön:
den fliehnden Drachen nur traf feine Hand.
Sieh, das it nur Ein Theil von feinen Wegen;
ein flüfternd Wort, das wir von ihm gehört.
Den Donner feiner Kräfte,
wer faßet den?
94 E. Sie find Dichter geweien, ih will Ihr Ausleger jeyn.
Hiob übertrift diefen Gegner, wie er fie alle überwindet: er ſchil⸗
dert nur Eine Scene von Gottes Macht und Größe, aber er holt
fie aus der tiefften Tiefe und führt fie zur fchönften Höhe. Das
Reich des Undings tritt vor Gott: die Abgründe des Nichts und
der Berweiung find vor ihm. Da diefe nun, wie wir fahen, als
eine wilde Meerestiefe gedacht wurben: fo fteht diefe, das groffe
Reich des Ungebohrnen, in wilder Tiefe, mit gräßlihdem Tumult
vor ihm. Die Schatten zittern: die formlofen Geftalten vegen fi
und warten: ber Abgrund, der nie das Licht ſah, fteht enthüllt.
Nun beginnt die Schöpfung; abermald mit Himmel und Erbe.
Den Himmel breitet er über dieſe ungeheure Tiefe; die Erde be-
veftigt er über ihr, daß fie darauf rube und gleichfam über dem
— u —
Nichts Schwebe: (denn dieſe Reihe der Naht und des Schattens
wurden unterirrdiſch gedadt.) Nun ordnet er den Himmel, Inüpft
Waßer in Wollen und fchafft fih Raum: er baut und zimmert
feinen Thron mitten unter Waßern ; er umklammert ihn von außen
und legt den Teppich der diden Wolf’ um ihn ber. Jetzt mißt er
bie Grenzen des Waflerhimmels und zirkt ihn ab, bis wo Licht
und Dunkel fi) mifchen, das iſt, am Ende des Horizonte. Test
wird feine Macht im Donner gefchildert, und zwar zur Erhebung
der Scene im Wetter auf dem Meer. Die Wellen find bier die 35
Rebellen, die er vor fi treibt, und plöglih zu bändigen weiß.
Ein Haud von ihn — und das Meer ift ftill, der Himmel fchön,
jeine Hand traf nur die fliehnde Schlange (entweder zu Folge ge
wohnter Bilder in andern GStellen*) das Meerungeheuer diefer
Gegenden, der Crokodill, oder vieleicht die flüchtigen Traufen Wellen
jelbjt, die feine Hand glättet und ebnet;) Eins oder das andre,
das Bild endet mit jo erhabner ſchöner Stille, als es mit fürdter-
lichem Tumult anfing. Und das, fagt Hiob, ift nur Ein Laut
von feinen Wundern;
den Donner feiner Kräfte -- wer faßet den?
Jeden Morgen, da aus Naht Tag wird, jedes Ungewitter,
zumal auf dem Meer, bringt das prächtige Bild vor uns. Haben
Sie eine andre Stelle?
A. Es mag der LXobpreis des begeifterten Elihu feyn, un-
mittelbar vor dem lebten und prächtigen Gottes - Drafel.
E. Bemerken Sie aber, daß er nur alg Schatte daflcht, dies
Gottes-Drafel zu erheben. So viel fih Elihu dünkt, fo ſchön er
ſpricht: fo ift er, wie er auch felbft fagt, noch junger braufenber
Mein, der die Schläude zerreißt und ausbridt. Er macht herr:
liche Bilder; weiß aber fein Ende, und die fchönften find Erwei⸗
terungen derer, die Hiob und feine Freunde fürzer fagten. Daher 96
antwortet ihm auch niemand; er bereitet die Zukunft Gottes vor
und fündigt fie an, ohne daß ers felbft weiß. Indem Elihu ein
— [m — —
*) Bi. 14, 13. Eſ. 27, 1.
97
— 285 —
auffteigendes Wetter in allen feinen Phänomenen bejchreibt, ſchildert
er, ohne daß ers weiß, des Richters Ankunft
A. Ich babe diejen zubereitenden Fortgang der Bilder nie
bemerfet.
E. Er ift, dünkt mid, die Seele der ganzen Scene; ohne
welde Elihu durchhin Tavtologie reden würde. Fangen Sie, weil
feine Rebe zu lang ift, nur von biefer Stelle an: Sieh, Gott ift
groß!*) — ich will Sie zumeilen ablöfen.
A. Sieh, Gott ift groß in feiner Macht!
Wo ift ein Weifer, gleichwie Er?
Wer mag ihn prüfen feine Wege?
Wer jagen: bier haft du gefehlt!
Daran gebent und preife feine Thaten,
denn alle Menfchen fingen fie
und alle Denfchen ſehen fie;
nur fiebt der ſchwache Menſch fie nur von fern.
Sieh, Gott ift groß; wir wißens nicht:
und feiner Jahre Zahl, die forfcht niemand.
Er zieht die Waßertropfen,
die Regen träufeln, im Dampf empor;
die flößen nun die Wollen nieber,
fie träufeln fie auf Menſchen weit und breit.
Und wer begreifts, wie er bie Wolf’ ausbreitet
und kracht in feinem Zelt?
Sieb, er umdeckt e8 rings mit feinem Blig,
und dedt des Meeres Wurzeln mit ber Fluth.
So firafet er die Völker,
und giebet Speiſ' im Weberfluß.
Mit feinen Händen faßet er den Blit
und giebt Befehl ihm, wen er treffen ſoll?
Er zeigt ihm an den Böſewicht:
des Zornes Raub ift der Boshaftige.
E. Alle diefe Bilder werden in der Rede Gottes Fürzer und
Ihöner vorlommen. Seht erhebt fi das Ungemitter und Elihu
fährt fort:
*) Hiob 36, 22.
— 286 —
Darob erbebt mein Herz,
es zittert ˖ anf in meiner Bruſt!
hört, höret bebend ſeine Stimme,
die Rede, die aus ſeinem Munde geht.
Den ganzen Himmel umziehet ſie,
die Fittige der Erd' ergreift ſein Licht.
Und hinter ihm brüllt laut ſein Donner:
es tönt die Stimme ſeiner Macht:
wir ſpähns nicht aus, wie feine Stimme tönt:
Gott tönt mit feiner Stimme Wunberlaut,
tbut Wunderdinge; und wir wißens nicht.
Er ſpricht zum Schnee: fei da auf Erben:
zum Regenguß, den Strömen feiner Macht;
und alle Dienfchen können nichts bawider,
daß alle Menſchen fehn, e8 fei fein Werk.
AM. Mir gefällt die Erklärung der Worte: auf die Hand aller 98
Menichen drudet er das Siegel, d. i. fte ftehn erftaunt und erftarrt
da; fühlend, daß fie nichtö vermögen. Eine Empfindung, die jedes
Donnermetter in ung erreget —
E. Die Schreden des Ungemwitter® werden weiter geſchildert:
Es geht das Wild in feine Hölen,
es hält in feinen Wohnungen fi ftill.
Nun kommt aus Süden ber der Sturm,
von Nord ber kommt der Froſt.
Hauch Gotte® weht, fo wird e8 Eis,
das weite Meer wird bichte® Land.
Und jetzt zertreißt der Glanz die Wollte:
fein Licht zerftreut die Wolke weit umber:
fie wirbelt fih in Gängen, wie er will,
geht auszurichten, was fein Wink gebeut,
auf diefes Reis, auf jenes Land,
was er Erguidung finden laßen will.
Wir müflen Morgenländer feyn, um die Wohlthaten des
Regens zu ſchätzen und die Züge der Wolfen, ob fie hier oder
dahin reihen? mit folder Aufmerkjamkeit zu mahlen. Es ift
lauter Gegenwart, die Elihu ſchildert.
A. Hör’ an, o Hiob, dies.
Steh’ und begreife Gottes Wunbertbaten.
— 2317 —
Weißt du, was Gott mit ihnen fchafft?
Wie er anzlindet feiner Wolle Licht?
99 Und weißt es, wie die Wolfe fchwebt?
Die Wunderbinge des Allweifelten!
Daß deine Kleider heiß bir werben,
wenn er von Süden aus die Erbe wärmt?
Du wirft wohl mit ihm jenen Aether breiten,
der veft ba fieht mie ein gegoßnes Erz!
Zeig’ an uns, was wir zu ihm fagen follen?
Wir finden feine Wort’ nor Duntelbeit.
Wird ihm erzäblet werben, wenn ich rede?
und ſpräche jemand — fieh! fo ift er weg!
Unſichtbar if fein Licht!
Sein Glanz ift Hinter Wollen dort!
Jetzt weht der Wind und läutert fie.
Nun kommt von Norden Gold,
Eloahs furdtbar ſchöner Schmud.
Der Mäcdhtige: wir können ihn nicht finden.
Der grofie, ftarle Richter, unausſprechlich
in feiner Allgerechtigfeit.
Darum verehrt ihn Menichen,
fein Weifer fchaute ihn. —
E. Sie fehen, wohin der junge Weile kommt, daß er für
unmöglich erflärt, was eben jetzt gefchehn fol. Eben da er glaubt,
daß die dunkle Wolfe Menſchen und Gott ewig trenne und ein
Sterblider des Unendlichen Stimme nie vernehmen werde, erfcheint
Gott und redet. D wie verjchieden ift Jehovahs von Elihus Rede.
Schwaches, meitläuftiges Knabenwort ift dieſe gegen die kurze,
100 majeftätifche Donnerſprache des Schöpfere. Er dilputirt nicht: eine
Reihe lebendiger Bilder führet er vor und umringt, betäubt, über-
wältigt Hiob mit feiner tobten und lebendigen Schöpfung.*)
A. Jehovah fprach zu Hiob vom Ungewitter hinaus:
ex fpra zu ihm:
Wer ift der Dann, der Gotted Rath verbunlelt,
mit Worten ohne Wißenfchaft?
Umgiirte deine enden wie ein Mann.
*) Hiob 38.
— 288 —
Ich will dich fragen, lehre mich.
Wo wareſt du,
als ich die Erde gründete?
Sag' an mir, wenn du's weißt!
Wer hat ihr Maas beſtimmet, weißt du es?
Wer zog die Meßſchnur über ſie?
Worauf ſtehn ihre Grundveſt' eingeſenket?
wer bat den Editein ihr gelegt?
Im Chorgefang der Morgenfterne,
und alle Kinder Gottes jauchzten drein.
E. Wir vergeßen alle Phyſik und Erbmeßung neuerer Zeiten
und betrachten die Bilder als alte Naturpoefie der Erde. Wie
ein Haus wird fie gegründet, gemeſſen, das Richtmaas über ihr
gezogen, und da ihre Grundvefte eingefenkt, da ihr Edftein gelegt
ift, ſtimmen alle Kinder Gottes, ihre Schweitern, die Morgen:
‚sterne einen Freudengeſang an, zur Ehre des Werkmeifters, zu I".
Berilllommung ihrer jungen Schweſter. Nun wird dag Meer
gebohren:
A. Wer Schloß mit Schleufen ein das Meer,
als es hervorbrach aus der Mutter Sch008 ?
Ich legt’ die Wolt’ ihm zum Gewande an:
in Duntel windelt' ich e8 ein,
und richtet! meinen Rathſchluß drüber aus,
und fatt’ ihm Thor und Riegel für:
und ſprach: „biß hieher komm' und weiter nicht.
„Hier foll’n fi brechen deine flürm’gen Wellen!”
E. Ich glaube nicht, daß je ein größeres Bild von dieſem
Element gegeben fei, ala da es hier Kind wirb und es der Schöpfer
der Welt mit Windeln kleidet. Es bridt aus den Klüften ber
Erde, wie aus Wlutterleibe, der Ordner aller Dinge redet3 als
ein belebtes Weſen, als einen ftolzen Erbbezwinger mit wenigen
Worten an; und das Meer fchweigt und gehorcht ihm ewig.
A. Geboteft du in deinen Tagen
dem Morgenroth:
und wiefett ihren Ort an der Aurora,
daß fie die Zipfel der Erb ergreif’
und fehüttele die Räuber von ihr fort.
— 239 —
Wie Thon verwandelt ſich der Dinge Bild:
ſie ſtehen, wie mit Schmuck bekleidet, da.
Und den Verruchten wird ihr Licht entzogen;
zerbrochen wird ihr ſtolzer Arm.
102 E. Es iſt übel, daß man das Morgenroth nicht deutlicher
als Wächter, als einen Boten des Himmelsfürſten ausdrücken kann,
der geſandt wird, die Rotte der Böſen zu verjagen. Welch ein
andres Geſchäft, als das die Abendländer der Aurora geben! Es
zeigt alte Zeiten der Furcht und des Raubes an vorm Aufgange
der Morgenröthe.*)
A. Biſt dur gegangen in des Meeres Klüften?
Haft in des Abgrunds Tiefen du gewandelt?
Und tbaten fih dir auf des Todes Thore?
Die Pforten der Vernichtung ſaheſt du?
Und deine Wißenichaft reicht bis zur Erdenbreite?
Sag’ an mir und du kennſt fie ganz! —
Wo wohnt das Licht? wo ift der Weg zu ihm?
Die Finfternig? wo if ihr Ort?
Daß du fie bis zu ihrer Grenz’ ertappeft:
Denn du meißt ja den Richtpfad in ihr Haus! '
Du weißt ed, denn du wareft damals ſchon gebohren,
und deiner Tage Zahl iſt groß! —
E. Alles wird bier perfonificirt: das Licht, die Nacht, der
Tod, die Vernihtung Diefe haben ihren verriegelten Pallaft:
jene ihre Häufer, ihre Reihe und Grenzen. Cine ganze poetifche
Welt und Weltbefchreibung !
103 A. Biſt du gelommen in des Schneed Vorrathstammern?
und haft des Hagel Schäte ba gejehn?
Die ih mir auf die Zeit des Drangs erfpare,
zum Kriegedtage umd zur Schlacht! —
E. Jronie gehet durchs ganze Gedicht. Gott fürchtet den
Angrif ſeiner Feinde und hat ſich droben Hagelgewölbe, als Rüft-
*) Es iſt dies noch die Gewohnheit der Araber, vor der Morgen-
röthe auf den Raub auszugehn.
Herders fämmtl,. Werke. XI. 19
— I —
fammern, gefüllt und bewahret. In den Wollen, wie in ver
Tiefe, wird Alles voll Dichtung —
A.
Auf welchem Wege tbeilet fid) das Licht?
wenn e8 der Oftwind auf die Länder fireut?
Wer fpaltete des Himmels Waßergänge ?
und 309 ben Weg ben Ungemitterwollen ?
daß fie auf Länder regnen, wo fein Menſch ift,
auf Wüften regnen, bie Niemand bewohnt,
und fättigen die Einöd' und die Wüfte,
und fproßen machen zarte junges Gras.
Wer ift des Regend Vater?
Des Thaued Tropfen, wer bat fie erzeugt? |
Aus weßen Mutterleibe ging das Eis?
Den Reif des Himmels, wer hat ihn gebohren? |
Die Waßer bergen fih und werben Stein, '
Der Wellen Fläche Iegt in Feßeln fi. —
E. Reiche Poefie über Himmel und Erde! Droben, wo fi |
die Bäche des Lichts ergießen und fie der Oftwind über die Länder |
binführet, wo der himmlische Vater dem Regen Kanäle zieht und
den Wolfen ihre Bahnen zeichnet. Unten mo, das Waßer Fels 10
wird und die Wellen des Meers in Eisfeßeln gelegt werben.
Selbft der Negen, der Thau, der Reif befommen Mutter und
Bater. — Und jebt kommt eine der ſchönſten erhabenften Ausfich-
ten der Welt.
A.
Haft du das fchöne Siebenftern gebunden?
Dder kannſt die Bande des Orions Löfen ?
Und führft zu ihrer Zeit bes Thierkreis Stern’ empor?
und führft die Bärin auf mit ihren Jungen?
Weißt die Gefege dort am Himmel broben?
und haft fie unten auf der Erb’ entworfen? —
Kannft bis zur Wolf! erheben beine Stimme?
und in ihr gehn, bededt mit Waßerfluthen ?
Die Blitz' ausfenden und fie gehn!
fie fagen dir: „bier find wir!”
Wer bat ven Wollenzügen Sinn gegeben?
‚den Luft - Erfheinungen Berftand?
— I —
mb zählt die Regentropfen weislich ab,
und läßt des Himmels Güſſe fanft hernieder
und übergießt den Staub, daß er zufammenläuft,
den Klos, daß er zufammenbhängt. —
E. Die Beichreibung ber_jogenannten todten Schöpfung ift
biemit geendet; aber bier iſt nichts todte Schöpfung. Schweiter-
lih zufammen gebunden find die liebliden Yrühlingbringenden
Sterne. Drion (oder wer das Geſtirn Chefil fei,) ift der gegür-
tete Mann und bringt Winter: die Zeichen des Thierfreifes wer-
105 den wie ein Kranz der Erde allmälich emporgeführt: der Vater
des Himmels läßt am Nordpol die Bärin nit ihren Jungen wei-
den, oder (nah einer andern Mythologie und Lefart) die Nacht⸗
manbdererin,! eine Sternenmutter, die ihre verlohrne Kinder,
untergegangne Sterne fucht, wird von ihm getröftet: (vermuthlich
indem er ihr neue Sterne, ftatt der verlohrmen, heraufführt.)
Mer in der Nacht den Bär fi) wenden fieht, ala ob er am Him-
mel weide mit feinen Jungen: oder wie der Gurt des Thierfreijes
mit feinen fchöngeftidten Bildern mit den Jahrszeiten allmälich
heraufrüdt, und alsdenn an die Zeiten denkt, da die nächtlichen
Schäfer unter dem morgenländifhen Himmel dieſe Bilder immer
vor fih Hatten und nad ihrer Hirten» und Vaterphantaſie beleb-
ten; dem, m. Fr., wird die Schönheit dieſer Stelle im Sternen
glanz aufgehen, die überdem, ihrer Turzen Symmetrie nah, mit
dem Binden und Löfen kaum überfett werden fann. So gehts
auch mit der Stelle, daß Gott den tiefen Dunfelbeiten, den irren
Wolkenzügen und leeren Luftgefichten Verftand gebe; die perſoni⸗
fieirtte Sinn» und Bilddichtung verſchwindet in einer andern
Sprade. Alle diefe Bilder, die Ausfendung der Blite und ihre
Antwort, der Gang Gottes in den Wolfen, fein Abzählen der
zropfen im Regen, die fanfte und reichlihe Herablaßung derſelben
find fo ſchöne Naturpoefie —
106 A. Sie feinen überhaupt ein Liebhaber diefer Gattung;
und unſre Kunftrichter halten fie doch für die todteſte Dichtkunft.
1) Nfe. : Nachtwandlerin,“ [durcftrichen]
u 19*
— mM
Man will ihr fogar den Namen Dichtkunſt nicht gönnen und nennt
fie eine kalte Beſchreibung unbeſchreibbarer Dinge und Geftalten.
E. Wenn fie das ift, bin ich völlig der Meinung, Daß fie
den Namen Poeſie nicht verdiene. Die elenden Beſchreiber, die
ben Yrübling, die Roſe, den Donner, das Eis, den Winter mit
den gemeinften Zügen langweilig und falt fchildern, find weder
gute Dichter, noch gute Profaiften. Die Naturpoefie hat etwas
anders als eine matte Bejchreibung einzelner Züge, auf die fie
fih überhaupt gar nicht einläßt —
A. Und mas hätte fie ftatt ihrer?
E. Dichtung. Sie belebt die Sade, fie ftellt fie handelnd
bar. Sehen Sie Hiob. Die Erde war ein Pallaft, der ihr Haus-
vater den Edftein legte und alle Kinder Gottes jauchzten drein
Der Dean ward, wie ein Kind, gebohren und gemwindelt: das
Morgenroth handelte, die Blige ſprachen. Bild für Bild ift eine
neue Perfonendihtung: das macht nun die Poefie fo lebendig.
Die Seele wird fortgerißen und denkt fih die Gegenftände felbft
mit, weil fie ihre Wirkungen gewahr wird; lange Befchreibungen
brächten fie eher davon ab und erfchlafften ihre Kräfte. Sie zeig-
ten ihr elende Wortlumpen, abgezogne, halbirte Schatten der 10:
Geftalten, da fie jegt wirkliche Weſen vor fich fiehet.
A. Ya, Freund, wer Tann und mag aber auch wie bic
Morgenländer dichten? Den Drean als ein geminbeltes Kind,
BZeughäufer des Schnee und Hageld, im Himmel Waßerkanäle —
wer mag das?
—E. Nientand folls: denn jede Sprade, jede Nation, jedes
Klima bat ein eignes Maas und eigne Quellen feiner Lieblings:
dichtung. Es zeigte elende Armuth an, wenn man von fo ent:
legnen Völkern borgen mollte; aber benjelben Weg gehen müßen
wir! und auß eben den Quellen ſchöpfen. Bor weßen Auge und
Empfindung fih die Natur nicht belebt, zu wen fie nicht fpricht,
wen ſie nicht handelt; der ift nicht zu ihrem Dichter gebohren.
Tobt Steht fie vor ihm; und fie wird auch in feinen Bejchreibungen
tobt jeyn.
A. So hätten alsdenn die Zeiten der Unmißenbeit grofle
Vorzüge vor denen, in denen man die Natur fennet und ftubiret.
Jene dichteten, diefe bejchreiben.
E. Was Sie Zeiten der Unmißenheit nennen! — Alle finn-
liche Völker Tennen die Natur, von der fie dichten ; ja fie kennen
fie lebendiger und zu ihrem Zweck beßer, als der Linneifche Claßi⸗
filator aus feinem Bücherregifter. Zum Weberblid der Gattungen
ift dies unentbehrlih; es zur Fundgrube der Poefie zu machen
108 und aus Hübners Neimregifter zu dichten, wäre glei viel. — Ich
Iobe mir jene Zeiten, da man die Natur, vielleiht in kleinerm
Umfange, aber lebendig Tannte, fie mit_bem gefchärften Auge ber
Empfindung, der Menſchenanalogie anjah und meiſtens anftaunte.
A. Alſo kämen die Zeiten der Ummwißenheit, in denen man
anftaunte,, wieder.
E. eve Zeit kann und muß ihren Begriffen von dem Syſtem
der Wefen anftändig dichten; oder wenn fies nicht thut, muß fie
fih menigftens getrauen, größere Wirkung durch ihre poetifche
Naturlüge bervorzubringen, als ihr die ſyſtematiſche Wahrheit
gewähren könnte. Und follte, m. Fr., dies nicht oft der Fall
ſeyn? ch zweifle nicht, daß aus Copernikus und Newtons, aus
Buffons und Prieftlei Syitemen ſich eben jo hohe Naturbichtungen
machen liefen, ald aus den fimpelften Anfichten; aber warum bat
man fie nidt? Warum reizen uns die einfachen, rührenden
Fabeldichtungen alter oder unwißender Völker immer noch mehr
als diefe mathematiſch⸗ phyfiih- und metaphyſiſche Genauigkeiten ?
Nicht wahr, weil jene Völker in lebendiger Anficht dichteten, meil
fie Alles, Gott felbft, ſich gleihförmig dachten, bie Welt zu einem
Haufe verengten und in ihr alles mit Haß und Liebe befeelten.
Der erfte Dichter, der das auch in der Welt Buffons und Newtons
109 kann, der wird, wenn Sie wollen mit mwahrern ober wenigſtens
umfaßendern Begriffen die Wirkung thun, bie jene mit ihren
engen menſchlichen Fabeldichtungen thaten. Wir wollen wünſchen,
daß ſo ein Dichter bald gebohren werde: und ſo lang er nicht
da iſt, wollen wir bei den alten Völkern die hohen Schönheiten
— 24 —
ihrer Dichtkunſt deßwegen nicht lächerlih maden, weil fie unire
Phyſik und Metaphyſik nit kannten. Manche ihrer Allegorien
|
und Perſonendichtungen enthalten mehr Einbildungskraft und finn:
liche Wahrheit, als dicke Syſteme; und Regung des Herzens ver:
ftehet fih von felbft —
U. Die Naturpoefie dünkt mich aber nicht jo gar rührend ?
E. Sanft und daurend rührt fie allerdings, ja mehr als
eine andre. Kann es eine jchönere Dichtung geben, als die uns
Gott felbft in der Schöpfung dargeftellt Bat? die er uns durch
alle Tags - und Jahrszeiten ncu vorführet? Kann es eine wirt:
jamere geben, fobald die Sprache und nur einigermaaffen an Das
was wir find und genießen, wenn aud nur fur und einfylbig
erinnert? Wir leben ja in diefem groflen Haufe Gottes: unfre
Empfindungen und Begriffe, Leiden und Freuden find alle Daher.
Eine Poefie, die mir Augen giebt, die Schöpfung und mich zu
jehen, fie in vechter Ordnung und Beziehung zu betrachten, überall
höchfte Liebe, Weisheit und Allmacht zu erbliden, aud mit dem ı
Auge meiner Phantafie und in Worten, die dazu recht geihaffen
ſcheinen — eine ſolche Poeſie ift Heilig und edel. Welcher Unglüd-
liche, der mit dem großen Tumult feines Herzens unter den Ster-
nenhimmel tritt, wird nicht durch den hohen Anblid dieſer ftillen,
veiten, ewigen Lichter gleihlam wider Willen und unvermerft
befänftigt! allen ihm nun die fimpeln Worte Gottes ein:
„Kannſt du die Bande der fieben Sterne zufammenbinden?“ u. f.
its nicht, als ob vom Sternenhimmel ihm Gott felbft die Worte
zufprähe? Diefe Wirfung bat jede wahre Naturpoefie, die ſchöne
Auslegerin der Natur Gottes. Ein Zug, ein Wort aus ihr
erinnert oft an groffe Scenen und bringt uns ihre rührenden
Gemälde niht nur leibhaft vor Augen; ſondern führt. folche
unmittelbar zum Herzen, zumal wenn das Herz des Naturbid:
ters felbit janft und gut mar: wie es denn beinah nicht anders
jeyn konnte.
A. Das Herz der Naturbichter wäre aljo immer fanft und
gut geweien ?
E. Der grofien und wahren gewiß: fonft mwürben fie die
feinen Bemerfer, die hellen und mächtigen Ausleger der Natur ,
nicht geworden feyn. Cine Poeſie, die ſich allein mit menfchlichen,
oft ſehr niedrigen und jchlechten Handlungen beichäftigt, die in
unreinen Grüften des Herzens, oft zu unreinen Sweden, inbeß
111 lebhaft und wirkſam arbeitet, kann ihren Urheber wie ihre Lefer
verderben; die Poeſie Gottes thut das nie. Sie erweitert das
Herz, wie den Blid, macht diefen ruhig und aufmerffam, jenes
wirkſam, frei und frölid. Sie Ichafft Liebe, Theilnehmung und
Mitgefühl mit allem, was lebt; ja fie übt den Verftand, überall
Naturgefebe zu bemerfen und bat die Vernunft auf die rechte Bahn
geleitet. Bon der Naturpoefie der Morgenländer gilt die vor-
züglich —
A. Auch von unferm Kapitel Hiobs ?
E. Allerdings. Es wäre thöriht, der Phyſik einzelner poe-
tiſchen Borftellungen nadgraben oder fie mit dem Syſtem unfres
Tages vereinigen zu wollen, damit doch auch Hiob ſchon jo gedacht
babe, wie unſre Naturphiloſophen; aber die Hauptidee, daß Alles
Ein Haus Gottes fei, wo Cr jelbft walte, mo alles nach ewigen
Regeln, mit jevesmaliger Vorficht im Kleinften Moment, mit Güte
und Sinn gefhehe — der Hauptgedanfe ift unverkennbar groß
und edel. Er iſt in Beifpielen dargeftellt, wo Alles zu Einem
Zwed, dem Ganzen eilet. Die munderbarften Phänomene treten
ung ala Werte des immer fchaffenden Hausvaterd vor — geben
Sie mir ein Gedicht, das unjre Phyſik, unſre Entdedungen und
Meinungen vom Weltbau, von den Veränderungen des Univerjum
in jo kurzen Bildern, mit fo lebendigen Perfonificationen, mit fo
112 treffender Auslegung, in jo binreißendem Plan der Einheit und
Mannichfaltigfeit darftelle, als dies jchlichte Kapitel Hiobs; ich laſſe
Ihnen dafür eine Epopee von Helden und Waffen liegen. Aber
vergeßen Sie nicht meine drei Hauptmworte: Belebung der Gegen-
ftände für den Sinn, Auslegung der Natur fürs Herz, ‘Plan im
Gediht wie in der Schöpfung für unfern Berftand. Der lebte
fehlt vollends gar den meiften neuen Naturbefchreibern —
— 923 —
A Mi dünkt Sie fodern Unmöglichkeiten. Wie wenig Plan
it in den Scenen der Natur für uns überſehbar. Dus Reich der
allgemwaltigen Mutter ift fo groß, ihr Gang fo langfam, ihre Aus-
fihten jo unendlid ---
E Daß deßwegen aud ein menjchliches Gedicht jo groß,
, langfam und unüberſehbar feyn müſte? Wem die große Mutter
feinen Plan, feine Einheit ihrer Gedanken weiſet: wer das Gewebe
biefer Penelope nur von der linfen Seite anſieht; der fchmweige,
der dichte nicht von ihr. Aber wen fie den Schleier wegzog und
ihr Angeficht zeigte, der rede; der fiehet überall Zufammenhang,
Ordnung, Güte, Gedanken. Sein Gedicht wird alfo auch wie die
Schöpfung xoouos, ein regelmäßiges Wert mit Plan, Umriß,
Sinn, Endzwed ſeyn und fih im Ganzen jo dem Verſtande
empfehlen, wie durch einzelne Gedanken und Auslegungen dem 113
Herzen, und dem Sinn dur der Gegenftände Belebung. Alles
ift in der Natur gebunden; und für den menſchlichen Blid bindet
fih alles menfhlih. Tags - und Jahrszeiten find unfern Lebens-
altern ähnlich; Länder und Climata der Erde bindet Ein Men-
ſchengeſchlecht; Zeiten und Welten bindet Eine ewige Urſache, Gott,
Schöpfer. Er wird das Auge der Welt in ihrer fonft unermeß-
lichen Leere; und eben dies Auge macht Alles zu Einen Ange:
fiht. Auch da fommen wir wieder nah Orient: denn fie brachten
in ihre Naturpoefie, fo arm oder reich dieſe ſeyn mochte, zuerft
BVerftandes » Einheit. Sie fahen überall den Gott Himmels und
der Erde. Das that fein Grieche, fein Celte, fein Römer: mie
weit fteht hierin Lucrez hinter Hiob und David! —
A. Sie denfen jehr morgenländiih: infonderheit mit ihren
Perfonificationen. Lejen Sie unſre Kunftrichter, wie ſparſam bie
ſolchen Schmuck anrathen.
E. Wenns Schmuck ſeyn ſoll, haben ſie Recht; ich rede aber
von Seele, von Belebung. Nicht wahr, OBian iſt fein Morgen—
länder, auch nicht einmal ein eigentlicher Naturihilderer; und —
| alle Gegenftände find bei ihm perfonificirt, voll Leben, voll Bemwe-
| gung: ſei's Wind und Welle, oder gar der Bart einer Diftel.
114 Die Sonne ift ihm ein raſcher Jüngling, der Mond ein Mädchen, F >48
der auch Schweitern, andre Monden, am Himmel gehabt hat, der
Abendftern ein lieblicher Knabe, der kommt, blidt, und wieder
weggeht — Kurz, Oßian ift in Perlonificationen Hiobs Bruber.
Lejen Ste bier einige ſchöne Proben und ich hoffe, er wird Sie
mit den Perfonendichtungen Orients verjöhnen.
115 1.
Oßians Anrede an die untergehende Sonne.
Haft du verlaßen beinen blauen Lauf? *)
goldhaariger Himmels - Sohn.
Der Weſt hat feine Thore aufgetban:
da ift das Bette deiner Ruh.
Die Wogen kommen zu fchauen deine Schönheit,
fie heben ihre zitternden Häupter auf:
fie feben dich in deinem Sclafe lieblich
und zittern weg vor Furcht.
Ruh aus in deiner Schattenhöhl’ o Sonne
und laß bein Wiederfommen in Freude feyn.
2.
An die Morgenfonne.
D du, die du droben rolft, rund wie meiner Väter Schild,
woher find deine Stralen, 0 Sonne,
dein immerbaurend Licht?
Du trittfi hervor in deiner erhabnen Schöne:
da bergen die Stern’ im Himmel ſich,
der Mond, kalt und blaß, ſinkt im die weitliche Woge.
Du aber fchreiteft allein daher;
wer fann Gefährte feyn von deinem Lauf?
*) Lauf ift bei Oßian wie auch in den Pfalmen das gewöhnliche
Wort für Thaten der Helden.
Vu VE
— I —
A. Mich dünkt Sie fodern Unmöglichkeiten. Wie wenig Plan
iſt in den Scenen der Natur für uns überſehbar. Das Reich der
allgewaltigen Mutter iſt jo groß, ihr Gang fo langſam, ihre Aus:
fihten fo unendlich
E. Daß deßwegen aud ein menfchliches Gedicht jo groß,
langſam und unüberfehbar ſeyn müfte? Wem die große Mutter
feinen Plan, feine Einheit ihrer Gedanken mweijet: wer das Gewebe
biefer Penelope nur von der linfen Seite anſieht; der jchmweige,
der dichte nicht von ihr. Aber wen fie den Schleier wegzog und
ihr Angeficht zeigte, der rede; der ftehet überall Zufammenbang,
Ordnung, Güte, Gedanfen. Sein Gedicht wird alfo auch wie die
Schöpfung xoouog, ein regelmäßiges Wert mit Plan, Unıriß,
Sinn, Endzweck ſeyn und fih im Ganzen jo dem Verſtande
empfehlen, wie durch einzelne Gedanken und Auslegungen dem 113 Ä
Herzen, und dem Sinn durch der Gegenftände Belebung. Alles
ist in der Natur gebunden; und für den menſchlichen Blid bindet
fich alles menfhlid. Tags - und Jahrszeiten find unfern Lebens-
altern ähnlich; Länder und Climate der Erde bindet Ein Men:
ſchengeſchlecht; Zeiten und Welten bindet Eine ewige Urſache, Gott,
Schöpfer. Er wird das Auge der Welt in ihrer jonft unermeß-
lichen Leere; und eben dies Auge macht Alles zu Einem Ange-
fiht. Auch da fommen wir wieder nah Drient: denn fie brachten
in ihre Naturpoefie, jo arm ober veich diefe ſeyn mochte, zuerft
Verftandes - Einheit. Sie fahen überall den Gott Himmels und
der Erde. Das that fein Grieche, fein Celte, fein Römer: wie
weit fteht hierin Luerez binter Hiob und David! —
A. Sie denfen ſehr morgenländiih: injonderheit mit ihren
Perfonificationen. Leſen Sie unfre Kunftrichter, wie fparjaın bie
ſolchen Schmud anrathen.
E. Wenns Schmud feyn foll, haben fie Recht; ich rede aber
von Seele, von Belebung. Nicht wahr, Hfian ift fein Morgen⸗
länder, auch nicht einmal ein eigentlicher Naturſchilderer; und —
alle Gegenftände find bei ihm perjonificirt, voll Leben, voll Bewe⸗
gung: ſei's Wind und Welle, oder gar der Bart einer Diftel.
— 297 —
114 Die Sonne iſt ihm ein raſcher Jüngling, der Mond ein Mädchen, F »98
der auch Schweſtern, andre Monden, am Himmel gehabt hat, der
Abendſtern ein lieblicher Knabe,/ der kommt, blickt, und wieder
weggeht — Kurz, Oßian iſt in Perſonificationen Hiobs Bruder.
Leſen Sie hier einige ſchöne Proben und ich hoffe, er wird Sie
mit den Perſonendichtungen Orients verſöhnen.
116 1.
Oßians Anrede an die untergehende Sonne.
Haft du verlaßen deinen blauen Lauf? *)
goldhaariger Himmels - Sohn.
Der We bat feine Tore aufgetban:
da ift das Bette beiner Ruh.
Die Wogen kommen zu fchauen deine Schönheit,
fie heben ihre zitternden Häupter auf:
fie fehen did in deinem Schlafe lieblich
und zittern weg vor Furcht.
Ruh aus in deiner Schattenhöhl’ o Sonne
und laß dein Wiederkommen in Freude ſeyn.
2.
An die Morgenfonne.
D du, die bu droben rollſt, rund wie meiner Väter Schild,
woher find beine Stralen, 0 Sonne,
dein immerbaurend Licht? .
Du trittft hervor in beiner erbabnen Schöne;
da bergen die Stern’ im Himmel fich,
der Mond, kalt und blaß, fintt in bie weftliche Woge.
Du aber fchreiteft allein daher;
wer kann Gefährte ſeyn von deinem Lauf?
*) Lauf ift bei Oßian wie auch in ben Pfalmen das gemöhnliche
Wort für Thaten der Helden.
ar Ad £ ‘
KrN, sr.
N
— DIE —
Die Eichen der Berge fallen:
Die Berge ſelber ſchwinden mit den Jahren:
es ſchrumpft das Meer zuſammen und wächſet wieder:
auch ſelbſt der Mond verliert am Himmel ſich;
nur du biſt immer derſelbe, dich erfreu'nd
im Glanze deines Laufs.
Wenn die Welt in Stürmen dunlkel liegt:
wenn Donner rollt und es fliegt der Blitz;
denn blickſt aus Wolken du in deiner Schönheit nieder
und lahft dem Sturm.
Doch ah! auf Oßian bfideft du umſonſt;
er fieht nicht deine Stralen mehr,
ob jett dein gelbes Haar auf Ofte8-Wolten fliefle,
oder ob du zitterfi an des Weftes Thor ?
Bielleicht biſt dur auch, gleich wie ich,
für eine Zeit,
und beine Jahre werden ein Ende haben.
Denn wirft auch bu in deinen Wolfen fchlafen,
forglo® der Stimme des Morgens, die did wedt.
Erfreu dich Sonne, jetzt in beiner Jugend Kraft:
denn dunkel und unlieblich ıft das Alter.
Es iſt wie Mondes Schimmerlicht,
wenns duch gebrochne Wolten fcheint,
und Nebel auf den Hügeln liegt;
der Hauch des Nords ift auf der Ebene,
der Wandrer fährt zufammen in ber Mitte feined Wege.
— un — — —
3.
An den Mond.
Tochter des Himmels, ſchön biſt du!
Das Schweigen deines Angeſichts iſt freundlich.
Du tritift hervor in Lieblichkeit.
Die Stern’ erwarten beine blauen Zritt' im OÖften.
Die Wollen freun fi, wenn du kommſt, o Mond,
und ihre dunkeln Säume ſtehn vergülbet.
115
— 29 —
Wer ift dir gleih am Himmel,
Tochter der Nacht?
Die Sterne find beſchämt wenn bu erjcheineft,
fie wenden ſchnell ihr funtelnd Auge meg.
Und wohin birgſt du dich von deinem Lauf
wenn Duntelbeit bein Antlitz bedt ?
Haft du auch deine Hall wie Oßian?
und wohnft bafelbft in Grames - Schatten?
weil beine Schmweftern wohl vom Himmel fielen, *)
die fi mit dir erfreuten einft zu Nacht
und find nicht mehr.
Ja! fie fielen, ſchönes Licht!
Und darum geheft du fo oft zu traureıt.
Doch bu, du ſelbſt wirft auch einmal
zu Nacht ausbleiben,
und lafien deinen blauen Pfad
am Himmel leer.
118 Denn werben fie ihr dunkles Haupt erheben,
die Sterne, die bu nun beſchämſt;
fie werben denn frobloden.
Noch bift du ſchön mit deinem Glanz geſchmückt,
blid’ ber aus deinem Himmelsthor.
Zerbrich die Wolle, Wind, daß fie da vor fich fehaue,
das Kind der Nadıt:
daß Büſch' und Berge wiederglänzen,
und feine blauen Wogen roll’ im Lichte
der Ocean.
4.
An den Abendftern.
Stern der nieberfteigenden Nacht! .
Schön ift bein Licht im Welt.
Du bebft dein ungefchorne® Haupt
aus deiner Woll' empor
und flattlich ift dein Tritt auf deinem Hügel.
*) Fallen ift bei Oßian der gewöhnliche Ausbrud des Todes.
— 30 —
Wornach blickſt du die Ebn' hinan?
Die ſtürmgen Winde haben ſich gelegt:
des Stromes Murmeln kommt von weitem her:
brüllende Wogen klimmen den fernen Felſen hinan:
des Abends Müden find auf ihren ſchwachen Flügeln:
und auf dem Felde ift das Sumfen ihres Laufe. *)
Wornach blickſt du, Schönes Licht?
Doch du lächelſt und gehfl davon.
Die Wellen umringen mit Freude dich
und baden bein Tieblih Saar.
Leb' wohl, du fliller Stral!
*) Sie haben auch Uebungen und Schlachten wie Krieger.
120
121
V.
Inhalt des Geſprächs.
Lebendige Schöpfung in Diob, SHauptfarbe ihrer Bilder. Wo Hiob
gelebt? Ob im Thale Gutte ıtte bei Damaftus? Gründe für die Sprüche
feined Buchs als einer Weisheit ber Kinder Edoms. Aegyptiſche Bil-
der im Bud. Ob der Verfaßer deſſelben ein Aegypter geweſen?
Umfang feiner Bilder. Ob Behemoth der Elephant oder das Nilpferb
fi? Ob Mofes das Buch gefchrieben? aus dem Arabifchen Überſetzt ?
bei Jethro gefunden? Wenn e8 nach Judäa gelommen? Ob e8 in
der Epräifchen Poefie nachgeahmt worden? Ob bie Biftorifche Einlei-
tung fo alt, als das Buh? Ob der Satan diefes Buchs ein Ehal-
däiſcher Begrif ſei? Bon der gerichtlichen Denkart, die bei Hiob im
Himmel und auf Erden herrſchet. Plan des Buchs als einer Gerichts-
verhanbfung und eined Kampfes der Weisheit. Ob die Freunde Hiobs
charafteriftifch gezeichnet? Ob ihre Reden einem Berfolg nach zufam-
men georbnet find? Daß das Buch kein Drama in Auftritten, fon-
NS, dern Gonsessus einiger Weifen fei, nach morgenländiicher Weife. Ob
es fih auf eine Geichichte gründe? Dichteriſche Compofition in ihm.
Beilage, Entwurf berfelben.
Alciphron. Ich bin auf den zweiten Theil der Anrede
Gottes an Hiob begierig, wo alle Thierbilder auch mit Menfchen-
empfinbung befeelt ſeyn werden. ch will lejen; legen Sie aus,
Der König der Thiere tritt zuerft auf:
Jagft du dem Löwen feinen Raub?
und fättigeft der jungen Löwen Gier?
wenn fie geftredt in Hölen liegen,
und Iauren da im Hinterhalt.
Wer ſchafft dem Raben feine Speife?
wenn feine Jungen ſchreyn zu Gott,
und irren umber und finden feine Speie.
r
— IR —
Bemerkeſt du bie Zeit, wenn die Felsgems gebieret?
und nimmft in Acht der Hirfhe Mutterwehn?
und zählft die Monden nach, da fie noch tragen muß,
und weißt genau, wenn fie gebiert ?
Sie frümmen fih und drängen aus bie Jungen,
fie drängen ihre Schmerzentinber aus;
und e8 gebeiben ihre Kinder,
fie mehren in der Wuſſte fich,
fie geheu weg und kommen nie
zu ihren Müttern wieder. —
Eutyphron. Die Graufamfeit des Löwen, die Häßlichkeit
des jungen Raben an Stimme und an Körper, für den Bott aud
jorgt, feine bier fo kurzgemahlte krächzende Anaftftimme ſprechen
für fih jelbft. Auch die Vaterzärtlichleit Gottes, mit der er ſich
der Gemje des Felſen annimmt, haben wir fchon bemerit; ſehen
Sie jetzt die Entihädigung, mit der Gott ihr ihre Schmerzen ver-
gilt: „ihre ungen gedeihen bald und machen ihr weiter feine
Mühe.” — Auch bei andern Thieren werden wir diefen ſchonen
ben und erftattenden Vaterfinn Gottes bemerkt finden. Das fol- ır:
gende Bild ift gleich Zeuge.
A. Wer machte den Waldeſel frei?
und löſete ihm auf der Knechtfchaft Bande?
Die Wiüfte gab ich ihm zum Haufe ein,
die unfruchtbare Wilftenei zur Wohnung.
Da ladet er des Lärms der Stabt;
das Dranggefchrei der Treiber hört er nicht:
Auf grünen Bergen fucht er feine Weide,
wo grünes Gras ift, ſpäht ers auf.
E. Mit wahrem Freibeitgefühl wird die Natur diefes ſcheuen
Thiers befchrieben. Die unfruchtbare Wüfte ift feine Wohnung;
und es taufcht nicht mit dem Lärm der Stadt; es darf, wie fein
dienender Bruder des Treiber Stimme nicht hören. Aber nad)
den grünen Bergen ſchaut fein Blid, das kleinſte Gräschen ſpähets
auf: e8 lebt in der Wüſte kümmerlich und frei und frölid.
A. Wird dir der Waldochs dienen wollen?
wird er an deiner Krippe Übernachten?
— 303 —
Spann’ ihn einmal ins Seil ein, bir zu furchen,
verſuchs, daß er, dir nach, die Thäler adre.
Berlaß dich auf ihn, weil er fo ſtark ift,
und trau ihm beine Arbeit an.
Bertrau ihm an, daß er dir deine Frucht zuführe,
daß er dir deine Tenne füllen foll.
123 E. Der wilde und zahme Ochs ftehn Bier gegen einander;
jener wird die Arbeit dieſes nicht übernehmen. Kurz, jedes
Geſchöpf ift für ſich erichaffen und lebt in feiner Weife glüdlich. —
Die drei ſchönſten Beichreibungen kommen jebt, des Straußes, des
Roßes, des Adlers: fie beichließen die fieben Thierbilder prächtig:
A. Mit Luſtgeſchrei erhebt ſich ein froher Fittig dort:
FRE Storches Flügel und Kiel?
Der Erde vertraut er feine Eier an,
legt über den Sand fie, daß fie der erwärmt,
und denkt nicht dran, daß fie ein Fuß zertriimmre,
daß fie zertret’ ein wildes Thier.
FR Hart auf feine Kinder: fie find nicht fein:
umfonft ift feine Geburtsmüh’: doch er achtets nicht:
denn Gott Tieß ihn vergefien nachzudenken,
Borüberlegung theilt’ er ihm nicht mit;
aber bebt er fih und fpornt ſich an zum Lauf,
verlachet er den Reuter und fein Roß.
Gabſt du dem Roß die Kraft?
und ſchmückteſt ihm mit fliegender Mähne den Hals?
Machſt e8 auffpringen, wie die Heufchred fpringt?
Sein prädtig Wiehern fchredt: .
es ſcharrt die Erb’ und freut fich feiner Kraft.
Wenn e8 dem Waffenglanz' entgegen zeucht,
lacht e8 der Furcht und zittert nicht,
und fehrt nicht um, wenn es das Schwert erblidt.
Ueber ihm ſchwirrt der Köcher,
ganzen und Spiefle blitzen umher.
Mit Muth und Zorn wühlts in ven Boden und ſtampft,
und glaubt nicht, daß ſchon die Trommet‘ ertönt.
124 Die Trommet’ tönt lauter; e8 ruft: Hui!
und fchnaubt von fern in die Schlacht,
ins Kriegsgefchrei der Führer, ins Feldgeſchrei! —
— AM —
RE dein Berfland, daß fih ter Habicht ſawingt ?
und fpanııt dem Winde feine Fittig’ aus?
IRE dein Gebot, daß fih der Adler hebt
md baut fein Neſt fo Hoch?
Er bewohnt den Felſen, übernadgtet da
hoch auf der Fellenfpig’ im feiner Burg,
Bon da erfpäht er fih den Raub;
in weite Fernen blidt fein Aug’
und feine Jungen ſchlurfen Blut,
wo ein Leihnam if, iR Er.
E. Bemerten Sie das Stolze aller drei Beihreibungen. Tr
Straus wirb in feinem Aufihwunge jo triumphirend geſchilder:
daß er für plöglidder Bewunderung gar nicht genannt wirb um:
ala ein Niefe des Flugs mit Lauf und Luftgeichrei fidh jelt“
mahlet. Seine vergeßliche Dummheit wird Weisheit des Schöpfers
mit der er bei feinem fcheuen furchtſamen Leben in der Wüfte ibn
gütig überbacht hat. Wäre er nachdenkender und weider, jo wür
den ihm feine zurüdgelaßenen Zungen wehthun; darum Bat ihm
Gott den Verftand verfagt und ihm das wilde Lufigefhrei und
feinen geflügelten Lauf gegeben. Die Beichreibung des Roßes ift
vielleicht die edelfte, die von diefem Thier gemacht ward; fo wir
auh die Gegend, in der das Buch gefchrieben ift, die ebelften L.
Pferde Hatte. Es ift bier, wofür es auch die Araber anfehn,
ein verjtändiges, muthiges, kriegeriſches Weſen, der Theilnehmer
des Siegs: fein Wiehern gehört mit ins Schlachtgeſchrei Der
Helden. Der Adler endlih in feinem auffteigenden Fluge,
mit feinem Königsblid, in feiner Königsburg, in feiner Blut-
gier, in feiner räuberifhen Allgegenwart bejchließt: ein König
des gefiederten Reihe mie der Löme als König der Erden:
thiere anfing. Behemoth und Leviathan, die Waßerungeheuer,
folgen.
A. Ich will diefe für mich lefen; geben Sie mir lieber Auf-
ſchluß vom ganzen Sinn des Vorführens diejer Bilder, vom Faden
der Gefprähe des Buchs, wo möglich au von der Zeit und dem
Drt, wo der Berfaßer Iebte.
— 0 —
E. Alſo vom Ort, wo der Verfaßer lebte. Aber wo wißen
wir ben, wenn wir den Verfaßer nicht kennen? Es muß alſo dabei
bleiben, wo etwa die Scene des Buchs liegt? Wo Hiob gewohnet?
Iſt die hiſtoriſche Einleitung dieſer Gedichte alt und glaubwürdig
(und ſie iſts doch mehr, als neuerfundne Nachrichten) ſo hat er im
Lande Uz gewohnt; wo lag dies Ländchen Uz7?
A. Es ſoll das angenehme Thal Gutte um Damaskus ge⸗
weſen ſeyn.
126 E. So iſt die Einleitung des Buchs mit dem Buch ſelbſt
nicht einſtimmend: denn hier kommen offenbar keine Syriſche, ſon⸗
dern Arabiſche und Aegyptiſche Scenen vor. An nichts, was
Syrien unterſchiede, wird in allen Gedichten gedacht: und doch iſt
auch dies Land ſo reich an eignen Naturſcenen. Wir geben alſo
dieſen Schauplatz, der fich überhaupt nur auf eine ſpäte münd-
lihe Benennung gründet, auf und unterfuhen nad eigner Angabe
der Ebräiſchen Schriften — — Kennen fie außer Uz, der Damas-
kus erbauet haben foll, feinen? Leſen Sie 1 Moſ. 36, 28.
A. Alſo auch einer der Kinder Edoms Hat diefen Namen.
E. Und wohin jeht Jeremias die Tochter Eboms ?*)
A. „Tohter Edoms, die du wohneſt im Lande Uz.“
E. Klärer kann nichts jeyn. Und woher find die Freunde,
bie Hiob bejuden, die ihm alſo in der Nähe leben? So—
wohl Eliphas als Theman ftehn unter den Ejaus - Söhnen”)
ihon bei Mofes; in vielen andern Stellen der Propheten“)
ift Theman als ein Land oder eine Stadt Edoms voll Fugen
Raths und weiſer Gedanken befannt; gerade wie Eliphas fich
127 bier zeiget. Bildad von Suah, Zophar von Naemah, Elihu
aus Buz find alle aus den Gegenden oder der Nachbarſchaft
Idumäas. Suah war ein naher Verwandter von Dean‘) und
Devan wohnte nah an Idumäa. Die andern Städte”) werben
a) Klagelied 4, 21. b) 1 Mof. 36, 11. 12.
c) Ier. 49, 7. Obad. 8, 9.
d) 1 Mof. 25, 2. 3. Ger. 49, 8. Czech. 25, 13.
e) Sof. 14, 21. Jer. 25, 28.
Herders fänmtl. Werte. XI. 20
— 306 —
auch dahin gefezt und überhaupt find die Sitten des Buchs Idu
mäiſch, Arabifch.
4. Sollte in Idumäa fo frühe folde Aufllärung gemein
ſeyn?
E. Wäre das nicht, fo hätte der Dichter ſchlecht eingeleitet,
weil er die Scenen des Gedichts dem Ort und der Beit mid
gemäß darftellte; mich dünkt aber, das mußte er befer als wir.
Wenns auf und anläme, läugneten wir dad Buch ganz ab umd
jagten: in fo alte Zeiten, in fo rauhe Gegenden hat jo viel Weis
beit, jo viel Naturlänntnig nimmer gehöret. Und doch wären
mehrere Propheten offenbar gegen dieſe Abläugnung —
A. Welde Propheten ?
E. Die noch zu ihrer Zeit, da Edom ſchon oft unterjodt
war, dies Ländchen als einen Winfel morgenländifcher d. i. Arabi
ſcher Weisheit betrachten: die Klugen von Themen, die Weiten
Edoms fcheinen ein gewöhnliches Sprüchwort.“) Nun wißen wir,
worinn die morgenlänbifche d. i. Arabifche Weisheit beftand? in ır
Poeſien, Sprüden, erhabnen Bildern und Räthfeln, wie! Died Buch
fie darftellt. Es zeigt ja felbft auch von feinem Schauplag: denn die
Scene und Sitten find ganz Edomitiſch. Hiob ift ein Emir, mic
wahrſcheinlich auch feine Freunde und wie die Edomsfürſten gleich
in den Büchern Mofes bergenannt werben. Sordan ift bei ihm
der Name eines Stroms. Endlich die Moſaiſchen Geſetze Fennt
dad Buch gar nidt; es tft voll gerichtlicher Ideen, aber alle
nah der Geftalt eines morgenländifhen Emirs⸗-Gerichtes. Dieſe
Denkart geht vom erften bis zum letzten Kapitel und ift des Buchs
Seele —
A. Es Hat aber auch fo viel Aegyptiſche Bilder: vom Ni-
ftrom, der hier, wie in Aegypten, das Meer genannt wird, vom
Papierfhilf, dem Krokodil, den Inſeln der Verftorbnen —
N
*) Jer. 49, 7. Obad. 8, 9.
1) Dife.: eben wie
— 3017 —
E. Laßen Sie mich fortfahren: dem Behemoth, der mahr-
Icheinlih das Nilpferd und nicht der Elephant ift, den Gräbern
der Könige, (die Elephantiaſis nicht zu vergeßen;) aber was hindert
das? In Aegypten bat Hiob gewiß nicht gelebt, oder mit andern
Worten, die Scene und Denlart des Buchs ift gar nicht Aegyptiſch.
Die Mythologie, die durch alle diefe Gedichte herrſcht, ift hebräiſch
oder Drientaliich, (wenn ich das letzte Wort nehmlich für den Haupt»
129 begrif der mit dem Hebräifchen verwandten Sprachen nehme). Die
Ideen von Gott, der Welt, ver Weltentftehung, dem Menſchen,
dem Schidjal, der Religion find hebräifch oder Orientaliih, wie fie
ih in feiner Sprade der Welt, ala in dieſer, formen lieflen.
Wenn Sie dies nicht aus unjern biöherigen Geſprächen gefunden
hätten: jo könnten Sies auf allen Blättern des Buchs finden.
Alfo bleiben die Aegyptiihen Bilder bloß Aegyptiihe Bilder d. i.
ein fernbergeholter Reichtum. Es ift unverlennbar, daß im ganzen
Buch diefe Art von Aftatiicher Pracht auch in Gleichnißen und
Känntnißen berrihet. Wir werden zu einer andern Zeit ben
ganzen Schatz Orientaliſchen Reichthums in einem Gedicht finden,
wo wird am wenigiten erwarten, in einem Lobgedicht auf die Weis-
beit; und fo ifts mit einer Reihe andrer Bejchreibungen. Sie
ftehen des Seltnen und ber Gelehrfamleit wegen ba; beim Straus,
dem Behemoth, Leviathan ift das unläugbar. Wären die beiden
legten Thiere den Lande, wo Hiob wohnte, gewöhnlich gemefen,
jo könnten fie unmöglih jo riefenhaft und feierlich befchrieben
werben; eben aber als fremde Ungeheuer und Wunderthiere treten
fie auf: das ift der Zweck ihrer Erſcheinung.
A. Alfo könnte man ziemlich den Kreis beftinmen, der den
Verfaßer diefes Buches befannt, und was ihm in demjelben fremd
und nahe war?
130 E. Ziemlih. Die Lebensart, der Reichtum, das Gericht:
figen, die Glüdfeligleit der Emirs ift ihm eigen: darauf ift alles
gebauet. Das Opfern ift ihm befannt; aber ein patriarchalifches
Opfern, denn Hiob verrichtet® felbft, der Vater de Hauſes.
Arabifche Wüſten, verfiegende Bäche, ziehende Horben und Kara⸗
20 M
— 30 —
vanen find im Buch die gewöhnlichſten Bilder. Näuberbanden
Hölenbewohner, Löwen und Waldefel, die Blutrache, alle Formal
täten des Afiatiichen Gerichts — eine Reihe andrer kleiner Um
ftände, die ſchwer zu erzählen find, zeigen ſämmtlich für Die Gegen),
in die ſowohl die 70, ala der hiſtoriſche Einleiter das Bud ſetzen
Idumäa. Gegentheild, die Schäge Mohrenlandes, Die Seltiam
fetten Aegyptens ftehen offenbar als ein Schmud ferner Gelch
ſamkeit da; Leviathan und Behemoth enblih find Die Herkuls
Säulen am Ende ded Buch, das non plus ultra einer andern Bet
A. Sie hielten den Behemoth für das Nilpferd; und de
gemeine Meinung hält ihn doch für den Elephanten.
€. Ich mag die neuefte gemeine Meinung nit ändern; abet
die ältere gemeine Meinung hielt ihn für den Rhinoceros und midt
blos anjehnliche Autoritäten, ſondern offenbare Züge der Befchreibung
find für fie. Ein Flußthier muß es ſeyn, denn es wird als em
Seltenheit angeführt, daß es auch Gras freße wie die Ochſen,“
daß auch die Berge ihm Nahrung geben und die Thiere des Feldes
um ihn fpielen. Im Rohr fchläft es, in den Sümpfen am Ufer
liegts verborgen, welches fih nicht auf den Elephanten paßet. Es
gehet dem Strom entgegen, als wolle es ihn mit dem Munde
austrinten — offenbar aljo ein Thier des Waßers. Seine Kraft
ift in den Lenden, feine Stärke im Nabel feines Bauchs, mo eben
der Elephant am fchwächften ift. Seine Knochen find eherne Röh—
ren: fein Rückgrad eine eijerne Stange: der ihn gemacht bat, ver
ſah ihn mit einer Harpune; welches des Nilpferds ſpitzige, hervor⸗
geredte Zähne find und bei dem Elephanten nicht ftatt finden.
Da überdem der Name Behemoth wahrfcheinlich jelbit der Aegyp-
tifche Name des Meerochien, P-Ehe- Moüth ift, (hier nur nad
Ebräiſcher Art ausgebrudt wie Ebräer und Griechen alle fremde
Namen umbilden:) da er ferner mit dem Krokodil zujammen, den
Landthieren, die in einer eignen Rebe vorgeführt worden, gegen:
über ftehet und als ein fremdes Ungeheuer, wie die Morgenlänber
alle Wapergefchöpfe betrachteten, den Trupp ſchließt: fo dünkt mid,
bat diefe Meinung überwiegende Wahrfcheinlichfeit und wird zeitig
‚132
— 5090 —
gnug wieber berrihende Meinung werden. Leſen Sie Bodart,
Zudolf, Reimarus; und ih glaube, die Befchreibung ift fo
paßend, als fie e8 von einem fremden Wunderthier nur feyn
könnte. |
A. Aber der Rüßel, den er wie eine Geber von fi
ftredt ?
€. Bon feinem Rüßel ift bier die Nebe, ſondern vom
Schmanze; auch nicht die Länge der Geber ift der Punkt der Ber-
gleihung; ſondern die Krümmung, wie die Geber ihre Xefte
frümmet. Dies Krümmen iſts eigentlih, was aud die ältern
Verſionen ausbrüdten; und dies Bild ift eben für das plumpe
Waßer-Ungeheuer. Aber gnug: wer, denken Sie, hat das Bud
geichrieben ?
A. Man fagt: Mofes, da er bei Jethro mar.
€. Es thut mir leid, daß ich mich abermals von diefer ziem-
lich allgemeinen und alten Meinung nicht überzeugen kann. Ich
Ihäge Mofen auch als Dichter hoch; aber Dichter diefer Gedichte
ift er wahrlich nit, oder Solon hätte die Iliade und die Eume-
niden des Aefchylus geichrieben. — Ich Tann mich rühmen, den
Genius der Moſaiſchen und diefer Poefie unbefangen ftudirt zu
haben: ich rechne auch alles dazu, was Veränderung der Umftände,
ber Jahre, der Gefchäfte thun mögen; immer ftehen fie mir aber
noch wie Dft und Weſt aus einander. Hiobs Dichtkunſt ift ganz
son Fury, finnreih, ftark, Heroifch, immer (möchte ich jagen) auf
dem höchſten Punkt des Auspruds und Bildes. Mofes Dichtkunft
ift auch in den erhabenften Stellen verfloßener, fanfter; ja gerade
133 die Eigenheiten in Mojes Styl und in der Stellung feiner Bilder
find diefem Buch fremde. Die Stimme, die bier tönt, ſchallt rauh
und abgebrochen zwifchen den Felſen hervor und kann fi unmög-
ih in dem platten, flachen Aegypten gebildet haben: es ift die
Dentart eines Araber, eines Idumäers ſowohl im Umkreiſe ber
Bilder als in jenen Heinen Lieblingszügen, die eben am meilten
harakterifiren. Die Phantafie des Dichters bildet fih in feiner
Yugend und wie fie fih da gebilbet bat, bleibt fie, zumal in ben
— 310 —
Grundſtrichen, die frühe Eindrücke bezeichnen. Hiob iſt fo vel
von hausväterlichen und gerichtlichen Bildern morgenländiſcher Emits
bie er auch auf Gott anwendet, dag man fiehet, in Dem Kreiſe
war er erzogen und gebilbet; davon fahe Mofes in Aegypten nid
und feiner feiner Vorfahren war auf dieſe Weife ein morgen
ländifcher Fürſt geweſen. Die ganze Denlart war ihm alfo fremic,
und ed wäre ein wahres Wunder, wenn er neben feinen Gedichten,
Gefegen und Verfaßungen auch biefe Sammlung Gebichte, nach
der Seele eines ganz andern Völlkerſtamms, einer völlig ambern
Lebensweiſe, kurz einer ihm fremden Welt hätte dichten follen.
Wenn ich einzelne Stüde durchgehen wollte, hätte ih hierüber
lange zu reden; Ste können aber leicht diefe Punkte der Vergleichung
felbft finden.
A. Wie aber? wenn Mojes dies Gedicht, ald er bei Syethro 1;
wer, aus dem Arabiichen überſetzt hätte?
E. Ich ſähe e8 gern, wenn es durch ihn unter die Hebräer
gelommen wäre; wie beweijen wirs aber? Nach meiner Meinung
ift das Buch nicht überfeht, fondern Ebräiſch gefchrieben; ich wüſte
nicht, was für ein Grund da wäre, es für überfegt zu halten. €s
nähert fi der Dichtlunft der Araber, jo wie Idumäa dicht an
Arabien lag, und fih alſo Sitten und ber Geift der Dichtkunft
natürlih mifchten; weiter finde ich nichts, was diefe Hypotheſe
begünftigt. Vielmehr die ftärkiten Originalftellen des Buchs find
ihr entgegen.
AU. Wenn Moſes es alfo wenigftens bei Jethro gefunden
hätte? —
E. Daß Sie ihn doch bei Jethro's Schafen nicht müßig wollen
jegn laßen! Und doch muß ich jagen, daß auch diefe Meinung, fo
gern ich fie hätte, mir unwahrſcheinlich vorlommt. Wäre dies Buch
von Moſes Anſehen bekräftigt in die Hände der Ebräer gelommen;
wir würden, da e8 eine Sammlung fo unvergleichlicher Bilder und
Gedichte ift, viel mehrere Spuren der Nachahmung befelben in
den Ebräiſchen Dichtern entdeden, als jet merfbar werden. Wie
drängen und brüden ſich die Propheten! wie borgen fie von eim
— 31 —
ander Bilder in einem ziemlich engen Sreife und führen fie nur,
135 jeder nah feiner Art, aus. Diefe alte ehrwürdige Pyramide
fteht im Ganzen unnachgeahmt da und ift vielleicht unnad-
ahmbar.
A. Mich dünkt, es gebe Nachahmungen in den Pſalmen?
E. Nachahmungen einzelner Stellen und Bilder vielleicht;
ſehen Sie aber auch eben zu Davids Zeiten keinen nähern Weg
der Bekanntſchaft Iſraels mit Edom als zu Zeiten Moſes?
A. David unterjochte Edom.
E. Und dem Moſes verſagten ſie ſogar den Durchzug. Es
war auch gar nicht in der Denkart Moſes, von den benachbarten
Völkern Kanaans Bücher ober Begriffe der Religion zu borgen,
da er vielmehr fein Voll, ıwo möglich in allem, abjondern wollte.
Zu Davids Zeiten war die Sache anders. Als er feinen Schuh
Edom als einem Knecht zumarf: da ftanden ihm, wie bie veiten
Stäbte, jo noch vielmehr die etwannigen Schäge der Wißenjchaft
des Landes zu Befehl und der König, der ſich eine größere Ehre
aus feinen Liedern als aus feiner Krone machte, wird fi wahr:
fcheinlih um biejelbe befümmert haben. Hier kam aljo auch dies
alte MWeisheit- und Lobgebicht auf die bebarrende Gottesfurdt eines
ihrer alten Emirs in feine Hände, und vor allen wars werth, von
einem Fürften und Hausvater, wie David, gelejen zu merben.
Wenn er aljo in jpätern Pjalmen (denn in dieſen find etwa ähn-
136 lie Ausbrüde merkbar) ihm nacheiferte: jo bewiefe Dies, daB auch
Er die hohe Poefie defjelben empfunden und mit jeiner Idyllen⸗
poefie vermählt babe. So gar viel eigentlih nachgeahmte Stellen
werben mir aber auch in den PBialmen nicht fihtbar; noch weniger
in den Propheten; und Ezechiel ift der Erfte, der den Namen Hiob
und zwar binter Noah und Daniel nenne. Kurz, m. Fr., ih
folge der älteften Nachricht, die wir von dieſem Buch haben; fie
ift ber Weberjetung der 70. beigefügt und heißt aljo: „Dies Bud
„it aus dem Syriſchen (aus einer Handſchrift mit Syriſchen Buch⸗
„faben) überfegt. In der Landſchaft Aufitis an den Grenzen
„von Idumäa und Arabien hatte Hiob gelebt: fein Name war
— 312 —
„Sobab. Er war von Baterfeite aus den Kindern Efaus, de
„fünfte von Abraham. Die Könige Edoms nämlid waren Balal,
„der Sohn Beor, Yobab, der ob beißt u. f. Die Freunde, die
„zu ihm kamen, waren Eliphas, ein Ebomit, Yürft von “Themen,
„Baldad Emir von Suah, Zophar König der Minier.” Ganz
aus der Luft gegriffen mag diefe Nachricht nicht feyn, Da ihr auf
nichts im Buch widerftreitet; ob man freilid auch ſagen Fönnte,
fie jet aus Aehnlichleit des Lauts im Namen ob und Jobab ent-
ftanden und alfo nur auf das Gefchlechtregifter der Edomtiten bei
Mojes gegründet. Etwas Gewißes wird in Dingen fo Hohen
Alterthums nie herausgebracht werden; es ift auch zum Verftänbmiß !:
des Buchs nicht nöthig. — |
A. Halten Sie denn die biftorilche Einleitung mit Den Ge⸗
dichten gleich alt?
E. Zuweilen habe ich daran gezweifelt; ich fand aber auch
meine Zweifel unwichtig. Die erſten Kapitel ſind mit einer
patriarchaliſchen Einfalt, mit einer ſo hinreißenden Kürze, einer ſo
ſchweigenden Erhabenheit geſchrieben, daß ſie des Verfaßers der
Poeſien ganz werth find: ja die Scene des erſten Kapitels if
offenbar der Grund des ganzen Buches.
A. Aber Satan? ein fo fpäter Begrif! —
E. Wie Hier Satan erſcheint, Halte ich feine Vorſtellung für
uralt. Auch Er ift unter den Engeln, d. i. unter dem Haus:
gefinde des oberften Fürften. Ausgefandt die Welt zu burdforfchen
und Nachricht zu bringen handelt er feinem Amt gemäß und Gott
lenkt ihm jelbft auf Hiob. Er geht nicht weiter, als Gottes Wint
gebeut und auch dies thut er nur als Probe. Gott behält Necht,
freilich lange auf Hiobs Koften; und am Ende des Buchs ift von
feinem Satan mehr die Rede. Sie fehen, dieſer Begrif von ihm,
als einem Engel unter Gottes Sendung tft fo ganz vom fpäten
Chaldäiſchen Begrif deſſelben unterfchieven,' daß ich mich über
Heath u. a. wundere, die feinetwegen das ganze Buch zu einem
Chaldäiſchen Buch haben machen wollen. Das ſchießt fehr fern 18
vom Biel. Der Chaldäifhe Satan ift Drmuzd entgegen, bie
, — 38 —
primitive Urſache alles Böſen. Nicht einmal dem Typhon der
Aegypter oder dem, was die Alten den böfen Genius eines Menfchert
nennen, möchte ih diefen Satan vergleichen; er ift nichts als Ge⸗
richts- Engel Gottes, ein Bote zur Ausforfhung, zur Züch⸗
tigung, zur Strafe. Ich habe Sie ſchon aufmerkſam gemacht,
was für eine gerichtlihe Denkart durch dies ganze Bud
herrſcht —
A. Sie wundert mid).
E. Warum? Jede Zeit, jede Nation bringt ihre Sitten in
den Himmel und in den Orkus. Wie der Geſichtspunkt im eriten
Kapitel angegeben wird, daß Gott im Himmel als Emir figt und
zu gewißen Zeiten feine Knechte, die Engel um ſich verfammlet,
um von der Erde Nachricht zu erhalten: wie Satan als Gerichts:
diener gefandt wird, Hiob zu prüfen, ob er auch ein ächter Anbeter
Gottes fei und fi treu zu feiner Parthei Halte: fo figt diefer im
ganzen Buch ala ein Geftrafter da, ber nicht verhört worben, als
ein Gekränkter, dem Unrecht gefchehen fei. Er wünſchet nur feinen
Richter zu fehn und feine Sade ihm ſelbſt vorzulegen: feine
Freunde find Advokaten Gottes, die fich des oberften, mächtigen
Richters gegen ihn den Berurtheilten annehmen und Ausflucht
ſuchen bie und da. Zuletzt ericheint der Fürft jelbft und ftellt
139 Hiob majeftätiih zur Rede. Hiob ſchweigt und ihm geſchieht
Eritattung, veichliche Vergütung des Unrechts. Das ift der Plan
des Buchs.
A. Ich wünſchte ihn ausgeführt zu leſen.
E. Ich habe einige Reihen darüber entworfen; wollen Sie
fie leſen? Sie werden den Faden bes Geſprächs und die Charaktere
der Redenden mit bemerkt finden.
A. Alſo it doch eine Zufammenorbnung unter den Reben»
den, ein Faden und Fortgang der dargeftellten Verhandlung merkbar ?
E. Allerdings; nur nicht nah unfrer Weiſe. Hiob fängt
mit feiner Klage an:*) die drei Gegner bringen ihre Rebe vor: er
*), Kap. 3,
— 34 —
antwortet. Diefes Zufammentreffen geſchieht breimal,*) mer das
beim dritten Sag Zophar fehle. Sept bleibt Hiob, der gegen fie
vecht behielt, allein auf dem Kampfplatz und bringt jeine Sache
in Sprüden vor, die gewiß mit zu ben ſchönſten Stellen
des Buchs gehören”) Er malt feinen vorigen Buftanb der
Glückſeligkeit, feinen jetzigen Zuftand des Jammers und jeine
Unschuld jo Ihön und rührend, daß er felbft am Ende der Rede
wünſcht:
Ach, daß ich einen hätte, der mich höret!
Ih ſprach itzt mein Vertheidgungswort;
o daß der Mächtige antwortete darauf, 14
und jemand meine Sad’ in Schrift verfaßte!
als Mantel würd’ ich fie auf meine Schulter legen,
al8 Diadem fie mir um meinen Turban winden.
Ich wollt‘ ihm alle meine Schritte fagen,
vor ihm erfcheinen, al® ein Held.
Als ſolcher ftehet er auch bier wirklich, und läßt den Elihu veben:“)
bis Gott erfcheinet, als Fürft und als Weifer.*)
A. So wäre dad Buch eine Art von Drama?
E. Ein Drama nad) unfern Begriffen nit; wie war auch
ein foldyes über diefen Gegenftand möglich? Hier fteht alles ſtill in
langen Sprüden und Reden. Die Gefchichte vorn und Hinten ift
offenbar nur Prologus und Epilogus, Eingang und Ausgang.
Doch ich will über das Wort nicht ftreiten. Abtheilung tft in den
Reden; mich bünkt aber, auch bei ihr wird das Wort Gcene,
Auftritt ganz gemißbraudt. Consessus einiger Weiſen iſts, Die
pro und contra die Sache der Gerechtigkeit des oberften Welt:
monarden verhandeln, ein Kampf der Weisheit über Gottes und
Hiobs Sade; fein Drama —
A. Sie glauben alfo, daß fih das Buch auf eine Geſchichte
gründe?
a) Kap. 4—14. 15-21. 23—26.
b) Kap. 27 —31.
c) Kap. 32 — 37. d) Kap. 38 — 42.
— 35 —
E. Das ift mir gleichgültig. Seine ftarle und tiefe Poefie
141 machts zu einer Geſchichte, mie es wenige giebt: es wird bie Ge-
fchichte aller leidenden Nechtichaffenen auf der Erde. Auch ifts mir
angenehm zu denken, daß ein Mann wie Hiob gelebt, daß er eine
fo ſtarke Seele, einen fo erhabnen Geift erwiefen babe, als dies
Bud zeiget. Es ift ihm alsdenn das ewige Denkmal, das er fi
wünſchte: ein Denkmal mehr ala in Erz gegraben, mehr ala in
Fels gehauen. Es ift mit ſtarken Sprüden in menfchliche. Herzen
gefchrieben, mit ewigen Bildern auf die Tafel der Nievergekenheit
verzeichnet —
A. Aber alle Reden, wie fie da find, Gottes Gericht und
Erſcheinung, Satan und der Anhalt der meiften Bilder find doch
nit Gedichte? Wer Lönnte ex temporo folde Neben halten?
dazu ein gequälter? —
E. Die Compofition ift Gedicht von Anfang bis zu Ende:
daran ift Fein Zweifel; aber .ein Gedicht, das fi überall der
Natur nähert. Die Morgenländer lieben ſolche gelehrte Consessus,
lange Reben in geflügelten Sprüden, bie fie gebuldig aus- und
anhören und denn in eben der Weife beantworten. Dies tn
ift ihre Weisheit, der ſtolze Schmud ihrer Rede⸗ und Dichtkunft.
Sn die Neigung derjelben, geflügelte Sprüche zu hören und Weis-
beitsfämpfe zu feiern, fette ſich der Dichter, und fchrieb Diefen
Kampf leidender Tugend, übermindender und überwundner Men-
142 ſchenweisheit. Wie viel davon Geſchichte fei d. i. wirtlih und auf
einmal möge ſeyn geiprodhen worden? nugt und zu wißen gar
nidt. Der Dichter bat alles erhöhet und zu Einem Ganzen
fomponirt, das vielleicht als die ältefte Kunftcompofition der Welt
daſteht.
| U. Ich freue mich darauf; denn aud die Materie ziehet mich
an, wie bie älteſten Weifen von der Vorſehung Gottes, und dem
Menſchenſchickſal geredet haben.
€. Zum legten müßen wir erft die morgenlänbifchen Trabi»
tionen von des Menſchen Schöpfung und feiner Beitimmung, für
ſich betrachten. Wir werden dabei in einen Garten ſchöner poetiſcher
— 36 —
Feen Tommen, ;und bemerten, was aus ihm etwa an Blu-
men und Früchten in den Kranz fpäterer Poeſie gelangt fer?
Haben Sie Luft dazu? Den Werth, ben die Morgenländer
und alle finnlihe Völler auf folde Sagen der Vorwelt; auf
Sprüde, Namen und Nachrichten der Väter eben, wißen Sie;
bie ältefte Poefie, auch bie Derlart dieſes Buches bat fi ganz
darnach gebilbet.
A. Ich begleite Sie gem in biefen Garten hebräiſcher
Urmelt.
E. Hier ift das Blatt über Hiob, an das ich badhte. !
Einige Züge des Buchs Hiob, als Kompofition
betradtet.
Im Buch ift eine zwiefache Scene, im Himmel und auf ber Exbe.
Oben wirb gehandelt, unten gefprocden; das Untere weiß den Sinn bes
Dbern nicht, deßwegen räth es bin und wieder — Das tägliche Verhältniß
aller Philofophien und Theodiceen der Welt.
Der Gegenftand des Buchs ift ein Leidender, ein unſchuldig⸗ umb
fogar körperlich Gequälter. Ihm verzeibt man alle Klagen und Seufzer:
denn auch ein Held ächzet bei Lörperlihem Schmerz. Ex fiehet den nahen
Tod vor fih und wünſcht ihn: fein Leben ift verbittert; warum follte er
nicht ächzen?
Hiob leidet als der Ruhm und Stolz Gottes: feine Plagen find
verhängt, das Ehrenwort des Schöpfers über ihn zu bewähren; kanns einen
eblern Geſichtspunkt menfchlicher Leiden geben? Diefer große Umriß bes
Buchs ift Theodicee des Weltmonarchen; nicht bie einfeitigen Rechtfertigungen
aus dem Munde der Weifen ber Erde, obwohl auch von dieſen viel Schönes
gejagt wird.
Alles aber mas fie jagen, tröftet nicht; ja es erbittert. Hiob über-
trift fie in Schilderung der Macht und Weisheit Gottes und bleibt doch
elend — ein gemwöhnliches Bild des Troſtes der Erbe. Ihr Schauplak ift
1) Im Mfc. fehlt dieſe Zeile.
145
— 31T —
zu eng und umhüllet: ſie ſuchen Gründe im Staube, da ſie ſie über den
144 Sternen fucden ſollten; und wer von ihnen reichte dahin? Keiner vermuthet
nur, daß das ber Grund ber Leiden Hiobs war, was hier das erfte Kapitel
faget. *)
Wie wirb bed Unglüdligen Afchenbaufe geehret! Er ift ein Schau-
fpiel der Engel und des ganzen bimmlifchen Heer. Hiob bewährt feine
Tugend, vehtfertigt das Wort des Schöpfers: Gott hält den Kranz bereit,
ihn zu frönen. — Diefe doppelte Scene, und bie unfichtbaren Zufchauer,
wie Hiob fein Unglüd ertrage? machen den Schauplat des ganzen Buchs
heilig.
Der Mann, der ein Muſter menſchlicher Stärke und Treue im Him⸗
mel feyn ſoll, wird auf ber Erde in einen Weisheitskampf verflochten;
und bier if er auch ein Menſch wie andre. Der Dichter hat ihm einen
rafchen Charakter und eine Wärme gegeben, bie ibn gleich bei ber erften,
wirllih gelinden Zuſprache Eliphas fortreißt. Diefer Sauerteig ift
das Ferment feiner Tugenb und auch dieſer Gefpräcde: fie wären lang-
weilig und umunterrichtend, wenn feine Freunde nur tröfteten unb Hiob
nur Magte.
Dur alle gebt ein feiner Faden fort. Die drei Weifen fprechen
charakteriſtiſch und Hiob überwindet fie als Weifer und Dichter. Eliphas ift
ber befcheibenfte, fo gar daß er die erfle Lehre, die er Hiob geben will, nicht
ſelbſt fagt, fondern einem Orakel in den Mund legt.) Bildab greift Hiob
mehr an und Zophar übertreibt meiftene nur, was Bildad fagte. Er ver-
liert ſich auch zuerfi vom Schauplag.
145 Es find drei Angriffe der Kämpfenden‘) Am Ende des erften ift die
Sade ſchon fo weit, daß Hiob von ihnen, feinen Beſchuldigern, richterlich
an Gott appelliret. 2) Im zweiten ift ber Faden am meiflen verworren,
und gleihfam des Geſprächs Knote: denn am Ende deilelben behauptet
Hiob gegen Zophar fo gar, daß es eben dem Böfen in ber Welt wohl-
gehe) — mozu ibn blos die Hitze des Kampfs verleitet. Eliphas will
durch eine feine Wendung einlenten; aber die Sache ift zu erbittert. Hiob
behauptet feinen Spruch,ſ) Bildab weiß wenig, ) Zophar nichts mehr ent-
gegen zu ſetzen und Hiob ift Ueberwinder. Gr gebt wie ein Löwe zwifchen
niebergelegten Feinden einher, nimmt zurück, was er in der Hite gejagt
batte,®) und fagt in drei Abſätzen Sprüde, bie bie Krone des Buche
find‘) —
a) Kap. 1,8—12. 8.2, 3—6,
b) Rap. 5,12. 0) ap. 4-14. Rap. 15-21. Kap. 22-26.
d) Kap. 18, e) Kap. 21. f) Kap. 24.
g) Kap. 26. h) Rap. 27. i) Kap. 28- 31.
— 318 —
So eintoͤnig für uns alle Reben klingen, fo find fie mit Licht und
Schatten angelegt und der Faden oder vielmehr die Verwirrung ber Materie
nimmt zu von Rebe zu Rebe; bis Hiob fich ſelbſt fahet und feine Be
hauptungen lindert. Wer diefen Faden nicht verfolgt und infonderbeit wicht
bemerkt, wie Hiob feinem Gegner immer den eignen Pfeil aus der Hand it
windet; entweder das beßer fagt, was jener fagte, oder bie Gründe jemes
eben für fi braucht — der bat das Lebendige, Wachſende, kurz Die Seele
bes Buchs verfeblet.
Mit einer ſchönen Elegie fängt Hiob an*) und er fließt meiftens
feinen Spruch mit einer bergleihen rührenden Wehllagen. Diefe finb
wie der Chor des alten Zrauerfpield: fie maden den Inhalt allgemein und
menſchlich.
Da Hiob die Weiſen überwunden bat, wirft ſich ein junger Prophet
auf den Schauplatz.) Er ift, wie bie meiften Gottbegeifterten der Art,
anmaaffenb, kuhn, allein weile, er macht grofie Bilder ohne Ende und
Abfiht,; daher antwortet ibm auch niemand. Gr fieht wie ein lauter
Schatte da zwifchen Hiobs und Gottes Rebe; biefer widerlegt ihn nur
durch feine Ankunft thätlih und — er ift wie ein Schatte verſchwunden.
Sein Auftritt ift in der Eompofition de Ganzen weile und lebrreidh
georbnet. —
Gott erfcheint unvermuthet und prächtig. Er unterbridt den Pro⸗
pheten, ba biefer, ohne es zu wißen, feine Ankunft gemahlt und für un-
möglich gehalten Batte; er läßt die Weifen, feine Bertbeibiger, ſtehn und
fprit mit Hiob. Mit diefem redet er auch, zuerft nicht ale Nichter, fon-
dern ale Weifer.”) Er legt ibm, der doch alle überwunden und alle Weis⸗
beit Himmels unb der Erde erfchöpft, Habe, Räthſel und ragen vor. Sie
betreffen Geheimniße der Schöpfung und Weltregierung; ber Erdenweiſe
ſteht verftummt.
Er führt ihm fieben wilde ZThiergeftalten, zulett bie Ungeheuer bes
Waßers vor,") bie Er, der Vater ber Welt, alle erfchaffen; für bie alle,
als für feine Lieblinge, ex täglich forge — „Warum find dieſe Geſchöpfe da ? 147
fie find nicht für den Menfchen, ja die meiften dem Menfchen ſchädlich.“ —
Der Weife der Erde ſteht verftummt und befchämet. Unterwerfung alfo
unter den unendlichen Berftand, unter den unüberfehbaren Plan, unter
Die augenfcheinliche Güte des großen Hausvaters, die für den Krolobill und
Raben forget — dies iſt die Aufldfung der Fragen Über Weltregierung und
Schidjal aus dem Munde des Weltregiererd felbft, der im Ungewitter unb
— — — —
k) Kap. 3. l) Kap. 32—37. m) Kap. 38.
n) Kap. 39--41.
— 319 —
mit Thaten der ganzen Schöpfung redet. Die wahre Theobicee eines
Menſchen iſt Studium ber Macht, Weisheit, Güte Gottes in ber ganzen
Natur und demlthiges Erlänntniß, daß fein Berftand, fein Plan fiber den
unfern reiche. j
Gott belehrt alfo auch den Hiob nicht: warım er ihn geprüft habe?
Er erftattet, er vergilt ihm feinen Schaden und das ift, mas der Sterbliche
fodern fonnte. Die Gemein-Derter ber fogenannten Gotteßvertreter werben
fo wenig geehrt und belohnt, daß fie vielmehr — durch ein Opfer aus
Hiobs Hand müßen verföhnt werden. —
Hohe Anlage des Buchs, von der ih nur einige ſchwache Züge ent-
worfen! Wenn e& kein Fürft gefchrieben bat, fo ift es eines Fürften werth:
benn feine Dentart ift königlich und göttlih. Durchs Ganze des Buchs hin
handelt Gott als König, Hausvater und Weifer der meiten Schöpfung.
Engel und Menſch, Rabe und Behemoth find in feinen Augen gleich. —
Die ſchönſten Beſchreibungen von Gottes Eigenfchaften und feiner Welt-
regierung, bie berebteften Troftgründe umb was man über Providenz und
148 Menſchenſchickſal für und wider fagen kann, find durchs Buch Bin zer-
ftreuet; die höchſte Aufrichtung und Lehre ift aber die Einfaßung des Buchs
ſelbſt. Epopee der Menſchheit, Theodicee Gottes, nicht in Worten, ſondern
im Berbängniß, in feiner ftilen That. Ecce spectaculum dignum ad
quod respiciat intentus operi suo Deus. Ecce par Deo dignum vir
fortis cum mala fortuna compositus,
Und wo ift bein Grab, bu früher Weifer, ber biefe Theodicee und
Epopee ausfarın, der fie in dieſe ftille That, das Verhängniß eines Leiben-
den auf feinem Afchenhaufen brachte und mit geflügelten Sprücden feiner
Weisheit, wie mit den Funlen feiner rafchen Seele befeuerte und kränzte?
Wo ift bein Grab, du hoher Dichter, Vertrauter des göttlichen Raths, ber
Engel und Menfchenfeelen, der bu Himmel und Erde in Einen Blid zufam-
men faßteft und von der Klage des Gequälten im Schattenreiche bis zu
den Sternen, ja über die Sterne binauf deinen Geift, dein Herz, beine
Dichtungsgabe, deine Leidenfchaft ſchwangeſt? Blüht eine ewiggrünende
Cypreße auf deiner NRubeftäte? ober liegft du verborgen, mie bein ver-
ſchwiegner Name und läßeſt dein Buch zeugen und fingft, hoch Über unferm
großen Aſchenhaufen fo vieler Gequälten, mit Morgenfternen um deines
Weltregierers Thron?
Oder warft Du der Gefchichtfchreiber deiner Leiden und deines
Triumpbs, deiner liberwindenden und überwundnen Weisheit, Du der
glüdliche Unglüdliche, der Gequälte und Belohnte ſelbſt? So haft bu zum
andern mal den Klagen beine® Herzens Luft gemacht und deinen Sieg über
Jahrtaufende und Welttbeile verbreitet. Aus beiner Afche ift auch mit
149 diefem Bud ein Phönig, ein verjüngter Palmbaum bervorgegangen, deßen
— 320 —
Wurzeln das Waßer ſaugen. Da bu, wie bu wünſchteſt, in deinem Neſt
erſtarbſt, Hat fih der Weihrauch deſſelben umbergebreitet, bat mandhe
Ohnmacht erquidt und wird fie erquiden bis zum Ende ber Zeiten. —
Du ziebft den Himmel auf Erben, fein Himmlifches Heer lagerfi du unficht-
bar um das Bett des Kranken, fein Leiden wird Schaufpiel der Engel,
Bewährung Gottes in feinem Gefchöpf, auf das fi wie zu Rechtfertigung
feiner eignen Sache prüfend fein Blid beftet. Siehe, wir preijen felig
bie erbuldet haben. Die Geduld Hiobs habt ihr geböret, und
das Ende des Herren habt ihr gefehen: denn der Herriftbarm-
berzig und ein Erbarmer.°)
0) Jacob. 5, 11.
150
VI.
Inhalt des Geſprächs.
Vom Paradieſe. Ideen deſſelben in Jugend⸗- Liebe- und Landfcenen.
Ob es je exiſtiret? warum es Moſes in die Ferne des Zauberlandes
ſetzet? Woher eben dieſe Gegend der Grund ſo vieler Zaubergeſchichten
worden? Vom Baum des Lebens. Schöner Idiotismus deßelben in
ber Ebräifchen Poeſie. Ob Bilder des Paradiefes die Menfchen zu veft
am Sinnlihen halten? ob fie mit beigetragen, die Morgenländer in
Ruhe zu wiegen? Vom Geſpräch Adams mit den Thieren. Schilde-
rung! ber golbnen Zeit im friebliden Umgange aller Tiere mit
einander. Bon der Liebe des Parabiefes. Ideal beffelben zu allen
Liedern ber Liebe. Ob Adam die Eva mit Gefang und Weißagung
empfangen babe? Zarte Entwidlung der Geſchlechtsempfindungen in
diefen uralten Sagen.2? Bom Baum ber Weisheit. Was Erkenntniß
des Guten und Bdfen bedeute? Warum bie Schlange vom Baum efen
dorfte; der Menfch nicht? Charakter der Schlange, als eines Tlugen,
liſtigen Thiers und als eines Verführers. Warum bie Menden wie
Elohim feyn wollten? Unterſchied der wahren und falfchen Weisheit.
Ob die Tradition vom Baum der Erlenntniß eine Aeſopiſche Fabel
fi? Entwicklung derfelben als einer uralten Sage. Wirkungen des
verbotnen Baums. Einleitung des Menſchen in einen andern Zuftand.
Analogie diefer Gefchichte zu uns. Samentörner von mandherlei Gat-
tungen morgenländifcher Poeſie in derfelben. — Bon den Eherubim.
Ob fie Donnerpferde bedeuten? Vom Streitwagen Gottes bei Habakuk.
Bon den Eherubim in Mofes, Salamo's und Ezechiels Tempel. Bon
Ezechiels Eherub auf dem Götterberge. Xrabitionen vom älteften
Fabelthier der Urwelt, das Schätte des Paradieſes bewachte. Ob Mofes
Cherubim Sphynxre geweſen? Wie fie von ber Bundeslade in die Wol⸗
fen famen und zulett prophetiſche Biflon wurden? Gompofition der⸗
— — — ——
1) AB: Schilberungen
3) Im Mic. folgen durchſtrichen bie Worte: „Schändlichkeit ber Veverlandſchen
Sppothefe.” u
Herbers ſammtl. Werke. XI. 21
N;
— 32 —
felben. Urfprung ihrer Mythologie. Bom Götterberge Orients. Vom
Wagen Elias und dem Heerwagen Gottes in der Wüſte. Altefte Bor-
ftellung des Donners. Beilagen: einige bibliihe Gedidte von den
Cherubim und dem Donner. |
Eutyphron. Wir begegnen uns heut in ciner fhönen Mor-
genftunde.
Alciphron. Ich glaube, fie ift fo ſchön zu unferm heutigen
Geſpräch. Sie wollten mid in die Kindheit unfers Geſchlechts,
alfo aud ins Paradies meiner Kindheit zurüdführen: denn mid)
dünft, das Ganze durchlebt feine Lebensalter, wie das Einzelne.
Alſo wird Heute für mid ein Morgen fchöner Erinnerungen
fegn —
E. Erinnerungen aus Ihrer Jugend ?
A. Es war meine frühe Luft, in jenen Auen parabiefifcher
Schönheit und Unſchuld zu wandeln, die Väter unfers Geſchlechts
in ihren erften Begebenheiten zu begleiten, zu lieben oder zu
bevauren. Frühe Eindrüde aus Dichtern trugen ohne Zweifel
dazu bei; und wir haben über diefe Gegenftände ſchöne Dichter —
E. Jedes Volk hat fie. Bei allen Nationen, die nicht ganz
verwildert find, tönt wenigſtens ein ſchwacher Nahhall von der
Glückſeligkeit erfter goldener Zeiten. Die Dichter, jedesmal die unſchul⸗
digſten und zärteften unter ihnen, gleichſam die Kinder der Mufe,
haben biefe Sugen aufgefaßt: die Jugend liebt fie und bildet fie in
eigenen Träumen aus: der Frühling erinnert an fie und weckt fie
gleihjam jährlich wieder. So find Schäfergedidhte, poetiſche Scil-
derungen der älteften glüdlichen Zeiten, paradiefifhe Scenen ent-
ftanden und werden immer die Lieblingsgedanfen junger Jahre
bleiben. Was Hat auh der Menſch mit allen feinen Wünſchen?
was fann er haben, ald Paradise? Das ift, Schönheit und
Ruhe, Gefundheit und Liebe, Einfalt und Unschuld.
A. Schade aber, daß das Meiſte davon nur Traum ift oder
jo bald Traum wird! Das alte Paradies iſt verlohren; das
Paradies des Frühlings und der Jugend geht audh fchnell Hin
und wir werden ausgetrieben aufs Feld des Aders, in den heißen
152
— 323 —
Sommer ängftliher Mühe und Sorgen. Aud wo unter Völkern
bie und da ein Geſchlecht der Erde Unfhuld, Ruhe und Paradies
genießt: da fchleihet bald die Schlange Hinein, da verfcherzet es
jeine Glückſeligkeit durch jelbjt errungnes Leiden. Neben dem
Baum des Lebens blüht dem Menschen immer gern der Baum
153 überfluger Weiöheit, von dem er fi den Tod Toftet — das ift
der Sterbliden Schiefal.
E. Sie find ein beredter Ereget der Sagen, von denen mir
zu reden haben: Sie haben den feinen Sinn berjelben bis auf
den Grund gefühlt.
A. Und doch Habe ich gegen Manches Zweifel. Hat jemals
ein Paradies erfiftirt und ift nicht alles poetifhe Sage? Mofes
giebts offenbar als ein meit entlegnes, ihm unbelanntes Feenland
an und ſetzts gerade in die fernen Gegenden, dahin die Fabel
alles Wunderbare feste. An die Goldflüße nehmlih, den Phafis,
der Colchis umfließt, den Drus, der Cafchmire umgiebt, den Indus
und Euphrat. In diefem meiten Lande, das er Even, ein Land
des Vergnügens, nennt, läßt er Gott einen Garten pflanzen —
Wo lag der Garten in diefem weiten Erdſtrich? Wo find die
Wunderbäume, die in ihm wuchſen, der Baum des Lebens und
der Baum der Weisheit? Haben diefe Zaubergewächfe je geblühet?
und wo ftehn die Cherubin? — Das Elingt alles als Fabel.
- €. So ſolls auch klingen; und wir mollen eben fehen, mo
Fabel und Wahrheit d. i. Geſchichte und Einkleivung fich ſcheiden?
Sie haben richtig bemerft, daß Mofes oder die alte Sage das
Land des Paradieſes nur meitläuftig angiebt; daß diefe Gegend
154 eben das Yabelland fei, wohin die Nationen der alten Welt ihre
ihönften Zauberiveen, das güldne Vlies, die goldnen Xepfel, das
Gewächs der Unfterblichkeit u. f. fetten. Es war der Garten ihrer
Ihönen Götter und Genien, der Dfinns, Peris und Neris, nebft
andern Zaubermefen. — Zeigen aber nicht alle dieje Ipätere Mähr-
den, daß urfprünglich eine einfachere Sage, irgend eine wahre
Begebenheit der Urwelt ihr Grund geweien ſeyn muß? Denn dic
Sagen aller Welt, die ungefähr auf Eine Gegend weilen, müßen
21*
— 324 —
doch durch etwas veranlaßt ſeyn. Irgendwo muß Das menidlik
Geſchlecht, das ſich (unſrer Geſchichte und ſeiner ganzen Kultur =
folge,) nur allmälich auf die Erde verbreitet hat — irgendwo mut
es angefangen haben; und mo könnte es bies, nah Maasgabe X
Gedichte und des Baues ber Erde fügliher, als in Den Gegen
den, auf welche eben dieſe Sage meifet? Hier ift die höchſte Hök
Aliens, der Erbrüden der alten Welt: fie find die fruchtbaritr
unter unfrer Eonne, wo die freiwillige Natur den Menſchen
gleihfam in die Hand arbeitet und ihrer Mühe zuvorlommt. Ueber
dem ift eben das Uinbeftimmte, wie Moſes diefe Urgegend angiekt,
Zeuge von feiner Wahrheit: er wollte nicht mehr behaupten, al
die Sage wußte und da er die Gegend weder bereifet hatte, noch
wenn folhes gejchehen wäre, ein Archiv des Paradiefes im ihr
angetroffen hätte; fo war das mas er that, alles was er thunl-
fonnte. — Doch, m. Fr., wir find bier feine Netter der Gefhidk:
wir lafjen die Tradition als eine Sage der Urwelt fhweben, und
betrachten blos, was fie ala Wurzel der Poefie hervorgebracht habe?
A. Freilih einen Baum mit vielen Aften und Blüthen:
denn bie Tradition bes Parabiejes zieht fi in die fühnften Ahn
dungen der Propheten und der Baum bes Lebens blüht noch im
legten Buh der Schrift. Er iſt alfo Anfang und Ende be
Ebräiſchen Dichtkunft.
E. Ein fohöner Anfang! ein ſchönes Ende! Wie ift das
Paradies Adams von den Propheten verevelt worden! Sie hobens
in die Zeiten des Meßias; die Schriften des N. T. haben es gar
in den Himmel gehoben. Da blühet der Baum bes Lebens! Da
Schiffen wir alle hin, und fuchen jenfeit der Flüße und Weltmeert
das alte Goldland, die ewig glüdlichen Infeln. In der ganzen
morgenländiſchen Dichtkunſt, auch bei Arabern und Perfern find
die Ideen des Paradiefes das deal menſchlicher Glückſeligkeit und
Freude: es ift der Traum ihrer Liebe, ihrer Jugend, ihrer Hoff
nungen und endlich gar der zufünftigen Welt —
wo nichts vom Eitlen mehr geböret wird,
und kein Andenken ift erftidender Angft:
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— 325 —
wo alles bleibend iſt und angenehm,
ein ewig Brautbett, ewge Morgenröthe,
und Waßer ſüßer Düfte rinnen,
und Bäume treuen Schatten geben;
der nimmer weidhet, nie verwellt. —
A. Ob aber diefe Seen bie Menſchen nicht zu fehr am
Sinnlichen veft gehalten hätten? —
E. Und was wollen Sie Unfinnlices von biefer oder der
zulünftigen Welt dichten? Außer der Schönen Sinnlichkeit unfrer
Melt kennen wir ja feine andre; und die Urwelt der Zeiten dachte
finnlid. Wenn Wohlluft - trunfne Leute daran bangen blieben:
wenn Mahomed endlih das Paradies der Freuden nad feinen
Neigungen grob » finnlih dachte; fo iſt dies die Schuld des Mis-
brauchs, nicht der Sade. Und doch ift auch den Mahomedanern
in diefem Punkt bisweilen Unrecht geſchehen; ihre Dichter und
Philofophen haben über ihr zufünftiges Paradies jo metaphyficirt,
als eine der nordifhen Nationen. Weberhaupt, dünkt mid, müße
man dem Geift der morgenländifchen Völker wenigſtens im Aus-
drud bier etwas zu gut halten. Sie empfinden und geniefjen
feiner; warum follten aljo auch ihre Gedichte der Liebe, des Ver⸗
gnügens, der Sehnfuht und Hoffnung nicht diefen feinern Genuß
und Wohlluftgeift athmen ?
A. Meinetmegen, und ich habe ihn in Gedichten der Unſchuld
157 und des Frühlings gern; nur fürchte ih, daß paradiefiihe Gemählde
der Art gar zu leicht in’eine Ruhe wiegen, zu der die Morgen»
länder überhaupt geneigt find —
E. Wären fies nun aud! ich wüßte nicht, warum da wir fo
viel bürgerliche Frohmvögte haben, auch die ländliche Poeſie ein
Frohnvogt feyn müßte? Mir thut ed wohl, wenn fie in ihren
verbrannten Gegenden beinah überall mo ſchattige Bäume ftehen,
wo lebendige Quellen und fühlende Ströme rauhen, Reſte bes
Paradieſes erbliden und dieſes Land Eden, jene den Gib der
Ruhe, das Schloß des PVergnügens, u. f. benannten. Wäre es
beßer, wenn fie wie die Norbifhen Helden ihr Paradies zu einem
— 326 —
goldnen Schmauſeſaal voll Meet und Bier umgeſchaffen oder ſich
den Hobbeſiſchen wilden Krieg als den urſprünglichen Stand der
Natur gedacht hätten? Mich dünkt, die Poeſie müße den Men—
ſchen mild, nicht wild machen. Alle Ideen, die dazu beitrugen,“
trugen zu ſeiner Beßerung bei; die Bilder des Paradieſes von
Unſchuld, Liebe und Vergnügen im Schoße der Natur haben dies
unſtreitig gethan; alſo —
A. Auch die beiden Zauberbäume?
E. Der Baum des Lebens gewiß. Er iſt in der Poeſie der
Morgenländer, auch nur als Idiotismus betrachtet, das angenehmfte
Bild. Wüften wir, mo er blübete, würden wir nicht alle zu ihm
wallfahrten? und nun, wenn Furt Gottes, Mäßigkeit, Weisheit
ala ein Baum bed Lebens vorgejtellt wird, der uns allen blühet;
follte er weniger Reize haben? Der Baum ber Uniterblichkeit,
wie er im letzten Buch des neuen Teftaments vorkommt, wie cr
am Ende der Laufbahn und des Kampfs unſrer Wallfahrt im
Paradiefe Gottes dajteht, den angelommenen matten Streiter zu
erquiden, und alle Nationen geſund zu maden mit feinen unver:
weltlihen Blättern, mit feinen immer jungen und mwieberfehrenden
Früchten — laßen Sie mid, wenn meine Zunge durch feine Erben-
frucht mehr erquidt wird, mit der geiftigen dee diefer Hoffnung
fterben.
A. Und der Baum der Weisheit?
E. Wir wollen fpäter von ihm reden. Dunkts Ihnen nicht
gleichfalls ein ſchöner Zug des Paradiejes, wenn Gott die Thiere
zu Adam führt, daß er ſähe, wie er fie nennete? Durch dies
lebendige Anerfennen bildete der Menſch feine Anſchauungskraft,
feine Bergleihungs ?» und Abziehungsgabe, feine Vernunft und
Sprade. Die erften Namen feines Wörterbuhs waren lebendige
Thierlaute, nach feinen Organen und mit feiner Empfindung modi⸗
fieiret. Die erfte Intuition von bejondern Gemütbhsarten und
— — —— — — — —
1) Mſe.: beitragen,
2) AB (wie Mfc.): Bergleihung- [vgl. S.331 3.4 v. u.]
[7 7
%
pr)
7
Charakteren hatte der Menſch in Thieren: denn auf ihrem Geficht,
159 in ihrem Gange und ganzer Lebensweiſe tft ihr Individuelles
eigenthümlich, perſönlich, beitehend und unveränderlich gebilvet.
Die Gottheit fpielte alſo vor dem Menfchen eine fortwährende
Aeſopiſche Fabel. Auch Hat Feine poetiihe Sage des Paradieſes
vergeflen, ihn im Geſpräch mit Thieren zu fchildern. Er ihr König,
Herr und ältefter Bruder; fie alle unter fih in Friede und alle
dem Menſchen zugethan und unterthänig —
A. Eine Yabelzeit in zwiefachem Verſtande.
E. Wenigſtens eine gülpne Zeit; hören Sie davon ein ein-
ziges Gemählde Jeſaias:
Der Wolf wird mit dem Lamme wohnen,
der Leopard ſich mit dem Widder lagern.
In zahmer Heerde gehen Kalb und Löwe mit einander:
ein kleiner Knabe leitet ſie.
Kuh und die Bärin weiden mit einander,
und ihre Jungen liegen mit einander,
auf Stoppeln weidet Löw' und Stier.
Der Säugling ſpielt am Loch der Natterſchlange,
ber kaum Entwöhnte ſtreckt die Hand in Baſiliskens Höhle;
und Nichts beſchädigt, Nichts verleist
im Lande meiner Heiligkeit.
Das Land ift voll von Wiſſenſchaft Jehovens,
wie Wafjer füllen den Ocean - -
Solcher Bilder find die Propheten voll, in der geiftigiten reichften
Anwendung — —
160 U. Und die Liebe des Paradiefes; wie werden Sie die loben!
Es ift wahr, Milton und andre haben davon ſchöne Beichreibungen
gegeben —
E. Nicht Milton allein: Liebe des Baradiefes ift die einfache
erfte Bejchreibung aller Liebe. Die neue geheime Sehnſucht des
Mannes, der fich allein findet und fein Verlangen nit ausbrüden
kann; (es tönt gleihfam nur aus dem Herzen feines Vaters wie⸗
der) fein Schlaf, vielleicht auch fein Traum, die Bildung feines
Weibes aus feiner Bruft, aus feines Herzens Stäte; wie Gott fie
jauchzet; wie beide nadt find und jchämen fi nit und fühlen
zu ihm führt und beide fegnet; wie Adam fie umarmt und Iob-
noch feine Regung — das alles ift fo zart empfunden, fo kurz
und ſchön dargeftellt, daß, wäre es aub nur Dichtung, es para-
biefiiche Dichtung zu feyn verdiente Liebe. der Art gehört ins
Paradies: fie ift das erfte Erwachen unfres Herzens im fhönen
Morgentraum unſrer Yugend: und id bin gewiß, daß ſich über
fie nichts dichten und jagen läßt, das nicht feine ftillften Reize
aus diefem Gefilde Edens, und dieſen Empfindungen voll Einfalt
und Unfhuld hernähme. Auch find die Dichter Morgenlands
gewohnt, ihre Liebe und Jugend in biefem Geift zu jchildern;
das Hohelied ift wie im Paradiefe gefchrieben; Adams Lob-
geſang: „Du bift mein zweites Ich! du bift die Meine!” tönt
in ihm in Stimmen und Wechlelgefängen von Einem Ende zum 161
Andern.
A. Sie glauben doch nit, dag Adam die Worte,*) die ihm
beigelegt werden, zumal die Weißagung in ihnen jelbft geipro-
hen habe?
E Habe ers ober nit; die Empfindung, die fie belebt,
war feine Empfindung: ſonſt hätte fie ihm weder die Sage, noch
der Schriftfteller, der fie auffchrieb, in den Mund gegeben. Möge
er fie nun geäußert haben, wie er wollte und konnte, duch Töne
oder Gebehrden, oder mahrjcheinlih durch beides; fie ift die ein-
fachſte, vollefte Empfindung, die gefellet mit Unſchuld und weißagen⸗
der Ahndung das ganze Paradies des Herzens wird. Die Ent-
widlung andrer Triebe ift diefer Sage nach jchon eine Frucht des
verbotnen Baums, gleihlam die Schwelle des Ausganges aus
Een; und Sie wißen, wie bad mas folgt, der Mutter unſres
Geſchlechts aufgelegt wurde —
A. Sie analyjiren die Geſchichte des Paradieſes fein; jollte
e8 aber Zwed diefer alten Sagen jeyn, fie ung jo darzuftellen
und zu zergliebern ?
2) 1 Mofe 2, 23.
&
— 329 —
E. Wenigftens ifts einer ber Nebenzwede dieſer Empfindungs-
veihen Sage: denn die Erzählung ift offenbar darauf gerichtet.
162 „Erft waren fie nadt und fchämeten fih nicht;“ fie geniefjen vom
Baum und fehen ihre Nadtheit; der väterliche Richter erfcheint und
fündigt ihnen ihr nunmehriges Loos an, offenbar das eigent-
liche Ehe- und Hüttenleben, und die, Gottheit giebt ihnen ſelbſt
Kleider. Die Zeit des Paradiejes ihrer Empfindungen ift alfo
vorüber: das Blatt wendet fih und fie Zoften die Mühe des
Lebens —
A. Das nähert fih ja gar —
. Daß Sie nur: feiner ſchlechten Hypotheſe erwähnen 1*8)
Auch der Sprache und Allegorie der Morgenländer iſt nichts frem⸗
der, als ſie und manche neuere, die ſich ihr, nur um ein gut
Theil ſchlechter und gezwungener nähern. Die Morgenländer wißen
nichts von Einkleidungen der Art, daß der Baum der Weisheit
das wäre, was dieſe Hypotheſe will: eine Fiction der Art iſt eines
unzüchtigen Mährchens unſrer Zeit, nicht aber einer ſo alten,
kindlichen, reinen, Erzählung würdig. Wenn Adam ſein Weib
erkennet, wird es gerade geſagt; Gegentheils die Empfindungen,
die aus dem Genuß des Baums entſpringen, werden auch treu
und einfältig angegeben. Es waren neue, aber ſie verwirrende,
unangenehme Empfindungen: ſie flohen und verſteckten ſich hinter
die Bäume. Des Vaters Stimme unterbrach den Taumel ihrer
bangen Erwartung; und was nun folgt, wißen Sie. Das alles
163 war keine Schäferſtunde; oder man könnte überall das Schwärzeſte
im Weißeſten finden.
A. Ich wünſchte, daß Sie ſich alſo deutlicher über den Baum
und das Werkzeug der Verführung erklärten; fie enthüllen mir
damit vielleicht die ältefte Fabel und Hieroglyphe der Welt und
das liegt doch eigentlich in unjerm Wege.
E. Ob diefe Erzählung Fabel und Hieroglyphe fei? wird fich
finden; jet laſſen Sie uns dieſelbe blos ala das, was fie ift, als
*) Bermuthlich ift die Beverlandiſche hier gemeint.
— 330 —
alte kindliche Sage betrachten. Was, halten Sie, war der Baum
der Weisheit? was bedeutet das Wort?
A. Erlkenntniß des Guten und Böfen heißt bei den Morgen-
ländern, fo viel ich weiß, Klugheit. Es wird gewöhnlich von Den
Sahren gebraudt, da ein Menſch zu PVerftande kommt; oder es
bedeutet das moraliſche Urtheil eines Menſchen, feine Fähigkeit
dazu, kurz, feinen praktiſchen Berftand.
E. Alfo wenn ein Menſch zu Jahren des Verftandes kommt,
jo weiß er Gutes und Böfes zu unterfcheiden, das er bisher zu
unterfcheiden gelehrt wurde. Wenn er feiner Pflicht freu bleibt
und der Verfuhung zum Gegentheil widerftehet, unterjcheidet er
Gutes und Böfes. Endlich wenn er durch einen Yehltritt gewitzigt
wird, daß ihm nun die Strafe feines Nicht - Unterfcheidens nad):
eilet, jo lernt er Böfes und Gutes kennen; aber nicht eben auf die
angenehmfte Weife. Da fehen Sie die ganze Geſchichte biefes
Baums und feiner Bedeutung. Gott verbot dem Menfchen den
jelben; er befam alſo eine Pflicht auf fi; dies war die erfte
leichte Webung im Unterfchicde des Guten und Böfen. Alle Bäume
waren gut, denn fie waren ihm erlaubt; dieſer mar böfe, denn cr
war ihm verboten. Die Schlange legte das anders aus und fagte:
„euch ijt der Baum, weil er Erfänntniß des Guten und Böfen,
„d. i. böhere Weisheit giebt, verboten. Eßet, ihr werdet aus
„Kindern Männer, aus Menſchen Elohim werden;“ das mar die
zweite Bedeutung. — Endlich fie aßen von demfelben und wurden
wirklich gewigigt: fie jahen ein, daß fie unrecht gethan Hatten, ja
es entwidelten fich bei ihnen Empfindungen und Blide, die jie wohl
hätten entbehren mögen. Die machte ihnen der Schöpfer zu einer
Pforte neuer Erfahrungen und Pflichten: er wies fie in einen
andern Stand und half ihnen felbft mit der erften nothdürftigen
Erfindung; das war bie dritte Bebeutung. Gott fonnte nun, im
Spott oder Ernit jagen: „der Menih ift wie einer der Elohim
„worden; er bat Gutes und Böfes kennen und unterjcheiden
„gelernt.“ So drehet fi die ganze Erzählung; Eine und diefelbe
Idee ſteht von einer andern Seite da und ift noch immer dieſelbe.
— 3 —
165 Halten Sie eine Entwicklung der Art nit ſchön? fie iſt fo rund
und einfad.
A. In einer Fabel wohl; id weiß aber nicht, ob fie es in
einer Geſchichte wäre, von der fo viel abhing. Millionen Men-
ſchen follen fi den Tod an biefem Apfel gegeßen haben und fein
Genuß hing von einem Mifverftande ab?
€. Die Dogmatiihen Folgen bleiben ganz an ihrem Ort;
wir betrachten hier eine Sage aus den Zeiten ber Kindheit unſres
Geſchlechts, die aud im Geift diefer Zeiten betrachtet werben follte.
Wollen wir fie nit näher aus einander fegen? fie enthält Grund-
ideen aller moralifchen Dichtkunſt im Morgenlande.
A. Wenn fo viel darauf beruhet, gern.
€. Zuerft alfo. Der Menſch Hatte eine Pflicht auf ſich; das
Thier, das vom Baum wahrſcheinlich aß und den Menſchen mit
feinem Beifpiel (ber mädtigften Sprache) veizte, hatte feine. Jenem
zu eßen, wars feine; biefem wars Sünde. Bemerten Sie den
Unterfchied ?
A. Mir fällts eben bei, daß die Morgenländer die Geſchöpfe
in freie und verpflichtete eintheilen. Das erfte find die Thiere, fie
haben fein Gebot auf fih: der Menſch allein ift durch Gebot und
Pflicht verbunden — i
166 €. Diefe Unterſcheidung fegt unfre ganze Sache ins Licht.
Die Schlange handelte in ihrer Natur, da fie vom Baum af;
der Menſch handelte feiner Pflicht entgegen, da er bavon chen
wollte und einem Thier auf unvernünftige Weife folgte. Erinnern
Sie ih noch, was wir eben vom Umgange Adams mit den Thie-
ven ſprachen? —
A. Er lernte von und an ihnen; biesmal alſo lernte
er übel. _
€. Und mas brauchte Gott für ein Thier, das die zufällige
Urſache der erften Verirrung feiner Vernunft, feiner Anihauungs-
und Nahahmungsgabe werden mufte? Konnte er ein gelegeners
brauden? Der Charakter der Schlange ift Klugheit und Arglift:
fo Handelt jo Sprit fie hier; in dem Charakter wird fie aud)
— 332 —
nachher dargeltellt: fie wird das Sinnbild und befommt ben Lohn
eines Verführere —
A. Die Wendung der Gefchichte geht mir neu auf; o da}
es eine Fabel wäre! es wäre eine ſchöne Fabel.
E. In Abſicht der Einkleidung betrachten Sie fie immer al;
ſolche; es war eine Fabel, die thätig geſpielt ward. Ohne Zward
werden Ihnen in der Aeſopiſchen oder Lockmanniſchen Fabel ein:
Reihe Züge, ähnlih mit unfrer Geſchichte vom Schlangen - Che
ralter und Schlangenfluch befannt ſeyn —
A. Im Morgenlande find Yabeln und Sagen davon vol.‘
Man jchreibt der Schlange vielerlei Kunft und Weisheit zu, dab
fie ſich z. E. (wornach der Menfch fo fehr ftrebt) zu verjünge,
ih im Alter das Gefiht wieder zu geben wiße: daß fie fi in
Gefahren fehr ſchlau, zumal mit dem Kopf, in dem ihre Stärk
und Leben liegt, verberge. Man fagt: fie befite Geheimniße der
Natur, und werde von einem Geift befeelet. Ich habe eine Reihe
Mähren gelefen, wie Schlangen Kranke gejund machen, des Zau-
berers Stimme vernehmen, ihr Ohr gegen widrige Zaubermort:
verjtopfen, wie fie auf Muſik horchen, der Stimme ihrer Priejter
folgen — eine Menge Sagen, wo man oft nicht weiß, mas man
denken ſoll, wenn man fie liefet.
E. Viele mögen Naturgefhichte des Thiers feyn, das wir zu
wenig kennen; andre find Bruchftüde ber älteften Tradition, an
die immer mehr und mehr Wunderbares und Unglaubliches gerciht
worden. Dies ift endlih Meinung des Volks geworden, deren
fh die Lift und der Betrug der Dichter, Zauberer und Prieſter
treflih bedient hat. Gnug für uns: in ganz Orient ift bie
Schlange als ein weiſes, liſtiges Thier befannt; und daß fie ein
niebriges, ſchädliches Thier fei, brauchen mir nicht erft zu ermeilen.
Bemerken Sie nun, wie genau alle diefe Züge in unfrer Erzählung
gebraucht find. Zuerſt erfcheint fie ala ein weiſer, glänzenber;
nachher als ein fchleichender, den Ferſen nachftellender, niedriger m
Betrüger. Erft it fie Bötterjpeife, kennt die geheimen Kräfte ber
Natur und hat mit den Elohim Gemeinschaft; nachher Triecht fie
— 3 —
auf dem Bauch und iſt verdammt, Staub zu freßen. Sie iſt ſo
wenig eine Unſterbliche, daß ihr der Menſch vielmehr den Kopf
zerknicken kann und fie mag ihn nur mit dem Ferſenſtich lohnen.
Erſt eine Freundin der Eva, die ſie zur Göttin machen will;
nachher eine Feindin ihrer und ihrer Kinder, ſo daß die Schlangen⸗
mutter gleichſam als Gegnerin ihres ganzen Geſchlechts betrachtet
wird; können Sie fi lehrendere Kontrafte in Einem Thier den⸗
tem? Ein niedriger Wurm; und follte die Gotteögeftalt des Men-
ſchen Weisheit lehren? Die Thorheit der Menſchen bei folder
Nachahmung kam in ihr größeftes Licht.
A. Und gerade fieht der Menſch feinen Verführer nad der
That an, wie der Fluch Bier die Schlange entwidelt. Die Erzäh-
lung ift ſchön gewandt und wenn die Geſchichte ſich zutrug, konnte
den Menfchen fein lehrenberer Apologus gehalten werben. Hier
lehrt Baum, Schlange, Handlung und die Worte entwideln nur,
was leider! die Erfahrung lehrte. Ich ſehe, auf welder Irre die
find, die ſich den Kopf zerbrechen, ob bie Schlange aud voraus
Füße gehabt? | Menfchenverftand gehabt, den Fluch zu empfin-
den? u. f. f.
€. Die Rabbinen haben noch ärgere Einfälle; aber lagen Sie
alle diefe Leute, denn wir haben noch eine Reihe Züge unfres lehr⸗
reichen Gemäldes zu entwideln. Die Schlange mollte dem Men-
fen am Baume offne Augen, Weisheit der Elohim geben; woher
diefeö? warum betrog fie den Menſchen gerade mit biefer Hoff-
nung? — Erinnern Sie fih, was wir von den Elohim ſprachen?
A. Ihre Meinung wird mir fait augenſcheinlich. Es mußten
Elohim ſeyn, die, weiſer ala Menſchen, mit offnen Augen bie
Geheimniße der Natur fahen und gleihjam Hinter den Vorhang
verborgner Kräfte laufchten —
€. Ein verbreiteter Glaube der Morgenländer, die nach dieſer
verborgenen Naturwißenfchaft, wie wir etwa nad; dem Stein ber
Weiſen ftreben. Es ift unglaublid, was für Sagen und Fabeln
über bieje geheime Weisheit fih aus ben älteften Seiten hinunter
geerbt haben. Hier blüht fie auf einem Baume; bald. ift fie in
—
— 334 —
einer Figur, einem Siegel, einem Talismann verborgen; bald
ſprechen von ihr die Vögel des Himmels, am meiſten aber finds
Geifter, Genien, die von dem Duft der Blumen leben, mit dieſer
Götterfpeife, auch Götterweisheit genießen und hie und da, zumal
gezwungen, einzelnen Menſchen fie mittheilen. Die Moral ber
Morgenländer bat in Lehrſprüchen und Dichtungen durch diele ı:
Sagen einen ganz cignen Weg genonmen —
AH. Auch die Lehrſprüche?
E. Daß immer vor verbotnen Künften gewarnt, daß dieſe
falfche verderbende Weisheit von der wahren, einzigen, einfältigen
Weisheit forgfältig unterfchieden wird. ch könnte Ihnen eine
Reihe Sentenzen hierüber anführen, in denen Furcht Gottes und
Furcht der Dämonen, Gehorſam gegen Gott und Flut vor den
Bezauberungen der falfehen Wißenfchaft einander entgegen ftehen.
jene ift der Baum des Lebens; diefe der verbotene Baum ver |
falſchen verderblichen Götterweisheit. Doch zu unferer Gefchichte! |
Nicht wahr? Sie hielten fie gern für eine Yabel?
A. Ich läugne es nicht.
E. So möchte ich ſehen, wie Sie in ihr Folgen und Urſach
auch nur mit einiger Conſequenz binden werden? Denn das iſt
doch das Weſen der Fabel, daß ihre Theile zuſammen ſtimmen
und was in Handlung vorgeſtellt werden ſoll, anſchauend vorge |
ſtellt werde. Nehmen Sie den Baum in irgend Einer der Bebau-
tungen, die er der Sprade gemäß haben muß: immer bleiben |
überflüßige und inconjequente Züge. Iſt er ein Baum entiweber
des Gehorfams oder des Todes, mie Gott jagt; der Tod erfolgt
nicht; vielmehr erfolgen andre Effefte, die in jenem Verbot nicht
liegen. Setzen Sie die Weisheit bei ihm in dem Begrif, den bie 171
Schlange vorgiebt; fo Hat Gott unmahr geredet: denn einiger-
maaſſen fcheint das Verſprechen der Schlange doch wirklich einzu-
treffen. Site befommen eröfnete Augen, fie werden, wie Gott jelbft
jagt, den Elohim gleih; warum hatte er ihnen alfo den Baum
verboten? Und wie fommen nun zu diefer neuerlangten Clohims -
Weisheit Dorn und Diiteln, Aderbau und Geburtsfchmerzen? ja
17
100)
— 335 —
warum müßen die neuen Elohim das Paradies räumen? Sie
hätten bei ihren Brüdern, den Elohim, bleiben ſollen; es ſei
denn, daß ſich Gott im Ernſt fürchtet, ſie möchten ihm, wie vom
Baum der Weisheit, auch vom Baum des Lebens koſten und
unſterbliche Elohim werden, wie ſie wider ſeinen Willen weiſe
Elohim wurden. Retten Sie ihre Fabel.
A. Das bleibt Ihnen.
E. Ich kanns nicht, ſo lange ſie Fabel ſeyn ſoll. Setzen
Sie ſie aber als Sage, als Erzählung einer mit den Kindern und
Vätern des menſchlichen Geſchlechts wirklich vorgegangenen belehren⸗
den Geſchichte; fo ſoll alles natürlich folgen. Fangen Sie die Ent-
widlung an, wo wir jie ließen: „fie waren nadt und fchämeten
„ch nicht;“ konnten die Menjchen wohl in diefem Zuftande bleiben?
A. Die Schwärmer fagend. Sie fagen: „Eva hätte nicht
„empfangen und gebohren, wie jebt die Weiber gebähren, das fei
„per Sünden Sold, ein Aequivalent für die Todesitrafe.“
E. So war au Eva nicht gebauet wie unfre Weiber: denn
ihrem Bau nad follen diefe Mütter werben und der erfte Segen
erflärt ausbrüdlich ven Menſchen dazu geſchaffen, daß er die Erde
bevölfre. Die Erde ift dazu geichaffen, daß fie bewohnt werde und
in jedem rauhen Clima fonnte doch dies Paradies am Quell diefer
vier Flüße nicht ftatt finden? — Auch Schmweis des Angeſichts
gehörte zum Bau der Erde, wie Schmerzen zur Geburt; fur, fo
lange uns die Schwärmer nicht eine andre Erde, eine andre Menſch⸗
heit zeigen, als die wir fennen, und auf bie fi der Segen bei
Schöpfung unſres Geſchlechts offenbar bezieht: jo wollen mir fie
vom gläfernen Leibe Adams und vom Baradiefe unter den Norb-
pol träumen laßen; wir haben zu lange von ihnen geredet —
A. Ste meinen alfo, Gott habe den Menſchen wirklich zu
dem Zuftende gefchaffen, in dem er ſich jetzt befindet?
E. Und mer follte ihn fonft dazu geichaffen haben? Der
Teufel doch nit; und Gott, der ihn aus Staube bildete, ſah
nothwendig auch diefe Entwidlung vorher. Er mog den Staub
in der Hand und mußte, was aus ihm werden würde: er maas
— 336 —
die Kräfte feiner Seele und kannte jeden Irrthum, deßen er fähig
wäre. Wahrlich, wenn wir das leugnen wollen, maden wir 1:5
und unfrer Vernunft, unſrer Menfchheit und unfrer Erde ım-
wert. Keine Philoſophie ift mir verhaßter, als diefe, die alle.
Kunft aufbietet, dem Menſchen die Augen auszuftehen, damit
er fich felbft nicht ſehen möge. Die Poefie der Ebräer, ja bie
Philoſophie beider Teftamente weiß von diefem erhabnen Unftnn
nichts. In keinem Palm, in keinem Propheten ift dieſe Gefchichte
fo angeführt und daraus ermwielen, mas dieſe Afterphilojophie will,
daß daraus erwiejen werden fol. Adam, fagt die Schrift, fün-
digte zuerft, und wir alle jündigen, wie er; müßen alſo aud, wie
er, fterben. Wie die Eva berüdt warb, werden wir auch berüdt
und entfremdet von der Einfalt — das fagt die Schrift: nicht aber,
„wir ſehen vom Nabel an bis unten zu anders aus, ala Adam.“
Nicht, daß, fobald er fündigte, er feine Menſchheit verlohren,
zehntaufend actus und raptus im Verſtand und Willen, Sinnen
und allen Glievern für fih und feine Nachkommen erlitten habe.
Was er erlitt, wird Bier beutlich bejchrieben —
A. Was erlitt er? und mie folgt es aus dem Verbot und
dem Baume?
E. Setzen Sie, daß es ein jchänliher aber fein töbtlicher
Baum war, für dem ihn Gott gewarnt hatte. Tod nannte Gott
feine Wirkung, Theils im Gegenfat vom Baum des Lebens, Theile
weil dies die fchärfite Bebrohung war, die den Menfhen vom 174
Baum abichreden konnte. Indeßen fah Er, der die Grenzen aller
Dinge kennet, auch dieſe Verirrung voraus; und da es thöricht
geweſen wäre, ein Menjchengefhleht zu ſchaffen, damit es im erften
Moment des Daſeyns unterginge: fo ftellte er auf den Weg feiner
Verirrungen ein Gewächs bin, das im Plan der Menjchheit auch
jest feinen Zweden entſprach und einen folgenden Zuftand auf eine
Art einleiten mußte —
A. Ich veritehe Sie nidt.
E. Die Frucht erregte Lüfte, empörte ihr Geblüt, feßte fie
in Furcht, Unruhe, Schreden und Erftaunen. Diefen Zuſtand
175
176
— 3371 —
ihrer Empfindungen nutzte der Vater und zeigte feinen Kindern bie
Folgen ihres erjten Vergehens an ihnen jelbjt und ihrem Ver⸗
führer. Diefen machte er ihnen abſcheulich: ihmen ſelbſt prophezeite
er eben aus ihren neuen Empfindungen nun andre Lebensfcenen.
Die Jungfrau des Paradiefes müßte fünftig Mutter werden: fie,
die bisher Braut Adams, Männin, geweien mar, müfte Eva, dag
Weib der Hütte, die Dienerin der Lebendigen ſeyn, die durch fie
das Licht der Welt erbliden follten. Dem ruhigen Bewohner des
Varadiefes, der in diefem Garten früheiter Bildung nur. die erjte
Zeit feiner Jugend durchleben follte, jtehen igt mühſamere Arbeiten
vor, die indeß auch zu feiner Beitimmung gehörten: endlich ward
ihm felbft das Harte Wort, Tod, angefündigt und er auch zu
diefem Schidfal auf die lindeſte Weife bereitet. Kurz: fein erftes
Berjehen warb väterliche Fortleitung feines Zuftandes, die Strafe
Gottes ward (wie kann der Allgütige auch anders ftrafen?) ein
neuer, nur bärter zu fühlender Segen. Dem Menjchen jollte die
Thür zu feiner Hütte geöfnet werden; und fein eignes Berjehen
mußte fie ihm öfnen —
A. Welh einen andern Anblid bekommt fo die Gejchichte!
Nun entwidelt ſich freilich alles; nun ift fein Zug vergebens: auch
im Ton der Strafe ift alles väterlih und fchonend: denn es iſt
fortgefegte Naturgefchichte der Menſchheit. Der Bater läßt fein
Kind auf der weichſten Stelle fallen: es bricht ſich felbft den Apfel
feiner künftigen Schmerzen und Beſchwerden: fi hats zuzufchreiben,
daß e3 nicht mehr im Barabiefe ift, in dem es ewig — nicht feyn
fonnte und ſeyn follte. Dem väterlichen Haufe hatte fi der Menſch
durch fein eigenmächtiges Betragen felbjt entwunden; nun mochte
er jein eigner Herr und Verſorger werben.
E. Sehen Sie nihts mehr in diefer Geſchichte? keine Ana—
logie mit unjerm Buftande ?
A. Fortgehend: auch wir durchleben die Zuftände: auch wir
jündigen wie Adam, auch wir werden mie er geftraft, d. i. zum
Härtern, aber auch Nothmendigen geführt.
E. Und feinen Aufſchluß: was eigentlih das aöle jei?
Herders ſämmtl. Werle. XT.
— 38 —
A. Verrückung von der Einfalt, durch fremde, unſtatthafte,
täuſchende Beweggründe. Ein Gebot iſt immer da, in uns oder
außer uns; in unſerm Bewußtſein oder in poſitiven Pflichten. Eine
Schlange iſt immer da, die uns verführet: Lüfternheit unſrer Sinne,
falſche Vorſpiegelungen unſrer Vernunft, oder beide. Die Folgen
des Vergehens ſind immer dieſelbe; ja ich traue es dem väter⸗
lichen Gott zu, daß auch die Strafen, die er jedem ſeiner irrenden
Geſchöpfe zuerkennet, väterliche Wohlthaten, Fügungen zum Beſten
ſeyn werden, nur freilich auf härterem Wege.
E. Hier, m. Fr., ſehen Sie alſo den Kreislauf der Menſch⸗
beit von allen Seiten, gerade wie ihn auch nachher die morgen:
ländifhe Poefie bearbeitet bat. Zuerſt Natur, Paradies, Liebe,
Unſchuld, ein Königreih der Thiere, kurz alles womit fich die
Phantafte der Jugend jo gern beichäftigt: in der Mitte fteht der
Baum de Gehorfams, auf den die moralifche Poefie der Morgen:
länder alles zurüdführet; vom Genuß des Baums füngt das ar,
worüber jo manche rührende Elegie in Hiob und den Pſalmen
weinet, Mühe, Knechtsdienſt, Krankheit, Tod. Ich möchte bie
furzen Kapitel eine Encyklopädie der Menjchheit nennen und
wünſchte mir jede Situation derfelben in Poefie oder Profe jo 17
leicht und natürlich dDarftellen zu können, mie fie in diefer fimpeln
Erzählung entwidelt ift; die Fabel vom Prometheus und der Pan-
dora find arm dagegen. — Aber noch Eins ift in diefer Gefchichte,
Etwas fehr Poetiſches —
A. Die Cherubim mit dem flammenden Schwert ? Nun, das
find Donnerpferde!
E. Donnerpferde? in fo frühen Zeiten? wie unwahrſcheinlich
hätte die Tradition gedichtet! Sie, die Doch alles Andre jo ganz
den Zeiten angemeßen vorftellt. Kannte Adam Donnerpferde? und
was stellte er fih in ihnen vor? wie fam er zum Bilde? — Und
was follen fie hier? Donnerpferde mit den Flammen des Schwerts,
zu bewahren den Weg zum Lebensbaume ?
A. Sie maden mich wirklich verlegen; aber Cherubim find
ja in der ganzen Ebräiſchen Poeſie Donnerpferde —
— 339 —
E. Ich wüſte keine einzige Stelle, die auch nur den Schein
dazu gebe. Bei einem ſpätern Propheten*) werden Gott Roße zu⸗
geſchrieben; aber das ſind nicht Cherubim. Da erſcheinet er auf
einem Streitwagen, vor den freilich Roße gehören; in dieſem Bilde
donnert er nicht einmal. Er ſteht auf ſeinem Wagen und mißt
178 das Land den Iſraeliten zu: vor ihm geht die Peſt, Raubvögel
fliegen ihm zu Füßen. Er ſchaut und zertrennet die Völker:
Paniſcher Schrecken fällt auf die Midianitiſchen Gezelte. Nun zieht
er den Bogen und ſchießt: er ſchlägt und zerſchmettert; kurz er
braucht alles Streitgewehr der alten Schlacht — majeſtätiſch zieht
er wieder zurück und ſeine Roße vor dem ſiegeriſchen Streitwagen
gehen, wie ſie kamen, durchs Meer, durch den Schlamm großer
Waßer. Iſt bier von Donnerpferden oder von Cherubim nur die Rede?
A. Aber die Griehen gaben ja ihrem Jupiter Donnerpferbe:
Virgil hat davon fo fchöne Bilder —
E. Iſt Jupiter Jehovah? find die Griechen Ebräer? ift
Virgil ein Ebräifcher Dichter? Die Peruaner jtellen fih den Don-
ner ala das Zerjchmettern eines Gefäßes vor, das die ſchöne Regen⸗
göttin in der Hand hat: ihr Bruder kommt und zerfchlägts, nun
donnert3, nun fließt der Negen. Das ift Mythologie der Peruaner;
mie aber, wenn jemand darnach Ebrätiche Poefie auslegen mollte ?
Wißen wir denn von den Cherubim aus Ebräifchen Dichtern felbit
nicht3? werden fie und nicht gar ald Kunstwerke deutlich befchrieben ?
\ A. Laben Sie uns die Stellen durchgehn. Zuerft mie fie
über der Bundeslade ftehen.**)
179 E. Da haben fie Flügel und Angeficht, fehen auf den Dedel
der Bundeslade nieder, und überfchatten den Gnabenftubl; das ift
weder die Geftalt noch Stellung der Donnerpferde. Und mahr-
ſcheinlich wie fie bier ftanden, wurden fie aud auf Die Teppiche
gemwirket; in Salomo's Tempel ftanden fie eben fo, nur prächtiger,
größer: die Beſchreibung wird ganz wieberholc.***)
*) Habaknuk 4, 8. **) 2 Mof. 25, 17. 18. Kap. 36, 8. 35.
“*r) 1 Kön. 6, 23. 2 Chron. 3, 7.
22*
— U —
A. Mit ihr ift aber noch nicht viel befchrieben: denn mie
manche Geftalten können nit Antlig und Flügel haben ?
E. Alſo zum. Tempel Ezechiels!*) In feiner Beichreibung
haben die Cherubim ein Menfchen- und Lömenhaupt; an die Ge—
ftalt des Pferdes wird nicht gedacht. Eben dieſem Propheten er-
jcheinen die Cherubim in den Wollen:**) Ein Cherub ftredt feine
Hand hervor: es ift eine Menfchenhand, Die euer ergreift. Das
Geſicht erfcheint zweimal und durch Zufammenhaltung wirds offen-
bar: jedes Thier hat vier Angefichte, des Stiers, des Menfchen,
bes Löwen, des Adlers, nachdem fie von foldher oder foldder Seite
gejehen werden. Diefe vier Angefichte fieht auch Johannes, nur
nit alle an Einem Thier. Alſo —
A. Was wird aljo aus der Geftalt ? 1%
E. Zweierlei folgt daraus unwiderſprechlich. Daß Cherubim
eine Compofition mehrerer ‘Thiergeftalten; zweitens, daß unter dieſen
Figuren feine Pferbögeftalt gemejen.
A. Giebts feine Stelle mehr?
E. Eine, die für unfern Drt entſcheidet. Der ſtolze König
von Tyrus wird von Ezechiel***) ein Cherub genannt, der eben in
Eden, im Garten der Elohim, auf dem heiligen Berge wohnt und
daſelbſt zwiſchen feurigen Steinen wandelt. Es wird dies Bild
ala das höchſte feiner Macht, und feines ftolzen Anjehns gebraucht:
alle Pracht der Ebelfteine ift fein Schmud: feine Schöpfung ein
Tag der Freuden. Er erjcheint als ein jtolzes volllommenes Ge—
ſchöpf in feinen Werfen. — Nun wißen wir, mas in der älteften
Welt, infonderheit bei den Morgenländern diefer Gegenden für
Thiergejtalten die Sinnbilder der Pradt, des Stolzes waren?
Genau die vier, die die Compofition der Cherubim zufammen
faßte: Löwe, Stier, Menſch, Adler. Ihnen wird das Sprüd-
wort der Ebräer befannt feyn: „Vier find die Stolgen ber
„Welt: der Löwe unter den wilden, der Stier unter ben
*) Ezech. 41, 18. **) Ezech. 10, 14. Kap. 1, 10 f.
“er, Ezech. 8, 14. ſ. Beilage 2.:
— 4 —
„zahmen Thieren, der Adler unter dem Geflügel, der Menſch
„über alle.”
181 A. Mid dünkt aber für die früheften Zeiten entſchiede Dies
Sprüchwort nit gewiß: denn die Stüde der Compofition in ben
Cherubim jcheinen doch zu wechſeln —
E. Wie alles Kunſtgebilde, zumal als Zierrath mit ben
Zeiten etwa wechſelt; der Geift der Compofition ift indeß unver-
fennbar. Ezechiel fegt feinen König zu Tyrus dahin, wo Die
älteften Cherubim ftanden, auf den Berg Gottes im Parabieje
und macht ihn zu einer glänzenden, weiſen, furdtbaren Pracht⸗
geſtalt. Er nahm diefen Eindruck wahrſcheinlich von feiner Er-
icheinung und den Cherubim ber, die eben ala furdhtbare Schreck⸗
geftalten daftehn, den Weg zu bewahren zum Baum bes Lebens.
Mich dünkt, diefe Beichreibung Ezechiels, fanıt den andern Tra-
ditionen der Morgenländer, geben uns einen fo genauen Begrif
von diefen Wundergeftalten, daß wir die Donnerpferde ganz aus
dem Geficht verlieren dörfen.
A. Andre Traditionen ?
E. Kennen Sie kein fabelhaftes Thier, das auf den Bergen
der älteften Welt, eben in ber Gegend, mohin unjre Sage das
Paradies feet, wohnt und Schäße der Vorzeit bewachet?
U. Jene Drachen, jener Greif, der Gold oder güldene Aepfel
bemahret ? '
182 E. Das mar die Tradition fpäterer oder nordiſcher Völker.
Die Morgenländer haben ein geflügeltes Thier, das auf dem Berge
Kaf wohnt, und mit den Niefen der Urwelt viel Krieg gehabt bat.
Es bat, fagen fie, Vernunft und Religion, ſpricht alle ‚Sprachen
der Welt, bat die Weisheit der Sphinre, die Lift der Greife und
bewahrt den Weg zu den Schägen des Paradieſes. Eine Wunber-
geftalt der Werke Gottes, weder mit Lift zu bintergehen, noch mit
Gewalt zu überwinden. — Der Sphinx der Aegypter, die Drachen
ber Griehen, der Greif der Norbländer find alle Ein und dieſelbe
Compofition, nur nach Ländern und Zeiten anders modificiret.
Sehen Sie da die Ipätern Fabeln und Mährchen von jenen Wäd-
— 342 —
tern des Baums der Unfterblichleit an der Pforte des Paradieſes,
ben glänzenden Schredgeftalten auf dem heiligen Berge mit der
Flamme des Hin und Her fi) wendenden Schwert, genau mic
Ezechiel feinen Cherub befchreibet. — Die bat nun jede Nation in
Poefie und Trabition von Zeit zu Zeit vermehrt und verfabelt‘*)
Für uns iſts gnug, daß wir die Geſchichte der Cherubim im Ber:
folg der Ebräifchen Poeſie betrachten. — Anfangs erjcheinen fie
bier als Hüter mit dem feurigen Schwert, (nicht als Verwüſter IN
bes Paradieſes, wie man wider den Haren Buchftab bat erdichten
müßen.) Im Moſes Stiftshütte fommen fie wieder, der, vielleicht
weil er die Aehnlichkeit zwmifchen ihnen und den Sphinxen ſah, fie
nad Aegyptiiher Art auf die Bundeslade fegte. Von der Bun-
deglade famen fie in die Wollen, denn da ſich dort auf ihnen bie
Herrlichleit Gottes niederließ: jo mußten fie auch bier die Herrlid-
feit Gottes tragen. Jetzt wurden fie alfo eigentlih ein Ebräiſches
Dichterbild und zulegt gar ein Geficht der Propheten. Der Ueber-
gang, daß Cherub, ein Kunitwerf auf der Bundeslade jet Cherub
in den Wolfen, ein tragendes Geſchöpf des Throns Jehovah
wurde, lag offenbar in dem Ausbrud: „Gott, der über ben
Cherub thronet,” ein Ehrenname der Herrlichkeit Gottes, der in den
Büchern Samuels**) Thon vorkommt. Sobald die Anwendung
davon auf den Gott in den Wolfen gemacht war, hatte die Gin-
bildungsfraft der Dichter einen freien Raum, fie bei Gemälden
des Himmels zu brauchen, und David jcheint der erfte geweſen zu
ſeyn, der dies Bild componirt hat.***) Indeßen ift auch bei feinem
Cherub jo wenig an ein Donnerpferd zu denken, daß er vielmehr
dieſen Begrif hätte entfernen müßen, wenn einiger Grund dazu in 13
irgend einer andern Stelle gemejen wäre. Sein Cherub ift ein
geflügeltes Geſchöpf, auf dem Gott fliegt; er ftehet im Parallelis⸗
mus den Fittigen des Windes gegenüber, und Donner und Blis
*) ©. bie Fabeln von Simorg-Anla, Soham u. a. Fabelthieren in
Bochart, Herbelot und Hundert Morgenländifchen Gedichten.
*e) 1 Sam. 4,4. 2 Sam. 6, 2. *ee) Bf. 18, 11. f. Beilage 3.
— 33 —
werden in eignen Bildern beſchrieben. Noch zu Jeſaias Zeiten *)
war der Gott, der über den Cherubim figet, nichts als jener alte
Moſaiſche Ausdruck, der in den Büchern Samuel3 und den Palmen
vorkommt; als Gott ihm erichien,**) waren feine Cherubim im
Bilde der Erfheinung. Erft in fpätern Zeiten, außerhalb Judäa,
unter den Gefangnen am Waßer Chebar ward das alte bichterilche
Bild prophetifche Vifion;***) und die Cherubim erfchienen hier in
vollem Glanze. Es mar aber fein Donnerwagen, den fie trugen,
vielmeniger zogen; fie trugen den Stuhl der Herrlichkeit des Herrn
und über ihnen wars wie Sapphier, d. i. heller und klarer Him⸗
mel. Wie der Regenbogen in den Welten, alfo glänzte e8 um
und um; ber ftillefte, herrlichite, prächtigfte Anblid, fein Donner-
gemählde —
A. Alſo haben Ihre CHerubim dreierlei Zeiten: als Kunft-
werte im Tempel: ala Gemälde in den Wolfen, und ala prophetifche
Viſion.
E. Setzen Sie noch dazu, als Mythologie in der Tradition
155 des Paradiefes; denn die war der Grund von allem. Hätten fie
in diefer Sage nicht gelebt, fo hätte fie Moſes nicht auf die Bun-
deslade geſetzt, jo wären fie von da nicht in die Wolfen gekommen,
noch zulegt prophetiiche Bifion geworden. Uebrigens jehen Sie
jelbft, wie fi im Curſus dieſes Gebrauchs auch das Bild felbft
verändern mußte. in der älteften Sage war e8 ein ehrwürbiges
MWunbergefhöpf: in der Stiftshütte war es todtes Kunſtwerk, in
Pialmen und Gedichten Bild, in der prophetifchen Viſion endlich
Iwov, himmliſches Geſchöpf, Träger der Herrlichkeit Gottes. —
Den Unterjchied diefed Gebrauchs und feiner Sphäre giebt Ezechiel
felbft an. Am Himmel befchreibt er die Geftalten mit ihren vier
Wunderantligen lebendig und herrlich; in feinem Tempel läßt er
ihnen nur zwei derjelben, entmweber weil er fein Menjchenantlig
im Tempel haben wollte, um Abgötterei zu vermeiden, oder weil
er an der Kunft bes Arbeiters verzweifelte. In Mofes Stiftöhütte
) Jeſ. 37, 16. *) Jeſ. 6, 18. ***+) Ezech. 1. und 10,
— 34 —
trafen beide Umſtände zuſammen und die Abbildung der Cherubim
war gewiß ſehr ſimpel.
A. Der bleibende Hauptbegrif der Cherubim war alſo ein
Wundergeſchöpf, eine Compoſition aus vielerley Thieren ?
E. Das tft unwiderſprechlich. Noch Joſephus beichreibt ihre
Geftalt aus der Tradition fo, daß Cherubim geflügelte Lebendige
(Zoe) waren, mit einer Geftalt, der nichts von Menjchen Ge- I-
jehenes gliche; eine fabelhafte Compofition des Herrlihen, Schred-
lichen, Mächtigen, Wunderbaren. Ohne Zweifel ſchwebte fie, mehr
oder weniger, immer zwiſchen ben vier Stolzen be Himmels und
der Erbe, dem Adler, Stier, Menihen und Löwen; nachdem der
Dichter ein Bild braudite, oder die Kunft es bilden konnte. Auch
die Arabiſche Tradition weiß von den Cherubin der Arche, dab
fie ein geflügeltes Weſen in Menſchengeſtalt mit Bliden gemefen,
die wie eine Flamme glänzten und die zu Kriegszeit auf die Feinde
einen ungeftümen Wind gejandt haben — eine Fabel, deren Grund
man in der bibliihen Geſchichte ftehet.
A. Wie glauben Sie aber, daß die erfte und ältefte Mytho-
[ogie von den Cherubim an der Pforte des Paradieſes entftan
den Sei? —
E. Auch hierüber giebt die überall verbreitete Tradition
ziemlich mahrfheinlihe Auskunft. Daß diefe Cherubim Bewahrer
des Meges zum Baum des Lebens, zu den Gärten ber Heiperiben
geweſen; iſt einmüthige Sage. Daß der Cherub der Morgenländer
auf einem Berge gelagert, unter feurigen Steinen wandle, jagt
Ezechiel und die durchgängige morgenländifche Sage beitätigtd. Sie
lagern ihn alle auf ein Gebürge des fernen Afiens, hinter welchem
das Paradies ruhe; ohngefähr in die Gegend, wohin auch Moſes
das feinige feßet. ft ihnen nun feine andere Mythologie befannt, 18
die von einem glänzenden Götterberge redet? —
U. Ich wüſte nicht.
E. Sie ift allen morgenländifchen Nationen von Tibet an
bis zum rothen Meer bin geläufig; ein Berg, worauf die Götter,
gaben, Elohim, Dämonen, jeligen Menſchen wohnen, den einige,
—
— 345 —
in der Ebräiſchen Poeſie eingerückte Traditionen, Nordwärts ſetzten —
Wer war jener König, der im Spottliede Jeſaias ſagte:
— Zum Himmel will ich hinan!
Ueber die Sterne Gottes erhöh' ich meinen Thron!
Ich werde mit auf dem Berge des Götterrathes thronen,
im höchſten Nord.
Bei den Ebräern konnte dieſe Mythologie nicht aufkommen, die
Sinai und Zion zu Gottesbergen hatten, und Sie wißen, mit
welchem Eifer Jeſaias ſeinen heiligen Berg Zion über alle Berge
der Welt erhöhet. Aber in der Rede Elihu's kommt Gott auch
von Mitternacht her, im Goldglanz: er bricht auf aus ſeiner
heiligen Götterverſammlung, wie er den Ebräern von Sinai auf⸗
bricht. Vielleicht war dieſer Mitternachtsberg eben auch das Gebürge
der Cherubim, auf dem der König zu Tyrus beim Ezechiel vor
dem Garten Gottes unter feurigen Steinen wandelt.
A. Und die Entſtehungsart des Begrifs der Cherubim auf
dieſem glänzenden Berge? —
188 E. Sie war ohne Zweifel Anfangs fo ſimpel, als die Tra-
dition vom Paradieje felbit. Die Menichen wurden aus ihm ver-
bannet und ein hohes Gebürge lag wahrjcheinlich zwiſchen ihnen
und dem feligen Wohnfig ihrer Kindheit. Das Gebürge war viel»
leicht vol Thiergeftalten, von denen etwa die fühnen Wandrer,
die einen Weg dahin verfuht haben wollten, fürdterlihe Nach⸗
richten brachten. Oder auf dem Gebürge lagen Donnermolten,
ober vielleicht flammete der Berg gar; das war die Flamme des
Schwert, die fih Hin und her wandte und die mit den Erzäb-
lungen der Wandrer vermifcht, endlich ein Yabelthier ward, eine
Compoſition diefer mancherlei Phantome.. Oder daß gar, als die
Menſchen das Paradies verlaßen mußten und hinter fich ſahen, fie
bin und ber fahrende Flammen nebſt andern glänzenden Quft-
gefihten und wilden Thiergeftalten erblidten: ein Eindrud, den fie
mitnahmen und der ſich nachher durch den Anblid des Berges und
die Nachrichten der Wandrer, der Helden, der Dichter und der.
gemeinen Sage zum Wundergeſchöpf ausbildete. Seys dies oder
— 346 —
das; wenigſtens iſt das ohne Grund, daß der Cherub die Memoe
aus dem Paradieſe geführt habe, wie Bilder und Dichting
fingen und mahlen; Gott führte fic aus dem Paradiefe und d
Cherubim kamen ala Wächter davor.
A. Ward aber nicht Elias mit feurigen Wagen und Robz i
gen Himmel geholet?
€. Aud das war Streit- Triumph-; fein Mythologiih:
Donnerwagen:; noch meniger ein Cherub. So verſtehts Elija, x
die Erfcheinung ſah. Er rief aus: „du bilt Iſraels Kriegsmach
„seine Neuter und Wagen gemweien, darum wird bir auch Ti
„heroiſche, Triegrifhe Auffahrt. Als Sieger erfcheinft du in ber
„Himmelsgefilden.” So wenn der Wagen Gottes taufend mal tauien:
genannt wird:*) das Bild ift vom Streit- und Triumphswagn
bergenommen, wie der ganze Pfaln zeigt. Bon Sinai brid:
Gott auf, vor Iſrael herzuziehn und das Land zu erobern: di
Berge beben, die Könige fliehn. Er theilt Beute aus und fchwina:
feinen Wagen in die Höhe, führt die Gefangnen im Triumph daher
und giebt Gaben. Es ift diejelbe Vorftellung, die wir bei Habu-
kuks Bilde ſahen und die wir, wenn von Erobrung des Landes
Iſrael die Rede ſeyn wird, in den fchönften Triumphliedern mehr
ins Licht ſetzen werden.
U. Was geben Sie mir aber für ein anbres Bild des Don-
ners, da fie mir die Donnerpferde geraubt haben?
| E. Die Stimme de3 fcheltenden Vaterd. Dies Bild verftehen
noch alle Kinder und es fteht in der fimpeln Gejchichte felbft, in ı
der man die Donnerpferde bat finden wollen. ‚Sie hörten dic
„Stimme Jehovahs, der im Garten wandelte zur Zeit, da ſich der
„Tag kühlte;“ nichts ift wahrfcheinlicher, als daß dies der Donner
fei, und daß eben durch diefen Ausdrud das Bild in die Ebräiſche
Poeſie fortwährend eingeführt worden. Wenigſtens mwüfte ich nicht,
wie in Eine und diejelbe ganz findlihe Erzählung ein fo früher,
einfacher, findliher und ein fo zufammengefegter, jpäter und fünft-
*) Bf. 68, 18,
[4 e ...
I 1 0
wa
— U —
licher Ausbrud von Ein und derjelben Sache kämen. Mich dünkt,
ich Habe Ihnen die Geſchichte der Cherubim genetifh und mit Er⸗
weijen dargelegt; das ift Alles, mas man vom mythologiihen Be-
grif einer fo fernen Poefie erwartet. Leſen Stie*) und vergleichen;
e8 werden Ihnen feine Zweifel mehr bleiben. Die herrlichen
weifen Räthjelgeihöpfe tragen den Himmel, auf dem Gottes Thron
rubt; und von wen könnte diefer befer getragen werden, als von
Sinnbildern alles Hohen und Schredlichen auf der Erde, verbunden
mit der Idee des Unbegreiflihen, des Unzugangbaren, geheimer
Wißenihaft und Weisheit.
%
— — — —
1. Erſcheinung Gottes über den Cherubim.
Ich ſah und fieh! ein Wirbelwind kam ber
von Norden: *) eine groffe Wolfe, rings
im Feur fih wälzend, glänzend rings under.
Und mitten in ihr ward wie Silbererz
im Feuer glübend: mitten in ihr wars
geftaltet wie ein vierfach⸗-Lebendes;
(doch Dienfchenähnlichleit war unter ihnen.)
Bier Angefichte hatte jedes: vier
Geflügel: ihre Beine fanden grad’
und wie des Kalbed waren ihre Küße.®)
Sie glänzten wie ein hellpolirtes Erz,
und Menſchenhände bargen ihre Flügel.
— —
*) Beilage 1.
a) Auch bier kommt von Norden die Gottederjcheinung, wie im Buch
Hiob (Kap. 37, 22.) vermuthlich aljo bricht Gott vom Götterberge auf.
(Jeſ. 14, 14. Ezech. 28, 14.) Auch im Gefiht Zacharias (Kap. 6, 1—8.)
geben die Roße, die die Welt umzogen haben, gen Norden zur Ruhe, ba
ift der Ort ihres Bleibens. (3. 8.)
b) Die Aehnlichleit der Cherubim mit der Geftalt ber Sphinxe ift
unvertenubar; nur biefe waren nach Aegyptiſcher Diythologie und Kunft
modiflcirt.
— 348 —
Vierſeitig war ein jegliches; und vier
Antlitz' und Flügel hatte jegliches.
An Flügel Flügel, alſo fchloßen fie
fih an einander: feines kehrte um:
ein jedes ging, wohin’ fein Antlig trug.“)
Und ihre Antlite, zur Rechten waren
fie eines Menfchen, eines Löwen Antlik;
zur Linken eines Stiers®) und eine® Aare.
Ihr Angefiht und ihre Flügel theilten
fih oben; zweene Flügel ſchwangen fie
und zween dedten ihre Yeiber.") Jedes
ging ftrad$ nach feinem Angeſicht: es ging
wohin fein Geift es trieb und kehrte nimmer um.
Wie glühnte Kohlen waren anzuſchaun
die vier Geftalten. Feuerfaclelnglanz
flog zwifchen ihnen ber und Feuerlicht,
und aus dem Feuer gingen Blitze. Wie
die Blitze funkelten, fo gingen fie
dorthin und hieher, waren bie unb ba.)
Und über ihren Häuptern breitete
ein Himmel fi, wie ſchrecklicher Kryſtall:
diht an dem Himmel ftanden ihre Flügel
gerab empor, an Flügel Flügel: zween
der Flügel trugen ihn: mit zween bargen
fie ihre Leiber. Und ich hörte Schall
bes Raufchen® ihrer Flügel: alfo raufchen
c) Ein Sinnbild der Allgegenwart des Throne Gottes, des nie mwierer
kehrenden Laufs feiner Wirkung in alle Welt.
d) Was hier der Prophet Stieres » Antlig nennt nennt er (Rap. 10, 14.
Cherubs-Antlitz; vermuthlich ift jener dem gemeinen Ausdrud nad ein:
ber herrſchenden Geftalten der Compoſition gemwefen, wie abermals der An
blid der Sphinre zeigt.
e) Dies Verhüllen der Leiber ift aus Jeſaias Gefiht (Kap. 6, 2.) eır
Sinnbild ihrer Unwürdigkeit dem Herrn der Schöpfung zu dienen.
f) Ich Habe die Beicreibung der Räder unter dem Wagenthron aus
gelaßen, wie fie auch Johannes (Offenb. 4.) nicht ſchildert. Auch fie zeigen
indeß, daß die Cherubim ben Thron der Herrlichkeit nicht als Roße zichn.
fondern als Flügelgefchöpfe tragen. Cherubim und lebendige Räber ftehn
fowohl der Zahl ale dem Schwunge und Gange nad völlig parallel.
— 349 —
viel Waßerſtröme: alſo rauſcht der Donner,
Schabdai’8 Stimme.) Wenn fie gingen, klangs
wie wenn ein Kriegsheer zieht. Und ftanden fie,
fo fentten fie die lügel nieder. Denn
tönt’8 über ihnen in dem Himmel droben;
fie fanden mit geſenkten Flügeln ba.
Und über ihnen, überm Himmel droben
wars anzuſchauen, wie ſapphierner Glanz.
Es war ein Thron, und auf dem Throne ſaß
94 Geſtalt wie eines Menſchen. Der ba faß,
war anzufchaun wie glühend Silbererz,
ein Feueranblid drinnen und umber,
von feinen Lenden auf= und niederwärts:
Ein Feueranblid, und ein Glanz umher,
fo wie der Bogen in den Wolfen glänzt
am Regentage; jo war ringsum Glanz.
Den Anblid von Jehovahs Majeftät
ſah ih und fiel hin auf mein Angeficht,
und börte Stimme eines Rebenden,
ber ſprach zu mir: u. f.
193 g) Offenbar ift der Donner alfo vom Schall und noch mebr von ber
Erfiftenz der Eherubim unterfchieden. Er ift bier blos ein Bild ber Ber-
gleihung, wie Waßerftröme und das Zieh des Kriegsheers; er beißt auch
bier Stimme Schaddais, wie überall in den Ebräiſchen Gebichten. Eben
wenn bie Cherubim ftill ftehen und ihre Flügel nieberfenten, donnerts über
ihnen im Himmel. Auch im Gefiht Johanues (Offenb. 4, 5.) donnerts
vom Thron ber: fie tragen bazu nicht8 bei. Sie find die Träger ber Herr-
lichkeit Gottes, das Sinnbild alles Herrlihen feiner Schöpfung, die ihm
dient und ihn unaufbörlid, lobet: Symbole verborgner Weisheit. Wenn
die Siegel des geheimen Buchs eröfnet werden, ruffen den Seher dieſe Ge-
ftalten. (Sffenb. Iob. 6.) j
— 850 —
2. Klaglied über den Fall des Königs von Tyrus,
unter dem Bilde eines Cherub3.*)
Du Kunftgebilde, Weisheitsvoll und fchön!P)
In Eden, in bem Garten der Elohim
mwarft du: dich ſchmückte jeder Edelſtein,
Rubin, Smaragd, Demant und Hyacinth
und Jaſpis, Onyr und Sappbier und Gold.
Am Tage deiner Bildung priefen dich
willtommend fhon Zrommet- und Bautenfhail.)
Zum Cherub, der fih firedt und Eden bedt,
fett’ ih Dich auf den Berg ber Herrlichkeit
der Elobim: da unter glühnden Steinen“)
wanbelteft du. In allen veinen Wegen
Ruhmvoll vom Tage deines Werbens an,
bis deine Mißethat jetzt funden ift.
Jetzt bat man dich in alle deinem Handel
voll Uebertretung funden und voll Trug.
Drum will ih di vom Berge der Elohim
verfioßen! Dich den Eherub, der fich firedt,
vertilg’ ich von dem Berg der glühnden Steine.
a) Ezech. 28, 12. Das Tieb ift eine Nachahmung des Trauergefanges 1:
Jeſaias über den König zu Babel (Ief. 14, 2.), da8 wir in Einen ker
folgenden Gefpräche überfetst Tefen werben. Es ftehet bier wegen ver Be—
ſchreibung bes Cherubs, die Ezechiel nah feiner Gewohnheit Bilber zu
mablen, weitläuftig ausgeführt bat.
b) Zyrus war bie reichfte Handelsftadt ber damaligen Zeit und fc
wie Phönicifche oder Sidoniſche Arbeit im Alterthum der Name der Eünit- 1°
lichſten Arbeit war, fo fonnte, der bier befungen wird, nicht ſchöner als
unter ber Geflalt eines reichen Kunftgebilbes ſelbſt beflagt werben.
c) Vermuthlich geht dies nad ber Sache felbft auf die ſchöne Lage
bes Orts, Tyrus, der zum Handel und zur Pracht recht geſchaffen fchien:
im Bilde iſts ein befannter Gebrauh Morgenlandes, daß Ehrendenkmale
folder Art mit Mufit und Paukenſchall aufgerichtet werden. (Dan. 3, 5. 7.)
d) Ich meiß nit, ob dieſe glühnden Steine Edelfteine find, oder ob
fie mit jener Flamme des fih bin und ber wendenden Scmert® etma
zufammen gehören; ich wilnſchte, daß die Mythologie von diefem Götter—
berge aus mehreren Traditionen anfgehellt wilrbe, und ich hoffe, fie wirds
werben.
196
197
196
— 8551 —
Dein Herz erhob fich liber deiner Zier:
ob deinem Glanz verlohrft du deine Weisheit.
Drum will ih auf die Erd’ hinwerfen dich,
den Königen dich geben anzufjchaun:°)
denn viel ift deines Frevels; und bein Trug
bat deine Götterzier mit Schimpf befledt.
Aus deinem Bufen fol ein Feuer ausgehn,”)
das Dich verzehret.. Du wirft Aſche feyn
in aller Bölfer Augen rings umber:
und wer di kennt aus allen Völkern, wird
erftaunen über dir. Du warft der Stolz
ber Erd’ und biſts in Ewigleit nicht mehr.
3. Gemählde des Donnerg.*)
Es umgaben mich die Flutben des Todes,
an Belial® Strömen erbebt’ ich ſchon.
Es umfingen mid die Stride des Grabes,
des Todes Nebe fah ich vor mir.
In meiner Angſt, ſprach ich, will ih zum Herren ruffen,
hinauf zu meinem Gotte will ich ſchreyn.
Er wird mid) hören aus feiner Burg,
mein Angftgefchrei wird dringen in fein Obr.
Da regte ſich die Erbe, fie zitterte!
die Gründe der Berge bewegten fich,
fie regten ſich, weil er fo zormig war.
e) Nach ef. 14, 16.
f) Bielleicht Tiegt auch diefer Zug im Bilde des Cherubs mit ber fidh
bin und ber wendenden, verzehrenden Flamme. Es iſt Ezechiel® Art, feine
Gemählde bis zum Meinften Zuge auszumalen. Des Cherubs Feuer ver-
zehrt ihn jetzt ſelbſt.
2) Pf. 13. Es wirb bier beigerüdt der Mythologie des Donners
und des Cherubß wegen. Der ganze Gang des Pſalms ift ſchön. David
in Todesgefahr will nur zu Gott ruffen und Gott böret ihn fehon: er rettet
197 ihn durch ein Donnerwetter, vermutblih in der Schlacht, vom Tode und
feinen Feinden. Daß der Tob bier als Jäger mit Net und Strid vor-
geftellt werde, iſt befannt: bie andern Bilder von Belials Strömen und
bem Reid) der Tobten werben im folgenden Geſpräch entwidelt werben.
— 32 —
Auf flieg Dampf aus feiner Naſe;*)
das eur aus feinem Munde fraß umber,
Kohlen erglühten vor ihm hin.
Er neigte die Himmel und fuhr binab,
Dunkel unter feinen Süßen:
er faß auf dem Cherub und flog daber,
er flog daber auf den Tlügeln des Sturms.
Jetzt hüllet' er Nacht um fich, *
Woltenduntel auf Wolkendunkel ſchloßen ihn ein;
vom Glanz vor ihm entwich die Wolfe,
glühende Kohlen und Hagel fiel.
Im Himmel bonnerte der Herr,
der Mächtige ließ hören feine Stimme,
glübende Kohlen und Hagel fick.
Da ſchoß er Pfeil’ umber,
verboppelte die Blitz' und beflügelte fie:
des Waßers Schlund war aufgethan,
der Erben Gründe ftanden enthüllt,
vor der fcheltenden Stimme des Herrn,
vom Hauch bed Sturms aus feiner Naſe Damp.
b) Das Ungewitter, vielleicht mit Erdbeben begleitet, wird Bier nad
allen Erfheinungen gefchildert. Die Erde regt ſich: jebt gebt Dampf aus
feiner Nafe, das ift (nah V. 16.) der Sturm ber dem lingemwitter vorber:
gebt: nun fangen Blige au: der Himmel wird dunkler und niedriger, cr
fcheint fih zur Erde herabzufenten: nun wehet, nun fleucht der Sturm: dic
Nacht verdoppelt fih und nur Blitze zertheilen diefelbe: endlich fängt ber
große Donner an, die Blige verdoppeln und beflügeln fih u. f. — Diet
alles ift Zug für Zug in eine fortgebente Mythologie gekleidet, da der Jor-
nige bald aus feiner Nafe Dampf, bald aus feinem Munde Feuer mirft,
daß bie himmlischen Eisgewölbe zu Kohlen erglüben: bald die Wölbung des
Himmel® neigt und gleichfam zur Erde will, bald die Nacht um fich büller 1:
und Pfeile ſchießt, Blitze ſchwingt und beflügelt — In diefem Reichthum
von Donnerbildern fteht der geflügelte Cherub blos den Flügeln des Sturme
gegen. liber, wie der Parallelismus zeigt: Gott ſchwebt auf ihm hinweg:
wie es jo oft beißt, daß er auf dem Fittigen des Windes gehe. Auch in
diefem Pſalm ift das Hauptbild bes Donners, daß er die Stimme bes
ſcheltenden Gottes ſei; ein Ausbrud, der im folgenden 29. Pf. allein fieben:
mal vorfommt.
— 85 —
199 Er reicht' hinab? ans feiner Höh'
und faßte mid).
Aus tiefen Waßern 309 er mich hervor,
von meinem flarfen Feinde rettete er mich:
von Häßern, die mir viel zu mädtig waren ı. f.
4. Die Stimme Jehovahß.*)
Gebet Jehovah, ihr Götzendiener,
gebet Iebovah Preis und Macht.
Gebet Jehovah Ruhmpreis feiner Hoheit.
Büdt euch Jehovah, dem Könige herrlich gefchmildt.
Die Stimme Jehovahs ift Über den Waßern:?)
Der Gott der Ehre donnert hoch!
Jehovah donnert anf groffen Wafern:
bie Stimme Jehovahs tönt mit Macht,
die Stimme Jehovahs tönt mit Pracht.
Die Stimme Jehovahs zerbricht die Eebern,
Jehovah bricht die Eedern des Libanon.
200 Er macht fie hüpfen wie das Kalb,
den Libanon, den Sirion,
wie ben jungen wilden Stier.”
Die Stimme Jehovahs fireuet Flammen,
Die Stimme Jehovahs macht die Wüſt' erbeben,
Jehovah macht gebähren die Wüfte Kades,
Die Stimme Jehovahs macht gebähren bie Hinbin,®
fie entblättert den Hain.
Jehovah figt nun und gießt Waßerſtröme;
Jehovah thront, ein König in Ewigfeit.
199 a) Bf. 29.
b) Der Parallelismus giebts, daß biefe Waßer nicht das mittellän-
difche Meer, fondern die Waßer des Himmels, die biden Regenwolken fepn.
Im Berfolg wird entwidelt werden, warum Jehovah vorzliglih als Don-
nergott gei&ildert werde. Daß diefer Pfalm ein fortgehendes Gemälde bes
Ungewitters fei, ift augenfcheinlich.
1) Mie.: Da reicht’ er binab
2) Mie.: den Libanon, den Sirion hüpfen wie ein junger wilder Stier.
3) Mic.:, die ſcheue Hindin
derders ſaͤmmtl. Werte. XI. 23
gl be.
VII.
Inhalt des Geſprächs.
Sage vom Urſprunge des Menſchen. Wurzeln ſeiner Benennung von
Hinfälligkeit, Schwachheit, Erde. Elegie Hiobs über des Menſchen
Schickſal. Vom Othem Gottes, dem Sinnbilde der Kraft in Gedan—
ken, Worten, That. Hymnus über die Stärke und Gottähnlichkeit der
Menſchennatur. Hohe Vorführung deſſelben in der Schöpfung. Bon
weldem Begriff eine_Epopee ber Menſchennatur im Phyſiſchen und
Geiſtigen allein ausgehn könne? Was hievon die Bibliihe Poeſie ent-
widelt habe? Ob biefe Genefis zu rein, zu göttlich fi? Warum bie
früheſte Moral und Moralpoefie des Menſchen babe göttlich feyn müßen ?
was dies Göttliche genutt babe? Urfprung des Begrifs vom Reide
der Todten. Elegie von demſelben. Ob es der Unfterblichleit ver
Seele entgegen fei? ober diefelbe nicht vielmehr vorausfege? Poetiſche
Anficht der Gräber, des Lebens der Todten in benfelben; Dichtung des
Reichs der Schatten bei Ebräern, Eelten und andern Rationen. Wo—
ber das Niefenbafte im Todtenreich der Morgenländer wahrſcheinlich
feinen Urfprung genommen? warum ganze Reiche und Städte in ihm
fhlafen? Bon Belial, dem Könige der Schatten, vom Scheol, feinem
Pallaſt oder Reh. Welche Bilder dieſe Vorftellung auch noch bem
N. T. gegeben? Bon Wirkung diefer Begriffe auf die Seele des Men-
fhen. Sprache Gottes von der Unfterblichleit in der Natur: in der
Offenbarung. Aufnahme Henochs. Ob fie Fragment eines Gedichts?
Nachhall vom frühen Tode deilelben ſei? Aufnahme ber Väter, ale
ächter Gottesfreunde. Eindruck des VBegrifs vom Neich der Bäter.
Zwei Pfalnen nebft ihrer Erflärumg. Daß der ſechzehnde Pſalm von
David fei und Begriffe einer ewigen Wohnung bei Gott enthalte. O6
die Sfraeliten von dem Aegyptern die Infeln der Glüdfeligen nad dem 2u>
Tode geborgt oder gehabt haben? Urfprung des Begrifs der Aufer-
ſtehung der Zodten. Beilage einer Beſchreibung von Hiobs Tobten-
reih, eines Arabifchen Troſtgedichts über eine Verftorbene und einer
Zeichnung des Ganges, wie fich ohngefähr die Ebräifchen Begriffe vom
Zuftande nach dem Tode entwidelt haben.
Es verjtrich eine ziemliche Zeit, ehe diefe Unterredungen fort-
gefegt wurden. Wlciphron_hatte_feinen_beften Freund durch den
Tod verlohren; und es lag ſtumme Dämmerung auf feiner Seele.
Einmal bei einem Abendipagiergange, da das täglihe Bild unires uf. 245 Ninıpe.
Abſchiedes, die untergehende ‚Sonne id ſchön mahlte, begann er ae
nad andern Unterredungen voll fanfter Schwermuth aljo:
Alciphron. Sie haben, Eutyphron, die ſchöne Sage vom
Ursprunge des Menfchen vergefien, an die feine ganze Erbenbeftim-
mung gefnüpft ift, Erde zu Erde! Da ging Adam hervor, dahin
ging er, in den Schoos der "Mutter, bie ihn gebohren. Erde zu
Erde! ijt der Nachhall des ganzen Menjchenlebend. Er tönet mir
noch vom Testen dumpfen Wurf der Grabfchaufel meine Freundes
wieder, und ich habe mich in diefen Tagen an mander Poeſie der
Morgenländer, an der ih jonft feinen Geſchmack fand, melancholiich
203 erfreuet. Alle Namen des Menſchen jagen in ihr von Nichtigkeit,
von Verfall. Er ift eine Leimhütte, an der unaufhörlich die Motte 357.
frißt und der Wurm naget: eine Blume, die abfällt, wenn ber
Mind mehet, oder die vom Stral der Sonne vertrodnet. Vielleicht
bat feine PVoefie die Bilder diefer Hinfälligkeit, diefer Schattenge-
ftalt jo rührend dargeftellt, und alle gehen aus den Wurzeln der
Sprade ſelbſt hervor: gleichſam als Urbegriffe der Beitinmung des
Menſchen.
Iſts eine Luſt dir zu bebrängen, *)
fo zu verfchmähen deiner Hände Werl?
Gedenke doch, ich flehe Dir!
daß du wie Thon mich bildeteft
und daß ich Bald muß wieder in den Staub! —
Lagen Sie mich in biefer ftillen Abenddämmerung, da der “Treiber
unfrer Erdenmühe, die Sonne untergeht und alle Kreaturen ich
ihrer Entlaßung vom Dienft der ſchweren Eitelkeit zu freuen fchei-
nen, laßen Sie mich eine Elegie**) Iefen, bie ich fonft nie, mie
jetzt beherzist habe. Hiob war ein, großer philoſophiſcher Dichter;
*) Hiob 10. **) Hiob 7.
23*
— 356 —
er verſtands, was das Menſchenleben jei und nicht jet? und mas
wir am Ende zu boffen haben.
Sat Sklavenleben nicht der Menſch auf Erden?
Sind nicht wie Tagelöhners feine Tage?
Wie fih der Sklave nach dem Schatten fehnet,
ber Tagelöhner feinen Lohn erwartet:
fo find mir zugefallen böfe Monden,
viel Kummernädte find mir zugezäblet.
Wenn ich mich nieberlege, feufz’ ich:
wenn ſteh' ich wieder auf?
und lange dehnt fi mir die Nacht,
und werde banger Träume fatt
bis wieder Morgen dämmert.
Mit Wurm und Moder ift ringsum mein Fleiſch befleidet:
Es ſchließt fih meine Haut, und bricht
in neuen Beulen wieder auf.
Hinweggeflohn find meine Tage,
geſchwinder, wie ein Weberfpul:
fie fanfen unter an der Hoffnung Ende.
Gedenle, daß ein Hauch mein Leben ift;
Nie wird mein Auge wieberlehren,
zu fehn der Erde Glüd.
das Auge, bas mich fuchet, wirb mich nicht finden mehr.
Dein Auge wird mich fuchen; ich bin nicht mehr!
Wie eine Wolke ſchwindet und vergeht:
fo geht der Menſch ins Schattenreich hernieder,
und fommt nicht wieder hinauf.
Er ehrt nicht wieder in fein Haus;
die Stäte, mo er wohnte, fiebt
ihn nimmermebr.
So will ih auch nicht wehren meinem Munde,
will in den Ängſten meines Geiſtes veben,
will fprechen in Betrübniß meiner Seele:
Bin ih der Nilftrom und fein Krofobill,
daß du mir Wache feeft rings umber ?
Sprech’ ich: mein Bette foll mich tröften,
mein Lager mir Erquidung feyn:
o fo zermalmft du mich mit Träumen,
mit Nachtgefichten ſchredeſt du mich auf;
— 357 —
daß meine Seele lieber Tod ſich wünſchte,
den Tod für dies Gebein.
Des Lebens bin ich ſatt: und leb' auch nicht mehr lange;
laß ab von mir: denn Nichts find meine Tage.
Was ift ein Menſch, daß du fo groß ihn hältſt,
und feteft gegen ihn dein Herz?
beſuchſt ihn jeden Morgen neu,
und prüfft ihn jeden Augenblid.
Wie lange willt du denn nicht von mir bliden?
mir Ruhe laſſen, bis ih! Athen Hole?
Hab’ ich geflindiget ; was that ih Dir entgegen ?
o du, der auf die Menfchen blidt!
Warum, daß du mich dir zum Anlauf jetsteft?
und mir zur Laſt.
Barum vergißeft bu nicht mein Bergehn,
und läßt verfchwinden meine Schuld?
denn augenblidlich leg’ ich mich zum Staube,
am Morgen fuchft bu mich; ich bin nicht mehr.
Das ift das Schichſal der Menſchen; Erde zu Erde! das erfte und
einzige Orakel Gottes "über unsre Beſtimmung. Was will bie
ſtolze Leimhütte, in der ein flüchtiger Hauch wehet, mehr?
Eutyphron. Sie vergeßen aber, m. Fr., daß dieſe Leim-
206 hütte mit einen Hauch Jehovahs befeelt ward; in Gottes Othem
weht der Geift der Unfterblichleit und aller Kräfte. Haben Sie die
eben fo rührenden Bilder nicht bemerkt, daß in Gottes Hauch alle
Stärfe, Wunder der Gebanten und eine® wie Gott mächtigen
Willens, ja, mas das Wort jagt, Gottesbegeifterung und gött-
licher Troft ruhe? Ihre Traurigkeit hat Sie nur die Eine_Seite
des Menſchenſchickſals bemerken machen; die andre ift in biefer
Poefie eben fo ſtark bezeichnet.
4. Eben fo ftarl? was ift ein Hauh? Sie werben doch
nicht die metaphufiiche Seele unfrer Philofophen darinn finden wollen?
E. Gottlob nicht; auch feine Zergliederung ihrer Kräfte nad
unſrer Weife. Aber das Weſentliche, Ewige ihrer Subftanz, daB
fie von Gott kam und wieder zu ihm gehet, daß fie in ihrer zer
1) Mic: ih Einmal
— 858 —
255. fallenden Leimhütte göttliche Kräfte äußert und inſonderheit vom
Wort, vom Haud des Mundes Gottes abhängt; das ift in Diefer
Sprache und Boefie reich entwidelt.
A. Kaum! wie fpät wird nur daran gedacht! In einem Buch
aus der Chaldäiſchen Gefangenſchaft ftehts erft,*) daß der Hauch
wieder zu Gott fehre, der ihn gegeben; und da iſts offenbar fchon
chaldäiſche Philofophie, dieſer alten einfachen Sage angebeftet; bei
Adam, in Hiob, in den Palmen ift davon Nichts.
E. Wollen wir nit etwa diefe Begriffe von de Menfchen
Unfterblichleit, von feiner Schwachheit und Stärke, infonderheit nad) dem
Idiotismus, daß feine Seele ein Hauch Gottes fei, durchgehen? Mich
bünft, Sie haben Manches überfehen oder fih von neuern Meinungen
binreißen laßen; und die Materie ift Doch jo wichtig, jo menſchlich!
Geift Gottes weht mich an!
Hauch des Allmächtigen belebet mich.
Mein Antlig ift wie Deins vor Gott;
aus Leinen bin ich auch geformt, wie Du —
— So lang’ ein Othem in mir ift:
jo lang’ in mir Hauch Gottes weht:
fol meine Lippe nicht8 unrechte® veden,
fol meine Zunge leine Läſtrung fagen —
ift dies Schwachheit oder Stärke?
A. Höchſtens Stärke in Worten.
E. Und bei den Morgenländern ift Wort der Ausdrud der
Gedanken, des Willens, aller Seelenkräfte.e Man bemerkte früh,
was für ein Wunder darinn liege, daß unfre Seele denkt, Die
Zunge ſpricht und die Hand thut; daß unfre Scele denkt und andre
veritehn fie und gehorchen ihr, blos durch einen Hauch ihres Mun-
des. Gott jelbft mußte man nichts Mächtigers zuzufchreiben, als
Wort, Othem. Man verglich ihn der Feuerflanme, dem Hammer,
der Felſen zerſchmeißt; wenn Alles vergehe, fei! der Hauch Gottes
daurend und wirkſam — wirkſam, wie der Wind, erquidend,
wie der Regen berabraujcht und belebt und befruchtet —
*) Bredig. 12,7.
1) Mfc.: verginge, wäre
20%
(2
208
— 359 —
A. Das ift Hauch Gotteß in der Natur, unmittelbarer Wille
feiner Allmacht; aber Hauch Gottes im Menjchen ?
E. Auch der ift mädtig, weil er göttlicher Hau ift; fo daß
es bald fortgehender Gegenfag wurde, Fleiſch und Geift, d. i.
Menſchenſchwachheit und Gottesſtärke. — Erinnern Sie fi bes
Ausdruds ſchon vor der Sündfluth und im Munde Gottes felbft:
Mein Geift fol nit mehr eine Ewigleit
in Menſchen wohnen;
benn fie find Fleiſch,
und wie das letzte durch ein allgemeines Verderben infonderbeit in
Üppigfeit und Schwachheit erflärt wird. Ja gehen Sie auf bie
erfte Vorftellung zurüd mit der Gott den Menſchen in die Welt
einführt: Bild der Elohim follte er ſeyn, ein fichtbarer Abdrud
ihrer unfichtbaren Kräfte, wie fie und an ihrer Stelle ſchaffend
und waltend. Laßen Sie mid, da Sie fih an einer Elegie über
des Menſchen Schwachheit freuten, einen Pſalm über feine Herr:
ihaft und Stärke fagen: einen Pialm, der im Lallen der Unmün-
digen Gott eine Burg des Lobgejangs beveftigt, an ber jeder Feind .
209 erliegt, einen Palm, der den Menden wie einen Gott der Erbe,
wie einen Triumphator über ale Werke Jehovahs, die ihm zu
Füßen gelegt find, mit Würde und Herrlichkeit der Engel Trönet;*)
er ift gleichfam gemadt, daß er unter dem freien, weiten Ster-
nenbimmel, ber auch jet über uns aufgeht, tüne:
Jehovah, unfer Gott, wie herrlich iſt dein Name
in aller Welt!
Dein Lob ſchallt über die Himmel empor!
Vom Munde der Kinder und Säuglinge
haſt du dir eine Burg des Lobs bereitet,
deinem Feind' entgegen, an der er erliegt.
Denn ſchau ich deine Himmel an,
ſie, deiner Finger feingebildet Werk,
den Mond, die Sterne, die du Herr bereitet;
Was iſt der Menſch, daß du an ihn gedenkſt?
Des Menſchen Kind, daß du ihn fo bedacht?
*) Pſalm 8.
— 30 —
Zunächſt den Elohim geſtellt
haft du mit Ehr' und Hoheit ihn gekrönt:
haft ihn zum Herrn gemadt von allen deinen Werten,
haft Alles ihm zu Füßen dargelegt.
Sein find bie Heerben groß und Kleiner Thiere,
des Feldes Wild iſt fein.
Des Himmeld Bögel und die Fiſch' im Meer
und was die Bahn der Fluthen gebt.
Herr, unfer Gott, wie herrlich ift dein Name
in aller Welt! —
Führen Sie dies pindarifche Loblied in die Gefchichte der 2
Schöpfung*) zurüd, aus der es genommen ift; mit welcher Majeftät
erfcheinet der Menſch! — Da alles geihaffen ift, hält Gott im,
rathfchlaget mit fih und Holt das Bild Seiner, gleihfam aus ſei⸗
nem Herzen hervor. Die noch ohne Krone gelaßene Schöpfung
barrt und erwartet ihren fihtbaren Gott und Schöpfer. Ein
Epopee über den Menden — könnte fie von einer höhern viel:
faßendern bee ausgehn?
A. Die Ebräiſche Poeſie Hat diefe Epopee nicht geliefert.
E. Sie in einem irrdiſchen Sinne zu liefern war nicht ihr
Zwed; da Bat der Menih fie, im Guten und Böfen, fich felbft
geliefert. Was haben Menſchen nicht auf der Erde gefchaffen und
gewaltet? wohin find fie nicht fommen? was haben fie nicht ange-
firebet ? Ein Dichter, der dies in den vornehmften factis nur
biftorifch befingen wollte; welch ein glorreihes Thema hätte er! er
befänge nun Erfindungen bes Geiftes, oder Wirkungen ihrer Hand,
ihres beinah allmächtigen Willens — Aber, tie gejagt, der Zwed
dieſer Poefie war nicht, das Ideal des Menichen phyſiſch, ſondern
nt 354, geiſtlich auszuführen; wie hohe und jchöne Begriffe bat fie durchs
A. und N. T. aus dem Bilde Gotted in der Menfchengeftalt ent-
widelt! Sohn Gottes war Adam, Freund Gottes war Henod, 211
Abraham und die geliebteften der Väter. Gin zweiter Adam erfchien,
2)1Moſ. 1.
1) Mſc.: befränzt:
— 261 —
ſeinen Brüdern die Geſtalt eines Sohns Jehovah zu zeigen und
zu gewähren: das Menſchengeſchlecht zu dieſer Idee in aller Würde
und Schönheit emporzubilden; mich dünkt, es gebe keinen reinern
und höhern Begrif des Zwecks der Menſchheit in Poeſie und Proſe
der geſammten Welt.
A. Wenn er nur nicht zu rein, zu hoch für uns wäre! Was
wißen wir von Gott? und wie kann ein Menſch Gott nachahmen?
ohne daß er unter feinen eignen Kräften erliege..e Menſchlich muß der
Geſichtskreis unfrer Beſtimmung und Moral feyn, nicht Göttlih —
E. Diefe Moral paart beides: denn Sie fagten ja eben, daß
Schwahheit und Niedrigfeit des Menſchen in ihr fo wahr geſchildert
werde. Unferm Körper nad konnten wir feine Gottesjöhne nach
den reinen Begriffen Morgenlandes feyn: denn Gott hat feine
Geftalt und wir find Erde. Aber fein Finger bildete und; und
auf unſrem Munde und Angefiht bat die Lippe Jehovahs wie in
einem Anhauch der Liebe gefchwebet. Da ſchwebt er noch: Geift -
Gottes ift in unſerm belebten Angeficht fihtbar. Eine Poefie, bie
die Schwachheit des Menſchen nicht vergißt, um ihm etwa Selbit-
gnügjamfeit der Götter anzulügen, die fi) aber auch von feiner
212 Schwachheit nicht beftegen läßt, um etma feinen Abel, feine große
03.2,05,
Beltimmung zu verlennen. In ihr ericheint ein Kind Gottes, zur
Ewigkeit geihaffen; aber noch ein ſchwaches, fterbliches Kind —
A. Ja wohl Kind! denn die Poeſie und Moral diefer Völker
ift ſehr kindlich. Alle Begriffe werden auf Gott zurüdgeführt, alles
vom Willen Gottes hergeleitet; das erfchlafft enblih den Willen
des Menſchen, wie feine unterfuchenden Kräfte. Es wird blinde
oder trunfne Ergebung an Gott, kurz Iſlamismus.
E. Wädft die Bapierftaub’ ohne Saft empor? *)
Die Waßerlilie erwächſt fie ohne Na?
Noch grünt fie und fie wird nicht abgeichnitten werben,
wenn alles Gras noch blühet, wett fie ſchon.
So ift das Streben aller Gottvergefinen,
bes Gottverläugners Hoffnung ſtirbt dahin.
—
*) Hiob 8, 11.
La
— 32 —
der Spinne Pallaſt ift, worauf er fich verläßt.
Sie ftügt fih auf ihr Haus; es ſtehet nicht,
fie Hält fi veft daran; es kann nicht bauren.
So fteht auch Er, voll Saft am frühen Morgen,
weit übern Garten ziehn fich feine Ranken Hin:
er fchlingt die Wurzeln um den Fels
ein ganz Gemäur umfaßet er —
fohnell ift er weg von feinem Ort,
der fpridt zu ihm: „ich fab dich nie!“
U. Sie geben mir ein langes Bild; aber feine Antwort.
E. Das Bild ſelbſt ift Antwort. Jede Poefie ohne Gott if 21:
‚ eine ftolze Papierftaude ohne Naß; jede Moral ohne ihn, ift eine
) Parafiten - Pflanze. Sie blühet ſchön in Worten und zieht ihre
Ranken bie und dort bin, ja fie umfchlingt jede Nike einer Men⸗
ichenjeele; die Sonne geht auf, und fie ift nicht mehr! Der Menſch,
ber fie erfand, verläugnet fie jelbft, und fein Ort kennt ihre
Stäte. — Doch ich will damit pſychologiſchen Unterfuhungen, aud
jogar Schilderungen nichts von ihrer Würde rauben; nur die erite,
ältefte, kindliche Poefie und Moral, konnte nicht Piychologie ſeyn,
oder fie wäre ewig ein Labyrinth von Sagungen geblieben. Was
wir bei der Naturpoefie ſahen, gilt bei der älteften moralifchen
Dichtkunſt noch mehr: der Begrif von Gott mußte ihr Faßlichkeit
und Einfalt, Zartheit und Würde geben. Das Kind warb ans
Wort des Vaters gefnüpft; der Sohn nah der Denfart feines
Urhebers gebildet. Furcht Gottes, bei ber ſich nicht raifonniren
ließ, mar auch bier der Menjchenweisheit Anfang —
AU. Anfang wohl: fie Half ihm auf den Weg; nur warum
wollte fie ihn unabtrennlich begleiten? fie hielt ihn immer am
Leitbande und das Kind gewöhnte fich nie, ſelbſt gehen zu lernen.
Sollte dies in Orient nit der Fall fein? Aus ber kindlichen Ä
"Folge der Urwelt ward bald ein knechtiſcher moſaiſcher Dienft;
ftatt daß fih der menſchliche Geiſt hätte heben follen, ſank er. 214
Warum? weil er nur immer auf Gott ſah und fidh felbft nicht |
Tennen lernte — |
Sie Liegt am Boden, des Gottlofen Hoffnung, |
— a268 —
E. Was den moſaiſchen Knechtsdienſt veranlaßte, wollen wir
zu feiner Zeit Iennen lernen und! feine ſpätere Begriffe in eine
Urzeit, wo Mild und Honig aud in der Moral flo, übertragen.
Einem Kinde iſts gut, wenn es feinem Bater folgt: in der Moral»
poefie der Morgenländer ift die Idee Gottes Sonne am Himmel,
die den ganzen Horizont des menſchlichen Daſeyns erleuchtet und
auch fpäterhin feine Schattenuhr einzelner Beziehungen und Pflichten
mit der Schärfe eines Strals bemerkt und bezeichnet. Uns bünft
diefe Sonne jegt zu brennend; damals war ihr Licht nöthig, denn
diefe einfache, Findliche Moral mit dem Anſehn Gottes bekräftigt
und ganz von ihm hergeleitet, follte die Völker der Erde auf den
Weg lenken und mußte alfo fo kindlich, einfältig, ftrenge und hoch
angegeben werben. In biefer und jener Welt war Gott der Men-
ſchen Leiter und Vater —
A. Auch in jener Welt? Da kommen wir auf die Materie,
von ber wir zuerjt reden wollten. Wie fpät und allmälih hat ſich
die Hoffnung des Menſchen zur Unfterbligleit, und aus melden
Heinen Beftanbtheilen, meiftentheils Schlüßen, die zu weit fließen,
215 aus Bemeifen, die zu viel bemeifen, ja gar aus blinden Wünſchen
und Ahndungen erzeuget! Adam warb Erde und mußte von feiner
Unfterbligkeit: er ſah Abel im Blut liegen, der erfte Tobte ward
betrauert, wie wohl fein Todter betrauert ward, — und fein Engel
lam bie Weinenden durch Eine Heine Hoffnung ber Unfterblichkeit
zu tröften. Seine Seele lag im Blut und war verfcüttet auf bie
Erde: von da rief fie gen Himmel und warb verſcharrt mit dem
Blute; das war der Glaube der erften Welt auch nad der Sünd-
fluth.*) Die Väter entſchlafen und Haben ausgelebt. Ihre Tage
werden genannt und nichts weiter; ober fie gehn in bie Berfamm-
lung der Väter, d. i. ins Grab. Dies warb mit der Zeit zum
Schattenreich ausgebildet; leſen Sie aber durchs ganze A. T. die
dunfeln, fanften, Troftlofen Poefien ? dieſes Schattenreihes — oder
) 1 Mof. 9, 4-6.
1) Mfe.: und jegt 2) Mſe.: Bilder
pP
— A —
erlauben Sie mir nur Cine derfelden, dem Andenfen meines
Freundes zu opfern. Wenn er um uns fein könnte, ſchwebte er
jegt gewiß bier; aber chen dies mahre Trauerlied fagt, daß es
unmöglih, daß leine Rückkehr jei aus dem Todtenreiche:
Der Menſch vom Weibe gebohren,*)
ift kurzer Lebenszeit
und reih an Müb.
Wie eine Blume gebt er auf und welter,
er fliebet wie ein Schatte
und bleibet nicht.
Und über foldem öfneſt du bein Auge
und führft mich ins Gericht mit dir?
IR unter den Unreinen Einer rein?
Nicht Einer!
Sind feine Tage fo beſtimmt,
haft du ihm feiner Monden Zahl gezählt,
baft du ihm veft gefett fein Ziel,
das nie er übergeht;
fo wende dich von ihm, daß er nur rube,
daß er fich feines Tages nur
wie ein Taglöhner freue.
Der Baum bat Hoffnung, wenn er abgehauen wirb:
er grünet wieder auf
und feine Sproßen fommen wieder.
Wenn auch die Wurzel in der Erb’ ihm altert,
wenn in dem Staube gleich fein Stamm erflirbt;
vom Duft des Waßers wird er wieder feimen,
und Zweige jproffen, als wär’ er neugepflanzt.
Der Menſch erftirbt und lieget Kraftlos ba:
er wird hinweggethan; mo ift er nun?
Die Waßer fchwinden aus dem Dieer:
der Strom verfieget und ift dürres Yand;
noch Tieget er und ftand nicht wieber auf,
die Himmel altern, er erwacht nicht wieder,
ihn weder keiner mehr aus feinem Schlaf.
Ja! wollteſt du mich in das Schattenveich verbergen,
verbergen mich, bis fich dein Grimm gelegt:
*) Hiob 14.
21
— 35 —
und denn ein neues Lebensziel mir ftellen,
und an mic denken wieder!
217 Ach aber, ift der Menfch geftorben,
er lebt nicht wieder auf!
So will ih denn, fo lang mein Müheleben bauert,
noch hoffen, bi8 mein Glüdeswechlel kommt.
Du wirft mich ruffen und ich werd’ antworten,
wirft wieder liebgewinnen dein Geſchöpf.
Du, der jetzt alle meine Schritte zäblet,
wirft, wo ich fehltrat, denn nicht achten mehr.
Berfiegelt wird denn meine Sünde liegen,
zufammenwideln wirft du mein Vergehn und abtbun.
Doch ach! der Berg verfällt und fintet ein,
der Feld wird weggerüdt von feinem Ort:
das Wafer bölet Steine aus!
e8 fchmemmet fein Gebild, den Staub der Erbe weg;
fo machſt du Menſchenhofnungen zu nicht.
Du kämpfft mit ihm, bis daß er fich verliert,
entftellft fein Antlig ibm und fchidft ihn fort.
Ob feine Söhne denn auch groß und ‚glüdlich werben;
Er weiß e8 nicht —
und käme Schmach und Unfall über fie;
Er nimmt davoı nit Kunde —
Können ftärkere Ausdrüde gefunden werden, daß feine Nüd-
fehr aus dem Todtenreiche fei, daß feine Nachricht vom Glück und
Unglüd der Unfrigen dahin gelange, daß nichts ala Dunkelheit,
Stille, ewige Vergeßenheit in ihm mohne?
E. Sie haben Recht, m. Fr., aber von welcher Rückkehr,
218 glauben Sie, ift bier die Rede? Offenbar von der Rückkehr in
diefes Leben, das Bute diefer Erde wiederum zu jchmeden, das
Hiob fo wenig ausgeniegen konnte. Und dies, dünkt mich, thäte
der trengften Unfterblichleit leinen Eintrag, Welche Seele eines
Geftorbenen ift je zurüdgelehrt, zu jehn das Gute der Erbe?
Daß Hiob gewiß ein Ueberbleibendes im Reich der Tobten
geglaubt habe, fehen wir eben bier aus dem Wunſch, daB Gott
ihn verberge im Neih der Todten, bis fich fein Grimm ge-
legt hat, und ihn jo denn wieberbrädte; er fieht aber das Zu
fühne diefer Hoffnung und steht jelbft davon ab. Alſo laßen
Sie und die Meinung vom Schattenreih der Morgenländer
näher beberzigen, und von frühauf unterfuden, mas etwa ber
erfte Anlaß dazu geweſen? was man fi urſprünglich dabei
gedacht habe?
A. Ohne Zweifel dad Grab, die bleibende ewige Wohnung
der Todten; nur daß fie fie nicht als tobt betrachteten; fie ſchil⸗
derten fie (jüßer Wahn!) ala noch Iebend in ihren Gräbern. Dieſe
nannten fie daher Häufer der Ruhe, bleibende Wohnungen des
Friedens. Ich habe einige Gedichte der Araber gelejen, da fie Die
Gräber ihrer Freunde als Wohnungen befuhen, mit folchen noch
im Grabe fpredhen, den Staub ihres Haufes befeucdhten ober be=
pflanzen: Kurz in Drient tft dies ein alter und verbreiteter Wahn
gemwejen, der fi) bei den Ebräern noch ſpät Hinabziehet und zu
mancherlei Traditionen, aud von Geſprächen, Gefihten, Schmerzen, 219
Neifen in den Gräbern Anlaß gegeben. Weil man fih nun die
Seele als einen Schatten, als einen belebten Hauch dachte: fo fette
man fie wohin? als in unterirrdiihe Gegenden, in einen Ort der
Ruhe und der völligen Gleichheit. Dies its, mas die Klage Hiobs
fo rührend finget, daß Könige und Sklaven, Knete und ihre
Dränger da alle frei, alle fich glei, ruhig aber kraftlos feyn, wie
e8 ein Gliederloje Schatte, ein Nervenlojer Hauch ift. Sie fehen,
daß dies alles nur Wahn war. Man Hatte die Todten jo lieb,
daß man fie fih auch im Grabe noch nicht als tobt denfen konnte,
denken mochte; man belebte alfo auch ihren Schatten im Grabe.
Das Leben der Macht, der Wirkſamkeit war verftriden; nun irren
fie, wie Kraft- wie Gliederloſe Wefen unten im Todtenreihe. Da
rauſchen ftille traurige Ströme, da wohnt der König nichtiger
Schatten: da fpielen Erbebezwinger noch ihre Scenen, fie fünnen
fih von den Träumen der Erde nicht loswinden; es find aber
nichtige Schatten-Scenen. So oft bittet David, Gott folle ihm
hier noch Freuden⸗ und Siegslieder geben, denn tm Reich der
Todten jet alles ftunm: da finge man feine Dankgeſänge über
bezwungene Feinde. Und der philofophifche Verfaßer des Prediger-
— 367 —
buchs, den Sie mir als einen Zeugen der unſterblichleit anführien,
ſagt kurz und gut:
220 Was deine Hand zu wirken findet,
das thue friſch, ſo lang' du Kräfte haſt:
denn kein Geſchäft, und keine Kunſt,
auch keine Wißenſchaft und keine Klugheit
iſt in dem Schattenreich, wohin du einſt mußt wandern.
Erinnern Sie fi Ihres Qßians und feiner Celten. Seine
Heldenväter, die ihr Tobtenreih in den Wolfen haben, greifen
nad dem Schwert, aber es tft Wind, es ift eine vöthliche Wolfe:
denn ihr Arm ift felbft Schatte, ein Hauch, der mit der Luft ver-
flieget — Und mie fie, mie die Ebräer haben alle alte Völker ein
Reich der Väter und Seelen gehabt, wo jedes das Geſchäft fort-
trieb, das es bier auf Erden zu treiben gewohnt war. Dieje ver-
ſammleten fi auf einer grünen Aue, jene in Wolfen und fahn
den Thaten ihrer Enkel zu; die Morgenländer, die dem erften
Begrif des Grabes treu blieben, ſetzten es unter die Erde. Das
alles ift nur geliebter Wahn; fein ſichrer Begrif von der Unfterblich-
feit der Seele. Er ift Schatte, mie die Materie ſelbſt, davon er dichtet.
E. Jeder Schatte jegt ein Weſen voraus: der Wahn felbft
ift_ ein Schatte der Wahrheit. Würde der Wahn der Unfterblich-
feit, wie Sie befennen, wohl fo allgemein gewejen oder geworden
jeyn, wenn er nicht einen allgemeinen Grund im Herzen oder in
der Tradition des Menſchengeſchlechts gehabt hätte?
221 A. Am Herzen ward Wunſch, Freundſchaft, Hoffnung, die
den füßen oder bittern Traum gebar, die ihn auch wahrſcheinlich
zur allgemeinen Tradition machte. Sollte der Menih umkommen
wie das Vieh? wollte man nicht gern mit den entichlafnen Seini-
gen, den Vätern, den frühgeftorbnen Kindern leben? Bei den Mor-
genländern gab ohne Zweifel die Sündfluth den eriten großen Anlaß
zur bichteriichen Fortbildung des Reichs der Todten. — Bedenken
Sie, was für Eindrud auf die fünftige Sage diefe ungeheure Bege-
benheit, das Herabſinken einer ganzen lebenden Welt machen mußte.
1) Mic : der Schatten reich,
— 368 —
In dieſen Tagen lebten die Weltbezwinger,
die von den Söhnen der Götter mit Menſchentöchtern erzeugt,
Gewaltige waren,
die berühmten Helden der alten Zeit.*)
Das waren nun die Rephaim, Rieſen die unter dem Waßer
ächzen, deren Stimme man vielleicht in den brüllenden Meeres- 222
wogen, deren Bewegung man im Erdbeben oder im Sturm ber
See zu bemerken glaubte. Das find die älteften gigantifchen Be⸗
mwohner des Todtenreihe; mit der Zeit milderte fi dieſe Sage
und e8 ward — eben die ftille Berfammlung der Todten, die
Hiob, Die die Ebräer fhildern. Noch mwandelten immer aud
Heldenfchatten drunten; Schattenfünige ſaßen auf Schattenthronen;
ja ganze Königreiche, Städte und Heere der Erſchlagnen waren
unten: (weil ja bei den Morgenländern alles feinen Geiſt Batte,
nicht blos Perfonen, fondern auch Dinge, Werkzeuge der Macht
und des Stolzes). Da befam nun dies unterirrbifche Reich mit
der Zeit auch einen König, Beltal, den König Kraft- und Weſen⸗
loſer Schatten drunten: der Scheol wurde ein Pallaſt, ein unbe-
zwingbares Neih, mit ehernen Pforten und Riegeln. Den Raub,
den er einmal befam, lies er nie los und keine gefangene Seele
fonnte ihm abgefauft werden. Noch im N. T. hat diefe Mytho-
logie viele Begriffe gegeben, vom Könige, vom Bezwinger der Hölle
und [des] Todes, der Pforten aufthat, die niemand aufthun, ber
Mächte bezwang und Seelen entlich, die niemand bezwingen und
retten konnte. Es giebt ſehr ungefchidte Deutungen, wenn mar
dieß jedesmal auf unfern Begrif der Hölle und des Tode an-
wendet; das Bild des Helden und Weltregenten wird aber ſehr
groß, wenn man im rechten Umfange der alten Dichtung bleibet. 223
*) 1 Moſ. 6, 4. Der Name IB ſelbſt hat von bem, was unter-
fintt, vom tiefen Grunde und Meeres Grunde den Namen. In mehrern
Bildern komt der Scheol als Grund einer untergefuntnen Welt vor, und
die Rephaim, die Schattengeftalten haben in Hiob und ben Propheten immer
etwas Gigantifche® mit fih. Die Stellen vom Scheol hat Scheib (diss.
ad cantic. Hiskiae) mit Critit geſammlet.
Der Machthaber über Menfchenjeelen, (Er, der des Todes Gewalt
hatte) ward jetzt ein ungerechter Ujurpator und ber Gefalbte
Gottes drang ihm feinen Raub ab. — Sie jeden, m. Fr., ganze
vier Jahrtauſende waren die Menſchen ohne Beiftand gegen dieſe
furchtbare Schatten - Mächte; Sklaven, die ihr Lebenlang in Banden
und Furcht des Todes zittern mußten. Daher rühren denn aud
ſolche betrübte Hisfias Klagen! ſolche Muthlofigkeit beim Anblid
des Todes, dem andre Nationen als Helden entgegengingen. Das
Ebräiſche Volt ift noch hierinn Eins der ſchwächſten der Erde. Die
traurigen Bilder ihres Schattenreich8 quälten fie mehr, als daß fie
fie hätten tröften können: fie waren vielleicht ärger als der Glaube
einer völligen Vernichtung —
E. Ich habe Sie ausreden laßen, m. Fr., und ihre hiſto⸗
riſche Deduktion des Todtenreiches iſt mir wie die Klage eines
Betrübten, der gern unter Schatten irret, geweſen: Sie haben
dieſe Reiche, wie es ſcheint, ſehr durchſtudiret. Sehen Sie aber zu
den Sternen hinauf: das iſt das Buch der Unſterblichkeit, das Gott
uns, das er allen Völkern jede Nacht aufſchläget. Denken Sie an
den erquickenden Morgen, der jeden neuen Tag das Symbol unſrer
Auferſtehung, ſo wie der Schlaf das Bild des Todes iſt — lauter
224 redende, überall verſtandne Symbole! Wißen Sie aber auch feine
andre Hoffnung, die frühe gnug den Menſchen offenbaret wurde,
um ſie gegen die Schrecken des Grabes zu ſichern? Von wem
heißts ſchon?*)
Er lebete vertraut mit Gott
und weil er mit Gott lebete,
war er nicht mehr;
Gott hatt' ihn aufgenommen —
A. Sie halten diefe Sage, wahrſcheinlich das Fragment eines
alten Liebes, doch nicht gar für eine Erzählung von der Himmel-
fahrt Henochs? Sie ift der fanfte Nachhall eines Frühverftorbnen,
der nicht au den Jahren feiner Väter und Brüder gelangte. Wenn
*) 1 Mof. 5, 24.
Derders ſammtl. Werte. XI. 24
Kinder noch Feine Begriffe von der andern Welt haben, jo fagt
man ihnen: „dein Bruder ift bei Gott! Gott Bat ibn jo früh
weggenommen, weil er ihn liebte, weil dein Bruber jo fromm
war.” Die erfte Welt war noch in foldher Kindheit —
E. Ich gebe es gern zu, und allerdings ſollte die frühe Weg—
nahme eben den kindlichen Eindrud machen, den Sie bemerkten: fo
wie mehrere Völker es jagten und glaubten: „Dielen frommen
und Schönen Züngling haben die Götter entführt, dies fanfte un-
ſchuldige Mäbchen hat Aurora geraubet.” Erlauben Sie mir aber
zu fagen, daß ich diefe Milderung der Worte kaum gnugfam biefer -
Erzählung glaube. Die durdgängige Tradition auch fogar andrer 225
Völker hat einen reichern Begrif damit verbunden, und die Poeſie
der Ebräer hat augenſcheinlich darauf fortgebauet. „Gott nahm
ihn zu fih, Gott nahm ihn in feine Herberge” ift nachher mehr⸗
mals das ausgezeichnete Wort des Schickſals der Lieblinge Gottes
in jener Melt geworben; und ohne Zweifel ftammte der Begrif
von diefem älteften Freunde Gottes Henod ber. Er lebte in böfen
Zeiten und war ein Eifrer um Gottes Ehre: vermuthlich warb er
verjpottet, verfolgt, wie nachher der Bruder feines glorreichen
Schickſals, Elias; Gott wollte ihn aljo auch, wie dieſen, nod
zulegt auszeichnen. Vielleicht nicht jo glänzend wie Elias, aber
gewiß eben fo herrlich führte Gott feinen Freund in feine unfterb-
liche Wohnung ein. So veriteht Paulus den Ausdrud: fo nimmt
ihn das letzte Buch der Schrift im Bilde der beiden Zeugen auf
der Wolfe: fo hat ihn auch der verwandte Drient verftanden. Die
Araber haben eine Menge Fabeln von dem meifen, fronmen, ein-
jamen, eifrigen, weißagenden, verfolgten, verfpotteten Idris (jo
nennen fie Henoch) den Gott in den Himmel aufnahm, und der
im Paradiefe wohne. Andre Völker fegten ihn auf Albordj, den
glänzenden Berg der Götterverfjammlung, jo wie aud die Trabi-
tion von feinem Umgange nicht mit Jehova, ſondern Elohim redet.
Diefe Lehrende Wegnahme ward alſo bald ein Hoffnungsreider 226
Idiotismus, ein Vorbild der Aufnahme andrer Gottesfreunde —
A. Welder? außer Elias erinnre ich mich feines Beifpiels.
— 371 —
E. Abraham mar ein Freund Gottes, wie Henoch, und Sie
wißen, mie auögezeichnet es bald hieß, der Gott Abrahams,
Iſaak und Jakobs; Gott aber ift nicht der Todten fondern der
Lebendigen Gott, ihm leben fie alle.*) Für dieſe Welt ftarben
diefe Väter, ohne Genuß der Verheißung, die Gott ihnen gegeben ;
fie gingen in die Wohnung ihres himmlischen Freundes, in ein
befres Kanaan über; und die VBerfammlung der Väter warb alfo
der ſchöne Familien⸗ und Volksausdruck der Hebräer, ihr Reich der
Todten, oder der Beßerlebenden. Sie waren, wie Abraham, wie
Henoch, im Paradiefe ihres Freundes.
A. ch hielt den Ausbrud für nichts ala das Beifeken der
Leiche in die Familiengrüfte.
E. Allerdings hielt dieſe äußerlihe Sitte, die jedem auf
227 feinen Stamm eingeſchloßenen Volf, das feine Vorfahren liebt,
mit Recht werth ift — allerdings hielt fie diefen Glauben veſt und
machte ihn dem Auge finnlih; mit nichten aber erichöpft fie ihn.
Abraham ward verfammlet zu feinen Vätern, ob cr gleich nicht bei
ihnen begraben ward, und Jakob wollte ins Scattenreich zu feinem
geliebten Sohn fahren, ob er ihn gleich für zerrißen von einem
Thier hielt. Sie erzählten eben felbft, wie alle Völker der Erde
auch die wir Wilde nennen, eine ſolche Verfammlung der Väter
im Reich der Seelen glauben und es tft wunderbar rührend, mit
welcher Freude der Vater gebt, dajelbft feinen Sohn, der Sohn
den Bater, die Mutter das Kind, der Freund den Freund zu
empfangen. ch will ihnen eine rührende Todtenklage als Probe
hievon mittheilen; in Reifebejchreibungen giebt eine Menge ſolcher
Zeugniße und Proben. Das waren nun Völker, die im Schatten
gingen und allein auf die alte Tradition fortbauen mujten; da
bildete fich jedes fein Todtenreich,, feine Verfammlung der Väter nad)
feinen Begriffen, nad) feiner Yebensart aus. Der Ebräifche Stamm
*) (58 wirb bier aus Worten des N. T. nichts erwielen; ber Erweis
bes N. T. (Matth. 22, 32. Ebr. 11, 13—16.) nimmt vielmehr felbft
daber noch mehr Evidenz, da im A. T. auf diefe Begriffe fortzebauet worben.
24*
— Mm—
blieb an den Begriffen feiner Väter und da es Hauptrubm des
Stammes war, daß Abraham, daß feine Väter Freunde Gottes
gewefen, follte der Gott, der feinen Freund bier geliebt, der ihn
mit Bertröftungen bis an den Rand feines Grabes geführt hatte,
follte er ihn im Grabe verlaßen? ihn der dunklen Nacht des
tyranniſchen, gierigen Schattenreihd geben? Eben jetzt, fagte ihr 228
Glaube, zeige er fih als Freund und öfne ihnen gaftfreundlich
feine lichte glänzende Wohnung. Er nahm ihn zu fid — ift
der Schöne Ausdruck auch der Pfalmen.
A. Mir fällt Einer bei; er ift mir aber ſehr dunkel.
E. Bir find eben jebt zu Haufe und wollen ein paar der⸗
felben, ehe wir ung trennen, lefen. Der Eine Elingt faft wie ein
Abendgebet, und einige haben ihn fogar. für ein Grabmal des
Dichters jelbft gehalten:
Hört alle Völker!
horcht alle Bewohner der Welt!
Ihr Menſchenſöhne, ihr Heldenfähne,
der Reihe und ber Arme höre zu.
Mein Drund fol Weisheit reden,
auf kluge Lehren finnt mein Herz;
mein Ohr foll hohe Weisheitsſprüch' auflaufchen,*)
verfchlungne Räthſel If’ ich fingend auf.
Was fürchte’ ich mich in unglüdfeelgen Tagen,
wenn mich das Unrecht meiner Feinde drängt.
Die fih auf ihre Kraft verlaßen, 22%
und ihres groffen Reichthums rühmen fich.
Kann ihrer Einer denn auch feinen Bruder
vom Tode kaufen 108?
Kann er für ihm auch Gott ein Lößgelb geben?
Nein viel zu theur ift eine DMenfchenfeele,
in Ewigkeit bringt er kein Lösgeld auf.
*) Der Dichter bei der Eitter borcht auf ein Lied, als ob e8 ihm aus
den Saiten zutöne. Lyriſche Poeſie, Gefang und Inftrumentalmufil waren
damals vereinigt. Das Räthſel, das er auflöfen will, iſt das Glüd ber
©ottlofen, wie der folgende Vers faget.
— 73 —
Damit er etwa immerwährend Iche?
Daß er nie fchaue feine Gruft?
Er muß fie ſchaun: denn auch die Weifen fterben,
fo wie der Thor, wie ber Sinnlofe ftirkt ,*)
und laßen Fremden denn ihr Gut.
Das Grab ift nun ihr ewig Haus,
iR ihre Gezelt von Zeit auf Zeiten Bin.
Und trügen Länder ihren Namen;
der Dann im Ruhm?) Hleibt auch nicht ewig bier,
er wird im Tode gleich dem Thier geachtet,
er muß binmweg.
Dies iſt ihr Schichſal; alfo fallen fie:
und ihre Nachwelt — bie fingt auf fie Lieber! °)
Wie Heerden wurden fie ind Schattenreich getrieben,
ba naget fie der Tod; und die Gerechten werben
am Morgen berrichen über fie.
Ihr Bild ift bei den nichtgen Schatten brunten,
da wohnen fie.)
Und meine Seel wird Gott dem Todtenreidh ent-
taufen;
Er nimmt in feine Wohnungen mid auf.
Drum zage nit, wenn jemanb mächtig reich wird,
wenn feines Haufes Pracht ſich hoch vermehrt;
er wird das Alles nicht im Zode mit fih nehmen
und feine Pracht geht nicht mit ihm hinab.
. Solang er lebete, that er fich wohl,
unb lobt auch dich, wenn bu dir wohl zu thun weißt;
bald geht er ein in feiner Väter Wohnung,
fein ewig Haus und ſieht das Licht nicht mehr.
Jetzt ſtolz im Glück und ohne Sinn;
bald gleich dem Bieh und iſt dahin.
a) Thor und Sinnlos find Synonymen, wie fie ber letzte Vers bes
Pſalms erflärt.
b) Dann im Ruhm) ift der Berlihmten Einer, bie Rändern ihren
Namen gaben.
c) Ich entfcheide e8 nicht, ob Hier Ruhm⸗ oder Spottlieder verſtanden
werben? Bon beiden indeß wißen fie im Schattenreiche nicht®.
d) Den Worten 75 >37 wuünſchte ich eine glückliche Erläuterung.
— 34 —
A. Ih Habe den Palm nie in dem hellen Zuſammenhange
wahrgenommen.
E. Und er ift dem Wortverftande gemäß; auch die Unter-
ſcheidung, davon wir redeten, ift unverlennbar. Die blos finn-
lichen Seelen, die fich brüften und praßen, nur wohlzuleben wißen
und ohne Verſtand find, werden wie Schaafe berabgetrieben, da
(gräßliches Bild!) der Tod an ihnen naget; die Seelen ber Ge- 231
rechten entlauft Gott dem Orkus und nimmt fie in feine Wob-
nungen auf. Jene verweien, ein Raub des Todes; und die Ge-
vechten herrſchen über fie am Morgen, d. i. bald, frühe, wie nach
der Nacht des Schlaf? ein Lichter Morgen hervorgeht. Der andre
Pſalm fett diefen Unterjchied noch mehr bervor; da Gott felbit den
Leichnam feiner Heiligen auch im Grabe in Schus nimmt und
ihnen aus der Nacht des Grabes einen verborgnen Richtweg in bie
Wohnungen feines Lichtes zeiget.
A. Ich verftehe den Pſalm eben fo wenig, mie den vorigen;
er fol ja das Gebet eines kranken Priefters jeyn, den Gott mit
Speife und Trank reichlich nähret; der aljo um feine baldige
Miedergenefung bittet —
E. Er iſt fo fehr das Gebet Davids, ala einer feiner eigen-
ften Pfalmen: jein Ausbrud und perſ onlicher Charakter ſind von
Vers zu Vers kennbar.“)
Beſchütze mich Gott: denn ich vertrau auf bich.
Ich ſprach zu Jehovah: mein Gott bift bu!
Mein Glüd hangt ganz an bir.)
Die Heiligthümer feines Landes 232
bie halt’ ich hoch; °)
an ihnen bangt mein Herz.
Laß andre vielen Götzen bienen,
und fremde Gaben ihnen fchenten.
a) Pf. 16.
b) Statt >> ift vielleicht >> zu lefen; wenn man bie gewöhnliche
kühne Hettung 71993 53 nicht vorzuziehen Luft bat.
e) Ich leſe: TR Om IRARITIER DWSTTP2: das einige
Miſt nur verſetzt; und bie Stelle ift ganz im Aufammenbange.
233
— 375 —
Blutopfer ſinds; ich will damit nicht opfern,
will ihre Namen nicht auf meine Lippen nehmen.
Jehovah iſt mein Erbtheil und mein Becher.
Du haſt mein Loos mir reich beſtimmt.
Mir fielen ſchöne Fluren zu:
mir warb ein glänzend Theil.
Drum will ih den Jehovah preifen,
ber mich fo wohl berietb;
auch Nächte durch wallt nach ihm meine Bruſt.
Stets ift Jehovah mir vor Augen:
Er ift mein Schuß: drum want’ ich nicht.
Und darum ift mein Herz erfreut;
mein Innerſtes jauchzt auf in mir.
Ya aud mein Leichnam wird einft fiher wohnen:
denn meine Seele läßeft du
dem Schattenreiche nicht:
bu läßeſt deinen treuen Diener nicht
die Grube der Berwelung ſchaun;
bu wirft mir Weg zum Leben zeigen,
der Freuden viel vor deinem Artgeficht,
Bergnügen viel bei bir in Ewigfeit.
Mid dünkt, der Pſalm ift nad feinem Anhalt ſowohl als
nad) dem Charakter Davids Sonnenllar. Die Ausbrüde: „Goti
ift mir zur Rechten (db. i. er ftreitet als Freund mit mir und für
mich) Gott habe ihm ein jchönes Erbtheil gegeben, das ihm fein
Bater nicht angeerbt Hatte (in Jehovahs Lande die Krone) dies fei
ihm durch Gottes Rath und 2008 zugefallen (mie einft den Stäm-
men das ihre und Gott ihn in feinen Drangfalen oft berieth) deß⸗
wegen bange er auch jo veit an Gott, verlange nad ihm, halte
das Heiligthum Jehovahs hoch und walle nah ihm zu Tag und
Nächten, wolle mit ausländifhen Götzen⸗Königen und ihren Opfern
nichts zu Schaffen Haben, Jehovah ſei fein Erbtheil und jein Becher
d. ti. ein geerbter goldner Freudenbecher, die Ehre und Zierde bes
Haufes, fein Föftliches Erbtbeil, dad er gegen nichts umtaufche” —
dünkt Ihnen das alles nicht augenſcheinlich und für David charal-
— 316 —
teriſtiſh?*) Es ift Zug für Zug aus feinem Leben und aus
andern Pſalmen erweislich.
A. Und weiter — 24
E. Der Gott, der ihm bier Freund, Vater und Erbtheil
war, wird ihn auch in der Nacht des Grabes nicht verlaßen: (da
ruhe fein Leichnam eigentlih unter Gottes Schuß;) feinen treuen
Chaſid werde er nicht dem furdhtbaren Todtenreich geben; ihm aus
dem Duntel des Grabes einen Weg in feinen lichten Pallaft zeigen,
ihn da Gaftfreundlih ald Vater und Freund aufnehmen. — Sie
ſehen völlig den Begrif, den die Wegnahme Henochs gab, den
die Berfammlung der Chaſidim, der Gottesfreunde, Abrahams,
Mofes u. f. fefter prägte, den fpäter die Wegnahme Elias beftärkte
und der enblid das Paradies, die Wohnung der Väter, dad ewige
Gaftmahl am Bufen Abrahams ward — Begriffe, die wir no
im N. T. finden und die in ihm eben vergeiftigt, aufgellärt, ſchön
beveftigt werben, wie injonberheit das letzte poetifche Buch der Bibel
zeiget.
AH. Man jagt aber, die Ebräer haben die Aegyptiſche Mytho⸗
logie von den Inſeln der Verjtorbnen gehabt —
E. Zwei Dichter, die Aegyptiſche Bilder lieben, Mofes und
Hiob Haben einmal den Ausdrud vom jchnellen Ueberſchiffen in
jene Welt; das ift aber auch alles. Platz gegriffen bat dieſe
Mythologie bei den Ebräern gar nit, und konnte auch nidt;
denn fie hatten viel beßere Gefchlehts- und Nationalbilder ihrer 235
eignen Sage. Bon keinen Höllenrichtern, von feinem Charon
wißen fie; und ihr Beltal ift nichts weniger, ala einer diefer Ge-
ftalten. Ein König Kraftlojer Schatten ift er, wie Sie bemerften,
und Sceol, die Hölle ift fein Neih, feine Wohnung. hr Reich
der Väter bei Gott ift wahrlich nicht aus Aegypten.
———.. — —
*) Daß David in dieſem Pſalm ein Vorbild des Meßias babe ſeyn
ſollen, iſt aus dem N. T. erfichtlich; gehört aber nicht hieher. Hier iſt
vom Charalter der damals redenden Perſon und dem Inhalt des Pſalms
nach ſeinem Zuſammenhange die Rede.
236
A. Und die Auferftehung der Todten?
E. Die ift ein Begrif, zum Reiche des Meßias gehörig, da
dieſes durch die Bilder der Propheten jchon beveftigt war; davon
wollen wir Tünftig reden. Für beute gute Nacht! wir gehn beide
dem Bilde des Todes in die Arme und nach der fpätern analo-
giſchen Dichtung iſt der Guten Seele auh im Schlaf in Gottes
Paradiefe.
1. Hiobs Bejhreibung vom Todtenreiche.*)
Warum doch ftarb ich nicht im Mutterſchoos?
Warum zur Welt gelommen entfchlief ich nicht ?
Warum daß Kniee mir entgegen kamen?
Warum daß ih an Brüften faugen lernte?
So läg' ih nun und raftete,
ich fchlief und hätte Ruh,
mit jenen Königen und Herrn ber Erbe,
die Wüfteneien fih zu Gräbern baun:
mit Goldesreichen Fürſten,
die noch ihr Todtenhaus mit Schätzen fülleten.
Wie eine Frühgeburt wär' ich verſcharrt,
wie Kinder, die nie ſahn der Sonne Licht —
Da hören die Boshaften auf zu drängen,
da ruben die Ermüdeten.
Da fingen die Gefangnen Freiheitlieder,
Sie hören nicht des Treiberd Stimme mehr.
Der Kleine und der Große find ba gleich:
ber Knecht ift frei von feinem Herrn.
IR meine Lebenszeit nicht kurz und nichtig?
Er laße ab von mir, daß ih nur Ruhe fchöpfe!
Ch ich hingeh' und nicht mehr wieberlehre,
in® Land der Finfterniß und Todesnacht;
ind Sand der Dunkelheit und öden Schatten,
wo Wirrung berrfcht, wo felbft der Morgen Nacht if.
a) Hiob 3, 11. Kap. 10, 20.
— 57585 —
2. Züge aus einem Arabiſchen Troftgediht über
die verftorbne Mutter eines Helden”)
Bir halten Schwerter unb Tanzen bereit;
und dennoch tödtet, ohne Angrif, uns das Schidfal.
Wir Kalten fehnelle Roße auf den Beinen;
und doch entreißen fie uns nicht
des fchnellen Unfalls Züde.
Ber wars, der je die Welt nicht liebgewann?
Und doc ift fein Genuß der Liebe möglich.
Dein Antbeil am Geliebten dieſes Lebens
ift Theil am Traumgeſicht der Phantafie.
Erbarmen Gottes fei das Hanuthe)
des Angefihts, dep Schleier Schönheit ifl.
Berweit ihr Körper gleich im Bauch der Erbe,
unfrem Anbenten bleibt ex frifch und nen.
Der Ehre Teppich iſt auf Dich gebreitet,
denn beine® Sohnes Herrſchaft blüht.
Es tränle deine Lagerftäte?)
ein Regen aus den Morgenmwolten ,
milde wie beine Hand einft war.
Du baft an einen Ort dich hinbegeben,
wo weder Siid- noch Norbenwind
b) Es wirb biehergefetst, um die Armuth bes Troftes der Bölter zu 237
erproben, die ohne Hoffnung der Unfterblichkeit find. Der Hauptgebante
ber Arabiſchen Gedichte diefer Art iſt: „Das Grab ift unfre ewige Woh—⸗
nung, die Todten find Bewohner bes Staubed, der auf und alle wartet.
Ihre Stimme daſelbſt ift ein bumpfer Todtenlaut* u. f. — Wie ungemein
ſchönere Ideen find dagegen im Berfolg der Ebräifchen Poefie und Lehre
langfam aber fortfchreitend entwidelt, davon das folgende Gebicht eine fimple
Probe geben fol. —
c) Das wohlriechende Streupulver, das die Araber aufs Angeficht bes
Todten fireuen: der Schleier ift bier Leichenfchleier der Verſtorbnen.
d) Ein gewöhnlicher Wunſch auf das Grab bei den Arabern. Sie 238
glaubten, auch die Todten würden dadurch erquidt. Sie bepflanzen ihre
Gräber mit immer grünenden Bäumen und mit Blumen , welche ihre Weiber
alle Freitage mit Waßer beiprengen. S. Reiste zum Motanabbi, aus
beßen Ueberſetzung bie Züge dieſes Gebicht8 genommen find.
BAT]
— 379 —
den füßen Duft bes Rauchwerlks zu bir bringet,
mit feiner fanften Kühle Dich beiprengt,
In eine Wohnung, wo jebweber Wohner Frembling,
ewig verbannt von feiner Heimath ift
und feine Stride find zerftüdt.
Da wohnt die Züchtige, die Wohlverwahrte,
rein wie das Waßer in der Himmelswolte,
verjchwiegen, wahrhaft im Geſpräch;
der Arzt der Schmerzen hat fie nun gebeilt.
Unfer Einer begräbt ven andern,
die Nachwelt wandelt auf ber Vorwelt Haupt.
Wie manches Auge, einft getüßt,
iſt nun mit Kiefelflein und Sand erfüllt! >)
239 Wie mander Bat die Augen jet verſchloßen,
ber feinem Unfall je zublinzete.
Nimm Zuflucht, Saiphobbaulab, zur Geduld!
und kämen Berge beiner Gleichmuth bei?
Abwechſelung der Zeit erfuhrft bu viel;
bei allem Wechſel blieb dir ſtets Ein Muth.
3. Das Land der Bäter,
nah Sfraelitiihen Begriffen und Begebenheiten.
Er ift hinweg! Wohin ift er gelommen?
Elohims Freund — mir finden ihn nicht mehr.
Elohims Freund — Gott Hat ihn weggenommen,
bei feinem Gott ift Er.)
Hinunter finten wird der Böſen Rottele)
Berfinfen in des Meeres tiefen Schlund,
Da toben, Schatten fie, fih jelbft zum Spotte:
ein öder Höllengrund.
Ihm aber nach ziehn bie gerechten Schaaren
der Bäter ein in Gottes Paradies;
e) Eine Anfpielung auf das Augenpulver, ein belannter Pub im
Morgenlande.
239 f) 1 Mof. 5, 24. Henochs Aufnahme.
g) 1 Mof. 6, 17. Die Suündfluth: wahrſcheinlicher Urfprung der
Rephaim bes Todtenreiches, Hiob 26, 5. 6.
— 880 —
Zum Kanaan, wo fie hier Fremde waren,
das ihnen Gott verhieß.")
Da wird dein Freund, Elias, einft erfcheinen') 240
ein raſcher Sieger, vor des Himmels Thor:
Ihn tragen Feuerroße, glei den Deinen,
Jehovah, Hoc empor.
Auch feine ſtillen Treuen läßt dem Staube
des Grabes Er, ihr Freund, ihr Schutzgott nidt:*)
Er giebt fle nicht dem Schattenreih zum Raube,
er führt fie an das Licht.
An deiner Hand, Jehovah, will ich ſchreiten
durchs neblichte, durchs dunkle Tobesthal.')
Sie Hält mich veſt, fie wird hinauf mich leiten
in deinen Eprenfaal.
Ob Erd’ und Himmel meinem Blid verfepwinben,
ob Seel’ und Leib verſchmachtend untergehn;
Dich Hab’ ich, Herr, did werd' ich wiederfinden
in fhönern Himmelshöhn.”)
Und HL’ und Schatten führt einft der gefangen,
der ſelbſt hinab zu dunkeln Schatten ftieg.
Sie folgen ihm: ich feh im Licht fie prangen!
O Tod wo ift dein Sieg?")
h) 1 Mof. 25, 8. Berfammlung der Bäter: vergl. Matth. 22, 32.
br. 11, 13—16.
i) 2 Rdn. 2, 11. 12. vergl. Bf. 68, 18. Habat. 3, 8. 240
%) Bf. 16,10.11. DB. 23,4. 6. Pf. 73,23. 24.
m) 1. 73, 25.26. n).1 Cor. 18, 5657.
241
242
vom.
Inhalt des Gefpräds,
Bon der Poeſie Über die Vorſehung. Ob fie die Begebenheiten der
Belt zu einem Schachfpiel mache, mit welchem Gott fpiele? ob ihre
Contraſte Schellenflang und Opium fir die menfchlihe Seele feyn?
Entwidlung einiger Sagen, aus der die fpätern Gemälde der Bor-
fehung hervorgehn. Bott als Rächer verborgner Sünden in Kains
Geſchichte. Rührende und poetifhe Züge ihrer Erzählung. Gerech—
tigleit und Milde der Ahndung Gottes. Uebergang einiger lebhaften
Berfonificationen in die Poefte fpäterer Zeiten. Vom fchreienden Blut,
Hagenden Sünden, dem Bogel der Blutradhe u. f.. Erklärung der
Worte Gottes zu Kain. Bom Gericht der Sündfluth. Wie iiber Be⸗—
gebenheiten ber Art zu urtbeilen fei? in welchem Ton bie Sagen von
diefer Begebenheit abgefaßt feyn? Neue Geftalt der Erbe nad der
Sündfluth. Bon Riejenfagen, den Götterföhnen, dem Tageregiſter im
Kaften, dem Oelblatt, dem Regenbogen, dem Duft des erften Opfers
auf der verjüngten Erde. Warum ber Regenbogen das Zeichen der
neuen Huld ward ? Vom Regenbogen der nordifchen Poefte, als einer
Brücke der Riefen. Vom Thurm zu Babel. Zweck und Ton der
ganzen Erzählung. Was der gewaltige Jäger vor bem Herrn bebeute?
Stiller Spott diefer Sage. Charakter fümmtlicher Babelspoeſien ber
Schrift. Jeſaias Todteulied auf den König zu Babel. Bon Gott, dem
Unterbrüder der Tyrannen. Nechtfertigung ber kurzen Gegenfäte in
den poetiihen Schilderungen ber Vorſehung. Eindrud diefer Boeflen
anfs menfchliche Herz. Bergleihung der morgenländifhen mit andern
Dihtungsarten in biefer Lehre. Gemählde der Borfehung aus Hiob.
VBerbienft diefer Boefie für die Menfchheit. Beilage einiger Pfalmen
und bes älteften Pindarifhen Lobſpruchs über die einzige wahre
Menſchenweisheit.
In einem geſellſchaftlichen Geſpräch wurden rührende Proben
der Vorſehung erzählt, wie ſonderbar manche Menſchen fürm
— 392 —
Unglüd gewarnt, ja ihm aus dem Rachen gerißen, mie liebreich
bie Kinder der Armen und Guten oft verforgt, wie unvermuthet
Thaten der Bosheit and Licht gelommen, durch das Geſetz der
ftrengften Wiedervergeltung beftraft und das Gebet der Reblichen
oft auf recht wunderbare Weiſe erhört worden u. f. Jeder ber
Geſellſchaft hatte aus feiner Erfahrung ein Scherflein dazu zu
geben und man ging fanft gerührt aus einander. Unfre beiden
orientalifchen Freunde blieben zuſammen und Alciphron fing nad
feiner Denkart alſo an:
Alciphron. Dünkte Ihnen, m. Fr., das Geipräh, momit
mir uns unterhielten, nicht hie und da zu menſchlich? Es wird
fo Hein und enge, wenn wir jeden Zufall ala eine göttliche Vor⸗
jehung betrachten, alles moralisch anfehen wollen und jede Hand-
lung, die mir felbft thun follen, mit ihrem Glüd und Unglüd auf
Gott zurüdichieben? Sie haben mir zwar in unfern Geipräcdhen
hierüber jehr die Gegenparthei gehalten; fie befänftigten mich aber
eher, als daß fie mich überzeugten. Auch in der Poefie der Mor-
genländer find Menſchen die Steine des Schachbretts Gottes, bie
der unfichtbare Spieler, wie er will, nicht wie fie wollen, ziehet 243
und lenket. Das Tann allerdings, wie Sie neulich bemerften,
ihrer Poefie eine Art Würde und Einfalt geben; ich fürchte aber
nur in Worten; oder es wird eine Art benebelnder ſchädlicher Ein-
falt. Sie madt den Menſchen ftumpf und ſchwach, daß er fi
zulett in den Willen Gottes ergiebt und nicht handelt; er fingt,
preifet Gott in Hymnen, kurz er feiert. Die Poeſie, von der wir
reden, mit ihren erhabnen Contraſten, wie Gott wirkt und regieret,
ift eine Art von Schellenflang, der unſre Wirkung endet, ein fanf-
te8 Dptum der Seele. Sie preifet Gottes Thaten und unterläßt,
menfchlihe Charaktere auf ihrem Gange nah Glück und Unglüd
auszeichnend und treffend zu ſchildern. Sie überglänzt den Men⸗
ſchen mit Gottes Licht und verblendet ihn über fich ſelbſt. Ober
wenn der Menſch gar ein Richter über Gottes Wege nach feinem
engen moraliihen Maasitabe feyn will: welch ein kurzſichtiger,
barter, eigenliebender, ftolzer Richter wird er! Die Poefie ber
— IB —
Morgenländer, wenn man fie mit ihrer Geſchichte zufammenbält,
zeigt Died gnugſam. yene fliegt, diefe kriecht: dieſe ruhet ober
thut böfes; jene tröftet fih und fchreibt es Gott zu — damit ift
die Sache geendet. Mich dünkt, von diefer Seite hätte fie dem
Verſtande und Herzen des Menſchen gewiß nicht aufgeholfen; fie
bat ihn vielmehr zurüdgehalten und in einen Talar göttlicher Be-
244 {chreibungen verhüllet oder ihn auf Stelzen einiger Contrafte der
göttlichen Regierung gefegt, mo er entweder fällt oder ſchwerlich
gehen lernet. —
Eutyphron. Ich ſehe, m. Fr., die Wurzel Ihrer Vor:
urtheile ift immer noch in Ihnen; und ohne fie auszureuten, ift
alle Rede über das Schöne irgend einer Poefte der Erde vergeblich.
Was nüßte die erhabenfte Dichtung, wenn fie Opium für bie
Seele oder ein Schleier fürs Auge wäre, die wahren Geftalten und
den Gang der Dinge nie kennen zu lernen? — — Über, wie
meinen Sie, wollen wir die Sache betraditen? Nicht wahr, aus
einzelnen Sagen und Begebenheiten bat ſich doch auch diejer Begrif
und dieſe Darftelung der Vorficht Gottes erzeuget? fie hat fih an
alten Begebenheiten veftgehalten und geht noch bei ſpäten Anwen⸗
dungen aus ihnen hervor; mollen wir nicht aljo den Strom in
feine Quelle verfolgen? Denn ich befenne Ihnen, ich mag nicht
gern über allgemeine Sachen ins Blaue des Himmels bineinreben.
A. Ich auch nidt; und die Geſchichte Kain, Abels, der
Sündfluth, der Himmelsftürmer, Sodoms und Gomorrhas, ber
Erzväter find da gleich vor und; aus denen ſich wahrjcheinlich alle
ſolche Begriffe erzeugt haben —
E. Alſo zuerft Abels Geſchichte. Sie fteht wie eine traurige
245 Blume mit Blut bezeichnet da, und ift in ihrer Einfalt jo poetiſch,
ala fie der laute Ermeis der ftrafenden Gerechtigkeit und Vorſehung
Gottes jeyn follte:
Wo ift bein Bruder Abel?*)
was baft du getban?
*) 1 Mof. 4, 9.
— I —
Die Stimme ber Blutfirdöme deine® Bruders
fchreien zu mir von der Erb’ empor.
Und nun verflucht ſeyſt du, verbanmet von ber Erbe,
die ihren Rachen aufgetban,
Blutſtröme deines Bruders
von deiner Hand zu trinken.
Wenn du fle bauen wirft,
wird fie dir ihre Jugendkraft nicht geben;
verbannt und flüchtig wirft du feyn auf Erben.
Was bewundern Sie mehr in diefer Stimme, Nichterfirenge
oder Batermilde? Wer follte bier rächen, wenn Gott nicht rächte?
Der Bater? Sohnes Blut an feinem eriten Sohne? Und follte es
ungeftraft bleiben? Bruberblut follte wie das Blut eines Thieres
vergoßen jeyn und Menjchen in Härtigfeit und Bosheit verwilbern?
Und wie, wenn der Mörder feine That verichwiegen? wenn er
fi) verzweifelnd gegen den Vater felbft empört hätte? Die ſtumme
Erde fonnte dem Stammvater das Verbrechen nicht jagen; aber fie
fagte e8 Gott, das Blut rief und foderte Strafe. Bemerlen Sie,
wie natürlich und ftarf bier alles dargeftellt ſei: das fchreiende
Blut, (in dad man lange die lebendige Seele des Menſchen ſetzte)
der hallende Boden, die Mutter Erde, die das Blut ihres Sohnes
von der Hand ihres Sohnes empfangen, es gleihlam mit Abfcheu
eintranf, und dem Mörder Tünftig das willige Vermögen ihrer
Jugendkraft verſaget. Bemerken Sie, wie gerecht Gott ftraft: denn
fein Fluch — entwidelt nur die Folgen der Sünde. Im Haufe
des Vaters konnte der Mörder nicht mehr bleiben; da war er fi
jelbft und allem ein Gräuel. In ber Gegend des Mordes Tonnte
er nicht bleiben: das Blut rief, der hallende Boden ſchrie; er jagt
jelbft: „alles wird mich erichlagen, was mich findet: verbannt und
flühtig muß ih feyn auf Erden.” Da thut nun der fchonende
Richter, was der Verzmweifelnde nicht zu thun wußte. Er entfernt
ihn aus der Familie, von den Gegenftänden der Erinnerung und
des Abſcheus: er giebt ihm ein andres, vermuthlich unfruchtbares,
bergigtes, aber ihn ficherndes Land; ja er verbürgt felbft jein Leben.
Das Blut des Bruders ift alfo ohne Blutrache ausgeföhnt: der
Lebendige ift geſchont und geftrafet. Halten Sie diefe Gefchichte
nicht für ein Mufter des väterlichen Gericht3? und die Sage davon,
war fie nicht Zug vor Zug ſchreckend, warnend, milde, rüglih? — —
247 A. Hätte ſie auch dieſe Wirkung gethan?
E. Allerdings. Erinnern Sie ſich des ſchreienden Bluts noch
in den letzten Büchern der Bibel. Die Seelen, die unter dem
Altar liegen,“) find vergoßenes Blut, wie Abel bier (dem Bilde
nach) gleichjam ald Opfer am Altar lag. Sie ruffen Race; aber
ihnen wird ein weiß Gewand gegeben: fie werben aus dem Blut
gezogen, und auf den Tag der Rache Gottes vertröftet. So ruft
durchs ganze A. T. hin das Blut der Propheten und Zeugen;
Gott Hat fich ihre Rache vorbehalten: Er ift der Richter aller Ge-
mwaltthätigfeiten, inſonderheit aller verborgnen Sünden und Xafter.
Worüber fein Menſch Hagt, das Klagt zu ihn; was niemand auf
Erden ftrafen will und kann, muß er Kraft feines Vater- und
Richteramts über das Menſchengeſchlecht ftrafen —
Berborgne Siuden ftellet er vor ſich,
ruft unerlannte Sinden in die Schranken
vor fein Gericht — *”)
Das iſt der fortgehende Idiotismus der biblifhen Poefie; und
wahrlich eine hohe lehrende Idee fürs Menfchengefchledt. — Damit
wedte Gott das Gewißen der Menfchen und machte es wenigſtens
durh Schreden und Furcht milde: er mollte ihre Hände vom Blut,
248 auch vom Blut der Rache rein erhalten; und ließ deßhalb die
Stimme der Mißethaten fo laut reden —
A. Diefer Endzwed ift aber nicht erreicht: wie ſtark wütet
die Blutradhe bei den Araberñ noch jet und auch bei den Ebräern
muften ja Noah und Moſes fo gar lindernde Gefeße geben.
E. Daraus folgt nichts, ald daß ihre Flamme im Herzen
biefer Völker ſchwarz und tief glühete: mithin alles heilſam war,
was fie nur einigermaaffen milderte und ſchwächte. Gift des
Bafilisfen quillt in den Gedichten der Araber aus dem Leichnam
*) Offenb. 6, 9. “*) Bf, 90, 8.
Herders fjümmtl. Werte. XI. 25
— 3888 —
des Erſchlagnen: es quillt ſolang, bis er gerächt d. i. mit neuem
Blut befleckt iſt.) Ein Vogel des Bluts ſchwingt ſich von ihm
auf und verfolgt den Mörder: fo erbt ſich die Blutrache von Ge—
ſchlecht zu Gefchleht Hinunter und der Rächer wird wieder des
Rächers Beute. Jeder Ton, jede Stimme, die in dieſer wütenden
Leidenſchaft das Herz der Menſchen mild macht und ihre Gedanken
aufwärts richtet, ift eine Gabe des Himmels; und es liegt nicht
an der Lehre und Sage diefer Dichtkunft fondern am Nachgeift der
Morgenländer felbft, wenn fie fie nicht mehr angewandt haben.
Indeßen find auch Ichöne Proben der Mäßigung in Pjalmen und 24%
Propheten unverkennbar. Wie ſtark und gefaßt klagt Hiob:
Mein Aug’ ift trübe von Weinen,
auf meinen Augenliedern rubet fchon
bes Todes Nadıt:
und Raub ift nicht in meinen Hänben
und mein Gebet ift rein.
Erde, verdede nicht mein Blut!
Ohn' Aufbalt töne mein Gefchrei |
Denn fieh fürwahr im Himmtel ift mein Zeuge,
mein Zeuge wohnet in ber Höb.
Gleißredner nur find meine Freunde;
mein Auge thränt au Gott! —
Sanfte Empfindungen der Art find der ſchönſte Swed der Poefie,
jo wie die Ehre der Menjchheit.
A. Wäre es aber nicht beßer geweſen, wenn ber Richter als
Bater, der Frevelthat Kains lieber zuvorgekommen wäre? und jeber
Frevelthat lieber zuvorkäme, als daß er fie ftrafte?
E. Er thats, wie ers thun konnte: er thuts noch jedesmal,
wie ers thun kann: er fommt wahrlich zuvor.
Jehovah blidte nicht auf Kains Opfer
und Kain zürnte ſehr und ſchlug fein Anti nieder.
Da ſprach Jehovah: warıım zlrmeft du?
warum fchlägft du dein Antlig nieder?
— — — —
*) Man ſehe eine gute Anzahl Arabiſcher Gedichte dieſes Inhalts in
der Hamafa und viele Proben diefer Gefinnung in ihrer Geſchichte.
250
— 37 —
Nicht alfo; thuſt du gut, fo blickſt du auf,
und thuft du böſes; fieh, fo lauret Sünde
(wie ein Blutdürſtiger)*) vor beiner Thür.
Gr will an did und du follt ihn bezwingen —
Das mar alles was den Kain gefagt werden fonnte. Gott fpricht
nit ihm, wie mit einem unmilligen Finde, enträthfelt ihm, was
in feinem Herzen ſchlafe und vor feiner Thür, wie ein Löwe, wie
ein wildes Thier laure. Die nahe Sünde konnte nicht wahrer und
jchredlicher gefchildert werden. Und mas Gott an Kain that, thut
er an jeden, wenn man_auf fein Herz und auf die Stimme Got-
tes Acht hat —
A. Wie wollen Sie aber den Richter der Sündfluth rechtfer-
tigen, der, einiger Ritter und Rieſen wegen, die ganze Welt ftraft,
alles Lebendige, auch die Thiere untergehn läßt, weil „auch Die
Thiere ihren Weg verberbet hätten,“ und acht Berfonen mit dem,
was ein Kaften beherbergen Tann, als allein Unfchuldige rettet?
Gab die Sage nicht eben den engſten und partheilichſten Eindrud,
der feyn Tonnte?
E. Den Nicter der Welt rechtfertigt Teine Kreatur: Schid-
fale, die über die ganze Erde gehn, find Naturgefege, denen fich
jedes Einzelne unterwerfen nıuß; auf den Ruinen einer verfunfnen
Königsſtadt oder eines untergegangnen Welttheils läßt fich übel
philofophiren. Was vollends die Thiere anbetrift, folgen fie nicht
— — nn
*) 7727 ſteht im masculino, mit dem alfo MXUFT im masculino
conftruirt werden muß, wie denn auch im folgenden Vers zwei masculina
folgen. Da 7727 im Arabifchen vom Auflauren der Thiere gebraucht wird
(f. Lette observ. ad quaed. loc. V. T. in symbol. liter. Bremens. P. III.
p. 563.) fo ift kein Zweifel, daß Sünde bier als ein blutdürſliges Thier,
etwa ein Löwe ober Tiger perfonificirt wird, das mit Hunger und Blut-
gier vor Kains Thür laure. Lette führt zwei VBerfe aus dem Tograi an,
die ſich hieher fehr paßen: „Meine Freundin ift, wo Feinde lauren, wie
Löwen lauren um das Lager ber jungen Rehe.“ Auch die Ueberwindung
der Sünde konnte Kain unter keinem fliglichern Zeitmäßigern Bilde vorge-
ftellt werden. Das Bild einer unzüchtigen Weibsperfon gehört gar nicht
bieber: denn mo gab e8 damals folde? —
25*
— 388 —
immer dem Menſchen-Schickſal? und könnte man fie, wenns aufs
pbilofophieren ankäme, ihres täglichen Mißbrauds wegen nicht
gar aus der Welt hinaus vernünfteln? Alfo müßen wir Diele
Begebenheit und Sage nicht metaphyfifch fondern phyfiih und mora-
liſch beurtheilen und fehen, mas fie damals für Eindruck machen
folte. Alle Relationen vom Berberben des Menſchengeſchlechts
fingen in ihr fo beftig und traurig —
A. Weil fie aus Niefenfagen hergenommen find und eben
durch die Erretteten zu und famen —
E. Defto urfprünglicer find fie. Das Angftlihe in ihnen
und im ganzcır Tageregifter des Kaftens bürgt für ihr Alter. Wer-
gleihen Sie nun unſre Jahre, unfre Kräfte mit den Jahren und
Kräften jener Titanen, der Erftgebohrnen der alten Welt, die Das
Mark der Schöpfung noch in fich fühlten und es allein auf Unter- 252
drüdung, Ueppigkeit, MWohlluft und Bosheit anmwandten. Was
kann jegt noch Ein böſer Menih von Kraft und Anfehen thun,
in feiner Minute von Lebensjahren; und jene dort in einem Jahr⸗
taufend? Vielleicht mit vieler Cultur und mit allem Uebergewicht des
Vermögens zur Bosheit. Da glaube ich der alten Tradition gern:
Jehovah fah, der Menfchen Bosheit mar
groß auf der Erbe:
worauf fie tichteten, worauf fie fannen,
war Bosheit jeden Tag.
Ihn reute, daß er Menſchen je gefchaffen —
Menſchen nehmlich, die jo frühe und fo weit verwildern könnten
in Bosheit. Er handelte alfo auch hier ala Richter und Vater:
er gab der Erde eine andre Einrichtung —
A. Eine andre Einrihtung?
E. Offenbar. Nach der Sündfluth nimmt das Leben der
Menſchen augenſcheinlich ab und wie man diefe große Ueberſchwem⸗
mung auch erfären mag, jo gehörte fie gewiß zu den Naturgeſetzen
der Sich bildenden Erde. Aus Waßern hat fi diefe langſam
gebildet: Waßer haben lange und in verſchiednen Perioden über
ihr geftanden ; in den erjten Zeiten ihrer Bewohnung waren Ueber-
— 389 —
253 ſchwemmungen überall häufig. Vermuthlich alfo war damals nur
noch die Höhe der Erde bewohnbar: alles andre lag noch unter
den Waßern. Irgend ein Stoß, ein weſentlicher Zufall fonnte die
Waßer nochmals über das bewohnte Land zurüdbringen: vielleicht
veränderte fih gar die Are der Erde; furz, alles Tam in bie
Bahn, in der es noch jetzt fchreitet und das erfte heroifche Beit-
alter ſollte wahrjcheinlih nur der Zuftand eines fich bildenden
(und mißbildenden) Menſchengeſchlechts feyn, der auch zu dieſer
Beränderung der Erde vom Schöpfer berechnet worden war. Zum
Anfange der Bildung unfres Gefchlechts gehörte ein langes Leben,
wie es jebt zu unferm Zuftande kaum mehr gehöret: ohne Zweifel
gehörte auch dazu die damalige Beichaffenheit der Erde, mie fie für
uns nicht mehr ift. Nach der Sündfluth machte Gott einen neuen
Bund, eine neue Ordnung der Jahrszeiten, der Sitten, Geſetze,
Lebensalter; von bier geht eigentlich, obwohl auch noch im Schwachen
Dämmerliht, unſre Geſchichte an. Jene tönt uns nur wie eine
Helden- und Niefenfabel über die Fluthen einer verfunfnen Welt
hinüber —
A. Sch wollte, daß wir mehr von diefer Niefenfabel wüßten.
E. Wir folltens nit; und auch die wenigen Neihen, die
wir daher haben, bat man übel gemißbraucht. Was Hat man
254 nicht aus den Götterföhnen, die bei den Menfchentöchtern chliefen,
gefabelt ? und doch ift der Ausdruck „Götterſöhne“ d. i. Helden,
Heroen, Leute von überwiegender Macht, Schönheit, Stärke, in
allen Heldenjagen gäng und gäbe — aber wir fommen vom Siel.
AU. Ich glaube nit. Daß dies traurige Erdenfchidjal, wenn
es Naturgefeg war, nun als eine Strafe der Riefen und ihres
Beiſchlafs mit den Menfchentöchtern betrachtet wurde, daß Noah
fih als den einzig Erretteten, den Liebling Gottes, den Einzig
MWürdigen der Erde anfehn lernte —
E. Er wars und Sollte fi fo anjehn lernen. Wie fein Name
jagt, verichaffte Gott dur ihn der Erde Ruhe wider die Tyran-
nen. Er war gequält worden und ſah ſich, miewohl auf eine
beſchwerliche ängjtliche Weife, allein errettet. Wie enge und einge-
— 30 —
ſchloßen ift feine Haushaltung im Kaften! wie fehnlich öfnet er das
Fenſter und läßt Vögel fliegen! wie lieblich und ſtärkend ift das
erfte gefundne Delblatt der Taube! — Die ganze Erzählung enthält
fein Wort des Spottes oder der Schadenfreude über die unterge:
gangene Welt; vielmehr das Angjtgefühl einer Heinen Schaar von
Erretteten, die den erſten lieblichen Regenbogen als ein Zeichen ber
wieder fehrenden Sonne und ©ottesgnade anfehn, die auf den
Schlamm der alten Mutter beinah mit einer träumenden Freude
treten. „Jehovah roch den lieblihen Geruch ihres eriten Opfers 2%
und fegnet die Erde und will fie nicht mehr verderben,” Tann
das eigne Gefühl der Menſchen ftärker ausgebrüdt werden, als da
Gott jelbft gleihfam für fie fühlt? Er fieht den wieder Tehrenden
Regenbogen felbft mit Vaterfreude; und macht ihn, den Abglan;
feiner Güte, den erjten Blid des fröhlichen Weltauges auf die
dunkeln Wollen, zun Zeichen feines ewigen Bundes. Er umgiebt
die Erde neu mit einem jungen, untrennbaren Reihentanz fröhlicher
Stunden, und in dem fchreitet fie noch —
A. Ich habe die Geſchichte nie fo betrachtet und mich oft
gewundert, wie ein flüchtiges Wollenphänomen das Denkmal eines
ewigen Bundes werden mochte? —
E. Eines fo veften Bundes, daß, wie Jefaias*) dieſe Gejchichte
ſchön deutet, ehe Berge und Hügel binfallen könnten, ehe Dies
Berfprehen Gottes manfe. Die Nordiihe Tradition hat daher nad)
ihrer Weife den Regenbogen jo gar zu einer Brüde gemacht, die bis
ans Ende der Welt feftftehe und nur von den legten Himmelsftür-
mern zeriprengt werden fünne — freilich eine gefrorne harte Ablci-
tung dieſer alten kindlichen Sage, die indeßen den Sinn derſelben
zeigt. Auch die andre jehr verbreitete Gloße jcheint daher, daß da
die Welt nicht mehr durch Waßer untergehn jolle, fie durch Feuer 256
untergehn werde — Kurz, ın. Fr., der Menſch ift ein moraliſh
Geſchöpf und ſoll Alles moraliſch anjehen lernen. Reingelpült jollte
die Erde werden durch die Waßer der Sündfluth und die Erret-
*) Jeſ. 54, 7— 10.
— 391 —
teten Sollten in ihre neue Welt den Eindrud bringen: wie furdtbar
Gott übermäcdhtigen ! Frevel ftrafe. Noahs Gefege find daher ſcharf
und beftimmt: fie zeigen von der Höhe des Verderbens voriger
Zeiten und find gleihfam das erfte Völfer- ja ich möchte jagen,
Thier » und Menſchenrecht auf der verjüngten Erde. Sobald im
Thurmbau zu Babel nur wieder der Schatte einer ähnlichen Helden -
und Riefenthat vorlommt, erwacht auch der himmlische Richter wieder —
A. Da find wir bei einer Schönen Fabel! Alle Menfchen find
von Einer Zung’ und Sprache; und ala ob fie fie ewig hätten
haben können, ala ob folh ein Wunder der Verwirrung nur im
minbeften noth geweſen wäre, müßen fie einen Thurm bauen, deßen
Spite bis in den Himntel reihe, Gott muß es nöthig finden, den
Bau zu befehen und fid im Ernſt dafür zu fürdten. Er meint,
fie würden anders nicht ablaßen, ala bis er — ich weiß nicht wel-
es Wunder an ihrer Lipp’ und Sprade thut, damit es gefchehe,
257 was ja immer gejchehen wäre, fie zogen in die Welt. Berzeihen
Sie, daß ih die Erzählung an ſich und als Probe des himmliſchen
Richteramts — einfältig finde.
E. Wenn Sie fie jo betrachten, ijt fies; fehen Sie aber, wo
fteht die Sage? -
U. Zwiſchen lauter Gefchledtregiftern.*)
E. Und hinter Gejchlechtregiftern, die fih ſchon nah Spra-
hen, Ländern und Völkern theilen. Der Sammler diefer Sagen
wer aljo jo Hug als wir und wufte, daß jich mit Völkern, Stän-
men und Wanderungen auch Spracden theilen; eben deßwegen aber
ſchob er diefe einzelne Sage hinzu, um etma zu zeigen, Durch wel:
hen Zufall die Menfchen in die härtere Nothwendigfeit gekommen
jeyn, aus einander zu ziehn und fich zu theilen —
A. Und dies mar ber findiihe Bau in ben Himmel?
E. Er wird hier auch kindiſch vorgeftelt und hat einen fin-
diiden Ausgang. Weil fie von Einer Lipp’ und Sprade find,
*) 1 Mofe 11.
1) Mſe.: übermüthigen
— IN
wollen fie gen Himmel bauen, und eben da fie gen Himmel bauen,
werden fie verichiebner Lipp’ und Sprade. Sie wollen ein Zeichen
haben, daß fie ſich nie zerftreuen, und werben zerftreuet — Ber
Zwed der Erzählung fpringt ins Auge.
A. Und Gottes Niederfahren und Yurdt dabei ?
E. Iſt offenbar Spott, wie denn die ganze Erzählung eine -i-
Spottjage ift. Haben Sie nie den Pſalm gelefen?*)
Warum denn toben die Bölter ?
und denten auf nichtig Ding?
Der Erden Könige ftehn zufammen,
die Fürſten berathen zufamınen wider Jehovah —-
Der im Himmel wohnet, lacht,
Jehovah jpottet ihrer —
Da haben Sie den beften Commmentar der ganzen Erzählung. Sehen
Sie ins vorige Kapitel: wer herrichte in Babel, wer erbaute Babel ?
A. „Der gewaltige Jäger vor dem Herrn, Nimrod.“
E. Und warum beißt er ſo? Doc nicht der platten Urfache
wegen, daß er Füchſe und Hafen auf der Ebne Sinear, die gar
fein bergiges, waldiges Land ift, jagte? und Füchſe und Hafen
jagt man ja auch nicht vor dem Herrn. Das einfältigfte Sprüd-
wort alfo, das je auf der Erde gejagt ward, mwenn es dies jagen
wollte! — Was heißt im Ebräiſchen Jäger?
A. Ein Auflaurer.
E „Ein gewaltiger Jäger“ heißt alfo ein gewaltjamer Auf:
laurer, ein Berüder der Menſchen durdh Lift und Madt.
Das war Nimrod, das ift er nah der gejammten Tradition in zu
Orient, die von ihm fehr rei ift, und eben das beurfundet Die
Erzählung, über die Sie Ipotten wollten. Cr fand eine fchöne
Ebne, er fand Materialien und willige Hände, feine Reſidenz und
Königsthurm hoch hinauf zu bauen. Dem zahmen Wilde, das cr
zuſammen jagte, bildete er ein, es jei ein Zeichen ihrer Sicherheit,
ihrer dauernden Bereinigung; feiner Abfiht nach ward das Dent:
mal feines Stolzes und ihrer Sklaverei. Nun wißen Sie, daß dic
) pſ. 2.
ältefte Zeit den Himmel als eine Wohnung Gottes betrachtete; mas
fih ihm nahete, erhob fich alfo zur Region Gottes und beeinträchtigte
ihn gleihfam auf feinem Throne. Gerade fo redet dieſe Erzählung:
Wohlauf wir wollen Stadt und Thurm uns baun,
deß Haupt bis in den Himmel reiche:
und Gott ahınt ihren hohen Entſchluß demüthig nad:
Wohlauf! wir wollen niederfteigen
und ihre Tippen da verwirren —
fie habens angefangen zu vollführen
und werben nicht® fih Kindern laßen
bis fie ihr Wert vollführt — u
Bemerken Sie den fortgehenden Spott nicht offenbar ?
A. Mich wundert, daß ich ihn ſonſt nicht bemerft habe.
E. Und der größefte Spott liegt im Ausgange der großen
260 That. Sie wollen in den Himmel fteigen: Gott fürchtet ſich, traut
ihnen zu, daß fie von ihrem Riefenprojeft nie ablaßen werden und
— legt nur den Finger an ihre Lippe, darf nur den Hauch ihrer
Zunge verändern, und da fteht die Trümmer; fie heißt Verwir⸗
rung, Babel, ein emwiges Denkmal ihres dur ein Nichts geftürz-
ten Stolzes. Dem Geift der Begebenheit folgt nun aud bie
Erzählung nad: fie ift die fchönfte Probe eines mit kalter Einfalt
durch die That felbft gefchilderten Spottes, da Größe und Klein-
beit, der Menjchen Hinauffteigen, Gottes Herabſteigen, die Sicher:
heit und Kühnheit jener, die Unficherheit und Furchtſamkeit dieſes
nebft dem einzigen Mittel, wie er fih zu retten weiß, ftil und
Ichweigend neben einander gejegt werden. Das vermwirrte Lüftchen
des Mundes ift mehr als Blit und Donner: der Ujurpator des
Throns Gottes fteht befhimpft da: Er und fein Königafig find -—
Spottnamen. „Das war der gewaltige Menfchenjäger vor dem
„Angeficht Jehovahs,“ der fich gleichjam mit ihm maas, der ihm
vor Augen auf den Schultern einer betrognen und unterjochten
Menfchenheerbe in den Himmel fteigen wollte. — Daß meine Erflä-
rung wahr fei, bezeugen alle PBoefien der Ebräiſchen Dichter auf
Babel, die genau den Ton und Charalter diefer eriten Sage haben.
“
— 394 —
AU. Diefen Ton und Charalter?
E. Alle find Spottliever auf Babel genau im Umriß und 261
in den Zügen diefer Sage. Wie bier, jo ift Babel fortgehend Der
Name des Stolzes, der Pradt, der Kühnbeit, der Bölferunter-
johung, der Berüdung und Tyrannei der Erde. Wie bier, jo
its immer das Sinnbild der Frechheit gegen Gott, des Baus ober
Auffhmwingens zum Himmel, des Thronend unter den Sternen;
zugleich aber auch der Verwirrung, der Vermüftung, des Spottes
Gottes über menſchliche Rieſenprojekte. Die ftoe Königin Hat
jevesmal den QTaumelbecher in der Hand, aus der fie, wie bier,
zuerjt den Völkern der Erde einſchenkt, zulegt felbft trinken muß;
ihre Herrlichkeit Liegt denn als Trümmer da und heißt — Babel
A. Sie geben mir eine Ausfiht über alle Propheten: denn
wirflih die PVoefien über Babel find in dieſem Charalter.
E. Die Poeſien über andere Völker find eben jo beitimmt
und charakteriftiih, wie wir zu andrer Zeit jehen werden. Noch
im legten Buche der Schrift fteht Babel in dem Bilde da, in dem
ich es Ihnen bier zeige: fie hat den Taumelbecher in der Hand,
womit fie die Völfer trunfen gemacht: auf ihrer Stirn ift der Name
der Läfterung, der Kühnheit gegen Gott: fie geht endlich wie ein
Mühlſtein unter, und über fie fhallt ein Spott= und Trauerlied,
genau in dem Ton diefer jpottenden Sage. Die große Treiberin 262
der Welt, die Menſchenjägerin vorm Angefiht Jehovahs, wird
immer zu Schanden.
U. Mir fällt aus Jeſaias ein ſchönes Trauerlied bei, das
ich mir des Tobtenreihs wegen befannt gemadt hatte.*) Es ift
eben der jtile Spott, der bumpfe Flötenton darinn, deßen Sie
erwähnten. In langem Elegiſchen Sylbenmaafje gehts daher, wie
der Klagegefang um einen Todten, und ift voll Hohn von Anfange
bis zu Ende.
E. Wollen Sies leſen?
A. Am Tage, da Iehovah Ruhe wird geben bir
von deiner Drangfal, Angft und harten Sklaverei,
*) Jeſ. 14, 2.
263
denn wirft bu fingen ein Lied von Babels Könige,
und alfo fingen:
Wie rubt der Treiber jekt!
Die Golderpreßerin feiert nun!
Zerbrochen bat Jehovah der Unterbrüder Stab,
die Ruthe der Tyrannen,
Die die Bölter fchlug in heißem Zorn,
mit Streichen, denen keiner entmwich,
und herrſchte grimmig über fie,
und niemand hielt den Dränger ein.
Nun ruht, nun raftet alle Welt,
die Länder fingen ein Feierlied.
Die Tannen felbft erfreun ſich über bir,
die Zebern Libanon:
„Seit du gefallen, kommt niemand binauf,
„und niederzuhaun.“
Das Todtenreih da drunten zitterte auf vor dir.
Es ging entgegen bir, da du kamſt an.
Die Schatten regt’ es auf und alle Erdehelden,
der Völker Könige, alle ftanden
von ihren Thronen auf,
willkommten alle dich und fprachen:
„Auch du bift Schatte geworden, gleich wie wir,
„auch du uns gleich gemacht.“
Hinabgebeugt zu den Todten ift bein Stolz,
binunter deiner Harfen Siegeston:
Dein Bett ift unter dir der Wurm,
der Moder deine Dede.
Wie bift du gefallen vom Himmel, du Morgenftern!
Aurorens Sohn!
biſt Hin zur Erb’ gemorfen,
der Völker niederwarf.
Du ſprachſt in deinem Herzen: „ich will zum Himmel hinan!
„Ueber die Sterne Gottes erhöh' ich meinen Thron!
„ich werd' hoch auf dem Berge der Bötter thronen
„im böcften Nord. °
„Ueber der Wollen Höben fteig’ ich auf!
„ih werde gleich feyn dem Erbabenften!! — —
— 396 —
Zur Hölle nieder wirſt du geſtürzt
ins tiefe Grab.
Und die dich ſehen, blicken hin auf dich,
ſchaun auf dich nieder: IIſt das der Mann,
der zittern machte bie Erbe,
ber Königreiche erſchütterte ? |
Ringsum bat er die Welt zur Wüfte gemacht,
bat ihre Städte zerftört,
bat ihren Gefangenen nimmer eröfnet das Kerlertbor.
Der Böller Könige alle fohlafen in Ruhm,
jeder in feinem Haufe, dem Grabesmaal;
nur du liegft hingeworfen aus beiner Gruft,
wie eine Mißgeburt.*)
Bededt mit Leichen, die das Schwert enwürgt,
die in die Grube fahren mit Schutt bebedt,
jo Tiegft du da wie ein zertreten Aas:
Du follteft nicht mit jenen ein Grabmahl haben,
benn felbft haſt du bein eigen Land verderbt,
bein eigen Bolt erichlagen.
Der Uebelthäter Geſchlecht werd’ nicht genannt
in Ewigkeit!
Gebt ihren Söhnen den Tod um ihrer Bäter willen!
daß fig nicht wieder kommen empor und erben das Land,
und füllen mit Städten umber die Welt.“
Aufftehen will ich ihnen entgegen, Tpricht
Jehovah Zebaoth.
Ausrotten will ich Babel8 Namen und Gefchlecht,
und Sohn und Entel, fpricht Jehovah.
Will fie zur Igelmohnung maden, zum Waßerfumpf, 965
fie fegen in den Schutt der Verwüſtnng, fpricht
Jehovah Zebaoth.
E. Hier fehen Sie die ftolze Treiberin der Völker, die Him-
melsftürmerin, die Erbauerin ihres Throns über den Sternen;
und hinten nach — den Spott Gottes über fie, ihre Demütbhigung
Y
*) Es ift Jeſaias gewöhnlich, das Gefchleht mit einem Baum und
ein Glied deßelben mit einem Zweige zu vergleihen. Gin abjcheulicher,
verworfner Zweig heißt alfo bier ohne Zweifel eine Misgeburt.
— 397 —
zur Hölle: fie liegt im Schutt der Verwüſtung. „Die verftörte
Tochter Babel“ ift der Name und das Sinnbild aller biblifchen
Poefien über Babel, und mande Züge der Elegie, die Sie laſen,
find, als ob fie auf Nimrod und den erften Thurmbau gemacht
wären. Aber wir zerftreuen und auch, wie die Völker, von denen
wir reden. Der Hauptzug, ben wir jeßo zu bemerken hatten, war
der, daß die Poeſie Morgenlandes infonderheit darauf aufmerkſam
mache, wie die Vorjehung des himmliſchen Richters den Stolz der
Tyrannen breche, wie fie, was zum Himmel fteigen will, zur Hölle
erniedrigt —
A. Und das Niedrige erhebt; da find wir bei den hohen
Contrajten im Gebiet der Vorjehung, von denen ich Anfangs fagte.
Sie dünfen mir fo eintönig, fo wiederholt —
E. Wie Ihnen der Parallelismus überhaupt Anfangs dünkte.
266 Diefe Contrafte find Parallelismus: das höchfte und ftärffte Son,
das dergleihen Gemälde ganzer Weltfcenen erlauben; find fie nicht
aber auch Natur der Sache, Anblid der Weltbegebenheiten jelbft ?
Was fiehet man überall in der Welt ald Ebbe und Fluth, Erhe-
bung und Ermiebrigung? nichts bleibt, nichts Tann auf Einer Höhe
bleiben. Alles ift Welle hienieden und vor Gott, mas ift Diefer
Welt-Tropfe mit allen feinen Riefen und Himmelsftürmern als
eine auffteigende und zeripringende Waßerblaſe? Heſiodus und
Homer, Aeſchylus und Pindar können die Wogen der Weltbegeben-
heiten gegen ben einzigbleibenden Gott des Schilfals nicht anders
mahlen. Sie mahen eben die Gegenfäße des Niedrigen und Hohen,
Starten und Schwaden, als ob fie8 aus Orient hätten. Nun
glaube ich freilih, daß dergleihen Nevolutionen des Schickſals im
deſpotiſchen Drient häufiger, jchneller, frappanter feyn mögen; im
Grunde aber find fie überall Ende des Liedes, das Refultat aller
Menſchen-Geſchichte. Wem bei diejen Contraften nichts beifällt,
dem ftehen fie leer da: wen fie an Thatſachen und Erfahrungen
erinnern, dem find fie ein poetifher Auszug aller Gejchichte,
und ich ſchätze auch deßhalb Hiob, die Propheten und Pſal⸗
men hoch —
— IRB —
A. Unsere Kirchenlieder wohl nicht minder, wo dergleichen
Contrafte vom Gange der Vorfehung den Pjalmen nadlallen —
E. Aud. Freilih klingen fie bier fälter, matter, fremder; a’
im Grunde aber find mande Lieder und Pjalmen auf die Bor:
ſehung beinah die jchönften unfrer Lieder. Einige find fchön ver-
fificirt; ihr Inhalt ift allgemein verftändlih, ja ich möchte jagen,
alltäglich. Auch haben genau dieje Lieder ihre Wirkung aufs menſch⸗
liche Herz gnug erwieſen: fie find des Unglüdlihen Troft und bie
Stärke des Armen: fie kommen ihm als’ Stimmen des Himmels
in feine MWüfte und beruhigen feine Seele. Hiob und die Palmen
find ein Schat von Bemerkungen und Moral über das menfchliche
Leben, über Glüd und Unglüd, Stolz und Demuth, wahres und
falſches Selbftvertrauen und Butrauen auf Gott. Und da überall
das Auge Gottes, über den Gang der Menſchen wachend, darge:
jtellt wird, fo kann man fagen, dieſe Poefie habe eben die Einheit
und Einfalt in die Begebenheiten der Welt gebradt, die fie, mie
wir bemerkt, in die Auftritte der Natur brachte. Die künſtliche
Poeſie der Griechen ift bunter Schmud gegen diefe findliche reine
Einfalt und bei der Celtifchen Poefte, jo jehr ich fie liebe, ifts
mir immer ala ob ich unter einem bewölkten Abenvhimmel wandle
Schöne Scenen zeigt fie in Wollen und auf der Erbe; aber ohne
Sonne, ohne Gott, ohne Zweck, der irgend ein Ende zeigte. Man
verfliegt zulegt mit dem Lüftchen der Wolle, da man in Orient 3
auf den Feld des ewigen Gottes veſt ftehet.
Zu Gott will ich mich menden ‚*)
zu Gott erheben meine Rebe,
der große Dinge thut, die unerforfchlich,
der Wunderdinge thut, fie find unzählich.
Er gießet Regen auf die weite Erbe,
und ſendet Ströme auf die dürre Wilfte,
damit die Niedrigen er hoch erhöbe,
dag er den Zraurigen zum Glück erbebe.
Er macht umfonft der Liſtigen Gebanten,
fie werdens nicht mit ihrer Hand vollführen.
*) Hiob 5, 8.
269
⸗
Fraß Blutſaugender Thiere.
— 399 —
Die Weiſen fänget er in ihrer Klugheit
und übereilt den Rath der Ränkerfinder,
daß ſie am Tage Finſterniß begegnen,
und tappen, wie zu Mitternacht, am Mittag'.
So rettet er von ihrem Schwert den Armen,
hilft dem Verlaßnen von der Hand des Starken;
und ward des Armen Hoffnung,
die Bosheit ſtand verſtummt.
Glückſelig iſt der Menſch, den Gott zurecht weiſt.
Die Züchtigung des Höchſten halte hoch,
denn er macht Schmerzen und verbindet,
Er ſchlägt und heilt mit ſeiner Hand.
In ſechs Drangſalen wird er dich erretten,
auch in der ſiebenden berühret dich fein Uebel.
In Hungersnoth entreift er dich dem Xobe,
im Kriege von der Hanb des Schwert®.
Borm Geißelichlag’ der Zunge*) wirft bu dich verbergen,
nicht fürchten Di, wenn der Verwüſſter einbricht.
Entgegen lacheſt du dem Hunger, dem Bermälfter,
und flicchteft dich vor wilden Thieren nicht.
Der Stein des Feldes ift bein fichrer Gaftfreund,
des Feldes Thier ift friedlich gegen dich;
und bift gewiß, das bein Zelt ficher Tiege,
bu kehreſt heim und findet e8 in Rub.
Und bift gewiß, daß Zahlreich wirb dein Same,
daß bein Geichlecht wird ſeyn, wie Gras ber Erbe.
An Fahren reif gebft du denn in bie Grube,
fo wie die Garbe reif zur Scheuer eingebt.
Laßen Sie uns foldhe Lieblinge der Vorſehung feyn und es
270 wäre unſre Schuld, wenn wir dabei fahrläßig und müßig feyn
wollten. ch laße einem jeden feinen Geihmad; mir fommts aber
vor, daß eben dieſe leichten Gegenfähe (die findlichen reinen Bemer-
tungen über den Lauf der Welt aus dem Munde hochbejahrter
*) Geißelſchlag der Zunge) ift nach tem Parallelismus der gierige
Der Bermwüfter ift der Löwe, der im folgen-
den Ber8 mit dem Hunger zufammen gefett wird, alfo ein bungriger gie-
riger Verwüſter. Der leute Vers erflärt die drei vorigen deutlich.
— 400 —
Weiſen) dazu gehört haben, die zarte Pflanze einer Poeſie des
Zutrauens auf Gott und feiner ſpeciellſten Vorſehung fürs menid-
liche Gefchleht zu erziehen. Die Morgenländer haben fie erzogen,
das ift unläugbar und die älteften Poeſien der Griechen find hierinn
ganz morgenländifh. Nur in diefer einfältigen Form kann fie aud
der fimpelfte Menfchenverftand und das gebrüdtefte, ihrer am mei
ften benöthigte Menſchenherz fafien. Sie find der Spiegel Der Welt
und das Nefultat des Lebens meifer Altväter. Wie Berge ver
altern, verfallen Reihe: wie neues Laub wählt, Iproßt neues
Glüf des Menſchen — fo binden fi Jahrs- und Lebenszeiten,
Natur »" und Menfhenfcenen und von allem wird Gott der Führer.
Noch jet hört man, wenn der braufende Moft des Lebens ausar
gährt hat, erfahrne Weife jo ſprechen, wie Hiob, die Palmen, die
Propheten Sprachen; und der ungläubige zu raſche Jüngling erfährt
am Ende, daß fie wahr geredet haben. Am meiften gehen aud
die Lobſprüche der Vorſehung aus denen Bildern und Geſchichten
hervor, die wir betrachtet haben und betrachten werden, aus Sünb-
Huth und groffen Strafzeihen, aus Verwirrung menjchlicher Ent-
würfe und Entdedung geheimer Webelthaten; da gehen ſie hervor
und endigen ſich überall in ftile Gottesfurdht und Menfchenmweis-
heit — ohne Zweifel der größefte Schag, die nüglichite Poeſie und
Lehre unfres wie ein Schatte vorübergehenden Lebens. Ich wünſchte,
daß ich ein Gedicht kennte, das die frappantften und rührendften
Scenen der Borjehung aus unfrer Geſchichte vereinigte; je finpler,
defto morgenländifcher würde e3 in feinen Hauptzügen werben.
1. Lobgeſang auf die Hülfe Gottes.
Gott ift uns Zuverſicht und Macht!
Eine Hilf’, in Nöthen ftark und treu erfunden.
Drum fürchten wir uns nicht; und wankte gleich die Welt,
und fünfen Berge in des Meeres Grund.
Laß feine Fluthen fchallen, laß fie braufen!
Laß Berge zittern feiner Majeftät;
u”
a‘
972
— 41 —
noch werden ſeine Ströme
erfreuen Gottes Stadt,
des Hocherhabnen Wohnung.
Gott iſt in ihr! ſie wanket nicht!
Gott hilft ihr, blickend auf ſie nieder
zu rechter Zeit.
Es ſtürzen Völker, Königreiche ſinken,
Er donnert und die Erde ſchmilzt:
der Heere Gott, Jehovah, iſt mit uns!
Er iſt uns Schutz, Iſraels Gott! —
Geht! ſchauet an die Werke
des Hocherhabenen!
Der Länder jetzt zu Wüſteneien macht,
und jetzt den Kriegen, hin bis an den Rand der Welt,
Ruhe gebent,
zerbricht den Bogen und zerſchlägt den Spieß
und brennt mit Feur die Kriegeswagen auf.
„Laßt ab und wißet, ich bin Gott!
„Der Völker König, König aller Welt!“
Der Heere Gott, Jehovah, ift mit uns!
Er iſt ung Schuß, Iſraels Bott!
273 2. Xobgefang auf die Borjehung.
Hallelujah!
Lobſinge den Jehovah meine Seele!
Lobſingen will ich Jehovah mein Lebenlang,
Lobſingen meinen Gott, fo lang' ich bin!
Bertrauet nicht anf Dlächtige,
auf feines Menſchen Sobn; er ift zu ſchwach!
Sein Geift entfleucht und Er kehrt in die Erbe,
und al fein Anfchlag ift dahin.
Wohl ihm, dei Hülfe der Gott Jalobs iſt!
Der auf Jehovah feinen Schubgott traut,
Der Himmel, Erbe, Dieer,
und was in ihnen ift, erfchuf,
und ewig Glauben bält.
Servers füämmtl. Werte. XI. 26
Den Unterbrüdten ſchaft er Recht,
und fchaffet Brot den Humgernben.
Jehovah thut der Blinden Auge auf,
Jehovah richtet den Gelrlimmeten empor;
Jehovah liebet den Rechtſchaffenen,
Jehovah ſchützt die Fremdlinge,
Waiſen und Wittwen überzählet er,
und macht zunicht der Unterbrüder Rath.
Jehovah wird regieren in Ewigleit!
Dein Gott o Zion von Geſchlechte zu Geſchlecht!
Hallelujah.
3. Hiobs Lobgedicht auf die Weisheit.
Dem Silber bat der Menſch den Ausgang funden,
den Ort des Goldes, das er gießt:
bat Eifen aus dem Staub gewonnen
und Stein zu Erz gefchmelzt.
Hat Grenzen auch ber Finſterniß gefetet;
bat jedes Aeußerſte erſpäht,
den Stein der Todesichatten,
der Tobesnacdht. *)
Ein Strom geht auf vom Reiche der Bergeknen:**)
vom Fuß des Berges ziehn fie ihn empor;
von Menichen leiten fie ihn weg.
Die Erb’, aus ihr gebt oben Brot hervor,
tiefunten wirb fie wie vom feuer umgewählt:
da Tiegt im ihren Felſen der Sappbier
mit Goldesſtaub burchfprengt.
*) Bermuthlid der Tettte Stein in Hiobs Bergwerld - Kunde: gleihfam
der Ed- und Grenzftein des Reichs der Kinfterniß, der alten ewigen Nacht.
**) Nach diefer Abtbeilung und Lesart wäre „die Wohnung der Ber-
genen? das Todtenreich, tiefer als wohin die tieffte WBergarbeit reicht.
Ströme vom untern Strom der ewigen Bergeßenbeit brechen bervor, unb
bo werben fie von Menfchen überwunden, beraufgepumpt unb mweggeleitet.
Doch befenne ich, daß mir die Stelle buntel bleibe.
2,1
275
— ADB —
Den Weg erſah kein Bergesvogel je:
des Geiers Auge hat ihn nie erſpäht:
Kein ſtolzes Hölenthier hat ihn betreten;
Kein Löwe ging je diefen Gang.
An Felſen legt der Menfch die Sand,
umd fehret Berge von der Wurzel um;
Aus Felſen Tpaltet er die Ström’ hervor
und mas nur köſtlich if, erfah fein Blich;
ſpäht auf der Flüße tiefverftedtten Quell '
und bringet die Verborgenheit ans Ficht.
Wo aber aus foll man die Weisheit finden?
und wo ift bes Verſtandes Ort?
Der Menih, er weiß nicht ihren Siß,
im Lande der Lebendgen ift fie nicht.
Das Meer ſpricht: nicht in mir ift fie!
Die Tiefe: nicht in mir!
Auch nicht um Gold wird man fie fih erkaufen;
tein Silber wäget ihren Werth.
Kein Gold aus Ophir wird ihr gleichgenchtet,
Kein edler Onyr und Sapphier.
Kryſtall und Gold ift nimmer ihr zu gleichen:
Kein Prachtgefäß taufcht je fie ein.
Ramoth und Gabiſch ift nicht gegen ſie zu nennen:
Schöner als Perlen reizet fie.
Topas aus Mohrenland iſt nichtS zu ihr;
Das reinfte Gold reiht an fte nicht.*)
*) Alle diefer Reichthum zeigt abermal vom Idumäiſchen Urfprunge
276 des Buchs Hiob. Die Ipumäer hatten frühe den Handel über Ezion Geber
und Elath auf dem Arabiſchen Meerbufen, den bie Sfraeliten erft unter
Salomo belamen. Daher alfo die Belanntſchaft mit Ophir, Aetbiopien
und den bier genannten Kofbarleiten. Man bat aus ben Stellen von ber
Bergwerkskunde, die in dieſem Buch vorlommen, Zweifel gegen fein Alter
machen wollen; völlig ohne Gewicht. Sobald man Gold und belfteine
aus den Bergen grub, mußte man auch Bergbau haben, und biefer ift nach
vielen Beweifen fehr alt. — Nur die Stelle im Buch Hiob: „von Norden
ber fommt Gold!” Yegt man ganz falih aus, wenn man fie auf den Golb-
bandel deutet. Der Handel, den Hiob kannte, war ſüdlich iber das Ara-
1) Mie.: Blick. Er hemmet Ylüße, daß fie nicht mehr weinen;
26*
— 4040 —
Woher denn aus ſoll man bie Weisheit finden?
Und wo if des Verſtandes Ort?
Berborgen bat fie fi) dem Auge ber Lebenbgen;
dem Bogel unterm Himmel tief verfledt.
Vernichtung und der Tod, fie fprachen:
wir hörten fernber ihr Gerlicht.‘
Gott kennt den Weg zu ibr,
nur Er weiß ihren Ort.
Er blidet bis zum End’ der Erb’ hinaus, ”
ſchaut unter allen Himmeln weit umber.
Und als dem Wind’ er zumog fein Gewicht,
und er den Waßern gab ihr Maas,
und orduete dem Regen fein Geſetz,
und 309 ben Ungewittern ihre Bahn:
Da fab er fie und rechnete fie aus,“)
beftimmte fie, durchforſchete fie tief,
und ſprach zum Menfchen: „dir ift Furcht des Herren Weisheit!
„Das Böfe meiden, das fei dir Verftand.”
bifche Meer; und der Parallelismus jener Stelle rebet vom Golbglanze, in
dem Gott von Norden ber erfcheinet, wie es die vorigen Geſpräche beutlich
entwidelt haben. "
*) Die Weisheit ift Bier noch nicht, wie in den Sprüden Salomo's,
eigentlich perfonificirt; die Poefle in Hiob ift ungleich älter, als die im den
Salomonifchen Schriften. Diefe ift glänzend, jene erbaben; dieſe finnreich
und woblgerlindet, bat aber im minbeflen nicht den Schwung und bie Fel-
fenftärle, die den Genius des alten Ibumäifchen Buchs bezeichnen. Daber
ich mich wunbere, wie man ben Verfaßer des Hobenliebes zum Dichter bes
Buchs Hiob babe machen fünnen — zwei Ertreme der Poeſie und Dentart.
1) Mic.: wir hörten ferneber nur ihr Gerücht.
rg
Tue na
278
279
IX.
Inhalt des Geſprächs.
Borwürfe, die den Ifraeliten gemacht werden, und auch auf den Geift
ihrer Poeſie wirlen follen: ein enger, anmaaflender, ausſchlieſſender
Gefichtöfreis, müffige oder Lafterhafte Stammväter, Fluch und Men-
ſchenfeindſchaft gegen alle Böller der Erbe, fo wie gegen die Stänme,
die ihnen am näcdften verwandt waren. Standpunkt zu @rörterung
biefer Vorwürfe. Bon Chams Verbrechen und Strafe. Was dieſe
war? wiefern fie auf Kanaan fallen mußte? Bon ber Trunkenheit
Noah's, den Zügen Abrahams und dem Recht, das ihm die Kananiter
ſelbſt zugeftanden. Bon feinem Betragen in Aegypten, feinem groß-
mütbigen, edeln Charakter. Bon feiner Freundicaft mit Gott. Schil-
derung berfelben als des ftilleften Ideals der Menſchheit, des ebelften
Zweds der Erwählung eines Volle, d. i. einer Nationalbildung. Erſter
Charakter der Ehräiichen Boefie, als einer Freundſchaftspoeſie mit dem
höchſten Weſen. Stellen aus Jeſaias vom Vorbilde Abrahams. Bon
den Fehlern der Patriarchen, inſonderheit Jakobs. Ob er den Ehren⸗
namen Iſrael im Traum erhalten? Erläuterung ber Geſchichte feines
Kampfes mit Elohim. Bon Kämpfen ber Sterbliden mit Götteru unter
andern Nationen. Wefentlicher Unterfhieb und ſymboliſcher Sinn die-
jer Geſchichte. Jakobs Traum von der Himmelsleiter, feine Begriffe
von den Engeln. Ob die Segensiprüde auf die Söhne partbeilich
geweſen? Segen Iſmaels. Gemählde vom Irren der Hagar in ber
Wüfe. Segen Efaus, Jacobs. Blick auf Kanaanı. Zweiter Charakter
der Poefie deſſelben, Poeſie eine Landes Gottes und ber Bäter.
Beilage: einige Poefien Hiobs zu Bezeichnung feines Charakters, ale
eines Ideals der Glückſeligkeit, Moral, Tugenb eines morgenländifchen
Fürften.
Alciphbron. Der Glaube an die Vorjehung, den Sie mir
aus den Schriften und aus der Geſchichte des Ebräiſchen Volks
neulich entwidelten und als eine Blüthe fürs Menſchengeſchlecht
— A006 —
anprieſen, hat an mir keinen Gegner; ich wünſchte vielmehr, daß
ihn die Schriften dieſes Volks wirklich auf eine reine und fürs
menſchliche Geſchlecht theilnehmende Art entwickelt hätten; ſollte aber
das letzte geſchehen ſeyn? War bei ihnen dieſer Glaube nicht ein
ſo enger, ausſchließender Nationalglaube, daß man ihn eher men—
ſchenfeindlich als menſchenfreundlich nennen möchte? Es war das
einziggeliebte Volk Gottes, ſchon in ſeinen Vorfahren erwählt: kein
Segen kommt auf irgend eine neue Sproße deſſelben, wo nicht
zugleich Fluch auf die benachbarten Stämme, ſollten es auch Brü-
der und nahe Verwandten ſeyn, fiele. Noah kann den Sem nicht
ſegnen, er muß zugleich den Cham verfluchen: Iſaak kann nicht
geſegnet werden, ohne daß Iſmael aus dem Hauſe verſtoßen;
Jakob nicht geſegnet werden, ohne daß Eſau beleidigend zurückge⸗
ſetzt würde. So geht es fort. Moſes und Joſua ſchlachten die
alten rechtmäßigen Bewohner, um dem geliebten Volk Gottes ein
Land zuzuwenden, das ihnen nach menſchlichen Geſetzen nicht gehörte.
Sie wißen, wie viel Spott, wie manche Läſterungen über dieſe
Geſchichte geſagt ſeyn, an denen ich feinen Theil nehmen will, weil zu
fie oft unſchuldigen Perfonen ohne Känntniß der Sade und ber
Zeiten wehe thun; die Hauptibee indeßen wird jchwer zu wiber-
legen feyn, daß dies Volt ſchon von feinem Urfprunge an einen
engen, ausjchließenden, anmaaſſenden Gefichtäfreis gehabt babe,
der fih auch allen feinen Poeſien eindrüdte, der die beften Zweige
diejes Baums mit Flüchen, mit Haß andrer Völker verdarb; und
doch ſehe ich in der Geſchichte ihrer Stanmväter feinen Anſchein
vorzüglicher Verdienſte. Was für Heldenthaten haben fie aufzu-
weifen, die nicht von andern Nationen weit übertroffen würden ?
Was für große Namen, auf die fi der Ruhm ihres Stammes
nur einigermaaflen fügte? Den trunfnen Noah, Abraham, ‚der
fein Weib in Aegypten verläugnet, einen furchtſamen Iſaak, einen
Jakob, der Vater, Bruder, Better und die ganze Welt bintergebt,
einen Blutihänderiihen Judah, einen rachgierigen Simeon und
Levi, endlih gar den harten Völkervertilgenden Moſes? Und
‚ jolde Leute jollten ein Volt Gottes gründen, das einzige Volf
— 40T —
Gottes auf der Erde? In ihm ſollen alle Geſchlechte der Welt
geſegnet werden; und ſie fluchen allen Geſchlechten der Erde, die
ſie nur dem Namen nach kennen, und freuen ſich ſchwach und
menſchenfeindlich in ſo vielen Geſängen ihrer Propheten, daß ihr
künftiger König ſie alle einmal würgen werde. Sie haben kein
21 erfreulicher Bild, als wenn er vom Gebürge Seir, wie ein Kelter⸗
treter kommt, und ſich mit dem Blut eines ihnen ſo nahe ver⸗
wandten Volks über und über befleckt hat. Die ganze Erde muß
verwüftet feyn, damit ihr armes Land, ihr von allen Völkern
veradhteter Stamm allein herrſche. Antworten Sie mir bierauf,
m. Fr.; aber ich bitte Sie, nicht myftiih und theologiſch — an
dergleihen Nettungen babe ich mich überfatt geleſen. Warum
blieb Abraham nicht, wo er war? Was hatte der unjchuldige
Kanaan dafür zu büßen, daß fein Vater einen Leichtfinn ober
ein Bubenſtück begangen? Der arme Eſau, daß feine Mutter
fertiger ihr Bödlein kochen, ala er fein Wild auftreiben konnte?
Und doch hangt an diefen weibiichen Erzählungen der ganze Vorzug
diefes Volks, fein Ahnenruhm, der hohe Triumph ihrer Weißagun⸗
gen und Pſalmen. Die fchönfte Poefie der Welt wird arm und
verächtlich, wenn fie fich ausfchliegend und menjchenfeindlih auf
folhe Sagen gründet —
Eutyphron. Sie haben mich überjchwenmet, m. Fr., mit
Vorwürfen, die Gottlob! nicht meinen Stamm treffen. Ich bin
fein Ebräer und nehme mich dieſes Volks, ala Volks, gar nicht
an: feiner Würdigkeit wegen ifts nicht erwählt und niemand bat
ihn feine Blößen und ‚Schändlichleiten mehr aufgededt, als feine
282 eigne Propheten. ch gebe Ihnen gern zu, daß es den Zweck
feiner Vorzüge und freien Erwählung ſehr verlannt und das
Palladium, auf das es fih jo viel zu gut that, feinen Glauben
an Einen, den wahren Gott, Jehovah, mit Aberglauben und
Abgötterei, mit dummem Stolz, kriechender Anmanfiung und
andern Laftern ſehr entweiht babe. Wir find aber auch bier,
dünkt mich, nicht zufammen, das Boll als Volt, noch weniger
jeine Nationalvorurtheile und Lafter, jondern den Zwei Gottes -
— 418 —
bei feiner Gejchichte, die Blüthe der Poeſie zu retten, Die in ber
Folge doch wirklich (dies ift Yaltum und fein theologifcher Myſti⸗
cismus) jo viel andern Völkern Früchte gebradt hat. Laßen wir
uns, da wir von einem Hirtenvolf reden, unter diefem Baum
nieber! Wir mollen denten, daß es Abrahams Terebinthe zu
Mamre jei, und aud, mie die Hirtenväter thaten, fanft ſprechen;
nicht mit Voltärſchem Wis, nicht mit Bolingbrods und Morgens
hämiſcher Bosheit. Die ftile Natur um ung ladet una zum
Frieden ein; wir wollen auch mit diefen alten einfältigen Ge
ſtalten Friebe haben. —
Zuerſt alſo Noah. Sie nannten das Betragen Chams gegen
ihn Leichtſinn oder ein Bubenſtück; ſei es jenes oder dieſes, ſo
müßen Sies ja dem Vater verzeihen oder erlauben, daß ers ſtrafte
A. Strafte?
E. Nicht anders, und ich weiß nicht, warum, wenn mann
ſich an mißverſtandnen Worten ſtößt, man nicht lieber verſtänd⸗
liche an ihre Stelle ſetzet. Der Vater war König des Hauſes,
Herr ſogar über das Leben ſeiner Söhne: Noah war der zweite
Adam, Stammovater einer neuen Welt. Er mußte feiner Familie
als ein Gott erjcheinen: denn nur durd ihn und um jeinetwillen
waren fie vom allgemeinen Gericht errettet worden. Nun fonnte
gegen ihn fein größeres Bubenftüd begangen werden, als ver
erwachſne Cham, der ſelbſt Söhne hatte, beging. Sie wißen, wie
ftrenge die Geſetze kindlicher Ehrfurcht und häuslicher Schaam im
Morgenlande bewahrt werden, und in jo frühen Zeiten mit doppel-
tem Recht heilig bewahrt wurden. Die Glieder, die Cham ver-
fpottete, wurden vor heilig gehalten: er ärgerte feine Brüder und
beging, wenn Sie mir den Ausbrud erlauben, ein Verbrechen der
beleidigten väterlihen Majeſtät. Häuslich war fein Verbrechen,
bäuslih die Strafe; den Stamm⸗-Vater hatte er verjpottet, am
Sohne und feinem Gefchlecht gejchieht die Strafe: kurz, er wird
des Kindesrechts beraubt und unter feine Brüder zum Knecht des
Haufes erniediigt.
A. Heiffen das die Worte?
284
— 40 —
E. Sehen Sie nach:
Verflucht ſei Kanaan,
ein Knecht der Knechte ſei er ſeinen Brüdern.
Gelobet ſei Jehovah, der Gott Sems,
und Kanaan ſei fein Knecht.
Elohim breite Japhet aus:
er wohne in den Hütten Sems
und Kanaan fei fein Knecht.
Möge Kanaan am Verbrechen feines Vaters Theil genommen
haben, ober nicht; an der Strafe nahm er natürlicher Weife Theil,
denn wenn dem Bater das Kindesrecht geraubt war, entgalten es
die Kinder. So geht? noch jett bei allen Unglüdsfällen der Fami⸗
lie, und mich dünkt, Noah ftrafte, nach damaliger Sitte und
Denkart, wo nicht gelinde, jo doch nicht unrecht: Schande mit
Schande, Verachtung mit Veradtung, Hohn mit Hohn.
U Warum wurde aber Kanaan, der jüngite Sohn Chams,
allein genannt? und Cham hatte ältere Söhne. Ein Kleiner Blid
auf das Ländchen Kancan fcheint da doch obzuwalten —
E. Wäre dies, jo wars Anwendung der Sage auf einen ben
Iſraeliten nähern Fall. Sie mwißen, auf ſolchen Traditionen und
Berhältnigen der Stämme zu einander beruhete dad Wölferrecht
alter Völker. In Orient, Indien, ja ich möchte jagen, bei allen
285 Heinen Nationen, die fih in ihrem Stamm erhalten, berricht es
no. Indeßen glaube ich wirklich, daß Kanaan, der jüngfte Sohn,
am Berbredhen Theil gehabt habe, und vielleicht deutet der ſonder⸗
bare Ausdrud „Noah erfuhr, mas ihm fein Lleiner Sohn gethan
hatte” eben Hierauf. Die Erzählung ift zu kurz, um hierüber zu
entſcheiden; und Menjchenfeindihaft, das Würgen der Stananiter,
wo man fie fände, privilegirt ja dieſe Weißagung nit. Jakob
verflucht zween feiner Söhne, Simeon und Leni noch auf dem
Sterbebette, daß fie den größeſten Schimpf feines Haufes mit dem
Blut einer Kananitiſchen Familie gerächt hatten.
A. Und Joſua würgte doch? —
E. Wir werden davon fpäter reden: laßen Sie uns jegt bei
der Geichichte der Stammmwäter bleiben. Sie nannten Noah den
⸗
— 410 —
Trunknen; Sie nehmen ohne Zweifel das Wort zurück, wenn fe
die Gefchichte im Zuſammenhange leſen. Es war der erftie Beriud
des Baus einer unbelannten Pflanze, der dem Dionyſus felbit io
hätte gerathen können.
A. Vergehen Sie das Wort — Barım blieb Abraham nidit,
wo er war: Das legte den Grund aller folgenden Uebel.
E. Beil er ein Nomabe war und alle Romaden ziehen: fe
ziehn bis auf biefen Tag und drei taufend Jahr, dünkt mich, joll- -
ten in Anjehung ber Bevölkerung dieſer Länder doch einer beträcht
lichen Unterſchied gemacht haben. Nicht Er, jondern fein Bater
30g bereits mit feiner Familie: deßen Väter zogen: Pelegs Bruder
batte ji mit feinen Stämmen bis nad Arabien hinunter gewandt,
Abrahams Brüder und Brubdersföhne die beiten Länder der Nad-
berichaft, Mefopotamien, Syrien, Chaldäa bepflanzet; im Leiblichen
befam Abraham ja bei weitem nicht Die befte Gegend und Gott
verfpricht,, ihn deßhalb mit einem andern Segen jchablos zu Halten.
Ja endlich. In Kanaan beeinträdtigt den Abraham niemand, fo
wie er auch niemanden beeinträchtigt. Wie ein Fürſt Gottes ziehet
er umber, ift großmütbig gegen Lot, gegen die Könige, Die et
errettet, gerecht gegen die Kananiter, von denen er fein Grabmaal
kaufte. Diefe gejtehn es ihm freywillig zu; er wills umfonft nicht
annehmen; und wißen Sie, was fie ibm damit zugeftanden?
Dffenbar den Mitbefig ihres Landes für fih und feine fpäteften
Geſchlechter. Wo die Väter jchliefen, müflen ! au die Nachkom⸗
men jchlafen: Das war der erfte Grundjak des Völkerrechts aller
alten Nationen. „Bei den Gräbern der Väter wollen wir euch
finden“ war der gewöhnliche Ausdruck, fein Recht gegen andringende
Feinde zu vertheidigen. Wahrlich, wer dem edeln Abraham
Menſchenfeindſchaft, Unterbrüdung, Eigennug, Kleinheit des Her- 287
zens Schuld geben wollte, der müßte eine neue Geſchichte von
ihm finden.
A. Er verläugnete aber doch fein Weib in Aegypten ?
1) Mic.: muften
— 41 —
E. Das gereicht nicht ihm, fondern dem policirten Aegypten
zur Schande, in dem ein Fremdling, wenn aud aus einer halb
ungegründeten Furcht, thun mußte, was er that: denn ganz unge-
gründet war die Furcht nicht, wie der Erfolg zeiget. Uebrigens,
m. Fr., müßen wir einen SHirtenvater nicht als einen galanten
Schäfer oder ala einen Ritter von Profeßion betrachten, der zehn-
taufendmal für feine Geliebte zu fterben weiß. Abraham verging
fid und mir gefällts, daß von dem großen Manne auch dieſe
Schwachheit, eine zu große Behutſamkeit aufgezeichnet ſtehet; indeßen
jagt die Erzählung durchaus nicht, was die der alten Sitten Mor-
genlanded jo gar untundigen Läfterer fagen. Wir wollen dem
Hirten, der fih am Hofe nicht zu führen weiß, feinen Fehler über:
fehen und dafür bemerfen, mit welcher Aufrichtigleit, Würde, Güte
und Einfalt er in feinem Zelt, in feiner Hütte handelt. Kann etwas
edler ſeyn, als wie er für Sodom bittet, wie er fich gegen ben
König zu Salem über den Raub, wie er fich gegen Loth erlläret!
288 Kann etwas Idyllenmäßiger feyn, ala wie er die Engel aufnimmt
und fie unter dem Baum bemwirthet! Dan glaubt die Dichtung
von Philemon und Baucis zu lefen, und möchte vor feinem gaft-
freundlichen, einfältigen Zelt jelbft Engel erwarten. Endlich fein
Umgang mit Gott, wie er ihm das Liebfte, das er bat, daran
alle feine Hoffnung Bing, darauf er als auf den Gewinn feines
Lebens fo lange, jo jehnlich gewartet hatte, wie er, da fein Freund
ed fobert, ihm feinen Sohn Iſaak ftil, und willig aufopfert —
Vergönnen Sie mir, m. Fr., zu jagen, daß ich über biefen ſchwei⸗
genden Heldenglauben, über die zärtliche Vertraulichkeit zwiſchen
einem Hirten und — Gott beinah nichts zu fegen weiß. Die
Poeſie feines Volks der Erde hat etwas bergleihen. Mit Göttern,
Genien, abgefchiebnen Helden gefellten fie etwa die Menjchen; nicht
aber mit Gott, dem Einigen Gott Himmels und der Erde, auf
eine jo ftille, vertrauliche Weife. Der Frembling hat keinen andern
Freund, ala den Gott, der ihn in diefe Ferne ſandte; ihn aber
befigt er auch als den Freund ber Freunde. Wie zarte Stellen
giebts im Gefpräh und Umgange Gottes mit ihm, da er ihn
tröftet, aufrichtet, ihm guten Muth madt für die Zukunft, im
jegt ein Bundes» und Freundichaftzeichen, jest einen neuen Ram,
jegt Bilder der Erinnerung giebt und bald diefe, bald jene Gen
liebe von ihm fodert.
— ‚Furchte dich nicht, Abram,
ih bin bein Schild und grofier, großer Lohn.
Und führte ihn hinaus und ſprach:
„Blid auf gen Himmel! zähle die Sterne,
kannſt du fie zählen?
fo fol dein Saame feyn!"
Er glaubte dem Jehovah
und ber nahm biefen Glauben an
für Würdigleit. —
So lange ein menschliches Herz Einfalt fühlt, wird man die Schön⸗
beit folder Stellen fühlen. So auch, da Gott mit Abraham einen
Bund madt und fi berabläßt, in Geftalt des Rauchs mitten
duch die Opferftüde durch zu gehen, und den Bund, wie cin
Sterblider, zu beihwören. Es war ein Bund ber Freundſchaft
für Abraham und fein Gefchlecht, der ihn zum Borbilbe ber ſchwer⸗
ften Tugend, der fein Bolf zum ausgezeichneten Volk ſchwerer
Zugend machen, der es zu nichts anderm auszeichnen follte,
als zum Gejchleht, in dem alle Geſchlechter der Welt gefegnet
würden. Halten Sie diefen Zweck Gottes, Died Ideal einer
Volksbildung nicht für groß? und wo finden Sites, nur als vor:
gelegten Zweck, ala Ideal betrachtet, bei einer andern Nation ber
Erde? Ihre gerühmteften Zwede waren enge politiihe Bildung
für fih oder Macht und Unterjohung andrer Nationen.
U Wo zeigt fich denn aber der Erfolg auch bei diefem Wolfe? 2
E. Bei feinem Stammovater gewiß: er fteht gleihjam als
Symbol des ganzen Bundes da. In die Fremde muß er, fein
väterlih Haus verlaßen und mit der Pilgrimſchaft in einem ſchlech⸗
tern Lande vorlieb nehmen. Lange wartet er auf die Verheißung
und fiehet fie nic; da er in Iſaak endlih die Erftlinge Davon
empfängt, muß er diefe aufopfern. Sehen Sie das alles ala Sym-
bol an, wie es mit feinem Gott = verbündeten Volk ſeyn follte.
— 413 —
Freundſchaft Gottes follte der Zweck ihrer Erwählung feyn, aber
eine aufopfernde, jchwere Freundſchaft. Die Tugend, zu der Abra-
ham erzogen ward, ift eine nicht in die Augen fallende, eine ver-
kannte und verjchwiegene, aber deſto edlere und jchönere Tugend.
Sie heißt — Vertrauen zu ihm auch über die mwidrigfte und fer-
nefte Zufunft, Glaube. Ein Held im Glauben, d. i. in einfältiger
Größe der Seele, in Vertraulichkeit des Herzens mit dem reinften
Weſen — das war Abraham! das Sollte fein Volk ſeyn; und ein
Held der Art ift eine höhere Stuffe des menfchlichen Geiftes, als
ein Held mit der Fauſt oder mit dem Wurffpieß oder mit poli-
tifcher Lift und Ränken.
AU. Alſo wird auch wohl die Poeſie diejes Volks eine Bun-
despoefie heißen follen ?
E. Sie treffen den rechten Namen; nur wollen wir ihn nicht
tbeofophifh und myſtiſch deuten. Cine Freundſchaftspoeſie der
Menſchen mit Gott follte fie ſeyn: eine Kindespoeſie ſchwacher
Menſchen vom väterlichen höchſten Weſen, die fih an feinen Bund
erinnern, auf fein gegebnes Wort beziehen und ihr Herz durch
Thaten Gottes ftärten. Daher auch die Wirkung diefer Poefie
auf alle zarte Kindesherzen oder veine Heldenſeelen, infonberheit
zur Seit der Noth und bei dem Gebet in Stunden der Kränfung.
Sie knüpft ein Band zwiſchen Menſchen und — (nidht Göttern,
nit Genien, nicht abgeſchiednen Helden, ſondern) Gott, dem
Bater des Menſchenfchickſals. Wie angenehm ift in diefem Betracht
bie fimple Erzählung von den Stammvätern! Ihr äußere Glüd
ift nicht glänzend; menig und böfe, jagt ber letzte, ift die Zeit
ihreß Lebens: fie find auf einer Wanderſchaft ohne Ruhe und
Unglüdefälle der Familie fehlen aud nit. Uber immer ift ihmen
Gott nahe: fein Engel begleitet fie, Elohim find um fie ber, daB
Land wird gleihjam durch ihren Fußtritt geheiligt. Und in ihrer
Hütte wird Neinigkeit alter Sitten, Glaube an Gott, kindliche
Einfalt und Ergebung wie ein Schatz ber Urwelt bewahre. —
Hierinn waren fie auch für die Poefie künftiger Zeiten fchöne redende
Denkbilder:
— 44 —
Hört an mich, die ihr der Nechtfchaffenheit nachftrebet,-) *
die ihr Jehovah treu verbleibt.
Schaut an den Fels, aus dem ihr ſeyd gehaun,“) |
haut au bie luft, aus der ihr feyb gegraben. .
Schaut euren Vater Abraham an,
und Sarah, welche euch gebar.
Ich rief den Einzigen‘“)
und fegnet’ ihn und mehret' ihn.
So wird Jehovah jet auch Zion tröften,
wirb tröften, was in ihm verwüſtet Liegt,
wirb feine Eindden zu Eden machen,
Jehovahs Garte wird die Wüfte feyn,
und Freud' und Jubel werben in ihr wohnen,
und Dant und Tobgefang.
Bemerken Sie hier den Ehrennamen Abrahams: der Einzige! ein:
Fels, der fi) auf Gott verläßt und aus dem Gott fi fein Bolt
hauet — was für zarte Anmendungen des Zutrauens Tonnten
immer davon gemacht werben!
a) Je. 51, 1— 3.
b) Ohne Zweifel bezieht ſich bierauf auch die Anrede Matth 3,4
Ifrael trogte darauf, daß fie Kinder Abraham feyn und der Bropbet ter
Wüfte jagt: Sott könne fih aus einem neuen Feljen Kinder bauen. Werig-
ſtens war durch Jeſaias Ausbrud das Bild befannt.
c) Hieraus erflärt fih die dunkle Stelle: Malach. 2, 14. 15., Die gegen
die Verſtoßung der Weiber eifert:
Der Herr if Zeuge zwiſchen bir
und beiner Yugenb Weibe,
die bis verachteſt und verfößeft,
unb fie ift beine Genoßin boch,
ift deines Bundes Weib.
So that der Ein’ge nit;
und winfdgte ſehnlich Kinder.
Was that der Ein’ge denn?
. Er hoffte fie von Gott.
Auf das Wort der Ginige, das ſchon durch Jeſaias als ein Ehrenname 2
Abrabams belannt war, wirb bier ein befondrer Nachbrud geſetzt. Er war
der Einzige, von dem das Geſchlecht abſtammen konnte und follte: er war
alt, Sarah alt; und doch verftieß er fie nicht, doch wütete er nicht gegen fie:
So wacht auch Ihr auf eure heiffen Wunſche;
und thut nicht Unrecht eurer Tugend Weibe
1) Mic.: und wünſchte fi doch ſehnlich Kinder.
294
— 45 —
Scan ber vom Himmel, ſchan aus deiner heilgen Wohnung,
dem Site deiner Pracht und Majeftät.
Wo ift dein Eifer? wo ift deine Kraft?
Dein wallend, dein mitleidig Baterberz
ift gegen uns mun Bart!
Und bu biſt unfer Vater doch:
denn Abraham weiß von uns nicht,
Ifrael kennt und nicht.
Du, Herr, bift unfer Vater, unfer Netter,
das ift dein Name von Alter® ber.
Und warum läßeſt du von deinen Wegen
uns denn fo irregehn ?
Barum verhärtet fih Jehovah unfer Herz
von beiner Furcht ?
D wende dic zurüd zu deinen Knechten!
Wir find dein Erbtbeil ja.
Gott Hat alfo Abrahams Baterrecht auf ſich genommen, der Freund
bat ihm feine Kinder übergeben und mit ihm fein Herz gewechſelt. —
AU. Alles ſchön und gut, m. Fr.; was jagen Sie aber zu
den Fehlern der Patriarchen ?
E. Sie find menſchliche Yehler, und eben daß fie erzählt
werden, daB in ihrer Gefchichte nichts verichwiegen und bemäntelt
wird, — eben das macht mir ihre Hirtengeihichte, wie eine Idyl⸗
lenerzählung unſchätzbar. Der furchtfame Iſaak, ver liftige Jakob
ftehen in Thaten da; läugnen Sie aber auch nicht, daß diejem feine
gift allemal übel vergolten wurde und er in feinem Alter, wie ber
Ulyßes unter dieſen Hirtenvätern einen jehr geprüften Charalter
zeiget. Seine Gefchichte ift ein lehrreicher Spiegel des menjchlichen
Herzens ‚,*) und Gott hat dem männlichen Jakob felbft den Flecken
abgewiſcht, den der jugendliche Jakob mit feinem Namen umber
trug. „Du folt nicht mehr Jakob, (Berüder) heißen: Held Got:
tes, Iſrael, fol dein Name feyn,“ ein Chrenname, den auch bie
*) Sterne hat eine lehrreiche, nur etwas zu witige Predigt über
das Schidfal Jakobs, die das Hecht der Wiebernergeltung, jo ihm wieber-
fahren, in® Licht fekt.
— 46 —
Poeſie dieſes Volks billig träge. Nicht Lörperlide Stärke win m
ihr befungen ; fondern Heldentbum Gottes, Gebet, Glaube. —
A. Sie Hat fih doch nit auch dieſen Ehrennamen, m
Jacob den Seinigen, erworben, dur einen Kampf im Traume? —
€. Im Traume? Da höre ih etwas — zwar nicht Neus.
aber das, fo oft es gejagt und wiederholt würde, dem Zuſammen
bange der Erzählung entgegen feyn wird. Jakob hat Läger und
Gezelte abgetheilt aus Furcht für dem nädtliden Ueberfall jem:
Bruderd. Nun entfernt er fih vom Zelte, wahrlih nicht um u
ſchlafen, ſondern eben um nicht zu fchlafen.
A. Und was that er denn?
E. Was vorbergeht, läßt es deutlich fchliefien:*) er betek,
er rang mit Gott im Gebet; und da follte ihm ein fihtbares Eym
bol werden, daß fein Heldenglaube Gott überwunden. Elohir
erfhien, nicht Jchovah; und Sie wißen, daß das Wort in Jalob⸗
Geſchichte ſowohl ala in den frühern Sagen immer mit Grund
unterfchieden wird. Heere Gottes ftellten fih dem Jakob als zwi
Flügel eines gelagerten Kriegäheers dar: der Begrif von den Engeln
war alſo in Jakobs Seele. Und fiehe da erfcheint ein jolder
Held, die Göttergeftalt eines bimmlifchen Kriegsmanns und rinat =
mit Jakob. Sie erſcheint, fie verichwindet mit den Schatten der
Dämmrung; kurz lefen Sie das ſchöne Nachtgeficht ſelbſt, Das aud
dem Ton und der Farbe feiner Erzählung nah in den Ahırndung?
vollen Schatten der Nacht ſchwebet.**)
YA. Und Jalob blieb allein die Nacht:
da rang ein Dann mit ihm, bis daß der Morgen anbrach,
und ilbermocht’ ihn nicht.
Und ſehend, daß er ihn nicht übermochte,
rührt’ er ihm das Gelenk der Hüfte an.
Es regt fi das Gelenk der Hüfte Jakobs,
dieweil er mit ihm rang.
Es fprad der Mann: laß mich! die Morgenröthe
bricht an.
Er fprad: ich laß dich nicht! Erſt fegne mid!
1 Mof. 82, 10— 12. “*) 1 Mof. 32,24.
=]
— 14T —
Da fprah der Mann: „wie beißeft du?“
„Ich heiße Jalobl“ „Iatob follt du nicht mehr heißen!
Held Gottes ſoll dein Name feyn!
Mit Göttern und mit Menfchen zeigteft du bich Held
und Üüberwanbft.“
Und Jakob fragt’ und ſprach: „fo fage mir
auch deinen Namen an.”
Er ſprach: „warum fragft bu nach meinem Namen ?*
Und fegnet’ ibn daſelbſt.
Und Jakob hieß die Stäte Pniel: „denn, fprach er,
ih jahb Elohim hier von An- zu Angeficht
und rettete mein Leben!” Da ging eben
die Sonn’ auf, als er weg von Bniel ging,
und Jakob hinkete —
E. Steht hier ein Wort vom Traum? ft nicht alles fo
ſchlicht Hiftorifh erzählt, ale wie Jakob die Schaafe theilet? Ja
denten Sie, was es für ein Ehrenname wäre, der dem Stamm-
vater, der dem ganzen Gejchlecht gegeben ward: der Träumer hätte
fih im Schlaf die Hüfte verrentt, und deßwegen beißt er Held
Gottes, deßwegen beißt fein ganzes Gejchlecht jo, deßwegen fteigt
Sehovah ein andermal jelbjt herniever, um ihm den wirklichen
Schimpf- und Spottnamen eines Helden im Traum zu beftätigen?
Und das erzählte alles eine Yamilienfage? — Yühlen Sie nicht
das Ungereimte der Behauptung in jedem Zuge?
A. Ganz. Und der Name Elohim, wie Sie ihn mir in
einem andern Geſpräch gezeiget, entnimmt mir allen Zweifel. Ein
Kampf mit Göttern, Geiftern, Heldengeftalten war in den alten
Zeiten nichts Unerhörtes, ja nad den Begrif, den uns die Dichter
davon geben, die gemöhnliche höchſte Probe menjchlicher Heldenfräfte.
Bei Homer find Götter und Helden in fortgehendem Streit und aud)
Fingal kämpft einmal zu Nacht mit einem Rieſengeiſte; in Orient
müßen Begriffe der Art gemein geweſen ſeyn —
E. Nach Dichtern und Geſchichte waren ſie das Coſtume ihrer
298 älteſten Helden, die jo oft mit Geiſtern und Rieſen ſollen gelämpft
haben. Laßen Sie uns indeß dieſe einfältige Erzählung mit ſolchen
Fabeln fpäter Tradition und ungeheurer Aufſchraubuns nicht ver⸗
Herders ſammtl. Were. XI.
— 4183 —
mengen: wie ſtille und hirtenmäßig geht hier Alles zu! Der
Kämpfer wird nicht genannt, er nennt ſich ſelbſt nicht und läßt.
wer er geweſen? nur aus dem Namen muthmaaſſen. Jakob trium
phirt nicht, erzählt die Geichichte niemanden, wundert ſich als an
einfältiger Hirt, wie Er mit Elohim, Gefiht gegen Geſicht, hak
kämpfen und fein Leben davon bringen fünnen? — Das Schönſte kı
der Begebenheit ift aber ihr innerer Sinn: dem ängftliden Stamm
vater follte gezeigt werden, wie unnüß e3 jet, daß er ftch vor Eſau
fürchte, da er Jehovah mit feinem Gebet und Elohim mit ſeinem Arm
überwunden. So legt e8 der Prophet aus*) und der bildliche Sinn
erhellet aus dem Drt, der Zeit, dem Zufanmmenhange der Erzählune.
A. Alſo follte dieſe Gefchichte dem fürdtenden Mann des
fagen, was einmal das Geficht der Himmelgleiter dem furchtfamen
Jüngling fagte?
E. Eben das; nur auf eine den Mann anftändige Weile:
er mußte fih feinen Heldennamen erringen, nicht erträumen. In—.
beßen iſts eine treffende Parallele, die Sie anführen. Das Geſicht
zeigt bie kindlichen Borftellungen des Hirtenjünglings von Gott
und den Engeln: man Tann den Traum immer ald eine Idylle
leſen. Wollen Sie8? Der Abend bricht allgemach ein und die
Sonne gehet dort fo ſchön nieder —
A. Er kam an einen Ort und nachtet' da; **)
beim die Sonne war fon nieber.
Da nahın er einen Stein bes Orts
und legt’ ihn zum Hauptlißen fich
und fchlief ba ein.
Und träunıte: fiehe, eine Leiter fand
hoch aufgerichtet über der Erde,
zum Himmel reichte fie:
- Und Boten Gottes fliegen an ihr auf und nieber.
Und fieh, Jehovah fand auf ihr und ſprach:
„Ih bin Jehovah deines Vaters Gott u. f." —
Erwacht von feinem Traum, ſprach Jakob:
„Fürwahr! Jehovah ift an biefem Ort,
— — —— — — — —
*) Hoſ. 12, 4. 6. *) 1Moſ. 28, 11.
300
— 419 —
das mußt ich nicht!" Und furchte fih und ſprach:
„Wie fchauerlich ift diefer Ort,
Elohim mwohnet hier!
Hier ift des Himmels Pforte.”
Und nahm den Stein, alsbald ber Morgen anbrad,
und richtet’ ihn zum Denkmal auf,
goß Del darauf und nannt' den Ort: Haus Gottes!
gelobete und ſprach:
„St Gott forthin mit mir,
behiltet mich des Weges, bei ich gebe,
und giebt mir Brot und Kleid:
tehr’ ich denn friedlich beim zum Haufe meines Baters,
fo joll Jehovah Gott mir feyn! \
und diefer Stein, den ich zum Denkmal anfgerichtet,
Haus Gottes werden!" —
E. Sie fehen die einfachen Begriffe des Hirtenjünglings. Er
glaubt nicht, daß feines Vaters Gott auch außer ber väterlichen
Hütte fei: er erfchridt, daß er hier, ohne daß ers mufte, auf Bei-
ligem Lande, gleihfam im Vorhofe der Wohnung Gottes fchlafe.
Cr bat die offne Pforte derfelben im Traum gejehn, und gelobt
alfo auch diefem Ort, — was anders, als ein Haus Gottes?
weil Gott bier fo eigentlih wohne. Steigen Engel hier auf einer
Leiter auf und nieder: fo kann auch Einer derfelben, ein Elohim
an Stärke und Würde mit Jakob kämpfen. — Haben Sie noch
etwas gegen dieje Hirtengeihichten? —
A. Die groffe Partheilichkeit der Väter im Segen ihrer Söhne,
da doch, nad) der Meinung des Stammes, an dieſer legten weißa⸗
genden Stimme dad ganze Schiefal der Nachkommenſchaft lag.
E. Wie? lag dieſes am Willen der Väter? war Iſaak nicht
eben für Efeu partbeilih? und wollte Abraham fih nidt mit
Iſmael begnügen? Wie fchmerzte es Jakob, da er feine drei erften
Söhne übergehen mufte! und wurde denn Einer von denen, die
wir genannt haben, mit leiblihen Segen übergangen? Eſau zog
301 Salob als ein Fürft entgegen; Jakob war und blieb ein Fremd⸗
ling, ein Zeltbewohner. Iſmael lebte in feiner Wüfte, mie das
Thier, mit dem er vergliden wird, frei und frölid. Seine Nad)-
27”
— 4200 —
kommen rühmen ſich derſelben, als des ihnen von Gott gegebnen
Landes, in dem ſie ihren Beruf treiben und wollen nichts beßeres
auf der Welt. Die Weißagung:
Er wird ein Wild*) vom Menſchen ſeyn,
entgegen allen feine Sand!
Und aller Hand entgegen ihm.
Er wohnt! im Angeficht all feiner Brüder —
ift erfüllt an den Iſmaeliten und ganz in ihrem Sinn. — Laßen
Sie uns die rührende, wirklich Theilnehmende Geſchichte von der
auögeftoßnen Hagar, die in der Wüfte irret, Iefen: Sie werben fin-
ben, daß unfre Erzählung nicht menjchenfeindlich, nicht Hart erzähle:
Das Waßer in dem Schlauche war verfieget,
fie warf den Knaben unter einen Baum,
und ging hinweg und faß ihm gegenüber,
fern einen Bogenſchuß:
„denn, fagte fie,? ich mag nicht ſehn
den Knaben ſterben.“ Sie ſaß gegenüber,
erhob bie Stimm’ und weinete.
Da hörte Gott des Knaben Weinen:
Der Engel Gottes rief ihr zu vom Himmel:
„was ift dir, Hagar? fürchte dich nicht!
Gott hat erbört ded Knaben Stimme, ap
wo er da liegt — —
Steh auf und nimm ihn auf
und ſtärke deine Hand an ihm:
Ih will ihn einft zum großen Volle machen“ — —
Da dfnete Gott ihre Augen
und fie ſah eine Quelle,
ging Hin und füllete den Schlauch
und träntete den Knaben.
Und Gott war mit ibm: er erwuchs
und wohnte in der Wille,
und warb ein Bogenſchütze.
Eben jo theilnehmend wird die Gefchichte des weinenden Eſau
erzählt, da er den Segen nicht erhalten kann, meil ihn das Schid-
*) Waldeſel.
1) Mic.: Und doch wohnt er 2) Mſc. X: ich [verichrieben.)
— 21 —
ſal auf Jakob lenket. Wir wollen beide Segensſprüche zufam-
menjeten, um den Unterfchied zu bemerken:
Iſaaks Segen auf Efau.
Auch deine Wohnung wird im Saft der Erbe feyn,
vom Himmel droben auch betbaut.
Bon deinem Schwerte wirft bu leben,
und deinem Bruder dienftbar feyn.
Doc wird die Zeit auch deiner Herrfchaft kommen,
da du zerbrichft fein Joch.
Iſaaks Weißagung auf Jakob.
„Komm ber und küße mich, mein Sohn!“
Er tam und küßte ihn.
Da roh er den Geruch von feinen Kleidern
und fegnet’ ihn und fprad:
„Sieh meine Sohns Geruch it mie Geruch des Feldes,
das Gott gefegnet bat.
Gott gebe dir vom Thau des Himmels
und von der Erde Saft und Kornd und Moftes viel.
Es dienen dir die Bölter!
fie beugen ſich vor dir!
Sei Herr auch deiner Brüber!
Es bücken fich dir deiner Mutter Söhne!
Berflucht fei, wer dir fluchet!
Geſegnet, wer dich fegnet.”
Hören Sie nit in beiven Sprüden die Stimme des Schickſals
eben wider Willen des Vaters? Unter der Geftalt des Eſau muß
er eben den andern fegnen, muß Worte, die er gegen dieſen aus-
Ipriht, für ihn ausiprechen u. f.e Alle Ihre Zweifel gegen diefe
ausfchließenden Sprüche fallen weg, wenn Sie bebenten, daß es
nicht zeitlicher Segen war, wozu ber erwählte Sohn vom Schickſal
auögezeichnet wurde. Seine Nachkommenſchaft follte den Namen
des Jehovah bewahren und von Moſe an das och des Gejekes
tragen — ein Segen, deßen mande Nation gern überhoben war.
U. Auf Kanaan wars doc aber auch wohl angejehen! —
— IM —
E. Und was war an dem Ländchen? irgendwo in der Welt
mußte doch dies Volk wohnen. Die Poefie deßelben bat freilid >-
diefen Winfel der Erde fehr erhoben: beinah jeder Berg, jeder
Bach, jedes Thal ift in ihr gepriefen; merken Sie aber immer, als
Gottes Land, ala Land der Verheißung preifet fies, nicht anders.
Das gelobte Land bat nit von Lobe, fondern von Angelobung,
von Gelübde den Namen und Sie werben finden, daß die Poeſie
Kanaand aud alles in diefem Licht Gottes und ihrer Väter betradte.
Zion, Libanon, Karmel find Gottes Berge: die Ströme, mo
Thaten geihahen, Gottes Ströme: das Land ift das heilige Land,
Fußboden Gottes und der Väter, Pfand der Erwählung In der
Geſchichte andrer Völker find auch Spuren, daß fie hie und da
Stride ihres Landes dutch die Gegenwart ihrer Götter beiligten;
mir iſt aber feine Poeſie befannt, die jo ganz ihre Armuth zum
Reichthum Gottes gemaht und den Winkel ihres Erdſtrichs zum
Schauplat der Majeftät Jehovahs eingeweiht hätte. Noch jest täufcht
fih der große Haufe der zerjtreueten Stämme mit Hoffnungen dahin,
weil Stammesſage, Geſetz, Poefie, Alles fich darauf beziehet, und
gleihfanm ohne das Land der Baum in der Luft ſchwebet. —
4. Schlimm gnug alfo für uns, da wir nicht in dem Lande
find und die Flüche der Propheten auf andre Länder nicht mit dem
Enthuſiasmus lefen können, mit dem das Volk fie hörte. Alle
ihre goldnen Träume vom Glanz diefed engen Landes unter dem zu:
jo lang erwarteten und nod zu erwartenden Könige dünfen uns
Thorheit: ein großer Theil ihrer Poeſie wird uns alfo leere bien-
dende Tirade. —
E. Wir wollen davon bei Gelegenheit der Propheten ſprechen.
Surgamus, solent esse gravos sedentibus umbrae. Mid ſollte es
freuen, wenn ich Ihnen einige Ihrer Zweifel gegen die Stammes
gejchichte Diefeg Volle entnommen und die Charalterzüge feiner
Poeſie chen aus diejen Geſchlechtsſagen ins Licht geftellt hätte.
Eine Hirtenpoefie ift. fie: eine Poefie des Bundes d. i. eines Fami—
- lienvertrages und einer väterlihen Freundſchaft mit Gott, endlich
Poeſie Kanaans, als eines Landes der Verheißung. So lejen Sie
306
307
— 413 —
fie; wollen Sie aber ein ander Ideal eines Helden Morgenlandes
an Weisheit, Glüdfeligkeit, ftiler und großer Tugend fehen; fo jey
es Hiob. Ich zeichne Ihnen die Stellen aus, die feinen Charalter
am jchönften ins Licht fegen; o daß alle Chriftliche Emirs fo däch⸗
ten, jo glaubten, fo lebten!
— — — — —
1. Bild des Glückes, der Thätigkeit und Würde
eines morgenländiſchen Fürſten.“)
O wäre mirs, wie in den alten Zeiten,
in jenen Tagen, da noch Gott mein Schutzgott war!
Da fein Licht belle ſchien mir überm SHaupt,®)
und ich an feinem Stral durchs Dunkel ging.
Wie ich einft war in meinen Ingendtagen,
da Gott in meinem Zelte faß zu Rath:
da der Allmächtge bei mir war,
und ringsber um mich meine Sflaven flanden. .
Und wo ich ging, da floßen Ströme Milch,
der Feld ergoß fih mir in Bächen Oels.
Ging ih aus meinem Hanf in die Berfammlung,
ließ auf dem Marktplatz meinen Teppich breiten;
bie Züngling' fahn mich und veritedten fich,
die Alten fanden auf und blieben ftehn:
die Fürſten bielten ein in ihrer Rede,
fie Tegeten bie Hand auf ihren Mund:
die Stimme der Rathführer war verftummt,
die. Zunge hing an ihrem Gaum.
Und welches Ohr mich hörte, pries mich glüdlich,
und welches Aug’ mich fabe, ſprach mir bei:
denn ich errettete ben Armen, ber ba fchrie,
das Waifenfind, bas feinen Helfer fand.
Auf mid kam Segen deß, der untergehen wollte.
a) Hiob 29.
b) Im Zelt des Morgenländers bing eine Yanıpe: bie Glorie des
Schutsgotte® vertritt Bier die Stelle. Ja Gott Teuchtet ihm in der Dunkel⸗
beit vor, fit in feinem Belt mit ihm zu Rath, und was er vornimmt,
gebt glildlich.
IB
— 424 —
Der Wittwen Herz macht' ich Geſanges voll.
Zog an Gerechtigkeit, ſie zierte mich:
wie Kleid und Turban legt' ich an das Recht.
Ich war des Blinden Auge,
des Lahmen Fuß war ich;
Ich war den Armen Vater,
nahm mich der Rechtsſach' auch des Fremden an,
und brach dem Ungerechten aus die Zähne,
riß aus dem Rachen ihm den Raub.
Und ſprach: mit meinem Neſte will ich fterben,“)
des Phönir Alter wirb mein Alter ſeyn.
Und meine Wurzel wird das Waßer faugen,
ber Thau auf meinen Zweigen übernachten.
Es wird fi meine Kraft mit mir verjüngen,
mein Bogen fi in meiner Hand erneun. —
Sie bordeten mir zu und warteten,
fie ſchwiegen meinem Rath.
Rah meinem Wort fprach feiner mehr,
denn meine Rebe trof auf fie, wie Than. |
Die auf den Regen barreten-fie mein,
eröfneten den Mund, wie auf den Krühlings- Regen.
Lacht' ich zu ihnen; fie mißbrauchtens nicht: ZUR
mein fröhlich Angeficht mocht keiner je betrüben.
Ich wählete fir fie und faß als Haupt,
als König wohnt‘ ich unter meiner Schaar,
wie unter Traurigen der Tröfter wohnt.
.—— bu.
2. Bild der Großmuth und einer Felfenveften Hoffnung
im Unglüd.
(Nachdem in ftürmender Eile alle Trauerbotbfchaften von Hiobs
Unglüd, von feinem Berluft an Gütern und Kindern ihm überbract find,
fährt das Bud in ſanftem Ton fort:)
c) Offenbar wirb bier ber Phönix gemeint: nur durch einen ſchönen
Doppelfinn des Worts wird das Bild des Vogels nachher in das Bild bes
Balmbaums verwandelt: ein Zeichen, daß die Analogie. beider auch im !
Diorgenlande bemerkt und ausgebrüdt war.
— 45 —
Da ſtund Hiob auf,
zerriß ſein Kleid,
und ſchor fein Haupt,“)
und warf ſich hin zur Erde
und betet' an und ſprach:
Nackt bin ich kommen aus meiner Mutter Schoos,
nackt werd’ ich wieder zu ihr kehren.“)
Jehovah hats gegeben !
Jehovah hats genommen!
Die Majeſtät Jehovahs fey gepriefen!
309 (Da ihn feine Freunde hart drängen, und ihm geheimer Frevelthaten
wegen mit einem noch größern Gericht Gottes drohen: da Hausgenofien
und Verwandte ihn verlaßen, verltennen und verachten, fpricht er rüb-
rend alfo:”)
Ein Abfcheu bin ich meinen Herzvertrauten:
ich liebte fie; fie wenden ſich von mir.
An meiner Haut, an meinem Fleifch
bangt mein Gebein;
die Haut hab' ich in meinen Zähnen kaum
als Raub davon getragen.®)
Erbarmt, erbarmt euch mein, ihr Freunde,
denn Gottes Hand traf auf mich Bart:
Warum verfolgt ihr mich, wie Gott mich fchon verfolgt,
und werdet fatt von meinem Fleiſche nicht?
Ad! dag mein Wort jetzt aufgefchrieben würde,
daß es gezeichnet würde in ein Buch!
daß es in Eifenfchrift, in Blei,
daß zum Andenken es in Fels gegraben würde:
d) Nicht Zeichen ber Ungebuld, fondern der Trauer im Morgenlanbe.
e) Der Schoo8 der Mutter und die Erde werden in Orient anfpie-
lend oft verwechfelt.
f) Hiob 19, 19.
g) Das Bild if vom Raube bergenommen, den Thiere in Zähnen
forttragen; feine Haut ift der arme elende Körper, den er allein bavon
gebracht dat, (nicht aber die Haut an feinen Zähnen u. dergl) Seine
Freunde werben als Fleiſchfreßende Thiere geſchildert, die an feiner Haut,
am armen Reſt feines Lebens nagen.
— 46 —
Ich weiß, daß mein Bluträcher lebt!)
Zuletzt wird Er noch auf den Kampfplap treten. .
Laß diefe meine Haut zernagen fie; a
noch werd’ ich Leibeslebend ſchauen Gott!
Ihn werd’ ich fchauen und als Netter mir.
Diein Auge wird ihn fehn, deu Dieinigen,
nach dem fo lange meine Bruft gefchmachtet.”
Da werdet ihr denn ſprechen:
warum verfolgeten wir ihn?
Die Wurzel meiner Sache
wird denn erfunden werben.
Scheut euch vor feinem bellen Schwert: ,
es ift ein Schwert des Zorus, das Unrecht rächt!
das euch es zeigen wird, es fei Gericht!
all
—
3. Sittenlehre eines Idumäiſchen Fürſten.)
Mit meinen Augen hatt' ich einen Bund gemacht;
denn was ſäh' ich an einer Jungfrau?
und was für Theil behielt ich denn an Gott?
welch Erbe bei dem Gott im Himmel droben?
Denn folgt nicht Untergang dem Frevler nach?
und dem, der Unrecht ausübt, offne Schmach?
Drum dacht' ih: er fieht meine Wege ja!
und alle meine Schritte zählet Er!
h) Diefe Worte find im Zufammenbange fo deutlih, daß es ſchwer
wird, die Urfache anzugeben, warum man fie fo oft verftiimmelt und ver- 310
fannt bat. Seine Freunde haben fi von ihm gemandt; er hat noch Einen
Freund, Einen Berwandten, der fein — Bluträder feyn wirb (bie war
die Pflicht des beften Freundes, des nächften Berwanbten:) und bie® ift, wie
der Berfolg Ichret, Gott. Der wirb auf dem Staube ſtehn und für ibn
das Schwert züden, das Schwert bes Rächers und Richters. Für ihn wird
ex ſeyn und nicht für die Freunde: Hiobs Bruſt lennet ihn als den Seinigen,
(feinen Freund, feinen Verwandten,) da auf Erden ihn alles verlaße. Da
wird die Wurzel feiner Sade, fein Recht erfunden werden — ich fkeune
nichts, das über dies herrliche Felſenbekänntniß gebe, das auch, wiewohl
nit ganz in Hiobs Meinung, erflillt ward. Ich wünfchte, daß man ſich
über diefe Deutung vereinigte und nicht weiter fubtilifirte.
i) Siob 31.
— — wm.
312
— 427 —
Hab’ ich des Heuchlers Pfade je gewanbelt,
und eilete zum Truge je mein Fuß:
(Er wäge mich auf fixenger Rechtes Waage,
und Gott wird felbft denn meine Unfchuld ſehn!)
Wi je mein Tritt ab von der Bahn,
[hlid) meinen Augen je mein Herze nach,
und blieb an meiner Hand je etwas Kleben;
jo mög’ ich fäen und ein anbrer efe,
fo wurzle, was ich pflanz’, ein andrer aus!
Ward je mein Herz bei einem Weibe lüftern,
und lauert’ ih an meines Freundes Thür;
fo fei mein Weib auch eines Fremden Stlavin,
fo werde fie von andern mir entehrt:
denn das wär’ Lafter auch vor menſchlichem Gericht.
Es wär’ ein Feuer, das bis zur Verzehrung brennt,
das all mein Glüd mir fengte Wurzel- aus.
Hab’ meinem Sklaven ich fein Recht je abgeldugnet,
und meiner Magd, in Rechtsſach' auch mit mir;
was follt’ ich thun, wenn Gott nun gegen mid aufftünbe,
wenn er ed unterfuchte, wa® antwortet’ ich?
Hat nicht, der mich gemacht, auch ihn gemacht‘?
find wir nicht gleich in Mutterleib' gebilbet ?
Bermweigert’ ich dem Dürftgen feinen Wunſch,
und lied der Witwen Aug’ nah Speife ſchmachten,
und aß mein Mahl allein,
und ließ den Waifen nicht davon genieflen,
der mit mir von Kind auf erwachlen war,
daß ich fein Vater würde,
den ih von Mutterleib' an Teitete:
Sah den Unglücklichen ich ohne Kleid,
und unbebedet den Elenden gehn;
daß feine lieder fih nicht mein erfrenten,
daß meiner Schaafe Wolle ihn nicht wärmte:
Erhob ich gegen Waifen meine Hand,
weil vor Gericht ih mir ſchon Beiſtand fab;
fo falle von ber Achfel mir die Schulter,
fo drehe ſtracks der Knoche meines Arms!
Erzittern müßt’ ich jett vor Gottes Strafe,
denn gegen feine Hoheit könnt’ ich nichts!
— 428 —
Setzt' ich auf Reichthum mein Bertraun,
und ſprach zum Golde: du biſt meine Zuverſicht!
und freuete mich meiner vielen Güter, 31:
dag meine Sand fo viele vor fih fand;
Sah ih die Sonn’ an, wie fie glänzete,
ben Mond, wie er fo prächtig gebt,
und im Berborgnen nur verirrete mein Herz,
daß mein Mund ihnen nur den Handkuß zugeworfen;
auch das wär fchon gerichtlich Mißethat,
denn ich hätt! damit Gott im Himmel abgefagt-
Erfreuet’ ih mich je bei meines Feindes Unglück,
froblodte, wenns ihm übel ging;
nein! meiner Zung’ entfuhr kein böfes Wort,
nie ließ ich ihr Verwünſchung Seiner zu:
auch wenn die Männer meines Zeltes ſprachen:
„o bätten wir fein Fleiſch, es follt' ung fättigen!” —*)
Kein Fremdling dorfte draufien übernachten;
dem Wandrer tbat ich meine Thüren auf! —
Verheelt' ich, wie ein fchlechter Menſch, mein Fehlen,
und wollt’ im Wintel meinen Frevel bergen,
weil etwa ich die Menge fürchtete,
weil die Verachtung der Familien mich fchredte
und fchwieg alfo und blieb daheim —
O wo find’ ih den Richter, der mich hört!
Sieh meine Rechtsſchrift; o antwortete mir Gott!
o fchriebe jemand ganz mir meine Sade auf:
auf meine Schulter wollt’ ichs prangend legen,!)
al8 Diadem die Schrift um meinen Zurban binden. 314
Ich wollt' ihm alle meine Tritte ſagen:
ihm, wie ein Held, mich nahn!
Schreyt wider mich mein Land,
und weinen ſeine Furchen,
weil ſeine Frucht ich unbezahlt genoß,
und quälete des Landmanns Seele aus;
fo trag’ er mir ſtatt Weizen künftig Doruen,
und Unkraut ftatt der Frucht.
k) D. i. au wenn er der ärgfte Feind meine® Hauſes und alles
gegen ihn bis zur Wuth aufgebradht war.
1) Wie ein Ehrenkleid, einen Kaftan.
315
316
X.
Inhalt des Gefpräds.
Ob die Sprache der Ebräer urſprünglich Kananitifch fei? und die Ebräer
fie von den Kananitern gelernt haben? Unwahrſcheinlichkeit dieſer
Meinung: wie fehr fie von der Geichichte und den Sprachen verwandter
Semiten widerlegt werde. Daß die Bhönicier auch Antömmlinge in
Kanaan geweſen. Worauf ſich das Recht der Semiten auf dies Land
und Aften überhaupt gründe? Wie fern die Religion bier ins Spiel
kam? Unterfchied der Ehamiten und Semiten an Lebensweife, Reli⸗
gion, Sitten und Sprade. Auf welche Weile fi) diefe Sagen unter
Semiten erhalten konnten? Die Gefchichte Joſephs, der Väter bis zu
Abraham hinauf. Was wir vor Abraham Bis zur Sündfluth haben?
Berbältnif der Glieder diefes Geſchlechtregiſters. Ob Mofes es erfun-
den? wie es zur Gefchlechtächarte geinacht worden? ob man an ibm
eine vollſtändige Eharte der Wanderungen babe? Anficht berfelben,
was fie urfprünglich feyn follte? Ob die Nachrichten von der Sünd⸗
fluth aus der Arche her ſeyn? ob die Sünbfluth allgemein geweſen?
Daß fi die Gefchichte vor der Sündfluth an wenigen bebeutenben
Namen feftbalte. Beiſpiele. Woher dieſe bedeutenden Namen? ob aus
Prophezeiung, Ueberfegung oder Umbildung? Daß an diefen bebeuten-
den Namen wahrfcheinlid die Buchftabenfchrift entftanden. Wie fie
entitanden? Wie etwa die erften Sagen aufbehalten worden? Wer
ber Erfinder der Buchſtabenſchrift geweſen. Daß nur Ein Buchſtaben⸗
alphabet in der Welt und dies Semitifch fei. Ob das Bild von der
Schöpfung aus Aegyptifchen Hieroglyphen genommen worden? Daß
die äÄlteften Sagen vom Paradiefe aus dem höhern Aſien allmälich
beruntergeftiegen.. Was in diefen Sagen Fiction fei? ob der Thurm
zu Babel, bie Salzfäule, Jacobs Kampf mit Gott? Bon Lamechs
Liede, dem Sinn und der Form defielben. Vom Styl der andern
Erzählung. Unterſchied der Sagen mit Elohim und Jehovah. Beilage:
die Stimme der Vorzeit.
— 430 0 —
Alciphron. Ans wichtigſte fommen wir zulegt; und vid-
leicht haben wir uns bei unfern Geſprächen fehr vergebliche Mühe
gegeben, die Poeſie der Ebräer aus ihren Väterſagen berzuleiten:
denn eben dieſe Väterfagen find fie nicht neu? Hat nicht das Boll
die Sprade, in der fie geichrieben find, erſt von feinen Erb
feinden, den Sananitern, erlernt? Alfo find fie fpäter zuſam
mengeflickt oder Mofes hat fie gar ſelbſt erfunden.
Eutyphron. Alſo, ehe das Voll nah Kanaan kam, war
es ftumm, es hatte feine Sprade?
A. Das nicht: wer weiß, mas für ein Gemiſch von Worten
es geredet. Aber die Sprade, in der diefe Stüde verfaßt ſind, iſt
unläugbar die Sprache Kanaanz, die Phöniciſche Sprade.
E. Und von wen mögen die Phönicier fie haben? Kennen
Sie Teine verwandten Dialekte derfelben? und wurden dieſe nicht
von lauter Semiten geredet? Syrien, Arabien, Chaldäa —
lauter Senitifhe Stämme, Verwandte Abrahams und feiner Väter;
nothmwendig mußten auch die Sprachen ihrer Nachkommen verwandt 3:
ſeyn. Es ift Eine der Fabeln unfrer Zeit, deren Sinn ich nidt
einmal begreife, daß man die Ebräiſche Sprade ausfchließend und
urfprünglih für die Sprade der Kananiter hält. Auch nach der
weltlihen Geſchichte haben ſich die Phönicter, die erft am rothen
Meer wohnten, allmälih nur höher hinauf gezogen und ihre Küften
des mittelländischen Meers bepflanzt. Nun will ichs nit ent:
ſcheiden, ob fie voraus, ehe fie fich zwiſchen lauter Semitiſche
Völferftämme drängten, nicht gar eine andre Sprache gefprocden,
jo wie e8 auch noch völlig unbewieſen ift, mad man in neuem
Zeiten ala Hypotheſe gewagt hat, daß die ältefte Aegyptiiche Sprache
eine Schweiter der Ebrätfchen geweſen. Mir leuchtet das legte nicht
ein; die Chamitifhen und Semitiihen Stämme jcheinen ſich fo
wie in Sitten, der Religion, der Denkart, der politifchen Ein-
rihtung; jo auch in der Sprade völlig von einander zu fondern. —
Aber ſei das letzte, wie ihm wolle, alle verwandten Stämme aus
der Gejchlechtstafel Abrahams Sprachen dem Ebräiſchen verwandte
Dialekte; und fo muß aud fein Stamm cine folde, ja warum
— 431 —
nicht eigentlich das Ebräiſche, von feinem Vater Eber ber geſprochen
haben. Alle diefe Sagen, alle Religionsiveen in denjelben von ber
älteften Zeit ber find in einer dem Arabiſchen, Chaldäiſchen,
Syrifhen verwandten Mundart urjprünglid gebadt und verfaßt
318 worden; das bemeifet das ihnen fo ähnliche Idumäiſche Buch
Hiob, das beweiſen die Wurzeln aller genannten Dialekte. Es ift
fo fremde zu fagen, das Kapitel von der Schöpfung jei Aegyptiſch
gedacht; als daß es urſprünglich Mericanifch verfaßt ſei. Mit den
berabfolgenden Sagen iſts nicht anders. Semiten warens, die den
Namen Jehovah aus der Urwelt brachten und in ihre Sprache
feftprägten; nicht Chamiten, nicht Migraimen. Auch das Alphabet
der Phönicier ift nicht von dieſem Boll erfunden: feine Namen
find Chaldäiſch, nicht Afrilaniſch. Das Ebrätfche ift alfo die dem
Stamme Ebers eigne Sprache, Teine erbettelte, feine erborgte; die
Phönicier ufurpirten die ihre, wie ihr Land, ihre Gegend: beibes
wahrfcheinlich des Handels megen.
A. Warum follten fie das Land ufurpiren? Stand ihnen
nicht die Melt offen und haben fich die Semiten, die Hirtenvölfer,
je auf die Schiffahrt geleget ? Die Küfte gehörte alſo dem, der fie
zu brauchen mußte.
E. Bon der Küfte wollte fie au niemand verdrängen. In⸗
deßen ift aus der Art von Scheidung und Theilung der Völker
offenbar, daß fie gewiße Richtungen ihrer Züge nahmen, und fich,
woher es nun auch ſei? gewiße Gegenden und Striche gegeben
glaubten. Japhets Stämme gingen Norbwärts über die Gebürge:
319 da zogen fie weitläuftig in Zelten umber, wie auch der Nanıe jagt:
fein Semit zog ihnen nad. Cham zog ſich nad den heißen Län⸗
dern, nah Süden, nach Afrika bin, wie abermals theils Moſes
Geſchlechtscharte, tbeild fein Name ſagt. Blieben Stämme von
ihm, wie wirklich geſchah, hie und da in Afien figen, oder dräng⸗
ten fie fi fpäter unter die Semiten; fo ſetzten fie ſich der Aus⸗
treibung aus: das ältefte Völkerrecht, Das auf foldden Sagen bes
Urfprungs und urfprünglichen Vorrechts berubte, wollte es einmal
nicht andere. Sie fehen, warum bie Iſraeliten ein fo gegründetes
4
— 482 —
Recht auf Kanaan zu haben glaubten: denn daß fie dies veñ
glaubten, ift aus den Schriften Mofes offenbar. Ihr Gejekgeber
denkt mit einem Eifer daran, der ihm nicht nur feinen Zweite
möglich machte, weil alle Sagen, der ganze Urfprung feines Bolls
davon auögingen und darauf gebauet waren; fondern, es konme
ihm auch fein Gedanke einmal einfallen, daß beide Stämme etwa
gemeinschaftlich das Land bewohnen könnten. Semiten ſahen die
Chamiten als einen Knechtsſtamm an; mit dem auch ber gefällige
Abraham durchaus keine Vermengung zugab. Eliefer mußte nad
Aram, Jacob nah Aram bin, um dem Geſchlecht Nachkommen zu
verichaffen; die Heirath mit einer Rananiterin wurde als eine Ber
legung der Stammes »Ehre angefehen — Turz, diefe Völker theil-
ten fih fo wie an Religion, fo aud an Gegenden, Sitten und Denl-
art; und an eine Verbrüberung zmifchen ihnen war nicht zu gebenten. 5"
A. Das thut mir leid; infonderheit, daß fo frühe ſchon die
Religion daran Schuld geweſen. Quantum relligio — fagt Lukrez
mit Recht.
E. Aud das war die Schuld der Chamiten. Woher es ge:
fommen ſei, fo jehen wir offenbar, daß von den frübeften Beiten
an in Chams Stämmen ſchwarzer Aberglaube, dunkle Abgötterei
geherricht bat. Die Tradition fehreibt den Urfprung berfelben dent
Cham felbft zu; ſei's oder nicht, bei feinen Nachkommen ift dieſer
dunkle Zug einer finftern oder gar graufamen Religion unverfenn-
bar. Denlen Sie an die Aegypter, Phönicier, Karthaginenſer, die
gebildetiten Völfer dieſer Stämme: mie ſchwarz oder graufam waren
ihre Religionsgebräude! und bei andern Afrikaniſchen Völkern ift
ber elendefte Fetiſch⸗ Dienft daraus geworben. Thun Sie nun einen
Blid in die Sprade und Religion der Semiten (denn im Grunde
haben alle diefe Stämme vom Eupbrat bis zum rothen Meer nur
Eine Sprade) wie hell und einfach ift ihre Religion! wie fehr
von Sinnlichkeit abgezogen ift ihr Name Gottes! wie menſchlich
und rein find ihre Begriffe vom Menſchen und feinen Pflichten!
Es ift, ald ob man aus der Anechtshütte ins freie Zelt der Kinder
und Freunde Gottes träte: benn bedenken Sie: eben dieſe Semi-
— 433 —
321 tiſchen Stämmes die Araber mit eingeſchloßen, haben das Verdienſt
um die Welt, daß fie die Einheit Gottes und die reinften Ideen
von Religion und Schöpfung mit einem Eifer erhalten und fort-
gebreitet haben, die ihnen die höchſte Stammesehre fchien. Die
Chamiten bingegen kamen ihnen an dem, was wir jebt Cultur
nennen, zuvor: fie ftifteten Reiche und Polizeien: fie trieben Han-
del, baueten Städte. Die meiften der Semiten blieben lange Hir-
tenvölfer, ober erhielten fi) menigftend, auch bei andern Einrich⸗
tungen der Einfalt nahe: und Sie fehen, wie gut das für bie
Sprade und Sage der Urwelt war. Sie wurde nicht verfünftelt,
nicht verſchwemmt und verborben; einfältig und abgefondert mie
das Belt, blich fie auch Väterheiligthum im Zelte.
A. Da kommen Sie eben auf einen neuen Knoten. Wie iſts
möglich, daß fo alte Sagen und Nachrichten, bei einem fo unmwißen-
den Volk, bei feiner wandernden Lebensart ſich fo lange, fich Jahr⸗
taufende hinab erhalten konnten, daß fie nur einigermanffen Glauben
verdienten? Meine Zweifel dagegen find beinah unauflöslid.
E. Wir wollen vom Ende anfangen, fie zu löjen; von der
Geſchichte Joſephs. Ste muſte fih, dünkt mich, erhalten, weil fie
322 auf eine große Thatjache, auf die Verpflanzung des ganzen Volks
nach Aegypten gebauet war und diefe erflärte. Solang ein Iſraelit
in Aegypten lebte, konnte Joſeph nicht vergeßen werden; wenn
nicht aus Dankbarkeit und Liebe, fo aus Noth, aus Drangfal.
Alfo konnte und mußte diefe Geichichte zu Mofes kommen, geſetzt,
daß fie auch vorher nicht aufgefchrieben wäre. Und fie ift fo
urkundlich, fo Aegyptiſch! —
A. Das ift wahr. Sie beurkundet Aegypten gewißermaaſſen
jelbft aus fo frühen Zeiten, ob fie gleich ſehr Iſraelitiſch gedacht ift.
E. Weil fie von Siraeliten, nicht von Aegyptern gedacht und
erzählt wurde; das eben bürgt für fie. Mit ihr hängt Jakobs
Geſchichte unauflöslich zufammen; fie ift auch, nebft der Gejchichte
Joſephs die ausführlichite der Sagen,*) theils, weil fie dem Samın-
a) 1 Mofe 27—50.
Herters fümmtl Werke. XI. 28
— 44 —
ler die nächſte war, theils, weil ſich von ihr durch zwölf Söhne
und ihre Geſchlechter viel erhalten muſte. Einzelne Traditionen
find in ihr unverkennbar; aber von Einer Begebenheit zweierlei
Traditionen, wie bei den ältern Sagen, finden wir nidt. Alles
tft, fo viel möglich, durch Namen, Ort, Denkmal, Gefhlechtregifter
bewiefen und ba die legten aud von benachbarten Stämmen fleißig
und ausführlich zwiſchengeſchoben find,”) jo beurkunden fie auch Die
Geſchichte dieſer. Gefchlechtregifter find das Archiv der Morgen-
länder und die hiſtoriſchen Sagen ihr Commentar. Auch klingt in
der Geſchichte Jakobs, feiner Züge, Kinder und Weiber alles jo
birtenmäßig, hausmäſſig, weiblid —
U. Und weiter hinauf?
E. Wird die Gefchichte, wie es ſeyn muß, ärmer; bei Abra-
hams Zuge in Aegypten ift eine zwiefache Tradition Tenntlich.*)
Alles aber bleibt auch bier fo treu der Sade, fo Beit- und Drt-
mäßig, daß fich jede Sage beinahb von der andern unterfcheibet.
Bemerken Sie 3. B. den Nachhall der Arabiſchen Wüfte in Ismaels
Geſchichte.) Daher find auch die Segend- und Heirathsgefchichten
fo lang, denn aus ihnen gehet der Stammbaum bes Geſchlechts
beroor, an den fih nachher alles Andre reihet.
A. Und die Abfiht auf Kanaan ift auch immer merkbar.
E. Sie muß es feyn, weil Kanaan der Zweck ber Züge
Abrahams, der Inhalt aller Verheißungen, auch Schauplag Der
ganzen Scene war. Derter und Familien waren die Zeugen ein-
zelner Begebenheiten und das lange Leben der Stammväter ein
Zaun um die Aufbewahrung der ganzen Geihichte.e Der Stamm
war abgefchloßen, genoß einer ruhigen Lebensart und die Vater-
jagen, nebft den Segensſprüchen und Verheißungen waren gleich⸗
fam die Seele defjelben, feine geiftige Speife. Ein kriegeriſches
Volk hat Kriegslieder, ein Hirtenvoll Hirtengeſchichte —
A. Und über Abraham hinauf?
E. Verſchwindet die Gefhichte bis zur Sündfluth; bloß eine
Geſchlechtstafel fteht da.) Und bemerken Sie, eben die Dürftigfeit
b)1Mof. 36. c) 1Mof. 12.20.16.21. d)c.16.21. e) IMoſ. 10.11.
&
h
3231
— 485 —
der Nachrichten in dieſem Zeitraum bürgt für ihre Wahrheit. Jetzt
waren die Stämme auf ihren Wandrungen, drängten ſich dorthin
und hieher; ſie muſten erſt Conſiſtenz und Ruhe bekommen, bis
ſie mehreres von ſich hören ließen. Alſo von Abraham bis Noah
füllen bloße Namen den Zeitraum; indeß wichtige Namen, weil ſie
die Genealogie der Völker dieſes Orients ſind.
A. Wenn ſie nur auch beurkundet wären!
E. Sie müßen ſich ſelbſt beurkunden und das Verhältniß
ihrer Glieder, der Stämme und Gegenden, dazu ſie gehören, beur⸗
kundet ſie ziemlich. Von Japhets Nachkommen iſt nur wenig, zwei
Gefchleter:”) fie ſtehn wie terra incognita, eine eherne Mauer
325 jenfeit der Gebürge da. Chams Nachkommen find zahlreicher ;*) Die
Nachrichten von ihnen erftreden fich aber auch genau nur auf den
Erdſtrich, der im Gebiet diefer Sage lag, von Aegypten, bis zum
Euphrat; die übrigen Namen hängen ihm ebenfall® nur als terra
incognita an. Auch bei ihnen geht offenbar das Ausführlichere
immer aus beftimmten Anläßen und Sagen hervor z. E. die nähere
Nahriht von Nimrod und den Kananitern.) Das Regifter der
Kinder Sems bat noch deutlicher dieſes Verhältniß. Hebers Linie
gehet hinunter fo wohl in Peleg als Joktan;) von Aram wird
nur Ein Geſchlecht angeführt;*) die übrigen Brüder gehen leer aus,
weil fie zu entfernt waren und feine Nachrichten fich von ihnen,
wie von den näher anliegenden fanden. Das Verhältniß der Glie-
der des Gefchlechtregifterö bürgt für feine Wahrheit.
A. Alfo glauben Sie nit, daß Mofes dieſe Charte aufge-
nommen babe?
E. Wie konnte ers? Es ift ja eigentlich Feine Charte; ſon⸗
dern, mie eben gejagt ift, ein Gejchlechtregifter. Hätte ers erfun-
den, gölte es nichts; und aus dem Verhälmiß der Glieder wird
ja auch eben fo augenſcheinlich, aus welcher Zeit und Gegend es
fegn möchte?
— — ——
NM1Mof.10,2—4. g)1Mof. 10, 6— 14. h)8.9—12. 14—19.
i) 1Mof. 10,24— 29. Rap. 11, 10 - 20. K)1Mof. 10,28.
28*
— 436 —
Aus welcher? ich bin begierig.
E. Ohngefähr aus Pelegs Zeit und Gegend. Zu deßen Jet
wanderten die Völker und wie die MWandrung nun verabredet
wurde, oder mit wie viel Gliebern die Hauptftämme ausgegangen
waren; das fcheint der Grund dieſer Geſchlechtscharte. Daher fteht
von Japhets und Sems ältern Söhnen fo wenig; daher zieht fid
die Sage in einem ſchmalen Erbftrich beinah zwiſchen dem Nil und
Euphrat oder Tigris herunter. Da waren die Unternehmungen
Nimrods, da zog das Geſchlecht Pelegs und Joktans, da pflanzte
fh Aram an, da zogen ſich die Kananiter hin; das find alfo die
Grenzen diefer Geichlechtregifter.
A. Und hätte Mofes nichts dabei gethan ?
E. Er machte vielleicht das Gefchlechtregifter, das er vorfand,
fo viel er konnte, zur Landcharte: d. i. er feßte hinzu, mo und
wohin ſich ohngefähr dieſe alten Familienſtämme ber aus einander
gehenden Welt nah der alten Tradition gewandt hatten? Bon
Japhet wuſte er gar nichts Näheres und fegte alfo (V. 5.) feine
allgemeine Bezeichnung gleichſam in bie dunkle ſchwarze Welt der
unbekannten Nordbländer hin. Bei Nimrod, Aflur und den Kana
niteen (B. 8— 12. 18. 19.) jeßte er geographiih Hinzu, was cr
von ihnen mußte; von den Kananitern das meifte, weil fie bie
nächſten waren; doch fcheinen auch einzelne geographiiche Beftim: 3
mungen tbeil® früher, theils ſpäter. Don Soltans Kindern that
er nur ein kurzes Wort hinzu,) weil fie ihn, (gefehweige die andern
Semiten) unbelannt waren. Sie fehen, die Armuth diefer Charte
und Nachrichten felbit ift ihre Bewährung.
U. Es Scheint mir alfo, daß man fi viel unnütze Mühe
gegeben, da man dies Kapitel auch in den Namen als eine eigent-
liche vollftändige Charte der alten Völkerwandrung betrachtet und
jeden Namen als ein Land, als eine Stadt auffinden wollen.
E. Das fcheint mir auch; indeß jede Mühe ift zu loben,
wenn fie nur wicht ganz auf unrehten Weg kommt. Wer bürgt
1) Kap. 10,30.
Ih
uns dafür, daß nicht einige dieſer Gefchlechter, die damals aus ein-
ander gingen, bald verichwunden, verjhlungen, mit andern ver-
mischt jeyn? und mer jagt und, daß man noch aller Yamilien
Namen in Ländern finden müße? Schon Mofes oder ein früherer
Erzvater wufte von Japhets, ja ſelbſt Sems und Joktans Wohnungen
jo wenig, als bier (8. 5. 22. 30.) vorfommt, und wir follteng
wien? Andre Glieder und Stäbte werden wieder mit einer Aus⸗
‚ führlichleit genannt, die bei der älteften Länderbezeichnung überall
gewöhnlich ift, ala ob ein kleiner Strich die ganze Welt wäre?
328 (B. 10. 11. 19. 26— 29.) wer jagt und nun, daß von dieſen
Fleden und Städten fih Nachricht erhalten, daß nur z. €. alle
Joktans-Söhne (B. 26 — 29.) fich in der (V. 30.) benannten Gegend
namentlich angebauet haben? Der Grund aller diefer Irrungen
ift, daß man das Kapitel als eine eigentliche Charte und zwar als
eine Charte Mofes anfieht, da es urjprünglid nur Geſchlechtsregiſter
der aus einander ziehenden Stämme und Söhne war, denen |pätere
Gloſſen, die für uns indeßen aud uralt find, nur fo obngefähr
ihre Site und Wohnungen bezeichneten, ohne doch dafür, daß und
ob jeder Name geblieben? und in der Reihe geblieben fei? zu baf-
ten. — Gnug indeß für uns, das Geſchlechtregiſter ziehet ſich
jogar mit Chronologie der Lebensjahre, wie wirs von feinem andern
Volk haben, big zur Sünbfluth hinauf —
A. Und fo halten Sie auch das Tageregifter aus der Arche
für ächt und urkundlich?
E. Ich wüſte fonft nicht, wie e8 zu dieſer Geftalt, der Aus-
meßung der Waßer über den Gebürgen nad Tagen feiner Zu⸗ und
Abnahme käme? Alles ift in wirklicher enger Anficht der Sache
jelbft aufgezeichnet: fein Ton, das Fragmentarifche diefer Nachrich⸗
ten vor, in und nad der Sünbfluth bürgt für ihr hohes Alter.
A. Und die Sündfluth wäre jo allgemein geweſen, wie fie
diefer Aufzeichner hielt ?
399 E. Zu unjerm Zweck ſchadete es nicht, wenn fie auch nicht
allgemein geweſen wäre. Gnug, der Aufzeichner hielt fie dafür
und kannte fein Land, das ihren Waßern entronnen fei. Gefeßt,
— 18 —
daß im fernften Dft fich hohe Berge, und hinter ihnen ganze Reiche
erhalten hätten; er kannte fie nit und follte fie nicht kennen
Die Riefen, feine Verfolger und mit ihnen alles Lebendige des
öftlihen Süd⸗Aſiens follten untergehen und er fich feine Haushal⸗
tung auch an Thieren in eine mweitlichere Gegend, von welcher nun
die Bevölferung der Welt durch ihn anfangen jollte, mitnehmen.
Giebts im fernften Oſt ſolche Völker, jo werben wir fte zeitig
gnug fennen lernen —
A. Wie aber? und wodurch?
E Durch Zuſammenhaltung ihrer Spraden, PVerfaßungen
und älteften Sagen mit dem, was fi vom Ararat nachher fort-
gebreitet. Es verfteht ſich, daß dies lange Zeit nur Muthmaaſſun⸗
gen jeyn können, aber ich hoffe, nicht immer bleiben werben.
A. Und die Gefhichte vor der Sünbfluth?
E. Geht offenbar an einige bedeutende Namen, Gefchledt:
regifter und Geſchlechtsſagen zujammen; auch bier bürgt alfo ihre
Armuth. Sie will nicht mehr jagen, als fie weiß, und ſich auf
diefem fchmalen Wege erhalten konnte. Ein dürftiges Geſchlecht⸗
vegifter,”) und die bedeutenden Namen deßelben find bie ganze 33!
Brüde ihres Weberganges aus jener in unfre Welt.
A. Sie fagten: bedeutende Namen —
E. Never Name faßt die ganze Gefchichte des Stammpvaters
in fih. Bemerken Sies von Adam an. Erdenmann heißt er, das
ift feine Geſchiche. Aus Erde gemacht, zum Bau ber Erde
beftimmt, zur Erde werdend; weiter wißen wir nichts von ihm.
Abel ein Traurender, oder um ben getrauret wird; da ift feine
Geſchichte. Kain, der erfte Beſitzthümer; auch feines Sohns Hanoch
Namen ftimmet dahin. Noah, unter dem die Erde Ruhe finden
würde vom Frevel der Tyrannen; jo ferner.
A. Alſo können das nicht die Namen ſeyn, die jeder ber:
jelben im Leben führte: denn alle, die ihren Kindern Namen
gaben, waren doch nicht Propheten über ihr ganzes Leben. Wußte
Eva Abels Schickſal voraus, da fie ihn Abel nannte?
m) 1 Mof. 5.
— 49 —
E. Das glaube ich nicht; bei einigen werden indeß ihre
Namen, als fie ihnen gegeben wurden, anders gedeutet. So z. E.
bei Kain, bei Noah; andre ließen vielleiht, da die Sage ausge⸗
bildet ward, eine Biegung zu, wie wir fie in jpätern Traditionen
gebräudlich finden. Denten Sie an Abram und Abraham, Sarai
331 und Sarah, Eau und Edom, Jakob, Iſrael und ferner. Der
Mann nahm aus fpätern Begegnißen feines Lebens entweder einen
andern Namen an, oder bog den feinigen unvermerft über, daß
er der bedeutende Name feines Lebens wurde. Bei einigen Namen
ſcheint mir dies leicht geweien zu ſeyn, wie die verwandten Wur-
zeln, die um das Hauptwort, wie Zweige um den Alt ftehn, zeigen.
Der Kainit Hanoch führte feinen Namen der Weihung in einem
andern Verſtande, ala der gemweihete Sethite Henoch: Kain, Methu-
falem u. f. kann jo oder fo gedeutet werben; doch zu unfrer Sache
thut das Nichts. Mögen alle Namengebende Eltern vor der Sünb-
fluth Propheten gemwefen jeyn oder nicht; die Namen ihrer Kinder
find bedeutende Namen. An vielen derfelben, wie aud nad
der Sündfluth der Name Sems, Japhets, Chams zeigt, hangt
die Geſchichte ihres Lebens, jo gar ihres Stammes. Aus
Namen ging alfo die ältefte Gefchichte Hervor, an Namen wurde
fie gehängt, durch fie erhalten, die allgemeine Sitte der Mor»
genländer mit ihren Gefchlechtregiftern beweifet dies unwider⸗
ſprechlich.
A. Wo aber im Namen die Lebensgeſchichte nicht lag?
E. Da wurde ſie durch ein Lied, eine Sage beigeſchoben.
Sie ſehens bei Lamechs Schwert, bei Henochs Wegnahme. Von
Kainiten ſind keine Namen überblieben, als das Geſchlecht der
332 Erfinder, und ſo zieht ſich dieſer ſchmale, ziemlich ſichre Familien⸗
pfad zum höchſten Alterthum hinauf.
A. Und wir ſollten dieſe Namen noch in der Urſprache
haben?
E. Das kümmert mich nicht. Wars eine andre Sprache und
ſie wurden überſetzt, wie z. E. der Name Moſes: deſto beßer, ſo
konntens wirklich bedeutende Namen werden.
— 40 —
A. Sie ſetzen damit aber wenigſtens die Erfindung der Bud-
ftabenjchrift jehr hoch hinauf: denn fonft war die Erhaltung folder
Namen in Gejchledtregiftern kaum möglich.
E. Zuerft wurden vielleiht nur Zahlen etwa mit einem Zei⸗
chen der Bedeutung des Namens angefchrieben; und bei dem Zeichen
erhielt fich der bedeutende Name, mithin auch des Mannes Geſchichte
So machens noch jetzt alle finnlihen Völfer, und ohne Sachbebeu-
tung waren Namen neben den Striden und Zahlen faum aufzu-
ichreiben oder zu behalten möglid. Bei Abels Namen fam etwa
dad Bild eines Erſchlagnen, bei Hanochs das Symbol einer
Stadt u.f. So wäre es gegangen, wenn feine Budftabenjchrift
da war; mid dünkt aber, fie war frühe da und eben auf diefem
Wege durh Namen und Gejchlechtregifter muſte fie bald erfunden
werden.
A. Bald? jedermann hälts für die fpätefte und ſchwerſte
Erfindung.
E. Nach drei taufend Jahren war fie jo fchwer, ala im erften
Jahrtauſend; ja ſchwerer. Hatte die Bilder» auch nur die Hiero-
glyphenichrift einmal Wurzel gefaßt und fih nur jo weit ausge-
bildet, daß man das Nothoürftigfte mit ihr jchreiben fonnte, fo
dachte man gewiß an feine Budhitabenichrift, wie das Exempel der
Aegypter und Sinefen zeiget. Aus Bildern können Hieroglypben
werden; aber aus Hierogigphen nie Buchftaben und wenn fie zehn:
taufend Jahr lang modificirt würden. Aus der Sade felbjt, die
man mablt, wird nie der artifulirte Theil eines Schalled, vielmehr
fommt man durch jene unendlich von diefen ab; und es ift wahr-
ſcheinlich die Buchftabenfchrift frühe erfunden worden, over fie wäre
noch nicht da —
A. Der allgemeinen Meinung ift das ziemlich zumiber.
E. Mih dünkt, die allgemeine Meinung bat fi in diefem
Punkt nicht gnug auseinander gejegt: denn, wenn die Buchſtaben⸗
Ihrift je erfunden werben follte, fo mußte fie bei fimplen, ſehr
beftimmten und den nöthigften Anläßen, die nit durd Bilder
ausgebriidt werben fonnten, erfunden werben; das find Nanıen.
FI TR)
N
— 4 —
334 Und daß Namen und Geſchlechtregiſter die erſte Tradition der älte-
ften Welt find, das ift That. Sie mufte zweitens bei Gegenftän-
den erfunden werben, die allgemein befannt waren, mo ein Wort
oder mo allenfalls ein dabei gejehtes Zeichen alles in Erinnerung
brachte; und das waren offenbar bedeutende Namen, wo das Wort
die “dee vom Leben des ganzen Mannes wedte. Drittens gehör-
ten dazu beihelfende Umftände der Erfindung und Erinnerung z. ©.
das lange Leben der Patriarchen, ihre Einfalt, ihre Flucht für
Bildern und Symbolen der Gottheit, die Verehrung, in der fie
bei einem ganzen Geſchlecht von Nachkommen ftanden, die bobe
dee, in der fie durch diefe fimple myſtiſche Zeichen den ganzen
Urfprung des Menſchengeſchlechts, ja die ganze urjprüngliche Got⸗
tes » Offenbarung auf eine von ihnen entjpriefiende Nachwelt brach⸗
ten. Dos veinfte, frübefte, ftärkite Bebürfniß weckte alles ober es
ward nichts gewedt; dünkt Ahnen das nicht aljo?
A. Beinah. Wer hätte alfo die Buchflabenjchrift erfunden?
E. Das weiß ich nit; mer weiß e8? Die Tradition meh>
rerer Völker nennet ihn Seth, Thet, Theut, Thoit, alles Ein
Name; vielleicht ifts eben ber, ber, feinem bebeutenden Namen
jelbft nad, ein Denkmal feste; Schrift war gewiß ein ewiges Denk⸗
335 mal. Und die Erfindung war fo ſchwer nicht, jobald man einmal
darauf gerieth. Er zerglieberte etwa den Schall des Mundes bei
einigen Namen, die auf die Stammtafel fommen follten, und fich
etwa nicht in bedeutenden Bildern darauf fegen ließen: jo war bie
Erfindung geſchehen. Kinder und Enkel verfammleten fi daran
infonderheit an Religionstagen: denn dies Vaterdenkmal war ihnen
Religion ſelbſt. Sie lernten die Namen ihrer Väter mit diefen
Zeichen der Schälle verbinden und jo wurde die Erfindung beve-
ftigt, wie etwas beveftigt werden konnte. Sonad wäre das fünfte
Stapitel unfres erften Buchs Moſes in feinen Namen und Zahlen
die erfte Denktafel in artitulirten Schällen geweſen, die ſich wahr⸗
fcheinlid durh Noah auf Sem fortgeerbet, wie der bebeutende
Name des legten abermals anzeigt.
U. Und die frühern Sagen ?
— 4 —
E. Die erbten fi wahrſcheinlich in Bildern oder als Gage
fort, bis die Buchſtabenſchrift tiefere Wurzel gefaßt hatte. Die
Geſchichte der Schöpfung ift ganz Bild nad Tagwerken und Zahlen;
in fieben Bildnigen der Sache felbft; etwa nah dem Barallelismus
ihrer Beziehungen geftellt, konnte fie aufbehalten und anerkannt
werben, weil das Inſtitut des Sabbats fie erneute und aufbewahrte.
Mit ihr aber war der Grund nur zur Hieroglyphenſchrift geleget.
Ein gleiches wars mit der Geſchichte des Paradieſes. Wenn man 3%
Baum, Weib, Schlange mahlte, hatte man Crinnerungszeichen
gnug; und bie Sache felbft, die Entfernung aus Eben, Die ver:
Ainderte Lebensweiſe erhielt fie leider! thätlih. Sehen Ste von
dieſer Art der Erhaltung feine Spuren in dieſer Erzählung ſelbſt?
A. Ich wünſchte fie zu fehen: denn fonft bliebe alles Meinung.
E. Zu Enos Zeiten fing man an fi beim Namen Jehovah
zu nennen; was bie Worte auch heißen mögen, fo ſetzte das ſchon
eine Art von Belänntniß und Angelobung etwa bei einem öffent-
lichen Denkmal der Religion voraus: denn daß biemit auf bie
Kinder Gottes, die bei den Töchtern der Menſchen fchliefen, gejehen
werde, ift eine unftatthafte Erklärung. Jene heißen Söhne der
Elohim, kommen in einem Fragment von Heldenfage vor, und
beißen offenbar Helden, Mäctige, wie fie auch deutlich erklärt
werden. Hier nennte man fich beim Namen Jehovah, d. i. man
gab ſich als einen Verehrer deßelben an; vermuthlich war dies die
Zeit, wo Seth ein foldhes Denkmal des Namens und Worts Got-
tes errichtet Hat, und die alten Fabeln von Seths Säulen wären
ebenfalls daher. — Doch tft und bleibt das alles nur Muth-
maaflung: mag die Erfindung der Schrift auch fpäter gefchehen
jegn, gnug, in der Familie Seths oder Sems ift fie erfunden
worden. Alle öftlihe Völker, die einſylbige Sprachen haben, ken⸗ 3:
nen nur Hieroglyphen: Ein einziges Buchſtabenalphabet erfiftirt nur
auf der Erde und die Namen deffelben, auch wie die Griechen
nachher fie durch die Phönicier überkamen, find offenbar Chaldäiſch
db. t. in der Semiteniprade. Die Phönicier hatten fie nicht erfun-
den: denn, wie gejagt, auch ihre Sprache hatten fie wahrſcheinlich
— 443 —
von Semiten angenommen, weil ſie mitten unter ihnen wohnten,
und die andern Chamiten haben keine Buchſtaben. Selbſt die
Aegypter hatten nur Hieroglyphen; als ſie Buchſtaben annahmen,
wars eben dieſe dem Vorurtheil nach Phöniciſche Schrift.
A. Sie halten alſo die Erzählung vom Baum der Erkännt⸗
niß und das Bild der Schöpfung nicht für Aegyptiſchen Urſprungs?
Etwa aus Hieroglyphen geſchöpft, die Moſes vorgefunden —
E. Freund, was iſt hier Aegyptiſch? oder nur einer Aegypti⸗
ſchen Hieroglyphe ähnlich? Es iſt ja alles verlacht, was dieſe
Geſchichte in Kunſtdenkmalen aufzeigen wollte, und iſt als ſpäter
Betrug mit Recht verlacht worden. Worauf gründet man nun die
Meinung? wo exrſiſtirt die Hieroglyphe aus der Moſes geſchöpfet?
wo iſt auch nur etwas Aehnliches von dieſer Geſchichte in der
Aegyptiſchen Mythologie und Sprache? Daß ſich einige Begriffe
338 von Nacht, Geiſt, Licht, Aether mit einigen Aegyptiſchen Göttern
begegnen, thut zur Sache nichts: denn auch Mizraim hatte ſeine
Urbegriffe von den Vätern, alſo von Noah her; wie dunkel und
ſchwarz ſind ſie aber in dieſer Götterlehre mizraimiſiret! Ich
möchte den Esra kennen, der aus dem Schlamm des Aegyptiſchen
Nils das heilige Feuer der erſten Schöpfungsbegriffe rein auffinden
könnte, und den Jeremias kennen, der es dahinein verborgen.
In den Sprachen der Nachkommen Sems, die wir gewöhnlich die
morgenländiſchen nennen, liegt alles augenſcheinlich: die Wurzeln,
die Grundbegriffe, der Parallelismus Himmels und ber Erbe,
Gottes und des Menfchen, Geſchöpfe der todten und lebendigen
Schöpfung find nach ihnen geftellt und georbnet. Kann ein größe-
rer Beweis jeyn, als diefer ? die Bildung einer ganzen Reihe von
Stammesſprachen nah Bildern, Wurzeln und in folder Denkart.
Erinnern Sie fi überdem, aus melden Gegenden diefe Sagen
offenbar feyn? Paradies, Baum des Lebens, die Cherubim, bie
Sündfluth — wohin fie der Sammler felbft jeget? bemerken Sie
ben fortgehenden Gang ber Cultur von Dften nach Weiten, vom
Ganges zum Ararat, von diefen Höhen Aliens den Zug der Völ⸗
fer in die Thäler der Welt, endlich aud in das fpäte, aus dem
— MM —
Schlamme des Nils zum Theil erwachſne Aegypten; wie natürlicer,
wie einftimmender ift das Alles zur Gefchichte der Erde und des 3"
Menſchengeſchlechts! Oſtwärts um die größefte Höhe von Aſien
finden ſich wahrſcheinlich noch die älteften Mythologien, Sprachen
und Verfaßungen der Völlker: ba ift noch ein großer Strich gan;
einfylbiger Sprachen (denn alle Kinder ſprechen zuerft einiylbig)
und, was fonderbar ift, hangen dieſe Völker auch noch an ben
Hieroglyphen, kennen feine Bucftaben und haben ihre alte Ber:
faßung, die offenbar aus dem Vater - Defpotismus entftanden iſt,
Jahrtauſende dur, gleihfam zum emigen Denkmal der Kindheit
der Welt erhalten. Werben wir die Mythologien und Sprachen
dieſer Gegenden einmal mehr kennen lernen: jo werben wir manches
aus der Urgefchichte unfres Geſchlechts und aus ber Yortleitung
der früheften Ideen in hellerm Licht fehen. So viel aber fehen
wir Sonnenklar, daß Aegypten nun und nimmermehr das Vater⸗
land diefer Traditionen feyn Tann; von der Höhe Aſiens ſtammen
fie herunter: fie haben fi mit den Semiten fortgebreitet; zuletzt
ward Kanaan der Winkel ihrer Aufbewahrung und alle Umftände
des Volks jo eingerichtet, daß fie rein aufbewahrt werden Tonnten.
A. Die Ebräifche Sprade halten Sie alfo doch nicht für die
ältefte Sprache unter der Sonne, die Sprache des Paradiefes, die
Mutter aller Spraden der Erde — —
E. Wie könnte fie das, wenigftens in ihrem jetzigen Zuftande 34
ſeyn? Ihre Wurzeln find alle geregelt und zweifylbig; in ihren
Grundfäben ift fie fchon eine fehr gebildete Sprade. Menschen,
die Jahrtauſende leben, müßen einen andern Bau, andre Organe,
mithin auch eine andre Sprache gehabt haben; offenbar ift das
niedre Afien, wo diefe Völferftämme wohnen, (nicht Kafchmire oder
der Ganges) Elima zu diefer Mundart. Indeßen halte ich fie für
eine_ Tochter ber Urſprache und zwar für eine der älteften Töchter.
Ihre Regelmäßigfeit auch in den Wurzeln Hindert fie daran nidt:
biefe ift eben aus dem frühen Gebraud der Buchſtabenſchrift ent-
ftanden, denn es ift aus der Geſchichte aller Sprachen und Völker
zu erweiſen: „Buchſtaben und Schrift haben alle Sprachen geregelt,
— 445 —
bei Hieroglyphen bleiben ſie in einer ewigen Kindheit und unüber⸗
ſehbaren Wildheit.“ —
A. Sie geben mir einen hellern Ueberblick dieſer Dinge, als
ich ſonſt hatte. Je mehr man Alles in Allem finden will; deſto
mehr findet man nichts. Ich will mich gewöhnen, dieſe Echo
älteſter Zeiten auf die Simplicität ihres Urſprungs zurückzuführen
und von ihr nicht mehr hören zu wollen, als ſie ſagen kann und
ſaget. Sollte aber nicht manches in ihr blos ſpätere poetiſche
341 Fiktion ſeyn z. E. der Thurmbau zu Babel, die Geſchichte der Ver⸗
wüſtung Sodoms, Jakobs Kampf mit dem Engel u. f.
Bei dem erften Haben Sie mir gezeigt, daß es ein Spotige-
dicht auf die Unternehmungen des erjten Ufurpators ſei. Ver⸗
muthlich fiel etwas bei dem Bau vor, daß die Stämme uneinig
madte: fie ließen das Werk liegen und gingen aus einander.
Sobald einige zogen, zogen mehrere; wie ſich der Schnee wälzt
und ein Haufe den andern drängt. Es ging bier fo, wie bei ber
Völfermandrung im Anfange der chriftlihen Epode, und dieſe
war nur die erfte folder Art. Sie fam auch aus eben der Gegend,
von der alle Wandrungen feitbem gekommen find, vom Ararat,
aus der Tatarei, der ewigen Gebährmutter wilder Völker. — Die
Geſchichte der Zerftörung Sodoms ift wahrfcheinlich fpätere poetische
Einfleivung eines Ebräers, wie die Salzläule, vermuthlih ein
fpätes Monument, zeige. Und endlich der ganze Kampf Jakobs
mit dem Engel, aud wie Sie ihn erfläret, ift vielleicht nichts als
eine poetiſche Umfchreibung ſeines ringenden Gebet? mit Gott, daß
er ihn vor Cjau bewahren möchte. Wir finden dies Gebet vorher
erzählt, und ber nächtliche Kampf war vielleicht blos Fiktion einer
andern Sage, die den Namen Elohim Hat und alles poetiicher
erzähle. Der Sfraelitiihe Prophet, den Sie anführten, hats
342 eben jo verftanden: „Er kämpfte mit dem Engel und fiegete:
denn er meinete und bat ihn;“ weinend und betend kämpft
man förperlih eben nit am beften. Solder Einkleivungen
kann es nod viel mehr geben, die wir treuberzig für Gejchichte
halten —
— U —
E. €3 wäre nichts daran, wenn das Alles jo wäre; Sie
befriedigen mich indeßen mit diefer Deutung nicht, Die Berichte:
denheit der Sprachen auf der Erde iſt ein Problem, das ſich durch
die ruhigen Wandrungen der Völker nicht erklären läßt, auch wenn
ih Clima, Land, Lebensart, Sitten des Stamms als genetiſche
Urfachen derfelben dazu rechne. Oft wohnen Böller dit an einan-
der, die von Einem Stamm d. i. von Einer Bildung und den ver-
ſchiedenſten Spraden find. Eine Inſel, ein Heiner Welttheil faßt
deren oft viel in einem engen Sreife und die kleinſten, wildeſten
Völker find die reichiten an Verfchievenheit der Spraden. Wenn
wir Einmal die Liften aller Völker nah den drei Haupt - Rubrifen,
die hierher gehören, ihren Bildungen, Spraden und Stammes-
mythologien neben einander haben werden, wird fi) davon beßer
urtheilen laßen; jo viel ich jegt weiß, ift mir aus dem Begrif der
Wandrung nicht alles erflärbar. Nicht Verfchievenheit, d. i. Mund-
arten Einer Sprache nad verjchiebnen Dimenfionen und Urfachen
der allmäligen Veränderung ift bier das Problem; fondern totale
Verſchiedenheit, Verwirrung, Babel. _ Da muß etwas Bofitives 3%
vorgegangen jeyn, das dieſe Köpfe auseinander warf; philoſophiſche
Debuctionen thun fein Gnüge. — Sch nehme alfo die wunderbare
Erklärung unfrer Sage an, weil ich Feine natürliche weiß. —
Ein gleiches iftö mit der Vermüftung Sodoms. Sie hat ſtarke
poetiihe Züge, wie z. ©.
Auf ging die Sonne über der Erbe
und Loth erreichte Zoar.
Da ließ Jehovah regnen über Sodom und Gomorra,
Schwefel und Feuer von Iehovah vom Himmel herab.
Er kehrte diefe Städte um:
die ganze Ebne warb verberbt
und alle Bewohner der Städte und was die Erde fproßt.
Und als Loths Weib umfchaute hinter ihm her
erfiarzte fie zu Salz —
d. i. fe verbrannte und warb auch in ihrer Geftalt ein Denkmal
der Vermüftung; wovon in Morgenlande das Salz immer ein
Dentmal war. Mags feyn, daß nachher auf der Stäte, da fie
— HUT —
ſtarb, ein Denkmal von Harzſtücken zuſammengeworfen wurde, wie
die Morgenländer zu thun gewohnt ſind; mags ſeyn, daß ſich eben
dieſer Ausdruck der Salzſäule an ihm fortgeerbt hat: ſo iſt ſo
wohl dies Wort als der doppelte Name Jehovah, der regnen ließ
und von dem es regnete, eine ſehr natürliche Energie des Aus—
drucks, weil, jede Sage ſich ihrer Materie anfchließt; die Räthfeleien
344 über beides find unnöthig oder Mähren. — Endlich die Gefchichte
Jakobs mit dem Engel wird ganz hiſtoriſch erzählt; fie fteht neben
und nad dem Gebet, nicht ala feine Paraphraſe da, und mid
dünkt, wir haben gnug über fie geredet. —
A. Sie finden aljo feine eigentliche Poefie in allen diefen Sagen?
E. Wie Sie das Wort Poefie nehmen. Lieb tft nur ein
Einziges darinn, Lamechs Lied auf die Erfindung des Schwerts
(denn das iſts dem Zufammenhange und dem gefunden Verftande
nad, fein unfinniges Frohlockungslied über Kains Ermordung). .
Es hat Maas der Glieder, und fogar Affonanzen: her Parallelis-
mus ift in ihm und Sie fehen, wie alt diefer ift. Lyriſche Poeſie
und Muſik find zu Einer Zeit, in Einer Familie erfunden: jene
war die Tochter diefer und immer find fie vereinigt geweſen. Kurz,
bier ift das Heine Triumphslied, ich kanns Ihnen aber nur ohne
Aflonanzen, ohne Reime geben:
Ihr Weiber Lamechs, höret meine Rebe!
hört meine Sage:
Sch tödte jett den Dann, ber mich verwundet,
ben Jüngling, der mir eine Beule fchlägt.
Sol Kain fiebenmal gerächet werben,
fo wirds igt Lamech fiebzig fiebenmal. —
Er fühlte nehmlich die Uebermacht des Eifend und Schwerts gegen
345 die Angriffe andrer Mordinftrumente. — Eigentliche Lieder wie
diefe finden wir weiter in dieſen Sagen nicht; aber viel Poefie in
der Erzählung, in Anfiht der Dinge überhaupt, infonderheit in
Sprühen und Lehren. Dem kurzen, abgemeßenen majeftätifchen
Inhalt nah ift das Bild der Schöpfung hohe Poefie, obwohl
nicht zum Gefange. Die Segensſprüche der Väter find alle bon
— 48 —
in Sprüchen voll Parallelismus; obwohl nicht zum Geſange. Die
ganze Erzählung iſt bald Idylle, bald eine Art Heldenſage, voll
Einfalt des Ausdrucks. Ihre Materie und Ton ward Grund der
folgenden Poeſie und Geſchichte, wie die Sagen der Väter bei allen
Völkern. — Kurz, m. Fr., wir find jetzt die Zugänge durch und
werben fünftig das Gebäude felbft fehen.
A. Sie müßen mir noch cine Trage erlauben. Sind Sie
mit der Hypothefe vom Unterſchiede dieſer Sagen, die theils Jeho—
vah, theild Elohim haben, auf etwas Gewißes gelommen ?
€. Der Unterſchied infonderheit in den älteften Stüden fält
in die Augen und er ift von einem neuen Schriftfteller*) mit
einer Genauigfeit durchgeführt worden, die faum etwas übrig läßt;
wenn nicht allenfalls die zu große Genauigkeit der Hypotheſe ſebſt
ſchadet. Es werben durch fie Stüde zerrißen, die offenbar zufam- #
men gehören, auch mwahricheinlih aus Einer Zeit und vielleicht von
Einer Hand find. Wahrſcheinlich Hatte man Rüdfihten, wo man
Elohin und wo man Jehovah fegte; die älteften Stüde hatten
Elohim, auch die, wo man den älteften Stüden folgte, oder etwas
erzählte, das der Würde Jehovahs nicht eigentlih gemäß mat.
Andre Stüde, aus dem Munde der Tradition vielleicht ſpäter auf-
genommen, haben durchhin Jehovah; doch auch jenen ward biefer
Name wahriheinlih vom Sammler oft eingefhoben. Zur höchſten
Gewißheit wird man in Dingen der Art nie kommen und bei allen
Sagen, dieſes ober jenes Namens, ift ihr Uriprung aus Einer
Quelle, der Tradition des Stammes der Semiten, unverkennbar.
*), Eichhorns Einleitung ins A. T. Th. 2. ©. 301-383.
347
— HI —
Stimme der Vorzeit.
Wo fommft du her, du Stimme alter Zeiten?
wo gebft du bin?
Und wie erbielt im Sturm der Wetter und ber Sabre
fih dein gelinder Hauch?
Kommt du vom Lebensbaum der heilgen Quelle
in Edens Hain?
Daß du don Schöpfung uns und von der erſten Liebe
weißagendem Gefühl,
Vom Trugesbaum und von der Vaterhütte
voll Muh und Schmerz,
von Fluthen, Riefen, von ben Himmelsſtürmern,
nit fingefl, fondern fagft?
Sprich, wie entlameſt bu den ſchiveren Wogen
bes Weltgerichts?
Und leiſe wie bu bift, entranneft der Zerftreuung
ber Bölfer in die Welt?
Verbarg dein Bater bi vor Sturm und Wettern
ins Paradies?
Und fandte mit dem Blatt der holden Friedenstaube
dich ſeinem neuen Sohn?
Ja Tochter Gottes und der Menſchenſtimme,
du ſtiegſt mit ihm
(fein Pfand, fein Heiligthum, die Echo ſeelger Bäter!)"
ein in fein Fluthenſchif.
Und hielteft di) am Stamme ber Gefchlechter
im Namen veft,
und famft hinab, beſchützt vom heilgen Gottes - Namen
binab auch bis zu uns.
Gebrochne Züge der Gebächtniftafel
uralter Welt,
feyb heilig mir! Ihr gabt welch einer weiten Erbe!
Religion und Schrift.
Herders ſanuntl. Werke. XI. 29
Moſes. *
“ a4, 2, 9. Unfre Entfernung, m. Fr., fol uns nicht hindern, den großen
Mann zu betrachten, der, fo wie zur. ganzen Iſraelitiſchen Ve:
faßung, To auch zum Gebrauh und Genius ihrer Poeſie den
näheren Grund gelegt bat. Wir find jebt die Zugänge zum
Gebäude durchgegangen und haben fo wie in ber Cosmologie und
älteften Tradition dieſes Volks, fo auch in den Grundbegriffe
ihrer Poefie und Religion aus den Sagen der Bäter Materie
zufammengetragen, auf die wir uns fünftig oft beziehen werben
Seht ändert fi die ganze Scene: fein Hirtenvoll, Teine Hirten
begriffe von Gott und dem Kreife des Lebens umher finden mir
mehr; ein in Aegypten gebohrner und erzogner Mann, dem Ara
bien fein zweites Vaterland, der Schauplag feiner Einrichtungen,
Thaten, Züge und Wunder ift, ftehet vor und. Auch der Gall
der Poefie feines Volks wird alfo daher Geftalt und Bildung nehmen
Ich nahe mich dir, erniter, heiliger Schatte! Einer ber älte
ften Gejeggeber und Wohlthäter des menſchlichen Gefchlehts! Dein
Antlig glänze nicht zu fehr, daß ich deine Züge erfenne und fie
meinem Freunde mit Licht und Wahrheit, die du dem Fürſten
deines Volks als Heiligtum auf die Bruft legteſt, zeige.
Das frühe Schickſal Mofes war fo wunderbar, wie wird im:
ſpätern Alterthum bei mehrern Gejehgebern und großen Männern
entweder ala Geſchichte, oder als Fabel nahgeahmt finden. Ein
Cyrus, ein Romulus u. a. wurden wie Er errettet, und jean
Name erinnerte ihn daran, daß ihn die Gottheit durch Die Hand
einer Fürftentochter eben des Volks, das die Seinigen unterbrüdte,
nicht umfonft aus dem Waßer gezogen habe. Es fcheint, die Vor:
— 41 —
ſehung habe ihr weiſes Spiel darinn, die größejten Dinge an einem
jeidnen, oft widerwärtig geflochtnen Faden aus dem Schlamme des
Nichts bervorzuziehen und die Hand der Feinde ihres Raths zu
ihren tiefverborgenen Zweden zu gebrauden.
Am Hofe Pharaond ward Moſes erzogen. Gelehrt in aller
Meisheit der Aegypter ward er aud mit den Geheimnißen ihrer
Priefter umd der Staatsverfaßung des Landes befannt, das bie
Wiege der politiihen Einrichtung mehrerer Völker geworden. Die
Sage macht ihn auch zum Kriegshelden; wovon aber die Gefchichte
feines Volks ſchweiget.
Es iſt dem Gange der Vorſehung durchaus nicht ſchimpflich,
daß ſie ihr Werk durch Werkzeuge treibt und göttliche Zwecke durch
| menfhlihe Mittel befördert. Ein Boll follte zu den Sitten und
‚351 dem Gott feiner Väter, wie e8 feyn fonnte, zurüdgebildet werden,
das diefe Sitten in Aegypten verlohren hatte, dem, nahe am
Götzen⸗ und Priefterbienft der Mizraimen, der Gott feiner Väter
fremde geworden war. Ein Wegyptiicher Weiler mußte es feyn,
der es von feiner Verwilderung zurüdbrachte, der jelbft Aegyptifche
Einrihtungen dazu nutzte, ihm die Religion feiner Väter wieber-
zugeben, wie es fie jet faßen konnte, und um fie daran veft zu
halten, um aud ihre Sinne und Gewohnheiten zu bejchäftigen, aus
den Geräthen und Kleinodien eines abergläubiihen Volks ihnen
einen Gottesdienft, eine Hütte aufzurichten, die Troß alles Sinn-
lichen und Bildlichen das erjte politifche Hetligthum der reinen Er⸗—
fenntniß auf der Erde war. Es iſt thöricht, leugnen zu wollen,
daß Mofes bei der Einrichtung feines Priefterftammes, feine® Tem-
pels, feiner Gebräude nicht auf das Aegypten Rüdfiht gehabt
hätte, in dem er felbft gebildet war und von dem er fein Bolf
wegbilden mollte; die Spuren der Aehnlichkeit find unverkennbar.
Daß er auf Prieftertfum Alles bauete, daß er dazu einen eignen
Stamm wählte, Opfer, Reinigungen, Kleider, das Bruſtſchild des
Hohepriefters, viele einzelne Gebräude, die es bier aufzuzählen und
mit Aegypten zu vergleichen, zu lang wäre, zeigen es gnugfam.
Der Geift feiner Neligion aber mar nicht Aegyptiſch. Sein Gott
29 ”
war Jehovah, der Gott feiner Väter; und aud in Gerimonten 308 :
er feine Einridtung wie Geift aus der groben Materie, ja wo
etwas abergläubig war, wo es nur von fern zur Abgötterei führen
fonnte, arbeitete er dem ſchwarzen Geift des Inechtifchen Aegyptens
itrads entgegen. Keine Gögenbilver lernte fein Volk fennen: das
güldne Kalb, das Nahbild Aegyptiiher Kunft und Weisheit, ver-
brannte er mit Feuer und gabs, voll Zorn und Eifer feinen Abgöt-
tifchen, al einen Gräuel in der Aſche, zu trinten. Keine Figuren
hatte und litt fein Tempel; die Cherubim jelbft nahm er nicht als
Hegyptiihe Sphynxe auf, fondern als bedeutungsvolle fchredliche
Wundergeſchöpfe der Sage feiner Väter. Weber Hieroglyphen, noch
Gögenbilder trug fein Hohepriefter an Stimm und Bruft; jondern
Buchſtaben, heilige Schrift. Er weihete ihn Gott und den zwölf
Stämmen feines Volks durch Lit und Nechtichaffenheit, d. i. durch
erleuchtete Wahrheit. Das Heiligtum, das er angab, war der
dunkle, nach morgenländifcher Art geihmüdte Pallaft eines unfict-
baren, nicht nachzubildenden Königs, deßen Diener die Priefter
waren, fein Heer das ziehende Hoflager Gottes. In Opfern und
Reinigungen entfernte er fih vom Aberglauben der Aegypter ganz
und in der Wahl der Speifen arbeitete er ebenfalls dem an Waßer:
thieren und Ungeheuern reihen Aegypten entgegen. Seine Gefeh: 3)
gebung ift das ältefte Mujter, das wir, zumal in Schrift verfaßt,
haben, wie Gefundheit, Sitten, politifche Ordnung und Gottesdienft
nur Ein Werk find.
Indeßen iſts nicht au läugnen, daß diefe ganze Einrichtung
ein Zeitmäßiges Aegyptifches Koh war, den damaligen Iſraeliten
und überhaupt als ein großer Schritt auf dem Wege der Volks⸗
bildungen unentbehrlich; unglüdlihd aber, wenn dies Joh, auf
gut Xegyptiih und Sineſiſch, ein ewiges Jod, ein ewiger Rüdhalt
der Menfchheit hätte feyn ſollen oder feyn wollen. Das war die
Abfiht Moſes nicht, fo oft ers einen ewigen Bund nannte und
jeinem barbartichen widerjeglichen Volk es, wie Lykurg feine Geſetze,
nennen mufte. Cr verjpradh feiner Nation in feinen letzten Reben,
Propheten, d. i. weife, von Gott gejandte und erleuchtete Männer,
— 453 —
wie er geweſen: er beßerte ſelbſt an ſeinen Geſetzen und that nach
Beſchaffenheit der Umſtände hinzu; er ſagte ſelbſt zuletzt, daß Liebe
Gottes von ganzem Herzen, nicht fllavifhe Furcht und Aegypti⸗
t fcher Knechtsdienſt das Wort im Herzen und das größeſte aller
Gebote bleibe. Seine harte Strafen waren allefammt nur traurige
Bedürfniße der Zeit und des Polls; in feiner letzten herzlichen
Nede und immer vorher erinnerte er an bie väterlihen Wohlthaten
. 354 Gottes und fest Fluch und Segen, harten Knechtöbienft und frei-
willige Rindesliebe gegen einander. Sein Gott ift der Langmüthige,
Gütige; erft nah langem Schonen und aud denn nur auf kurze
Zeit ein eifriger Rächer, bis er wieder die Hände frei hat, wohl
zu thun, zu fegnen. Wäreſt du in Zeiten erjchienen, göttlicher
Mann, da man deine Gebote zum Net machte, menſchliche Seelen
zu fangen und ewig in ihrer Kindheit feftzuhalten; in Zeiten, da
deine einft in allen Gliedern lebendige Gefetgebung ein tobter Kör⸗
per war, an deßen Würmern man zebrte, da die kleinſte deiner
Vorſchriften ein güldnes Kalb war, um meldhes man im Taumel
Ä der beuchelnden Abgötterei büpfte und frohlodte; taufendmal hätteft
du es zerichlagen und beinen Entweihern, deinen Abgöttern in
Ä gräuelnder Aſche zu trinfen gegeben.
Ä Doc ich kehre zurüd zu feiner Lebensgeſchichte. Eine jugend-
liche Heldenthat trieb den Fünftigen Retter feines Volks aus Aegyp⸗
' ten, da Aegypten ihm nicht mehr noth und die Zeit der Errettung
noch nicht da war. Die MWüfte Arabieng mufte der ftille Aufent-
’ balt feiner veifern männlichen Jahre werden und Völker, die mit
Iſrael in Sprade und Stammesart verwandt waren, waren jebt
40. Jahr feine Nachbarn. Die Fabel Hat den Arabifhen Emir
oder Scheik, Jethro zu feinem Aufwiegler, zum Urheber feiner
politiihen Plane machen wollen; nichts in der Welt ift der Anficht
355 diefer Gefchichte, wenn etwas in ihr wahr ift, mehr entgegen. Ein
kluger Mann mar Jethro, nicht aber der Geift, der den Mofes
zu feinem befchwerlichen, einem Menfchenauge unüberfehbaren Werf
zwang: denn gezwungen mußte er dazu werden, wie man aus fei-
nee ihm felbft unerwarteten, ungelegnen, nad feiner Meinung
— 464 —
unauszuſührenden Sendung ſiehet. — Welch eine rechtfertigende
Epopee iſt dieſe einfältige, ſtille Geſchicht der Sendung Moſes,
feines Werts in Aegypten, feiner Ausführung, Wunder und Züge!
Ohne Geſchwätz und Aufruf, mit Fehlern und Schwachheiten jogar,
ftellet e8 uns den Mann dar, der nie von ſich felbit fpricht, der
nie gerühmt wird, der nur in feinem Werk, feinen Anftalten, ſei
nen barten Sorgen und Thaten lebet. —
Die Erfcheinung Gottes im flammenden Buſch ift ganz Ara—
bi, fo wie die Wunder und Zeichen, die er in feine Hand
befommt, ganz Aegyptiſch. Jene Wüfte, die gleichſam ganz Feuer
und Fels ift, muß einen bürren Strauch tragen, in dem ihn die
Gegenwart des Emwigen medet und fi ihm offenbart. Die Wun—
der in feiner Hand follen ihm Waffen ſeyn gegen die Aegyptiſchen
Zauberer und Wunderthäter. Sie finds aud ihrer Art nad, jo
wie alle Plagen, mit denen er fein Volk frei maht. Schlangen,
Inſekten, der Nilſtrom, garſtige und ſchädliche Waßerthiere, Finfter: 3
niß, der Würgengel finds, mit denen fi aud hier Aegypten
gleihjam genetiſch und geographiich malet.
Gott führt fein Volk aus Aegypten mit hohem Arm: er erfauft
ſich feinen Knecht aus der Dienftbarfeit und tauft ihn gleihjfam in
den Fluthen des vothen Meer, daß er nun fein erlaufter, leibeig⸗
ner Knecht ſei. Auch die Erftgeburt ift fein: denn fie iſt einft
errettet, verfhont worden, und ein ewiges Feſt des Ausgangs mit
dem Blut des gejchlachteten Lammes an der Thür muß dies Anrecht
Gottes auf jedes Haus, auf jedes Gefchlecht bezeichnen. Hinter
dem rothen Meer, im Angeficht ihrer untergegangnen Feinde ertönt
in zwei Chören der Lobgefang Moſes und der Mirjam, der nad
ber das Vorbild jo vieler Errettungspfalmen und Siegeslieder dieſes
Volkes ward.
Auf Adlersflügeln trägt Gott fein errettetes Volk weiter: cine
unfrudtbare Wüfte fol das Haus feiner Bildung werben, wo ers
‚als feinen Erftgebohrnen ſelbſt fpeifet, ſelbſt tränket. Ewig werben
nachher dieſe Wohlthaten befungen und wiederholt; wenn fie nur
aber auch den Zwed erreicht hätten, den der Vater dieſes Volks
—*
ſich vorfegte, ed abgefondert von allen Völkern in einer Wüſte,
wo fie von der Milde feiner Hand lebten, aud im Sinn der Gefete
und Gebräude zu feinem Voll zu bilden.
357 Fürdterlih ward das Geſetz gegeben, in einer fürdhterlichen
MWüfte: unter Schauer und Entjeßen ward der Bund gemacht, der
fo oft durch ſchauerliche Strafen, durch feurige Schlangen, Ber:
Schlingung der Erde eingefchärft werden mufte. Wo mwarft du jet,
fanfter freundlicher Eindrud des Gottes Abrahams und feiner Hir-
tenfühne? Als er mit dem Vater dieſes Volks, Freund zu Freunde,
brüderlich ſprach, durch einen Engel mit Iſrael vang, und ihn ala
Süngling auf feiner träumenden Lagerftäte jegnete? Wo mareft
du jet, unfchuldige, jelige Zeit, da das Zelt der Patriarchen Engel
bewirthete und fih um einen Hirtenzug zwei Heere Gottes lahern?
Jetzt flammt der Berg von Engeln Gottes, jebt zittert die Erbe
von jeinen zum Kriege ziehenden Heeren! — Niemand in ber Welt
kann die veränderte Sprache verfennen, die jetzt, verglichen mit
jener Patriarhengejchichte, in ber Beichreibung diefer Züge berr-
ſchet. MWeberall tönt die Wüfte Arabiens dur: ein Fels ift Gott:
ein brennendes, verzehrendes Feuer. Hornißen gehen vor ihm ber,
die er auf die Völfer Kanaans ſendet. Er wett den Blig feines
Schmwerts: er zieht Pfeile, die nach Blut dürften. Seine Rachengel
find Seraphim, feurige Schlangen, die er felbft auf fein Volt fen-
det; und immerdar erhebt er feine Hand durch die Himmel und
358 ſchwört: id bin Jehovah! der Eine! dein Gott, abtrünniges Iſrael
und lebe ewig. — Die größten Poefien und Bilder in Pfalmen
und den Propheten find aus diefem Zuge Mofes durch die Wüfte,
aus feinen Wundern, Reben, infonderheit aus feinem lebten Liebe
genommen: denn dies Lied ift, wie man offenbar ftehet, gleichlam
die Urmweißagung, das Vorbild und der Kanon aller Propheten. Wie
dies fih in Fluch und Segen, väterlihe Bermahnung und War-
nung theilt: fo alle Propheten. Ja felbft im Schmunge des Lie-
des, wie dies mit Himmel und Erbe anfängt: jo fängt auch Jeſaias,
jo fangen mehrere Weißagungen und Gejänge an und wahrſchein⸗
lich ward unfer erſtes Kapitel Jeſaias eben das Erfte und der Ein-
— 46 —
gang zu allen Propheten, dieſes Moſaiſchen Anfangs wegen. ad
dem Moſaiſchen Geje wurden die Propheten gerichtet, nad ihm
muften fie fich bilden.
Auf breierlei Weiſe bat alfo Moſes in die Poeſie feine
ganzen Volks gewirkt und auch dieſelbe, wie alles in feinem
Staat umſchränket. Zuerft durch feine Thaten: die Ausführung
aus Aegypten, bie Reife durch die Wüfte, die Eroberung des Lan-
des, da Gott vor ihnen geht und fireitet, warb der ewige Stef
ihrer Bilder und Lieder, wovon ich jet nur, (vielleicht Die beiden
größeften,) den Trauergefang Habakuls und den 68.ten Pfalm,
die ich Ihnen beide zufenden werde, befonders nenne. Diefer Zug
warb in fpätern Zeiten das Vorbild aller Wunder Gottes mit die- x
fem Voll, das Urbild ihrer Kriege und Siege, ihrer Wohlthaten
und Strafen. Die Einrichtung des Gottesdienſtes und Prieſter⸗
thums vechne ich auch zu den Thaten Mofes, dadurch er forthin
auf die Poeſie feines Volks wirkte. Sie warb hiedurch Tenpel-
gefang, fie ſchloß alle Götter und Hymnen auf Gefchöpfe oder
fabelhafte Weſen aus, fie brachte den Namen Jehovahs in die
Heinfte der bürgerlichen und häuslichen Pflichten, kurz fie machte
die Poefie der Ebräer in allem Heilig. Wie Moſes und Mirjam
am rothen Dleer gejungen batten: fo befang man nachher alles als
Gottes That. Da der ganze Staat priefterlih, da auf Opfer und
Heiligthum alles gegründet war: fo Heidete ſich auch die Dichtkunft
in allen Schmud der Priefter, des Tempels, der Gottesgebräude;
zumal da David, der Wiederermeder des Jüdiſchen Geſanges auch
viel auf die Pracht des Heiligtbums hielt und in feinen Gefängen
fo gar Gott in diefelbe kleidet. Erft fpätere Propheten wagtens,
wieder zum reinen Bunde Gottes mit Abraham zurüdzulehren, und
weil fie den Misbrauch der Opfer, den Verfall der Prieſter, bie
Abgötterei der Tempelgebräuche mit allen ſchädlichen Folgen vor
fih jahen, über das alles hinweg zu fehn und Sfrael wieder an
Abraham zu erinnern. Vorzüglich that diefes der groſſe Jeſaias, ber
Adler mit dem Flammenblid und dem ätheriſchen Sonnenſchwunge 360
unter den Propheten. Auch bier hatte alfo die Einrichtung Moſes
|
— 47 —
das Schickſal aller Einrichtungen auf dieſer Erde: zuerſt heben ſie,
zuletzt ſchränken ſie ein. Die Poeſie der Ebräer bekam einen un⸗
verkennbaren Vorzug vor allen Nationalpoeſien der Erde, daß fie .
Gottes⸗ daß fie reine Tempelpoeſie ward; zulegt ward fie auch ala
folche gemißbraudt: der Baum blieb ftehen und wuchs nicht weiter,
er erfticte im QTempelgemölbe. Der erhabenfte Vorhall alter Zeiten
ward öder Nachhall im Ohr der ſchlummernden, abgöttiichen Nachwelt.
Das zweite Mittel, wie Mofes unfterblich auf die Poeſie fei-
nes Volks wirkte, war, die Befchreibung feiner Thaten, feine eigne
Poefien und Lieder. Sein letztes Lied warb, wie gejagt, das
Vorbild der Propheten: Iſrael mufte es auswendig lernen und fie
baltens, fo hart es für fie tft, noch ſehr hoch. Sein Lied am
rothen Meer ward das Vorbild der Lob⸗ Gieges- und Errettungs-
pfalmen, fo wie der erhabne neunzigfte Pfalm das ſchöne Vorbild
lehrender Lieder. Ueberhaupt ift die Poeſie Mofes, wie eö auch
fein Leben und Charakter war, viel umfaßend, aber hart, ernft und
einfam. Sie glänzt, wie fein Angeſicht; aber eine Dede hangt
vor ihr. Der Geift in ihr, in feinen Anftalten und Schriften, ift
vom Geift Hiobs, Davids, Salomo's jehr verſchieden. — Die eigne
361 Beichreibung feiner Anftalten und Reifen gehört ebenfalls zu dem
Werkzeuge, von dem ih rede. Daß er feine Gefege und Züge
auffchrieb und jene zum Kanon der Priefter, diefe, inſonderheit bie
legte Wiederholung des Geſetzes, zur Lehre des Volle machte, daß
er einen eignen Stamm von Menjchen wählte, die, befreiet von
andern Geſchäften, ſich dem Lefen, Abfchreiben und Ausüben ſei⸗
ner Gefege und Rechte widmen muften, daß er Denkzeichen, Figu⸗
ven, Hieroglyphen ausſchloß und Schrift, Buchſtabenſchrift ſowohl
zum Schmuck des Hoheprieſters, als zum Geſchäft der Prieſter und
damals gewiß zum Vorzuge ſeines Volks machte, daß wahrſcheinlich
Er die alten Geſchichten und Sagen ſeines Volks ſammlete und ſie
als ein Heiligthum der Vorwelt, ja als den Grund ſeines Geſetzes,
feiner Lehre, der Rechte Iſraels auf Kanaan u. f. der Geſchichte
vorihob: dadurch machte oder mollte er ein barbarifches Volt,
wenigftens einem Theil nah und in Grundgeſetzen der Verfaßung,
— 458 —
zu einem literaten Volk machen. Die Arche ſeiner Hütte, ſo fern
ſie Buchſtabenſchrift enthielt, verwahrte einen Schatz der Vorwelt
und das große Mittel der Völkerbildung bis auf die ſpäteſten Zei⸗
ten. Wären ſeine rauhen Geſetztafeln noch da, fänden ſich die
Felſen, die er vor ſeinem Ende mit Buchſtabenſchrift beſchreiben ließ,
noch auf; wir hätten an ihnen das verdienteſte Denkmal der Urwelt
Das dritte Mittel endlich, wodurch Moſes auch die Mieber- 362
erwedung bed heiligen Gefanges in Zeiten des Verfall? beforgte,
war das Recht, das er den Propheten gab und vorſchrieb. Der
weife Mann abndete ſowohl mit feinem Recht der Könige als die⸗
fem Propheten - Recht Zeiten vorher, da man von feiner Borfchrift
wiche; öffentlichen Gräueln der Art ſetzte er alfo eine Stimme ent-
gegen, die das Volk, die den König felbft zu feiner Beftinnmung
zurüdrief und fi) mit dem Anfehen Moſes, des Stifterö der Ration
ſchützen konnte. Das waren aljo die Wächter, die Weile des Volks,
die aufmunterten, wenn alles fchlief, die, wenn die Priefter ſchwie⸗
gen und die Großen dbrüdten, im Namen Jehovahs ſprachen, unter:
weiſend, tröftend, warnend. Dieje Befugniß Mofes bat uns einen
Elias und Elifa, einen Jeſaias und Habaluk gegeben: fie hat feine
Geftalt und Stimme wenigftend im Schatten, im Nachhall erneuret.
Man liefet die Propheten nie recht, wenn man fie ald Weißager,
ala Träumer, ald Marktfchreier anfieht; Nachfolger Mofes waren
fie, Anwender und Erneurer jeines Geſetzes in verfallnen Zeiten;
und einige unter ihnen waren jehr weltiluge Männer, große Ned-
ner, lehrreihe Dichter. Am Jeſaias ift vielleiht mehr ala cine
Republik Platons. — Uebrigens balte ich Moſes für den Verfaßer
der Sprüde und Weißagungen Bileams nicht: in ihnen athmet ein
andrer und darf ich jagen poetifcherer Geift als in den Poefien 363
Mofes. Diefer, fo großer Dichter er war, war mehr Gefeßgeber
ala Dichter, und infonderheit zeigt fein letter Segen, zumal wenn
man ihn mit dem Spruch Jakobs vergleicht, fein mattes Alter,
jeine das Grab ſuchende Seele.
Er ftarb, fagt die Ichöne Sage jeines Volks, am Munde Got>
tes und Gott begrub ihn felber. Er ftarb auf einem Berge, das
— 459 —
Land überfhauend, für das er alles gethan und gelitten hatte,
was Menjchenkräfte leiden und tragen mögen: fein Auge follte es
ſehen, fein Fuß aber nicht berühren. Auch den Fels im Dulden,
Thun und Tragen hatte Unglaube und Ungebuld wankend gemadt ;
er kam alfo nicht zur Ruhe, erlebte nicht das Ziel feiner Reife.
Weiſe und gut, daß ers nicht erlebte! Nicht mit Blut der Kana⸗
niter mußten die Hände befledt werden, die den Stab übers rothe
Meer ftredten, die in der Wolle das Geſetz empfingen, die Gottes
Heiligthum bauten. Auch in der Schladht mit den Amalefitern
erhoben fie fih nur betend.
Welch ein Unterſchied, wenn man bie beiden Brüder, Mofes
und Aaron, zufanımen betrachtet. Diefer Körper, jener die Seele:
„Er fol dein Mund ſeyn, bu follt fein Gott feyn!” fo iſts aud
zwifchen Prieftern und Propheten immer geblieben. Wie wenige
364 Priefter ftellten fih auch in einem Volt, mo fie der lehrende, der
richtenbe, der die Geſetze der Nation bemahrende, gewißermaaſſe ber
töniglihe Stand waren, dem Berderben entgegen? ja fing bei
ihnen unter Richtern und Königen nicht immer das Verderben zuerft
an? Eben wie Aaron das goldne Kalb machte, indeß jein Bru-
der auf Sinai mit Gott ſprach und Geſetze überdachte: fo waren,
als Mofes Nachfolger, Elias, am Berge Horeb oder auf dem
Karmel trauerte, hunderte von Prieftern gemäftete Baalspfaffen.
Unter allen Propheten find nur zween, nicht eben die mutbigften,
nicht eben die größeften, Priefter.
Empfangen Sie hier die harte, eifrige, biß zum Tode gequälte
Seele Mofes noch in feinem legten Flammen - Lieve. Was feine
Thaten, Anitalten, Beichreibungen und andre Lieder für Stimmen
der Poeſie hervorgebracht Haben, wollen wir im Berfolg fehen;
aber in diefem Gedicht ericheint Ihnen ganz der flammende Berg,
die Feuer- und Wollenfäule, die vor Sfrael 208, und in ihr der
Engel des Angefichts Jehovah.
— 460 —
Lied Moſes vor feinem Ende ans verſammlete Iſrael 35
Bernehmt ihr Himmel meine Rebe;
die Erbe böre meines Mundes Wort.*)
Wie Regen fließe meine Rebe fanft,
es träufele mein Wort wie Than,
wie Regen auf das junge Grün,
wie Thau auf Pflanzen träuft:
denn Gottes Namen will ich laut verkünden,
gebt ihm den Ruhm, Jehovah unferm Gott.
Ein FelsP) ift er: untabelich fein Wert‘)
und alle feine Führungen gerecht:
Gott iſt die Wahrheit, fonder Trug,
redlich unb treu ift er.
Nur fie, nicht feine Kinder mehr,“)
ihr Schanbdfled bat fie von ihm abgeführt
die untreu = bdfe Art.
Giebſt du Jehovah das zum Dant,
bu ımerlänntlich= thöricht Volt?
M er dein Vater, bein Befiter nicht ?
ber dich bereitet, der dich ibn erfauft bat?®)
— — — —— — —
a) Himmel und Erde nimmt Moſes zu Zeugen (5 Moſ. 31, 28.) wie 365
nachher oft die Propheten. Der ganze ſanfte Eingang zu einem Lehrgedicht,
das ſo flammend endigt, iſt nachher mehrmals Eingang der Lieder und
Lehre geworden.
b) Ohne Zweifel iſt das Bild des Felſen, das in dieſem Liede ſo oft
und faſt als eine gemeine Redart vorkommt (V. 15. 30. 31. 37.) vom Sinai
und ben Yelfen Arabiend bergenommen, zwifchen benen Sfrael fo lange
gewandelt hatte. Auf Sinai war der Bund gemacht und von Gotted Sei-
ten war ber Bund, wie ein Fels ewig.
c) Iſrael tadelte oft die Führungen Gotte8 auf ihrem Wege in ber
MWiüfe, Mofes nimmt des Erhabnen Partei und zeigt, daß von ben Ber-
heißungen, die er ihnen feit Abraham gegeben, noch kein Wort auf die Erde
gefallen fei.
d) Diefe etwas harte Wortfügung ift gewiß ächt, weil fie mehrmals vor-
tommt (8. 17. 21.) und gleichſam die Seele des ganzen Liedes if. Gott bleibt
der emwigtreue Vater; nur fie verlaßen ihn und werben erft durch Unart, als⸗
denn im Schidfal nicht mehr feine Kinder. Sie vertennen ihn; er verlermet fie.
e) Schon Mofes Kat den Ausprud, den bie Propheten oft brauchen:
daß Gott in Abraham Ifrael als fein Kind angenommen und fich daſſelbe
ef)
367
Dent an die alten Tage!
bör’ an, die Jahre von Gefchlechte zu Gefchlecht,
frag’ deinen Bater drum, er wird dirs fagen,
und deine Greife, daß fie dir erzählen.)
Da der Erhabene den Böllern Länder gab,
da er die Menſchenkinder ſchied,
umfchränfte er ber Bölter Grenze,
daß wohnen könnte die Zahl Sfraele.r)
Denn Gotted Erbtbeil ift fein Bolt,
Jakob der Umfang feines Eigenthums.
Er fand ihn in der Wiftenei,b)
in Einöden, wo Thiergebeul erfchallt;
und nahm ihn unterweifendb in den Arm,
wie feines Auges Apfel bütete er ihn.
Gleichwie der Adler rings umbedt fein Neft
und über feinen Jungen ſchwebt:
Aus fpreitet er die Flügel, nimmt fie drauf,
und trägt fie hoch auf feinen Fittigen;
als Bolt zubereitet, gebohren, erzeugt bat. Unter Moſes kaufte ers ſich aus
Aegypten als einen leibeigen gemeinen Knecht zu; alfo bat er Herren- und
Baterrecht an ihm, wie Mofes Bier deutlich unterfcheivet. Wie wahr ift bie
Unterfeibung auch im Geift und in der Begegnung beider Zeiten!
f) Im Folgenden wird fogleih angeführt, was die Bäter erzählen.
follen. Moſes fteigt bis zur Böllerfcheidung und Ländertbeilung hinauf, da
367 der Allmädtige, indem er aller Nationen Wohnfige beftimmt, die Grenzen
berfelben gleihfam enger abzirkt, bamit die Meßſchnur feines Erbes, Kanaan,
den 12. Stämmen bleibe. Died Land wird biemit gleihfam das meditul-
lium, ber Mittelpunkt der Erde, wofür jede Nation bes Alterthums ihr
Heiligthum hielt; davon wir ein andermal fprecdhen werben.
g) d. i. das zahlreiche Ifrael: fo groß es ift, fo viel Raum die zwölf
Stämme braudten. Die Worte haben zu viel Fabeln Anlaß gegeben und
find fo deutlich.
h) Der Zug Ifrael® durch die Wüſte. Am Ufer des rothen Meere
* findet Gott den Knaben und führt ihn bis auf die Gebürge Bafans, deren
Früchte und Vorzüge befchrieben werben. Die Worte: ein fremder Gott
war mit ibm, beziehen fich drauf, daß frael unter feinem andern Schutz⸗
gott, als dem Ichovah, ans Aegypten ausgezogen, errettet und fortgezgogen.
Ihre Abgötterei und Schändlichkeiten mit Baal-Peor gefhahen nur an ber
Kananitifhen Grenze.
— I —
fo führte ihn Jehovah, Er allein,
fein fremder Götze war mit ibm. .
Er führer’ ihn Hin auf der Berge Höhn,
und ließ ihn koſten da der Erde Frucht,
ließ aus dem Fels ihn Honig faugen,
gab Del ihm aus dem harten Stein,
Butter der Kübe und der Schaafe Milch,
das Fett der Lämmer und ber Widder Baſans,
das Nierenfett der Böde, Weizenbrot')
und Blut der Traube, Wein.
Da warb Yilchirun*) muthig und fchlug aus,
du warft zır fett, zu fatt, zu voll,
entliefft dem Gott, der dich zum Bolt gemacht,
bielteft geringe deiner. Rettung Fels.)
Ya fie ereiferten ihn über Sremdlingen,” 369
mit Scheufaldgögen reizeten fie ibn:
fie opferten Dämonen und nicht Gott,
Söttern und lannten fie auch nicht,“
Neulingen, kaum erfundnen Göten,”)
i) 3b bin bier von der Interpunftion abgegangen, weil mir das 368
Nierenfett des Weizens nicht gefällt und der natürlichere Sinn daliegt. Daß
alle diefe rückte und Speijen bier fo betaillirt werben, zeigt, jo wie alles,
vpn ber genetifchen Wahrheit dieſes Gedichts. Da das Boll fo lang' in
der Wüfte geweſen war, muften ihm biefe Gebirge Elyfium und feine Früchte
Speifen des Paradieſes dünken.
k) Das Wort iſt ein Lieblingsname, der Iſrael als einem Knaben
gegeben wirb, welche Perjonifilation den größeften Theil dieſes Gedichts
durchgehet. Auch in Moſes Segen und bei Jeſaias kommt der Name fo vor.
I) Abermal® der Unterfchieb, daß Ifrael unter Abraham ale Sohn 369
ermählet, unter Moſes vom Schutgott als Knecht erlauft fei.
m) Hier ſehen wir bie firengen und wahren Begriffe Moſes von der
Adgötterei, die der Grund feiner Gefeßgebung waren. Die Götzen waren
ein Nichts, fie waren Scheufale, fie waren Iſrael frembe: die erfte Urfache
war philoſophiſch, die andre moralifh, die dritte national. Ihr Jehovah
war ihnen der einzig wahre, ber reine gute, ber alte Stammes- und
Schutzgott, dem fie fih am Sinai aufs neue verpflichtet hatten.
n) Dan fieht, wie Moſes an den Gott feine® Bolls und der Bäter
als an einen alten Gott denkt: ihre Nachrichten von ihm und ben Bätern
1) Mie.: Göttern und lannten fie nicht einmal,
— 463 —
vor denen euren Vätern nie gegraut°) —
Unb ihn, der dich gezeugt, den Fels vergaßeft bu,r)
vergaßeft Gott, der Dich zur Welt gebobren.
370 Das jah Jehovah und verwarf im Zorn,
bie feine Söhne, feine Töchter waren.
Abwenden, fprach er, will ich mein Geficht,
und ihren Ausgang fehn:*)
denn ein verkehrt Gefchlecht find fie,
Kinder von böſer Art.
An ihrem Ungott machten fie mich eifern,
fie reizten mich durch ihrer Götzen Dunft;
auch fie will ich durch ein Unvolk erzürnen,
ein Dunft der Nation foll reizen fie.)
Dem meine® Grimmes Glut ift angebrannt,
und brennen fol fie bis zur Unterwelt,
fol zehren auf, die Erb’ und ihre Frucht,
fol der Gebürge Gründe flammen an.
Aufhäufen will ih auf fie Noth auf Notb,
will meine Pfeil’ auf fie verfenden all’.
Berzehrt vom Hunger und verzehrt von Geiern,
verzehrt von bittrer Belt —
will ich auf fie den Zahn der Thiere fenden,
das Gift der Schlange, die im Staube fchleicht.
Bon außen fol das Schwert fie Waifen machen,
von innen") Angft,
mußten alfo au alt und früber als von Mofes feyn. Vielmehr verän-
derte er ihre alte Hirtenreligion und machte das Kind zum Knechte.
0) Der Ausdruck wird gebraucht, nicht weil e8 den Bätern vor dem
rechten Gott, fondern weils dieſen vor den Nichtigfeiten, der Dämo—
nen graute.
p) Das Wort Feld wird hier nicht als Bild gebraucht: e8 beißt Bun⸗
des⸗ und Schußgott; und biefer Schußgott war Bater.
370 q) Wie es mit ihnen abläuft.
r) Der Ipiotismus Kinder Niht- Kinder, Gott Nicht-Gott, Bolt
Nicht- Volt gebet durchs ganze Stüd und iſt völlig aus des Geſetzgebers
Seele. Die Einrichtung, die Er gemacht, war ihm die Einzige: alle andere
Nationen waren ihm nicht Völker, nicht eingerichtete Staaten, ſondern
uncivilifirte Horden.
8) Außerhalb und innerhalb der Städte und Häufer.
— IA —
ſeis Jüngling oder Jungfrau,
ſeis Säugling oder Greis.
Faſt ſpräch' ich:) ich vertilge fie,
loſch' unter Menſchen ihr Gedächtniß aus;
wenn ich des Feindes Hohn nicht ſcheuete,
daß ihre Dränger das verlenneten
und ſprächen: „unfre hohe Hand
und nicht Jehovah Kat das Wert getban!”
Denn ein im Rath beillofes Bolt ift dies,
Berftand ift nicht in ihm.
O wären weiſe fie, dies zu verftehn,
bedächten fie, was ihnen einft geſchieht.
Wie fommts, daß dort ein Ein’ger Taufend jagt?")
daß ihrer zwei Zehntaufenb vor fich treiben?
Iſts nicht, weil fie ihr Schuß verlaßen?
weil fie Jehovah Preisgegeben hat?
Denn fonft war jener nicht und unfer Schutgott gleich,
deß mögen felbft die Feinde Richter feyn.
Bon Sodoms Weinſtod ift ihr Weiuftod ber,
aus dem Gefild’ Gomorrha's ihre Trauben,
Gifttrauben; ihre Beeren bittre Gall',
ihr Saft der Draden Gift,
der Schlangen tödtend Gift.
Liegt nicht bei mir geheimer Rathſchluß ſchon?
Berfiegelt Tiegt er fhon in meinem innen Schatz:
„Mein ift die Rach' und ber Vergeltung Zeit!
ſchon wantt ihr Fuß:
es naht ihr Unglüdstag:
ihr Schidfal eilt herbei.“
371
372
t) Daß Gott Hier mit menſchlicher Eiferfucht als Schutgott gegen 371
andre Nationalgätter rebend eingeführt werbe, ift offenbar.
u) Auf einmal ſetzt fi der Dichter in den Anblid des traurigen
Ausganges diefes Boll; und o wie genau, wie lange und ſchreclich ift
die Weißagung erfüllet worden! Und der Gefetsgeber des Volks mufte fie
ſelbſt thun! mußte mit folcher prophetifchen Ausſicht fein mitche gemachtes
Leben jchließen! ein Schidfal, das nur ein Feld, wie Mojes war, ertra-
gen Tonnte.
Jehovah wirb nun Richter feines Bolte,*)
ihn reuets, daß fie feine Kinder find:
er fiehet: matt ift ihre Hand,
nichts! nichts ift ihnen übrig mehr!
Da fragt er: „wo find ihre Götter nun?
der Schutgott, dem fie ſich vertraueten?
die ihre fetten Opfer aflen
und foffen ihrer Göbenopfer Wein.
Laß fie num aufftehn und euch Hülfe leiſten,
laß fie euch Dede feyn!
Nun fehet ihr, daß Ich, dag Ich es bin,
und feine Götter find mit mir.
Ich bins, der töbtet und belebt,
373 ih bin es, der zerſchlägt und heilt,
von mir errettet Nichts.
. Zum Simmel beb’ ich meine Hand
und ſpreche: Ich, der Lebende
in Emigteit!
Wenn ih den Blitftral meines Schwerte® fchärfe
und meine Hand greift zum Gericht,
fo will ih Rad’ an meinen Feinden üben
und meinen Saflern es vergelten reich.”)
Will Blutes trunken maden meine Pfeile,
mein Schwert ſoll fätt’gen fih an Leichnamen,
am Blute des Erfchlagnen, des Gefangnen,
an der Bornehmften meines Feindes Haupt.”
Jauchzt auf, ihr Heiden, itt fein Bolt!
Er rächet feiner Knechte Blut,
372 x) Die Ueberjegungen, die dieje Reihen als gutes Schidfal barftellen,
haben die Verbindung offenbar wider fih. Der Fluch auf das Bolf gebt
fort und bis zu des Gedichte Ende; im folgenden Kapitel folgt erft ber
Segen. Es iſt fchauerlich, wie Gott num als Richter ven Vater vergehen
muß, und nod fühlt, daß fie feine Kinder waren.
373 y) Ih kann biefe Worte nicht anders, als noch immer vom Jüdiſchen
Bolt verfiehen. Einſt feine Kinder, jet feine offenbaren Feinde, an
denen er Rache übe. Er verwirft fie und nimmt die Heiden zu feinem
Bolt an.
Herbers fänmtl. Werte. XI. 30
— 46 —
und übt an ſeinen Feinden Rache
und reiniget fein Land und Bolt.“)
z) Die letzte Reihe ift mir duntel, weil vor dem Bolt im Ebräifchen
bie Berbinbungspartifel fehlet. Es ſcheint, man habe das, was Fluch feon
follte, vielleicht gern al® Segen leſen wollen; ba do ber Segen eigentlid, 374
in einem abgetrennten Kapitel folget. Die Heiben, jetzt das Bolt Gottes,
werben berzugeruffen, das Gericht Gottes über Ifrael zu ſehen: er rächt
das Blut feiner Knechte an diefem Bolt und entjündigt das Land, daß ers
von feinen Einwohnern reinigt. (Ich entfcheide nicht, ob die Partilel vor
dem lebten Wort 7 ober 2 feyn müßte. Der Segen Mofes, fo wie
Jalobs ift in den Briefen, das Studium der Theologie betref-
fend, überfegt [X, 54 — 77]; die alfo beide hier nicht wiederholt werben.)
Gnug, ber Erſte endigt, mie ber lebte der Propheten: das Bolf mirb
binausgemworfen und verbannt.!
1) Mic.: binausgerworfen und ein ewiger Bann.
Ende des erften Theils.
1 Mof. 1,
Berzeihniß
der überfegten und erläuterten Schriftftellen.
1. ©. 48 - 56.
2. ©. 64 - 67.
3. ©. 56. 57.
4. ©. 68. 69.
6. ©. 70-73.
11. 12. ©. 76. 77.
14. ©. 78.
20 f. ©. 82.
26. ©. 207 = 210.
1 Moſ. 2, 7. ©. 202. 211.
1 Mof. 3,
8 f. ©. 158 - 155.
9. ©. 155. 162 f.
17. ©. 164. 165. 173.
18-22. ©. 160.
23-24. ©. 161.
25. ©. 162.
1. ©. 167.
5. ©. 169.
7. ©. 174.
10. ©. 19%.
14. 15. ©. 168.
16-23. ©. 1741.
24. ©. 177. 186. 188.
1 Moſ. 4, 5-8. ©. 249. 250.
9-12. ©. 245 f.
21-24. ©. 344.
25. 26. ©. 336.
1 Mof.5, 1.f. ©. 335
22. * S. 224. 234.
29. ©. 251.
1 Moſ.
2 Mof.
5 Mof.
6, 2.©. 264.
3. ©. 208. 251.
5
—
DD |
—
oo
11,
BonmmSmonsS
AR
18, 1.17. ©. 288.
19, 24. ©. 343.
21, 15. f. ©. 301.
22, 1. ©. 288.
27, 26-29. ©. 302. 308.
39. 40. ©. 302.
28, 11. f. ©. 296. 297.
32, 10-12. ©. 295.
24-31. ©. 296.
35, 10. ©. 297.
37-50. ©. 321. f.
25, 17. 18. ©. 178.
32. ©. 365.
30*
— IE —
1 Sam. 4, 4. ©. 183.
1 Kön. 6, 233. ©. 179.
2 Kön. 2, 11. 12. ©. 189.
Hiob 1, 6. 7.f. ©. 138,
20. 21. ©. 308.
2, 11.12. ©. 126. f.
8, 3-10. ©. 64. 65.
11-19. ©. 236.
4, 12.f. &. 67.
5, 8-26. ©. 268. 269.
7, 1-21. &. 203 - 205.
8, 9-10. ©. 91.
11-18. ©. 212.
9, 2-12. ©. 4. 4.
10, 3. 9. ©. 203.
20-22. ©. 236.
11, 7-9. ©. 58.
14, 1-21. ©. 215 - 217.
16, 16:20. ©. 249.
19, 19-21. ©. 309.
35, 2-6. ©. 9.
26, 2-14. ©. 92. 9.
28, 1-28. ©. 274 - 277.
29, 2=25. ©. 306 - 308.
31, 1-40. ©. 311-314.
26 -28. ©. 77. 78.
35-37. ©. 139. 140,
32, 1.f.©. 146.
18-20. ©. 15.
33, 4-6. ©. 207.
36, 2-32. ©. 96.
37, 1-4. ©. 97-9.
6. ©. 57.
Hiob 38, 1-38. S. 100 - 104.
39-41. ©. 121.
29, 1:30. ©. 121 - 124.
49, 10-19. ©. 130 - 132.
Pſ. 2,1.2.4 ©. 2358.
8. ©. 209.
16. ©. 231. 232.
18, 5-18. S. 196 - 19.
19, 5=7. ©. 78. 79.
29, 1-10. ©. 19%. 200.
46. ©. 272.
49. ©. 228 - 230.
73, 23-26. ©. 240.
104. ©. 68 - 84.
133. ©. 23. 24.
139, 1-18. ©. 45 - 47.
146. ©. 273.
147, 15-18. ©. 57.
Jeſ. 6, 1:11. ©. 184.
1l, 6-9. ©. 159.
14, 3-23. ©. 262 - 265.
37, 16. ©. 165.
51, 1-3. ©. 29.
54, 7-10. ©. 255.
63, 15:17. ©. 293.
Klagel. Ser. 4, 21. ©. 126.
Ezech. 1, 4-28. ©. 191 - 19.
28, 12-19. ©. 194 : 196.
Habak. 4, 1-15. ©. 177. 178.
10. 11. ©. 79.
Maleachi 2, 14. 15. ©. 22.
— — — — — — — — — —
Berzeihniß des Inhalts.
"Abel: Rache feines Todes ©. 245. 246. Sein ſchreiendes Blut in der
Poefie der Morgenländer 247. 248.
Abendftern: Oßians Anrede an ihn ©. 118.
Abgrund des Ungebohrnen ©. 64. 65. Des Ungefchaffenen S.94. Thore
und Tiefen deſſelben ©. 102.
Abraham: warum er gezogen? ©. 286. fein Mitbeſitz Kanaans 286.
Berläugnung feines Weibes in Aegypten 287. Seine Freundſchaft mit
Gott 288. 289. Symbol des Bundes feines VBolts 290.
Adler: Schilverung deſſelben S. 124. 125.
Aegyptifche Bilder im Buch Hiob S. 128. 129. im Todtenreiche 234.
. was in der Mofailhen Berfaßung Aegyptiſch und Anti Aegyptifch gewe⸗
fen 351. 352.
Babel: fortgehendes Bild beffelben in der Ehräifchen Poefie S. 261 - 265.
Baum ber Weisheit: ob er Einkleidung fei? ©. 162. was fein Name
bedeute? 163. 164. Pflicht an ibm S. 165. Entwidlung der Sage bef-
felben 172 = 177.
Baum bes Lebens ©. 158.
Bebemotb: was er fei? ©. 130 = 132.
Belial ©. 222.
Berg der Götter in Norden ©. 187.
Blut: ruffet &. 247. 248.
Buchſtabenſchrift: wenn und wie fie erfunden ©. 332. 333. bei wen
und womit fie fich fortgeerbet 335.
Chaos: ob e8 die Morgenlänber gelanıt? ©. 66.
Charte: ob das Gefchlechtregifter der Söhne Noahs Eharte der Welt fei?
©. 324. 325. wer e8 zur Charte gemacht? 326 - 828.
Cherubim: obs Donnerpferbe waren? S. 177. 178. Geftalt derſelben
bei der Bundeslade und im Tempel 179. 180. Urfprung der &ompo-
fition 181. 182. Gefchichte derfelden in ber Poefie der Ebräer 183. 184.
— 40 —
Hauptbegriff derfelben 186. Eherubim an ber Pforte des Parabiefes
186 - 188. Erſcheinung Gottes über ihnen 191 - 19%. König von Tyrus
ein Cherub 194 - 196.
David unterjodte Edom ©. 135.
Donner: Größe Gottes in bemfelben S. 96-99. Stimme Gottes 189.
190. 199. Gemaählde des Donners 196.
Donnerpferde f. Cherubim.
Eis: Bilder befielden S. 57. 108.
Elihu: Charakter der Poefie befielden S. 95. Gemählde des Donners
©. 96 - 99.
Elohim: wahrſcheinlicher Urfprung ihres Begriſs ©. 48-50. Kampf
Jacobs mit Elobim 295-298. Unterfchied der Sagen mit Elohim und j
Jehovah 345. 346. Elohim auf dem Berge der Bötterwerfammlung 187.
im Barabiefe 169.
Engel: Berbältniß Derfelden gegen die Elobim S. 50. Perfonificationen
des Worts Gottes S. 58.
Erde: poetifches Bild ihrer Schöpfung ©. 74-76. Perfonification derfel-
ben ©. 100.
Efau: fein Segen S. 302.
Fabel: aus Bemerkung der Thiere entflanden 158. 159. Ob die Sage
vom Erkenntnißbaum eine Aecfopifhe Kabel ſei? S. 170. 171. ob der
Thurmbau zu Babel Fabel fei? 340 - 343.
Gedichte: Sprade und Schrift S. 32-35. Lobgeſang auf Gott ©. 61.
62. Gedichte von Ofßian 115-119. Arabifches Troſtgedicht S. 237.
238. Das Land der Bäter 239. 240. Stimme der Vorzeit 347. 348.
Geift: Urfprung des finnlichen Begriffs deſſelben S. 67.
Gemfe: Schilderung berfelben ©. 121.
Geſchlechtregiſter der Patriarchen S. 322. von Abraham bie Noah 324.
der Söhne Noahs 326 - 329. vor der Sündfluth 329 - 331.
Gott: Empfindung befielben in der Natur S. 40. 41. Ob der Schauer
für bemfelben in der älteften Religion Stupidität oder Verehrung bes
Teufels geweien? S. 42, Die erften Begriffe von Gott fcheinen rein und
edel gewefen zu ſeyn ©.43-48. ab fie polytheiftifch waren? ©. 48. 50.
Wie wichtig der Begriff der Einheit Gottes dem menſchlichen Gefchlecht
gewefen ©. 51. Gott Himmeld und der Erbe ©. 52-56. als König
S. 56. 57. als Hausvater ©. 58. 59. Lobgefang auf Gott ©. 61 - 62.
Reine Natnrideen von Gott im Buch Hiob S. 91-104. Bild deflelben
— 41 —
als eines Richters unter Sternen ©. 91. al® Gebieter8 über das wilde
Meer und den Abgrund des Ungebohrnen S. 93-95. Gottes Anrebe
an Hiob S. 99-104. ©. 121-124. Sein Umgang mit ben Patriarchen
S. 288. 289. Glaube an ihn, die ftillete Tugend und ebelfte National-
bildung S. 2%. 291. Moſes Begriffe von Gott ©. 351. 352. Seine
Vorſehung ſ. Borjehung.
Götterſöhne S. 254.
Grab: Urſprung des Todtenreichs S. 218. 219. Arabiſche Bilder deßel⸗
ben 237. 238.
Hauch Gottes in der Natur und im Menſchen S. 205. 208.
Henoc giebt den Begrif der Aufnahme zu Gott ©. 224 - 234.
Hieroglyphen Helfen der Buchftabenfchrift bei den bebeutenden Namen
332. ob aus ihnen je Buchllabenfchrift werde? 333. Hieroglyphe ber
Schöpfung und des Falles 335. 336. ob fie Aegyptifchen Urſprungs
337 - 339.
Himmel: wie ihu fih die Morgenländer urfprüngli dachten S. 70. ob
als Waflergewölbe? Zelt? Sapphier? gläfernen Fußboden? Vorraths⸗
haus der Erquidung? ©. 71-73.
Himmel und Erde: ältefter Parallelismus berfelben ©. 52. ob in ihm
Berbältnig ſei? S. 53. was die Poefie der Morgenländer mit ihm
gewonnen? ©. 54 - 56.
Hiob: Buch Hiobs, wie es zu Iefen? S. 89. 90. wo fein Berfaßer lebte?
S.125 - 127. Wrabifche Weisheit in demſelben S. 127. 128. Aegyptifche
Bilder in ibm ©. 128. 129. Kreis der Känntnife in demſelben ©. 130.
Ob Moſes es gefchrieben? S. 132. 133. 0b ers überfett habe? 134.
Wenn und durch wen e8 nad Judäa gelommen? ©. 136. von der hiſto⸗
rifhen Einleitung deſſelben S. 137. Gerichtliche Bilder befielben ©. 138,
Entwurf deſſelben S. 139. Ob e8 ein Drama fei? ©. 140. 141. Com⸗
pofition befielben als Kunft betrachtet S. 143-149. Bild Hiobs im
Glück, in Thätigleit und Würde 306. im Unglüd 308. in felfenvefter
Hoffnung 309. 310. feine Sittenlehre 311 - 314.
Hymnen: ob die Ehräifche Poefie fie auf Gegenftände der Natur leide?
©: 77. 78.
Jacob ringt mit Gott 295-298. fiehet die Himmelsleiter 298. 299.
Segen auf ibn 302. 303. fein Kampf mit Elohim, ob er eine Kabel?
341. 344.
Idumäa: daß es früh gebildet geweien &. 127. 128. fein Handel 275.
Joſephs Geſchichte, wie fie fi erhalten ©. 321. 322.
— 412 —
Iſmael: Weißagung über bvenfelben 301. 302. Ton feiner Gefchichte
323.
Kanaan: Abfichten darauf von frühen Zeiten S. 284. 323. Poefſie
Kanaans 304. Sprache Kanaans 316. 317. Anrecht der Kananiter aufs
Land 318. werden von den Semiten wie ein Knechtsſtamm betrachtet
©. 319. ihr Gottesdienſt und Geift 320.
Klagegefang über den König zu Tyrus ©. 19-196. Hiobs über das
Menſchenſchickſal 203 - 205. daß keine Rückkehr fei aus dem Zobtenreiche
215-217. Jeſaias über den König zu Babel 262 - 265.
Lebrpoefie muß die Menſchen mild, nicht wild machen ©. 248. über bie
Borfehung f. Vorfehung. Lettes Ichrendes Lieb Mofes S. 366.
Licht: morgenländifche Begriffe deßelben S. 68. 69. Miltons Anreie ans
Licht S. 86-88. Wohnung defielben S. 102.
Lied Lamechs: das ältefte Lied, feine Bebentung S. 344. 345.
Lobgeſang auf Gott ©. 61. 62. auf die Schöpfung ©. 68. 74. 83. 84.
woher der Ton befielben ſei? S. 5. Miltons Lobgefang ans Licht
©.86-88. David8 über die Majeftät des Menfchen 209. auf die Hülfe
Gottes 272. auf die Borfehung 273. Lobgebicht Hiobs auf die Weis-
beit 274 - 277.
Löwe: Schilderung befelben ©. 121.
Menſch: Urfprung defſelben S. 202-205. Schwachheit und Stärke 205-209.
Begrif ber Epopee feiner 210. Der Menfch ein Gotteögebilde 211. ein
Kind Gottes auch in der älteſten Moral 212-214. Weiſe Abnahme
feiner Iabre und Kräfte 251-253. foll alles moralifh anfehn ler-
nen 256.
Meer: Perfonification deßelben S. 101.
Miltons Anrede ans Licht ©. 86 - 88.
Mond: BPerfonification deſſelben S. 79. Oßians Anrede an benfelben
117. 118.
Morgenröthe: Bild derſelben &. 36. 37. erſtes und natürliches Bild ber
Schöpfung ©. 38-40. Perfonification derfelben S. 69. 101.
Morgenftern: Perfonification befielben S. 69.
Mofes: ob er das Buch Hiob gefchrieben oder überjetst habe S. 132 - 134.
Sein Leben und Character 349. f. was er aus Aegypten genommen? 351.
ob der Geiſt feiner Geſetzgebung Aegyptiſch ei? 352. wie er auf die
Ebräiſche Dichtkunſt nach ihm gewirket. 358. Mofes und Yaron gegen
einander ©. 363. Sein Tob ©. 363. Daß er nicht Berfaßer ber
Beißagungen Bilcams fei ©. 364. Sein letztes lied ©. 365.
— 4173 —
Nacht: ältefte Nacht der Morgenländer, in der auch bie Stunden und
Tage fchlafen ©. 64. 65. Nachtgeiſt S. 67. Reich der Schatten S. 9.
Namen der Ebräifchen Sprache |. Spracde: bedeutende Namen ber Patriar-
hen ©. 330. 331. geben Anlaß zur Schrift 332 - 334. |
Naturpoefie der Morgenländer verbindet Wahrheit mit Empfindung u.
Didtung S. 67. Schönbeit derſelben im Buch Hiob S. 90. 91. Gottes
bei Hiob Über die Erde S. 100. Das Meer S. 101. Die Morgenrötbe
©. 101. 102. Licht, Nacht, Thau, Eis, Regen S. 102. 103. Über Sterne
und Wolten S. 104. 105. Ob Naturpoefie den Namen der Poefie ver-
diene? ©.106. Schönheit und Maas der Dichtungen in ihr S. 106-108.
ob fie rührend und mütlich fei? S. 109-111. Daß fie Zwed und Blan
haben müße S. 111-113. Naturpoefie in Oßian ©. 114 - 119.
Nimrod: was der gewaltige Jäger vor dem Herrn bebeunte? ©. 258. 259.
Noahs Fluh auf Cham ift Strafe des Königs und Hausvaters S. 283.
284. warım er au Kanaan ftrafet? S. 285.
Oßians Anrede an die Sonne S. 115. 116. den Mond S. 117. 118.
Abendftern S. 119. 120.
Paradies: Kindliche Begriffe deſſelben S. 151. 152. mo e8 gelegen?
S. 1583. 154. was es der Ebräiſchen Poefie für Bilder gegeben? ©. 155.
ob die ſinnliche Vorftellung deſſelben gefhabet S. 156. 157. Güldne Zeit
©. 159. Liebe des Paradieſes S. 160. 161.
Barallelismus der Ebräer ift daß fimpelfte Ebenmaas der Boefie in
Gliedern und Tönen ©. 22. Was die beiden Glieder zu einander find?
©. 23. Wie der Parallelismusd der Enıpfindung und dem Berftande
diene? S. 24. 25. Ob er nachzuahmen fei in andern Spraden ©. 26.
27. Parallelismus Himmels und der Erde ©. 52-56. Daß im älteften
Liede Thon Parallelismus und Reim fei ©. 344. 345.
Patriarchen: Tehler derfelden S. 294 mie fich ihre Gefchichte erhalten
©. 322. 323.
Berfonendihtung: wie nothwendig fie der Naturpoefie fei S. 106 - 109.
Perfonendichtungen Oßians S. 113. 114. auf die Sonne ©. 115. 116.
Mond ©. 117. 118. Abendſtern S. 119. 120. Perfonendidtung in
Thieren ©. 120 - 125. des Todtenreichs S. 222. 223. der Siinde ©. 250.
Bflanzen und Blumen: Belebung derfelben in der Ebräiſchen Dicht-
tunft S. 76. Ehe und Liebe, Perfonification und Kabeln derſelben ©. 77.
Erziehung derfelben wem fie zugefchrieben werde? S. 80.
Boefie: Ebräifche ift eine Poeſie des Bundes d. i. der Freundſchaft mit
Gott S.291. Kanaans 304. was im erfien Buch Moſe Boefie jei?
344. 34h.
Herder ſammtl. Werke. XI. 31
— 44 —
Propheten: was ihnen Moſes für Rechte gegeben? S. 362.
Rabe: Schilderungen deſſelben S. 121.
Regen: Bilder deſſelben S. 72. 98. 103. 104.
Regenbogen: ein verſchiedenes Symbol in Orient und Norden S. 255. 256.
Reich der Ungebobrnen ©. 65. 66. der Vernichtung S. 102.
Roß: Schilderung beilelben S. 123. 124. 125. Roße Gottes S. 175.
Roße Elias ©. 189.
Salzfüule des Weibes Loths, ob fie eine Babel? S. 343.
Satan: Begrif befielben in Hiob S. 137. 138.
Semiten: ibre Spraden S. 316. 317. Ihr Rede auf Alien S. 319.
ihr Gottesbienft und Geiſt S. 320. 321.
Schlange: Character derſelben in ber Poeſie S. 166 - 169.
Schnee: Schöpfung befielben S. 57. 97. feine Vorrathskammern S. 108.
Sonne: warum die Ebräifche Poeſie ſie nicht in Hymnen befinge? S. 77. Ber-
fonification berfelben S. 78:80. Oßians Anrebe an diejelbe ©. 115. 110.
Sprache: wie fie ſich der ‘Denfch gebilvet? S. 158.
Sprache, Ebräifche, wie fie gemeiniglich gelernt werde S. 2. 3. Bor-
würfe gegen fie S.4-6. daß fie eine poetifhe Sprade fei in Anſehung
der Berben 5.7. 8. der Nominun ©. 9-11. der Wurzeln ihrer Beben-
tung S. 13-15. der Ableitung aus den Wurzeln ©. 16. 17. der Tem-
porum ©. 18. 19. der Bartifeln S. 20. des Parallelismus S. 21 -27.
von ihren Buchftaben und grammatifhen Form S. 28. 29. wie fie zu
treiben? S. 30. ob fie die ältefte Sprache der Welt ſei? S. 340. daß
fie fih dur Buchſtabenſchrift frühe gebildet S. 340.
Sprade und Schrift: ein Gedicht über das Wunderbare und Göttliche
beider ©. 32 - 35. wie ſich beide durch einander bilden S. 340.
Sprechen Gottes ©. 56. 57.
Stammesfagen des Ebräifchen Volks ob fie menfchenliebend und ebel?
5. 279-282. wie fie fih erhalten ©. 321. bis zu Abraham Binauf
S. 322 - 324. über Abraham bis zur Sundfluth S.325 -328. vor ber
Sündfluth S. 329 - 339.
Sterne: Perjonificationen berfelben ©. 78-81. 106. Oßians Anrebe an
den Abendftern ©. 118. 119.
Straus: Schilderung befielben S. 123. 124.
Sünde perfonificirt S. 250.
Sündfluth, ächte Erzählung derſelben S. 254. 255. 328. Ob fie allge
mein geweſen? 329.
— 4 —
Thiere: poetifhe Schilderung und Belebung derſelben ©. 81. 82. wie viel
fie der Ebräifhen Poefie gelten? S. 83. Perſonendichtung in ihnen
©. 120 » 125. ihr beftimmter Character ift Anlaß ber Fabel ©. 158. 159.
folgen dem Dienfchenfchidial 251.
Thurmbau zu Babel: Sage von ibm, mo fie ehe? S. 257. ihr Ton
und Zwed ©. 258 -260. ob fie eine Fabel fei? ©. 340 - 342.
Todtenreih: Urſprung deßelben in den Gräbern ©. 218-220. Urfprung
der Riefenform deßelben S. 221. Perfonificationen und Mythologie defel-
ben S. 222. Beichreibungen deſſelben &. 228 - 230. 236. 06 es aus
Aegypten fei? ©. 234.
Unfterblidleit der Seele ©. 206. 214-217. Todtenreih S. 218-222
Aufnahme zu Gott S. 224 - 228. Danflieb dariiber S. 231 - 234. Auf-
erfiehung ©. 235. das Land der Väter S. 239. 240.
Uz, wo es gelegen? ©. 125 - 127.
Vorſehung: Poeſie der Morgenländer darauf, ob fie nützlich oder fehäb-
ih geweien? ©. 242 - 244. Contraſte in Schilderungen berfelben find
allgemein S. 266. wahr und nütlih S. 267. 268. Lehrſpruch auf Die
Borfehung S. 268. 269. Was diefe Poefien für Gute gewirtet S. 270.
271. Pſalmen S. 272. 273. Glaube des Ebräiſchen Volts an diefelbe,
ob er rechter Art geweſen? S. 279-281.
Waldefel: Schilderung beffelden S. 122.
Waldochs: Schilderung deſſelben S. 122.
Weisheit: wahre und falfche der Morgenländer ©. 169. 170. Lobgedicht
auf die Weisheit S. 274-277. perfonificirt S. 277. .
Rudolſtadt,
gedruckt mit Löwiſcher Erben Schriften, unter
Schirachſcher Addreſſe.
— — — — — — —
31*
Dalle, Buhpruderei des Waifenhanjee.
Angus [AED
HA 7, 32].
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